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Full text of "Monatshefte; a journal devoted to the study of German language and literature"

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Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fiir  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


,  .. 

Redakteur: 

Max  Griebsch, 

Lehrer  am  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrersemlnar, 
Milwaukee. 


Leiter  der  Abteilung  fiir  hoheres  Schulwesen: 

M.  D.  Learned,  Ph.  D. 

Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur 

an  der  Universitat  von  Pennsylvanien, 

Philadelphia. 


^welter  Jahrgang. 


Dezember  1900 

bis 
November  1901. 


Verlag : 

The  Herold  Co., 
431  to  435  Broadway,  Milwaukee,  Wis. 


PF 
SOO3 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  II.  Dezember  1900.  Heft  i 

Professor  W.  H.  Rosenstengel.  f 


Wie  ein  Schlag  aus  heiterem  Himmel  traf  uns  am  Montag,  dem  12. 
November,  abends  die  Nachricht  von  dem  Hinscheiden  Professors  Rosen- 
stengel;  batten  wir  ihn  doch  noch  24  Stunden  vorher  gesprochen  und 
uns  selbst  von  seinem  Wohlbefinden  iiberzeugt.  Voll  jugendlicher 
Frische  und  Spannkraft  hatte  er  seine  Arbeit  nach  den  Ferien,  in  welchen 
seine  Gesundheit  scheinbar  vollstandig  wieder  hergestellt  worden  war, 
aufgenommen.  Sein  rastlos  thatiger  Geist  liess  ihm  nach  wie  vor 
nicht  genug  sein  an  der  Arbeit,  die  seine  Stellung  von  ihm  forderte,  son- 
dern  wandte  sich  wieder  seinem'  Lieblingskinde,  dem  Seminar  in  Milwau- 
kee, zu ;  und  seine  Sorge  fur  dessen  Wohl  rief  ihn  am  10.  November  nach 
Milwaukee,  um  hier  mit  seinem  Rate  Beistand  zu  leisten.  Mit  neuen 
Planen  fur  die  Zukunft  beschaftigt,  verliess  er  uns  am  Sonntag  abends, 
und  schon  am  Montag  hatte  ihn  der  grimme  Tod  uns  entrissen.  Mitten 
in  seiner  Tagesarbeit,  im  Kreise  seiner  Kollegen,  ohne  Warnung  wurde 
er  abberufen.  Wahrlich,  ein  herrliches  Ende  fur  ihn,  den  unermiidlich 
thatigen ! 

Entsetzlich  hart  freilich  traf  dieser  Schlag  seine  Familie,  seine  Gattin 
und  Kinder.  Nur  die  Zeit  wird  imstande  sein,  den  tiefen  Schmerz  uber 
ihren  schweren  Verlust  zu  lindern.  Das  Andenken  an  den  Verstorbenen 
aber  wird  immer  in  ihnen  lebendig  bleiben,  der  ihnen  der  beste  Gatte  und 
Vater  war. 

Doch  nicht  nur  sie  haben  Grund  zur  Klage.  Auch  wir  haben  an 
ihm  viel  verloren ;  denn  wo  immer  es  gait,  fur  unsere  Ideale  zu  kampfen, 
da  fanden  wir  ihn  in  den  ersten  Reihen,  einen  Vorkampfer  und  Fiihrer. 
Er  hatte  erkannt,  dass  es,  um  unserer  Sache  zum  Siege  zu  verhelfen,  nicht 


2  Padagogiscbe  Monatshefte. 

geniigt,  in  den  engen  Grenzen  seiner  beruflichen  Stellung  sich  zu  betha- 
tigen.  Darum  zwang  es  ihn  hinaus  ins  Leben  der  Offentlichkeit.  Wie 
gross  dort  seine  Anteilnahme  war,  das  darzustellen  iiberlassen  wir  beru- 
feneren  Handen,  denen  seines  langjahrigen  Freundes  und  Mitarbeiters, 
Herrn  Henry  Raab.  Auch  geben  uns  die  Trauerbeschliisse,  die  wir 
anfiigen,  ein  Bild  von  der  vielseitigen  Thatigkeit  des  Verstorbenen. 

Die  P.  M.  verlieren  in  ihm  einen  der  treuesten  Mitarbeiter.  War 
es  doch  ganz  selbstverstandlich,  dass  er,  der  jede  neue  Regung  des  deut- 
schen  Geistes  mit  Freuden  begriisste,  uns  sein  Interesse  zuwandte.  Viel 
verdanken  wir  seiner  Mitarbeiterschaft  und  seinen  Ratschlagen,  mit  denen 
er  allzeit  das  Richtige  traf.  t)ber  das  Grab  hinaus  bleiben  die  Zeichen  sei- 
ner Thatigkeit  bestehen.  Mogen  diese  andere  anspornen,  es  ihm  nachzu- 
thun!  Wir  leben  in  einer  Zeit,  wo  wir  Manner  wie  Prof.  Rosenstengel 
brauchen,  die  in  Uberzeugungstreue  bereit  sind,  sich  mit  alien  ihren 
Kraften  in  den  Dienst  unserer  hohen  und  schonen  Sache  zu  stellen! 

Nachruf. 

Nicht  auf  dem  Schlachtfelde  allein,  auch  mi  stillen  Studierzimmer 
und  in  der  Lehrstube  giebt  es  Helden,  die  fur  ihre  Uberzeugungen  ein- 
stehen  und  zum  Heile  der  Mit-  und  Nachwelt  segensreich  wirken.  Ein 
solcher  Soldat,  ein  soldier  Held  war  Wilhelm  Heinrich  Rosenstengel,  des- 
sen  friihen  Hingang  am-  13.  November  dieses  Jahres  wir  an  dieser  Stelle 
beklagen.  Nicht  nur  seine  Familie  und  sein  grosser  Freundeskreis,  auch 
die  Staatsuniversitat  von  Wisconsin  und  das  Deutschamerikanische  Leh- 
rerseminar,  ja  das  gesamte  Deutschtum  der  Vereinigten  Staaten  erleiden 
durch  sein  Hinscheiden  einen  schier  unersetzlichen  Verlust.  Was  er  war, 
das  war  er  ganz. 

Am  10.  September  1842  in  Barmen  geboren,  wurde  er  zum  Lehrer 
ausgebildet  und  widmete  sich  nach  seinem  Abgange  dem  Unterricht  in 
der  Volksschule  seiner  heimatlichen  Provinz.  In  1864  kam  er  nach  den 
Vereinigten  Staaten  und  unterrichtete  mehrere  Jahre  lang  an  einer  viel 
besuchten  und  mit  Recht  beliebten  Privatschule  in  St.  Louis,  bis  er  in 
den  Dienst  der  dortigen  offentlichen  Schulen  trat,  an  denen  er  bald  zum 
Lehrer  der  deutschen  Sprache  an  der  Hochschule  aufruckte.  An  dieser 
Stelle  wirkte  er  mit  grossenv  Eifer  und  solchem  Erfolg,  dass  heute  noch 
eine  Anzahl  Burger  aus  jener  Generation  sich  seiner  mit  Freude  und 
Stolz  erinnert  und  in  ihm  den  pflichttreuen  und  umsichtigen  Lehrer  ver- 
ehrt.  Sein  Ruf  als  tiichtiger  Schulmann  hatte  sich  unter  den  Deutschen 
des  ganzen  Landes  verbreitet,  und  sein  genaues  Wissen  und  vorziigliches 
Konnen  bewog  den  Verwaltungsrat  von  Wisconsin,  seine  Dienste  fur 
diese  Anstalt  in  Anspruch  zu  nehmen.  Infolge  dessen  wurde  er  1879 
zum  Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur  an  diese  Universitat 
berufen.  Als  er  diesen  Lehrstuhl  annahm,  war  er  der  einzige  Professor 


Professor  W.  H.  Rosenstengel.  f  3 

in  der  deutschen  Abteilung;  wie  er  bestandig  darauf  bedacht  war,  die 
Lust  und  Liebe  zum  Studium  des  Deutschen  zu  wecken  und  zu  verbrei- 
ten,  beweist,  dass  in  diesem  Jahre  ausser  ihm  acht  weitere  Lehrkrafte 
thatig  waren  und  die  Zahl  der  Horer  von  weniger  als  50  in  1879  heute 
auf  mehr  als  600  gewachsen  ist.  Als  Lehrer  hat  er  das  Hochste  und 
Beste  erreicht,  was  einem  Schulmanne  zu  teil  werden  kann:  die  Achtung 
seiner  Vorgesetzten  und  die  Liebe  und  Vehrung  seiner  Horer. 

Als  Mensch  war  er  aufrichtig  und  ohne  Falsch;  wer  sich  seiner 
Freundschaft  riihmen  durfte,  besass  einen  Schatz,  der  ihm  unveranderlich 
zum  Heile  gereichte.  Wie  er  jedem  Unrecht,  jeder  Falschheit  streng  ent- 
gegentrat  und  sie  ohn  Gnade  bekampfte,  so  mild  und  nachsichtig  war 
er  gegen  die  Fehler  und  Schwachen  seiner  Nebenmenschen.  Treu  und 
ehrlich,  war  ihm  der  Neid  fremd,  und  bereitwillig  erkannte  er  fremdes 
Verdienst  ohne  Riickhalt  an.  Zur  Unterstiitzung  hatte  er  immer  eine 
offene  Hand;  trotz  seiner  nur  massig  mit  Glucksgiitern  gesegneten  Stel- 
lung  ging  kein  Bediirftiger  oder  Hilfesuchender  ohne  Trost  und  Hilfe 
von  seiner  Schwelle. 

Als  Schulmann  war  Rosenstengel  von  ausdauerndem  Fleisse  und  re- 
gem  Pflichtgefuhl.  Allem,  auch  dem  anscheinend  Geringsten,  schenkte 
er  seine  voile  Aufmerksamkeit.  Seine  Ausdrucksweise  war  klar  und  be- 
stimmt,  wie  auch  sein  Stil  knapp  und1  durchsichtig  war.  Er  verschmahte 
stets  die  Effekthascherei  und  betonte  immer  nur  das  Wesentliche.  In  frii- 
heren  Jahren  war  er  haufig  an  der  Tagespresse  thatig,  spater  be- 
schrankte  sich  seine  Thatigkeit  auf  die  Mitarbeiterschaft  an  Fachschrif- 
ten.  So  hat  er  des  Guten  und  Anregenden  viel  fur  die  Erziehungsblatter 
und  die  Padagogischen  Monatshefte  geschrieben.  Er  war  Mitarbeiter  an 
Brockhaus'  Konversationslexikon  und  hat  eine  Anzahl  deutscher  Lehr- 
biicher  teils  selbst  verfasst,  teils  mit  anderen  gemeinschaftlich  herausge- 
geben.  Seine  deutschen  Lesebucher  fur  englisch  redende  Schiller  und 
seine  Sprachlehre  zeichnen  sich  durch  Einfachheit  und  knappe  Form  aus; 
da  ist  nichts  Uberflussiges  und  Unterwertiges,  nur  das  Wesentliche,  und 
das  in  krystallklarer  Kiirze.  In  den  in  Verbindung  mit  Emil  Dapprich 
herausgegebenen  Lesebuchern  erscheint  zum  erstenmale  in  diesem  Lande 
der  Zweck  des  Lesebuchs,  wie  in  den  besten  in  Deutschland  erschienen 
Lesebuchern  dieser  Art  verwirklicht. 

An  den  idealen  Bestrebungen  der  Deutschen  in  den  Vereinigten 
Staaten  nahm  er  den  regsten  Anteil  und  verherrlichte  bei  festlichen  Ge- 
legenheiten  durch  seine  Reden  die  Veranstaltungen  des  Deutschtums. 
Als  President  des  Verwaltungsrats  des  Deutschamerikanischen  Lehrer- 
seminars  in  Milwaukee  hat  er  dieser  Anstalt  unvergessliche  Dienste  ge- 
leistet.  Nicht  nur  durch  seine  Hilfe  beim  Entwurf  des  Studienplans  und 
der  fachlichen  Uberwachung  der  Anstalt,  auch  in  der  Beschaffung  des 
Stammkapitals  bewahrte  sich  seine  Thatigkeit.  Als  Vorsitzer  erblickte 
er  bei  den  Antragen  stets  den  Kern  der  Sache  und  verlangte  sachliche 


4  Padagogiscbe  Monatsbefte. 

Behandlung  der  schwebenden  Fragen,  so  dass  die  Verhandlungen  in  kiir- 
zester  Zeit  zum  Resultat  fiihrten.  Der  Eifer  und  die  Hingabe,  mit  der 
er  der  Verwaltung  dieser  Anstalt  sich  widmete,  nahmen  einen  grossen 
Teil  seiner  Zeit  in  Anspruch  und  jeder,  der  mit  ihm  in  Verbindung  trat, 
1st  seines  Lobes  voll. 

Aus  seiner  gliicklichen  Ehe  mit  Lina  Wirth  sind  vier  Kinder,  zwei 
Sohne  und  zwei  Tochter,  entsprossen.  Seit  2  Jahren  war  seine  Gesund- 
heit  angegriffen,  und  er  suchte  Heilung  in  verschiedenen  Heilanstalten, 
doch  ohne  stetige  Besserung.  Aus  voller  Thatigkeit  wurde  er  durch 
einen  Herzschlag  inmitten  seiner  Kollegen  von  der  Staatsuniversitat  ab- 
berufen. 

Dem  edlen  Menschen,  dem  treuen  Freunde,  dem  pflichtgetreuen  Gat- 
ten  und  Vater,  dem  Fdrderer  der  Menschenbildung  und  des  Deutschtums 
in  den  Vereinigten  Staaten  widmen  die  Padagogischen  Monatshefte  die- 
sen  schlichten  Nachruf.  H.  R. 

In  Memoriam. 

Am  Nachmittage  des  vierzehnten  November  traten  der  Vorstand  der 
Deutsch-Englischen  Akademie,  das  Direktorium  des  Turnlehrerseminars 
des  Nordamerikanischen  Turnerbundes  und  der  Vollzugsausschuss  des 
Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerseminars  zu  gemeinschaftlicher 
Sitzung  zusammen  und  verliehen  ihrer  Trauer  iiber  das  Dahinschefden 
des  Herrn  W.  H.  Rosenstengel  durch  nachstehende  Erklarung  Ausdruck: 

Zum  drittenmale  innerhalb  der  kurzen  Spanne  von  zwei  Jahren  greift 
der  Tod  in  unsere  Reihen.  Einer  unserer  treuesten  Mitarbeiter,  einer 
unserer  warmsten  Freunde,  Herr  Prof.  W.  H.  Rosenstengel,  weilt  nicht 
mehr  unter  den  Lebenden.  Wir  konnen  es  kaum  fassen,  dass  wir  die 
Hand  nicht  mehr  ergreifen  sollen,  deren  warmen  Freundesdruck  wir  vor 
wenigen  Tagen  noch  gespiirt,  dass  er  nun  kalt  und  Starr  auf  der  Toten- 
bahre  liegt,  der  sich  noch  vor  vier  Tagen  mit  den  ausseren  Zeichen  wie- 
dergewonnener  Gesundheit  ratend  und  planend  an  der  Novembersitzung 
des  Vollzugsausschusses  des  Lehrerseminars  beteiligte.  Der  Deutschame- 
rikaner,  der  ein  Herz  hat  fiir  die  Erhaltung  und  liebevolle  Pflege  der  deut- 
schen  Sprache  und  deutschen  Schrifttums  in  diesem  Lande,  steht  trau- 
ernd  an  seiner  Bahre;  die  deutschamerikanische  Lehrerschaft,  mit  wel- 
cher  er  eng  verbunden  war  und  auf  welche  er  befruchtend  wirkte  als 
Leiter  der  deutschen  Abteilung  an  der  hochsten  Lehranstalt  dieses  Staa- 
tes,  als  thatiges  und  wertvolles  Mitglied  des  deutschamerikanischen  Leh- 
rerbundes,  als  fleissiger  Mitarbeiter  an  padagogischen  Zeitschriften,  als 
emsiger  und  kundiger  Forscher  und  Sammler,  beklagen  das  Dahinschei- 
den  unseres  Freundes,  der  eine  Zierde  des  Standes  war,  dem  er  ange- 
horte.  Mit  ihnen  trauern  Tausende  von  jungen  Leuten,  die  ihm  Anre- 
gung,  Wissen  und  Sinn  fiir  das  Schone  und  Gute  verdanken. 

Was  er  u  n  s  war,  was  w  i  r  in  ihm  verlieren,  lasst  sich  nur  andeuten, 
nicht  erschopfend  darstellen.  Das  deutschamerikanische  Lehrerseminar 
betrauert  den  Tod  eines  seiner  geistigen  Schopfer,  eines  seiner  warmsten 
Freunde,  einer  seiner  kraftigsten  und  zuverlassigsten  Stiitzen,  seines 
unermudlich  thatigen  langjahrigen  Prasidenten.  Sein  ganzes  Konnen  und 
Wissen,  seine  fast  unerschopfliche  Arbeitskraft  stellte  er  mit  seltener 


Professor  W.  H.  ^Rpsenstengel.  f  5 

Hingebung  und  Selbstlosigkeit  in  den  Dienst  der  drei  Anstalten,  als  deren 
Vertreter  wir  heute  versammelt  sind.  Anspornend  und  anfeuernd  wirkte 
er  auf  Lehrer,  Zoglinge  und  seine  Mitarbeiter.  Wenn  es  gait,  die  Strebe- 
ziele  der  Anstalten  klar  darzulegen,  Vorurteilen  zu  begegnen,  Angrlffe 
abzuwehren,  neue  Freunde  zu  gewinnen,  alte  Freunde  zu  erhalten,  die 
finanzielle  Grundlage  zu  starken,  opferwillige  Forderer  unserer  Ziele  zu 
sichern,  Lehrplane  wirksamer  zu  gestalten,  vertrauten  wir  uns  zuversicht- 
lich  seiner  kundigen  Fiihrung  an.  Moge  der  hehre  Dreibund,  der  teil- 
weise  als  sein  Werk  unter  dem  Dache  dieses  Gebaudes  vereinigt  1st,  ein 
Denkmal  bleiben  seiner  segensvollen  Thatigkeit.  Wir,  seine  zuriickge- 
bliebenen  Mitarbeiter,  konnen  des  Dahingeschiedenen  Andenken  nicht 
besser  eliren  als  durch  den  festen  Entschluss,  in  seinem  Sinne,  wenn  auch 
nicht  mit  seiner  Kraft  weiterzuwirken. 

Wir  beschliessen:  Der  trauernden  Familie  unseres  Freundes  unser 
innigstes  Beileid  auszusprechen. 

Wir  beschliessen:  uns  an  dem  Leichenbegangnisse  zu  beteiligen  und 
Schule  und  Seminar  am  Beerdigungstage  geschlossen  zu  halten. 

Wir  beschliessen  ferner,  vorstehenden  Ausdruck  unserer  Gefiihle  und 
die  gefassten  Beschlusse  durch  die  Presse  zu  verbffentlichen  und  der 
Familie  Rosenstengel  eine  Abschrift  zuzustellen. 


Von  dem  Selcretar  des  Priifungsausschusses  fur  das  Lehrersemi- 
nar  gelangte  folgendes  Schreiben  an  den  Verwaltungsrat  der  Anstalt: 

Der  Priifungsausschuss  fur  das  N.  D.  A.  Lehrerseminar,  aus  den 
Herren  H.  Woldmann,  Cleveland,  Dr.  H.  H.  Fick,  Cincinnati,  und  dem 
Unterzeichneten  bestehend,  hat  mich  beauftragt,  Ihnen  den  Ausdruck 
seines  auf  richtigsten  Beileids  iiber  den  Verlust,  den  Sie  durch  den  Tod 
des  Herrn  Prof.  W.  H.  Kosenstengel  erlitten  haben,  zu  iibermitteln. 

Wir  wissen,  wie  wenige  nur,  wie  gross  die  Liicke  ist,  die  durch 
das  Ableben  Ihres  langjahrigen  Vorsitzers  in  Ihrer  Korperschaft  ent- 
standen  ist. 

Aber  auch  wir  verlieren  in  dem  Dahingeschiedenen  einen  Mann, 
der  uns  bei  der  Ausfiihrung  unserer  amtlichen  Thatigkeit  stets  hilf- 
reich  zur  Seite  gestanden  hat,  und  dessen  Eat  und  That  wir  in  Zu- 
kunft  schmerzlich  vermissen  werden. 

Wir  bitten  Sie  daher,  uns  den  von  Ihnen  gefassten  Trauerbe- 
schliissen  vollinhaltlich  anschliessen  zu  diirfen. 

Mit  vorziiglicher  Hochachtung  zeichnet 

Fur  den  Priifungsausschuss 

Leo  Stern. 

*  *  * 

,,Durch  das  Hinscheiden  des  Herrn  Wilhelm  H.  Rosenstengel  wurde 
das  Lehrerkollegium  der  Deutsch-Englischen  Akademie  und  des  Nationa- 
len  Deutschamerikanischen  Lehrerseminars  in  tiefe  Trauer  versetzt. 
Die  Lehrer  beider  Schulen  sind  sich  aufs  schmerzlichste  bewusst, 
dass  sie  in  dem  Verstorbenen  einen  zielbewussten  Fiihrer,  einen 
umsichtigen  Berater,  einen  treuen  Freund  und  Gonner  verloren  haben. 
Unersetzlich  scheint  sein  Verlust  besonders  fiir  das  Lehrerseminar,  wel- 
ches in  seiner  heutigen  Gestalt  fast  als  eine  Schopiung  des  ausgezeich- 
neten  Mannes  anzusehen  ist.  Seiner  rastlosen  Energie,  seiner  edlen 
Schaffensfreude,  die  er  jederzeit  in  den  Dienst  einer  hoheren  Idee  stellte, 
ist  es  zu  danken,  dass  die  Anstalt  heute  auf  gesicherter  flnanzieller  Basis 


P'ddagogische  Monatshefte. 

steht.  Unermiidlich  war  der  Verstorbene  fur  diese  Anstalt,  das  Lieb- 
lingskind  seiner  Sorge,  thatig.  Die  zwei  letzten  Tage  seines  reichen  Le- 
bens  waren  noch  dem  Interesse  und  dem  Wonle  beider  Institute  gewidmet. 
So  starb  er,  bis  zum  letzten  Augenblick  treu  gegen  sich,  treu  gegen  andere. 
treu  gegen  die  Idee,  zu  deren  Diener  und  Verfechter  er  sich  gemacht 
hatte.  Sein  Andenken  wird  in  dem  gegenwartigen  Lehrerkollegium  9er 
beiden  Anstalten  unvergesslich  welter  leben  als  das  eines  Mannes,  der 
dem  Worte  Goethes  nachgelebt  hat: 

Edel  sei  der  Mensch, 
Hilfreich  und  gut; 
Unermiidlich  schaff'  er 
Das  Nutzliche,  Rechte." 


At  a  special  meeting  of  the  faculty  of  the  University  of  Wisconsin, 
held  Nov.  19,  1900,  the  following  resolutions  were  by  rising  vote  unani- 
mously adopted: 

"The  faculty  of  the  University  of  Wisconsin,  in  special  session  assem- 
bled, desire  to  place  on  record  some  acknowledgment  of  their  high  appre- 
ciation of  the  work  and  worth  of  their  lately  departed  colleague,,  there- 
fore. 

"Resolved,  That  by  the  death  of  Professor  William  H.  Rosenstengel 
this  state  has  lost  an  influential  and  public-spirited  citizen,  the  Univers- 
ity an  energetic  member  of  this  faculty  and  the  student  body  a  warm 
personal  friend  and  one  of  tireless  industry,  dignified  bearing,  generous 
impulses,  and  a  high  sense  of  honor. 

"Resolved,  That  Professor  Rosenstengel,  by  his  integrity  of  character, 
and  long  and  faithful  devotion  to  his  work,  has  won  the  gratitude  of  the 
students  and  alumni  of  the  university,  the  high  esteem  of  his  colleagues, 
and  the  respect  and  honor  of  this  entire  community  and  commonwealth. 

"Resolved,  That  these  resolutions  be  entered  in  the  minutes  of  the 
faculty,  that  the  secretary  be  directed  to  transmit  a  copy  to  the  family 
of  the  deceased,  and  that  copies  be  furnished  to  the  university  and  city 
papers  for  publication. 

"J.  B.  Parkinson, 
"Edward  T.  Owen, 
"W.  W.  Daniells, 

"Committee." 

Am  Donnerstag,  dem  15.  November,  wurde  Professor  W.  H.  Rosen- 
stengel auf  dem  Forest  Grove  zu  Madison  zur  Ruhe  gebettet.  Die  Be- 
grabnisfeier,  obgleich  in  einfachster  Form,  wie  sie  den  Wiinschen  des 
Verstorbenen  entsprach,  zeugte  von  der  hohen  Achtung  und  Verehrung, 
die  dem'  Hingeschiedenen  aus  alien  Kreisen  entgegengebracht  wurden. 
Herr  Direktor  Dapprich  widmete  seinem  Freunde  tief  empfundene  Ab- 
schiedsworte.  Als  Ehrenbartuchtrager  fungierten  die  Herren  Fred.  Vogel 
jr.,  Milwaukee;  Henry  Raab,  Belleville,  111.;  Louis  Schutt,  Chicago;  Henry 
Ziock,  Rockford,  111.;  Dekan  E.  A.  Birge  von  der  Staatsuniversitat  von 
Wisconsin,  John  Suhr  und  Richter  Siebecker  von  Madison.  Unter  den 
zahlreichen  Blumenspenden  befand  sich  auch  ein  prachtiger  Palmenzweig 
vom  Vorstande  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


Die  nationale  Aufgabe  des  Deutschamerikanischen 

Lehrerbundes. 

(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  JET.  M.  Ferren,  High  School,  Allegheny,  Pa. 


Obgleich  der  Lehrerbund  schon  seit  einem  Menschenalter  besteht, 
so  gehort  ihm  doch  kaum  der  zehnte  Teil  unserer  Berufs-  und  Streitge- 
nossen  an.  Zur  Abhiilfe  dieses  Ubelstandes  genugen  die  ewigen  Klagen 
iiber  das  gleichgultige  Verhalten  der  deutschamerikanischen  Lehrerschaft 
keineswegs.  Im  Gegenteil,  wir  geben  dadurch  nur  unsere  eigene 
Schwache  zu  erkennen,  denn  die  Gleichgiiltigkeit  wohnt  ja  dem  ganzen 
Menschengeschlechte  inne,  und  keinem  schaffenden  Geist  bleibt  der 
Kampf  gegen  jenes  Hindernis  erspart.  Reden  wir  einmal  ein  ehrliches 
Wort  mit  einander:  Warum  spielt  unser  Bund  eine  so  klagliche  Rolle 
im  Vergleich  zu  dem,  was  er  leisten  sollte  und  konnte?  Weil  wir  unsere 
Aufgabe  nie  zu  Ende  gedacht,  und  weil  es  uns  an  iiberlegenen  Fiihrern 
gebricht,  denen  die  Erreichung  unserer  Ziele  mehr  als  Nebensache  ware. 
Was  entbehren  wir  am  meisten?  Das  phylosophische  Bewusstsein  und 
den  Willen  zur  That. 

Die  verworrenen  Zustande  im  amerikanischen  Erziehungswesen 
zwingen  uns,  ein  wachsames  Auge  auf  alles  zu  halten,  was  dem  Volks- 
geist  sein  Geprage  giebt.  Unser  Volk  soil  keiner  engen,  englischen 
Weltanschauung  zum  Opfer  fallen,  sondern  sich  seiner  Abstammung  ge- 
mass  voll  und  frei  entwickeln.  Wir  wollen  Amerika  in  einen  grossen 
Garten  verwandeln,  in  welchem  viele  und  vielerlei  der  edelsten  Pflanzen 
zur  Bliite  gelangen.  An  Stelle  der  herrschenden  geistestotenden  Ein- 
formigkeit  soil  ein  in  schillernder  Farbenpracht  iibersprudelndes  Volks- 
leben  treten.  Weder  die  Vorziige  der  englischen  Litteratur  noch  das 
Gute,  was  wir  den  Briten  verdanken,  seien  hier  in  Abrede  gestellt.  Man 
kann  alien  dem  die  vollste  Anerkennung  zollen  und^dabei  doch  behaupten, 
dass  infolge  des  Vorherrschens  der  englischen  Sprache  in  Amerika  zahl- 
lose  unserem  gesunden  Wachstum  unentbehrliche  Gattungen  entweder 
allmahlich  entarten  oder  sofort  zu  Grunde  gehen.  Man  muss  3en  vor- 
urteilsfreien  Blick  eines  Weltbiirgers  haben,  um  den  verschiedenen  Be- 
standteilen  unserer  Bevolkerung  gerecht  zu  werden.  Ware  aber  das 
Angelsachsentum  hierzu  berufen,  so  hatte  gewiss  der  jahrhundertelange 
Verkehr  mit  anderen  Volkern  bei  den  Briten  eine  minder  einseitige,  eine 
fur  feinere  Schattierungen  empfangliche  Denkweise  hinterlassen.  Dass 
unsere  Landessprache  von  jenem  fur  grobere  Arbeit  bestimmten  Men- 
schenschlag  herriihrt,  darin  liegt  die  eigentliche  Gefahr,  welche  uns  um 
eine  vielverheissende  Zukunft  zu  bringen  droht.  Der  uberwiegend  eng- 
lische  Einfluss  beraubt  Amerika  seines  Erbteils  europaischer  Lebensweise 
und  wird  jede  Moglichkeit  einer  echt  amerikanischen  Volksseele  aus- 


8  P'ddagogische  Monatsbefte. 

schliessen,  wenn  nicht  in  ganz  absehbarer  Zeit  ein  gewaltiger  Gegendruck 
erfolgt.  Zur  Ausiibung  eines  solchen  Gegendrucks  sind  gerade  wir 
Deutschen  wie  vom  Schicksal  erkoren,  denn  kein  anderer  aus  Europa 
eingewanderter  Stamm  ist  hier  stark  genug  vertreten,  um  die  Fiihrer- 
rolle  zu  ubernehmen;  ausserdem  besitzen  wir  eine  Sprache,  die  vermoge 
ihrer  mannigfachen  Anlagen  und  ihrer  unubertrefflichen  "Qbersetzungs- 
fahigkeit  uns  zu  wahren  Teilhabern  an  den  Errungenschaften  anderer 
Kulturvolker  macht.  Dass  neben  der  englischen  Sprache  die  deutsche 
Gemeingut  der  amerikanischen  Nation  werde,  darauf  beruht  unser  gan- 
zes  Streben.  Was  jetzt  im  Volke  nur  ein  Scheinleben  fiihrt,  wird  erst 
dann  in  Fleisch  und  Blut  iibergehen,  wenn  man  allerorten  den  Anfang 
des  deutschen  Unterrichts  ins  zarteste  Kindesalter  verlegt.  Wer  dieses 
leugnet,  gehort  nicht  zu  uns,  mag  er  immerhin  der  gefeiertste  Professor 
der  deutschen  Sprache  sein. 

Hermann  Grimm  wirft  den  Deutschamerikanern  vor,  sie  hatten  noch 
keine  einzige  deutsche  Umversitat  gegriindet.  Wie  viel  mehr  als  eine 
hohere  Lehranstalt  versprache  jedoch  ein  zielbewusster  Lehrerverband, 
dessen  Thatigkeit  sich  iiber  unser  gesamtes  Schul-  und  Volkswesen  er- 
streckte,  der  gleich  einer  nationalen  Akademie  der  Wissenschaften  nach 
unzahligen  Richtungen  hin  gestaltend  auf  die  amerikanische  Kunst  und 
Litteratur  einwirkte.  Mit  unserer  kleinlichen,  zaghaften  Politik  sind  wir 
hiervon  noch  weit  entfernt.  Zu  jenem  erhabenen  Ziele  fiihrt  nur  ein  mu- 
tiges  Vorgehen,  ein  Eroberungszug  in  grossem  Stil.  Pfui  iiber  all  das 
verraterische  Zwittergeschmeiss  unter  den  Akademikern  und  anderswo, 
welches  aus  Feigheit  oder  aus  niedriger  Selbstsucht  dem  Angloamerika- 
ner  die  verlogensten  Zugestandnisse  macht! 

Zur  Fiihrung  eines  geistigen  Krieges  bediirfen  wir  einer  starken 
Oberleitung,  aus  Mannern  bestehend,  die  ganz  in  unserem  Streben  auf- 
gehen.  Wer  dem  aufreibenden  Lehrberuf  obliegt,  wie  diirfte  der  noch 
nebenbei  ein  Amt  versehen,  welches  den  aussersten  Kraftaufwand  der  be- 
gabtesten  Menschen  und  einen  durch  keinerlei  Nahrungssorgen  getriib- 
ten  Blick  voraussetzt.  Sache  der  Oberleitung  ware  die  sichere  Anlegung 
des  Bundesvermogens  und  die  richtige  Verwendung  der  Zinsen.  Beson- 
clerer  Unterstutzung  bediirfte  die  Bundeszeitung,  fur  deren  Aufrechter- 
haltung  im  verflosserien  Jahre  schwere  Opfer  gebracht  wurden.  Bei 
aller  Liebesmiihe  setzte  die  Verlagshandlung  noch  $1000  zu.  Wer  die 
Leitung  besorgt,  sollte  auf  keinen  anderen  Erwerbszweig  angewiesen 
sein.  Sicherlich  bezogen  die  Leiter  englischer  Zeitschriften  nicht  so  hohe 
Gehalter,  wenn  die  besten  Krafte  fiir  einen  Hungerlohn  feil  waren.  Und 
doch  geben  wir  uns  der  trugerischen  Hoffnung  hin,  alles  das  umsonst  zu 
bekommen,  wofiir  andere  teuer  bezahlen  mussen-  Der  Bund,  nicht  die 
Verlagshandlung,  ist  moralisch  verpflichtet,  fiir  die  Verbreitung  der 
Schulzeitung  zu  sorgen.  Dies  geschahe  am  besten  durch  haufiges  Ver- 
senden  von  Durchsichtsheften  und  wiederholtes  Anzeigen  in  anderen 


Die  nationale  *Aufgabe  des  Deiitscbamerikani&cben  Lebrerbundes.        9 

Zeitschriften.  Die  englischen  Erziehungsschriften  sowohl  wie  die  in 
Europa  erscheinenden  und  hier  gelesenen  deutschen  Blatter  verdienten 
besondere  Berucksichtigung.  Es  ist  ganz  unwesentlich,  ob  die  Schulzei- 
tung  sich  aus  eigenen  Mitteln  erhalt  oder  nicht.  Die  Hauptsache  ist, 
dass  sie  unsere  Ansichten  zur  Geltung  bringt.  Um  aber  dieses  zu  er- 
reichen,  werden  immer  wieder  Zuschusse  aus  der  Bundeskasse  notig  sein. 
Wollten  wir  die  englische  Sprache  absichtlich  vernachlassigen,  so 
hiesse  das,  auf  eine  machtige  Waffe  verzichten.  Damit  sein  Einfluss 
auch  in  die  entlegensten  Kreise  dringe,  braucht  der  Bund  ein  ganzes 
Heer  von  Schriftstellern,  Kritikern  und  Kiinstlern,  mit  deren  Hiilfe  er 
namentlich  die  englische  Presse  und  das  englische  Bibliothekswesen  be- 
einflussen  konnte.  Besondere  Wiirde  erhielten  seine  Bestrebungen 
durch  Aussetzung  von  Preisen,  deren  Verteilung  einem  internationalen 
Preisgericht  anzuvertrauen  ware.  Hierdurch  wiirde  er  die  hervorragend- 
sten  Denker  des  In-  und  Auslandes  fiir  seine  Sache  gewinnen  und  in  den 
Besitz  einer  Litteratur  gelangen,  welche  vom  unparteiischen  Standpunkte 
der  vergleichenden  Volkerkunde  die  Vorteile  des  Deutschen  dem  Eng- 
lischen gegeniiber  abschatzte  und  letzteres  in  seine  Schranken  verwiese. 
Die  Einnahmen  des  Seminars  zu  Milwaukee  miissen  bedeutend  er- 
hoht  werden,  sonst  verfehlt  es  seinen  Zweck  als  Musteranstalt  fiir  die 
Ausbildung  von  Volksschullehrern.  Wie  sehr  eine  hiilfespendende  Hand 
dort  not  thut,  geht  aus  dem  jiingsten  Jahresbericht  hervor.  Trotz  aller 
Sparsamkeit  uberstiegen  die  Ausgaben  die  Einnahmen  um  $1000. 

Zur  Beherrschung  des  amerikanischen  Schulwesens  ist  jedoch  die 
Sicherstellung  des  Seminars  nur  der  erste  Schritt.  Es  kann  im  giinstig- 
sten  Falle  nur  einen  Bruchteil  der  notigen  Erzieher  liefern,  und  wir  diir- 
fen  um  keinen  Preis  die  Anstellung  der  iibrigen  dem  Zufall  tiberlassen. 
Nicht  im  Griinden  neuer  Schulen  besteht  unsere  fernere  Aufgabe,  sondern 
im  Erobern  der  schon  vorhandenen.  Hochst  wiinschenswert  ist  deshalb 
eine  Prufungsbehorde,  welche  iiberall  im  Lande  die  besten  Lehrer  her- 
ausfande,  gleichviel  wo  sie  ihre  Vorbildung  genossen,  und  dorthin  be- 
forderte,  wo  man  ihrer  am  meisten  bedarf.  Weiss  einmal  der  Amerika- 
ner,  dass  bei  uns  die  tiichtigsten  Lehrkrafte  zu  haben  sind,  dann  gewinnt 
der  Bund  mit  jedem  Jahre  an  Macht  und  Ansehen.  Vermoge  einer  sol- 
chen  Einrichtung  konnte  er  unendlich  viel  Gutes  stiften  und  vielem  Un- 
heil  vorbeugen.  Wie  oft  scheiterte  schon  der  Versuch,  den  deutschen 
Sprachunterricht  in  den  offentlichen  Schulen  einzufuhren,  weil  es  gerade 
im  entscheidenden  Augenblicke  an  sachkundigen  Leuten  fehlte.  Be" 
stiinde  heute  eine  fahige  nationale  Schulaufsicht,  so  wiirde  manchem  ein 
grosserer  Wirkungskreis  eroffnet,  der  zwar  ein  ausgezeichneter  Lehrer, 
aber  kein  schreibfingriger  Herausgeber  von  Schulbiichern  ist.  Da  die 
Sitzungen  jener  Behorde  zu  bestimmten  Zeiten  in  verschiedenen  Landes- 
teilen  abzuhalten  waren,  so  miisste  fiir  die  Reisekosten  der  Mitglieder 
hinlanglich  gesorgt  werden. 


10  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Im  Dienste  des  Verwaltungsrates  miisste  noch  ein  Geschaftsfiihrer 
und    Schriftwart    stehen,    dessen  Besoldung   je  nach  den  zunehmenden 
Pflichten  zu  erhohen  ware.     Sekretar  Shepard,  der  schon  seit  Jahren  die- 
sen  Posten  fiir  die  N.  E.  A.  versieht,  bezieht  ein  Gehalt  von  $4000,  nebst 
einer  Bewilligung  von  $1000  fiir  Porto,  Drucksachen  u.  s.  w.     Ausser- 
dem  sind  an  alien  Orten  von  Bedeutung  Vertrauenspersonen  notwendig, 
welche  genauen  Bericht  iiber  die  Schulen  und  andere  in  ihrem  Bezirk 
befindlichen  Bildungsanstalten,  namentlich  Bibliotheken,  Kunstgallerien 
und  Museen  abzustatten  hatten.     Zu  ihren  weiteren  Pflichten  gehorten 
die  Griindung  von  Zweigvereinen,  die  Heranziehung  einflussreicher  Bur- 
ger und  eine  zweckmassige  Verbreitung  geeigneter  Schriften.    Ein  dank- 
bares  Arbeitsfeld  bote  sich  ihnen  dar,  wo  der  deutsche  Unterricht  und 
das  Turnen  noch  in  den  Schulen  fehlen.     Aber  auch  die  Arbeit    dieser 
Leute  darf  man  nicht  umsonst  erwarten,  denn  sie  miissten  zu  Gunsten 
unserer  Sache  nicht  nur  ihren  Beruf  vernachlassigen,  sondern  hatten  da- 
bei  noch  allerhand  Auslagen.     Kommt  im  Durchschnitt  auf  400,000  Ein- 
wohner  eine  Vertrauensperson,  so  ergiebt  das  etwa  200  fur  die  Verei- 
nigten  Staaten,  Canada  nicht  einmal  mitgerechnet.     Eine  genaue  Sum- 
menangabe  ist  nur  nach  einer  eingehenden  Besprechung  der  verschiede- 
nen  Punkte  moglich.     Man  darf  jedoch  mit  Sicherheit  annehmen,    dass 
ohne  eine  jahrliche  Verausgabung  von  mindestens  $100,000  der  Lehrer- 
bund  nicht  in  den  Vordergrund  riicken  kann.     Wie  gering  erscheint  aber 
sogar  dieser  Betrag,  wenn  man  bedenkt,  was  alles  auf  dem  Spiele  steht! 
Was  sind  denn  $100,000,  wo  es  gilt,  ein  Volk  von  75  Millionen  zu  sei- 
ner Seligkeit  zu  zwingen!      Ob    solcher   Schwarmerei  werden  viele  die 
Achseln  zucken,    denn  wo  es  sich   um    die   Erschwingung  bedeutender 
Geldsummen  handelt,  da  fangt  bei  den  Deutschen  gewohnlich  das  Gebiet 
der  Fabel  an.    Mochten  diese  Wirklichkeitsapostel  doch  endlich  einsehen, 
dass  der  Lehrerbund  sich  heute  iiberhaupt  keinem  Ziele  nahert,  sondern 
nur  den  eitelsten  Trugbildern  nachjagt.     Ohne    ein    grosses  Vermogen 
dauert  seine  Ohnmacht  fort,  und  er  wird  niemals  iiber  eine  erbarmliche 
Halbheit  hinauskommen.    Da  die  Jahresbeitrage  nur  einen  winzigen  Teil 
der  Auslagen  decken  wiirden,  so  mussten  wir  uns  nach  weiteren  Hiilfs- 
quellen  umsehen.    Die  deutschgesinnte  Biirgerschaft  wird  unserem  Bunde 
ihren  Beistand  nicht  versagen,  sobald  er  sich  ihres  Vertrauens  wurdig  er- 
weist.     Hierzu  bedarf  es  aber  scharferer  Beweisfiihrung,  genauerer  Ziel- 
angabe  und  grosserer  Umsichtigkeit,  als  wir  Lehrer  bisher  an  den  Tag 
gelegt. 


Aus  dem  Tagebuch  eines  deutschamerikanischen 
Schulmeisters. 

Vortrag,  gehalten  vor  dem  30.  Lehrertag  zu  Philadelphia. 


Von  Carl  Otto  Schonrich, 
Detitscher  Oberlehrer  an  der  Stadtschule  No.  1  zu  Baltimore,  Maryland. 


Es  war  Mitte  Marz  1868.  Drei  Monate  war  ich  im  Lande.  Eine 
Enttauschung  hatte  der  andern  Platz  gemacht,  das  letzte  mitgebrachte 
Geld  war  ausgegeben. — An  ein  Zuriickgehen  war  nicht  zu  denken,  der 
kurzsichtige  Jiingling  hatte  ja  die  schone  schwabische  Heimat  verlas- 
sen,  um  dem  Militardienst  unter  der  neuen  preussischen  Oberleitung 
auszuweichen,  die  doch  sein  liebes,  altes  Vaterland  zu  neuer  Glorie  brin- 
gen  sollte.  Ans  Vaterhaus  wollte  ich  mich  auch  nicht  um  Unterstutzung 
wenden,  der  geliebte  Vater  sollte  die  Genugthung  haben,  dass  ich  auf 
eigenen  Fiissen  stehen  kann.  Bewahrte  ich  doch  einen  kostbaren  Schatz : 
den  Segen  der  seligen  Mutter. 

Es  gait  jetzt  irgend  eine  ehrbare  Thatigkeit  zu  ergreifen,  und  so 
hatte  ich  denn  eine  mir  zur  Probe  angebotene  Lehrerstelle  an  der  Schule 
einer  protestantischen  Kirchengemeinde  angenommen,  doch  mit  schwe- 
rem  Herzen;  meine  deutsche  Anschauung  war  nicht  zu  iiberzeugen,  dass 
ich  ohne  padagogische  Vorbildung  den  Lehrerberuf  antreten  konnte,  so 
ermunternd  auch  die  Worte  des  freundlichen  Predigers  und  des  erfah- 
renen  Oberlehrers  waren.  Beiden  habe  ich  viel  zu  danken  fur  die  dem 
unerfahrenen,  leichtlebigen  Studenten  erzeigte  Nachsicht  und  Aufmun- 
terung,  und  insbesondere  dem  letzteren,  einem  seminaristisch  ausgebil- 
deten  Schulmanne  aus  Berlin,  fur  die  treuen  Unterweisungen  im  neuen 
Beruf,  dem  ich  mich  nun  mit  voller  Seele  hingab,  eingedenk  der  vater- 
lichen  Lehre:  ,,Was  du  auch  thust,  thue  es  mit  alien  deinen  Kraften". 

Eine  besonders  schwere  Aufgabe  erschien  es,  dass  ich,  der  frisch 
Eingewanderte,  den  eingeborenen  Kindern  Unterricht  in  der  Landes- 
sprache  zu  erteilen  hatte.  Ich  entschloss  mich,  ein  Tagebuch  iiber  die 
Schule  zu  fuhren  und  von  Zeit  zu  Zeit  Abrechnung  mit  mir  zu  halten. 

Gar  bunte  Blatter  sind  es,  die  sich  so  im  Laufe  von  32  Jahren  an- 
hauften.  Denn  wenn  ich  auch  in  dieser  ganzen  langen  Zeit  nur  zwei 
Stellen  innehatte  —  8  Jahre  an  der  erwahnten  Kirchenschule,  und  die 
iibrigen  24  an  der  offentlichen  Schule  —  so  habe  ich  mich  dabei  einer 
von  Jahr  zu  Jahr  mehr  ausgedehnten  Nebenbeschaftigung  gewidmet,  zu- 
erst  als  Abendschullehrer,  und  in  den  letzten  20  Jahren  als  Privatlehrer, 
und  so  kommt  es1,  dass  ich  heute  auf  einen  Schiilerkreis  zuriickblicke, 
der  an  Mannigfaltigkeit  seinesgleichen  sucht. 

Es  sind  darunter  die  verschiedenen  Altersstufen  vom  6.  bis  zum  60. 
Lebensjahre  vertreten,  Knaben  und  Madchen,  Jungfrauen  und  Jiinglinge, 


12  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Manner  und  Frauen,  Vertreter  verschiedener  Nationalitaten  und  Rassen, 
Nord-  und  Siidamerikaner,  Westindier,  Deutsche,  Briten,  Irlander,  Skan- 
dinavier,  Hollander,  Romanen  und  Slaven,  selbst  Japanesen  und  — 
Neger;  ich  habe  namlich  vor  22  Jahren  in  einer  Negerabendschule  unter- 
richtet,  und  ich  muss  gestehen,  dass  ich  dort  aufmerksame  und  dankbare 
Schiiler  und  Schiilerinnen  hatte. 

Ebenso  verschieden  ist  der  Schiilerkreis  auch  inbezug  auf  Beruf 
und  gesellschaftliche  Stellung;  es  befinden  sich  darunter  der  Student  und 
der  Universitatsprofessor,  der  unbemittelte  Einwanderer  und  der  Millio- 
nar,  der  Freidenker  und  der  Priester,  der  Arbeiter  und  der  Handelsherr, 
ein  Biirgermeister,  ein  Oberrichter  und  ein  Kabinetsminister. 

Und  wie  die  Schuler,  so  war  auch  der  Unterrichtsstoff  verschieden. 
In  der  Kirchenschule  umfasste  er  Religion,  Elementarfacher  und  Rea- 
lien,  bei  den  Zoglingen  der  offentlichen  Schule  deutsche  und  englische 
Sprache  und  damit  gemeinnutzige  Kenntnisse ;  in  der  offentlichen  Abend- 
schule  bedurften  Weisse  wie  Neger  der  Grundlagen  im  englischen  Lesen, 
Schreiben  und  Rechnen,    in  den  Abendklassen    des  Christlichen  Jung- 
mannervereins  handelte  es  sich  um  die  Amerikanisierung  der  Eingewan- 
derten;  iiber  sechzig  Kandidaten  wurden  fur  Lehrerprufungen  vorberei- 
tet;  und  als  nach  der  Errichtung  des  neuen  Deutschen  Reichs  die  deut- 
sche Sprache  im  ganzen  Lande,  und  in  Baltimore  besonders  noch  mit 
der  Eroffnung  der  Johns  Hopkins  Universitat,  an  Ansehen  immer  mehr 
gewann,  da  wurden  in  den  Hausern  der  Reichen  deutsche  Konversati- 
ons-  und  Litteraturstunden  angefangen,  nach  und  nach  wurde  ich  mit 
dem  Vertrauen  der  Universitat  beehrt,    und  die    germanische  Fakultat 
sandte  mir  seitdem  anregende  Studenten,  um  ihnen  in  den  verschiedenen 
Gebieten  deutscher  Poesie  und  Wissenschaft  als  Dolmetscher  zu  dienen. 
Was  war  nicht  da  alles  zu  behandeln?    Das  leichte  Salonstiick  und 
Goethes  Faust,  Heines  Harzreise  und  Luthers  Tischreden,  Chemie,  Phy- 
sik,  Geologic,  Physiologic  und  Psychologic,    Psychiatric,    der  Kreislauf 
des  Lebens,  das  Steinzeitalter,  Morphologic  und  Physiologic  der  Pflan- 
zen,  Nationalokonomie,    phylosophische  Systeme,  u.  s.  w.      Und  dabei 
durften  die  Schuler  nicht  ahnen,  wie  schwer  oft  dem  ,,Professor"  selbst 
die  Vorbereitung  wurde,  gar  haufig  bewahrten  sich  die  Worte  Goethes'- 
,,Was  sie  heute  erst  lernen,  das  wollen  sie  morgen  schon  lehren, 
O  was  haben  die  Herren  doch  fur  ein  kurzes  Gedarm." 
So  verschieden  auch  der  Unterrichtsstoff,  so  machte  sich  beim  Leh- 
ren das  deutsche  Gemiit  doch  mehr  oder  weniger  geltend,  und  so  ver- 
schieden auch  die  Schuler,  ob  Jung  oder  alt,  arm  oder  reich,  strengglau- 
big  oder  freisinnig,  unwissend  oder  gelehrt,  einheimisch  oder  fremd  — 
es  gliickte  dem  Lehrer,  sich  in  geistiges  Einvernehmen  mit  einem  jeden 
zu  setzen,  und  viele  Beweise  habe  ich  schon  erfahren  diirfen,  dass  sie  mein 
ehrliches  Wollen  anerkennen,  wenn  es  auch  das  Vollbringen  nicht  er- 
reicht  hat. 


dem  Tagebucb  eines  deutscbamerikaniscben  Scbulmeistcrs.      13 

So  sind  32  Jahre  dahingegangen.  Alle  Tahre  waren  es  wieder  an- 
dere,  mit  denen  ich  zu  thun  hatte,  Kinder  und  Erwachsene.  Und  wie 
erfrischend  und  anregend  wirkte  gerade  das  Zusammensein  mit  den  Kin- 
dern.  Wie  verschieden  waren  sie  an  Gaben  und  Gemut,  an  Empfang- 
lichkeit  und  Vorbildung,  an  Trieb  und  Ausdauer,  nicht  eines  wie  das 
andere,  jedes  hatte  zu  der  Sache  seine  eigentumliche  Stellung.  So  wun- 
derbar  ist  nichts  gestaltet  als  menschliche  Eigentiimlichkeit,  und  nirgends 
findet  sich  so  reizvolle  Abwechslung  als  in  der  Gestaltung  des  kindlichen 
Seins  und  Lebens.  Und  wo  der  Lehrstoff  auch  von  Jahr  zu  Jahr  wieder 
denselben  Gegenstand  behandelt,  so  ist  der  Lehrer  inzwischen  ein  anderer 
geworden,  er  ist  fortgeschritten,  und  mit  der  gewachsenen  Kraft  weiss 
er  neue  Krafte  zu  entlocken. 

Aus  dieser  bunten  Sammlung  habe  ich  auf  die  ehrenvolle  Einladung 
Ihres  Komitees  hin  einige  Blatter  ausgesucht,  um  sie  Ihnen  bei  dieser 
Tagung  zur  Kenntnis  zu  bringen.  Alles  Vorgefuhrte  ist  ohne  Ausnahme 
wirklich  Erlebtes.  Sollte  daher  in  dem  launigen  Teile  etwas  Ihnen  schon 
Bekanntes  vorkommen,  so  bestatigt  das  eben  den  alten  Spruch:  ,,Es  ist 
alles  schon  einmal  dagewesen". 

Eigentlich  Neues  kann  ich  ja  iiberhaupt  meinen  verehrten  Kollegen, 
von  denen  viele  auf  eine  weit  reichere  Erfahrung  zuriickblicken,  nicht 
geben,  selbst  wenn  ich  sie  mit  alien  meinen  Aufzeichnungen,  die  ich 
friiher  oder  spater  in  Buchform  zu  veroffentlichen  gedenke,  bekannt  ma- 
chen  wollte;  doch  werde  ich  nicht  vergebens  gesprochen  haben,  wenn  sie 
sich  angeregt  finden  sollten,  auch  ihre  Beobachtungen  zur  weiteren 
Kenntnisnahme  zu  bringen  und  so  das  Bild  unserer  heranwachsenden 
Generation  zu  erweitern  und  zu  vervollstandigen.  Im  Interesse  der 
Menschheitsgeschichte  ware  das  sehr  wiinschenswert. 

Bei  der  t)berfulle  des  Stoffes  ist  es  mir  schwer  geworden,  fur  die  mir 
hier  zugemessene  Zeit  eine  gerundete  Auswahl  zu  treffen ;  manches  Blatt, 
cTas  ich  hier  gerne  benutzt  hatte,  musste  unberiicksichtigt  wieder  in  die 
Mappe  zuriickgelegt  werden,  doch  wird  Sie  Ihre  eigene  Erfahrung  die 
Lucken  leicht*  iiberbriicken  und  manches  nur  Angedeutete  erganzen 
lassen. 

Gestatten  Sie  mir  zunachst  auf  meinen  Artikel  ,,Aus  Jungamerikas 
Lehrjahren"  in  der  Aprilnummer  unseres  Bundesorgans  ,,Padagogische 
Monatshefte"  hinzuweisen,  worin  ich  einige  meiner  gesammelten  Notizen 
tiber  Jungamerikas  Anschauungskreis  zum  weiteren  Nachdenken  verof- 
fentlichte.  Sie  werden  in  demselben  auch  meine  Absicht  erkannt  haben, 
darauf  hinzudeuten,  dass  zu  einem  wissenschaftlichen  "Child  Study"  ein 
"Parent  Study"  unerlasslich  ist. 

Im  Anschluss  an  Jungamerikas  Anschauungskreis  lassen  Sie  uns  nun 
Jungamerikas  Wortschatz  ein  wenig  beleuchten. 

Ein  angloamerikanischer  Knabe  fragte  mich  einmal  (in  englischer 
Sprache)  nach  der  Bedeutung  des  allgemein  gebrauchten  Wortes  ,,ocu- 


14  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

list".  ,,Ich  will  Dir  das  deutsche  Wort  dafiir  sagen,  und  obgleich  Du 
es  noch  nie  zuvor  gehort  hast,  wirst  Du  es  doch  verstehen.  Es  heisst 
namlich  auf  deutsch  ,,Augenarzt"."  "Oh  yes,  eye-doctor,  thank  you, 
sir,"  rief  der  geweckte  Knabe  erstaunt  und  befriedigt.  Ahnliches  kam 
oft  vor. 

Einst  erzahlte  ich  einer  Klasse  in  engiischer  Sprache  von  gewissen 
Tierarten,  die  in  Alaska  entdeckt  worden  seien.  Alles  horchte  gespannt, 
und  keines  ahnte  den  Schalk,  als  ich  wahrend  der  Erzahlung  die  Namen, 
die  diesen  Tieren  gegeben  worden  seien,  an  die  Wandtafel  schrieb:  Pen- 
tagon, Hexagon,  Heptagon,  Octagon,  Polygon.  Erst  als  ich  anfing,  die 
deutsche  Ubersetzung  dahinter  zu  schreiben:  riinfeck,  Sechseck,  Sieben- 
eck,  Achteck,  Vieleck,  da  offneten  sich  die  Augen,  und  ein  herzliches 
Lachen  beendete  die  doppelte  Lektion. 

Jung-  und  auch  Altamerika  ergreift  Bewunderung,  wenn  ihm  die 
drei  hervorragenden  iMgenschaften  der  deutschen  Sprache  zur  Anschau- 
unpf  kommen: 

1.  Die  Intuivitat  oder  Anschaulichkeit  des  Ausdrucks, 

2.  Die  ausserordentliche  Fahigkeit,  durch  zusammengesetzte  Wor- 
ter  kurz  und  pragnant  auszudriicken,  wofur  die  englische  Sprache  —  wie 
auch  andere  —  lange  Umschreibungen  braucht, 

3.  Die  Fertigkeit,  aus  einfachen  Wurzeln  die  mannigfaltigsten  viel- 
silbigen  Ableitungen  zur  Bezeichnung  aller  moglichen  Modifikationen  des 
Gedankens  zu  bilden. 

Die  Ansammlung  eines  Wortschatzes  kostet  den  hiesigen  Schiilern 
unsagliche  Muhe.  Die  grossere  Halfte  der  englischen  Worter  stammt 
aus  fremden  Sprachen,  da  aber  solche  —  da  und  dort  mit  Ausnahme  der 
deutschen  —  erst  in  den  hoheren  Schulen,  also  nach  dem  achten  Schul- 
jahr,  gelehrt  werden,  so  bleibt  fiir  Jungamerika  nichts  anderes  iibrig,  als 
die  Bedeutung  vieler  Worter  der  eigenen  Muttersprache  in  derselben 
Weise  zu  lernen,  als  es  deutsche  Schuler  mit  fremden  Vokabeln  thun 
miissen. 

Unsere  Schutzbefohlenen  sind  daher  bei  Worterklarungen  im  Eng- 
lischen manchen  Gefahren  ausgesetzt;  im  Deutschen  aber  auch,  wie  fol- 
gende  Beispiele  erkennen  lassen.  Sie  sind  von  schriftlichen  Klassenar- 
beiten  12-  und  14jahriger  Zoglinge  ausgewahlt,  die  betreffenden  Worter 
waren  diktiert  worden: 

Hindus  sind  Indianer  von  Afrika. 

Die  O  a  s  e  ist  in  die  Wiiste  aber  nicht  Wiiste. 

A  m  a  z  o  n  e  ist  eine  Frau,  die  feiten  thut. 

Eine  A  m  a  z  o  n  e  ist  die  Konigin  von  England. 

Eine  A  m  a  z  o  n  e  ist  ein  Frausoldat,  fruher  weiss  und  jetzt  Schwartz 
in  Afrika. 

M  u  1  a  1 1  e  n  sind  Manner  die  bereits  noch  nicht  schwarz  sind. 

Der  P  r  e  s  i  d  e  n  t  ist  ein  Konig  aber  nur  vier  Jahren. 


Aus  dem  Tagebucb  eines  deutscbamerikaniscben  Scbulmeisters.      15 

Der  President  stirbt  manchmal. 

Ein  T  u  n  e  1 1  ist  eine  Offnung  in  die  Erde,  das  Wasser,  oder  das 
Berg. 

Ein  C  o  n  z  e  r  t  entsteht  aus  Musik. 

Das  K  o  n  z  e  r  t  ist  ein  halbes  Theater. 

Der  P  a  b  s  t  ist  der  hochste  Mann  ins  Katolische  Religion. 

Der  Paps  ist  der  hochste  katolicke  Priest. 

Ein  P  a  r  b  s  t  wohnt  in  ein  Fattikan. 

Der  P  a  b  s  t  lebte  in  Milwaukee. 

Ein  Schaltjahr  hat  13  Monaten. 

Ein  Schaltjahr  hat  vier  Jahre. 

Der  P  f  e  f  f  e  r  ist  immer  schwarz,  aber  auch  rot  und  weiss  und  grim. 

In  der  O  p  e  r  singen  sie  wenn  sie  sprechen. 

Franzosen  sind  Kleidermacher,  Haarfressier,  Koche  und  Lehrer. 

Franzosen  leben  meistens  in  Frankreich  und  sind  hiitzig. 

Die  I  r  1  a  n  d  e  r  sind  gewohnlich  iibrigens  Polizeimanner. 

Ein  W  i  1 1  w  e  r  ist  ein  Monch. 

Das  Gegenteil  von  Witt  we  —  eine  Amazone. 

Bauernadel  ist  eine  Nadel  fur  den  Bauer. 

Der  O  z  i  a  n  ist  von  Salzwasser  gemacht. 

Ein  W  e  i  b  ist  etwas  sehr  Gutes  oder  sehr  Boses,  sonst  sagt  man 
besser  Frau. 

Die  F 1  u  t  ist  ein  Instrument.     (Dachte  an  das  englische  Wort  flute.) 

Der  B  i  b  e  r  ist  ein  Mann,  der  immer  trinkt.     (Dachte  an  bibber.) 

Ein  Ferkel  ist  eiae  kleine  Gabel.     (Dachte  an  fork.) 

Einen  weiteren  Einblick  gewinnen  wir,  wenn  wir  nunmehr  Satzbil- 
dungen  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Es  machen  diese  "Dbungen 
einen  wesentlichen  Teil  beim  Deutschlernen  Jungamerikas  aus,  denn  bei 
diesem  muss  das  Konnen  uber  dem  Kennen,  die  Praxis  iiber  der  Theorie 
stehen. 

Es  dient  dem  deutschamerikanischen  Schulmeister  die  deutsche 
Sprache  als  ein  treffliches  Mittel  der  Geistesgymnastik ;  dazu  giebt  ihm 
auch  schon  ihre  reichhaltige  Litteratur  die  mannigfachsten  Gelegenheiten 
und  Anregungen  zum  Einflechten  allgemein  wissenswerter  Gegenstande 
in  den  deutschen  Sprachunterricht,  die  dann  bei  den  "Qbungsarbeiten  zu 
verwenden  sind.  Dabei  verirrt  sich  aber  der  Unternehmungsgeist  Jung- 
amerikas haufig  in  dem  Labyrinth  des  Wissens,  wie  nachstehende  Bei- 
spiele  aus  meiner  Mappe  darlegen.  Sie  sind  eine  Auswahl  von  Satzen, 
wie  sie  14-  und  ISjahrige  Zoglinge  am  Ende  von  Sprachiibungen,  oder 
nach  lautem  —  mitunter  auch  leisem  —  Lesen  eines  Abschnittes  zu  Pa- 
pier brachten. 

Geschichte  wurde  am  liebsten  angezogen,  und  dabei  spielte  na- 
tiirlich  die  des  Landes  eine  Hauptrolle. 


16  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Washingtons  Vater  starb,  als  er  nur  elf  Jahre  alt  war. 
Als  der  Krieg  voriiber  war  wurden  Prasidenten  gemacht,  und  Wash- 
ington war  der  erste. 

Das  Leben  von  Washington  wird  fur  immer  aufbewahrt. 
Franklin  wurde  1706  in  Boston  geboren,  er  war  24  Jahre  alt,    als 
seine  Eltern  dort  einwanderten. 

Lincoln  hatte  fiinf  Kinder  und  er  war  der  jiingste. 
Erst  nach  seinem  Tode  fand  Columbus  aus,    dass  er  Amerika  ent- 
deckt  hatte. 

A  1 1  e  und  neueGeschichte  folgten  einander  in  buntem  Wech- 
sel,  oft  mit  grausem  Anachronismus : 

Casar  war  schon  als  Knabe  alter  als  andere. 
Sokrates  war  der  Konig  von  Preussen. 

Im  alten  Griechenland  tranken  sie  Schierlingssaft,  z.  B.  Sokrates. 
Leonidas  schickte  dem  Konig  Xeres  Wort. 
Moses  wurde  bei  der  Konigstochter  gefunden. 
Goethe  und  Faust  entdeckten  die  Buchdruckerkunst. 
Casar  wurde  32mal  beschnitten  von  den  Conspiratoren,  dann  stiirzte 
er  tot  auf  den  Boden  des  Kapitols. 

Konigin  Elisabeth  war  die  Weib  von  Ferdinand. 
Der  Pabst  hat  sein  Geschaft  im  Vatikan,  der  Konig  im  Quirinal. 
Wellington   und    Napolion   waren   Generalen   in  der   Schlacht  bei 
Hastings. 

General  Moltke  war  einer  der  am  grossten  lebendigen.  Generale. 
Napoleon  starb  an  die  Insel  St.  Helena. 
Karl  I.  wurde  bekopft. 

Ludwig  XVI.  wurde  abgekopft,  so  wurde  Marie  Antoniette. 
Die  Europaer  haben  Konige  und  Prinzen,  aber  wir  thun  besser  mit- 
aus  es. 

Geographic,  die  Schwester  der  Geschichte,  fand  auch  mit  Vor- 
liebe  Beriicksichtigung. 

Der  Missouri  ist  eigentlich  der  Mississippi. 
Der  Siidpol  ist  grosser  als  der  Nordpol. 
Der  Nil  iiberschwemmt  das  Mittelmeer. 

Der  Bodensee  wird  von  Baden,  Wiirtemberg,  Bavarien,  Schweiz  und 
Ostreich  bedeckt. 

Die  Kiiste  von  Europa  ist  naher  am  Meere  als  die  Kiiste  von  Ame- 
rika. 

Schampanier  ist  das  Hauptstadt  von  Frankreich. 
Frankreich  hat  weniger  Kinder  jetzt  als  ihre  Vater  und  sie  werden 
immer  kleiner. 

Ostreich  wird  von  verschiedenen  Nationien  versetzt. 
Deutsche     Fliisse:     Rhien,    Elba,    Vistela,    Weser,    Oder,    Nektar, 
Frankfort  am  Main. 


Aus  dem  Tagebucb  eines  deutscbamerikaniscben  Scbulmeisters.      17 

In  der  Litteratur  wurde  manches  Neue  zu  Tage  gefordert: 

Dr.  Martin  Luther  schrieb  Nathan  der  Weise. 

Milton  schrieb  vom  Paradies  bis  er  bekam  blind,  dann  musste  seine 
Tochter  zu  ihm  diktiren. 

Schiller  und  Ernst  Eckstein  liegen  in  der  Fiirstengruft  zu  Weimar 
begraben. 

Die  Deutschen  gleichten  Schiller  am  mehrsten,  aber  er  blieb  arm  und 
Gothe  machte  das  Geld. 

Der  Taucher  stiirzte  sich  ins  Meer,  weil  die  Konigstochter  ihn  haben 
wollte. 

Manch  ein  Author  starb  arm,  weil  der  Buchhandler  reich  wurde. 

Bei  der  Aufzahlung  grosser  Dichter  wurden  mir  schon  Namen  ge- 
geben  wie  Bismarck,  Erlkonig,  Dreifus  und  Ohm  Paul.  Man  sieht, 
Jungamerika  ist  "wide  awake". 

In  das  weite  Reich  der  Naturwissenschaften  fanden  auch 
Streifziige  statt:  i  j.^., 

Die  Infusionstierchen  konnen  nur  durch  ein  Mikroskop  sehen. 

Die  Naturvolker  riechen  starker  als  die  civilisierten. 

Der  Geyser  wurde  auf  der  Insel  Island  zuerst  erfunden. 

Der  Schwanz  des  Krokodils  ist  zweimal  langer  als  das  Krokodil. 

Die  Londoner  haben  oft  einen  dicken  Nabel. 

Im  Meere  sind  Tiere,  welche^Pflanzen  sind. 

Der  Rosenstrauch  ist  manchmal  nicht  gross,  weil  er  verschieden  ist. 

Die  Chemisten  wollten  Gold  machen  fur  eine  lange  Zeit  aber  konn- 
ten  nicht,  jetzt  machen  sie  Geld. 

Die  Mythologie  machte  ihre  Anziehungskraft  natiirlich  auch 
geltend,  hier  nur  ein  Beispiel: 

Als  Jupiter  die  Europa  entfiihrte  dachte  sie,  er  ist  ein  Ochs. 

Die  Person  Kaiser  Wilhelms  I.  spielte  eine  grosse  Rolle  in  der  Phan- 
tasiewelt  Jungamerikas,  und  als  nun  s.  Z.  das  Kabel  sein  Ableben  ange- 
kiindigt  hatte  und  die  Zeitungen  spaltenlange  Nachrichten  iiber  den  Ver- 
ewigten  brachten,  in  Baltimore  selbst  auch  eine  grossartige  Gedachtnis- 
feier  vorbereitet  wurde,  da  folgten  die  Schiller  mit  Begeisterung  der  Auf- 
gabe,  zu  Hause  einen  Aufsatz  iiber  den  grossen  Kaiser  auszufiihren.  (In 
meiner  Mappe  Hegt  ein  solcher  von  acht  engbeschriebenen  Folioseiten.) 

Nachfolgend  einige  Satze  aus  den  mir  am  10.  Marz  1888  eingehan- 
digten  Arbeiten: 

Kaiser  Wilhelm  war  bei  seiner  Geburt  in  Berlin. 

Er  kampfte  schon  im  SOjahrigen  Krieg  gegen  Napoleon  I. 

Er  wurde  1829  als  Gardecorps  geheiratet  zu  der  Prinzessin  August. 

Er  wurde  im  Jahre  1858  als  Regent  angestellt. 

Er  war  Konig  10  Jahre,  im  Alter  von  74  Jahren,  wenn  die  meisten 
schon  ins  Grab  gelegt  werden,  fing  er  noch  das  Geschaft  als  Kaiser  an. 

Er  bekam  in  1871  Kaiser  von  die  Ver.  Staaten  Deutschlands. 


18  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Er  schlief  sein  ganzes  Leben  lang  in  einem  eisernen  Feldbett,  sogar 
wenn  er  reiste. 

Er  wurde  beinahe  neun  und  einzig  Jahre  alt. 

Er  starb  an  einem  eisernen  Feldbett. 

In  der  einen  Hand  hielt  er  die  Hand  seiner  Tochter,  in  der  andern 
seine  Frau. 

Wenn  er  noch  bis  zum  22.  dieses  Monats  gelebt  hatte,  so  wurde  er 
noch  alter  geworden  sein,  namlich  gerade  91  Jahre  alt. 

Gern  mochte  ich  nun  Aufsatzbeispiele,  wohl  auch  Ubersetztmgsblii- 
ten  anfiihren  und  damit  in  das  Geistesleben  Jungamerikas  weiter  ein- 
gehen,  gerne  auch  dessen  Charakter-  und  Gemiitsanlagen  in  unser  Ge- 
sichtsfeld  bringen  durch  Mitteilung  von  Vorkommnissen  in  der  Schul- 
stube  und  auf  dem  Schulwege,  allein  das  wiirde  mich  zu  weit  fiihren. 

(Schluss  folgt.) 


Friedrich  Nietzsche. 

(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte .) 
Von  Franz  Rathmann,,  Milwaukee,  "Wia. 


I. 

Faust,  angewidert  von  aller  Schul-  und  Buchweisheit,  ergiebt  sich 
der  Magie,  um  durch  diese  die  Natur  in  ihrem  innersten  Wesen  zu  er- 
griinden.    Aber  sowoh!  der  Weltengeist  als  auch  der  Erdgeist  sind  ihm 
zu  uberwaltigend,  und  er  schliesst  seinen  Vertrag  mit  Mephistopheles. 
Er  verflucht  alles,  was  ihm  je  als  heilig  und  erstrebenswert  gegolten  hat: 
,,So  fluch'  ich  allem,  was  die  Seele 
Mit  Lock-  und  Gaukelwerk  umspannt, 
Und  sie  in  diese  Trauerhohle 
Mit  Blend-  und  Schmeichelkraften  bannt! 
Verflucht  voraus  die  hohe  Meinung, 
Womit  der  Geist  sich  selbst  umfangt! 
Verflucht  das  Blenden  der  Erscheinung, 
Die  sich  an  unsere  Sinne  drangt! 
Verflucht,  was  uns  in  Traumen  heuchelt, 
Des  Ruhms,  der  Namensdauer  Trug! 
Verflucht,  was  als  Besitz  uns  schmeichelt, 
Als  Weib  und  Kind,  als  Knecht  und  Pflug ! 
Verflucht  sei  Mammon,  wenn  mit  Schatzen 
Er  uns  zu  kiihnen  Thaten  regt, 
Wenn  er  zu  mussigem  Ergetzen 
Die  Polster  uns  zurechte  legt! 
Fluch  sei  dem  Balsamduft  der  Trauben! 
Fluch  jcner  hochsten  Liebeshuld! 
Fluch  sei  der  Hoffnung!  Fluch  dem  Glauben! 
Und  Fluch  vor  allem  der  Geduld!" 
Aber  der  unsichtbare  Geisterchor  erwiclert  ihm  hierauf : 

,,Weh!  weh! 

Du  hast  sie  zerstort, 

Die  schone  Welt, 

Mit  machtiger  Faust; 

Sie  stiirzt,  sie  zerfallt! 

Ein  Halbgott  hat  sie  erschlagen! 

Wir  tragen 

Die  Trummer  ins  Nichts  hiniiber, 

Und  klagen 

t)ber  die  verlorne  Schone. 

Machtiger 

Der  Erdensohne, 

Prachtiger 


20  P'ddagogische  Monatshefte. 

Baue  sie  wieder, 

In  deinem  Busen  baue  sie  auf! 

Neuen  Lebenslauf 

Beginne, 

Mit  hellem  Sinne, 

Und  neue  Lieder 

Tonen  darauf! 

Kaum  hat  also  Faust  alles  Alte,  das  den  Menschen  ans  Dasein  fesselt, 
verflucht,  so  regt  sich  in  seinem  Innern  auch  sofort  das  Bediirfnis,  eine 
neue  ahnliche  Welt  wiederaufzubauen,  aber  sie  soil  gliihender  leiden- 
schaftlich,  wahrer,  inniger,  wunderbarer,  wechselvoller,  edler  sein.  Er 
tritt  seine  Lehr-  und'  Wanderjahre  an,  indem  er  sich  in  den  Strom  des 
Menschenlebens  stiirzt. 

,,Der  grosse  Geist  hat  mich  verschmaht, 

Vor  mir  verschliesst  sich  die  Natur, 

Des  Denkens  Faden  ist  zerrissen, 

Mir  ekelt  lange  vor  allem  Wissen." 

Was  Faust  versagt  war,  namlich  die  Natur  in  ihrem  innersten  Wesen 
zu  fassen,  das  vollbringt  Nietzsches  Held  Zarathustra. 

,,Als  Zarathustra  dreissig  Jahre  alt  war,  verliess  er  seine  Heimat  und 
den  See  seiner  Heimat  und  ging  in  das  Gebirge.  Hier  genoss  er  'seines 
Geistes  und  seiner  Einsamkeit  und  wurde  dessen  zehn  Jahre  nicht  miide." 

Es  ist  wohl  klar,  dass  Zarathustra  vorher  die  Ratsel  des  mensch- 
lichen  Daseins  mit  Hilfe  aller  aufgestellten  philosophischen  Systeme  und 
eigenen  Nachdenkens  zu  losen  gesucht  hat.  Aber  er  sieht  das  vergeb- 
liche  seines  Bemuhens,  er  geht  in  die  Einsamkeit,horcht  auf  die  Fliiste- 
rungen  seiner  eigenen  reichen  Seele  und  sucht  sein  Ich  mit  der  ihm  um- 
gebenden  grossen  Natur  in  Einklang  zu  bringen.  Nachdem  die  Gesichte 
voll  und  klar  geworden,  da  geht  er  wieder  zu  den  Menschen,  um  ihnen 
seine  Schatze  zu  schenken.  Aber  seine  Erfahrungen  sind  triibe,  die 
Menschen  verstehen  ihn  nicht,  sie  verhohnen  ihn,  und  nun  beginnt  jene 
Fiille  von  Reden,  in  denen  er  das  Unzulangliche  aller  bisherigeh  sittlichen 
Grundsatze  zu  verdeutlichen  und  durch  gliihende  Schilderungen  eines 
hoheren  Menschendaseins  das  Verlangen  darnach  zu  erwecken  und 
den  Glauben  daran  zu  festigen  sucht.  Er  selbst  wird  im  Laufe  der  Reden 
immer  reicher,  freier  und  fester.  Man  achte  nur  auf  den  Inhalt,  die  Dar- 
stellung  und  den  Tonfall  der  Rede  in  den  vier  verschiedenen  Biichern, 
aus  denen  das  Werk  besteht.  Ist  im  Anfange  eine  gewisse  Scheu  und 
Schwermut,  ein  Bangen  und  Verzagtsein  zu  bemerken,  so  sehen  wir  ihn, 
je  weiter  das  Werk  fortschreitet,  an  innerer  Festigkeit  und  Klarheit 
gewinnen,  wir  sehen  ihn  auf  immer  freieren  Hohen,  von  denen  herab  er 
das  menschliche  Getriebe  immer  deutlicher  erschaut  und  einen  immer 
weiteren  Ausblick  gewirmt. 


Friedricb  Nietzsche.  21 

Zarathustra  hatte  seine  ,,Asche"  in  die  Berge  getragen  und  war  als 
ein  Verwandelter  zu  den  Menschen  zuriickgekehrt,  aber  erst  ganz  am 
Ende  des  Werkes,  nachdem  er  sich  von  seiner  gefahrlichsten  Schwache, 
dem  Mitleid,  befreit  hat,  wird  er  reif  fiir  seine  Aufgabe.  Im  vierten  Buche 
werden  uns  ,,hohere  Menschen",  die  Zarathustra  im  Gebirge  trifft,  vor- 
gefiihrt.  An  und  in  ihnen  ist  noch  viel  Unzulangliches,  noch  viel 
Menschliches,  Allzumenschliches.  Zarathustra  sucht  sie  zu  trosten,  zu 
ermutigen  und  fiir  seine  Lehre  zu  befahigen.  Er  hat  Mitleid  mit  ihnen. 
Als  er  aber  an  einem  friihen  Morgen  aus  seiner  Hohle  hervortritt,  ,,glu- 
hend  und  stark  wie  eine  Morgensonne",  sprach  er,  wie  er  einst  ge- 
sprochen  hatte: 

,,Du  grosses  Gestirn,  du  tiefes  Gliicksauge,  was  ware  all  dein  Gliick, 
wenn  du  nicht  die  hattest,  welchen  du  leuchtest! 

Und  wenn  sie  (die  hoheren  Menschen)  in  ihren  Kammern  blieben, 
wahrend  du  schon  wach  bist  und  kommst  und  schenkst  und  austeilst: 
wie  wiirde  darob  deine  stolze  Scham  ziirnen." 

Diese  ,,hoheren  Menschen",  die  nicht  frei  und  willig  sind,  sich  dem 
Vollbringen  eines  grossen  Werkes  hinzugeben,  sind  nicht  die  rechten 
Gefahrten  fiir  Zarathustra.  Aber  seine  Tiere,  der  Adler  und  die  Schlange, 
sind  wach,  weil  er  wach  ist. 

,,Mein  Adler  ist  wach  und  ehrt  gleich  mir  die  Sonne. 

Mit  Adlersklauen  greift  er  nach  dem  neuen  Lichte.  Ihr  seid  meine 
reichsten  Tiere;  ich  liebc  euch! 

Aber  noch  fehlen  mir  meine  rechten  Menschen!" — 

Als  Zarathustra  das  gesprochen  hatte,  da  wurde  er  von  einer  Wolke 
liebender  Tauben  itberschiittet  und  seine  Hand  griff  in  das  zottige  Fell 
eines  ihm  zu  Fiissen  liegenden  machtigen  Lowen.  Die  Natur  in  ihrer 
langsamen,  klug  tastenden  Weise,  in  ihrem  erhabenen,  himmelhoch- 
strebenden  Stolze,  in  ihrer  sanften,  anschmiegenden  Giite  und  Liebe  und 
in  ihrem  lowenstarken  Wollen  erkennt  Zarathustra  als  den  ihren  an.  Er 
ist  eins  mit  ihr  geworden.  Und  so,  ohne  Fehl,  ruft  er  aus:  ,,Trachte 
ich  denn  nach  Gliick?  Ich  trachte  nach  meinem  Werke!"  Man  suche 
die  Hohe  und  erschiitternde  Tragik  dieser  Worte  zu  fassen!  Ein  hohes 
Werk  gilt  es  zu  vollenden.  Wer  dazu  nicht  frei  und  reif  ist,  soil  auch 
nicht  mitwirken,  um  das  Werk  nicht  zu  gefahrden.  Deshalb  muss  er  sich 
von  diesen  ,,hoheren  Menschen"  trennen.  Fausts  ganze  Laufbahn  ist 
eine  ununterbrochene  Kette  von  Begehren,  Vollbringen  und  Geniessen: 
,,Ich  habe  nur  begehrt  und  nur  vollbracht, 
Und  abermals  gewiinscht,  und  so  mit  Macht 
Mein  Leben  durchgestiirmt." 

Auf  der  Schwelle  des  Todes  stehend,  lasst  er  einen  Sumpf  austrock- 
nen,  um  mit  freiem  Volke  auf  freiem  Grunde  zu  stehen.     Er  glaubt,  dass 
dann  der  Augenblick  da  ware,  wo  er  ausrufen  wiirde: 
,,Verweile  doch,  du  bist  so  schon!" 


22  P'ddagogischt  Monatshefte. 

Nachdem  er  seine  letzten  Worte: 

,,Im  Vorgefiihl  von  solchem  hohen  Gliick 
Geniess  ich  jetzt  den  hochsten  Augenblick," 
gesprochen,  sinkt  er  zuriick  und  stirbt. 

,,Ihn  sattigt  keine  Lust,  ihm  g'niigt  kein  Gliick, 
So  buhlt  er  fort  nach  wechselnden  Gestalten." 
sagt  darauf  Mephistopheles. 

Wir  sehen  also,  dass  Faust  alles  begehrt,  um  sich  Freude  und  Ge- 
nuss  zu  verschaffen.  Zarathustra  hat  die  Geheimnisse  und  Freuden  in 
sich;  er  will  sie  andern  mitteilen  und  sie  teil  daran  nehmen  lassen.  Faust 
will  thatig  sein  und  ein  Werk  vollenden,  um  sich  durch  den  Anblick  des 
Vollbrachten  Genuss  zu  verschaffen  und  um  seiner  Person  ein  bestimm- 
tes,  individuelles  Dasein  zu  geben.  Zarathustra  tragt  seine  Aufgabe,  sein 
Werk  in  sich.  Er  will  es  aus  sich  herausstellen,  alles  Lebendige  und  Tote 
in  der  Natur  daran  teilnehmen  lassen.  Faust  steigert  seine  Natur,  in- 
dem  er  sie  befahigt,  immer  Reineres,  Edleres  und  zugleich  scharfer  Um- 
grenztes  zu  geniessen.  Zarathustra  aber  sucht  seine  Seele  zu  befreien, 
zu  lautern  und  stark  und  mild  zu  machen,  um  zum  Vollbringen  seines 
Werkes  reif  zu  werden.  Wie  aber  Zarathustra  gerungen  hat,  seine  Seele 
von  alien  falschen  Tugenden  und  einschrankenden  Uberlieferungen  zu 
befreien,  der  befreiten  Seele  einen  Inhalt  zu  geben  und  diese  Seele  zu 
hegen  und  zu  pflegen,  mogen  einige  Stellen  aus  dem  Hymnus  ,,Von  der 
grossen  Sehnsucht"  zeigen. 

,,Oh  meine  Seele,  ich  lehrte  dich  Heute  sagen  wie  ,,Einst"  und  ,,Ehe- 
mals"  und  iiber  alles  Hier  und  Da  und  Dort  deinen  Reigen  hinweg- 
tanzen. 

Oh  meine  Seele  ich  erloste  dich  von  alien  Winkeln,  ich  kehrte  Staub, 
Spinnen  und  Zwielicht  von  dir  ab. 

Oh  meine  Seele,  ich  wusch  die  kleine  Scham  und  die  Winkeltugend 
von  dir  ab  und  iiberredete  dich,  nackt  vor  den  Augen  der  Sonne  zu  stehn. 

*  *         * 

Oh  meine  Seele,  ich  gab  dir  das  Recht,  Nein  zu  sagen  wie  der 
Sturm,  und  Ja  zu  sagen,  wie  offner  Himmel  Ja  sagt:  still  wie  Licht  stehst 
du  und  gehst  du  nun  durch  verneinende  Sturme. 

*  *         * 

Oh  meine  Seele,  deinem  Erdreich  gab  ich  alle  Weisheit  zu  trinken, 
alle  neuen  Weine  und  auch  alle  unvordenklich  alten  starken  Weine  der 
Weisheit. 

Oh  meine  Seele,  jede  Sonne  goss  ich  auf  dich  und  jede  Naclit  und 
jedes  Schweigen  und  jede  Sehnsucht:  —  da  wuchsest  du  mir  auf  wie  ein 
Weinstock. 

Oh  meine  Seele,  iiberreich  und  schwer  sfehst  du  nun  da,  ein  Wein- 


Friedricb  Nietzsche.  23 

stock    mit    schwellenden    Eutern  und  gedrangten  braunen  Gold-Wein- 
trauben:  — 

—  gedrangt  und  gedriickt  von  deinem  Gliicke,  wartend  vor  tlber- 
flusse  und  schamhaft  noch  ob  deines  Wartens. 

*  *         * 

Deine  Fulle  blickt  iiber  brausende  Meere  hin  und  sucht  und  wartet; 
die  Sehnsucht  der  Uber-Fulle  blickt  aus  deinem  lachelnden  Augen- 

Himmel!" 

*  *        * 

Entsprechend    der  verschiedenen    Natur  der  beiden  Dichtwerke  ist 
auch  ihre  Wirkung  auf  uns  eine    andere.      Man  nehme  scheinbar  echt 
lyrische  Ergiisse  im  Faust,  wie  Gretchen  vor  der  mater  dolorosa: 
,,Ach  neige 
Du  Schmerzensreiche 
Dein  Antlitz  gnadig  meiner  Not!"  etc. 

Wir  sehen  unverwandt  das  hilflose  Madchen  vor  dem  Bilde  knieen, 
von  Jammer  iibergossen  und  von  Schmerz  durchbebt.  Wir  suchen  das 
Bild  immer  klarer,  tiefer  zu  erfassen;  das  ist  unser  Verlangen,  das  ist 
unser  Genuss.  Je  klarer,  reiner  und  edler  nun  das  vom  Dichter  geschaf- 
fene  Bild  ist,  um  so  reiner,  edler  und  ungetrubter  wird  auch  unser  Ge- 
niessen,  um  so  mehr  kann  unsere  Natur  in  dieser  Richtung  gesteigert 
werden.  Man  nehme  Nietzsches  Nachtlied  dagegen: 

,,Nacht  ist  es:  nun  reden  lauter  alle  springenden  Brunnen.  Und 
auch  meine  Seele  ist  ein  springender  Brunnen. 

Nacht  ist  es:  nun  erst  erwachen  alle  Lieder  der  Liebenden.  Und 
auch  meine  Seele  ist  das  Lied  eines  Liebenden. 

Ein  Ungestilltes,  Unstillbares  ist  in  mir;  das  will  laut  werden.  Eine 
Begierde  nach  Liebe  ist  in  mir,  die  redet  selber  die  Sprache  der  Liebe. 

Licht  bin  ich:  ach,  dass  ich  Nacht  ware!  Aber  dies  ist  meine  Ein- 
samkeit,  dass  ich  von  Licht  umgiirtet  bin. 

Ach,  dass  ich  dunkel  ware  und  nachtig!  Wie  wollte  ich  an  den 
Briisten  des  Lichts  saugen!"  etc 

Gehen  wir  den  ganzen  Hymnus  durch,  suchen  wir  uns  etwas  vor 
unser  Auge  zu  stellen  und  festzuhalten?  Nein,  nirgends!  Aber  wir  hor- 
chen,  wir  suchen  mit  dem  Ohr  zu  fassen,  mit  dem  Ohr,  das  zu  unserm 
innern  Sinn  spricht.  So  heisst  es  von  der  Hand,  die  zuriickhalt,  indem 
sich  ihr  eine  andere  entgegenstreckt:  ,,Dem  Wasserfalle  gleich  zogernd, 
der  noch  im  Sturze  zogert."  Wir  sehen  den  im  Sttirze  zogernden  Was- 
serfall  ganz  deutlich,  aber  nur  fur  einen  Augenblick,  denn  das  Bild  geht 
sofort  in  unsern  innern  Sinn  ein,  wir  horen  es  mehr  als  dass  wir  es  sehen. 

In  Nietzsches  Werken  und  besonders  in  seinem  Zarathustra  ist  eine 
Fulle  der  wundersamsten  Gemalde  und  Bilder  aus  alien  Naturreichen. 
Aber  von  alien  diesen  gilt  das  Gesagte,  dass  sie  namlich  nur  fur  einen 


2J.  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Augenblick  unser  Auge  beschaftigen,  auch  wenn  sie  noch  so  ausfiihrlich, 
deutlich  und  bestimmt  sind.  Sie  gehen  sofort  in  unser  innerstes  Sein 
ein,  und  wir  selbst  werden  mit  dem  innersten  Sein  aller  Dinge  vereint, 
wir  gehen  darin  auf.  Der  Zauber  der  Goetheschen  Gemalde  besteht  aber 
gerade  darin,  sie  vor  unser  Auge  zu  bringen  und  sie  anzuschauen.  — 
Suchen  wir  uns  die  Verschiedenheit  beider  Kiinstlernaturen  klar  zu  ma- 
chen,  indem  wir  sehen,  wie  Goethe  und  Nietzsche  die  uns  umgebende 
Natur  erfassen. 

Die  Nacht  als  die  Zeit  der  Ruhe  schildert  Goethe  im  Faust : 

,,Nacht  ist  schon  hereingesunken, 
Schliesst  sich  heilig  Stern  an  Stern; 
Grosse  Lichter,  kleine  Funken 
Glitzern  nah  und  glanzen  fern; 
Glitzern  hier  im  See  sich  spiegelnd, 
Glanzen  droben  klarer  Nacht; 
Tiefsten  Ruhens  Gliick  besiegelnd, 
Herrscht  des  Mondes  voile  Pracht. 

Die  tiefe  Ruhe  in  der  Nacht  gegeniiber  dem  Treiben  und  Hasten 
des  Tages  lasst  uns  den  Trost  finden,  dass  auch  unser  Herz  bald  ruhen 
wird: 

,,Warte  nur,  balde 

Ruhest  auch  du." 

Sie  ist  die  Urheberin  hoherer,  ewiger  Gefuhle,  die  uns  dem  irdischen 

Gewiihle  entriicken,  wie  im  Nachtgesang: 

•;  * 

,,Die  ewigen  Gefuhle 
Heben  mich,  hoch  und  hehr, 
Aus  irdischem  Gewiihle; 
Schlafe!  was  willst  du  noch  mehr." 

Dann  ist  aber  die  Nacht  auch  die  Mutter  aller  Schrecken,  unter 
ihrem  Dunkel  treiben  die  bosen  Geister  ihr  Wesen.  Die  sich  an  Siimpfen 
hinziehenden  Nebelstreifen  werden  zu  Gestalten,  die  Nacht  schafft  tau- 
send  Ungeheuer,  die  Eiche  steht  im  Nebelkleide  wie  ein  aufgeturmter 
Riese  da,  die  Finsternis  sieht  mit  hundert  schwarzen  Augen  aus  dem  Ge- 
strauche.  Der  Mond  sieht  klaglich  von  einem  Wolkenhugel  aus  dem 
Duft  hervor.  ,,Erlkonig",  Willkommen  und  Abschied. 

In  Nietzsches  Zarathustra  erscheint  uns  die  Nacht  nicht  als  die  Zeit 
der  tiefsten  Ruhe,  sondern  der  grossten  Stille,  in  der  wir  unserer  innersten 
Gefuhle  und  verborgensten  Gedanken  uns  bewusst  werden: 

,,Still!  Still!  Da  hort  sich  manches,  das  am  Tage  nicht  laut  wer- 
den darf ;  nun  aber,  bei  kiihler  Luft,  da  auch  aller  Larm  eurer  Herzen 
stille  ward,  —  nun  redet  es,  nun  hort  es  sich,  nun  schleicht  es  sich 


Friedricb  Nietzsche.  25 

in  nachtliche  iiberwache  Seelen:   ach!  ach!  wie  sie  seufzt!  wie  sie  im 
Traume  lacht! 

—  horst  du's  nicht,  wie  sie  heimlich,  schrecklich,  herzlich  zu  dir 
redet,  die  alte  tiefe,  tiefe  Mitternacht? 

O  Mensch,  gieb  acht!" 

Wie  bei  Goethe  die  Nacht  die  Mutter  aller  Schrecken  ist,  die  sich 
den  Sinnen  bieten,  so  erwachen  in  Nietzsches  Zarathustra  wahrend  der 
Nacht  alle  bose  Erinnerungen  und  Ahnungen  in  unserer  Seele.  In  einer 
kalten  und  hellgestirnten  Nacht  steigt  Zarathustra  vom  Gebirge  zum 
Meer  hinab: 

,,Ach,  diese  schwarze  traurige    See    unter    mir!      Ach,    diese 
schwarze  nachtliche  Verdrossenheit!    Ach,  Schicksal  und  See!    Zu 
euch  muss  ich  nun  hinab  steigen!" 
Vor  dem  Meere  .stehend  sagt  er: 

,,Es  schlaft  jetzt  alles  noch,  sprach  er;  auch  das  Meer  schlaft. 
Schlaftrunken  und  fremd  blickt  sein  Auge  nach  mir. 

Aber  es  atmet  warm,  das  fiihle  ich.     Und  ich  fiihle  auch,  dass 
es  traumt.     Es  windet  sich  traumend  auf  harten  Kissen. 

Horch!   Horch!   Wie  es  stohnt  von  bosen  Erinnerungen!  Oder 
bosen  Erwartungen?" 

Wahrend  es  bei  Goethe  heisst,  dass  die  Nacht  sich  uber  seinen  Kla- 
gen  wolbte,  und  dass  die  Nacht  mit  schweren  Fittigen  viele  Thaten  birgt, 
heisst  es  im  Zarathustra  mit  bedeutungsvollem  Unterschiede :  ,,Der 
Markt  barg  sich  in  Dunkelheit." 

Die  Nacht  geht  voriiber  und  der  Mbrgen  kiindet  sich  an.  Die  Erde 
in  ihrer  ganzen  Frische  und  Schonheit  liegt  vor  uns  und  sie  erweckt  in 
uns  den  Beschluss,  zum  hochsten  Dasein  zu  streben.  So  sagt  Faust  er- 

wachend. 

,,Des  Lebens  Pulse  schlagen  frischlebendig, 
Atherische  Dammrung  milde  zu  begriissen; 
Du  Erde  warst  auch  diese  Nacht  bestandig, 
Und  atmest  neu  erquickt  zu  meinen  Fiissen, 
Beginnest  schon  mit  Lust  mich  zu  umgeben, 
Du  regst  und  ruhrst  ein  kraftiges  Beschliessen, 
Zum  hochsten  Dasein  immerfort  zu  streben. — 
In  Dammerschein  liegt  schon  die  Welt  erschlossen, 
Der  Wald  ertont  von  tausendstimmigem  Leben, 
Thai  aus,  Thai  ein  ist  Nebelstreif  ergossen; 
Doch  senkt  sich  Himmelsklarheit  in  die  Tiefen, 
Und  Zweig  und  Aste,  frisch  erquickt,  entsprossen 
Dem  duft'gen  Abgrund,  wo  versenkt  sie  schliefen; 
Auch  Farb'  an  Farbe  klart  sich  los  vom  Grunde, 
Wo  Blum'  und  Blatt  von  Zitterperle  triefen; 
Ein  Paradies  wird  um  mich  her  die  Runde. 


26  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

1st  nun  bei  Nietzsche  die  Nacht  die  Zeit  der  grossten  Stille  und  der 
innersten  Sammlung,  so  wird  der  Himmel  vor  Sonnenaufgang  zum  Ab- 
bild  der  gewonnenen  inneren  Klarheit  und  Sicherheit  der  Seele  und  ihres 
reinen  schopferischen  Wollens: 

,,O  Himmel  iiber  mir,  du  Reiner!  Tiefer!  Du  Lichtabgrund ! 
Dich  schauend  schaudre  ich  vor  gottlichen  Begierden. 

In  deine  Hohe  mich  zu  werfen  —  das  ist  meine  Tiefe!  In  deine 
Rcinheit  mich  zu  bergen  —  das  ist  meine  Unschuld! 

Den  Gott  verhullt  seine  Schonheit:  so  verbirgst  du  deine  Sterne. 
Du  redest  nicht:  so  kundest  du  mir  deine  Weisheit. 

Stumm  iiber  brausendem  Meere  bist  du  Eeut  mir  aufgegangen, 
deine  Liebe  und  deine  Scham  redet  Offenbarung  zu  meiner  brausen- 
den  Seele. 

Dass  du  schon  zu  mir  kamst,  verhullt  in  deine  Schonheit,  dass 
tin  stumm  zu  mir  sprichst,  offenbar  in  deiner  Weisheit: 

Oh  wie  erriete  ich  nicht  alles  Schamhafte  deiner  Seele!  Vor  der 
Sonne  kamst  du  zu  mir,  dem  Einsamsten. 

Wir  sind  Freunde  von  Anbeginn:  uns  ist  Gram  und  Grauen 
und  Grund  gemeinsam;  noch  die  Sonne  ist  uns  gemeinsam. 

Wir  reden  nicht  zu  einander,  weil  wir  zu  vieles  wissen — :  wir 
schweigen  uns  an,  wir  lacheln  uns  unser  Wissen  zu. 

Bist  du  nicht  das  Licht  zu  meinem  Feuer?  Hast  du  nicht  die 
Schwesterseele  zu  meiner  Einsicht? 

Zusammen  lernten  wir  alles;  zusammen  lernten  wir  iiber  uns 
zu  uns  selber  aufsteigen  und  wolkenlos  lacheln :  — 

—  wolkenlos  hinab  lacheln  aus  lichten  Augen  und  aus  meilen- 
weiter  Feme,  wenn  unter  uns  Zwang  und  Zweck  und  Schuld  wie 
Regen  dampfen. 

Und  wanderte  ich  allein:  wes  hungerte  meine  Seele  in  Nachten 
und  Irr-Pfaden?  Und  stieg  ich  Berge,  wen  suchte  ich  je,  wenn  nicht 
dich,  auf  Bergen? 

Und  all  mein  Wandern  und  Bergsteigen:  eine  Not  war's  nur 
und  ein  Behelf  des  Unbeholfenen :  —  fliegen  allein  will  mein  ganzer 
Wille,  in  dich  hinein  fliegen!"  etc. 

Die  Sonne  kiindet  sich  durch  das  Ergliihen  der  fiochsten  Gipfel  an 
imd  spendet  neuen  Glanz,  aber  kaum  tritt  sie  hervor,  so  werden  wir  durch 
ihren  vollen  Schein  geblendet  und,  unfahig  das  Leben  in  seiner  ganzen 
Fulle  zu  geniessen,  kommen  wir  zu  der  Uberzeugung,  dass  wir  nur  am 
farbigen  Abglanz  das  Leben  haben.  So  fahrt  Faust  fort : 

,,Hinaufgeschaut !  —  Der  Berge  Gipfelriesen 
Verkiinden  schon  die  feierlichste  Stunde; 
Sie  diirfen  friih  des  ewigen  Lichts  geniessen, 
Das  spater  sich  zu  uns  hernieder  wendet. 


Friedrich  Nietzsche.  27 

Jetzt  zu  der  Alpe  griingesenkten  Wiesen 

Wird  neuer  Glanz  und  Deutlichkeit  gespendet, 

Und  stufenweis  herab  ist  es  gelungen; —     . 

Sie  tritt  hervor  —  und,  leider!   schon  geblendet, 

Kehr'  ich  mich  weg,  vom  Augenschmerz  durchdrungen. 

So  ist  es  also,  wenn  ein  sehnend  Hoffen 

Dem  hochsten  Augenblick  sich  traulich  zugerungen, 

Erfullungsthiiren  findet  fliigeloffen; 

Nun  aber  bricht  aus  jenen  ewigen  Griinden 

Ein  Flammen-tibermass,  wir  stehn  betroffen; 

Des  Lebens  Fackel  wollten  wir  entziinden, 

Ein  Feuermeer  umschlingt  uns,  welch  ein  Feuer! 

Ist's  Lieb?  Ist's  Hass?  die  gluhend  uns  umwinden, 

Mit  Schmerz  und  Freuden  wechselnd  ungeheuer, 

So  dass  wir  wieder  nach  der  Erde  blicken, 

Zu  bergen  uns  in  jugendlichstem  Schleier. 

So  bleibe  denn  die  Sonne  mir  im  Riicken! 

Der  Wassersturz,  das  Felsenriff  durchbrausend, 

Ihn  schau  ich  an  mit  wachsendem  Entziicken. 

Von  Sturz  zu  Sturzen  walzt  er  jetzt  in  tausend, 

Dann  abertausend  Stromen  sich  ergiessend, 

Hoch  in  die  Liifte  Schaum  und  Schaume  sausend. 

Allein  wie  herrlich  diesem  Sturm  erspriessend, 

Wolbt  sich  des  bunten  Bogens  Wechseldauer, 

Bald  rein  gezeichnet,  bald  in  Luft  zerfliessend, 

Umher  verbreitend  duftig  kiihle  Schauer! 

Der  spiegelt  ab  das  menschliche  Bestreben. 

Ihm  sinne  nach,  und  du  begreifst  genauer: 

Am  farbigen  Abglanz  haben  wir  das  Leben." 

Im  Zarathustra  endet  der  Hymnus: 

Doch  du  errotest?  Sprach  ich  Unaussprechbares?  Lasterte  ich, 
indem  ich  dich  segnen  wollte? 

Oder  ist  es  die  Scham  zu  Zweien,  welche  dich  erroten  machte? 
—  Heissest  du  mich  gehn  und  schweigen,  weil  nun  —  der  Tag 
kommt? 

Die  Welt  ist  tief — :  und  tiefer,  als  je  der  Tag  gedacht  hat. 
Nicht  alles  darf  vor  dem  Tage  Worte  haben.  Aber  der  Tag  kommt : 
so  scheiden  wir  nun! 

Oh  Himmel  uber  mir,  du  Schamhafter!  GKihender!  Oh  du 
mein  Gluck  vor  Sonnen-Aufgang!  Der  Tag  kommt:  so  scheiden 
wir  nun!"  — 

Unsere  hochsten  Gedanken  diirfen  also  am  Tage,  im  Treiben  der 
Welt,  nicht  laut  werden,  und  unser  Wollen  kann  in  seiner  ganzen  Rein- 


28  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

heit  und  Unschuld  nicht  zur  Ausfuhrung  kommen.  Die  aufsteigende 
Sonne  redet  Zarathustra,  als  er  zum  ersten  male  zu  den  Menschen  geht, 
also  an: 

,,Du  grosses  Gestirn!  Was  ware  dein  Gliick,  wenn  du  nicht  die 
hattest,  welchen  du  leuchtest! 

Zehn  Jahre  kamst  du  hier  herauf  zu  meiner  Hohle:  du  wiirdest 
deines  Lichtes  und  dieses  Weges  satt  geworden  sein,  ohne  mich; 
meinen  Adler  und  meine  Schlange. 

Aber  wir  warteten  deiner  an  jedem  Morgen,  nahmen  dir  deinen 
Dberfluss  ab  und  segneten  dich  dafiir. 

Siehe!  Ich  bin  meiner  Weisheit  iiberdriissig,  wie  die  Biene,  die 
des  Honigs  zu  viel  gesammelt  hat,  ich  bedarf  der  Hande,  die  sich 
ausstrecken. 

Ich  mochte  verschenken  und  austeilen,  bis  die  Weisen  unter  den 
Menschen  wieder  einmal  ihrer  Thorheit  und  die  Armen  wieder  ein- 
mal  ihres  Reichtums  froh  geworden  sind. 

Dazu  muss  ich  in  die  Tiefe  steigen:  wie  du  des  Abends  thust, 
wenn  du  hinter  das  Meer  gehst  und  noch  der  Uhterwelt  Licht 
bringst,  du  iiberreiches  "Gestirn! 

Ich  muss,  gleich  dir,  untergehn,  wie  die  Menschen  es  nennen, 
zu  denen  ich  hinab  will. 

So  segne  mich  denn,  du  ruhiges  Auge,  das  ohne  Neid  auch  ein 
allzugrosses  Gliick  sehen  kann! 

Segne  den  Becher,  welcher  iiberfliessen  will,  dass  das  Wasser 
golden  aus  ihm  fliesse  und  uberallhin  den  Abglanz  deiner  Wonne 
trage ! 

Siehe!  dieser  Becher  will  wieder  leer  werden,  und  Zarathustra 
will  wieder  Mensch  werden." 

Als  Zarathustra  seine  neuen  Tafeln  aufstellt,  sagte  er: 

,,Denn  noch  einmal  will  ich  zu  den  Menschen:  unter  ihnen  will 
ich  untergehen,  sterbend  will  ich  ihnen  meine  reichste  Gabe  geben! 

Der  Sonne  lernte  ich  das  ab,  wenn  sie  hinabgeht,  die  t)ber- 
reiche:  Gold  schuttet  sie  da  ins  Meer  aus  unerschopflichem  Reich- 
tume,  — 

—  also,  dass  der  armste  Fischer  noch  mit  goldeneni  Ruder  ru- 
dert!  Dies  namlich  sah  ich  einst  und  wurde  der  Thranen  nicht  satt 
im  Zuschauen. 

Der  Sonne  gleich  will  auch  Zarathustra  untergehn:  nun  sitzt 
er  hier  und  wartet,  alte  zerbrochene  Tafeln  um  sich  und  auch  neue 
Tafeln,  —  halb  beschriebene." 

Ihm    erscheint    die    Sonne    als    die    Schaffende,    Schenkende,    sich 
Opfernde.     Er  selbst  will  schaffen  und  austeilen  und  geht  in  Glut  auf, 


Friedricb  Nietzsche.  29 

um  die  Menschheit  zu  entzunden  und  emporzuheben.     So  heisst  es  an 
einer  andern  Stelle: 

,,Denn  schon  kommt  sie,  die  Gluhende,  —  ihre  Liebe  zur  Erde 
kommt!  Unschuld  und  Schopfer-Begier  ist  alle  Sonnen-LiebeT 

Seht  doch  bin,  wie  sie  ungeduldig  iiber  das  Meer  kommt!  Fuhlt 
ihr  den  Durst  und  den  heissen  Atem  ihrer  Liebe  nicht? 

Am  Meere  will  sie  saugen  und  seine  Tiefe  zu  sich  in  die  Hohe 
trinken:  da  hebt  sich  die  Begierde  des  Meeres  mit  tausend  Brusten. 

Gekiisst  und  gesaugt  will  es  sein  vom  Durste  der  Sonne;  Luft 
will  es  werden  und  Hohe  und  Fusspfad  des  Lichts  und  selber  Licht! 

Wahrlich,  der  Sonne  gleich  liebe  ich  das  Leben  und  alle  tiefen 
Meere. 

Und  dies  heisst  mir  Erkenntnis:  alles  Tiefe  soil  hinauf  —  zu 
meiner  Hohe!"  — 

Bei  Goethe  ist  die  Sonne  die  Freudespenderin,  die  uns,  indem  wir 
sie  schauen,  Genuss  gewahrt,  die  uns  durch  ihr  Licht  die  Welt  erschliesst 
und  iiberhaupt  wohlthuend  auf  unsere  Sinne  einwirkt.  In  der  Tphigenie 
heisst  es  von  den  Unsterblichen,  dass  sie  den  Menschen 

,,gerne 

Ihres  eigenen  ewigen  Himmels 

Mitgeniessend  frohliches  Anschaun 

Eine  Weile  gonnen  und  lassen." 

Orest  sagt  zu  Iphigenien: 

,,habe 

Die  Sonne  nicht  zu  lieb  und  nicht  die  Sterne, 
Komm,  folge  mir  ins  dunkle  Reich  hinab!" 

In  Elpenor: 

,,Dein  Auge  schaut  der  Sonne  teures  Licht." 
Iphigenie  sagt,  dass  die  Sonne  den  Himmel  vor  ihm  aufschlbss. 
Im  Prometheus  lesen  wir: 

,,Was  der  Sonne  Liebe  jemals  Friihlingswonne, 

Jemals  Zartlichkeit  an  meinen  Busen  angeschmiegt." 

Die  Sonne  steigt  empor  und  steht  im  Mittag,  ihre  hochste  schopferi- 
sche  Kraft  entfaltend.  Wenn  alle  Krafte  des  Menschen  in  Harmonic  wir- 
ken  und  das  intensivste  Schaffen  stattfindet,  dann  scheint  die  grosste 
Ruhe  zu  herrschen;  der  Mensch  ist  in  sich  versunken,  efnem  Schlafenden 
ahnlich,  in  sich  selig  vom  hochsten  Schaffen  und  mit  der  Natur  ems.  In 
dem  Hymnus  ,,Mittags"  sehen  wir  die  Natur  in  ihrer  hochsten  schopferi- 
schen  Kraft.  Zarathustra  kam  um  die  Stunde  des  Mittags  ,,an  einem 
alten  und  knorrichten  Baum  vorbei,  der  von  der  reichen  Liebe  einesWein- 
stocks  rings  umarmt  und  vor  sich  selber  verborgen  war:  von  dem  hingen 


30  P'ddagogische  Monatshefte. 

gelbe  Trauben  in  Fiille  dem  Wandernden  entgegen."  Er  legt  sich  da 
nieder  und  schlaft  ,,in  der  Stille  und  Heimlichkeit  des  bunten  Grases." 
,,Nur  dass  seine  Augen  offen  blieben:  denn  sie  wurden  nicht  satt,  den 
Baum  und  die  Liebe  des  Weinstocks  zu  sehen  und  zu  preisen.  Im  Efn- 
schlafen  aber  sprach  Zarathustra  also  zu  seinem  Herzen: 

Still!  Still!  Ward  die  Welt  nicht  eben  vollkommen?  Was  ge- 
schieht  mir  doch? 

Wie  ein  zierlicher  Wind,  ungesehn,  auf  getafeltem  Meere  tanzt, 
leicht,  federleicht  :  so  —  tanzt  der  Schlaf  auf  mir. 

Kein  Auge  druckt  er  mir  zu,  die  Seele  lasst  er  mir  wach.  Leicht 
ist,  er,  wahrlich!  federleicht. 

Er  iiberredet  mich,  ich  weiss  nicht  wie?,  er  betupft  mich  inne- 
wendig  mit  schmeichelnder  Hand,  er  zwingt  mich.  Ja,  er  zwingt 
mich,  dass  meine  Seele  sich  ausstreckt:  — 

—  wie  sie  mir  lang  und  miide  wird,  meine  wunderliche  Seele! 
Kam  ihr  eines  siebenten  Tages  Abend  gerade  am  Mittage?   Wan- 
•delte  sie  zu  lange  schon  selig  zwischen  guten  und  reifen  Dingen? 

Sie  streckt  sich  lang  aus,  lang,  —  langer!  sie  liegt  stille,  meine 
wunderliche  Seele.  Zu  viel  Gutes  hat  sie  schon  geschmeckt,  diese 
goldene  Traurigkeit  druckt  sie,  sie  verzieht  den  Mund. 

—  Wie  ein  Schiff,  das  in  seine  stillste  Bucht  einlief:  —  nun  lehnt 
es  sich  an  die  Erde,  der  langen  Reisen  miide  und  der  ungewissen 
Meere.     Ist  die  Erde  nicnt  treuer? 

Wie  solch  ein  Schiff  sich  dem  Lande  anlegt,  anschmiegt:  —  da 
geniigt's,  dass  eine  Spinne  vom  Lande  her  zu  ihm  ihren  Faden 
spinnt.  Keiner  starkeren  Taue  bedarf  es  da. 

Wie  solch  ein  miides  Schiff  in  der  stillsten  Bucht:  so  ruhe  auch 
ich  nun  der  Erde  nahe,  treu,  zutrauend,  wartend,  mit  den  leisesten 
Faden  ihr  angebunden. 

*  *        * 

Singe  nicht,  du  Gras-Gefliigel,  oh  meine  Seele!  Fliistere  nicht 
einmal!  Sieh  doch  —  still!  Der  alte  Mittag  schlaft,  er  bewegt  den 
Mund:  trinkt  er  nicht  eben  einen  Tropfen  Clucks  — 

—  einen   alten   braunen    Tropfen   goldenen    Clucks,    goldenen 
Weins?   Er  huscht  iiber  ihn  hin,  sein  Gliick  lacht.     So  —  lacht  ein 

Gott.     Still!  — 

*  *        * 

,,Oh  Himmel  iiber  mir,  sprach  er  seufzend  und  setzte  sich  auf- 
recht,  du  schaust  mir  zu?  Du  horchst  meiner  wunderlichen  Seele  zu? 

Wann  trinkst  du  diesen  Tropfen  Tau's,  der  auf  alle  Erden- 
Dinge  niederfiel,  —  wann  trinkst  du  diese  wunderliche  Seele  — 

—  wann,   Brunnen  der  Ewigkeit!    Du  heiterer,   schauerlicher 
Mittags-Abgrund!    Wann  trinkst  du  meine  Seele  in  dich  zuriick?" 


Die  (Mutter  im  £Munde  der  fDicbter  und  T)enker.  31 

Einige  Andeutungen  mogen  geniigen,  wie  wir  den  Mittag  im  Hoch- 
sommer  bei  Goethe  finden.  Die  Sonne  sendet  ihre  heissen  Strahlen  her- 
ab,  kein  Wolkchen  zeigt  sich  am  Himmel.  Das  Getreide  reift  der  Sichel 
entgegen,  teilweise  steht  es  schon  in  Garben  gebunden.  Wohin  wir  auf- 
blicken,  iiberall  bietet  sich  uns  der  grosste  Reichtum  des  vollen,  reifen 
Lebens.  — 

Die  Sonne  senkt  sich,  und  die  Abenddammerung  beginnt. 

Im  Faust  ist  in  der  Stelle: 

,,Betrachte,  wie  in  Abendsonnen-Glut 
Die  griinumgebhen  Hiitten  schimmern."  etc. 

der  Schauenslust,  und  im  Zarathustra  im  ersten  und  zweiten  Tanzliede 
der  Lebenslust  ein  unverganglich  klassischer  Ausspruch  gegeben. 


Die  Mutter  im  Munde  der  Dichter  und  Denker. 

Atts  ,,Allgemeine  Deutsche  Lehrerzeitttng."    Von  <J.  G.  Klenk,  Lehrer  in  Cannstatt. 


Die  Zukunft  des  Kindes  ist  immer  ein  Werk  seiner  Mutter. 

Napoleon  I. 

Gliicklich  das  Kind,  dessen  Mutter  bei  ihm  bleibt,  die  es  nicht  verlassen 
muss  um  der  Armut  willen,  aher  es  auch  nicht  verlasst  aus  tJppigkeit!  Selbst 
die  beschrankte,  selbst  die  fehlervolle  Mutter  ist  immer  noch  die  beste  Gesell- 
schaft  fur  ihr  Kind.  Curtman. 

Ein  irrend  Mutterherz,  welch  Elend  hat  es  schon  gestiftet! 

Pilz. 

Nur  einen  Schliissel  giebt  es,  der  das  Herz 
Der  Kinder  dir  erschliesst,  er  heisst  Vertrauen; 
Gewannst  du  ihn,  kannst  du  bei  Freud'  und  Schmerz 
Bis  in  der  Kinderseele  Tiefen  schauen. 
O  Mutter,  halt  ihn  fest  bei  Tag  und  Nacht, 
Gebrauch  ihn  betend,  leg  ihn  betend  nieder; 
In  diesem    Schliissel    nur  ruht  deine  Macht, 
Verlorst   du    ihn,  nie  findest  du  ihn  wieder! 
'  Julius  Sturm. 

Es  ist  eine  unzahlig  oft  gemachte  Beobachtung,  dass  gerade  die  Sohne 
geistig  und  leiblich  von  den  Muttern  erben;  und  wer  es  selbst  erfahren  hat, 
was  die  Liebe  und  der  Heroismus  einer  Mutter  vermag,  der  versteht  es,  dass 
so  viele  Manner  erkannt  und  gepriesen  haben,  dass,  was  sie  Gutes  geworden, 
sie  durch  den  ersten,  bestimmenden  Einfluss  ihrer  Mutter  geworden  sind. 
Auch  bei  andern  Volkern  hat  man  es  mit  Bewunderung  ausgesprochen,  dass 
das  Beste,  was  deutsche  Manner  an  Geist  und  Charakter  haben,  sich  zum  gro- 
ssen  Teil  auf  die  Mutter  und  ihrWirken  in  der  Familie  zuruckfiihren  lasst.  Die 
erste  Empfanglichkeit  der  Seele  erhalt  da  den  Eindruck  der  Liebe,  der  Treue 
und  aller  Tugend,  nicht  durch  Lehre,  sondern  auf  dem  Wege  lebendiger  Vor- 
bildlichkeit.  Wiese. 

Vom  Vater  hab  ich  die  Natur,  des  Lebens  ernstes  Fxihren, 
Vom  Miitterchen  die  Frohnatur  und  Lust  zum  Fabulieren. 

Goethe. 


Fiir  die  Schul praxis. 

I.     Die  Grille  und  die  Ameise. 

Aufsatzbehandlung  aus  ,,A,  Lieb,  der  Attfsatzunterricht  in  der  Volkschtile. 


(Text  des  Lesebuches.)  Eine  Grille  kam  bei  strenger  Kalte  zu  ihrer  Nach- 
barin,  der  Ameise.  ,,Frau  Nachbarin,"  sagte  sie,  ,,gebt  mir  doch  ein  wenig 
Sceise;  denn  ich  habe  Hunger  und  nichts  zu  essen."  —  ,,Hast  du  nicht  Speise 
fiir  den  Winter  gesammelt?"  fragte  die  Ameise.'  ,,Ich  hatte  keine  Zeit  dazu," 
war  die  Antwort.  ,,Keine  Zeit,  Frau  Grille?  Was  hast  du  denn  im  Sommer 
zu  thun  gehabt?"  —  ,,Ich  habe  gesungen  und  musiziert,"  erwiderte  die  Grille. 
,,Nun  gut,"  liess  sich  jetzt  die  Ameise  vernehmen,  ,,da  du  im  Sommer  musi- 
ziert hast,  so  kannst  du  im  Winter  tanzen."  —  Wer  nicht  arbeitet  soil  auch 
nicht  essen. 

Unterrichtliche    Behandlung. 

I.    Entwickelung    und    Zusammenstellung    der    lei- 

tenden  Fragen. 

Unsere  Erzahlung  macht  uns  mit  zwei  Tierchen  bekannt.  Welches  sind 
diese?  Grille  und  Ameise.  Wo  lebt  die  Grille?  Im  Grase,  auf  der  Wiese.  Wo 
lebt  die  kleine  Ameise?  Im  Ameisenhaufen.  Wie  nur  die  beiden  Tiere  zusam- 
mengekommen  sein  werden!  Waren  sie  beide  unterwegs  und  haben  sich  da 
getroffen?  Oder  hat  das  eine  Tierchen  das  andere  aufgesucht?  Im  ersten  Satze 
unserer  Erzahlung  wird  uns  dies  mitgeteilt.  Wie  heisst  es  dort?  Ihr  sollt 
nun  darnach  fragen,  was  die  Grille  einmal  that! 

Zu  wem  kam  einmal  die  Grille?     ( Anschreiben  an  die  Schultaf el ! ) 

£Eine  Grille  kam  einmal  zur  Ameise.] 

Aus  dem  ersten  Satze  unseres  Lesestuckes  erfahren  wir  auch  von  der  Zeit, 
um  welche  dieser  Besuch  stattfand.  Es  heisst  dort  ,,bei  strenger  Kalte".  Wie 
heisst  man  denn  die  Zeit  der  grossen  Kalte?  Winter.  Fragt  nun  nach  der  Zeif! 

Welche  Zeitwar  es?    (Anschreiben! ) 

£Es  war  Winter.] 

Im  Winter  geht  man  eigentlich  nicht  auf  Reisen.  Da  bleibt  man  daheim 
in  der  warmen  Stube.  Es  muss  also  wohl  etwas  Besonderes  die  Grille  in  die 
Kalte  hinausgetrieben  haben.  Das  Lesestuck  sagt  es  uns.  Wir  vernehmen  es 
aus  eicem  Gesprache,  das  die  zwei  Tiere  beim  Zusammenkommen  mit  einander 
fuhren.  Da  horen  wir  die  Grille  freundlich  zur  Ameise  sagen:  ,,Gebt  mir  doch 
ein  wenig  Speise,  Frau  Nachbarin,  denn  ich  habe  Hunger  und  nichts  zu  essen." 
Der  Hunger  hatte  sie  also  fortgetrieben.  Fragt  nun,  warum  sie  zur  Ameise 
kam? 

Warum  kam  die  Grille  zur  Ameise?   (Anschreiben.!) 

[Die  Grille  war  sehr  hungrig.] 

Wir  wissen  auch  schon,  warum  sie  ihren  Hunger  daheim  nicht  gestillt  hat. 
Denkt.  ihr  wiisstet  das  noch  nicht  und  wolltet  es  erfahren.  Wie  wiirdet  ihr 
da  fragen? 


*Die  Besprechung  dieses  Buches  musste  wegen  Mangels  an  Raum  zttriickgelegt  werden. 


Die  Grille  und  die  Ameise.  33 

Warum    stillte    sie    ihrenHunger    nicht    daheim?  ( Anschr.) 
[Daheim  hatte  sie  nichts  zu  essen.] 

Es  hatte  doch  die  Ameise  ihren  Wintervorrat.  Warum  die  Grille  nicht 
auch  Vorrat  daheim  hatte?  Aus  dem  weiteren  Gesprache  der  beiden  erfahren 
wir  das.  Von  der  Ameise  wird  die  Grille  namlich  gefragt:  ,,Hast  du  nicht 
Speise  fiir  den  Winter  gesammelt?"  Wie  horen  wir  da  die  Grille  antworten'? 
,,Ich  hatte  keine  Zeit  dazu."  Was  hatte  sie  also  im  Sommer  nicht  gethan? 
Sie  hatte  im  Sommer  nichts  gesammelt.  Jetzt  wissen  wir,  warum  es  ilir  daheim 
an  Sr-eise  fehlte.  Denkt,  ihr  wiisstet  das  nicht  und  wolltet  es  von  mir  horen. 
Wie  wurdet  ihr  fragen? 

Weshalb    fehlte    es    ihr    daheim    an    Speise?     (Anschreiben!) 

[Sie  hatte  im  Sommer  nichts  gesammelt.] 

Das  war  doch  recht  leichtsinnig  von  ihr.  Was  sie  nur  den  ganzen  Sommer 
hindiirch  getrieben,  was  sie  da  angefangen,  wie  sie  die  Zeit  hingebracht  haben 
inasj!  Wenn  ihr  das  wissen  wollt,  wie  fragt  ihr? 

Was  hatte  sie  nur  gethan?    (Anschreiben!) 

Im  Lesestiicke  steht  es.  Sie  hat  es  ja  der  Ameise  gestanden.  Denkt  zuruck 
und  antwortet  jetzt  auf  die  Frage!  , 

[Sie  hatte  nur  gesungen  und  gespielt.] 
Nun  hatte  sie  nichts  zu  essen.    Wer  sollte  ihr  jetzt  Speise  geben? 

Was    verlangte    sie    nun    von    der    Ameise?     (Anschreiben! ) 
[Nun  verlangte  sie  Speise  von  der  Ameise.] 

Sie  bettelte  jetzt.  Aber  sie  war  eine  nichtswiirdige  Bettlerin.  Wenn  zu 
uns  ein  Bettler  kommt,  dem  wir's  ansehen,  dass  er  keiner  Gabe  wiirdig  ist, 
so  weisen  wir  ihn  weg.  Nicht  anders  machte  es  die  Ameise  der  Grille.  Was 
sagte  sie  zu  ihr?  ,,Da  du  im  Sommer  —  tanzen."  Wie  wif  es  also  einem 
nichtswurdigen  Bettler  machen,  wie  wir  ihn  fortweisen,  so  hat  es  die  Ameise 
gemacht.  Fragt  also  darnach,  was  diese  that,  als  die  Grille  Speise  verlangt 
hatte! 

Was  that  aber  die  Ameise?     (Anschreiben! ) 
[Die  Ameise  wies  sie  aber  fort.] 

Aus  dieser  Erzahlung  konnen  wir  etwas  lernen.  Die  Ameise  war  nicht 
etwa  hartherzig  gegen  die  Grille.  Aber  diese  hatte  eben  keine  Speise  vefdient. 
Was  hatte  sie  wahrend  des  ganzen  Sommers  unterlassen?  Wie  war  sie,  well 
sie  sar  nichts  arbeitete?  Nun  hatte  sie  nichts  zu  essen.  Das  war  die  Strafe 
fiir  ihre  Faulheit.  Welche  Strafe  soil  den  Faulen  treffen?  Fragt  also  darnach, 
was  wif  aus  dieser  Erzahlung  lernen  konnen? 

Was    konnen    wir    aus    dieser    Erzahlung    lernen? 

(Anschreiben!) 
[Der  Faule  soil  auch  nicht  essen.] 

Zusammenstellung    der    Fragen. 
(An  der  Schultafel:) 

1.  Zu  wem  kam  einmal  die  Grille? 

2.  Welche    Zeit    war    es? 

I'.    Warum  kam  die  Grille    zur  Ameise? 

4.    Warum    stillte    sie    ihren    Hunger    nicht    daheim? 


34  P'ddagogische  Monatshefte. 

5.  W   arum    fehlte    es    ihr    daheim    anSpeise? 

6.  Washattesienurgethan? 

Y.    Was    verlangte    sie    nun    von    der    Ameise? 

8.    Was    that    aber    die    Ameise? 

f».    Was    konnen    wir    aus    dieser    Erzahlung    lernen? 

Mundliche    und    schriftliche    Beantwortung. 

Die  Grille  und  die  Ameise. 

Eine  Grille  kam  einmal  zur  Ameise.  Es  war  Winter.  Die  Grille  war  sehr 
hungrig.  Daheim  hatte  sie  nichts  zu  essen.  Sie  hatte  im  Sommer  nichts  ge- 
sammelt.  Sie  hatte  nur  gesungen  und  gespielt.  Nun  verlangte  sie  Speise  von 
der  Ameise.  Diese  wies  sie  aber  fort.  —  Der  Faule  soil  auch  nicht  essen. 


II.     Deklination  des  Dingwortes  in  einfachster  Form. 

Grammatische   Behandlvmg  fiir  das  vierte  Schuljahr,  von  Lehrer  3fax  Wlscher,  Ruinmels- 

burg-Berlin. 

(Aus,  ,,Aus  der  Schtile  fur  die  Schule.") 


A.     Gang  der  Lektion. 

I.  Ich  lasse  einen  Satz  bilden,  dessen  Gegenstand  ein  mannliches  Substan- 
tiv  ist,  welches  nach  der  s'tarken  Deklination  gebogen  wird  und  den  bestimmten 
Artikel  in  der  Einzahl  hat.    Desgleichen  drei  Satze,  in  welchen  das  betreffende 
Substantiv  als  Attribut  im  Genitiv  und  als  Objekt  im  Dativ  und  Akkusativ  steht. 

II.  Samtliche  vier  Beispiele,    die  in  innerem  stofflichem  Zusammenhange 
stehen  und  ein  kleines  Sprachstiick  bilden,  werden  mit  Hilfe  der  Fragefiirworter 
wer?  wesson?  wem?  wen?  erfragt. 

III.  Die  vier  Beispiele  werden  im  Zusammenhange  von  den  Kindern  wie- 
derholt.  :  || 

IV.  Die  einzelnen  Falle  des  Musterwortes  werden  an  die  Tafel  geschrieben 
und  erklart,  so  dass  folgendes  an  der  Tafel  steht: 

Einzahl.  Beispiele. 

1.  Fall,  der  Hund      wer?        Der  Hund  liegt  in  der  Hiitte. 

2.  Fall.  TTes  Hundes  wessen?  Die  Wachsamkeit  des  Hundes  ist  gross. 

3.  Fall,  dem  Hunde  wem?      Der  Mensch  muss  dem  Hunde  dankbar  sein. 

4.  Fall,  den  Hund       wen?      Der  Mensch  muss  den  Hund  pflegen. 

Die  Mehrzahl  wird  ebenso  behandelt  wie  die  Einzahl. 

1.  Fall,  die  Hunde     wer?        Die  Hunde  sind  Haustiere. 

2.  Fall,  der  Hunde    wessen?  Die  Arten  der  Hunde  sind  verschieden. 

3.  Fall,  den  Hunden  wem?       Die  Wolfe  ahneln  den  Hunden. 

4.  Fall,  die  Hunde     wen?        Die  Wolfe  iibertreffen  die  Hunde  an  Grosse  und 

Starke. 

V.  Es  wird  erkannt 

1.  dass  alle  Beispiele  von  einem  und  demselben  Gegenstande  handeln. 

2.  dass  das  betreffende  Substantiv  aber    jedesmal  verandert  ist.    Die 
Veranderungen  werden  gefunden. 


Deklination  des  ^Dingwortes  in  einfacbster  Form.  35 

VI.  Die  ,,Biegung"  wird  an  einer  Gerte  veranschaulicht. 

VII.  Die  ,,Biegung  des  Dingwortes"  in  der  Einzahl  und  die  vier  Falle  wer- 
den  erklart. 

VIII.  Behandlung  der  Mehrzahl.     Siehe  unter  IV. 

IX.  Die  Fragefiirworter  werden  festgestellt  und  angeschrieben. 

X.  Die  Deklination  wird  der  Reihe  nach  mit  Satzen  und  ohne  Satze  an  der 
Tafel  eingeiibt;   desgleichen,  nachdem  die  Tafel  abgewischt  ist.    Die  Deklina- 
tion wird  wie  das  Einmaleins  ausser  der  Reihe  geiibt.    Wenn  sich  bei 
letzteren  Ubungen  Unsicherheiten  zeigen,  so  wird  stets  auf  die  Beispiele  zu- 
rucfegewiesen. 

XI.  Die  Satze   werden  aus  dem  Gedachtnis  auf  die  Tafel    (ins  Diarium) 
gcschrieben,  wobei  die  einzelnen  Falle  zu  unterzeichnen  sind. 

B.    Ausfiihrung  der  Lektion. 
Z  i  e  1 :     Wir  wollen  uns  heute  vom  Hunde  erzahlen. 

I.  Wo  liegt  der  Hund  auf  dem  Hofe?     In  der  Hundehiitte.  —  Wer  liegt 
in  der  Hiitte?  —  Wodurch  zeich'net  sich  der  Hofhund  aus?    Wachsamkeit.  — 
Wie    ist  die  Wachsamkeit  des  Hundes?     Gross.  —  Wessen  Wachsamkeit  ist 
p;ross?  —  Wie  muss  der  Mensch  dem  Htinde  dafiir  sein?     Dankbar.  —  Wem 
muss  der  Mensch  dafur  dankbar  sein?  —  Wodurch  zeigt  denn  nun  der  Mensch 
dem  Hunde  seine  Dankbarkeit?    Giebt  ihm  Nahrung,  erhalt,  pflegt  ihn.  —  Wen 
muss  also  der  Mensch  pflegen? 

Wiederholung  der  vier  Satze  unter  Angabe  des  Themas. 

II.  Von  wem  haben  wir  gesprochen?    Vom  Hunde.  —  Wievielerlei  ist  von 
ihm  gesagt  worden?     Viererlei.  —  Was  haben  wir  zuerst  von  dem  Hunde  er- 
zalilt?    Wo  der  Hund  liegt.  —  Wo  liegt  er  denn?  —  Wer  liegt  in  der  Hiitte?  — 
(,,Der  Hund"  wird  nach  Angabe  der  Kinder  angeschrieben.)  —  Was  Eaben  wir 
dann  vom  Hunde  erzahlt?    Die  Wachsamkeit  des  Hundes  ist  gross.  —  Wessen 
Wachsamkeit  ist  gross?  —  (,,Des  Hundes"  wird  angeschrieben  u.  s.  f.  mit  dem 
is.  und  4.  Fall.) 

Von  wieviel  Hunden  haben  wir  in  diesen  vier  Satzen  gesprochen?  Von 
eirein  Hunde?  —  In  welcher  Zahl  steht  also  das  Dingwort  in  den  vier  Satzen? 
Einzahl.  (Wird  dariiber  geschrieben.)  Wieviel  Remen  sind  das?  Vier?  — 
Veigleicht  die  vier  Reihen!  Wie  sind  die  vier  Worter  der  Einzahl  unter  einan- 
der?  Verschieden.  —  Von  welchem  Worte  kommen  sie  aber  alle  her?  Von 
Hund.  —  Diese  vier  verschiedenen  Arten  des  Wortes  Hund  nennt  man  Falle! 
Wie  nennt  man  also  diese  vier  Arten  des  Wortes  Hund?  Falle.  —  In  welcher 
Zahl  steht  das  Wort  Hund  in  alien  diesen  Fallen?  In  der  Einzahl.  —  Wieviel 
Falle  hat  also  die  Einzahl  von  Hund?  Vier  Falle.  —  Wie  heisst  der  erste  Fall? 
Der  Hund.  (Davor  schreibe  d.  L.  ,,1.  Fall".)  —Wie  heisst  der  2.  Fall?—  (Da- 
vor  schreiben  ,,2.  Fall"  u.  s.  f.  mit  dem  3.  und  4.  Fall.) 

III.  Nennt  mir  die  Satze  noch  einmal  der  Reihe  nach,  in  welchem  diese 
vier  Falle  vorkommen! 

IV.  Wie  heissen  die  Geschlechtsworter  in  den  vier  Fallen?    Der,  des,  dem, 
den    —  Wie  sind  dieselben  unter  einander?     Verschieden.  —  Wie  heisst  das 
Geschlechtswort  im  1.  Fall?    Der.  —  Wie  im  2.  Fall?  etc.    Aber  auch  das  Ding- 
wort  ist  in  den  verschiedenen  Fallen  verandert!     In  welchen  Fallen  erkennt 
ihr  die  Veranderung?    Wie  zeigt  sie  sich? 

V.  Ich  will  eu<ih  zeigen,  womit  diese  Veranderung  Ahnlichkelt  hat!    (Die 
Biegung  veranschauliche  ich  an    einer   mitgebrachten   Weidenrule.)    IcH   sage 
dann:    So,  wie  diese  Weidenrute,  trotzSem  sie  durch  Biegen  die  verschledensten 
Form  en  (schwierig!)  annimmt,  doch  immer  eine  Weidenrute  bTelbt,  so  bleiot 


36  P'ddagoghcbe  Monatsbefte. 

auch  das  Dingwort,  wenn  es  auch  andere  Formen  annimmt,  dasselbe.  —  Hier 
ist  also  das  Dingwort  immer  dasselbe,  nur  die  Form  ist  verschieden!  (Wieder- 
holen.) 

VI.  Wovon  sind  also  die  vier  Worter    nur  verschiedene    Formen?    Von 
Hund.  —  Was  geschieht  also  auch  mit  dem  Dingwort?    Wird  gefcogen.  —  Wie 
nennt  man  das?    Biegung.  —  Nennt  mir  die  vier  Falle  der  Einzahl  von  dem 
Dingworte  ,,der  Hund"! 

VII.  Wie  heisst  eine  Mehrzahl  von  Hunden?    Die  Hunde.     (Folgt  die  Be- 
handlung  der  Pluralsatze  analog  der  der  Singularsatze.) 

VIII.  Mit  welchem  Fragefiirworte  fragte  ich  im  1.  Falle  nach  dem  Hunde? 
Mit  wer.     (Schreibt  der  Lehrer  dahinter  wie  im  Entwurf  IV.)    Wie  im  2.  Satze 
u.  s.  w.  —  (Dasselbe  in  der  Mehrzahl.)     Mit  welchem  Fragefiirwort  fragt  man 
also  nach  dem  1.,  2.,  3.,  4.  Fall?    (Wird  in  und  ausser  tier  Heine  geifbt.) 

IX.  Nennt  mir  den  3.  Fall  der  Einzahl,  2.  Fall  der  Mehrzahl!    u.  s.  w. 
Mit  welchem  Fragefiirwort  fragt  man  nach  dem  4.,  1.,  3.,  2.  Fall?  u.  s.  w.    (Wird 
fortgesetzt  geiibt!) 

Alles,  was  an  der  Tafel  steht,  wird  nun  fortgewischt,  und  die  Ubungen 
werden  ausser  der  Reihe  fortsesetzt. 

X.  Schriftliche   ttbung:     Aufschreiben   der    behandelten  Satze  und  Unter- 
streichen  der  Falle.    Gegenseitiges  Korrigieren  der  Arbeiten  durch  die  Schuler. 

Hausliche  Arbeit:     Darstellung  anderer  Beispiele  nach  dem  Muster  wie  an 
der  Wandtafel.     (Entwurf  IV.) 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Korrespondenzen. 

(Fur  die  Pad agogischen  Monatshefte.) 

Buffalo. 


Ein  kleines  Missgeschick  hatte  die- 
ses Jahr  unserem  Schulsuperinten- 
denten  und  vielen  Lehrern  und  Leh- 
rerinnen  unnotige  Unruhe  verursacht. 
Herr  Emerson  hatte  namlich  mit  ei- 
nigen  Jugenderziehern  mannlichen 
und  etwa  sechzig  weiblichen  Ge- 
schlechts  wahrend  der  Ferien  Eu- 
ropa  bereist.  Kurz  vor  dem  Beginn 
der  Schule  kam  die  Nachricht,  das 
Schiff,  welches  dazu  bestimmt  war, 
die  Keisenden  nach  Westen  zu  tragen, 
habe  plotzlich  Befehl  erhalten,  seine 
Segel  ostwarts  nach  dem  Reiche  der 
Zopftrager  zu  lenken.  Da  nun  im 
September  niemals  tJberfluss  an  Kabi- 
nen  ist  und  die  Pariser  Weltausstel- 
lung  zur  selben  Zeit  in  vollem  Gange 
war,  so  nahm  man  mit  Bestimmtheit 
an,  dass  Herr  Emerson  mit  seiner 
Lehrerschaft  nicht  leicht  auf  einem 
Dampfer  Raum  finden  und  unmoglich 
zur  rechten  Zeit  auf  seinem  Platze 
sein  werde.  Das  Unmogliche  jedoch 
war  moglich  gemacht  worden,  und 
Herr  Emerson  war  schon  zwei  Tage 
vor  dem  Schulanfang  fiir  seine  Unter- 
gebenen  zu  sprechen. 

Wie  in  den  meisten  Stadten  unse- 
rer  Eepublik,  so  ist  auch  in  unseren 
Schulen  das  Prozentsystem  noch  zu 
finden,  doch  scheint  ein  freilich  unbe- 
deutender  Schritt  nach  entgegenge- 
setzter  Richtung  bemerkbar  zu  sein. 
Vor  zwei  Jahren  wurde  ein  Schulge- 
setz  erlassen,  nach  welchem  alien 
Schiilern,  die  wahrend  des  Jahres  85% 
oder  daruber  aufzuweisen  haben,  das 
Examen  am  Schulschlusse  erlassen 
wird.  Auch  den  Oberlehrern  muss 
nachgeriihmt  werden,  dass  den  meis- 
ten derselben  ein  hoher  Prozentsatz 
nicht  mehr  ausschlaggebend  fur  die 
Fahigkeit  der  Lehrerinnen  und  die 
Errungenschaften  der  Schiller  ist.  So 
hat  Schreiberin  dieses  einige  Jahre 
unter  einem  Oberlehrer  unterrichtet, 
dessen  hochstes  Bestreben  es  ist, 
gute,  rechtschaffene  Burger  aus  der 
ihm  anvertrauten  Kinderschar  zu 
machen,  und  der  seine  Lehrerinnen  in 
dem  Masse  sch,--zt,  als  dieselben  es 
verstehen,  das  Herz  und  den  Ver- 
stand  der  Kinder  zu  bilden.  Er  will 
Schiller  erziehen,  die  vermoge  rechter 


lustruktion  nicht  bestandig  von  an- 
dern  abhangig  sind  und  folglich  nicht 
nur  fiir  den  Augenblick  lernen.  Der- 
selbe  hat  auch  in  seiner  Schule  die 
zweimalige  Schiilerversetzung,  welche 
fiir  jedes  Schuljahr  eine  A-  und  B- 
Klasse  erfordert,  versucht  und  ausge- 
zeichneten  Erfolg  erzielt.  In  der 
letzten  Oberlehrerversammlung  ist 
iiber  das  Projekt  lebhaft  debattiert 
worden,  doch  ist  man  noch  zu  keiner 
endgiltigen  Entscheidung  gekommen. 
Leider  hat  der  deutsche  Unterricht 
unter  einem  solchen  Versetzungssys- 
tem  anfangs  zu  leiden  und  stellt 
grossere  Anforderung  an  die  Lehre- 
rinnen. Herr  George  E.  Smith,  der 
betreffende  Prinzipal,  hat  das  wohl 
eingesehen  und  bedauert;  er  ist  sehr 
fiir  das  Deutsche  eingenommen  und 
verdient  den  Namen  eines  wahren  Pa- 
dagogen.  Seine  erzieherischen  Fahig- 
keiten  werden  auch  von  unserem 
Schuloberhaupte  nach  Gebiihr  gewiir- 
digt. 

Wie  Herr  Emerson  Verdienste  aner- 
kennt,  so  streng  ist  er  auf  der  andern 
Seite.  Hat  er  erkannt,  dass  die  Fa- 
higkeiten  einer  Lehrkraft  fiir  ihren 
hohen  Beruf  nicht  ausreichen,  oder 
hat  sich  dieselbe  etw^as  Ungebiihrli- 
ches  zuschulden  kommen  lassen,  so 
ist  es  mit  seiner  Huld  zu  ende.  Beim 
letzten  Schulschlusse  warteten  ver- 
schiedene  Lehrerinnen  vergeblich  auf 
ihren  Kontrakt  fiir  das  kommende 
Schuljahr.  Anstatt  dessen  erhielten 
die  Alteren  einen  Pensionsschein. 

Das  seit  zwei  Jahren  bestehende 
Pensionsgesetz  gereicht  schon  man- 
cher  Kollegin  zum  Segen.  Leider 
konnen  sie  infolge  des  kleinen  Grund- 
kapitals  noch  nicht  mit  der  Halfte 
ihres  Gehaltes  pensioniert  w^erden, 
zumal  nur  1%  des  Einkommens  der 
Lehrkrafte  in  den  Fonds  fliesst. 
Herrn  Joseph  Mischka,  dem  ersten 
Musiklehrer  an  den  offentlichen  Schu- 
len, verdankt  die  Lehrerwelt  Buffalos 
das  kleine  Grundkapital.  Derselbe 
hatte,  kurz  nachdem  das  Gesetz  in 
kraft  getreten  war,  den  Schulkindern 
Wiegenlieder  der  verschiedenen  V61- 
ker  einstudiert.  Alles  Neue  macht 
Eindruck,  das  zeigte  sich  auch  in  die- 


38 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


sem  Falle.  Die  originellen  Gesange 
und  Kostiime  lockten  die  Leute  in 
Scharen  in  die  Auffuhrungen,  welche 
eine  Reihe  von  Nachmittagen  und 
Abenden  stattfanden,  und  die  da- 
durch  erzielte  Einnahme  bildete  den 
Pensionsfonds.  Vielleicht  findet  sich 
ein  reicher  Mann,  welcher,  eingedenk 
des  ihm  in  der  Schule  gespendeten 
Segens,  ein  Scherflein  beisteuert. 

Wie  verlautet,  ist  es  bestimmt,  dass 
Herr  Mischka  einen  Chor  von  3000 
Schulkindern  an  dem  wahrend  der 
Pan  American  stattfindenden  Sanger- 
feste  teilnehmen  lassen  will;  ob  die- 
selbe  Kinderschar  auch  am  Graber- 
schmiickungstage  und  am  glorreichen 
Vierten  ihre  patriotischen  Lieder  er- 
tonen  lassen  darf,  steht  noch  in 
Frage. 

Im  deutschen  Departement  ist  alles 
beim  alien.  Eine  kleine  Umgestal- 
tung  hat  der  Lehrplan  des  fiinften 
Grades  erfahren.  Derselben  ist  ein 
Teil  der  ermiidenden  Grammatik  im 
Ahn  abgescnnitten  worden;  es  soil  in 
dieser  Klasse  mehr  gelesen  und  der 
Lesestoff  besprochen  werden.  Betrii- 
bend  ist  es,  dass  der  deutsche  Unter- 
richt  aus  zwei  Schulen  verbannt  wur- 
de,  doch  ist  in  den  andern  Schulen 
die  Teilnahme  am  Deutschen  im 
Wachsen  begriffen. 


Vor  kurzem  hatten  wir  auch  ein- 
mal  Gelegenheit  eine  deutsche  Thea- 
tertruppe  zu  horen.  Es  war  die  der 
Maria  von  Wegern.  An  dem  dicht- 
setzten  Stadttheater  war  deutlich  zu 
erkennen,  wie  gerne  man  hier  einem 
deutschen  Stiicke  lauscht,  das  bei  al- 
lem  Witz  viel  edlen  Sinn  und  beher- 
zigungswurdige  Moral  birgt.  Aus  obi- 
gem  Grunde  hatten  sich  viele  mit 
ihren  halberwachsenen  Kindern  ein- 
gefunden.  Man  gab  ,,Tante  Bemm- 
chen  in  Amerika".  Das  Stuck  enthalt 
einige  gute  Witze,  und  Marie  von  We- 
gern, abgesehen  von  einigen  Ausar- 
tungen,  spielte  die  Sachsin  gut.  Das 
ist  leider  aber  auch  alles,  was  Stuck 
und  Ausfiihrung  nachgeruhmt  werden 
kann,  und  war  auch  der  einzige 
Grund,  weshalb  nicht  mehr  Leute  das 
Theater  lange  vor  dem  Schlusse  des 
letzten  Aktes  verliessen.  Ach,  sie 
gingen  alle  enttauscht  nach  Hause, 
die  guten  Leute,  und  klagten:  ,,Wa- 
rum  werden  deutsche  Theaterstiicke 
aufgefiihrt,  in  denen  man  Anstand 
und  gute  Moral  so  schmerzlich  ver- 
misst,  und  in  denen  man  sich  der  al- 
lergewohnlichsten  Ausdrticke  wie 
,,hundsgemein"  bedient?  An  guten 
Stiicken  ist  doch  in  der  deutschen 
Litteratur  und  an  etwas  gewahlteren 
Ausdriicken  in  dieser  Sprache  wahr- 
lich  kein  Mangel."  B.  R. 


Chicago. 


Lehrproben.  Herr  Dr.  G. 
A.  Zimmermann,  Superintendent  des 
Deutschen,  gab  der  deutschen  Lehrer- 
schaft  Chicagos  im  letzten  Monate 
zweimal  Gelegenheit,  Lehrproben  bei- 
zuwohnen.  Am  9.  Nov.  zeigte  Frl. 
Louise  Siihrstedt,  wie  sie  Kinder  im 
5.  und  6.  Grad  im  Deutschen  unterrich- 
tet,  und  am  23.  Nov.  fiihrte  uns  Frl. 
Emma  Lund  ihren  7.  und  8.  Grad 
vor.  Beide  Damen  ernteten  wohlver- 
dienten  Beifall  seitens  ihrer  Kollegen. 
Zieht  man  in  Erwagung,  dass  der  Un- 
terricht  im  Deutschen  hier  erst  mit 
dem  5.  Schuljahre  beginnt  und  dass 
ihm  taglich  nur  25  bis  30  Minuten  ge- 
widmet  werden,  so  muss  jeder  Vorur- 
teilsfreie  bekennen,  dass  ganz  Aner- 
kennenswertes  geleistet  wird.  Mochte 
die  Zeit  noch  einmal  kommen,  dass 
wir  iwenigstens  im  3.  Schuljahre  mit 
dem  Deutschen  beginnen  konnten!  — 

Gedachtnisfeier.  —  Am  26. 
November  veranstalteten  die  deut- 


schen Lehrer  an  den  hiesigen  Hoch- 
schulen  eine  Gedachtnisfeier  zu 
Ehren  der  durch  den  Tod  dahingeraff- 
ten  Kollegin  Clara  Klemm.  Der 
Schulratssaal,  in  vrelchem  die  hehre 
Feier  abgehalten  wurde,  war  ge- 
schmackvoll  mit  Palmen  geschmiickt. 
Frau  Clara  von  Otterstedt  trug  einen 
von  Herrn  Gauss  verfassten  Nachruf 
vor,  und  Herr  Dr.  G.  A.  Zimmermann 
Melt  eine  von  Herzen  kommende  und 
zu  Herzen  gehende  Ansprache,  in  der 
er  die  hingebende  Treue,  den  auf- 
cpfernden  Fleiss  und  die  grosse  Lie- 
benswiirdigkeit  der  Entschlafenen  be- 
tonte.  Ihr  Andenken  wird  bei  alien, 
die  sie  gekannt  haben,  im  Segen  blei- 
ben.  — 

Der  deutsche  Lehrerver- 
e  i  n  von  Chicago  wird  am  27.  De- 
/ember  nachmittags  2  Uhr  in  der 
Schillerhalle  eine  Weihnachtsfeier 
veranstalten.  E.  A.  Z. 


Korresponden^en. 
Cincinnati. 


39 


21.   November. 

Bei  Besprechung  des  neuen  e  n  g  1  i- 
schen  Studienplans  in  der 
September-Nummer  der  P.  M.  fiigte 
ich  zum  Schluss  vorsichtigerweise 
hinzu,  dass  ein  Lehrplan,  wie  ein  Pud- 
ding, dadurch  am  sichersten  beziig- 
lich  seiner  ,,Giite"  erprobt  wiirde, 
dass  man  ihn  versuche.  Seit  nahezu 
drei  Monaten  wurde  nun  der  Plan  un- 
ter  fortwahrender  Erlauterung  und 
Anleitung  seines  Verf assers  gar  em- 
sig  probiert,  doch  unsere  englischen 
Kollegen  scheinen  sich  bereits  den 
Magen  grundlich  daran  verstaucht 
zu  haben,  denn  das  neue,  ungewohnte 
Gericht  soil  an  allzureicher  Wiirze,  an 
tJberladung  leiden.  Es  wird  behaup- 
tet,  dass  es  rein  unmoglich  ware,  den 
Lehrstoff,  wie  er  fiir  jedes  Schuljahr 
ausgelegt  sei,  innerhalb  der  vorge- 
schriebenen  Zeit  zu  bewaltigen;  auch 
die  Einteilung  des  Lehrpensums  sei 
viel  zu  allgemein  und  unbestimmt  ge- 
halten.  Die  armen,  .unselbstandigen 
Schoolmams,  die  bisher  an  die  liebe, 
alte  Schablone  gewohnt  waren,  sehen 
sich  nun  mit  einemmal  vor  einen  Ur- 
wald  versetzt,  durch  den  sie  sich  ei- 
nen Pfad  suchen  sollen.  Doch  wie 
wenige  von  ihnen  sind  padagogische 
Pfadfmderinnen!  — •  Die  meisten  wer- 
den  elendiglicn  in  diesem  Urwald  von 
Lehrplan  stecken  bleiben,  d.  h.  mit 
anderen  Worten,  am  Ende  des  Schul- 
jahrs  wird  voraussichtlich  herzlich 
wenig  erreicht  und  geleistet  sein. 
Ein  erfahrener  Padagoge,  der  sich  das 
vorgesetzte  Lehrpensum  zurechtzule- 
gen  und  seinen  Zwecken  unterzuord- 
nen  weiss,  wiirde  wohl  auch  mit  die- 
sem Plan,  so  verworren  und  iiberladen 
er  auch  sein  mag,  sein  Ziel  erreichen; 
denn  nicht  der  Lehrplan,  sondern  der 
Lehrer  ist  noch  stets  der  Hauptfak- 
tor  in  der  Schule  gewesen.  Nun,  mit 
Ende  dieses  Lchuljahres  wird  wohl 
der  vielbesprochene  Lehrplan  samt 
sein  em  Verfasser  von  der  hiesigen 
Bildflache  verschwinden.  Hoffentlich 
wird  man  alsdann  nicht  das  Kind  mit 
dem  Bade  ausschiitten  und  zur  veral- 
teten  Schablone  zuriickkehren,  son- 
dern das  Gute  und  Fortschrittliche, 
das  der  neue  Studienplan  unzweifel- 
haft  enthalt,  beibehalten.  Es  giebt 
ja  auch  einen  goldenen  Mittelweg! 
Mit  der  Zeit  wird  man  wohl  auch  in 
diesem  Lande  dahin  kommen,  dass  die 
Studienplane,  wenigstens  in  ihren  all- 
gemeinen  Umrissen,  von  einer  Staats- 
kommission,  bestehend  aus  tiichtigen 


Schulmannern,  entworfen  werden,  die 
alsdann  fiir  eine  gewisse  Klasse  von 
Stadten  massgebend  sind.  Dies  ware 
sicherlich  fiir  die  Schulen  mancher 
Stadte  vorteilhafter,  anstatt  das  Lehr- 
planummodeln  der  Laune  oder  Will- 
kur  der  jeweiligen  Schulsuperinten- 
denten  zu  iiberlassen,  deren  Herr- 
schaft  oft  von  recht  kurzer  Dauer  ist. 

Gegenwartig  wird  hier  wiederum 
sehr  lebhaft  der  Plan  befiirwortet, 
unsere  Technische  Schule  dem 
offentlichen  Schulsystem  oder  der 
Universitat  einzuverleiben.  Seit  sei- 
ner Griindung  vor  ungefahr  14  Jahren 
musste  sich  dieses  Institut  —  abge- 
sehen  von  kleinen  Schenkungen  — 
durch  Schulgeld  selbst  erhalten.  Da- 
durch waren  leider  die  Kinder  einer 
grossen  Klasse  unserer  Bevolkerung, 
weil  das  Schulgeld  ziemlich  hoch,  aus- 
geschlossen.  Durch  tJbernahme  sei- 
tens  der  offentlichen  Sclnilen  wiirde 
das  Schulgeld  wegfallen,  und  die  Kna- 
ben  hatten  dann,  nach  Absolvierung 
der  Intermediat-Schulen  die  Wahl, 
entweder  die  Hochschule  oder  die 
Technische  Schule  zu  besuchen.  Der 
Plan  wird  von  einflussreichen  kom- 
merziellen  Korperschaften  und  auch 
von  unserem  Schulsuperintendenten 
recht  warm  unterstiitzt.  Doch  der 
Schulbehorde  stehen  natiirlich,  wie 
gewohnlich,  keine  Fonds  dafiir  zur 
Verfiigung.  Moge  ihr  die  Staatslegis- 
latur  recht  bald  mit  einer  Extrabe- 
willigung  unter  die  Arme  greifen,  auf 
dass  Cincinnati  in  dieser  Beziehung 
nicht  allzusehr  hinter  anderen  Stad- 
ten zuriickzustehen  brauche. 

In  der  Schulrats  -  Sitzung 
vom  19.  Nov.  glaubte  ein  anderer  pa- 
dagogischer  Doktor  durch  einen  na- 
tivistischen  Sturmlauf  auf  den  deut- 
schen  Unterricht  in  den  offentlichen 
Schulen  sich  ebenfalls  lacherlich  ma- 
chen  zu  miissen.  Als  die  Versetzung 
bezw.  Anstellung  zweier  Lehrerinnen 
—  wovon  eine  fiir  das  deutsche  De- 
partement  —  in  seinem  Schuldistrikte 
besprochen  wurde,  liess  der  sonst  so 
siissliche  und  iiberhofliche  Medfziner 
die  Maske  fallen.  i»iit  kirschrotem 
Gesichte  und  vor  wutbebender  Stim- 
me  schrie  er:  ,,Niemals  vsrerde  ich  die 
Anstellung  einer  deutschen  Lehrerin 
befiirworten;  wir  wollen  englischen 
Unterricht  haben,  denn  wir  sind  hier 
in  Amerika  und  nicht  in  Deutsch- 
land!"  An  Deutlichkeit  lasst  dieser 
Herzenserguss  einer  ,,schonen  Seele" 
gewiss  nichts  zu  wiinschen  iibrig,  und 


P'ddagogiscbe  Monatsbejte. 


man  kann  dem  Doktor  fiir  seine  Of- 
fenherzigkeit  eigentlich  dankbar  sein, 
denn  man  weiss  nun  doch,  woran  man 
mit  ihm  ist.  Bei  manchen  seiner 
schulratlichen  Kollegen  ist  man  in 
dieser  Beziehung  leider  nicht  so  si- 
cher.  Sehr  bedauerlich  ist  es  aller- 


dings,  dass  man  selbst  in  gebildeten 
Kreisen  immer  noch  solchen  riickstan- 
digen  Ansichten  iiber  den  Wert  des 
zweisprachigen  Unterrichts  begeg- 
net.  Hoffentlich  versteht  der  Doktor 
von  der  Medizin  mehr  als  von  moder- 
ner  Padagogik!  E.  K. 


Columbus. 


Columbus  hat  unbedingt  Fort- 
schritte  im  deutschen  Unterricht  zu 
verzeichnen.  In  zwei  Schulen  ist  die- 
ses Jahr  das  Deutsche  als  Spezialfach 
eingefiihrt  worden;  in  der  Felton  Ave. 
Schule  im  September  und  jetzt  in  der 
Front  Strassen-Schule.  Was  fiir  In- 
teressen  auch  immer  dies  zuwege  ge- 
bracht  haben,  so  fiihrt  es  dem  Deut- 
schen doch  wieder  zwei-  bis  dreihun- 
dert  Schiller  zu. 

Zu  Anfang  des  Schuljahres  haben 
unsere  deutschen  Lehrerinnen  sogar 
einen  Anfang  gemacht,  fiir  die  ver- 
schiedenen  Klassen  eine  Art  Lehrplan 
aufzustellen,  und  haben,  was  seit  Jah- 
ren  nicht  geschehen  ist,  eine  Zusam- 
menkunft  gehabt.  Der  Brennpunkt 
war:  ,,Hie  Grammatik,  hie  nicht 
Grammatik  in  den  Elementarklas- 
sen",  was  genug  Argumente  fiir  und 


gegen  hervorrief.  Wenn  die  deut- 
schen Lehrkrafte  nur  ofter  padagogi- 
sche  Fragen  besprechen  wollten, 
selbst  ohne  offizielle  Aufforderung,  so 
konnten  sie  sicher  viel  von  einander 
lernen  ,,Bist  Du  selber  kein  Ganzes, 
so  schliess'  als  bildendes  Glied  an  ein 
Ganzes  Dich  an." 

Der  Humboldtverein,  die  einzige 
deutsche  litterarisch-musikalische  Ge- 
sellschaft  im  Staate,  hat  ein  interes- 
santes  Programm  fiir  die  Wintersai- 
son  aufgestellt,  so  dass  wir  einer  er- 
folgreichen  Saison  entgegen  gehen. 

Heute  giebt's  auch  deutsches  Thea- 
ter, Fr.  von  Wegner  in  ,,Tante  Bemm- 
chen  in  Amerika".  Leider  nur  Posse, 
aber  es  bleibt  doch  halt  deutsche 
Kunst,  und  es  giebt  so  selten  bei  uns 
Theatervorstellungen  irgend  welcher 
Art.  A.  K. 


Milwaukee. 


..Die  Schule  ist  heute  nur  ein  Fak- 
tor  in  dem  grossen  Erziehungsorga- 
nismus.  Der  Padagogik  werden  neue 
Ziele  zugewiesen,  und  es  wird  betont, 
class  nicht  nur  die  Schule,  sondern  der 
Staat,  die  verschiedenen  Gesellschaf- 
ten  und  Berufskreise  mithelfen  mils- 
sen,  wenn  diese  Ziele  erreicht  werden 
sollen. 

Wenn  diese  Ziele  in  einer  griindli- 
chen  wissenschaftlichen  und  ethi- 
schen  Bildung  des  Einzelnen,  der  im 
Dienste  der  Gesamtheit  stehen  soil, 
liegen"  —  so  muss  fiir  den  Freund 
dieser  Padagogik  alles  von  Interesse 
sein,  dass  auf  irgend  eine  Art  und 
Weise  die  Bildung  des  Einzelnen  oder 
grosserer  Gruppen  fordert. 

Dass  die  Kunst  diesem  Ziele  forder- 
lich  ist,  wird  wohl  niemand  leugnen. 
Die  Schuljugend  unserer  Stadt  hatte 
in  den  Monaten  September  und  Okto- 
ber  Gelegenheit,  die  Gemaldegallerie 
der  ,M,ilwaukee  Industrial  Exposi- 
tion" zu  besichtigen.  Der  Eintritts- 
preis  betrug  nur  5  Cents. 

Es  waren  .231  Bilder  ausgestellt. 
Ein  Bild  musste  den  Kenner  der  Sieg- 
fried-Sage fesseln:  Siegfried,  von  dem 


Franzosen  T.  Chartron.  Es  stellt  in 
Lebensgrosse  den  Helden  dar,  wie  er 
in  der  Waldschmiede  vor  dem  bren- 
nenden  Kohlenfeuer  sein  Schwert  be- 
trachtet.  Das  Angesicht  gliiht  vor 
Freude  und  Stolz.  Unwillkiirlich 
musste  man  an  das  Uhlandsche  Ge- 
dicht  denken. 

,,Nu  hab'  ich  geschmiedet  ein  gutes 

Schwert, 
Nun  bin  ich  wie  andere  Hitter  wert." 

Unter  dgn  ausgestellten  Bildern  w^a- 
ren  auch  nie  13  Bilder  des  amerikani- 
schen  Kiinstlers  Edward  Moran,  "The 
Marine  History  of  the  United  States." 

In  diesen  13  Banden  stellt  der 
Kiinstler  einige  der  wichtigsten  Epi- 
soden  unserer  Geschichte  dar.  Den 
Anfang  macht  die  Landung  Leif  Erik- 
sons  in  der  neuen  Welt  im  Jahre  1001. 
Dann  folgt  die  Entdeckung  Amerikas 
durch  Kolumbus.  Fesselnd  ist  das 
Bild  "Midnight  Mass  on  the  Missis- 
sippi, over  the  Body  of  Ferdinand  De 
Soto."  Den  Schluss  des  Cyklus  bildet 
"Return  of  the  Conquerors,"  welches 
die  Ankunft  unserer  siegreichen 
Flotte  im  Lafen  von  New  YorK  nach 


Korresponden^en. 


41 


den  Seegefechten  bei  Manila  und  San- 
tiago darsteuo. 

Die  hiesige  Staatsnormalschule  hat 
den  Vorteil  dieser  Gemaldeausstel- 
lung  fiir  ihre  Zoglinge  sehr  vorteil- 
haft  ausgenutzt.  Die  Fakultat  der 
obigen  Anstalt  hat  den  bekannten 
Kunstkenner  Dr.  F.  W.  Gunsaulus, 
den  Leiter  des  Armour  Institute  of 
Technology  in  Chicago,  eingeladen, 
die  Zoglinge  bei  ihrem  Besuch  der 
Ausstellung  zu  begleiten  und  ihnen 
seine  Ansichten  uber  die  Kunst  mit- 
zuteilen. 

Dr.  Gunsaulus  hielt  uber  das  Thema 
,,Die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts"  ei- 
nen  sehr  lehrreichen  Vortrag. 

Seit  etwa  6  Jahren  besteht  in  Chi- 
cago eine  unter  den  Gesetzen  des 
Staates  Illinois  organisierte  Gesell- 
schaft,  die  "University  Association". 
Der  Zweck  dieser  Vereinigung  ist 
nach  dem  Eundschreiben  —  to  carry 
on  the  work  of  self-culture  by  indi- 
vidual effort  along  the  lines  of  Uni- 
versity Extension  — . 

Dieser  Zweck  wird  dadurch  er- 
reicht,  dass  die  Association  fiir  die 
verschiedenen  Facher  Lehrgange  und 
Lehrbiicher  ausarbeiten  lasst,  diesel- 
ben  danu  in  monatlichen  Heften  an 
die  einzelnen  Mitglieder  gelangen 
lasst  und  am  Schluss  des  Jahres  die 
Teilnehmer  priift.  In  aen  6  Jahren 
ihres  Bestehens  hat  die  Association 
60,000  Schiller  gehabt.  Es  wird  aus- 
driicklich  hervorgehoben,  —  "it  is  to 
be  most  distinctly  understood  that 
this  Extension  work  is  not  intended 
in  any  sense,  to  take  the  place  of  the 
scholarship  which  the  higher  institu- 
tions of  learning  have  been  estab- 
lished to  give." 

Dass  die  Association  nur  Gediegenes 
bietet,  wird  am  besten  dadurch  bewie- 
sen,  dass  fiir  den  Kursus  "Universal 
Religion"  kein  Geringerer  als  der 
kiirzlich  verstorbene  Professor  Max 
Miiller  von  der  Oxford  Universitat 
personliche  Beitrage  lieferte.  Der 
Kursus  "Economics"  wurde  von  Prof. 
Richard  T.  Ely,  University  of  Wiscon- 
sin, geschrieben.  Das  "Milwaukee 
Journal"  hat  es  nun  unternommen. 
diese  Kurse  in  Heften  unter  seinen 
Lesern  zu  verbreiten,  und  man  muss 
diesem  Unternehmen  Erfolg  wiin- 
schen. 

Erwahnenswert  sind  auch  mehrere 
Vortrage,  welche  im  vergangenen  Mo- 
nat  stattfanden.  Es  miissen  vor  allem 
die  ausserst  belehrenden  und  zugleich 
unterhaltenden  Vortrage  des  Reisen- 


den  Burton  Holmes  genannt  werden. 
Was  diese  Vortrage  so  anziehend 
macht,  ist  erstens  die  Thatsache,  dass 
Holmes  ein  fesselnder  Redner  ist  und 
Selbterlebtes  erzahlt.  Dann  aber  sind 
es  auch  die  beweerlichen  Bilder,  wel- 
che vermittelst  eines  "stereopticons" 
den  Zuschauern  Vorgange  vorfuhren, 
die  auch  durch  den  besten  Redner  und 
Schilderer  in  ihrer  Natiirlichkeit  nicht 
interessanter  vorgefiihrt  werden  kon- 
nen.  Wie  konnte  diese  neue  Erfin- 
dung  den  Unterricht  beleben  und  an- 
schaulich  gestalten! 

Ausserst  belehrend,  und  besonders 
anregend  fiir  den  Padagogen  war 
auch  der  Vortrag  des  Herrn  Elbert 
Hubbard,  des  Leiters  des  "Roycroft- 
Shop"  in  East  Aurora,  New  York. 
Hubbard,  in  seiner  Jugend  als  Bau- 
ernknecht,  Druckerteufel,  als  Hand- 
langer  in  einem  Holzhof,  spater  als 
gewohnlicher  Fabrikarbeiter  und  als 
Leiter  einer  Fabrik,  die  mehr  als  1000 
Arbeiter  beschaftigte,  thatig,  wurde 
schliesslich  Farmer  in  East  Aurora. 
Heute  ist  er  Schriftsteller,  Herausge- 
ber  der  Monatsschrift  "The  Philis- 
tine", Leiter  des  "Roycroft-Shop"  und 
Philosoph. 

Seine  Schriften  "Little  Journeys  to 
the  Homes  of  American  Statesman", 
" —  to  the  Homes  of  Good  Men  and 
Great",  " —  to  the  Homes  of  Famous 
Women",  und  " —  to  the  Homes  of 
Eminent  Painters"  haben  ihn  in  den 
letzten  Jahren  dem  Volke  unseres 
Landes  und  Englands  naher  gebracht. 

In  seinem  Vortrage  schilderte  er  die 
Entstehung  des  "Roycroft-shop",  die 
Entwicklung  desselben  zu  seiner  jetzi- 
gen  Grosse,  und  die  Grundsatze,  wel- 
che dem  ganzen  Unternehmen  zu- 
grunde  liegen.  Im  "Roycroft-shop" 
sind  heute  250  Menschen  beschaftigt. 
Sie  arbeiten  ohne  Maschine  und  stel- 
len  Biicher  her.  Alles  ist  "hand- 
made", Papier,  Typen,  Einband;  die 
grossen  Anfangsbuchstaben  sogar 
sind  Handzeichnungen.  Die  Arbeiter 
werden  anstandig  bezahlt,  und  am 
Ende  des  Jahres  wird  der  Uberschuss 
unter  die  Arbeiter  verteilt.  Die  Ein- 
nahmen  sind  bedeutend,  denn  die 
Preise  der  Biicher  sind  hoch,  bis  zu 
$100,  und  alles,  was  hergestellt  wird, 
wird  verkauft.  Als  Merkwiirdigkeit 
sei  angefiihrt,  dass  der  Schatzmeister 
des  Unternehmens  ein  friiherer  In- 
sasse  des  Staatsgefangnisses  Sing- 
Sing,  im  Staate  New  York,  ist.  Hub- 
bard hat  iiberhaupt  eine  Vorliebe,  so- 
genannte  unbrauchbare  Menschen 
aufzunehmen,  und  er  behauptet, 


42 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


durch  geregelte  Arbeit  und  die  rich- 
tige  Umgebung  in  der  Eegel  sehr 
brauchbare  Menschen  aus  ihnen  zu 
machen. 

Er  ist  der  Apostel  der  Handarbeit, 
und  die  Verteidiger  des  Handfertig- 
keitsunterrichtes  konnen  keinen  eifri- 
geren  Verfechter  und  keinen  erfolg- 
reicheren  Fiihrer  finden  als  Elbert 
Kubbard. 

Der  am»rikanische  Dialektdichter 
James  Whitcomb  Eiley  erfreute  viele 
Milwaukeer  dadurch,  dass  er  an  einem 
Abend  aus  seinen  Werken  vorlas.  Ei- 
ley, der  "Hoosier  Poet",  ist  ein  Volks- 
dichter,  wie  Eobert  Burns  im  Engli- 
schen,  Fritz  Eeuter  im  Plattdeutschen 
u-  d  Pe'er  Eosegger  im  SU-irischen  es 
sind.  Er  entnimmt  nicht  nur  seine 
Theinen  dem  einfaehen,  stillen  Land- 
leben  seiner  Heimat,  sondern  er  be- 
dient  sich  dabei  auch  der  Sprache  die- 
ser  Leute,  des  "Hoosier" -Dialekts. 

Es  ist  erfreulich,  dass  samtliche 
Vortrage  sehr  gut  besucht  waren.  Be- 
sonders  erfreulich  ist  es  aber,  dass 
unter  den  Zuhorern  auch  eine  ziem- 
lioh  grosse  Anzahl  Lehrer  waren.  Ge- 
rade  wir  Lehrer  haben  Anregungen, 
wie  sie  derartige  Vortrage  gebeu,  sehr 
notig,  um  den  ungiinstigen  Einfluss 
der  einformigen  Schularbeit  zu  neu- 
tralisieren. 

Seit  vier  Jahren  besteht  hier  ein 
Verein,  der  eine  recht  erspriessliche 
Thatigkeit  entfaltet  hat,  die  "Ethical 
Society".  Der  Zweck  des  Vereins  war, 
durch  Vortrage  fur  Erwachsene  und 
regolnuis-iirfii  Unterr'n  ht  am  Samsta"1 
undSonntag  fiir  die  Jugend  belehrend 
und  veredelnd  z\\  wirken.  Die  Vor- 
trage, welche  stets  das  Gebiet  der  Pa- 


dagogik  beriihrten,  sowie  die  sich  an 
dieselben  anschliessenden  Bespre- 
chungen  waren  immer  lehrreich  und 
interessant.  Hauptsachlieh  wollte  mini 
die  ethische  Seite  des  Menschen  ent- 
wickeln,  daher  denn  auch  z.  B.  der 
bekannte  Padagoge  Felix  Adler,  der 
Verfa^ser  des  Werkes  "The  Moral  In- 
«tructiuij  of  Children",  unter  den  Red- 
nern  war.  Jetzt  hat  nun  der  Verein 
be^chlossen,  im  kommenden  Winter 
keine  weitere  Thatigkeit  zu  entfalten. 
Das  ist  entschieden  zu  bedauern.  Es 
ist  jedoch  Aussicht  vorhanden,  dass 
der  Verein  eine  Thatigkeit  spater  er- 
neuert. 

Am  19.  November  hielt  der  V.  D.  L. 
seine  zweite  Versammlung  ab.  Frl. 
Anna  Judell  von  der  8.  Primarschule 
No.  1  las  aus  einer  Biographie  Pesta- 
lozzis  von  Ferdinand  Schmidt  das 
Kapitel:  Die  Armenschule  auf  dem 
Neuhof.  Frl.  Nettie  Zahn  von  der  8. 
Primarschule  No.  2  las  aus  dem  Wer- 
ke:  10  Kapitel  aus  der  praktischen 
Padagogik  von  Hermann  Becker  den 
Aufsatz:  Das  Marchen  in  der  Volks- 


vor. 

Zum  Schriftfiihrer  des  Vereins 
wnrde  Herr  Heinrich  C.  Martens  von 
der  14.  Distriktschule  erwahlt. 

Der  Aut:schuss,  welcher  die  Verfas- 
sung  revidierte,  legte  dieselbe  vor. 
Die  neu«?  Vcrfassung  wurde  angenom- 
men.  Hierauf  folgten  amtliche  Mit- 
teilungen.  Herr  B.  A.  Abrams,  Hilfs- 
superintendent  der  offentlichen  Schu- 
len,  gedachte  in  warmen  Worten  des 
dahingeschiederien  Schulmanne^, 

Prof.  W.  H.  Eosenstengel  von  Madi- 
son. Um  %G  Uhr  vertagte  sich  die 
Versammlung.  J.  E. 


II.     Briefkasten. 


E.  W.  B.,  Professor  of  G  e  r- 
man.Lecompton,  Kansas. 
Sie  ,,wiinschen  zu  sagen,  dass  Sie 
keine  Zeit  haben,  die  P.  M.  zu  lesen" 
und  bestellen  sie  darum  ab:  So  dies 
geschieht  am  griinen  Holz,  was  soil 
am  diirren  w^erden!  A.  K.,  Colum- 
bus, O.  Bis  jetzt  sind  die  Briinnlein 
gar  sparlich  geflossen,  so  dass  ich  das 
Schicksal  des  Goetheschen  Zauber- 
lehrlings  noch  nicht  fiirchte.  Wiirde 
mich  freuen,  wenn  Sie  den  Versuch 
machten,  es  den  Geistern  nachzuma- 
chen.  Ihrem  Wunsche,  mehr  Stoffe 
fxir  die  Unterstufe  zu  bringen,  soil 
nach  Vermogen  entsprochen  vrerden. 
Besten  Dank  fiir  Ihre  Zeilen.  J.  M. 
S.,  Clintonville.  Sie  miissen  sich 


in  der  Angabe  des  Heftes  geirrt  ha- 
ben. Die  von  Ihnen  angegebenen  Sei- 
ten  enthalten  nichts  iiber  Methoden. 
B.  S.,  N  e  w  Y  o  r  k.  Besten  Dank 
fiir  die  Zusendung  Ihres  Vortrages 
und  des  Gedichtes!  Hoffentlich  lassen 
Sie  mir  Zeit  mit  der  Veroffentlichung 
des  ersteren.  O.  W.,  New  Y  o  r  k. 
Besten  Dank  fiir  Hire  freundlichen 
Worte.  Die  Biicherbesprechungen 
mussten  leider  w^egen  Raummangels 
zuriickgestellt  -\verden.  B.  E.,  Buf- 
falo. Erhielt  leider  das  Eezensions- 
exemplar  so  spat,  dass  eine  Bespre- 
chung  xinmoglich  wurde.  Sie  finden 
es  aber  unter  den  eingesandten  Bii- 
chern  verzeichnet. 


Umscbau. 


43 


III.     Umschau. 


Amerika. 


In  Boston  besteht  gewaltige  Un- 
zufriedenheit  mit  dem  dort  herrschen- 
den  Schulverwaltungssystem.  Der  po- 
litischen  Maschine  ist  es  gelungen, 
die  Kontrolle  iiber  den  Schulrat  zu 
erhalten,  so  dass  nunmehr  kleinliche 
politische  oder  gar  selbstische  Ruck- 
sichten,  nicht  Verdienst  und  Fahig- 
keit  bei  Anstellung  von  Schulratsmit- 
gliedern,  und  darum  natiirlicherweise 
auch  von  Lehrkraften  massgebend 
sind.  Die  Folge  davon  ist,  dass  die 
Wiederanstellung  des  allgemein  ge- 
achteten  Schulsuperintendenten  Sea- 
ver  und  einer  seiner  fahigsten  und  ge- 
wissenhaftesten  Assistentinnen,  Miss 
Arnold,  zu  gunsten  politischer  Giinst- 
linge  gefahrdet  wurde,  und  dass  ein 
anderer  ebenso  tiichtiger  Assistent, 
Geo.  H.  Martin,  kurzweg  entlassen 
wurde.  Erst  die  offentliche  Ent- 
riistung  erwirkte  die  Wiederein- 
setzung  in  sein  Amt. 

Chicago.  Die  Frage,  ob  ausge- 
wahlter  biblischer  "Lesestoff  den  Kin- 
dern  in  den  offentlichen  Schulen  Chi- 
cagos  geboten  werden  solle,  beschaf- 
tigte  den  dortigen  Schulrat.  Mit  16 
gegen  6  Stimmen  wurde  die  Frage  im 
verneinenden  Sinne  beantwortet.  Ein 
von  Bischof  Fallows  gegen  diesen  Be- 
schluss  eingereichter  Protest  veran- 
lasste  eine  lebhafte  Auseinander- 
setzung  pro  und  contra  in  den  tagli- 
chen  Zeitungen. 

Galveston.  Kurzlich  wurden  in 
Galveston  vier  Schulhauser  mit  44 
Zimmern  eroffnet,  so  dass  bei  Halb- 
tagsunterricht  3500  Kindern  die  Mog- 
lichkeit  zum  Schulbesuch  gegeben  ist. 
Der  Anfang  ist  somit  gemacht,  aber 
sehr  viel  bleibt  noch  zu  thun  iibrig, 
bis  einigermassen  giinstige  Schulver- 
haltnisse  wieder  hergestellt  sein  wer- 
den. 

N  e  w  Y  o  r  k.  Zu  Ehren  des  kiirz- 
lich  verstorbenen  Prof.  Max  Miiller 
fand  in  der  Columbia  Universitat  zu 
New  York  eine  zahlreich  besuchte  Ge- 
dachtnisfeier  statt,  die  ebenso  wiirdig 
als  eindrucksvoll  ver^ef.  A.  V.  Willi- 
ams Jackson,  Professor  der  altari- 
schen  Sprachen,  hielt  die  Gedachtnis- 
rede,  nachdem  die  Feier  durch  den 
Prasidenten  der  Universitat  eroffnet 
word  en  war. 

tJ  b  e  r  den  Stand  der  sechs 
Universitaten  in  den 


ostlichen  Staaten  der 
Union  giebt  die  letzte  Nummer  des 
,,Columbia  University  Quarterly"  eine 
Statistik,  der  wir  die  folgenden  Zah- 
len  entnehmen.  Der  Gesamtzahl  der 
Studenten  (mit  Ausnahme  der  Horer, 
Teilnehmer  an  besonderen  Kursen  u. 
s.  w.)  nach  steht  unter  den  sechs  Uni- 
versitaten obenan  die  Harvard  Uni- 
versity (4484),  dann  folgt  die  Colum- 
bia University  ^3108),  an  dritter  Stelle 
Yale  (2517),  an  vierter  Stelle  die  Uni- 
versitat von  Pennsylvanien  in  Phila- 
delphia (2383),  an  fiinfter  die  Cornell 
University  (2270)  und  an  letzter 
Princeton  (1196).  Die  hochste  Zahl 
solcher  Studenten,  die  Spezialstudien 
fiir  einen  bestimmten  Beruf  machen 
(professional  students),  weist  Colum- 
bia auf,  namlich  2028  (also  nur  80  we- 
niger  als  die  Gesamtzahl),  dann  folgt 
Harvard  mit  1875,  sodann  Philadel- 
phia mit  1849,  hierauf  Cornell  mit 
1441,  weiter  Yale  mit  1198,  endlich 
Princeton  mit  367.  Der  Prozentsatz 
der  professional  students  ist  somit  am 
grossten  in  der  Columbia.  University, 
am  geringsten  in  Princeton.  Hinsicht- 
lich  der  Zahl  der  dauernd  an  den  Uni- 
versitaten wirkenden  Lehrer  nimmt 
die  erste  Stelle  ein  Harvard  (mit  448), 
die  zweite  Columbia  (389,  wobei  das 
Lehrerpersonal  des  Teachers  College 
nicht  mitgezahlt  ist),  die  dritte  Cor- 
nell mit  314,  die  vierte  Yale  mit  257, 
die  fiinfte  Philadelphia  mit  260,  die 
letzte  Princeton  mit  83.  Die  (nicht  in 
jeder  Hinsicht  unbedingt  genauen) 
Zahlen  geben  den  Stand  etwa  zu  Ende 
des  Jahres  1900  an. 

Milwaukee.  Die  zweite  Halfte 
des  November  brachte  uns  zwei  Er- 
eignisse  auf  dem  Kunstgebiete,  die, 
weil  aus  spezifisch  deutschen  Kreisen, 
bemerkenswert  sind.  Am  25.Nov.  fand 
in  dem  hiesigen  Pabsttheater  eine 
Vorstellung  des  erstenTeiles  von  Goe- 
thes  ,,Faust"  statt,  die  glanzend  ver- 
lief.  Das  Haus  war  bis  zum  letzten 
Platz  besetzt,  und  das  Publikum 
folgte  mit  Spannung  und  Begeiste- 
rung  den  Vorgangen  auf  der  Buhne. 
Kiinstlerisch  war  die  Vorstellung  ein 
unbestrittener  Erfolg,  und  sie  lieferte 
den  besten  Priifstein  fiir  die  Vorztig- 
lichkeit  der  diesjahrigen  deutschen 
Theatertruppe  unserer  Stadt.  —  We- 
nige  Tage  vorher,  am  20.  Nov.,  veran- 
staltete  der  Musikverein  sein  erstes 


44 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


Konzert  der  Saison,  das  besondere  Er- 
wahnung  deshalb  verdient,  als  es 
fiir  Amerika  zwei  Novitaten,  Seyf- 
fardts  Konzertstiick  fiir  Mannerchor 
und  Orchester,  ,,Durch  Kampf  zu 
Fried",  und  Verdis  "Quattro  Pezzi 


Sacri"  (vier  fromme  Gesange)  brach- 
te.  Fiir  sein  zweites  Konzert,  Marx 
1901,  hat  der  Musikverein  eine  andere 
Novitat,  Klughardts  Oratorium  ,,Die 
Zerstorung  Jerusalems"  auf  dem  Pro- 
gramm. 


Deutschland. 


Berlin.  Die  Zahl  der  an 
der  B  e  r  1  i  n  e  r  Universitat 
im  Sommer  1900  eingeschriebenen  Stu- 
denten  betrug  5105,  die  Zahl  der  Ho- 
rer  558,  darunter  293  Damen.  An 
samtlichen  deutschen  Universitaten 
befanden  sich  631  Damen,  woven  aber 
nur  9  immatrikuliert  waren. 

Verabreichung  von  Friih- 
stuck  an  arme  Schulkinder. 
Der  Stadtrat  von  Mannheim  geneh- 
migte  den  Betrag  von  20,000  Mark,  da- 
mit  fur  die  Zeit  vom  1.  Dezember  ds. 
Js.  bezw.  bei  friiherem  Eintritt  der 
Kalte  schon  einige  Tage  vorher  bis 
Ende  Marz  1901  zusammen  ungefahr 
3000  Kinder  armer  Eltern  mit  war- 
mem  Friihstiick  bedacht  werden  kon- 
nen. 

Deutscher  Frobelver- 
b  a  n  d.  Unter  zahlreicher  Beteiligung 
fand  vom  5.  bis  8.  Oktober  in  Dresden 
die  zehnte  Versammlung  des  etzt  22 
Vereine  umfassenden  Frobelverbandes 
statt.  Die  Leitung  hatte  Prof.  Dr. 
Pappenheim  (Berlin) ;  erster  Stellver- 
treter  war  Oberbiirgermeister  Beutler 
(Dresden).  In  einer  Sektionssitzung 
sprach  Professor  Dr.  Pappenheim 


iiber  Frobels  Mutter-  und  Koselieder. 
In  den  zwei  offentlichen  Verbandver- 
sammlungen  hielten  Vortrage  Dr. 
Steglich  (Dresden)  iiber  Frobels  Er- 
ziehungsmethode  in  ihrer  neuesten 
Begriindung  durch  Frohschammer, 
Fraulein  Willborn  (Schwerin)  iiber 
die  Kindergartnerin  und  das  Studium 
der  Psychologic,  Professor  Dr.  Hohl- 
feld  (Dresden)  iiber  Frobels  Vermitte- 
lungsgesetz  und  Rektor  Henk  (Kassel) 
iiber  den  Unterricht  im  ersten  Schul- 
jahre.  Ausserdem  fand  noch  eine  all- 
gemeine  oft'entliche  Versammlung  und 
eine  Ausstellung  statt. 

Betrug.  Amevang.  Lehrer- 
seminar  zu  Oranienburg 
haben  sich  die  Examinanden  der  letz- 
ten  Abgangspriifung  durch  das  Dienst- 
madchen  des  Oberlehrers  die  Themata 
der  schriftlichen  Arbeit«n  verschaft't 
und  infolgedessen  alle  iiberraschend 
gute  Examina  gemacht.  Der  Betrug 
kam  jedoch  an  den  Tag  —  die  Prii- 
fung  wurde  sofort  unterbrochen,  drei 
Seminarist-en  wurden  dauernd  entlas- 
sen,  die  iibrigen  aber  werden  nach 
und  nach  zu  den  Priifungen  an  an- 
deren  Seminarien  einberufen  werden. 


Otorrelch. 


Massregelungen.  Die  Leh- 
rerschaft  Osterreichs  steht  wiederein- 
mal  im  Zeichen  der  Massregelungen. 
Als  Grund  hiefiir  gilt  in  alien  Fallen 
zu  weit  gehende  Bethatigung  im  In- 
teresse  irgend  einer  politischen  Par- 
tei.  Es  sieht  kaum  wie  Zufall  aus, 
dass  fast  alle  diese  Massregelungen 
knapp  vor  den  Neuwahlen  in  den 
Keichsrat  fallen,  die  ja  schon  langst 
infolge  der  notwendig  gewordenen 
Auflosung  des  Reichsrates  in  Aussicht 
standen. 

W  i  e  n.  Das  Denkmal'  fiir  Dittes, 
welches  am  21.  Oktober  auf  dem 
evangelischen  Friedhof  in  Matzleins- 
dorf  bei  Wien  in  Gegenwart  des  Ver- 
treters  des  Deutschen  Lehrervereins 
feierlich  enthiillt  wurde,  misst  bis  zur 
Scheitelhohe  der  Biiste  3,85  m.,  und 
wurde  von  dem  Wiener  Bildhauer 
Herrn  Schroer  ausgefiihrt.  Zur 
Biiste  wurde  Carraramarmor,  fiir  die 
Architektur,  einschliesslich  der  Grab- 


platte,  tiroler  braunroter  Porphyr, 
fiir  den  Biistensockel,  sowie  fiir  dieln- 
schrifttafel  unter  dem  Relief  griiner 
Serpentin,  geschliffen  und  poliert,  und 
fiir  die  Grabeinfassung  Mauthausener 
Granit  verwendet.  Die  Stufe,  auf  der 
das  Denkmal  aufgefiihrt  ist,  tragt  die 
Widmung:  ,,Gewidmet  von  der  reichs- 
deutschen  und  deutschosterreichi- 
schen  Lehrerschaft".  Der  Sockel  tragt 
in  der  Mitte  in  vergoldeten  Bronze- 
buchstaben  den  Namen  ,,Dittes".  Zwi- 
schen  zwei  Halbsaulen  ist  ein  Relief: 
,, Dittes  in  einer  Lehrerversammlung 
sprechend"  eingefiigt,  darunter  eine 
schwarzgriine  Serpentinplatte  mit 
dem  Spruche: 

Nicht  abwarts,   noch  riickwarts, 
Sondern  aufwarts  und  vorwarts! 

Das  Ganze  wird  von  einem  Renais- 
sancegebalk  verdacht,  welches  zwi- 
schen  zwei  Voluten  die  iiberlebens- 
grosse  Biiste  Dittes'  tragt. 


Umscbau. 


45 


England. 


In  Prof.  Max  Mueller,  dessen 
am  28.  Oktober  erfolgtes  Hinscheiden 
die  Tagesblatter  berichteten,  verliert 
die  Welt  den  grossten  Orientalisten 
des  Jahrhunderts  und  einen  seiner  be- 
deutendsten  Schriftsteller. 

Er  \vurde  am  6.  Dezember  1823  zu 
Dessau  als  Sohn  des  Dichters  Wilhelm 
Miiller  und  Grossenkel  Basedows  ge- 
boren.  Im  Jahre  1846  siedelte  er  nach 
England  uber,  wo  er  zwei  Jahre  spa- 
ter  die  Professur  fur  orientalische 
Sprachen  an  der  Universitat  Oxford 
erhielt,  die  er  bis  zu  seinem  Tode 
inne  hielt.  Im  Jahre  1844  veroffent- 
lichte  er  als  erste  Frucht  seiner  ori- 
entalischen  Studien  eine  ttbersetzung 
indischer  Fabeln.  Eine  ttbersetzung 
des  Ogweda  beschaftigte  ihn  25  Jahre. 
Von  seinen  zahlreichen  Schriften  nen- 
nen  \vir  als  das  bedeutendste  seine 
"History  of  Ancient  Sanscrit  Litera- 
ture," weiterhin  eine  englische 
,,Sanskritgrammatik",  seine  ,,Vorle- 
sungen  uber  die  Wissenschaft  der 
Sprache",  und  die  erste  englische 


ttbersetzung  von    Kants    ,,Kritik    der 
reinen  Vernunft". 

Schulbesuch.  Die  grosse  Leh- 
rervereinigung  des  Landes  hat  eine 
Deputation  zu  dem  neuen  Unterrichts- 
minister,  dem  Herzog  von  Devonshire, 
gesandt,  urn  ihn  zu  veranlassen,  die 
geeigneten  Mittel  zur  Verbesserung 
des  Schulbesuchs  zu  ergreifen.  Durch 
die  vielen  Versaumnisse  werden  solche 
Kinder  im  Lernen  zuriickgehalten,  die 
regelmassig  zur  Schule  kommen,  weil 
die  Fehlenden  das  Klassenziel  auch 
erreichen  sollen;  ferner  erleidet  die 
Schule  dadurch  eine  Einbusse  an 
Staatszuschuss,  da  dieser  nach  der  Re- 
gelmassigkeit  des  Schulbesuches  mit 
festgesetzt  wird.  Der  Minister  sagte 
zu,  dass  er  sein  Augenmerk  auf  die- 
sen  ttbelstand  lenken  wollte;  doch  war 
der  Empfang  der  Deputation  nicht 
besonders  freundlich.  Von  5%  Milli- 
onen  schulpflichtigen  Kindern  besu- 
chen  etwa  1  Million  keine  Schule.  In 
London  entfallen  auf  758,000  Volks- 
schiiler  etwa  140,000  Fehlende. 


Frankreich. 


Die  franzosische  Volks- 
s  c  h  u  1  e  hat  unter  der  Eepublik  ge- 
waltige  Fortschritte  gemacht.  Durch 
die  Gesetze  vom  Jahre  1875,  1881  und 
1882  wurden  25,000  Schulen  eingerich- 
tet  oder  wiederhergestellt  und  mehr 
als  12,000  neue  Schulen  geschaffen. 
Mehr  als  700,000  Kinder,  die  bis  dahin 
jedes  Unterrichts  entbehrten,  sind 
in  die  Schule  eingetreten.  1872  waren 
75,000  Lehrer  und  Lehrerinnen  vor- 
handen,  gegenwartig  etwa  110,000. 
Das  Budget  fur  den  offentlichen  Un- 
terricht,  das  vor  einigen  30  Jahren 
kaum  25  Millionen  Franken  betrug, 
belauft  sich  gegenwartig  auf  180  Mil- 
lionen. 

Von  dieser  grossartigen  Entwicke- 
lung  hat  der  franzosische  Instituteur 
(Volksschullehrer)  indessen  nur  einen 
bescheidenen  Nutzen  gehabt.  ,,Das 
Gesetz  vom  19.  Juli  1889  uber  die  Ge- 
halter  der  Jugenderzieher,"  so 
schreibt  die  von  Frauen  redigierte  Ta- 
geszeitung  ,,La  Fronde",  war  ein  un- 
heilvoller  gesetzgeberischer  Akt,  der 
in  der  Hast  vor  dem  Schluss  der  Le- 
gislaturperiode  und  am  Vorabend  der 
nachsten  Wahlen  stattfand.  Es  war 
eine  Lockspeise  fur  das  Lehrerperso- 
nal.  Das  Gesetz  wirkte  unheilvoll, 
denn  nach  den  ersten  Ausfiihrungen 


desselben  wurden  viele  Gehalter,  an- 
statt  erhoht  zu  werden,  herabgesetzt, 
obgleich  die  Gesetzgeber  eine  Verbes- 
serung der  materiellen  Lage  der  be- 
treffenden  Lehrer  beabsichtigt  hatten. 
Die  Unzufriedenheit  wurde  allgemein. 
Die  Klagen  erhoben  sich  so  zahlreich, 
dass  man  Bande  iiber  Bande  fiillen 
miisste,  um  sie  alle  bekannt  zu  geben. 
Der  franzosische  Volksschullehrer  hat 
3  Jahre  auf  dem  Seminar  zuzubrin- 
gen,  1  Jahr  Militardienst  zu  leisten, 
5  bis  6  Jahre  zu  warten,  bis  er  fest 
angestellt  wird,  und  erhalt  dann  im 
Alter  von  26  oder  27  Jahren  1000 
Franken  jahrlich,  d.  h.  3  Franken  tag- 
lich,  also  weniger  als  ein  Tagelohner 
oder  ein  Gipseinriihrer  verdient.  Das 
sind  die  Wohlthaten  des  Gesetzes  von 
1889.'. 

,,Es  ist  notwendig,"  so  schreibt  das 
genannte  Blatt  weiter,  ,,eine  Verbes- 
serung dieses  lacherlich  geringen  Ge- 
haltes  des  Lehrers  und  seiner  Pension 
fxir  seine  alten  Tage  zu  verlangen. 
Wbrigens  ist  es  gegenwartig  nicht 
leicht,  fur  das  Unterrichtspersonal  die 
notigen  Rekruten  zu  gewinnen.  Neue 
und  dringende  Eeformen  verlangen 
also  ein  neues  Gesetz  fur  den  Volks- 
schulunterricht,  oder  wenigstens  eine 
teilweise,  aber  grundliche  Reform  des 


46 


Padagogiscbe  Monatshefte. 


Gesetzes  von  1889.  Seit  lange  spricht 
man  zwar  davon,  aber  das  geniigt 
nicht.  Es  ist  notig  zu  handeln,  und 
zwar  schnell  zu  handeln,  und  wenn 
das  Geld  fehlt,  so  beschneide  man  die 
,,fetten  Pfriinden",  die  skandalos  er- 
scheinen,  wenn  man  sie  mit  dem  be- 
scheidenen  Almosen  vergleicht,  das 
man  dem  Volksschullehrer  darreicht. 
Wie  lange  soil  das  Lehrpersonal  noch 
auf  die  Erfiilung  der  oft  gegebenen 
und  erneuerten,  aber  immer  wieder 
umgangenen  Versprechungen  war- 
ten?" 

In  dem  vom  9.  —  11.  August 
in  Paris  abgehaltenen 
Kongress  der  padagogi- 
schen  Presse  wurde  der  Be- 
schluss  gefasst,  namentlich  die  Tages- 
presse,  wie  auch  die  Redaktionen  der 
periodisch  erscheinenden  Zeitschrif- 
ten,  mehr  als  bisher  fur  Erziehungs- 
und  Unterrichtsfragen  zu  interessie- 
ren.  Man  halt  es  fur  ausserordentlich 
wiinschenswert,  dass  padagogisch  ge- 
bildete  Fachredakteure  bei  verschiede- 


nen  Zeitschriften  angestellt  wtirden. 
Um  eine  Vereinigung  der  padagogi- 
schen  Presse  aller  Lander  der  Erde 
herbeizufiihren,  ist  eine  Kommission 
mit  den  notigen  Vorarbeiten  betraut 
worden.  Ihr  gehoren  die  Herren  Pi- 
cavet,  Josef  Fevre  und  Madame  Rau- 
ber  an.  Hinsichtlich  der  Frage,  wie 
die  Familie  mehr  als  bisher  fur  das 
offentliche  Erziehungswerk  begeistert 
werden  konnte,  verhielt  sich  der  Kon- 
gress ziemlich  zuriickhaltend,  weil 
man  von  der  zu  grossen  Einmischung 
der  Eltern  in  die  Schulerziehung  kein 
giinstiges  Ergebnis  erwartete.  Ein 
begeisterter  Apostel  fur  das  bessere 
Handinhandgehen  zwischen  Schul- 
und  Familienerziehung  war  Herr  Bi- 
dart,  der  aber  mit  seinen  Ausfiihrun- 
gen  ziemlich  allein  blieb.  —  Im  allge- 
meinen  hat  der  Kongress  bewirkt, 
dass  sich  die  Redakteure  und  Mitar- 
beiter  der  padagogischen  Presse  ge- 
genseitig  nahe  getreten  sind  und  hof- 
fentlich  spater  noch  enger  verbunden 
werden. 


IV.     Vermischtes 


Der  Tunnel  der  "Great 
Northern"  Bahn  durch  die 
"Cascade  Mountains"  ist  im  Monat 
Oktober  nach  dreijahriger  Arbeit  voll- 
endet  worden.  Diese  war  von  beiden 
Seiten  zu  gleicher  Zeit  begonnen  wor- 
den; die  Berechnungen  der  Inge- 
nieure  waren  so  genau,  dass  sich  die 
beiden  Abteilungen  in  gerader  Linie 
ohne  die  geringste  Abweichung  im 
Mittelpunkte  trafen.  Der  Tunnel  ist 
zwei  Meilen  lang  und  fiihrt  durch  so- 
lide  Massen  des  hartesten  Granits. 

Das  an  und  fur  sich  lobli- 
cheBestreben,  Fremdwor- 
t  e  r  durch  deutsche  zu  ersetzeii, 
treibt  mitunter  absonderliche  Bliiten. 
So  versucht  man,  das  Wort  ,,Automo- 
bile"  durch  die  Bezeichnung  ,,Schnau- 
fer"  zu  verdrangen.  (Uns  diinkt  das- 
selbe  weder  treffend  noch  sehr  wohl- 
klingend.  Ebenso  ungliicklich  ist  die 
Bezeichnung  ,,Tuff"  (nach  dem  Tuff- 
tuff  des  Motors),  wovon  man,  wie  von 
Rad  ,,radeln"  und  ,,Radler",  auch 
,,tuifen"  und  ,,Tuffer"  ableiten  will. 
D.  R.) 

Die  Verbreitung  der  deut- 
schenSprache.  Im  15.  Jahr- 
hunderte  sprachen  9  Millionen,  im  16. 
Jahrhunderte  15  Millionen,  im  17. 
Jahrhunderte  22  Millionen,  im  18. 
Jahrhunderte  38  Millionen,  im  19. 
Jahrhunderte  80  Millionen  deutsch. 


Nach  dem  ,,Alldeutschen  Atlas"  von 
Paul  Langhaus  giebt  es  dermalen  84,- 
793,000  Deutsche  auf  der  Erde.  Davon 
kommen  auf  das  Deutsche  Reich  49,- 
000,000,  auf  Osterreich  8,462,000,  auf 
Ungarn  2,107,000,  auf  die  Schweiz  2,- 
083,000,  auf  Belgien  3,420,000,  auf  Hol- 
land 4,511,000,  auf  Russland  2,000,000 
und  auf  das  iibrige  Europa  3,553,000. 
In  Amerika  wohnen  10,920,000,  in 
Asien  88,000,  in  Afrika  623,000  und  in 
Australien  109,500  Deutsche. 

ttber  ein  hiibschesVor- 
kommnis  in  einer  Schule  wird 
der  ,,Tgl.  R."  berichtet:  Der  Leh- 
rer  behandelt  das  Gedicht  ,,Das 
Erkennen",  (Ein  Wandersbursch  mit 
dem  Stab  in  der  Hand  etc.)  und 
steht  bei  der  Erorterung  der 
Frage:  ,,Warum  hat  die  Mutter  den 
Wanderburschen  sogleich  wiederer- 
kannt?"  In  gemeinsamer  Arbeit  ha- 
ben  Lehrer  und  Schiller  festgestellt, 
dass  die  Mutter  jeden  Morgen  und 
Abend  fur  ihren  Sohn  in  der  Fremde 
gebetet  hatte.  Der  Lehrer  will  nun 
weiter  entwickeln,  dass  die  Gedanken 
der  Mutter  auch  den  ganzen  Tag  iiber 
oft  bei  dem  abwesenden  Sohn  geweilt 
haben.  Auf  die  Vorfrage  ,,Womit  be- 
schaftigt  sich  solch  eine  alte  Frau?" 
erhalt  er  die  Antwort:  ,,Mit  Stricken, 
Nahen,  Spinnen  etc."  ,,Schon,"  fahrt 
der  Lehrer  fort,  ,,was  hat  nun  wohl 


Hiicberscbau. 


47 


das  alte  Mutterchen  gedacht,  wenn  es 
einsam  in  ihrem  Stiibchen  sass  und 
strickte?"  Bin  niedliches  Biirschchen, 
das  ganz  bei  der  Sache  ist,  antwortet: 
,,Ob  ihm  die  Strumqfe  wohl  passen 
werden?" 

Einige  hiibsche  Handwer- 
kerspriiche  lesen  wir  in  Ro- 
seggers  ,,Heimgarten".  Ein  Seiler 
schreibt  iiber  seine  Thiire:  ,,Die  klei- 
nen  Diebe  hangt  man  auf,  die  grossen 
lasst  man  laufen;  war'  dies  nicht  der 
Weltenlauf,  wiird'  ich  mehr  Strang' 
verkaufen."  —  Und  ein  Schlosser 
meint:  ,,Wenn  an  jedes  lose  Maul  ein 
Schloss  miisst'  angehangt  werden, 
dann  war'  die  edle  Schlosserkunst  die 
beste  Kunst  auf  Erden." 


Aus  dem  Aufsatz  des  kleinen 
Max:  Der  Affe  ist  so  dumm,  dass, 
wenn  er  einen  Menschen  arbeiten 
sieht,  er  es  ihm  nachmacht. 

GutHeil!  —  Wahrend  eines  Tur- 
nerfestes  werden  vier  Fremde  wegen 
nachtlicher  Ruhestorung  verhaftel 
und  vor  den  Polizeikommissar  ge- 
bracht,  der  sie  nach  ihrem  Namen 
fragt.  —  ,,Ich  heisse  Frisch",  sagte 
der  erste.  —  ,,Ich  heisse  Fromm",  der 
zweite.  —  ,,Ich  Frohlich",  der  dritte. 
—  ,,Und  Sie  heissen  natiirlich  Frei", 
sagt  der  Beamte,  der  sich  verspottet 
glaubt,  hohnisch  zum  vierten. — ,,Nee", 
sagt  dieser,  schlau  lachelnd,  ,,das  ist 
gerade  der  Witz,  ich  heisse — Meier." 


Biicherschau. 


I.     Verzeichnis  empfehlenswerter  Jugendlekture   fur  das  Weihnacl  tsfest. 


No.  10  der  Jugendschrif ten- Wart  e 
enthalt  eine  Eeihe  empfehlenswerter 
Jugendschriften,  von  denen  wir  die 
folgenden  als  auch  fur  unsere  Jugend 
geeignet  nennen.  In  Klammern  ist 
hinter  dem  Titel  des  Buches  jedesmal 
die  Verlagshandlung  angegeben. 
I.  Fur  Unter-  und  Mittel- 

s  t  u  f  e. 
Fiinfzig  Fabeln  fur  Kinder.     Von  W. 

Hey.     In  Bildern  von    O.    Speckter. 

Jubilaumsausg.    (Perthes.)   2  Hefte. 

—  Prachtausg.  —  Schulausgabe     1. 

Heft.  —  Hausausgabe  1.  Heft. 
Fur  unsere  Kleinen.     Bilder  von  L.  v. 

Kramer.  Text  von  H.  Binder.  (Thie- 

nemann.) 
Bilderbiicher    von     O. 

P  1  e  t  s  c  h. 
Daheim. 

Unser  Hausgartchen. 
Buben  und  Madels. 
Spielgefahrten. 
Nesthackchen. 
Eeinicks    Marchen-,    Lieder-   und   Ge- 

schichtenbuch.     (Velhagen.) 
Fiir  kleine  Leute.    Von  M.  Bern.     Mit 

Bildern  von  Flinzer,  Pletsch,    Rich- 

ter,  Thumann  u.  a.     (Twietmeyer.) 
Kinderlieder  und  -Eeime.      Von  Loh- 

meyer.      (Fernau.) 
Fitzebutze.     Von    Paula  und    Richard 

Dehmel.      Mit    Bildern    von    Ernst 

Kreidolf.     (Schuster  &  Loffler.) 
Das  goldene  Marchenbuch.    Von  Dief- 

fenbach  und  Gehrts.     (Heinsius.) 
Aus  dem  Kinderleben.     Bilder  von  L. 

Richter    und    Biirckner.      Text    von 

Dieffenbach.     (Heinsius.)     2  Teile. 


II.     Fiir     die     Oberstufe. 

Robinson.  Volksausgabe.  (Grabner.) 
Schulausgabe. 

Marchenbuch  von  L.  Bechstein.  Bil- 
der von  L.  Richter.  (Wigand.) 

Traumereien  am  franzosischen  Ka- 
min.  Von  Volkmann  -  Leander. 
(Breitkopf  &  Hartel.) 

Zv?ei  Marchen  von  Riibezahl.  Von  Mu- 
saus.  Bilder  von  Stroedel.  (Fischer 
&  Franke.) 

Geschichten  f iir  Jung  und  alt.  Von  J. 
Spyri.  10  Hefte.  (Perthes.) 

Heidis  Lehr-  und  Wanderjahre.  Voii 
J.  Spyri.  (Perthes.) 

Heidi  kann  brauchen,  \vas  es  gelernt 
hat.  Von  J.  Spyri.  (Perthes.) 

Aus  Nah  und  Fern.  Von  J.  Spyri. 
(Perthes.) 

Gotter  und  Helden.  3  Teile  von  A. 
Richter.  (Brandstetter.  Einzeln  ge- 
bunden:  I.  Griechische  Sagen.  II. 
Nbrdische  Sagen.  III.  Nibelungen, 
Gudrun,  Roland. 

Entdeckungsreisen  in  der  Heimat.  I. 
Teil:  Eine  Alpenreise.  V.  H.  Wag- 
ner. (Spanaer.) 

Entdeckungsreisen  in  Stadt  und  Land. 
Streifziige  in  Mitteldeutschland. 
(Spamer.) 

Entdeckungsreisen  im  Wald  und  auf 
der  Heide.  Von  H.  Wagner.  (Spa- 
mer.) 

In  die  Natur.  Von  H.  Wagner.  (Hel- 
mich.) 

Deutsches  Geschichtenbuch.  Von  Ros- 
egger.  (Staackmann.) 

Robinson  Crusoe.  Von  Defoe.  (Re- 
clam.) 


48 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


Die  Nibelungensage.     Von  H.  Mobius. 

(Kohler.) 
Grudrunlied  fur  d.  d.  Haus.    Von  En- 

gelmann.     (Neff.) 
Die  Iliade.  105.  Die  Odyssee.  V.  Ferd. 

Schmid.     (Ohmigke.) 
Entdeckungsreisen  in  Feld  und  Flur. 
Entdeckungsreisen  in  Haus  und  Hof. 


Entdeckungsreisen  in  der  Wohnstube. 
Von  H.  Wagner.  (Spamer.) 

Was  soil  denn  aus  ihr  werden?  Eine 
Erzahlung  f.  j.  Madchen.  Von  Spyri. 
(Perthes.) 

Was  aus  ihr  geworden  ist.  Eine  Er- 
zahlung f.  j.  Madchen.  Von  Spyri. 
(Perthes.) 


11.     Eingesandte  Bucher. 


Das  Madchen  von  Treppi, 
Novelle  von  PaulHeyse.  Edited 
with  Illustrations,  Notes,  Vocabulary, 
and  Paraphrases  for  Translation  into 
German  by  Edward  S.  Joynes, 
Professor  of  Modern  Language  in 
South  Carolina  College.  Boston,  D.  C. 
Heath  &  Co.,  1900.  Price  30  cts. 

Allerlei  Schiilerbilder. 
Federzeichnungen  fur  Schul-  und 
Kinderf  reunde  von  J.  J.  S  c  h  e  e  1. 
Zweite  Auflage.  Hamburg,  C.  Boysen, 
1900. 

Twenty  Questions  and 
Answers.  Kurzgefasste  Konversa- 
tions-Grammatik  der  deutschen  Spra- 
che  von  Hedwig  Neuhaus. 
Im  Selbstverlage. 

Das  Gebet  des  Herrn,  fiir 
Chorgesang,  Deklamation  des  gleich- 
namigen  Gedichtes  von  S.  A.  Mahl- 
inann  und  Orgel-,  Harmonium-  oder 
Klavierbegleitung,  komponiert  von 
Emil  Paul.  Op.  8.  Leipzig,  Max 
Brockhaus.  Partitur  M.  2.50. 

Das  Lied  vom  braven 
Mann  (G.  R.  Burger).  Volkstumli- 
ches  Chorwerk  mit  Deklamation  und 
Klavierbegleitung  von  J.  G.  Mayer. 
Leipzig,  Max  Brockhaus. 

Kirchen-Concert-Al- 
b  u  m.  Sammlung  ausgewahlter  vor- 
ziiglicher  Compositionen  fiir  Kirchen- 
Concerte.  Herausgegeben  unter  Mit- 
wirkung  einer  Anzahl  bedeutender 
kirchlicher  Componisten.  Leipzig, 
Carl  Klinner.  Vollstandig  in  12  Hef- 
ten  a  M.  1.  —  Einzelne  Hefte  a  M. 
1.50. 

Weihnachtsmusik.  Ora- 
torium  fiir  Chor,  Solo  und  Orgel, 
komponiert  von  L.  Trusheim.  Op. 
11.  Leipzig,  Carl  Klinner. 

Das  Bewegungsspiel.  Seine 
geschichtliche  Entwicklung,  sein  Wert 
und  seine  methodische  Behandlung, 
nebst  einer  Sammlung  von  iiber  200 
ausgewahlten  Spielen  und  25  Abzahl- 
reimen,  bearbeitet  von  Kektor  |  E  d  u- 
ard  Trapp  und  Lehrer  Her- 
mann Pinzke,  beide  an  der  Stadt- 
schule  zu  Berlin.  Siebente  Auflage. 


Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Soh- 
ne,  1900. 

Deutsche  Musterauf- 
s  a  t  z  e  fiir  alle  Arten  hoherer  Schu- 
len,  zusammengestellt  von  Dr.  Her- 
mann Ullrich.  Leipzig,  B.  G. 
Teubner,  1899.  Preis  geb.  M.  2.40. 

The  Elements  of  German 
by  H.  C.  Bierwirth,  Ph.  D.,  In- 
structor in  German  in  Harvard  Col- 
lege. New  York,  Henry  Holt.  1900. 
Price  $1.25. 

Schillers  ,,W ilhelm  Tel  1." 
Edited  with  an  Introduction,  Notes, 
and  Vocabulary  by  Robert  Wal- 
ler Deering,  Ph.  D.  ,Professor  of 
Germanic  Languages  in  Western  Re- 
serve University.  Boston,  D.  C.  Heath 
&  Co.,  1900. 

Journalistic  German.  Se- 
lected from  current  German  periodi- 
cals. Edited  by  August  Breh  m, 
P  h.  D.,  Columbia  Grammar  School, 
New  York.  American  Book  Co.  1900. 
Price  50  cts. 

Maria  Stuart,  ein  Trauerspiel 
von  Schiller.  Edited  with  Ger- 
man Comments,  Notes  and  Questions 
by  Margarethe  Miiller  and 
Carla  Wenckebach,  Professors 
of  German  in  Wellesley  College. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1900.  Price  $1.00. 

Deutsch.es  Lese-  und 
Sprachbuch  von  W  i  1  h  e  1  m 
M  ii  1 1  e  r,  late  Principal  of  the  Fif- 
teenth District  School,  Cincinnati,  O. 
2  Teile.  Silver,  Burdett  &  Company, 
New  York,  Boston,  Chicago.  1900. 

Die  Volksbildung  im 
alten  und  im  neuen  Jahr- 
h  u  n  d  e  r  t.  Eine  ernsthaf  te  Betrach- 
tung.  Von  Dr.  Ernst  Schultze. 
Stettin,  Dannenberg  &  Cie.  1900. 
Preis  50  Pfennige. 

Weihnachts-K  1  a  n  g  e.  Eine 
Festgabe  fiir  die  deutsche  Jugend. 
Eine  Sammlung  von  Gedichten,  Dia- 
logen  und  dramatischen  Festspielen. 
Verfasst  von  Frl.  Bertha  Raab, 
Lehrerin  an  der  Distriktschule  No.  49 
zu  Buffalo,  N.  Y.  Geo.  Brumder,  Mil- 
waukee, Wis.  Preis,  broschiert,  25  cts. 


Jahrgang  II.  Dezember  1900.  Heft  i. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikaiiische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


Redakteur: 

Max  Griebsch, 

Lcbrer  am  Nationalen  Deutschatnerikanischen  Lehrtrseralnar, 

Milwaukee. 


Leiter  der  Abteilung  fur  hoheres  Schulwesen: 

M.  D.  Learned,  Ph.  D. 

Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur 

an  der  Universitat  von  Pennsylvanien, 

Philadelphia. 


Inhalt  : 

Seitc. 
Prof.  W.  H.  Rosenstengel.  f      ...........  1 

Die  nationale  Atifgabe  des  Lehrerbundes.     H.  M.  Ferren.        ------          7 

Aus  dem  Tagebuch  eines  deutschamerikanischen  Schulmeisters.     C.  A.  Schonrich.    •         11 
Friedrich  Nietzsche.     Franz  Rathmann.        -------.--19 

Die  Mutter  im  Munde  der  D\chter  und  Denker.    J.  G.  Klenk.  ......        31 

Ans  der  Schulpraxis  — 

I.     Lehrprobe  :   Die  Grille  und  die  Atneise.   Aufsatzbehandlung.  32 

II.    Lehrprobe  :   Deklination  des  Dingwortes.     Max  Wischer.        -  -        34 

Berichte  und  Notizen  — 

I.    Korrespondenzen  aus   Buffalo,  Chicago,  Cincinnati,  Columbus  und   Mil- 

waukee.    ------------..-37 

II.     Briefkasten.          ........  .j.----*2 


III.  Umschau.     ........  '/         -        ...        43 

IV.  Vermi 
Bucherschau  — 


/ 
IV.    Vermischtes.         .......      '  "       -        -        -        -        46 


,  - 

I.     Verzeichnis  von  Jugendlektiire  fiir  das  WeihnachtS,     ^    ^    ^         -        -        -        47 
II.    Eingesandte  Bttcher.          .....        -          '/  '/'  ^  48 


Verlag  : 

The  Herold  Co., 
431  to  435  Broadway,  Milwaukee,  Wis. 


Entered  at  the  Milwaukee  P.  O.  and  admitted  for  transmission  through  the  mails  as  Second  Class  matter. 


Dct  Jabrgang  der  Padagogischen  Monatshefte  beginnt  im  Dezember  und 
besteht  aus  10  Heften,  welche  regelmSssig  in  den  ersten  Tagen  eines  Monats 
(mit  Ausnahme  der  Ferienmonate  Juli  und  August)  erscheinen. 

Dec  BbonnementSpteiS  betrSgt  $1.00  pro  Jahr,  im  voraus  zahlbar. 

BbonnementsanmeUwngen  wolle  man  gefailigst  an  die  Verlagsfirma:  TheHerold 
Co.,  Milwaukee,  Wis.,  richten. 

USeittage,  das  Unirersitatswesen  betreffend,  sind  an  Professor  M.  D.  Learned, 
Ph.  D.,  (University  of  Pennsylvania,  Philadelphia,  Pa.); 

solche,  das  Hochschulwesen  betreffend,  an  H.  M.  Ferren,  (High  School, 
Allegheny,  Pa.); 

s&mtliche  Korrespondenzen  und  Mitteilangen,  sowie  BeitrSge,  die  allge- 
meine  Padagogik  und  das  Volkssclmlwesen  betreffend,  an  Max 
Griebsch,  (Nat.  G.  A.  Teachers'  Seminary,  Milwaukee,  Wis.); 

3U  besprecben&e  JStiCbet  an  die  Verlagsfirma  zu  senden. 

Die    BeitrSge  filr  eine  bestimmte  Monatsnummer  mussen   spiitestens  am 
20.  des  vorhergehenden  Monates  in  den  Handen  der  Redaktion  sein. 

German  Grammar  in  a  Nutshell. 

Twenty  Questions  and  Answers. 

A  German  Grammar  for  Busy  People,  Students  and  Young  Teachers. 

By  Hedwig  Neuhaus. 

25  Cents. 

For  sale  at  Messrs.  Schafer  &  Koradi;    Leary's  Book  Store, 
or  Hedwig  Neuhaus  (519  N.  llth  St.) 

PHILADELPHIA,  PA. 

A  knowledge  of  its  contents  will  secure  entrance  into  any  College  or  University. 

An  unsere  Leser! 

Wir  gestatten  uns,  diesem  Hef te,  dem  ersten  des  neuen  Jahrganges, 
einen  Bestellzettel  beizulegen,  mit  der  Bitte  an  unsere  Leser,  sich  des- 
selben  zur  Erneuerung  des  Abonnements  zu  bedienen. 

Die  Verlagshandlung  hat  im  verflossenen  Jahre  alles  gethan,  auch 
bedeutende  finanzielle  Opf er  nicht  gescheut,  der  deutschamerikanischen 
Lehrerschaft  eine  Zeitschrif t  zu  geben,  wie  sie  ihrer  wurdig  ist.  Wir 
durfeii  aber  darum  auch  die  Erwartung  aussprechen,  dass  unser  Unter- 
nehmen  die  Unterstutzung  aller  der  Kreise,  fur  die  es  bestimmt  ist, 
finden  wird. 

Um  dieses  Ziel  zu  erreichen,  muss  noch  sehr  viel  gethan  werden, 
und  wir  hofPen  keine  Fehlbitte  zu  thun,  wenn  wir  die  Mitwirkung  un- 
serer  Leser  zur  Gewinnung  neuer  Abonnenten  erbitten.  Fuhrt  uns 
jeder  Leser  einen  neuen  Abonnenten  zu,  dann  ist  den  Padagogischen 
Monatsheften  fur  die  Folgezeit  geholfen. 

Die  Herausgeber. 


Modern  Text-Books !» German 


Keller's  First  Tear  in  German.      12mo.    Cloth.    200  pages.    $1.00. 

Keller's  Second  Year  in  German.  12mo.    Cloth.    300  pages.    $1.20. 

Keller's  German  Literature.  12mo.    Cloth.    225  pages.    $  .75. 

By  I.  KELLER,  Professor  in  German,  Normal  College,  New  York  City. 

"Pupils  from  high  schools  are  as  a  rule  insufficiently  prepared  to  carry  out  oar  work.  A  book 
like  'Keller's  First  Year  in  German'  would  largely  remedy  the  lack."— Charles  Waldo  Foreman, 
Academy  Northwestern  University. 

Bernhardt's  Deutsches  Sprach-  und  L.esebuch. 

Part  I.      Cloth.    12mo.    288  pages.    $1.10. 
Part  II.    Cloth.    12mo.    300  pages.    $1.10. 

Germ au -English  Vocabulary  to  both  parts. 

118  pages.    $  .75. 

By  DB.  WILHELM  BERNHARDT,  late  Director  of  German  Instruction 
in  Washington  City  High  Schools.  Thirty-five  editions  within 
ten  years  attest  their  popularity. 

Bernhardt's  Hauptfacta  axis  der  Gcschichte 
derDeutschen  Liitteratur  .*.    .*.    .*. 

Cloth.    12mo.    103  pages.    $  .75. 

"Endlich  doch  einmal  eine  kurze  Geschichte  der  dautschen  Litteratur,  die  sich  mit  Gennaa 
Icten  Ifcgst."— Professor  0.  Heller,  Washington  University,  St.  Louis. 

A  Brief  German  Grammar  with  Exercises. 

Linen.    12mo.    181  pages.    $  .75. 
By  Professors  EDGREN  and  FOSSLER  of  the  University  of  Nebraska. 

"The  book  is  good  and  deserves  the  highest  recommendation."— Professor  W.  H.  Rosenstsngel, 
University  of  Wisconsin. 

MODERN  GERMAN  TEXTS  WITH  VOCABULARIES  : 


Arnold.     Ein  Regentag  auf  dem  Lande. 

(Kern) $  .25 

Bauinbach  R.  Im  Zwielicht,  Vol.  I,  (Bern- 

hardt) .65 

Im  Zwielicht,  Vol.  II.  (Bernhardt) 65 

Banmbach,  R.,  and  Wildenbruch,  E.  von. 

Es  War  Einmal  (Bernhardt) 65 

Ebner-Eschenbach,  M.  Krambambuli,  and 

Klaussmann,  Memoiren  eines  Offiziers- 

burschen,  (Spanhoofd) 25 

Freytag,  G.  Die  Journalisten  (Johnson)..  .35 
Heyse.  L'Arrabbiata  (Lentz),  with  prose 

exercises  and  vocabulary 30 

Hillern,  W.  von.  Holier  als  die  Kirche 

(Daner) 25 

Lessing.  Minna  von  Barnhebn  (Lambert)  .50 
Riehl,  W.  H.  Die  Vierzehn  Nothelfer  and 

Trost  um  Trost  (Sihler) 30 

Der  Fluch  der  Schonheit  (Frost) 30 


Schanz,  Frida.  Der  Assistant,  Aus  der 
Tanzstunde,  Ein  Schwalbenstreich 
(A.  Beinhorn) 35 

Seidel,  Heinrich.  Die  Monate  (Arrow- 
smith) 26 

Der    Lindenbaum    and    other    Stories. 

(Richard) 25 

HerrOmnia  (Matthewman) 25 

Leberecbt       Hiihnchen      und      andere 
Sonderlinge.     Boards  (Bernhardt) 60 

Stern,  Menco.  Geschichten  vom  Khoin. 
Cloth,  illustrated 85 

Stifter,   Adelbert.    Das  Heidedorf  (Lentz)    .25 

Storm,  Theodor.    Immensee  (Dauer) 25 

Volkmann-Leander,  Richard  von.  Trau- 
mereien  (Hanstein) 35 

Wilbrandt,  Adolf.  Der  Meister  von  Pal- 
myra (Theodore  Henckels) 80 


MODERN  GERMAN  TEXTS  WITHOUT  VOCABULARIES: 


Heyse.  Das  Madchen  Ton  Treppi,  and 
Marion  (Bernhardt) 30 

Ranke,  L.  von.  Kaiserwahl  Karl's  V. 
(Schoenfeld) 35 

Richter,  Jean  Paul.  Selections  (Col- 
lins)  60 

Schiller.  Gustav  Adolf  in  Deutschland 
(Bernhardt) 45 


Spyri,  Johanna.    Rosenresli  and  Der  Tonl 
von  Kandergrund 25 

Wildenbruch,  E.  von.  Freudvoll  und  Leid- 
voll  (Bernhardt) 61 

Zschokke,    Heinrich.       Der    zerbrochene 
Krug  (Roelker) 25 


Copies  of  any  of  these  books  will  be  sent  prepaid  to  any  address  on  receipt  of  price. 
Special  circulars  of  any  books  will  be  sent  on  application. 

CORRESPONDENCE  INVITED. 

AHERICAN  BOOK  COflPANY, 


NEW  YORK. 


521-531  WABASH  AYE.,  CHICAGO,  ILL. 
CINCINNATI. 


CHICAGO. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
i 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  Jannar  1901.  Heft  2 


Zum  Jahreswechsel.  UnsernLesern  und  Leserinnen 
vorerst  ein  herzliches  ,,G  luck  auf  zum  neuen 
Jahr"! 

Wenn  dieses  Heft  in  die  Hande  unserer  Leser  gelangt,  sind  zweifel- 
los  eine  Reihe  ,,Ruck-  und  Ausblicke  an  der  Jahrhundertwende"  in  den 
verschiedenen  Zeitungen  und  Zeitschriften  iiber  sie  ergangen.  Ob  wohl 
auch  die  Schule  darin  Beriicksichtigung  gefunden  hat?  Fast  mochten 
wir  dies  bezweifelo.  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  ein  Land  und  Volk  die 
Schule  unbeachtet  lasst,  so  lange  alles  gut  geht.  Man  schenkt  ihr  erst 
dann  Aufmerksamkeit,  wenn  der  nationale  Wagen  in  irgend  einer  Weise 
verfahren  ist;  und  da  die  Betrachtungen  in  politischer,  finanzieller  und 
industrieller  Hinsicht  durchweg  das  Fazit  ziehen  werden,  dass  wir  es 
doch  herrlich  weit  gebracht  haben,  so  werden  wir  kaum  fehl  gehen  in  der 
Annahme,  dass  unsere  leitenden  Organe  der  Schule  hochstens  nebenbei 
mit  allgemeinen  Phrasen  Erwahnung  thun  werden.  Das  grosse  Publi- 
kum  wurde  in  seiner  "full  dinner  pail"  Stimmung  sowieso  diesbeziigliche 
Auslassungen  ungelesen  lassen. 

Einen  erschopfenden  Ausblick  bezuglich  unserer  Schule  hier  zu 
geben,  fehlt  uns  Raum  und  Zeit.  Es  ist  dazu  vor  alien  Dingen  ein- 
gehendes  Studium  notig,  um  objektiv  urteilen  zu  konnen.  Wir  empfeh- 
len  dies  Thema  deshalb  nachdrucklidhst  fiir  einen  der  Vortrage  an 
unserm  nachsten  Lehrertage,  und  wir  sind  sicher,  dass  es  dem  Bear- 
beiter  nicht  an  Stoff  mangeln  wird. 

*       *       *       * 

Wenn  der  oberflachliche  Beobachter  ein  Urteil  iiber  die  Entwicke- 
lung  unseres  Schulwesens  fallen  wiirde,  so  wiirde  er  ebenfalls  nur  Worte 
der  hochsten  Genugthuung  haben.  Was  ist  doch  im  Laufe  von  hun- 
dert  Jahren  aus  dem  "little  red  school-house"  geworden!  Herrliche 


50  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Schulpalaste  in  Stadt  und  Land;  die  Schulausgaben  belaufen  sich  nicht 
mehr  nach  Tausenden,  nein  nach  Hunderttausenden  und  Millionen  von 
Dollars;  an  die  Stelle  der  althergebrachten  "three  R's"  sind  eine  Unzahl 
von  Fachern  gesetzt  worden,  um  denSchuler  ,,fiirs  Leben"  vorzubereiten ; 
die  grausame  Strenge  des  Schulzimmers  1st  einer  friiher  fur  unmoglich 
gehaltenen  Milde,  die  Methode  des  Drillens  unzahligen  natiirlichen, 
(auch  unnatiirlichen?)  Methoden  gewichen;  immer  neue  Erziehungs- 
systeme  verdrangen  die  vorhandenen,  und  "Educators"  durchkreuzen 
unser  Land  in  alien  Richtungen,  neue  Lehren  verkiindend. 

So  lasst  unser  Schulwesen  also    nichts    mehr  zu  wiinschen  iibrig? 
Wir  wollen  dem  demnachstigen  Vortragenden    nicht    vorgreifen;    nur 
einige  Fragen  mochten  wir  zu  allgemeinem  Nutz  und  Frommen  vor- 
legen:     Durchweht  der  Geist  der  Verantwortung  und  der  Berufstreue 
die  Lehrer  und  Lehrertnnen  in  unseren  Schulpalasten  durchweg  in  dem 
Masse,  wie  er  notwendig  ist,  wenn  wir  klar  denkende,  warm  fuhlende  und 
charakterfeste  Menschen  erziehen  wollen?    Werden  die  fur  Schulzwecke 
von  Staat,  Gemeinden  und  Privatpersonen  ausgeworfenen    Geldsummen 
immer  an  der  richtigen  Stelle  angewandt?    Sind  wir  auf  dem  richtigen 
Pfade  in  unserem  vielseitigen  Lehrplane,  das  oben   angegebene    Ziel  zu 
erreichen?    Ist  die  gegenwartige  Behandlungsweise  unserer  Jugend  ge- 
eignet,  Oharaktere  zu  bilden?  Werden  die  neuen  Methoden  immer  recht 
verstanden  und  angewandt?  Geben  wir  den  eingefuhrten  Erziehungssyste- 
men  geniigend   Zeit,  sich  auf  ihren  Wert  oder   Unwert    zu   erproben? 
Wiirden  unsere  "Educators"  ihren  Namen  nicht  eher  durch  redliche  Ar- 
beit im  Schulzimmer,    als  am  Rednerpulte  verdienen?    Ist  die   Vorbil- 
dung  unserer  Lehrer  und  Lehrerinnen  uberall  so,  dass  diese  fur  ihr  Amt 
befahigt  sind?    Ist  dem  Lehrer  die  Stellung,  finanziell,  rechtlich  und  so- 
zial,  gewahrt,  wie  er  sie  bei  seinem  schweren  Beruf  beanspruchen  darf? 
Ist  unser  Schulverwaltungssystem  uberall  das  rechte,  oder  haben  politi- 
sche  Riicksichten  grossere  Bedeutung,   als  fachmannische   Urteile?     Ge- 
niesst  der  Lehrer  die  Selbstandigkeit  und  Freiheit  in  seiner  Arbeit,  die  in 
ihm  Schaffensfreude  und  Liebe  zum  Beruf  weckt? — Wurden  die  Antwor- 
ten  auf  diese  Fragen  durchweg  befriedigend  lauten? 

*  *       *       * 

Wie  steht  es  aber  mit  unserer  ureigenen  Sache,  die  wir  in  dem 
Erziehungswesen  vertreten?  Kollege  Ferren  hat  uns  in  der  vorigen 
Nummer  ein  Bild  entrollt,  wie  es  damit  steht  und  stehen  sollte.  Wo  ist 
der  Siegfried,  der  die  Schwertstiicke  mit  kraftiger  Hand  zu  einem  Gan- 
zen  zusammenschweisst,  das  Schwert  dann  siegreich  und  ohne  Furcht 
schwingt  und  uns  gebrauchen  lethrt? 

*  *       *       * 

Die  Padagogischen  Monatshefte  blicken  zaghaft  in  das  neue  Jahr- 
hundert.  Sie  hatten  kiirzlich  einen  schonen  Traum:  jeder  Lehrer  und 
auch  jede  Lehrerin  der  deutschen  Sprache  fiihlte  in  sich  die  Verpflich- 


Editorielles.  51 

tung,  das  Blatt,  das  ihrer  Sache,  und  nur  der  ihren  dient,  zu  bestellen; 
und — sie  thaten  dies  auch.  Wird  dieser  Traum  im  neuen  Jahrhundert 
zur  Wirklichkeit  warden? 


Der  nachste  Lehrertag.  Einer  offiziellen  Notiz  zufolge  wird  die 
nachstjahrige  Versammlung  der  N.  E.  A.  in  Detroit  abgehalten  werden. 
Wird  dies  nicht  den  deutschamerikanischen  Lehrerbund  zwingen,  seinen 
Plan,  den  nachsten  Lehrertag  ebenfalls  in  Detroit  abzuhalten,  zu 
andern?  Alle  bisherigen  Erfahrungen  haben  uns  gelehrt,  dass  wir  bei 
einer  gemeinsamen  Tagung  beider  Vereinigungen  im  Nachteil  waren. 
Fiir  uns  d'arf  es  nicht  geniigen,  die  fiir  einen  abzuhaltenden  Lehrertag 
notigen  rein  ausserlichen  Bedingungen,  wie  sie  in  guten  Hotels,  billiger 
Eisenbahnfahrt,  in  fiir  die  Versammlungen  gunstigen  Lokalen  und  in 
Unterhaltungen  bestehen,  erfullt  zu  sehen,  sondern  wir  mussen  das 
Interesse  der  Bevolkerung  auf  uns  lenken  konnen,  wenn  wir  erfolgreich 
sein  wollen.  Das  wird  uns  aber  in  Konkurrenz  mit  der  N.  E.  A.  nie- 
mals  gelingen;  das  Hauflein  unserer  Getreuen  wird  von  den  Tausenden 

erdruckt. 

*       *       *       * 

Sollte  sich  darum  nicht  eine  andere  Stadt  bereit  finden,  den  Lehrertag 
in  diesem  Jahre  zu  iibernehmen?  Wir  denken  in  erster  Linie  an  Chicago. 
Chicago  ist  zentral  gelegen,  hat  ein  gutes  Deutschtum  und  eine  grosse 
Anzaihl  von  tiichtigen  Lehrern  und  Lehrerinnen  in  Volks-,  Hochschule 
und  Universitat,  die  mit  dem  notigen  Enthusiasmus  sicherlich  einen  erfolg- 
reichen  Lehrertag  arrangieren  konnten.  Die  Stadt  selbst  bietet  viel  des 
Interessanten  fiir  jeden  Reisenden,  und  wir  sind  darum  in  gar  keinem 
Zweifel  dariiber,  dass  die  Wahl  Chicagos  bei  den  Lehrertagsbesuchern 
grossen  Beifall  finden  wiirde.  Wir  wollen  hiermit  bei  unsern  Ohicagoer 
Kollegen  bescheidentlich  angeklopft  haben!? 

M.  Q. 


Aus  dern  Tagebuch  eines  deutschamerikanischen 

Schulmeisters. 

Vortrag,  gehalten  vor  dem  30.  Lehrertag  zu  Philadelphia. 

Von  Carl  Otto  Schiinrieh, 
Deutscher  Oberlehrer  an  der  Stadtschule  No.  1  zu  Baltimore,  Maryland. 


(Schluss.) 

Einige  Worte  aber  iiber  die  S  c  h  u  1  e  selbst  —  und  iiber  das 
Elternhaus,  und  zwar  drangt  es  mich,  auf  zwei  bedenkliche  t)bel- 
stande  hinzuweisen,  die  Jungamerikas  Schulung,  die  seine  Charakter-  und 
Gemiitsbildung  bedrohen.  Lassen  Sie  mich  hoffen,  dass  meine  War- 
nungsrufe  von  dieser  altehrwiirdigen,  geweihten  Statte  hinausdringen 
ins  weite  Land  und  zum  Wohl  unserer  sonst  so  reich  begiinstigten  Ju- 
gend  vielseitig  eine  verstandnisinnige  Aufnahme*)  finden.  —  Betrachten 
wir  nun 


*)  Diese  Hoffnung  ist  tiber  Erwarten  reichlich  erfiillt  worden.  Die  gesamte  Landes- 
presse,  die  englische  wie  die  deutsche,  hat  diesen  tVarnungsrufen  die  grosste  Aufmerksam- 
keit  gewidmet.  Der  Philadelphia  Public  Led  ger,  eine  der  gediegensten  und  einflussreich- 
Bten  Zeitungen  des  Landes,  machte  den  riihm lichen  Anfang  mit  folgendem  Leitartikel  vom 
9.  Juli  1900: 

Professor  Schonrich,  of  Baltimore,  in  a  suggestive  paper  read  before  the  National 
German-American  Teachers'  Association,  in  session  in  this  city  on  Saturday,  said: 

"A  grave  danger  threatening  the  public  school  systems  of  our  country  is  the  ten- 
dency of  making  them  top-heavy.  Only  too  frequently  the  main  energy  is  directed  to  the 
development  of  the  high  schools;  by  their  results  the  school  systems  of  the  different  cities 
are  frequently  judged,  and  consequently  the  schedule  of  the  lower  schools  points  up  to  the 
high  schools  and  not  out  into  actual  life." 

The  great,  original  purpose  of  the  common  school  system  was  to  give  pupils  a  well 
grounded,  practical  education,  and  to  this  end  thorough  instruction  should  be  given  in  the 
lower  grades  in  the  fundamental  branches,  upon  which  foundation  the  student  may  build 
such  an  educational  superstructure  as  his  special  needs,  inclination  and  environment  may 
require.  The  destiny  of  an  overwhelming  majority  of  public  school  pupils  throughout  the 
country  is  not  the  university,  the  college,  nor  even  the  high  school,  which  is  the  capstone 
of  the  common  school  system.  In  the  last  report  of  the  United  States  Commissioner  of 
Education  the  attendance  in  the  various  elementary  school  grades  and  in  the  high  schools 
of  twenty-four  typical  American  cities  is  exhibited  to  illustrate  how  rapidly  attendance 
falls  off  in  the  higher  grades,  and  how  small  a  proportion  passes  through  the  high  schools. 
Kindergartens,  ninth  grammar  grades  and  normal  schools  are  omitted.  In  the  first  year's 
work  of  these  twenty-four  cities  211,070  pupils  were  enrolled.  In  the  eight  year's  work  the 
number  had  dwindled  to  38,943.  The  total  enrolled  in  eight  elementary  grades  was  874,773, 
and  in  the  high  schools  only  47,251.  The  Commissioner  says  that  the  steady  decrease  in  the 
actual  number  is  relatively  so  small  that  mortality  may  be  eliminated  in  considering  the 
causes  of  the  falling  off  in  school  attendance.  Philadelphia  is  one  of  the  twenty-four  typical 
cities  mentioned  in  the  Commissioner's  report.  The  total  number  of  pupils  enrolled  in  all 
the  schools  on  the  date,  December  31,  1897,  was  143,381.  Of  these  139,000  were  enrolled  in 
Kindergarten  and  elementary  schools,  and  4342  were  credited  to  high  schools.  For  Chicago 
the  figures  were:  Elementary  schools,  182,165;  high  schools,  7847. 

