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Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fiir das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
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Redakteur:
Max Griebsch,
Lehrer am Nationalen Deutschamerikanischen Lehrersemlnar,
Milwaukee.
Leiter der Abteilung fiir hoheres Schulwesen:
M. D. Learned, Ph. D.
Professor der deutschen Sprache und Litteratur
an der Universitat von Pennsylvanien,
Philadelphia.
^welter Jahrgang.
Dezember 1900
bis
November 1901.
Verlag :
The Herold Co.,
431 to 435 Broadway, Milwaukee, Wis.
PF
SOO3
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang II. Dezember 1900. Heft i
Professor W. H. Rosenstengel. f
Wie ein Schlag aus heiterem Himmel traf uns am Montag, dem 12.
November, abends die Nachricht von dem Hinscheiden Professors Rosen-
stengel; batten wir ihn doch noch 24 Stunden vorher gesprochen und
uns selbst von seinem Wohlbefinden iiberzeugt. Voll jugendlicher
Frische und Spannkraft hatte er seine Arbeit nach den Ferien, in welchen
seine Gesundheit scheinbar vollstandig wieder hergestellt worden war,
aufgenommen. Sein rastlos thatiger Geist liess ihm nach wie vor
nicht genug sein an der Arbeit, die seine Stellung von ihm forderte, son-
dern wandte sich wieder seinem' Lieblingskinde, dem Seminar in Milwau-
kee, zu ; und seine Sorge fur dessen Wohl rief ihn am 10. November nach
Milwaukee, um hier mit seinem Rate Beistand zu leisten. Mit neuen
Planen fur die Zukunft beschaftigt, verliess er uns am Sonntag abends,
und schon am Montag hatte ihn der grimme Tod uns entrissen. Mitten
in seiner Tagesarbeit, im Kreise seiner Kollegen, ohne Warnung wurde
er abberufen. Wahrlich, ein herrliches Ende fur ihn, den unermiidlich
thatigen !
Entsetzlich hart freilich traf dieser Schlag seine Familie, seine Gattin
und Kinder. Nur die Zeit wird imstande sein, den tiefen Schmerz uber
ihren schweren Verlust zu lindern. Das Andenken an den Verstorbenen
aber wird immer in ihnen lebendig bleiben, der ihnen der beste Gatte und
Vater war.
Doch nicht nur sie haben Grund zur Klage. Auch wir haben an
ihm viel verloren ; denn wo immer es gait, fur unsere Ideale zu kampfen,
da fanden wir ihn in den ersten Reihen, einen Vorkampfer und Fiihrer.
Er hatte erkannt, dass es, um unserer Sache zum Siege zu verhelfen, nicht
2 Padagogiscbe Monatshefte.
geniigt, in den engen Grenzen seiner beruflichen Stellung sich zu betha-
tigen. Darum zwang es ihn hinaus ins Leben der Offentlichkeit. Wie
gross dort seine Anteilnahme war, das darzustellen iiberlassen wir beru-
feneren Handen, denen seines langjahrigen Freundes und Mitarbeiters,
Herrn Henry Raab. Auch geben uns die Trauerbeschliisse, die wir
anfiigen, ein Bild von der vielseitigen Thatigkeit des Verstorbenen.
Die P. M. verlieren in ihm einen der treuesten Mitarbeiter. War
es doch ganz selbstverstandlich, dass er, der jede neue Regung des deut-
schen Geistes mit Freuden begriisste, uns sein Interesse zuwandte. Viel
verdanken wir seiner Mitarbeiterschaft und seinen Ratschlagen, mit denen
er allzeit das Richtige traf. t)ber das Grab hinaus bleiben die Zeichen sei-
ner Thatigkeit bestehen. Mogen diese andere anspornen, es ihm nachzu-
thun! Wir leben in einer Zeit, wo wir Manner wie Prof. Rosenstengel
brauchen, die in Uberzeugungstreue bereit sind, sich mit alien ihren
Kraften in den Dienst unserer hohen und schonen Sache zu stellen!
Nachruf.
Nicht auf dem Schlachtfelde allein, auch mi stillen Studierzimmer
und in der Lehrstube giebt es Helden, die fur ihre Uberzeugungen ein-
stehen und zum Heile der Mit- und Nachwelt segensreich wirken. Ein
solcher Soldat, ein soldier Held war Wilhelm Heinrich Rosenstengel, des-
sen friihen Hingang am- 13. November dieses Jahres wir an dieser Stelle
beklagen. Nicht nur seine Familie und sein grosser Freundeskreis, auch
die Staatsuniversitat von Wisconsin und das Deutschamerikanische Leh-
rerseminar, ja das gesamte Deutschtum der Vereinigten Staaten erleiden
durch sein Hinscheiden einen schier unersetzlichen Verlust. Was er war,
das war er ganz.
Am 10. September 1842 in Barmen geboren, wurde er zum Lehrer
ausgebildet und widmete sich nach seinem Abgange dem Unterricht in
der Volksschule seiner heimatlichen Provinz. In 1864 kam er nach den
Vereinigten Staaten und unterrichtete mehrere Jahre lang an einer viel
besuchten und mit Recht beliebten Privatschule in St. Louis, bis er in
den Dienst der dortigen offentlichen Schulen trat, an denen er bald zum
Lehrer der deutschen Sprache an der Hochschule aufruckte. An dieser
Stelle wirkte er mit grossenv Eifer und solchem Erfolg, dass heute noch
eine Anzahl Burger aus jener Generation sich seiner mit Freude und
Stolz erinnert und in ihm den pflichttreuen und umsichtigen Lehrer ver-
ehrt. Sein Ruf als tiichtiger Schulmann hatte sich unter den Deutschen
des ganzen Landes verbreitet, und sein genaues Wissen und vorziigliches
Konnen bewog den Verwaltungsrat von Wisconsin, seine Dienste fur
diese Anstalt in Anspruch zu nehmen. Infolge dessen wurde er 1879
zum Professor der deutschen Sprache und Litteratur an diese Universitat
berufen. Als er diesen Lehrstuhl annahm, war er der einzige Professor
Professor W. H. Rosenstengel. f 3
in der deutschen Abteilung; wie er bestandig darauf bedacht war, die
Lust und Liebe zum Studium des Deutschen zu wecken und zu verbrei-
ten, beweist, dass in diesem Jahre ausser ihm acht weitere Lehrkrafte
thatig waren und die Zahl der Horer von weniger als 50 in 1879 heute
auf mehr als 600 gewachsen ist. Als Lehrer hat er das Hochste und
Beste erreicht, was einem Schulmanne zu teil werden kann: die Achtung
seiner Vorgesetzten und die Liebe und Vehrung seiner Horer.
Als Mensch war er aufrichtig und ohne Falsch; wer sich seiner
Freundschaft riihmen durfte, besass einen Schatz, der ihm unveranderlich
zum Heile gereichte. Wie er jedem Unrecht, jeder Falschheit streng ent-
gegentrat und sie ohn Gnade bekampfte, so mild und nachsichtig war
er gegen die Fehler und Schwachen seiner Nebenmenschen. Treu und
ehrlich, war ihm der Neid fremd, und bereitwillig erkannte er fremdes
Verdienst ohne Riickhalt an. Zur Unterstiitzung hatte er immer eine
offene Hand; trotz seiner nur massig mit Glucksgiitern gesegneten Stel-
lung ging kein Bediirftiger oder Hilfesuchender ohne Trost und Hilfe
von seiner Schwelle.
Als Schulmann war Rosenstengel von ausdauerndem Fleisse und re-
gem Pflichtgefuhl. Allem, auch dem anscheinend Geringsten, schenkte
er seine voile Aufmerksamkeit. Seine Ausdrucksweise war klar und be-
stimmt, wie auch sein Stil knapp und1 durchsichtig war. Er verschmahte
stets die Effekthascherei und betonte immer nur das Wesentliche. In frii-
heren Jahren war er haufig an der Tagespresse thatig, spater be-
schrankte sich seine Thatigkeit auf die Mitarbeiterschaft an Fachschrif-
ten. So hat er des Guten und Anregenden viel fur die Erziehungsblatter
und die Padagogischen Monatshefte geschrieben. Er war Mitarbeiter an
Brockhaus' Konversationslexikon und hat eine Anzahl deutscher Lehr-
biicher teils selbst verfasst, teils mit anderen gemeinschaftlich herausge-
geben. Seine deutschen Lesebucher fur englisch redende Schiller und
seine Sprachlehre zeichnen sich durch Einfachheit und knappe Form aus;
da ist nichts Uberflussiges und Unterwertiges, nur das Wesentliche, und
das in krystallklarer Kiirze. In den in Verbindung mit Emil Dapprich
herausgegebenen Lesebuchern erscheint zum erstenmale in diesem Lande
der Zweck des Lesebuchs, wie in den besten in Deutschland erschienen
Lesebuchern dieser Art verwirklicht.
An den idealen Bestrebungen der Deutschen in den Vereinigten
Staaten nahm er den regsten Anteil und verherrlichte bei festlichen Ge-
legenheiten durch seine Reden die Veranstaltungen des Deutschtums.
Als President des Verwaltungsrats des Deutschamerikanischen Lehrer-
seminars in Milwaukee hat er dieser Anstalt unvergessliche Dienste ge-
leistet. Nicht nur durch seine Hilfe beim Entwurf des Studienplans und
der fachlichen Uberwachung der Anstalt, auch in der Beschaffung des
Stammkapitals bewahrte sich seine Thatigkeit. Als Vorsitzer erblickte
er bei den Antragen stets den Kern der Sache und verlangte sachliche
4 Padagogiscbe Monatsbefte.
Behandlung der schwebenden Fragen, so dass die Verhandlungen in kiir-
zester Zeit zum Resultat fiihrten. Der Eifer und die Hingabe, mit der
er der Verwaltung dieser Anstalt sich widmete, nahmen einen grossen
Teil seiner Zeit in Anspruch und jeder, der mit ihm in Verbindung trat,
1st seines Lobes voll.
Aus seiner gliicklichen Ehe mit Lina Wirth sind vier Kinder, zwei
Sohne und zwei Tochter, entsprossen. Seit 2 Jahren war seine Gesund-
heit angegriffen, und er suchte Heilung in verschiedenen Heilanstalten,
doch ohne stetige Besserung. Aus voller Thatigkeit wurde er durch
einen Herzschlag inmitten seiner Kollegen von der Staatsuniversitat ab-
berufen.
Dem edlen Menschen, dem treuen Freunde, dem pflichtgetreuen Gat-
ten und Vater, dem Fdrderer der Menschenbildung und des Deutschtums
in den Vereinigten Staaten widmen die Padagogischen Monatshefte die-
sen schlichten Nachruf. H. R.
In Memoriam.
Am Nachmittage des vierzehnten November traten der Vorstand der
Deutsch-Englischen Akademie, das Direktorium des Turnlehrerseminars
des Nordamerikanischen Turnerbundes und der Vollzugsausschuss des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerseminars zu gemeinschaftlicher
Sitzung zusammen und verliehen ihrer Trauer iiber das Dahinschefden
des Herrn W. H. Rosenstengel durch nachstehende Erklarung Ausdruck:
Zum drittenmale innerhalb der kurzen Spanne von zwei Jahren greift
der Tod in unsere Reihen. Einer unserer treuesten Mitarbeiter, einer
unserer warmsten Freunde, Herr Prof. W. H. Rosenstengel, weilt nicht
mehr unter den Lebenden. Wir konnen es kaum fassen, dass wir die
Hand nicht mehr ergreifen sollen, deren warmen Freundesdruck wir vor
wenigen Tagen noch gespiirt, dass er nun kalt und Starr auf der Toten-
bahre liegt, der sich noch vor vier Tagen mit den ausseren Zeichen wie-
dergewonnener Gesundheit ratend und planend an der Novembersitzung
des Vollzugsausschusses des Lehrerseminars beteiligte. Der Deutschame-
rikaner, der ein Herz hat fiir die Erhaltung und liebevolle Pflege der deut-
schen Sprache und deutschen Schrifttums in diesem Lande, steht trau-
ernd an seiner Bahre; die deutschamerikanische Lehrerschaft, mit wel-
cher er eng verbunden war und auf welche er befruchtend wirkte als
Leiter der deutschen Abteilung an der hochsten Lehranstalt dieses Staa-
tes, als thatiges und wertvolles Mitglied des deutschamerikanischen Leh-
rerbundes, als fleissiger Mitarbeiter an padagogischen Zeitschriften, als
emsiger und kundiger Forscher und Sammler, beklagen das Dahinschei-
den unseres Freundes, der eine Zierde des Standes war, dem er ange-
horte. Mit ihnen trauern Tausende von jungen Leuten, die ihm Anre-
gung, Wissen und Sinn fiir das Schone und Gute verdanken.
Was er u n s war, was w i r in ihm verlieren, lasst sich nur andeuten,
nicht erschopfend darstellen. Das deutschamerikanische Lehrerseminar
betrauert den Tod eines seiner geistigen Schopfer, eines seiner warmsten
Freunde, einer seiner kraftigsten und zuverlassigsten Stiitzen, seines
unermudlich thatigen langjahrigen Prasidenten. Sein ganzes Konnen und
Wissen, seine fast unerschopfliche Arbeitskraft stellte er mit seltener
Professor W. H. ^Rpsenstengel. f 5
Hingebung und Selbstlosigkeit in den Dienst der drei Anstalten, als deren
Vertreter wir heute versammelt sind. Anspornend und anfeuernd wirkte
er auf Lehrer, Zoglinge und seine Mitarbeiter. Wenn es gait, die Strebe-
ziele der Anstalten klar darzulegen, Vorurteilen zu begegnen, Angrlffe
abzuwehren, neue Freunde zu gewinnen, alte Freunde zu erhalten, die
finanzielle Grundlage zu starken, opferwillige Forderer unserer Ziele zu
sichern, Lehrplane wirksamer zu gestalten, vertrauten wir uns zuversicht-
lich seiner kundigen Fiihrung an. Moge der hehre Dreibund, der teil-
weise als sein Werk unter dem Dache dieses Gebaudes vereinigt 1st, ein
Denkmal bleiben seiner segensvollen Thatigkeit. Wir, seine zuriickge-
bliebenen Mitarbeiter, konnen des Dahingeschiedenen Andenken nicht
besser eliren als durch den festen Entschluss, in seinem Sinne, wenn auch
nicht mit seiner Kraft weiterzuwirken.
Wir beschliessen: Der trauernden Familie unseres Freundes unser
innigstes Beileid auszusprechen.
Wir beschliessen: uns an dem Leichenbegangnisse zu beteiligen und
Schule und Seminar am Beerdigungstage geschlossen zu halten.
Wir beschliessen ferner, vorstehenden Ausdruck unserer Gefiihle und
die gefassten Beschlusse durch die Presse zu verbffentlichen und der
Familie Rosenstengel eine Abschrift zuzustellen.
Von dem Selcretar des Priifungsausschusses fur das Lehrersemi-
nar gelangte folgendes Schreiben an den Verwaltungsrat der Anstalt:
Der Priifungsausschuss fur das N. D. A. Lehrerseminar, aus den
Herren H. Woldmann, Cleveland, Dr. H. H. Fick, Cincinnati, und dem
Unterzeichneten bestehend, hat mich beauftragt, Ihnen den Ausdruck
seines auf richtigsten Beileids iiber den Verlust, den Sie durch den Tod
des Herrn Prof. W. H. Kosenstengel erlitten haben, zu iibermitteln.
Wir wissen, wie wenige nur, wie gross die Liicke ist, die durch
das Ableben Ihres langjahrigen Vorsitzers in Ihrer Korperschaft ent-
standen ist.
Aber auch wir verlieren in dem Dahingeschiedenen einen Mann,
der uns bei der Ausfiihrung unserer amtlichen Thatigkeit stets hilf-
reich zur Seite gestanden hat, und dessen Eat und That wir in Zu-
kunft schmerzlich vermissen werden.
Wir bitten Sie daher, uns den von Ihnen gefassten Trauerbe-
schliissen vollinhaltlich anschliessen zu diirfen.
Mit vorziiglicher Hochachtung zeichnet
Fur den Priifungsausschuss
Leo Stern.
* * *
,,Durch das Hinscheiden des Herrn Wilhelm H. Rosenstengel wurde
das Lehrerkollegium der Deutsch-Englischen Akademie und des Nationa-
len Deutschamerikanischen Lehrerseminars in tiefe Trauer versetzt.
Die Lehrer beider Schulen sind sich aufs schmerzlichste bewusst,
dass sie in dem Verstorbenen einen zielbewussten Fiihrer, einen
umsichtigen Berater, einen treuen Freund und Gonner verloren haben.
Unersetzlich scheint sein Verlust besonders fiir das Lehrerseminar, wel-
ches in seiner heutigen Gestalt fast als eine Schopiung des ausgezeich-
neten Mannes anzusehen ist. Seiner rastlosen Energie, seiner edlen
Schaffensfreude, die er jederzeit in den Dienst einer hoheren Idee stellte,
ist es zu danken, dass die Anstalt heute auf gesicherter flnanzieller Basis
P'ddagogische Monatshefte.
steht. Unermiidlich war der Verstorbene fur diese Anstalt, das Lieb-
lingskind seiner Sorge, thatig. Die zwei letzten Tage seines reichen Le-
bens waren noch dem Interesse und dem Wonle beider Institute gewidmet.
So starb er, bis zum letzten Augenblick treu gegen sich, treu gegen andere.
treu gegen die Idee, zu deren Diener und Verfechter er sich gemacht
hatte. Sein Andenken wird in dem gegenwartigen Lehrerkollegium 9er
beiden Anstalten unvergesslich welter leben als das eines Mannes, der
dem Worte Goethes nachgelebt hat:
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut;
Unermiidlich schaff' er
Das Nutzliche, Rechte."
At a special meeting of the faculty of the University of Wisconsin,
held Nov. 19, 1900, the following resolutions were by rising vote unani-
mously adopted:
"The faculty of the University of Wisconsin, in special session assem-
bled, desire to place on record some acknowledgment of their high appre-
ciation of the work and worth of their lately departed colleague,, there-
fore.
"Resolved, That by the death of Professor William H. Rosenstengel
this state has lost an influential and public-spirited citizen, the Univers-
ity an energetic member of this faculty and the student body a warm
personal friend and one of tireless industry, dignified bearing, generous
impulses, and a high sense of honor.
"Resolved, That Professor Rosenstengel, by his integrity of character,
and long and faithful devotion to his work, has won the gratitude of the
students and alumni of the university, the high esteem of his colleagues,
and the respect and honor of this entire community and commonwealth.
"Resolved, That these resolutions be entered in the minutes of the
faculty, that the secretary be directed to transmit a copy to the family
of the deceased, and that copies be furnished to the university and city
papers for publication.
"J. B. Parkinson,
"Edward T. Owen,
"W. W. Daniells,
"Committee."
Am Donnerstag, dem 15. November, wurde Professor W. H. Rosen-
stengel auf dem Forest Grove zu Madison zur Ruhe gebettet. Die Be-
grabnisfeier, obgleich in einfachster Form, wie sie den Wiinschen des
Verstorbenen entsprach, zeugte von der hohen Achtung und Verehrung,
die dem' Hingeschiedenen aus alien Kreisen entgegengebracht wurden.
Herr Direktor Dapprich widmete seinem Freunde tief empfundene Ab-
schiedsworte. Als Ehrenbartuchtrager fungierten die Herren Fred. Vogel
jr., Milwaukee; Henry Raab, Belleville, 111.; Louis Schutt, Chicago; Henry
Ziock, Rockford, 111.; Dekan E. A. Birge von der Staatsuniversitat von
Wisconsin, John Suhr und Richter Siebecker von Madison. Unter den
zahlreichen Blumenspenden befand sich auch ein prachtiger Palmenzweig
vom Vorstande des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Die nationale Aufgabe des Deutschamerikanischen
Lehrerbundes.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von JET. M. Ferren, High School, Allegheny, Pa.
Obgleich der Lehrerbund schon seit einem Menschenalter besteht,
so gehort ihm doch kaum der zehnte Teil unserer Berufs- und Streitge-
nossen an. Zur Abhiilfe dieses Ubelstandes genugen die ewigen Klagen
iiber das gleichgultige Verhalten der deutschamerikanischen Lehrerschaft
keineswegs. Im Gegenteil, wir geben dadurch nur unsere eigene
Schwache zu erkennen, denn die Gleichgiiltigkeit wohnt ja dem ganzen
Menschengeschlechte inne, und keinem schaffenden Geist bleibt der
Kampf gegen jenes Hindernis erspart. Reden wir einmal ein ehrliches
Wort mit einander: Warum spielt unser Bund eine so klagliche Rolle
im Vergleich zu dem, was er leisten sollte und konnte? Weil wir unsere
Aufgabe nie zu Ende gedacht, und weil es uns an iiberlegenen Fiihrern
gebricht, denen die Erreichung unserer Ziele mehr als Nebensache ware.
Was entbehren wir am meisten? Das phylosophische Bewusstsein und
den Willen zur That.
Die verworrenen Zustande im amerikanischen Erziehungswesen
zwingen uns, ein wachsames Auge auf alles zu halten, was dem Volks-
geist sein Geprage giebt. Unser Volk soil keiner engen, englischen
Weltanschauung zum Opfer fallen, sondern sich seiner Abstammung ge-
mass voll und frei entwickeln. Wir wollen Amerika in einen grossen
Garten verwandeln, in welchem viele und vielerlei der edelsten Pflanzen
zur Bliite gelangen. An Stelle der herrschenden geistestotenden Ein-
formigkeit soil ein in schillernder Farbenpracht iibersprudelndes Volks-
leben treten. Weder die Vorziige der englischen Litteratur noch das
Gute, was wir den Briten verdanken, seien hier in Abrede gestellt. Man
kann alien dem die vollste Anerkennung zollen und^dabei doch behaupten,
dass infolge des Vorherrschens der englischen Sprache in Amerika zahl-
lose unserem gesunden Wachstum unentbehrliche Gattungen entweder
allmahlich entarten oder sofort zu Grunde gehen. Man muss 3en vor-
urteilsfreien Blick eines Weltbiirgers haben, um den verschiedenen Be-
standteilen unserer Bevolkerung gerecht zu werden. Ware aber das
Angelsachsentum hierzu berufen, so hatte gewiss der jahrhundertelange
Verkehr mit anderen Volkern bei den Briten eine minder einseitige, eine
fur feinere Schattierungen empfangliche Denkweise hinterlassen. Dass
unsere Landessprache von jenem fur grobere Arbeit bestimmten Men-
schenschlag herriihrt, darin liegt die eigentliche Gefahr, welche uns um
eine vielverheissende Zukunft zu bringen droht. Der uberwiegend eng-
lische Einfluss beraubt Amerika seines Erbteils europaischer Lebensweise
und wird jede Moglichkeit einer echt amerikanischen Volksseele aus-
8 P'ddagogische Monatsbefte.
schliessen, wenn nicht in ganz absehbarer Zeit ein gewaltiger Gegendruck
erfolgt. Zur Ausiibung eines solchen Gegendrucks sind gerade wir
Deutschen wie vom Schicksal erkoren, denn kein anderer aus Europa
eingewanderter Stamm ist hier stark genug vertreten, um die Fiihrer-
rolle zu ubernehmen; ausserdem besitzen wir eine Sprache, die vermoge
ihrer mannigfachen Anlagen und ihrer unubertrefflichen "Qbersetzungs-
fahigkeit uns zu wahren Teilhabern an den Errungenschaften anderer
Kulturvolker macht. Dass neben der englischen Sprache die deutsche
Gemeingut der amerikanischen Nation werde, darauf beruht unser gan-
zes Streben. Was jetzt im Volke nur ein Scheinleben fiihrt, wird erst
dann in Fleisch und Blut iibergehen, wenn man allerorten den Anfang
des deutschen Unterrichts ins zarteste Kindesalter verlegt. Wer dieses
leugnet, gehort nicht zu uns, mag er immerhin der gefeiertste Professor
der deutschen Sprache sein.
Hermann Grimm wirft den Deutschamerikanern vor, sie hatten noch
keine einzige deutsche Umversitat gegriindet. Wie viel mehr als eine
hohere Lehranstalt versprache jedoch ein zielbewusster Lehrerverband,
dessen Thatigkeit sich iiber unser gesamtes Schul- und Volkswesen er-
streckte, der gleich einer nationalen Akademie der Wissenschaften nach
unzahligen Richtungen hin gestaltend auf die amerikanische Kunst und
Litteratur einwirkte. Mit unserer kleinlichen, zaghaften Politik sind wir
hiervon noch weit entfernt. Zu jenem erhabenen Ziele fiihrt nur ein mu-
tiges Vorgehen, ein Eroberungszug in grossem Stil. Pfui iiber all das
verraterische Zwittergeschmeiss unter den Akademikern und anderswo,
welches aus Feigheit oder aus niedriger Selbstsucht dem Angloamerika-
ner die verlogensten Zugestandnisse macht!
Zur Fiihrung eines geistigen Krieges bediirfen wir einer starken
Oberleitung, aus Mannern bestehend, die ganz in unserem Streben auf-
gehen. Wer dem aufreibenden Lehrberuf obliegt, wie diirfte der noch
nebenbei ein Amt versehen, welches den aussersten Kraftaufwand der be-
gabtesten Menschen und einen durch keinerlei Nahrungssorgen getriib-
ten Blick voraussetzt. Sache der Oberleitung ware die sichere Anlegung
des Bundesvermogens und die richtige Verwendung der Zinsen. Beson-
clerer Unterstutzung bediirfte die Bundeszeitung, fur deren Aufrechter-
haltung im verflosserien Jahre schwere Opfer gebracht wurden. Bei
aller Liebesmiihe setzte die Verlagshandlung noch $1000 zu. Wer die
Leitung besorgt, sollte auf keinen anderen Erwerbszweig angewiesen
sein. Sicherlich bezogen die Leiter englischer Zeitschriften nicht so hohe
Gehalter, wenn die besten Krafte fiir einen Hungerlohn feil waren. Und
doch geben wir uns der trugerischen Hoffnung hin, alles das umsonst zu
bekommen, wofiir andere teuer bezahlen mussen- Der Bund, nicht die
Verlagshandlung, ist moralisch verpflichtet, fiir die Verbreitung der
Schulzeitung zu sorgen. Dies geschahe am besten durch haufiges Ver-
senden von Durchsichtsheften und wiederholtes Anzeigen in anderen
Die nationale *Aufgabe des Deiitscbamerikani&cben Lebrerbundes. 9
Zeitschriften. Die englischen Erziehungsschriften sowohl wie die in
Europa erscheinenden und hier gelesenen deutschen Blatter verdienten
besondere Berucksichtigung. Es ist ganz unwesentlich, ob die Schulzei-
tung sich aus eigenen Mitteln erhalt oder nicht. Die Hauptsache ist,
dass sie unsere Ansichten zur Geltung bringt. Um aber dieses zu er-
reichen, werden immer wieder Zuschusse aus der Bundeskasse notig sein.
Wollten wir die englische Sprache absichtlich vernachlassigen, so
hiesse das, auf eine machtige Waffe verzichten. Damit sein Einfluss
auch in die entlegensten Kreise dringe, braucht der Bund ein ganzes
Heer von Schriftstellern, Kritikern und Kiinstlern, mit deren Hiilfe er
namentlich die englische Presse und das englische Bibliothekswesen be-
einflussen konnte. Besondere Wiirde erhielten seine Bestrebungen
durch Aussetzung von Preisen, deren Verteilung einem internationalen
Preisgericht anzuvertrauen ware. Hierdurch wiirde er die hervorragend-
sten Denker des In- und Auslandes fiir seine Sache gewinnen und in den
Besitz einer Litteratur gelangen, welche vom unparteiischen Standpunkte
der vergleichenden Volkerkunde die Vorteile des Deutschen dem Eng-
lischen gegeniiber abschatzte und letzteres in seine Schranken verwiese.
Die Einnahmen des Seminars zu Milwaukee miissen bedeutend er-
hoht werden, sonst verfehlt es seinen Zweck als Musteranstalt fiir die
Ausbildung von Volksschullehrern. Wie sehr eine hiilfespendende Hand
dort not thut, geht aus dem jiingsten Jahresbericht hervor. Trotz aller
Sparsamkeit uberstiegen die Ausgaben die Einnahmen um $1000.
Zur Beherrschung des amerikanischen Schulwesens ist jedoch die
Sicherstellung des Seminars nur der erste Schritt. Es kann im giinstig-
sten Falle nur einen Bruchteil der notigen Erzieher liefern, und wir diir-
fen um keinen Preis die Anstellung der iibrigen dem Zufall tiberlassen.
Nicht im Griinden neuer Schulen besteht unsere fernere Aufgabe, sondern
im Erobern der schon vorhandenen. Hochst wiinschenswert ist deshalb
eine Prufungsbehorde, welche iiberall im Lande die besten Lehrer her-
ausfande, gleichviel wo sie ihre Vorbildung genossen, und dorthin be-
forderte, wo man ihrer am meisten bedarf. Weiss einmal der Amerika-
ner, dass bei uns die tiichtigsten Lehrkrafte zu haben sind, dann gewinnt
der Bund mit jedem Jahre an Macht und Ansehen. Vermoge einer sol-
chen Einrichtung konnte er unendlich viel Gutes stiften und vielem Un-
heil vorbeugen. Wie oft scheiterte schon der Versuch, den deutschen
Sprachunterricht in den offentlichen Schulen einzufuhren, weil es gerade
im entscheidenden Augenblicke an sachkundigen Leuten fehlte. Be"
stiinde heute eine fahige nationale Schulaufsicht, so wiirde manchem ein
grosserer Wirkungskreis eroffnet, der zwar ein ausgezeichneter Lehrer,
aber kein schreibfingriger Herausgeber von Schulbiichern ist. Da die
Sitzungen jener Behorde zu bestimmten Zeiten in verschiedenen Landes-
teilen abzuhalten waren, so miisste fiir die Reisekosten der Mitglieder
hinlanglich gesorgt werden.
10 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Im Dienste des Verwaltungsrates miisste noch ein Geschaftsfiihrer
und Schriftwart stehen, dessen Besoldung je nach den zunehmenden
Pflichten zu erhohen ware. Sekretar Shepard, der schon seit Jahren die-
sen Posten fiir die N. E. A. versieht, bezieht ein Gehalt von $4000, nebst
einer Bewilligung von $1000 fiir Porto, Drucksachen u. s. w. Ausser-
dem sind an alien Orten von Bedeutung Vertrauenspersonen notwendig,
welche genauen Bericht iiber die Schulen und andere in ihrem Bezirk
befindlichen Bildungsanstalten, namentlich Bibliotheken, Kunstgallerien
und Museen abzustatten hatten. Zu ihren weiteren Pflichten gehorten
die Griindung von Zweigvereinen, die Heranziehung einflussreicher Bur-
ger und eine zweckmassige Verbreitung geeigneter Schriften. Ein dank-
bares Arbeitsfeld bote sich ihnen dar, wo der deutsche Unterricht und
das Turnen noch in den Schulen fehlen. Aber auch die Arbeit dieser
Leute darf man nicht umsonst erwarten, denn sie miissten zu Gunsten
unserer Sache nicht nur ihren Beruf vernachlassigen, sondern hatten da-
bei noch allerhand Auslagen. Kommt im Durchschnitt auf 400,000 Ein-
wohner eine Vertrauensperson, so ergiebt das etwa 200 fur die Verei-
nigten Staaten, Canada nicht einmal mitgerechnet. Eine genaue Sum-
menangabe ist nur nach einer eingehenden Besprechung der verschiede-
nen Punkte moglich. Man darf jedoch mit Sicherheit annehmen, dass
ohne eine jahrliche Verausgabung von mindestens $100,000 der Lehrer-
bund nicht in den Vordergrund riicken kann. Wie gering erscheint aber
sogar dieser Betrag, wenn man bedenkt, was alles auf dem Spiele steht!
Was sind denn $100,000, wo es gilt, ein Volk von 75 Millionen zu sei-
ner Seligkeit zu zwingen! Ob solcher Schwarmerei werden viele die
Achseln zucken, denn wo es sich um die Erschwingung bedeutender
Geldsummen handelt, da fangt bei den Deutschen gewohnlich das Gebiet
der Fabel an. Mochten diese Wirklichkeitsapostel doch endlich einsehen,
dass der Lehrerbund sich heute iiberhaupt keinem Ziele nahert, sondern
nur den eitelsten Trugbildern nachjagt. Ohne ein grosses Vermogen
dauert seine Ohnmacht fort, und er wird niemals iiber eine erbarmliche
Halbheit hinauskommen. Da die Jahresbeitrage nur einen winzigen Teil
der Auslagen decken wiirden, so mussten wir uns nach weiteren Hiilfs-
quellen umsehen. Die deutschgesinnte Biirgerschaft wird unserem Bunde
ihren Beistand nicht versagen, sobald er sich ihres Vertrauens wurdig er-
weist. Hierzu bedarf es aber scharferer Beweisfiihrung, genauerer Ziel-
angabe und grosserer Umsichtigkeit, als wir Lehrer bisher an den Tag
gelegt.
Aus dem Tagebuch eines deutschamerikanischen
Schulmeisters.
Vortrag, gehalten vor dem 30. Lehrertag zu Philadelphia.
Von Carl Otto Schonrich,
Detitscher Oberlehrer an der Stadtschule No. 1 zu Baltimore, Maryland.
Es war Mitte Marz 1868. Drei Monate war ich im Lande. Eine
Enttauschung hatte der andern Platz gemacht, das letzte mitgebrachte
Geld war ausgegeben. — An ein Zuriickgehen war nicht zu denken, der
kurzsichtige Jiingling hatte ja die schone schwabische Heimat verlas-
sen, um dem Militardienst unter der neuen preussischen Oberleitung
auszuweichen, die doch sein liebes, altes Vaterland zu neuer Glorie brin-
gen sollte. Ans Vaterhaus wollte ich mich auch nicht um Unterstutzung
wenden, der geliebte Vater sollte die Genugthung haben, dass ich auf
eigenen Fiissen stehen kann. Bewahrte ich doch einen kostbaren Schatz :
den Segen der seligen Mutter.
Es gait jetzt irgend eine ehrbare Thatigkeit zu ergreifen, und so
hatte ich denn eine mir zur Probe angebotene Lehrerstelle an der Schule
einer protestantischen Kirchengemeinde angenommen, doch mit schwe-
rem Herzen; meine deutsche Anschauung war nicht zu iiberzeugen, dass
ich ohne padagogische Vorbildung den Lehrerberuf antreten konnte, so
ermunternd auch die Worte des freundlichen Predigers und des erfah-
renen Oberlehrers waren. Beiden habe ich viel zu danken fur die dem
unerfahrenen, leichtlebigen Studenten erzeigte Nachsicht und Aufmun-
terung, und insbesondere dem letzteren, einem seminaristisch ausgebil-
deten Schulmanne aus Berlin, fur die treuen Unterweisungen im neuen
Beruf, dem ich mich nun mit voller Seele hingab, eingedenk der vater-
lichen Lehre: ,,Was du auch thust, thue es mit alien deinen Kraften".
Eine besonders schwere Aufgabe erschien es, dass ich, der frisch
Eingewanderte, den eingeborenen Kindern Unterricht in der Landes-
sprache zu erteilen hatte. Ich entschloss mich, ein Tagebuch iiber die
Schule zu fuhren und von Zeit zu Zeit Abrechnung mit mir zu halten.
Gar bunte Blatter sind es, die sich so im Laufe von 32 Jahren an-
hauften. Denn wenn ich auch in dieser ganzen langen Zeit nur zwei
Stellen innehatte — 8 Jahre an der erwahnten Kirchenschule, und die
iibrigen 24 an der offentlichen Schule — so habe ich mich dabei einer
von Jahr zu Jahr mehr ausgedehnten Nebenbeschaftigung gewidmet, zu-
erst als Abendschullehrer, und in den letzten 20 Jahren als Privatlehrer,
und so kommt es1, dass ich heute auf einen Schiilerkreis zuriickblicke,
der an Mannigfaltigkeit seinesgleichen sucht.
Es sind darunter die verschiedenen Altersstufen vom 6. bis zum 60.
Lebensjahre vertreten, Knaben und Madchen, Jungfrauen und Jiinglinge,
12 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Manner und Frauen, Vertreter verschiedener Nationalitaten und Rassen,
Nord- und Siidamerikaner, Westindier, Deutsche, Briten, Irlander, Skan-
dinavier, Hollander, Romanen und Slaven, selbst Japanesen und —
Neger; ich habe namlich vor 22 Jahren in einer Negerabendschule unter-
richtet, und ich muss gestehen, dass ich dort aufmerksame und dankbare
Schiiler und Schiilerinnen hatte.
Ebenso verschieden ist der Schiilerkreis auch inbezug auf Beruf
und gesellschaftliche Stellung; es befinden sich darunter der Student und
der Universitatsprofessor, der unbemittelte Einwanderer und der Millio-
nar, der Freidenker und der Priester, der Arbeiter und der Handelsherr,
ein Biirgermeister, ein Oberrichter und ein Kabinetsminister.
Und wie die Schuler, so war auch der Unterrichtsstoff verschieden.
In der Kirchenschule umfasste er Religion, Elementarfacher und Rea-
lien, bei den Zoglingen der offentlichen Schule deutsche und englische
Sprache und damit gemeinnutzige Kenntnisse ; in der offentlichen Abend-
schule bedurften Weisse wie Neger der Grundlagen im englischen Lesen,
Schreiben und Rechnen, in den Abendklassen des Christlichen Jung-
mannervereins handelte es sich um die Amerikanisierung der Eingewan-
derten; iiber sechzig Kandidaten wurden fur Lehrerprufungen vorberei-
tet; und als nach der Errichtung des neuen Deutschen Reichs die deut-
sche Sprache im ganzen Lande, und in Baltimore besonders noch mit
der Eroffnung der Johns Hopkins Universitat, an Ansehen immer mehr
gewann, da wurden in den Hausern der Reichen deutsche Konversati-
ons- und Litteraturstunden angefangen, nach und nach wurde ich mit
dem Vertrauen der Universitat beehrt, und die germanische Fakultat
sandte mir seitdem anregende Studenten, um ihnen in den verschiedenen
Gebieten deutscher Poesie und Wissenschaft als Dolmetscher zu dienen.
Was war nicht da alles zu behandeln? Das leichte Salonstiick und
Goethes Faust, Heines Harzreise und Luthers Tischreden, Chemie, Phy-
sik, Geologic, Physiologic und Psychologic, Psychiatric, der Kreislauf
des Lebens, das Steinzeitalter, Morphologic und Physiologic der Pflan-
zen, Nationalokonomie, phylosophische Systeme, u. s. w. Und dabei
durften die Schuler nicht ahnen, wie schwer oft dem ,,Professor" selbst
die Vorbereitung wurde, gar haufig bewahrten sich die Worte Goethes'-
,,Was sie heute erst lernen, das wollen sie morgen schon lehren,
O was haben die Herren doch fur ein kurzes Gedarm."
So verschieden auch der Unterrichtsstoff, so machte sich beim Leh-
ren das deutsche Gemiit doch mehr oder weniger geltend, und so ver-
schieden auch die Schuler, ob Jung oder alt, arm oder reich, strengglau-
big oder freisinnig, unwissend oder gelehrt, einheimisch oder fremd —
es gliickte dem Lehrer, sich in geistiges Einvernehmen mit einem jeden
zu setzen, und viele Beweise habe ich schon erfahren diirfen, dass sie mein
ehrliches Wollen anerkennen, wenn es auch das Vollbringen nicht er-
reicht hat.
dem Tagebucb eines deutscbamerikaniscben Scbulmeistcrs. 13
So sind 32 Jahre dahingegangen. Alle Tahre waren es wieder an-
dere, mit denen ich zu thun hatte, Kinder und Erwachsene. Und wie
erfrischend und anregend wirkte gerade das Zusammensein mit den Kin-
dern. Wie verschieden waren sie an Gaben und Gemut, an Empfang-
lichkeit und Vorbildung, an Trieb und Ausdauer, nicht eines wie das
andere, jedes hatte zu der Sache seine eigentumliche Stellung. So wun-
derbar ist nichts gestaltet als menschliche Eigentiimlichkeit, und nirgends
findet sich so reizvolle Abwechslung als in der Gestaltung des kindlichen
Seins und Lebens. Und wo der Lehrstoff auch von Jahr zu Jahr wieder
denselben Gegenstand behandelt, so ist der Lehrer inzwischen ein anderer
geworden, er ist fortgeschritten, und mit der gewachsenen Kraft weiss
er neue Krafte zu entlocken.
Aus dieser bunten Sammlung habe ich auf die ehrenvolle Einladung
Ihres Komitees hin einige Blatter ausgesucht, um sie Ihnen bei dieser
Tagung zur Kenntnis zu bringen. Alles Vorgefuhrte ist ohne Ausnahme
wirklich Erlebtes. Sollte daher in dem launigen Teile etwas Ihnen schon
Bekanntes vorkommen, so bestatigt das eben den alten Spruch: ,,Es ist
alles schon einmal dagewesen".
Eigentlich Neues kann ich ja iiberhaupt meinen verehrten Kollegen,
von denen viele auf eine weit reichere Erfahrung zuriickblicken, nicht
geben, selbst wenn ich sie mit alien meinen Aufzeichnungen, die ich
friiher oder spater in Buchform zu veroffentlichen gedenke, bekannt ma-
chen wollte; doch werde ich nicht vergebens gesprochen haben, wenn sie
sich angeregt finden sollten, auch ihre Beobachtungen zur weiteren
Kenntnisnahme zu bringen und so das Bild unserer heranwachsenden
Generation zu erweitern und zu vervollstandigen. Im Interesse der
Menschheitsgeschichte ware das sehr wiinschenswert.
Bei der t)berfulle des Stoffes ist es mir schwer geworden, fur die mir
hier zugemessene Zeit eine gerundete Auswahl zu treffen ; manches Blatt,
cTas ich hier gerne benutzt hatte, musste unberiicksichtigt wieder in die
Mappe zuriickgelegt werden, doch wird Sie Ihre eigene Erfahrung die
Lucken leicht* iiberbriicken und manches nur Angedeutete erganzen
lassen.
Gestatten Sie mir zunachst auf meinen Artikel ,,Aus Jungamerikas
Lehrjahren" in der Aprilnummer unseres Bundesorgans ,,Padagogische
Monatshefte" hinzuweisen, worin ich einige meiner gesammelten Notizen
tiber Jungamerikas Anschauungskreis zum weiteren Nachdenken verof-
fentlichte. Sie werden in demselben auch meine Absicht erkannt haben,
darauf hinzudeuten, dass zu einem wissenschaftlichen "Child Study" ein
"Parent Study" unerlasslich ist.
Im Anschluss an Jungamerikas Anschauungskreis lassen Sie uns nun
Jungamerikas Wortschatz ein wenig beleuchten.
Ein angloamerikanischer Knabe fragte mich einmal (in englischer
Sprache) nach der Bedeutung des allgemein gebrauchten Wortes ,,ocu-
14 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
list". ,,Ich will Dir das deutsche Wort dafiir sagen, und obgleich Du
es noch nie zuvor gehort hast, wirst Du es doch verstehen. Es heisst
namlich auf deutsch ,,Augenarzt"." "Oh yes, eye-doctor, thank you,
sir," rief der geweckte Knabe erstaunt und befriedigt. Ahnliches kam
oft vor.
Einst erzahlte ich einer Klasse in engiischer Sprache von gewissen
Tierarten, die in Alaska entdeckt worden seien. Alles horchte gespannt,
und keines ahnte den Schalk, als ich wahrend der Erzahlung die Namen,
die diesen Tieren gegeben worden seien, an die Wandtafel schrieb: Pen-
tagon, Hexagon, Heptagon, Octagon, Polygon. Erst als ich anfing, die
deutsche Ubersetzung dahinter zu schreiben: riinfeck, Sechseck, Sieben-
eck, Achteck, Vieleck, da offneten sich die Augen, und ein herzliches
Lachen beendete die doppelte Lektion.
Jung- und auch Altamerika ergreift Bewunderung, wenn ihm die
drei hervorragenden iMgenschaften der deutschen Sprache zur Anschau-
unpf kommen:
1. Die Intuivitat oder Anschaulichkeit des Ausdrucks,
2. Die ausserordentliche Fahigkeit, durch zusammengesetzte Wor-
ter kurz und pragnant auszudriicken, wofur die englische Sprache — wie
auch andere — lange Umschreibungen braucht,
3. Die Fertigkeit, aus einfachen Wurzeln die mannigfaltigsten viel-
silbigen Ableitungen zur Bezeichnung aller moglichen Modifikationen des
Gedankens zu bilden.
Die Ansammlung eines Wortschatzes kostet den hiesigen Schiilern
unsagliche Muhe. Die grossere Halfte der englischen Worter stammt
aus fremden Sprachen, da aber solche — da und dort mit Ausnahme der
deutschen — erst in den hoheren Schulen, also nach dem achten Schul-
jahr, gelehrt werden, so bleibt fiir Jungamerika nichts anderes iibrig, als
die Bedeutung vieler Worter der eigenen Muttersprache in derselben
Weise zu lernen, als es deutsche Schuler mit fremden Vokabeln thun
miissen.
Unsere Schutzbefohlenen sind daher bei Worterklarungen im Eng-
lischen manchen Gefahren ausgesetzt; im Deutschen aber auch, wie fol-
gende Beispiele erkennen lassen. Sie sind von schriftlichen Klassenar-
beiten 12- und 14jahriger Zoglinge ausgewahlt, die betreffenden Worter
waren diktiert worden:
Hindus sind Indianer von Afrika.