The  relatively  small  number  of  pupils  able  to  attend  high  schools  gives  force  and 
significance  to  Professor  Schonrich's  criticism  that  the  public  school  system  of  the  country 
is  "top-heavy,"  and  that  the  curriculum  of  the  lower  schools  "points  up  to  the  high  schools 
and  not  to  actual  life."  Common  experience,  as  well  as  the  quoted  school  statistics,  shows 
that  the  great  mass  of  public  school  children  enter  upon  the  practical  business  of  making 
a  living,  graduate  into  "actual  life,"  without  higher  training  than  that  received  in  the 
lower  schools.  To  overload  the  curriculum  of  these  schools  with  fads  which  trench  upon 
the  time,  the  very  precious  time,  which  should  be  devoted  to  thorough  drill  in  the  funda- 
mental branches  of  knowledge  is  to  deprive  the  vast  majority  of  the  school  population  of 
their  rights.  It  is  evident  that  there  is  good  ground  for  Professor  Schonrich's  criticism 
that  the  main  energies  of  the  school  systems  of  the  country  are  too  often  directed  to  the 
development  of  the  high  schools  at  the  cost  of  diminished  opportunities  for  the  very  many 
thousands  of  boys  and  girls  who,  for  one  reason  or  another,  cannot  grasp  high  schools  priv- 
ileges. The  tendency  to  crowd  the  curriculum  with  too  many  studies,  the  manifest  lack  of 
school  accommodations  for  pupils  in  the  lower  grades  in  the  great  cities,  accompanied  by  th» 
most  elaborate  provisions  for  the  high  schools,  are  directions  in  which  the  Professor's  re- 
marks are  very  applicable.  In  striving  to  bring  the  higher  education  within  reach  of  all 
there  is  danger  that  the  foundation  teaching  may  be  neglected. 


dem  Tagebucb  eines  deutscbamerikaniscben  Scbulmeisters.      53 

1.  Eine  das  amerikanische  Schulsystem  bedro- 

hende  Gefahr. 

Das  amerikanische  Freischulsystem  ist  da  und  dort  in  Gefahr  "top- 
heavy"  zu  werden,  nach  oben  hin  iiberladen.  Es  wird  das  Hauptaugen- 
merk  nur  zu  haufig  auf  die  hoheren  Schulen  verwandt,  nach  deren  Leis- 
tungen  beliebt  man  das  betreffende  stadtische  Schulsystem  zu  beurtei- 
len,  und  daher  wird  der  Lehrplan  in  den  niederen  Schulen  zu  sehr  nach 
oben  und  zu  wenig  nach  aussen  gerichtet:  ,,non  vitae  sed  scholae",  wie 
Seneca  sagt. 

Ich  glaube  kaum,  dass  irgend  eine  Stadt  ein  schlagenderes  Beispiel 
fur  diesen  tibelstand  darbietet,  als  das  vielbegunstigte  Washington,  das 
doch  vor  alien  Stadten  der  Union  als  Muster  dastehen  sollte.  Es  machtc 
sich  dort  dieser  "Ubelstand  in  letzter  Zeit  auch  in  solchem  Masse  bemerk- 
bar,  dass  allseitig  Klagen  zum  Ausdruck  kamen,  so  dass  der  Senat  trotz 
Puerto  Rico  und  den  Filipinos  sich  schliesslich  veranlasst  sah  eine  ein- 
gehende  Untersuchung  der  offentlichen  Schulen  des  Distrikts  Columbia 
anzuordnen.  Aus  dem  dariiber  am  23.  Marz  1900  eingereichten,  320 
Seiten  starken  Bericht  No.  711  will  ich  hier  zu  Ihrer  eigenen  Schluss- 
folgerung  einige  Punkte  anfiihren. 

Das  offentliche  Freischulsystem  Washingtons  zahlt  nicht  weniger 
als  sieben  hohere  Schulen  und  zwei  Normalschulen,  drei  davon  fur  Neger 
bestimmt,  alle  bestens  ausgestattet  und  gute  Resultate  aufweisend. 

An  niederen  Schulen  —  Primary  und  Grammar  Schools  —  herrscht 
dort  aber  ein  solcher  Mangel,  dass  312  Halbtagschulen  eingerichtet  wer- 
den mussten,  deren  Zoglinge  dann  die  iibrige  Halfte  des  Tages  der  Strasse 
iiberwiesen  sind. 

Diese  Schiiler  konnen  aber  noch  von  Gliick  sagen,  denn  es  fehlt 
dort  immer  noch  ,,5 — 10,000  Kindern"  an  einer  Gelegenheit,  das  Innere 
einer  Schule  zu  sehen. 

An  Buchern  und  Schreibmaterialien  herrscht  in  den  niederen  Schu- 
len der  Hauptstadt  ein  beispielloser  Mangel,  denn  der  Kongress  hat  hier- 
fiir,  bei  einer  Schiilerzahl  von  41,406,  nur  $40,000  ausgesetzt,  derselbe 
Kongress,  der  mit  leichter  Hand  Hunderte  von  Millionen  auswirft,  um 
Filipinos  zu  ,,assimilieren". 

Und  wahrend  derselbe  Kongress  fur  die  Offiziere  der  Armee  und 
Flotte  und  fur  zahlreiche  Kolonialbeamte  glanzende  Gehalter  und  Extra- 
vergiitigungen  aussetzt,  bietet  er  dem  Lehrpersonal  Washingtons  eine 
armliche  Bezahlung,  wie  folgende  Stelle  aus  dem  Jahresetat  des  Distrikts 
Columbia  veranschaulicht :  ,,10  Kohlenschaufler  $500,  45  Lehrerinnen 
$400."  Und  dabei  giebt  es  keine  Pension  fur  das  Lehrerpersonal.  — 

Man  ziehe  nun  in  Betracht,  dass  in  Washington  drei  Viertel  der 
Zoglinge  nach  dem  funften  Schuljahre  nicht  mehr  zur  Schule  gehen,  dass 
dort  nur  sieben  Prozent  in  die  hoheren  Schulen  gelangen  (und  im  ganzen 
Land  gar  nur  2J  Prozent),  und  dass  nichtsdestoweniger  der  Lehrplan 


54  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

nach  oben,  nach  der  Hochschule  bin,  zielt,  und  nicht  hinaus  ins  wirkliche 
Leben,  so  wird  man  sofort  erkennen,  dass  unter  solchen  Verhaltnissen 
gar  viel  zu  wiinschen  iibrig  bleibt  fiir  eine  entsprechende  Schulung  der 
weniger  Bemittelten  und  Schwacheren,  der  Massen,  die  schon  friihe  die 
Schule  verlassen  und  in  den  Kampf  urns  Dasein  eintreten  miissen. 

In  dem  angezogenen  Senatsbericht,  und  mehr  noch  in  einem  vom 
14.  April  1900  datierten  Erganzungsbericht,  welch  letzterer  die  Ergeb- 
nisse  einer  Spezialpriifung  mitteilt,  tritt  dieser  "Ubelstand  klar  zu  Tage; 
das  betreffende  Senatskomitee  findet  auch,  ,,dass  in  den  Primar-  und 
Grammarschulen  des  Distrikts  Columbia  die  Durchschnittszoglinge  nicht 
gelehrt  werden,  die  englische  Sprache  richtig  und  fliessend  zu  gebrau- 
chen,  und  dass  sie  auch  im  Rechnen  nicht  griindlich  unterwiesen  und  ein- 
geiibt  werden." 

Einen  zu  weiterem  Nachdenken  anregenden  "Qberblick  uber  die  er- 
wahnte  Spezialpriifung  giebt  die  Washingtoner  Korrespondenz  in  der 
Mainummer  unseres  Bundesorgans  ,,Padagogische  Monatshefte". 

2.  Das  Grundiibel  in  der  amerikanischen  Erzie- 

h  ti  n  g. 

Wir  wollen  nun  schliesslich  unsere  Aufmerksamkeit  noch  dem  wich- 
tigsten  Erziehungsfaktor  zuwenden:  dem  Elternhaus.  Leider  belegen 
meine  Erfahrungen,  dass  es  in  sehr  vielen  Fallen  an  einer  verstandigen 
hauslichen  Erziehung  fehlt.  Die  zarten,  kostlichen  Pflanzen  werden  teils 
in  einer  Treibhausatmosphare  zu  einer  ungesunden  Friihreife  gebracht, 
oder  sie  werden  noch  haufiger  vernachlassigt,  von  den  Eltern  bei  ihrer 
Jagd  nach  dem  Dollar  sich  selbst  iiberlassen  und  somit  schleichenden 
Nachtfrosten  und  zehrender  Sonnenhitze  ausgesetzt,  wodurch  sie  nur  zu 
oft  unheilbaren  Schaden  leiden.  Lassen  Sie  mich  hier  ohne  weiteres  auf 
das  Grundiibel  eingehen. 

Das  Grundubel  in  der  amerikanischen  Erziehung  ist  dies:  es  fehlt 
die  Erziehung  zum  Gehorsam.  ,,Gehorsam  ist  des  Schiilers,  des  Kindes, 
des  Menschen  erste  Pflicht",  gilt  als  einer  der  obersten  Grundsatze  im 
deutschen  Erziehungssystem.  ,,Aber  in  einem  freien  Lande,  hort  man 
immer  wieder  sagen,  haben  wir  kein  Recht  das  Kind  zum  Gehorsam 
zu  zwingen,  man  muss  es  durch  Grunde  tiberzeugen."  —  Ja,  wenn  die 
Kinder  schon  Vernunftgriinde  verstanden,  brauchten  sie  nicht  erst  erzo- 
gen  zu  werden.  Darauf  weist  schon  Aristoteles  hin:  ,,Die  Kinder  sol- 
len  friihzeitig  gewohnt  werden,  die  Ausspriiche  der  Eltern  und  Lehrer, 
wenn  sie  den  Grund  derselben  auch  nicht  einsehen,  eben  so  sehr  zu  ach- 
ten  als  die,  von  deren  Richtigkeit  sie  sich  uberzeugt  haben". 

Die  grossten  Denker  aller  Zeiten  haben  dies  wiederholt  betont. 
Locke  sagt:  ,,Die  Kinder  sind  in  friihen  Jahren  zu  unbedingtem  Gehor- 
sam, spater  zur  Freiheit  zu  gewohnen,  so  dass  sie  aus  Kindern — Freunde 
werden".  Kant  sagt:  ,,Zum  Charakter  des  Kindes  gehort  vor  allem  der 
Gehorsam".  Aus  diesem  Gehorsam  erwachst  dann  auch  der  Gehorsam 


Aus  dem  Tagebuch  eines  deutscbatnerikaniscben  Scbulmeisters.       55 

gegen  die  Gesetze  der  Gesellschaft,  die  Gesetze  der  Natur,  die  Gesetze 
Gottes,  fiir  solche  bedarf  es  keiner  sklavischen  Temperenzgeliibde,  sie 
sind  wahrhaft  frei,  und  Heir  iiber  sich  selbst;  mit  dem  Gehorsam  haben 
sie  auch  gelernt,  sich  selbst  zu  beherrschen. 

Aber  ein  den  Geboten  der  Eltern  und  Lehrer  hohnsprechendes  und 
sie  umgehendes  Kind  umgeht  spater  auch  durch  List  und  Trug  die  biir- 
gerlichen,  und  durch  Sophismen  die  gottlichen  und  menschlichen  Gesetze. 
,,Der  Weichling  kann  nicht  gehorchen,  es  gehort  eine  kernige  Natur 
dazu,  zu  gehorchen,  wo  es  sein  muss",  sagt  Diesterweg.  Lassen  Sie 
mich  hier  das  oft  ausgesprochene  Wort  wiederholen :  Je  freier  der  Staat, 
desto  strenger  muss  die  Erziehung  sein. 

Mit  dem  Durchschnitts-Amerikaner  argumentiert  man  indessen  ver- 
gebens  iiber  diesen  Gegenstand;  heidnische  und  christliche  Autoritaten, 
die  Ausspriiche  der  grossten  Geister  kummern  ihn  nicht.  "Experience 
is  the  best  teacher",  antworten  sie,  ohne  zu  ahnen,  was  fiir  ein  folgen- 
schweres  Wort  sie  so  leichtweg  geaussert  haben.  Die  wortHche  tJber- 
setzung:  ,,Erfahrung  ist  der  beste  Lehrmeister",  erscheint  dem  Ober- 
flachlichen  wohl  ganz  harmlos,  aber  es  meint  doch  eigentlich,  dass  die 
Jugend  durch  Schaden  klug  werden  soil. 

Was  niitzt  das  Klugsein,  wenn  der  Schaden  geschehen  ist?  Solche 
Schaden  habe  ich  in  Familien,  auf  der  Strasse,  in  Wohlthatigkeitsanstal- 
ten  und  in  Gefangnissen  leider  gar  oft  erkennen  miissen.  Durch  den 
Schaden  der  Jungen  sind  iibrigens  schon  viele  Alte  klug  geworden.  — 

In  der  Schule  machen  sich  die  Giftkeime  einer  solchen  hauslichen 
Verziehung  und  Verwahrlosung  schon  sehr  friihe  und  oft  recht  unange- 
nehm  bemerkbar;  dem  allgemeinen  Publikum  kommen  deren  Wirkun- 
gen  in  mannigfacher  Weise  zur  Kenntnis,  wie  z.  B.  durch  grobe  Insubor- 
dinationsfalle  unter  Abiturienten  hoherer  Schulen.  So  weigerte  sich  erst 
vor  drei  Wochen  die  Abiturientenklasse  des  Baltimore  City  College,  sich 
den  Anordnungen  ihrer  Vorgesetzten  zu  unterwerfen,  und  die  Schulbe- 
horde  sah  sich  veranlasst,  die  iibliche  Schlussfeier  (Commencement)  aus- 
zusetzen.  Die  betreffenden  Eltern  sind  dafiir  verantwortlich,  die  bethor- 
ten  jungen  Leute  sind  nur  zu  bedauern. 

Das  Herz  des  Jugend-  und  Menschenfreundes  muss  freudig  bewegt 
werden  beim  Anblick  Jung-Deutschamerikas,  das  unter  der  Obhut  einer 
Familie  aufwachst,  in  der  mit  der  deutschen  Sprache  gute  deutsche  Sitte, 
deutsche  Geistes-  und  Gemiitsbildung  gepflegt  werden.  Da  begegnet 
man  deutscher  Sittsamkeit,  Wohlanstandigkeit,  Bescheidenheit  und  Ge- 
horsam gegen  die  elterliche  Autoritat,  was  man  beilder  von  eingeborenen 
Amerikanern  abstammenden  Jugend  gewohnlich  nur  bei  den  besser  ge- 
stellten  Familien  findet.  Ja,  wohl  dem  Hause,  wo  den  Kindern  keine 
Argernisse  gegeben  werden,  wo  das  Gebot  ,,Ehre  Vater  und  Mutter" 
heilig  gehalten  wird ;  dort  wird  auch  die  Verheissung  sich  erfiillen :  ,,auf 
dass  dir's  wohl  gehe". 


56  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Je  heller  das  Licht,  desto  tiefer  der  Schatten.  —  Um  so  schlimmer 
steht  es  mit  Jung-Deutschamerika,  wo  das  Deutsche  in  der  Familie  ver- 
nachlassigt  wird.  Die  Eltern  lernen  das  Englische  haufig  nur  unvoll- 
kommen,  oder  gar  nicht.  Die  Kinder  eignen  es  sich  spielend  auf  der 
Strasse  an.  Bald  beginnen  die  letzteren  im  Hause  ihr  Englisch  zu  spre- 
chen,  gewohnlich  ein  schauderhaftes  Gassenenglisch,  das  aber  die  Eltern 
in  ihrem  Unverstand  doch  entziickt,  und  werden  von  jenen  kaum  mehr 
verstanden.  Wollen  auch  sie  sich  der  fremden  Sprache  bedienen,  so 
kommen  die  Worte  verkehrt  heraus,  sie  werden  von  den  eigenen  Kindern 
verlacht. 

Dadurch  verlieren  die  Kinder  die  Achtung  vor  den  Eltern,  sie  ge- 
wohnen  sich  daran,  dieselben  fur  ungebildeter  als  sie  selber  zu  halten. 
Wehe  aber,  wenn  die  Kinder  ihre  Eltern  verachten,  wenn  ihnen  keine 
Autoritat  mehr  heilig  ist.  Der  hier  oft  gehorte  Grundsatz,  die  Eltern 
hatten  den  Kindern  nichts  zu  befehlen,  findet  bei  dieser  Jugend  die  eifrig- 
sten  Befurworter;  das  nichtswissernde  Jung-Deutschamerika  liefert  zum 
Kontingent  der  Loafers  die  schlimmsten  Exemplare. 

Es  ist  recht  betriibend  zu  sehen,  wie  dieses  Jung-Deutschamerika 
fur  die  Siinden  der  Vater  biissen  muss,  die  ihre  ehrwiirdige  Mutter  Ger- 
mania  verachten.  Deutsche  Redakteure,  selbst  deutsche  Lehrer  und 
Prediger  musste  ich  kennen  lernen,  in  deren  Familien  die  deutsche 
Sprache  ein  Aschenbrodel  oder  gar  eine  Verfehmte  war.  In  solchen 
Hausern  fehlt  die  mollige  Warme  des  deutschen  Familienlebens  —  der 
unheimliche  Geist  des  Boardinghauses  durchfrostelt  die  Raume,  die  viel- 
leicht  nur  dort  weniger  eintonig  sind,  wo  die  iGnder  ihre  Mutter  und 
diese  wieder  ihre  Vater  regieren. 

Schon  so  oft  ist  in  geistvoller  und  iiberzeugender  Weise  nachgewie- 
sen  worden  —  und  das  besonders  von  unserem  grossen  Carl  Schurz  — 
dass  die  Sprache  viel  mehr  ist  als  die  blosse  aussere  Form  des  Gedankens, 
dass  in  ihr  zum  grossen  Teil  der  Geist  und  das  Wesen  eines  Volkes 
steckt.  Und  so  wird  die  Pflege  der  deutschen  SpracEe  wesentlich  dazu 
beitragen,  dass  Jung-Deutschamerika  unserer  Gesamtbevolkerung  ein  ge- 
sundes  Element  zufiihrt  und  an  der  Erfiillung  der  dem  amerikanischen 
Volke  in  der  Menschheitsgeschichte  zustehenden  Mission  einen  ehren- 
vollen  Anteil  nimmt.  Fur  deutschamerikanische  Eltern,  die  das  kost- 
bare  Erbrecht  ihrer  Kinder  verludern,  lassen  sich  die  Worte  anwenden: 
,,Wer  die  Mutter  (Germania)  nicht  ehrt,  ist  der  Braut  (Columbia)  nicht 
wert". 

Dass  Kinder,  selbst  bei  sonst  guter  hauslicher  Pflege,  die  das  Ungliick 
haben,  Eltern  anzugehoren,  die  ihre  deutsche  Muttersprache  verachten, 
hinter  den  anderen  auch  in  der  Schule  zuruckstehen,  fiegt  klar  zu  Tage. 
Wir  finden  auch  durchweg  als  die  besten  Schiiler:  die  Kinder  Deutsch 
sprechender  Eltern,  sowie  die  Kinder  gebildeter  angloamerikanischer  El- 
tern; und  hierbei  verdienen  die  israelitischen  Kinder  besondere  Erwah- 


A  us  dem  Tagebucb  eines  deutschamerikaniscben  Scbulmeisters.      57 

nungf,  da  deren  Eltern  mit  hochst  seltenen  Ausnahmen  treu  zur  Seite 
des  Lehrers  stehen. 

Die  gebildeten  Angloamerikaner  diirfen  in  der  grossen  Mehrzahl 
manchem  Deutschamerikaner  als  Vorbild  dienen,  wie  wir  ein  leuchtendes 
Beispiel  in  unserem  verehrten  Bundesprasidenten  Dr.  Learned  haben. 
Es  mag  manchem  sonderbar  klingen,  allein  gerade  von  diesen  habe  ich 
durchschnittlich  mehr  Aufmunterung  in  meinem  Beruf  als  deutscher  Leh- 
rer  erfahren  diirfen,  als  von  Denen  deutscher  Abstammung.  Man  mochte 
mich  missverstehen,  wollte  ich  manche  der  vielen  Beweise  der  Dankbar- 
keit  und  Anerkennung  hier  anfuhren,  die  ich  von  ihnen  erfahren. 

Welche  Begeisterung  hegen  viele  derselben  fur  das  Deutsche !  Sagte 
mir  erst  neulich  eine  gesellschaftlich  und  geistig  hochstehende  Dame 
beim  Lesen  eines  der  einzig  schonen  deutschen  Volkslieder:  ,Ja  so  ge- 
miitvoll  konnen  nur  die  Deutschen  denken;  wie  sind  doch  die  Kinder 
deutschamerikanischer  Eltern  zu  beneiden,  ihnen  wird  spielend  die  deut- 
sche  Sprache  und  damit  der  Schliissel  zu  den  in  der  deutschen  Litteratur 
aufgespeicherten  unvergleichlichen  Schatzen,  was  wir  erst  nach  jahrelan- 
gem  schwerem  Miihen  erreichen  konnen." 

Ja,  ein  solches  Jung-Deutschamerika  ist  auch  zu  beneiden.  Die  in 
der  englischen  Jugendlitteratur  sich  hervordrangende  Schlnderhannes- 
und  Froschmolluskenbreinatur  verderben  dessen  Geschmack  nicht,  diese 
Bevorzugten  konnen  sich  in  dem  Herz  und  Sinn  erfrischenden  Kinder- 
und  Jugendgarten  der  deutschen  Litteratur  nach  Herzenslust  ergehen, 
dabei  sind  ihnen  auch  in  diesem  Lande  von  deutschen  Jugendfreunden 
besondere  Paradiesgartlein  angelegt  worden,  wie  in  Milwaukee  von 
W.  W.  Coleman,  dem  hochherzigen  Griinder  der  Kinder-  und  Jugend- 
post. 

Bei  den  Grosseren  dient  die  verstandnisinnige  Pflege  der  deutschen 
Sprache  zur  Weckung  und  Forderung  litterarischer,  asthetischer,  sittli- 
cher  und  allgemein  wissenschaftlicher  Kenntnisse,  wie  sie  den  andern 
kaum  je  zum  Bewusstsein  kommen. 

Mogen  doch  die  deutschamerikanischen  Eltern  des  dauernden  Se- 
gens  stets  eingedenk  bleiben,  den  eine  treue  Pflege  der  deutschen  Mut- 
tersprache  in  Familie  und  Schule  mit  sich  bringt,  und  mogen  sich  fur 
ihre  Kinder  immer  Lehrer  finden,  die  von  Begeisterung  fur  dieselbe  er- 
griffen  sind  —  denn  man  kann  andere  nur  das  lieben  und  achten  lehren, 
was  man  selbst  liebt  und  achtet. 


Uber  europaische  Schulverhaltnisse. 

(Fur  die  Padagogischcn  M  onatshefte.) 
Von  H.  Raab,  weiland  Staats-Schulsuperintendent  von  Illinois. 


IV. 

Ich  will  nun  einige  Schulen,  die  mir  ganz  besonders  gefallen  haben, 
etwas  umstandlicher  schildern.  Zuerst  ein  Lehrerseminar,  und  zwar  das 
alte  bewahrte  grossherzoglich-hessische  zu  Friedberg  in  der  Wetterau. 
Friedberg  ist  ein  kleines  Stadtchen,  und  in  einer  halben  Stunde  von 
Frankfurt  a.  M.  aus  mit  der  Eisenbahn  zu  erreichen.  Die  Stadt  liegt  auf 
einem  schmalen  Bergriicken,  an  dessen  Ende  sich  ein  freistehender  Hugel 
erhebt,  auf  dem  das  alte  Schloss  erbaut  ist.  Fniher  war  das  Schloss  von 
der  Stadt  aus  nur  durch  eine  Briicke  zu  erreichen;  jetzt  verbindet  ein 
Fahrdamm  das  Schloss  mit  der  Stadt.  Ein  Teil  der  Schloss-  und  Wirt- 
schaftsgebaude  sind,  wie  das  in  Deutschland  so  oft  geschieht,  zum  Semi- 
nar eingerichtet  worden.  (Schlosser,  aufgehobene  Kloster,  alte  Kirchen 
und  nicht  mehr  gebrauchte  Verwaltungsgebaude  sind  nicht  selten  bei  der 
Wahl  eines  Ortes  zur  Griindung  von  Lehranstalten  ausschlaggebend  ge- 
wesen.)  Ein  Teil  des  Schlosses  wird  noch  hin  und  wieder  von  den  regie- 
renden  Herrschaften  bewohnt.  —  Nach  Durchschreiten  des  Thorweges 
findet  man  sich  in  einem  grossen  Hofe,  auf  dessen  linker  Seite  die  Lehr- 
raume  liegen;  gerade  vor  sich  hat  man  die  Wohnraume  (dormitories)  der 
Seminaristen,  rechts  Speisesaal  und  Kiiche,  und  weiterhin  einige  Woh- 
nungen  der  Professoren,  und  ganz  am  Ende  das  einzig  neue  Gebaude — 
die  Turnhalle.  Diese  ist  ganz  prachtig,  man  mochte  sagen  verschwen- 
derisch  eingerichtet,  mit  alien  Geraten  versehen,  und  bildet,  wie  meist  in 
deutschen  Stadten,  ein  ausgezeichnetes  wichtiges  Unterrichtslokal.  Rund 
um  die  Gebaude  lauft  eine  niedrige  Mauer,  jenseits  deren  ein  20  Fuss 
breiter,  wiederum  von  einer  Mauer  umgebener  Raum  ist;  dieser  ist  in 
Beete  abgeteilt,  auf  denen  die  Seminaristen  Obst-  und  Gartenbau  treiben, 
auch  wohl  exotische  und  Arzneipflanzen  ziehen,  damit  sie  dereinst  in 
ihrem  Wirkungskreise  nicht  nur  Unterricht  in  Obst-  und  Gemusezucht 
erteilen,  sondern  auch  die  Jugend  und  durch  diese  das  Volk  uber  Heil- 
mittel  und  Giftpflanzen  aufklaren  konnen. 

Die  Wohnraume  der  Seminaristen  sind  immer  fur  je  zwei  eingerich- 
tet, ausserst  einfach,  weiss  getiincht,  enthalten  zwei  iiber  einander  ste- 
hende  Bettstellen,  einen  Tisch,  mehrere  Stiihle,  einen  Kleiderschrank, 
Biichergestelle  und  einen  Ofen.  Die  Zoglinge  sind  verpflichtet,  diesen 
Raum  zu  reinigen  und  in  Ordnung  zu  halten,  den  Ofen  zu  bedienen,  da 
zu  diesem  Zwecke  Dienstboten  nicht  gehalten  werden.  In  dem  gerau- 
migen  Speisezimmer  erhalten  sie  ihre  Mahlzeiten  unter  Vorsitz  der  Lehrer. 
Die  Erzeugnisse  der  Gartenkunst  der  Seminaristen  werden  in  der  Kiiche 
verwahrt  (Diese  Einrichtung  erinnert  an  die  Anstalten,  die  Vater  Pesta- 
lozzi  zu  Anfang  seiner  reformatorischen  Thatigkeit  in  Neuhof  eingefuhrt 


Uber  curop'dische  Scbulverb'dltnisse.  59 

hatte,  die  er  jedoch,  durch  widrige  Verhaltnisse  gezwungen,  bald  aufgeben 
musste.)  —  Nur  den  Zoglingen  der  dritten  (hochsten)  Klasse  ist  es  ge- 
stattet,  in  der  Stadt  selbst  Quartier  und  Kost  zu  suchen,  die  der  ersten 
zwei  Jahrgange  mussen  in  der  Anstalt  wohnen  und  speisen.  Nur  ein 
Teil  der  Zoglinge  hat  fur  Unterricht  und  Verpflegung  zu  zahlen;  die 
grossere  Anzahl  erfreut  sich  der  liberalen  Stipendien. 

Unter  den  Lehrraumen  finden  wir  eigens  ausgestattete  Zimmer  fur 
den  Unterricht  in  der  Physik  und  Naturbeschreibung,  Laboratorien,  eine 
Bibliothek,  einen  geraumigen  Musiksaal  und  eigene  Zimmer  fur  den  Mu- 
sikunterricht.  In  diesen  letzteren  stehen  Pianos  und  stumme  Instrumente 
(auf  engl.  dummies),  in  dem  anderen  eine  Pfeifenorgel  und  sechs  oder 
mehr  stumme  Orgeln,  damit  der  Unterricht  mehreren  Zoglingen  zu  glei- 
cher  Zeit  erteilt  werden  kann.  Unter  sich  haben  die  Seminaristen  ein 
vollstandiges  Orchester,  auch  bilden  sie  einen  Gesangverein.  Da  die 
Lehrer  den  Gesangunterricht  in  ihren  Schulen  zu  leiten  haben,  so  wird 
auf  ihre  musikalische  Ausbildung  grosse  Sorgfalt  verwandt.  Ein  Lehrer, 
der  als  Kantor  den  Kirchengesang  zu  leiten  hat,  muss  dafiir  von  der  Ge- 
meinde  besondere  Vergiitung  erhalten;  friiher  war  es  Pflicht  des  Lehrers, 
ausser  in  seiner  Schule,  auch  den  kirchlichen  Gesang  zu  leiten. 

Ich  wohnte  einer  Unterrichtsstunde  in  Physik,  einer  in  Weltgeschichte 
und  einer  in  Litteratur  bei.  In  ersterer  liess  der  Lehrer  die  Krafte  und 
Merkmale  und  dann  das  Gesetz  finden  und  in  Worte  fassen.  Aufmerk- 
samkeit,  Beobachtungsgabe  und  Sprache  der  Zoglinge  waren  gut;  aus 
der  Methode  des  vortragenden  Lehrers  konnten  sie  sich  ein  Muster  fur 
die  Behandlung  des  Gegenstandes  in  ihren  dereinstigen  Schulen  nehmen. 
Die  Behandlung  der  Themata  in  der  Geschichte  geschah  mit  Umsicht  und 
Geschick;  die  Begebenheiten  werden  fliessend  erziihlt  und  die  entsprechen- 
den  richtigen  Schliisse  daraus  gezogen.  In  der  Litteratur  wurde  nicht 
sowohl  ein  Geschichtsabriss  gegeben,  als  die  Behandlung  der  Erzeugnisse 
des  entsprechenden  Dichters  und  seine  Periode.  —  In  diesem  Seminar 
wird  auch  Taubstummenunterricht  erteilt,  damit  die  Lehrer  vorkommen- 
den  Falls  diesen  Ungliicklichen  angemessene  Bildung  vermitteln  konnen. 
Wenn  dies  gliicklicherweise  nur  wenige  spater  zu  iiben  haben,  so  lernen 
doch  alle  mit  geistig  schwach  begabten  Kindern  umgehen  und  dieselben 
angemessen  behandeln  und  mit  solchen  Kindern  mehr  zu  leisten,  als  Leh- 
rer, denen  solcher  Unterricht  nie  zu  teil  wurde. 

Die  Arbeitszeit  der  Seminaristen  dauert  von  7  Uhr  morgens  bis  6 
Uhr  abends,  einschliesslich  einer  zweistiindigen  Pause  fur  das  Mittags- 
essen.  Da  diese  neun  Stunden  jedoch  die  Zeit  fur  das  Turnen,  die  Gar- 
tenarbeiten  und  zum  Teil  das  hausliche  Studium  in  sich  begreifen,  so  sind 
die  Zoglinge  nicht  allzusehr  angestrengt.  Die  Abende  sind  der  Musik 
und  der  Erholung  gewidmet.  Zu  gewissen  Zeiten,  d.  h.  wenn  Prufungen 
etc.  bevorstehen,  mogen  auch  die  Abende  in  Anspruch  genommen  wer- 
den. Ich  nahm  an  einer  Mittagsmahlzeit  teil  und  fand  das  Essen 


60  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

schmackhaft  und  reichlich.  Der  Direktor  und  das  Lehrerpersonal  kamen 
mir  liebenswiirdig  entgegen  und  forderten  die  Zwecke  meines  Besuches 
auf  jede  Weise,  obgleich  ich  damals  noch  keine  Empfehlungsbriefe  auf- 
zuweisen  hatte  und  zur  Einfiihrung  nur  meine  Karte  abgab,  ohne  mein 
Pradikat  als  ehemaliger  Staatssuperintendent  beizufiigen.  Dann  besuchte 
ich  das  Seminar  zu  D.,  das  ehemals  nassauisch,  jetzt  aber  preussisch  ist, 
muss  jedoch  gestehen,  dass  weder  der  Ernst  der  Lehrer,  noch  die  Rein- 
lichkeit  und  Umgebung  des  n  e  u  e  n  Gebaudes  einen  sonderlichen  Ein- 
druck  auf  mich  machte.  Von  dem  Besuch  des  Seminars  zu  Usingen,  wo 
s.  Z.  Freund  Dapprich  seine  Ausbildung  genossen,  riet  man  mir  ab,  da 
ich  kaum  Gelegenheit  finden  wurde,  etwas  Bemerkenswertes  zu  lernen. 
(Unter  nassauischer  Regierung  gait  Usingen  als  eine  gute,  fortschrittliche 
Anstalt,  wahrend  sie  unter  preussischer  Verwaltung  zuruckgegangen  sein 
soil.  Die  Gebaude  sind  zweimal  abgebrannt.) 

Unter  den  sogenannten  hoheren  Schulen  (Siehe  Heft  3,  I.)  gelten 
in  Frankfurt  a.  M.  das  Wohler- Gymnasium  fur  Knaben  und  die  Elisa- 
bethen-Schule  (ehemals  englische  Fraulein-Schule)  fur  Madchen  als  her- 
vorragend  gute  Anstalten.  Die  Gebaulichkeiten  derselben  sind  neu  und 
zweckmassig  konstruiert  und  enthalten  an  Sammlungen,  Instrumenten 
und  L'ehrmitteln,  was  das  Herz  des  Lehrers  nur  begehren  mag.  Das 
Wohler-Gymnasium  bereitet,  wie  andere  Gymnasien,  zur  Aumahme  in  die 
Universitat  vor;  die  Elisabethen-Schule  gilt  als  Lehrerinnenseminar.  In 
ersterem  herrscht  mit  Bezug  auf  Sprachunterricht  der  sogenannte  Frank- 
furter Plan,  d.  h.  eine  moderne  Sprache  wird  gleichzeitig  mit  der  Mutter- 
sprache  vom  ersten  Schuljahre  an  durch  Anschauung  und  ^Conversation 
gelehrt,  wahrend  Lateinisch  und  Griechisch  erst  mit  dem  siebenten  Schul- 
jahre begonnen  werden.  Diese  Anordnung  wird  als  praktisch  und  erfolg- 
reich  geruhmt,  und  ich  sehe  nicht  ein,  warum  dies  nicht  viel  verniinftiger 
ist,  als  die  alte  Methode,  nach  der  die  toten  Sprachen  zuerst  und  die  leben- 
den  erst  spater  gelehrt  werden.  Eine  andere  Neuerung  hat  man  in  dieser 
Schule  ins  Leben  treten  lassen,  namlich,  dass  ein  Lehrer  die  Klasse  mit 
dem  Eintritt  in  die  Schule  empfangt  und  dieselbe,  mit  ihnen  aufsteigend, 
durch  fiinf  bis  sechs  Jahre  unterrichtet.  Wenn  die  Lehrer  ihr  Geschaft 
verstehen,  so  wird  dadurch  ein  weit  nachhaltigerer  erziehlicher  Ein- 
fluss  erzielt,  als  durch  die  jahrlichen  Versetzungen  von  Grad  zu  Grad. 
Da  kann  der  Lehrer  den  Charakter  und  die  Anlagen  des  Kindes,  seine 
Starken  und  Schwachen  studieren  und  durch  geeignete  Zuchtmittel  vor- 
teilhaft  auf  dasselbe  einwirken.  In  dem  Elementarunterricht  fiel  mir  das 
frische,  ungebundene  Wesen  der  Knaben  sehr  vorteilhaft  auf;  dieselben 
sprachen  lauter,  deutlicher  und  richtiger,  als  ich  sonstwo  gefunden  habe. 

In  der  Elisabethen-Schule  wird  im  zwolften  Schuljahre  Unterricht  in 
Psychologic  und  Padagogik  erteilt,  damit  die  jungen  Madchen  dereinst 
imstande  sind  zu  unterrichten.  Ein  sehr  fruchtbarer  Lehrgegenstand  fur 
Madchen  scheint  mir  die  Kunstgeschichte,  in  der  von  kundigen  Kraften 


Uber  europ'dische  Sclmlverbaltnisse.  61 

em  grundlicher  Unterricht  erteilt  wird.  In  den  Vereinigten  Staaten  wird 
diesem  Gegenstand  nur  in  den  besten  "female  colleges''  ein  Platz  einge- 
raumt.  und  es  wird  noch  lange  wahren,  ehe  die  Wichtigkeit  der  Kunst 
fur  das  Geistesleben  der  Nation  erkannt  wird.  Dass  in  Verbindung  mit 
diesem  Unterricht  fleissig  gezeichnet  und  gemalt  wird,  ist  selbstverstand- 
lich. 

Ich  habe  auch  nicht  verfehlt,  Dorfschulen  zu  besuchen,  und  in  diesen 
oft  ein  gesunderes  erziehliches  Thun  gefunden,  als  in  den  Schulsystemen 
der  Stadte.  Sofern  in  einer  der  ersteren  ein  gesunder  padagogischer  Geist 
den  oder  die  Lehrer  beseelt,  sind  diese  vermoge  der  langeren  Zeit,  die 
sie  dem  Studium  der  Kindesnatur  widmen  konnen,  befahigt,  nicht  nur  auf 
den  Verstand,  sondern  auch  auf  das  Gemiit  der  Kinder  einzuwirken. 
Dass  die  Kinder  in  diesen  Dorfschulen  bei  der  Entlassung  nach  der  Kon- 
firmation  nicht  nur  in  den  Elementarfachern  gut  beschlagen  sind,  sie  haben 
auch  durch  den  theoretischen  und  praktischen  Unterricht  in  Acker-  und 
Gartenbau  einen  tieferen  Einblick  in  die  Thatigkeit  ihrer  Eltern  bekom- 
men.  In  dem  ehemaligen  Konigreich  Hannover  besuchte  ich  eine  katho- 
lische  Dorfschule,  an  der  ein  Mann  und  eine  Frau  als  Lehrkrafte  ange- 
stellt  waren.  Beide  hatten  Wohnung  im  Schulhaus,  bei  dem  verheirateten 
Lehrer  hatte  die  Lehrerin  ihre  Kost.  Zu  der  Schulgerechtsame  gehorte 
auch  ein  kleines  bauerisches  Anwesen,  das  der  Lehrer  bestellte  und  woraus 
er  einen  Teil  seiner  Einkiinfte  bezog.  Mein  Besuch  dort  fiel  in  die  Zeit 
der  Heuernte,  und  wahrend  der  Lehrer  seine  Schulstunde  abhielt,  waren 
hinter  dem  Schulhause  Manner  und  Frauen  fur  ihn  an  der  Arbeit,  das  Heu 
einzuheimsen.  Ausser  den  zwei  Schulraumen  sah  ich  mir  die  ganze 
Amtswohnung  an  und  wurde  von  der  Lehrerin  in  ihrem  ,,Parlor"  —  ver- 
hiillet  euer  Antlitz,  ihr  amerikanischen  Lehrerinnen  —  mit  einer  Flasche 
Bier  und  Zigarren  bewirtet.  Die  Unterrichtsstunden  dauern  von  7  Uhr 
vormittags  bis  1  Uhr  nachmittags ;  im  Winter  fangt  die  Schule  eine  Stunde 
spater  an;  die  iilteren  Kinder  erhalten  wahrend  der  ersten  drei,  die  jun- 
geren  wahrend  der  zweiten  drei  Stunden  ihren  Unterricht.  Dass  dabei 
der  Korper  der  Kinder  durch  zu  vieles  Sitzen  geschadigt  wird,  wird  wohl 
niemand  behaupten;  die  Kinder  konnen  ihren  Eltern  den  ganzen  Nach- 
mittag  bei  der  Arbeit  helfen  und  sich  austoben.  Ob  man  diese  Einrich- 
tung  in  unseren  amerikanischen  Landschulen  auch  einfuhren  konnte?  — 
Diese  Frage  kann  ich  nur  dann  mit  Ja  beantworten,  wenn  das  amerika- 
nische  Volk  einsehen  gelernt  hat,  dass  zur  Ausbildung  im  Schulfache  eine 
ebenso  grundliche  Vorbereitung  gehort,  wie  zu  einem  anderen  gelehrten 
Beruf. 

Zum  Schlusse  will  ich  noch  eine  Anstalt  schildern,  die  in  ihrer  Art 
einzig  in  Deutschland,  vielleicht  in  der  ganzen  Welt,  dasteht;  ich  meine 
das  Freimaurer-Institut  fur  Knaben  in  Dresden-Striesen.  Mancher  denkt 
bei  dem  Namen  vielleicht  an  eine  Anstalt,  die  lediglich  zur  Erziehung  von 
Freimaurerkindern  bestimmt  ist;  dem  ist  jedoch  nicht  so,  und  es  wird  dies 


62  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

den  Lesern  sogleich  klar  warden,  wenn  ich  ihnen  die  Entstehungsge- 
schichte  der  Anstalt  kurz  erzahle.  In  Deutschland  leistet  der  Freimau- 
rerorden  auf  dem  Gebiete  der  Bildung  und  Wohlthatigkeit  im  Stillen  Be- 
deutendes.  Am  28.  Juni  1899  konnte  die  Anstalt  ihr  125jahriges  Beste- 
hen  feiern, 

Nach  dem  siebenjahrigen  Kriege,  dessen  Wut  vorzugsweise  das  K6- 
nigreich  Sachsen  empfand,  irrten  im  Erzgebirge  und  im  Vogtlande  viele 
Waisen  unbeschiitzt  und  unversorgt  umher.  Eine  Anzahl  Logen  ernannte 
eine  Armen-Deputation  von  Logenbriidern,  die  allein  im  Jahre  1772  mehr 
als  1100  Kinder  vor  dem  Hungertode  bewahrte  und  mit  Unterricht  ver- 
sorgte.     In  und  um  Dresden  war  die  Not  so  hoch  gestiegen,  dass  eine 
Polizeikommission  fur  nicht  mehr  als  400  Kinder  zu  sorgen  hatte,  die  sie 
in  sechs  Aushilfsschulen  unterrichten  liess.    Mit  Beihilfe  einiger  wohltha- 
tiger  Damen  wurde,  nachdem  der  ersten  Not  gesteuert  war,  mit  einem 
Kapital  von  300  Thalern,  wovon  ein  Drittel  fur  Armenunterstiitzung  und 
200  Thaler  zur  Errichtung  eines  Instituts  in  Friedrichstadt-Dresden  be- 
stimmt  war,  der  Grund  zu  der  Schule  gelegt,    Vom  1.  Dezember  1772 
an  wurden  in  der  ,,Friedrichstadt  bei  Dresden"  20  Knaben  und  10  Mad- 
chen  im  Alter  von  6 — 12  Jahren  vollstandig  unterhalten  und  unterrichtet 
Dies  war  die  Grundlage   zu  der   in  1774   ins  Leben  gerufenen  Anstalt. 
Durch  Beihilfe  grossmiitiger  Menschenfreunde  wurde,  was  anfanglich  nur 
als  vorubergehend  gedacKt  war,  zu  einem  dauernden  Unternehmen,  das 
unter  bestandigem  Schutze  der  Logen  stehen  sollte.     Die  sachsische  Re- 
gierung  jedoch  verlangte  Unterstellung  der  Anstalt  unter  eine  Staatsbe- 
horde,  damit  der  Anstalt  der  Charakter  einer  offentlichen  Schule  gewahrt 
werde.     Dies  geschah  im  Jahre  1801 ;  mittlerweile  aber  war  die  Schuler- 
zahl  so  gewachsen,  dass  ein  Anbau  notig  und  die  Schule  in  zwei  Klassen 
geteilt  werden    musste.     Ausser  den    Elementarfachern  wurde   zu  jener 
Zeit  viel  Aufmerksamkeit  auf  den  Religionsunterricht  verwandt,  1J  Stun- 
den   taglich.     Andere    Lehrgegenstande   waren:     ,,von    Rochow,    Kate- 
chismus  der  gesunden  Vernunft",  ,,Sulzer,  Voriibung  zur  Erreichung  der 
Aufmerksamkeit",  ,,Bdspiele  der  Weisheit  und  Tugend",  ,,t)ber  die  Lan- 
desgesetze",  ,,Ernesti,  Von  der  Hoflichkeit,  Ordnung  und  Reinlichkeit", 
,.Beschreibung    des    Handwerkerstandes"  (?)   und  ,,Vom  Aberglauben", 
Latein  eine  Stunde  taglich  vormittags  und  Franzosisch  eine  Stunde  tag- 
lich nachmittags.     Der  erste  Direktor  der  Anstalt  war  Johann  Gottlieb 
Moraweck,    der  als  ein    ,,redlicher  und  gewissenhafter  Informator"  ge- 
schildert  wird;  sein  Unterricht  wurde  ausserdem  noch  von  30  Kindern 
,,bessere  Stande'''  aufgesucht,  weil  sie  durch  seine  ,,geschickte  Methode 
angelockt"  wurden.     Einige  der  Lehrbucher  sind  bereits  bei  Aufzahlung 
der  Lehrfacher  aufgeftihrt  worden;  andere  waren  ,,Brosenius,  Technolo- 
gic", ,,Ludwigs  Biirgerfreund",  ,,Meidingers   und  Sanguins  franzosische 
Grammatik",  ,,Campes  Robinson  Crusoe",  ,,Wilmsens  Deutscher  Kinder- 


Uber  europ'discbe  Schulverb'dltnisse.  63 

freund",  ,,Hoffmanns  Naturkunde",    Biicher,    die  selbst  in  der  zweiten 
Halfte  des  neunzehnten  Jahrhunderts  noch  in  Gebrauch  waren. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  die  Geschichte  des  Instituts  zu  erzahlen; 
im  Gegenteil  muss  ich  mich  hiiten,  nicht  zu  viel  daraus  mitzuteilen.  Im 
Laufe  der  Zeit  erfuhr  die  Anstalt  mehrfache  Vergrosserungen  und  Ver- 
besserungen,  bis  nach  125jahrigem  Bestehen  die  Raumlichkeiten  zu  enge 
und  die  Umgebung  durch  das  Wachstum  der  Stadt  zu  gerauschvoll  wurde, 
erwarben  die  Vorsteher  der  Schule  in  1897  einen  geeigneten  Bauplatz  in 
der  Vorstadt  Striessen,  der  18,000  qm.  umfasst,  fur  den  Preis  von  345,124 
Mark.  Fur  spateren  Erwerb  von  Grundeigentum  wurden  noch  11,000 
Mark  verausgabt.  Da  die  Bauplane  vorher  bereits  entworfen  und  ange- 
nommen  waren,  so  konnte  bereits  am  15.  Juni  des  genannten  Jahres  der 
Grundstein  gelegt  werden.  Der  Neubau  besteht  aus  dem  Internatsge- 
baude,  d.  h.  den  Schlaf-  und  Speiseraumen  fiir  die  Zoglinge,  dem  Schul- 
haus,  zwei  Lehrerwohnungen  und  der  Turnhalle,  und  wurde  im  Juni  1899 
vollendet  und  durch  die  Jubelfeier  des  ISojahrigen  Bestehens  der  Anstalt 
eingeweiht  Es  kostete  1,465,000  'Mlark,  sodass,  mit  dem  Preis  fiir  das 
Terrain,  nahezu  2,000,000  Mark  fiir  die  Anlage  der  Schule  verwandt 
wurden. 

Fiir  die  Aussenarchitektur  wurden  die  reizvollen  Formen  der  deut- 
schen  Renaissance  mit  Anklangen  an  die  Gothik  gewahlt;  samtlicEe 
Strassenansichten  sind  in  reiner  Sandsteinarbeit,  die  Hofansichten  mit  ge- 
putzten  Wandflachen  ausgefiihrt.  Samtliche  Gebaude  liegen  nicht  un- 
mittelbar  an  den  drei  Strassen,  sondern  sind  von  dem  Biirgersteig  durch 
9 — 13  Meter  breite,  mit  eisernen  Gitter  eingefriedigte  Vorgarten  ge- 
trennt. 

Die  Gebaude  sind  dreistockig  und  liegen  um  den  mit  Schattenbau- 
men  bepflanzten  Exerzierplatz  (die  Zoglinge  werden  namlich  auch  mili- 
farisch  ausgebildet),  an  den  sich  zwei  Lawntennis-Platze,  Kegelbahnen, 
Turnhalle  und  Schiessstand  anschliessen.  Sie  haben  elektrische  Beleuch- 
tung,  Wasserleitung  und  Dampfheizung;  mit  den  Schlaf sa'len  in  Verbin- 
dung  ist  ein  Waschsaal  mit  Badeeinrichtung,  ein  Wichsraum  und  ein 
Kleidersaal,  wo  jeder  Zogling  einen  Kleider-  und  Schuhschrank  hat;  fer- 
ner  ein  Arbeitszimmer  und  der  herrlich  ausgestattete  Festsaal'mit  einer 
Orgel,  das  Jtlandfertigkeitszimmer  und  der  Speisesaal.  In  alien  Raumen 
herrscht  die  grosste  Reinlichkeit  und  Ordnung.  Da  auch  die  Leibwasche 
der  Schiiler  im  Institut  gewaschen  wird,  so  ist  auch  fiir  die  Aufbewah- 
rung  und  Austeilung  derselben  die  umsichtigste  Fiirsorge  getroffen.  Fiir 
das  leibliche  Wohl  sorgen  vier  Inspektoren  aus  dem  Militarstande,  die 
wahrend  des  Unterrichts  dienstfrei  sind,  damit  sie  wahrend  der  Freizeit 
und  der  Hausarbeit  mit  frischen  Kraften  walten  konnen.  Nach  deut- 
schem  Gebrauch  erhalten  die  Zoglinge  taglich  fiinf  Mahlzeiten,  namlich 
erstes  und  zweites  Fruhstiick,  Mittagessen,  Vesperbrot  und  Abendessen, 
bei  welch'  letzterem  einfaches  Braunbier  verabreicht  wird.  Letzteres  er- 


64  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

halten  die  Zoglinge  auch  Sonntags  zu  Mittag  regelmassig  und  an  hohen 
Festtagen  einen  leichten  Weisswein. 

Die  Schlafsale  sind  mit  eisernen  Einzelbetten  ausgestattet;  auf  er- 
hohter  Lagerstatte  schlafen  zwei  der  Inspektoren,  die  bei  der  geringsten 
Unruhe  oder  Stoning  wahrend  der  Nacht  durch  Druck  auf  den  Knopf 
den  ganzen  Saal  elektrisch  beleuchten  und  die  Ursache  zu  erfahren  ver- 
mogen.  Durch  diese  Einrichtung  werden  Streit  und  Erkrankungen  er- 
kannt  und  geheime  Siinden,  diese  Pest  mancher  Internate,  vermieden. 
Im  Sommer  wird  um  funf,  im  Winter  urn  6  Uhr  aufgestanden ;  die  Kna- 
ben  wichsen  ihre  Schuhe  und  reinigen  ihre  Kleider  selbst,  baden  und  wa- 
schen  sich  unter  der  Aufsicht  der  Inspektoren,  kleiden  sich  sorgfaltig  an 
und  gehen  dann  zum  ersten  Friihstuck.  Eine  Stunde  nach  dem  Aufste- 
hen  begeben  sich  die  Schiiler  nach  dem  Arbeitszimmer  und  verfertigen 
ihre  hauslichen  Arbeiten  unter  Aufsicht  der  Inspektoren.  Hierauf  findet 
eine  Andacht  statt,  und  um  acht  Uhr  beginnt  der  vier  Stunden  dauemde 
Unterricht.  In  den  Nachmittagsstunden  ist  der  Handfertigkeitsunter- 
richt  —  Pappen,  Kerbschnitt,  Tischler-  und  Schlosserarbeiten  —  ebenso 
der  Zeichen-,  Turnunterricht  und  das  Spielen.  Wahrend  der  Sommermo- 
nate  gehen  die  Knaben  unter  Aufsicht  zum  Baden  in^die^nahe  Elbe,  wo 
sie  auch  schwimmen  lernen.  Aus  einer  von  Freunden  und  Gonnern  der 
Anstalt  begriindeten  Kasse  werden  die  notigen  Cerate  fur  allerlei  Bewe- 
gungsspiele,  als  Tennis,  Croquet,  Cricket,  Boccia,  Fussball  u,  a,  ange- 
schafft  und  ebenso  die  Preise  eingekauft,  mit  denen  die  Sieger  bei  Wett- 
spielen  belohnt  werden.  Der  Spielplatz  wird  im  Winter  durch  t)ber- 
schwemmung  in  eine  prachtvolle  Eisbahn  verwandelt,  wo  die  Knaben! 
Schlittschuh  laufen  und  alle  mit  dem  Eissport  zusammenhangenden  Spiele 
treiben  konnen.  Fur  die  Erholung  ist  demnach  aufs  beste  gesorgt,  so 
dass  die  Korperbildung  unter  der  des  Verstandes  nicht  notleidet.  Fiir 
etwaige  Krankheitsfalle  unter  den  Schiilern  oder  Lehrern  ist  ein  Hospital 
vorgesehen  und  sind  ein  Arzt  und  Zahnarzt  angestellt;  bei  ansteckenden 
Krankheiten  werden  die  Patienten  in  stadtischen  Hospitalern  unterge- 
bracht. 

Das  Lehrerkollegium  besteht  aus  dem  Direktor,  sieben  Oberlehrern, 
drei  Fachlehrern,  die  samtlich,  mit  Ausnahme  des  Erstgenannten,  in  der 
Anstalt  wohnen,  sechs  Fachlehrern  fur  Gesang,  Musik  und  katholische 
und  israelitische  Religion  und  vier  ebenfalls  in  der  Anstalt  wohnenden 
Inspektoren,  denen  die  militarische  Ausbildung,  das  Turnen  und  die  Auf- 
sicht der  Zoglinge  obliegt  Di«  Schiilerzahl  betrug  1899  224  (darunter 
19  Tagschiiler),  die  je  1000  Mk.  das  Jahr  fur  Erziehung  und  Unterricht, 
Kost,  Wohnung  und  freie  arztliche  Behandlung  in  Krankheitsfallen  zu 
zahlen  haben,  gewiss  eine  sehr  geringe  Summe.  Im  Laufe  der  125  Jahre 
des  Bestehens  sind  5000  Zoglinge  aus  der  Anstalt  entlassen  worden.  Wah- 
rend der  Zeit  sind  von  Logen,  einzelnen  Briidern  und  anderen  nahezu, 
700,000  Mk.  zugewandt  worden. 


Die  ktirperlicbe  Zttcbtigung  in  der  amerikaniscbtn  Scbule.  65 

Jedenfalls  bemiiht  sich  die  Anstalt,  mit  ihren  vortrefflichen  Einrich- 
tungen  den  Schulern  das  Elternhaus  zu  ersetzen,  und  durch  das  geregelte 
Leben  und  guten  Unterricht  miissen  tiichtige  Menschen  daraus  hervor- 
gehen.  Wenn  meiner  Ansicht  nach  auch  keine  Erziehungsanstalt  das 
rechte  Elternhaus  ersetzen  kann,  so  ist  eine  Anstalt,  wie  das  Freimaurer- 
Institut,  fur  Halbwaisen  und  Kinder,  in  deren  Elternhause  die  Verhalt- 
nisse  nicht  aufs  beste  bestellt  sind,  von  unberechenbarem  Werte.  iWird 
dermaleinst  die  Zeit  kommen,  wenn  jedem  Kinde  des  Volkes  solche  Vor- 
teile  geboten  werden  konnen? 


Die  korperliche  Zuchtigung  in  der  amerikanischen 

Schule. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  «7.  Eiselineier,  2.  Dist.  Schule,  Milwaukee,  Wis. 


,,Auch  padagogische  Sitten  und  Anschauungen  lassen  sich  nur  ganz 
allmahlich  umbilden,  am  wirksamsten  durch  die  Verbreitung  einer  bes- 
seren  Einsicht."  Ackermann. 

,,Die  Strafe  hat  in  der  Erziehung  immer  eine  grosse  Rolle  gespielt. 

Dass  diese  ihre  Bedeutung  freilich  riicht  immer  die  gleiche  Schatzung 

erfahren  hat,  lehrt  uns  die  Geschichte  der  Padagogik,  wenn  sie  berichtet, 
dass  auf  'gepriigelte  Generationen  verhatschelte  gefolgt  sind',  und  umge- 
kehrt.  Es  ist  ziemlich  allgemein  anerkannt  und  wird  oft  genug  geriigt, 
dass  unserer  heutigen  Jugend  gegeniiber  die  Verhatschelung  vorwiege. 
Wer  den  darin  liegenden  Vorwurf  fur  berechtigt  'halt  und  daraus  zum 
Teil  wenigstens  die  Zuchtlosigkeit  weiterer  Schichten  der  Bevolkerung 
erklaren  zu  miissen  glaubt,  braucht  deshalb  noch  nicht  die  Riickkehr  zu 
den  barbarischen  Sitten  vergangener  Zeiten  zu  wiinschen."  (Reins  En- 
cyklopadisches  Handbuch  der  Padagogik.  Band  VI,  S.  917,  (Strafe.") 

Wenn  das  Obige  von  der  Strafe  im  allgemeinen  gilt,  so  gilt  es  erst 
recht  von  der  korperlichen  Zuchtigung.  Die  Zeit  ist  noch  nicht  weit 
hinter  uns,  in  der 'die  korperliche  Zuchtigung  als  Universalmittel  gait. 
Der  Missbrauch  des  Zuchtigungsrechtes  hat  dann  dahin  gefuhrt,  dass 


66  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

man  an  vielen  Orten  unseres  Landes  dem  Lehrer  das  Recht  nahm.  Man 
hat  den  Grundsatz  der  Prohibitionspartei  befolgt.  Diese  Partei  glaubt, 
dass  der  Missbrauch,  den  unmassige  Personen  mit  geistigen  Getranken 
treiben,  das  Verbot  der  Herstellung  derselben,  sowie  das  Verbot  jegli- 
chen,  auch  des  massigen  Gebrauches,  rechtfertige.  Man  hat  eben  wieder 
einmal  das  Kind  mit  dem  Bade  ausgeschiittet. 

Die  Verteidiger  der  Abschaffung  der  korperlichen  Zuchtigung  kon- 
nen  denn  auch  keinen  einzigen  hervorragenden  amerikanischen  Padago- 
gen  nennen,  der  ihre  Ansicht  vertritt.  Wohl  finden  sich  Zufallsschulman- 
ner,  die  diese  Ansicht  mit  wenig  Geschick,  meistens  in  der  Tagespresse, 
verteidigen.  Aber,  es  mehren  sich  in  neuerer  Zeit  die  Gegner  in  einem 
bedenklichen  Masse.  Wo  man  an  Stelle  der  korperlichen  Zuchtigung 
sogenannte  "Parental-  oder  Industrial  Schools",  oder  "Schools  for  Incor- 
rigibles"  oder  auch  nur  Klassen  fur  solche  Schiiler  errichtet  hat,  wird 
wohl  ein  Wiedereinfuhren  der  korperlichen  Zuchtigung  nicht  verlangt. 
Wo  aber  dies  nicht  der  Fall  ist,  wird  thatsachlich  der  Wiedereinfiihrung 
des  Rechtes  das  Wort  geredet. 

In  vielen  Stadten  hat  man  als  Ersatz  ,,Suspension"  und  ,,Expulsion" 
eingefuhrt. 

Die  Suspension  ist  nur  eine  zeitweilige  Ausweisung  des  Schiilers  aus 
der  Schule.  Gewohnlich  erscheint  der  Ausgewiesene  nach  einigen  Tagen 
mit  einem  Aufnahmeschein  von  der  Schulbehorde.  Wenn  die  Eltern  in 
solchen  Fallen  den  Schiiler  nicht  strafen,  geht  er  iiberhaupt  straffrei  aus. 
Der  Gestrafte  ist  der  Vater,  der  sich  die  Zeit  nehmen  muss,  den  Aufnah- 
meschein zu  erlangen.  Da  nun  in  vielen  Fallen,  in  denen  zur  Suspen- 
sion geschritten  werden  muss,  das  Haus  die  Schule  nicht  unterstiitzt,  so 
ist  ein  solcher  Strafmodus  ungeniigend.  Solche  Suspensionen  sind  denn 
auch  in  der  That  nicht  sehr  wirksam.  Man  hat  dies  wohl  auch  gemerkt. 
Denn  in  den  Regeln  mancher  Schulbehorden  ist  gleich  die  Bestimmung, 
dass  ein  Schiiler,  der  in  einem  Halbjahr  dreimal  suspendiert  wird,  nicht 
wieder  aufgenommen  werden  soil,  bis  der  Schulrat  seine  Wiederaufnahme 
verordnet. 

Der  bekannte  Padagoge  Emerson  E.  White,  friiher  Superintendent 
der  offentlichen  Schulen  von  Cincinnati,  sagt: 

"In  our  judgment,  small  boys  ought  not  to  be  suspended  from  school. 
What  they  especially  need  is  to  be  controlled  in  school,,  control  being 
every  child's  birth-right."  —  (School  Management.  By  E.  E.  White. 
Amer.  Book  Co.,  1894.  S.  209.) 

Auch  ist  diese  Strafe  nicht  bei  alien  Vergehen  anwendbar.  Oder, 
was  fur  «ine  Strafe  ist  die  Suspension  fur  einen  Schuls'chwanzer?  Weil 
er  hinter  die  Schule  geht,  weist  man  ihn  ganz  und  gar  aus  derselben. 
Das  heisst  heilen  nach  dem  Grundsatz:  Similia  similibus  curantur. 

Die  Expulsion  ist  die  permanente  Ausschliessung  eines  Schulers  aus 
der  Schule.  Der  Englander  Joseph  Landon  sagt  das  Folgende: 


Die  korperliche  Zttcbtigung  in  der  amerihaniscben  Scbule.         67 

"Expulsion  is  a  strong  measure  only  to  be  resorted  to  in  extremity. 
It  is  a  confession  of  failure  on  the  part  of  the  teacher." — (School  Manage- 
ment. By  Jos.  Landon.  London,  Kegan  Paul,  1889.  S.  349.) 

Thatsachlich  ist  denn  diese  Strafe  ein  Armutszeugnis,  das  sich  ein 
Gemeinwesen  giebt,  wenn  es  zugeben  muss,  mit  einem  13-  oder  14jahri- 
gen  Menschen  nichts  mehr  anfangen  zu  konnen.  Gerade  hier  soil  die 
Schule  ihre  erzieherische  Macht  ausiiben.  Kein  Mensch  hat  es  notiger, 
dass  seine  ethische  Natur  entwickelt  wird,  als  der  Mensch,  mit  dem  man 
bereits  im  14.  Jahre  nicht  mehr  fertig  werden  kann.  Aber  noch  eine 
Unzulanglichkeit  kann  vorkommen.  Wenn  Schulzwang  besteht  und  ein 
Schiiler  wird  defmitiv  ausgeschlossen,  was  dann?  Wie  soil  in  einem  sol- 
chen  Falle  dem  Gesetz  Geniige  geschehen? 

Es  sollen  nun  zunachst  obergerichtliche  Entscheidungen  angefuhrt 
werden,  urn  zu  zeigen,  wie  die  amerikanischen  Gerichtshofe  die  Sache 
betrachten. 

"A  schoolmaster  has  the  right  to  inflict  reasonable  corporal  punish- 
ment. He  must  exercise  reasonable  judgment  and  discretion  in  deter- 
mining when  to  punish  and  to  what  extent Among  reasonable  per- 
sons, much  difference  prevails  as  to  the  circumstances  which  will  justify 
the  infliction  of  punishment  and  the  extent  to  which  it  may  properly 
be  administered.  On  account  of  this  difference  of  opinion,  and  the  dif- 
ficulty which  exists  in  determining  what  is  reasonable  punishment,  and 
the  advantage  which  the  master  has  by  being  on  the  spot  to  know  all 
the  circumstances,  the  manner,  look,  tone,  gestures,  and  language  of  the 
offender,  which  are  not  always  easily  described,  and  thus  to  form  a  cor- 
rect opinion  as  to  the  necessity  and  extent  of  the  punishment  considerable 
allowance  should  be  made  to  the  teacher  by  way  of  protecting  him  in 

the  exercise  of  his  discretion If  there  be  any  reasonable  doubt  whether 

the  punishment  was  excessive,  the  master  should  have  the  benefit  of  the 
doubt." — (Lander  v.  Seaver,  32  Vermont,  144.  Approved  in  Patterson  v. 
Nutter,  8  Eastern  Repr.  (Maine)  662.) 

"Within  the  proper  jurisdiction  of  the  teacher,  he  may  exact  a  com- 
pliance with  all  reasonable  commands;  and  in  return  for  any  specific 
offense,  not  in  the  way  of  general  castigation,  visit  disobedience  with 
kind  and  reasonable  corporal  punishment."  —  (Danenhoffer  v.  State,  69 
Indiana,  295. 

"It  should  not  be  excessive  and  cruel,  it  should  be  proportioned  to 
the  gravity  of  the  offense,  and  always  within  the  bounds  of  moderation." — 
(Boyd  v.  State,  88  Alabama,  169.) 

"But  plainly  the  teacher's  calm  and  honest  judgment  as  to  what  is 
required  should  have  weight,  as  in  the  case  of  the  parent." — (Vanvactor 
v.  State,  113  Indiana,  276.  Commonwealth  v.  Seed,  5  Pa.  Law  J.  Rep.  78.) 

"And*  where  no  improper  weapon  has  been  employed  (State  v.  Alford, 
68  North  Carolina,  322.)  the  presumption,  until  the  contrary  appears  in 
the  proofs,  will  be  that  what  was  done  was  done  rightly." — (State  v.  Miz- 
ner,  50  Iowa,  145.) 

"He  (the  teacher)  has  the  right  under  the  law  to  inflict  moderate 
corporal  punishment  for  the  purpose  of  correcting  or  restraining  a  re- 
fractory pupil.  But  where  violence  is  permitted  to  effect  a  lawful  purpose, 


68  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

only  that  degree  of  force  must  be  used  which  is  necessary  to  effect  such 
purpose.  If  the  correction  was  moderate,  defendant  was  not  guilty  of 

an  assault  and  battery  at  all Whether  it  is  moderate  or  excessive 

must  necessarily  depend  upon  the  age,  sex,  condition,  and  disposition  of 
the  scholar,  with  all  the  attending  and  sourrounding  circumstances,  to 
be  judged  of  by  the  jury,  under  direction  of  the  court  as  to  the  law  of 
the  case." — (Dowlen  v.  State,  14  Tex.  App.  66.) 

In  diesem  Falle  hatte  ein  Lehrer  einen  13jahrigen  Knaben  empfind- 
lich  geziichtigt. 

"He  (the  teacher)  stands  in  loco  parentis,  and  may  exercise  authority 
over  pupils  in  many  chings  concerning  which  the  board  have  remained 
silent.  He  is  responsible  for  the  discipline  of  the  school  and  for  the  pro- 
gress and  conduct  of  students He  may  inflict  corporal  punishment 

and  suspend  a  pupil  in  a  proper  case.  In  general,  however,  he  should 
report  to  the  board  for  its  action  in  the  first  instance,  unless  the  conduct 
of  the  offender  be  such  as  to  warrant  immediate  suspension,  when  the 
teacher  should  promptly  report  his  action  and  the  reasons  therefore  to 
the  board."— (State  v.  Burton,  45  Wis.  150.) 

In  den  beiden  unten  angefiihrten  Fallen  haben<  die  Gerichte  ahnlich 
entschieden.  (Commonwealth  v.  Randall,  4  Gray,  36;  Cooper  v.  Mcjen- 
kins,  4  Indiana,  290.) 

Die  Gerichte  haben  auch  sonst  den  Lehrer  stets  unterstiitzt,  wenn  er 
sein  Recht  nicht  missbrauchte.  Das  geht  aus  folgenden  zwei  Entschei- 
dungen  hervor: 

"In  an  action  for  assault  and  battery  the  previous  misconduct  of  the 
pupil  may  be  shbwn." — (Sheehan  v.  Sturges,  2  Atlantic  Reports,  841.) 

"The  authority  of  one  who  teaches  without  the  certificate  required  by 
law  to  govern  the  school  and  inflict  punishment  on  unruly  pupils  cannot 
be  contested  by  them  or  by  their  parents." — (Kidder  v.  Chellis,  59  N.  H. 
473.) 

Nun  sollen  auch  Schulmanner  zu  Worte  kommen: 

"Corporal  punishment  or  expulsion  must  be  at  hand  as  a  last  resort. 

If  corporal  punishment  be  thought  degrading  or  illegal,  the  necessity 

for  using  it  may  be  avoided  by  the  expulsion  of  any  pupil  who  appears 
insensible  to  the  motives  which  the  teacher  considers  himself  at  liberty 
to  present." — (The  Principles  and  Practice  of  Common  School  Education. 
By  James  Currie.  Cincinnati,  Robert  Clarke  &  Co.,  1884.  S.  219.) 

"Again  we  say,  avoid  coercive  measures  whenever  it  is  possible  to 
do  so;  but  when  you  find  despotism  really  necessary,  be  despotic  in  good 
earnest." — (Education:  Intellectual,  moral  and  physical.  By  Herbert 
Spencer.  New  York,  John  B.  Alden,  1885.  S.  201.) 

"I  believe  in  corporal  punishment  in  the  schools.  It  should  not  be 
carried  to  excess,  but  the  fact  that  an  incorrigible  boy  knows  that  the 
teacher  may  whip  him  is  a  tremendous  support  to  the  teacher."  —  (Dr. 
Stanley  Hall,  Lecture  in  Chicago,  1889.  American  Public  Schools.  By 
John  Swett.  American  Book  Company,  1900..S.  178.) 

"So,  when  a  child  rebels  against  the  authority  of  the  parent  or  the 
teacher,  the  use  of  the  rod  to  compel  obedience  may  be  justifiable.  Open 


Die  korperlicbe  Zttcbtigwig  in  der  amerikaniscben  Scbule.         69 

insubordination  may  not  only  justify,  but  even  make  necessary,  a  resort 
to  proper  corporal  chastisement." — (School  Management.  By  Emerson  E. 
White.  American  Book  Company,  1894.  S.  208.) 

"Does  it  not  seem  that  we  are  carrying  the  idea  of  moral  suasion 
to  an  excess?  Is  it  not  possible  that  the  increasing  number  of  incorrig- 
ibles  may  bear  some  relation  to  this  sentimentality?  I  know  that  I  am 
terribly  heterodox  in  even  suggesting  that  a  good,  sound  thrashing  occa- 
sionally would  be  of  more  benefit  to  a  capricious,  spunky  youngster  than 
all  the  goody-goody  talks  so  earnestly  advocated.  We  are  getting  too 
many  mamma's  pets  and  Lords  Fauntleroy  and  I  fear  our  system  has  a 
tendency  to  perpetuate  it.  Give  us  more  good,  healthy,  moral  discipline; 
more  Sanfords  and  Mertons  and  Tom  Browns." — (John  E.  Clark,  President 
of  Board  of  Education  of  the  City  of  Detroit,  Mich.  53rd  Annual  Report, 
1896.  S.  17.) 

"Coming  to  general  conclusions,  the  lecturer  said  if,  as  he  supposed 
was  always  the  case,  children  were  punished  to  make  them  better,  they 
must  be  punished  on  lines  they  understood.  The  young  child  understood 
and  responded  to  strong,  vigorous,  physical  reaction.  As  he  grew  older, 
enlightenment  and  subjective  treatment  might  be  gradually  substituted 
for  physical  reaction.  Certainly  there  was  a  time  when  the  child  had 
to  rest  in  an  absolute  controlling  physical  force.  From  that  time  until 
the  time  when  an  absolutely  self-directing  individual  had  grown  up,  the 
problem  was  to  diminish  gradually,  inch  by  inch,  physical  control  and 
substitute  for  it,  inch  by  inch,  subjective  control.  He  knew  of  no  more 
God-forsaken  and  helpless  thing  than  the  child  who  had  not  learned  the 
intense  calm,  rest  and  peace  of  a  strong  controlling  adult  hand.  In 
grappling  with  the  problem  they  must  remember  that  a  child  of  eight 
might,  in  mental  habits,  have  reached  the  age  of  twenty. 

Moreover,  he  had  known  eight-year-old  boys  who  were  still  In  the 
nine-months-old  stage.  In  view  of  the  foregoing  conclusions,  he  regretted 
exceedingly  the  fact  that  "no  corporal  punishment"  was  the  hard  and  fast 
rule  in  some  schools,  services  and  prisons."  —  (A  Study  on  Children's 
Attitudes  Towards  Punishment.  By  Professor  Earl  Barnes  of  London, 
Engl.  Zu  finden  im  "Popular  Educator",  Nov.,  1899.) 

"But  with  certain  individuals  kindness  seems  to  have  very  little 
effect,  so  some  other  methods  must  be  invented  to  suit  their  particular 
case,  even  resorting  if  necessary  to  corporal  punishment." — (Thomas  Hen- 
derson, President  of  Board  of  Education  of  the  City  of  Detroit,  Mich. 
56th  Annual  Report,  1899.  S.  12.) 

"Physical  constraint,  however  deplorable,  will  be  necessary  until 
human  nature  is  changed.  The  boy  who  has,  by  heredity,  a  violent 
temper  and  who,  by  training  or  lack  of  training,  has  grown  into  the  habit 
of  yielding  to  ungovernable  fits  of  passion,  cannot  be  corrected  by  moral 
suasion  or  wheedling  petitions  from  his  tutors. 

Only  fear,  the  lowest  of  motives,  fear  of  bodily  pain,  will  cause  him 
to  hold  himself.  'Tis  then  that  a  blow,  suddenly  given,  and  the  certainty 
of  its  prompt  repetition  upon  occasion,  the  fear  of  corporal  punishment 
vigorously  administered,  stands  as  the  only  corrective  of  a  temperament 
that,  untrained,  leads  the  individual  inevitably  to  unreliable,  fiery  adult 
character. 

Because  such  occasions  are  rare  is  not  sufficient  cause  for  the  total 
abolition  of  vigorous  punishment." — (The  Old  Versus  the  New  in  Educa- 


70  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

tion.  Address  before  the  Chicago  Principals.  Delivered  November  4, 
1899.  By  Supt.  Aaron  Gove,  Denver,  Colo.  Zu  finden  in  "The  Intelli- 
gence", Nov.  15,  1899.) 

"Secure  order,  if  possible,  without  corporal  punishment;  but  secure 
obedience  at  all  hazards.  For  in  school,  as  in  an  army,  discipline  is 
essential  to  existence." — (American  Public  Schools.  By  John  Swett.  Am. 
Book  Co.  1900.  S.  178.) 

"It  is  refreshing  to  see  that  there  are  signs  of  reaction  against  the 
mawkishness  that  has  resulted  in  many  places  in  laws  prohibiting  teach- 
ers from  inflicting  corporal  punishment Too  much  babying  may  be 

more  cruel  than  a  good  sound  strapping.  Not  that  there  is  any  good 
excuse  for  the  parent  or  teacher  who  knows  no  other  or  better  method 
of  punishment  in  most  cases." — (Corporal  Punishment  Again.  By  S.  Y. 
Gillan.  In  "The  Western  Teacher",  January,  1900.) 

"To-day  in  every  large  city  there  are  boys  running  the  streets,  thrown 
out  of  school  because  of  their  incorrigibility,  leading  lives  of  idleness  and 
being  schooled  in  crime;  the  fathers  of  the  murderers  and  burglars  of 
the  future,  who,  if  they  had  received  the  proper  corporal  punishment, 
would  have  profited  greatly  by  their  first  lesson  in  obedience  to  law.  I 
have  no  sympathy  with  this  namby-pambyism  in  discipline.  I  have  no 
sympathy  with  it  because  it  is  not  good  for  the  boy.  There  is  nothing 
so  wholesome  for  the  average  bad  boy,  and  it  is  he  as  a  rule  who  makes 
the  bad  man,  as  a  full  and  early  realization  of  the  fact  that  law  is  to  be 
obeyed,  that  its  violation  will  be  followed  by  a  certain  punishment,  and 
a  punishment  of  such  a  nature  that  its  repetition  will  not  be  sought.  I 
would  not  have  you  believe  that  I  advocate  severe  measures  with  children. 
No  one  would  go  further  than  I  to  avoid  the  disagreeable  duty  which 
sometimes  comes  to  every  teacher.  But  when  the  time  comes  I  woura 
perform  the  duty,  and  I  would  not  confess  myself  a  failure,  nor  feel  that 
I  was  such,  because  I  could  not  perform  it  in  a  gentler  fashion."  —  (The 
Mission  of  the  Common  Schools.  By  Supt.  C.  M.  Jordan,  Minneapolis, 
Minn .  An  address  delivered  before  the  Illinois  State  Teachers'  Associa- 
tion. Dec.  26,  1899.  Zu  finden  in  "The  Intelligence",  Feb.  15,  1900.) 

"We  are  far  from  asserting  that  caning  is  never  required There 

are  indeed  heinous  offences  —  such  as  cruelty,  vicious  conduct,  or  open 
rebellion  —  which  appear  to  be  most  readily  checked  by  its  application." 
—(P.  W.  Joyce,  Ireland.  Educational  Foundations.  Nov.,  1900.  E.  L. 
Kellogg  &  Co.,  Chicago.  S.  156,  157.) 

Die  Zahl  derjenigen,  welche  die  korperliche  Ziichtigung  beibehalten 
wissen  wollen,  liesse  sich  leicht  vermehren.  Padagogen  wie  Page,  Fitch, 
Hewett,  Raub  und  Emerson  sind  Vertreter  derselben  Ansicht.  Mir  ist 
iiberhaupt  kein  amerikanischer  Padagoge  bekannt,  der  die  korperliche 
Ziichtigung  unter  alien  Umstanden  aus  der  Schule  verpont.  Auch  kenne 
idi  keine  obergerichtliche  Entscheidung,  die  dem  Lehrer  das  Recht 
abspricht,  unter  angemessenen  Umstanden  einen  Schiller  zu  ziich- 
tigen.  Anders  steht  die  Sache,  wenn  die  Gesetze  eines  Staates  dem  Leh- 
rer dieses  Recht  ausdriicklich  absprechen. 

Hoffentlich  finden  wir  jetzt  die  goldene  Mittelstrasse.  Kein  ver- 
niinftiger  Mensch  verlangt  eine  Riickkehr  zu  den  barbarischen  Sitten 
vergangener  Zeiten.  Aber  wohl  verlangen  Schulmanner  und  Lehrer,  die 


Verg'dnglicbheit  ({Mortality).  71 

dem  Gegenstande  Aufmerksamkeit  geschenkt  haben,  dass  da,  wo  man 
keine  separaten  Schulen  fur  die  "Incorrigibles"  gegrundet  hat,  dem  Leh- 
rer  das  Recht  der  korperlichen  Ziichtigung  zugestanden  wird. 

Wer  dieses  Recht  missbraucht,  der  biisse  dafur.  Aber  man  binde 
dem,  der  es  nicht  missbraucht,  nicht  deshalb  die  Hande,  weil  andere  die- 
ses Recht  missbraucht  haben.  Der  Missbrauch  hebt  nie  und  nimmer  den 
rechten  Gebrauch  auf. 


Verganglichkeit  (Mortality). 


(Wtn.  Knox.) 

(Lincolns  Lieblingsgedicht.) 
Frei  iibertragen  von  JR.  Ruben,  Hamburg,  Rutschbahn  V. 

1.  Wie  konnte  er  stolz  sein,  des  Sterblichen  Gelst? 
Wie  Wolken  enteilen,  ein  Sternlein  entgleist, 

Ein  Brechen  der  Wellen,  ein  Strahl  nur  des  Lichts, 
So  eilt  er  durchs  Leben  ins  ewige  Nichts! 

2.  Wie  Blatter  der  Weide  und  Eiche  vergehn, 
Zerstreut  durcheinander  verwelken,  verweh'n, 
Wird  Jugend  und  Alter  dem  Tode  zum  Raub, 
Wird  Hohes  und  Niederes,  alles  zu  Staub! 

3.  Der  Saugling,  von  zartlicher  Mutter  gedruckt, 
Die  Mutter,  durch  Liebe  der  Kinder  begliickt, 
Der  Gatte,  gepriesen  von  Mutter  und  Kind, 
Sie  alle,  das  ewige  Dunkel  umspinnt! 

4.  Die  rosigste  Schone,  die  lieblichste  Maid, 
Und  die  um  sie  rangen  im  wildesten  Streit, 
Und  die  sie  besangen,  und  die  sie  geminnt, 
Ihr  aller  Gedachtnis  verwehet  der  Wind. 

5.  Des  Kbniges  Hand,  mit  dem  Szepter  bewehrt, 
Das  Haupt  mit  der  Miitze  des  Bischofs  beschwert, 
Das  Auge  des  Weisen.  des  Tapferen  Herz, 

Es  birgt  sie  die  Gruft,  ihre  Lust,  ihren  Schmerz! 

6.  Der  Bauer,  zum  Saen  und  Ernten  bestimmt, 
Der  Hirt,  der  die  Hoh  mit  den  Ziegen  erklimmt, 
Der  wandernde  Bettler,  auf  Suche  nach  Brot, 
Wie  Graser  zertreten  sind  alle  vom  Tod! 


72  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

7.  Der  Fromme,  beseligt  durch  himmlische  Huld, 
Uer  Sunder,  beladen  mit  grausiger  Schuld, 
Der  Gute,  der  Bose,  der  Kluge,  der  Fant, 
Vermischen  geduldig  die  Knochen  im  Sand! 

8.  So  schwindet  die  Menge,  wie  Blume  und  Baum, 
So  macht  sie  den  Spatergekommenen  Raum, 

So  naht  sich  die  Menge,  wie  wir  es  gesehn, 
Und  immer  dasselbe,  wird  ewig  gescheh'n! 

9.  Denn  was  unsre  Vater  erschauten  dahier, 
Die  gleichen  Gebilde  erschauen  auch  wir, 
Die  Sonne,  dieselbe,  derselbige  Fluss, 
Dieselbigen  Pfade  durchwandelt  der  Fuss! 

\  . : 

Ut  10.    Wir  denken,  was  einst  unsre  Vater  gedacht, 

Wir  schaudern  vorm  Tode,  wie  sie  es  gemacht. 

Wir  kleben  am  Leben,  wie  sie  d'ran  geklebt, 

Doch  flieht's,  —  wie  der  Vogel  sich  himmel warts  hebt! 

11.  Sie  liebten,  —  wie  schwand  doch  die  Liebe  so  bald, 
Sie  hassten,  —  die  Herzen  der  Stolzen  sind  kalt, 

Sie  weinten,  —  doch  langst  schon  verstummte  ihr  Le   ,. 
Sie  jauchzten,  —  doch  aus  ist  die  selige  Zeit! 

12.  Sie  starben,  —  und  wir,  die  Lebendigen  nun, 
Beschreiten  den  Rasen,  darunter  sie  ruhn! 
Demselbigen  Wechsel  auf  irdischer  Bahn 
Begegnen  auch  wir  nun,  wie  sie  es  gethan! 

13.  Und  Zweifel  und  Hoffnung,  und  Wonne  und  Qual, 
Sie  wechseln,  wie  Sonne  und  Regen  zumal, 

Und  Wehruf  und  Jubel,  sie  folgen  sich  schnell, 
Und  Lachen  und  Weinen,  wie  Welle  auf  Well'! 

14.  Eln  Zucken  der  Wimper,  ein  Atmen  der  Brust, 
Und  bliihendes  Leben  verendet  im  Dust! 

Vom  Prunksaal  zum  Grabe  1st  balde  gereist, — 
Wie  konnte  er  stolz  sein,  des  Sterblichen  Geist? 

Hamburg.  Jull  1899. 


Fur  die  Schulpraxis. 


I.     Selbstbeherrschung  in  der  Schule. 

Bine  Skizze  von  11.  T>.  Konrad,  Moissl-Aussig. 
(Aus  ,,Freie  Schulzeittmg"). 

Eine  der  wichtigsten,  aber  auch  schwierigsten  Tugenden  1st  die  Selbstbe- 
herrschung des  Lehrers.  Ohne  dieselbe  ist  sein  erziehlicb.es  und  unterrichtli- 
ches  Wirken  ohne  den  rechten  Erfolg;  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung  wird  er 
sogar  eine  ganze  Reihe  von  beschamenden  Misserfolgen  aufzuweisen  haben, 
wenn  er  sich  nicht  selbst  beherrschen  kann. 

Die  Selbstbeherrschung  ist  ein  wesentlicher  Tell  der  Selbstzucht,  bei  wel- 
cher  der  einzelne  Mensch  selbst  die  wachsame  Fiihrung  hinsichtlich  seiner  kor- 
perlichen  und  geistlgen  Ausbildung,  seiner  Regungen  und  Entschliessungen  mit 
vollem  Bewusstsein  in  entschiedener  Absicht  iibernimmt.  Man  kann  die  Selbst- 
beherrschung durch  Erziehung  anbahnen,  man  kann  sich  daran  gewohnen, 
aber  die  weitere  Kraftigung  ist  Sache  der  Selbstzucht,  bei  welcher  die  ureigene 
sittliche  Kraft  den  Oberbefehl  iibernimmt.  So  ist's  bei  alien  Menschen,  so 
ist's  auch  bei  dem  Lehrer.  Die  Selbstbeherrschung,  etwa  hervorgerufen  durch 
aussere  Umstande,  z.  B.  durch  den  Eintritt  eines  Vorgesetzten,  bei  einer  Schul- 
priifung,  einem  Schulfeste,  bei  elhem  praktischen  Vortrage  im  Lehrervereine, 
hat  keinen  anderen  Wert  als  den,  dass  man  zur  Erkenntnis  kommt,  die  Selbst- 
beherrschung sei  moglich.  Mit  der  Erkenntnis  ist  aber  bekanntlich  noch  nicht 
viel  gewonnen,  wenn  sie  nicht  die  Entschledenheit  des  Willens  zur  Folge  hat, 
sich  im  Sinne  der  gewonnenen  Erkenntnis  zu  bilden,  und  wenn  sich  nicht  die 
Kraft  dauernd  einstellt,  den  Willen  durchzufiihren. 

In  der  Schule  verlangen  wir  von  den  Kindern  ziemlich  starke  Bewelse  von 
..Selbstbeherrschung".  Sie  miissen  ruhig  sitzen,  obwohl  ihnen  das  lustige  Um- 
hertollen  auf  dem  Spielplatze  lieber  ware;  sie  miissen  aufmerksam  zuhoren, 
obzwar  stets  bewegliche  Kindergedanken  und  ebenso  viele  aussere  Storungen 
—  und  wenn  es  summende  Fliegen  waren  —  sich  einstellen;  sie  diirfen  nicht 
schwatzen,  wenn  auch  der  Nachbar  noch  so  sehr  darnach  verlangt,  kurz:  sie 
miissen  gar  oft  entgegen  der  eigenen  Kindernatur  sich  benehmen.  Es  ist  also 
leicht  begreiflich,  ja  sogar  naturgemass,  wenn  das  Kind  sich  andere  Wege  zu 
bahnen  sucht;  der  Kenner  der  Kinderseele  findet  es  ganz  in  der  Ordnung,  wenn 
im  Laufe  des  Unterrichtes  kindischer  Mutwille  die  gesetzten  Schranken  durch- 
bricht  Oder  durch  brechen  will.  In  den  seltensten  Fallen  ist  boser  Wille  die  Ver- 
anlassung.  Schon  gegeniiber  laufenden,  in  jeder  Schule  vorkommenden  Unge- 
horigkeiten  ist  die  Selbstbeherrschung  des  Lehrers  iiberaus  notwendig.  Weder 
Ungeduld  noch  Unmut,  weder  Heftigkeit  noch  Strafe  sind  hier  am  Platze;  dage- 
gen  wlrken  in  solchen  Fallen  wiirdevoller  Ernst,  aus  dem  Milde  und  Liebe 
sprechen,  weise  Nachsicht  und  aufmunternde  Mahnung. 

Ein  Zuriickversenken  in  die  eigene  Kinderzeit  mit  ihren  kindischen  Strei- 
chen  und  Thorheiten  ist  sehr  anzuraten;  ist  der  Lehrer  selbst  Familienvater, 
so  weiss  er  ohnehin  manches  zu  entschuldigen  Oder  wenigstens  nicht  allzu 
hoch  anzurechnen,  was  die  Kinder  thun,  da  er  ja  1m  eigenen  Haus  eine  gute 
Schule  durchmacht.  August  Hermann  Niemayer  sagte:  ,,Hat  der  junge  Pada- 
goge  schon  vergessen,  dass,  als  er  Jung  war,  so  vieles  anders  auf  ihn  wirkte 
als  jetzt;  dass  er  als  Kind  ebenso  gut  wie  seine  Anvertrauten,  kindische  und 
thorichte  Anschlage  hatte?  Ist  er  sich  bewusst,  dass  jenen  kindischen  An- 
schlagen  und  Ausbriichen  des  Mutwillens  Oder  des  Strebens  gegen  das  Gesetz 
immer  ein  so  boser  Wille,  absichtliche  Beleidigung  Oder  Krankung,  wohl  gar 
eigentliche  Bosartigkeit  zum  Grunde  lag,  wie  er  so  leicht  seinem  Zogling  anzu- 


74  P'ddagogische  Monatsbefte. 

schuldlgen  geneigt  1st?"  Wer  schon  bei  solchen  laufenden  Ungehorigkeiten  in 
der  Schulstube  seine  Selbstbeherrschung  verliert.  die  eigene  Wiirde  einbusst, 
zur  Strafe  greift,  der  macht  das  Ubel  arger:  Es  wird  immer  toller  zur  Qual 
des  Lehrers  und  leider  auch  oft  zum  Gaudium  der  Kinder. 

Was  erst  soil  geschehen,  was  kann  erwartet  werden,  wenn  grossere  Anfor- 
derungen  an  die  Selbstbeherrschung  des  Lehrers  sich  geltend  machen,  z.  B. 
Trotz,  ott'ener  Ungehorsam,  Beieidigung  des  Lehrers,  Verlogenheit,  Diebstahl 
u.  s.  w.!  Werden  sich  vielleicht  dann  die  Selbstbeherrschung,  die  richtige  Ab- 
wagung  und  Beurteilung,  die  besonnene  Strenge  leichter  einstellen?  Gerade  in 
solch  schweren  Fallen  werden  Heftigkeit  und  leidenschaftliches  Wesen  des 
Lehrers  ungemein  schadlich  wirken.  Auch  in  diesen  schweren  Fallen  soil  der 
Erzieher  mit  der  Schwache  der  Einsicht  unserer  Kinder,  mit  ihrem  Unvermo- 
gen,  die  ganze  Grosse  der  Schuld  sofort  zu  begreifen,  rechnen.  Dazu  gehort 
kiihle  Besonnenheit,  eiserne  Selbstbeherrschung. 

Solche  1st  freilich  leicht  zu  predigen;  in  der  Wirklichkeit  1st  die  Selbstbe- 
herrschung nicht  bei  alien  Lehrern  gleich  schwer  zu  erringen.  Das  Tempera- 
ment, das  sich  iibrigens  zligeln  lasst,  hat  hier  auch  ein  Wortlein  dreinzureden, 
in  noch  hoherem  Grade  die  Nervositat,  welche  leider  immer  weitere  Kreise  in 
der  Lehrerschaft  zieht.  Diese  leichte  Reizbarkeit  des  Nervensystems  1st  ein 
starker  Feind  der  Selbstbeherrschung  in  der  Schule.  Aber  man  vergesse  nie, 
dass  jede  Selbstiiberwindung  und  Selbstbeherrschung  die  Nervositat  mildern. 
Wir  miissen  zwar  die  Nerven  haben,  aber  wir  sollen  alles  aufbieten,  urn  zu  ver- 
hindern,  dass  sie  uns  haben. 


II.     Die  Verbesserung  der  Aufsiitze.  * 

Die  Aufsatzkorrekturen  gelten  allgemein  als  die  unangenehmste  Lehrerar- 
beit  und  auch  als  die  undankbarste.  Und  das  mit  Recht.  Bei  Durchsicht  einer 
Schulerarbeit,  die  doch  in  der  Regel  das  Ergebnis  gewissenhafter  Vorbereitung 
und  stundenlangen  Fleisses  ist,  erweist  sich  die  Ansicht  des  Lehrers  iiber  Fleiss 
und  Leistung  seiner  Schiiler  oft  als  Tauschung,  und  diese  Erkenntnis  muss 
natiirlich  niederdriickend  und  entmutigend  wirken.  Fehler,  die  zehnmal  ver- 
bessert  wurden,  kommen  aufs  neue  vor,  und  Worter,  die  zehnmal  richtig  ge- 
schrieben  wurden,  werden  das  elfte  Mai  falsch  geschrieben.  Aber  trotz  des 
anscheinend  so  geringen  Erfolgs  der  Korrekturarbeit  ist  diese  doch  nicht  zu 
umgehen,  und  es  bleibt,  um  sie  ertraglicher  zu  machen,  kein  anderes  Mittel 
iibrig,  als  so  viel  wie  moglich  Fehler  zu  verhuten  zu  suchen,  denn  das  ist  nicht 
bloss  fur  den  Lehrer,  sondern  auch  fiir  den  Schiiler  nvitzlicher  als  Fehler  ver- 
bessern. 

Wie  lassen  sichaber  Fehler  verhuten?  Die  Antwort 
ergiebt  sich,  wenn  man  den  Quellen  nachspiirt,  aus  denen  sie  entspringen.  Die 
wfchtigsten  Fehlerquellen  scheinen  mir  in  folgendem  zu  liegen: 

1.  Es  fehlt  dem  Aufsatzschreibenmeistens  an 
einer  a  u  s  r  e  i  c  h  e  n  d  e  n  Grundlage  in  der  Ausbildung 
der  mundlichen  Rede,  sowie  in  grammatisch-sti- 
listischer  und  o  r  t  h  o  g  r  a  p  h  i  s  c  h  e  r  Hinsicht. 


*)    Aus  Ernst  Lttttge.     Der  stilistische    Anschauungsunterricht,  II.   Teil.     Leipzig,  B. 
Wunderlich. 


Die  Yerbesserung  der  Aufs'dt^e.  75 

2.  Die  Schiller  sind  nicht  im  stande,  ihre  eigene  Arbeit  mit  kri- 
tischem  Blick  zu  priifen,  weil  es  ihnen  teils  an  einem  Massstab  zur 
Beurteilung,  teils  auch  an  der  erforderlichen  Gewohnung  fehlt.    Diesem  Mangel 
kann  nur  eine  planmassige  Anleitung  im  Sinne  des  stilistiscnen  Anschauungs- 
unterrichts  abhelfen,  wodurch  dem  Schiiler  uberall  die  Griinde  seines  Verfah- 
rens  zum  Bewusstsein  gebracht  werden.    Daneben  ist  unausgesetzt  darauf  zu 
halten,    dass    er    langsam    und    besonnen    arbeitet    und 
auf    Einzelnes    undKleinigkeiten    a  c  h  t  e  n    lernt,    um 
Fehler  zu  vermeiden  Oder  Fehlerhaftes  selbst  zu  finden. 

3.  Endlich  liegt  eine  Hauptfehlerquelle    in    dem  Umstande,    dass    man 
den    Schulern    zu    umfangreiche    Arbeiten    zumutet, 
die  ein  sorgfaltiges  Prufen  und  Wahlen  und  eine  gewissenhafte  Selbstkritik  und 
Selbstkorrektur  unmoglich  machen.    Je  kiirzer  die  Arbeit  ist,  desto  mehr  Zeit 
und  Kraft  bleibt  ihm  fiir  die  korrekte  Ausfiihrung  im  einzelnen  und  kleinsten. 

Aber  selbst  wenn  alles  gethan  wird,  was  zur  Verhiitung  von  Fehlern  ge- 
tlian  werden  kann,  wird  fiir  die  Korrektur  der  Schiileraufsatze  durch  den  Leh- 
rer  immer  noch  genug  Arbeit  iibrig  bleiben. 

Was  soil  verbessert  werden?  Im  allgemeinen  lasst  sich  diese  Frage  dahin 
beantworten,  dass  alle  Verstosse  gegen  die  schriftlichen  Regeln,  also  die  sti- 
listischen,  grammatischen,  orthographischen  und  Interpunktionsfehler  zu  ver- 
bessern  seien.  Indes  bedarf  dieser  Satz  im  Hinblick  darauf,  dass  wir  es  mit 
Kindern  zu  thun  haben,  doch  noch  einer  Einschrankung.  Die  Entscheidung 
dariiber,  was  sprachlich  richtig  Oder  falsch  ist,  steht  ja  den  Spiachgesetzen  zu, 
aber  es  giebt  doch  so  manche  Falle,  wo  die  Grenze  zwischen  dem  Richtigen 
und  Falschen  nicht  so  genau  durch  Gesetz  und  Brauch  vorgezeichnet  ist,  wo 
also  dem  personlichen  Belieben  Oder  Geschmack  eine  gewisse  Freiheit  gelassen 
wird.  Und  in  all  solchen  Fallen  sollte  der  Lehrer  bei  der  Korrektur  die  grosste 
Milde  und  Weitherzigkeit  walten  lassen.  Das  absolut  Unrichtige  ist  selbstver- 
standlich  nirgend  zu  dulden,  aber  das  Zulassige  sollte  iiberall  un- 
beanstandet  bleiben.  Dies  gilt  in  erster  Linie  in  bezug  auf  den 
S  t  i  1  der  Kinder.  In  den  Schiileraufsatzen  tritt  uns  so  manch'es  entgegen,  was 
zwar  unter  dem  Gesichtspunkte  der  strengen  Stilregeln  zu  tadeln  ist,  aber  als 
Eigentiimlichkeit  der  kindlichen  Ausdrucksweise  seine  Berechtigung  hat.  Es 
ist  vergebliche  Miihe,  mit  Kindern  von  stilistischen  Feinheiten  zu  reden,  fiir 
welche  ihr  Sprachgefiihl  nicht  ausreicht,  geschweige  denn  ihr  Sprachverstand- 
nis.  Das  konnte  hochstens  dahin  fiihren,  dass  ihrem  Stil  die  kindliche  Natiir- 
lichkeit  und  Frische  verloren  geht. 

Auch  bei  Beurteilung  grammatischer  und  orthographischer  Verstosse  ist 

dem  Lehrer  Milde  zu  empfehlen.    Wie  viel  Zeit  und  Miihe  wird  oft  aufgewen- 

det,    um  unreifen  Schiilern  feine  grammatische  Unterschiede  Oder  schwierige 

Interpunktionsregeln  zum  Verstandnis  zu  bringen,  ohne  dass  damit  etwas  Ande- 

res  erreicht  wird,  als  dass  die  Schiiler  unsicher  gemacht  und  fiir  die  nachsten 

Aufsatze  neue  Fehlerquellen  geschaffen  werden.    Wenn  der  Schiiler  schreibt: 

Die  Kinder,  als  sie  die  Eltern  kommen  horten,  jubelten  laut  (statt: 

Als  die  Kinder  die  Eltern  kommen  horten,  jubelten  sie  laut). 

Wenn  der  Friihling  wiederkehrt  und  erfreut  uns  durch  Blumen  und 
Lieder  (statt:  und  uns  durch  Blumen  und  Lieder  erfreut). 

Ich  wagte  es  und  ging  hinein  (statt:  hineinzugehen)  —  so  ist  eine 
derartige  Verkniipfung  der  Satze  vom  sprachgesetzlichen  Standpunkte  nicht  ein- 
wandfrei,  aber  ich  wiirde  unbedenklich  dariiber  hinwegsehen,  so  lange  es  noch 
so  viel  Einfacheres  und  Notwendigeres  zu  verbessern  giebt.  In  der  Grammatik- 
oder  Lesestuijde  kann  man  solche  Falle  erortern,  um  das  Sprachgefiihl  zu  er- 


76  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

klaren  und  den  Blick  fur  grammatische  Verhaltnisse  zu  scharfen,  aber  bei  der 
Massenkorrektur  der  Aufsatze  hat  man  fur  den  einzelnen  Fehler  zu  wenig  Zeit 
zur  Verfiigung,  um  solche  schwierige  Dinge  mit  bleibendem  Nutzen  zu  behan- 
deln. 

Dasselbe  gilt  von  manchen  Interpunktionsfehlern.  Da  miiht  sich  der  Lehrer 
jahrelang  ab,  den  Schiilern  klar  zu  machen,  wann  vor  und  ein  Komma  zu 
setzen  ist  und  wann  nicht,  und  der  Erfolg?  Einige  Schiller  begreifen  die  Sache 
allmahlich  und  suchen  sich  darnach  zu  richten,  die  meisten  aber  denken  beim 
Schreiben  nicht  an  diesen  Unterschied,  und  wenn  sie  sich  wirklich  einmal  darauf 
besinnen,  dann  treffen  sie  in  der  Regel  das  Verkehrte.  Und  ist  es  denn  wirk- 
lich so  schlimm,  wenn  das  Kind  der  Volksschule  oder  spater  der  einfache  Mann 
aus  dem  Volke  einmal  ein  Komma  zu  wenig  setzt  oder  das  Semikolon  mit  dem 
Punkt  vertauscht?  Die  meisten  Schriftsteller  verfahren  bei  der  Zeichensetzung 
mit  grosserer  Freiheit,  als  es  dem  Volksschiiler  gestattet  wird.  Man  sollte  doch 
den  Scharfsinn  des  Schulers  auf  wichtigere  Dinge  verwenden  als  auf  solche 
Nebensachen. 

Mit  desto  grosserer  Strenge  miissen  dagegen  die  Fliichtigkeits-  und  Ord- 
nungsfehler  behandelt  werden,  denn  hier  gilt  es,  ein  Grundiibel  zu  bekampfen, 
an  dem  so  viele  Schiilerarbeiten  kranken.  Dass  jede  Zeile  richtig  vollgeschrie- 
ben,  die  Randlinie  aber  niemals  iiberschritten  wird,  dass  die  Grundbucfistaben 
auf  der  Linie  stehen  und  nicht  bald  in  der  Luft  schweben,  bald  in  die  Tiefe 
sinken,  dass  u-Bogen  und  i-Punkt  an  ihrem  Platze  stehen:  solche  und  ahnliche 
Kleinigkeiten  diirfen  nicht  unbeachtet  bleiben,  denn  wie  sie  den  Aufsatzen 
ausserlich  das  charakteristische  Geprage  geben,  so  offenbaren  sie  zugleich  auch 
den  Grad  von  Ordnungssinn  und  Geisteszucht,  mit  dem  der  Schiller  seine  Arbeit 
angefertigt  hat.  Und  gerade  diese  Tugenden  sind,  wie  fiir  die  slttliche  und 
geistige  Bildung,  so  insbesondere  auch  fiir  das  Gelingen  der  Aufsatze  von  grund- 
legender  Bedeutung.  Wird  der  Schiller  gewohnt,  sein  Aufsatzheft  als  einen 
Spiegel  anzusehen,  der  ihm  selbst  und  anderen  seine  ganze  innere  Verfassung 
offenbart,  dann  wird  er  es  von  Flecken  und  Fehlern,  die  es  verunzieren  und  den 
Geschmack  beleidlgen,  frei  zu  halten  suchen,  und  dieses  gewissenhafte  Bemiihen 
wird  den  Aufsatzen  auch  in  stilistischer  Hinsicht  zu  gute  kommen. 

Wann  soil  die  Fehlerverbesserung  vorgenommen  werden?  Wenn  der  Rein- 
schrift  des  Aufsatzes  eine  Ausarbeitung  im  Konzept  voraufgeht,  wie  es  ja  in 
den  meisten  Fallen  geschehen  wird,  dann  macht  sich  auch  eine  zweimalige 
Korrektur  notig.  Die  erste,  also  die  im  Konzepte,  ist  die  wichtigere,  denn  sie 
soil  verhindern,  dass  Fehlerhaftes  noch  einmal  geschrieben  wird  und  sich  da- 
durch  dauernd  im  Schiller  festsetzt.  Die  sorgfaltige  Abschrift  des  Konzepts 
glebt  dem  Schiller  Anlass  und  Gelegenheit,  jeden  Satz  und  jedes  Wort  noch 
einmal  zu  priifen,  so  dass  die  Reinschrift  eine  relativ  vollendete,  moglichst  feh- 
lerfreie  Arbeit  ergiebt.  Die"  Verbesserung  der  Reinschrift  ist  dann  eine  Art 
Nachlese,  wobei  die  iibersehenen  Fehler  ans  Licht  gezogen,  besonders  aber  die 
aus  fliichtiger,  gedankenloser  Abschrift  hrvorgegangenen  scharf  gemustert  wer- 
den. Ein  naheres  Eingehen  auf  die  praktische  Gestaltung  dieser  zweimaligen 
Fehlerverbesserung  fiihrt  zur  Erorterung  der  Frage: 

Wie  soil  die  Fehlerverbesserung  vorgenommen  werden?  Die  ganze  zeit- 
raubende  und  miihevolle  Verbesserungsarbeit  darf  sich  nicht  auf  das  Ziel  be- 
schranken,  moglichst  fehlerfreie  Aufsatze  zu  erhalten;  ihre  wiclrbigste  Aufgabe 
ist  formaler  Art  und  besteht  darin,  den  Blick  des  Schulers  fiir  das 
Richtige  und  Falsche  zu  scharfen  und  seineallge- 
meine  sprachliche,  insbesondere  stilistische  Bil- 
dung zu  erhohen.  Aus  diesem  Grunde  muss,  was  besonders  die 
grammatisch-stilistische  Seite  der  Aufsatze  betrifft,  vor  allem  das  Geh'or 


Die  Verbesserung  der  <Aufs'dt^e.  77 

fur  die  Bildung  des  Urteils  in  Anspruch  genommen  werden.  Man  wird  daher 
in  der  Unterrichtsstunde,  die  fur  die  Verbesserung  des  Konzepts  ausgesetzt  ist, 
die  Arbeiten  einzelner  Schiiler  1  a  u  t  und  langsam  vorlesen  lassen,  wah- 
rend  die  iibrigen  zum  aufmerksamen  Zuhoren  verpflichtet  sind  und  nach  jedem 
Satze  durch  eine  kurze  Pause  Gelegenheit  zur  Abgabe  ihres  Urteils  und  zur 
Begriindung  desselben  erhalten.  Mit  allgemeinen  Redensarten,  wie:  Das 
passt  nicht!  Oder:  Der  Satz  klingt  schlecht!  darf  man  sich  dabei  nicht  begnii- 
gen,  sondern  muss  immer  auch  eine  Angabe  'des  G'rundes  verlangen.  So  bietet 
sich  hier  vielfach  Gelegenheit  zur  Erorterung  und  Einpragung  von  S  t  i  1  r  e  - 
geln,  die  das  Urteil  des  Schiilers  stiitzen  und  ihm  bei  spateren  Arbeiten  als 
Wegweiser  dienen  konnen. 

Das  laute  und  langsame  Vorlesen  ist  auch  der  sicherste  Weg  zur  richtigen 
Beurteilung  der  Zeichensetzung.  Es  empfiehlt  sich,  einzelne  Arbeiten, 
besonders  schwacherer  Schiiler,  so  vorlesen  zu  lassen,  dass  jedes  Zeichen  mit 
genannt  oder  wenigstens  durch  auffallige  Pausierung  deutllch  markiert  wird, 
so  dass  die  iibrigen  Schiller  jeden  Interpunktionsfehler  sofort  heraushoren. 
Das  ausdrucksvolle  laute  Lesen  mit  besonnener  Beachtung  der  Pausen  ist  fur 
die  Begriindung  einer  richtigen  Zeichensetzung  weit  wertvoller  als  grammati- 
sche  Regeln.  Die  Schuler  sind  immer  wieder  zu  erinnern,  das  Verfahren,  das 
in  der  Schule  geiibt  wird,  auch  bei  ihren  Ausarbeitungen  zu  Hause  selbstandig 
anzuwenden. 

Fiir  die  Kontrolle  der  Rechtschreibung,  wobei  das  priifende 
Auge  die  Hauptrolle  spielen  muss,  empfehlen  sich  folgende  Massnahmen: 

1.  Die  Schuler  mvissen  sich  bei  der  Ausarbeitung  ihres  Aufsatzes  diejeni- 
gen  Worter  merken,  iiber  deren  Schreibung  sie  im  Zweifel  sinU,  und  wenden 
sich  nun  in  der  Unterrichtsstunde  fragend  an  den  Lehrer.    Das  ist  ein  vor- 
ziigliches  Mittel,  sie  an  besonnenes  Arbeiten  und  scharfes  Aufmerken  auf  ortho- 
graphische  Einzelheiten  zu  gewohnen. 

2.  Es  werden  solche  Worter  mit  schwieriger  Schreibung,  von  denen  nach 
Massgabe  des  bearbeiteten  Stoffes  anzunehmen  ist,  dass  sie  in  alien  oder  doch 
in  den  meisten  Arbeiten  vorkommen,  kurz  behandelt  (durch  Anschreiben,  Buch- 
stabieren,  oder  auch  durch  Nennung  des  charakteristischen  Buchstabens). 

3.  Der  Lehrer  nimmt  eine  oder  mehrere  Arbeiten,  etwa  von  den  schwach- 
sten  Schiilern,  besonders  vor  und  lasst  die  darin  vorkommenden  Fehler  unter 
Beteiligung  der  ganzen  Klasse  verbessern,  wobei  jeder  Schuler  Gelegenheit  fin- 
det,  einzelne  der  besprochenen  Falle  in  seiner  eigenen  Arbeit  aufzusuchen  und 
zu  kontrollieren. 

4.  Die  Schuler  miissen  ihre  Aufsatze  wechselseitig  durchsehen  und  einan- 
der  auf  die  gefundenen  Fehler  aufmerksam  machen.    Dieses  Verfahren  erfor- 
dert  viel  disziplinariscb.es  Geschick  des  Lehrers,  da  den  Schiilern  gestattet  wer- 
den muss,  ihre  Ansichten  gegenseitig    auszutauschen,    ohne  dass  da'durch  die 
Klassenordnung  gestort  wird.    Es  empfiehlt  sich,  die  Paare,  die  ihre  Siicher  zu 
vertauschen  haben,  so  zu  bestimmen,  dass  immer  ein  schwacherer  Schuler  mit 
einem   begabteren   zusammenkommt.     Bei   Meinungsverschiedenheiten   ist   die 
Entscheidung  des  Lehrers  zu  erbitten. 

Endlich  sind  die  Aufsatze  der  Schuler  auf  O  r  d  n  u  n  g  und  Sauberkeit 
zu  kontrollieren.  Es  ist  auf  keinen  Fall  zu  dulden,  dass  das  Konzeptheft  als 
ein  Schmierbuch  behandelt  wird,  in  dem  sich  die  schrfftlichen  A"rbeiten  als  em 
Sammelsurium  missgliickter  und  durchstrichener  Worter  und  Satze  darstellen. 
Bei  der  crsten  Ausarbeitung  eines  Aufsatzes  sind  ja  Korrekturen  nicht  zu  ver- 
meiden,  aber  sie  miissen  immer  so  vorsichtig  ausgefulrt  werden,  "dass  sie  das 
gute  Aussehen  des  Ganzen  nicht  wesentlich  beeintrachtigen.  Um  d~ie  Schiiler 
daran  »*»  gewohnen,  darf  der  Lehrer  nicht  versaumen,  jede  einzelne  Arbeit  auf 


78  P'ddagoghcbe  Monatsbefte. 

ihre  aussere  Ausfiihrung  bin  anzusehen;  es  genugt  dazu  ein  einziger  priifender 
Blick  auf  die  Seiten  des  Heftes  und  hier  und  da  ein  kurzes,  balH  tadelndes, 
bald  anerkennendes  Urteil  iiber  den  Eindruck  der  Arbeit. 

Nun  haben  die  Schiller  die  Reinschrift  des  Aufsalzes  zu  liefern.  Vorher 
wird  man  vielleicht  noch  einige  gute  Arbeiten  im  Zusammenhang  vorlesen  las- 
sen,  besonders  um  der  schwacheren  Schiiler  willen,  um  diesen  zur  Anschauung 
zu  bringen,  wie  die  Darstellung  ungefanr  klingen  muss.  Macht  der  Lehrer  die 
Wahrnehmung,  dass  der  Aufsatz  auch  den  besseren  Schulern  nicht  recht  gelun- 
gen  ist,  dann  kann  vielleicht  der  Vortrag  eines  Stilmusters,  wie  er  solche  in 
seinem  Vorbereitungshefte  Oder  in  einer  guten  Aufsatzsammlung  zur  Ver'fiigung 
hat,  recht  wirksame  Dienste  leisten.  Nach  einem  kurzen  Hinweis  auf  die 
Punkte,  worauf  es  bei  der  Stilisierung  in  dem  betreffenden  Falle  ankommt,  ist 
dann  den  Schulern  zu  gestatten,  an  ihrem  Aufsatze  nach  Massgabe  des  Stil- 
musters inderungen  vorzunehmen. 


HI.     Nachsitzen. 

Von  A,  Gild,  Rektor  in  Kassel. 
(Atis  ,,Aus  der  Schule,  fur  die  Schule.") 

Es  dauern  noch  heute  im  Schulleben  Einrichtungen  fort,  die  man  langst 
batte  abschaffen  sollen,  dazu  gehort  das  Nachsitzen.  Man  hat  diese  Schul- 
strafe  der  Karzerstrafe  des  Pennals  nachgeahmt,  ohne  sich  dariiber  klar  zu 
werden,  dass  in  einer  Madchen-  oder  Knabenvolksschule  die  Verhaltnisse  doch 
wesentlich  anders  sind  als  dort.  Das  Nachsitzen  hat  nur  dann  eine  Berechti- 
gung,  wenn  es  bezweckt ,  dass  ein  Schiiler,  der  eine  aufgegebene  Arbeit  zu 
Hause  nicht  angefertigt  hat,  dieselbe  in  der  Schule  macht.  (Ob  die  Schule  be- 
rechtigt  ist,  hausliche  Aufgaben  zu  geben,  Oder  ob  dieselben  iiberhaupt  Zweck 
und  Nutzen  haben,  soil  hier  nicht  erortert  werden,  indessen  ist  es  zu  bestrei- 
ten.)  Verwerflich  wird  die  Nachsitzstrafe  aber,  wenn  sie  den  Zweck  der  Frei- 
heitsberaubung  hat.  Auf  dem  Gebiete  der  Rechtspflege  geht  man  mit  der  Ab- 
sicht  urn,  die  Freiheitsstrafen  mehr  und  mehr  einzuschranken  und  dieselben 
nur  bei  unverbesserlichen  und  fiir  die  Menschheit  gefahrlichen  Verbrechern 
anzuwenden,  und  die  Schule  verhangt  Gefangnisstrafen  iiber  Kinder,  die  ein- 
mal  gelacht,  geplaudert  haben,  unaufmerksam  oder  unfleissig  gewesen  sind. 

Ich  kenne  eine  Schule,  bei  der  die  Strafe  des  Nachsitzens  sehr  haufig  ver- 
hangt wurde;  jede  Klasse  hatte  ein  Buch  zum  Eintrag  der  Bestraften,  nach 
jeder  letzten  Stunde  des  Tages  war  eine  Nachsitzstunde  fiir  die  Schiiler  aller 
Klassen  gemeinsam  angeseczt,  ein  Lehrer,  gewohnlich  einer  der  jiingsten,  hatte 
die  Aufsicht,  aber  keinerlei  Verpflichtung,  die  aufgegebenen  Arbeiten  nachzu- 
sehen,  was  iibrigens  auch  unmoglich  gewesen  ware.  Er  war  einzig  und  allein 
Gefangniswarter.  Kinder,  die  zum  erstenmale  mit  der  Strafe  des  Nachsitzens 
belegt  wurden,  mussten  ins  Arrestlokal  geschleift  werden,  hier  wurden  sie 
Zeugen  der  Ungezogenheiten  der  alteren  Schiiler  und  kamen  zum  zweitenmale 
schon  ganz  dreist.  Altere  Schiilerinnen  legten  es  geradezu  darauf  an,  Nach- 
sitzen zu  erhalten,  sie  fertigten  in  den  Arreststunden  ihre  Schulaufgaben,  zur 
Weihnachtszeit  Handarbeiten  fur  die  lieben  Eltern  an,  trafen  verabredeter- 
massen  mit  andern  zusammen,  um  Unsinn  zu  treiben.  Der  aufsichtfiihrende 
Lehrer,  der  kein  anderes  Mittel  hatte,  als  wieder  Nachsitzstrafen  zu  geben, 
hatte  eine  heillose  Aufgabe  und  schnitt  sich  ins  eigene  Fleisch.  Soviel  auch 


Nacbsit^en.  79 

von  einzelnen  gegen  die  in  dieser  Form  verfehlteste  aller  ScEulstrafen  geei- 
fert  wurde,  blieb  sie  doch  bestehen,  sie  war  fur  die  andern  ein  zu  beliebtes 
Strafmittel  und  iiberhob  sie  des  weiteren  Nachdenkens  iiber  geeignetere.  Den 
akademisch  gebildeten  Leitern  fiel  auch  nichts  anderes  ein;  iibrigens  stellte 
diese  Strafe  ihre  Schule  in  eine  Linie  mit  den  hb'heren  Lehranstalten,  und  das 
war  doch  auch  etwas  wert. 

Aufgeriittelt  wurde  mancher,  der  die  Schule  zum  Gefangnis  gemacht  hatte, 
durch  den  Widerspruch  der  Eltern,  manchmal  auch  durch  eine  Zeitungsnotiz, 
dass  ein  Kind,  das  man  noch  dazu  allein  eingesperrt  hatte,  aus  dem  Fenster 
gesprungen  war  und  den  Tod  gefunden  hatte. 

Sicherlich  wird  die  Strafe  des  Nachsitzens  erst  dann  auf  das  richtige  Mass 
zuriickgefiihrt  werden,  wenn  sich  der  Lehrer  mitbestraft,  was  nach  Salzmann 
nur  recht  ist,  weil  der  Lehrer  von  alien  Fehlern,  die  beim  Schiller  in  die  Er- 
scheinung  treten,  die  Ursache  zuerst  bei  sich  suchen  soil.  In  keinem  Falle 
sollte  man  es  dulden,  dass  ein  Lehrer  ein  Kind  nachsitzen  lasst  und  es  nicht 
selbst  beaufsichtigt.  Solmld  aber  eine  bestimmte  Zeit  zum  Nachsitzen  fur  eine 
ganze  Schule  von  vornherein  stundenplanmassig  festgesetzt,  ein  anderer,  als 
der  strafende  Lehrer,  wohl  gar  der  Schuldiener,  zum  Aufseher  bestimmt  und 
ein  gewisses  Lokal  als  Arrestzimmer  gekennzeichnet  wird,  ist  das  Nachsitzen 
eine  der  Gefangnisstrafe  ahnliche  Einrichtung  und  padagogisch  zii  verurtei- 
len.  Selbstverstandlich  ware  bei  einer  Nachsitzstrafe  auch  eine  vorherige  alsbal- 
dige  Benachrichtigung  der  Eltern,  und  zwar  im  ersteren  Falle  nicht  durch  das 
Kind  Oder  durch  Mitschiiler,  sondern  durch  schriftliche  Mitteilung  des  Lehrers 
Oder  durch  den  Schuldiener  erforderlich. 

Dem  Lehrer  steht  das  Recht  der  korperlichen  Ziichtigung  zu  wie  dem 
Vater.  Liigt  ein  Schiiler,  ist  er  widerspenstig,  frech  u.  s.  w.,  nun  dann  strafe 
man  ihn,  wie  man  es  verantworten  kann,  damit  ihn  die  Lust  fur  ein  andermal 
nicht  anwandle.  Schwatzt  eine  Schulerin  einmal,  so  stelle  man  sie  kalt,  indem 
man  ihr  die  Gelegenheit  dazu  nimmt;  fertigt  sie  ihre  Aufgaben  nicht  an,  so 
lasse  man  sich  die  Eltern  kommen,  um  sie  an  ihre  Pflicht  der  Aufsicht  zu  er- 
innern,  hilft  das  nichts,  nun,  so  behalte  man  die  Unfleissige  so  lange  zuriick, 
bis  die  Sache  erledigt  ist.  Es  wird  freundliche  Zurede,  ernste  Zurechtweisung 
ein  fur  allemal  geniigen. 

Gegen  schlimmere  Schiilervergehen  ist  das  Nachsitzen  kein  geeignetes 
Strafmittel,  denn  es  ist  nicht  empfindlich  genug,  um  eine  Wiederholung  zu  ver- 
hiiten,  oft  bringt  es  den  noch  unverdorbenen  Schiiler  mit  Elementen  zusam- 
men,  die  ihn  iibel  beeinfiussen,  in  jedem  Falle  wird  durch  diese  Strafe  das  Ehr- 
gefiihl  eines  Kindes  totgeschlagen.  Der  Erzieher  aber  soil  solche  zweifelhaf- 
ten.  verwerflichen  Mittel  nicht  anwenden,  sondern  seine  Strafmittel  nur  nach 
ernstestem  Nachdenken  und  der  Individualitat  des  Schiilers  entsprechend 
wahlen. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Die  Versammlungen  der  N.  E.  A.  zu  Charleston,  S.  C. 

(Flir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Paul  Oerisch,  Milwaukee,  Wis. 

Die  englischen  Kollegen  hielten  im  letzten  Sommer  ihre  jahrliche  Zusam- 
menkunft  vom  10.  bis  zum  13.  Juli  in  Charleston,  S.  C.,  ab.  Die  Zahl  der  Be- 
sucher  stieg  auf  wenig  iiber  3000,  wahrend  auf  der  Tagung  in  Los  Angeles  im 
vorletzten  Jahre  sich  13,656  Personen  einschreiben  liessen.  Charleston  hat  ein 
mildes,  maritimes  Klima:  wahrend  der  Konventionswoche  stieg  an  vier  Tagen 
das  Thermometer  nicht  so  hoch  als  in  Los  Angeles  im  Jahre  vorher;  der  Feuch- 
tigkeitsmesser  schwankte  zwischen  60  und  80  Prozent;  eine  wohlthuende  Brise 
mit  einer  Geschwindigkeit  von  12  bis  20  Meilen  wehte  fast  ununterbrochen. 
Die  Stadt  1st  reich  an  historischen  und  anderen  lehrreichen  Erinnerungen:  sie 
ist  mehrmals  belagerc  und  von  einer  feindlichen  Flotte  beschossen  worden;  in 
ihrem  Hafen  hat  der  erste  Kampf  zwischen  einem  Torpedoboot  und  einem 
Kriegsschiff  stattgefunden;  sie  ist  auch  von  Wirbelstiirmen  und  Erdbeben  ge- 
troffen  worden;  sie  hat  den  ersten  artesischen  Brunnen  im  Lande  gehabt,  u.  s.  w. 
Ausserdem  bietet  sie  mannigfache  Gelegenheit  zu  Ausfliigen  in  die  nachste 
Umgebung  zum  Zwecke  des  Studiums  und  der  blossen  Unterhaltung.  Der  grosse 
Unlerschied  in  der  Zahl  der  Besucher  zwischen  Charleston  im  Jahre  1900  und 
Los  Angeles  im  Jahre  1899  lasst  sich  vielleicht  dadurch  erklaren,  dass  der 
Name  des  Wunderlandes  Californien  durch  seinen  Klang  allein  eine  magische 
Wirkung  auf  unsere  Schoolma'ms,  die  die  Zusammenkunfte  der  N.  E.  A.  sicher- 
lich  nicht  bloss  der  padagogischen  Weisheiten  halber  besuchen,  ausgeiibt  hat.  Ist 
es  also  den  Beamten  der  N.  E.  A.  darum  zu  thun,  eine  zahlreiche  Beteiligung 
zu  sichern,  wie  ware  es,  wenn  sie  die  nachste  Tagung  nach  dem  grossartigsten 
Museum  physikalischer  Geographie,  dem  Yellowstone  Park,  verlegten? 

Wie  zielbewusst  die  Beamten  der  N.  E.  A.  diesmal  arbeiteten,  zeigt  die  Ein- 
heltlichkeit  des  Programmes  fur  die  allgemeinen  Versammlungen.  Hier  eine 
kurze  Zusammenstellung: 

Dienstag  Nachmittag,  10.  Juli — Empfang. 

Dienstag  Abend — Zwei  Vortrage  iiber  ,,Das  kleine  College". 

Mittwoch  Morgen — Drei  Vortrage  iiber  ,,Beitrage  religioser  Genossenschaf- 
ten  zur  Sache  der  Erziehung";  von  einem  Baptistenprediger,  einem  Methodisten- 
prediger  und  einem  katholischen  Priester. 

Mittwoch  Abend — Zwei  Reden  von  Joseph  Swain  und  Booker  T.  Washington. 

Donnerstag  Morgen — Drei  Vortrage  iiber  ,,Aufgabe  der  Volksschule".  Dann 
Beamtenwahl. 

Donnerstag  Abend — Patriotischer  Abend. 

Freitag  Morgen — Drei  Vortrage  iiber  ,,Beziehungen  der  Litteratur  zur  Er- 
ziehung". 

Freitag  Abend— Schlussversammlung. 

Wir  beginnen  unseren  Bericht  mit  dem  Glanzendsten,  was  die  N.  E.  A. 
aufzuweisen  hat,  mit  den  Finanzen.  Die  linke  Seite  des  Sparkassenbucb.es  des 
englischen  Schulvereiiis  ist  hiibsch  gefiillt,  denn  am  1.  Juli  1900  belief  sich  ihr 
Vermogen  auf  $88,000.  Der  Verwaltungsrat  berichtet,  dass  sich  am  1.  Juli  1899 
der  sog.  permanente  Fonds  auf  $74,000  belief.  Die  Einkommen  aus  dem  betr. 
Fonds  und  aus  der  Tagung  in  Los  Angeles  schwellten  den  Fonds  aber  auf  $88,000 
an.  Das  Vermogen  ist,  mit  Ausnahme  von  ?5110,  alles  in  Hypotheken  auf 
Grundeigentum  und  in  Kansasser,  Illinoiser,  Indianaer  und  Missourier  Schul- 


Die  Versammlungen  der  N.  E.  A.  81 

bonds  angelegt.  Wozu  die  N.  E.  A.  eigentlich  ein  Vermogen  zusammenscharrt? 
Der  deutschamerikanische  Lehrerbund  sollte  mit  der  N.  E.  A.  einen  Trust  ein- 
gehen,  er  konnte  dabei  nur  gewinnen! 

In  dem  Thomson  Auditorium,  einer  Halle  von  riesenhafter  Ausdehnung,  die 
jeder  Dame  erlaubte,  den  Hut  aufzubehalten,  und  jedem  Gentleman  gestattete, 
zwei  Stiihle  in  nachster  Nahe  in  Fussschemel  umzuwandeln  (d.  h.,  wenn  er 
gewollt  hatte),  wurden  die  allgemeinen  Versammlungen  unter  den  melodischen 
Kliingen  von  Dixie  und  Yankee  Doodle,  mit  inbriinstigem  Gebet  und  mit  prei- 
senden  Reden  eroffnet.  Der  President  Corson  hat  in  seiner  Ansprache,  nach 
eigenem  Gestandnis,  weder  etwas  Tiefes  noch  etwas  Geheimnisvolles,  weder 
etwas  Neues  noch  etwas  Autsehenerregendes  der  Versammlung  vorzulegen; 
auch  hat  er  nichts  Besonderes  zu  verdammen.  Aber  er  gab  einem  echt  ameri- 
kanischen  Gedanken  Ausdruck.  Nach  seinem  Dafiirhalten  miissen  diejenigen, 
die  den  erzieherischen  Geist  unseres  Landes  bilden  und  in  die  richtigen  Bahnen 
lenken  wollen,  nicht  nur  tiichtige  Erzieher,  sondern  auch  tiichtige  Geschafts- 
leute  sein.  In  diesem  Zeitalter  seien  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung  die  wirk- 
lichen  Fiihrer  nur  diejenigen,  die,  mit  Geschaftssinn  begabt,  die  kaufmannischen 
Probleme,  die  immer  einen  Toil  des  erzieherischen  Problems  bildeten,  schatz- 
ten  und  verstanden.  Wenn  die  Schulen  die  Geldunterstiitzungen,  die  zu  ihrem 
Gedeihen  ja  so  notwendig  sind,  auch  fernerhin  beanspruchen  wollen,  dann 
"the  people  must  be  led  to  feel  that  education  pays".  In  diesem  Tone  sprach 
Herr  Corson  noch  geraume  Zeit  welter.  Hierauf  wandte  sich  der  Redner  gegen 
die  allerneueste  Richtung  in  unseren  Schulen,  das  Textbuch  aus  dem  Schulzim- 
mer  vollstandig  zu  verbannen.  Wenn  das  Unterrichten  nach  dem  Textbuch  in 
der  Vergangenheit  bis  zum  schadigenden  Xussersten  getrieben  worden  sei,  so 
sei  das  kein  Grund,  weshalb  das  Textbuch  ganz  abgeschafit  werden  solle.  Er 
warnte  davor,  das  Schulzimmer  in  einen  Vergniigungsplatz  umzuwandeln. 

Herr  W.  O.  Thompson,  der  Prasident  der  Ohio  State  University  zu  Colum- 
bus, O.,  trat  in  seinem  Vortrage  ,,Das  kleine  College — seine  Wirksamkeit  in  der 
Vergangenheit"  der  weitverbreiteten  Ansicht  entgegen,  dass  das  kleine  College 
seine  besten  Tage  gesehen  habe.  Diese  Ansicht  sei  irrig  und  ungerecht.  Das 
kleine  College  sei  gegriindet  woiden,  um  Charaktere  heranzubilden,  und  eine 
Durchsicht  der  Alumnenlisten  beweise,  welche  tiichtigen  Manner  aus  ihm  hervor- 
gegangen  seien;  das  kleine  College  habe  mehr  Nachdruck  auf  personlichen  Ver- 
kehr  zwischen  dem  Professor  und  dem  Studenten  gelegt,  da  ein  solcher  Verkehr 
von  machtigem  Einfluss  auf  die  Bildung  des  Charakters  sei;  das  kleine  College 
habe  ferner  ein  grosses  Werk  verrichtet,  indem  es  Achtung  vor  Bildung  und 
Gelehrsamkeit  grossgezogen  habe. 

Herr  W.  R.  Harper,  der  Prasident  der  Universitat  Chicago,  setzte  das 
Thema  ,,Das  kleine  College"  fort,  und  zwar  sprach  er  iiber  die  Wirksamkeit 
des  kleinen  College  in  der  Zukunft;  iiber  seine  Ausfiihrungen  ist  uns  jedoch 
keine  Zeile  zu  Gesicht  gekommen. 

Ein  Ereignis  der  englischen  Lehrerzusammenkunft  war  das  Erscheinen 
Booker  T.  Washingtons  auf  der  Rednerbiihne.  Booker  T.  Washington  ist  der- 
selbe  Mann,  von  dem  die  Zeitungen  kiirzlich  berichteten,  dass  die  deutsche  Re- 
gierung  mit  ihm  in  Unterhandlungen  stehe  zwecks  Uberlassung  von  Negern 
aus  seiner  Schule,  welche  die  Eingeborenen  der  deutsch-ostafrikanischen  Be- 
sitzungen  im  Baumwollenbau  unterrichten  sollen.  Er  ist  ein  Typus  seiner 
Rasse.  Seine  Nase  ist  breitgedriickt,  und  seine  Lippen  sind  so  schwiilstig  wie 
die  von  Tausenden  anderer  Schwarzen;  er  ist  breitschultrig,  Jung,  und 
ersichtlich  voll  Kraft  und  Ernst.  Seine  Rede,  die  er  mit  lebhaften  Gesten  be- 
gleitet,  ist  einfach,  klar  und  kuhn.  Er  sprach  frei,  ohne  Manuskript,  und  fes- 


82  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

selte  seine  Zuhorer.    Der  ganze  Siiden  betrachtet  ihn  heute  als  einen  seiner 
grossten  Manner.  ~ 

Booker  T.  Washington  ist  ein  schwarzer  Pestalozzi.  Una  den  Neger  auf 
eine  hohere  Stufe  der  Gesittung  zu  heben,  sagt  W.,  muss  man  ihm  die  Beschaf- 
tigungen  lehren,  welche  die  wirtschaftlichen  Zustande  des  Bodens,  auf  dem  er 
jetzt  sassig  ist,  von  ihm  fordern,  wenn  er  sein  Fortkommen  finden  will.  Die 
grosse  Masse  seiner  Rasse  ernahre  sich  direkt  Oder  indirekt  durch  den  Acker- 
bau.  Es  sei  deshalb  ein  Fehler,  dem  Negerknaben  alles  Mogliche  im  Himmel 
und  auf  der  Erde  zu  lehren,  nur  das  nicht,  was  mit  dem  landwirtschaftlichen 
Leben  der  Gemeinschafc,  zu  der  er  ja  zuriickkehren  s  o  1 1 1  e,  tibereinstimme. 
So  geschehe  es,  dass  in  viel  zu  vielen  Fallen  der  Neger  nicht  auf  seines  Vaters 
Farm  zuriickkehre,  sondern  in  die  Versuchung  falle,  ohne  ehrliche,  brotbrin- 
gende  Beschaftigung  sich  allein  von  seinem  Witze  ernahren  zu  wollen.  Herr 
Washington  bittet,  den  Neger  nach  denen  im  Schulzimmer,  nicht  nach  denen 
im  Zuchthaus,  nach  denen  in  der  Werkstube  und  auf  dem  Felde,  nicht  nach  den 
Miissigen  auf  der  Strasse,  nach  denen,  die  sich  ein  Heim  gegriindet  und  Steuern 
bezahlen,  nicht  nach  denen  in  Lasterhohlen  zu  beurteilen. 

Dieser  schwarze  Pestalozzi  ist  auch  praktischer  und  erfolgreicher,  als  jener 
andere  Pestalozzi  auf  dem  Neuhof  es  war.  Er  hat  in  Tuskegee  in  Alabama 
eine  Schule  aufgebaut,  die  einen  Wert  von  $300,000  hat,  in  der  elfhundert  Schil- 
ler aus  achtundzwanzig  Staaten  und  Territorien  unterrichtet  werden,  und  die 
jahrlich  $75,000  ausgiebt.  Herr  Washington  verrichtet  ein  grosses,  edles  Werk, 
nicht  nur  zur  Hebung  seiner  Rasse,  sondern  ebensowohl  zum  Wohle  der  Weissen 
im  ganzen  Siiden.  Ihm  gebiihrt  die  Teilnahme  und  Unterstutzung  im  ganzen 
Lande. 

,,Das  Problem  der  unteren  Klassen  der  Volksschule"  (ausschliesslich  der 
Hochschulklassen)  war  der  Gegenstand  dreier  interessanter  Vortrage.  Frl. 
Gertrud  Edmund,  Prinzipalin  der  Teachers'  Training  School  zu  Lowell,  Mass., 
behandelte  die  Frage  der  Disziplin;  Frl.  Elisabeth  Buchanan  aus  Kansas 
City,  Mo.,  sprach  iiber  Klassifizierung  undVersetzung,  und 
Frau  Alice  Woodworth  Cooley,  Supervisor  der  Primarklassen  in  Minneapolis, 
Minn.,  behandelte  den  UnterrTcht  in  diesen  Volksschulklassen. 

Frl.  Edmund  sagte,  dass  die  allererste  Schule,  der  sie  vorgestanden,  sechzig 
Schiiler  gezahlt  habe,  Madchen  und  Knaben,  von  denen  viele  alter  und  grosser 
gewesen  als  sie  selbst.  Da  habe  sie  die  grossten  Bengel  sofort  so  angeredet: 
,,Nun,  Jungens,  ich  weiss,  Ihr  seid  alter  und  viel  starker  als  ich,  und  Ihr  konnt, 
wenn  Ihr  wollt,  die  Schule  auf  den  Kopf  stellen.  Ihr  werdet  mir  jedoch  helfen, 
die  Schule  so  zu  leiten,  dass  sie  Euer  Stolz  und  der  Stolz  des  ganzen  Dorfes 
werde."  Aus  dieser  Episode  schalte  sie  nun  das  Geheimnis  der  Disziplin  heraus. 
Es  bestehe  in  einer  Art  Teilhaberschaft  zwischen  Lehrer  und  Schiiler;  der  Leh- 
rer  miisse  sofort  ein  inniges  Biindnis  mit  seinen  Schiilern  schliessen.  Wer's 
kann,  mach's  nach! 

Die  Frage  der  Klassifizierung  und  Versetzung  der  Schiiler  in  unseren  Volks- 
schulen  will  nicht  zur  Ruhe  kommen.  Es  giebt  kaum  zwei  Stadte  von  Belang, 
die  dasselbe  System  der  Versetzung  gemein  haben.  Wie  bei  so  vielen  anderen 
wichtigen  erzieherischen  Fragen,  fehlt  auch  hier  die  Einheitlichkeit.  Frl. 
Buchanan  behandelte  den  Gegenstand  etwas  langatmig  zwar,  doch  liickenlos. 
Ihre  Argumente  zeugen  von  Verstandnis  und  Erfahrung,  sowie  von  grosser  Liebe 
zur  Sache.  Nachdem  sie  auf  die  Verschiedenheit  der  Versetzungsmethoden  in 
ein-  und  mehrklassigen  Schulen  und  in  verschiedenen  Stadten  hingewiesen, 
sagte  sie,  dass  ein  Schritt  in  der  rechten  Richtung  nunmehr  der  sei,  den  Zeit- 
abschnitt  der  einzelnen  Klassen  kiirzer  zu  gestalten.  (Das  ist  so  zu  verstehen, 
dass,  sagen  wir,  statt  acht  Klassen  sechzehn  oder  vierundzwanzig  einzurichten, 


Die  Versammlungen  der  N.  E.  A.  83 

Oder  acht  Klassen  in  je  zwei  oder  drei  Abteilungen  zu  trennen  waren.)  Wenn 
ein  Kind  einige  Wochen,  vielleicht  gar  krankheitshalber,  aus  der  Schule  bliebe, 
so  sei  es  offenbar  ungerecht,  es  ein  ganzes  Jahr  zuriickzusetzen.  Sie  befiirwortet 
eine  Dreiteilung  in  den  unteren  Klassen,  eine  Zweiteilung  in  der  oberen  Klasse 
in  demselben  Zimmer  und  unter  demselben  Lehrer.  Durch  eine  Neueinteilung 
nach  jedesmal  sechs  Wochen  will  sie  den  Begabten  Gelegenheit  verschaffen,  so 
schnell  vorzugehen,  wie  deren  Fahigkeiten  es  erfordern,  und  den  weniger  Be- 
gabten will  sie  auf  der  andern  Seite  mehr  Zeit  widmen.  Gegen  daraus  sich 
etwa  ergebende  Mangel,  wie  z.  B.  die  vollstandige  Trennung  von  Klugen  und 
Dummen  und  die  mogliche  Vemachlassigung  der  letzteren  seitens  einer  unge- 
schickten  Lehrerin,  solle  die  Wachsamkeit  des  Prinzipals  und  das  Vermischen 
der  aufriickenden  Besseren  mit  den  weniger  Guten  schiitzen.  Auch  gegen  die 
Unsitte,  das  Rechnen  als  alleinigen  Massstab  fur  die  Versetzung  anzusehen,  also 
ein  Kind  in  die  nachsthohere  Klasse  eintreten  zu  lassen,  weil  es  gut  nur  im 
Rechnen  ist,  dagegen  ein  anderes  Kind  sitzen  zu  lassen  und  obendrein  noch 
zu  verspotten,  weil  es  gut  in  Geschichte,  Geographic,  Lesen,  aber  schlecht  im 
Rechnen  ist,  auch  dagegen  erhob  Frl.  Buchanan  ihre  Stimme.  Auch  diirfe  es 
nicht  notwendig  sein,  ein  Kind  solange  in  einer  Klasse  zu  halten,  bis  es  alle 
darin  gelehrten  Facher  griindlich  verstehe,  denn  Griindlichkeit  sei  beim  Kinde 
nicht  charakteristisch.  Als  Massstab  fur  die  Versetzung  empfehle  sich  in  den 
unteren  Klassen  Lesen  und  Recbnen,  in  den  oberen  ausser  dem*  Rechnen  noch 
Sprache,  Geographic  und  Geschichte.  Sie  ist  iiberhaupt  gegen  eine  eiserne  Regel 
bei  der  Klassifizierung  und  Verset?ung  der  Schiiler;  die  Individualitat  des  Kin- 
des  und  das  Urteil  des  Lehrers  miissten  massgebend  sein.  Schriftliche  Prufun- 
gen  sollten  nicht  mehr  Gewicht  bei  der  Versetzung  eines  Schiilers  haben,  als 
eine  gewohnliche  Unterrichtsstunde.  Alles  in  allem  genommen,  gehort  der 
Vortrag  des  Frl.  Buchanan  zu  dem  Besten,  was  auf  der  Konvention  der  N.  E.  A. 
geleistet  worden  ist. 

Der  uns  vorliegende  Auszug  aus  dem  dritten  Vortrage,  von  Frau  Cooley 
gehalten  und  den  Unterricht  in  der  Volksschule  betreffend,  ist  so  wenig  durch- 
sichtig,  dass  wir  uns  versagen  nriissen,  naher  darauf  einzugehen, 

Weil  es  draussen  regnerisch  war,  hatte  sich  am  Donnerstag  Abend  die 
grosse  Halle  etwas  mehr  gefiillt,  aber  President  Corson  glaubte  die  Versamm- 
lung  begliickwiinschen  zu  miissen,  dass  sie  sich  zahlreicher  wie  sonst  einge- 
stellt,  trotzdem  das  Wetter  so  triib  ausschaue.  An  dem  Rednerpult  stand 
Herr  Arnold  J.  Gantvort,  Professor  am  College  of  Music  in  Cincinnati,  O.,  um 
seinen  Vortrag  ,,Der  Einfluss  der  Musik  auf  das  Volksleben"  zu  halten,  und  auf 
der  Buhne  hatte  ein  Militarorchester  Platz  genommen,  die  Auseinandersetzun- 
gen  des  Herrn  Gantvort  zu  illustrieren.  ,,Ein  Ohioer  Minstrel  hat  ,,Dixie"  ge- 
schrieben;  es  liegt  gar  keine  Kraft  in  den  Worten,  vielleicht  noch  weniger  in 
der  Melodic,"  sagte  Heir  Gantvort.  Aber  das  Publikum  liess  den  Redner  kaum 
seine  Ausfiihrungen  vollenden,  so  heiser  schrie  es  sich  nach  ,,Dixie";  und  als 
das  Ding  endlich  gespielt  wurde,  sprang  alles  auf  die  Beine  und  sang  aus  voller 
Kehle  die  Melodie  bis  zum  Ende.  Auf  solche  Weise  angefacht,  loderte  das 
Feuer  des  Patriotismus  machtig  empor,  und  der  Abend  wurde  zu  einem  patrio- 
tischen  Ereignis.  So  wie  das  ,,Dixie",  zergliederte  Herr  G.  ,, Yankee  Doodle", 
,,Hail  Columbia",  ,,The  Star  Spangled  Banner"  und  ,,My  Country,  'Tis  of  Thee", 
von  welch  letzterem  er  sagte,  er  bedauere,  dass  dies  Lied  nicht  besser  bekannt 
sei,  da  es  die  beste  aller  Volksmelodieen  sei. 

Nachdem  Herr  Gantvort  die  Gemuter  fiir  seine  Ausfiihrungen 'in  der  ange- 
deuteten  Weise  empfanglich  gemacht,  erorterte  er  einige  treffliche  Wahrheiten, 
die,  an  anderm  Orte  und  vor  einem  weniger  gebildeten  Publikum  vorgebracht, 
weniger  tief  und  nachhaltig  waren  empfunden  worden.  Er  sagte  unter  anderm: 


84  P'ddagogische  Monatsbefte. 

,,Es  giebt  immer  noch  manche  Leute,  die  in  der  Erziehung  dem  Niitzllchkeits- 
prinzip  huldigen.  Nun,  diese  Leute  gleichen  den  Wilden,  welche  die  starksten 
Vertreter  des  Niitzlichkeitsprinzips  sind.  Wir  bilden  uns  ein,  das  freieste  Volk 
auf  der  Erde  zu  sein,  und  doch  haben  wir  vielleicht  gerade  soviel  Freiheit, 
wirkliche  Freiheit,  wie  jede  andere  Nation,  denn  wir  sind  Sklaven  unserer  eige- 
nen  fieberhaften  Unternehmungen  und  einer  unfruchtbaren  Theorie  von  Dis- 
ziplin,  Disziplin,  Disziplin!  Wir  furchten  uns,  uns  den  freien  und  gliicklichen 
Trieben  unserer  Natur  hinzugeben.  Was  nicht  gerade  dazu  beitragt,  in  regel- 
massig  zugeschnittener  Weise  das  Geschaft,  oder  die  Politik,  Oder  die  Berufs- 
arbeit,  oder  die  Mode,  oder  die  Verstandesbildung,  oder  eine  angenommene  Reli- 
gion zu  fordern,  das  halten  wir  fur  verlorene  Miihe.  Wir  kennen  die  Kunst 
zu  leben  nicht.  Wir  besitzen  keine  Gemiitlichkeit  (geniality),  noch  verstehen 
wir,  als  ein  Volk,  die  eigentliche  Bedeutung  dieses  Wortes.  Es  giebt  keinen 
Bestandteil  im  Volkscharakter,  den  wir  so  notwendig  brauchen,  als  die  gemut- 
liche  Fahigkeit  geselliger  Freude,  die  gliickliche  Kunst,  richtig  zu  leben." 

Gleichsam  als  wollte  man  die  Worte  des  Herrn  Gantvort  Liigen  strafen 
und  zeigen,  dass  der  Amerikaner  nicht  alien  Sinnes  fur  die  schonen  Kiinste 
bar,  hatten  sich  am  Morgen  nach  dem  patriotischen  Abend  die  Lehrer  und  Leh- 
rerinnen  in  der  grossen,  noch  iii'mer  im  Feierkleide  der  r6t-weiss-blauen  Far- 
ben  prangenden  Festhalle  eingefunden,  um  dem  Vortrage  des  Herrn  Wm.  M. 
Beardshear  aus  Ames,  la.,  eines  jungen  Mannes  mit  weittragender,  melodischer 
Stimme,  iiber  den  ,,Einfluss  der  Foesie  auf  die  Erziehung  vom  Standpunkt  des 
Schonen"  andachtig  zu  lauschen.  Trotzdem  Heir  Beardshear  behauptet,  dass 
jeder  Mensch  ein  geborener  Dichter,  diirfte  es  uns  doch  ein  bisschen  schwer  fal- 
len, die  vielen  Zitate  ins  Deutsche  zu  iibertragen.  Sein  Vortrag  wurde  mit 
grossem  Beifall  aufgenommen.  Dasselbe  lasst  sich  von  den  beiden  folgenden 
Vortragen  behaupten,  die  gleichfalls  die  Beziehung  der  Litteratur  zur  Erziehung 
zum  Gegenstande  hatten. 

In  der  Schlussversammlung  verlas  Dr.  N.  M.  Butler  aus  New  York  die 
Prinzipienerklarrung  der  N.  E.  A.  Daraus  heben  wir  einige  Satze  hervor: 

Die  Volksschule  ist  die  starkste  Hoffnung  der  Nation.  Die  amerikanische 
Volksschule  hat  den  Zweck,  sowohl  die  Reichen  anzulocken  und  zu  unterrich- 
ten,  als  auch  die  Armen  zu  versorgen  und  zu  erziehen.  Innerhalb  ihrer  Mauern 
werden  amerikanische  Burger  gemacht,  und  niemand  kann  ohne  Gefahr  von 
ihren  Wohlthaten  ausgeschlossen  werden.  Was  dem  Volke  der  Ver.  Staaten 
soviel  Nutzen  gebracht  hat,  soilte  unverziiglich  denen  zur  Verfiigung  gestellt 
werden,  die,  durch  die  Geschicke  des  Krieges,  unsere  Miindel  geworden  sind. 
Die  Ausdehnung  des  amerikanischen  Volksschulsystems  auf  Cuba,  Porto  Rico 
und  die  Philippinen  ist  eine  gebieterische  Notwendigkeit,  sodass  daselbst  Kennt- 
nisse  eine  allgemeinere  Verbreitung  finden  und  damit  die  Grundlage  geselliger 
Ordnung  und  wirksamer  lokaler  Selbstregierung  in  der  Intelligenz  und  Moralitat 
geschaffen  werden. 

Die  Prinzipienerklarung  fordert  ferner  von  der  nachsten  Sitzung  des  Con- 
gresses die  Umbildung  des  nationalen  Erziehungsbureaus  in  ein  unabhangiges 
Departement,  damit  eine  wirksame  Kontrolle  der  erzieherischen  Systeme  in 
Alaska,  auf  den  Inseln,  die  jetzt  von  uns  abhangen,  und  im  Indianerterritorium 
ausgeiibt  werden  konne;  sie  driickt  ihre  Zufriedenheit  mit  der  schnellen  Zu- 
nahme  der  Bildungsgelegenheit  an  Hochschulen  und  Colleges — und — Universita- 
ten,  so  wie  an  Gewerbe-  und  Handelsschulen  aus;  sie  billigt  herzlich  jede  Mass- 
regel  zur  Hebung  des  Lehrerstandes,  wie  zureichende  Vorbildung,  Stellungssi- 
cherheit,  anstandiges  Gehalt,  und  ein  systematisches  Pensionssystem,  —  sie 
heisst  endlich  auch  die  Bereitwilligkeit  der  Hochschulen  und  Colleges,  die  Be- 
dingungen  zur  Aufnahme  in  ihre  respektiven  Schulen  einheitlich  zu  gestalten, 
willkommen. 


Korresponden^en. 


85 


Nach  Annahme  der  iiblichen  Dankesbeschliisse  fiihrte  sich  der  neue  Pra- 
sident,  Herr  James  M.  Green,  mit  einer  Ansprache  ein.  Herr  Green  ist  aus  der 
Volksschule  hervorgegangen.  Er  ist  jetzt  Prinzipal  der  Staatsnormalschule  zu 
Trenton,  N.  J.,  seiner  Alma  mater. 

Im  Verlaufe  des  Abends  war  natiirlich  noch  einmal  ,,Dixie",  und  wiederum 
,,Dixie",  gesungen  worden,  jetzt  aber  vertagte  sich  die  Lehrerschaft  mit  dem 
Absingen  der  Hymne  ,,Amerika". 

Um  die  Ehre,  die  nachste  Konventionsstadt  zu  sein,  stritten  sich  Detroit 
und  Cincinnati.  Eine  Wahl  ist  jedoch  in  Charleston  selbst  nichl  getroffen 
worden. 

Es  bleibt  uns  noch  iibrig,  die  Thatigkeit  der  einzelnen  Departements  der 
N.  E.  A.  vor  allem  des  National  Council,  einer  kurzen  Berichterstattung  zu 
unterziehen. 


II.     Korrespondenzen. 

(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Dresden. 


In  dem  von  neuem  erschienenen 
,,Handbuch  der  Schulstatistik  fiir  das 
Konigreich  Sachsen"  von  Arthur 
Kolbe  befindet  sich  am  Schlusse  ein 
reiches  Zahlenmaterial,  das  die  Ent- 
wickelung  des  sachsischen  Schulwe- 
sens  in  interessanter  Weise  darlegt. 

Am  1.  Mai  1900  zahlte  die  Universi- 
tat  Leipzig  65  ordentliche  Professo- 
ren,  9  ordentliche  Honorar-Professo- 
ren,  75  ausserordentliche  Professoren, 
69  Privatdozenten,  5  sonstige  Lehrer 
und  3269  Studierende  und  Horer. 

Die  Technische  Hochschule  in  Dres- 
den hatte  47  Professoren,  11  Privat- 
dozenten, 313  Assistenten  und  1073 
Schiller. 

Die  zehn  sachsischen  Realgymna- 
sien  batten  235  Professoren  und  Leh- 
rer, 33  Fachlehrer  und  3995  Schiller; 
an  den  fiinfzehn  Gymnasien  wirkten 
354  Professoren  und  Lehrer,  37  Fach- 
lehrer, und  die  Schiilerzahl  betrug 
5819;  an  den  34  Realschulen  (ein- 
schliesslich  17,  verbunden  mit  Pro- 
gymnasien  und  6  Privatinstituten) 
waren  451  Lehrer,  72  Fachlehrer,  7 
Vikare  und  28  Hilfslehrer  thatig;  der 
Besuch  belief  sich  auf  10,647. 

Um  die  genannte  Zeit  gab  es  in 
Sachsen  1914  Orte  mit  und  1740  Orte 
ohne  Schule.  ttberhaupt  gab  es  2234 
offentliche  evangelische  und  116  ka- 
tholische  Volksschulen ;  mit  einer 
Fortbildungsschuie  waren  1971  ver- 
bunden. Die  gesamten  sachsischen 
Volksschulen  wurden  von  343,773 


mannlichen,  361,339  weiblichen,  zu- 
sammen  705,112  Zoglingen  besucht, 
davon  waren  682,272  evangelischer 
Konfession,  19,668  katholisch,  und 
3172  gehorten  sonstigen  Konfessionen 
an.  Die  £ahl  der  Fortbildungsschiiler 
betrug  84,650,  darunter  2329  weibliche. 

An  den  sachsischen  evangelischen 
Volksschulen  wirkten  362  Direktoren, 
7983  standige  Lehrer,  287  standige 
Lehrerinnen,  312  Vikare  und  Vikarin- 
nen,  1614  provisorische  und  Hilfsleh- 
rer, 113  provisorische  und  Hilfslehre- 
rinnen,  zusammen  10,671.  An  den  ka- 
tholischen  Volksschulen  wirkten  546 
Lehrkrafte,  davon  360  an  Privatschu- 
len. 

Insgesamt  waren  also  an  sachsi- 
schen evangelischen  und  katholischen 
Volksschulen  11,245  Lehrkrafte  tha- 
tig. Durchschnittlich  kamen  auf  ei- 
nen  Lehrer  in  der  Volksschule  62.70 
zu  unterrichtende  Kinder  und  auf 
eine  Volksschulanstalt  300  Kinder. 
Was  den  Stand  des  Unterrichts  selbst 
betrifft,  so  ist  uerselbe,  wie  man  in 
Amerika  sagen  \viirde,  ,,A  1". 

Die  75.  Jahresfeier  des  Freiherrl.  v. 
Fletcher'schen  Seminars  wurde  un- 
langst  in  erhebender  Weise  begangen. 
Aus  nah  und  fern  waren  Angehorige 
aller,  zum  Teil  senr  alter  Semester 
erschienen,  um  an  der  Festlichkeit 
teil  zu  nehmen.  Eine  von  Herrn 
Zschocke  herausgegebene  Festzeitung 
trug  viel  zur  Erheiterung  bei. 

Willie  Lotzsch 


Baltimore. 


Eine  Umgestaltung  des  hiesigen 
Schulwesens  ist  unter  der  neuen  Lei- 
tung  im  Gang  begriffen.  Superinten- 
dent Van  Sickle  hat  dabei  mit  richti- 
gem  Blick  zunachst  den  Lehrkorper 


selbst  ins  Auge  gefasst.  "As  is  the 
teacher,  so  is  the  school",  ist  eines 
seiner  Leitmotive.  Wahrend  unter 
dem  friiheren  System  bei  Lehramts- 
bewerbern  lediglich  das  Kennen  in 


86 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


betracht  gezogen  \vird  (und  selbet 
dieses  wurde  von  damals  bliihenden 
Schulratspolitikern  zuweilen  ausser 
acht  gelassen),  soil  jetzt  auch  dem 
Konnen  sein  gutes  Recht  eingeraumt 
werden. 

Es  1st  daher  mit  dem  neuen  Jahre 
eine  ttbungsschule  (training  school) 
fiir  angehende  Lehrer  und  Lehrerin- 
nen  eingerichtet  worden,  ausserdem 
wird  es  den  schon  im  Schuldienst 
Stehenden  durch  Spezialkurse,  gross- 
tenteils  an  der  Johns  Hopkins  Univer- 
sitat,  erleichtert,  sich  auf  der  Hohe 
der  Zeit  zu  halten.  Es  ist  zu  wun- 
schen,  dass  die  neue  Stromung  einen 
heilsamen  Einfluss  auf  die  Selbstzu- 
friedenen  und  Gleichgiiltigen  ausiibt, 
giebt  es  doch  nicht  wenige,  die  bis- 
ter weder  das  Bediirfnis  fiihlten, 
noch  die  Verpflichtung  erkannten, 
sich  eine  Schulzeitung  zu  halten. 

In  der  Umgestaltung  des  Unter- 
richtsplans  scheint  der  Gedanke  mass- 
gebend  zu  werden,  ,,Non  scholae,  sed 
vitae  discimus".  Es  ist  nur  zu  be- 
fiirchten,  dass  dem  deutschen  Unter- 
richt  weniger  Zeit  eingeraumt  werden 
wird,  als  das  bisher  der  Fall  gewesen 
ist.  Gewaltsame  oder  plotzliche  Um- 
anderungen  sind  indessen  kaum  zu 
erwarten.  In  einer  freundschaftli- 
cheii  Ansprache  an  die  Lehrerschaft 
ausserte  sich  jiingst  der  Superinten- 
dent: "I  believe  in  building  up,  not  in 
tearing  down.  I  believe  in  substitut- 
ing the  better  for  the  worse.  The 
best  things  do  not  come  in  a  day. 
They  are  of  slow  growth.  We  can 
afford  to  wait." 

Der  Deutsche  Lehrerverein  hat  fol- 
gende  Beamte  fiir  das  laufende  Jahr 
gewahlt:  President:  August  Hering; 
Vizeprasident:  A.  G.  Schwier;  Sekre- 
tar:  Carl  Lageler;  Schatzmeisterin: 
Louise  Thalwitzer;  Exekutivkomitee : 
Fr.  Schrock,  A.  G.  Schwier,  Ed.  Heini- 
chen,  Emma  Rogge,  Marie  Sonne- 
mann,  C.  O.  Schonrich.  Der  vorletz- 
ten  Versammlung  schilderte  Fraulein 
Thalwitzer  die  Eindriicke,  die  sie 
wahrend  ihrer  letztjahrigen  Ferien- 
reise  an  einer  Berliner  Gemeinde- 


schule  gewann,  und  in  der  letzten 
Versammlung  folgte  Oberlehrer  Lage- 
ler mit  einem  Vortrag  ,,Reiseerinne- 
rungen  mit  padagogischen  Streiflich- 
tern",  wobei  er  vornehmlich  die  Pa- 
riser  Weltausstellung  Revue  passieren 
liess.  Beide  hochinteresante  Vortrage 
wurden  mit  reichem  Beifall  aufge- 
nommen,  und  an  die  Betreffenden 
wurde  die  Bitte  getellt,  ihre  Vortrage 
den  Padagogischen  Monatsheften  zur 
Veroffentlichung  zu  ubermitteln. 

Als  psychologische  Ratsel  erschei- 
nen  folgende  peinliche  Vorfalle  der 
jiingsten  Zeit:  Ein  junger  Zahnarzt, 
der  sich  bisher  in  der  besten  Gesell- 
schaft  bewegte,  wurde  als  gemeiner 
Ladendieb  ertappt.  —  Ein  Student  der 
Medizin  an  der  Johns  Hopkins  Uni- 
versitat,  23  Jahre  alt,  brach  im  che- 
mischen  Laboratorium  daselbst  ein 
und  stahl  vier  Pfund  Platin  im  Werte 
von  $1200.  Sein  32jahriger  Bruder, 
Student  an  der  Zahnarzneischule,  war 
sein  Helfershelfer.  Beide  gaben  an, 
dass  sie  das  Geld  zur  Beendigung 
ihrer  Studien  gebrauchen  wollteii. 
Sie  wurden  nur  zur  Erstattung  der 
Prozesskosten  verurteilt  und  auf  ein 
Jahr  unter  die  Aufsicht  der  Gefange- 
nen-Hilfsgesellschaft  gestellt,  da  die 
Universitatsbehorde  von  einer  Ver- 
folgung  absah.  Beide  sina  aus  Boston 
gebiirtig.  —  Der  dritte  Fall  ist  beson- 
ders  peinlich,  weil  die  Betreffende 
einer  der  altesten,  besten  und  geach- 
tetsten  deutschen  Familien  der  Stadt 
angehort.  Dieselbe,  bisher  Lehrerin 
an  einer  der  beiden  hoheren  Tochter- 
schulen,  ist  namlich  wegen  Dachau- 
erei  dem  Kriminalgericht  xiberwiesen 
worden. 

Ein  weiteres  trauriges  Zeichen  der 
Zeit  lasst  sich  aus  dem  eben  erschie- 
nenen  Jahresbericht  der  Marylander 
Staatszuchthausbehorde  erkennen.  Es 
ergiebt  sich  namlich,  dass  die  Zahl 
der  Gefangenen  in  den  letzten  zehn 
Jahren  um  siebenundvierzig  Prozent 
zugenommen  hat,  wahrend  im  selben 
Zeitraum  der  Bevolkerungszuwachs 
im  Staat  nur  vierzehn  Prozent  be- 
tragt.  —  S. . 


Chicago. 


Am  27.  Dezember  veranstaltete  der 
Deutsche  Lehrerverein  eine  Weih- 
nachtsfeier  mit  Christbaum  in  der 
Schiller-Halle.  Da  das  Wetter  sehr 
schon  war,  so  liess  auch  der  Besuch 
nichts  zu  wunschen  iibrig.  Fast  alle 
Mitglieder  des  Vereins  hatten  sich 
eingestellt.  Das  fiir  diesen  Zweck 
aufgestellte  Programm  schien  alle  in 


hohem  Masse  zu  befriedigen.  Gesang, 
Musik  und  Vortrage  wechselten  mit- 
einander  ab,  und  an  einer  schon  ge- 
deckten  Tafel  wurden  Erfrischungen 
eingenommen.  Da  diese  Zusammen- 
kunft  die  letzte  war  im  alten  Jahr,  so 
wiinschte  man  einander  beim  Ausein- 
andergehen  ein  gliickliches  Neujahr. 

E.  A.  Z. 


Korresponden^en. 


87 


Cincinnati. 


Die  gigantischen  Unterschla- 
gungen  von  Schulgeldern, 
die  nach  dem  rechtzeitigen  Tode  des 
Schulratsklerks  Griffith  plotzlich  ans 
Tageslicht  kamen,  hielten  liier  seit 
Wochen  die  Gemiiter  in  Aufregung. 
Das  gab  doch  mal  wieder  einen  ande- 
ren  Gesprachsstoff,  als  immer  der 
neue  Superintendent  und  sein  Be- 
form-Lehrplan.  Wie  konnten  diese 
Unterschleife,  die  wahrend  der  1  jah- 
rigen  Amtszeit  des  Clerks  auf  unge- 
fahr  400,000  Dollars  angeschwollen 
sein  sollen,  so  lange  unentdeckt  blei- 
ben,  hatte  Griffith  Mitschuldige  und 
haben  nicht  noch  andere  krumme 
Transaktionen,  z.  B.  Stellenverkauf,  in 
unserem  Schuldepartement  wahrend 
der  letzten  Jahre  stattgef unden  ?  Das 
sind  die  Fragen,  die  gegenwartig  be- 
sonders  in  Lehrerkreisen  lebhaft  be- 
sprochen  werden.  Die  hochnotpeinli- 
che  Untersuchung,  die  sofort  nach  der 
,,Entdeckung"  angeordnet  \vurde,  soil 
liber  all  diese  Punkte  Licht  verbrei- 
ten,  doch  die  Botschaft  hor  ich  wohl, 

allein Mehr    als    der    genaue 

Betrag  der  unterschlagenen  Gelder 
wird  von  den  Experten,  den  teuren, 
nicht  festgestellt  werden,  und  das  hat 
wenig  Zweck,  sintemalen  ja  doch 
nichts  mehr  von  dem  Raub  zuruckzu- 
bekommen  ist,  weil  man  die  Biirg- 
schaft  des  Clerks  in  den  letzten  Jah- 
ren  nicht  wieder  erneuerte.  Es  war 
halt  in  unserer  Schulbehorde  eine  ge- 
radezu  riihrende,  gegenseitige  Ver- 
trauensduselei  eingerissen,  wenn 
nicht  was  Schlimmeres. 

Mitschuldige  und  andere  Krummig- 
keiten  werden  die  modernen  Inquisi- 
toren  wohl  schwer  entdecken,  denn 
der  Hauptschuldige  ist  tot,  und  die 
Toten  erzahlen  nichts  mehr.  Aber 
warum  nimmt  der  Schulrat  oder  das 
Untersuchungskomitee  nicht  ein  tuch- 
tiges  Medium  zuhilfe  und  lasst  sich 
in  einer  Seance  den  Geist  Griffiths  zi- 
tieren,  vielleicht  auch  den  der  friihe- 
ren  Vorsteherin  des  Zeichen-Departe- 
ments?!  Die  zwei  Geister  konnten 
wohl  etwas  erzahlen! 

Nach  dem  bekannten  Sprichwort 
vom  Kalb  und  Brunnen  werden  jetzt 
die  verschiedensten  und  unfehl- 
barsten  Vorbeugungsmittel  gegen 
Wiederholungsfalle  in  Vorschlag  ge- 
bracht.  Das  gefahrlichste  hiervon  ist 
die  Abschaffung  des  Schulrats  und 
Einsetzung  einer  Erziehungskommis- 
sion,  bestehend  aus  etwa  fiinf  repra- 
sentativen  Burgern.  Was  dies  fur  das 
deutsche  Departement  in  den  offent- 


lichen  Schulen  zum  Gefolge  hatte, 
wissen  wir  nur  allzuwohl.  Es  ist 
doch  eine  wunderbare  Logik;  weil 
Schulgelder  gestohlen  wurden,  soil 
das  deutsche  Departement  dafiir 
biissen,  inclein  man  es  abscHaffen, 
oder  wenigstens  beschneiden  mochte. 
Dadurch,  glauben  unsere  nativisti- 
schen  Widersacher,  konnte  ein  Teil- 
chen  der  veruntreuten  Gelder  w^ieder 
eingebracht  werden.  Sehr  schlau, 
doch  nicht  schlau  genug,  denn  man 
wird,  wenn  die  Zeit  kommt,  den  An- 
schlag  zu  vereiteln  wissen. 

Lehrerversammlungen. 
—  Bezugnehmend  auf  die  oben  er- 
wahnte  traurige  Angelegenheit,  rich- 
tete  Herr  Schwaab,  der  Vorsitzer  des 
deutschen  Departements  im  Schulrat, 
wahrend  der  beiden  letzten  Lehrer- 
versammlungen an  die  deutschen 
Lehrkrafte  einige  sehr  beherzigens- 
werte  Worte.  Herr  Schwaab  versi- 
cherte,  dass  alle  Angrift'e  auf  den 
deutschen  Unterricht  abprallen  wur- 
den, so  lange  die  deutsche  Lehrer- 
schaft  selbst  ihre  voile  tnicht  in  je- 
der  Hinsicht  thue  und  unermiidlich 
fiir  ihre  Sache  auf  der  Wache  stehe. 
Bei  vielen,  besonders  vom  jiingeren 
Element,  sei  dies  leider  nicht  der 
Fall,  weil  dieselben  ihre  Stellungen 
nicht  recht  zu  verstehen  scheinen. 
Mit  dem  Erteilen  des  Unterrichts  und 
Ziehen  des  Gehalts  sei  die  Pflicht  ei- 
nes  deutschen  Lehrers  in  diesem 
Lande  noch  lange  nicht  erledigt. 
Dass  ein  Lehrer  an  alien  Bestrebun- 
gen  zur  Forderung  seines  Berufs  re- 
gen  Anteil  nehme,  sei  eigentlich 
selbstverstandlich,  wenn  er  seine  Auf- 
gabe,  die  eigene  Fortbildung,  richtig 
erfasst  habe.  Es  sei  sehr  zu  bedau- 
ern,  dass  sogar  hierin  manche  ihre 
Schuldigkeit  nicht  thun.  Aber  das 
Interesse  fiir  das  Deutschtum  im  all- 
gemeinen  sollte  sich  beim  deutschen 
Lehrerstande  auch  dadurch  bekunden, 
dass  derselbe  sich  mehr  an  deutschen 
Vereinen  und  Unternehmungen  betei- 
lige,  anstatt  sich  diesen  gegenuber 
kiihl  und  ablehnend  zu  verhalten.  Zu 
zeiten  der  Gefahr  konnte  eine  enge, 
warme  Fiihlung  mit  dem  Deutschtum 
sehr  zu  statten  kommen.  Von  engli- 
scher  Seite  werde  die  deutsche  Leh- 
rerschaft  ohne  Unterlass  beobachtet, 
und  wenn  man  dort  findet,  dass  die 
Lehrer  selbst  an  deutschen  Bestre- 
bungen  keinen  Anteil  nehmen,  so  sind 
Angriffe  auf  deu  deutschen  Unter- 
richt eine  naturliche  Folge. 
Herr  H.  E.  Kock  hielt  hierauf  fiber 


88 


P'ddagogischt  Monatsbefte. 


das  selbstgewahlte  Thema  ,,Neuere 
Forschungen  der  physiologischen  Psy- 
chologie"  einen  Vortrag,  womit  die 
Oberlehrersitzung  ihren  Abschluss 
fand.  In  der  Versammlung  des  deut- 
Bchen  Lehrervereins  am  darrauffol- 
genden  Samstag  (9.  Dez.)  las  derselbe 
Herr  iiber  ,,Farbenphotographie". 
Bei  Erledigung  des  geschaftlichen 
Teils  wurde  durch  Dr.  Fick  das  noch 
immer  schlafende  Dornroschen,  ge- 
nannt  ,,Deutscher  Lehrerverein  von 
Ohio",  mal  wieder  zu  wecken  ver- 
sueht.  Da  der  Schlummer  ein  sehr 
tiefer,  ja  totahnlicher  zu  sein  scheint, 
so  ernannte  der  Prasident  die  Herren 
Fick,  Hahn  und  Burger  als  Wiederer- 
weckungskomitee,  das  bis  zur  nach- 
sten  Versammlung  iiber  die  erzielten 
Eesultate  berichten  solle;  hoffentlieh 
sind  dann  diese  recht  erfreuliche. 
Dem  deutschen  Kindergartenverein, 
der  zur  Zeit  seine  geschwachte  Kasse 
durch  einen  Bazar  zu  starken  suchte, 
wurden  $25  als  Weihnachtsgeschenk 
angewiesen.  Auf  dem  Programm  die- 
ser  Versammlung  standen  ausserdem 
zwei  Liedervortrage  vom  gemischten 


Lehrerchor,  sowie  ein  Violin-  und  ein 
Pianosolo,  die  samtlich  in  befriedi- 
gender  Weise  zu  Gehor  gebracht 
wurden. 

Herr  Schwaab  wiederholte v  bei  die- 
ser  Gelegenheit  seine  vollberechtigte 
Philippika  vom  Donnerstag  zuvor.  Er 
hatte  dieses  Mal  noch  hinzufiigen  kon- 
nen,  dass  gewisse  Lehrkrafte,  die  der 
deutschen  Sprache  in  Wort  und 
Schrift  nicht  vollkommen  machtig 
seien,  ebenfalls  eine  indirekte  Gefahr 
fur  das  deutsche  Departement  in  den 
offentlichen  Schulen  bilden.  Denn  wie 
kann  ein  Lehrer  ein  Fach  erfohjreich 
unterrichten,  wenn  er  dieses  Fach 
selbst  nur  sehr  unvollkommen  be- 
herrscht!  Solche  in  einem  Glashaus 
Sitzenden  —  das  moge  hier  nebenbei 
bemerkt  werden  —  sollten  in  ihren 
Vortragen  mit  kritisierenden  Bemer- 
kungen  iiber  altere  Kollegen  sehr  vor- 
sichtig  um  sich  werfen  und  lieber  die 
Elemente  der  deutschen  Grammatik 
lernen,  auf  dass  sie  sich  nicht  selbst 
und  den  ganzen  Stand  durch  ihr  feh- 
lerhaftes  Deutsch  blamieren! 

E.  K. 


Cleveland,  O. 


Versammlung  deutscher 
Lehrer.  Am  23.  November  versam- 
melten  sich  die  deutschen  Lehrer  und 
Lehrerinnen.  Herr  Otto  Pinhard  hielt 
einen  Vortrag  iiber  Max  Miiller.  Der 
Vortrag  fand  ungeteilten  Beifall. 
Nachdem  Herr  Woldmann  einige  offi- 
zielle  Mitteilungen  gemacht  hatte, 
rief  Herr  Adolph  Kromer  die  Pada- 
gogische  Gesellschaft  zur  Ordnung. 
Die  Sekretarin  und  Schatzmeisterin 
legte  ihren  Jahresbericht  vor,  aus 
dem  sich  ergab,  dass  die  Mnanzen  des 
Vereins  in  sehr  gunstigem  Zustande 
waren.  So  wurde  beschlossen,  fiir 
das  laufende  Jahr  keinen  Jahresbei- 
trag  von  den  Mitgliedern  einzufor- 


dern.  Dann  wurden  die  Beamten  fiir 
das  nachste  Jahr  erwahlt.  Herr  Kro- 
mer wurde  wieder  zum  Prasidenten, 
Frl.  Milch  fiir  das  Amt  eines  Vizepra- 
sidenten  und  Frl.  Marie  Walz  aber- 
mals  als  Schatzmeisterin  und  Sekre- 
tarin gewahlt.  Nachdem  unter  Auf- 
hebung  der  Kegeln  noch  einige  Mit- 
glieder  in  den  Verein  aufgenommen 
waren,  vertagte  sich  derselbe.  Fiir 
die  nachste  Versammlung  hat~  Frau 
Mathilde  Grossart  einen  Vortrag  zu- 
gesagt,  bei  welchem  sie  mit  einer 
.Anzahl  Schiiler  ihre  Theorien  iiber  die 
Beschaftigung  der  Anfanger  im  Deut- 
schen darlegen  wird.  H.  W. 


New  York. 


Am  27.  Dezember  fand  das  zweite 
Weihnachtsfest  der  deutschen  Spe- 
ziallehrer  von  New  York  statt.  Nach 
dem  grossartigen  Erfolge,  dessen  sich 
im  vorigen  Jahre  unser  erstes  Fest 
erfreute,  war  es  nicht  anders  zu  er- 
warten,  als  dass  uns  der  Weihnachts- 
mann  noch  einmal  im  freundlichen, 
festlich  geschmiickten  Saale  des 
Terrace  Garden  zusammenrief.  Sein 
Kuf  erging  auch  nicht  vergebens  an 
die  Mitglieder  und  Freunde  unseres 
Vereins.  Jeder  schien  es  sich  zur  be- 


sonderen  Aufgabe  gemacht  zu  haben, 
den  Abend  zu  einem  zweiten  Erfolge 
zu  gestalten. 

Ein  hochst  interessantes  Programm. 
von  musikalischen  und  deklamatori- 
schen  Vortragen,  sowie  ebenso  kraf- 
tigen  als  warmen  Ansprachen  seitens 
des  Prasidenten,  Herrn  Herzog,  des 
Schulsuperintendenten  Scheimer,  des 
Dr.  Bernstein  und  des  Herrn  Ohm- 
stede  versetzte  die  Anwesenden  in  die 
richtige  festliche  Stimmung. 

Dieser  neue  gesellschaftliche  Erfolg 


89 


zeigt  uns  wieder,  was  Eintracht, 
txichtiges  Zusammenhalten  und  Zu- 
saminenstreben  thun  konnen. 

In  der  letzten  Versammlung  der 
Speziallehrer  hielt  Herr  Eochow  ei- 
nen  Vortrag  iiber  die  Grammatik. 
Die  hiibsche,  poetisch  gehaltene  Ein- 
leitung  gefiel  alien  Anwesenden 
ausserordentlich. 

Sodann  setzte  Herr  Eochow  vor  al- 
lem  anderen  fest,  dass  die  offentliche 
Schule  den  Schiller  in  der  deutschen 
Sprache  so  auszuriisten  habe,  dass  sie 
ihm  in  vierfacher  Weise  dienstbar  sei. 
Er  soil  1)  das  gehorte,  und  2)  das  ge- 
schriebene  Wort  verstehen,  3)  soil  es 
selbst  spfechen,  und  4)  seine  Gedan- 
ken  schriftlich  auszudriicken  vermo- 
gen.  Soil  nun  ein  Schiller  in  stand 
gesetzt  werden,  schriftliche  Eede  auf- 
zufassen,  sowie  seine  eigenen  Gedan- 
ken  schriftlich  darzustellen,  so  muss 
er  wohl  oder  iibel  in  die  Formen  der 
Sprache  eingefiihrt  werden.  Blosses 
Verstehen,  Horen,  Lesen  und  Spre- 
chen  wiirde  niemals  an  das  gesetzte 
Ziel  fiihren. 

Das   Yerstandnis  fiir  diese   Sprach- 


formen  wird  erworben  durch  An- 
schauung  von  Spracherscheinungen 
und  durch  fleissige  Anwendung, 
durch  Ubung.  Zur  Darstellung  und 
Einiibung  verschiedener  Formen 
dient  am  besten  der  S  a  t  z.  Hier  soil 
jedoch  streng  darauf  gesehen  werden, 
dass  die  Beispiele,  die  von  den  Kin- 
dern  gegeben  werden,  einen  Inhalt  be- 
sitzen.  Da  nun  der  Vortragende  solch 
hohen  Wert  auf  gute  Beispiele  legt, 
der  grammatikalische  Unterricht 
aber  nur  in  Verbindung  mit  Lese- 
stiicken  betrieben  werden  kann,  so 
mochte  er  ein  Lesebuch  sehen,  das 
geordnete  Beispiele  dieser  Art  besitze. 

Der  Beschrankungen  wegen,  die 
dem  deutschen  Unterricht  gesetzt 
sind,  ist  es  wohl  kaum  zu  erwarten, 
dass  die  Ziele,  die  Herr  Eochow  sich 
inbezug  auf  den  grammatischen  Un- 
terricht setzt,  noch  nicht  zur  Wirk- 
lichkeit  werden  konnen. 

Wegen  der  vorgeschrittenen  Zeit 
wurde  die  Besprechung  des  Vortrages 
auf  die  nachste ,  Versammlung  ver- 
schoben.  F.  A. 


Philadelphia. 


Dass  es  mit  der  Erziehung  hierzu- 
lande  noch  im  Argen  liegt,  lasst  sich 
aus  dem  Vortrag  des  Herrn  Eugen 
Smith  aus  New  York  erkennen,  den 
er  dieser  Tage  vor  der  Jahresver- 
sammlung  der  National  Prison  Asso- 
ciation hielt.  Herr  Smith  hat  sich 
seit  Jahren  sehr  viel  mit  alien  dies- 
beziiglichen  Fragen  beschaftigt  und 
gilt  als  ein  ausserst  gewissenhafter 
und  vorsichtiger  Mann,  der  sich 
angstlich  vor  alien  Ubertreibungen 
und  vorschnellen  Schliissen  hiitet,  so 
dass  die  Ergebnisse  seiner  Berech- 
nungen  derWahrheit  so  nahe  kommen, 
wie  das  moglich  ist.  Er  sprach  iiber 
,,Die  Kosten  des  Verbrechens".  Um 
einen  Begriff  von  der  ungefahren 
Hohe  der  Kosten  gewinnen  zu  kon- 
nen, welche  das  Verbrechen  dem 
Lande  verursacht,  unterwarf  der  Eed- 
ner  die  Jahresausgaben  von  neun 
Stadten  des  Landes,  die  Unkosten  der 
County-  und  Staatsverwaltungen  und 
die  der  Bundesregierung  einer  griind- 
lichen  Prufung  und  Sichtung,  worauf 
er  alle  Posten,  die  dem  Verbrechen 
zuzuschreiben  sind,  zusammens'tellte. 

Es  ergiebt  sich,  dass  die  dem  Ver- 
brechen zuzuschreibende  Stadt-  und 
Countybesteuerung  siph  auf  $3.50  fiir 
den  Kopf  der  stadtischen  Bevolke- 
rung,  oder  bei  einer  Kopfzahl  von 
30,000,000  auf  $105,000,000  im  Jahre  be- 


lauft;  dass  die  durch  das  Verbrechen 
benotigte  Town-  und  Countybesteue- 
rung sich  auf  $1.00  fiir  den  Kopf  der 
landlichen  Vevolkerung  stellt,  oder 
fiir  45,000,000  Seelen  auf  $45,000,000, 
und  dass  endlich  die  auf  Eechnung 
des  Verbrechens  zu  schreibende  nati- 
onale  und  staatliche  Besteuerung  im 
Jahre  die  Summe  von  $50,000,000  aus- 
macht. 

Die  dem  Verbrechen  zuzuschrei- 
bende Besteuerung  wiirde  sich  dem- 
nach  im  ganzen  auf  $200,000,000  im 
Jahre  belaufen,  und  das  ist  nach  dem 
Urteil  anderer  Statistiker  auf  diesem 
Gebiete  eine  sehr  massige  Schatzung. 
Zu  diesen,  durch  die  sich  im  .Laufe 
des  Jahres  ereignenden  verbrecheri- 
scheu  Handlungen  bedingten  Geldaus- 
lagen  kommen  die  der  gesetzlieben- 
den  Bevolkerung  daraus  entstehenden 
Verluste,  und  die  schatzt  Herr  Smith 
auf  mindestens  $400,000,000  das  Jahr. 

Herr  Smith  geht  dabei  von  der  An- 
nahme  aus,  dass  jeder  berufsmassige 
Verbrecher  sich  im  Laufe  des  Jahres 
durchschnittlich  $1600  aneignet,  und 
dass  in  den  Vereinigten  Staaten  rund 
250,000  Menschen  von  Eaub,  Diebstahl 
u.  s.  w.  leben.  Diese  beiden  Posten, 
Ausgaben  und  Verlust,  belaufen  sich 
also  insgesamt  auf  $600,000,000  das 
Jahr. 

Wenn  man  dazu  noch  den  Schaden, 


90 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


welchen  Verbrecher  an  Leib  und  Le- 
ben  ihren  Opfern  zufiigen,  hinzuzahlt, 
und  denselben  auf  $150,000,000  im 
Jahr  veranschlagt,  erhalt  man  die 
Gesamtsumme  von  $750,000,000  im 
Jahr,  also  $10  fur  jeden  Einzelnen  der 
Bevolkerung.  Man  mag  den  letzteren 
Posten  von  $150,000,000  ganz  weglas- 
sen  und  es  bleibt  immer  noch  die  er- 


staunliche  Thatsache,  dass  die  Un- 
kosten,  welche  dasVer- 
brechen  dem  Lande  ver- 
ursacht,  im  Jahre  min- 
destens  ein  Drittel  h  6- 
her  sind,  als  die  Gesamt- 
ausgaben,  die  fur  die  E  r- 
ziehung  gemacht  werden. 

B. 


Saginaw. 


In  der  Novemberver- 
sammlung  des  Lehrerver- 
eins  des  S  a  g  i  n  a  w  -  T  h  al  e  s 
sprach  Herr  Huber  iiber  das  wichtige 
Thema  ,,Anschauungsunterricht".  Er 
teilte  sein  Thema  in  folgende  Abtei- 
lungen: 

Psychologische  Begriindung. 

Historische  Entwickelung. 

Wie  hat  sich  der  Anschauungsun- 
terricht  zu  gestalten? 

1.  Psychologische  Grundlaffe. 

2.  Werkzeuge. 

3.  Zweck  (formaler,  materialer.). 

4.  Gegenstande  in  natura  vorfiihren, 
Modelle,  Bilder. 

5.  Lehrverfahren. 

6.  Verteilung  des  Lehrstoffes.    Wel- 
che Stellung  hat  der  Anschauungsun- 
terricht  einzunehmen? 

Dass  der  Anschauungsunterricht 
speziell  fur  die  Primarschulen  em- 
pfehlenswert  ist,  wird  niemand  be- 
streiten,  und  ist  er  doppelt  zu  em- 
pfehlen  fiir  die  unteren  Klassen  des 
deutsch-englischen  Departements,  um 
die  Kinder  im  Deutschsprechen  zu 
tiben;  denn  da  hapert  es  allenthalben. 
Hat  man  so  den  Kleinen  auf  eine 
hochst  interessante  Weise  einen  Wort- 
schatz  beigebracht,  so  wird  das  Lesen 
spater  viel  leichter  von  statten  gehen. 

Da  uns  nun  leider  Gegenstande  in 
natura  oft  fehlen,  so  miissen  gute 
Bilder  dieselben  ersetzen.  Es  sollte 
also  in  keiner  deutsch-englischen  Pri- 
marschule  eine  Serie  guter  Bilder  fiir 
den  Anschauungsunterricht  fehlen. 
Die  Bilder  sollten  gross  genug  sein, 
dass  sie  von  samtlichen  Schiilern  des 
Zimmers  gut  gesehen  werden. 

Im  folgenden  kann  ich  nur  einige 
Satze  des  umfangreichen  Vortrages 
wiedergeben. 

Wir  nennen  die  absichtliche,  auf 
einen  Gegenstand  gerichtete  wahr- 
nehmende  Thatigkeit  der  Sinne  an- 
schauen  und  das  dadurch  erzeugte 
Bild  eine  Anschauung. 

,,Brauch  dein  Auge,  brauch  dein 
Ohr,  stets  kommt  etwas  Neues  vor." 

Nicht  Begriffe,  sondern  Einzelvor- 
stellungen  miissen  im  Unterricht  an 
den  Anfang  gestellt  werden,  und  aus 
diesen  sind  nach  und  nach  durch 


Kombination  und  Abstraktion  die  Ge- 
samtvorstellungen  zu  gewinnen. 

Zur  Erzeugung  brauchbarer  An- 
schauungen  und  Vorstellungen  ist 
Scharfung  und  ttbung  der  Sinne  ein 
Haupterfordernis  des  ersten  Unter- 
richts. 

Pestalozzi  war  es,  der  dem  Prinzip 
der  Anschauung  allgemeine  Geltung 
fiir  den  elementaren  Unterricht  ver- 
schaffte. 

Diesterweg  will  den  Anschauungs- 
unterricht zu  einem  materiell  vorbe- 
reitenden  Elementarkursus  fiir  alle 
Schulfacher  machen. 

Die  Kinder  sind  den  Eindriicken  der 
Aussenwelt  viel  zuganglicher  als  die 
Erwachsenen,  lassen  alle  Vorgange 
viel  unmittelbarer  auf  sich  wirken, 
als  diese;  sie  sehen  im  Laufe  des  Jah- 
res  die  verschiedenen  Veranderungen, 
welche  in  der  Natur  vorgehen.  Na- 
turgemass  ist  fiir  den  Anschauungs- 
unterricht der  Ankniipfungspunkt  ge- 
geben;  er  schliesst  sich  dem  Leben 
in  den  verschiedenen  Jahreszeiten  an 
und  behandelt  immer  diejenigen  Stof- 
fe,  welche  zu  der  Zeit  gerade  am 
meisten  wahrgenommen  werden. 
Kommen  im  Friihlinge  die  Blumen 
aus  der  Erde  hervor,  wird  im  Sommer 
das  Heu  auf  der  Wiese  geerntet,  wer- 
den im  Herbste  den  Baumen  im  Gar- 
ten die  Friichte  genommen,  ziehen  die 
Zugvogel  fort,  fallt  im  Winter  der 
Schnee  nieder,  und  sind  die  Fliisse 
und  Bache  mit  Eis  bedeckt,  dann  sol- 
len  auch  die  Kinder  im  Anschauungs- 
unterricht davon  horen. 

Der  Kedner  schliesst  seinen  Vor- 
trag  mit  den  Worten:  ,,Ja,  selbst  in 
Hochschulen  wird  von  einigen  erfolg- 
reichen  Lehrern  der  Anschauungsun- 
terricht zur  Erteilung  von  Fremd- 
sprachen  mit  grossem  Vorteil  be- 
nutzt,  unter  Zuziehung  von  Bildern, 
die  fur  diese  Zwecke  ausgewahlt  wer- 
den." 

Ich  bezweifle,  dass  Anschauungsbil- 
der  bei  Erteilung  von  Fremdsprachen 
in  der  Hochschule  eine  grosse  Eolle 
spielen  werden;  aber  es  wiirde  sich 
meiner  Ansicht  verTohnen,  wenn  eine 
passende  Serie  Bilder  fur  Primar- 
schulen  empfohlen  wiirden.  J. 


Umscbau. 


91 


III.     Umschau. 

Amorika. 


Boston.  Die  am  14.  Dez.  vorigen 
Jahres  stattgefundenen  Munizipal- 
wahlen  ergaben,  soweit  die  Mitglieder 
des  Schulrates  in  Betracht  kommen, 
ein  hochst  erfreuliches  Resultat,  in- 
dem  es  der  "Public  School  Associa- 
tion" gelang,  fiinf  ihrer  acht  Kandi- 
daten  gewahlt  zu  sehen.  Vielleicht 
ware  der  Erfolg  fiir  die  genannte 
Vereinigung  noch  giinstiger  gewesen, 
wenn  sie  sich  in  ihrer  Wahlagitation 
einer  gemassigteren  Sprache  bedient 
hatte.  Alle  Anzeichen  deuten  darauf 
hin,  dass  die  Organisation  des  gesam- 
ten  Schulsystems  bedeutende  Aude- 
rungen  erfahren  wird.  —  Superinten- 
dent Seavers  Gehalt  wurde  auf  $6000 
erhoht. 

Atlanta,  G  a.  Ein  Kadikalmittel, 
um  die  Schulden,  mit  denen  der 
Schulfonds  Georgias  belastet  ist,  zu 
tilgen,  hat  Senator  Thomas  Baker 
dem  Staatssenate  empfohlen;  es  soil- 
ten  namlich  samtliche  offentliche 
Schulen  auf  ein  Jahr  geschlossen  wer- 
den.  Ob  sein  Mittel  Anwendung  fin- 
den  wird,  bleibt  abzuwarten. 

Chicago.  Auch  die  Schuiver- 
waltung  Chicagos  hat  mit  finanziellen 
Schwierigkeiten  zu  kampfen.  Um 
die  Ausgaben  mit  den  Einnahmen  in 
Einklang  zu  bringen,  war  die  Schul- 
verwaltung  schon  im  vorigen  Jahre 
gezwungen,  die  Schulen  eher  zu 
schliessen,  so  dass  einzelne  Klassen- 
lehrer  eine  Gehaltsreduktion  bis  zu 
$145  erfuhren.  Dieses  Jahr  drohen 
weitere  Verkiirzungen.  Die  Vereini- 
gung der  Lehrer  Chicagos  sah  sich  in- 
folge  dessen  veranlasst,  mit  einem  of- 
fenen  Briefe  vor  die  offentlichkeit  zu 
treten,  in  dem  sie  gegen  diese  Ge- 
haltsverkiirzungen  protestiert. 

Albany,  N.  Y.     Dr.  Munsterbergs 


Ausfuhrungen  im  "Atlantic  Monthly" 
(Mai  1900;  cf.  Juniheft  der  P. 
M.)  haben  in  Dr.  J.  C.  Wight 
einen  Anhanger  gefunden.  Derselbe 
hielt  vor  dem  "Hudson  Eiver  School- 
masters' Club"  einen  Vortrag  liber 
"Teacher's  Burden",  in  dem  er  be- 
hauptete,  der  grosste  Hemmschuh  des 
Lehrers  sei,  dass  man  von  ihm  das 
nutziose  professionelle  Studium  ver- 
lange.  Dem  Lehrer  solle  vielmehr  ge- 
stattet  sein,  seine  natiirlichen  Anla- 
gen  zu  entwickeln,  als  gezwungen  zu 
sein,  den  konventionellen  Regeln  ton- 
angebender  Padagogen  zu  folgen. 

Boston.  Superintendent  Bal- 
liet,  der  kiirzlich  von  einer  Studien- 
reise  in  Europa  zuruckkehrte,  teilte 
vor  der  "Massachusetts  Teachers'  As- 
sociation" seine  Beobachtungen  mit. 
Unter  anderem  erklarte  er,  dass  die 
Eiementarschulen  Deutschlands  nicht 
besser  als  die  unseren  seien,  dass  da- 
gegen  dessen  Gymnasien  und  Univer- 
sitaten  unsere  Hochschulen  und  Uni- 
versitaten  bei  weitem  iiberragen.  In 
keinem  europaischen  Staate  beginne 
der  Unterricht  in  fremden  Sprachen 
so  spat  als  bei  uns,  und  er  mache  des- 
halb  den  Vorschlag,  dass  in  jeder 
Stadt  eine  Distriktschule  abgesondert 
wiirde,  zu  welcher  die  begabtesten 
Schiller  Zutritt  erhalten  sollten,  und 
die  das  Studium  des  Lateinischen  und 
einer  modernen  Fremdsprache  in 
ihren  Lehrplan  aufzunehmen  hatte. 

K  a  n  a  d  a.  In  der  Provinz  Onta- 
rio hat  sich  in  den  3  Jahrzehnten  von 
1867—1897  die  Zahl  der  Lehrkrafte  an 
den  Volksschulen  von  4890  auf  9128 
und  die  Zahl  der  Volksschiiler  von 
401,643  auf  482,538  erhoht,  wahrend 
der  Aufwand  fiir  das  Schulwesen  von 
$1,437,189  auf  $4,215,670  gestiegen  ist. 


Deutschland. 


Die  im  Jahre  1827  von  Adolf 
Diesterweg  begriindeten  K  h  e  i- 
nischen  Blatter  fiir  Er- 
ziehung  und  Unterricht 
treten  am  1.  Jan.  d.  J.  in  ihren  75. 
Jahrgang.  Unentwegt  haben  diesel- 
ben  im  Sinne  ihres  grossen  Griinders 
fiir  die  Sache  der  Erziehung  und  des 
Unterrichts  gearbeitet,  trotzdem 
manche  Stiirme  iiber  das  Schulschiff- 
lein  in  den  Jahren  ihres  Bestehens  da- 
hingebraust  sind.  Der  Name  Diester- 
wegs  hat  in  Amerika  einen  zu  guten 
Klang,  als  dass  wir  uns  nicht  auch 
den  Gratulanten  zu  diesem  Jubilaum 


von  ganzem  Herzen  anschliessen  soll- 
ten, hoffend,  dass  es  dem  Blatte  ver- 
gonnt  sein  moge,  noch  lange  Jahre 
im  Dienste  der  wahren  Menschenbil- 
dung  zu  wirken. 

Der  amerikanischeBot- 
schafter  White  in  Berlin  em- 
pfing  eine  Abordnung  des  deutsch- 
amerikanischen  Kriegerbundes,  des- 
sen Vorstand  Richard  Miiller  dem 
Botschafter  in  warmen  Worten  fiir 
seine  unermiidlichen  Bemiihungen 
dankte,  ein  herzliches  Einvernehmen 
zwischen  Deutschland  und  den  Verei- 
nigten  Staaten  zu  erhalten.  In  seiner 


92 


P'ddagogische  Monatshefte. 


Ervviderung  wies  der  Botschafter  auf 
die  mannigfachen  und  wichtigen 
Bande  hin,  welche  die  Vereinigten 
Staaten  und  Deutschland  verbinden. 
Er  sprach  sich  lebhaft  zu  gunsten  der 
Beibehaltung  und  Pflege  der  deut- 
schen  Muttersprache  durch  die 
Deutschamerikaner  aus,  weil  er  darin 
nicht  nur  einen  unschatzbaren  Vor- 
teil  fiir  die  Betreffenden,  sondern 
auch  ein  starkes  Bindeglied  erblicke, 
welches  geeignet  sei,  die  beiden  Lan- 
der, trotz  wohl  auch  in  Zukunft  un- 
venneidlicher  Gegensatze  wirtschaft- 
licher  Natur,  in  dauernder  Freund- 
schaft  zu  erhalten.  Hoffentlich  neh- 
nien  sich  die  Deutschen  in  Amerika 
diese  kluge  Mahnung  zu  Herzen. 

Bei  der  Abrechnung  iiber  die 
letzte  Deutsche  Lehrerversammlung 
in  Koln  hat  sich  ein  Fehlbetrag  von 
663.62  Mark  ergeben.  Der  geschafts- 
fuhrende  Ausschuss  des  Deutschen 
Lehrervereins  hat  einstimmig  be- 
schlossen,  dem  Gesamtvorstande  die 
Deckung  desselben  aus  der  Kasse  des 
Deutschen  Lehrervereins  zu  empfeh- 
len. 

Hygienische  Massre- 
geln  in  der  Schule.  Die  Regie- 


rung  zu  Koln  hat  eine  sehr  niitzliche 
Anregung  auf  dem  Gebiete  der  Schul- 
gesundheitspfiege  gegeben.  In  der 
Verfiigung  wurde  den  Gemeinden  ge- 
geniiber  der  Wunsch  ausgedriickt,  fur 
die  auswartigen  Schiiler  Filz-  oder 
Holzschuhe  zur  Benutzung  in  der 
Klasse  anzuschaffen.  Wie  berichtet 
wird,  ist  die  Anregung  in  einigen 
Kreisen  auf  fruchtbaren  Boden  gefal- 
len.  Die  Gemeinden  haben  die  notige 
Zahl  von  Reserveschuhen  beschafft 
und  dadurch  den  Kindern,  die  mit 
nassem  Schuhwerk  zur  Schule  kom- 
men,  Gelegenheit  geboten,  dafiir 
trockene  Fussbekleidung  einzutau- 
schen. 

In  den  Kochtopf  gefallen. 
Die  Gemeinde  Gr.-Salza,  die  vor  eini- 
gen Jahren  mit  grossen  Hoffnungen 
Schulkiichen  eingerichtet  hatte,  fin- 
det,  dass  die  Resultate  der  Kosten  und 
Schulstorungen  nicht  wert  sind,  und 
will  sie  wieder  aufheben,  aber  —  nun 
versagt  die  Kgl.  Regierung  die  Ge- 
nehmigung  zur  Aufhebung.  Es  muss 
also  weiter  gekocht  werden,  auch 
nachdem  der  erste  Enthusiasmus  ver- 
flogen  ist. 


Frankreich. 


Der  franzosische  U  n  - 
terrichtsminister  hat  am 
31.  Juli  durch  eine  Verfiigung  die 
Grammatik  der  franzosischen  Spra- 
che  vereinfacht  und  unter  anderem 
folgendes  bestimmt:  a)  Die  Veran- 
derlichkeit  des  Partizips  der  Vergan- 
genheit  bei  vorangehendem  Akkusa- 
tiv,  also  auch  bei  den  reflexiven  Ver- 
ben  ist  aufgehoben.  b)  Die  Vernei- 
nungspartikel  ne  bei  den  Verben  des 
Fiirchtens,  Leugnens  u.  s.  f.  fallt  weg. 
c)  Der  Bindestrich  in  zusammenge- 
setzten  Hauptwortern,  in  Zahlwor- 


tern  und  bei  der  Frageform  ist  nicht 
mehr  notwendig.  d)  Die  Regeln  iiber 
das  Geschlecht  mancher  Hauptworter 
fallen  weg  oder  werden  vereinfacht, 
z.  B.  gens  gilt  immer  als  weiblich.  e) 
Die  strengen  Regeln  fiir  die  Behand- 
lung  der  zusammengesetzten  Haupt- 
worter in  der  Mehrzahl  gelten  nicht 
mehr.  f)  Die  Anwendung  des  Tei- 
lungsartikels  wird  erleichtert;  du  bon 
pain  gilt  nicht  als  Fehler.  g)  Die  Re- 
geln iiber  die  Behandlung  von  demi, 
feu,  nu  und  diejenigen  von  tout  vor 
Eigenschaftswortern  sind  beseitigt. 


England. 


The  Board  of  Education. 
Das  neue  Unterrichtsministerium, 
dem  durch  Gesetz  von  1899  das  ge- 
samte  Unterrichtswesen  untergeord- 
net  ist  (Elementary,  Secondary  and 
Technical  Education),  hat  seinen 
ersten  Jahresbericht  herausgegeben. 
Einige  Zahlen  daraus  mogen  auch  un- 
sere  Leser  interessieren.  Von  der 
Pensionsordnung,  die  den  vor  Erlass 
derselben  patentierten  Lehrkraften 
den  Eintritt  frei  lasst,  machten  23,200 
Lehrer  und  27,143  Lehrerinnen  Ge- 
brauch,  wahrend  2,960  Lehrer  und 
14,972  Lehrerinnen  ,,outside"  blieben. 
Nach  dieser  Verordnung  wurden  132 
Lehrkrafte  pensioniert  (6304 £),  wah- 
rend 92  die  Erlaubnis  erhielten,  iiber 


das  65.  Altersjahr  hinaus  zu  amtieren. 
Wahrend  1874  nur  48,8%  aller  paten- 
tierten Lehrer  eine  Besoldung  von 
iiber  100  £  bezogen,  hatten  1899  deren 
63%  iiber  100  £.  Waren  vor  30  Jahren 
47%  des  Lehrerpersonals  Lehrer  und 
53%  Lehrerinnen,  so  betrug  letztes 
Jahr  die  Zahl  der  Lehrer  nur  noch 
25%,  die  der  Lehrerinnen  75%.  Von 
den  5%  Millionen  Kindern,  die  in 
England  und  Wales  in  der  Volks- 
schule  sind,  gehoren  rund  3  Millionen 
den  Freiwilligen  Schulen,  2V&  Millio- 
nen den  Gemeindeschulen  an.  Diesen 
steht  die  Erhebung  von  Steuern  zu, 
fiir  jene  brachten  die  freiwilligen  Bei- 
trage  letztes  Jahr  771,964  £  auf.  Bei- 
den Arten  von  Schulen  kommen 


Vermischtes. 


93 


gleichartige  Staatsbeitrage  zugut.  Da 
in  Gegenden,  wo  nur  freie  Schulen 
vorhanden  sind,  diese  und  ihre  Lehrer 
mitunter  schlimm  daran  sind,  insbe- 


sondere  auf  dem  Lande,  so  will  der 
Lehrerbund  eine  allgemeine  Enqugte 
iiber  den  finanziellen  Stand  der  Schu- 
len anregen. 


Ungarn. 


ImAbgeordnetenhause 
trat  der  Kultusminister  den  Bestre- 
bungen  scharftens  entgegen,  den 
deutschen  Sprachunterricht  aus  den 


Schulen  auszumerzen.  Der  deutsche 
Sprachunterricht  dtirfe  nicht  vernach- 
lassigt  werden,  da  selbst  Frankreich 
denselben  pflege. 


Italien. 


Eigentiimliche  Mass- 
n  a  h  m  e  n.  Italien  hat  seit  einiger 
Zeit  einen  neuen  Unterrichtsminister: 
an  die  Stelle  des  Ministers  Baccelli  ist 
der  Minister  Gallo  getreten.  Der 
macht's,  wie's  nun  einmal  vielfach  in 
Italien  Sitte  ist:  er  hebt  alle  Neue- 
rungen,  die  sein  Vorganger  eingefiihrt 
hat,  wieder  auf.  So  hat  er  auch  ver- 
fiigt,  dass  die  deutsche  Sprache  nicht 
mehr  Unterrichtsgegenstand  in  den 
Mittelschulen  sein  soil.  Diese  Verfii- 
gung  steht  mit  dem  Interesse  Italiens 
und  seiner  Bewohner  im  scharfsten 
Gegensatze,  denn  die  deutsche  Spra- 
che wird  von  Jahr  zu  Jahr  fur  die 
Italiener  immer  unentbehrlicher  und 
zwar  auf  den  verschiedensten  Gebie- 
ten  des  Lebens.  Der  italienische  Han- 
delsverkehr  mit  Deutschland,  Oster- 
reich  und  der  Schweiz  bildet  fast  die 
Halite  des  italienischen  Aussenhan- 
dels,  am  Fremdenverkehr  in  Italien 
sind  die  Deutschen  unter  alien  V61- 
kern  mit  dem  hochsten  und  jahrlich 
noch  steigenden  Prozentsatz  beteiligt, 
die  Kenntnis  der  wissenschaftlichen 


Litteratur  Deutschland  ist  auch  in 
Italien  der  Wissenschaft  und  dem  Er- 
werbsleben  unumganglich  notig  ge- 
worden.  In  einzelnen  Landstrichen 
Norditaliens  haben  sich  in  jiingster 
Zeit  so  viele  Deutsche  angesiedelt, 
dass  in  der  einheimischen  Bevolke- 
rung  jeder  Arzt,  jeder  Kaufmann,  ja 
auch  der  strebsame  Handwerker 
deutsch  lernt,  um  mit  den  neu  ange- 
siedelten  Deutschen  in  Verkehr  treten 
zu  konnen.  Alles  dies  hat  den  Unter- 
richtsminister Gallo  wenig  gekum- 
mert.  Die  natiirliche  Entwickelung 
der  Dinge  in  Fragen  des  Sprachunter- 
richts  ist  ja  nun  freilich  starker  als 
die  Verfiigung  eines  Ministers,  und  so 
bezweifeln  wir  nicht  im  mindesten, 
dass  sich  die  Kenntnis  der  deutschen 
Sprache  in  Italien  nach  wie  vor  aus- 
breiten  wird.  Der  zunehmende  Han- 
delsverkehr,  der  Fremdenverkehr,  die 
Einwanderung,  das  ganze  Erwerbsle- 
ben,  das  zu  einem  grossen  Teile  die 
Kenntnis  des  Deutschen  verlangt,  sind 
Faktoren,  gegen  welche  ein  iibelwol- 
lender  Minister  ohnmachtig  ist. 


Chile. 


Valparaiso.  Die  seit  dem Jahre 
1858  hier  bestehende  deutsche  Schule 
ist  jetzt  Qklassig  und  wurde  im  letz- 
ten  Schuljahre  von  222  Schiilern  (102 
Knaben  und  120  Madchen)  besucht, 
die  meist  deutschen  Ursprungs  sind. 
Nur  23  Englander  und  12  Chilenen  be- 
finden  sich  darunter.  Ausser  dem  Di- 
rektor  Dr.  Oskar  Fiedler  wirken  hier 
7  Lehrer  und  5  Lehrerinnen.  Die  Leh- 
rer erhalten  1800—2000  Dollars  Gehalt, 


am  Ende  des  Jahres  10%  des  Gehaltes 
als  Remuneration,  sowie  freie  Woh- 
nung  im  Schulgebaude  oder  240  Dol- 
lars Wohnungsgeld.  tJber  die  vielen 
unentschuldigten  Versaumnisse  wird 
bitter  geklagt.  Es  giebt  Schiiler,  die 
im  Jahre  360 — 400  Unterrichtsstunden 
versaumt  haben,  ohne  krank  gewesen 
zu  sein;  doch  haben  auch  einzelne 
keine  Stunde  gefehlt. 


IV.    Vermischtes. 


Noch  etwas  von  der  Pa- 
riser  Weltausstellung.  In 
der  Weltausstellung  befand  sich  eine 
Abteilung,  in  der  die  Regierung  der 
Republik  die  bewundernswiirdigen 
Resultate  des  franzosischen  Schulun- 
terrichts  ausstellte.  -  Wenn  man  die 
Schiilerhefte  der  deutschen  Klasse 
durchblatterte,  die  schriftliche  Arbei- 
ten  mit  den  Korrekturen  der  Lehrer 
enthielten,  so  sah  man,  dass  diese  von 


Fehlern  wimmelten.  Was  aber  merk- 
wiirdiger  dabei  war,  die  Lehrer  ver- 
besserten  nicht  nur  die  Fehler,  son- 
dern  sie  machten  —  noch  mehr  als  die 
Schiiler!  So  schrieb  z.  B.  ein  Schii- 
ler: Ich  habe  auf  der  Spaziergang, 

welche  ich  gemacht  habe Und  der 

Lehrer  verbesserte:  Ich  habe  auf  den 
Spaziergang,  welcher  ich  gemacht 

habe Man  kann  sehr  alt  werden 

und    sehr    gliicklich    leben,  ohne  den 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


geringsten  Brocken  einer  frenaden 
Sprache  zu  kennen;  aber  der  Minister 
des  offentlichen  Unterrichts  hatte 
vielleicht  gut  daran  gethan,  die  Un- 
vollkommenheiten  seines  Unterrichts 
und  die  krasse  Unwissenheit  einiger 
seiner  Lehrer  den  Blicken  der  Frem- 
den  zu  entziehen,  die  daruber  doch 
nur  lacheln  konnten. 
Segen  der  Vereinstha- 


t  i  g  k  e  i  t.  Diesen  charakterisiert 
Dr.  v.  Schneider,  der  Mitarbeiter  des 
ehemaligen  Ministers  Falk,  in  seinen 
Lebenserinnerungen  also:  ,,Es  ist  das 
iiberhaupt  der  dauernde  Gewinn  von 
einer  auf  feste  Ziele  gerichteten  Ver- 
einsthatigkeit,  dass  sie  uns  mit  ttich- 
tigen  Menschen  in  Verbindung  bringt 
und  dadurch  geistig  befruchtet." 


Biicherbesprechungen . 


Kinderwelt.  Erzahlun- 
gen  und  Gesprache  aus 
der  Natur.  Aus  dem  Englischen 
nach  Emilie  Poulssons  "In  the  Child's 
\Vorld"  frei  bearbeitet  von  A. 
Friedrich.  Mit  12  Abbildungen 
von  L.  J.  Bridgman,  Springfield, 
Mass.  Milton  Bradley  Co.,  1899,  150  p. 

Es  ist  nicht  zu  bestreiten,  dass  die 
amerikanische  Jugendlitteratur  neu- 
erdings  durch  iiberaus  ansprechende 
und  passende  Gaben  fur  die  Kleinen 
bereichert  worden  ist.  Hervorragend 
unter  diesen  Arbeiten  sind  die  Erzah- 
lungen  und  Geschichtchen  der  Kin- 
dergartenschriftstellerin  Poulsson. 
Ihreni  ziemlich  umfangreichen  Buche 
"In  the  Child's  World"  ist  von  beru- 
fener  Seite  das  hochste  Lob  erteilt 
worden.  Einzelne  der  vorziiglichsten 
Geschichten  sind  nun  in  freier  ttber- 
setzung  verdeutscht  und  von  der  be- 
kannten  Firma  Milton  Bradley  so  in 
trefflicher  Ausstattung  veroffentlicht 
worden.  Das  Buch  verdient  weite 
Verbreitung. 

Mara  L.  Pratt.  Amerika's 
Story  forAmerica'sChil- 
d  r  e  n.  I.  The  Beginner's  Book. 
Boston,  D.  C.  Heath  &  Co.,  132  p.,  35c. 

A  beautiful  little  book  for  the 
young,  presenting  the  history  of  the 
western  continent  in  a  series  of 
simple  biographies  and  sketches.  The 
language  is  child-like  but  not  child- 
ish, and  will  not  fail  to  interest  even 
adults,  a  sure  proof  of  excellence. 
There  is  an  abundance  of  illustra- 
tions several  printed  in  color,  the 
whole  making  a  very  attractive  work. 

H.  H.  F. 

A  German  Reader  for 
Beginners.  With  an  introduc- 
tion of  English-German  Cognates, 
Notes  and  Vocabulary,  by  H.  C.  O. 
H  u  s  s,  Professor  of  Modern  Lang- 
uages in  Princeton  University.  D.  C. 
Heath  &  Co.,  Publishers. 

This  book  is  intended  for  students 
of  German,  whose  mother  tongue  is 


the  English.  The  author  lays  stress 
upon  the  correct  pronunciation  of 
German  and  offers  in  the  Introduc- 
tion the  means  for  the  pupil  to  ac- 
quire it.  Proceeding  upon  this  plan, 
the  reading  exercises  are  carefully 
selected  and  for  this  reason  as  well 
as  for  their  contents  are  calculated  to 
gain  the  desired  end.  The  poems  are 
gems  of  German  literature  and  can 
not  fail  to  please  and  inspire  the 
student  with  a  love  of  the  German 
language.  The  notes  present  the 
grammatical  instruction  in  a  pleasing 
and  practical  manner,  though  they 
will  not  obviate  the  study  of  a  good 
German  grammar.  On  the  whole,  the 
little  book  is  a  valuable  addition  to 
elementary  works  for  the  study  of 
German. 

Deutsches  Lese-  und 
Sprachbuch.  Ubungen  im  Le- 
sen,  Sprechen  und  tJbersetzen  mit 
Noten  und  Worterverzeichnis  von 
Wilhelm  Mueller,  Late  Prin- 
cipal of  the  Fifteenth  District  School, 
Cincinnati,  Ohio.  Erste  und  zwtite 
Stufe.  Silver,  Burdett  &  Company, 
New  York. 

In  einigen  Stadten  des  Landes  wird 
erst  mit  dem  dritten  oder  vierten 
Schuljahre  mit  dem  Unterricht  ira 
Deutschen  begonnen.  Es  ware  Zeit- 
verschwendung,  wenn  man  in  solchen 
Schulen  den  ersten  Unterricht  so  be- 
ginnen  wollte,  wie  dies  in  Schulen,  wo 
anfangs  nur  Deutsch  gelehrt  wird, 
oder  wo  man  mit  dem  deutsehen  Un- 
terricht gleich  im  ersten  Schuljahre 
beginnt,  geschieht.  Die  Kinder  in 
den  zuerst  genannten  Scliulen  be- 
sitzen  die  Lesefertigkeit  und  hs,ben 
das  Technische  des  Lesens  iibervvun- 
den.  Es  ist  deshalb  mit  Freuden  zu 
begriissen,  dass  "diese  Lese-  und 
Sprachbiicher  gleich  da  beginnen,  wo 
der  bereits  vorgeschrittene  Schiiler 
das  Studium  des  Deutschen  auf  nimmt, 
und  dem  Lehrer  Gelegenheit  bieten, 
das  Unnotige  zu  liberspringen  und 


'Bucherbesprecbungen . 


95 


gleich  mit  dem  Wesentlichen  den  An- 
fang  zu  machen. 

Die  Anfangsiibungen  sind  gut  ge- 
macht  und  bieten  dem  Lehrer  Gele- 
genheit,  die  Schiller  im  Sprechen  zu 
uben.  Auch  die  Lesestiicke  bieten  zu 
Sprech-  und  Sprachiibungen  den,  noti- 
gen  Anhalt.  Was  die  Einfiihrung  in 
die  angewandte  Grammatik,  in  den 
richtigen  Gebrauch  der  Falle,  der 
Zahl-  und  Zeitformen  angeht,  so  ist 
das,  was  geboten  wird,  stufenmassig 
geordnet  und  dem  Verstandnis  der 
betreffenden  Schuljahre  angemessen. 
Selbst  weniger  gewandte  Lehrkrafte 
werden  nach  diesem  Leitfaden  erfolg- 
reich  in  den  Anfangsgriinden  des 
Deutschen  unterrichten  konnen. 

Was  die  Ausstattung  der  Bticher, 
Papier,  Druck,  Illustrationen  und 
Einband  betrifEt,  ist  diese  iiber  alles 
Lob  erhaben.  H.  R. 

The  Elements  of  Ger- 
man, by  H.  C.  B  i  e  r  w  i  r  t  h,  Ph.  D., 
Instructor  in  German  in  Harvard  Col- 
lege. New  York,  Henry  Holt,  1900. 
Price  $1.25. 

Das  Buch  will  nicht  eine  neue  Me- 
thode  fur  den  deutschen  Unterricht 
bringen,  sondern  diejenigen  Punkte, 
deren  Kenntnis  allgemein  fur  wichtig 
und  notwendig  gelten,  in  einer  etwas 
modifizierten  Form  und  Ordnung  dar- 
stellen.  Auf  277  Seiten  giebt  es  uns 
eine  systematische  Grammatik,  eine 
Liste  der  gebrauchlichsten  Worter 
nach  Klassen  geordnet,  und  eine 
Eeihe  von  Ubersetzungsstucken.  In 
dem  grammatischen  Teile  findet  man 
auf  dem  knappen  Eaume  von  124  Sei- 
ten eine  viel  reichere  Fiille  sprachli- 
cher  Erscheinungen  zusammenge- 
stellt  und  erklart,  als  andere  elemen- 
tare,  ja  selbst  vollstandige  Gramma- 
tiken  aufweisen,  und  man  unter  dem 
bescheidenen  Titel  erwarten  diirfte. 
Im  allgemeinen  konnen  wir  die  Ab- 
weichungen  von  den  herkommlichen 
Darstellugen  nur  gut  heissen.  Die 
Eegeln  sind  kurz  und  leicht  verstand- 
lich  gefasst  und  durch  sorgfaltig  ge- 
wahlte  Beispiele  trefflich  illustriert. 
Besonders  markant  ist  der  Abschnitt 
iiber  Syntax,  in  dem  die  Verschieden- 
heiten  des  Englischen  und  Deutschen 
in  klarstes  Licht  gestellt  und  der  Ge- 
brauch der  Kasus,  des  Konjunktivs, 
Infinitivs,  wie  der  Wortstellung  treff- 
liche  Erorterung  und  Illustration  fin- 
den.  Tn  der  Formenlehre  ist  die  Sub- 
stantivdeklination  dadurch  wesentlich 
vereinfacht  und  leichter  gemacht, 
dass  sie  einzig  auf  die  Bildung  des 
Plurals  aufgebaut  ist,  indem  der  Verf . 
mit  Eecht  betont,  das  die  Bildung  des 
Genitives  S.ng.  keine  Anhaltspunkte 


fiir  die  Bildung  des  Plurals  darbietet. 
Die  sehr  ausfiihrliche  Behandlung  der 
Pronomina  wird  man  mit  Eiicksicht 
auf  die  Wichtigkeit  der  Pronomina 
und  der  mannigfachen  Schwierig- 
keiten,  die  ihre  griindliche  Erler- 
nung  meist  darbietet,  billigen.  Die 
Adjektiva  folgen  den  Pronomina. 
Wir  hatten  gewiinscht,  der  Verf.  ware 
etwas  radikaler  vorgegangen,  und 
hatte  die  demonstrativen  und  posses- 
siven  Pronomina  mit  den  Artikeln 
(48-50)  zusammengestellt.  Lastige 
Wiederholungen  waren  vermieden 
worden,  die  form  ell  und  funktionell 
isolierten  Pronomina  waren  getrennt 
behandelt  worden,  die  Adjektivdekli- 
nation  konnte  sich  unmittelbar  an  die 
pronominale  sowohl  wie  an  die  sub- 
stantivische  (Typus  4,  worauf  wir  ei- 
nen  Hinweis  vermissen)  anschliessen, 
und  vor  allem  wiirde  bei  solcher  Dar- 
stellung  am  leichtesten  und  besten 
die  Bedeutung  des  Geschlechts  im 
Deutschen  und  die  Art  der  Ge- 
schlechtsbezeichnung  ins  Licht  ge- 
stellt und  zum  Prinzip  der  Adjektiv- 
deklination  erhoben  werden.  Das 
Letztere  ist  zum  grossen  Nachteil  des 
Buches  ganzlich  unterlassen.  WTenn 
der  Verf.  (129)  zunachst  die  4.  Kasus 
beiseite  setzt,  wo  das  Adjektiv  unter 
alien  Umstanden  dieselbe  Endung  hat, 
und  in  bezug  auf  die  anderen  Kasus 
die  Eegel  so  fasst:  The  weak  endings 
are  dependent  on  the  strong;  that  is 
a  pronoun  or  adjective  takes  a  weak 
ending  only  when  preceded  by  a  pro- 
nominal word  with  a  strong  ending, 
und  211  hinzufiigt:  otherwise  the 
strong,  so  ist  das  eine  rein  ausserli- 
che,  mechanische  und  wenig  prakti- 
sche  Erklarung,  die  vor  allem  aber 
auch  wenig  geeignet  ist,  denSchiiler  in 
denGeist  der  deutschen  Sprache  einzu- 
fiihren.  Die  Aufstellung  eines  beson- 
deren  (4.)  Typus  von  Adjektivdeklina- 
tion  hatte  unterbleiben  sollen,  zumal 
sie  auch  nach  des  Verfassers  Einlei- 
tungsprinzip  uberfliissig  ist.  tJbrigens 
vermissen  wir  in  diesem  Buche  we- 
nigstens  die  Hauptregeln  iiber  die  Ab- 
teilung  der  Silben,  die  Accentuation 
und  Punktuation,  sowie  iiber  die 
Wortbildung.  Durch  die  lezteren 
wiirde  die  Liste  der  Namengruppen 
erst  einen  wirklichen  Wert  erhalten. 
Von  Einzelheiten  mochten  wir  erwah- 
nen,  dass  ,e*  in  ,der'  (10)  keinesfalls 
dieselbe  Aussprache  von  ,e'  in  ,geht* 
cder  engl.  ,a'  in  fate  hat,  und  dass 
(25)  schliessendes  g  in  Tag  etc.  nicht 
,ch'  zu  sprechen  ist  ausser  in  Suffix-ig 
(vgl.  u.  a.  Padag.  Monatshefte  8,  S. 
22).  Zu  Klasse  4,  S.  9  ware  die  Be- 
merkung  erwiinscht,  wenn  -e  und 
wenn  -en  angefiigt  wird;  auch  hatte 


96 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


eine  Anmerkung  iiber  die  Ausdriicke 
,schwache'  und  ,starke'  Deklination 
gemacht  werden  sollen.  In  116  ware 
besser  die  Thatsache  hingestellt  wor- 
den,  dass  gewisse  deutsche  Reflexiva 
im  Engl.  nicht-reflexiven  Verben  ent- 
sprechen,  als  zu  behaupten,  sie  wa- 
ren  ihrer  Bedeutung  nach  nicht-refle- 
xiv,  und  das  mit  Hinweis  auf  die  eng- 
lischen  Entsprechungen  zu  begriin- 
den.  In  170  hatte  eher  Gewicht  darauf 
gelegt  werden  sollen,  dass  in  einfa- 
cher  Erzahlung  statt  der  Unterord- 
nung  die  Beiordnung  bevorzugt  wird, 
wodurch  die  Wahl  des  Pronomens  wie 
die  Stellung  des  Verbums  erklart  wa- 
ren.  In  294  vermissen  wir,  dass  s- 
Stamme  die  2.  Sing.  Pras.  Indik.  eben- 
so  gut  gleich  der  3.  Sing,  bilden  kon- 
nen.  Die  Personalendungen  in  298  f¥ 
batten  wir  lieber  an  293  gesehen.  Die 
Ubersetzungsiibungen  (80  Seiten)  aus 
dem  Deutschen  ins  Englische  und  um- 
gekehrt  sind  auf  eine  grosse  Zahl  der 
gebrauchlichsten  Worter  aufgebaut 
und  haben  den  Zweck,  den  Schiller  in 
leichtere  Prosa  einzufiihren.  Die  Aus- 
wahl  der  Beispiele  und  die  Anordnung 
der  t)bungsstiicke  ist  mit  grosster 
Sorgfalt  getroffen  und  durchaus  prak- 
tischen  Bediirfnissen  entsprechend. 
Besonders  gelallt  uns  die  Vorweg- 
nahme  des  Verbums  und  unter  dessen 
Formen  die  des  Indik.  Imperf.  von 
starken  Verben  wegen  deren  haufige- 
ren  Vorkommens  wie  einfachen  Fle- 
xion. P.  K. 

Der  Aufsatzunterricht 
in  der  Volksschule.  Be- 
arbeitet  von  A.  L  i  e  b.  Erster  Teil 
fur  die  Unterklasse,  zweiter  Teil  fiir 
die  Mittelklasse  und  dritter  Teil  fur 
die  Oberklasse.  Zweite  Auflage. 
Friedr.  Korn'sche  Buchhandlung, 
Niirnberg. 

Die  Wichtigkeit,  die  dem  Aufsatz 
im  Sprachunterrichte  mit  Recht  bei- 
gelegt  wird,  hat  zur  Folge  gehabt, 
dass  eine  grosse  Anzahl  von  Samm- 
lungen  veroft'entlicht  worden  sind, 
welche  den  Zweck  haben,  den  Lehrer 
mit  StofEen  fiir  diesen  Unterrichts- 
zweig  zu  versorgen.  Auch  das  oben- 
genannte  Werk  soil  zunachst  diesem 
Zwecke  dienen.  Es  bietet  eine  grosse 
Fiille  von  Bearbeitungen;  so  enthalt 
die  Abteilung  fiir  die  Unterklasse  de- 
ren 54,  die  fiir  die  Mittelklasse  97  und 
die  fur  die  Oberklasse  deren  141.  In 
sorgfaltiger  Weise  sind  diese  Bei- 
spiele nach  methodischen  Grund- 
satzen  geordnet. 

Was  die  Sammlung  aber  besonders 
wertvoll  macht,  sind  die  methodi- 
schen Winke,  die  der  Verfasser  am 
Eingange  eines  jeden  Teiles  giebt, 
und  die  namentlich  jungen  Lehrern 
fiir  die  Fuhrung  des  Aufsatzunter- 
richtes  empfohlen  werden  konnen. 


Da  die  Themata,  soweit  sie  nicht 
freie  Bearbeitungen  sind,  den  ver- 
schiedensten  Lesebiichern  entnommen 
sind,  und  fast  ausnahmslos  klassische 
Litteratur  behandeln,  ist  die  Samm- 
lung auch  fiir  deutschamerikanische 
Schulverhaltnisse  geeignet,  besonders 
.  in  ihrem  ersten  und  •  zweiten  Teile. 
Der  dritte  Teil  konnte  mit  Erfolg  in 
unseren  Hochschulen  gebraucht  wer- 
den. 

Third  German  Reader  for 
the  New  York  Public  Schools  by  Dr. 
Oscar  Weineck.  New  York,  F. 
W.  Christern,  Dyrsen  &  Pfeift'er,  Suc- 
cessors, 429  Fifth  Avenue. 

"The  key-note  of  the  present  Third 
Reader  is,  in  contradistinction  to 
most  Readers  of  a  similar  character, 
essentially  German,  or  rather  Ger- 
manic." Aus  diesen  VVorten  ersehen 
wir,  welchen  Plan  der  Verfasser  bei 
Zusammenstellung  des  Lesestoffes 
verfolgte.  Der  Lesestoff  ist  eingeteilt 
in  "Anecdotes,  Legends  of  Germanic 
Heroes,  Miscellaneous  Stories,  Ger- 
man-Americans, Germany's  Greatest 
Poets  (Goethe,  Schiller,  Lessing),  Po- 
ems, Spriiche  und  Goldene  Worte." 

Ein  anderer  hervorstechender  Zug 
des  Lesebuches  ist,  dass  iiberall  da, 
wo  die  vergleichende  Sprachkunde 
Anhaltspunkte  giebt,  diese  beniitzt 
sind,  um  dem  Schiller  die  Verwandt- 
schaft  zwischen  der  deutschen  und 
englischen  Sprache  nahe  zu  fiihren 
und  durch  dieselbe  die  Erlernung  der 
deutschen  Sprache  zu  erleichtern.  So 
sind  die  Grimm'schen  Lautverschie- 
bungsgesetze  weitgehend  angewandt. 
Auch  das  Vokabularium,  welches 
iibrigens  sehr  reichhaltig  ist,  nimmt 
bei  jeder  sich  bietenden  Gelegenheit 
Riicksicht  auf  verwandte  Formen. 

Die  Auswahl  der  Gedichte  der  oben- 
genannten  Dichter  ist  eine  vorziigli- 
che.  Sie  gewinnt  dadurch  noch  an 
Interesse,  dass  jedem  Gedichte  die 
beste  englische  Ubersetzung  gegen- 
iiber  gestellt  ist. 

Topical  Outline  of  United 
States  Government.  Amer- 
ican Book  Co. 

In  Verbindung  mit  der  Namhaftma- 
chung  der  in  ihrem  Verlage  erschei- 
nenden  Lehrbiicher  fiir  Biirgerrecht 
bringt  die  Am.  Book  Co.  eine  kurze 
Zusammenstellung  der  Rechte  und 
Pflichten  der  verschiedenen  Beamten 
und  Korperschaften  in  der  Regierung 
der  \ereinigten  Staaten.  In  iiber- 
sichtlicher  Ordnung  sind  die  gesetz- 
geberische,  die  ausiibende  und  rich- 
terliche  Abteilung  behandelt.  Die  Zu- 
sammenstellung wiirde  fiir  die  Hand 
des  Lehrers  sowohl,  als  die  des  Schii- 
lers  als  Repetitorium  willkommen 
sein.  M.  Q. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  Februar   1901.  Hefts 

Germanistik  und  schone  Litteratur  in  Amerika. 

Vortrag,  gehalten  im  Deutschen  Verein  der  Columbia  University,  New  York. 


Von  Prof,  M.  D.  Learned,  Ph.  D.,  Philadelphia,  Pa. 

Die  Behauptung,  welche  der  im  Auslande  verweilende  Amerikaner 
hort,  Amerika  habe  noch  keine  Nationallitteratur,  besonders  keine  natio- 
nale  Dichtung  gehabt,  ist  nicht  ganz  unbegriindet,obwohl  manchmal  iiber- 
trieben.  Dass  es  eine  amerikanische  Litteratur  and  sogar  eine  ameri- 
kanische  Dichtung  giebt,  braucht  nicht  erst  bewiesen  zu  werden.  Dass 
diese  Litteratur  aber  zu  einer  grossen  Weltlitteratur  emporgewachsen  ist 
und  grosse  Dichtergenies  in  der  Ruhmeshalle  der  Dichtung  aufzustellen 
hat,  kann  nur  in  einigen  einzelnen  Fallen  behauptet  werden.  Longfel- 
low allein  unter  unsern  Dichtern  hat  neben  den  beruhmten  Unsterblichen 
in  der  Westminster  Abtei  einen  Ehrenplatz  gefunden.  Muss  man  der 
amerikanischen  Dichtung  die  hochste  Originalitat  absprechen,  so  ist  doch 
diese  Litteratur  in  anderer  Hinsicht  eine  der  bedeutendsten  Erschein- 
ungen  in  der  Weltkultur,  der  Ausdruck  der  kulturellen  Bestrebungen 
eines  freiheitatmenden  elementaren  Riesenvolkes  in  seinem  Kampfe  mit 
dem  Naturmenschen  im  Urwald  und  in  seinem  Emporstreben  aus  dem 
Materialismus  zur  Idealitat. 

Selbstverstandlich  musste  die  literarische  Produktion  eines  neuen 
heterogenen  Volkes  gerade  an  Neqheit  leiden  und  manche  Unebenheiten 
in  Form  und  Auffassung  dulden.  Da  gerade  die  Kolonisierung  unter 
dem  Drucke  des  diirren  Puritanismus  stattfand,  musste  die  Kunst  mit 
zitternden  Fittigen  herumflattern  wie  eine  Nachteule.  Die  in  Neu-Eng- 
land  herrschende  religiose  Strenge  wollte  alles  Leben  von  den  Vor- 
schriften  des  engen  kurzsichtigen  Puritanismus  beherrscht  wissen.  Kein 
"Maypole,"  kein  "Merry  Mount,"  kein  frisch  aufjubelndes  Volksleben  mit 


98  P'ddagogiscbe  Monatsfafte. 

seiner  sprudelnden  Volkspoesie  durfte  der  Liebe  Mai  unter  freiem  Him- 
mel  feiern.  Die  grauen  Wande  des  Meeting — oder  Schulhauses  und  die 
dunkle  Gruft  der  freudevernichtenden  Monotonie  liessen  die  zarte 
Pflanze  der  Poesie  nie  zur  Sonne  hinaufblicken  und  sich  im  Tautropfen 
des  Lenzes  erquicken. 

Im  Siiden,  im  Lande  der  Kavaliere,  versuchte  die  Muse  ihre  Leier 
wieder  anzustimmen; — versuchte  am  Ufer  des  James  Flusses  eine  eng- 
lische  Ubersetzung  des  Vergil,  aber  der  Siiden  hatte  nicht  den  kulturellen 
Hintergrund  zur  Ausbildung  einer  reichhaltigen  Poesie.  Durchblattert 
man  Stedman's  ,,Library  of  American  Literature"  so  findet  man  vor  dem 
Ausbruch  der  Revolution  nur  trockne  Gelehrsamkeit  oder  diirre  Religio- 
sitat  und  dogmatische  Moral.  Die  Kolonisten  hatten  die  reiche  eng- 
lische  schone  Litteratur  zwar  gelesen  aber  das  Beste  kaum  geduldet, 
geschweige  genossen  oder  neu  geschaffen. 

Erst  nach  dem  Schluss  der  Revolution  erwachte  das  litterarische  Be- 
wusstsein  im  amerik&nischen  Volke,  und  zwar  unter  dem  Einfluss 
fremder  Litteraturen  und  zunachst  der  franzosischen  Litteratur.  Es  war 
ganz  natiirlich,  dass  die  neugeborene  Republik  der  dreizehn  amerika- 
nischen  Kolonien,  durch  den  blutigen  Krieg  mit  dem  Mutterlande  er- 
bittert,  und  durch  die  freundliche  Theilnahme  und  Unterstiitzung  des 
franzosischen  Volkes  innig  beriihrt,  einen  engen  Freundschaftsbund  mit 
Frankreich,  dem  Urfeind  Englands,  schliessen  sollte  und  so  den  Weg 
bahnten  auf  dem  die  Kulturbestrebungen,  besonders  die  republikanischen 
Tendenzen  Frankreichs  und  Amerikas  zusammenfliessen  sollten.  Auf 
diese  Weise  wurde  eine  Ara  franzosischer  Kulturstromungen  nach  der 
neuen  amerikanischen  Republik,  besonders  nach  den  siidlichen 
Staaten  hin  eroffnet.  Diese  Epoche  aber  war  fur  die  schaffende  Kunst 
und  Litteratur  in  beiden  Landern  keine  giinstige.  Frankreich  war  durch 
die  Revolution  zersplittert,  und  Amerika  in  einem  rohen  Naturzustand, 
dem  nur  die  praktische  und  zwar  die  materielle  und  erzieherische  Seite 
der  franzosischen  Kultur  niitzen  konnte. 

Da  kam  der  kritische  Wendepunkt  in  der  Geschichte  des  amerika- 
nischen Volkes,  wo  die  Existenzpolitik  der  neuen  Nation  auf  die  Probe 
gestellt  wurde.  Die  spanischen  Besitzungen  im  Siiden  hatten  die  Lander- 
gier  des  unersattlichen  Korsikaners  Napoleon  gelockt  und  Spanien  tritt 
auf  einmal  das  ganze  Louisiana  Gebiet  an  Frankreich  ab.  Mit  erstaun- 
lich  kluger  und  schneller  Diplomatic  erkauft  Amerika  dasselbe  Gebiet  fur 
die  Summe  von  $15,000,000.  Diese  Ereignisse  nebst  der  Lostrennung 
der  spanischen  Republiken  in  Sud-Amerika  vom  spanischen  Joch,  er- 
weckte  frisches  Interesse  in  den  Vereinigten  Staaten  und  fanden  Wieder- 
hall  in  der  amerikanischen  Litteratur.  Der  spanische  Einfluss  hat  der 
amerikanischen  Litteratur  einen  interessanten  Stoff  zugefuhrt,  aber  keine 
litterarische  Technik  und  keine  neuen  Kulturelemente,  wie  Frankreich 
es  gethan,  und  war  deswegen  nur  von  voriibergehender  Bedeutung. 


Germanistik  und  scbone  Litteratur  in  Amerika. 


99 


Mit  der  Einfuhrung  deutscher  Kultur  beginnt  in  Amerika  eine  wahr- 
haft  schone  Nationallitteratur,  in  der  der  Geist  des  amerikanischen  Volkes 
sich  regt  und  frei  bewegt,  und  man  kann  behaupten,  dass  der  deutsche 
Einfluss  auf  amerikanische  Kultur  im  neunzehnten  Jahrhundert  nicht  nur 
der  leitende  sondern  auch  auf  manchen  Gebieten  in  einem  gewissen  Sinne, 
der  umbilde'nde  gewesen  ist.  Die  Erklarung  weshalb  gerade  der  deutsche 
Impuls  in  unserer  Kultur  den  Sieg  iiber  Frankreich  und  England  davon- 
getragen,  hat  L  e  s  s  i  n  g  vor  anderthalb  hundert  Jahren  in  Nr.  17  der 
,,Briefe  die  neueste  Literatur  betreffend"  geliefert,  wo  er  den  Charakter 
des  deutschen  Volkes  so  klar  und  treffend  zeichnet. 

Die  Ursachen  der  phanomenalen  Wirkungen  deutscher  Kultur  sind 
verschieden  und  reichen  bis  ins  17te  Jahrhundert  zuriick. 

In  der  ersten  deutschen  Ansiedlung  in  den  Vereinigten  Staaten, 
welche  von  Francis  Daniel  Pastorius  in  Germantown  im  Jahr  1683 
gegriindet  wurde  und  in  den  darauffolgenden  Niederlassungen  von  deut- 
schen Mystikern,  Pietisten,  Mennoniten,  Tunkern,  und  den  Confessionen 
verschiedener  Art  wie  Lutheranern,  Reformirten,  Herrnhutern,  findet 
sich  ein  Kulturzustand,  der  viel  mit  dem  Puritanismus  in  Neu-England 
gemein  hat,  obgleich  er  sich  in  Pennsylvanien  zum  grossen  Teil  in  frem- 
der  Sprache  und  von  der  Kultur  Neu-Englands  getrennt  im  Stillen  weiter 
entwickelte : 

1.  Diese  deutschen  Kolonisten  waren  von  einem  religiosen  Ernste 
durchdrungen?  der  in  manchen  Fallen  in  Schwarmerei  ausartete,  wie  in 
Neu  England  die  ubertriebene  dogmatische  Strenge  in  Hexenwut  uber- 
ging,  nur  mit  dem  Unterschied,  dass  unter  den  Deutschen  eine  humane 
Toleranz  waltete. 

2.  Die  deutschen  Ansiedler  waren  wie  die  Puritaner  ein  freiheit- 
liebendes  Volk  und  hatten  sich  vor  der  Tyrannei  der  alten  Welt  ge- 
fliichtet,  um  in  der  neuen  ein  friedliches  Asyl  zu  suchen.     Die  Deutschen 
aber  gingen  noch  weiter  in  ihren  Freiheitsprinzipien  und  wandten  die- 
selben  auf  das  damals  spukende  Gespenst  der  Sklavenfrage  an,  machten 
sogar  schon  1688  Protest  gegen  die  Neger-Sklaverei  in  Amerika. 

3.  Die  deutschen  Kolonisten  waren  wie  die  Puritaner  Trager,  Ver- 
treter  und  Vorkampfer  der  Volkserziehung  und  hoheren  Kultur.     Die 
Deutschen  hatten  ihre  Gemeinde-  oder  Kirchenschulen  unter  der  Leitung 
des  Pfarrers,  wie  die  Puritaner  ihre  "Townschools"  unter  der  Aufsicht 
des  Town-  oder  Village  Parson.      In  der  ersten  Halfte  des  18ten  Jahr- 
hunderts  schon  hatten  fast  alle  deutschen  Sekten  in  Pennsylvanien  Ge- 
meindeschulen  gegriindet  und  als  nach  1740  Miihlenberg  und  Schlatter, 
Vertreter  der  Bestrebungen  des    Franckeschen    Padagogiums  in  Halle, 
nach  Amerika  kamen,  machte  man  Anstalten,  Volksschulen  im  weiteren 
Sinne  in  verschiedenen  Gegenden  zu  griinden  und  somit  die  Grundlage 
zur  spateren  Volkserziehung  zu  legen. 


100  Padagogiscbe  Monatsbefte. 

4.  Die  Deutschen  Kolonisten  wirkten  wie  die  Puritaner  auch  pro- 
duktiv,  aber  druckten  verhaltmassig  weit  mehr  Biicher  als  ihre  Puritaner- 
nachbarn.  Aus  den  letzten  drei  Vierteln  des  vorigen  Jahrhunderts 
kennen  wir  etwa  2,000  deutsche  Drucke  amerikanischer  Imprimatur. 
Unter  ihnen  die  Bibel  von  Saur. 

Selbstverstandlich  bildet  diese  eigenartige  deutsche  Kultur,  die  sich 
allmahlich  nach  Maryland,  Virginien  und  spater  nach  dem  Westen  aus- 
dehnte,  die  Grundlage  zur  Weiterentwickelung  des  deutschen  Kulturein- 
flusses  in  Amerika  im  19ten  Jahrhundert  aber  nicht  durch  direkte  Aus- 
breitung  desselben  auf  das  anglo-amerikanische  Element.  Der  vorwiegendc 
Kultureinfluss  in  den  Vereinigten  Staaten  wahrend  des  18ten  Jahr- 
hunderts blieb  der  englische.  Die  meisten  Puritaner  standen  damals  wie 
jetzt  dem  deutschen  Kulturelement  gleichgiiltig  gegeniiber.  Nur  auf 
einem  Gebiete  beriihrten  sich  die  besten  Kulturstromungen  und  zwar 
auf  dem  der  Theologie  und  Religion.  Der  aufgeweckte  Puritanische 
(Yankee)  Theologe,  schon  im  18ten  Jahrhundert,  durfte  nicht  die  deut- 
schen Fachgenossen  ganz  ausser  Acht  lassen.  Und  gerade  der  Pietismus 
und  die  Erziehungsbewegung  des  Halleschen  Padagogiums  erregten  un- 
ter  den  puritanischen  Philanthropen  ein  warmes  Interesse.  Schon  Cotton 
Mather  im  Anfang  des  18ten  Jahrhunderts  stand  mit  dem  grossen  Pietis- 
ten  Francke,  dem  Grander  der  Halleschen  Institute  in  Verbindung  und 
verfolgte  mit  wahrem  Enthusiasmus  das  Unternehmen.  Auf  dem  Ge- 
biete der  schonen  Litteratur  zeigt  sich  der  deutsche  Einfluss  in  der  zwei- 
ten  Halfte  des  18ten  Jahrhunderts.  Unter  den  vielen  Hunderten  von 
deutschamerikanischen  Drucken  waren  eine  Anzahl  von  Litteraturwerken, 
wie  Gessner  und  andere. 

Obgleich  man  nur  gelegentlich  die  Aufmerksamkeit  auf  die  deutsche 
Litteratur  lenkte,  lernte  man  doc'h  mit  der  Zeit  die  Namen  Gessner,  Wie- 
land,    kennen.     Durch    englische    Zeitschriften   und    sonstige    Publika- 
tionen  wurde  man  mit  der  deutschen   Litteratur  bekannt.     Es   ist  be- 
zeichnend,  dass  Charles  Brockden  Brown,  der  erste  Romanschreiber  von 
Bedeutung    in    der   amerikanischen  Litteratur  und  der    eigentliche  Be- 
grunder  des  amerikanischen  Romans,  obgleich  unter  starkem  englischen 
Einfluss,  was  Sprache,  Stil  und  litterarische  Tradition  anbelangt,  einen 
deutschen  oder  deutsch-amerikanischen  Stoff  zum  Thema  seines  ersten 
Romans,  ,,Wieland,"  gewahlt.     Brown  gebuhrt  die  Ehre  den  Wert  der 
ethnischen   Charaktertypen   fur   den   gesammten    Nationalcharakter   des 
amerikanischen  Volkes  erkannt  und  diese  Rassentypen  in  unsere  Litteratur 
eingefuhrt  zu  haben.      Er  scheint  die  territoriale  Ausdehnung  und  die 
spatere  kulturelle  Entwicklung  der  neuen  Republik  schon  vorgeahnt  zu 
haben,  denn  er  fiihlte  in  den  Adern  des  aufbliihenden  amerikanischen 
Handels  den  Pulsschlag  einer  schnell  heranwachsenden  Weltmacht,  und 
verwertete  diese  Momente  in  den  kosmopolitischen  Charakteren  seiner 
Romane. 


Germanistik  und  scbone  Litter atur  in  Amerika.  101 

Mit  dem  Jahre  1815  beginnt  eine  neue  Epoche  in  unserer  National- 
litteratur,  die  man  kurzweg  die  deutsche  nennen  darf,  da  die  Haupt- 
anregung  von  Deutschland  ausging.  Schon  in  den  ersten  Jahrzehnten 
des  19ten  Jahrhunderts,  1809,  hatte  Washington  Irving  das  althollandi- 
sche  Leben  in  New  York  zum  Thema  seiner  ,,Knickerbocker — History  of 
New  York"  gewahlt,  ein  Gebiet  dem  sein  Mitarbeiter  Paulding  spater  das 
Thema  zu  seinem  Romane  ,,The  Dutchman's  Fireside,"  1831,  entnahm. 

Aber  die  Periode  des  direkten  deutschen  Einflusses  fing  da  an,  wo 
junge  Amerikaner  nach  Deutschland  gingen  um  sich  auf  deutschen  Uni- 
versitaten  auszubilden.  Im  Jahre  1815  gingen  George  Ticknor,  Edward 
Everett,  u.  1818,  und  spater  George  Bancroft  u.  a.  nach  Gottingen  und 
blieben  mehrere  Jahre  in  Deutschland.  Als  Resultat  dieses  Aufenthaltes 
im  Auslande  brachten  sie  von  dort  eine  neue  Methode  des  wissenschaft- 
lichen  Schaffens  mit,  die  sich  bald  auch  auf  dem  Gebiet  der  Geschicht- 
schreibung,  wie  der  Erziehung  und  der  Litteratur  bemerkbar  machte. 
Ticknor  giebt  in  seinen  Briefen  eine  treffende  Charakteristik  dieser  neuen 
Methode,  wie  er  sie  in  Gottingen  bei  Prof.  Schulze  beobachtet  hatte. 

In  den  letzten  Jahrzehnten  des  18ten  Jahrhunderts  und  im  Anfange 
des  19ten,  fand  die  deutsche  Litteratur  immer  mehr  Aufnahme  in  Eng- 
land und  Amerika  durch  die  Ubersetzungen  und  sonstigen  Arbeiten  von 
William  Taylor  von  Norwich,  Walter  Scott,  Samuel  Taylor  Coleridge  and 
Southey,  und  wirkte  durch  sie  befruchtend  auf  die  amerikanische  Litteratur 
ein.  Neben  den  Ubersetzungen  umfangreicher  deutscher  Werke,  wie 
Wielands  ,,Oberon"  durch  Sotheby  iibersetzt,  erschienen  wahrend  dieser 
Periode  eine  grosse  Anzahl  von  englischen  und  amerikanischen  Uber- 
setzungen  neuerer  deutscher  Gedichte  in  amerikanischen  Zeitschriften 
und  bereiteten  das  Lesepublikum  auf  eine  tiefere  Kenntnis  der  deut- 
schen Litteratur  vor,  die  beim  Anbruch  der  neuen  Epoche  des  direkten 
Einflusses  deutscher  Wissenschafl  und  Litteratur  in  Amerika  nach  1815 
sich  zeigte. 

Das  Zusammentreffen  der  indirekten  deutschen  Stromung  iiber  Eng- 
land und  der  direkten,  die  von  den  deutschen  Universitaten  ausging,  in 
Neu-England,  machte  in  manchen  Richtungen  Epoche  und  wirkte  umbil- 
dend  auf  das  geistige  Leben  Neu-Englands  ein. 

GeorgeBancroftals  Schiiler  Heerens,  des  Vertreters  der  neuen 
deutschen  Geschichtschreibung  in  Deutschland,  legte  den  Grund  zur 
amerikanischen  politischen  Geschichtschreibung.  George  Ticknor, 
als  Schiiler  Benecke's  und  Schulze's  in  Gottingen,  verpflanzte  nach  Ame- 
rika die  litterarhistorische  Methode  der  Deutschen  und  lieferte  in  seiner 
Geschichte  der  spanischen  Litteratur  ("History  of  Spanish  Literature") 
ein  Muster-und  Meisterstiick  litteraturgeschichtlicher  Forschung,  dem 
leider  seine  Landsleute  seitdem  nicht  in  gebiihrender  Weise  nachgearbeitet 
haben.  Edward  Everett,  der  nach  Deutschland  ging  um  sich  fur 


102  P'ddagogische  MonatsbejU. 

die  neu  gegriindete  Professur  des  Griechischen  an  der  Harvard  Universi- 
tat vorzubereiten,  publizierte  in  der  ,,North  American  Review"  eine  ganze 
Reihe  von  Aufsatzen  iiber  Deutschland,  besonders  iiber  das  deutsche 
Erziehungswesen  und  die  deutsche  Litteratur  und  trug  viel  dazu  bei,  das 
wissenschafftliche  Studium  der  Litteratur  in  Cambridge  und  Boston  und 
in  Neu  England  iiberhaupt  anzuregen  und  zu  fordern.  Everett  impor- 
tierte  auch  eine  grosse  Masse  deutscher  Biicher  fiir  die  Harvard  Universi- 
tatsbibliothek  und  machte  so  den  Studierenden  die  zeitgenossische  deut- 
sche Litteratur  zuganglich.  Schon  1825  ging  man  mit  dem  Gedanken  um, 
die  neue  deutsche  Methode  in  den  Lehrplan  der  Harvard  Universitat  ein- 
zufiihren.  Im  Jahre  1824,  also  kurz  vorher,  kamen  Karl  Beck  und  Karl 
Follen  nach  Amerika.  Beck  wurde  Professor  der  lateinischen  Sprache 
an  der  Harvard  Universitat  und  Follen  ubernahm  1825  den  deutschen 
Unterricht  daselbst. 

Mit  Follens  Anstellung  in  Cambridge  beginnt  eine  neue  Epoche  in 
der  Geschichte  der  Germanistik  in  Amerika.  Man  hatte  zwar  schon  im 
18ten  Jahrhundert  den  Anfang  eines  systematischen  Studiums  der  deut- 
schen Sprache  gemacht,  aber  der  Versuch  beschrankte  sich  meistens  auf 
das  deutsche  Element  in  Pennsylvanien,  wie  aus  folgenden  in  dieser  frii- 
heren  Zeit  erschienenen  Werken  ersichtlich  ist: 

1.  Bachmaier,  John  James,  M.  A.     "A  complete  German  Grammar 

in  two  Parts,  the  first  containing  the  Theory  of  the  Lan- 
guage through  all  the  parts  of  Speech,  the  second  part  is 
the  Practice  in  as  simple  a  manner  as  can  be  desired.  8 
vo.  Preface  2  pp.  Text  313  pp.  and  Index  Philadelphia  1771. 
Henrich  Miller."  (From  the  3d  edition  of  1771  (London) 
the  first  having  appeared  in  London  1751).  Eine  zweite 
amerikanische  Ausgabe  erschien  1774  in  Carlisle  unter  fol- 
gendem  Titel: 

2.  Bachmaier  J.  J.     "A  German  Grammar,  to  which  are  also  an- 

nexed Instructions  for  Germans  to  acquire  a  Knowledge 
of  the  English  Language."  Eine  verkiirzte  Ausgabe  er- 
schien im  Jahre  1828  in  Philadelphia. 

Im  Jahre  1812  erschienen  in  Lancaster  zwei  Werke  von  grosser  pada- 
gogischer  Bedeutung: 

3.  Miihlenberg  und  Schipper.     ,,Deutsch-Englisches  und  Englisch- 

Deutsches  Worterbuch.  Nebst  einer  deutschen  Sprachlehre 
und  den  Grundregeln  fiir  Aussprache  beider  Sprachen." 

4.  B.  J.  Schipper.     "Rudiments  of  the  German  Language,  with  an 

Appendix  containing  the  pronunciation  of  the  English  let- 
ters." 

Selbstverstandlich  hatten  die  Deutschen  in  Pennsylvanien  von  An- 
fang an  ihre  deutschen  Lehrbiicher,  welche  in  den  deutschen  Schulen  ge- 
braucht  wurden. 


Germanistik  und  scbone  Litteratur  in  Amerika.  103 

Im  Jahre  1826  gab  Follen  in  Cambridge,  Mass.,  sein  ,,Deutsches 
Lesebuch  fiir  Anfanger"  heraus,  das  in  Neu-England  das  Studium  des 
Deutschen  systematisch  anleitete.  Auch  durch  seine  Vorlesungen  iiber 
deutsche  Litteratur  regte  er  die  Studierenden  auf  der  Universitat  an. 
Gleichzeitig  mit  Follen  arbeiten  in  der  neuen  deutschen  Richtung  seine 
amerikanischen  Kollegen  Ticknor,Everett,Bancroft,Beck  und  Andere,  wie 
Theodore  Dwight,  Henry  Edwin  Dwight,  der  mit  seinem  Binder  Sereno 
das  ,,Gymnasium"  in  New  Haven  leitete,  und  1829  sein  viel  gelesenes 
Werk,  "Travels  in  the  North  of  Germany  in  the  Years  1825-6"  heraus- 
gab,  Alexander  Hill  Everett  der  eine  Anzahl  ,,Essays"  iiber  Europaische 
Litteratur  fiir  die  ,,North  American  Review"  schrieb  und  unter  anderen 
die  deutschen  Dichter,  besonders  Schiller,  mit  feinfiihlender  Kritik  behan- 
delte  und  dem  Publikum  verstandlich  machte. 

Auf  diese  neue  von  Deutschland  ausgehende  Anregung  in  den 
zwanziger  Jahren  in  Neu-England  folgte  die  erste,  man  mochte  sagen 
die  einzige,  grosse  schaffende  Epoche  in  der  amerikanischen  Litteratur, 
besonders  in  der  amerikanischen  Dichtung.  Longfellow,  Emerson,  Mar- 
garet Fuller  und  die  ganze  Gruppe  der  sogenannten  "Transcendentalists" 
schopften  entweder  indirekt  durch  Carlyle  oder  direkt  aus  dem  deutschen 
Quell  und  schufen  in  prosaischer  und  metrischer  Form  eine  wahrhaft 
schone  amerikanische  Nationallitteratur,  welche  die  Folgezeit  nicht  wieder 
erreichte.  Longfellow  als  Vermittler  deutscher  Poesie  in  schoner  reiner 
poetischer  Form  behauptet  noch  den  hochsten  Rang  unter  unsern  Dich- 
tern,  und  gerade  da,  wo  der  Amerikaner  den  grossen  Dichter  verkennt, 
in  der  ,,Golden  Legend/'  erscheint  er  ein  wurdiger  Nachahtner  und  Inter- 
pret des  Altmeisters  Goethe.  Seine  ganze  Auffassung  des  ,,Christus"', 
besonders  der  „  Golden  Legend",  ist  Goethe'sch  und  echt  deutsch,  obgleich 
er  den  Stoff  teilweise  dem  amerikanischen  Leben  entnahm. 

Was  ware  Emerson  ohne  Kant  (und  Carlyle)?  und  was  waren  die 
Transcendentalen,  Margaret  Fuller  und  die  andern  Concorder  Dichter  und 
die  Schwarmer  der  Brook  Farm  ohne  diese  deutsche  Anregung?  Es  war 
kulturelle  Gerechtigkeit,  dass  der  grosse  Philosop'hen-Essayist  Emerson 
einen  deutschen  Schiiler  haben  sollte  wie  Hermann  Grimm.  Von.  Wil- 
liam Ellery  Channing  bis  James  Russell  Lowell  ist  der  deutsche  Einfluss 
auf  unsere  Litteratur  unverkennbar  und  unsere  grossten  Dichter  haben 
bewusst  oder  unbewusst  unter  diesem  Einfluss  gedichtet  und  geschrieben. 
Wo  eine  Riickkehr  zu  rein  englischen  Vorbildern  stattgefunden,  ist  der 
Mangel  an  schopferischer  Kraft,  poetischer  Tiefe  und  kulturhistorischer 
Auffassung  leicht  bemerkbar. 

In  dieser  Periode  der  deutschen  Anregung  in  Neu-England  haben 
wir  die  Anfange  der  amerikanischen  Germanistik  zu  suchen,  aus  der  un- 
sere Geschichtsschreibung,  unser  spateres  akademisches  Erziehungswesen, 
unsere  Gymnastik,  unsere  Musik,  zum  Teil  unser  Forschungstrieb  auf  dem 
Gebiete  der  Naturwissenschaft,  unsere  liberale  Tendenz  in  Theologie  und 


104  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Religion,  besonders  die  sogenannte  neue  Kritik  ("new  criticism"),  unsere 
Philosophic  und  zum  grossen  Teil,  unsere  schone  Litteratur  und  angeh- 
ende  litterarische  Kritik  direkt  oder  indirekt  erwachsen  sind.  Von  dieser 
Zeit  an  war  Deutschland  den  gebildeten  Amerikanern  ein  zweites  Athen 
und  der  Strom  der  amerikanischen  Studenten  nach  Deutschland  wuchs 
von  Jahr  zu  Jahr. 

Inzwischen  war  die  Revolution  von  1848  ausgebrochen  und  eine 
grosse  Menge  gebildeter  Deutschen  nach  Amerika  ausgewandert,  deren 
viele  Lehrstellen  fanden  an  amerikanischen  Colleges  und  Universitaten. 
Deutsch  wurde  nun  auf  den  meisten  akademischen  Anstalten  als  Disciplin 
anerkannt  und  in  den  Lehrplan  aufgenommen. 

Nach  dem  Ende  des  Burgerkrieges  (Sezessionskrieges  von  1861- 
1865)  beginnt  die  zweite  Hauptepoche  deutschen  Einflusses  in  Amerika, 
die  Epoche  der  neuen  Erziehungsbestrebungen  und  der  Griindung  von 
(wirklichen)  Universitaten,  und  somit  die  Einfuhrung  deutscher  Unter- 
richtsmethoden  und  der  deutsche  Forschungstrieb,  mit  einem  Worte  die 
Epoche  der  wissenschaftlichen  Methode. 

Im  Laufe  von  funfundzwanzig  Jahren  sind  beinahe  ebenso  viele  Uni- 
versitaten entstanden,  welche  entweder  neugegriindet  wurden  wie  die 
Johns  Hopkins,  Leland  Stanford,  Jr.,  und  Chicago  Universitat,  oder  aus 
alten  Colleges  erwachsen  sind,  wie  Harvard,  Yale,  Columbia,  Pennsyl- 
vania, Cornell  und  andere.  Gerade  diese  neuen  Universitaten  sind  die 
Hauptstiitzen  der  germanistischen  Studien  in  Amerika.  Die  samtlichen 
germanistischen  Abteilungen  (Departements)  an  diesen  Pflegestatten  der 
deutschen  Sprache  und  Litteratur  sind  vom  deutschen  Geist  durchdrungen 
und  von  deutschen  Methoden  beherrscht.  Das  deutsche  Seminar  ist  bei 
alien  eingefuhrt  worden  und  wissenschaftliche  Forschung,  sowohl  auf 
dem  Gebiete  der  Philologie  im  engeren  Sinne  (Linguistik),  als  auf  dem 
der  Litteratur,  ist  das  akademische  Losungswort  geworden.  Als  Resultat 
dieses  Forschungstriebs  hat  Amerika  eine  ansehnliche  Masse  tuchtiger 
wissenschaftlicher  Resultate  aufzuweisen,  selbst  auf  dem  Gebiete  der 
Litteratur.  Viele  von  diesen  Arbeiten  haben  unter  den  Fachgenossen  in 
Deutschland  Anerkennung  gefunden,  und  die  Universitaten  wie  die  Ver- 
fasser  selbst  diirfen  mit  Recht  stolz  darauf  sein.  Auch  fur  die  Wissen- 
schaft  in  Amerika  ist  das  schon  eine  grosse  Errungenschaft,  die  auch  fur 
die  Zukumft  viel  verspricht. 

Betrachtet  man  aber  die  Entwickelung  der  germanistischen  Studien 
und  der  Philologie  iiberhaupt  in  Amerika  von  Benjamin  Woodbridge 
Dwight's  ,,Modern  Philology"  (1864)  bis  auf  die  neuesten  Forschungen 
der  lebenden  amerikanischen  Philologen  und  fragt  man  nach  dem  Ein- 
fluss  dieser  Studien  auf  unsere  Litteratur,  so  findet  man  eine  erstaunlich 
vveite  Kluft  zwischen  den  Philologen  und  den  zeitgenossischen  Schrift- 
stellern,  ich  will  nicht  sagen  Dichtern,  in  Amerika. 

Welches  ist  nun  die  Ursache  dieser  Gleichgiiltigkeit  von  Seiten  un- 


Germanistik  und  schone  Litter atur  in  Amerika.  105 

serer  Schriftsteller  gegen  die  neuere  Philologie  und  Litteraturwissen- 
schaft?  Der  Grund  liegt,  man  muss  es  gestehen,  in  dem  Mangel  an 
litteraturwissenschaftlicher  Methode  und,  was  noch  schlimmer  ist,  an  der 
Oberflachlichkeit  und  Kleinmalerei  unserer  Schriftsteller;  und  in  dem 
Mangel  an  einer  tiefgehenden  Auffassung  der  amerikanischen  Kultur  als 
Hintergrund  einer  Nationallitteratur. 

Verderbliche  Tendenzen  haben  sich  unserer  Litterateurs  bemachtigt: 

Erstens,  die  schnelle  Entwickelung  unseres  Handels  und  unserer 
Industrie  hat  die  materiellen  Interessen  unseres  Lebens  in  den  Vorder- 
grund  gestellt,  und  so  eine  Umanderung  des  akademischen  Lehrplanes 
erfordert,  so  dass  die  alten  liberalen  Disciplinen  einen  betrachtlichen  Teil 
der  ihnen  gewidmeten  Zeit  haben  abtreten  mussen.  Auch  die  alten 
,,Professionen,"  Recht  (nicht  ,,Rechte"  wie  in  Europa)  und  Medizin,  haben 
sich  hier  zu  Lande  fast  ausschliesslich  dem  ,,Geldmachen"  gewidmet  und 
drohen  jetzt  den  alten  festen  akademischen  Unterbau  umzustiirzen. 

Zweitens,  ein  verderbliches  Element  fiir  unsere  Litteratur  ist  das 
anglo-amerikanische  Zeitungswesen,  welches  das  Publikum  mit  einer 
formlichen  Hochflut  von  gemeinen,  alien  guten  Geschmak  verderbenden 
Lokalgeschichten  und  Sensationen  uberschwemmt,  und,  was  noch  schlim- 
mer ist,  eine  Generation  oberflachlicher,  genieloser  Schriftsteller  heran- 
bildet  und  an  die  Stelle  der  friiheren  hochgebildeten  genialen  idealisier- 
enden  Dichter  der  letzten  Generation  gesetzt. 

Drittens,  eine  unersattliche  Novellenwut  hat  unsere  Schriftstel- 
ler wie  das  Publicum  ergriffen,  und  die  anderen  litterarischen  Gattungen  in 
den  Hintergrund  gedrangt. 

Viertens,  als  Resultat  dieses  Unwesens  in  unserer  Litteratur  sind 
hohe  Ideale  und  kritischer  Sinn  eine  Seltenheit  geworden  und  man  kann 
behaupten,  dass  die  litterarische  Kritik  der  Gegenwart  bei  uns  hinter  der 
ersten  Halfte  des  Jahrhunderts  zuriicksteht. 

Wie  oft  muss  man  die  Jeremiade  horen,  die  Erziehungsanstalten, 
Colleges  und  Universitaten,  hatten  noch  keinen  Dichter  erzogen!  Das 
ist  an  sich  eine  oberflachliche  Beobachtung,  ein  Kind  der  Zeit.  Unsere 
grossten  Dichter  und  Litterateurs  haben  fast  ohne  Ausnahme  eine  Col- 
lege- oder  Universitatsbildung  genossen,  und  verdankten  dieser  Bildung 
die  leitende  Stellung,  die  sie  unter  ihren  Mitburgern  eingenommen. 
Man  braucht  nur  an  Emerson,  Longfellow  und  Lowell  zu  erinnern. 

Wie  kann  dem  Grundiibel  in  unserer  Litteratur  abgeholfen  wer- 
den?  Man  muss  also  entweder  in  der  Vergangenheit  des  englischen  Vol- 
kes  oder  in  der  Litteratur  eines  fremden  Volkes  neue  Anregung  suchen. 
Welch  reiche  Fulle  an  Stoff  aus  den  altgermanischen  Quellen  zu  schopfen 
ware,  hat  William  Morris  schon  angedeutet  in  seinen  Dichtungen  auf 
diesem  Felde,  besonders  in  dem  "Fall  of  the  House  of  the  Wolfings", 
wo  er  musterhafte  Nibelungenstrophen  in  englischer  Sprache  nachgebil- 
•det  hat.  Auch  in  den  friiheren  Perioden  der  englischen  Dichtung  liegen 


106  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

reiche  Schatze  an  Stoffen,  wie  sie  die  neuere  Philologie  aufgedeckt  hat, 
wenn  nur  die  erforderliche  Auffassung  vorhanden  ware.  Aber  die  Ge- 
schichte  lehrt,  dass  die  iruchtbarsten  Epochen  litterarischen  Schaffens 
ihren  Ursprung  in  fremden  Litteraturen  haben.  Es  ist  eben  diese  Be- 
riihrung  mit  dem  Leben  und  der  Kultur  fremder  Volker,  welche  zur  lit- 
terarischen Produktion  anregt,  indem  sie  den  Gesichtskreis  erweitert  und 
den  einheimischen  Dichtern  und  dem  Volke  neue  Stoffe  und  neue  For- 
men  zufuhrt. 

Suchen  wir  als  Amerikaner  also  unter  fremden  Litteraturen  nach 
Originalitat  und  massgebender  Form,  so  finden  wir  in  Deutschland  allein 
eine  Litteratur,  welche  reichhaltigen  Stoff,  kulturgeschichtliche  Auffas- 
sung  und  musterhafte  Form  in  eins  verbindet. 

Amerika  hat  noch  keine  klassische  Periode  in  seiner  litterarischen 
Entwickelung  erreicht  und  selbst  in  der  Bliitezeit  nur  Anlaufe  zur  Klassi- 
zitat  gemacht.  Es  muss  daher  im  Auslande  klassische  Vorbilder  su- 
chen,  und  zwar  bei  demjenigen  Volke,  dessen  Geist  und  Kultur  der  ame- 
rikanischen  am  nachsten  verwandt  ist.  Ein  solches  Volk  ist  das  deutsche, 
welches  schon  eine  klassische  Epoche  unter  dem  direkten  Einflusse  der 
Antike  erlebt  hat  und  dessen  Kultur  seit  zwei  Jahrhunderten  auf  das 
amerikanische  Leben  einwirkt. 

Man  findet  gerade  in  der  Germanistik  von  heute  das,  was  der  littera- 
rischen Methode  abgeht: 

Erstens,  klassische  Vorbilder  wie  Goethe  und  Schiller,  welche  ohne 
mechanische  Nachahmer  gewesen  zu  sein,  das  Beste  der  Antike  sowie 
des  modernen  Geistes  in  sich  aufgenommen,  mit  dem  einheimischen 
Geiste  verschmolzen  und  in  neue  Formen  gegossen  und  so  als  modern- 
klassische,  den  Volksgeist  atmende,  litterarische  Meisterwerke  wiederge- 
geben  haben.  In  ihnen  lebt  der  grosse  Shakespeare  mit  Sophokles  und 
Euripides  von  Neuem  in  der  Weltlitteratur  auf. 

Zweitens,  die  Germanistik  bietet  eine  wissenschaftliche  Methode  und 
litterarhistorische  Kritik,  was  bekanntlich  den  Englandern  wie  den  Ame- 
rikanern  in  den  letzten  Jahrzehnten  beinahe  ganzlich  gefehlt.  Selbst  das 
durch  das  historische  Studium  wiedererweckte  Interesse  fur  die  alteren 
Perioden  der  englischen  Litteratur  haben  wir  der  philologischen  Methode 
zu  verdanken,  und  was  man  in  den  letzten  Jahren  in  Amerika  neu 
entdeckt  und  mit  dem  Namen  "Comparative  Literature"  getauft  hat,  ist 
schon  lange  in  Deutschland  in  aller  Stille  als  das  historische  Studium  der 
Litteratur  bekannt  und  gepflegt  worden.  Schon  Georg  Ticknor  und 
Edward  Everett  befanden  sich  in  ihrer  litterarischen  Methode  auf  dem 
deutschen  Standpunkte  und  waren  manchen  ihrer  spateren  Nachfolger* 
weit  voraus. 

Drittens,  die  Germanistik  fuhrt  zu  einer  kulturgeschichtlichen  Auf- 
fassung  des  einheitlichen  Stoffes,  der  litterarischen  Momente  der  Natio- 
nalgeschichte  und  des  Volkslebens.  Ein  Volk  kann  uberreich  sein  an 


Germanistik  und  schone  Litter atur  in  Amerika.  107 

litterarischem  Stoff  und  sogar  an  Schriftwerken,  aber  trotzdem  arm  an 
Erzeugnissen  von  wahrhaft  litterarischem  Wert.  Das  ist  bei  unserm 
Volke  der  Fall,  wo  eine  Unmasse  von  Schriftwerken,  besonders  Romane, 
vorhanden,  aber  unter  alien  kaum  ein  geniales,  klassisches,  der  Weltge- 
schichte  angehorendes  Meisterwerk  zu  finden  ist.  Man  ist  meistens  nur 
darauf  bedacht,  zahlreiche  Auflagen  zu  erzielen  und  schreibt  fur  den  Ta- 
gesgeschmack  und  nicht  fur  die  Dauer.  So  lange  die  kulturgeschicht- 
liche  Auffassung  der  Aufgabe  fehlt,  kann  keine  Nationallitteratur  ent- 
stehen.  j 

Viertens,  die  Germanistik  (und  die  deutsche  Litteratur  insbeson- 
dere)  leitet  auf  das  Verstandnis,  die  Wiirdigung  und  technische  Verwen- 
dung  der  klassischen  Formen  hin.  Die  Hauptvertreter  der  klassischen 
Periode  in  Deutschland  haben  keine  Miihe  gescheut,  die  Technik  der 
Meisterwerke  der  antiken  Dichter  sowohl  wie  der  Renaissance  und 
Neuzeit  genau  zu  studieren  und  die  Strenge  der  antiken  Form  dem  mo 
dernen  Stoff  anzupassen. 

Fiinftens,  legt  die  Germanistik  den  Grund  zu  einer  asthetischen 
Volkserziehung,  welche  mit  den  Kinderjahren  anfangt  und  den  Schiiler 
ins  Leben  begleitet.  So  wollte  Schiller  das  deutsche  Volk  gebildet  wis- 
sen  und  schrieb  zu  diesem  Zwecke  seine  ,,Biiefe  iiber  die  asthetische  Er- 
ziehung  des  Menschen,"  (1795). 

Es  ware  nun  die  Aufgabe  der  Germanisten  in  Amerika  nicht  nur  die 
Studierenden  zu  wissentschaftlichen  Forschungen  auf  einem  Spezialgebiet 
der  Germanistik  anzuspornen,  sondern  ihnen  und  durch  sie  dem  Volke 
auch  eine  tiefere  Kenntnis  der  deutsc'hen  Litteratur  und  der  Beziehungen 
zwischen  der  deutschen  und  amerikanischen  Kultur  beizubringen  und  so 
mit  zu  arbeiten  an  der  Entwicklung  einer  wahrhaft  nationalen  Litteratur 
in  Amerika. 


Education  in  the  United  States.* 

Eine  Buchbesprechung. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatsheftc .) 
Von  Dir.  Emit  Dapprich,  Milwaukee,  Wis. 

Fiir  die  eben  geschlossene  Weltausstellung  in  Paris  hat  Prof. 
Nicholas  Murray  Butler  von  Columbia  University,  einer  unserer  hervor- 
ragenden  Padagogen,  das  oben  genannte  Werk  veroffentlicht.  Es  soil 
die  Entwicklung  des  amerikanischen  Schulwesens  und  seinen  gegenwar- 
tigen  Stand  zur  Darstellung  bringen,  und  enthalt  ausser  der  Einleitung 
des  Verfassers  19  Monographien  iiber  die  wichtigsten  Punkte  der  ge- 
samten  amerikanischen  Erziehung.  Da  dasselbe  preisgekront  aus  der 
Weltausstellung  hervorging,  lassl  sich  erwarten,  dass  es  eine  epoche- 
machende  Arbeit  ist.  Dieses  ist  in  der  That  der  Fall.  Ganz  spezielle 
Verdienste  besitzen  die  folgenden  Beitrage: 

,,D  i  e  Elementarschul e",  von  Dr.  Wm.  T.  Harris, 

,,L  e  h  r  e  r  b  i  1  d  u  n  g",  von  Prof.  B.  A.  Hinsdale, 

„  W  issenschaftliche  und  technische  Erzie- 
h  u  n  g",  von  Pres.  T.  C.  Mendenhall, 

,,Erziehung  der  Indiane  r",  von  Supt.  Wm.  T.  Hailmann. 

Die  Namen  dieser  Mitarbeiter  biirgen  schon  im  voraus  fur  die 
Giite  ihrer  Werke.  Diese  Monographien  sind  jedern  Leser  unserer 
Padagogischen  Monatshefte  zum  griindlichen  Studium  zu  empfehlen;  sie 
atmen  den  Geist  echt  kosmopolitischer  Forschung  und  sind  so  frei  von 
der  engherzig  nativistischen  Beschranktheit  des  Durdhschnittsschulmei- 
sters  in  diesem  Lande,  dass  man  sich  mit  Freuden  in  den  Inhalt  dieser 
Abschnitte  vertieft.  Die  allseitige  und  griindliche  Behandlung,  die 
prazise  und  gewandte  Darstellung  geben  diesen  Kapiteln  einen  dauern- 
den  litterarischen  und  padagogischen  Wert.  Es  verdient  aber  eine 
ernste  Ruge,  dass  ein  Werk  wie  das  vorliegende  nicht  eine  Darstellung 
des  Einflusses  der  privaten  und  kirchlichen  Lefaranstalten  auf  die  Bil- 
dung  des  amerikanischen  Volkes  bringt.  Aus  diesen  Anstalten  ist  eine 
so  stattliche  Reihe  grosser  Manner  hervorgegangen;  sie  haben  auf  die 
Entwicklung  des  offentlichen  Schulwesens  einen  so  machtigen  Einfluss 
ausgeiibt  und  bis  in  die  Gegenwart  an  der  Volksbildung  in  den  Vereinig- 
ten  Staaten  so  wacker  mitgeholfen,  dass  ich  dem  Redakteur,  und  sei 
er  noch  so  beriihmt,  den  Vorwurf  nicht  ersparen  kann,  er  habe  das 
grosse  Wort  des  Klassikers  vergessen:  ,,Audiatur  et  altera  pars." 

Auch  die  Bewegung  fur  die  mehrsprachige  Volksschule,  welche  die 
Schule  der  Zukunft  bei  alien  Kuiturvolkern  werden  muss,  und  die  Fort- 


*)  Education  in  the  United  States.  A  S  eries  of  Monographs  prepared  for  the  U.  S. 
Exhibit  at  the  Paris  Exhibition,  1900.  Edited  by  Nicholas  Murray  Butler,  Professor  of  Phil- 
osophy and  Education  in  Columbia  University,  New  York.  Albany,  N.  Y.,  J.  B.  Lyon  Co., 
1900. 


Education  in  the  United  States.  109 

schritte  in  der  inneren  Gestaltung  des  Schulwesens  hier  zu  Lande  batten 
spezielle  Behandlung  verdient. 

Uber  die  Kindergarten  referiert  Frl.  Susan  E.  Blow.  Von  den  Ver- 
diensten,  die  sich  Herr  und  Frau  Hailmann  um  dieselben  erworben 
haben,  von  der  Einfiihrung  derselben  durch  Papa  Feldner  in  Detroit 
und  Peter  Engelmann  in  Milwaukee,  von  der  Agitation  durch  den  Nat. 
Deutscham.  Lehrerbund  weiss  die  gute  Dame  nichts,  oder  will  nichts 
davon  wissen.  Dagegen  publiziert  sie  eine  Reihe  von  Berichten  ganz 
obskurer  Personen,  die  fur  die  Frage  von  geringer  Bedeutung  sind. 
Ware  es  nicht  weiser  gewesen,  klar  darzulegen,  welche  Veranderungen 
resp.  Verbesserungen  die  Schopfung  Frobels  durch  die  amerikanischen 
Kindergartnerinnen  erfahren  hat,  und  welche  noch  anzustreben  sind. 
Da  Miss  Blow  die  einzige  Dame  unter  den  Mitarbeitern  an  diesem 
grossen  Werke  ist,  so  durfte  man  von  ihr  etwas  Ausgezeichnetes  erwar- 
ten.  Diese  Erwartung  hat  sich  leider  nicht  erfullt.  Trosten  wir  uns 
mit  dem  Worte  Goethes :  ,,Was  in  dem  Menschen  nicht  ist,  das  kommt 
auch  nicht  aus  ihm." 

Die  schwachste  Leistung  in  beiden  Banden  ist  der  Artikel:  ,,Erzie- 
hung  in  Kunst  und  Industrie."  Der  Schreiber  desselben,  Herr  Clarke 
von  Washington,  D.  C.,  kennt  eigentlich  nur  3  Afbeiter  auf  diesem 
Felde,  die  Herren  Walter  Smith,  J.  D.  Philbrick  und  Chas.  C.  Perkins. 
Ich  will  die  Verdienste  der  Genannten  durchaus  nicht  schmalern;  aber 
ich  kenne  personlich  mindestens  50  Zeichenlehrer,  die  in  ihren  Wir- 
kungskreisen  so  Vorziigliches  geleistet  haben,  dass  ihre  Namen  in  dieser 
Arbeit  erscheinen  sollten.  Ausser  diesen  sind  eine  Anzahl  von  Kunst- 
lern  auf  den  Gebieten  der  Lithographic,  des  Holzschnitts,  des  Kupfer- 
stichs  etc.  zu  erwahnen,  die  sich  unsterbliche  Verdienste  um  die  Bildung 
des  am.  Volkes  in  bezug  auf  Geschmack  am  Schonen  erworben  haben. 
Da  ist  vor  alien  Herr  Prang  in  Boston  zu  nennen,  dem  das  amerikanische 
Volk  grossen  Dank  schuldig  ist.  Dass  wir  von  den  Franzosen,  Italie- 
nern  und  Deutschen  in  den  schonen  Kiinsten  mehr  gelernt  haben  als 
von  den  Englandern,  weiss  jeder,  der  sich  um  diese  Sache  ein  wenig 
bemiiht  hat;  Herr  Clarke  weiss  dies  nicht.  Auch  weiss  er  nicht,  dass 
in  den  deutschamerikanischen  Schulen  seit  mehr  als  50  Jahren  das  Zeich- 
nen  mit  Liebe  und  Geschick  gepflegt  wurde,  dass  in  ihnen  ganz  bedeu- 
tende  Manner  die  erste  Anregung  fur  ihren  zukiinftigen  Beruf  empfan- 
gen  haben,  wie  z.  B.  Karl  Marr,  der  Schopfer  der  Flagellanten. 

Es  lohnt  sich  kaum,  aus  einem  so  umfangreichen  Werke  fur  unsere 
Leser  irgend  welche  Ausziige  zu  machen;  wir  raten  jedem,  diese  Arbeit 
nach  eigenem  Ermessen  zu  thun  und  sind  fest  uberzeugt,  dass  keiner 
das  Buch  ohne  grosse  Befriedigung  aus  den  Handen  legen  wird. 


Zu  Washingtons  Qeburtstag. 


I.     Washington. 
Zwei  Oedichte. 


Wenn  wir  den  Grossten  uns'rer  Toten  nennen, 
So  nennen,  Washington,  wir  jubelnd  dich; 
Den  Vater,  hiess  es,  von  den  Kindern  trennen, 
Ruhmt  ohne  dich  Columbias  Grosse  sich. 

Was  je  die  Nachwelt  Herrliches  besungen: 
Staatsklugheit,  Heldenruhm  und  Opfermut 
Fur  Volkeswohl,  auch  audern  ist's  erklungen; 
Doch  dir  gebiihrt  ein  hoherer  Tribut: 

Wohl  gab  es  Helden,  die  in  manchen  Kriegen 
Dir  ebenbiirtig  glanzten,  und  im  Rat 
Gab's  weis're  Manner  auch;   doch  das  Besiegen 
Des  Selbst  im  Gliick  war  einzig  deine  That. 

Dich  reizte  Purpur  nicht,  und  von  dem  Throne, 
Den  man  dir  bot,  da  wandtest  du  dich  ab: 
Doch  dafiir  schmiickt  dich  nun  die  Biirgerkrone; 
Des  Volkes  Liebe  folgte  dir  ins  Grab. 

Des  ..Vaterlandes  Vater"  man  dich  nennet, 
Columbias  vielgepries'ner  Freiheitsheld!  — 
Doch  Biirgertugend  keine  Grenzen  kennet: 
Den  grossten  Burger  nennet  dich  die  Welt! 

Constantin  Qrebner. 


Entrollt  euch,  Firmamente, 
Zeigt  eurer  Sterne  Pracht, 
Es  wacht  ein  Stern,  der  glanzet 
Mit  hoher  Ruhmesmacht. 

Ein  Stern  ist's  erster  Grosse, 
Der  grossen  Sonne  gleich, 
Die  ihren  Segen  spendet 
Dem  ganzen  Erdenreich. 

Drum  Heil,  Columbia,  hehre, 
Die  solchen  Sohn  gebar, 
Dem  alles  nur  die  Menschheit 
Und  ihre  Wohlfahrt  war. 

Was  gait  ihm  eine  Krone, 
Was  gait  ihm  Fiirstenmacht? 
Auf  Freiheit  seiner  Briider 
War  nur  sein  Herz  bedacht. 


General  Jobann  von  Kalb.  Ill 

Es  glanzt  von  grossen  Namen 
Der  Himmel  jener  Zeit. 
Doch  alle  uberstrahlet 
Sein  Werk  an  Herrlichkeit. 

Noch  haben  zu  den  Heil'gen 
Die  Papst'  ihn  nicht  gezab.lt, 
Doch  schon  hat  ihn  die  Menschheit 
Sich  zum  Patron  erwahlt. 

Und  im  Kalenderbuche 

Heisst  dieser  Tag  jetzt  schon 

Der  Wiegentag  der  Freiheit, 

Der  Tag  des  Washington.  M.  Lllienthal. 


II.     General   Johann   von   Kalb   und   seine   Beziehungen  zu 

Washington. 

Zum  169.  Geburtstag  Washlngtons,  dem  22.  Februar  1901. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Henry  Raab,  weiland  Staats-Schulsuperintendent  von  Illinois. 

Wer  George  Washington  war  und  was  er  fur  die  Vereinigten  Staaten  be- 
deutet,  weiss  jedes  Schulkind.  und  es  ware  vergebliche  Miihe,  seinen  Charakter 
und  seine  Verdienste  um  die  Unabhangigkeit  unseres  Landes  beschreiben  zu 
wollen.  In  den  letzten  Jahren  ist  auch  die  Forschung  inbetreff  ,,des  Vaters 
des  Vaterlandes"  so  ausgedehnt  betrieben  worden,  dass  kaum  ein  Winkelchen 
im  Leben  des  grossen  Mannes  sich  dem  Lichte  entzieht.  Selbst  in  Romanen 
und  Novellen  wird  er  zum  Helden  gemacht  und  gefeiert,  so  dass  auch  der  wenig 
ernste  Leser  sich  ein  Bild  von  seiner  Personlichkeit  entwerfen  kann.  Ich  will 
deshalb  bei  dieser  Gelegenheit  eines  deutschen  Mannes  gedenken,  dessen  Ver- 
dienste um  die  Erlangung  der  Unabhangigkeit  des  Landes  selten  hervorgehoben 
werden  und  der,  ausgenommen  im  Namen  von  Stadten  und  Counties,  fast  ganz- 
lich  der  Vergessenheit  anheimzufallen  droht.  Selbst  seine  Herkunft  war  lange 
in  Dunkel  gehullt  und  seine  Schicksale,  ehe  er  mit  Lafayette  ubers  Meer  kam, 
um  fur  die  Unabhangigkeit  der  dreizehn  Kolonien  zu  kampfen  und  zu  sterben, 
waren  unbekannt,  bis  Friedrich  Kapp  in  seinem  Leben  Kalb's  (Stuttgart,  bei 
Cotta,  1862)  dariiber  Licht  verbreitete.  Ich  halte  mich  in  dem  Folgenden 
streng  an  Kapps  Werk  und  werde  mich  bemiihen,  so  kurz  als  moglich,  das 
Wichtigste  aus  dem  Leben  des  grossen  Kriegers  und  Mannes  hervorzuheben. 

Der  Adelstitel,  das  Wortchen  von  vor  dem  Namen  Kalb,  hat  die  Welt  an- 
nehmen  lassen,  dass  unser  Held  aus  einem  begiiterten  Geschlecht  stammen 
musse,  und  Geschichtsforscher  haben  nach  der  reichsfreiherrlichen  Stammburg 
,,derer  von  Kalb"  in  Siiddeutschland  gesucht.  Es  unterliegt  aber  keinem  Zwei- 
fel,  dass  unser  Johann  Kalb  als  der  zweite  von  drei  Sohnen  des  Bauersmannes 
Hans  Kalb  zu  Hiittendorf,  in  der  Markgrafschaft  Bayreuth,  am  19.  Juni  1721 
geboren  wurde.  Uber  seine  Jugendjahre  und  welche  Erziehung  er  genossen, 
fehlen  jegliche  Nachrichten;  zu  Ende  des  Jahres  1743  taucht  der  ehemalige 
Bauernjunge  Hans  Kalb  zuerst  als  Jean  de  Kalb  und  als  Lieutenant  in  einem 


112  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

deutschen  Regiment  in  franzosischen  Diensten  auf.     Wie  er  ins  Ausland  geriet 
und  seinen  Weg  fand,  wird  wohl  nie  ermittelt  werden. 

Dass  er  ohne  Berechtigung  den  Adelstitel  annahm,  lasst  sich  nur  aus  Kalbs 
Streben  nach  Hoherem  erklaren.  Ausser  dem  Soldatenbandwerk  muss  er  seine 
Zeit  nicht  schlecht  angewandt  haben,  denn  ausser  seiner  Muttersprache  sprach 
und  schrieb  er  Franzosisch  und  spater  auch  das  Englische,  wie  aus  seinen  er- 
haltenen  Brief  en  diplomatischen  und  familiaren  Inhalts  zur  Geniige  hervor- 
geht  Als  einfacber  Hans  Kalb  hatte  er  nicht  einmal  Lieutenant,  geschweige 
denn  vertrauter  Geschaftstrager  des  franzosischen  Hofes  werden  konnen.  Er 
muss  sich  auch  sonstige  Kenntnisse  und  weltmannische  Formen  erworben 
haben,  sonst  ware  es  ihm  nicht  moglich  gewesen,  sich  unter  der  adelsstolzen 
und  hochmiitigen  Gesellschaft  von  Versailles  zu  bewegen,  noch  weniger  sich 
mit  einer  adeligen  Dame,  Anna  Elisabeth  Emilie  von  Robais,  am  10.  April  1764, 
zu  vermahlen.  Wahrend  der  zwanzig  Jahre,  die  zwischen  seinem  Eintritt  in 
die  Armee  und  seiner  Eheschliessung  liegen,  kampfte  er  vorzugsweise  in  den 
Niederlanden  und  hatte  das  Gliick,  unter  dem  grossten  Feldherrn,  dem  .pro- 
fessor aller  europaischen  Generale",  dem  Marschall  von  Sachsen,  seine  Kriegs- 
schule  durchzumachen.  Es  ist  aus  jener  Zeit  eine  Denkschrift  Kalbs  erhalten, 
worin  er  dem  franzosischen  Konige,  Ludwig  XIV.,  seine  Ansichten  iiber  die 
Lage  der  amerikanischen  Kolonien  und  die  Moglichkeit,  dieselben  fiir  Frank- 
reich  zu  gewinnen,  darthut.  Er  spricht  darin  auch  iiber  die  Ausriistung  der 
notigen  Regimenter  und  die  Zusammensetzung  des  Offizierskorps  aus  katholi- 
schen  Irlandern  und  Englandern,  um  sie  fiir  Frankreich  desto  mehr  zu  be- 
geistern.  Diese  Denkschrift  bekraftigt  die  Thatsache,  dass  unser  Held  einen 
weiten  Blick  und  hohes  politisches  Verstandnis  hatte. 

Wahrend  des  siebenjahrigen  Krieges  machte  Kalb  auch  den  Feldzug  in 
Deutschland  mit,  ohne  dass  wir  von  seiner  Anteilnahme  an  besonderen  Kampfen 
horen,  nur  wissen  wir,  dass  er  fiirstlichen  und  adeligen  Familien  in  der  Wet- 
terau  zu  ihrem  Rechte  verhalf  fiir  Requisitionen,  die  die  franzosische  Armee 
gemacht  hatte.  Niemand  im  deutschen  Reiche  fiihlte  damals  deutsch;  erst  die 
Schlacht  bei  Rossbach,  15.  November  1757,  zerstorte  das  franzosische  Prestige 
in  Deutschland  und  Hess  das  Volk  aufatmen. 

Nach  seiner  Verheiratung  zog  sich  Kalb  aufs  Land  zuriick  und  widmete 
sich  der  Bewirtschaftung  der  Giiter  in  der  Nahe  von  Paris,  die  ihm  durch  seine 
Frau  zugefallen  waren.  Seine  unruhige  Natur  liess  ihn  jedoch  nicht  lange  die 
Freuden  des  Landlebens  geniessen,  und  wir  finden  ihn  als  Bewerber  um  eine 
Offiziersstelle  im  portugiesischen  Heere.  Mittlerweile  war  er  zum  Oberstlieute- 
nant  ernannt  worden.  Der  allmachtige  franzosische  Minister  Choiseul  war 
mittlerweile  an  die  Spitze  der  Regierung  getreten  und  erkannte  in  Kalb  den 
richtigen  Mann  zu  einer  geheimen  Sendung  nach  den  amerikanischen  Kolonien. 
Hier  war  infolge  der  ungerechten  Besteuerungsversuche  Englands  grosse  Unzu- 
friedenheit,  ja  Erbitterung  eingetreten.  Die  dadurch  England  erwachsenden 
Schwierigkeiten  Kamen  dem  franzosischen  Minister  sehr  gelegen,  und  zur  Be- 
richterstattung  iiber  die  Zustande  in  Amerika  reiste  Kalb  im  September  1767 
vom  Haag  nach  London  und  von  da  am  4.  Oktober  nach  Philadelphia,  wo  er 
erst  am  12.  Januar  1768  anlangte. 

Wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Amerika  erstattete  Kalb  seinem  Auftrag- 
geber  viermal  Bericht,  zuletzt  aus  Boston,  worin  er  sich  iiber  die  geographi- 
schen,  kommerziellen  und  politischen  Zustande  der  Kolonien  unbefangen  aus- 
spricht.  Wer  sich  iiber  Kalbs  richtiges  Urteil  und  seinen  Scharfblick  belehren 
will,  muss  dies  in  Kapps  Werk  nachlesen;  hier  kann  nur  angefiihrt  werden, 
dass  er  den  Unabhangigkeitsgeist  des  Volkes,  den  bliihenden  Zustand  und  den 


General  Jobann  von  Kalb.  113 

ausgebreiteten  Handel  der  Kolonien,  sowie  deren  Misstrauen  und  Unzufrieden- 
heit  richtig  erkannte.  Von  New  York  aus  kehrte  er  Ende  April  nach  Frank- 
reich  zuriick  und  kam  12.  Juni  in  Paris  an.  Choiseul  hatte  gewunscht,  dass 
Kalb  langere  Zeit  in  Amerika  bleiben  solle,  und  warf  ihm  dies  freundlich  vor. 
Nach  des  ersteren  Sturz  ernennt  Broglie,  der  neue  Minister,  Kalb  zum  Brigade- 
General  fur  die  Kolonien.  Mittlerweile  war  Kalb  mit  Lafayette  bekannt  gewor- 
den  und  gewann  grossen  Einfluss  auf  diesen.  Bereits  im  Dezember  1776  wollte 
er  nach  Amerika  abfahren,  aber  Schwierigkeiten,  die  hier  nicht  naher  erortert 
werden  konnen,  verhinderten  den  Plan.  Im  Anfang  des  Jahres  1777  kaufte  La- 
fayette das  Schiff  ,,la  Victoire"  und  mit  diesem  traten  sie  am  20.  April  die  Reise 
nach  Amerika  an.  Mit  Silas  Deane,  dem  Geschaftstrager  der  Vereinigten  Staa- 
ten  in  Paris,  war  am  7.  Dezember  1776  ein  Vertrag  abgeschlossen  worden,  unter 
dem  Kalb  und  Lafayette  als  Generalmajore  und  eine  Anzahl  anderer  franzosi- 
scher  OfHziere,  vom  Obersten  bis  zum  Lieutenant  herab,  fiir  die  amerikanische 
Armee  angeworben  worden  waren.  Nach  einer  vierundfvinfzigtagigen  Reise 
kam  die  ,, Victoire"  nordlich  von  Charleston,  S.  C.,  an  und  die  Reisenden  kehrten 
bei  dem  deutschen  Major  Hiiger  daselbst  ein  und  wurden  von  ihm  gastfreund- 
lich  bewirtet.  Die  Reise  naeh  Philadelphia,  wohin  sie  gingen,  um  sich  dem 
Kongress  vorzustellen,  dauerte  bei  dem  heissen  Wetter,  das  ihnen  nur  kurze 
Tagereisen  erlaubte,  einen  vollen  Monat,  bis  zum  27.  Juli.  Von  dem  Prasidenten 
des  Kongresses  wurden  sie  am  folgenden  Tage  sehr  kiihl  aufgenommen  und  an 
den  Vorsitzer  des  Ausschusses  fiir  auswartige  Angelegenheiten  verwiesen,  der 
ihnen  eroffnete,  Deane  habe  seine  Machtvollkommenheit  iiberschritten,  indem 
er  die  hochsten  Stellen  im  Heere  mit  Mannern  seiner  Wahl  besetzt  habe.  Ihr 
Kontrakt  sei  deshalb  null  und  nichtig.  Dieser  kiihle  Empfang  wurde  ihnen  auf 
Betreiben  der  einheimischen  Offiziere,  die,  wenn  sie  auch  nichts  vom  Militar- 
wesen,  noch  weniger  etwas  von  der  Bedienung  der  Geschiitze  und  der  Genie- 
kunst  verstanden,  doch  glaubten,  dass  Auslander  nicht  die  besten  Stellen  im 
Heere  einnehmen  sollten.  In  dieser  Verlegenheit  besann  sich  Lafayette  nicht 
lange;  er  bot  seine  Dienste  als  Freiwilliger  ohne  Gehalt  und  Pension  an,  worauf 
der  Kongress  ihn  in  Anbetracht  seines  Eifers  und  seiner  Familienverbindungen 
zum  Generalmajor  ernannte.  Mit  richtigem  Takt  erkannte  Lafayette,  dass  diese 
Auszeichnung  einem  alten,  verdienten  Offizier  gegeniiber,  unter  dessen  Schutz 
er  nach  Amerika  gekommen  war,  eine  Ungerechtigkeit  sei,  und  bestand  darauf, 
dass  Kalb  dieselbe  Stellung  in  der  Armee  erhalte.  Es  dauerte  jedoch  noch  ge- 
raume  Zeit,  ehe  der  Kongress  sich  entschloss,  Kalb  gerecht  zu  werden.  Die 
meisten  franzosischen  Offiziere  waren  bereits  nach  Frankreich  zuriickgekehrt 
und  Kalb  stand  im  Begriff,  ein  gleiches  zu  thun,  da  empfing  er  am  Abend  vor 
seiner  geplanten  Abreise,  am  15.  September,  die  Nachricht,  dass  ihn  der  Kon- 
gress auch  zum  Generalmajor  ernannt  hatte  mit  dem  gleichen  Datum,  wie  das 
Patent  Lafayettes,  den  31.  Juli  1777. 

In  der  Armee,  die  nordlich  von  Germantown  stand,  wurde  Kalb  von  alien 
Generalen,  mit  Ausnahme  von  dem  Irlander  Conway,  freundlich  aufgenommen. 
Dieser  war  Brigadegeneral  und  empfand  es  als  Zuriicksetzung,  dass  Kalb  iiber 
ihn  zum  Generalmajor  befordert  wurde  und  drohte,  seine  Entlassung  nehmen 
zu  wollen.  Er  setzte  es  wirklich  durch,  dass  er  zum  Generalmajor  und  General- 
inspektor  der  Armee  ernannt  wurde;  als  er  aber  in  April  1778  abermals  aus 
unbedeutendem  Grunde  mit  seinem  Abschied  drohte,  nahm  ihn  der  Kongress 
beim  Wort  und  Hess  ihn  laufen.  Auch  hier  kann  ich  den  Ereignissen  auf  dem 
Kriegsschauplatze  nicht  im  einzelnen  folgen;  Kalb  befand  sich  mit  Washington 
im  Felde,  lehrte  die  Amerikaner  ihre  Lager  befestigen,  unterstiitze  den  Ober- 
feldherrn  durch  seine  Erfahrung,  teilte  mit  ihm  und  der  schlecht  ausgeriisteten 


114  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

und  verpflegten  Armee  die  Gunst  und  Ungunst  der  Verhaltnisse,  so  z.  B.  den 
triiben  Winter  in  Valley  Forge,  und  schilderte  alles  getreulich  dem  Grafen 
Broglie.  Dass  hierbei  manche  Streiflichter  auf  die  amerikanischen  Zustande 
im  Kongress  und  im  Felde  fallen,  ist,  wenn  die  Berichte  auch  nicht  immer 
giinstig  fur  die  Amerikaner  lauten,  fiir  die  Kenntnis  der  Zeit  ausserst  wichtig. 
Der  Milizenunfug,  die  Schwierigkeit  des  Rekrutierens,  die  ttberanstrengung  der 
Soldaten,  die  uberflussigen  Posten  und  die  Unordnung  im  Quartiermeistersamt, 
sowie  die  allzuhaufigen  und  kostspieligen  Paraden  und  die  Eifersucht  der  fran- 
zosischen  Offlziere  verleideten  Kalb  den  Aufenthalt  in  Amerika  und  liessen  inn 
an  Plane  zur  Ruckkehr  nach  Europa  denken. 

Da  traf  die  Nachricht  von  Burgoynes  Kapitulation  bei  Saratoga  ein  und  gab 
dem  Schicksal  der  Amerikaner  die  giinstige  Wendung.  Lafayette  war  nicht 
eifersuchtig  und  deshalb  im  Heere  und  bei  Washington  beliebt,  an  welchem 
Geschick  Kalb  nicht  minder  teilnahm  und  sich  des  vollen  Vertrauens  Washing- 
tons  erfreute.  Im  nachsten  Jahre  wurde  seitens  der  Amerikaner  ein  Feldzug 
gegen  Canada  geplant  und  Lafayette  als  Oberfeldherr  dafur  ausersehen  und  ihm 
Kalb  als  Stiitze  beigegeben.  Da  jedoch  Vorbereitungen  jeglicher  Art  mangelten, 
kehrte  Kalb  ins  Hauptquartier  zu  Washington  zuriick.  In  diese  Zeit  fallen  die 
Umtriebe  Gates'  gegen  Washington,  um  ihn  des  Oberbefehls  zu  berauben,  und 
da  Kalb  mit  Lafayette  auf  Seiten  des  letzteren  stand,  so  ist  es  naturlich,  dass 
die  Kreaturen  des  ersteren  ihr  Gift  auch  gegen  ihn  verspritzten. 

Frankreich  hatte  nun  ernst  gemacht  und  am  6.  Februar  1778  ein  Schutz- 
und  Trutzbiindnis  abgeschlossen,  woriiber  Kalb  sehr  erfreut  war  und  seiner 
Frau  und  zugleich  iiber  die  Feierlichkeiten  einen  enthusiastischen  Brief  schrieb. 
Durch  die  Bemiihungen  Steubens  wurde  zu  Ehren  des  Ereignisses  ein  grosses 
Manover  abgehalten,  wobei  Kalb  das  Zentrum,  Lord  Sterling  den  rechten  und 
Lafayette  den  linken  Fliigel  kommandierte.  Dass  dies  Biindnis  den  Mut  der 
amerikanischen  Soldaten  hob  und  Washington  zu  einem  Angriff  auf  Philadel- 
phia Schritte  thun  liess,  ist  naturlich;  jedoch  Kalb  riet  bei  dem  Mangel  an  Vor- 
bereitung  davon  ab,  indem  er  glaubte,  die  Englander  wurden  die  Stadt  von 
selbst  raumen.  Das  Jahr  1778  ging  in  Unthatigkeit  voriiber;  Kalb  war  durch 
ein  hitziges  Fieber  langere  Zeit  ans  Bett  gefesselt  und  wurde  in  Philadelphia 
durch  einen  Dr.  Pfeil  (Phyle)  getreulich  verpflegt. 

Die  giinstigen  Ereignisse,  Riickzug  der  Englander  und  ein  allgemeiner  Krieg, 
wie  Kalb  gehofft  hatte,  trafen  nicht  ein,  doch  schrieb  dieser  seiner  Frau  wie 
folgt:  ,,Seit  Frankreich  sich  in  den  Krieg  gemischt  hat,  ist  an  die  Eroberung 

dieses  Kontinents  durch  die  Englander  nicht  mehr  zu  denken. Jeden- 

falls  kommt  es  zu  keinen  wichtigen  Unternehmungen  mehr." Aus  dem 

Winterquartier  am  Hudson  schreibt  er  an  seine  Frau: ..Obgleich  ich 

nichts  fur  Kleider  und  Wasche  auszugeben  habe,  so  reicht  mein  Gehalt  doch 
nicht  aus,  meine  Bedienten  und  die  vom  Kongress  nicht  gelieferten  Tafelbe- 

diirfnisse,  wie  Kaffee,  Thee,  Butter,  Zucker  und  Milch  zu  bezahlen." 

,,Es  ist  unmoglich,  die  Leute  hier  zu  Lande  an  eine  gewisse  Okonomie  oder  an 
eine  bestimmte  Ordnung  zu  gewohnen,  und  ebenso  unmoglich  ist  es  fiir  einen 
in  Ordnung,  Disziplin  und  Piinktlichkeit  gross  gewordenen  Mann,  sich  in  die 
Indolenz  dieses  Volkes  zu  finden." 

Ich  muss  mir  versagen,  auch  die  Kriegsereignisse  im  Fruhling  des  Jahres 
1780  naher  zu  beschreiben,  nur  eines  Briefes  will  ich  erwahnen,  den  Kalb  von 
Washington  empfing,  worin  dieser  ihm  Komplimente  iiber  die  Tapferkeit  und 
gute  Haltung  seiner  Truppen  macht.  tJber  dieses  Lob  geriet  Kalb  mit  seinen 
Offizieren  in  Begeisterung,  doch  als  er  zur  Feier  dieses  Ereignisses  einige  Fla- 
fichen  Wein  auffahren  lassen  wollte,  konnte  sein  Diener,  Meister  Jakob,  keinen 


General  Jobann  von  Kalb.  115 

bringen;  dagegen  versprach  er  seinen  Gasten,  ,,ihnen  den  besten  Champagner 
in  Paris  vorzusetzen."  Endlich  batten  die  Englander  sowohl  wie  die  Ameri- 
kaner  die  Bedeutung  des  Siidens  fiir  den  Ausgang  des  Krieges  eingesehen  und 
beide  Oberbefehlshaber  schickten  Truppen  dahin  ab,  die  Englander  zur  See,  um 
das  Land  zu  erobern,  die  Amerikaner,  um  die  Englander  zuriickzuweisen.  Mit 
Ausnahme  Virginiens  waren  die  siidlichen  Staaten  in  betreff  der  Kriegfiihrung 
nur  lauwarm,  und  so  konnte  Savannah  ohne  grosse  Miihe  in  die  Hande  der 
Englander  fallen.  Kalb  organisiert  die  Divisionen  und  marschiert  mit  ihnen  zu 
Lande  nach  Nord-Carolina.  Unterwegs  batten  die  Truppen  weder  Transport- 
noch  Lebensmittel  und  mussten  auf  ungebahnten  Wegen  ihren  Marsch  nehmen; 
ausserdem  blieben  die  in  den  siidlichen  Staaten  versprochenen  Milizen  und 
Unterstiitzungen  aus,  trotz  aller  Mahnunge'n  an  den  Kongress  und  die  Exeku- 
tive  von  Nord-Carolina.  Die  waflenfahigen  Manner  hatten  sich  in  die  Siimpfe 
und  Busche  verkrochen. 

Endlich  im  August  war  die  unzulangliche  amerikanische  Armee  unter 
Gates  in  Siid-Carolina  angekommen  und  nahm  der  englischen  gegeniiber  zwi- 
schen  Clermont  und  Camden  Stellung.  Nach  abgehaltenem  Kriegsrat,  in  dem 
Kalb  wegen  der  vorteilhaften  Position  der  Englander  von  einem  Angriff  abge- 
raten  hatte,  liess  Gates  doch  angreifen.  Das  amerikanische  Zentrum  und  der 
linke  Fliigel  wandten  sich  bald  zur  Flucht,  nur  Kalb  mit  der  Marylander  Divi- 
sion suchte  die  Stampede  aufzuhalten  und  leistete  kraftigen  Widerstand.  Allein 
die  ttbermacht  der  Englander  war  zu  gross  und  Kalb  fallt,  aus  elf  Wunden  blu- 
tend,  auf  dem  Schlachtfeld  zu  Camden.  Nach  der  Schlacht  wurde  er  bis  aufs 
Hemd  ausgezogen  und  beraubt,  ehe  inn  seine  Leute  nach  Camden  in  Sicherheit 
bringen  und  verbinden  konnten.  Hier  kampfte  er  noch  drei  Tage  mit  dem  Tode 
und  starb  am  19.  August.  Sein  Adjutant  Dubuysson,  der  in  englische  Gefan- 
genschaft  geriet,  dankte  im  Auftrage  Kalbs  den  Offizieren  und  Soldaten  seiner 
Division  und  gab  seiner  Zufriedenheit  Ausdruck  iiber  das  Tapferkeitszeugnis, 
das  die  englische  Armee  der  Tapferkeit  seiner  Truppen  gezollt  hatte.  Von  sei- 
nen siegreichen  Feinden,  unter  denen  sich  viele  Freimaurer  befanden,  wurde 
er  mit  militarischen  Ehren  zur  Ruhe  bestattet.  Der  gedemiitigte  General  Gates 
schrieb  am  3.  September  1780  an  Washington:  ,,Der  Kongress  kann  dem  An- 
denken  des  Barons  von  Kalb  nicht  genug  Ehre  erweisen.  Derselbe  war  ein  in 
jeder  Beziehung  ausgezeichneter  Offizier  und  opferte  sein  Leben  fiir  die  Sache 

der  Vereinigten  Staaten. Ich  bin  iiberzeugt,  dass  der  Kongress  vor  aller 

Welt  seine  hohe  Meinung  von  den  Diensten  und  Thaten  desselben  aussprechen 
wird.  Auf  Grund  dieses  unparteiischen  Zeugnisses  und  der  bestatigenden  An- 
sicht  Washingtons,  der  erklarte,  Kalb  habe  die  hohe  Meinung,  die  er  von  ihm 
gehabt,  gerechtfertigt,  und  dass  sein  Andenken  dem  dankbaren  Lande  stets 
teuer  sein  werde,  beschloss  der  Kongress  am  14.  Oktober  1780,  dem  General 
Kalb  in  Anerkennung  des  glorreichen  seinen  Truppen  gegebenen  Beispiels  in 
Annapolis,  der  Hauptstadt  des  Staates  Maryland,  dessen  Division  er  gefiihrt, 
ein  Denkmal  zu  errichten  und  demselben  folgende  Inschrift  zu  geben: 

,,GeweiEt  dem  Andenken  des  Freiherrn  von  Kalb,  Hitters  des  Koniglichen 
Kriegsverdienstordens,  Brigadiers  der  franzosischen  Armee  und  Generalmajor 
im  Dienste  der  Vereinigten  Staaten.  Nachdem  er  mit  Ruhm  und  Ehren  drei 
Jahre  lang  gedient  hatte,  gab  er  einen  letzten  und  glorreichen  Beweis  seiner 
Hingebung  fiir  die  Freiheit  des  Menschengeschlechts  und  fiir  die  Sache  Ame- 
rikas  in  der  Schlacht  bei  Camden  in  Siid-Carolina.  Indem  er  dort  die  Truppen 
Marylands  und  Delawares  gegen  iiberlegene  Streitkrafte  anfiihrte  und  sie  durch 
sein  Beispiel  zu  heroischen  Thaten  begeisterte,  wurde  er  mehrfach  und  schwer 


116  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

verwundet  und  starb  am  19.  August  im  achtundvierzigsten  Lebensjahre.*)  Der 
Kongress  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  hat  ihm  in  dankbarer  Anerken- 
nung  seines  Eifers  und  seiner  Dienste  und  Verdienste  dieses  Denkmal  errichtet." 

Jenes  Denkmal  ist  nie  errichtet  worden  und  harrt  heute  noch  seiner  Auf- 
stellung.  Nach  dem  Frieden  waren  die  Finauzen  der  Vereinigten  Staaten  er- 
schopft  und  die  neue  Generation  hatte  andere  Interessen,  so  dass  die  Sache 
schliesslich  in  Vergessenheit  geriet.  ,,Kalb  war  ein  kraftiger  und  schemer 
Mann,  eine  durch  Ernst  und  Milde  imponierende  Erscheinung.  Seine  klugen 
braunen  Augen,  welche  unter  einer  hohen  Stirn  offen  und  freundlich  hervor- 
blickten,  eine  etwas  adlerartig  gebogene  Nase,  ein  gutmiitiger  und  doch 
schlauer  Zug  um  den  Mund  und  ein  starkes  behabiges  Unterkinn  gaben  seinem 
Kopfe  mehr  den  sinnenden  und  berechnenden  Ausdruck  eines  Diplomaten,  als 
das  schroffe,  einseitige  Geprage  eines  Kriegsmannes."  -  -  ,,Mit  grosser 

Massigkeit  und  Vorsicht  verband  er  eine  ausserordentliche  Geduld.  Er  konnte 
tagelang  Hunger  und  Durst,  Hitze  und  Kalte  ertragen,  ohne  dass  seinen  Lippen 
nur  die  leiseste  Klage  entschliipfte.  Er  schlief  ebenso  gut  auf  einem  Tornister 
und  seinem  Mantel,  wie  auf  einem  weichen  Kissen  und  im  besten  Bette,  kurz 
er  besass  ganz  jene  physische  Kraft  und  Zahigkeit,  ohne  welche  ein  Held  gar 
nicht  denkbar  ist.  Er  gait  allgemein  jiinger,  als  er  in  der  That  war.  So  hielt 
ihn  auch  bei  seinem  Tode  der  Kongress  fur  nur  achtundvierzig  Jahre  alt,  wah- 
rend  er  bereits  im  sechzigsten  war." 

Zum  Schlusse  sei  es  mir  vergonnt,  Kapps  Worte  anzufuhren:  ,,Nur  Deutsch- 
land,  das  Land  seiner  Geburt.  hat  seinen  Anteil  an  ihn  bisher  noch  nicht  bean- 
sprucht.  Kalb  aber  macht  dem  deutschen  Narnen  im  Auslande  Ehre,  wie  wenig 
Andere.  Seine  Thaten  wirken  noch  heute  erhebend  und  zur  Nacheiferung  an- 
spornend  auf  unsere  Landsleute  in  Amerika.  Nicht  der  letzte  Platz  unter  den 
Helden  unseres  Volkes  gebiihrt  daher  dem  Bauernsohne  aus  Hiittendorf. 


*)    Kalb  war  wirklich  59  Jahre  alt,  aber,  wie  unten  angegeben,  schien  er,  seiner  strik- 
ten  Lebensweise  und  Zahigkeit  wegen,  fur  viel  jttnger. 


Fur  die  Schulpraxis. 


I.     Der  Unterricht  in  der  Qrammatik. 

Yon  Frl.  K.  HooeJf,  Saginaw,  Mich. 

Was  ist  der  Zweck  des  deutschen  Sprachunterrichts  in  den  Elementar- 
Massen  unserer  offentlichen  Schulen,  und  welches  Ziel  wiinschen  wir  darin  zu 
erreichen?  Welche  Mittel  konnten  uns  behulfuch  sein,  dieses  Ziel  zu  erreichen? 

Der  Zweck  des  deutschen  Sprachunterrichts  ist  erstens,  dass  die  Kinder 
die  miindlichen  und  schriftlichen  Gedanken  anderer  verstehen,  und  zweitens  ihre 
eigenen  Gedanken  klar  und  richtig  auszudriicken  lernen;  das  Ziel  ist  der 
praktische  miindliche  und  schriftliche  Gebrauch  der  deutschen  Sprache. 
Wenn  Kinder  zur  Schule  kommen,  haben  sie  oft  schon  mehr  Sprache  ge- 
lernt,  als  sie  jemals  spater  lernen  werden,  aber  sie  sprechen  alle  mehr  Oder 
weniger  eine  Sprache,  die  sich  von  der  Schulsprache  unterscheidet.  Sie  spre- 
chen die  wenigen  Worter  und  Satze  unrein,  falsch,  ungeordnet  und  mit  Dialekt. 
Sie  sind  spracharm  und  benennen  oft  die  bereits  bekannten  Begriffe  mit  ande- 
ren  Namen  als  die  der  Schriftsprache.  Und  die  Ausprache  klingt  ganz  anders, 
denn  ihr  Sprachvorbild  war  bis  jetzt  das  Haus. 

Wie  soil  nun  in  der  Schule  ihr  Sprachschatz  gereinigt  und  vergrossert  wer- 
den? Nach  derselben  Methode,  die  sie  schon  in  den  ersten  sechs  Jahren  mit 
solchem  Erfolge  angewandt  haben?  Soil  die  Sprache  mit  ihrem  geistigen 
Wachstum  Schritt  halten?  Sollen  ariaerer  Gedanken  wieder  Gedanken  erwek- 
ken,  oder  sollen  nur  Worte  allein  gelernt  werden,  in  dem  Glauben,  dass  das  Kind 
spater  einmal  einen  passenden  Gedanken  haben  wird,  dieses  Wort  zu  ver- 
werten? 

Da  die  Sprache  der  Gedankenausdruck  in  Worten  ist,  diirfen  im  Unterricht 
Geistesbildung  und  Sprachbildung  nie  getrennt  werden;  dadurch  wird  der 
Sprachunterricht  eines  der  wichtigsten  und  schwierigsten  Facher  in  der  Schule. 

Die  Kinder  haben  unbewusst  von  Anfang  an  alle  Formen  der  Sprache  ge- 
lernt; dass  sie  die  Sprachlehre  weiter  fortestzen  sollen,  ist  unzweifelhaft.  Die 
Prage  ist,  wie  soil  sie  fortgesetzt  werden,  wo  soil  der  eigentliche  Grammatik- 
unterricht  anfangen,  wie  viel  soil  gelehrt  werden?  Soil  sie  als  einzelnes  Fach 
gelehrt  werden,  oder  sich  anderen  anschliessen? 

Sprache  wird  nur  durch  Sprechen  gelernt,  und  wie  die  Kinder  schon  zu 
Hause  von  ihren  Eltern  zuerst  durch  Horen  und  dann  durch  Nachahmung  und 
Gewohnung  sprechen  lernten,  so  muss  ihnen  auch  in  der  Schule  die  neue 
Sprache  erst  richtig  vorgesprochen  werden.  Sie  miissen  dann  durch  die  unent- 
behrlichen  Anschauungsiibungen,  durch  Auswendiglernen  von  Gedichten  und 
Prosa,  durch  das  Erzahlen  ihren  Sprachvorrat  reinigen  und  bereichern.  Die 
gesamte  Grammatik  kann  hier  von  dem  Lehrer  angewendet  werden,  ohne  auch 
nur  dieselbe  zu  erwahnen.  Aller  Unterricht  muss  Sprachunterricht  sein,  und 
die  Kinder  konnen  unbewusst  alle  Wortarten,  den  Gebrauch  derselben  und  die 
Satzlehre  lernen. 

Wahrend  der  Anschauungsunterricht  die  Hauptsprachlehre  in  dem  ersten 
und  zweiten  Schuljahr  bildet,  tritt  das  Lesebuch  im  dritten  und  vierten  mehr 
in  den  Vordergrund.  Das  Lesebuch  wird  Gegenstand  der  Besprechungen  und 
der  Sprachubungen.  Wahrend  die  Kinder  in  den  unteren  wortgetreu  nach  dem 
Buche  antworten  und  erzahlen,  kann  man  auf  dieser  Stufe,  wo  sie  sich  die 
Sprachformen  schon  mehr  angeeignet  haben,  das  selbstandige  Erzahlen  ver- 
langen.  Auf  dieser  Stufe  konnen  ihnen  schon  einige  orthographische  Regeln 
eingepragt  werden,  wie  z.  B.  von  der  Dehnung  und  Scharfung  der  Silben,  von 


118  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

dem  Hauptwort  und  seiner  Schreibung.  Im  fiinften  Jahre  der  Artikel,  Einzahl 
und  Mehrzahl,  Arten  der  Hauptworter  und  die  hauptsachlichsten  Vor-  und 
Nachsilben. 

Da  die  Grammatik  auf  alien  Stufen  nur  Mittel  zum  Zweck  ist,  so  miissen 
wir  den  Stoff  heraussuchen,  welcher  uns  behiilflich  sein  kann,  diesen  Zweck 
und  unser  Ziel  zu  erreichen.  Auch  lasst  sich  dieses  Mittel  nur  anwenden,  wenn 
die  Schiiler  so  weit  in  dem  Sprachunterricht  fortgeschritten  sind,  dass  sie  in 
der  deutschen  Sprache  denken  konnen.  Diese  Stufe  im  Sprachunterricht  haben 
sie  kaum  vor  dem  sechsten  Schuljahr  erreicht,  und  auch  hier  ist  die  Grammatik 
nur  dann  von  Wert,  wenn  sie  ihnen  auf  einfache  Weise  sagt,  wie  in  den  ver- 
schiedenen  Fallen  richtig  gesprochen  Oder  geschrieben  werden  muss.  Darum 
konnen  wir  nur  den  Teil  des  Sprachmaterials  brauchen,  welcher  dazu  dienlich 
ist,  wie  z.  B.  im  6.  Jahre  die  Deklination  der  Hauptworter,  Eigenschaftsworter, 
Fiirworter;  im  7.  die  Konjugation  der  Zeitworter,  Verbal  tniswb'rter,  Umstands- 
worter  und  der  erweiterte  einfache  Satz.  Im  8.  der  zusammengesetzte  Satz, 
Bindeworter  und  Satzgefiige.  Alles,  was  diesem  Zwecke  nicht  dient,  muss  weg- 
fallen,  wie  z.  B.  auch  das  Lernen  der  lateinischen  Bezeichnungen. 

Auch  auf  den  oberen  Stufen  muss  dem  mundlichen  Gedankenausdruck  viel 
Sorgfalt  zugewendet  werden.  Durch  Schreiben  und  Lesen  allein  erlernt  man 
die  deutsche  Sprache  nicht,  sondern  vielmehr  durch  das  Sprechen.  Das  rich- 
tige  Sprechen  unterstiizt  den  Aufsatz,  Lesen,  Diktat,  ttbersetzen,  Deklamieren, 
kurz  alle  anderen  Facher.  Darum  muss  sich  auch  unsere  Methode  in  dem 
Unterricht  der  Regeln  in  der  Grammatik  danach  richten. 

Ein  Schiiler  kann  alle  grammatischen  Regeln  wissen,  ohne  die  Sprache  zu 
haben.  Also  muss  unsere  Grammatik  praktisch  behandelt  werden,  iiberall  muss 
sie  von  der  Sprache  ausgehen,  mit  dem  einfachsten  Satze  anfangen,  und  vom  er- 
weiterten  einfachen  bis  zum  zusammengesetzten  weiterschreiten.  Die  Sprach- 
gesetze  diirfen  nicht  gegeben  werden,  sondern  von  den  Kindern  mit  Hilfe  des 
Lehrers  gesucht  werden.  Dazu  hat  er  zwei  Quellen,  seinen  eigenen  Sprachsatz 
und  das  Lesebuch.  Doch  darf  man  sich  nicht  zu  sehr  auf  den  Sprachsatz  der 
Kinder  verlassen,  weil  dieser  nicht  sehr  reich  ist,  und  die  Satze  der  Form  zu  liebe 
oft  sehr  nichtssagend  werden.  Auch  das  Lesebuch  bietet  nur  wenige,  verein- 
zelte  und  zerstreute  Beispiele  fiir  grammatische  Regeln,  welche  wir  gerade  ge- 
brauchen  wollen.  Darum  sind  die  Mustersatze,  welche  wir  in  einigen  Biichern 
flnden,  vom  grossten  Nutzen  fiir  den  Schiiler  und  eine  Hilfe  fiir  den  Lehrer. 
Wenn  wir  fiir  den  grammatischen  Unterricht  die  Mustersatze  als  Vorbereitung 
benutzen,  das  Lesestiick  zum  Priifen  des  Erlernten  und  ihre  eigenen  Beispiele 
als  Schluss  und  dann  das  Gelernte  durch  fleissiges  ttben  befestigen  und  schrift- 
lich  verwerten,  nur  dann  kann  der  grammatische  Unterricht  von  praktischem 
Nutzen  sein,  und  nur  so  werden  Lehrer  und  Schiiler  ihr  Ziel  erreichen. 

Wohl  in  keinem  Unterrichtszweige  bewahrheitet  sich  der  Spruch  ,,t)bung 
macht  den  Meister"  mehr,  als  in  der  Sprachlehre. 


II.     Wie  Grimms  Marchen  in  Schule  und  Haus  gelesen  werden. 

Nr.  12  der  Jugendschriften  -  W  a  r  t  e.  Organ  der  vereinigten  deut- 
scheu  Priifungs-Ausschiisse  fiir  Jugendschriften,  bringt  nachfolgenden  Bericht 
aus  einer  pfalzischen  Stadt,  der  auch  fiir  unsere  Leser  beachtenswert  1st: 

Fiir  nieine  Schulbibliothek  —  ich  habe  eine  5.  Klasse,  bestehend  aus  56 
elfjahrigen  Madchen  —  habe  ich  nach  Schluss  unserer  Weihnachtsausstellung 
die  Reclamsche  Ausgabe  der  Grimmschen  Marchen  (80  Pfennige)  in  33  Exem- 
plaren  angeschafft,  um  sie  in  der  Schule  lesen  lassen  zu  konnen.  Gelesen  wird 
regelmassig  jeden  Samstag,  vormittags  in  der  letzten  Unterrichts.stunde,  die 
auf  meinem  Stundenplan  mit  ,,Lesen  und  Sprachlehre"  belegt  ist.  Ich  kann 
Ihnen  gar  nicht  sagen,  was  fiir  eine  Freude  das  den  Madchen  macht  und  wie 
sie  sich  immer  auf  diese  Stunde  freuen.  tJber  Sonntag  darf  das  ,,schone  Bii- 
chel",  wie  sie's  nennen,  mit  nach  Hause  genommen  werden,  das  eine  Mai  von 
der  einen  Halfte  der  Schiilerinnen,  das  andere  Mai  von  der  anderen.  Montags 
lasse  ich  mir  dann  immer  iiber  dessen  Verwendung  berichten.  Da  hiess  es  z.  B. 
am  ersten  Montag  in  fiinf  Fallen:  ,,Die  Mutter  hat  vier  Marchen  vorgelesen". 
In  vier  Fallen:  ,,Der  Vater  hat  drei  vorgelesen".  Weiter  hat  Vater  oder  Mutter 
in  vielen  Fallen  ein  oder  zwei  Marchen  vorgelesen.  Andere  Berichte  lauteten: 
,,Ich  habe  2,  3,  4,  5  etc.  vorgelesen."  —  ,,Meine  grosse  Schwester,  meine  Tante, 
mein  Onkel  hat  vorgelesen."  Bins  erzahlte:  ,,Mein  Vater  hat  bis  abends  10 
Uhr  vorgelesen.  Wir  haben  gar  keinen  Schlaf  bekommen.  Der  Vater  ist  nicht 
fortgegangen,  well's  ihm  so  gut  gefallen  hat."  Mindestens  ein  Marchen  war 
in  jedem  Falle  vorgelesen  worden. 

Viele  Kinder  wollen  die  Biichelchen  kaufen.  Ich  gebe  sie  ihnen  natiirlich 
gerne  und  zwar  mit  dem  gleichen  Rabattabzug,  wie  ich  sie  bezogen  habe.  Um 
auch  ganz  armen  Kindern  die  Anschaifung  zu  ermoglichen,  habe  ich  Teilzah- 
lungen  gestattet;  ich  nehme  selbst  1  Pfennig  an.  Also  eine  Art  Pfennigspar- 
kasse.  Es  hat  mir  aber  noch  kein  Kind  weniger  als  5  Pf.  auf  einmal  gebracht, 
mehrere  bringen  immer  10  Pf.,  eine  kleine  Anzahl  hat  auf  einmal  den  ganzen 
Betrag  mitgebracht.  So  sind  mir  von  den  33  Exemplaren  fiir  meine  Schulbibli- 
othek unr  5  iibrig  geblieben.  Wahrend  der  Woche  sind  aber  trotzdem  alle 
Exemplare  im  Schulschrank  eingeschlossen.  Nach  Beginn  des  neuen  Schuljah- 
res  (1.  Mai)  werde  ich  mit  der  gleichen  Klasse  den  ,,Robinson"  in  der  Grab- 
nerschen  Ausgabe  zu  1,25  Mark  in  Angriff  nehmen  und  spater  noch  den 
,,Waldbauernbub"  folgen  lassen.  Ich  werde  Ihnen  s.  Zt.  dariiber  berichten. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Kultusminister  Dr.  Falk. 

(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Paul  Heininger,  Bunzlatt,  Schlesien. 

Am  7.  Juli  1900  starb  zu  Hamm  in  Westfalen  der  friihere  preussische 
Kultusminister  Dr.  Falk.  In  den  7  Jahren  seiner  ministeriellen  Wirksamkeit 
hat  er  reformierend  und  anregend  sowohl  auf  samtliche  Zweige  des  Unter- 
richtswesens,  wie  auch  auf  die  ihm  gleichzeitig  unterstellte  geistliche  und  die 
Medizinalverwaltung  gewirkt.  Der  Schwerpunkt  seines  Schaffens  und  Wirkens 
jedoch  lag  in  der  Volksschule.  Dankbarer  wird  seiner  darum  wohl  kaum  ge- 
dacht  als  von  seiten  der  Volksschullehrer. 

Falk  gehort  zu  den  geschichtlich  hervorragenden  Mannern  aus  der  Re- 
gierungszeit  Wilhelms  I.  und  war  neben  dem  Fiirsten  Bismarck  der  bestge- 
hasste  Mann  seiner  Zeit.  Als  ein  Kampfminister,  der  die  in  dem  Kampfe  mit 
Rom  notwendig  gewordenen  geistigen  Waft'en  schmieden  sollte,  war  er  in  das 
Kabinett  getreten.  Ein  hingebungsvoller  Mitarbeiter  und  gliihender  Bewun- 
derer  Bismarcks,  wollte  er  dennoch  mehr  sein  als  ein  blosses  Werkzeug.  Er 
war  der  einzige  unter  den  vielen  Ministern  aus  der  Ara  Bismarck,  der  diesem 
mit  einem  fertigen  Programm  gegeniibertrat  und  seinen  Eintritt  in  das  Minis- 
terium  von  der  Annahme  desselben  abhangig  machte.  Und  heute  steht  ge- 
schichtlich fest,  welchen  gewaltigen  Widerstand  Bismarck  bei  dem  Konige  zu 
besiegen  hatte,  ehe  dieser  sich  entschloss,  den  ,,altliberalen  Radikalen"  Falk 
zur  Leitung  des  Kultusministeriums  zu  berufen.  Falk  selbst  ist  wahrend  sei- 
ner siebenjahrigen  Ministerlaufbahn  die  Empflndung  von  diesem  gegen  inn  be- 
stehenden  Misstrauen  des  Konigs,  das  von  seinen  Feinden  in  der  Hofpartei 
standig  genahrt  wurde,  nie  losgeworden.  In  seiner  ausseren  Erscheinung  er- 
innerte  der  schlesische  Pfarrerssohn  eher  an  den  milden  Gottesmann  als  an 
den  scharfsinnigen  Juristen  und  wackeren  Kampen  gegen  pfaffische  Intoleranz. 
Das  schwarze,  fast  gelockte  Haar,  die  schwarze  Halsbinde  mit  den  weissen 
Vatermordern,  der  weiche  Gesichtsausdruck  liessen  in  ihm  den  Geistlichen  ver- 
muten.  Nur  das  wunderbar  klare,  durchdringend  forschende  Auge  verriet  den 
scharfsinnigen  Juristen,  den  wackeren  Kampfer  fur  die  Geistesfreiheit  seines 
Volkes. 

Man  hat  von  gegnerischer  Seite  Falk  und  zwar  ihn  nur  allein  fur  Fehler 
und  Irrtumer  aus  der  Zeit  des  Kulturkampfes  verantwortlich  gemacht.  Damit 
geschieht  ihm  entschieden  Unrecht.  Sind  solche  geschehen,  so  fallen  sie  dem 
Leiter  der  preussischen  Politik  mindestens  ebenso  zur  Last  wie  dem  so  viel 
gehassten  Falk.  Erst  die  spatere  Geschichte  wird  klar  daruber  urteilen  kon- 
nen,  welchen  Anteil  Bismarck  und  Falk  an  diesen  Massnahmen  gehabt  haben. 

Aber  der  Entschiedenheit  seines  Auftretens  und  dem  hochfliegenden  Idea- 
lismus  Falks  verdankt  die  preussische  Volksschule  ihre  heutige  Gestaltung,  der 
preussische  Volksschullehrer  seine  gegenwartige  Stellung.  Um  seine  Verdienste 
urn  die  Volksschule  recht  zu  wiirdigen,  muss  man  sich  die  jammerliche  Ver- 
fassung  derselben  am  Anfange  der  siebenziger  Jahre  vergegenwartigen.  Die 
sogenannte  Fortentwicklung  der  Stiehl'schen  Regulative  vom  Jahre  1854  war 
schlimmer  als  das  Original.  Die  freien  Elemente,  wie  z.  B.  Diesterweg,  waren 
beseitigt  oder  in  einflusslose  Amter  versetzt.  Aus  dem  Seminarlehrplan  waren 
alle  diejenigen  Lehrstoffe  entfernt,  weiche  dem  zukiinftigen  Volksschul- 
lehrer den  Weg  zu  einer  breiter  und  tiefer  angelegten  Bildung  hatten  weisen 
konnen.  Die  Lehrergehalter  bewegten  sich  auf  einer  Hohe,  die  von  den  Tage- 


Versammlungen  der  N.  E.  A. 

Ibhnereinkiinften    fast    erreicht    wurde;     das    Durchschnittseinkommen   eines 
preussischen  Landlehrers  belief  sich  1861  auf  548  M,  1871  noch  auf  667  M. 

Die  Aufhebung  der  Stiehl'schen  Regulative  und  der  Erlass  der  Allgemei- 
nen  Bestimmungen  wurden  vomVolksschullehrerstand  wie  von  den  breiten 
Schichten  des  Volkes  selbst  als  eine  befreiende  Geistesthat  empfunden  und  be- 
griisst.  Die  Volksschule  wurde  als  allgemeine  Bildungsanstalt  anerkannt  und 
in  den  Stand  gesetzt,  dem  Volke  seinen  Anteil  an  den  Geistesschatzen  der  Na- 
tion zu  ubermitteln.  Der  Etat  fur  das  Volksschulwesen  stieg  von  1871  bis  1878 
von  rund  4  Millionen  auf  beinahe  20  Millionen  Mark;  die  Landlehrergehalter 
gelangten  von  667  M  auf  einen  Durchschnitt  von  953  M.  Falk  eroffnete  den 
Lehrern  den  Zugang  zur  Leitung  von  Volks-  und  Mittelschulen,  indem  er  ein 
neues  Prufungssystem  einfiihrte.  Ein  Bildungsstreben  erfasste  den  Lehrer- 
stand,  wie  es  bis  dahin  nie  vorhanden  gewesen  war.  Es  ist  nicht  zu  viel  ge- 
sagt,  wenn  man  behauptet,  ,,Falk  hat  aus  dem  verschuchlerten,  verelendeten 
preussischen  Volksschullehrer  einen  frei  sicb  fiihlenden  Menschen  gemacht." 
Es  ist  ihm  gelungen,  die  Grundlagen  der  preussischen  Volksschule  derartig  um- 
zugestalten  und  zu  befestigen,  dass  die  reaktionare  Flut,  die  nach  seinem 
Kiicktritte  iiber  Preussen  hereinbrach,  bis  heute  in  langer  als  20  Jahren  nicht 
im  stande  gewesen  ist,  diese  Fundamente  zu  zerstoren.  Keiner  seiner  Nach- 
folger  von  Herrn  v.  Puttkamer  an  bis  auf  Herrn  Studt  hat  es  bisher  gewagt, 
die  Wiederherstellung  der  von  ihm  beseitigten,  beruchtigten  Stiehl'schen  Regu- 
lative in  das  Werk  zu  setzen. 

Der  willensstarke  Mann  vermochte  den  politischen  Frontwechsel  des 
Kanzlers  nicht  mitzumachen;  er  nahm  seinen  Abschied.  Den  gehassigen  An- 
griffen  seiner  Feinde  setzte  er  auch  nach  seinem  Sturze  unerschiitterliches  Still- 
schweigen  entgegen,  obgleich  er  mit  einem  Worte  das  ganze  Netz  von  Intri- 
guen  hatte  zerreissen  konnen.  Einige  Jahre  spater  iibernahm  er,  den  Be- 
miihungen  des  damaligen  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm  nachgebend,  wieder 
ein  Staatsamt,  die  Prasidentschaft  des  Oberlandgerichtsbezirkes  von  Westfalen. 
Seit  3  Jahren  war  er  Ehrenbiirger  der  Stadt  Hamm.  Aber  seltsam  genug!  Die- 
selbe  Stadt,  welche  sich  selbst  durch  die  Ernennung  dieses  seltenen  Mannes  zum 
Ehrenbiirger  ehrte,  verweigerte  aus  kleinlichen,  iiberaus  angstlichen  Erwa- 
gungen  den  Platz  zu  einem  Denkmale  fur  ihn.  Als  ob  es  eines  Denkmals  aus 
Stein  fur  diesen  Mann  bediirfte,  der  sich  in  den  Herzen  der  Besten  seines  Vol- 
kes ein  unverganglicb.es  Denkmal  gesetzt  hat.  ,, Nicht  ein  toter  Stein,  sondern 
die  lebendige  Arbeit  in  seinem  Geiste  ist  ein  wiirdiges  Denkmal  fur  ihn."  Mit 
vollem  Rechte  gilt  von  Dr.  Falk  das  Dichterwort:  ,,Wer  den  Besten  seiner  Zeit 
genug  gethan,  der  hat  gelebt  fur  alle  Zeiten." 


II.     Die  Versammlungen  der  N.  E.  A.  zu  Charleston,  5.  C. 

(Fur  die  Padagogi«chen  Monatshefte.) 
Von  Paul  Gerisch,  Milwaukee,  Wis. 

II. 

Das  National  Council  ist  das  vornehmste  Department  der  N.  E.  A.  Seine 
Starke  liegt  nicht  in  der  Zahl,  denn  nur  32  Mitglieder  antworteten  diesmal  dem 
Namensaufruf,  aber  zu  ihm  gehoren  die  Gelehrtesten  unter  den  Padagogen,  und 
mancher  treffliche  Gedanke  mag  in  seinen  Beratungen  geboren  werden. 

Prof.  Aaron  Gove  aus  Denver,  Col.,  eine  bekannte  Figur  auf  den  Konven- 
tionen  der  N.  E.  A.,  spfach  iiber  ..Die  Erziehung  in  unseren  neuen  Besitzungen." 
Herr  Gove  bewies  durch  Beispiele,  wie  ausserst  stark  in  den  Vereinigten  Staaten 
der  Widerwille  gegen  alles  sei,  was  wie  Paternalismus  aussetie.  Es  gabe  bei 


122  P'ddagogische  Monatshefte. 

uns  kein  einheitliches  System  der  Erziehung,  jeder  Staat  habe  in  diesem  Punkte 
seine  eigenen  Theorieen.  Dann  zeigte  er,  wie  die  Bundesregierung  durch  die 
Ubernahme  der  Post  Wirkungen  von  grossem  Nutzen  hervorgebracht  habe,  was 
von  einem  so  bunten  Durcheinander,  das  entstehen  wiirde,  wenn  man  die  vielen 
Schulsysteme  in  den  Vereinigten  Staaten  nebeneinander  stelle,  kaum  moglich 
gewesen  ware.  Alle  seine  Argumente  deuteten  klar  auf  ein  nationales  Erzie- 
hungssystem  bin,  von  dem  er  meinte,  dass  es,  friiher  oder  spater,  doch  kommen 
wiirde.  Fur  augenblickliche  Bediirfnisse  schlug  er  eine  nationale  Erziehungs- 
Kommission,  deren  President  der  mitanwesende  Dr.  Harris  sein  solle,  vor,  um 
die  Aufgaben  der  Volkserziebung  in  den  neuen  Kolonieen  sofort  in  Angriff  zu 
nehmen.  Fiir  diese  Arbeit  verlangt  er,  anfangs  wenigstens,  die  Hiilfe  des 
Kriegsministers.  In  fiinf  Jahren  wiirde  dann,  dessen  sei  er  sicher,  auf  der  gan- 
zen  Welt  nichts  Ahnliches  zu  scbauen  sein,  wie  das  Erziehungssystem  der  Ver- 
einigten Staaten.  Die  Massregel,  dass  die  drei  Kommissare,  die  nach  Porto  Rico 
geschickt  worden  sind,  um  die  Gesetze  zu  revidieren,  sich,  so  nebenbei,  auch  ein- 
mal  nach  den  Schulen  umsehen  sollen,  ist  nicht  nach  dem  Geschmack  des  Herrn 
Gove.  Er  machte  sich  fiber  den  kiirzlichen  Senatsbericht  iiber  die  Schulen  von 
Washington,  D.  C.,  lustig,  und  meinte,  politische  Rate  seien  kaum  geeignet,  den 
neuen  Besitzungen  die  beste  Bildungsgelegenheit  zu  geberi. 

Bei  der  Debatte  iiber  den  Vortrag  ist  Dr.  W.  T.  Harris,  der  Erziehungskom- 
missar  der  Vereinigten  Staaten,  aus  Washington,  D.  C.,  nicht  zugunsten  eines 
Volksschulsystems,  wie  es  z.  B.  in  Frankreich  und  in  Deutschland  in  Kraft  ist. 
Die  Schulen  der  Vereinigten  Staaten  seien  aus  verschiedenen  Griinden  besser 
als  diejenigen  der  genannten  fremden  Lander.  In  unserem  Lande  wiirden  die 
Menschen  nicht  von  Offizieren  regiert,  sondern  von  der  offentlichen  Meinung, 
und  das  Kriegsdepartement  konne  niemals  dazu  benutzt  werden,  Schulgesetze 
durchzufiihren.  Nach  Deweys  grossem  Manilasieg  habe  er  Hunderte  von  Brie- 
fen  von  Lehrern  erhalten,  die  alle  nach  Manila  gehen  wollten.  Er  habe  ihnen 
gesagt,  sie  mochten  warten.  Aber  wohin  auch  immer  die  Armee  gehe,  die 
Schule  folge.  Es  sei  gesagt  worden,  dass  man  aus  den  Reihen  eines  deutschen 
Regiments  eine  Universitat  bilden  konne.  Das  konne  man  beinahe  von  einem 
Regimente  der  Ver.  Staaten  auch  sagen. 

Prof.  E.  E.  White  aus  Columbus,  O.,  halt  nicht  sehr  viel  von  dem  fran- 
zosischen  und  dem  deutschen  Volksschulwesen.  Diese  Systeme  zielten  dahin, 
nicht  die  besten  Menscben,  sondern  die  gefiigigsten  Unterthanen  zu  erziehen. 
Wenn  das  Volk  in  den  neuen  Besitzungen  English  lesen  und  schreiben  lerne, 
dann  befinde  es  sich  auf  dem  sichersten  Wege  zu  einer  besseren  Zivilisation. 

Dr.  Nicholas  Murray  Butler  aus  N5w  York,  N.  Y.,  sagte,  die  Aufgabe  der 
Regierung  sei,  den  Schulen  zu  helfen,  sie  zu  ermutigen,  aber  nicht,  die  Aufsicht 
zu  fiihren.  Das  Volk  wolle  keine  Xnderung  in  dieser  Sache.  Col.  Parker  aus 
Chicago  wollte  nichts  von  einem  Unterricht  mit  vorgestrecktem  Bayonett 
wissen. 

Dr.  Harris  hielt  darauf  einen  freien  Vortrag  iiber  ,,Klassifizierung  und 
Versetzung  in  den  Elementarschulen".  Die  Ausfiihmngen  waren  ein  Argument 
zu  gunsten  des  Aufriickens  der  Schiller  in  dem  Masse,  wie  die  Fortschritte  es 
ermoglichen. 

Dr.  J.  M.  Greenwood  aus  Kansas  City,  Mo.,  sprach  iiber  ,,Hochschul-Sta- 
tistik".  Seit  einigen  Jahren  hat  Herr  Greenwood  an  einer  Statistik  gearbeitet» 
die  zeigen  soil,  warum  ein  grosser  Prozentsatz  der  Hochschiiler  Im  ersten  Jahre 
abfallt.  Man  glaube  jetzt  allgemein,  dass  so  viele  Schiiler  die  Hochschule  im 
ersten  Jahre  aus  dem  Grunde  verlassen,  weil  sie  mancher  obligatorischen 
Facher,  namentlich  Latein  und  Algebra,  iiberdriissig  wiirden.  Da  habe  man 


Versammlungen  der  N.  E.  A.  123 

nun  behauptet,  dass  die  Jungen  langer  in  der  Hochschule  bleiben  wiirden,  wenn 
man  jene  Facher  fakultativ  mache.  Das  sei  an  manchen  Orten  geschehen,  mit 
fraglichem  Resultate,  denn  die  Ursachen  des  Austritts  seien  sehr  mannigfal- 
tige.  Herr  G.  schickte  Formulare  an  sechzig  der  grosseren  Stadte  des  Landes; 
ausgel'iillt  zuriickgeschickt  wurden  die  Formulare  nur  von  Portland,  O.;  To- 
peka,  Kan.;  Boys'  H.  S.,  New  York  City;  Providence,  R.  I.;  Cambridge,  Mass.; 
Denver,  Col.;  Springfield,  Mass.;  Pittsburgh,  Pa.;  Louisville,  Ky.;  West  Divi- 
sion H.  S.,  Chicago,  111.;  Newark,  N.  J.;  Milwaukee,  Wis.  (drei  Schulen); 
Paterson,  N.  J.;  Girls'  H.  S.,  Brooklyn;  Scran  ton,  Pa.  Der  Statistiker  kommt 
vorlaufig  zu  folgenden  Schliissen: 

B  r  s  t  e  n  s  :  Die  jiingeren  Kinder,  die  den  Lehrgang  in  den  Gramma- 
tikschulen  vollenden  und  dann  in  die  Hochschule  eintreten,  stellen  den  klein- 
sten  Prozentsatz  zu  den  Durchgefallenen  und  Ausgetretenen. 

Zweitens  :  Die  alteren  Schiiler  fallen  am  ehesten  durch  Oder  verlassen 
wahrend  des  ersten  Jahres  die  Hochschule. 

Drittens:  In  der  Mathematik  fallt  die  grossere  Anzahl  3er  Schiiler 
durch,  dann  in  englischer  Sprache,  drittens  in  den  alten  und  neueren  Sprachen, 
viert'ens  in  den  Naturwissenschaften,  und  fiinftens  in  Geschichte.  In  zwei 
Fachern  kann  die  Arbeit  des  Schiilers  genauer  gemessen  werden,  in  Mathematik 
und  in  den  Sprachen,  wahrend  die  andern  Facher  eine  ausgezeichnete  Gele- 
genheit  bieten,  das  Nichtwissen  zu  verbergen. 

Viertens  :  Bei  einem  siebenjahrigen  Lehrgang  treten  von  einem 
Drittel  bis  zu  einer  Halfte  mehr  Schiller  in  die  Hochschule  ein  als  wenn  der 
Kursus  der  der  Hochschule  vorhergegangenen  Schule  acht  Oder  neun  Jahre 
betragt,  und  die  Schiiler  sind  ebenso  gut  fur  den  Eintritt  in  "die  Hochschule 
vorbereitet,  wenn  das  Aufnahmealter  in  die  Volksschule  nicEt  unter  sechs 
Jahren  ist. 

Fiinftens  :  Wenn  der  Schiiler  in  dem  ersten  und  zweiten  Jahre  in  der 
Hochschule  verbleibt,  dann  sind  die  Aussichten  fur  seine  Beendigung  des  gan- 
zen  Hochschulkursus  giinstiger. 

Wer  sich  fur  die  Zahlen  des  Herrn  Greenwood  besonders  interessiert,  moge 
sich  direkt  an  ihn  wenden. 

Den  Bericht  iiber  ,,Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung  im  ver- 
gangenen  Jahre",  der  bei  jeder  Tagung  der  N.  E.  A.  auf  dem  Programm  des 
National  Council  steht,  hatte  diesmal  Dr.  B.  A.  Hinsdale  aus  Ann  Arbor,  Mich., 
iibernommen. 

Dr.  H.  wies  eingangs  auf  die  Vorgange  in  der  Volksschule  im  allgemeinen 
bin.  Die  wichtigste  Massregel  sei  die  arztliche  Untersuchung  der  Schulkinder 
in  New  York,  Chicago  und  andern  Stadten,  welcher  Fortschritt  der  , .child 
study"-Bewegung  zu  verdanken  sei.  Versuche,  den  Schulrat  der  Stadt  Boston 
zu  reformieren,  seien  fehlgeschlagen;  die  Bemiihungen,  die  Schuladministra- 
tion  des  Staates  New  York  einheitlich  zu  gestalten,  seien  in  die  Briiche  ge- 
gangen;  in  Indianapolis  sei  mit  einem  neuen  System  von  Schuladministration 
gliicklich  der  Anfang  gemacht  worden. 

Auf  dem  Gebiete  des  Elementarunterrichts  sei  nichts  Wichtiges,  desto 
mehr  dagegen  iiber  die  Hochschulen  und  Universitaten  zu  berichten.  Der  Be- 
richt des  Komites  iiber  ,,College  Entrance  Requirements"  sei  iiberall  eifrigst 
besprochen  und  gesetzliche  Massregeln  seien  mit  Bezug  auf  den  in  diesem 
Bericht  erorterten  Gegenstand  erlassen  worden.  Der  Schulrat  von  Chicago 
habe  einen  Studienplan  in  Ubereinstimmung  mit  den  Empfehlungen  jenes  Ko- 
mites angenommen,  wahrend  die  Colleges  und  Universitaten  der  Mittelstaaten 
und  Marylands  sich  verbunden  batten,  um  die  Priifungsfragen  fur  den  Ein- 
tritt in  ihre  hoheren  Schulanstalten  einheitlich  zu  gestalten. 


124  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Wichtige  Thatsachen  seien  auch  zu  berichten,  soweit  die  hoheren  Schul- 
anstalten  allein  in  Betracht  kamen.  Die  ..Association  of  American  Univer- 
sities" habe  auf  einer  in  Chicago  abgehaltenen  Versammlung  beraten,  welcher 
Unterschied  zwischen  dem  Pensum  fur  Studenten,  die  nur  einen  regelmassi- 
gen  Kursus  absolvierten,  und  dem  Pensum  fiir  solche,  die  nach  der  Erlangung 
eines  bestimmten  Grades  strebten,  zu  machen  sei;  das  im  Jahre  1898  vom 
Council  ernannte  zustehende  Komite  habe  sich  fiir  dia  Griindung  einer  allge- 
meinen  Landesuniversitat,  vorausgesetzt,  dass  sie  nicht  vom  Kongress  ins  Le- 
ben  gerufen  und  kontrolliert  werde,  ausgesprochen;  die  Columbia  Universitat 
beabsichtige,  die  Anfangsgriinde  im  Latein  zu  lehren,  um  auch  solche  Studen- 
ten, die  von  Hochschulen  kommen,  in  denen  kein  Latin  gelehrt  wird,  aufneh- 
men  zu  konnen. 

Unter  den  im  Laufe  des  Jahres  erschienenen  Biichern  sei  Dr.  Butlers 
..Monographs  on  Education  in  the  United  States"  das  hervorragendste  Werk. 

tiber  das  Ausland  sagte  er,  dass  in  England  das  neue  Erziehungs-De- 
partement  teilweise  organisiert  worden  'und  der  Fortschritl  soweit  gediehen. 
sei,  um  das  neue  Lehrerseminar  (teaching  university)  fiir  die  Stadt  London 
leistungsfahig  zu  machen;  in  Deutschland  sei  etwas  Fortschritt  in  der  Rich- 
tung  zu  verzeichnen,  dass  man  den  Frauen  gestatle,  in  hohere  Unterrichts- 
anstalten  einzutreten,  und  die  preussische  Regierung  habe  der  Berliner  Tech- 
nischen  Hochschule  die  Machtbefugnis  erteilt,  den  philosophischen  Doktor- 
grad  zu  gewahren. 

Am  Schlusse  warf  Herr  Dr.  Hinsdale  auch  einen  Riickblick  auf  das,  was 
im  vergangenen  Jahrhundert  auf  erzieherischem  Gebiete  in  Deutschland, 
Frankreich,  England  und  den  Vereinigten  Staaten  vor  sich  gegangen  ist»  In 
einigen  der  grosseren  Staaten  Deutschlands,  wo  der  Sporn,  den  die  Reforma- 
tion der  Erziehung  gegeben,  niemals  vollstandig  verloren  gegangen,  seien 
die  grossen  Umrisse  der  staatlichen  Unterrichtssysteme  im  Jahre  1801  deutlich 
wahrzunehmen.  In  diesen  Staaten  habe  es  Elementarschulen  gegeben,  um  die 
Kinder  des  ganzen  Volkes  unterrichten  zu  konnen,  doch  diese  Schulen  seien 
im  allgemeinen  von  geringem  Werte  gewesen,  Schulzwang,  von  Luther 
empfohlen  und  friihzeitig  von  einigen  kleineren  Staaten  angenommen,  sei  dann 
von  Friedrich  dem  Grossen  fiir  sein  K6nigreich  Preussen  endgiiltig  eingefuhrt 
worden.  Lehrerseminare,  die  bis  1704  zuriickreichten,  seien  von  demselben  auf- 
geklarten  Monarchen  gepflegt  worden.  Die  Gymnasien  hatten  sich  immer  noch 
in  den  traditionellen  Geleisen  bewegt,  aber  der  Pietist  Francke  und  seine  Schil- 
ler hatten  schon  vor  der  Mitte  des  vorhergegangenen  Jahrhunderts  die  Realien 
erfolgreich  in  die  Schulen  eingefuhrt  und  auf  diese  Weise  die  Bahn  geebnet 
fiir  jene  Art  von  Unterricht  und  geistige  Schulung,  die  in  Deutschland  von  den 
Realschulen,  den  Realgymnasien  und  den  technischen  Hochschulen  geboten 
werde.  Ausserdem  habe  diese  Bewegung  mit  der  Zeit  zu  wichtigen  Anderun- 
gen  in  den  Elementarschulen  und  in  den  Gymnasien  und  zur  Aufnahme  von 
solchen  Studenten  in  die  Universitaten  gefuhrt,  die  eine  rein  moderne  Vorbil- 
dung  genossen.  Die  Universitaten  selbst,  von  dem  Zwang  der  Kirche  befreit, 
hatten  sich  endlich,  Halle  voran,  die  philosophische  Freiheit  errungen.  Das 
allgemeine  Landrecht,  von  der  preussischen  Regierung  erlassen,  habe  erklart: 
,,Schulen  und  Universitaten  sind  Staatsanstalten,  die  den  Unterricht  der  Ju- 
gend  in  niitzlichen  Dingen  und  in  wissenschaftlichen  Kenntnissen  zur  Auf- 
gabe  haben.  Solcher  Unterricht  kann  nur  mit  Wissen  und  Zustimmung  des 
Staates  eingerichtet  werden.  Alle  Volksschulen  und  Erziehungsanstalten  ste- 
hen  unter  der  Aufsicht  des  Staates  und  sind  zu  jeder-  Zeit  der  Priifung  und 
Besichtigung  unterworfen,"  Zur  Zeit  sei  diese  Verordnung  nicht  mehr  wert 


Versammlungen  der  N.  E.  A.  125 

gewesen  als  das  Papier,  auf  das  sie  gescErieben,  aber  sie  sei  niemals  wider- 
rufen  und  schliesslich  eine  lebendige  Wirklichkeit  geworden. 

Zur  moralischen  Seite  des  Gegenstandes  iibergehend,  sagte  Dr.  Hinsdale, 
Kant  habe  seine  Thatigkeit  bereits  zu  Ende  gefiihrt  gehabt,  obgleich  seine 
Vortrage  uber  Padagog'ik"  nicht  vor  1S03  veroffentlicht  worden  seien.  Pesta- 
lozzi,  zur  Zeit  in  Burgdorf,  habe,  1781 — 87,  ,,Lienhard  und  Gertrud"  verfasst 
und  habe  so  seinen  Lesern,  die  ungliicklicher  Weise  noch  gering  an  Zahl  ge- 
wesen seien,  die  reine,  liebliche  Erscheinung  von  Bonnal  entschleiert.  Hegel, 
1770  geboren,  sei  gerade  daran  gewesen,  sich  bemerkbar  zu  machen.  Frobel, 
damals  18  Jahre  alt,  ha&i  seine  Ausbildung  zum  Lehrer  nocE  in  Frankfurt  zu 
erhalten  gehabt  und  habe  noch  zu  Pestalozzi  in  die  Schule  gehen  miissen,  ehe 
er  seine  Schrift  uber  ,,Menschenerziehung",  1816  erschienen,  habe  schreiben 
konnen.  Herbart,  sechs  Jahre  alter  als  Frobel,  sei  gerade  dabei  gewesen,  seine 
akademische  und  padagogische  Laufbahn  zu  beginnen.  Das  Erwachen  Preus- 
sens  aus  politischer  und  sittlicher  Erstarrung,  durch  Stein  und  seine  Mitar- 
beiter  bewerkstelligt,  habe  noch  in  der  Zeiten  Schosse  gelegen,  noch  in  der 
Zukunft  die  Niederlage  von  Jena  und  der  Frieden  zu  Tilsit.  Noch  sieben  Jahre 
habe  es  gedauert,  bis  Fichtes  ,,Reden  an  die  deutshe  Nation"  erschienen  seien, 
und  noch  neun  Jahre,  bis  die  Universitat  Berlin  gegriindet  worden  sei. 

Man  ersehe  daraus,  dass,  obgleich  in  Deutschland  damals  viel  gethan 
worden  war,  noch  viel  zu  thun  iibri'g  geblieben  sei.  Das  ganze  System  der 
Volkserziehung  habe  umgearbeitet  und  erweitert  und  das  Volk  zur  Anerken- 
nung  des  Wertes  dieses  Systems  aufgeriittelt  werden  mussen.  Wie  hartnackig 
der  Konservatismus  das  Feld  behauptet  habe,  zeige  teilweise  die  Thatsache, 
dass  in  Preussen  das  Realgymnasium  bis  zum  Jahre  1859  nicht  vollstandig 
eingerichtet  gewesen  sei,  und  die  Realgymnasiasten  bis  zum  JaKre  1870  an  den 
Universitaten  nicht  zugelassen  worden  seien. 

Gerne  mochten  wir,  erlaubte  es  der  Raum,  hier  noch  anfiihren,  wie  am 
Anfange  des  Jahrhunderts  Frankreich  und  England  im  Spiegel  der  Betrach- 
tungen  des  Herrn  Dr.  Hinsdale  angesehen  haben.  Aber  was  fur  ein  Gesicht 
Amerika  zur  selben  Zeit  gezeigt  und  was  unser  Land  seitdem  errungen  hat, 
dariiber  mussen  wir  notwendigerweise  noch  einige  Bruchstiicke  aus  den  Aus- 
fiihrungen  des  Referenten  mitteilen. 

In  den  Vereinigten  Staalen  sei  der  Gegensatz  zwischen  dem  Anfange  und 
dem  Ende  des  Jahrhunderts,  alles  in  allem  genommen,  auffalliger  als  in  alien 
Landern.  Soweit  die  Quantitat  in  Betracht  komme,  habe  die  Erziehung  mit 
dem  Wachstum  des  Landes  sicherlich  mehr  als  Schritt  gehalten,  wahrend  die 
Qualitat  nicht  zunickgeblieben  sei.  Im  Jahre  1801  natten  eine  Anzahl  Staaten 
den  Schulen  eine  Stelle  in  ihren  Verfassungen  eingeraumt.  Connecticut  habe 
einen  allgemeinen  Schulfonds  gegriindet,  und  andere  Staaten  seien  seinem 
Beispiele  gefolgt.  Die  Bundesregierung  habe  die  ersten  Schritte  zu  der  Mass- 
regel  gethan,  die  dahin  gefiihrt,  die  Schulen  mit  einem  Kapital  von  $300,000,000 
zu  unterstiitzen.  Im  Jahre  1787  sei  in  New  York  eine  Staatsuniversitat  ge- 
griindet worden.  1801  seien  dreiundzwanzig  Colleges  im  Lande  gewesen,  die 
alle,  neun  ausgenommen,  seit  1775  gegriindet  worden  seien.  Obgleich  wir  jetzt 
mehr  als  vierhundert  Colleges  westlich  und  siidlich  vom  Hudsonstrome  Batten, 
seien  damals  nicht  einmal  die  Anfange  eines  staatlichen  Schulsystems  vorhan- 
den  gewesen,  wahrend  die  vielgeriihmten  Schulsysteme  Neuenglands  nur  un- 
vollkommen  entwickelt  und  verhaltnismassig  wirkungslos  gewesen  seien.  Die 
paar  Grammatikschulen  in  Neuengland  nicht  gerechnet,  habe  es  im  Lande 
keine  Volks-Hochschulen  gegeben,  wahrend  wir  deren  jetzt  mehr  als  fiinf- 
tausend  hatten.  Nur  wenige  der  Staatsregierungen  hatten  etwas  fur  den  Ele- 


126  PUdagogiscbe  Monatsbefte. 

mentarunterricht  gethan  gehabt.  Erst  vor  sechsunddreissig  Jahren  habe  es 
zum  ersten  Male  einen  Staals-Schulrat,  einen  Staats-Schulsekretar,  und  einen 
Stadt-Schulsuperintendent  gegeben,  und  die  erste  Staats-Normalschule  erst  vor 
achtunddreissig  Jahren!  Horace  Mann,  vier  Jahre  alt,  habe  gerade  angefangen 
gehabt,  in  seiner  Vaterstadt  Franklin,  Mass.,  das  Strohflechten  zu  erlernen, 
wahrend  Henry  Barnard  nicht  vor  1811  geboren  worden  sei.  Noch  mehr  als 
zwanzig  Jahre  batten  vergehen  miissen,  ehe  George  Ticknor  auf  wichtige  Re- 
formen  im  Harvard  College  gedrungen,  ehe  Thomas  Jefferson  die  Universitat 
Virginien  gegriindet. 

Nachdem  Dr.  Hinsdale  noch  darauf  hingewiesen,  wie  selbst  in  den  gebil- 
detsten  Landern  die  Erziehung  der  Frau  auf  das  schmachvollste  vernachlassigt 
werde,  wahrend  in  diesem  Lande  in  dieser  Richtung  soviel  geschehe,  sagte  er 
am  Schlusse  seines  Vortrages  folgende  Worte:  ,,Die  Erziehung  ist  uberall  eine 
Sache  des  Staates  geworden,  das  heisst,  sie  ist  in  die  einzigen  Hande  gelegt 
worden,  die  imstande  sind,  das  Volk  zu  erziehen.  Die  Staatsmanner  sind  da- 
rauf angewiesen,  mit  dem  Gegenstande  zu  rechnen,  und  Konige  befiirworten 
ihn  in  Reden  vom  Throne.  Die  grossen  gebildeten  Staaten  verwilligen  fur 
Volkserziehung  soviel,  oder  mehr,  als  fur  die  Armee  und  Flotte.  Die  Aus- 
gaben  Deutschlands,  Frankreichs,  Grossbritanniens,  und  der  Vereinigten  Staaten 
belaufen  sich  in  einem  einzigen  Jahre  auf  $460,000,000.  Am  Ende  des  Jahrhun- 
derts  zahlte  man  in  den  Vereinigten  Staaten  45,000  Volksschulen  mit  15,700,000 
Kindern  und  418,000  Volksschullehrern.  Die  Ausgaben  fur  Volkserziehung  be- 
liefen  sich  auf  $203,000,000." 

Dr.  Harper  aus  Chicago  ist  Vorsitzender  eines  Ausschusses  von  fiinfzehn 
Mitgliedern,  der  fiber  die  Ratsamkeit  der  Errichtung  einer  allgemeinen  Landes- 
universitat  in  der  Bundeshauptstadt  berichten  sollte.  Da  der  Ausschuss  seine 
Arbeiten  noch  nicht  beendet  hat,  so  stattete  Herr  Harper  einen  vorlaufigen 
personlichen  Bericht  ab,  in  dem  er  mitteilte,  dass  der  Ausschuss  sich  fast  ein- 
mutig  gegen  eine  Universitat  mit  besonderer  Verwaltung  und  der  Machtbefug- 
nis,  akademische  Grade  zu  erteilen,  ausgesprochen  habe,  dass  er  aber  noch 
nicht  sagen  konne,  ob  sein  Ausschuss  sich  zugunsten  eines  Planes  entscheiden 
werde,  der  Wissbegierigen  ermogliche,  der  Vorteile  eines  Studiums  im  Smith- 
sonian Institute,  in  der  Kongressbibliothek,  etc.,  teilhaftig  zu  werden. 

Der  neue  Superintendent  der  Cincinnatier  Schulen,  ein  Herr  R.  G.  Boone, 
redete  in  einem  langen  Vortrage  einer  allgemeineren  Bildung  als  Bestandteil  der 
Erziehung  zum  Lehrer  das  Wort.  Unter  allgemeiner  Bildung  will  er  jedoch 
nicht  gerade  mehr  akademische  Vorbildung  verstanden  wissen,  sondern  nur 
die  Fahigkeit  des  richtigen  Denkens,  die  Kenntnis  der  Vo'rgange,  die  sich  auf 
da&  Wachstum  der  Person  und  der  Rasse  beziehen,  und  die  Geschicklichkeit 
in  der  Anwendung  dieser  Vorgange. 

Der  neue  Prasident  des  National  Council  ist  Charles  M.  Jordan  in  Min- 
neapolis. Minn. 

Wahrend  das  Council  seine  Sitzungen  abhielt,  tagten  gerade  noch  sech- 
zehn  andere  Abteilungen  der  N.  E.  A.  in  den  verschiedensten  Raumen.  Da 
aber  mit  dem  Erscheinen  dieser  Nummer  der  ,,P.  M."  auch  der  Bericht  der 
Charlestoner  Tagung  der  N.  E.  A.  im  Buchhandel  zu  haben  sein  wird,  so  iiber- 
lassen  wir  es  dem  Leser,  zu  seiner  eigenen  Belehrung  und  Erbauung  das  Bessere 
von  dem  Wertlosen  in  diesem  Berichte  zu  trennen,  soweit  die  Fiille  des  Ge- 
sprochenen  in  den  Abteilungen  der  N.  E.  A.  fur  Kindergarten,  Elementarun- 
terricht,  Hochschulen,  hohere  Schulen,  Normalschulen,  Handfertigkeit,  Kunst, 
Musik,  HandelsscBulen,  Child  Study,  Naturwissenschaften,  Schulverwaltung, 
Bibliothek,  Schwachsinnige  und  Indianererziehung  in  Betracht  kommt 


Korrespo  nden^en . 


127 


Fiir  die  richtige  Ausbildung  des  Korpers  hat  man  in  diesem  Lande  noch 
inimer  kein  Verstandnis.  Auch  auf  den  Tagungen  der  N.  E.  A.  1st  die  Ab- 
teilung  fur  korperliche  Erziehung  noch  nicht  heimisch  geworden.  Diesmal 
stand  zwar  wiederum  die  betreftende  Abteilung  mit  auf  dem  Programm,  aber 
weder  die  Beamten  noch  die  angekiindigten  Redner  waren  erschienen, 

Das  Exekutivkomite  der  N.  E.  A.  macht  nunmehr  bekannt,  dass  es  als 
nachsten  Versammlungsort  Detroit,  Mich.,  und  als  Zeit  die  Tage  vom  8.  bis 
zum  12.  Juli  gewahlt  hat. 


III.     Korrespondenzen. 

(Fttr  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Cincinnati. 


Die  ,,K6nigin  des  Westens"  steht  ge- 
genwartig  mitten  im  Zeichen  einer 
keulenden  ,,F  a  u  s  t"  -  A  u  f  f  ii  h  - 
rung  zur  teilweisen  Deckung  unse- 
res  finseligen  Sangerfest-Defizits.  Da 
diese  ,,Auffuhrung"  (ob  ,,Sein  oder 
Nichtsein")  unser  ganzes  Interesse  in 
Anspruch  nimmt  und  alle  anderen 
Fragen  und  Angelegenheiten,  sogar 
schulmeisterliche,  in  den  Hintergrund 
drangt,  so  miissen  die  werten  Leser 
dieses  Mai  mit  einer  trockenen  Be- 
richterstattung  iiber  Lehrerversamm- 
lungen  vorlieb  nehmen. 

In  der  Sitzung  des  Oberlehrer- 
v  e  r  e  i  n  s,  die  am  Donnerstag,  den 
31.  Januar  stattfand,  unterbreitete  das 
aus  den  Herren  Meyder,  von  Wahlde, 
Sutterer  und  Tackenberg  bestehende 
Komitee  seinen  Bericht  iiber  das  Buch 
,,Deutsche  Geschichten  fiir  deutscha- 
merikanische  Schulen  und  Familien". 
Das  Werk,  das  Herrn  Constantin 
Grebner  von  hier  zum  Verfasser  hat, 
wird  ungefahr  275  Seiten  stark  wer- 
den  und  soil  bereits  Ende  dieses 
Schuljahres  zum  Preis  von  85  Cents  im 
Druck  erscheinen,  vorausgesetzt,  dass 
in  nachster  Zeit  eine  geniigende  An- 
zahl  Abonnenten  gesichert  wird.  Die 
Debatte  iiber  den  empfehlenden  Be- 
richt, der  entgegengenommen  wurde, 
ist  auf  die  nachste  Sitzung  verschoben 
worden,  wozu  der  Verfasser  eingela- 
den  werden  soil,  um  iiber  verschiedene 
Punkte  naheren  Aufschluss  zu  geben. 

Den  Schluss  der  Versammlung  bil- 
dete  ein  Vortrag  des  Herrn  J.  Fuchs 
tiber  ,,Erziehliche  Errungenschaften 
der  letzten  Jahrzehnte".  (Das  Manu- 
skript  des  Vortrages  befindet  sich  be- 
reits in  unseren  Handen  und  soil  in 


einer  der  nachsten  Hefte  zum  Ab- 
druck  gelangen.  D.  E.) 

Die  Versammlung  des  Deutschen 
Lehrervereins,  die  am  Sams- 
tag  Nachmittag,  den  3.  Februar,  in 
der  6.  Distrikt-Schule  abgehalten  wur- 
de, war  erfreulicher  Weise  sehr  stark 
besucht.  Zur  Eroffnung  sang  der  Ge- 
mischte  Lehrerchor  ,,Die  Kapelle"  von 
Kreutzer,  worauf  Heir  Oberlehrer 
Aloys  Schultz  einen  kurzen  aber  in- 
haltreichen  Vortrag  hielt  iiber  ,,Wech- 
selbeziehung  der  Lehrgegenstande 
im  amerikanischen  Elementarunter- 
richt". 

Bei  Erledigung  aes  geschaftlichen 
Teiles  erlangte  das  ixomitee,  welches 
iiber  Wiedererweckung  des  Ohio  Leh- 
rervereins berichten  sollte,  \veitere 
Frist.  Als  neue  Mitglieder  wurden 
aufgenommen:  Herr  Constantin  Greb- 
ner von  der  Elmwood-Schule  und  Frl. 
Louise  Lamarre  von  der  26.  Distrikt- 
Schule.  Herr  Schwaab,  der  ebenfalls 
anwesend  war,  teilte  auf  eine  Inter- 
pellation hin  mit,  dass  das  deutsche 
Departement  bei  den  sogenannten 
halbjahrlichen  Versetzungen  keine 
Kiicksicht  auf  diese  Neuerung  zu  neh- 
men brauche,  da  diese  Versetzungen 
im  deutschen  Unterricht  oft  zu  ein- 
schneidende  Storungen  verursachen 
wurden. 

Zum  Schluss  erfreute  der  Lehrer- 
Gesangchor  die  Versammelten  mit 
dem  flott  vorgetragenen  Walzerlied, 
,,Ach,  ein  Walzer  ist  mein  Leben",  das 
der  Dirigent  Wm.  Schafer  fiir  ge- 
mischten  Chor  eingerichtet  und  dem 
Lehrergesangchor  gewidmet  hat.  Frl. 
Henrietta  Doll  lieferte  dazu  die  Piano- 
begleitung  mit  viblicher  Meisterschaf t. 

E.  K. 


Milwaukee. 


Im  vergangenen  Schuljahre  hat  un- 
ser Gesundheitsamt  die  Untersu- 
chung  des  Seh-  und  Horvennogens 
der  Schulkinder  angeregt,  und  im 


Friihjahr  wurden  auch  in  alien  Schu- 
len Untersuchungen  angestellt. 

Dr.  F.  M.  Schulz,  Commissioner  of 
Health,    hat    nun   das    Ergebnis   der 


128 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


Untersuchungen  berichtet.  Der  Be- 
richt  umfasst  42  Schulen.  Die  Ge- 
samtzahl  der  Kinder,  die  untersucht 
wurden,  betrug  19,618;  von  diesen  be- 
sitzen  5,789,  also  29.5%,  kein  normales 
Sen-  oder  Horvermogen.  5,055  Schii- 
ler,  25.75%,  haben  ein  geschwachtes 
Sehvermogen.  1,419  Schiller,  7.25%, 
sind  schwerhorig.  609  Kinder,  3.1%, 
litten  an  erschwerter  Nasenatmung. 

Unser  Gesundheitsamt  hat  sich 
iiberhaupt  mehr  mit  unseren  Schulen 
befasst,  als  das  friiher  der  Fall  war. 
Es  giebt  auch  heute  noch  Leute,  die 
von  einer  arztlichen  Inspektion  der 
Schulen  nichts  halten.  Die  Stadte 
New  York,  Boston,  Philadelphia,  Chi- 
cago und  Detroit  haben  aber  die 
Wichtigkeit  dieser  Beaufsichtigung 
eingesehen  und  dieselbe  eingefiihrt. 

Vom  Januar  bis  Juni  1900  haben 
sich  unsere  Schulen  oereits  aer  Schul- 
arzte  zu  erfreuen  gehabt.  Der  Not 
gehorchend,  nicht  dem  eignen  Trieb, 
ernannte  der  Commissioner  Dr.  Schulz 
ini  Januar  7  Arzte,  welche  mit  den 
5  regularen  Arzten  des  Gesundheits- 
amtes  taglich  die  Schulen  zu  besu- 
chen  hatten.  Verschiedene  anstek- 
kende  Kinderkrankheiten  traten  so 
allgemein  auf  und  verbreiteten  sich 
trotz  aller  Vorsicht,  dass  dieser 
Schritt  notwendig  wurde. 

In  diesem  Schuljahr  ist  die  arztli- 
che  Beaufsichtigung  der  Schulen 
nicht  wieder  aufgenommen  worden. 
Es  fehlen  vorlaufig  die  Mittel  dazu. 

Vom  26. — 29.  Dezember  tagte  hier 
die  Wisconsin  Teachers'  Association, 
bber  1300  Mitglieder  wohnten  den 
Versammlungen  bei. 

In  der  Dezembersitzung  des  V.  D. 
L.  las  Herr  A.  Warnecke  von  der  9. 
Dist.-Schule  eine  Abhandlung  nber 
das  Buch:  Wie  denkt  das  Volk  iiber 
die  Sprache?  aus  der  ,,Schweizeri- 
schen  Lehrerzeitung"  vor.  Herr  Dr. 
W.  Rahn,  2.  Dist.-Schule,  hielt  einen 
Vortrag  liber  das  1-iema:  Wie  kann 
der  Lehrer  der  deutschen  Sprache  den 
Unterricht  in  den  anderen  Fachern  in 
seinen  Kreis  ziehen?  An  den  Vortrag1 
schloss  sich  eine  langere  Debatte. 

Die  Januarversammlung  des  V.  D. 
L.  fand  am  21.  Januar  statt.  Dieselbe 
war  sehr  gut  besucht.  Die  Versamm- 
lung  wurde  ptinktlich  eroffnet,  und. 
trotz  der  friihen  Stunde  —  %  nach  4 
Uhr  —  waren  die  Mitglieder  piinktlich 
erschienen. 

Die  Orthographie-Frage  bildete  das 
Thema.  So  lange  unsere  sogenannten 
,,O  r  t  h  o  graphien"  das  sind,  was  sie 
sind,  namlich  ,,K  a  k  o  graphien"  d.  h. 


Schlecht  schreibungen,  wird  der 
Unterricht  in  diesem  Fache,  im  Engli- 
schen  wie  im  Deutschen,  ein  Lehrer- 
und  Schiilerkreuz  bleiben.  Im  Eng- 
lischen  vollzieht  sich  jetzt  ein  Um- 
suhwung.  Wer  hatte  vor  10  Jahren 
geglaubt,  dass  Zeitschriften  wie  die 
"Educational  lleview"  von  Newr  York 
"tho,  altho,  catalog,  program"  u.  s.  w. 
schreiben  wurden. 

Drei  Fragen  dienleuals  Grundlage 
der  Besprechung.  Drei  Lehrerinnen 
beantworteten  die  Frage:  Wie  berei- 
tet  man  ein  Diktat  vor?  Es  wurde 
ganz  richtig  hervorgehoben,  dass  kla- 
re  und  deutliche  Aussprache  seitens 
des  Lehrers  und  der  Schiller,  sowie 
langsames,  silbenweises  Sprechen  und 
Schreiben  der  schwierigeren  Worter 
zur  Vorbereitung  gehoren. 

Bei  der  Besprechung  der  dritten 
Frage:  Wie  korrigiert  und  zensiert 
man  das  Diktat?  stellte  es  sich  her- 
aus,  dass  ein  grosser  Meinungsunter- 
schied  herrscht.  Einige  der  Lehrer 
ziehen  fiir  jeden  orthographischen 
Fehler  zwei  ab,  so  dass  ein  Diktat,  in 
dem  10  Fehler  vorkommen,  mit  80 
zensiert  wird;  andere  ziehen  5  ab,  so 
dass  die  Zensur  in  obigem  Falle  mit 
50  bezeichnet  werden  miisste.  Herr 
Dapprich  verwarf  in  scharfer  VVeise 
jede  in  Prozenten  ausgedriickte  Zen- 
sur. Die  amerikanischen  Lehrer  kon- 
nen  aber  nicht  ohne  diese  Einrichtung 
t'ertig  werden,  denn  am  Ende  eines 
Monats  muss  man  ebenfalls  dem  Schil- 
ler eine  in  Zahlen  ausgedriickte  Zen- 
sur geben. 

Herr  Abrams  vertrat  die  Ansicht, 
dass  die  Fehler  nicht  gleich  behandelt 
werden  sollen.  Wenn  Schiller  statt 
Pferd  —  ,,Pfert,  pfert,  fert,  fart"  - 
schreiben,  so  solle  man  dem  ersten 
zwei,  dem  zweiten  vier  u.  s.  w.  abzie- 
hen.  Die  Gerechtigkeit  dieses  Zen- 
sierens  wurde  anerkannt,  doch  dass 
ein  solcher  Modus  zu  viel  Zeit  in  An- 
spruch  nehme.  Auch  wurde  sehr 
richtig  hervorgehoben,  dass  dem 
Schiller,  der  ,,Pfert"  schreibt,  ein  Lob 
fiir  seine  Aufmerksamkeit  gebiihrt, 
sowie  fiir  die  Befolgung  des  Grund- 
satzes:  Schreibe,  wie  du  richtig 
sprichst.  Um  %6  Uhr  trat  Verta- 
gung  ein.  J.  E. 

Das  Lehrerseminar.  Das 
Xationale  Deutschamerikanische  Leh- 
rerseminar beendigte  den  Herbstter- 
min  seines  23.  Jahreskursus  am  22. 
Dezember  1900.  Die  Arbeit  war  wah- 
rend  dieses  Trimesters  von  den  Schu- 
lern  der  Anstalt  mit  lobenswertem 
Fleisse  gethan  worden;  daher  laute- 


Korresponden^en. 


129 


ten.  die  Zeugnisse  auch  fast  durch- 
weg  befriedigend. 

Die  Weihnachtsfeier,  welche  am 
Nachmittag  des  letzten  Schultages  in 
der  Halle  des  Turnerbundes  abgehal- 
ten  wurde,  war  von  vielen  Freunden 
der  Anstalt  besucht  worden;  die  Ge- 
sange  und  Deklamationen  der  Schil- 
ler fanden  reichen  Beifall.  Nach 
Schluss  des  Programias  bewirtete  der 
Frauenverein  die  Schiiler  von  Seminar 
und  Akademie  in  der  Singhalle  der 
Schule. 

An  der  Jahresversammlung  der 
Lehrer  des  Staates  Wisconsin  betei- 
ligte  sich  die  Anstalt  durch  eine  Aus- 
stellung  der  Erzeugnisse  ihres  Hand- 
fertigkeitsunterrichtes.  Die  Arbeiten 
wurden  von  den  Besuchern  ausserst 
giinstig  beurteilt,  und  die  Vorsitzerin 
der  Abteilung,  Frau  I.  F.  Eimermann, 
dankte  uns  brieflich  fiir  die  Mitwir- 
kung.  Sie  sagt  in  diesem  Brief e: 
"Your  addition  to  the  exhibit  was  a 
splendid  work  of  art;  many  teachers 
admired  it  and  asked  me  about  your 
school.  I  feel  that  your  work  is  a 
great  help  to  many  teachers." 

Der  Vorort  des  Nordamerikanischen 
Turnerbundes  teilte  dem  Ortsaus- 
schuss  mit,  dass  er  bereit  sei,  die 
Halfte  der  Unkosten  fiir  den  Betrieb 
des  Turnunterrichts  in  der  gemeinsa- 
men  Anstalt  fiir  das  Schuljahr  1900/ 
1901  zu  tragen,  und  der  Ortsausschuss 
nahm  dieses  Anerbieten  mit  Dank  an. 
Wir  hoffen,  dass  im  nachsten  Jahre 
das  Turnlehrerseminar  aufs  neue  in 
Thatigkeit  tritt,  da  nach  tiichtigen 
Turnlehrern  in  Schulen  grosse  Nach- 
frage  sich  ergiebt. 

Da  die  Ausgaben  des  Seminars  im 
Laufe  des  gegenwartigen  Schuljahres 
die  Einnahmen  um  mindestens  1000 
Dollars  iibersteigen,  so  erliess  das 
Lehrerkomitee  einen  Aufruf  an  die 
Abiturienten  der  Anstalt  um  Beitrage 
und  bat  besonders  diejenigen  unserer 
Zoglinge,  welche  friiher  Zuschiisse 
aus  der  Seminarkasse  erhalten  haben, 
um  promptere  Riickzahlung.  Dieser 
Aufruf  hat  bereits  nahezu  $200  in  die 


Seminarkasse  gebracht,  und  wir  hof- 
fen, dass  alle  dieser  Mahnung  Folge 
leisten  werden. 

Am  dritten  Marz  findet  eine  Vorstel- 
lung  zum  Besten  des  Seminars  in  dem 
Pabsttheater  statt  und  es  steht  zu  er- 
warten,  dass  wir  bei  dieser  Gelegen- 
heit  ein  voiles  Haus  haben  werden. 

Der  President  des  Seminars,  Dr. 
Louis  Frank,  wurde  ennachtigt,  ein 
Bild  des  verstorbenen  Vorsitz^rs, 
Prof.  Rosenstengel,  von  Herrn  Photo- 
graphen  Stein  anfertigen  zu  lassen, 
welches  im  Sitzungszimmer  der  Be- 
horde  neben  dem  des  Herrn  Frank- 
furth  seinen  Platz  finden  wird. 

Der  Musterschule  des  Seminars 
wurde  zu  Weihnachten  von  der  Firma 
Uihlein  Bros,  ein  liberales  Geschenk 
zu  teil;  der  Sekretar  der  Schlitz  Brew- 
ing Co.  schickte  an  den  Direktor  der 
Deutsch-Englischen  Akademie  eine 
Anweisung  auf  1000  Dollars.  Eine 
gleiche  Summe  hatte  die  Firma  an  die 
hiesige  Madchenschule,  Milwaukee 
Downer  College,  geschickt.  Keine  an- 
dere  Brauerfirma  dieser  Stadt  hat  fiir 
erziehliche  Bestrebungen  ein  so  war- 
mes  Herz  und  eine  so  offene  Hand. 

Im  Laufe  des  Friihjahrs  feierb  die 
Akademie  das  Fest  ihres  fiinfzigjahri- 
gen  Bestehens;  wahrend  dieser  Ian- 
gen  Zeit  haben  Tausende  von  tiichti- 
gen Mannern  und  Frauen  den  Segen 
ihrer  Thatigkeit  genossen,  und  das 
Festkomitee  wird  sich  Miihe  geben, 
die  Feier  so  wiirdig  als  moglich  zu  ge- 
stalten. 

Eine  dem  Seminar  giinstige  Ent- 
scheidung  traf  vor  einigen  Tagen  das 
Obergericht  des  Staates  Massachu- 
setts. Die  Erben  des  im  Anfang  vori- 
gen  Jahres  verstorbenen  Geo.  A.Sam- 
met  zu  Boston  hatten  dessen  Testa- 
ment angefochten,  in  welchem  neben 
anderen  Anstalten  auch  dem  Lehrer- 
seminar  ein  Legat  von  $10,000  ausge- 
worfen  worden  war.  Durch  die  Ent- 
scheidung  des  Obergerichts  sind  die 
Klager  abgewiesen,  und  dem  Seminar 
ist  dieser  Zuwachs  zu  seinem  Stamm- 
kapitel  gesichert.  E.  D. 


New  York. 


Verein  deutscher  Lehrer 
Ton  New  York  und  Umge- 
g  e  n  d.  Laut  eines  Beschlusses  der 
Dezemberversammlung  wurde  in  der 
ersten  Sitzung  des  neuen  Jahres  eine 
festere  Organisation  '  vorgenommen, 
welche  folgendes  Aiesultat  hatte.  Als 
President  vv^urde  einstimmig  Herr  Dr. 
C.  F.  Kayser,  New  York,  und  als  Vice- 


prasident  Herr  Hermann  von  der 
Heide,  Newark,  N.  J.,  erw^ahlt.  Dr.  A. 
Kern,  Jamaica,  L.  I.,  wurde  als  proto- 
kollierender  Sekretar,  und  E.  Mueller, 
Carlstadt,  N.  J.,  als  Schatzmeister  und 
korrespondierender  Sekretar  erwahlt. 
Die  Herren  Dr.  A.  Remy,  New  York, 
Dr.  R.  Mezger,  Newark,  N.  J.,  un<f 
Dr.  O.  Weineck,  New  York,  wurdefc 


130 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


gewahlt,  um  in  Verbindung  mit  dem 
Vorstande  f  iir  das  Programm  einer  je- 
den  Versammlung  Sorge  zu  tragen. 

Der  Mitgliedsbeitrag  wurde  auf  25c 
pro   Jahr   festgesetzt.     Die   Sitzungen 


finden  am  ersten  Sonnabend  des  Mo- 
nats,  nachmittags  3  Uhr,  bei  Herrn 
Allaire,  192  Third  Ave.,  New  York, 
statt.  E.  M. 


Saginaw. 


Die  eine  Lehrerversammlung  be- 
schaftigt  sich  mit  der  Frage:  Sollte 
Grammatik  gelehrt  werden?  Die  an- 
dere  stellt  die  Frage:  1st  Anschau- 
ungsunterricht  wiinschenswert?  Die 
dritte  fragt:  1st  das  ttbersetzen  zulas- 
sig?  Ich  glaube  kaum,  dass  irgend  ein 
erfahrener  und  erfolgreicher  Lehrer 
eins  der  genannten  Facher  beseitigen 
wiirde,  denn  sie  sind  alle  f  ii  r  den  Un- 
terricht  im  Deutschen  vorteilhaft  zu 
verwenden.*) 

Ich  wiinsche,  dass  alle  deutschen 
Lehrerversammlungen  sich  gleich- 
zeitig  mit  der  Frage  beschaftigen 
warden:  Wie  konnen  wir  den  Un- 
terricht  im  Deutschen  erfolgreicher 
machen?  Das  ist  eine  Lebensfrage 
fur  den  deutschen  Unterricht  in 


*)  Im  Uebersetzen  ist  die  Toussaint-Lan- 
genscheidt'sche  Methode  zu  empfehlen,  das 
sogenannte  Riickiibersetzen,  welches  darin 
bestebt,  dass  man  zunachst  aus  der  zu  er- 
lernenden  Sprache  in  die  Muttersprache 
libersetzt  und  dann  wieder  in  die  zu  erler- 
nende,  und  alsdann  die  Arbeit  selbst  nach 
dem  Buche  sorgfaltig  verbessert.  Ich  babe 
die  Methode  griindlich  erprobt  und  kann  sie 
herzlich  empfehlen;  aber  der  Lehrer  muss 
dafiir  sorgen,  dass  der  Schiller  sehr  gewis- 
senhaft  verfahre.  Einige  Schuler  werden 
versuchen,  aus  dem  Buche  abzuschreiben, 
anstatt  selbststandig  die  Uebersetzung  anzu- 
fertigen.  Nachdem  die  erste  Uebersetzung 
(aus  der  zu  erlernenden  in  die  Mutterspra- 
che, hier  die  englische)  angefertigt  worden 
1st,  muss  das  Buch  geschlossen  blelben,  bis 
die  Arbeit  eines  Schulers  beendet  ist,  dann 
erst  korrigiert  er  sie  selbst.  Natiirlich  muss 
der  Lehrer  die  Arbeit  nachsehen. 


unseren  Elementarschulen.  Das  Ke- 
sultat  dieser  Fragen  sollte  den  ,,Pa- 
dagogischen  Monatsheften"  zur  Ver- 
offentlichung  eingesandt  werden. 
Meine  langjahrige  Erfahrung  hat  in 
mir  die  Uberzeugung  gereift,  dass  es 
uns  an  zwei  wesentlichen  Faktoreii 
fehlt,  namlich  an  kompetenten  Leh- 
rern  und  zielbewusster,  begeisternder 
Arbeit.  Sichern  wir  uns  diese  zwei,  so 
bangt  mir  nicht  mehr  vor  der  Perma- 
nenz  des  deutschen  Unterrichts;  denn 
wir  haben  jetzt  schon  die  gebildete 
Klasse  der  Angloamerikaner  auf  unse- 
rer  Seite.  Es  giebt  in  unserer  preka- 
ren  Lage  kein  besseres  Mittel,  unseren 
Feinden  eine  Waffe  in  die  Hand  zu  ge- 
ben  als  Gleichgiltigkeit  im  Unter- 
richt und  Laxheit  im  Besuche  der 
Lehrerversammlungen.  Ich  mache  die 
Behauptung,  dass,  wenn  der  deutsche 
Unterricht  in  den  Elementarschulen 
fallt,  so  geschieht  es  nur  durch  unsere 
eigene  Schuld.  Gewissenhafte  Arbeit 
gewinnt  uns  nicht  nur  Freunde,  son- 
dern  lahmt  zugleich  unsere  knie- 
schwachen  Feinde. 

In  der  letzten  Versammlung  des 
Lehrervereins  des  Saginaw-Thales 
hielt  Frl.  K.  Hoock  einen  interessan- 
ten  Vortrag  liber  den  Unterricht  in 
der  Grammatik.*)  I. 

*)  Der  Vortrag  von  Frl.  Hook  wurde  uns  von 
unserem  Korrespondenten  freundlichst  zur  Ver- 
fiigung  gestellt  und  ist  in  der  Abteilung  fiir  die 
Schulpraxis  abgedruckt.  D.  R. 


IV.     Brief  kasten. 


M.  D.  Dayton.  Besten  Dank  fiir 
Ihre  freundlichen  Gliickwiinsche.  Alles 
Geschaf tliche  ist  besorgt.  V.  B.  San 
Jose.  Ihre  wohlmeinenden  Eat- 
schlage  durch  die  Verlagshandlung 
mit  Dank  erhalten!  Wir  versuchen, 
den  Wiinschen  und  Erwartungen  aller 
Lehrer,  an  welchen  Schulen  sie  auch 
unterichten  mogen,  gerecht  zu  wer- 
den. Dass  das  nicht  so  leicht  ist,  kon- 
nen Sie  daraus  ersehen,  dass  wir  wie- 
derholt  deshalb  getadelt  worden  sind, 
weil  wir  nicht  ,,schulmeisterlich"  ge- 
nug  sind.  Ob  die  Zukunft  des  Deut- 
schen, auf  ,,High  Schools  und  Colle- 


ges" beschrankt,  eine  glanzende  ware, 
und  ob  dann  die  Professoren  an  sol- 
chen  Schulen  des  ,,Schulmeisterli- 
chen"  entbehren  konnten,  niochten 
wir  mit  einem  grossen  Fragezeichen 
versehen. 

X.  Cincinnati,  O.  Ihr  Artikel 
tritt  aus  dem  Eahmen,  den  wir  uiis 
f  iir  die  Fiihrung  der  P.  M.  vorgezeich- 
net  haben,  heraus  und  kann  deshalb 
nicht  aufgenommen  werden.  Bitte 
um  Angabe  Ihrer  Adresse,  damit  Ih- 
nen  das  Manuskript  zuriickgestellt 
werden  kann. 


V.    Umschau. 


Amerika. 


VomLehrertage.  Kurz  vor 
Schluss  der  Redaktion  erhalten  wir 
vom  Sekretar  des  Lehrerbuiides, 
Herrn  E.  Kramer,  die  Nachricht,  dass 
es  einer  Cincinnatier  Delegation,  be- 
stehend  aus  den  Herren  Dr.  Fick, 
Hahn,  Kramer  und  Meyder,  gelungeu 
ist,  das  Deutschtum  von  Indianapolis 
fur  den  diesjahrigen  Lehrertag  in  dem 
Grade  zu  interessieren,  dass  diese 
Stadt  als  Tagungsort  gesichert  ist. 
Die  deutschen  Vereine,  insonderheit, 
soweit  sie  vom  Deutschen  Hause  ver- 
treten  werden,  sowie  der  Mannerchor 
von  Indianapolis  haben  mit  Begeiste- 
rung  ihre  Bereitwilligkeit  erklart, 
ihrerseits  alles  zu  thun,  den  Lehrer- 
tag zu  einein  glanzenden  Erfolge  zu 
fiihren.  Als  Termin  zur  Abhaltung  des 
Lehrertages  sind  die  letzten  Tage  des 
Monats  Juli  genannt.  Ist  dieser  Ter- 
min in  Hinsicht  auf  die  panamerika- 
nische  Ausstellung  in  Buffalo  und 
sonstige  Ferienreisen  der  Lehrer 
giinstig? 

Prof.  Alexis  E.  Frye  hat  sein 
Amt  als  Superintendent  des  offent- 
lichen  Schulwesens  auf  Cuba  nieder- 
gelegt  und  befindet  sich  seit  dem  14. 
Januar  wiederum  auf  amerikanischem 
Boden.  Die  Erfolge  seiner  ISmonat- 
lichen  Wirksamkeit  in  Cuba  sind  glan- 
zende.  Als  er  dieselbe  begann,  hatte 
die  Insel  kaum  ein  Schulhaus,  das  die- 
sen  Namen  verdient  hatte;  nach  5  Mo- 
naten  war  die  Schiilerzahl  von  10,000 
auf  145,000  gestiegen,  und  samtliche 
Schiller  konnten  zufriedenstellend  un- 
tergebracht  werden.  Die  Cubaner  be- 
trachteten  Herrn  Frye  zuerst  mit 
gewissem  Misstrauen  und  hielten  ihn 
fur  einen  schlauen  Yankee,  der  iiur 
darauf  aus  sei,  seine  Leitfaden  fiir 
den  Schulunterricht  an  den  Mann  zu 
bringen.  Nachdem  er  aber  den  Ver- 
kauf  seiner  Biicher  verboten  und  sein 
voiles  Gehalt  zu  Wohlthatigkeitszwek- 
ken  verwendet  hatte,  anderte  sich 
die  Gesinnung  der  Cubaner,  so  dass  er 
als  der  popularste  Amerikaner  die  In- 
sel verliess. 

Herr  Frye  hat  sich  infolge  der  Dif- 
ferenzen  mit  dem  Militargouverneur 
von  Cuba  zur  Niederlegung  seines 
Amtes  bewogen  gefiihlt.  Er  kehrt 


nach  Californien  zuriick,  wo  er  der 
Besitzer  grosser  Orangenpflanzungen 
ist. 

Chicago.  Hervorragende  bapti- 
stische  Geistliche  in  Chicago  haben 
einen  gemeinsamen  Protest  gegen  die 
Einfiihrung  des  Unterrichts  in  der 
Kriegskunst  in  den  Lehrplan  der  Uui- 
versitat  von  Chicago  eingereicht.  Wir 
wollen  hoffen,  dass  ihre  Bestrebungen 
Erfolg  haben  werden.  Soldatenspie- 
len  und  Wissenschaft  vertragen  sich 
wenig  miteinander. 

Die  deutsche  Regierung 
hat  behufs  Unterweisung  der  Neger 
auf  ihren  westafrikanischen  Besit- 
zrungen  eine  Keihe  Lehrer  und  Stu- 
denten  des  ,,Tuskegee  Institute",  des- 
sen  Vorsteher  Booker  T.  Washington 
ist,  angestellt.  Ihre  Aufgabe  ist  es 
hauptsachlich,  die  Anlage  von  Baum- 
wollenpflanzungen  zu  iiberwachen. 
Die  Expedition  sollte  am  1.  Januar  an 
ihrem  Bestimmungsorte  eintreffen. 

Die  Frage  der  Reform  der 
englischen  Orthographic 
wird  von  neuem  von  der  N.  E.  A.,  und 
zwar  von  der  Schulsuperintendenten- 
Vereinigung  aufgenommen  werden. 
Die  Direktoren  der  N.  E.  A.  sollen  er- 
sucht  werden,  eine  jahrliche  Summe 
von  $1000  auf  5  Jahre  zu  bewilligen, 
um  einer  Kommission,  die  von  den  Su- 
perintendenten  zu  ernennen  sein 
werde,  die  Mittel  zur  Arbeit  an  die 
Hand  zu  geben. 

Frl.  Estelle  Reel,  die  Superin- 
tendentin  der  Schulen  fiir  Indianer, 
macht  in  ihrem  letzten  Bericht  durch- 
aus  verniinftige  Vorschlage,  um  die 
Arbeit  an  diesen  Schulen  erfolgrei- 
cher  zu  gestalten.  ,,Das  Indianerkind, 
sagt  sie,  mit  Biicherweisheit  voll  zu 
pfropfen,  wird  noch  auf  lange  Jahre 
hinaus  ein  Missgriff  sein.  Eine  Zivi- 
lisation  ohne  die  durch  Arbeit  ge- 
schaffene  Grundlage  ist  auf  Sand  ge- 
baut  und  hat  keinen  Bestand.  Wenn 
darum  der  Indianer  erst  dahin  ge- 
bracht  sein  wird,  dass  er  durch  seiner 
Hande  Arbeit  sich  seinen  Lebenaun- 
terhalt  verdienen  kann,  dann  kann  der 
Kampf  fur  die  Zivilisation  der  India- 
ner als  gewonnen  betrachtet  werden." 

Frl.  Reel  empfiehlt  daher,  dass  in 
den  Schulen  der  Indianer  die  Unter- 
weisung in  alien  praktischen  Dingen, 
im  Ackerbau  und  Viehzucht,  im  Na- 
hen,  Kochen  und  Waschen,  in  der  Tep- 
pichweberei  etc.,  eingefiihrt  werde. 


132 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


Eine  Schule  fur  zukiinf- 
tigeBettler  wurde  kiirzlich  durch 
die  Polizei  in  Chicago  entdeckt.  Ein 
Charles  Adams  war  der  erfolgreiche 
Unternehmer,  der  einen  regelmassi- 
gen  Unterricht  in  der  Kunst  zu  bet- 
teln  erteilte. 

In  Petersburg,  Ind.,  miissen 
nette  Zustande  in  den  Schulen  herr- 
schen.  Dort  wurde  ein  Lehrer,  Wes- 
ley Dugan,  so  berichtet  das  ,,School 
Journal  von  New  York",  von  seinen 
alteren  Schiilern  an  dem  Tage  uach 
Weihnachten  uach  einem  Teiche  ge- 
schleppt,  um  untergetaucht  zu  wer- 
den.  Er  entkam  ihnen,  indem  er  in 
das  Wasser  watete  und  sich  an  einein 
Stumpf  festhielt.  Von  dort  wurde  er 
durch  Steinwiirfe  vertrieben  und  &o 
gezwungen,  nach  dem  jenseitigen 
Ufer  zu  schwimmen.  Er  war  dem  Er- 
trinken  nahe,  als  ihn  ein  Fanner  ret- 
tete. 


Dem  vom  Prasidenten  der  Colum- 
bia Universitat,  Seth  Low,  ver- 
fassten  und  veroffentlichten  Berichte 
iiber  die  Thatigkeit  des  Institutes  im 
verflossenen  Jahre  entnehmen  wir  fol- 
gendes:  Der  Universitat  wurden  an 
Schenkungen  $554,000  zu  teil,  wovon 
$103,430.29  zur  sofortigen  Verwen- 
dung  kamen.  Die  Gesamtkosten 
der  Fiihrung  des  Institutes  betrugen 
$950,000.  Die  Ausgaben  iiberstiegen 
die  Einnahmen  um  $17,328.47. 

Der  Lehr-  und  Verwaltungskorper 
der  Universitat  besteht  aus  375  Beam- 
ten,  von  denen  87  den  Rang  ordent- 
licher  Professoren  bekleiden.  Die 
Zahl  der  Studenten  stieg  im  letztem 
Jahre  auf  3958. 

Bedeutende  Erweiterungen  erfuhr 
die  Anstalt  dadurch,  dass  das  „  Bar- 
nard College"  fiir  Frauen  und  das 
,,Teachers  College"  fiir  Studenten  bei- 
derlei  Geschlechts  der  Universitat  ein- 
verleibt  wurden. 


VI.    Vermischtes. 


Die  deutsche  Sprache.  Der 
franzosische  Gesandte  am  Berliner 
Hofe  in  den  fiinfziger  Jahren  ausserte 
sich  einmal  einem  beriihmten  deut- 
schen  Schriftsteller  gegeniiber,  dass 
die  deutsche  Sprache  doch  mit  der 
franzosischen  in  gar  keinem  Yer- 
gleiche  stande.  ,,Die  Deutschen",  so 
fuhr  der  Franzose  fort,  ,,sind  nicht 
im  stande,  in  ihrer  Sprache  das  genau 
auszudriicken,  was  sie  sagen  wollen. 
Die  Sprache  ist  plump  und  unbehilf- 
lich.  Es  ist  ein  solcher  Wust  von 
Worten,  die  durchaus  iiberfliissig  sind, 
die  vielfach  nur  dasselbe  sagen,  so 
dass  man  sich  aus  diesem  Labyrinth 
nicht  zurechtfinden  kann.  Ihrer 
Sprache  fehlen  eben  die  f einen  Nuan- 
cen,  wie  sie  die  unsrige  hat." — ,,Oh," 
entgegnete  ihm  der  Deutsche,  ,,ich 
kenne  doch  meine  Muttersprache  ganz 
gut,  das  ist  mir  aber  noch  nicht  auf- 
gefallen,  dass  bei  uns  zwei  Worter 
ganz  dieselbe  Bedeutung  haben."  — 
,,Ach,  da  konnte  ich  Ihnen  doch  ei- 
nige  Beispiele  nennen."  —  ,,So,  da 
bin  ich  begierig."  —  ,,Na,  also  zum 
Beispiel:  Nennen  und  h  e  i  s  s  e  n." 
—  ,,Dass  ich  nicht  wiisste,"  erwiderte 
der  Schriftsteller,  ,,ich  kann  meinem 
Diener  wohl  heissen,  etwas  zu  thun, 
aber  nicht  nennen."  —  ,,Hm,  ja  aller- 
dings,  da  haben  Sie  recht,  aber  dann: 
Speisen  und  essen."  —  ,,Oh  nein,  Sie 
konnen  z.  B.  100  Arme  speisen,  uber 
nicht  essen!"  —  Da  haben  Sie  auch 
wieder  recht,  aber  nun:  Senden  und 


schicken?"  —  ,,Erst  recht  nicht,  mein 
Herr.  Sie  sind  wohl  ein  Gesandter, 
aber  kein  Geschickter!"  —  Dem  Ge- 
sandten  soil  von  da  an  die  deutsche 
Sprache  noch  unsympathischer  gewe- 
sen  sein. 

Die  K i n d e r p sy c h o 1 og i e 
treibt  allerlei  Bliiten.  Stellte  jiingst 
eine  Lehrerin  in  London  an  300  Jina- 
ben  und  Madchen  (10 — 13  Jahre)  die 
Frage:  Wiirdest  du,  wenn  du  erwacii- 
sen  bist,  vorziehen,  ein  Mann  oder 
eine  Frau  zu  sein  und  warum?  Etwa 
100  Madchen  wiinschten  Manner  zu 
sein,  um  als  Soldaten  dienen  oder  Ent- 
deckungsreisen  unternehmen  zu  Kon- 
nen, oder  weil  der  Mann  mehr  Frei- 
heit  hat,  mehr  verdient  und  mehr 
erbt Nur  zwei  Knaben  wiinsch- 
ten dem  andern  Geschlecht  anzuge- 
horen,  weil  die  Frau  nichts  thut  und 
das  Geld  des  Mannes  ausgeben  kann. 
Amtsstil.  Auf  einer  Warnungs- 
tafel  im  Salzkammergute  ist  zu  lesen: 
,,Dieser  Weg  ist  kein  Weg;  wer  es 
aber  thut,  bekommt  einen  Tag  Arrest 
oder  5  Gulden." 

Stossseufzer  einesLand- 
p  f  a  r  r  e  r  s.  Unter  alten  Aktenstiik- 
ken  hat  der  ,,Kirchliche  Anzeiger  fiir 
Wiirttemberg"  etliche  Kuriosa  aufge- 
stobert,  darunter  nachfolgenden  poe- 
tischen  Stossseufzer  eines  Landpfar- 
rers,  dem  Fortuna  wohl  vieles  Leben- 
dige,  doch  wenig  Gemunztes  beschert 
hat: 


Bttcberbesprfchungen . 


133 


,,Ach,  meine  Pfarr  ist  gar  zu  klein 
Und  tragt  so  karge  Sportel  ein, 
Dass  ich  bald  haben  werd',  o  weh! 
Mehr  Glaubiger  als  Glaubige." 
Aus    Kindermund.    L.:    Wann 
sind    die    Tage    am    langsten?    Sch.: 
Wenn  me  muess  schaffe.  —  L.:    Hier 
steht:    Da  hat  ein  Bauer  seinen  Sitz. 
Was  bedeutet  das?   Sch.:    Er  hat  ein 
Banklein  vor  dem  Hause. 

Aus  Schiilerheften.  Die 
Gans  ist  ein  Schnabeltier;  sie  ist  mit 
Federn  iiberzogen  . —  In  dem  Gedicht 
,,Die  Biirgschaft"  schillert  F.  Schiller 
die  Freundestreue.  —  Hans  Waldmann 
wurde  gefangen  genommen  und  ge- 
polstert.  —  Die  Gotthardbahn  f  iihrt 
uns  zum  munteren  Tschenere  (M. 
Cenere). 

Ein  Zukunftsbild.  Schau- 
platz:  Eine  Schulstube  im  zwanzig- 
sten  Jahrhundert.  Lehrer  (zu  einem 
neu  angemeldeten  Schiller:  ,,Hans, 
hast  Du  einen  —  —  —  ?"  —  ,,Ja, 
Herr  Lehrer!"  —  ,,Bist  Du  gegen 
Croup  inoculieret?"  —  Ja,  Herr  Leh- 
rer!" —  ,,Bist  Du  mit  Cholerabacillus 
geimpft?"  —  ,,Ja,  Herr  Lehrer  !"  — 


..Hast  Du  eine  schriftliche  Garantie, 
dass  Du  gegen  Keuchhusten,  Masern 
und  Scharlach  immunisiert  bist?"  — 
,,Ja,  Herr  Lehrer!"  —  ,,Hast  Du  eige- 
nes  Trinkgefass?"  —  ,,Ja,  Herr  Leh- 
rer!" —  ,,Bist  Du  damit  einverstan- 
den,  dass  wochentlich  einmal  Deine 
Biicher  mit  Schwefel  eingerauchert 
und  Deine  Kleider  mit  Chlorkalk  be- 
sprengt  werden?"  —  ,,Ja,  Herr  Leh- 
rer!" —  ,,Hans,  Du  besitzt  alles,  was 
die  moderne  Hygiene  verlangt.  Jetzt 
kannst  Du  uber  jenen  Draht  steigen, 
einen  isolierten  Aluminiumsitz  ein- 
nehmen  und  anfangen,  Deine  Kechen- 
exempel  zu  machen." 

Aus  der  Schule.  Lehrer:  ,,Was 
ist  ein  Amphibium,  Meyer?"  — 
Meyer  schweigt.  —  Lehrer:  ,,Nun,  ein 
Tier,  das  teils  auf  dem  Lande  — " 
—  Meyer:  ,,Und  teils  in  der  Stadt 
lebt!" 

Amtliche  Verwarnung.  ,,Es 
wird  hiemit  bekannt  gemacht,  dass 
das  Vieh  nicht  mit  offenen  Lichtern 
und  brennenden  Zigarren  sondern 
nur  mit  geschlossenen  Laternen  ge- 
fiittert  werden  darf." 


Biicher  besprechungen. 


Journalistic  German.  Se- 
lected from  Current  German  Periodi- 
cals. Edited  by  Aug.  P  r  e  h m,  Ph. 
D.,  Columbia  Grammar  School.  New 
York.  American  Book  Co. 

Der  Verfasser  hat  sich  die  Aufgabe 
gestellt,  den  deutschlernenden  Ame- 
rikanern  mit  den  Ideen,  dem  Schaf- 
fen  und  den  Wortschatzen  des  n  e  u- 
e  n  Deutschland  bekannt  zu  machen. 
Der  schmachtende  Jiingling,  die  hy- 
pergefiihlvolle  Jungfrau  der  ersten 
Halfte  des  verflossenen  Jahrhunderts, 
die  Liebes-  und  Naturpoesie  der  Eo- 
mantischen  Dichter,  gehoren  dem 
a  1 1  e  n  Deutschland  an.  Kasselnde 
Maschinen,  Dampferkolosse,  Kolonial- 
plane,  Elektrizitat  sind  die  Signatur 
des  n  e  u  e  n  Deutschland.  Diese  neue 
Zeit  mit  ihren  materiellen  Interessen 
soil  der  deutschlernende  Nichtdeut- 
sche  kennen  lernen.  Die  in  dem  vor- 
liegenden  148  Seiten  (guter,  klarer 
Lateindruck)  enthaltenen  Artikel  sind 
den  besten  deutschlandischen  Zeit- 
schriften  entnommen.  •  Dem  Texte 
schliesst  sich  ein  reiches  Vokabula- 
rium  an.  Als  Erganzungslektiire  fur 
Hochschul-  und  Universitatsklassen 


kann  das  Werk  bestens  empfohlen 
werden.  Der  Studierende  wird  ver- 
traut  mit  der  Sprache  des  aktuellen 
Lebens,  mit  dem  Wortschatze  der  In- 
dustrie, der  Kunst,  des  Handels,  des 
Reiseverkehrs  und  Gerichtssaales. 
Dass  neben  ganz  vorziiglichen  Arti- 
keln  von  bleibendem  Werte  auch  Min- 
derwertiges  erscheint,  kann  nicht  ver- 
schwiegen  werden.  Als  Ganzes  ist  das 
Werkchen  den  Zielen  des  Verfassers 
entsprechend  ausgefallen. 

German  Lyrics  and  Bal- 
lads, with  a  few  epigrammatic  po- 
ems. Selected  and  arranged  by 
James  Taft  Hatfield,  Profes- 
sor of  German  Language  and 
Literature  in  Northwestern  Univers- 
ity. Price  ? 

Unter  diesem  Titel  bringen  D.  C. 
Heath  &  Co.  ein  neues  Werkchen  von 
162  Seiten  Text  auf  den  Markt,  wel- 
ches sich  wiirdig  den  in  demselben 
Verlag  erschienenen  Textbiichern  fiir 
den  neusprachlichen  Unterricht  an- 
schliesst.  Der  verstorbene  Professor 
Kuggles  von  Dartmouth  College,  wel- 
cher  die  Sammlung  begonnen,  hat  in 
Prof.  Hatfield  einen  wiirdigenTesta- 


134 


Padagogiscbe  Monatshefte. 


mentsvollstrecker  gefunden.  Von  den 
b  e  s  t  e  n  Erzeugnissen  der  deutschen 
Epik  und  Lyrik  hat  Herr  Prof.  Hat- 
field  das  B  e  s  t  e  gewahlt  und  mit  der 
sicheren  Hand  des  erfahrenen  Schul- 
mannes  aneinandergereiht.  Eine 
prachtig  gehaltene  Einleitung  iiber 
Gothe  als  Lyriker  und  die  Romanti- 
sche  Schule,  sowie  eine  Fiille  ausge- 
zeichneter  Erklarungsnoten  geben 
dem  Werke  einen  hohen  Wert  als 
Buch  fiir  Schule  und  Haus.  Ausstat- 
tung  und  Druck  lassen  nichts  zu  wiin- 
schen  iibrig.  B.  A.  A. 

Etymologische  B  e  1  e  h  - 
rungen  im  Seminar  von  D  r. 
Franz  Ziemann,  Seminardirek- 
tor  in  Pr.  Eylau.  Verlag  von  Ferdi- 
nand Hirt,  Breslau. 

Das  ansprechende  Werkchen  ist  da- 
zu  bestimmt,  den  an  Seminarien  ge- 
brauchten  Lehrbiichern  der  deutschen 
Sprache,  insbesondere  der  vortreffli- 
chen  Schulgrammatik  von  Martin  als 
Erganzung  zu  dienen,  indem  sie  den 
etymologischen  Teil  ausfiihrlicher  be- 
handelt.  In  gliicklicher  Weise  hat  der 
Verfasser  seine  Aufgabe  gelost.  Gar 
manches,  was  \vir  zu  verstehen  glaub- 
ten,  oder  woran  wir  achtlos  voriiber- 
zugehen  pflegen,  wird  auf  seinen  Ur- 
sprung  zuriickgefiihrt.  So  wird  im 
ersten  Kapitel,  welches  liber  ,,schein- 
bare  Tiernamen"  handelt,  dargethan, 
dass  die  Maulaffen,  welche  man  zu- 
weilen  feil  halt,  ebenso  wenig  etwas 
mit  dem  Affen  zu  thun  haben,  als  die 
Maulesel  mit  dem  Maule.  Maulaffen 
halten  ist  eben  nur  ein  Ausdruck  fur 
das  miissige  ,,Maul  offen  halten",  dass 
aber  ein  Maulesel  ein  mulus  ist,  weiss 
jeder  Abiturient,  der  zwar  den  Staub 
des  Gymnasiums  bereits  abgeschiit- 
telt,  aber  noch  nicht  die  heilige 
Schwelle  der  alma  mater  iiberschrit- 
ten  hat.  —  Die  Enten,  welche  in  der 
flauen  Saison  umherfiiegen  und  sich 
gewohnlich  in  der  Redaktionsstube 
einer  politischen  Zeitung  niederlassen, 
sind  auch  keine  wirklichen  Enten;  sie 
werden  zuriickgefuhrt  auf  ,,Legen- 
den",  woraus  der  Volksmund  ,,Lugen- 
den",  ,,Liigenten"  und  schliesslich 
,,Enten"  gemacht  hat. 

Andererseits  werden  versteckte 
Tiernamen  wieder  zu  Ehren  gebracht. 
So  sind  die  Schlaraffen  schlarrende 
oder  schlurrende,  d.  h.  laut  schliirfend 
dahingehende  Affen.  '  Die  zeitweilig 
peinliche  Handlung  des  ,,Berappens" 
wird  auf  eine  alte  Miinze  zuriickge- 
fuhrt, welche  das  Bild  eines  Vogels, 
vielleicht  eines  Raben,  trug.  Auch 
dem  botanischen  Gebiet  stattet  der 


Verfasser  einen  kurzen  Besuch  ab  und 
beweist  unter  anderem,  dass  die  Ohr- 
feige  nichts  mit  der  Siissigkeit  einer 
Feige  zu  thun  hat,  sondern  einfach 
,,Ohrstreich"  bedeutet.  Die  Synonyma 
,,Maulschelle",  ,,Backpfeife"  und 
,,Dachtel"  werden  ebenfalls  unter  die 
Lupe  genommen,  und  so  wird  die 
,,Dachtel"  mit  Recht  als  etwas  be- 
zeichnet,  womit  man  jemandem  aufs 
Dach  steigt.  Dem  ,,Hagestolz"  wird 
Gerechtigkeit  angethan;  es  wird  be- 
wiesen,  dass  dieses  vielfach  angefein- 
dete  Wesen  gar  keinen  Stolz  besitzt, 
und  dass  es  sich  nicht  mit  einer  Sta- 
chelhecke  gegen  die  Angriffe  weibli- 
cher  Herzen  schiitzen  will;  es  ist  ein- 
fach der  auf  einem  Hag  d.  h.  kleinem 
Hof  Eingestellte. 

Ein  Kapilel  von  allgemeinem  Inter- 
esse  ist  das  iiber  unsere  Vornamen. 
So  mancher  f  riedfertige  Philister  wird 
mit  Erstaunen  und  Befriedigung  er- 
sehen,  welch  kriegerische  Bedeutung 
sein  Namen  hat.  Die  Namen  unserer 
Wochentage,  Monate  und  Feste  wer- 
den auf  ihren  germanischen  oder  klas- 
sischen  Ursprung  zuriickgefiihrt.  Un- 
erwartete  Ehre  geschieht  unserem 
,,Samstag",  dem  ein  heidnischer  Gott, 
Samo,  zugrunde  liegen  soil. 

Ein  besonderes  Kapitel  widmet  der 
Verfasser  der  Geselligkeit.  Er  schlagt 
vor,  dasselbe  mit  den  Seminaristen  in 
einer  ,,Unterhaltungsstunde"  am 
Sonntag  durchzunehmen.  Was  wiir- 
den  unsere  amerikanischen  Mucker 
und  Wassersimpel  dazu  sagen?  Da 
heisst  es:  Du  magst  deinen  Durst 
(Zustand  des  Diirreseins)  in  massiger 
Weise  loschen.  Das  ist  ein  gern  be- 
folgter  Rat.  Wenn  aber  der  Verfasser 
die  Seminaristen  davor  warnt,  Cham- 
pagner  oder  Sekt  zu  trinken,  so  hat 
er  eine  ausserordentlich  optimistische 
Vorstellung  von  der  Leistungsfahig- 
keit  eines  Seminaristenportemonnaies. 
Enttauschend  muss  es  bei  der  sonst 
erfrischenden  Trinkfrage  \virken,  dass 
die  so  gut  deutsch  klingenden  Worter 
,,Schoppen"  und  ,,Seidel"  beide  klassi- 
schen  Ursprungs  sind;  der  erstere  ist 
namlich  der  griechische  skyphos,  das 
zweite  die  lateinische  situla.  Vor  dem 
Bockbier  warnt  der  Verfasser  (auf 
Grund  eigener  Erfahrung?),  weil  es 
wie  ein  Bock  wirken  konnte,  der  den 
wackeren  Zecher  zu  Boden  wirft.  Die 
in  unseren  Kartenspielen  gebrauchli- 
chen  Ausdriicke  werden  sinnreich  er- 
klart.  Dem  edlen  Skat  wird  gebiih- 
rendes  Lob  gezollt.  Etwas  umstand- 
lich  wird  es  hergeleitet  von  ^carter 
d.  h.  dem  Weglegen  von  Karten.  Das 
Schwein,  oder  kraftiger  gesagt,  die 


Bticherbesprechungen . 


135 


Sau,  welche  mancher  Spieler  zum  Ar- 
ger  seiner  Mitspieler  zuweilen  hat, 
wird  erklart  durch  das  Bild  eines 
Schweines,  welches  auf  den  alteren 
Karten  das  As  bezeichnete.  Der 
Spieler  hat  also  wider  alles  Verdienst 
die  hochste  Karte  und  ,,trumpft"  da- 
mit  die  andern  ab,  d.  h.  er  ,,trium- 
phiert"  fiber  sie. 

Aus  dieser  etwas  ausgeschmiickten 
Bliitenlese  ist  zu  ersehen,  dass  das 
treffliche  Biichlein  neben  einer  Fiille 
des  Wissenswerten  auch  geniigende 
Unterhaltung  bietet,  und  das  ist  in 
unseren  Augen  kein  Fehler.  O.  B. 

Fibel  fur  Schiller  nicht- 
deutscher  Abkunft.  Von 
Bernard  A.  Abrams,  Hiilf  ssu- 
perintendent  der  offentlichen  Schuleu, 
Milwaukee,  Wis.  American  Book  Co. 
New  York.  1901.  Klein  8°.  53  Seiten. 

Dieses  Buch  ist,  wie  sein  Titel  be- 
sagt,  als  Anfangsbuch  fur  Schiller 
nichtdeutscher  Abkunft  bestimmt, 
und  bei  der  Bearbeitung  desselben 
waren  wohl  die  Milwaukeer  Verha.lt- 
nisse  massgebend.  Nach  einem  ein- 
jahrigen  Unterricht  nach  einem  vom 
Schulrat  herausgegebenen  Manual  soil 
die  Fibel  den  Schiilern  in  die  Hand 
gegeben  werden.  Die  Schiller  sind 
schon  im  stande,  kurze  englische 
Satze  zu  lesen.  Der  Leseprozess  ist 
ihnen  somit  nicht  mehr  fremd. 

Darauf  hat  der  Bearbeiter  der  Fibel 
Riicksicht  genommen.  Deshalb  tre- 
ten  gleich  auf  der  ersten  Seite  der 
Fibel  grosse  und  kleine  Druckbuch- 
staben  auf,  aber  nicht  etwa  vereinzelt 
sondern  gleich  in  Wortern.  Da  die 
Schiller  auf  dieser  Stufe  die  ,,lateini- 
Bchen  Buchstaben"  —  Antiqua  —  ken- 
nen,  so  kniipft  diese  Fibel  an  das  B  e- 
k  a  n  n  t  e  an  und  bringt  auf  den  er- 
sten 45  Seiten  nur  Lateindruck. 
Schreibschrift  enthalt  das 
Buch  iiberhaupt  nicht,  weder  deutsche 
noch  lateinische.  Dies  ware  somit  der 
Anfang,  uns  vor  dem  deutschen 
Schreibzopf,  der  Doppelwahrung  in 
unserer  Schrift,  zu  befreien. 

Die  ersten  neun  Seiten  des  Buches 
enthalten  Wortgruppen,  welche  aaeh 
der  Lautahnlichkeit  geordnet  siud. 
Auf  Seite  10  treten  Satze  auf,  und  die 
Satze  sind  nicht  etwa  isoliert,  wie: 
,,Das  Dach  ist  hoch;  die  Dose  ist  neu; 
im  Dome  steht  eine  Orgel",  u,  s.  w. 
sondern  es  besteht  ein  innerer  Zusam- 
menhang:  ,,Alma  und  Olga  sind  in  der 
Schule.  In  der  Schule  sind  viele  Zim- 
mer",  u.  s.  w.  Der  Inhalt  ist  deui 
kindlichen  Auffassungsvermogen  an- 
gepasst;  es  sind  die  Erlebnisse  mehre- 
rer  Knaben  und  Madchen  in  der 


Schule,  wahrend  der  Pause,  am  Mit- 
tagstisch,  bei  der  Feier  des  Geburts- 
tages  und  beim  frohlichen  Spiel.  Dann 
kommen  zwei  Marchen:  Das  Rotkapp- 
chen  und  Dornroschen  in  sehr  eiii- 
facher  Form.  Ferner  ist  eine  Be- 
schreibung  der  Danksagungstagsfeier 
enthalten,  sowie  mehrere  Ratsel,  Lie- 
der  und  Kinderreime.  Auf  Seite  <i6 
treten  die  deutschen  Druckbuchsta- 
ben  auf,  zuerst  neben  den  lateinischen 
und  auf  Seite  53  allein.  Der  Druck 
ist  gross  und  klar;  Buchstabenweite 
und  Zeilenweite  entsprechen  den  An- 
forderungen,  welche  man  an  ein  erstes 
Schulbuch  stellt.  Die  Ausstattuiig 
des  Buches  ist  gut.  Es  enthalt  keiue 
Bilder  und  keine  Vorrede.  J.  E. 

Maria  Stuart,  ein  Trauerspiel 
von  Schiller;  edited  with  German 
Comments,  Notes,  and  Questions  by 
Margarethe  Mueller  und 
Carla  Wenckebach.  Boston, 
Ginn  &  Comp.  The  Athenaeum  Press. 
1900.  XXX+262p. 

Obgleich  schon  mehrere  gute  Bear- 
beitungen  von  Schillers  Maria  Stuart 
erschienen  sind,  wie  die  ganz  neue 
Schonfeldsche  Ausgabe,  (The  Macrnil- 
lan  Comp.  1899),  darf  doch  auch  die- 
ses vorliegende  Buch  Anspruch  erhe- 
ben  auf  eingehendere  Priifung.  Als 
grosse  Neuerung  finden  wir  zunachst 
die  historische  und  litteraturge- 
schichtliche  Einleitung  in  deutscher 
Sprache  geschrieben,  leicht  genug, 
um  dem  einigermassen  fortgeschrit- 
tenen  Schiller  verstandlich  zu  seiu, 
und  an  sich  wertvolles  Material  zum 
Lesen  und  Sprechen  bildend.  Die 
Anmerkungen  am  Ende  sind  knapp, 
klar,  und  doch  geniigend,  um  ein 
Kommentar  zu  geben  zu  dunklen  Stel- 
len  im  Text.  Die  entwickelnden  Fra- 
gen  diirften  manchemLehrer  willkom- 
men  sein,  da  sie  niitzliche  Winke  ent- 
halten zur  zweckmassigsten  Behand- 
lung  und  Ausnutzung  des  Gelesenen. 
Maria  Stuart  kann  von  nun  an  mehr 
zur  Schullektiire  benutzt  werden,  da 
so  gute  Ausgaben  wie  die  von  Schon- 
feld  und  diese  von  Miiller-Wencke- 
bach  dem  Lehrer  zu  Gebote  stehen. 

Kriegund  Frieden.  Erzah- 
lungen  von  Emil  Frommel,  ,,Villa- 
maria"  und  Hans  Hoffmann.  For  use 
in  School  and  College;  selected  and 
edited  with  introduction  and  notes  by 
Dr.  Wilhelm  Bernhardt. 
Boston.  Ginn  &  Comp.  The  Athe- 
naeum Press.  1900,  VHI+120  p. 

Der  Herausgeber  dieses  Biichleins 
hat  einen  guten  Griff  gethan  in  der 
Auswahl  der  drei  kleineren  Erzahlun- 


136 


P'ddagogische  Monatshefte. 


gen,  welche  dieser  Band  enthalt.  Mut- 
terliebe,  von  Emil  Frommel;  der  Sohri 
der  Pussta,  von  ,,Villamaria",  (Frau 
Marie  Timme),  und  Publius,  von  Hans 
Hoffmann.  Der  erste  dieser  drei  Ver- 
fasser  bedarf  als  Geschichtenerzahler 
keiner  Einfiihrung  mehr  bei  uns, 
wahrend  die  beiden  Letzteren  uns 
noch  nicht  bekannt  waren.  Die  Er- 
zahlungen  sind  ganz  verschieden  un- 
ter  einander  und  durften  sich  fiir 
Knaben-  oder  Madchenklassen  gleich 
fesselnd  und  anregend  erweisen.  Die 
ausgiebigen  Anmerkungen  werden 
sehr  gewiss  viel  zum  Verstandnis 
des  lokalen  oder  historischen  Hinter- 
grundes  und  anderer  Eigentumlich- 
keiten  im  deutschenVolks-  oder  Klein- 
stadtleben  beitragen. 

German  Excercises.  Mater- 
ial to  translate  into  German.  Book  II, 
by  J.  Frederick  Stein.  Boston.  Ginn 
&  Comp.  The  Athenaeum  Press.  1900. 
VI-fll4p. 

Vielen  Lehrern,  welche  Steins  Ger- 
man Excercises,  Band  I  benutzen, 
wird  auch  dieser  zweite  Teil  willkom- 
men  sein.  Es  ist  noch  eine  Menge 
neuer  Lesestiicke,  Briefe  und  Ahn- 
liches  geboten  zum  tibersetzen  ins 
Deutsche.  Einleitung  und  Anhang 
enthalten  gute  Kegeln  und  Vbungen 
fiir  besondere  grammatische  Schwie- 
rigkeiten.  Das  ausgezeichnete  kleine 
Buch  eignet  sich  fiir  jiingere  Klassen 
als  das  von  Fraulein  Wenckebach. 

A  German  Reader  with  Notes 
and  Vocabulary  by  Howard  Par- 
ker Jones,  Ph.  D.  New  York. 
D.  Appleton  &  Co.  1901.  XI+312p. 
(Twentieth  Century  Text  Books.) 

Der  Mangel  guter  deutscher  Lese- 
biicher,  auch  fiir  altere  Schuler  pas- 
send,  war  langst  sehr  fiihlbar  gewor- 
den.  Dieses  Lesebuch  bietet  eine  au- 
regende  Sammlung  guter  Lesestiicke 
in  Poesie  und  Prosa,  vom  Leichtesten 
zu  Schwerem  fortschreitend.  Fiir 


grossere  Schulklassen,  wo  die  An- 
schaffung  vieler  verschiedener  Biicher 
schwierig,  wird  sich  dieses  Lesebuch 
besonders  eignen,  da  es  in  dem  einen 
Bande  fast  Stoff  genug  enthalt  fiir 
einen  zweijahrigen  Kursus,  auch  ist 
das  Worterbuch  ausgiebig  genug,  um 
die  Anschaffung  eines  grosseren  un- 
notig  zu  machen.  Ausstattung  des 
Buches  mit  Druck,  Papier  und  Ein- 
band  ist  hubsch  und  dauerhaft.  Es  ist 
schade,  dass  der  erste  Teil  des  Buches 
so  mit  Zahlen  im  Text  und  Anmer- 
kungen am  Fusse  jeder  Seite  iiber- 
hauft  ist.  Es  durften  sich  Auswegc 
finden  lassen,  um  diese  storenden  und 
dem  Schuler  die  Arbeit  ungebiihrlich 
erleichternden  ,,Eselsbriicken"  zu  ver- 
meidetu 

Twenty  Questions  an  d  A  n- 
s  w  e  r  s.  Kurzgefasste  Konversations- 
Grammatik  der  deutschen  Sprache 
von  Hedw^ig  Neuhaus.  Selbst- 
verlag.  28  p. 

Ahnlich  wie  die  langst  bekannten 
,,Tabellen"  von  A.  A.  Fischer,  bietet 
dieses  Buchlein  in  kiirzester  Form  die 
fiir  die  Repetition  oder  das  Examen 
notwendigsten  Tabellen  fiir  Konjuga- 
tion,  Deklination,  Plurale  etc.  und 
wird  Lehrern  und  Schulern  von  glei- 
chem  Nutzen  sein.  C.  Cirosse. 

Die  Oktobe  r-N  ummer  der 
Pestalozz  i-S  t  u  d  i  e  n  (Liegnitz 
bei  Carl  Seyffarth)  bringt  einen  Be- 
richt  des  Rektors  Rendschmidt  iiber 
das  padagogische  Leben  in  Yverdon, 
der  manche  neue  Seite  klar  legt,  fer- 
ner  ein  sehr  anerkennendes  Wort  von 
E.  M.  Arndt  iiber  Pestalozzi,  eine  bio- 
graphische  Skizze  des  Direktors 
des  Joachimsthalschen  Gymnasiums 
Snethlage  in  Berlin,  des  Hauptgeg- 
ners  Pestalozzis,  dessen  Ideal  aller- 
dings  —  was  in  unserer  Zeit  besonders 
interessant  ist  —  die  chinesische 
Staatsverfassung  ist  —  und  einige  we- 
nig  bekannte  Ausspriiche  Pestalozzis. 


Eingesandte  Biicher. 


Das  Lied  von  der  Glocke 
(Schiller).  With  Introduction, 
Notes,  and  Vocabulary  by  W.  A. 
Chamberlin,  Assistant  Profes- 
sor of  Modern  Languages,  Denison 
University.  Boston,  D.  C.  Heath  & 
Co.  1900.  Price  20  cts. 


Freundliche  Stimmen  an 
Kinderherzen.  Herausgegeben 
unter  Mitwirkung  einer  Kommission 
des  Schweiz.  Lehrervereins.  Verlag: 
Art.  Institut  Orell  Fussli,  Zurich. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  Marz   1901.  Heft  4 

Durch  die  Feuersbrunst,  welche  in  der  Nacht  vom  18.  zum 
19.  Februar  in  unserm  Gebaude  wutete  und  die  Setzerabtei- 
lung,  sowie  einen  Teil  der  Bureau-  und  Geschaftsraume  zer- 
storte,  wurden  auch  die  Padagogischen  Alonatshefte  in 
Mitleidenschaft  gezogen.  Wir  bitten  darum  unsere  Leser, 
freundlichst  zu  entschuldigen,  dass  das  Erscheinen  dieses 
Heftes  sich  um  einige  Tage  verzogerte. 

Leider  ist  auch  der  Vorrat  an  bisher  erschienenen  Heften 
so  beschadigt  worden,  dass  es  uns  nicht  mehr  moglich  sein 
wird,  neuen  Abonnenten  diese  Hefte  nachzuliefern,  und  wir 
bitten  sie  darum,  freundlichst  davon  abstehen  zu  wollen. 

Die  V er lags handlung. 


Uber  Ziele  und  Lehrmittel  des  deutschen  Unterrichts 
an  Sekundarschulen  und  Gymnasien. 

Vortrag,  gehalten  vor  dem  30.  Deutschatnerikanischen  Lehrertage  zu 
Philadelphia,  Pa. 


Von  Sans  Froltcher,  The  Woman's  College,  Baltimore,  Md. 


Wahrend  des  vergangenen  Jahrzehnts  haben  die  Lehrer  der  neuern 
Sprachen  Gelegenheit  gehabt,  im  Unterrichtsverfahren  und  in  den  Lehr- 
mitteln  grosse  Umwalzungen  und  Neuerungen  zu  beobachten,  priifen  und 
fordern.  Vielen  ward  auch  Gelegenheit,  dieErgebnisse  dieser  Neu- 
erungen zu  priifen.  Es  muss  zugestanden  werden,  dass  Sonnenschein 
und  frische  Luft  viele  Dumpfheit  aus  der  alten  Schulstube  vertrieben 
haben.  Der  frische  Windzug  hat  aber  nicht  nur  reinigend  gewirkt.  Er 
hat  die  Vergangenheit  sozusagen  mit  Stumpf  und  Stiel  wegblasen  wollen. 
Mit  andern  Worten:  Im  Sprachunterricht  ist  an  Stelle  eines  reaktionaren 
Konservatism.us  in  Lehrmitteln  undLehrmethoden,  an  Stelle  einer  allein- 
seligmachenden  Whitneygrammatik  unter  fortschrittlichen  Einflussen  eine 
etwas  chaotische  Menge  von  Methoden  getreten,  an  Stelle  der  Lesebii- 
cher  und  purifizierten  Klassikerausgaben  eine  unabsehbare  Menge  von 
Textbuchern,  inhaltlich  vom  Wertvollsten  bis  zum  Wertlosesten  abfal- 
lend.  in  Riicksicht  auf  den  Kommentar  vom  goldenen  Mittelwege  in  das 
Zuviel  oder  Zuwenig  sich  verirrend.  Kaum  hat  ein  junger  Mann  seine 
Doktorsporen  verdient,  wird  er,  obwohl  vielleicht  unerfahren,  Verfasser 
von  Lehrbiichern,  Herausgeber  von  Texten,  und  zwar  oft  nicht,  weil  ihn 
der  Geist  dazu  treiBt,  sondern  irgend  eine  grosse  Verlagshandlung.  Die 
Ergebnisse  solcher  Zustande  sind  nicht  gerade  befriedigend,  wie  jeder 
erzahlen  kann,  der  als  Examinator  die  Vorkenntnisse  der  neueintretenden 
Schiiler  zu  priifen  hat  in  Sekundarschule,  Gymnasium  oder  Untergym- 
nasium. 

Auf  dem  Gebiete  des  Unterrichts  wie  auf  dem  der  Moral  darf  man 
sagen :  wo  viel  Freiheit,  ist  viel  Irrtum,  doch  ist  hinwiederum  auch  wahr, 
dass  die  Freiheit  allein  das  Genie  hervorbringt.  In  der  guten  alten  Zeit 
wusste  man  gut,  was  man  wusste.  Ich  kenne  etliche  alte  Herren,  die 
heute  noch  schone  Stellen  aus  unsern  deutschen  Klassikern  herzusagen 
wissen,  und  zwar  mit  jenem  schonen  Leuchten  in  den  Augen,  welches 
besagt:  ,Ja,  das  waren  schone  Stunden  vor  dreissig,  vierzig  Jahren,  als 
wir  auch  noch  an  dem  Quell  trinken  durften."  —  Und  doch  wurde  der 
Unterricht  damals  mit  pedantischer  Genauigkeit  getrieben.  Genauigkeit 
war  seine  Seele;  und  sein  Ziel:  Bildung  des  Verstandes  und  Geschmackes, 
wie  denn  a  1 1  g  e  m  e  i  n  e  Bildung  ein  Hauptziel  des  Unterrichts  bildete. 
Davon  sind  wir  Neuern  abgekommen.  Diejenigen,  welche  an  Gymna- 
sien Eintrittsprufungen  zu  iiberwachen  haben,  machen  trube  Erfahrun- 
gen.  Bei  einer  grossen  Anzahl  Examinanden  zeigt  sich  grosse  Unkennt- 
nis  der  einfachsten  Thatsachen,  eine  Neigung  zur  Fluchtigkeit  und  Ober- 
flachlichkeit,  welche  fast  entmutigt.  Die  Schiiler  schieben  zuweilen  die 


Deutscber  Unlerricbt  an  Sekundarschulen  und  Gymnasien.          139 

Schuld  den  Schulen  zu.  Die  Gymnasien  haben  in  ihren  Anforderungen 
an  neueintretende  Schuler  den  Standpunkt  des  Forderns  langst  aufgege- 
ben  und  bequemen  sich  zu  den  weitgehendsten  Zugestandnissen.  Unter 
dem  Drucke  der  Verhaltnisse  ist  Mahomet  zu  dem  Berg  gegangen,  da 
der  Berg  sich  nicht  regte.  Ware  nur  das  Wenige,  das  wir  noch  erwarten 
diirfen,  auch  gut,  gediegen.  Die  Gymnasien  haben  fur  die  Unterschu- 
len  schon  soviel  gethan,  dass  ihnen  ,,zu  thun  fast  nichts  mehr  ubrig 
bleibt".  Ein  deutschamerikanischer  nationaler  Lehrerverein  soil  sich  des- 
halb  als  Ganzes  die  Ziele  des  deutschen  Unterrichts  vors  Gemut  fiihren, 
und  als  ein  einflussreiches  Ganzes  in  geschlossenen  Reihen  Forderungen 
geltend  machen. 

Das  Hauptziel  alles  Unterrichts  ist  Bildung  des  Charakters  durch 
Bildung  des  Geistes  und  Gemiites,  in  der  Folge  dann  allgemeine  Bildung. 
Aus  der  Bildung  des  Einzelnen  entspringen  seine  Tugenden,  die  Tugen- 
den  seiner  nachsten  Mitlebenden,  der  Nation  und  der  Menschheit.  Aus 
ihr  endlich  das  Gottliche.  Diesen  Zielen  soil  und  kann  vor  alien  der 
deutsche  Unterricht  nachstreben.  Wenn  in  einer  der  letzten  Nummern 
des  "Atlantic  Monthly"  ein  Fachgenosse  das  Deutsche  in  der  modernen 
Schule  an  Stelle  des  Griechischen  setzten  mochte,  leitete  ihn  der  Gedanke, 
dass  das  Deutsche  heidnische  und  christliche  Kultur  in  Kunst,  Litteratur, 
Religion,  Philosophic,  in  Sprache  und  Denkart  auf  das  vollkommenste 
verschmolzen  habe,  und  dass  vor  allem  das  sittliche  Ideal  der  Neuzeit 
in  der  deutschen  Kultur  entwickelt  sei.  Die  Bildung  und  Erhaltung 
dieses  Ideals,  welches  sich  gleichmassig  auf  die  Ausbildung  des  Geistes 
und  Gemiites  griindet,  muss  das  Lehrideal  des  Lehrers  sein.  Es  kann 
es  sein,  nidht  nur,  wenn  er  Faust  interpretiert,  sondern  auch,  wenn  er  die 
Anfangsgriinde  der  Grammatik  lehrt.  Nimmer  aber  kann  der  deutsche 
Unterricht  an  den  Volksschulen  bloss  die  Aufgabe  haben,  Philologen  her- 
anzubilden,  Konversation  zu  lehren,  oder  im  Leben  einer  geeinigten  Na- 
tion ein  abgesondertes  Deutschtum  zu  erhalten.  Das  Deutsche  und  der 
Deutschamerikaner  mussen  naturgemass  im  Englischen  aufgehen,  nicht 
aber  der  deutsche  Sinn  fur  Fortschritt,  Wissenschaft  und  Idealismus. 
Mit  Stolz  blicken  die  Deutschen  auf  den  Deutschamerikaner  Karl  Schurz, 
welcher  das  reinste  Englisch  spricht  und  schreibt,  dessen  Herz  aber  immer 
noch  die  Ideale  seiner  Heimat  pflegt.  Solches  Deutschtum  sollen  wir 
mit  Macht  in  unsern  Schulen  fortpflanzen  durch  Vertiefung  in  das  Stu- 
dium  der  deutschen  Geschichte  und  Litteratur,  Philosophic  und  Sprache. 
In  der  Schule  geschieht  dies  in  drei  Stufen: 

1.  Die  Volksschule  als  Primarschule; 

2.  das  Gymnasium  als:  a)  Progymnasium  oder  Sekundarschule, 

b)  Gymnasium; 

3.  die  Universitat  (Hochschule*). 

*)  High  School  mit  Hochschnle  zu  iibersetzen,  ist  fehlerhaft,  trotzdem  diese  Ubersetzong 
insbesondere  von  Lehrern  (!)  angewendet  wlrd.  [Wir  konnen  dem  Verfasser  hierin  tmr  teil- 
weise  beipflichten.  Wenn  sich  atich  die  Begriffe  fur  ,,High  School"  tmd  ,,Hochschnle"  (im 


140  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Sekundarschule  und  "Preparatory  School  s". 

Von  der  Primarschule  spreche  ich  nicht.  In  der  Sekundarschule 
(High  School,  Preparatory  School,  Latin  School)  haben  wir  mit  Thatsa- 
chen,  nicht  mit  Theorien  zu  thun.  Dieselben  lehren  gewohnlich  eine  bis 
drei  Sprachen  (Latein,  Deutsch  und  Franzosisch).  Viele  Zeit  und  Ar- 
beitskraft  wird  hier  verzettelt  durch  einen  verwasserten  Unterricht  von 
zwei  bis  drei  Stunden  die  Woche  wahrend  drei  bis  fiinf  Jahren.  In  ein- 
zelnen  Anstalten  beginnt  man  wohl  auch  zwei  Sprachen,  eine  moderne 
und  eine  alte,  zu  gleicher  Zeit.  Im  ganzen  fallen  fur  das  Deutsche  wah- 
rend der  vier  Jahre  8 — 12  Stunden  ab.  Zehn  Stunden  auf  4  Jahre  ver- 
teilt,  gewahren  nur  eine  schwache  Losung  des  Besten.  Ich  habe  selbst 
in  meiner  Erfahrung  solche  Experimente  gemacht  und  bin  zu  dem 
Schlusse  gelangt,  dass  man  am  besten  nur  eine  Sprache  auf  einmal  be- 
ginnen  solle,  und  dass  ein  fahiger  Lehrer,  welcher  eine  Klasse  2  Jahre 
hindurch  4  oder  5  Stunden  unterrichtet,  weit  mehr  erreicht,  als  wenn  er 
die  gleiche  Stundenzahl  auf  mehrere  Jahre  verteilen  muss.  Hierin  stehen 
die  staatlichen  Schulen  vielfach  hinter  den  Privatschulen  zuruck,  nahern 
sich  aber  der  Norm  der  politisch  nicht  beeinflussten  Schulen  immer  mehr. 
Diese  Norm  hat  in  den  vom  "Board  of  Examiners  for  the  Middle  States 
and  Maryland"  aufgestellten  Eintrittsbedingungen  ihren  Ausdruck  gefun- 
den.  Viele  Schulen,  auch  Sekundarschulen,  haben  sich  dieser  Bewegung 
angeschlossen,  da  dieser  "Board"  den  Zustanden  derselben  im  weitesten 
Sinne  Rechnung  getragen  hat.  Damit  nahern  wir  uns  einer  einheitlichen 
Form  der  Eintrittsbedingungen.  Die  Sekundarschule  und  auch  das  Pro- 
gymnasium  sollen  in  erster  Linie  den  Bediirfnissen  des  Vol- 
k  e  s  dienen,  d.  h.  durch  Einfuhrung  in  die  Naturwissenschaften,  Ge- 
schichte,  Litteratur  und  einzelne  rein  praktische  Lehrgegenstande  auf  dem 
Unterbau  der  Primarschule  weiterbauen.  Denn  es  soil  ein  vorlaufiger, 
fur  viele  aber  ein  endgiiltigerAbschluss  der  Schulerziehung  geboten  wer- 
den.  Erst  an  zweiter  Stelle  dienen  dann  die  Sekundarschulen  und  Pro- 
gymnasien  als  Vorbereitungsschulen  zum  Gymnasium. 

Dem  deutschen  Unterricht  insbesondere  fallt  auf  dieser  Stufe  die 
Aufgabe  zu,  dem  Schiiler  eine  genaue  Kenntnis  der  Hauptregeln  der 
Grammatik,  Reinheit  und  Leichtigkeit  der  Aussprache,  Fertigkeit  im 
Ubersetzen  einfacher,  deutscher  Lesestiicke  beizubringen.  Dies  kann  nur 
an  der  Hand  der  besten  Lehrmittel,  unter  Leitung  eines  zuverlassigen 
Lehrers  geschehen. 

deutschen  Sinne)  nicht  decken,  so  thun  dies  ebenso  wenig  die  Begriffe  ,,High  School"  und 
..Gymnasium".  Wollen  wir  ersteren  ersch5pfend  durch  im  Deutschen  gebrauchliche  Bezeich- 
nungen  wiedergeben,  miissten  wir  zum  wenigsten  noch  Realgymnasium.  Realschule  und 
Gewerbeschule  beifugen;  ganz  abgesehen  davon  decken  sich  ..High  School"  und  Progymna- 
sium  beziehungsweise  Gymnasium  schon  des  bei  letzterem  hoheren,  bei  ersterem  niederen 
Lehrzieles  wegen  nicht.  Der  Amerikaner  verbindet  mit  dem  Worte  ..Hochschule"  naturge- 
mass  den  Begriff  von  ,,High  School,"  da  ihm  die  deutsche  Bedeutung  des  Wortes  fremd  ist. 
D.  R.] 


Deutscber  Unterricbt  an  Sekundarscbulen  und  Gymnasien.         141 

a)  Die  Lehrmittel  sollten  nach  dem  Grundsatze,  dass  fur  die  Jugend 
nur  das  Beste  gut  genug  ist,  gewahlt  werden.     Diese  Lehrmittel  sollten 
der  geistigen  Entwicklungsstufe  der  Lernenden  angepasst  sein,  im  gram- 
matischen  Unterricht  sowohl  wie  in  den  Lesestiicken.     Wie  steht  es  nun 
damit?  Auf  dem  Anmeldebogen  der  Examinanden  findet  sich  eine  stau- 
nenswerte  Mischung  des  Wertvollen  und  des  Wertlosen,  des  Veralteten 
und  des  Ultrafortschrittlichen,   von  Ahns    Grammatik  bis  zu  derjenigen 
von  Calvin  Thomas,  von  Grimms  ,,Marchen"  bis  zu  Goethes  ,,G6tz  von 
Berlichingen",    von    ,,Nicotiana"  bis  zur    ,,Versunkenen  Glocke".      Die 
Pruning  selbst  fordert  haufig  mangelhafte  Kenntnisse  zu  tage:  schlechte 
Aussprache,    geringe  Wortkenntnis,    Unkenntnis  der    Formenlehre  und 
Syntax. 

Ich  kenne  zweierlei  Grammatiken:  solche,  die  der  Lehrer  fur  sich 
selbst  schreibt,  andere,  die  dem  allgemeinen  Bedurmisse  dienen.  Die 
ersteren  griinden  sich  auf  individuelle  Methoden  und  konnen  auch  nur 
von  einzelnen  nutzbrigend  angewandt  werden,  besonders  die  nach  neuern 
(,,natiirlichen")  Methoden  geschaffenen  Lehrbiicher  (Sauveur,  Gouin). 
Diese  setzen  eine  bei  verhaltnismassig  wenigen  vorhandene  praktische 
Sprachkenntnis  voraus.  Die  andern  sind  das  Ergebnis  einer  Fiille  von 
Beofoachtungen,  nicht  eines  Einzelnen,  sondern  vieler.  Ein  Beispiel  die- 
ser  Art  bleibt  die  Whitney-Grammatik.  Im  Kampfe  der  letzten  i5  Jahre 
stand  sie  als  Typus  des  Konservatismus  auf  der  aussersten  Rechten,  Sau- 
veurs  Lehrbiicher  und  ahnliche  auf  der  aussersten  Linken,  auf  der  einen 
Seite  Gelehrsamkeit,  Wissenschaftlichkeit,  Vollstandigkeit,  auf  der  andern 
Le  hrgenies  ersten  Ranges,  die  ihren  Erfolg  der  Methode  mehr  als 
sich  selbst  zuschrieben.  Ich  glaube,  dass  es  sich  mit  den  Methoden  ahn- 
lich  verhalt  wie  mit  den  Ringen  in  Lessings  Nathan :  wer  fest  glaubt,  dass 
er  den  rechten  besitzt  und  in  diesem  Glauben  handelt,  wird  Erfolg  haben 
und  den  rechten  besitzen.  Inzwischen  haben  die  Gegensatze  sich  zum 
Teil  ausgeglichen.  In  Lehrbuchern  wie  Thomas'  "Practical  Gram- 
marist"  wird  alien  Bedurfnissen  in  schonster  Weise  Rechnung  getragen, 
insbesondere  den  Anforderungen  der  Konversation,  in  beschranktem 
Sinne,  an  freie  und  idiomatische  Ubersetzung  u.  s.  w.  Man  fiige  ent- 
sprechende  zusammenhangende  Ubersetzungsstikke  und  Leseiibungen 
hinzu,  und  es  wird  wenig  zu  wiinschen  iibrig  bleiben. 

Meiner  Ansicht  nach  soil  die  Grammatik  nicht  in  erster  Linie  als 
Textbuch  und  zum  buchstablichen  Auswendiglernen  dienen.  Man  leite 
die  Schiiler  zur  Selbstbeobachtung  an,  man  verweise  sie  dann  auf  die 
Grammatik  als  Nachschlagebuch,  worin  Selbstbeobachtetes  systematische 
Darstellung  findet  und  dunkle  Punkte  ihre  Erklarung  finden. 

b)  In  der  Auswahl  des  Lesestoffes,  der  Texte  sollte  nur  das  Beste, 
welches  die  Litteratur  bietet,  beriicksichtigt  werden.      In  einem  Schul- 
plan  sollte  kein  Buch  Aufnahme  finden  bloss  weil  es  ,,mit  in  den  Zusam- 
menhang  einer  Litteraturepoche  gehort",  oder  besonders  leicht  oder  an- 


142  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

ziehend  ist.  Ein  zusammenhangendes  Studium  fremder  Litteraturen 
steht  auf  dieser  Stufe  ausser  Frage.  Inbezug  auf  den  zweiten  Punkt  aber 
sollten  die  Gymnasien  die  Quantitatsbestimmungdes  von  den 
Unterschulen  zu  bewaltigenden  Lesestoffes  (z.  B.  300,  400,  500  Seiten 
12°)  fallen  lassen,  damit  die  Unterschulen  nicht  den  Gehalt  der  Menge 
opfern  miissen.  Man  wahle  also  die  der  Form  und  dem  Inhalte  nach 
beste  Prosa,  welche  zugleich  einen  reichen  Wortschatz  gewahrt:  erzah- 
lende,  beschreibende,  geschichtliche.  Nicht  aber  Sachen  wie  —  doch 
nomina  sunt  odiosa.  Bei  der  karg  zugemessenen  Zek,  der  Uberfiillung 
des  Lehrplans  ist  das  Lesen  jener  Trivialitaten  Zeitverlust  und  Siinde. 
Heyse,  Wildenbruch,  Storm  sind  Meister  der  kurzen  Erzahlung.  Von 
da  zu  den  Klassikern  ist  kein  grosser  Schritt.  Genauigkeit  ohne  Pedan- 
terie,  idiomatische  Ubersetzung,  zuweilen  auch  Lesen  ohne  Ubersetzung 
machen  die  Arbeit  nutzbringend.  Dann  aber  lasse  man  die  Schiiler  ins- 
besondere  deutsche  Gedichte  (z.  B.  Balladen)  auswendig  lernen  und 
vortragen,  und  deutsche  Liedersingen.  Was  die  deutsche  Lit- 
teratur  vor  alien  andern  auszeichnet,  ist  und  war  das  ,,liet",  das  Volks- 
lied,  der  sinnigste,  unmittelbarste,  melodischeste  Ausdruck  der  Volksseele. 

Die  Krone  des  Werkes  sei  etwas  Klassisches,  etwa  Schillers  ,Jung- 
frau  von  Orleans"  oder  ,,Tell",  Goethes  ,,Hermann  und  Dorothea". 
Durch  das  Lesen  eines  soldi  en  Werkes  eroffnet  sich  dem  Geiste  des  Schii- 
lers  eine  neue  Bahn,  der  Seele  eine  neue  Welt,  das  Reich  des  Idealen. 
Diejenigen,  fur  die  der  Schluss  der  Sekundarschule  den  Abschluss  ihrer 
Schulzeit  iiberhaupt  bedeutet,  bei  denen  der  Kampf  um  das  materielle 
Dasein  beginnen  soil,  bediirfen  ganz  besonders  eines  Zuges  ins  Ideale. 
Was  dabei  asthetisches  verloren  gehen  mag,  wird  reic'hlich  anderswie 
eingebracht. 

c)  Das  Bediirfnis  nach  hoherer  Bildung  hat  das  Gymnasium  ("Col- 
lege") geschaffen.Ihm  ist  die  Erhaltung  und  Verbreitung  der  Bildungs- 
elemente  anvertraut.  Die  Gymnasialbildung  soil  den  Gesichtspunkt  des 
Schiilers  erweitern,  den  Geist  scharfen,  das  sittliche  Bewusstsein  wecken, 
starken  und  erhalten.  Die  auf  der  Unterstufe  angewandten  Methoden 
erfahren  eine  bedeutende  Umwandlung.  Die  ganze  Atmosphare  sozu- 
sagen  ist  von  derjenigen  des  Untergymnasiums,  der  Sekundarschule  ver- 
schieden.  Der  Schiiler  tritt  mit  neuen  Lehrern,  neuen  Lehrmitteln  und 
Methoden  in  Beziehung.  Die  vielen  Lehrgegenstande  der  Unterschule 
werden  auf  wenige  beschrankt,  einige  sind  seiner  eigenen  freien  Wahl 
iiberlassen.  An  Stelle  des  vielstiindigen  Schultages  tritt  eine  Durch- 
schnittszahl  von  etwa  fiinfzehn  Stunden  die  Woche.  Der  Unterricht  ver- 
liert  den  Charakter  der  Allseitigkeit  und  wird  oft  einseitig.  Hier  gilt  es 
mehr  als  je,  unerschlafft  im  kleinsten  Punkt  die  grosste  Kraft  zu  sam- 
meln.  Hier  kommen  die  neudeutschen  und  mittelhochdeutschen  Klassi- 
ker  vollig  zur  Geltung,  nicht  als  philologisches  Material,  sondern  als  Lit- 
teratur,  als  Kunsterzeugnis.  Eine  Ubersicht  der  ganzen  Litteratur,  be- 


Deut sober  Unterricht  an  Sekundarschulen  und  Gymnasien.        143 

senders  derjenigen  des  16.  bis  i9.  Jahrhunderts  ist  wiinschenswert,  aber 
ungleich  weniger  wichtig  als  eine  gute  Kenntnis  der  Dichterwerke  selbst. 
Vortrage  haben  im  fremdsprachlichen  Unterricht  sehr  problematischen 
Wert.  In  beschrankter  Weise  sind  sie  wiinschenswert  und  notwendig,  als 
ausschliessliche  Methode  aber  haben  sie  im  Schulplan  des  Gymnasiums, 
meiner  Ansicht  nach,  keine  Rechtsexistenz.  Die  deutsche  Sprache  sollte, 
wo  immer  moglich,  als  Unterrichtssprache  benutzt  werden,  d.  h.  vom  Leh- 
rer,  aber  auch  von  ihm  nicht  rigoros,  nicht  auf  Kosten  klaren  Verstand- 
nisses  wichtiger  Fragen.  Der  Unterrichtsstoff  greift  besonders  die  Lit- 
teratur  des  18.  und  i9.  Jahrhunderts  in  sich.  Das  i9.  Jahrhundert  sollte 
jedenfalls  fast  ausschliesslich  in  seinen  Dramen  und  in  seiner  Lyrik  zur 
Geltung  kommen.  Ein  Uberblick  iiber  die  Prosa  des  i9.  Jahrhunderts 
wahrend  eines  Kursus  am  Gymnasium  scheint  unmoglich.  Man  opfere 
den  Inhalt  nicht  der  Menge  und  lasse  sich  durch  das  Beispiel  der  romani- 
schen  Sprachen  nicht  verfiihren.  Man  lese  lieber  weniger,  das  Wenige 
gan  z,  und  das  Ganze  tiichtig.  Hier  eine  Nebenbemerkung:  Ich  bin  ein 
Feind  der  editiones  usum  Delphini,  der  abgekurzten  Ausgaben.  Ware 
der  Lehrer  auch  geneigt,  sich  vorschreiben  zu  lassen,  was  er  lesen  solle 
und  was  nicht,  so  kommen  dariiber  hinaus  noch  praktische,  sittliche  und 
asthetische  Griinde  in  betracht.  Man  nehme  irgend  einen  abgekurzten 
Roman  und  prufe,  ob  der  Herausgefoer  nicht  die  dichterische  Form,  die 
Kunstform.  dem  Stofflichen  aufgeopfert  hat !  Davon  kenne  ich  auch  nicht 
eine  einzige  Ausnahme.  Darum  schon  sage  ich:  man  lese  das  Ganze,  und 
wenn  das  Ganze  des  Umfanges  wegen  in  den  Rahmen  der  Scfiule  nicht 
passt,  so  lese  man  etwas  anderes.  Man  denke  sich  die  grausame  Pro- 
crustesarbeit,  vermittelst  welcher  Freytags  ,,Soll  und  Haben"  auf  ein 
paar  Seiten  Duodez  zusammengehackt  worden  ist.  In  der  Kunst  wiirde 

man  das  Erzeugnis    eines    solchen  Vorgehens  ,,Karrikatur"  nennen.  

Selbst  dem  guten  Trompeter  ist  jiingst  in  einer  Ausgabe  ein  pHilosophisch- 
misanthropisches  Zopflein  abgeschnitten  worden,  und  stand  ihm  doch  so 
iibel  nicht!  — 

Noch  ein  zweiter  Punkt.  Die  Werke  unserer  Klassiker  bediirfen 
fast  immer  einer  litterarisch-kritischen  Einleitung  und  oft  auch  Erlaute- 
rungen. Niemand  wird  viel  gegen  eine  sachliche  Einleitung  und  solche 
Erlauterungen  haben,  deren  Notwendigkeit  man  einsehen  kann.  Wer 
sich  derselben  nicht  bedienen  mag,  wird  diese  Ausgaben  doch  immerhin 
den  Schiilern  empfehlen  konnen,  obschon  solche  Ausgaben  betrachtlich 
im  Preise  hoher  zu  stehen  kommen.  Aber  ich  furchte:  wir  ,,geben  zu 
viel  heraus".  J  e  d  e  m  Text,  selbst  dem  einfachsten,  leichtesten  hangt 
der  Herausgeber  unzahlige  Erlauterungen  an,  oft  sogar  Worterbucher 
Diese  Erlauterungen  zahlen  zuweilen  das  Vierfache  der  Seitenzahl  des 
Textes.  Wohin  soil, das  fiihren?  Dahin,  dass  gute  tiichtige  Hausarbeit 
durch  fluchtiges  Nachschlagen  in  der  Lehrstunde  verdrangt  wird;  dahin, 
dass  den  Schiilern  die  Speise  sozusagen  vorgekaut  wird!  Immer  seltener 


144  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

erblickt  man  gute  Worterbiicher  selbst  in  den  Handen  vorgeschrittener 
Schiiler;  Worterbiicher,  in  welchen  sie  nachzuschlagen  gezwungen  waren, 
wobei  sich  Verstand  und  Urteil  in  nicht  geringem  Masse  ausbilden.  Das 
Ubersetzen  wird  rein  mechanisch,  da  dem  Schuler  durch  die  Erlauterun- 
gen  fast  alle  Gedankenarbeit  erspart  wird.  Diese  Art  Textappendicitis 
wiitet  sehr  schlimm,  sie  ist  epidemisch  geworden. 

Um  nun  auf  unsern  Gegenstand  zuruckzukommen,  mochte  ich  soge- 
nannte  Philologie  von  den  Lehrplanen  der  Gymnasien  ausgeschlossen 
sehen.  Philologie  bedeutet  Sprachwissenschaft  im  Sinne  unabhangiger 
Sprachforschung,  unter  Zuhilfenahme  solcher  Mittel,  wie  sie  ein  Gymna- 
sium nicht  besitzt.  Els  liegt  kein  Grund  vor,  weshalb  Gymnasien  sich 
pratentios  auf  dem  Gebiete  der  Universitatsstudien  breitmachen  sollten. 
Das  Gymnasium  hat  seine  eigenen  wichtigen  Zwecke,  zu  welchen  die 
freie  unabhangige  wissenschaftliche  Forschung  nicht  gehort. 

Ich  fasse  nochmals  kurz  zusammen:  das  Ziel  des  deutschen  Sprach- 
unterrichts  an  Gymnasien  und  Sekundarschulen  (Colleges  and  High 
Schools)  in  Amerika  kann  nicht  in  erster  Lmie  die  Heranbildung  von 
Philologen,  nicht  die  Erlernung  einer  Fremdsprache  zur  Benutzung  als 
Umgangssprache,  nicht  die  Erhaltung  eines  abgesonderten  Deutschtums, 
aber  auch  nicht  das  blosse  Auswendiglernen  von  Namen,  Daten,  Titeln 
und  Epochen  der  Litteraturgeschichte  sein.  Das  Ziel  des  Deutschunter- 
richts  ist  vielmehr  vor  allem  die  Einfiihrung  durch  das  'Mittel  der  Sprache 
in  die  Kultur  eines  grossen  Volkes,  in  sein  Wissen  und  Konnen,  Denken 
und  Fiihlen,  Leben  ud  Streben  zum  Zwecke  der  eigenen  sittlichen  und 
geistigen  Weiterbildung.  Dieses  Ziel  erreicht  der  feinfiihlende  Lehrer, 
welcher  seiner  Aufgabe  gewachsen  ist,  den  Lehrstoff  beherrscht,  dem 
Zuge  nach  dem  Idealen  auf  dem  Pfade  ehrlicher  Arbeit  folgt.  Nicht  die 
Methode,  sondern  die  Individualitat  des  Lehrers  sichert  Erfolg.  Was  er 
lehrt,  mag  verloren  gehen,  vergessen  werden;  was  er  ist,  das  bleibt. 
Er  nehme  sich  das  Wort  eines  vielerfahrenen  Lehrers,  A.  Biess'e,  zu 
Herzen:  ,,Es  gilt  vor  allem  ein  reines,  edles,  kraftiges  Empftnden  in  der 
Jugend  zu  wecken,  denn  nur  aus  ihm  erwachst  ein  kraftiges  Wollen,  ein 
kraftiger  Charakter.  Das  Wissen  starkt  die  Fahigkeiten,  weckt  die 
Talente,  aber  die  Lauterung  des  Empfindens  und  Wollens  weckt  und 
starkt  den  Charakter!" 


Wo  stehen  wir? 


Von  •/ uliiift  Fueha,  Cincinnati,  O. 


Aus  einem  Vortrage,  gehalten  am  31.  Januar  1901  vor  dem  Oberlehrer- 
verein  in  Cincinnati,  Ohio. 


Im  Loben  und  Preisea 
Liegt  oft  ein  Verweisen. 

Der  Schrein  mit  dem  eben  erblassten  Jahrhundert  1st  in  den  boden- 
losen  Schacht  der  Zeit  versenkt,  und  allgemach  verhallen  die  letzten 
Klange  der  mannigfachsten  Nachrufe,  voll  des  Lobes  und  Preises  ob  der 
auf  alien  Gebieten  menschlichen  Strebens  und  Wirkens  erzielten  Errun- 
genschaften,  somit  auch  derer  auf  dem  Gebiete  des  Erziehungs-  und 
Unterrichtswesens. 

Und  wenn  beredte  Geister,  hiiben  und  driiben,  in  farbenprachtigen 
Gemalden  meisterhaft  veranschaulichen,  was  die  Schule  noch  vor  fiinfzig 
Jahren  war,  und  wie  sie  jetzt  ist,  so  mag  die  Welt  wahrlich  auch  dem 
Urheber  solchen  Fortschritts  einen  Teil  des  Lorbeers  zukommen  lassen. 

Indes,  da  ein  zweitausendjahriger  Spruch  besagt,  dass  in  jedem  Lob 
ein  leiser  Tadel  liege,  oder  erlautert,  dass  das  Gute  nicht  des  Lobes,  das 
Bose  jedoch  des  Tadels  bediirfe,  so  wollen  wir  darangehen,  auch  jene 
Lichtschimmer  von  hiiben  und  driiben  mit  bewaffnetem  Auge  und  be- 
dachtigem  Sinne  eingehender  zu  sichten,  um  vielleicht  gelegentlich  ge- 
wisse  optische  Tauschungen  blosslegen  und  mit  der  Zeit  beseitigen  zu 
konnen. 

Und,  so  wir  als  berufsgebildete  und  berufsbeflissene  Erzieher  gewis- 
senhaft  Umschau  halten,  werden  wir  ohne  Reu  und  Scheu  bekennen 
miissen,  dass  es  noch  hie  und  da  bei  uns  auf  dem  Gebiete  des  Erziehungs- 
wesens  ziemlich  duster  aussieht,  ja,  dass  es  uns  fast  deucht,  als  ob  wir 
iiber  die  Anfangsgriinde  praktischer  Erziehungsweise  noch  nicht  hinaus 
seien. 

Im  Leben  und  Streben  des  Erziehers  bilden  dessen  Vor-,  Aus-  und 
Fortbildung  eine  nicht  zu  unterschatzende  dreiteilige  Hebelkraft  zur  Er- 
langung  geeigneter  Erziehungsresultate. 

Diese  dreiarmige,  harmonisch  geeinte,  wirkende  Lehrkraft,  gehoben 
und  getragen  von  einem  erleuchteten,  opferwilligen  Gemein-  oder  Staats- 
wesen,  und  gewiirdigt  von  einer  einsichtsvollen,  fiirsorglichen  Verwaltung, 
vermag  die  wahre  natur-  und  zeitgemasse  Erziehungsstatte,  Schule,  zu 
schaffen. 

Wo  stehen  wir  nun  im  neuen  Jahrhundert?  Welches  Bild  offenbart 
sich  dem  bewaffneten  Auge  bei  einer  Umschau? 

Wo  sind  unsere  Lehrerbildungsanstalten  nach  deutschem,  streng- 
padagogischem  Vorbild,  in  welchen  Lernbeflissene  durch  das  lebendige 


146  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Wort  und  Beispiel  der  Meister  ,,lehrfahig"  ausgebildet  werden,  um  niclit 
als  padagogische  Naturheiler  oder  Patentlehrer  ihres  Amtes  walten  zu 
sollen? 

Wo  sind  unsere  Fortbildungsanstalten,  Padagogien,  wo  anerkannte 
Altmeister,  neue  Ideen,  Gewebe,  an  die  alten  reihen,  oder  iiberlebte 
Ideen,  fadenscheinige  Gewebe,  kunstgerecht  und  zeitgemass  umformen 
und  umspinnen;  wo  unsere  Vereinsraume  mit  ihren  reichhaltigen  fach- 
wissenschaftlichen  Bibliotheken  und  Zeitschriften,  den  neuesten  beruf- 
lichen  Schopfungen  und  sonstigen  Hilfsquellen,  dem  strebsamen  Erzie- 
her  Gelegenheit  bietend,  sich  auf  der  Hohe  der  Zeit  halten,  semer  Ver- 
vollkommung  leben  zu  konnen? 

Welches  erbarmliche  Surrogat,  Ersatzmittel,  wird  dem  Jugendbild- 
ner  dafiir  hierzulande  geboten!  Er  wird  formlich  dem  lockenden  Mo- 
loch der  Eitelkeit  in  die  Arme  getrieben,  hochklingende  Titel  zu  erjagen, 
und  gezwungen,  alles  Mogliche  zu  lernen,  nur  nicht  das,  was  sein  Beruf 
erfordert  und  mit  sich  bringt. 

Kein  Wunder,  dass  wir  leider  noch  immer  den  vom  ehemaligen  eng- 
lischen  Mutterlande  iibermachten  ungluckseligen,  naturwidrigen  Mecha- 
nismus,  mit  einer  Unmasse  von  Methoden  oder  Unmethoden,  in  Anwen- 
dung  finden!  Da  wird  alles  iiber  einen  Leisten  geschlagen,  der  Indivi- 
dualitat  keinerlei  Rechnung  getragen,  bloss  den  Gott-Begnadeten  teil- 
weise  ihre  Rechnung  gesichert,  und  zwar  auf  Kosten  der  von  Natur  oder 
oder  vom  Haus  aus  karglich  Bedachten,  wo  doch  letztern  vorzugsweise 
die  Wohlthaten  einer  verniinftigen  Erziehung  zugute  kommen  sollten. 

Ein  Ausfluss  dieser  geistlosen  Schablone  ist  der  armselige  Befund 
oder  Zustand  der  zur  Veranschaulichung  dienenden  Lehrmittel.  Findet 
man  doch  in  mancher  deutschen  Dorfschule  eine  reichhaltigere  Samm- 
lung  von  wirtschaftlichen,  naturgeschichtlichen  und  physikalischen  Ob- 
jekten  als  in  unseren  Hochschulen! 

Diese  und  gar  manche  anderen  Zustande  lehren  zur  Geniige,  dass, 
trotz  all  unserer  bisher  erzielten  Errungenschaften,  noch  vieles  zu  wiin- 
schen  iibrig  bleibt,  um  unser  Schulwesen  nach  innen  und  aussen  zu  einem 
mustergiiltigen  zu  gestalten,  ja,  es  drangt  sich  uns  die  Frage  entgegen, 
Ob,  um  dies  erreichen  zu  konnen,  es  nicht  geboten  ware,  dasselbe  von 
der  untersten  bis  zur  obersten  Stufe  vollstandig  umzu  gestalten. 

Wenn  alle  Kulturstaaten  deutschem  Schulwesen  den  Vorrang  zuge- 
stehen  und  sich  bemuhen,  diesem  vorziiglichen  Beispiele  zu  folgen,  wa- 
rum  bleiben  wir  zuriick  und  zogern  noch? 

Ware  es  nicht  schon  vor  dreissig  und  noch  mehr  Jahren  an  der  Zeit 
gewesen,  unsere  Schulen  von  der  niedrigsten  Elementar-  bis  zur  hochsten 
Universitatsklasse  so  zu  gestalten,  dass  sie  den  deutschen  Schulen  gleich- 
wertig  oder  ebenburtig  werden. 

Sollte  es  nicht  die  Pflicht  der  Eltern  sein,    nachdem  deren  Spross- 


P'ddagogische  Xenien.  147 

ling  die  sechs-  oder  achtklassige  Volksschule  zuriickgelegt,  somit  ein 
Alter  von  12  bis  14  Jahren  erreicht  hat,  zu  wissen,  was  sie  aus  demselben 
vermoge  seiner  Neigung  und  Begabung  zu  machen  gedenken,  oder, 
welche  Gegenstande  zu  seiner  allgemeinen  und  beruflichen  Ausbildung 
hauptsachlich  erforderlich  sind? 

Wozu  also  beispielsweise  achtzig  Prozenten  oder  achthundert  von 
den  jahrlich  eintretenden  tausend  Schulern  unserer  Hochschulen,  oft  ge- 
gen  den  Willen  der  Eltern,  die  lateinische  oder  irgend  eine  beliebige 
Zwangsjacke  anlegen?  Was  berechtigt  zu  einem  derartigen  anmassen- 
den,  eigenmachtigen  Vorgehen?  Die  Folge  davon  ist,  dass  ein  bedeu- 
tender  Prozentsatz  der  Eingetretenen  schon  wahrend  des  ersten  Jahres 
der  Hochschule  iiberdrussig  wird  und  diese  verlasst.  Warum  nicht, 
wie  iiberall  in  Europa,  statt  des  Wirrwarrs  mit  den  verschiedenen  Lehr- 
kursen  unserer  Hochschulen  Gymnasien  und  Realschulen  einrichten,  die 
nicht  nur  eine  griindliche  allgemeine,  hohere  Ausbildung,  sondern  auch 
eine  geeignete,  zielbewusste  Vorbereitung  fiir  die  Uuiversitat  oder  das 
Polytechnikum  bezwecken ! 

Indes  moge  unser  Riigen  und  Bemangeln  bloss  als  Beweis  un- 
serer wahren  Vaterlandsliebe  und  treuen  Biirgerpflicht  gelten,  dahin  zu 
wirken,  dieses  unser  Land  zum  tonangebenden  auch  auf  dem  Gebiete 
des  Unterrichts-  und  Erziehungswesens  zu  machen. 

Und  moge  ferner  ein  opferwilliges  Gemein-  und  Staatswesen  es  auch 
als  eine  Ehrenpflicht  betrachten,  derer  nicht  zu  vergessen,  die  ihre  besten 
Jahre  und  Krafte  dem  Dienste  der  Jugend  geopfert,  den  altersgebeug- 
ten  und  gebreehlichen  Amtsgenossen  den  wohlverdienten  Sonderbezug 
verburgen  zu  sollen. 


Padagogische  Xenien. 


Der  Frankfurter  Schulzeitung  (No.  16  des  vorigen  Jah- 
res) entnehmen  wir  eine  Reihe  von  Xenien,  die,  urspriinglich  in  der  D  i- 
d  a  s  k  a  1  i  a,  dem  Unterhaltungsblatt  des  Frankfurter  Journals, 
veroffentlicht,  mit  ihrem  Spott  die  Auswiichse  auf  padagogischem  Gebiete 
hier  wie  jenseits  des  Ozeans  treffen,  ja  vielleicht  hier  noch  mehr  als  drii- 
ben  angebracht  sind. 

Zur  Einfiihrung. 

Der  Spott,  den  ich  hier  beissen  lasse, 

Kornmt  nicht  aus  allgemeinem  Hasse. 

Ach,  Gott  bewahre,  nein  —  bei  Leibe 

Ich  bin  satyrisch  —  ergo:  iibertreibe. 


148  P'ddagogiscbe  Monatsbejte. 

Echte  Padagogik. 

Lebendige  Sinne,  anschauliche  Kraft, 
Nachdenkende  thatige  Wissenschaft 

Und  ein  wenig  dichf  rische  Phantasie, 

Das,  dacht'  ich,  ware  ein  Lehrergenie. 
,,O  —  o  —  ich  bitte :  d  a  r  a  u  f  kommt's  nicht  an : 

,,Methode!   Methode!   mein  lieber  Mann!" 

Herbartianer. 

Ob  sie  auch  falsch,  seine  Psychologic, 
Uns  Herbartianer  geniert  das  nie, 
Merkt's  euch,  ihr  griinen  Jungen: 
Es  giebt  nur  ,,Vorstellungen". 
Und  dann  die  ,,sechs  Int'ressen" 
Wollt  doch  ja  nicht  vergessen! 
Der  H  e  r  b  a  r  t  hat's  uns  ja  verschafft: 
Padagogik  ist  jetzt  Wissenschaft, 
Hurra! 

Anschauungsmittel. 

Die  Hauptsache,  meine  Herrn,  ist  die: 
Ohne  Anschauung  erreicht  man's  nie. 
Ein  Baum,  ein  Pferd,  ein  Lammlein  mild, 
Was  war's  denn  ohne  Anschauungsbild? 
Und  wie  der  Friihling  so  herrlich  sei, 
Das  wiisst'  man  nicht  ohne  Bildnerei. 
Drum,  wollt  ihr  machen  den  Geist  lebendig: 
Zeigt  Bilder  und  Bilder  —  das  hilft  unbandig! 

Das  Lehrbuch. 