Die O a s e ist in die Wiiste aber nicht Wiiste.
A m a z o n e ist eine Frau, die feiten thut.
Eine A m a z o n e ist die Konigin von England.
Eine A m a z o n e ist ein Frausoldat, fruher weiss und jetzt Schwartz
in Afrika.
M u 1 a 1 1 e n sind Manner die bereits noch nicht schwarz sind.
Der P r e s i d e n t ist ein Konig aber nur vier Jahren.
Aus dem Tagebucb eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 15
Der President stirbt manchmal.
Ein T u n e 1 1 ist eine Offnung in die Erde, das Wasser, oder das
Berg.
Ein C o n z e r t entsteht aus Musik.
Das K o n z e r t ist ein halbes Theater.
Der P a b s t ist der hochste Mann ins Katolische Religion.
Der Paps ist der hochste katolicke Priest.
Ein P a r b s t wohnt in ein Fattikan.
Der P a b s t lebte in Milwaukee.
Ein Schaltjahr hat 13 Monaten.
Ein Schaltjahr hat vier Jahre.
Der P f e f f e r ist immer schwarz, aber auch rot und weiss und grim.
In der O p e r singen sie wenn sie sprechen.
Franzosen sind Kleidermacher, Haarfressier, Koche und Lehrer.
Franzosen leben meistens in Frankreich und sind hiitzig.
Die I r 1 a n d e r sind gewohnlich iibrigens Polizeimanner.
Ein W i 1 1 w e r ist ein Monch.
Das Gegenteil von Witt we — eine Amazone.
Bauernadel ist eine Nadel fur den Bauer.
Der O z i a n ist von Salzwasser gemacht.
Ein W e i b ist etwas sehr Gutes oder sehr Boses, sonst sagt man
besser Frau.
Die F 1 u t ist ein Instrument. (Dachte an das englische Wort flute.)
Der B i b e r ist ein Mann, der immer trinkt. (Dachte an bibber.)
Ein Ferkel ist eiae kleine Gabel. (Dachte an fork.)
Einen weiteren Einblick gewinnen wir, wenn wir nunmehr Satzbil-
dungen unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Es machen diese "Dbungen
einen wesentlichen Teil beim Deutschlernen Jungamerikas aus, denn bei
diesem muss das Konnen uber dem Kennen, die Praxis iiber der Theorie
stehen.
Es dient dem deutschamerikanischen Schulmeister die deutsche
Sprache als ein treffliches Mittel der Geistesgymnastik ; dazu giebt ihm
auch schon ihre reichhaltige Litteratur die mannigfachsten Gelegenheiten
und Anregungen zum Einflechten allgemein wissenswerter Gegenstande
in den deutschen Sprachunterricht, die dann bei den "Qbungsarbeiten zu
verwenden sind. Dabei verirrt sich aber der Unternehmungsgeist Jung-
amerikas haufig in dem Labyrinth des Wissens, wie nachstehende Bei-
spiele aus meiner Mappe darlegen. Sie sind eine Auswahl von Satzen,
wie sie 14- und ISjahrige Zoglinge am Ende von Sprachiibungen, oder
nach lautem — mitunter auch leisem — Lesen eines Abschnittes zu Pa-
pier brachten.
Geschichte wurde am liebsten angezogen, und dabei spielte na-
tiirlich die des Landes eine Hauptrolle.
16 P'ddagogische Monatsbefte.
Washingtons Vater starb, als er nur elf Jahre alt war.
Als der Krieg voriiber war wurden Prasidenten gemacht, und Wash-
ington war der erste.
Das Leben von Washington wird fur immer aufbewahrt.
Franklin wurde 1706 in Boston geboren, er war 24 Jahre alt, als
seine Eltern dort einwanderten.
Lincoln hatte fiinf Kinder und er war der jiingste.
Erst nach seinem Tode fand Columbus aus, dass er Amerika ent-
deckt hatte.
A 1 1 e und neueGeschichte folgten einander in buntem Wech-
sel, oft mit grausem Anachronismus :
Casar war schon als Knabe alter als andere.
Sokrates war der Konig von Preussen.
Im alten Griechenland tranken sie Schierlingssaft, z. B. Sokrates.
Leonidas schickte dem Konig Xeres Wort.
Moses wurde bei der Konigstochter gefunden.
Goethe und Faust entdeckten die Buchdruckerkunst.
Casar wurde 32mal beschnitten von den Conspiratoren, dann stiirzte
er tot auf den Boden des Kapitols.
Konigin Elisabeth war die Weib von Ferdinand.
Der Pabst hat sein Geschaft im Vatikan, der Konig im Quirinal.
Wellington und Napolion waren Generalen in der Schlacht bei
Hastings.
General Moltke war einer der am grossten lebendigen. Generale.
Napoleon starb an die Insel St. Helena.
Karl I. wurde bekopft.
Ludwig XVI. wurde abgekopft, so wurde Marie Antoniette.
Die Europaer haben Konige und Prinzen, aber wir thun besser mit-
aus es.
Geographic, die Schwester der Geschichte, fand auch mit Vor-
liebe Beriicksichtigung.
Der Missouri ist eigentlich der Mississippi.
Der Siidpol ist grosser als der Nordpol.
Der Nil iiberschwemmt das Mittelmeer.
Der Bodensee wird von Baden, Wiirtemberg, Bavarien, Schweiz und
Ostreich bedeckt.
Die Kiiste von Europa ist naher am Meere als die Kiiste von Ame-
rika.
Schampanier ist das Hauptstadt von Frankreich.
Frankreich hat weniger Kinder jetzt als ihre Vater und sie werden
immer kleiner.
Ostreich wird von verschiedenen Nationien versetzt.
Deutsche Fliisse: Rhien, Elba, Vistela, Weser, Oder, Nektar,
Frankfort am Main.
Aus dem Tagebucb eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 17
In der Litteratur wurde manches Neue zu Tage gefordert:
Dr. Martin Luther schrieb Nathan der Weise.
Milton schrieb vom Paradies bis er bekam blind, dann musste seine
Tochter zu ihm diktiren.
Schiller und Ernst Eckstein liegen in der Fiirstengruft zu Weimar
begraben.
Die Deutschen gleichten Schiller am mehrsten, aber er blieb arm und
Gothe machte das Geld.
Der Taucher stiirzte sich ins Meer, weil die Konigstochter ihn haben
wollte.
Manch ein Author starb arm, weil der Buchhandler reich wurde.
Bei der Aufzahlung grosser Dichter wurden mir schon Namen ge-
geben wie Bismarck, Erlkonig, Dreifus und Ohm Paul. Man sieht,
Jungamerika ist "wide awake".
In das weite Reich der Naturwissenschaften fanden auch
Streifziige statt: i j.^.,
Die Infusionstierchen konnen nur durch ein Mikroskop sehen.
Die Naturvolker riechen starker als die civilisierten.
Der Geyser wurde auf der Insel Island zuerst erfunden.
Der Schwanz des Krokodils ist zweimal langer als das Krokodil.
Die Londoner haben oft einen dicken Nabel.
Im Meere sind Tiere, welche^Pflanzen sind.
Der Rosenstrauch ist manchmal nicht gross, weil er verschieden ist.
Die Chemisten wollten Gold machen fur eine lange Zeit aber konn-
ten nicht, jetzt machen sie Geld.
Die Mythologie machte ihre Anziehungskraft natiirlich auch
geltend, hier nur ein Beispiel:
Als Jupiter die Europa entfiihrte dachte sie, er ist ein Ochs.
Die Person Kaiser Wilhelms I. spielte eine grosse Rolle in der Phan-
tasiewelt Jungamerikas, und als nun s. Z. das Kabel sein Ableben ange-
kiindigt hatte und die Zeitungen spaltenlange Nachrichten iiber den Ver-
ewigten brachten, in Baltimore selbst auch eine grossartige Gedachtnis-
feier vorbereitet wurde, da folgten die Schiller mit Begeisterung der Auf-
gabe, zu Hause einen Aufsatz iiber den grossen Kaiser auszufiihren. (In
meiner Mappe Hegt ein solcher von acht engbeschriebenen Folioseiten.)
Nachfolgend einige Satze aus den mir am 10. Marz 1888 eingehan-
digten Arbeiten:
Kaiser Wilhelm war bei seiner Geburt in Berlin.
Er kampfte schon im SOjahrigen Krieg gegen Napoleon I.
Er wurde 1829 als Gardecorps geheiratet zu der Prinzessin August.
Er wurde im Jahre 1858 als Regent angestellt.
Er war Konig 10 Jahre, im Alter von 74 Jahren, wenn die meisten
schon ins Grab gelegt werden, fing er noch das Geschaft als Kaiser an.
Er bekam in 1871 Kaiser von die Ver. Staaten Deutschlands.
18 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Er schlief sein ganzes Leben lang in einem eisernen Feldbett, sogar
wenn er reiste.
Er wurde beinahe neun und einzig Jahre alt.
Er starb an einem eisernen Feldbett.
In der einen Hand hielt er die Hand seiner Tochter, in der andern
seine Frau.
Wenn er noch bis zum 22. dieses Monats gelebt hatte, so wurde er
noch alter geworden sein, namlich gerade 91 Jahre alt.
Gern mochte ich nun Aufsatzbeispiele, wohl auch Ubersetztmgsblii-
ten anfiihren und damit in das Geistesleben Jungamerikas weiter ein-
gehen, gerne auch dessen Charakter- und Gemiitsanlagen in unser Ge-
sichtsfeld bringen durch Mitteilung von Vorkommnissen in der Schul-
stube und auf dem Schulwege, allein das wiirde mich zu weit fiihren.
(Schluss folgt.)
Friedrich Nietzsche.
(Fur die Padagogischen Monatshefte .)
Von Franz Rathmann,, Milwaukee, "Wia.
I.
Faust, angewidert von aller Schul- und Buchweisheit, ergiebt sich
der Magie, um durch diese die Natur in ihrem innersten Wesen zu er-
griinden. Aber sowoh! der Weltengeist als auch der Erdgeist sind ihm
zu uberwaltigend, und er schliesst seinen Vertrag mit Mephistopheles.
Er verflucht alles, was ihm je als heilig und erstrebenswert gegolten hat:
,,So fluch' ich allem, was die Seele
Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese Trauerhohle
Mit Blend- und Schmeichelkraften bannt!
Verflucht voraus die hohe Meinung,
Womit der Geist sich selbst umfangt!
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
Die sich an unsere Sinne drangt!
Verflucht, was uns in Traumen heuchelt,
Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug !
Verflucht sei Mammon, wenn mit Schatzen
Er uns zu kiihnen Thaten regt,
Wenn er zu mussigem Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sei dem Balsamduft der Trauben!
Fluch jcner hochsten Liebeshuld!
Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben!
Und Fluch vor allem der Geduld!"
Aber der unsichtbare Geisterchor erwiclert ihm hierauf :
,,Weh! weh!
Du hast sie zerstort,
Die schone Welt,
Mit machtiger Faust;
Sie stiirzt, sie zerfallt!
Ein Halbgott hat sie erschlagen!
Wir tragen
Die Trummer ins Nichts hiniiber,
Und klagen
t)ber die verlorne Schone.
Machtiger
Der Erdensohne,
Prachtiger
20 P'ddagogische Monatshefte.
Baue sie wieder,
In deinem Busen baue sie auf!
Neuen Lebenslauf
Beginne,
Mit hellem Sinne,
Und neue Lieder
Tonen darauf!
Kaum hat also Faust alles Alte, das den Menschen ans Dasein fesselt,
verflucht, so regt sich in seinem Innern auch sofort das Bediirfnis, eine
neue ahnliche Welt wiederaufzubauen, aber sie soil gliihender leiden-
schaftlich, wahrer, inniger, wunderbarer, wechselvoller, edler sein. Er
tritt seine Lehr- und' Wanderjahre an, indem er sich in den Strom des
Menschenlebens stiirzt.
,,Der grosse Geist hat mich verschmaht,
Vor mir verschliesst sich die Natur,
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen."
Was Faust versagt war, namlich die Natur in ihrem innersten Wesen
zu fassen, das vollbringt Nietzsches Held Zarathustra.
,,Als Zarathustra dreissig Jahre alt war, verliess er seine Heimat und
den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er 'seines
Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht miide."
Es ist wohl klar, dass Zarathustra vorher die Ratsel des mensch-
lichen Daseins mit Hilfe aller aufgestellten philosophischen Systeme und
eigenen Nachdenkens zu losen gesucht hat. Aber er sieht das vergeb-
liche seines Bemuhens, er geht in die Einsamkeit,horcht auf die Fliiste-
rungen seiner eigenen reichen Seele und sucht sein Ich mit der ihm um-
gebenden grossen Natur in Einklang zu bringen. Nachdem die Gesichte
voll und klar geworden, da geht er wieder zu den Menschen, um ihnen
seine Schatze zu schenken. Aber seine Erfahrungen sind triibe, die
Menschen verstehen ihn nicht, sie verhohnen ihn, und nun beginnt jene
Fiille von Reden, in denen er das Unzulangliche aller bisherigeh sittlichen
Grundsatze zu verdeutlichen und durch gliihende Schilderungen eines
hoheren Menschendaseins das Verlangen darnach zu erwecken und
den Glauben daran zu festigen sucht. Er selbst wird im Laufe der Reden
immer reicher, freier und fester. Man achte nur auf den Inhalt, die Dar-
stellung und den Tonfall der Rede in den vier verschiedenen Biichern,
aus denen das Werk besteht. Ist im Anfange eine gewisse Scheu und
Schwermut, ein Bangen und Verzagtsein zu bemerken, so sehen wir ihn,
je weiter das Werk fortschreitet, an innerer Festigkeit und Klarheit
gewinnen, wir sehen ihn auf immer freieren Hohen, von denen herab er
das menschliche Getriebe immer deutlicher erschaut und einen immer
weiteren Ausblick gewirmt.
Friedricb Nietzsche. 21
Zarathustra hatte seine ,,Asche" in die Berge getragen und war als
ein Verwandelter zu den Menschen zuriickgekehrt, aber erst ganz am
Ende des Werkes, nachdem er sich von seiner gefahrlichsten Schwache,
dem Mitleid, befreit hat, wird er reif fiir seine Aufgabe. Im vierten Buche
werden uns ,,hohere Menschen", die Zarathustra im Gebirge trifft, vor-
gefiihrt. An und in ihnen ist noch viel Unzulangliches, noch viel
Menschliches, Allzumenschliches. Zarathustra sucht sie zu trosten, zu
ermutigen und fiir seine Lehre zu befahigen. Er hat Mitleid mit ihnen.
Als er aber an einem friihen Morgen aus seiner Hohle hervortritt, ,,glu-
hend und stark wie eine Morgensonne", sprach er, wie er einst ge-
sprochen hatte:
,,Du grosses Gestirn, du tiefes Gliicksauge, was ware all dein Gliick,
wenn du nicht die hattest, welchen du leuchtest!
Und wenn sie (die hoheren Menschen) in ihren Kammern blieben,
wahrend du schon wach bist und kommst und schenkst und austeilst:
wie wiirde darob deine stolze Scham ziirnen."
Diese ,,hoheren Menschen", die nicht frei und willig sind, sich dem
Vollbringen eines grossen Werkes hinzugeben, sind nicht die rechten
Gefahrten fiir Zarathustra. Aber seine Tiere, der Adler und die Schlange,
sind wach, weil er wach ist.
,,Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne.
Mit Adlersklauen greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine
reichsten Tiere; ich liebc euch!
Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!" —
Als Zarathustra das gesprochen hatte, da wurde er von einer Wolke
liebender Tauben itberschiittet und seine Hand griff in das zottige Fell
eines ihm zu Fiissen liegenden machtigen Lowen. Die Natur in ihrer
langsamen, klug tastenden Weise, in ihrem erhabenen, himmelhoch-
strebenden Stolze, in ihrer sanften, anschmiegenden Giite und Liebe und
in ihrem lowenstarken Wollen erkennt Zarathustra als den ihren an. Er
ist eins mit ihr geworden. Und so, ohne Fehl, ruft er aus: ,,Trachte
ich denn nach Gliick? Ich trachte nach meinem Werke!" Man suche
die Hohe und erschiitternde Tragik dieser Worte zu fassen! Ein hohes
Werk gilt es zu vollenden. Wer dazu nicht frei und reif ist, soil auch
nicht mitwirken, um das Werk nicht zu gefahrden. Deshalb muss er sich
von diesen ,,hoheren Menschen" trennen. Fausts ganze Laufbahn ist
eine ununterbrochene Kette von Begehren, Vollbringen und Geniessen:
,,Ich habe nur begehrt und nur vollbracht,
Und abermals gewiinscht, und so mit Macht
Mein Leben durchgestiirmt."
Auf der Schwelle des Todes stehend, lasst er einen Sumpf austrock-
nen, um mit freiem Volke auf freiem Grunde zu stehen. Er glaubt, dass
dann der Augenblick da ware, wo er ausrufen wiirde:
,,Verweile doch, du bist so schon!"
22 P'ddagogischt Monatshefte.
Nachdem er seine letzten Worte:
,,Im Vorgefiihl von solchem hohen Gliick
Geniess ich jetzt den hochsten Augenblick,"
gesprochen, sinkt er zuriick und stirbt.
,,Ihn sattigt keine Lust, ihm g'niigt kein Gliick,
So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten."
sagt darauf Mephistopheles.
Wir sehen also, dass Faust alles begehrt, um sich Freude und Ge-
nuss zu verschaffen. Zarathustra hat die Geheimnisse und Freuden in
sich; er will sie andern mitteilen und sie teil daran nehmen lassen. Faust
will thatig sein und ein Werk vollenden, um sich durch den Anblick des
Vollbrachten Genuss zu verschaffen und um seiner Person ein bestimm-
tes, individuelles Dasein zu geben. Zarathustra tragt seine Aufgabe, sein
Werk in sich. Er will es aus sich herausstellen, alles Lebendige und Tote
in der Natur daran teilnehmen lassen. Faust steigert seine Natur, in-
dem er sie befahigt, immer Reineres, Edleres und zugleich scharfer Um-
grenztes zu geniessen. Zarathustra aber sucht seine Seele zu befreien,
zu lautern und stark und mild zu machen, um zum Vollbringen seines
Werkes reif zu werden. Wie aber Zarathustra gerungen hat, seine Seele
von alien falschen Tugenden und einschrankenden Uberlieferungen zu
befreien, der befreiten Seele einen Inhalt zu geben und diese Seele zu
hegen und zu pflegen, mogen einige Stellen aus dem Hymnus ,,Von der
grossen Sehnsucht" zeigen.
,,Oh meine Seele, ich lehrte dich Heute sagen wie ,,Einst" und ,,Ehe-
mals" und iiber alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg-
tanzen.
Oh meine Seele ich erloste dich von alien Winkeln, ich kehrte Staub,
Spinnen und Zwielicht von dir ab.
Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkeltugend
von dir ab und iiberredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn.
* * *
Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der
Sturm, und Ja zu sagen, wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst
du und gehst du nun durch verneinende Sturme.
* * *
Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken,
alle neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der
Weisheit.
Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Naclit und
jedes Schweigen und jede Sehnsucht: — da wuchsest du mir auf wie ein
Weinstock.
Oh meine Seele, iiberreich und schwer sfehst du nun da, ein Wein-
Friedricb Nietzsche. 23
stock mit schwellenden Eutern und gedrangten braunen Gold-Wein-
trauben: —
— gedrangt und gedriickt von deinem Gliicke, wartend vor tlber-
flusse und schamhaft noch ob deines Wartens.
* * *
Deine Fulle blickt iiber brausende Meere hin und sucht und wartet;
die Sehnsucht der Uber-Fulle blickt aus deinem lachelnden Augen-
Himmel!"
* * *
Entsprechend der verschiedenen Natur der beiden Dichtwerke ist
auch ihre Wirkung auf uns eine andere. Man nehme scheinbar echt
lyrische Ergiisse im Faust, wie Gretchen vor der mater dolorosa:
,,Ach neige
Du Schmerzensreiche
Dein Antlitz gnadig meiner Not!" etc.
Wir sehen unverwandt das hilflose Madchen vor dem Bilde knieen,
von Jammer iibergossen und von Schmerz durchbebt. Wir suchen das
Bild immer klarer, tiefer zu erfassen; das ist unser Verlangen, das ist
unser Genuss. Je klarer, reiner und edler nun das vom Dichter geschaf-
fene Bild ist, um so reiner, edler und ungetrubter wird auch unser Ge-
niessen, um so mehr kann unsere Natur in dieser Richtung gesteigert
werden. Man nehme Nietzsches Nachtlied dagegen:
,,Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und
auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und
auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine
Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe.
Licht bin ich: ach, dass ich Nacht ware! Aber dies ist meine Ein-
samkeit, dass ich von Licht umgiirtet bin.
Ach, dass ich dunkel ware und nachtig! Wie wollte ich an den
Briisten des Lichts saugen!" etc
Gehen wir den ganzen Hymnus durch, suchen wir uns etwas vor
unser Auge zu stellen und festzuhalten? Nein, nirgends! Aber wir hor-
chen, wir suchen mit dem Ohr zu fassen, mit dem Ohr, das zu unserm
innern Sinn spricht. So heisst es von der Hand, die zuriickhalt, indem
sich ihr eine andere entgegenstreckt: ,,Dem Wasserfalle gleich zogernd,
der noch im Sturze zogert." Wir sehen den im Sttirze zogernden Was-
serfall ganz deutlich, aber nur fur einen Augenblick, denn das Bild geht
sofort in unsern innern Sinn ein, wir horen es mehr als dass wir es sehen.
In Nietzsches Werken und besonders in seinem Zarathustra ist eine
Fulle der wundersamsten Gemalde und Bilder aus alien Naturreichen.
Aber von alien diesen gilt das Gesagte, dass sie namlich nur fur einen
2J. P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Augenblick unser Auge beschaftigen, auch wenn sie noch so ausfiihrlich,
deutlich und bestimmt sind. Sie gehen sofort in unser innerstes Sein
ein, und wir selbst werden mit dem innersten Sein aller Dinge vereint,
wir gehen darin auf. Der Zauber der Goetheschen Gemalde besteht aber
gerade darin, sie vor unser Auge zu bringen und sie anzuschauen. —
Suchen wir uns die Verschiedenheit beider Kiinstlernaturen klar zu ma-
chen, indem wir sehen, wie Goethe und Nietzsche die uns umgebende
Natur erfassen.
Die Nacht als die Zeit der Ruhe schildert Goethe im Faust :
,,Nacht ist schon hereingesunken,
Schliesst sich heilig Stern an Stern;
Grosse Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glanzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd,
Glanzen droben klarer Nacht;
Tiefsten Ruhens Gliick besiegelnd,
Herrscht des Mondes voile Pracht.
Die tiefe Ruhe in der Nacht gegeniiber dem Treiben und Hasten
des Tages lasst uns den Trost finden, dass auch unser Herz bald ruhen
wird:
,,Warte nur, balde
Ruhest auch du."
Sie ist die Urheberin hoherer, ewiger Gefuhle, die uns dem irdischen
Gewiihle entriicken, wie im Nachtgesang:
•; *
,,Die ewigen Gefuhle
Heben mich, hoch und hehr,
Aus irdischem Gewiihle;
Schlafe! was willst du noch mehr."
Dann ist aber die Nacht auch die Mutter aller Schrecken, unter
ihrem Dunkel treiben die bosen Geister ihr Wesen. Die sich an Siimpfen
hinziehenden Nebelstreifen werden zu Gestalten, die Nacht schafft tau-
send Ungeheuer, die Eiche steht im Nebelkleide wie ein aufgeturmter
Riese da, die Finsternis sieht mit hundert schwarzen Augen aus dem Ge-
strauche. Der Mond sieht klaglich von einem Wolkenhugel aus dem
Duft hervor. ,,Erlkonig", Willkommen und Abschied.
In Nietzsches Zarathustra erscheint uns die Nacht nicht als die Zeit
der tiefsten Ruhe, sondern der grossten Stille, in der wir unserer innersten
Gefuhle und verborgensten Gedanken uns bewusst werden:
,,Still! Still! Da hort sich manches, das am Tage nicht laut wer-
den darf ; nun aber, bei kiihler Luft, da auch aller Larm eurer Herzen
stille ward, — nun redet es, nun hort es sich, nun schleicht es sich
Friedricb Nietzsche. 25
in nachtliche iiberwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im
Traume lacht!
— horst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir
redet, die alte tiefe, tiefe Mitternacht?
O Mensch, gieb acht!"
Wie bei Goethe die Nacht die Mutter aller Schrecken ist, die sich
den Sinnen bieten, so erwachen in Nietzsches Zarathustra wahrend der
Nacht alle bose Erinnerungen und Ahnungen in unserer Seele. In einer
kalten und hellgestirnten Nacht steigt Zarathustra vom Gebirge zum
Meer hinab:
,,Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese
schwarze nachtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu
euch muss ich nun hinab steigen!"
Vor dem Meere .stehend sagt er:
,,Es schlaft jetzt alles noch, sprach er; auch das Meer schlaft.
Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir.
Aber es atmet warm, das fiihle ich. Und ich fiihle auch, dass
es traumt. Es windet sich traumend auf harten Kissen.
Horch! Horch! Wie es stohnt von bosen Erinnerungen! Oder
bosen Erwartungen?"
Wahrend es bei Goethe heisst, dass die Nacht sich uber seinen Kla-
gen wolbte, und dass die Nacht mit schweren Fittigen viele Thaten birgt,
heisst es im Zarathustra mit bedeutungsvollem Unterschiede : ,,Der
Markt barg sich in Dunkelheit."
Die Nacht geht voriiber und der Mbrgen kiindet sich an. Die Erde
in ihrer ganzen Frische und Schonheit liegt vor uns und sie erweckt in
uns den Beschluss, zum hochsten Dasein zu streben. So sagt Faust er-
wachend.
,,Des Lebens Pulse schlagen frischlebendig,
Atherische Dammrung milde zu begriissen;
Du Erde warst auch diese Nacht bestandig,
Und atmest neu erquickt zu meinen Fiissen,
Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und ruhrst ein kraftiges Beschliessen,
Zum hochsten Dasein immerfort zu streben. —
In Dammerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertont von tausendstimmigem Leben,
Thai aus, Thai ein ist Nebelstreif ergossen;
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
Und Zweig und Aste, frisch erquickt, entsprossen
Dem duft'gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb' an Farbe klart sich los vom Grunde,
Wo Blum' und Blatt von Zitterperle triefen;
Ein Paradies wird um mich her die Runde.
26 P'ddagogiscbe Monatshefte.
1st nun bei Nietzsche die Nacht die Zeit der grossten Stille und der
innersten Sammlung, so wird der Himmel vor Sonnenaufgang zum Ab-
bild der gewonnenen inneren Klarheit und Sicherheit der Seele und ihres
reinen schopferischen Wollens:
,,O Himmel iiber mir, du Reiner! Tiefer! Du Lichtabgrund !
Dich schauend schaudre ich vor gottlichen Begierden.
In deine Hohe mich zu werfen — das ist meine Tiefe! In deine
Rcinheit mich zu bergen — das ist meine Unschuld!
Den Gott verhullt seine Schonheit: so verbirgst du deine Sterne.
Du redest nicht: so kundest du mir deine Weisheit.
Stumm iiber brausendem Meere bist du Eeut mir aufgegangen,
deine Liebe und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausen-
den Seele.
Dass du schon zu mir kamst, verhullt in deine Schonheit, dass
tin stumm zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit:
Oh wie erriete ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! Vor der
Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten.
Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen
und Grund gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam.
Wir reden nicht zu einander, weil wir zu vieles wissen — : wir
schweigen uns an, wir lacheln uns unser Wissen zu.
Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die
Schwesterseele zu meiner Einsicht?
Zusammen lernten wir alles; zusammen lernten wir iiber uns
zu uns selber aufsteigen und wolkenlos lacheln : —
— wolkenlos hinab lacheln aus lichten Augen und aus meilen-
weiter Feme, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie
Regen dampfen.
Und wanderte ich allein: wes hungerte meine Seele in Nachten
und Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, wen suchte ich je, wenn nicht
dich, auf Bergen?
Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Not war's nur
und ein Behelf des Unbeholfenen : — fliegen allein will mein ganzer
Wille, in dich hinein fliegen!" etc.
Die Sonne kiindet sich durch das Ergliihen der fiochsten Gipfel an
imd spendet neuen Glanz, aber kaum tritt sie hervor, so werden wir durch
ihren vollen Schein geblendet und, unfahig das Leben in seiner ganzen
Fulle zu geniessen, kommen wir zu der Uberzeugung, dass wir nur am
farbigen Abglanz das Leben haben. So fahrt Faust fort :
,,Hinaufgeschaut ! — Der Berge Gipfelriesen
Verkiinden schon die feierlichste Stunde;
Sie diirfen friih des ewigen Lichts geniessen,
Das spater sich zu uns hernieder wendet.
Friedrich Nietzsche. 27
Jetzt zu der Alpe griingesenkten Wiesen
Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,
Und stufenweis herab ist es gelungen; — .
Sie tritt hervor — und, leider! schon geblendet,
Kehr' ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
Dem hochsten Augenblick sich traulich zugerungen,
Erfullungsthiiren findet fliigeloffen;
Nun aber bricht aus jenen ewigen Griinden
Ein Flammen-tibermass, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entziinden,
Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!
Ist's Lieb? Ist's Hass? die gluhend uns umwinden,
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
So dass wir wieder nach der Erde blicken,
Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier.
So bleibe denn die Sonne mir im Riicken!
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau ich an mit wachsendem Entziicken.
Von Sturz zu Sturzen walzt er jetzt in tausend,
Dann abertausend Stromen sich ergiessend,
Hoch in die Liifte Schaum und Schaume sausend.
Allein wie herrlich diesem Sturm erspriessend,
Wolbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfliessend,
Umher verbreitend duftig kiihle Schauer!
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben."
Im Zarathustra endet der Hymnus:
Doch du errotest? Sprach ich Unaussprechbares? Lasterte ich,
indem ich dich segnen wollte?
Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erroten machte?
— Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun — der Tag
kommt?
Die Welt ist tief — : und tiefer, als je der Tag gedacht hat.
Nicht alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt :
so scheiden wir nun!
Oh Himmel uber mir, du Schamhafter! GKihender! Oh du
mein Gluck vor Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden
wir nun!" —
Unsere hochsten Gedanken diirfen also am Tage, im Treiben der
Welt, nicht laut werden, und unser Wollen kann in seiner ganzen Rein-
28 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
heit und Unschuld nicht zur Ausfuhrung kommen. Die aufsteigende
Sonne redet Zarathustra, als er zum ersten male zu den Menschen geht,
also an:
,,Du grosses Gestirn! Was ware dein Gliick, wenn du nicht die
hattest, welchen du leuchtest!
Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Hohle: du wiirdest
deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich;
meinen Adler und meine Schlange.
Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen
Dberfluss ab und segneten dich dafiir.
Siehe! Ich bin meiner Weisheit iiberdriissig, wie die Biene, die
des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hande, die sich
ausstrecken.
Ich mochte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den
Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen wieder ein-
mal ihres Reichtums froh geworden sind.
Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust,
wenn du hinter das Meer gehst und noch der Uhterwelt Licht
bringst, du iiberreiches "Gestirn!
Ich muss, gleich dir, untergehn, wie die Menschen es nennen,
zu denen ich hinab will.
So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein
allzugrosses Gliick sehen kann!
Segne den Becher, welcher iiberfliessen will, dass das Wasser
golden aus ihm fliesse und uberallhin den Abglanz deiner Wonne
trage !
Siehe! dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra
will wieder Mensch werden."
Als Zarathustra seine neuen Tafeln aufstellt, sagte er:
,,Denn noch einmal will ich zu den Menschen: unter ihnen will
ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben!
Der Sonne lernte ich das ab, wenn sie hinabgeht, die t)ber-
reiche: Gold schuttet sie da ins Meer aus unerschopflichem Reich-
tume, —
— also, dass der armste Fischer noch mit goldeneni Ruder ru-
dert! Dies namlich sah ich einst und wurde der Thranen nicht satt
im Zuschauen.
Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt
er hier und wartet, alte zerbrochene Tafeln um sich und auch neue
Tafeln, — halb beschriebene."
Ihm erscheint die Sonne als die Schaffende, Schenkende, sich
Opfernde. Er selbst will schaffen und austeilen und geht in Glut auf,
Friedricb Nietzsche. 29
um die Menschheit zu entzunden und emporzuheben. So heisst es an
einer andern Stelle:
,,Denn schon kommt sie, die Gluhende, — ihre Liebe zur Erde
kommt! Unschuld und Schopfer-Begier ist alle Sonnen-LiebeT
Seht doch bin, wie sie ungeduldig iiber das Meer kommt! Fuhlt
ihr den Durst und den heissen Atem ihrer Liebe nicht?
Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Hohe
trinken: da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Brusten.
Gekiisst und gesaugt will es sein vom Durste der Sonne; Luft
will es werden und Hohe und Fusspfad des Lichts und selber Licht!
Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen
Meere.
Und dies heisst mir Erkenntnis: alles Tiefe soil hinauf — zu
meiner Hohe!" —
Bei Goethe ist die Sonne die Freudespenderin, die uns, indem wir
sie schauen, Genuss gewahrt, die uns durch ihr Licht die Welt erschliesst
und iiberhaupt wohlthuend auf unsere Sinne einwirkt. In der Tphigenie
heisst es von den Unsterblichen, dass sie den Menschen
,,gerne
Ihres eigenen ewigen Himmels
Mitgeniessend frohliches Anschaun
Eine Weile gonnen und lassen."
Orest sagt zu Iphigenien:
,,habe
Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne,
Komm, folge mir ins dunkle Reich hinab!"
In Elpenor:
,,Dein Auge schaut der Sonne teures Licht."
Iphigenie sagt, dass die Sonne den Himmel vor ihm aufschlbss.
Im Prometheus lesen wir:
,,Was der Sonne Liebe jemals Friihlingswonne,
Jemals Zartlichkeit an meinen Busen angeschmiegt."
Die Sonne steigt empor und steht im Mittag, ihre hochste schopferi-
sche Kraft entfaltend. Wenn alle Krafte des Menschen in Harmonic wir-
ken und das intensivste Schaffen stattfindet, dann scheint die grosste
Ruhe zu herrschen; der Mensch ist in sich versunken, efnem Schlafenden
ahnlich, in sich selig vom hochsten Schaffen und mit der Natur ems. In
dem Hymnus ,,Mittags" sehen wir die Natur in ihrer hochsten schopferi-
schen Kraft. Zarathustra kam um die Stunde des Mittags ,,an einem
alten und knorrichten Baum vorbei, der von der reichen Liebe einesWein-
stocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: von dem hingen
30 P'ddagogische Monatshefte.
gelbe Trauben in Fiille dem Wandernden entgegen." Er legt sich da
nieder und schlaft ,,in der Stille und Heimlichkeit des bunten Grases."
,,Nur dass seine Augen offen blieben: denn sie wurden nicht satt, den
Baum und die Liebe des Weinstocks zu sehen und zu preisen. Im Efn-
schlafen aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen:
Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was ge-
schieht mir doch?
Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getafeltem Meere tanzt,
leicht, federleicht : so — tanzt der Schlaf auf mir.
Kein Auge druckt er mir zu, die Seele lasst er mir wach. Leicht
ist, er, wahrlich! federleicht.
Er iiberredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich inne-
wendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt
mich, dass meine Seele sich ausstreckt: —
— wie sie mir lang und miide wird, meine wunderliche Seele!
Kam ihr eines siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wan-
•delte sie zu lange schon selig zwischen guten und reifen Dingen?
Sie streckt sich lang aus, lang, — langer! sie liegt stille, meine
wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese
goldene Traurigkeit druckt sie, sie verzieht den Mund.
— Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: — nun lehnt
es sich an die Erde, der langen Reisen miide und der ungewissen
Meere. Ist die Erde nicnt treuer?
Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: — da
geniigt's, dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden
spinnt. Keiner starkeren Taue bedarf es da.
Wie solch ein miides Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch
ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten
Faden ihr angebunden.
* * *
Singe nicht, du Gras-Gefliigel, oh meine Seele! Fliistere nicht
einmal! Sieh doch — still! Der alte Mittag schlaft, er bewegt den
Mund: trinkt er nicht eben einen Tropfen Clucks —
— einen alten braunen Tropfen goldenen Clucks, goldenen
Weins? Er huscht iiber ihn hin, sein Gliick lacht. So — lacht ein
Gott. Still! —
* * *
,,Oh Himmel iiber mir, sprach er seufzend und setzte sich auf-
recht, du schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu?
Wann trinkst du diesen Tropfen Tau's, der auf alle Erden-
Dinge niederfiel, — wann trinkst du diese wunderliche Seele —
— wann, Brunnen der Ewigkeit! Du heiterer, schauerlicher
Mittags-Abgrund! Wann trinkst du meine Seele in dich zuriick?"
Die (Mutter im £Munde der fDicbter und T)enker. 31
Einige Andeutungen mogen geniigen, wie wir den Mittag im Hoch-
sommer bei Goethe finden. Die Sonne sendet ihre heissen Strahlen her-
ab, kein Wolkchen zeigt sich am Himmel. Das Getreide reift der Sichel
entgegen, teilweise steht es schon in Garben gebunden. Wohin wir auf-
blicken, iiberall bietet sich uns der grosste Reichtum des vollen, reifen
Lebens. —
Die Sonne senkt sich, und die Abenddammerung beginnt.
Im Faust ist in der Stelle:
,,Betrachte, wie in Abendsonnen-Glut
Die griinumgebhen Hiitten schimmern." etc.
der Schauenslust, und im Zarathustra im ersten und zweiten Tanzliede
der Lebenslust ein unverganglich klassischer Ausspruch gegeben.
Die Mutter im Munde der Dichter und Denker.
Atts ,,Allgemeine Deutsche Lehrerzeitttng." Von <J. G. Klenk, Lehrer in Cannstatt.
Die Zukunft des Kindes ist immer ein Werk seiner Mutter.
Napoleon I.
Gliicklich das Kind, dessen Mutter bei ihm bleibt, die es nicht verlassen
muss um der Armut willen, aher es auch nicht verlasst aus tJppigkeit! Selbst
die beschrankte, selbst die fehlervolle Mutter ist immer noch die beste Gesell-
schaft fur ihr Kind. Curtman.
Ein irrend Mutterherz, welch Elend hat es schon gestiftet!
Pilz.
Nur einen Schliissel giebt es, der das Herz
Der Kinder dir erschliesst, er heisst Vertrauen;
Gewannst du ihn, kannst du bei Freud' und Schmerz
Bis in der Kinderseele Tiefen schauen.
O Mutter, halt ihn fest bei Tag und Nacht,
Gebrauch ihn betend, leg ihn betend nieder;
In diesem Schliissel nur ruht deine Macht,
Verlorst du ihn, nie findest du ihn wieder!
' Julius Sturm.
Es ist eine unzahlig oft gemachte Beobachtung, dass gerade die Sohne
geistig und leiblich von den Muttern erben; und wer es selbst erfahren hat,
was die Liebe und der Heroismus einer Mutter vermag, der versteht es, dass
so viele Manner erkannt und gepriesen haben, dass, was sie Gutes geworden,
sie durch den ersten, bestimmenden Einfluss ihrer Mutter geworden sind.
Auch bei andern Volkern hat man es mit Bewunderung ausgesprochen, dass
das Beste, was deutsche Manner an Geist und Charakter haben, sich zum gro-
ssen Teil auf die Mutter und ihrWirken in der Familie zuruckfiihren lasst. Die
erste Empfanglichkeit der Seele erhalt da den Eindruck der Liebe, der Treue
und aller Tugend, nicht durch Lehre, sondern auf dem Wege lebendiger Vor-
bildlichkeit. Wiese.
Vom Vater hab ich die Natur, des Lebens ernstes Fxihren,
Vom Miitterchen die Frohnatur und Lust zum Fabulieren.
Goethe.
Fiir die Schul praxis.
I. Die Grille und die Ameise.
Aufsatzbehandlung aus ,,A, Lieb, der Attfsatzunterricht in der Volkschtile.
(Text des Lesebuches.) Eine Grille kam bei strenger Kalte zu ihrer Nach-
barin, der Ameise. ,,Frau Nachbarin," sagte sie, ,,gebt mir doch ein wenig
Sceise; denn ich habe Hunger und nichts zu essen." — ,,Hast du nicht Speise
fiir den Winter gesammelt?" fragte die Ameise.' ,,Ich hatte keine Zeit dazu,"
war die Antwort. ,,Keine Zeit, Frau Grille? Was hast du denn im Sommer
zu thun gehabt?" — ,,Ich habe gesungen und musiziert," erwiderte die Grille.
,,Nun gut," liess sich jetzt die Ameise vernehmen, ,,da du im Sommer musi-
ziert hast, so kannst du im Winter tanzen." — Wer nicht arbeitet soil auch
nicht essen.
Unterrichtliche Behandlung.
I. Entwickelung und Zusammenstellung der lei-
tenden Fragen.
Unsere Erzahlung macht uns mit zwei Tierchen bekannt. Welches sind
diese? Grille und Ameise. Wo lebt die Grille? Im Grase, auf der Wiese. Wo
lebt die kleine Ameise? Im Ameisenhaufen. Wie nur die beiden Tiere zusam-
mengekommen sein werden! Waren sie beide unterwegs und haben sich da
getroffen? Oder hat das eine Tierchen das andere aufgesucht? Im ersten Satze
unserer Erzahlung wird uns dies mitgeteilt. Wie heisst es dort? Ihr sollt
nun darnach fragen, was die Grille einmal that!
Zu wem kam einmal die Grille? ( Anschreiben an die Schultaf el ! )
£Eine Grille kam einmal zur Ameise.]
Aus dem ersten Satze unseres Lesestuckes erfahren wir auch von der Zeit,
um welche dieser Besuch stattfand. Es heisst dort ,,bei strenger Kalte". Wie
heisst man denn die Zeit der grossen Kalte? Winter. Fragt nun nach der Zeif!
Welche Zeitwar es? (Anschreiben! )
£Es war Winter.]
Im Winter geht man eigentlich nicht auf Reisen. Da bleibt man daheim
in der warmen Stube. Es muss also wohl etwas Besonderes die Grille in die
Kalte hinausgetrieben haben. Das Lesestuck sagt es uns. Wir vernehmen es
aus eicem Gesprache, das die zwei Tiere beim Zusammenkommen mit einander
fuhren. Da horen wir die Grille freundlich zur Ameise sagen: ,,Gebt mir doch
ein wenig Speise, Frau Nachbarin, denn ich habe Hunger und nichts zu essen."
Der Hunger hatte sie also fortgetrieben. Fragt nun, warum sie zur Ameise
kam?
Warum kam die Grille zur Ameise? (Anschreiben.!)
[Die Grille war sehr hungrig.]
Wir wissen auch schon, warum sie ihren Hunger daheim nicht gestillt hat.
Denkt. ihr wiisstet das noch nicht und wolltet es erfahren. Wie wiirdet ihr
da fragen?
*Die Besprechung dieses Buches musste wegen Mangels an Raum zttriickgelegt werden.
Die Grille und die Ameise. 33
Warum stillte sie ihrenHunger nicht daheim? ( Anschr.)
[Daheim hatte sie nichts zu essen.]
Es hatte doch die Ameise ihren Wintervorrat. Warum die Grille nicht
auch Vorrat daheim hatte? Aus dem weiteren Gesprache der beiden erfahren
wir das. Von der Ameise wird die Grille namlich gefragt: ,,Hast du nicht
Speise fiir den Winter gesammelt?" Wie horen wir da die Grille antworten'?
,,Ich hatte keine Zeit dazu." Was hatte sie also im Sommer nicht gethan?
Sie hatte im Sommer nichts gesammelt. Jetzt wissen wir, warum es ilir daheim
an Sr-eise fehlte. Denkt, ihr wiisstet das nicht und wolltet es von mir horen.
Wie wurdet ihr fragen?
Weshalb fehlte es ihr daheim an Speise? (Anschreiben!)
[Sie hatte im Sommer nichts gesammelt.]
Das war doch recht leichtsinnig von ihr. Was sie nur den ganzen Sommer
hindiirch getrieben, was sie da angefangen, wie sie die Zeit hingebracht haben
inasj! Wenn ihr das wissen wollt, wie fragt ihr?
Was hatte sie nur gethan? (Anschreiben!)
Im Lesestiicke steht es. Sie hat es ja der Ameise gestanden. Denkt zuruck
und antwortet jetzt auf die Frage! ,
[Sie hatte nur gesungen und gespielt.]
Nun hatte sie nichts zu essen. Wer sollte ihr jetzt Speise geben?
Was verlangte sie nun von der Ameise? (Anschreiben! )
[Nun verlangte sie Speise von der Ameise.]
Sie bettelte jetzt. Aber sie war eine nichtswiirdige Bettlerin. Wenn zu
uns ein Bettler kommt, dem wir's ansehen, dass er keiner Gabe wiirdig ist,
so weisen wir ihn weg. Nicht anders machte es die Ameise der Grille. Was
sagte sie zu ihr? ,,Da du im Sommer — tanzen." Wie wif es also einem
nichtswurdigen Bettler machen, wie wir ihn fortweisen, so hat es die Ameise
gemacht. Fragt also darnach, was diese that, als die Grille Speise verlangt
hatte!
Was that aber die Ameise? (Anschreiben! )
[Die Ameise wies sie aber fort.]
Aus dieser Erzahlung konnen wir etwas lernen. Die Ameise war nicht
etwa hartherzig gegen die Grille. Aber diese hatte eben keine Speise vefdient.