Erzahlen  lernen  die  Kinder  nie. 
Herzahlen:   das  nur  lehrt  man  sie. 
Und  wiirden  doch  so  schon  erzahlen, 
Liess  man  sie  nur  die  Worte  wahlen. 

Aber  das  vermaledeite  Buch! 
Wenn  sie  das  konnen,  ist's  schon  genug. 

Der  Schiller  spricht: 

,,Die  Schulerbesprechung  in  Konferenzen  — 

Eine  gar  bedenkliche  Sitte! 
Und  hatt'st  du  die  besten  Referenzen  — 

Du  geratst  doch  in  die  Mitte!" 


P'ddagogische  Xenien.  149 

Schwer  z  u  andern! 

Der  Massen-Klassen-Unterricht 

1st  wie  ein  Kirchenlied: 

Ist's  auch  ein  herzlich  schlecht  Gedicht, 

Wenn  sich's  nur  recht  ins  Breite  zieht. 

Bearbeitung    fur    die    Jugend. 
Wenn  du  das  Wort  ,,Geliebte"  in  einem  Gedichtelein  findest, 

Flugs  setz'  ,,Schwester"  dafur  —  ,,Tante"  auch,  wenn  es  sich  schickt. 
Wo  der  ,,Geliebte"  geweilt,  da  war  es  immer  ein  ,,Onkel" 

Oder  ein  ,,Bruder"  vielleicht.  —  ,,Vetter?" —  Bedenklicher  schon! 
Fandest  du  dann  ein  Wort,  das  der  ,,Liebe"  ahnlich  erklange, 
Setze  nur  ,,Freundschaft"  dafiir  —  alles  kannst  lesen  du  dann. 

Madchen  -  Turnen. 

,,Was  ist  denn  das  fur  ein  Klimpern  und  Geigen?" 
„  ,,Still,  still  —  sie  lernen  einen  Reigen!"  "  — 
,,Wie?   Alte  abgedroschene  Tanz'?" — 
„  ,,O  —  o  —  ich  bitte  —  mit  Reverenz : 
Hier  lernt  man  in  Hopsermelodie 
Die  korperlich-geistige  Harmonic!"  " 

Gesangstudien. 
Hauptsache  bleibt,  dass  man  das  Wie 
Der  Kunst  erfasst,  verehrte  Herren! 
Wichtig  ist  nur  die  Theorie! 
In  praxi  blcibt's  beim  Plarren. 

Coedukation    nach    amerikanischem    System. 
Wie  schon  war's,  o  wie  schon  und  nett, 
Wenn  jede  Turnhoslein  auch  hatt'! 
Was  Bub'  und  Madchen  eigentlich  ist, 
Wiisst'  kein  anstandiger  guter  Christ. 
Da  entwickelte  sich  erst  der  gebiihrende  Ton! 
O  hatten  wir  sie  —  die  Coedukation ! 

Ferienkurse. 
Du,  Lehrer,  nun  sei  verniinftig! 
Wo  die  Wissenschaft  ist  ziinftig, 
Da  en"  in  deinen  Ferien  hin 
Und  lib'  deinen  stumpfen  Lehrersinn! 
Dass  man  f  ii  r  sich  studieren  kann, 
Glaubt  heut'  ja  kein  verniinftiger  Mann. 
Aber  ein  paar  Kathederbrocken 
Aus  Deinem  Gehirn  neue  Funken  locken. 


Editorielles. 


Professor  Calvin  Thomas  iiber  den  deutschen  Sprachnnterricht.  Mit 
lebhafter  Frische  steht  in  der  Erinnerung  des  Schreibers  dieser  Zeilen 
dessen  Gymnasialzeit  mit  ihren  Freuden,  aber  auch  ihren  Leiden.  Zwei 
Tahrzehnte  sind  dariiber  verflossen,  aber  immer  empfinden  wir  ein  gewis- 
ses  Gruseln  vor  den  unzahligen  regelmassigen  und  unregelmassigen  De- 
klinationen  und  Konjugationen,  den  mit  minutiosester  Genauigkeit  zu- 
sammengestellten  Regeln  dcr  Syntax,  den  Ubersetzungen,  Exerzitien  und 
Extemporalien.  Das  war  der  Inhalt  des  Unterrichts  in  den  toten,  wie 
der  lebenden  Sprache  —  der  franzosischen,  Englisch  war  noch  nicht 
in  den  Lehrplan  aufgenommen  —  nie  wurde  in  uns  der  Gedanke  wach 
gerufen,  dass  die  Sprache  Leben  besitzt  und  nach  Leben  strebt. 

Damals  gerade  begann  der  Kampf  gegen  diese  Art  und  Weise  des 
Sprachunterriohts.  Es  war  ein  doppelter  Kampf,  einmal  gegen  die  Alt- 
philologen,  zum  andern  gegen  die  aus  dem  Studium  der  alten  Sprachen 
uberkommene  Methode  des  Unterrichts  in  den  modernen  Sprachen. 
Hartnackig  versuchten  die  Verfechter  des  Althergebrachten  ihre  Stellung 
zu  behaupten,  und  es  war  kein  Geringerer  als  der  deutsche  Kaiser  selbst, 
der  sein  Machtwort  zu  Gunsten  der  Neuerer  in  die  Wagschale  legte,  und 
so  diesen  zum  wenigstens  teilweisen  Siege  verhalf.  Das  Ergebnis  war, 
dass  Latein  und  Griechisch  als  Lehrfacher  beschrankt  wurden,  dass  dafiir 
den  modernen  Sprachen  ein  grosserer  Spielraum  gelassen  wurde,  deren 
Ziel  geandert  und  demzufolge  ihre  Unterrichtsmethode  naturgemasser 
gestaltet  wurde.  Man  betrachtet  gegenwartig  das  Sprachstudium  nicht 
bloss  als  eine  Disziplin  zur  formalen  Ausbildung  des  Geistes,  sondern 
lasst  die  lebende  Sprache  auch  lebendig  im  Schuler  werden,  indem  man 
ihn  dazu  bringt,  sich  der  Sprache  im  Verkehr  zu  bedienen,  in  ihr  zu  den- 
ken  und  in  ihre  Geistesschatze  einzudringen. 

Wie  steht  es  nun  bei  uns  mit  dem  Sprachunterricht?  Nun  wir  mar- 
schieren  auch  in  bezug  hierauf  wie  in  vielen  andern  Sachen,  die  das  Schul- 
wesen  betreffen,  immer  hubsch  hinten  nach,  und  der  Lehrsatz,  dass  Indi- 
viduen  sowohl  als  Gattungen  gewisse  Entwicklungsstufen  durchzuma- 
chen  haben,  scheint  auch  in  der  Entwicklung  der  padagogischen  Anschau- 
ungen  seine  Richtigkeit  zu  haben.  So  lasst  es  sich  erklaren,  dass  das, 
was  jenseits  des  Ozeans  bereits  als  abgethan  betrachtet  wird,  bei  uns  als 
funkelnagelneue  Wahrheit  ausposaunt  und  bejubelt  wird. 

In  unserem  Korrespondenzenteil  finden  die  geneigten  Leser  ejnen 
Bericht  iiber  die  erste  Versammlung  des  neuorganisierten  Vereins  der 
Hochschullehrer  Gross-New  Yorks,  in  welcher  kein  Geringerer  als 
Prof.  Calvin  Thomas,  Haupt  der  deutschen  Abteilung  an  der  Columbia 
Universitat,  seine  Ansichten  iiber  eine  erspriessliche  Erteilung  des  deut- 
schen Unterrichts  an  den  Hochschulen  kund  gab.  Dank  der  eingehen- 
den  Berichterstattung  erhielten  wir  einen  Einblick  in  seine  Ausfiihrungen, 


Editorielles.  151 

und  wir  bitten  darum  unseren  Herrn  Berichterstatter  um  Entschuldigung, 
wenn  wir  seine  Worte  als  Basis  zu  einer  Erwiderung  beniitzen. 

Wir  konnen  selbstverstandlich  nicht  auf  alle  Punkte  des  Vortrages 
eingehen,  sondern  wollen  nur  diejenigen  hervorheben,  die  von  grundle- 
gender  Bedeutung  fur  eine  segensreiche  Entwicklung  des  deutschen 
Sprachunterrichts  in  unseren  Schulen  sind. 

Herr  Prof.  Thomas  hat  zwei  Ziele  bei  der  Erteilung  des  deutschen 
Sprachunterridits  im  Auge :  derselbe  soil  als  Mittel  zur  formalen  Geistes- 
schulung  dienen  und  soil  den  Schuler  in  deutsche  Kultur,  deutsches 
Geistesleben  und  deutsche  Litteratur  einfuhren.  Wer  wollte  ihm  hierin 
nicht  ohne  Vorbehalt  beistimmen?  Nur  stosst  uns  sogleich  die  Frage  auf, 
wie  Herr  Thomas  solche  'hohe  Ziele  erreichen  will,  wenn  er  sich  des 
wichtigsten  Faktors  in  jedem,  auch  im  Sprachunterrichte,  der 
Volksschule,  begiebt.  Nicht  mit  einem  Worte  erwahnt  er  derselben. 
Unterliess  er  dies,  weil  er  vor  Hochschullehrern  sprach?  Ein  Mann  in 
seiner  Stellung  darf  keine  Opportunitatspolitik  trelben,  dieselbe  kann 
Unheil  stiften,  das  schwer  wieder  gut  zu  machen  ware. 

Noch  fragwiirdiger  wird  uns  die  Erreichung  der  von  Herrn  Thomas 
angegebenen  Ziele,  wenn  wir  die  Mittel  betrachten,  welche  er  selbst  als 
zum  Ziele  fuhrend  anrat. 

Er  verwirft  das  Sprechenlernen,  betrachtet  es  wenigstens  nicht  als 
Hauptziel.  Wir  betrachten  es  als  e  i  n  Hauptziel,  und  zwar  als  das  nachst- 
liegende.  Wie  Herr  Thomas  Hoheres  erreichen  will,  wenn  er  das 
Nachstliegende  verwirft,  ist  uns  unklar.  Er  will  deutsches  Geistesleben  in 
seine  Schuler  verpflanzen  —  will  sie,  so  lauten  ja  unsere  Lehrplane,  denen 
Herr  Thomas  mit  aus  der  Taufe  geholfen  hat,  Wilhelm  Tell,  Iphigenie, 
Hermann  und  Dorothea,  Faust,  Journalisten,  Soil  und  Haben  lesen  las- 
sen,  halt  es  aber  fur  ,,Zeitverschwendung",  Sprechiibungen  mit  seinen 
Schiilern  vorzunehmen,  die  ihrer  Umgebung  und  ihrem  Gedankenkreise 
Rechnung  tragen  und  sie  darum  am  allerersten  in  die  lebendige  Sprache 
einfuhren  und  in  ihnen  Interesse  am  Sprachunterricht  erwecken. 

Im  Grammatikunterricht  erblickt  Herr  Thomas  alles  Heil.  Nun  wir 
wollen  diesem  Unterrichtszweig  seine  Bedeutung  nicht  schmalern;  er  wird 
oft  mit  Unrecht  allzusehr  geschmaht.  Es  ist  unsere  Ansidht,  dass  zur 
Erreichung  unserer  Ziele  alle  Krafte  des  menschlichen  Geistes  verwendet 
werden  mussen,  und  dass  der  Grammatikunterricht  ein  wirksames  Mittel 
ist,  aus  dem  Sprachgefiihl  das  Sprachbewusstsein  zu  entwickeln.  Aber 
mit  Misstrauen  betrachten  wir  die  Ausfuhrungen  von  Herrn  Thomas. 
Wir  wollen  ihm  nicfat  unterschieben,  was  aus  dem  Bericht  nicht  hervor- 
geht;  doch  fiirchten  wir,  dass  er  auch  noch  der  Ansicht  huldigt,  der 
Grammatikunterricht  habe  die  formale  Geistesbildung  zum  besonderen 
Zwecke.  Nun  so  lange  die  Grammatik  einer  toten  Sprache  in  Betracht 
kommt,  wollen  wir  ihm  nicht  widersprechen,  wiewohl  wir  uns  wiirdigere 
Stoffe  denken  konnen,  die  diesem  allgemeinen  erzieherischen  Zwecke  die- 


152  P'ddagogische  Monatshefte. 

nen  und  doch  auch  praktischen  Wert  haben;  aber  die  Grammatik  einer 
lebenden  Sprache  darf  nun  und  nimmer  unter  diesem  Gesichtspunkte  be- 
trieben  werden.  Wollen  wir  uns  denn  den  alten  Zopf,  von  dem  sich  das 
deutsche  Gymnasium  allmahlich  befreit,  anhangen?  Er  wurde  uns  schlecht 
kleiden. 

Natiirlich  treibt  auch  der  andere  bose  Geist,  das  Ubersetzen,  sein  Un- 
wesen.  Das  Ubersetzen  ist  fur  den  denkenden  Menschen  ein  vorziigli- 
ches  Mittel,  zwei  Sprachen  zu  vergleichen,  und  hilft  ihm  sicherlich,  beide 
Sprachen  besser  kennen  zu  lernen  und  in  ihren  Geist  einzudringen ;  darum 
gehort  es  aber  nicht  an  den  Anfang  des  Sprachunterrichts,  sondern  ans 
Ende.  Soil  das  Ubersetzen  dazu  dienen,  den  Schiiler  in  deutsches  Geistes- 
leben  und  deutsche  Litteratur  einzufiihren,  dann  raten  wir  jedem  Lehrer, 
seinen  Schiilern  mustergiltige  Ubersetzungen  unserer  deutschen  Meister- 
werke  in  die  Hand  zu  geben,  anstatt  jene  grausam  zu  zerstiickeln  und 
sie  dann  miihsam  in  schlechtes  Englisch  zu  iibertragen,  in  dem  die  Schii- 
ler nichts  weniger  als  die  Schonheiten  der  deutschen  Sprache  erkennen 
werden. 

Wir  sagen  mit  dem  Obigen  nicht  zu  viel.  Wie  viele  unserer  Hoch- 
schiiler,  die  den  vorgeschriebenen  deutschen  Kursus  durchgemacht  haben, 
sind  wirklich  in  die  deutsche  Litteratur  eingedrungen,  so  dass  sie  Gefal- 
len  daran  finden  und  ihre  Schonheiten,  sowie  ihren  tiefen  Gehalt  zu  wur- 
digen  verstehen?  Hochstens  das  ist  erreicht,  was  Herr  Thomas  vermei- 
den  will,  oberflachliche  und  ausserliche  Bekanntschaft,  die  nicht  einmal 
auf  empirischem  Wege  —  dann  hatte  der  Geist  docfi  wenigstens  etwas  ge- 
wonnen  —  erworben  ist,  und  spurlos  im  spateren  Leben  verschwindet. 

Summa:  Mochten  sich  unsere  Hochschul-  und  Universitatslehrer, 
mit  Herrn  Prof.  Thomas  an  der  Spitze,  der  Volksschule  als  des  grundle- 
genden  Faktors  fur  ihre  Arbeit  mehr  erinnern,  als  sie  es  bis  jetzt  gethan 
haben  und  zu  thun  geneigt  sind!  Dann  wird  eine  Arbeitsteilung  mog- 
lich  sein,  die  eine  nach  alien  Seiten  hin  erfolgreiche  Thatigkeit  sicher- 
stellen  wurde,  weil  sie  naturgemass  gestaltet  werden  konnte.  Die 
"Natural  Methods"  konnten  ebenso,  wie  der  Grammatikunterricht  und 
das  Ubersetzen  zu  ihrem  Rechte  gelangen,  aber  jeder  Zweig  derselben  zur 
geeigneten  Zeit  und  auch  in  der  geeigneten  Weise.  Und  der  Erfolg 
wiirde  der  sein,  dass  wir  Menschen  heranbilden,  die  imstande  sein  wiir- 
den,  nicht  nur  eine  Unterhaltung  in  der  deutschen  Sprache  zu  fiihren,  son- 
dern auc'h  noch  nach  ihrem  Austritt  ausderSchuleein 
gutes  deutsches  Buch  mit  Verstandnis  und  darum  mit  Vergniigen  zu 
lesen.  Wenn  wir  das  erreichen,  dann  wollen  wir  uns  vollstandig  begnii- 
gen,  und  alle  ,,hoheren  Zwecke"  dem  gesunden  Menschengeiste  iiber- 

lassen. 

M.  Q. 


Fur  die  Schulpraxis. 


I.     Die  Behandlung  des  Aufsatzes  in  den  drei  unteren  Klassen. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  deutschen  Lchrerverein  von  Baltimore,  von  Louise  Muller, 
Lehrerin  an  der  Stadtschule  No.  95  ztt  Baltimore. 


Es  ist  mir  die  ehrenvolle  Aufgabe  gestellt  worden,  den  Aufsatz  in  den  ersten 
drei  Klassen  zu  behandeln,  und  da  mochte  ich  nun  von  vorne  herein  betonen, 
dass  von,  einem  Aufsatz,  einem  wirklichen  deutschen  Aufsatze  wohl  kaum  in 
diesen  drei  Klassen  die  Rede  sein  kann,  wohl  aber  von  \rohlgeordneten,  klei- 
nen  Sprech-  und  Schreibiibungen,  die  auch  der  Anfanger  schon  im  ersten  Schul- 
jahre  leisten  kann  und  leisten  sollte. 

Diese  Ubungen  sollten  stets  von  voraufgehendem  Anschauungsunterricht  be- 
gleitet  sein. 

Schon  seit  Jahrhunderten  herrschte  uiiter  den  Gelehrten  vielfach  die  Mei- 
nunga  dass  der  Anschauungsunterricht  einer  der  notwendigsten  Faktoren  der 
Erziehung  sei.  Luther  wies  darauf  hin,  dass  ,,der  Wortkenntnis  die  Sachkennt- 
nis  und  das  Sachverstandnis  voraufgehen  sollte".  Comenius  schreibt  im 
siebzehnten  Jahrhundert:  ,,Warum  sollten  wir  nicht  statt  toter  Biicher  das 
lebendige  Buch  der  Natur  aufschlagen?  Warum  sollten  wir  lieber  mit  fremden 
Augen  sehen,  als  mit  den  eigenen?  Alles  werde  so  viel  wie  moglich  den  Sinnen 
vorgefiihrt,  namlich  Sichtbares  dem  Gesichte,  Horbares  dem  Gehor.  Die  Men- 
schen  miissen  die  Dinge  selbst  kennen  lernen  und  durchforschen,  nicht  aber 
nur  fremde  Beobachtungen  und  Zeugnisse  iiber  die  Dinge."  Comenius  fordert 
dann,  dass  der  Lehrer  iiberall,  wo  es  angeht,  das  Unterrichtsobjekt  in  natura 
anschafft,  wo  dies  unthunlich  sei,  Bilder  und  Modelle  verwende. 

Jean  Jaques  Rousseau  war  einer  der  eifrigsten  Vorkampfer  des  Anschau- 
ungsunterrichtes;  er  geisselte  in  scharfster  Weise  das  geistlose  Unterrichten, 
das  nicht  auf  Anschauung  beruht,  sondern  nur  Worte,  Worte,  nichts  als  Worte 
,lehrt.  Die  ersten  Vermogen,  die  sich  in  uns  bilden  und  entwickeln,  sind  die 
Sinne;  sie  muss  man  also  auch  am  ersten  anbauen.  Wir  verstehen  nur  so  zu 
sehen,  zu  horen,  zu  fiihlen,  wie  wir  es  gelernt  haben.  tibt  also  nicht  allein  die 
Krafte,  iibt  auch  die  Sinne,  die  die  Krafte  leiten;  zieht  von  jedem  derselben  den 
moglichsten  Vorteil! 

Durch  Pestalozzi  erhielt  der  Anschauungsunterricht  endlich  eine  selbststan- 
dige  Stellung  im  Unterricht.  Er  spricht  in  seiner  Erziehungsschrift,  wie 
Gertrud  die  Kinder  lehrt:  ,,Von  dem  Augenblicke  an,  wo  das  Kind  fiir  die 
Eindriicke  der  Natur  empfanglich  wird,  von  dem  Augenblicke  an  iibernimmt  die 
Natur  die  Erziehung."  —  Daher  ist  es  unsere  grosste  und  schonst'e  Aufgabe,  die 
Augen  und  Ohren  der  Kinder  zu  offnen,  sie  richtig  sehen  und  horen  zu  lernen, 
damit  sie  fahig  werden,  selbst  zu  lesen  in  dem  offen  vor  ihnen  liegenden  herr- 
lichen  Buche  der  Natur. 

In  den  ersten  fiinf  bis  sechs  Monaten  des  Schuljahres  kann  bei  den  Kin- 
dern  noch  nicht  die  Rede  sein  von  der  schriftlichen  Wiedergabe  irgend  eines 
selbstandigen  Gedankens,  Oder  auch  nur  von  der  Reproduktion  des  vom  Lehrer 
Gehorten. 

In  diesen  ersten  Monaten  sollte  jedoch  fleissig  darauf  hingearbeitet  werden, 
Material  zu  sammeln  fiir  die  k'ommenden  schriftlichen  Arbeiten  der  Kleinen. 
Anschauungsunterricht  sollte  taglich  vorgenommen  werden.  Meinen  ersten  An- 
schauungsunterricht erteile  ich  in  folgender  Weise:  Ich  zeige  auf  die  Gegen- 
stande  im  Schulzimmer,  wobei  ich  frage:  Ist  das  der  Stuhl?  ist  das  der  Tisch? 


154  PMagogiscbe  Monatsbefte. 

ist  das  das  Fenster,  die  Wand,  der  Fussboden,  die  Bank,  der  Knabe,  das  Mad- 
chen  u.  s.  w.,  worauf  zu  antworten  dem  Kinde  sehr  leicht  wird,  da  ja  die  Ant- 
wort schon  in  der  Frage  enthalten  ist,  das  ist  der  Stuhl,  der  Tisch,  das  Fenster 
u.  s.  w.  Nachdem  ich  dieses  Verfahren  wahrend  etwa  einer  Woche  geubt,  lasse 
ich  mir  wahrend  der  nachsten  Woche  die  Gegenstande  von  den  Kindern  zei- 
gen,  indem  ich  frage:  Wo  ist  der  Stuhl?  wo  ist  der  Tisch,  das  Fenster  u.  s.  w. 
In  der  folgenden  Woche  nehme  ich  dann  einige  Tierbilder  in  derselben  Weise 
vor;  ich  benutzte  zu  diesem  Zwecke  die  Leutemann-Lehmannschen  Tierbilder, 
denen  ihrer  Grosse  und  ihres  Farbenreichtums  wegen  die  Kinder  ein  leicht 
begreifliches,  grosses  Interesse  entgegenbringen. 

Ich  zeige  z.  B.  das  Bild  der  Kuh  und  frage:  Ist  das  die  Kuh?  Die  Antwort 
wird  nicht  im  Chor  gegeben,  ich  beschranke  iiberhaupt  das  ,,im  Chor  spre- 
chen"  auf  das  Allernotwendigste;  nur  wenn  ein  schwieriges  Wort  zu  lernen  ist 
Oder  beim  Erlernen  eines  Verschens  bringe  ich  es  in  Anwendung,  also  die  Ant- 
wort  des  Einzelnen  lautet:  Das  ist  die  Kuh.  Ist  die  Kuh  ein  Tier?  Die  Kuh 
ist  ein  Tier.  Ist  die  Kuh  ein  kleines  Oder  ein  grosses  Tier?  Die  Kuh  ist  ein 
grosses  Tier.  Hat  die  Kuh  einen  Kopf?  Was  hat  die  Kuh  sonst  noch?  Nun 
tteite  ich  die  Kinder  an,  die  Teile  hiibsch  der  Reihe  nach  aufzuzahlen,  was  in 
kurzer  Zeit  gelernt  wird.  Die  Kuh  hat  einen  Kopf,  einen  Hals,  einen  Rumpf, 
einen  Schwanz  und  vier  Beine.  Dabei  lasse  ich  die  schwacheren  Schiiler  die 
verschiedenen  Teile  mit  dem  Stocke  zeigen,  was  ihnen  immer  sehr  viel  Vergnii- 
gen  bereitet.  Vor  alien  Dingen  lege  ich  den  Kindern  immer  die  Antwort  richtig 
in  den  Mund,  damit  so  wenig  wie  moglich  falsch  in  der  Klasse  gesprochen  und 
somit  auch  gehort  wird.  Natiirlich  kommt  ohnehin  noch  sehr  viel  Mangelhaftes 
zum  Vorschein,  und  ist  stete  sorgsame  Aufmerksamkeit  des  Lehrers  erforder- 
lich,  das  Unkraut  auszumerzen.  Nur  derjenige,  der  selbst  den  ersten  Grad  mit 
Liebe  unterrichtet  Oder  unterrichtet  hat,  wird  mir  nachfuhlen  und  mich  ver- 
stehen,  wenn  ich  behaupte,  dass  eine  unermessliche  Geduld  in  der  ersten  Klasse 
erforderlich  ist,  eine  weit,  weit  grossere  Geduld,  als  in  irgend  einer  anderen 
Klasse;  aber  freilich  ist  auch  die  Freude  am  Gelingen  der  Arbeit  eine  viel  rei- 
chere,  als  in  irgend  einer  andern  Klasse.  Mit  welch  stolzer  Genugthuung  er- 
ftillt  es  den  Lehrer,  die  ersten  kleinen,  selbstandigen  Arbeiten  der  Kinder  zu 
sehen  und  sich  sagen  zu  konnen:  ,,Das  haben  die  Kinder  nur  dir  allein  zu 
danken". 

Nachdem  ich  wahrend  der  nachsten  Wochen  mehrere  Tierbilder  vorgenom- 
men,  komme  ich  wieder  auf  die  Schulstube  zuriick,  indem  ich  meine  Fragen 
wieder  auders  stelle.  Ich  frage  nun  z.  B.:  Wie  viele  Wande  hat  die  Schulstube, 
;wie  viele  Fenster,  Thiiren,  Wandtafeln,  was  befindet  sich  alles  in  der  Schul- 
stube, woraus  sind  die  verschiedenen  Gegenstande  gemacht  u.  s.  w.  Oft  nehme 
ich  irgend  eine  Frucht,  z.  B.  einen  Apfel;  ich  frage:  Was  ist  das?  Das  ist  ein 
Apfel.  Was  ist  der  Apfel?  Da  kommt  es  natiirlich  vor,  dass  mir  ein  Kleiner 
.die  lakonische  Antwort  giebt:  "apple",  worauf  ich  meine  Frage  in  dieser  Weise 
wiederhole:  Ist  der  Apfel  eine  Frucht?  Jetzt  hat  er  begriffenmnd  verkundet: 
der  Apfel  ist  eine  Frucht.  Was  hat  der  Apfel?  Der  Apfel  hat  eine  Schale, 
einen  Stengel,  eine  Krone.  Ich  nehme  nun  ein  Messer  und  beginne,  den  Apfel 
zu  schalen,  dabei  die  Kinder  fragend:  was  thue  ich  jetzt?  womit  schale  ich  den 
Apfel?  was  kann  man  sonst  noch  schalen  u.  s.  w.  Wenu.  der  Apfel  geschalt  ist, 
wird  er  in  zwei,  dann  in  vier  Teile  geschnitten,  dabei  jeder  Teil  benannt,  dann 
zahlen  wir  die  Kerne,  und  nachdem  wir  noch  uoer  den  Apfelbaum  gesprochen, 
wird  das  Versuchsobjekt  nebst  einigen  seiner  Bruder  unter  die  Kinder  verteilt 
und  von  denselben  natiirlich  mit  grossem  Behagen  verspeist.  Eg  ware  mir  an- 
moglich,  alles,  was  beim  Anschauungsunterrichte  vorgenommen  wird,  aufzuzah- 


T)ie  Bebandlung  des  Aufsat^es  in  den  3  unteren  Klassen.         155 

len;  so  vieles  und  so  mancherlei  kommt  impulsiv,  gar  oft  wird  die  Gelegenheit 
beim  Schopfe  genommen,  und  was  sich  gerade  bietet,  bearbeitet.  Was  den  Klei- 
nen  ein  ganz  besonderes  Vergnugen  bereitet,  ist,  wenn  wir  ,,Tischlein  deck  dich" 
spielen,  das  heisst,  wir  decken  den  Tisch  mit  allem,  was  darauf  gehort,  wobei 
^ir  leider  der  Zauberstab  fehlt,  es  in  natura  zu  thun;  und  nun  darf  ein  jedes 
sagen,  welches  seine  Lieblingsgerichte  sind  und  was  es  am  liebsten  isst,  wobei 
herrliche  Gelegenheit  sich  bietet,  das  allbeliebte  ,,i  c  h  g  1  e  i  c  h  e"  auszumerzen. 

Meine  unendlich  einfache  Methode  mag  meinen  verehrten  Kollegen  und  Kol- 
leginnen  vielleicht  zu  leicht  und  einfaltig  erseheinen;  doch  wollen  wir  nicht 
ausser  Acht  laasen,  dasa  wir  kleiae,  sechsjahrige  Kinder  vor  uns  haben,  deren 
deutscher  Sprachschatz  unendlich  armselig  ist,  ja  von  denen  wir  oft  von  Herzen 
wiiBschen,  sie  hatten  das  entsetzliche  Deutsch,  welches  sie  zuweilen  sprechen, 
nie  gehort;  wir  wollen  nicht  vergessen,  dass  es  nicht  von  dem  Durchschnitt  der 
deutschamerikanischen  Kinder  zu  verlangen  ist,  deutsch  zu  denken,  dass  sich 
dies  erst  durch  sorgsamen  Unterricht  erzielen  lasst  und  gewiss  nicht  in  wenigen 
Monaten.  Wollten  doch  alle  Lehrer  beherzigen,  dass  wir  uns  viel  zu  leicht  ver- 
leiten  lassen,  die  geistigen  Krafte  der  Kinder  zu  iiberschatzen,  dass  wir  zu 
schnell  vorwarts  gehen,  zu  viel  erwarten  und  verlangen  und  naturlich  durch 
schlechte  Resultate  bitter  enttauscht  sind.  Gebt  dem  Kinde  leicht  fassliche 
Arbeit,  versucht  es,  ihm  seine  Aufgaben  interessant  zu  machen,  und  es  wird 
freudig  seine  Arbeit  liefern  und  wird  sie  gut  liefern.  Ist  es  nicht  viel  befriedi- 
gender  fur  Eltern,  Lehrer  und  Schiller,  das  Kind  lernt  in  den  ersten  drei  Jahren 
fliessend  lesen,  schon  schreiben  und  vor  alien  Dingen  deutsch  sprechen  und  zwar 
gut  und  viel  sprechen,  sowie  allenfalls  kurze,  kleine  Beschreibungen  iiber  Tiere, 
Blumen  oder  andere  Gegenstande  selbstandig  schreiben,  als  wenn  es  lange 
Aufsatze  liefern  soil,  von  denen  es  nichts  versteht,  nichts  verstehen  kann,  weil 
seine  Sprachkenntnisse  nicht  "ausreichen.  Woran  liegt  es  so  haufig,  dass  wir 
Klagen  horen  iiber  schlechtes,  nachlassiges  Arbeiten  der  Kinder,  dass  die  Kin- 
der die  verlangten  Aufgaben  halb  oder  gar  nicht  machen?  Es  liegt  meiner  An- 
sicht  nach  sehr  haufig  daran,  dass  wir  nicht  tief  genug  hinabsteigen  konnen 
zum  Begriffsvermogen  des  Kindes,  dass  wir  das  Kind  nicht  genug  verstehen. 
Nur  der  wird  gliickliche  Resultate  zu  verzeichnen  haben,  der  gleichsam  selbst 
wieder  zum  Kinde  werden  kann,  nur  derjenige,  welcher  sich  die  Miihe  giebt,  zu 
erforschen,  wie  weit  ein  Kind  zu  denken  vermag;  aber  wer  sich  in  hochtonen- 
den  Worten  und  Redewendungen  im  ersten,  zweiten  oder  dritten  Grade  ergeht, 
die  vielleicht  im  achten  Grade  noch  kaum  verstanden  wiirden,  der  spricht  iiber 
die  Kopfe  hinweg,  und  das  Resultat  wird  ein  schlechtes  sein. 

Zunachst  sollte  der  Lehrer  sein  Hauptaugenmerk  darauf  richten,  eine  lang- 
same,  deutliche  Aussprache  zu  erzielen,  und  dies  kann  nur  dadurch  erzielt  wer- 
den, dass  der  Lehrer  selbst  sich  befleissigt,  so  deutlich  und  langsam  wie  mdglich 
seine  Fragen  zu  stellen  und  darauf  zu  bestehen,  dass  der  Schiller  stets  seine 
Antwort  in  einen  verstandigen  Satz  kleide.  Nur  durch  stete  t)bung,  in  vollstan- 
digen  Satzen  zu  antworten,  kann  das  Kind  zum  Denken  und  zur  Wiedergabe 
seiner  Gedanken  gebracht  werden.  Mit  Recht  sagt  Alfred  Graff  under:  ,,Das 
Verfahren,  alle  Antworten  in  vollstandigen  Satzen  geben  zu  lassen,  ist  aller- 
dings  im  Anfang  zeitraubend,  wie  jedes  griindliche  Verfahren,  spater  aber  desto 
mehr  zeitsparend,  weil  dann  am  meisten  Zeit  gespart  wird,  wenn  am  vollstan- 
digsten  gedacht  wird."  Techner  sagt  hieriiber:  ,,Zuerst  hat  der  Lehrer  mit 
allem  Eifer  darnach  zu  trachten,  dass  er  selbst  immer  gut  spreche;  mit  grosser 
Peinlichkeit  hat  er  sich  und  seine  Worte  zu  iiberwachen,  dass  er  sich  nicht  zum 
Vielreden  hinreissen  lasst,  sondern  seine  Schiiler  zu  Worte  kommen  lasst  Das 
1st  nicht  leicht  und  erfordert  viel  Auftnerksamkeit,  Gewissenhaftigkeit  und 
Selbstzucht." 


156  P'ddagogische  Monatshefte. 

Hat  nun  der  Lehrer  einige  Monate  hindurch  fleissig  Anschauungsunterricht 
gegeben,  und  hat  das  Kind  inzwischen  geniigende  Schreibfertigkeit  erlangt,  so 
kann  schon  etwa  im  Februar  mit  dem  Schreiben  kleiner  Satze  begonnen  werden. 
Ich  verfahre  dabei  etwa  folgendermassen.  Ich  nehme  z.  B.  eine  Rose  und  lasse 
mir  dieselbe  natiirlich  erst  miindlich  von  den  Kindern  beschreiben,  wobei  ich 
immer  die  Reihenfolge  beibehalte:  Was  ist  die  Rose?  was  hat  sie,  Wurzel, 
Stamm,  Stengel,  Blatter,  Bliiten,  Dornen;  wo  wachst  die  Rose?  wie  ist  sie?  wann 
blviht  sie?  Nachdem  dies  tiichtig  und  griindlich  eingeiibt  ist,  auch  die  schwien- 
gen  Worter  von  der  Wandtafel  abgelesen  wurden,  sage  ich  den  Kindern,  mir 
aufzuschreiben,  was  sie  von  der  Rose  wissen;  vier  bis  fiinf  kleine  Satze  genii- 
gen  mir.  Ausser  der  Rose  nehme  ich  die  Lilie  als  Aufsatz,  wenn  wir  es  nicht 
als  eine  Entweihung  des  Begriffes  Aufsatz  auffassen  wollen;  von  den  Tieren 
wahle  ich  das  Huhn,  die  Kuh,  die  Ente  u.  s.  w.,  von  den  Baumen  die  Eiche,  die 
Tanne,  ferner  die  vier  Jahreszeiten,  die  Schule  u.  s.  w. 

Dieselben  Themata,  die  in  der  ersten  Klasse  auf  solche  Weise  miindlich  und 
schriftlich  bearbeitet  wurden,  sollten  auf  jeden  Fall  in  der  zweiten  und  dritten 
Klasse  wieder  vorgenommen  werden,  mit  kleinen  Erweiterungen  in  jeder  Klasse. 
Sicher  wurde  dann  der  Schiller  nach  dreijahrigem  Kursus  eine  annehmbare 
Arbeit  liefern  konnen,  wenn.  auch  immer  nur  noch  in  einfachen  Satzen.  Man 
mag  mir  den  Vorwurf  machen,  dies  sei  ein  schablonenhaftes  Verfahren,  docft. 
vergessen  wir  nicht,  dass  wir  nicht  in  Deutschland  sind;  unsere  Kinder  spre- 
chen  nicht  gerne  deutsch,  wie  viel  weniger  werden  sie  deutsch  denken.  Und 
was  wir  wollen,  und  was  wir  sollen,  ist,  unsere  Jugend  zu  lehren,  deutsch  lesen, 
schreiben  und  vor  alien  Dingen  deutsch  sprechen  zu  konnen.  Je  mehr  und  je 
griindlicher  das  letztere  in  den  ersten  Schuljahren  geiibt  wird,  um  so  leichter 
wird  in  den  spateren  Schuljahren  das  Gedachte  geschrieben  werden  konnen. 
Darum  vor  allem:  binweg  mit  den  vielen  zeitraubenden  Buchstabierubungen. 
"Was  niitzt  es  dem  Kinde,  taglich  zwanzig  Worter  zu  buchstabieren,  wenn  es 
kein  einziges  davon  zu  gebrauchen  weiss.  1st  es  nicht  viel  verniinftiger,  man 
lasst  neben  einem  kurzen  Diktat  taglich  einige  Satze  aufschreiben,  die  dem 
Kinde  Gelegenheit  geben,  Worter,  die  es  gelernt,  richtig  anzuwenden;  und  wie 
viele  kostbare  Zeit  geht  durch  das  Nachsehen  und  Verbessern  der  Fehler  in  den 
Buchstabierarbeiten  verloren. 

Ich  mochte  nochmals  hervorheben,  dass  die  in  vorgeschriebener  Weise  ein- 
geiibten  Themata  unbedingt  in  der  zweiten  Klasse  in  etwas  erweiterter  Form 
wieder  durchgenommen  werden  sollten;  einige  Aufsatze  konnen  hinzugefiigt 
werden,  dann  sollten  ganz  dieselben  mit  wiederum  hinzugefiigter  Erweiterung 
in  der  dritten  Klasse  bearbeitet  werden.  Hierdurch  ware  uns  zugleich  eine 
schone  Gelegenheit  geboten,  die  Arbeiten  der  Kinder  von  Jahr  au  Jfthr  zu  ver- 
glefchen.  Zum  Beispiel,  man  giebt  in  alien  drei  Klassen  zu  derselben  Zeit  das- 
selbe  Thema,  welches  natiirlich  von  den  Schiilern  der  zweiten  und  dritten  Klasse 
in  der  ersten  resp.  ersten  und  zweiten  Klasse  vorher  geiibt  worden  war,  und 
sieht,  ob  Fortschritt  Oder  Riickgang  zu  verzeichnen  ist;  denn  leider  kommt  auch 
das  letztere  zuweilen  vor. — Doch  um  das  zu  bewerkstelligen  und  zu  erreichen, 
muss  ein  inniges  Zusammenwirken  der  Lehrerinnen  unumganglich  stattnnden, 
es  muss  ein  Handinhandarbeiten  sein  in  vollstandiger  tJbereinstimmung. 
Wie  kann  eine  Lehrerin  in  der  zweiten  Klasse  erfolgreich  weiter  bauen  an  dem 
Fundamente,  wenn  sie  keine  Ahnung  hat,  welches  Material  bis  dahin  verwandt 
wurde,  und  mit  welchem  Schmerz  erfiillt  es  den  ehrlich  denkenden  Lehrer,  wenn 
er  sehen  muss,  wie  alles  miihsam,  ach  nur  zu  miihsam  Erworbene  und  Einge- 
pragte  so  gaaz  bei  Seite  geschoben  wird.  Darum  mochte  ich  an  alle  L/ehrerin- 
nen  der  ersten  drei  Klassen  die  ernstliche  Bitte  richten,  lassen  Sie  uns  zusam- 


J/om  Roste.  157 

menhalten,  zusammen  arbeiten;  verstandigen  Sie  sich  ganzlich  mit  der  Lehrerin 
des  vorhergehenden  Grades,  passen  Sie  Ihre  Arbeit  der  Vorgangerin  an.  Einig- 
keit  macht  stark,  und  durch  einiges  Zusammenwirken  lasst  sich  wirklich  viel, 
sehr  viel  erreichen  auf  diesem  Felde.  Wir  konnten  auf  diese  Weise  wenigstens 
erreichen,  dass  die  Schiller  beim  Eintritt  in  die  vierte  Klasse  iiber  bestimmte 
Gegenstande  kleine  selbstandige,  richtige  Schreibubungen  liefern  konnen. 
Wie  ein  Haus  mit  schwachem  Fundament  oft  schon  beim  Bauen  zusammen- 
stiirzt,  so  geht  es  den  armen  Kindern,  die  mit  schwacher  Grundlage  in  die  hohe- 
ren  Klassen  versetzt  werden,  und  von  denen  jetzt  Arbeiten  verlangt  werden,  die 
sie  mit  dem  besten  Willen  nicht  liefern  konnen;  da  stiirzt  eben  alles  zusammen, 
und  der  arme  Lehrer  verzweifelt  an  seiner  Aufgabe.  Lassen  Sie  uns  einig  zu- 
sammen stehen  und  ein  Fundament  bauen,  stark  genug,  darauf  weiter  zu  bauen, 
und  ich  bin  sicher,  die  Lehrer  der  hoheren  Klassen  werden  es  uns  Dank  wissen 
und  werden  mit  um  so  grosserer  Lust  weiter  schaffen  an  dem  schonen  Werk, 
das  wir  begonnen. 


II.     Vom  Roste. 


Fiir  die  Mittelstufe  der  Volksschnle  dargestellt  von  Lehrer  W.  Paul,  Neu-Weissensee-Berlin. 


(Aus  ,,Atts  der  Schule,  fiir  die  Schole.") 


Wenn  die  Hausfrau  das  Messer  aus  dem  Tischkasten  holt,  so  findet  sie  es 
wohl  manchmal  mit  rotlichen  Flecken  bedeckt.  Das  ist  der  Rost.  Rost  bildet 
sich  auch  an  dem  Nagel,  der  in  der  Wand  steckt,  an  alten  Schlossern  und  Thii- 
ren,  an  dem  Reifen,  der  das  Rad  zusammenhalt,  und  an  dem  Pfluge  des  Land- 
mannes. 

Alle  eisernen  Gegenstande  rosten. 

Aber  woher  kommt  der  Rost?  Wenn  Messer  und  Gabel  nach  der 
Mahlzeit  fein  sauberlich  abgewischt  werden,  so  werden  sie  selten  vom  Koste 
heimgesucht.  Stets  aber  tritt  derselbe  auf,  wenn  diese  Gegenstande  nach  dem 
Gebrauche  noch  langere  Zeit  in  feuchtem  Zustande  liegen  bleiben.  In  einer 
trockenen  Stube  merken  wir  von  dem  Roste  so  gut  wie  nichts.  In  einer  feuch- 
ten  Kiiche  oder  Kammer  konnen  wir  ihm  taglich  begegnen.  Also  wird  der 
Rost  von  der  Feuchtigkeit  kommen. 

Um  zu  sehen,  ob  unsere  Vermutung  richtig  ist,  wollen  wir  ein  Messer  be- 
trachten,  das  wir  vor  ungefahr  einer  Stunde  etwa  bis  zur  Halfte  ins  Wasser  ge- 
taucht  haben.  Es  ergiebt  sich,  dass  alle  diejenigen  Teile,  welche  mit  dem  Was- 
ser in  Beriihrung  gekommen  sind,  vom  Roste  bedeckt  sind,  wahrend  die  ubrigen 
Teile  ihr  blankes  Aussehen  behalten  haben.  Der  Rost  wird  also  durcft 
die  Feuchtigkeit  herbeigefii  h  rt.  Darum  rosten  auch  die  Gegen- 
stande bei  Regenwetter  verhaltnismassig  schnell,  und  in  feuchten  Gegenden 
tritt  der  Rost  immer  mehr  auf  als  in  trockenen. 

WelcheWirkungiibtnun  derRostaus?  Gabe  es  keinen  Kost, 
so  wiirde  sich  die  Hausfrau  in  der  Kiiche  manche  Arbeit  ersparen  konnen. 
Denn  der  Rost  ist  es,  der  sie  zwingt,  immer  wieder  zum  Putzzeuge  zu  greifen, 
well  er  stets  von  neuem  bemiiht  ist,  den  schonen  Glanz  der  Kiichengerate  zu 
zerstoren  und  ihnen  ein  stumpfes  Aussehen  zu  verleihen.  Gabe  es  keinen  Kost, 
so  wiirde  sich  die  Hausfrau  in  der  Kiiche  manche  Ausgaben  ersparen  konnen. 
Denn  woher  kommt  es,  dass  unsere  eisernen  Kochtopfe  und  Trinkgefasse  so 
leicht  kleine  offnungen  empfangen,  aus  denen  das  Wasser  in  hellen  Tropfen  her- 
vorsickert?  Der  Rost  hat  sich  daran  festgesetzt  und  nicEt  eher  nachgelassen, 


158  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

bis  das  Eisen  ganz  durchfressen  war.  Auch  noch  manche  andere  Dinge  richtet 
der  Rost  an.  Alte  Nagel  macht  er  so  miirbe,  dass  sie  bei  der  geringsten  Veran- 
derung  ihrer  Gestalt  in  Stucke  zerbrechen.  Schloss  und  Schliissel  verbindet  er 
manchmal  so  fest  miteinander,  dass  sich  dieser  weder  nach  der  einen  noch  nacn 
der  andern  Seite  herumdrehen  lasst.  So  w  i  r  k  t  der  Rost  fortwahrend 
zerstorendaufdieSchopfungendesMenschen  ein.  Er 
ist  stets  bemiiht,  das  blanke  Metall,  das  der  Mensch  einst  aus  erdigen  Stoffen 
gewann,  wieder  in  erdige  Stoffe  zu  verwandeln. 

Wie  schiitzen  wir  uns  nun  gegen  diese  Wirkung 
des  Rostes?  Da  der  Rost  durch  die  Feuchtigkeit  hervorgebracht  wird,  so 
wird*  es  vor  allem  darauf  ankommen,  eiserne  Gegenstande  recht  trocken  zu 
h  a  1 1  e  n.  Messer  und  Gabel  miissen  darum  nach  dem  jedesmaligen  Gebrauche 
recbTt  sorgfaltig  abgetrocknet  und  an  einem  trockenen  Orte  aufbewahrt  werden. 
Stahlfedern  miissen  nacb.  ihrer  Benutzung  fein  sauberlich  von  Tinte  befreit  und 
womoglich  von  einer  trockenen  Hiille  umgeben  werden.  Bei  vielen  Gegenstan- 
den  ist  es  aber  nicht  moglich,  sie  der  Einwirkung  der  Nasse  zu  entziehen.  Der 
Deckel,  der  auf  dem  Kbchtopfe  liegt,  kommt  fortwahrend  mit  dem  Dampfe  in 
Benihrung,  und  der  eiserne  Pfeiler,  der  die  Briicke  tragt,  ist  stets  vom  Wasser 
umspiilt.  Hier  hat  man  andere  Mittel  angewandt,  um  die  Bildung  des  Rostes 
zu  verhindern.  Der  eiserne  Deckel  ist  mit  Zinn,  d.  i.  einem  bleiahnlichen  Me- 
talle,  iiberzogen  und  der  eiserne  Trager  mit  Olfarbe  iiberstrichen.  Von  dem 
ole  wissen  wir,  dass  es  kein  Wasser  annimmt,  weil  es  fettig  ist,  und  der  Zinn 
lasst  ebenfalls  keine  Feuchtigkeit  zu  dem  Eisen  gelangen.  Wo  also  eiserne 
Gegenstande  fortwahrend  der  Einwirkung  der  Nasse  ausgesetzt  sind,  kommen 
schutzende  Uberziige  zur  Anwendung.  Solchen  schiitzenden  tiberzug 
bildet  auch  das  Email,  eine  glasartige  Masse,  mit  welcher  unsere  eisernen  Kocn- 
gerate  iiberzogen  sind. 

Ole  und  andere  fettige  Korper  aber  haben  nicht  nur  die  Fahigkeit,  blankes 
Eisen  gegen  das  Rosten  zu  schiitzen,  sondern  sie  sind  auch  imstande,  rostiges 
Eisen  aufzulosen.  Darum  nimmt  man  auch  01,  um  das  rostige  Schloss  wieder 
in  den  Gang  zu  bringen,  und  man  verwendet  Petroleum,  um  eingerostete  Ge- 
genstande wieder  vom  Roste  zu  befreien. 

Kommt  der  Rost  in  das  Blut  des  Menschen,  so  kann  er  Entziindung,  ja 
selbst  den  Tod  herbeifuhren.  Man  soil  sich  darum  hiiten,  auf  rostige  Nagel  zu 
treten,  oder  mit  gewohnlichen  Nahnadeln  und  Messern  Geschwiire  und  blasige 
Hautauftreibungen  zu  offnen.  An  Waschestiicken  erzeugt  der  Rost  die  soge- 
nannten  Eisenflecke,  welche  schwer  zu  entfernen  sind  und  darum  von  der  Haus- 
frau  mit  Recht  gefiirchtet  werden. 


Berichte  und  Notizen. 


I.    Osterreichische  Schulverhaltnisse  und   Lehrergehiilter. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatsheftc.) 


ttber  obiges  Thema  hielt  Herr  Dr.  F.  Monteser  vor  dem  Verein  deut- 
scher  Lehrer  von  New  York  und  Umgegend  in  dessen  Januarsitzung  (siehe  Kor- 
respondenz  aus  New  York)  einen  Vortrag,  aus  welchem  folgende  Angaben  von 
allgemeinem  Interesse  sein  werden. 

Der  Redner  gab  zuerst  eine  Skizze  der  Geschichte  der  osterreichischen 
.Volksschule  von  der  Zeit  der  Kaiserin  Maria  Theresia  bis  zum  Erlasse  des 
Reichs-Volksschulgesetzes  des  Jahres  1869  und  von  da  an  bis  zur  Gegenwart. 
Er  zeigte,  welch  verderblichen  Einfluss  auf  die  Volkserziehung  das  Vorherrschen 
der  reaktionaren  Parteien  in  Osterreich  stets  gehabt  hatte,  und  beleucntete 
dann  gewisse  traurige  Zustande  der  Jetztzeit. 

Sehr  schlecht  ist  es  vor  allem  mit  den  Gehaltsverhaltnissen  der  Lehrer  be- 
stellt.  Trotz  der  Bestimmung  des  Reichs-Volksschulgesetzes,  dass  die  Minimal- 
beziige,  unter  welche  kein  Kronland  herabgehen  diirfe,  so  bemessen  sein  sol- 
len,  dass  Lehrer  und  Unterlehrer,  frei  von  hemmenden  Nebengeschaften,  ihre 
ganze  Kraft  dem  Berufe  widmen  und  erstere  auch  imstande  sein  soilen,  eine 
Familie  ernahren  zu  konnen,  so  stehen  doch  mehr  als  50%  der  osterreichischen 
Lehrer  hinsichtlich  ihres  Einkommens  zum  Teile  weit  unter  dem  sog.  Existenz- 
minimum,  das  als  600  Gulden  angenommen  wird.  Es  wird  berichtet,  dass  Leh- 
rer buchstablich  Hungers  gestorben  seien,  was  uns  bei  einem  monatlichen  l*e- 
halt  von  sechs  bis  sieben  Dollars  ( ! ! )  allerdings  nicht  Wunder  nehmen 
kann.  Nur  die  an  den  staatlichen  Lehrerbildungsanstalten  angestellten  Lehrer 
befinden  sich  in  einer  etwas  besseren  Lage,  allein  auch  deren  Gehalt  1st  kaum 
dem  eines  Beamten  der  niedrigsten  Rangklasse  gleich. 

Speziell  in  Wien,  fuhr  der  Redner  fort,  sei,  seitdem  die  sog.  christlich-so- 
ziale  Partei,  mit  dem  ,,be — riihmten"  Burgermeister  Liiger  an  der  Spitze,  die 
Herrschaft  fiihrt,  das  Schicksal  der  fortschrittlich  gesinnten  Lehrer  sehr  bekla- 
genswert.  Wer  nicht  zur  Fahne  der  herrschenden  Partei  schwore  und  ihr 
Handlangerdienste  leiste,  werde  geachtet.  Belohnungen  und  Beforderungen  ftir 
die  Anhanger  der  Partei,  Zuriicksetzungen,  Disziplinaruntersuchungen  und  Stra- 
fen  fiir  die  der  anderen  seien  an  der  Tagesordnung.  Lehrer  seien  sogar  ge- 
massregelt  worden,  weil  sie  arme  Kinder  im  Schulgebaude  mit  Kleidern  be- 
schenkt  batten.  Geriigt  wurde  dabei  nicht  nur  der  Umstand,  dass  diese  Vertei- 
lung  ohne  amtliche  Erlaubnis  stattgefunden,  sondern  namentlich,  dass  hiezu  der 
Tag  des  Regierungsjubilaums  des  Kaisers  gewahlt  worden  sei. 

Die  achtjahrige  Schulpflicht  ist  natiirlich  der  christlich-sozialen  Partei  oin 
Dorn  im  Auge,  und  es  wird  Lehrern  als  strafwiirdiges  Verbrechen  angerechnet, 
offentlich  gegen  die  Aufhebung  dieses  Gesetzes  aufzutreten.  Uberhaupt  sei  es 
so  weit  gekommen,  dass  nur  Lehrer,  die  eine  ,,christlich-soziale"  Gesinnung  an 
den  Tag  legen,  auf  definitive  Anstellung  rechnen  konnen,  wahrend  andere,  mo- 
gen  sie  auch  noch  so  tuchtig  sein,  sich  wahrend  zehn  bis  fiinfzehn  Jahren  und 
noch  langer  mit  provisorischen  Unterlehrerstellen  und  einem  Jahresgehalt  von 
720  Gulden  ($288)  begniigen  miissen. 

Auch  auf  die  Schulkinder  erstrecke  sich  die  Schulfeindlichkeit  der  leitenden 
Kreise.  So  entzog  man  im  vorigen  Jahre  durch  eine  spezielle  Verordnung  den 
armen  Kindern  die  Lernmittel  fast  ganzlich,  wahrend  sie  friiher  unentgeltlich 
von  Seite  der  Stadt  geliefert  wurden. 


160  Padagogiscbe  Monatsbefte. 

Bei  so  kleinlicher  Sparsucht  der  grossen  Gemeinde  Wien  wird  man  auch  in 
bezug  auf  Schulbauten  keine  hochgespannten  Erwartungen  hegen  dlirt'en.  in 
der  That  herrscht  auch  ein  solcher  Mangel  an  Schulgebauden,  dass  die  dadurch 
hervorgerufene  Uberfiillung  der  Klassen  eine  ernste  Gefahr  t'tir  die  Gesundheit 
der  Kinder  bildet. 

Zum  Schlusse  seiner  Auseinandersetzungen  wies  der  Redner  auf  den  wirt- 
schaftlichen  Niedergang  Wiens,  besonders  im  Vergleiche  mit  dem  Aufbluhen 
von  Berlin  bin.  Wenn  auch  noch  andere  Faktoren  fur  diesen  traurigen  Ruck- 
gang  verantwortlich  zu  machen  seien,  so  stehe  derselbe  doch  unleugbar  mit  der 
geschilderten  Lage  des  Erziehungswesens  in  einem  gewissen  Kausalzusammen- 
hange.  Es  sei  jedoch  erfreulich,  dass  die  Herrschaft  der  ,,christlich-sozialen" 
Partei,  wie  es  nach  dem  Ausgang  der  jungsten  Reichstagswahlen  den  Anschein 
Babe,  endlich  zu  Ende  zu  gehen  im  Begriffe  sei,  und  dass  die  fortgeschrittenen 
und  gebildeten  Schichten  der  Bevolkerung  hoffentlich  bald  den  ihnen  gebuhren- 
den  Einfluss  auf  die  Leitung  der  stadtischen  und  besonders  der  Schulangelegen- 
heiten  erringen  wiirden. 

Der  freisinnigen  Lehrerschaft  Wiens  aber,  die  trotz  der  Ungunst  der  Ver- 
haltnisse  im  Kampfe  ausharrt  und  nicht  nur  wacker  ihre  Pflicht  thut,  Bondern 
auch  im  Dienste  der  Erziehung  stetig  an  ihrer  eigenen  Fortbildung  weiter  arbei- 
tet,  gebiihre  die  Achtung  der  Erziehungsfreunde  der  ganzen  Welt,  und  der  Sieg 
sei  ihr  im  Interesse  des  Fortschritts  und  der  Kultur  auf  das  innigste  zu  wiin- 
schen. 


II.     Korrespondenzen. 

(Fiir  die  Padagogischen  Monatsheftc.) 

Baltimore. 

Mit  dem  Monat  Februar  hat  die  Um-  jede    Schule   hat    einen   Vizeprinzipal 

gestaltung  des  hiesigen    Schulwesens  mit  einem  Gehalt  von  $900,    welches 

ihren  Anfang  genommen.     Die  Schu-  in  grossen  Schulen  auf  $1200    erhoht 

len   sind    neu    mimeriert    und   in    Be-  werden    kann;    alle    anderen    Lehrer 

zirke    (Gruppen)     eingeteilt    worden,  und  Lehrerinnen    in    Elementarschu- 

das  Lehrerpersonal  hat    eine  weitge-  len,  Assistenten  genannt,  erhalten  von 

hende  Anderung  erfahren.     Die  Prin-  $300  bis  $504,  die  letztere  Summe  aber 

ripalstellen  an  den  einzelnen  Schulen  erst  nach  5-jahrigem  Lehramt;  beste- 

sind  abgeschafEt.      Nach    der    Neunu-  hen  sie  dann  ein  gutes  Examen,    so 

merierung    fallen    die  Bezeichnungen  konnen  sie  $600  erhalten,    wenn    die 

Primar-Grammar-,      englisch-deutsche  Verwilligung  es  erlaubt;  Lehrer    und 

und  Negerschulen  weg1,    die    Schulen  Lehrerinnen,  die  jetzt  in  den  offent- 

sind    nur    noch    nach    Nnmmern    be-  lichen  Schulen  unterrichten,  beziehen 

kannt,  und  zwar  von  1 — 157  und  mehr.  in  Zukunft  das  Gehalt,    welches    sie 

Von  1 — 50  sind  Primarschulen,  51 — 70  zuvor  bezogen,  wenn  es  auch  mehr  als 

Annexschulen,    71 — 90    Grammarschu-  $504  betragt;  der  zweite  Hulfssuperin- 

len,  91 — 100  englisch-deutsche  Schulen  tendent  soil  $2400  pro  Jahr  beziehen, 

und  von  101 — 150  Negerschulen.  der  Supervisor  fur  den  Zeichenunter- 

Der  Plan  der  Einteilung  der  Schu-  richt  $900,   die   Supervisoren  fur  Na- 

len  in  Bezirke  schliesst  auch  die  Ein-  delarbeit  $750  und  der  Supervisor  fur 

luhrung  einer  Gehaltsskala  ein.      Die  den     Musikunterricht     $1500,     dessen 

Bchulen  sind  in  25  Bezirke,  alphabe-  zwei  Assistenten  je  $900  bekommen. 
tisch     bezeichnet,     eingeteilt,     ausge-  Oberlehrer  Schonrich  ist  bei  dieser 

nommen    sind    alle  Hochschulen  und  Umwalzung  an  die  Schule  No.  3  (93) 

die  polytechnischen    Institute.      Jede  versetzt  worden.     Bei  seinem  Abgang 

cinzeJne  Gruppe    hat    einen  Prinzipal  von  der  Schule  No.  1  (91),  an  der  er 

mit  einem  Gehalt  von  $1800  bis  $2000  seit  1884  thatig  gewesen  war,  wurde 

pro  Jahr;     zwei  derselben,    we'.l    die  ihm  eine  hiibsche  Abschiedsfeier  ge- 

Gruppen  klein  sind,  jedcch  nur  $1500;  geben,   wobei   er  mit  wertvollen   Ge- 


Korresponden^en . 


161 


schenken  uberrascht  wurde;  und  zwar 
erhielt  er  von  dem  Lehrerpersonal 
eine  Brillantnadel  und  von  den  Ober- 
klassen  einen  samtnen  Lehnstuhl,  ei- 
nen  seidengefiitterten  Hausrock,  eine 
silberne  Rauchgarnitur  und  impor- 
tierte  Zigarren  nebst  Bildern  und 
Blumenspenden.  Seine  neue  Schule  ist 
bei  weitem  die  grosste  der  Stadt;  sie 
zahlt  1,650  Zoglinge  und  40  Lehrer 
und  Lehrerinnen.  (\Vir  freuen  uns 
aufrichtig  viber  die  Auszeichnung,  die 
unserm  werten  Freunde  und  treuen 
Mitarbeiter  zu  teil  wurde,  und  wiin- 
schen  ihm  von  Herzen  Gliick  in  sei- 
nem  neuen  Wirkungskreise.  D.  R.) 

In  der  Schulbenorde  wurde  un- 
langst  eine  Zuschrift  nachfolgenden 
Inha'ts  verlesen: 

,,Der  ,,Unabhangige  Biirgerverein 
von  Maryland",  eine  Organisation, 
welche  30  deutsche  Vereine  reprasen- 
tiert  und  dessen  Zweck  es  ist,  eine 
wohlthuende  tJbersicht  iiber  die  6f- 
fentlichen  Angelegenheiten  zur  Si- 
cherung  einer  ehrlichen,  fahigen  und 
sparsamen  Munizipal-  und  Staatsver- 
waltung  zu  fiihren,  den  Charakter 
und  die  Fahigkeiten  von  Kandidaten 
fur  offentliche  Amter  zu  iiberwachen, 
ein  Protokoll  iiber  die  Amtsthatigkeit 
Erwahlter  zu  fuhren,  die  biirgerlichen 
und  politischen  Rechte  seiner  Mit- 
glieder  zu  schiitzen,  den  Widerruf 
veralteter  und  hinderlicher  Gesetze 
anzustreben  und  im  allgemeinen  die 
Wohlfahrt  der  Biirger  zu  fordern,  — 
dieser  Verein  hat  in  seiner  letzten 
Exekutivsitzung  folgende  Beschliisse 
angenommen : 

,,Beschlossen,  dass  die  Schulbehorde 
hierdurch  ersucht  wird,  diesen  Yerein 
dariiber  in  Kenntnis  zu  setzen: 

1.  Warum  keine  Priifung  von  Ap- 
plikanten  um  deutsche  Lehrerstellen 
bei  der  Priifung  im.  September  zuge- 
lassen  wurde; 

2.  \Varum  die  Vakanzen  unter  dem 
cleutschen    Lehrerpersonal    nicht    ge- 
fiillt  werden: 

3.  Was  ist  die  Ursache,  dass  engli- 
sche  Stellvertreter  fur  die  deutschen 
Lehrer     substitutiert    werden,     wenn 
solche  abwesend  oder  krank  sind; 

4.  Was    ist  die  Ursache,    dass    die 
Behorde    keinen    Hulfssuperintenden- 
ten  fiir  die  englisch-deutschen  Schu- 
len  anstellt; 

5.  Warum  werden  die    Klassen    in 
englisch-deutschen     Schulen     von.     40 
auf  50  Kinder  erhoht; 

6.  Was   ist   die    Ursache.   dass   vier 
wertvolle  Monate  des  Schuljahres  ver- 
strichen,  ohne  dass  die  Kinder  Biicher 


und  Schreibmaterialien  erhielten,  wie 
es  das  Gesetz  vorschreibt. 

Das  Exekutivkomitee  des  ,,Unab- 
hangigen  Bvirgervereins  von  Mary- 
land" ist  ebenfalls  autorisiert,  die 
Aufmerksamkeit  Ihrer  ehrenwerteu 
Korperschaft  auf  das  folgende  zu  len- 
ken,  was  in  einem  Zirkular  der  Be- 
horde iibersandt  wurde,  als  man  den 
Versuch  machte,  der  englisch-deut- 
schen Schule  No.  1  das  fiir  sie  be- 
stimmte  Gebaude  zu  entziehen: 

,,Als  sich  vor  einigen  Jahren,  gerade 
wie  jetzt,  eine  feindselige  Stimmung 
gegen  den  deutschen  Unterricht  in 
den  Volksschulen  geltend  machte, 
wurde  der  Prinzipal  einer  der  Gram- 
marschulen  um  seine  Ansicht  iiber 
den  Wert  dieser  Schulen  befragt,  und 
dieser  erwiderte  ohne  Zogern,  dass 
der  gute  Besuch  der  beste  Beweis 
ihrer  Zweckmassigkeit  sei.  Er  be- 
trachtete  es  als  die  Pflicht  der  Stadt, 
diese  Schulen  nicht  nur  zu  erhalten, 
sondern  mit  dem  Wachsen  der  Stadt 
auszudehnen.  Seit  dem  Errichten  die- 
Ber  englisch-deutschen  Schulen  seien 
viele  der  Privat-  und  Gemeindeschu- 
len  geschlossen  worden,  und  die  Stadt 
sei  moralisch  gezwungen,  die  Arbeit 
dieser  Institute  zu  ubernehmen  und 
die  Kinder  deutscher  Eltern  als  ame- 
rikanische  Burger  zu  erziehen.  Diese 
Arbeit  sei  von  den  englisch-deutschen 
Schulen  so  gut  gethan  worden,  dass 
der  Stadtrat  stets  bereit  war,  die  er- 
forderlichenMittel  zu  liefern.  Nur 
kurzsichtige  Personen,  deren  Vorfah- 
ren  nie  ein  Wort  Englisch  verstanden 
hatten,  konnten  diesen  Instituten  op- 
ponieren." 

Der  Prasident  der  Schulbehorde 
antwortete  dem  ,,Unabhangigen  Biir- 
ger\-erein  wie  folgt: 

,,Die  Schulbehorde  erhielt  in  ihrer 
Versammlung  am  22.  Januar  die  Zu- 
schrift Ihres  Vereins  und  instruierte 
mich  darauf,  zu  erwidern.  Ich  will 
Ihre  Fragen  in  deren  Reihenfolge  be- 
an tworten: 

1.  Im  letzten  Sept-ember  fand  keine 
Priifung  von  Applikanten  fiir  Stellen 
als  deutsche  Lehrer  oder  Lehrerinnen 
statt,  weil  nach  Ansicht  der  Behorde 
zu   jener   Zeit   keine   solche    Priifung 
notwendig  war. 

2.  Die     Vakanzen     im     Stabe     des 
deutschen      Lehrerpersonals     werden 
von  Zeit  zu  Zeit  durch  ttbertragungen 
von  anderen  Schulen,  wo  solche  Leh- 
rer oder  Lehrerinnen  uberzahlig  sind, 
ausgefiillt. 

3.  In  Fallen,  wo  englische  Lehrer 
oder  Lehrerinnen  angewiesen  wurden, 


162 


P'ddagogiscbe  Monat she/it. 


die  Arbeit  von  abwesenden  Lehrern 
oder  Lehrerinnen  zu  thun,  geschah 
dieses,  weil  zur  Zeit  kein  deutscher 
Lehrer  verfiigbar  war.  Solche  Falle 
sind  weniger  haufig  gewesen. 

4.  Die  Behorde   hat  keinen  Hiilfs- 
superintendenten     fur     die     englisch- 
deutschen   Schulen   ernannt,   weil   sie 
keine    gesetzliche    Vorschrift    kennt, 
welche   sie   dazu   anhalt,    und   es   ist 
nach  Ansicht  der  Behorde  besser,  dass 
diese  Schulen  einen  Teil  des  vollstan- 
digen   Systems  bilden  sollen,   anstatt 
sie  als  Spezialklasse  zu  behandeln, 

5.  Die    Klassen    in    den    englisch- 
deutschen    Schulen    sind     gerade    so 
gross,   wie  in    anderen    Schulen.    Die 
Behorde  kennt  keine  gesetzliche  Vor- 
schrift,  warum   diese   Schulen  besser 
behandelt  werden  sollten,  als  andere 
Schulen. 

6.  Sie  fragen,  warum  vier  Monate 
des  Schuljahres  verflossen,  ohne  dass 
die   Kinder   die   notwendigen    Biicher 
und  Schreibmaterialien  erhielten.    Da 
der    Beschluss,    welcher    diese    Frage 
stellt,  nach  Ihrer  Angabe  am  3.  De- 
zember    (soil    23.    heissen)    angenom- 
men  ward,  genau  zwei  und  einen  hal- 
ben  Monat  nach  Eroffnung  der  Schu- 
len, so  mag  es  geniigen,  zu  antworten, 
dass  die  Frage  auf  unrichtige  Anga- 
ben  von  Thatsachen  basiert  ist.    Aber 
um  die  Anfrage  im  Geiste,  wie  auch 
dem   Buchstaben   nach    zu   beantwor- 
ten,  sei  hier  mitgeteilt,  dass  die  Be- 


horde beschlossen  hatte,  ein  anderes 
System  beim  Contrahieren  fur  Biicher 
und  Schreibmaterialien  gegen  das  frii- 
her  gebrauchliche  einzufiihren,  um 
alle  Bieter  auf  gleichen  Fuss  zu  stel- 
len.  Dieser  neue  Plan  ging  dahin,  um 
Angebote  fur  bestimmte  Betrage  zu 
ersuchen,  anstatt  wie  friiher  ftir  sol- 
che  Sachen,  wie  sie  notig  sein  mogen. 
Diese  bestimmten  Betrage  wurden 
von  Requisitionen  der  Prinzipale  zu- 
sammengestellt.  Wegen  Missverstand- 
nissen  in  bezug  auf  den  neuen  Plan 
entstand  einige  Verzogerung  in  der 
Ablieferung  von  Biichern  und  Schreib- 
materialien an  einige  der  Schulen; 
jetzt  aber,  nachdem  die  neue  Methode 
besser  verstanden  wird,  werden  sol- 
che  Unannehmlichkeiten  in  der  Zu- 
kunft  kaum  mehr  zu  erwarten  sein, 
imd  die  Behorde  ist  der  Ansicht,  dass 
diese  Methode  fur  alle  Betroffenen 
besser  ist,  als  die  alte.  Wenn  irgend 
eine  Schulen  nicht  vollstandig  ver- 
sorgt  ist,  so  hat  die  Behorde  keine 
Kenntnis  davon." 

Im  deutschen  Lehrerverein  sind  bei 
den  jungsten  Versammlungen  wieder 
sehr  interessante  Vorlesungen  zu  Ge- 
hor  gekommen.  Dieselben  wurden 
gehalten  von  Oberlehrer  Fr.  Schrock 
und  von  den  Lehrerinnen  Louise  Miil- 
ler  und  Bertha  Gichner.  Fraulein 
Gichner  wird  bei  den  Besuchern  des 
Philadelphier  Lehrertags  noch  in  gu- 
tem  Andenken  stehen.  S. 


Chicago. 


Am  23.  Februar  hielt  der  d  e  u  t- 
sche  Lehrerverein  seine  Jah- 
resversammlung  ab.  Der  ge- 
mischte  Chor  erfreute  uns  mit  zwei 
schonen  Liedern:  ,,Abschied  vom 
Walde"1  und  ,,Der  Lindenbaum". 
Jahres-  und  Kassenberichte  wurden 
verlesen  und  mit  Befriedigung  ent- 
gegen  genommen.  In  den  Vorstand 
wurden  ausser  dem  Unterzeichneten 
folgende  Damen  und  Herren  gewahlt: 
E.  Erfurth,  A,  Scheunemann,  B. 
Kluge,  Cl.  von  Otterstedt,  Frau  Zan- 
der, Frau  Lydia  Slomer  und  P.  Zeller. 
Leider  konnte  aus  Mangel  an  Zeit 
der  angekiindigte  Vortrag  iiber  daa 
Ammergauer  Passionsspiel  nicht  ge- 
halten werden.  Der  Verein  ersuchte 
aber  Herrn  Dr.  Zimmermann  den 
Vortrag  in  der  Aprilversammlung  zu 
halten.  Mit  sichtlicher  Freude  und 
Herzlichkeit  wurden  Herr  Supt. 
Abrams  und  Kedakteur  M.  Griebsch 
aus  Milwaukee  als  Gaste  willkommen 
geheissen.  Der  Verein  wiinscht,  dass 
der  Lehrertag  am  Anfang  der  Ferien 
abgehalten  werde.  An  der  Unter- 
stxitzung  der  ,,Padagogischen  Monats- 


hefte"  wird  sich  der  Verein  thatkraf- 
tig  beteiligen. 

Die  Verteilung  der  dem 
Schulrat  zurVerfiigung  ste- 
henden  Gelder  fur  die  einzelnen 
Abteilungen  ist  gliicklich  geschehen. 
Ohne  irgendwie  Aufsehen  zu  erregen, 
ist  es  Dr.  Zimmermann  gelungen,  fur 
das  deutsche  Departement  $180,000  zu 
erhalten.  Von  den  21  Schulraten 
stimmten  nur  die  Herren  Dawes,  Ro- 
gers und  Rowland  dagegen.  Noch 
einen  anderen  grossen  Sieg  hat  Dr. 
Zimmermann  errungen.  Ihm  ist  es 
namlich  gelungen,  das  Deutsche  in  der 
Normal  -  Ubungsschule  einzufiihren. 
Unter  Aufsicht  einer  tiichtigen  Lehr- 
kraft  miissen  nun  die  angehenden 
Lehrer  auch  Lehrproben  im  Deut- 
schen abhalten.  Dass  diese  Einrich- 
tung  fiir  den  deutschen  Unterricht 
in  Chicago  von  weittragendster  Be- 
deutung  ist,  liegt  auf  der  Hand,  Von 
seiten  der  Lehrerschaft,  ja  des  gan- 
zen  Deutschtums  der  Stadt  gebiihrt 
Herrn  Dr.  Zimmermann  hierfiir  der 
warmste  Dank.  E.  A.  Z. 


Korresponden^en . 


163 


Cincinnati. 


Die  nicht  stattgehabte  ,,F  a  u  s  t- 
a  u  f  ii  h  r  u  11  g"  1st  gliicklich  hinter 
xins,  und  man  kann  sein  Augenmerk 
mehr  erbaulichen  Dingen  zuwenden. 
Da  tritt  fur  unseren  Erziehungsrat 
das  Schicksal  der  Technischen 
S  c  h  u  1  e  wieder  in  den  Vordergrund. 
Was  soil  aus  diesem  Institut,  daa 
bisher  als  Privatunternehmen  betrie- 
ben  wurde,  werden,  wenn  es  sein 
Quartier  bald  verlassen  muss  und  die 
Privatzuschiisse  nachlassen?  Diese 
Frage  beschaftigte  den  Schulrat  in 
seiner  Sitzung  vom  11.  Februar,  ganz 
besonders,  als  ein  Biirgerkomitee  sehr 
warm,  den  Plan  befiirwortete,  ge- 
nanntes  Institut  dem  offentlichen 
Schulsystem  anzugliedern.  Das  Ko- 
mitee  wies  unter  anderem  darauf 
hin,  dass  alle  grosseren  Stadte  des 
Landes  derartige  Handfertigkeits- 
schulen  als  Teil  ihres  offentlichen 
Schulsystems  besassen,  und  es  bedau- 
erlich  sei,  dass  Cincinnati,  das  doch 
als  Fabrikstadt  eine  hervorragende 
Stellung  einnehme,  noch  keine  solche 
Anstalt  sein  eigen  nenne.  Den  Abi- 
turienten  der  Intermediatschulen  soll- 
te  es  freigestellt  sein,  ob  sie  die  Hoch- 
schule  oder  die  Handfertigkeitsschule 
besuchen  wollen;  zweifelsohne  wiir- 
den  sich  dann  sehr  viele  fur  letztere 
erklaren,  wo  sie  ausser  einer  prak- 
tischen  Ausbildung  auch  noch  einen 
gediegenen  Unterricht  in  der  deut- 
schen  oder  spanischen  Sprache  erhal- 
ten.  Auf  alle  die  iiberzeugenden  Ar- 
gumente  hat  der  Erziehungsrat  je- 
doch  immer  nur  die  Erwiderung,  dass 
keine  Gelder  fiir  Ubernahme  dieses 
Instituts  vorhanden  seien. 

Diese  ewige  Klage  und  Entschuldi- 
gung  des  Schulrats  ruf t  den  Grif- 
fith-Griff wieder  ins  Gedachtnis. 
Nach  zweimonatlicher  Bucherunter- 
suchung,  die  ergeben,  dass  Griffith  ge- 
nau  $126,718  unterschlagen  hat,  be- 
gannen  nun  seit  dem  25.  Feb.  die 
Staatsinquisitoren  mit  dem  miind- 
lichen  Zeugenverhor,  um  auszufinden, 
wie  viel  Schuld  den  verschiedenen  Re- 
visionsausschiissen  der  letzten  zwolf 
Jahre  wegen  Nachlassigkeit  beizu- 
messen  sei,  und  ob  sich  iiberhaupt 
in  unserer  Schulverwaltung  Korrup- 
tion  eingeschlichen  habe.  Wer  in  letz- 
terer  Beziehung  etwas  weiss  und  be- 
weisen  kann,  ist  eingeladen,  vor  dem 
hochnotpeinlichen  Fehmgericht  Aus- 
sagen  zu  machen.  '  ,,Wissen  thun" 
wird  wohl  mancher  etwas,  z.  B.  liber 
Anstellung  und  Absetzung  von  Leh- 
rern,  Bau  von  Schulhausern  u.  s.  w., 
aber  beweisen?  !  Bei  der  ganzen  Un- 


tersucherei  wird  also  am  Ende  nichts 
herauskommen  als  —  der  ganze  Schul- 
rat, namlich  aus  Amt  und  Wurde,  wie 
es  leider  neuerdings  sehr  den  An- 
schein  hat.  Da  man  hierzulande  be- 
zeichnender  Weise  keinem  Menschen 
zutraut,  dass  er  einen  ofEentlichen 
Vertrauensposten  nur  der  Ehre  hal- 
ber  versieht,  so  soil  an  Stelle  des  un- 
bezahlten  Schulrats  eine  salarierte 
Erziehungskommission,  bestehend  aus 
fiinf  oder  sieben  Mitgliedern,  treten. 
Bis  unsere  Staatslegislatur  wieder  zu- 
sammentritt,  wird  sich  dieser  radi- 
kale  rReformeifer  hoffentlich  etwas 
abgekiihlt  haben. 

Da  ich  nun  gerade  bei  Betrug  und 
Schwindelgeschichten  bin,  so  mag 
hier  ein  anderer  fauler  Zau- 
b  e  r  Ervvahnung  finden.  In  den 
letzten  Wochen  liess  ein  ,,Professor" 
A.  P.  Haupt  von  Cleveland,  O.,  in 
den  hiesigen  Strassen  hiibsch  ge- 
druckte  Reklamezettel  verteilen,  auf 
welchen  in  grossen  Lettern  also  zu 
lesen  stand:  German  in  five  weeks  or 
in  25  Lessons  —  a  charmingly  inter- 
esting course  for  ladies  and  gentle- 
men of  all  ages  —  no  hard  study  re- 
quired —  endorsed  from  ocean  to 
ocean!  Der  Herr  Professor,  der  reine 
Sprachwissenschaft  im  Heim  der 
christlichen  Jiinglinge  verzapft,  setzt 
stolz  hinter  seinen  Namen  M.  A.  und 
Ph.  D.  und  nermt  sich  geschmackvoll 
"The  King  of  entertainers  as  teacher 
of  practical  German"  zu  Deutsch  wohl 
kurz  ,,schulmeisterlicher  Hanswurst". 
Dieser  Charlatan  hat  auch  einige 
,,praktische"  Lehrbiicher  iiber  seine 
Sprachzauberei  veriibt  und  fiihrt  auf 
seinem  Eeklamezettel  eine  Masse  Em- 
pfehlungen  seiner  unfehlbaren  Me- 
thode  an.  Warum  behauptet  Herr 
Haupt  nicht,  dass  man,  um  die  deufc- 
sche  Sprache  sozusagen  im  Schlafe 
zu  erlernen,  sein  Lesebuch  nur  fiinf 
Wochen  als  Kopfkissen  zu  beniitzen 
brauche?  —  das  ware  noch  viel  ein- 
facher,  und  Dumme  w^iirden  sich  ge- 
wiss  finden,  die  auch  dieses  glauben. 
Eine  gewisse  Menschensorte  scheint 
ja  nie  ,,alle"  zu  werden,  sonst  wiirde 
man  sich'nicht  mit  solchem  plumpen 
Schwindel  an  die  Offentlichkeit  wa- 
gen. 

Eine  durch  den  englischen  Lefcrplan 
bedingte  Neuerung  unseres  Schulsu- 
perintendenten,  die  halbjahrli- 
che  Versetzung  von  Schiilern, 
wurde  in  einer  Extrasitzung  des 
Hochschulrats  als  vorlaufig  unaus- 
fiihrbar  abgelehnt,  soweit  es  wenig- 


164 


Padagogische  Monatsbefte. 


stens  die  Februarversetzung  von  der 
Intermedia!-  nach  der  Hochschule  be- 
trifft.  Damit  diirfte  wohl  auch  der 
forcierte  Halbjahrschub  in  den  uon- 
gen  Graden  lahm  gelegt  sein. 

Eine  andere  Neuerung  Dr.  Boone's, 
die  aber  vielen  Lehrern  sehr  beliebt 
war,  namlich  der  Besuch  auswarti- 
ger  Schulen  ohne  Gehaltsabzug,  wird 
ebenfalls  bald  wieder  abgethan  wer- 
den.  Bei  der  Schulratssitzung  vom 
25.  Februar  haben  sich  bereits  Stim- 
men  gegen  diese  allzustark  zuneh- 
menden  Schulbesuche,  die  zur  weite- 
ren  Ausbildung  des  Lehrers  dienen 
sollen,  geltend  gemacht,  da  sie  in  den 
meisten  Fallen  als  Vergniigungsrei- 
sen  missbraucht  wiirden. 

In  der  Sitzung  des  deutschen  Obe  r- 
lehrervereins  vom  28.  Februar, 
gab  Herr  Constantin  Grebner  per- 
sonlich  naheren  Aufschluss  iiber  In- 
halt  und  Beniitzung  seines  Buchea 
,,Deutsche  Geschichten  und  Sagen 
fur  Schule  und  Haus",  das  er  zu  Ende 


dieses  Schuljahres  herauszugeben  ge- 
denkt.  Im  Verlaufe  seiner  Erklarun- 
gen  wies  der  Verfasser  darauf  hin, 
dass  die  vielen  derartigen  Werke,  die 
bisher  in  Deutschland  herausgegeben 
\vorden  seien,  teils  zu  weitschweifig, 
teils  religios  oder  politisch  zu  einsei- 
tig  seien,  wahrend  er  in  seinem  Wer- 
ke beides  vermieden  habe.  Nach  ei- 
ner  langeren  Debatte,  in  welcher  be- 
sonders  hervorgehoben  wurde,  dasa 
die  deutschamerikanische  Geschichte 
noch  mehr,  als  es  bereits  der  Fall, 
in  dem  Buch  berucksichtigt  werden 
mochte,  nahm  man  den  Bericht  des 
Priifungskomitees  an.  Damit  wird 
dem  Verfasser  gestattet,  in  seinem 
Prospekt  von  der  Empfehlung  dea 
Oberlehrervereins  Gebrauch  zu  ma- 
chen. 

Wegen  vorgeschrittener  Zeit  wurde 
Herrn  Schafers  Vortrag  ,,Deutscher 
Minnesang"  bis  zur  nachsten  Sitzung 
verschoben. 

E.  K. 


Milwaukee. 


Grosses  Interesse  wird  einem  Ge- 
setzentwurf  entgegengebracht,  den 
Senator  Devos  von  Milwaukee  in  der 
Legislatur  in  Madison  eingereicht  hat. 
Dieser  Entwurf  bestimmt,  dass  in  Zu- 
kunft  die  Schulbehorde  direkt  vom 
Volke  erwahlt  werden  soil.  Jetzt  wer- 
den die  21  Mitglieder  der  Schulbe- 
horde —  jede  Ward  hat  einen  Vertre- 
ter  im  Schulrat  —  von  einer  Kommis- 
sion  ernannt.  Die  vier  Mitglieder  die- 
ser  Wahlkommission  werden  vom 
Biirgermeister  ernannt.  Friiher  wur- 
den  die  42  Mitglieder  des  Schulrats 
von  den  ,,Aldermen"  der  betreffen- 
den  Ward  ernannt.  Im  Jahre  1897 
wurde  das  jetzige  Schulgesetz  ange- 
nommen.  Durch  dasselbe  wurde  die 
Zahl  der  Vertreter  im  Schulrat  auf 
21  herabgesetzt.  Zugleich  vv^urde  die 
Ernennung  dieser  Schuldirektoren  — 
so  werden  die  Vertreter  der  Wards 
im  Schulrat  genannt  —  durch  die  vom 
Burgermeister  ernannte  Kommission 
vorgesehen.  Die  Devos'sche  Vorlage 
wird  von  gewisser  Seite  eifrig  befiir- 
wortet;  doch  fehlt  es  auch  nicht  an 
Gegnern. 

Der  Legislatur  liegen  noch  andere 
Vorlagen  vor,  welche  unsere  Schulen 
betreffen.  Ein  Entwurf  bestimmt, 
dass  Superintendenten  und  Prinzipale 
im  Besitze  von  Sta^tszeugnissen  sein 
miissen.  Unser  Schulrat  empfiehlt  die 
Annahme  eines  Gesetzes,  welches  dem 
Superintendenten  und  seinem  ersten 
Assistenten  in  den  wichtigsten  Aus- 


schiissen  des  Schulrats  das  Stimm- 
recht  entzieht,  und  den  Superinten- 
denten nur  noch  als  beratendes  Mit- 
glied  an  den  Sitzungen  dieser  Aus- 
schiisse  teilnehmen  lasst.  Die  Gemii- 
ter  werden  sich  wohl  erst  wieder  be- 
ruhigen,  wenn  sich  unsere  Gesetzge- 
bung  vertagt  hat. 

Am  18.  Februar  fand  eine  Sitzung 
des  Vereins  Deutscher  Lehrer  statt. 
Herr  Eudolf  Braun  von  der  9.  Primar- 
schule  verlas  eine  Abhandlung  uber 
die  LehrAveise  des  Sokrates  von  C.  L. 
Roth  aus  dem  Lesebuche  von  Kehr 
vind  Kriebitzsch.  Von  der  letzten  Sit- 
zung lagen  noch  mehrere  Punkte  iiber 
das  Diktat  zur  Besprechung  vor.  Herr 
B.  A.  Abrams  wies  auf  einen  Aufruf 
des  Vorstandes  des  ,,Deutschamerika- 
nischen  Nationalbundes  der  Vereinig- 
ten  Staaten  von  Nordamerika"  hin. 
Es  wurde  hervorgehoben,  dass  der 
Bund  das  Gefiihl  der  Zusammengeho- 
rigkeit  starken,  die  Erhaltung  der 
deutschen  Sprache  in  unserem  Lande 
fordern  und  alle  gemeinsamen  geisti- 
gen  Interessen  aller  Deutschamerika- 
ner  wahrnehmen  soil.  Der  Sekretar 
wurde  beauftragt,  sich  mit  dem  Se- 
kretar des  Nationalbundes,  Herrn 
Adolph  Timme,  522  West  Lehigh  Ave., 
Philadelphia,  Pa.,  in  Verbindiing  zu 
setzen,  urn  Genaueres  iiber  Zweck  und 
Ziel  des  Bundes  zu  erfahren.  Spater 
soil  dann  iiber  die  Zweckmassigkeit 
der  Griindung  eines  Staatsverbandes, 
sowie  iiber  eventuellen  Anschluss  an 


Korresponden^en. 


165 


den  Nationalen  Bund  beraten  werden. 
In  unserer  Stadt  und  im  ganzen  Staa- 
te  sollte  es  nicht  schwer  fallen,  dieses 
Ziel  zu  erreichen;  dann  konnte  Mil- 
waukee schon  auf  der  nachsten  Kon- 
vention  des  Bundes  vertreten  sein. 
Diese  soil  im  Juni  dieses  Jahres  in 
Cincinnati,  oder,  wenn  der  Vorschlag 


des  ,,Zentralbundes  von  Pennsylva- 
nien"  angenommen  wird,  am  6.  Ok- 
tober,  dem  Tag  der  Griindung  Ger- 
mantowns,  in  der  Halle  der  ,,Deut- 
schen  Gesellschaft  von  Pennsylva- 
nien",  in  Philadelphia,  abgehalten 
werden. 

J.  E. 


New  York. 


Deutscher  Lehrerverein 
von  New  York  und  Umge- 
g  e  n  d.  Dem  Herkommen  gemass 
versammelten  sich  die  Mitglieder  der 
deutschen  Lehrervereins  von  •  New 
York  und  Umgegend  auch  diesmal 
wieder  am  1.  Samstag  des  Monats, 
in  ihrem  Lokal  bei  Allaire,  18.  Strasse 
und  3.  Ave.,  N.  Y.  Der  Besuch  war 
ein  ungewohnlich  lebhafter,  und  die 
Reden  und  die  darauf  folgenden  Dis- 
kussionen  beicundeten  eine  solche  Ge- 
sinnungsiibereinstimmung,  dass  uns 
die  gestrige  Vereinsitzung  in  einer 
poetischen  Anwandlung  fast  wie 
eine  Morgenrote  des  jungen  Jahr- 
hunderts  erschien.  Wirft  das  20.  Jahr- 
hundert  seine  Schatten  voraus?  Wer- 
den die  Deutschen  und  insbesondere 
die  deutschen  Lehrer  wirklich  einmal 
ein  einig  Volk  von  Brudern? 

Oder  waren  es  nur  aussere  Ver- 
haltnisse,  die  eine  so  stattliche  Zahl 
zusammenbrachten  und  die  zu  einer 
so  harmonischen  tinheit  zusammen- 
wirkten?  War  es  das  neue  Direkto- 
rium  der  neuen  Organisation,  das  man 
handeln  zu  sehen  wxinschte,  oder  war 
es  das  neue  Lokal,  das  ochlaraffen- 
heim,  das  eine  solche  Anziehungs- 
kraft  ausiibte,  oder  das  Liebesmahl, 
das  die  Einladungskarten  in  so  ver- 
fuhrerischen  Farben  ankundigten, 
oder  der  angemeldete  Vortrag,  der 
aber  in  mysterioser  Weise  titellos  ver- 
schleiert  nur  den  IN  amen  des  Vortra- 
genden  verriet,  oder  war  es  das  Vor- 
gefiihl  eines  Extragenusses,  dass  uns 
wahrend  der  Sitzung  noch  ein  anderes 
Vergniigen  erwarte.  dass  man  durch 
einen  Riss  im  Vorhang  der  zum  Ne- 
benzimmer  fiihre,  das  grazioseste  Bal- 
let der  schonsten  Schonen  New  Yorks, 
die  sich  eben  auf  ihren  Fasching  ein- 
iibten,  wiirde  bewundern  konnen? 

Wie  dem  immer  sei,  sie  waren  alle 
da,  die  Herren  von  Newark  bis  Jamai- 
ca, von  Yonkers  bis  Staten  Island, 
vom  Rektor  (Prinzipal)  der  Hochscnu- 
le,  vom  Professor  der  Columbia  Uni- 
versitat  und  dem  Hoehsoh"llp*>Tf»r  ^OT) 
Nev^  York  und  Brooklyn  bis  zum 
jtingsten  Schulmeisterlein  vom  Lande. 

Mit  grosser  Spannung  sah  man  der 


,,kaiserlicben"  Thron-  und  Eroff- 
nungsrede  entgegen.  Man  entschul- 
dige  den  Kalauer.  Aber  wir  haben 
ein  Recht  von  einer  kaiserlichen  Rede 
zu  sprechen.  Unser  neugewahlter 
Prasident  ist  namlich  wirklich  ,,ein 
Kaiser  von  Gottes  Gnaden",  er  wurde 
als  Kaiser  geboren,  er  heisst  Kaiser, 
ist  Dr.  Kaiser  und  augenblicklich 
ruler  of  the  annex  of  the  Boys  High- 
School  of  New  York  City.  Man  sollte 
von  der  Empfangsrede  nicht  ent- 
tauscht  werden.  Mit  Genugthuung 
konstatierte  ,,Unser  Kaiser",  dass  die 
Beziehungen  im  Inneren  und  Xusse- 
ren  des  Vereinsreiches  als  glanzende 
bezeichnet  werden  miissen,  und  dass 
er  alles,  was  in  seinen  Kraften  stehe, 
thun  werde,  um  den  Verein  zu  for- 
dern  und  zu  heben,  so  dass  der  Verein 
dermaleinst  den  Platz  erringe,  den  er 
von  Recht  swegen  verdiene.  Ein  gun- 
stiger  Anfang  sei  schon  gemacht,  und 
\venn  noch  manches  nicht  sei,  \\rie  es 
sein  sollte,  so  konnen  wir  doch  mit 
Bef riedigung  darauf  hinweisen,  wie 
herrlich  weit  wir  es  hier  in  der  gro- 
ssen  Metropole  am  Hudson  in  geisti- 
ger,  kultureller  und  namentlich  finan- 
zieller  Weise  gebracht. 

Um  diese  Thatsache  in  die  richtige 
Beleuchtung  zu  riicken,  ersuche  er 
den  Redner  des  Tages,  Dr.  F.  Monte- 
ser,  eine  Parallele  mit  Osterreichi- 
schen  Schulverhaltnissen  und  Lehrer- 
gehaltern  zu  ziehen.  In  mehr  wie  an- 
derthalbstiindigem  Vortrag  entwik- 
kelte  der  Redner,  der  seine  Darstel- 
lung  auf  Grund  amtlicher  Berichte 
und  statistischer  Tabellen,  die  ihm 
seine  Freunde  von  Wien  ubermittel- 
ten,  ein  Bild  dieses  ungliicklichen 
Landes,  wie  es  drastischer  wohl  sel- 
ten  gezeichnet  wurde.  (Siehe  oben 
einen  Auszug). 

Nach  Beendigung  dieses  Vortrags, 
wurde  Herrn  Robert  Metzger,  dem 
Vorsitzenden  des  standigen  Ausschus- 
ses,  das  Wort  erteilt.  Er  berichtete 
uber  die  in  Aussicht  genommenen 
Vortrage  und  regte  eine  Reihe  in- 
teressanter  Themata  an,  die  etwa  aus 
gewahlt  veerden  konnten.  Da  wir 
nicht  nur  Schulmeister  seien,  sondern 


166 


PMagogische  Monatshefte. 


uns  zur  Klasse  der  Gebildeten  rech- 
nen,  sollte  unsere  Auswahl  aus  dem 
engen  Rahmen  des  rein  Padagogisch- 
methodischen  heraustreten  und  die 
brennenden  Fragen  der  Gegenwart 
auch  in  den  Gebieten  der  Sprache  und 
Philosophic  in  das  Bereich  der  Vor- 
trage  und  Diskussionen  ziehen.  Die 
Bereitwilligkeit,  mit  der  einzelne 
Herren  darauf  eingingen,  die'vorge- 
schlagenen  Themata  zum  Vortrag  zu 
iibernehmen,  zeigte,  dass  heitere 
Schaffenskraft  die  meisten  b_eseelt. 
Was  mit  so  viel  Ernst  begonnen,  muss 
einen  guten  Fortgang  haben. 

A.  K. 

Diskussion  iiber  die  Me- 
thodik  in  der  Erteilung 
deutschen  Sprachunter- 
richts  im  Verein  Deutscher 
Hochschullehrer.  Die  ,,Gesell- 
schaft  deutscher  Hochschullehrer  von 
Manhattan  und  Broux"  hielt  am  19. 
Januar  ihre  erste  diesjahrige  Ver- 
sammlung  ab.  Dieser  junge  Verein 
umfasste  anfanglich  nur  die  Lehrer 
der  deutschen  Sprache  an  den  stad- 
tischen  Hochschulen  von  Alt-New 
York,  anderte  aber  seine  Statuten  da- 
hin  ab,  dass  auch  die  deutschen  Hocli- 
sohullehrer  in  den  anderen  Boroughs 
von  Gross-New  York  zur  Mitglied- 
schaft  berechtigt  sind  und  sieht  so- 
mit  einer  anregenden  Zukunft  ent- 
gegen.  Nach  der  Erledigung  von 
Verwaltungsgeschaften  stand  ein  Vor- 
trag des  Professors  Calvin  Thomas 
von  der  Columbia  Universitat  auf  der 
Tagesordnung  fiber  die  Frage:  ,,Wie 
lasst  sich  die  deutsche  Unterrichts- 
stunde  am  vorteilhaftesten  fiir  die 
Schiiler  gestalten?"  Prof.  Dr.  Tho- 
mas, bekanntlich  einer  der  verdienst- 
vollen  Fiihrer  unter  den  amerikani- 
schen  Lehrern  der  deutschen  Sprache, 
imd  Verfasser  weitverbreiteter  Lehr- 
biicher  sprach  zuerst  uber  Lehrmetho- 
den  im  allgemeinen  und  betonte,  dass 
es  unmoglich  sei,  irgend  eine  als  die 
absolut  beste  zu  erklaren,  da  die  Wahl 
und  der  Erfolg  jeder  Methode  von 
einer  Menge  von  Umstanden  abhange, 
wie  Alter  und  Fahigkeit  der  Schiller, 
Ziel  des  Unterrichts  und  Absicht  des 
Lernenden,  Grosse  der  Klassen  und 
Individualitat  des  Lehrers;  auf  alle 
Falle  miisse  der  Unterricht  einen  er- 
ziehlichen  Zweck  verfolgen;  eine  gute 
Geistesschulung  sei  das  Niitzlichste, 
was  den  Schiilern  gegeben  werden 
konne.  Der  Redner  stellte  sich  in  sei- 
nem  interessanten  Vortrage,  bei  dem 
er  nur  den  Unterricht  in  den  grossen 
Klassen  offentlicher  Hochschulen  im 


Auge  hatte,  ganz  entschieden  auf  die 
Seite  derjenigen,  die  behaupten,  dass 
in  den  hoheren  Lehranstalten  der  Un- 
terricht in  der  deutschen  Sprache  ein 
integrierender  Teil  der  allgemeinen 
Erziehungszwecke  sein  miisse  und 
nicht  etwa  als  Ziel  eine  nur  ober- 
flachliche  ausserliche  Bekanntschaft 
mit  der  deutschen  Sprache  verfolgen 
soil,  wie  sie  in  mechanisch-empiri- 
scher  Weise  durch  die  sogenannten 
"Natural  Methods"  erreicht  wird, 
ohne  dass  dadurch  der  Zweck  einer 
hoheren  geistigen  Bildung  erzielt 
werden  konne.  Er  bewies  ferner, 
mit  mathematischer  Sicherheit,  dass 
bei  der  grossen  Anzahl  der  Schiiler  in 
einer  Klasse  und  der  knapp  bemesse- 
nen  Dauer  der  Unterrichtsperiode  die 
auf  den  einzelnen  Schiller  fallende 
Zeit  so  gering  sei,  dass  die  fur  das 
Sprechen  einer  Sprache  unbedingt 
notige  praktische  Ubung  absolut  ni^ht 
gegeben  werden  konne.  Alle  Ver- 
suche,  unter  den  angegebenen  Ver- 
haltnissen  den  Schiilem  die  Fahigkeit 
beizubringen,  ihre  Gedanken  fliessend 
auf  Deutsch  auszudriicken,  hatten  nur 
magereResultate  aufzuweisen  gehabt, 
die  nicht  uber  die  Bemeisterung  ge- 
wisser  Phrasen  hinausgingen;  daher 
sollte  das  Sprechenlernen  nicht  als 
das  Hauptziel  des  Unterrichts  be- 
trachtet  werden. 

Dies  schliesst  jedoch  durchaus  nicht 
aus,  dass  nicht  in  jeder  Stunde 
Sprachiibung^n  in  rationeller  Weise 
betrieben  werden  miissen.  Der 
Hauptzweck  jedoch  werde  stets  der 
bleiben,  an  d,er  allgemeinen  Erzie- 
hung  teilzunehmen  und  den  Schiiler 
durch  eine  Einfiihrung  in  das  Stu- 
dium  der  deutschen  Litteratur  mit 
deutscher  Kultur  und  deutschem  Gei- 
stesleben  bekannt  zu  machen.  Unter 
grossem  Beifall  bezeichnete  der  Red- 
ner den  Versuch,  den  technisch-gram- 
matischen  Teil  des  Unterrichts  mit- 
telst  des  Deutschen  als  Unterrichts- 
sprache  zu  betreiben  als  bare  Zeit- 
verschwendung. 

Zum  Schlusse  erorterte  Prof.  Tho- 
mas noch  die  Frage,  auf  welche  Weise 
ein  moglichst  umfangreicher  Lese- 
stoff  unbeschadet  der  Griindlichkeit 
bewaltigt  werden  konne.  In  solchen 
Klassen,  in  denen  der  Lehrer  sich. 
nicht  auf  die  gewissenhafte  Vorbe- 
reitung  der  Schiller  verlassen  konne, 
sei  die  Ubersetzung  das  hauptsach- 
lichste  Mittel  zur  Priifung  des  Ver- 
standnisses  des  Gelesenen.  Fahige 
Lehrer  konnten  sich.  ab  und  zu  durch 
Abfragung  des  Inhalts  in  deutscher 


Brief  hasten. 


167 


Sprache  dariiber  vergewissern,  aber 
das  erfordere  mehr  Zeit.  Auf  der 
Blementarstufe  des  Unterrichts  sei 
die  tlbersetzung  jedenfalls  unum- 
ganglich,  indessen  sollte  der  Lehrer 
sich  bemiihen,  sich  sobald  als  moglich 
von  der  tJbersetzungsmethode  zu 
emanzipieren  und  mit  der  zunehmen- 
den  Ausbildung  aes  Sprachgefiihls 
das  unmittelbare  Verstandriis  des 
deutschen  Textes  seitens  der  Schiller 
zu  erstreben.  Er  wiirde  es  fiir  rat- 
sam  halten,  anfanglich  etwa  die 
Halfte  der  Stunde  dem  tlbersetzen  zu 
widmen,  ein  Vier+el  der  Zeit  auf 
grammatikalischen  Drill  und  den  Rest 
auf  Sprechiibungen  zu  verwenden,  bis 
der  Schiller  imstande  sei,  das  Gelesene 
frei  zu  reproduzieren.  Nach  und  nach 
solle  an  Stelle  der  ttbersetzung  und 
des  grammatikalischen  Drills  mehr 
und  mehr  freie  Reproduktion  treten. 
An  diesen  Vortrag  kniipfte  sich  eine 
langere  Diskussion,  in  welcher  na- 
tiirlich  auch  andere  Ansichten  zum 
Ausdruck  gebracht  wurden,  aber  im 
allgemeinen  schien  die  Mehrzahl  der 
Anwesenden  die  Ansichten  des  Re- 
ferenten  zu  teilen. 

Frl.  Dr.  Thomas  von  Mt.Vernon  wies 
darauf  hin,  dass  die  deutschen  Lehr- 
biicher  fiir  Anf anger  zu  viele  Schwie- 
rigkeiten  haufen  und  zu  rasch  zu  neu- 
en  fortschreiten,  ehe  noch  die  alten 
durch  geniigende  Ubungen  vollig  be- 
meistert  werden  konnten.  Frl.Biittner 
von  der  Newarker  Hochschule  erklar- 
te,  \vas  durch  die  systematische  Pflege 
der  Privatlektiire  (supplemantary 


reading  —  wie  sie  diesselbe  vor  Jah- 
ren  in  dieser  Anstalt  eingefiihrt  hat — 
erzielt  werden  kann,  und  wie  sehr 
das  Sprachgefiihl  der  Schiiler  dadurch 
gefordert  wird.  Prof.  Althaus  von 
New  York  aprach  iiber  die  Sckwierig- 
keit  im  Collegekurs  gemischter  Hoch- 
schulen  hinsichtlich  der  Vorbereitung 
fiir  die  Aufnahmepriifungen  in  gewis- 
sen  Madchencolleges,  wie  Wellesley 
und  N.  Y.  Normal  College,  die  trotz 
der  entgegengesetzten  Empfehlungen 
der  Modern  Language  Association  da- 
ran  festhalten,  in  technisch-gramma- 
tikalischen  Fragen  sich  der  deutschen 
Sprache  und  Terminologie  zu  bedie- 
nen.  Prof.  Thomas  erwartet  in  die- 
ser Sache  Abhiilfe  durch  die  fiir  die 
nachste  Priifung  in  Aussicht  gestell- 
ten  gleichformigen  Priifungsfragen 
des  College  Entrance  Examination 
Board  of  the  Middle  States  and  Mary- 
land, an  deren  Ausarbeitung  fiir  jedes 
Fach  je  ein  Vertreter  der  Universi- 
taten,  der  offentlichen  Hochschulen 
und  privaten  Vorbereitungsschulen 
zusammenwirken.  An  der  Diskussion 
beteiligten  sich  ferner  die  Herren 
Prof.  McLouth  von  der  New  York 
Universitat,  Dr.  Bernstein,  Sliollho- 
fen,  Kaufmann,  Leslie  Baume-ister  u. 
a.  Die  Beamten  des  Vereins  sind  die 
folgenden:  Prasident,  Prof.  Dr.  F. 
Monteser;  Vizeprasident,  Frl.  A. 
Koch;  Sekretar,  Frl.  Konermann; 
Schatzmeister,  Frl.  If.  Gelbach;  Exe- 
kutiv-Komitee:  Ed.  Althaus  und  Frl. 
Seidensticker. 

R.  M. 


III.     Briefkasten. 


B.  K.  New  York.  Bitte,  lassen 
Sie  mir  Ihren  Artikel  noch,  wenn 
Ihre  Geduld  ausreicht.  Sie  glauben 
nicht,  wie  schwer  es  ist,  die  Auswahl 
der  Artikel  so  zu  treffen,  dass  eine 
gewisse  Abwechslung  stattfindet  und 
doch  die  Einsender  befriedigt  werden. 
R.  M.  Newark,  N.  J.  Besten  Dank 
fiir  Ihren  eingehenden  Bericht.  Vivat 
sequens!  A.  J.  W.  K.  Jamaica.  N. 
Y.  Ihnen  gelten  die  vorstehenden 
Worte  in  gleichem  Masse.  Hoffentlich 


werden  die  Unregelmassigkeiten  nicht 
zu  oft  vorgekommen  sein.  Besten 
Dank,  dass  Sie  unsere  Aufmerksam- 
keit  darauf  gelenkt  haben.  Ihr  Abon- 
nement  ist  von  der  Marznummer  an 
eingetragen.  H.N.  Philadelphia. 
Ziemanns  Etymologisches  Worterbuch 
ist  bei  uns  oicht  zu  haben.  Sie  kon- 
nen  es  aber  durch  irgend  eine  Buch- 
handlung  importieren  lassen.  Sein 
Preis  betragt  75  Pfennige. 


168 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


IV.     Umschau. 
Amerika. 


Milwaukee.  Schulsuper- 
intendenten-Wahl.  Am  Diens- 
tag,  dem  5.  Marz,  fand  die  Neuwahl 
eines  Schulsuperintendenten  des.  6f- 
fentlichen  Schulwesens  statt,  die  die 
Wiederernennung  des  bisherigen  In- 
habers  dieses  Amtes,  des  Herrn  H.  O. 
R.  Siefert,  ergab.  Wir  freuen  uns 
aufrichtig  fiber  diesen  Ausgang.  Herr 
Siefert  bekleidete  das  hervorragende 
Amt  bereits  zwei  Termine  und  hat 
es  in  dieser  Zeit  verstanden  sich  die 
Achtung  seiner  ihm  unterstellten  Leh- 
rer  zu  erwerben,  und  seine  Wiedev- 
wahl  giebt  den  besten  Beweis  dafiir, 
dass  seine  Tiichtigkeit  auch  in  der 
Schulverwaltung  Anerkennung  gefun- 
den  hat. 

Sein  Programm,  das  er  sich  fiir 
seine  weitere  Amtsfiihrung  vorge- 
zeichnet  hat,  und  das  er  im  Anschluss 
an  seine  Dankesworte  fiir  die  Wie- 
derwahl  vor  dem  Schulrat  kund  gab, 
gipfelt  in  drei  Forderungen:  mehr 
mannliche  Lehrer,  kleinere  Klassen  — 
die  Schiilerzahl  sollte  in  keiner  Klasse 
35  iibersteigen  — ,  und  Wachsamkeit 
bei  Aufnahme  neuer  Lehrfacher  im 
Lehrplan,  der  eher  einer  Entlastung 
als  einer  weiteren  Belastung  bedarf. 
Sollte  es  ihm  gelingen  diese  drei 
Forderungen  durchzusetzen,  dann 
wiirde  Herr  Siefert  sich  ein  dauerndes 
Verdienst  urn  unsere  Schulen  erwor- 
ben  haben. 

Herr  Siefert  ernannte  noch  am 
Abend  seiner  Wahl  seinen  bisherigen 
Hilfssuperintendenten  des  Deutschen, 
Herrn  B.  A.  Abrams,  fiir  das  gleiche 
Amt.  Die  Thatigkeit  von  Herrn 
Abrams  in  den  P.  M.  zu  beleuchten, 
eriibrigt  sich.  Sein  Name  ist  mit  nn- 
sern  Bestrebungen  seit  Jahrzehnten 
so  eng  verkniipft,  dass  er  iiberall  da, 
wo  fiir  unsere  Sache  noch  Sympathie 
und  Verstandnis  ist,  riihmend  genannt 
\vird.  Wir  gratulieren  ihm  und  seinem 
Chef  von  ganzem  Herzen. 

"College  Entra  n  c  e  Exam- 
ination Boar  d."  Mit  der  Ab- 
sicht,  die  Anforderungen  an  die  in 
die  verschiedenen  ,,Colteges"  und 
Universitaten  Aufnahme  suchenden 
Studenten  auf  gleiche  Stufe  zu  brin- 
gen,  griindeten  diese  Schulen  in  den 
mittleren  Staaten  und  Maryland  am 
17.  November  vorigen  Jahres  einen 
Priifungsausschuss,  welchem  die  Prii- 
fung  der  Applikanten  zu  irgend  einer 
der  zur  Vereinigung  gehorigen  An- 
stalten  obliegen  solle.  Aus  dem,  am 


10.  Dezember  erlassenen  ersten  Do- 
kument  des  Ausschusses  entnehmen 
wir  folgende  Punkte  von  allgemei- 
nem  Interesse.  Der  Priifungsaus- 
schuss hofft,  dass  die  von  ihm  abge- 
haltenen  Aufnahmepriifungen  solche 
an  den  einzelnen  Anstalten  unnotig 
machen  werden.  Die  Vorteile  der 
durch  den  Ausschuss  geleiteten  Exa- 
minationen  sind  darin  zu  suchen, 
dass  diese  einheitlich  inbezug  auf 
Wissensstoff  und  Ausfiihrung  sind; 
dass  sie  an  verschiedenen  Orten  zu 
gleicher  Zeit  abgehalten  werden  kon- 
nen,  und  darum  den  Priiflingen  die 
Teilnahme  bedeutend  erleichtern; 
dass  sie  ein  Zusammenwirken  der 
rerschiedenen  Anstalten  in  einer  sehr 
wichtigen  Angelegenheit  bekunden, 
das  nur  heilsam  auf  die  Arbeit  an  die- 
sen  Schulen  wirken  kann,  ganz  ab- 
gesehen  davon,  dass  diese  Priifungen 
Zeit  und  Geld  fiir  die  Anstalten  und 
die  Priiflinge  ersparen.  Die  Ergeb- 
nisse  der  Priifungen  sollen  fiir  die 
einzelnen  Schulen  nicht  bindend  fiir 
die  Aufnahme  oder  Zuriickweisung 
des  Studenten  sein,  im  Gegenteil 
bleibt  jeder  Schule  die  endgiltige 
Entscheidung  iiber  Aufnahme  oder 
Zuriickweisung  des  Zogling  iiberlas- 
een. 

Die  Aufnahmepriifung  findet  in 
den  Tagen  vom  17.  —  21.  Juni  d.  J. 
an  Orten,  die  spater  noch  bestimmt 
werden  sollen,  statt.  Jeder  Appli- 
kant  zahlt  vor  Eintritt  in  das  Exa- 
men  $5.00.  Das  Zirkular,  welches  die 
an  die  Priiflinge  gestellten  Anforde- 
rung-en  enthalt,  ist  gegen  Ednsen- 
dung  von  10  cts.  in  Briefmarken  von 
dem  Sekretar  der  Vereinigung  (Se- 
cretary of  the  College  Entrance  Ex- 
amination Board,  Sub-Station  84,  New 
York,  N.  Y.)  zu  beziehen. 

Die  Examinatoren  fiir  das  Jahr  1901 
sind: 

Chemie:  Prof.  Ira  Kemsen,  John  Hop- 
kins  Un. 
Englisch:   Prof.  Francis  H.  Stoddard, 

New  York  University. 
Franzosisch:    Prof.   A.   Guyot  Camer- 
on, Princeton  Un. 
Deutsch:  Prof.  M.  D.  Learned,  Un.  of 

Pennsylvania. 
Griechisch:    Prof.  Herb.  Weir  Smyth, 

Bryn  Mawn  College. 
Geschichte:    Prof.    Lucy   M.    Salmon, 

Varsar  College. 

Lateinisch:    Prof.   Charles  E.  Sennet, 
Cornell  Un. 


Umschau. 


169 


Mathematik:      Prof.      Henry      Dallas 

Thompson,  Princeton  Un. 
Physik:     Prof.     Edward    L.    Nichols, 

Cornell  Un. 

Pittsburgh  Pa.  Der  erste  Waf- 
fengang,  den  der  deutschamerikani- 
sche  Zentralbund  von  Pennsylvania 
in  der  Staatslegislatur  mit  den  deut- 
schen  Interessen  feindlichen  Elemen- 
ten  bestanden,  ist  siegreich  verlau- 
fen.  Beide  Hauser  haben  die  Vor- 
lage,  welche  den  deutschen  Turnun- 
terricht  in  den  offentlichen  Schulen 
der  Stadte  1.  und  2.  Klasse  obligato- 
risch  macht,  angenommen,  und  die 
Vorlage  liegt  jetzt  dem  Gouverneur 
Wm.  A.  Stone  zur  Unterschrift  vor. 
Dass  letzterer,  wie  seiner  Zeit  Gou- 
verneur Pattison,  die  Vorlage  vetie- 
ren  konnte,  ist  kaum  zu  erwarten. 
Von  dem  Zentralturnverein,  dem 
deutschen  Leseverein  und  dem  west- 
lichen  Zweige  des  deutschamerikani- 
schen  Zentralbundes  in  Pittsburg 
sind  Petitionen  an  den  Gouverneur 
um  Unterzeichnung  der  Vorlage  ge- 
sandt  worden. 

Sacramento,  Cal.  In  dem  un- 
teren  Hause  der  Staatslegislatur  von 
Californien  ist  ein  Gesetzentwurf  ein- 
gebracht  worden,  nach  welchem  in 
Schulen,  in  denen  mehr  als  zwei  Leh- 
rer  unterrichten,  die  ersten  Grade 
(Anfanger)  von  solchen  Lehrern  an- 
terrichtet  werden  sollen,  die  eine  we- 
nigstens  zweijahrige  Erfahrung  ha- 
ben, oder  eine  Normalschule  oder 
eine  der  beiden  Hauptuniversitaten 
des  Staates  —  die  Staatsuniversitat 
oder  die  Stanf  ord-Universitat  —  ab- 
solviert  und  besondere  Empfehlun- 
gen  fiir  das  Lehramt  erhalten  haben. 
Chicago.  F  r  e  i  e  Lehrbti- 
c  h  e  r.  Die  Erziehungskommission 
des  Biirgervereins  von  Chicago  hat 
sich  entschieden  zu  Gunsten  freier 
Schulbiicher  an  alle  Schulkinder  er- 
klart.  Das  System,  nach  welchem 
nur  den  armen  Kindern  freie  Lehr- 
biicher  gewahrt  werden,  ist  geeignet, 
Unfrieden  in  die  Schule  zu  bringeu 
und  verletzend  auf  das  Gemiit  der 
Kinder  der  Armen  zu  wirken. 


Treuer  Amerikanismus. 
Von  Lehrern  und  Schiilern  der  Engle- 
wood-Schule  gelangte  eine  Petition 
an  den  Schulrat  von  Chicaglo,  die 
Mittagspause  von  25  auf  45  Minuten 
zu  verlangern,  unter  der  Begriindung, 
dass  kalter  ,,pie",  ,,ice-cream",  Soda- 
wasser  und  ,,pickles"  auf  die  Gesund- 
heit  der  Schiller  nachtraglich  wirken, 
dass  aber  die  Zeit  zur  Einnahme  ci- 
nes  substantielleren  Mahles  f  ehlt.  Der 
Schulrat  gewahrte  die  Verlangerung 
der  Pause,  sprach  aber  seine  Missbil- 
ligung  iiber  die  gegen  den  ,,pie"  un- 
gerecht  erhobenen  Anschuldigungen 
aus.  Prasident  Harris  ausserte  sich 
folgendermassen:  "We  want  it  un- 
derstood that  the  passage  of  this 
resolution  will  in  no  way  express 
our  disapproval  of  that  article  of 
diet." 

Milwaukee.  Chodwickis 
R  a  die  r  u  n  g  e  n.  Am  7.  Februar  d. 
J.  waren  100  Jahre  seit  dem  Hin- 
scheiden  des  grossen  Kupferstechers 
und  Miniaturmalers  David  Chodo- 
wiecki  verflossen.  Eine  nahezu  voll- 
standige  Sammlung  der  Eadierungen 
befindet  sich  in  Milwaukee  als  Eigen- 
tum  des  Herrn  George  C.  Bunsen,  der 
ein  Nachkomme  des  grossen  Kiinst- 
lers  ist.  Die  Biicher  sind  zwei  Bande, 
einer  von  108,  der  andere  von  113  Sei- 
ten,  und  enthalten  zusammen  2037 
Eadierungen.  Sie  scheinen  dem 
Kiinstler  als  Handexemplar  gedient 
zu  haben;  wenigstens  deuten  darauf 
viele  Bemerkungen  am  Eande  hin. 
Man  liest  oft  das  Wort  ,,fertig",  und 
bei  einigen  Blattern,  die  doppelt  vor- 
handen  sind.  tragt  das  erste,  als  nicht 
ganz  vollendet,  keinen  Vermerk,  wah- 
rend  erst  das  zweite  als  ,,fertig"  be- 
zeichnet  ist.  Diese  Sammlung  ist 
eine  der  fiinf  Sammlungen,  die  der 
Kiinstler  selbst  fiir  seine  Kinder  an- 
legte,  und  wurde  nach  einem  Briefe 
Chodowieckis  vom  8.  Marz  1794  sei- 
ner jiingsten  Tochter  Henriette, 
wahrscheinlich  an  ihrem  Hochzeits- 
tage  iibergeben. 


Deutschland. 


E  r  f  o  1  g.  Der  als  Schriftsteller 
und  Dichter  bereits  in  den  weitesten 
Kreisen  aufs  vorteilhafteste  bekannte 
Hamburger  Lehrer  Otto  Ernst 
Schmidt  (Otto  Ernst)  •  hat  mit  seiner 
neuesten  Komodie  ,,Flachsmann  als 
Erzieher"  (Verlag  von  L.  Staackmann 
in  Leipzig,  Pr.  2,00  M.)  in  Frankfurt 
a.  M.,  Dresden  und  Berlin  (Lessing- 


Theater)   einen  durchschlagenden  Er- 
folg  erzielt. 

Jena.  Die  kiirzlich  verstorbene 
Witwe  des  Privatgelehrten  Dr.  Tho- 
mas in  Wittenberg,  eines  Schulers 
Herbarts,  hat  dem  padagogischen  Uni- 
versitatsseminar  hier  12,000  M.  zur 
Forderung  des  Studiums  Herbart- 
scher  Padagogik  vermacht.  Die  HaLfte 


170 


P'ddagogische  Monatshefte. 


der  Zinsen  soil  fiinf  Jahre  angesam- 
melt  und  dann  bei  der  akademischen 
Preisverteilung  fiir  eine  padagogische 
Arbeit  als  Preis  (1000  M.)  vergebeu 
werden;  die  andere  Halfte  soil  jahr- 
lich  als  Unterstiitzung  an  ein  Mit- 
glied  des  padagogischen  Universitats- 
seminars  Verwendung  finden. 

Mit  den  Schiilervorstellu  n- 
gen  in  Hamburg  scheints  zu 
Miiiic  zu  gehen.  Wenigstens  schreibt 
die  ,,Hamburger  Schulzeitung":  ,,Der 
Theaterausschuss  der  Vereinigung  fiir 
die  Pflege  der  kiinstlerischen  Erzie- 
hung  macht  bekannt,  dass  es  erst 
,,nach  weiteren  Bemiihungen"  gelun- 
gen  ist,  die  Herren  Stadttheater-Di- 
rektoren  zu  bewegen,  wenigstens  ein 
Stuck  zu  geben,  und  zwar  Schillers 
,,Maria  Stuart".  Auch  dieses  beschei- 
dene  Ergebnis  konnte  nur  erreiclit 
werden,  nachdem  den  Herren  Direk- 
toren  Bachur  und  Bittong  zugesichert 
wurde,  dass  ihnen  die  aufs  genaueste 
berechneten  Selbstkosten  ersetzt  wiir- 
den.  Voraussichtlich  werden  die 
Eintrittspreise  erhoht  werden  miis- 
sen." 

Elsass  -  Lothringen.  Nahe- 
zu  100  elsass-lothringische  Lehrer  ha- 
ben  dem  ,,Messin"  zufolge  um  ihre 
Versetzunz  nach  Preussen  gebeten. 
Der  Grund  dieses  Schrittes  ist  darin 
zu  suchen,  dass  in  Preussen  die  Ein- 
kiinfte  der  Lehrer  weit  hoher  als  in 
Elsass-Lothringen  sind.  Da  in  den 
Eeichslanden  kein  t)berfluss  herrscht 
an  Lehrpersonal,  so  ist  diese  Land- 
flucht  von  nicht  zu  unterschatzender 
Bedeutung. 

Leipzig.  Das  Lehrersemi- 
nar  des  deutschen  Vereins 
fiir  Knabenhandarbeit  hier 
versendet  sein  Programm  fiir  das 
laufende  Jahr.  Danach  sind,  je 
nachdem.  Teilnehmer  dafiir  angemel- 
det  werden,  Unterrichtskurse  in  Aus- 
sicht  genommen  fiir  Vorstufe,  Holz- 
schnitzerei,  Hobelbankarbeit,  Papp- 
arbeit,  Metallarbeit,  Modellieren, 
landliche  Holzarbeit  und  Herstellung 
von  Lehrmitteln;  ausserdem  findet, 
wie  in  friiheren  Jahren,  ein  zweiwo- 
chentlicher  Kursus  fiir  Obst-  und 
Gartenbau  mit  besonderer  Beriick- 
sichtigung  der  Schulgartenpflege 
statt.  Diese  Kurse  beginnen  mit 
dem.  1.  Juli  und  endigen  im  Septem- 
ber; der  Eintritt  in  dieselben  kann 
mit  Anfang  jeder  Woche  erfolgen. 
Zur  Herbeifiihrung  einer  griindliche- 
ren  Ausbildung  sind  von  diesem  Jah- 
re ab  zwei  wesentliche  Neuerungen 
getroffen,  indem  im  Anschluss  an  die 
praktische  Arbeit  in  besonderen 


Stunden  die  Einfiihrung  in  die  Metho- 
de  des  Werkzeichnens  stattfindet,  und 
indem  nach  Analogic  der  Seminar- 
iibungsschulen  eine  Schiilerwerkstatt 
der  Anstalt  eingerichtet  ist.  Der  deut- 
sche  Verein  verfolgt  unausgesetzt 
auch  den  Fortgang  der  Bestrebungen 
im  Auslande.  Zu  diesem  Behufe  hat 
im  Auftrage  des  Vereins  der  Direktor 
Dr.  Pabst  hier  auch  die  Pariser  Welt- 
ausstellung  besucht,  woriiber  er  jetzt 
in  den  Blattern  fiir  Knabenhandar- 
beit berichtet.  Hochbeachtenswertes 
ergaben  hiernach  die  Ausstellung  der 
Stadt  Paris  und  des  franzosischen 
Unterrichtsministeriums,  sowie  dieje- 
nigen  von  England,  Nordamerika, 
Russland  und  den  nordischen  Lan- 
dern.  Dr.  Pabst  kommt  zu  dem 
Schlusse,  dass  namentlich  die  Ein- 
richtungen  in  Frankreich,  wo  dem 
Handfertigkeitsunterricht  schon  seit 
den  siebziger  Jahren  eine  ausseror- 
dentliche  Forderung  und  Durohbil- 
dung  zu  Teil  geworden  ist,  die  voile 
Beachtung  der  deutschen  Schulman- 
ner  verdienen.  Sonderabziige  dieses 
Berichts,  wie  Exemplare  des  Leip- 
ziger  Seminarprogramms  konnen  un- 
entgeltlich  von  dem  Vorsitzenden  des 
deutschen  Vereins  von  Schencken- 
dorff  in  Gorlitz,  oder  vom  Direktor 
Dr.  Pabst,  Leipzig,  bezogen  werden. 

Urteil  fiber  Herbart.  Der 
friihere  Provinzialschulrat  und  jetzige 
Kurator  der  Halleschen  Universitat, 
Dr.  Wilhelm  Schrader,  prazisiert  in 
seinen  ,,Erfahrungen  und  Bekennt- 
nisse"  (Berlin  1900)  seine  Stellung  zur 
Herbartschen  Padagogik  (Seite  196 
und  197)  folgendermassen:  ,,Bei  der 
Priif  ung  in  der  Padagogik  habe  ich  nie 
ein  besonderes  System  bevorzugt  noch 
auch  angefochten,  selbst  nicht  das 
Herbartsche,  obschon  ich  seine  psy- 
chologischen  Voraussetzungen  da- 
mals,  wie  jetzt  fiir  grundfalsch  halte". 
Weiter  bespricht  der  Verfasser  das 
von  Herbart  im  Jahre  1810  in  Konigs- 
berg  gegriindete  padagogische  Semi- 
nar und  kommt,  gestutzt  auf  das  Ur- 
teil des  Direktors  Beneke,  zu  dem  Er- 
gebnis, dass  die  Schiiler  bei  ihrer  ge- 
ringen  Zahl  und  einem  allerdings  an- 
regenden  Lehrverfahren  rasch  fort- 
schritten,  allein  das  Erlernte  haftete 
nicht  ,,und  offenbar  kam  es  nicht  zu 
einer  harmonischen  Erziehung  des 
Geistes,  der  ja  in  dieser  Philosophie 
auch  nicht  einheitlich  gedacht  war. 
Vielmehr  wurden  einzelne  geistige 
Krafte  bevorzugt  und  iiberhaupt  das 
Hauptaugenmerk  auf  die  Auffassung 
und  das  Anlernen  gerichtet  ;  auch 
heute  kann  man  hinlanglich  wahr- 


Umscbau. 


171 


nehmen,  dass  die  Herbartianer  in  dem  ner  urspriinglichen  und  eigentiimli- 
Kinde  mehr  einen  Versuchsgegen-  chen  Begabung  zu  bildendes  Wesen 
stand  als  ein  einheitliches  nach  sei-  sehen". 


England. 


Zu  Gunsten  der  Einfiih- 
r  u  n  g  des  Unterrichts  in  den 
m o d e r n e n  Sprachen  an  den 
Elem.entarseh.ulen,  hielt  Dr. 
Garnett,  ein  in  englischen  Schul- 
kreisen  vorteilhaft  bekannter  Pada- 
goge,  einer  Londoner  Korrespon- 
denz  der  Allg.  Deutschen  Lehrerzei- 
tung  zufolge,  vor  der  Gesellschaft 
fur  moderne  Sprachen  in  Liverpool 
eine  Ansprache,  die  dem  Londoner 
Tageblatte,  dem  "Globe",  den  Stoff 
zu  folgenden  beherzigenswerten  Be- 
merkungen  giebt: 

,,Das  von  Dr.  Garnett  angeregte 
Thema  hat  in  unserem  Lande  in  den 
letzten  zwei  oder  drei  Jahren  etwas 
mehr  Beachtung  gefunden,  denn  vor- 
dem.  Die  Unwissenheit  unseres  Vol- 
kes  hinsichtlich  der  Sprachen  seiner 
Nachbarn  hat  grosse  Nachteile  fiir 
uns  im  Gefolge  gehabt,  wenn  schon 
es  nicht  abzustreiten  ist,  dass  die 


Verbreitung  der  englischen  Sprache 
an  und  fur  sich  bedeutend  zugenom- 
men  hat,  und  wenn  immer  eine  Spra- 
che als  universell  hingestellt  werden 
soil,  die  englische  die  erste  Anwart- 
schaft  darauf  hat.  Aber  wir  sind 
heute  davon  noch  weit  entfernt  und 
bei  vielen  unserer  Landsleute,  die 
auf  anderem  Gebiete  ein  reiches  Wis- 
sen  bekunden,  hapert  es  mit  der 
Kenntnis  kontinentaler  Sprachen  In 
bedenklicher  Weise,  Dr.  Garnett  be- 
trachtet  die  Beherrschung  des  Deut- 
schen und  Franzosischen  als  uner- 
lassliche  Bedingung  fiir  den  Gebilde- 
ten  und  meint,  dass  sie  einen  wesent- 
lichen  Teil  des  Wissens  der  Marine- 
und  Armeeoffiziere  bilden  mxisse. 
Nicht  unbemerkt  dxirfte  geblieben 
sein,  dass  z.  B.  Kussland  seinen  Offi- 
zieren  das  Studium  der  chinesischen 
und  anderer  orientalischer  Sprachen 
dringend  anempfehle." 


Danemark. 


Im  Marz  1899  ist  ein  n  e  u  e  s 
Schulgesetz  angenommen,  wor- 
den,  nach  welchem  in  stadtischen 
Klassen  35,  in  landlichen  37  als 
Hochstgrenze  der  Schiilerzahl  zu  gel- 
ten  hat.  Der  Vorteil,  welcher  der  da- 
nischen  Jugend  in  padagogischer,  be- 
sonders  aber  in  hygienischer  Hinsicht 
aus  dieser  wahrhaft  philanthropi- 
schen  Bestimmung  erwachst,  diirfte 
ungleich  grosser  sein,  als  der  Nutzen, 
den  das  erforderliche  Kapital  auf  an- 
derem Gebiete  zu  bringen  vermochte. 


Inbezug  auf  die  Opfer,  die  hier  von 
Staat  und  Gemeinde  gefordert  wer- 
den, sagt  Professor  J.  Rehmke  im 
Deutschen  Wochenblatte :  ,,Um  des 
Geldes  willen  diirfen  wir  diese  Frage 
nicht  an  die  Seite  schieben,  diirfen 
wir  eine  der  heiligsten  Sachen,  die 
Entwicklung  des  heranwachsenden 
Geschlechts  nicht  vernachlassigen 
und  schlecht  besorgt  sein  lassen.  Das 
Volksschulinteresse  ist  der  innerste 
Kern  des  Staatsinteresses". 


Russland. 


Wenn  man  die  traurige  finanzielle 
und  gesellschaftliche  Stellung  der 
russischen  Volksschulleh- 
r  e  r  beriicksichtigt,  darf  man  sich 
nicht  dariiber  wundern,  dass  sie  in 
letzter  Zeit  immer  haufiger  ihre  Po- 
sten  verlassen,  um  ein  anderes  Wir- 
kungsfeld  zu  suchen,  welches  ihnen 
die  Moglichkeit  gewahrt,  ihre  mate- 
riellen  und  geistigen  Bediirfnisse  zu 
befriedigen.  Schon  im  Jahre  1896  wa- 
ren  in  den  ostlichen  Gouvemements 
46  und  in  den  siidlichen  498  Schnaps- 
verkaufer  ehemalige  Volksschulleh- 
rer;  dabei  ist  es  bezeichnend,  dass  in 
den  3  Gouvemements  ohne  Land- 
schaftsverfassung  61  %  der  Verkau- 


fer  friiher  Lehrer  gewesen  waren,  in 
den  Landschaftsgouvernements  aber 
nur  38  %.  Dieselbe  Erscheinung  zeigt 
sich  iiberall  dort,  wo  das  Monopol  ein- 
gefiihrt  wird:  wo  staatliche  Schnaps- 
buden  entstehen,  verlieren  die  Schu- 
len  ihre  Lehrer. 

DieKussifizierung  der 
Universitat  Dorpat  ( jetzt  Jur- 
jew)  hat  in  den  letzten  Jahren  iiber- 
raschende  Fortschritte  gemacht.  Un- 
ter  den  Professoren  giebt  es  in  diesem 
Semester  nur  noch  vier  Reichsdeut- 
sche,  darunter  den  Anatomen  Rauber 
und  den  Chirurgen  W.  Koch.  Diese 
vier  Professoren  halten  ihre  Vorle- 
sungen  in  deutscher  Sprache,  alle  an- 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


deren  Professoren — in  russischer.  Nur 
in  der  theologischen  Fakultat  ist  die 
deutsche  Sprache  von  der  Regierung 
beibehalten  worden.  Die  Zahl  der 
Studenten  betragt  1709;  davon  geho- 
ren  1027  dem  griechisch-orthodoxen 
Bekenntnis  an.  Nach  1895  belief  sich 


die  Zahl  der  Orthodoxen,  die  in  Dor- 
pat  immatrikuliert  waren,  auf  nur  90. 
Aus  den  baltischen  Provinzen  stam- 
men  402  Studenten,  aus  den  iibrigen 
Gouvernements  des  Reiches  1301,  und 
6  Studenten  sind  Auslander. 


Guatemala. 


Frau  Professor  Cacilie  S  e- 
1  e  r  erzahlt  in  ihrem  soeben  erschie- 
nenen  Buche  uber  Reisen  in  Mexiko 
und  Guatemala  von  den  dortigen 
Schulen:  Seit  wir  den  Boden  von  Gua- 
temala betreten  batten,  waren  wir  da- 
durch  tiberrascht  worden,  dass  wir 
in  jedem  grosseren  Dorfe  eine  Schule, 
meist  einen  Lehrer  fur  die  Knaben 
und  eine  Lehrerin  fiir  die  Madchen 
antrafen;  ja  haufig  war  auch  ein  ro- 
ger  Schulbesuch  vorhanden,  was 
von  den  viel  sparlicher  vorhandenen 
Schulen  Mexikos  nicht  behauptet  wer- 
den  kann.  Trotzdem  haben  wir  tins 
nicht  davon  iiberzeugen  konnen,  dass 
die  allgemeine  Volksbildung  in  Gua- 
temala auf  einer  hoheren  Stufe  stehe 
als  in  Mexiko.  Es  mag  vielleicht 
sein  Gutes  haben,  die  jiingere  Gene- 
ration an  regelmassigen  Schulbesuch 
zu  gewohnen;  ob  aber  nennenswerte 
weitere  Ergebnisse  zu  verzeichnen 
sind,  scheint  zweifelhaft.  In  Chiatina 
hatten  wir  die  Erfahrung  gemacht, 
dass  nach  einem  vierjahrigen  Unter- 
richte  die  Knaben  Gedrucktes  unvoll- 
kommen  lesen  und  die  Drucklettern 
miihselig  nachzumalen  gelernt  hat- 
ten.  Die  sehr  begabten  kamen  dann 
nach  einiger  Zeit  so  weit,  ihren  Na- 


men  schreiben  zu  konnen.  In  Toa- 
quil  hatten  wir,  wahrend  die  Frau  des 
Lehrers  uns  ein  Friihstiick  zuberei- 
tete,  Gelegenheit,  etwas  vom  Unter- 
richte  mit  anzuhoren.  Eine  Schar 
schwarzaugiger  hiibscher  Kinder  sass 
in  der  Klasse  ziemlich  artig  beisam- 
men;  der  Lehrer  ging  at>  und  zu  und 
dozierte  dabei  gelegentlich  ein  Vier- 
telstiindchen,  d.  h.  er  miihte  sich  mit 
der  grammatischen  Analyse  eines  Sat- 
zes  ab,  unter  Anwendung  gelehrter 
Bezeichnungen  seiner  Teile,  vor  Kin- 
dern,  die  in  der  Schule  erst  Spanisch 
lernen  sollen,  da  sie  von  Hause  aus 
nur  Indianisch  sprechen.  Wie  schade 
um  den  Aufwand  von  Zeit  und  Geld, 
der  doch  bei  richtiger  Anwendung  so 
viel  Nutzen  stiften  konnte!  Was  das 
Geld  anbetrifft,  so  ist  das  so  eine 
Sache;  denn  sobald  es  knapp  wird, 
sind  die  Lehrer  die  ersten,  denen  das 
Gehalt  nicht  gezahlt  wird.  Die  Mad- 
chen habe  ich  immer  nur  in  Hani- 
arbeiten  unterrichten  sehen.  Obgleich 
man  liber  den  Nutzen  feiner  Perl-  und 
Seidenstickereien  in  Indianerdorfern 
auch  seine  eigene  Ansicht  haben 
kann,  so  sind  sie  immer  noch  ver- 
wendbarer  als  grammatikalische  Ana- 
lysen. 


Japan. 


Die  Einfiihrung  des  deut- 
schen  Schulsystems  wird 
hier  geplant.  Eine  japanische  Kom- 
mission,  bestehend  aus  Dr.  J.  Yokai, 
Prof.  J.  Kozai  vom  landwirtschaft- 
lichen  Institut  in  Tokio  und  Prof. 
Hashimoto  von  Sopporo,  befindet  sich 
gegenwartig  in  Deutschland,  um  dem 
Erziehungswesen  ihre  Aufmerksam- 
keit  zu  widmen.  Die  japanische  Re- 
gierung  beabsichtigt,  das '  deutsche 
System,  soweit  es  japanischen  Ver- 
haltnissen  anzupassen  ist,  einzufuh- 
ren.  Die  "Eastern  World"  bemerkt 
dazu,  dass  Vicomte  Mori  schon  vor 
mehr  als  14  Jahren  Schritte  zur  Eiu- 
fuhrung  des  deutschen  Schulsystems 
gethan  hat.  Sein  Tod  bereitete  die- 
sen  Bestrebungen  ein  vorzeitiges  En- 
de.  Die  Wiederaufnahme  des  Planes 
ist  im  Interesse  des  Fortschrittes 
abendlandischer  Zivilisation  in  Ost- 
asien  jedenfalls  mit  Freuden  zu  be- 


griissen.  Es  wiirden  jedoch,  sollten 
die  beabsichtigten  Reformen  in  der 
That  eingefiihrt  werden,  mehr  ais 
90%  der  jetzt  in  den  Schulen  Japans 
thatigen  eingeborenen  Lehrer  entlas- 
sen  werden  miissen,  weil  sie  den  An- 
forderungen  des  neuen  Systems  nicht 
Geniige  leisten  konnten.  Dies  liesse 
die  Anstellung  einer  grossen  Anzahl 
von  deutschen  Lehrern,  hauptsachlich 
solcher,  die  ihre  Studien  am  orienta- 
lischen  Seminar  in  Berlin  gemacht  ha- 
ben, als  Notwendigkeit  erscheinen. 
Fraglich  aber  bleibt  es  dennoch,  ob 
japanische  Schulbehorde  stark  genug 
sein  wird,  um  die  fast  militarische 
Disziplin  deutscher  Schulen  durchzu- 
fiihren,  oder  ob  die  Knaben  nach  wie 
vor  die  Meister  bleiben  sollen.  Im 
letzteren  Falle  diirfte  selbst  das  deut- 
sche Schulsystem,  wie  jedes  andere, 
in  Japan  fehlschlagen. 


173 


V.    Vermischtes. 


Was  dem  Lehrer  not  thut!! 
Unter  dieser  Uberschrift  bringt  die 
,,Bayerische  Schulzeitung"  folgende 
llatschlage  (?!),  deren  Beherzigung 
auch  bei  uns  mitunter  von  Vorteil 
1st:  Es  1st  leider  eine  Thatsache, 
dass  viele  Lehrer  bei  ihrem  Unterricht 
zu  viel  auf  die  Kinder  und  deren  Gei- 
stesverfassung  Bedacht  nehmen  und 
selten  oder  gar  nicht  an  den  Herrn 
Inspektor  oder  Kektor  denken.  Statt 
sich  zu  fragen:  Wie  mach'  ich's,  dass 
ich  dem  Herrn  Inspektor  gefalle  und 
imponiere,  lassen  sie  sich.  von  —  man 
mochte  sagen  —  unterrichtshygieni- 
schen  Griinden  leiten.  Es  kann  aber 
nicht  scharf  genug  betont  werden, 
dass  das  jeweilige  Urteil  des  Herrn 
Inspektors  allein  wahre  Geltung  und 
Objektivitat  beanspruchen  kann. 
Sein  Machtspruch,  seine  Auffassung 
1st  die  wahre  Norm  fur  die  padagogi- 
schen  Bemiihungen  der  einzelnen  Un- 
terthanen.  Wenn  sich  Einzelne  auf 
die  padagogische  Wissenschaft  und 
insonderheit  auf  die  doch  immerhin 
hochst  subjektive  Methodik  glauben 
berufen  zu  diirf  en,  so  mag  das  in  einer 
Zeit  angangig  gewesen  sein,  in  der 
man  wahnen  durfte,  der  Lehrer  sei 
die  Schule.  Heute,  wo  der  Lehrer,  na- 
mentlich  der  an  grossen  Schulkor- 
pern,  nur  als  Grlied  einer  Kette,  die 
der  Herr  Inspektor  zieht,  zu  betrach- 
ten  1st,  muss  jene  Auffassung  tiber 
Bord  geworfen  werden.  Und  es  ist 
auch  gut  so.  Viel  Kopfe,  viel  Sinne. 
In  der  Schule  kann  eben  nicht  jeder 
nach  seiner  Fagon  selig  werden.  Wo 
der  Herr  Inspektor  nicht  das  Haus 
bauet,  da  arbeiten  umsonst,  die  daran 
bauen.  Das  Gesetz  des  Herrn  Inspek- 
tors ist  gewiss  und  machet  die  Alber- 
nen  weise.  Die  Befehle  des  Herrn  In- 
spektors sind  richtig  und  erf reuen  das 
Herz.  Die  Gebote  des  Herrn  Inspek- 
tors sind  lauter  und  erleuchten  die 
Augen.  Sie  sind  begehrenswerter  als 
Gold  und  viel  Feingold.  Auch  wird 
der  Untergebene,  der  Knecht,  durch 
sie  erinnert,  und  wer  sie  halt,  hat 
grossen  Lohn.  Wer  kann  merken,  wie 
oft  er  fehlet?  Darum  ist  die  Hilfe  des 
Herrn  Inspektors  der  Weisheit  An- 
fang.  Und  die,  so  nicht  auf  seine 
Stimme  horen,  sind  wie  Spreu,  die  der 
Wind  verstreuet.  Man  wird  ihrer  bei 
alien  wichtigen  Gelegenheiten  entra- 
ten  mussen.  Ja,  es  muss  ihnen  stets 
zu  Gemiite  gefiihrt  werden,  wie  sehr 
sie  im  Finstern  tappen.  Ihre  ver- 
meintliche  Selbstandigkeit  muss  als 
eitel  Schein,  ihre  vermeintliche  Weis- 


heit als  Afterweisheit  und  hochmut- 
erzeugendes  Geblah  enthiillt  werden. 
Insonderheit  ist  es  notwendig,  bei  al- 
ien Zuwendungen  und  Arbeitsverge- 
bungen  eingehend  zu  priifen,  ob  nicht 
durch  Gewogenheitsbezeigungen  der 
gefahrliche  Diinkel  angefacht  werde. 
Denn  es  ist  eine  herrliche  Sache  um 
•  die  Demut  und  Anspruchslosigkeit  ei- 
nes  Lehrers.  Wie  die  hochste  Stelle 
eines  Staates  bei  Verleihung  von  Ti- 
teln  und  Orden  umsichtig  zu  priifen 
hat,  wer  die  Wiirdigsten  seien,  so  der 
luspektor  bei  Vergebung  von  Neben- 
verdiensten.  Keiner  empfange  einen 
Zuwachs,  der  an  der  verderblichen 
Krankheit  des  Wissensdiinkels  leidet. 
Die  Rufer  im  Streite,  diejenigen,  die 
nicht  sorg-  und  skrupellos  ihren  Kohl 
bauen,  ohne  sich  umzuschauen,  die 
sich  vermessen,  zu  viel  selbst  denken 
zu  wollen,  sind  bei  Gnadenerweisun- 
gen  mit  Vorsicht  zu  behandeln  oder 
von  solchen  ganz  auszuschliessen. 

So  glaube  ich  die  Grundsatze  einer 
rationellen  Schulleitung  richtig  dar- 
gelegt  zu  haben.  Ihr  Lehrer  aber, 
richtet  Euer  Vernal  ten  darnach  ein! 
Dass  diese  Grundsatze  noch  nicht 
iiberall  zur  Durchfiihrung  gelangt 
sind,  moge  Euch  nicht  abhalten,  schon 
jetzt  den  Idealen  nachzustreben. 

Peter  der  Einsiedler. 

Benedicte  denpum.  Auch 
die  gewiegtesten  Lateiner,  so  schreibt 
das  ,,Wiener  Extrablatt",  werden  den 
Sinn  und  Zusammenhang  dieser  Wor- 
te  ,,Benedicte  denpum"  vergeblich  zu 
ergriinden  suchen.  Man  kann  es  da- 
her  auch  dem  Lehrer  nicht  verar- 
gen,  welchem  ein  Volksschiiler  einen 
Zettel  mit  dieser  Inschrift  und  der 
beigefugten  Unterschrift  des  Vaters 
als  Entschuldigung  iiberreichte,  wenn 
er  nicht  sofort  herausfand,  was  die 
zwei  Worte  zu  bedeuten  haben.  Ei- 
niges  Nachdenken  fiihrte  ihn  aller- 
dings  zur  Entzifferung  dieser  moder- 
nen  Hieroglyphen.  Das  Ergebnis  die- 
ser Arbeit  lautet:  ,,Benotigte  den 
Buben." 

Ansichtskartenstas  t  i  s- 
t  i  k.  Das  Keichspostamt  hat  die 
Zahl  der  aufgegebenen  Ansichtskar- 
ten  in  der  Zeit  vom  9.  bis  10.  August 
v.  Jrs.  ermitteln  lassen.  Die  Erhe- 
bungen  haben  ergeben,  dass  fast 
die  Halfte  aller  aufgegebenen  Post- 
karten  Ansichtskarten  sind.  Es  wur- 
den  im  Durchschnitt  taglich  1%  Mil- 
lionen  Ansichtskarten  aufgeliefert. 
Der  Portobetrag  fiir  den  Tag  stellt 
sich  nach  der  Berechnung  der  deut- 


174 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


schen  Verkehrszeitung  auf  rund  69,- 
000  M.  Fur  1900  wird  die  Zahl  der 
aufgegebenen  Ansichtskarten  ca. 
300  Millionen  Stiick  betragen. 

Der  Orientklub  zu  Leipzig 
unternimmt  in  den  Sommerferien 
1901  eine  mit  ganz  wenig  Kosten  ver- 


bundene  wundervolle  See-  und  Land- 
fahrt  durch  Dalmatien  und  ganz  Ita- 
lien  mit  Sicilien.  Freunde  des  Sii- 
dens  sind  dem  Klub  als  Mitreisende 
willkommen  und  erhalten  gem  jede 
Auskunft  durch  den  Schriftfiihrer  A. 
Wunsch,  Lehrer,  Leipzig-E.,  Delitz- 
scher  Chaussee  1. 


Biicherschau. 

I.     Bucherbesprechungen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Der  Stern  des  Westens,  epi- 
sches  Gedicht  von  Julius  Gugler, 
Milwaukee,  1900.  Selbstverlag  des  Ver- 
fassers.  Hauptniederlage:  Geo.  Brum- 
der,  Milwaukee,  Wis.  75  S.,  geb.  75  cts. 

Die  deutschamerikanische  Schon- 
litteratur  hat  durch  das  jiingst  er- 
schienene  lyrisch-epische  Gedicht 
,,Der  Stern  des  Westens"  von  dem 
Milwaukeer  Kiinstler  Julius  Gugler 
eine  prachtige  Bereicherung  erfahren. 
Wie  alle  Arbeiten  des  Dichters  be- 
kundet  dieses  neueste  Werk  ein  ech- 
tes  deutsches,  sinniges  Gemiit  und 
eine  edle  Begeisterung  fur  die  Kul- 
turaufgaben  des  Deutschtums  in  die- 
sem  Lande.  Obschon  er  als  junger 
Knabe  nach  Amerika  gekommen,  1st 
in  dem  Herzen  des  Verfassers  der 
Sinn  fur  die  Vorziige  der  alten  Hei- 
mat  lebend  geblieben  und  hat  ihm 
zum  deutschen  Liede  die  Sprache 
brauchen  gelehrt,  wie  wenigen.  Das 
bezeugt  die  stimmungsvolle  Wid- 
mung: 

Denjen'gen,  die,  gleich  mir,  —  und  an 

der  Zahl 
Sind's  ihrer  Tausende! — nach  dieser 

Scholle 
Das    Gliick,    der    Zufall,    oder    eig'ne 

Wahl 
Gefiihrt,    die   noch   der   tiefe,    seelen- 

volle 
Gesang  der  deutschen  Sprache  riihrt 

und  hebt, 

In  deren  Herzen  jede  Fiber  bebt, 
Beim  Wunderklange   deutscher  Dich- 

terstimmen; 

Denjenigen,  die  Deutschlands  Keben- 

land 
Und    seine    Walder,    seine    bliih'nden 

Stadte, 
Schon  fast  vergessen,  oder  kaum  ge- 

kannt, 


Die    aber    hier,    aus    treuem    Eltern- 

munde, 
Von    Lieb     und    Leben    erste    siisse 

Kunde 
In  deutschem  Wort  erhielten,  und  die 

noch 
Im    letzten   Augenblick,   was   sie    be- 

wegt, 

Was  Tiefstes  sie  im  Inneren  gehegt, 
In  deutschen  Lauten  stammeln  wer- 

den, 

Denjenigen  sei  dieses  Lied  gewidmet! 
,,Der  Stern  des  Westens"  schildert 
die  Erlebnisse  und  Ergebnisse  eines 
von  einem  Deutschen  mit  seiner  Fa- 
milie  um  die  Mitte  der  fiinfziger  Jah- 
re  unternommenen  Zuges  nach  den 
Xiisten  des  Stillen  Weltmeeres,  wah- 
rend  dem  sich  ein  Liebesverhaltnis 
zwischen  der  blonden  Tochter  Ger- 
ruaniens  und  einem  Sohne  Neueng- 
lands  entspinnt,  das  von  dem  Einwan- 
derer  nicht  gern  gesehen  wird.  Ein 
Indianeriiberfall  bietet  die  Veranlas- 
sung,  dass  des  jungen  Mannes  wahrer 
Wert  zu  Tage  tritt,  und  der  zu  Tode 
getrott'ene  Deutsche  iibergiebt  vor  sei- 
nem  Hinscheiden  die  Hand  der  Toch- 
ter und  die  Sorge  fur  das  Geschick 
der  Hinterbliebenen  dem  kurz  vorher 
als  Gegner  Angesehenen.  Mit  einer 
gltihenden  Lobpreisung  des  Westlan- 
des  schliesst  das  Gedicht,  dem  ein 
vielfach  wechselnder  Rythmus  und 
mehrere  eingeflochtene  Lieder  ganz 
besonderen  Eeiz  verleihen.  Das  klei- 
ne,  sorgfaltig  in  der  Anstalt  des  Ver- 
fassers selbst  hergestellte  Buch  muss 
nach  Inhalt  und  Ausstattung  eine 
Zierde  jeder  Biicherei  bilden. 

W  i  s  c  o  n  s  i  n's  D  e  u  t  s  c  h-A  m  e- 
r  i  k  a  n  e  r  bis  zum  Schlusse  des  neun- 
zehnten  Jahrhunderts,  von  W  i  1  - 
helm  Hense-Jensen.  1.  Bd., 
Milwaukee  1900.  Im  Verlage  der 


Bucberbesprecbungen . 


175 


Deutschen    Gesellschaft.      Druck    der 
Germania.     389  S.,  geb.,  $2.50. 

Wenn  man  bedenkt,  wie  ausseror- 
dentlich  viel  von  den  Deutschen  fur 
die  glanzende  Entwickelung  dieses 
Landes  gethan  worden  ist,  und  dabei 
sich  vergegenwartigt,  dass  imnier 
noch  scheeler  Neid  diese  Verdienste 
zu  verkleinern  bestrebt  ist,  so  muss 
man  ein  jedes  Unternehmen,  welches 
darauf  abzielt,  deutsche  Kulturarbeit 
in  das  rechte  Licht  zu  setzen,  freudig 
begriissen.  Viel  ist  schon  gethan  wor- 
den,  aber  viel  bleibt  noch  zu  leisten. 
Und  manches  muss  bald  geschehen, 
wenn  tiberhaupt  nicht  die  Gelegenheit 
unbenutzt  voriibergehen  soil.  Da  sind 
denn  die  Bestrebungen,  welche  seit 
einiger  Zeit  in  verschiedenen  Landes- 
teilen  angeregt  und  ermutigt  worden 
sind,  einschlagiges  Material  zu  sam- 
meln  und  geordnet  der  Offentlichkeit 
zu  tibergeben,  nicht  nur  berechtigt, 
sondern  verdienen  alle  nur  denkbare 
Unterstiitzung.  Filr  Wisconsin  hat 
die  Deutsche  Gesellschaft  von  Milwau- 
kee die  Initiative  zur  Besorgung  der 
dankbaren  Arbeit  ergriffen  und  als 
Resultat  der  Bemiihungen  den  ersten 
Band  geschichtlicher  Erinnerungen 
und  Schilderungen  erscheinen  lassen, 
dem  bald  ein  zweiter  Band  folgen 
soil.  Der  Verfasser  hat  es  verstanden, 
das  reichlich  vorhandene  Material 
trefflich  zu  verwerten  und  ein  Werk 
zu  schaffen,  welches  einen  jeden  Leser 
fesseln  muss.  Moge  der  Erfolg  des 
Unternehmens  zu  ahnlichen  Arbeiten 
anspornen.  H.  H.  F. 

Aus  dem  Verlage  von  D.  C.  Heath 
&  Co.  Modern  Language  Series,  liegt 
eine  ganze  Anzahl  kleiner  Werke  zur 
Besprechung  vor. 

Leichten,  anregenden  Lesestoff  bie- 
ten  zunachst  drei  kleine  Lustspiele, 
Benedix,  Nein,  mit  Anmerkun- 
gen,  Worterbuch  und  tJbungen  verse- 
hen  von  A.  W.  Spanhoofd;  E  1  z's 
Er  ist  nicht  eifersiichtig-, 
mit  Worterbuch,  eowie  Benedix, 
Der  Prozess,  mit  Worterbuch, 
beide  herausgegeben  von  B.  W. 
Wells. 

Schon  im  ersten  Jahre,  sobald  die 
Hauptschwierigkeiten  der  Grammatik 
tiberwunden  sind,  konnen  diese  klei- 
nen  Lustspiele  mit  Nutzen  fur  Schul- 
klassen  verwandt  werden,  zum  Lesen 
und  besonders  zu  tJbungen  im  Spre- 
chen,  da  diese  Stiicke  als  gute  Bei- 
spiele  der  taglichen  TJmgangssprache 
gelten  diirfen  konnen.  Das  Benedix'- 
sche  Lustspiel  Nein  von.  A.  Span- 
hoofd bietet  noch  als  Anhang  eine 
Anzahl  vontJbungsstiicken  zur  sohrift- 


lichen  und  mundlichen  Benutzung  dea 
Gelesenen. 

Ebenfalls  fur  das  erste  Jahr  geeig- 
net  sind  die  in  sehr  einfachem,  an- 
mutigem  Stil  geschriebenen  Erzah- 
lungen  von  Carmen  S  y  1  v  a,  ,,der 
deutschen  Dichterin  auf  dem  ruma- 
nischen  Konigsthrone" :  Aus  m  e  i- 
nem  Konigreich,  herausgegw- 
ben  von  W.  Bernhardt.  Diese 
kleinen  Erzahlungen  und  Marchen 
sind  aus  der  Volkssage  der  Rumanen 
geschopftund  bieten  eine  Reihe  von 
farbenreichen,  phantastischen  Bil- 
dern,  die  uns  die  Sagenwelt  eines  una 
BO  fremden  Volksstammes  vorfuhren 
sollen.  Dieses  Buch  vrird  manchem 
Freude  machen  und  sich  fiir  jiingere 
Madchenklassen  besonders  eignen. 

Felix  Dahns  Sigwalt  und 
S  i  g  r  i  d  h,  herausgegeben  von  F.  G. 
G.  Schmidt  wird  sich  dahingegen 
durchaus  nicht  mit  Nutzen  im  Schul- 
zimmer  verwenden  lassen.  Der  Stil 
ist  ein  der  heutigen  Umgangssprache 
so  entgegengesetzter,  dass  es  gerade- 
zu  schadlich  sein  wiirde,  den  Schil- 
ler damit  zu  verwirren.  Ausserdem 
giebt  es  noch  andere  Bedenken,  die 
dem  Gebrauch  des  Buches  fur  jiin- 
gere  Schiller  verbieten.  Dasselbe 
gilt  von  Zschokkes  Das 
Wirtshaus  zu  Cransac,  her- 
ausgegeben von  E.  S.  J  o  y  n  e  s.  Der 
Verfasser,  einer  der  beliebtesten  und 
wirklich  guten  Volksschriftsteller  zu 
Anfang  des  19ten  Jahrhunderts,  ge- 
hort  jetzt  zu  denen,  die  als  ganzlich 
veraltet  im  Stil  und  Stoff  ihrer  Er- 
zahlungen, in  vollige  Vergessenheit 
geraten  sind.  Das  vorliegende  Ge- 
schichtchen  kann  wenig  dazu  beitra- 
gen,  Liebe  und  Bewunderung  fiir  die 
deutsche  Litteratur  in  dem  Schiller 
zu  wecken. 

Heyses,  Das  Madchen  von 
T  r  e  p  p  i,  herausgegeben  von  E.  S. 
J  o  y  n  e  s,  ist  wie  das  altbekannte 
L'Arrabiata  eine  Perle  unter  den 
zahlreichen  kleinen  Novellen  des  Yer- 
fassers.  Glanzender  Stil,  edle  Spra- 
che  sind  ihm  eigen;  eine  Fiille  von 
Schonheit  entziickt  uns  in  seiner 
Schilderung  von  Landschaft  und 
Menschen,  besonders  psychologisch 
interessanter  Frauencharaktere,  die 
seine  Starke  sind.  Zu  einer  Zeit 
vielleicht  iiber  die  Gebiihr  vergottert, 
wird  Heyse  von  der  heutigen  ober- 
tlachlicheren  Kritik  zu  sehr  verkannt 
und  unterschatzt.  Mit  Unrecht  hat 
man  ihn  gar  den  ,,Lieblingsauthor 
der  hoheren  Tochterschule"  genannt. 
Das  Madchen  von  Treppi  eig- 
net  sich  nicht  im  mindesten  fiir  die 


176 


P'ddagogische  Monatshefte. 


Hohere  Tochterschule,  ebenso  wenig 
wie  1'Arrabiata.  Dieser  mit  einem 
Bilde  Heyses  geschmiickten  Ausgabe 
wurde  ein  Anhang  beigefiigt,  von 
englischen  Paraphrasen  zum  Zuriick- 
iibersetzen  ins  Deutsche,  die  fiir  al- 
tere  Schiller  ausgezeichnete  Ubungen 
bilden  diirften. 

Gottfried  Keller,  Kleid  er 
m  a  c  h  e  n  L  e  u  t  e,  herausgegeben 
mit  Anmerkungen  und  Worterbuch 
von  M.  B.  Lambert.  Unserer  ame 
rikanischen  Schule  den  grossen  Kel- 
ler, ,,den  grossten  Dichter,  den- 


Deutschland  seit  Gothe  besass",  zu- 
ganglich  zu  machen,  ist  wahrlich  ein 
Verdienst.  Wean  nicht  der  grosste 
Dichter,  so  ist  Keller  doch  der 
grosste  deutsche  Epiker  seit  Goethe, 
und  selbst  diese  lustige  Geschichte 
vom  Schneiderlein  Strapinski  ,,ist  ei- 
nes  Bocaccio  wiirdig".  Diese  Aus- 
gabe ist  mit  vielen  Noten  versehen, 
die  zum  Verstandnis  des  ziemlich 
schweren,  idiomatischen  Stils  notig 
waren.  Dieses  Buch  wird  auch  un- 
tef  uns  viele  Freunde  finden. 

C.  Grosse. 


II.     Eingesandte  Biicher. 


Laskaris.  Eine  Dichtung  von 
Arthur  Pfungst.  Vierte  Auf- 
lage  (Volksausgabe).  Berlin,  1901. 
Ferd.  Dtimmlers  Verlagsbuchhand- 
lung.  Preis  geheftet  2,40  M;  elegant 
gebunden  3,60  M. 

O  r  th  o  gr  aph  i  e  b  1  a  1 1  er  fiir 
die  Hand  der  Kinder.  Ein  An- 
hang zu  jedem  Lesebuch.  Verfasser? 
Gumbinnen,  C.  Sterzel  (Gebr.  Kei- 
mer),  1901.  Preis  15  Pf. 

Deutsche  Aufsatze  zur  Bele- 
bung  und  Vertiefung  des  Gesamtun- 
terrichts.  Fiir  Oberklassen  der  Volks- 
und  Biirgerschulen,  sowie  fiir  Mittel- 
klassen  hoherer  Lehranstalten  ,bear- 
beitet  von  A.  Kleinschmidt, 
Grossherzogl.  Kreisschulinspektor  in 
Erbach  in  O.  I.  Band:  Aufsatze  zum 


Unterricht  in  Religion,  Litteratur,  Ge- 
schichte und  Geographic.  II.  Band: 
Aufsatze  1.  iiber  Menschenleben  und 
Menschenarbeit;  2.  aus  dem  Gebiete 
des  Unterrichts  in  Hauswirtschafts- 
und  Gesundheitslehre,  Naturgeschich- 
te  und  Naturlehre;  3.  Jahreszeiten 
und  Witterung.  Leipzig,  Friedrich 
Brandstetter,  1899.  Preis:  Band  I, 
brosch.  3  M,  geb.  3.40  M;  Band  II 
desgl. 

Soil  und  Haben  von  G  u  s  t  a  v 
F  r  e  y  t  a  g.  Abridged  and  Edited 
with  Introduction  and  Notes  by 
George  T.  Files,  Ph.  D.,  Profes- 
sor of  German  in  Bowdoin  College. 
Boston,  D.  C.  Heath  &  Co.,  1901 
Price  65  cts. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  April   1901.  Hefts 

Henry  Raab.  f 


Der  Tod  halt  reiche  Ernte  unter  unsern  Besten.  In  der  kurzen 
Spanne  von  wenigen  Monaten  sind  uns  zwei  Manner  entrissen  worden, 
die  treu  zu  unserer  Sache  standen  und  mit  eben  solcher  Begeisterung 
als  Erfolg  fur  dieselbe  wirkten.  Henry  Raab  war  es,  der  seinem  dahin- 
gegangenen  Freunde,  Prof.  W.  H.  Rosenstengel,  in  dem  Dezemberhefte 
der  P.  M.  einen  tiefgefiihlten  Nachruf  widmete.  Wer  hatte  es  damals 
wohl  geahnt,  dass  er,  der  Hune  von  Gestalt  und  scheinbar  von  Kraft 
und  Gesundhett  strotzend,  ihm  so  bald  in  das  Grab  nachfolgen  werde.  Am 
13.  Marz  wurde  er  nach  kurzem,  aber  schmerzvollem  Leiden  abgerufen. 

Henry  Raab  gehorte  zu  den  Mannern,  die  die  Pionierarbeit  fur  einen 
im  Sinne  unserer  grossen  Padagogen  stehenden  Ausbau  des  amerikani- 
schen  Schulwesens  verrichteten.  Er  kannte  die  Wichtigkeit  eines  zwei- 
sprachigen  Unterrichts  in  unseren  Schulen,  und  zwar  vom  Kindergarten 
an,  und  trat  in  seinem  Wirkungskreise  fiir  dessen  Einfiihrung  ein.  Die 
Bedeutung  deutschen  Geistes  nicht  fur  unser  Schulwesen  allein,  sondern 
fiir  die  nationale  Entwickelung  unseres  Volkes  war  ihm  klar  wie  wenigen, 
und  unentwegt  verfocht  er  unsereldeen,  wo  sich  immer  dieGelegenheit  bot. 
Die  Padagogischen  Monatshefte  verlieren  in  ihm  einen  ihrer  eifrigsten  und 
thatkraftigtsen  Mitarbeiter;  sie  klopften  nie  vergebens  bei  ihm  an,  wenn 
seine  Hilfe  in  irgend  einer  Weise  notwendig  schien.  Diese  Hilfsbereit- 
schaft,  die  ihn  hier  auszeichnete,  wussten  alle,  die  seiner  bedurften,  zu 
riihmen.  Er  hatte  «in  warmes  Herz  fiir  alles  Gute  und  Schone  —  ein  ech- 
ter  Mann,  an  dem  kein  Falsch  war. 

In  unsern  Reihen  ist  durch  seinen  Hingang  eine  grosse  Liicke  ge- 
worden,  die  um  so  fuhlbarer  ist,  als  sie  schwer  gefiillt  werden  kann,  und 


178  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

von  neuem  miissen  wir  die  Frage  aufwerfen,  die  uns  bei  dem  Tode  Prof. 
Rosenstengels  bewegte:  Wo  sind  die  M'anner,  die  die  Erbschaft  der  Da- 
hingegangenen  antreten  und  das  Werk  vollenden  helfen,  zu  welchem  jene 
den  Grund  legten? 

Wir  lassen  -nun  den  Nachruf  folgen,  der  nach  dem  Tode  Henry  Raabs 
in  der  Illinoiser  Staatszeitung  aus  der  Feder  Wm.  Rapps  veroffentlicht 
wurde  : 

Hoch  und  kraftig  wie  eine  deutsche  Eiche,  hat  er  doch  nunmehr  in  seiner 
Illinoiser  Heimat  Belleville  an  tiickischer  Krankheit  sterben  miissen,  wah- 
rend  er  noch  einen  langeren  gesegneten  Lebensabend  vor  sich  zu  haben  scMen. 

Heinrich  Raab  wurde  als  der  alteste  von  sieben  Sohnen  zu  Wetzlar,  der 
jetzt  zur  preussischen  Rheinprovinz  gehorigen  einstigen  Statte  des  Kammer- 
gerichts  des  alten  romisch-deutschen  Reich.es,  im  Jahre  1836  geboren.  Sein 
Vater  war  ein  Gerbermeister,  welcher,  obgleich  mit  Gliicksgutern  nicht  ge- 
segnet,  den  Kindern  die  bestmogliche  Erziehung  angedeihen  Hess.  Er 
schickte  seinen  Heinrich  erst  in  den  Kindergarten,  dann  in  die  Biirgerschule 
und  darauf  in  das  Gymnasium  von  Wetzlar  und  liess  dem  aufgeweckten  Kna- 
ben  zugleich  bestandigen  Privatunterricht  erteilen.  Aber  zur  Fortsetzung  der 
Studien  reichten  die  geringen  Mittel  des  Vaters  nicht  hin,  und  darum  wurde 
aus  dem  Gymnasiasten  Heinrich  Raab  ein — Gerberlehrling  und  ein  handfes- 
ter  Gerbergeselle. 

Als  solcher  kam  er  im  Jahre  1854,  also  in  seinem  achtzehnten  Jahre,  nach 
den  Vereinigten  Staaten,  und  arbeitete  riistig  und  fleissig  auf  seinem  Hand- 
werk,  erst  in  Cincinnati,  dann  in  St.  Louis.  Aus  letzter  Stadt  siedelte  er 
im  Laufe  des  Jahres  1855  nach  dem  nahen  Belleville,  der  iiberwiegend  deut- 
,  schen  Hauptstadt  des  Siid-Illinoiser  Countys  St.  Clair  iiber.  Der  gebildete 
und  auf  Vermehrung  seiner  Bildung  bedach'te  junge  Gerber  kam  daselbst  bald 
in  Beriihrung  mit  den  strebsamsten  der  dortigen  Lehrer  und,  was  noch  viel 
wichtiger  fur  ihn  war,  mit  dem  ausgezeichneten  deutschen  Schulmanne  Georg 
Bunsen.  Dieser  regte  ihn  zur  Ergreifung  des  Lehrfaches  an,  fiihrte  ihn  in 
die  Grundsatze  und  die  Lehrweise  Pestalozzis  ein  und  war  in  jeder  Weise 
bemiiht,  ihn  zum  tiichtigen  Lehrer  zu  machen. 

Georg  Bunsen,  ein  Mitglied  der  beriihmten  deutschen  Gelehrtenfamilie 
desselben  Namens,  war  ein  aufs  griindlichste  gebildeter  Schulmann.  In  sei- 
ner Vaterstadt  Frankfurt  a.  M.  hatte  er  von  1820  bis  1834  eine  von  ihm  er- 
richtete  hohere  Lehranstalt  nach  den  Grundsatzen  Pestalozzis  geleitet,  wan- 
derte  aber  dann*  als  Freiheitsfreund  von  der  zunehmenden  Reaktion  bedroht, 
mit  seiner  Familie  nach  St.  Clair  County  in  Illinois  aus,  liess  sich  dort  auf 
einer  Farm  nieder,  unterrichtete  seine  Kinder  und  die  seiner  Nachbarn  und 
zog,  nachdem  er  auch  Friedensrichter  und  Mitglied  des  Illnoiser  verfassung- 
gebenden  Staatskonvents  von  1847  gewesen  war,  in  die  County-Hauptstadt 
Belleville  hinein,  wo  er  eine  Musterschule  errichtete.  Sie  wurde  bald  auch 
von  den  Lehrern  der  offentlichen  Schulen  Bellevilles  besucht.  Im  Jahre  1856 
ward  Bunsen  zum  Direktor  eben  dieser  offentlichen  Schulen  und  einige  Jahre 
daraut  zum  Direktor  samtlicher  Offentlicher  Schulen  des  St.  Clair  Countys 
gemacht.  Ebenso  wurde  er  Mitglied  des  damaligen  staatlichen  Erziehungs- 
rates  und  einer  der  Grunder  des  Staatslehrerseminars  in  Bloomington.  Im 
Jahre  1874  starb  er,  einundachtzig  Jahre  alt. 

Einen  solchen  Lehrmeister  im  Schulfache  hatte  Raab;  und  als  ihn  Bun- 
sen  fur  reif  erklarte,  entschloss  sich  der  junge  Mann,  sofort  ganz  dem  Leh- 


Henry  Raab.  179 

rerberufe  zu  leben.  Als  im  Winter  von  1857  auf  1858  in  einer  Belleviller 
Vorstadtschule  ein  Hilfslehrer  gesucht  wurde,  meldete  sich  Raab  zu  dieser 
Stelle  und  wurde  angestellt.  Von  da  an  ist  er  in  den  Belleviller  Schulen 
thatig  gewesen,  zuerst  als  Gehilfe,  dann  ols  Lehrer  des  Deutschen,  spater 
als  ,,Prinzipal"  und  schliesslich  als  ..Superintendent". 

Durch  das  Studium  guter  Schriften  uber  Erziehungskunst  und  durch  hau- 
figen  Besuch  englischamerikanischer  und  deutschamerikanischer  Lehrertage 
1st  er  mit  dem  Unterrichtswesen  der  Vereinigten  Staaten  und  der  europai- 
schen  Kulturlander  immer  vertrauter  geworden.  Um  aber  das  deutsche  Er- 
ziehungswesen  aus  eigener  Anschauung  noch  genauer  kennen  zu  lernen,  be- 
gab  er  sich  im  Jahre  1863  nach  Deutschland,  blieb  dort  bis  zum  folgenden 
Jahre  und  studierte  in  den  vorziiglichsten  der  dortigen  Bildungsanstalten  fur 
Lehrer  weiter,  lernte  auch  den  Lehrgang  der  besten  Schulen  griindlich 
kennen. 

Im  Jahre  1882  stellte  der  demokratische  Staatskonvent  VOD  Illinois  Raab 
als  Kandidaten  fur  das  Amt  des  Staatsschulsuperintendenten  auf,  und  er 
wurde  mit  einer  Mehrheit  von  3000  Stimmen  gewahlt,  wahrend  im  iibrigen 
die  Republikaner  siegten.  In  seiner  vierjahrigen  Amtszeit  in  der  Staats- 
hauptstadt  bewahrte  er  sich  so  vorziiglich,  dass  die  Demokraten  ihn  dann 
von  neuem  aufstellen  wollten.  Er  wies  aber  die  Kandidatur  bestimmt  zuriick. 
Doch  im  Jahre  1890  ist  ihm  dieselbe  Kandidatur  durch  einstimmigen  Ruf 
des  demokratischen  Staatskonvents  doch  wieder  iibertragen  worden,  und  auf 
das  Andrangen  der  Deutschen  hat  er  sie  in  der  elften  Stunde  angenommen. 
Er  und  seine  Familie  brachten  dadurch  ein  grosses  Opfer. 

Bei  seiner  Kandidatur  im  Jahre  1890  war  Raab  der  Fuhrer  der  Deut- 
schen von  Illinois  ohne  Unterschied  der  Partei  im  heissen  Kampfe  gegen 
das  Edward'sche  Schulgesetz,  welches  die  deutschen  Kirchen-  und  Privat- 
schulen  so  schwer  bedrohte,  und  er  wurde  von  der  Illinois  Staatszeitung, 
in  welcher  er  schon  fruher  in  trefflichen  Aufsatzen  dargethan  hatte,  wie  gut 
sich  der  Unterricht  im  Deutschen  mit  dem  im  Englischen  vertragt  und  ihn 
fordert,  aufs  kraftigste  und  freudigste  unterstiitzt.  E  r  selbst  bereiste  in 
jenem  Wahlkampfe  den  Staat  und  verfocht  mit  eindringlicher  Beredsamkeit 
seine  und  der  Deutschen  Sache.  Das  Ereignis  war,  dass  er  im  republikani- 
schen  Staate  Illinois  mit  einer  Mehrheit  von  30,000  gewahlt  wurde  und  dass 
das  Edwards-Gesetz  einem  gerechten  Schulzwangsgesetz  weichen  musste. 

Nachdem  Raab  von  1891  bis  1895  sein  hohes  Amt  wieder  aufs  beste  ver- 
waltet  und  namentlich  auch  viel  zur  Hebung  landlicher  Schulen  beigetragen 
hatte,  kehrte  er  von  Springfield  ins  Privatleben  zuriick.  Er  machte  dann 
noch  zwei  Reisen  nach  Deutschland,  wo  er  wieder  das  dortige  Schulwesen 
studierte,  woruber  er  wahrend  seiner  ersten  Reise  hochst  anziehend  in  der 
Illinois  Staatszeitung  berichtete. 

Raab  war  eine  sehr  ansprechende  Personlichkeit,  hatte  im  Benehmen 
durchaus  nichts  Schulmeisterliches  und  sah  in  den  Tagen  seiner  Gesundheit 
ehe/  wie  ein  waldfrischer  deutscher  Forstmann  aus. 

In  ihm  ist  einer  der  besten  amerikanischen  Schulmanner  gestorben,  der 
die  deutsche  Lehrmethode  aufs  gliicklichste  den  wahren  Bediirfnissen  Ame- 
rikas  anzupassen  wusste.  Er  war  aber  nicht  nur  ein  Hauptvertreter  eines 
verniinftigen  Schulsystems,  sondern  auch  ein  tapferer  und  unbesieglicher 
Vorkampfer  des  deutschen  Unterrichts  in  der  offentlichen  Schule  und  der 
volligen  Gleichberechtigung  der  deutschamerikanischen  Privat-  und  Kirchen- 
schule  mit  der  amerikanischen  offentlichen. 


180  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Er  hinterlasst  eine  verehrungswiirdige  Gattin,  einen  Sohn,  der  es  zum 
hochangesehenen  Arzte  gebracht  hat,  und  eine  ebenso  treffliche,  in.  Kansas 
City  gliicklich  verheiratete  Tochter.  W.  Rapp. 

*       *        * 

Samstag  nahm  in  einer  Spezialsitzung  die  Verwaltungsbehorde  des  Nati- 
onalen  D.-A.  Lehrerseminars  die  folgenden  Beileidsbeschliisse  an: 

,,Die  Dezembernummer  der  ,,Padagogischen  Monatshefte"  enthielt  aus 
der  Feder  des  Herrn  Heinrich  Raab  von  Belleville,  111.,  einen  Aufsatz,  wel- 
cher  in  warmen  Worten  der  Personlichkeit  und  dem  segensvollen  Wirken 
unseres  dahingeschiedenen  W.  H.  Rosenstengel  ein  schones  Denkmal  setzte. 
Nur  wenige  Monate  hat  der  Verfasser  unseren  unvergesslichen  Mitarbeiter, 
mit  dem  er  durch  das  Band  langjahriger,  treuer  Freundschaft  und  Briider- 
lichkeit  vereint  war,  tiberlebt.  Heute  haben  liebende  Hande  die  sterbliche 
Hiille  von  Heinrich  Raab  der  Feuerbestattung  iibergeben.  Kraftstrotzend 
wie  die  Eichen  seines  alten  Vaterlandes,  schien  er  zu  den  Auserkorenen  zu 
gehoren,  denen  die  Natur  eine  Lebensdauer  beschieden  hat,  weit  iiber  das 
Mass  der  gewohnlichen  Sterblichen.  Und  doch  hat  ihn  ein  txickisches  Leiden 
unerwartet  friih  seiner  Familie,  seinen  zahlreichen  Freunden  und  seinem 
segensreichen  Berufe  entrissen. 

Wir,  die  Beamten  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrersemi- 
nars, haben  uns  versammelt,  um  unserer  Trauer  iiber  den  Tod  unseres  Freun- 
des  Heinrich  Raab  Ausdruck  zu  verleihen.  Wer  Heinrich  Raab  nur  flxichtig 
kannte,  fiihlte  sich  zu  ihm  hingezogen,  wer  ihm  naher  trat,  musste  ihn  achten 
und  lieben.  Der  machtige  Korper  des  Mannes  barg  das  Gemut  eines  ver- 
trauernden  Kindes.  Weit  iiber  die  Grenzen  seines  Heimatstaates,  Illinois, 
welcher  ihn  oft  mit  hohen  Vertrauensamtern  beehrt  hatte,  war  er  bekannt 
und  verehrt  als  tiichtiger,  erfahrener  und  begeisterter  Schulmann,  als  treuer 
Freund  und  Berater  aller  jungen  und  strebsamen  Berufsgenossen,  als  warmer 
Befiirworter  und  kraftige  Stiitze  aller  edlen  Bestrebungen,  als  Ehrenmann 
vom  Scheitel  bis  zur  Sohle.  Der  von  uns  vertretenen  Anstalt  brachte  er  die 
warmste  Liebe  entgegen;  als  Mitglied  der  Verwaltungsbehorde  des  Lehrer- 
seminars, der  er  seit  der  Griindung  der  Anstalt  angehorte,  als  Mitglied  des 
Lehrerausschusses  hat  er  sich  hohe  Verdienste  um  das  Wohl  der  ihm  und 
uns  so  teuren  Anstalt  erworben.  Ehre  seinem  Andenken. 

Wir  beschliessen  hiermit,  der  tiefgebeugten  Familie  unseres  dahinge- 
schiedenen Mitarbeiters  unser  herzlichstes  Beileid  auszusprechen,  vorstehende 
Kundgebung  dem  Protokolle  einzuverleiben  und  durch  die  Presse  zu  verof- 
fentlichen." 

Am  Samstag,  dem  16.  Marz,  fand  die  Feuerbestattung  Henry  Raabs 
in  St.  Louis  statt.  Die  zahlreiche  Teilnahme  an  der  Leichenfeier  von 
nah  und  fern  gab  Kunde  von  der  Liebe  und  Achtung,  die  der  Verstorbene 
sich  wahrend  seiner  Laufbahn  erworben  hatte.  Sein  langjahriger  Freund, 
Herr  Dir.  Emil  Dapprich,  der  ihm  als  Mensdh  wie  als  Kollege  gleich  nahe 
stand,  widmete  ihm  die  letzten  Abschiedsworte. 


(Offiziell.) 

Nationaler  Deutschamerikanischer  Lehrerbund. 

Aufruf  zur   Beteiligung  an  der  31.  Jahresversammlung  in   Indian- 
apolis,  Ind.,  am  8.,  p.,  10.  und  n.  Juli  1901. 


Zum  ersten  Male  seit  Bestehen  des  Lehrerbundes  wird  unsere  Jah- 
resversammlung  in  Indianapolis,  Ind.,  abgehalten,  und  zwar  vom  8.  bis 
11.  Juli  1901.  Dem  Bundesvorstand  ist  es  gelungen,  erprobte  Redner 
von  padagogischem  Rufe  fur  den  diesjahrigen  Lehrertag  zu  gewinnen, 
welche  wichtige  Themata  auf  erzieherischem  Gebiete  behandeln  werden. 
Es  war  stets  das  Bestreben  des  Lehrerbundes,  die  Anbahnung  und  Ver- 
breitung  vernunftgemasser  Jugenderziehung,  die  hierzulande  immer  noch 
sehr  notthut,  nach  besten  Kraften  zu  fordern.  Die  reaktionare  Bewe- 
gung  kurzsichtiger  Nativisten,  welche  die  Vorteile  eines  zweisprachigen 
Unterrichts  nie  begreifen  lernen  und  deshalb  den  deutschen  Unterricht 
stets  bekampfen,  macht  festes  Zusammenhalten  der  fortschrittlichen  Ele- 
mente  auf  dem  Erziehungsgebiete  gegenwartig  mehr  als  je  zur  gebiete- 
rischen  Pflicht.  Wir  richten  daher  an  alle,  denen  die  Einfuhrung,  He- 
bung  und  Ausbreitung  des  deutschen  Sprachunterrichts  in  den  Schulen 
Amerikas,  sowie  die  Erhaltung  deutschen  Wesens  hier  im  Lande  am  Her- 
zen  liegt,  die  dringende  Einladung,  sich  am  Lehrertage  in  Indianapolis 
zu  beteiligen. 

Der  Ortsausscfiuss  daselbst,  in  dessen  Handen  die  Vorbereitungen 
fiir  den  geselligen  Teil  des  Lehrertags  gelegt  wurden,  ;hat  es  sich  zur 
Aufgabe  gemacht,  diese  Jahresversammlung  des  N.  D.  A.  L.  in  betreff 
Unterhaltung  der  Gaste  aufs  glanzendste  durchzufiihren.  Die  geraumi- 
gen,  luxurios  ausgestatteten  Vereinshallen  des  Deutschtums  der  Hoosier- 
hauptstadt,  wie  ,,Deutsches  Haus"  und  ,,Walhalla"  sind  an  und  fur  sich 
eine  sichere  Gewahr  fiir  angenehmen  Aufenthalt. 

Das  vollstandtge  Programm  des  Lehrertags  wird  in  der  Mainummer 
des  Bundesorgans  veroffentlicht  werden. 

Der  Bundesvorstand: 

M.  D.  Learned,  President, 
i  Emil  Kramer,  1.  Schriftfiihrer, 

Anna  Hohgrefe,  2.  Schriftfiihrer, 
Louis  Hahn,  Schatzmeister. 


Der  Wert  des  Studiums  der  Qeschichte. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  30.  Lehrertage  zu  Philadelphia. 

Von  Charles  £.  Henning,  Philadelphia., 

Meine  Damen  und  Herren! 

Im  Anschluss  an  die  Worte  des  Herrn  Dr.  Hexamer  bei  dem  Em- 
pfangsabend  in  der  Halle  der  ,,Deutschen  Gesellschaft",  gemass  welchen 
er  auf  den  hohen  Wert  hinwies,  welchen  die  Beschaftigung  mit  der 
Deutschamerikanischeri  Geschichte  im  besonderen  fur  uns  Deutsche  hat, 
diirfte  es  nicht  unangebracht  sein,  dieses  Thema  heute  etwas  weiter  aus- 
zufiihren  und  den  Wert  des  Studiums  der  Geschichte  im  allgemeinen  ein- 
gehender  zu  beleuchten.  Leider  ist  das  Interesse  an  der  Geschichte  iiber- 
haupt  hierzulande  ein  sehr  geringes,  und  ich  glaube  nicht  fehl  zu  gehen, 
wenn  ich  behaupte,  dass  die  vielen  Vorurteile,  welche  die  Amerikaner  ge- 
gen  die  Deutschen  und  diese  gegen  jene  haben,  wohl  vielfach  darin  ihren 
Grund  haben  diirften,  dass  der  eine  zu  wenig — oder  nichts — von  des  an- 
deren  Geschichte  weiss.  Dass  diese  Geschichtsunkenntnis  sich  selbst  bis 
in  die  akademischen  Kreise  erstreckt,  sollte  man  kaum  fur  moglich  hal- 
ten;  dennoch  kann  ich  mit  einem  Beispiel  dienen.  Im  Januar  1899  hielt 
in  einer  grossen  offentlichen  Versammlung  in  New  York  ein  Professor 
von  Columbia-College  einen  Vortrag  iiber  die  Seeschlacht  von  Manila  und 
stellte  dabei  Admiral  Dewey  in  eine  Parallele  mit  dem  romischen  Feld- 
herrn  —  Aetius!  Hatte  der  betr.  Professor  auch  nur  eine  Ahnung  von  der 
Bedeutung  des  Aetius  und  seiner  Zeit  gehabt,  dann  ware  sein  Vergleich 
mit  Dewey  jedenfalls  unterblieben. 

Woher  kommt  nun  das  geringe  Interesse  an  der  Geschichte^  die  mei- 
stens  als  etwas  ,,Nebensachliches  oder  Unnotiges"1  betrachtet  wird?  Sehr 
oft  wohl  daher,  weil  die  Geschichte  schon  in  der  Schule  in  einer  Weise  ab- 
gehandelt  wird,  dass  der  Schiiler  nur  sehr  wenig  Lust  verspiirt  sich  im  spa- 
teren  Leben  damit  weiter  zu  beschaftigen  und  froh  ist,  wenn  er  keine 
Schlachtendaten  und  Regierungszeiten  von  Herrschern  mehr  auswendig 
zu  lernen  braucht.  Das  Wenige,  was  er  vielleicht  noch  behalt,  sind  Sagen 
aus  der  alten  Geschichte,  die  ihm  noch  dadurch  aufgefrischt  werden,  dass 
er  sie  im  griechischen  und  lateinischen  Urtext  zum  so  und  sovielten  Male 
vorgesetzt  bekommt.  Den  eigentlichen,  dauernden  Inhalt  der  Geschichte 
erfahrt  er  nicht,  und  deshalb  entschwindet  sie  seinem  geistigen  Horizont, 
sobald  er  der  Schule  Valet  gesagt  hat. 

Angesichts  dieser  Thatsache  ist  die  Frage  berechtigt:  was  ist  denn 
eigentlich  Geschichte,  und  was  ist  ihr  Inhalt? 

Die  Antwort  darauf  kann  von  zwei  Seiten  gegeben  werden:  einmal 
vom  Standpunkt  des  Vorurteils  und  weiter  von  jenem  der  Vorurteilslosig- 


Der  Wert  des  Studiums  der  Gescbicbte.  183 

keit.  Das  erstere  wird  von  der  sogen.  Orthodoxie  vertreten,  welche  alles, 
was  auf  diesem  Erdenrund  geschieht,  geschah  und  noch  geschehen  wird, 
als  etwas  ganz  Selbstverstandliches  ansieht,  alle,  jedes  menschliche 
Gefiihl  verletzenden  Greuelthaten  (ich  meine  z.  B.  die  Bartholomausnacht, 
den  SOjahr.  Krieg,  die  Hexenprozesse,  die  Inquisition  u.  a.)  als  ,,Gottes- 
gerichte"  bezeichnet,  mit  einem  Wort,  die  Geschichte  der  Menschheit  als 
,,von  oben"  geleitet  und  ,,vorherbestimmt"  betrachtet. 

Noch  kiirzlich  las  ich  in  der  "Educational  Review"  (Februar  1899 
p.  177)  in  einem  Aufsatz  einer  Miss  Anna  Boynton  Thompson  iiber  das 
Thema:  "How  to  study  history"  folgende  charakteristische  Satze:  ,,Die 
Geschichte  ist  die  Erscbeinung  Gottes;  Geschichte  studieren  heisst  die 
Thaten  seines  Glanzes  durch  die  Jahrhunderte  verfolgen;  die  Methode  des 
Studiums  der  Geschichte  besteht  darin,  in  personliche  Gemeinschaft  mit 
der  einen  gottlichen  Natur  zu  treten,  damit  wir  in  Gottes  geheime  Rat- 
schliisse  eindringen  und  zu  sagen  und  zu  beweisen  lernen:  ,,Siehe,  auch 
Ich,  Ich  komme,  um  Deinen  Willen  zu  thun!"  Abgesehen  von  jeder  wei- 
teren  Polemik  iiber  diese  sinnlose  Erklarung  des  Wesens  der  Geschichte, 
ist  sie  auch  insofern  falsch,  als  sie  die  ganze  Geschichte  in  direkte  Abhan- 
gigkeit  von  einer  ausserweltlichen  Macht  stellt  und  somit  auch  die  ent- 
setzlichsten  Greuelthaten,  meistens  begangen  infolge  von  religiosem  Fana- 
tismus,  als  ,,gottliche  Vorherbestimmung"  bezeichnet  —  eine  Auffassung, 
die  sich  ohne  weiteres  von  selbst  richtet. 

Neben  dieser  einseitigen  Auffassung  steht  jene,  welche  die  Geschichte 
nach  ihrem  kulturgeschichtlichen  Inhalt  behandelt,  insbesondere  seitdem 
durch  die  seit  1892  in  Europa  tagenden  Historiker-Kongresse  der  Wert 
des  kulturgeschichtlichen  Studiums  immer  mehr  betont  wird. 

Zur  Erlauterung  greife  ich  ein  Ereignis  heraus,  welches  vielleicht 
in  besonders  hohem  Grade  dazu  geeignet  ist,  das  Ringen  des  Menschen 
nach  freier  Entfaltung,  nach  Befreiung  aus  veralteten  Zustanden  und  An- 
schauungen  zu  zeigen:  die  Reformation  des  XVI.  Jahrhunderts.  Die 
alte  Schulweisheit  machte  es  sich  dabei  sehr  bequem;  sie  sagte  einfach  — 
und  so  ist  es  in  Hunderten  von  Schulbiichern  zu  lesen  —  :  ,,Am  31.  Okto- 
ber  1517  schlug  Luther  seine  95  Thesen  gegen  den  Ablasshandel  an  die 
Schlosskirche  zu  Wittenberg  an;  dies  gab  Anlass  zum  Ausbruch  der  Re- 
formation." Bei  genauerer  Betrachtung  nimmt  sich  die  Sache  freilich 
etwas  anders  aus;  nicht  der  Thesenanschlag  Luthers  war  der  Grund  des 
Ausbruchs  jener  gewaltigen  Bewegung,  sondern  die  sittliche  Verkommen- 
heit  des  Klerus  vom  Papste  an  bis  herab  zum  kleinen  Klosterbruder  und 
im  Zusammenhang  damit  stehend,  die  moralische  Verkommenheit  der 
ganzen  Gesellschaft  der  damaligen  Zeit,  die  Aussaugung  des  gemeinen 
Mannes  und  das  Abweichen  der  Kirche  von  dem  einfachen  und  klaren 
Christentum. 

Man  kann  darauf  entgegnen:  ,,das  ist  wohl  richtig!  Aber  derartige 
Dinge  kann  man  doch  nicht  vor  der  heranwachsenden  Jugend  vortragen!" 


184  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Ich  bin  dariiber  entschieden  entgegengesetzter  Meinung:  gerade  durch 
eine  massvolle,  wahrheitsgetreue  und  unparteiische  Darstellung  der  Be- 
gebenheiten  wird  schon  in  dem  Kinde  ein  gewisser  sittlicher  Ernst  gross- 
gezogen,  und  sein  Gemiit  wird  empfanglich  gemacht  fiir  das  allmahliche 
Verstandnis  der  im  spateren  Leben  an  die  Jugend  herantretenden  Ver- 
haltnisse. 

Aber  noch  eine  tiefere  Wirkung  hatte  die  Reformation  als  jene,  dass 
das  Christentum  eine  tiefgehende  Spaltung  erfuhr.  Die  Wissenschaften 
erhielten  einen  kraftigeren  Antrieb  zur  Weiterentwickelung,  und  ich  sage 
gewiss  nicht  zu  viel,  wenn  ich  behaupte:  batten  wir  keinen  Luther  ge- 
habt,  dann  ware  ihm  auch  kein  Schiller  und  Gothe  und  kein  Kant  gefolgt. 

Mag  daher  aus  diesem  einen  Beispiel  unschwer  klar  werden,  wie  das 
Studium  solcher  geschichtlichen  Prozesse  von  hochster  Wichtigkeit  fiir 
unsere  gesamte  moderne  Weltanschauung  ist,  so  wird  ein  Blick  auf  die 
alte  Geschichte  dasselbe  Resultat  ergeben. 

Ich  greife  hier  nur  die  Geschichte  des  alten  Griechenlands  heraus 
und  setze  dabei  das  Urteil  eines  der  hervorragendsten  neueren  Geschichts- 
schreiber,  Julius  Beloch,  hierher,  welcher  im  1.  Bde.  seiner  meisterhaften 
,,Griechischen  Geschichte"  sagt:  ,,Die  griechische  Geschichte  bleibt  nun 
einmal  das  wichtigste  Blatt  in  der  Geschichte  der  Menschheit.  Alle  die 
Kampfe,  die  wir  heute  noch  kampfen  um  Wahrheit,  urn  Freiheit,  um 
Gleichheit,  sie  sind  schon  von  den  Griechen  gekampft  worden.  Und  die 
ganze  Entvvickelung,  in  deren  Mitte  wir  stehen  und  wirken,  sie  liegt  hier 
fertig  und  abgeschlossen  vor  unseren  Augen;  wir  sehen  die  griechische 
Kultur  entstehen,  sich  zur  Blute  entfalten  und  Frucht  tragen,  um  endlich 
in  der  Nacht  geistigen  und  politischen  Depotismus  zu  verloschen;  und 
die  Ursachen  von  alle  dem  liegen  fiir  jeden,  der  in  dem  Buch  der  Ge- 
schichte zu  lesen  versteht,  klar  vor  Augen.  Und  die  Griechen  haben  nicht 
vergebens  gekampft.  Unsere  ganze  moderne  Gesittung  ruht  auf  dem 
Boden  der  hellenischen;  die  Griechen  sind  es,  denen  wir  die  Giiter  ver- 
danken,  die  uns  das  Leben  erst  lebenswert  machen,  unsere  Wissenschaft, 
unsere  Kunst,  die  Ideale  der  geistigen  und  politischen  Freiheit.  Und 
diese  Errungenschaften  werden  bleiben,  auch  wenn  es  eine  klassische  Bil- 
dung  im  heutigen  Sinne  einst  nicht  mehr  geben  wird." 

Welchen  Einfluss  schliesslich  die  Geschichte  Roms  auf  die  Geschichte 
der  Zivilisation  uberhaupt  ausgeiibt,  ist  eine  alien  bekannte  Thatsache, 
und  es  war  nicht  zuviel  gesagt,  wenn  in  den  Zeiten  des  Hohepunkts 
papstlicher  Machtfulle  das  stolze  Wort  aufkam:  ,,Rom,  das  Haupt  der 
Welt,  lenkt  die  Ziigel  des  Erdkreises!"  Und  es  war  ferner  keine  "Ober- 
treibung,  wenn  von  der  ,,ewigen  Stadt"  der  Dichter  Rutilius  Namatianus, 
welcher  im  J.  416  Rom  verliess,  um  in  seine  Heimat  Gallien  zuriickzu- 
kehren,  in  die  Worte  ausbrach: 


Wertscb'At%ung  und  Lehrmetboden  der  deutscben  Sprache.       185 

,,H6re  mich,  herrliche  Roma,  die  du  dem  Erdkreis  gebietest, 
Die  du  als  Gottin  wardst  hoch  zu  den  Sternen  entriickt, 
Hore  mich  Mutter  der  Menschen,  o  Roma,  und  Mutter  der  Cotter: 
Nahe  beim  Himmel  verweilt,  wer  deine  Tempel  betritt. 
Dich  besing  ich,  so  lang  mir  ein  Gott  giebt  Leben  und  Odem, 
Ja  bis  der  Tod  mich  entrafft,  nimmer  vergesse  ich  dein, 
Eher  noch  mag  die  Sonne  in  schaurigem  Dunkel  versinken, 
Ehe  aus  meinem  Gemiit  weichet  die  Liebe  zu  dir!" 
Kann  es  daher  nach  dem  Vorgetragenen,  wozu  noch  Beispiele  in 
Menge  gehauft  werden  konnen,  irgendwie  zweifelhaft  sein,  dass  das  Stu- 
dium  der  Geschichte  fur  jeden  in  gewissem  Sinne  eine  Notwendigkeit 
ist?    Sind  wir  etwa  im  stande  unsere  Gegenwart  zu  verstehen,  wenn  wir 
nicht  gleichzeitig  wenigstens  die  hauptsachlichsten  Ursachen  derselben 
kennen  aus  jener  Zeit,  welche  ihr  vorausging? 

Das  Thema,  welches  ich  vor  Ihnen  behandelte,  mag  zwar  etwas 
ausserhalb  des  engeren  Rahmens  der  Verhandlungen  des  Lehrertages  lie- 
gen,  aber  nichts  destoweniger  beruhrt  es  dennoch  auch  die  Frage  beim 
Sprachunterricht.  Wie  viel  Gutes  kann  der  Lehrer  stiften,  wenn  er  zu 
seinem  Lesestoff  historische  Abschnitte  wahlt,  besonders  in  den  hoheren 
Klassen,  dabei  aber  sein  Augenmerk  nicht  der  Kriegs-  und  M'ordge- 
schichte  zuwendet,  sondern  vor  alien  jenen  Grossthaten  des  menschlichen 
Geistes,  die  auf  das  Kulturleben  von  bahnbrechendem  Einflusse  sind;  in 
diesem  Sinne  eine  gewisse  Anregung  meinen  geehrten  Zuhorern  gegeben 
zu  haben,  war  der  bescheidene  Zweck  meiner  Worte. 


Wertschatzung  und  Lehrmethoden  der  deutschen 

Sprache. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  Verein  der  deutschen  Spezlallehrer 
von  New  York. 

Von  Bernhard  Kuttner,  Public  Schools,  N.  Y. 

Der  Gegenstand,  den  ich  mir  zu  meinen  Ausfuhrungen  ausersehen 
habe,  namlich:  ,,Wertschatzung  und  Lehrmethoden  der  deutschen 
Sprache"  ist  so  oft  und  so  vielfach  von  bedeutenden  Padagogen  diesseits 
und  jenseits  des  Meeres  iiberdacht  und  besprochen  worden,  dass  es  mii- 
ssig  erscheinen  diirfte,  ihn  noch  einmal  zu  beriihren. 

Aber  wer  von'  uns  konnte  sich  riihmen,  unter  alien  Verhaltnissen, 
bei  den  vielfachen  Wandlungen  und  Umanderungen  unseres  Lehrplans 
auf  jeder  Lehrstufe  stets  den  richtigen  Weg  eingeschlagen  zu  haben? 


186  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Oder  wer  wollte  behaupten,  dass  er  des  Beirates  der  Erfahrung  oder 
des  Gedankenaustausches  mit  seinen  Kollegen  nicht  bediirfe? 

Zudem  ist  die  Erkenntnis  einer  richtigen,  zweckentsprechenden,  auf 
padagogischen  Grundsatzen  aufgebauten  Methode,  welche  mit  der  uns 
karg  bemessenen  Unterrichtszeit  im  Einklange  steht,  fur  unsere  gute 
Sache,  fur  die  Befestigung  unserer  Stellung  von  hochster  Bedeutung; 
denn  nur  auf  den  E  r  f  o  1  g  unserer  Arbeit  konnen  wir  bauen,  nur  an  ihn 
appellieren;  auf  ihrn  beruht  die  Existenzberechtigung  des  deutschen 
Sprachunterrichts  an  unseren  offentlichen  Schulen.  Nur  der  begrundete 
Hinweis  auf  unsere  Leistungen  kann  die  Gegner  des  deutschen  Unter- 
richts  entwaffnen,  falls  es  wieder  einmal  im  Getriebe  des  politischen  Le- 
bens  jemandem  im  Erziehungsrate  einfallen  sollten,  iiber  diesen  Lehrge- 
genstand  das  Verbannungsurteil  auszusprechen.,,Ein  richtiges,  nach  pa- 
dagogisch-praktischcn  Grundsatzen  geleitetes  Lehrverfahren  ist  somit  fur 
uns — neben  der  idealen  Seite  unseres  Wirkens — eine  Lebensfrage." 

Bevor  ich  aber  die  Methoden  des  Sprachunterrichtes  selbst  in  den 
Kreis  meiner  Betrachtung  ziehe,  ist  es  geboten,  zunachst  die  Beweg- 
griinde  zu  erortern,  welche  zur  Einfiihrung  der  deutschen  Sprache  in 
unsere  offentlichen  Schulen  gefuhrt,  und  welche  Motive  die  Deutschen 
dieses  Landes  geleitet  haben,  einen  Kulturkampf  um  die  Erhaltung  ihrer 
hochgeschatzten  Sprache  mit  den  angloamerikanischen  Elementen  aufzu- 
nehmen. 

Wir  haben  diese  Motive  von  drei  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus 
zu  betrachten.  Zunachst  ist  es  das  ,,ethisch-sittliche  Moti  v", 
welches  den  wahrhaft  gebildeten  Deutschen  auffordert,  das  Vermachtnis 
seiner  Eltern  und  Voreltern,  seine  Sprache,^  auch  auf  seine  Kinder  und 
Nachkommen  zu  iibertragen. 

Die  Erhaltung  seiner  Muttersprache  steht  mit  seinem  tiefen  Gemiits- 
leben,  seinem  innigen  Familienleben  in  engstem  Zusammenhange. 

Wohl  erkennt  der  gebildete  Deutsche  die  Kernigkeit  und  den  Wohl- 
klang  der  englischen  Sprache  an. 

Er  schatzt  ihren  Wortreichtum,  ihre  Kiirze  und  Biindigkeit  im  Aus- 
druck;  fiir  die  Gefugigkeit  ihres  Satzbaues  ist  er  empfanglich — von  ihrem 
Litteraturreichtum  nicht  zu  reden — aber  als  Familiensprache,  d.  h.  zum 
Austausch  der  Gedanken  zwischen  ihm  und  den  Seinigen  genugt  sie  ihm 
nicht. 

Vermag  die  englische  Sprache  trotz  der  Mannigfaltigkeit  ihres  Wort- 
schatzes,  das  anmutig  schone,  gemutsinnige  ,,d  u"  zum  Ausdruck  zu  brin- 
gen,  wie  es  uns  Freundschaft  und  Liebe  in  den  Mund  legt? 

Das  Fiirwort  "thou"  thut  es  nicht,  denn  sie  verweist  den  Gebrauch 
desselben  aufs  ideale  Gebiet.  Oder  ersetzt  die  englische  Sprache  dttrch 
ihre  Diminutivformen  unsere,  eine  Welt  von  Liebe  atmende  Verkleine- 
rungsendung  ,,chen",  wie  sie  im  vertraulichen  Familienverkehr  zur  An- 
wendung  kommt? 


WerHclo'dt^ung  und  Lehrmethoden  der  deutschen  Spracbe.       187 

Ja,  noch  mehr!  Wie  sehr  viel  wiirden  die  deutschen  Vereine  an  har- 
monischer  Geselligkeit  verlieren,  wenn  sie  die  deutsche  Sprache  und  das 
deutsche  Lied  aus  ihren  Vereinslokalen  trieben. 

Es  kame  aber  einer  Verkennung  der  Thatsachen  gleich,  wollten  wir 
annehmen,  dass  alle  Deutschen  samt  und  senders  ihre  Muttersprache 
schatzten  oder  sich  ihres  idealen  Wertes  bewusst  waren. 

Das  ist  leider  nicht  der  Fall.  Ein  nur  verhaltnisma ssig  kleiner  Bruch- 
teil  des  Deutschtums  in  Amerika  pflegt  seine  heimatlichen  Laute  im 
Kreise  der  Familie;  nur  wenige  muntern  ihre  Angehorigen  zu  ihrem  Ge- 
brauche  auf;  nur  wenige  bedienen  sich  derselben  im  Verkehr  mit  denen, 
die  ihre  Sprache  sprechen. 

Nach  Beweisen  fur  diese  apathische  Stellung  gegen  die  Sprache  det 
Heimat  brauchen  wir  nicht  zu  suchen;  unsere  Berufsthatigkeit  giebt  uns 
Gelegenheit,  Beobachtungen  auf  diesem  Gebiete  anzustellen. 

Treten  wir  ins  Klassenzimmer,  auf  den  eigentlichen  Schauplatz  unse- 
rer  Thatigkeit  und  fragen  wir  uns,  ob  es  im  Durchschnitt  die  Schiiler 
,,deutscher"  Abstammung  sind,  die  dai  meiste  Interesse  am  deutschen 
Unterricht  bekunden. 

Ja,  mehr!  Haufig  sind  es  deutsche  Kinder,  die  die  Wertschatzung 
des  Gegenstandes  im  Klassenzimmer  unterminieren  und  die  Wirksamkeit 
des  Lehrers  zu  storen  suchen. 

Die  Beispiele  sind  in  der  That  so  selten  nicht,  dass  ,,nichtdeut- 
sche  Schiiler  ihre  deutschen  Mitschiiler  an  Aufmerksamkeit  und 
Fleiss  im  deutschen  Studium  iiberragen.  ,,Der  Fluch  der  bosen  That, 
verehrte  Freunde,  kommt  da  von  oben,"  namlich  aus  dem  hauslichen 
Kreise — dort  beginnt  die  direkte  oder  indirekte  Einwirkung  auf  das 
jugendliche  Gemut. 

Aus  dieser  Quelle  fliesst  das  Interesse  oder  die  Interessenlosigkeit 
fiir  die  Sprache,  oder  das  Faktum,  ob  wir  im  Lernenden  einen  V  e  r  f  e  c  h- 
t e r  oder  Verachter  der  Sprache  vor  uns  haben. 

Blicken  wir  ein  wenig  zuriick  auf  die  Vergangenheit  unseres  deut- 
schen Unterrichts  in  New  York.  In  jenen  Sturm-  und  Drangperioden, 
die  so  oft  und  haufig  eingetreten  sind,  als  man  damit  umging,  die  deutsche 
Sprache  vom  Lehrplan  zu  streichen,  wer  schritt  ein,  urn  die  drohende  Ge- 
fahr  abzuwenden? 

Waren  es  die  Deutschen  in  ihrer  Gesamtheit  etwa,  die  den  Kampf 
um  die  Beibehaltung  derselben  mit  den  Gegnern  aufnahmen? 

Die  deutsche  Bevolkerung  im  allgemeinen,  sagen  wis  es  unumwun- 
den,  riihrte  keinen  Finger. 

Es  war  vielmehr  das  g  e  b  i  1  d  e  t  e  Deutschtum,  wie  es  sich  in  sei- 
nen  Turn-,  Gesang-  und  wissenschaftlichen  Vereinen  verkorpert;  es  war 
die  deutsche  Presse,  welche  fiir  die  gefahrdete  Sache  energisch  zu  Felde 
zog. 


188  P'ddagogische  Monatshefte. 

Welches  Zerrbild  der  Gleichgiltigkeit  um  das  Schicksal  unserer 
Sprache  uns  in  jiingster  Zeit  die  Deutschen  von  St.  Louis  geliefert  haben, 
ist  Ihnen  zu  wohl  bekannt,  als  dass  es  notig  ware,  weiter  darauf  einzuge- 
hen.  Welche  Ursachen  liegen  nun  diesem  Indifferentismus  zu  Grunde? 

Sie  sind  zwiefach: 

Erstens,  der  Deutsche  mit  mangelhafter  Bildung  spricht  seine  Sprache 
mangelhaft  und  schlecht. 

Er  hat  kein  Ohr  und  kein  Verstandnis  fur  den  Wohlklang,  die 
Schonheit  und  den  Formenreichtum  seiner  Sprache. 

Er  giebt  sich  alle  Miihe,  die  Sprache  seiner  Heimat  als  eine  nutzlose 
Burde  von  sich  zu  walzen,  um  sie  durch  ebenso  schlechtes  Englisch  zu 
ersetzen,  besonders  dann,  wenn  Gliicksguter  ihn  umgeben 

Er  hat  bei  diesem  Wechsel  nichts  verloren,  weil  er  nichts  zu  verlieren 
hatte;  und  was  er  dafiir  eingetauscht,  ist,  nach  seinen  Begriffen,  min- 
destens  ebenso  viel  wert,  als  das  Gut,  dessen  er  sich  entledigte. 

Zudem  giebt  es  ihm  ja  ein  gewisses  Ansehen,  eine  gewisse  Stellung 
beim  Angloamerikaner,  wenn  er  dessen  Sprache  auch  nur  1  e  i  d  1  i  c  h 
spricht.  Er  hort  ja  damit  auf  ein  "Dutchman"  zu  sein. 

Und  hochst  unlieb  ware  es  ihm,  wenn  man  diese  verachtliche  Be- 
nennung  gar  noch  auf  seine  hier  geborenen  Kinder  iibertriige.  Nur  be- 
darf  es  gliicklicher-  oder  ungliicklicherweise  seines  Einflusses  bei  solchen 
Kindern  nicht,  ,,sie  ertoten  den  Dutchman  auch  ohne  ihn." 

Wie  sehr  sich  viele  Kinder  Miihe  geben,  ihre  deutsche  Abstammung 
zu  verleugnen,  weiss  jeder  Lehrer  aus  Erfahrung. 

Zweitens  sind  es  die  Pflichten  des  Erwerbes,  die  Sorge  urns  tagliche 
Brot,  welche  die  meisten  Deutschen  dieser  Klasse  ablenkt,  sich  um  Bil- 
dungs-  und  Erziehungsfragen  iiberhaupt  zu  kummern.  Wie  sollten  sie 
im  Kampfe  um  die  Existenz  noch  Zeit  gewinnen,  an  die  Pflege  des  Deut- 
schen zu  denken? 

Innerhalb  dieses  Wirkungskreises  glaubt  ,,der  Mohr  seine  Pflicht  ge- 
than  zu  haben." 

Aber  so  sehr  auch  das  materielle  Streben  des  Einzelnen  das  Inter- 
esse  fur  die  einzelnen  Giiter  zuriickdrangen  mag,  so  hat  andrerseits  der 
Materialismus  der  Gesamtheit  das  Allgemeininteresse  fur 
die  Sprache  gefordert. 

,,D  as  praktisc  h-m  a  t  e  r  i  e  1 1  e  M  o  t  i  v"  ist  der  zweite  Faktor 
fur  die  Verbreitung  und  Existenzberechtigung  der  deutschen  Sprache  in 
unserem  Lande.  Vom  Standpunkt  des  materiellen  Vorteils  ist  auch  der 
Angloamerikaner  ein  Beforderer  unserer  Sprache,  denn  wo  seine  Inter- 
essen  wurzeln,  da  ist  seine  ,,Achillesferse", — da  darf  man  sich  ihm  nahen. 

Der  deutsch-franzosische  Krieg  von  1870  hat  ein  neues  Reich,  eine 
deutsche  Einheitsmacht  geschaffen.  Er  hat  die  deutsche  Nation  zu  einer 
Reprasentativmacht  ersten  Ranges  emporgehoben,  mit  der  in  alien  Fra- 
gen  des  internationalen  Weltverkehrs  zu  rechnen  ist. 


Wertscb'dtfung  und  Lebrmetboden  der  deutscben  Spracbe.       189 

Der  weit-  und  umsichtige  Amerikaner  weiss  genau,  welche  Vorteile 
ihm  aus  einer  Mitbewerbung  an  den  Handelsinteressen  Europas,  und  ganz 
besonders  einer  Grossmacht  wie  Deutschland,  erwachsen. 

Mit  einem  solchen  Volke  geschaftlich  zu  verkehren,  und  somit  des- 
sen  Sprache  zu  sprechen  oder  mindestens  zu  verstehen,  ist  Klugheitsge- 
bot.  Er  wird  sich  in  diesem  Sinne  niemals  zum  Gegner  derselben  aufwer- 
fen,  denn  die  deutsche  Sprache  ist  seine  zweite  Handelssprache  geworden. 
Wie  sehr  aber  auch  der  Materialismus  die  Thatigkeit  des  Volkes,  in  dessen 
iMitte  wir  leben,  in  Anspruch  nehmen  mag,  so  ringt  es  uns  doch  auch  in 
seinem  idealen  Streben  unsere  Hochachtung  ab. 

Man  blicke  auf  die  grossen  Bildungsstatten  des  Landes,  wie  Colum- 
bia, Harvard,  Princeton,  Yale  u.  s.  w.  und  man  sage  unparteiisch,  ob  fie 
diesem  Junglinge  unter  den  Landern  nicht  zur  schonsten  Zierde  gereichen. 
Auch  unsere  Volksschulen,  mindestens  die  der  grossen  Stadte,  unter- 
schatzt  der  strenge  Kritiker  gar  zu  oft.  Allerdings  sind  dieselben  der 
Vervollkommnung  sehr  bediirftig.  Man  bedenke  aber,  dass  sie  noch  im 
Stadium  der  Entwickelung  begriffen  sind. 

Dieser  Entwickelungsprozess  vollzieht  sich  bei  der  angeborenen  Reg- 
samkeit  des  Amerikaners  merklich  schnell,  und  jeder  Unbefangene  wird 
zugeben  miissen,  dass  der  amerikanische  Schulmann  jede  Neuerung,  jede 
Anregung  auf  dem  Gebiete  der  Padagogik  mit  Freuden  begriisst  und  zu 
verwenden  sucht. 

Wer  aber  durchaus  geneigt  ist,  unsere  Elementarerziehung  zu  tadeln 
und  zu  schmahen,  der  wolle  nicht  vergessen,  dass  auch  driiben  noch  man- 
ches  verbessert  werden  konnte,  insofern  es  sich  auf  die  elementare  Volks- 
bildung  bezieht. 

Endlich  ist  das  ,,ethisch-ideale  Motiv"  der  dritte  Faktor,  dem  wir  den 
Einzug  unserer  Sprache  auch  in  die  hoheren  Lehranstalten  des  Landes 
verdanken. 

Welche  Wertschatzung  ihr  vom  wissensohaftlichen  Standpunkte  zuer- 
kannt  wird,  welche  Stellung  sie  vermoge  ihres  Litteraturreichtums  ein- 
nimmt,  dariiber  lasst  sich  z.  B.  ein  amerikanischer  Gelehrter,  Dr.  Edward 
Joynes,  Professor  moderner  Sprachen  an  der  Universitat  von  South  Caro- 
lina, in  einem  Vortrage  aus: 

i  "In  my  own  college  days,  40  years  ago,  German  was  almost  wholly 
neglected  by  our  students.  Yet  now — by  causes  not  accidental  but  most 
profound,  which  are  well  worth  our  while  to  consider — United  Germany 
stands  foremost  among  ^European  nations,  and  German  thought  is  the 
knost  potent  influence  in  modern  culture  and  education.  We  dare  not 
prophecy.  Greece,  Rome,  Italy,  Spain,  France,  England  have  successively 
held  the  leadership  of  civilization.  It  looks  as  though  we  were  come  to 
a  period  of  German  predominance.  Our  own  country  "hedged  by  the 
inviolate  sea"  and  protected  by  the  genius  of  democratic  institutions,  may 
or  may  not  escape  this  dominating  influence.  But,  from  the  signs  of  the 


190  P'ddagogiscbe  Monatsheftt. 

times,  it  seems  not  too  much  to  say  that,  in  the  generations  about  to  come, 
the  most  precious  and  potent  intellectual  possession — next  to  the  knowl- 
edge and  love  of  our  own  language  and  literature — will  be  the  knowledge 
and  love  of  German." 

Hat  sich  nun  die  deutsche  Sprache  in  diesem  Lande  nicht  nur  zum 
Gegenstande  der  praktischen  Volksbildung,  sondern  auch  zu  dem  der  wis- 
senschaftlichen  Forschung  herausgebildet,  so  kann  den  Lehrern,  die  den 
Bildungsfortschritten  der  Gegenwart  Beachtung  schenken,  die  M  e  - 
t  h  o  d  e  die  Sprache  zu  lehren,  nicht  gleichgiltig  sein. 

Bei  der  Verschiedenheit  der  Ansichten  iiber  veraltete  und  vorherr- 
schende  Methoden  fiele  es  in  der  That  dem  Lehrer  schwer,  sich  aus  die- 
sem Labyrinthe  herauszuwinden,  wenn  seiner  eigenen  Anschauung  und 
Erfahrung  oder  seiner  eigenen  Individualitat  kein  Spielraum  gewahrt  wer- 
den  wiirde,  denn  streng  genommen  ist  jede  Methode  gut,  welche  die 
Geisteskrafte  des  Schiilers  entwickelt  und  ihn  schnell  und  sicher  zum  Ziele 
fiihrt. 

Sodann  sind  Unterrichtszeit,  Alter,  Nationalitat  und  Bildungsgrad 
des  Schiilers,  sowie  der  erstrebte  Zweck  Bestimmungsgrunde  fur  die  zu 
befolgende  Methode. 

Der  Schiiler  der  Hochschule  und  der  Elementarschuler,  der  deutsche 
und  der  nur  Englisch  sprechende  Schiiler,  das  Kind  und  der  Erwach- 
sene,  konnen  nicht  auf  gleiche  Weise  unterrichtet  werden. 

Der  wissenschaftliche  Kursus  muss  sich  vom  praktischen  unterschei- 
den,  und  der  Lehrer,  dem  3  oder  4  Stunden  per  Woche  eingeraumt  sind, 
kann  einen  andern  Lehrgang  befolgen,  als  derjenige,  dessen  Zeit  karg  be- 
messen  ist. 

Unter  diesen  verschiedenartigen  Verhaltnissen  den  richtigen  Weg 
einzuschlagen,  ist  eben  die  Aufgabe  des  Lehrers. 

Welches  aber  ist  der  richtige  Weg?  Nicht  immer  ist  der  erfahrene 
Lehrer  auf  richtiger  Fahrte. 

Gerade  e  r  ist  es,  der  stets  an  die  Richtigkeit  und  Unanfechtbarkeit 
seiner  Methode  glaubt,  denn  die  Gewohnheit  fesselt  ihn  mit  aller  Zahig- 
keit  seines  Wesens,  daran  f estzuhalten ;  es  sei  denn,  dass  seine  Vorge- 
setzten  ihn  zwingen  davon  abzuweichen. 

Es  ist  unverkennbar,  dass  jede  Methode,  sei  sie  alt  oder  neu,  etwas 
psychologisch  Wahres  und  Gutes  enthalten  miisse,  sonst  ware  sie  niemals 
zur  Methode  geworden.  Wie  hatte  sie  auch  den  Argumenten  der  Wider- 
sacher  auf  die  Dauer  widerstehen  konnen? 

Nicht  in  der  Altheit  einer  Methode  liegt  positiv  das  Falsche,  noch 
in  der  Neuheit  derselben  immer  das  Richtige.  ,,Das  Beste  aus  jeder  Me- 
thode zu  entnehmen  und  nach  Massgabe  obwaltender  Verhaltnisse  alles  zu 
einem  Ganzen  zu  vereinen,  ist  die  Aufgabe  eines  guten  Lehrers. 

Ich  will  versuchen,  das  Gesagte  in  Kiirze  zu  erlautern. 


Wertscb'dtiung  und  Lehrmethoden  der  deutscben  Sprache.        191 

Man  fordert  von  einer  guten  Methode,  dass  sie  eine  lebende  Sprache 
nicht  nur  lesen  und  schreiben,  sondern  hauptsachlich  spree  hen  lehre. 
Keine  Forderung  ist  billiger  und  gerechter  als  diese. 
Beweise  dafiir  liefern  zu    wollen,    hiesse    Eulen  nach  Athen  tragen. 
AVer  sich    dieser  Forderung    entzieht,  will  die  lebende  Sprache  auf  das 
Niveau  einer  toten  herabdriicken. 

Das  Auftauchen  der  vielen  Sprachunterrichtsmethoden  bestatigen  das 
allgemeine  Bediirfnis.  Welche  von  ihnen  ist  nun  padagogisch  und  psy- 
chologisch  richtig  und  welche  falsch? 

Dass  die  sogenannte  graramatische  Ubersetzungsme- 
t  h  o  d  e,  individuell  genommen,  das  Richtige  verfehlt,  ist,  wie  gesagt, 
langst  bewiesen.  Giebt  es  wohl  etwas,  das  mehr  ermudend  und  geist- 
totend  ist,  als  Satze  zu  iibersetzen,  die  untereinander  in  keinem  logischen 
Zusammenhange  stehen.  Und  wenn  die  Regeln,  die  diese  geistreichen 
Satze  involvieren,  nicht  mit  grammatischer  Prazision  wiedergegeben  wer- 
den,  dann  natiirlich  geht  die  Welt,  oder  mindestens  das  Schulzimmer  aus 
den  Fugen. 

Und  der  Schuler? — Nach  jahrelanger  Miihe  hat  er  wohl  einige  Phra- 
sen  und  Gesetze  der  Sprache,  aber  nicht  die  Sprache  selbst  erlernt. 

Die  Miihe,  die  man  sich  gab,  ihn  zum  Richtigsprechen  zu  bringen, 
hat  ihn  nicht  einmal  zum  Falschsprechen  befordert.  Darum  sagt  der  Dich- 
ter  treffend:  ,,Nicht  die  Sprache  an  und  fur  sich  ist  richtig,  tiichtig  und 
zierlich,  sondern  der  Geist  ist  es,  der  sich  darin  verkorpert." 

Ei,  wie  ist  es  nun  mit  der  so  vielgepriesenen  naturlichen,  oder 
besser,  A  n  s  c  h  au  u  n  g  s  methode?  Nach  meiner  Ansicht  ist  sie,  so 
kiihn  es  auch  klingen  mag,  individuell  angewandt,  in  vielen  ihrer  Grund- 
ziige  hochst  unnatiirlich. 

Wir  besprechen  z.  B.  mit  unsern  Schulern  das  Objekt  ,,H  a  u  s"  und 
beschreiben  den  Bau  desselben,  dessen  Einrichtung  u.  s.  w.  Geniigt  aber 
diese  beschreibende  Sprache  fur  den  gesellschaftlichen  Verkehr? 

Konnte  sich  ein  solcher  Schuler  wofil  mit  dem  Vermieter  iiber  das 
Mieten  einer  neuen  Wohnung  verstandigen  und  iiber  alles  darauf  Beziig- 
liche  mit  ihm  verhandeln?  Oder  konnte  der  Lernende,  mit  dem  der  Leh- 
rer  den  Organismus  des  menschlichen  Korpers  besprochen  hat,  einem 
Arzte  sprachrichtig  seinen  Zustand  mitteilen? 

Der  Gedankenaustausch  des  Menschen  beschrankt  sich  nicht  auf  die 
Beschreibung  eines  konkreten  Gegenstandes,  er  beurteilt  nicht  nur  die 
ihn  umgebenden  Dinge,  sondern  er  aussert  auch  dariiber  seine  Wiinsche, 
seine  Befehle  u.  s.  w.,  kurz,  alle  Empfindungen  und  Eindriicke  seines 
Denkens  und  Wollens. 

Besonders  lasst  diese  einseitig  betriebene  ,,Natiirliche  Methode"  den 
Lernenden  und  Lehrenden  im  Stich,  wenn  sie  aufs  a  b  s  t  r  a  k  t  e  Gebiet 
iibergeht. 


192  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Nun  giebt  es  auch  Lehrer,  welche  dem  Schiiler  die  Spracherlernung 
zu  erleichtern  suchen,  indem  sie  sich  mit  der  etymologischen  Sprachver- 
wandtschaft  der  zu  erlernenden  Worter  beschaftigen. 

Fiir  die  wissenschaftliche  Sprachforschung  ist  dies  allerdings  ein  not- 
wendiges  Verfahren. 

Die  Umgansgssprache  des  taglichen  Lebens  aber  kiimmert  sich  nicht 
um  den  Ursprung  des  Vokabulariums.  Der  Menschengeist  wahlt  sich 
seinen  Wortschatz  nicht  nach  dem  Gleichklang  oder  der  verwandtschaft- 
lichen  Beziehung  der  Worter,  sondern  nach  den  Eingebungen  des  augen- 
blicklichen  Bedurfnisses. 

Dabei  stosst  uns  auch  das  Bedenken  auf,  ob  die  Assonanz  nicht  auch 
wie  die  Ubersetzung  das  freie  Denken  des  Schulers  stort  und  damit  die 
Grundidee  der  ,,natiirlichen  Methode"  verletzt. 

Fassen  wir  nun  die  Eigentiimlichkeiten  der  besprochenen  Methoden 
zusammen,  so  kommen  wir  zu  folgenden  Schliissen: 

1)  Der  freie  Anschauungsunterricht  beim  Sprechenlehren  ist  rationell 
'und  fordernd,  wenn  er  auch  die  Umgangssprache  in  den  Kreis  der  Be- 
achtung  zieht. 

2)  Ubersetzungen   von  praktischen   Dialogen,   kurzen   Anekdoten, 
Fabeln,  Briefen  u.  s.  w.,  besonders  aus  der  eigenen  Sprache  in  die  fremde, 
sind  als  Hilfsmittel  zur  Spracherlernung  und  als  Richtschnur  des  exakten 
Denkens  ausserst  fordernd. 

Die  Grammatik  als  solche  darf  aber  dabei  nicht  die  Grundbasis  bilden. 

3)  Die  Grammatik  ist  zwar  auch  als  Hilfsmittel  des  Sprachstudiums 
notwendig,  nur  sind  fur  den  Anfang  nicht  alle  Teile  gleich  wichtig.     Auf 
die  Abwandlung  des  Zeitworts,    das  Geschleeht    und  die  Mehrzahl  der 
Hauptworter  ist  von  Anfang  an  der  hochste  Wert  zu  legen.     Auf  die  De- 
klination  des  Haupt  und    Eigenschaftswortes,    den  Gebrauch  der  Kasus 
und  vieles  Andere  mag  hingewiesen,  aber  solch'  schwierige  Teile  diirfen 
erst  spater  erschopfend  behandelt  werden. 

Ich  schliesse  mit  den  Worten  eines  deutschamerikanischen  Lyrikers 
(Castelhun): 

Pflegt  die  deutsche  Sprache, 
Hegt  das  deutsche  Wort; 
Denn  der  Geist  der  Vater 
Lebt  darinnen  fort, 
Der  soviel  des  Grossen 
•    '  .     Schon  der  Welt  geschenkt; 
i  Der  soviel  des  Schonen 

Ihr  ins  Herz  gesenkt. 


Goethe  als  Padagog.* 


Von  Dr.  P.  S.  Stollhofen,  Boys'  High  School,  New  York. 

Meine  Herren! 

Sie  warden  von  mir  gewiss  nicht  erwarten,  dass  ich  Ihnen  hier  ein 
abgerundetes  Bild  der  Goetheschen  Padagogik  als  System  vorfuhre,  denn 
ein  solches  System  hat  Goethe  selbst  nicht  gehabt.  Systematische  Phi- 
losophic war  eben  seine  schwache  Seite,  Gott  sei  Dank;  sein  Schauen  hin- 
gegen  Ansschauen,  Intuition.  Seine  Ausserungen  iiber  Erziehung  sind 
vielmehr  ein  Komplex  von  Grundsatzen  und  Regeln,  eine  Fundgrube  der 
feinsten  Beobachtungen,  uberall  zerstreut,  in  poetische  Form  gegossen 
oder  mit  Gedanken  seiner  Naturbetrachtung  verquickt,  ohne  indes  den 
wissenschaftlichen  Charakter  zu  verleugnen.  Auch  muss  ich  mir  versa- 
gen  eine  genetische  Darstellung  dieser  Ansichten  zu  geben  oder  den 
historischen  Hintergrund  zu  malen,  von  dem  sie  sich  abheben.  Dafiiri 
reicht  unsere  Zeit  nicht. 

Auf  der  anderen  Seite  werden  Sie  beriicksichtigen,  dass  wir  hier  ein 
Verein  von  Fachleuten  sind  und  von  Jugend  auf  mit  Goethe  gespeist 
wurden.  Es  kann  also  nicht  im  Rahmen  unseres  Zweckes  liegen,  nach 
der  Sitte  der  Festredner  hier  ein  billiges  Lobliedchen  anzustimmen  auf 
die  Grosse  des  Goetheschen  Genius,  d'es  Jahrhundertmenschen,  der  Dich- 
ter  und  Wegebaumeister,  Geschafts-  und  Staatsmann,  Naturforscher  und 
Rechtsanwalt  und  zuletzt  auch  noch  Pad'agoge  war.  Was  ich  mir  unter 
Goethe  al's  Padagog  fur  u  n  s  als  lohnenswerten  Gegenstand  dachte,  ist 
eine  Betrachtung  der  in  seinen  Schriften  enthaltenen  praktischen  Winke 
und  diese  nur  insofern,  als  wir  in  unserem  Fache  innerhalb  des  Mittel- 
schulwesens  einer  grossen  Stadt  direkt  oder  indirekt  dafur  Verwendung 
haben  konnen. 

Um  das  nun  nach  unserer  deutschen  Weise  recht  griindlich  und 
praktisch  zu  thun,  diirfte  es  sich  lohnen,  uns  zuerst  unser  modernes  pada- 
gogisches  Glaubensbekenntnis  kurz  zu  vergegenwartigen,  dann  ein  kla- 
res  Bild  von  Goethes  Grundansicht  von  Welt  undi  Mensch  uns  vorzu- 
fiihren  und  im  Spiegel  derselben  zuletzt  seine  padagogischen  Ansichten 
und  Winke  unserer  Betrachtung  zu  unterziehen 

Wir  alle  stimmen  zweifellos  darin  uberein,  dass  die  M'oglichkeit  und 
Pflicht  der  Erziehung  auf  zwei  Thatsachen  ruht:  1  auf  der  Vervoll- 
kommnungsfahigkeit  des  Menschen,  2.  auf  einer  sittlichen  Weltordnung. 

Das  Ziel  unserer  Erziehung  ist  die  sittliche  Personlichkeit,  der  Cha- 
rakter, der  das  Wahre  erkennt,  das  Schone  liebt  und  das  Gute  will  in 
klarem  Denken,  reinem  Fuhlen  und  starkem  Wollen.  Die  Seelentha- 
tigkeit  des  Denkens  umfasst  die  Natur  und  Begriffe,  Denken  und  Fuh- 
len aussert  sich  im  Wertschatzen  des  Schonen  und  Guten;  und  Denken, 

*  Siehe  auch  Korrespondenz  atis  New  York. 


194  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Fuhlen  und  Wollen  in  der  Teilnahme  am  Menschen  und  an  Gott.  Da 
nun  Fuhlen  und  Wollen  nur  an  Gegenstanden  der  Vorstellung  sich 
aussern  konnen,  hat  der  U  n  t  e  r  r  i  c  h  t,  im  Gegensatze  zur  reinen  Zucht, 
die  Moglichkeit  und  Fahigkeit  durch  die  Vorstellungsmasse,  die  er  er- 
zeugt  und  ordnet,  auch  auf  das  Fuhlen  und  Wollen  entscheidenden  Ein- 
fluss  auszuiiben  und  sie,  soweit  natiirliche  Veranlagung  und  Umgebung1 
des  Erziehungsobjektes  es  zulassen,  zu  bestimmen.  Dieser  erziehende 
Unterricht  hat,  von  der  nationalen  Kultur  ausgehend,  in  vielseitigem 
Interesse  zu  umfassen  1.  das  Leben  des  Menschen,  2.  das  Leben  der  Na- 
tur;  das  Leben  des  Menschen  in  1.  Gesinnungsunterricht  (Religion,  Ge- 
schichte,  Litteratur),  2.  Kunstunterricht  (Zeichnen,  Gesang),  3.  Sprach- 
unterricht  (Mutter-  und  fremde  Sprachen);  das  Leben  der  Natur  in  1. 
Geographic,  2.  Naturwissenschaft,  3.  Mlathematik. 

Der  Unterricht  muss  nach  psychologischen  Grundsatzen  gegeben 
werden,  d.  h.  er  muss 

1.  die  Stufe  der  Geistesentwicklung  des  Schiilers  beriicksichti- 
gen  und  sich  derselben  anpassen; 

2.  vom  Bekannteni  zum  Unbekannten  vorschreiten  und 

3.  von  der  Anschauung  zum  Begriffe  ubergehen. 

Wie  die  der  anderen  Litteraturheroen  des  18.  Jahrhunderts,  steht 
auch  Goethes  Ansicht  von  Gott  tund  Welt  unter  dem  Einfluss  Spinozas. 
Wie  die  andern  war  er  kein  Spinozist  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes, 
sondern  hielt  sich  an  wenige  grosse  Gedanken,  wie  ,,an  die  Einheit  alles 
Seienden,  die  Gesetzmassigkeit  alles  Geschehens,  die  Identitat  von  Geist 
und  Natur."  Trotzdem  ist  Spinoza  ihm  formlich  Grundlage  seiner  Bil- 
dtmg  geworden.  Gott  und  Natur  fliessen  ihm  in  eins  zusammen,  um  in 
seliger  Durchdringung  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit  zu  wirken.  Mithin 
oflfenbart  sich  die  Gottheit  auch  nur  mit  und  in  der  Natur  und  zwar  ste- 
tig,  mit  Namen  unerreichbar.  In  demselben  Verhaltnis  wie  Gott  und 
Natur,  stehen  Geist  und  Natur  fiir  den  Dichter.  Es  1st  ihm  ebenso  un- 
moglich,  iiber  beides  getrennt  aBzuhandeln,  wie  uns  uber  Leib  und  Seele 
getrennt  zu  denken.  Er  sagt  selbst:  ,,Als  Dichter  und  Kiinstler  bin  ich 
Polytheist,  Pantheist  hingegen  als  Naturforscher,  und  eines  so  entschie- 
den  als  das  andere.  Bedarf  ich  eines  Gottes  fiir  meine  Personlichkeit 
als  sinnlicher  Mensch,  so  ist  dafiir  auch  schon  gesorgt.  Die  himmlischen 
und  irdischen  Dinge  sind  ein  so  weites  Reich,  dass  die  Organe  aller  We- 
sen  zusammen  es  nur  erfassen  mogen." 

Der  Geist  seiner  grossartigen,  durch  und  durch  einheitlichen  Natur- 
anschauung  zeigt  ihn  als  Vorlaufer  Darwins.  Horen  wir  ihn  selbst:  ,,Die 
Kenntnis  der  organischen  Natur  iiberhaupt,  die  Kenntnis  der  vollkom- 
meneren,  welche  wir  im  eigentlichen  Sinne  Tiere  und  besonders  Sauge- 
tiere  nennen ;  der  Einblick,  wie  die  allgemeinen  Gesetze  bei  verschiedenen 
bschrankten  Naturen  wirksam  sind;  die  Einsicht  zuletzt,  wie  der  Mensch 
dergestalt  gebaut  sei,  dass  er  so  viele  Eigenschaften  und  Naturen  in  sich 


Goethe  als  PMagog.  195 

vereinige  und  dadurch  auch  schon  physisch  als  eine  kleine  Welt,  als  ein 
Reprasentant  der  iibrigen  Tiergattungen  existiere,  alles  dies  kann  raur 
dann  am  deutlichsten  und  schonsten  eingesehen  warden,  wenti  wir  nicht, 
wie  bisher  leider  nur  zu  oft  geschehen,  unsere  Betrachtungen  von  obert 
herab  anstellen  und  den  Menschen  im  Tiere  suchen,  sondern  wenn  wir 
von  unten  herauf  anfangen  und  das  einfache  Tier  im  zusanrmengesetzten 
Menschen  endlich  wieder  entdecken." 

Im  Geiste  dieser  Auffassung  ist  der  Goethe'sche  Mensch  in  erster 
Linie  fiir  diese  Welt  bestimmt,  denn  ein  tiichtiger  Mensch  lasse  die 
kiinftige  Welt  auf  sich  beruhen  und  sei  thatig  in  dieser.  ,,Der  Mensch 
verlange  nicht,  Gott  gleich  zu  sein,  aber  er  strebe,  sich  als  Mensch  zu 
vollenden."  Wie  in  dem  Reiche  der  Pflanzen  und  Tiere  ,,jedem  der  Kin- 
der die  voile,  reine  Gesundheit  von  der  Mutter  (Natur)  bestimmt  sei", 
so  ist  ihm  Aufgabe,  der  menschlichen  Erziehung  diese  alien  Lebewesen 
bestimmte,  ,,volle,  reine  Gesundheit"  herzustellen  und  bis  zum  Hohe- 
punkte  zu  fordern,  den  Willen  der  Natur  zu  erfiillen.  ,,Wenn  die  ge- 
sunde  Natur  des  Menschen  als  ein  Gauzes  wirkt,  wenn  er  sich  in  der 
Welt  als  in  einem  grossen,  schonen,  wiirdigen  und!  werten  Ganzen  fiihlt, 
wenn  das  harmonische  Behageni  ihm  ein  reines,  freies  Entziicken  ge- 
wahrt,  dann  wiirde  das  Weltall,  als  an  sein  Ziel  gelangt,  aufjauchzen  und 
den  Gipfel  eigenen  Werdens  und  Wesens  bewundern.  Denn  wozu  dient 
all  der  Aufwand  von  Sonnen  und  Planeten  und  Monden,  von  Sternen 
und  Milchstrassen,  von  Kometen  und  Nebelflecken,  von  gewordenen  und 
werdenden  Welten,  wenn  sich  nicht  zuletzt  ein  gliicklicher  Miensch  unbe- 
wusst  seines  Daseins  freut." 