Was hatte sie wahrend des ganzen Sommers unterlassen? Wie war sie, well
sie sar nichts arbeitete? Nun hatte sie nichts zu essen. Das war die Strafe
fiir ihre Faulheit. Welche Strafe soil den Faulen treffen? Fragt also darnach,
was wif aus dieser Erzahlung lernen konnen?
Was konnen wir aus dieser Erzahlung lernen?
(Anschreiben!)
[Der Faule soil auch nicht essen.]
Zusammenstellung der Fragen.
(An der Schultafel:)
1. Zu wem kam einmal die Grille?
2. Welche Zeit war es?
I'. Warum kam die Grille zur Ameise?
4. Warum stillte sie ihren Hunger nicht daheim?
34 P'ddagogische Monatshefte.
5. W arum fehlte es ihr daheim anSpeise?
6. Washattesienurgethan?
Y. Was verlangte sie nun von der Ameise?
8. Was that aber die Ameise?
f». Was konnen wir aus dieser Erzahlung lernen?
Mundliche und schriftliche Beantwortung.
Die Grille und die Ameise.
Eine Grille kam einmal zur Ameise. Es war Winter. Die Grille war sehr
hungrig. Daheim hatte sie nichts zu essen. Sie hatte im Sommer nichts ge-
sammelt. Sie hatte nur gesungen und gespielt. Nun verlangte sie Speise von
der Ameise. Diese wies sie aber fort. — Der Faule soil auch nicht essen.
II. Deklination des Dingwortes in einfachster Form.
Grammatische Behandlvmg fiir das vierte Schuljahr, von Lehrer 3fax Wlscher, Ruinmels-
burg-Berlin.
(Aus, ,,Aus der Schtile fur die Schule.")
A. Gang der Lektion.
I. Ich lasse einen Satz bilden, dessen Gegenstand ein mannliches Substan-
tiv ist, welches nach der s'tarken Deklination gebogen wird und den bestimmten
Artikel in der Einzahl hat. Desgleichen drei Satze, in welchen das betreffende
Substantiv als Attribut im Genitiv und als Objekt im Dativ und Akkusativ steht.
II. Samtliche vier Beispiele, die in innerem stofflichem Zusammenhange
stehen und ein kleines Sprachstiick bilden, werden mit Hilfe der Fragefiirworter
wer? wesson? wem? wen? erfragt.
III. Die vier Beispiele werden im Zusammenhange von den Kindern wie-
derholt. : ||
IV. Die einzelnen Falle des Musterwortes werden an die Tafel geschrieben
und erklart, so dass folgendes an der Tafel steht:
Einzahl. Beispiele.
1. Fall, der Hund wer? Der Hund liegt in der Hiitte.
2. Fall. TTes Hundes wessen? Die Wachsamkeit des Hundes ist gross.
3. Fall, dem Hunde wem? Der Mensch muss dem Hunde dankbar sein.
4. Fall, den Hund wen? Der Mensch muss den Hund pflegen.
Die Mehrzahl wird ebenso behandelt wie die Einzahl.
1. Fall, die Hunde wer? Die Hunde sind Haustiere.
2. Fall, der Hunde wessen? Die Arten der Hunde sind verschieden.
3. Fall, den Hunden wem? Die Wolfe ahneln den Hunden.
4. Fall, die Hunde wen? Die Wolfe iibertreffen die Hunde an Grosse und
Starke.
V. Es wird erkannt
1. dass alle Beispiele von einem und demselben Gegenstande handeln.
2. dass das betreffende Substantiv aber jedesmal verandert ist. Die
Veranderungen werden gefunden.
Deklination des ^Dingwortes in einfacbster Form. 35
VI. Die ,,Biegung" wird an einer Gerte veranschaulicht.
VII. Die ,,Biegung des Dingwortes" in der Einzahl und die vier Falle wer-
den erklart.
VIII. Behandlung der Mehrzahl. Siehe unter IV.
IX. Die Fragefiirworter werden festgestellt und angeschrieben.
X. Die Deklination wird der Reihe nach mit Satzen und ohne Satze an der
Tafel eingeiibt; desgleichen, nachdem die Tafel abgewischt ist. Die Deklina-
tion wird wie das Einmaleins ausser der Reihe geiibt. Wenn sich bei
letzteren Ubungen Unsicherheiten zeigen, so wird stets auf die Beispiele zu-
rucfegewiesen.
XI. Die Satze werden aus dem Gedachtnis auf die Tafel (ins Diarium)
gcschrieben, wobei die einzelnen Falle zu unterzeichnen sind.
B. Ausfiihrung der Lektion.
Z i e 1 : Wir wollen uns heute vom Hunde erzahlen.
I. Wo liegt der Hund auf dem Hofe? In der Hundehiitte. — Wer liegt
in der Hiitte? — Wodurch zeich'net sich der Hofhund aus? Wachsamkeit. —
Wie ist die Wachsamkeit des Hundes? Gross. — Wessen Wachsamkeit ist
p;ross? — Wie muss der Mensch dem Htinde dafiir sein? Dankbar. — Wem
muss der Mensch dafur dankbar sein? — Wodurch zeigt denn nun der Mensch
dem Hunde seine Dankbarkeit? Giebt ihm Nahrung, erhalt, pflegt ihn. — Wen
muss also der Mensch pflegen?
Wiederholung der vier Satze unter Angabe des Themas.
II. Von wem haben wir gesprochen? Vom Hunde. — Wievielerlei ist von
ihm gesagt worden? Viererlei. — Was haben wir zuerst von dem Hunde er-
zalilt? Wo der Hund liegt. — Wo liegt er denn? — Wer liegt in der Hiitte? —
(,,Der Hund" wird nach Angabe der Kinder angeschrieben.) — Was Eaben wir
dann vom Hunde erzahlt? Die Wachsamkeit des Hundes ist gross. — Wessen
Wachsamkeit ist gross? — (,,Des Hundes" wird angeschrieben u. s. f. mit dem
is. und 4. Fall.)
Von wieviel Hunden haben wir in diesen vier Satzen gesprochen? Von
eirein Hunde? — In welcher Zahl steht also das Dingwort in den vier Satzen?
Einzahl. (Wird dariiber geschrieben.) Wieviel Remen sind das? Vier? —
Veigleicht die vier Reihen! Wie sind die vier Worter der Einzahl unter einan-
der? Verschieden. — Von welchem Worte kommen sie aber alle her? Von
Hund. — Diese vier verschiedenen Arten des Wortes Hund nennt man Falle!
Wie nennt man also diese vier Arten des Wortes Hund? Falle. — In welcher
Zahl steht das Wort Hund in alien diesen Fallen? In der Einzahl. — Wieviel
Falle hat also die Einzahl von Hund? Vier Falle. — Wie heisst der erste Fall?
Der Hund. (Davor schreibe d. L. ,,1. Fall".) —Wie heisst der 2. Fall?— (Da-
vor schreiben ,,2. Fall" u. s. f. mit dem 3. und 4. Fall.)
III. Nennt mir die Satze noch einmal der Reihe nach, in welchem diese
vier Falle vorkommen!
IV. Wie heissen die Geschlechtsworter in den vier Fallen? Der, des, dem,
den — Wie sind dieselben unter einander? Verschieden. — Wie heisst das
Geschlechtswort im 1. Fall? Der. — Wie im 2. Fall? etc. Aber auch das Ding-
wort ist in den verschiedenen Fallen verandert! In welchen Fallen erkennt
ihr die Veranderung? Wie zeigt sie sich?
V. Ich will eu<ih zeigen, womit diese Veranderung Ahnlichkelt hat! (Die
Biegung veranschauliche ich an einer mitgebrachten Weidenrule.) IcH sage
dann: So, wie diese Weidenrute, trotzSem sie durch Biegen die verschledensten
Form en (schwierig!) annimmt, doch immer eine Weidenrute bTelbt, so bleiot
36 P'ddagoghcbe Monatsbefte.
auch das Dingwort, wenn es auch andere Formen annimmt, dasselbe. — Hier
ist also das Dingwort immer dasselbe, nur die Form ist verschieden! (Wieder-
holen.)
VI. Wovon sind also die vier Worter nur verschiedene Formen? Von
Hund. — Was geschieht also auch mit dem Dingwort? Wird gefcogen. — Wie
nennt man das? Biegung. — Nennt mir die vier Falle der Einzahl von dem
Dingworte ,,der Hund"!
VII. Wie heisst eine Mehrzahl von Hunden? Die Hunde. (Folgt die Be-
handlung der Pluralsatze analog der der Singularsatze.)
VIII. Mit welchem Fragefiirworte fragte ich im 1. Falle nach dem Hunde?
Mit wer. (Schreibt der Lehrer dahinter wie im Entwurf IV.) Wie im 2. Satze
u. s. w. — (Dasselbe in der Mehrzahl.) Mit welchem Fragefiirwort fragt man
also nach dem 1., 2., 3., 4. Fall? (Wird in und ausser tier Heine geifbt.)
IX. Nennt mir den 3. Fall der Einzahl, 2. Fall der Mehrzahl! u. s. w.
Mit welchem Fragefiirwort fragt man nach dem 4., 1., 3., 2. Fall? u. s. w. (Wird
fortgesetzt geiibt!)
Alles, was an der Tafel steht, wird nun fortgewischt, und die Ubungen
werden ausser der Reihe fortsesetzt.
X. Schriftliche ttbung: Aufschreiben der behandelten Satze und Unter-
streichen der Falle. Gegenseitiges Korrigieren der Arbeiten durch die Schuler.
Hausliche Arbeit: Darstellung anderer Beispiele nach dem Muster wie an
der Wandtafel. (Entwurf IV.)
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
(Fur die Pad agogischen Monatshefte.)
Buffalo.
Ein kleines Missgeschick hatte die-
ses Jahr unserem Schulsuperinten-
denten und vielen Lehrern und Leh-
rerinnen unnotige Unruhe verursacht.
Herr Emerson hatte namlich mit ei-
nigen Jugenderziehern mannlichen
und etwa sechzig weiblichen Ge-
schlechts wahrend der Ferien Eu-
ropa bereist. Kurz vor dem Beginn
der Schule kam die Nachricht, das
Schiff, welches dazu bestimmt war,
die Keisenden nach Westen zu tragen,
habe plotzlich Befehl erhalten, seine
Segel ostwarts nach dem Reiche der
Zopftrager zu lenken. Da nun im
September niemals tJberfluss an Kabi-
nen ist und die Pariser Weltausstel-
lung zur selben Zeit in vollem Gange
war, so nahm man mit Bestimmtheit
an, dass Herr Emerson mit seiner
Lehrerschaft nicht leicht auf einem
Dampfer Raum finden und unmoglich
zur rechten Zeit auf seinem Platze
sein werde. Das Unmogliche jedoch
war moglich gemacht worden, und
Herr Emerson war schon zwei Tage
vor dem Schulanfang fiir seine Unter-
gebenen zu sprechen.
Wie in den meisten Stadten unse-
rer Eepublik, so ist auch in unseren
Schulen das Prozentsystem noch zu
finden, doch scheint ein freilich unbe-
deutender Schritt nach entgegenge-
setzter Richtung bemerkbar zu sein.
Vor zwei Jahren wurde ein Schulge-
setz erlassen, nach welchem alien
Schiilern, die wahrend des Jahres 85%
oder daruber aufzuweisen haben, das
Examen am Schulschlusse erlassen
wird. Auch den Oberlehrern muss
nachgeriihmt werden, dass den meis-
ten derselben ein hoher Prozentsatz
nicht mehr ausschlaggebend fur die
Fahigkeit der Lehrerinnen und die
Errungenschaften der Schiller ist. So
hat Schreiberin dieses einige Jahre
unter einem Oberlehrer unterrichtet,
dessen hochstes Bestreben es ist,
gute, rechtschaffene Burger aus der
ihm anvertrauten Kinderschar zu
machen, und der seine Lehrerinnen in
dem Masse sch,--zt, als dieselben es
verstehen, das Herz und den Ver-
stand der Kinder zu bilden. Er will
Schiller erziehen, die vermoge rechter
lustruktion nicht bestandig von an-
dern abhangig sind und folglich nicht
nur fiir den Augenblick lernen. Der-
selbe hat auch in seiner Schule die
zweimalige Schiilerversetzung, welche
fiir jedes Schuljahr eine A- und B-
Klasse erfordert, versucht und ausge-
zeichneten Erfolg erzielt. In der
letzten Oberlehrerversammlung ist
iiber das Projekt lebhaft debattiert
worden, doch ist man noch zu keiner
endgiltigen Entscheidung gekommen.
Leider hat der deutsche Unterricht
unter einem solchen Versetzungssys-
tem anfangs zu leiden und stellt
grossere Anforderung an die Lehre-
rinnen. Herr George E. Smith, der
betreffende Prinzipal, hat das wohl
eingesehen und bedauert; er ist sehr
fiir das Deutsche eingenommen und
verdient den Namen eines wahren Pa-
dagogen. Seine erzieherischen Fahig-
keiten werden auch von unserem
Schuloberhaupte nach Gebiihr gewiir-
digt.
Wie Herr Emerson Verdienste aner-
kennt, so streng ist er auf der andern
Seite. Hat er erkannt, dass die Fa-
higkeiten einer Lehrkraft fiir ihren
hohen Beruf nicht ausreichen, oder
hat sich dieselbe etw^as Ungebiihrli-
ches zuschulden kommen lassen, so
ist es mit seiner Huld zu ende. Beim
letzten Schulschlusse warteten ver-
schiedene Lehrerinnen vergeblich auf
ihren Kontrakt fiir das kommende
Schuljahr. Anstatt dessen erhielten
die Alteren einen Pensionsschein.
Das seit zwei Jahren bestehende
Pensionsgesetz gereicht schon man-
cher Kollegin zum Segen. Leider
konnen sie infolge des kleinen Grund-
kapitals noch nicht mit der Halfte
ihres Gehaltes pensioniert w^erden,
zumal nur 1% des Einkommens der
Lehrkrafte in den Fonds fliesst.
Herrn Joseph Mischka, dem ersten
Musiklehrer an den offentlichen Schu-
len, verdankt die Lehrerwelt Buffalos
das kleine Grundkapital. Derselbe
hatte, kurz nachdem das Gesetz in
kraft getreten war, den Schulkindern
Wiegenlieder der verschiedenen V61-
ker einstudiert. Alles Neue macht
Eindruck, das zeigte sich auch in die-
38
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
sem Falle. Die originellen Gesange
und Kostiime lockten die Leute in
Scharen in die Auffuhrungen, welche
eine Reihe von Nachmittagen und
Abenden stattfanden, und die da-
durch erzielte Einnahme bildete den
Pensionsfonds. Vielleicht findet sich
ein reicher Mann, welcher, eingedenk
des ihm in der Schule gespendeten
Segens, ein Scherflein beisteuert.
Wie verlautet, ist es bestimmt, dass
Herr Mischka einen Chor von 3000
Schulkindern an dem wahrend der
Pan American stattfindenden Sanger-
feste teilnehmen lassen will; ob die-
selbe Kinderschar auch am Graber-
schmiickungstage und am glorreichen
Vierten ihre patriotischen Lieder er-
tonen lassen darf, steht noch in
Frage.
Im deutschen Departement ist alles
beim alien. Eine kleine Umgestal-
tung hat der Lehrplan des fiinften
Grades erfahren. Derselben ist ein
Teil der ermiidenden Grammatik im
Ahn abgescnnitten worden; es soil in
dieser Klasse mehr gelesen und der
Lesestoff besprochen werden. Betrii-
bend ist es, dass der deutsche Unter-
richt aus zwei Schulen verbannt wur-
de, doch ist in den andern Schulen
die Teilnahme am Deutschen im
Wachsen begriffen.
Vor kurzem hatten wir auch ein-
mal Gelegenheit eine deutsche Thea-
tertruppe zu horen. Es war die der
Maria von Wegern. An dem dicht-
setzten Stadttheater war deutlich zu
erkennen, wie gerne man hier einem
deutschen Stiicke lauscht, das bei al-
lem Witz viel edlen Sinn und beher-
zigungswurdige Moral birgt. Aus obi-
gem Grunde hatten sich viele mit
ihren halberwachsenen Kindern ein-
gefunden. Man gab ,,Tante Bemm-
chen in Amerika". Das Stuck enthalt
einige gute Witze, und Marie von We-
gern, abgesehen von einigen Ausar-
tungen, spielte die Sachsin gut. Das
ist leider aber auch alles, was Stuck
und Ausfiihrung nachgeruhmt werden
kann, und war auch der einzige
Grund, weshalb nicht mehr Leute das
Theater lange vor dem Schlusse des
letzten Aktes verliessen. Ach, sie
gingen alle enttauscht nach Hause,
die guten Leute, und klagten: ,,Wa-
rum werden deutsche Theaterstiicke
aufgefiihrt, in denen man Anstand
und gute Moral so schmerzlich ver-
misst, und in denen man sich der al-
lergewohnlichsten Ausdrticke wie
,,hundsgemein" bedient? An guten
Stiicken ist doch in der deutschen
Litteratur und an etwas gewahlteren
Ausdriicken in dieser Sprache wahr-
lich kein Mangel." B. R.
Chicago.
Lehrproben. Herr Dr. G.
A. Zimmermann, Superintendent des
Deutschen, gab der deutschen Lehrer-
schaft Chicagos im letzten Monate
zweimal Gelegenheit, Lehrproben bei-
zuwohnen. Am 9. Nov. zeigte Frl.
Louise Siihrstedt, wie sie Kinder im
5. und 6. Grad im Deutschen unterrich-
tet, und am 23. Nov. fiihrte uns Frl.
Emma Lund ihren 7. und 8. Grad
vor. Beide Damen ernteten wohlver-
dienten Beifall seitens ihrer Kollegen.
Zieht man in Erwagung, dass der Un-
terricht im Deutschen hier erst mit
dem 5. Schuljahre beginnt und dass
ihm taglich nur 25 bis 30 Minuten ge-
widmet werden, so muss jeder Vorur-
teilsfreie bekennen, dass ganz Aner-
kennenswertes geleistet wird. Mochte
die Zeit noch einmal kommen, dass
wir iwenigstens im 3. Schuljahre mit
dem Deutschen beginnen konnten! —
Gedachtnisfeier. — Am 26.
November veranstalteten die deut-
schen Lehrer an den hiesigen Hoch-
schulen eine Gedachtnisfeier zu
Ehren der durch den Tod dahingeraff-
ten Kollegin Clara Klemm. Der
Schulratssaal, in vrelchem die hehre
Feier abgehalten wurde, war ge-
schmackvoll mit Palmen geschmiickt.
Frau Clara von Otterstedt trug einen
von Herrn Gauss verfassten Nachruf
vor, und Herr Dr. G. A. Zimmermann
Melt eine von Herzen kommende und
zu Herzen gehende Ansprache, in der
er die hingebende Treue, den auf-
cpfernden Fleiss und die grosse Lie-
benswiirdigkeit der Entschlafenen be-
tonte. Ihr Andenken wird bei alien,
die sie gekannt haben, im Segen blei-
ben. —
Der deutsche Lehrerver-
e i n von Chicago wird am 27. De-
/ember nachmittags 2 Uhr in der
Schillerhalle eine Weihnachtsfeier
veranstalten. E. A. Z.
Korresponden^en.
Cincinnati.
39
21. November.
Bei Besprechung des neuen e n g 1 i-
schen Studienplans in der
September-Nummer der P. M. fiigte
ich zum Schluss vorsichtigerweise
hinzu, dass ein Lehrplan, wie ein Pud-
ding, dadurch am sichersten beziig-
lich seiner ,,Giite" erprobt wiirde,
dass man ihn versuche. Seit nahezu
drei Monaten wurde nun der Plan un-
ter fortwahrender Erlauterung und
Anleitung seines Verf assers gar em-
sig probiert, doch unsere englischen
Kollegen scheinen sich bereits den
Magen grundlich daran verstaucht
zu haben, denn das neue, ungewohnte
Gericht soil an allzureicher Wiirze, an
tJberladung leiden. Es wird behaup-
tet, dass es rein unmoglich ware, den
Lehrstoff, wie er fiir jedes Schuljahr
ausgelegt sei, innerhalb der vorge-
schriebenen Zeit zu bewaltigen; auch
die Einteilung des Lehrpensums sei
viel zu allgemein und unbestimmt ge-
halten. Die armen, .unselbstandigen
Schoolmams, die bisher an die liebe,
alte Schablone gewohnt waren, sehen
sich nun mit einemmal vor einen Ur-
wald versetzt, durch den sie sich ei-
nen Pfad suchen sollen. Doch wie
wenige von ihnen sind padagogische
Pfadfmderinnen! — • Die meisten wer-
den elendiglicn in diesem Urwald von
Lehrplan stecken bleiben, d. h. mit
anderen Worten, am Ende des Schul-
jahrs wird voraussichtlich herzlich
wenig erreicht und geleistet sein.
Ein erfahrener Padagoge, der sich das
vorgesetzte Lehrpensum zurechtzule-
gen und seinen Zwecken unterzuord-
nen weiss, wiirde wohl auch mit die-
sem Plan, so verworren und iiberladen
er auch sein mag, sein Ziel erreichen;
denn nicht der Lehrplan, sondern der
Lehrer ist noch stets der Hauptfak-
tor in der Schule gewesen. Nun, mit
Ende dieses Lchuljahres wird wohl
der vielbesprochene Lehrplan samt
sein em Verfasser von der hiesigen
Bildflache verschwinden. Hoffentlich
wird man alsdann nicht das Kind mit
dem Bade ausschiitten und zur veral-
teten Schablone zuriickkehren, son-
dern das Gute und Fortschrittliche,
das der neue Studienplan unzweifel-
haft enthalt, beibehalten. Es giebt
ja auch einen goldenen Mittelweg!
Mit der Zeit wird man wohl auch in
diesem Lande dahin kommen, dass die
Studienplane, wenigstens in ihren all-
gemeinen Umrissen, von einer Staats-
kommission, bestehend aus tiichtigen
Schulmannern, entworfen werden, die
alsdann fiir eine gewisse Klasse von
Stadten massgebend sind. Dies ware
sicherlich fiir die Schulen mancher
Stadte vorteilhafter, anstatt das Lehr-
planummodeln der Laune oder Will-
kur der jeweiligen Schulsuperinten-
denten zu iiberlassen, deren Herr-
schaft oft von recht kurzer Dauer ist.
Gegenwartig wird hier wiederum
sehr lebhaft der Plan befiirwortet,
unsere Technische Schule dem
offentlichen Schulsystem oder der
Universitat einzuverleiben. Seit sei-
ner Griindung vor ungefahr 14 Jahren
musste sich dieses Institut — abge-
sehen von kleinen Schenkungen —
durch Schulgeld selbst erhalten. Da-
durch waren leider die Kinder einer
grossen Klasse unserer Bevolkerung,
weil das Schulgeld ziemlich hoch, aus-
geschlossen. Durch tJbernahme sei-
tens der offentlichen Sclnilen wiirde
das Schulgeld wegfallen, und die Kna-
ben hatten dann, nach Absolvierung
der Intermediat-Schulen die Wahl,
entweder die Hochschule oder die
Technische Schule zu besuchen. Der
Plan wird von einflussreichen kom-
merziellen Korperschaften und auch
von unserem Schulsuperintendenten
recht warm unterstiitzt. Doch der
Schulbehorde stehen natiirlich, wie
gewohnlich, keine Fonds dafiir zur
Verfiigung. Moge ihr die Staatslegis-
latur recht bald mit einer Extrabe-
willigung unter die Arme greifen, auf
dass Cincinnati in dieser Beziehung
nicht allzusehr hinter anderen Stad-
ten zuriickzustehen brauche.
In der Schulrats - Sitzung
vom 19. Nov. glaubte ein anderer pa-
dagogischer Doktor durch einen na-
tivistischen Sturmlauf auf den deut-
schen Unterricht in den offentlichen
Schulen sich ebenfalls lacherlich ma-
chen zu miissen. Als die Versetzung
bezw. Anstellung zweier Lehrerinnen
— wovon eine fiir das deutsche De-
partement — in seinem Schuldistrikte
besprochen wurde, liess der sonst so
siissliche und iiberhofliche Medfziner
die Maske fallen. i»iit kirschrotem
Gesichte und vor wutbebender Stim-
me schrie er: ,,Niemals vsrerde ich die
Anstellung einer deutschen Lehrerin
befiirworten; wir wollen englischen
Unterricht haben, denn wir sind hier
in Amerika und nicht in Deutsch-
land!" An Deutlichkeit lasst dieser
Herzenserguss einer ,,schonen Seele"
gewiss nichts zu wiinschen iibrig, und
P'ddagogiscbe Monatsbejte.
man kann dem Doktor fiir seine Of-
fenherzigkeit eigentlich dankbar sein,
denn man weiss nun doch, woran man
mit ihm ist. Bei manchen seiner
schulratlichen Kollegen ist man in
dieser Beziehung leider nicht so si-
cher. Sehr bedauerlich ist es aller-
dings, dass man selbst in gebildeten
Kreisen immer noch solchen riickstan-
digen Ansichten iiber den Wert des
zweisprachigen Unterrichts begeg-
net. Hoffentlich versteht der Doktor
von der Medizin mehr als von moder-
ner Padagogik! E. K.
Columbus.
Columbus hat unbedingt Fort-
schritte im deutschen Unterricht zu
verzeichnen. In zwei Schulen ist die-
ses Jahr das Deutsche als Spezialfach
eingefiihrt worden; in der Felton Ave.
Schule im September und jetzt in der
Front Strassen-Schule. Was fiir In-
teressen auch immer dies zuwege ge-
bracht haben, so fiihrt es dem Deut-
schen doch wieder zwei- bis dreihun-
dert Schiller zu.
Zu Anfang des Schuljahres haben
unsere deutschen Lehrerinnen sogar
einen Anfang gemacht, fiir die ver-
schiedenen Klassen eine Art Lehrplan
aufzustellen, und haben, was seit Jah-
ren nicht geschehen ist, eine Zusam-
menkunft gehabt. Der Brennpunkt
war: ,,Hie Grammatik, hie nicht
Grammatik in den Elementarklas-
sen", was genug Argumente fiir und
gegen hervorrief. Wenn die deut-
schen Lehrkrafte nur ofter padagogi-
sche Fragen besprechen wollten,
selbst ohne offizielle Aufforderung, so
konnten sie sicher viel von einander
lernen ,,Bist Du selber kein Ganzes,
so schliess' als bildendes Glied an ein
Ganzes Dich an."
Der Humboldtverein, die einzige
deutsche litterarisch-musikalische Ge-
sellschaft im Staate, hat ein interes-
santes Programm fiir die Wintersai-
son aufgestellt, so dass wir einer er-
folgreichen Saison entgegen gehen.
Heute giebt's auch deutsches Thea-
ter, Fr. von Wegner in ,,Tante Bemm-
chen in Amerika". Leider nur Posse,
aber es bleibt doch halt deutsche
Kunst, und es giebt so selten bei uns
Theatervorstellungen irgend welcher
Art. A. K.
Milwaukee.
..Die Schule ist heute nur ein Fak-
tor in dem grossen Erziehungsorga-
nismus. Der Padagogik werden neue
Ziele zugewiesen, und es wird betont,
class nicht nur die Schule, sondern der
Staat, die verschiedenen Gesellschaf-
ten und Berufskreise mithelfen mils-
sen, wenn diese Ziele erreicht werden
sollen.
Wenn diese Ziele in einer griindli-
chen wissenschaftlichen und ethi-
schen Bildung des Einzelnen, der im
Dienste der Gesamtheit stehen soil,
liegen" — so muss fiir den Freund
dieser Padagogik alles von Interesse
sein, dass auf irgend eine Art und
Weise die Bildung des Einzelnen oder
grosserer Gruppen fordert.
Dass die Kunst diesem Ziele forder-
lich ist, wird wohl niemand leugnen.
Die Schuljugend unserer Stadt hatte
in den Monaten September und Okto-
ber Gelegenheit, die Gemaldegallerie
der ,M,ilwaukee Industrial Exposi-
tion" zu besichtigen. Der Eintritts-
preis betrug nur 5 Cents.
Es waren .231 Bilder ausgestellt.
Ein Bild musste den Kenner der Sieg-
fried-Sage fesseln: Siegfried, von dem
Franzosen T. Chartron. Es stellt in
Lebensgrosse den Helden dar, wie er
in der Waldschmiede vor dem bren-
nenden Kohlenfeuer sein Schwert be-
trachtet. Das Angesicht gliiht vor
Freude und Stolz. Unwillkiirlich
musste man an das Uhlandsche Ge-
dicht denken.
,,Nu hab' ich geschmiedet ein gutes
Schwert,
Nun bin ich wie andere Hitter wert."
Unter dgn ausgestellten Bildern w^a-
ren auch nie 13 Bilder des amerikani-
schen Kiinstlers Edward Moran, "The
Marine History of the United States."
In diesen 13 Banden stellt der
Kiinstler einige der wichtigsten Epi-
soden unserer Geschichte dar. Den
Anfang macht die Landung Leif Erik-
sons in der neuen Welt im Jahre 1001.
Dann folgt die Entdeckung Amerikas
durch Kolumbus. Fesselnd ist das
Bild "Midnight Mass on the Missis-
sippi, over the Body of Ferdinand De
Soto." Den Schluss des Cyklus bildet
"Return of the Conquerors," welches
die Ankunft unserer siegreichen
Flotte im Lafen von New YorK nach
Korresponden^en.
41
den Seegefechten bei Manila und San-
tiago darsteuo.
Die hiesige Staatsnormalschule hat
den Vorteil dieser Gemaldeausstel-
lung fiir ihre Zoglinge sehr vorteil-
haft ausgenutzt. Die Fakultat der
obigen Anstalt hat den bekannten
Kunstkenner Dr. F. W. Gunsaulus,
den Leiter des Armour Institute of
Technology in Chicago, eingeladen,
die Zoglinge bei ihrem Besuch der
Ausstellung zu begleiten und ihnen
seine Ansichten uber die Kunst mit-
zuteilen.
Dr. Gunsaulus hielt uber das Thema
,,Die Kunst des 19. Jahrhunderts" ei-
nen sehr lehrreichen Vortrag.
Seit etwa 6 Jahren besteht in Chi-
cago eine unter den Gesetzen des
Staates Illinois organisierte Gesell-
schaft, die "University Association".
Der Zweck dieser Vereinigung ist
nach dem Eundschreiben — to carry
on the work of self-culture by indi-
vidual effort along the lines of Uni-
versity Extension — .
Dieser Zweck wird dadurch er-
reicht, dass die Association fiir die
verschiedenen Facher Lehrgange und
Lehrbiicher ausarbeiten lasst, diesel-
ben danu in monatlichen Heften an
die einzelnen Mitglieder gelangen
lasst und am Schluss des Jahres die
Teilnehmer priift. In aen 6 Jahren
ihres Bestehens hat die Association
60,000 Schiller gehabt. Es wird aus-
driicklich hervorgehoben, — "it is to
be most distinctly understood that
this Extension work is not intended
in any sense, to take the place of the
scholarship which the higher institu-
tions of learning have been estab-
lished to give."
Dass die Association nur Gediegenes
bietet, wird am besten dadurch bewie-
sen, dass fiir den Kursus "Universal
Religion" kein Geringerer als der
kiirzlich verstorbene Professor Max
Miiller von der Oxford Universitat
personliche Beitrage lieferte. Der
Kursus "Economics" wurde von Prof.
Richard T. Ely, University of Wiscon-
sin, geschrieben. Das "Milwaukee
Journal" hat es nun unternommen.
diese Kurse in Heften unter seinen
Lesern zu verbreiten, und man muss
diesem Unternehmen Erfolg wiin-
schen.
Erwahnenswert sind auch mehrere
Vortrage, welche im vergangenen Mo-
nat stattfanden. Es miissen vor allem
die ausserst belehrenden und zugleich
unterhaltenden Vortrage des Reisen-
den Burton Holmes genannt werden.
Was diese Vortrage so anziehend
macht, ist erstens die Thatsache, dass
Holmes ein fesselnder Redner ist und
Selbterlebtes erzahlt. Dann aber sind
es auch die beweerlichen Bilder, wel-
che vermittelst eines "stereopticons"
den Zuschauern Vorgange vorfuhren,
die auch durch den besten Redner und
Schilderer in ihrer Natiirlichkeit nicht
interessanter vorgefiihrt werden kon-
nen. Wie konnte diese neue Erfin-
dung den Unterricht beleben und an-
schaulich gestalten!
Ausserst belehrend, und besonders
anregend fiir den Padagogen war
auch der Vortrag des Herrn Elbert
Hubbard, des Leiters des "Roycroft-
Shop" in East Aurora, New York.
Hubbard, in seiner Jugend als Bau-
ernknecht, Druckerteufel, als Hand-
langer in einem Holzhof, spater als
gewohnlicher Fabrikarbeiter und als
Leiter einer Fabrik, die mehr als 1000
Arbeiter beschaftigte, thatig, wurde
schliesslich Farmer in East Aurora.
Heute ist er Schriftsteller, Herausge-
ber der Monatsschrift "The Philis-
tine", Leiter des "Roycroft-Shop" und
Philosoph.
Seine Schriften "Little Journeys to
the Homes of American Statesman",
" — to the Homes of Good Men and
Great", " — to the Homes of Famous
Women", und " — to the Homes of
Eminent Painters" haben ihn in den
letzten Jahren dem Volke unseres
Landes und Englands naher gebracht.
In seinem Vortrage schilderte er die
Entstehung des "Roycroft-shop", die
Entwicklung desselben zu seiner jetzi-
gen Grosse, und die Grundsatze, wel-
che dem ganzen Unternehmen zu-
grunde liegen. Im "Roycroft-shop"
sind heute 250 Menschen beschaftigt.
Sie arbeiten ohne Maschine und stel-
len Biicher her. Alles ist "hand-
made", Papier, Typen, Einband; die
grossen Anfangsbuchstaben sogar
sind Handzeichnungen. Die Arbeiter
werden anstandig bezahlt, und am
Ende des Jahres wird der Uberschuss
unter die Arbeiter verteilt. Die Ein-
nahmen sind bedeutend, denn die
Preise der Biicher sind hoch, bis zu
$100, und alles, was hergestellt wird,
wird verkauft. Als Merkwiirdigkeit
sei angefiihrt, dass der Schatzmeister
des Unternehmens ein friiherer In-
sasse des Staatsgefangnisses Sing-
Sing, im Staate New York, ist. Hub-
bard hat iiberhaupt eine Vorliebe, so-
genannte unbrauchbare Menschen
aufzunehmen, und er behauptet,
42
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
durch geregelte Arbeit und die rich-
tige Umgebung in der Eegel sehr
brauchbare Menschen aus ihnen zu
machen.
Er ist der Apostel der Handarbeit,
und die Verteidiger des Handfertig-
keitsunterrichtes konnen keinen eifri-
geren Verfechter und keinen erfolg-
reicheren Fiihrer finden als Elbert
Kubbard.
Der am»rikanische Dialektdichter
James Whitcomb Eiley erfreute viele
Milwaukeer dadurch, dass er an einem
Abend aus seinen Werken vorlas. Ei-
ley, der "Hoosier Poet", ist ein Volks-
dichter, wie Eobert Burns im Engli-
schen, Fritz Eeuter im Plattdeutschen
u- d Pe'er Eosegger im SU-irischen es
sind. Er entnimmt nicht nur seine
Theinen dem einfaehen, stillen Land-
leben seiner Heimat, sondern er be-
dient sich dabei auch der Sprache die-
ser Leute, des "Hoosier" -Dialekts.
Es ist erfreulich, dass samtliche
Vortrage sehr gut besucht waren. Be-
sonders erfreulich ist es aber, dass
unter den Zuhorern auch eine ziem-
lioh grosse Anzahl Lehrer waren. Ge-
rade wir Lehrer haben Anregungen,
wie sie derartige Vortrage gebeu, sehr
notig, um den ungiinstigen Einfluss
der einformigen Schularbeit zu neu-
tralisieren.
Seit vier Jahren besteht hier ein
Verein, der eine recht erspriessliche
Thatigkeit entfaltet hat, die "Ethical
Society". Der Zweck des Vereins war,
durch Vortrage fur Erwachsene und
regolnuis-iirfii Unterr'n ht am Samsta"1
undSonntag fiir die Jugend belehrend
und veredelnd z\\ wirken. Die Vor-
trage, welche stets das Gebiet der Pa-
dagogik beriihrten, sowie die sich an
dieselben anschliessenden Bespre-
chungen waren immer lehrreich und
interessant. Hauptsachlieh wollte mini
die ethische Seite des Menschen ent-
wickeln, daher denn auch z. B. der
bekannte Padagoge Felix Adler, der
Verfa^ser des Werkes "The Moral In-
«tructiuij of Children", unter den Red-
nern war. Jetzt hat nun der Verein
be^chlossen, im kommenden Winter
keine weitere Thatigkeit zu entfalten.
Das ist entschieden zu bedauern. Es
ist jedoch Aussicht vorhanden, dass
der Verein eine Thatigkeit spater er-
neuert.
Am 19. November hielt der V. D. L.
seine zweite Versammlung ab. Frl.
Anna Judell von der 8. Primarschule
No. 1 las aus einer Biographie Pesta-
lozzis von Ferdinand Schmidt das
Kapitel: Die Armenschule auf dem
Neuhof. Frl. Nettie Zahn von der 8.
Primarschule No. 2 las aus dem Wer-
ke: 10 Kapitel aus der praktischen
Padagogik von Hermann Becker den
Aufsatz: Das Marchen in der Volks-
vor.
Zum Schriftfiihrer des Vereins
wnrde Herr Heinrich C. Martens von
der 14. Distriktschule erwahlt.
Der Aut:schuss, welcher die Verfas-
sung revidierte, legte dieselbe vor.
Die neu«? Vcrfassung wurde angenom-
men. Hierauf folgten amtliche Mit-
teilungen. Herr B. A. Abrams, Hilfs-
superintendent der offentlichen Schu-
len, gedachte in warmen Worten des
dahingeschiederien Schulmanne^,
Prof. W. H. Eosenstengel von Madi-
son. Um %G Uhr vertagte sich die
Versammlung. J. E.
II. Briefkasten.
E. W. B., Professor of G e r-
man.Lecompton, Kansas.
Sie ,,wiinschen zu sagen, dass Sie
keine Zeit haben, die P. M. zu lesen"
und bestellen sie darum ab: So dies
geschieht am griinen Holz, was soil
am diirren w^erden! A. K., Colum-
bus, O. Bis jetzt sind die Briinnlein
gar sparlich geflossen, so dass ich das
Schicksal des Goetheschen Zauber-
lehrlings noch nicht fiirchte. Wiirde
mich freuen, wenn Sie den Versuch
machten, es den Geistern nachzuma-
chen. Ihrem Wunsche, mehr Stoffe
fxir die Unterstufe zu bringen, soil
nach Vermogen entsprochen vrerden.
Besten Dank fiir Ihre Zeilen. J. M.
S., Clintonville. Sie miissen sich
in der Angabe des Heftes geirrt ha-
ben. Die von Ihnen angegebenen Sei-
ten enthalten nichts iiber Methoden.
B. S., N e w Y o r k. Besten Dank
fiir die Zusendung Ihres Vortrages
und des Gedichtes! Hoffentlich lassen
Sie mir Zeit mit der Veroffentlichung
des ersteren. O. W., New Y o r k.
Besten Dank fiir Hire freundlichen
Worte. Die Biicherbesprechungen
mussten leider w^egen Raummangels
zuriickgestellt -\verden. B. E., Buf-
falo. Erhielt leider das Eezensions-
exemplar so spat, dass eine Bespre-
chung xinmoglich wurde. Sie finden
es aber unter den eingesandten Bii-
chern verzeichnet.
Umscbau.
43
III. Umschau.
Amerika.
In Boston besteht gewaltige Un-
zufriedenheit mit dem dort herrschen-
den Schulverwaltungssystem. Der po-
litischen Maschine ist es gelungen,
die Kontrolle iiber den Schulrat zu
erhalten, so dass nunmehr kleinliche
politische oder gar selbstische Ruck-
sichten, nicht Verdienst und Fahig-
keit bei Anstellung von Schulratsmit-
gliedern, und darum natiirlicherweise
auch von Lehrkraften massgebend
sind. Die Folge davon ist, dass die
Wiederanstellung des allgemein ge-
achteten Schulsuperintendenten Sea-
ver und einer seiner fahigsten und ge-
wissenhaftesten Assistentinnen, Miss
Arnold, zu gunsten politischer Giinst-
linge gefahrdet wurde, und dass ein
anderer ebenso tiichtiger Assistent,
Geo. H. Martin, kurzweg entlassen
wurde. Erst die offentliche Ent-
riistung erwirkte die Wiederein-
setzung in sein Amt.
Chicago. Die Frage, ob ausge-
wahlter biblischer "Lesestoff den Kin-
dern in den offentlichen Schulen Chi-
cagos geboten werden solle, beschaf-
tigte den dortigen Schulrat. Mit 16
gegen 6 Stimmen wurde die Frage im
verneinenden Sinne beantwortet. Ein
von Bischof Fallows gegen diesen Be-
schluss eingereichter Protest veran-
lasste eine lebhafte Auseinander-
setzung pro und contra in den tagli-
chen Zeitungen.
Galveston. Kurzlich wurden in
Galveston vier Schulhauser mit 44
Zimmern eroffnet, so dass bei Halb-
tagsunterricht 3500 Kindern die Mog-
lichkeit zum Schulbesuch gegeben ist.
Der Anfang ist somit gemacht, aber
sehr viel bleibt noch zu thun iibrig,
bis einigermassen giinstige Schulver-
haltnisse wieder hergestellt sein wer-
den.
N e w Y o r k. Zu Ehren des kiirz-
lich verstorbenen Prof. Max Miiller
fand in der Columbia Universitat zu
New York eine zahlreich besuchte Ge-
dachtnisfeier statt, die ebenso wiirdig
als eindrucksvoll ver^ef. A. V. Willi-
ams Jackson, Professor der altari-
schen Sprachen, hielt die Gedachtnis-
rede, nachdem die Feier durch den
Prasidenten der Universitat eroffnet
word en war.
tJ b e r den Stand der sechs
Universitaten in den
ostlichen Staaten der
Union giebt die letzte Nummer des
,,Columbia University Quarterly" eine
Statistik, der wir die folgenden Zah-
len entnehmen. Der Gesamtzahl der
Studenten (mit Ausnahme der Horer,
Teilnehmer an besonderen Kursen u.
s. w.) nach steht unter den sechs Uni-
versitaten obenan die Harvard Uni-
versity (4484), dann folgt die Colum-
bia University ^3108), an dritter Stelle
Yale (2517), an vierter Stelle die Uni-
versitat von Pennsylvanien in Phila-
delphia (2383), an fiinfter die Cornell
University (2270) und an letzter
Princeton (1196). Die hochste Zahl
solcher Studenten, die Spezialstudien
fiir einen bestimmten Beruf machen
(professional students), weist Colum-
bia auf, namlich 2028 (also nur 80 we-
niger als die Gesamtzahl), dann folgt
Harvard mit 1875, sodann Philadel-
phia mit 1849, hierauf Cornell mit
1441, weiter Yale mit 1198, endlich
Princeton mit 367. Der Prozentsatz
der professional students ist somit am
grossten in der Columbia. University,
am geringsten in Princeton. Hinsicht-
lich der Zahl der dauernd an den Uni-
versitaten wirkenden Lehrer nimmt
die erste Stelle ein Harvard (mit 448),
die zweite Columbia (389, wobei das
Lehrerpersonal des Teachers College
nicht mitgezahlt ist), die dritte Cor-
nell mit 314, die vierte Yale mit 257,
die fiinfte Philadelphia mit 260, die
letzte Princeton mit 83. Die (nicht in
jeder Hinsicht unbedingt genauen)
Zahlen geben den Stand etwa zu Ende
des Jahres 1900 an.
Milwaukee. Die zweite Halfte
des November brachte uns zwei Er-
eignisse auf dem Kunstgebiete, die,
weil aus spezifisch deutschen Kreisen,
bemerkenswert sind. Am 25.Nov. fand
in dem hiesigen Pabsttheater eine
Vorstellung des erstenTeiles von Goe-
thes ,,Faust" statt, die glanzend ver-
lief. Das Haus war bis zum letzten
Platz besetzt, und das Publikum
folgte mit Spannung und Begeiste-
rung den Vorgangen auf der Buhne.
Kiinstlerisch war die Vorstellung ein
unbestrittener Erfolg, und sie lieferte
den besten Priifstein fiir die Vorztig-
lichkeit der diesjahrigen deutschen
Theatertruppe unserer Stadt. — We-
nige Tage vorher, am 20. Nov., veran-
staltete der Musikverein sein erstes
44
P'ddagogische Monatsbefte.
Konzert der Saison, das besondere Er-
wahnung deshalb verdient, als es
fiir Amerika zwei Novitaten, Seyf-
fardts Konzertstiick fiir Mannerchor
und Orchester, ,,Durch Kampf zu
Fried", und Verdis "Quattro Pezzi
Sacri" (vier fromme Gesange) brach-
te. Fiir sein zweites Konzert, Marx
1901, hat der Musikverein eine andere
Novitat, Klughardts Oratorium ,,Die
Zerstorung Jerusalems" auf dem Pro-
gramm.
Deutschland.