In  Ubereinstimmung  damit  ist  die  Sittlichkeit  nicht  aus  der  Religion, 
sondern  aus  der  Natur  des  Menschen  herzuleiten.  ,,Was  ist  deine 
Pflicht?  Die  Forderung  des  Tages",  oder  Massigung  im  Wlillkiirlichen, 
Emsigkeit  im  Notwendigen.  Trotzdem  will  er  haben,  dass  die  Jungen 
an  e  t  w  a  s  glauben.  ,,Ob  sie  an  Christ  glauben  oder  Gotz  oder  Ham- 
let, das  ist  eins,  nur  an  was  lasst  sie  glaubeni!  Wer  an  nichts  glaubt, 
verzweifelt  an  sich  selber." 

Die  Notwendigkeit  der  Erziehung  begriindet  der  ,,moderne  Heide" 
mit  den  Worten:  ,,Im  Grunde  sind  wir  alle  kollektive  Wesen,  wir  mo- 
gen  uns  stellen  wie  wir  wollen.  Denn  wie  weniges  haben  und  sind  wir, 
was  wir  im  reinsten  Sinne  unser  Eigentum  nennen!  Wir  miissen  alle 
empfangen  und  lernen,  sowohl  von  denen,  die  vor  uns  waren,  als  von 
denen,  die  mit  uns  sind.  Selbst  das  grosste  Genie  wiirde  nicht  weit  koni- 
men,  wenn  es  alles  seinem  eigenen  Innern  verdanken  wollte."  Anderswo 
nveint  es:  ,,Das  Schicksal  ist  ein  vornehmer,  aber  treuer  Hofmeister. 
Ich  wiirde  mich  lieber  an  die  Vernunft  eines  menscHlichen  Meisters  hal- 
ten." 

In  all  seinen  Schriften  redet  Goethe  einer  systematischen  Erziehung 
das  Wort.  Wusste  er  doch  aus  eigener  Erfahrung  nur  zu  gut,  was  pada- 


196  P'ddagogische  Monatshefte. 

gogischer  Dilettantismus,  Zersplitterung  und  Encyklopadismus  bedeuten. 
Er  ging  durch  die  Pedanterie  und  Triibsinnigkeit  der  damaligen  offent- 
lichen  Schule  und  durch  die  Versuche  eines  ,,Privatunterrichts  auf  gut 
Gliick."  Sein  Klavierlehrer  war  seines  Zeichens  ein  Backermeister,  sein 
englischer  Sprachmeister,  halb  Lehrer,  halb  Charlatan,  machte  sich  an- 
heischig,  seinen  Schiilern  die  englische  Sprache  in  vier  Wbchen  beizu- 
bringen.  Sie  sehen,  es  giebt  nichts  Neues  unter  der  Sonne!  Der  dritte 
im  Bunde  war  der  Pfuscher  von  einem  Zeichenlehrer.  Sein  Franzosisch 
lernte  er  von  Schauspielern  ohne  Regel  und  Begriff,  trait  und  ohne  Gram- 
matik.  Wenn  Goethe  iiberhaupt  was  lernte,  so  dankte  er  das  ausser  sei- 
ner natiirlichen  Anlage  dem  beharrlichen  Wesen,  dier  Ordnungsliebe, 
Konsequenz  und  Bestimmtheit  seines  Vaters.  Fur  den  alten  Rat,  einen 
gebornen  Schulmeister,  gab  es  nur  eine  Tugend:  Vollbringen  und  Be- 
harren.  Doch  wusste  ihm  sein  beriihmter  Sohn  herzlich  wenig  Dank 
dafiir. 

Nicht  besser  ging  es  Goethe  in  sittlicher  Lauterung.  Wie  tief 
empfunden  sind  die  Worte:  ,,Schon  mehrere  Jahre  her  hatte  mir  das 
Gliick  mehr  als  einen  trefflichen  Mentor  zugesandt,  und  doch  je  mehr 
ich  ihrer  kennen  lernte,  desto  weniger  gelangte  ich  zu  dem,  was  ich 
eigentlich  suchte.  Der  eine  setzte  die  Hauptmaxime  des  Lebens  in  die 
Gutmiitigkeit  und  Zartheit,  der  andere  in  eine  gewisse  Gewandtheit,  der 
dritte  in  Gleichgiltigkeit  und  Leichtsinn,  der  vierte  in  Frommigkeit,  der 
fiinfte  in  Fleiss  und  pflichtgemasse  Thatigkeit,  der  folgende  in  eine  im- 
perturbable Heiterkeit  und  so  fort,  so  dass  ich  vor  meinem  zwanzigsten 
Jahre  fast  die  Schulen  samtlicher  Moralphilosophen  durchlaufen  hatte." 

Den  Unterschied  zwischen  Erziehung  und  Dressur,  Entwicklung 
rein  menschlicher  Eigenschaften  und  Abrichtung  fur  die  Welt  hat  er  in 
seinen  padagogischen  Romanen,  den  Wahlverwandtschaften  und  Wilhelm 
Meisters  Lehr-  und  Wanderjahren  meisterhaft  geschildert  an  fiinf  Paaren 
padagogischer  Antipoden.  Doch  konnen  wir  darauf  leider  hier  nicht  ein- 
genen. 

Ausser  System  verlangt  unser  ,,Altmeister"  Vielseitigkeit  des  Inter- 
esses.  Wer  nicht  iiberzeugt  sei,  dass  er  alle  Manifestationen  des  mensch- 
lichen  Wesens,  Sinnlichkeit  und  Vernunft ,  EinHldungskraft  und  Ver- 
stand  zu  einer  entschiedenen  Einheit  ausbilden  miisse,  welche  von  die- 
sen  Eigenschaften  auch  bei  ihm  die  vorwaltende  sei,  der  werde  sich  ,,in 
einer  unerfreulichen  Beschrankung  immerfort  abqualen."  An  einer  an- 
deren  Stelle  urteilt  er:  ,,Der  Mensch  vermag  gar  manches  durch  zweck- 
massigen  Gebrauch  der  Krafte,  er  vermag  das  Ausserordentliche  durch 
Verbindung  mehrerer  Fahigkeiten,  aber  das  Einzige,  ganz  Unerwartete 
leistet  er  nur,  wenn  sich  die  samtlichen  Eigenschaften  gleichmassig  in 
ihm  vereinigen." 

Dass  er  fur  die  Erziehung  der  Einbildungskraft  noch  ein  besonde- 
res  warmes  Wort  hat,  darf  uns  nicht  iiberraschen.    War  er  doch  Dichter 


Goethe  als  PMagog.  197 

und  lebte  unter  tins  Deutschen,  und  wir  haben  gewiss  an  asthetisch  ver- 
anlagter  oder  geschulter  Einbildungskraft  gerade  keinen  tlberfluss. 
,,Wenn  man  bedenke,  wie  sich  der  Geschmack  mancher,  selbst  gebilde- 
ter  Menschen  in  abscheulichen  Missgestalten  gefallen  konne,  so  falle  es 
recht  auf,  wie  notig  es  sei,  in  der  Erziehung  die  Einbildungskraft  nicht 
zu  beseitigen,  sondern  zu  regeln,  ihr  durch  zeitig  vorgefiihrte  edle  Bil- 
der  Lust  am  Schonen,  Bedvirfnis  des  Vortrefflichen  zu  geben.  Was  helfe 
es,  die  Sinnlichkeit  zu  zahmen,  den  Verstand  zu  bilden,  der  Vernunft  ihre 
Herrschaft  zu  sichern,  die  Einbildungskraft  lauere  als  der  machtigste 
Feind,  sie  habe  von  Natur  einen  unwiderstehlichen  Trieb  zum  Absurden, 
der  selbst  in  gebildeten  Menschen  machtig  wirke."  ,,Es  ist  nichts  furch- 
terlicher  als  Einbildungskraft  ohne  Geschmack."  Dabei  gehoren  Goethe 
das  Schone  und  Niitzliche  zusammen,  denn:  ,,Von  dem  geringsten  tieri- 
schen  Handwerkstriebe  bis  zur  hochsten  Ausubung  der  geistigen  Kunst, 
vom  Lallen  und  Jauchzen  des  Kindes  bis  zur  trefflichen  Ausserung  des 
Redners  und  Sangers  —  alles  das  und  weit  mehr  —  liegt  im  Menschen 
und  muss  ausgebildet  werden,  aber  nicht  in  einem,  sondern  in  vielen."  Wir 
sagen:  in  alien. 

Andererseits  war  sich  Goethe  sehr  klar,  dass  im  Gegensatze  zur 
eigentlichen  Erziehung  Umgebung  und  natiirliche  Anlage  ein  gewaltiges 
Wort  in  der  Entwicklung  eines  Menschenkindes  mitzureden  haben.  H6- 
ren  wir  ihn  selbst:  ,,Saugamme  oder  Warterin,  Vater  oder  Vormund, 
Lehrer  oder  Aufseher,  sowie  alle  die  ersten  Umgebungen  an  Gespielen, 
landlicher  oder  stadtischer  Lokalitat,  alles  bedingt  die- Eigentiimlichkeit 
durch  friihere  Entwicklung,  durch  Zuriickdrangen  oder  Beschleunigen; 
der  Damon  freilich  halt  sich  durch  alles  durch,  und  dieses  ist  dann  die 
eigentliche  Natur,  der  alte  Adam  und  wie  man  es  nennen  mag;  der,  so 
oft  auch  ausgetrieben,  immer  wieder  unbezwinglicher  zuriickkehrt." 
,,Niemand  glaube,  die  ersten  Eindriicke  der  Jugend  verwinden  zu  kon- 
nen.  Ist  er  in  einer  loblichen  Freiheit,  umgeben  von  schonen  und  edlen 
Gegenstanden,  in  dem  Umgang  mit  guten  Menschen  aufgewachsen,  ha- 
ben ihm  seine  Meister  das  gelehrt,  was  er  zuerst  wissen  musste,  um  das 
iibrige  leichter  zu  begreifen,  hat  er  gelernt,  was  er  nie  zu  verlernen 
braucht;  wurden  seine  ersten  Handlungen  so  geleitet,  dass  er  das  Gute 
kiinftig  leichter  und  bequemier  vollbringen  kann,  ohne  sich  irgend  etwas 
abgewohnen  zu  miissen,  so  wird  dieser  Mensch  ein  reineres,  vollkomme- 
neres  und  gliicklicheres  Leben  fiihren  als  ein  anderer,  der  seine  ersten 
Jugendkrafte  im  Widerstand  und  im  Irrtum  zugesetzt  hat."  Ja,  das  glau- 
ben  wir  Goethe  gerne.  Hat  er  doch  hier  in  e  i  n  e  m  Satze  das  Ideal  einer 
Methode  fur  Unterricht  und  Zucht  ausgedruckt,  wie  wir  sie  heutzutage 
anzuwenden  streben.  Zu  seiner  Zeit  war  das  zwar  noch  etwas  anders. 
Denn  er  fahrt  fort:  ,,Es  wird  so  viel  von  Erziehung  gesprochen,  und 
ich  sehe  nur  wenig  Menschen,  die  den  einfachen,  aber  grossen  Begriff, 


198  P'ddagogische  Monatsbefte. 

der  alles  andere  in  sich  schliesst,  fassen  und  in  die  Ausfiihrung  ubertra- 
gen  konnen." 

Fiir  den  Segen  beschrankter  Verhaltnisse  in  der  Jugend  eines  Men- 
schen,  wie  unsere  Schiller  sie  aufweisen,  hat  er  eine  klare  und  verniinf- 
tige  Auffassung.  ,,Ich  bemerke,"  sagt  er,  ,,dass  es  fiir  junge  Leute  eine 
wahre  Wohlthat  ist,  wenn  ihnen  gewisse  bessere  und  hohere  Zustande 
eine  Zeit  lang  versagt  bleiben;  dadurch  lernt  man  erst  schatzen,  was  man 
erhalt;  denn  leider  sieht  der  Mensch  nach  einem  jeden,  was  ihm  gewor- 
den,  immer  wieder  was  neues  Wunschenwertes  vor  sich,  und  seine  Un- 
geduld  wachst  mit  jedem  Gelingen." 

Was  dachte  sich  nun  der  Alte  von  Weimar  als  die  wirksamsten  Mit- 
tel,  um  sowohl  der  Zucht  als  auch  dem  Unterricht  zum  Erfolg  zu  verhel- 
fen?  Ich  will  zwar  nicht  vorgreifen,  aber  ich  kann  nicht  umhin,  meine 
Meinung  dahin  zu  aussern,  dass  er  gerade  in  diesem  Punkte  mir  man- 
ches,  fiir  uns  New  Yorker  Beherzigenswerte  zu  enthalten  scheint. 

Obenan  steht  ihm  die  Liebe  als  beste  Lehrhilfe.  ,,Die  Liebe  herrscht 
nicht,  aber  sie  bildet,  und  das  ist  mehr."  ,,Vor  allem  kommt  es  darauf 
an,  dass  derjenige,  von  dem  wir  lernen  sollen,  unserer  Natur  gemass  ist. 
Man  lernt  von  dem,  den  man  liebt."  Wenn  wir  die  Menschen  nur  neh- 
men,  wie  sie  sind,  so  machen  wir  sie  schlechter;  wenn  wir  sie  behandeln, 
als  waren  sie,  was  sie  sein  sollen,  so  bringen  wir  sie  dahin,  wohin  sie  zu 
bringen  sind." 

Goethe  ist  durchaus  kein  Freund  von  vielem  Befehlen  und  Verbie- 
ten.  ,,Sowohl  bei  der  Erziehung  der  Kinder  als  bei  der  Leitung  der  V61- 
ker  ist  nichts  ungeschickter  und  barbarischer,  als  Verbote,  als  verbin- 
dende  Gesetze  und  Anordnungen.  Der  Mensch  ist  von  Hause  aus  tha- 
tig,  und  wenn  man  ihm  zu  gebieten  versteht,  so  fahrt  er  gleich  dahinter 

her,  handelt  und  richtet  aus Der  Mensch  thut  recht  gern  das  Gute, 

das  Zweckmassige,  wenn  er  nur  dazu  kommen,  kann;  er  thut  es,  damit 
er  was  zu  thun  hat,  und  sinnt  daruber  nicht  weiter  nach,  als  uber  alberne 
Streiche,  die  er  aus  Miissiggang  und  langer  Weile  vornimmt."  ,,Froh- 
lichkeit  ist  die  Mutter  aller  Tugenden."  ,,Lehre  thut  viel,  aber  Aufmun- 
terung  thut  alles.  Aufmunterung  nach  dem  Tadel  ist  Sonne  nach  dem 
Regen,  fruchtbares  Gedeihen." 

Die  zweite  Hauptsatile  seiner  Padagogik  ist  die  Autoritat.  ,,Lerne 
gehorchen."  Diese  Niederschrift  erklart  er  als  das  einzige,  verniinftige 
Wort  im  Stammbuche  seines  Enkels.  Es  ist  der  standige  Refrain  in  den 
Wanderjahren,  und  anderwarts  lesen  wir: 

,,Wer  ist  ein  unbrauchbarer  Mann? 

Wer  nicht  befehlen  und  nicht  gehorchen  kann." 

Hand  in  Hand  mit  der  Autoritat  muss  Scham  und  gute  Sitte  gehen. 
Beide  wurzeln  in  der  Ehrfurcht.  ,,Sich  zu  fiirchten  ist  leicht,  aber  be- 
schwerlich;  Ehrfurcht  zu  hegen  ist  schwer,  aber  bequem.  Ungern  ent- 


Goethe  als  P'ddagog.  199 

schliesst  sich  der  Mensch  zur  Ehrfurcht,  oder  vielmehr  er  entschliesst  sich 
nie  dazu,  es  ist  ein  hoherer  Sinn,  der  seiner  Natur  gegeben  werden  muss 
und  der  sich  nur  bei  besonders  Begiinstigten  aus  sich  selbst  entwickelt." 
Was  Goethe  hier  Ehrfurcht  nennt,  nannten  die  Alten  Pietat;  und 
sie  wie  Dankbarkeit  sind  ja  dem  Menschen  nicht  angeboren,  sondern 
miissen  erst  gebildet  werden,  wahrend  Liebe  und  Zuneigung  auch  dem 
rohesten  Menschen  von  der  Natur  verliehen  sind.  Das  Erhabene  und 
Grosse  pflegen  ,,Kinder  und  Volk"  in  ein  Spiel,  ja  in  eine  Posse  zu  ver- 
wandeln. 

,,Beschrankt  und  unerfahren,  half  die  Jugend 

Sich  fur  ein  einzig  auserwahltes  Wesen 

Und  alles  iiber  alle  sich  erlaubt." 

Doch  Goethe  liebt  die  Natur  in  jeder  Gestalt,  den  naturwahren  Men- 
schen in  erster  Linie. 

,,Ich  tadle  nicht  gerne,  was  immer  den  Menschen 

Fiir  unschadliche  Triebe  die  gute  Natur  gab." 
So  preist  er  besonders  eine  gute  Dosis  Leichtsinn  als  ein  nicht  zu 
verachtendes  Naturgeschenk,  um  die  Entsagung,  das  allgemeine  Los  des 
Menschen,  nicht  so  schwer  zu  machen.  Uberhaupt  besassen  wir  von 
Natur  keinen  Fehler,  der  nicht  zur  Tugend,  keine  Tugend,  die  nicht  zum 
Fehler  werden  ko.nnte.  ,,Der  Mensch  hat  verschiedene  Stufen,  die  er 
durchlaufen  muss,  und  jede  Stufe  fiihrt  ihre  besonderen  Tugenden  und 
Fehler  mit  sich,  die  in  der  Epoche,  in  der  sie  vorkommen,  durchaus  als 
naturgemass  zu  betrachten  und  gewissermassen  recht  sind.  Auf 
der  folgenden  Stufe  ist  er  wieder  ein  anderer,  von  den  friiheren  Tugen- 
den und  Fehlern  ist  keine  Spur  vorhanden,  aber  andere  Arten  und  Un- 
arten  sind  an  die  Stelle  getreten,  und  so  geht  es  fort  bis  zur  letzten  Ver- 
wandlung,  von  der  wir  nicht  wissen,  wie  sie  sein  wird."  Nun,  da  der 
New  Yorker  Junge  ja  auch  ein  Mensch  ist,  so  wollen  wir  ihrr;  ja  recht 
gerne  Zugestandnisse  machen,  besonders  in  betracht  des  Umstandes,  dass 

,,In  grossen  Stadten  lernen  friih 
Die  jiingsten  Knaben  was; 
Denn  manche  Biicher  lesen  sie 
Und  horen  dies  und  das." 

Doch  Goethe  geht  noch  weiter  und  sagt:  ,,Was  bildet  man  nicht 
immer  an  unserer  Jugend!  Da  sollen  wir  bald  diese,  bald  jene  Unart  ab- 
legen,  und  doch  sind  die  Unarten  nicht  ebenso  viele  Organe,  die  den 
Menschen  durchs  Leben  helfen.  Was  ist  man  hinter  dem  Knaben  her, 
dem  man  einen  Funken  von  Eitelkeit  abmerkt!  Was  ist  der  Mensch  fiir 
eine  elende  Kreatur,  wenn  er  alle  Eitelkeit  abgelegt  hat."  Da  hat  er  ja 
wohl  recht. 

(Schluss  folgt.) 


Fur  die  Schulpraxis. 


I.     Die  Schwierigkeiten  der  deutschen  Sprache  fur  Auslnder  und 
Mittel  zu   deren   Bekampfung. 

Von  Betty  Silberberg,  New  York. 

Meine  Herren  und  Damen! 

Nichts  Neues  oder  Unbekanntes  will  ich  Ihnen  vorfiihren,  sondern  nur  etwas, 
was  wir  alle,  ohne  Ausnahme,  taglich  erfahren,  gegen  welches  wir,,  als  Lehrer 
des  Deutschen,  in  jeder  Unterrichtsstunde  mehr  oder  weniger  ankampfen  miis- 
sen;  ich  meine  namlich  die  Schwierigkeiten,  die  sich  dem  Auslander,  besonders 
einem  Englisch  sprechenden,  bei  Erlernung  der  deutschen  Sprache  darbieten  und 
welche  Mittel  wir  anwenden  miissen,  um  sle  ihm  iiberwinden  zu  helfen. 

Mit  Recht  gilt  auch  vom  Studium  der  deutschen  Sprache  das  bekannte:  ,,A1- 
ler  Anfang  ist  schwer",  und  viele  Leute,  die  gern  Deutsch  erlernen  mochten, 
sind  vor  den  Anfangsschwierigkeiten  zuriickgeschreckt;  besonders  wegen  des 
sogenannten  gothischen  Druckes  und  der  gleichen  Schrift.  Wir,  gliicklicher 
Weise,  umgehen  diese  etwas,  indem  wir  im  ersten  halben  Jahre  entweder  gar 
keine  gedruckten  Biicher  anwenden  oder  nur  solche  mit  lateinischem  Druck, 
und  spater  ist  es  dem  Ermessen  eines  jeden  anheimgestellt,  die  deutsche  Schrift 
zu  lehren.  Doch  schon  nach  wenigen  Monaten  tritt  auch  an  uns  die  Aufgabe, 
den  deutschen  Druck  zu  lehren. 

Auf  den  ersten  Anblick  kommt  ein  deutsches  Buch  dem  Schiller  sehr  kraus 
und  verworren  vor;  er  sieht  nur  das  Fremde,  das  Abweichende  vom  Gewohn- 
ten,  darum  miissen  wir  vor  alien  Dingen  ihn  ermutigen,  ihm  Vertrauen  zu  die- 
sen  Buchstaben  einflossen,  sie  ihm,  so  zu  sagen,  als  gute  Freunde  und  alte  Be- 
kannte vorstellen,  die  sich  nur  etwas  anders  geputzt  haben.  Wir  miissen  nur 
sagen:  Ihr  konnt  alles  lesen,  versucht  es  nur!  Und  wenn  einige  der  Mutigen 
es  versuchen,  so  geht  es  auch.  Aber  schon  bald  verwirren  sie  sich,  sie  lesen 
z.  B.:  ,,Bas  Rind  fpeilt  auf  der  Miefe",  anstatt:  ,,Das  Kind  spielt  auf  der 
Wiese"  u.  s.  w.  Dies  zeigt,  dass  wir  diejenigen  Buchstaben,  die  sich  sehr  ahn- 
licii  sehen  und  leicht  verwechselt  werden  konnen,  besonders  behandeln  mils- 
sen,  sie  in  Gruppen  vorfiihren  und  uns  erklaren  lassen,  wie  wir  sie  unterscheiden 
konnen.  Zu  diesen  gehoren  von  den  kleinen  Buchstaben  z.  B.  b  und  b,  f  und 
lang  f,  tn  und  to,  t  und  f,  u  und  n,  n  und  b,  auch  b  und  b,  r  und  j,  g  und  q, 
auch  wohl  to  und  g;  ferner  sind  schwere  Buchstaben:  <f,  fc  und  ^;  von  den 
grossen  31  und  U,  $>  und  D,  @  und  ©,  9Jt  und  28,  91,  01  und  33,  #  und  31  etc. 
Der  Unterrichtende  zeige  nun,  wie  sich  die  betreffenden  Buchstaben  von  einan- 
der  unterscheiden;  z.  B.  dass  das  b  links  eine  lange  gerade  Linie  bildet 
und  rechts  eine  kurze  gebogene;  wahrend  es  beim  b  gerade  umgekehrt 
ist.  Durch  die  Grundform  der  beiden  Buchstaben  an  der  Wandtafel  erhalten 
die  Schiller  ein  klares  Bild  und  finden  selbst,  dass  die  Buchstaben  in  der  Form 
wenig  von  den  englischen  abweichen;  beim  m  und  to  entdecken  sie,  dass  das 
m  drei  gerade  Linien  hat  und  unten  offen  ist,  wahrend  die  dritte  Linie  beim  to 
gebogen  und  geschlossen  ist,  und  so  lassen  sich  an  jedem  besondere  Merkmale 
erkennen. 

Eine  bedeutende  Erleichterung  fur  uns  wiirde  es  sein,  wenn  wir  grosse 
Wandkarten  hatten,  worauf  das  grosse  und  kl'eine  Alphabet  in  beiden  Formen 
dargestellt  ware,  die  deutschen  Buchstaben  oben  und  starker  gedruckt  und  die 


Die  Scbwierigkeiten  der  deutscben  Spracbe.  201 

lateinischen  sogleich  darunter.  Ebenso  solche  mit  kleinen  Spriichen,  Gedichten 
Oder  Geschichten.  Diese  sollten  stets  in  den  Klassen  des  vierten  Grades  oder 
Sechs  B  hangen,  so  dass  das  Kind  sie  bestandig  vor  Augen  hat.  Diese  Karten 
waren  ein  Sporn,  in  den  Pausen  die  kleinen  Stiicke  zu  lernen;  denn  bekanntlich 
reizt  alles  Neue  und  mochte  auch  ein  jedes  Kind  es  dem  andern  zuvor  thun;  vor 
allem,  wenn  sie  unter  sich  sind.  —  Es  ware  auch  zu  wunschen,  wenn  unsere 
Lehrbiicher  einige  Lesestiicke  so  dargestellt  brachten.  Ich  fand  ein  solches  Bei- 
spiel  in  der  Gurkeschen  Fibel,  und  auf  den  ersten  Blick  wird  es  hierdurch  jedem 
klar,  dass  die  deutschen  und  lateinischen  Buchstaben  im  Grunde  ein  und  die- 
selben  sind.  Weil  es  jedoch  deutsche  Kinder  sind,  fur  welche  diese  Fibel  be- 
Btimmt  ist,  so  steht  hier  der  lateinische  Druck  oben  und  der  deutsche  unten. 
Wir  alle  aber  sollten  darauf  bestehen,  dass  nur  Biicher  mit  deutlichem,  klarem 
Druck  dem  Schiiler  in  die  Hand  gegeben  werden,  solche,  worin  jeder  Buchstabe 
scharf  und  charakteristisch  ausgepragt  ist.  Doch  leider  lassen  unsere  jetzigen 
Lehrbiicher  in  dieser  Beziehung  sehr  viel  zu  wiinschen  iibrig. 

Doch  aJle  diese  Hilfsmittel  und  Erklarungen  sind  von  geringem  Wert  ohne 
die  Hauptsache,  das  ist:  fleissiges  ttben,  nach  dem  altbewahrten  Sprichwort: 
,,t)bung  macht  den  Meister",  sowohl  horbar  als  Lesen,  als  auch  sichtbar  durch 
Abschreiben  von  Buchstaben,  Wortern,  Satzen  und  Lesestucken. 

Dies  fuhrt  mich  nun  zum  zweiten  Punkte:  der  deutschen  Schrift.  Auch  bei 
dieser  lasst  sich  ebenso  oder  noch  besser  demonstrieren,  dass  die  deutsche 
Schrift  nur  eine  etwas  korrumpierte  lateinische  ist.  Der  Unterrichtende  ver- 
meide  bei  Vorschriften  alle  Schnorkeleien,  gebe  die  Buchstaben  so  einfach  wie 
moglich  und  lehne  sich  so  viel  er  vermag  an  die  lateinische  Grundform  an.  Die 
meisten  der  hiesigen  Schreibhefte  mit  Vorschriften  geben  zu  meinem  Erstaunen 
ganz  vorsintflutliche  Schriftzeichen;  denn  auch  die  Schrift  entwickelt  sich  und 
ist  bestandigen  Veranderungen  unterworfen,  und  diese  alle  fiihren  zur  Einfach- 
heit,  Deutlichkeit  und  dadurch  zur  ttbereinstimmung  mit  anderen  Formen. 

Fur  den  Klassenunterricht  empfehlen  sich  auch  hierfiir  Wandkarten;  doch 
konnen  diese  auch  ohne  grosse  Miihe  vom  Lehrer  selbst  hergestellt  werden,  wie 
ich  solche  auch  geschrieben  habe,  als  ich  vor  einigen  Jahren  auch  die  deutsche 
Schrift  lehrte.  Ich  finde  indes,  meistens  macht  das  Erlernen  der  deutschten 
Schrift  wenig  Schwierigkeiten  und  vermeide  ich  sie  nur  der  Zeitersparnis  wegen. 
Viele  meiner  Schiilerinnen  haben  deutsch  schreiben  ganz  von  selbst  gelernt. 

Von  weit  grosserer  Bedeutung  aber  als  das  Erlernen  der  Lautzeichen  ist 
das  richtlge  Aussprechen  derselben.  Wenn  auch  im  allgemeinen  die  Aussprache 
des  Deutschen  leicht  ist,  da  jeder  Buchstabe  stets  denselben  Laut  hat,  so  sind 
doch  andererseits  Laute  im  Deutschen  enthalten,  die  in  anderen  Sprachen  und 
vor  alien  in  der  englischen  nicht  vorkommen,  besonders  6,  ii,  ch  und  z,  und 
deren  Erlernung  dem  Schiiler  grosse  Schwierigkeiten  bereitet.  Aber  auch  sonst 
ist  noch  die  Aussprache  der  gleichen  Vokale  und  Konsonanten  sehr  abweichend 
von  der  seinigen,  wenn  auch  dieselben  Laute  in  beiden  Sprachen  enthalten  sind. 
Hier  miissen  wir  direkt  gegen  die  Gewohnheiten  der  englischen  Sprache  an- 
kampfen.  Es  ist  leicht,  den  Schiilern  die  richtige  Aussprache  der  einzelnen 
Vokale  und  Konsonanten  beizubringen,  und  nur  die  Unaufmerksamen  werden 
den  betreffenden  Laut  in  der  Unterrichtsstunde  nicht  richtig  aussprechen;  doch 
lassen  wir  einige  Satze  lesen  und  wir  horen  zu  unserer  Verwunderung  ein  sol- 
ches Deutsch,  wie:  ,,D6r  Vater  hat  inen  Hutt.  Dei  Muter  ist  gutt.  Dei  Kin- 
dor  speilen  off  der  iJisa.  Wir  lornen  duhtsch  in  dor  Schula.  Isch  habe  swei 
Hande,  oder  or  hat  einen  Unkel."  Hierdurch  wird  uns  klar,  dass  viele  Sachen, 
die  wir  als  selbstverstandlich  annehmen,  doch  ganz  besonderer  Aufmerksamkeit 


202  Padagogiscbe  Monatsbejte. 

bediirfen.  Das  Kind  hat  wohl  begriffen,  dass  a  wie  a  in  father,  far  etc.  lautet, 
e  wie  a  in  late,  fate,  gate,  Oder  wie  e  in  merry,  ferry  etc.,  i  wie  i  in  pin,  tin, 
sin,  fin,  o  wie  o  in  dome,  pole,  tone,  bone  und  u  wie  u  in  put,  push,  bush,  auch 
wie  die  Umlaute  und  Doppellaute,  v  und  w  ausgesprochen  werden,  doch  bei  der 
Anwendung  vergisst  es  dies  zu  leicht  und  spricht  diese  Laute  nach  englischer 
Gewohnheit  aus.  Daher  ist  es  notig,  dass  die  Vokale  alle  einzeln  vorgefiihrt 
und  an  vielen  Beispielen  geiibt  werden,  wahrend  die  meisten  Konsonanten  wenig 
Oder  fceine  Beachtung  erheischen.  Bei  unrichtiger  Aussprache  des  A  ist  ea  mehr 
Vergessen  und  Unachtsamkeit  des  Schiilers,  hingegen  beim  Vokal  E  ist  dies 
nicht  immer  der  Fall.  Dieser  Laut  wird  im  Englischen  sehr  selten  wie  im  Deut- 
schen  ausgesprochen,  hat  vielmehr  vier  verschiedene  Schattierungen.  Die  Kin- 
der sprechen  Worter  wie  Schiller,  Finger,  lesen,  sehen,  Thee,  See,  fern,  gern 
folgendermassen  aus:  Schiila,  Finga,  lisen,  sihen,  Thi,  Si,  forn,  gorn  aus.  I  ist 
leichter;  Unaufmerksamkeit  ist  es,  wenn  die  Schiller  dafiir  ei  sagen.  In  Wor- 
tern,  die  mit  dem  Englischen  gleich  sind,  wie  singen,  bringen,  trinken,  Wind 
etc.  macht  wohl  keiner  einen  Fehler,  wohl  aber  in  Wortern,  worin  ein  r  oder 
1  dem  i  folgt,  z.  B.  in  Wild,  mild,  Wirt,  Hirt.  In  diesen  wird  das  I  bald  wie  ei, 
z.  B.  weild,  meild,  bald  ungefahr  wie  6,  z.  B.  Wort,  Hort  ausgesprochen.  Das 
O  ist  im  Englischen  selten  rein  und  darf  daher  nicht  vernachlassigt  werden, 
sonst  horen  wir  anstatt  Otto,  kocht,  Donner,  roll,  Atter,  kacht,  Danner,  rallt 
etc.  U  ist  leicht,  nur  das  gescharfte  U  wird  vielfach  lang  oder  wie  ein  O  aus- 
gesprochen, z.  B.  Muter,  Buter,  onser,  ons,  das  gedehnte  dagegen  manchmal 
wie:  gutt,  Hutt,  Fuss  etc.  Bei  den  Umlauten  vergessen  die  Schiiler  haufig  das 
Umlautzeichen  zu  beachten  und  Lesen  anstatt  Hande,  Hande,  schon,  schon,  friih, 
fruh  etc.,  wahrend  die  Diphthonge  oft  in  i.  arbiten,  Kindlin,  in  o:  off,  och,  Off- 
gabe  und  in  u:  Frund,  duhtsch  etc.  verwandelt  werden.  Hier  tritt  nun  an  den 
Unterrichtenden  die  Aufgabe,  dem  Schiiler  die  Schwierigkeiten  iiberwinden  zu 
helfen.  Dies  wird  erreicht  durch  richtiges,  langsames  und  deutliches  Vorspre- 
chen  der  Laute,  durch  unermiidetes  Verbessern  der  unrichtigen  Aussprache, 
ttbungen  mit  besonders  schwierigen  Wortern  und  Anleitung  zur  Hervorbringung 
der  betreffenden  Tone,  wobei  auch  die  Mundstellung  zu  beachten  ist.  Beim  A 
wiTd  der  Mund  weit  geoffnet,  wahrend  er  beim  E  breit  gemacht  werden  muss, 
beim  O  spitz  und  etwas  offen  und  beim  tJ  spitz  und  mehr  geschlossen.  Diese 
beiden  Laute  miissen  ganz  besonders  geiibt  werden,  da  sie  im  Englischen  fehlen. 
Von  den  Konsonanten  ist  die  Aussprache  des  C,  Jot,  Pf,  S,  V,  W,  X,  Z,  Ch 
und  Sch  hervorzuheben.  C  und  Z  klingen  meistens  gleich;  doch  hat  die  eng- 
lische,  wie  noch  verschiedene  andere  Sprachen  diesen  Laut  nicht;  die  Schiiler 
sagen  dafu'r  entweder  ein  Sz  oder  S.  Man  bringt  den  Laut  hervor,  indem  man 
die  Zunge  fest  gegen  die  oberen  Zahne  presst.  Jot  tont  wie  das  englische  Y; 
der  Laut  pf,  welcher  im  Englischen  wieder  fehlt,  wird  getfildet,  indem  man  die 
Lippen  fest  aufeinander  presst  und  dann  rasch  offnet.  V  lautet  wie  F,  W  wie 
das  englische  V.  X  ist  ebenfalls  im  Deutschen  abweichend,  da  es  wie  ks  klingt, 
hingegen  in  vielen  anderen  Sprachen  wie  gs,  z.  B.  Xerxes-Xerxes.  Sch  wird 
im  Englischen  s  h,  im  Deutschen  s  c  h  geschrieben,  lautet  aber  nie  wie  im  SK. 
Der  schwerste  Laut  fur  die  Auslander  ist  jedoch  Ch.  Viele  verzweifeln,  wenn 
sie  ihn  zum  ersten  Male  aussprechen  sollen;  doch  auch  hier  gilt:  Geduld  und 
Ermutigung  des  Schiilers  von  Seiten  des  Lehrers,  viele  ttbung,  Anleitung  den 
Laut  hervorzubringen,  und  bald  sprechen  ihn  die  Schiiler  gerade  so  korrekt  aus 
wie  die  anderen.  Komrnt  er  zuerst  auch  gewohnlch  zu  rauh  und  forciert  herf- 
aus,  so  schleift  sich  dies  bald  ab;  da  in  unserer  schonen  Muttersprache  dieser 
Laut  gerade  sehr  haufig  ist.  Zu  statten  kommt  uns  hierbei  auch,  dass  unsere 
Schiiler  sehr  kosmopolitischer  Abstammung  sind  und  dieser  Laut  noch  in  den 


Die  Scbwierigkeiten  der  deutscben  Spracbe.  203 

Kehlen  der  meisten  von  ihren  Eltern  oder  Voreltern  her  schlummert  1st  doch 
derselbe  Laut  im  Keltischen,  Skandinavischen,  Hebraischen,  Spanischen  u.  s.  w. 

Von  Anfang  an  1st  aber  zu  beachten,  dass  Ch  einen  harten  und  einen  wei- 
chen  Laut  hat.  Ersterer  wird  mit  dem  unteren  Kehlkopf  hervorgebracht,  unge- 
fahr  als  ob  man  sich  rauspern  wollte  und  folgt  den  Vokalen  A,  O,  U  und  Au; 
letzterer  mit  dem  oberen  Kehlkopf,  wobei  der  Atem  direkt  durch  die  Mund- 
hohle  geht,  und  steht  bei  den  Lauten  E,  I,  A,  0,  tJ,  Ei,  Eu.  Gewohnlich  sage 
ich  den  Schiilern:  ,,Legt  den  Finger  an  eure  Kehle  und  fub.lt  wie  die  Luft  da- 
durch  geht",  und  hat  dies  stets  9en  gewiinschten  Erfolg. 

Mit  Erlernung  der  Aussprache  innig  verkniipft  ist  die  Orthographie,  welche 
bekanntlich  im  Deutschen  ausserst  einfach  ist,  und  fur  Deutsche  mit  den  drei 
Regeln:  Schreibe,  wie  du  richtig  sprichst;  schreibe,  der  Abstammung  gemass 
und  schreibe  dem  herrschenden  Sprachgebrauch  gemass,  abgemacht  ist.  Diesel- 
ben  Kegeln  gelten  fur  Auslander.  Nur  wenige  Buchstaben  sind  stumm,  das  Deh- 
nungs-H  und  das  stumme  E  hinter  I.  Dies  letztere  verwechselt  der  Schiller 
unaufhorlich  mit  dem  Diphthong  Ei,  wozu  wohl  nicht  allein  das  Vergessen  der 
Regel:  dass  diese  Buchstaben  i  lauten,  wenn  das  englische  E  am  Ende  ist  und 
ei,  wenn  das  englische  I  zuletzt  steht,  sondern  vielmehr  die  englische  Gewohn- 
heit,  e  i  wie  i  und  i  e  wie  ei  auszusprechen,  schuld  ist.  Hier  hilft  nur,  den 
Schiller  den  letzten  Buchstaben  flnden  zu  lassen;  die  Regel  einzupragen  und  zu 
wiederholen,  viel  Aufmerksamkeit,  Ausdauer  und  Geduld  von  Seiten  des  Leh- 
rers  und  des  Schiilers;  dann  wird  auch  zuletzt  steter  Tropfen  den  Stein  hohlen. 
Beim  Th,  welches  die  Kinder  unwillkiirlich  wie  th  lesen,  muss  eingepragt  wer- 
den,  dass  die  deutsche  Sprache  diesen  Laut  gar  nicht  kennt  und  dass  das  H  nur 
ein  Dehnungszeichen  ist,  den  Ton  lang  macht  und  eigentlich  nach  dem  Vokal 
stehen  sollte,  daher  keinen  Einfluss  auf  die  Aussprache  des  T  hat. 

Viele  Schwierigkeit  bereitet  dem  Auslander  die  richtige  Silbentrennung,  so 
einfach  dieselbe  auch  ist.  Im  Deutschen  entscheidet  meistens  die  richtige  Aus- 
sprache, wahrend  in  anderen  Sprachen  die  Zusammensetzung  der  Worter  aus 
Haupt-  und  Neben-,  Vor-  und  Nachsilben  die  Trennung  in  Silben  bestimmt.  Ein 
Deutscher  kann  gar  nicht  anders  als  in  dieser  Weise  den  folgenden  Satz  tren- 
nen:  ,,In  un  se  rem  Lie  der  bu  che  ste  hen  vie  le  scho  ne  Lie  der",  wahrend  un- 
sere  Schiller  gewohnlich  so  verfahren:  ,,In  uns  er  em  Lied  er  buch  e  stehen 
viel  e  schon  e  Lied  er."  Aus  vorgefiihrtem  Beispiel  ersehen  die  Schiller,  dass 
im  Deutschen  die  nachfolgenden  Silben  mit  Konsonanten  beginnen;  ausgenom- 
men  in  Wortern  wie  warum,  herein,  hieraus,  darin  etc.,  worin  die  zweite  Regel: 
der  Abstammung  gemass,  zur  Geltung  kommt.  Durch  einige  ttbung,  sei  es  Wor- 
ter oder  ganze  Satze  mit  getrennten  Silben  lesen  zu  lassen,  sei  es  durch  Ab- 
schreiben  in  solcher  Weise,  iiberwindet  man  diese  Schwierigkeit;  doch  muss 
man  von  Anfang  an  auf  richtige  Trennung  bestehen,  sonst  erhalten  wir  wohl 
Resultate,  wie  ein  Beispiel  in  der  Staatszeitung  vor  einiger  Zeit  trefflich  illu- 
strierte.  Jemand  hatte  ein  Rebus  eingesandt  und  dies  durchweg  falsch  getrennt, 
wodurch  es  fur  Deutsche  ganz  unverstandlich  war.  Die  zusammengesetzten 
Buchstaben:  ch,  pf,  ph,  th,  sch,  sp,  st,  sz,  ck  und  tz  bleiben  ungetrennt.  Sie 
bleiben  bei  der  ersten  Silbe,  wenn  ein  Konsonant  folgt,  treten  jedoch  zur  letzten, 
wenn  ein  Vokal  darauf  folgt,  z.  B.  Ka  sten,  nil  tzen,  niitz  lich,  A  ste,  schwa  chen, 
schwach  lich,  schme  cken,  Kno  spe  etc.  In  diesem  letzten  Punkte  sind  manche 
unserer  Lehrbiicher  nicht  sehr  korrekt.  * 


*  Verfasserin  ist  hier  im  Irrtum.  Die  Ko  nsonantverbindungen  allerdings,  welche  nur 
einen  Laut  bezeichnen:  ch,  sch,  ph,  th,  kon  nen  nicht  getrennt  werden  und  kommen  daher 
auf  die  zweite  Zetle;  ebenso  dt,  wo  es  nur  einen  Laut  bildet.  Stehen  aber  mehrere  Kon- 


204  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Von  viel  grosserer  Schwierigkeit  ist  eine  andere  Eigentiimlichkeit  der  deut- 
schen  Sprache,  und  mit  Recht  wird  ihr  vielfach  von  Auslandern  ein  Vorwurf  ge- 
macht,  namlich  die  langen  Worter,  worunter  es  wahre  W9rtungetiime  giebt  und 
die  vielfach  den  Spott  der  Fremden  hervorgerufen  haben.  Ich  erinnere  nur  an 
Mark  Twain,  der  sich  Elertiber  in  seiner  wohlb'ekannten,  witzigen  Weise  geau- 
ssert  hat.  Diese  Schwierigkeit  ist  jedoch  bei  naherem  Ansehen  wirklich  nicht 
BO  gross,  als  sie  zuerst  scheint;  denn  diese  Wortungetiime  sind  alle  zusammen- 
gesetzte  Worter,  die  sich  ohne  Miihe  in  ihre  Bestimmungs-  und  Grundworter 
zerlegen  lassen  und  dann  leicht  verstandlich  sind.  Einige  derselben  werden  dies 
beweisen,  wie  z.  B.  Haus  thiir  schliissel,  Schornstein  feger  meister,  Porzellan  wa- 
ren  handler,  Ober  hof  meister  amf ,  Lieblings  beschaftigung  u.  s.  w.  Alle  beste- 
hen  aus  zwei,  drei  oder  vier  Wortern,  deren  einzelne  sich  von  selbst  erklaren; 
jedes  hat  seinen  Begriff  behalten,  und  bei  Ubersetzung  in  fremde  Sprachem 
zerf alien  dieselben  auch  in  verschiedene  Worter,  wobei  die  Bestimmungsworter 
haufig  durch  Eigenschaftsworter  oder  den  Genitiv  ersetzt  werden. 

Auch  eine  andere  Eigentiimlichkeit  fallt  dem  Schiller  gleich  beim  Anfangs- 
studium  der  deutschen  Sprache  in  die  Augen,  ich  meine  die  grossen  Anfangs- 
buchstaben  der  Hauptworter.  Dies  ist  aber  gerade  so  wohl  ein  Vorzug,  als  ein 
Nachteil  unserer  Muttersprache.  Die  Hauptworter  lassen  sich  dadurch  leicht 
erkennen,  sie  sind  sinnlich  wahrneEmbar;  doch  beim  Schreiben  vergisst  der 
Schiller  dies  leicht,  schreibt  sie  klein,  Eigenschaftsworter,  Fiirworter  etc.  dage- 
gen  gross.  Er  verfallt  hierbei  in  die  Gewohnung  seiner  eigenen  Sprache.  Er- 
wachsene  Oder  mehr  vorgeschrittene  Schiller  machen  selten  hierin  Fehler,  desto 
mehr  die  Kinder  aus  Fluchtigkeit.  Ungleich  schwieriger  ist  aber  die  zweite  Be- 
obachtung,  die  der  Schiller  macht,  namlich  das  verschiedeneGeschlecht  der  Haupt- 
worter; hierbei  hilft  nicht  blosses  Erkennen,  um  den  richtigen  Artikel  und  glei- 
ches  Fiirwort  anzuwenden,  sondern  es  bedarf  unendlicher  geistiger  Anstrengung. 
Nur  wenig  von  seiten  des  Lehrers  kann  hierin  dem  Schiller  geholfen  werden. 
Das  Beste  ist  Entwickelung  des  Sprachgefiihls.  Von  Anfang  an  werde  der  Schil- 
ler angehalten,  jedes  Hauptwort  mit  dem  betreffenden  Artikel  sich  einzupragen, 
es  im  Satze  anzuwenden  und  durch  das  Fiirwort  zu  ersetzen.  Fiir  die  Kinder 
in  unseren  offentlichen  Schulen  ist  es  sehr  schwer  zu  begreifen,  dass  viele  Dinge 
mannlich  oder  weiblich  sind,  Personen  hingegen  manchmal  sachlich.  Sie  kon- 
nen  noch  nicht  grammatikaliscb.es  und  natiirliches  Geschlecht  von  einander  un- 
terscheiden;  fassen  nicht,  dass  in  der  deutschen  Sprache  nur  das  grammatika- 
lische  Geschlecht  gilt  und  dass  hierbei  vielfach  die  Form  entscheidend  ist.  Be- 
tont  man  das  unaufhorlich,  so  erkennen  sie,  weshalb  Madchen  und  Fraulein 
sachlich,  Sonne  weiblich  und  Mond  mannlich  ist.  Von  grossem  Nutzen  ist  es 
auch,  bestimmte  Regeln  zu  geben,  welche  Worter  mannlich,  welche  weiblich 
und  welche  sachlich  sfhd.  Hat  sich  der  Schiller  nun  das  richtige  Geschlecht 
der  Hauptworter  eingepragt,  auch  wie  die  Mehrzahl  derselben  gebildet  wird, 
so  hat  er  die  noch  grossere  Schwierigkeit  der  Deklination  zu  uberwinden, 
die  in  vielen  modernen  Sprachen  nur  dem  Namen  nach  vorhanden  ist,  da 
eine  Kasusform  mit  Hilfe  von  Prapositionen  zur  Bildung  der  andern  dient. 
Der  Schiller  hat  sich  bei  richtiger  Anwendung  des  Kasus  stets  zu  vergegen- 
wartigen,  welchen  Satztell  das  Wort  vertritt  und  von  welchemi  es  abhangig 


sonanten  im  Inlaut,  so  kommt  der  letzte  auf  die  zweite  Zeile;  z.  B.  Mr- ten,  Las-ten,  Was- 
ser,  Knos-pe,  hak-ken  (ck  wird  in  kk  auf ge lost),  klop-fen,  krat-zen,  Ach-sel,  An-ker,  Fin- 
ger, Hoffnun-gen.  Steht  vor  pf  noch  ein  r  oder  m,  so  gehort  pf  zur  zweiten  Zeile.  Ebenao 
steht  nach  vorhergehendem  Konsonanten  at  a  uf  der  zweiten  Zeile.  (Duden,  Orthograptu- 
sches  Worterbuch.)  D.  B. 


Die  Schwierigkeiten  der  deutscben  Sprache.  205 

1st;  ob  es  ein  Attribut,  direktes  Oder  indirektes  Objekt  ist,  Subjekt,  Pradikat 
oder  adverbiale  Bestimmung  und  als  Letztes,  von  welcher  Proposition  es  regiert 
wird.  Die  Erlernung  der  verschiedenen  Deklinationsformen  ist  freilich  Gedacht- 
nisarbeit,  aber  ihre  Anwendung  nach  dem  Vorhergesagten  entschieden  Denk- 
arbeit.  Hierin  kann  der  Lehrer  den  Schiiler  unterstiitzen;  er  lasse  ihn  erst  die 
betreffenden  Satzteile  flnden;  zeige,  dass  die  Deklination  auch  nicht  so  verwlk- 
kelt  ist,  da  nur  der  Artikel  und  die  Pronomina  alle  Kasusformen  besitzen,  hin- 
gegen  Hauptworter  starker  Deklination  nur  ein  s  Oder  es  im  Genitiv  der  E2n- 
zahl  annehmen,  weibliche  sogar  ganz  unverandert  bleiben,  der  Dativ  PL  stets  in 
n  enden  muss;  dass  bei  der  schwachen  Deklination  die  Biegung  ganz  fehlt,  da 
mit  Ausnahme  des  Nominativ  Einzahl  alle  Falle  in  n  enden.  Leicht  lasst  sich 
auch  sagen,  welche  Worter  zur  schwachen  Deklination  gehoren. 

Auch  ein  anderer  Vorwurf  kann  dem  Deutschen  gemacht  werden;  dies  ist 
der  Mangel  an  ttbersichtlichkeit  und  dadurch  an  Verstandlichkeit;  einesteils  her- 
beigefiihrt  durch  Verben  mit  trennbaren  Vorsilben  und  dass  in  zusammengesetz- 
ten  Zeiten  Partizip  und  Inflnitiv  vom  Hilfszeitwort  getrennt  sind,  andernteils 
dass  im  abhangigen  Satze  oder  wenn  irgend  ein  Satzteil  dem  Subjekt  voraufgeht, 
die  umgekehrte  Wortfolge  eintritt  und  das  Pradikat  dadurch  hauflg  ans  Ende 
nicht  allein  des  Satzes,  sondern  eines  ganzen  Satzgefiiges  mit  vielen  Nebensatzen 
geruckt  wird.  Man  gebe  dem  Schiiler  in  diesem  Labyrinth  den  Ariadnefaden, 
lasse  ihn  zuerst  das  Zusammengehb'rige  finden,  dann  den  Satz  in  die  richtige 
Wortfolge  Subjekt,  Pradikat,  Objekt  u.  s.  w.  bringen,  hierauf  die  Glieder  des 
zusammengesetzten  Satzes  oder  des  Satzgefiiges  an-  und  unterordnen  und  sie 
als  ein  harmonisches  Ganze  erscheinen  lassen,  dann  wird  der  Schiiler  auch  keine 
Schwierigkeiten  haben,  den  Sinn  des  Gesagten  oder  Gelesenen  zu  erfassen.  Bald 
macht  es  ihm  auch  Freude,  der  richtign  Fahrte  folgen  zu  konnen  und  spornt 
ihn  an,  andere  Hindernisse  zu  iiberwinden. 

Aus  Vorhergehendem  erhellt  wohl,  dass  fur  den  Schiller  viele  und  mannig- 
faltige  Schwierigkeiten  bei  Erlernung  des  Deutschen  zu  bewaltigen  sind;  an  uns 
aber  tritt  die  Aufgabe,  uns  klar  fiber  dieselben  zu  sein,  bereitwillig  hier  zu  hel- 
fen,  Geduld  und  Ausdauer  zu  haben,  fleissig  iiben  zu  lassen  und  nicht  das  weise 
Wort  der  Lateiner  vergessen:  Repetitio  est'  mater  studiorum;  doch  meine  ich 
hier  mit  weniger:  Wiederholung  ist  die  Mutter  der  Wissenschaft,  als  vielmehr 
unser  altbewahrtes:  ..ttbung  macht  den  Meister." 


II.     Lehrplan  fur  die  deutschen  Klassen  in  der  Hochschule  von 
Saginaw,  E.  5.,  flich. 

Von  Ernst  Wolf,  Saginaw,  Mich. 

1.  Zwolfjahriger  Kursus. 

2.  Sechsjahriger  Kursui. 

3.  Vierjahriger  Kursus. 

4.  Zweijahriger  Kursus. 

I.    Zwolfjahricer  Kursus. 

Am  zwolfjahrigen  Kursus  nehmen  fast  ausschliesslich  Kinder  aus  deut- 
schen Familien  teil;  sie  haben  bei  ihrem  Eintritt  in  die  Hochschule  acht  Jahre 
lang  taglich  ungefahr  1  Stunde  und  20  Minuten  Unterricht  in  der  deutschen 
Sprache  genossen. 

Neuntes  Schuljahr.     (Dreimal  wochentlich.) 

Litteratur:  Von  den  folgenden  Biichern  werden  so  viele  gelesen  als 
die  Kenntnisse  und  der  Eifer  der  jeweiligen  Klasse  erlaubt.  Die  Biicher  werden 
von  den  Schiilern  zu  Hause  mit  Hilfe  eines  englisch-deutschen  Worterbuches 
vorbereitet  und  in  der  Klasse  absatz-,  kapitel-  oder  stiickweise  miindlich  oder 
schriftlich  wiedergegeben;  namlich: 

Baumbachs  Im  Zwielicht;  Bernhardts  Novellettenbibliothek;  Fouque's  Un- 
dine; Freytags  Soil  und  Haben;  Hoffmanns  Historische  Erzahlungen;  Schillers 
Der  Neffe  als  Onkel;  Schillers  Lied  von  der  Glocke,  Schillers  Balladen. 

Memorieren:  Aus  Dr.  Joseph  Henses  Sammlung  deutscher  Musterdich- 
tungen: 

1.  Chamisso,  Die  Sonne  bringt  es  an  den  Tag. 

2.  Burger,  Das  Lied  vom  braven  Manne. 

3.  Miiller,  Der  Glockenguss  zu  Breslau. 

4.  v.  Droste-Hiilshoff,  Der  Knabe  im  Moor. 

5.  Riickert,  Barbarossa. 

6.  Kerner,  Der  reichste  Furst. 

7.  Freiligrat,  Prinz  Eugen,  der  edle  Hitter. 

8.  Mosen,  Andreas  Hofer. 

9.  Heine,  Die  Grenadiere. 

10.  Goethe,  Der  Sanger. 

11.  Schiller,  Der  Alpenjager. 

12.  Schiller,  Der  Graf  von  Habsburg. 

13.  Schiller,  Die  Biirgschaft. 

Grammatik:     Spanhoofds  deutsche  Grammatik. 

Schriftlicettbungen:  Im  Anschluss  an  den  Lesestoff:  Schriftliche 
Wiedergabe  desselben.  Aufschreiben  des  Memorierstoffes.  Aufsatze: 
Beschreibung  der  Holzelschen  Wandbilder:  Friihling,  Sommer,  Herbst 
und  Winter;  Stadt,  Bauernhof,  Wald,  Hochgebirge.  Diktate.  Wieder- 
gabe vom  Lehrer  vorerzahlter  historischer  Stoffe. 

Den  Schiilern  1st  Gelegenheit  gegeben,  mit  Schiilern  deutscher  Schulen  in 
Korrespondenz  zu  treten. 

Konversationsiibungen:  Im  Anschluss  an  das  Lesebuch  und  die 
Holzelschen  Wandtafeln. 

Ubersetzungsiibungen:     Nur  gelegentlich  aus  dem  Englischen  ins 


Lehrplanjttr  die  deutscbtn  Klassen  in  der  Hocbscbule.  207 

Deutsche,  wenn  solche  zur  Klarung  des  grammatischen  Verstandnisses 
zweckdienlich  erscheinen.  ttbersetzungen  aus  dem  Deutschen  ins  Eng- 
lische  werden  in  diesem  Kursus  grundsatzlich  vermieden. 

Zehntes  Schuljahr.     (Dreimal  wochentlich.) 
Litteratur:     Goethes  Aus  meinem  Leben  und  Hermann  und  Dorothea. 

Schillers  Wilhelm  Tell.     Lessings  Minna  von  Barnhelm.     Schrakamps 

Erzahlungen  aus  der  deutschen  Geschichte.     (Die  Schoninghschen  Klas- 

sikerausgaben  werden  benutzt.) 
Memorierstoff:     Goethe,  Der  Fischer. 

Goethe,  Der  Erlkonig. 

Platen,  Das  Grab  am  Busento. 

Freiligrat,  Die  Trompete  von  Vionville. 

Schiller,  Der  Ring 'des  Polykrates. 

Schiller,  Die  Kraniche  des  Ibykus. 

Uhland,  Des  Sangers  Fluch. 

Arndt,  Des  Deutschen  Vaterland. 

Hoffmann  von  Fallersleben,  Das  Lied  der  Deutschen. 

Schenkendorf,  Die  deutschen  Strome. 
Grammatik.    Spanhoof ds  deutsche  Grammatik. 
Schriftliche  tJbungen:     Siehe  9.  Schuljahr. 

Aufsatze:      Beschreibung   der  kulturhistorischen   Bilder   des   Leipziger 

Schulbilderverlags:    Germanische  Gehofte.    Ritterburg.    Im  Rittersaale. 

Turnier.     Sendgrafengericht.     Belagerung.    Inneres   einer   Stadt.    Biir- 

gerliches  Wohnzimmer.     Im   Klosterhof.     Bauern   und   Landsknechte. 

Lagerleben.    Aus  der  Rokokozeit.    Kaiserproklamation  zu  Versailles. 
Korrespondenz  mit  Schulern  in  Deutschland. 
Konversationsiibungen  und  ttbersetzungen:     S.  oben. 

Elftes  Schuljahr.     (Zweimal  wochentlich.) 

Litteratur:     Goethes  Egmont.    Schillers  Maria  Stuart.    Lessings  Emi- 
lia Galotti.    Schillers  Jungfrau  von  Orleans. 
Memorieren:     Geibel,  Morgenwanderung. 
Freiligrat,  Die  Auswanderer. 
Weber,  Feldmusik  und  Waldmusik. 
Schiller,  Glocke  (Auswahl.) 
Goethe,  Legende. 

v.  Droste-Hulshoff,  Der  Brief  aus  der  Heimat. 
Lenau,  Der  Postilion. 
Freiligrat,  Gesicht  des  Reisenden. 
Uhland,  Schwabische  Kunde. 
Schiller,  Der  Taucher. 

Grammatik:  Bei  der  Vorbereitung  der  Aufsatze  wird  auf  die  Punkte 
aufmerksam  gemacht,  die  den  Schulern  Schwierigkeiten  verursachen  kon- 
nen ;  und  zwar  geschieht  dies  in  der  Weise,  dass  der  Aufsatzstoff — unter 
Zugrundelegung  eines  Wandbildes — in  gemeinschaftlicher  Klassenarbeit 
gewonnen  wird.  Das  Resultat  wird  von  den  Schulern  satzweise  oder  ab- 
satzweise  an  die  ,Taf el  geschrieben,  und  etwaige  Fehler  werden  dann  ver- 
bessert;  wenn  thunlich,  wird  die  betreffende  grammatikalische  Regel  aus 
analogen  Beispielen  entwickelt.  Selbstverstandlich  wartet  der  Lehrer 
nicht  darauf,  dass  Fehler  gemacht  werden,  sondern  sucht  ihnen  auf  jede 
Weise  vorzubeugen. 


208  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Schriftliche  Ubungen:       Siehe  oben.    Aufsatzthemen. 

a.  Die  Griinder  des  neuen  deutschen  Reiches:     Kaiser  Wilhelm,  Fiirst 
Bismarck  und  Graf  Moltke. 

b.  Kaiser  Friedrich  III.  und  Kaiser  Wilhelm  II. 

c.  Friedrich  Wilhelm  III.  und  Konigin  Louise. 

d.  Friedrich  der  Grosse. 

e.  Der  Rhein  bei  Bingen. 

f.  Der  Dam  zu  Koln. 

g.  Der  Hamburger  Hafen. 
h.    Dresden. 

I.    Der  Thviringer  Wald. 

k.    Das  Brandenburger  Thor. 

Zwolftes  Schuljahr.     (Zweimal  wochentlich.) 
Litteratur:     Heines  Harzreise. 
Schillers  Wallenstein. 
Goethes  Iphigenie. 
Goethes  Tasso. 

Memorieren:     Von  den  Schiilern  angefertigte  Arbeiten  werden  auswendig  ge- 
lernt;  ganze  Szenen  und  Monologe  aus  den  gelesenen  Dramen.    Teile  von 
Reden  des  Fursten  Bismarck,  Karl  Schurz'  und  anderer. 
Privatlektiire:     Ausgewahlte  moderne  Novellen. 
Geschichte  der  deutschen  Litteratur:     Klemms  VIII.  Kreis. 
Schriftliche  ttbungen:     Siehe  oben.    Aufsatzthemen: 
Die  deutsche  Sprache. 

Die  Verdienste  der  Deutschen  urn  die  Kultur. 
Schillers  Leben. 
Goethes  Leben. 
Weimar  im  Jahre  1803. 
Der  Rheinfall  bei  Schaffhausen. 
Das  Nationaldenkmal  auf  dem  Niederwald. 
Die  Gotthardbahn. 
Der  Bodensee. 
Fiirst  Bliicher. 

Die  unterliegenden  Grundsatze  fur  den  ganzen  deutschen  Unterricht  sind  in 
vorstehendem  Lehrplan  ausgedriickt;  in  gedrangter  Kiirze  folgt  der  fiir  die  ande- 
ren  Klassen: 

Sechsjahriger  Kursus. 
Siebentes  Schuljahr  (5mal  wochentlich). 
Von  Daell  und  Schrakamp,  Das  deutsche  Buch. 

Achtes  Schuljahr  (4mal  wochentlich). 
Keller's  First  Year  in  German. 

Neuntes  Schuljahr  (3mal  wochentlichV 
Keller's  Second  Year  in  German. 

Zehntes  Schuljahr  (3mal  wochentlich). 

Bernhardts  Novellettenbibliothek,  Freytags  Soil  und  Haben,  Hoffmanns  Hi- 
storische  Erzahlungen,  Bronson's  Colloquial  German,  Buchheim's  deutsche  Lyrik. 
Schriftliche  Arbeiten:     Diktate  im  Anschluss  an  den  Lesestoff;  teilweise  Re- 
produktion  des  Lesestoff es;  die  einfachste  Briefform. 


Lebrplanfilr  die  deutschen  Klassen  in  der  Hocbscbule.  209 

Elftes  Schuljahr. 

Lessings  Minna  von  Barnhelm,  Goethes  Egmont,  Schillers  Tell. 
Schriftliche  Arbeiten:  Diktate,  zu  denen  die  Holzelschen  Wandbilder  den  Stoff 
liefern.    tibungen  im  Briefwechsel. 

Die  vorgeschritteneren  Schiller  nehmen  an  der  internationalen  Korrespon- 
denz  teil. 

Zwolftes  Schuljahr. 

Goethes  Hermann  und  Dorothea,  Lessings  Emilia  Galotti,  Schillers  Maria 
Stuart. 

Die  Diktate  werden  nach  und  nach  zu  freieren  Vortragen  des  Lehrers  unter 
Zugrundelegung  von  Bildern.  Die  Schiiler  reproduzieren  diese  Vortrage  miind- 
lich  und  schriftlich.  Korrespondenz. 

Vierjahriger  Kursus.     (Neuntes  bis  zwolftes  Schuljahr.) 
Die  Schiller  in  diesem  Kursus  haben  vier  Jahre  lang  wochentlich  5mal 
deutsch. 

Im  allgemeinen  unterscheidet  sich  diese  Arbeit  wenig  von  der  im  6jahrigen 
Kursus.  Da  die  Schiller  zwei  Jahre  alter  sind,  wenn  sie  deutsch  beginnen,  so  1st 
es  schwieriger,  ihnen  die  Zunge  zu  losen;  infolgedessen  treten  die  Sprachiibun- 
gen  zuriick. 

Zweijahriger  Kursus.     (Elftes  und  zwolftes  Schuljahr.) 

Keller's  First  and  Second  Year  in  German. 

N.  B.  Selbstverstandlich  ist  der  Lehrplan  nicht  als  eine  Zwangsjacke  auf- 
zufassen,  die  bei  Lehrer  und  Schiller  die  freie  Bewegung  hemmt,  noch  auch  als 
ein  Prokrustesbett,  das  fur  die  geistig  Langen  und  geistig  Kurzen  passen 
muss;  in  manchen  Jahren  wird  in  einer  gewissen  Klasse  mehr,  in  andern  in  der- 
selben  Klasse  weniger  geleistet  als  der  Lehrplan  angiebt. 

Auch  die  Lehrstoffe  werden  nach  Gutdiinken  des  Lehrers  und  haufig  in  Uber- 
einstimmung  mit  den  Wiinschen  des  Schiilers  vertauscht. 

Ich  hoffe,  dass  recht  viele  Kollegen  meinem  Beispiel  folgen  und  ihre  Lehr- 
plane  an  die  Redaktlon  einsenden  werden.  Die  meisten  Ideen,  die  ich  habe,  kom- 
men  von  anderen.  Und  wem  geht  es  anders?  , 


Berichte  und  Notizen. 


I.    Korrespondenzen. 


Baltimore. 


Das  25jahrige  Bestehen  der  Johns 
Hopkins  Universitat  wurde  im  Beisein 
zahlreicher  hervorragender  Gaste  aus 
nah  und  fern  in  feierlicher  Weise  be- 
gangen.  Die  Festrede  hielt  Dr.  David 
J.  Hill,  der  Unterstaatssekretar  von 
Washington  und  friiherer  President 
der  Universitat  von  Rochester. 

Prasident  Daniel  C.  Gilnaan  machte 
hierauf  in  einer  Rede  wiehtige  Mit- 
teilungen.  Er  sagte:  ,,Der  deutsche 
Botschafter,  Baron  von  Holleben,  hat 
dera  Prasidenten  der  ,,Johns  Hopkins 
Universitat"  naitgeteilt,  dass  der  deut- 
sche Kaiser,  Wilhelm  der  Zweite,  der 
Bibliothek  der  Universitat  eine  hiisch 
gebundene  Kopie  der  ausgezeichneten 
Ausgabe  der  Werke  Friedrichs  des 
Grossen,  die  von  der  preussischen  Re- 
gierung  vor  einigen  Jahren  unter  den 
Auspizien  der  koniglichen  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Berlin  heraus- 
gegeben  wurden,  geschenkt  habe. 
Dies  Geschenk  ist  eine  Anerkennung 
der  wichtigen  Beitrage  zur  biblischen 
Litteratur  seitens  des  Professors  Dr. 
Paul  Haupt,  friiher  Professor  an  der 
Universitat  Gottingen,  jetzt  aber 
Haupt  der  orientalischen  Abteilung 
der  ,,Johns  Hopkins  Universitat". 
Als  eine  weitere  Anerkennung  der 
Verdienste  des  Prof.  Haupt  hat  der 
deutsche  Kaiser  ihm  den  roten  Adler- 
orden  vierter  Klasse  verliehen." 

Die  Sylvesterpreise,  zwei  Bronce- 
Medaillons,  erhielten  Lord  Kelvin  an 
der  Universitat  zu  Glasgow  und  Prof. 
Simon  Newcomb,  ein  hervorragender 
Astronom.  Ferner  teilte  Prasident 
Oilman  mit,  dass  Dr.  Phil.  Ogden  und 
Dr.  Ed.  C.  Armstrong  zu  ausserordent- 
lichen  Professoren  der  franzosischen 
Litteratur  befordert  wurden.  Letzte- 
rer  befindet  sich  zur  Zeit  in  Berlin. 

Des  Weiteren  teilte  Dr.  Gilman  mit, 
dass  das  silberne  Jubilaum  der 
,,Johns  Hopkins  Universitat"  Mitt- 
woch  und  Donnerstag,  den  16.  und  17. 
Oktober  1901,  gefeiert  werden  soil. 

Vor  der  Gedenkfeier  hielt  der  Ver- 
waltungsrat  eine  kurze  Versammlung, 
in  welcher  Prasident  Gilman  seine  Re- 
signation formell  unterbreitete.  In 
derselben  heisst  es:  ,,In  tJbereinstim- 
mung  mit  meinem  friiheren  Schreiben 
resigniere  ich  formell  von  meinem 
Amt,  zu  welchem  ich  die  Ehre  hatte, 
am  Schluss  des  Jahres  1874  von  Cali- 
fornien  berufen  zu  werden.  Ich  wihi- 
sche  mit  Ihrer  Zustimmung,  dass  die 
Resignation  am  Schlusse  des  akade- 


mischen  Jahres,  das  ist  am  1.  Septem- 
ber 1901,  in  Kraft  tritt,  da  ich  dann 
mein  70.  Lebensjahr  vollendet  habe. 
Ausdriicke  der  Dankbarkeit  und  Hoff- 
nung,  die  meine  Gedanken  bewegen, 
verschiebe  ich  auf  einen  spateren 
Tag."  Der  Verwaltungsrat  nahm  die 
Resignation  an  und  iiberliess  die  wei- 
tere Regelung  der  Sache  einem  zu  er- 
nennenden  Komitee. 

Auch  die  Resignation  des  Ge- 
schichtsprofessors  Dr.  Herbert  B. 
Adams,  die  derselbe  am  4.  Februar 
wegen  leidender  Gesundheit  einge- 
reicht  hatte,  wurde  angenommen. 

Die  ,,Maryland  Children  Playground 
Association"  hat  von  der  Schulbe- 
horde  die  nachgesuchte  Bewilligung 
bekommen,  den  Kindern  an  den 
Samstag  Nachmittagen  wahrend  der 
Monate  Marz,  April  und  Mai  Unter- 
richt  in  Blumenkultur  geben  zu  las- 
sen. 

Mit  nachstem  September  werden 
imsere  offentlichen  Schulen  auch  Kin- 
dergarten bekommen,  und  zwar  soil 
in  jeder  der  25  existierenden  Gruppen 
eine  Kindergartenklasse  eingerichtet 
werden. 

Direktor  Emil  Dapprich  erfreute  in 
der  ersten  Marzzwoche  hiesige  Kolle- 
gen  und  Freunde  durch  seinen  Besuch, 
nur  w^ar  derselbe  leider  viel  zu  kurz; 
als  die  Lokalpresse  seine  Anwesenheit 
in  der  Stadt  erwahnte  und  infolge  des- 
sen  eine  Anzahl  seiner  ehemaligen 
Schiller  und  Schulerinnen  nach  ihm 
fragte,  da  war  der  Gesuchte  schon 
wieder  unterwegs  nach  dem  Westen. 
Die  dem  Schreiber  aufgetragenen 
Griisse  seien  ihm  hiermit  nachge- 
sandt.  Es  wird  ihm  hier  ein  treues 
Andenken  bewahrt.  —  S. 

Cincinnati. 

Der  Expertenbef  und  iiber  die  Grif- 
fiths -  Unterschleife  wurde 
dem  Schulrat  in  seiner  Sitzung  vom 
11.  Marz  unterbreitet.  In  dem  117 
Seiten  langen  Dokument  erhielten, 
nach  einem  genauen  ziffernmassigen 
Ausweis  iiber  die  Hohe  und  Geschichte 
der  Unterschlagung,  die  Erziehungs- 
behorde  einen  allgemeinen  Riiffel,  die 
Ausschiisse  aber,  welche  die  Biicher- 
revisionen  vorzunehmen  hatten,  sowie 
verschiedene  Schulratsbeamten  w^egen 
Pflichtvernachlassigung  oder  Unfa- 
higkeit  einen  besonderen  Riiffel.  Mit- 
schuldige  w^urden  zufolge  des  ,,Befun- 
des"  keine  gefunden  —  alles  wird  dem 
Defraudanten  ins  Grab  geschoben 


Korresponden^en. 


211 


und  —  zugedeckt!  ,,Macht  die  Musik 
zinnra  bummra,  —  domit  war  die 
G'schicht  am  End",  wiirde  der  selige 
Gottfried  Nadler  dazu  sagen. 

Doch  halt,  em  sehr  wichtiges  An- 
hangsel  hatte  der  Bericht  noch,  eine 
e  i  n  gefliisterte  Empfeh- 
1  u  n  g,  die  eigentlich  mit  der  Unter- 
suchung  nichts  zu  thun  hatte  und  die 
Herren  Experten  schlechterdings 
nichts  anging.  Dieselben  befiirworten 
namlich  am  Schluss  ihres  Berichtes, 
den  ganzen  Schulrat  abzuschafEen 
und  dafiir  eine  bezahlte  Kommission 
von  fiinf  oder  sieben  Mitgliedern  ein- 
zusetzen,  um  dadurch  eine  bessere 
Verwaltung  unserer  Schulen  zu  si- 
chern.  In  friiheren  Korrespondenzen 
hat  der  Berichterstatter  bereits  seine 
Meinung  iiber  die  geheime  Absicht 
dieser  von  einem  gewissen  medizini- 
schen  Schulrat  aus  selbstsiichtigen 
Zwecken  eingefliisterten  ,,Verbesse- 
rung"  geaussert.  Es  mag  dieses  Mai 
nur  noch  darauf  hingewiesen  werden, 
dass  eine  solche  bezahlte  Kommission 
durchaus  keine  Gewahr  leistet  fur 
eine  bessere  und  okonomischere  Ver- 
waltung der  Schulen,  als  eine  vom 
Volke  erwahlte  Behorde,  die  wie  jetzt 
aus  dreissig  Mitgliedern  besteht  und 
ihren  Dienst  den  Schulen  gegeniiber 
als  Ehrensache  betrachtet.  Dass  eine 
kleine  Kommission,  wenn  sie  fahrlas- 
sig,  oder  zu  vertrauensselig  wird,  von 
einem  diebischen  Clerk  ebenso  wohl 
begaunert  werden  kann  als  eine  viel- 
kopfige  Korperschaft,  sieht  man  oft 
genug  bei  Bankdirektorien,  die  doch 
meistens  aus  erfahrenen  und  vorsich- 
tigen  Geschaftsleuten  bestehen.  Und 
ist  eine  Behorde  aus  fiinf  oder  sieben 
Mitgliedern  —  auch  wenn  die  Xmter 
hoch  bezahlt  sind  —  nicht  leichter  zu 
bestechen  und  zu  beeinflussen  als 
eine  solche  aus  dreissig  Mitgliedern?! 
Man  hat  hier  ja  ,,Beispiele  von  Ex- 
empeln"!  ttberdies  ist  jede  stadtische 
Kommission,  besonders  wenn  sie  vom 
Gouverneur  ernannt  wird,  undemokra- 
tisch  und  unrepublikanisch  im  Prin- 
zip,  und  steht  in  direktem  Wider- 
spruch  mit  stadtischer  Selbstverwal- 
tung,  die  gegenwartig  iiberall  so  sehr 
angestrebt  wird.  Doch  die  ,,Empfeh- 
lung",  wenn  sie  auch  vorlaufig  bei  ge- 
wissen Klubs  warme  Unterstiitzung 
findet,  wird  am  Ende  nie  zur  Ausfiih- 
rung  gelangen,  und  der  padagogische 
Doktor  sollte  sich  daher  lieber  nach 
einem  anderen  ,,Job"  umsehen,  als 
nach  dem  eines  Schulkommissars. 

Der  s.  Z.  vielgeriihmten  S  t  e  i  1  - 
s  c  h  r  i  f  t,  die  im  Herbst  1899  in  un- 
seren  Schulen  eingefuhrt  wurde,  ist 


man  schon  wieder  iiberdriissig.  Die 
englischen  Prinzipale  haben  dem 
Schulrat  bereits  die  Empfehlung  un- 
terbreitet,  zur  Schragschrift  zuriick- 
zukehren,  jedoch  nicht  zum  friiheren 
System,  sondern  zu  einem  sogenann- 
ten  Natural  Slant,  das  ungefahr  die 
Mitte  zwischen  der  ehemaligen 
Schragschrift  mit  55  Grad  und  der 
Steilschrift  halt,  namlich  mit  einem 
Neigungswinkel  von  75  Grad.  Die 
American  Book  Co.  hat  das  neue 
Schreibsystem  bereits  im  Verlag,  wird 
also  mit  dem  nachsten  Schuljahre 
eingefuhrt  werden. 

Der  klobigen  englischen  Steilschrift 
oder  eigentlich  Druckschrift,  wie  sie 
hier  unterrichtet  wurde,  wird  wohl 
niemand  eine  Thrane  nachweinen; 
doch  als  eigentumliche  Erscheinung 
dabei  mag  nur  noch  erwahnt  werden, 
dass  man  hier  das  Vertikalsystem 
einfiihrte,  als  man  es  in  anderen 
Stadten,  besonders  in  Deutschland, 
wieder  abschaffte  Es  geht  halt  nichts 
iiber  das  Selbstprobieren ! 

In  der  Sitzung-  des  deutschen 
Oberlehrerverein  s  vom  28. 
Marz  hielt  Herr  Wm.  Schafer  seinen 
Vortrag  iiber  ,,Deutschen  Minne- 
sang".  Der  Referent  hatte  sein 
Thema  in  gedrangter  aber  doch  er- 
schopfender  Weise  behandelt,  ohne 
indessen  auf  die  Hauptvertreter  des 
Minnegesangs  naher  einzugehen.  Er 
sprach  zum  Schluss  seines  beifallig 
aufgenommenen  Vortrages  den 
Wunsch  aus,  dass  die  Kollegen  in 
ihrer  Lektiire  auch  die  deutsche  Lit- 
teratur  des  Mittelalters  beriicksichti- 
gen  sollten.  Herr  C.  Grebner  teilte 
in  einer  Zuschrift  mit,  dass  er  seinem 
Buch  ,,Die  Deutschen"  weitere  50 
Druckseiten  aus  der  deutschamerika- 
nischen  Geschichte  hinzugefiigt  habe, 
ohne  dadurch  den  Preis  desselben  zu 
erhohen.  Den  in  der  vorhergehenden 
Versammlung  ausgesprochenen  Wiin- 
schen  glaubt  der  Verfasser  damit 
vollauf  Geniige  geleistet  zu  haben. 
Das  Buch  wird  nunmehr  325  Seiten 
stark  und  nur  85  Cents  kosten. 

E.  K. 
New  York. 

Vom  Verein  deutscher 
Lehrer  von  New  York  und 
Umgegend.  Erschien  mir  die 
Februarversammlung  der  deutschen 
Lehrer  New  Yorks  und  Umgegend  als 
die  Morgenrote  eines  neuen  Lebens, 
so  flutete  uns  in  der  gestrigen  Marz- 
sitzung  schon  das  helle  Licht  des  vol- 
len  Tages  entgegen.  Goethe  als  Er- 
zieher",  Vortrag  von  Hrn,  Dr.  P.  S. 
Stollhofen,  stand  auf  der  Tagesord- 


212 


Padagogiscbe  Monatsbefte. 


nung1.  Ein  schwieriges  Thema!  Um 
so  mehr  so,  als  Goethe  nirgends  im 
Zusammenhang  iiber  Erziehung 
spricht,  uns  nirgends  ein  System,  sei- 
ner Anschauungsweise  dariiber  vor- 
fiihrt,  sondern  nur  in  vereinzeltnen 
Ausserungen,  die  man  da  und  dort  zer- 
streut  findet,  durchblicken  lasst,  was 
er  iiber  diesen  Gegenstand  denkt  und 
wie  er  sich  die  Erziehung  der  Jugend 
vorstellt  oder  vielmehr,  wie  er  unsere 
Jugend  am  liebsten  erzogen  sahe. 
Die  Aufgabe  des  Keferenten  bestand 
nun  darin,  diese  Ausserungen  aus  den 
samtlichen  Werken  Goethes  —  und 
mein  Goethe  umfasst  40  Bande  —  zu- 
sammenzutragen,  kritiseh  zu  trennen 
und  kritiseh  zu  verbinden,  aus  der 
Vielheit  eine  Einheit  zu  gestalten, 
und  dann  endlich  ein  klares  System 
herauszuschalen. 

Wie  schwierig  die  Arbeit  des  Her- 
ausschalens  in  Goethes  Fall  ist,  er- 
misst  man  erst,  wenn  man  bedenkt, 
dass  Goethe  seine  eigene  Ansicht  sel- 
ten  rundweg  ausspricht,  sondern  dass 
er  fast  immer  dialogisch  verfahrt  und 
dieser  Person  dieses,  jener  jenes  in 
den  Mund  legt.  Ziehe  ich  z.  B.  das 
fiinfte  Kapitel  aus  den  Wahlverwandt- 
schaften  an,  das  Dr.  Stollhofen  zufal- 
ligerweise  nicht  zitiert,  so  wird  die 
Sache  sofort  klar.  Der  Gehiilfe  der 
Schulvorsteherin  schreibt  dort  den 
Pflegeeltern  Ottiliens  einen  Brief,  in 
dem  er  darlegt,  warum  Ottilie  keinen 
Preis  erhalten  und  auch  kein  Zeugnis 
empfangen  habe.  Der  Gehiilfe  spricht 
in  diesem  Briefe  sowohl  seine  Ansicht, 
wie  die  der  Vorsteherin  und  die  der 
Priifungskommissare  aus.  Jede  der 
Ansichten  weicht  wesentlich  von  der 
anderen  ab.  Welche  der  dreien  ist 
nun  Goethes  Ansicht? 

Dr  Stollhofen  war  der  Schwierigkeit 
vollauf  gewachsen.  Er  hat  sich  seiner 
Aufgabe  in  feiner  Weise  und  mit  psy- 
chologischem  Scharfsinn  unterzogen 
und  uns  wahre  Fundgruben  padago- 
gischer  Beobachtungen  Goethes  eroff- 
net  und  sie  in  einem  wohlabgerunde- 
ten  Bild  zusammengestellt. 

Der  Dank  der  Anwesenden  am 
Schluss  seines  Vortrages  gestaltete 
sich  denn  auch  zu  einer  wahren  Ova- 
tion fiir  den  Eedner.  Was  man  da 
horte,  war  nicht  das  pflichtschuldige 
Handeklatschen,  es  war  ein  Ausdruck 
spontaner  Begeisterung.  Und  sofort 
wurde  der  Wunsch  laut,  den  Genuss, 
der  uns  soeben  bereitet  wurde,  andern 
nicht  vorenthalten  zu  sollen  und 
Herrn  Stollhofen  zu  bitten,  den  Vor- 
trag  dem  Vereinsorgan  zur  Veroffent- 
lichung  zu  iiberlassen  und  die  Redak- 
tion  der  Padagogischen  Monatshefte 


zu  ersuchen,  den  Vortrag-  im  Namen 
des  New  Yorker  Lehrervereins  gefl. 
ganz  zum  Abdruck  bringen  zu  wollen. 

Geziemt  dem  Referenten  voiles  Lob 
fiir  seine  verdienstvolle  Arbeit,  so 
muss  er  mir  es  zu  gute  halten,  wenn 
ich  in  einem  Punkte  nicht  mit  ihm 
iibereinstimme  Er  sagt  unter  ande- 
rem  in  seiner  Einleitung,  dass  Goethe 
seine  Philosophic  einzig  und  allein 
Spinoza  verdanke.  Das  ist  doch  wohl 
irrefiihrend.  Wir  wissen,  dass  Goe- 
thes Gedankenwelt  sich  nicht  im  An- 
schluss an  ein  besonderes  philosophi- 
sches  System  gebildet  hat,  sondern 
dass  sie  aus  inneren  Notwendigkeiten 
seiner  eigenen  Natur  und  den  Erfah- 
rungen  seines  Lebens  hervorging,  dass 
er  an  grossen  Denkern  nur  das  beob- 
achtete,  was  seiner  Natur  gemass  war, 
und  von  ihnen  nur  das  ergriff,  was 
seinen  eigenen  Lebensprozess  zu  for- 
dern  versprach.  Indem  er  z.  B.  mit 
dankbarer  Verehrung  anerkennt,  was 
er  Spinoza  schuldet,  verwahrt  er  sich 
zugleich  energisch  dagegen,  dessen 
Schriften  zu  unterschreiben  und  sich 
buchstablich  dazu  bekennen  zu  wol- 
len. Mit  grosserem  Eecht  konnte  man 
Goethe  einen  Schiiler  Platos,  Leibniz', 
Kants,  Schellings  nennen,  ganz  beson- 
ders  Kants,  mit  dem  er  sich  mehr  und 
mehr  beschaftigte  Sagt  doch  Goethe 
selbst  iiber  Kants  ,,Kritik  der  Urteils- 
kraft":  ,,Wenn  auch  meine  Vorstel- 
lungsart  nicht  eben  immer  dem.  Ver- 
fasser  sich  zu  fiigen  moglich  werden 
konnte,  wenn  ich  hie  und  da  etwas 
zu  missen  schien,  so  waren  doch  die 
grossen  Hauptgedanken  des  Werkes 
meinem  bisherigen  Schaffen,  Thun, 
Denken  ganz  analog." 

Man  sieht,  Goethe  steht  nicht,  wie 
der  Referent  uns  glauben  machen  will, 
einzig  und  allein  in  dem  Bannkreis 
Spinozas;  Goethe  ist  vielmehr  ein 
Eklektiker  und  ist  fiir  alle  Forde- 
rung,  woher  sie  auch  stammen  mag, 
offen.  So  sind  seine  Beziehungen  zu 
den  grossen  Geistern  nur  Entwicklun- 
gen  seines  eigenen  Seins,  Bekennt- 
nisse  iiber  sein  eigenes  Streben, 
Goethe  hat  sich  mit  den  andern  Den- 
kern  nur  im  Interesse  seiner  eigenen 
Entwicklung  befasst,  er  hat  sich  mehr 
a  n  ihnen  als  d  u  r  c  h  sie  gebildet  und 
sich  immer  seine  voile  Selbstandigkeit 
gewahrt. 

Damit  giebt  Goethe  der  Welt  und 
uns  Padagogen  einen  Fingerzeig,  wie 
man  grosse  Denker  auffassen  soil,  wie 
er  sich  selbst  behandelt  wissen  moch- 
te.  Es  ist,  als  ob  er  sagen  wollte: 
Sieh  in  mir  nicht  den  Meister,  die  bin- 
dende  Autoritat,  die  massgebende 
Norm,  aber  kniipfe  fruchtbare  Bezie- 


'Briefkasten —  Umschau . 


213 


hungen  zu  mir  an,  fordere  damit  dein 
eigenes  Leben,  werde  durch  mich  ein 
Befreier. 

Der  letztere  Teil  gehort  eigentlich 
nicht  in  den  Rahmen  dieser  Berichter- 
stattung,  da  der  Berichterstatter  ja 
nur  den  Verlauf  der  Verhandlungen 
in  sein  Bereich  ziehen  sollte.  Doch  lag- 
die  Versuchung  zu  nahe,  einem  Gedan- 
ken  Eaum  zu  geben,  der  in  der  Ver- 
sammlung  selbst  ausgesprochen  wor- 
den  "ware,  hatte  man  nicht  der  vorge- 
schrittenen  Zeit  halber  die  Diskussion 
abbrechen  miissen.  So  moge  man  die- 


sen  anscheinenden  ttbergriff  gefalligst 
entschuldigen. 

Die  Versammlung  war  wiederum 
stark  besucht.  Eine  Eeihe  werter  Ga- 
ste  beehrte  uns  mit  ihrer  Anwesen- 
heit. 

Interessieren  diirfte  die  Kedaktion 
der  Padagogischen  Monatshefte  noch, 
dass  Ihr  Zirkular,  in  dem  Sie  zur  Mit- 
gliedschaft  des  Vereinsorgans  auf- 
munterten,  der  Versammlung  unter- 
breitet  wurde,  dass  der  Erfolg  ein 
augenblicklicher  war  und  dass  sich 
sofort  drei  neue  Mitglieder  gewinnen 
liessen.  Vivat  sequens.  A.  K. 


II.     Briefkasten. 

Answers  to  questions  sent  by  G.  L.  S. 


1)  Correct  forms  are: 
Future  Perfect: 

Er  wird  es  haben  thun  miissen. 
II.  Cond.: 

Er  wurde  ihn  haben  gehen  lassen. 
(The  conjugated  aux.  ,.  haben"  pre- 
cedes the  two  infinitives.) 

2)  a.  Er   gab   es   ihm   zu   essen,   zu 
lesen. 

He  gave  it  to  him  to  eat,  to  read. 

b.  Er  gab  es  ihm  zum  Essen,  zum 
Lesen. 

He  gave  it  to  him  for  or  as  his  meal, 
for  his  reading. 

3)  In  colloquial  German  the  perfect 
is  more  generally  used;  the  imperfect 
for   past    events    depending    on    each 
other,  or  in  the  narrative  style. 

Ex.: 

Perf.:  Ich  bin  gestern  angekommen. 

Imp.:  Als  ich  gestern  ankam,  traf 
ich. . . . 

Or  narrative:  ,,Es  war  einmal  ein 
Konig  und  eine  Konigin,  die  sprachen 
alle  Tage " 


4)  a.  Er  sollte  es  wollen — 

He  ought  to  be  willing  (to  do)  it. 

b.  Er  wird  es  haben  wollen  sollen, — 
(an  impossible  phrase). 

c.  Er  wird  es  wollen  haben  sollen — 
(likewise  impossible). 

d.  Er  wiirde    es    haben  wollen  sol- 
len— 

(also  impossible). 

e.  Er  wollte  es  gethan  haben — 

he  claimed  (or  pretended)  to  have 
done  it  (himself) 

or:  he  wished  to  have  it  done  (by 
another). 

Not  exactly  incorrect  but  not  to  be 
used  in  good  German. 

f.  Er  hatte  es  thun  wollen — 

he  would  have  been  willing  to  do  it. 

A  thorough  study  of  Collar's  Eysen- 
bach's  German  Lessons  (Ginn  &  Co., 
Boston)  would  give  G.  L.  S.  all  the  in- 
formation desired  on  above  subjects. 

C.  Grosse. 

Univ.  of  Penn.,  Phila. 


III.     Umschau. 


Amerika. 


Verniinftige  Ansichten 
brechen  sich  Bahn,  wenn  auch  lang- 
6am.  Bisher  war  eine  Kenntnis  des 
Griechischen  fakultativ  fur  die  Zulas- 
Bung  zum  ,,Yale  College".  Nunmehr 
ist  eine  Bewegung  im  Gange,  und 
President  Hadley  stellt  den  wahr- 
scheinlichen  Erfolg  d&rselben  in  Aus- 
eicht,  dass  das  Griechische  nicht  mehr 
fur  den  Eintritt  in  das  genannte  In- 
stitut  notwendig  sein,  sondern  zum 
Wahlstudium  gemacht  werden  wird. 

Prauenerziehung.  Dem  Be- 
richte  des  Erziehungskommissars  Dr. 


W.  T.  Harris  zufolge  graduierten  an 
den  Hochschulen  des  Landes  im  Jahre 
1899  20,344  Knaben  und  36,124  Mad- 
chen.  Die  Gesamtzahl  der  Knaben  an 
den  Hochschulen  betrug  139,187,  die 
der  Madchen  260,413.  Diese  Zahlen 
beweisen,  dass  die  Madchen  durch- 
schnittlich  langer  die  Schulen  besu- 
chen  als  die  Knaben.  In  den  meisten 
Familien,  in  denen  sich  nur  eine 
Spur  von  Armut  zeigt,  muss  der  Kna- 
be,  sobald  er  nur  die  Volksschule  hin- 
ter  sich  hat,  sich  nach  Geldverdienst 
umsehen,  wahrend  keine  Anstrengung 
gespart  wird,  der  Schwester  den  Be- 
such  der  Hochschule  zu  ermoglichen. 


214 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


Das  ,,School  Journal"  bemerkt  dazu 
mit  Recht:  ,,Diese  Zustande  sind 
hochst  beklagenswert — nicht  dass  die 
Madchen  zu  viel  Schulung,  sondem  die 
Knaben  zu  wenig  Schulung  erhalten. 
Wenn  auch  Geschaftspraxis  einen  ge- 
wissen  erzieherischen  Wert  besitzt,  so 
kann  sie  doch  niemals  eine  gute  Schu- 
lung  ersetzen." 

Chicago.  Der  Schulrat  Chica- 
gos  hat  das  Ansinnen  zuriickgewiesen, 
verheiratete  Lehrerinnen,  deren  Chi- 
cago mehr  als  100  hat,  abzusetzen,  so 
lange  dieselben  ihren  Pflichten  nach- 
kommen.  I>ie  Bewegung  gegeu 
diese  Lehrerinnen  soil  von  jiingeren 
Applikanten  ausgehen,  die  in  die 
durch  deren  Entlassung  entstehenden 
vakanten  Stellen  einzuriicken  hoffen. 

Das  ,,Chicago  Institut  e", 
von  dessen  Griindung  unter  der  Lei- 
tung  von  Col.  Parker  und  durch  die 
Munifizenz  von  Mrs.  Emmons  Elaine 
wir  im  vorigen  Jahre  berichteten,  ist 
nunmehr  mit  der  Universitat  von 
Chicago  verbunden  worden.  Ganz  ab- 
gesehen  davon,  dass  dadurch  das 
Stammkapital  der  Universitat  um 
$2,000,000  erhoht  wird,  so  ist  diese 
nunmehr  auch  in  der  Lage,  mehr  fiir 
das  Fach  der  Padagogik  zu  thun,  als 
sie  es  bisher  imstande  war. 

Schlussfeierlichkeiten 
an  Hochschulen.  Eine  zeitge- 
masse  Verordnung  traf  kiirzlich  der 
Schulrat  von  Chicago.  Laut  dersel- 
ben  sind  die  Schlussfeierlichkeiten  der 
Hochschulen  (graduation  exercises) 
auf  die  Schulgebaude  beschrankt  und 
alle  unnotigen  Extravaganzen,  als 
kostbare  Blumendekorationen  und 
Musik  sind  damit  abgethan. 

Deutschland. 

Berlin.  Ein  Komitee  von 
Kiinstlern,  an  dessen  Spitze  Professor 
Max  Liebermann  steht,  will  eine  Aus- 
stellung,  ,,D ie  Kunst  im  Leben 
des  Kinde s",  veranstalten,  die  im 
Marz  dieses  Jahres  im  Gebaude  der 
Berliner  Sezession  stattfinden  soil. 
Sie  wird  in  drei  Abteilungen  — 
,,Kiinstlerischer  Wandschmuck  fiir 
Schule  und  Haus",  ,,Bilderbiicher", 
und  ,,Das  Kind  als  Kiinstler"  —  vor- 
fiihren,  was  auf  den  genannten  Ge- 
bieten  an  brauchbarem  Material  fur 
Deutschland  und  in  erster  Linie  fur 
Berlin  —  denn  bei  diesem  Bemiihen 
wird  man  stets  am  besten  die  heimat- 
liche  Besonderheit  in  Betracht  ziehen 
—  bereits  vorliegt  Sie  wird  ferner  in 
einzelnen  Proben  zeigen,  wie  man  im 
Auslande  seit  Jahren  im  Dienste  die- 
ser  Gedanken  thatig  war.  Und  sie 
will  schliesslich,  und  vor  allem  auf 


Lehrer  und  Eltern,  auf  Behorden  und 
Freunde  der  Kunst  und  des  Erzie- 
hungswesens  und  nicht  zuletzt  auf  die 
Kiinstler  anregend  wirken.  Ein  Auf- 
ruf  des  Komitees,  der  die  hohe  Bedeu- 
tung  der  Kunst  fur  die  Erziehung  her- 
vorhebt,  schliesst  mit  den  Worten: 
,,Wir  sind  uns  wohl  bewusst,  dass  mit 
der  Veranstaltung  einer  solchen  Aus- 
stellung  nur  ein  erster  Schritt  in  ei- 
nem  weiten  und  vielfach  noch  uner- 
forschten  Lande  gethan  wird.  Aber 
dieser  erste  Schritt  muss  einmal  ge- 
than werden."  —  Wir  wiinschen  nur, 
dass  er  Erf  olg  und  viel  Nachf  olge  ha- 
ben  mochte. 

Wahrend  in  Berlin  f  riiher  die 
Sommerferien  fiir  die  Gemein- 
deschulen  4  Wochen  betrugen,  wurden 
sie  im  vorigen  Jahre  auf  5  Wochen 
ausgedehnt.  Eine  nun  vorgenommene 
Statistik  hat  ergeben,  dass  die  Beur- 
laubungen  wegen  Krankheit  der 
Schiller  und  Lehrer  gegen  die  vorher- 
gehenden  Jahre  bedeutend  abgenom- 
men  haben.  Man  schreibt  dieses  giin- 
stige  Resultat  der  langeren  Ferien- 
dauer  zu.  Die  stadtische  Schuldepu- 
tation  hat  deshalb  in  ihrer  letzten 
Sitzung  beschlossen,  auch  heuer  die 
Sommerferien  auf  5  Wochen  festzu- 
setzen. 

Aachen  Vor  einigen  Jahren 
kam  plotzlich  eine  Liebhaberei 
fiir  Blumen  in  den  Schulen  auf. 
durch  deren  sinnige  Betrachtung  und 
sorgsame  Pflege  das  kindliche  Gemiit 
tief  ethisch  beeindruckt  werden  soll- 
te.  Das  ging  so  eine  Zeitlang,  nun 
hat  aber  die  Konigl.  Regierung  zu 
Aachen  gefunden,  dass  eine  regelma- 
ssige  griindliche  Liiftung  der  Klassen- 
zimmer  wahrend  der  Pausen  wertvol- 
ler  sei  als  Blimercher  an  den  Fenstern 
und  hat  in  einem  Rundschreiben  an 
die  Kreisschulinspektoren  erstere  an- 
geordnet,  letztere  verbannt.  Sic  tran- 
sit gloria  florum. 

Elsass  -  Lothringen.  Mit 
welchem  Erfolg  die  deutsche  Volks- 
schule  im  Reichslande  gewirkt  hat, 
ergiebt  sich  aus  folgenden  Ziffern: 
Bei  der  1866  vorgenommenen  Zah- 
lung  nahm  der  Niederrhein  unter  al- 
ien franzosischen  Departements  den 
ersten  Platz  in  Bezug  auf  Schulbil- 
dung  ein.  Die  Zahl  der  Analphabeten 
betrug  5,44  Prozent;  an  6.  Stelle  folgte 
Meurthe  mit  10,20,  an  9.  Stelle  Ober- 
rhein  mit  13,60  und  an  19.  Stelle  Mo- 
sel  mit  20,20  Prozent.  Personen,  wel- 
che  die  damalige  Zahlung  mitgemacht 
haben,  versichern,  dass  diese  Ziffern 
erheblich  hinter  der  Wirklichkeit  zu- 
riickstehen,  weil  zahlreiche  Personen 
aus  naheliegenden  Griinden  den  Man- 
gel an  Schulbildung  zu  verheimlichen 


VermiscUes. 


215 


suchten.  Bei  den  1875/76  eingestellten 
Eekruten,  deren  Schulzeit  noch  in  die 
franzosische  Zeit  fallt,  wurden  noch 
3,45  Prozent  Analphabeten  festge- 
stellt.  Von  da  ab  macht  sich  ein  ste- 
ter  Riickgang  bemerklich.  1891/92 
waren  nur  noch  0,37  und  1893/94  noch 
0,30  Prozent  der  eingestellten  Rekru- 
ten  ohne  Schulbildung.  Bei  der  letz- 
ten  Einstellung  waren  deren  gar  nur 
noch  4  vorhanden,  was  einem  Prozent- 
satz  von  0,05  entspricht.  Selbst  diese 
wenigen  Analphabeten  fallen  der 
Schvilverwaltung  nicht  zur  Last.  Es 
bandelt  sich  dabei  in  der  Eegel  urn 
junge  Leute,  die  wahrend  ihres  schul- 
pflichtigen  Alters  sich  nit  ihren  El- 
tern  im  Auslande  aufgehalten  haben. 
Im  Jahre  1877/78  hatten  17,8  Prozent 
der  Eingestellten  nur  franzosische 
Schulbildung  aufzuweisen.  Diese  Zif- 
fer  ist  1891/92  auf  5,44  Prozent  zuriick- 
gegangen  und  in  den  letzten  Jahren 
sind  iiberhaupt  Rekruten,  die  nicht 
wenigstens  notdiirftig  deutsch  lesen 
und  schreiben  konnen,  nur  ausnahms- 
weise  zur  Einstellung  gelangt.  Das 
Sprechen  des  Deutschen  lasst  dagegen 
bei  den  aus  dem  f  ranzosischen  Sprach- 
gebiet  stammenden  Leuten  noch  viel 
zu  wiinschen  iibrig. 

England. 

Wie  berichtet  wird,  hat  sich  der  Vi- 
zeprasident  des  englischen  Unter- 
richtsministeriums,  Sir  John  Gorst, 
auf  einer  Versammlung  in  der  Stan- 
dehalle  sehr  abfallig  liber  die 
britischenSchulen  geau- 
s  s  e  r  t.  Er  nannte  das  dortige  Un- 


terrichtssystem  eine  fortlaufende 
Reihe  von  Fehlern,  die  meist  in  der 
schlechten  Bezahlung  der  Lehrkrafte 
ihre  Erklarung  zu  suchen  hatten.  Das 
Resultat  ware  fast  immer  das  gleiche; 
man  betrachte  die  Kinder  als  grosse 
Arbeitsmaschine  und  iiberbiirde  sie 
mit  unnotigem  Lehrstoff.  Ausserdem 
hatte  es  den  Anschein,  als  ob  man  die 
Schiller  ohne  eigentliche  Lust  und 
Liebe,  die  der  Beruf  des  Lehrers  ja 
von  vornherein  unbedingt  erfordere, 
unterichte,  sondern  sie  lediglich  als 
Mittel  zum  Zwecke  betrachte,  um  von 
der  Regierung  Brotstellen  einfordern 
zu  konnen.  Der  Unterricht  erfolge 
vollig  maschinenmassig  und  die  Kin- 
der wurden  gleich  vollendeten  Tieren 
behandelt,  die  in  verschiedenen 
Kunststiicken  gedrillt  und  als  Schau- 
objekt  fiir  Ausstellungsbesucher  be- 
niitzt  werden.  Nach  dem  Verlassen 
der  Schule  ware  es  stets  Regel,  dass 
das  Kind  wieder  in  seine  urspriingli- 
che  Dummheit  und  Unwissenheit  ver- 
fiele  und  in  kurzer  Zeit  alles  Erlernte 


vergasse. 


Frankreich. 


A  1  1  gemeine  Schulpflicht. 
Aus  Zeitungserorterungen  geht  her- 
vor,  dass  die  Durchfuhrung  der  allge- 
meinen  Schulpflicht  in  Frankreich 
seit  dem  20jahrigen  Bestehen  dieser 
Einrichtung  noch  immer  zu  wiinschen 
lasst;  vier  Prozent  der  schulpflichti- 
gen  Kinder  besuchen  keine  Schule, 
und  von  den  Kindern,  welche  die 
Volksschule  besuchen,  fehlen  viele 
wahrend  eines  Funftels,  eines  Viertels 
und  eines  Drittels  des  Schuljahres. 


IV.     Vermischtes. 


Welches  ist  das  dichtest 
bevolkerte  Land?  Nach  dem 
Reichsanzeiger  steht  Agypten  oben- 
an;  dort  komme  auf  einen  Quadratki- 
lometer  290  Personen;  in  Belgien  226 
Personen.  Die  Niederlande  haben  154, 
Grossbritannien  128,  Japan  114  und 
Italien  110  auf  je  einen  Quadratkilo- 
meter.  Deutschland  steht  nach  der 
Volkszahlung  von  1895  erst  auf  sie- 
benter  Stufe  mit  97,  Osterreich  mit 
84,  Schweiz  78,  Frankreich  73,  Dane- 
mark  60,  Ungarn  58,  Serbien  50,  Ru- 
manien  51,  Griechenland  38,  Spanien 
mit  35  Einwohnern  auf  einen  Quadrat- 
kilometer.  Dann  tritt  eine  langere 
Pause  ein  und  es  folgen  Schweden  mit 
11,  die  Vereinigten  Staaten  10,  Nor- 
wegen  7,  Russland  6,  Mexiko  6,  Chile 
4,  Argentinien  und  Brasilien  2.  In 
China,  das  man  gewohnlich  fiir  sehr 


dicht  bevolkert  halt,  kommen  nur  32 
auf  den  Quadratkilometer  mit  Aus- 
nahmc  der  Provinz  Schantung  mit  172 
und  Kianffu  mit  200  Einwohnern  auf 
den  Quadratkilometer. 

Die  Korperstarke  bei 
Knaben  und  Madchen.  Da- 
riiber  hat  Professor  Christopher  in 
Chicago  wichtige  Beobachtungen  ver- 
offentlicht..  Er  liess  Schulkinder  bei- 
derlei  Geschlechtes  mit  dem  Mittel- 
finger  der  rechten  Hand  ein  Gewicht 
von  7  Prozent  des  Eigengewichtes  he- 
ben  und  senken.  Das  Gewicht  war  in 
90  Sekunden  45mal  zu  heben.  Die  Leis- 
tung  der  Madchen  war  geringer  als 
die  der  Knaben  von  gleichem  Alter. 
Bei  Madchen  erreicht  die  Arbeitsleie- 
tung  mit  dem  14.  Lebensjahre  das 
Hochstmass  und  wachst  bis  zum  20. 
Jahre  nicht  mehr.  Bei  Knaben  ist 


216 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


eine  gleichmassige  Steigerung  der 
Arbeitsleistung  mit  dem  Alter  wahr- 
zunehmen  und  ist  mit  dem  20.  Le- 
bensjahre  etwa  doppelt  so  gross  als 
bei  Madchen.  Die  korperliche  ttber- 
legenheit  halt  etwa  mit  der  geistigen 
im  allgemeinen  gleichen  Schritt. 
Ahnliche  Versuche,  die  MacDonalds  in 
Washington  an  12,000  Kindern  mach- 
te,  hatten  ahnliche  Ergebnisse.  Der- 
selbe  stellte  noch  fest,  dass  im  Som- 
mer  geborene  Kinder  viel  starker,  we- 
niger  schwerfallig  und  geistig  vorge- 
schrittener  sind  als  Kinder  von  glei- 
chein  Alter,  die  im  Winter  geboren 
wurden. 

Eussland  hat  kiirzlich  das  d  e  - 
zimale  Mass- und  Gewichts- 
system  eingefiihrt.  Wie  lange 
werden  die  Vereinigten  Staaten  noch 
bei  ihrem  veralteten  und  schwierigen 
Mass-  und  Gewichtssystem  aushar- 
ren? 

Im  Union  Club  zu  Boston  machte 
Prof.  Charles  Eliot  N  orton 
gelegentlich  eines  Vortrages  die  Be- 
merkung,  dass  Theodore  Eoosevelt 
die  argste  Enttauschung  der  Jetztzeit 
sei.  Zur  Erlauterung  dieser  Behaup- 
tung  dienen  seine  eigenen  Worte: 
"The  ideals  of  our  own  community 
are  not  now  so  firmly  set  on  higher 
things  as  they  were  in  earlier  youth. 
At  the  time  of  the  Rebellion  our 
young  men  were  inspired  with  more 
noble  motives.  There  was  no  boast- 
fulness  in  the  hearts  of  those  who 
went  to  the  Civil  war.  There  was 
none  of  the  Eough  Eider  spirit.  They 
had  a  serious  purpose.  They  were  not 
brutal." 

Ein  wahres  Wort  Mark 
T  w  a  i  n  s.  Die  Vereinigung  mann- 
licher  Lehrer  New  Yorks  hatte  als 
Ehrengast  bei  ihrem  am  16.  Marz  ge- 
gebenen  gemeinschaftlichen  Abend- 
brot  Herrn  Samuel  L.  Clemens  (Mark 
Twain)  in  ihrer  Mitte.  Staats-Schul- 
superintendent  Skinner  erging  sich  in 
optimistischen  Ergiissen  iiber  die  Er- 
ziehung  zum  Patriotismus,  worauf  der 
grosse  Schriftsteller  dem  "School 
Journal"  zufolge,  folgende  ernstge- 
meinte  Worte  sprach:  "Mr.  Skinner  is 
much  better  satisfied  with  present 
conditions  than  I  am.  But  he  is  an 
older  man  and  has  nearly  as  good 
principles.  This  is  the  way  I  would 
teach  patriotism  in  the  schools:  "I 
would  leave  out  the  old  maxim,  'my 
country,  right  or  wrong,'  and  make  it 
'my  country,  when  she's  right. '  Chil- 
dren ought  not  to  be  instructed  to 
accept  obediently  whatever  brand  of 
patriotism  is  handed  down  from  the 
head  of  affairs.  Let  them  think  for 
themselves." 


Bei  derselben  Gelegenheit  erhob  ein 
Schulkommissionar  Charles  C.  Bur- 
lingham  Anklagen  gegen  den  Unter- 
richt  der  franzosischen  und  deutschen 
Sprache  an  den  Elementarschulen 
New  Yorks.  (Es  lage  uns  daran,  da- 
riiber  Genaueres  von  unseren  New 
Yorker  Kollegen  zu  erfahren.  D.  E.) 

Einfluss  derFarben  auf 
dieNerven.  Durch  vielfache  Ver- 
suche ist  nachgewiesen,  dass  die  ro- 
ten  Farbentone  des  Spektrums  einen 
aufregenden  Einfluss  auf  die  Nerven 
ausiiben,  dass  dagegen  Violett,  Blau 
und  Griin  beruhigend  auf  dieselben 
wirken.  Allbekannt  ist  es,  wie  Tiere 
(Puter,  Bullen)  durch  die  rote  Farbe 
in  Aufregung  geraten,  und  wie  blaue 
Glaser  zur  Beruhigung  der  Pferde  die- 
nen. Aber  auch  am  Menschen  ist  der- 
selbe  Einfluss  zu  merken.  So  konnte 
man  in  dem  grossen  photographi- 
schen  Institut  der  Herren  Lumiere  zu 
Lyons  (Frankreich)  bemerken,  dass 
die  Arbeiter  an  den  photographischen 
Flatten,  so  lange  dieselben  in  einem 
Zimmer  mit  rotem  Licht  hergestellt 
wurden,  sangen  und  zu  Unterhaltung 
und  Scherz  geneigt  waren,  dass  sie 
aber,  seitdem.  grimes  Licht  zur  Her- 
stellung  der  Flatten  benutzt  wird,  ru- 
hig  und  teilnahmslos  bleiben,  dafiir 
aber  auch  am  Abend  weniger  mvide 
als  fruher  seien.  Diese  Beobachtun- 
gen  geben  wichtige  Fingerzeige  zur 
Behandlung  Nervenleidender. 

Ausder  guten  altenZeit. 
Polizist:  „!'  sag's  ja  allweil:  es  is  ka 
Gottesfurcht  mehr  auf  der  Welt  ka' 
Achtung  vor  der  Obrigkeit  und  ka'  gar 
nix!"  —  Aktuar:  ,,Um  Himmelswillen, 
was  ist  denn  wieder  geschehen?"  — 
Polizist:  ,,Die  Schulbuabn,  diese  ver- 
kommene  Bande,  ham  draussen  am 
Anschlagbrett  in  der  eigenhandigen 
Verordnung  vom  Herrn  Oberamtmann 
die  Schreibfehler  korrigiert!" 

Aus  Schiilerheften.  Der 
Frosch  ist  nicht  gleich  fertig.  Es 
werden  noch  Verwandlungen  mit  ihm 
geschehen.  Zuerst  legt  das  Weibchen 
Eier.  Diese  heissen  Leichen.  Der 
Frosch  kann  sie  nicht  ausbriiten, 
denn  sie  haben  kaltes  Blut.  Anfangs 
haben  sie  Schwanzchen,  eine  Zeit  her- 
nach  fallt  das  Schwanzchen  ab  und 
der  Frosch  ist  fertig. 
Die  Mutterlieb'  ist  reich  durch 

stetes  Geben 
Sie  ist  schon  gliicklich,  wenn  sie  wei- 

nen  kann; 
Dem    Taue    gleicht    ihr    sorgenvolles 

Leben  — 

Er  setzt  sich  nur  in  kiihlen  Nachten 
an. 

Karl  Gutzkow. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  Mai    1901.  Heft  6 


(Offiziell.) 


Entwurf  fur  Abanderung  der  5tatuten  des  Natio* 
nalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes, 


(Angenommen  1895.    Revidiert  1896,  1897,  1900.) 

I.  Zwecke. 
§  1.    Der  nationale  deutschamerikanische  Lehrerburid  bezweckt: 

a)  Die  Erziehung  wahrhaft  freier  amerikanischer  Staatsbiirger, 

b)  Propaganda  zu  machen  fur  naturgemasse  (entwickelnde)  Brziehung  In 
Schule  und  Haus, 

c)  die  Pflege  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur  neben  der  englischen,  und 

d)  die  Wanning  der  geistigen  und  materiellen  Interessen  der  deutschen  Leh- 
rer  in  den  Vereinigten  Staaten. 

§  2.    Die  Bundeszwecke  werden  angestrebt: 

a)  Durch  im  Juli  cxier  August  abzuhaltende  Versammlungen, 

b)  durch  Ernennung  und  Unterstiitzung  eines  Bundesorganea, 

c)  durch  Errichtung  von  Zweig-  und  Lokalvereinen, 

d)  durch  Teilnahme  an  der  Verwaltung  des    nationalen    deutsch- 
amerlkanischen  Lehrers  e  m  i  n  a  r  s. 

II.  Organisation  des  Bundes. 

§3.  Der  nationale  deutschamerikanische  Lehrerbund  ist  elne  Vereinigung 
von  Lokalvereinen  deutschamerikanischer  Lehrer  und  Erziehungsfreunde, 
Bowie  von  Einzelmitgliedern  zu  einem  festen  Verbande. 

§4.  Der  Bund  gliedert  sich  in  B  e  z  i  r  k  e,  aus  denselben  zugehorigen  L  o- 
kalvereinen  und  Einzelmitg  1  i  ed  er  n  bestehend.  Jeder  Bezirk 
wahlt  einen  Lokalverein  als  Vorort,  und  dessen  Vorstand  liegt  die  Leitung  dea 
betreffenden  Verbandes  ob. 


218  P'ddagogische  Monatsbefte. 

85.  Die  oberste  gesetzgebende  Behorde  des  nationalen 
deutschamerikanischen  Lehrerbundes  1st  seine  Tagsatzung.  Kein  Bezirkslehrer- 
tag  dart  wabrend  der  Abhaltung  des  Bundeslehrertages  stattflnden. 

S  6.  Die  oberste  Exekutivbehorde  ist  der  Bundesvortand.  Dieser  be- 
eteiit  aus  neun  von  dem  Bundeslehrertage  zu  wahlenden  Mitgliedern  und  funk- 
tioniert  bis  zum  Schlusse  der  nachsten  regelmassigen  Tagsatzung  desselben.  Die 
Vorstandsmitglieder  wahlen  aus  ihrer  Mitte  einen  Prasidenten,  einen  ersten  und 
zweiten  Schriftfiihrer  und  den  Schatzmeister.  Ausser  diesen  Beamten  wahlt  der 
Bundesvorstand  einen  standigen  Geschaftssekretar,  der  ein  jahrliches  Gebalt  be- 
ziehen  soil. 

5  7.  Die  in  Paragraph  6  benannten  Beamten  bilden  den  Vollzugsaus- 
B  c  h  u  s  s  des  Bundesvorstandes  und  das  Bureau  des  nachsten  Bundeslehrertages, 
Der  Vollzugsausschuss  besorgt  alle  laufenden  Geschafte  nach  den  allgemeinen 
Anordnungen  des  Bundesvorstandes,  er  bewirkt  nach  Kraften  die  Ausfiihrung 
der  Beschliisse  und  der  Auftrage  der  Bundesversammlungen,  er  hat  das  Recht, 
sich  zu  erganzen,  und  soil  die  Hauptergebnisse  seiner  Beratungen  im  Bundes- 
blatte  bekannt  machen.  Insbesondere  liegt  dem  Vollzugsausschusse  die  Agi- 
tation fur  Bildung  von  Lokalvereinen,  die  Organisation  derselben  zu  aus  einem 
oder  mehreren  Staaten  bestehenden  Bezirksverbanden  und  der  geschaftliche 
Verkehr  mit  den  Bezirken  ob.  Er  hat  mit  Beriicksichtigung  berechtigter  Wun- 
sche  dieser  Verbande  und  des  Jeweiligen  fiir  Veranstaltung  des  Bundeslehrerta- 
ges organisierten  Ortsausschusses  die  Geschafts-  und  Tagesordnung  desselben 
festzustellen  und  dieselben  mindestens  zwei  Monate  vor  dem  Zusammentritt  der 
Konvention  im  Bundesorgan  zu  veroffentlichen.  Er  empfangt  von  den  iibrigen 
Ausschiissen  Berichte  iiber  deren  Tfiatigkeit,  verwaltet  das  Bundeseigentum, 
veroffentlicht  durch  den  Schriftfiihrer  die  von  ihm  beglaubigten  Protokolle  des 
Bundes,  fiihrt  die  Listen  derBundesmitglieder  und  publiziert  dieselben  im  Bun- 
desorgan; er  erstattet  dem  Bunde  am  Bundeslehrertage  Bericht  und  iibergiebt 
am  Ende  des  letzteren  dem  neuerwahlten  Bundesvorstande  die  Akten  und  das 
Bundeseigentum. 

§  8.  Als  standigeA  u  sschiisse  werden  von  jedem  Bundeslehrertage 
fiir  verschiedene  Zweige  des  Erziehungswesens  und  des  Unterrichtes,  sowie  fiir 
die  deutschamerikanische  Schulstatistik  je  nach  Bediirfnis  eine  Anzahl  Abtei- 
lungen  ernannt,  welche  aus  drei  Oder  mehr,  wenn  moglich  an  ein  und  demselben 
Orte  wohnhaften  Mitgliedern  mit  dem  Rechte  der  Erganzung  und  Verstarkung 
bestehen.  Sie  bilden  zugleich  die  standigen  Ausschusse  fiir  den  nachsten  Bun- 
deslehrertag  und  haben  demselben  ausfiihrliche  Berichte  iiber  ihre  Thatigkeit 
zu  erstatten.  Die  Namen  und  Adressen,  die  Mitglieder  dieser  und  aller  ubrigen 
Ausschusse,  sowie  alle  etwaigen  Veranderungen  sind  im  Bundesorgan  mitzutei- 
len.  Sie  treten  ihr  Amt  am  Schlusse  des  nachstfolgenden  Bundeslehrertages 
ihren  Nachfolgern  ab  und  iiberweisen  ihnen  schriftlich  alle  unerledigten  Ge- 
schafte.  Wenn  ein  Mitglied  eines  der  vorerwahhlen  stanaigen  Ausschusse  sei- 
nen  Pflichten  nicht  nachkommt,  soil  der  Bundesvorstand  dasselbe  absetzen  und 
eine  Erganzung  vornehmen  konnen. 

59.  DieTeilnahmeanderVerwaltungdesnationa- 
len  deutschamerikanischen  Seminars  ist  folgendermassen 
geregelt 

a)  Der  Lehrerbund  schlagt  Jedes  Jahr  durch  den  Bundesvorstand  dem  na- 
tionalen deutschamerikanischen  Seminarverein  vier  Mitglieder  vor,  von  denen 
.der  Seminarverein  zwei  mit  dreijahriger  Amtsdauer  erwahlt  Diese  Fachleute 
bilden  das  standige  Seminarkomitee  dea  Verwaltungsrates  des  nationalen 
deutschamerikanischen  Lehrerseminars. 


Entwurf  fttr  Ab'dnderung  der  Statuten.  219 

b)  Der  Lehrerbund  wahlt  alljahrlich  aus  der  Relhe  der  stimmbereehtigten 
Mitglieder  ein  aus  dreien  bestehendes  Priifungskomitee  fiir  das  Seminar.  Bi- 
nes dieser  Mitglieder  soil  in  Milwaukee  und  die  a  n- 
derninirgendwelchenStadtendesLandesansassig 
8  e  i  n.  Dieses  Komitee  soil  dem  Bundesvorstand  und  dem  Verwaltungsrat  des 
Seminars  genauen  Bericht  abstatten.  Die  Auslagen  des  Priifungskomitees  wer- 
den  aus  der  Bundeskasse  b'estritten,  und  sollen  die  Summe  von  fiinf- 
zigDollarsnichtiiberstei  g  e  n.  Eintretende  Vakanzen  in  dem  Prii- 
fungskomitee  werden  vom  Bundesvorstande  ausgefiillt. 

§  10.  Die  Lokalvereine  jedes  Bezirkes  halten  ihre  Versamm- 
lungen  nach  Bediirfnis  ab  und  vereinigen  sich  auf  Veranlassung  ihres  Vorortes 
in  Gemeinschaft  mit  den  Einzelmitgliedern  des  Verbandes  zu  einem  Bezirks- 
lehrertag.  Die  Thatigkeit  der  Lokalvereine  wird  durch  den  Vorort  des  Be- 
zirks  geregelt.  Zu  den  Bundesslehrertagen  wird  von  den  Lokalverei- 
nen  fiir  je  zehn  ihrer  Mitglieder  ein  D  e  1  e  g  a  t  erwahlt  und  durch  den  be- 
treffenden  Vorort  mit  Legitimation  versehen.  Ein  jeder  Delegat  ist  zu  einer 
Stimme  berechtigt;  er  kann  jedoch  auch,  wenn  dazu  beauftragt,  mehrere  oder 
Bamtliche  Stimmen  eines  Bezirks  vertreten. 

§11.  Einzelmitglieder  sind  zur  Teilnahme  an  den  Bezirks-  und 
Bundeslehrertagen  berechtigt  und  reprasentieren  eine  Stimme. 

III.  Mitgliedschaf t  und  Beitrage. 

§  12.  Die  Mitgliedschaft  des  nationalen  deutschamerikanischen  Leh- 
rerbundes  konnen  erwerben: 

a)  Lokalvereine  deutscher  Lehrer  und  Erziehungsfreunde,  sowie  deutsche 
•Gesellschaften,  welche  verwandte  Ziele  verfolgen, 

b)  einzelne  deutsche  Lehrer  und  Erziehungsfreunde. 

c)  Der  Bundesvorstand  soil  ermachtigt  sein,  solche  Burger,  die  sich  um  das 
Erziehungswesen  vex  •'ient  gemacht  haben,  als  Ehrenmitglieder  aufzunehmen. 

Die  A  u  f  n  a  h  m  e\  '^t  durch  den  Vollzugsausschuss  des  Bundesvorstandes 
statt.  EinzelmitgliederVcihlen  einen  regelmassigen  Jahresbeitrag  von  einem 
Dollar.  Ein  jeder  Besucher  des  Lehrertages  zahlt  einen  Dollar  als  Jahresbei- 
beitrag.  Bezirks-  Oder  Lokalvereine  zahlen  fiir  je  zehn  Mitglieder  einen  Jah- 
resbeitrag von  einem  Dollar  und  sind  dadurch  zur  Abgabe  von  einer  Stimme  fiir 
Je  zehn  Mitglieder  berechtigt.  Die  Bezirksverbande  sind  fiir  die  piinktliche  und 
regelmassige  Berichtigung  der  Vereinsbeitrage  verantwortlich.  Die  Mitglied- 
schaft erlischt  durch  schriftliche  Abmeldung  beim  Vollzugsausschusse  des  Bun- 
<iesvorstandes  oder  durch  Ausschliessung.  Letztere  kann  nur  auf  Antrag  des 
Bundesvorstandes  wegen  riickstandiger  Leistung  der  Jahresbeitrage  oder  auf 
Antrag  von  mindestens  fiinfundzwanzig  Mitgliedern  mit  Angabe  der  Griinde, 
welche  dem  Bundesvorstande  drei  Monate  vor  dem  Zusammentritt  des  Bundes- 
lehrertages  eingereicht  werden,  durch  letztgenannten  erfolgen. 

IV.  Vermogensverwaltung. 

§  13.  Die  Bundeskasse  wird  von  dem  Vollzugsausschusse  verwaltet 
Dieser  setzt  die  Hohe  der  Biirgschaft  des  Schatzmeister  fest,  nimmt  dieselbe  in 
Empfang  und  hat  das  Recht  fiir  ausserordentliche  Zwecke  von  den  vorhandenen 
Geldern  Summmen  bis  zum  Gesamtbetrage  von  fiinfzig  Dollars  innerhalb  einea 
Jahres  zu  verwenderi. 

V.  Abstimmnngen. 

a)  Die  Abstimmung  bei  den  Tagsatzungen  des  Lehrerbundes  soil  durch  ein- 
fache  Majoritat  der  anwesenden  Mitglieder  entschieden  werden.  Bei  Bewilli- 


220  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

gungen  von  Geldern  und  Vorschlagen  zur  Abanderung  der  Statuten  sollen  nur 
die  Stimmen  der  Delegaten  gezahlt  werden,  sowie  die  der  einzelnen  Mitglieder. 

b)  Die  Wahlen  des  Bufldesvorstandes  geschehen  durch  Stimmzettel,  alle  an- 
dern  Abstimmungen  in  Versammlungen  viva  voce,  doch  muss  auf  Verlan- 
gen  eine  Teilung  vorgenommen  werden. 

c)  Der  Vollzugsausschuss  kann  zu  irgend  einer  Zeit  eine  Urabstimmung 
iiber  Antrage  veranlassen.    Solche  Antrage  miissen  im  Bundesorgan  oder  durch 
ein  Rundschreiben  an  die  Bundesmitglieder  bekannnt  gemacht  werden.    Zur 
Abstimmung  soil  mindestens  ein  Monat  Zeit  nach  dieser  Bekanntmachung  ge- 
geben  werden. 

d)  Wenn  fiinf  Mitglieder  des  Bundesvorstandes  oder  funfundzwanzig  Bun- 
desmitglieder, bezw.  Stimmen,  es  schriftlich  verlangen,  muss  der  Vollzugsaus- 
schuss eine  Urabstimmung  fiber  irgend  eine  vorliegende  Frage  veranstalten. 

VI.  Statntenandernng.  ' 

§  15.  Ein  Antrag  auf  Abanderung  der  Statuten  kann  in  irgend  einer  Sitzung 
des  Bundeslehrertages,  ausser  der  Schlusssitzung,  eingebracht  werden,  darf  aber 
erst  in  der  nachsten  Sitzung  zur  Debatte  und  Abstimmung  gebracht  werden. 
Wenn  drei  anwesende  Mitglieder  es  schriftlich  verlangen,  muss  iiber  eine  ange- 
nommene  Statutenveranderung  vom  Vollzugsausschusse  innerhalb  zweier  Mo- 
nate  eine  Urabstimmung  veranlasst  werden. 

VII.  Nebengesetze. 

§  16.  Nebengesetze  konnen  vom  Bunde  jederzeit  den  Statuten  hinzugefxigt 
werden,  falls  sie  nicht  den  oben  niedergelegten  Bestimmungen  zuwiderlaufen. 


An  die  Mitglieder  des  Nationalen  Deutschamerikanisciien  Lehrerseminars. 

Die  re  g  el  m  a  s  s  i  ge  Generalversammlung  des  ,,N  a  t  i  o- 
nalen  Deutschamerikanischen  Lehrerseminarver- 
e  i  n  s"  flndet  am 

Montag,  dem  24.  Juni,  vormittags  9  U  h  r 
im  Seminargebaude  (558 — 568  Broadway)  statt. 

Wer  dieser  Versammlung  nicht  personlich  beiwohnen  kann,  moge  sich  ver- 
treten  lassen,  und  wir  fxigen  zu  diesem  Zwecke  eine  Vollmacht  (proxy)  bei,  welche 
die  eigenhandige  Unterschrift  des  Mitgliedes  oder  des  Vorsitzenden  und  Schrift- 
fuhrers  des  Vereins  und  die  Stimmenzahl,  auf  die  der  Vertreter  Anspruch  hat, 
enthalten  muss.  Nach  dem  Vereinigten  Staaten-Gesetz  muss  jede  Vollmacht 
(proxy)  mit  einer  10  Cents-Steuermarke  (Revenue  Stamp)  versehen  sein. 

Ausser  den  gewohnlichen  Routinegeschaften  liegt  auch  dieErwahlung 
von  5  Direktoren  auf  3  Jahre  an  die  Stelle  der  verstorbenen  JHerren 
W.  H.  Rosenstengel,  Madison,  Wis.,  Henry  Raab,  Belleville,  111.,  und  Ferd.  Kiihn, 
Milwaukee,  Wis.,  vor,  sowie  der  Herren  Louis  F.  Frank,  Milwaukee,  Wis.,  und 
Gottlieb  Miiller,  deren  Amtszeit  mit  dem  Schluss  der  Generalversammlung  zu 
Ende  geht. 

Die  regelmassige  Versammlung  des  Verwaltungs- 
r  a  t  s  flndet  am  23.  J  u  n  i  d.  J.,  morgens  9  Uhr,  im  Seminargebaude  statt 

Milwaukee,  Wis.,  25.  April  1901. 

Der  Vollzugsausschuss  des  N.  D.  A.  Lehrerseminarvereins: 

i  Louis  F.  Frank,  Prasident. 

Albert  Wallber,  Sekretar. 


Zum   nachsten  Lehrertage. 


(Fflr  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Pencil  Vania. 

In  den  Vereinigten  Staaten  giebt  es  wohl  iiber  6000  deutsche  Lehrer 
und  Lehrerinnen.  Die  Zahl  der  Mitglieder  des  Nationalen  Deutschameri- 
kanischen  Lehrerbundes  betragt  kaum  ebenso  viele  hundert.  Ein  in  die 
Verhaltnisse  nicht  Eingeweihter  konnte  glauben,  dass  der  Bund  nur  kurze 
Zeit  bestehe  und  dass  sich  daraus  eine  so  kleine  Mitgliederzahl  erklare; 
allein  der  Bund  ist  iiber  seine  Jugend  langst  hinaus;  er  ist  sogar,  nacih 
amerikanischer  Ansicht,  ein  schon  ziemlich  alter  Verein,  denn  sein  Alter 
belauft  sich  auf  voile  dreissig  Jahre.  Der  schwachen  Beteiligung  an  sei- 
nen  Bestrebungen  entsprechend  ist  auch  die  Teilnahme  an  den  deutsch- 
amerikanischen  Lehrertagen  stets  eine  sehr  diirftige  gewesen.  Es  waren 
iru  letzten  Sommer  in  Philadelphia  kaum  100  auswartige  Lehrer  und  Leh- 
rerinnen versammelt.  So  muss  denn  wohl,  wenn  man  keine  schlechte 
Leitung  annehmen  will  —  wozu  Ursache  kaum  vorhanden  ware  —  dieses 
die  Wahrheit  sein,  dass  die  grosse  Mehrzahl  unserer  deutschen  LeEren 
fur  das  Vereinsleben  uberhaupt  keinen  Sinn  hat. 

Diese  Thatsache  ist  gewiss  trauriger  Natur.  Was  wird  ein  Lehrer, 
der  sich  zu  seinen  Berufsgenossen  nicht  hingezogen  fuhlt,  den  es  nicht 
clrangt  und  treibt,  mit  den  Kollegen  Schul-  und  Lehrerfragen  gemeinsami 
zu  besprechen — 'was  wird  der  in  seiner  Schule  leisten?  Von  wenigeni 
Ausnahmen,  die  sich  aus  besondern  Verhaltmssen  erklaren  und  rechtfer- 
tigen,  abgesehen,  ist  ein  solcher  Alleinsteher  ein  rechter  Lehrer  nicht,  kann 
es  nicht  sein.  Ihm  feMt  die  Liebe  zu  seinem  Amte,  die  Liebe,  die  ganz 
naturgemass  das  Verlangen  nach  Vervollkommnung  und  Belehrung  setzt 
und  eine  Einweihung  in  die  Ansichten  und  Erfahrungen  Anderer,  Gleich- 
gesteillter,  gebieterisch  erheischt.  Kein  Lehrer  kann  sich  selbst  genug 
sein,  einen  Teil  seiner  Kraft  muss  er  aus  fremden  Quellen  schopfen. 
Diese  Wahfheit  wird  ganz  besonders  da  empfunden,  wo  deutscfie  Lehrer- 
vereine  unmoglich  sind.  Und  woher  sollen  nun  die  Lehrer  das  schopfen, 
was  sie  aus  eigener  Erfahrung  nicht  wissen  konnen?  Aus  Buchern?  Sie 
kommen  meist  aus  weiter  Feme,  oft  aus  fremden  Landern,  sind  somit 
Friichte,  gereift  unter  Verhaltnissen,  die  der  Heimat  nicht  entsprechen. 
Sie  sollen  hiermit  nicht  verdammt  und  nicht  verbannt  werden,  sie  miissen 
in  der  Rustkammer  des  Lehrers  einen  vornehmen  Platz  behalten.  Aber 
den  personlichen  Verkehr  mit  Berufsgenossen,  mit  raumlich  nahen  und 
unter  gleichem  Wind  und  gleicher  Sonne  ein  gleiches  Ackerfeld  bebauen- 
den  Kollegen  konnen  sie  niemals  entbehrlich  machen.  Wer  andera 
spricht,  der  liigt,  und  wehe  dem,  der  liigt! 


222  P'ddagogiscbe  Monatsbtfte. 

Der  Lehrer  soil  einem  Yereine  angehoren —  das-ist  das  Eine;  er  soil 
ein  lebendiges  Glied  seines  Vereines  sein  —  das  ist  das  Andere.  Fehlt 
es  an  dem  Einen  nodi  gar  sehr,  so  steht  es  um  das  Andere  wo  moglich 
noch  schlechter.  Findet  der  Lehrertag,  der  ja  doch  bis  jetzt  nur  als  die 
Generalversammlung  des  Lehrerbundes  angesehen  werden  kann,  auch  nur 
einmal  im  Jahre  statt,  so  sieht  man  doch  sehr  wenige  Mitglieder  des 
Bundes  auf  demselben  vertreten.  Ein  Grund  fur  das  Ausbleiben  ist  im- 
mer  leicht  gefunden.  Bald  helfen  Familienverhaltnisse,  bald  anderweitige 
—  wichtigere  !  —  Zusammenkunfte ;  bald  hilft  vorgeschiitztes  Unwohl- 
sein,  das  heisse  Wetter,  der  weite  Weg,  die  hohe  Fahrrate.  Sie  konnten 
kommen,  aber  sie  wollen  nicht,  denn  —  sie  mogen  nicht.  Es  fehlt  eben 
das  innere,  treibende  Feuer,  die  moralische  Kraft,  die  sicH  an  der  Liebe 
zur  Sadie  nahrt.  Und  die  sogenannten  Lehrertagsbesucher,  Nichtmit- 
glieder  des  Bundes,  aber  Schulfreunde  —  besser  LeErertagsfreunde,  die 
sich  von  Jahr  zu  Jahr  einstellen,  sind  ein  sehr  zweifelhafter  Ersatz  fiir  die 
fehlenden  Lehrer. 

Ein  Blick  auf  andere  Berufskreise  kann  das  strenge  Urteil,  das  uns 
treffen  muss,  nicht  mildern.  Sehen  wir,  um  nur  ein  Beispiel  zu  haben, 
auf  die  Arbeiter  einer  Grossstadt.  Hat  so  ein  armer  Kerl  des  Tages  Last 
und  Hitze  getragen,  so  findet  ihn  der  Abend  doch  noch  stark  und  willig, 
in  seinen  Verein  zu  gehen.  Da  wimmelt's  auf  den  Strassen  von  ge- 
schwarzten,  in  Schweiss  gebadeten  Gestalten,  in  ganzen  Bataillonen  rucken 
sie  an,  ein  schier  endloser  Strom,  viel  zu  machtig,  um  in  dem  Versamm- 
lungslokale  Raum  zu  finden.  Woher  dieser  Trieb  und  Drang  zu  (Ten  Ge- 
nossen  ?  Aus  dem  Gemeinsinne,  aus  dem  Interesse  fiir  das  Wohl  des 
Standes.  Vor  diesem  Interesse  tritt  alles  Andere  zuriick ;  selbst  die  Ge- 
fahr,  als  Ruhestorer  ergriffen  und  der  Freiheit  beraubt  zu  werden,  schreckt 
den  Mann  nicht  in  seine  armliche  Wohnung.  Was  in  der  Versammlung 
geschehen  soil,  das  betrifft  ihn,  und  seinem  einfachen,  aber  gesunden  Ver- 
stande  wiirde  es  nimmer  eingehen,  dass  er  zu  Hause  bleiben  solle. 

Nehmen  wir  dagegen  den  letzten  deutschamerikanischen  Lehrertag, 
der  in  Philadelphia  abgehalten  wurde.  Von  den  schon  erwahnten  6000 
deutschen  Lehrern  und  Lehrerinnen  des  Landes  waren  vielleicht  hundert 
beisammen.  In  fruheren  Jahren  war  die  Beteiligung  manchmal  noch  ge- 
ringer.  Solche  Erfahrungen  geben  zu  denken.  Die  Griindung  des  Leh- 
rerbundes fallt  in  jenes  glorreiche  Jahr,  in  welchem  ,,deutsche  Kraft"  auf 
dem  Boden  Frankreichs  die  Franzosen  zermalmte,  und  heute  —  nach  drei- 
ssig  Jahren,  lasst  ,,deutsche  Kraft"  6000  deutsche  Lehrer  und  Ldirerinnen 
von  einer  echt  deutschen  Sache  ruhig  fern  bleiben.  Umstande  verschlim- 
mern  diese  Sachlage  noch  mehr.  Die  Lehrertage  sind  eigens  dazu  auf  die 
Ferienzeit  angesetzt,  die  Tagesordnung  war  mit  Geschick  und  Sorgfalt  zu- 
sammenstellt  worden,  die  Gastfreundschaft  der  Burger  hat  des  Guten  eher 
zu  viel  als  zu  wenig  gethan.  Wir  geben  zu,  die  Stadt  Philadelphia  ist  nicht 


Zum  ndcbsten  Lebrertage.  223 

zentral  gelegen;  wir  mochten  aber  fragen:  Wo  waren  denn  die  deut- 
schen  Lehrer  und  Lehrerinnen  von  Pennsylvanien,  von  Maryland,  New 
Jersey,  New  York,  deren  Zahl  sich  doch  gewiss  auf  mehr  als  500  belauft? 

So,  liebe  Freunde,  sollte  es  nicht  sein  und  nicht  bleiben.  Was  soil 
nun  geschehen,  um  eine  Besserung  in  dieser  Sache  anzubahnen?  Jemandf 
hat  behauptet,  dass  die  Lehrertage  mehr  geistige  Anregung  und  mehr 
Genuss  bieten  konnten  und  sollten.  Ersteres  mag  wahr  sein,  letzteres  be- 
zweifeln  wir.  Wir  glauben  im  Gegenteil,  dass  eine  weise  Einschrankung 
der  Vergnugungen  nur  dazu  beitragen  konnte,  den  Lehrertagen  und  dem 
Bunde  zu  Ansehen  und  Erfolg  zu  verhelfen.  Inwiefern?  —  davon  wollen 
wir  spater  einmal  reden.  Was  nun  die  geistige  Anregung  betrifft,  d.  h. 
den  eigentlichen  Zweck  der  Lehrertage  fur  die  Lehrer,  so  Hesse  sich  an 
den  bisherigen  Programmen  manches  aussetzen.  Wir  wollen  fur  dieses- 
mal  nur  einen  Punkt  beriihren.  Die  Zahl  der  Hauptvortrage  ist  nicht 
nur  zu  gross,  sondern  diese  Vortrage  sind  auch  an  und  fur  sich  meistens 
zu  lang.  Dadurch  wird  den  Debatten  zu  wenig  Raum  zugemessen.  Da- 
zu kommen  dann  noch  die  schrecklichen  Bandwiirmer,  Komiteeberichte 
genannt,  auf  deren  Verlesung  kein  Mensch  hort.  Auf  den  Lehrertagen 
werden  in  der  Regel  sehr  gediegene  und  aussert  sorgfaltig  ausgearbeitete 
Vortrage  gehalten,  die  gewiss  manch  Kornlein  edlen  Samens  ausstreuen 
und  schone  Fruchte  bringen  werden.  Aber  drei  oder  gar  vier  Vortrage 
in  einer  Versammlung,  die  dann  noch  diskutiert  werden  sollen  —  das  ist 
den  eifrigsten  Teilnehmern  doch  zu  viel;  die  Leute  driicken  sich.  Ein 
Referat  sollte  hochstens  eine  halbe  Stunde  wahren  und  nie  etwas  anderes 
sein,  als  ein  Rahmen  fur  eine  Debatte.  Mancher  hatte  schon  Gedanken 
—  gesunde  Gedanken,  aber  der  Referent  hat  seinen  Faden  so  lang  gespo- 
nen,  dass  die  Versammlung  schon  ermudet  ist  und  dem  willkommenen 
Antrag  auf  Schluss  der  Debatte  sofort  seine  Zustimmung  erteilt.  Da 
geht  dann  der  Vorteil,  der  eben  aus  einer  vielseitigen  Auffassung  und  Be- 
'handlung  des  Gegenstandes  fliesst,  ganz  verloren.  Bei  Vieleh  erstirbt 
auch  das  Interesse  an  den  Verhandlungen  an  den  verhaltenen  Gedanken. 
Statt  die  Geister  zu  erwarmen  und  anzuziehen,  stosst  die  Zusammenkunft 
dieselben  ab,  statt  geistiges  Leben  zu  pflanzen,  erzeugt  sie  den  geistigen 
Tod. 

Mit  den  schon  oben  erwahnten  unvermeidlichen  Komiteeberichten 
wird  auf  den  Lehrertagen  sehr  viel  Zeit  totgeschlagen.  Dies  wird  auch 
nicht  besser  werden,  so  lange  die  sogenannten  standigen  Ausschiisse  all- 
jahrlich  neu  ernannt  und  organisiert  werden.  Man  mache  diese  Aus- 
schiisse wirklich  standig,  und  lasse  sie  Berioht  erstatten,  wenn  sie  etwas 
zu  berichten  haben.  Einschlagige  und  gelegentliche  Fragen  mogen  ihnen 
zur  Untersuchung  und  Berichterstattung  zugewiesen  werden,  aber  man 
erwarte  keine  Berichte  von  ihnen,  wo  nichts  zu  berichten  ist".  Eisner  fiihl- 


224  P'ddagogische  Monatsbefte. 

ten  die  Mitglieder  dieser  Ausschusse  sich  oft  in  der  Rolle  des  bekannten 
Kaisers,  der  nichts  bieten  kann,  weil  er  nichts  zu  holen  hat. 

Hoffentlich  liegen  die  Vorbereitungen  zum  nachsten  Lehrertage  in 
guten  Handen.  Der  Bundesausschuss  besteht  zum  grosseren  Teile  aus 
alten  und  erprobten  Kraften;  die  Fehler,  die  bisher  gemacht  wurden,  kon- 
nen  ihnen  nicht  entgangen  sein.  Der  Lehrertag  soil  in  Indianapolis  statt- 
finden;  diese  Stadt  hat  noch  nie  einen  deutschen  Lehrertag  in  fHren  Mau- 
ern  gesehen.  Hoffen  wir  nun,  dass  unsere  Versammlung  in  Indianapolis 
den  Anfang  einer  neuen  Epoche  in  der  Geschichte  dieser  hochst  wichtigen 
Versammlungen  bedeute,  und  dass  der  einunddreissigste  Lehrertag  dem 
Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbunde  ein  wirklicher  Ehrentag 
sein  moge. 


Flachsmann  als  Erzieher. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Oscar  Burckhardt,  Milwaukee,  Wis. 

Am  31.  Marz  hielt  der  vielbesprochene  ,,Flachsmann  als  Erzieher" 
seinen  Einzug  in  unserer  guten  Stadt  Milwaukee.  Er  ist,  sozusagen,  iiber 
Nacht  beruhmt  gewordcn ;  gekannt  hatte  man  ihn  zwar  schon  seit  langem, 
aber  er  fristete  mehr  ein  seiner  ganzen  Anlage  entsprechendes  Dunkel- 
dasein,  aus  welchem  ihn  erst  Otto  Ernst  ans  Tageslicht,  oder,  besser  ge- 
sagt,  ans  Licht  der  Rampen  gezogen  hat.  Da  ist  er  denn  ein  hochwill- 
kommener  Cast,  denn  er  erfiillt  alles,  was  Theaterdirektor,  Schauspieler 
und  Publikum  fiiglich  verlangen  diirfen:  dem  ersten  bringt  er  eine  Reihe 
voller  Hauser,  den  Schauspielern  ,,gutliegende"  Rollen,  dem  Publikum 
aber  ein  paar  hochst  vergniigte,  im  guten  Falle  auch  anregende  Stunden. 
Wenn  sich  nebenbei  etliche  iiber  ihn  argern  und  in  moralischer  Ent- 
riistung  gegen  die  Profanation  der  heiligen  deutschen  Schule  und  die  Ver- 
unglimpfung  des  beinahe  noch  heiligeren  deutschen  Lehrerstandes  Protest 
erheben,  so  bewirken  sie  nur  das  Gegenteil  dessen,  was  sie  beabsichtigten; 
sie  machen  fur  das  Stuck  im  vornhinein  ,,Stimmung"  und  verschaffen  ihm 
eine  Popularitat,  die  es  bei  aller  Vortrefflichkeit  in  solchem  Ausmasse 
nicht  finden  mochte. 

Ist  nun  die  Komodie,  als  welche  Otto  Ernst  sein  Werk  bezeichnet, 
lediglich  eine  Polemik  gegen  die  Schulverhaltnisse  in  Deutschland?  Das 
Publikum,  die  iiberwaltigende  Mehrheit  der  deutschen  Lehrer,  der  Dichter 
selbst  sagen :  nein.  Letzterer  macht  ausdriicklich  gegen  die  Anschauung 
Front,  als  bedeute  sein  Stuck  eine  ideelle  Schadigung  des  LeErerstandes 
und  der  Schule.  ,,Das  Ansehen  des  Lehrerstandes,  sagt  er,  hangt  nicht 
von  der  Fiktion  ab,  dass  alle  Lehrer  gute  und  gescheite  Leute  sind;  es 


Flacbsmann  als  Er^ieber.  225 

giebt  unter  ihnen,  wie  in  jedem  Stande,  Schufte  und  Narren,  sind  doch 
auch  die  Lehrer  Menschen.  Jeder  Dichter  aber  hat  das  Recht,  lacher- 
liche  und  verachtliche  Menschen  darzustellen,  wie  er  beispielsweise  Rich- 
ter,  Geistliche  von  gleicher  Seelenqualitat  darstellt.  Wer  wiirde  in  letz- 
terem  Falle  von  Verunglimpfung  des  Standes  sprechen?  Wie  schlecht 
wiirde  es  um  den  Lehrerstand  bestellt  sein,  wenn  er  das  Lampenlicht  weni- 
ger  vertriige  als  andere  Stande!  Gott  sei  Dank,  steht  es  besser  um  ihn. 
Nur  soil  sich  das  deutsche  Volk  jeden  Lehrer  darauf  ansehen,  ob  er  ein 
Fladhsmann  oder  ein  Flemming  ist." 

Also,  eine  Polemik  hat  der  Didhter  nicht  im  Sinne  gehabt;  worm 
liegt  nun  aber  der  Wert  des  Stuckes,  und  welchen  Umstanden  ist  der 
grosse  Erfolg  zuzuschreiben,  den  es  ausnahmslos  auf  alien  Buhnen 
Deutschlands  und  auch  hier  in  Milwaukee  gefunden  hat,  wo  doch  das 
aktuelle  Interesse  an  der  vermeintlichen  Streitfrage  im  Hintergrunde 
steht?  Es  ist  der  gliickliche  Griff  ins  Volkstiimliche,  welcher  das  Publi- 
kum  im  grossen  anzieht ;  es  ist  die  innere,  selbst  aus  den  Ubertreibungen 
deutlich  hervorleuchtende  Wahrheit,  welche  diejenigen  fesselt,  die  in  ei- 
nem  Schauspiel  nicht  allein  Unterhaltung,  sondern  auch  Anregung  suchen. 
Seit  Jahrzehnten  wandeTn  mit  unheimlicher  Regelmassigkeit  dieselben  Ge- 
stalten  iiber  unsere  Buhnen :  der  auf  seinen  Geldsack  protzende  Parvenu, 
dem  der  Ehrentitel  ,,Kommerzienrat"  in  den  seltensten  Fallen  erspart 
bleibt;  der  Schwerenoter  von  Leutnant,  der  im  Gewinne  von  Frauen- 
herzen  und  im  Kontrahieren  von  Schulden  gleiche  Genialitat  zeigt;  der 
heruntergekommene  Baron,  der  nur  in  einer  reichen  Heirat  die  Remedur 
fur  seinen  dilapidierten  Zustand  findet;  der  hohere  Regierungsbeamte, 
der  in  der  strikten  Befolgung  seiner  Standesvorurteile  ein  Martyrertum 
sucht;  die  Naive,  deren  Natiirlichkeit  nur  Kunst,  deren  Kunst  Unnatuf 
ist;  die  Schwiegermutter,  in  der  die  altesten  Witze  ein  heiliges  Asyl  ge- 
funden haben;  der  schuchterne  Referendar,  der  so  gern  walzen  und 
eine  Liebeserklarung  machen  mochte,  aber  keines  von  beiden  kann;  der 
geistesabwesende  Professor,  ein  "lucus  a  non  lucendo"  u.  a.  m. 

Das  sind  die  Ingredienzien,  aus  denen  viele  unserer  Komodiendichter 
das  wohlbekannte  Ragout  bereiten;  und  unser  Publikum  hat  sich  daran 
gewohnt,  an  diesen  seinen  litterarischen  Hunger  zu  befriedigen,  mit  dem 
gleichen  Aufwand  von  Entsagungskraft  und  Duldermut,  mit  welcher  der 
ungliickliche  Insasse  eines  amerikanischen  Boardinghauses  die  in  unsag- 
licher  Monotonie  ihm  vorgesetzte  leibliche  Kost  zu  verdauen  sucht.  Aber 
gebt  dem  Armen  einmal  ein  ordentliches  Beefsteak,  welches  nicht  aus  der 
nachsten  Gerberei  stammt,  und  schmackhafte  Gemiise,  die  nicht  aus  dem 
Drugstore  geholt  wurden,  und  ihr  werdet  sehen,  wie  ,,des  Lebens  Pulse 
frisch  lebendig  schlagen".  Wir  haben  es  eben  hier  mit  dem  litterariscihen 
Dyspeptiker  zu  thun.  Was  diesem  not  thut,  ist  die  Anschauung  einer 
Individualitat.  Eine  stark  ausgepragte,  in  sich  abgeschlossene  Eigenart, 
ein  Charakter  im  Lessing'schen,  eine  Natur  im  Goethe'schen  Sinne  hat  im 


P'ddagogiscbe  '•  Monatsbefic. 

Recht,  wenn  sie  in  den  Einzelheiten  auch  Unrecht  hat.  Indi- 
vidualitat  aber  lasst  sich  dem  Verfasser  des  Flachsmann  gewiss  nicht  ab- 
sprechen.  Ein  kiihner  Streiter,  erteilt  er  mit  seinem  schneidigen  Schwerte 
Hiebe  nach  rechts  und  links;  kein  Wunder,  dass  auch  der  Unschuldige 
manchmal  etwas  abbekommt.  Er  ist  von  einem  wirklichen  Wahrheits- 
fanatismus  beseelt,  aber  Fanatismus  macht  zeitweilig  auch  blind,  und  so 
sucht  er  die  Wahrheit  nicht  immer  dort,  wo  sie  ist.  Es  geht  ihm  zuweilen 
auch  wie  andern  Aposteln  der  Toleranz:  aus  lauter  Streben  nach  Toleranz 
werden  sie  intolerant.  Alles  das  aber  sind  Schatten,  die  mit  dem  Lichte 
eirihergehen :  sie  sollen  uns  die  Freude  am  letzteren  nicht  schmalern. 

Otto  Ernst  ist  selbst  Lehrer  gewesen  und  wird  es  vielleicht,  wenig- 
stens  im  Herzen  bleiben,  obgleich  cine  halbe  Million  Mark  (so  viel  tragt 
ihm  ja  sein  Flachsmann  ein)  und  die  bescheidene  Existenz  eines  Volks- 
schullehrers  gar  unvereinbare  Dinge  sind.  Dass  er  es  aber  lange  gewe- 
sen, kam  seinem  Werke  wohl  zustatten.  Das  Kleinliche  und  das  Erha- 
bene  eines  Lehrerdaseins,  Handwerk  und  Kunst,  finden  in  ihm  den  beru- 
fenen  Schilderer.  Handwerker  aber  giebt  es  unter  den  Ldhrern  alliiberall 
genug;  sie  bilden  in  Ernsts  Komodie  sogar  die  Majoritat,  ein  Umstand, 
welcher  die  hochweise  Altenburger  Lehrerschaft  so  sehr  in  Harnisch 
brachte,  dass  sie  gegen  die  Wiederholung  des  Stiickes  am  dortigen  Her- 
zoglichen  Hoftheater  Einsprache  erhob. 

Da  ist  der  Handwerker,  oder  noch  treffender  gesagt,  der  ,,BiWungs- 
schuster"  Flachsmann.  Seit  dreissig  Jahren  steht  er  der  offent- 
lichen  Knabenschule  einer  deutschen  Provinzstadt  vor;  seit  dreissig  Jah- 
ren  sitzt  er  an  einem  Schreibtische  und  driickt  einfach  auf  den  elektrischen 
Knopf,  duroh  den  die  ganze  komplizierte  Erziehungsmaschine  in  und 
ausser  TKatigkeit  gesetzt  wird ;  und  er  driickt  ihn  mit  der  heiteren  Seelen- 
ruhe  eines  Mannes,  der  sich  bewusst  ist:  iiber  ihm,  dem  Unterknopf- 
driicker  steht  ein  Oberknopfdriicker,  und  uber  diesen  wieder  ein  anderer, 
noch  'hoherer;  iiber  alien  aber  schwebt  der  Geist  des  heiligen  Biirokrazius. 

Es  ist  doch  ein  schones  Ding  um  einen  solchen  Knopf.  Hierzu- 
lande,  wo  man  alles  grossartiger  und  praktischer  macht  als  in  der  alten 
Welt,  hat  man  auch  einen  noch  viel  sinnreicheren  Knopf  erfunden.  Da 
sitzt  der  Prinzipal  der  Schule  in  seiner  Office,  die  ungefahr  so  aussieht 
wie  die  Zentralweichenstelle  eines  unserer  grossen  Eisenbahnsysteme, 
wo  ein  einziger  Mann  das  schier  verwirrende  Netz  von  Schienenwegen 
kontrolKert.  Ein  Druck  auf  den  Knopf  von  der  zarten  Hand  des  Prinzi- 
pals  und  zur  selbigen  Sekunde  offnen  sich  hundert  Gehirndeckel,  um  das 
bis  auf  ein  Tausendteil  genau  zugemessene  Quantum  von  Arithmetik  in 
die  gahnende  Hohlung  einzulassen.  Ein  zweiter  Druck  bedeutet:  ,,Ge- 
hirndeckel  zu";  der  nachste:  ,,Gehirndeckel  auf"  fur  Geschichte  der 
Vereinigten  Staaten  oder  Temperenzlehre;  und  so  geht  es  von  9  Uhr 
morgens  bis  4  Uhr  nachmittags;  Klingkling— Deckel  auf;  Klingkling — 


Flacbsmann  als  Er Cither.  227 

Deckel  zu.  Der  letzte  Druck  auf  den  Knopf  ist  besonders  nachdrucklich- 
vaterlich,  er  scheint  zu  sagen:  ,Jetzt,  liebe  Kinder,  geht  nach  Hause 
und  verdaut!  Die  Schule  hat  euch  Nahrung  gegeben,  aber  ob  und  wie 
ihr  sie  verdaut,  das  ist  ganz  cure  Sache,  ganz  allein  cure  Sache." 

Der  Prinzipal  ist  iibrigens  seinen  Lehrerinnen  gegeniiber  (von  dem 
seltenen  Vogel  ,,mannlicher  Lehrer"  wollen  wir  absehen)  recht  gefallig; 
er  gestattet  ihnen  zwar  nicht,  einen  so  komplizierten  Mechanismus  wie 
seinen  Knopf  zu  driicken,  aber  er  stellt  ihnen  doch  die  kleinen  elektrischen 
Glocken  aufs  Pult,  damit  auch  sie  etwas  zu  driicken  haben  und  in  der 
edlen  Kunst  des  Knopfdriickens  allmahlich  bis  zur  Meisterschaft  sich  her- 
aniiben.  Er  selbst  ist  hier  wie  driiben  nur  eine  Staffel,  wenni  auch  eine 
sehr  wichtige,  auf  der  Stufenleiter  der  Schule;  iiber  ihm  steht  der  Ober- 
knopfdriicker  Superintendent,  und  iiber  alien  schwebt  in  gleicher  Weise 
der  Geist  des  "schoolcommissioner,"  der  noch  viel,  viel  heiliger  ist  als  der 
heilige  Burokrazius  in  Deutsohland.  Wo  ist  der  Dichter,  der  den  ameri- 
kanischen  Flachsmann  schriebe? 

Wir  aber  wollen  zu  unserm  deutschen  Flachsmann  zuriickkehren. 
Sechs  Lehrer  und  zwei  Lehrerinnen  wirken  an  einer  Schule,  einige  im 
echt  Flachmann'schen  Sinne,  andere  in  enger  Begrenzung  der  Pflicht- 
erfullung,  einer  als  Kiinstler  —  Jan  F 1  e  m  m  i  n  g.  Flemming  ist  der 
Posa  in  Ernsts  Komodie,  nur  dass  er  es  mit  einem  wahren  Jammer- 
philipp  zu  thun  hat.  Stolz  ist  er  wie  der  Spanier,  aber  Jammerphilipp 
Flachsmann  will  keine  stolzen  Schulmeister  unter  sich  haben,  sondern 
nur  devote.  "Qbrigens  sehen  Flachsmann  und  Konsorten  in  Flemmings 
Stolz  nur  eitlen  Hochmut,  und  hochmiitig  darf  ein  Schulmeister  nicht 
sein.  Fur  ihn  scheint  ja  das  Wort  des  weisen  Nathan  im  besonderen  zu 
gelten: 

Nur  muss  der  Eine  nicht  den  Andern  makeln, 
Nur  muss  der  Knorr  den  Knubben  hiibsch  vertragen, 
Nur  muss  ein  Gipfelchen  sich  nicht  vermessen, 
Dass  es  allein  der  Erde  nicht  entsprossen. 

Ja,  wenn  es  einer  wagt,  sich  nur  ein  wenig  iiber  das  Niveau  der  All- 
gemeinheit  zu  erheben,  dann  kommt  sogleich  die  grosse  Gleichmachungs- 
guillotine,  und  wenn  er  sich  nicht  schnell  bescheiden  duckt,  dann  heisst 
es  unbarmherzig:  Kopf  ab. 

(Schluss  folgt.) 


Goethe  als  Padagog. 


Von  I>r.  P.  8.  Stollhofen,  Boya'  High  School,  New  York. 

(Schluss.) 

Bemerkenswert  ist  die  Eindringlichkeit,  mit  der  Goethe  das  Gefiihl 
von  der  Wichtigkeit  der  Zeit  in  dem  Zogling  wach  zu  erhalten  empfiehlt, 
weil  sie  ,,die  hochste  Gabe  Gottes  und  der  Natur  und  die  aufmerksame 
Begleiterin  des  Daseins"  sei.  Diese  Betonung  der  Zeit  dient  gleichfalls 
der  praktischen  Seite  seiner  Sittenlehre,  die  hauptsachlich  auf  Besonnen- 
heit  dringt,  und  diese  wird  durch  Einteilung  der  Zeit,  durch  Aufmerk- 
samkeit  auf  jede  Stunde  hochlichst  gefordert  Jeden  Tag  betrachtet  er 
als  ein  Gefass,  in  das  sich  sehr  vieles  eingiessen  lasst,  wenn  man  es  wirk- 
lich  ausfiillen  will."  ,,Es  ist  besser,  das  Geringste  von  d'er  Welt  zu  thun, 
als  eine  halbe  Stunde  gering  halten."  So  werde  man  ein  ,,Geistesmilli- 
onar". 

Obwohl  Goethe  in  der  Wahl  der  Unterrichtsstoffe  auf  dem  Boden 
seiner  Zeit  stand,  hat  er  doch  die  Wichtigkeit  der  Realien  fur  den  Unter- 
richt  vorausgeahnt.  Die  kultufhistorischen  Stoffe  machten,  wie  Sie  wis- 
sen,  so  ziemlich  den  ganzen  Erziehungsunterricht  der  damaligen  Zeit 
aus.  Goethe  spricht  wohl  im  Namen  seiner  Zeit,  wenn  er  sagt:  ,,Ein 
Lehrer,  der  das  Gefiihl  an  einer  einzigen  guten  That,  an  einem  einzigen 
guten  Gedicht  erwecken  kann,  leistet  mehr  als  einer,  der  uns  ganze  Rei- 
hen  untergeordneter  Naturbildungen  der  Gestalt  und  dem  Namen  nach 
uberliefert;  denn  das  ganze  Resultat  davon  ist,  was  wir  ohnedies  wissen 
konnen,  dass  das  Menschengebild  am  vorziiglichsten  und  einzigsten  das 
Gleichnis  der  Gottheit  an  sich  tragt."  Dann  wieder:  ,,Eine  Hauptiiber- 
zeugung  aber,  die  sich  immer  in  mir  erneuerte«  war  die  Wichtigkeit  der 
alten  Sprachen;  denn  so  viel  drangte  sich  mir  aus  dem  litterarischen 
Wirrwarr  immer  wieder  entgegen,  dass  in  ihnen  alle  Muster  der  Rede- 
kiinste  und  zugleich  alles  andere  Wurdige,  was  die  Welt  jemals  beses- 
sen,  aufbewahrt  sei."  So  verstehen  wir  seinen  Ausruf :  ,,M6ge  das  Stu- 
dium  der  griechischen  und  romischen  Litteratur  die  Basis  der  hoheren 
Bildung  bleiben!" 

Obwohl,  was  er  iiber  das  Studium  der  Sprachen  aussert,  sich  zu- 
nachst  auf  die  klassischen  bezieht,  halte  ich  es  doch  auch  auf  moderne 
Sprachen  fur  ausdehnibar.  So  bemerkt  er:  ,,Der  Mensch  bedarf  der 
Klarheit  und  Aufmunterung,  und  es  thui  ihm  not,  dass  er  sich  zu  solchen 
Kunst-  und  Litteraturepochen  wende,  in  denen  vorziigliche  Menschen  zu 
vollendeter  Bildung  gelangten, . . .  die  imstande  sind,  die  Seligkeit  ihrer 
Kultur  wieder  auf  andere  auszugiessen."  Was  er  iiber  die  Lektiire  des 
Ovid  denkt,  lasst  sich  auf  jede  Schullektiire  anwenden.  ,,Das  Herz  wird 


Goetbt  als  P'ddagog.  229 

ofters  zum  Vorteil  verschiedener,  besonders  geselliger  und  feiner  Tugen- 
den  geriihrt,  und  die  zarteren  Empfindungen  warden  in  ihm  erregt  und 
entwickelt.  Besonders  werden  sich  viele  Ziige  eindriicken,  welche 
dem  jungen  Leser  eine  Einsicht  in  den  verborgenen  Winkel  des 
menschlichen  Herzens  und  seiner  Leidenschaften  geben,  eine  Kenntnis, 
die  mehr  als  alles  Latein  und  Griechisch  wert  ist,  und  von  welchen  Ovid 
ein  gar  trefflicher  Meister  war.  Aber  dies  ist  noch  nicht,  warum  man 
eigentlich  der  Jugend  die  alten  Dichter  in  die  Hande  giebt.  Wir  haben 
von  dem  giitigen  Schopfer  eine  Menge  Seelenkrafte,  welchen  man  ihre 
gehorige  Kultur,  und  zwar  gleich  in  den  ersten  Jahren  zu  geben  nicht 
verabsaumen  muss,  und  die  man  doch  weder  mit  Logik  noch  Metaphy- 
sik,  Latein  oder  Griechisch  kultivieren  kann :  wir  haben  eine  Einbildungs- 
kraft,  der  wir,  wofern  sie  sich  nicht  der  ersten,  besten  Vorstellungen 
selbst  bemachtigen  soil,  die  schicklichsten  und  schonsten  Bilder  vorlegen 
und  dadurch  das  Getnut  gewohnen  und  iiben  miissen,  das  Schone  iiberall 
und  in  der  Natur  selbst  unter  seinen  bestimmten,  wahren  und  auch  in 
den  feineren  Ziigen  zu  erkennen  und  zu  lieben."  ,,Die  Einbildungskraft 
wird  nur  durch  Kunst,  besonders  durch  Poesie  geregelt." 

Seine  Meinung  iiber  die  allein  zulassige  Behandlung  der  Klassiker 
hat  er  sehr  klar  dargelegt.  ,,Ein  Schriftsteller  wie  Plato  lass't  sich  lesen, 
um  sich  dunkel  aus  ihm  zu  erbauen  —  das  leisten  aber  auch  geringere 
Schriftsteller;  man  kann  ihn  aber  auch  kennen  lernen,  um  einen  vortreff- 
lichen  Mann  in  seiner  Individualitat  kennen  zu  lernen.  Diese  Erkennt- 
nis  erbaut  nicht  nur,  sondern  sie  bildet  uns  auch  zugleich."  Doch  ,,ein 
Lump  bleibt  freilich  immer  ein  Lump,  und  eine  kleinliche  Natur  wird 
durch  einen  selbst  taglichen  Verkehr  mit  der  Grossheit  antiker  Gesin- 
nung  um  keinen  Zoll  grosser  werden.  Allein  ein  ecfier  Mensch,  in  des- 
sen  Seele  Gott  die  Fahigkeit  kiinftiger  Charaktergrosse  und  Geisteshoheit 
gelegt,  wird  durch  die  Bekanntschaft  und  den  vertrauten  Umgang  mit 
den  erhabenen  Naturen  griechischer  und  romischer  Vorzeit  sich  auf  das 
herrlichste  entwickeln  und  mit  jedem  Tage  zusehends  zu  ahnlicher  Grosse 
heranwachsen." 

Zur  technischen  Aneignung  fremder  Sprachen  lasst  er  in  der  pada- 
gogischen  Provinz  der  Wanderjahre  die  Zoglinge  eine  fremde  Sprache 
,,monatweise"  sprechen  nach  dem  Grundsatze,  dass  man  nichts  lerne  aus- 
serhalb  des  Elementes,  welches  bezwungen  werden  soil."  So  sagt  er 
einem  Englander:  ,,Sie  haben  wohlgethan,  dass  Sie,  um  Deutsch  zu 
lernen,  zu  uns  heriiber  gekommen  sind,  wo  Sie  nicht  allein  die  Sprache 
leicht  und  schnell  gewinnen,  sondern  auch  die  Elemente,  worauf  sie  ruht, 
unseren  Boden,  Klima,  Lebensart,  Verfassung  und  dergl.  mit  nach  Eng- 
land hinubernehmen/'  Diese  letzten  Worte  sind  ein  feiner  Wink  fur 
die  Aufgabe  der  Schule. 

Besagter  Englander  erinnert  fich  daran,  dass  es  Sie  vielleicht  inter- 
essiert,  Goethes  Urteil  iiber  die  Englander  zu  horen,  besonders  da  er  an 


230  P'ddagogiscbe  Monatsbtjte. 

den  kurzsichtigen,  blassen  deutschen  jungen  Gelehrten  mit  eingefallener 
Brust,  die  jung  sind  ohne  Jugend,  so  viel  auszusetzen  hat.  ,,Es  ist  ein 
eigenes  Ding,"  aussert  er  sich  gegen  Eckermann,  ,,liegt  es  in  der  Ab- 
stammung,  liegt  es  im  Boden,  liegt  es  in  der  freien  Verfassung,  liegt  es 
in  gesunder  Erziehung  —  genug,  die  Englander  uberhaupt  scheinen  mir 
vor  vielen  andern  etwas  voraus  zu  haben."  Er  nennt  die  jungen  Eng- 
lander, mit  denen  er  bekannt  wurde,  ,,tiichtige,  hiibsche  Leute".  Und 
wie  sind  sie  das  geworden?  Nicht  durch  Geburt  und  Reichtum,  sondern 
dadurch,  dass  sie  eben  die  Kourage  haben,  das  zu  sein,  wozu  die  Natur 
sie  gemacht  hat.  Es  ist  an  ihnen  nichts  verbildet  und  verbogen,  es  sind 
an  ihnen  keine  Halbheiten  und  Schiefheiten ;  sondern,  wie  sie  auch  sind,  es 
sind  immer  komplette  Menschen.  Auch  komplette  Narren  mitunter,  das 
gebe  ich  von  Herzen  zu ;  allein  es  ist  doch  was  und  hat  auf  der  Wage  der 
Natur  immer  einiges  Gewicht.  —  Das  Gliick  der  personlichen  Freiheit, 
das  Bewusstsein  des  englischen  Namens  kommt  schon  den  Kindern  zu 
gute,  so  dass  sie  sowohl  in  der  Familie  als  in  den  Unterrichtsstunden  mit 
weit  grosserer  Achtung  behandelt  werden  und  einer  weit  gliicklich  frei- 
eren  Entwicklung  geniessen  als  bei  uns  Deutschen." 

Der  Alte  von  Weimar  starb  bekanntlich  als  ein  ziemlich  alter  Mann 
und  fiel  sein  Leben  in  die  Zeit  des  sich  allmahlich  steigernden  Kampfes 
zwischen  Humaniora  und  Naturwissenschaften.  Es  darf  uns  deshalb 
-nicht  wundern,  wenn  wir  ihn  eines  Tages  im  grellen  Gegensatz  zu  der  mit- 
geteilten  Ansicht  iiber  die  klassischen  Sprachen  sagen  horen:  ,,Schon 
seit  einem  Jahrhundert  wirken  Humaniora  nicht  mehr  auf  das  Gemiit  des- 
sen,  der  sie  treibt,  und  es  ist  ein  rechtes  Gliick,  dass  die  Natur  dazwischen 
getreten,  das  Interesse  an  sich  gezogen  und  uns  von  ihrer  Seite  den  Weg 
zur  Humanitat  geoffnet  hat."  Es  ist  der  Naturforscher,  der  hier  ein  ge- 
sundes  Urteil  abgiebt. 

Um  Ihre  Aufmerksamkeit  nicht  zu  lange  auf  die  Folter  zu  spannen, 
will  ich  mich  beschranken,  nur  noch  die  Goetheschen  Ansichten  iiber  die 
psychologische  Seite  des  Untenichtes  anzufuhren. 

Zuerst  Apperzeption.  ,,Die  Erkenntnis  wachst  in  jedem  Menschen 
nach  Graden,  die  ein  Lehrer  weder  iibertreiben  soil  noch  kann;  und  den 
hielt  ich  fur  den  geschicktesten  Gartner,  der  fur  jede  Epoche  jeder  Pflanze 
•die  erforderliche  Warning  verstande."  ,,Der  Mensch  versteht  nichts,  als 
was  ihm  gemass  ist."  ,,Zu  allem  Verstehen  ist  Vorbereitung,  Vorkennt- 
nis  notig."  ,,Fassen  Sie  einen  Gegenstand.  eine  Materie,  einen  Begriff, 
wie  man  es  nennen  will;  halten  Sie  ihn  recht  fest;  machen  Sie  sich  ihn 
in  alien  Teilen  recht  deutlich,  und  dann  wird  es  Ihnen  leicht  sein,  ge- 
sprachsweise  an  einer  Masse  Kinder  zu  ersehen,  was  sich  davon  schon 
in  ihnen  entwickelt  hat,  was  noch  anzuregen,  zu  iiberliefern  ist.  Die  Ant- 
worten  auf  Ihre  Fragen  mogen  noch  so  ungehorig  sein,  mogen  noch  so 
sehr  ins  weite  gehen,  wenn  nur  sodann  Ihre  Gegenfrage  Geist  und  Sinn 
wieder  hereinwarts  zieht,  wenn  Sie  sich  nicht  von  Ihrem  Standpunkt  ver- 


Goetbe  als  P'ddagog.  231. 

riicken  lassen :  so  mussen  die  Kinder  zuletzt  denken,  begreifen,  sich  iiber- 
zeugen  nur  von  dem,  was  der  Lehrende  will."  ,,Echt  asthetisch-cfialek- 
tisch  konnte  man  sein,  wenn  man  mit  seinen  Schiilern  an  alien  Empfin- 
dungswerten  voriiberginge  oder  es  ihnen  zubrachte  im  Moment,  wo  es 
kulminiert  und  sie  hochst  empfanglich  sind."  ,,Unser  Kopf  muss  iiber- 
sehen,  was  ein  anderer  Kopf  fassen  kann." 

tlber  den  Fortschritt  vom  Bekannten  zum  Unbekannten  lasst  er  sich 
horen  in  den  Worten:  ,,Der  echte  Schiiler  lernt  aus  dem  Bekannten  das 
Unbekannte  und  nahert  sich  dem  Meister."  ,,Nur  indem  man  sich  iiber 
das  Bekannte  vollig  verstandigt  hat,  kann  man  mit  einander  zum  Unbe- 
kannten fortschreiten."  u.  s.  w. 

t)ber  Anschauung  und  Begriff.  ,,Lebendige  Kenntnisse  erlangt  man 
nur  auf  praktischem  Wege."  Kostlich  ist  seine  Satire  des  anschauungs- 
losen  geographischen  Unterrichts  seiner  Zeit  im  Gotz  von  Berlichingen. 
,,Ich  weiss  noch  was>  wendet  sich  der  kleine  Karl  an  semen  Vater,  Jaxt- 
hausen  ist  ein  Dorf  und  Schloss  an  der  Jaxt,  gehort  seit  zweihundert  Jah- 
ren  denen  Herren  von  Berlichingen  erbeigentiimlich  zu."  Als  ihn  aber 
der  Vater  fragt,  ob  er  die  Herren  von  Berlichingen  kenne,  sieht  ihn  Karl 
starr  und  verwundert  an,  ohne  An-twort  zu  geben.  ',Wem  gehort  Jaxthau- 
sen  ?  examiniert  der  Vater  weiter,  und  wieder  tont  es  mechanisch  von  den 
Lippen  des  Kleinen :  Jaxthausen  ist  ein  Dorf  und  Schloss  an  der  Jaxt  — 
da  geht  dem  guten  Gotz  die  Geduld  aus  und  ein  Licht  auf.  So  erzie- 
hen  die  Weiber  ihre  Kinder,  klagt  er  ganz  entsetzt,  und  wollte  Gott,  sie 
allein !  Ich  kannte  alle  Pfade,  Weg  una  Furten,  eh'  ich  wusst'  wie  Fluss, 
Dorf  und  Burg  hiessen. 

Den  naturwissenschaftlichen  Geschichtsunterricht  persifliert  er  in  den 
Versen  des  Faust: 

,,Im  Ganzen  aber,  wie  man  sieht> 

Im  Weltlauf  immer  doch  etwas  geschieht. 

Was  Kluges,  Dummes  auch  je  geschah, 

Das  nennt  man  Welt-Historia. 

Und  die  Herren  Bredow's  kiinft'ger  Zeiten 

Werden  daraus  Tabellen  bereiten. 

'Darin  studiert  die  Jugend  mit  Fleiss, 

Die  falsche  Anwendung 'der  sokratischen  Methode  zeigt  er  mit  Hu- 
mor in  dem  folgenden  Gedichtchen: 

Lehrer:     Bedenk',  o  Kind,  woher  sind  diese  Gaben? 

Du  kannst  nichts  von  dir  selber  haben. 
Kind:     Ei,  alles  hab'  ich  vom  Papa. 
L.:     Und  der,  woher  hat's  der? 
K.:    Vom  Grosspapa. 

L.:    Nicht  doch!  Woher  hat's  denn  der  Grosspapa  bekommen? 
K.:    Der  hat's  genommen. 


232  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Fur  Goethe  fiihrt  Gehalt  ohne  Methode  zur  Schwarmerei,  Methode 
ohne  Gehalt  zu  leerem  Kliigeln. 

Uber  die  Personlichkeit  dts  Lehrers  hat  der  Weimarer  Geheimrat 
ein  paar  saftige  Worte,  die  ich  Ihnen  nicht  vorenthalten  will.  Horen 
Sie:  ,,Es  ist  nichts  schrecklicher,  als  ein  Lehrer,  der  nicht  mehr  weiss, 
als  die  Schuler  allenfalls  wissen  sollen.  Wer  andere  lehren  will,  kann 
wohl  oft  das  Beste  verschweigen,  was  er  weiss,  aber  er  darf  nicht  halb- 
wissend  sein."  Wir  Brillentrager  kommen  schlecht  bei  dem  Frankfurter 
Apollo  weg:  ,,Was  habe  ich  von  einem  Menschen,  "dem  ich  bei  seinen 
mundlichen  Ausserungen  nicht  ins  Auge  sehen  kann,  und  dessen  Seelen- 
spiegel  durch  ein  Paar  Glaser,  die  mich  blenden,  verschleiert  ist."  Sehr 
verniinftig  ist  sein  Rat  fur  den  Lehrer:  ,,Ein  solcher  Mann  soil  in  dem 
Fache,  worin  er  Meister  ist,  lehren,  sich  auf  das  taglich  und  stiindlich  zu 
Lehrende  vorbereiten,  um  sich,  wenn  er  es  auch  in-  und  auswendig 
kennt,  fiir  den  Moment  fertig  zu  machen." 

Die  Quintessenz  Goethescher  Anschauung  lasst  sich  passend  in  fol- 
gende  Worte  Jungs  zusammenfassen :  ,,Erziehet  den  Menschen,  indem 
ihr  Achtung  vor  dem  habt,  was  sein  tiefstes  Wesen>  was  seine  Eigen- 
tumlichkeit  ist,  um  ihm  Achtung  vor  andern  einzuflossen.  Bringt  ihn 
aber  auch  schon  friih  zum  Bewusstsein  seiner  eigenen  Wiirde.  Haltet 
in  zartester  Jugend  ihn  gleich  frei  von  aller  Gemeinheit,  wie  von  aller 
Uberspanntheit,  von  aller  Sklaverei,  wie  von  aller  Gesetzlosigkeit  und 
beschaftigt  euch  in  einer  gesonderten  und  doch  weiten  und  grossartigen 
Sphare  ausschliesslich  mit  ihm,  reicht  ihm  die  edelste,  aber  auch 
einfachste  Nahrung  fiir  Leib  und  Seele,  uberladet  ihn  nicht  mit 
Kenntnissen,  als  dass  ihr  ihn  vielleicht  empfanglidh  macht  fiir  eine 
Unendlichkeit  immer  neuer  OffenBarungen,  ihn  aber  auch  heranbil- 
det  zu  einem  ausubenden  Meister  in  einem  bestimmten  Fach,  und  ihr 
werdet  ihn  zu  einem  edelen,  von  Selbstsucht  freien,  in  der  Hingebung 
an  andere  niitzliche  Wesen  erziehen,  dessen  Grundzuge  des  Personfichen : 
Empfanglichkeit,  Lauterkeit  und  Ehrfurcht  sind." 

Auch  fiir  Goethe  ist  die  Schule  nur  eine  Vorschule,  auch  fiir  ihn 
giebt  es  mehr  Dinge  im  Himmel  und  auf  Erden  als  unsere  Schulweisheit 
sich  traumen  lasst;  auch  er  ruft:  Hinaus  ins  Leben.  Ich  scfiliesse  des- 
halb  mit  den  Worten: 

,,Ein  edler  Mensch  kann  einem  engen  Kreise 

Nicht  seine  Bildung  danken.    Vaterland 

Und  Welt  muss  auf  ihn  wirken.     Ruhm  und  Tadel 

Muss  er  ertragen  lernen.     Sich  und  andre 

Wird  er  gezwungen  recht  zu  kennen.     Ihn 

Wiegt  nicht  die  Einsamkeit  mehr  schmeichelnd  ein. 

Es  will  der  Feind  —  es  darf  der  Freund  nicht  schonen; 

Dann  iibt  der  Jungling  streitend  seine  Krafte, 

Fuhlt  was  er  ist,  und  fiihlt  sich  bald  ein  Mann." 


Editorielles. 

Folgende  Erwiderung  auf  unsere  Bemerkungen  zu  dem  Berichte  iiber 
Prof.  Calvin  Thomas'  Vortrag  vor  der  Hochschullehrervereini- 
gung  zu  New  York  (Heft  3,  Jahrg.  II.)  ist  uns  von  geschatzter  Seite  zuge- 
gangen,  und  wir  lassen  dieselbe  im  Wbrtlaut  folgen : 

An  die  Redaktlon  der  Pad.  Monatshefte.  : 

Dass  der  Vortrag,  den  Hr.  Prof.  Calvin  Thomas  am  19.  Jan.  d.  J.  vor  dem 
,,Verein  der  Lehrer  des  Deutschen  an  New  Yorker  Hochschulen"  gehalten  hatte, 
in  der  Marznummer  Ihrea  geschatzten  Blattes  editoriell  besprochen  wurde,  ist 
ein  Beweis  dafiir,  dass  derselbe  auch  anderwarts  dasselbe  Interesse  erregt  hat, 
wie  bei  uns,  die  wir  Gelegneit  hatten,  denselben  zu  horen. 

Der  Umstand  jedoch,  dass  obige  Kritik,  trotz  des  genauen  Berichtes  des  Hrn. 
Rob.  Mezger  in  manchen  Punkten  den  Ausfiihrungen  und  den  Ansichten  des 
Vortragenden  direkt  zuwiderlauft,  und  gegen  Behauptungen,  die  von  ihm  gar 
nicht  aufgestellt  wurden,  zu  Felde  zieht,  veranlasst  mich,  die  geschatzte  Redak- 
tion  zu  bitten,  mir  die  Richtigstellung  der  irrigen  Punkte  gewahren  zu  wollen. 
Ich  habe  hierbei  zunachst  nicht  die  Absicht,  mich  zum  Verteidiger  der  Ansieh- 
ten  des  Redners  aufzuwerfen,  denn  Hr.  Prof.  Thomas  ist  imstande,  fur  sich.  und 
seine  Ansichten  selbst  eintreten  zu  konnen.  Der  Grund,  weshalb  ich  mich  zum 
Worte  melde,  ist  ein  anderer.  Ich  teile  namlich  die  tJberzeugung  der  Redak- 
tion,  wenn  sie  meint,  dass  die  Worte  eines  Mannes  wie  des  Hrn.  Prof.  Thomas 
nicht  nur  fur  die  Methodik,  sondern  sogar  fiir  den  Bestand  des  deutschen  Unter- 
richts  von  weittragendster  Bedeutung  sind,  und  dass  sie  demselben  betrachtigen 
Nutzen,  resp.  Schaden  zuzufiigen  vennogen.  Es  ist  deshalb  von  grosster  Wich- 
tigkeit,  dass  seine  offentlichen  Meinungsausserungen  richtig  wiedergegeben  und 
kommentiert  werden.  Von  einer  absichtlichen  Oder  geflissentlichen  Entstellung 
der  Ansichten  des  Redners  ist  natiirlich  nicht  die  Rede,  aber  es  scheint  mir 
doch,  dass  sich  einzelne  Punkte  der  teilweise  ziemlich  scharf  ausgefallenen  Kri- 
tik durch  den  oben  erwahnten  Bericht  des  Hrn.  Mezger  nicht  rechtfertigen  lassen. 

Zunachst  ist  der  dem  Artikel  gegebene  Titel  ,,Prof.  Calvin  Thomas  iiber  den 
deutschen  Sprachunterricht"  kein  gliicklicher  und  ist  dazu  angethan,  den  ,,ge- 
neigten"  Leser  irrezufiihren.  Derselbe  erweckt  den  Glauben,  dass  der  Vortra- 
gende  sich  iiber  das  ganze  Gebiet  des  deutschen  Sprachunterrichtes  verbreitete, 
wahrend  er  sich  programmgemass  auf  eine  ganz  bestimmte  Art  desselben  be- 
schrankte.  Es  lag  keineswegs  in  seiner  Absicht,  uns  sein  ,,ganzes  Glaubensbe- 
kenntnis"  iiber  den  modernsprachlichen  Unterricht  vorzulogen  oder  seine  Stel- 
lung  fiir  oder  gegen  die  zweisprachige  Volksschule  zu  erklaren  und  zu  ergriin- 
den.  Was  er  sich  zu  thun  vorgenommen  hatte,  und  was  ihm  nach  Ansicht  der 
meisten  Anwesenden  in  hervorragender  Weise  gelungen  ist,  war  einfach,  uns 
seine  auf  langjahrige  Erfahrung  gegriindete  und  durch  genaue  und  vielfache  Be- 
obachtung  befestigte  Meinung  iiber  die  Frage  mitzuteilen:  ,,Wie  lasst  sich  die 
deutsche  Unterrichtsstunde  in  unseren  Hochschulen  fiir  den  Schiiler  am  nutz- 
bringendsten  gestalten  und  verwenden?"  Die  Fassung  der  Frage  schloss  natiir- 
lich  von  vornherein  jede  Polemik  und  Propaganda  fiir  oder  gegen  Erweiterung 
der  deutschen  Sprache  als  Unterrichtsgegenstand  der  Schule  aus.  Der  Redner 
schloss  sich  deshalb  in  der  Besprechung  an  die  gegebenen  Verhaltnisse  an,  und 
da  sich  die  Hochschulverhaltnisse  der  meisten  Stadte  dieses  Landes  mit  der  un- 
serigen  decken,  so  sind  seine  Bemerkungen  von  mehr  als  lokaler  Bedeutung. 

Der  modernsprachliche  Unterricht  beginnt  bei  uns  erst  in  der  Hochschule; 


234  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

denn  obgleich  in  den  Boroughs  von  Manhattan  und  The  Broux — nicht  in  Brook- 
lyn und  den  iibrigen  —  sowohl  Deutsch  als  Franzosisch  fakultativ  schon  in 
den  letzten  zwei  Oder  drei  Jahren  der  Elementarschule  unterrichtet  wird,  sowar 
es  bis  jetzt  nicht  moglich,  bei  der  Klassifizierung  neu  eintretender  Schiller  in 
gebiihrender  Weise  darauf  Riicksicht  zu  nehmen.  Der  Unterricht  in  beiden 
Sprachen  1st  somit  im  ersten  Jahre  der  Hochschule  Anfangerunterricht.  So  liegt 
es  wohl  in  den  meisten  Stadten  des  Landes,  und  der  Vortragende  war  deshalb 
berechtigt,  in  seinen  Erorterungen  von  unseren  Verhaltnissen  als  Norm  auszu- 
gehen. 

Wenn  wir  diese  Pramisse  im  Auge  behalten  und  die  Absicht  des  Rednera 
nicht  verkennen,  so  muss  die  Behauptung:  ,,er  begiebt  sich  des  wichtigsten  Fak- 
tors  der  Volksschule",  zum  mindesten  als  eine  nicht  innerhalb  des  Rahmens  des 
Vortrages  liegende  Oder  als  eine  sich  nicht  aus  demselben  ergebende  hingestellt 
werden. 

Mit  Riicksicht  auf  die  scharfe  Begrenzung  des  Vortrages  werden  auch  einige 
der  iibrigen  Punkte  in  den  Ausfiihrungen  des  Sprechers  uns  in  giinstigerem 
L/i elite  erscheinen,  als  sich  aus  der  Kritik  ergiebt. 

Die  Frage,  was  unter  den  gegebenen  Verhaltnissen  in  einem  zwei-,  resp. 
drei-  Oder  vierjahrigen  Kursus  mit  vier  bis  fiinf  wochentlichen  Unterrichtsstun- 
den  anzustreben  und  zu  erreichen  sei,  beantwortete  Hr.  Thomas  mit:  Nicht 
Alles,  sondern  nur  das  Mogliche.  Hieraus  ergiebt  sich,  dass  eine  Auswahl  ge- 
troffen  werden  muss,  und  selbstverstandlich  1st  es  das  Wertvolle,  das  Bleibende, 
dem  er  das  Hauptaugenmerk  geschenkt  haben  will.  Dasselbe  besteht  fiir  ihn  in 
der  geistigen  Schulung,  die  das  Studium  der  Sprache  als  solche  und  als  Littera- 
turtrager  gewahrt.  Die  Beherrschung  der  gesprochenen  Sprache  1st  ihm  eben- 
falls  ein  wiinschenswertes  Ziel,  und  wer  seine  Grammatik  kennt  und  iiberdies  die 
Thatsache  beriicksichtigt,  dass  er,  laut  Bericht,  etwa  den  vlerten  Teil  der  Stunde 
der  tfbung  im  Sprechen  gewidmet  haben  will,  weiss,  dass  er  jene  Fertigkeit  als 
Erziehungsmittel  keineswegs  unterschatzt;  aber  die  Frage,  ob  unter  den  gege- 
benen Verhaltnissen  am  meisten  fiir  die  geistige  Schulung  des  Schiilers  zu  er- 
reichen sei,  wenn  die  gesprochene  Sprache  in  den  Vordergrund  geriickt  wird, 
glaubt  er  mit  ,,Nein"  beantworten  zu  miissen.  —  Er  mag  vielleicht  das  Sprechen 
iiberhaupt  nicht  als  das  hochste  und  begehrenswerteste  Ziel  des  Studiums  einer 
modernen  Sprache  ansehen,  aber  zu  behaupten,  ,,er  verwirft  das  Sprechenler- 
nen,"  1st  eine  Missdeutung  seiner  Ansichten  und  1st  nicht  im  Einklang  mit 
eeinen  Ausfiihrungen. 

Ebensowenig  ist  die  Behauptung:  ,,Im  Grammatikunterricht  erblickt  Hr. 
Thomas  alles  Heil."  Was  er  sagte,  und  was  auch  im  Berichte  geniigend  betont 
wurde,  ist,  dass  die  Grammatik  in  erster  Linie  als  Mittel  zum  Zwecke  anzusehen 
sei,  und  dass  man  sich  bestreben  solle,  den  Unterricht  mit  ihr  so  wenig  als  mog- 
lich zu  belasten.  Als  praktischer  Schulmann  weiss  er  aber,  dass  es  ohne  Kennt- 
nis  der  Grammatik  auf  die  Dauer  nicht  geht,  dass  auch  in  dem  Studium  der 
Grammatik  einer  Fremdsprache  ein  grosser  Gewinn  liegt;  darum,  meint  er,  diirfe 
man  etwa  ein  zweites  Viertel  der  Stunde  dem  grammatischen  Unterrichte  opfern. 
Ich  kann  nicht  einsehen,  wie  sich  aus  obiger  Ansicht  eine  Riickkehr  zum  alten 
2opfe  konstruieren  lasst. 

Ein  weiterer  Punkt,  der  mir  ebenfalls  anfechtbar  erscheint,  ist  der  Versuch 
xles  Rezensenten,  die  amerikanische  Hochschule  mit  einem  deutschen  Gymna- 
sium vergleichen  zu  wollen.  Doch  dariiber  vielleicht  spater  einmal. 

C.  F.  K. 

Obige  Richtigstellung  kam  leider  so  kurz  vor  Abschluss  dieses  Hef- 


Editor  idles.  235 

tes,  dass  wir  es  unmoglich  finden,  auf  Einzelheiten  einzugehen.  Wir 
bitten  darum  unsere  Leser,  dieselbe  mit  der  editoriellen  Notiz  in  dem 
Marzheft  dieses  Jahres  und  dem  dieser  zu  Grunde  liegenden  Berichte  zu 
vergleichen,  um  sich  selbst  ein  Urteil  zu  bilden,  in  wie  weit  wir  zu  unse- 
ren  Auslassungen  berechtigt  waren. 

Es  lag  selbstverstandlich  nicht  in  unserer  Absicht,  mit  unserem  Arti- 
kel  nach  irgend  einer  Seite  bin  zu  verletzen,  und  wir  erkennen  es  dankbar 
an,  dass  unser  geschatzter  Kollege  unsere  Stellungnahme  wiirdigt.  Die 
P.  M.  halten  aus  vollster  Uberzeugung  daran  fest  und  werden  keine  Gele- 
genheit  voriibergehen  lassen,  derselben  Ausdruck  zu  verleihen,  dass  eine 
erfolgreiche  Fiihrung  des  deutschen  Unterrichts  nur  dann  moglich 
i  s  t,  wenn  damit  inderunterstenKlassederVolksschu.le 
begonnen  wird;  denn  erst  dann  werden  Hochschulen  und  Universitaten 
die  Ziele  erreichen  konnen,  die  ihnen  vorschweben.  Eins  dieser  Ziele  aber 
muss  unbedingt  die  Aneignung  der  Sprache  als  Umgangssprache  sein. 
Das  Studium  der  Sprache  als  solches  tragt  wenig  zur  allgemeinen  Geistes- 
bildung  bei,  wenn  sie  nicht  einen  Inhalt  bekommt,  an  dem  sie  im  Men- 
schen  wachsen  kann.  Das  naturlichste  Material  aber  liefert  das  tagliche 
Leben,  erst  dann  kommen  die  Geistesschatze  der  Sprache,  wie  sie  in  deren 
Litteratur  aufgespeichert  sind. 

Zur  Erreichung  dieser  Ziele  sind  uns  alle  Mittel  recht.  Wir  sind 
nicht  so  engherzig,  dass  wir  uns  zu  einer  Methode  bekennen  und  in  ihr 
alles  Heil  suchen;  nur  muss  jedes  Mittel  zur  richtigen  Zeit,  am  richtigen 
Platz  und  in  der  richtigen  Weise  angewandt  werden.  Aber  mit  Entschie- 
denheit  machen  wir  gegen  die  Zopftrager  Front,  die  un- 
sere schone  deutsche  Sprache  dazu  beniitzen  wollen,  um  an  ihr  ihre 
mathematisch-grammatikalischen  Formeln  zu  erproben. 

Dass  Herr  Prof. "Thomas  nicht  zu  diesen  Zopftragern  gehort,  davon 
sind  wir  von  vornherein  iiberzeugt,  und  die  P.  M.  haben  von  jeher  willig 
seine  grossen  Verdienste  um  den  deutschen  Sprachunterricht  anerkannt. 
(Wir  verweisen  nur  auf  die  Besprechung  des  Berichtes  des  Zwolferko- 
mitees,  dessen  Vorsitzer  Herr  Thomas  war,  aus  der  Feder  Prof.  Rosen- 
stengels.) 

Mochte  nun  aber  Herr  Thomas  noch  einen  Schritt  weiter  gehen  — 
und  da  kommen  wir  zu  unserem  ,,ceterum  censeo"  —  mochte  er  auch  die 
Hand  dazu  bieten,  dass  das,  was  er  in  so  eindriicklicher  Form  zu  Papier 
gebracht  hat,  auch  in  die  Praxis  umgesetzt  werde.  Viel,  sehr  viel  muss 
da  noch  an  alien  Ecken  und  Enden  besser  werden;  viel  kann  geschehen, 
wenn  sich  alle  Lehrer  der  deutschen  Sprache  von  der  Volksschule  bis  hin- 
auf  zur  Universitat  vereinigen,  um  gemeinsam  Hand  ans  Werk  zu  legen. 
Der  deutschamerikanische  Lehrertag  steht  wiederum  vor  der  Thiir. 
Werden  die  deutschen  Lehrer  zeigen,  dass  es  ihnen 
ErnstumihreSacheist?  Wenn  Manner  wie  Prof.  Thomas  vor- 
angingen,  die  deutschen  Lehrer  miissten  in  Scharen  folgen ! 


236  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Das  SOjahrige  Jubilanm  der  Deutsch-Englischen  Akademie  zu  Mil- 
waukee. Am  24.  Mai  des  Jahres  1851  war  es,  als  zu  Milwaukee  deutsche 
Manner,  die  der  Volkersturm  von  1848  hierher  geweht  hatte,  sich  zu- 
sammenthaten  und  die  Griindung  der  bald  weit  uber  die  Grenzen  Mil- 
waukees  hinaus  riihrnlichst  bekannten  Deutsch-Englischen  Akademie 
beschlossen.  In  ihren  Herzen  war  die  Flamme  der  Begeisterung  fiir 
Volksfreiheit  und  Volkswohlfahrt  —  Gaben,  die  nur  der  erwerben  und 
geniessen  kann,  dessen  Sinn  zum  Rechten  geleitet  wurde  —  nicht  erlo- 
schen,  und  sie  erblickten  darum  ihre  erste  Sorge  darin,  ihren  Kindern 
zum  Besitze  und  verstandigen  Genusse  dieser  Gaben  durch  eine  Erzie- 
hung  und  Schulung  im  fortschrittlichen  Geiste  zu  verhelfen. 

Funfzig  Jahre  sind  eine  lange  Zeit,  besonders  hierzulande,  wo  wir 
an  Riesenschritte  in  der  Entwickelung  aller  Zweige  menschlicher  Tha- 
tigkeit  gewohnt  sind;  und  der  wiirde  fehl  gehen,  der  diese  Fortschritte 
dem  offentlichen  Schulwesen  unseres  Landes  absprechen  wollte.  Dass 
es  angesichts  dessen  der  Deutsch-Englischen  Akademie  nicht  leicht  war, 
ihren  Platz  zu  behaupten,  leuchtet  ohne  weiteres  ein.  Schwere  Tage 
blieben  ihr  nicht  erspart,  und  mitunter  schien  es,  als  wiirde  sie  dasselbe 
Schicksal  treffen,  dem  so  viele  andere  ahnliche  Institute  zum  Opfer  fielen. 
Aber  immer  gelang  es  ihr  wieder,  sich  zu  einer  Achtung  gebietenden 
Stellung  emporzuarbeiten. 

*       *       * 

Eine  Privatschule  hat  in  unserm  Erziehungswesen  nicht  nur  einen 
berechtigten  Platz,  sondern  ist  noch  eine  Notwendigkeit,  so  lange  die  of- 
fentlichen Schulen,  namentlich  in  den  unteren  Graden,  so  iiberfullt  sind, 
wie  sie  es  gegenwartig  sind.  Es  werden  sich  immer  Eltern  zur  Genuge 
finden,  die  diesen  Mangel  des  Schulwesens  erkennen  und,  um  ihren  Kin- 
dern eine  individuelle  geistige  Pflege  angedeihen  zu  lassen,  zur  Privat- 
schule ihre  Zuflucht  nehmen  werden. 

Ahnlich  verhalt  es  sich  mit  der  deutschamerikanischen  Privatschule. 
Kurzsichtige  und  engherzige  Menschen  —  wir  finden  deren  leider  unter 
unsern  Deutschen  nicht  wenige — halten  ihre  Tage  fiir  gezahlt.  Wir  wa- 
gen,  das  Gegenteil  zu  behaupten.  Die  deutschamerikanische  Privat- 
schule vertritt  das  Prinzip  des  zweisprachigen  Unterrichts.  In  dem 
Masse,  in  dem  sich  die  Erkenntnis  von  der  Richtigkeit  dieses  Prinzips  in 
unserm  Volke  Bahn  brechen  wird,  wird  auch  das  Bediirfnis  nach  der 
zweisprachigen  Privatschule  —  das  muss  die  deutschamerikanische  Pri- 
vatschule sein  —  wachsen.  Die  Zukunft  dieser  Institute  ist  also  nichts 
weniger  als  triibe. 

Allerdings  wird  eine  nach  ehrlichen  padagogischen  Grundsatzen 
gefuhrte  Privatschule  nie  eine  hohen  Gewinst  einbringende  Kapitalsan- 
lage  sein ;  sie  wird  im  Gegenteil  darauf  angewiesen  sein,  auf  die  Opfer- 
freudigkeit  fiir  das  Werk  der  Erziehung  Begeisterter  zu  rechnen.  Denn 


Editorielles.  237 

es  geniigt  bei  einer  solchen  Schule  nicht,  dass  sie  mit  den  offentlichen 
Schulen  Schritt  halt,  sondern  man  erwartet  von  ihr,  dass  sie  als  Weg- 
weiser  diene.  Das  sei  nichts  weniger,  als  eine  Zuriicksetzung  des 
offentlichen  Schulwesens.  Dasselbe  ist  seiner  Grosse  wegen  ein  viel  zu 
schwerbeweglicher  Apparat,  als  dass  in  ihm  ohne  sehr  gefahrliche  Sto- 
rungen  Neuerungen  erprobt  werden  konnten.  Die  Privatschule  dage- 
gen  bietet  dazu  das  geeignete  Feld,  vorausgesetzt,  dass  verstandige  und 
erprobte  Leiter  an  ihrer  Spitze  stehen. 

*       *       * 

Dass  die  Deutsch-Englische  Akademie  es  vermochte,  ihren  Platz  zu 
behaupten,  verdankt  sie  in  erster  Linie  ihren  geistigen  Leitern.  Von 
Engelmann,  ihrem  genialen  Griinder,  bis  zu  unserm  Dapprich,  dessen 
vielseitige,  uneigenniitzige  und  unermudliche  Thatigkeit  der  Anstalt  zum 
grossten  Segen  gereicht,  finden  wir  fahige  von  Begeisterung  fur  ihren 
Beruf  erfiillte  Manner,  von  denen  ein  jeder  Bausteine  fur  den  Ausbau  der 
Anstalt  herbeigetragen  und  sie  dem  Ganzen  eingefiigt  hat.  Darin  er- 
fuhren  sie  aber  auch  Verstandnis  und  Unterstiitzung  bei  den  zahlreichen 
Gonnern  und  Freunden  der  Anstalt,  die  es  an  Opferwilligkeit  nicht  feh- 
len  liessen,  wenn  es  das  Wohl  der  Schule  erforderte.*) 

Die  Deutsch-Englische  Akademie  ist  seit  der  Grundung  des 
Deutschamerikanischen  Lehrerseminars  dessen  Musterschule.  Sie  ist 
dadurch  unser  aller  Interesse  naher  getreten,  ihr  Wohl  und  Wehe  muss 
denen,  die  mit  uns  zu  gleichem  Streben  vereint  sind,  gleich  am  Herzen 
liegen. 

So  wiinschen  denn  die  P.  M.,  dass  die  Jubilaumstage  einen  bleiben- 
den  Nutzen  fiir  die  Anstalt  im  Gefolge  haben  mogen.  Wir  rufen  ihr  ein 
herzliches  Gliickauf  fur  ihre  fernere  segensreiche  Wirksamkeit  entgegen ! 


*  Im  Auftrage  des  Komitees,  dem  die  Vorbereitungen  fiir  die  Jubilaums- 
feier  oblagen,  ist  von  dem  Direktor  der  Anstalt  eine  Festschrift  herausgege- 
ben  worden,  die  ein  klares  Bild  von  der  Entwickelung  der  Anstalt  bietet. 
Dieselbe  steht  unsern  Lesern  zur  Verfiigung;  sie  wird  ihnen  auf  Verlangen 
von  Herrn  Direktor  Dapprich  (558-568  Broadway,  Milwaukee,  Wis.)  unentgelt- 
lich  zugesandt  werden. 


Aus  deutschen  Schulzeitungen. 


Em  Eiickblick  auf  das  19.  Jahrhundert. 

Sage  mir,  Muse,  was  sing"  ich  zum  Preis  des  alten  Jahrhunderts, 
Dessen  sterbliches  Teil  schon  in  der  Grube  versank?  — 

Seltsam  fragst  du  fiirwahr!    Stromt  nicht  in  unendlicher  Fulle 
Herrliches,  Gottliches  dir,  das  dies  Jahrhundert  erschuf? 
Haucht  der  gebandigte  Wind  nicht  selbst  in  tonende  Saiten? 
Klingt  dir  im  Ohre  nicht  brausend  des  Athers  Gesang? 
Blitze  wandeln  gemessene  Bahnen  von  Polen  zu  Polen, 
Kehren  das  Dunkel  in  Licht,  kiinden  des  Menschen  Gebot 
Neueroberten  Welten.    Es  tummeln  sich  Strome  und  Meere 
Willig  dem  Menschen  zum  Dienst.    Krafte  erzeugen  die  Kraft. 
Bald  ersteigt  der  Sieger  auf  Helios'  Wagen  die  Sterne, 
Baut  sich  selber  den  Thron,  den  er  der  Gottheit  geraubt.  — 
Traun,  nicht  Kleines  denkst  du  vom  Menschen,  erhabene  Muse. 
Freilich  freut  sich  der  Zwerg  seines  titanischen  Stamms. 
Endlos  sinnt  er  und  schafft  er,  das  Tiefste  und  Hochste  durchdringt  sein 
.Unenniideter  Geist.    Aber  erhoht  er  sich  selbst? 

Thaler  und  Berge  durchfliegt  er,  durchfurcht  die  entlegensten  Meere, 
Grabt  im  gliihenden  Sand,  wiihlet  im  arktischen  Eis. 
Rasender  Hunger  nach  Gold  nur  treibt  die  gierigen  Volker. 
Einen  fiihret  der  Ruhm.    Tausende  lechzen  nach  Gold. 
Priester  deines  Altars,  o  Muse,  heilige  Sanger 
Waren  die  Fiirsten  des  Tags,  als  dies  Jahrhundert  erstand. 
Ihre  Gedanken  nahren  die  "Welt.    Wer  miide  der  Unruh, 
Fliichtet  in  ihren  Hain.    Wem's  noch  im  Herzen  gluht, 
Klimmt  mit  ihnen  empor  zum  Reiche  der  reinen  Ideen, 
Schaut,  was  nimrner  vergeht,  naht  mit  anbetendem  Geist 
Sich  der  Sonne  Homers  und  trinkt  sich  die  lechzenden  Augen 
Voll  von  ambrosischem  Licht,  das  ihm  die  Erde  verklart, 
Dunkles  erhellt,  das  Helle  verschont  und  das  Schone  verewigt. 
Hassliches  unverhiillt,  schwarender  Wunden  Geruch 
Aufzuzeigen  erpicht,  die  ekliche  Wahrheit  vergotternd, 
Lachen  sie  heute  des  Scheins,  drin  uns  ein  giitiger  Geist 
Liebend  und  mitleidvoll  unzahlige  Ratsel  verborgen. 
Gott  ist  tot,  und  roh  waltet  das  blinde  Gesetz.  — 

Schelte  mir  nicht,  wie  frevelnd  es  scheine,  das  Streben  nach  Wahrheit! 
Auf  dem  Pfade  zu  ihr  hat  auch  der  Irrende  recht. 
Keiner  entratselt  der  Sterblichen  doch  das  letzte  Geheimnis, 
Das  um  den  innersten  Schrein  hiillte  der  Schopfer  des  Alls. 
Wahrheit  suchte  das  kiihne  Geschlecht,  und  Wahrheit  ist  Freiheit! 
Wahrheit  erschutterte  einst  Priester-  und  Ftirstengewalt; 
Wahrheit  sprengte  den  Bann  der  tausendjahrigen  Elnechtschaft; 
Burger  schuf  sie  zu  Herrn,  Horige  machte  sie  frei. 
Allen  gab  sie  ein  Recht,  sich  der  Giiter  der  Erde  zu  freuen; 
Auoh  der  Kleinste  streckt  keck  nach  dem  Hochsten  die  Hand. 
Elemente  ins  Joch  gespannt,  umkrelst  er  im  Fluge 


Die  scUimme  Jugend.  239 

Welten.    Seinem  Gebote  bringen  sie  willig  Tribut.  — 
Wo  hi!     Doch  schaffen  die  Thoren  nicht  selbst  sich  neue  Tyrannen? 
Freie  nennen  sie  sich!     Was  ist  es,  Geist  Oder  Gold, 
Das  die  Menge  der  Volker  bewegt,  das  sie  hierbin  und  dortbin 
Drangt;     Was  hilft  es  dem  Mann,  so  er  die  Seele  verdirbt, 
So  er  der  Liebe  vergisst,  ob  die  ganze  Welt  ihm  gehore? — 
Drum  bist,  Lehrender,  du  Hiiter  der  Jugend  genannt, 
Dass  du  im  starken  Leib  die  starke  Seele  erziebest, 
Die  im  taglichen  Kampf  nicbt  dem  Gemeinen  erliegt; 
Dass  du  den  heiter-beweglichen  Geist  an  den  reinlicbsten  Quellen 
Labst,  deren  Krystall,  einmal  genossen,  in  eucb 
Heilige  Sehnsucht  weckt,  die  Flecken  der  Seele  zu  baden, 
Deren  lebender  Tau  frischt  das  verwelkte  Gemiit. 
Lehre,  dass  Wissen  und  Konnen  nicht  Ziel,  nur  Mittel  des  Lebens, 
Dass  kein  erfreuendes  Gliick  ohne  das  friedliche  Herz. 
Streu  im  Acker,  den  unbeschrankt  das  letzte  Jahrhundert 
Offnete,  Saaten,  die  euch  Schiller  und  Goethe  gescbenkt. 
Spendest  du  also  den  Hort,  den  nahe  und  ferae  Geschlechter 
Emsig  hauften,  so  weiht  freudig  die  Muse  dein  Werk!  T. 

(Schweizerische  Lehrerzeitung.) 


Die  schiimme  Jugend.  Ein  stehendes  Kapitel  in  den  Klagen  iiber  die  Ver- 
derbtheit  unserer  Zeit  bilden  die  harten  Urteile  iiber  die  ,,schlimme  Jugend",  wo- 
bei  man  gewohnlich  unsern  Tagen  die  ,,gute  alte  Zeit"  gegeniiber  stellt,  in  der 
es  so  viel  besser  gewesen  sei.  Gewiss,  es  kommen  Ausschreitungen  unseres  jun- 
gen  Nachwuchses  vor,  die  man  mit  Recht  beklagt;  auch  kennen  die  Gerichtssale 
Vorkommnisse,  die  oft  ganz  jugendlich  Angeklagte  in  einem  recht  betriibenden 
Lichte  erscheinen  lassen.  Niemand  bedauert  das  mehr  als  wir  Erzieher,  nie- 
mand  auch  leidet  unter  der  schlimmen  Jugend  mehr  als  wir.  Aber  so  war  es  von 
je,  was  schon  das  Volkssprichwort  bezeugt:  „ Jugend  hat  keine  Tugend".  Wer, 
wie  Einsender  dieses,  auf  fast  drei  Vierteljahrhunderte  zuriickblickt,  weiss,  dass 
friiher  die  Jugend  durchschnittlich  auch  nicht  besser  war  als  heutzutage;  ja  nach 
den  Schilderungen  alterer  Personen,  die  mir  aus  den  Jugendjahren  noch  sehr  gut 
erinnerlich  sind,  kamen  schon  vor  hundert  Jahren  Ausschreitungen  vor,  die  viel 
bedenklicher  waren,  als  die  ich  selbst  erlebte.  Wer  aber  sich  tiefer  in  das  Stu- 
dium  der  Geschichte  versenkt,  wird  flnden,  dass  wir  gar  keine  Ursache  haben,  die 
Jugend  fniherer  Jahrhunderte  der  unsrigen  als  Muster  gegenviber  zu  stellen. 

Felix  Platter,  geb.  1536,  der  Sohn  des  bekannten  Thomas  Platter,  erzahlt, 
dass  ihm  einmal  das  Werfen  mit  Steinen  auf  eines  Nachbarn  Dach  ordentliche 
Strafe  eingetragen,  dass  er  ein  andermal,  da  er  einem  Kameraden  auflauerte,  sei- 
nem  zufalHg  des  Wegs  kommenden  Vater  mit  einem  Schneeballen  so  auf  die  Nase 
traf,  dass  diese  blutete,  dass  er  aber  dem  Schlage,  den  dann  der  Vater  ihm  appli- 
zieren  wollte,  auswich.  Auch  erzahlte  er,  dass  er  iiber  seiner  Mutter  Hollermus 
gekommen  sei,  sehr  viel  genascht  und  heimlich  Schleckereien  gekauft  babe. — 
In  Augsburg  mussten  1647  vier  Schrannenknechte  nachmittags  auf  dem  Wein- 
markte  Obacht  geben  auf  die  ,,bosen  Buben",  die  die  ehrlichen  Leute  mit  Schnee- 
ballen warfen.  —  Hermann  von  Weinsberg  und  seine  Mitschiiler  warfen  abends 
bei  zwei  verlasseneri  Hausern  die  Fenster  ein  und  lief  en  davon;  auch  klopften 
und  lauteten  sie  an  den  Hausern.  In  Brieg  (Schlesien)  wurde  eine  alte  Frau,  die 
als  Hexe  verrufen  war,  von  den  Schulbuben  mit  Steinen  und  Unflat  beworfen  und 
so  vibel  traktiert,  dass  die  Herzogin  Sibylle  sich  ihrer  annehmen  musste.  Der 


P'ddagogiscbe  Monatsbeftt. 

Schulmeister  wurde  angewiesen,  den  Knaben  mit  Ochsenziemern  und  scharfen 
Ruten  die  Verfolgungslust  auszutreiben. 

Was  Hans  Sachs  in  seiner  ,,Comedie  von  den  ungleichen  Kindern  Eva"  (1553) 
vom  ungezogenen  Buben  Kain  erzahlt,  ist  sicher  aus  dem  Leben  gegriffen.  Ein 
recht  sauberes  Frfichtchen  war  Gottfried  Wernher  von  Zimmern.  Noch  nicht 
acht  Jahre  alt,  hatte  er  unter  andern  Schalkheiten  sich  auch  erlaubt,  ganz  nackt 
sich  im  Kot  zu  walzen  und  dann  im  Dorfe  umher  zu  laufen,  die  Kinder  zu  jagen, 
ja  die  Frauen  in  den  Hausern  zu  erschrecken.  Sein  Oheim,  dem  er  zur  Erziehung 
anvertraut  war,  bestrafte  ihn  trotz  erhobener  Klagen  nicht,  sondern  lachte  noch 
fiber  den  Knabenstreich.  Da  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass  der  Bursche  dem 
Erzieher  fiber  den  Kopf  wuchs,  und  am  Ende  entlief,  um  sich  mit  andern  Schii- 
lern  dem  Zuge  der  Schweizer  nach  Mailand  anzuschliessen.  In  Chur  wurden  die 
Pliichtlinge  vom  Pfriindamman  des  Frauenmiinsters  in  Zurich  eingeholt.  Der 
Oberst  gab  aber  die  Jungen  nur  gegen  das  Versprechen  frei,  dass  sie  nicht  be- 
straft  weden  diirften.  Auch  ein  zehnjahriger  Graf  von  Furstenberg,  der  in  Frei- 
burg studierte,  zeigte  sich  als  sauberes  Friichtl.  Er  liess  nachts  einen  Kamera- 
den  sich  in  sein  Bett  legen,  um  den  Prazeptor  zu  tauschen.  Er  trieb  sich  auf  der 
Strasse  herum  und  verubte  allerlei  Unfug.  Die  Schilderung  eines  fliegenden  Blat- 
tes,  der  ,,Hagenauer  Sohn"  von  einem  schlimmen  Knaben,  ist  offenbar  der  Wirk- 
lichkeit  entnommen.  Es  wird  u.  a.  von  ihm  gesagt:  ,,Alle  Siind  und  Raubrei 
trieb  er  taglich  ohne  Scheu";  seine  Mutter  schimpfte  er:  ,,Du  Sau,  du  krummer, 
alter  Bar,  du  Hex',  du  Aas  und  noch  viel  mehr!" 

Der  Strassburger  Jugend  musste  1738  das  Stein-  und  Hutwerfen,  Raketen- 
und  Schwarmerschiessen,  das  Anziinden  von  Stroh  und  anderen  feuerfangenden 
Stoffen,  das  Larmen  vor  d<*r  Kirche  wahrend  des  Gottesdienstes  verboten  werden. 

Die  mittelalterlichen  Belchtspiegel  fiir  die  Jugend  enthalten  Fragen,  aus  de- 
nen  man  entnehmen  kann,  was  Schlimmes  man  dieser  zutraute.  Sie  mussten  ihr 
Gewissen  daraufhin  erforschen,  ob  sie  gelogen,  geflucht,  sich  gezankt  und  ge- 
schlagen,  die  Eltern  verunehrt,  diesen  und  den  Lehrern  etwas  entwendet,  mit 
Karten  gespielt,  mit  Steinen  geworfen,  Xcker,  Wein-  und  Baumgarten  bestohlen, 
sich  vermummt,  Serenaden  gebracht  hatten,  ja  ob  und  wie  sie  sich  wider  das 
sechste  Gebot  versiindigt  hatten. 

Daraus  mag  man  ersehen,  dass  Knaben  und  Magdlein  der  ,,guten  alten  Zeit" 
auch  keine  Engel  und  im  allgemeinen  nicht  besser  waren  als  unsere  heutigen. 
Stellt  doch  die  Bibel  schon  gleich  im  Anfang  ihrer  Menschengeschichte  neben  den 
frommen  Abel  den  ganz  schlimmen  Kain.  So  hat  es  stets  neben  den  guten  Kin- 
dern —  gewiss  die  Mehrzahl  —  auch  schlimme  gegeben,  und  so  wird  es  bleiben 
in  aller  Zeit  M. 

(Bayerische  Lehrerzeitung.) 


Schwedisches  und  deutsches  Tumen.  Behufs  Stellungnahme  zu  dem  im 
vorigen  Sommer  hier  vorgefuhrten  schwedischen  Turnen  hatte  der  Ausschuss  der 
vier  Berliner  Turngaue  kiirzlich  eine  Turnerversammlung  einberufen,  zu  der  auch 
der  Geh.  Oberregierungsrat  Brandi  aus  dem  Kultusministerium  erschienen  war. 
Auch  die  hiesige  schwedische  Kolonie  hatte  Vertreter  entsandt.  Nachdem,  wie 
die  Tagespresse  berichtet,  Schulrat  Dr.  Kiippers,  der  Leiter  der  hiesigen  staat- 
lichen  Turnlehrer-Bildungsanstalt,  ein  Bild  der  Vorfuhrungen  der  schwedischen 
Gymnasiasten  gegeben  und  dabei  ruhmend  auf  das  wohldurchdachte,  eine  eben- 
massige  Korperbildung  erstrebende  System  hingewiesen,  d«r  Gewandtheit  der 
Schweden  gedacht  und  die  wahrhaft  iiberraschende  Schonheit  einzelner  Ubungen 
gewfirdigt  hatte,  nahm  Privatdozent  Dr.  Reinhardt  das  Wort  zu  einer  mehr  kri- 


Ober  Scbulpausen  und  Nacbmittagsunterricbt. 

tischen  Betrachtung.  Er  verbreitete  sich  namentlich  uber  die  Frage  der  Hand- 
habung  der  Freiiibungen,  auf  die  die  Schweden  das  Hauptgewicht  legen.  Auf 
diesem  Gebiete  konne  die  deutsche  Turnerei  von  Schweden  noch  mancherlei  ler- 
nen,  vor  allem  die  einfache  Form  und  den  leichten,  geschmeidigen  und  doch  straf- 
fen  Gang,  der  dem  Redner  bedeutend  besser  gefallen  hat,  als  die  deutsche  Art  des 
Marschierens,  die  mit  dem  Stampfschritt  geradezu  eine  Karrikatur  geworden  sei. 
Beziiglich  des  Gerateturnens  sei  dagegen  Deutschland  Schweden  mindestens  eben- 
biirtig.  In  der  ausgedehnten  Besprechung  nahmen  auch  drei  schwedische  Herren 
das  Wort.  Dr.  med.  Ekgren  hob  die  harmonische  Ausbildung  des  ganzen  Korpers 
durch  das  Turnen  nach  schwedischer  Art  hervor  und  behauptete,  dass  das  deut- 
sche Turnen  zu  sehr  die  Muskulatur  des  oberen  Korpers  bevorzuge,  eine  Behaup- 
tung,  der  der  stadtische  Turnlehrer  Dr.  med.  Luckow  entgegenzutreten  suchte. 
Herr  Erikson,  der  Reprasentant  des  hiesigen  schwedischen  Gymnasiastenvereins, 
trat  nicht  minder  warm  wie  sein  vorerwahnter  Landsmann  fur  das  schwedische 
Turnen  ein  und  wandte  sich  dabei  namentlich  gegen  die  sogenannte  deutsche 
Gipfelturnerei,  gegen  die  Ausfiihrung  allzu  komplizierter  Sachen,  die  teilweise 
der  Gesundheit  direkt  schadlich  seien.  Fur  das  deutsche  Turnen  trat  warm  ein 
der  Kreisvertreter  Atzrott,  der  besonders  auch  des  deutschen  Marschschritts  sich 
annahm,  der  nun  einmal  der  deutschen  Art  entspreche,  wenn  es  dabei  auch  ein 
bischen  plumpse.  Nach  langer  Auseinandersetzung  gelangte  folgende  Resolution 
zur  Annahme.  Die  versammelten  deutschen  Turner  beschliessen:  Die  schwedi- 
schen Gymnasiasten  erfreuten  uns  am  13.  Juni  1900  in  der  hiesigen  grossen  stadti- 
schen  Turnhalle  durch  die  musterhafte  Darbietung  einfacher  Freiiibungen,  wir 
sind  aber  der  Uberzeugung,  dass  unser  deutsches  Turnen  in  der  Ausfiihrung  der- 
artiger  ttbungen  mit  belasteten  Handen  eine  gunstige  Weiterentwickelung  er- 
reicht  hat  Obwohl  die  gezeigte  Sauberkeit  in  der  Vorfiihrung  einfacher  Kraft- 
iibungen  an  den  Geraten  anzuerkennen  ist,  so  mochten  wir  doch  in  unseren  zu 
Mut  und  Gewandtheit  erziehenden  schwierigeren  Geratiibungen  einen  wertvollen 
Fortschritt  des  Turnens  sehen,  auf  den  wir  deutschen  Turner  nie  verzichten 
wollen.  (Deutsche  Schulztg.) 


tJber  Schulpausen  und  Nachmittagsunterricht  schrieb  der  Geh.  Medl- 
zinalrat  Prof.  Dr.  Eulenburg  in  der  ..Umschau".  Wir  iibergehen  die  Begrtin- 
dung  und  beschranken  uns  auf  die  Wiedergabe  der  gestellten  Forderungen.  I. 
Unterrichtspausen :  Wahrend  der  ersten  Schuljahre  (7. — 9.  Lebensjahr)  darf  in 
der  Regel  die  auf  jede  einzelne  Unterrichtsstunde  entfallende  Zeit  nicht  mehr 
als  eine  halbe  Stunde,  in  den  unteren  Klassen  der  hoheren  Lehranstalten  (etwa 
bis  zum  vollendeten  13.  Lebensjahre,  also  bis  zur  Quarta  oder  besser  bis  zur 
Untertertia)  darf  die  Dauer  einer  jeden  Unterrichtsstunde  unter  keinen  Umstan- 
den  mehr  als  45  Minuten  betragen;  und  es  muss  hier  auf  jede  Unterrichtsstunde 
eine  Pause  von  durchschnittlich  fiinfzehnminutiger  Dauer  folgen.  In  den  mittle- 
ren  und  oberen  Klassen  der  hoheren  Lehranstalten  kann  annahernd  in  der  Mitte 
der  Vormittagsunterrichtszeit,  also  nachdem  mindestens  zwei  durch  keine  oder 
sehr  kurze  Pause  unterbrochene  Schulstunden  voraufgegangen  sind,  eine  langere 
Pause  von  mindestens  20minutiger  Dauer  eingeschaltet  werden,  die  unter  alien 
Umstanden  ausserhalb  der  Klassenraume,  wenn  irgend  angangig  im  Freien  zuge- 
bracht  und  (womoglich  vorschriftsmassig)  als  ,,Fnihstuckspause"  benutzt  werden 
miisste.  Die  dann  noch  folgenden  zwei  oder  drei  Lehrstunden  —  mehr  als  fiinf 
wissenschaftliche  Lehrstunden  hintereinander  sollten  iiberhaupt  unter  keinen 
Umstanden  erteilt  werden !  —  waren  durch  kvirzere  Pausen  von  etwa  lOminutiger 
Dauer  von  einander  zu  trennen.  Auf  eine  vierstiindige  Unterrichtszeit  ergeben 


242  P'ddagogiscbe  Monatsbejte. 

eich  hiernach  (als  Minimum)  30 — 35,  auf  eine  fiinfstiindige  40 — 45  Minuten  Pause. 
Vorteilhafter  als  dieses  System  ware  allerdings  das  Einlegen  von  Pausen  von 
wachsender  Lange  nach  jeder  Lehrstunde.  Prof.  E.  schlagt  folgendes  Schema 
vor: 

1.  Stunde  (45  Minuten)— (z.  B.  8      bis    8:45 

1.  Pause     10         "        ,  8:45  "     ,8:55 

2.  Stunde    45         "  8:55  "     9:40 

2.  Pause     15         "  9:40  "     9:55 

3.  Stunde    45         "  9:55  "   10:40 

3.  Pause     15         "       i  10:40  "   10:55 

4.  Stunde   45        "  10:45  "   11:40 

4.  Pause     20        "       i  11:40  "   12 

5.  Stunde    45         "  12        "    12:45 
Bemerkenswert  ist,  dass  E.  davor  warnt,  die  Turnstunden  als  erholend  anzu- 

sehen  und  demgemass  an  den  Schluss  oder  in  die  Mitte  des  Vormittagsunterrichts 
zu  legen.  Der  Turnunterricht  ist,  wofern  er  seinen  Zweck  erfiillen,  nicht  aus 
einem  Segen  zum  Nachteil,  ja  zum  Unheil  sich  gestalten  soil,  folgerichtig  zu  iso- 
lieren;  er  ist  auf  die  schulfreien  Nachmittage  (im  Sommer  auf  die  spateren  Nach- 
mittagsstunden)  zu  verlegen,  und  es  hat  dann  allerdings  auch  keinen  Sinn,  an  der 
vorgeschriebenen  Trennung  und  Vereinzelung  der  drei  Turnstunden  in  der  bis- 
herigen  Weise  mechanisch  festzuhalten,  die  an  sich  schon  vielfach  zu  einer  bedau- 
erlichen  Zerriittung  der  Lehrplane  Anlass  gegeben  hat.  Vielmehr  wiirde  es  weit 
zweckmassiger  sein,  anderthalb  bis  zwei  Turnstunden  hintereinander  anzusetzen, 
wie  das  ja  auch  in  friiheren  Zeiten  vielfach  zu  geschehen  pflegte  und  gewiss  an 
manchen  Lehranstalten  als  bewahrte  Praxis  auch  jetzt  noch  geiibt  wlrd.  —  II. 
Nachmittagsunterricht:  Daa  Ideal  ware  ganzlicher  Wegfall  des  Nachmittagsun- 
terrichts,  mindestens  aber  Beseitigung  der  wissenschaftlichen  Lehrstunden,  Be- 
schrankung  auf  die  technischen  und  fakultativen  Lehrgegenstande  (abgesehen 
von  dem  schon  besprochenen  Unterricht);  iiberdies  sollte  der  Nachmittagsunter- 
richt in  der  Regel  nicht  friiher  als  drei  Stunden  nach  beendetem  Vormittagsunter- 
richt  beginnen.  (Die  Deutsche  Schule.  Heft  3,  1901.) 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Korrespondenzen. 


Baltimore. 

Einen  ungemein  s  c  h  w  e  - 
ren  Verlust  hat  die  Johns  Hop- 
kins Universitat  erfahren.  Professor 
Dr.  Henry  A.  Rowland,  der  beriihmte 
Physiker  und  Erfinder,  welcher,  wie 
wenig  Andere,  dazu  beigetragen  hat, 
der  jungen  Johns  Hopkins  Universitat 
einen  Weltmhm  zu  verschaffen,  ist  am 
16.  April  im  Alter  von  53  Jahren  ganz 
unerwartet  gestorben.  Er  war  ein 
Schiller  des  Prof.  Helmholtz  in  Berlin. 

Bei  Griindung  der  hiesigen  Univer- 
sitat iibertrug  man  Dr.  Rowland  einen 
Lehrstuhl  und  das  physikalische  La- 
boratorium.  In  diesem  hat  er  seitdem 
Grosses  geleistet  und  selbst  in  Berlin 
Staunen  und  Bewunderung  erregt.  Er 
hat  die  Spektralanalyse  vervollkomm- 
net,  die  Niagara-Falle  ins  Joch  ge- 
spannt,  um  elektrische  Kraft  zu  erzeu- 
gen,  und  den  Multiplex-Telegraphen 
erfunden,  der  jetzt  von  einer  Gesell- 
schaft  praktisch  verwertet  wird.  An 
Ehren  und  Auszeichnungen  hat  es 
ihm  nicht  gefehlt,  und  in  der  kurzen 
Spanne  Zeit  seiner  Wirksamkeit  hat 
sich  Erf olg  an  Erfolg  gereiht.  Es  wird 
schwer  werden,  einen  ebenbiirtigen 
Nachfolger  zu  finden. 

Der  Lehrplan  anden  drei 
hoheren  Schulen  hat  eine 
ganzliche  Umgestaltung  erfahren.  Zu- 
nachst  ist  der  Kursus  am  City  College 
um  ein  Jahr  verkiirzt  worden,  so  dass 
er  nur  noch  vier  Jahre  umfassen  wird, 
wie  der  an  den  beiden  hoheren  Toch- 
terschulen.  Der  neue  Lehrplan  be- 
stimmt,  dass  diese  Zoglinge  dieser 
Lehranstalten  nunmehr  in  alien  vier 
Jahren  jede  Woche  16  Stunden  engli- 
schen  und  20  Stunden  lateinischen,  in 
den  letzten  drei  Jahren  jede  Woche 
13  Stunden  deutschen  und  15  Stunden 
griechischen  und  in  den  letzten  zwei 
Jahren  jede  Woche  4  Stunden  franzO- 
sischen  Unterricht  nehmen  konnen. 
Die  Mathematik  beschrankt  sich  im 
ersten  Jahre  auf  4  Stunden  in  der  Wo- 
che fur  Algebra,  im  zweiten  Jahre  auf 
4  Stunden  pro  Woche  fur  gewohnli- 
che  Geometrie,  im  dritten  Jahre  auf 
4  Stunden  fur  hohere  Geometrie  und 
im  vierten  Jahre  auf  '  4  Stunden  pro 
Woche  fur  hohere  Algebra.  Im  ersten 
Jahre  werden  ausserdem  4  Stunden  in 
der  Woche  auf  den  Unterricht  in  Geo- 
graphic, 4  Stunden  fur  Zoologie,  5 
13tunden  fur  Physik  und  4  Stunden  fiir 


Chemie  verwandt.  Der  Unterricht  in 
der  Geschichte  ist  wie  folgt  eingeteilt: 
4  Stunden  in  der  Woche  fur  alte  Ge- 
schichte, 4  Stunden  fur  neue  europai- 
sche  Geschichte,  4  Stunden  fur  engli- 
sche  Geschichte  und  5  Stunden  in  der 
Woche  fur  amerikanische  Geschichte. 
Der  Unterricht  in  geschaftlichen  Fa- 
chern  beginnt  im  zweiten  Jahre  und 
umschliesst  Buchhaltung  und  Steno- 
graphic. Fur  Zeichenunterricht,  Mu- 
sik  und  korperliche  Ausbildung  sind 
in  jeder  Woche  6  Stunden — 2  fur  jedes 
Fach  —  angesetzt.  Die  vier  fremden 
Sprachen,  welche  auf  dem  Lehrplan 
stehen,  konnen  die  Schiller  und  Schii- 
lerinnen  alle  erlernen,  wenn  sie  wol- 
len;  sie  sind  aber  nur  gezwungen,  das 
Studium  einer  derselben  aufzuneh- 
men,  ab,er  zwei  Jahre  lang.  Lateinisch 
muss  gelernt  werden,  die  Schiller  kon- 
nen aber  zwischen  der  griechischen, 
deutschen  und  franzosischen  Sprache 
wahlen.  Begabte  Schiiler  konnen  in  3 
Oder  3%  Jahren  die  hoheren  Lehran- 
stalten absolvieren.  Fiir  eine  Klasse 
sind  25  Schiiler  erf  orderlich,  und  wenn 
in  einer  Lehranstalt  nicht  genug 
Schiiler  oder  Schiilerinnen  sind,  um 
z.  B.  das  Studium  der  deutschen  Spra- 
che aufzunehmen,  dann  konnen  die 
Schiiler  und  Schiilerinnen  aller  drei  ho- 
heren Lehranstalten  zu  einer  Klasse 
zusammengethan  werden. 

Es  ist  schade,  dass  nicht  auch  Spa- 
nisch  auf  den  Lehrplan  gesetzt  wurde. 
Durch  seine  griindliche  Kenntnis  des 
Spanischen  hat  ein  friiherer  Zogling 
des  City  College,  der  jugendliche  Ju- 
rist Otto  Schonrich,  eine  seltene  Aus- 
zeichnung  bekommen;  seit  dem  15. 
April  ist  er  Bezirksrichter  von  Are- 
cibo,  dem  zweitgrossten  der  fiinf 
Distrikte  Porto  Ricos.  Er  ist  der 
jiingste  Richter  im  Land,  am  nachsten 
9.  Juli  wird  er  erst  25  Jahre  alt. 

Die  offentlichen  Abendschulen  ha- 
ben  ihren  Kursus  beendigt.  Die  am 
Siid-Broadway  gelegene  Abendschule 
No.  2  war  am  besten  besucht.  An  die- 
ser war  eine  besondere  Klasse  fiir  sol- 
che  eingerichtet,  denen  die  englische 
Sprache  noch  vollig  fremd  war,  und 
Kollege  Schonrich  war  mit  Leitung 
derselben  betraut.  Man  nannte  die- 
selbe  die  internationale 
Klasse,  denn  die  46  Schiiler  und 
Schiilerinnen  —  im  Alter  von  16  bis 
46  Jahren  —  die  sich  im  Laufe  des 


244 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


Winters  eingefunden  batten,  gehorten 
zehn  verschiedenen  Nationen  an.  Un- 
ter  ihnen  befanden  sich  ein  Tiirke  und 
ein  Araber:  mit  dem  letzteren  ver- 
standigte  sich  der  Lehrer  durch  den 
Tiirken,  der  ein  wenig  Franzosisch 
verstand.  Bei  der  Schlussfeier  iiber- 
raschten  die  Zoglinge  ihren  Lehrer 
mit  einem  silberbeschlagenen  Regen- 
schinn,  Zigarren,  Wein  u.  dergl.;  die 
Deutschen  unter  ihnen,  etwa  zwanzig, 
wollten  ihm  noch  besonders  ein  Baar- 
geschenk  machen,  doch  verweigerte  er 
entschieden  die  Annahme  eines  sol- 
chen.  Da  schickten  sie  ihm  am  fol- 
genden  Tag  einen  grossen  Hefenkranz, 
und  als  er  den  Kuchen  spater  auf- 
Bchnitt,  entdeckte  er,  dass  das  Back- 
werk  mit  nagelneuen  Vierteldollars 
gespickt  war. 

Oberlehrer  August  Hering  hielt  in 
der  Aprilversammlung  des  deutschen 
Lehrervereins  einen  sehr  interessan- 
ten  Vortrag  liber  ,,Rechenunterricht 
in  den  unteren  Klassen  der  Volksschu- 
le".  Er  wurde  gebeten,  das  betreffende 
Manuskript  den  Pad.  Monatsheften 
zur  Veroffentlichung  zu  iiberlassen. 
In  derselben  Versammlung  wurden 
Trauerbeschliisse  liber  den  kurz  zuvor 
erfolgten  Tod  eines  werten  Kollegen, 
Johann  H.  Kiinker,  weiland  Lehrer  an 
der  Stadtschule  No.  93,  gefasst.  Er 
•war  ein  sehr  befahigter,  treuer  Leh- 
rer und  guter  Kollege,  sein  Heimgang 
1st  ein  empfindlicher  Verlust  fur  un- 
sere  Schulen. —  S. 

Californien. 

Am  sechsten  April  hielt  der  C  a  1  i- 
fornische  Verein  von  Leh- 
rern  der  deutschen  Spra- 
c  h  e  seine  regelmassige  Versammlung 
im  Mark  Hopkins  Institute  zu  San 
Francisco  ab. 

Dr.  Julius  Goebel  von  der  Stanford 
Universitat  fxihrte  den  Vorsitz  und 
Herr  Martin  Centner  von  der  Staats- 
universitat  fungierte  als  Sekretar. 

Die  Versammlung  war  gut  besucht 
und  Professor  Goebel  eroflnete  sie  mit 
einer  Ansprache  iiber  das  Lesen  von 
den  deutschen  Klassikern.  Der  Red- 
ner  machte  geltend,  dass  die  grossen 
deutschen  Dichter  einen  viel  grosseren 
Anspruch  darauf  haben,  an  unseren 
Universitaten  und  Colleges  studiert  zu 
werden,  als  die  alten  Klassiker.  Schil- 
ler's ,,Asthetische  Briefe"  z.  B.  wagen 
Ciceros  Reden  auf,  und  Goethes  Werke 
wurden  von  keinem  alten  Klassiker 
iibertroffen. 

Der  zweite  Redner  war  Prof.  W.  Kip 
von  der  Stanford  Universitat.  Er 
sprach  iiber  das  Lesen  von  Gedichten 


im  deutschen  Unterricht  und  hob  her- 
vor,  dass  die  Gedichte  ein  Spiegelbild 
des  Nationalgeistes  seien  und  als  sol- 
ches  behandelt  werden  miissten.  Auch 
sollten  sie  dazu  benutzt  werden,  um 
auf  das  Gemxit  des  Schiilers  einzuwir- 
ken.  Im  ganzen  war  er  fur  eine 
schlichte  Darbietung,  da  diese  einen 
um  so  grosseren  Eindruck  mache. 

An  letzteren  Vortrag  seniors  sich 
eine  Debatte,  woran  sich  mehrere  der 
Anwesenden  beteiligten. 

Wegen  der  vorgeriickten  Stunde 
musste  ein  Vortrag  von  Herrn  V. 
Buehner  von  der  San  Jose  High  School 
iiber  das  Thema:  ,,Wie  kann  man  den 
deutschen  Unterricht  lebendig  und 
praktisch  machen?"  und  ein  Vortrag 
von  Prof.  A.  Putzker  von  der  Staats- 
universitat:  ,,Kiinf  tiger  deutscher  Un- 
terricht in  Californien",  auf  die 
nachste  Versammlung  im  Oktober  ver- 
schoben  werden.  V.  B. 

Chicago. 

Am  20.  April  fand  unter  dem  Vor- 
sitz des  Prasidenten,  Herrn  Zutz,  die 
regelmassige  monatliche  Versamm- 
lung des  Deutschen  Lehrervereins  von 
Chicago  in  der  Handel-Halle  statt. 
Nach  Erledigung  einiger  notwendiger 
Geschafte  hielt  Herr  Dr.  G.  A.  Zim- 
mermann  einen  ebenso  lehrreichen 
wie  interessanten  Vortrag  iiber  das 
Thema  ,,Das  Passionsspiel  inOber-Am- 
mergau".  Sodann  sang  Frl.  Rosa  Lu- 
tiger,  welche  sich  im  Besitze  einer 
sehr  gut  geschulten  und  sympathi- 
schen  Stimme  befindet,  von  Fraulein 
Zutz  auf  dem  Klavier  begleitet,  zu- 
nachst  ,,O  bitt  Euch,  liebe  Vogelein", 
und  sodann  als  Zugabe  ,,Mein  Liebster 
ist  ein  Weber".  Sehr  grosses  Inter- 
esse  erregte  ein  von  Fraulein  Jane 
Adams  (vom  Hull  House)  in  englischer 
Sprache  gehaltener  Vortrag,  fur  wel- 
chen  sie  sich  als  Thema  "Social  Eco- 
nomies at  the  Paris  Exposition"  ge- 
wahlt  hatte .  Samtliche  Anwesende, 
deren  Zahl  wohl  gegen  200  betragen 
mochte,  verliessen  die  Versammlung 
nach  Schluss  derselben  in  ausserst  be- 
friedigter  Stimmung.  Der  Lehrerver- 
ein  wird  im  kommenden  Juni  einen 
Ausflug  pach  einem  noch  naher  zu  be- 
stimmenden  Orte  in  der  Nahe  von 
Chicago  unternehmen.  E.  A.  Z. 

Cincinnati. 

Wenn  diese  Nummer  der  P.  M.  in 
die  Hande  der  werten  Leserinnen  und 
Leser  gelangi,  wird  die  Superin- 
tendenten  -  Wahl  langst  erle- 
digt  und  damit  die  Qual  der  Ungewiss- 


Korresponden^en. 


245 


heit  und  des  Erratens  vortiber  sein. 
Heute,  nur  acht  Tage  vor  dem  fur  die 
hiesige  Lehrerschaft  so  wichtigen  Er- 
eignis,  sind  die  Aussichten  flit  die  bei- 
den  Hauptkandidaten  noch  sehr  unge- 
wiss.  Moge  die  Entscheidung  am 
Abend  des  6.  Mai  zum  Wohle  und  zur 
gedeihlichen,  zielbewussten  Fortent- 
wicklung  unserer  offentlichen  Schulen 
ausfallen,  indem  sie  keinen  konfusen 
Theoretiker,  sondern  einen  prakti- 
schen  Schulmann,  der  mit  dem  Cincin- 
natier  Erziehungswesen  vertraut  ist, 
an  dessen  Spitze  bringt.  Es  thut  uns 
wahrlich  not!  Wenn  bei  dieser  Wahl 
die  Ansichten  und  Wunsche  der  Lehrer 
Beriicksichtigung  fanden,  wie  es  doch 
eigentlich  sein  sollte,  so  wiirde  der 
richtige  Mann  an  den  richtigen  Platz 
kommen.  Sintemalen  aber  bei  solchen 
Angelegenheiten  die  Politik  zu  viel  ins 
Spiel  kommt,  so  achtet  man  die  Mei- 
nung  der  Lehrerschaft  so  wenig  als 
in  jeder  anderen  Beziehung.  Fiir  letz- 
tere  Behauptung  ein  Beweis:  —  In 
einer  ihrer  Versammlungen  erklarten 
sich  die  englischen  Prinzipale  einstim- 
ntig1  g  e  g  e  n  die  Beteiligung  der 
Schulen  bei  der  nachsten  B  1  u  m  e  n- 
parade  im  Herbst  d.  J.  Sie  wiesen 
eindringlich  darauf  hin,  dass  fur  die 
Vorbereitungen  zur  vorjahrigen  Blu- 
menparade  durchschnittlich  vierzehn 
Tage  Schulzeit  vertrodelt  wurden,  ab- 
gesehen  von  den  finanziellen  Opfern, 
die  von  Schiilern  und  Lehrern  dafiir 
gebracht  werden  mussten.  Sie  pro- 
testierten  auch  mit  Recht  gegen  den 
fortwahrenden  Missbrauch  der  Schu- 
len zu  geschaftlichen  Reklamezwecken 
—  half  alles  nichts!  Bei  der  Schul- 
ratssitzung  vom  22.  April  erklarte  sich 
diese  Korperschaft  zum  Gefallen  un- 
serer Geschaftsleute  einstimmig  fur 
die  Beteiligung  der  Schulen  an  der 
nachsten  Blumenparade.  Damit 

basta!  

In  der  Oberlehrerver- 
versammlung  am  25.  April  hielt 
Herr  Louis  Hahn  einen  zehn  Minuten 
langen  Vortrag  liber  ,,Aufsatz  in  den 
Primar-  oder  Distrikt-Graden".  Der 
Eef  erent  betonte  dabei  besonders  zwei 
Punkte,  namlich,  dass  sich  der  Aufsatz 
eng  an  das  Lesebuch  anzuschliessen 
habe,  ohne  dabei  aber  nur  eine  Wie- 
dergabe  der  betreffenden  Musterlese- 
stiicke  zu  liefern.  Solche  Reprodukti- 
onen  mit  verandertem  Zahl-,  Perso- 
nen-  und  Zeitverhaltnis  seien  ortho- 
graphische  oder  grammatische  Ubun- 
gen,  aber  keine  Aufsatze.  Zweitens 
erinnerte  er  an  den  schon  oft  gepre- 
digten,  aber  leider  sehr  oft  ausser 
Acht  gelassenen  Grundsatz,  dass  die 


Vorbereitung  und  nicht  die  Korrektur 
des  Aufsatzes  die  Hauptsache  sei. 
Denn  es  sei  besser,  die  Entstehung 
von  Ubeln  zu  verhindern,  als  die  be- 
gangenen  Fehler  zu  bestrafen  oder 
auszumerzen.  Die  Besprechung  des 
zweiten  Teils  seines  Themas,  der  Auf- 
satzunterricht  in  den  Intermediat- 
Graden,  behielt  sich  der  Referent  fiir 
eine  spatere  Gelegenheit  vor.  Da  keine 
anderen  Geschafte  vorlagen,  so  kam 
die  Sitzung  zu  einem  ungewohnlich 
schnelleu  Abschluss. 

In  der  Versammlung  des  Lehrer- 
v  e  r  e  i  n  s,  die  aus  verschiedenen 
Grunden  vom  ersten  auf  den  letzten 
Samstag  im  April  verschoben  wurde, 
hielt  Dr.  Gustav  Bruhl,  unter  dem 
Schriftsteller-Namen  Kara  Giorg  wohl 
bekannt,  einen  fesselnden  Vortrag 
iiber  den  ,,Ursprung  der  amerikani- 
schen  Rassen  und  ihrer  Kultur".  Der 
Redner,  der  als  Dichter,  Forschungs- 
reisender  und  Ethnologe  diesseits  und 
auch  jenseits  des  Ozeans  einen  bedeu- 
tenden  Namen  besitzt,  wusste  sein 
Thema,  wenn  auch  in  mancher  Bezie- 
hung abweichend  von  den  Forschun- 
gen  anderer  Gelehrter  auf  diesem  Ge- 
biete,  in  solch  anziehender  Weise  zu 
behandeln,dass  die  Anwesenden  seinen 
Ausftihrungen  bis  zum  Schluss  mit  ge- 
spannter  Aufmerksamkeit  folgten. 
President  Willenborg  sprach  jeden- 
falls  im  Sinne  aller  Zuhorer,  als  er  dem 
Redner  den  herzlichen  Dank  fiir  sei- 
nen Vortrag  aussprach. 

Herr  Eckhart  Keller,  Turnlehrer  der 
Newport  Turngemeinde,  fiihrte  hier- 
auf  mit  acht  seiner  Schulerinnen  ei- 
nen hiibschen  Reifenreigen  vor,  der 
bereits  letzten  Februar  eine  Nummer 
bei  der  gymnastischen  Schaustellung 
in  der  Sangerfesthalle  bildete.  Herr 
Oberlehrer  Victor  Groneweg  folgte 
alsdann  mit  einem  Violin-Solo,  wobei 
er  von  seiner  Schwester,  Frl.  Cora,  auf 
dem  Piano  begleitet  wurde.  Herr 
Groneweg,  der  sich  ein  Allegretto  und 
ein  Larghetto  von  Hauptmann  fiir  sei- 
nen Vortrag  gewahlt  hatte,  spielte 
mit  anerkenneswertem  Verstandnis 
und  Gefiihl. 

Bei  Erledigung  des  geschaftlichen 
Teiles  verlas  Dr.  H.  H.  Fick  folgenden 
Bericht,  der  gutgeheissen  und  einstim- 
mig angenommen  wurde: 

,,Das  Komitee,  welches  beauftragt 
wurde,  die  Frage  einer  Wiederbele- 
bung  des  Ohioer  Deutschen  Lehrer- 
bundes  und  die  Zweckmassigkeit  der 
Abhaltung  eines  diesjahrigen  Lehrer- 
tages  im  Staate  in  Erwagung  zu  zie- 
hen,  erlaubt  sich,  folgendermassen  zu 
berichten: 


246 


Pttdagogiscbe  Monatsbefte. 


Es  Bind  Erkundigungsbriefe  an  die 
verschiedenen  Lehrervereinigungen 
Ohios  und  die  frflheren  Einzelmitglie- 
der  des  Ohioer  Deutschen  Lehrerbun- 
des  ausgeschickt  worden,  urn  deren 
Stellung  zur  Frage  bestimnaen  zu  kon- 
nen.  Aus  Cleveland,  Columbus,  Day- 
ton, Toledo  und  Spring-field  sind  Ant- 
worten  eingetroffen,  welche  wohl  er- 
mutigend  lauten,  aber  doch  nicht  ei- 
nen  festen  Beschluss  hinsichtlich  ei- 
ner  Versammlung1  jetzt  angebracht  er- 
echeinen  lassen.  Das  Komitee  em- 
pfiehlt  daher  dem  Deutschen  Lehrer- 
verein  von  Cincinnati,  vorlaufig  die 
Angelegenheit  ruhen  zu  lassen,  allein 
die  Verbindung  mit  den  frttheren 
Zweigvereinen  und  Einzelmitgliedera 
aufrecht  zu  erhalten  und  agitatorisch 
fur  die  Erneuerung  des  Ohioer  Deut- 
schen Lehrerbundes  zu  wirken." 

Das  Komitee:   H.  H.  Pick,  H.  Q. 
Burger,  Louis  Hahn. 

Zur  Ehrung  des  verstorbenen  Mit- 
gliedes  Frl.  Margarethe  Deckebach 
von  der  25.  Distriktschule  erhoben 
sich  die  Anwesenden  von  ihren  Sitzen. 
Von  derselben  Schule  wurde  Frl.  Rosa 
Asbach  als  neues  Mitglied  aufgenom- 
men.  Es  wurde  beschlossen,  auch 
dieses  Jahr  wiederum  einen  Ausflug 
des  Lehrervereins  zu  veranstalten  und 
zwar  im  Monat  Juni.  Der  Vorstand 
wurde  mit  den  naheren  Vorbereitun- 
gen  dafiir  betraut. 

Zur  ErSffnung  und  Schluss  der  gut 
besuchten  Versammlung  erfreute  der 
Lehrergesangchor  die  Zuhdrer  mit  den 
recht  flott  vorgetragenen  Liedern 
,,Frtihlings-Ahnung"  und  ,,Abend- 
glocken". 

Nachschrift.  In  der  Schulrata- 
sitzung  am  6.  Mai  wurde  Dr.  B  o o n e 
einstlmmlg  als  Superintendent 
der  offentlichen  Schulen  auf  zwei  Jahre 
wiedererwahlt.  Es  lebe  Seiner  Maje- 
stat  allerunterthanigste  Opposition 
und  die  politische  Allmacht  Cincinna- 
tis  !  Amen.  E.  K. 

New  York. 

Deutscher  Lehrerverein 
von  New  York  und  Umge- 
g  e  n  d.  Jupiter  Pluvius  spielte  uns 
gestern  einen  groben  Schabernack. 
Oder  wollte  er  uns  nur  versuchen? 
Wollte  er  herausfinden,  wer  mit  dem 
Verein  durch  Dick  und  Dunn  gehe, 


wollte  er  die  Treuen  sehen,  denen  we- 
der    Kegen    noch    Sturmschauer    ins 
Herz  haucht,  wenn  es  gilt,  der  guten 
Sache  zu  dienen?    Es  war  in  der  That, 
im  wahrsten    Sinne    des  Wortes,    ein 
Gehen  durch  dick  und  diinn.       Denn 
die  Strassen  New  Yorks,  vom  strdmen- 
den    Regen    gepeitscht,    glichen    am 
gestrigen    Ostersamstag    einem  wild- 
schaumenden     Gebirgsstrome.      Aber 
ein  Dutzend   der    Getreuen    hat    die 
Wasserprobe     bestanden.       Und     der 
Dichter  des  zwanzigsten  Jahrhunderts 
w^ird  statt  dem  Lied  vom  braven  Mann 
einst  das  ,,Lied  der  zwolf  Braven"  sin- 
gen,     die     fiber     New     Yorks     Flut- 
schlamm   hinweg    wie    ,,mit  Blumen- 
fiissen"  ihr  Lokal  betraten.    Der  Ver- 
einsgenius  hatte  s  i  e  nicht  verlassen. 
,,Wen  du  nicht  verlasst,  Genius, 
Wird  dem  EegengewOlk, 
Wird  dem  Schlossensturm 
Entgegen  singen, 
Wie  die  Lerche, 
Du  da  droben." 

So  war  es.  Einmal  warm  im  kosi- 
gen  Winkel,  sang  man  von  Lenz  und 
Liebe,  von  seliger  Studentenzeit,  von 
Freiheit,  Schulmeisterwurde,  von 
Schulmeistersleid  und  Schulmeisters- 
freud'!  Auch  die  leichte  und  leichter 
geschurzte  Muse  stellte  sich  imDam- 
merlicht  des  Abends  ein:  Witz  und 
Witz,  Blitz  und  Blitz  kam  Schlag  auf 
Schlag.  Was  Wunder,  wenn  in  solch 
gehobener  Stiminung  der  angekiin- 
digte  Vortrag:  ,,t)ber  amerikanische 
Padagogen  der  Gegenwart"  fast  ganz 
vergessen  wurde.  Und  als  dann  end- 
lich  jemand  auf  die  Tagesordnung 
aufmerksam  machte,  wurde  in  ,,Anbe- 
tracht  der  schwachen  Beteiligung" 
der  Vortrag  auf  die  nachste  Versamm- 
lung verschoben. 

Die  Titel  der  anderen  in  Aussicht 
genommenen  Vortr&ge  sind:  1)  Volks- 
kunde  im  deutschen  Unterricht.  2) 
Die  Behandlung  der  deutschen  Mytho- 
logie  im  deutschen  Unterricht.  3) 
Bericht  fiber  die  Verhandlungen  des 
Internationalen  Congresses  ffir  mo- 
derne  Sprachen  in  Paris  und  der  letz- 
ten  Neuphilologen  -  Versammlung  in 
Deutschland.  4)  Besprechung  des 
Wundt'schen  Werks:  Die  Sprache.  5) 
Schulferien.  6)  Vergleich  des  ameri- 
kanischen  und  deutschen  Lehrers,  was 
kann  der  eine  vom  andern  lernen.  7) 
Lessing  als  Erzieher.  8)  Eussische 
Schulverhaltnisse.  A.  K. 


II.     Umschau. 


Amerika. 

Chicago.  Auch  ein  "E  d  - 
u  c  a  t  o  r".  In  einer  Versammlung 
des  Lehrervereins  von  Cook  County 
hielt  Charles  K.  Barrett,  Superinten- 
dent des  ,,Chicago  Athenaeum",  einen 
Vortrag  iiber  das  Thema,  was  der  Leh- 
rer  zur  Belebung  des  Unterrichts  bei- 
tragen  konne.  Kleine  Erzahlungen 
konnten  sehr  wohl  verwendet  werden; 
auch  wiirde  die  Wiirde  des  Lehrers 
nicht  beeintrachtigt  werden,  wenn  er 
dem  Ratsel  einen  Platz  im  Schulzim- 
mer  gewahrte.  Folgendes  Ratsel 
wiirde  zur  Aufmunterung  der  Schiiler 
beitragen:  "When  does  lettuce 
blush?"  "When  it  sees  the  salad  dress- 
ing." —  Weiterhin  fiihrte  er  aus,  dass 
ein  Lehrer  sich  des  Trinkens,  Tabak- 
rauchens  und  -kauens  enthalten  mila- 
ge. Auch  miisse  der  Lehrer  das  Kind 
anhalten,  auf  seine  aussere  Erschei- 
nung  zu  achten.  "Ask  a  boy  why  he 
wears  a  collar  two  sizes  larger  than 
his  shirt  or  why  he  wets  his  hair  be- 
fore combing  it.  Never  be  prosy  in  the 
class  room.  Bead  a  newspaper  and 
talk  about  the  topics  of  the  day,"  wa- 
ren  seine  eigenen  Worte.  (The  School 
Journal.) 

Auf  Supt.  Cooley's  Em- 
pfehlung  hin  beschloss  der  Schul- 
rat  von  Chicago,  bei  Einrichtung  von 
neuen  Kindergarten  erst  die 
armeren  Distrikte  zu  beriicksichtigen. 
Diese  Korperschaft  wich  auch  nicht 
von  diesem  Beschlusse  ab,  als  die  Be- 
wohner  von  Eogers  Park  sich  erboten, 
einen  Kindergarten  auf  eigene  Kosten 
auszustatten,  wenn  der  Schulrat  sich 
zur  Anstellung  einer  Lehrerin  herbei- 
lassen  wiirde. 

San  Francisco.  Die  Stadtver- 
waltung  nahm  kiirzlich  eine  Hegel  an, 
nach  welcher  die  Schulkinder  auf 
ihrer  Fahrt  nach  und  von  der  Schule 
auf  den  Strassenbahnen  eine  Fahr- 
preisermassigung  um  die  Halfte  des 
regelmassigen  Fahrpreises  erhalten 
sollen.  Eine  Einrichtung,  die  Nach- 
ahmung  verdient! 

In  Salt  Lake  City  wurden  die 
Schulen  aus  Mangel  an  Mitteln  zur 
Bestreitung  der  Unterhaltungskosten 
am  19.  April  geschlossen. 

Zu  B  i  n  g  h  a  m  t  o  n,  N.  Y.,  hat  der 
Polizeichef  vorgeschlagen,  dass  die 
Strafgesetze  in  die  Schulleitfaden  auf- 
genommen  werden.  So  solle  z.  B.  die 
Definition  fur  Diebstahl  (larceny)  und 
dessen  gesetzliche  Strafen  von  jedem 


Schiller  gelernt  werden.  What  next? 
Auch  nicht  iibel!  Die  Schiller 
der  Hochschule  zu  Charles  City  in 
Iowa  nahmen  unter  sich  eine  Abstim- 
mung  vor,  wie  viele  von  ihnen  die 
deutsche  Sprache  studieren  wollten. 
Das  Kesultat  war,  dass  sie  alle  mit 
,,Ja"  stimmten,  bis  auf  13,  und  diese 
waren  allesamt  Kinder  von  —  deut- 
schen  Eltern!  Weitere  Bemerkungen 
sind  hierzu  eigentlich  uberniissig. 

Deutschland. 

Fiir  die  deutsche  Recht- 
schreibung  soil  in  der  That  et- 
was  geschehen.  In  der  Kammer  der 
Abgeordneten  zu  Stuttgart  hat  der 
wiirttembergische  Kultusminister  auf 
eine  Anfrage  des  Abg.  Hieber  erklart, 
die  vom  Reichskanzler  angeregte 
Konferenz  zur  Einfiihrung  einer  ein- 
heitlichen  deutschen  Eechtschreibung 
trete  noch  diesen  Sommer  zusammen. 
Die  Grundlage  werde  wohl  die  Puttka- 
mersche  Rechtschreibung,  unter  Ab- 
streifung  der  Differenzen  der  einzel- 
nen  Staaten,  bilden. 

Der  Allgemeine  Deut- 
sche Schulverein  hat  im  Jahre 
1900  insgesamt  43,000  Mark  verein- 
nahmt,  gegen  35,000  M.  im  Durch- 
schnitt  der  letzten  sechs  Jahre.  An 
Unterstiitzungen  wurden  iiber  34,000 
M.  gewahrt,  gegen  22,000  M.  im  Durch- 
schnitte  der  letzten  sechs  Jahre. 
tJber  8,000  M.  flossen  davon  nach  den 
Sudetenlandern  und  iiber  6,000  M. 
nach  Tirol.  Bei  der  Bedeutung  dieser 
Unterstiitzungen  fur  das  Deutschtum 
im  Auslande  ware  dem  Verein  ein  rei- 
cher  Zufluss  von  Mitteln  wohl  zu  wiin- 
schen. 

Absch  i  e  d  sf  ei  er  fiir  Otto 
Ernst.  Am  8.  Marz  d.  J.  f and  im 
deutschen  Schauspielhause  zu  Ham- 
burg die  Erstauffiihrung  des  Flachs- 
mann  statt.  Der  Erfolg  und  die  Be- 
geisterung  waren  derartig  gross,  dass 
der  Autor  16  Mai  vor  der  Rampe  er- 
scheinen  musste.  Nach  der  Auffiih- 
rung  vereinigte  sich  eine  grosse  An- 
zahl  von  Lehrern  und  Freunden  des 
Herrn  Otto  Ernst  im  Grundsteinkel- 
ler,  um  ihm  anlasslich  seines  Aus- 
scheidens  aus  dem  Lehrerberufe  eine 
kleine  Abschiedsfeier  zu  bereiten.  In 
einem  ganzen  Reigen  von  Trinksprii- 
chen  wurde  Ernst  als  Dichter  und 
Kiinstler  gefeiert.  In  seiner  Erwide- 
rung  versprach  der  Geehrte,  dass  er 
auch  ferner  dem  Lehrerstande  die 


248 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


treueste  Anhanglichkeit  bewahren 
werde.  Fiir  ihn  habe  es  sich  darum 
gehandelt,  entweder  dem  Lehrerberuf 
oder  dem  Schriftstellerberuf  ganz  an- 
zugehoren.  Er  habe  sich,  dem  Drange 
seines  Herzens  folgend,  fur  den  Dich- 
terberuf  als  den  hoheren  entschlossen. 
Sein  Hoch  gait  der  deutshcn  Schule 
und  dem  vorwarts  strebenden  Lehrer- 
stand. 

Pommern.  Hausfriedens- 
bruch  und  Freiheitsberau- 
b  u  n  g.  ,,Am  22.  Febr.  vormittags 
drang,  so  berichtet  das  ,,Stralsunder 
Tageblatt",  der  Rittergutsbesitzer  v. 
Platen  auf  Parchow  in  das  Klassen- 
zimmer  der  Bischof  sdorf  er  Schule  und 
beschimpfte  den  Lehrer,  weil  er  ihm 
Kinder  zur  Fuchsjagd  verweigert  hat- 
te.  Als  er  sogar  thatlich  gegen  den 
Lehrer  vorging,  wurde  er  von  diesem 
zur  Thiir  hinausbefordert.  Bald  aber 
kam  er  mit  Arbeitern  und  Gutsbeam- 
ten  zuriick,  liess  die  verschlossene 
Hausthiir  aufbrechen  und  den  Lehrer, 
der  durch  die  Flucht  aus  dem  Fenster 
alien  weiteren  thatlichen  Beleidigun- 
gen  aus  dem  Wege  gehen  wollte,  er- 
greifen  und  gefesselt  auf  einem 
Schlitten  nach  Altenkirchen  zum 
Amtsvorsteher  bringen.  Nachdem  die- 
ser  Herr  von  beiden  Seiten  den  Sach- 
verhalt  erfahren  hatte,  setzte  er 
Herrn  Wolf  sofort  in  Freiheit,  und 
dieser  erstattete  ungesaumt  Anzeige 
von  dem  Vorgefallenen.  Hoffentlich 
wird  Herrn  v.  P.  und  seinen  Helfern 
Gelegenheit  geboten,  dariiber  Be- 
trachtungen  anzustellen,  dass  in  ei- 
nem geordneten  Rechtsstaat  andere 
Mittel  angewandt  werden  miissen,  um 
vermeintliche  Rechte  geltend  zu 
machen."  —  Die  ,,Deutsch.  Tagesztg." 
weist  jetzt  darauf  hin,  dass  Herr  v. 
Platen-Parchow  seit  einigen  Tagen  in 
eine  Irrenanstalt  eingeliefert  worden 
sei. 

Seiner  Kuriositat  wegen 
verdient  ein  Vorschlag  des  Regie- 
rungsrats  v.  Unruh  in  Liegnitz  Erwah- 
nung.  Herr  v.  Unruh  will  in  Anleh- 
nung  an  die  Bell-Lancasterschen 
Schuleinrichtungen  in  England  altere 
Schiller  fur  den  Unterricht  der  jiinge- 
ren  anlernen  und  sie  nach  der  Schul- 
zeit  ,,gegen  ein  angemessenes  Tage- 


lohn"  anstellen.  Die  Sache  hat  nach 
Herrn  v.  Unruh  so  ziemlich  alles  fur 
sich.  ,,Armen,  aber  klugen  und  fleissi- 
gen  Kindern  wird  eine  verhaltnis- 
massig  glanzende  Zukunft  eroffnet"; 
die  so  allmahlich  herangezogenen  jun- 
gen  Lehrer  bekommen  eine  vorziigli- 
che  ,,Praxis";  die  ,,anlernenden  "Orts- 
schulinspektoren  verdienen  sich  ,,eine 
Entschadigung",  und  die  Gemeinden 
,,machen  Ersparnisse",  da  das  Tage- 
lohn  des  Gehilfen  natiirlich  nicht  so 
hoch  sein  darf,  wie  das  Gehalt  ernes 
jungen  Lehrers".  Der  Vorschlag  ist 
patent,  hat  aber  seinem  Urheber  be- 
reits  eine  Versetzung  nach  einem  an- 
deren  Wirkungskreis  eingebracht. 

Frankreich. 

Ein  kiinstlerisches  Unter- 
n  e  h  m  e  n,  das  nicht  der  Originalitat 
entbehrt,  ist  soeben  in  Paris  ins  Le- 
ben  genifen  worden.  Es  nennt  sich 
,,Ecole  de  la  rue"  und  bezweckt,  bei 
Handwerkern,  Arbeitern  sowie  Ange- 
stellten  den  Sinn  fur  Formenschonheit 
und  Kunstgeschmack  zu  wecken, 
ihnen  in  Museen,  historischen  Gebftu- 
den,  ja  sogar  unter  freiem  Himmel 
Vortrage  iiber  Kunst  und  Wissen- 
schaft  halten  zu  lassen.  Das  Volk  — 
so  heisst  es  in  dem  Prospekt  dieser 
neuen  Kunstvolksschule  —  soil  zum 
Verstandnis  des  Schonen  und  Erhabe- 
nen  herangezogen  werden,  und  das  sei 
in  Paris  ebenso  wie  anderwarts  erfor- 
derlich;  denn  der  kiinstlerische  Sinn 
nehme  in  den  mittleren  und  unteren 
Volksschichten  mehr  und  mehr  ab. 
Dass  das  neue  Unternehmen  ernst  zu 
nehmen  ist,  dafiir  biirgen  die  Namen 
hervorragender  Kiinstler  und  Kunst- 
gelehrter,  die  ihm  beigetreten  sind 
oder  ihre  Unterstiitzung  zugesagt 
haben. — tJber  den  Militardienst 
der  f ranz 6 s is ch e n  Lehrer 
hat  auf  Antrag  des  Kriegsministers 
der  Senat  kurzlich  ein  Gesetz  ange- 
nommen,  das  besagt,  dass  kiinftig  die 
franzosischen  Lehrer  auf  ihr  Gesuch, 
je  nach  Wunsch,  von  der  ersten  oder 
der  zweiten  Eeserveiibung  dispensiert 
werden  konnen.  Ein  Jahr  miissen  sie 
als  gewohnliche  Soldaten  ohne  Aus- 
sicht  auf  Beforderung  dienen. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  detitschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  Juni  1901.  Hefty 


Zum  Lehrertage.  Unser  lieber  Kollege  ,,Pencil  Vania"  hat  mit  dem 
kraftigen  Wortchen  in  dem  Maihefte  der  P.  M.  beziiglich  des  Lehrertages 
tins  voll  und  ganz  aus  der  Seele  gesprochen,  und  wir  konnen  nur  ,  Ja  und 
Amen"  dazu  sagen. 

Sollen  wir  nun  von  neuem  auf  die  Bedeutung  von  Lehrervereinen, 
auf  die  Wichtigkeit  der  Vereinigung  gerade  der  deutschamerikanischen 
Lehrer,  auf  den  Segen  der  gemeinsamen  Tagungen  fur  die  Gesamtheit 
wie  fur  den  Einzelnen  hinweisen?  Dessen  ist  zur  Geniige  geschehen;  und 
alle  Lehrer  und  Lehrerinnen,  die  da  Ohren  haben  zu  horen,  die  sich  Be- 
geisterung  und  Freudigkeit  fur  ihren  Beruf,  sowie  das  Bewusstsein,  einer 
grossen  Sache  zu  dienen,  aus  der  Alltaglichkeit  gerettet  haben,  wissen,  was 
wir  wollen  und  sie  sollen. 

Der  31.  Lehrertag  zu  Indianapolis  bietet  ein  inhaltreiches  Programm, 
das  jedem  Lehrer,  welche  beruflichen  Interessen  er  auch  haben  mag,  An- 
rcgung  versprioht,  der  Ortsausschuss  bietet  uns  die  Gastfreundschaft  des 
gesamten  Deutschtums  der  Stadt  Indianapolis,  so  dass  neben  der  Arbeit 
auch  der  Unterhaltung  und  Geselligkeit  Gerechtigkeit  widerfahrt — n  u  n, 
deutschamerikanische  Lehrerschaft,  liegt  es  an 
dir,  den  Erfolg  zu  sichern!  Ruttle  dich  endlich  auf! 

Noch  istes  Zeit,  bald  aber  mochte  es  zu  spat  sein! 

*       *       * 

Unsern  Lesern  und  Leserinnen  entbieten  wir  einen  herzlichen  Ferien- 
gruss  und  wiinschen  ihnen,  dass  sie  die  wohlverdiente  Ruhe  und  Erholung 
nach  schwerer  Jahresarbeit  finden  mogen! 


Nationaler  Deutschamerikanischer  Lehrerbund. 

(Offlziell). 


31.  Jahresversammlung  in  Indianapolis,  Ind.,  10.,  11.,  12.,  13.  Juli  1901. 


Aufruf  des  Bundesvorstandes. 

/.inn  ersten  Male  seit  Bestehen  des  Lehrerbundes  wird  unsere  Jahresver- 
sammlung  in  Indianapolis,  Ind.,  abgehalten.  Dem  Bundesvorstand  1st  es  ge- 
lungen,  erprobte  Eedner  von  padagogischem  Eufe  fur  den  diesjahrigen  Lehrer- 
tag  zu  gewinnen,  welche  wichtige  Themata  auf  erzieherischem  Gebiete  behan- 
deln  werden.  Es  war  stets  das  Bestreben  des  Lehrerbundes,  die  Anbahnung 
und  Verbreitung  vernunftgemasser  Jugenderziehung,  die  hierzulande  immer 
noch  sehr  notthut,  nach  besten  Kraften  zu  fordern.  Die  reaktionare  Bewe- 
gung  kurzsichtiger  Nativisten,  welche  die  Vorteile  eines  zweisprachigen  Unter- 
richts  nie  begreifen  lernen  und  deshalb  den  deutschen  Unterricht  stets  be- 
kampfen,  macht  festes  Zusammenhalten  der  fortschrittlichen  Elemente  auf 
dem  Erziehungsgebiete  gegenwartig  mehr  als  je  zur  gebieterischen  Pfllcht. 
Wir  richten  daher  an  alle,  denen  die  Einfiihrung,  Hebung  'und  Ausbreitung 
des  deutschen  Sprachunterrichts  in  den  Schulen  Amerikas,  sowie  die  Erhal- 
tung  des  deutschen  Wissens  hier  im  Lande  am  Herzen  liegt,  die  dringende 
Einladung,  sich  am  Lehrertage  in  Indianapolis  zu  beteiligen  . 

Der  Ortsausschuss  daselbst,  in  dessen  Hande  die  Vorbereitungen  fur  den 
geselligen  Teil  des  Lehrertags  gelegt  wurden,  hat  es  sich  zur  Aufgabe  ge- 
inacht,  diese  Jahresversammlung  des  N  D.  A.  L.  in  betreff  Unterhaltung  der 
Gaste  aufs  glanzendste  durchzufiihren.  .  ,  ,  ,, 

Der  Bundesvorstand. 
Einladung  des  Biirgerausschusses. 

Das  hiesige  Deutschtum,  welchem  die  Erhaltung  der  teuren  Muttersprache 
uiid  die  Pflege  deutschen  Geistes  und  Wesens  Ehrensache  ist,  heisst  mit  Freu- 
den  seine  Mitkampfer  auf  dem  Gebiete  der  Erziehung  in  seiner  Mitte  willkom- 
men.  Die  zentrale  Lage  Indianapolis'  ermoglicht  es  den  deutschen  Lehrern 
und  Schulfreunden  aus  alien  Teilen  der  Union,  der  Jahresversammlung  bei- 
zuwohnen.  Aufgabe  der  hiesigen  Deutschen  ist  es,  diesen  Lehrertag  zu  einem 
sowohl  fiir  die  Besucher  der  Stadt  wie  fiir  die  Biirgerschaft  denkwiirdigen  Er- 

eignisse  zu  gestalten. 

Achtungsvoll, 

Der  Biirgerausschuss, 

Robert  Nix,  Vofsitzer, 
Peter  Scherer,  Sekretar. 
Program  m. 

Mittwoch,  10.  Juli. 
Abends  8  bis  10  Uhr  —  Empfang  im  Deutschen  Haus. 

Begriissungsansprache  des  Gouverneurs,  des  Mayors  und  eines  Mit- 

gliedes  des  Schulrats. 

Eroffnung  des  Lehrertages  durch  den  Bundesprasidenten. 
Gemiitliche  Unterhaltung. 

Donnerstag,  11.  Juli. 
Vormittags  9  Uhr  --  Erste  Hauptversammlung.* 

*  Samtliche  Versammlungen  flnden  im  Deutschen  Haus   statt. 


Nationaler  Deutschamerikanischer  Lebrerbund.  251 

1.  Geschaftliches  (Berichte  der  Beamten,  Erganzung  des  Vorstan- 
des  und  Ernennung  der  verschiedenen  Ausschiisse). 

2.  Vortrag:     Deutsche  Beitrage  zum  amerikanischen  Geistesleben 

der  Gegenwart.  — P  rof.  Starr  Willard  Cutting,  University  of 
Chicago. 

3.  Bericht  der  Seminar-Priimngskommission. 

4.  Vortrag:     Der  deutsche  Unterricht  vom  Standpunkte  der  Sozial- 

padagogik.  —  Prof.  Adolf  Kromer,  Cleveland,  O. 
J  2  U  h  r  —  Gemeinsames  Mittagessen  im  Hotel  English. 
Nachmittags  —  Ausflug. 

Abends  —  Konzert,  veranstaltet  vom  Deutschen  Klub  und  Musikver- 

ein  im  Garten  des  Deutschen  Hauses. 

Freitag,  12.  Juli. 

Vormittags  9  Uhr  —  Zweite  Hauptversammlung. 

1.  Geschaftliches. 

2.  Vortrag:     Welche  Unterrichtsmittel  stehen  dem  deutschen  Leh- 

rer  ausserhalb  seiner  Klasse  zur  Verfiigung?  —  Prof.  G.  E. 
Karsten,  University  of  Bloomington,  Ind. 

3.  Bericht  des  Komitees  zttr  Pflege  des  Deutschen. 

4.  Vortrag:     Die  berufliche  und  finanzielle  Stellung  des  Elementar- 
lehrers.  —  Prof.  B.  Kuttner,  New  York. 

•£2  Uhr  —  Gemeinsames  Mittagessen  im  Hotel  English. 
Nachmittags  —  Ausflug.     Dampfschiff fahrt  auf  dem  White  River. 
Abends  —  Unterhaltung  durch  den  Mannerchor. 

Samstag,  13.  Juli. 
Vormittags  10  Uhr  —  Schlussversammlung. 

1.  Geschaftliches. 

2.  Vortrag:     Gegenseitige  Beziehungen  der   deutschen   und   engli- 

schen  Litteratur,  mit  besonderer  Riicksicht  auf  den  Litteraturbe- 
trieb  in  der  Schule.  —  Prof.  A.  R.  Hohlfeld,  Vanderbilt  Univers- 
ity, Nashville,  Tenn. 

3.  Berichte  der  verschiedenen  Ausschiisse.     Revision  der  Statuten, 
Vorstandswahl. 

4.  Vertagung. 

\  2  Uhr  —  Gemeinsames  Mittagessen  im  Hotel  English. 
Nachmittags  —  Besichtigung  der  Stadt. 
Abends  —  Abschiedskommers  im  Deutschen  Haus. 

Einqnartiemng. 

Fur  die  Einquartierung  der  Lehrertagsbesucher    sind    mit    nachstehenden 
Hotels  Abkommen .  getroffen  worden: 
Hotel  English  —  $2.00  pro  Tag  und  Person  f iir  Kost  und  Zimmer  ohne 

Bad  —  $2.50  mit  Bad.    Europ.  Plan:     Einzelzimmer  $1.00  pro  Tag;  Zimmer 

fur  zwei  Personen  $1.50.     Bad  50c  bis  $1.00  extra. 
Circle  Park  Hotel  —  $1.50  fur  Kost  und  Zimmer. 


252  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Reisebedingungen. 

Die  Fahrt  nach  Indianapolis  von  alien  Platzen  ostlich  vom  Mississippi 
kostet  den  regelmassigen  Preis.  Die  Besucher  des  Lehrertages  miissen  sich 
jedoch  beim  Erstehen  der  einfachen  Fahrkarte  ein  Zertiflkat  geben  lassen  und 
letzteres  nach  der  Ankunft  in  Indianapolis  dem  Bundessekretar  zur  Unter- 
schrift  einhandigen,  urn  dadurch  die  ermassigte  Kuckfahrt  (%  des  regularen 
Preises)  zu  sichern.  Die  Fahrkarte  hat  fur  z  e  h  n  Tage  Giltigkeit. 

Damit  obige  Ermassigung  erlangt  werden  kann,  ist  es  notwendig,  dass 
wenigstens  hundert  Zertifikate  abgegeben  werden. 

Una  weitere  Auskunf t  wende  man  sich  an  Herrn  Louis  Hahn,  2531 
Scioto  Str.,  Cincinnati,  O. 


Das  Nationale  Deutschamerikanische  Lehrerseminar. 


Die  Anstalt  beginnt  ihren  24.  Jahreskursus  am  3.  September  1901, 
Die  Aufnahmepriifung  findet  am  2.  September  statt.  Junge  Leute,  die 
sich  dem  Lehrerberuf  widmen  wollen,  und  eine  gediegene  Vorbildung  su- 
chen,  werden  gebeten,  ihr  Aufnahmegesuch  in  Balde  an  den  unterzeichne- 
ten  Direktor  zu  richten. 

Das  Seminar  ist  die  erste  und  einzige  nationale  Anstalt,  welche  das 
freisinnige  Deutschtum  in  den  Vereinigten  Staaten  gegriindet  hat  und  er- 
halt.  Es  hat  sich  die  hohe  Aufgabe  gestellt,  fur  die  Volksschule  dieses 
Landes  Lehrer  heranzubilden,  welche  imstande  sind,  in  deutscher  sowohl 
als  in  englischer  Sprache  erfolgreich  zu  unterrichten.  Es  versucht,  seine 
Schiiler  mit  den  Errungenschaften  der  modernen  Padagogik  vertraut  zu 
machen  und  sie  fur  ihre  erhabene  Mission,  die  Erhaltung  und  Pflege  deut- 
scher Sprache  und  deutscher  Sitte  zu  begeistern.  Damit  sie  dieser  Auf- 
gabe um  so  besser  gerecht  werden  konnen,  geben  wir  ihnen  eine  gedie- 
gene turnerische  Ausbildung,  die  sie  befahigt,  den  Unterricht  in  der  Gym- 
nastik  nach  deutschem  System  in  ihren  resp.  Schulen  zu  erteilen.  Die 
Verbindung  der  Anstalt  mit  dem  Turnlehrerseminar  des  Nordamerikani- 
schen  Turnerbundes  erleichtert  uns  diese  Aufgabe. 

Ein  Kurstrs  fur  Kindergartnerinnen  ist  in  dem  Lehrplan  vorgesehen; 
fiir  denselben  gelten  die  gleichen  Aufnahmebedingungen  wie  fur  die 
Volksschullehrer.  Dem  Handfertigkeitsunterricht  wird  gebuhrende  Auf- 
merksamkeit  geschenkt. 

Der  Unterricht  ist  unentgeltlich ;  das  Schreib-  und  Zeichenmaterial 
liefert  die  Anstalt.  Talentvollen  aber  unbemittelten  Studenten  werden 
Vorschiisse  gewahrt;  auch  stehen  Lehrbiicher  leihweise  zur  Verfiigung. 

Das  Direktorium  hat  somit  Sorge  getragen,  auch  armeren  Schiilern 
den  Besuch  des  Seminars  zu  ermoglichen. 

Der  Direktor  des  Lehrerseminars  ist  gern  bereit,  Schulbehorden, 
welche  neue  Lehrkrafte  suchen,  passende  Personen  vorzuschlagen. 


Flachsmann  als  Er^ieber.  253 

Wir  halten  es  fur  unsere  Pflioht,  die  Musterschule  des  Seminars,  die 
deutsch-englische  Akademie,  solchen  Eltern  zu  empfehlen,  welche  ihren 
Kindern  eine  gediegene  und  griindliche  allgemeine  Bildung  zu  geben 
wtinschen.  Alle  Facher  der  Volksschule .  mit  Einschluss  von  Turnen, 
Singen,  Zeichnen,  Modellieren  und  weiblichen  Handarbeiten  werden  von 
tiichtigen,  erfahrenen  Lehrkraften  gelehrt. 
Weitere  Auskunft  erteilt  auf  Verlangen 

Direktor  Emil  Dapprich, 
558-568  Broadway,  Milwaukee,  Wis. 
Der  Verwaltungsrat  des  Lehrerseminars : 

Dr.  Louis  F.  Frank,  President 
Albert  Wallber,  Sekretar. 


Flachsmann  als  Erzieher. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  Oscar  Burekhardt,  Milwaukee,  Wis. 

(Schluss.) 

Es  steht  schlimm  um  den  Kopf  Flemings ;  zwei  ubereingestimmte  See- 
len  arbeiten  mit  Maulwurfslust  daran,  ihn  zum  Fall  zu  bringen:  Flachs- 
mann und  Diercks.  Diercks  ist  der  ,,gute"  Kollege,  ein  Schulmeister  aus 
dem  vierfachen  f:  faul,  frech,  fett  und  feige,  oder  wie  Fleming  ihn  mit 
einem  alliterierenden  epitheton  ornans  bezeichnet,  ein  Filou.  Den  Fle- 
ming konnte  er  schon  im  Seminar  nicht  ausstehen;  verstand  es  doch  der- 
selbe,  sich  als  ,,lieb  Kind"  aufzuspielen,  besonders  da  er  in  seinen  Auf- 
satzen  ,,Gedanken"  entwickelte.  Dass  er  seine  Kollegen  beim  Direktor 
verhetzte,  konne  er,  Diercks,  zwar  nicht  beweisen,  aber  beschworen  wolle 
er  es  gern. 

Ein  solcher  Mann  muss  hinaus,  er  passt  nicht  in  das  schone  Ensemble. 

Da  heisst  es  nun,  gemeinsam  ein  padagogisches  und  allgemeines  Siin- 
denregister  zusammenzustellen  und  damit  die  geheime  Conduiteliste  an- 
zufiillen.  Sehen  wir  uns  doch  einmal  das  interessante,  von  Herrn  Flachs- 
mann eigenhandig,  sorgsam  und  methodisch  verfertigte  Schriftstiick  an, 
das  sich  ungefahr  so  liest  wie  das  Protokoll,  welches  der  Untersuchungs- 
richter  mit  einem  Angeklagten  aufnimmt. 

N  o.  1.  Der  Angeklagte  lasst  seine  Schtiler  nicht  vorschriftsmassig 
unter  einem  Winkel  von  45  Grad  schreiben,  sondern  gerade  wie  sie  wol- 
len,  indem  er  insubordinationswidriger  Weise  erklart,  die  Sache  sei  ihm 
ganz  egal,  so  lange  sie  nur  gut  schrieben. 

N  o.  2.  Die  Namen  der  Propheten  haben  die  Sohuler  des  Angeklag- 
ten zwar  in  der  Reihe  hersagen  konnen,  aber  nicht  riickwarts,  und  Herr 


254  P'ddagogische  Monatshefte. 

Flachsmann  legt  doch  so  grossen  Wert  auf  diesen  von  ihm  eigenkopfig 
atisgedachten  Zug  verfeinerter  Padagogik. 

N  o.  3.  An  einem  heissen  Nachmittage  hat  der  Angeklagte  seine 
Schuler  in  den  Hof  hinausgenommen,  hat  sie  dort  ihre  Jacken  aus- 
ziehen  lassen  und  hat  sie  selbst  —  horribile  dictu  —  in  Hemdsarmeln  unter- 
richtet.  Der  Angeklagte  behauptet,  dass  Pestalozzi  es  auch  so  gethan 
habe.  Lacherlich!  Immer  Pestalozzi,  als  wenn  es  keine  modernen  Pa- 
dagogen  gabe,  wenn  auch  ihre  Namen  nicht  in  den  Lehrbiichern  der  Ge- 
schichte  der  Padagogik  zu  finden  seien.  Ein  hemdarmliger  Lehrer  ist  ein 
Verbrechen  in  den  Augen  des  propern  Herrn  Flachsmann,  der  stets  seinen 
sogenannten  Bratenrock  anhat  und  es  zu  einer  Hauptobliegenheit  des 
Schuldieners  macht,  dafiir  zu  sorgen,  dass  kein  Staubchen  sich  dauernd 
auf  diesem  padagogisch  korrekten  Rock  niederlasse. 

N  o.  4.  Der  Angeklagte  ist  zu  nachtlicher  Zeit,  wahrscheinlich  nach 
einer  in  die  Lange  gezogenen  Kneiperei,  mit  den  Kleidern  in  den  Teich 
gesprungen,  um  daselbst  ein  abkiihlendes  Schwimmbad  zu  nehmen.  Das 
mag  vielleicht  im  18.  Jahrhundert  Mode  gewesen  sein,  als  die  gottsjam- 
merliche  Bande  von  Stiirmern  und  Drangern  in  Dichtung,  Religion,  Poli- 
tik,  Wissenschaft  und  vor  allem  in  der  Moral  so  heillose  Unordnung  an- 
stifteten;  aber  ein  Lehrer  ist  doch  kein  Stiirmer  und  Dranger,  sondern  sei- 
nem  ureigensten  Wesen  und  Zwecke  nach  ein  Vorbild  der  Schicklichkeit, 
wf  Iche  der  Angeklagte  aufs  grobste  verletzt  hat. 

N  o.  5.  Der  Angeklagte  hat  beim  Ausbessern  von  Schiileraufastzen 
Fehler  stehen  lassen.  Als  Rechtfertigung  fuhrt  derselbe  an,  dass  beim 
Korrigieren  von  fiinfzig  Heften  nur  der  nicht  stumpfsinnig  werde,  der  es 
nicht  notig  habe.  Herr  Flachsmann  erklart,  er  sei  es  nicht  gevvorden  trotz 
seiner  dreissigjahrigen  orthopadischen  Thatigkeit  in  Stilverrenkungen 
und  Sprachverkrummungen.  Angeklagter  antwortet.nur  mit  einem  viel- 
sagenden:  So?,  auf  welches  Herr  Flachsmann  nichts  zu  antworten  weiss 
(ein  Beweis,  dass  schuftige  Seelen  gegen  Spott  und  Ironic  waffenlos  sind). 

N  o.  6.  Entgegen  der  hochobrigkeitlichen  Vorschrift,  namlich  der 
Flachsmann'schen,  hat  der  Angeklagte  in  seinem  Klassenzimmer  Blumen 
geziichtet  und  Bilder  angebracht,  wodurch  die  Aufmerksamkeit  der  Kin- 
der von  ernsten  Dingen  abgelenkt,  und  der  Hang  zur  Oberflachlichkeit, 
ja  zur  Frivolitat  in  ihnen  erzeugt  wird.  Der  wahre  Zweck  der  Erziehung 
sei  aber  nicht,  die  Kinder  zu  asthetischen  Wesen  heranzubilden,  wie  es  viel- 
leicht der  Idealist  Schiller  meint,  sondern  Unterthanen  aus  ihnen  zu  ma- 
chen;  ja,  Herr  Fleming  und  Konsorten,  gute,  glaubenstreue,  loyale  und 
in  der  Wolle  gefarbte  Unterthanen. 

N  o.  7.  Der  Angeklagte  hat  —  die  keusche  Feder  Flachsmanns 
straubt  sich  und  taucht  vor  Scham  in  die  links  stehende  rote  Tinte  unter  — 
der  Angeklagte  also  ihat  zehn  Minuten  im  Klassenzimmer  seiner  hiibschen 
Kollegin  zugebracht,  worauf  diese  wiederum  dem  Angeklagten  einen  Be- 
such  in  seinem  Klassenzimmer  gemacht  hat.  Ausserdem  sind  die  beiden 


Flachsmann  als  Er^ieher.  255 

zu  wiederholtenmalen  freundlich  mit  einander  plaudernd  im  Korridor  an- 
getroffen  worden.  Solche  hart  ans  ,,Bedenkliche"  streifende  Vorkomm- 
msse  mussten  umsomehr  die  moralische  Entriistung  des  Herrn  Flachs- 
mann entfachen,  als  besagte  hiibsche  Lehrerin  ihm,  dem  Direktor,  gegen- 
iiber  stets  von  dianenhafter  Sprodigkeit  war. 

N  o.  8.  Mit  eigenwilliger  Ausserachtlassung  der  Vorschriften  iiber 
den  zu  behandelnden  Lesestoff  hat  der  Angeklagte  seinen  Schiilern  Ge- 
schichten  erzahlt,  die  nicht  im  Lehrplan  stehen,  beispielsweise  die  Irrfahr- 
ten  des  Odysseus,  und  zwar  wegen  ihres  poetischen  Gehaltes,  wie  er  zu  sei- 
ner Entschuldigung  anfuhrt,  obwohl  ihm  Herr  Flachsmann  oft  genug  be- 
deutet  hat:  Poesie?  1st  nichts — Thatsachen,  mein  Herr  Fleming,  That- 
sachen!"  —  Zu  wiederholten  Malen  hat  der  Angeklagte  die  Schuler  nach 
Schluss  des  Unterrichtes  zuriickbehalten,  um  ihnen  Goethe  und  Schiller 
vorzulesen  oder  Musik  vorzumachen;  ferner  hat  er  die  Eltern  der  Kinder 
zu  abendlichen  Versammlungen  eingeladen,  um  gemeinsam  mit  ihnen  das 
Erziehungswerk  zu  besprechen.  Alles  das  sind  Neuerungen,  die  storend 
in  den  wohlgeolten  Mechanismus  der  uniibertreffiichen  Erziehungsma- 
schine  eingreifen  etc.,  etc.,  etc. 

Herrn  Flachsmanns  Bemerkungen  gipfelten  in  dem  pyramidalen 
Satze:  Die  Schule  braucht  die  neuen  Wege  des  Herrn  Fleming  nicht, 
denn  die  moderne  Padagogik  ist  vollkommen.  Wo  haben  wir  denn  das 
schon  einmal  gehort?  War  es  in  China?  Nein,  in  China  sind  wir  ja  nie 
gewesen.  So  war  es  also  in  einem  anderen  grossen  Lande,  wo  die  Leute 
noch  mit  Ausnahme  einiger  Renegaten,  ihr  regelrechtes  Zopfchen  tragen 
und  wo  sie  zum  Schutz  gegen  aussere  Kulturangriffe  eine  ideelle  chinesi- 
sche  Mauer  bauen  mochten.  Ja,  dort,  wo  man  den  gleichen  Stolz  fiihlt, 
dass  alles  so  funkelnagelneu  ist,  wie  im  alten  China,  dass  alles  durch  Jahr- 
tausende  eingerostet  ist,  dort  haben  wir  den  vom  Individuum  Flachsmann 
ausgesprochenen  Grundsatz  gehort,  und  wenn  er  auch  nicht  in  die  Konsti- 
tution  aufgenommen  ist,  so  gilt  er  doch  im  ganzen  Lande  als  heilig  und 
unantastbar.  Die  ,,vollkommene"  Padagogik  wiirde  freilich  als  ein  chine- 
sisch  eingefrorenes  oder  versteinertes  Gebilde  erscheinen,  triebe  sie  nicht 
alljahrlich  reiche  Bliiten,  die  man  "fads"  zu  nennen  pflegt.  Dieselben  ver- 
gehen  zwar  ebenso  schnell  wie  sie  gekommen  sind,  aber  fur  die  kurze  Zeit 
ihrer  Existenz  hat  ihnen  ganz  China  gehuldigt,  und  so  ist  es  immerhin 
eine  dankbare  Aufgabe  fur  die  Erzieher,  vom  Commissioner  herab  bis  zur 
wohlgesetzten  Schoolma'm,  einen  neuen  "fad"  zu  ersinnen.  Der  Segen 
der  Uniformitat  zeigt  sich  hier  im  hellsten  Lichte ;  man  darf  ja,  wie  Fleming 
einmal  bemerkt,  den  grossten  Unsinn  machen,  wenn  man  nur  darauf  be- 
dacht  ist,  dass  ihn  alle  machen. 

Immer  ertappen  wir  uns  darauf,  dass  unsere  Gedanken  einen  Seiten- 
sprung  nach  China  machen,  wahrend  sie  doch  in  Deutschland  beim  deut- 
schen  Flachsmann  weilen  sollten.  Die  Szene,  in  welcher  die  Gegensatze 
Flachsmann  und  Fleming,  Handwerk  ud  Kunst,  Dogmatismus  und  Wahr- 


256  P'ddagogische  Monatshefte. 

heitsmut  auf  einander  prallen,  ist  nicnt  allein  der  dramatische  Hohepunkt 
des  Stiickes,  sie  ist  auch  vom  padagogischen  Standpunkte,  den  wir  hier  be- 
riicksichtigen  miissen,  die  wertvollste.  Der  kecke  Freimut  Flemings,  der 
jugendliche  Enthusiasmus,  der  aus  seinen  Worten  und  seinem  ganzen  We- 
sen  spricht,  wirken  erfrischend.  Lassen  wir  ihn  in  eigener  Person  spre- 
chen:  ,,Ihnen,  Herr  Flaohsmann,  ist  die  Schulmeisterei  ein  Handwerk, 
mir  ist  sie  eine  Kunst.  Sie  wollen  den  Unterricht  durch  Verfiigungen  lei- 
ten,  ich  will  schaffen.  Stehe  ich  vor  meinen  fiinfzig  Jungen,  dann  habe  ich 
fiinfzig  Seelen  vor  mir,  fiinfzig  Essen,  in  deren  Feuer  Zukiinftiges  ge- 
schmiedet  wird  und  nicht  Vergangenes." 

Herr  Flachsmann  weiss  auch  vaterliche  Tone  anzuschlagen,  er  will 
dem  reuigen  Sunder  einen  Weg.offen  lassen,  und  so  sagt  er:  ,,Sie  haben 
meine  Vorschriften  buchstablich  auszufiihren,  Herr  Fleming;  dann  hoffe 
ich,  mit  der  Zeit  noch  einen  Lehrer  aus  Ihnen  zu  machen."  —  ,,Einen  Leh- 
rer?  Sind  Sie  denn  ein  Lehrer?"  —  ,,Das  dachte  ich."  —  ,,Sie  ein  Lehrer? 
Ein  Bildungsschuster  sind  Sie  und  ein  ganz  miserabler."  — 

Die  Wut  Flachsmanns  wirkt  ungemein  erheiternd,  besonders  in  der 
Darstellung,  die  ihr  der  vortreffliche  Vertreter  dieser  Rolle  auf  unserer 
Biihne  verliehen  hat.  Man  erinnerte  sich  an  den  Gerichtsdiener  Holzapfel 
in  Shakespeares  ,,Viel  Larm  um  Nichts",  der  den  ihm  angehangten  Esel 
in  alle  Welt  hinausschreien  mochte.  Vergesst  mir  nicht,  dass  ich  ein  Bil- 
dungsschuster bin!  Wenn  es  auch  nicht  hingeschrieben  ist,  erinnert  euch 
ja,  dass  ich  ein  Bildungsschuster  bin!  Ach,  hatte  ich  nur  einen  Zeugen, 
der's  mir  bestatigen  konnte,dass  ich  ein  Bildungsschuster  bin! 

Der  ,, Bildungsschuster"  hat  dem  Fass  den  Boden  ausgebrochen.  Nun 
muss  doch  der  Kopf  Flemings  einmal  fallen.  Nicht  nur  seinen  Vorgesetz- 
ten  hat  er  gegen  sich,  sondern  auch  seine  werten  Kollegen.  Sie  bilden 
eine  amusante  Gesellschaft,  wenigstens  auf  der  Biihne,  und  so  wollen  wir 
ihnen  im  Vorbeigehen  auch  einen  Blick  schenken.  Da  ist,  um  den  Damen 
den  Vortritt  zu  lassen,  Fraulein  Betty  Sturhahn.  Sie  entspricht  im 
vollsten  Masse  ihrem  so  onomatopoetisch  gewahlten  Namen.  Hier  sitzt 
sie,  das  Bulldoggengesicht  iiber  einen  Stoss  von  Schiilerheften  geneigt. 
Man  hort  ihre  Feder  rasseln;  gewisse  Fehler  werden  mit  besonderem  In- 
grimm  unterstriehen,.  wobei  es  nicht  an  derben  Fliichen  mangelt.  Den 
Fleming  kann  sie  nicht  leiden;  erstens.  weil  er  zu  eingebildet  ist;  zweitens, 
weil  er  die  Schwache  hatte,  sich  in  ein  hubsches  Larvchen  zu  vergaffen. 
Aber  bei  alledem  giebt  sie  zu,  dass  er  ein  Mann  ist,  ein  Pradikat,  welches 
sie  dem  Kollegen  Weidenbaum  ins  Gesicht  hinein  abspricht. 

Weidenbaum  ist,  wie  der  Name  erraten  lasst,  der  Gefiigige.  Op- 
ponieren  thut  er  nie ;  Ideen  hat  er  auch,  aber  sie  in  die  Schule  bringen,  — 
nein  —  das  gabe  nur  Storungen.  Seine  Disziplin,  auf  die  er  nicht  wenig 
stolz  ist,  besteht  in  dem  hundertmaligen  Abschreibenlassen :  Ich  soil  oder 
ich  soil  nicht — .  Damit  erreicht  er  alles.  Der  spater  auf  der  Bildflache 
erscheinende  Schulrat  Prell  behauptet  sogar,  wenn  Weidenbaum  seine 


Flacbsmann  als  Erfieher.  257 

Schiiler  fiinfzigmal  abschreiben  Hesse:  ,,Das  Sofa  ist  ein  Saugetier,  denn 
es  bringt  lebendige  Junge  zur  Welt",  so  miissten  's  die  Kinder  auch  glauben. 

Dann  ist  C  1  a  u  s  R  i  e  m  a  n  n  da.  Er  hat  sein  Lieblingsbuch.  Jeder 
strebsame  Mensch  hat  ein  solohes.  Der  eine  liest  im  Buche  der  Natur,  der 
andere  holt  sich  den  Goetheschen  Faust  hervor,  ein  dritter  meinetwegen 
die  Bibel;  Claus  Riemann  aber  widmet  in  ungeschwachtem  Eifer,  in  nie 
versiegendem  Interesse,  Stunden,  Tage,  Jahre  seines  wertvollen  Lebens 
dem  Buch  mit  den  zweiunddreissig  Blattern.  Warum  hat  ihn  der  Dich- 
ter,  der  doch  sonst  fur  seine  Helden  bezeichnende  Namen  gefunden  hat, 
nicht  Wenzel  genannt? 

Ja,  das  edle  Skatspiel!  Eine  hohe  Regierung  sollte  viel  mehr  thun, 
dasselbe  zu  unterstiitzen  und  zu  verbreiten.  Es  sollte  in  den  Schulen  ge- 
lehrt  werden  und  gleich  vom  Kindergarten  an,  wo  den  Kleinen  durch  An- 
schauungsunterricht  der  Unterschied  zwischen  dem  roten  und  grunen 
Wenzel  klar  gemacht  wird.  In  den  hoheren  Graden  werden  dann  unter 
Aufsicht  des  Lehrers  einfache  Spiele  gemacht  und  analysiert;  auf  den  Uni- 
versitaten  aber  miisste  ein  Seminar,  am  besten  als  Zweiginstitut  der  juristi- 
schen  Fakultat,  eingerichtet  werden,  wo  alle  auf  das  edle  Spiel  bezuglichen 
Streitfragen  eine  wissenschaftliche  Erledigung  finden.  Das  ware  doch 
Volkserziehung,  und  was  fiir  Patentbiirger  wiirden  aus  derselben 
hervorgehen!  Skatbriider  sind  ein  Bollwerk  gegen  jede  Revolution;  denn 
wenn  es  zu  einer  solchen  kommt,  miissen  sie  ja  noch  schnell  die  letzten 
Runden  ansagen,  und  ehe  diese  zu  Ende  sind,  ist  die  Revolution  auch  zu 
Ende. 

Zwei  andere  Kollegen,  den  fidelen  Vogelsang  und  den  noch  vom 
Jugendfeuer  beseelten  Franz  Romer,  die  friiher  mit  Begeisterung  zu  Fle- 
ming hielten,  hat  er  sich  zu  Feinden  gemacht,  da  er  ja  gesagt  haben  soil, 
das  ganze  Lehrerkollegium  ware  faul  und  tot,  und  nur  er  lebendig.  Als 
Fleming  ins  Lehrerzimmer  tritt,  verlassen  Weidenbaum  und  Riemann, 
Romer  und  Vogelsang  dasselbe  mit  Ostentation. 

Armer  Fleming!  Es  wird  ihm  doch  gar  eng  urns  Herz.  Da  tritt 
<jisa  Holm  ins  Zimmer,  und  ihm  ist,  als  brache  die  Sonne  durch  das  dunkle 
Gewolk  seiner  Gedanken.  Vielleicht  hat  der  Dichter  einen  Akt  der  Ge- 
rechtigkeit  vollziehen  wollen,  indem  er  dieses  liebenswiirdige  und  natiir- 
liche  Wesen  zur  Lehrerin  machte.  Man  ist  ja  leicht  geneigt,  wie  in  vie- 
len  andern  Fallen  so  auch  hier  eine  ganze  Klasse  nach  den  Ausnahmen, 
tesonders  den  als  Karrikatur  auftretenden,  zu  beurteilen,  und  ermisst 
nicht,  welche  Energie  und  noch  mehr  als  das,  welche  Kraft  der  Entsagung 
einem  solchen  Wesen  zugemutet  wird,  wenn  man  es  dauernd  in  die  Fes- 
seln  des  Lehrerberufes  schlagt. 

Gisa  ist  nur  gezwungen  Lehrerin,  und  nach  den  starren  Grundsatzen 
der  Padagogik  auoh  eine  schlechte  Lehrerin.  Schulrat  Prell  nennt  das, 
was  er  in  ihrer  Klasse  zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  eine  fidele  Anarchic 
und  kann  es  mit  den  Gesetzen  der  Geometric  gar  nicht  vereinbaren,  dass 


258  P'ddagogische  Monatshefte. 

auf  einer  so  kleinen  Nase  zu  gleicher  Zeit  fiinfzig  kleine  Jungen  herum- 
springen  konnen.  Das  Schulehalten  macht  ihr  Freude,  so  lange  sie  unter 
ihren  Kindern  ein  Kind  sein  darf,  sonst  erscheint  es  ihr  nur  eine  unange- 
nehme  Unterbrechung  der  Ferien.  Eine  gar  richtige  Bemerkung;  der 
Schreiber  dieser  Zeilen  hat  sie  auch  schon  manchmal  gemacht  und  hat 
sich  eingebildet,  etwas  Originelles  damit  zu  sagen;  nun  aber  schwort  er, 
wie  es  sonst  seine  Gewohnheit  ist,  wieder  auf  Ben  Akibas  ,,Alles  schon 
dagewesen". 

,,Ist  es  wahr,  dass  man  Sie  von  hier  entfernen  will?"  fragt  Gisa.  Fle- 
ming bejaht.  —  ,,Sie  finden  gewiss  eine  andere  Stellung."  —  ,,Als  Weg- 
gejagter?  Sicherlich  keine,  die  mir  zusagt.  Freilich,  im  Ausland  giebt 
es  auch  deutsche  Schulen,  aber  leider  keine  ,,deutsche  Schul  e"."  • 
Im  Herzen  manches  deutschen  Lehrers  mochten  diese  Worte,  hierzulande 
von  der  Biihne  gehort,  einen  seltsamen  Nachklang  erweckt  haben.  Deut- 
sche Schulen,  ja,  aber  keine  ,,deutsche  Schule".  Mit  dem  Wort  ,,deutsche 
Schule"  steigt  alles  wieder  auf:  der  deutsche  Wald,  die  deutsche  Lebens- 
freude  und  Sangeslust,  das  deutsche  tiefinnerste  Gemut. 

Aus  der  Jugendzeit,  aus  der  Jugendzeit 

Klingt  ein  Lied  mir  immerdar. 

O  wie  liegt  so  weit,  o  wie  liegt  so  weit, 

Was  mein  einst  war! 

Aber  Freude  soil  einkehren  in  das  Herz  Flemings.  Als  "Dens  ex  ma- 
china"  erscheint  zur  rechten  Zeit  der  Schulrat  Prell,  der  mit  dem  Auftre- 
ten  des  Burokraten  ein  klar  schauendes  Auge  und  ein  warm  empfindendes 
Herz  vereinigt.  Ihm  gelingt  es,  Flachsmann  als  Schwindler  zu  entlarven, 
der  mit  gefalschten  Papieren  seine  Stellung  erlangt  und  durch  dreissig 
Jahre  zur  allerhochsten  Zufriedenheit  des  heiligen  Biirokrazius  verwaltet 
hat.  Er  und  sein  boser  Geist  Diercks  sind  davongejagt  und  Herr  Fle- 
ming wird  von  Prell  seinen  Kollegen  als  nunmehriger  Leiter  der  Schule 
vorgestellt.  Alle  leisten  ihrem  netien  Fuhrer  mehr  oder  minder  willig 
den  Lehenseid  und  komplimentieren  sich  zur  Thiire  hinaus. 

Gisa  und  Fleming  bleiben  allein  zuriick.  Wie  in  der  Stunde,  wo  sich 
ihre  Herzen  zuerst  gefunden  hatten,  ertont  aus  der  benachbarten  Mad- 
chenschule  von  siissen  Kinderstimmen  gesungen  ,,Annchen  von  Tharau". 
Zitternd  erklingt  die  alte  Volksweise  in  ihren  Herzen  wieder.  Dann  kehrt 
der  frische  Mut  beider  zuriick.  —  ,,Weisst  du,  was  ich  so  herrlich  an  dir 
finde?"  sagt  Fleming.  —  ,,Dass  du  keine  Schulmeisterin  bist.  Wenn  ich 
aus  der  Schule  heimkomme  und  dann  auch  Schulmeister  sein  will,  dann 
musst  du  mich  bei  den  Schultern  packen  und  schutteln  und  sagen:  Du, 
Schulmeister,  sei  ein  Mensch!  denn  das  hochste  in  seiner  Kunst  erreicht 
man  nur,  so  lange  man  Mensch  ist!" 

Lasst  uns  das  gute  Wort  aufnehmen  und  zum  Schlusse  sagen  wie  die 
einstige  Frau  Flemming: 

Schulmeister,  sei  ein  Mensch! 


Die  hausliche  Erziehung. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  John  Eiselmeier,  Milwaukee,  Wis. 

,,Es  giebt  keine  wichtigere,  keine  heiligere  Aufgabe 
fur  die  Menschheit,  als  die  Bildung  des  heranwachsenden 
Geschlechtes.  Es  giebt  aber  auch  keine  schwierigere,  denn 
sie  erfordert  die  ganze  Hingabe  des  Herzens.  D  e  r 
Hauptanteil  an  dieser  Aufgabe  fallt  der 
F  a  m  i  1  i  e  z  u,  in  den  ersten  Lebensjahren  des  Kindes  na- 
mentlich  der  Mutter." 

Dr.  L.  Seyffarth. 

Wenn  man  die  padagogische  Litteratur  der  Gegenwart  iiberblickt,  so 
fallt  einem  zunachst  auf,  dass  die  Unterrichtslehre  ganz  ungebiihrlich 
in  den  Vordergrund  des  Interesses  geriickt  worden  ist.  Und  wo  das 
Problem  der  Erziehung  zum  Gegenstand  der  Betrachtung  gemacht  wird, 
erfasst  man  sehr  selten  dasselbe  in  seiner  Totalitat  und  lasst  auch  die 
iibrigen  Faktoren  des  Erziehungswerkes  zu  ihrem  Rechte  gelangen,  son- 
dern  man  verliert  sich  auf  das  zwar  sehr  wichtige,  aber  doch  immerhin 
begrenzte  Einzelgebiet  der  Schule.  Methodik,  Unterricht  und  Schule 
sind  die  Gegenstande,  die  auch  auf  den  Konferenzen  ihre  Beachtung  fin- 
den.  ,,In  den  Volksschulen  wiiten  die  ,Methodiker*  und  in  den  hoheren 
Anstalten  die  ,Spezialisten',  von  welch'  letzteren  die  Worte  Kleists  gel- 
ten:  ,Diese  Menschen  sitzen  samtlich  wie  die  Raupen  auf  einem  Blatte; 
jeder  glaubt,  seines  sei  das  beste,  und  um  den  Baum  kiimmern  sie  sich 
nicht.'  " 

Von  diesem  Baume  der  Erziehung  ist  aber  nichts  so  sehr  vernach- 
lassigt  worden,  als  gerade  das  Wichtigste,  die  Wurzel,  die  hausliche  Er- 
ziehung. Dass  die  hausliche  Erziehung  sehr  wichtig,  ja  grundlegend 
ist  fiir  die  ganze  spatere  Erziehung,  haben  Padagogen,  Arzte  und  andere, 
die  sich  mit  dem  Thema  beschaftigt  haben,  zugestanden;  aber  diese  An- 
sichten  sind  nicht  allgemein  bekannt,  und  es  ist  nicht  uberfliissig,  die- 
selben  vorzufuhren. 

Ackermann  sagt  in  dem  Encyklopadischen  Handbuch  von  Rein: 
,,So  hoch  man  auch  die  erziehlichen  Einfliisse  der  anderen  Erziehungs- 
faktoren,  der  Schule,  der  Kirche,  des  Freundeskreises  u.  a.  m.  zu  schatzen 
berechtigt  ist,  ihre  Wirkung  ist  zum  guten  Teil  bedingt  durch  das,  was 
Haus  und  Familie  schon  vorher  in  den  jugendlichen 
Seelen  angebahnt  haben,  und  was  sie  an  ihnen  dann  neben 
den  anderen  Faktoren  thun." 

,,So  birgt  die  Familie  eine  Fiille  individuellen  und  gemeinschaft- 
lichen  Lebens  in  ihrem  Schosse,  und  sie  ist's,  welche  die  e  r  s  t  e  u  ji  d 
nachhaltigsteSchuledes  Menschen  bleibt."  (Frommel.) 


260  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

,,Dass  die  Familienerziehung  aber  der  Schulerziehung  vor- 
ansteht,  dass  von  jener  viel  mehr  abhangt  als  von  dieser,  soil  bei 
aller  Wertschatzung  der  Schule  nicht  vergessen  werden.  Denn  wo  im 
Hause  gut  erzogen  wird,  da  giebt  die  Schule  an  ,Erziehung'  nicht  viel 
Gutes  mehr  hinzu,  da  empfangt  sie  vielmehr  das  Beste.  Es  ist  noch 
heute  wie  zu  Luthers  Tagen:  ,Das  Hausregiment  ist  das  erste,  von  dem 
alle  Regimenter  und  Herrschaften  ihren  Ursprung  nehmen.  Ist  diese 
Wurzel  nicht  gut,  so  kann  weder  Stamm  noch  gute  Frucht  folgen.'  " 
(Matthias.) 

,,Die  Sorgen  aber,  die  man  sich  fur  das  korperlidhe  wie  geistige  Wohl 
der  Kinder  in  den  ersten  sechs  Jahren  macht,  sind  die  bestan- 
gewandten,  sie  lagern  ein  Kapital  ab,  das  sich  im  Leben  vortrefflich  ver- 
zinst  Was  in  diesen  ersten  Erziehungsjahren  nicht  erzogen  ist, 
konnen  alle  iibrigen  Erziehungsjahre,  kann  keine  noch  so  treff- 
liche  Schule,  kann  das  Leben  mit  seiner  erziehenden  Wirkung 
n  i  m  m  e  r  gut  machen."  (Matthias.) 

Der  bekannte  Arzt  Dr.  Max  von  Zimmermann  ist  der  Ansicht,  dass 
,,die  Eltern  auf  die  Erziehung  im  ersten  Kindesalter  ihr  ganz 
besonderes  Augenmerk  richten  mussen,  weil  schon  jetzt 
der  Grand  ebenso  zum  Guten  wie  zum  Bosen  gelegt  wird." 

Was  die  hausliche  Erziehung  aus  dem  Kinde  gemacht  hat,  das  wird 
der  Mensch  im  spateren  Leben.  ,,Der  Charakter  kann  nur  durch  Ge- 
wohnung,  also  durch  stetige  Einwirkung  gebildet  werden,  und  eine  solche 
ist  bloss  innerhalb  der  Familie  moglich,  nicht  in  der 
Schule.  Denn  in  dieser  bring!  der  Zogling  taglich  nur  wenige  Stun- 
den  zu^  ausserdem  kann  der  Lehrer  dem  Einzelnen  seine  Aufmerksam- 
keit  bloss  in  sehr  beschranktem  Masse  widmen,  da  er  ja  eine  ganze 
grosse  Schar  von  Kindern  zu  leiten  hat.  Mit  anderen  Worten,  der  Leh- 
rer kann  nur  wenig  bei  seiner  Thatigkeit  individualisieren ;  aber  gerade 
darauf  kommt  bei  der  Charakterbildung  ausserordentlich  viel  an,  spielt 
doch  hier  das  Gefiihlsleben  des  Menschen  eine  sehr  grosse  Rolle,  und  Ge- 
fuhle  sind  in  eminentem  Sinne  subjektiv.  Zudem  kann  der  Lehrer  bei  der 
betrachtlichen  Anzahl  von  Schulern,  die  seiner  Obhut  anvertraut  sind,  zu 
einer  so  genauen  Kenntnis  ihrer  Individualitaten,  wie  sie  fur  tiefergehende 
Charakterbildung  durchaus  erforderlich  ist,  unmoglich  gelangen."  (Ber- 
gemann,  Soziale  Padagogik.) 

Erst  vom  sechsten  oder  siebenten  Jahre  an  macht  sich  eine  Vertei- 
lung  der  verschiedenen  Erziehungsfunktionen  geltend.  ,,Fur  die  haus- 
liche Erziehung  sind  allerdings  auch  jetzt  noch  alle  fiinf  Funktionen  in 

Betracht  zu  ziehen Ihre  Hauptdomane  ist  nunmehr  die 

Zucht;  ihr  Streben  ist  jetzt  vor  allem  darauf  gerichtet,  den  Cha- 
rakter des  Kindes  zu  bilden."  (Bergemann.) 

Der  umfassendste  Bestandteil   der  offentlichen   Erziehung  ist   die 


Die  lo'duslicbe  Erziehung.  261 

Schule;  dieselbe  befasst  sich  jedoch  in  erster 'Lime  mit  der  Bildung  des 
Intellektes;  ihr  eigentliches  Gebiet  ist  somit  der  Unterricht.  Allerdings 
hat  die  Schule  auch  die  Zucht  zu  beriicksichtigen,  indem  sie  den  Zogling 
zwingt,  sich  dem  erweiterten  Lebenskreis  der  Schule  einzuFiigen. 

Unser  'Commissioner  of  Education',  Herr  W.  T.  Harris,  hat  in  sei- 
nem  Jahresbericht  fiir  1898-99  die  Funktionen  der  verschiedenen  Er- 
ziehungsfaktoren  selir  klar  gezeichnet.  Auf  Seite  1313  heisst  es  dort: 

"Much  of  the  education  into  a  respect  for  social  forms  and  usages  is 

given  by  the  family,  and  before  the  age  proper  for  schooling The 

family,  the  vocation,  the  state,  the  church,  are  the  four  great  cardinal  in- 
stitutions of  education.  The  school  is  only  a  device  brought  in  to  reenforce 
these  substantial  institutions;  but  it  is  a  very  important  device,  notwith- 
standing its  supplementary  character ....  We  must  carefully  bear  in  mind 
the  several  educational  functions  of  these  institutions,  so  as  not  to  over- 
estimate the  functions  of  the  school,  or  in  any  way  confound  its  province 
with  what  belongs  to  the  great  social  institutions ....  Family  education 
must  furnish  that  indispensible  preliminary  education  in  personal  habits, 
such  as  cleanliness,  care  of  the  person  and  clothing,  respectful  treatment 
of  elders  and  superiors,  obedience  to  authority,  the  sense  of  shame,  religious 
observances,  and  the  use  of  the  mother  tongue.  The  school  must  pre- 
suppose that  these  are  already  taught  by  the  family. .. .  The  school,  as 
we  have  seen,  is  a  means  of  education  auxiliary  to  each  of  the  four  cardinal 
institutions." 

Wenn  die  hausliche  Erziehung  so  ungemein  wichtig  ist,  so  lohnt  es 
sich  wohl,  zu  untersuchen,  wie  die  Eltern,  die  Trager  dieses  Teiles  der 
Erziehung,  fiir  die  Ausubung  dieser  Pflicht  vorbereitet  sind. 

,,Es  ist  gewiss,  dass  auf  keinem  zweiten  Gebiete  unseres  modernen 
Kulturlebens  ein  so  grosses  Missverhaltnis  zwischen  Anstrengung  und 
Leistung,  Aufwand  und  Erfolg  besteht,  als  auf  dem  padagogischen.  Eben- 
so  gewiss  ist  es  aber  auch,  dass  die  Ursache  dieser  auffallenden  Er- 
scheinung  in  erster  Linie  in  der  durchaus  ungeniigenden  Vorbe- 
reitung  der  Eltern  zur  Ubernahme  und  Losung  ihrer  wichtigen 
und  vornehmsten  Lebensaufgabe  liegt,  und  dass  alle  Bemuhungen  zur 
Herbeifiihrung  giinstigerer  Erziehungsresultate  diese  Thatsache  wohl  in 
Betracht  und  zu  ihrem  Ausgangspunkte  nehmen  miissen."  (Schafer.) 

,,Ist  es  nicht  haarstraubend,  das  Schicksal  einer  neuen  Generation 
den  Zufalligkeiten  unverniinftiger  Gewohnheit,  jeweiligen  Gemiitserre- 
gungen,  Eaunen  des  Augenblicks,  samt  den  Einflusterungen  unwissender 
Ammen  und  den  Ratschlagen  vorurteflsvoller  Grossmiitter  zu  iiberlassen? 
Wenn  ein  Kaufmann  ohne  jede  Kenntnis  des  Rechnens  und  der  Buch- 
fuhrung  ein  Geschaft  anfinge,  wiirden  wir  laut  iiber  seine  Thorlieit 
schreien  und  ungliicklichen  Folgen  entgegensehen.  Oder  wenn  jemand, 
ohne  Anatomic  studiert  zu  haben,  als  Wundarzt  auftrate,  wiirden  wir 


262  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

uns  iiber  seine  Dreistigkeit  wundern  und  seine  Patienten  bemitleiden. 
Aber  dass  Eltern  an  die  schwierige  Aufgabe  der  Kindererziehung  heran- 
treten  wollen,  ohne  an  die  Grundsatze  derselben  in  leiblicher,  sittlicher 
oder  geistiger  Hinsicht,  welche  sie  leiten  sollten,  auchnurgedacht 
z  u  h  a  b  e  n,  das  erregt  weder  Erstaunen  iiber  die  Thater,  noch  Mitleid 
mit  ihren  Opfern.  Die  Kindererziehung,  in  leiblicher,  sittlicher  und  gei- 
stiger Hinsicht,  ist  erschrecklich  mangelhaft.  Und  es  ist  in  hohem  Masse 
deshalb  so,  weil  den  Eltern  die  Kenntnis  fe'hlt,  durch  wel- 
che die  Erziehung  allein  richtig  gehandhabt  werden  kann.  Was  ist  da 
zu  erwarten,  wenn  eines  der  dunkelsten  Probleme  von  Menschen  zu 
losen  unternommen  wird,  die  kaum  einmal  ernstlich  an  die  Grundsatze, 
von  welchen  diese  Losung  abhangt,  gedacht  haben?  Zum  Schuhmachen, 
zum  Hauserbauen,  zur  Leitung  einer  Lokomotive  oder  eines  Schiffes  ge- 
hort  eine  lange  Lehrzeit.  Ist  denn  die  Entwicklung  eines  menschlichen 
Wesens  an  Leib  und  Seele  im  Vergleich  dazu  ein  so  einfacher  Vorgang, 
dass  jemand  ihn  ohne  irgend welche  Vorbereitung  beaufsichtigen  und  len- 
ken  kann?  Wenn  nicht  —  wenn  der  Vorgang  ohne  irgend  eine  Aus- 
nahme  verwickelter  als  irgend  einer  in  der  Natur  und  die  Aufgabe,  ihn  zu 
unterstiitzen,  von  ausserordentlicher  Sdhwierigkeit  ist,  ist  es  dann  nicht 
Wahnsinn,  fur  eine  solche  Aufgabe  nicht  Fursorge  zu  tragen?  Lieber  die 
sogenannte  feine  Bildung  geopfert,  als  diese  hochwichtige  Unterweisung 
unterlassen."  (Spencer.) 

,,Es  liegt  ein  eigentumlicher  Widerspruch  in  unseren  Kulturzu- 
standen:  fur  jedes  andere  Amt  und  Fach  werden  sorgsame  Vorberei- 
tungen  und  peinliche  Priifungen  gefordert,  und  an  den  veranwortungs- 
vollsten  Beruf  von  alien,  an  die  grosse  Aufgabe  der  Elternschaft,  welche 
Vater  und  Mutter  dem  Edelsten,  was  die  Natur  hervorbringt,  dem  Geiste 
unserer  Kinder  und  seiner  Pflege,  gegeniiberstellt,  treten  die  a  1 1  e  r- 
meisten  ohne  jede  Vorbildung  heran.  Das  ist  mehr  als 
leichtsinnig,  es  ist  einfach  frevelhaft  und  ge  w  i  s  se  n  1  os!"  (Dr. 
Schultze.) 

Die  Resultate,  welche  infolge  der  ungeniigenden  Vorbildung  der 
Eltern  die  hausliche  Erziehung  aufweist,  sind  in  der  That  hochst  unbe- 
friedigend.  Niemand  hat  mehr  darunter  f.u  leiden,  als  die  Schule. 

Dr.  phil.  J.  Schreiber,  k.  Lokalsc'iulinspektor  in  Kaiserslautern, 
schreibt  in  einer  Broschiire  ,,t)ber  die  Notwendigkeit  eines  Zwangserzie- 
hungsgesetzes,  1898":  ,,Ich  wurde  im  praktischen  Schulaufsichtsdienste 
durch  die  Erfahrung  und  die  harte  Logik  der  Thatsachen  zu  der  unwider- 
leglichen  Uberzeugung  gedrangt,  dass  dererste,  weilnatiirlich- 
ste  Erziehungsfaktor,  die  Familie,  der  Erziehungspflicht 
in  ungeahnt  zahlreichen  Fallen  gar  nicht  oder  nur  halb  oder 
v  e  r  k  e  h  r  t,  sei  es  mit  bewusster  oder  unbewusster  Verschuldung,  sei  es 
auch  gegen  bessere  Absicht  und  besseren  Willen,  in  unserer  Zeit  ge- 


Die  bausliche  Er^iebung.  263 

rechtzuwerdenversteht,  class  die  redliche  Arbeit  von  S  c  h  u  1  e 
und  Kirche  vielfach  ohne  V  erschulden  derselben  unfrucht- 
bar  bleibt  und  dass  unserer  sittlichen  Kultur  schwere  Gefahren  drohen, 
die  abgewendet  werden  mussen." 

Ahnlich  aussert  sich  B.  Presting,  Kgl.  Seminardirektor  in  Coslin, 
in  einer  Abhandlung  ,/Uber  die  Notwendigkeit  einer  besseren  Erziehung 
der  Jugend,  Berlin,  Oehmigke,  1899":  ,,Die  erste  Erziehungsanstalt, 
das  Vaterhaus,  die  Mutterschule,  lost  ihre  Aufgabe 
gar  nicht  oder  nur  zum  kleinsten  Teile.  Die  zweite,  die 
vom  Staate  geschaffene,  die  Volksschule,  welche  nun  die  Kinder  auf- 
nimmt,  muss  die  Aufgaben  jener  Schttle  noch  zu  den  ihrigen  machen, 
muss  das  nicht  gelegte  Fundament  der  Sittlichkeit  nachzulegen  versuchen. 
Ja,  sie  muss  das  Unkraut,  welches  in  den  kleinen  Herzen  schon  wuchert, 
mit  dem  scharfen  Messer  der  Zucht  oft  ausstechen.  Welch  ein  Wachs- 
tum  der  Aufgaben  der  Volksschullehrer,  wieviel  grosser  und  schwieriger 
wird  ihre  Arbeit,  da  sich  in  dem  Herzensboden  dieser  Kinder  nicht  mehr 
so  leicht  arbeiten  lasst!" 

Das  sind  Stimmen  aus  Deutschland.  Auch  in  unserem  Lande 
kommt  die  Familie  in  sehr  vielen  Fallen  ihrer  Pflicht  gar  nicht  nach, 
und  in  den  anderen  Fallen  lost  sie  die  ihr  zukommende  Arbeit  nur  zum 
kleinsten  Teile.  Und  in  wie  vielen  Familien  wird  hierzulande  die  Erzie- 
hungsarbeit  in  ganz  verkehrter  Weise  zu  losen  versucht!  Der  amerika- 
nische  Volksschullehrer  muss  daher  einen  grossen  Teil  seiner  Energie 
darauf  venvenden,  das  im  Hause  nicht  gelegte  Fundament  der  Sittlich- 
keit nachzulegen.  Er  muss  zum  grossen  Teil  die  Aufgaben  der  Familie 
noch  zu  den  seinigen  machen,  weil  eben  das  Haus  die  Kinder  nicht  an 
das  gewohnt  hat,  was  Dr.  Harris  als  "respectful  treatment  of  elders  and 
superiors  and  obedience  to  authority"  bezeichnet.  Die  Schularbeit  ist 
infolgedessen  iiberaus  anstrengend  und  unbefriedigend.  Lehrer  und  Leh- 
rerinnen  bleiben  daher  auch  nicht  sehr  lange  in  dem  Berufe.  Der  Sohule 
geht  auf  diese  Weise  ein  grosser  Gewinn,  den  solche  Krafte  durch  ihre 
Erfahrung  bilden,  verloren.  Einen  Volksschullehrerstand 
giebt  es  daher  in  den  Vereinigten  Staaten  noch  nicht. 

Weil  die  Aufrechterhaltung  der  Disziplin  so  viel  Energie  und  Zeit 
fordert,  so  sind  auch  die  Erfolge  der  Schule  auf  dem  Gebiet  des  Unter- 
richtes  oft  recht  unzulangfich.  In  der  "Intelligence"  druckt  ein  Lehrer 
dieselbe  Ansicht  aus:  "The  teacher  is  under  the  wearing  strain  of  im- 
parting a  certain  amount  of  learning  to  pupils,  a  large  part  of  whom  do  not 
wish  to  learn,  and  at  the  same  time  maintain  good  order. . . .  But,  in  the 
common  school,  a  large  part  of  th'e  pupils  !have  little  interest  in,  or  capacity 
for  study.  They  come  to  school  because  they  must ....  The  teacher 
must  compel  the  scholar  to  pay  attention,  whether  he  wishes  to  or  not; 
she  must  force  him  to  study  tho  it  is  sorely  against  his  will ....  The  great 


264  P'ddagogtscbe  Monatsbeftt. 

demand  upon  the  teacher  is  will  power,  not  learning,  a  fact  which  should 

be  better  realized We  teachers  ourselves  do  not  realize  how  much  vital 

force  we  are  spending." 

Was  soil  geschehen,  um  die  hausliche  Erziehung  zu  bessern?  Zuerst 
muss  die  Uberzeugung,  dass  dieselbe  ausserst  mangelhaft  ist,  allgemei- 
ner  anerkannt  werden,  als  das  bis  jetzt  der  Fall  ist.  Die  Lehrer  haben  die 
Pflicht,  uberall,  wo  die  Zuchtlosigkeit  und  Unbotmassigkeit  der  Jugend 
der  Scfiule  zur  Last  gelegt  wird',  diesen  Vorwurf  energisch  zuriick- 
zuweisen,  und  die  Anklager  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  derselbe 
fast  ausschliesslich  die  Familie  trifft.  Ganz  zuriickweisen  diirfen  die  Leh- 
rer den  Vorwurf  j'a  nicht.  Aber  hauptsachlich  und  in  erster  Linie  ist  die 
Familie  Schuld  daran,  wenn  die  schulpflichtige  Jugend  unbotmassig 
und  roh  ist. 

Wenn  ein  massiger  Teil  der  Energie  und  Aufmerksamkeit,  die  heute 
in  Wort  und  Schrift  der  Schule  gewidmet  werden,  der  hauslichen  Erzie- 
hung gewidmet  wiirde,  so  konnte  das  nur  vorteillhaft  sein  fiir  beide  Teile. 
Der  Schule  hat  man  mehr  als  die  ihr  notige  Aufmerksamkeit  geschenkt. 
Alles  norgelt  an  ihr  herum.  Die  Presse,  die  Gesetzgebungen,  die  Arzte, 
die  Frauenverbindungen,  alles  hat  etwas  an  der  Schule  auszusetzen, 
alles  ist  mit  Rat  bereit.  Die  Familie  und  die  iibrigen  Erziehungs- 
faktoren  hat  man  ungebiihrlich  vernachlassigt. 

Ganz  besonders  soil  man  aber  bei  der  Erziehung  der  Madchen  darauf 
Bedacht  nehmen,  dass  dieselben  einst  den  wichtigsten  Teil  der  hauslichen 
Erziehung  zu  iibernehmen  haben.  Der  grosste  Teil  der  hauslichen  Er- 
ziehung war  immer  Sache  der  Mutter.  Heute  ist  das  noch  viel  mehr  der 
Fall,  als  friiher.  Die  ganze  Last  der  hauslichen  Erziehung  liegt,  infolge 
unserer  ungesunden  sozialen  Verhaltnisse,  auf  den  Schultern  der  Mutter. 
Darauf  soil  man  Riicksicht  nehmen  und  die  Frau  auf  diese  ihre  wich- 
tigste,  heiligste,  aber  auch  sdhwierigste  Aufgabe  grundlich  vorbereiten. 

Was  bietet  aber  die  ,,hohere"  Erziehung  heute  den  Madchen?  "It 
is  only  fair  to  let  the  colleges  state  their  own  case.  The  dominant  purpose 
with  them  all  is  'to  offer  to  the  women  fi  the  country  as  liberal  and  thuro 
an  education  as  that  provided  for  its  men/  They  (the  graduates)  will 
marry,  perhaps,  or  remain  single,  helr/ful  sisters  or  aunts.  They  will  have 
houses  to  manage,  marketing  to  do,  stupid  cooks  to  guide,  babies  to  rear, 
sick  children  and  men  to  nurse.  Not  once  in  a  woman's  life,  perhaps, 
will  she  be  called  upon  to  quote  from  an  Assyrian-Baby  Ionic  epic,  or  to 
disect  a  cat.  But  three  times  every  day  a  meal  must  be  cooked  under 
her  supervision.  At  any  minute,  be  she  cook  or  countess,  she  may  be 
called  upon  to  make  a  poultice  for  a  sick  child,  to  change  the  sheets  under 
him,  to  know  why  the  bread  is  sodden  and  the  meat  uneatable,  to  give 
medicine  intelligently  to  the  baby  in  her  arms.  One  fact  remains  certain 
and  underlies  the  whole  matter:  The  man  eternally  remains  the  man, 


Die  b'duslicbe  Er^iebung.  265 

and  the  woman  the  woman;  and  that  education  is  most  profoundly  wise 
which  recognizes  the  difference  and  trains  a  girl  thuroly  for  her  own  wom- 
anly work  and  her  own  place  in  life."  (An  American  Mother,  Ladies' 
Home  Journal,  July  1900.) 

Gerade  unter  den  Frauen  der  ,,hoheren"  Stande  unseres  Landes  re- 
gen  sich  Heute  so  viele  Federn  und  Zungen  fur  Emanzipation  und  Gleich- 
stellung  der  Frau  mit  dem  Manne.  Die  Frau  soil  sich  nicht  damit  be- 
gniigen,  dem  Manne  g  1  e  i  c  h  gestellt  zu  werden.  Sie  soil  zeigen,  dass 
ihre  Rolle  eine  viel  wichtigere  ist,  als  die  des  Mannes.  Das  kann 
die  Frau  am  besten  dadurch,  dass  sie  sich  fur  ihre  Aufgabe  als  erste  Er- 
zieherin  der  Menschheit  griindlich  vorbereitet,  und  dieselbe 
gewissenhaft  und  treu  erfiillt. 

Sehr  treffend  hat  Dr.  Carl  du  Prel  diese  wichtige  Pflicht  der  Frau  in 
seiner  Schrift  ,,Die  vorgeburtliche  Erziehung"  hervorgehoben : 

,,Die  Frauenfrage  wird  gerade  heute  nach  vielen  Richtungen  erwogen, 
setzt  unzahlige  Federn  in  Bewegung  und  mancherlei  Vorsohlage  sind 
schon  gemacht  worden.  Es  ist  mir  aber  nichts  davon  bekannt,  dass  der 
wichtigste  Teil  derselben,  das  Problem  der  Menschen- 
ziichtung,  auch  nur  in  Envagung  gezogen  worden  ware.  Die  Frau 
ist  in  ein  Konkurrenzverhaltnis  mit  dem  Mann  geraten,  und  nun  wird 
dariiber  gestritten,  wie  weit  sie  dazu  befahigt  sei  und  auf  welchen  Gebie- 
ten  sie  zugelassen  werden  konne.  Diese  Frage  ist  aber  weniger  wichtig, 
als  sie  heute  erscheint;  denn  von  Natur  aus  sind  die  Geschlechter  nicht 
zum  Wettstreit  bestimmt,  sondern  zur  Erganzung.  Die  Konkurrenz 
tritt  iiberhaupt  nur  in  ungesunden  sozialen  Perioden  ein  und  ist  auf  die 
Dauer  derselben  beschrankt.  Es  muss  also  das  erganzende  Verhaltnis 
sich  wieder  geltend  machen,  aber  verbessert  durch  die  Einsicht,  dass  d  i  e 
RollederFrauin  Ansehung  der  kiinftigen  Generation  u  n  g  1  e  i  c  h 
erhabener  ist,  als  die  des  Mannes.  Wenn  diese  Einsicht  allgemein 
sein  wird,  wird  auch  die  Frauenfrage  eine  andere  Richtung  erhalten,  und 
zwar  nicht  bloss  zum  Vorteil  der  Frau,  sondern  auch  der  F  a  - 
milie,  der  Gesellschaft  und  des  Staate s." 

Schliesslich  ware  noch  zu  erwagen,  ob  denn  der  Staat  nicht  auch 
darauf  sehen  sollte,  dass  die  in  die  Ehe  Tretenden  im  stande  sind,  ihre 
wichtigen  Erziehungspflichten  zu  erfiillen.  Dr.  Carl  Andreae,  Seminardi- 
rektor  in  Kaiserslautern,  aussert  sich  in  der  ,,,Deutschen  Schule"  folgen- 
dermassen : 

,,Es  ist  zum  mindesten  merkwiirdig,  dass  der  Staat,  welcher  die  Ehe- 
schliessung  mit  eir^er  ganzen  Reihe  von  Gesetzesschranken  umgeben  hat, 
bis  jetzt  an  der  Frage  vorbeigegangen,  wie  weit  der  Durchschnitt  der  in 
die  Ehe  Tretenden  fur'  eine  auch  nur  halbwegs  ordentliche  K  i  n  d  e  r  e  r- 
z  i  e  h  u  n  g  gewisse  Garantien  bietet.  Nicht  nur  unter  den  Enterbten 
und  Armen,  sondern  weit  hoher  -hinauf  ist  die  intellektuelle  und  s  i  1 1  - 


266  P&dagogische  Monatshefte. 

1  i  c  h  e  Beschaffenheit  derjenigen,  welche  Eltern  zu  werden  im  Begriffe 
sind,  mitunter  eine  so  bedenkliche,  dass  nur  die  Gewohnheit,  an  derglei- 
chen  iiberhaupt  nicht  zu  denken,  dariiber  hinwegsehen  lasst;  und  welche 
Summe  von  grober  Unwissenheit,  von  Leidhtsinn  und  Mangel  an  Verant- 
wortlichkeitsgefiihl  bei  einer  grossen  Zahl  von  jungen  Miittern  anzutref- 
fen  1st,  darf  nicht  nach  den  wenigen  Beispielen  bemessen  werden,  welche 
zufallig,  vielleicht  um  der  begleitenden  Nebenumstande  willen,  weiteren 
Kreisen  bekannt  werden.  Tritt  hierzu  die  entsprechende  Rohheit  und 
Gemeinheit  der  Vater  und  das  zu  dem  Paar  passende  sonstige  Milieu,  so 
muss  der  so  vorbereitete  Erziehungsboden  Friichte  tragen,  g  e  g  e  n 
welche  die  zeitlich  so  beschrankte  Schulepisode 
nichtsauszurichtenvermag.  In  der  That,  schon  vom  Stand- 
punkte  der  Selbsterhaltung  konnen  die  kommenden  Geschlechter  diesen 
Sachverhalt  nicht  ignorieren." 


Die  erste  Kinderknnstansstellnng  in  Berlin.  Die  Kunst  im  Leben  des 
Kindes  zeigt  eine  Ausstellung  im  Hause  der  Berliner  Sezession,  Kantstr.  12,  in 
3  Abteilungen.  Kiinstlerischer  Wandschmuck  fur  Schule  und  Haus,  Bilderbiicher 
und  das  Kind  als  Kiinstler.  Der  Zweck  dieser  Ausstellung  ist  zunachst,  das  fur 
die  kiinstlerische  Jugendbildung  brauchbare  Material  in  Deutschland  und  in  erster 
Linie  in  Berlin  vorzufuhren.  Sie  zeigt  ferner  Proben,  wie  man  im  A.uslande  fur 
diesen  Zweig  der  Erziehung  thatig  ist 

Den  Katalog  von  Dr.  Max  Osborn  mit  3  instruktiven  Abhandlungen  fiber  je 
eine  der  Abteilungen  kann  man  mit  Recht  einen  modernen  Fiihrer  fiir  kiinstleri- 
sche  Jugenderziehung  nennen. 

Die  bedeutendste  erste  Abteilung  zeigt  einen  reichen  "Wandschmuck  fiir  Schu- 
len  und  etwas  besser  situierte  Hauser.  Die  kiinstlerische  Ausstattung  dernachs- 
ten  Umgebung  des  Kindes  soil  in  dem  Kind  den  Sinn  fiir  das  Schone  erwecken, 
damit  es  sich  von  selbst  Hasslichem  abwendet.  Zu  diesem  Zwecke  werden  Re- 
produktionen  der  grossen  Meisterwerke  in  der  Vergangenheit  und  Gegenwart  vor- 
gefiihrt.  Da  sind  beispielsweise  Bockli'is  Herbstgedanken,  Friihlingserwachen, 
Ruine  am  Meer,  das  Schweigen  im  Walr  e,  der  Einsiedler;  Defreggers  Heimkehr 
der  Sieger;  Diirers  die  Flucht  nach  Xgrpten;  Holbeins  und  Raffaels  Madonnen; 
Lenbachs  Portraits;  Menzels  historiySche  Bilder;  die  heilige  Geschichte  von 
Schnorr  von  Karolsfeld;  Barolsius,  die  Wartburg.  Aus  England  die  vier  Jahres- 
zeiten,  die  Arbeit,  die  Eisenbahn,  das  Spiel.  Aus  Frankreich,  das  Bachlein,  Som- 
merabend,  der  Fluss,  Seinebild,  Uferweide,  Mondaufgang  und  der  Winter. 

Das  Originellste  dieser  Abteilung  ist  die  Ausstellung  von  28  Entwiirfen  der 
Karlsruher  Kiinstler.  Neben  Tieren,  welche  das  Kind  der  Grossstadt  in  der  Na- 
tur  nicht  sieht,  wie  Fuchs,  Rabe  und  Edelmarder,  sind  Landschaften  wie  Mond- 
schein,  Einsamer  Hof,  Sonnenaufgang,  Bauernhof  und  Kleinstadt  ausgestellt. 

Eine  Trennung  dieser  Abteilung  in  Bilder  fur  spezifischen  Wandschmuck  und 
solche  fiir  unterrichtliche  Behandlung,  zu  denen  besonders  einige  Karlsruher  und 
die  genannten  Bilder  aus  England  geeignet  erscheinen,  ware  besser  gewesen. 

Die  zweite  Abteilung,  Auswahl  der  Bilderbiicher,  ist  hervorgegangen  aus  einer 
energischen  Bewegung  in  Lehrerkreisen  gegen  die  Fabrikation  von  spezifischen 
Jugendschriften.  Die  Jugend  bedarf  keiner  besonderen  Schriften!  Wir  haben 


Die  erste  Kinderkunstausstellung  in  'Berlin.  267 

sie  nur  davor  zu  hiiten,  dass  sie  nicht  in  ein  spateres  Alter  hiniibergreife.  Bei 
dem  gegenwartigen  Stande  des  Marktes  fur  Jugendschriften  hat  die  Leitung  der 
asthetischen  Entwicklung  beim  Kinde  ihr  Hauptaugenmerk  darauf  zu  richten, 
dass  der  Geschmack  nicht  erst  durch  minderwertige  Schriften  verbildet  wird. 

Bild  und  Text  der  Bilderbiicher  miissen  den  Forderungen  der  Kunst  entspre- 
chen.  Die  Ausstellung  zeigt,  dass  England  das  klassische  Land  des  Bilderbuches 
ist.  Ausserdem  sind  vertreten  Deutschland,  Frankreich,  Schweiz,  Italien,  Nord- 
amerika  und  Japan. 

Die  Anordnung  der  Bilderbiicher  nach  Altersstufen  macht  die  Abteilung  recht 
iibersichtlich.  Die  Auswahl  ist  eine  gliickliche  z.  B.  fur  Kinder  bis  zum  8.  Le- 
bensjahre:  Unser  Liederbuch  von  Friedrich  Merk  mit  Bildern  von  Zumbusch, 
fiir  Kinderstimmen  gesetzt  von  Volbach;  Paul  Thumann,  alte  Reime  mit  neuen 
Bildern;  W.  Keys  fiinfzig  Fabeln  fur  Kinder  und  noch  fiinfzig  Fabeln  fur  Kinder 
mit  Bildern  von  Speckter;  ABC  von  Paul  Meyerheim;  Bilderbuch  zum  Nach- 
zeichnen;  Konig  Nobel  von  Lohmeyer  &  Flinzer;  Blumenmarchen  von  Kreidolf. 

Eltern,  welche  in  der  Charakteristik  anstrebenden  Kunst  von  Busch  nur  Kar- 
rikatur  sehen,  werden  eines  besseren  belehrt.  Da  ist  Hans  Huckebein,  das  Puste- 
rohr  und  Max  und  Moritz.  Fiir  die  beiden  folgenden  Jahre  Kinder-  und  Haus- 
marchen  mit  13  Bildern  von  Paul  Meyerheim;  Andersens  ausgewahlte  Marchen; 
eine  Tierschule  von  Feodor  Flinzer. 

Fiir  die  weiteren  Altersstufen  sind  Marchen  und  Kunstmarchen,  die  Bibel  in 
Bildern  von  Julius  Schnorr  von  Karolsfeld  und  der  alte  Fritz  und  die  Konigin 
Luise  von  Knotel  vertreten. 

Das  Pestalozzi-Frobelhaus  hat  die  3.  Abteilung,  das  Kind  als  Kiinstler,  aus- 
gestellt.  Nicht  nach  den  ausgestellten  Leistungen,  sondern  nach  dem  Triebe  zu 
seiner  Bethatigung  hat  man  das  Kind  zum  Kiinstler  erhoben. 

Die  Zeichnungen  der  Kinder  vom  5.  Lebensjahre  ab  sind  eine  freie  Wieder- 
gabe  von  Linien,  Formen  und  Farben  der  Gegenstande  in  der  Umgebung  des  Kin- 
des,  z.  B.  Hammer,  Biirste,  Uhr;  von  Bildern  Pferd  und  Sperling,  Schwalbenbild, 
Erntebild,  Bienenbilder.  Nach  Erzahlungen  sind  gezeichnet  Aschenbrodel,  der 
schlafende  Apfel,  Wichtelmanner,  Spatzchens  erste  Reise.  Frei  gezeichnet  sind 
der  Mensch,  Haustiere  und  Pflanzen  und  Erlebtes  und  Erdachtes. 

Die  Kinder  sind  angeleitet  worden,  die  farbigen  Erscheinungen  der  Gegen- 
stande und  zwar  durch  den  Pinsel,  der  Flache  und  Farbe  gleichzeitig  herstellt. 

Als  Fortsetzung  der  Zeichnungen  aus  dem  Kindergarten  finden  wir  2  Proben 
aus  den  Public  Schools  in  Minneapolis. 

Den  Schluss  bilden  Zeichnungen  durch  Anschauungsunterricht  mit  Modellie- 
ren.  Dr.  Pappenheim  in  Lichterfelde  hat  von  Sextanern  Hand,  Gebiss,  Fliigel, 
Baum  mit  Storchnest  zeichnen  und  den  Elefanten  zeichnen  und  modellieren  las- 
sen;  das  hatte  in  einer  einfacheren  Tierform  geschehen  konnen. 

Der  Entwicklung  der  Sinnesorgane  des  Kindes  und  den  Kunstepochen  ent- 
sprechend  ist  es,  wenn  das  Kind  als  Kiinstler  mit  der  Plastik  beginnt  und  nicht 
mit  Zeichnung  und  Malerei. 

An  dieser  Stelle  hatte  noch  der  andere  Weg,  wie  beispielsweise  Prof.  Flinzer- 
Leipzig  durch  das  mit  Bewusstsein  vollzogene  Sehen  das  Kind  aktiv  in  die  bil- 
dende  Kunst  einfiihrt,  gezeigt  werden  miissen. 

Die  Ausstellung  hat  ein  in  Deutschland  ungewohnliches  Interesse  fur  Erzie- 
hung  erweckt.  Die  Er.6ffnung  unter  Beteiligung  des  Oberbiirgermeisters,  eines 
Vertreters  aus  dem  Kultusministerium,  .vieler  Kiinstler  und  Kunstschriftsteller 
spricht  dafiir.  Sie  zeigt  das  ABC  der  kiinstlerischen  Jugendbildung  und  sollte 
darum  als  offentliches  Institut  erhalten  bleiben.  Otto  Wendtlandt. 

(Frankfurter  Schulzeitung.) 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Die  JubUaumsfeier  der  Deutsch-Englischen  Akademie  zu 

Milwaukee. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  S.  A.  Abrams,  Milwaukee,  Wis. 

Milwaukee,  Juni  1901. 

In  der  dritten  Maiwoche  prangte  das  vielen  auswartigen  Lesern  der  ,,Pa- 
dagogischen  Monatshefte"  und  vielen  Mitgliedern  des  Lehrerbundes  wohlbe- 
kannte  Gebaude  an  Broadway,  unter  dessen  schutzendem  D.ache  das  deutsch- 
amerikanische  Lehrerseminar,  dessen  Musterschule,  die  deutsch-englische  Aka- 
demie, und  das  Turnlehrerseminar  friedlich  nebeneinander  und  zusammenwir- 
ken,  in  prachtigem  Festessehmucke.  Fiinfzig  Jahre  waren  verflossen,  seitdem 
deutsche  Thatkraft  und  ideales  Streben  die  Erziehungsanstalt  ins  Leben  gs- 
rufen  hatten,  die,  vom  Geiste  ihres  Griinders  und  ersten  Leiters  beseelt,  unter 
dem  Namen  ,,Engelmanns  Schule"  Vorziigliches  leistet,  Tausende  unserer  tuch- 
tigsten  Mitbiirger  deutscher  Abkunft  als  Lernende  in  ihren  Raumen  sah,  be- 
fruchtend  die  Entwickelung  der  offentlichen  Schulen  Milwaukees  forderte  und 
heute  noch  als  deutsch-englische  Akademie  und  Musterschule  unseres  Lehrer- 
seminars  auf  der  Hohe  ihrer  friiheren  Leistungsfahigkeit  steht. 

Gegriindet  zu  einer  Zeit,  als  die  Volksschule  des  jungen  Gemeinwesens  de- 
nen  nicht  geniigen  konnte,  die  fur  ihre  Kinder  mehr  beanspruchten,  als  die 
offentliche  Schule  damals  bieten  konnte,  den  Mannern  und  Frauen  nicht  genii- 
gen  konnte,  die  deutschen  Lehranstalten  Bildung  und  Wissen  verdankten,  die 
nach  einer  Schule  verlangten,  in  deren  Raumen  die  deutsche  Sprache  neben 
der  englischen  liebevoll  und  sorgsam  gepflegt  und  eine  harmonische  Ausbil- 
dung  von  Herz,  Him  und  Hand  angestrebt  wurde,  hat  die  deutsch-englische 
Akademie  alien  Stiirmen  getrotzt,  ist  Dank  der  Opferwilligkeit  und  Hingebung 
wackerer  Manner  und  Frauen  von  den  machtig  emporwachsenden  Schulen 
nicht  erdriickt  worden,  und  heute,  nach  einem  halben  Jahrhundert,  wirkt  sie 
in  ungeschwachter  Jugendkraft  unter  der  tiichtigen  Leitung  unseres  lieben 
Kollegen,  des  Seminardirektors  Emil  Dapprich  und  seiner  wackeren  Lehrer- 
schar. 

Die  Jubelfeier  wurde  durch  einen  akademischen  Abend  in  dem  geraumi- 
gen,  fur  die  Gelegenheit  schon  geschnr^ckten  Saal  der  Turnhalle  des  Turn- 
vereins  ,,Milwaiikee"  in  wiirdiger  Weise  ^ingeleitet.  Trotz  des  stromenden  Re- 
gens  war  der  Saal  bis  auf  den  letzten /Platz  besetzt.  Graubarte  und  frische 
Knaben  und  Madchen  ,Jiinglinge  und/  Jungfrauen  —  drei  Generationen  von 
Zoglingen  der  Jubilarin,  —  Erziehungsfreunde,  Lehrer  und  Lehrerinnen  der 
offentlichen  Schulen  batten  sich  zusammengefunden,  des  unvergesslichen  geis- 
tigen  Griinders  der  Schule,  des  3m  Jahre  1874  verstorbenen  Peter  Engelmann 
zu  gedenken.  Ein  formvollendeter  Prolog,  voll  von  tiefen  Empfindens  und  poe- 
tischer  Schonheit,  welcher  die  Jubilarin  darstellte,  als  jugendfrische  Matrone, 
die  sinnend  gedenkt  des  Tages,  an  dem  sie  vor  fiinfzig  Jahren  in  brautlicher 
Anmut  und  Liebe  sich  dem  Geiste  der  Freiheit  vermahlte,  wurde  von  dem  Ver- 
fasser,  Herrn  Oskar  Burckhardt,  wirkungsvoll  vorgetragen  und  bildete  die  ein- 
leitende  Nummer  der  Feier.*  General  F.  C.  Winkler,  der  erste  Zogling  Peter  En- 
gelmanns  und  einer  der  hervorragendsien  Kechtsanwalte  Milwaukees,  der  sich 
seinen  militarischen  Rang  auf  den  Schlachtfeldern  des  Siidens  erworben  hat, 

*  Der  Prolog,  den  nns  Kollege  Burckhardt  freundlicbst  zur  Verftigung  gestellt  hat,  wird 
in  der  nachsten  Nummer  zum  Abdruck  gelangen.  In  dieser  Nummer  fehlte  es  uns  leider  an 
Raurn.  D.  R. 


Korresponden^en.  269 

pries  den  Wert  und  die  Schonheit  der  deutschen  Sprache.  Herr  Albert  Wall- 
ber,  Prasident  des  Schulvereins,  wies  auf  die  Bedeutung  der  Feier  hin,  Schul- 
superintendent  H.  O.  Siefert  gedachte  in  wannen  Worten  der  Verdienste  Engel- 
manns,  den  er  personlich  wohl  gekannt,  riihmte  den  Anteil  der  deutsch-eng- 
lischen  Akademie  an  dem  gedeihlichen  Werden  und  Wirken  unseres  offentli- 
chen  Schulsystems,  an  dessen  Spitze  er  seit  Jahreii  steht,  und  zollte  warme 
Anerkennung  der  Thatigkeit  des  Herrn  Dapprich,  auf  dessen  wiirdige  Schul- 
tern  ,,Elias'  Mantel"  gefallen  1st.  Herr  Leo  Stern,  Mitglied  des  Prufungsaus- 
schusses  fiir  das  Lehrerseminar,  ubermittelte  in  wohlgesetzter  Kede  der  Jubl- 
larin  die  Griisse  und  Gluckwunsche  des  Lehrerbundes. 

Beim  Lesen  der  nachfolgenden  Zeilen  wird  der  Eedakteur  der  ,,Mcmats- 
hefte",  dessen  madchenhafte  Bescheidenheit  jedermann  kennt,  gebeten,  sich 
die  Ohren  zuzuhalten. 

Unbeschadet  der  Trefflichkeit  aller  Beden,  in  welchen  der  Jubilarin  gehul- 
digt  vvurde,  war  doch  der  Glanzpunkt  der  ,,Akademischen  Feier"  die  von  einem 
Chor  von  150  frischen  jugendlichen  Stimmen,  vier  Solistinnen  und  vollem  Or- 
chester  ausgefiihrte  Abt'sche  Cantate  ,,Aschenbrodel".  Unter  der  tiichtigen 
Leitung  des  Herrn  Max  Griebsch,  der  augenscheinlich  sein  ganzes  Konnen  und 
Wollen  der  schwierigen  Aufgabe  gewidmet,  hatte  die  Sangerschar  wacker  ge- 
tibt  und  durch  ihren  frischen,  sicheren,  reinen  Sang,  durch  die  glanzende  Wie- 
dergabe  der  einschmeichelnden  Abt'schen  Melodien  Herz  und  Sinn  der  Horer 
bezaubert. 

Zwei  Tage  nach  dieser  erhebenden  akademischen  Feier  versammelten  sich 
die  Freunde  und  alten  Zoglinge  der  Anstalt  zu  einem  Festmahle  in  dem  glan- 
zenden  Bankettsaale  des  Pfisterhotels.  Hier  herrschte  frohliche  Feststim- 
mung.  Bei  Gesang  und  Becherklang  gedachte  man  vergangener  Zeiten,  ge- 
dachte man  der  Manner  und  Frauen,  die  sich  Verdienste  erworben  um  das 
Wohl  der  Schule  und  der  Jugend.  Briefe  und  Depeschen  von  alten  Schulern 
und  Freunden  der  Anstalt  wurden  verlesen.  Auch  eine  vom  Vorstande  des 
Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes  eingegangene  Gluckwunsch- 
depesche  wurde  freudig  entgegengenommen. 

Eine  von  den  Alumnen  der  Schule  veranstaltete  Festlichkeit,  die  sich  ihren 
Vorgangern  wurdig  anreihte,  bildete  den  Abschluss  der  Feier,  der  die  Herzen 
der  Teilnehmer,  der  Freunde  der  Schule,  der  Erziehung  und  der  deutschen 
Sprache  eine  freundliche  Erinnerung  bewahren  werden. 


II.     Kor  respond  enzen. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Cincinnati.  noch   an   Jahren  —  gegen   die   Plane 

Und  wiederum  kam  die  Zeitder  und  Satzungen  gemurrt  hatten — denn 

Heimsuchung,  allwo  der  Wiirge-  mein  ist  die  Eache,  spricht  der  Herr 

engel  an  den  Wohnstatten  der  Jugend-  der  Herrscharen! 

erzieher  voriiberzog    und  die  Schwel-  Nach  dieser  erbaulichen  Einleitung 

len  derjenigen  zeichnete,  die  dem  Un-  fiber  die  iibliche  jahrliche  Pensionie- 

tergange  geweiht  waxen  —  und  siehe,  rung    bezw.  Enthauptung    von    Lehr- 

es  fielen  die  Haupter  jener,    die  vier  kraften  hat  der    Korrespondent    nur 

Dezennien    und    mehr    im  Weinberge  noch    fiber     die     Versammlung 

des    Herrn    gearbeitet  und    also    der  des    deutschen  O  b  erlehrer- 

Euhe  bedurftig  waren;  aber  es  fielen  vereins    zu    berichten.      In    der 

auch  die  Haupter  solcher,  die  — jung  ersteren,    die    am    23.    Mai    stattfand, 


270 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


wurden  fur  das  nachste  Schuljahr  die 
alien  Beam  ten  wiedererwahlt,  mitAus- 
nahme  des  Sekretars  Erich  Bergmann, 
der  ablehnte,  und  an  dessen  Stelle 
Herr  Viktor  Groneweg  trat. — Bei  der 
Versammlung  des  Lehrervereins  am 
1.  Juni  wurden  ebenfalls  samtliche  Be- 
amten  wiedererwahlt.  Im  ubrigen 
kam  bei  dieser  Schlusssitzung,  wie 
iiblich,  em  musikalisch-deklamatori- 
sches  Programm  zur  Durchfuhrung. 

Nach  langerem  Siechtum  starb  am 
Samstag,  dem  1.  Juni,  der  unter  den 
alten  Kriegsveteranen,  besonders  aber 
unter  der  deutschen  Lehrerschaft 
hier  und  in  Dayton,  O.,  wohlbekannte 
Herr  Gustav  Bergmann.  Der 
Verblichene  wurde  am  3.  Oktober  1837 
in  Zeitz,  Sachsen,  geboren,  kam  aber 
schon  im  Alter  von  18  Jahren  nach 
Amerika.  Wahrend  des  Biirgerkrie- 
ges  kampfte  er  im  9.  Ohioer  Freiwil- 
ligen-Eegiment  zwanzig  Monate  lang 
fur  die  Einigkeit  seines  Adoptiwater- 
landes.  Im  Jahre  1864  verzog  Herr 
Bergmann  nach  Dayton,  wo  er  bis 
zum  Jahre  1890  als  deutscher  Lehrer 
thatig  war  und  sich  eines  grossen  Be- 
kanntenkreises  erfreute.  Vor  nun- 
mehr  zehn  Jahren  kehrte  er  nach 
Cincinnati  zuriick,  woselbst  er  bis 
zum  Jahre  1897  als  einer  unserer  ge- 
achtetsten  deutschen  Oberlehrer  an 
der  26.  Distriktschule  in  Cummins- 
ville  f  ungierte.  Die  Witwe  und  sieben 
Kinder,  darunter  Herr  Oberlehrer 
Erich  Bergmann  von  der  16.  Distrikt- 
schule hier,  betrauern  ausser  den 
zahlreichen  Freunden  und  Berufsge- 
nossen  den  Tod  des  Dahingeschiede- 
nen,  der  am  Dienstag,  dem  4.  Juni,  auf 
dem  Begrabnisplatze  der  Familie  in 
Dayton  beigesetzt  wurde. 

Mit  dem  Namen  Gustav  Bergmann 
wird  das  Andenken  an  einen  braven, 
rechtschaffenen  Menschen  und  an  ei- 
nen tiichtigen,  verdienstvollen  Lehrer 
stets  verknupft  bleiben.  E.  K. 

New  York. 

VomVereindeutscherLeh- 
rer  von  New  York  und  Umge- 
g  e  n  d.  In  freiem  fliessenden  Vortrag 
fiihrte  uns  letzten  Samstag  Herr 
Ossian  Lang,  Editor  of  the  School 
Journal,  die  ,,Amerikanischen  Pada- 
gogen  der  Gegenwart"  vor.  Seine  Ab- 
sicht  war  zu  zeigen,  weniger  was  die 
Vereinigten  Staaten  auf  dem  padago- 
gischen  Gebiete  Europa  verdanken, 
als  vielmehr,  worin  Amerika  iiber  Eu- 
ropa hinausgeht  und  befruchtend  auf 
die  alt-e  Welt  zuriickwirkt  . 

Zunachst  gab  der  Redner  einen 
historischen  ttberblick  der  erzieheri- 


schen  Bewegungen  bis  zu  dem  Zeit- 
punkt,  den  wir  gewohnt  sind  als  den 
Anfang  ,,der  neuen  Erziehung"  zu  be- 
zeichnen.  In  rascher  Aufeinander- 
folge  entwickelte  er  Bacon's  Ideen 
und  wie  sie  in  Neuengland  Wurzel  ge- 
schlagen,  ging  liber  auf  Comenius,  der 
—  und  das  ist  vielleicht  nicht  allge- 
mein  bekannt  —  an  die  eben  gegriin- 
dete  Harvard-Universitat  berufen  und 
zum  1,  Prasidenten  dieser  Universitat 
vorgeschlagen  wurde;  er  behandelte 
dann  Eousseau  und  zeigt«  wie  seine 
Ideen  in  der  Unabhangigkeitserkla- 
rung  der  jungen  amerikanischen  Re- 
publik  ihren  Ausdruck  gefunden  und 
wie  seine  Schlagworter  ins  Englisch- 
Amerikanische  iibersetzt,  hier  gang 
und  gabe  wurden.  Pestalozzis  (Neffs), 
Herbarts  und  Frobels  Einfluss  im  all- 
gemeinen  und  ihren  besonderen  Wir- 
kungszentren  (z.  B.  Indiana,  Philadel- 
phia, Concord)  kamen  alsdann  zur 
Sprache;  auch  den  sozialistischen  Na- 
tionalokonomen  Owen  zog  er  ins  Be- 
reich  seiner  Diskussion  und  raumte 
ihm  seine  gebiihrende  Stellung  in  Be- 
zug  auf  die  Griindung  der  indiana- 
'schen  Gemeindeschulen  ein.  In  die- 
ser Weise  wies  der  Redner  nach,  wie 
in  den  verschiedenen  Teilen  der  Ver- 
einigten Staaten  verschiedene  Ein- 
fliisse,  englische,  schweizerische,  hol- 
landische,  franzosische,  schottische, 
deutsche,  wirksam  waren  und  noch 
heute  wirksam  sind  —  entgegen  der 
Ansicht  Fiskes,  der  die  ganze  Ent- 
wickelung  auf  englischen  Einfluss  zu- 
riickfuhren  w^ollte  —  wie  aber  die  ge- 
borgten  Ideen  hier  durch-  und  umge- 
arbeitet,  wie  sie  den  amerikanischen 
Verhaltnissen  angepasst  und  so  ein 
iTeil  des  organischen  Ganzen  des  ame- 
vrikanischen  Staatsbegriffes  wurden. 

Diesen  Werde-  und  Umwandlungs- 
prozess  schilderte  er  hierauf  an  der 
Hand  der  fiihrenden  Geister.  Insbe- 
sondere  zeigte  er  die  bedeutsame  und 
charakteristische  Wirksamkeit  von 
Horace  Mann,  Dr.  Harris  (den  Repra- 
sentanten  der  Concord-Schule  und  des 
deutschen  Einflusses),  Stanley  Hall, 
Col.  Francis  Parker,  Dewey,  Brooker 
T.  Washington.  Es  ware  hochinteres- 
sant,  auf  die  Einzelheiten  hier  naher 
einzugehen  und  namentlich  die  indi- 
viduellen  Verschiedenheiten  in  der 
Auffassung,  der  Durchfiihrung  und 
den  Endzielen  ihrer  reformatorischen 
Bestrebungen  hervorzuheben.  Dies 
wurde  jedoch  den  Rahmen  einer  kur- 
zen  Berichterstattung  uberschreiten. 
Es  ware  aber  zu  wiinschen,  dass  Dr. 
Lang  seine  mundliche  Ausfiihrung 
schriftlich  ausarbeiten  und  sie  der  Re- 


Korresponden^en. 


271 


daktion  der  Padagogischen  Monats- 
hefte  zur  Verfiigung  stellen  wiirde. 
Er  wiirde  sich  damit  ein  grosses  und 
dauerndes  Verdienst  um  die  gauze 
deutschamerikanische  Lehrerwelt  er- 
werben.  Denn  wir  Deutschen  kennen 
ja  vielleicht  die  hervorragendsten  eu- 
ropaischen  Padagogen,  verstehen  auch 
am  Ende  das  amerikanische  Schul- 
system,  wissen  aber  im  allgemeinen 
wenig  iiber  die  Schopfer  dieses  Sys- 
tems. Ich  personlich  wiinschte  es  um- 
somehr,  als  Hr.  Lang  vor  alien  andern 
dazu  berufen  scheint,  sich  einer  sol- 
chen  Aufgabe  zu  unterziehen,  da  er, 
als  Redakteur  des  "School  Journal" 
mit  den  meisten  Fiihrern  personlich 
bekannt  wurde,  ihr  Privatleben  kennt, 
und  ihre  innersten  Regungen  und  Be- 
weggriinde  zu  erfassen  und  zu  verdol- 
metschen  versteht. 

Dem  Vortrag  ging  der  geschaftliche 
Teil  voraus.  Den  Vorsitz  in  beiden 
fuhrte  wiederum  der  Vereinsprasident 
Dr.  Karl  F.  Kayser.  Es  wurde  be- 
schlossen,  statt  der  nachsten  Ver- 
sammlung  in  Allaire's  Lokal  einen  ge- 
meinschaftlichen  Ausflug  zu  machen. 
Die  verschiedensten  Vorschlage  wur- 
den  laut.  Man  einigte  sich  schliesslich 
auf  ,,Eagle  Rock",  den  bekannten  Aus- 
flugsort  Newarks.  Man  versprach  uns 
Wunder  von  diesen  hochromantischen 
Hohen,  der  entziickenden  Rundsicht, 
von  den  Schatzen,  die  Ktiche  und  Kel- 
ler bergen.  Qui  vivra  verra.  A.  K. 

New  York,  den  19.  Mai  1901. 
Mit  der  gestrigen  Sitzung  beschloss 
,,derVerein  derLehrer  des 
Deutschen  anN.  Y.  Hoch- 
s  c  h  u  1  e  n"  sein  erstes  Vereinsjahr. 
Infolge  ortlicher  und  statutarischer 
Beschrankung  umfasste  der  Verein 
nur  eine  Mitgliedschaft  von  etlichen 
zwanzig  Lehrern,  allein  dank  dem  In- 
teresse,  das  Kollegen  anderer  Schulen 
tmseren  Bestrebungen  entgegenbrach- 
ten  und  mit  dem  sie  an  unseren  Ver- 
handlungen  teilnahmen,  war  der  Be- 
such  unserer  Versammlungen  stets  ein 
weit  starkerer  gewesen.  Mit  Riick- 
sicht  auf  diese  rege  Teilnahme  von 
seiten  anderer  Lehrer  beabsichtigt  der 
Verein  nun,  vom  kommenden  Jahre  an 
seine  Mitgliedschaft  zu  erweitern  und 
\vom6glich  alle  Lehrer  des  Deutschen 
an  offentlichen  und  privaten  Mittel- 
schulen  New  Yorks  und  der  Umgegend 
in  sich  zu  vereinigen;  es  darf  somit 
mit  ziemlicher  Bestimmtheit  voraus- 
gesagt  werden,  dass  der  Verein  sich 
in  wenigen  Jahren  zu  einer  kraftigen 
und  einflussreichen  Korperschaft  ent- 
v;ickeln  wird. 


Die  Wiederwahl  der  Beamten,  mit 
Herrn  Dr.  Fr.  Monteser  an  der  Spitzer 
verbiirgt  ruhrige  Vereinsthatigkeit 
und  lehr-  und  genussreiche  Versamm- 
lungen auch  fiir  das  kommende  Jahr. 

Der  Redner  der  gestrigen  Versamm- 
lung  war  Hr.  Dr.  A.  F.  J.  Reny,  Dozent 
an  der  Columbia  Universitat.     Er  be- 
handelte  das  Thema:   Germanistische 
Philologie  im  Dienste  der  Lehrer  des 
Deutschen.  —  In  der  Einleitung  pra- 
zisierte  Hr.  Remy  den  Begriff  und  den. 
Inhalt  der  Wissenschaft  und  betonte, 
dass  zu  einem  umf  assenden  und  allsei- 
tigen  Verstandnis  derselben  nattirlich 
das  ganze  indogermanische  Sprachge- 
biet  gehore  und  dass  demzufolge  eine 
Kenntnis      der     einschlagigen      oder 
grundlegenden  Sprachen  der  Griechen 
und  Romer,  der  Inder  und  Iraner,  der 
Kelten    und    Litu-Slawen  unerlasslich 
sei.    Fiir  das  Studium  der  Germanistik 
im  engeren  Sinne  jedoch,  oder  besser 
gesagt,  fiir  die  praktische  Ausbeutung 
derselben    im    Mittelschulunterrichte 
geniige    die    Kenntnis    einer    alten 
Sprache,  der  Lateinischen    oder  Grie- 
chischen,    zusammen    mit   dem    Goti- 
schen,    dem  Alt-  und  Mittelhochdeut- 
schen,    weil    sich  durch  diese  sowohl 
der  Wandel  und  die  Komposition    der 
Worter  als  auch  deren  Bedeutungsver- 
anderungen    in    hinreichender    Weise 
erklaren  liessen.  Der  Vortragende  ver- 
wahrte  sich  jedoch  von  vornherein  ge- 
gen     die     etwaige     Schlussfolgerung, 
dass  er  eine  ganzliche  Umgestaltung 
der  Unterrichtsweise  befiirworte  und 
an  Stelle  des  gebrauchlichen  Lehrver- 
fahrens     wissenschaftliche    Vortrage 
iiber  Germanistik  gesetzt  haben  wol- 
le;    solches  sei    keineswegs  seine  Ab- 
sicht.    Er  bemerkte,  dass  er  zunachst 
nur  den  Lehrer  im  Auge  habe,  und  fiir 
ihn  stehe  es  ausser  Frage,  dass  eine 
etwas    genauere    Bekanntschaft    mit 
den  Ergebnissen  der    Forschung    auf 
germanistischemGebiete  von  grosstem 
Nutzen  seien.    Sie  helfe  ihm  nicht  nur 
selbst  iiber  eineReihe  gefahrlicher  und 
triigerischer  Klippen  hinweg,    erklare 
ihm  manche  Eigentiimlichkeiten    und 
scheinbaren  Unregelmassigkeiten,  be- 
reichere  sein  Wissen  iiber  die  Bedeu- 
tung  einzelner  Worter  oder  Redewen- 
dungen  und  erhohe  dadurch  seine  Ach- 
tung  vor  der  Kraft  und  Fiille  seiner 
eigenen    Sprache,     sondern    befahige 
ihn  auch,  dem  Schiller  und  besonders 
dem  englisch  sprechenden,    hier    und 
dort  durch  geschickte    geschichtliche 
Wort-  und  Satzerklarungen    iiber    et- 
waige   Schwierigkeiten    hinwegzuhel- 
fen. 
In   der  interessant^sten  Weise   ge- 


272 


P'ddagogiscbe  Monatsheftt. 


lang1  es  dem  Vortragenden  diese  An- 
sichten  zu  begriinden.  Nachdem  er 
an  verschiedenen  Beispielen  die  erste, 
sog.  germanische  Lautverschiebung 
veranschaulicht  hatte  und  damit  be- 
wies,  dass  auch.  im  Leben  der  Spra- 
chen  Gesetzmassigkeit  und  nicht  Will- 
kiir  vorherrsche,  erklarte  er  des  Wei- 
teren,  wie  der  deutsche  Lehrer  einer 
englischen  Klasse  durch  das  genaue 
Studium  der  Grimm'schen  und  Ver- 
ner'schen  Gesetze  des  Lautwandels, 
wie  auch.  der  Gesetze  des  Umlautea 
etc.  sich  seine  Aufgabe  erheblich  zu 
erleichtern  und  nutzbringender  zu  ge- 
stalten  imstande  ist.  —  An  Wortern, 
wie  Beispiel,  Demut,  Frohn- 
leichnam,  Karfreitagu.  a.  er- 
lauterte  er  darauf,  una  wie  viel  klarer 
dem  Lehrer  der  Inhalt  der  Worter  und 
um  wie  viel  leichter  ihm  in  manchen 
Fallen  deren  Erklarung  werden  muss, 
wenn  er  weiss,  dass  der  eine  oder  an- 
dere  Teil  eines  Wortes  in  der  fnihe- 
ren  Sprache  eine  Bedeutung  hatte,  die 
heute  ganzlich  verschwunden  ist.  So 
z.  B.,  dass  das  Wort  ,,Beispiel"  nichts 
mit  ,,Spiel"  zu  thun  habe,  also  nicht 
mit  by  play  zu  iibersetzen  sei,  sondern 
dass  es  althochdeutsch  bispel  war  und 
der  zweite  Teil  spel  (engl.  spele)  Er- 
zahlung  oder  Erklarung-  bedeutete; 
oder  dass  ,,Kar"  in  Karfreitag1  und 
Karwoche  vom  altdeutschen  Kara 
(engl.  care)  die  Klage,  stamme.  —  In 
ahnlicher  Weise  wies  er  darauf  hin, 
wie  wichtig  es  fur  den  Lehrer  sei  und 
wie  es  inn  selbst  von  Irrlehren  und  ev. 
auch  von  Blamagen  retten  konne, 
wenn  er  weiss,  dass  oft  ganz  gleich- 
oder  ahnlich  lautende  Worter  in  gar 
keinem  urspriinglichen  Zusammen- 
hange  stehen,  wie  z.  B.  der  Mund  und 


der  Vormund,  blau  und  blauen  (durch- 
blauen),  weich  und  Weichbild,  dauern 
und  bedauern,  kosten  (cost)  und 
kosten  (taste)  etc.,  oder  wenn  er 
weiss^  dass  das  Perfekt  des  Partizips 
einst  ohne  Vorsilbe  g  e  gebildet  wurde 
und  darum  Formen  wie  ,,worden"  und 
,,sehen"  in  ,,er  ist  geliebt  worden"  und 
,,ich  habe  inn  kommen  sehen"  eigent- 
lich  gar  keine  Ausnahme  sind;  und 
ebenso,  dass  dasselbe  Partizip  ur- 
spriinglich  auch  aktive  Bedeutung  ge- 
habt,  wie  sich  noch  in  Wortern  wie 
,,der  Bediente"  oder  ein  ,,vergessener" 
(\ergesslicher)  Mensch  erhalten  hat. 

Eine  derartige  Kenntnis  der  Spra- 
che, behauptete  der  Redner,  mache 
den  Lehrer  zum  ,,Fachmanne"  und  er- 
hebe  ihn  vom  Sprachmeister  zum 
Sprachlehrer,  und  es  sei  im  Interesse 
der  Sache,  wenn  neben  dem  Konnen 
auf  dem  Gebiete  des  modernen 
Sprachunterrichtes  auch  dem  Kennen 
mehr  Achtung  geschenkt  werde. 

Die  hoheren  Anforderungen,  die  von 
dem  Eedner  an  den  deutschen  Lehrer 
der  Mittelschulen  gestellt  werden,  ver- 
dienen  sicherlich  die  ernstliche  Beach- 
tung  aller  derer,  denen  die  Entwicke- 
lung  der  Hochschulen  im  allgemeinen 
und  der  modernen  Sprachen  im  beson- 
deren  am  Herzen  liegt.  Sie  gehen 
Hand  in  Hand  mit  den  erhohten  For- 
derungen  auf  samtlichen  Gebieten  des 
Mittelschulwesens,  und  es  kann  wohl 
nicht  bezweifelt  werden,  dass  in  nicht 
allzu  ferner  Zeit  ein  griindliches  neu- 
philologisches  Wissen  bei  der  Auswahl 
modernsprachlicher  Lehrer  schwer- 
wiegend  in  die  Wagschale  fallen  wird. 
Let  us  not  be  caught  napping! 

C.  F.  K. 


I 

III.    Brifikmsten. 


M.  D.,  Dayton.  So  wie  wir  das  uns 
vorliegende  Zirkular  auffassen,  soil- 
ten  die  Fragen  Ihnen  nach  dem  Ex- 
amen,  das  vom  17. — 21.  Juni  stattfin- 
det,  zur  Verfligung  stehen.  Wenden 
Sie  sich  an  den  Sekretar  des  ,, College 
Entrance  Examination  Board"  (Sub- 
Station  84,  New  York,  N.  Y.).  Wir  ha- 
ben  das  Gleiche  gethan,  konnen  aber 
kaum  Antwort  erwarten,  ehe  die  Num- 


mer  zur  Presse  gehen  muss.  —  Die 
Preise  der  besprochenen  Biicher  ge- 
ben  wir  sow^eit  an,  als  sie  uns  von 
den  Verlagsfirmen  mitgeteilt  werden; 
diese  gewohnen  sich  allmahlich  daran, 
es  regelmassig  zu  thun.  V.  B.,  San 
.Jose,  Cal.  Besten  Dank  fur  Ihre 
freundlichen  Ratschlage.  Wir  wollen 
sie  befolgen  und  hoffen  auf  giinstiges 
Eesultat.  Brief  nachstens. 


Bucherschau. 


I.     Bucherbesprechungen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Die  Deutschen  in  Pennsyl- 
vanien  vor  d  e  m  Revoluti- 
onskrieg.  Im  Verlag  von  Henry 
Holt  &  Co.  (New  York)  ist  vor  kurzem 
ein  Werk  erschienen,  das  an  ,,Fiskes 
Dutch  and  Quaker  Colonies"  erin- 
nernd,  ein  Stiick  amerikanischer  Ko- 
lonialgeschichte  behandelt.  Unter 
dem  Titel  "The  German  and 
Swiss  Settlement  of  Colon- 
ial Pennsylvania:  A  Study 
of  the  So-called  Pennsyl- 
vania Dutc  h,"  wendet  sich  das 
Buch,  in  englischer  Sprache  verfasst, 
an  den  gebildeten  Amerikaner,  der  die 
Kulturgeschichte  des  eigenen  Landes 
zu  erforschen  sucht,  aber  ganz  beson- 
ders  und  zwar  zum  Zwecke  der  Selbst- 
erkenntnis  an  den  engeren  Kreis  der 
deutschen  Nachkommen,  denen  die 
englische  Sprache  gelaufiger  gewor- 
den  als  die  Sprache  ihrer  Vorfahren. 
Der  Verf asser,  Professor  Oscar 
K  u  h  n  s,  tritt  unter  giinstigen  Vorbe- 
dingungen  an  seine  Arbeit  heran. 
Selbst  von  den  ersten  deutschen  An- 
siedlern  in  Pennsylvanien  abstam- 
mend,  kennt  er  das  Leben  und  den 
Charakter  des  grossen  Agrikultur- 
volkes  aus  eigener  Beobachtung  in  sei- 
ner Heimat  in  Lancaster  County,  spa- 
ter  als  Professor  der  Neueren  Spra- 
chen  siedelte  er  sich  im  Herzen  des 
,,Yankeetums",  im  Staate  Connecticut 
an,  und  wurde  dadurch  vollkommen 
mit  dem  Vorziiglichen  in  Kultur  und 
Charakter  des  amerikanischen  Volkes 
vertraut.  Man  findet  deswegen  im 
vorliegenden  Werke  ein  unbefangenes 
Urteil,  ein  Geltenlassen  der  Ver- 
dienste  anderer  Volker,  eine  Beschran- 
kung  auf  Thatsachen,  die  ohne  rheto- 
rischen  Schmuck,  mit  dem  Schilde  der 
Wahrheit  glanzen. 

Im  ersten  Kapitel  seines  Buches 
fiihrt  uns  der  Verfasser  in  die  Heimat 
der  Deutsch-Pennsylvanier  zuriick, 
nach  der  Rheinpfalz  und  an  den  Ober- 
rhein,  und  gewahrt  uns  einen  raschen 
historischen  Uberblick  auf  dortige 
Verhaltnisse.  Der  allgemeine  Wohl- 
stand  Deutschlands  zu'  Ende  des  sech- 
zehnten  Jahrhunderts  erstreckte  sich 
gleichfalls  fiber  die  gesegnete  Pfalz, 
deren  Bewohner,  seit  Menschengeden- 
ken  in  der  Kunst  des  Ackerbaus  ge- 
iibt,  den  Fleiss  und  die  Ausdauer  des 


Landmanns  mit  dem  heiteren  Tem- 
perament des  Rheinlanders  in  ihrem 
Volkscharakter  vereinigten.  Die 
Fruchtbarkeit  gereichte  dem  Lande 
im  Dreissigjahrigen  Krieg  aber  nur 
zum  Verderben,  umsonst  erholte  es 
sich  mehrmals  rasch  von  Verwiistung 
und  Armut,  durch  wiederholte  Ver- 
heerungen  des  Krieges  und  der  Seu- 
chen  vollstandig  zu  Grunde  gerichtet, 
entstand  in  den  Jahren  1836-38  eine 
derartige  Hungersnot,  dass  man  die 
Graber  und  die  Galgen  vor  Menschen- 
fressern  hiiten  musste.  Nach  dem. 
westfalischen  Frieden  folgten  die 
schrecklichen  Kriege  Ludwigs  XIV., 
der  es  darauf  abgesehen  hatte,  da  es 
nicht  in  seiner  Macht  stand,  das  Land 
selbst  dauernd  zu  besetzen,  es  seinen 
Feinden  als  Vorratskammer  zu  verder- 
ben.  Wo  friiher  Glaubensfreiheit 
herrschte,  entstanden  bald  die  Verfol- 
gungen  der  Reformierten.  Hire  Kir- 
chengiiter  \vurden  eingezogen,  der 
Einfluss  der  Jesuiten  siegte.  Den 
Pfalzern  ward  nun  durch  die  okono- 
misch  bedriickte  Lage  und  durch  den 
Religionsz\vang  ihre  schone  Heimat 
verleidet,  und  als  William  Penn  mit 
Reden  und  Schriften  fur  seine  neu  er- 
worbene  Besitzung  am  fernen  Dela- 
ware um  Kolonisten  warb,  und  spater 
die  Versprechungen  der  Konigin 
Anna  von  England  verlauteten,  fass- 
ten  Tausende  von  Deutschen  den  Ent- 
schluss,  jenseits  des  Meeres  in  der 
Wildnis  ein  neues  Heim  zu  grunden. 
Dazu  gesellte  sich  noch  in  vielen  Fal- 
len die  deutsche  Wanderlust,  die  von 
jeher,  so  sehr  auch  ihm  die  alte  Hei- 
mat anhing,  den  Deutschen  antrieb, 
ein  Gliick  unter  fernem  Himmel  zu  su- 
chen. 

Professor  Kuhns'  Buch  beschrankt 
sich  auf  die  Schilderung  der  Einwan- 
derung  vor  dem  Ausbruch  des  Revo- 
lutionskrieges,  im  Jahre  1775.  Wah- 
rend  des  Krieges  geriet  die  Einwande- 
rung  ins  Stocken.  Kuhns  unterschei- 
det  drei  Perioden:  1)  1683-1710  Von. 
der  Griindung  Germantowns  bis  zur 
Einwanderung  der  Mennoniten.  2) 
1710-27.  Die  Jahre,  in  welchen  die 
Einwanderung  starker  wurde,  und 
man  offizielle  Statistiken  dariiber  ver- 
offentlichte.  3)  1725-75.  Die  Periode. 
der  gesteigerten  Einwanderung,  in 


274 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


welcher  durchschnittlich  1500  Deu1> 
sche  jahrlich  in  Philadelphia  anka- 
men.  Indem  er  die  Einwanderungs- 
listen  zu  Eate  zieht,  macht  der  Ver- 
fasser  den  Versuch,  die  Zahl  der  urn 
1775  in  Pennsylvanien  lebenden  Deut- 
schen  zu  bestimmen,  und  kommt  auf 
das  gewohnlich  angenommene  Eesul- 
tat,  namlich,  dass  etwas  uber  100,000 
Deutsche  und  deren  Nachkommen  zur 
Zeit  in  Pennsylvanien  ansassig  gewe- 
sen,  oder  etwa  ein  Drittel  der  ganzen 
Bevolkerung  Pennsylvaniens.  Die 
deutschen  Ansiedlungen  in  anderen 
Landesteilen  kommen  nicht  in  den  Be- 
reich  des  Buches. 

Die  Deutsch-Pennsylvanier  hatten 
auch  ihre  ,,Mayflower",  namlich  das 
Schiff  ,,Concord",  welches  im  Oktober 
des  Jahres  1683  dreizehn  deutsche  Fa- 
milien  nach  Philadelphia  brachte,  die 
unter  der  Fiihrerschaft  des  zwei  Mo- 
nate  friiher  angekommenen  Franz 
Daniel  Pastorius  die  Stadt  ,,German- 
town"  griindeten.  Wegen  ihrer  Armut 
zuerst  als  ,,Armentown"  verspottet, 
bliihte  die  Ansiedlung  durch  den 
Fleiss  und  die  Ausdauer  der  Einwan- 
derer  rasch  empor  und  lockte  bald 
neue  Kolonisten  aus  der  uberseei- 
schen  Heimat.  Nach  1710  siedelten 
sich  zahlreiche  Mennoniten  aus  der 
Schweiz  im  Bezirk  von  Lancaster 
County  an.  Wo  der  deutsche  Bauer 
hinkam,  verwandelte  sich  die  Wildnis 
in  ein  Gartenland,  immer  weiter 
dehnte  sich  sein  Gebiet  ,uber  die 
Grafschaften  Berks,  Montgomery,  an 
dem  jenseitigen  Ufer  des  Susquehan- 
nah,  nach  den  Grafschaften  York  und 
Cumberland,  siidlich  wanderte  das 
Volk,  immer  die  besten  Landereien 
wahlend,  nach  den  Ufern  des  Mono- 
cacy,  im  Staate  Maryland,  weiter  in 
das  fruchtbare  Virginier  Shenandoah- 
thal. 

Im  Kapitel  ,,ttber  Land  und  Meer" 
werden  uns  die  Beschwerden  der  See- 
reise  vorgefiihrt.  Damals  war  der 
Auswanderer  nicht  allein  der  Wut  der 
Elemente  ausgesetzt,  sondern  ganz 
besonders  der  Gefahr  vor  anstecken- 
den  Krankheiten,  beim  oft  vorkom- 
menden  Schiffbruch  der  Gefahr  vor 
Hungersnot.  Ebenso  gefahrlich  fiir 
ihn  war  die  Habgier  der  Agenten  und 
Schiffskapitane.  Oft  auf  der  Ehein- 
fahrt  hatten  schon  die  Emigranten  ei- 
nen  Vorgeschmack  kommender  Lei- 
den und  Sorgen  erhalten,  wenn  durch 
zahlreiche  Abgaben  ihr  Hab  und  Gut 
ihnen  geraubt,  wenn,  um  die  Seereise- 
kosten  zu  bestreiten,  sie  sich  auf 
Jahre  einem  amerikanischen  Gutsbe- 
gitzer  zur  Sklavenarbeit  verdingen 


mussten.  Doch  war  solcher  Dienst  oft 
segenbringend,  da  der  sogenannte  Be- 
demptionist  eine  Lehrzeit  durchmach- 
te,  die  ein  Freier  schwer  entbehrte. 

Jede  gediegene  Schilderung  der 
Sitten  und  Gebrauche  der  Deutschen 
in  Pennsylvanien  geht  zuriick  auf  das 
vortreffliche  Biichlein  (The  Manners 
of  the  German  Inhabitants  of  Pennsyl- 
vania, 1789)  des  angesehenen  Philadel- 
phier  Arztes  Benjamin  Eush,  Unter- 
zeichners  der  Unabhangigkeitserkla- 
rung,  der  in  hohen  Amtern  vielfach 
fiir  das  Gemeinwohl  thatig,  den  Wert 
des  deutschen  Agrikulturvolks  in  sei- 
nem  Staate  redlich  anerkannte.  Sech- 
zehn  Charakteristiken  zahlt  Dr.  Eush 
zusammen,  die  den  Deutschen  im 
Kampf  mit  der  Wildnis  siegreich  her- 
vorgehen  und  alle  anderen  Volker 
iiberniigeln  lassen.  Auf  ahnliche  Weise 
beschreibt  Professor  Kuhns  die  Eigen- 
art  der  Bebauung  der  Felder,  die  Wahl 
des  Kalksteinbodens,  die  Behandlung 
des  Viehs,  die  Konstruktion  ihrer 
Hauser,  ihrer  Scheunen  (Swisser 
barns),  der  Wagen  (Conestoga  \va- 
gons).  Bedeutend  war  auch  ihre  Blu- 
menzucht  und  der  Gartenbau,  eigen- 
tumlich  der  Aberglaube  und  die  Um- 
standlichkeit  bei  Hochzeiten  und  Lei- 
chenbegangnissen. 

Wie  an  ihren  Sitten  hielten  die 
Deutsch-Pennsylvanier  an  ihrer  Spra- 
che  fest.  Anfangs  bemuhten  sie  sich 
auch  nicht,  die  englische  Sprache  zu 
lernen,  ,,damit  sie  ja  nicht  eirisch 
wiirden,"  wie  Chas.  Sealsfield  lachelnd 
bemerkt  in  seinem  Buche,  ,,Die  Verei- 
nigten  Staaten  von  Nordamerika, 
nach  ihrem  politischen  und  gesell- 
schaftlichen  Verhaltnisse  betrachtet. 
(Unter  dem  Pseudonym  C.  Sidons  1827 
'  erschienen.)  Auf  der  Grundlage  des 
1  mitgebrachten  pfalzischen  und 
schweizerischen  Dialektes  entstand 
nun  durch  die  fortdauernde  Beriih- 
rung  mit  dem  Englischen  eine  merk- 
wiirdige  Sprachmengerei,  die  man  ge- 
wohnlich mit  dem  Namen  ,,Pennsylva- 
nia  Dutch"  bezeichnet.  Erst  seit  1849 
entstanden  Versuche,  von  Harbaugh, 
Fischer  ,Eauch  u.  a.,  diesen  Dialekt  in 
Poesie  und  Prosa  zu  verherrlichen ;  es 
entstanden  darunter  recht  gemiitvolle 
Verse,  jedoch  zum  Volksdichter  im 
Sinne  Hebels  brachte  es  keiner.  Eine 
eingehende  Studie  des  Dialektes  fin- 
det  man  in  Professor  Learned's  "The 
Pennsylvania  German  Dialect,"  Balti- 
more 1889  (mit  einer  Grammatik). 
Kuhns  giebt  einige  der  Hauptmerk- 
male  des  Dialektes  kurz  und  leicht- 
verstandlich  an. 

Die  litterarischen  Bestrebungen  der 


BUcherbesprecbungen . 


Deutschen  vor  1775  beschrankten  sich. 
auf  einzelne  zeitgemasse  und  theolo 
gische  Schriften  in  neuhochdeutscher 
Schriftsprache,  und  es  fand  mancher 
der  deutschen  Vorfahren  an  Bildung 
und  Gelehrsamkeit  unter  seinen  ame- 
rikanischen  Zeitgenossen  nicht  seines- 
gleichen.  Kuhns  erklart,  dass  der  oft 
wiederholte  Vorwurf,  als  seien  die 
deutschen  Ansiedler  roh  und  ungebil- 
det  gewesen,  hochst  ungerecht  sei, 
und  zum  teil  davon  herruhrte,  dass 
die  deutsche  Sprache  der  nativisti- 
schen  Bevolkerung  unverstandlich 
und  folglich  verachtungswiirdig  er- 
schienen  sei.  Die  erste  in  Amerika 
gedruckte  Bibel  war  eine  deutsche  aus 
der  Presse  Christoph  Sauers,  davon 
erschien  die  dritte  Ausgabe  im  Jahre 
1776,  die  erste  englische  Bibel  dagegen 
erst  1782.  Die  Deutschpennsylvanier 
importierten  viele  Biicher,  sie  lasen 
eifrig,  und  ihre  Schulen  standen  den 
amerikanischen  nicht  nach. 

,,Das  religiose  Leben"  der  Pennsyl- 
vanier  bildet  den  Inhalt  des  sechsten 
Kapitels,  und  ist  dies  ein  ergiebiges 
Thema,  das  der  Verfasser  griindlich 
durchforscht  hat.  Die  zahlreichen,  in 
der  Wildnis  zerstreuten  protestanti- 
schen  Sekten,  Herrenhuter,  Wieder- 
taufer,  Schwenkfelder,  Ephratenser, 
Tunker  u.  s.  w.  waren  alle  vona  Geist 
des  Pietismus  durchdrungen.  Uner- 
mudlich  im  Dulden,  fest  im  Glauben, 
unerschiitterlich  im.  Vertrauen  auf 
Gottes  Hilfe,  fiihrten  sie  ein  zufriede- 
nes,  pflichtgetreues  Leben,  wobei  der 
Segen  nicht  ausbleiben  konnte.  Den 
Schatz,  welchen  sie  unter  den  irdi- 
schen  Gutern  hoher  hielten  als  Haus 
und  Hof,  war  die  Bibel.  Diese  diente 
ihnen  aber  nicht  zum  Schmuck  der  gu- 
ten  Stube,  sondern  sie  bildete  ihre 
tagliche  geistige  Nahrung.  Die 
Deutschpennsylvanier  waren  aber 
nicht  nur  ,,bibelfest",  spricht  der  Ver- 
fasser, sondern  auch  ,,gesangbuch- 
fest",  da  sie  ebenso  gut  mit  den 
schonsten  deutschen  Kirchenliedern 
vertraut  waren.  Es  fehlte  lange  den 
auseinander  liegenden  Ansiedlungen 
an  kirchlicher  Organisation,  auch  an 
Pastoren,  bis  Miihlenberg  fur  die  Lu- 
theraner  und  Schlatter  fiir  die  Refor- 
mierten  den  Noten  Abhilfe  brachte. 
Ein  schoner  Zug  war  ofters  der  dop- 
pelte  Gebrauch  derselben  Kirche  zum 
Gottesdienst  bei  den  Lutheranern 
und  Eeformierten,  —  angesichts  der 
machtigen  Offenbarung  Gottes  im 
Urwalde  konnte  man  die  Unterschiede 
der  Konfessionen  vergessen.  Nichts- 
destoweniger  schlug  ein  Versuch  Zin- 
zendorfs,  alle  protestantischen  Ge- 


meinden  unter  einer  Synode  zu  verei- 
nigen,  fehl.  Er  hatte  1742  eine  Ver- 
sammlung  nach  Germantown  einberu- 
fen,  der  wohlwollende  Plan  scheiterte 
aber  an  dem  Neid  und  den  Zwistigkei- 
ten  der  Sekten.  Den  Mennoniten  und 
Methodisten  widmet  Kuhns  noch  be- 
sondere  Aufmerksamkeit  und  be- 
schliesst  damit  eines  der  interessan- 
testen  und  belehrendsten  Kapitel  sei- 
nes Buches. 

Der  Einfluss  der  Deutschpennsylva- 
nier ,,in  Krieg  und  Frieden"  auf  die 
Entwickelung  des  Landes  mag  ein 
sehr  betrachtlicher  gewesen  sein, 
Kuhn  rechnet,  dass  die  urspriingli- 
chen,  vor  dem  Revolutionskrieg  ange- 
siedelten  Deutschen  Pennsylvaniens 
sich  bis  auf  heute  auf  vier  bis  fiinf 
Millionen  Menschen  deutschen  Blutes 
vermehrt  haben,  vpovon  etwa  zwei 
Millionen  im  Staate  Pennsylvanien 
ansassig  geblieben,  die  iibrigen  sich 
hauptsachlich  iiber  den  ferneren 
Westen  verteilt,  den  Kampf  mit  der 
ungezahmten  Natur  dort  fortgefiihrt 
haben.  Politisch  waren  die  Deutschen 
vor  1775  nicht  besonders  thatig,  von 
Hause  aus  waren  sie  es  nicht  gewohnt, 
sich  um  die  Regierung  zu  bekiimmern. 
Jedoch  lernten  sie  das  Selbstregieren 
bald  den  anderen  ab,  und  schon  friih 
fehlte  es  nicht  an  hervorragenden 
Personlichkeiten,  wie  z.  B.:  F.  A.  Miih- 
lenberg, Vorsitzender  der  Verfas- 
sungskonvention  und  erster  Sprecher 
des  Reprasentantenhauses  unter 
Washington,  und  Michael  Hillegass, 
Schatzmeister  des  Kontinental-Kon- 
gresses.  Das  friedliche  Verfahren 
der  Deutschen  gegen  die  Indianer 
kam  den  Kolonisten  im  allgemeinen 
zu  gute,  besonders  wurde  Konrad  Wei- 
ser  oft  vom  Staate  Pennsylvanien  als 
Dolmetscher,  Unterhandler  oder  Frie- 
densstifter  unter  die  Indianer  ge- 
schickt.  Trotzdem,  dass  vielen  ihre 
Religion  das  Waffentragen  verbot,  lie- 
ferten  die  Deutschen  im  Revolutions- 
krieg doch  ihren  vollen  Beitrag  an 
Truppen,  die  nach  dem  Urteil  von 
Amerikanern  an  Mut  und  Tiichtigkeit 
es  nicht  fehlen  liessen.  Unter  den 
Generalen  waren  Nicholas  Herkimer 
und  Peter  Miihlenberg.  Von  letzterem 
wird  erzahlt,  wie  er  als  Prediger  in 
Blue  Ridge  (Virginien)  eines  Sonntags 
nach  einer  entziindenden  Rede  iiber 
die  Unterdriickung  der  Kolonien 
plotzlich  sein  priesterliches  Gewand 
abstreifend,  seine  Offiziersuniform 
habe  blicken  lassen,  und  vor  der  Kir- 
chenthiire  zum  Werben  von  Rekruten 
die  Trommel  riihren  liess.  Professor 
Kuhns  erwahnt,  dass  die  ersten  aus- 


276 


Padagogiscbe  Monatsbefte. 


wartigen  Hilfstruppen,  welche  1775  in 
Cambridge  zur  Belagerung  Bostons 
anlangten,  eine  Kompagnie  aus  York 
County  gewesen,  dass  hundert  Jahre 
spater  die  ersten  zum  Schutz  der  Re- 
gierung  in  Washington  ankommenden 
Truppen  Nachkommen  der  Patrioten 
des  Revolutionskrieges  gewesen,  eine 
Kompagnie  aus  Reading,  Allentown, 
Pottsville  und  Lewiston. 

Im  Schlusskapitel  gewahrt  uns  der 
Verfasser  noch  einige  Betrachtungen 
iiber  das  Leben  und  die  Charakteristi- 
ken  der  Deutschpennsylvanier,  er 
spricht  auch  von  dem  Aufgehen  des 
alten  Volkstums  in  einem  neuen 
Mischvolk  und  hat  dafiir  keine  Klage. 
Er  vertritt  die  Ansicht,  dass  die  aller- 
hochsten  Zwecke  nicht  durch  einseiti- 
ges  Beharren  bei  dem.  Eigenen  und 
Eigentiimlichen  zu  erzielen  seien,  son- 
dern  dass  deutsche  Griindlichkeit, 
deutscher  Trotz  und  Fleiss,  Konserva- 
tismus  und  Pflichtgefuhl  mit  amerika- 
nischer  Energie,  genialem  Erfindungs- 
geist  und  praktischem  Sinn  verbun- 
den,  ein  hoheres  Volksleben  und  eine 
thatenreichere  Zukunft  hervorzubrin- 
gen  imstande  seien. 

In  einem  Anhang  giebt  der  Verfas- 
ser viele  Beispiele  der  wunderbaren 
Metamorphosen  an,  welche  die  alten 
mitgebrachten  deutschen  Namen 
durchmachten,  eine  Arbeit,  die  er 
noch  zu  vervollstandigen  verspricht. 

Die  umfangreiche  Bibliographic  am 
Ende  des  Buches  legt  Zeugnis  der 
griindlichen  Studien  des  Verfassers 
ab,  nur  befremdet  einigermassen  die 
Anordnung  der  angefiihrten  Werke, 
welche  in  der  zufalligen  Folge  ihrer 
Erwahnung  im  Buche  nicht  alphabe- 
tisch  noch  ubersichtlich  geordnet  sind.  , 
A.  B.  Faust. 


Romeo  und  Julie  auf  dem 
Lande  von  Gottfried  Keller 
Edited  with  Introduction  and  Note 
by  W.  A.  Adams,  P  h.  D.,  Assistant 
Professor  of  German  in  Dartmouth 
College,  Boston,  D.  C.  Heath  &  Co., 
1900.  Price  30  cts. 

In  Heft  2  des  vorigen  Jahrgangs 
der  Padagogischen  Monatshefte  legte 
ich  in  einem  Artikel  gegen  die  Verkur- 
zung  von  deutschen  Werken  zum 
Zwecke  der  Herausgabe  von  Schulbu- 
chern  energische  Verwahrung  ein  und 
nannte  eine  derartige  Handlungsweise 
einen  ,,litterarischen  Vandalismus". 
Die  Hen-en  Osthaus  &  Hohlfeld  haben 
in  ihren  Erwiderungen  auf  meinen  Ar- 
tikel den  entgegengesetzten  Stand- 
punkt  verteidigt,  mich  aber  nicht  zu 
ihrer  Anschauung  bekehrt,  woran 


vielleicht  auch  die  vielen  zustimmen- 
den  Briefe,  die  ich  von  Kollegen,  de- 
ren  Namen  einen  guten  Klang  haben, 
erhielt,  und  in  die  der  Redakteur  der 
P.  M.  auch  Einblick  nahm,  ihren  Teil 
beitrugen.  Heute  noch  einmal  die 
ganze  Frage  aufzurollen,  ware  viel- 
leicht zu  sehr  post  festum  und  rtick- 
sichtslos  gegen  die  Leser  dieser  Zeit- 
schrift.  In  den  letzten  Monaten  ha- 
ben mehrere  verstiimmelte  Ausgaben 
deutscher  Dichtungen  die  Presse  ver- 
lassen,  und  ich  mochte  meine  Gegner 
nun  heut  auf  einen  derartigen  Torso 
aufmerksam  machen  und  sie,  nach- 
dem  sie  denselben  gepriift,  fragen,  ob 
es  nicht  Zeit  ist,  gegen  die  Verkiir- 
zungen  deutscher  Werke  zu  protes- 
tieren. 

Herr  Dr.  Adams  hat  sich  gemussigt 
gefiihlt,  Gottfried  Kellers  herrliche 
Novelle  ,,Romeo  und  Julie  auf  dem 
Lande"  fur  den  Schulgebrauch  herzu- 
richten,  d.  h.  diese  Bliite  moderner 
Novellistik  einiger  ihrer  schonsten 
Blatter  zu  berauben.  Fur  ein  derarti- 
ges  Vergehen  kenne  ich  keine  Ent- 
schuldigung.  ,,Romeo  und  Julia"  ist 
keine  Schullektiire,  das  verbietet  die 
in  dieser  Novelle  stellenweise  hervor- 
tretende  realistische  Darstellung,  die 
aber  zugleich  in  ihrer  Eigenart  dem 
Werke  einen  solch  poetischen  Duft 
verleiht,  dass  ohne  sie  das  Buch  nicht 
den  Stempel  seines  Autors  tragt. 
Wollte  Dr.  Adams  durchaus  ein  Werk 
Kellers  fur  den  Schulgebrauch  schaf- 
fen,  warum  wahlte  er  nicht  eine  der 
anderen  Novellen,  bei  denen  die  Grvin- 
de,  die  hier  fiir  die  Verstummelung 
angeblich  vorlagen,  nicht  vorhanden 
sind?  Schade  um  die  sorgfaltig  ausge- 
arbeitete  Einleitung,  in  der  uns  Dr. 
Adams  eine  recht  brauchbare  Biogra- 
phic Kellers  giebt,  und  um  die  sehr 
fachgemassen  ,,notes".  Ich  kann  diese 
Ausgabe  von  ,,Romeo  und  Julia"  aus 
den  oben  angefiihrten  Griinden  nicht 
Umgebung  des  Vierwaldstatter  Sees, 
empfehlen.  Leo  Stern. 

S  c  h  u  1-W  andkarte  zu  Schil- 
ler s  ,,W  i  1  h  e  1  m  Tel  1".  Entwor- 
fen  von  E.  V  o  g  t. 

In  dem.  Verlage  von  E.  Morgenstern 
in  Breslau  ist  eine  prachtig  im  Far- 
bendrucke  gehaltene,  in  dem  karto- 
graphischen  Institut  von  Karl  Flem- 
ming  in  Glogau  bearbeitete  Schul- 
Wandkarte  zu  Schillers  ,,Wilhelm 
Tell"  erschienen.  Die  Karte  zeigt  die 
Umeebung  des  Vierwaldstatter  Sees, 
ist  im  Massstab  von  1:45,000  gezeich- 
net,  32  zu  40  Zoll  gross,  und  koetet 
einen  Dollar.  Da  ,,Wilhelm  Tell"  fast 


Bttcberbesprecbungen . 


277 


iiberall  in  den  amerikanischen  hohe- 
ren  Schulen  gelesen  wird,  so  diirfte 
die  Karte,  die  unaufgezogen  leicht 
versandt  werden  kann,  auch  in  unse- 
rem  Lande  von  alien  Lehrern  als  ein 
hochst  willkommener  Beitrag  zum 
Verstandnis  des  ,,Wilhelm  Tell"  be- 
grusst  werden.  Paul  Cierisch. 

Our  Native  Birds.  How  to 
protect  them  and  attract  them  to  our 
homes.  By  D.  L  a  n  g  e,  Instructor  in 
Nature  Study,  Public  Schools,  St. 
Paul,  Minn.  With  illustrations.  New 
York,  The  MacMillan  Company,  1899. 
12mo,  cloth,  IX+162  pp.  ;  price  $1.00. 

"The  true  scientist  has  no  passion 
for  killing  things.  He  says  with  Tho- 
reau,  'to  shoot  a  bird  is  to  lose  it'." 
These  words  of  Elbert  Hubbard  are 
called  to  one's  mind  in  reading  Mr. 
Lange's  book.  Throughout  the  book 
the  ideas  of  protection  and  attraction 
are  predominant.  In  teaching  Nature 
Study  the  book  will  prove  helpful,  for 
the  author  does  not  confine  himself 
to  birds,  but  "pleads  for  flowers, 
trees,  and  beasts  as  well  as  for  birds, 
on  wings  and  breezes  skyward 
bound."  In  those  states,  in  which 
"Bird  Day"  is  observed,  the  book  will 
prove  of  special  service,  since  it  con- 
tains excellent  matter  for  appropriate 
exercises.  .  J.  E. 

Felix  Dahn,  Ein  Kampf  urn 
Rom.  Episodes  arranged  to  form  a 
continuous  narrative  and  edited,  with 
notes,  by  Carla  Wenckebach. 
Boston,  D.  C.  Heath  &  Co.,  1900.  228 
pages.  70c. 

Ob  stark  verkiirzte  und  vom  Heraus- 
geber  redigierte  Schulausgaben  dich- 
terischer  Werke,  die  sich  ihres  Um- 
fanges  halber  nicht  zur  Schullektiire 
eignen,  grundsatzlich  anzuerkennen 
oder  zu  verwerfen  seien,  ist  in  den 
P.  M.  (von  Leo  Stern,  Ein  litterari- 
scher  Vandalismus,  I,  2,  S.  19-21)  eben- 
so  entschieden  verneint  als  (von  Carl 
Osthaus,  Ein  litterarischer  Vandalis- 
mus? I,  4,  S.  8-9)  entschieden  bejaht 
worden.  Im  allgemeinen  bekenne  ich 
mich  zur  erstern  Ansicht,  zu  der  auch 
wohl  die  meisten  Schriftsteller  selbst 
und  deren  Freunde  neigen  werden; 
um  jedoch  im  vorliegenden  Falle  mit 
der  Herausgeberin  womoglich  auf  an- 
nahernd  demselben  Boden  zu  stehen, 
will  ich  gerne  alle  Bedenken  grund- 
satzlicher  Art  unterdriicken.  Aber 
selbst  dann  hat  meines  Erachtens  die 
Herausgeberin  hier  einen  Missgriff 
gemacht.  Fraulein  Wenckebach,  die 
auf  eine  stattliche  Reihe  tiichtiger  Ar- 
beiten  fur  den  deutschen  Unterricht 


weisen  kann,  (anderseits  freilich  auch 
schon  eine  verkiirzte  Ausgabe  von 
Scheft'els  Ekkehard  und  gar  dem 
Trompeter  von  Sakkingen  auf  dem 
Gewissen  hat)  unternimmt  es  hier, 
die  ersten  beiden  Bande  der  Original- 
ausgabe  von  Dahns  Meisterwerk  auf 
nicht  ganz  200  Text  —  gegen  mehr 
als  800  der  Vorlage  —  fur  den  Schul- 
gebrauch  zurechtzustutzen.  Dass  der 
Titel  des  Ganzen  fur  den  Auszug  nicht 
so  recht  passt,  da  vom  eigentlichen 
Kampf  um  Rom  darin  fast  nicht  die 
Rede  ist,  sei  beilaufig  erwahnt.  Die 
Auswahl  ist  im  ganzen  geschickt  ge- 
troffen,  und  die  redigierende  Hand 
drangt  sich  nicht  sonderlich  storend 
hervor.  Schwere  Bedenken  aber  ver- 
anlasst  der  Schluss.  Wie  viel  oder  wie 
wenig  auch  die  Herausgeberin  bieten 
wollte,  mit  der  Vermahlung  des  Witi- 
gis  mit  Mataswintha  durfte  nie  und 
nimmer  abgebrochen  werden;  vom 
Charakter  des  Helden  erhalten  wir  so 
kein  vollstandiges,  wenn  nicht  gar  ein 
falsches  Bild;  seine  Wiedervereini- 
gung  mit  Rauthgundis  und  ihrer  bei- 
der  tragischen  Tod  in  die  Erzahlung 
einzubeziehen,  war  unerlasslich.  Frei- 
lich war  die  nicht  fur  die  Schullek- 
tiire berechnete  dazwischenliegende 
Schilclerung  der  Brautnacht  nicht 
auszuscheiden,  ohne  das  einheitliche 
Kunstwerk  schlimm  zu  verunstalten; 
und  das  wird  wohl  auch  fur  die  Her- 
ausgeberin der  Stein  des  Anstosses 
gewesen  sein.  Eine  diirftige  Anmer- 
kung  auf  S.  212  belehrt  uns,  dass  Wi- 
tigis  nach  vielen  Siegen  und  Nieder- 
lagen  gebrochenen  Herzens  gestor- 
ben;  dass  dies  geschehen  mehrere 
Jahre  nachdem  ihn  Belisar  gefangen 
im  Triumphe  zu  Byzanz  aufgefuhrt 
hatte,  musste  hier  erwahnt  werden, 
desgl.  die  Art,  wie  der  Dichter  ihn 
sterben  lasst. 

Die  Anmerkungen  und  die  Liste  der 
Personen  und  Orte  des  Romans  tragen 
die  Merkmale  fliichtiger  Arbeit.  Die 
meisten  Versehen,  wenn  es  solche 
sind,  hatten  noch  bei  der  Korrektur 
des  Druckes  beseitigt  werden  konnen. 
Einige  seien  hier  genannt:  S.  2,  4. 
Den  Ausdruck  Rabenstadt^Ravenna 
hat  nicht  Dahn  aufgebra-cht. — S.  10,  3. 
Sollte  sterben=war  dem  Tode  nahe. 
Die  gegebene  t)bersetzung  wird  der 
in  den  einfachen  Worten  ausgedriick- 
ten  Allmacht  des  Schicksals  nicht  ge- 
recht.  —  S.  72,  3.  Dass  die  Volksver- 
sammlung  "the  forerunner  of  our 
Parliament"  gewesen,  ist  eine  schiefe 
Auffassung.  —  S.  122,  1.  Natiirlich 
wurde  nur  die  Zustimmung,  nicht 
auch  das  Missfallen  durch  den  Waf- 


278 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


fenklang  ausgedriickt.  —  S.  138,  2. 
Beim  Donner=beim  Hammer  Thors; 
die  englische  ttbersetzung  1st  viel  zu 
schwach.  —  In  der  Liste:  Aligern  ist 
eine  geschichtliche  Person,  nach  Pro- 
kop  der  jiingste  Bruder  Tejas,  der  ge- 
schickteste  Bogenschiitze  seiner  Zeit, 
der  die  letzte  gotische  Feste,  Cumae, 
noch  zwei  Jahre  nach  der  Schlacht  am 
Mons  Lactuarius  gegen  Narses  hielt. 
— Boethius  lebte  nicht  von  524 — 575, 
sondern  von  etwa  470 — 524. — Was  soil 
die  Bemerkung  uber  Julius  Casar? — 
Die  unerwartete  Neuigkeit  iiber  Sei- 
pio  durfte  romische  Geschichtsfor- 
scher  hochlich  interessieren.  —  Tul- 
lius  bedeutet  natiirlich  nicht  den  bie- 
dern  alten  Servius  Tullius;  gemeint 
ist,  wie  die  Zusammenstellung  mit 
Vergil  auf  den  ersten  Blick  ergiebt, 
ein  gewisser  M.  Tullius  Cicero.  —  Die 
unmogliche  Bildung  Xernachos,  die 
auch  im  Texte  erscheint,  muss  Xenar- 
chos  heissen.  —  An  storenden  Druck- 
fehlern  fallen  auf:  S.  162,  Z.  9,  das 
Blut  der  Amaler  in  ihren  Augen  (1. 
Adern);  unter  Ibbas  (S.  216)  1.  510; 
der  Fall  des  Westromischen  Keiches 
ist  als  476  (nicht  475)  zu  geben. 

An  Colleges  kann  das  mit  zwei 
Karten  ausgestattete  Buch  bei  der  no- 
tigen  Vorsicht  in  einem  Kurs  fiber 
deutsche  Geschichte  wegen  des  darin 
enthaltenen  kulturhistorischen  Stof- 
fes  gute  Dienste  leisten.  Mehr  Scha- 
den  als  Nutzen  wird  es  stiften  in  den 
Handen  eines  Lehrers,  der  das  Origi- 
nal nicht  griindlich  kennt.  Wie  viele 
Schiller  sich  iibrigens  wohl  nach  dem 
Lesen  eines  solchen  Auszugs  an  das 
unverkiirzte  Original  machen  werden 
(was  allein  solchen  gekiirzten  Ausga- 
ben  eigentlich  Daseinsberechtigung 
gabe)  ?  wie  viele  es  nicht  wegen,  son-  / 
dern  trotz  der  Ausgabe  thun? 

/ 

Heinrich  Seidel,  L  e  b  e  / 
rechtHuhnchen.  Edited,  witii 
notes  and  a  vocabulary,  by  A.  W. 
Spanhoofd.  Boston,  Heath  &  Co., 
1901. 

Krieg  und  Frieden.  Erzah- 
lungen  von  Frommel,  Villama- 
r  i  a  und  Hoffmann.  Edited, 
with  notes,  by  W.  B  e  r  n  h  a  r  d  t. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1900. 

Paul  Heyse,  Anfang  und 
E  n  d  e.  Edited,  with  notes  and  voca- 
bulary, by  Max  Lentz.  Am.  Book 
Co.,  1900. 

B.  Groller,  Incognito,  und 
P.  Albersdorf,  cand.  phil. 
Lauschmann.  Edited,  with 
notes,  materials  for  prose  composi- 


tion, and  vocabulary,  by  Max 
Lentz.  Am.  Book  Co.,  1901. 

Die  drei  bekanntesten  Erzahlungen 
Seidels,  die  zerstreut  in  mehreren 
Sammlungen,  geschlossen  auch  in  ei- 
nem etwas  unbequemen  Abdruck  aus 
der  ,,Germania"  herausgegeben  sind, 
in  einem  hubsch  ausgestatteten  Band- 
chen  zu  vereinigen,  war  entschieden 
ein  gliicklicher  Gedanke;  je  weitere 
Kreise  der  Sonnenschein  Huhnchen- 
scher  Lebensphilosophie  durchdringt 
und  erwarmt,  desto  besser.  Nicht  rat- 
sam  aber  erscheint  uns,  das  Buch  An- 
fangern  (s.  Schluss  des  Vorworts)  in 
die  Hande  zu  geben.  Dazu  ist  Seidels 
Stil  zu  schwer;  auch  die  zahlreichen 
Anmerkungen  (22  Seiten)  und  das  Yo- 
cabular  (42  Seiten)  zu  den  54  Seiten 
Text  werden  nicht  immer  dariiber 
hinweghelfen.  Unseres  Erachtens 
musste  in  den  Anmerkungen  auf  die 
colloquiale  und  burschikose  Aus- 
drucksweise  weit  scharfer  hingewie- 
sen  werden.  Einige  der  langen  gram- 
matischen  Anmerkungen,  wie  1,  1; 
10,  5,  konnten  entsprechend  gekiirzt 
werden  durch  Verw^eise  auf  die  ge- 
brauchlichsten  Schulgrammatiken, 
ein  Verfahren,  das  iiberhaupt  den 
Herausgebern  von  Schulausgaben 
nicht  angelegentlich  genug  empfohlen 
werden  kann.  Einzelnes:  Zu  9,  6  ware 
zu  bemerken,  dass  ,,der  erste  Stock= 
eine  Treppe  hoch"  nur  nordlich  vom 
Main  gilt,  Siiddeutschland  aber  die 
auch  in  Amerika  iibliche  Zahlung  ver- 
•wendet;  zu  18,  9,  dass  die  Verwechs- 
lung  von  Dativ  und  Akkusativ  in  den 
unteren  Klassen  in  Niederdeutschland 
allgemein  ist.  —  Ganz  unrichtig,  we- 
nigstens  in  ihrer  Allgemeinheit,  ist 
die  Bemerkung  iiber  Eisenbahnbe- 
amte  zu  S.  33,  1.  —  Warum  soil  ,,nach 
dem  Bahnhof",  ,,nach  dem  Siidpol" 
richtiger  sein  (32,  3;  37,  2)  als  ,,zum 
B.,  zum  S."?  —  Die  richtige  Ausspra- 
che  von  Don  Quixote  (don  kichote) 
bricht  sich  jetzt  in  Deutschland  im- 
mer mehr  Bahn,  statt  des  7,  2  gege- 
benen  Dongkischott. 

Eecht  hubsch  ist  die  Zusammenstel- 
lung der  drei  Geschichten  in  ,,Krieg 
und  Frieden".  Ob  aber  hierzulande 
der  ausgezeichnete  Humor  in  Hans 
Hoffmanns  ,,Publius"  Wiirdigung  fin- 
den  wird?  Zu  wiinschen  ware  es.  Dem 
Buche  wiirden  wir  gerne  weite  Ver- 
breitung  gonnen.  —  Die  Anmerkun- 
gen sind  etwas  zu  zahlreich  und  weit- 
schweifig  ausgef alien;  vgl.  z.  B.  73,  6 
und  88,  21.  —  Oberland  (1,  2)  bedeutet 
die  siidliche  (nicht  die  ostliche),  Un- 
terland  die  nordliche  (nicht  die  west- 
liche)  Halfte  des  Grossherzogtums 


Bttcberbesprecbungen . 


279 


Baden.  Vogt  (5,  14)  nicht  =  Polizist, 
sondern  =  Burgermeister.  Gewalt- 
haufe  (83,  1,  hier  im  Zusammenhang 
richtig  ubersetzt)  bedeutet  in  der 
Sprache  der  Landsknechte  den  Heeres- 
teil,  der  den  Hauptstoss  auszufvihren 
hat.  —  Statt  mit  dem  Dativ  ist  we- 
nigstens  in  Suddeutschland  ganz  ge- 
wohnlich.  27,  25  inne  werden  =  er- 
fahren  war  als  Provinzialismus  zu 
kennzeichnen.  Bei  64,  10  ware  eine 
Bemerkung  iiber  das  (absichtlich  ?) 
mangelhafte  Latein  der  Parodie  (hu- 
mana  alienum  statt  aliena,  —  seliger 
Publius!)  angebracht  gewesen.  —  Die 
Bemerkungen  zu  4,  23,  auf  Handwer- 
ker  aller  Art  sowie  auf  die  Schul- 
meister  zu  Beginn  des  19.  Jahrhun- 
derts  ausgedehnt,  hatte  schon  zu  2, 10 
— 15  gegeben  werden  sollen ;  bei  2,  22 
und  4,  23  konnte  man  dann  darauf  ver- 
weisen. 

Ein  guter  Griff  war  es,  Heyses  ,,An- 
fang  und  Ende"  fur  die  Schule  her- 
auszugeben.  Die  Anmerkungen  (am 
Fusse  der  Seite)  beschranken  sich  auf 
das  Notwendige,  und  das  Vocabular 
1st  desto  ausfuhrlicher.  Zu  13,  12 
sollte  erklart  werden,  dass  der  be- 
stimmte  Artikel  bei  Eigennamen  siid- 
deutsche  Eigentiimlichkeit  ist.  Die 
Anmerkung  zu  16,  7 — 9  sollte  zeigen, 
wie  die  \Yiederholung  zu  vermeiden 
war,  19,  10  ist  zu  weit  hergeholt; 
,,mit"  heisst  hier  soviel  wie  ,,auch". 
,,Am  Ende  des  letzten  Weges"  (22,  21) 
ware  doch  nicht  =  ,,am  letzten  Ende 
des  Weges".  Der  S.  56,  7  erwahnte 
Brauch  beim  Schmollis  ist  heute  noch 
auf  suddeutschen  Universitaten  leben- 
dig. 

Schade,  dass  sich  zu  der  drolligen 
Geschichte  ,,Incognito"  die  Mar  vom 
Bummelgenie  Lauschmann  gesellt 
hat;  diese  wird  manchem  Lehrertrotz 
der  fleissig  gearbeiteten  Materialien 
zur  Kuckubersetzung  ins  Deutsche 
das  Buch  schlecht  empfehlen.  Die 
mannigfach  verbreitete  Ansicht  vom 
deutschen  Studenten  kann  cand.  phil. 
Lauschmann  in  unreifen  Kopfen  nur 
starken  und  dadurch  bosen  Schaden 
stiften.  (Eeferent  verwahrt  sich  nach- 
driicklich  gegen  den  Verdacht  des  Pu- 
ritanismus!)  —  28  Jahre  (36,  4)  ist 
doch  wohl  nicht  gewohnlich  genug, 
um  die  Anmerkung  zu  rechtfertigen. 
Verbindung  und  Corps  (37,  15)  ist  kei- 
neswegs  dasselbe;  unnotig  ist  der 
Vermerk  iiber  de,n  Kosener  S.  C. 
Falsch  ist  die  Anmerkung  zu  39,  23 
tiber  das  obligatorische  Farbentra- 
gen;  der  Text  giebt  das  Richtige.  Die 
Auslassung  von  Pronomen  und  Hilfs- 
zeitwort  (41,  3)  ist  weder  lacherlich 


noch  der  Studenteu  und  Offiziersspra- 
che  besonders  eigen.  —  S.  42,  15 — 16 
lies  Studentenleben  (statt  Studen- 
leben).  — r. 

Deutsche  Schulen  und  der 
deutsche  Unterricht  im 
A  u  s  1  a  n  d  e.  Mit  neun  Vollbil- 
dern  und  zahlreichen  Abbildungen  im 
Text.  Zusammengestellt  von  J.  P. 
M  ii  1 1  e  r,  Dr.  philos.,  Direktor  der 
Allgemeinen  Deutschen  Schule  in 
Antwerpen.  Selbstverlag.  In  Kom- 
mission  bei  Th.  Thomas  in  Leipzig, 
1901.  Preis  im  Originalband  12  M. 

Die  grossartigen  Errungenschaften 
Deutschlands  auf  alien  Gebieten 
menschlicher  Thatkraft  und  mensch- 
lichen  Wissens  wahrend  der  letzten 
Jahrzehnte  hoben  nicht  allein  das  Na- 
tionalgefiihl  der  Eeichsdeutschen, 
sondern  bewirkten  auch,  dass  die  im 
Auslande  lebenden  Deutschen  sich 
ihrer  Abstammung  mit  Stolz  bewusst 
wurden  und  sich  zusammenthaten,  um 
ihre  nationalen  Guter  gegen  den  Ein- 
fluss  des  Fremden,  dem  der  Deutsche 
mehr  als  irgend  eine  andere  Nation 
zuganglich  ist,  zu  wahren.  Haupt- 
sachlich  waren  es  die  Schulen,  auf 
welche  die  Deutschen  des  Auslandes 
ihr  Augenmerk  richteten;  und  wie 
Deutschland  auf  padagogischem  Ge- 
biete  mehr  als  auf  jedem  anderen  der 
Lehrmeister  der  Welt  genannt  zu  wer- 
den verdient,  so  waren  auch  die  deut- 
schen Schulen  des  Auslandes  bald  ein 
Vorbild  aller  anderen  dortigen  Erzie- 
hungsinstitute . 

Welche  Ausdehnung  die  deutschen 
Schulen  des  Auslandes  gewonnen  ha- 
ben,  zeigt  uns  das  vorliegende  Werk 
in  ausfuhrlicher  Weise.  In  alle  Lan- 
der und  Erdteile  fiihrt  uns  der  Ver- 
fasser  und  zeigt  uns,  was  Begeiste- 
rung,  verbunden  mit  Opferfreudig- 
keit,  zu  schaffen  imstande  gewesen 
ist.  Freilich  werden  auch  manche 
Klagelaute  und  Rufe  nach  Hilfe  hor- 
bar,  und  der  Verfasser  hatte  bei  der 
Abfassung  seines  Werkes  den  Zweck 
im  Auge,  solchen  Schulen  vom  deut- 
schen Reiche  aus  Hilfe  zu  verschaffen, 
die  derselben  benotigen.  ,,Denn,  so 
spricht  er  mit  Dr.  Schwatlos,  eine 
deutsche  Auslandschule  ist,  \vie  es  in 
immer  weiteren  Kreisen  zum  Be- 
wusstsein  zu  kommen  scheint,  nicht 
bloss  ein  wichtiger  Faktor  fur  den 
Aufschwung  einer  Kolonie,  sondern 
geradezu  die  festeste  Stiitze  des  deut- 
schen Ansehens  und  Einflusses  bei 
den  Angehorigen  anderer  Nationen." 

Herr  Seminardirektor  Emil  Dapp- 
rich  ist  der  Verfasser  des  Kapitels 


280 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


iiber  den  deutschen  Unterricht  in  den 
Vereinigten  Staaten.  In  kurzer  und 
knapper,  dabei  iibersichtlicher  Form 
giebt  er  einen  Uberblick  iiber  die  ver- 
schiedenen  Schulen,  in  denen  die 
deutsche  Sprache  als  Unterrichts- 
zweig  eingefiihrt  ist,  so  die  katholi- 
schen  und  lutherischen  Kirchenschu- 
len,  die  sonstigen  Privatschulen  und 
die  offentlichen  Schulen.  Ausser  wert- 
vollem  statistischem  Material  enthalt 
dieses  Kapitel  manche  Fingerzeige 
und  Gedanken,  die  anregend  auf  den 


Leser  wirken  miissen.  Dass  die  Be- 
strebungen  des  Nat.  Deutschamerika- 
nischen  Lehrerbundes  und  dessen 
Schopfung,  das  Lehrerseminar  zu 
Milwaukee,  besondere  Wurdigung  er- 
fahren,  ist  wohl  selbstvterstandlich. 

Das  Werk  ist  vorzxiglich  ausgestat- 
tet;  namentlich  tragen  die  zahlreichen 
Abbildungen  dazu  bei,  das  Leben  und 
Treiben  in  den  deutschen  Ausland- 
schulen  zu  veranschaulichen.  Das 
Buch  verdient  die  warmste  Empfeh- 
lung.  n.  Q. 


II.    Eingesandte  Bucher. 


Edelsteine.  Six  Select  Stories 
by  Baumbach,  Seidel,  and  Volkmann- 
Leander.  Edited  with  Notes  ajid 
Vocabulary  by  Richard  Alexan- 
der Minckwitz  and  Frida  von 
U  n  w  e  r  t  h,  Central  High  School, 
Kansas  City,  Mo.  Boston,  Ginn  &  Co., 
1901.  Price  65  cts. 

Selections  from  Charlotte 
Niese's  ,,Aus  danischer 
Z  e  i  t".  With  Introduction  and  Ex- 
planatory Notes  by  Laurence 


F  o  s  s  1  e  r,  A.  M.,  Professor  of  Ger- 
manic Language,  University  of  Ne- 
braska. Boston,  Ginn  &  Co.,  1901. 
Price  50  cts. 

Johannes,  Tragodie  in  f iinf  Ak- 
ten  und  einem  Vorspiel  von  Her- 
mann Sudermann.  Edited  with 
an  Introduction  and  Notes  by  F.  G. 
G.  Schmidt,  Ph.  D.,  Professor  of 
Modern  Languages,  State  University 
of  Oregon.  Boston,  D.  C.  Heath  &  Co, 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  September  1901.  Heft  8 

Protokoll 

der  31.  Jahresversammlung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen 

Lehrerbundes. 

Indianapolis,  Ind.,  10.— 13.  Juli  1901. 

(Offiziell.) 

Eroffnungsfeier.  —  Im  grossen  Saale  des  deutschen  Hauses  —  ein 
Heim,  wie  es  eleganter,  kosiger  und  bequemer  wohl  kein  Verein  diesseits  des 
Ozeans  sein  eigen  nennt,  und  womit  das  Deutschtum  von  Indianapolis  sich  selbst 
das  schonste  Denkmal  gesetzt  —  wurde  der  31.  Lehrertag  am  Mittwoch  Abend 
des  10.  Juli  feierlich  eroffnet.  Die  prachtige  Halle  des  herrlichen  Vereinstempels 
war  fur  diese  Gelegenheit  mit  Palmen  und  anderen  Blattpflanzen  verschwenderisch 
geschmuckt,  aber  das  Publikum  hatte  sich  wegen  der  allzuhohen  Temperatur 
nur  sparlich  eingestellt. 

Nach  der  von  der  Indianapolis  Militar-Kapelle  ausgefiihrten  Ouverture,  trug 
der  ,,Liederkranz"  unter  der  Leitung  seines  Dirigenten,  Herrn  Ernst  Knodel, 
das  Lied  ,,Germania"  in  solch  vortrefflicher  Weise  vor,  dass  das  Publikum  mit 
seinem  Beifall  nicht  eher  ruhte,  bis  der  Verein  noch  eine  Zugabe  sang.  Spater 
trug  der  Verein  noch  das  herzige  Lied  ,,O  Mutterlein,  o  Mutterlein"  vor. 

Herr  Prof.  Robert  Nix,  in  seiner  Eigenschaft  als  Vorsitzer  des  Orts-Aus- 
schusses  und  als  Superintendent  des  deutschen  Unterrichts  der  offentlichen 
Schulen  von  Indianapolis,  begriisste  hierauf  die  Gaste  in  herzlicher  Weise.  In 
seiner  kurzen,  aber  wohldurchdachten  Rede,  teilte  er  die  eingewanderten  Deut- 
schen in  drei  Gruppen  ein.  In  die  erste  Gruppe  zahlte  er  diejenigen,  welche  allzu 
schnell  alles,  was  Deutsch  heisst,  von  sich  abstreifen,  in  gebrochenem  Englisch 
uber  das  Vaterland  losziehen  und  kein  gutes  Haar  an  diesem  lassen.  In  die 
zweite  Gruppe  stellte  er  diejenigen,  denen  es  nicht  moglich  ist,  sich  zu  amerikani- 
sieren,  die  immer  iiber  den  transatlantischen  Ozean  nach  der  fernen  Heimat  als 
dem  hochsten  Ideale  blicken,  die  sich  nicht  hier  einleben,  das  neue  Vaterland 
nicht  kennen  lernen  konnen.  Die  dritte  Gruppe  bilden  diejenigen,  welche  das 


282  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Gute  und  Edle  des  Deutschen  mit  dem  Guten  und  Edlen  des  Amerikanischen 
verschmelzen,  die  amerikanische  Burger  werden,  ohne  ihre  guten  deutschen 
Charaktereigenschaften  abzustreifen.  Und  im  Sinne  dieser  letztgenannten 
Gruppe,  fuhrte  Redner  weiter  aus,  war  der  Nationale  Deutschamerikanische 
Lehrerbund  seit  seiner  Organisation  thatig  und  ist  dies  heute  noch.  Die  Rede 
wurde  mit  grossem  Beifall  aufgenommen. 

Als  Vertreter  des  von  der  Stadt  abwesenden  Mayor  Taggart,  hiess  Herr 
Albert  Sahm,  President  des  Rats  fur  offentliche  Werke,  die  Teilnehmer  an  dem 
Lehrertage  im  Namen  der  Stadt  in  freundlicher  Weise  willkommen.  General- 
Anwalt  Taylor  hielt  im  Namen  des  plotzlich  erkrankten  Gouverneurs  die  Be- 
griissungsrede.  Er  freute  sich,  dass  die  deutschen  Lehrer  endlich  einmal  auch 
Indianapolis  mit  ihrer  Gegenwart  beehrt  batten. 

Prof.  M.  D.  Learned,  President  des  Lehrerbundes,  eroffnete  hierauf  mit  einer 
langeren  Ansprache  den  31.  Lehrertag.  Da  diese  Ansprache,  sowie  samtliche 
Vortrage  dieses  Lehrertages  in  den  ,,P.  M."  zum  Abdruck  gelangen,  wurde  von 
einer  Inhaltsangabe  der  Vortrage  im  Protokoll  abgesehen.  Nachdem  Herr 
Learned  seine  Rede  beendet,  fand  noch  in  dem  Garten  des  Deutschen  Hauses 
ein  gemutliches  Beisammensein  statt. 

Dieerste  Hauptversammlung  wurde  um  halb  zehn  Uhr  im  Audi- 
torium des  Deutschen  Hauses  vom  Prasidenten  zur  Ordnung  gerufen.  Ungefahr 
85  Mitglieder  waren  anwesend.  Nachdem  der  Vorsitzer  erklart  hatte,  die  ver- 
schiedenen  Ausschtisse  erst  am  nachsten  Tage  ernennen  zu  wollen,  verlas  der 
Bundes-Schriftfuhrer  Emil  Kramer  seinen  Jahresbericht,  welcher  wie  folgt  lautete: 

Werte  Kolleginnen  und  Kollegen!  Als  vor  Jahresfrist  das  Sekretariat  des 
Lehrerbundes  in  meine  Hande  gelegt  wurde,  da  war  ich  mir  sehr  wohl  bewusst, 
welche  Arbeit  und  Verantwortung  ich  mit  Annahme  dieses  Amtes  mir  aufburdete. 
Meinem  unmittelbaren  Vorganger,  Herrn  H.  M.  Ferren,  war  es  durch  auf- 
opfernde  Hingabe  und  unermudlichen  Fleiss  gelungen,  die  Kreise  des  Lehrer- 
bundes zu  erweitern,  ihm  neue  Krafte  zuzufuhren,  indem  er  viele  Lehrer  des 
Deutschen  an  Hochschulen  und  Universitaten  als  Mitglieder  gewann.  Das 
Gewonnene  wenigstens  zu  erhalten,  darauf  beschrankte  sich  meine  Thatigkeit; 
denn  die  erspriessliche  Propaganda  im  Sinne  meines  Vorgangers  fortzusetzen, 
dazu  fehlten  dem  Bunde  dieses  Jahr  leider  cie  notigen  Mittel,  deren  man  zur 
erfolgreichen  Fuhrung  auch  eines  intellektuell»  n  Krieges  so  unumganglich  bedarf. 
Der  Besuch  des  Lehrertages  in  Philadelphia  war  eben  nicht  der  Art,  dass  die 
Bundeskasse  dadurch  erheblich  geschwellt  yorden  ware,  wie  der  Bericht  des 
Schatzmeisters  zeigen  wird. 

Ueber  die  Thatigkeit  des  Vollzugsausschusses  seit  der  letzten  Jahresversamm- 
lung  bis  heute,  habe  ich  zu  berichten:  In  Philadelphia  wurde  bekanntlich  Detroit 
als  nachster  Tagungsort  vorgeschlagen  und  auf  meine  sofortige  Anfrage  hin 
erklarte  sich  das  Deutschtum  jener  Stadt  durch  Kollege  Weick  gerne  bereit  zur 
Uebernahme  des  Lehrertages.  Da  jedoch  in  der  Weihnachtswoche  die  N.  E.  A. 
sich  entschied,  ebenfalls  Detroit  als  Konventionsstadt  zu  wahlen,  so  hatte  sich 
der  Yollzugsausschuss  aus  guten  Griinden  entschlossen,  von  Detroit  Abstand  zu 
nehmen  und  womoglich  Indianapolis  dafiir  zu  gewinnen,  weil  daselbst  der  Lehrer- 
tag noch  nie  zuvor  stattgefunden  hat.  Ende  Januar  begab  sich  deshalb  eine 
Cincinnatier  Delegation,  bestehend  aus  den  Herren  Fick,  Meyder,  Hahn  und 
Kramer,  nach  der  Hoosierhaupstadt,  um  dessen  deutsche  Burgerschaft  und  seine 
wackere  Presse  fur  den  diesjahrigen  Lehrertag  in  dem  Grade  zu  interessieren, 
dass  diese  Stadt  als  Versammlungsort  gesichert  werde.  Mit  grosster  Bereitwillig- 
keit  kam  man  daselbst  diesem  Wunsche  der  Delegation  entgegen  und  setzte  die 


Protokoll  der  31.  Jabresversammlung  des  N.  D.  L.  283 

letzten  Tage  des  Monats  Juli  als  Terrain  fur  die  Abhaltung  der  Konvention  fest. 
Da  diese  Zeit  der  Tagung  zu  weit  in  die  Ferien  fiel  und  auch  mit  den  Reiseplanen 
mancher  Mitglieder  kollidierte,  so  wurde  spater  der  Terrain  auf  die  Tage  vom  10. 
bis  13.  Juli  festgesetzt.  Um  die  Vorbereitungen  fur  die  Jahresversammlung  in 
rechten  Fluss  zu  bringen  und  dem  Ortsausschuss  darin  die  notigen  Winke  zu 
geben,  gingen  am  10.  Mai  der  Bundesschatzmeister  und  der  Sekretar  nochmals 
nach  Indianapolis  und  besprachen  die  Einzelheiten  des  Unterhaltungsprogramms. 
Alles  Weitere  wurde  schriftlich  erledigt. 

Ueber  die  Schwierigkeit,  Vortragende  fur  die  Tagung  zu  gewinnen,  will  ich 
hier  nicht  sprechen,  —  das  weiss  und  begreift  derjenige,  der  dies  jemals 
besorgt  hat. 

Ich  darf  meinen  Bericht  nicht  schliessen,  ohne  der  wahrend  des  Vereins- 
jahres  verstorbenen  langjahrigen  Mitglieder  des  Bundes  zu  gedenken.  Im  No- 
vember v.  J.  wurde  Professor  W.  H.  Rosenstengel,  an  der  Staats-Universitat 
von  Wisconsin  und  President  des  D.  A.  Lehrerseminars,  plotzlich  vom  Felde 
seiner  Thatigkeit  durch  den  Tod  abgerufen.  Der  schwer  gepriiften  Familie  des 
Verschiedenen  ubermittelte  der  Vorstand  im  Namen  des  Lehrerbundes  tele- 
graphisch  sein  herzliches  Beileid.  Einen  anderen  hochverdienten  deutschameri- 
kanischen  Schulmann  verloren  wir  im  Marz  d.  J.  durch  den  Tod  von  Herrn  Heln- 
rich  Raab,  dem  ehemaligen  Staats-Schulsuperintendenten  von  Illinois.  Am  24. 
Mai  verstarb  nach  langerem  Siechtum  ein  treues,  langjahriges  Mitglied  des 
Bundes,  Herr  Oberlehrer  Gustav  Bergmann  von  Cincinnati. 

Aber  auch  ein  freudiges  Ereignis  habe  ich  zum  Schluss  zu  verzeichnen, 
namlich  das  sojahrige  Jubilaum  der  deutsch-englischen  Akademie,  der  beruhmten 
Engelmann'schen  Schule,  das  vom  22.  bis  25.  Mai  in  Milwaukee  gefeiert  wurde 
und  wozu  der  Bundesvorstand  seine  GluckwUnsche  entbot. 

Der  Bericht  wurde,  wie  verlesen,  angenommen. 

Der  Bericht  des   Bundesschatzmeisters   Louis  Hahn  zeigte  folgenden 
Ausweis: 

Einnahmen $240.66 

Ausgaben  $221.98 

Kassenbestand   $  18.68 

Der  Bericht  wurde  wie  iiblich  dem  Revisionskomite  uberwiesen. 

Hierauf  wurde  zur  Erg&nzung  des  Bureaus  geschritten.  Herr  Emil  Dapp- 
rich,  Direktor  des  Lehrer-Seminars,  wurde  zum  Vize-Pr&sidenten  und  Fraulein 
Emma  Schramm  aus  Chicago  zur  Htilfs-Sekretarin  erwahlt. 

Herr  Prof.  Starr  Willard  Cutting,  von  der  Universitat  von  Chicago,  erhielt 
nun  das  Wort  zu  seinem  Vortrag:  ,,D  eutsche  Beitrage  zum  ameri- 
kanischen  Geistesleben  der  Gegenwar  t." 

Im  Anschluss  an  den  ausserst  beifallig  aufgenommenen  Vortrag  wies  Herr 
Dapprich  darauf  hin,  dass  es  den  Anwesenden  aus  dem  Inhalte  der  Rede  klar 
geworden  sei,  welche  Mission  der  deutsche  Lehrerstand  hierzulande  auf  dem 
Gebiete  der  Erziehung  habe;  und  Herr  Schonrich  von  Baltimore  stellte  den 
Antrag,  dass  Herr  Cutting  freundlichst  ersucht  werde,  seinen  Vortrag,  wenigstens 
im  Auszuge,  der  englischen  Presse  zuzustellen,  damit  auch  deren  Leser  von  dem- 
selben  profitieren.  Der  Antrag  wurde  einstimmig  angenommen. 

Nach  einer  kurzen  Erfrischungspause  kam  folgendes  Telegramm  zur  Ver- 
lesung: 

,,Die  Turnlehrerschaft  des  Nordamerikanischen  Turnerbundes  in  der 


284  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Turnhalle  des  Buffalo  Turnvereins  versammelt,  sendet  dem  Nat.  Deutsch- 
amerikanischen   Lehrerbunde   zu   seiner   31.   Jahresversammlung   herzliche 
Griisse  und  wiinscht,  dass  die  Arbeit  desselben  erfolgreich  sein  m6ge." 
Der  Sekretar  beantwortete  auf  Antrag  die  Depesche  in  nachstehender  Weise: 
,,Der  N.  D.-A.  L.  im  Deutschen  Hause  in  Indianapolis  zu  seiner  Jahres- 
versammlung   vereinigt,    erwidert    auf    das    Herzlichste    die    Griisse    und 
Wiinsche   der  Turnlehrerschaft.     M6ge   die   Arbeit  beider   Korperschaften 
stets  von  echtem  humanen  und  freiem  Geiste  getragen  sein  zum  Heile  des 

heranwachsenden  Geschlechtes". 

M.  D.  Learned,  Pras. 

Emil  Kramer,  Sek. 

Die  Prufungs-Kommission  des  Lehrerseminars  in  Milwaukee  unterbreitete 
alsdann  folgenden  Bericht: 

An  die  Mitglieder  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes ! 
Das  Komitee,  welches  Sie  bei  der  Tagsatzung  in  Philadelphia  im 
vorigen  Jahre  ernannten,  um  bei  den  Priifungen  im  Seminar  zugegen  zu 
sein  und  Ihnen  iiber  den  Befund  zu  berichten,  erlaubt  sich  Ihnen  folgenden 
Bericht  zu  unterbreiten: 

Wir  finden,  dass  die  oberste  (dritte)  Seminarklasse  aus  acht  Schulern 
und  Schtilerinnen  besteht,  dass  diese  ihr  Schlussexamen,  sowohl  das  schrift- 
liche,  wie  das  miindliche,  in  befriedigender  Weise  gemacht  haben;  weshalb 
wir  auch  dafiir  gestimmt  haben,  dass  samtliche  Mitglieder  der  Klasse  das 
Zeugnis  der  Reife  erhielten. 

Die  Abiturienten  zeigten  samtlich  einen  grossen  Eifer  fur  den  Beruf, 
dem  sie  sich  zu  widmen  gedenken  und  fassen  denselben  nicht  als  Brot- 
studium  oder  Uebergangsstudium  in  einen  anderen  Beruf  oder  eine  andere 
Lebensstellung  auf.  Es  ist  zweifellos,  dass  der  Leiter  des  Seminars,  Herr 
Dapprich  sowohl  wie  die  anderen  Lehrer  der  Anstalt,  die  Veranlassung  und 
Vorbilder  fur  diese  ideale  Auffassungsweise  des  Lehrerberufes  gewesen 
sind. 

Die  Leistungen  der  Abiturienten,  eb';nso  wie  die  der  untersten  und  zwe!- 
ten  Seminarklasse,  waren  noch  befriedij  ender,  als  die  der  Klassen  fruherer 
Jahre.  Besonders  ist-zu  bemerken,  da<ss  die  Leistungen  in  den  Fachern, 
welche  bei  den  Priifungen  fiir  die  offinlichen  Schulen  gefordert  werden, 
mehr  Beriicksichtigung  gefunden  haben.  Englische  Grammatik  und 
Mathematik,  amerikanische  Geschichte  und  Geographic,  waren  Lehrgegen- 
stande,  die  den  Abiturienten  des  Seminars  bei  ihren  Priifungen  fiir  Lehrer- 
stellen  an  den  offentlichen  Schulen  manchmal  Schwierigkeiten  bereiteten. 
Diese  Schwierigkeiten  werden,  dank  der  Veranderung  im  Lehrplan  des 
Seminars,  fiir  die  Zukunft  wegfallen,  unbeschadet  der  Griindlichkeit,  mit 
der  die  anderen  wichtigeren  Studien  behandelt  werden. 

Die  Zoglinge  des  Seminars  sollen  gewissermassen  als  Missionare  einer 
vernunftgemassen  Unterrichtsmethode  unter  ihren  angloamerikanischen 
Kollegen  wirken.  Zu  diesem  Zwecke  ist  es  notwendig,  dass  sie  denselben 
iiberlegen  seien.  Aus  diesem  Grunde  haben  auch  die  Mitglieder  des 
Priifungskomitees  wiederholt  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  den  ge- 
nannten  Lehrgegenstanden  mehr  Aufmerksamkeit  als  bisher  geschenkt 
werde.  Dass  diese  Vorstellungen  solch  bereitwilliges  Entgegenkommen 
seitens  des  Direktors  wie  der  Lehrer  gefunden  haben,  wird  hiermit  bereit- 
willigst  anerkannt. 

Der  Geist,  welcher  im  Seminar  und  in  der  damit  verbundenen  Muster- 


Protokoll  der  31.  Jahresversammlung  des  N.  D.  L.  285 

schule  herrscht,  ist  ein  so  vortrefflicher,  dass  es  den  im  Seminar  ausge- 
bildeten  Lehrern  oft  schwer  fallt,  sich  in  anderen  minder  gunstigen  Ver- 
haltnissen  zurechtzufinden. 

Organische  Disciplin  herrscht  in  der  ganzen  Schule,  Pedanterie  und 
mechanische  Disziplin  werden  nicht  geduldet,  und  gerade  dieser  Vorzug 
der  ganzen  Schule,  macht  es  den  jungen  Lehrern  oft  recht  schwer,  sich 
anderswo  in  minder  giinstige  Verhaltnisse  zu  schicken. 

Wir  erlauben  uns  daher,  ohne  abfallige  Kritik  iiben  zu  wollen,  den 
Leitern  der  Anstalt  den  Rat  zu  geben,  ihre  Schuler  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dass  sie  nicht  immer  das  Gluck  haben  werden,  an  einer  Mustcr- 
schule  zu  unterrichten  und  dieselben  auch  auf  solche  Disziplinarmittel  auf- 
merksam zu  machen,  die  unter  ungiinstigeren  Verhaltnissen  anzuwenden 
sind. 

Moge  das  Nationale  Deutschamerikanische  Lehrerseminar  eine 
Pflanzstatte  wahrer  humaner  Bildung  bleiben  und  auf  dem  bisher  einge- 
haltenem  Pfade  vorwarts  schreiten  seinem  Ideale  entgegen,  welches  den 
Grundern  des  Seminars  vorgeschwebt  hat. 

Achtungsvoll  unterbreitet 

Leo  Stern, 
H.  H.  Pick, 
H.  Woldmann. 

Der  Bericht  wurde  gutgeheissen  und  auf  einen  diesbezUglichen  Antrag  hin, 
sprach  der  Lehrerbund  der  Leitung  des  Seminars  seinen  Dank  fur  die  guten 
Dienste  aus,  welche  sie  bisher  dem  deutschen  Lehrerstand  erwiesen  habe.  Hier- 
auf  hielt  Herr  Prof.  Adolph  Kromer  aus  Cleveland  einen  mit  grossem  Beifall 
aufgenommenen  Vortrag  uber  das  Thema:  ,,D  e  r  deutsche  Unter- 
richt  vom  Standpunkte  der  Sozialpadagogi  k".  Sodann 
erfolgte  Vertagung. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Deutsche  Beit  rage  zum  amerikanischen  Geistesleben. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  31.  Lehrertag  zu  Indianapolis. 

Von  Prof.  Starr  Willard  Cutting,  Chicago,  111. 

Wir  Amerikaner  betrachten  als  Grundforderung  unserer  politischen 
und  sozialen  Theorie  und  Praxis  die  Gleichberechtigung  aller  Staats- 
biirger.  Mit  Stolz  weisen  wir  auf  den  Kampf  unserer  Vorfahren  mit  un- 
zahligen  Widerwartigkeiten  des  Schicksals  hin,  den  sie  deshalb  bestehen 
mussten,  weil  sie  sich  gegen  die  Anmassungen  despotischer  Regierungen 
und  die  Einschrankungen  lastiger  Gesellschaftsformen  auflehnten.  Am  4. 
Juli  und  auch  wohl  an  anderen  politischen  Gedachtnisstagen  erinnern  wir 
uns  noch  lebhafter  als  sonst  immer  an  den  demokratischen  Ursprung 
unseres  Nationallebens.  Bei  solchen  Gelegenheiten  vergessen  wir  nicht 
ganz,  dass  andere  Nationen  uns  mit  kritischen  Augen  ansehen  und,  wie  wir 
stets  behaupten,  in  der  Rolle  scheelsiichtiger  Ungliickspropheten  das  bald 
zu  erwartende  Scheitern  unseres  nordamerikanischen  demokratischen 
Staatsversuchs  verkiinden.  Wir  trosten  uns  aber  auch  dann  gar  zu  leicht 
dariiber  hinweg,  ohne  die  Griinde  solcher  Aeusserungen  auf  deren  Stich- 
haltigkeit  hin  zu  priifen.  Das  biblische  Wort :  Das  hat  der  Feind  gethan, 
macht  die  Volker  der  Erde  gegen  internationale  Kritik  taub. 

Es  giebt  aber  auch  hierzulande  wie  sonstwo  Zentralisationstendenzen 
im  Gebiete  des  Geschafts  und  der  Politik,  die  dem  ernsten  Burger  einer 
Republik  schwerwiegende  Bedenken  aufdrangen.  Verhaltnismassig 
grosse  und  verwickelte  geschaftliche  Unternehmungen  geraten  immer 
haufiger  unter  die  Kontrolle  einer  einzigen  Direktion.  Nicht  selten  wird 
diese  Direktion  von  einem  einzigen  Menschen  nach  seinem  Gutdiinken 
manipuliert.  Eine  Folge  davon  ist,  dass  alle  mit  dem  betreffenden  Ge- 
schaftszweig  in  Verbindung  stehenden  Arbeiter  und  sonstigen  Interes- 
senten  sich  als  Teile  einer  grossen  Maschine  betrachten  und  Privatinitiative 
allmahlich  verlernen.  Aber  noch  bedenklicher  als  die  daraus  hervor- 
gehende  gewerbliche  Unfahigkeit  der  Einzelnen  und  alle  etwaigen  mo- 
nopolistischen  Missbrauche  ist  die  Einbusse  an  politischer  Unabhangig- 
keit,  die  damit  verbunden  ist.  Denn  eine  Republik  ist  eine  Regierung  der 
Mehrheit  aller  Staatsbiirger  in  ihrem  eignen  Interesse.  Wenn  sich  aber  die 
geschaftlichen  Verhaltnisse  so  gestalten  sollten,  dass  es  einer  numerisch 
sehr  beschrankten  Klasse  moglich  wiirde,  ihre  Mitbiirger  unter  Androhung 
der  Arbeitslosigkeit  oder  einer  bedeutenden  Lohnherabsetzung  einzu- 
schiichtern  und  somit  aus  dem  politischen  Problem  zu  eliminieren,  so  hatte 
die  Republik  schon  aufgehort  und  eine  Despotic  oder  eine  Oligarchic  ware 
schon  im  vollen  Gange.  Ungliicklicherweise  hat  bisher  eine  schlaffe, 
molluskenartige  offentliche  Meinung  den  Beutepolitikern  ermoglicht,  die 


Deutsche  'Betir'dge  %um  amerihanischen  Geistesleben.  287 

zunehmende  geschaftliche  Zentralisation  zu  begiinstigen  und  auszu- 
nutzen.  Aber  man  fangt  schon  an,  in  alien  Schichten  der  Bevftlkerung 
dies  zu  bedauern  und  auf  Reformmassregeln  zu  sinnen.  Das  ist  auch  an 
sich  schon  ein  erfreuliches  Symptom  wiederkehrender  Gesundheit.  Ein 
Uebel  einsehen  ist  der  erste  Schritt  zu  dessen  Beseitigung.  Sobald  die 
offentliche  Meinung  dermassen  gereinigt  und  gestarkt  worden  ist,  dass  sie 
das  terroristische  Regiment  des  geschaftlich-politischen  ,,Boss"  als  lebens- 
gefahrlich  fur  die  Republik  erkennt  und  nicht  mehr  duldet,  wird  der  Sieg 
schon  gewonnen  sein. 

Zur  Schulung  der  offentlichen  Meinung  des  Landes  in  dieser  Hinsicht 
tragt  der  Deutsche  Betrachtliches  bei.  Er  ist  namlich  von  Natur  ein  indi- 
vidualistisch  angelegter  Mensch.  Das  beweist  schon  seine  ganze  Er- 
scheinung  in  der  Weltgeschichte.  Bei  aller  Bereitwilligkeit  sich  fremde 
Sitten  anzueignen,  lasst  er  nicht  gern  seinen  eignen  Gesichtspunkt  fahren. 
Er  behalt  sich  stets  vor,  fremde  Ansichten,  fremde  Brauche  und  fremde 
Vorschlage  erst  gehorig  zu  priifen,  ehe  er  sie  annimmt.  Manchmal  tritt 
er  sogar  infolgedessen  Andersdenkenden  recht  schroff  und  unversohnlich 
gegeniiber.  Er  ist  nicht  geneigt,  weitgehende  Zugestandnisse  zu  machen, 
an  das,  was  er  fiir  Vorurteile  seiner  Mitmenschen  halt.  Dieser  tiefliegende 
Hang  seiner  Natur  hat  ihm  von  jeher  bei  seinen  Bestrebungen,  grosse, 
politische  Staaten  zu  griinden,  verhangnisvoll  entgegenwirkt.  Das 
sieht  man  schon  an  der  grossen  Mannigfaltigkeit  politischer  Parteien  und 
der  daraus  fliessenden  Ohnmacht  parlamentarischer  Versuche  auf  deut- 
schem  Boden.  Von  dieser  Seite  betrachtet,  erscheint  also  der  Individu- 
alismus  des  Deutschen  als  ein  Mangel  und  ein  Hindernis.  Wenn  er  aber 
hierzulande  mit  dem  iibertriebenen  angloamerikanischen  Hang  zum  Kol- 
lektivismus  in  Beriihrung  kommt,  gewinnt  er  eine  ganz  andere  Bedeutung. 
Da  erscheint  er  nicht  mehr  als  Mangel,  sondern  als  erwiinschtes  Gegen- 
gewicht  gegen  die  angelsachsische  Zentripetaltendenz.  Der  Deutsche  hat 
schon  wiederholt  bewiesen,  dass  er  ein  wahrer  Freund  der  Republik  ist. 
Ja,  er  hat  dies  bei  Gelegenheit  des  Biirgerkrieges  mit  seinem  Herzblut  be- 
siegelt.  Aber  er  ist  infolge  seiner  soeben  betonten  Eigenheit  ein  gesunder 
und  unerschrockener  Kritiker  unserer  politischen,  sozialen  und  erzieh- 
lichen  Zustande." 

Die  Pionierverhaltnisse  einer  jungen  Nation  begiinstigen  eine  Viel- 
seitigkeit  des  Schaffens  und  Konnens  seitens  der  Burger,  die  nur  auf 
Kosten  der  Tiefe  und  der  Griindlichkeit  erkauft  werden  kann.  Hier  in 
Amerika  hat  man  anfangs  mit  zahllosen  Schwierigkeiten  zu  kampfen 
gehabt,  um  den  aussern  Daseinsbedingungen  zu  geniigen.  Die  sparliche 
Bevolkerung  des  Landes,  der  Mangel  an  Kapital  und  die  fast  ganzliche 
Abwesenheit  solcher  Arbeitsteilung,  wie  sie  fiir  die  europaische  Kultur 
schon  charakteristisch  geworden  war,  haben  den  einzelnen  amerikanischen 


288  P'ddagogische  Monatsheftt. 

Ansiedler  auf  seine  eigenhandigen  physischen  und  geistigen  Anstren- 
gungen  angewiesen.  Um  den  von  seiner  Lebenslage  gestellten  Anfor- 
derungen  gerecht  zu  werden,  musste  er  sich  mannigfaltige  Fahigkeiten 
aneignen,  die  ihn  in  den  Stand  setzten,  einen  siegreichen  Kampf  urns 
Dasein  zu  fiihren.  Er  musste  mit  ein«m  Wort  eine  Art  Tausendkiinstler 
werden,  um  sich  den  Kopf  iiber  Wasser  zu  halten.  Nach  den  Lebenser- 
fahrungen  dieser  ersten  Generation  gestaltete  sich  natiirlich  das  friihere 
amerikanische  Bildungsideal.  In  erster  Linie  erwartete  man  von  der 
Schulbildung  eine  praktische  Einfiihrung  ins  amerikanische  Leben.  Man 
schaute  mit  souveraner  Geringschatzung  auf  alle  Lehrzweige  herab,  die 
sich  nicht  als  Hebel  ansetzen  liessen,  zur  Erlangung  der  erwiinschten  Kon- 
trolle  materieller  Hiilfsquellen.  Dieses  Ideal  blieb  auch  dann  noch  be- 
stehen,  als  man  schon  lange  iiber  die  ersten  Anfange  hinaus  war.  Je 
energischer  man  zugriff,  um  die  noch  unentwickelten  Hiilfsquellen  der 
Natur  auszunutzen  und  sich  dienstbar  zu  machen,  desto  weitere  Perspek- 
tiven  thaten  sich  vor  den  Augen  der  Pioniere  auf  und  lockten  sie  zu  noch 
grosseren  Anstrengungen  und  gewagten  Unternehmungen  heran.  Mit 
diesem  Entwickelungsgang  hielt  auch  das  Bildungsideal  gleichen  Schritt. 
Was  irim  an  Tiefe  und  Griindlichkeit  abging,  ersetzte  er  durch  weiten 
Umfang  und  grosse  Mannigfaltigkeit  ,,Wer  vieles  bringt,  wird  manchem 
etwas  bringen"  kennzeichnet  Ziel  und  Richtung  unserer  demokratischen 
Bildungsbestrebungen  bis  auf  den  heutigen  Tag  herunter. 

Ausserdem  noch  zeigt  der  Angelsachse  iiberall  eine  grossere  Vorliebe 
fiir  zweckentsprechende  Anwendung  vorhandener  Kenntnisse  auf  prakti- 
sche Lebensaufgaben  als  fiir  langwierije  Forschungen  zur  Entdeckung 
neuer  Wahrheit.  Er  ist  iiberall  bemu<it,  sich  die  Krafte  der  Natur  zu 
unterjochen  und  sie  in  seinen  Dienst  zu  ^wingen.  Er  berechnet  den  Wert 
neuentdeckter  Wahrheiten  nach  dem  Grad  ihrer  Verwendbarkeit  zu  voll- 
standigerer  Beherrschung  der  Gewerbs-  und  Handelsbedingungen.  Als 
Beispiel  davon  erwahne  ich  Englands  und  Nordamerikas  Abhangigkeit 
von  Deutschland  in  Bezug  auf  Forschungen  im  Gebiete  der  Chemie.  Statt 
sich  die  Miihe  zu  geben,  langwierige  Experimente  anzustellen  und  chemi- 
sche  Prinzipien  auf  eigne  Hand  zu  entdecken,  begniigt  man  sich  damit, 
kunstgewerbliche  Anwendungen  von  deutschem  Fleiss  und  Scharfsinn  zu 
machen.  Was  fiir  den  Angelsachsen  iiberhaupt  charakteristisch  ist,  hat 
durch  die  eigentiimlichen  Verhaltnisse  unserer  Nationalentwickelung  eine 
scharfe  Akzentuierung  erfahren. 

Aber  Nordamerika  ist  kein  spezifisch  angelsachsisches  Land  mehr. 
Europaische  Einwanderung  pfropft  schon  seit  mehreren  Jahren  neue  Reiser 
auf  den  alten  amerikanischen  Stock,  so  dass  der  Baum  sich  ganz  anders 
ausnimmt  als  friiher.  Im  Einklang  mit  geanderten  Lebensbedingungen 
und  mit  der  geanderten  Beschaffenheit  unserer  Bevolkerung,  vollzieht  sich 


Deutsche  'Beitr'dge  %um  amerihanischen  Geistesleben.  289 

allmahlich  ein  Umschwung  in  unsern  Bildungsidealen.  Der  vorwiegend 
utilitarische  Zuschnitt  unserer  bisherigen  Praxis  befriedigt  uns  nicht  mehr. 
In  einigen  Kreisen  sieht  man  schon  ein,  dass  die  Reformaufgabe  in  etwas 
mehr  besteht,  als  der  Verdrangung  unzulanglicher  Bildungsideale  durch  die 
Einfuhrung  und  Betonung  geeigneterer  Lehrzweige  und  Kurse.  Der  be- 
stehende  Mechanismus  der  Organisation  und  Verwaltung  unserer  Schulen 
und  hoheren  Lehranstalten  ist  das  Produkt  langjahriger  Experimentierung 
unter  dem  Druck  der  soeben  erwahnten  praktischen  Ansichten  und  bietet 
alien  Neuerungsversuchen  den  betrachtlichen  Widerstand  des  Beharrungs- 
vermogens.  Es  handelt  sich  also  nicht  allein  um  einen  Konflikt  zwischen 
friihern  Idealen,  sondern  auch  um  eine  noch  zu  bewirkende  Anpassung 
der  Organisation  und  Verwaltung  unserer  Lehranstalten  an  die  Bediirf- 
nisse  der  Gegenwart  im  Lichte  geanderter  Verhaltnisse  und  reiferer  An- 
sichten. Dies  bedeutet  unter  anderem  die  Durchdringung  unserer  Lehrer 
mit  dem  Geist  selbstloser  Hingabe  an  die  Entdeckung  und  Verkiindigung 
der  Wahrheit  als  solcher  und  auch  die  Umgestaltung  unseres  ganzen 
Unterrichtswesens  im  Interesse  grosserer  Griindlichkeit  und  Intensitat. 
Der  unverkennbare  Hang  des  Deutschen  zu  freier  Forschung  aller  Er- 
scheinungen  des  physischen  und  geistigen  Lebens — zu  scharfer  Betonung 
des  individuellen  Gesichtspunkts — zu  unermiidlicher  Verfolgung  einmal 
ins  Auge  gefasster  Ziele  und  zu  riicksichtsloser  Verteidigung  dessen,  was 
er  fur  die  Wahrheit  halt,  hat  ihm  unter  alien  Nationen  eine  fiihrende  Rolle 
in  Bezug  auf  Wissenschaft,  Philosophic  und  Unterricht  zuerteilt.  Auch 
in  Amerika  wird  der  Deutsche  sein  Wesen  nicht  verleugnen,  sondern  wie 
in  der  Vergangenheit  so  auch  in  der  Zukunft  die  Schulung  der  offentlichen 
Meinung  im  Sinne  der  neuen  Bewegung  machtig  befordern. 

(Schlusa  folgt.) 


Deutsch  gegen  Englisch,  oder  Deutsch  neben 

Englisch  ? 


Ansprache,  gehalten  zur  Eroffnung  des  31.  Lehrertages  zu 

Indianapolis. 

Vom  Praaidenten  Prof.  31.  I).  Learned,  Philadelphia. 

Das  neunzehnte  Jahrhundert  war  die  Siegesepoche  detttschen  Wesens 
in  Amerika.  Deutsche  Theologie  und  Philosophic,  deutsche  Philologie, 
deutsche  Geschichtsforschung,  deutsche  Naturwissenschaften,  deutsche 
Sprache  und  Litteratur,  deutsches  Turnen,  deutsche  Musik  und  deutsche 
Erziehungsmethoden  feierten  glanzende  Siege.  Mit  der  Wende  des  Jahr- 
hunderts  aber  bilden  sich  neue  Probleme  im  amerikanischen  Volksleben. 
Die  junge  Republik  ist  plotzlich  alt  und  klug  geworden  und  neigt  sich 
syrapathisch  mehr  und  mehr  dem  alten  Mutterlande  England  zu,  woraus 
naturgemass  dem  leitenden  angloamerikanischen  Elemente  des  Volkes 
neue  Kraft  erwachst.  Auch  die  Handelsinteressen  der  beiden  Volker  ver- 
binden  dieselben  zu  einem  Volke  im  Welthandel,  und  selbst  wo  wichtige 
diplomatische  Fragen,  wie  die  der  Alaskagrenze  oder  die  des  Kanals  durch 
Zentralamerika,  alte  Handelsvertrage  zu  vernichten  drohen,  nimmt  Has 
junge  jingoistische  Amerika  die  Zuriickweisung  des  Kanalvorschlages  von 
seiten  der  englischen  Regierung  mit  Gelassenheit  entgegen.  Mit  einem 
Wort,  die  Kulturfreundschaft  zwischen  England  und  Amerika  ist  durch 
die  Haltung  Englands  wahrend  des  spinischen  Krieges  zu  einer  nationalen 
Freundschaft  geworden  und  sind  nun  im  zwanzigsten  Jahrhundert  die  alte 
Mutter  und  die  neue  Republik  wieder  jin  Volk. 

Noch  andere  Momente  diirfen  nicht  vergessen  werden,  und  zwar 
zunachst  das  spukende  Gespenst  des  drohenden  Krieges,  welches  in  der 
nativistischen  Presse  die  Runde  macht.  Wahrend  der  deutsche  Kaiser 
in  der  liberalsten  und  freundlichsten  Weise  seiner  Teilnahme  an  dem  Fort- 
schritte  des  amerikanischen  Volkes  Ausdruck  leiht,  warmen  die  anglo- 
amerikanischen Blatter  immer  von  neuem  das  alte  Ragout  eines  deutschen 
Staates  in  Brasilien  wieder  auf,  oder  einer  deutschen  Kohlenstation  auf  den 
Westindischen  Inseln.  DieserUnsinn  aber  wirkt  demEinfluss  des  deutschen 
Elementes  in  Amerika  entgegen  und  flosst  der  angloamerikanischen 
Jugend  ein  Misstrauen  ein  gegen  das  deutsche  Wesen.  Dazu  tritt  noch 
die  soziale  Trinkfrage  und  zieht  mit  Unrecht  eine  scharfe  Grenzlinie  zwi- 
schen Deutsch  und  Englisch  im  amerikanischen  Gemiitsleben.  Da  die 
Deutschen  als  Volksklasse  an  ihrem  alten  Nationalgetrank  festhalten,  so 
erscheint  dem  nativistischen  Angloamerikaner  Deutschsein  und  Bier- 
trinken  als  unzertrennlich.  Er  weiss  nicht  oder  vergisst,  dass  das  deutsche 
Bier  in  tausenden  von  englischen  Clubs  das  beliebteste  Getrank  ist,  und 


Deutsch  gegen  Engliscb,  oder  Deutscb  neben  Engliscb?          291 

hier  in  Amerika  schon  zum  Nationalgetrank  des  Angloamerikaners  ge- 
worden  ist.  Sei  es  aber  Vorurteil  oder  Unwissenheit,  die  angloameri- 
kanische  Opposition  gegen  alles  Deutsche  ist  Thatsache.  Jede  Bestre- 
bung  also  der  Deutschen,  die  deutsche  Sprache  in  die  amerikanische 
Volksschule  einzufiihren,  erregt  sofort  das  Misstrauen,  wo  nicht  die  direkte 
Opposition  der  nativistischen  Partei  im  Lande. 

Dann  kommt  womoglich  gleich  die  Frage,  was  ist  mit  den  in  den 
letzten  Jahrzehnten  eingewanderten  Slavenhorden  in  Amerika  zu  thun? 
Soil  deren  Sprache  auch  als  Schulsprache  anerkannt  und  durch  offentlichen 
Unterricht  weiter  gepflegt  werden?  Mit  der  Slavenfrage  verglichen,  tritt 
die  Deutschenfrage  tief  in  den  Hintergrund  zuriick,  denn  selbst  die 
rohesten  Deutschen  waren  uns  willkommener  als  die  besten  Slaven. 

Man  darf  auch  nicht  vergessen,  dass  heute  ein  ganz  neues  Problem 
an  die  Thiiren  unserer  Volksschulen  klopft,  das  Problem  des  Spanischen 
in  unseren  Schulen.  Was  so  oft  in  der  Weltgeschichte  geschehen,  droht 
auch  hier  sich  zu  wiederholen,  namlich  dass  die  Sprache  des  Besiegten 
im  Lande  des  Siegers  sieghaft  wird.  Keiner  glaubt,  dass  das  Spanische 
die  Sprache  der  Vereinigten  Staaten  werden  konnte,  doch  weiss  Jeder, 
der  die  Verhaltnisse  versteht,  dass  das  Spanische  im  Laufe  des  zwanzigsten 
Jahrhunderts  eine  bedeutende  Rolle  in  der  amerikanischen  Kultur  zu 
spielen  haben  wird.  Es  ist  ja  schon  der  Versuch  gemacht  worden,  die 
spanische  Sprache  in  die  Schulen  einer  grossen  amerikanischen  Stadt  mit 
Hunderttausenden  von  deutschen  Biirgern  einzufiihren. 

Gerade  dieser  Versuch,  der  spanischen  Sprache,  die  von  einer  sehr 
geringen  Anzahl  der  Burger  gesprochen  wird,  vor  der  von  Hundert- 
tausenden gesprochenen  deutschen  Sprache  den  Vorzug  zu  geben,  giebt 
uns  das  Grundprinzip  an  die  Hand,  welches  das  Volk  in  der  Wahl  der 
Unterrichtsgegenstande  leitet.  Nicht  Pietat,  wie  stark  sie  auch  wirken 
mag  in  dieser  oder  jener  Klasse  des  Volkes,  sondern  der  kulturelle  Wert 
der  betreffenden  Disziplin  berechtigt  ihren  Anspruch  auf  Anerkennung 
im  Lehrplan  der  Volksschulen. 

Welchen  Anspruch  kann  denn  die  deutsche  Sprache  erheben  als 
Disziplin  in  den  Volksschulen  und  welche  Aussichten  hat  dieselbe  auf  eine 
Zukunft  in  Amerika?  Ueberblickt  man  die  zweihundert  Jahre  deutscher 
Bestrebungen  in  diesem  Lande,  so  muss  man  bekennen,  dass  das  Deutsche 
seine  Herrschaft  allmahlich  an  das  Englische  abtritt. 

Deutsche  Gemeindeschulen  sind  eingegangen,  die  deutsche  Predigt 
weicht  der  englischen.  Deutsche  Zeitungen  gehen  ein  oder  vereinigen 
sich  und  verlieren  ihre  Individuality  und  zum  Teil  ihre  Macht.  Die 
deutschen  Clubs,  Gesangvereine,  Turngemeinden  und  sonstigen  Vereine 
lassen  das  Englische  in  ihre  Hallen  eindringen,  und  die  Turn-  und  Privat- 
schulen  kampfen  vergebens  gegen  die  sieghafte  Macht  des  Englischen. 


292  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Deutsche  Volksschulen,  wo  solche  noch  bestehen,  fristen  eine  unsichere 
Existenz.  Selbst  die  Neger  scheinen  in  einer  Stadt  bei  der  Schulbehorde 
die  Bevorzugten  zu  sein  und  drohen  die  Deutschen  zu  verdrangen.  Die 
Deutschen  haben  also  nicht  nur  gegen  Nativisten,  Slaven  und  Spanier,  son- 
dern  an  manchen  Orten  selbst  gegen  ehemalige  Negersklaven  zu  kampfen. 

1st  es  denn  wirklich  um  die  deutsche  Sprache  so  iibel  bestellt?  Ich 
antworte:  Nein!  Deutsch  hat  noch  eine  Zukunft  als  Kultursprache 
in  der  amerikanischen  Geschichte.  Die  Deutschen  stehen  jetzt  auf  dem 
Hohepunkte  ihres  Einflusses  auf  das  amerikanische  Volk.  Die  Errungen- 
schaften  des  neunzehnten  Jahrhunderts  waren  auf  dem  Gebiete  des  geisti- 
gen  Strebens.  Erst  gegen  Ende  der  Periode  gewann  Deutschland  seine 
hervorragende  Stellung  auf  dem  materiellen  Gebiete  des  Handels  und  der 
Industrie.  Mit  dem  Anbrechen  des  zwanzigsten  Jahrhunderts  beginnt 
eine  neue  Epoch  e  fur  Deutschland  und  Amerika  im  Welthandel.  Diese 
beiden  Volker  sind  es,  welche  einen  erbitterten  Krieg  um  die  Weltherr- 
schaft  im  Handel  fiihren  sollen.  Das  war  ein  grosses  Wort  des  deutschen 
Kaisers,  das  er  vor  kurzem  an  seine  Marinetruppen  richtete:  ,,Euer 
Reich  liegt  unter  der  Sonne  auf  dem  Meere".  Deutschlands  grosser 
Kaiser  hat  lange  eingesehen,  dass  das  Fortbestehen  des  deutschen  Reiches 
von  der  Herrschaft  der  Deutschen  auf  dem  Meere  abhangt,  und  Amerika 
ist  auch  in  den  letzten  Jahren  ein  Licht  aufgegangen,  wahrend  die  wach- 
sende  Seemacht  Deutschlands  die  Welt  in  Erstaunen  setzt,  deutscher  Han- 
del und  deutsche  Industrie  das  alte  Britannien  seiner  Oberherrschaft 
beraubt  und  Amerika  mit  deutschen  Waren  iiberschwemmt.  Kein 
Krieg  mit  Kriegsschiffen  und  Kanor^n,  nein,  ein  Handelskrieg  soil  es 
sein  mit  Handelsschiffen  und  den  Erz  vrugnissen  der  Industrie,  ein  Krieg 
gefiihrt  nicht  allein  auf  dem  Atlantiscnen  Ozean,  sondern  auch  auf  dem 
Stillen  Meere  und  auf  der  Siidsee,  uberall,  wohin  der  Handel  seine  Arme 
streckt. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  eine  fur  uns  erfolgreiche  Konkurrenz 
mit  dem  deutschen  Handel  eine  geschulte  Handelsklasse  voraussetzt, 
welche  mit  der  deutschen  Sprache,  deutschen  Industrie,  deutschen  Han- 
delsmethoden,  kurz  mit  alien  Zweigen  des  okonomischen  Lebens  des 
deutschen  Volkes  vertraut  ist. 