Berlin. Die Zahl der an
der B e r 1 i n e r Universitat
im Sommer 1900 eingeschriebenen Stu-
denten betrug 5105, die Zahl der Ho-
rer 558, darunter 293 Damen. An
samtlichen deutschen Universitaten
befanden sich 631 Damen, woven aber
nur 9 immatrikuliert waren.
Verabreichung von Friih-
stuck an arme Schulkinder.
Der Stadtrat von Mannheim geneh-
migte den Betrag von 20,000 Mark, da-
mit fur die Zeit vom 1. Dezember ds.
Js. bezw. bei friiherem Eintritt der
Kalte schon einige Tage vorher bis
Ende Marz 1901 zusammen ungefahr
3000 Kinder armer Eltern mit war-
mem Friihstiick bedacht werden kon-
nen.
Deutscher Frobelver-
b a n d. Unter zahlreicher Beteiligung
fand vom 5. bis 8. Oktober in Dresden
die zehnte Versammlung des etzt 22
Vereine umfassenden Frobelverbandes
statt. Die Leitung hatte Prof. Dr.
Pappenheim (Berlin) ; erster Stellver-
treter war Oberbiirgermeister Beutler
(Dresden). In einer Sektionssitzung
sprach Professor Dr. Pappenheim
iiber Frobels Mutter- und Koselieder.
In den zwei offentlichen Verbandver-
sammlungen hielten Vortrage Dr.
Steglich (Dresden) iiber Frobels Er-
ziehungsmethode in ihrer neuesten
Begriindung durch Frohschammer,
Fraulein Willborn (Schwerin) iiber
die Kindergartnerin und das Studium
der Psychologic, Professor Dr. Hohl-
feld (Dresden) iiber Frobels Vermitte-
lungsgesetz und Rektor Henk (Kassel)
iiber den Unterricht im ersten Schul-
jahre. Ausserdem fand noch eine all-
gemeine oft'entliche Versammlung und
eine Ausstellung statt.
Betrug. Amevang. Lehrer-
seminar zu Oranienburg
haben sich die Examinanden der letz-
ten Abgangspriifung durch das Dienst-
madchen des Oberlehrers die Themata
der schriftlichen Arbeit«n verschaft't
und infolgedessen alle iiberraschend
gute Examina gemacht. Der Betrug
kam jedoch an den Tag — die Prii-
fung wurde sofort unterbrochen, drei
Seminarist-en wurden dauernd entlas-
sen, die iibrigen aber werden nach
und nach zu den Priifungen an an-
deren Seminarien einberufen werden.
Otorrelch.
Massregelungen. Die Leh-
rerschaft Osterreichs steht wiederein-
mal im Zeichen der Massregelungen.
Als Grund hiefiir gilt in alien Fallen
zu weit gehende Bethatigung im In-
teresse irgend einer politischen Par-
tei. Es sieht kaum wie Zufall aus,
dass fast alle diese Massregelungen
knapp vor den Neuwahlen in den
Keichsrat fallen, die ja schon langst
infolge der notwendig gewordenen
Auflosung des Reichsrates in Aussicht
standen.
W i e n. Das Denkmal' fiir Dittes,
welches am 21. Oktober auf dem
evangelischen Friedhof in Matzleins-
dorf bei Wien in Gegenwart des Ver-
treters des Deutschen Lehrervereins
feierlich enthiillt wurde, misst bis zur
Scheitelhohe der Biiste 3,85 m., und
wurde von dem Wiener Bildhauer
Herrn Schroer ausgefiihrt. Zur
Biiste wurde Carraramarmor, fiir die
Architektur, einschliesslich der Grab-
platte, tiroler braunroter Porphyr,
fiir den Biistensockel, sowie fiir dieln-
schrifttafel unter dem Relief griiner
Serpentin, geschliffen und poliert, und
fiir die Grabeinfassung Mauthausener
Granit verwendet. Die Stufe, auf der
das Denkmal aufgefiihrt ist, tragt die
Widmung: ,,Gewidmet von der reichs-
deutschen und deutschosterreichi-
schen Lehrerschaft". Der Sockel tragt
in der Mitte in vergoldeten Bronze-
buchstaben den Namen ,,Dittes". Zwi-
schen zwei Halbsaulen ist ein Relief:
,, Dittes in einer Lehrerversammlung
sprechend" eingefiigt, darunter eine
schwarzgriine Serpentinplatte mit
dem Spruche:
Nicht abwarts, noch riickwarts,
Sondern aufwarts und vorwarts!
Das Ganze wird von einem Renais-
sancegebalk verdacht, welches zwi-
schen zwei Voluten die iiberlebens-
grosse Biiste Dittes' tragt.
Umscbau.
45
England.
In Prof. Max Mueller, dessen
am 28. Oktober erfolgtes Hinscheiden
die Tagesblatter berichteten, verliert
die Welt den grossten Orientalisten
des Jahrhunderts und einen seiner be-
deutendsten Schriftsteller.
Er \vurde am 6. Dezember 1823 zu
Dessau als Sohn des Dichters Wilhelm
Miiller und Grossenkel Basedows ge-
boren. Im Jahre 1846 siedelte er nach
England uber, wo er zwei Jahre spa-
ter die Professur fur orientalische
Sprachen an der Universitat Oxford
erhielt, die er bis zu seinem Tode
inne hielt. Im Jahre 1844 veroffent-
lichte er als erste Frucht seiner ori-
entalischen Studien eine ttbersetzung
indischer Fabeln. Eine ttbersetzung
des Ogweda beschaftigte ihn 25 Jahre.
Von seinen zahlreichen Schriften nen-
nen \vir als das bedeutendste seine
"History of Ancient Sanscrit Litera-
ture," weiterhin eine englische
,,Sanskritgrammatik", seine ,,Vorle-
sungen uber die Wissenschaft der
Sprache", und die erste englische
ttbersetzung von Kants ,,Kritik der
reinen Vernunft".
Schulbesuch. Die grosse Leh-
rervereinigung des Landes hat eine
Deputation zu dem neuen Unterrichts-
minister, dem Herzog von Devonshire,
gesandt, urn ihn zu veranlassen, die
geeigneten Mittel zur Verbesserung
des Schulbesuchs zu ergreifen. Durch
die vielen Versaumnisse werden solche
Kinder im Lernen zuriickgehalten, die
regelmassig zur Schule kommen, weil
die Fehlenden das Klassenziel auch
erreichen sollen; ferner erleidet die
Schule dadurch eine Einbusse an
Staatszuschuss, da dieser nach der Re-
gelmassigkeit des Schulbesuches mit
festgesetzt wird. Der Minister sagte
zu, dass er sein Augenmerk auf die-
sen ttbelstand lenken wollte; doch war
der Empfang der Deputation nicht
besonders freundlich. Von 5% Milli-
onen schulpflichtigen Kindern besu-
chen etwa 1 Million keine Schule. In
London entfallen auf 758,000 Volks-
schiiler etwa 140,000 Fehlende.
Frankreich.
Die franzosische Volks-
s c h u 1 e hat unter der Eepublik ge-
waltige Fortschritte gemacht. Durch
die Gesetze vom Jahre 1875, 1881 und
1882 wurden 25,000 Schulen eingerich-
tet oder wiederhergestellt und mehr
als 12,000 neue Schulen geschaffen.
Mehr als 700,000 Kinder, die bis dahin
jedes Unterrichts entbehrten, sind
in die Schule eingetreten. 1872 waren
75,000 Lehrer und Lehrerinnen vor-
handen, gegenwartig etwa 110,000.
Das Budget fur den offentlichen Un-
terricht, das vor einigen 30 Jahren
kaum 25 Millionen Franken betrug,
belauft sich gegenwartig auf 180 Mil-
lionen.
Von dieser grossartigen Entwicke-
lung hat der franzosische Instituteur
(Volksschullehrer) indessen nur einen
bescheidenen Nutzen gehabt. ,,Das
Gesetz vom 19. Juli 1889 uber die Ge-
halter der Jugenderzieher," so
schreibt die von Frauen redigierte Ta-
geszeitung ,,La Fronde", war ein un-
heilvoller gesetzgeberischer Akt, der
in der Hast vor dem Schluss der Le-
gislaturperiode und am Vorabend der
nachsten Wahlen stattfand. Es war
eine Lockspeise fur das Lehrerperso-
nal. Das Gesetz wirkte unheilvoll,
denn nach den ersten Ausfiihrungen
desselben wurden viele Gehalter, an-
statt erhoht zu werden, herabgesetzt,
obgleich die Gesetzgeber eine Verbes-
serung der materiellen Lage der be-
treffenden Lehrer beabsichtigt hatten.
Die Unzufriedenheit wurde allgemein.
Die Klagen erhoben sich so zahlreich,
dass man Bande iiber Bande fiillen
miisste, um sie alle bekannt zu geben.
Der franzosische Volksschullehrer hat
3 Jahre auf dem Seminar zuzubrin-
gen, 1 Jahr Militardienst zu leisten,
5 bis 6 Jahre zu warten, bis er fest
angestellt wird, und erhalt dann im
Alter von 26 oder 27 Jahren 1000
Franken jahrlich, d. h. 3 Franken tag-
lich, also weniger als ein Tagelohner
oder ein Gipseinriihrer verdient. Das
sind die Wohlthaten des Gesetzes von
1889.'.
,,Es ist notwendig," so schreibt das
genannte Blatt weiter, ,,eine Verbes-
serung dieses lacherlich geringen Ge-
haltes des Lehrers und seiner Pension
fxir seine alten Tage zu verlangen.
Wbrigens ist es gegenwartig nicht
leicht, fur das Unterrichtspersonal die
notigen Rekruten zu gewinnen. Neue
und dringende Eeformen verlangen
also ein neues Gesetz fur den Volks-
schulunterricht, oder wenigstens eine
teilweise, aber grundliche Reform des
46
Padagogiscbe Monatshefte.
Gesetzes von 1889. Seit lange spricht
man zwar davon, aber das geniigt
nicht. Es ist notig zu handeln, und
zwar schnell zu handeln, und wenn
das Geld fehlt, so beschneide man die
,,fetten Pfriinden", die skandalos er-
scheinen, wenn man sie mit dem be-
scheidenen Almosen vergleicht, das
man dem Volksschullehrer darreicht.
Wie lange soil das Lehrpersonal noch
auf die Erfiilung der oft gegebenen
und erneuerten, aber immer wieder
umgangenen Versprechungen war-
ten?"
In dem vom 9. — 11. August
in Paris abgehaltenen
Kongress der padagogi-
schen Presse wurde der Be-
schluss gefasst, namentlich die Tages-
presse, wie auch die Redaktionen der
periodisch erscheinenden Zeitschrif-
ten, mehr als bisher fur Erziehungs-
und Unterrichtsfragen zu interessie-
ren. Man halt es fur ausserordentlich
wiinschenswert, dass padagogisch ge-
bildete Fachredakteure bei verschiede-
nen Zeitschriften angestellt wtirden.
Um eine Vereinigung der padagogi-
schen Presse aller Lander der Erde
herbeizufiihren, ist eine Kommission
mit den notigen Vorarbeiten betraut
worden. Ihr gehoren die Herren Pi-
cavet, Josef Fevre und Madame Rau-
ber an. Hinsichtlich der Frage, wie
die Familie mehr als bisher fur das
offentliche Erziehungswerk begeistert
werden konnte, verhielt sich der Kon-
gress ziemlich zuriickhaltend, weil
man von der zu grossen Einmischung
der Eltern in die Schulerziehung kein
giinstiges Ergebnis erwartete. Ein
begeisterter Apostel fur das bessere
Handinhandgehen zwischen Schul-
und Familienerziehung war Herr Bi-
dart, der aber mit seinen Ausfiihrun-
gen ziemlich allein blieb. — Im allge-
meinen hat der Kongress bewirkt,
dass sich die Redakteure und Mitar-
beiter der padagogischen Presse ge-
genseitig nahe getreten sind und hof-
fentlich spater noch enger verbunden
werden.
IV. Vermischtes
Der Tunnel der "Great
Northern" Bahn durch die
"Cascade Mountains" ist im Monat
Oktober nach dreijahriger Arbeit voll-
endet worden. Diese war von beiden
Seiten zu gleicher Zeit begonnen wor-
den; die Berechnungen der Inge-
nieure waren so genau, dass sich die
beiden Abteilungen in gerader Linie
ohne die geringste Abweichung im
Mittelpunkte trafen. Der Tunnel ist
zwei Meilen lang und fiihrt durch so-
lide Massen des hartesten Granits.
Das an und fur sich lobli-
cheBestreben, Fremdwor-
t e r durch deutsche zu ersetzeii,
treibt mitunter absonderliche Bliiten.
So versucht man, das Wort ,,Automo-
bile" durch die Bezeichnung ,,Schnau-
fer" zu verdrangen. (Uns diinkt das-
selbe weder treffend noch sehr wohl-
klingend. Ebenso ungliicklich ist die
Bezeichnung ,,Tuff" (nach dem Tuff-
tuff des Motors), wovon man, wie von
Rad ,,radeln" und ,,Radler", auch
,,tuifen" und ,,Tuffer" ableiten will.
D. R.)
Die Verbreitung der deut-
schenSprache. Im 15. Jahr-
hunderte sprachen 9 Millionen, im 16.
Jahrhunderte 15 Millionen, im 17.
Jahrhunderte 22 Millionen, im 18.
Jahrhunderte 38 Millionen, im 19.
Jahrhunderte 80 Millionen deutsch.
Nach dem ,,Alldeutschen Atlas" von
Paul Langhaus giebt es dermalen 84,-
793,000 Deutsche auf der Erde. Davon
kommen auf das Deutsche Reich 49,-
000,000, auf Osterreich 8,462,000, auf
Ungarn 2,107,000, auf die Schweiz 2,-
083,000, auf Belgien 3,420,000, auf Hol-
land 4,511,000, auf Russland 2,000,000
und auf das iibrige Europa 3,553,000.
In Amerika wohnen 10,920,000, in
Asien 88,000, in Afrika 623,000 und in
Australien 109,500 Deutsche.
ttber ein hiibschesVor-
kommnis in einer Schule wird
der ,,Tgl. R." berichtet: Der Leh-
rer behandelt das Gedicht ,,Das
Erkennen", (Ein Wandersbursch mit
dem Stab in der Hand etc.) und
steht bei der Erorterung der
Frage: ,,Warum hat die Mutter den
Wanderburschen sogleich wiederer-
kannt?" In gemeinsamer Arbeit ha-
ben Lehrer und Schiller festgestellt,
dass die Mutter jeden Morgen und
Abend fur ihren Sohn in der Fremde
gebetet hatte. Der Lehrer will nun
weiter entwickeln, dass die Gedanken
der Mutter auch den ganzen Tag iiber
oft bei dem abwesenden Sohn geweilt
haben. Auf die Vorfrage ,,Womit be-
schaftigt sich solch eine alte Frau?"
erhalt er die Antwort: ,,Mit Stricken,
Nahen, Spinnen etc." ,,Schon," fahrt
der Lehrer fort, ,,was hat nun wohl
Hiicberscbau.
47
das alte Mutterchen gedacht, wenn es
einsam in ihrem Stiibchen sass und
strickte?" Bin niedliches Biirschchen,
das ganz bei der Sache ist, antwortet:
,,Ob ihm die Strumqfe wohl passen
werden?"
Einige hiibsche Handwer-
kerspriiche lesen wir in Ro-
seggers ,,Heimgarten". Ein Seiler
schreibt iiber seine Thiire: ,,Die klei-
nen Diebe hangt man auf, die grossen
lasst man laufen; war' dies nicht der
Weltenlauf, wiird' ich mehr Strang'
verkaufen." — Und ein Schlosser
meint: ,,Wenn an jedes lose Maul ein
Schloss miisst' angehangt werden,
dann war' die edle Schlosserkunst die
beste Kunst auf Erden."
Aus dem Aufsatz des kleinen
Max: Der Affe ist so dumm, dass,
wenn er einen Menschen arbeiten
sieht, er es ihm nachmacht.
GutHeil! — Wahrend eines Tur-
nerfestes werden vier Fremde wegen
nachtlicher Ruhestorung verhaftel
und vor den Polizeikommissar ge-
bracht, der sie nach ihrem Namen
fragt. — ,,Ich heisse Frisch", sagte
der erste. — ,,Ich heisse Fromm", der
zweite. — ,,Ich Frohlich", der dritte.
— ,,Und Sie heissen natiirlich Frei",
sagt der Beamte, der sich verspottet
glaubt, hohnisch zum vierten. — ,,Nee",
sagt dieser, schlau lachelnd, ,,das ist
gerade der Witz, ich heisse — Meier."
Biicherschau.
I. Verzeichnis empfehlenswerter Jugendlekture fur das Weihnacl tsfest.
No. 10 der Jugendschrif ten- Wart e
enthalt eine Eeihe empfehlenswerter
Jugendschriften, von denen wir die
folgenden als auch fur unsere Jugend
geeignet nennen. In Klammern ist
hinter dem Titel des Buches jedesmal
die Verlagshandlung angegeben.
I. Fur Unter- und Mittel-
s t u f e.
Fiinfzig Fabeln fur Kinder. Von W.
Hey. In Bildern von O. Speckter.
Jubilaumsausg. (Perthes.) 2 Hefte.
— Prachtausg. — Schulausgabe 1.
Heft. — Hausausgabe 1. Heft.
Fur unsere Kleinen. Bilder von L. v.
Kramer. Text von H. Binder. (Thie-
nemann.)
Bilderbiicher von O.
P 1 e t s c h.
Daheim.
Unser Hausgartchen.
Buben und Madels.
Spielgefahrten.
Nesthackchen.
Eeinicks Marchen-, Lieder- und Ge-
schichtenbuch. (Velhagen.)
Fiir kleine Leute. Von M. Bern. Mit
Bildern von Flinzer, Pletsch, Rich-
ter, Thumann u. a. (Twietmeyer.)
Kinderlieder und -Eeime. Von Loh-
meyer. (Fernau.)
Fitzebutze. Von Paula und Richard
Dehmel. Mit Bildern von Ernst
Kreidolf. (Schuster & Loffler.)
Das goldene Marchenbuch. Von Dief-
fenbach und Gehrts. (Heinsius.)
Aus dem Kinderleben. Bilder von L.
Richter und Biirckner. Text von
Dieffenbach. (Heinsius.) 2 Teile.
II. Fiir die Oberstufe.
Robinson. Volksausgabe. (Grabner.)
Schulausgabe.
Marchenbuch von L. Bechstein. Bil-
der von L. Richter. (Wigand.)
Traumereien am franzosischen Ka-
min. Von Volkmann - Leander.
(Breitkopf & Hartel.)
Zv?ei Marchen von Riibezahl. Von Mu-
saus. Bilder von Stroedel. (Fischer
& Franke.)
Geschichten f iir Jung und alt. Von J.
Spyri. 10 Hefte. (Perthes.)
Heidis Lehr- und Wanderjahre. Voii
J. Spyri. (Perthes.)
Heidi kann brauchen, \vas es gelernt
hat. Von J. Spyri. (Perthes.)
Aus Nah und Fern. Von J. Spyri.
(Perthes.)
Gotter und Helden. 3 Teile von A.
Richter. (Brandstetter. Einzeln ge-
bunden: I. Griechische Sagen. II.
Nbrdische Sagen. III. Nibelungen,
Gudrun, Roland.
Entdeckungsreisen in der Heimat. I.
Teil: Eine Alpenreise. V. H. Wag-
ner. (Spanaer.)
Entdeckungsreisen in Stadt und Land.
Streifziige in Mitteldeutschland.
(Spamer.)
Entdeckungsreisen im Wald und auf
der Heide. Von H. Wagner. (Spa-
mer.)
In die Natur. Von H. Wagner. (Hel-
mich.)
Deutsches Geschichtenbuch. Von Ros-
egger. (Staackmann.)
Robinson Crusoe. Von Defoe. (Re-
clam.)
48
P'ddagogische Monatsbefte.
Die Nibelungensage. Von H. Mobius.
(Kohler.)
Grudrunlied fur d. d. Haus. Von En-
gelmann. (Neff.)
Die Iliade. 105. Die Odyssee. V. Ferd.
Schmid. (Ohmigke.)
Entdeckungsreisen in Feld und Flur.
Entdeckungsreisen in Haus und Hof.
Entdeckungsreisen in der Wohnstube.
Von H. Wagner. (Spamer.)
Was soil denn aus ihr werden? Eine
Erzahlung f. j. Madchen. Von Spyri.
(Perthes.)
Was aus ihr geworden ist. Eine Er-
zahlung f. j. Madchen. Von Spyri.
(Perthes.)
11. Eingesandte Bucher.
Das Madchen von Treppi,
Novelle von PaulHeyse. Edited
with Illustrations, Notes, Vocabulary,
and Paraphrases for Translation into
German by Edward S. Joynes,
Professor of Modern Language in
South Carolina College. Boston, D. C.
Heath & Co., 1900. Price 30 cts.
Allerlei Schiilerbilder.
Federzeichnungen fur Schul- und
Kinderf reunde von J. J. S c h e e 1.
Zweite Auflage. Hamburg, C. Boysen,
1900.
Twenty Questions and
Answers. Kurzgefasste Konversa-
tions-Grammatik der deutschen Spra-
che von Hedwig Neuhaus.
Im Selbstverlage.
Das Gebet des Herrn, fiir
Chorgesang, Deklamation des gleich-
namigen Gedichtes von S. A. Mahl-
inann und Orgel-, Harmonium- oder
Klavierbegleitung, komponiert von
Emil Paul. Op. 8. Leipzig, Max
Brockhaus. Partitur M. 2.50.
Das Lied vom braven
Mann (G. R. Burger). Volkstumli-
ches Chorwerk mit Deklamation und
Klavierbegleitung von J. G. Mayer.
Leipzig, Max Brockhaus.
Kirchen-Concert-Al-
b u m. Sammlung ausgewahlter vor-
ziiglicher Compositionen fiir Kirchen-
Concerte. Herausgegeben unter Mit-
wirkung einer Anzahl bedeutender
kirchlicher Componisten. Leipzig,
Carl Klinner. Vollstandig in 12 Hef-
ten a M. 1. — Einzelne Hefte a M.
1.50.
Weihnachtsmusik. Ora-
torium fiir Chor, Solo und Orgel,
komponiert von L. Trusheim. Op.
11. Leipzig, Carl Klinner.
Das Bewegungsspiel. Seine
geschichtliche Entwicklung, sein Wert
und seine methodische Behandlung,
nebst einer Sammlung von iiber 200
ausgewahlten Spielen und 25 Abzahl-
reimen, bearbeitet von Kektor | E d u-
ard Trapp und Lehrer Her-
mann Pinzke, beide an der Stadt-
schule zu Berlin. Siebente Auflage.
Langensalza, Hermann Beyer & Soh-
ne, 1900.
Deutsche Musterauf-
s a t z e fiir alle Arten hoherer Schu-
len, zusammengestellt von Dr. Her-
mann Ullrich. Leipzig, B. G.
Teubner, 1899. Preis geb. M. 2.40.
The Elements of German
by H. C. Bierwirth, Ph. D., In-
structor in German in Harvard Col-
lege. New York, Henry Holt. 1900.
Price $1.25.
Schillers ,,W ilhelm Tel 1."
Edited with an Introduction, Notes,
and Vocabulary by Robert Wal-
ler Deering, Ph. D. ,Professor of
Germanic Languages in Western Re-
serve University. Boston, D. C. Heath
& Co., 1900.
Journalistic German. Se-
lected from current German periodi-
cals. Edited by August Breh m,
P h. D., Columbia Grammar School,
New York. American Book Co. 1900.
Price 50 cts.
Maria Stuart, ein Trauerspiel
von Schiller. Edited with Ger-
man Comments, Notes and Questions
by Margarethe Miiller and
Carla Wenckebach, Professors
of German in Wellesley College.
Boston, Ginn & Co., 1900. Price $1.00.
Deutsch.es Lese- und
Sprachbuch von W i 1 h e 1 m
M ii 1 1 e r, late Principal of the Fif-
teenth District School, Cincinnati, O.
2 Teile. Silver, Burdett & Company,
New York, Boston, Chicago. 1900.
Die Volksbildung im
alten und im neuen Jahr-
h u n d e r t. Eine ernsthaf te Betrach-
tung. Von Dr. Ernst Schultze.
Stettin, Dannenberg & Cie. 1900.
Preis 50 Pfennige.
Weihnachts-K 1 a n g e. Eine
Festgabe fiir die deutsche Jugend.
Eine Sammlung von Gedichten, Dia-
logen und dramatischen Festspielen.
Verfasst von Frl. Bertha Raab,
Lehrerin an der Distriktschule No. 49
zu Buffalo, N. Y. Geo. Brumder, Mil-
waukee, Wis. Preis, broschiert, 25 cts.
Jahrgang II. Dezember 1900. Heft i.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikaiiische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Redakteur:
Max Griebsch,
Lcbrer am Nationalen Deutschatnerikanischen Lehrtrseralnar,
Milwaukee.
Leiter der Abteilung fur hoheres Schulwesen:
M. D. Learned, Ph. D.
Professor der deutschen Sprache und Litteratur
an der Universitat von Pennsylvanien,
Philadelphia.
Inhalt :
Seitc.
Prof. W. H. Rosenstengel. f ........... 1
Die nationale Atifgabe des Lehrerbundes. H. M. Ferren. ------ 7
Aus dem Tagebuch eines deutschamerikanischen Schulmeisters. C. A. Schonrich. • 11
Friedrich Nietzsche. Franz Rathmann. -------.--19
Die Mutter im Munde der D\chter und Denker. J. G. Klenk. ...... 31
Ans der Schulpraxis —
I. Lehrprobe : Die Grille und die Atneise. Aufsatzbehandlung. 32
II. Lehrprobe : Deklination des Dingwortes. Max Wischer. - - 34
Berichte und Notizen —
I. Korrespondenzen aus Buffalo, Chicago, Cincinnati, Columbus und Mil-
waukee. ------------..-37
II. Briefkasten. ........ .j.----*2
III. Umschau. ........ '/ - ... 43
IV. Vermi
Bucherschau —
/
IV. Vermischtes. ....... ' " - - - - 46
, -
I. Verzeichnis von Jugendlektiire fiir das WeihnachtS, ^ ^ ^ - - - 47
II. Eingesandte Bttcher. ..... - '/ '/' ^ 48
Verlag :
The Herold Co.,
431 to 435 Broadway, Milwaukee, Wis.
Entered at the Milwaukee P. O. and admitted for transmission through the mails as Second Class matter.
Dct Jabrgang der Padagogischen Monatshefte beginnt im Dezember und
besteht aus 10 Heften, welche regelmSssig in den ersten Tagen eines Monats
(mit Ausnahme der Ferienmonate Juli und August) erscheinen.
Dec BbonnementSpteiS betrSgt $1.00 pro Jahr, im voraus zahlbar.
BbonnementsanmeUwngen wolle man gefailigst an die Verlagsfirma: TheHerold
Co., Milwaukee, Wis., richten.
USeittage, das Unirersitatswesen betreffend, sind an Professor M. D. Learned,
Ph. D., (University of Pennsylvania, Philadelphia, Pa.);
solche, das Hochschulwesen betreffend, an H. M. Ferren, (High School,
Allegheny, Pa.);
s&mtliche Korrespondenzen und Mitteilangen, sowie BeitrSge, die allge-
meine Padagogik und das Volkssclmlwesen betreffend, an Max
Griebsch, (Nat. G. A. Teachers' Seminary, Milwaukee, Wis.);
3U besprecben&e JStiCbet an die Verlagsfirma zu senden.
Die BeitrSge filr eine bestimmte Monatsnummer mussen spiitestens am
20. des vorhergehenden Monates in den Handen der Redaktion sein.
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or Hedwig Neuhaus (519 N. llth St.)
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An unsere Leser!
Wir gestatten uns, diesem Hef te, dem ersten des neuen Jahrganges,
einen Bestellzettel beizulegen, mit der Bitte an unsere Leser, sich des-
selben zur Erneuerung des Abonnements zu bedienen.
Die Verlagshandlung hat im verflossenen Jahre alles gethan, auch
bedeutende finanzielle Opf er nicht gescheut, der deutschamerikanischen
Lehrerschaft eine Zeitschrif t zu geben, wie sie ihrer wurdig ist. Wir
durfeii aber darum auch die Erwartung aussprechen, dass unser Unter-
nehmen die Unterstutzung aller der Kreise, fur die es bestimmt ist,
finden wird.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss noch sehr viel gethan werden,
und wir hofPen keine Fehlbitte zu thun, wenn wir die Mitwirkung un-
serer Leser zur Gewinnung neuer Abonnenten erbitten. Fuhrt uns
jeder Leser einen neuen Abonnenten zu, dann ist den Padagogischen
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Die Herausgeber.
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Bauinbach R. Im Zwielicht, Vol. I, (Bern-
hardt) .65
Im Zwielicht, Vol. II. (Bernhardt) 65
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Es War Einmal (Bernhardt) 65
Ebner-Eschenbach, M. Krambambuli, and
Klaussmann, Memoiren eines Offiziers-
burschen, (Spanhoofd) 25
Freytag, G. Die Journalisten (Johnson).. .35
Heyse. L'Arrabbiata (Lentz), with prose
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Hillern, W. von. Holier als die Kirche
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Lessing. Minna von Barnhebn (Lambert) .50
Riehl, W. H. Die Vierzehn Nothelfer and
Trost um Trost (Sihler) 30
Der Fluch der Schonheit (Frost) 30
Schanz, Frida. Der Assistant, Aus der
Tanzstunde, Ein Schwalbenstreich
(A. Beinhorn) 35
Seidel, Heinrich. Die Monate (Arrow-
smith) 26
Der Lindenbaum and other Stories.
(Richard) 25
HerrOmnia (Matthewman) 25
Leberecbt Hiihnchen und andere
Sonderlinge. Boards (Bernhardt) 60
Stern, Menco. Geschichten vom Khoin.
Cloth, illustrated 85
Stifter, Adelbert. Das Heidedorf (Lentz) .25
Storm, Theodor. Immensee (Dauer) 25
Volkmann-Leander, Richard von. Trau-
mereien (Hanstein) 35
Wilbrandt, Adolf. Der Meister von Pal-
myra (Theodore Henckels) 80
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Heyse. Das Madchen Ton Treppi, and
Marion (Bernhardt) 30
Ranke, L. von. Kaiserwahl Karl's V.
(Schoenfeld) 35
Richter, Jean Paul. Selections (Col-
lins) 60
Schiller. Gustav Adolf in Deutschland
(Bernhardt) 45
Spyri, Johanna. Rosenresli and Der Tonl
von Kandergrund 25
Wildenbruch, E. von. Freudvoll und Leid-
voll (Bernhardt) 61
Zschokke, Heinrich. Der zerbrochene
Krug (Roelker) 25
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Special circulars of any books will be sent on application.
CORRESPONDENCE INVITED.
AHERICAN BOOK COflPANY,
NEW YORK.
521-531 WABASH AYE., CHICAGO, ILL.
CINCINNATI.
CHICAGO.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
i
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. Jannar 1901. Heft 2
Zum Jahreswechsel. UnsernLesern und Leserinnen
vorerst ein herzliches ,,G luck auf zum neuen
Jahr"!
Wenn dieses Heft in die Hande unserer Leser gelangt, sind zweifel-
los eine Reihe ,,Ruck- und Ausblicke an der Jahrhundertwende" in den
verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften iiber sie ergangen. Ob wohl
auch die Schule darin Beriicksichtigung gefunden hat? Fast mochten
wir dies bezweifelo. Die Erfahrung lehrt, dass ein Land und Volk die
Schule unbeachtet lasst, so lange alles gut geht. Man schenkt ihr erst
dann Aufmerksamkeit, wenn der nationale Wagen in irgend einer Weise
verfahren ist; und da die Betrachtungen in politischer, finanzieller und
industrieller Hinsicht durchweg das Fazit ziehen werden, dass wir es
doch herrlich weit gebracht haben, so werden wir kaum fehl gehen in der
Annahme, dass unsere leitenden Organe der Schule hochstens nebenbei
mit allgemeinen Phrasen Erwahnung thun werden. Das grosse Publi-
kum wurde in seiner "full dinner pail" Stimmung sowieso diesbeziigliche
Auslassungen ungelesen lassen.
Einen erschopfenden Ausblick bezuglich unserer Schule hier zu
geben, fehlt uns Raum und Zeit. Es ist dazu vor alien Dingen ein-
gehendes Studium notig, um objektiv urteilen zu konnen. Wir empfeh-
len dies Thema deshalb nachdrucklidhst fiir einen der Vortrage an
unserm nachsten Lehrertage, und wir sind sicher, dass es dem Bear-
beiter nicht an Stoff mangeln wird.
* * * *
Wenn der oberflachliche Beobachter ein Urteil iiber die Entwicke-
lung unseres Schulwesens fallen wiirde, so wiirde er ebenfalls nur Worte
der hochsten Genugthuung haben. Was ist doch im Laufe von hun-
dert Jahren aus dem "little red school-house" geworden! Herrliche
50 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Schulpalaste in Stadt und Land; die Schulausgaben belaufen sich nicht
mehr nach Tausenden, nein nach Hunderttausenden und Millionen von
Dollars; an die Stelle der althergebrachten "three R's" sind eine Unzahl
von Fachern gesetzt worden, um denSchuler ,,fiirs Leben" vorzubereiten ;
die grausame Strenge des Schulzimmers 1st einer friiher fur unmoglich
gehaltenen Milde, die Methode des Drillens unzahligen natiirlichen,
(auch unnatiirlichen?) Methoden gewichen; immer neue Erziehungs-
systeme verdrangen die vorhandenen, und "Educators" durchkreuzen
unser Land in alien Richtungen, neue Lehren verkiindend.
So lasst unser Schulwesen also nichts mehr zu wiinschen iibrig?
Wir wollen dem demnachstigen Vortragenden nicht vorgreifen; nur
einige Fragen mochten wir zu allgemeinem Nutz und Frommen vor-
legen: Durchweht der Geist der Verantwortung und der Berufstreue
die Lehrer und Lehrertnnen in unseren Schulpalasten durchweg in dem
Masse, wie er notwendig ist, wenn wir klar denkende, warm fuhlende und
charakterfeste Menschen erziehen wollen? Werden die fur Schulzwecke
von Staat, Gemeinden und Privatpersonen ausgeworfenen Geldsummen
immer an der richtigen Stelle angewandt? Sind wir auf dem richtigen
Pfade in unserem vielseitigen Lehrplane, das oben angegebene Ziel zu
erreichen? Ist die gegenwartige Behandlungsweise unserer Jugend ge-
eignet, Oharaktere zu bilden? Werden die neuen Methoden immer recht
verstanden und angewandt? Geben wir den eingefuhrten Erziehungssyste-
men geniigend Zeit, sich auf ihren Wert oder Unwert zu erproben?
Wiirden unsere "Educators" ihren Namen nicht eher durch redliche Ar-
beit im Schulzimmer, als am Rednerpulte verdienen? Ist die Vorbil-
dung unserer Lehrer und Lehrerinnen uberall so, dass diese fur ihr Amt
befahigt sind? Ist dem Lehrer die Stellung, finanziell, rechtlich und so-
zial, gewahrt, wie er sie bei seinem schweren Beruf beanspruchen darf?
Ist unser Schulverwaltungssystem uberall das rechte, oder haben politi-
sche Riicksichten grossere Bedeutung, als fachmannische Urteile? Ge-
niesst der Lehrer die Selbstandigkeit und Freiheit in seiner Arbeit, die in
ihm Schaffensfreude und Liebe zum Beruf weckt? — Wurden die Antwor-
ten auf diese Fragen durchweg befriedigend lauten?
* * * *
Wie steht es aber mit unserer ureigenen Sache, die wir in dem
Erziehungswesen vertreten? Kollege Ferren hat uns in der vorigen
Nummer ein Bild entrollt, wie es damit steht und stehen sollte. Wo ist
der Siegfried, der die Schwertstiicke mit kraftiger Hand zu einem Gan-
zen zusammenschweisst, das Schwert dann siegreich und ohne Furcht
schwingt und uns gebrauchen lethrt?
* * * *
Die Padagogischen Monatshefte blicken zaghaft in das neue Jahr-
hundert. Sie hatten kiirzlich einen schonen Traum: jeder Lehrer und
auch jede Lehrerin der deutschen Sprache fiihlte in sich die Verpflich-
Editorielles. 51
tung, das Blatt, das ihrer Sache, und nur der ihren dient, zu bestellen;
und — sie thaten dies auch. Wird dieser Traum im neuen Jahrhundert
zur Wirklichkeit warden?
Der nachste Lehrertag. Einer offiziellen Notiz zufolge wird die
nachstjahrige Versammlung der N. E. A. in Detroit abgehalten werden.
Wird dies nicht den deutschamerikanischen Lehrerbund zwingen, seinen
Plan, den nachsten Lehrertag ebenfalls in Detroit abzuhalten, zu
andern? Alle bisherigen Erfahrungen haben uns gelehrt, dass wir bei
einer gemeinsamen Tagung beider Vereinigungen im Nachteil waren.
Fiir uns d'arf es nicht geniigen, die fiir einen abzuhaltenden Lehrertag
notigen rein ausserlichen Bedingungen, wie sie in guten Hotels, billiger
Eisenbahnfahrt, in fiir die Versammlungen gunstigen Lokalen und in
Unterhaltungen bestehen, erfullt zu sehen, sondern wir mussen das
Interesse der Bevolkerung auf uns lenken konnen, wenn wir erfolgreich
sein wollen. Das wird uns aber in Konkurrenz mit der N. E. A. nie-
mals gelingen; das Hauflein unserer Getreuen wird von den Tausenden
erdruckt.
* * * *
Sollte sich darum nicht eine andere Stadt bereit finden, den Lehrertag
in diesem Jahre zu iibernehmen? Wir denken in erster Linie an Chicago.
Chicago ist zentral gelegen, hat ein gutes Deutschtum und eine grosse
Anzaihl von tiichtigen Lehrern und Lehrerinnen in Volks-, Hochschule
und Universitat, die mit dem notigen Enthusiasmus sicherlich einen erfolg-
reichen Lehrertag arrangieren konnten. Die Stadt selbst bietet viel des
Interessanten fiir jeden Reisenden, und wir sind darum in gar keinem
Zweifel dariiber, dass die Wahl Chicagos bei den Lehrertagsbesuchern
grossen Beifall finden wiirde. Wir wollen hiermit bei unsern Ohicagoer
Kollegen bescheidentlich angeklopft haben!?
M. Q.
Aus dern Tagebuch eines deutschamerikanischen
Schulmeisters.
Vortrag, gehalten vor dem 30. Lehrertag zu Philadelphia.
Von Carl Otto Schiinrieh,
Deutscher Oberlehrer an der Stadtschule No. 1 zu Baltimore, Maryland.
(Schluss.)
Einige Worte aber iiber die S c h u 1 e selbst — und iiber das
Elternhaus, und zwar drangt es mich, auf zwei bedenkliche t)bel-
stande hinzuweisen, die Jungamerikas Schulung, die seine Charakter- und
Gemiitsbildung bedrohen. Lassen Sie mich hoffen, dass meine War-
nungsrufe von dieser altehrwiirdigen, geweihten Statte hinausdringen
ins weite Land und zum Wohl unserer sonst so reich begiinstigten Ju-
gend vielseitig eine verstandnisinnige Aufnahme*) finden. — Betrachten
wir nun
*) Diese Hoffnung ist tiber Erwarten reichlich erfiillt worden. Die gesamte Landes-
presse, die englische wie die deutsche, hat diesen tVarnungsrufen die grosste Aufmerksam-
keit gewidmet. Der Philadelphia Public Led ger, eine der gediegensten und einflussreich-
Bten Zeitungen des Landes, machte den riihm lichen Anfang mit folgendem Leitartikel vom
9. Juli 1900:
Professor Schonrich, of Baltimore, in a suggestive paper read before the National
German-American Teachers' Association, in session in this city on Saturday, said:
"A grave danger threatening the public school systems of our country is the ten-
dency of making them top-heavy. Only too frequently the main energy is directed to the
development of the high schools; by their results the school systems of the different cities
are frequently judged, and consequently the schedule of the lower schools points up to the
high schools and not out into actual life."
The great, original purpose of the common school system was to give pupils a well
grounded, practical education, and to this end thorough instruction should be given in the
lower grades in the fundamental branches, upon which foundation the student may build
such an educational superstructure as his special needs, inclination and environment may
require. The destiny of an overwhelming majority of public school pupils throughout the
country is not the university, the college, nor even the high school, which is the capstone
of the common school system. In the last report of the United States Commissioner of
Education the attendance in the various elementary school grades and in the high schools
of twenty-four typical American cities is exhibited to illustrate how rapidly attendance
falls off in the higher grades, and how small a proportion passes through the high schools.
Kindergartens, ninth grammar grades and normal schools are omitted. In the first year's
work of these twenty-four cities 211,070 pupils were enrolled. In the eight year's work the
number had dwindled to 38,943. The total enrolled in eight elementary grades was 874,773,
and in the high schools only 47,251. The Commissioner says that the steady decrease in the
actual number is relatively so small that mortality may be eliminated in considering the
causes of the falling off in school attendance. Philadelphia is one of the twenty-four typical
cities mentioned in the Commissioner's report. The total number of pupils enrolled in all
the schools on the date, December 31, 1897, was 143,381. Of these 139,000 were enrolled in
Kindergarten and elementary schools, and 4342 were credited to high schools. For Chicago
the figures were: Elementary schools, 182,165; high schools, 7847.
The relatively small number of pupils able to attend high schools gives force and
significance to Professor Schonrich's criticism that the public school system of the country
is "top-heavy," and that the curriculum of the lower schools "points up to the high schools
and not to actual life." Common experience, as well as the quoted school statistics, shows
that the great mass of public school children enter upon the practical business of making
a living, graduate into "actual life," without higher training than that received in the
lower schools. To overload the curriculum of these schools with fads which trench upon
the time, the very precious time, which should be devoted to thorough drill in the funda-
mental branches of knowledge is to deprive the vast majority of the school population of
their rights. It is evident that there is good ground for Professor Schonrich's criticism
that the main energies of the school systems of the country are too often directed to the
development of the high schools at the cost of diminished opportunities for the very many
thousands of boys and girls who, for one reason or another, cannot grasp high schools priv-
ileges. The tendency to crowd the curriculum with too many studies, the manifest lack of
school accommodations for pupils in the lower grades in the great cities, accompanied by th»
most elaborate provisions for the high schools, are directions in which the Professor's re-
marks are very applicable. In striving to bring the higher education within reach of all
there is danger that the foundation teaching may be neglected.
dem Tagebucb eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 53
1. Eine das amerikanische Schulsystem bedro-
hende Gefahr.
Das amerikanische Freischulsystem ist da und dort in Gefahr "top-
heavy" zu werden, nach oben hin iiberladen. Es wird das Hauptaugen-
merk nur zu haufig auf die hoheren Schulen verwandt, nach deren Leis-
tungen beliebt man das betreffende stadtische Schulsystem zu beurtei-
len, und daher wird der Lehrplan in den niederen Schulen zu sehr nach
oben und zu wenig nach aussen gerichtet: ,,non vitae sed scholae", wie
Seneca sagt.
Ich glaube kaum, dass irgend eine Stadt ein schlagenderes Beispiel
fur diesen tibelstand darbietet, als das vielbegunstigte Washington, das
doch vor alien Stadten der Union als Muster dastehen sollte. Es machtc
sich dort dieser "Ubelstand in letzter Zeit auch in solchem Masse bemerk-
bar, dass allseitig Klagen zum Ausdruck kamen, so dass der Senat trotz
Puerto Rico und den Filipinos sich schliesslich veranlasst sah eine ein-
gehende Untersuchung der offentlichen Schulen des Distrikts Columbia
anzuordnen. Aus dem dariiber am 23. Marz 1900 eingereichten, 320
Seiten starken Bericht No. 711 will ich hier zu Ihrer eigenen Schluss-
folgerung einige Punkte anfiihren.
Das offentliche Freischulsystem Washingtons zahlt nicht weniger
als sieben hohere Schulen und zwei Normalschulen, drei davon fur Neger
bestimmt, alle bestens ausgestattet und gute Resultate aufweisend.
An niederen Schulen — Primary und Grammar Schools — herrscht
dort aber ein solcher Mangel, dass 312 Halbtagschulen eingerichtet wer-
den mussten, deren Zoglinge dann die iibrige Halfte des Tages der Strasse
iiberwiesen sind.
Diese Schiiler konnen aber noch von Gliick sagen, denn es fehlt
dort immer noch ,,5 — 10,000 Kindern" an einer Gelegenheit, das Innere
einer Schule zu sehen.
An Buchern und Schreibmaterialien herrscht in den niederen Schu-
len der Hauptstadt ein beispielloser Mangel, denn der Kongress hat hier-
fiir, bei einer Schiilerzahl von 41,406, nur $40,000 ausgesetzt, derselbe
Kongress, der mit leichter Hand Hunderte von Millionen auswirft, um
Filipinos zu ,,assimilieren".
Und wahrend derselbe Kongress fur die Offiziere der Armee und
Flotte und fur zahlreiche Kolonialbeamte glanzende Gehalter und Extra-
vergiitigungen aussetzt, bietet er dem Lehrpersonal Washingtons eine
armliche Bezahlung, wie folgende Stelle aus dem Jahresetat des Distrikts
Columbia veranschaulicht : ,,10 Kohlenschaufler $500, 45 Lehrerinnen
$400." Und dabei giebt es keine Pension fur das Lehrerpersonal. —
Man ziehe nun in Betracht, dass in Washington drei Viertel der
Zoglinge nach dem funften Schuljahre nicht mehr zur Schule gehen, dass
dort nur sieben Prozent in die hoheren Schulen gelangen (und im ganzen
Land gar nur 2J Prozent), und dass nichtsdestoweniger der Lehrplan
54 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
nach oben, nach der Hochschule bin, zielt, und nicht hinaus ins wirkliche
Leben, so wird man sofort erkennen, dass unter solchen Verhaltnissen
gar viel zu wiinschen iibrig bleibt fiir eine entsprechende Schulung der
weniger Bemittelten und Schwacheren, der Massen, die schon friihe die
Schule verlassen und in den Kampf urns Dasein eintreten miissen.
In dem angezogenen Senatsbericht, und mehr noch in einem vom
14. April 1900 datierten Erganzungsbericht, welch letzterer die Ergeb-
nisse einer Spezialpriifung mitteilt, tritt dieser "Ubelstand klar zu Tage;
das betreffende Senatskomitee findet auch, ,,dass in den Primar- und
Grammarschulen des Distrikts Columbia die Durchschnittszoglinge nicht
gelehrt werden, die englische Sprache richtig und fliessend zu gebrau-
chen, und dass sie auch im Rechnen nicht griindlich unterwiesen und ein-
geiibt werden."
Einen zu weiterem Nachdenken anregenden "Qberblick uber die er-
wahnte Spezialpriifung giebt die Washingtoner Korrespondenz in der
Mainummer unseres Bundesorgans ,,Padagogische Monatshefte".
2. Das Grundiibel in der amerikanischen Erzie-
h ti n g.
Wir wollen nun schliesslich unsere Aufmerksamkeit noch dem wich-
tigsten Erziehungsfaktor zuwenden: dem Elternhaus. Leider belegen
meine Erfahrungen, dass es in sehr vielen Fallen an einer verstandigen
hauslichen Erziehung fehlt. Die zarten, kostlichen Pflanzen werden teils
in einer Treibhausatmosphare zu einer ungesunden Friihreife gebracht,
oder sie werden noch haufiger vernachlassigt, von den Eltern bei ihrer
Jagd nach dem Dollar sich selbst iiberlassen und somit schleichenden
Nachtfrosten und zehrender Sonnenhitze ausgesetzt, wodurch sie nur zu
oft unheilbaren Schaden leiden. Lassen Sie mich hier ohne weiteres auf
das Grundiibel eingehen.
Das Grundubel in der amerikanischen Erziehung ist dies: es fehlt
die Erziehung zum Gehorsam. ,,Gehorsam ist des Schiilers, des Kindes,
des Menschen erste Pflicht", gilt als einer der obersten Grundsatze im
deutschen Erziehungssystem. ,,Aber in einem freien Lande, hort man
immer wieder sagen, haben wir kein Recht das Kind zum Gehorsam
zu zwingen, man muss es durch Grunde tiberzeugen." — Ja, wenn die
Kinder schon Vernunftgriinde verstanden, brauchten sie nicht erst erzo-
gen zu werden. Darauf weist schon Aristoteles hin: ,,Die Kinder sol-
len friihzeitig gewohnt werden, die Ausspriiche der Eltern und Lehrer,
wenn sie den Grund derselben auch nicht einsehen, eben so sehr zu ach-
ten als die, von deren Richtigkeit sie sich uberzeugt haben".
Die grossten Denker aller Zeiten haben dies wiederholt betont.
Locke sagt: ,,Die Kinder sind in friihen Jahren zu unbedingtem Gehor-
sam, spater zur Freiheit zu gewohnen, so dass sie aus Kindern — Freunde
werden". Kant sagt: ,,Zum Charakter des Kindes gehort vor allem der
Gehorsam". Aus diesem Gehorsam erwachst dann auch der Gehorsam
Aus dem Tagebuch eines deutscbatnerikaniscben Scbulmeisters. 55
gegen die Gesetze der Gesellschaft, die Gesetze der Natur, die Gesetze
Gottes, fiir solche bedarf es keiner sklavischen Temperenzgeliibde, sie
sind wahrhaft frei, und Heir iiber sich selbst; mit dem Gehorsam haben
sie auch gelernt, sich selbst zu beherrschen.
Aber ein den Geboten der Eltern und Lehrer hohnsprechendes und
sie umgehendes Kind umgeht spater auch durch List und Trug die biir-
gerlichen, und durch Sophismen die gottlichen und menschlichen Gesetze.
,,Der Weichling kann nicht gehorchen, es gehort eine kernige Natur
dazu, zu gehorchen, wo es sein muss", sagt Diesterweg. Lassen Sie
mich hier das oft ausgesprochene Wort wiederholen : Je freier der Staat,
desto strenger muss die Erziehung sein.
Mit dem Durchschnitts-Amerikaner argumentiert man indessen ver-
gebens iiber diesen Gegenstand; heidnische und christliche Autoritaten,
die Ausspriiche der grossten Geister kummern ihn nicht. "Experience
is the best teacher", antworten sie, ohne zu ahnen, was fiir ein folgen-
schweres Wort sie so leichtweg geaussert haben. Die wortHche tJber-
setzung: ,,Erfahrung ist der beste Lehrmeister", erscheint dem Ober-
flachlichen wohl ganz harmlos, aber es meint doch eigentlich, dass die
Jugend durch Schaden klug werden soil.
Was niitzt das Klugsein, wenn der Schaden geschehen ist? Solche
Schaden habe ich in Familien, auf der Strasse, in Wohlthatigkeitsanstal-
ten und in Gefangnissen leider gar oft erkennen miissen. Durch den
Schaden der Jungen sind iibrigens schon viele Alte klug geworden. —
In der Schule machen sich die Giftkeime einer solchen hauslichen
Verziehung und Verwahrlosung schon sehr friihe und oft recht unange-
nehm bemerkbar; dem allgemeinen Publikum kommen deren Wirkun-
gen in mannigfacher Weise zur Kenntnis, wie z. B. durch grobe Insubor-
dinationsfalle unter Abiturienten hoherer Schulen. So weigerte sich erst
vor drei Wochen die Abiturientenklasse des Baltimore City College, sich
den Anordnungen ihrer Vorgesetzten zu unterwerfen, und die Schulbe-
horde sah sich veranlasst, die iibliche Schlussfeier (Commencement) aus-
zusetzen. Die betreffenden Eltern sind dafiir verantwortlich, die bethor-
ten jungen Leute sind nur zu bedauern.
Das Herz des Jugend- und Menschenfreundes muss freudig bewegt
werden beim Anblick Jung-Deutschamerikas, das unter der Obhut einer
Familie aufwachst, in der mit der deutschen Sprache gute deutsche Sitte,
deutsche Geistes- und Gemiitsbildung gepflegt werden. Da begegnet
man deutscher Sittsamkeit, Wohlanstandigkeit, Bescheidenheit und Ge-
horsam gegen die elterliche Autoritat, was man beilder von eingeborenen
Amerikanern abstammenden Jugend gewohnlich nur bei den besser ge-
stellten Familien findet. Ja, wohl dem Hause, wo den Kindern keine
Argernisse gegeben werden, wo das Gebot ,,Ehre Vater und Mutter"
heilig gehalten wird ; dort wird auch die Verheissung sich erfiillen : ,,auf
dass dir's wohl gehe".
56 P'ddagogische Monatsbefte.
Je heller das Licht, desto tiefer der Schatten. — Um so schlimmer
steht es mit Jung-Deutschamerika, wo das Deutsche in der Familie ver-
nachlassigt wird. Die Eltern lernen das Englische haufig nur unvoll-
kommen, oder gar nicht. Die Kinder eignen es sich spielend auf der
Strasse an. Bald beginnen die letzteren im Hause ihr Englisch zu spre-
chen, gewohnlich ein schauderhaftes Gassenenglisch, das aber die Eltern
in ihrem Unverstand doch entziickt, und werden von jenen kaum mehr
verstanden. Wollen auch sie sich der fremden Sprache bedienen, so
kommen die Worte verkehrt heraus, sie werden von den eigenen Kindern
verlacht.
Dadurch verlieren die Kinder die Achtung vor den Eltern, sie ge-
wohnen sich daran, dieselben fur ungebildeter als sie selber zu halten.
Wehe aber, wenn die Kinder ihre Eltern verachten, wenn ihnen keine
Autoritat mehr heilig ist. Der hier oft gehorte Grundsatz, die Eltern
hatten den Kindern nichts zu befehlen, findet bei dieser Jugend die eifrig-
sten Befurworter; das nichtswissernde Jung-Deutschamerika liefert zum
Kontingent der Loafers die schlimmsten Exemplare.
Es ist recht betriibend zu sehen, wie dieses Jung-Deutschamerika
fur die Siinden der Vater biissen muss, die ihre ehrwiirdige Mutter Ger-
mania verachten. Deutsche Redakteure, selbst deutsche Lehrer und
Prediger musste ich kennen lernen, in deren Familien die deutsche
Sprache ein Aschenbrodel oder gar eine Verfehmte war. In solchen
Hausern fehlt die mollige Warme des deutschen Familienlebens — der
unheimliche Geist des Boardinghauses durchfrostelt die Raume, die viel-
leicht nur dort weniger eintonig sind, wo die iGnder ihre Mutter und
diese wieder ihre Vater regieren.
Schon so oft ist in geistvoller und iiberzeugender Weise nachgewie-
sen worden — und das besonders von unserem grossen Carl Schurz —
dass die Sprache viel mehr ist als die blosse aussere Form des Gedankens,
dass in ihr zum grossen Teil der Geist und das Wesen eines Volkes
steckt. Und so wird die Pflege der deutschen SpracEe wesentlich dazu
beitragen, dass Jung-Deutschamerika unserer Gesamtbevolkerung ein ge-
sundes Element zufiihrt und an der Erfiillung der dem amerikanischen
Volke in der Menschheitsgeschichte zustehenden Mission einen ehren-
vollen Anteil nimmt. Fur deutschamerikanische Eltern, die das kost-
bare Erbrecht ihrer Kinder verludern, lassen sich die Worte anwenden:
,,Wer die Mutter (Germania) nicht ehrt, ist der Braut (Columbia) nicht
wert".
Dass Kinder, selbst bei sonst guter hauslicher Pflege, die das Ungliick
haben, Eltern anzugehoren, die ihre deutsche Muttersprache verachten,
hinter den anderen auch in der Schule zuruckstehen, fiegt klar zu Tage.
Wir finden auch durchweg als die besten Schiiler: die Kinder Deutsch
sprechender Eltern, sowie die Kinder gebildeter angloamerikanischer El-
tern; und hierbei verdienen die israelitischen Kinder besondere Erwah-
A us dem Tagebucb eines deutschamerikaniscben Scbulmeisters. 57
nungf, da deren Eltern mit hochst seltenen Ausnahmen treu zur Seite
des Lehrers stehen.
Die gebildeten Angloamerikaner diirfen in der grossen Mehrzahl
manchem Deutschamerikaner als Vorbild dienen, wie wir ein leuchtendes
Beispiel in unserem verehrten Bundesprasidenten Dr. Learned haben.
Es mag manchem sonderbar klingen, allein gerade von diesen habe ich
durchschnittlich mehr Aufmunterung in meinem Beruf als deutscher Leh-
rer erfahren diirfen, als von Denen deutscher Abstammung. Man mochte
mich missverstehen, wollte ich manche der vielen Beweise der Dankbar-
keit und Anerkennung hier anfuhren, die ich von ihnen erfahren.
Welche Begeisterung hegen viele derselben fur das Deutsche ! Sagte
mir erst neulich eine gesellschaftlich und geistig hochstehende Dame
beim Lesen eines der einzig schonen deutschen Volkslieder: ,Ja so ge-
miitvoll konnen nur die Deutschen denken; wie sind doch die Kinder
deutschamerikanischer Eltern zu beneiden, ihnen wird spielend die deut-
sche Sprache und damit der Schliissel zu den in der deutschen Litteratur
aufgespeicherten unvergleichlichen Schatzen, was wir erst nach jahrelan-
gem schwerem Miihen erreichen konnen."
Ja, ein solches Jung-Deutschamerika ist auch zu beneiden. Die in
der englischen Jugendlitteratur sich hervordrangende Schlnderhannes-
und Froschmolluskenbreinatur verderben dessen Geschmack nicht, diese
Bevorzugten konnen sich in dem Herz und Sinn erfrischenden Kinder-
und Jugendgarten der deutschen Litteratur nach Herzenslust ergehen,
dabei sind ihnen auch in diesem Lande von deutschen Jugendfreunden
besondere Paradiesgartlein angelegt worden, wie in Milwaukee von
W. W. Coleman, dem hochherzigen Griinder der Kinder- und Jugend-
post.
Bei den Grosseren dient die verstandnisinnige Pflege der deutschen
Sprache zur Weckung und Forderung litterarischer, asthetischer, sittli-
cher und allgemein wissenschaftlicher Kenntnisse, wie sie den andern
kaum je zum Bewusstsein kommen.
Mogen doch die deutschamerikanischen Eltern des dauernden Se-
gens stets eingedenk bleiben, den eine treue Pflege der deutschen Mut-
tersprache in Familie und Schule mit sich bringt, und mogen sich fur
ihre Kinder immer Lehrer finden, die von Begeisterung fur dieselbe er-
griffen sind — denn man kann andere nur das lieben und achten lehren,
was man selbst liebt und achtet.
Uber europaische Schulverhaltnisse.
(Fur die Padagogischcn M onatshefte.)
Von H. Raab, weiland Staats-Schulsuperintendent von Illinois.
IV.
Ich will nun einige Schulen, die mir ganz besonders gefallen haben,
etwas umstandlicher schildern. Zuerst ein Lehrerseminar, und zwar das
alte bewahrte grossherzoglich-hessische zu Friedberg in der Wetterau.
Friedberg ist ein kleines Stadtchen, und in einer halben Stunde von
Frankfurt a. M. aus mit der Eisenbahn zu erreichen. Die Stadt liegt auf
einem schmalen Bergriicken, an dessen Ende sich ein freistehender Hugel
erhebt, auf dem das alte Schloss erbaut ist. Fniher war das Schloss von
der Stadt aus nur durch eine Briicke zu erreichen; jetzt verbindet ein
Fahrdamm das Schloss mit der Stadt. Ein Teil der Schloss- und Wirt-
schaftsgebaude sind, wie das in Deutschland so oft geschieht, zum Semi-
nar eingerichtet worden. (Schlosser, aufgehobene Kloster, alte Kirchen
und nicht mehr gebrauchte Verwaltungsgebaude sind nicht selten bei der
Wahl eines Ortes zur Griindung von Lehranstalten ausschlaggebend ge-
wesen.) Ein Teil des Schlosses wird noch hin und wieder von den regie-
renden Herrschaften bewohnt. — Nach Durchschreiten des Thorweges
findet man sich in einem grossen Hofe, auf dessen linker Seite die Lehr-
raume liegen; gerade vor sich hat man die Wohnraume (dormitories) der
Seminaristen, rechts Speisesaal und Kiiche, und weiterhin einige Woh-
nungen der Professoren, und ganz am Ende das einzig neue Gebaude —
die Turnhalle. Diese ist ganz prachtig, man mochte sagen verschwen-
derisch eingerichtet, mit alien Geraten versehen, und bildet, wie meist in
deutschen Stadten, ein ausgezeichnetes wichtiges Unterrichtslokal. Rund
um die Gebaude lauft eine niedrige Mauer, jenseits deren ein 20 Fuss
breiter, wiederum von einer Mauer umgebener Raum ist; dieser ist in
Beete abgeteilt, auf denen die Seminaristen Obst- und Gartenbau treiben,
auch wohl exotische und Arzneipflanzen ziehen, damit sie dereinst in
ihrem Wirkungskreise nicht nur Unterricht in Obst- und Gemusezucht
erteilen, sondern auch die Jugend und durch diese das Volk uber Heil-
mittel und Giftpflanzen aufklaren konnen.
Die Wohnraume der Seminaristen sind immer fur je zwei eingerich-
tet, ausserst einfach, weiss getiincht, enthalten zwei iiber einander ste-
hende Bettstellen, einen Tisch, mehrere Stiihle, einen Kleiderschrank,
Biichergestelle und einen Ofen. Die Zoglinge sind verpflichtet, diesen
Raum zu reinigen und in Ordnung zu halten, den Ofen zu bedienen, da
zu diesem Zwecke Dienstboten nicht gehalten werden. In dem gerau-
migen Speisezimmer erhalten sie ihre Mahlzeiten unter Vorsitz der Lehrer.
Die Erzeugnisse der Gartenkunst der Seminaristen werden in der Kiiche
verwahrt (Diese Einrichtung erinnert an die Anstalten, die Vater Pesta-
lozzi zu Anfang seiner reformatorischen Thatigkeit in Neuhof eingefuhrt
Uber curop'dische Scbulverb'dltnisse. 59
hatte, die er jedoch, durch widrige Verhaltnisse gezwungen, bald aufgeben
musste.) — Nur den Zoglingen der dritten (hochsten) Klasse ist es ge-
stattet, in der Stadt selbst Quartier und Kost zu suchen, die der ersten
zwei Jahrgange mussen in der Anstalt wohnen und speisen. Nur ein
Teil der Zoglinge hat fur Unterricht und Verpflegung zu zahlen; die
grossere Anzahl erfreut sich der liberalen Stipendien.
Unter den Lehrraumen finden wir eigens ausgestattete Zimmer fur
den Unterricht in der Physik und Naturbeschreibung, Laboratorien, eine
Bibliothek, einen geraumigen Musiksaal und eigene Zimmer fur den Mu-
sikunterricht. In diesen letzteren stehen Pianos und stumme Instrumente
(auf engl. dummies), in dem anderen eine Pfeifenorgel und sechs oder
mehr stumme Orgeln, damit der Unterricht mehreren Zoglingen zu glei-
cher Zeit erteilt werden kann. Unter sich haben die Seminaristen ein
vollstandiges Orchester, auch bilden sie einen Gesangverein. Da die
Lehrer den Gesangunterricht in ihren Schulen zu leiten haben, so wird
auf ihre musikalische Ausbildung grosse Sorgfalt verwandt. Ein Lehrer,
der als Kantor den Kirchengesang zu leiten hat, muss dafiir von der Ge-
meinde besondere Vergiitung erhalten; friiher war es Pflicht des Lehrers,
ausser in seiner Schule, auch den kirchlichen Gesang zu leiten.
Ich wohnte einer Unterrichtsstunde in Physik, einer in Weltgeschichte
und einer in Litteratur bei. In ersterer liess der Lehrer die Krafte und
Merkmale und dann das Gesetz finden und in Worte fassen. Aufmerk-
samkeit, Beobachtungsgabe und Sprache der Zoglinge waren gut; aus
der Methode des vortragenden Lehrers konnten sie sich ein Muster fur
die Behandlung des Gegenstandes in ihren dereinstigen Schulen nehmen.
Die Behandlung der Themata in der Geschichte geschah mit Umsicht und
Geschick; die Begebenheiten werden fliessend erziihlt und die entsprechen-
den richtigen Schliisse daraus gezogen. In der Litteratur wurde nicht
sowohl ein Geschichtsabriss gegeben, als die Behandlung der Erzeugnisse
des entsprechenden Dichters und seine Periode. — In diesem Seminar
wird auch Taubstummenunterricht erteilt, damit die Lehrer vorkommen-
den Falls diesen Ungliicklichen angemessene Bildung vermitteln konnen.
Wenn dies gliicklicherweise nur wenige spater zu iiben haben, so lernen
doch alle mit geistig schwach begabten Kindern umgehen und dieselben
angemessen behandeln und mit solchen Kindern mehr zu leisten, als Leh-
rer, denen solcher Unterricht nie zu teil wurde.
Die Arbeitszeit der Seminaristen dauert von 7 Uhr morgens bis 6
Uhr abends, einschliesslich einer zweistiindigen Pause fur das Mittags-
essen. Da diese neun Stunden jedoch die Zeit fur das Turnen, die Gar-
tenarbeiten und zum Teil das hausliche Studium in sich begreifen, so sind
die Zoglinge nicht allzusehr angestrengt. Die Abende sind der Musik
und der Erholung gewidmet. Zu gewissen Zeiten, d. h. wenn Prufungen
etc. bevorstehen, mogen auch die Abende in Anspruch genommen wer-
den. Ich nahm an einer Mittagsmahlzeit teil und fand das Essen
60 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
schmackhaft und reichlich. Der Direktor und das Lehrerpersonal kamen
mir liebenswiirdig entgegen und forderten die Zwecke meines Besuches
auf jede Weise, obgleich ich damals noch keine Empfehlungsbriefe auf-
zuweisen hatte und zur Einfiihrung nur meine Karte abgab, ohne mein
Pradikat als ehemaliger Staatssuperintendent beizufiigen. Dann besuchte
ich das Seminar zu D., das ehemals nassauisch, jetzt aber preussisch ist,
muss jedoch gestehen, dass weder der Ernst der Lehrer, noch die Rein-
lichkeit und Umgebung des n e u e n Gebaudes einen sonderlichen Ein-
druck auf mich machte. Von dem Besuch des Seminars zu Usingen, wo
s. Z. Freund Dapprich seine Ausbildung genossen, riet man mir ab, da
ich kaum Gelegenheit finden wurde, etwas Bemerkenswertes zu lernen.
(Unter nassauischer Regierung gait Usingen als eine gute, fortschrittliche
Anstalt, wahrend sie unter preussischer Verwaltung zuruckgegangen sein
soil. Die Gebaude sind zweimal abgebrannt.)
Unter den sogenannten hoheren Schulen (Siehe Heft 3, I.) gelten
in Frankfurt a. M. das Wohler- Gymnasium fur Knaben und die Elisa-
bethen-Schule (ehemals englische Fraulein-Schule) fur Madchen als her-
vorragend gute Anstalten. Die Gebaulichkeiten derselben sind neu und
zweckmassig konstruiert und enthalten an Sammlungen, Instrumenten
und L'ehrmitteln, was das Herz des Lehrers nur begehren mag. Das
Wohler-Gymnasium bereitet, wie andere Gymnasien, zur Aumahme in die
Universitat vor; die Elisabethen-Schule gilt als Lehrerinnenseminar. In
ersterem herrscht mit Bezug auf Sprachunterricht der sogenannte Frank-
furter Plan, d. h. eine moderne Sprache wird gleichzeitig mit der Mutter-
sprache vom ersten Schuljahre an durch Anschauung und ^Conversation
gelehrt, wahrend Lateinisch und Griechisch erst mit dem siebenten Schul-
jahre begonnen werden. Diese Anordnung wird als praktisch und erfolg-
reich geruhmt, und ich sehe nicht ein, warum dies nicht viel verniinftiger
ist, als die alte Methode, nach der die toten Sprachen zuerst und die leben-
den erst spater gelehrt werden. Eine andere Neuerung hat man in dieser
Schule ins Leben treten lassen, namlich, dass ein Lehrer die Klasse mit
dem Eintritt in die Schule empfangt und dieselbe, mit ihnen aufsteigend,
durch fiinf bis sechs Jahre unterrichtet. Wenn die Lehrer ihr Geschaft
verstehen, so wird dadurch ein weit nachhaltigerer erziehlicher Ein-
fluss erzielt, als durch die jahrlichen Versetzungen von Grad zu Grad.
Da kann der Lehrer den Charakter und die Anlagen des Kindes, seine
Starken und Schwachen studieren und durch geeignete Zuchtmittel vor-
teilhaft auf dasselbe einwirken. In dem Elementarunterricht fiel mir das
frische, ungebundene Wesen der Knaben sehr vorteilhaft auf; dieselben
sprachen lauter, deutlicher und richtiger, als ich sonstwo gefunden habe.
In der Elisabethen-Schule wird im zwolften Schuljahre Unterricht in
Psychologic und Padagogik erteilt, damit die jungen Madchen dereinst
imstande sind zu unterrichten. Ein sehr fruchtbarer Lehrgegenstand fur
Madchen scheint mir die Kunstgeschichte, in der von kundigen Kraften
Uber europ'dische Sclmlverbaltnisse. 61
em grundlicher Unterricht erteilt wird. In den Vereinigten Staaten wird
diesem Gegenstand nur in den besten "female colleges'' ein Platz einge-
raumt. und es wird noch lange wahren, ehe die Wichtigkeit der Kunst
fur das Geistesleben der Nation erkannt wird. Dass in Verbindung mit
diesem Unterricht fleissig gezeichnet und gemalt wird, ist selbstverstand-
lich.
Ich habe auch nicht verfehlt, Dorfschulen zu besuchen, und in diesen
oft ein gesunderes erziehliches Thun gefunden, als in den Schulsystemen
der Stadte. Sofern in einer der ersteren ein gesunder padagogischer Geist
den oder die Lehrer beseelt, sind diese vermoge der langeren Zeit, die
sie dem Studium der Kindesnatur widmen konnen, befahigt, nicht nur auf
den Verstand, sondern auch auf das Gemiit der Kinder einzuwirken.
Dass die Kinder in diesen Dorfschulen bei der Entlassung nach der Kon-
firmation nicht nur in den Elementarfachern gut beschlagen sind, sie haben
auch durch den theoretischen und praktischen Unterricht in Acker- und
Gartenbau einen tieferen Einblick in die Thatigkeit ihrer Eltern bekom-
men. In dem ehemaligen Konigreich Hannover besuchte ich eine katho-
lische Dorfschule, an der ein Mann und eine Frau als Lehrkrafte ange-
stellt waren. Beide hatten Wohnung im Schulhaus, bei dem verheirateten
Lehrer hatte die Lehrerin ihre Kost. Zu der Schulgerechtsame gehorte
auch ein kleines bauerisches Anwesen, das der Lehrer bestellte und woraus
er einen Teil seiner Einkiinfte bezog. Mein Besuch dort fiel in die Zeit
der Heuernte, und wahrend der Lehrer seine Schulstunde abhielt, waren
hinter dem Schulhause Manner und Frauen fur ihn an der Arbeit, das Heu
einzuheimsen. Ausser den zwei Schulraumen sah ich mir die ganze
Amtswohnung an und wurde von der Lehrerin in ihrem ,,Parlor" — ver-
hiillet euer Antlitz, ihr amerikanischen Lehrerinnen — mit einer Flasche
Bier und Zigarren bewirtet. Die Unterrichtsstunden dauern von 7 Uhr
vormittags bis 1 Uhr nachmittags ; im Winter fangt die Schule eine Stunde
spater an; die iilteren Kinder erhalten wahrend der ersten drei, die jun-
geren wahrend der zweiten drei Stunden ihren Unterricht. Dass dabei
der Korper der Kinder durch zu vieles Sitzen geschadigt wird, wird wohl
niemand behaupten; die Kinder konnen ihren Eltern den ganzen Nach-
mittag bei der Arbeit helfen und sich austoben. Ob man diese Einrich-
tung in unseren amerikanischen Landschulen auch einfuhren konnte? —
Diese Frage kann ich nur dann mit Ja beantworten, wenn das amerika-
nische Volk einsehen gelernt hat, dass zur Ausbildung im Schulfache eine
ebenso grundliche Vorbereitung gehort, wie zu einem anderen gelehrten
Beruf.
Zum Schlusse will ich noch eine Anstalt schildern, die in ihrer Art
einzig in Deutschland, vielleicht in der ganzen Welt, dasteht; ich meine
das Freimaurer-Institut fur Knaben in Dresden-Striesen. Mancher denkt
bei dem Namen vielleicht an eine Anstalt, die lediglich zur Erziehung von
Freimaurerkindern bestimmt ist; dem ist jedoch nicht so, und es wird dies
62 P'ddagogiscbe Monatshefte.
den Lesern sogleich klar warden, wenn ich ihnen die Entstehungsge-
schichte der Anstalt kurz erzahle. In Deutschland leistet der Freimau-
rerorden auf dem Gebiete der Bildung und Wohlthatigkeit im Stillen Be-
deutendes. Am 28. Juni 1899 konnte die Anstalt ihr 125jahriges Beste-
hen feiern,
Nach dem siebenjahrigen Kriege, dessen Wut vorzugsweise das K6-
nigreich Sachsen empfand, irrten im Erzgebirge und im Vogtlande viele
Waisen unbeschiitzt und unversorgt umher. Eine Anzahl Logen ernannte
eine Armen-Deputation von Logenbriidern, die allein im Jahre 1772 mehr
als 1100 Kinder vor dem Hungertode bewahrte und mit Unterricht ver-
sorgte. In und um Dresden war die Not so hoch gestiegen, dass eine
Polizeikommission fur nicht mehr als 400 Kinder zu sorgen hatte, die sie
in sechs Aushilfsschulen unterrichten liess. Mit Beihilfe einiger wohltha-
tiger Damen wurde, nachdem der ersten Not gesteuert war, mit einem
Kapital von 300 Thalern, wovon ein Drittel fur Armenunterstiitzung und
200 Thaler zur Errichtung eines Instituts in Friedrichstadt-Dresden be-
stimmt war, der Grund zu der Schule gelegt, Vom 1. Dezember 1772
an wurden in der ,,Friedrichstadt bei Dresden" 20 Knaben und 10 Mad-
chen im Alter von 6 — 12 Jahren vollstandig unterhalten und unterrichtet
Dies war die Grundlage zu der in 1774 ins Leben gerufenen Anstalt.
Durch Beihilfe grossmiitiger Menschenfreunde wurde, was anfanglich nur
als vorubergehend gedacKt war, zu einem dauernden Unternehmen, das
unter bestandigem Schutze der Logen stehen sollte. Die sachsische Re-
gierung jedoch verlangte Unterstellung der Anstalt unter eine Staatsbe-
horde, damit der Anstalt der Charakter einer offentlichen Schule gewahrt
werde. Dies geschah im Jahre 1801 ; mittlerweile aber war die Schuler-
zahl so gewachsen, dass ein Anbau notig und die Schule in zwei Klassen
geteilt werden musste. Ausser den Elementarfachern wurde zu jener
Zeit viel Aufmerksamkeit auf den Religionsunterricht verwandt, 1J Stun-
den taglich. Andere Lehrgegenstande waren: ,,von Rochow, Kate-
chismus der gesunden Vernunft", ,,Sulzer, Voriibung zur Erreichung der
Aufmerksamkeit", ,,Bdspiele der Weisheit und Tugend", ,,t)ber die Lan-
desgesetze", ,,Ernesti, Von der Hoflichkeit, Ordnung und Reinlichkeit",
,.Beschreibung des Handwerkerstandes" (?) und ,,Vom Aberglauben",
Latein eine Stunde taglich vormittags und Franzosisch eine Stunde tag-
lich nachmittags. Der erste Direktor der Anstalt war Johann Gottlieb
Moraweck, der als ein ,,redlicher und gewissenhafter Informator" ge-
schildert wird; sein Unterricht wurde ausserdem noch von 30 Kindern
,,bessere Stande''' aufgesucht, weil sie durch seine ,,geschickte Methode
angelockt" wurden. Einige der Lehrbucher sind bereits bei Aufzahlung
der Lehrfacher aufgeftihrt worden; andere waren ,,Brosenius, Technolo-
gic", ,,Ludwigs Biirgerfreund", ,,Meidingers und Sanguins franzosische
Grammatik", ,,Campes Robinson Crusoe", ,,Wilmsens Deutscher Kinder-
Uber europ'discbe Schulverb'dltnisse. 63
freund", ,,Hoffmanns Naturkunde", Biicher, die selbst in der zweiten
Halfte des neunzehnten Jahrhunderts noch in Gebrauch waren.
Es ist nicht meine Absicht, die Geschichte des Instituts zu erzahlen;
im Gegenteil muss ich mich hiiten, nicht zu viel daraus mitzuteilen. Im
Laufe der Zeit erfuhr die Anstalt mehrfache Vergrosserungen und Ver-
besserungen, bis nach 125jahrigem Bestehen die Raumlichkeiten zu enge
und die Umgebung durch das Wachstum der Stadt zu gerauschvoll wurde,
erwarben die Vorsteher der Schule in 1897 einen geeigneten Bauplatz in
der Vorstadt Striessen, der 18,000 qm. umfasst, fur den Preis von 345,124
Mark. Fur spateren Erwerb von Grundeigentum wurden noch 11,000
Mark verausgabt. Da die Bauplane vorher bereits entworfen und ange-
nommen waren, so konnte bereits am 15. Juni des genannten Jahres der
Grundstein gelegt werden. Der Neubau besteht aus dem Internatsge-
baude, d. h. den Schlaf- und Speiseraumen fiir die Zoglinge, dem Schul-
haus, zwei Lehrerwohnungen und der Turnhalle, und wurde im Juni 1899
vollendet und durch die Jubelfeier des ISojahrigen Bestehens der Anstalt
eingeweiht Es kostete 1,465,000 'Mlark, sodass, mit dem Preis fiir das
Terrain, nahezu 2,000,000 Mark fiir die Anlage der Schule verwandt
wurden.
Fiir die Aussenarchitektur wurden die reizvollen Formen der deut-
schen Renaissance mit Anklangen an die Gothik gewahlt; samtlicEe
Strassenansichten sind in reiner Sandsteinarbeit, die Hofansichten mit ge-
putzten Wandflachen ausgefiihrt. Samtliche Gebaude liegen nicht un-
mittelbar an den drei Strassen, sondern sind von dem Biirgersteig durch
9 — 13 Meter breite, mit eisernen Gitter eingefriedigte Vorgarten ge-
trennt.
Die Gebaude sind dreistockig und liegen um den mit Schattenbau-
men bepflanzten Exerzierplatz (die Zoglinge werden namlich auch mili-
farisch ausgebildet), an den sich zwei Lawntennis-Platze, Kegelbahnen,
Turnhalle und Schiessstand anschliessen. Sie haben elektrische Beleuch-
tung, Wasserleitung und Dampfheizung; mit den Schlaf sa'len in Verbin-
dung ist ein Waschsaal mit Badeeinrichtung, ein Wichsraum und ein
Kleidersaal, wo jeder Zogling einen Kleider- und Schuhschrank hat; fer-
ner ein Arbeitszimmer und der herrlich ausgestattete Festsaal'mit einer
Orgel, das Jtlandfertigkeitszimmer und der Speisesaal. In alien Raumen
herrscht die grosste Reinlichkeit und Ordnung. Da auch die Leibwasche
der Schiiler im Institut gewaschen wird, so ist auch fiir die Aufbewah-
rung und Austeilung derselben die umsichtigste Fiirsorge getroffen. Fiir
das leibliche Wohl sorgen vier Inspektoren aus dem Militarstande, die
wahrend des Unterrichts dienstfrei sind, damit sie wahrend der Freizeit
und der Hausarbeit mit frischen Kraften walten konnen. Nach deut-
schem Gebrauch erhalten die Zoglinge taglich fiinf Mahlzeiten, namlich
erstes und zweites Fruhstiick, Mittagessen, Vesperbrot und Abendessen,
bei welch' letzterem einfaches Braunbier verabreicht wird. Letzteres er-
64 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
halten die Zoglinge auch Sonntags zu Mittag regelmassig und an hohen
Festtagen einen leichten Weisswein.
Die Schlafsale sind mit eisernen Einzelbetten ausgestattet; auf er-
hohter Lagerstatte schlafen zwei der Inspektoren, die bei der geringsten
Unruhe oder Stoning wahrend der Nacht durch Druck auf den Knopf
den ganzen Saal elektrisch beleuchten und die Ursache zu erfahren ver-
mogen. Durch diese Einrichtung werden Streit und Erkrankungen er-
kannt und geheime Siinden, diese Pest mancher Internate, vermieden.
Im Sommer wird um funf, im Winter urn 6 Uhr aufgestanden ; die Kna-
ben wichsen ihre Schuhe und reinigen ihre Kleider selbst, baden und wa-
schen sich unter der Aufsicht der Inspektoren, kleiden sich sorgfaltig an
und gehen dann zum ersten Friihstuck. Eine Stunde nach dem Aufste-
hen begeben sich die Schiiler nach dem Arbeitszimmer und verfertigen
ihre hauslichen Arbeiten unter Aufsicht der Inspektoren. Hierauf findet
eine Andacht statt, und um acht Uhr beginnt der vier Stunden dauemde
Unterricht. In den Nachmittagsstunden ist der Handfertigkeitsunter-
richt — Pappen, Kerbschnitt, Tischler- und Schlosserarbeiten — ebenso
der Zeichen-, Turnunterricht und das Spielen. Wahrend der Sommermo-
nate gehen die Knaben unter Aufsicht zum Baden in^die^nahe Elbe, wo
sie auch schwimmen lernen. Aus einer von Freunden und Gonnern der
Anstalt begriindeten Kasse werden die notigen Cerate fur allerlei Bewe-
gungsspiele, als Tennis, Croquet, Cricket, Boccia, Fussball u, a, ange-
schafft und ebenso die Preise eingekauft, mit denen die Sieger bei Wett-
spielen belohnt werden. Der Spielplatz wird im Winter durch t)ber-
schwemmung in eine prachtvolle Eisbahn verwandelt, wo die Knaben!
Schlittschuh laufen und alle mit dem Eissport zusammenhangenden Spiele
treiben konnen. Fur die Erholung ist demnach aufs beste gesorgt, so
dass die Korperbildung unter der des Verstandes nicht notleidet. Fiir
etwaige Krankheitsfalle unter den Schiilern oder Lehrern ist ein Hospital
vorgesehen und sind ein Arzt und Zahnarzt angestellt; bei ansteckenden
Krankheiten werden die Patienten in stadtischen Hospitalern unterge-
bracht.
Das Lehrerkollegium besteht aus dem Direktor, sieben Oberlehrern,
drei Fachlehrern, die samtlich, mit Ausnahme des Erstgenannten, in der
Anstalt wohnen, sechs Fachlehrern fur Gesang, Musik und katholische
und israelitische Religion und vier ebenfalls in der Anstalt wohnenden
Inspektoren, denen die militarische Ausbildung, das Turnen und die Auf-
sicht der Zoglinge obliegt Di« Schiilerzahl betrug 1899 224 (darunter
19 Tagschiiler), die je 1000 Mk. das Jahr fur Erziehung und Unterricht,
Kost, Wohnung und freie arztliche Behandlung in Krankheitsfallen zu
zahlen haben, gewiss eine sehr geringe Summe. Im Laufe der 125 Jahre
des Bestehens sind 5000 Zoglinge aus der Anstalt entlassen worden. Wah-
rend der Zeit sind von Logen, einzelnen Briidern und anderen nahezu,
700,000 Mk. zugewandt worden.
Die ktirperlicbe Zttcbtigung in der amerikaniscbtn Scbule. 65
Jedenfalls bemiiht sich die Anstalt, mit ihren vortrefflichen Einrich-
tungen den Schulern das Elternhaus zu ersetzen, und durch das geregelte
Leben und guten Unterricht miissen tiichtige Menschen daraus hervor-
gehen. Wenn meiner Ansicht nach auch keine Erziehungsanstalt das
rechte Elternhaus ersetzen kann, so ist eine Anstalt, wie das Freimaurer-
Institut, fur Halbwaisen und Kinder, in deren Elternhause die Verhalt-
nisse nicht aufs beste bestellt sind, von unberechenbarem Werte. iWird
dermaleinst die Zeit kommen, wenn jedem Kinde des Volkes solche Vor-
teile geboten werden konnen?
Die korperliche Zuchtigung in der amerikanischen
Schule.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von «7. Eiselineier, 2. Dist. Schule, Milwaukee, Wis.
,,Auch padagogische Sitten und Anschauungen lassen sich nur ganz
allmahlich umbilden, am wirksamsten durch die Verbreitung einer bes-
seren Einsicht." Ackermann.
,,Die Strafe hat in der Erziehung immer eine grosse Rolle gespielt.
Dass diese ihre Bedeutung freilich riicht immer die gleiche Schatzung
erfahren hat, lehrt uns die Geschichte der Padagogik, wenn sie berichtet,
dass auf 'gepriigelte Generationen verhatschelte gefolgt sind', und umge-
kehrt. Es ist ziemlich allgemein anerkannt und wird oft genug geriigt,
dass unserer heutigen Jugend gegeniiber die Verhatschelung vorwiege.
Wer den darin liegenden Vorwurf fur berechtigt 'halt und daraus zum
Teil wenigstens die Zuchtlosigkeit weiterer Schichten der Bevolkerung
erklaren zu miissen glaubt, braucht deshalb noch nicht die Riickkehr zu
den barbarischen Sitten vergangener Zeiten zu wiinschen." (Reins En-
cyklopadisches Handbuch der Padagogik. Band VI, S. 917, (Strafe.")
Wenn das Obige von der Strafe im allgemeinen gilt, so gilt es erst
recht von der korperlichen Zuchtigung. Die Zeit ist noch nicht weit
hinter uns, in der 'die korperliche Zuchtigung als Universalmittel gait.
Der Missbrauch des Zuchtigungsrechtes hat dann dahin gefuhrt, dass
66 P'ddagogiscbe Monatshefte.
man an vielen Orten unseres Landes dem Lehrer das Recht nahm. Man
hat den Grundsatz der Prohibitionspartei befolgt. Diese Partei glaubt,
dass der Missbrauch, den unmassige Personen mit geistigen Getranken
treiben, das Verbot der Herstellung derselben, sowie das Verbot jegli-
chen, auch des massigen Gebrauches, rechtfertige. Man hat eben wieder
einmal das Kind mit dem Bade ausgeschiittet.
Die Verteidiger der Abschaffung der korperlichen Zuchtigung kon-
nen denn auch keinen einzigen hervorragenden amerikanischen Padago-
gen nennen, der ihre Ansicht vertritt. Wohl finden sich Zufallsschulman-
ner, die diese Ansicht mit wenig Geschick, meistens in der Tagespresse,
verteidigen. Aber, es mehren sich in neuerer Zeit die Gegner in einem
bedenklichen Masse. Wo man an Stelle der korperlichen Zuchtigung
sogenannte "Parental- oder Industrial Schools", oder "Schools for Incor-
rigibles" oder auch nur Klassen fur solche Schiiler errichtet hat, wird
wohl ein Wiedereinfuhren der korperlichen Zuchtigung nicht verlangt.
Wo aber dies nicht der Fall ist, wird thatsachlich der Wiedereinfiihrung
des Rechtes das Wort geredet.
In vielen Stadten hat man als Ersatz ,,Suspension" und ,,Expulsion"
eingefuhrt.
Die Suspension ist nur eine zeitweilige Ausweisung des Schiilers aus
der Schule. Gewohnlich erscheint der Ausgewiesene nach einigen Tagen
mit einem Aufnahmeschein von der Schulbehorde. Wenn die Eltern in
solchen Fallen den Schiiler nicht strafen, geht er iiberhaupt straffrei aus.
Der Gestrafte ist der Vater, der sich die Zeit nehmen muss, den Aufnah-
meschein zu erlangen. Da nun in vielen Fallen, in denen zur Suspen-
sion geschritten werden muss, das Haus die Schule nicht unterstiitzt, so
ist ein solcher Strafmodus ungeniigend. Solche Suspensionen sind denn
auch in der That nicht sehr wirksam. Man hat dies wohl auch gemerkt.
Denn in den Regeln mancher Schulbehorden ist gleich die Bestimmung,
dass ein Schiiler, der in einem Halbjahr dreimal suspendiert wird, nicht
wieder aufgenommen werden soil, bis der Schulrat seine Wiederaufnahme
verordnet.
Der bekannte Padagoge Emerson E. White, friiher Superintendent
der offentlichen Schulen von Cincinnati, sagt:
"In our judgment, small boys ought not to be suspended from school.
What they especially need is to be controlled in school,, control being
every child's birth-right." — (School Management. By E. E. White.
Amer. Book Co., 1894. S. 209.)
Auch ist diese Strafe nicht bei alien Vergehen anwendbar. Oder,
was fur «ine Strafe ist die Suspension fur einen Schuls'chwanzer? Weil
er hinter die Schule geht, weist man ihn ganz und gar aus derselben.
Das heisst heilen nach dem Grundsatz: Similia similibus curantur.
Die Expulsion ist die permanente Ausschliessung eines Schulers aus
der Schule. Der Englander Joseph Landon sagt das Folgende:
Die korperliche Zttcbtigung in der amerihaniscben Scbule. 67
"Expulsion is a strong measure only to be resorted to in extremity.
It is a confession of failure on the part of the teacher." — (School Manage-
ment. By Jos. Landon. London, Kegan Paul, 1889. S. 349.)
Thatsachlich ist denn diese Strafe ein Armutszeugnis, das sich ein
Gemeinwesen giebt, wenn es zugeben muss, mit einem 13- oder 14jahri-
gen Menschen nichts mehr anfangen zu konnen. Gerade hier soil die
Schule ihre erzieherische Macht ausiiben. Kein Mensch hat es notiger,
dass seine ethische Natur entwickelt wird, als der Mensch, mit dem man
bereits im 14. Jahre nicht mehr fertig werden kann. Aber noch eine
Unzulanglichkeit kann vorkommen. Wenn Schulzwang besteht und ein
Schiiler wird defmitiv ausgeschlossen, was dann? Wie soil in einem sol-
chen Falle dem Gesetz Geniige geschehen?
Es sollen nun zunachst obergerichtliche Entscheidungen angefuhrt
werden, urn zu zeigen, wie die amerikanischen Gerichtshofe die Sache
betrachten.