Oeffentliche  Handelsschulen  miissen  uberall  im  Lande  gegriindet 
werden,  wo  die  amerikanische  Jugend  freien  Unterricht  erhalt  zur  Vorbe- 
reitung  fur  die  kaufmannische  Laufbahn.  Wo  bisher  Deutsch  als  fakulta- 
tive  Nebensache  behandelt  wurde,  muss  es  in  diesen  Schulen  als  obligatori- 
sche  Disziplin  aufgenommen  werden,  und  zwar  nicht  nur  als  Schliissel 
zur  deutschen  Litteratur,  sondern  auch  als  praktisches  Mittel  zur  Erlang- 
ung  einer  zeitgemassen  kaufmannischen  Ausbildung.  Die  Schiller  miissen 
Deutsch  schreiben  und  sprechen  lernen,  was  bis  jetzt  nicht  allgemein 
erreicht  wurde. 


Deutscb  gegen  English,  oder  Deutscb  neben  Engliscb?          -293 

Wird  Deutsch  als  eine  fiir  die  Karriere  der  Jugend  erforderliche 
Disziplin  anerkannt  und  in  den  Lehrplan  aufgenommen,  so  braucht  das 
Deutsche  sich  nicht  mehr  auf  spezielle  Argumente  zu  stiitzen.  Es  wird 
sich  vielmehr  bald  zeigen,  dass  schon  in  den  Primar-  und  Grammarschulen 
Deutsch  gelehrt  werden  muss,  wenn  die  Schiller  die  Sprache  fertig  schrei- 
ben  und  sprechen  wollen.  Dies  kann  auch  Deutsch  sprechende  Familien 
anregen,  ihre  Kinder  zu  Hause  in  der  Muttersprache  zu  iiben,  und  so  die 
Arbeit  der  Schule  zu  erleichtern. 

1st  diese  Methode  in  der  Handelsschule  durchgefiihrt,  so  diirfte  es 
nicht  lange  dauern,  bis  man  in  alien  Klassen  der  Volksschulen  nicht  nur 
mehr  Interesse  fande,  sondern  auch  tiichtigere  Lehrer,  welche  selbst 
Deutsch  schreiben  und  sprechen  konnten.  Dann  kame  die  deutsche 
Sprache  zu  ihrem  Rechte,  nicht  als  Muttersprache  einer  besonderen  Biir- 
gerklasse,  sondern  als  ein  fiir  alle  Schichten  unentbehrlicher  Lehrgegen- 
stand  in  den  Volksschulen,  Colleges  und  Universitaten  Amerikas. 

An  diesen  Bestrebungen  hat  nun  der  Lehrerbund  einen  hochwichtigen 
Anteil.  Durch  harmonisches  Zusammenwirken  aller  Krafte  kann  der 
Deutschamerikaner  noch  die  Muttersprache  und  auch  zum  grossen  Teil 
das  deutsche  Wesen  in  Amerika  retten  und  erhalten.  Dies  kann  nur 
durch  eine  Vereinigung  aller  deutschen  Vereine  geschehen.  Eine  solche 
Vereinigung  ist  schon  im  Werden  begriffen  in  Gestalt  des  Deutschameri- 
kanischen  Nationalbundes,  der  am  Deutschen  Tage,  am  6.  Oktober,  in 
Philadelphia,  an  der  Wiege  des  Deutschtums  in  Amerika,  zu  stande  kom- 
men  wird.  Wenn  alle  Deutschamerikaner,  alle  deutschen  Vereine  im 
Lande,  welcher  Art  sie  auch  seien,  sich  diesem  Bunde  anschliessen,  so 
werden  diese  Deutschamerikaner  eine  unbezwingliche  Macht  im  Lande  bil- 
den  und  nicht  nur  deutsches  Turnen  in  den  off  entlichen  Unterricht  einge- 
fiihrt  sehen,  wie  es  in  Pennsylvanien  geschehen  soil,  sondern  auch  der 
deutschen  Sprache  zu  ihrem  Rechte  verhelfen,  deutschamerikanische  Ge- 
schichtsforschung  pflegen  und  die  Thaten  der  Vater  fiir  die  Nachwelt 
aufbewahren,  und  eine  noch  ungeahnte  Rolle  in  dem  kommenden  kom- 
merziellen  Weltkampf  spielen  konnen.  Zur  Durchfiihrung  dieses  Planes 
aber  von  seiten  des  Lehrerbundes  ist  ein  Bundesorgan  das  notwendige 
Mittel.  Das  neue  Organ,  ,,Die  Padagogischen  Monats- 
h  e  f  t  e,"  besteht  schon  seit  zwei  Jahren,  hauptsachlich  durch  die  Frei- 
gebigkeit  der  Verlagsfirma,  der  Herold  Compagnie  von  Milwaukee.  Die 
Firma  hat  in  einer  sehr  noblen  Weise  eine  bedeutende  Summe  Geld  aus- 
gelegt  in  der  Hoffnung,  dass  mit  der  Zeit  die  Abonnentenzahl  wachst, 
Ibis  das  Organ  sich  bezahlt.  Solches  ist  noch  nicht  der  Fall,  und  der 
Bund  wird  auf  diesem  Lehrertage  aufgefordert,  dem  Organ  eine  feste 
Basis  zu  schaffen.  Der  Bund  muss  das  Fortbestehen  des  Bundesorgans 
zu  ermoglichen  suchen,  und  die  Lehrer  sollten  es  sich  zur  Pflicht  machen, 
diese  Zeitschrift  zu  unterstiitzen. 


Prolog  zur  50-jahrigen  Jubelfeier  der  Deutsch- 
Englischen  Akademie  zu  Milwaukee,  Wis. 


ai.  flai  1901. 

Von  Oscar  Surekhardt,  Milwaukee,  Wls. 

So  kam  der  Tag!     Mit  freudigem  Verlangen 
Hat  hoffend  sie  entgegen  ihm  geschaut. 
Ist's  doch  ihr  Ehrentag!     Sie  hat  fur  ihn 
Ihr  Haus  bestellt,  geordnet  und  geschmuckt; 
Denn  edle  Gaste  gilt  es  zu  empfangen. 
Kein  Staubchen,  alles  glanzt,  als  war's 
Aus  Meisters  Hand  gerad  hervorgegangen. 
Durch  blanke  Scheiben  scheint  die  helle  Sonne 
So  freundlich  in  die  altgewohnten  Raume. 
Im  Fensterrahmen  winken  frische  Blumen, 
Zu  kiinden,  dass  auch  hier  der  Fruhling  sei. 

Das  schonste  Kleid,  sie  legt  es  heute  an 

Und  freudezitternd  schlingt  sie  durch  die  Locken 

Den  gold'nen  Brautkranz,  der  nach  funfzig  Jahren 

Dem  Geist  der  Freiheit  sie  aufs  neu  vermahlt. 

Ja,  ftnfzig  Jahr'!    beinah  ein  Menschenleben; 

Fast  spurlos  ging  die  Zeit  an  ihr  vorbei; 

Zieht  sich  durchs  Haar  auch  mancher  Silberfaden: 

Auf  ihren  Wangen  bluhen  noch  die  Rosen, 

Um  ihren  Mund  spielt  noch  ein  Jujfendlacheln, 

In  ihrem  Auge  strahlt  das  al*t  tfeuer. 

Es  ist  so  still  um  sie;  der  Festesjubel, 
Der  Gaste  freud'ges  Wogen  ist  noch  fern; 
Allein  in  ihr,  da  hebt  es  an  zu  klingen, 
Aus  langst  vergang'nen  Zeiten  tont's  heruber. 
Sie  legt  die  Hande  in  den  Schoss,  und  sinnend 
Ti&umt  sie  ein  halb  Jahrhnndert  sich  zuruck. 

Zu  Ihren  Fussen  liegt  sie  da,  die  Stadt, 

Ein  jugendlich  Gebild  in  engen  Grenzen. 

Es  stand  das  Haus  des  Pioniers,  von  Baumen 

Des  alten  Urwalds  friedlich  eingehegt. 

Noch  schlug  nicht  in  der  Symphonic  der  Stimmen 

Der  Hammer  Tosen,  der  Maschinen  Brausen 

Als  einz'ger  Grundton  ans  betaubte  Ohr. 

Noch  herrschte  nicht  das  tolle  Hasten,  Treiben, 

Ein  Bild  des  Lebens  und  des  Lebens  Tod. 

Doch  horte  sie  der  Aexte  helles  Klirren; 

Am  Werke  sah  sie  ein  Geschlecht  von  Mannern, 

Das  einst,  ein  jugendfrischer,  stolzer  Zweig 

Dem  Baum  des  deutschen  Vaterlands  entsprossen. 


Prolog  %ur  Jubelfeier  der  Deutscb-Engliscben  Akademie.          295 

Das  grosse  Jahr  hatt'  sie  hieher  gebracht; 

Sie  zogen  nach  des  Westens  halber  Wildnis, 

Weil  hier  die  Freiheit  sie  zu  finden  hofften, 

Fur  die  in  Deutschland  sie  umsonst  gekampft. 

Das  sind  die  Manner,  die  mit  freud'gem  Mut 

Der  jungfraulichen  Erde  Scholle  brachen; 

Die  treuen  Herzens  deutschem  Wort  und^Lied 

Im  fernen  Westen  eine  Heimat  schufen; 

Die  dankbar  ihrem  neuen  Vaterlande 

Ein  Kleinod  schenkten:     das  Gemiit  des  Deutschen. 

Mit  Ruhrung  denkt  sie  heute  dieser  Manner; 

Denn  ihnen  schuldet  sie  das  eig'ne  Dasein; 

Sie  fiihrten  sie  ins  Leben  sanft  hinein, 

Sie  bahnten  sorgsam  ihr  der  Zukunft  Wege. 

Und  Frauen  standen  ihnen  treu  zur  Seite; 

Und  beide  wachten,  wie's  nur  Eltern  konnen, 

Ob  ihrem  Schmerzens-,  ihrem  Lieblingskinde. 

Wo  sind  sie  hin,  die  wackern  Frau'n  und  Manner? 

In  stiller  Erde  ruhen  sie  fast  alle; 

Doch  lebt  ihr  Name  noch  in  spat'ren  Zeiten. 

Und  wie  sich  nun  die  freundlichen  Gestalten 
Dem  Dunkel  der  Vergangenheit  entheben, 
An  ihrer  Seele  still  voriiberzieh'n: 
Da  ist's  ein  Mann,  dem  sie  vor  alien  andern 
So  gern  ein  Wort  der  Liebe  sagen  mochte. 
Als  heute  sie  ihr  Haus  so  wohl  bestellt, 
Da  hat  sie  um  die  Biiste  dieses  Manns 
Zuerst  den  Kranz  der  Dankbarkeit  geschlungen. 
Er  war's,  der  seinen  Namen  ihr  gegeben, 
Er  hat  das  Ziel  ihr  deutlich  vorgezeichnet; 
Ein  Mann  der  Freiheit  hat  er  nicht  geruht, 
Bis  selbst  sie's  wurde:   ein  Gebild  der  Freiheit. 
So  stand  er  ihrem  Herzen  stets  der  Nachste, 
Ein  Engel  nicht,  jedoch  ein  ganzer  Mann. 

Und  wie  die  freundlichen  Gestalten  wieder 
Ins  Dunkel  der  Vergangenheit  entschweben, 
Da  treten  and're  schon  vor  ihre  Seele: 
Krauskopf'ge  Knaben,  blondgelockte  Madchen; 
Sie  alle,  die  seit  fiinfzig  langen  Jahren 
Zu  ihren  Fiissen  andachtsvoll  gesessen. 
O  Kinderseele,   hehrer  Wundergarten, 
In  dem  die  Blume  der  Verheissung  bluht; 
Du  klarer  Born,  aus  dem  das  spate  Alter 
Noch  letzte  Lebensregung  schlurfet; 
Du  Land  der  Sehnsucht,  drein  der  Kampfesmude 
Im  Traum  sich  fltichtet  aus  des  Lebens  Drang: 
Hier'ist  ein  heiFger  Tempel  dir  beschieden; 
Die  gold'nen  Pforten  thuen  weit  sich  auf, 
Als  sprachen  sie:    ,,Zieh  ein  in  Frieden! 


296  Padagogische  Monatshefte. 

Hier,   Kinderherz,   ist  deine  wahre   Heimat; 

Hier  darfst  du  deine  Schwingen  frei  entfalten; 

Auf  ewigem  Altare,  fromm  gehutet, 

Gluht   hier   die   Flamme   reiner    Menschlichkeit. 

Mit  jedem  Jahr'  sah  sie  ein  neu  Geschlecht; 

Liess  segnend  zieh'n  mit  jedem  Jahr  ein  and'res. 

Zu  starken  Mannern  wuchsen  ihre  Knaben, 

Gestahlt  im  Kampfe  fur  den  Kampf  des  Lebens; 

Und  ihre  Madchen  wurden  ernste  Frauen. 

Die  Jahre  kamen,  und  es  sassen  dann 

Der  Kinder  Kinder  schon  zu  ihren  Fiissen; 

Und  Jahre  kommen,  wo  mit  gleicher  Lust 

Die  Kinder  jener  Kinder  zu  ihr  wallen. 

So  loset  ein  Geschlecht  das  and're  ab; 

Und  wie  sie  freundlich  sich  die  Hande  reichen, 

Kniipft  sich  die  Zukunft  an  Vergangenheit. 

Noch  bebt  die  Freude  durch  ihr  Herz,  da  zieht 
Des  Zweifels  Wolke  uber  ihren  Himmel. 
Sie  fragt  sich  bangend:    ,,Was  hast  du  erreicht? 
Hast  Grosses  du,  Vollkommenes  geschaffen?" — 
Vollkommenheit  ist  nirgend  hier  auf  Erden. 
Doch  wer  das  Gute  voll  und  recht  erstrebt, 
Dem  darf  als  eine  That  dcr  Wille  gelten. 

So  scheuch'  hinweg  die  Wolke  deines  Zweifels 

Und  wandle  fiirder  deine  lichte  Bahn! 

Hier  sind  sie,  deine  Schiller,  deine  Kinder. 

Du  hast  gelehrt  sie,  nicht  alleit>  was  nutzt, 

Der  Schonheit  Heiligtum  Last  du  erschlossen, 

Hast  ihrem  Dasein  hoher'n  Wert  verlieh'n; 

Du  warst  versohnend  mild  die  Mittlerin 

Im  Geistesleben  zweier  Nationen. 

Drum  magst  du  ruhig  in  die  Zukunft  schauen; 

Und  hat  sich  dein  Jahrhundert  dann  vollendet, 

Dann  wandelt  hier  ein  sel'geres  Geschlecht; 

Dann  ist  der  grosse  Volkerstreit  beendet, 

Dann  herrscht  die  Freiheit,  wie  wir  sie  getraumt. 

Wenn  dann  der  Menschenliebe  Geist  entglommen, 

Dann  wird  auch  dir  der  Tag  der  Ernte  kommen. 


Allerlei  Winke. 


(Aus  unsern  Wechselblattern.) 

Etwas  gegen  die  Umwege.  Ein  alter  Schulmann  hat  einmal  gesagt:  Wir 
waren  jetzt  gliicklich  soweit,  dass  eine  ,,Methode"  um  so  mehr  Aussicht  hatte, 
anerkannt  zu  warden,  je  umstandlicher  sie  ist.  Das  ist  ja  gewiss  iibertrieben, 
aber  mehr  als  ein  Quentlein  Wahrheit  steckt  doch  in  dem  Satze.  Um  des  lieben 
Prinzips  und  um  der  Allmahlichkeit  willen  macht  man  Umwege  und  weite  Bogen, 
statt  gerade  auf  das  Ziel  loszusteuern.  Ein  paar  Beispiele:  Ein  Umweg  ist 
das  Schreiben  auf  die  Schiefertafel,  wenn  man  das  Schreiben  mit  Tinte 
und  Feder  als  Ziel  ansieht.  Es  ist  ja  manchem  leid  um  die  alte,  ehrwiirdige 
Schiefertafel;  aber  forderlich  ist  sie  der  Schreibkunst  nicht.  Einmal  muss  das 
Hindernis,  das  dem  Schreiben  mit  der  Feder  entgegensteht,  doch  genommen 
werden.  Warum  hinausschieben?  Warum  es  durch  eine  an  sich  unzweck- 
massige  Schreibtechnik,  wie  es  das  Schreiben  auf  Schiefer  ist,  noch  verbreitern 
und  erhohen?  Aehnlich  ist  es  mit  den  Zahlenbildern  im  Rechnen.  Dass 
die  symmetrische  Anordnung  dem  Auge  wohl  gefallt,  und  dass  das  Formenge- 
dachtnis,  das  hierbei  in  Frage  kommt,  bei  den  Kindern  des  I.  Schuljahres  schon 
mehr  entwickelt  ist  als  das  Zahlengedachtnis  (darauf  beruhen  die  Scheinerfolge 
des  Zahlenbilderrechnens),  kann  und  braucht  nicht  bestritten  zu  werden,  aber 
fur  das  Rechnen  selbst,  das  es  mit  der  Zahlenreihe  und  nicht  mit  raumlichen 
Punktanordnungen  zu  thun  hat.  Es  ist  ein  Umweg,  ein  ganz  bedenklicher 
Umweg,  weil  er  anfangs  durch  Auen  fiihrt.  Jedoch  sein  Fortgang  bringt  Gefahr, 
denn  er  endigt  an  einer  Wand.  Warum  nicht  gleich  von  vornherein  die  Trias 
zusammenfugen:  Zahlenreihe  veranschaulicht  durch  Zahlkorper,  Ziffernreihe, 
Zahlwortreihe?  Das  mag  zunachst  etwas  mehr  Anstrengung  kosten;  aber  diese 
wird  belohnt  durch  glatten,  liickenlosen  Fortgang  und  Aufbau.  —  Oder  denken 
wir  an  den  Gesangunterricht.  Dessen  formales  Ziel  ist  das  Singen  nach  Noten, 
Um  die  Intervallstufen  der  Erkentnis  naher  zu  bringen,  driickt  man  sie  in  Zahlen- 
namen  aus:  Damit  schliesst  man  an  Bekanntes  an  und  fiihrt  das  Neue  auf  Be- 
kanntes  zuriick.  Ein  Umweg  aber  ist  es,  zunachst  statt  der  Noten,  die  mit 
Zahlennamen  benannt  werden,  auch  die  geschriebene  Ziffer  einzu- 
fiihren.  Viel  richtiger  und  sicherer  zum  Ziele  fuhrend  ist  die  sofortige  Schreibung 
der  Noten,  die  bloss  als  Ziffern  gelesen  werden.  Die  Aehnlichkeit  der  Notenreihe 
mit  der  Zahlkorperreihe  an  der  Rechenmaschine  ist  dem  Kinde  sehr  leicht  an- 
schaulich  zu  machen,  wahrend  eine  in  Ziffern  geschriebene  Tonfolge  gar  nichts 
Anschauliches  hat.  Einen  Umweg  bedeutet  auch  das  Netzzeichnen  fur 
den  Zeichenunterricht;  es  knebelt  Hand  und  Auge,  statt  sie  zu  befreien.  Das 
freie  malende  Zeichnen,  d  irch  das  innerlich  Geschautes  vom  Kinde  wieder- 
gegeben  wird,  das  ist  die  psychologisch  richtige  Vorstufe  zum  systematischen 
Zeichenunterrichte.  Noch  viele  solcher  Umwege  giebt  es,  aber  es  mag  an  den 
gekennzeichneten  genug  sein.  Fur  uns  handdt  es  sich  nur  darum,  den  Blick 
einmal  auf  diese  Dinge  zu  lenken,  die  sich  mit  viel  padagogisch  ausschauendem 
Aufputz  in  die  methodistischen  Anweisungen  eindrangeln,  sich  aber  schliesslich 
als  Krafttoter  entpuppen.  Meist  kennzeichnen  sie  sich  aber  dem  scharfer  Zu- 
sehenden  sofort  als  gesucht  und  gekunstelt.  Vielleicht  ertappt  sich  der  oder 
jener  Leser  gelegentlich  auch  auf  einem  Umwege,  und  kehrt  um  und  schlagt 
den  kvirzeren  Weg  ein.  Practicus-  (Deutsche  Schulpraxis). 


298  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Das  Einlesen  des  Musterstiickes.  Die  in  der  Schule  zu  behandelnden 
Musterstucke  sollen  nicht  allein  in  das  Vorstellungsleben  eingehen,  sondern  in 
der  kindlichen  Seele  auch  Gemvitsbewegungen  herbeifuhren,  die  dem  Schonen 
angehoren.  Soweit  nun  die  asthetische  Auffassung  im  rhythmischen  Lesen,  also 
in  der  sorgfaltigen  Artikulation  einer  Reihe  von  Worten  besteht,  hat  sie  auch  eine 
grosse,  bis  jetzt  noch  nicht  recht  gewiirdigte  Bedeutung  fur  das  Vorstellungs- 
leben. Sie  unterstiitzt  namlich  die  Associationsfestigkeit  der  Vor- 
stellungen.  In  der  ,,Deutschen  Schulpraxis"  teilt  Dr.  Otto  Schleinitz  die  experi- 
mentellen  Untersuchungen  mit,  welche  Professor  Cohn  an  der  Universitat  in 
Freiburg  angestellt  hat  und  durch  welche  die  Wichtigkeit  des  rythmischen 
Lesens  und  Lernens  dargethan  wird.  Aus  der  beztiglichen  experimentalen  Er- 
fahrung  zieht  der  Verfasser  folgenden  Schluss:  Der  Lehrer  hat  nach  der 
erklarenden  Besprechung  des  Musterstiickes  sein  Augenmerk  in  ganz  besonderer 
Weise  auf  das  Einlesen  zu  richten  und  hierbei  auf  artikuliertes  Sprechen  zu  achten. 
Um  eine  befriedigende  Leistung  zu  erzielen,  muss  dasselbe  Musterstuck  wieder- 
holt  gelesen  werden,  erst  von  den  geubteren  Schulern,  dann  von  den  schwacheren, 
endlich  im  Chore.  Durch  das  Chorlesen  werden  alle  Schiller  gleichmassig  ge- 
wohnt,  das  richtige  Tempo  und  die  richtige  Betonung  einzuhalten.  Bei  dem 
angegebenen  Verfahren  wird  den  Schulern  das  Memorieren  wesentlich  erleichtert 
un>1  so  Freude  am  Lernen  geweckt.  (Oesterreichischer  Schulbote). 

TJeber  die  Haltung  der  Schulkinder  beim  Schreiben  giebt  die  Kgl.  Regierung 
zu  Sigmaringen  folgende  Anweisung:  ,,Der  Schiiler  muss  bei  dem  Schreiben  so 
vor  dem  Tische  sitzen,  dass  die  Fiisse  mit  der  ganzen  Sohle  aufstehen,  die  Unter- 
schenkel  senkrecht.  Beide  Unterarme  sollen  fast  bis  zu  den  Ellbogen  aufliegen, 
der  Oberkorper  muss  gestreckt  und  nur  der  Kopf  etwas  geneigt  sein.  Das 
Heft  oder  die  Tafel  soil  nicht  gleichlaufend  iiit  dem  Tischrand  liegen;  der  untere 
Rand  des  Heftes  oder  der  Tafel  soil  n/it  dem  untern  Tischrand  einen  Winkel 
von  30 — 40  Grad  bilden.  Auch  auf  die  richtige  Haltung  des  Federhalters  miissen 
die  Lehrer  mehr  Gewicht  legen.  Die  Feder  muss  leicht  zwischen  dem  Daumen, 
dem  Mittelfinger  und  dem  Zeigefinger  gehalten  werden.  Der  Goldfinger  wird 
zuriickgebogen  und  der  kleine  Finger  vorgestreckt;  dieser  dient  der  Hand  bei 
der  Bewegung  von  links  nach  rechts  als  Stiitze.  Der  Federhalter  soil  stets  auf 
die  rechte  Schulter  gerichtet  sein."  (Bayerische  Lehrerzeitung). 

Geistig  Arbeitende.  Wo  Nachdenken,  Einbildungskraft,  Gedachtnis  und 
Gemiit  gleichzeitig  in  Anspruch  genommen  werden,  ist  es  das  Gehirn,  welches 
arbeitet,  und  daher  mit  grosser  Vorsicht  behandelt  werden  will,  wenn  nicht 
Schlaflosigkeit,  Nervositat  die  Folge  sein  sollen.  Das  Gehirn  darf  nicht  zu 
lange  hintereinander  und  immer  auf  dieselbe  Weise  thatig  sein,  sondern  muss 
Ruhe  und  Schlaf,  wenigstens  7  bis  8  Stunden  taglich  haben.  Es  darf  auch  nicht 
durch  Reizmittel  erregt  werden.  Man  habe  im  Arbeitszimmer  reine,  nicht  zu 
warme  Luft  und  nehme  nahrhafte,  leicht  verdauliche  Kost.  Alljahrliche  Reisen 
sind  fiir  geistig  Arbeitende  eine  Notwendigkeit,  um  durch  andere  Eindriicke, 
Luftwechsel  u.  s.  w.  die  geistige  Spannkraft  und  die  Gesundheit  zu  erhalten. 
(Korresp.  f.  nat.  Ernahrung  und  Gesundheitspflege  v.  Dr.  L6wenthal,  Nr.  57.) 

Sei  nicht  launisch!  Damit  ist  nicht  gesagt,  dass  des  Lehrers  Antlitz  stets 
wie  die  Sonne  leuchten  sollte  und  dass  er  nie  die  Falten  des  Unmuts  anf  seiner 
Stirne  und  den  Ernst  der  Missbilligung  in  seinem  Blicke  dulden  diirfe.  O  ja, 
das  gehort  alles  zu  seinen  Erziehungsmitteln,  er  muss  sie  brauchen.  Aber  der 
Lehrer  darf  eine  ausserordentliche  Gemiitsstimmung  nicht  zum  Durchbruch 
kommen  lassen.  Sein  Gemiitszustand  muss  im  grossen  und  ganzen  immer  der 


Allerlei  Winhe.  299 

gleiche  sein.  Das  gehort  mit  zur  Bildung.  Wenn  die  Kinder  sagen,  heut  ist 
,,unser  Lehrer  bos",  so  ist  das  ein  schlimmes  Zeichen  von  ihm;  es  stempelt  ihn 
zum  Spielball  der  Leidenschaften.  Das  darf  er  um  alles  nicht  sein,  denn  er  ist 
zuerst  Erzieher  und  dann  erst  Mensch.  —  Im  Aerger  macht  der  Mensch  im 
allgemeinen  und  der  Lehrer  im  besonderen  selten  das  Kliigste,  aber  meistenteils 
das  Diimmste!  Das  ist  eine  Erfahrungswahrheit,  die  jeder  aus  sich  selbst  ent- 
wickeln  kann,  wenn  er  aufrichtig  ist.  Leider  kommt  man  in  der  Welt  ohne 
Aerger  nicht  durch,  auch  beim  besten  Willen  nicht.  Aber  wir  durfen  ihn  nicht 
Herr  uber  uns  werden  lassen  und  ihn  nicht  als  Aushangeschild  brauchen.  Vor 
allem  darf  er  uns  nicht  hinreissen  zu  uniiberlegten  Streichen.  —  Ein  argerlicher, 
launischer  Lehrer  ist  ein  Kreuz  fur  die  Kinder;  er  ist  ein  Tyrann  fur  die  einen, 
ein  Verhatscheler  fur  die  andern;  er  ist  die  Ungerechtigkeit  in  Person,  er  tritt 
die  Padagogik  mit  Fussen.  Damit  ist  gesagt,  dass  Launenhaftigkeit  gerade  das 
ist,  was  fur  den  Mann  von  Bildung  gar  nicht  und  fur  den  Lehrer  am  allerwenigsten 
passt.  (Rep.  d.  Padag.) 

Wann  und  wo  soil  korrigiert  werden?  Diese  Frage  beantwortet  ein  Aufsatz 
der  Schweizerischen  Schulzeitung  (Nr.  18)  uber  die  Korrektur  der  schriftlichen 
Arbeiten,  wie  folgt:  Wann  und  wo  soil  korrigiert  werden?  In  der  Schule  oder 
zu  Hause,  in  Gegenwart  oder  in  Abwesenheit  der  Schiller?  Ich  glaube,  das 
erstere,  das  Korrigieren  vor  den  Schiilern  diirfte  das  beste  und  erspriesslichste  sein, 
indem  man  in  diesem  Falle  die  Sunder  gerade  bei  der  Hand  hat  und  sie  wo- 
m6glich  die  Fehler  selber  herausfinden  lassen  kann.  In  Schulen  mit  Abteilungen 
ist  jedoch  dieses  Verfahren  total  unmoglich,  indem  der  Lehrer  stets  mit  dem 
mundlichen  Unterricht  beschaftigt  ist  und  keine  oder  zu  wenig  Zeit  zu  Korekturen 
findet,  so  dass  er  dieselben  notgedrungen  neben  der  Schule,  in  seiner  ,,freien 
Zeit"  vornehmen  muss.  In  diesem  Falle  wiirde  ich  aber,  um  den  guten  Humor 
fur  einen  Schultag  nicht  in  Gefahr  zu  bringen,  entschieden  dem  Korrigieren  nach 
der  Schule  demjenigen  vor  den  Unterrichtsstunden  den  Vorzug  geben.  Im 
weitern  ist  vor  der  Angewohnheit  dringend  zu  warnen,  die  schriftlichen  Arbeiten 
in  einem  Zuge,  alle  Hefte  hintereinander  ohne  zeitliche  Unterbrechung  zu  korri- 
gieren.  ,,Die  geistige  Spannkraft  des  Korrektors  reicht  nicht  aus,  um  samtliche 
Hefte  mit  der  erforderlichen  Aufmerksamkeit  und  der  wUnschenswerten  Ge- 
miitsruhe  zu  durchgehen.  Die  unausbleibliche  Folge  ist  das  Uebersehen  zahl- 
reicher,  oft  schwerer  Fehler.  Gegen  diese  fur  den  Lehrer  und  wohl  auch  fur  den 
Schiiler  peinliche  Erscheinung  ist  das  zweckmassigste  Mittel,  die  Korrektur 
einer  und  derselben  schriftlichen  Arbeit  in  mehreren  Portionen  vorzunehmen 
und  zwischen  hinein  sich  mit  etwas  anderem  zu  beschaftigen." 

Etwas  uber  das  Gahnen.  Das  Vollatmen,  bei  welchem  moglichst  alle 
Lungenzellen  —  600  an  der  Zahl  —  sich  beteiligen,  ist  nur  im  Gehen,  Stehen 
oder  Liegen,  und  auch  da  nur  bei  willenskraftiger  Ausdehnung  des  Brustkorbes, 
moglich.  Fur  gewohnlich  begniigen  wir  uns  mit  oberfladilicher  Atmung,  welche 
die  Lunge  nur  zu  Zweidrittel  oder  gar  nur  zur  Halfte  mit  Luft  fiillt.  Ganz  be- 
sonders  trifft  dies  zu  beim  Sitzen.  Haben  daher  die  Kinder  in  der  Schule  bei 
oberflachlichem  Atmen  dem  interessanten  Unterrichte  langere  Zeit  mit  ge- 
spannter  Aufmerksamkeit  zugehort,  so  ist  es  erklarlich,  ja  ganz  natiirlich,  dass 
sich  bei  ihnen  das  Bediirfnis  tieferen  Atmens  in  der  Neigung  zum  Gahnen  ein- 
stellt.  Die  Natur  s'ucht  sich  gewissermassen  damit  selbst  zu  helfen. 

Pedantische  Lehrer  suchen  in  iibertriebener  Wertschatzung  des  sogenannten 
Anstandes  diese  vermeintliche  ,,Unsitte"  der  Kinder  mit  alien  Mitteln  zu  be- 
kampfen,  aber  mit  Unrecht.  Das  Tiefgahnen  ist  die  natiirlichste  Lungengym- 


300  P'ddagogische  Monatsbefte. 

nastik.  Dabei  hebt  und  streckt  sich  die  Schlundmuskulatur,  um  die  Lunge 
gehorig  auszupumpen  und  namentlich  auch  einmal  die  knorpelige  Ohrtrompete 
auszuquetschen.  Wenn  der  Lehrer  seine  Schuler  anhalt,  bei  Befriedigung  dieses 
naturlichen  Bedurfnisses  die  Hand  gebtihrlich  vor  den  Mund  zu  halten,  ist  den 
Gesetzen  des  Anstandes  Gentige  geleistet. 

Dass  das  Gahnen  fur  die  Gesundheitspflege  von  Bedeutung  ist,  beweisen  die 
Aerzte,  die  es  therapeutisch  verwerten,  indem  sie  ihre  Patienten  sechs-  bis  zehn- 
mal  nacheinander  gahnen  und  gleich  darauf  schlucken  lassen.  Auch  der  Lehrer 
kann  nach  Stunden  gespanntester  Aufmerksamkeit,  die  nur  ein  oberflachliches 
Atmen  ermoglichen  ,etwas  zur  Lungenpflege  beitragen.  Er  lasst  die  Kinder 
einige  Minuten  aufstehen  und  durch  geeignete  gymnastische  Uebungen  die  Lunge 
tiichtig  ausluften.  Besser  kann  die  Zwischenpause,  die  doch  in  erster  Linie 
Erholungspause  sein  soil,  kaum  ausgefullt  werden. 

A.  K.     (Deutsche  Schulpraxis). 


Berichte   und  Notizen. 


I.     National  Educational  Association. 

Von  JS.  A.  Abratns,  Miv*raukee,  Wis. 

Gleichzeitig  mit  der  Tagung  des  Nutionalen  Deutschamerikanischen  Lehrer- 
bundes  in  Indianapolis,  uber  deren  Verlauf  das  in  dieser  Nummer  der  ,,P.  M." 
veroffentlichte  amtliche  Protokoll  ausfiihrlich  berichtet,  fand  in  der  schonen 
Stadt  Detroit  die  Jahresversammlung  der  alteren  und  machtigeren  Schwester- 
vereinigung  statt.  Mehr  als  zehntausend  Berufsgenossen,  Vertreter  von  Hun- 
derttauseriden  von  Lehrern  der  Volks-  und  Privatschulen  dieser  Republik  und 
Canadas  hatten  Besitz  ergriffen  von  den  Strassen,  den  Gasthausern  und  den 
Versammlungshallen  der  Metropole  Michigans.  Dass  einige  Hundert  der  Teil- 
nehmer  dieser  grossen  padagogischen  Machtentfaltung  es  nicht  vorgezogen 
hatten,  die  Tagung  von  Indianapolis  durch  ihre  Anwesenheit  numerisch  ein- 
drucksvoller  zu  gestalten,  habe  ich  wahrend  der  Detroiter  Tage  mehrmals  lebhaft 
bedauert.  Viele  habe  ich  in  Detroit  gesehen,  deren  Wirken  auf  dem  Felde  des 
Unterrichts  durch  die  Jahresversammlung  des  deutschamerikanischen  Lehrer- 
bundes  eine  nachhaltigere  wohlthatigere  Beeinflussung  erfahren  hatte.  Manche 
habe  ich  gesehen  und  gesprochen,  die  durch  ihre  personliche  Beteiligung  und 
ihr  kraftiges  Mitwirken  den  Zusammenkunften  der  deutschamerikanischen 
Lehrerschaft  eine  grossere  Bedeutung  verleihen  und  ein  segensreicheres  Wirken 
sichern  konnten.  Die  oft  erorterten  Fragen:  Warum  hielt  sich  der  deutsch- 
amerikanische  Lehrerbund  von  den  Jahresversammlungen  der  ,,National  Edu- 
cational Association"  fern?  Warum  geschieht  seitens  der  leitenden  Geister 
des  Lehrerbundes  nichts,  um  eine  Verschmelzung  der  beiden  Korperschaften 
herbeizufiihren?  wurden  zu  verschiedenen  malen  in  meiner  Gegenwart  gestellt 
und  besprochen.  Mancher  deutschamerikanische  Kollege  stellte  diese  Frage,. 
um  sein  Fernbleiben  von  den  Versammlungen  des  Lehrerbundes  zu  entschul- 
digen  oder  zu  erklaren;  mancher  Berufsgenosse  nichtdeutscher  Abkunft  suchte 
Erklarung  und  Belehrung;  andere  witzelten  uber  das  Selbstbewusstsein  des 


National  Educational  Association.  301 

,,kleinen  Bruders,"  der  es  wage,  die  Existenzberechtigung  zu  beanspruchen. 
,,Der  Deutschamerikanische  Lehrerbund"  kann  fur  seine  vornehmsten  Ziele: 
Einfuhrung  und  Pflege  des  deutschen  Unterrichts  in  den  offenlichen  Lehran- 
stalten  dieses  Landes  und  Beeinflussung  des  Lehrstoffes  und  Unterrichtsme- 
thoden  kraftiger  und  erfolgreicher  wirken,  wenn  er  sich  die  machtvolle  Bundes- 
genossenschaft  der  N.  E.  A.  sichert,  als  in  seiner  jetzigen  Sonderstellung"  erklarte 
mir  ein  hevorragender  deutschamerikanischer  Padagoge.  Dass  dieser  an  und 
fur  sich  wiinschenswerten  Vereinigung  fast  unbesiegbare  Hindernisse  im  Wege 
stehen,  dass  eine  Sondertagung  des  Lehrerbundes  unter  den  bestehenden  Ver- 
haltnissen  notig  ist,  dass  die  fiihrenden  Mitglieder  des  Lehrerbundes  nicht 
dunkelhaft  oder  ,,nativistisch"  handeln,  wenn  sie  g  e  g  e  n  eine  Verschmelzung 
der  beiden  Vereinigungen  sind,  wollten  die  Detroiter  Kritiker  nicht  gelten 
lassen.  Die  deutsche  Sprache  bildet  die  Wurzel  unserer  Kraft;  unsere  Ver- 
sammlungen  konnen  eine  segensreiche,  agitatorische  Thatigkeit  nur  da  ent- 
wickeln,  wo  sie  der  Sympathie  der  Bevolkerung  und  der  Mitwirkung  der 
deutschamerikanischen  Presse  sicher  sind.  Gleichviel  welche  Stadt  die  National 
Educational  Association  als  Versammlungsort  erwahlt;  sei  es  im  Suden  oder 
am  Goldenen  Thore,  so  kann  sie  auf  Tausende  von  Teilnehmern  mit  Bestimmt- 
heit  zahlen,  die  innerhalb  hundert  Meilen  vom  Tagungsorte  wirken;  der  Lehrer- 
bund konnte  als  Abteilung  der  National  Association  in  Canada  oder  Californien, 
in  Florida  oder  in  der  Hauptstadt  des  Mormonenstaates  kaum  auf  ein  Backer- 
dutzend  zahlen.  Diese  GrUnde  zwingen  die  deutschamerikanische  Lehrerschaft, 
ihre  selbststandige  Vereinigung  aufrechtzuerhalten.  Wir  ,,marschieren  getrennt 
und  schlagen  vereint."  Dass  es  dem  Schreiber  dieses  aus  verschiedenen 
Griinden  in  diesem  Jahre  nicht  vergonnt  war,  mit  den  deutschamerikanischen 
Berufsgenossen  in  Indianapolis  zu  raten  und  zu  thaten,  fallt  ihm  schwer  aufs 
Herz;  Neigung  und  Pflicht  zogen  ihn  nach  Indianapolis;  in  Detroit  konnte  er 
das  Gefuhl  nicht  loswerden,  als  wandele  er  auf  dem  Pfade  des  Unrechts.  Doch 
leichter  wurde  es  ihm  urns  Herz,  als  er  bei  der  Durchsicht  des  ausserst  umfang- 
reichen  Programmes  eine  Nummer  fand,  die  in  enger  Beziehung  stand  zu  den 
Beratungen,  an  denen  er  sich  in  Indianapolis  hatte  beteiligen  konnen,  wenn  er 
dort  gewesen  ware.  Unter  Leitung  des  Kollegen  Herrn  Krug  von  Cleveland 
fand  unter  den  Auspizien  des  Zweiges  ^.Secondary  Education"  auch  eine  Ver- 
sammlung  statt,  die  sich  mit  dem  deutschen  Unterricht  an  den  Hochschulen 
befasste.  Diese  von  etwa  funfzig  Damen  und  Herren  besuchte  Versammlung 
fand  an  einem  Nachmittage  in  einem  Zimmer  der  herrlichen  Central  High 
School  unter  Leitung  Ihres  Berichterstatters  statt.  Ein  interessantes,  wohl- 
durchdachtes  und  sorgfaltig  ausgearbeitetes  Referat  uber  Grammatik  und 
Uebersetzen  in  deutschen  Hochschulen  —  Referent  Herr  Josef  Krug,  Cleveland 
—  bildete  die  Grundlage  einer  lebhaften  Besprechung,  welche  fast  drei  Stunden 
in  Anspruch  nahm.  Ich  konnte  den  Gedanken  nicht  unterdriicken,  dem  ich 
an  dieser  Stelle  Ausdruck  verleihen  will.  Hoffentlich  wird  eine  Aeusserung  nicht 
missdeutet  werden.  Die  Jahresversammlungen  des  deutschamerikanischen 
Lehrerbundes  leiden  unter  dem  Uebelstande,  dass  dem  freien  Gedankenaus- 
tausche,  der  unendlich  anregender  und  befruchtender  wirkt  als  die  Vortrage, 
zu  wenig  Spielraum  gegeben  wird,  und  dass  auf  die  Vortrage  selten  die  Be- 
leuchtung  einer  eingehenden  miindlichen  Erorterung  fallt,  die  dem  Vortragenden 
so  wohlthun,  so  anregend  auf  die  Horer  wirken  und  dem  Vortrage  selbst  einen 
hoheren  Wert  verleihen,  und  eine  kraftigere  Wirkung  sichern. 

(Fortsetzung  folgt.) 


302 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


II.     Korrespondenzen. 


Buffalo. 


In  unserer,  im  herrlichsten  Blatter- 
und  Bliitenschmuck  prangenden  Staat 
bildet  die  Pan  American  selbst- 
verstandlich  das  Tagesgesprach,  and 
alle  anderen  Interessen  stehen  gleich- 
wohl  hinter  jenem,  das  ,,Dichten  und 
Trachten"  von  Jung  und  alt  Erfiillen- 
dem,  zuriick.  Auch  den  Lehrern  und 
Lehrerinnen  wurden  dieses  Jahr  die 
Examenwochen  besonders  schwer, 
denn  die  Eindriicke,  welche  die  Kinder 
auf  der,  das  Auge  und  Ohr  so  mannig- 
fach  fesselnden  Ausstellung  empfangen, 
machten  sie  schwerer  empfanglich  fur 
ihre  Studien,  und  nur  dem  Ehrgeize 
unserer  Jugend  ist  es  zuzuschreiben, 
wenn  die  meisten  Kinder,  aller  ab- 
lenkenden  Eindriicke  ungeachtet,  ihr 
Examen  mit  Ehren  bestanden.  Da  ich 
nun  einmal  das  Pan  American-Thema 
beriihrt  habe,  so  kann  ich  nicht  umhin, 
noch  ein  paar  Zeilen  iiber  dasselbe  hin- 
zuzufiigen,  wenngleich  der  Thatsache 
nicht  uneingedenk,  dass  Zeitungen, 
Telegraphen  und  Tauben  die  Kunde 
von  der  unformellen  und  unoffiziellen 
Eroffnung  der  Ausstellung  in  alle 
Gauen  unseres  Landes  und  weit  iiber 
die  Grenzen  desselben  hinaus  getragen 
und  gegirrt  hatten.  Auch  bin  ich  mir 
nicht  minder  bewusst,  dass  dergleichen 
Themen  eigentlich  von  der  Richtung 
der  Padagogischen  Monatshefte  ab- 
weichen.  Und  doch!  Steht  nicht 
unsere  Zeitschrift  im  Dienste  der  Bil- 
dung  sowohl  als  Erziehung?  Und  die 
so  wunderbare,  von  echtem  Kunstsinn 
zeugende  Ausstellung  ist  gewiss  ebenso 
belehrend  und  bildend,  wie  erhebend 
und  erbauend,  interessant  und  das  Auge 
beriickend.  Wenn  sich  auch  die  Pan 
American  naturgemass  an  Bedeutung 
und  Ausdehnung  nicht  mit  der  Weltaus- 
stellung  in  Chicago  messen  kann,  so 
iibertrifft  sie  doch  dieselbe  inbezug  auf 
architektonische  Zierden  und  in  har- 
monischer  Farbenverschmelzung  samt- 
licher  Bauten,  sowie  die  grossartige, 
jeglicher  Beschreibung  spottende  elek- 
trische  Beleuchtung.  Diese  verwandelt 
den  Schauplatz  des  Abends  thatsachlich 
in  einen  Zaubergarten,  und  lasst,  die 
prachtigen  Gruppen  feenhaft  beleuch- 
tend,  dieselbe  wunderbar  aus  dem 
Dunkel  der  Nacht  hervortreten.  Im 
Midway  findet  man  neben  dem  Ab- 
straktisten  wie  einem  mit  dem  Dache 
in  die  Erde  und  dem  Keller  nach  oben 
gerichtetem  Hause  noch  vielerlei  Neues 


und  Anziehendes;  fiir  Deutsche  giebt 
es  aber  kaum  etwas  Schoneres  als  das 
altertiimliche,  anheimelnde  Alt-Niirn- 
berg.  Padagogen  bietet  die  Pan 
American  iibrigens — und  diese  Haupt- 
sache  hatte  ich  beinahe  vergessen — 
noch  besonderen  Genuss  durch  die  Aus- 
stellung der  mannigfaltigsten  Schiiler- 
produkte,  welche  zu  einem  Vergleiche 
herzlichst  einladen. 

Was  die  Lehrerinnen  Buf- 
f  a  1  o  s  im  verflossenen  Winter  beson- 
ders beschaftigt,  war  ihre  G  e  h  a  1 1  s- 
erhohung-.  Wie  vielleicht  bekannt, 
werden  sie  im  Verhaltnis  zu  denen  der 
Schwesterstadte  gleicher  GrOsse  und 
mit  Bezugnahme  auf  die  hohen  An- 
spriiche  an  ihre  Fahigkeiten  nicht  ent- 
sprechend  besoldet.  iTir  Gehalt  beginnt 
mit  400  Dollars,  welche  Summe  im 
Laufe  der  nachsten  vier  Jahre  auf  600 
steigt.  Aehnlich  ergeht  es  den  Lehre- 
rinnen der  Hochschulen,  nur  erhalten 
dieselben  durchschnittlich  150 — 200  Dol- 
lat-s  mehr.  Schon  mehrere  Male  hat 
^ian  versucht,  eine  Gehaltserhohung  zu 
/bewirken,  doch  alle  dahin  zielenden 
Plane  scheiterten  bestandig.  Diesmal 
waren  Dr.  Ida  Bender,  Supervisor  of 
the  Primary  Grades  und  eine  vorziig- 
liche  Prinzipalin,  Miss  N.  A.  Graybiel, 
eifrige  und  unermiidliche  Befiirwor- 
terinnen  des  Gesuches.  Dabei  fiel  be- 
sonders schwer  in  die  Wagschale,  dass 
die  Erhohung  das  Gehalt  genannter 
Damen  nicht  einschloss.  Hauptsach- 
lich  wirkten  Dr.  Benders  ziindende  Re- 
den,  in  denen  sie  auf  die  betrachtlich 
vermehrten  Pflichten  und  Anforde- 
rungen  hinwies  und  betonte,  die 
hoheren  Gehalter  anderer  Stadte  seien 
geeignet,  uns  die  besten  Lehrkrafte  hin- 
wegzulocken.  All  dessen  ungeachtet, 
erlitt  die  gerechte  Forderung  manche 
Anfechtung,  wurde  aber  endlich  doch 
von  den  niederen  und  hoheren  Stadt- 
raten  gutgeheissen  und  die  Gewahrung 
der  Bitte  wird,  zwar  angeblich  den 
finanziellen  Verhaltnissen  Buffalos 
Rechnung  tragend,  in  etwas  umgean- 
derter  Form,  als  man  gewiinscht,  doch 
noch  dieses  Jahr  manches  Lehrerinnen- 
herz  begliicken.  Man  bat  um  eine  Zu- 
lage  von  50  Dollars  im  nachsten  und 
100  in  den  folgenden  Jahren.  Laut 
hochsten  Beschluses  wurden  die  Leh- 
rerinnen jedoch  erst  im  vierten  Zu- 
kunftsjahre  der  vollen  Zulage  wiirdig 
befunden.  B.  R. 


Korresponden^en. 


303 


Californien. 

Gothe  -Schiller  Denkmal. 
Am  ii.  August  dieses  Jahres  haben 
sich  die  Deutschen  Californiens  ein 
Monument  gesetzt,  indem  sie  der  Stadt 
San  Francisco  eine  Kopie  des  Go'the- 
Schiller  Denkmals  zu  Weimar  zum  Ge- 
schenk  machten.  Dieses  herrliche 
Denkmal,  in  denselben  Formen  gegos- 
sen  wie  das  weimarische,  stellt  das 
Dichterpaar  in  heroischer  Gro'sse  dar, 
zusammen  einen  Lorbeerkranz  haltend, 
den  sie  briiderlich  miteinander  zu  teilen 
scheinen.  Wer  das  Denkmal  nicht  ge- 
sehen  hat,  kann  sich  keine  Vorstellung 
machen  von  dem  imposanten  Eindruck 
der  beiden  Gestalten:  Gothe  im  Staats- 
gewand,  mit  der  Rechten  den  Kranz 
haltend,  die  Linke  auf  der  Schulter 
Schillers,  als  rede  er  diesem  zu,  die 
Huldigung  einer  Nation  mit  ihm  zu  tei- 
len; Schiller  in  wallendem  Mantel,  mit 
der  Rechten  den  Kranz  erfassend,  in 
der  Linken  eine  Manuskriptrolle,  das 
Antlitz  erhoben  mit  dem  Ausdruck 
durchgeistigter  Idealitat;  das  Ganze 
von  packender  Lebendigkeit. 

Das  Denkmal  wurde  neben  dem  mas- 
siven  Musikpavillon  errichtet,  welchen 
Claus  Spreckels  vor  einem  Jahre  im 
Golden  Gate  Park  der  Stadt  zum  Ge- 
schenk  machte.  Es  nimmt  ohne  Zweifel 
den  besten  Platz  ein,  den  man  in  dem 
grossen  und  scho'nen  Park  dafur  hatte 
finden  kb'nnen.  In  dem  Musikpavillon 
werden  alle  Sonntagsnachmittage  Kon- 
zerte  gegeben,  denen  Tausende  lau- 
schen,  fur  die  im  ,,Musikthale"  Platze 
eingerichtet  sind.  Da  es  in  Californien 
keinen  Winter  giebt,  so  finden  diese 
Konzerte  fast  das  ganze  Jahr  hindurch 
statt,  mit  Ausnahme  von  ein  paar 
Regentagen.  Unter  den  Musikstiicken 
nehmen  gewb'hnlich  deutsche  Kompo- 
sitionen  den  Hauptrang  ein,  und  es  ist 
ein  schoner  Gedanke,  das  Denkmal  so 
zu  plazieren,  dass  die  beiden  Dichter- 
fvirsten  auf  die  andachtig  Lauschenden 
herabblicken. 

Der  Plan  fur  das  Geschenk  reifte  am 
,,deutschen  Tage"  der  Mittwinter  Aus- 
stellung  in  San  Francisco  im  Jahre 
1894,  und  wurde  von  alien  hervorragen- 
den  Deutschen  des  Staates  unterstutzt. 
Die  Enthullungsfeier  fand  im  Musik- 
pavillon statt,  unter  Mitwirkung  des 
Orchesters  und  der  verschiedenen  Ge- 
sangvereine  der  Stadt.  Letztere  trugen 
Uhlands  ,,Das  ist  der  Tag  des  Herrn" 
vor,  und  sangen  spater  mit  Begleitung 
des  Orchesters  den  Soldatenchor  aus 
,, Faust."  Begeisterte  Ansprachen  wur- 
den gehalten  von  Dr.  C-  M  Richter, 
Pras.  Chas.  Bundschn,  Mayor  James 


Phelan  von  San  Francisco  und  Dr.  E- 
wald  Fltigel  von  der  Stanford  Universi- 
tat.  Herr  M.  Greenblatt  trug  ein  Ge- 
dicht  vor,  dass  der  vor  einem  Jahre  ver- 
storbene  Dichter  Theodor  Kirchhoff 
fur  die  Enthullungsfeier  verfasst  hatte. 

Am  Abend  fand  eine  Nachfeier  statt, 
wobei  ausser  Musikeinlagen  Anspra- 
chen gehalten  wurden  von  Herrn  Chas. 
Bundschu,  Dr.  Julius  Goebel  von  der 
Stanford  Universitat,  Dr.  Hugo  K. 
Schilling  und  Professor  Albin  Putzker 
von  der  Staatsuniversitat,  die  samtlich 
mit  grossem  Beifall  aufgenommen  wur- 
den. Auch  ein  weiteres  Gedicht, 
zur  Enthullungsfeier  von  dem  beliebten 
Dichter  Dr.  Castelhun  verfasst,  wurde 
von  dessen  Tochter  Maida  sehr  ein- 
drucksvoll  vorgtragen,  woftir  dem 
Dichter  von  den  Anwesenden  eine 
rauschende  Ovation  dargebracht  wurde. 
Der  Abend  schloss  mit  einem  Bankett, 
wobei  President  Wheeler  von  der 
Staatsuniversitat  den  Vorsitz  fuhrte. 

Im  ganzen  war  es  eine  wiirdige  und 
erhebende  Feier,  und  die  Errichtung 
des  Denkmals  kann  als  die  Krone  der 
deutschen  Bestrebungen  in  diesem 
Staate  angesehen  werden.  *  V.  B. 


*  Uns  liegen  ausfiihrliche  Berichte 
aus  der  San  Franciscoer  Tagespresse 
uber  die  erhebenden  Einweihunsfeier- 
lichkeiten  vor,  um  so  mehr  bedauern 
wir,  dass  der  Raummangel  uns  hindert, 
Ausziige  aus  den  vorziiglichen  Reden 
zu  bringen.  Hoffentlich  bietet  sich 
in  einem  spateren  Hefte  dazu  die  Ge- 
legenheit.  D.  R. 

Cincinnati. 

Zwei  Hulfs  -  Superinten- 
dent e  n  wurden  in  der  Sitzung  un- 
sererErziehungsbehorde  am  30.Juli  von 
Supt.  Boone  fur  die  Schulleitung  er- 
nannt  und  in  der  darauffolgenden  Sit- 
zung bestatigt,  namlich  Dr.  H.  H.  Fick, 
bisher  Prinzipal  der  6.  Distrikt-Schule, 
und  F.  B.  Dyer,  Supt.  der  offenlichen 
Schulen  von  Madispnville,  O.  Die 
Schaffung  dieser  beiden  Aemter,  die 
mit  einem  Gehalt  von  je  $2500  ver- 
kniipft  sind  und,  wie  Dr.  Boone  behaup- 
tet,  zur  besseren  Ueberwachung  des 
englischen  und  deutschen  Unterrichts 
unbedingt  notwendig  seien,  involvieren 
eine  Neuerung  in  unserem  Schulwesen. 
Solche  Assistenten  sind  bereits  von 
fruheren  Superintendenten  gewUnscht 
worden,  besonders  von  Dr.  White,  der 
seinerzeit  gleich  deren  sechs  verlangte. 
Diese  Forderung  wurde  jedoch  bisher 
stets  mit  der  Begriindung  abgewiesen, 
dass  diese  Assistenten  nicht  notig 


304 


Padagogiscbe  Monatsbefte. 


seien,  da  jeder  Schulprinzipal  gewisser- 
massen  ein  Hilfs-Superintendent  sei 
und  iiberdies  fiir  jedes  Spezialfach, 
wie  Singen,  Zeichnen,  Schonschreiben 
und  Turnen  ein  Superintendent  vorhan- 
den  sei.  Dieses  Argument  wurde  auch 
dieses  Mai  wieder  von  einem  Schul- 
ratsmitgliede,  Dr.  Albers,  geltend  ge- 
macht,  allein  von.Supt.  Boone  mit  der 
Erklarung  zu  entkraften  versucht,  dass 
manche  der  Schulvorsteher  in  punkto 
Ueberwachung  des  Unterrichts  selbst 
nicht  massgebend  und  zuverlassig  seien! 
Ein  Kompliment  fiir  diese  betreffenden 
Herren  ist  das  wohl  nicht,  und  warum 
ersetzt  man  dieselben  nicht  durch  kom- 
petentere  Krafte? 

Das  neue  Amt  wird  ubrigens,  wie 
wir  von  einem  der  Inhaber  desselben 
erfahren,  keineswegs  eine  Sinekure 
sein,  denn  Dr.  Boone  stellt  sehr  hohe 
Anforderungen  an  seite  Assistenten. 
Ausser  der  taglichen  Beaufsichtigung 
des  Unterrichts  haben  die  beiden  Her- 
ren wochentliche  Versammlungen  nach 
der  Schulzeit  mit  gewissen  Klassenleh- 
rern  abzuhalten,  wobei  sie  die  verschie- 
denen  Unterrichtsfacher  d.  h.  der  Er- 
teilung  derselben  nach  neuester  Mode 
und  Methode  zu  erklaren,  resp.  prak-  f. 
tisch  vorzufiihren  haben.  Dr.  Boone  / 
besteht  namlich  darauf,  dass  sein  se;/ 
einem  Jahre  mit  mehr  oder  weniger 
Gliick  erprobter  und  viel  bejammerter 
Reform-Lehrplan  nunmehr  strikt  be- 
folgt  werde,  besonders  inbezug  auf  Ab- 
teilung  der  Klassen  in  obere  und  untere 
Halften,  sowie  auf  die  halbjahrliche 
Versetzung  der  Schuler.  Es  muss  hier 
namlich  eingeschaltet  werden,  dass  das 
Spezial-Komitee  des  Schulrats.  welches 
seit  vielen  Wochen  unter  Verhor  einer 
grossen  Anzahl  von  Lehrern  und  Prin- 
zipalen  untersuchte,  ob  Dr.  Boones 
Lehrplan  praktisch  und  mit  Erfolg 
durchgefuhrt  werden  k6nne,  berichtete, 
dass  dies  mit  einigen  geringfiigigen 
Abanderungen  sehr  wohl  moglich  sei. 
Die  vielen  Klagen  uber  Unausfiihrbar- 
keit  des  Studienplans,  sowie  die  zahl- 
losen  Abanderungsvorschlage  miissen 
somit  verstummen. 

Einer  der  beiden  Assistenten  ist  spe- 
ziell  dazu  bestimmt,  dass  er  neben  dem 
englischen  auch  den  deutschen  Unter- 
richt  iiberwache.  Dr.  H.  H.  Pick,  ein 
besonders  in  der  deutschamerikani- 
schen  Lehrerwelt  wohl  bekannter  und 
geachteter  Padagoge  und  Litterat,  ist 
fiir  diesen  Posten  ausersehen.  Wenn 
es  Herrn  Pick  gelingt,  neben  der 
Ueberwachung  des  Unterrichts  ver- 
schiedenen  deutschen  Lehrkraften  et- 
was  mehr  Korpsgeist  beizubringen,  auf 
dass  sie  z.  B.  eifriger  die  Lehrerver- 


sammluneen  besuchen  und  sich  iiber- 
haupt  reger  an  deutschen  Bestrebungen 
bethatigen,  wie  dies  letztes  Jahr  von 
Schulrat  Schwaab  so  eindringlich  p-e- 
wiinscht  wurde,  wenn  er  ausserdem  ge- 
wisse  deutsche  Lehrkrafte  zum  griind- 
licherem  Studium  der  deutschen 
Sprache  veranlassen  kann,  wenn  dies 
alles  Herrn  Dr.  Pick  gelingt,  dann  wird 
er  jedenfalls  seine  hohe,  verantwort- 
ungsvolle  Aufgabe  aufs  gliicklichste 
losen,  und  seine  Stellung  sich  zum  Heil 
und  Seeren  fiir  das  deutsche  Departe- 
ment  der  offentlichen  Schulen  erweisen. 
Der  Korrespondent  und  mit  ihm  die 
gesamte  deutsche  Lehrerschaft  wiinscht 
gliicklichsten  Erfolg!  (Wir  begriissen 
die  Ernennung  unseres  lieben  Freundes 
und  Kollegen  Dr.  Pick  mit  Freuden 
und  begliickwiinschen  ihn  von  ganzem 
Herzen.  Er  ist  in  ein  Amt  gelangt, 
das  ihm  manche  schwierige  Aufgabe 
stellen  wird,  aber  wir  sind  iiberzeugt, 
dass  es  ihm  gelingen  wird,  diese  Auf- 
gaben  zu  losen  und  segensreich  fiir 
unsere  Sache  wie  bisher,  so  auch  in 
seinem  erweiterten  Wirkungskreise  zu 
schaffen.  D.  R.) 

DieUntersuchungunserer 
Schulhauser  betreffs  ihres  sani- 
taren  Zustandes,  die  ein  medizinischer 
Schulrat  auf  Betreiben  eines  hiesigen 
,,gelben"  englischen  Nachmittags- 
blattes  seit  Monaten  vorgenommen  und 
seinen  ,,Befund"  regelmassig  unter 
extra  fetter  Reklame-Ueberschrift  natiir- 
lich  in  demselben  Sensationswisch  be- 
kannt  gab,  hat  bitterboses  Blut  in  einer 
der  letzten  Sitzungen  des  Schulrats  ge- 
macht.  Die  Herren  Erziehungsrate 
wurden  besonders  arg  aufgebracht  und 
hochst  ungemiitlich,  als  ein  Vertreter 
des  Business  Men's  Clubs,  der  seine 
Nase  in  diese  Angelegenheit  hinein- 
stecken  zu  miissen  glaubte,  dem  Schul- 
rat in  sehr  unparlamentarischen  Aus- 
driicken  seine  Meinung  sagen  wollte, 
weil  die  Korperschaft  die  Sache  ver- 
schob. 

Verschiedene  Schulhauser  mbgen  un- 
zweifelhaft  in  hygienischer  Hinsicht 
vieles  zu  wiinschen  iibrig  lassen,  da 
sollten  aber  Beschwerden  oder  Bericht 
dariiber  in  anderer  Form  und  an  zu- 
standiger  Stelle  unterbreitet  werden. 
Die  Berichte  zuerst  in  der  Presse  zu 
veroffentlichen  und  dabei  in  teilweise 
ungenauer  und  aufgebauschter  Weise, 
riecht  doch  ziemlich  stark  nach  No- 
torietatssucht. 

In  zwei  Wochen  wird  wiederum  zur 
Eroffnung  der  Schulen  die  sogenannte 
Normalwoche  oder  das  Lehrerinstitut 
abgehalten.  Ein  Abweichen  von  bis- 


TSrief hasten —  Umscbau. 


305 


heriger  Gepflogenheit  wird  dabei  in  so 
fern  stattfinden,  als  dieses  Mai  keine 
auswartige  Redner  von  grosserer  oder 
kleiner  padagogischer  Prominentenhaf- 
tigkeit  ihre  Weisheit  yerzapfen.  Man 
begniigt  sich  heuer  mit  einheimischen 
Talenten.  Supt.  Boone  und  seine  bei- 
den  Assistenten  werden  das  ganze  In- 
stitut  selbst  leiten  und  die  Lehrerschaft 
mit  padagogischem  Wissen  fur  das 


kommende  Schuljahr  erfullen.  In  der 
deutschen  Abteilung  werden  ausser  Dr. 
Fick  die  Herren  Fuchs  und  Kramer 
Vortrage  halten. 

Nach  dem  viertagigen  Leherinstitut 
wird  noch  eine  yplle  Woche  mit  den 
Vorbereitungen  fur  die  Blumenparade 
vertrodelt,  alsdann  wird  man  so  allge- 
mach  mit  dem  Unterricht  anfangen. 
Nur  keine  Ueberstiirzung! 


III.     Briefkasten. 


J-,  S  a  g  i  n  a  w.  Ihr  Bericht  kam 
leider  fiir  die  Juninummer  zu  spat  und 
ist  wohl  jetzt  post  festum.  Hoffentlich 


horen  wir  recht  bald  wieder  aus  Ihrem 
Thale. 


IV.     Umschau. 


Belleville,  111.  Am  16.  Juni 
d.  J.  verstarb  Emil  Feigenbutz,  Diri- 
gent  des  ,,Liederkranz"  und  Musik- 
lehrer.  Im  Jahre  1869  kam  er  als 
Lehrer  des  Deutschen  und  des  Ge- 
;<anges  nach  Belleville,  legte  aber  nach 
4  Jahren  dieses  Amt  nieder  und  uber- 
nahm  die  Leitung  des  damals  neuge- 
grundeten  Gesangvereins  ,,Lieder- 
kranz,"  die  er  mit  Ausnahme  von  zwei 
Jahren,  wahrend  welcher  er  auf  dem 
Musikkonservatorium  zu  Frankfurt 
dem  Studium  oblag,  bis  zu  seinem  Tode 
inne  hatte.  Unter  seiner  Fuhrung  ent- 
wickelte  sich  ein  reges  musikalisches 
Leben  in  Belleville,  in  ihm  vereinigten 
sich  die  Vorziige  eines  ebenso  tuchti- 
gen  Padagogen  wie  eines  Musikers. 
Sein  Leichenbegangnis  gab  den  klar- 
sten  Beweis  von  der  Liebe  und  Ver- 
ehrung,  die  der  Verstorbene  sich  durch 
seine  Wirksamkeit  erworben  hatte. 

James  Earl  Russel,  Dekan  des 
Teachers'  College  und  Professor  der 
Erziehungsgeschichte  an  der  Columbia 
Universitat,  hielt  am  Schluss  des  Som- 
merkursus  an  der  Staatsuniversitat  von 
Californien  zu  Berkeley  eine  Ansprache, 
der  wir  folgenden  Passus  entnehmen: 

"Teachers  are  as  a  class  the  most 
bigoted  and  narrowminded  set  of  peo- 
ple I  know  of.  This  comes  from  the 
fact  that  we  spend  our  lives  always 
looking  down.  The  lawyer  finds  him- 
self brought  against  his  equal  at  every 
turn.  He  must  see  things  clearly,  sharp- 
ly and  keenly.  This  constant  intershock- 
ing  with  his  equal  broadens  him, 
lengthens  him,  deepens  him.  It  is  the 
same  with  the  business  man,  the  phy- 
sician, even  the  minister.  All  of  these 


men  are  subject  to  criticism.  This  is 
just  what  the  teacher  lacks,  living  all 
alone,  day  after  day,  on  the  hill  or  plain, 
meeting  only  little  children,  becoming 
narrower  and  narrower.  His  life  lacks 
the  association  that  brightens  and  in- 
spires. I  wonder  really  that  any  of 
them  ever  get  up.  It  is  for  such  of 
those  as  feel  the  pressure  of  that  life, 
who  desire  quickening  influences  and 
inspiration  that  the  summer  school 
exists." 

"We  are  not  only  narrow,  however; 
we  are  too  docile,  too  obedient.  In  no 
other  profession  is  such  abject  submis- 
sion displayed.  We  cringe  before  the 
ward  politician.  We  submit  because 
we  are  narrow. 

"And  one  of  the  reasons  for  this  state 
of  things  is  that  we  are  incompetent. 
We  are  not  able  to  do  the  work  we  are 
expected  to  do.  We  are  not,  as  a  class, 
fitted  to  occupy  the  place  we  do.  We 
do  not  know  enough  of  the  subjects 
that  we  are  teaching.  As  I  look  about 
me,  I  doubt  if  things  could  really  be 
worse.  We  do  not  know  the  subjects 
that  we  are  trying  to  teach,  and  if  we 
did,  we  would  not  know  how  to  teach 
them." 

Hat  der  Herr  wohl  in  manchen 
Punkten  Recht? 

Dr.  Nathan  C.  Schaeffer, 
Staats-Schulsuperintendent  von  Penn- 
sylvania, ist  vom  Gouverneur  des 
Staates  fiir  dieses  Amt  wiederernannt 
worden.  Herr  Schaeffer  hatte  dasselbe 
bereits  zwei  Termine  inne,  und  die  zahl- 
reichen  Petitipnen  gerade  aus  Lehrer- 
kreisen  beweisen,  dass  er  der  rechte 
Mann  am  rechten  Platze  ist. 


306 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


Chicago.  Einen  schlauen  Schach- 
zug  that  der  Schulrat  der  offentlichen 
Schulen  durch  die  Wiederwahl  des 
Schulsuperintendenten  Cooley  zwei 
Monate  vor  Ablaut  seines  gegenwarti- 
gen  Amtstermins.  Dadurch  wird  Herr 
Cooley  frei  von  Einfliissen  von  seiten 
der  Stellung  suchenden  Lehramtskan- 
didaten  und  deren  Freunde. 

Philippineninseln.  Der 
amerikanische  Schulmeister  wird  sich 
allem  Anscheine  nach  bald  die  Herzen 
der  Bewohner  erobern.  Die  Regierung 
thut  aussergewohnlich  viel  fur  das  Un- 
terrichtswesen.  Im  letzten  Philip- 
pinenetat  sind  anderthalb  Millionen 
Dollar  mehr  fur  Schulzwecke  ausge- 
worfen  als  je  zuvor,  und  annahernd 
loco  amerikanische  Lehrkrafte  werden 
nach  den  Inseln  geschickt,  da  ungefahr 
ebensoviel  neue  Schulen  gegrUndet 
werden  sollen.  In  Manila  wird  ausser- 
dem  ein  Lehrerseminar  und  eine  Ge- 
werbeschule  errichtet  und  auf  der  Insel 
Negro  eine  Ackerbauschule.  Natiirlich 
ist  ausser  der  Sprache  der  Bewohner 
des  Inselreiches  auch  die  englische  obli- 


im  Juli  d.  J.  in  Berlin  stattfand  und  von 
samtlichen  deutschen  Staaten,  sowie 
von  Oesterreich  beschickt  war,  werden 
Einzelheiten  von  den  Beschlussen  be- 
kannt.  Das  wichtigste  ist,  dass  kunftig 
in  deutschen  Wortern  th  uberhaupt 
nicht  mehr  geschrieben  werden  soil. 
Mithin  schreibt  man:  Tal,  Taler,  Ton 
(der  musikalische  Ton  und  der  vom 
Topfer  bearbeitete  werden  also  gleich 
geschrieben  und  die  Bedeutung  muss 
aus  dem  Inhalte  des  Satzes  erkannt 
werden),  Tor  (der  und  das),  Tran, 
Trane,  tat  und  Tat,  Untertan,  Tiir. 
Dagegen  bleibt  th  in  Fremdw6rtern 
aus  dem  Griechischen  und  Lateini- 
schen,  z.  B.  Thermometer,  Thema, 
Theater,  Apotheke.  Die  Endung  ,,ieren" 
(zitieren,  fungieren)  behalt  das  e.  Die 
Schulen  werden  die  neue  Rechtschrei- 
bung  wohl  schon  am  i.  Januar  1902 
einfuhren.  Das  neue  Worterbuch  wird 
von  dem  Gymnasialdirektor  Dr. 


Duden-Hersfeld  bearbeitet  werden,  der 
damit  am  Ende  seiner  orthographischen 
Einheitsbestrebungen     steht. 
I7   Antwerpen.       Der     gegen     500 

gatorisch.  Religionsunterricht  "  wird  /vlamische  Lehrer  und  Lehrerinnen 
ausgeschlossen,  und  alle  Schulbiicher  /  zahlende  Verem  ,,Diesterweg"  veran- 
und  sonstige  Schulbediirfnisse  werder/  staltete  zum  Besten  der  Fenenkolomen 
gratis  geliefert.  Allen  Berichten  aus  fur  kiankliche  Schuler  der  Antwerpener 

Schulen  am  i.  April  ein  grosses  Kon- 
zert,  welches  dem  Konnen  des  Leher- 
gesangvereins  das  glanzendste  Zeugnis 
ausstellte  und  einen  Reinertrag  von 


dem  Inselreich  zufolge  sind  die  Philip- 
pines sehr  erstaunt  iiber  die  Riihrigkeit 
der  Amerikaner  auf  diesem  Gebiete,  die 
ganz  im  Gegensatz  zu  den  spanischen 
Methoden  steht. 

Die  Deutsche  Zeitschrift 
fiir  Au  s  1  an  d  i  s  ch  e  s  Unter- 
richtswesen  (Redakteur  Prof.  Dr. 
J.  Wychgram)  hat  nach  sechsjahrigem 
Bestehen  mit  der  Julinummer  zu  er- 
scheinen  aufgehort. 

Am  31.  Juli  d.  J.  verstarb 
Dr.  B  o  s  s  e,  gewesener  Kultusmi- 
nister  Preussens,  im  Alter  von  70  Jah- 
ren  Nachst  dem  vor  Jahresfrist 
dahingegangenen  Dr.  Falk  hatte  er  es 
verstanden  durch  seine  Amtsfuhrung 
sich  die  Zuneigung  der  preussischen 
Lehrerschaft  zu  erwerben.  Besonders 
war  es  ihm  gelungen,  trotz  des  Wider- 
streites  der  verschiedenen  Interessen 
im  preussischen  Landtage  ein  Bespl- 
dungsgesetz  durchzubringen,  das  eine 
erhebliche  Verbesserung  der  materiel- 
len  Lage  der  Lehrer  bedeutete.  Dieses, 
sowie  sein  allzeit  freundliches  und  ent- 
gegenkommendes  Wesen  hat  ihm  in 
dem  Herzen  jedes  Lehrers  ein  bleiben- 
des  Denkmal  gesetzt. 

Aus  der  Rechtschrei- 
bungs  -  Konferenz.  Von  der 
Rechtschreibungs-Konferenz,  welche 


2800  Franken  erbrachte.  Wahrend  der 
Verein  bisher  die  einzelnen  Abteilungen 
seiner  Ferienkolonisten  an  verschiede- 
nen Orten  des  Landes  auf  einige 
Wochen  unterbrachte,  hat  er  jetzt  den 
Plan  gefasst,  ein  eigenes  geraumiges 
Landgut  zur  bestandigen  Aufnahme 
schwachlicher  Schulkinder  zu  erwer- 
ben, vorausgesetzt,  das  die  mildthati- 
gen  Gaben  so  reichlich  fliessen,  als  man 
erwartet. 

Seit  einigen  Monaten  besteht  in  Ant- 
werpen ein  ,,Verein  deutscher  Lehrer," 
der  alle  deutschen  Lehrer  der  Stadt  und 
ihrer  Umgebung  in  sich  vereinigt,  zu 
dem  auch  die  deutschen  Lehrer  in 
Briissel  enge  Fiihlung  genommen 
haben.  Der  Verein  hofft,  mit  der  Zeit 
samtliche  deutschen  Lehrer  im  Aus- 
lande  zu  einer  festen  Organisation  zu- 
sammenzuschliessen,  und  die  Sache  der 
deutschen  Auslandsschulen  und  beson- 
ders  die  Sicherstellung  ihrer  Lehrer 
nachdriicklich  zu  fordern. 

Danemark.  Was  in  keinem  an- 
derem  Lande  mOglich  ist,  das  geschah 
jtingst  im  demokratischen  Danemark. 
Ein  Volksschullehrer  vertauschte  kurz- 
lich  das  Dorfschulkatheder  mit  dem 


Vermiscbtes. 


307 


Ministersessel.  Es  ist  dies  der  jetzige 
Minister  des  Kultus  und  Unterrichts, 
namens  Christensen  Stadil.  Er  ging 
nach  der  ,,Voss.  Ztg."  aus  einem 
Bauernhause  hervor,  besuchte  die 
Volksschule  und  das  Lehrerseminar 
und  war  bis  vor  kurzem  Lehrer  in 
einem  Dorfe  Westjutlands.  Im  Jahre 
1887  wurde  er  Mitglied  der  Linken  im 
Folkething  (Reichstag),  bekleidete 
spater  den  Posten  eines  Staatsrevisors 
und  erhielt  jungst  bei  der  Neukonsti- 
tuierung  des  Ministeriums  die  wichtige 
Stelle  des  Kultusministers.  Hoffentlich 
steht  uber  seinen  einstigen  Nachrufen 
in  danischen  Lehrerzeitungen  nicht: 
,,Apostata"  ! 


S  p  a  n  i  e  n.  In  Valencia  haben  sich 
die  Volksschullehrer,  die  schon  seit  2 
Jahren  keinen  Gehalt  bekommen  haben, 
zum  Streik  entschlossen.  Den  Kindern 
ist  damit  ein  grosser  Gefallen  erwiesen 
worden,  und  die  Stadtgemeinde  scheint 
sich  von  dieser  Masregel  auch  nicht 
schwer  betroffen  zu  fuhlen.  Allem 
Anscheine  nach  wird  der  Streik  den 
Lehrern  nicht  zu  ihrem  Rechte  ver- 
helfen,  denn  in  Spanien  ist  es  schon 
zur  allgemeinen  Volkssitte  geworden, 
den  Lehrern  den  Gehalt  schuldig  zu 
bleiben. 


V.     Vermischtes 


Wie  Schiller  sprach.  Diese 
Frage  wird  mancher  Leser  sehr  leicht 
beantworten  zu  konnen  glauben: 
Schiller  sprach  eben  wie  er  schrieb,  das 
ist  doch  selbstverstandlich.  Das  ist 
nun  freilich  keineswegs  selbstverstand- 
lich, und  es  trifft  auch  bei  Schiller  gar 
nicht  zu,  ebensowenig  wie  bei  irgend 
einem  andern  Dichter.  Die  Vorstel- 
lung,  die  wir  Nachgeborenen  uns  von 
der  PersOnlichkeit  dieses  Dichters  zu 
machen  gewohnt  sind,  wenn  wir  seine 
Werke  lesen,  wird  iiberhaupt  bald  zer- 
stort,  wenn  wir  horen,  was  seine  Zeit- 
genossen  uber  ihn  berichten.  Das  Pa- 
thetische  war  seinem  Wesen  fremd,  und 
vollends  die  Art,  wie  er  das  Deutsche 
aussprach,  muss  auf  den  Zuhorer  einen 
Eindruck  gemacht  haben,  der  demjeni- 
gen  durchaus  entgegengesetzt  ist,  den 
die  Sprache  seiner  Dichtungen  auf  uns 
macht.  Schiller  stammt  aus  dem 
schwabischen  Stadtchen  Marbach  a. 
N. ;  das  legt  von  vornherein  die  Ver- 
mutung  nahe,  dass  er  zeitlebens  ge- 
schwabelt  hat.  Zu  Schillers  und 
Goethes  Zeit  war  der  Schauspieler 
Anton  Gnast  Regisseur  am  weimar- 
schen  Hoftheather.  Sein  Sohn  Eduard 
Gnast,  gleichfalls  Schauspieler,  berich- 
tet  in  seinen  Memoiren  auch  uber  die 
Thatigkeit  seines  Vaters  in  dieser  Stel- 
lung.  Als  in  Weimar  —  erzahlte  er  — 
am  14.  Mai  1800  zum  erstenmal  Shake- 
speares  ,, Macbeth"  in  Schillers  Bear- 
beitung  gegeben  wurde,  steigerte  sich 
der  Beifall  von  Akt  zu  Akt,  und 
namentlich  war  es  der  Darsteller  der 
Titelrolle,  der  Schauspieler  Voss,  der 
das  Publikum  begeisterte.  Nach  dem 
2.  Akt  eilte  Schiller  auf  die  Buhne. 
,,Wo  ischt  der  Voss?"  fragte  er,  und 


dann,  als  dieser  ihm  entgegenkam,  um- 
armte  er  ihn  und  sagte:  ,,Nein,  Voss*. 
Ich  muss  Ihne  sage,  meischterhaft! 
meischterhaft!  Aber  nun  ziehe  Sie  sich 
zum  3.  Akt  um!"  Voss  dankte  dem 
Dichter,  worauf  sich  dieser  an  den  Re- 
gisseur Gnast  wandte:  ,,Sehe  Sie, 
Gnascht,  wir  habbe  recht  gehabt!  Er 
hat  zwar  ganz  andre  Versch  gesprochc, 
als  ich  sie  geschriebe  hab,  aber  er  ischt 
trefflich."  Ein  andermal,  als  ein 
Schauspieler  Haide,  der  trotz  mehr- 
facher  Mahnungen  Goethes  immer 
wieder  in  den  hochsten  Tonen  seines 
Organs  deklamierte  und  heftig  mit  den 
Armen  gestikulierte,  Schillern  bei  einer 
Probe  seine  Griinde  dafur  auseinander- 
setzen  wollte,  rief  dieser  zornig:  ,,Ei 
was!  Mache  Sie's,  wie  ich's  Ihne  sage 
und  wie's  der  Goethe  habe  will!  Und 
er  hat  recht  —  es  ischt  a  Graus,  das 
ewige  Vagiere  mit  dene  Hand  und  das 
Hinauspfeife  bei  Recitation."  —  Aehn- 
liches  wird  uber  Schillers  Art  zu  spre- 
chen  auch  von  andern  berichtet.  (Vom 
stimmhaften  und  stimmlosen  ,,s"  hat 
der  Arme  also  offenbar  noch  nichts  ge- 
wusst.) 

Dem  Allerweltswort  ,,I  n  - 
t  e  r  e  s  s  e  und  seiner  weitverzweigten 
Sippe  hat  ein  Conner  des  Deutschen 
Sprachvereins  einen  ganzen  Druck- 
bogen  von  Verdeutschungen  gewidmet, 
der  die  Marznummer  der  Zeitschrift  als 
besondere  Beilage  begleitet.  Die  ganze 
Uebersicht  ist  eingeteilt  nach  den  zwolf 
Hauptwendungen  und  -verbindungen 
wie:  Das  Interesse,  ich  interessiere 
mich,  ich  interessiere  jemand,  im  In- 
teresse, interessant,  interessiert,  der 
Interessent  u.  s.  w.  —  wofur  alles  in 
allem  nahe  an  800  gut  deutsche  Aus- 


308 


P'ddagogiscbe  Monatsbejtti. 


driicke  aufgefiihrt  warden.  Es  ist  hier 
wohl  alles  zusammengetragen,  was  von 
deutschen  Wortern  irgend  einmal 
geeignet  und  berechtigt  scheinen 
mochte,  den  fremden  Eindringlingen 
den  Platz  streitig  zu  machen  oder  ihnen 
wenigstens  zurufen:  Sehet  her,  die 
deutsche  Sprache  ist  reich  genug,  um 
auch  ohne  euch  auszukommen!" 

Die  Ergebnisse  des  Ausganges  vori- 
gen  Jahres  vom  Zweigverein  Berlin- 
Charlottenburg  des  Allgemeinen  Deut- 
schen Sprachvereins  verkiindeten  Preis- 
ausschreibens,  die  beste  Verdeutschung 
von  10  FremdwOrtern  betreffend,  liegen 
jetzt  in  folgenden  preisgekronten  deut- 
schen Neuwortern  vor:  Baby  — 
Kleinling;  Couplet  —  Schelmenlied; 
Pedal  (am  Fahrrade)  —  Tritt;  Swea- 
ter (als  Kleidungsstiick)  —  Sport- 
warns;  Rochade,  rochieren  —  a.  Konig- 
sprung,  den  Konig  springen  lassen;  b. 
Frobenzug,  den  Frobenzug  machen; 
Record  —  Stand;  Reclame  —  Verkund. 
Bei  drei  anderen  FremdwOrtern  musste 
von  einer  Preisverteilung  abgesehen 
werden:  fiir  Concours  hippique  ist  eine 
bessere  als  die  schon  gebrauchliche  , 
Verdeutschung  ,,Ross-  und  Wagen-^/ 
schau"  nicht  eingegangen;  auch  dr/ 
fiir  Amateur  schon  gebrauchte  ,,Liob- 
haber"  wird  von  keinem  der  einge- 
sandten  Worter  ubertroffen;  und  zu 
Hotelrestaurant  ist  kein  fiir  den  Be- 
griff  hinreichendes  Deckwort  vorge- 
schlagen  worden. 

Das  Frankfurter  ,,als"  als 
abschreckendes  Beispiel. 
Die  Stunde  ist  als  x  noch  nicht  herum; 
ich  wollte  es  ware  als  2  wieder  Pause. 
Dann  springen  wir  als  3  im  Hof  herum 
und  spielen  auch  als 4.  Wir  kampfen 
als  4  als  Buren  und  Englander.  Es  wol- 
len  mehr  Knaben  als  Buren  als  6  als 
Englander  mitspielen,  da  gehe  ich  als  6 
zu  den  Englandern.  Als  Gewehre 
nehmen  wir  uns  als  4  St6cke,  die  wir 
als 2  morgens  mitbringen.  In  der 
Pause  geht  ein  Lehrer  als  Aufseher 
als  3  auf  und  ab,  und  spielt  auch  als  4 
mit.  Als  es  gestern  regnete,  gingen 
wir  als 7  in  das  Treppenhaus,  bis  es 
schellte.  Der  Pedell  fragte,  was  wir 
als  8  gespielt  hatten  und  wer  als  8  mit- 
gespielt  hatte.  Frankfurter  Schulztg.) 


1  immer.  2  schon.  3  immerwahrend. 
4  zuweilen.  5  denn,  wie.  6  echon  gut  ge- 
nug,  zufrieden  damit.  7  einstweilen. 
8  zum  Beispiel.  »  doch. 

Gegen  den  i  n  t  e r n a t i o n a - 
len  S  c  h  iil  e  r  b  r  i  e  f  w  e  c  h  s  e  1 
wendet  sich  Dr.  J.  Hertel  im  2.  Heft 
der  Padag.  Studien.  Proben  aus  Brie- 


fen  franzosischer  Schiiler  gebend,  weist 
er  den  zweifelhaften  Wert  einer  solchen 
Korrespondenz  fiir  die  Sprachbildung 
deutscher  Schiiler  nach.  Auch  macht 
er  darauf  aufmerksam,  dass  der  Brief- 
wechsel  geradezu  gefahrlich  sei  fiir  die 
Sittlichkeit  der  Schiiler,  weil  die  kleinen 
Korrespondenten  zumeist  wenig  erbau- 
liche  Sachen  beriihrten  und  gerade  der- 
artige  Schriftstiicke  sich  der  Kontrolle 
seitens  der  Eltern  und  der  Lehrer  ent- 
zogen. 

Ein  bisher  unbekanntes 
Gedicht-  Ernst  Moritz 
A  r  n  d  t  s  veroffentlicht  Pfarramtskan- 
didat  Max  Henze  im  Thiirmer.  Das 
Original,  ein  yergilbtes  Albumblatt, 
befindet  sich  im  Besitze  der  Frau 
Pastor  Meyer  in  Gottberg  i.  Pomm. 
und  lautet: 

Was  ist  Liebe?     Eine  zarte  Blume, 
Die  zerflattert,  wenn  die  Hand  sie 

pfliickt, 

Eine  Gottin,  die  im  Heiligtume 
Nur    durch    Anschaun    Sterbliche 

beglvickt, 
Eine     Biene,     die     mit     leichtem 

Wallen 
Wenig    Stunden    um    die    Kelche 

summt, 

Eine   Melodic   der   Nachtigallen, 
Die  nach  kurzem  Lenz  verstummt. 
Was     ist     Freundschaft,     was     ist 

Seelengiite, 

Was  der  Herzen  siisse  Sympathie? 
Ach!     aus     bessern    Welten     eine 

Bliite, 

In  der  Erde  Liiften  reift  sie  nie. 
Was  ist  Tugend?  in  dem  Lumpen- 

kittel 
Predigt  sie:  ein  Nichts  ist  Ruhm 

und  Gold! 
Was  ist  Wahrheit?  in  dem  Narren- 

spittel 

Reicht  man  ihr  den  Gnadensold. 
Templin  in  der  Mark,  den  19.  X.  1799. 
Leben  Sie  gliicklich  und  denken  Sie 
unserer  frohen  Reise  und  Ihres  Lands- 
mannes 

Ernst  Moritz  Arndt  aus  Riigen. 
S  po  r  t  s  m  a  s  s  i  g.  A. :  ,,Wie  sind 
Sie  denn  mit  Ihrem  neuen  Vorgesetz- 
ten  zufrieden?"  —  B.:  ,,Ach.  das  ist 
ein  Radfahrer  ersten  Ranges!"  —  A.: 
,,Wie  meinen  Sie  das?"  —  B-:  ,,Ganz 
einfach:  Nach  oben  hin  ein  krummer 
Riicken  und  nach  unten  hin  lauter 
Fusstritte?" 

Humor.  Vater  (der  seinem  Jungen 
bei  der  Aufgabe  geholfen  hatte): 
,,Nun  was  hat  der  Lehrer  zu  der  Ueber- 
setzung  gesagt?"  —  Emil:  ,,Er  hat  ge- 
sagt,  dass  ich  jeden  Tag  diimmer 
werd'." 


Biicherschau. 


I.     Biicherbesprechungen. 


Praparationen  f  ii  r  den  g  e- 
ographischen  Unterricht 
an  Volksschulen.  Fiinf  Teile. 
Ein  methodischer  Beitrag  zum  erzie- 
henden  Unterricht.  Von  Julius 
Tischendorf.  Verlag  von  Ernst 
Wunderlich,  Leipzig. 
Der  erste  Teil  des  Werkes  behandelt 
das  Konigreich  Sachsen,  der  zweite 
und  dritte  Deutschland,  der  vierte  Eu- 
ropa,  und  der  fiinfte  Amerika,  Asien, 
Afrika  und  Australien.  Uns  lagen  nur 
der  vierte  und  der  fiinfte  Teil  vor,  und 
wir  beschranken  unsere  Besprechung 
hauptsachlich  auf  den  Abschnitt  des 
fiinften  Teiles,  der  den  Erdteil  Ameri- 
ka behandelt.  Der  Verfasser  geht  rich- 
tig  von  der  Ansicht  aus,  dass  auch  der 
Geographieunterricht  sich  soviel  als 
moglich  auf  Anschauung  zu  stiitzen 
hat;  er  setzt  voraus,  dass  neben  Glo- 
ben,  Tellurien  und  Wandkarten  auch 
Sammlungen  von  geographischen 
Charakterbildern,  von  auslandischen 
Kulturpflanzen  und  Tieren,  vielleicht 
sogar  eine  Mineraliensam  m  lung  dem 
Lehrer  der  Geographieklasse  zur  Ver- 
fiigung  stehen.  Da  die  Praparationen, 
nach  des  Verfassers  Worten,  nicht  nur 
den  einfachen,  sondern  auch  den  mitt- 
leren  und  hoheren  Volksschulen 
Handreichung  thun  sollen  und  dem 
Lehrer  ausserdem  die  Auswahl  des 
Stoffes  selbstverstandlich  iiberlassen 
bleiben  muss  ,so  enthalt  der  fiinfte 
Teil  nicht  gerade  zu  viel  Stoff. 

Wir  wollen  an  der  Hand  der  ,,Pra- 
parationen"  zeigen,  wie  in  einer 
Volksschule  Deutschlands  der  Erdteil 
Amerika  behandelt  werden  mag,  und 
unsere  kritischen  Bemerkungen  wol- 
len wir  sofort  da,  wo  sie  uns  am  pas- 
sendsten  erscheinen,  anbringen. 

Der  Geschichtsunterricht  hat  die 
Behandlung  dieses  Erdteils  unmittel- 
bar  veranlasst.  Mit  Hilfe  der  Karte 
erhalten  die  Schiller  einen  vorlaufigen 
Uberblick  iiber  die  Lage  ,  die  Gliede- 
rung  und  Gestalt,  die  Bodenbeschaf- 
fenheit  und  die  Bewasserung  des  Erd- 
teils (Nord-  und  Siidamerika) .  Dann 
schreitet  der  Lehrer  zunachst  zur  Be- 
trachtung  der  von  Columbus  gefunde- 
nen  westindischen  Inseln.  Dem  Schil- 
ler wird  ausfiihrlich  mitgeteilt,  dass 
die  Inseln  zur  Zeit  des  Columbus 
schon  und  fruchtbar,  aber  trotz  ihrer 
Fruchtbarkeit  wenig  angebaut  waren, 
dass  sie  arm  an  vierfiissigen  Tieren 


und  stark  bevolkert  waren;  dass  West- 
indien  heute  sorgfaltig  angebaut, 
doch  nicht  mehr  so  fruchtbar  wie 
einst  ist,  dass  die  Bewohner,  die  Co- 
lumbus vorfand,  ausgestorben  sind, 
und  dass  die  Inseln  nicht  mehr  im  Be- 
sitze  der  Spanier  sind.  Kaffee-,  Zuk- 
ker-  und  Tabak-Plantagen  werden 
recht  anziehend  geschildert,  und  auf 
Seite  10  eilt  der  Verfasser  der  Zeit 
voraus,  indem  er  Cuba  bereits  zu  ei- 
ner amerikanischen  Besitzung  macht. 

Dann  lernt  der  deutsche  Schiiler  das 
Festland  kennen,  das  Columbus  bei 
seiner  dritten  Eeise  entdeckte.  Nach 
einer  jetzt  bereits  genaueren  Orien- 
tierung  wird  ihm  eine  lebendige 
Schilderung  einer  Keise  iiber  die  Cor- 
dilleren  von  Lima  aus  dargeboten; 
dann  halt  er  sich  einen  Tag  und  eine 
Nacht  lang  im  siidamerikanischen  Ur- 
walde  am  Amazonenstrom  auf;  hier- 
auf  besieht  er  sich  die  Llanos  als 
Staubgebilde,  als  Grasmeer  und  als 
Wasserflache;  und  endlich  besucht  er 
auch  die  Pampas.  Das  gewonnene 
Material  wird  zusammengestellt,  ver- 
glichen  und  geordnet,  geographische 
Wahrheiten  werden  gefunden  und 
eingepragt.  tJberall  zeigt  sich  des 
Verfassers  Bestreben,  die  innige 
Wechselwirkung  zwischen  Mensch 
und  Tier  und  Natur  nach  Gebiihr  her- 
vorzuheben.  Lobend  zu  erv^ahnen  ist, 
dass  jedes  neu  auftretende  geographi- 
sche Fremdwort  in  seine  Bestandteile 
zerlegt  und  erklart  wird,  ein  mnemo- 
technisches  Hilfsmittel,  das  vielfach 
unterschatzt  wird.  Die  Staaten  Siida- 
merikas  erhalten  gebiihrende  Erwah- 
nung,  und  diejenigen  Mittelamerikas 
w^erden  aufgezahlt. 

Hierauf  lernt  der  deutsche  Schiiler 
Mexiko  naher  kennen,  das  Land,  das 
die  Hoffnungen  der  Spanier  erfiillte. 
Den  Raubzug  der  grausamen,  habgie- 
rigen  Spanier  unter  Cortez'  Fiihrung 
nennt  der  Verfasser  der  ,,Praparatio- 
nen  etc."  eine  ,,Erwerbung"  Mexikos. 
Zu  den  Erwerbszweigen  der  Mexika- 
ner  vrird  neben  der  Pflege  des  Kakao- 
baumes  und  der  Ziichtung  der  Koche- 
nillelaus  auch  der  Baumwollenbau  ge- 
rechnet.  Letzterer  ist  in  Mexiko  von 
ganz  untergeordneter  Bedeutung;  da- 
gegen  hatte  der  Tabakbau,  der  ausser- 
ordentlich  zugenommen  hat,  erwahnt 
werden  miissen.  Wenn  der  Schiiler 
von  der  Anpflanzung,  dem  Wachstum, 


310 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


dem  Lesen,  der  Ausscheidung  der  Sa- 
men  tmd  der  Verpackung  der  Baum- 
wolle  ein  getreues  Bild  erhalten  soil, 
dann  muss  er  warten,  bis  er  zu  den 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika 
kommt.  Denn  dorthin  gehort  die 
Baumwolle ! 

Ehe  der  deutsche  Schiiler  nun  Nord- 
amerika  kennen  lernt,  muss  er  mit 
seinem  Lehrer  die  Reise  iiber  das 
Weltmeer  machen.  Er  sieht  sich  die 
Einrichtungen  auf  dem  Schiffe  genau 
an,  und  in  New  York  steigt  er  ans 
Land.  Er  wandert  den  Broadway  ent- 
lang  und  sperrt  den  Mund  auf  vor  den 
Wolkenkratzern  oder  vor  den  grell  be- 
malten  Firmen-  und  Annoncenschil- 
dern.  Dann  biegt  er  in  die  Bowery 
ein  und  rennt  gegen  einen  ungeheu- 
ren  blanken  Holzstiefel  und  —  weiss 
nicht,  dass  er  hier  Stiefelwichse  kau- 
fen  kann.  Auf  der  Fifth  Avenue 
macht  er  die  Bekanntschaft  von  Leu- 
ten,  die  durch  den  Verkauf  verbesser- 
ter  Hosenknopfe,  praktischer  Stiefel- 
knechte,  oder  durch  ein  Mittel  gegen 
den  Schnupfen  sich  Millionen  erwar- 
ben. 

Nordamerika  wird  nun  nach  Lage 
und  Gestalt,  Gliederung,  Bodengestal- 
tung  und  Bewasserung  betrachtet. 
Mt.  Logan  in  den  Kaskaden  wird  mit 
5900  Metern  (19,357  Fuss)  kurzer 
Hand  der  hochste  Gipfel  Nordameri- 
kas  genannt.  Die  Vereinigten  Staaten 
schickten  vor  etwa  drei  Jahren  eine 
Gesellschaft  von  Forschern  nach 
Alaska,  um  einen  Berg  zu  messen,  von 
dem  man  berichtet,  dass  er  hoher  als 
der  St.  Eliasberg  sei.  (Der  St.  Elias 
wird  in  den  meisten  Schulgeographien 
noch  immer  der  hochste  Gipfel  des 
nordamerikanischen  Kontinents  ge- 
nannt.) Die  Forscher  fanden  den 
Berg,  den  die  Eingeborenen  Bulshaia 
nennen,  20,464  Fuss  hoch  und  gaben 
ihm  den  Namen  McKinley.  Wenn  die 
Messungen  richtig  sind,  ist  Mt.  Mc- 
Kinley hoher  als  Mt.  Elias  und  auch 
hoher  als  Mt.  Logan. 

Von  dem  Mississippi  wird  erzahlt, 
dass  an  den  Ufern  seines  Oberlaufes 
gewaltige  Urwalder  rauschen. 
,,Rausch  t  en"  wiirde  jedoch  richtiger 
sein,  denn  die  gewaltigen  Urwalder 
sind  langst  durch  die  Sagemuhlen  un- 
serer  Holzbarone  gegangen.  Lake 
Superior  bis  Lake  Ontario  heissen  in 
den  ,,Praparationen"  stets  die  ,,Kana- 
dischen  Seen".  Da  diese  Seen  zum 
Stromgebiet  des  St.  Lawrence  geho- 
ren,  so  lasst  sich  die  Berechtigung  fur 
diese  Bezeichnung  nicht  bestreiten. 
Aber  in  den  Schulen  der  Vereinigten 
Staaten  kennt  man  die  Seen  nur  unter 


dem  Namen  ,,die  fiinf  grossen  Binnen- 
seen",  und  die  Kraft  solcher  Namen, 
haben  sie  sich  einmal  eingebiirgert, 
ist  bekanntlich  gross. 

Der  Schiiler  sieht  sich  selbstver- 
standlich  die  Niagarafalle  an.  Hier- 
auf  reist  er  nach  Cincinnati,  das  man, 
so  wird  ihm  mitgeteilt,  ,,die  deutsche 
Hauptstadt  Amerikas"  nennt.  Das  ist 
u  n  s  allerdings  neu.  Aber  warum 
nennt  man  denn  Cincinnati  ,,die  deut- 
sche Hauptstadt  Amerikas"?  Lassen 
wir  die  ,,Praparationen"  selbst  reden: 
,,Sie  zahlt  mehr  als  100,000  Deutsche 
zu  ihren  Bewohnern.  Die  englische 
Sprache,  die  fast  uberall  in  Amerika 
die  vorherrschende  ist,  tritt  hier  hin- 
ter  die  deutsche  Sprache  zuruck.  Die 
Amerikaner,  Englander  und  I  r  r  lan- 
der (ein  hiibscher  Druckfehler!),  die 
in  der  Stadt  wohnen  ,lernen  Deutsch, 
um  mit  den  Deutschen  deutsch  reden 
zu  kdnnen,  und  befestigen  dann  an 
ihren  Laden  die  Inschrift:  ,Hier 
spricht  man  deutsch'."  —  Wohl  giebt 
es  in  Aro^icKa  (die  Ver.  Staaten  sind 
hier  £<rmeint)  Stadte,  in  denen  sich 
das  Verhaltnis  der  deutschen  Bewoh- 
ner  zu  dem  der  Bewohner  anderer  Na- 
tionalitaten  sogar  noch  giinstiger 
stellen  mag,  als  in  Cincinnati,  auch 
einige  Stadte,  in  denen  noch  weit 
mehr  als  100,000  Deutsche  wohnen, 
aber  nirgends  tritt  die  englische 
Sprache  hinter  die  deutsche  zuruck, 
es  sei  denn  in  rein  deutschen  Kreisen, 
von  denen  jedoch  hier  nicht  die  Rede 
ist.  Die  englisch-amerikanischen  Blat- 
ter erzahlen  sich  von  Zeit  zu  Zeit, 
dass  in  der  Stadt  Milwaukee,  die  eine 
zahlreiche  deutsche  Bevolkerung  hat, 
die  Kaufleute  vor  ihren  Auslegefen- 
stern  die  Worte  anbringen:  "English 
spoken  here",  aber  wird  man  solche 
Geschichtchen  ernst  nehmen?  Wir 
wollen  mit  dieser  Anekdote  nur  an- 
deuten,  dass  der  Verfasser  der  ,,Pra- 
parationen"  wenig  zuverlassige,  und 
oft  sehr  fernliegende  Quellen  bearbei- 
tet  hat,  eine  Behauptung,  die  wir  wei- 
ter  unten  noch  bekraftigen  werden. 
Wenn  es  ihm  darum  zu  thun  war,  eine 
richtige  Vorstellung  von  dem  Einfluss 
der  Deutschen  in  Amerika  zu  erwek- 
ken,  so  mussen  wir  leider  ausspre- 
chen,  dass  ihm  das  nach  unserer  Mei- 
nung  in  keiner  Weise  gelungen  ist. 

Die  Prairie  ist  das  nachste  Reise- 
ziel.  Der  deutsche  Schiiler  macht  die 
Bekanntschaft  der  Rothaut  und  gerat 
durch  einen  Prairiebrand  in  die  Stam- 
pede einer  Herde  von  Bisonten,  die  in 
den  ,,Praparationen"  schlechthin  Biif- 
fel  genannt  werden.  Der  Verfasser 
der  ,,Praparationen"  wird  sich  nicht 


Bticberbesprecbungen . 


311 


wenig  wundern,  wenn  er  erfahrt,  dass 
er  selbst  im  Waldorf  Astoria  fur  das 
schwerste  Geld  kein  Gericht  Biiffel- 
zungen  mehr  haben  konnte,  dass  der 
Bison  seit  der  Fertigstellung  der  Pa- 
cificbahnen  nicht  mehr  auf  der  Prai- 
rie, sondern  nur  noch  in  verstaubten 
Glaskasten  der  Museen  anzutreffen 
ist,  dass  unsere  Bundesregierung  ein 
paar  dieser  Tiere  im  Yellowstone 
Park  vergeblich  zu  erhalten  versucht; 
er  wird  nicht  wenig  staunen,  wenn  er 
vernimmt,  dass  die  Indianer  nicht 
mehr  frei  auf  der  Prairie  herumjagen, 
sondern  auf  besonderen,  von  unserer 
Bundesregierung  zu  dem  Zwecke  bei- 
seite  gesetzten  Landereien  wohnen. 

Der  Indianer  kommt  in  den  ,,Pra- 
parationen"  iiberhaupt  schlecht  weg. 
Ihm  werden  nichts  als  Unvugenden 
vorgeworfen.  Die  Wahrheit  ist  aber 
die:  Die  Indianer  bewohnten  einst- 
mals  das  Ganze  der  Staaten  Indiana, 
Ohio,  Illinois,  ja,  alle  Staaten.  Si« 
wurden  von  den  Weissen  von  ihren 
Wohnsitzen  vertrieben.  Sie  sind  eine 
edle  Basse  gewesen.  Wer  sie  einmal 
belogen  oder  betrogen  hatte,  dem 
schenkten  sie  nie  wieder  Vertrauen. 
Verstellung  und  Verfuhrung  blieben 
ihnen  fremd,  bis  sie  mit  den  Weissen 
in  Beriihrung  kamen.  Sie  waren 
schlicht  und  vertrauensvoll,  und  Gast- 
freundschaft  gait  ihnen  als  eine  hohe 
Tugend.  Obgleich  wild  und  grausam, 
veriibten  sie  doch  niemals  Treubruch, 
und  nie  missachteten  sie  die  Rechte 
anderer.  Sie  waren  tapfer  und  kilhn, 
und  Trunkenheit,  Faulheit  und  an- 
dere  Laster  der  Zivilisation  waren 
ihnen  vollstandig  fremd.  Seumes 
wahre  Erzahlung,  ,,Ein  Kanadier,  der 
Europens  iibertunchte  Hoflichkeit 
nicht  kannte",  bildet  nach  unserer 
Meinung  bessere  Anhaltspunkte,  den 
Charakter  der  Indianer  kennen  zu  ler- 
nen,  als  die  in  den  ,,Praparationen" 
enthaltene  widerliche  Mitteilung,  ein 
Indianer  habe,  um  zu  zeigen,  wie  sehr 
er  seinen  Freund  schatze,  einige 
Schlucke  Branntwein  in  den  Mund  ge- 
nommen,  dann  einen  Stammesgenos- 
sen  umarmt  und  ihm  aus  seinem 
Munde  den  Schnaps  eingeflosst. 

Eine  Reise  auf  der  ersten  gebauten 
Pacificbahn  bringt  den  deutschen 
Schtiler  endlich  an  den  Stillen  Ozean. 
Wahrend  der  Fahrt  wird  er  iiber  den 
Bau  desEiesenwerkes  belehrt;  er  lernt 
die  Einrichtung  der  Ziige  und  die 
grosse  Bedeutung  dieses  Schienenwe- 
ges  kennen. 

Bei  seiner  Hast,  die  Sonne  Kalifor- 
niens  zu  schauen,  lasst  er  sich  den 
4000  englische  Quadratmeilen  grossen 


Yellowstone  Nationalpark  entgehen, 
dieses  Naturwunder  mit  den  Geysern, 
die  ihre  Strahlen  250  Fuss  hoch  in  die 
Luft  schleudern  und  deren  Wasser  so 
heiss  ist,  dass  man  Fische  darin  ko- 
chen  konnte,  mit  den  farbenprachti- 
gen  Schaumbecken,  mit  dem  schonen, 
forellenreichen  Yellowstone-See,  mit 
den  hohen  Wasserfallen  und  dem 
grossen  Canyon  des  Yellowstone- 
Flusses!  Er  hat  keine  Zeit,  den  un- 
triiglichsten  Beweis  von  dem  hohen 
Alter  der  Erde  am  Colorado  Eiver,  der 
200  Meilen  zwischen  6000  Fuss  hohen 
senkrechten  Felswanden  dahinfliesst, 
auf  sich  einwirken  zu  lassen;  nicht 
einmal  im  paradiesischen  Yosemite- 
thal  rastet  er,  und  den  kalifornischen 
Eiesenbaumen  gonnt  er  keinen  Blick. 

Kanada  wird  in  den  ,,Praparatio- 
nen"  gar  nicht  besprochen,  dagegen 
werden  Gronland  fiinf  Seiten  gewid- 
met.  Nach  der  Eeise  quer  durch  den 
Kontinent  bis  zum  Grossen  Ozean  und 
nach  der  Wanderung  durch  Gronland 
werden  die  Vereinigten  Staaten  noch 
einmal  inbezug  auf  Lage  und  Aus- 
dehnung,  Bodenformen,  Be\vasserung 
und  Klima  behandelt;  die  Boden- 
schatze,  Ackerbau,  Viehzucht,  In- 
dustrie und  Welthandel,  und  auch  die 
Verwaltung,  werden  kurz  bespro- 
chen; dann  werden  die  Staatengrup- 
pen  gedrangt  beriicksichtigt,  und  end- 
lich wird  das  ganze  gewonnene  Mate- 
rial geordnet,  verglichen  und  ange- 
wandt. 

Die  Weizenregion  der  Union  liegt 
nach  den  ,,Praparationen"  siidlich  von 
den  grossen  Seen.  Das  wiirde  aber 
die  beiden  bedeutendsten  Weizenstaa- 
ten,  Minnesota  und  Dakota,  beinahe 
vollstandig  ausschliessen.  Nach  dem 
amtlichen  Bericht  von  1897  betrug  die 
Weizenernte  in  Minnesota  allein  60 
Millionen  Bushel.  Man  nehme  als 
Zentrum  das  nordliche  Illinois,  unge- 
fahr  100  engl.  Meilen  westlich  von 
Chicago,  und  ziehe  mit  einem  Eadius, 
der  bis  Pittsburg  oder  bis  nach  Chat- 
tanooga reicht,  einen  Kreis  —  inner- 
halb  dieses  Kreises  befindet  sich  die 
Getreidekammer  Amerikas! 

Wir  konnen  nicht  umhin,  die  man- 
gelhafte  Aussprachebezeichnung  eng- 
lischer  Namen  zu  erwahnen.  Dass 
sich  nach  der  Neuanschaffung  einiger 
besonders  gewahlter  Typen  auch  in 
dieser  Beziehung  gerechten  Anforde- 
rungen  nachkommen  lasst,  haben 
Langenscheidt  und  andere  gezeigt. 
Die  englische  Sprache  vertragt  oft 
eine  schlechte  Aussprache,  nie  aber 
einen  falschen  Accent.  Der  Accent  ist 
aber  in  den  ,,Praparationen"  gar 


312 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


nicht  angegeben.  Vollstandig  ver- 
fehlt  sind:  hadszu  fur  Hudson;  bof- 
falo  fiir  Buffalo;  cincinneti  fiir  Cin- 
cinnati; uoshingtn  fiir  Washington; 
men  fiir  Maine;  wennont  fiir  Ver- 
mont; rot-eiland  fiir  Khode  Island, 
und  viele  andere. 

Abgesehen  von  den  geriigten  Man- 
geln,  die  sich  bei  einer  Neuauflage 
leicht  beseitigen  lassen,  indem  der 
Verfasser  oder  die  Verlagshandlung 
einen  Mann,  der  die  Verhaltnisse  aus 


eigener  Anschauung  kennt,  mit  der 
Neubearbeitung  oder  der  Durchsicht 
des  auf  Amerika  beziiglichen  Ab- 
schnittes  beauftragt,  diirften  die 
,,Praparationen",  deren  ganze  Anlage 
padagogisch  ausserst  lobenswert  ist, 
eine  wahre  Fundgrube  fiir  die  Geogra- 
pbielehrer  an  unseren  vielen  deut- 
schen  Schulen,  ja  selbst  fiir  den  Leh- 
rer  an  englischen  Schulen,  der  des 
Deutschen  machtig  ist,  sein. 

P.  Gerisch. 


II.     Eingesandte  Biicher. 

(Eingehende  Besprechung  vorbehalten.) 


Schulgebetbuch  fiir  evangeli- 
sche  Schulen.  Von  H.  Schindler, 
Biirgerschuldirektor.  Dritte,  vermehrte 
Auflage.  Dresden.  Justus  Nau- 
mann'sche  Buchhandlung  (L.  Unge- 
lenk).  1901. 

Lessings  H  a  m  b  u  r  g  i  s  c  h  e 
Dramaturgic,  abridged  and  edited 
with  introduction  and  notes  by  C  h  a  s. 
Harris,  Professor  of  German  in 
Adelbert  College  of  Western  Reserve 
University,  New  York,  Henry  Holt  & 
Co.,  1901.  Price  $1.00. 


Goethe's  Poems,  selected  and 
edited  with  introduction  and  notes  by 
Julius  Goebel,  Professor  of  Ger- 
man Philology  and  Literature  in  Stan- 
ford Uni^irsity.  New  York,  Henry 
Holt  £  <%>.,  1901.  Price  80  cts. 

Sli  pplementary  Exercise 
to  Thomas's  Practical 
Grammar  (based  in  part  on  the 
reading  lessons  and  colloquies,  by  Wm. 
Addison  Hervey,  Instructor  in 
Columbia  University.  New  York, 
Henry  Holt  &  Co.,  1901. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgangll.  Oktober  1901.  Heft  9 

Protokoll 

der  31.  Jahresversammlung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen 

Lehrerbundes. 

Indianapolis,  Ind.,  10.-13.  Juli  1901. 

(Offi*iell.) 
(Scblttss.) 

Zweite  Hauptversammlung.  —  Nach  Eroffnung  der  Sitzung  gegen 
zehn  Uhr  gab  der  President  nachstehende  Ausschusse  bekannt: 

Fur  Bundesverfassung: — Dr.  H.  H.  Fick  von  Cincinnati,  Emil  Zutz  von 
Chicago,  Prof.  Starr  Willard  Cutting  von  Chicago,  Hermann  Woldmann 
von  Cleveland  und  Prof.  C.  E.  Karsten  von  Bloomington,  Ind. 

Nominationen:  Carl  Herzog  von  New  York,  Adolf  Kromer  von  Cleve- 
land, Frl.  Ida  Fredrich  von  Milwaukee,  Wm.  Schafer  von  Cincinnati  und 
Eugen  Mittler  von  Indianapolis. 

Fur  Revisions-Komitee:  C.  O.  Schonrich  von  Baltimore,  Prof.  A.  R. 
Hohlfeld  von  Madison,  Wis.  und  Lena  Uhl  von  Cleveland. 

Fur  Beschlusse:  Emil  Dapprich  von  Milwaukee,  Von  der  Groeben  von 
Erie,  Pa.  und  Frl.  Bertha  Wendland  von  Chicago. 

Hierauf  hielt  Prof.  G.  E.  Karsten  von  der  Indiana  Universitat  zu 
Bloomington  einen  Vortrag  fiber  das  Thema:  ,,W  e  1  c  h  e  Unterrichts- 
mittelstehendemdeutschen  Lehrer  ausserhalb  seiner 
Klasse  zurVerfiigung?" 

An  diesen  Vortrag,  den  Herr  Karsten  grosstenteils  frei  hielt  und  haufig  mit 
launigen  Anmerkungen  wtirzte,  kntipfte  sich  eine  langere  interessante  Debatte. 
Dr.  Learned  wies  zunachst  darauf  hin,  dass  der  Vortragende  nicht  nur  Univer- 
sitats-Professor,  sondern  auch  Herausgeber  des  .Journal  of  Germanic  Philology" 
sei,  und  da  stellte  es  sich  heraus,  dass  verschiedene  der  Anwesenden  gar  keine 
Ahnung  von  der  Existenz  dieses  Blattes  hatten.  Her  Woldmann  bem^rkte, 


314  Pttdagogische  Monatsbefte. 

dass  es  auch  viele  Akademiker  gebe,  welche  nicht  wussten,  dass  der  Deutsch- 
amerikanische  Lehrerbund  die  Padagogischen  Monatshefte  herausgebe.  So 
wussten  auch  viele  Akademiker  nicht,  wie  es  in  den  Volksschulen  zugehe  und 
umgekehrt. 

An  der  Debatte  beteiligten  sich  ferner:  die  Herren  Dr.  Pick,  v.  Wahlde, 
Direktor  Dapprich,  Prof.  Cutting,  Prof.  Hohlfeldt,  Rattermann,  Kromer,  Schon- 
rich,  Frl.  Hohgrefe,  u.  v.  a.  m. 

Nach  der  alien  Teilnehmern  so  angenehmen  Erfrischungspause  verlas  der 
Sekretar  eine  Zuschrift  des  Herrn  Ferren  von  Allegheny,  worin  derselbe  mit- 
teilte,  dass  es  ihm  eines  schweren  Augenleidens  wegen  nicht  moglich  gewesen 
sei,  als  Vorsitzer  des  Agitationsausschnsses  irgend  etwas  zu  verrichten.  Auch 
den  Lehrertag  konnte  er  nicht  besuchen,  da  er  zur  Vornahme  einer  Augen- 
operation  nach  Deutschland  reise. 

Herr  Emil  Dapprich,  als  Vorsitzer  des  Komitees  zur  Pflege  des  Deutschen 
erstattete  folgenden  Bericht: 

An    die    31.    Jahresversammlung    des    Nationalen    Deutschamerikanischen 

Lehrerbundes. 
Verehrte  Kollegen! 

Ihr  KomiteefurPflegedfcs  Deutschen"  hat  in  vergangenen 
Jahren  dem  Bunde  grosse  Dienste  geleistet.  Ueber  den  jeweiligen  Stand 
des  deutschen  Unterrichts  in  den  offentlichen  und  privaten  Schulen  dieses 
Landes  hat  es  umfassende  Arbeiten  gemacht;  den  Freunden  unserer  Sache 
hat  es  im  Kampf  fur  unser  heiliges  Recht  wirksame  Waffen  zum  Angriff 
geliefert;  fur  die  Feststellung  der  Ziele  unserer  beruflichen  Thatigkeit  hat 
es  ausgezeichnete  Winke  gegeben. 

Leider  hat  es  in  den  letzten  beiden  Jahren  seine  Aufgabe  nicht  erfullen 
konnen,  da  es  ihm  an  den  dazu  notigen  pekuniaren  Hilfsmitteln  gebrach. 
Die  Seminarkasse,  welche  bei  friiheren  Arbeiten  einen  grossen  Teil  der 
Ausgaben  bestritt,  konnte  uns  keine  Geldmittel  zur  Verfvigung  stellen,  da 
der  Ausfall  der  Turnlehrerkurse  zu  grosster  Sparsamkeit  zwang.  Daher 
sind  wir  auch  heute  wieder  zu  der  Erklarung  genotigt,  dass  wir  des  leidigen 
Geldes  wegen  unsere  Pflicht  nicht  haben  thun  konnen.  An  die  gegen- 
wartige  Tagsatzung  richten  wir  deshalb  die  Bitte,  dem  Komitee  die  zu 
seiner  Arbeit  notigen  Mittel  aus  der  Bundeskasse  zu  gewahren.  Eine  aus- 
fuhrliche  Darstellung  des  gegenwartigen  Standes  unserer  Sache  fur  den 
nachsten  Lehrertag  halten  wir  fu>  eine  dringende  Pflicht  des  Bundes. 

In  den  gebildeten  Schichten  der  englischsprechendenBevOlkerung  dieses 
Landes  ist  die  Sympathie  fur  unsere  Bestrebungen  in  den  letzten  Jahren 
sehr  gewachsen;  die  Forderung  der  Einfiihrung  einer  modernen  Sprache 
als  Lehrfach  in  den  oberen  Graden  der  Volksschule  durch  die  ,,Na  t  i  o  n  a  1 
Education  Association"  hat  unseren  Feinden  den  Wind  aus  den 
Segeln  genommen;  die  vermehrte  Beteiligung  am  Deutschen  in  den  offent- 
lichen und  privaten  Lehranstalten  der  Union  verleiht  uns  rtistige  und  ge- 
wandte  Hilfstruppen.  Ich  lege  den  Lehrern  des  Deutschen  an  den  hoheren 
Schulen  besonders  ans  Herz,  dafiir  zu  sorgen,  dass  ihren  Studenten  die 
deutsche  Sprache  eine  Herzenssache  werden  m6ge,  und  das  wird  sie  nur 
dann,  wenn  die  jungen  Manner  und  Frauen  sich  mit  derselben  so  vertraut 
machen,  dass  sie  dieselbe  zum  Medium  ihres  Gedankenaustausches  ge- 
brauchen  konnen.  Die  Hauptfrage,  die  wir  an  den  gebildeten  Amerikaner 
stellen  mochten,  ist  nicht  die:  Kennst  Du  Gothe,  Schiller,  Lessing,  Kant? 
sondern:  Kannst  Du  mit  uns  uber  diese  Manner  in  ihrer  Sprache  reden? 


Protokoll  der  31.  Jabresversammlung  des  N.  D.  L.  315 

Wir  verhehlen  uns  nicht,  dass  diese  Aufgabe  fur  unsere  Kollegen  cine 
schwierige  und  miihevolle  ist,  aber  wir  versichern  dabei,  dass  es  eine  ehren- 
volle  und  lohnende  sein  wird.  Die  deutschamerikanische  Presse  muss 
noch  viel  energischer  fur  unsere  Forderungen  eintreten,  als  es  bisher  ge- 
schehen  ist.  Wir  legen  in  diesen  Wunsch  nicht  den  leisesten  Tadel,  da  wir 
uberzeugt  sind,  dass  es  den  Redakteuren  nicht  am  guten  Willen  fehlt.  Da 
sie  aber  durch  ihr  Amt  die  berufenen  Fuhrer  des  Volkes  sind,  sollten  sie 
fur  die  Volksschule  den  zweisprachigen  Unterricht  entschiedener  fordern 
und  in  einer  solchen  Gestaltung  verlangen,  dass  die  Schiller  neben  der 
englischen  auch  die  deutsche  Sprache  so  gut  und  gelaufig  erlernen, 
um  dieselbe  im  Verkehr  mit  Lust  und  Liebe  gebrauchen  zu  konnen. 
Wir  deutsche  Schulmeister  schulden  den  deutschamerikanischen  Journa- 
listen  viel,  und  wenn  Manner  vom  Schlage  eines  Leigh  uns  entrissen 
werden,  so  ist  der  Tod  solcher  Mitarbeiter  fur  uns  ein  herber  Verlust. 

Auch  aus  den  Reihen  unserer  Fachgenossen  sind  uns  im  letzten  Jahre 
drei  der  besten  entschlafen;  mit  tiefster  Wehmut  nennen  wir  die  Namen: 
W.  H.  Rosenstengel,  Bergmann  und  Heinrich  Raab.  Sie  haben  uner- 
mudlich  und  ehrenvoll  fur  die  heilige  Sache  der  Erziehung  und  ganz  speziell 
fur  die  Erziehung  nach  unseren  Grundsatzen  ihr  Leben  in  die  Schanze 
geschlagen.  Die  Pflicht  der  Dinkbarkeit  fordert,  dass  wir  ihrer  an  dieser 
Statte  gedenken.  Wir  wollen  ihnen  ein  treues  Gedenken  bewahren,  so 
lange  wir  leben  und  in  ihrem  Sinne  in  unserem  hohen  Berufe  wirken,  bis 
auch  unser  Stiindlein  schlagt. 

Mit  Wehmut  und  nicht  ohne  einen  Grad  von  Bitterkeit  beruhren  wir 
den  wundesten  Punkt  im  deutschamerikanischen  Volksleben,  die  Ver- 
nachlassigung  der  Pflege  unserer  schonen  Muttersprache  in  der  Familie. 
Wenn  der  unwissende  Bauer  auf  seiner  einsamen  Farm  den  Kindern 
erlaubt,  die  Sprache  ihrer  Eltern  zu  vergessen,  so  ist  das  zu  verzeihen; 
sie  war  ihm  weder  eine  Waffe  des  Geistes  noch  ein  Quell  hohen  Genusses. 
Im  Kampfe  urns  tagliche  Brot  achtet  er  nur,  was  Geldeswert  besitzt  und 
ihm  ist  es  daher  gleichgiltig,  was  gesagt  wird  und  wie  es  gesagt  wird. 
Dass  aber  in  Stadten  und  Dorfern  sogenannte  gebildete  Leute  ihrer  Mutter- 
sprache untreu  werden,  ja  was  noch  schlimmer  ist,  sich  ihrer  Abstammung 
schamen  und  ihr  Vaterland  verleugnen,  ist  geradezu  emporend.  Sollte  man 
es  fur  m6glich  halten,  dass  es  Leute  geben  konne,  die  ihren  Eltern  daraus 
einen  Vorwurf  machen,  dass  dieselben  ihnen  die  deutsche  Sprache  beige- 
bracht  haben,  und  doch  giebt  es  solcher  Idioten  eine  schwere  Menge.  Da 
ist  es  wirklich  schwer,  wie  der  alte  Juvenal  sagt,  keine  Satire  zu  schreiben. 
Ich  weise  nur  auf  den  allerneuesten  Fall  deutschamerikanischer  Stupiditat 
hin,  indem  ein  Schulratsmitglied  deutscher  Abstammung  den  Antrag 
stellt,  aus  der  Volksschule  von  Chicago  den  deutschen  Unterricht  zu  ent- 
fernen.  Man  sollte  nicht  glauben,  dass  es  in  diesem  neuen  Jahrhundert 
in  diesem  so  aufgeklarten  Lande  noch  solche  antediluviale  Saurier  geben 
konne. 

Ihr  Komitee  halt  es  fur  seine  Pflicht.  auf  die  Notwendigkeit  einer 
energischen  Unterstiitzung  des  Bundesorgans  hinzuweisen.  Wir  miissen 
die  Abonnentenzahl  bedeutend  erhohen,  wenn  wir  das  Blatt  lebensfahig 
machen  wollen.  Es  ware  wunschenswert,  diese  Angelegenheit  zum  Gegen- 
stand  einer  speziellen  Diskussion  zu  machen  und  einen  warmen  Aufruf  an 
alle  Lehrer  des  Deutschen  zu  richten. 


316  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Zum  Schluss  mochten  wir  die  Mitglieder  des  Lehrerbundes  auf  die  vor 
Kurzem  in  Pennsylvania  gegrundete  Vereinigung  ,,Bimd  der  Deutschen" 
aufmerksam   zu   machen.     Wir    sollten   in   unseren    Stadten    Zweigvereine 
griinden  und  dem  Unternehmen  in  jeder  Weise  Vorschub  leisten. 
Achtungsvoll  unterbreitet 

Das  Komitee. 

Der  Bericht  wurde  angenommen  und  an  den  Ausschuss  fur  Bundesverfassung 
verwiesen. 

Hierauf  hielt  Herr  B.  Kuttner  von  New  York  einen  Vortrag  iiber  ,,D  i  e 
berufliche  und  finanzielle  Stellung  des  Elementar- 
1  e  h  r  e  r  s."  Da  es  mit  Schluss  dieses  fesselnden  Vortrages  nahezu  i  Uhr  gewor- 
den  war,  erfolgte  Vertagung. 

In  der  dritten  Schlussversammlung  fuhrte  Herr  Dapprich 
den  Vorsitz  und  erteilte  sofort  nach  der  Eroffnung  Herrn  Prof.  A.  R.  H  o  h  1  - 
f  e  1  d  t  von  der  Universitat  in  Wisconsin  (Nachfolger  des  verstorbenen  Prof. 
Rosenstengel)  das  Wort  zu  einem  Vortrag  ubsr  das  Thema:  ,,D  i  e  gegen- 
w  a  r  t  i  g  e  n  Beziehungen  der  _/n  glischen  und  deutschen 
Litteratur  mit  besondererRiicksicht  auf  den  Litter  a- 
turbetrieb  in  der  Schul  e." 

Da  noch  verschiedene  Komiteeberichte  und  auch  anderes  Geschaftliche  der 
Erledigung  harrte,  so  musste  von  einer  langeren  Diskussion  des  geistvoll  und 
interessant  behandelten  Themas  Abstand  genommen  werden,  und  Dr.  Pick  verlas 
nun  zunachst  den  Bericht  des  Komitees  fur  Bundesverfasung,  welcher  lautete: 

,,Zur  Erwagung  der  Vorschlage  fur  die  Abanderung  der  Bundesver- 
fassung erlaubt  sich  Ihr  Komitee  folgendermassen  zu  berichten: 

Da  kein  Mitglied  des  im  vorigen  Jahre  ernannten  Ausschusses,  wel- 
chem  die  Ausarbeitung  etwaiger  Verbesserungen  der  Konstitution  uber- 
tragen  wurde  und  der  auch  einen  schriftlichen  Bericht  eingeschickt  hat, 
bei  der  jetzt  stattfindenden  Tagung  zugegen  ist,  empfiehlt  Ihr  Komitee, 
die  Beschlussfassung  iiber  den  beredten  Gegenstand  zu  verschieben. 

So  gerne  der  N.  D.  A.  Lehrerbund  seinem  Komitee  fur  ,,Pflege  des 
Deutschen"  hinreichende  Geldmittel  zur  energischen  Betreibung  einer  Agi- 
tation resp.  Sammlung  und  Drucklegung  von  statistischen  Ermittelungen 
zuweisen  mOchte,  erlaubt  doch  der  Stand  der  Bundeskasse  leider  jetzt  keine 
Verwilligung. 

Das  Komitee  legt  den  Mitgliedern  des  N.  D.  A.  Lehrerbundes  die  that- 
kraftigste  und  weitgehendste  Unterstiitzung  des  Bundesorgans,  der  ,,Pad. 
Monatshefte,"  ans  Herz.  Zu  dem  Zwecke  sei  den  Verlegern,  der  Herold 
Publ.  Co.  von  Milwaukee,  der  Vorschlag  gemacht,  in  den  verschiedenen 
Stadten  verantwortliche  Lehrkrafte  auf  geeignete  Empfehlung  hin  anzu- 
stellen,  denen  die  Verbreitung  der  Zeitschrift  in  ihren  besonderen  Wir- 
kungskreisen  anvertraut  sein  soil. 

Das   Komite  glaubt,  die  Unterstiitzung  der  Bestrebungen  des  neuer- 
dings    in    Pennsylvanien    gegriindeten    ,,Deutschamerikanischen    Zentral- 
Bundes"  nach  jeder  Richtung  hin  gutheissen  zu  konnen,  und  befurwortet 
die  Griindung  von  Zweigvereinen  oder  den  Anschluss  an  schon  bestehende." 
Die  einzelnen  Punkte  des  Berichts  wurden  hierauf  durchgenommen  und  be- 
schlossen,  in  diesem  Jahre  keine  Revision  der  Bundesverfassung  vorzunehmen. 
Betreffs   des   Schmerzenskindes,  des   Bundesorgans  ,,Padag.    Monatshefte",  ent- 
stand  eine  lange  Debatte.     Schliesslich  wurde  der  Vorschlag  des  Komitees  ange- 
nommen.    Da  jedoch  die  Herausgeber  der  Monatsschrift,  die  ,,Herold  Publishing 


Protokoll  der  31.  Jahresversammlung  des  N.  D.  L.  317 

Co."  darauf  besteht,  nur  unter  der  Bedingung  das  Blatt  auch  ferner  heraus- 
geben  zu  wollen,  wenn  der  Lehrerbund  jahrlich  einen  Zuschuss  von  $150  zahlt, 
so  wurde  ein  aus  den  Herren  Dapprich,  Pick  und  Abrams  bestehendes  Komitee 
ernanntj  welches  Mittel  und  Wege  finden  soil,  um  ein  fur  beide  Teile  (Lehrer- 
bund und  Verlagsfirma)  befriedigendes  Abkommen  zu  treffen,  damit  das  Organ 
gesichert  werde. 

Beziiglich  der  letzten  Empfehlung  wurde  beschlossen,  die  Bestrebungen  des 
,,Deutschamerikanischen  Zentral-Bundes"  von  Pennsylvanien  zu  unterstutzen. 
Die  Herren  Prof.  Learned  von  Philadelphia  und  C.  O.  Schonrich  von  Baltimore 
wurden  als  Delegaten  ernannt,  um  der  Generalversammlung  des  Verbandes  als 
Vertreter  des  Lehrerbundes  beizuwohnen. 

Der  Ausschuss  fur  Nominationen  unterbreitete  durch  Herrn  Herzog  folgende 
Empfehlungen: 

1.  Zur  Abhaltung  des  nachsten  Lehrertages  wird  Detroit,  Mich., 
vorgeschlagen. 

2.  Zu  Mitgliedern    des    Bundesvorstandes:    M.  D.  Learned, 
Philadelphia;  Louis  Hahn,  Cincinnati;  Emil  Dapprich,  Milwaukee;  Robert 
Nix,   Indianapolis;   Emil   Zutz,   Chicago;    Emil   Kramer,   Cincinnati;   Anna 
Hohgrefe,  Milwaukee;  Lena  Uhl,  Cleveland;  Ernst  Muller,  New  York. 

3.  Priifungs  -  Kommission    des    Lehrerseminars :     H.  Wold- 
mann,  Cleveland;  Leo  Stern,  Milwaukee;  M.  Schmidhofer,  Chicago. 

4.  Pflege     des     Deutsche  n:     Dr.  H.  H.  Fick,  Cincinnati;    A. 
R.  Hohlfeldt,  Madison,  Wis.;  H.  Geppert,  Newark,  N.  J.;  B.  Kuttner,  New 
York;  G.  G.  von  der  Groben,  Erie,  Pa. 

5.  Agitations  -  Ausschuss:     H.   M.  Ferren,  Allegheny,  Pa.; 
Max  Griebsch,  Milwaukee;  C.  O.  Schonrich,  Baltimore;  Frl.  E.  Schramm, 
Chicago;  H.  A.  Rattermann,  Cincinnati. 

6.  Seminar   -    Direktoren     fur   dieses   Jahr:     John    Schwaab, 
Cincinnati;    Chas.    E.    Emmerich,    Indianapolis;    S.    W.    Cutting,    Chicago; 
Joseph  Grever,  Cincinnati.     Fur  nachstes  Jahr:    B.  A.  Abrams,  Milwaukee; 
H.  von  der  Heide,  Newark,  N.  J. 

Samtliche  Vorschlage  wurden  gutgeheissen,  worauf  sich  der  Vorstand  wie 
folgt  organisierte: 

President,  Emil  Dapprich;   I.   Schriftfuhrer,   Emil  Kramer;  2.   Schrift- 
fuhrer,  Anna  Hohgrefe;  Schatzmeister,  Louis  Hahn. 

Das  Andenken  der  im  verflossenen  Jahre  verstorbenen  Mitglieder  des  Bundes, 

Rosenstengel,  Raab  und  Bergmann  wurde  durch  Erheben  von  den  Sitzen  geehrt. 

Das   Komitee  fur  Dankesbeschliisse  reichte  folgenden   Bericht  ein: 

1.  Der  Ortsausschuss  verdient  den  hochsten  Dank  fur  seine  umfassen- 
den  Vorbereitungen  sowie  fur  die  vortreffliche  Leitung  des  nicht  offiziellen 
Teils  unserer  Tagsatzung. 

2.  Wir  danken  der  Verwaltung  des  Deutschen  Hauses  fur  den  iiberaus 
freundlichen  Empfang  und  die  liebevolle  Ueberlassung  ihrer  prachtvollen 
Raume. 

3.  Der  Vertreter  des  Staates,  General-Anwalt  Taylor,  der  President 
des  Rats  fur  offentliche  Werke,  Herr  Albert  Sahm,  und  der  Reprasentant 
der  offentlichen  Schulen,  Herr  Schulrat  Moores,  haben  uns  durch  ihre  Be- 
griissungsansprachen  grosse  Freude  bereitet. 

4.  Wir    danken    dem    Gesangverein   ,,Liederkranz"    und    der    Militar- 
kapelle  von   Indianapolis   fur   ihre   freundliche    Mitwirkung   bei   der   Em- 
pfangsfeier. 


318  P'ddagogische 

5.  Das  ausgezeichnete  Konzert  des  Musikvereins  und  das  darauffol- 
gende  gesellige  Zusammensein  im  Garten  des  Deutschen  Hauses  werden 
uns  unvergesslich  sein. 

6.  Dem    Sozialen   Turnverein    sind    wir    fur    die    liebenswurdige    Be- 
wirtung  in  seinem  Park  tausend  Dank  schuldig. 

7.  Der  Mannerchor  von  Indianapolis  hat  durch  sein  reizendes  Sommer- 
nachtsfest  und  seine   freundliche   Bewirtung  uns  zu  grossem   Danke  ver- 
pflichtet. 

8.  Die   deutsche  Tagespresse  der  Stadt   Indianapolis  hat  durch   ihre 
ausgezeichneten  Berichte  iiber  unsere  Arbeiten  dem  Lehrerbunde   grosse 
Dienste  geleistet,  wofur  wir  ihr  von  Herzen  danken. 

9.  Auch     dem     Bundesvorstand     gebiihrt    fur     seine     ausgezeichnete 
Fiihrung  der  Geschafte  wahrend  des  verflossenen  Jahres  unser  warmster 
Dank. 

Nachdem   diese   Dankesbeschliisse   angenommen   waren,   erklarte    President 
Learned  den  31.  Lehrertag  offiziell  fur  ver<>gt. 

Emil  Kramer,  Schriftfuhrer. 


Deutsche  Beitrage  zum  amerikanischen  Geistesleben. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  31.  Lehrertag  zu  Indianapolis. 

Von  Prof.  Starr  Willard  Cutting,  Chicago,  111. 

(Schluss.) 

Die  Fortschritte  im  Universitatswesen,dieAmerika  seit  der  Griindung 
der  Johns  Hopkins  University  im  Jahre  1876  zu  verzeichnen  hat,  sind  im 
hohen  Grade  dem  Einfluss  deutscher  Theorie  und  Praxis  zuzuschreiben. 
Bis  dahin  waren  unsere  sogenannten  Universitaten  im  besten  Fall  nur 
mehr  oder  weniger  hochentwickelten  ,,Colleges"  gewesen.  Die  Kurse 
beschrankten  sich  auf  einige  Gebiete  und  waren  gar  nicht  dazu  geeignet, 
Lernende  in  irgend  einem  Fach  zu  eigenhandiger  Forschung  noch  unent- 
schiedener  Fragen  heranzubilden.  Unsere  Hochschulen  waren  eben, 
qualitativ  gesprochen,  lauter  Fortsetzungen  der  Sekundarschulen.  Diesem 
Mangel  versuchte  man  dadurch  abzuhelfen,  dass  man  nach  Deutschland 
reiste  und  auf  deutschen  Hochschulen  studierte.  Allmahlich  iiberzeugte 
man  sich  von  der  Ueberlegenheit  des  deutschen  Gesichtspunkts  und 
machte  bei  seiner  Riickkehr  nach  Amerika  Propaganda  fur  eine  Differen- 
zierung  der  Universitat  von  der  High  School  und  dem  College.  Als  eine 
Frucht  dieser  Ueberzeugung  ist  die  Griindung  der  Johns  Hopkins  Univer- 
sity anzusehen.  Amerikanische  Beziehungen  und  Traditionen  mussten 
natiirlich  die  Gestaltung  der  Baltimore'er  Anstalt  mit  bestimmen;  aber 


Deutsche  Beitr'dge  %um  amerikaniscben  Geistesleben.  319 

das  Grundprinzip  der  neuen  Stiftung  war  doch  die  Zentralbedeutung,  die 
man  hier  zum  ersten  Mai  in  Amerika  produktiver  Gelehrsamkeit  offiziell 
zuerkannte.  Zur  Erlangung  dieser  Einsicht  waren  wir  buchstablich  bei 
den  Deutschen  in  die  Schule  gegangen.  Seitdem  arbeiten  wir  immer 
noch  an  der  Umgestaltung  unseres  hoheren  Bildungswesens  nach  dem 
Vorbilde  dieses  ersten  Experiments.  Griindliche  Besprechungen  der 
gegenwartigen  akademischen  Sachlage  und  der  zunachst  einzuschlagenden 
Richtung,  wie  sie  Herr  Professor  Miinsterberg  von  der  Harvard  Univer- 
sity im  Maiheft  der  ,,Atlantic  Monthly"  unter  dem  Titel:  ,,Productive 
Scholarship  in  America"  liefert,  zeugen  von  dem  bestimmenden  Einfluss 
unserer  deutschamerikanischen  Mitbiirger  auf  die  Entscheidung  der  geisti- 
gen  Lebensfragen  der  Gegenwart. 

fin  Gebiete  der  Industrie  gehen  die  Nationen  Europas  und  Amerikas 
bei  einander  in  die  Schule.  Entdeckungen  und  Erfindungen  zur  Forder- 
ung  schneller  und  billiger  Herstellung  materieller  Waren  werden  bald 
Gemeingut  aller  Volker.  Nach  dem  Masse  ihres  Erfolges  machen  sich 
die  Nationen  als  fiihrende  Machte  in  diesem  Gebiete  geltend.  Deutsch- 
lands  iiberraschend  schnelle  und  zugleich  solide  gewerbliche  Entwickelung 
wahrend  der  letzten  dreissig  Jahre  hat  ihrn  in  dieser  Hinsicht  eine  nicht 
zu  verkennende  Bedeutung  verliehen,  die  der  Amerikaner  einsieht  und  zu 
wiirdigen  weiss.  Der  soeben  betonten  Griindlichkeit  des  Deutschen  im 
Bereich  der  Wissenschaft  und  des  Unterrichtswesens  entspricht  die  Ge- 
diegenheit  und  Tiichtigkeit  seiner  industriellen  Leistungen. 

Wir  Angelsachsen  verstehen  uns,  historisch  gesprochen,  vorziiglich 
aufs  Lavieren.  Ohne  Zweifel  verdanken  wir  dieser  Fahigkeit  unter 
anderm  unsern  bedeutenden  Erfolg  beim  Griinden  und  Verwalten  demo- 
kratischer  Staaten.  Bei  der  grossen  Meinungsverschiedenheit,  mit  der 
man  stets  in  einer  Republik  oder  verfassungsmassigen  Monarchic  rechnen 
muss,  lasst  sich  nur  dadurch  eine  praktische  Durchschnittsverfahrungs- 
weise  einschlagen,  dass  man  Konzessionen  an  die  Sonderinteressen  zahl- 
reicher  Menschen  macht,  um  eine  parlamentarische  Mehrheit  fur  oder 
wider  jeweilige  Massregeln  zu  erzielen.  Aber  diese  sonst  so  vorteilhafte 
und  bewunderungswiirdige  Bereitwilligkeit  durch  gegenseitiges  Nach- 
geben  streitige  Punkte  zu  erledigen,  lauft  stets  Gefahr,  in  eine  recht  hass- 
liche  Untugend  auszuarten.  Aus  der  Toleranz  wird  leicht  eine  Gleichgiiltig- 
keit,  die  jeder  Winkelpolitikant  auszunutzen  weiss.  Mehr  als  fast  irgend  ein 
anderes  Moment  ist  der  jetzt  unter  uns  herrschende  politische  Indifferen- 
tismus  Grund  der  oft  gehegten  Zweifel  an  der  Dauerhaftigkeit  unserer 
republikanischen  Institutionen. 

Die  geistige  Unabhangigkeit  des  Deutschen,  seine  Abneigung  gegen 
alles  Scheinwesen  und  seine  Unfahigkeit,  Zugestandnisse  an  seine  Mit- 
menschen  zu  machen,  arten  nicht  selten  in  blosse  Halsstarrigkeit  und  Un- 


320  P'ddagogische  Monatsbefte. 

ertraglichkeit  aus.  Aber  gerade  diese  strenge  Unversohnlichkeit  thut 
manchmal  Not.  Mir  erscheint  der  Deutsche  dazu  geboren  und  durch  den 
bestimmenden  Einfluss  einer  Reihe  von  Jahrhunderten  dazu  erzogen,  dem 
Umsichgreifen  angloamerikanischer  Gleichgiiltigkeit  Einhalt  zu  thun.  Wo 
sich  deutsche  Ueberzeugungstreue  mit  angelsachsischer  Anpassungsfahig- 
keit  im  rechten  Verhaltnis  paart,  ,,da  giebt  es  einen  guten  Klang." 

Der  Amerikaner  schenkt  den  materiellen  Interessen  des  Lebens  so  viel 
Aufmerksamkeit,  dass  er  oft  dabei  versaumt,  seine  hoheren  und  hochsten 
Geistesfahigkeiten  gehorig  zu  beriicksichtigen.  Ueber  dem  Kunstgewerbe 
vergisst  er  leicht  die  schonen  Kiinste  ganz  und  gar.  Seine  Mussestunden 
verkiirzt  er  und  seine  geselligen  Zusamnienkiinfte  richtet  er  mit  ziemlicher 
Sorgfalt  darauf  ein,  womoglich  ,,zyei  Fliegen  mit  einer  Klappe  zu 
schlagen".  Sein  Vergniigen  schielt /ft  nach  dem  Geschaft  hiniiber.  "To 
combine  business  with  pleasure"  isr  die  stehende  Formel  zum  Ausdruck 
dieser  praktisch  zugespitzten  Uebereilungssucht.  Demselben  materialisti- 
schen  Sturmschritt  des  amerikanischen  Lebens  ist  unsere  oberflaehliche 
Durchschnittsbekanntschaft  mit  der  Geschichte  und  mit  den  vorziiglichsten 
Erzeugnissen  der  Weltlitteratur  zuzuschreiben.  Kein  Wunder,  dass  man 
oft  das  Leben  aus  falscher  Perspektive  betrachtet!  Kein  Wunder,  dass 
man  oft  keinen  rechten  Wertmesser  fur  die  Erscheinungen  des  Lebens 
hat.  Unbekanntschaft  mit  der  Vergangenheit  fiihrt  naturgemass  zu  einer 
verhangnissvollen  Ueberschatzung  der  jeweiligen  Gegenwart.  Gliick- 
licherweise  fangt  man  schon  seit  geraumer  Zeit  an,  in  dieser  Hinsicht 
Kehrt  zu  machen.  Auf  alien  Seiten  gewahrt  man  die  Vorzeichen  einer 
kommenden  bessern  Zeit.  Allerorten  ist  man  bestrebt,  Bildungsgelegen- 
heiten  zu  schaffen  und  zu  benutzen.  Besonders  versucht  man  einen  ge- 
diegenen  Volksunterricht  zu  vertiefen  und  zu  verbreiten.  Freischulen 
und  Bibliotheken,  Kunstgallerien  und  wissenschaftliche  Vortrage,  neuge- 
griindete  und  beschenkte  Universitaten  und  Colleges  bezeugen  das  zu- 
nehmende  Interesse  des  amerikanischen  Volkes  an  der  Geistesbildung. 
Wochentlich  iiber  vier  Millionen  Mark  haben  amerikanische  Biirger 
wahrend  des  soeben  verflossenen  Jahres  zur  Griindung  und  Erhaltung 
zahlreicher  Lehranstalten  verschenkt.  Es  liefern  auch  die  grossen  Geld- 
summen,  die  man  alljahrlich  hierzulande  zur  Unterstiitzting  unzahliger 
Wohlthatigkeitsanstalten  anwendet,  einen  erfreulichen  Beweis  fur  die 
altruistischen  Regungen  des  amerikanischen  Gemiits.  Die  erste  Etappe 
auf  der  Pionierreise  amerikanischen  Kulturlebens  hat  man  also  schon 
hinter  sich.  Der  Amerikaner  sucht  eben  einige  seiner  schon  erworbenen 
materiellen  Giiter  in  geistige  Aequivalente  umzusetzen. 

Auch  im  Gebiete  der  Kunst  mochte  er  gerne  geniessend  und  erzeu- 
gend  auftreten.  Aber  die  Kunst  will  eben  erlernt  werden,  und  lasst  sich 
erst  durch  begeisterte  Hingabe  und  unermiidlichen  Fleiss  aneignen.  Zur 


Deutsche  Beitr'dge  iwn  amerikanischen  Geistesleben.  321 

Entwickelung  der  Kunst  muss  man  nicht  nur  Kiinstler,  sondern  auch, 
was  ebenso  wichtig  ist,  ein  sympathisches,  kunstliebendes  Publikum  haben. 
Unsere  angehenden  Kiinstler  mb'gen  wohl  auf  unabsehbare  Zeit  hinaus  in 
Europa  eine  leidliche  technische  Schulung  erlangen;  aber  sie  warden  erst 
von  einem  verstandnisvollen,  enthusiastischen  amerikanischen  Publikum 
zum  Schaffen  wirklicher  Meisterwerke  angespornt  werden.  Ein  solches 
Publikum  giebt  es  aber  hier  noch  nicht  und  lasst  sich  nicht  so  auf  Befehl 
herstellen.  Es  muss  erst  im  Laufe  der  Zeit  unter  dem  Einfluss  geeigneter 
erziehlicher  Momente  erstehen.  Zu  diesen  Momenten  zahlen:  Kunstvor- 
stellungen  und  Kunstschulen  hier  in  Amerika,  langerer  Aufenthalt  in 
alteren  kunstliebenden  und  kunstpflegenden  Kulturstaaten  und  Verkehr 
mit  Vertretern  solcher  Staaten,  die  sich  unter  uns  angesiedelt  haben. 

Die  Geschichte  der  Musik  in  Amerika  illustriert  diesen  Vorgang  vicl- 
leicht  am  besten.  Unstreitig  stehen  die  Deutschen  obenan  im  Gebiete 
der  modernen  Musik.  Ihnen  verdanken  alle  Nationen  eine  inspirierte  und 
zugleich  inspirierende  musikalische  Offenbarung.  Scharenweise  stromen 
strebsame  Amerikaner  seit  Jahren  nach  Deutschland,  um  sich  in  die  Ge- 
heimnisse  dieser  Kunst  einfiihren  zu  lassen.  Die  besten  unter  ihnen 
fanden  bei  ihrer  Riickkehr  anfangs  keinen  Anklang,  weil  das  musikalisch 
geschulte  Publikum  fast  ganzlich  fehlte.  Erst  allmahlich  bildet  sich  das 
amerikanische  Volk  an  Opern  und  Konzerten  zu  einem  bessern  Verstand- 
nis  fur  die  Musik  heran.  Manner  wie  Thomas,  die  beiden  Damrosch, 
Nickisch  und  zahlreiche  andere  Deutsche  im  ganzen  Lande  haben  sich 
um  diesen  wichtigen  Zweig  der  Volksbildung  in  hohem  Grade  verdient 
gemacht.  Der  soeben  erwahnte  immer  noch  im  Werden  begriffene 
Bildungsprozess  erweckt  schon  die  Hoffnung,  dass  die  Zeit  wohl  kommen 
werde,  wo  ein  musikliebendes,  amerikanisches  Publikum  nicht  nur  aus- 
fiihrende,  sondern  auch  komponierende  heimische  Kiiunstler  ersten 
Ranges  mit  rauschendem  Beifall  begriissen  wird. 

Zum  Schluss  mochte  ich  noch  einmal  die  idealistische  Anlage  des 
Deutschen  betonen.  Dafiir  legen  seine  Denker  und  Dichter  beredtes 
Zeugnis  ab.  Er  verachtet  durchaus  nicht  die  materielle  Seite  unseres 
Erdenlebens.  Das  heisst,  er  ist  kein  weltentriickter  Asket.  ,,Wein,  Weib 
und  Gesang"  hat  man  seit  Luthers  Lebzeiten  auf  deutschem  Boden  weder 
verkannt  noch  verpont.  Aber  bei  alledem  und,  ich  mochte  sagen,  im  Ein- 
klang  damit,  verlangt  der  Deutsche,  dass  das  Leben  einen  gediegenen 
geistigen  Gehalt  haben  soil.  Ganz  ohne  Riicksicht  auf  besondere  An- 
schauungen,  Ziele  und  Vorlieben  muss  ihm  das  Privatleben  wie  das  b'ffent- 
liche  Leben  wahrhaft,  aufrichtig,  ehrlich,  frei  und  tiichtig  sein,  wenn  es 
iiberhaupt  noch  lebenswert  bleiben  soil.  Dies  ist  der  Grundton  seiner 
Dichtkunst  wie  seiner  Philosophic,  den  ein  rechter  Deutscher  nie  ver- 
leugnet.  Ueberall,  wo  man  ihn  antrifft,  bekennt  er  gleich  in  dieser  Hin- 


322  Padagogiscbe  Monatsbefte. 

sicht  Farbe.  Man  weiss  woKl,  wes  man  sich  von  ihm  zu  versehen  hat.  Es 
mag  sein,  dass  er  sichmitunter  infolge  der  Intensitat  seiner  Ueberzeu- 
gungen  seinen  Mitmenschen  gegeniiber  recht  unliebsam — sogar  wider- 
haarig  zeigt,  aber  gerade  wegen  dieser  Grundtendenz  seines  Wesens, 
wegen  seiner  unbestechlichen  Liebe  zur  Wahrheit,  Aufrichtigkeit,  Frei- 
heit  und  Gerechtigkeit,  liefert  er  stets  einen  willkommenen  Beitrag  zur 
Klarung  und  Vollendung  unserer  Auffassung  der  Pflicht  und  Bestim- 
mung  des  Menschen  in  Amerika. 


Der  deutsche  Unterricht  vom  Standpunkte  der 
Sozialpadagogik. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  31.  Lehrertag  zu  Indianapolis. 

Von  Adolf  Kromer,  Cleveland,  O. 

Man  kann  das  Erziehungsgeschaft  von  zwei  Gesichtspunkten  aus 
betrachten:  von  dem  individualen  und  dem  sozialen:  Eine  jede  dieser 
Betrachtungsweisen  hat  ihre  Berechtigung  und  ihre  Vorziige.  Mit  der 
ersteren  verbunden  kann  insbesondere  die  zweite  die  Erziehungs-  und  die 
Bildungsmateriale  naher  bestimmen  und  ihnen  neue  Werte  zufiihren. 

Vom  individualen  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  stellen  sich  die  Er- 
ziehung,  der  Unterricht  und  die  Bildung  dar  als  der  Prozess,  der  die  Ent- 
wickelung  gesetzter,  individueller  geistiger  Fahigkeiten  zu  fordern  sucht 
und  sie  einem  gewissen  Abschlusse  entgegen  zu  fiihren  sich  bemiiht.  Es 
ist  diese  Auffassung,  die  vom  Gegenstande  der  Erziehung  als  dem  Zogling, 
dem  Schiiler,  dem  Lehrling  spricht.  Es  ist  diese  Auffassung,  der  als  Ziel 
und  Ende  aller  Erziehung  immer  das  Einzelne  vorschwebt:  der  selbst- 
standige  Charakter,  die  Selbstandigkeit,  ,,der  eigene  Erzieher," 
eine  Summe  ,,wahrer  Menschlichkeit"  oder  ,,Verniinftigkeit,"  u.  s.  w. 

Rousseau  forderte,  dass  der  Zogling  stets  zu  der  Frage  berechtigt  sei: 
,,Wozu  niitzt  mir  das,  wozu  ist  es  gut."  *  Und  unsere  eigene  Zeit,  fast 
vorwiegend,  gleich  als  ware  sie  nur  zu  Rousseau  und  den  Philantropisten, 
der  Aufklarungs-Zeit,  in  die  Schule  gegangen,  glaubt  nicht  nur  zu  jener 
Frage  berechtigt  zu  sein,  sie  meint  vielmehr,  jene  Frage  stellen  zu  miissen. 
Es  ist  diese  individualistische  Auffassung  der  Bildung  (diese  schliesst  wohl 


*  Willmann,  Didaktik,  II.,  S.  12,  unten. 


Der  deutscbe  UnterricU  vom  Standpunhte  der  So^ialp'ddagogik.    323 

in  gewissem  Sinne  Zucht  und  Lehre  ein),  welche  die  Bildungsstoffe  zu 
blossen  Mitteln  herabwertet,  indem  sie  diese  Stoffe  einzig  zur  Kraftent- 
wickelung  im  Individuum  verwertet,  friiher  oder  spater  sie  zu  Miinzen 
schlage,  mit  denen  er  personliche  Geniisse  sich  aneigne. 

Der  ganzen  individualistischen  Ansicht  der  Erziehung  und  Bildung 
liegt  die  Schatzung  eines  Selbst  zu  Grunde,  die  aber  nur  zu  leicht  zur 
Ueberschatzung  anwachst,  zur  Sucht,  die  nur  fur  ein  Selbst  eine  moglichst 
grosse  Fiille  der  Behaglichkeit  sucht,  und  den  Kraftmenschen  gerne  als 
Uebermenschen  verehrt.  Diese  Ansicht  spricht  mit  Vorliebe  von  Wissen, 
Kenntnissen,  vom  Konnen,  und  Wissenschaft,  Gelehrsamkeit  und  Macht 
schweben  ihr  gar  oft  als  einzige  erwiinschte  Endziele  vor. 

Wie  ganz  anders  fasst  die  Sozialpadagogik  das  ErziehungsgeschUft 
auf!  Sie  verlegt  ihren  Standpunkt  in  die  lebendige  Gesellschaft,  in  die 
zur  natiirlichen  Einheit  gewordene  Vielheit,  in  einen  gewachsenen  Ver- 
band.  Sie  sucht  dort  Einsichten  zu  gewinnen  in  die  gegebenen  Erschei- 
nungen,  beginnt  die  Ergebnisse  zu  sichten  und  gelangt  so  zu  willkom- 
menen  Erkenntnissen.  Sie  erkennt  Bindendes  und  Gebundenes,  Ge- 
tragenes  und  Trager,  erkennt  Schaffende  und  Geschaffenes,  Erhaltenes 
und  Erhalter,  Ueberkommenes  und  Ererbtes  erkennt  sie  und  erkennt 
Hiiter,  Pfleger  und  Mehrer.  Sie  fasst  Bindende,  Getragene,  Geschaffene, 
Erhaltene,  Ueberkommene  und  Ererbte  zusammen  in  dem  Begriffe  ,,Be- 
sitztum"  oder  ,,Gut"  und  scheidet  dann  sauberlich  nach  Wesenheit  und 
Eigenheit  in  materielle  und  zeitige  oder  ideale  Giiter,  iiberlasst  die  materi- 
ellen  Giiter  anderen  Gewalten  und  wendet  sich  fiirsorgend  den  idealen  zu. 
Sie  tritt  ein  fur  deren  Erhaltung  und  Wiirdigung  und  spricht  der  gehorigen 
Uebermittelung  derselben  das  Wort.  Sie  thut  mehr.  Sie  schafft  ganze 
Systeme  von  Veranstaltungen ;  zum  Umtrieb  des  geistigen  Besitzes;  nennt 
die  Gesamtheit  dieser  Veranstaltungen  Schulwesen  und  weiter  ausgreifend 
Bildungswesen,  sie  betraut  ein  Heer  begeisterter  Jiinger  mit  der  hehren 
Aufgabe  der  Uebermittelung  und  nennt  die  Gesamtheit  der  Uebermittler 
den  Lehrstand.  Der  Gegenstand  ihrer  Sorge  ist  nicht  mehr  der  Einzelne, 
sondern  die  jiingere  Generation.  ,,sie  regelt  die  Strebungen  der  jugend- 
lichen  Natur  und  fiihrt  sie  sittlicher  Gestaltung  entgegen,  indem  sie  dem 
Nachwuchse  die  Grundlagen  ihres  eigenen  geistig-sittlichen  Lebensinhaltes 
zu  eigen  giebt." 

Was  die  Individualpadagogik  einzig  als  Mittel  auffasst,  das  wird  der 
Sozialpadagogik  zum  Lehrgut,  zu  einem  Gut,  das,  obgleich  immateriell, 
doch  objektive  Existenz  besitzt  und  vermoge  innewohnender  Kraft  als 
Gestaltungsprinzip  der  Uebermittelung  wiirdig  ist.  Die  Sozialpadagogik 
geht  liber  das  Wissen  hinaus.  Sie  lasst  das  gemeine  Harz  des  Wissens 
tief  im  Meere  der  Menschenbrust  zum  Bernstein  der  Weisheit  werden, 
bei  ihr  verdichten  sich  Kenntnisse  zu  Erkenntnissen,  und  das  Konnen 


324  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

wird  bei  ihr  zur  hehren  goldenen  Kunst.  Lauter  Dinge,  die  mit  und  durch 
die  Sprache,  dem  elementarsten  aller  idealen  Giiter,  wachsen  und  sich  ent- 
wickeln,  die  innig  verbunden  mit  dem  Seelenleben  eines  Volkes,  uns 
sicheren  Aufschluss  geben  konnen  iiber  seinen  Wert,  seine  Strebungen 
un3  Ideale.  Die  soziale  Auffassung  der  Erziehungs-  und  Bildungslehre 
geht  gerne  zur  Geschichte  in  die  Lehre,  um  mit  ihrer  Hilfe  die  Quellen 
ihrer  idealen  Zufliisse  aufzuspiiren,  um  sie  in  ihren  Laufen  und  Wirkungen 
verfolgen  zu  konnen,  um  eben  selber  sich  wieder  in  den  Stand  zu  setzen,  in- 
telligent mitzuwirken  an  der  sozialen  Erneuerung  und  der  historischen 
Kontinuitat  des  Volkeslebens. 

Die  Sprache — sie  hat  sich  eben  auf  einen  Augenblick  in  den  Vorder- 
grund  gedrangt,  um  gleichsam  ihr  sofortiges  langeres  Erscheinen  anzu- 
melden. 

Die  Sprache  wachst  uns  zu  im  ersten  Liebesverkehr  mit  der  Mutter 
und  wird  so  bezeichnend  Muttersprache  genannt.  Die  Rb'mer  nannten 
ihre  ihnen  zugewachsene  Sprache  sermo  patrius  und  zeigten  damit  an, 
dass  sie,  wie  ein  vaterlicher  Besitz,  vererbt  werden  sollte.  Im  Einzelnen 
weckt  sie  immer  wachsend  und  erstarkend  die  Seele  und  fiihrt  ihr  Licht 
zu,  bis  diese  selbst  geniigend  gekraftigt  hegende  Herrscherin  wird.  Im 
Verbande  bereitet  die  Sprache  die  erwiinschte  Angliederung  der  jungen 
Geschlechter  an  die  alteren  vor.  Sie  ist  es  mit,  die  die  Entwickelung 
eines  Volkslebens  bedingt,  die  es  vom  Zustande  der  Natur  zur  Zivilisation, 
zur  Kultur,  zur  Gesittung  und  Bildung  hinaufheben  hilft,  und  selbst  wieder 
hinaufgehoben  wird.  Im  Dienste  des  Gedankens  erzieht  sie  sich  zur 
Meisterin  im  Formen.  Sie  fasst  die  Perle  der  Weisheit  in  den  goldenen 
Spruch,  miinzt  die  reine  Stimmung  zum  innigen  Lied,  verwandelt  kind- 
iches  Ahnen  in  sinnige  Marchen,  giebt  der  That  den  Glanz  der  Ode,  Frei- 
heitsdrang  wird  Freiheitssang,  hehres  Ringen  verwandelt  sie  zu  grossen 
Dramen,  alles  Geschehene  unter  ihrer  Kiinstlerhand  wird  zur  Geschichte. 

Die  Sprache  ist  aufs  innigste  verwachsen  mit  der  Volksseele.  Unter 
wechselseitiger  Einwirkung  anf  einander,  streben  sie  gewissen  Giitern  zu 
und  es  entwickelt  sich  der  Volkscharakter.  So  wuchsen  die  deutsche 
Sprache  und  die  deutsche  Volksseele  auf  und  zusammen,  und  indem  sie 
gewissen  Giitern  entgegenstrebten  und  sich  dieselben  zu  eigen  machten, 
bildete  sich,  allmahlich  wachsend,  der  deutsche  Volkscharakter. 

Dieser  deutsche  Volkscharakter,  wie  ihn  insbesondere  die  Unter- 
suchung  des  deutschen  Volkstums  offenbar  macht,  ist  ein  Stuck  Natur. 
Er  steht  fur  eine  ganze  Summe  glanzender  Eigenheiten:  fur  warme 
Empfindung,  fur  ebenes,  ruhiges  Temperament,  fur  tiefe  Innerlichkeit, 
fur  ein  gesundes  Naturgefiihl  und  ein  edles  Gemiit.  Er  steht  fur  aus- 
dauernde  Hingabe,  fur  Treue,  Griindlichkeit  und  Wahrhaftigkeit.  Diese 
individuellen  Ziige  bilden  das  Fundament  fur  jene  gesellschaftlichen 


Der  deutscbe  Unterricbt  wm  Standpunkte  der  So^ialp'ddagogik.    325 

Seelenausserungen,  die  das  deutsche  Zusammenleben  mit  einem  so  unaus- 
sprechlichem  Reize  iiberziehen.  Da  die  deutsche  Lebenslust,  der  Frauen 
holde  Weiblichkeit,  die  deutsche  Liebe,  die  deutsche  Hauslichkeit,  der 
deutsche  Heimatsinn. 

Es  ist  wahr,  all  diesen  Tugenden  stehen  auch  Schattenseiten  gegen- 
iiber,  und  gewohnlich  fallen  diese  anderen  Nationen  zu  allererst  in  die 
Augen  und  wecken  den  beissenden  Spott.  Indes  hier  sollen  nur  die 
positiven  Charakterziige  unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nehmen. 
Sie  wuchsen  der  Seele  in  ihrem  langsamen  steten  Wachstum  zu  und  an, 
halfen  mit  auf-  und  ausbauen,  verliehen  Wert  und  gaben  Richtung  und 
Festigkeit.  Sie  sind  Giiter  geworden,  hoheitsvoll  und  kraftig  stehen 
sie  uns  gegeniiber,  sie  laden  um  unserer  selbst  willen  ein,  zur  Ueber- 
mittelung,  zur  Vererbung.  Sie  weisen  auf  ihre  Geschichte  und  ihre 
Thaten,  auf  ihre  innige  Verbindung  mit  dem  Charakter,  auf  ihre  Hiiterin 
und  Pflegerin,  die  deutsche  Sprache,  und  auf  ihre  stummen  Fragen  ant- 
wortet  die  Sozialpadagogik :  Nimm  das  Erbe  deiner  Vater,  Deutscher, 
woimmer  du  auch  bist,  und  vererbe  es  bis  ins  hundertste  Geschlecht.  Was 
immer  du  sein  willst,  sei  es  mit  deiner  ganzen  Seele,  in  wes  Dienste  du 
dich  stellst,  sei  als  Ganzes  dienendes  Glied! 

Die  Vererbung  aber  giebt  sich  Form  in  der  Erziehung  und  dem  Un- 
terricht.  Und  da  des  Menschen  Art  sich  wohl  am  besten  auspragt  in  seiner 
Sprache,  und  da  zu  gleicher  Zeit  diese  Sprache  die  Tugenden  des  Volkes  in 
sich  schliesst,  wie  eine  Schatzkammer,  so  muss  dieser  Unterricht  eben 
deutscher  Sprachunterricht  sein.  Durch  den  deutschen  Unterricht,  weil 
dieser  eben  eine  bewusste  Uebermittelung  ist,  bleiben  die  besten  Art- 
eigentiimlichkeiten  erhalten  und  unseren  Nachkommen  bleibt  ein  Verlust 
erspart  und  dem  neuen  Verband,  in  dessen  sittliche  und  staatliche  Ord- 
nung  wir  die  jungen  Geschlechter  einreihen,  fallt  ein  Gewinn  zu.  Dieser 
Gewinn  nimmt  zu  an  Wichtigkeit,  wenn  man  sich  daran  erinnert,  dass  die 
Sprache  zugleich  auch  ein  Schliissel  ist  zur  grossen  Schatzkammer  der 
deutschen  Litteratur.  Die  Dichter  sind  nach  Horaz  Lehrer: 

,,Sie  formen  den  Mund,  den  stammelnden,  zarten,  des  Knaben  niedri- 
ger  Rede  entfremden  sein  Ohr  sie,  bilden  das  Herz  ihm,  freundliche 
Lehren  erteilend,  wohlthatige,  welche  des  Sinnes  trotzige  Rauheit  mil- 
dern,  benehmen  den  Zorn  und  die  Scheelsucht;  edle  Thaten  berichtet  ihr 
Lied,  dem  neuen  Geschlechte  halt  die  bewahrten  Muster  es  vor." 

Durch  die  Dichter  und  ihre  Werke,  wie  die  Litteratur  sie  uns  treulich 
bewahrt,  sind  uns  geistige  Briicken  geschlagen,  die  den  Verkehr  mit  den 
Quellgebieten  unserer  Bildung  und  Wesenheit  ermoglichen  und  wach- 
halten  konnen.  Die  Litteratur  gewahrt  uns  Riickblicke  selbst  in  die 
dunkelste  Vergangenheit,  sie  zaubert  vor  unsere  Augen  den  Boden,  auf 
dem  sie  grossgewachsen.  Sie  lockt  den  Geist  hinaus  in  die  Feme  und  in 


326  Padagogische  Monatsbefte. 

die  Vergangenheit,  gewohnt  das  geistige  Auge  ans  Schauen  und  Beobach- 
ten  und  pflanzt  so  den  Keim  deutscher  Griindlichkeit.  Sie  spinnt  tausend 
Faden  und  verbindet  das  Innere  mit  der  ausseren  Natur,  erhebt  die 
aussere  Erscheinung  zum  Symbol  und  bereichert  so  die  liebliche  Sprache 
und  durchgeistigt  die  Natur.  Da  ,,lachelt  der  See",  da  ,,schweigt  der 
Wald",  da  ,,ruhen  die  Felder",  da  ,,heult  der  Wind"  und  die  Nacht 
,,schaut  uns  mit  hundert  schwarzen  Augen  an",  die  Rose,  das  Veilchen, 
die  Lilie,  wie  mit  schonen  Seelen  belebt  sie  der  Dichter  und  wie  zart  ist 
ihre  Sprache!  So  macht  die  deutsche  Litteratur  empfanglich  fur  Innig- 
keit  und  Sinnigkeit  und  schafft  sich  das  deutsche  Gemiit.  Sie  bringt  uns 
in  Verbindung  mit  dem  Fiihlen  und  Streben  der  Besten  und  schiirt  das 
Mitgefiihl  und  erregt  die  Schaffenslust,  lenkt  Herz  und  Sinn  auf  Hohes 
und  Schones  und  fiillt  die  Umgebung  mit  Idealen  und  Idealem.  Sie 
begleitet,  sie  trostet,  sie  feuert  an,  sie  lehrt  und  wehrt;  sie  macht  des  Som- 
mers  Schatten  kiihler  und  angenehmer  und  des  Winters  Lampenlicht 
behaglich  wie  die  Maienluft;  sie  macht  den  Sonntag  heiliger,  versiisst  die 
Biirde  der  Arbeitstage.  Zum  ganzen  Reichtum,  zur  ganzen  Pracht  dieser 
Litteratur  giebt  die  deutsche  Sprache  den  Schliissel  und  ermoglicht  einen 
Einblick  in  die  Tiefe  der  deutschen  Volksseele,  weckt  die  Liebe  zum 
Stamm,  und  starkt  das  Selbstgefiihl.  Es  ist  diese  Sprache  selbt  wieder, 
die  die  Angleichung  an  das  Neue  moglich  macht,  denn  wer  Wert  besitzt, 
weiss  Wert  zu  schatzen. 

Der  deutsche  Unterricht  muss  also  Krafterhaltung  und  Kraftiiber- 
mittelung  werden.  Der  deutsche  Unterricht  muss  auf  die  Pfade  hin- 
weisen,  die  durch  die  Felder  der  Gesittung,  durch  den  Wald  der  litterari- 
schen  Schopfungen  nach  den  Quellen  der  Werte  hinfiihren  und  muss  diese 
Pfade  gangbar  machen.  Er  muss  die  Wichtigkeit  dieser  Werte  vor  Augen 
fiihren,  und  deren  Erhaltung  fur  mehr  als  bloss  wiinschenswert  hinstellen, 
so  dass  dieser  Unterricht  ein  Faktor  wird  im  sozialen  Weben  und  Treiben, 
und  mit  so  viel  Selbstgefiihl  und  Hoffnung  sollte  er  jeden  erfiillen,  dass  er 
mit  dem  Sanger  Geibel  wenigstens  mit  einem  gewissen  Masse  von  Be- 
rechtigung  ausrufen  kann : 

"Macht  und  Freiheit,  Recht  und  Sitte 
Klarer  Geist  und  scharfer  Hieb 
Ziigele  aus  starker  Mitte 
Jeder  Selbstsucht  wilden  Trieb. 
Und  es  soil  am  deutschen  Wesen 
Einmal  noch  die  Welt  genesen!" 


Schulanfang— um  neun  Uhr,  oder  um  acht  Uhr? 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Pencil  Vania. 

In  den  Volksschulen  dieses  Landes  ist  der  Anfang  der  taglichen 
Unterrichtsstunden  auf  neun  Uhr  vormittags  festgesetzt.  Die  Privatschu- 
len  richten  sich  in  diesem  Punkte  nach  den  Volksschulen.  So  ist  es  seit 
vielen  Jahren  gewesen,  und  niemand  scheint  es  anders  zu  wiinschen.  In 
Europa  beginnt  der  Vormittagsunterricht  um  acht  Uhr,  im  Sommer  sogar 
um  sieben.  Als  nun  wahrend  der  letzten  paar  Jahre  in  einigen  Grosssta- 
dtenDeutschlands  undOsterreichs  derVersuch  gemacht  wurde,  den  Schul- 
anfang auf  neun  Uhr  zu  verlegen,  da  erhob  sich  unter  dem  Volke,  beson- 
ders  dem  arbeitenden,  ein  wahrer  Sturm  der  Entrustung  gegen  die  wohl- 
gemeinte  Neuerung.  Die  Regierungen  mussten  nachgeben,  und  die 
Sache  blieb  beim  alten. 

Die  Frage  giebt  zu  denken  und  wird  auch  hierzulande  fruher  oder 
spater  die  Behorden  beschaftigen.  Es  giebt  eben  auf  der  Welt  zweierlei 
Leute.  Leute,  die  schwer  um  das  tagliche  Brot  arbeiten,  und  Leute,  die 
vielleicht  auch  arbeiten,  aber  daneben  doch  das  Leben  geniessen.  Erstere 
bilden  den  Stand  der  eigentlichen  Arbeiter.  Manner  —  und  Frauen,  die 
diesem  Stande  angehoren,  beginnen  wahrend  der  Winterszeit  ihre  Arbeit 
sobald  der  Tag  graut.  Um  sieben  Uhr  fruh  ertonen  da  in  den  Stadten 
die  Dampfpfeifen  und  Signalglocken  der  Fabriken,  und  in  langen  Reihen 
begeben  sich  die  Arbeiter  durch  die  Fabrikthore  nach  den  Platzen  ihres 
Tagewerkes.  Anders  jene,  denen  das  Los  besser  gefallen  ist,  die  nicht 
um  die  Existenz  ringen  miissen,  die  vielmehr  schon  erwas  vor  sich  gebracht 
haben.  Diese  legen  sich  nicht  nur  die  Frage  vor:  Was  muss  ich  heute 
arbeiten?  sondern  auch  d  i  e  Frage:  Was  unternehme  ich  heute,  um  mich 
gut  zu  unterhalten?  Ihnen  ist  es  noch  lange  in  den  Federn  wohl,  wenn 
jene  schon  die  Sehnen  spannen  und  arbeiten.  Sie  erheben  sich  im  Winter 
nicht  schon  um  sechs  Uhr,  sie  stehen  erst  um  halb  acht,  acht,  halb  neun 
Uhr  auf  ,recken  und  strecken  sich  und  kleben  noch  mit  all  ihren  Gedan- 
ken  an  den  Vorgangen  des  letzten  Abends.  Sie  zehren  im  Nachgefiihle 
noch  an  den  Genussen,  die  ihnen  gestern  in  der  Gesellschaft  bis  spat  nach 
Mitternacht  zu  teil  wurden,  und  freuen  sich  schon  im  Vorgefiihl  der  Dinge, 
die  heute  Abend  ihrer  harren. 

Es  ist  nun  ganz  naturlich,  dass  diese  beiden  Volksklassen,  die  in  ihrer 
Lebensordnung  so  weit  auseinander  gehen,  hinsichtlich  des  taglichen 
Schulanfanges  verschiedene  Wiinsche  haben.  Den  Arbeitern  ist  es  darum 
zu  thun,  dass  ihre  Kinder  morgens  moglichst  fruh  von  der  Schule  in  Ob- 


328  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

hut  genommen  warden.  Denn  wenn  sie,  und  mit  ihnen  ja  vielfach  auch 
ihre  Frauen,  das  Haus  verlassen,  so  sind  die  Kinder  allein.  Wer  biirgte 
ihnen  dafur,  dass  kein  Ungliick  geschidht?  Feuer  und  Licht  und  auf- 
sichtslose  Kinder  passen  schlecht  zusammen.  Und  warum  muss  denn 
das  Feuer  brennen  und  die  Lampe  das  01  verzehren?  Es  langen  ja  die 
wenigen  Cents,  die  sich  im  Laufe  des  Tages  verdienen  lassen,  so  schon 
kaum  aus,  um  das  Leben  halbwegs  ertraglich  zu  gestalten,  und  da  muss 
jede  Mehrausgabe,  die  nicht  unbedingt  notig  ist,  vermieden  werden.  Dass 
die  Kinder  mit  aus  der  Wohnung  hinausgenommen  und  stundenlang  der 
Strasse  iiberliefert  werden,  dagegen  straubt  sich  das  menschliche  Gefuhl. 
In  Nebel  und  Frost  die  Kleinen  stehen  zu  lassen  —  es  ware  grausam. 
Und  doppelt  grausam,  weil  die  Kinder,  die  hier  in  Betracht  kommen,  meist 
nur  diirftig  gekleidet  sind  und  iiberdies  vielfach  mit  nur  halbgesattigtem 
Magen  der  rauhen  Witterung  preisgegeben  sein  wurden.  Und  sind  sie, 
in  Wind  und  Wetter  auf  eine  Stunde  hinausgestossen,  nicht  auch  noch 
andern  Zufalligkeiten  ausgesetzt,  die  wohl  nicht  ihre  leibliche  Gesundheit 
bedrohen,  aber  ihre  Moral  gefahrden?  Ohne  Beschaftigung  in  den  Gassen 
der  Grossstadt  umherstehen  und  umherstreichen,  das  ist  fur  die  empfang- 
liche  Jugend  kein  Leben,  dass  muss  wohl  so  manches  Kind  auf  die  schiefe 
Ebene  der  Sittenlosigkeit  versetzen.  So  blickt  denn  der  arme  Mann  auf 
das  gewarmte  und  wohl  iiberwachte  Schulzimmer  als  das  geeigneteste 
Asyl  fur  seine  Kinder,  und  geht,  wenn  sich  das  Schulthor  schon  bald  nach 
halb  acht  Uhr  fur  dieselben  offnet,  getroster  an  seine  Tagesarbeit. 

Fiir  den  besser  gestellten,  sein  Leben  zwischen  Arbeit  und  Genuss 
teilenden  Burger  und  selbstandigen  Handwerker  liegen  die  Dinge  anders. 
Wenn  morgens  um  sieben  Uhr  die  Kinder  sich  erheben  miissen,  um 
nac'h  erfolgter  Reinigung  und  Labung  rechtzeitig  in  der  Schule  erscheinen 
zu  konnen,  so  ist  es  auch  mit  der  ungestorten  Ruhe  der  Alten  vorbei. 
Die  Mutter  kann  nicht  liegen  bleiben;  hundert  Fragen  und  Wiinsche 
des  kleinen  Volkes  treiben  sie  aus  dem  Bette.  Und  wenn  der  Alte  auch 
noch  so  verdriesslich  knurrt,  so  hilft  ihm  dies  wenig.  Er  wird  von  den 
Kindern,  wenn  schon  nicht  aus  dem  warmen  Neste  herausgeschmissen, 
so  doch  dergestalt  beunruhigt,  dass  es  mit  einer  redhten  Erholung  nach 
den  Anstrengungen  des  letzten  Abends  keine  Art  mehr  hat.  Was  ist  nun 
natiirlicher,  als  dass  der  Mann  iiber  den  zu  fruhen  Beginn  des  Unterrichts 
raisonniert  und  sich  jenen  anschliesst,  die  gleich  ihm,  nach  einer  verlore- 
nen  Nachtruhe  eine  ungestorte  Morgenruhe  wollen  und  deshalb  fur  die 
Beibehaltung  des  Unterrichtanfanges  zu  spater  Vormittagsstunde  schwar- 
men. 

Erziehliche  Griinde?  Sanitare  Griinde?  Sie  erscheinen  nicht.  Das 
Kind,  das  um  eine  Stunde  fruher  aufsteht,  muss  sich  um  eine  Stunde  frii- 
her  zu  Bette  begeben,  daher  bedeutet  der  Schulanfang  um  acht  Uhr  mit 
nichten  einen  Raub  an  dem  Schlafbedurmis  der  Kinder.  Der  Morgen- 


Scbulanfang — urn  neun  Ubr,  oder  um  acbt  Ubr.  329 

nebel?  die  Morgenkalte?  Diese  Dinge  sind  um  halb  neun  ganz  so  wie 
um  halb  acht.  Das  Gaslicht  in  den  Schulen?  Nun,  schiebt  denn  eine 
schulfrei  gewordene  Fruhstunde  nicht  eine  Nachmittagsstunde  in  das 
Abenddunkel  und  in  die  Gasbeleuchtung  hinein?  Es  geht  ein  Zug  allge- 
meiner  Entnervung  durch  unsere  Zeit.  Das  ,,Schwing'  mir  die  Buben  und 
schwing'  sie  mir  stark!"  ist  dem  ,,Wasch'  ihm  den  Pelz,  doch  mach'  ihn 
nicht  nass!"  auch  in  der  Erziehung  gewichen.  Damit  kommen  wir  aber 
nicht  an  das  rechte  Ziel.  Denn  das  Friihaufstehen  kann,  wenn  das  Zur- 
Ruhegehen  rechtzeitig  erfolgt,  dem  Kinde  nur  niitzen.  Wir  haben  alle 
Ursache,  der  Verweichlichung  unserer  Zeit  entgegen  zu  arbeiten  und  un- 
sere Kinder  nicht  angstlich  von  der  frischen  Morgenluft  abzuschliessen. 

Die  ganze  Frage  liegt  nun  so,  dass  man,  um  eine  richtige  Entschei- 
dung  zu  treffen,  ein  ernstes  Bedurfnis  der  Arbeiterbevolkerung  gegen  die 
Bequemlichkeit  und  Genusssucht  des  besser  gestellten  Biirgerstandes  ab- 
wagen  muss.  Wie  Connte  da  das  Urteil  auch  nur  einen  Augenblick  im 
Zweifel  stehen!  Die  Arbeit er  mussen  im  Interesse  der  leiblichen  und 
geistigen  Wohlfahrt  ihrer  Kinder  auf  einem  Schulanfang  zu  friiher  Stunde 
bestehen,  die  bessergestelllten  Burger  brauchen  aus  keinem  einzigen 
e  r  n  s  t  e  n  Grunde  gegen  diese  Anderung  zu  stimmen.  Ein  Weiter- 
gehen  nach  dem  alten  Brauch  ist  einfach  eine  Ungerechtigkeit  gegen  die 
Arbeiterbevolkerung,  neues  01  in  die  Flamme  des  sozialen  Brandes  und 
tief  bedauerlich.  Die  warnenden  Stimmen,  welche  sich  driiben  gegen 
die  Verlegung  des  Schulanfanges  auf  eine  spatere  Stunde  erheben,  soil- 
ten  auch  bei  uns  gehort  und  verstanden  werden.  Denn  was  in  diesem 
Fatle  bis  jetzt  Gesetz  und  Regel  war,  bedeutete  nichts  Anderes  als  die 
Wahrung  eines  einseitigen  Klassen-Interesses,  in  direktem  Gegensatz 
zum  Interesse  der  Majoritat  des  Volkes. 


Das  und  dass. 
Eine  sprachwissenschaftliche  Plauderei. 


Von  Dr.  Ernst  Waaaerzieher  in  Oberhatisen  (Rheinland).* 
(Aus  ,, Deutsche  Blatter  fur  Krziehung  ttnd  Unterricht.") 

Als  wir  noch  auf  der  Schulbank  sassen,  wieviel  Not  machte  uns  da  die  Unter- 
scheidung  jener  beiden  Worter,  das  und  dass!  Sie  klangen  unserm  Ohr  ganz  gleich, 
absolut  gleich,  und  doch  verlangte  der  Lehrer  mit  unerbittlicher  Strenge,  die  gera- 
dezu  an  Pedanterie  grenzte,  wir  sollten  das  mit  einem  s  und  dass  mit  2  s  schrei- 
ben.  Hundertmal  hiess  es,  wenn  einer  die  ominosen  Worter  verwechselt  hatte: 
Weisst  du  denn  nicht,  dass  das  Relatir,  doss  aber  Konjunktion  ist?  Und  jeder 
wusste  die  Regel  auswendig,  dass  man  das  zu  schreiben  habe,  wenn  man  statt  dessen 
welches  setzen  konne.  Also:  ,,das  Kind,  das  ich  kenne,"  aber  ,,er  sagte,  dass  er 
ihn  kenne."  Wer  noch  in  der  Sexta  die  beiden  Worter,  die  doch  nichts  miteinander 
gemein  haben,  verwechselte,  zog  sich  nicht  nur  den  Tadel  des  Lehrers,  sondern  auch 
das  Mitleid  der  Genossen  zu.  Er  dokumentierte  nicht  nur  Unfleiss  oder  Unauf- 
merksamkeit — das  sind  Eigenschaften,  die  Mitschiiler  einander  gern  verzeihen — son- 
dern auch  Mangel  an  Denkvermogen,  kurz  gesagt:  Borniertheit.  Und  borniert 
wollte  doch  niemand  sein,  dagegen  baumte  sich  der  Stolz  jedes  nicht  ganz  gleich- 
giiltigen  und  geistig  verkommenen  Schulers.  Krampfhafte  Anstrengungen  machten 
deshalb  auch  die  unbeholfeneren  Geister,  dasjenige  sich  einzupragen,  was  anderen 
leicht  fiel:  die  verschiedene  Schreibweise  der  himmelweit  verschiedenen  Worter  das 
und  dass. 

Allein,  was  wir  in  Sexta  gelernt,  hielt  in  Sekunda  und  Prima  nicht  immer 
Stand.  Es  war  uns  doch  nicht  so  in  Fleisch  und  Blut  ubergegangen,  dass  es  nicht 
hie  und  da  vorgekommen  ware — namentlich  bei  den  langen  und  schwierigen  Auf- 
satzen,  wo  man  auf  so  vielerlei  anderes  zu  achten  hatte — dass  einer  schrieb:  Wir 
haben  nunmehr  bewiesen,  das  nicht  Virgil  nach  den  Kiinstlern  der  Laokoongruppe, 
sondern  diese  nach  jenem  gearbeitet  haben. 

Auch  in  den  Zeitungen,  die  wir  nun  anfingen  zu  lesen,  kam  haufig  die  Verwech- 
selung  vor;  man  las  dariiber  hin  und  machte  weiter  kein  Aufhebens  davon. 

Leider  erhielten  wir  niemals  Aufklarung  dariiber,  weshalb  denn  die  beiden 
Wortchen  verschieden  geschrieben  wtirden,  und  wie  sich  denn  die  Verschiedenheit 
in  der  Schreibweise  bei  der  Gleichheit  der  Aussprache  erklare. 

Erst  als  ich  auf  der  Universitat  dem  Studium  der  Germanistik  oblag  und  es 
mir  vergonnt  war,  zu  den  Quellen  hinaufzusteigen,  aus  denen  unsere  Sprache  quillt, 
wurde  mir  manches  klar,  und  auch  das  Verhaltnis  von  das  und  dass. 

Wie  in  der  Natur,  so  ist  auch  in  der  Sprache  die  Mannigfaltigkeit  und  Ver- 
schiedenheit nicht  der  urspriingliche  Zustand,  sondern  das  Ergebnis  einer  langen 
Entwickelung.  Aus  verhaltnismassig  wenigen  und  einfachen  Wurzeln  haben  sich 
die  Hunderttausende  von  Wortern  gebildet,  aus  denen  unsere  heutige  Sprache  be- 
steht.  Unter  den  ausserlich  so  verschieden  klingenden  oder  wenigstens  verschieden 
geschriebenen  Gebilden  der  Sprache  verbergen  sich  oftmals  nahe  Verwandte  oder  gar 
dieselben  Individuen,  deren  Verkleidung  und  Vermummung  sie  als  ganzlich  verschie- 
den erscheinen  lasst.  So  hat  es  beispielsweise  keine  Berechtigung,  einen  orthogra- 


*)     Vgl.  des  Verfassers  soeben  erschienenea  Buch  ,,Leben  und  Weben  der  Spra- 
che".   Arnsberg,  F.  W.  Becker,  1901.     Preis  1,50  M. 


<Das  und  dass.  331 

phischen  Unterschied  zwischen  die  Haide  und  der  Heide  zu  machen;  beide  bedeuten 
urspriinglich  ganz  dasselbe.  Heiden  hiessen  bei  den  Romern  diejenigen,  die  im  ge- 
heimen  der  neuen  Religion,  dem  Christentum,  huldigten.  In  der  Stadt  durften  sie 
es  nicht  wagen,  darum  verbargen  sie  sich  draussen  in  Wald,  Feld  und  Heide  und 
wurden  pagani  genannt,  von  pagus.  Auch  das  Franzosische  hat  diesen  Zusammen- 
hang  bewahrt;  pays  entspricht  dem  pagus,  paien  dem  paganus.  Durch  die  Schreib- 
weise  Haide  und  Heide  wird  jener  Zusammenhang  verdunkelt  und  das  Sprachgefiihl 
gestort.  Man  schreibt  daher  jetzt  nach  Duden  auch  beide  Worter  mit  einem  e. 

Aehnlich  verhalt  es  sich  mit  wider  und  wieder,  mit  fiillen,  voll,  Volk,  mit  Maid 
und  Magd,  Stadt  and  Statt,  erleuchtet  und  erlaucht  und  vielen  anderen. 

Zu  diesen  Wortern  gehort  auch  das  und  dass.  Sie  sind  nicht  miteinander  ver- 
wandt,  sondern  sie  sind  identisch.  Urspriinglich  bedeuteten  sie  genau  dasselbe  und 
wurden  auch  gleich  geschrieben. 

Wie  ist  das  aber  moglich?  fragt  vielleicht  mancher,  der  diesen  Dingen  bisher 
noch  nicht  nachgegangen  ist.  Dos  ist  hinweisend  und  relativ,  doss  aber  Konjunk- 
tion.  Sie  gehoren  ganzlich  verschiedenen  Wortklassen  an,  haben  ganzlich  verschie- 
dene  Funktionen  im  Satze  zu  verrichten.  Der  Heide  und  die  Heide  sind  wenigstens 
beides  Substantive;  hier  scheint  der  Bedeutungswechsel  noch  eher  moglich;  aber  der 
Uebergang  von  einer  Wortklasse  in  die  andere — gemach!  Auch  leben,  das  Zeitwort, 
ist  in  die  Klasse  der  Hauptworter  iibergegangen ;  ebenso  verhalt  sichs  mit  essen  und 
Essen  und  anderem.  ,,Ich  weiss,  dass  er  kommt,"  hiess  urspriinglich:  "Ich  weiss 
das;  er  kommt."  Es  bestand  also  nicht  Unterordnung  des  zweiten  Satzes  unter 
den  ersten,  sondern  Nebenordnung ;  keine  Abhangigkeit,  sondern  ein  freies  Verhalt- 
nis.  Ueberhaupt  bezeichnet  die  Rede,  die  sich  in  Satzgefiigen,  Haupt-  und  Neben- 
satzen  bewegt,  eine  hohe  und  spate  Kulturstufe,  auf  die  unsere  heutige  Sprache  we- 
sentlich  nur  in  den  Biichern  gelangt  ist;  in  der  Umgangssprache  bedienen  wir  uns, 
wie  jedermann  an  sich  und  anderen  beobachten  kann,  am  liebsten  der  Aneinander- 
fiigung  von  kurzen  Hauptsatzen,  mit  ,,und"  oder  einer  anderen  einfachen  beiord- 
nenden  Konjunktion  verbunden.  Ich  weiss  das;  er  kommt — ist  ja  sachlich  genau: 
Ich  weiss,  dass  er  kommt;  nur  bezeichnet  die  zweite  Form  eine  verwickeltere  Stufe 
der  Satzbildung.  Ebenso  verhalt  es  sich  mit  alien  ubrigen  Fallen;  immer  lasst  sich 
doss  auf  das  zuruckzuf iihren ;  eine  eigentumliche  Verschiebung  der  Satzpause,  heute 
durch  ein  Komma  angedeutet,  hat  dem  das  (dass)  einen  veranderten  Charakter 
verliehen.  Das  hindert  aber  nicht,  dass  es  dasselbe  Wort  ist  und  bleibt,  trotz  der 
verschiedene  Schreibweise.  ,,Ich  wlinsche,  doss  das  Wetter  schon  bleibt,"  ent- 
spricht urspriinglichem  ,,Ich  wunsche  dos;  das  Wetter  moge  schon  bleiben." 

Natiirlich  hat  sich  auch  das  Relativ  der,  die,  das  erst  aus  dem  Demonstrativ 
der,  die,  das  entwickelt;  die  Orthographic  blieb  hier  dieselbe,  vermutlich  weil  die 
Verwandtschaft  sichtbarer  schien.  ,,Der  Feind,  den  wir  besiegt  haben,"  ,,die  Frau, 
die  ich  gesehen  habe,"  ,,das  Kind,  das  er  hatte,"  lautet  in  der  einfachen,  auch  heute 
in  der  Sprache  des  gemeinen  Mannes  ublichen  Rede:  ,,der  Feind,  den  haben  wir 
besiegt,"  ,,die  Frau,  die  habe  ich  gesehen,"  ,,das  Kind,  das  hatte  er."  Zur  Abrun- 
dung  und  Abschliessung  des  nunmehr  abhangigen  Relativsatzes  tritt  das  Zeitwort 
an  das  Ende,  wie  im  Lateinischen  meist  auch  irn  Hauptsatze  ( Verbum  finitum ) . 

Wem  noch  andere  Beweise  zur  Stutzung  unserer  Behauptung  notig  scheinen, 
der  sei  auf  das  Englische  und  Franzosische  verwiesen,  die  dem  Gebildeten  wenigstens 
in  den  Elementen  bekannt  zu  sein  pflegen.  Hier  haben  der,  die,  das  als  Relativ  und 
doss  als  Konjunktion  ein  und  dieselbe  Schreibweise  behalten;  es  heisst:  il  veut 
que  je  vienne  (dass  ich  komme)  und  I'enfant  que  j'ai  vu  (das  ich  gesehen  habe)  ; 
he  wishes  that  I  go  ( dass  ich  gehe )  ;  the  child  that  I  saw  ( das  ich  sah ) .  Kb'nnen 
sich  das  Franzosische  und  Englische  auch  sonst  keiner  musterhaften  Orthographic 
riihmen — in  diesem  Falle  stehen  sie  liber  dem  Deutschen;  den  Zopf  des  doppelten 
,,das"  kennen  sie  nicht. 


332  P'ddagogische  Monatshefte. 

Damit  sind  die  Funktionen  jener  kleinen  und  doch  so  wichtigen  Worter  noch 
keineswegs  abgeschlossen.  Zu  dem  dreifachen  Beruf,  als  Demonstrativ,  Relativ  und 
Konjunktion  zu  dienen,  tritt  noch  eine  vierte,  verhaltnismassig  junge.  Sie  treten 
namlich  vor  das  Substantiv  und  bezeichnen  das  Geschlecht  desselben;  sie  fiihren 
dann  den  wunderbaren,  nichtssagenden  Namen  ,,Artikel" ;  also  der  K6nig,  die  Henne, 
das  Buch;  ein  mannliches  Wesen,  ein  weibliches,  und  eine  Sache.  Manche  Spra- 
chen,  wie  das  Lateinische,  kennen  diese  Wortklasse  tiberhaupt  nicht;  rex  heisst  K6- 
nig,  es  heisst  auch  der  KSnig  und  ein  Konig.  Auch  dem  Deutschen  war  in  den 
alteren  Perioden  dieser  Gebraueh  von  ,,der,  die,  das"  fremd.  Die  Geschichte  und 
Bedeutung  des  Artikels  zu  verfolgen,  zu  erSrtern,  wie  bei  der  Geschlechtsbezeichnung 
einerseits  wertvolle  mythologische  Einblicke  gewonnen  werden,  andererseits  aber 
Logik  und  Willklir,  Grammatik  und  Sprachgebrauch  mit  einander  gekampft  und 
das  Ergebnis  zu  Tage  gefordert  haben,  wie  es  heute  vorliegt — das  zu  erortern  wurde 
den  Gegenstand  einer  eigenen  Untersuchung  bilden. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Ein  Riickblick  auf  den  letzten  Lehrertag. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.} 
Von  Dir.  Emit  Dapprich,  Milwaukee,  Wis. 

Dem  regelmassigen  Besucher  der  Lehrertage  boten  die  diesjahrigen  Sitzungen 
eine  angenehme  Ueberraschung.  Seit  Jahren  hatten  sich  nicht  so  viele  der  alten 
Kampen  eingestellt  wie  diesmal,  und  da  die  Furcht  vor  der  Hitze  die  holde  Weib- 
lichkeit  teilweise  vom  Kommen  abgehalten  hatte,  so  trug  die  Versammlung,  wie 
in  alten  Zeiten,  einen  ausgesprochen  mannlichen  Charakter.  Der  Ortsausschuss 
hatte  kiihles  Wetter  bestellt  und — was  kaum  zu  erwarten  war — auch  richtig  erhal- 
ten.  Der  Empfang  war  allerdings  ein  recht  warmer  in  des  Wortes  allseitigster  Be- 
deutung; wahrend  der  Nacht  aber  wechselte  das  Wetter  und  die  Tage  der  Arbeit 
waren  (iberraschend  milde,  fast  wie  in  einem  Sommeraufenthalt.  Das  deutsche  Haus 
hatte  seine  gastlichen  Thore  weit  geoffnet  und  seine  Besitzer  entwickelten  eine  so 
herzliche  Liebenswtirdigkeit,  dass  sich  Herren  und  Damen  bald  heimisch  fiihlten. 
Alle  Einrichtungen  in  bezug  auf  Arbeit  und  Vergnttgen  waren  mit  so  viel  Umsicht 
und  Geschick  getroffen,  dass  wir  nicht  umhin  konnen,  unseren  Kollegen  Nix,  Em- 
merich, Scherer  und  Knodel  nochmals  von  ganzem  Herzen  zu  danken.  Da  die  deut- 
sche Lehrerschaft  von  Indianapolis  sich  dem  Lehrerbund  gegenliber  seit  Jahren 
neutral  verhalten  hatte,  so  erwartete  man  wenig  und  war  daher  um  so  angenehmer 
von  der  Behandlung  iiberrascht,  die  uns  zu  teil  wurde.  Auch  die  deutschen  Vereine 
wetteiferten  mit  einander,  uns  das  Beste  zu  bieten,  was  in  ihren  Kraften  stand,  und 
wir  glauben  kaum,  dass  irgend  eine  andere  Stadt  einen  Lehrertag  schQner  gestalten 
k8nnte,  als  es  Indianapolis  that. 

Im  Vergleich  zur  Anzahl  der  Teilnehmer  waren  die  Versammlungen  sehr  gut 
besucht,  und  den  Vortragen  wurde  grosses  Interesse  entgegengebracht.  Dass  Man- 
ner vom  Schlage  eines  Learned,  Cutting, Hohlfeld  und  Karsten  mit  uns  fiir  deutsche 


Die  Jabresversammlung  der  National  Educational  Association.    333 

Sprache  und  deutsche  Padagogik  kampfen,  ist  fUr  unsere  Sache  von  hohem  Wert, 
und  ich  wage  zu  hoffen,  dass  die  stattliche  Zahl  der  Lehrkrafte  in  den  deutschen 
Abteilungen  der  hoheren  Schulen  dem  schonen  Beispiel  dieser  Namen  folgen  mogen. 
Wenn  wir  auch  getrennt  marschieren,  wir  Volksschullehrer  auf  dem  engen  Pfad  im 
Thai,  sie,  die  Professoren,  auf  der  Heerstrasse,  die  iiber  die  Berge  fiihrt,  so  sollten 
wir  doch  vereint  kampfen;  ihnen  muss  unser  Beistand,  uns  der  ihrige  lieb  und  wert 
sein.  Ist  es  ihr  Ziel,  jeden  Studenten  der  Anstalt,  an  welcher  sie  wirken,  in  dem 
deutschen  Departement  zu  haben,  so  ist  es  das  unsrige,  jedem  amerikanischen  Kinde 
neben  der  englischen  Sprache  den  Gebrauch  der  deutschen  zur  Verfiigung  zu  stellen 
und  so  die  Schule  dieses  Landes  zu  einer  mehrsprachigen  umzugestalten,  wie  es  die 
Zukunft  fur  die  ideale  Schule  fordert. 

Der  Anschluss  des  Lehrerbundes  an  den  deutschen  Nationalverband  und  die  Ent- 
sendung  zweier  Delegaten  zu  ihrer  Tagung  nach  Philadelphia  war  daher  ganz  zeit- 
gemass.  Es  ist  die  Pflicht  aller  Mitglieder  des  Lehrerbundes,  in  ihren  Kreisen  fiir 
den  Anschluss  aller  deutschen  Vereine  an  diesen  Bund  nach  Kraften  zu  wirken. 
Hier  gilt  das  Wort  unseres  Goethe: 

Immer  strebe  zum  Ganzen;  und  kannst  du  ein  Ganzes  nicht  werden, 
Schliesse  als  dienendes  Glied  gern  an  das  Ganze  dich  an. 


II.     Die  Jahresversammlung  der  National    Educational  Association. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Von  B.  A.  Abrams,  Milwaukee,  Wis. 

Fortsetzung. 

Der  Nationale  Lehrerbund  umfasst  fiinfzehn  Abteilungen,  welche  ihre  Sitzun- 
gen  in  fast  ebenso  vielen,  oft  weit  auseinanderliegenden  Raumlichkeiten  abhalten. 
Die  Hauptversammlungen  fanden  in  der  ,,Light  Guard  Armory",  einem  riesigen 
Saale  mit  mangelhaf  ter  Akustik,  statt.  Mit  den  ublichen  Begriissungsreden  von  dem 
Gouverneur,  dem  Staatsschulsuperintendenten  und  dem  Bilrgermeister  Detroits,  de- 
nen  im  Namen  der  fremden  Teilnehmer  Superintendent  Boone  von  Cincinnati  dankte, 
wurde  am  Abend  des  neunten  Juli  die  Jahresversammlung  eroffnet. 

Bundesprasident  Greene  wies  in  seiner  Eroffnungsansprache  darauf  bin,  dass 
es  die  Pflicht  des  Verbandes  sei,  die  offentliche  Meinung  tiber  Erziehungs-  und  Un- 
terrichtsfragen  zu  beeinflussen  und  auf  die  richtige  Bahn  zu  leiten.  Ein  einmiitiges, 
zielbewusstes  Zusammenwirken  der  verschiedenen  Abteilungen  des  Verbandes  sei 
dringend  geboten. 

Ihm  folgte  Bischof  Spaulding  von  Peoria,  111.,  mit  einer  prachtigen  Ansprache 
liber  den  Fortschritt  in  der  Erziehung.  ,,Das  Neunzehnte  Jahrhundert  war  das 
Jahrhundert  des  Fortschrittes.  Zum  Sonnenfluge  entfaltete  der  Menschengeist  seine 
Schwingen,  dem  Worte  Freiheit  verlieh  unser  Jahrhundert  einen  tieferen  Sinn, 
cineu  hoheren  Gehalt.  Mit  neuen  Welten,  unendlich  grossen  und  winzig  kleinen, 
kam  unsere  Zeit  in  verstandnisvolle  Beriihrung.  Wir  haben  Hypothesen  aufgestellt, 
welche  den  Entwickelungsprozess  der  Sonne  und  der  Planeten  erklaren;  den  Spuren 
des  Lebens  folgten  wir  von  der  Urzelle  dureh  alle  Windungen  endloser  Abweichun- 
gen;  den  Verlauf  der  schlimmsten  Plagen,  sowie  die  Verhiitungs-  und  Heilmittel 
haben  wir  entdeckt;  die  vielen  Sprachen  und  Dialekte  der  modernen  Menschheit  mit 


334  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

dem  ganzen  Reichtum  ihres  Wortschatzes  kb'nnen  wir  zuriickfiihren  auf  einige  Tau- 
sende  von  Wurzeln;  der  Werdeprozess  und  der  Entwickelungsgang  von  Sitten  und 
Gebrauchen,  von  Gesetzen  und  Einrichtungen  liegt  klar  vor  den  Augen  der  Kinder 
unseres  Jahrhunderts. 

Einen  eingehenden  Bericht  iiber  die  Verhandlungen  der  Jahresversammlung  des 
Nationalen  Lehrerverbandes  zu  liefern,  liegt  nicht  in  meiner  Absicht.  Hunderte 
von  Vortragen,  Refer aten  und  Diskussionen  zu  besprechen,  ja  nur  zu  erwahnen,  ist 
eine  Aufgabe,  von  der  ich  mich  schaudernd  abwende,  der  ich  machtlos  gegeniiber- 
stehe.  Aus  der  Ueberfulle  des  Gebotenen  erlaube  ich  mir,  das  ftir  mich  Interessan- 
teste  hervorzuheben.  In  erster  Linie  gedenke  ich  hier  des  Vortrages  von  Professor 
Geo.  M.  Grant,  dem  Prasidenten  der  Queen's  Universitat  zu  Ontario,  iiber  das  Thema 
,,Irrtumer  in  der  Erziehung". 

Diese  Irrtiimer  sind  nach  den  Ausfiihrungen  des  Vortragenden  dreifach:  Der 
erste,  dass  wir  den  Lehrerstand  hintenansetzen  und  ihm  nicht  geniigend  Anerken- 
nung  zollen;  der  zweite,  dass  wir  der  lernenden  Jugend  die  Wege  zu  sehr  ebnen,  und 
der  dritte,  dass  unsere  Lehrer  nicht  geniigend  fur  ihren  Beruf  vorbereitet  werden. 
,,Die  Aufgabe  der  Schule  ist,  der  Jugend  zu  lehren,  dass  die  Pflicht  jederzeit  dem 
Vergniigen  vorangehe.  Wir  haben  Lehrer,  die  nicht  mehr  wissen  als  Handlungsdie- 
ner  und  Fabrikmlidchen,  und  einige  von  unseren  Collegeprofessoren  konnten  nicht 
einmal  an  einem  deutschen  Gymnasium  unterrichten.  Wenn  der  Geist  etwas  hohe- 
res  ist,  als  der  Korper,  wenn  Ideen  wertvoller  sind  als  Reichtiimer,  wenn  Charakter 
von  grosserer  Wichtigkeit  ist,  als  alles  andere,  dann  sollten  Unterricht  und  Erzie- 
hung nur  den  Mannern  und  Frauen  anvertraut  werden,  welche  den  hb'chsten  Bil- 
dungsgrad  erreicht  haben,  und  diese  Manner  und  Frauen  sollte  man  ehren  und  hoch- 
halten,  wie  keine  anderen.  Welchen  schlimmen  Fehlschlag  haben  wir  gerade  in 
diesem  Punkte  zu  verzeichnen  ?"  Nichts  ist  dem  Redner  in  Deutschland  und  Schott- 
land  mehr  aufgefallen,  als  der  Kontrast  zwischen  unserer  Haltung  dem  Lehrerstande 
gegeniiber  und  der  dortigen.  Dort  fasst  man  den  Beruf  ernst  auf,  dort  ehrt  man 
den  Lehrer.  Hier  wird  der  Lehrerstand  haufig  nur  als  Vorbereitungsstufe  fur  einen 
besser  zahlenden  und  mehr  geachteten  Beruf  angesehen.  Wenn  Prof.  Grant,  wie 
der  geehrte  Leser  sofort  erkennen  wird,  auch  ein  wenig  stark  auftragt,  sind  seine 
Aeusserungen  schon  deshalb  hoch  interessant,  weil  sie  in  erfrischendem  Gegensatze 
stehen  zu  dem  Grundton,  der  aus  den  meisten  Abhandlungen  und  Vortragen  ameri- 
kanischer  Padagogen  hervorklingt :  ,,Wir  haben  die  besten  Schulen  in  der  Welt." 
Ebenso  interessant  war  es,  dass  den  Ausfiihrungen  des  Redners  lebhafter  Beifall 

gezollt  wurde. 

Fortsetzung  folgt. 


HI.     Korrespondenzen. 

(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 
Buffalo. 


e£nen  flgj.  grossten  Besttirzung 

Selten  hat  wohl  das  Schuljahr  in  unse-  und  des  Entsetzens  verwandelnd,  dann, 

rer  Stadt  einen  so  stillen  Anfang  zu  ver-  nachdem  man   die   Besinnung  wiederer- 

zeichnen    gehabt,    wie  den  diesjahrigen.  langt,   die  tiefste  Trauer    in  den  Men- 

Wen  hatte   auch  nicht  der  entsetzliche  schenherzen  zuriicklassend.     Der  prach- 

Schlag,  der  unser  geliebtes  Land  getrof-  tige  Musiktempel,  welcher  das  Auge  der 

fen,    im  Innersten  erschiittert  !     War  er  Millionen  Besucher  der  Ausstellung  ge- 

doch,  einem  jahen  Blitze  gleich,  aus  dem  fesselt    und    entztickt,    und    aus    dessen 

heitersten    Himmel      herniedergefahren,  Halle  wunderbare  Symphonien  und  ge- 

zuerst  Wut  und  Schrecken  gebarend,  den  weihter     Orgelton,     von    Meisterhanden 

Ort  der  lautersten  Freude  und  Begeiste-  hervorgezaubert,    zum    Himmel  geklun- 


Korresponden^en. 


335 


gen,  war  der  Schauplatz  der  ruchloses- 
ten  That  geworden.  Die  Hoff  nungen  be- 
zuglich  des  Erf olges  der  Ausstellung  wa- 
ren  gerade  kurz  vorher,  durch  die  von 
Nah  und  Fern  herbeistromenden  Scha- 
ren  hoch  geschwellt,  kiihn  emporgestie- 
gen,  um  nun  bis  ins  Mark  vernichtet 
getroff  en  zu  werden.  Wohl  wird  und  muss 
sich  die  Ausstellung  wieder  aufraffen 
und  versuchen  zu  glanzen  und  zu  leuch- 
ten,  wie  vor  dem  verheerenden  Strahle, 
aber,  wie  die  Blatter  der  Lilie,  vom  Wet- 
ter gestreift,  sich  nie  mehr  wie  zuvor  er- 
heben  und  duften,  trotz  aller  inneren 
Lebenskraft,  so  wird  das  mit  dem 
edelsten  Blute  bespritzte  Blatt  in  der 
Geschichte  der  Pan-American  sich  bis 
zum  Ende  fiihlbar  machen.  Ganz  Buf- 
falo schien  seit  dem  verhangnisvollen 
Tage  fur  den  Genuss  eines  Besuches  des 
Ausstellungsplatzes  vollkommen  un- 
empfanglich  zu  sein,  so  sehr  hatte  das 
Schauderhafte  der  Nachricht  und  die 
Sorge  um  das  Leben  des  Prasidenten  die 
Gemuter  eingenommen.  Infolge  des  in 
die  eigentliche  erste  Schulwoche  fallen- 
den  Besuches  des  Landesherrn  war  der 
Schulanfang  um  eine  Woche  verschoben 
worden,  und  als  man  drei  Tage  nach  (7  em 
Attentate  auf  die  Schulgebaude  zu- 
schritt,  da  kamen  die  Kinder  ernst,  bei- 
nahe  feierlich  daher,  und  die  meisten 
vergassen,  sich  die  ersten  Tage  auf  der 
Schulbank  eingefangenen  Vogeln  gleich 
zu  benehmen,  wie  das  sonst  wohl  nach 
den  langen  Ferien  iiblich  war.  Auch  die 
Feiertagsverkiindigung  anlasslich  der 
Bestattung  des  seinen  Wunden  erlegenen 
Prasidenten  wurde  mit  mancher  Thrane 
im  Auge  entgegengenommen.  Hoffen 
wir,  dass  der  grosse  nationale  Schmerz 
einen  unverwischbaren  Eindruck  auf 
Jungamerika  gemacht  hat  und  dem  Auf- 
gehen  der  oft  schon  in  die  Kinderherzen 
gesaten  Samenkornlein  des  Anarchismus 
steuern  wird,  denn  die  Geschichte  hat 
ja  stets  gelehrt,  dass  dem  Blute  der 
Martyrer  Wunderblumen  der  Liebe  ent- 
spriessen.  — 

Wie  in  den  verflossenen  Jahren,  so 
mangelt  es  auch  in  diesem  den  meisten 
Volksschulen  an  Raum;  dagegen  werden 
die  Hochschulen  erst  anfangs  November 
vollstandig  gefullt  werden,  da  einige 
hundert  Schiller  auf  dem  Ausstellungs- 
platze  beschaftigt  sind.  Die  Teilnahme 
am  deutschen  Unterricht  in  den  Hoch- 
schulen ist,  wie  immer,  hochst  befriedi- 
gend,  doch  hat  man  in  den  Volksschulen 
bei  einer  der  Bevolkerung  entsprechen- 
den  Zunahme  leider  auch  ab  und  zu  ei- 
nen Fall  zu  berichten,  wo  das  Deutsche 
eingegangen.  Wessen  Schuld  das  ist,  ist 
schwer  zu  sagen;  jedenfalls  kann  den 
dem  deutschen  Elemente  abholden  engli- 


schen  Lehrerinnen  viel  ungunstiger  Ein- 
fluss  zugeschrieben  werden. 

Das  Gesuch  der  Lehrerinnen  um  eine 
Gehaltszulage  von  hundert  Dollars  ist 
bewilligt  worden,  wenn  auch  nicht  in 
der  gewunschten  Weise.  Anstatt  im 
ersten  Jahre  fiinfzig  und  in  den  folgen- 
den  den  vollen  Betrag  zu  erhalten,  ha- 
ben  die  Stadtvater  nur  eine  jahrliche 
Zulage  von  zwanzig  Dollars  bewilligt, 
und  so  wird  ihnen  denn  erst  im  funften 
Jahre  die  voile  Summe  zu  gute  kommen. 

Da  gute  deutsche  Theatervorstellun- 
gen  einen  ausgezeichneten  Faktor  zur 
Aufrechterhaltung  und  Hebung  des 
Deutschtums  bilden,  so  haben  die  in 
Aussicht  gestellten  dreissig  Vorstellun- 
gen  reges  Interesse  und  viel  Freude 
wachgerufen.  Herr  Eisemann,  einer  un- 
serer  besten  Darstellungskiinstler,  hat 
sich  redlich  bemtiht,  eine  gute  Truppe 
von  einheimischen  und  importierten 
Schauspielern  zusammenzubringen  und 
man  sieht  dem  Ertiff nungsstiicke :  ,,Das 
weisse  Ross'l"  von  Kadelburg  und 
Schonthan  mit  grosser  Spannung  entge- 
gen.  Dieselbe  Gesellschaft  wird  sich 
auch  in  einigen  Nachbarstadten  horen 
lassen.  B.  R. 

Chicago. 

In  den  offentlichen  Schulen  Chicagos 
nehmen  etwa  40,000  Kinder  am  deut- 
schen Unterrichte  teil.  Ebenso  viele  er- 
halten griindlichen  Unterricht  in  der 
deutschen  Sprache  in  den  katholischen 
und  protestantischen  Kirchenschulen.  — 
L)ie  vier  unteren  Grade  der  offentlichen 
Schulen  erhalten  nun  freie  Schulbucher 
trotz  des  Protestes  der  deutschen  Ka- 
tholiken.  Die  Gerichte  werden  sich  nun 
mit  dieser  Frage  zu  beschaftigen  haben. 

Bei  der  Eroffnung  der  Schulen  im 
September  stellte  es  sich  heraus,  dass 
der  Schulrat  im  Juni  fur  die  Hochschu- 
len 28  Lehrer  zu  viel  fur  dieses  Jahr  er- 
nannt  hatte.  Dik  betreffenden  Lehrer 
miissen  sich  jetzt  mit  einer  Stelle  in  der 
Elementarschule  begniigen  oder  der 
Schule  Valet  sagen.  — 

Am  20.  September  hielten  die  deut- 
schen Lehrkrafte  unter  dem  Vorsitze 
des  Herrn  Dr.  Zimmermann  ihre  erste 
diesjahrige  Versammlung  in  der  Dewey- 
Schule  ab.  Frl.  Ottilie  Nielsen  zeigte 
mit  einer  Klasse  des  achten  Grades,  dass 
sich  bei  gewissenhafter,  fleissiger  Arbeit 
recht  anerkennenswerte  Resultate  in 
der  Grammatik  erzielen  lassen.  Herr 
Dr.  Zimmermann  legte  einen  von  ihm 
ausgearbeiteten  Kursus  flir  den  Unter- 
richt im  Deutschen  vor,  den  sich  nun 
die  deutschen  Lehrer  zum  Wegweiser 
dienen  lassen  mttssen;  jedoch  sollen  die 
individuellen  Anlagen  des  Lehrers  keine 
allzu  grosse  Einschrankung  erfahren. — 


336 


PMagogische  Monatsbeftt. 


Die  Agitation  gegen  den  deutachen 
Unterricht  in  den  offentlichen  Schulen 
halt  an.  Schulrat  Losch,  welcher  auf 
Beseitigung  des  deutschen  Unterrichts 
hinarbeitet,  meint,  die  erzielten  prakti- 
schen  Resultate  rechtfertigen  nicht  die 
jahrliche  Ausgabe  von  mehr  als  $150,- 
000.  Der  Bund  deutscher  Biirger,  der 
Verband  deutscher  Vereine  und  einzel- 
stehende  Vereine  treten  filr  Beibehal- 
tung  resp.  Verbesserung  des  deutschen 
Unterrichts  ein.  Dass  die  Lehrer  sich 
bei  dieser  Sachlage  nicht  sehr  wohl  fiih- 
len,  liegt  auf  der  Hand. 

E.  A.  Z. 
New  York. 

Am  9.  Sept.  wurde  New  Yorks  Schul- 
maschinerie  wieder  in  Bewegung  gesetzt. 
Da  zeigte  sich  aufs  neue,  dass  die  Welt 
stadt  am  Hudson  bei  weitem  nicht  ge- 
nug  Raumlichkeiten  hat,  um  ihre  Schul- 
jugend  entsprechend  zu  hausen.  Hunderte 
von  Kindern  wurden  abgewiesen  und  so- 
zusagen  aufs  Strassenpflaster  geworfen, 
Tausende  konnen  nur  halbtagigen  Unter- 
richt geniessen.  Es  wurden  zwar  einige 
Schulhauser  im  Verlauf  des  Jahres  neu- 
gebaut,  andere  vergrossert.  Was  ist  dies 
aber  im  Verhaltnis  zum  jahrlichen  Zu- 
wachs  der  Riesenstadt !  Seit  Jahren 
schon  hat  man  in  dieser  Richtung  gesiin- 
digt.  Diesmal  scneint  aber  das  Uebel 


grosser  zu  sein,  als  selbst  die  dunkelse- 
hendsten  Pessimisten  ahnten.  Doch 
trifft  den  Schulrat  keine  Schuld.  Die- 
ser verlangte  immer  und  immer  wieder 
die  notigen  Summen,  um  der  wachsen- 
den  Gefahr  wirksam  entgegenzuarbeiten. 
Aber  der  ,,Board  of  Estimate",  der 
Mayor,  der  Comptroller,  der  Biirgeraus- 
schussobmann  u.  s.  w.,  der  allein  iiber 
die  stadtischen  Geldmittel  zu  verfiigen 
hat,  verweigerte  fortwahrend  ganz  oder 
teilweise  die  verlangten  Gelder.  Jetzt 
ist  die  Kalamitat  so  gross,  dass  es  voile 
20,000,000  Dollars  bedarf,  um  die  noti- 
gen Raumlichkeiten  zu  beschaffen!  Ob 
die  nachsten  Novemberwahlen  die  Lage 
andern  werden? 

Unsere  erste  Herbstversammlung  der 
Lehrer  von  New  York  und  Umgegend 
wird  nachsten  Samstag,  den  5.  Oktober, 
stattfinden.  Giebt  es  ja  doch  ,,nach  der 
Vakanz  und  ihren  unendlichen  Freuden" 
so  vieles  zu  erzahlen  und  auszutauschen. 
Mehrere  unserer  Mitglieder  waren  wah- 
rend  des  Sommers  in  der  alten  Heimat, 
andere  verbrachten  kiihle  Tage  und  ,,bal- 
samische  Nachte"  in  den  Bergen,  wieder 
andere  verjiingten  sich  in  den  salzigen 
Badern  des  Ozeans;  andere  blieben  bei 
,,Muttern"  und  gaben  Privatunterricht, 
und  wieder  andere  erholten  sich  in 
schriftstellerischer  Thatigkeit. 

A*    J.    ix. 


IV.     Umschau. 


Amerika- 

Chicago.  Supt.  E.  G.  Cooley  scheint 
mit  energischer  Hand  an  eine  Reforma- 
tion der  Chicagoer  Schulen  zu  gehen  und 
findet,  was  besonders  bemerkenswert  ist, 
in  der  Ausftihrung  seiner  Reformplane 
die  voile  Unterstiitzung  des  Schulrates. 
Wahrend  wir  bereits  in  der  vorigen 
Nummer  berichteten,  dass  seine  Wieder- 
wahl  vor  Ablauf  seines  Amtstermines 
stattfand,  um  ihn  von  lastigen  Einfliis- 
sen  bei  der  Anstellung  von  Lehrern  zu 
befreien,  ist  nun  auch  den  Distriktkomi- 
tees  jede  Einmischung  untersagt,  und 
neue  Vorschriften  legen  die  Anstellung 
von  Lehrkraften  in  die  Hande  des  Su- 
perintendenten  und  seiner  Assistenten. 
Ein  neues  System  fiir  die  Priifung  von 
Lehramtskandidaten  ist  eingefuhrt  wor- 
den,  und  die  Mitglieder  der  Priifungs- 
kommission  werden  von  dem  Superinten- 
denten  ernannt.  Von  alien  Spezialleh- 
rern,  auch  denen  der  deutschen  Sprache, 
wird  eine  padagogische  Vorbildung  ver- 
langt.  Die  Normalschule  wird  erweitert 
werden,  um  alien  diese  Vorbildung  zu 


gewahren;  vorlaufig  ist  eine  Abteilung 
fiir  Handfertigkeitslehrer  geschaffen 
worden.  Ein  Experiment  mit  der  Ein- 
fuhrung  freier  Schulbucher  soil  in  den 
ersten  vier  Graden  gemacht  werden,  und 
die  Mittel  sind  dafiir  ausgeworfen  wor- 
den. Es  wird  aber  erwartet,  dass  ka- 
tholischerseits  Einspruch  gegen  diese 
Neuerung  erhoben  werden  wird.  (Vergl. 
Korr.  aus  Chicago.) 

Gegen  Steilschrift.  Wie  vorauszusehen 
war,  macht  sich  nach  der  Stromung  zu 
gunsten  der  Steilschrift,  die  deren  Ein- 
fiihrung  fast  in  alien  Schulen  des  Lan- 
des  zur  Folge  hatte,  eine  GegenstrSmung 
bemerkbar,  die  zur  Schragschrift  wieder 
zuriickkehren  will.  Cincinnati  ist  ge- 
genwartig  daran,  diesen  Wechsel  vorzu- 
nehmen,  und  nur  die  Lauheit  der  Schul- 
ratsmitglieder,  die  die  Sitzungen  nicht 
regelmassig  besuchen,  hat  in  der  letzten 
Versammlung  die  Annahme  von  neuen 
Schreibbiichern  verhindert.  Es  ist  nam- 
lich  fiir  Annahme  von  Lehrbiichern  ein 
diesbeziiglicher  Beschluss  von  drei  Vier- 
tel  aller  Mitglieder  notig;  so  viel  schei- 


Umscbau. 


337 


nen  aber  nicht  anweaend  gewesen  zu 
sein.  Die  Steilschrift  wurde  bereits  vor 
den  Ferien  durch  einen  Schulratsbe- 
schluss  abgethan. 

Philadelphia.  Den  Lehrern  der  offent- 
lichen  Schulen  Philadelphias  ist  anem- 
pfohlen  worden,  ihre  Klassen  ein-  oder 
zweimal  wahrend  des  Schuljahres  nach 
dem  Fairmount  Park  und  nach  dem  zoo- 
logischen  Garten  zu  nehmen,  und  zwar 
werden  diese  Ausfliige  den  regelmassigen 
Schulstunden  zugezab.lt  werden.  Proba- 
tum  est! 

Milwaukee.  Folgenden  Bericht  finden 
wir  im  ,,New  York  School  Journal",  den 
wir  hier  im  Wortlaunt  wiedergeben: 

The  Milwaukee  school  board  has 
done  a  wise  thing  in  admitting  to  the 
high  school  curriculum  courses  in  Ger- 
man, not  conversational  but  designed 
to  prepare  pupils  for  the  requirements 
of  the  state  university.  The  new  clas- 
ses will  not  supplant  the  conversa- 
tional classes  that  have  been  estab- 
lished for  upwards  of  twenty  years  in 
Milwaukee.  The  university  authorities 
at  Madison  have  long  complained  that 
students  prepared  in  conversational 
methods  do  not  come  up  to  the  uni- 
versity ready  to  do  the  work  in  mod- 
ern languages.  It  must  be  admitted 
that  for  the  average  scholar  it  is  more 
important  to  know  the  principles  and 
the  grammar  of  the  German  language 
and  to  be  able  to  read  it,  even  tho 
painfully  and  with  a  great  deal  of 
help  from  the  dictionary,  than  it  is  to 
be  able  to  chat  pleasantly  in  stock 
phrases  about  the  weather. 
Welches  tiefe  padagogische  Urteil  iiber 
den  Wert  des  Sprachunterrichts  offen- 
bart  sich  nicht  in  diesen  Worten !  f 

Deutschland. 

Schulen  fuer  Schicachsinnige.  Seit 
dem  Ende  der  siebziger  Jahre  ist  in  dem 
Volksschulorganismus  zu  Berlin  zuerst 
vereinzelt,  dann  in  immer  rascherer 
Folge  eine  neue  Art  von  Schulen  ent-- 
standen  —  Schulen  fiir  Schwachsinnige 
leichtern  Grades,  fur  geistig  geschwach- 
te  Kinder,  bei  denen  ein  ein-  oder  mehr- 
jahriger  Besuch  einer  Normalschule  ge- 
zeigt  hat,  dass  hier  auf  einen  auch  nur 
einigermassen  ausreichenden  Unter- 
richtserfolg  nicht  zu  rechnen  ist.  Mit 
Riicksichtnahme  auf  die  Gefiihle  der 
Eltern  hat  man  diese  Schulen  meist  als 
Hilfsschulen  fur  Schwachbefahigte  be- 
zeichnet.  Sie  bestanden  1880  in  5,  1885 
in  10,  1890  in  22,  1895  in  37,  1898  in 
52  deutschen  Stadten.  Ostern  1898  wur- 
de im  Anschluss  an  eine  von  Freunden 
und  Vertretern  der  Hilfsschulen  in  Han- 
nover abgehaltene  Versammlung  ein  Ver- 


band  der  Hilfsachulen  Deutschlands  ge- 
bildet.  Als  Ziele  setzte  sich  dieser  ne- 
ben  Erforschung  des  Wesens  des  kindli- 
chen  Schwachsinns,  seiner  Aeusserungen 
und  der  bestmSglichen  Erziehungs-  und 
Unterrichtsweise  der  damit  behafteten 
Kinder  die  Herbeifuhrung  einer  gebiih- 
renden  Riicksichtnahme  auf  den 
Schwachsinn  im  Justiz-  und  Militarwe- 
sen  und  eine  moglichst  weite  Verbrei- 
tung  der  Hilfsschulen.  Seit  1898,  also 
in  nur  3  Jahren,  ist  die  Zahl  der  deut- 
schen Stadte  mit  Hilfsschulen  um  iiber 
30  gewachsen,  so  dass  letztere  jetzt  im 
Norden  und  Westen  Deutschlands  fast 
in  der  Half£e  aller  grosseren  Stadte  vor- 
handen  sind.  Daneben  hat  in  vielen 
schon  langer  bestehenden  Hilfsschulen 
eine  starke  Vermehrung  der  Klassen 
stattgefunden.  Es  ist  das  nicht  zum  we- 
nigsten  auf  die  Thatigkeit  des  Hilfs- 
schulverbandes  zuriickzufuhren,  der  nach 
Kraf  ten  die  Kenntnis  von  dem  Wesen  und 
Nutzen  der  Hilfsschulen  zu  verbreiten 
suchte  und  auch  vielerorts  dem  lebhaf- 
testen  Interesse  fiir  eine  geeignete  Ver- 
sorgung  der  Schwachen  am  Geist  begeg- 
nete.  Die  bereits  langer  bestehenden 
Hilfsschulen  haben  bewiesen,  dass  sie 
den  in  sie  gesetzten  Erwartungen  zu  ge- 
niigen  vermogen,  da  sie  75 — 95  Prozent 
ihrer  Zoglinge  vollig  oder  doch  anna- 
hernd  zu  wenn  auch  bescheidenem  selb- 
standigen  Broterwerb  im  spatern  Leben 
befahigt  entlassen  konnten. 

In  Saeckingen,  der  alten  Waldstadt, 
in  welcher  Viktor  v.  Scheffel  gelebt  hat, 
ist  unter  sinnigen  und  eindrucksvollen 
Feierlichkeiten  ein  prachtiges  Denkmal 
enthullt  worden,  welches  dem  Dichter 
dea  ,,Trompeter  von  Sackingen"  gewid- 
met  ist.  Das  Denkmal,  welches  durch 
den  Bildhauer  Menges  in  Miinchen  aus- 
gefiihrt  wurde,  besteht  aus  einem  vier 
Meter  hohen  Sockel  mit  dem  Brustbild 
Scheffels  aus  Bronze;  vor  dem  Sockel 
steht  der  Trompeter  in  Lebensgrosse. 

Seminarlehrer  Joh.  Boehm,  der  Her- 
ausgeber  der  Schulpraxis,  ist  im  Al- 
ter von  64  Jahren  gestorben.  Er  war 
nicht  nur  in  seinem  Heimatlande,  son- 
dern  in  ganz  Deutschland  hochgeachtet. 
Seine  Geschichte  der  Padagogik  ist  ein 
sehr  gutes  Werk.  Wahrend  einiger 
Jahre  war  er  Mitglied  der  bayerischen 
Abgeordnetenkammer  und  gehorte  dort 
der  freisinnigen  Partei  an. 

Die  Pausen  an  den  hoeheren  Schulen 
Preussens.  Der  preussische  Kultusmi- 
nister  hat  mit  Berufung  auf  einen  Er- 
lass  des  Kaisers  folgendes  verfiigt:  1. 
Die  Gesamtdauer  der  Pausen  jedes 
Schultages  ist  in  der  Weise  festzusetzen, 
dass  auf  jede  Lehrstunde  zehn  Minuten 
Pause  gerechnet  werden.  2.  Nach  jeder 


338 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


Lehrstunde  muss  eine  Pause  eintreten. 
3.  Es  bleibt  den  Anstaltsleitern  iiberlas- 
sen,  die  nach  1  zur  Verfiigung  stehende 
Zeit  auf  die  einzelnen  Pausen  nach  ih- 
rem  Ermessen  zu  verteilen.  Jedoch  fin- 
den  dabei  zwei  Einschrankungen  statt: 
a)  Die  Zeitdauer  jeder  Pause  ist  min- 
destens  so  zu  bemessen,  dass  eine  aus- 
giebige  Lufterneuerung  in  den  Klassen- 
zimmern  eintreten  kann  und  die  Schiller 
die  Moglichkeit  haben,  sich  im  Freien  zu 
bewegen;  b)  nach  zwei  Lehrstunden  hat 
jedesmal  eine  grossere  Pause  einzutre- 
ten. 

Sonderbaren  paedagogischen  Grund- 
saetzen  muss  das  Lehrerkollegium  des 
katholischen  Lehrerseminars  zu  Meers- 
burg  huldigen.  Direktor  und  Lehrer 
dieser  Anstalt  erklaren,  dass  sie  schon 
manche  Zoglinge,  ja  solche  der  hochsten 
Klasse,  geohrfeigt  haben,  und  dass  sie 
ohne  ein  so  entehrendes  Disziplinarmit- 
tel  nicht  auskommen  kb'nnten.  Wen  soil 
man  da  nun  mehr  bedauern,  die  Schil- 
ler, die  solcher  Behandlung  unterworfen 
sind,  oder  die  Lehrer,  deren  Takt  und 
padagogische  Einsicht  auf  so  niederer 
Stuf e  steht  ?  Die  Entriistung  iibrigens  in- 
nerhalb  der  pildagogischen  Presse  sowohl 
als  auch  der  Tagespresse  ist  allgemein 
und  hat  schon  zu  Beleidigungsklagen  ge- 
f iihrt,  die  gegenwartig  vor  den  Gerlchten 
ausgefochten  werden. 

Ein  westpreussischer  Lehrer  erlaubte 
sich  an  das  Generalkommando  die  Fra- 
ge,  wann  die  Lehrer  dieses  Jahr  die  mi- 
litarische  Uebung  zu  leisten  hatten  und 
ob  eine  Versetzung  Studien  halber  mog- 
lich  ware.  Die  Antwort  ist:  24  Stun- 
den  Arrest  wegen  Umgehung  des  Dienst- 
weges,  abzusitzen  im  Spritzenhaus  des 
Dorfes.  Alle  Reklamation  war  umsonst. 
Ja  die  Autoritat! 

Frankreich. 

In  Frankreich  tragt  man  sich  mit  ei- 
ner  wunderlichen  Reform  des  Unter- 
richts  im  erst  en  Schuljahre.  Der  neue 
Direktor  des  Elementarunterrichts, 
Bayet,  will  die  Fibel,  das  A-B-C-Buch, 
vollig  aus  dem  Unterricht  der  Kleinen 
entfernen  und  durch  ein  Bilderbuch  er- 
setzen.  Diese  neuen  Fibeln  sollen  nur 
Zeichnungen  enthalten,  deren  Entwurf 
den  ersten  franzb'sischen  Kilnstlern  an- 
vertraut  werden  soil.  Der  Unterrichts- 
minister  Leygues  ist,  wie  berichtet  wird, 
fiir  diese  moderne  Reform  sehr  einge- 
nommen  und  will  einen  Appell  an  die 
Maler  erlassen,  Beitrage  zu  solchen  Btt- 
chern  zu  liefern  und  die  Wande  der 
Scnulraume  mit  dekorativen  Entwiirfen 
zu  schmilcken.  Bayet  setzt  das  Ziel,  das 
er  verfolgt,  in  folgender  Weise  ausein- 
ander:  ,,Das  Kind  findet  in  dem  Augen- 


blick,  wo  es  in  die  Schule  eintritt,  also 
im  Alter  von  sechs  Jahren,  grosses  Ver- 
gnilgen  daran,  Bilder  zu  betrachten  und 
andererseits  Darstellungen  eines  ver- 
trauten  Gegenstandes  zu  zeichnen,  frei- 
lich  in  kindlicher  Weise  derartige  Zeich- 
nungen anzufertigen.  Allein  wenn  das 
Kind  sich  Bilder  anzusehen  liebt,  so  ver- 
steht  es  doch  nicht.  sie  zu  betrachten, 
es  betrachtet  sie  schlecht.  Es  blattert 
im  Bilderbuche  und  halt  sich  niemals 
dabei  auf,  aufmerksam  und  eine  gewisse 
Zeit  lang  ein  bestimmtes  Bild  genau  an- 
zusehen. Auch  Erwachsene  betrachten 
in  derselben  oberflachlichen  Weise.  Das 
erste  Schulbuch  soil  ein  Bilderbuch  sein, 
in  dem  es  keine  Buchstaben  giebt,  son- 
dern  in  dem  sehr  einfache  Geschichten 
in  drei  oder  vier  Szenen  erziih.lt  wiirden, 
so  dass  die  Aufgabe  des  Kindes  darin 
bestande,  diese  Szenen  in  miindlicher  Er- 
zahlung  wiederzugeben,  nachdem  es  sie 
betrachtet  und  genau  angesehen  hatte. 
Dies  Verfahren  wiirde  den  doppelten 
Vorteil  haben,  die  Kinder  zu  zwingen, 
Bilder  zu  analysieren  und  sich  fiber  das 
Geschaute  auszusprechen.  Es  ware  dies 
die  erste  Uebung  im  Erzahlen,  und  man 
weiss,  wie  schwer  es  in  der  Schule  ist, 
die  Kinder  zur  rechten  Zeit  zum  Spre- 
chen  zu  bringen.  Ich  glaube  daher,  dass 
es  aus  vielen  Griinden  sehr  niitzlich  wa- 
re, Bilderbucher  zu  haben,  die  unter  Lei- 
tung  des  Lehrers  die  Schiller  zum  ge- 
nauen  Sehen  zwingen  und  die  Kleinen 
machtig  anregen  wiirden,  zu  erzahlen, 
was  sie  vor  Augen  haben.  Damit  ware 
auch  ein  Stoff  zu  Mai-  und  Zeicheniibun- 
gen  gegeben,  die  in  der  ersten  Schulzeit 
recht  fleissig  zu  betreiben  sind." 

,,Die  armen  Kinder  sollen  wieder  ein- 
mal  laufen,  ehe  sie  gehen  gelernt  haben! 
Und  —  die  alte  Lehre!  —  die  am  we- 
nigsten  Erfahrungen  auf  einem  bestimm- 
ten  Arbeitsgebiet  gemacht  haben,  sind 
am  reichsten  an  geistreichen  Einfallen. 
Arme  Kinder,  die  all  diesen  Einfallen  als 
Versuchsobjekte  dienen  miissen!  Und 
wahrend  ail  dieser  Reformereien  schrei- 
en  die  franzosischen  Lehrer  dringend 
nach  Brot."  So  urteilt  die  ,,Frankfur- 
ter  Schulzeitung". 