"A schoolmaster has the right to inflict reasonable corporal punish-
ment. He must exercise reasonable judgment and discretion in deter-
mining when to punish and to what extent Among reasonable per-
sons, much difference prevails as to the circumstances which will justify
the infliction of punishment and the extent to which it may properly
be administered. On account of this difference of opinion, and the dif-
ficulty which exists in determining what is reasonable punishment, and
the advantage which the master has by being on the spot to know all
the circumstances, the manner, look, tone, gestures, and language of the
offender, which are not always easily described, and thus to form a cor-
rect opinion as to the necessity and extent of the punishment considerable
allowance should be made to the teacher by way of protecting him in
the exercise of his discretion If there be any reasonable doubt whether
the punishment was excessive, the master should have the benefit of the
doubt." — (Lander v. Seaver, 32 Vermont, 144. Approved in Patterson v.
Nutter, 8 Eastern Repr. (Maine) 662.)
"Within the proper jurisdiction of the teacher, he may exact a com-
pliance with all reasonable commands; and in return for any specific
offense, not in the way of general castigation, visit disobedience with
kind and reasonable corporal punishment." — (Danenhoffer v. State, 69
Indiana, 295.
"It should not be excessive and cruel, it should be proportioned to
the gravity of the offense, and always within the bounds of moderation." —
(Boyd v. State, 88 Alabama, 169.)
"But plainly the teacher's calm and honest judgment as to what is
required should have weight, as in the case of the parent." — (Vanvactor
v. State, 113 Indiana, 276. Commonwealth v. Seed, 5 Pa. Law J. Rep. 78.)
"And* where no improper weapon has been employed (State v. Alford,
68 North Carolina, 322.) the presumption, until the contrary appears in
the proofs, will be that what was done was done rightly." — (State v. Miz-
ner, 50 Iowa, 145.)
"He (the teacher) has the right under the law to inflict moderate
corporal punishment for the purpose of correcting or restraining a re-
fractory pupil. But where violence is permitted to effect a lawful purpose,
68 P'ddagogiscbe Monatshefte.
only that degree of force must be used which is necessary to effect such
purpose. If the correction was moderate, defendant was not guilty of
an assault and battery at all Whether it is moderate or excessive
must necessarily depend upon the age, sex, condition, and disposition of
the scholar, with all the attending and sourrounding circumstances, to
be judged of by the jury, under direction of the court as to the law of
the case." — (Dowlen v. State, 14 Tex. App. 66.)
In diesem Falle hatte ein Lehrer einen 13jahrigen Knaben empfind-
lich geziichtigt.
"He (the teacher) stands in loco parentis, and may exercise authority
over pupils in many chings concerning which the board have remained
silent. He is responsible for the discipline of the school and for the pro-
gress and conduct of students He may inflict corporal punishment
and suspend a pupil in a proper case. In general, however, he should
report to the board for its action in the first instance, unless the conduct
of the offender be such as to warrant immediate suspension, when the
teacher should promptly report his action and the reasons therefore to
the board."— (State v. Burton, 45 Wis. 150.)
In den beiden unten angefiihrten Fallen haben< die Gerichte ahnlich
entschieden. (Commonwealth v. Randall, 4 Gray, 36; Cooper v. Mcjen-
kins, 4 Indiana, 290.)
Die Gerichte haben auch sonst den Lehrer stets unterstiitzt, wenn er
sein Recht nicht missbrauchte. Das geht aus folgenden zwei Entschei-
dungen hervor:
"In an action for assault and battery the previous misconduct of the
pupil may be shbwn." — (Sheehan v. Sturges, 2 Atlantic Reports, 841.)
"The authority of one who teaches without the certificate required by
law to govern the school and inflict punishment on unruly pupils cannot
be contested by them or by their parents." — (Kidder v. Chellis, 59 N. H.
473.)
Nun sollen auch Schulmanner zu Worte kommen:
"Corporal punishment or expulsion must be at hand as a last resort.
If corporal punishment be thought degrading or illegal, the necessity
for using it may be avoided by the expulsion of any pupil who appears
insensible to the motives which the teacher considers himself at liberty
to present." — (The Principles and Practice of Common School Education.
By James Currie. Cincinnati, Robert Clarke & Co., 1884. S. 219.)
"Again we say, avoid coercive measures whenever it is possible to
do so; but when you find despotism really necessary, be despotic in good
earnest." — (Education: Intellectual, moral and physical. By Herbert
Spencer. New York, John B. Alden, 1885. S. 201.)
"I believe in corporal punishment in the schools. It should not be
carried to excess, but the fact that an incorrigible boy knows that the
teacher may whip him is a tremendous support to the teacher." — (Dr.
Stanley Hall, Lecture in Chicago, 1889. American Public Schools. By
John Swett. American Book Company, 1900..S. 178.)
"So, when a child rebels against the authority of the parent or the
teacher, the use of the rod to compel obedience may be justifiable. Open
Die korperlicbe Zttcbtigwig in der amerikaniscben Scbule. 69
insubordination may not only justify, but even make necessary, a resort
to proper corporal chastisement." — (School Management. By Emerson E.
White. American Book Company, 1894. S. 208.)
"Does it not seem that we are carrying the idea of moral suasion
to an excess? Is it not possible that the increasing number of incorrig-
ibles may bear some relation to this sentimentality? I know that I am
terribly heterodox in even suggesting that a good, sound thrashing occa-
sionally would be of more benefit to a capricious, spunky youngster than
all the goody-goody talks so earnestly advocated. We are getting too
many mamma's pets and Lords Fauntleroy and I fear our system has a
tendency to perpetuate it. Give us more good, healthy, moral discipline;
more Sanfords and Mertons and Tom Browns." — (John E. Clark, President
of Board of Education of the City of Detroit, Mich. 53rd Annual Report,
1896. S. 17.)
"Coming to general conclusions, the lecturer said if, as he supposed
was always the case, children were punished to make them better, they
must be punished on lines they understood. The young child understood
and responded to strong, vigorous, physical reaction. As he grew older,
enlightenment and subjective treatment might be gradually substituted
for physical reaction. Certainly there was a time when the child had
to rest in an absolute controlling physical force. From that time until
the time when an absolutely self-directing individual had grown up, the
problem was to diminish gradually, inch by inch, physical control and
substitute for it, inch by inch, subjective control. He knew of no more
God-forsaken and helpless thing than the child who had not learned the
intense calm, rest and peace of a strong controlling adult hand. In
grappling with the problem they must remember that a child of eight
might, in mental habits, have reached the age of twenty.
Moreover, he had known eight-year-old boys who were still In the
nine-months-old stage. In view of the foregoing conclusions, he regretted
exceedingly the fact that "no corporal punishment" was the hard and fast
rule in some schools, services and prisons." — (A Study on Children's
Attitudes Towards Punishment. By Professor Earl Barnes of London,
Engl. Zu finden im "Popular Educator", Nov., 1899.)
"But with certain individuals kindness seems to have very little
effect, so some other methods must be invented to suit their particular
case, even resorting if necessary to corporal punishment." — (Thomas Hen-
derson, President of Board of Education of the City of Detroit, Mich.
56th Annual Report, 1899. S. 12.)
"Physical constraint, however deplorable, will be necessary until
human nature is changed. The boy who has, by heredity, a violent
temper and who, by training or lack of training, has grown into the habit
of yielding to ungovernable fits of passion, cannot be corrected by moral
suasion or wheedling petitions from his tutors.
Only fear, the lowest of motives, fear of bodily pain, will cause him
to hold himself. 'Tis then that a blow, suddenly given, and the certainty
of its prompt repetition upon occasion, the fear of corporal punishment
vigorously administered, stands as the only corrective of a temperament
that, untrained, leads the individual inevitably to unreliable, fiery adult
character.
Because such occasions are rare is not sufficient cause for the total
abolition of vigorous punishment." — (The Old Versus the New in Educa-
70 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
tion. Address before the Chicago Principals. Delivered November 4,
1899. By Supt. Aaron Gove, Denver, Colo. Zu finden in "The Intelli-
gence", Nov. 15, 1899.)
"Secure order, if possible, without corporal punishment; but secure
obedience at all hazards. For in school, as in an army, discipline is
essential to existence." — (American Public Schools. By John Swett. Am.
Book Co. 1900. S. 178.)
"It is refreshing to see that there are signs of reaction against the
mawkishness that has resulted in many places in laws prohibiting teach-
ers from inflicting corporal punishment Too much babying may be
more cruel than a good sound strapping. Not that there is any good
excuse for the parent or teacher who knows no other or better method
of punishment in most cases." — (Corporal Punishment Again. By S. Y.
Gillan. In "The Western Teacher", January, 1900.)
"To-day in every large city there are boys running the streets, thrown
out of school because of their incorrigibility, leading lives of idleness and
being schooled in crime; the fathers of the murderers and burglars of
the future, who, if they had received the proper corporal punishment,
would have profited greatly by their first lesson in obedience to law. I
have no sympathy with this namby-pambyism in discipline. I have no
sympathy with it because it is not good for the boy. There is nothing
so wholesome for the average bad boy, and it is he as a rule who makes
the bad man, as a full and early realization of the fact that law is to be
obeyed, that its violation will be followed by a certain punishment, and
a punishment of such a nature that its repetition will not be sought. I
would not have you believe that I advocate severe measures with children.
No one would go further than I to avoid the disagreeable duty which
sometimes comes to every teacher. But when the time comes I woura
perform the duty, and I would not confess myself a failure, nor feel that
I was such, because I could not perform it in a gentler fashion." — (The
Mission of the Common Schools. By Supt. C. M. Jordan, Minneapolis,
Minn . An address delivered before the Illinois State Teachers' Associa-
tion. Dec. 26, 1899. Zu finden in "The Intelligence", Feb. 15, 1900.)
"We are far from asserting that caning is never required There
are indeed heinous offences — such as cruelty, vicious conduct, or open
rebellion — which appear to be most readily checked by its application."
—(P. W. Joyce, Ireland. Educational Foundations. Nov., 1900. E. L.
Kellogg & Co., Chicago. S. 156, 157.)
Die Zahl derjenigen, welche die korperliche Ziichtigung beibehalten
wissen wollen, liesse sich leicht vermehren. Padagogen wie Page, Fitch,
Hewett, Raub und Emerson sind Vertreter derselben Ansicht. Mir ist
iiberhaupt kein amerikanischer Padagoge bekannt, der die korperliche
Ziichtigung unter alien Umstanden aus der Schule verpont. Auch kenne
idi keine obergerichtliche Entscheidung, die dem Lehrer das Recht
abspricht, unter angemessenen Umstanden einen Schiller zu ziich-
tigen. Anders steht die Sache, wenn die Gesetze eines Staates dem Leh-
rer dieses Recht ausdriicklich absprechen.
Hoffentlich finden wir jetzt die goldene Mittelstrasse. Kein ver-
niinftiger Mensch verlangt eine Riickkehr zu den barbarischen Sitten
vergangener Zeiten. Aber wohl verlangen Schulmanner und Lehrer, die
Verg'dnglicbheit ({Mortality). 71
dem Gegenstande Aufmerksamkeit geschenkt haben, dass da, wo man
keine separaten Schulen fur die "Incorrigibles" gegrundet hat, dem Leh-
rer das Recht der korperlichen Ziichtigung zugestanden wird.
Wer dieses Recht missbraucht, der biisse dafur. Aber man binde
dem, der es nicht missbraucht, nicht deshalb die Hande, weil andere die-
ses Recht missbraucht haben. Der Missbrauch hebt nie und nimmer den
rechten Gebrauch auf.
Verganglichkeit (Mortality).
(Wtn. Knox.)
(Lincolns Lieblingsgedicht.)
Frei iibertragen von JR. Ruben, Hamburg, Rutschbahn V.
1. Wie konnte er stolz sein, des Sterblichen Gelst?
Wie Wolken enteilen, ein Sternlein entgleist,
Ein Brechen der Wellen, ein Strahl nur des Lichts,
So eilt er durchs Leben ins ewige Nichts!
2. Wie Blatter der Weide und Eiche vergehn,
Zerstreut durcheinander verwelken, verweh'n,
Wird Jugend und Alter dem Tode zum Raub,
Wird Hohes und Niederes, alles zu Staub!
3. Der Saugling, von zartlicher Mutter gedruckt,
Die Mutter, durch Liebe der Kinder begliickt,
Der Gatte, gepriesen von Mutter und Kind,
Sie alle, das ewige Dunkel umspinnt!
4. Die rosigste Schone, die lieblichste Maid,
Und die um sie rangen im wildesten Streit,
Und die sie besangen, und die sie geminnt,
Ihr aller Gedachtnis verwehet der Wind.
5. Des Kbniges Hand, mit dem Szepter bewehrt,
Das Haupt mit der Miitze des Bischofs beschwert,
Das Auge des Weisen. des Tapferen Herz,
Es birgt sie die Gruft, ihre Lust, ihren Schmerz!
6. Der Bauer, zum Saen und Ernten bestimmt,
Der Hirt, der die Hoh mit den Ziegen erklimmt,
Der wandernde Bettler, auf Suche nach Brot,
Wie Graser zertreten sind alle vom Tod!
72 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
7. Der Fromme, beseligt durch himmlische Huld,
Uer Sunder, beladen mit grausiger Schuld,
Der Gute, der Bose, der Kluge, der Fant,
Vermischen geduldig die Knochen im Sand!
8. So schwindet die Menge, wie Blume und Baum,
So macht sie den Spatergekommenen Raum,
So naht sich die Menge, wie wir es gesehn,
Und immer dasselbe, wird ewig gescheh'n!
9. Denn was unsre Vater erschauten dahier,
Die gleichen Gebilde erschauen auch wir,
Die Sonne, dieselbe, derselbige Fluss,
Dieselbigen Pfade durchwandelt der Fuss!
\ . :
Ut 10. Wir denken, was einst unsre Vater gedacht,
Wir schaudern vorm Tode, wie sie es gemacht.
Wir kleben am Leben, wie sie d'ran geklebt,
Doch flieht's, — wie der Vogel sich himmel warts hebt!
11. Sie liebten, — wie schwand doch die Liebe so bald,
Sie hassten, — die Herzen der Stolzen sind kalt,
Sie weinten, — doch langst schon verstummte ihr Le ,.
Sie jauchzten, — doch aus ist die selige Zeit!
12. Sie starben, — und wir, die Lebendigen nun,
Beschreiten den Rasen, darunter sie ruhn!
Demselbigen Wechsel auf irdischer Bahn
Begegnen auch wir nun, wie sie es gethan!
13. Und Zweifel und Hoffnung, und Wonne und Qual,
Sie wechseln, wie Sonne und Regen zumal,
Und Wehruf und Jubel, sie folgen sich schnell,
Und Lachen und Weinen, wie Welle auf Well'!
14. Eln Zucken der Wimper, ein Atmen der Brust,
Und bliihendes Leben verendet im Dust!
Vom Prunksaal zum Grabe 1st balde gereist, —
Wie konnte er stolz sein, des Sterblichen Geist?
Hamburg. Jull 1899.
Fur die Schulpraxis.
I. Selbstbeherrschung in der Schule.
Bine Skizze von 11. T>. Konrad, Moissl-Aussig.
(Aus ,,Freie Schulzeittmg").
Eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Tugenden 1st die Selbstbe-
herrschung des Lehrers. Ohne dieselbe ist sein erziehlicb.es und unterrichtli-
ches Wirken ohne den rechten Erfolg; auf dem Gebiete der Erziehung wird er
sogar eine ganze Reihe von beschamenden Misserfolgen aufzuweisen haben,
wenn er sich nicht selbst beherrschen kann.
Die Selbstbeherrschung ist ein wesentlicher Tell der Selbstzucht, bei wel-
cher der einzelne Mensch selbst die wachsame Fiihrung hinsichtlich seiner kor-
perlichen und geistlgen Ausbildung, seiner Regungen und Entschliessungen mit
vollem Bewusstsein in entschiedener Absicht iibernimmt. Man kann die Selbst-
beherrschung durch Erziehung anbahnen, man kann sich daran gewohnen,
aber die weitere Kraftigung ist Sache der Selbstzucht, bei welcher die ureigene
sittliche Kraft den Oberbefehl iibernimmt. So ist's bei alien Menschen, so
ist's auch bei dem Lehrer. Die Selbstbeherrschung, etwa hervorgerufen durch
aussere Umstande, z. B. durch den Eintritt eines Vorgesetzten, bei einer Schul-
priifung, einem Schulfeste, bei elhem praktischen Vortrage im Lehrervereine,
hat keinen anderen Wert als den, dass man zur Erkenntnis kommt, die Selbst-
beherrschung sei moglich. Mit der Erkenntnis ist aber bekanntlich noch nicht
viel gewonnen, wenn sie nicht die Entschledenheit des Willens zur Folge hat,
sich im Sinne der gewonnenen Erkenntnis zu bilden, und wenn sich nicht die
Kraft dauernd einstellt, den Willen durchzufiihren.
In der Schule verlangen wir von den Kindern ziemlich starke Bewelse von
..Selbstbeherrschung". Sie miissen ruhig sitzen, obwohl ihnen das lustige Um-
hertollen auf dem Spielplatze lieber ware; sie miissen aufmerksam zuhoren,
obzwar stets bewegliche Kindergedanken und ebenso viele aussere Storungen
— und wenn es summende Fliegen waren — sich einstellen; sie diirfen nicht
schwatzen, wenn auch der Nachbar noch so sehr darnach verlangt, kurz: sie
miissen gar oft entgegen der eigenen Kindernatur sich benehmen. Es ist also
leicht begreiflich, ja sogar naturgemass, wenn das Kind sich andere Wege zu
bahnen sucht; der Kenner der Kinderseele findet es ganz in der Ordnung, wenn
im Laufe des Unterrichtes kindischer Mutwille die gesetzten Schranken durch-
bricht Oder durch brechen will. In den seltensten Fallen ist boser Wille die Ver-
anlassung. Schon gegeniiber laufenden, in jeder Schule vorkommenden Unge-
horigkeiten ist die Selbstbeherrschung des Lehrers iiberaus notwendig. Weder
Ungeduld noch Unmut, weder Heftigkeit noch Strafe sind hier am Platze; dage-
gen wlrken in solchen Fallen wiirdevoller Ernst, aus dem Milde und Liebe
sprechen, weise Nachsicht und aufmunternde Mahnung.
Ein Zuriickversenken in die eigene Kinderzeit mit ihren kindischen Strei-
chen und Thorheiten ist sehr anzuraten; ist der Lehrer selbst Familienvater,
so weiss er ohnehin manches zu entschuldigen Oder wenigstens nicht allzu
hoch anzurechnen, was die Kinder thun, da er ja 1m eigenen Haus eine gute
Schule durchmacht. August Hermann Niemayer sagte: ,,Hat der junge Pada-
goge schon vergessen, dass, als er Jung war, so vieles anders auf ihn wirkte
als jetzt; dass er als Kind ebenso gut wie seine Anvertrauten, kindische und
thorichte Anschlage hatte? Ist er sich bewusst, dass jenen kindischen An-
schlagen und Ausbriichen des Mutwillens Oder des Strebens gegen das Gesetz
immer ein so boser Wille, absichtliche Beleidigung Oder Krankung, wohl gar
eigentliche Bosartigkeit zum Grunde lag, wie er so leicht seinem Zogling anzu-
74 P'ddagogische Monatsbefte.
schuldlgen geneigt 1st?" Wer schon bei solchen laufenden Ungehorigkeiten in
der Schulstube seine Selbstbeherrschung verliert. die eigene Wiirde einbusst,
zur Strafe greift, der macht das Ubel arger: Es wird immer toller zur Qual
des Lehrers und leider auch oft zum Gaudium der Kinder.
Was erst soil geschehen, was kann erwartet werden, wenn grossere Anfor-
derungen an die Selbstbeherrschung des Lehrers sich geltend machen, z. B.
Trotz, ott'ener Ungehorsam, Beieidigung des Lehrers, Verlogenheit, Diebstahl
u. s. w.! Werden sich vielleicht dann die Selbstbeherrschung, die richtige Ab-
wagung und Beurteilung, die besonnene Strenge leichter einstellen? Gerade in
solch schweren Fallen werden Heftigkeit und leidenschaftliches Wesen des
Lehrers ungemein schadlich wirken. Auch in diesen schweren Fallen soil der
Erzieher mit der Schwache der Einsicht unserer Kinder, mit ihrem Unvermo-
gen, die ganze Grosse der Schuld sofort zu begreifen, rechnen. Dazu gehort
kiihle Besonnenheit, eiserne Selbstbeherrschung.
Solche 1st freilich leicht zu predigen; in der Wirklichkeit 1st die Selbstbe-
herrschung nicht bei alien Lehrern gleich schwer zu erringen. Das Tempera-
ment, das sich iibrigens zligeln lasst, hat hier auch ein Wortlein dreinzureden,
in noch hoherem Grade die Nervositat, welche leider immer weitere Kreise in
der Lehrerschaft zieht. Diese leichte Reizbarkeit des Nervensystems 1st ein
starker Feind der Selbstbeherrschung in der Schule. Aber man vergesse nie,
dass jede Selbstiiberwindung und Selbstbeherrschung die Nervositat mildern.
Wir miissen zwar die Nerven haben, aber wir sollen alles aufbieten, urn zu ver-
hindern, dass sie uns haben.
II. Die Verbesserung der Aufsiitze. *
Die Aufsatzkorrekturen gelten allgemein als die unangenehmste Lehrerar-
beit und auch als die undankbarste. Und das mit Recht. Bei Durchsicht einer
Schulerarbeit, die doch in der Regel das Ergebnis gewissenhafter Vorbereitung
und stundenlangen Fleisses ist, erweist sich die Ansicht des Lehrers iiber Fleiss
und Leistung seiner Schiiler oft als Tauschung, und diese Erkenntnis muss
natiirlich niederdriickend und entmutigend wirken. Fehler, die zehnmal ver-
bessert wurden, kommen aufs neue vor, und Worter, die zehnmal richtig ge-
schrieben wurden, werden das elfte Mai falsch geschrieben. Aber trotz des
anscheinend so geringen Erfolgs der Korrekturarbeit ist diese doch nicht zu
umgehen, und es bleibt, um sie ertraglicher zu machen, kein anderes Mittel
iibrig, als so viel wie moglich Fehler zu verhuten zu suchen, denn das ist nicht
bloss fur den Lehrer, sondern auch fiir den Schiiler nvitzlicher als Fehler ver-
bessern.
Wie lassen sichaber Fehler verhuten? Die Antwort
ergiebt sich, wenn man den Quellen nachspiirt, aus denen sie entspringen. Die
wfchtigsten Fehlerquellen scheinen mir in folgendem zu liegen:
1. Es fehlt dem Aufsatzschreibenmeistens an
einer a u s r e i c h e n d e n Grundlage in der Ausbildung
der mundlichen Rede, sowie in grammatisch-sti-
listischer und o r t h o g r a p h i s c h e r Hinsicht.
*) Aus Ernst Lttttge. Der stilistische Anschauungsunterricht, II. Teil. Leipzig, B.
Wunderlich.
Die Yerbesserung der Aufs'dt^e. 75
2. Die Schiller sind nicht im stande, ihre eigene Arbeit mit kri-
tischem Blick zu priifen, weil es ihnen teils an einem Massstab zur
Beurteilung, teils auch an der erforderlichen Gewohnung fehlt. Diesem Mangel
kann nur eine planmassige Anleitung im Sinne des stilistiscnen Anschauungs-
unterrichts abhelfen, wodurch dem Schiiler uberall die Griinde seines Verfah-
rens zum Bewusstsein gebracht werden. Daneben ist unausgesetzt darauf zu
halten, dass er langsam und besonnen arbeitet und
auf Einzelnes undKleinigkeiten a c h t e n lernt, um
Fehler zu vermeiden Oder Fehlerhaftes selbst zu finden.
3. Endlich liegt eine Hauptfehlerquelle in dem Umstande, dass man
den Schulern zu umfangreiche Arbeiten zumutet,
die ein sorgfaltiges Prufen und Wahlen und eine gewissenhafte Selbstkritik und
Selbstkorrektur unmoglich machen. Je kiirzer die Arbeit ist, desto mehr Zeit
und Kraft bleibt ihm fiir die korrekte Ausfiihrung im einzelnen und kleinsten.
Aber selbst wenn alles gethan wird, was zur Verhiitung von Fehlern ge-
tlian werden kann, wird fiir die Korrektur der Schiileraufsatze durch den Leh-
rer immer noch genug Arbeit iibrig bleiben.
Was soil verbessert werden? Im allgemeinen lasst sich diese Frage dahin
beantworten, dass alle Verstosse gegen die schriftlichen Regeln, also die sti-
listischen, grammatischen, orthographischen und Interpunktionsfehler zu ver-
bessern seien. Indes bedarf dieser Satz im Hinblick darauf, dass wir es mit
Kindern zu thun haben, doch noch einer Einschrankung. Die Entscheidung
dariiber, was sprachlich richtig Oder falsch ist, steht ja den Spiachgesetzen zu,
aber es giebt doch so manche Falle, wo die Grenze zwischen dem Richtigen
und Falschen nicht so genau durch Gesetz und Brauch vorgezeichnet ist, wo
also dem personlichen Belieben Oder Geschmack eine gewisse Freiheit gelassen
wird. Und in all solchen Fallen sollte der Lehrer bei der Korrektur die grosste
Milde und Weitherzigkeit walten lassen. Das absolut Unrichtige ist selbstver-
standlich nirgend zu dulden, aber das Zulassige sollte iiberall un-
beanstandet bleiben. Dies gilt in erster Linie in bezug auf den
S t i 1 der Kinder. In den Schiileraufsatzen tritt uns so manch'es entgegen, was
zwar unter dem Gesichtspunkte der strengen Stilregeln zu tadeln ist, aber als
Eigentiimlichkeit der kindlichen Ausdrucksweise seine Berechtigung hat. Es
ist vergebliche Miihe, mit Kindern von stilistischen Feinheiten zu reden, fiir
welche ihr Sprachgefiihl nicht ausreicht, geschweige denn ihr Sprachverstand-
nis. Das konnte hochstens dahin fiihren, dass ihrem Stil die kindliche Natiir-
lichkeit und Frische verloren geht.
Auch bei Beurteilung grammatischer und orthographischer Verstosse ist
dem Lehrer Milde zu empfehlen. Wie viel Zeit und Miihe wird oft aufgewen-
det, um unreifen Schiilern feine grammatische Unterschiede Oder schwierige
Interpunktionsregeln zum Verstandnis zu bringen, ohne dass damit etwas Ande-
res erreicht wird, als dass die Schiiler unsicher gemacht und fiir die nachsten
Aufsatze neue Fehlerquellen geschaffen werden. Wenn der Schiiler schreibt:
Die Kinder, als sie die Eltern kommen horten, jubelten laut (statt:
Als die Kinder die Eltern kommen horten, jubelten sie laut).
Wenn der Friihling wiederkehrt und erfreut uns durch Blumen und
Lieder (statt: und uns durch Blumen und Lieder erfreut).
Ich wagte es und ging hinein (statt: hineinzugehen) — so ist eine
derartige Verkniipfung der Satze vom sprachgesetzlichen Standpunkte nicht ein-
wandfrei, aber ich wiirde unbedenklich dariiber hinwegsehen, so lange es noch
so viel Einfacheres und Notwendigeres zu verbessern giebt. In der Grammatik-
oder Lesestuijde kann man solche Falle erortern, um das Sprachgefiihl zu er-
76 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
klaren und den Blick fur grammatische Verhaltnisse zu scharfen, aber bei der
Massenkorrektur der Aufsatze hat man fur den einzelnen Fehler zu wenig Zeit
zur Verfiigung, um solche schwierige Dinge mit bleibendem Nutzen zu behan-
deln.
Dasselbe gilt von manchen Interpunktionsfehlern. Da miiht sich der Lehrer
jahrelang ab, den Schiilern klar zu machen, wann vor und ein Komma zu
setzen ist und wann nicht, und der Erfolg? Einige Schiller begreifen die Sache
allmahlich und suchen sich darnach zu richten, die meisten aber denken beim
Schreiben nicht an diesen Unterschied, und wenn sie sich wirklich einmal darauf
besinnen, dann treffen sie in der Regel das Verkehrte. Und ist es denn wirk-
lich so schlimm, wenn das Kind der Volksschule oder spater der einfache Mann
aus dem Volke einmal ein Komma zu wenig setzt oder das Semikolon mit dem
Punkt vertauscht? Die meisten Schriftsteller verfahren bei der Zeichensetzung
mit grosserer Freiheit, als es dem Volksschiiler gestattet wird. Man sollte doch
den Scharfsinn des Schulers auf wichtigere Dinge verwenden als auf solche
Nebensachen.
Mit desto grosserer Strenge miissen dagegen die Fliichtigkeits- und Ord-
nungsfehler behandelt werden, denn hier gilt es, ein Grundiibel zu bekampfen,
an dem so viele Schiilerarbeiten kranken. Dass jede Zeile richtig vollgeschrie-
ben, die Randlinie aber niemals iiberschritten wird, dass die Grundbucfistaben
auf der Linie stehen und nicht bald in der Luft schweben, bald in die Tiefe
sinken, dass u-Bogen und i-Punkt an ihrem Platze stehen: solche und ahnliche
Kleinigkeiten diirfen nicht unbeachtet bleiben, denn wie sie den Aufsatzen
ausserlich das charakteristische Geprage geben, so offenbaren sie zugleich auch
den Grad von Ordnungssinn und Geisteszucht, mit dem der Schiller seine Arbeit
angefertigt hat. Und gerade diese Tugenden sind, wie fiir die slttliche und
geistige Bildung, so insbesondere auch fiir das Gelingen der Aufsatze von grund-
legender Bedeutung. Wird der Schiller gewohnt, sein Aufsatzheft als einen
Spiegel anzusehen, der ihm selbst und anderen seine ganze innere Verfassung
offenbart, dann wird er es von Flecken und Fehlern, die es verunzieren und den
Geschmack beleidlgen, frei zu halten suchen, und dieses gewissenhafte Bemiihen
wird den Aufsatzen auch in stilistischer Hinsicht zu gute kommen.
Wann soil die Fehlerverbesserung vorgenommen werden? Wenn der Rein-
schrift des Aufsatzes eine Ausarbeitung im Konzept voraufgeht, wie es ja in
den meisten Fallen geschehen wird, dann macht sich auch eine zweimalige
Korrektur notig. Die erste, also die im Konzepte, ist die wichtigere, denn sie
soil verhindern, dass Fehlerhaftes noch einmal geschrieben wird und sich da-
durch dauernd im Schiller festsetzt. Die sorgfaltige Abschrift des Konzepts
glebt dem Schiller Anlass und Gelegenheit, jeden Satz und jedes Wort noch
einmal zu priifen, so dass die Reinschrift eine relativ vollendete, moglichst feh-
lerfreie Arbeit ergiebt. Die" Verbesserung der Reinschrift ist dann eine Art
Nachlese, wobei die iibersehenen Fehler ans Licht gezogen, besonders aber die
aus fliichtiger, gedankenloser Abschrift hrvorgegangenen scharf gemustert wer-
den. Ein naheres Eingehen auf die praktische Gestaltung dieser zweimaligen
Fehlerverbesserung fiihrt zur Erorterung der Frage:
Wie soil die Fehlerverbesserung vorgenommen werden? Die ganze zeit-
raubende und miihevolle Verbesserungsarbeit darf sich nicht auf das Ziel be-
schranken, moglichst fehlerfreie Aufsatze zu erhalten; ihre wiclrbigste Aufgabe
ist formaler Art und besteht darin, den Blick des Schulers fiir das
Richtige und Falsche zu scharfen und seineallge-
meine sprachliche, insbesondere stilistische Bil-
dung zu erhohen. Aus diesem Grunde muss, was besonders die
grammatisch-stilistische Seite der Aufsatze betrifft, vor allem das Geh'or
Die Verbesserung der <Aufs'dt^e. 77
fur die Bildung des Urteils in Anspruch genommen werden. Man wird daher
in der Unterrichtsstunde, die fur die Verbesserung des Konzepts ausgesetzt ist,
die Arbeiten einzelner Schiiler 1 a u t und langsam vorlesen lassen, wah-
rend die iibrigen zum aufmerksamen Zuhoren verpflichtet sind und nach jedem
Satze durch eine kurze Pause Gelegenheit zur Abgabe ihres Urteils und zur
Begriindung desselben erhalten. Mit allgemeinen Redensarten, wie: Das
passt nicht! Oder: Der Satz klingt schlecht! darf man sich dabei nicht begnii-
gen, sondern muss immer auch eine Angabe 'des G'rundes verlangen. So bietet
sich hier vielfach Gelegenheit zur Erorterung und Einpragung von S t i 1 r e -
geln, die das Urteil des Schiilers stiitzen und ihm bei spateren Arbeiten als
Wegweiser dienen konnen.
Das laute und langsame Vorlesen ist auch der sicherste Weg zur richtigen
Beurteilung der Zeichensetzung. Es empfiehlt sich, einzelne Arbeiten,
besonders schwacherer Schiiler, so vorlesen zu lassen, dass jedes Zeichen mit
genannt oder wenigstens durch auffallige Pausierung deutllch markiert wird,
so dass die iibrigen Schiller jeden Interpunktionsfehler sofort heraushoren.
Das ausdrucksvolle laute Lesen mit besonnener Beachtung der Pausen ist fur
die Begriindung einer richtigen Zeichensetzung weit wertvoller als grammati-
sche Regeln. Die Schuler sind immer wieder zu erinnern, das Verfahren, das
in der Schule geiibt wird, auch bei ihren Ausarbeitungen zu Hause selbstandig
anzuwenden.
Fiir die Kontrolle der Rechtschreibung, wobei das priifende
Auge die Hauptrolle spielen muss, empfehlen sich folgende Massnahmen:
1. Die Schuler mvissen sich bei der Ausarbeitung ihres Aufsatzes diejeni-
gen Worter merken, iiber deren Schreibung sie im Zweifel sinU, und wenden
sich nun in der Unterrichtsstunde fragend an den Lehrer. Das ist ein vor-
ziigliches Mittel, sie an besonnenes Arbeiten und scharfes Aufmerken auf ortho-
graphische Einzelheiten zu gewohnen.
2. Es werden solche Worter mit schwieriger Schreibung, von denen nach
Massgabe des bearbeiteten Stoffes anzunehmen ist, dass sie in alien oder doch
in den meisten Arbeiten vorkommen, kurz behandelt (durch Anschreiben, Buch-
stabieren, oder auch durch Nennung des charakteristischen Buchstabens).
3. Der Lehrer nimmt eine oder mehrere Arbeiten, etwa von den schwach-
sten Schiilern, besonders vor und lasst die darin vorkommenden Fehler unter
Beteiligung der ganzen Klasse verbessern, wobei jeder Schuler Gelegenheit fin-
det, einzelne der besprochenen Falle in seiner eigenen Arbeit aufzusuchen und
zu kontrollieren.
4. Die Schuler miissen ihre Aufsatze wechselseitig durchsehen und einan-
der auf die gefundenen Fehler aufmerksam machen. Dieses Verfahren erfor-
dert viel disziplinariscb.es Geschick des Lehrers, da den Schiilern gestattet wer-
den muss, ihre Ansichten gegenseitig auszutauschen, ohne dass da'durch die
Klassenordnung gestort wird. Es empfiehlt sich, die Paare, die ihre Siicher zu
vertauschen haben, so zu bestimmen, dass immer ein schwacherer Schuler mit
einem begabteren zusammenkommt. Bei Meinungsverschiedenheiten ist die
Entscheidung des Lehrers zu erbitten.
Endlich sind die Aufsatze der Schuler auf O r d n u n g und Sauberkeit
zu kontrollieren. Es ist auf keinen Fall zu dulden, dass das Konzeptheft als
ein Schmierbuch behandelt wird, in dem sich die schrfftlichen A"rbeiten als em
Sammelsurium missgliickter und durchstrichener Worter und Satze darstellen.
Bei der crsten Ausarbeitung eines Aufsatzes sind ja Korrekturen nicht zu ver-
meiden, aber sie miissen immer so vorsichtig ausgefulrt werden, "dass sie das
gute Aussehen des Ganzen nicht wesentlich beeintrachtigen. Um d~ie Schiiler
daran »*» gewohnen, darf der Lehrer nicht versaumen, jede einzelne Arbeit auf
78 P'ddagoghcbe Monatsbefte.
ihre aussere Ausfiihrung bin anzusehen; es genugt dazu ein einziger priifender
Blick auf die Seiten des Heftes und hier und da ein kurzes, balH tadelndes,
bald anerkennendes Urteil iiber den Eindruck der Arbeit.
Nun haben die Schiller die Reinschrift des Aufsalzes zu liefern. Vorher
wird man vielleicht noch einige gute Arbeiten im Zusammenhang vorlesen las-
sen, besonders um der schwacheren Schiiler willen, um diesen zur Anschauung
zu bringen, wie die Darstellung ungefanr klingen muss. Macht der Lehrer die
Wahrnehmung, dass der Aufsatz auch den besseren Schulern nicht recht gelun-
gen ist, dann kann vielleicht der Vortrag eines Stilmusters, wie er solche in
seinem Vorbereitungshefte Oder in einer guten Aufsatzsammlung zur Ver'fiigung
hat, recht wirksame Dienste leisten. Nach einem kurzen Hinweis auf die
Punkte, worauf es bei der Stilisierung in dem betreffenden Falle ankommt, ist
dann den Schulern zu gestatten, an ihrem Aufsatze nach Massgabe des Stil-
musters inderungen vorzunehmen.
HI. Nachsitzen.
Von A, Gild, Rektor in Kassel.
(Atis ,,Aus der Schule, fur die Schule.")
Es dauern noch heute im Schulleben Einrichtungen fort, die man langst
batte abschaffen sollen, dazu gehort das Nachsitzen. Man hat diese Schul-
strafe der Karzerstrafe des Pennals nachgeahmt, ohne sich dariiber klar zu
werden, dass in einer Madchen- oder Knabenvolksschule die Verhaltnisse doch
wesentlich anders sind als dort. Das Nachsitzen hat nur dann eine Berechti-
gung, wenn es bezweckt , dass ein Schiiler, der eine aufgegebene Arbeit zu
Hause nicht angefertigt hat, dieselbe in der Schule macht. (Ob die Schule be-
rechtigt ist, hausliche Aufgaben zu geben, Oder ob dieselben iiberhaupt Zweck
und Nutzen haben, soil hier nicht erortert werden, indessen ist es zu bestrei-
ten.) Verwerflich wird die Nachsitzstrafe aber, wenn sie den Zweck der Frei-
heitsberaubung hat. Auf dem Gebiete der Rechtspflege geht man mit der Ab-
sicht urn, die Freiheitsstrafen mehr und mehr einzuschranken und dieselben
nur bei unverbesserlichen und fiir die Menschheit gefahrlichen Verbrechern
anzuwenden, und die Schule verhangt Gefangnisstrafen iiber Kinder, die ein-
mal gelacht, geplaudert haben, unaufmerksam oder unfleissig gewesen sind.
Ich kenne eine Schule, bei der die Strafe des Nachsitzens sehr haufig ver-
hangt wurde; jede Klasse hatte ein Buch zum Eintrag der Bestraften, nach
jeder letzten Stunde des Tages war eine Nachsitzstunde fiir die Schiiler aller
Klassen gemeinsam angeseczt, ein Lehrer, gewohnlich einer der jiingsten, hatte
die Aufsicht, aber keinerlei Verpflichtung, die aufgegebenen Arbeiten nachzu-
sehen, was iibrigens auch unmoglich gewesen ware. Er war einzig und allein
Gefangniswarter. Kinder, die zum erstenmale mit der Strafe des Nachsitzens
belegt wurden, mussten ins Arrestlokal geschleift werden, hier wurden sie
Zeugen der Ungezogenheiten der alteren Schiiler und kamen zum zweitenmale
schon ganz dreist. Altere Schiilerinnen legten es geradezu darauf an, Nach-
sitzen zu erhalten, sie fertigten in den Arreststunden ihre Schulaufgaben, zur
Weihnachtszeit Handarbeiten fur die lieben Eltern an, trafen verabredeter-
massen mit andern zusammen, um Unsinn zu treiben. Der aufsichtfiihrende
Lehrer, der kein anderes Mittel hatte, als wieder Nachsitzstrafen zu geben,
hatte eine heillose Aufgabe und schnitt sich ins eigene Fleisch. Soviel auch
Nacbsit^en. 79
von einzelnen gegen die in dieser Form verfehlteste aller ScEulstrafen geei-
fert wurde, blieb sie doch bestehen, sie war fur die andern ein zu beliebtes
Strafmittel und iiberhob sie des weiteren Nachdenkens iiber geeignetere. Den
akademisch gebildeten Leitern fiel auch nichts anderes ein; iibrigens stellte
diese Strafe ihre Schule in eine Linie mit den hb'heren Lehranstalten, und das
war doch auch etwas wert.
Aufgeriittelt wurde mancher, der die Schule zum Gefangnis gemacht hatte,
durch den Widerspruch der Eltern, manchmal auch durch eine Zeitungsnotiz,
dass ein Kind, das man noch dazu allein eingesperrt hatte, aus dem Fenster
gesprungen war und den Tod gefunden hatte.
Sicherlich wird die Strafe des Nachsitzens erst dann auf das richtige Mass
zuriickgefiihrt werden, wenn sich der Lehrer mitbestraft, was nach Salzmann
nur recht ist, weil der Lehrer von alien Fehlern, die beim Schiller in die Er-
scheinung treten, die Ursache zuerst bei sich suchen soil. In keinem Falle
sollte man es dulden, dass ein Lehrer ein Kind nachsitzen lasst und es nicht
selbst beaufsichtigt. Solmld aber eine bestimmte Zeit zum Nachsitzen fur eine
ganze Schule von vornherein stundenplanmassig festgesetzt, ein anderer, als
der strafende Lehrer, wohl gar der Schuldiener, zum Aufseher bestimmt und
ein gewisses Lokal als Arrestzimmer gekennzeichnet wird, ist das Nachsitzen
eine der Gefangnisstrafe ahnliche Einrichtung und padagogisch zii verurtei-
len. Selbstverstandlich ware bei einer Nachsitzstrafe auch eine vorherige alsbal-
dige Benachrichtigung der Eltern, und zwar im ersteren Falle nicht durch das
Kind Oder durch Mitschiiler, sondern durch schriftliche Mitteilung des Lehrers
Oder durch den Schuldiener erforderlich.
Dem Lehrer steht das Recht der korperlichen Ziichtigung zu wie dem
Vater. Liigt ein Schiiler, ist er widerspenstig, frech u. s. w., nun dann strafe
man ihn, wie man es verantworten kann, damit ihn die Lust fur ein andermal
nicht anwandle. Schwatzt eine Schulerin einmal, so stelle man sie kalt, indem
man ihr die Gelegenheit dazu nimmt; fertigt sie ihre Aufgaben nicht an, so
lasse man sich die Eltern kommen, um sie an ihre Pflicht der Aufsicht zu er-
innern, hilft das nichts, nun, so behalte man die Unfleissige so lange zuriick,
bis die Sache erledigt ist. Es wird freundliche Zurede, ernste Zurechtweisung
ein fur allemal geniigen.
Gegen schlimmere Schiilervergehen ist das Nachsitzen kein geeignetes
Strafmittel, denn es ist nicht empfindlich genug, um eine Wiederholung zu ver-
hiiten, oft bringt es den noch unverdorbenen Schiiler mit Elementen zusam-
men, die ihn iibel beeinfiussen, in jedem Falle wird durch diese Strafe das Ehr-
gefiihl eines Kindes totgeschlagen. Der Erzieher aber soil solche zweifelhaf-
ten. verwerflichen Mittel nicht anwenden, sondern seine Strafmittel nur nach
ernstestem Nachdenken und der Individualitat des Schiilers entsprechend
wahlen.
Berichte und Notizen.
I. Die Versammlungen der N. E. A. zu Charleston, S. C.
(Flir die Padagogischen Monatshefte.)
Von Paul Oerisch, Milwaukee, Wis.
Die englischen Kollegen hielten im letzten Sommer ihre jahrliche Zusam-
menkunft vom 10. bis zum 13. Juli in Charleston, S. C., ab. Die Zahl der Be-
sucher stieg auf wenig iiber 3000, wahrend auf der Tagung in Los Angeles im
vorletzten Jahre sich 13,656 Personen einschreiben liessen. Charleston hat ein
mildes, maritimes Klima: wahrend der Konventionswoche stieg an vier Tagen
das Thermometer nicht so hoch als in Los Angeles im Jahre vorher; der Feuch-
tigkeitsmesser schwankte zwischen 60 und 80 Prozent; eine wohlthuende Brise
mit einer Geschwindigkeit von 12 bis 20 Meilen wehte fast ununterbrochen.
Die Stadt 1st reich an historischen und anderen lehrreichen Erinnerungen: sie
ist mehrmals belagerc und von einer feindlichen Flotte beschossen worden; in
ihrem Hafen hat der erste Kampf zwischen einem Torpedoboot und einem
Kriegsschiff stattgefunden; sie ist auch von Wirbelstiirmen und Erdbeben ge-
troffen worden; sie hat den ersten artesischen Brunnen im Lande gehabt, u. s. w.
Ausserdem bietet sie mannigfache Gelegenheit zu Ausfliigen in die nachste
Umgebung zum Zwecke des Studiums und der blossen Unterhaltung. Der grosse
Unlerschied in der Zahl der Besucher zwischen Charleston im Jahre 1900 und
Los Angeles im Jahre 1899 lasst sich vielleicht dadurch erklaren, dass der
Name des Wunderlandes Californien durch seinen Klang allein eine magische
Wirkung auf unsere Schoolma'ms, die die Zusammenkunfte der N. E. A. sicher-
lich nicht bloss der padagogischen Weisheiten halber besuchen, ausgeiibt hat. Ist
es also den Beamten der N. E. A. darum zu thun, eine zahlreiche Beteiligung
zu sichern, wie ware es, wenn sie die nachste Tagung nach dem grossartigsten
Museum physikalischer Geographie, dem Yellowstone Park, verlegten?
Wie zielbewusst die Beamten der N. E. A. diesmal arbeiteten, zeigt die Ein-
heltlichkeit des Programmes fur die allgemeinen Versammlungen. Hier eine
kurze Zusammenstellung:
Dienstag Nachmittag, 10. Juli — Empfang.
Dienstag Abend — Zwei Vortrage iiber ,,Das kleine College".
Mittwoch Morgen — Drei Vortrage iiber ,,Beitrage religioser Genossenschaf-
ten zur Sache der Erziehung"; von einem Baptistenprediger, einem Methodisten-
prediger und einem katholischen Priester.
Mittwoch Abend — Zwei Reden von Joseph Swain und Booker T. Washington.
Donnerstag Morgen — Drei Vortrage iiber ,,Aufgabe der Volksschule". Dann
Beamtenwahl.
Donnerstag Abend — Patriotischer Abend.
Freitag Morgen — Drei Vortrage iiber ,,Beziehungen der Litteratur zur Er-
ziehung".
Freitag Abend— Schlussversammlung.
Wir beginnen unseren Bericht mit dem Glanzendsten, was die N. E. A.
aufzuweisen hat, mit den Finanzen. Die linke Seite des Sparkassenbucb.es des
englischen Schulvereiiis ist hiibsch gefiillt, denn am 1. Juli 1900 belief sich ihr
Vermogen auf $88,000. Der Verwaltungsrat berichtet, dass sich am 1. Juli 1899
der sog. permanente Fonds auf $74,000 belief. Die Einkommen aus dem betr.
Fonds und aus der Tagung in Los Angeles schwellten den Fonds aber auf $88,000
an. Das Vermogen ist, mit Ausnahme von ?5110, alles in Hypotheken auf
Grundeigentum und in Kansasser, Illinoiser, Indianaer und Missourier Schul-
Die Versammlungen der N. E. A. 81
bonds angelegt. Wozu die N. E. A. eigentlich ein Vermogen zusammenscharrt?
Der deutschamerikanische Lehrerbund sollte mit der N. E. A. einen Trust ein-
gehen, er konnte dabei nur gewinnen!
In dem Thomson Auditorium, einer Halle von riesenhafter Ausdehnung, die
jeder Dame erlaubte, den Hut aufzubehalten, und jedem Gentleman gestattete,
zwei Stiihle in nachster Nahe in Fussschemel umzuwandeln (d. h., wenn er
gewollt hatte), wurden die allgemeinen Versammlungen unter den melodischen
Kliingen von Dixie und Yankee Doodle, mit inbriinstigem Gebet und mit prei-
senden Reden eroffnet. Der President Corson hat in seiner Ansprache, nach
eigenem Gestandnis, weder etwas Tiefes noch etwas Geheimnisvolles, weder
etwas Neues noch etwas Autsehenerregendes der Versammlung vorzulegen;
auch hat er nichts Besonderes zu verdammen. Aber er gab einem echt ameri-
kanischen Gedanken Ausdruck. Nach seinem Dafiirhalten miissen diejenigen,
die den erzieherischen Geist unseres Landes bilden und in die richtigen Bahnen
lenken wollen, nicht nur tiichtige Erzieher, sondern auch tiichtige Geschafts-
leute sein. In diesem Zeitalter seien auf dem Gebiete der Erziehung die wirk-
lichen Fiihrer nur diejenigen, die, mit Geschaftssinn begabt, die kaufmannischen
Probleme, die immer einen Toil des erzieherischen Problems bildeten, schatz-
ten und verstanden. Wenn die Schulen die Geldunterstiitzungen, die zu ihrem
Gedeihen ja so notwendig sind, auch fernerhin beanspruchen wollen, dann
"the people must be led to feel that education pays". In diesem Tone sprach
Herr Corson noch geraume Zeit welter. Hierauf wandte sich der Redner gegen
die allerneueste Richtung in unseren Schulen, das Textbuch aus dem Schulzim-
mer vollstandig zu verbannen. Wenn das Unterrichten nach dem Textbuch in
der Vergangenheit bis zum schadigenden Xussersten getrieben worden sei, so
sei das kein Grund, weshalb das Textbuch ganz abgeschafit werden solle. Er
warnte davor, das Schulzimmer in einen Vergniigungsplatz umzuwandeln.
Herr W. O. Thompson, der Prasident der Ohio State University zu Colum-
bus, O., trat in seinem Vortrage ,,Das kleine College — seine Wirksamkeit in der
Vergangenheit" der weitverbreiteten Ansicht entgegen, dass das kleine College
seine besten Tage gesehen habe. Diese Ansicht sei irrig und ungerecht. Das
kleine College sei gegriindet woiden, um Charaktere heranzubilden, und eine
Durchsicht der Alumnenlisten beweise, welche tiichtigen Manner aus ihm hervor-
gegangen seien; das kleine College habe mehr Nachdruck auf personlichen Ver-
kehr zwischen dem Professor und dem Studenten gelegt, da ein solcher Verkehr
von machtigem Einfluss auf die Bildung des Charakters sei; das kleine College
habe ferner ein grosses Werk verrichtet, indem es Achtung vor Bildung und
Gelehrsamkeit grossgezogen habe.
Herr W. R. Harper, der Prasident der Universitat Chicago, setzte das
Thema ,,Das kleine College" fort, und zwar sprach er iiber die Wirksamkeit
des kleinen College in der Zukunft; iiber seine Ausfiihrungen ist uns jedoch
keine Zeile zu Gesicht gekommen.
Ein Ereignis der englischen Lehrerzusammenkunft war das Erscheinen
Booker T. Washingtons auf der Rednerbiihne. Booker T. Washington ist der-
selbe Mann, von dem die Zeitungen kiirzlich berichteten, dass die deutsche Re-
gierung mit ihm in Unterhandlungen stehe zwecks Uberlassung von Negern
aus seiner Schule, welche die Eingeborenen der deutsch-ostafrikanischen Be-
sitzungen im Baumwollenbau unterrichten sollen. Er ist ein Typus seiner
Rasse. Seine Nase ist breitgedriickt, und seine Lippen sind so schwiilstig wie
die von Tausenden anderer Schwarzen; er ist breitschultrig, Jung, und
ersichtlich voll Kraft und Ernst. Seine Rede, die er mit lebhaften Gesten be-
gleitet, ist einfach, klar und kuhn. Er sprach frei, ohne Manuskript, und fes-
82 P'ddagogiscbe Monatshefte.
selte seine Zuhorer. Der ganze Siiden betrachtet ihn heute als einen seiner
grossten Manner. ~
Booker T. Washington ist ein schwarzer Pestalozzi. Una den Neger auf
eine hohere Stufe der Gesittung zu heben, sagt W., muss man ihm die Beschaf-
tigungen lehren, welche die wirtschaftlichen Zustande des Bodens, auf dem er
jetzt sassig ist, von ihm fordern, wenn er sein Fortkommen finden will. Die
grosse Masse seiner Rasse ernahre sich direkt Oder indirekt durch den Acker-
bau. Es sei deshalb ein Fehler, dem Negerknaben alles Mogliche im Himmel
und auf der Erde zu lehren, nur das nicht, was mit dem landwirtschaftlichen
Leben der Gemeinschafc, zu der er ja zuriickkehren s o 1 1 1 e, tibereinstimme.
So geschehe es, dass in viel zu vielen Fallen der Neger nicht auf seines Vaters
Farm zuriickkehre, sondern in die Versuchung falle, ohne ehrliche, brotbrin-
gende Beschaftigung sich allein von seinem Witze ernahren zu wollen. Herr
Washington bittet, den Neger nach denen im Schulzimmer, nicht nach denen
im Zuchthaus, nach denen in der Werkstube und auf dem Felde, nicht nach den
Miissigen auf der Strasse, nach denen, die sich ein Heim gegriindet und Steuern
bezahlen, nicht nach denen in Lasterhohlen zu beurteilen.
Dieser schwarze Pestalozzi ist auch praktischer und erfolgreicher, als jener
andere Pestalozzi auf dem Neuhof es war. Er hat in Tuskegee in Alabama
eine Schule aufgebaut, die einen Wert von $300,000 hat, in der elfhundert Schil-
ler aus achtundzwanzig Staaten und Territorien unterrichtet werden, und die
jahrlich $75,000 ausgiebt. Herr Washington verrichtet ein grosses, edles Werk,
nicht nur zur Hebung seiner Rasse, sondern ebensowohl zum Wohle der Weissen
im ganzen Siiden. Ihm gebiihrt die Teilnahme und Unterstutzung im ganzen
Lande.
,,Das Problem der unteren Klassen der Volksschule" (ausschliesslich der
Hochschulklassen) war der Gegenstand dreier interessanter Vortrage. Frl.
Gertrud Edmund, Prinzipalin der Teachers' Training School zu Lowell, Mass.,
behandelte die Frage der Disziplin; Frl. Elisabeth Buchanan aus Kansas
City, Mo., sprach iiber Klassifizierung undVersetzung, und
Frau Alice Woodworth Cooley, Supervisor der Primarklassen in Minneapolis,
Minn., behandelte den UnterrTcht in diesen Volksschulklassen.
Frl. Edmund sagte, dass die allererste Schule, der sie vorgestanden, sechzig
Schiiler gezahlt habe, Madchen und Knaben, von denen viele alter und grosser
gewesen als sie selbst. Da habe sie die grossten Bengel sofort so angeredet:
,,Nun, Jungens, ich weiss, Ihr seid alter und viel starker als ich, und Ihr konnt,
wenn Ihr wollt, die Schule auf den Kopf stellen. Ihr werdet mir jedoch helfen,
die Schule so zu leiten, dass sie Euer Stolz und der Stolz des ganzen Dorfes
werde." Aus dieser Episode schalte sie nun das Geheimnis der Disziplin heraus.
Es bestehe in einer Art Teilhaberschaft zwischen Lehrer und Schiiler; der Leh-
rer miisse sofort ein inniges Biindnis mit seinen Schiilern schliessen. Wer's
kann, mach's nach!
Die Frage der Klassifizierung und Versetzung der Schiiler in unseren Volks-
schulen will nicht zur Ruhe kommen. Es giebt kaum zwei Stadte von Belang,
die dasselbe System der Versetzung gemein haben. Wie bei so vielen anderen
wichtigen erzieherischen Fragen, fehlt auch hier die Einheitlichkeit. Frl.
Buchanan behandelte den Gegenstand etwas langatmig zwar, doch liickenlos.
Ihre Argumente zeugen von Verstandnis und Erfahrung, sowie von grosser Liebe
zur Sache. Nachdem sie auf die Verschiedenheit der Versetzungsmethoden in
ein- und mehrklassigen Schulen und in verschiedenen Stadten hingewiesen,
sagte sie, dass ein Schritt in der rechten Richtung nunmehr der sei, den Zeit-
abschnitt der einzelnen Klassen kiirzer zu gestalten. (Das ist so zu verstehen,
dass, sagen wir, statt acht Klassen sechzehn oder vierundzwanzig einzurichten,
Die Versammlungen der N. E. A. 83
Oder acht Klassen in je zwei oder drei Abteilungen zu trennen waren.) Wenn
ein Kind einige Wochen, vielleicht gar krankheitshalber, aus der Schule bliebe,
so sei es offenbar ungerecht, es ein ganzes Jahr zuriickzusetzen. Sie befiirwortet
eine Dreiteilung in den unteren Klassen, eine Zweiteilung in der oberen Klasse
in demselben Zimmer und unter demselben Lehrer. Durch eine Neueinteilung
nach jedesmal sechs Wochen will sie den Begabten Gelegenheit verschaffen, so
schnell vorzugehen, wie deren Fahigkeiten es erfordern, und den weniger Be-
gabten will sie auf der andern Seite mehr Zeit widmen. Gegen daraus sich
etwa ergebende Mangel, wie z. B. die vollstandige Trennung von Klugen und
Dummen und die mogliche Vemachlassigung der letzteren seitens einer unge-
schickten Lehrerin, solle die Wachsamkeit des Prinzipals und das Vermischen
der aufriickenden Besseren mit den weniger Guten schiitzen. Auch gegen die
Unsitte, das Rechnen als alleinigen Massstab fur die Versetzung anzusehen, also
ein Kind in die nachsthohere Klasse eintreten zu lassen, weil es gut nur im
Rechnen ist, dagegen ein anderes Kind sitzen zu lassen und obendrein noch
zu verspotten, weil es gut in Geschichte, Geographic, Lesen, aber schlecht im
Rechnen ist, auch dagegen erhob Frl. Buchanan ihre Stimme. Auch diirfe es
nicht notwendig sein, ein Kind solange in einer Klasse zu halten, bis es alle
darin gelehrten Facher griindlich verstehe, denn Griindlichkeit sei beim Kinde
nicht charakteristisch. Als Massstab fur die Versetzung empfehle sich in den
unteren Klassen Lesen und Recbnen, in den oberen ausser dem* Rechnen noch
Sprache, Geographic und Geschichte. Sie ist iiberhaupt gegen eine eiserne Regel
bei der Klassifizierung und Verset?ung der Schiiler; die Individualitat des Kin-
des und das Urteil des Lehrers miissten massgebend sein. Schriftliche Prufun-
gen sollten nicht mehr Gewicht bei der Versetzung eines Schiilers haben, als
eine gewohnliche Unterrichtsstunde. Alles in allem genommen, gehort der
Vortrag des Frl. Buchanan zu dem Besten, was auf der Konvention der N. E. A.
geleistet worden ist.
Der uns vorliegende Auszug aus dem dritten Vortrage, von Frau Cooley
gehalten und den Unterricht in der Volksschule betreffend, ist so wenig durch-
sichtig, dass wir uns versagen nriissen, naher darauf einzugehen,
Weil es draussen regnerisch war, hatte sich am Donnerstag Abend die
grosse Halle etwas mehr gefiillt, aber President Corson glaubte die Versamm-
lung begliickwiinschen zu miissen, dass sie sich zahlreicher wie sonst einge-
stellt, trotzdem das Wetter so triib ausschaue. An dem Rednerpult stand
Herr Arnold J. Gantvort, Professor am College of Music in Cincinnati, O., um
seinen Vortrag ,,Der Einfluss der Musik auf das Volksleben" zu halten, und auf
der Buhne hatte ein Militarorchester Platz genommen, die Auseinandersetzun-
gen des Herrn Gantvort zu illustrieren. ,,Ein Ohioer Minstrel hat ,,Dixie" ge-
schrieben; es liegt gar keine Kraft in den Worten, vielleicht noch weniger in
der Melodic," sagte Heir Gantvort. Aber das Publikum liess den Redner kaum
seine Ausfiihrungen vollenden, so heiser schrie es sich nach ,,Dixie"; und als
das Ding endlich gespielt wurde, sprang alles auf die Beine und sang aus voller
Kehle die Melodie bis zum Ende. Auf solche Weise angefacht, loderte das
Feuer des Patriotismus machtig empor, und der Abend wurde zu einem patrio-
tischen Ereignis. So wie das ,,Dixie", zergliederte Herr G. ,, Yankee Doodle",
,,Hail Columbia", ,,The Star Spangled Banner" und ,,My Country, 'Tis of Thee",
von welch letzterem er sagte, er bedauere, dass dies Lied nicht besser bekannt
sei, da es die beste aller Volksmelodieen sei.
Nachdem Herr Gantvort die Gemuter fiir seine Ausfiihrungen 'in der ange-
deuteten Weise empfanglich gemacht, erorterte er einige treffliche Wahrheiten,
die, an anderm Orte und vor einem weniger gebildeten Publikum vorgebracht,
weniger tief und nachhaltig waren empfunden worden. Er sagte unter anderm:
84 P'ddagogische Monatsbefte.
,,Es giebt immer noch manche Leute, die in der Erziehung dem Niitzllchkeits-
prinzip huldigen. Nun, diese Leute gleichen den Wilden, welche die starksten
Vertreter des Niitzlichkeitsprinzips sind. Wir bilden uns ein, das freieste Volk
auf der Erde zu sein, und doch haben wir vielleicht gerade soviel Freiheit,
wirkliche Freiheit, wie jede andere Nation, denn wir sind Sklaven unserer eige-
nen fieberhaften Unternehmungen und einer unfruchtbaren Theorie von Dis-
ziplin, Disziplin, Disziplin! Wir furchten uns, uns den freien und gliicklichen
Trieben unserer Natur hinzugeben. Was nicht gerade dazu beitragt, in regel-
massig zugeschnittener Weise das Geschaft, oder die Politik, Oder die Berufs-
arbeit, oder die Mode, oder die Verstandesbildung, oder eine angenommene Reli-
gion zu fordern, das halten wir fur verlorene Miihe. Wir kennen die Kunst
zu leben nicht. Wir besitzen keine Gemiitlichkeit (geniality), noch verstehen
wir, als ein Volk, die eigentliche Bedeutung dieses Wortes. Es giebt keinen
Bestandteil im Volkscharakter, den wir so notwendig brauchen, als die gemut-
liche Fahigkeit geselliger Freude, die gliickliche Kunst, richtig zu leben."
Gleichsam als wollte man die Worte des Herrn Gantvort Liigen strafen
und zeigen, dass der Amerikaner nicht alien Sinnes fur die schonen Kiinste
bar, hatten sich am Morgen nach dem patriotischen Abend die Lehrer und Leh-
rerinnen in der grossen, noch iii'mer im Feierkleide der r6t-weiss-blauen Far-
ben prangenden Festhalle eingefunden, um dem Vortrage des Herrn Wm. M.
Beardshear aus Ames, la., eines jungen Mannes mit weittragender, melodischer
Stimme, iiber den ,,Einfluss der Foesie auf die Erziehung vom Standpunkt des
Schonen" andachtig zu lauschen. Trotzdem Heir Beardshear behauptet, dass
jeder Mensch ein geborener Dichter, diirfte es uns doch ein bisschen schwer fal-
len, die vielen Zitate ins Deutsche zu iibertragen. Sein Vortrag wurde mit
grossem Beifall aufgenommen. Dasselbe lasst sich von den beiden folgenden
Vortragen behaupten, die gleichfalls die Beziehung der Litteratur zur Erziehung
zum Gegenstande hatten.
In der Schlussversammlung verlas Dr. N. M. Butler aus New York die
Prinzipienerklarrung der N. E. A. Daraus heben wir einige Satze hervor:
Die Volksschule ist die starkste Hoffnung der Nation. Die amerikanische
Volksschule hat den Zweck, sowohl die Reichen anzulocken und zu unterrich-
ten, als auch die Armen zu versorgen und zu erziehen. Innerhalb ihrer Mauern
werden amerikanische Burger gemacht, und niemand kann ohne Gefahr von
ihren Wohlthaten ausgeschlossen werden. Was dem Volke der Ver. Staaten
soviel Nutzen gebracht hat, soilte unverziiglich denen zur Verfiigung gestellt
werden, die, durch die Geschicke des Krieges, unsere Miindel geworden sind.
Die Ausdehnung des amerikanischen Volksschulsystems auf Cuba, Porto Rico
und die Philippinen ist eine gebieterische Notwendigkeit, sodass daselbst Kennt-
nisse eine allgemeinere Verbreitung finden und damit die Grundlage geselliger
Ordnung und wirksamer lokaler Selbstregierung in der Intelligenz und Moralitat
geschaffen werden.
Die Prinzipienerklarung fordert ferner von der nachsten Sitzung des Con-
gresses die Umbildung des nationalen Erziehungsbureaus in ein unabhangiges
Departement, damit eine wirksame Kontrolle der erzieherischen Systeme in
Alaska, auf den Inseln, die jetzt von uns abhangen, und im Indianerterritorium
ausgeiibt werden konne; sie driickt ihre Zufriedenheit mit der schnellen Zu-
nahme der Bildungsgelegenheit an Hochschulen und Colleges — und — Universita-
ten, so wie an Gewerbe- und Handelsschulen aus; sie billigt herzlich jede Mass-
regel zur Hebung des Lehrerstandes, wie zureichende Vorbildung, Stellungssi-
cherheit, anstandiges Gehalt, und ein systematisches Pensionssystem, — sie
heisst endlich auch die Bereitwilligkeit der Hochschulen und Colleges, die Be-
dingungen zur Aufnahme in ihre respektiven Schulen einheitlich zu gestalten,
willkommen.
Korresponden^en.
85
Nach Annahme der iiblichen Dankesbeschliisse fiihrte sich der neue Pra-
sident, Herr James M. Green, mit einer Ansprache ein. Herr Green ist aus der
Volksschule hervorgegangen. Er ist jetzt Prinzipal der Staatsnormalschule zu
Trenton, N. J., seiner Alma mater.
Im Verlaufe des Abends war natiirlich noch einmal ,,Dixie", und wiederum
,,Dixie", gesungen worden, jetzt aber vertagte sich die Lehrerschaft mit dem
Absingen der Hymne ,,Amerika".
Um die Ehre, die nachste Konventionsstadt zu sein, stritten sich Detroit
und Cincinnati. Eine Wahl ist jedoch in Charleston selbst nichl getroffen
worden.
Es bleibt uns noch iibrig, die Thatigkeit der einzelnen Departements der
N. E. A. vor allem des National Council, einer kurzen Berichterstattung zu
unterziehen.
II. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Dresden.
In dem von neuem erschienenen
,,Handbuch der Schulstatistik fiir das
Konigreich Sachsen" von Arthur
Kolbe befindet sich am Schlusse ein
reiches Zahlenmaterial, das die Ent-
wickelung des sachsischen Schulwe-
sens in interessanter Weise darlegt.
Am 1. Mai 1900 zahlte die Universi-
tat Leipzig 65 ordentliche Professo-
ren, 9 ordentliche Honorar-Professo-
ren, 75 ausserordentliche Professoren,
69 Privatdozenten, 5 sonstige Lehrer
und 3269 Studierende und Horer.
Die Technische Hochschule in Dres-
den hatte 47 Professoren, 11 Privat-
dozenten, 313 Assistenten und 1073
Schiller.
Die zehn sachsischen Realgymna-
sien batten 235 Professoren und Leh-
rer, 33 Fachlehrer und 3995 Schiller;
an den fiinfzehn Gymnasien wirkten
354 Professoren und Lehrer, 37 Fach-
lehrer, und die Schiilerzahl betrug
5819; an den 34 Realschulen (ein-
schliesslich 17, verbunden mit Pro-
gymnasien und 6 Privatinstituten)
waren 451 Lehrer, 72 Fachlehrer, 7
Vikare und 28 Hilfslehrer thatig; der
Besuch belief sich auf 10,647.
Um die genannte Zeit gab es in
Sachsen 1914 Orte mit und 1740 Orte
ohne Schule. ttberhaupt gab es 2234
offentliche evangelische und 116 ka-
tholische Volksschulen ; mit einer
Fortbildungsschuie waren 1971 ver-
bunden. Die gesamten sachsischen
Volksschulen wurden von 343,773
mannlichen, 361,339 weiblichen, zu-
sammen 705,112 Zoglingen besucht,
davon waren 682,272 evangelischer
Konfession, 19,668 katholisch, und
3172 gehorten sonstigen Konfessionen
an. Die £ahl der Fortbildungsschiiler
betrug 84,650, darunter 2329 weibliche.
An den sachsischen evangelischen
Volksschulen wirkten 362 Direktoren,
7983 standige Lehrer, 287 standige
Lehrerinnen, 312 Vikare und Vikarin-
nen, 1614 provisorische und Hilfsleh-
rer, 113 provisorische und Hilfslehre-
rinnen, zusammen 10,671. An den ka-
tholischen Volksschulen wirkten 546
Lehrkrafte, davon 360 an Privatschu-
len.
Insgesamt waren also an sachsi-
schen evangelischen und katholischen
Volksschulen 11,245 Lehrkrafte tha-
tig. Durchschnittlich kamen auf ei-
nen Lehrer in der Volksschule 62.70
zu unterrichtende Kinder und auf
eine Volksschulanstalt 300 Kinder.
Was den Stand des Unterrichts selbst
betrifft, so ist uerselbe, wie man in
Amerika sagen \viirde, ,,A 1".
Die 75. Jahresfeier des Freiherrl. v.
Fletcher'schen Seminars wurde un-
langst in erhebender Weise begangen.
Aus nah und fern waren Angehorige
aller, zum Teil senr alter Semester
erschienen, um an der Festlichkeit
teil zu nehmen. Eine von Herrn
Zschocke herausgegebene Festzeitung
trug viel zur Erheiterung bei.
Willie Lotzsch
Baltimore.
Eine Umgestaltung des hiesigen
Schulwesens ist unter der neuen Lei-
tung im Gang begriffen. Superinten-
dent Van Sickle hat dabei mit richti-
gem Blick zunachst den Lehrkorper
selbst ins Auge gefasst. "As is the
teacher, so is the school", ist eines
seiner Leitmotive. Wahrend unter
dem friiheren System bei Lehramts-
bewerbern lediglich das Kennen in
86
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
betracht gezogen \vird (und selbet
dieses wurde von damals bliihenden
Schulratspolitikern zuweilen ausser
acht gelassen), soil jetzt auch dem
Konnen sein gutes Recht eingeraumt
werden.
Es 1st daher mit dem neuen Jahre
eine ttbungsschule (training school)
fiir angehende Lehrer und Lehrerin-
nen eingerichtet worden, ausserdem
wird es den schon im Schuldienst
Stehenden durch Spezialkurse, gross-
tenteils an der Johns Hopkins Univer-
sitat, erleichtert, sich auf der Hohe
der Zeit zu halten. Es ist zu wun-
schen, dass die neue Stromung einen
heilsamen Einfluss auf die Selbstzu-
friedenen und Gleichgiiltigen ausiibt,
giebt es doch nicht wenige, die bis-
ter weder das Bediirfnis fiihlten,
noch die Verpflichtung erkannten,
sich eine Schulzeitung zu halten.
In der Umgestaltung des Unter-
richtsplans scheint der Gedanke mass-
gebend zu werden, ,,Non scholae, sed
vitae discimus". Es ist nur zu be-
fiirchten, dass dem deutschen Unter-
richt weniger Zeit eingeraumt werden
wird, als das bisher der Fall gewesen
ist. Gewaltsame oder plotzliche Um-
anderungen sind indessen kaum zu
erwarten. In einer freundschaftli-
cheii Ansprache an die Lehrerschaft
ausserte sich jiingst der Superinten-
dent: "I believe in building up, not in
tearing down. I believe in substitut-
ing the better for the worse. The
best things do not come in a day.
They are of slow growth. We can
afford to wait."
Der Deutsche Lehrerverein hat fol-
gende Beamte fiir das laufende Jahr
gewahlt: President: August Hering;
Vizeprasident: A. G. Schwier; Sekre-
tar: Carl Lageler; Schatzmeisterin:
Louise Thalwitzer; Exekutivkomitee :
Fr. Schrock, A. G. Schwier, Ed. Heini-
chen, Emma Rogge, Marie Sonne-
mann, C. O. Schonrich. Der vorletz-
ten Versammlung schilderte Fraulein
Thalwitzer die Eindriicke, die sie
wahrend ihrer letztjahrigen Ferien-
reise an einer Berliner Gemeinde-
schule gewann, und in der letzten
Versammlung folgte Oberlehrer Lage-
ler mit einem Vortrag ,,Reiseerinne-
rungen mit padagogischen Streiflich-
tern", wobei er vornehmlich die Pa-
riser Weltausstellung Revue passieren
liess. Beide hochinteresante Vortrage
wurden mit reichem Beifall aufge-
nommen, und an die Betreffenden
wurde die Bitte getellt, ihre Vortrage
den Padagogischen Monatsheften zur
Veroffentlichung zu ubermitteln.
Als psychologische Ratsel erschei-
nen folgende peinliche Vorfalle der
jiingsten Zeit: Ein junger Zahnarzt,
der sich bisher in der besten Gesell-
schaft bewegte, wurde als gemeiner
Ladendieb ertappt. — Ein Student der
Medizin an der Johns Hopkins Uni-
versitat, 23 Jahre alt, brach im che-
mischen Laboratorium daselbst ein
und stahl vier Pfund Platin im Werte
von $1200. Sein 32jahriger Bruder,
Student an der Zahnarzneischule, war
sein Helfershelfer. Beide gaben an,
dass sie das Geld zur Beendigung
ihrer Studien gebrauchen wollteii.
Sie wurden nur zur Erstattung der
Prozesskosten verurteilt und auf ein
Jahr unter die Aufsicht der Gefange-
nen-Hilfsgesellschaft gestellt, da die
Universitatsbehorde von einer Ver-
folgung absah. Beide sina aus Boston
gebiirtig. — Der dritte Fall ist beson-
ders peinlich, weil die Betreffende
einer der altesten, besten und geach-
tetsten deutschen Familien der Stadt
angehort. Dieselbe, bisher Lehrerin
an einer der beiden hoheren Tochter-
schulen, ist namlich wegen Dachau-
erei dem Kriminalgericht xiberwiesen
worden.
Ein weiteres trauriges Zeichen der
Zeit lasst sich aus dem eben erschie-
nenen Jahresbericht der Marylander
Staatszuchthausbehorde erkennen. Es
ergiebt sich namlich, dass die Zahl
der Gefangenen in den letzten zehn
Jahren um siebenundvierzig Prozent
zugenommen hat, wahrend im selben
Zeitraum der Bevolkerungszuwachs
im Staat nur vierzehn Prozent be-
tragt. — S. .
Chicago.
Am 27. Dezember veranstaltete der
Deutsche Lehrerverein eine Weih-
nachtsfeier mit Christbaum in der
Schiller-Halle. Da das Wetter sehr
schon war, so liess auch der Besuch
nichts zu wunschen iibrig. Fast alle
Mitglieder des Vereins hatten sich
eingestellt. Das fiir diesen Zweck
aufgestellte Programm schien alle in
hohem Masse zu befriedigen. Gesang,
Musik und Vortrage wechselten mit-
einander ab, und an einer schon ge-
deckten Tafel wurden Erfrischungen
eingenommen. Da diese Zusammen-
kunft die letzte war im alten Jahr, so
wiinschte man einander beim Ausein-
andergehen ein gliickliches Neujahr.
E. A. Z.
Korresponden^en.
87
Cincinnati.
Die gigantischen Unterschla-
gungen von Schulgeldern,
die nach dem rechtzeitigen Tode des
Schulratsklerks Griffith plotzlich ans
Tageslicht kamen, hielten liier seit
Wochen die Gemiiter in Aufregung.
Das gab doch mal wieder einen ande-
ren Gesprachsstoff, als immer der
neue Superintendent und sein Be-
form-Lehrplan. Wie konnten diese
Unterschleife, die wahrend der 1 jah-
rigen Amtszeit des Clerks auf unge-
fahr 400,000 Dollars angeschwollen
sein sollen, so lange unentdeckt blei-
ben, hatte Griffith Mitschuldige und
haben nicht noch andere krumme
Transaktionen, z. B. Stellenverkauf, in
unserem Schuldepartement wahrend
der letzten Jahre stattgef unden ? Das
sind die Fragen, die gegenwartig be-
sonders in Lehrerkreisen lebhaft be-
sprochen werden. Die hochnotpeinli-
che Untersuchung, die sofort nach der
,,Entdeckung" angeordnet \vurde, soil
liber all diese Punkte Licht verbrei-
ten, doch die Botschaft hor ich wohl,
allein Mehr als der genaue
Betrag der unterschlagenen Gelder
wird von den Experten, den teuren,
nicht festgestellt werden, und das hat
wenig Zweck, sintemalen ja doch
nichts mehr von dem Raub zuruckzu-
bekommen ist, weil man die Biirg-
schaft des Clerks in den letzten Jah-
ren nicht wieder erneuerte. Es war
halt in unserer Schulbehorde eine ge-
radezu riihrende, gegenseitige Ver-
trauensduselei eingerissen, wenn
nicht was Schlimmeres.
Mitschuldige und andere Krummig-
keiten werden die modernen Inquisi-
toren wohl schwer entdecken, denn
der Hauptschuldige ist tot, und die
Toten erzahlen nichts mehr. Aber
warum nimmt der Schulrat oder das
Untersuchungskomitee nicht ein tuch-
tiges Medium zuhilfe und lasst sich
in einer Seance den Geist Griffiths zi-
tieren, vielleicht auch den der friihe-
ren Vorsteherin des Zeichen-Departe-
ments?! Die zwei Geister konnten
wohl etwas erzahlen!
Nach dem bekannten Sprichwort
vom Kalb und Brunnen werden jetzt
die verschiedensten und unfehl-
barsten Vorbeugungsmittel gegen
Wiederholungsfalle in Vorschlag ge-
bracht. Das gefahrlichste hiervon ist
die Abschaffung des Schulrats und
Einsetzung einer Erziehungskommis-
sion, bestehend aus etwa fiinf repra-
sentativen Burgern. Was dies fur das
deutsche Departement in den offent-
lichen Schulen zum Gefolge hatte,
wissen wir nur allzuwohl. Es ist
doch eine wunderbare Logik; weil
Schulgelder gestohlen wurden, soil
das deutsche Departement dafiir
biissen, inclein man es abscHaffen,
oder wenigstens beschneiden mochte.
Dadurch, glauben unsere nativisti-
schen Widersacher, konnte ein Teil-
chen der veruntreuten Gelder w^ieder
eingebracht werden. Sehr schlau,
doch nicht schlau genug, denn man
wird, wenn die Zeit kommt, den An-
schlag zu vereiteln wissen.
Lehrerversammlungen.
— Bezugnehmend auf die oben er-
wahnte traurige Angelegenheit, rich-
tete Herr Schwaab, der Vorsitzer des
deutschen Departements im Schulrat,
wahrend der beiden letzten Lehrer-
versammlungen an die deutschen
Lehrkrafte einige sehr beherzigens-
werte Worte. Herr Schwaab versi-
cherte, dass alle Angrift'e auf den
deutschen Unterricht abprallen wur-
den, so lange die deutsche Lehrer-
schaft selbst ihre voile tnicht in je-
der Hinsicht thue und unermiidlich
fiir ihre Sache auf der Wache stehe.
Bei vielen, besonders vom jiingeren
Element, sei dies leider nicht der
Fall, weil dieselben ihre Stellungen
nicht recht zu verstehen scheinen.
Mit dem Erteilen des Unterrichts und
Ziehen des Gehalts sei die Pflicht ei-
nes deutschen Lehrers in diesem
Lande noch lange nicht erledigt.
Dass ein Lehrer an alien Bestrebun-
gen zur Forderung seines Berufs re-
gen Anteil nehme, sei eigentlich
selbstverstandlich, wenn er seine Auf-
gabe, die eigene Fortbildung, richtig
erfasst habe. Es sei sehr zu bedau-
ern, dass sogar hierin manche ihre
Schuldigkeit nicht thun. Aber das
Interesse fiir das Deutschtum im all-
gemeinen sollte sich beim deutschen
Lehrerstande auch dadurch bekunden,
dass derselbe sich mehr an deutschen
Vereinen und Unternehmungen betei-
lige, anstatt sich diesen gegenuber
kiihl und ablehnend zu verhalten. Zu
zeiten der Gefahr konnte eine enge,
warme Fiihlung mit dem Deutschtum
sehr zu statten kommen. Von engli-
scher Seite werde die deutsche Leh-
rerschaft ohne Unterlass beobachtet,
und wenn man dort findet, dass die
Lehrer selbst an deutschen Bestre-
bungen keinen Anteil nehmen, so sind
Angriffe auf deu deutschen Unter-
richt eine naturliche Folge.
Herr H. E. Kock hielt hierauf fiber
88
P'ddagogischt Monatsbefte.
das selbstgewahlte Thema ,,Neuere
Forschungen der physiologischen Psy-
chologie" einen Vortrag, womit die
Oberlehrersitzung ihren Abschluss
fand. In der Versammlung des deut-
Bchen Lehrervereins am darrauffol-
genden Samstag (9. Dez.) las derselbe
Herr iiber ,,Farbenphotographie".
Bei Erledigung des geschaftlichen
Teils wurde durch Dr. Fick das noch
immer schlafende Dornroschen, ge-
nannt ,,Deutscher Lehrerverein von
Ohio", mal wieder zu wecken ver-
sueht. Da der Schlummer ein sehr
tiefer, ja totahnlicher zu sein scheint,
so ernannte der Prasident die Herren
Fick, Hahn und Burger als Wiederer-
weckungskomitee, das bis zur nach-
sten Versammlung iiber die erzielten
Eesultate berichten solle; hoffentlieh
sind dann diese recht erfreuliche.
Dem deutschen Kindergartenverein,
der zur Zeit seine geschwachte Kasse
durch einen Bazar zu starken suchte,
wurden $25 als Weihnachtsgeschenk
angewiesen. Auf dem Programm die-
ser Versammlung standen ausserdem
zwei Liedervortrage vom gemischten
Lehrerchor, sowie ein Violin- und ein
Pianosolo, die samtlich in befriedi-
gender Weise zu Gehor gebracht
wurden.
Herr Schwaab wiederholte v bei die-
ser Gelegenheit seine vollberechtigte
Philippika vom Donnerstag zuvor. Er
hatte dieses Mal noch hinzufiigen kon-
nen, dass gewisse Lehrkrafte, die der
deutschen Sprache in Wort und
Schrift nicht vollkommen machtig
seien, ebenfalls eine indirekte Gefahr
fur das deutsche Departement in den
offentlichen Schulen bilden. Denn wie
kann ein Lehrer ein Fach erfohjreich
unterrichten, wenn er dieses Fach
selbst nur sehr unvollkommen be-
herrscht! Solche in einem Glashaus
Sitzenden — das moge hier nebenbei
bemerkt werden — sollten in ihren
Vortragen mit kritisierenden Bemer-
kungen iiber altere Kollegen sehr vor-
sichtig um sich werfen und lieber die
Elemente der deutschen Grammatik
lernen, auf dass sie sich nicht selbst
und den ganzen Stand durch ihr feh-
lerhaftes Deutsch blamieren!
E. K.
Cleveland, O.
Versammlung deutscher
Lehrer. Am 23. November versam-
melten sich die deutschen Lehrer und
Lehrerinnen. Herr Otto Pinhard hielt
einen Vortrag iiber Max Miiller. Der
Vortrag fand ungeteilten Beifall.
Nachdem Herr Woldmann einige offi-
zielle Mitteilungen gemacht hatte,
rief Herr Adolph Kromer die Pada-
gogische Gesellschaft zur Ordnung.
Die Sekretarin und Schatzmeisterin
legte ihren Jahresbericht vor, aus
dem sich ergab, dass die Mnanzen des
Vereins in sehr gunstigem Zustande
waren. So wurde beschlossen, fiir
das laufende Jahr keinen Jahresbei-
trag von den Mitgliedern einzufor-
dern. Dann wurden die Beamten fiir
das nachste Jahr erwahlt. Herr Kro-
mer wurde wieder zum Prasidenten,
Frl. Milch fiir das Amt eines Vizepra-
sidenten und Frl. Marie Walz aber-
mals als Schatzmeisterin und Sekre-
tarin gewahlt. Nachdem unter Auf-
hebung der Kegeln noch einige Mit-
glieder in den Verein aufgenommen
waren, vertagte sich derselbe. Fiir
die nachste Versammlung hat~ Frau
Mathilde Grossart einen Vortrag zu-
gesagt, bei welchem sie mit einer
.Anzahl Schiiler ihre Theorien iiber die
Beschaftigung der Anfanger im Deut-
schen darlegen wird. H. W.
New York.
Am 27. Dezember fand das zweite
Weihnachtsfest der deutschen Spe-
ziallehrer von New York statt. Nach
dem grossartigen Erfolge, dessen sich
im vorigen Jahre unser erstes Fest
erfreute, war es nicht anders zu er-
warten, als dass uns der Weihnachts-
mann noch einmal im freundlichen,
festlich geschmiickten Saale des
Terrace Garden zusammenrief. Sein
Kuf erging auch nicht vergebens an
die Mitglieder und Freunde unseres
Vereins. Jeder schien es sich zur be-
sonderen Aufgabe gemacht zu haben,
den Abend zu einem zweiten Erfolge
zu gestalten.
Ein hochst interessantes Programm.
von musikalischen und deklamatori-
schen Vortragen, sowie ebenso kraf-
tigen als warmen Ansprachen seitens
des Prasidenten, Herrn Herzog, des
Schulsuperintendenten Scheimer, des
Dr. Bernstein und des Herrn Ohm-
stede versetzte die Anwesenden in die
richtige festliche Stimmung.
Dieser neue gesellschaftliche Erfolg
89
zeigt uns wieder, was Eintracht,
txichtiges Zusammenhalten und Zu-
saminenstreben thun konnen.
In der letzten Versammlung der
Speziallehrer hielt Herr Eochow ei-
nen Vortrag iiber die Grammatik.
Die hiibsche, poetisch gehaltene Ein-
leitung gefiel alien Anwesenden
ausserordentlich.
Sodann setzte Herr Eochow vor al-
lem anderen fest, dass die offentliche
Schule den Schiller in der deutschen
Sprache so auszuriisten habe, dass sie
ihm in vierfacher Weise dienstbar sei.
Er soil 1) das gehorte, und 2) das ge-
schriebene Wort verstehen, 3) soil es
selbst spfechen, und 4) seine Gedan-
ken schriftlich auszudriicken vermo-
gen. Soil nun ein Schiller in stand
gesetzt werden, schriftliche Eede auf-
zufassen, sowie seine eigenen Gedan-
ken schriftlich darzustellen, so muss
er wohl oder iibel in die Formen der
Sprache eingefiihrt werden. Blosses
Verstehen, Horen, Lesen und Spre-
chen wiirde niemals an das gesetzte
Ziel fiihren.
Das Yerstandnis fiir diese Sprach-
formen wird erworben durch An-
schauung von Spracherscheinungen
und durch fleissige Anwendung,
durch Ubung. Zur Darstellung und
Einiibung verschiedener Formen
dient am besten der S a t z. Hier soil
jedoch streng darauf gesehen werden,
dass die Beispiele, die von den Kin-
dern gegeben werden, einen Inhalt be-
sitzen. Da nun der Vortragende solch
hohen Wert auf gute Beispiele legt,
der grammatikalische Unterricht
aber nur in Verbindung mit Lese-
stiicken betrieben werden kann, so
mochte er ein Lesebuch sehen, das
geordnete Beispiele dieser Art besitze.
Der Beschrankungen wegen, die
dem deutschen Unterricht gesetzt
sind, ist es wohl kaum zu erwarten,
dass die Ziele, die Herr Eochow sich
inbezug auf den grammatischen Un-
terricht setzt, noch nicht zur Wirk-
lichkeit werden konnen.
Wegen der vorgeschrittenen Zeit
wurde die Besprechung des Vortrages
auf die nachste , Versammlung ver-
schoben. F. A.
Philadelphia.
Dass es mit der Erziehung hierzu-
lande noch im Argen liegt, lasst sich
aus dem Vortrag des Herrn Eugen
Smith aus New York erkennen, den
er dieser Tage vor der Jahresver-
sammlung der National Prison Asso-
ciation hielt. Herr Smith hat sich
seit Jahren sehr viel mit alien dies-
beziiglichen Fragen beschaftigt und
gilt als ein ausserst gewissenhafter
und vorsichtiger Mann, der sich
angstlich vor alien Ubertreibungen
und vorschnellen Schliissen hiitet, so
dass die Ergebnisse seiner Berech-
nungen derWahrheit so nahe kommen,
wie das moglich ist. Er sprach iiber
,,Die Kosten des Verbrechens". Um
einen Begriff von der ungefahren
Hohe der Kosten gewinnen zu kon-
nen, welche das Verbrechen dem
Lande verursacht, unterwarf der Eed-
ner die Jahresausgaben von neun
Stadten des Landes, die Unkosten der
County- und Staatsverwaltungen und
die der Bundesregierung einer griind-
lichen Prufung und Sichtung, worauf
er alle Posten, die dem Verbrechen
zuzuschreiben sind, zusammens'tellte.
Es ergiebt sich, dass die dem Ver-
brechen zuzuschreibende Stadt- und
Countybesteuerung siph auf $3.50 fiir
den Kopf der stadtischen Bevolke-
rung, oder bei einer Kopfzahl von
30,000,000 auf $105,000,000 im Jahre be-
lauft; dass die durch das Verbrechen
benotigte Town- und Countybesteue-
rung sich auf $1.00 fiir den Kopf der
landlichen Vevolkerung stellt, oder
fiir 45,000,000 Seelen auf $45,000,000,
und dass endlich die auf Eechnung
des Verbrechens zu schreibende nati-
onale und staatliche Besteuerung im
Jahre die Summe von $50,000,000 aus-
macht.
Die dem Verbrechen zuzuschrei-
bende Besteuerung wiirde sich dem-
nach im ganzen auf $200,000,000 im
Jahre belaufen, und das ist nach dem
Urteil anderer Statistiker auf diesem
Gebiete eine sehr massige Schatzung.
Zu diesen, durch die sich im .Laufe
des Jahres ereignenden verbrecheri-
scheu Handlungen bedingten Geldaus-
lagen kommen die der gesetzlieben-
den Bevolkerung daraus entstehenden
Verluste, und die schatzt Herr Smith
auf mindestens $400,000,000 das Jahr.
Herr Smith geht dabei von der An-
nahme aus, dass jeder berufsmassige
Verbrecher sich im Laufe des Jahres
durchschnittlich $1600 aneignet, und
dass in den Vereinigten Staaten rund
250,000 Menschen von Eaub, Diebstahl
u. s. w. leben. Diese beiden Posten,
Ausgaben und Verlust, belaufen sich
also insgesamt auf $600,000,000 das
Jahr.