England. 

England.  Auf  dem  Philologenkongress 
in  Bradford  wurde  mit  Bedauern  betont, 
dass  die  uebertriebene  Hervorhebung  des 
Wertes  rein  sportlicher  Erfolge  bereits 
ernste  Folgen  in  England  zeitige.  Der 
,,Daily  Telegraph"  fiihrt  hierzu  weiter 
aus:  In  der  Betonung  des  Wertes  phy- 
sischer  Ausbildung  sei  man  unter  Ver- 
nachliissigung  der  Geistesbildung  zu  weit 
gegangen.  Der  volkstumliche  Held  sei 
der  Athlet,  ein  Held  nicht  nur  in  den 


Vermischtes. 


339 


Augen  der  Mitschtiler  und  Eltern,  son- 
dern  auch  in  denen  der  Lehrer.  Man 
habe  bittere  Erfahrungen  tiber  die  Ir- 
rigkeit  solcher  Anschauungen  machen 
miissen;  nicht  einmal  ini  Kriege  komme 
es  so  sehr  auf  korperliche  Leistungen 
und  gedankenloses  Wagen  und  Draufge- 
hen,  als  vielmehr  darauf  an,  zu  wissen, 
wann  und  wie  man  wagen  mtisse.  Wei- 
ter  zieht  die  Zeitung  gegen  die  Beherr- 
schung  des  ganzen  sozialen  Lebens  durch 
athletische  Vergniigungen  mit  ihrem  Zu- 
behor  von  Wetten  zu  Felde.  England  sei 
ein  gewaltiger  Spielplatz  geworden  und 
seine  Stellung  unter  den  Nationen  leide 
darunter;  die  technische  Erziehung  sei 
niedriger  als  bei  den  Konkurrenten ;  die 
kommerzielle  Arbeit  beginne  zu  weichen 
und  zwar  nur  infolge  des  Mangels  an 
Spezialkenntnissen.  Das  ganze  Erzie- 
hungs-  und  Unterrichtssystem  bilde  ein 
Chaos.  Kurzum,  die  ganze  Frage  schnei- 
de  tief  in  die  Zukunft  des  Landes  und 
der  angelsachsischen  Rasse  ein. 

Mexiko. 

Die  deutsche  Kolonie  zu  Mexiko  griin- 
dete  im  Jahre  1894  eine  eigene  Schule, 


um  ihren  Kindern  eine  Ausbildung  nach 
dem  Muster  der  deutschen  Schulen  zu 
sichern.  Aus  kleinen  Anfangen  und  un- 
ter mancherlei  Schwierigkeiten  hat  sich 
die  Anstalt  in  der  verhaltnismassig  kur- 
zen  Zeit  ihres  Bestehens  weiter  ent- 
wickelt,  so  dass  sie  nunmehr  ein  wohl- 
organisiertes  Schulsystem  bildet,  wel- 
ches drei  Elementarklassen,  sowie  eine 
Realschule  im  deutschen  Sinne  bis  zu 
Obertertia  fur  Knaben  und  Madchen  und 
eine  besondere  Madchenklasse  umfasst. 
In  Sexta  und  Quinta  ist  der  Unterricht 
fur  Knaben  und  Madchen  gemeinsam,  in 
den  oberen  Klassen  dagegen  geteilt.  Der 
Lehrplan  ist  den  Lehrplanen  in  deut- 
schen Schulen  angepasst,  natiirlich  mit 
den  Aenderungen,  welche  die  besonderen 
Verhaltnisse  Mexikos  erfordern.  Die  Un- 
terrichtssprache  ist  die  deutsche.  An  der 
Spitze  der  Anstalt  steht  seit  dem  Juli 
vorigen  Jahres  Professor  August  Heck, 
der  vorher  11  Jahre  an  der  Realschule 
zu  Karlsruhe  (Baden)  thatig  war;  der 
Vorsitzende  der  Schulkommission  ist 
Baron  von  Heyking,  deutscher  Gesandter 
und  bevollmachtigter  Minister.  Die 
Schiilerzahl  betrug  am  Ende  des  letzten 
Schuljahres  128. 


V.     Vermischtes 


Ein  autobiographisches  Urteil  ueber 
,,Robinson".  Professor  G.  F.  Schuma- 
cher, vormaliger  Rektor  der  Domschule 
zu  Schleswig,  Ritter  vom  Dannebrog, 
giebt  uns  in  seinem  heute  noch  lesens- 
werten,  aber  wohl  vergriffenen  Werke: 
Genrebilder  aus  dem  Leben  eines  siebzig- 
jahrigen  Schulmannes,  eras  ten  und  hu- 
moristischen  Inhalts ;  oder :  Beitrage  zur 
Geschichte  der  Sitten  und  des  Geistes 
seiner  Zeit"  (Schieswig,  1841)  eine  in- 
teressante  Darstellung  von  den  Eindriik- 
ken,  welche  die  Lektiire  des  ,,alteren  Ro- 
binsons" auf  ihn,  den  neunjahrigen  Kna- 
ben, ausiibten.  ,,Mein  Leben  floss  triibe 
dahin.  besonders  im  Winter,  wo  ich  sel- 
ten  hinaus  durfte.  Viel  und  oft  horte 
ich  den  Vorwurf,  dass  ich  wohl  verzehre 
und  koste  im  hauslichen  Kreise,  aber 
nichts  erwerbe.  Es  schmerzte  mich,  aber 
wie  sollte  ich  erwerben?  Ich  wusste  es 
nicht  anzufangen.  Dies  alles  wandte 
meine  Gedanken  und  Gefiihle  von  der 
Aussenwelt  ab.  In  mir  selbst  fand  ich 
noch  nicht  Stoff  genug  zum  Ersatz  durch 
Gedanken  oder  Selbstarbeit ;  so  lebte  ich 
in  der  Phantasie,  und  ein  Buch,  welches 
mich  ganz  der  Gegenwart  entfremdete, 
das  war  mein  Himmel.  Einer  meiner 
Kameraden  aus  der  Abendschule  zeigte 


mir  einst  ein  Buch,  was  ihm  gehorte.  Es 
war  ein  in  braunes  Leder  gebundenes 
Exemplar  des  alten  Robinson,  ( nach  wel- 
chem  Campe  den  seinigen  nachher  gear- 
beitet)  er  lieh  ihn  mir,  und  nie  erinnere 
ich  eines  solchen  Seelengenusses,  als  der 
war,  mit  dem  ich,  in  einem  stillen  Win- 
kel  gekauert,  mit  Robinson  und  seiner 
Insel  lebte.  Die  Form  des  Buches  ist  die 
langweiligste ;  die  einzelnen  Vorfalle  im 
Stil  eines  Tagebuches  erzahlt;  die  Zahl 
der  Schlage  seiner  Axt,  um  ein  Boot  zu 
machen,  die  Zahl  der  gefundenen  Au- 
stern  der  Inhalt  ganzer  Seiten ;  aber  wie 
genugend  fiir  mich!  Ich  war  dadurch 
der  herben  Wirklichkeit  entrilckt,  ich 
lebte  mit  ihm  in  Gedanken,  empfand  alle 
Schauer  und  Angst  bei  Erscheinung  der 
Wilden,  alle  Freude  bei  seiner  endlichen 
llettung,  bei  der  nur  die  einzige  schmerz- 
liche  Seite  ftir  mich  war,  dass  das  Buch 
hier  endigte.  Von  nun  an  aber  spielte 
das  Buch  eine  grosse  Rolle  in  meinem 
innern  Leben;  ein  Reich  der  Phantasie 
war  mit  ihm  aufgegangen,  und  was  mir 
wichtig  war,  die  Gewohnheit  einer  sol- 
chen Gedankenabsonderung  und  die  nie 
wieder  erloschene  Liebe  zu  einer  Lektttre 
ahnlicher  Art.  Ich  litt  spater  jeden 
Winter  an  wunden  Ftissen  durch  Frost, 


340 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


und  konnte  dann  gar  nicht  hinaua.  Mir 
ward  die  Zeit  lang,  denn  alle  Umgebun- 
gen  waren  traurig.  Ich  verging  fast  in 
unbesiimmter  Sehnsucht.  Da  flel  mir 
mein  Robinson  ein.  Ich  bat  meine  Mut- 
ter, hinschicken  zu  diirfen,  um  ihn  von 
neuem  zu  leihen.  Wie  aber  mein  See- 
lenzustand  war  in  der  Zwischenzeit,  ehe 
ich  wusste,  ob  er  kommen  werde,  meine 
Angst,  er  moge  ausgeliehen  sein,  und  wie 
mir  zu  Mute  ward,  als  ich  den  Abge- 
schickten  aus  dem  Fenster  erblickte,  mit 
einem  braunen  Buch  unter  dem  Arm! 
Das  kann  belachen,  wer  dergleichen 
nicht  zu  verstehen  weiss,  aber  nachem- 
pfinden  kann  es  mir  keiner.  Ich  fiihle 
mich  glucklich,  zufrieden,  selig  im  Be- 
sitz  des  Buches;  alles  Widrige  der  Ge- 
genwart  verschwand  dagegen;  ich  nahm 
es,  und  suchte  einen  Lesewinkel.  Ich 
habe  Gourmands  gekannt,  die  den  teu- 
ren  Leckerbissen  langsam,  langsam,  ge- 
nossen,  um  lange  zu  geniessen,  und  sich 
des  kostlichen  Geschmacks  recht  be- 
wusst  zu  bleiben;  so  ging  es  mir.  Ich 
las  mit  Fleiss,  langsam,  legte  oft  auf 
Minuten  das  Buch  weg,  um  langer  gut 
davon  zu  haben,  und  freute  mich  meiner 
wunden  und  oft  sehr  schmerzenden 
Fiisse,  weil  ich  ihnen  diesen  Genuss  ver- 
dankte. 

Diese  Art,  ein  Buch  zu  geniessen, 
mich  ganz  der  Einbildungskraft  fur  die 
fremden  Szenen  hinzugeben,  die  Gegen- 
wart  zu  vergessen,  in  der  Abbsonderung 
von  alien  Aeussern  meine  Freude  zu  fin- 
den,  ist  mir  fiir  das  ganze  Leben  ge- 
blieben;  und  ich  glaube,  hier  liegt  der 
Grund." 

Sehr    schoen     werden    die    kindlichen 
Pflichten    im    ,,Sching    Yu",    einem    ge- 
reimten   chinesischen  Jugendbuche,    zur 
Darstellung  gebracht: 
,,Das  Kind  bedarf  der  Eltern  zarter  Sor- 

gen 

bis  angstvoll  sie  3  Jahre  es  ernahrt. 
Des  Vaters  wachsam  Aug',  der  Mutter 

Liebe 
sie  stehen  selbst    dem    hohen     Himmel 

gleich. 
Nahrhaft  sei  drum  die  Kost,  mit  der  der 

Sohn 
fUr  seine   Eltern  sorgt.      Vor    Winters 

Kalte 
beschiitz'  er  ihren  schwachen  Leib  mit 

Seide. 

In  ihrem  Alter  wachse  seine  Pflege. 
Beim  Gehen  stutze  ihren    Schritt    sein 

Arm. 

Beim  Sitzen  wart'  er  ihnen  sorgsam  auf; 
Bequemlichkeit  ftir  sie  sei  seine  Sorge, 
und  jeden  Wunsch  erf  till'  er  ihnen  gern. 
Wenn  Schmerz  und  Krankheit  ihre 

Krafte  schwachen, 
erwache  seine  ganze  Sorg'  und  Liebe: 


er  suche  schnell  Arznei,  die  jenen  heil- 

sam, 

und  hole  des  geschickten  Arztes  Hilfe. 
Und  wenn  zuletzt  des  Scheidens  Stunde 

kommt, 
bereite  Sarg  und  Grabtuch  er  mit  Sorg- 

falt. 

Ja,  lebenslang  mit  Opfer  und  Gebet 
Gedenk'    er     seiner    Eltern     ehrfurchts- 

voll!" 

Fuer  Freunde  der  EinsamJceit!  Die 
kleine  vulkanische  Insel  Tristan  da 
Cunha,  zwischen  Siidafrika  und  Stidame- 
rika,  mitten  im  Atlantischen  Ozean  ge- 
legen,  geho'rt  zu  den  einsamsten  Punk- 
ten  der  Erde.  Im  Mai  vergangenen  Jah- 
res  war  es  Kapitan  Otto,  Fuhrer  des 
Schiffes  R.  C.  Rickmers,  auf  der  Fahrt 
von  New  York  nach  Hongkong  mb'glich, 
mit  den  wenigen  Bewohnern  des  Felsen- 
eilandes  in  Verbindung  zu  treten.  In 
den  ,,Annalen  der  Hydrographie"  be- 
richtet  er,  dass,  als  sein  Schiff  4  See- 
meilen  von  der  Insel  entfernt  war,  ein 
mit  9  Personen  besetztes  Walboot  langs- 
seit  kam  und  Fleisch,  Milch,  Eier  zum 
Tausch  gegen  Mehl,  Reis,  Taback  etc. 
anbot.  Auch  alte  Kleidungsstiicke  wur- 
den  mit  Dank  angenommen.  Die  Insas- 
sen  des  Bootes  waren  gesund  aussehen- 
de,  kraftige  Leute  und  beim  Handel  sehr 
bescheiden.  Nach  Aussage  derselben  le- 
ben  auf  der  Insel  gegenwartig  63  Perso- 
nen. Sie  besitzen  5 — 600  Stuck  Rind- 
vieh,  sowie  zahlreiche  Schafe.  Jedes  Jahr 
einmal  kommt  ein  englisches  Kriegs- 
schiff,  um  die  Post  zu  bringen  und  mit- 
zunehmen,  auch  etwaige  Auswanderer 
abzuholen.  Die  Ernte  war  1900  schlecht 
ausgefallen,  da  schwere  Sturme  dem 
Wachstum  hinderlich  gewesen  waren. 
Fleisch,  Gemiise,  Eier,  Butter,  Milch, 
Kartoffeln  sind  auf  der  Insel  im  Ueber- 
fluss  vorhanden;  es  fehlt  aber  oft  an 
Mehl,  Thee,  Kaffee,  auch  an  Taback,  ob- 
gleich  nur  5  Raucher  auf  der  Insel  le- 
ben.  Schiffe  laufen  Tristan  da  Cunha 
nur  ganz  vereinzelt  an,  seitdem  der  Wai- 
fang  in  diesem  Meeresstriche  ausseror- 
dentlich  zurlickgegangen  ist.  Die  Leute 
erzahlten,  dass  in  der  letzten  Zeit  hau- 
fig  Dampfer  vorbeigekommen  seien,  die 
aber  nicht  anhielten.  Kapitan  Ottover- 
mutet,  es  seien  Transportschiffe  der  eng- 
lischen  Regierung  gewesen,  welche  Vieh 
von  den  argentinischen  Hafen  nach  Kap- 
stadt  brachten.  Nachdem  die  Insulaner 
etwa  45  Minuten  an  Bord  gewesen  wa- 
ren, wurde  Abschied  genommen,  und  die 
Besucher  schieden,  anscheinend  sehr  zu- 
frieden  mit  dem  gemachten  Tauschhan- 
del.  Tristan  da  Cunha,  nach  ihrem  por- 
tugiesischen  Entdecker  (1506)  benannt, 
hat  einen  Flacheninhalt  von  164  Qua- 
dratkilometern,  und  sein  erloschener 


Vermischtes. 


341 


Vulkan  erreicht  eine  Hohe  von  200  Me- 
tern. 

Denkmaeler  oder  Volksbibliothekent 
Der  allbekannte  osterreichische  Vplks- 
dichter  P.  K.  Rosegger  schreibt:  ,,Die 
Denkmaler  erstehen,  die  poetischen 
Schopfungen  verstauben.  Als  ob  die 
Dichter  geboren  wtirden  und  ihre  Werke 
schrieben,  damit  einmal  eine  Denksaule, 
eine  Figur  ihren  Namen  triige!  Die 
Hoffnung,  der  Stolz,  das  Leben  und  die 
Unsterblichkeit  einea  Dichters  besteht 
aber  darin  —  gelesen  zu  werden,  mit 
seinen  Schopfungen  im  Volke  zu  wirken, 
so  lange  es  mOglich.  Ich  weiss  Denkma- 
ler, die  viele  Tausende  von  Gulden  ko- 
sten,  die  mit  grosster  Miihe  zusammen- 
gebettelt  werden.  Bei  der  glanzenden 
Enthiillungsfeier  sind  sogar  aus  den 
Werken  des  betreffenden  Dichters  Aus- 
sprtiche  zitiert  worden  —  im  iibrigen 
aber?  Keiner  kauft  das  Buch,  keiner 
liest  es.  Wenn  das  grosse  Kapital,  das 
fur  ein  Dichterdenkmal  aufgebracht 
worden,  zinsbar  angelegt  wiirde,  und  aus 
demselben  jahrlich  Hunderte  von  Exem- 
plaren  der  Werke  des  Dichters  ange- 
schafFt  und  in  der  unbemittelten,  aber 
lesefrohen  und  empfanglichen  Bevolke- 
rung  filr  Volksbibliotheken  richtig  ver- 
teilt  werden  mochte  —  es  ware  unver- 
gleichlich  zweckmassiger,  es  ware  ein 
wahrhaft  lebendiges,  unvergiingliches 
Denkmal!" 

(Deutsche  Blatter  fur  Erz.  u.  Unt.) 

Die  boesen  Fremdwoerter. 
Dozemol,  wie  mer  im  preissische  Staat 

hot 
,,Franco"  noch  gesaat  un  noch  ,,Billet" 

gesaat  hot, 
Wu  mer  noch  sei  Brief  ,,recommandirt" 

hot, 
Und  der  ,,Conducteur"  ahm  ins  ,,Coup€" 

gefihrt  hot: 

Koom  vo  Atzelgift  e  Bauer  her 
Uff  de  Post:    ,,Ob  nit  e  Brief  do  war?" 
„  ,,Poste  restante  ?"  "  f  roogt  do  der  Mann 

am  Schalter. 
,,Gott  bewohr!      Katholisch,  Herr    Ver- 

walter!" 

Bonn.  J.  E.  W. 

Einige  neckiscke  Fremdwoerter-Ver- 
deutschungen.  Souffleur  =  Kastengeist, 
Plagiarius  =  Schriftstehler,  medizini- 
sehes  Rezept  =  Himmelfahrtkarte,  Kor- 
set  =  Busenfreund,  Manuskripfe=Korb- 
blflte,  Prinzipal=Uebermensclu 

Recht  schreibung  der  Eigennamen  im 
Rhevnland.  Merkwtirdig!  die  Name  von 
all  meine  Kinner  fangen  mit  S  an:  des 
Schorschche  (George),  des  Schanche 
(Jean),  des  Scharlche  (Charles),  des 


Schanettche  (Jeanette)  und  des  Schar- 
lottche  (Charlotte).  No  des  Klah  (Klei- 
ne),  des  Zofiche  (Sophie),  sell  fangtmit 
erne  Z  an!" 

Humor.  Lehrer:  ,,Womit  bestrafte 
Gott  die  Menschen  beim  Turmbau  zu 
Babel?"  Schtiler:  ,,Mit  der  Sprachlehre 
( Sprachverwirrung) ." 

Eine  ergoetzliche  Examengeschichte 
berichtet  ein  deutsches  Schulblatt: 

Die  Religionsprtifung  an  der  Volks- 
schule  in  Y  war  vor  versammelter  Orts- 
schulbehorde  gut  vonstatten  gegangen. 
Nun  sollten  die  weltlichen  Facher  vor- 
genommen  werden.  Da  tritt  plStzlich 
das  jungste  Mitglied  des  Gemeinderates, 
Herr  X,  ehemaliger  Abiturient  einer  Pri- 
vatrealschule,  Leibdragoner  a.  D.  und 
Landwirt  vor  die  Klasse:  ,,Kinner!" 
sagt  er,  ,,kennt  dir  ah  dess  Gedicht  von 
der  Bergschaft?"  ,,Ja!"  war  die  Ant- 
wort.  ,,Sou",  wendet  er  sich  an  den 
Lehrer,  jetzt  weg  a  mol,  Hr.  Lehrer,  los- 
sese  grad  a  mol  miech  mache!"  Darauf 
verlasst  der  Lehrer  das  Schulzimmer,  um 
Streit  vor  seinem  Wegzuge  zu  vermei- 
den.  ,,Kinner",  fahrt  X  fort,  ,,basst  a 
mol  recht  uff,  mir  wella  jetzundet  die 
Bergschaft  vornemma,  jedes  vunich  sagt 
sei  Versch  un  nord  erkiara  mars.  Allo 
Jakoble,  fang  a  mol  a:  Zu  Dionis  dem 
Dirannen  schlich."  S'Jakoble  lasst  also 
los,  wird  aber  gleich  mit  der  Frage  un- 
terbrochen:  ,,Halt!  Wisst  dir  a,  was  an 
Dirann  is?"  S'Friederle  streckt  den  Fin- 
ger: ,,An  Tyrann  ist  ein  First!"  ,,Jo," 
meint  Hr.  X,  ,,sell  scho,  awer  doch  nett 
so  recht."  S'Michele  behauptet,  ein  Ty- 
rann sei  einer,  wo  die  Leut  misshandelt; 
auch  diese  Antwort  bef  riedigt  den  Kate- 
cheten  nicht.  Schliesslich  giebt  er  die 
Antwort  selbst:  ,,Ein  Dirann  isch  ei- 
ner, wu  da  Leit  nett  giebt,  was  se  wel- 
la!" etc.  Str.  8.  ,,Kinner!  wer  is  denn 
der  Zais!"  S'Babettel  ruft:  ,,Des  ist 
der  Hebe  Hergott."  X:  ,,Oho!  Oho! 
sell  net  grad.  Wer  weiss  es?  Adam, 
was  meinst  du?"  Sch.  "Es  ist  einer 
von  den  lieben  GSttern."  X:  ,,So  dess 
iseh  besser!  Weil  ders  awer  nett  recht 
wisst,  will  iechs  euch  saga.  Die  Alten 
hawa  viel  liebe  Herrgotter  khatt,  un 
der  Zais  isch  einer  von  denna  lieba  Herr- 
gott."  Str.  10.  X:  ,,Wisst'r  a,  was  a 
Morder  isch?  Mir  wella  a  mol  seha. 
Isch  M5ros  a  MSrder,  weil'r  den  wtischta 
Dirann  hot  umbringe  wella?"  Fritzel: 
,,Ja!"  X:  ,,Ha,  nett  so  ganz!  Warum 
isch'r  kai  MSrder?"  Aadres:  ,,Weil  er 
den  Tyrann  hat  totstechen  wollen."  X: 
,,Jo,  jo,  des  isch  recht,  —  sell  kennt  als 
nix  schada." 


Bucherbesprechungen. 


Wm.  Addison  Hervey,  Supplementary 
Exercises  to  Thomas's  Practical  German 
Grammar  (based  in  part  on  the  reading 
lessons  and  colloquies).  VI  +  124  pp. 
New  York  (Henry  Holt  &  Co.),  1901. 

Bei  der  stetig  wachsenden  Beliebtheit, 
deren  sich  Prof.  Thomas'  Grammatik 
verdientermassen  erfreut,  hat  sich  das 
Bediirfnis  nach  einem  Buche  wie  dem 
hier  vorge/eigten  schon  lange  herausge- 
stellt;  es  bildet  also  eine  sehr  willkom- 
mene  Erganzung  zur  Grammatik.  Da- 
neben  besitzt  es  aber  auch  selbstandigen 
Wert  und  miisste  sich  nach  Durchnahme 
des  ersten  Teiles  der  Grammatik,  also 
vielleicht  im  zweiten  Jahre  des  deut- 
schen  Lehrgangs,  zur  Wiederholung  vor- 
trefflich  eignen,  liesse  sich  auch  neben 
einer  andern  Grammatik  mit  Vorteil 
verwenden. 

Die  Anlage  des  Werkchens  war  durch 
die  der  Grammatik  schon  vorgezeichnet, 
und  diese  hat  sich  gut  bewahrt;  wtin- 
schenswert  ware  etwa  ein  friiheres  Ein- 
gehen  auf  Verb  und  Wortstellung  gewe- 
sen.  Auch  sonst  besitzt  Herrn  Herveys 
Biichlein  dieselben  Vorziige  wie  die 
Uebungen  in  Thomas'  Grammatik:  die 
Satze  sind  frisch  und  lebendig  geschrie- 
ben,  keine  ermiidenden  grammatischen 
Praparate.  Den  Zwischengesprachen 
und  Briefen,  die  zum  Teil  die  Uebungs- 
stiicke  in  der  Grammatik  weiterfiihren 
und  erganzen,  muss  man  nachriihmen, 
dass  sie  anschaulich  erdacht  und  mit 
viel  Geschick  und  Takt  ausgefuhrt  sind; 
ausgezeichnet  sind  27a,  30b,  31b  und  33b; 
ungewohnlich  padagogisches  Talent  ver- 
raten  die  beiden  letzteren,  in  denen  je- 
weils  nur  eine  Person  spricht,  aber  so, 
dass  der  Schiller  mit  Lust  und  Liebe  den 
Gedanken  aufnehmen  und  ein  Zwiege- 
sprach  daraus  machen  wird.  Schade, 
dass  die  ersten  Uebungen  statt  der  Ein- 
zelsatze  nicht  auch  Gesprachscharakter 
tragen.  Wo,  wie  in  40a,  mehrere  klei- 
nere  Dialoge  in  einem  Paragraphen  ver- 
einigt  sind,  ware  der  Uebersichtlichkeit 
halber  eine  ausserliche  Kennzeichnung 
durch  Zerlegen  in  kleinere  Abschnitte 
oder  wenigstens  Einfiigung  von  Gedan- 
kenstrichen  angebracht. 

Bei  diesen  entschiedenen  Vorziigen  ist 
es  um  so  bedauerlicher,  dass  die  Uebun- 
gen nicht  zur  genauen  Priifung  auf  idi- 
omatischen  Ausdruck  einem  gebildeten 
Deutschen  vorgelegt  wurden;  wenigstens 
safft  das  Vorwort  nichts  davon,  und  der 
Mangel  macht  sich  auch  uberall  fiihlbar. 
Eine  Anzahl  von  teilweise  recht  erheb- 
lichen  Fehlern  sind  auf  diese  Weise  ste- 
hen  geblieben.  Unrichtige  Uebersetzung 


des  Englischen  bieten  12d  Anm.  12  (sage 
,,Freihandel"  statt  ,,Handelsf reiheit" ) , 
18cl  (sage  ,,schmalen"  statt  ,,engen"), 
21cl2  (sage  ,,urteilen"  statt  ,,richten"; 
im  Worterbuch  sind  ebenso  die  Artikel 
richten  und  judge  zu  bessern),  37cl5, 
Anm.  17  (sage  ,,vollauf"  statt  ,,voll- 
ends"),  40alO,  Anm.  14  (sage  ,,Brot" 
statt  ,,Butterbrod" ;  eine  kurze  Anmer- 
kung  iiber  den  wirtschaftlichen  Grund 
der  verschiedenen  Ausdrucksweise  im 
Deutschen  und  Englischen  ware  wohl  am 
Platze;  der  Artikel  Butterbrot  im  Wor- 
terbuch ware  demgemass  zu  streichen), 
ebenda  Anm.  17  (sage  ,,zu  Tode  langwei- 
len"  statt  ,,tot  qualen").  Undeutsch 
sind  10e5  (sage  ,,Vaterlandslied"  oder 
,,vaterlandisehes  Volkslied"  statt 
,,Volkslied  des  Vaterlandes" ) ,  17c8  (sa- 
ge ,,Griinde  zur  Angst"  statt  ,,der 
Angst"),  22b2,  Anm.  3  (sage  ,,zu  Turn- 
iibungen"  statt  ,,zur  Turniibung" ) ,  22c 
13,  Anm.  9  (sage  ,,eine  durchschnittliche 
Breite  von"  statt  ,,eine  B.  im  Durch- 
schnitt  von"),  29bll  (sage  ,,unverbesser- 
lich"  statt  ,,nicht  zu  verbessern"),  31b8, 
Anm.  13  (sage  ,,man"  statt  ,,irgend  je- 
mand"),  33b8,  Anm.  10  (sage  ,,deklamiere 
gern"  statt  ,,habe  das  Deklamieren 
gern").  Ganz  undeutsch  steht  ,,doch" 
statt  ,,jedoch,  aber,  aber  doch"  in  16cl, 
19f5,  Anm.  6,  20dl4,  Anm.  15,  21c4;  um- 
gekehrt  sollte  ,,doch"  statt  ,,ja"  in  28c5, 
Anm.  11  stehen;  ebenda  ist  auch  Perfekt 
statt  Prateritum  zu  setzen.  Storend  wir- 
ken  iibrigens  auch  die  vielen  vorgesetz- 
ten  Genitive  (z.  B.  7cll,  7e4,  8e3,  13c7)  ; 
ich  vermisse  eine  deutliche  Angabe,  dass 
diese  Fiigung  im  Deutschen  mehr 
der  gehobenen  Sprache  vorbehalten  ist; 
das  Gleiche  ware  auch  zum  e-Dativ 
(statt  endungslosem)  nach  vorausgehen- 
der  genitivischer  Bestimmung  zu  sagen, 
wie  in  9c4.  —  Falsch  ist  der  Plural 
,,Kindchen"  (statt  ,,Kinderchen" )  in  6e 
10,11;  der  Akkusativ  (statt  Dativ)  in 
34c5,  Anm.  3;  das  Reflexiv  fiir  is  build- 
ing in  39clO,  Anm.  7  (,,Von  Perlen  baut 
sich  eine  Briicke"  ist  dichterische  Verle- 
bendigung).  Falsch  ist  ferner  die  Stel- 
lung  des  Objekts  in  8elO,  12e7,  14c9 
(ausser  wenn  dies  letzte  Beispiel  als  un- 
mittelbare  Fortsetzung  von  8  zu  fassen 
ist)  ;  in  all  diesen  Fallen  sollte  der  Ak- 
kusativ am  Ende  stehen.  Die  falsche 
Stellung  in  39b3,  Anm.  6,  (,,blieb  noch 
ilbrig"  statt  ,,noch  iibrig  blieb",  oder 
besser:  ,,sei")  geht  auf  ein  Versehen  zu- 
riick.  —  An  Kleinigkeiten  bemerke  ich: 
In  6clO  sage  ,,in  dem  Hauschen  auf  dem 
Hugel"  statt  ,,im  H.",  vgl.  Grammatik 
232,2;  17fl,  Anm.  2,  im  Deutschen  bes- 


Bucberbesprecbungen . 


343 


ser  kein  Artikel;  37blO,  Anm.  16,  wa- 
rum  nicht  ,,mtissen"?  Unverstandlich  1st 
mir  17c6;  es  soil  statt  ,,Wichtiges"  wohl 
,,Ungewohnliches"  oder  ,,Ausserordentli- 
ches"  heissen. — Beizufiigen  ware  in  13d4 
zu  Anm.  9  "do  not  use  preposition  but 
definite  article";  21dl3  eine  Anmerkung, 
dass  with  hier  mit  ,,bei"  wiederzugeben 
1st;  35b4,  Anm.  12  "at  the  end,  or 
omit" ;  Anm.  14 :  "or  iibernacht" ;  zu  39c 
18  ware  zu  bemerken,  dass  "dark"  hier 
nicht  mit  ,,dunkel"  ubersetzt  werden 
darf,  da  der  Unterschied  nicht  im  Wor- 
terbuch  gekennzeichnet  ist.  —  Druckfeh- 
ler  oder  Versehen  ist  20e4  ,,heiterer" 
statt  ,,heit(e)rerer".  In  19clO  streiche 
das  Komma;  in  21e6  setze  Komma  statt 
Semikolon.  —  Fur  einen  argen  padago- 
gischen  Missgriff  halte  ich  21c7  ,,die  am 
meisten  interessante  (statt  ,,die  interes- 
santeste")  Sehenswurdigkeit",  was  ne- 
ben  dem  Hinweis  auf  Grammatik  295 
gar  nicht  einmal  richtig  ist ;  ahnlich  39b 
15,  Anm.  21,  wo  es  in  Uebereinstimmung 
mit  heutigem  Sprachgebrauch  ,,gehalten 
worden  sein  sollen"  heissen  muss. 

Trotz  der  hier  geriigten  Fehler,  die  ja 
neben  der  Fiille  des  Guten  verhaltnis- 
massig  zurucktreten  und  sich  bei  einer 
Neuauflage  leicht  beseitigen  lassen,  ist 
das  Werkchen  eine  sehr  erfreuliche  Lei- 
stung,  der  von  Herzen  der  beste  Erfolg 
zu  wiinschen  ist. 

— r. 

Goethe's  Poems.  Selected  and  edited 
with  introduction  and  notes.  By  Julius 
Goebel,  Professor  of  Germanic  Philology 
and  Literature  in  Stanford  University. 
New  York.  Henry  Holt  &  Co.  1901. 

Mr.  Goebel  has  compressed  within  the 
very  convenient  limits  of  244  8vo  pages, 
of  which  95  are  occupied  by  copious  and 
scholarly,  yet  not  in  the  least  pedantic 
notes,  and  an  index  of  first  lines,  an  ex- 
tremely satisfactory  and  suggestive  se- 
lection of  poems  by  Goethe.  The  book 
which  is  intended  to  serve  as  an  intro- 
duction to  the  study  of  Goethe  addresses 
itself  to  the  classroom  as  well  as  the 
serious  student  of  one  of  the  great  poets 
of  the  world.  The  editor  groups  the 
poems  under  the  following  heads:  I 
Leipzig,  II  Sesenheim,  III  Sturm  und 
Drang,  IV  Rom,  V  Lieder  und  Balladen, 
VI  Westostlicher  Divan,  VII  Alter  (con- 
taining a  number  of  Spriiche). 

It  will  be  seen  from  this  list — as  is 
stated  explicitly  in  the  preface  —  that 
the  editor  has  principally  been  guided  by 
the  historical  method,  each  group,  ex- 
cept part  of  the  fifth,  and  the  seventh, 
both  of  which  have  of  necessity  been 
made  somewhat  more  elastic  than  the 
rest,  representing  in  chronological  order 
important  phases  in  Goethe's  develop- 


ment as  a  poet  and  man,  as  the  thinker 
and  spiritual  liberator,  the  apostle  of 
the  new  humanism.  Mr.  Goebel's  aim 
is  to  reveal  to  the  student  who  is  sup- 
posed to  approach  this  book  with  a 
knowledge  of  the  principal  facts  of  Goe- 
the's life,  the  deep,  expansive,  never 
inert,  sincere  soul  of  the  poet,  partly  by 
his  excellent  commentaries  in  the  sum- 
maries preceding  the  several  groups  and 
contained  in  the  notes,  partly  by  con- 
stantly referring  the  student  to  the 
writings  of  Goethe  himself,  following  the 
principle  that  the  key  for  the  meaning 
of  every  writer  ought  to  be  sought  pri- 
marily in  his  own  writings.  From  a 
careful  examination  of  the  book  the  re- 
viewer is  confident  in  his  belief  that  a 
thorough  study  of  it  will  result  not  only 
in  the  acquisition  of  a  considerable  num- 
ber of  essential  and  well  correlated  facts 
of  biography,  history  of  manners  and 
intellect,  and  esthetics,  but,  what  is 
more  important,  in  fashioning  the  mind 
and  emotional  nature  of  the  student  for 
the  reception  and  absorption  of  the 
humanism  and  culture  that  Goethe  has 
taught  the  world.  — 

The  introduction,  which  covers  ten 
pages,  being  a  verse,  forceful  and  enthu- 
siastic presentation  of  the  main  forces 
at  work  in  Goethe's  mind,  is  a  typical 
work  of  the  German  scholar  full  of  his 
subject.  The  student  who  cannot  find 
the  "Open  Sesame"  to  Goethe's  treasure 
house,  in  this  introduction,  and  whose 
soul  is  not  kindled  with  the  desire  to 
dwell  with  the  immortal  spirit  lingering 
there,  will  look  in  vain  for  inspiration 
any  where. 

Sudermann's  "Johannes."  Edited 
with  an  introduction  and  notes  by  F.  G. 
G.  Schmidt,  Ph.D.,  Professor  of  Mod- 
ern Languages,  State  University  of  Ore- 
gon. Boston.  D.  C.  Heath  &  Co. 

Mr.  Schmidt's  edition  of  Sudermann's 
Johannes,  which  has  appeared  in 
Heath's  Modern  Language  Series,  is  a 
commendable  piece  of  work.  The  intro- 
duction, which  is  essentially  biograph- 
ical, is  succinct  and  to  the  point.  It 
seems  to  the  reviewer  that  the  discus- 
sion of  the  drama  from  the  technical  as 
well  as  the  historical  standpoint — with 
special  reference  to  the  many  recent 
dramas  based  on  biblical  subjects,  par- 
ticularly Ibsen's  Emperor  and  Galilean 
might  have  been  somewhat  extended. 

The  notes  are  clear  and  to  the  point, 
without  being  burdened  with  too  much 
historical  detail.  The  book  will  satisfy 
tne  requirements  of  the  class  room  in 
an  excellent  manner. 

Martin  Schutze. 

The  University  of  Chicago. 


344 


P'ddagogische  Monatsbtftc. 


Der  Leipziger  Schulbilderverlag  von  F. 
E.  Wachsmuth,  Leipzig  in  Deutschland, 
Kreuzstrasse  3,  hat  den  ,,Padagogischen 
Monatsheften"  eine  Auslese  von  grossen 
farbigen  Wandbildern  gesandt..  Darun- 
ter  sind  fiinf  kulturgeschichtliche  Bil- 
der:  Aegptischer  Tempel,  Innerea  eines 
rOmischen  Hauses,  Rb'misches  Kriegsla- 
ger,  Im  Klosterhofe  (10.  Jahrhundert ) , 
Bauern  und  Landsknechte  ( 16.  Jahrhun- 
dert) ;  zwei  zoologische  Bilder:  Lama 
und  Walross;  ein  geographisches  Cha- 
rakterbild:  Benares  (eine  indische 
Stadt) ;  eine  technologische  Tafel  (Hoch- 
ofen)  ;  eine  anatomische  Tafel:  Auge, 
Ohr,  Nerven  und  Haut;  und  zwei  Ergan- 
zungstafeln  zum  physiologisch-anatomi* 
schen  Unterricht:  Die  erste  Hilfelei- 
stung  bei  Ungliicksfallen,  und  Die  kiinst- 
liche  Atmung.  Neben  diesen  Bildern 
kulturgeschichtlichen,  zoologischen,  geo- 
graphischen,  technologischen  und  anato- 
niischen  Inhalts  erscheinen  in  dem 
Wachsmuthschen  Verlage  noch  Bilder 
mit  Reproduktionen  beriihmter  Meister- 
werke  zur  Pflege  des  asthetischen  Sin- 
nes,  zoatomische  Wandtafeln,  Wandta- 
f eln  zur  mathematischen  Geographic,  Ta- 
feln  mit  Volkertypen,  und  solche  mit  den 
Menschenrassen,  ferner  Bilder  litterari- 
sehen  Inhalts,  z.  B. :  Der  Glockenguss 
(zu  Schillers  ,,Lied  von  der  Glocke"). 
Die  Bilder,  von  hervorragenden  Schul- 
mannern  herausgegeben,  sind  von  nam- 
haften  Kttnstlern  gezeichnet,  und  der 
farbige  Druck  ist  von  deutscher  Giite. 
Sie  sind  durehschnittlich  88x66  Centime- 
ter (34x26  Zoll)  e;ross,  kosten  von  25 
Cents  bis  zu  einem  Dollar  das  Stuck, 
und  sind  schulfertig  zum  Aufhangen  zu 
kaufen.  Auf  dem  ganzen  europSischen 
Kontinent,  nach  Sudamerika  und  ande- 
ren  Landern  finden  die  Wachsmuthschen 
Bilder  reissenden  Absatz,  der  nordameri' 
kanische  Lehrer  allein  ist  bis  jetzt  ohne 
solch  packende  Anschauungsmittel  fertig 
geworden.  Unter  den  Bildern  befinden 
sich  viele,  die  sich  zur  Belebung  des 
deutschen  Unterrichts  an  alien  unseren 
Sehulen,  von  der  Volksschule  bis  zur 
Universitat  ganz  besonders  eignen.  Die 


Verlagshandlung  sendet  auf  Wunsch  ei- 
nen  ausfiihrlichen  Katalog  postfrei  und 
umsonst.  Paul  Qerisch. 

Allerlei.  Gesammelt  und  umgearbei- 
tet  von  Agnes  Fahsel.  Am.  Book  Co. 

Das  Werkchen  enthalt  eine  grosse 
Reihe  unserer.beliebtesten  deutschen  Er- 
zahlungen  und  Fabeln  fiir  Kinder,  wel- 
che  mit  Sorgfalt  ausgewahlt  und  bear- 
beitet  sind,  so  dass  sie  als  Material  zur 
Bereicherung  des  Lesestoffes  (supple- 
mentary reading)  im  Klassenzimmer  mit 
Freuden  werden  begriisst  werden.  Das 
Buchlein  ist  fiir  die  Mittelgrade  der 
Volksschule  bestimmt.  Druck  und  Aus- 
stattung  sind  geschmackvoll.  Das  Werk- 
chen ist  hoehst  empfehlenswert. 

M.  Q. 

Das  soeben  ausgegebene  September- 
Doppelheft  der  bekannten  Mflnchner 
Zeitschrift  ,,Die  Gesellschaft"  (Heraus- 
geber  Dr.  Arthur  Seidl,  Miinchen — ^Ver- 
lag  von  E.  Pierson,  Dresden)  wird  da- 
durch  besonders  wertvoll,  dass  darin  der 
Miinchner  Professor  der  Forstzoologie, 
Dr.  August  Pauly  mit  VerSffentlichung 
von  allgemeimnenschlichen,  die  verschie- 
densten  Gebiete  aus  WIssenschaft,  Lit- 
teratur,  Kunst  und  Leben  bertthrenden 
,,Aphorismen"  beginnt.  ,,Wilhelm  Raa- 
be"  begrtisst  zur  Jubelfeier  sein  Bio- 
graph  Prof.  Paul  Gerber.  Aktuelle  Ar- 
tikel  zur  Zeitgeschichte  bringen  weiter- 
hin  Polytropos:  ,,China!"  und  Paul 
Dehn:  ,,Kommende  HandelspolitiK  . 
Mit  Julius  Harts  ,,Neuem  Gott"  setzt 
sich  Dr.  Mathieu  Schwann  einlUsslich 
auseinander;  von  Darmstadt  sprechen 
nochmals  Dr.  M.  G.  Conrad:  ,,In 
Schonheit  leben!"  und  Eberhard  Bueh* 
net:  ,,Die  D.  Sprele",  und  fiber  ,,25 
Jahre  Bayrenth  —  24  Stunden  Mun- 
chen"  verbreitet  sich  der  Herausgeber. 
Endlich  referieren:  Lehrer  H.  Junge 
tiber  ,,Schulrat  Dr.  Kerschensteiner  und 
seinen  Lehrplan  fiir  Miinchens  Volks- 
schulen",  sowie  Helene  Bonfort  iiber 
,,neuere  Frauen-Litteratur".  (Zu  bezie- 
hen  durch  die  Buchhandlung  Paul  Wen- 
zel,  New  fork.} 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  II.  November  1901.  Heft  10 


An  die  deutschamerikanische  Lehrerschaft! 

Vor  zwei  Jahren  betraute  die  in  Cleveland  tagende  Jahresversamm- 
lung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes  einen  Aus- 
schuss  mit  der  Aufgabe,  ein  Bundesorgan  ins  Leben  zu  rufen,  welches 
an  Stelle  der  eingegangenen  ,,Erziehungsblatter"  die  Interessen  der 
deutschamerikanischen  Lehrerschaft  in  wirksamer  Weise  vertreten  und 
an  der  Verwirklichung  der  Ziele,  die  der  Lehrerbund  sich  gesteckt  hat, 
nach  Kraften  mithelfen  solle.  Die  Griindung  der  ,,Padagogischen  Mo- 
natshefte", herausgegeben  von  der  Herold-Gesellschaft  in  Milwaukee, 
Wis.,  war  die  Frucht  der  Thatigkeit  des  Lehrerbundausschusses.  Seit 
einem  Jahre  wirkt  unsere  padagogische  Monatsschrift  in  einer  Weise, 
welche  die  allgemeinste  Anerkennung  verdient.  Redaktion  und  Heraus- 
geber  thaten  das  Moglichste,  um  eine  Fachschrift  zu  schaffen,  welche  dem 
Lehrerbund  zur  Ehre  gereicht,  welche  hinsichtlich  der  Ausstattung  und 
des  reichen,  gediegenen  Inhaltes  der  besten  ihrer  Art  wiirdig  sich  er- 
weist.  Verleger  und  Redakteur  haben  ihre  Schuldigkeit  gethan ;  aber 
die  deutschamerikanische  Lehrerschaft  muss  sich  den  Vorwurf  gefallen 
lassen,  dass  sie  ihre  Pflicht  nicht  erfiillt  hat.  Nur  ein  winziger  Bruchteil 
der  Tausende  von  deutschen  Lehrern  und  Lehrern  des  Deutschen  steht 
auf  der  Abonnentenliste  der  ,,P'ddagogischen  Monatshefte'1 ;  die  Ein- 
kiinfte  bleiben  um  eine  bedeutende  Summe  hinter  den  Ausgaben  zuruck, 
und  die  Moglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Herausgeber  die 
Zeitschrift  eingehen  lassen  mussen,  wenn  seitens  der  Lehrer  nichts  ge- 
schieht,  um  Einnahmen  und  Ausgaben  in  ein  richtiges  Verhaltnis  zu 
bringen. 

Teilen  Sie  unsere  Ansicht,  dass  es  eine  Ehrenpflicht  der  Lehrer  die- 
ses Bundes  ist,  das  Blatt  zu  erhalten  und  ihm  zur  Blute  zu  verhelfen  ? 


346  P'ddagogische  Monatsheftt. 

Sind  Sie  gleich  den  Unterzeichneten  der  Ansicht,  dass  die  deutsch- 
amerikanische  Lehrerschaft  eines  tiichtigen  unabhangigen  Organs  bedarf 
zur  Wahrung  ihrer  geistigen  und  materiellen  Interessen,  zur  Verbreitung 
gesunder  padagogischer  Ideen  und  Methoden,  als  geistiges  Band  zur 
Sammlung  und  Vereinigung  der  Beruf sgenossen  ? 

Teilen  Sie  unsere  Ansicht,  dass  das  Eingehen  der  Monatshefte  als 
Folge  unserer  Gleichgiltigkeit  einen  Schatten  werfen  wurde  auf  unsere 
Standesehre  ? 

Wenn  Sie  vorstehende  Fragen,  wie  wir  hoffen,  bej abend  beantwor- 
ten  miissen,  richten  wir  das  dringende  Ersuchen  an  Sie,  zahlender  Leser 
der  ,,P'ddagogischen  Monatshefte"  zu  werden,  wenn  Sie  es  noch  nicht 
sind,  und  auch  unter  Ihren  Kollegen  behufs  Erweiterung  des  Leserkrei- 
ses  unseres  Organs  wirken  zu  wollen. 

Wir  hoffen,  dass  wir  nicht  vergebens  Ihre  Mithilfe  anrufen  und  dass 
unser  langjahriges  Wirken  in  dem  Beruf e,  dem  wir  angehoren,  uns  vor 
jeder  Missdeutung  der  Motive,  den  en  unsere  Bitte  entspringt,  schiitzen 
wird. 

Mit  kollegialischem  Grusse, 

B.  A.  Abrams,  Asst.  Supt.,  Milwaukee,  Wis.  Starr  Willard  Cutting, 
Unv.  of  Chicago,  Chicago,  111.  Emil  Dapprich,  Milwaukee, 
Wis.  R.  W.  Deering,  Western  Reserve  Unv.,  Cleveland  O.  H.  M.  Fer- 
ren,  High  School,  Allegheny,  Pa.  H.  H.  Pick,  Principal  Public  Schools, 
Cincinnati,  O.  Ewald  Fliigel,  Stanford  University,  Cal.  Hans  Froli- 
cher,  Woman's  College,  Baltimore,  Md.  Louis  Hahn,  Public  Schools, 
Cincinnati,  O.  W.  N.  Hailmann,  Supt.  of  Public  Schools,  Dayton,  O. 
Carl  Herzog,  High  School,  New  York.  A.  R.  Hohlfeld,  Vanderbilt  Unv., 
Nashville,  Tenn.  C.  Fr.  Kayser,  De  Witt  Clinton  High  School,  New 
York.  Camilla  von  Klenze,  Unv.  of  Chicago,  Chicago,  111.  Emil  Kramer, 
Public  Schools,  Cincinnati,  O.  Joseph  Krug,  High  School,  Cleveland, 
O.  Paul  E.  Kunzer,  New  England  College  of  Languages,  Boston,  Mass. 
M.  D.  Learned,  Unv.  of  Pennsylvania,  Philadelphia,  Pa.  Gottlieb  Miil- 
ler,  Public  Schools,  Cincinnati,  O.  Robert  Nice,  Asst.  Supt.,  Indianapo- 
lis, Ind.  John  Schwaab,  School  Board,  Cincinnati,  O.  C.  0.  Schonrich, 
Public  Schools,  Baltimore,  Md.  Gustave  L.  Spillmann,  Central  Normal 
College,  Danville,  Ind.  Leo  Stern,  High  School,  Milwaukee,  Wis.  Rudolf 
Tombo,  Columbia  Unv.,  New  York.  W.  H.  Weick,  Public  Schools,  Cin- 
cinnati, 0.  Carlo,  Wenckebach,  Wellesley  College,  Wellesley,  Mass. 
Charles  Bundy  Wilson,  State  University,  Iowa  City,  la.  H.  Woldmann, 
Asst.  Supt.,  Cleveland,  0.  G.  A.  Zimmermann,  Asst.  Supt.,  Chicago,  111. 
Emil  A.  Zutz,  Public  Schools,  Chicago,  111. 

Vorstehendes  Rundschreiben  wurde  uns  vor  Jahresfrist  von  Freun- 
den  der  P.  M.  zu  Agitationszwecken  iibergeben.  Wo  sich  uns  Gelegen- 
heit  bot,  machten  wir  im  Laufe  des  Jahres  von  demselben  Gebrauch ;  lei- 
der  aber  konnen  wir  uns  auch  jetzt  noch  nicht,  am  Schluss  des  zweiten 
Jahrganges  unseres  Blattes,  dieses  Agitationsmittels  begeben.  Der  Le- 
serkreis  hat  sich  nur  ganz  unwesentlich  erweitert,  und  immer  noch  steht 
die  Existenz  des  Blattes  in  Frage. 


Deutsche  Gescbicbte  in  der  deutscbamerikaniscben  Scbule.          347 

So  sehr  wir  die  Gleichgiltigkeit  der  deutschamerikanischen  Lehrer- 
schaft  —  sie  ist  der  schlimmste  Feind  unserer  und  auch  ihrer  Sache  — 
beklagen,  erkennen  wir  doch  hinwiederum  dankbar  das  Wohlwollen  an, 
mit  welchem  uns  von  vielen  und  den  verschiedensten  Seiten  begegnet 
wurde,  und  dieses  lasst  uns  immer  noch  hoffnungsvoll  in  die  Zukunft 
blicken.  An  sie,  die  uns  freundlich  gesinnten  Leser,  wenden  wir  uns  mit 
der  Bitte,  uns  in  unserer  Agitation  fur  Verbreitung  der  P.  M.  zu  unter- 
stiitzen.  Fur  sie  haben  wir  obiges  Schreiben  veroffentlicht,  um  ihnen 
«in  Hilfsmittel  an  die  Hand  zu  geben,  auf  die  Gleichgiltigen  und  solche, 
denen  das  Bestehen  des  Blattes  nicht  bekannt  ist,  einzuwirken. 

Gelingt  es  jedem  Leser,  uns  nur  einen  neuen  Leser  zuzufuhren,  dann 
ist  uns  geholfen. 

Ist  der  Kampf  gegen  die  Gleichgiltigkeit  gewonnen,  dann  beginnen 
wir  jeden  anderen  Kampf  mit  Freuden.  Ein  frischer  und  frohlicher 
sachlicher  Kampf  soil  uns  immer  auf  dem  Plane  finden ;  und  wenn  nicht 
als  Sieger,  so  sollen  wir  doch  stets  mit  gescharften  Waffen  aus  demselben 
"hervorgehen. 

Ein  Bestellzettel  liegt  diesem  Hefte  bei.  Mochte  er  von  vielen  ge- 
braucht  werden. 


Deutsche  Qeschichte  in  der  deutschamerikanischen 

Schule. 


(FUr  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Constantin  Grebner,  Cincinnati,  O. 

Das  Lehren  ist  eine  wundervolle  Sache  und  Lehrer  sein  des  Schwei- 
sses  wert.  Es  giebt  aber  auch  unter  den  Lehrern  Naturen,  die  so  unend- 
lich  viel  mit  sich  zu  thun  haben,  dass  fur  sie  die  Aussenwelt  nur  noch  in 
zweiter  Linie  in  Betracht  kommt.  Wahrend  sie  gewissenhaft  ihre  Be- 
rufspflichten  erfiillen,  gleicht  ihr  Inneres  einem  dunklen,  verschlossenen 
Schacht,  in  den  sie  hinabsteigen,  um  beim  bleichen  Schein  der  Gruben- 
lampe  angstlich  zu  hammern  und  zu  klopfen  und  kargen  Reichtum  zu 
f  ordern.  Andere  wieder  zeichnen  mit  zitternder  Hand  Sterne  in  das  iiber 
ihnen  schwebende  Wolkendunkel  in  der  meist  fruchtlosen  Hoffnung,  die- 
selben  wiirden  sich  entziinden  und  ihnen  die  ersehnte  Helle  zustrahlen. 
Bald  aber  suchen  sie,  dazu  gedrangt,  nicht  nur  in  sich  selbst  und  nicht 
am  Himmel  zu  lesen,  sondern  auch  in  den  Menschen,  in  deren  Gegen- 
wart  und  Vergangenheit. 


348  P'ddagogtsche  Monatshefte. 

Jetzt  haben  sie  Formeln  gefunden  fur  ihr  Thun.  Das  Leben,  jener 
Prozess,  in  dem  jeder  Mensch  sich  allmahlich  fiir  die  Allgemeinheit  ab- 
wirtschaftet  —  es  ist  es,  von  dem  sie  das  Beste  kennen  und  sich  erhalten 
wollen. 

Gar  mancher  Weg  bietet  sich  ihnen.  Sie  studieren  ihre  grossen 
Meister,  die  alten  wie  die  neuen.  Sie  reiten  emsig  manches  miide  Ross, 
das  unter  ihnen,  oft  auch  mit  ihnen,  zusammenbricht.  Schon  wollen  sie 
sich  verdriesslich,  nicht  selten  verzweifelnd  in  die  Toga  der  reinen,  un- 
verfalschten  Berufspflicht  hiillen  und  alles  von  sich  fernhalten,  was  diese 
nicht  erheischt. 

Doch  siehe  da!  Wieder  tritt  das  Leben  an  sie  heran  mit  der  Mah- 
nung :  ,,Mich  musst  du  erforschen,  meine  Tiefen  musst  du  dir  selbst  und 
deinen  Schiilern  erschliessen  durch  meine  Geschichte!  Nicht  nachdem 
du  dich,  wie  du  wohl  einmal  dir  einbilden  magst,  sattsam  mit  dem  Stu- 
dium  der  Natur,  der  Psychologic,  der  Padagogik  beschaftigt  hast  und 
etwa  beim  letztgenannten  zu  jenem  modernen  padagogischen  Nihilismus 
gelangt  bist,  dem  Komenius,  Pestalozzi,  Diesterweg  und  Frobel  nur  Ru- 
inen  aus  einer  weit  hinter  uns  liegenden  Epoche  sind  —  nicht  dann  erst 
sollst  du  Trost  und  Anregung  in  mir  suchen  undjfinden,  nein!  vor  jenen, 
mit  jenen  sollst  du  den  Schatz  heben,  der  allein  wahre  Erquickung,  stolze 
Freude,  reine  Hoffnung  bietet." 

Denn,  was  ist  Geschichte  ?  ,,Es  ist  nicht  mehr  die  Zusammenstellung 
von  Begebenheiten,  nicht  eine  Reihe  von  Biographien,  aber  auch  nicht 
eine  einseitige  Hervorhebung  sogenannter  Kulturerrungenschaften.  Es 
ist  vielmehr  ein  Spiegelbild  des  Lebens,  das  durch  den  Odem  der  Mensch- 
heit  zieht;  alles,  was  das  Leben  erfiillt,  gehort  zur  Geschichte:  Huma- 
nitat,  Kultur,  Kunst,  Poesie,  Erziehung,  Religion,  alle  charakteristischen 
Momente  und  Ergebnisse  der  Gegenwart  sowohl  wie  der  Vergangenheit. 
Und  in  diesem  Sinne  verlangt  man  heute  von  dem  Geschichtsschreiber 
und  Geschichtslehrer  vor  allem  die  Kunst  des  Auffassens,  klare  Ver- 
standlichkeit,  reiches  Gefiihl,  standhafte  Begeisterung." 

Es  ist  Heine,  dem  ich  diese  Definition  entlehne. 

Aber  Heine  war  ja  kein  Historiker,  sondern  ein  Dichter! 

In  jedem  Dichter  steckt  etwas  vom  Geschichtsschreiber,  und  jeder 
Geschichtsschreiber,  der  nicht  ein  blosser  Annalist  ist,  hat  eine  poetische 
Ader.  Schiller,  Scott,  Treitschke,  Freytag,  Dahn,  Mommsen  sind  Dich- 
ter gewesen,  ehe  sie  Historiker  wurden.  Gerade  sie  sind  es,  die  Laube 
,,Historische  Sonntagskinder"  genannt  hat,  ,,die  am  schnellsten  das  eine 
und  einzige  der  Gestalten  auffinden,  wodurch  sie  sich  von  alien  andern 
unterscheiden."  Das  Leben  aber,  das  wir  erforschen  wollen,  ist  weiter 
nichts  als  die  Gesamtheit  aller  dieser  Gestalten  und  ihres  Schaffens,  als 
die  Gesamtheit  der  Ergebnisse  dieses  Schaffens  und  Wirkens. 

Was  meint  Diesterweg,  den  zu  beseitigen  denn  doch  nicht  gelungen 


Deutsche  Gescbicbte  in  der  deutscbamerikaniscben  Scbule.          349 

ist,  anderes  mit  seinem  Ausspruche:  ,,Wir  wurden  es  als  die  Aufgabe 
der  Geschichte  bezeichnen,  die  bisherige  Entfaltung  des  Menschengeistes 
im  Verfolgen  seiner  Arbeit,  Ideen  zu  verwirklichen,  zur  Anschauung  und 
zum  Verstandnis  zu  bringen  als  das  gottlichste  Schauspiel,  das  der  Herr 
des  Himmels  und  der  Erde  geschaffen."  Und  Diesterweg  war  gewiss 
kein  Verachter  anderer  Wissenschaften.  — 

Dass  der  Geschichtsunterricht  in  den  Schulen  unseres  Landes  lange 
ein  rechtes  Stiefkind  war  und  es  an  vielen  Orten  noch  ist,  das  ist  man- 
niglich  bekannt.  Erst  seit  dem  Erscheinen  des  vielbesprochenen  Zehner- 
ausschussberichtes,  also  kaum  vor  einem  Jahrzehnt,  wird  diesem  Unter- 
richtsfache  wenigstens  annahernd  die  ihm  gebiihrende  Aufmerksamkeit 
gewidmet.  An  der  vollstandigen  Durchfiihrung  des  in  diesem  Berichte 
Geforderten  oder  Empfohlenen  diirfte  man  jedoch,  wenigstens  bezuglich 
der  allgemeinen  Geschichte,  Zweifel  hegen.  Wie  es  geschehen  sollte 
oder  geschehen  wird,  das  ist  nicht  unsere  Sache;  wird  doch  kaum  die 
angloamerikanische  Lehrerschaft  um  ihre  Ansichten  zur  Sache  gefragt! 

Wir  haben  es  hier  mit  einem  gelegentlichen  Geschichtsunterricht  in 
den  deutschamerikanischen  Schulen  zu  thun;  und  damit  kann  nur  die 
deutsche  und  deutschamerikanische  Geschichte  gemeint  sein. 

Nur  beilaufig  sei  hier  erwahnt,  dass  der  Schreiber  dieses  Aufsatzes 
schon  vor  15  Jahren  auf  dem  nationalen  deutschamerikanischen  Lehrer- 
tage  zu  Chicago  mit  einem  Antrage  auf  Abfassung  eines  Geschichtsfa- 
dens  fur  deutschamerikanische  Schulen  insofern  Erfolg  gehabt  hat,  als 
sogleich  ein  Komitee  mit  dieser  Aufgabe  betraut  wurde.  Wie  so  man- 
ches  andere  zerschlug  sich  die  Sache.  Und  wieder  vor  zehn  Jahren,  auf 
dem  ersten  Ohioer  deutschen  Lehrertage  zu  Dayton,  sagte  er  unter  an- 
derem :  ,,Ich  wunsche  vor  allem,  von  dem  Augenblick  an,  wo  die  Kinder 
es  nachsagen,  wenn  auch  noch  nicht  lesen  konnen,  bedingungslose  Be- 
vorzugung  des  deutschen  Volksliedes,  der  deutschen  episch-lyrischen 
Dichtung  in  ihrem  einfachsten  aber  schonsten  Gewande,  furs  Deklamie- 
ren,  furs  Hersagen  im  Chor,  f iirs  Singen ....  Zugleich  mit  dem  Volks- 
liede  kommt  das  deutsche  Marchen  in  Betracht,  dessen  poetische  Gestalten 
auf  unsere  Schiiler  ein  en  um  so  tiefer  dringenden  Einfluss  ausiiben,  je 
besser  und  in  je  grosserer  Auswahl  sie  erzahlt,  beileibe  nicht  vorgelesen, 
werden ....  Nur  ein  Schritt  ist  es  vom  Marchen  zu  den  Sagen,  in  de- 
nen,  wie  Grimm  sagt,  ,,das  deutsche  Volk  seine  ganze  Seele  niedergelegt 
und  seine  wahrste  Meinung  iiber  Personen  und  Geschichte,  und  die  der 
Herzschlag  des  deutschen  Volkes  sind" ....  Ganz  unmerkbar  gelangen 
wir  so  zu  den  deutschen  Geschichten,  und  in  diesen  und  den  sich  ihnen 
bald  anschliessenden  mehr  zusammenhangenden  Schilderungen  liegt  das 
Hauptmittel  fur  die  Einflossung  von  Ehrfurcht,  Bewunderung,  Achtung 
und  Liebe  gegen  ihre  deutschen  Ahnen  bei  den  deutschamerikanischen 
Kindern." 


350  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Nicht  meine  Worte,  wenn  auch  meine  Herzensmeinung,  sondern  die 
des  Superintendenten  McAllister,  sind  die  folgenden : 

,,Man  hiite  sich,  die  Geschichten  vorzulesen ;  man  soil  sie  selbst  wis- 
sen,  oder  lernen  und  iiben,  und  sie  dann  frei  erzahlen.  Wer  das  nicht 
kann,  bemenge  sich  nicht  mit  diesem  wichtigsten  aller  Unterrichtszweige." 
Die  Geschichte  im  Kopfe  und  auf  der  Zunge,  heiliges  Feuer  und  das 
feste  Vornehmen  des  Gelingens  im  Herzen  —  dann  muss  es  sehr  schlimm 
um  eine  deutsche  Klasse  bestellt  sein,  wenn  es  dem  Lehrer  nicht  gelingt, 
seine  Schiiler  fur  das  deutsche  Volkslied,  die  deutsche  Sage,  deutsche  Ge- 
schichten, ja  allmahlich  zusammenhangende  deutsche  und  deutschameri- 
kanische  Geschichte  zu  begeistern. 

Da,  wo  solche  Geschichten,  wie  bislang  leider  an  vielen  Orten  der 
Fall  war,  nur  als  Hilsmittel  fur  den  deutschen  Sprachunterricht  betrach- 
tet  werden,  wird  auch  der  Inhalt  des  vorliegenden  Aufsatzes  eitel  ,,Luft" 
sein  und  bleiben.  Wo  sie  hingegen  Mittel  sind  zur  Erweckung  deutschen 
Sinnes  und  zur  Idealisierung  des  deutschen  Unterrichts,  da  kann  der 
rechte  Erfolg  nicht  ausbleiben  und  dennoch  von  Deutschtumelei  keine 
Rede  sein.  Echte  Deutschheit,  das  leugnen  heute  auch  verstandige 
Angloamerikaner  nicht,  ist  die  beste  Mitgift  fur  unsere  Kinder  und  Schii- 
ler ins  Amerikanertum,  ins  Leben.  Und  welchen  Wust  von  absichtli- 
chen  oder,  hoffen  wir  es,  unfreiwilligen  Irrtiimern,  die  den  Schiilern 
,,spielend"  beigebracht  werden,  konnen  wir  durch  einen  solchen  Unter- 
richt  nicht  beseitigen ! 

Man  werfe  nur  einen  kurzen  Blick  in  unsere  allerbesten  englischen 
Lese-  und  Geschichtsbucher.  Wer  Raum  und  Lust  hatte,  den  oft  urko- 
mischen  Unsinn  aufzuzahlen! 

Was  aber  brauchen  wir  zur  Erreichung  unseres  Zieles  ?  Mut,  Recht- 
lichkeit,  Ehrlichkeit,  Wissen  und  Geschick,  alles  Voraussetzungen,  die  im 
Lehrerberufe  obenanstehen.  Und  wo  es  fehlt,  da  bleibe  man  der  Satze 
Diesterwegs  eingedenk:  ,,Bereite  dich  vor  auf  jede  Unterrichtsstunde ; 
studiere  immer  etwas,  das  dich  selbst  bildet  und  deinen  Zoglingen  niitzen 
kann ;  verliere  nie  den  Glauben  an  dich  selbst." 

Dieser  ist  es,  der  Glaube  an  uns  selbst,  der  Glaube  an  unsere  Mis- 
sion, die  unbedingt  eine  hohere  ist,  als  nur  deutsche  Sprachlehrer  zu  sein, 
der  uns  lei  ten  sollte.  Wir  haben,  nicht  um  ein  Jota  weniger  als  unsere 
angloamerikanischen  Kollegen,  die  heilige  Pflicht  der  Bildung  zukiinfti- 
ger  Burger,  amerikanischer  Burger,  und  unser  Mittel  zur  Erfullung  die- 
ses Zweckes,  zur  Erreichung  dieses  hohen  Zieles  ist  vor  allem  die  Vor- 
fuhrung  des  Geisteslebens  und  der  Thaten  eines  grossen,  seit  zweitausend 
Jahren  in  glorreicher  Entwickelung  begriffenen  Volkes,  als  dessen  mittel- 
bare  Glieder  sich  selbst  die  ,,amerikanisiertesten"  Deutschamerikaner,  be- 
wusst  oder  unbewusst,  trotzdem  und  alledem  dennoch  betrachten.  Im- 
mer tritt  auch  bei  ihnen  ein  Zeitpunkt,  ein  Augenblick  ein,  wo  sie  deutsch 


Deutsche  Gescbicbte  in  der  deutscbamerihanischen  Scbule.          351 

sind  oder  es  wieder  werden,  und  wo  sie  das  auch  vor  ihren  Kindern  nicht 
verleugnen  konnen  und  wollen. 

Wir  Lehrer  sollten  diesen  Zeitpunkt  als  einen  bleibenden  ernstlich 
betrachten,  und  dann  wird  es  uns  gelingen,  denselben  zu  einem  solchen 
zu  machen. 

Kollege  W.  N.  Hailmann  sprach  es  neuerdings  aus :  ,,Erst  mit  der 
Einfiihrung  der  deutschen  und  deutschamerikanischen  Geschichte  wird 
der  deutsche  Unterricht  in  unseren  Schulen  wirklich  Zweck  und  Halt  be- 
kommen."  Und  Superintendent  Boone  von  Cincinnati  sagt:  ,,Kein 
grosserer  Dienst  konnte  dem  deutschen  Unterricht  erwiesen  werden,  als 
die  Schiiler  in  der  Geschichte  ihrer  deutschen  Vorfahren  zu  unterweisen, 
und  selbst  englische  Lehrer  sollten  darauf  besonderes  Gewicht  legen." 

Unter  solchen  Umstanden  wiirde  es  eine  Unterlassungssiinde,  ein 
Verbrechen  unsererseits  sein,  wollten  wir  nicht  von  dem  giinstigen 
Augenblicke  Gebrauch  machen,  indem  wir  jetzt,  wo  alliiberall  im  Lande 
so  emsig  in  den  Schulen  reformiert  wird,  nicht  alles  aufbieten  wollten,  die 
offene,  oder  meinetwegen  stillschweigende  Sanktionierung  zu  erzielen, 
der  gelegentlichen  anfangs,  und  spater  regelmassigen  Behandlung  der 
deutschen  und  deutschamerikanischen  Geschichte  in  unseren  Klassen,  in 
alien  deutschamerikanischen  Schulen.  Kurzsichtigkeit,  iibertriebene 
Schiichternheit  und  Gleichgiltigkeit  gegen  unser  eigenes  Interesse  nur 
konnte  uns  davon  zuriickhalten,  von  der  augenblicklich  so  giinstigen  Ge- 
legenheit  Gebrauch  zu  machen. 

Hand  ans  Werk!     Der  Erfolg  wird  nicht  ausbleiben. 

Noch  einmal  Diesterweg:  ,,Die  Zeit  ist,  wie  eine  machtige  Zersto- 
rerin,  so  auch  eine  machtige  Baumeisterin.  Das  Zeitwesen,  Mensch  ge- 
nannt,  soil  in  die  Zeit  Samen  streuen  und  sie  wird  ihn  entwickeln.  Nur 
das  Nichtige  geht  unter." 

Es  diirfte  kaum  notig  sein,  unseren  Lesern  des  naheren  auseinander- 
zusetzen,  dass  und  wie  ein  solcher  Geschichtsunterricht  auch  dem  deut- 
schen Sprachunterrichte  dienstbar  gemacht  werden  konne  und  miisse. 
Werden  doch  auch  die  Schiiler  bei  ihren  schriftlichen  Arbeiten  und 
Sprechiibungen  ebenso  gerne,  nein,  noch  viel  lieber,  solche  Vorwiirfe  be- 
handeln,  als  nichtssagende,  oder  doch  meistens  abgedroschene,  von  soge- 
nannter  Moral  strotzende  Erzahlungen  u.  s.  w. ;  und  diejenigen  unter 
ihnen,  die  das  anfanglich  nicht  thun,  werden  bald  leicht  dahin  gelangen. 
Man  muss  sie  nur  stolz  darauf  machen,  dass  sie  Deutschamerikaner  sind 
und  anerkanntermassen  alle  Eigenschaften  zukiinftiger  guter  amerikani- 
scher  Burger  im  Keime  besitzen.  Sie  miissen  nur  erfahren,  dass  das 
letztere  eine  auch  von  Angloamerikanern  riickhaltslos  anerkannte  That- 
sache  ist.  Wir  miissen  ihnen  nur  in  richtiger  Weise  die  glanzenden  Tha- 
ten  und  hervorragenden  Verdienste  der  deutschamerikanischen  Manner 
und  Frauen  um  die  Entwickelung  dieses  Landes  vorfiihren  und  zum  Ver- 


352  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

standnis  bringen;  wir  miissen  ihnen  klar  machen,  was  es  bedeutet,  wenn 
Murat  Halstead  sagt :  ,,Die  Deutschamerikaner  sind  das  Salz  der  Erde", 
und  es  ihnen  beweisen,  dass  jeder  einzelne  von  ihnen  dazu  berufen  ist, 
ein  solches  Salzkorn  zu  sein,  es  jedoch  nicht  werden  kann,  ohne  die  Ur- 
quelle  des  Deutschamerikanertums  zu  kennen,  die  Geschichte  der  Deut- 
schen. 


Goethe  und  Schiller. 


Festrede,  gehalten  bei  der  Enthiillung  des  Goethe-Schillerdenkmals 
in  San  Francisco  am  11.  August  1901. 


Von  Prof.  Julius  Goebel,  Stanford  University,  Cal. 


Wie  der  Friihling  wandelt  der  Genius 

Von  Land  zu  Land 

Holderlin. 

Das  schone  Dichterwort  hat  sich  auch  heute  erfiillt,  und  es  ist  uns, 
als  sei  der  Genius  unseres  Volkes  mit  uns  gezogen  und  blickte  nun  in 
seiner  edelsten  kiinstlerischen  Gestalt  aus  dem  Denkmal  des  Dichterpaares 
freundlich  winkend,  mahned  und  Herz  und  Geist  zum  Hochsten  weisend, 
auf  uns  herab.  Und  das  alte  Weimar  steigt  in  seiner  weltverlorenen  hei- 
ligen  Stille  vor  unserem  Geiste  herauf,  es  scheint,  als  erhebe  sich  hinter 
dem  Standbilde  die  Kunststatte,  von  der  die  beiden  zu  ihrem  Volke,  zu 
der  Menschheit  sprachen,  und  in  den  hohen  Baumen  des  stillen  Parkes, 
der  Pflanzung  Goethe's,  scheint  es  zu  rauschen,  als  wehe  der  Genius  des 
Grossen  dort  immer  noch  in  den  Zweig.cn  und  fliistere  uns  zu :  Haltet 
fest  an  dem  Schatz,  den  wir  euch  hinterliessen.  — 

Wenn  sich  nun  so  Vergangenheit  und  Gegenwart  in  dieser  Feier- 
stunde  verschlingen,  dann  ist  es  nicht  leicht,  in  wenigen  Worten  zu  deu- 
ten,  was  uns  warm  im  Gefiihle  lebt:  warum  wir  in  dem  grossen  Dich- 
terpaare  den  Genius  unseres  Volkes  verkorpert  finden.  Denken  wir  heute 
an  Goethe  und  Schiller,  dann  erscheint  vor  uns  nicht  bloss  das  grosse 
Dichterpaar,  das  in  Freundschaft  zusammen  lebte  und  schuf,  es  ersteht 
vor  uns  der  ganze  Bildungsschatz  unseres  Volkes,  das  Hochste,  was  der 
Deutsche  im  Laufe  seiner  Geschichte  erreichte.  Es  gab  eine  Zeit,  die 
Schiller  als  den  grosseren  Dichter  pries,  und  dann  wieder  hob  man  Goethe 
als  den  Gewaltigeren  auf  den  Schild.  Heute  dringt  langsam  die  Er- 
kenntnis  durch,  dass  beide  Dichter  zusammen  erst  das  ausmachen,  was 
wir  als  deutschen  Genius  verehren.  Und  darum  verehren  wir  in  beiden 
das  Hochste,  was  uns  Deutschen  im  Geistesgebiete  zu  verwirklichen  be- 


Goethe  und  Schiller.  353 

schieden  gewesen  ist,  well  sie  das  Menschliche  darstellen,  wie  es  in  sol- 
cher  Vollendung  bei  keinem  anderen  Volke  erschienen  ist. 

Verschieden  sind  die  Versuche  gewesen,  die  Einheit  zu  bestimmen, 
jenes  Ganze  in  Worten  auszusprechen,  das  iiber  dem  Wesen  der  beiden 
schwebt.  Schon  Goethe  hatte  dies  Ganze  im  Sinne,  wenn  er  von  Schiller 
als  der  erganzenden  Halfte  seines  Daseins  spricht.  Aber  am  besten  hat  es 
Schiller  in  bestimmte  Formel  zu  fassen  gesucht  in  einem  seiner  bedeu- 
tendsten  Aufsatze,  der  geradezu  von  seinem  Verhaltnis  zu  Goethe  han- 
delt.  Von  dem  Gegensatz  ausgehend,  den  jeder  von  uns  erlebt,  und  den 
die  Sprache  mit  den  Worten  Natur  und  Geist,  Sinnlichkeit  und  Vernunft 
ausdruckt,  sucht  er  der  Verschiedenheit  in  seiner  und  des  Freundes  Geis- 
tesrichtung  nahe  zu  kommen.  Er  unterscheidet  zwischen  dem  naiv 
schaffenden  und  dem  bewusst  arbeitenden  Dichter,  dem  Realisten  und 
dem  Idealisten.  Halt  sich  der  Realist  an  die  Erfahrung  und  lasst  die 
Natur  frei  in  sich  walten,  dann  tritt  ihr  der  Idealist  mit  den  Forderungen 
der  Vernunft  gegeniiber  und  wahrt  das  heilige  Recht  des  Willens.  ,,Zieht 
man  von  beiden  Charakteren  das  eigentliche  Poetische  ab,  dann  bleibt  von 
dem  Realisten  nichts  iibrig  als  ein  niichterner  Beobachtungsgeist,  eine 
feste  Anhanglichkeit  an  das  gleichformige  Zeugnis  der  Sinne,  eine  resig- 
nierte  Unterwerfung  unter  die  Notwendigkeit  der  Natur,  das  heisst  also 
eine  Ergebung  in  das,  was  ist  und  was  sein  muss.  Vom  Idealisten  aber 
bleibt  nichts  als  ein  unruhiger  Spekulationsgeist,  der  auf  das  Unbedingte 
in  alien  Erkenntnissen  dringt,  ein  moralischer  Rigorismus,  der  auf  dem 
Unbedingten  in  Willenshandlungen  besteht." 

Man  mag  die  Verschiedenheit  der  menschlichen  Geistesrichtungen 
und  Naturen  anders  zu  bezeichnen  versuchen,  schwerlich  mochte  es  aber 
gelingen,  den  Gegensatz  scharfer  zu  fassen,  der  alle  Geister  im  Grunde 
zu  trennen  scheint.  Wer  erkennte  in  dem  Realisten  nicht  Goethe  wieder, 
wie  er  sein  Leben  lang  geneigt  war,  den  Sinnen  zu  trauen,  fast  willenlos 
die  Natur  in  sich  walten  zu  lassen  und  der  Ausbildung  seines  Ich  zu  le- 
ben.  Und  wer  sahe  in  dem  Idealisten  nicht  Schiller,  wie  er  die  Wirk- 
lichkeit  an  dem  Ideale  misst,  das  Gebot  des  selbstbestimmenden  freien 
Geistes  predigt,  und,  ein  Prophet,  die  unverausserlichen  Rechte  der 
Menschheit  verkundet.  Es  ist,  als  habe  sich  das  idealistische  18.  Jahr- 
hundert  und  das  anbrechende  19.  Jahrhundert  mit  seinem  Drang  zur  Er- 
fassung  der  Wirklichkeit  in  den  beiden  Dichtern  verkorpert.  Aber  die 
Gefahr  lag  nahe,  dass  Goethe  sich  an  die  Sinne,  an  die  Wirklichkeit  ver- 
lor,  dass  Schiller  sich  in  das  Wolkenheim  der  Spekulation  verstieg.  Da 
findet  jenes  denkwiirdige  Zusammentreffen  beider  statt,  bei  dem  Goethe 
seine  Entdeckung  der  Metamorphose  der  Pflanze  vortragt,  die  Schiller 
nicht  fur  eine  Thatsache  nimmt,  sondern  fur  eine  Idee  erklart.  Und  nun 
konnen  wir  das  grossartige  Schauspiel  verfolgen,  wie  die  beiden  Manner, 
die  sich  der  entgegengesetzten  Richtung  ihres  Geistes  bewusst  sind,  sich 


354  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

langsam  finden,  um  sich  an  einander  zu  erganzen  und  zu  erhohen.  Wohl 
hat  es  in  alien  grossen  Epochen  des  menschlichen  Geistes  Manner  gege- 
ben,  die  einen  ahnlichen  Gegensatz  zu  einander  bilden,  aber  nirgends  in 
der  Geschichte  bietet  sich  der  erhebende  Anblick,  dass  zwei  Manner  iiber 
den  Gegensatz  ihrer  Natur  hinweg  das  Ganze,  die  Einheit  suchen. 

,,Sieh,  da  entbrennen  in  feurigem  Kampf  die  eifernden  Krafte, 
Grosses  wirket  ihr  Streit,  Grosseres  wirket  ihr  Bund", 

singt  Schiller.  Zwischen  den  beiden  Dichtern  erhebt  sich  als  leuchten- 
des  Ideal  die  Einheit  ihrer  Krafte,  jenes  Hochste,  was  dem  Deutschen 
zu  verwirklichen  vergonnt  war.  Und  wieder  ist  es  Schiller,  der  dies  am 
scharfsten  und  klarsten  ausspricht:  Nicht  im  Realisten  und  nicht  im 
Idealisten  erscheint  das  Ideal  schoner  Menschlichkeit  und  damit  des  wah- 
ren  Dichters,  sondern  in  der  Vereinigung  beider,  in  ihrem  Bund  zu  einem 
hoheren  Dritten.  Und  so  gewahren  wir  nun,  wie  sich  Schiller  an  Goe- 
the, Goethe  an  Schiller  zu  vervollkommnen  sucht,  wie  Schiller  es  lernt, 
der  Wirklichkeit  treuer  und  liebevoller  nachzugehen,  und  wie  Goethe  dem 
Freund  in  das  Land  der  Ideale  nachfolgt.  Und  die  Frucht  des  einzigen 
Bundes,  der  auch  fur  die  Versohnung  der  Gegensatze  unserer  Zeit  ewig 
vorbildlich  bleibt,  ist  die  Dichtung  gewesen,  die  nach  Schillers  Wort  ,,zu- 
gleich  ganz  ideal  und  doch  im  tiefsten  Sinne  real  ist",  die  Dichtung,  der 
es  verliehen  ist,  den  Geist  des  All  zu  ergreifen  und  in  korperliche  For- 
men  zu  kleiden."  — 

Ja,  dem  Friihling  gleich  keimte  und  sprosste  es,  als  jener  Genius, 
den  wir  heute  feiern,  unter  unserem  Volke  wandelte.  Das  ist  ja  das 
Grosse  der  deutschen  Dichtung,  die  aus  jenem  Bunde  entsprosste,  dass 
sie  kein  nationaler  Schmuck  ist,  den  man  in  Feierstunden  bewundert  oder 
anlegt,  sondern  die  schonste  vollendetste  Menschheit  selbst.  Kein  an- 
deres  Volk  hat  es  wie  das  deutsche  ergriffen,  dass  der  eigentliche  Gegen- 
stand  der  Dichtung  der  Mensch  ist.  Daher  kommt  es  denn  auch,  dass 
alles  Forschen  nach  dem  Wesen  der  Poesie  und  des  Schonen  zugleich  ein 
Forschen  nach  dem  Wesen  des  Menschen  ist.  Zwar  haben  sich  seit  dem 
17.  Jahrhundert  auch  die  iibrigen  Kulturvolker  Europas  um  die  Erkennt- 
nis  des  Schonen  bemuht,  aber  den  Franzosen  blieb  die  Poesie  stets  ein 
Spiel  des  Witzes  und  Verstandes,  und  die  Englander  brachten  es  nur  zu 
Ahnungen  des  Wahren.  Dem  Deutschen  erst  ging  in  der  Zeit  unserer 
klassischen  Dichtung  die  Einsicht  auf,  dass  in  der  Schopferkraft  des 
Dichters  die  Natur  selbst  wirke,  dass  der  Dichter,  das  Genie,  der  ganze 
harmonische  Mensch  sei,  dessen  Aufgabe  es  ist,  der  Menschheit  ihren 
moglichst  vollstandigen  Ausdruck  zu  geben. 

Humanitat,  schone  Menschlichkeit  sind  Worte,  die  heute,  wo  wir 
gern  vom  Kampf  urns  Dasein  reden,  schon  im  Verblassen  sind.  Aber 
es  gilt,  sie  wieder  in  aller  Farbenpracht  aufzufrischen,  um  uns  des 
Schatzes  in  seinem  ganzen  Umfang  bewusst  zu  werden,  an  dessen  Be- 


Goethe  und  Schiller.  355 

wahrung  uns  der  Genius  Goethes  und  Schillers  heute  mahnt.  Man  hat 
mit  Recht  gesagt,  dass  das  letzte  Ziel  der  grossen  Geistesbewegung,  de- 
ren  Hauptvertreter  Goethe  und  Schiller  sind,  die  Erneuerung  und  Wie- 
dergeburt  des  Menschenwesens  war.  Oder  wie  Schiller  es  bewusst  aus- 
driickt: 

,,Glaubt  mir,  es  ist  kein  Marchen,  die  Quelle  der  Jugend,  sie  rinnet 
Wirklich  und  immer.     Ihr  fragt  wo?     In  der  dichtenden  Kunst." 

Und  dies  hohe  Amt  der  Erneuerung  war  den  deutschen  Dichtern 
darum  zugefallen,  weil  sie  in  der  Stille  ihres  Herzens  die  heilige  Flamme 
reiner  Natur  gehiitet  hatten.  Nun  loderte  sie  hell  auf,  Licht  und  warmes 
Leben  iiber  die  ganze  Welt  verbreitend.  Es  ist  nicht  von  ungefahr,  dass 
es  in  Deutschland  war,  wo  man  zuerst  das  Wesen  der  Volkspoesie  er- 
kannte,  jener  Laute,  in  den  en  die  Natur  mit  der  unwiderstehlichen  Macht 
der  Wahrheit  ergreifend  und  erschiitternd  an  unser  Herz  riihrt.  Und 
seines  Priesteramtes  bewusst,  durfte  Schiller  von  sich  und  Goethe  das 
stolze  Wort  sprechen:  ,,Wir  Dichter  sind  die  Rdcher  und  Bewahrer  der 
Natur".  Das  war  es  ja,  warum  Goethe  und  Schiller  schon  bei  ihrem  ersten 
Auftreten  die  Herzen  der  Zeitgenossen  bezwangen:  dass  in  ihren  Wer- 
ken  zum  erstenmal  wieder  die  Sprache  der  Wahrheit  und  der  Natur  er- 
klang.  Und  was  sie  in  ihrer  Jugend  unbewusst  ausiibten,  das  wird  ihnen 
in  der  Zeit  des  Zusammenwirkens  zum  letzten  Zweck  ihres  Dichtens. 

,,Und  edlen  Seelen  vorzufiihlen 
Ist  wiinschenswertester  Beruf," 

singt  Goethe  und  klarer  noch  driickt  es  Schiller  aus  in  der  ,,Macht  des 
Gesanges" : 

,,Und  wie  nach  hoffnungslosem  Sehnen, 

Nach  langer  Trennung  bitterm  Schmerz 

Ein  Kind  mit  heissen  Reuethranen 

Sich  stitrzt  an  seiner  Mutter  Herz, 

So  fiihrt  zu  seiner  Jugend  Hiitten, 

Zu  seiner  Unschuld  reinem  Gliick, 

Vom  fernen  Ausland  fremder  Sitten 

Den  Fliichtling  der  Gesang  zuriick, 

In  der  Natur  getreuen  Armen 

Von  kalten  Regeln  zu  erwarmen. 

Nicht  zufallig  gebraucht  Schiller  in  diesen  Versen  das  Bild  vom 
Kinde.  Es  stellt  sich  ihm  und  Goethe  ofters  ein,  wenn  sie  das  ewig1 
Menschliche  schildern,  das  in  ihrer  Dichtung  lebt  und  wirkt.  Dem  Kinde 
in  seiner  keuschea  Unschuld,  in  der  Harmonic  aller  seiner  Geisteskrafte 
und  in  seiner  seligen  Unbewusstheit  gleicht  das  Genie,  die  hochste  Er- 
scheinung  des  Menschen.  ,,Naiv  muss  jedes  wahre  Genie  sein  oder  es 
ist  keines",  ruft  Schiller  aus,  und  Goethe  singt: 


356  P'ddagogische  Monatsbefte. 

,,A11  unser  redlichstes  Bemiih'n 

Gliickt  nur  im  unbewussten  Momente, 

Wie  konnte  denn  die  Rose  bliih'n, 

Wenn  sie  der  Sonne  Herrlichkeit  erkennte." 

Das  Volk,  ,,das  es  in  der  Unnatur  und  in  der  Reflexion  dariiber  am 
weitesten  gebracht  hatte",  die  Franzosen,  batten  den  Begriff  des  Naiven 
schon  friih  entdeckt,  aber  unter  den  Deutschen  erst,  die  der  Natur  treu 
geblieben  waren,  kam  das  Naive  zur  Rettung  der  Menschheit  zum  vollen 
Ausdruck.  Und  wie  kam  es,  dass  gerade  die  Deutschen  dazu  auserwahlt 
waren  ? 

,,Den  deutschen  Frauen  danket!     Sie  haben  euch 
Der  Gotterbilder  freundlichen  Geist  bewahrt," 

singt  Holderlin.  Ja,  zu  der  Wiedergeburt  des  reinen  Menschentums,  die 
unsere  Dichter  schufen,  gehort  auch  die  Wiederentdeckung  reinen  Frau- 
enwesens,  in  dem  sich,  wie  in  dem  Kinde,  die  Natur  am  treuesten  offen- 
bart.  Wahrend  die  franzosisch  gebildete  Welt  jener  Zeit  —  und  die 
f ranzosische  Bildung  beherrschte  damals  die  Welt  —  das  Weib  zum  Ge- 
nussmittel  erniedrigte,  und  uber  die  Liebe  witzelte  oder  in  stelzenhaften 
Phrasen  deklamierte,  singt  Schiller  den  unsterblichen  Hymnus : 

,,Ehret  die  Frauen,  sie  flechten  und  weben 
Himmlische  Rosen  ins  irdische  Leben," 
denn: 

,,In  der  Mutter  bescheidener  Hutte 
Sind  sie  geblieben  mit  schamhafter  Sitte 
Treue  Tochter  der  frommen  Natur." 

Und  das  letzte  Wort  des  scheidenden  Goethe,  der  wie  kein  anderer 
Dichter  der  Welt  edles  Frauentum  verherrlichte  und  so  die  enge  Ver- 
wandtschaft  zwischen  dem  Genius  und  der  Frauennatur  bekundet,  war: 

,,Das  Ewig-Weibliche  zieht  uns  hinan." 

Die  Riickkehr  zur  reinen  Natur,  die  Wiedergeburt  schoner  Mensch- 
lichkeit  ist  allein  durch  die  Kunst,  besonders  aber  die  Poesie  moglich. 
Der  Genuss  der  Poesie  ist  wesentlich  ein  Nachschaffen,  die  Dichtung 
als  Produkt  der  harmonisch  wirkenden  Geisteskrafte  bringt  in  uns  die 
Wirkung  hervor,  dass  sie  uns  zu  vollen,  ganzen  Menschen  macht.  Nie- 
mand  hat  dies  klarer  gesehen  als  Schiller,  wenn  er  sagt:  ,,Die  wahre 
Kunst  hat  es  nicht  bloss  auf  ein  voriibergehendes  Spiel  abgesehen,  es  ist 
ihr  ernst  damit,  den  Menschen  nicht  bloss  voriibergehend  in  einen  Traum 
von  Freiheit  zu  versetzen,  sondern  ihn  wirklich  und  in  der  That  frei  zu 
machen"  Damit  ist  denn  die  Freude  als  Ziel  der  Kunst  verkntipft.  ,,Der 
hochste  Genuss,  den  sie  gewahrt,  ist  die  Freiheit  des  Gemiites  in  dem 
lebendigen  Spiel  aller  seiner  Krafte."  Und  dies  vollbringt  die  Dichtung, 
indem  sie  uns  in  die  Welt  des  schonen  Scheines  einfiihrt,  ja  uns  erkennen 


Goethe  und  Schiller.  357 

lehrt,  dass  im  Schein,  den  wir  um  die  Dinge  weben,  und  nicht  im  abstrak- 
ten  Gedanken  die  Wahrheit  zu  finden  ist.  Denn  iiberall,  wo  Leben  wirkt, 
hiillt  es  sich  in  den  farbigen  Schleier  des  Schemes,  nur  der  Tod,  das 
Nichts,  ist  farblos,  grau  und  starr.  Und  der  Dichter,  als  Vertreter  hoch- 
sten  Lebens,  weckt  uns  jugendliche  Freude  am  Leben,  indem  es  zur 
Quelle  alles  Lebens  zuruckfiihrt  und  dessen  heiligen  Sinn  tiefsinnig  aus- 
legt. 

Das  ist  in  ganz  groben  Umrissen  ein  Bild  von  der  verjiingten 
Menschheit,  die  unsere  Dichter  schufen,  und  an  deren  Verwirklichung 
sie  ihre  beste  Kraft  setzten.  So  lasst  es  sich  erklaren,  wie  durch  ihr  gan- 
zes  Wirken  eine  erzieherische  Absicht  geht,  wie  sie  uns  Idealbilder  einer 
schoneren  Menschlichkeit  aufstellen,  denen  ahnlich  zu  werden  sie  von 
uns  fordern,  wie  sie  es  von  sich  selbst  verlangten.  Kein  Wunder,  dass 
die  Zeitgenossen  erstaunt  aufhorchten,  dass  die  altersschwache  franzosi- 
sche  Geistesbildung,  die  die  Welt  beherrschte,  langsam  ihre  letzte  Stunde 
heranriicken  sah.  Wie  Friihlingswehen  zog  es  namentlich  durch  die  jun- 
geren  Geister  und  so  singt  der  junge  Friedrich  Schlegel  zu  Anfang  des 
Jahres  1800: 

,,Europas  Geist  erlosch,  in  Deutschland  fliesst 

Der  Quell  der  neuen  Zeit.  . .  . 

Des  Geistes  heiligen  Krieg  kampft,  treu  wie  Ritter ! 

Damals  war  es,  dass  der  deutsche  Genius,  wie  der  Friihling  von  Land 
zu  Land  zu  ziehen  begann,  und  es  gereicht  Amerika  nicht  zu  geringem 
Ruhme,  dass  es  eines  der  ersten  Lander  war,  die  ihm  semen  Einzug  ge- 
wahrten.  Ich  rede  hier  nicht  von  der  deutschen  Einwanderung,  die,  so- 
weit  sie  iiberhaupt  vom  Geiste  Goethes  und  Schillers  erfiillt  war,  viel- 
leicht  hier  und  da  das  Verstandnis  fur  die  grossen  deutschen  Dichter  ver- 
mittelte.  Unabhangig  von  der  deutschen  Einwanderung  und  erst  spater 
von  einzelnen  hervorragenden  Deutschamerikanern,  wie  Follen,  Lieber 
und  anderen  gefordert,  hielt  der  deutsche  Genius  in  das  hohere  ameri- 
kanische  Geistesleben  seinen  Einzug,  um  ihm,  was  wenige  wissen,  fur 
immer  seinen  Stempel  aufzudriicken.  Ja,  wir  Deutschen  in  Amerika 
durfen  es  wohl  als  eine  wunderbare  Fiigung  preisen,  dass  es  der  Geist 
Goethes  und  Schillers  war,  der,  als  man  in  Amerika  begann,  ein  unab- 
hangiges  Geistesleben  zu  schaffen,  Weg  und  Ziel  wies. 

Dasselbe  Buch,  das  Thomas  Carlyle  zu  seiner  Begeisterung  fur  deut-. 
sche  Litteratur  fiihrte,  das  Buch  der  Franzosin  Madame  de  Stae'l  uber 
Deutschland,  sollte  auch  hier  seine  Wirkung  bewahren.  In  dem  Werke 
der  geistreichen  Frau,  die  das  Wesen  der  deutschen  Litteratur  tiefer  als 
andere  Auslander  erkannte,  kam  der  Satz  vor:  ,,Es  mag  sein,  dass  die 
Jugend  des  Menschengeschlechts  fur  immer  dahin  ist,  indessen  glaube 
ich  in  den  Schriften  der  Deutschen  eine  neue  Jugend  zu  bewahren."  Und 
wie  neue  Jugend  schien  die  deutsche  Litteratur  auf  die  hervorragendsten 


358  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Geister  Amerikas,  die  sich  seit  1815  besonders  an  der  Harvard  Universi- 
tat  zusammenfanden,  auf  Manner  wie  Edward  Everett,  Geo.  Bancroft, 
C.  C.  Felton,  Longfellow  u.  a.  zu  wirken.  Ein  Entziicken  ergriff  die 
Geister  bei  der  Entdeckung  der  Schatze  deutscher  Litteratur,  schreibt  ein 
Zeitgenosse,  als  habe  man  eine  wunderbare  nie  geschaute  Insel  in  der 
Siidsee  gefunden.  Es  waren  in  erster  Linie  die  Dichtungen  Schillers  und 
Goethes,  die  diese  Zauberkraft  ausiibten. 

Schon  im  Jahre  1812  verofFentlichte  Everett  einen  Aufsatz  iiber  Goe- 
the, worm  er  beklagt,  dass  von  diesem  Dichter  nichts  als  eine  wertlose 
Ubersetzung  des  Werther  und  eine  noch  schlechtere  des  Faust  bekannt 
sei,  und  worin  er  auf  die  grosse  Bedeutung  des  Dichters  hinweist,  ja  so- 
gar  eines  seiner  Lieder  ubersetzt.  Einige  Jahre  spater  erschien  eine  Be- 
sprechung  des  Lebens  und  der  Werke  Schillers  von  Geo.  Bancroft,  die 
gleiche  Begeisterung  fur  deutsche  Litteratur  atmete  und  ebenfalls  t)ber- 
setzungen  von  Schillers  Gedichten  brachte.  Wie  die  ersten  Humanisten 
des  15.  Jahrhunderts  ein  Durst  nach  griechischer  Weisheit  und  Poesie, 
so  ergreift  die  fuhrenden  Geister  Amerikas  ein  Durst  nach  deutscher  Lit- 
teratur, und  ruhrend  ist  es  zu  sehen,  mit  welchen  Opfern  sich  diese  Man- 
ner dem  Studium  unserer  Sprache  hingeben,  urn  zu  den  Geistesschatzen 
zu  gelangen,  die  ihnen  ein  neues  Leben  versprechen,  wie  sie  es  weder  bei 
Englandern  noch  Franzosen  finden  konnten.  Damals,  im  zweiten  Jahr- 
zehnt  des  19.  Jahrhunderts,  beginnt  auch  die  Wanderung  hervorragender 
Amerikaner  nach  dem  Mekka  der  deutschen  Universitaten,  die  bis  auf 
unsere  Tage  dauert.  Es  war  ja  die  Bliitezeit  deutscher  Wissenschaft,  die 
Zeit,  wo  die  Saat,  die  Goethe  und  Schiller  und  die  iibrigen  Grossen  ge- 
streut  hatten,  auf  alien  Gebieten  deutschen  Geisteslebens  auf ging ;  es  war 
die  Zeit,  wo  Deutschland  die  Fuhrung  der  Geisteskultur  ubernahm.  Wer 
vermochte  zu  sagen,  wie  viele  dieser  Keime  von  damals  bis  heute  nach 
diesem  Lande  verpflanzt  wurden !  Zuerst  zeigte  es  sich  auf  dem  Gebiete 
der  klassischen  Altertumswissenschaft,  damals  noch  die  Hauptstarke  der 
amerikanischen  Colleges.  Nicht  von  Englandern  und  Franzosen,  son- 
dern  von  den  Deutschen  allein  konnen  wir  lernen,  ruft  ein  klassischer 
Philologe  damals  aus.  Und  man  braucht  nur  die  Liste  der  Biicher  nach- 
zusehen,  die  seit  1820  veroffentlicht  wurden,  um  zu  gewahren,  dass  un- 
sere amerikanischen  Studenten  keinen  lateinischen  oder  griechischen  Klas- 
siker  gelesen  haben,  dessen  Text  nicht  auf  die  Arbeit  deutscher  Gelehr- 
ter  zuriickgeht.  Begeisterung  und  Bewunderung  erregend  wirkte  der 
Geist  deutscher  Wissenschaft,  der  sich  im  Fleiss,  in  der  -Grimdlichkeit, 
im  grossen  freien  Blick  und  in  der  tiefen  Auffassung  offenbart.  Und 
nicht  nur  die  klassische  Philologie,  auch  die  Geschichte,  die  Staatswissen- 
schaft,  die  Mathematik  und  die  Naturwissenschaft  wurden  nach  und  nach 
vom  deutschen  Geiste  umgestaltet,  ja  selbst  die  Theologie  konnte  und 
kann  sich  seinem  Einfluss  nicht  mehr  entziehen.  Und  soil  ich  hier  von 


Das  M'ddchern  von  Fort  Henry.  359 

dem  Siegeszug  reden,  den  die  deutsche  Musik  seit  jener  Zeit  iiber  das 
ganze  Land  hin  gehalten  hat?  Sogar  in  der  amerikanischen  Litteratur 
zeigte  sich  der  Einfluss  des  deutschen  Geistes.  Schon  im  Jahre  1745  be- 
merkte  ein  amerikanischer  Schriftsteller :  ,,Unser  Zeitalter  ist  gelehrt, 
geistvoll  und  nachahmend.  Unsere  amerikanischen  Dichter  bilden  sich 
immer  mehr  und  mehr  durch  Ubersetzten  aus  dem  Deutschen  und  es  ist 
kein  Wunder,  dass  ihre  spateren  Arbeiten  den  Stempel  der  deutschen 
Studien  tragen."  Was  wiirde  der  Mann  erst  heute  sagen,  wo  es  keinen 
Gelehrten  von  Ruf  in  Amerika  giebt,  der  nicht  sein  Bestes  deutscher  Wis- 
schenschaft  verdankt,  wo  es  in  unserem  Lande  keine  hohere  Unterrichts- 
anstalt  mehr  giebt,  an  der  die  Sprache  Schillers  und  Goethes  nicht  gelehrt 
wird! 

Ja,  wie  der  Friihling  wandelt  der  Genius  von  Land  zu  Land,  und  der 
Angelsachse,  der  vor  1500  Jahren  die  deutsche  Heimat  verliess,  darf  sich 
heute  mit  uns  Deutschen  auf  amerikanischem  Boden  vereinen,  um  den 
Genius  zu  feiern,  der  der  hochste  Ausdruck  des  gemeinsamen  germani- 
schen  Lebens  ist.  In  den  Sagen  und  Mythen  aller  Volker  finden  wir  die 
grossen  Gegensatze  der  Menschennatur  in  Doppelgestalten  als  friedlich 
kampfende  Heroen  oder  als  Gotter  des  Lichts  und  der  Finsternis  verkor- 
pert.  Aber  nur  das  deutsche  Volk  kennt  als  Spiegel  seines  Wesens  das 
Heroenpaar,  das  sich  zu  friedlichem  hoheren  Streben  die  Hande  reicht, 
das  Bild  der  in  Freundschaft  und  Liebe  iiberwundenen  Gegensatze,  das 
Bild  hochsten  Menschentumes,  wie  es  in  Goethe  und  Schiller  erscheint. 
Moge  ihr  Standbild  uns  in  alle  Zukunft  als  Vorbild  leuchten,  dass  sich 
Deutsche  und  Angelsachsen  die  Hande  reichen,  um  auf  dem  freien  Boden 
Amerikas  dies  hochste  Menschentum  im  Wahren,  Guten  und  Schonen  zu 
verwirklichen. 


Das  Madchen  von  Fort  Henry.' 


Von  Dr.  H.  H.  FicJe,  Cincinnati,  O. 

,,Die  roten  Teufel  nah'n  dem  Fort, 
Vom  weissen  Schuft  gefiihret! 
Schnell,  raumt  die  off'ne  Siedlung  dort, 
Bringt  Weib  und  Kind  an  sichern  Ort!" 
Der  Oberst  kommandieret. 


*)  Anm.  Die  geschilderte  Begebenheit  trug  sich  im  Jahre  1777  zu,  als  eine 
Indianerbande  unter  Anfiihrung  des  weissen  Renegaten  Simon  Girty  das  Fort 
Henry,  unser  heutiges  Wheeling,  W.  Va.,  belagerte.  Der  Name  des  wackeren  Mad- 
chens  war  Elisabeth  Zane. 


360  P'ddagogische  Monatshefte. 

,,Was  faselt  doch  von  brit'schem  Schutz 
Una  Girty,  der  Verrater? 
Wir  bieten  der  Belag'rung  Trutz 
So  lang  die  Waff  en  etwas  nutz! 
Fluch  sei  dem  Attentater!" 

Die  Horde  stiirmt,  doch  Schuss  auf  Sehuss 
Kracht  ihr  gar  scharf  entgegen; 
Und  manche  tiick'sche  Rothaut  muss 
Sich  bei  der  Kugel  herbem  Kuss 
Im  Tode  niederlegen. 

Doch  weh!    ,,Am  Ziindkraut  es  gebricht, 
Bald  wird  der  Vorrat  enden!" 
Voll  Angst  der  Kommandant  es  spricht. 
,  ,,Wird  flugs  uns  frische  Zufuhr  nicht, 

Sind  wir  in  Feindeshanden. 

,,Zwar  liegt,  wo  dort  die  Mauern  stehn, 
Ein  Fasschen  noch  verstecket, 
Doch  miisst'  dem  Tod  ins  Auge  sehn, 
Wer  aus  dem  There  wollte  gehn, 

Wenn  ihn  der  Feind  entdecket!" 

Ein  Madchen  hort's,  sie  ruft  geschwind: 
,,Lasst  mich  nur  dafiir  sorgen!" 
Sie  stiirzt  hinaus,  flink  wie  der  Wind, 
Und  eh'  der  Gegner  sich  besinnt, 
Hat's  Pulver  sie  geborgen. 

Sie  tragt  zuriick  im  fliicht'gen  Lauf 
Den  Schatz  so  hochwillkommen. 
Da  blitzt  das  Feuern  wieder  auf, 
Und  wie  auch  tobt  der  Wilden  Hauf, 
Das  Fort  wird  nicht  genommen. 

Die  Maid,  sie  war  von  deutschem  Blut, 
Das  wollen  wir  ermessen. 
Wohl  opfern  Manner  Leib  und  Gut, 
Doch  auch  des  Weibes  Heldenmut 
Werd'  nimmermehr  vergessen. 


Fur  die  Schulpraxis. 


Erlkonig. 


(  Aus  ,, Deutsche  Schulpraxis.") 


Fur  die  litteraturkundliche  Behandltmg. 

Die  Ballade  versetzt  uns  in  eine  Herbstnacht,  eine  windige  Herbstnacht.  Es 
reitet  jemand  dahin.  Frage?  Wer  ist's,  der  so  spat  dahin  reitet  durch  Nacht  und 
Wind?  Antwort?  Es  ist  der  Vater  mit  seinem  Kind.  Zwei  andere  Fragen  dran- 
gen  sich  auf.  Welche?  Kann  das  Kind  nicht  herabstiirzen  vom  Pferd — gerade  in 
der  Nacht,  wo  das  Pferd  wohl  manchmal  fehltritt,  leicht  herabstiirzen  ?  Kann  das 
Kind  nicht  einen  Schaden  erleiden  in  dem  kalten  Nachtwind?  Antwort?  Der  Va- 
ter hat  den  Knaben  wohl  in  dem  Arm,  er  fasst  ihn  sicher,  er  halt  ihn  warm. 

Das  Kind  schaut  hinein  in  die  dunkle  Nacht.  Von  einem  unbestimmten  Grau- 
sen  wird's  erfasst.  Seine  Phantasie  fangt  an  sich  zu  regen.  Geschichten  vom  Erl- 
konig tauchen  in  ihm  auf.  Auf  einmal  driickt's  das  Gesicht  in  Bangigkeit  an  den 
Vater.  Der  Vater?  Mein  Sohn,  sagt  er,  was  birgst  du  so  bang  dein  Gesicht?  Das 
Kind  ?  Siehst,  Vater,  du  den  Erlkonig  nicht  ?  Den  Erlkonig  mit  Kron'  und  Schweif  ? 
Der  Vater  zur  Beruhigung?  Mein  Sohn,  es  ist  ein  Nebelbild. 

Das  Wort'bleibt  ohne  Wirkung.  Die  Phantasie  des  Knaben  steigert  sich.  In- 
wiefern?  Er  sieht  den  Erlkonig  dicht  neben  sich  schweben — hort,  wie  der  Erlkonig 
ihm  etwas  zufliistert — hort  die  Worte,  die  der  Erlkonig  ihm  zufliistert,  die  Worte: 
Du  liebes  Kind,  komm,  geh  mit  mir!  Gar  schone  Spiele  spiel  ich  mit  dir;  manch' 
bunte  Blumen  sind  an  dem  Strand,  meine  Mutter  hat  manch  gulden  Gewand.  Der 
Vater  muss  diese  Worte  doch  auch  horen.  Welcher  Zuruf  des  Knaben?  Mein  Va- 
ter, mein  Vater,  und  horest  du  nicht,  was  Erlenkonig  mir  leise  verspricht?  Darauf 
der  Vater  wieder  zur  Beruhigung?  Sei  ruhig,  bleibe  ruhig,  mein  Kind;  in  durren 
Slattern  sauselt  der  Wind. 

Auch  dieses  Wort  bleibt  ohne  Wirkung.  Die  Phantasie  des  Knaben  steigert 
sich  weiter:  noch  andere  Gestalten  zieht  sie  in  ihren  Kreis  hinein.  Inwiefern? 
Der  Erlkonig  fliistert:  Willst,  feiner  Knabe,  du  mit  mir  gehn?  Meine  Tothter  sol- 
len  dich  warten  schon;  meine  Tochter  filhren  den  nachtliehen  Reihn,  und  wiegen 
und  tanzen  und  singen  dich  ein.  Der  Vater  muss  diese  Gestalten  doch  auch  sehen. 
Welcher  Zuruf  darum?  Mein  Vater,  mein  Vater,  und  siehst  du  nicht  dort  Erlko- 
nigs  Tochter  am  diistern  Ort?  Der  Vater,  abermals  zur  Beruhigung?  Mein  Sohn, 
mein  Sohn,  ich  seh'  es  genau;  es  scheinen  die  alten  Weiden  so  grau.  Auch  dieses 
Wort  bleibt  ganzlich  wirkungslos. 

Die  Macht  der  Phantasie  des  Kindes  erreicht  jezt  den  hochsten  Grad.  Inwie- 
fern? Jetzt  horts  den  Erlkonig  fliistem:  Ich  liebe  dich,  mich  reizt  deine  schone 
Gestalt;  und  bist  du  nicht  willig,  so  brauch  ich  Gewalt.  Das  Kind  ftib.lt  die  Ge- 
walt.  Wie  ruft's,  bis  in  die  Tiefen  Leibes  und  der  Seele  ergriffen  von  furchtbarem 
Grausen?  Mein  Vater,  mein  Vater,  jetzt  fasst  er  mich  an!  Erlkonig  hat  mir  ein 
Leids  gethan. 

Der  Vater  jetzt?  Auch  ihn  grauset's  jetzt.  Geschwind  reitet  er  dahin.  Um 
sich  nicht  von  dem  Grausen  und  von  der  Angst  um  das  achzende  Kind,  das  er  im 
Arme  halt,  bewaltigen  zu  lassen,  muss  er  seine  ganze  Kraft  zusammennehmen,  so 


*)     Aus  ,,Bruchstucke  aus  der  Mappe  eines  alten  Schulmannes". 


362  P'ddagogiscTje  Monatsbefte. 

dass  er  nur  mit  Mtihe  und  Not  den  Hof  erreicht.     Und  sieli — dort  angekommen? 
In  seinen  Armen  das  Kind — war — tot. 

Wer  reitet  so  spat  durch  Nacht  und  Wind? — Mit  diesem  Anfang  erreicht  der 
Dichter  sofort  dreierlei  dem  Horer  gegeniiber.  Was  namlich? — Einnial  versetzt  er 
ihn  sofort  auf  den  Schauplatz  der  Handlung:  der  HSrer  ist  draussen  in  Nacht  und 
Wind — sodann  in  die  Handlung  selbst:  der  Horer  nimmt  wahr,  wie  jemand  dahin 
reitet — endlich  regt  er  durch  die  Frage:  wer  ist's,  der  so  spat  durch  Nacht  und 
Wind  reitet — das  Interesse  an  der  Handlung  kraftig  an. 

Wer  reitet  so  spat  durch  Nacht  und  Wind? 

Nicht: 

Wer  ritt  so  spat  durch  Nacht  und  Wind? 
Es  ist  der  Vater  mit  seinem  Kind — 

nicht: 

Es  war  der  Vater  mit  seinem  Kind, 
u.  s.  w. 

Immer  das  Prasens  (mit  einer  Ausnahme  in  der  letzten  Strophe),  nie  das  Im- 
perfekt.  Alles  wird  fiir  den  Horer  zu  etwas  Gegenwartigem,  und  welche  Wirkung 
hat  das?  Alles  wird  lebendiger  fiir  ihn. 

Der  Vater  fragt:     Mein  Sohn,  was  birgst  du  so  bang  dein  Gesicht? 

Der  Vater  fragt — wird  aber  das  dem  Horer  noch  besonders  angedeutet?    Nein. 

Das  Kind  antwortet:     Siehst,  Vater,  du  den  Erlkonig  nicht? 

Das  Kind  antwortet — wird  das  dem  Hb'rer  noch  besonders  angedeutet? 

Erlkonig  spricht:     Du  liebes  Kind,  komm,  geh  mit  mir! 

Erlkonig  spricht — wird  das  dem  Horer  noch  besonders  angedeutet  ? . . . . 

Durchweg  in  der  Ballade  wird  die  Rede  der  Personen  gegeben,  ohne  dass  noch 
besonders  angedeutet  wird,  wer  redet.  Auch  dadurch  wird  alles  fur  den  Horer  zu 
etwas  Gegenwartigem  und  so  alles  lebendiger  fur  ihn. 

Du  liebes  Kind,  komm,  geh  mit  mir !     Gar  schone  Spiele  spiel  ich  mit  dir.  — 

Welcher  Vokal  ist  vorherrschend  ?     Der  Vokal  i. 

Noch  einmal  recht  horen!  Du  liebes  Kind,  komm,  geh  mit  mir!  Gar  schone 
Spiele  spieZ  ich  mit  dir.  — 

Was  wohl  in  dem  Wesen  des  Erlkonigs  kommt  durch  das  Vorherrschen  dieses 
Vokals  zu  lebendigerem  Ausdruck?  Das  Freundliche,  Lockende. 

Das  Diistere,  Unheimliche  wird  durch  einen  Vokal  in  den  folgenden  Versen  zu 
leisem  Ausdruck  gebracht.  Recht  horen!  Manch  bwnte  Blwmen  sind  an  dem 
Strand,  meine  Mutter  hat  manch  gulden  Gewand.  Durch  welchen  Vokal?  Durch 
u  in  den  Wortern  bunte — Blumen — Mutter.  Du  liebes  Kind  etc.  Der  Vokal  i — 
sagten  wir — ist  vorherrschend.  Wir  horen  —  so  wollen  wir  jetzt  sagen  —  einen 
Gleichklang  der  Vokale,  die  in  gewissen  Wortern  bezw.  in  den  Hebungen  gewisser 
Worter  auftreten.  Diesen  Gleichklang  nennt  man  eine  Assonanz.  Horn  wir  aber- 
juals:  bunte — Blumen — Mutter.  Wih  horen  einen  Gleichklang  der  Vokale  in  den 
Hebungen  der  Worter,  eine  Assonanz;  wir  horen,  wie  die  Worter  assonieren.  Ho- 
ren wir  noch  einmal:  Manch  bunte  Blumen  sind  an  dem  Strand,  meine  Mutter  hat 
manch  gulden  Gewand.  Welche  Worter  assonieren  ?  die  Worter  manch — an  u.  s.  w. 

Ein  anderes.  Du  liebes  .Kind,  fcomm,  geh  mit  mir.  Auch  ein  Gleichklang.  In 
welchen  Wortern?  Kind — komm — und,  wenn  auch  nicht  vollig,  geh.  Nicht  Vo- 
kale, Konsonanten  sind's,  die  gleichklingen,  und  zwar  Konsananten  am  Anfange  der 
Worter.  Solch  einen  Gleichklang  nennt  man  eine  Alliteration;  die  Worter  Kind, 
komm,  geh,  alliterieren.  Gar  schone  Spiele  spiel  ich  mit  dir.  Wieder  Alliteration. 
In  welchen  Wortern? — schone — Spiele — spiel.  Aber  die  Worter  Spiele — spiel — alli- 
terieren und — wie  wir  bereits  gesagt  haben — assonieren  nicht  nur,  sie  klingen — ab- 
gesehen  von  der  ausgeschiedenen  Endung  e  in  spiel' — vollig  gleich.  So  einen  volli- 


Fttr  die  Scbulpraxis.  363 

gen  Gleichklang  von  Wortern  verschiedener  Bedeutung  nennt  man  eine  Annomina- 
tion.     Assonanz,  Alliteration,  Annomination    in    der    Strophe.     Welchen  Charakter 
gewinnt  dadurch  der  Klang  der  Strophe?     Hort  sie  noch  einmal:     Du  liebes  Kind, 
komm  u.  s.  w. — Den  Charakter  einer  gewissen    Gleichformigkeit.     Und    wozu    wohl 
passt  so  recht  dieser  Charakter  ? . .  . .  Zu  dem  geisterhaf ten  Wesen  des  Erlkonigs. 
Sei  ruhig,  bleibe  ruhig,  mein  Kind; 
In  diirren  Blattern  sauselt  der  Wind. 

Horen  wir  einmal  in  unserer  Phantasie,  wie  der  Wind  durchs  diirre  Herbstlaub 
sauselt.  Merken  wir  jetzt.  auf  den  Wortklang  des  Verses :  in  diirren  Blattern  sau- 
selt der  Wind.  Welche  Wahrnehmung  machen  wir  wohl?  In  dem  Wortklang  des 
Verses  ist  mancherlei,  das  eine  leise  Aehnlichkeit  mit  jenem  Schalle  hat.  Darin 
aber  liegt  mit  die  Wirkung  des  Verses  begrundet. 

Meine  Tochter  fiihren  den  nachtlichen  Reihn 
Und  wiegen  und  tanzen  und  singen  dich  ein. 

Und  wiegen  und  tanzen  und  singen  dich  ein.  Horen  wir  der  Goetheschen  Fas- 
sung  gegentiber  einmal  die  Fassung:  Sie  wiegen,  tanzen,  singen  dich  ein — oder:  Sie 
wiegen,  sie  tanzen,  sie  singen  dich  ein.  Wir  fiihlen  merkbar  einen  Unterschied. 
Welchen  Unterschied?  In  der  Goetheschen  Fassung  ist  viel  mehr  Bewegung  und 
Leichtigkeit ;  dazu:  ist  etwas  von  Verstrickung  und  Verschlingung.  Welche  Bedeu- 
tung hat  aber  das  f  iir  den  Horer  ?  Der  Charakter  des  Elf entanzes  kommt  dadurch  zu 
einem  kraftigeren  Ausdruck. 

Vergegenwartigen  wir  uns  die  Hebungen  und  Senkungen  eines  jeden  Verses. . . . 
Zu  welcher  Art  von  Versen  gehoren  nach  gebrauchlichem  Ausdruck  die  Verse  des 
Gedichts?  Zu  den  jambisch-anapastischen  Versen.  Nur  drei  Verse  sind  rein  jam- 
bisch.  Achten  wir  auf  die  Zahl  der  Hebungen  eines  jeden  Verses ....  In  jedem 
Verse  sind  vier  Hebungen,  nur  in  einem  sind  f tinf :  Ich  Hebe  dich,  mich  reizt  u.  s.  w. 
Offenbar  ist  der  Rhytmus  des  Gedichts  von  besonderer  Wirkung.  Worin  liegt  das 
begrundet?  Er  passt  ganz  und  gar  zu  der  Bewegung  des  Reitens,  zu  der  angstvollen 
Erregung  des  Kindes,  zu  der  angstvollen  Erregung,  in  die  auch  der  Vater  schliess- 
lich  gerat,  zu  der  Begierde  des  Erlkonigs,  den  Knaben  in  seinen  Besitz  zu  bekom- 
men.  Achten  wir  noch  einmal  auf  den  Vers,  der,  wie  wir  sagten,  fiinf  Hebungen 
hat:  Ich  Hebe  dich,  mich  reizt  deine  schone  Gestalt.  Ich  accentuiere  jetzt  etwas 
anders:  Ich  Hebe  dich,  mich  reizt  deine  schone  Gestalt.  Wieviel  Hebungen?  Vier 
Hebungen.  Ich  trage  den  Vers  mit  fiinf  Hebungen — ich  trage  ihn  mit  vier  Hebun- 
gen vor ....  In  welchem  Falle  ist  der  Vers  wirksamer  ? . . . .  Wenn  er  mit  vier  He- 
bungen vorgetragen  wird.  Worin  liegt  das  wohl  begrundet?  Die  Erregung,  die 
zornige  Erregung  des  Erlkonigs  kommt  starker  zum  Ausdruck. 

Achten  wir  noch  auf  die  grammatische  Bildung  und  Verbindung  der  Satze. 
Wer  reitet  so  spat  durch  Nacht  und  Wind  | 
Es  ist  der  Vater  mit  seinem  Kind  | 
Er  hat  den  Knaben  wohl  in  dem  Arm  [ 
Er  fasst  ihn  sicher  | 
Er  halt  ihn  warm  | 

u.  s.  w. 

Was  nehmen  wir  wahr?  Die  Satze  sind  kurz.  Sie  sind  einfach;  nur  zwei  Satz- 
gefiige  kommen  vor.  Fast  durchweg  fehlt  grammatische  Verbindung.  Auch  diese 
Eigenttimlichkeiten  sind  von  Bedeutung.  Inwiefern?  Sie  passen  ganz  und  gar  zu 
der  Bewegung  und  Erregung,  die  durch  die  Ballade  geht. — 


Berichte  und  Notizen. 


1.     Die  Zweihundertjahrige  Jubilaumsfeier  der  Yale  Universitat. 


(Flir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Miss  E.  C.  Walker,  New  Haven,  Conn. 

In  schonem  Festkleid  von  blauen  Fahnen  und  griinen  .Guirlanden  stand  die  altc 
historische    Stadt    New    Haven  da,    um  mit  freundlich  ausgebreiteten  Armen  die 
"Sons  of  Yale"  willkommen  zu  heissen,  die  von  nah  und  fern  herbeigeeilt  waren, 
um  das  zweihundertjahrige  Jubilaum  ihrer  Alma  Mater  festlich  zu  begehen.    Gross- 
artige  Vorbereitungen,   die  mehrere  Jahre  in  Anspruch  genommen  hatten,  waren 
von  den  Universitatsbehorden  getroffen  worden,    um  eine    Feier    zu  veranstalten, 
welche  Yale  und  seiner  Ehrengaste  wiirdig  sein  sollte.     Der  Einladung  der  Univer- 
sitat folgend,  fanden  sich  hervorragende  Manner  aus  Amerika,  Europa  und  dem 
fernen  Osten  ein,  um  dem  Feste  beizuwohnen.     Die  Feier,  welche  vier  Tage  wahrte, 
begann  am  Sonntag,  dem  20.  Oktober.     Rev.  Joseph  Twichell  verrichtete  am  Mor- 
gen  den  Gottesdienst  in  der  Universitatskirche.     Am  Nachmittage  hielt  Rev.  Dr. 
George  P.  Fisher  eine  Rede  iiber  ,,Yale  in  seiner  Beziehung  zur  christlichen  Theo- 
logie".     Am  folgenden  Tage  vormittags  sprach  Herr  Thomas  Thacher  iiber  ,,Yale 
in  seiner  Beziehung  zur  Rechtswissenschaft".     Ihm  folgte  Prof.  William  H.  Welch 
von  Johns  Hopkins,  der    iiber  die  Beziehung  der  Universitat  zur  Medizin  sprach. 
Am  Nachmittage  hiess  Prasident  Arthur  T.  Hadley  die  Gaste  und  Graduierten  im 
Namen  der  Universitat  willkommen.     Am  grossartigsten  und  prachtigsten  gestal- 
tete  sich  der  ungeheuer  grosse  Fackelzug,    welcher  am  Montag  abends  stattfand. 
Der  Zug,  an  dem  sich  wenigstens  7000  Mann  beteiligten,  bewegte  sich  durch  die  mit 
bunt  gefarbten  Laternen  geschmiickten  Strassen,  derweil  der  Himmel  durch  strah- 
lendes  Feuerwerk  glanzend  erhellt  war.     Die  Kostiime  aller  Teilnehmer  des  Zuges 
waren  aufs  sorgfaltigste  ausgedacht,  und  es  gingen  vor  den  Augen  der  Zuschauer 
in  historischer   Reihenfolge  voriiber:     rote   Indianer,   Manner   der   urspriinglichen 
13  Kolonieen,  Soldaten  des  Revolutionskrieges,  Matrosen,  Rough  Riders  u.  s.  w. ; 
den  Schluss  bildeten  fast  6000    friihere  Schiller  der  Universitat.     Am  Dienstag  wur- 
den  folgende  Reden  gehalten:     ,,Yale  in  seiner  Beziehung  zur  Entwickelung  des 
Landes",  von  Cyrus  Northrop,  dem  Prasidenten  der  Universitat  von  Minnesota,  und 
,,Yale  in  seinen  Beziehungen  zur  Wissenschaft  und  Litteratur",  von  Daniel  C.  Gil- 
man,  friiherem  Prasidenten  von  Johns  Hopkins.     Es  fehlte  dem  Feste  auch  nicht 
an    musikalischen    Darbietungen.     So  gab  am  Mittwoch  das  Symphonie-Orchester 
von  Boston  ein  herrliches  Konzert,  und  Dienstag  gelangte  Prof.  Horatio  Parkers 
Oratorium,  Hora  Novissima,  von  seiten  der  Gounod  Society  von  New  Haven  zur 
vollendeten  Auffiihrung.     An  einem  der  Abende  versammelten  sich  alle  Gaste  und 
Graduierte  der  Universitat  auf  dem  Campus,  welcher  mittels  Tausender  von  gelben 
Laternen  erleuchtet  wurde,  um  der  dramatischen  Auffiihrung  beizuwohnen  und  den 
aus  300  Yale  Studenten  bestehenden  Chor  zu  horen.     Denn  in  den  Pausen  wurden 
alte  und  neue  Studentenlieder  gesungen,  wobei  die  grosse  Masse  der  anwesenden 
friiheren  Schiller  sehr  oft  begeistert  mitsangen.     Diese  Auffiihrung  bestand  aus  zehn 
Szenen,  die  dem  friiheren  Leben  auf  der  Universitat  entnommen  waren.     Die  An- 
fangsszene  stellte  die  Griindung  des  College  von  den  zehn  Predigern  im  Jahre  1701 
dar,  und  die  ttberreichung  der  vierzig  Biicher,  der  bescheidene  Anfang  der  jetzigen 
grossen  Bibliothek.     Nachher  kam  eine  Szene,  worin  Washington  zur  Zeit  des  Re- 
volutionskrieges die  Stadt  besuchte  und  eine  Anzahl    Yale    Studenten  exerzieren 


Neuordnung  der  Volksschullebrerbildung  in  Preussen.  365 

liess.  Dann  folgte  die  Hinrichtungsszene  im  britischen  Lager,  wo  der  vielgeliebte 
"Sou  of  Yale,"  Nathan  Hale,  als  Spion  den  Tod  erlitt.  Mittwoch  fand  die  eigent- 
liche  Gedachtnisfeier  statt,  und  mit  der  Ankunft  von  Prasident  Roosevelt  erreichte 
die  Feier  ihren  Hohepunkt.  Die  Festrede  hielt  Hon.  David  J.  Brewer.  Das  Fest- 
gedicht  wurde  von  seinem  Verfasser,  Herrn  Clarence  Stedman,  vorgelesen.  Zu  er- 
wahnen  ist  Prof.  Goodells  griechische  Ode,  welche  Prof.  Horatio  Parker  in  Musik 
gesetzt  hatte.  Zum  Schluss  kam  die  Erteilung  akademischer  Wurden.  Unter  den 
fremden  Gasten,  die  von  Yale  geehrt  wurden,  befanden  sich:  Geheimrat  Wilhelm 
Waldyer  von  der  Universitat  von  Berlin,  Knut  Henning  Gezelius  von  Scheele,  Bi- 
schof  von  Gotland,  Prof.  Jacques  Hadamard  von  der  Universitat  von  Paris,  Kazno 
Hatoyama  von  der  Universitat  von  Tokio,  und  Marquis  Ito,  Staatsminister  von 
Japan.  Unter  den  Amerikanern,  die  solche  Wurden  erhielten,  waren:  Staatssekre- 
tar  John  Hay,  Joseph  Choate,  gegenwartiger  Gesandter  in  England,  Rear  Admiral 
Sampson  und  Prasident  Theodore  Roosevelt.  Prasident  Hadley  erteilte  in  wenigen 
schon  gewahlten  Worten  jedem  Kandidaten  seine  akademische  Wtirde.  Zu  Prasi- 
dent Roosevelt  ausserte  er,  dass  ihm,  als  er  noch  Privatmann  war,  die  Universitat 
die  akademische  Wurde  eines  Doktors  der  Rechte  zugedacht  habe.  Da  es  jedoch 
der  gottlichen  Vorsehung  gefallen  habe,  ihm  noch  einen  anderen  Ehrentitel  zu  ver- 
leihen,  so  hiess  ihn  deswegen  die  Universitat  zweifach  willkommen.  Prasident 
Roosevelt  erwiderte,  unter  iiberwaltigendem  Beifall  vortretend:  Nie  habe  er  eine 
Aufgabe  unternommen,  welche  der  Muhe  wert  war,  dass  nicht  ein  "Son  of  Yale" 
ihm  zur  Seite  gestanden  hatte.  Noch  nie  habe  er  fur  das  Recht  und  gute  Sitten 
gekampft,  dass  sich  "Men  of  Yale"  nicht  gefunden  batten,  um  ihm  zu  helfen  und 
ihm  Starke  und  Mut  zu  verleihen. .  , 


II.     Neuordnung  der  Volksschullehrerbildung  in  Preussen. 


(A«s  ,,A.us  der  Schule — fur  die  Schule".) 

tfber  die  Neuordnung  der  Volksschullehrerbildung  in  Preussen  berichtet  Semi- 
narlehrer  Dr.  Eduard  Clausnitzer  unter  anderem  folgendes:  Schon  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  wurde  die  Frage  der  Neuordnung  der  Volksschullehrerbildung  in  Preu- 
ssen lebhaft  erortert.  Fort  und  fort  ist  sie  in  den  Lehrervereinen  beraten,  in  den 
Fachzeitungen  besprochen  worden.  Fast  allgemein  war  man  der  ttberzeugung,  dass 
die  bisherigen  Vorschriften  aus  dem  Jahre  1872  nicht  mehr  der  Gegenwart  ent- 
sprachen. 

Die  preussische  Unterrichtsverwaltung  hat  unter  dem  1.  Juli  d.  J.  neue  Be- 
stimmungen  erlassen,  welche  die  Volksschullehrerbildung  regeln.  Sie  gliedern  sich 
in  Lehrplane  und  Priifungsordnugen.  Der  wichtigste  Punkt  der  neuen  Lehrplane 
ist  ohne  Zweifel  folgender:  ,,Der  Lehrplan  der  Praparandenanstalt  und  des  Semi- 
nars bilden  ein  organisches  Ganzes." 

Die  Unterrichtsverwaltung  hat  die  augenblickliche  Ausbildungszeit  —  je  drei 
Jahre  auf  der  Praparandenanstalt  und  dem  Seminar  —  beibehalten  und  innerhalb 
der  bisherigen.  Zeitgrenze  durchgefuhrt. 

Es  bedeutet  eine  erhebliche  Vereinfachung  der  Arbeit  fur  Lehrer  und  Schiller, 
dass  jetzt  Praparandenanstalt  und  Seminar  beziiglich  des  Lehrplanes  als  ein  orga- 
niaches  Ganzes  zu  betrachten  sind.  Dadurch  war  die  Unterrichtsverwaltung  im- 
stande,  innerhalb  der  bisherigen  Zeitgrenzen  den  zu  verarbeitenden  Stoff  sowohl  zeit- 


366  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

gemass  zu  vermehren,  als  auch  ihn  gehorig  zu  vertiefen,  so  dass  sich  das  Wissen 
zur  Bildung  gestalten  kaim.  Hierdurch  war  ferner  die  Moglichkeit  gegeben,  den 
grSssten  Teil  des  Lernstoffes  aus  dem  Seminar  heraus  in  die  Praparandenanstalt 
zu  verweisen. 

An  Lehraufgaben,  die  jetzt  ausschliesslich  der  Praparandenanstalt  zuf  alien  und 
dort  zum  Abschluss  gebracht  werden,  seien  genannt:  Biblische  Geschichte,  Kate- 
chismus,  Kirchenlied,  deutsche  Elementargrammatik,  Eelementarrechnen,  alte  Ge- 
schichte, aus  der  Naturbeschreibung  die  Kenntnis  der  einzelnen  Naturkorper,  sowie 
das  Schreiben. 

Auch  das  Seminar  schliesst  die  wissenschaftliche  Bildung  einiger  Facher  schon 
vor  Beendigung  des  ganzen  Kursus  ab,  so  nach  Schluss  des  zweiten  Seminar jahres: 
Mathematik,  Natur-  und  Erdkunde.  Nur  in  Padagogik,  Religion,  Deutsch  und  Ge- 
schichte findet  in  der  Oberklasse  eine  wissenschaftliche  Fortbildung  statt.  Sonst 
tragt  die  Oberklasse  den  Charakter  der  Fachschulej  die  methodische  Ausbildung 
im  Unterrichten  in  den  einzelnen  Fachern,  sowie  das  praktische  Unterrichten  selbst 
stehen  im  Vordergrund.  In  grossen  Ziigen  wiirde  sich  demgemass  die  Ausbildung 
der  Lehrer  jetzt  folgendermassen  gestalten:  In  der  Praparandenanstalt  (15. — 17. 
Lebensjahr)  die  Lernstoffe,  in  der  Unter-  und  Mittelklasse  des  Seminars  (18.  und 
19.  Lebensjahr)  die  Vermittelung  der  Bildung,  in  der  Oberklasse  (20.  Lebensjahr) 
die  Fachausbildung. 

In  Padagogik  wird  ausser  der  Geschichte  der  Padagogik  Psychologic,  allgemeine 
Unterrichts-  und  Erziehungslehre  getrieben,  daneben  werden  auch  die  neuerdings 
aufgenommenen  Studien  zur  padagogischen  Pathologic  beriicksichtigt.  In  der  Re- 
ligion ist  die  vielumstrittene  Frage,  ob  der  kiinftige  Lehrer  etwas  von  der  moder- 
nen  Bibelkritik  erfahren  soil,  erfreulicherweise  bejaht  worden.  Vielleicht  diirfte 
es  sich  empfehlen,  bei  der  Glaubens-  und  Sittenlehre  die  Augsburgische  Konfession 
heranzuziehen.  Ausdriicklich  wird  betont,  dass  mit  der  unterrichtlichen  Aufgabe 
die  erzieherische  zu  verbinden  ist,  ,,charaktervolle  christliche  Personlichkeiten  her- 
anzubilden,  welche  befahigt  sind,  als  Lehrer  durch  Wort  und  Vorbild  segensreich 
auf  die  Jugend  einzuwirken." 

Im  Deutschen  hat  die  grammatische  und  litterarische  Seite  eine  erhebliche  Er- 
weiterung  erfahren.  Die  Bliitezeiten  unserer  Litter atur  werden  eingehend  auf 
Grund  der  Litteraturprodukte  behandelt.  Phonetik,  Geschichte  der  Sprache  und 
ihrer  Eigenart  wird  gelehrt.  Auch  die  Prosalektiire  kommt  zu  ihrem  Recht. 

Eine  fremde  Sprache  als  Pflichtfach  ist  jetzt  eingefuhrt,  die  Schulkollegien  ent- 
scheiden  je  nach  den  Verhaltnissen,  ob  dies  Franzosisch  oder  Englisch  sein  soil.  Das 
Ziel  ist,  ganz  wie  bei  den  Gymnasiallehrplanen  von  1892  fiir  das  Franzosische,  Ver- 
standnis  nicht  zu  schwieriger  Schriftwerke,  sowie  einige  ftbung  im  miindlichen  und 
schriftlichen  Gebrauch  der  Sprache.  Die  Lektiire  steht  im  Vordergrund. 

Die  Geschichte  —  im  Seminar  wird  nur  vaterlandische  getrieben  —  betont  auch 
die  sozialen  und  kulturellen  Verhaltnisse,  sowie  die  Befahigung,  das  Verstiindnis 
der  Gegenwart  aus  der  Vergangenheit  zu  wecken.  Quellensammlungen  und  Werke 
neuerer  Geschichtsschreiber  sind  heranzuziehen. 

In  Mathematik  besteht  derselbe  Lehrplan  wie  fiir  Gymnasien,  nur  der  binomi- 
sche  Satz  und  der  Koordinatenbegriff  fehlen.  Die  Naturkunde  legt  den  Wert  auf 
die  unterrichtliche  Durcharbeitung  der  Lehrstoffe  und  nicht  auf  so  grossen  Umfang 
des  Wissens  —  eine  dankenswerte  Beschrankung  bei  dem  fast  uniibersehbaren  Ge- 
biet  der  Naturwissenschaften.  Stets  ist  auf  die  Verwendung  der  Naturkrafte  im 
Haushalt  der  Natur,  im  taglichen  Leben,  in  Landwirtschaft,  Industrie,  Verkehr 
u.  s.  w.  hinzuweisen.  Das  Experiment  ist  nicht  allein  in  Physik  und  Chemie  ( letz- 
tere  bietet  auch  Mineralogie  und  Nahrungsmittellehre ) ,  sondern  auch  in  Zoologie, 
Botanik  und  Anthropologie  zu  verwenden.  Gemeinverstandliche  naturwissenschaft- 


Korresponden^en.  367 

liche  Werke  sind  heranzuziehen.  Die  Erdkunde  fiihrt  dankenswerterweise  die  iiber- 
trieben  naturwissenschaftliche  Behandlung,  die  letzter  Zeit  geradezu  ,,Mode"  war, 
auf  das  reelle  Mass  zurtick.  Kultur-  und  Handelsgeographie  werden  besonders  be- 
riicksichtigt. 

Beziiglich  der  technischen  FUcher  sei  erwahnt,  dass  dem  Turnen  eine  recht  weit- 
gehende  Pflege  gewidmet  wird,  bsonders  der  Einfluss  des  Turnens  auf  den  Charak- 
ter  wird  betont.  Schwimmen,  Eislauf,  Turnerfahrten,  volkstumliche  tfbungen  im 
Laufen,  Springen  und  Werfen  sind  nicht  zu  vernachlassigen.  In  der  Musik  wird 
Gesang,  Violinspiel,  Orgel  und  Musiktheorie  getrieben,  die  Pflege  des  Volksliedes, 
das  auch  im  deutschen  Unterricht  erfreulicherweise  eine  Stelle  findet,  wird  gefor- 
dert.  Endlich  sei  noch  des  landwirtschaftlichen  Unterrichts  gedacht.  Dieser  — 
recht  notwendig  fur  die  Landlehrer  —  findet  schon  seit  Jahrzehnten  statt. 

Das  Seminar  will  seine  Zoglinge  zum  Weiterarbeiten  anleiten.  Deshalb  wird 
in  der  Oberklasse  auf  freies  Arbeiten  grosser  Wert  gelegt.  In  alien  Fachern  soil 
auf  die  Litteratur,  welche  eine  Weiterbildung  ermoglicht,  hingewiesen  werden. 
Diese  Bestimmungen  sind  von  grosstem  Werte.  Wird  der  kunftige  Lehrer  bereits 
auf  dem  Seminar  zu  selbstandigem,  von  dem  am  naehsten  Morgen  falligem  Pensum 
unabhangigen  Arbeiten  erzogen,  so  ist  ihm  die  Moglichkeit  gegeben,  die  Priifungen 
abzulegen,  welche  ihm  die  dauernde  Anstellung,  sowie  hohere  Jtmter  (Kreisschul- 
inspektor,  Seminardirektor,  Seminarlehrer,  Leiter  von  hoheren  Madchenschulen, 
sechs-  und  mehrklassigen  Volksschulen  u.  s.  w. )  bringen  konnen ;  denn  seine  Bildung 
ist  der  eines  Abiturienten  gleichwertig. 

Ein  wichtiger  Punkt  muss  noch  nachdrilcklich  aus  den  neuen  Lehrplanen  her- 
vorgehoben  werden.  tiberall  kommt  die  neueste  Forschung  zur  Geltung,  uberall 
wird  dem  Fach  entsprechend  auf  die  Verhaltnisse  und  Forderungen  der  Gegenwart 
eingegangen.  Die  Unterrichtsverwaltung  vertritt  damit  den  Grundsatz,  dass  der 
kunftige  Lehrer  nicht,  wie  es  wohl  oft  gefordert  wurde,  angstlich  vor  der  neuesten 
Wissenschaft  und  vor  Kenntnis  der  Anschauungen  der  Gegenwart  bewahrt  werden 
miisse,  sondern  dass  ihm  im  Gegenteil  all  dieses  bereits  auf  dem  Seminar  bekannt 
gegeben  werde,  damit  er  unter  fachmassiger  Leitung  tiber  die  neuesten  Forschungen 
und  tiber  die  Fragen  der  Gegenwart  Aufklarung  empfangen  kann.  Dadurch  wird 
der  Lehrer  vor  vielen  Irrtiimern  bewahrt,  dadurch  kann  in  ihm  eine  ganz  andere 
charaktervolle  Personlichkeit  erzogen  werden,  die  befahigt  ist,  in  besonnener  und 
sachlicher  Weise  den  Bestrebungen  der  Jetztzeit  gegeniiber  Stellung  zu  nehmen  — 
als  wenn  man  ihn  auf  dem  Seminar  sorgfaltig  vor  derartigen  Dingen  behiiten  will. 


III.     Korrespondenzen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Chicago.  wurde  durch  einen  vom  gemischten  Chor 

Chicagoer  Lehrerverein.  Die  erste  gesel-  des  Vereins,  unter  der  Leitung  des  Hrn. 

lige    Zusammenkunft    der    Herbst-    und  Kriiger,    sehr    hiibsch    und  mit  grosser 

Wintersaison,    welche  kiirzlich  von  den  Prazision  zu  Gehor  gebrachten  gesang- 

Mitgliedern  des  Chicagoer  Lehrervereins  lichem  Vortrag  eingeleitet.   Darauf  Melt 

in  der  Schillerhalle  des  Schillergebaudes  Herr  Professor  Schmidt- Wartenberg  von 

abgehalten  wurde,  hat  einen  in  jeder  Be-  der  Chicago  Universitat  einen  hoch  in- 

ziehung  gelungenen  Verlauf  genommen.  teressanten    und  sehr    belehrenden  Vor- 

Da  auch  der  Besuch  ein  sehr  guter  war,  trag  iiber  das  Thema:  ,,Deutsche  Fami- 

so  wurde  von  vorneherein  der  Beweis  ge-  liennamen".     Er  erlauterte   dabei   auch 

liefert,  dass  die  Mitglieder  an  diesen  Zu-  in  der  klarsten  und  verstandnisvollsten 

sammenkiinften    immer    mehr    Gefallen  Weise  die  Entstehung  der  Namen  samt- 

finden.       Die    Nachmittagsunterhaltung  licher  Anwesenden.     Frl.  ^.nna  Bobzien, 


368 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


eine  jugendliche  Kirchensangerin  aus 
Dr.  Zimmermanns  Gemeinde,  welche  sich 
im  Besitz  einer  ebenso  angenehmen  wie 
wohlgeschulten  Sopranstimme  befindet, 
erfreute  die  Anwesenden  durch  die  au- 
sserordentlich  ansprechende  Wiedergabe 
einiger  Lieder,  und  Frl.  Emma  Schramm 
schilderte  in  humoristischer  Weise  in 
Versen  den  Hergang  des  Lehrertages  in 
Indianapolis.  Als  Ehrengaste  waren  zu- 
gegen:  Frau  Pauline  Reed,  die  erste  ehe- 
malige  deutsche  Lehrerin  in  den  offent- 
lichen  Schulen,  das  Schulratsmitglied 
Christian  Mayer  nebst  Gattin,  und  Herr 
Dr.  Zimmermann.  Der  Verein  wird,  wie 
bereits  in  den  letzten  Jahren,  so  auch 
wiederum  in  diesem,  ein  Weihnachtsfest 
veranstalten. 

In  der  ersten  Woche  des  Novembers 
wurde  alien  deutschen  Lehrern  Gelegen- 
heit  gegeben,  in  der  Seminarubungs- 
schule  Probelektionen  im  Deutschen  zu 
sehen  und  zu  horen.  Es  ist  der  deut- 
schen Lehrerin,  Frl.  Therese  Torgatsch, 
gelungen,  den  Schiilern  das  Deutsche  so 
interessant  zu  machen,  dass  jetzt  fast 
alle  Schiller  am  deutschen  Unterrichte 
teilnehmen.  Obgleich  die  meisten  Schil- 
ler nicht  deutsch  sind,  so  konnen  sie  doch 
im  6.  Grad  ohne  alle  Schwierigkeit  dem 
Unterricht  folgen,  und  Frl.  Torgatsch 
spricht  nur  Deutsch  beim  Unterricht. 
Es  ist  fiir  unsere  deutsche  Sache  nicht 
hoch  genug  anzuschlagen,  dass  es  Herrn 
Dr.  Zimmermann  gelungen  ist,  den  deut- 
schen Unterricht  auch  in  der  Seminar- 
iibungsschule  einzufiihren. 

E.  A.  Z. 
Cincinnati. 

Der  Reform-Lehrplan  und  die  neue 
Schulbildung  sind  nochmals  —  um  mit 
Wippchen  zu  reden  —  der  saure  Apfel, 
in  welchen  der  Korrespondent  beissen 
muss;  denn  wo  alles  an  dem  Apfel  her- 
umknabbert,  darf  ihn  der  Plauderer 
nicht  als  Hekuba  behandeln.  Seit  Be- 
ginn  dieses  Schuljahres  wird  seller  Lehr- 
plan  unter  Anleitung  der  beiden  Hilfs- 
superintendenten  so  energisch  ins  Prak- 
tische  iibersetzt  und  durchgesetzt,  dass 
viele  Pestalozzijiinger  darob  ganz  ent- 
setzt  sind.  Um  das  padagogische  Koch- 
und  Rezeptbuch  dreht  sich  hier,  wie  um 
einen  Hexenkessel,  das  schulmeisterliche 
Tagesgesprach.  Mit  "Nature  Studies" 
gehen  jetzt  unsere  englischen  Kollegen 
zu  Bett,  mit  "Constructive  Work"  ste- 
hen  sie  auf,  und  dazwischen  traumen  sie 
von  "Civics"  und  "Weather  Charts".  In 
den  Schulstunden,  d.  h.  soweit  solche,  ab- 
zilglich  Versammlungen  und  Schiiler- 
exkursionen,  noch  iibrig  bleiben,  versu- 
chen  sie  dann  mit  heissem  Bemiihen,  die 
Traume  mittels — verzeihen  Sie  das  harte 
Wort!  —  Dreck,  Farbenschachtel,  Pa- 


pier und  Schere  bildlich  darstellen  zu 
lassen.  Gelegentlich  oder  "incidentally" 
unterrichten  sie  manchmal  auch  ein  biss- 
chen  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen,  so 
viel  natiirlich  zufallig  hangen  bleibt. 
Nach  der  Schule  heisst  es  gewohnlich 
,,in  die  Versammlung",  allwo  den  Arm- 
sten  von  den  vielgeplagten  Hilfssuperin- 
tendenten  fein  sauberlich  die  Rationen 
fiir  die  nachsten  Wochen  zugewiesen  wer- 
den,  auf  dass  sie  wissen,  was  sie  zu 
thun  haben  im  Kneten,  Schneiden,  Flech- 
ten,  Singen  und  noch  in  manchen  andern 
Dingen.  Damit  aber  die  Spezialsuperin- 
tendenten,  namlich  die  Zeichnen-,  Sing-, 
Schreib-  und  Turnmeier,  nicht  zu  kurz 
kommen,  halten  diese  so  zwischen  hin- 
ein  noch  ihre  Spezialsitzungen  ab,  wobei 
sie  die  Lehrerinnen  fiir  ihre  Spezialfii- 
cher  ganz  speziell  zu  begeistern  suchen. 
Wir  leben  halt  gegenwartig  in  dem  ver- 
sammelten  Zeitalter.  Um  zu  verhiiten, 
dass  die  Lehrerinnen  die  in  den  verschie- 
denen  Konferenzen  erhaltenen  Instrukti- 
onen  vergessen,  werden  sie  (die  Instruk- 
tionen,  nicht  die  Lehrerinnen ! )  auf  ein 
,,Bulletin"  gedruckt,  das  halbmonatlich 
als  padagogischer  Wegweiser  erscheint. 

Anschauungsunterricht  heisst  das 
Steckenpferd,  das  man  hier  gegenwartig 
mittels  der  oben  erwahnten  Kindergar- 
tenarbeiten  in  amerikanischer  ttbertrei- 
bung  zu  Tode  reitet.  Der  gute  Pesta- 
lozzi  wiirde  staunen,  wenn  er  sehen  wur- 
de, wie  man  ihn  auf  seinem  ureigensten 
Gebiete  noch  iibertrifft  oder  —  missver- 
steht.  Nicht  als  Mittel  zum  Zweck,  son- 
dern  als  Selbstzweck  wird  hier  grossten- 
teils  das  Papierschneiden,  Falten,  Flech- 
ten  etc.  betrieben;  dies  hat  aber  selbst 
der  Schopfer  des  neuen  Lehrplans,  Dr. 
Boone,  sicherlich  nicht  beabsichtigt. 

Im  deutschen  Departement  ist  man, 
dank  der  Einsicht  des  Supervisors  Dr. 
Fick,  gliicklicherweise  konservativer. 
Nach  wie  vor  wird  da  der  Anschauungs- 
unterricht nur  insoweit  betrieben,  als  er 
zur  Erlangung  der  Sprache  zweckdien- 
lich  ist,  und  die  Resultate  sind  dabei 
durchaus  befriedigend,  wie  Herr  Fick 
nach  seinem  Besuche  der  verschiedenen 
Schulen  mit  Freude  und  Genugthuung 
erklarte.  Auch  sein  Kollege  Dyer  und 
Supt.  Boone  sahen  sich  schon  wiederholt 
zu  der  Jtusserung  veranlasst,  dass  sie  ge- 
rade  unter  den  deutschen  Lehrkraften 
das  beste  und  richtigste  Verstandnis  fiir 
Natur-  und  Anschauungsunterricht  fan- 
den.  Entschiedene  Anerkennung  ver- 
dient  Dr.  Fick  auch  daf iir,  dass  er  angst- 
lich  iiber  die  dem  deutschen  Unterricht 
zugemessene  Zeit  wacht,  und  dass  er  in 
einigen  Fallen  bereits  mehr  Zeit  dafiir 
erhalten  hat.  Sobald  im  englischen  De- 
partement fiir  Lehnnittel  und  Ergan- 


Korresponden^en . 


369 


zungslektiire  die  gewiinschten  Gelder  be- 
willigt  werden,  wird  er  darauf  achten, 
dass  auch  das  deutsche  Departement  da- 
bei  nicht  zu  kurz  komme.  Recht  so! 

In  der  Oberlehrersitzung  vom  31.  Okt. 
wurde  das  Thema  ,,Das  Lesen  der  Ju- 
gend"  ebenfalls  eingehend  behandelt  und 
zwar  von  Herrn  Kollegen  Schiele,  der  in 
einem  fleissig  ausgearbeiteten  Vortrage 
die  Notwendigkeit  von  passender  Ju- 
gendlektiire  begriindete.  In  der  darauf- 
folgenden  Debatte  wurde  der  schon  oft 
geausserte  Wunsch  laut,  dass  jedes 
Schulhaus  auch  mit  einer  deutschen 
Schiilerbibliothek  versehen  wiirde,  wie 
dies  bis  jetzt  leider  nur  bei  wenigen  der 
Fall  sei.  Eine  Monatsschrift,  betitelt 
,,Jung  Amerika",  die  bereits  vom  nach- 
sten  Monat  an  unter  der  Oberleitung 
von  Dr.  Fick  hier  herausgegeben  wird, 
diirfte  dem  dringenden  Bediirfnis  entge- 
genkommen,  umsomehr,  als  darin  haupt- 
sachlich  deutschamerikanische  Stoffe 
und  zwar  in  einer  fiir  unsere  Schiller 
leicht  verstandlichen  Sprache  behandelt 
werden  sollen. 

Am  8.  und  9.  November  tagt  in  unse- 
ren  Mauern  die  Central  Ohio  Teachers' 
Association,  was  ungefahr  2000  Lehrer 
und  Lehrerinnen  aus  dem  Herzen  des 
Buckeye-Staates  hierher  bringen  wird. 
Von  den  hiesigen  Schulen  wird  fur  diese 
Gelegenheit  eine  prachtige  Ausstellung 
von  Kindergartenarbeiten  und  "Con- 
structive Work"  geliefert,  die  den  aus- 
wartigen  Kollegen  zu  ihrer  Verwunde- 
rung  zeigen  wird,  dass  wir  ,,nicht  so 
ganz  ohne"  sind.  Aber  auch  ehrliche 
Klassenarbeit  in  anderen  Fachern,  be- 
sonders  auch  im  Deutschen,  wird  ausge- 
stellt  werden.  In  erfreulichem  Gegen- 
satze  zu  friiheren  Gelegenheiten  sollen 
dies  keine  fiir  den  Zweck  eigens  zuge- 
stutzte  Paradeleistungen  sein,  sondern 
wirkliche  Klassenarbeiten,  wie  sie  tag- 
lich  von  den  Schulen  geliefert  werden. 

E.  K. 
Kalifornien. 

Am  7.  Oktober  hielten  die  Lehrer  des 
Deutschen  von  Kalifornien  ihre  regel- 
massige  Versammlung  ab.  Es  wurde  be- 
schlossen,  dass  der  Verein  sich  dem 
Deutschamerikanischen  Zentralbunde  an- 
schliesse.  Dann  Melt  das  neue  Haupt 
des  deutschen  Departements  an  der 
Staatsuniversitat,  Dr.  Hugo  Schilling, 
eine  Ansprache  an  die  Lehrer,  worin  er 
auf  die  Ziele  des  deutschen  Unterrichts 
hinwies,  und  die  Stellung,  die  er  and  den 
High  Schools  des  Staates  und  in  den 
Aufnahmebedingungen  der  Universitat 
haben  sollte.  Es  wird  sein  Bestreben 
sein,  dem  Deutschen  mehr  Anerkennung 
zu  verschaffen  und  sonderlich  darauf  zu 
sehen,  dass  er  von  den  klassischen  Spra- 


chen  nicht  langer  mehr  in  den  Hinter- 
grund  geschoben  wird.  Sobald  er  mit 
den  Verhaltnissen  in  seinem  neuen  Wir- 
kungskreise  besser  vertraut  ist,  wird  er 
weitgreifende  V  eranderungen  in  bezug 
auf  die  Stellung  des  Deutschen  vorschla- 
gen. 

Wegen  vorgeriickter  Stunde  wurden 
andere  Vortrage,  die  auf  der  Tagesord- 
nung  standen,  bis  zur  nachsten  Ver- 
sammlung  im  Dezember  verschoben. 

V.  B. 
Milwaukee. 

Unsere  Stadt  steht  augenblicklich  im 
Zeichen  der  neuen  Schulhausbauten.  Im- 
mer  und  immer  wieder  musste  die  Schul- 
behorde  bei  dem  Stadtrat  darauf  drin- 
gen,  Gelder  fiir  neue  Schulhauser  zu  be- 
willigen,  und  so  ist  denn  endlich  dadurch 
Abhiilfe  geschaffen  worden,  dass  die 
Stadt  zu  diesem  Zwecke  Bonds  in  der 
Hohe  von  $400,000  ausgegeben  hat.  Da- 
von  sollen  fiinf  neue  Schulhauser  errich- 
tet  und  drei  umgebaut  werden,  resp.  ei- 
nen  neuen  Anbau  erhalten.  Das  ist  vor- 
derhand  geniigend,  um  die  erste  und 
dringendste  Not  zu  beseitigen;  wenn  die 
aber  fertig  sind  (was  wohl  mehrere 
Jahre  in  Anspruch  nehmen  wird),  so 
wird  in  anderen  Stadtteilen  die  Not  wie- 
der eben  so  dringend  werden.  Ja,  ge- 
wiss,  die  Schulhauser  und  der  ganze  Ap- 
parat  des  Unterrichts  unserer  schul- 
pflichtigen  Jugend  kostet  der  Stadt  eine 
Menge  Geld,  und  doch  wird  dieses  Geld 
wohl  am  besten  angelegt,  und  die  Bur- 
ger sollten  mit  Recht  darauf  dringen. 
dass  die  stiidtischen  Behorden  in  dieser 
Hinsicht  nicht  mit  den  Ausgaben  knau- 
sern.  Es  wird  ja  leider  sonst  auch  nicht 
geknausert,  sondern  viel  Geld  ausgege- 
ben, was  gespart  werden  konnte.  Und 
aller  Notbehelf  sollte  in  Schulsachen 
nicht  geduldet  werden,  z.  B.  Halbtags- 
schulen,  und  die  elenden  Baracken  als 
Substitut  fiir  ordentliche  Schulhauser. 
Jedoch  die  Klage  iiber  Mangel  an  Schul- 
hausern  ist  eine  allgemeine  in  alien 
grossen  Stadten  dieses  Landes,  und  je 
grosser  die  Stadt,  desto  grosser  die  Klage 
und  der  Mangel.  New  York  und  Chicago 
sind  hierin  wohl  am  schlimmsten  be- 
stellt.  Die  Bevolkerung  in  den  grossen 
Sttidten  hierselbst  wachst  riesig  an,  be- 
sonders  in  den  Stadtteilen,  wo  das 
f remdgeborene  Element  und  deren  Nach- 
kommen  wohnen.  Diese  guten  Leute 
konnen  oder  wollen  sich  durchaus  noch 
nicht  zu  dem  ,,idealen  Standpunkt"  des 
Zweikindersystems  aufschwingen,  und 
so  bilden  sie  den  Hauptfaktor  in  der  Be- 
volkerung des  Landes,  wohingegen  die 
Angloamerikaner  hierin  den  allerletzten 
Platz  einnehmen.  Doch  die  Fremdgebo- 
renen,  besonders  die  Deutschen,  thun 


370 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


noch  mehr,  sie  nehmen  den  anderen  Biir- 
gern  noch  einen  grossen  Teil  der  Lasten 
und  Steuern  ab  fiir  Schulhausbauten, 
denn  viele  von  ihnen  unterhalten  noch 
Privatschulen  und  schicken  ihre  Kinder 
dorthin.  So  besuchen  allein  hier  in  Mil- 
waukee etwa  20,000  Kinder  solche  Schu- 
len.  Wie  viel  mehr  Schulhauser  wiirde 
die  Stadt  nun  erst  bauen  miissen,  wenn 
diese  Schulen  nicht  da  waren? 

Der  hiesigc  Verein  deutscher  Lehrer 
der  offentlichen  Schulen  hielt  am  21. 
Okt.  seine  erste  Versammlung  in  diesem 
Jahre  ab.  Bei  der  vorgenommenen  Wahl 
der  Beamten  wurden  der  Vorsitzer,  Herr 
C.  B.  Straube,  und  die  stellvertretende 
Vorsitzerin,  Frl.  A.  Hohgrefe,  wiederge- 
wahlt,  und  als  Schriftfiihrer  und  Schatz- 
meister  Herr  F.  Hamann  ausgewahlt. 
Ausserdem  wurden  nur  Routinegeschafte 
erledigt.  Der  Verein  ernannte  auch  3 
Vertreter  fur  den  neugegrundeten  ,,D. 
A.  Zentralverein"  in  Philadelphia. 

Eine  ganze  Anzahl  unserer  liebens- 
wiirdigen  Kolleginnen  im  Verein  sind  am 
Schluss  des  letzten  Schuljahres  fahnen- 
niichtig  geworden,  indem  sie  die  Schul- 
stube  mit  Haus  und  Kiiche,  das  Lese- 
buch  mit  dem  Kochbuch,  und  den  Lehr- 
stand  mit  dem  Hausstand  vertauscht 
und  —  sich  verheiratet  haben.  Den  ed- 
leii  Lehrerberuf  haben  sie  aufgegeben 
und  dafiir  den  noch  edleren,  ja,  den 
edelsten  Beruf  des  Weibes,  namlich  den 
der  Gattin  und  Mutter,  erwahlt.  Wer 
wollte  sie  wohl  dafiir  tadeln!  Jetzt  wer- 
den  sie  gute  Gelegenheit  haben,  die  Er- 
fahrungen  auf  erzieherischem  Gebiet,  die 
sie  in  der  Schule  gesammelt  haben,  zu 
verwerten.  Wir  wollen  ihnen  viel  Gliick 
und  Segen  in  ihrem  neuen  Stande  wiin- 
schen,  und  hoffen,  dass  sie  das  stramme 
Schulregiment  nicht  auch  ganzlich  aufs 
Haus  iibertragen,  sondern  auch  manch- 
mal  Nachsicht  und  Milde  dem  lieben 
Gatten  gegenuber  walten  lassen. 

Die  Prinzipale  der  offentlichen  Schu- 
len hierselbst  hatten  in  ihrer  letzten 
Versammlung  eine  recht  lebhafte  De- 
batte  ilber  Steil-  und  Schr&gschrift,  und 
es  kam  iiber  das  Fiir  und  Wider  auf  bei- 
den  Seiten  zu  einer  erregten  Aussprache. 
Die  Mehrzahl  der  Prinzipale  scheint 
sich  wieder  dem  alten  System  der 
Schragschrift  zuzuneigen.  Ihre  Argu- 
mente  gegen  die  Steilschrift  sind  folgen- 
de:  Dieselbe  sei  unnatiirlich,  erfordere 
eine  ganz  andere  und  unbequeme  Hal- 
tung  des  Korpers,  beseitige  auch  durch- 
aus  nicht  die  gekriimmte  Haltung  des 
Rtickens.  Dann  sei  die  Schrift  unschon, 
und  auch  wegen  der  fast  gleichen  Lange 
der  kleinen  und  grossen  Buchstaben  un- 
leserlich.  Besonders  aber  sei  sie  sehr 
unpopular  bei  den  Geschaftsleuten,  und 
das  hatte  schon  dazu  gefiihrt,  dass  sie 


in  vielen  Stadten  wieder  abgeschafft  sei. 
Alle  Business-  und  Commercial  Colleges 
wollten  nichts  von  ihr  wissen.  Ein 
Schuldirektor  von  hier  will  in  der  nach- 
sten  Schulratssitzung  beantragen,  dass 
der  Sekretar  Erkundigungen  iiber  ihren 
Erfolg  in  den  Stadten,  wo  sie  in  Ge- 
brauch  ist,  einzieht.  Man  glaubt,  dass 
in  den  meisten  Schulen,  wo  jetzt  die 
Steilschrift  gelehrt  wird,  dieselbe  wieder, 
wie  alle  Modesachen,  bald  spurlos  ver- 
schwinden  wird.  A.  W. 

New  York. 

Deutscher  Lehrerverein  von  New   York 
und  Umgegend. 
t  Karl  Mayer,  f 

Ein  tiefer  Schatten  legte  sich  auf  un- 
sere  Reihen,  als  unser  Vorsitzender,  Dr. 
Karl  Kayser,  lezten  Samstag  die  erste 
Versammlung  im  neu  beginnenden  Schul- 
jahre  mit  den  Worten  eroffnete:  ,,Karl 
Mayer,  unser  lieber  Freund  von  der  Sta- 
ten  Island  Hochschule,  ist  nicht  mehr!" 
Wie  ein  zuckender  Strahl  aus  wolken- 
losem  Himmel  fiel  diese  Nachricht  auf 
die  ahnungslosen  Anwesenden.  Hatten 
sie  doch  in  ihren  Sommerferien,  in  den 
entlegenen  Gebirgsthalern  der  Catskills 
und  der  Adirondacks,  den  fernen  Mee- 
resgestaden  von  Maine  und  Newfound- 
land oder  der  deutschen  Heimat  nichta 
vernommen  von  der  tiickischen  Krank- 
heit  und  dem  j  alien  Hinscheiden  des  an- 
scheinend  so  kriiftigen,  schaffensfreudi- 
gen,  lebensspriihenden  Kollegen.  Wer 
hatte  auch  an  ein  so  plotzliches  Stehen- 
bleiben  seiner  Lebensuhr  gedacht?  Hei- 
terer  wie  je  nahm  er  an  unserer  letzten 
Juniversammlung  in  Newark  teil!  Und 
nun  ist  er  tot,  verblichen,  ehe  der 
Abend  kam.  Herr  H.  von  der  Heide, 
der  Karl  Mayer  wohl  am  langsten  kann- 
te,  widmete  dem  Dahingeschiedenen  ei- 
nen warm  empfundenen  Nachruf.  Was 
Herr  von  der  Heide  sagte,  klang  mir  wie 
ein  Lied  in  wahren  Mollakkorden :  We- 
nig  Sonnenschein,  wenig  wirklich  reine 
Freude  war  nach  ihm  dem  Dahingegan- 
genen  beschieden  gewesen.  Was  sein 
Leben  ausmachte,  war  ein  steter  Kampf 
mit  der  Ungunst  der  Verhaltnisse,  ein 
bisschen  Gliick  nur,  doch  viel  Schmerz 
und  rnanche  Thranen,  ein  kurzer  Friih- 
lingstraum,  und  dann  nur  Sturm  und 
Wetter. 
,,Nun  spinnt  der  Epheu  deine  Ruhstatt 

ein, 
Zu  deinen  Fiissen  spriessen  Herbstesblii- 

ten  — 

Du  konntest  schoner  nicht  gebettet  sein! 
Ich  aber  bete:     Hege  mir  die  Mtiden, 
Du    heil'ge    Erde,    und    du    Kreuz    von 

Stein, 
O  sprich  auch  meiner  Not  das  Wort  vom 

Frieden!"  A.  K. 


IV.     Umschau. 


Amerika. 

Cambridge.  Professor  Horatio  8. 
White,  Dekan  an  der  Cornell  Universi- 
tat, 1st  fur  das  nachste  Schuljahr  als 
Professor  der  deutschen  Sprache  an  der 
Harvard  Universitat  ernannt  worden, 
und  zwar  wird  er  Vorlesungen  iiber  Mit- 
telhochdeutsch  und  die  moderne  deutsche 
Litteratur  halten.  Prof.  White  ist  ein 
Schiiler  der  Harvard  Universitat,  welche 
er  im  Jahre  1873  absolvierte. 

Madison.  Prof.  Charles  Kendall 
Adams,  bisheriger  Prasident  der  Staats- 
universitat  von  Wisconsin,  sah  sich 
krankheitshalber  gezwungen,  sein  Amt 
niederzulegen.  Seiner  langjahrigen  ener- 
gischen  Thatigkeit  verdankt  die  Univer- 
sitat ihre  gegenwartige  hohe  Stellung 
unter  den  Universitaten  des  Landes,  und 
sein  Weggang  wird  darum  allseitig  be- 
dauert.  Prof.  Adams  war  ein  eifriger 
Befiirworter  des  deutschen  Schulsystems, 
welches  er  bei  mehr  als  einer  Gelegen- 
heit  in  Wort  und  Schrif t  als  Muster  hin- 
stellte. 

Deutschland. 

Am  15.  September  starb  im  74.  Le- 
bensjahre  Schulrat  Prof.  Dr.  Euler  in 
Berlin,  seit  1860  Lehrer  an  der  Kb'nigl. 
.Zentral-Turnlehrerbildungsanstalt,  seit 
1877  Unterrichtsdirigent  derselben.  Der 
Verstorbene  war  ein  ausserst  fruchtba- 
rer  Schriftsteller  auf  turnerischem  Ge- 
biete;  insbesondere  muss  man  ihn  als 
die  zur  Zeit  erste  Autoritat  auf  dem  Ge- 
biete  der  Turngeschichte  bezeichnen. 
Auch  auf  die  Gestaltung  des  Turnunter- 
richts  in .  den  preussischen  Schulen  hat 
er  massgebenden  Einfluss  ausgeiibt.  Die 
hervorragendsten  seiner  Schriften  sind: 
Geschichte  des  Turnunterrichts  in  Kehrs 
Geschichte  der  Methodik  (2.  Aug.  1890), 
Ausgabe  der  Werke  Jahns  (1884-87), 
Encyklopadisches  Handbuch  des  gesam- 
ten  Turnwesens  (1893-96).  Seit  1882 
gab  er  mit  Eckler  die  ,,Monatsschrift  fur 
das  Turnwesen"  heraus. 

Oskar  J&ger  iiber  Schulleitung.  Der 
bekannte  Bonner  Professor  Geheimrat 
O.  .lager  sagt  in  seinem  Buche:  ,,Aus 
der  Praxis" :  ,,Man  kann  auf  zweierlei 
Art  regieren.' Auf  die  orientalische :  mit 
viel  amtlichen  Air  —  Verordnungen, 
Zirkularen,  Protokollen,  Fachkonferen- 
zen,  allgemeinen  Konferenzen,  Referaten, 
Korreferaten,  Lehrplanfolianten.  Dabei 
kannst  du  auf  deinem  Zimmer  bleiben, 
deinen  Schlafrock  in  wiirdige  Falten  le- 
gen,  und  der  Schuldiener  tragt  dir  alles 
zu,  bis  die  Stunde  schlagt.  Du  zeigst 
dich  wenig,  wie  einst  die  Perserkonige, 
damit  deine  Unterthanen  nicht  den  Re- 


spekt  verlieren;  erscheinst  du  dann  ein- 
mal,  so  macht  das  um  so  mehr  Effekt. — 
Es  giebt  noch  eine  andere,  die  man  die 
occidentalische,  germanische,  menschli- 
che  nennen  kann.  Sie  besteht  darin,  dass 
man  auf  dem  Platze  ist  und  die  Augen 
offen  halt,  —  am  Gesprach  der  Kollegen 
in  den  Pausen  mit  Heiterkeit  teilnimmt; 
fur  jedes  Desiderium  zuganglich  ist  — 
diese  Methode  hat  den  grossen  Vorteil, 
dass  man  sehr  vieles  im  Keime  ersticken 
—  ruhig  schlichten  kann,  ehe  es  an  die 
grosse  Glocke  kommt.  Wenn  da  etwas 
Dummes  gesagt  wird  —  von  dir  und  dei- 
nen Mitarbeitern,  es  ist  ja  doch  moglich, 
das  wird  wenigstens  nicht  protokolliert." 

Neues  von  Otto  Ernst.  Otto  Ernst 
hat  die  Neubearbeitung  seines  Dramas 
,,Die  grosste  Siinde"  beendet.  Nach  der 
Lektiire  des  Manuskriptes  hat  sich  Ba- 
ron von  Berger  das  Erstauffiihrungsrecht 
fur  das  Deutsche  Schauspielhaus  in 
Hamburg  gesichert. 

Schiessferien  erhalt  alljahrlich  eine 
Anzahl  von  Schulkindern  in  einem  Ort 
des  Regierungsbezirks  Posen.  Dort 
uberlasst  ein  Gutsbesitzer  einen  Teil  sei- 
ner Felder  in  jedem  Sommer  dem  Mili- 
tar  zu  ttbungen  im  Gefechtsschiessen  mit 
scharfen  Patronen.  Mitten  iiber  dieses 
Feld  fiihrt  ein  von  der  Regierung  ange- 
kaufter  Fusssteig,  den  eine  Anzahl  Kin- 
der taglich  als  Schulweg  benutzen  muss. 
Eben  zu  diesem  Zweck  wurde  der  Fuss- 
steig seiner  Zeit  angekauft.  Wahrend 
des  Gefechtsschiessens  befindet  sich  der 
Fusssteig  in  der  Flugbahn  der  Geschos- 
se,  sodass  die  Benutzung  des  Steiges 
dann  mit  grosser  Lebensgefahr  verbun- 
den  ware.  Eingaben  der  beteiligten  El- 
tern  und  Lehrer  um  Verlegung  des 
Schiessgebietes  haben  bisher  keinen  Er- 
folg  gehabt.  Um  die  Schulkinder  nicht 
in  Lebensgefahr  zu  bringen,  miissen  sie 
fiir  die  Zeit  der  ttbungen  vom  Schulbe- 
such  befreit  werden,  sie  haben  also 
Schiessferien.  Es  lebe  der  Militarismus ! 

Auch  ein  arztliches  Urteil  uber  die 
Steilschrift.  Dem  Magistrat  von  Fiirth 
lag  —  wie  der  Frk.  Kurier  berichtet  — 
iiber  die  Ergebnisse  der  in  10  Jahren  mit 
der  Steilschrift  vorgenommenen  Versu- 
che,  wie  solche  auch  in  den  dortigen 
Volksschulen  stattgefunden  haben,  ein 
oberarztliches  Gutachten  vor.  Dasselbe 
vertritt  die  Ansicht,  dass  gesundheitliche 
Nachteile  aus  der  Schragschrift  fiir  die 
Kinder  nicht  vorlagen,  weder  betreffs 
Kurzsichtigkeit  noch  Verkriimmung  der 
Wirbelsaule.  Falls  eine  Obermiidung  der 
Kinder  vermieden  und  auf  eine  gute  Hal- 
tung  beim  Schreiben  gesehen  werde,  sei 
es  in  gesundheitlicher  Beziehung  ganz 


372 


Padagogiscbe  Monatsbefte. 


gleich,  ob  in  Steilschrift  oder  in  Schrag- 
schrift  geschrieben  wird. 

England. 

Die  jiingst  abgehaltene  Versammlung 
der  Gewerkvereine  Englands  hat  einstim- 
mig  einen  Beschluss  angenommen,  der 
die  Thatigkeit  der  Regierung  auf  dem 
Gebiete  des  Unterrichtswesens  missbil- 
ligt  und  Schulbesuchspflicht  bis  zum  15. 
Jahre  und  Unentgeltlichkeit  in  alien 
Elementar-,  Fortbildungs-  und  Gewerbe- 
schulen  fordert.  Begabten  Arbeiterkin- 
dern  soil  durch  Gewahrung  von  Stipen- 
dien  die  Moglichkeit  zu  hoherer  Ausbil- 
dung  eroffnet  werden. 


Serbien. 

Trotz  des  neuen  Schulgesetzes,  das  den 
Schulbesuch  fur  alle  Kinder  von  6 — 10 
Jahren  obligatorisch  macht,  besuchen 
doch  etwa  zwei  Drittel  aller  schulpflich- 
tigen  Kinder  iiberhaupt  keine  Schule, 
weil  die  vorhandenen  Schulgebaude  filr 
deren  Unterbringung  gar  nicht  geniigen; 
dass  aber  mit  der  Zeit  alle  Kinder  des 
angegebenen  Alters  die  Schule  besuchen 
werden,  lasst  sich  bestimmt  erhoffen,  da 
die  Regierung  den  ernsten  Willen  hat, 
die  Volksbildung  zu  heben. 


V.     Vermischtes 


Automobil,  Automobilist,  Automobilis- 
mus.  Auf  das  vom  Allg.  Schnaufel-Klub 
(Vereinigung  deutscher  Automobilisten ) 
in  Miinchen  zu  Anfang  dieses  Jahres  er- 
lassene  Preisausschreiben  fiir  Verdeut- 
schung  der  Worte  Automobil,  Automobi- 
list,  Automobilismus  und  Automobilfah- 
ren  sind  insgesamt  nicht  weniger  als  848 
Einsendungen  mit  mehr  als  1000  Vor- 
schlagen  eingegangen.  Den  ersten  Preis 
errang  Herr  Regierungsbaufiihrer  Wil- 
helm  Will  in  Berlin.  Er  giebt  dem  neuen 
Fahrzeug  den  einfachen  Namen  ,,das 
Aut"  (Mehrzahl  ,,die  Aute"),  wozu  er 
fiir  Automobil,  Automobilismus  und  Au- 
tomobilfahren  die  Ableitungen  der  Aut- 
ler,  das  Auteln,  auteln  bilden.  Densel- 
ben  Gedanken  hat  Geheimer  Rat  Kopke 
in  Dresden,  der  den  zweiten  Preis  er- 
hielt,  nur  dass  er  zu  dem  Stammwort 
Aut  die  Ableitungen  Auter,  Auterei,  au- 
ten  (die  Autung)  vorschlagt.  Den  Will- 
schen  Ableitungen  ist  der  Vorzug  gege- 
ben  worden,  weil  sie  sich  an  die  im 
Sportwesen  schon  gebrauchlichen  Bil- 
dungen  ,,Radler,  das  Radeln,  radeln"  an- 
schliessen.  Der  dritte  Preis  musste  un- 
ter  sieben  gleichlautenden  Vorschlagen 
ausgelost  werden.  Dieselben  lauten  auf 
,,Triebwagen,  Triebfahrer,  Triebfahrwe- 
sen  (Triebfahrsport),  Triebfahren" 

Der  Name  ,,Amerika".  In  der  Bibli- 
othek  des  Schlosses  Wolfegg  wurde  kiirz- 
lich  eine  Karte  aus  dem  Jahre  1387  von 
Martinus  Waldseemuller,  ,,die  Reisen 
von  Americus  Vespuccius  und  ande- 
ren"  beschreibend  aufgefunden,  auf 
welcher  zum  ersten  Male  der  Name  Ame- 
rika  fur  den  neuentdeckten  Erdteil  auf- 
tritt;  und  zwar  ist  der  Name  den  Lan- 
derstrecken  in  dem  Wendekreis  des 
Steinbocks  beigelegt.  Es  scheint  somit 
klar,  dass  wir  einem  Deutschen  den  Na- 
men unseres  Erdteiles  zu  verdanken  fia- 
ben. 

Die  Probe.     ,,Nun,"  meinte  der  Herr 


Inspektor  halblaut,  ,,ich  bin  ja  nicht  un- 
zufrieden,  mein  lieber  Herr  Lehrer!  Aber 
eines:Sie  miissen  mehr  mit  der  Kreide 
arbeiten!  Mehr  Anschauungsunterricht ! 
Was  das  Kind  sieht,  behalt  es!  Immer 
alles  vorzeichnen  — ." 

,,Ach,"  seufzte  der  Lehrer,  ,,wenn  ich 
das  nur  konnte!" 

,,Papperlapapp ! "  entgegnete  der  In- 
spektor eifrig.  ,,So  ein  bisschen  Kiinst- 
ler  muss  der  Lehrer  immer  sein!  Pas- 
sen  Sie  auf!  Ich  zeichne  hier  mit  weni- 
gen  Strichen  eine  Eule  auf  die  Tafel ! . . . 
Sehen  Sie  —  so!  Nun  geben  Sie  mal 
acht!  .  .  .  Also,  lieber  Kleiner,"  wendet 
er  sich  an  einen  aufgeweckt  dreinschau- 
enden  Jungen,  ,,was  ist  das?" 

Der  Kleine  betrachtet  das  Gebilde  von 
Inspektorshand  eine  Weile ;  dann  sagt  er 
entschieden:  ,,Eine  Sau!" 

Mit  unmutigem  Brummen  wendet  sich 
der  Herr  Inspektor,  seinen  Zorn  verwin- 
dend,  nach  der  Miidchenseite.  ,,Nun, 
mein  Kind,"  lachelt  er  ein  hiibsches 
Blondkopfchen  an,  ,,sag'  Du's:  Was  ist 
das?" 

Auch  das  Dirndl  sieht  die  Zeichnung 
eine  Weile  an;  dann  entgegnet  es  kura- 
giert  und  bestimmt:  ,,Eine  Sau!" 

Jetzt  schlagt  der  Herr  Inspektor  die 
Hande  iiber  dem  Kopfe  zusammen. 
,,Wie,"  ruft  er  emport  in  die  Schule  hin- 
ein,  ,,was  ist  das?"  Und  aus  fiinfzig  fri- 
schen  Kehlen  schallt's  ihm  einmiitig  und 
Uberzeugt  entgegen:  ,,Eine  Sau!" 

(Pr.  L.-Ztg.) 

0  diese  Fremdworter!  Ein  westtiroli- 
sches  Steueramt  fordert  Bericht  iiber  ei- 
nen Bauer  Gregor  Rentner  behufs  seiner 
Eintragung  in  die  richtige  Kategorie. 
Der  Gemeindevorsteher  half  sich  aus  sei- 
ner Verlegenheit,  in  die  ihn  das  anfangs 
dunkle  Wort  versetzt  hatte,  endlich  kurz 
und  biindig  durch  folgenden  Bericht: 
,,Der  Gregor  Rentner  ist  fur  die  Kathi, 
sein  Weib,  der  richtige  Gori." 


Biicherschau. 

I.     Deutschamerikanische  Schulgrammatiken. 


Von  Otto  Heller,  Washington  University,  St.  Louis,  Mo. 


II. 

Otis's  Elementary  German. 

Elementary  German.  By  the  late  Charles  P.  Otis.,  Ph.D.,  Professor  of  Modern 
Languages  in  the  Massachusetts  Institute  of  Technology.  Seventh  edition,  based 
on  the  sixth  edition  and  edited  by  Horatio  Stevens  White,  Professor  of  the  German 
Language  and  Literature  in  the  Cornell  University.  With  additional  revisions  by 
William  Herbert  Carruth,  Professor  of  the  German  Language  and  Literature  in  the 
University  of  Kansas.  New  York,  Henry  Holt  &  Co.,  F.  W.  Christern.  Boston, 
Carl  Schoenhof.  (No  date.) 


The  title  is  long,  and  full  of  promise:  a  seventh  edition,  bearing  three  names 
which  sound  well  in  the  ears  of  American  teachers,  ought  to  be  warrant  for  a  high 
degree  of  excellence.  For  whatever  may  be  the  difficulties  of  expounding  German 
grammar  to  the  young  American  pupil,  they  can  unquestionably  be  cleared  away 
by  three  well-trained  Germanists  and  experienced  pedagogues  working  in  harmonious 
effort.  No  wonder  the  book  has  held  its  own  in  the  competition  with  more  recent 
and,  let  this  reveal  my  personal  disposition  towards  it,  far  worthier  elementary 
grammars.  I  became  intimately  acquainted  with  Otis's  Grammar  upon  assuming 
the  directorship  of  the  German  Department  at  the  Chautauqua  Assembly.  There 
I  found  the  little  volume  snugly  established  in  the  program  and  likewise  in  the  affec- 
tions of  Chautauquans.  Many  of  my  students  at  the  Assembly  are  teachers  of 
German  who  use  Otis's  Elementary  German  in  their  schools.  If  I  am  not  in  error, 
it  is  also  on  the  'Regents'  List'  in  the  state  of  New  York.  Under  these  circum- 
stances I  believe  that  this  text-book  needs  to  be  thoroughly  revised  and  printed 
from  new-set  type,  or — to  be  withdrawn  from  the  market,  lest  the  obvious  blunders 
committed  by  Professor  Otis  and  not  purged  away  in  the  later  editions  continue  to 
do  mischief. 

A  mild  protest  against  the  'showiness'  of  the  title-page  may  not  be  out  of  place. 
For  it  is  a  deplorable  fact  that  the  average  Anglo-American  teacher  of  German  and 
French  in  our  High- Schools  is  crassly  undereducated,  linguistically,  and  inasmuch 
as  for  this  reason  he  does  not  depend  on  his  own  judgment  in  selecting  his  text- 
books, but  rather  on  that  of  the  publisher's  catalog  or  agent,  it  is  plain  enough  that 
he  cannot  but  be  unduly  impressed  by  the  combination  of  three  such  good  names. 
More  than  once,  in  correcting  indisputably  bad  German,  I  have  been  confronted 
with  the  sometimes  timid,  sometimes  confident  rejoinder  that  the  passage  I  was 
condemning  was  built  upon  a  model  in  Otis's  Elementary  German,  and  that  the  model 
must  be  right,  else  would  it  not  have  been  sifted  out  with  the  other  mistakes,  by 
at  least  one  of  two  rigorous  critics? 

And  so  Professors  White  and  Carruth,  jointly  with  the  late  Professor  Otis,  ap- 
pear to  stand  sponsors,  in  a  way,  for  certain  grammatical  sins,  of  which  the  follow- 
ing will  contain  samples. 

I  shall  not  undertake  a  general  review  of  the  book,  and  so  I  need  not  speak  of 
its  many  good  qualities.  They  are  sufficient,  in  my  estimation,  to  justify  a  new, 


374  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

radically  revised,  edition.  On  the  other  hand,  it  will  not  be  necessary  for  me  to  give 
more  than  a  few  typical  examples  of  its  prevalent  faults,  in  order  to  make  good 
my  charges:  that  it  was  not  carefully  compiled,  and  that  it  is  not  edited  carefully 
enough. 

In  the  theoretical  explanations  the  student  is  not  frequently  misinformed,  al- 
though occasionally  such  is  the  case,  as  when  he  reads,  p.  187:  The  only  preposi- 
tions governing  the  infinitive  are  ohne,  urn,  statt.  These  stand  at  the  beginning 
of  the  clause,  with  the  infinitive  preceded  by  zu  at  the  end.  Er  ging  vorbei,  ohne 
mich  zu  sehen,  he  went  past  without  seeing  me.  Or,  when  he  is  told,  p.  261,  that 
'that,  in  order  that'  are  translated  by  damit,  dass,  or — horribile  dictu — urn  doss! 
But  the  explanations  are,  on  the  whole,  so  meagre  as  to  be  often  misleading  through 
ambiguity. 

For  example,  on  p.  193  the  difference  between  durch  und  von  is  discussed,  thus: 
durch  is  no  longer  used  for  the  personal  agent  which  is  von,  but  expresses  an  im- 
personal agent  or  cause,  etc.  The  student,  not  having  been  given  to  understand 
that  this  synonymic  distinction  relates  to  the  passive  voice,  innocently  translates, 
from  one  of  the  subsequent  exercises:  I  sent  the  letter  through  a  messenger,  ich 
sandte  den  Brief  von  einem  Boten, 

Fault  must  be  found  with  the  exercises  that  accompany  the  lessons,  both  on 
account  of  their  general  character  and  their  want  of  accuracy.  Their  general  char- 
acter is  Ollendorffian.  They  lack  coherence,  continuity,  and  gradation.  E.g. 
p.  180.  1.  Do  you  wear  a  hat  or  a  cap?  2.  Were  you  acquainted  with  my  brother 
William?  3.  The  work  praises  the  master.  4.  The  accusative  is  the  case  which 
a  transitive  verb  governs.  5.  Liszt  taught  her  [the]  music.  5.  Hunters  call  in 
Germany  the  ears  of  the  ha,re  "spoons",  etc. 

This  is  especially  objectionable  in  the  German  exercises.  Here  at  least  the 
learner  might  be  offered  a  more  interesting  matter  than  that  furnished  by  entirely 
unrelated,  sadly  commonplace  word-combination,  such  as: 

P.  179.  1.  Er  tragt  eine  Miitze.  2.  Ich  wunsche  ihn  zu  sehen.  3.  Guten 
Tag,  lieber  Herr  Miiller.  4.  Schonen  Dank,  Heinrich.  5.  Betet  einen  frommen 
Spruch.  6.  Er  fragte  mich  manches  iiber  meinen  Ausflug  von  gestern.  7.  Er 
nannte  ihn  einen  gemeinen  Menschen,  etc. 

The  only  justification  of  such  sentences  consists  possibly  in  their  paradigmatic 
value.  They  should,  then,  at  least  be  unimpeachable  on  the  score  of  grammatic  and 
idiomatic  correctness.  But  we  read: 

P.  176.     Alle  Knochen  will  ich  euch  abschlagen. 
P.  183.     Lass  das  Biichlein  dein  Freund  sein. 

P.  189.     Unfern  des  Berges  hochsten  Gipfels    machten    wir    unser  Friihstuck. 
Ibid.     Ich  ging  an  dessen  Statt.     Ibid.     Sonder  Zweifel  ist  das. 
P.  203.     Er  stieg  in  ein  Gasthaus  ab. 

P.  211.     Mein  Freund  gab  mir  eine  Einlasskarte,  sonst  wiirde  ich  nicht  haben 
eingehen  diirfen.     (The  ticket  evidently  admitted  to  a  hospital  for  the  obese.) 
P.  223.     Der  Dogge  lasst  sich  nicht  necken,  etc. 
P.  70.     Abwarts  liegt  das  Dorf. 

The  vocabularies  are  both  incomplete  and  inaccurate.  This  results  in  mistrans- 
lations on  the  part  of  the  student,  go  out  is  translated  ausgehen.  The  learner 
will  therefore  not  seek  for  a  vocable  outside  of  his  grammar  in  translating,  on  p. 
211:  Please  ask  whether  people  are  allowed  to  go  out  here.  Obviously,  however, 
ausgehen  cannot  be  used  in  this  place,  unless  we  strain  the  sentence.  Expressions 
like  das  1'a.sst  sich  horen  (p.  223)  and  others  with  lossen,  being  of  an  idiomatic 
nature,  should  have  been  translated  in  the  vocabulary.  In  /  scarcely  need  tell  you 
that  (p.  211)  brauchen  not  diirfen  is  required.  On  p.  216  the  pupil  will  naturally 


Bttcberbesprecbungen.  375 

translate  'are  you  fond  of  music'  by  mogen  Sie  die  Musikf  Yet  that  is  wrong. 
On  p.  217  he  learns  to  associate  an  undue  emphasis  with  wollen,  when  he  is  to  trans- 
late by  means  of  it:  'I  am  determined  to  read  this  book  through  today.'  'I  must, 
I  think,  write  to  him,'  p.  220,  is  rather  an  unfortunate  choice  for  a  model  sentence, 
as  is  likewise:  'Can  I  take  a  seat  here?'  on  p.  211. 

Ich  lehre  ihn  die  Musik  is  too  uncommon  an  expression  to  be  quoted  as  a  para- 
digm, p.  178.  Also,  es  liistet  is  obsolete  in  conversational  German  (p.  178).  To 
fall  to  one's  share  is  not  einem  zu,  teil  fallen,  but  werden  (p.  176). 

The  book  also  contains  many  conversational  exercises.  How  little  these  will 
serve  the  practical  needs  of  the  pupils  is  easily  seen.  They  deal  chiefly  with  history 
and  geography  and  contain  for  the  most  part  empty  names.  E.  g.  p.  177.  1.  Welche 
Nebenflusse  hat  die  Weser?  Die  Aller  (mit  dem  Nebenflusse  Leine),  die  Fulda  und 
die  Werra  sind  Nebenflusse  der  Weser.  2.  Welche  Stadte  liegen  an  der  Weser? 
Die  Stadte  Bremen  und  Minden.  3.  Welche  Stadte  liegen  an  der  Leine?  Die 
Stadte  Hannover  und  Gottingen.  4.  Welche  Stadte  liegen  an  der  Fulda?  Die 
Stadte  Cassel  und  Fulda  liegen  an  der  Fulda,  etc. 

Occasionally,  bad  German  has  crept  even  into  the  Sprachiibungen,  as  for  instance 
p.  148:  In  welchem  Lande  werden  die  grossen  Seedampfer  fabriziertf  One  might 
ask,  with  better  reason:  In  welchem  Lande  werden  die  deutschen  Grammatiken 
fabriziert  f 

The  electroplates  from  which  Otis's  Elementary  German  is  printed,  are  badly 
worn.  Another  reason  for  re-printing  the  book  from  types.  Typographic  errors  oc- 
cur in  many  places,  for  example  on  pp.  182,  203,  210,  212,  219. 


II.     Bucherbesprechungen. 


Gustav     Freytag,     Soil     und     Haben.  Files'  Ausgabe    offenbar    nicht;    wenig- 

Abridged    and    edited  with  introduction  stens  sind  die  daselbst  gegebenen  Anre- 

and   notes   by    George   T.   Files,   Ph.   D.  gungen   hier   nicht    verwertet.       Welche 

Boston  (D.  C.  Heath  &  Co.),  1901.  VI+  nennenswerten  Vorziige  das  Buch  gegen- 

231+32  S.  iiber   der   Bultmannschen  Ausgabe  besa- 

Noch  alle    verkiirzten    Schulausgaben  sse,  will  mir  auch  nicht  recht  einleuch- 

deutscher  Romane,  die  mir  in  den  letz-  ten;  im  Gegenteil  scheint  mir  die  in  der 

ten  Jahren  zu  Gesicht  gekommen  sind,  letzteren  enthaltene  Liste  der  von    der 

haben   mich   angemutet   wie   etwa   Teile  Herausgeberin    eingefugten    Stellen    em- 

von  Gemalden,  die  aus  der  Leinwand  her-  pfehlenswert.     Unerlasslich  ware  meines 

ausgeschnitten    und    notdiirftig    zusam-  Erachtens    eine    Kennzeichnung    solcher 

mengeflickt  waren   (trotz  allem,  was  aus  Einfiigungen  durch  abweichende  Schrift 

Lessings  Laokoon  iiber  das  Nebeneinan-  im  Texte  oder  Gebrauch  eckiger  Klam- 

der  in  der  Malerei  und  das  Nacheinan-  mern    (vgl.   S.   132-3)  ;     sowie    auch  be- 

der  in  der  Dichtung  Schones  vorgebracht  stimmte  Bezeichnung  der  Stellen,  wo  das 

werden  konnte)  ;  und  das  Siindhafte  sol-  Ausgelassene   nicht   in   gedrangter   Dar- 

cher  Verstiimmelung  eines    Kunstwerks  stellung  erscheint,    um    dem    Verfasser 

wachst  im  geometrischen  Verhaltnis  zum  nicht  technische  und  stilistische  Mangel 

Kunstwert.     Dem  grossen  Romane  Frey-  zuzuschieben,    die    lediglich    durch    das 

tags    widerfahrt    dies     Schicksal    schon  Verfahren   der  Herausgeber  verschuldet 

zum  zweiten  Male;  die  Leser  der  P.  M.  sind;  vgl.  z.  B.  S.   194,  Z.  1,  ebenda  Z. 

werden  sich  des  wuchtigen  Angriffs  erin-  11  und  S.  196,  Z.  21,  mit  den  vorausge- 

nern,  den  Leo  Stern  in  Bd.  I,  2,  S.  19ff.  henden  Abschnitten. 

gegen  Frl.  Bultmanns  Ausgabe  gerichtet  Ein  paar  Fragen:  Verdankc  Freytags 

hat.      Ein   direktes   Ergebnis   der   durch  Roman    seine     Beliebtheit    einzig     einer 

Herrn    Sterns    Artikel    hervorgerufenen  spanncnden  Handlung?  1st  der  Titel  des 

Erorterungen    fur     und    wider     ist    Dr.  Originals    fur    einen   Auszug    aus     dem 


376 


P'ddagogische  Monatshefte. 


Gang  der  Handlung  berechtigt?  Und  soil 
nur  dieser  zur  Darstellung  kommen,  wa- 
rum  geht  man  dann  nicht  konsequent  ei- 
nen  Schritt  weiter  und  erziihlt  die  Ge- 
schichte  in  schlichter  Weise  mit  seinen 
eigenen  Worten  unter  entsprechendem 
Titel?  Eine  leidliche  Kopie  ware  viel- 
leicht  doch  noch  ertraglicher  als  ein  zer- 
stiickeltes  Original. 

Die  Befiirworter  verkiirzter  Ausgaben 
werden  an  den  bis  jetzt  vorliegenden 
keine  rechte  Freude  haben.  Interessant 
ware  ein  Versuch,  an  einem  praktischen 
Beispiele  zu  zeigen,  wie  die  anderseits 
geriigten  Ausstellungen  sich  vermeiden 
liessen. 

Zu  S.  36,  Z.  7,  vermisse  ich  eine  An- 
merkung  iiber  den  homerischen  Ursprung 
der  Redensart.  —  Druckfehler  ist  Knie- 
schallen  statt  Knieschnallen  auf  S.  179, 
Z.  28.  Eine  ganze  Anzahl  Worter  in  dem 
Buche  waren  nach  der  neuen  Orthogra- 
phie  grosszuschreiben. 

Gut  ist  die  kurze  Einleitung  iiber 
Freytags  Leben.  Auch  die  Anmerkun- 
gen  sind  anerkennenswert.  ,Geschmuse' 
(S.  101,  3)  war  als  Judendeutsch  an- 
zugeben.  ,Rosskamm'  (S.  103,  3)  ist 
kein  Eigenname,  sondern  Schimpfname 
fur  Pferdehandler,  vgl.  Pauls  Worter- 
buch. 

Germany  and  the  Germans.  Contain- 
ing the  greater  part  of  P.  D.  Fischers 
Betrachtungen  eines  in  Deutschland  rei- 
senden  Deutschen.  Edited,  with  notes, 
by  A.  Lodeman.  New  York  ( Silver,  Bur- 
dett  &  Co.)  1901.  VIII+94+34  S.,  mit 
einer  Karte.  60c. 

Dies  Biichlein  diirfen  wir  mit  Freuden 
begriissen.  Dass  es  einem  wirklichen  Be- 
diirfnisse  entgegenkommt,  weiss  jeder 
Lehrer  des  Deutschen,  der  neben  der 
nachgerade  beangstigenden  Masse  von 
Schulausgaben  erzahlender  Litteratur 
nach  einem  passenden  Texte  sucht,  wel- 
cher  die  aktuellen  Zustande  Deutseh- 
lands  darstellt  und  beweist,  dass  die 
Deutschen  sich  auf  noch  anderes  verste- 
hen  als  Lieben  und  Heiraten.  Allwarts 
macht  sich  im  neusprachlichen  Unter- 
richt  das  Verlangen  nach  vertiefter 
Kenntnis  von  Land  und  Leuten  immer 
starker  geltend;  auch  unser  Zwb'lferaus- 
schuss  besteht  darauf;  aber  an  entspre- 
chenden  Texten  herrscht  noch  ein  unan- 
genehmer  Mangel,  dem  Prof.  Lodemans 
Buch  einigermassen  abhelfen  wird.  Ein 
Buch,  betitelt  ,,Deutschland  und  die 
Deutschen",  das  vor  Jahren  hierzulande 
vielfach  gebraucht  wurde  und  infolge  sei- 
ner veralteten  Anschauungen  iiber  den 
Gegenstand  sowie  seines  fehlerhaften 
Deutsch  mehr  Schaden  als  Nutzen  ge- 
stiftet  hat,  ist  gottlob  vom  Biichermarkt 
verschwunden.  Das  hier  angezeigte 
Werkchen  ist  mit  Ausnahme  von  Dr. 


Prehns  Journalistic  German  (s.  P.  M. 
II,  S.  133)  jetzt  das  einzige  auf  diesem 
Felde  und  besitzt  dem  eben  genannten 

fegeniiber  den  grossen  Vorzug  der  Ein- 
eitlichkeit,  guter  Anmerkungen  und 
sorgfiiltigerer  Schreibweise,  obwohl  ich 
keineswegs  in  die  Lobeserhebungen  des 
Herausgebers  ttber  des  Verfassers  Stil 
miteinstimmen  mochte ;  ein  naheres  Ein- 
gehen  hierauf  verstattet  der  Raum 
nieht.  Jedenfalls  aber  sind  die  Schilde- 
rungen  Deutschlands  aus  berufener  Fe- 
der  geflossen;  gegen  den  gelegentlich 
durchschimmernden  politischen  Stand- 
punkt  des  ehemaligen  Unterstaatssekre- 
tars  im  Reichspostamt  Hesse  sich  frei- 
lich  wohl  dies  und  das  vorbringen.  Die 
Betrachtungen  sind  mit  warmer  Liebo 
zur  Heimat  und  zur  Sache  geschrieben. 
Fischers  Werk  erscheint  im  Auszuge; 
das  Original  liegt  mir  nicht  vor,  so  kann 
ich  mir  iiber  die  jeweilige  Notwendigkeit 
der  Kiirzungen  kein  Urteil  erlauben; 
doch  diinkt  mich,  dass  die  Hinzufiigung 
des  68  Seiten  langen  Schlussabschnitts 
—  vorausgesetzt,  dass  er  sonst  sich  zur 
Schullektiire  eignete  —  dem  Buche  nicht 
hatte  schaden  konnen.  Wenn  aber  schon 
einmal  die  Schere  gebraucht  wurde,  so 
hatten  ohne  Stoning  des  Zusammenhangs 
mehrere  Listen  von  Namen  entfernt  wer- 
den konnen,  die  wohl  dem  deutschen  Le- 
ser,  nicht  aber  dem  amerikanischen  Schil- 
ler etwas  bedeuten;  auch  kiimmern  uns 
einige  persb'nliche  Erlebnisse  des  Verfas- 
sers recht  wenig,  z.  B.  dass  er  im  De- 
zember  1892  vom  Karlsruher  Mannerge- 
sangverein  angesungen  wurde. 

In  den  Anmerkungen  halt  Prof.  Lode- 
man die  gliickliche  Mitte;  sie  geniigen 
zum  Verstandnis  und  enthalten  keinen 
gelehrten  Ballast.  Mancher  hatte  es 
vielleicht  lieber  gesehen,  wenn  fur  die  ge- 
ographischen  Namen  ein  besonderes  Re- 
gister geschaffen  worden  ware.  Ohne 
nennenswerte  Unkosten  hatte  sich  auch 
die  beigegebene  farbige  Karte  (die  leider 
die  physikalischen  Konturen  nicht  scharf 
genug  hervortreten  lasst)  nach  Art 
mancher  Handatlanten  durch  Buchsta- 
ben  und  Zahlen  am  Rande  in  Felder  tei- 
len  lassen,  um  das  Aufsuchen  zu  ermog 
lichen.  —  S.  1,  Z.  5,  to  be  in  its  infancy 
kame  dem  Sinn  wohl  naher;  ebenso  S. 
16,  Z.  17,  solitary  confinement.  —  S.  30, 
Z.  9:  Dass  Gerichtsvollzieher  kein  be- 
stimmtes  Amt  bezeichnet,  wird  doch 
kaum  stimmen;  das  englische  sheriff 
diirfte  ihm  am  nachsten  kommen..  —  S. 
40,  Z.  28,  soil  wohl  heissen  ,,das  Kopf- 
zerdrehen=Kopfzerbrechen".  —  S.  55,  Z. 
6,  Anm.  iiber  ,,Sachsenganger"  geschicht- 
lich  verfehlt.  —  S.  63,  Z.  16:  Was  soil 
das  Ausruf  ungszeichen  ?  —  Selbstver- 
standlich  falsch  ist,  was  der  Verfasser 
S.  75,  Z.  2,  sagt;  soil  es  nur  ein  schlech- 


Bilcberbesprechungen. 


377 


ter  Witz  sein?  —  Druckfehler:  S.  33,  Z. 
10,  1.  Karawansereien;  S.  34,  Z.  19,  1. 
wohlgehaltenen;  S.  39,  Z.  22,  1.  seiner: 
S.  58,  Z.  29,  setze  ein  Komma  nach  Lan- 
der. —  "Cultivated  officials"  (Preface) 
muss  wohl  heissen  "cultured." 

Dem  hiibschen  Biichlein  Gliick  auf  den 
Weg!  —  Wie  man  mir  berichtet,  wird 
von  anderer  Seite  ein  ahnliches  Unter- 
nehmen  iiber  ,,Modern  Germany"  ge- 
plant.  Erfreulich  miisste  das  Ergebnis 
sein,  wenn  sich  ein  gebildeter  Deutsch- 
amerikaner,  den  die  Nachliebe  zur  alten 
Heimat  nicht  gegen  deren  Schaden,  und 
ein  Amerikaner,  den  missverstandener 
Patriotismus  nicht  gegen  Deutschlands 
Vorziige  blind  machte,  zu  gemeinsamem 
Schaffen  zusammenfanden.  Nicht  etwa. 
als  ob  ich  auch  auf  diesem  Gebiete  eine 
tfberproduktion  eintreten  sehen  mochte! 
E.  C.  Roedder. 

I  have  before  me  an  abridged  edition 
of  Hauff's  Lichtenstein,  by  Frank  Vogel, 
Associate  Professor  of  Modern  Lan- 
guages in  the  Massachusetts  Institute  of 
Technology,  published  by  D.  C.  Heath  & 
Co.,  Boston. 

Leaving  the  question  of  the  desirabil- 
ity of  abridged  texts  entirely  aside,  it 
seems  that  the  editor  has  solved  his  pro- 
blem satisfactorily,  avoiding  alterations 
of  the  text  as  much  as  possible,  and  ex- 
ercising great  care  in  preserving  the 
character  of  Hauff's  great  historical 
novel  as  much  as  the  circumstances  per- 
mit. 

The  introduction  seems  too  scant,  both 
in  the  sketch  of  Hauff's  life,  as  in  that 
of  the  career  of  Ulrich  von  Wurttemberg. 
A  somewhat  more  extended  sketch  of  the 
tremendous  social,  political  and  religious 
forces  that  constantly  project  themselves 
into  the  story,  might  have  added  interest 
and  color  for  the  American  student  who 
can  not  be  supposed  to  have  the  partly 
acquired,  partiy  instinctive  sense  of  the 
life  of  the  past  of  the  German  people, 
that  makes  the  book  so  fascinating  to 
the  German  youth. 

The  purpose  of  the  notes  is  mainly, 
aside  from  a  few  brief  historical  refer- 
ences to  overcome  difficulties  of  inter- 
pretation by  translation  and  grammat- 
ical explanation. 

The  edition  would  prove  useful  for 
second  year's  rapid  reading. 

Martin  Schutze. 

The  University  of  Chicago. 

Der  Anschauungs-  und  Sprachunter- 
richt  im  zweite.n  und  dritten  Schuljahr 
von  Hermann  Prull.  Verlag  von  Ernst 
Wunderlich,  Leipzig. 

Ein  ausgezeichnetes  Buchlein  fiir  den 
Elementarlehrer.  Es  giebt  in  der  Ein- 


leitung  eine  wissenschaftliche  Begriin- 
dung  der  Stoffverteilung  und  des  Lehr- 
verfahrens  und  am  Schluss  eine  iiber- 
sichtliche  Darstellung  des  gesamten 
Sach-  und  Sprachunterrichts  in  beiden 
Klassen  in  der  Form  einer  Tabelle.  Es 
geht  von  der  Schulstube  aus  durch  Gar- 
ten und  Feld  zu  Wiese  und  Wald  und 
nimmt  in  jedem  dieser  Bereiche  die  Ge- 
genstande,  welche  fiir  den  kindlichen 
Geist  und  das  kindliche  Gemiit  die  wich- 
tigsten  sind.  Die  Verteilung  des  sprach- 
lichen  Lesestoffes  ist  eine  geschickte  und 
die  Behandlung  musterhaft.  Wie  alle 
Herbartianer  der  Neuzeit  schliesst  auch 
Priill  die  Sprachubungen  nicht  direktan 
das  Lesestiick,  sondern  an  den  aus  dem 
Lesesttick  gewonnenen  Aufsatz  an.  Die 
Reihenfolge  der  bei  Durcharbeitung  des 
Lesestiickes  notigen  Stufen  ist  folgende: 
a)  Logische  Behandlung  des  Lesestiickes 
nach  der  Herbartschen  Methode;  b) 
Sprachliche  Behandlung.  Nur  die  letz- 
tere  ist  ins  Auge  gefasst  und  bietet  fol- 
gende Abschnitte:  1.  Erwerbung  des 
miindlichen  Aufsatzes;  2.  Miindliche 
Spracharbeit ;  3.  Schriftliche  Darstel- 
lung der  Merkworter ;  4.  Schriftliche  Be- 
arbeitung  des  Sprachstoffes ;  5.  Diktat 
zur  Priifung  der  Rechtschreibung ;  6. 
Schriftliche  Darstellung  des  Lehrstoffes, 
als  Aufsatze. 

An  unseren  am.  Schulen  wird  das  Ma- 
terial wohl  passender  im  dritten  und 
vierten  Schuljahr  zur  Verwendung  kom- 
men. 

Da  das  Buchlein  nur  2  Mark  50  Pf. 
kostet,  so  raten  wir  zum  Ankauf.  — 

Schramms  Deutsche  Kinder-Schau- 
spiele.  English-German  School  Dia- 
logues and  Dramas  by  Emma  Iwa 
Schramm.  E.  I.  Schramm,  Publisher, 
6537  Parnell  Ave.,  Chicago,  111. 

Die  talentvolle  Verfasserin  dieser  Kin- 
dergesprache  und  fur  die  Jugend  be- 
stimmten  dramatischen  Auffiihrungen 
hat  der  deutschamerikanischen  Lehrer- 
welt  durch  die  Drucklegung  und  Verof- 
fentlichung  ihrer  Arbeiten  entschieden 
einen  grossen  Dienst  geleistet.  Bislang 
herrschte  ein  auffallender  Mangel  an 
brauchbarem  Material  fiir  kleine  drama- 
tische  Darstellungen,  wie  sie  bei  festli- 
chen  Gelegenheiten  in  der  Schulstube  be- 
lieot  und  zweckdienlich  sind.  Von  dem 
Vorhandenen  war  manches  seiner  auf- 
dringlichen  Tendenz  halber  ungeeignet, 
anderes  gar  zu  kindisch  und  seicht  oder 
hplprig  in  der  Form,  das  wenige  Gute 
aber  zerstreut  und  schwer  zuganglich. 
Fraulein  Schramms  deutsche  Kinder- 
Schauspiele  diirften  bestimmt  sein,  die 
Lticke  weniger  fiihlbar  zu  machen.  Die 
uns  zur  Besprechung  vorliegenden  33 
kleineren  und  grosseren  Stiicke  werdeii 


378 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


den  Anforderungen,  welche  berechtigter 
Weise  gestellt  werden  konnen,  durchaus 
geniigen.  Sie  sind  meistens  gliicklich 
erfunden,  natiirlich  und  geschickt  im 
Aufbau,  und  in  fliessender  Sprache  ge- 
schrieben.  Besonders  verdienen  mehrere 
der  kleinen  Stticke,  wie  ,,Hopps",  ,,Annas 
Bescherung",  ,,K6chin  und  Tanzerin" 
uneingeschranktes  Lob.  Aber  auch  die 
weitlaufiger  angelegten,  eine  bedeuten- 
dere  Zahl  von  Mitwirkenden  erfordern- 
den  theatralischen  Schopfungen  wie 
,,Waldmannchens  Lager",  ,,Die  Gliih- 
mannchen"  u.  s.  w.  werden  willkommen 
sein  und  beitragen,  die  Lust  an  deut- 
schem  Wesen  und  die  Neigung  zum  Ge- 
brauche  der  deutschen  Sprache  zu  fb'r- 
dern.  Die  Sammlung  sei  daher  angele- 
gentlich  empfohlen. 

Bertha  Raab,  Weihnachts-Klange,  Ge- 
dichte,  Dialoge  und  dramatische  Spiele. 
2.  Aufl.  G.  Brumder,  Milwaukee,  110S. 

Wie  die  vorherbesprochene  Sammlung 
von  Kinderauffiihrungen  verdankt  dieses 
Biiehlein  seine  Entstehung  der  Notwen- 
digkeit,  passenden  Stoff  fur  gelegentli- 
che  Schulfeiern  zu  beschaffen.  Die  neu- 
ere  englischamerikanische  Jugendlittera- 
tur  ist  iiberreich  daran,  minder  gut  be- 
dacht  jedoch  ist  die  deutschamerikani- 
sche.  Die  „  Weihnachts-Klange"  bekun- 
den  das  gemiitvolle  Sinnen  und  Schaffen 
einer  begeisterten  deutschen  Lehrerin 
und  werden  in  manchen  Schulen  mit 
Freuden  willkommen  geheissen  werden. 

H.  H.  F. 

Kurz  vor  Schluss  der  Redaktion  er- 
hielten  wir  den  Prospekt  einer  neuen 
Zeitschrift  fiir  die  deutschamerikanische 
Jugend  unter  dem  Titel  ,,Jung-Ameri- 
ka"  zugeschickt.  Dieselbe  steht  unter 
der  Leitung  von  Dr.  H.  H.  Fick  und  hat 
die  Herren  Constantin  Grebner  und  Emil 
Kramer  zu  Mitarbeitern.  Sie  ist  bei 
Gus.  Muehler,  1328  und  1330  Main  Str., 
Cincinnati,  O.,  verlegt,  und  ihr  Abon- 


nementspreis  betragt  fiir  10  Nummern 
im  Jahre  30  cts. ;  die  einzelne  Nummer 
kostet  5  cts. 

Die  Verlagshandlung  giebt  als  Zweck 
der  Zeitschrift  an,  ,,der  Deutsch  lernen- 
den  Jugend  Amerikas  eine  Lektiire  zu 
verschaffen,  die  sie  leicht  versteht  und 
angenehm  unterhalt,  gleichzeitig  aber  ihr 
bei  der  Erlernung  der  deutschen  Spra- 
che  und  anderen  Lehrfachern  behilnich 
ist".  Die  Klage  ist  nur  zu  haufig  und 
von  alien  Seiten  laut  geworden,  dass  es 
unserer  Jugend  an  unterhaltendem  und 
belehrendem  deutschem  Lesestoff  man- 
gele,  als  dass  wir  nicht  jedem  Unterneh- 
men,  diesem  ,,lange  gefiihlten  Bediirfnis- 
se"  abzuhelfen,  sympathisch  gegenuber- 
standen.  Wenn  nun  noch  Manner,  wie 
die  obengenannten,  deren  Namen  in  der 
deutschamerikanischen  Litteratur,  sowie 
im  deutschamerikanischen  Schulwesen 
den  besten  Klang  haben,  an  der  Spitze 
des  Unternehmens  stehen,  so  diirfen  wir 
fiir  seine  Gediegenheit  in  litterarischer 
als  auch  padagogischer  Hinsicht  von 
vornherein  einstehen.  Die  erste  Num- 
mer soil  als  Weihnachtsnummer  anfangs 
Dezember  erscheinen.  Ihr  voraussichtli- 
cher  Inhalt  ist  folgender:  Weihnacht, 
H.  H.  Fick;  ein  Liebling  der  Jugend 
(mit  Bild),  H.  H.  Fick;  die  Heimkehr, 
Johanna  Spyri;  der  Weihnachtsbaum 
(mit  Bild),  Constantin  Grebner;  wie 
Goldrute  und  blaue  Aster  entstanden, 
dem  Englischen  nacherzahlt;  der  listige 
Fuchs,  Emil  Kramer;  Schnatterlieschen, 
ein  Marchen  fiir  kleine  Madchen;  Lolo, 
Constantin  Grebner;  Brief  an  denWeih- 
nachtsmann;  Erwartung;  Ratsel,  Sprii- 
che,  etc. 

Wir  weisen  vor  Erscheinen  des  ersten 
Heftes  bereits  auf  die  Zeitschrift  hin,  da- 
mit  unsere  Leser  sich  baldigst  mit  ihr 
vertraut  machen,  behalten  uns  jedoch 
vor,  spater  noch  auf  das  Unternehmen 
zuriickzukommen.  M.  Q. 


III.    Eingesandte  Bucher. 


Hochzeit  auf  Capri  von  Paul  Eeyse. 
With  introduction,  notes,  vocabulary, 
and  material  for  conversational  exercises 
in  German,  by  Dr.  Wilhelm  Bernhardt. 
Boston,  D.  C.  Heath  &  Co.,  1901.  Price 
30  cts. 

Aus  Ernst  Wunderlichs  Verlag,  Leip"- 
zig: 

Deutsche  Aufs'&tee  von  Paul  Th.  Her- 
mann. Bd.  I.  Fiir  die  obern  Klassen 
der  Volksschule  und  fiir  Mittelschulen. 
Dritte  vermehrte  und  verbesserte  Auf- 
lage.  1901.  Preis,  brosch.  M.  2.80; 
fein  gebunden  M.  3.40.  —  Bd.  II.  Fiir 


die  mittleren  und  unteren  Klassen  der 
Volksschule.  Zweite  vermehrte  und  ver- 
besserte Auflage.  1900.  Preis.  M.  2.80, 
fein  geb.  M.  3.40. 

Diktatstoffe,  bearbeitet  im  Anschlusse 
an  die  einzelnen  Unterrichtsfacher  als 
Sprachganze  von  Paul  Th.  Hermann. 
Bd.  I.  Zur  Einiibung  und  Befestigung 
der  deutschen  Rechtschreibung.  5./6. 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 
1901.  Preis  M.  1.60;  fein  geb.  M.  2.— 
Bd.  II.  Zur  Einubung  und  Befestigung 
der  deutschen  Satzlehre.  3.  vermehrte 
und  verbesserte  Auflage.  1901.  Preis 
brosch.  M.  1.60,  fein  geb.  M.  2. — 


Inhaltsverzeichnis. 


Offizielles. 

Aufruf  zum  31.  Lehrertag.     181,  250. 
Entwurf    zur  Abanderung  der    Statuten 

des  Lehrerbundes.     217 
Nat.  Deutschamerikanisches  Lehrersemi- 

nar.     252. 
Protokoll  des  31.  Lehrertages.    281,  313. 

Editorielles. 

An    die     deutsehamerikanische     Lehrer- 

schaft.     345. 

Der  niichste  Lehrertag.     51. 
Erwiderung.     233. 
Fiinfzigjahriges  Jubilaum  der  D.  E.  Aka- 

demie.     236. 
Henry  Raab.  f     177. 
Prof.  Calvin  Thomas  iiber  den  deutschen 

Sprachunterricht.     150. 
Prof.  Rosenstengel.  t     1- 
Zum  Jahreswechsel.     49. 
Zum  Lehrertage.     249. 

Aufsatze. 

Burckhardt,  O.     Flachsmann  als  Erzie- 

her.     224,  253. 
Cutting,  St.  W.    Deutsche  Beitrage  zum 

am.  Geistesleben.     286,  318. 
Eiselmeier,     J.      Die     hausliche     Erzie- 

hung.    259. 
Eiselmeier,  J.      Die    korperliche  Zuchti- 

gung  in  der  am.  Schule.     65. 
Ferren,  H.  M.      Die  nationale  Aufgabe 

des  Deutscham.  Lehrerbundes.    7. 
Frb'licher,  Hans.     ttber  Ziele  und  Lehr- 

mittel  des  deutschen  Uterrichts    an 

Sekundarschulen    und     Gymnasien. 

138. 

Fuchs,  J.     Wo  stehen  wir?     145. 
Goebel,  J.     Goethe  und  Schiller.     352. 
Grebner,  C.    Deutsche  Geschichte  in  der 

deutscham.  bchule.     347. 
Henning,  Ch.  L.    Der  Wert  des  Studiums 

der  Geschichte.     182. 
Kromer,  Adolf.   Der  deutsche  Unterricht 

vom  Standpunkte  der  Sozialpadago- 

gik.     322. 
Kuttner,  B.     Wertschatzung    und  Lehr- 

methoden    der     deutschen     Sprache. 

185. 
Learned,  M.  D.    Deutsch  gegen  Englisch, 

oder .  Deutsch  neben  Englisch.     290. 
Learned,  M.  D.    Germanistik  und  schb'ne 

Litteratur  in  Amerika.     97. 
Pencil  Vania.     Schulanfang  um  9  Uhr, 

oder  um  8  Uhr?     327. 


Pencil  Vania.     Zum  nachsten  Lehrerta- 
ge.    220. 
Raab,  H.      tfber    europaische    Schulver- 

haltnisse.     58. 
Raab,  H.    General  Johann  von  Kalb  und 

seine  Beziehungen    zu    Washington. 

111. 
Rathmann,  Franz.     Friedrich  Nietzsche. 

19. 
Schonrich,  C.  O.    Aus  dem  Tagebuche  ei- 

nes  deutschen  Schulmeisters.  11,  52. 
Stollhofen,  P.   S.     Goethe  als  Padagog. 

193,  228. 
Wasserzieher,  E.    Das  und  dass.     330. 

Gedichte. 

Arndt,  E.  M.     Bisher  unbekanntes  Ge- 

dicht.     308. 
Burckhardt,   O.     Prolog  zur  50jahrigen 

Jubelfeier  der  D.  E.  Akademie.  294. 
Fick,    H.    H.      Das    Madchen   von    Fort 

Henry.    359. 

Grebner,  C.     Washington.     110. 
Gutzkow.     Die  Mutterlieb'.     216. 
Lilienthal,  M.     Washington.     110. 
Padagogische  Xenien.     147. 
Ruben.     Verganglichkeit   (Knox).     71. 
Ruckblick  auf  das  19.  Jahrhundert.  238. 

Fur  die  Schulpraxis. 

Einlesen  des  Musterstiickes.     298. 

Erlkonig.     361. 

Etwas  gegen  die  Umwege.     297. 

Etwas  iiber  das  Gahnen.     299. 

Geistig  Arbeitende.     298. 

Gild.     Nachsitzen.     78. 

Haltung  der  Schulkinder  beim  Schreiben. 

298. 
Hoock,  K.    Der  Unterricht  in  der  Gram- 

matik.     117. 
Konrad.       Selbstbeherrschung     in     der 

Schule.     73. 
Lieb,  A.    'Auf satzbehandlung :  Die  Grille 

und  die  Ameise.     32. 
Liittge.     Verbesserung  der  Aufsatze.  74. 
Muller,    Louise.      Die    Behandlung    des 

Aufsatzes  in  den  drei  unteren  Klas- 

sen.     153. 

Paul  W.     Lehrprobe:    Vom  Roste.    157. 
Sei  nicht  launisch.     298. 
Silberberg,  Betty.      Schwierigkeiten  der 

deutschen   Aussprache    fiir  Auslan- 

der    und    Mittel    zu    deren    Bekam- 

pfung.     200. 
Wann  und  wie  soil  korrigiert  werden? 

299. 


IV 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


Wie  Grimms  Marchen  in  Schule  und 
Haus  gelesen  werden.  119. 

Wischer,  Max.  Lehrprobe:  Deklination 
des  Dingwortes  in  einf achster  Form. 
34. 

Wolf,  Ernst.  Lehrplan  fiir  die  deut- 
schen  Klassen  in  der  Hochschule  zu 
Saginaw,  E.  S.,  Mich.  206. 

Berichte. 

Abrams,   B.  A.     Jubilaumsfeier   der   D. 

E.  Akademie.     268. 
Abrams,    B.    A.      National    Educational 

Association.     300,  333. 
Dapprich,  E.     Riickblick  auf  den  letzten 

Lehrertag.     332. 
Erste  Kinderkunstausstellung  in  Berlin. 

266. 
Gerisch,  P.     Versammlungen  der  N.  E. 

A.  zu  Charleston.     80,   121. 
Heininger,  P.    Kultusminister  Dr.  Falk. 

120. 
Monteser,   F.     6sterreichische   Schulver- 

haltnisse  und  Lehrergehalter.     159. 
Neuordnung      der      Volksschullehrerbil- 

dung  in  Preussen.     365. 
Walker,  E.  C.     Die  zweihundertjahrige 

Jubelfeier  der  Yale  Universitat.  364. 

Kor  r  es  po  n  denze  n . 

Baltimore.     85,  160,  210,  243. 
Buffalo.     37,  302,  334. 
Californien.     244,  303,  369. 
Chicago.     38,  86,  162,  244,  335,  367. 
Cincinnati.      39,  87,  127,  163,  210,  244, 

269,  303,  368. 
Cleveland.     88. 
Columbus.     40. 
Dresden.     85. 

Milwaukee.     40,  127,  164,  369. 
New  York.     88,  129,  165,  211,  246,  270, 

336,  370. 

Philadelphia.     89. 
Saginaw.     90,  130. 

Umschau. 

Amerika. 

Albany.      C.    Wight     iiber    Teacher's 

Burden.     91. 

Atlanta.     Radikalmittel.     91. 
Belleville.     Emil  Feigenbutz.    t     305. 
Binghampton.     Strafgesetz  im  Schul- 

leitfaden.     247. 

Boston.     Munizipalwahlen.     91. 
Boston.     Supt.  Balliet    iiber  deutsche 

Schulen.     91. 
Boston.    Unzufriedenheit  in  der  Schul- 

verwaltung.     43. 

Cambridge.     Prof.  H.  S.  White.     371. 
Charles   City.     Der    deutsche    Unter- 

richt.     241. 

Chicago.     Auch  ein  Educator.     247. 
Chicago.     Biblische  Lesestoffe.     43. 
Chicago.     Chicago  Institute.     214. 
Chicago.     Finanzielle  Schwierigkeiten. 


91. 

Chicago.     Freie  Lehrbucher.     169. 
Chicago.     Kindergarten.     247. 
Chicago.     Protest    gegen    militarische 

ttbungen.     131. 

Chicago.    Reform  im  Schulwesen.  336. 
Chicago.     Schachzug    des    Schulrates. 

306. 

Chicago.     Schule  fur  Bettler.     132. 
Chicago.        Schlussfeierlichkeiten      in 

Hochschulen.     214. 

Chicago.    Treuer  Amerikanismus.  169. 
Chicago.      Verheiratete     Lehrerinnen. 

214. 
College  Entrance  Examination  Board. 

169. 
Frauenerziehung  in  den  Ver.  Staaten. 

213. 

Frye  Alexis.     131. 
Galveston.     Erb'ffnung  neuer  Schulen. 

43. 

Gegen  Steilschrift.     336. 
Griechisch  im  \ale  College.     213. 
Indianererziehung.     131. 
Jahresbericht  der  Columbia  Universi- 
tat.    132. 

Kanada.     Zahl  der  Lehrkrafte  in  On- 
tario.    91. 

Madison.    Prof.  Chas.  K.  Adams.    371. 
Milwaukee.      Chodowiecki  -  Radierun- 

gen.     169. 

Milwaukee.    Faustvorstellung.     43. 
Milwaukee.     Musikvereinskonzert.    43. 
Milwaukee.          Superintendentenwahl. 

168. 

Milwaukee,  ttber  Sprachmethoden.  337. 
New  York.     Gedachtnisfeier  fiir  Prof. 

Max  Miiller.     43. 
Petersburg,  Ind.   Nette  Schulzustande. 

132. 

Philadelphia.    Schulspaziergange.  337. 
Philippinen.     Thatigkeit  des  am.  Leh- 

rers.     306. 
Pittsburg.     Turnunterricht  in  den  6f- 

fentlichen  Schulen.     169. 
Reform  der  engl.  Orthographic.     131. 
Russel,  J.  E.     Urteil  iiber  die  Lehrer. 

305. 
Sacramento.     Lehrkrafte  der  unteren 

Klassen.     169. 
Salt  Lake  City.     Fruhzeitiger  Schul- 

schluss.     247. 
San  Francisco.     Fahrpreisermassigung 

fur  Schulkinder.     247. 
Stand  der  ostlichen  Universitaten.  43. 
Supt.      Schaefters     Wiederernennung. 

305. 
Unterweisung  der  Neger  in  deutschen 

Kolonieen.     131. 
Vom  Lchrertage.     131. 

Belgien. 

Antwerpen.     Deutscher    Lehrerverein. 
306. 

Chile. 
Deutsche  Schule  in  Valparaiso.     93. 


hibalt  sver  ^eichnis . 


Diinemark. 

Ehrung  eines  Volksschullehrers.    300. 
Neues  Schulgesetz.     171. 
Deutschland. 

Aachen.  Blumen  im  Schulzimmer  214. 
Abschiedsfeier  fiir  Otto  Ernst.    247. 
Allg.  deutscher  Schulverein.     247. 
Berlin.     Frequenz    der    Berliner  Uni- 

vcrsitat.    44. 
Berlin.     Kunst  im  Leben  des  Kindes. 

214. 
Berlin.     Sommerferien  in  den  Gemein- 

deschulen.     214. 
Boehm.    f     337. 
Bosse.    f     306. 
Botschafter  White.     91. 
Deutscher  Frobelbund.     44. 
Deutsche  Zeitschrift  fur  Aual.  Unter- 

richtswesen.     306. 

Defizit  des  Lehrertages  zu  Koln.     92. 
Elsass-Lothringen.     Erfolge  der  deut- 

schen  Volksschule.     214. 
Elsass-Lothringen.     Lehrerflucht.   170. 
Friihstiick  fiir  arme  Schulkinder.     44. 
Gr.-Salza.     Schulkiichen.     92. 
Hamburg.     Schiilervorstellungen.    170. 
Hausfriedensbruch     und     Freiheitsbe- 

raubung.     248. 

Hygienische  Massregeln.     92. 
Insubordination.     338. 
Jager  iiber  Schulleitung.     371. 
Jena.     Vermachtnis.     169. 
Jubilaum  der  Rhein.  Blatter.    91. 
Kurioser  Vorschlag.     248. 
Leipzig.   Vom  Lehrerseminar  fiir  Kna- 

benhandarbeit.     170. 
Oranienburg.     Betrug  am  Lehrersemi- 
nar.    44. 

Otto  Ernst's  Erfolg.     169. 
Otto  Ernst.    Neues.    371. 
Pausen  an  den  hoheren  Schulen.    337. 
Rechtschreibungskonferenz.     247,  306. 
Scheffel-Denkmal.     337. 
Schiessferien.    371. 
Schulen  fiir  Schwachsinnige.     337. 
Sonderbare  pad.  Grundsatze.     338. 
Steilschrift.     372. 
Urteil  iiber  Herbart.     170. 
England. 

Board  of  Education.  Jahresbericht.  92. 
Dr.  Garnett  iiber  Einfiihrung  des  mo- 

dernen  Sprachunterrichts.    171. 
Max  Miiller.  f.    45. 
Schulbesuch.     45. 
Obertreibung  des  Sports.     238. 
Urteil  iiber  <!as  britische  Schulwesen. 

214. 
Versammlung  der  Gewerkvereine.   372. 

Frankreich. 

Allgemeine  Schulpflicht.     215. 
Fortschrkte  des  franz.  Volksschulwe- 

sens.     45. 

Kongress  der  pad.  Presse.     46. 
Kiinstlerisches  Unternehmen.     248. 
Militardienst  der  franz.  Lehrer.     248. 


Reform  des  Unterrichts  in  den  ersten 

Schuljahren.     338. 
Vereinfachung  der  franz.  Grammatik. 

92. 

Guatemala. 

Cacilie  Seler  iiber  die  Schulen  Guate- 

malas.     172. 
It  alien. 

Eigentiimliche  Massnahmen.     93. 
Japan. 

Einfiihrung    des    deutschen    Schulsys- 

tems.     172. 
Mexiko. 

Schule  der  deutschen  Kolonie.     338. 
Qsterreich-  Ungarn. 

Dittesdenkmal.     44. 

Kultusminister     iiber    den     deutschen 
Sprachunterricht.     93. 

Massregelungen  der  Lehrerschaft.    44. 

Russland. 

Lage  des  russischen  Volksschullehrers. 

171. 
Russifizierung  der  Universitat  Dorpat. 

171. 
Serbien. 

Schulbesuch.     372. 
Spanien. 

Riickstandige  Lehrergehalter.    307. 

Vermischtes. 

Ansichtskartenstatistik.     173. 
Denkmaler  oder  Volksbibliotheken.  341. 
Der  franzosische  Gesandte  iiber  die  deut- 

sche  Sprache.     132. 
Dezimalsystem  in  Russland.     216. 
Die  schlimme  Jugend.     239. 
Dr.  von  Schneider  iiber  die  Vereinstha- 

tigkeit.     94. 

Linfluss  der  Farben  auf  die  Nerven.  216. 
frankfurter  ,,als".     308. 
Fiir  Freunde  der  Einsamkeit.    340. 
Gegen  den  internationalen  Schiilerbrief- 

wechsel.     308. 
Klenk.  J.  G.    Die  Mutter  im  Munde  der 

Dichter  und  Denker.     31. 
Korperstarke  bei  Knaben  und  Madchen. 

215. 

Orientklub.     174. 

Prof.  Norton  iiber  Roosevelt.     216. 
Schulpausen  und  Nachmittagsunterricht. 

241. 

Schwedisches  und  deutsches  Turnen.  240. 
Sonderbare  Bliite  der  Kinderpsychologie. 

132. 

Tunnel  der  ,,Great  Northern".     46. 
ttbersetzung  des  Wortes  ,,Interesse".  307. 
Unterrichtsresultate     auf     der     Pariser 

Weltausstellung.     93. 
Urteil  iiber  Robinson.     339. 
Verbreitung  der  deutschen  Sprache.    46. 
Verdeutschung  von  Automobil.     46,  372. 
Wahres  Wort  Mark  Twains.     216. 
Was  dem  Lehrer  not  thut.     173. 


VI 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


Welches  1st  das  dichtbevolkertste  Land? 

215. 

Wie  Schiller  sprach.     307. 
Woher  der  Name  Amerika?    372. 

Humoristisches  aus  Schule  und  Leben. 

Amtliche  Verwarnung.     133. 

Amtsstil.     132. 

Aufsatzbliite.     47. 

Aus  der  guten  alien  Zeit.     216. 

Aus  der  Schule.     133. 

Aus  Kindermund.     133. 

Aus  Schtilerheften.     133,  216. 

Benedicte  denpum.     173. 

Buses  Urteil.     308. 

Die  bosen  Fremdworter.     341. 

Die  Probe.    372. 

Bin  Zukunftsbild.     133. 

Examengeschichte.     341. 

Fremdworter- Verdeutschung.    341. 

Gut  Heil!    47. 

Handwerksspriiche.     47. 

Hiibsches  Vorkommnis.     46. 

O  diese  Fremdworter!     372. 

Rechtschreibung  von  Eigennamen.     341. 

Sportsmassig.     308. 

Stossseufzer  eines  Landpfarrers.    132. 

Treff  ende .  Antwor  t.     341. 

Bucherschau. 

Heller,  O.  Deutschamerikanische  Schul- 
grammatiken.  II.  373. 

Biicherbesprechungen. 

Abrams,  B.  A.  Fibel  fur  Schtiler  nicht- 
deutscher  Abkunft.  135. 

Adams,  W.  A.  Romeo  und  Julie  auf 
dem  Lande  (G.  Keller).  276. 

Bernhardt,  W.  Aus  meinem  Konigreich 
(Carmen  Sylva).  175. 

Bernhardt,  W.  Krieg  und  Frieden 
(Frommel,  Villamaria  und  Hoff- 
mann). 135,  278. 

Bierwirth,  H.  C.  The  Elements  of  Ger- 
man. 95. 

Education  in  the  U.  St.     108. 

Fahsel,  Agnes.     Allerlei.     344. 

Files,  G.  T.  Soil  und  Haben  (G.  Frey- 
tag).  375. 

Friedrich,  A.     Kinderwelt.     94. 

Gesellschaft.     344. 

Goebel,  Julius.     Goethe's  Poems.     343. 

Gugler,  J.    Der  Stern  des  Westens.    174. 

Hatfield,  J.  T  .  German  Lyrics  and  Bal- 
lads. 133. 

Hervey,  Wm.  A.  Supplementary  Exer- 
cises to  Thomas'  Practical  Gram- 
mar. *  342. 

Huss,  German  Reader  for  Beginners.  94. 

Jones,  H.  P.     A  German  Reader.     136. 

Joynes,  E.  S.  Das  Madchen  von  Treppi 
(Heyse).  175. 


Joynes,  E.  S.     Das  Wirtshaus  zu  Cran- 

sac    (Zschokke).     175. 
Jugendlektiire  zum  Weihnachtsfest.    47. 
Kuhns,  Oscar.     The  German  and  Swiss 

Settlement  of    Colonial    Pennsylva- 
nia.    273. 
Lambert,  M.  B.     Kleider  machen  Leute 

(Gottfried  Keller).     176. 
Lange,  D.     Our  Native  Birds.     277. 
Leipziger      Schulbrlder      (Wachsmuth). 

344. 

Lentz,   Max.     Anfang  und  Ende    (Hey- 
se).    278. 
Lentz,  Max.     Incognito  ( Groller ) ,  Cand. 

phil.       Lauschmann      (Albersdorf) . 

278. 
Lieb,  A.   Auf satzunterricht  in  der  Volks- 

schule.     96. 
Lodeman,  A.    Germany  and  the  Germans 

(Fischer).     376. 
Miiller,  J.  P.    Deutsche  Schulen  im  Aus- 

lande.     279. 
Miiller,  Marg.,    und  Wenckebach  Carla. 

Maria  Stuart.     135. 
Miiller,   Wilhelm.     Deutsches  Lese-  und 

Sprachbuch.     94. 
Neuhaus,    Hedwig.      Twenty    Questions. 

136. 

Pratt,  M.  L.     America's  Story  for  Ame- 
rica's Children.     94. 
Prehn,  Aug.     Journalistic  German.  133. 
Priill,  H.   Der  Anschauungs-  und  Sprach- 

unterricht.     377. 

Raab,  B.     Weihnaehtsklange.     378. 
Schmidt,  G.     Sigwaldt  und  Sigridh   (F. 

Dahn).     175. 
Schramm,  E.  I.    Deutsche  Kinder-Schau- 

spiele.    377. 
Spanhoofd,  A.  W.     Leberecht  Hiihnchen 

(Seidel).     278. 

Spanhoofd,  A.  W.    Nein  (Benedix).  175. 
Stein,  Fred.     German  Exercises.    136. 
Tischendorf,   Julius.    Praparationen  fiir 

den  geographischen  Unterricht.  309. 
Topical   Outline  of  the  U.   St.   Govern- 
ment.    96. 

Vogel,  F.    Lichtenstein  (Hauff).    377. 
Vogt,  E.     Schulwandkarte  zu  ,,Wilhelm 

Tell".    276. 

Weineck,  O.    Third  German  Reader.    96. 
Wells,  P.  W.      Der  Prozess    (Benedix). 

175. 
Wells,  P.  W.     Er  ist  nicht  eifersuchtig 

Elz).     175. 
Wenckebach,    Carla.      Ein    Kampf    um 

Rom    (Dahn).     277. 
Zeitschrift  fiir  die  deutschamerikanische 

Jugend.    378. 
Ziemann,  Franz.     Etymologische  Beleh- 

rungen.     134. 

Brief  kasten. 

42,  130,  167,  213,  272,  305. 


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