Wenn man dazu noch den Schaden,
90
P'ddagogische Monatsbefte.
welchen Verbrecher an Leib und Le-
ben ihren Opfern zufiigen, hinzuzahlt,
und denselben auf $150,000,000 im
Jahr veranschlagt, erhalt man die
Gesamtsumme von $750,000,000 im
Jahr, also $10 fur jeden Einzelnen der
Bevolkerung. Man mag den letzteren
Posten von $150,000,000 ganz weglas-
sen und es bleibt immer noch die er-
staunliche Thatsache, dass die Un-
kosten, welche dasVer-
brechen dem Lande ver-
ursacht, im Jahre min-
destens ein Drittel h 6-
her sind, als die Gesamt-
ausgaben, die fur die E r-
ziehung gemacht werden.
B.
Saginaw.
In der Novemberver-
sammlung des Lehrerver-
eins des S a g i n a w - T h al e s
sprach Herr Huber iiber das wichtige
Thema ,,Anschauungsunterricht". Er
teilte sein Thema in folgende Abtei-
lungen:
Psychologische Begriindung.
Historische Entwickelung.
Wie hat sich der Anschauungsun-
terricht zu gestalten?
1. Psychologische Grundlaffe.
2. Werkzeuge.
3. Zweck (formaler, materialer.).
4. Gegenstande in natura vorfiihren,
Modelle, Bilder.
5. Lehrverfahren.
6. Verteilung des Lehrstoffes. Wel-
che Stellung hat der Anschauungsun-
terricht einzunehmen?
Dass der Anschauungsunterricht
speziell fur die Primarschulen em-
pfehlenswert ist, wird niemand be-
streiten, und ist er doppelt zu em-
pfehlen fiir die unteren Klassen des
deutsch-englischen Departements, um
die Kinder im Deutschsprechen zu
tiben; denn da hapert es allenthalben.
Hat man so den Kleinen auf eine
hochst interessante Weise einen Wort-
schatz beigebracht, so wird das Lesen
spater viel leichter von statten gehen.
Da uns nun leider Gegenstande in
natura oft fehlen, so miissen gute
Bilder dieselben ersetzen. Es sollte
also in keiner deutsch-englischen Pri-
marschule eine Serie guter Bilder fiir
den Anschauungsunterricht fehlen.
Die Bilder sollten gross genug sein,
dass sie von samtlichen Schiilern des
Zimmers gut gesehen werden.
Im folgenden kann ich nur einige
Satze des umfangreichen Vortrages
wiedergeben.
Wir nennen die absichtliche, auf
einen Gegenstand gerichtete wahr-
nehmende Thatigkeit der Sinne an-
schauen und das dadurch erzeugte
Bild eine Anschauung.
,,Brauch dein Auge, brauch dein
Ohr, stets kommt etwas Neues vor."
Nicht Begriffe, sondern Einzelvor-
stellungen miissen im Unterricht an
den Anfang gestellt werden, und aus
diesen sind nach und nach durch
Kombination und Abstraktion die Ge-
samtvorstellungen zu gewinnen.
Zur Erzeugung brauchbarer An-
schauungen und Vorstellungen ist
Scharfung und ttbung der Sinne ein
Haupterfordernis des ersten Unter-
richts.
Pestalozzi war es, der dem Prinzip
der Anschauung allgemeine Geltung
fiir den elementaren Unterricht ver-
schaffte.
Diesterweg will den Anschauungs-
unterricht zu einem materiell vorbe-
reitenden Elementarkursus fiir alle
Schulfacher machen.
Die Kinder sind den Eindriicken der
Aussenwelt viel zuganglicher als die
Erwachsenen, lassen alle Vorgange
viel unmittelbarer auf sich wirken,
als diese; sie sehen im Laufe des Jah-
res die verschiedenen Veranderungen,
welche in der Natur vorgehen. Na-
turgemass ist fiir den Anschauungs-
unterricht der Ankniipfungspunkt ge-
geben; er schliesst sich dem Leben
in den verschiedenen Jahreszeiten an
und behandelt immer diejenigen Stof-
fe, welche zu der Zeit gerade am
meisten wahrgenommen werden.
Kommen im Friihlinge die Blumen
aus der Erde hervor, wird im Sommer
das Heu auf der Wiese geerntet, wer-
den im Herbste den Baumen im Gar-
ten die Friichte genommen, ziehen die
Zugvogel fort, fallt im Winter der
Schnee nieder, und sind die Fliisse
und Bache mit Eis bedeckt, dann sol-
len auch die Kinder im Anschauungs-
unterricht davon horen.
Der Kedner schliesst seinen Vor-
trag mit den Worten: ,,Ja, selbst in
Hochschulen wird von einigen erfolg-
reichen Lehrern der Anschauungsun-
terricht zur Erteilung von Fremd-
sprachen mit grossem Vorteil be-
nutzt, unter Zuziehung von Bildern,
die fur diese Zwecke ausgewahlt wer-
den."
Ich bezweifle, dass Anschauungsbil-
der bei Erteilung von Fremdsprachen
in der Hochschule eine grosse Eolle
spielen werden; aber es wiirde sich
meiner Ansicht verTohnen, wenn eine
passende Serie Bilder fur Primar-
schulen empfohlen wiirden. J.
Umscbau.
91
III. Umschau.
Amorika.
Boston. Die am 14. Dez. vorigen
Jahres stattgefundenen Munizipal-
wahlen ergaben, soweit die Mitglieder
des Schulrates in Betracht kommen,
ein hochst erfreuliches Resultat, in-
dem es der "Public School Associa-
tion" gelang, fiinf ihrer acht Kandi-
daten gewahlt zu sehen. Vielleicht
ware der Erfolg fiir die genannte
Vereinigung noch giinstiger gewesen,
wenn sie sich in ihrer Wahlagitation
einer gemassigteren Sprache bedient
hatte. Alle Anzeichen deuten darauf
hin, dass die Organisation des gesam-
ten Schulsystems bedeutende Aude-
rungen erfahren wird. — Superinten-
dent Seavers Gehalt wurde auf $6000
erhoht.
Atlanta, G a. Ein Kadikalmittel,
um die Schulden, mit denen der
Schulfonds Georgias belastet ist, zu
tilgen, hat Senator Thomas Baker
dem Staatssenate empfohlen; es soil-
ten namlich samtliche offentliche
Schulen auf ein Jahr geschlossen wer-
den. Ob sein Mittel Anwendung fin-
den wird, bleibt abzuwarten.
Chicago. Auch die Schuiver-
waltung Chicagos hat mit finanziellen
Schwierigkeiten zu kampfen. Um
die Ausgaben mit den Einnahmen in
Einklang zu bringen, war die Schul-
verwaltung schon im vorigen Jahre
gezwungen, die Schulen eher zu
schliessen, so dass einzelne Klassen-
lehrer eine Gehaltsreduktion bis zu
$145 erfuhren. Dieses Jahr drohen
weitere Verkiirzungen. Die Vereini-
gung der Lehrer Chicagos sah sich in-
folge dessen veranlasst, mit einem of-
fenen Briefe vor die offentlichkeit zu
treten, in dem sie gegen diese Ge-
haltsverkiirzungen protestiert.
Albany, N. Y. Dr. Munsterbergs
Ausfuhrungen im "Atlantic Monthly"
(Mai 1900; cf. Juniheft der P.
M.) haben in Dr. J. C. Wight
einen Anhanger gefunden. Derselbe
hielt vor dem "Hudson Eiver School-
masters' Club" einen Vortrag liber
"Teacher's Burden", in dem er be-
hauptete, der grosste Hemmschuh des
Lehrers sei, dass man von ihm das
nutziose professionelle Studium ver-
lange. Dem Lehrer solle vielmehr ge-
stattet sein, seine natiirlichen Anla-
gen zu entwickeln, als gezwungen zu
sein, den konventionellen Regeln ton-
angebender Padagogen zu folgen.
Boston. Superintendent Bal-
liet, der kiirzlich von einer Studien-
reise in Europa zuruckkehrte, teilte
vor der "Massachusetts Teachers' As-
sociation" seine Beobachtungen mit.
Unter anderem erklarte er, dass die
Eiementarschulen Deutschlands nicht
besser als die unseren seien, dass da-
gegen dessen Gymnasien und Univer-
sitaten unsere Hochschulen und Uni-
versitaten bei weitem iiberragen. In
keinem europaischen Staate beginne
der Unterricht in fremden Sprachen
so spat als bei uns, und er mache des-
halb den Vorschlag, dass in jeder
Stadt eine Distriktschule abgesondert
wiirde, zu welcher die begabtesten
Schiller Zutritt erhalten sollten, und
die das Studium des Lateinischen und
einer modernen Fremdsprache in
ihren Lehrplan aufzunehmen hatte.
K a n a d a. In der Provinz Onta-
rio hat sich in den 3 Jahrzehnten von
1867—1897 die Zahl der Lehrkrafte an
den Volksschulen von 4890 auf 9128
und die Zahl der Volksschiiler von
401,643 auf 482,538 erhoht, wahrend
der Aufwand fiir das Schulwesen von
$1,437,189 auf $4,215,670 gestiegen ist.
Deutschland.
Die im Jahre 1827 von Adolf
Diesterweg begriindeten K h e i-
nischen Blatter fiir Er-
ziehung und Unterricht
treten am 1. Jan. d. J. in ihren 75.
Jahrgang. Unentwegt haben diesel-
ben im Sinne ihres grossen Griinders
fiir die Sache der Erziehung und des
Unterrichts gearbeitet, trotzdem
manche Stiirme iiber das Schulschiff-
lein in den Jahren ihres Bestehens da-
hingebraust sind. Der Name Diester-
wegs hat in Amerika einen zu guten
Klang, als dass wir uns nicht auch
den Gratulanten zu diesem Jubilaum
von ganzem Herzen anschliessen soll-
ten, hoffend, dass es dem Blatte ver-
gonnt sein moge, noch lange Jahre
im Dienste der wahren Menschenbil-
dung zu wirken.
Der amerikanischeBot-
schafter White in Berlin em-
pfing eine Abordnung des deutsch-
amerikanischen Kriegerbundes, des-
sen Vorstand Richard Miiller dem
Botschafter in warmen Worten fiir
seine unermiidlichen Bemiihungen
dankte, ein herzliches Einvernehmen
zwischen Deutschland und den Verei-
nigten Staaten zu erhalten. In seiner
92
P'ddagogische Monatshefte.
Ervviderung wies der Botschafter auf
die mannigfachen und wichtigen
Bande hin, welche die Vereinigten
Staaten und Deutschland verbinden.
Er sprach sich lebhaft zu gunsten der
Beibehaltung und Pflege der deut-
schen Muttersprache durch die
Deutschamerikaner aus, weil er darin
nicht nur einen unschatzbaren Vor-
teil fiir die Betreffenden, sondern
auch ein starkes Bindeglied erblicke,
welches geeignet sei, die beiden Lan-
der, trotz wohl auch in Zukunft un-
venneidlicher Gegensatze wirtschaft-
licher Natur, in dauernder Freund-
schaft zu erhalten. Hoffentlich neh-
nien sich die Deutschen in Amerika
diese kluge Mahnung zu Herzen.
Bei der Abrechnung iiber die
letzte Deutsche Lehrerversammlung
in Koln hat sich ein Fehlbetrag von
663.62 Mark ergeben. Der geschafts-
fuhrende Ausschuss des Deutschen
Lehrervereins hat einstimmig be-
schlossen, dem Gesamtvorstande die
Deckung desselben aus der Kasse des
Deutschen Lehrervereins zu empfeh-
len.
Hygienische Massre-
geln in der Schule. Die Regie-
rung zu Koln hat eine sehr niitzliche
Anregung auf dem Gebiete der Schul-
gesundheitspfiege gegeben. In der
Verfiigung wurde den Gemeinden ge-
geniiber der Wunsch ausgedriickt, fur
die auswartigen Schiiler Filz- oder
Holzschuhe zur Benutzung in der
Klasse anzuschaffen. Wie berichtet
wird, ist die Anregung in einigen
Kreisen auf fruchtbaren Boden gefal-
len. Die Gemeinden haben die notige
Zahl von Reserveschuhen beschafft
und dadurch den Kindern, die mit
nassem Schuhwerk zur Schule kom-
men, Gelegenheit geboten, dafiir
trockene Fussbekleidung einzutau-
schen.
In den Kochtopf gefallen.
Die Gemeinde Gr.-Salza, die vor eini-
gen Jahren mit grossen Hoffnungen
Schulkiichen eingerichtet hatte, fin-
det, dass die Resultate der Kosten und
Schulstorungen nicht wert sind, und
will sie wieder aufheben, aber — nun
versagt die Kgl. Regierung die Ge-
nehmigung zur Aufhebung. Es muss
also weiter gekocht werden, auch
nachdem der erste Enthusiasmus ver-
flogen ist.
Frankreich.
Der franzosische U n -
terrichtsminister hat am
31. Juli durch eine Verfiigung die
Grammatik der franzosischen Spra-
che vereinfacht und unter anderem
folgendes bestimmt: a) Die Veran-
derlichkeit des Partizips der Vergan-
genheit bei vorangehendem Akkusa-
tiv, also auch bei den reflexiven Ver-
ben ist aufgehoben. b) Die Vernei-
nungspartikel ne bei den Verben des
Fiirchtens, Leugnens u. s. f. fallt weg.
c) Der Bindestrich in zusammenge-
setzten Hauptwortern, in Zahlwor-
tern und bei der Frageform ist nicht
mehr notwendig. d) Die Regeln iiber
das Geschlecht mancher Hauptworter
fallen weg oder werden vereinfacht,
z. B. gens gilt immer als weiblich. e)
Die strengen Regeln fiir die Behand-
lung der zusammengesetzten Haupt-
worter in der Mehrzahl gelten nicht
mehr. f) Die Anwendung des Tei-
lungsartikels wird erleichtert; du bon
pain gilt nicht als Fehler. g) Die Re-
geln iiber die Behandlung von demi,
feu, nu und diejenigen von tout vor
Eigenschaftswortern sind beseitigt.
England.
The Board of Education.
Das neue Unterrichtsministerium,
dem durch Gesetz von 1899 das ge-
samte Unterrichtswesen untergeord-
net ist (Elementary, Secondary and
Technical Education), hat seinen
ersten Jahresbericht herausgegeben.
Einige Zahlen daraus mogen auch un-
sere Leser interessieren. Von der
Pensionsordnung, die den vor Erlass
derselben patentierten Lehrkraften
den Eintritt frei lasst, machten 23,200
Lehrer und 27,143 Lehrerinnen Ge-
brauch, wahrend 2,960 Lehrer und
14,972 Lehrerinnen ,,outside" blieben.
Nach dieser Verordnung wurden 132
Lehrkrafte pensioniert (6304 £), wah-
rend 92 die Erlaubnis erhielten, iiber
das 65. Altersjahr hinaus zu amtieren.
Wahrend 1874 nur 48,8% aller paten-
tierten Lehrer eine Besoldung von
iiber 100 £ bezogen, hatten 1899 deren
63% iiber 100 £. Waren vor 30 Jahren
47% des Lehrerpersonals Lehrer und
53% Lehrerinnen, so betrug letztes
Jahr die Zahl der Lehrer nur noch
25%, die der Lehrerinnen 75%. Von
den 5% Millionen Kindern, die in
England und Wales in der Volks-
schule sind, gehoren rund 3 Millionen
den Freiwilligen Schulen, 2V& Millio-
nen den Gemeindeschulen an. Diesen
steht die Erhebung von Steuern zu,
fiir jene brachten die freiwilligen Bei-
trage letztes Jahr 771,964 £ auf. Bei-
den Arten von Schulen kommen
Vermischtes.
93
gleichartige Staatsbeitrage zugut. Da
in Gegenden, wo nur freie Schulen
vorhanden sind, diese und ihre Lehrer
mitunter schlimm daran sind, insbe-
sondere auf dem Lande, so will der
Lehrerbund eine allgemeine Enqugte
iiber den finanziellen Stand der Schu-
len anregen.
Ungarn.
ImAbgeordnetenhause
trat der Kultusminister den Bestre-
bungen scharftens entgegen, den
deutschen Sprachunterricht aus den
Schulen auszumerzen. Der deutsche
Sprachunterricht dtirfe nicht vernach-
lassigt werden, da selbst Frankreich
denselben pflege.
Italien.
Eigentiimliche Mass-
n a h m e n. Italien hat seit einiger
Zeit einen neuen Unterrichtsminister:
an die Stelle des Ministers Baccelli ist
der Minister Gallo getreten. Der
macht's, wie's nun einmal vielfach in
Italien Sitte ist: er hebt alle Neue-
rungen, die sein Vorganger eingefiihrt
hat, wieder auf. So hat er auch ver-
fiigt, dass die deutsche Sprache nicht
mehr Unterrichtsgegenstand in den
Mittelschulen sein soil. Diese Verfii-
gung steht mit dem Interesse Italiens
und seiner Bewohner im scharfsten
Gegensatze, denn die deutsche Spra-
che wird von Jahr zu Jahr fur die
Italiener immer unentbehrlicher und
zwar auf den verschiedensten Gebie-
ten des Lebens. Der italienische Han-
delsverkehr mit Deutschland, Oster-
reich und der Schweiz bildet fast die
Halite des italienischen Aussenhan-
dels, am Fremdenverkehr in Italien
sind die Deutschen unter alien V61-
kern mit dem hochsten und jahrlich
noch steigenden Prozentsatz beteiligt,
die Kenntnis der wissenschaftlichen
Litteratur Deutschland ist auch in
Italien der Wissenschaft und dem Er-
werbsleben unumganglich notig ge-
worden. In einzelnen Landstrichen
Norditaliens haben sich in jiingster
Zeit so viele Deutsche angesiedelt,
dass in der einheimischen Bevolke-
rung jeder Arzt, jeder Kaufmann, ja
auch der strebsame Handwerker
deutsch lernt, um mit den neu ange-
siedelten Deutschen in Verkehr treten
zu konnen. Alles dies hat den Unter-
richtsminister Gallo wenig gekum-
mert. Die natiirliche Entwickelung
der Dinge in Fragen des Sprachunter-
richts ist ja nun freilich starker als
die Verfiigung eines Ministers, und so
bezweifeln wir nicht im mindesten,
dass sich die Kenntnis der deutschen
Sprache in Italien nach wie vor aus-
breiten wird. Der zunehmende Han-
delsverkehr, der Fremdenverkehr, die
Einwanderung, das ganze Erwerbsle-
ben, das zu einem grossen Teile die
Kenntnis des Deutschen verlangt, sind
Faktoren, gegen welche ein iibelwol-
lender Minister ohnmachtig ist.
Chile.
Valparaiso. Die seit dem Jahre
1858 hier bestehende deutsche Schule
ist jetzt Qklassig und wurde im letz-
ten Schuljahre von 222 Schiilern (102
Knaben und 120 Madchen) besucht,
die meist deutschen Ursprungs sind.
Nur 23 Englander und 12 Chilenen be-
finden sich darunter. Ausser dem Di-
rektor Dr. Oskar Fiedler wirken hier
7 Lehrer und 5 Lehrerinnen. Die Leh-
rer erhalten 1800—2000 Dollars Gehalt,
am Ende des Jahres 10% des Gehaltes
als Remuneration, sowie freie Woh-
nung im Schulgebaude oder 240 Dol-
lars Wohnungsgeld. tJber die vielen
unentschuldigten Versaumnisse wird
bitter geklagt. Es giebt Schiiler, die
im Jahre 360 — 400 Unterrichtsstunden
versaumt haben, ohne krank gewesen
zu sein; doch haben auch einzelne
keine Stunde gefehlt.
IV. Vermischtes.
Noch etwas von der Pa-
riser Weltausstellung. In
der Weltausstellung befand sich eine
Abteilung, in der die Regierung der
Republik die bewundernswiirdigen
Resultate des franzosischen Schulun-
terrichts ausstellte. - Wenn man die
Schiilerhefte der deutschen Klasse
durchblatterte, die schriftliche Arbei-
ten mit den Korrekturen der Lehrer
enthielten, so sah man, dass diese von
Fehlern wimmelten. Was aber merk-
wiirdiger dabei war, die Lehrer ver-
besserten nicht nur die Fehler, son-
dern sie machten — noch mehr als die
Schiiler! So schrieb z. B. ein Schii-
ler: Ich habe auf der Spaziergang,
welche ich gemacht habe Und der
Lehrer verbesserte: Ich habe auf den
Spaziergang, welcher ich gemacht
habe Man kann sehr alt werden
und sehr gliicklich leben, ohne den
P'ddagogische Monatsbefte.
geringsten Brocken einer frenaden
Sprache zu kennen; aber der Minister
des offentlichen Unterrichts hatte
vielleicht gut daran gethan, die Un-
vollkommenheiten seines Unterrichts
und die krasse Unwissenheit einiger
seiner Lehrer den Blicken der Frem-
den zu entziehen, die daruber doch
nur lacheln konnten.
Segen der Vereinstha-
t i g k e i t. Diesen charakterisiert
Dr. v. Schneider, der Mitarbeiter des
ehemaligen Ministers Falk, in seinen
Lebenserinnerungen also: ,,Es ist das
iiberhaupt der dauernde Gewinn von
einer auf feste Ziele gerichteten Ver-
einsthatigkeit, dass sie uns mit ttich-
tigen Menschen in Verbindung bringt
und dadurch geistig befruchtet."
Biicherbesprechungen .
Kinderwelt. Erzahlun-
gen und Gesprache aus
der Natur. Aus dem Englischen
nach Emilie Poulssons "In the Child's
\Vorld" frei bearbeitet von A.
Friedrich. Mit 12 Abbildungen
von L. J. Bridgman, Springfield,
Mass. Milton Bradley Co., 1899, 150 p.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die
amerikanische Jugendlitteratur neu-
erdings durch iiberaus ansprechende
und passende Gaben fur die Kleinen
bereichert worden ist. Hervorragend
unter diesen Arbeiten sind die Erzah-
lungen und Geschichtchen der Kin-
dergartenschriftstellerin Poulsson.
Ihreni ziemlich umfangreichen Buche
"In the Child's World" ist von beru-
fener Seite das hochste Lob erteilt
worden. Einzelne der vorziiglichsten
Geschichten sind nun in freier ttber-
setzung verdeutscht und von der be-
kannten Firma Milton Bradley so in
trefflicher Ausstattung veroffentlicht
worden. Das Buch verdient weite
Verbreitung.
Mara L. Pratt. Amerika's
Story forAmerica'sChil-
d r e n. I. The Beginner's Book.
Boston, D. C. Heath & Co., 132 p., 35c.
A beautiful little book for the
young, presenting the history of the
western continent in a series of
simple biographies and sketches. The
language is child-like but not child-
ish, and will not fail to interest even
adults, a sure proof of excellence.
There is an abundance of illustra-
tions several printed in color, the
whole making a very attractive work.
H. H. F.
A German Reader for
Beginners. With an introduc-
tion of English-German Cognates,
Notes and Vocabulary, by H. C. O.
H u s s, Professor of Modern Lang-
uages in Princeton University. D. C.
Heath & Co., Publishers.
This book is intended for students
of German, whose mother tongue is
the English. The author lays stress
upon the correct pronunciation of
German and offers in the Introduc-
tion the means for the pupil to ac-
quire it. Proceeding upon this plan,
the reading exercises are carefully
selected and for this reason as well
as for their contents are calculated to
gain the desired end. The poems are
gems of German literature and can
not fail to please and inspire the
student with a love of the German
language. The notes present the
grammatical instruction in a pleasing
and practical manner, though they
will not obviate the study of a good
German grammar. On the whole, the
little book is a valuable addition to
elementary works for the study of
German.
Deutsches Lese- und
Sprachbuch. Ubungen im Le-
sen, Sprechen und tJbersetzen mit
Noten und Worterverzeichnis von
Wilhelm Mueller, Late Prin-
cipal of the Fifteenth District School,
Cincinnati, Ohio. Erste und zwtite
Stufe. Silver, Burdett & Company,
New York.
In einigen Stadten des Landes wird
erst mit dem dritten oder vierten
Schuljahre mit dem Unterricht ira
Deutschen begonnen. Es ware Zeit-
verschwendung, wenn man in solchen
Schulen den ersten Unterricht so be-
ginnen wollte, wie dies in Schulen, wo
anfangs nur Deutsch gelehrt wird,
oder wo man mit dem deutsehen Un-
terricht gleich im ersten Schuljahre
beginnt, geschieht. Die Kinder in
den zuerst genannten Scliulen be-
sitzen die Lesefertigkeit und hs,ben
das Technische des Lesens iibervvun-
den. Es ist deshalb mit Freuden zu
begriissen, dass "diese Lese- und
Sprachbiicher gleich da beginnen, wo
der bereits vorgeschrittene Schiiler
das Studium des Deutschen auf nimmt,
und dem Lehrer Gelegenheit bieten,
das Unnotige zu liberspringen und
'Bucherbesprecbungen .
95
gleich mit dem Wesentlichen den An-
fang zu machen.
Die Anfangsiibungen sind gut ge-
macht und bieten dem Lehrer Gele-
genheit, die Schiller im Sprechen zu
uben. Auch die Lesestiicke bieten zu
Sprech- und Sprachiibungen den, noti-
gen Anhalt. Was die Einfiihrung in
die angewandte Grammatik, in den
richtigen Gebrauch der Falle, der
Zahl- und Zeitformen angeht, so ist
das, was geboten wird, stufenmassig
geordnet und dem Verstandnis der
betreffenden Schuljahre angemessen.
Selbst weniger gewandte Lehrkrafte
werden nach diesem Leitfaden erfolg-
reich in den Anfangsgriinden des
Deutschen unterrichten konnen.
Was die Ausstattung der Bticher,
Papier, Druck, Illustrationen und
Einband betrifEt, ist diese iiber alles
Lob erhaben. H. R.
The Elements of Ger-
man, by H. C. B i e r w i r t h, Ph. D.,
Instructor in German in Harvard Col-
lege. New York, Henry Holt, 1900.
Price $1.25.
Das Buch will nicht eine neue Me-
thode fur den deutschen Unterricht
bringen, sondern diejenigen Punkte,
deren Kenntnis allgemein fur wichtig
und notwendig gelten, in einer etwas
modifizierten Form und Ordnung dar-
stellen. Auf 277 Seiten giebt es uns
eine systematische Grammatik, eine
Liste der gebrauchlichsten Worter
nach Klassen geordnet, und eine
Eeihe von Ubersetzungsstucken. In
dem grammatischen Teile findet man
auf dem knappen Eaume von 124 Sei-
ten eine viel reichere Fiille sprachli-
cher Erscheinungen zusammenge-
stellt und erklart, als andere elemen-
tare, ja selbst vollstandige Gramma-
tiken aufweisen, und man unter dem
bescheidenen Titel erwarten diirfte.
Im allgemeinen konnen wir die Ab-
weichungen von den herkommlichen
Darstellugen nur gut heissen. Die
Eegeln sind kurz und leicht verstand-
lich gefasst und durch sorgfaltig ge-
wahlte Beispiele trefflich illustriert.
Besonders markant ist der Abschnitt
iiber Syntax, in dem die Verschieden-
heiten des Englischen und Deutschen
in klarstes Licht gestellt und der Ge-
brauch der Kasus, des Konjunktivs,
Infinitivs, wie der Wortstellung treff-
liche Erorterung und Illustration fin-
den. Tn der Formenlehre ist die Sub-
stantivdeklination dadurch wesentlich
vereinfacht und leichter gemacht,
dass sie einzig auf die Bildung des
Plurals aufgebaut ist, indem der Verf .
mit Eecht betont, das die Bildung des
Genitives S.ng. keine Anhaltspunkte
fiir die Bildung des Plurals darbietet.
Die sehr ausfiihrliche Behandlung der
Pronomina wird man mit Eiicksicht
auf die Wichtigkeit der Pronomina
und der mannigfachen Schwierig-
keiten, die ihre griindliche Erler-
nung meist darbietet, billigen. Die
Adjektiva folgen den Pronomina.
Wir hatten gewiinscht, der Verf. ware
etwas radikaler vorgegangen, und
hatte die demonstrativen und posses-
siven Pronomina mit den Artikeln
(48-50) zusammengestellt. Lastige
Wiederholungen waren vermieden
worden, die form ell und funktionell
isolierten Pronomina waren getrennt
behandelt worden, die Adjektivdekli-
nation konnte sich unmittelbar an die
pronominale sowohl wie an die sub-
stantivische (Typus 4, worauf wir ei-
nen Hinweis vermissen) anschliessen,
und vor allem wiirde bei solcher Dar-
stellung am leichtesten und besten
die Bedeutung des Geschlechts im
Deutschen und die Art der Ge-
schlechtsbezeichnung ins Licht ge-
stellt und zum Prinzip der Adjektiv-
deklination erhoben werden. Das
Letztere ist zum grossen Nachteil des
Buches ganzlich unterlassen. WTenn
der Verf. (129) zunachst die 4. Kasus
beiseite setzt, wo das Adjektiv unter
alien Umstanden dieselbe Endung hat,
und in bezug auf die anderen Kasus
die Eegel so fasst: The weak endings
are dependent on the strong; that is
a pronoun or adjective takes a weak
ending only when preceded by a pro-
nominal word with a strong ending,
und 211 hinzufiigt: otherwise the
strong, so ist das eine rein ausserli-
che, mechanische und wenig prakti-
sche Erklarung, die vor allem aber
auch wenig geeignet ist, denSchiiler in
denGeist der deutschen Sprache einzu-
fiihren. Die Aufstellung eines beson-
deren (4.) Typus von Adjektivdeklina-
tion hatte unterbleiben sollen, zumal
sie auch nach des Verfassers Einlei-
tungsprinzip uberfliissig ist. tJbrigens
vermissen wir in diesem Buche we-
nigstens die Hauptregeln iiber die Ab-
teilung der Silben, die Accentuation
und Punktuation, sowie iiber die
Wortbildung. Durch die lezteren
wiirde die Liste der Namengruppen
erst einen wirklichen Wert erhalten.
Von Einzelheiten mochten wir erwah-
nen, dass ,e* in ,der' (10) keinesfalls
dieselbe Aussprache von ,e' in ,geht*
cder engl. ,a' in fate hat, und dass
(25) schliessendes g in Tag etc. nicht
,ch' zu sprechen ist ausser in Suffix-ig
(vgl. u. a. Padag. Monatshefte 8, S.
22). Zu Klasse 4, S. 9 ware die Be-
merkung erwiinscht, wenn -e und
wenn -en angefiigt wird; auch hatte
96
P'ddagogiscbe Monatshefte.
eine Anmerkung iiber die Ausdriicke
,schwache' und ,starke' Deklination
gemacht werden sollen. In 116 ware
besser die Thatsache hingestellt wor-
den, dass gewisse deutsche Reflexiva
im Engl. nicht-reflexiven Verben ent-
sprechen, als zu behaupten, sie wa-
ren ihrer Bedeutung nach nicht-refle-
xiv, und das mit Hinweis auf die eng-
lischen Entsprechungen zu begriin-
den. In 170 hatte eher Gewicht darauf
gelegt werden sollen, dass in einfa-
cher Erzahlung statt der Unterord-
nung die Beiordnung bevorzugt wird,
wodurch die Wahl des Pronomens wie
die Stellung des Verbums erklart wa-
ren. In 294 vermissen wir, dass s-
Stamme die 2. Sing. Pras. Indik. eben-
so gut gleich der 3. Sing, bilden kon-
nen. Die Personalendungen in 298 f¥
batten wir lieber an 293 gesehen. Die
Ubersetzungsiibungen (80 Seiten) aus
dem Deutschen ins Englische und um-
gekehrt sind auf eine grosse Zahl der
gebrauchlichsten Worter aufgebaut
und haben den Zweck, den Schiller in
leichtere Prosa einzufiihren. Die Aus-
wahl der Beispiele und die Anordnung
der t)bungsstiicke ist mit grosster
Sorgfalt getroffen und durchaus prak-
tischen Bediirfnissen entsprechend.
Besonders gelallt uns die Vorweg-
nahme des Verbums und unter dessen
Formen die des Indik. Imperf. von
starken Verben wegen deren haufige-
ren Vorkommens wie einfachen Fle-
xion. P. K.
Der Aufsatzunterricht
in der Volksschule. Be-
arbeitet von A. L i e b. Erster Teil
fur die Unterklasse, zweiter Teil fiir
die Mittelklasse und dritter Teil fur
die Oberklasse. Zweite Auflage.
Friedr. Korn'sche Buchhandlung,
Niirnberg.
Die Wichtigkeit, die dem Aufsatz
im Sprachunterrichte mit Recht bei-
gelegt wird, hat zur Folge gehabt,
dass eine grosse Anzahl von Samm-
lungen veroft'entlicht worden sind,
welche den Zweck haben, den Lehrer
mit StofEen fiir diesen Unterrichts-
zweig zu versorgen. Auch das oben-
genannte Werk soil zunachst diesem
Zwecke dienen. Es bietet eine grosse
Fiille von Bearbeitungen; so enthalt
die Abteilung fiir die Unterklasse de-
ren 54, die fiir die Mittelklasse 97 und
die fur die Oberklasse deren 141. In
sorgfaltiger Weise sind diese Bei-
spiele nach methodischen Grund-
satzen geordnet.
Was die Sammlung aber besonders
wertvoll macht, sind die methodi-
schen Winke, die der Verfasser am
Eingange eines jeden Teiles giebt,
und die namentlich jungen Lehrern
fiir die Fuhrung des Aufsatzunter-
richtes empfohlen werden konnen.
Da die Themata, soweit sie nicht
freie Bearbeitungen sind, den ver-
schiedensten Lesebiichern entnommen
sind, und fast ausnahmslos klassische
Litteratur behandeln, ist die Samm-
lung auch fiir deutschamerikanische
Schulverhaltnisse geeignet, besonders
. in ihrem ersten und • zweiten Teile.
Der dritte Teil konnte mit Erfolg in
unseren Hochschulen gebraucht wer-
den.
Third German Reader for
the New York Public Schools by Dr.
Oscar Weineck. New York, F.
W. Christern, Dyrsen & Pfeift'er, Suc-
cessors, 429 Fifth Avenue.
"The key-note of the present Third
Reader is, in contradistinction to
most Readers of a similar character,
essentially German, or rather Ger-
manic." Aus diesen VVorten ersehen
wir, welchen Plan der Verfasser bei
Zusammenstellung des Lesestoffes
verfolgte. Der Lesestoff ist eingeteilt
in "Anecdotes, Legends of Germanic
Heroes, Miscellaneous Stories, Ger-
man-Americans, Germany's Greatest
Poets (Goethe, Schiller, Lessing), Po-
ems, Spriiche und Goldene Worte."
Ein anderer hervorstechender Zug
des Lesebuches ist, dass iiberall da,
wo die vergleichende Sprachkunde
Anhaltspunkte giebt, diese beniitzt
sind, um dem Schiller die Verwandt-
schaft zwischen der deutschen und
englischen Sprache nahe zu fiihren
und durch dieselbe die Erlernung der
deutschen Sprache zu erleichtern. So
sind die Grimm'schen Lautverschie-
bungsgesetze weitgehend angewandt.
Auch das Vokabularium, welches
iibrigens sehr reichhaltig ist, nimmt
bei jeder sich bietenden Gelegenheit
Riicksicht auf verwandte Formen.
Die Auswahl der Gedichte der oben-
genannten Dichter ist eine vorziigli-
che. Sie gewinnt dadurch noch an
Interesse, dass jedem Gedichte die
beste englische Ubersetzung gegen-
iiber gestellt ist.
Topical Outline of United
States Government. Amer-
ican Book Co.
In Verbindung mit der Namhaftma-
chung der in ihrem Verlage erschei-
nenden Lehrbiicher fiir Biirgerrecht
bringt die Am. Book Co. eine kurze
Zusammenstellung der Rechte und
Pflichten der verschiedenen Beamten
und Korperschaften in der Regierung
der \ereinigten Staaten. In iiber-
sichtlicher Ordnung sind die gesetz-
geberische, die ausiibende und rich-
terliche Abteilung behandelt. Die Zu-
sammenstellung wiirde fiir die Hand
des Lehrers sowohl, als die des Schii-
lers als Repetitorium willkommen
sein. M. Q.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. Februar 1901. Hefts
Germanistik und schone Litteratur in Amerika.
Vortrag, gehalten im Deutschen Verein der Columbia University, New York.
Von Prof, M. D. Learned, Ph. D., Philadelphia, Pa.
Die Behauptung, welche der im Auslande verweilende Amerikaner
hort, Amerika habe noch keine Nationallitteratur, besonders keine natio-
nale Dichtung gehabt, ist nicht ganz unbegriindet,obwohl manchmal iiber-
trieben. Dass es eine amerikanische Litteratur and sogar eine ameri-
kanische Dichtung giebt, braucht nicht erst bewiesen zu werden. Dass
diese Litteratur aber zu einer grossen Weltlitteratur emporgewachsen ist
und grosse Dichtergenies in der Ruhmeshalle der Dichtung aufzustellen
hat, kann nur in einigen einzelnen Fallen behauptet werden. Longfel-
low allein unter unsern Dichtern hat neben den beruhmten Unsterblichen
in der Westminster Abtei einen Ehrenplatz gefunden. Muss man der
amerikanischen Dichtung die hochste Originalitat absprechen, so ist doch
diese Litteratur in anderer Hinsicht eine der bedeutendsten Erschein-
ungen in der Weltkultur, der Ausdruck der kulturellen Bestrebungen
eines freiheitatmenden elementaren Riesenvolkes in seinem Kampfe mit
dem Naturmenschen im Urwald und in seinem Emporstreben aus dem
Materialismus zur Idealitat.
Selbstverstandlich musste die literarische Produktion eines neuen
heterogenen Volkes gerade an Neqheit leiden und manche Unebenheiten
in Form und Auffassung dulden. Da gerade die Kolonisierung unter
dem Drucke des diirren Puritanismus stattfand, musste die Kunst mit
zitternden Fittigen herumflattern wie eine Nachteule. Die in Neu-Eng-
land herrschende religiose Strenge wollte alles Leben von den Vor-
schriften des engen kurzsichtigen Puritanismus beherrscht wissen. Kein
"Maypole," kein "Merry Mount," kein frisch aufjubelndes Volksleben mit
98 P'ddagogiscbe Monatsfafte.
seiner sprudelnden Volkspoesie durfte der Liebe Mai unter freiem Him-
mel feiern. Die grauen Wande des Meeting — oder Schulhauses und die
dunkle Gruft der freudevernichtenden Monotonie liessen die zarte
Pflanze der Poesie nie zur Sonne hinaufblicken und sich im Tautropfen
des Lenzes erquicken.
Im Siiden, im Lande der Kavaliere, versuchte die Muse ihre Leier
wieder anzustimmen; — versuchte am Ufer des James Flusses eine eng-
lische Ubersetzung des Vergil, aber der Siiden hatte nicht den kulturellen
Hintergrund zur Ausbildung einer reichhaltigen Poesie. Durchblattert
man Stedman's ,,Library of American Literature" so findet man vor dem
Ausbruch der Revolution nur trockne Gelehrsamkeit oder diirre Religio-
sitat und dogmatische Moral. Die Kolonisten hatten die reiche eng-
lische schone Litteratur zwar gelesen aber das Beste kaum geduldet,
geschweige genossen oder neu geschaffen.
Erst nach dem Schluss der Revolution erwachte das litterarische Be-
wusstsein im amerik&nischen Volke, und zwar unter dem Einfluss
fremder Litteraturen und zunachst der franzosischen Litteratur. Es war
ganz natiirlich, dass die neugeborene Republik der dreizehn amerika-
nischen Kolonien, durch den blutigen Krieg mit dem Mutterlande er-
bittert, und durch die freundliche Theilnahme und Unterstiitzung des
franzosischen Volkes innig beriihrt, einen engen Freundschaftsbund mit
Frankreich, dem Urfeind Englands, schliessen sollte und so den Weg
bahnten auf dem die Kulturbestrebungen, besonders die republikanischen
Tendenzen Frankreichs und Amerikas zusammenfliessen sollten. Auf
diese Weise wurde eine Ara franzosischer Kulturstromungen nach der
neuen amerikanischen Republik, besonders nach den siidlichen
Staaten hin eroffnet. Diese Epoche aber war fur die schaffende Kunst
und Litteratur in beiden Landern keine giinstige. Frankreich war durch
die Revolution zersplittert, und Amerika in einem rohen Naturzustand,
dem nur die praktische und zwar die materielle und erzieherische Seite
der franzosischen Kultur niitzen konnte.
Da kam der kritische Wendepunkt in der Geschichte des amerika-
nischen Volkes, wo die Existenzpolitik der neuen Nation auf die Probe
gestellt wurde. Die spanischen Besitzungen im Siiden hatten die Lander-
gier des unersattlichen Korsikaners Napoleon gelockt und Spanien tritt
auf einmal das ganze Louisiana Gebiet an Frankreich ab. Mit erstaun-
lich kluger und schneller Diplomatic erkauft Amerika dasselbe Gebiet fur
die Summe von $15,000,000. Diese Ereignisse nebst der Lostrennung
der spanischen Republiken in Sud-Amerika vom spanischen Joch, er-
weckte frisches Interesse in den Vereinigten Staaten und fanden Wieder-
hall in der amerikanischen Litteratur. Der spanische Einfluss hat der
amerikanischen Litteratur einen interessanten Stoff zugefuhrt, aber keine
litterarische Technik und keine neuen Kulturelemente, wie Frankreich
es gethan, und war deswegen nur von voriibergehender Bedeutung.
Germanistik und scbone Litteratur in Amerika.
99
Mit der Einfuhrung deutscher Kultur beginnt in Amerika eine wahr-
haft schone Nationallitteratur, in der der Geist des amerikanischen Volkes
sich regt und frei bewegt, und man kann behaupten, dass der deutsche
Einfluss auf amerikanische Kultur im neunzehnten Jahrhundert nicht nur
der leitende sondern auch auf manchen Gebieten in einem gewissen Sinne,
der umbilde'nde gewesen ist. Die Erklarung weshalb gerade der deutsche
Impuls in unserer Kultur den Sieg iiber Frankreich und England davon-
getragen, hat L e s s i n g vor anderthalb hundert Jahren in Nr. 17 der
,,Briefe die neueste Literatur betreffend" geliefert, wo er den Charakter
des deutschen Volkes so klar und treffend zeichnet.
Die Ursachen der phanomenalen Wirkungen deutscher Kultur sind
verschieden und reichen bis ins 17te Jahrhundert zuriick.
In der ersten deutschen Ansiedlung in den Vereinigten Staaten,
welche von Francis Daniel Pastorius in Germantown im Jahr 1683
gegriindet wurde und in den darauffolgenden Niederlassungen von deut-
schen Mystikern, Pietisten, Mennoniten, Tunkern, und den Confessionen
verschiedener Art wie Lutheranern, Reformirten, Herrnhutern, findet
sich ein Kulturzustand, der viel mit dem Puritanismus in Neu-England
gemein hat, obgleich er sich in Pennsylvanien zum grossen Teil in frem-
der Sprache und von der Kultur Neu-Englands getrennt im Stillen weiter
entwickelte :
1. Diese deutschen Kolonisten waren von einem religiosen Ernste
durchdrungen? der in manchen Fallen in Schwarmerei ausartete, wie in
Neu England die ubertriebene dogmatische Strenge in Hexenwut uber-
ging, nur mit dem Unterschied, dass unter den Deutschen eine humane
Toleranz waltete.
2. Die deutschen Ansiedler waren wie die Puritaner ein freiheit-
liebendes Volk und hatten sich vor der Tyrannei der alten Welt ge-
fliichtet, um in der neuen ein friedliches Asyl zu suchen. Die Deutschen
aber gingen noch weiter in ihren Freiheitsprinzipien und wandten die-
selben auf das damals spukende Gespenst der Sklavenfrage an, machten
sogar schon 1688 Protest gegen die Neger-Sklaverei in Amerika.
3. Die deutschen Kolonisten waren wie die Puritaner Trager, Ver-
treter und Vorkampfer der Volkserziehung und hoheren Kultur. Die
Deutschen hatten ihre Gemeinde- oder Kirchenschulen unter der Leitung
des Pfarrers, wie die Puritaner ihre "Townschools" unter der Aufsicht
des Town- oder Village Parson. In der ersten Halfte des 18ten Jahr-
hunderts schon hatten fast alle deutschen Sekten in Pennsylvanien Ge-
meindeschulen gegriindet und als nach 1740 Miihlenberg und Schlatter,
Vertreter der Bestrebungen des Franckeschen Padagogiums in Halle,
nach Amerika kamen, machte man Anstalten, Volksschulen im weiteren
Sinne in verschiedenen Gegenden zu griinden und somit die Grundlage
zur spateren Volkserziehung zu legen.
100 Padagogiscbe Monatsbefte.
4. Die Deutschen Kolonisten wirkten wie die Puritaner auch pro-
duktiv, aber druckten verhaltmassig weit mehr Biicher als ihre Puritaner-
nachbarn. Aus den letzten drei Vierteln des vorigen Jahrhunderts
kennen wir etwa 2,000 deutsche Drucke amerikanischer Imprimatur.
Unter ihnen die Bibel von Saur.
Selbstverstandlich bildet diese eigenartige deutsche Kultur, die sich
allmahlich nach Maryland, Virginien und spater nach dem Westen aus-
dehnte, die Grundlage zur Weiterentwickelung des deutschen Kulturein-
flusses in Amerika im 19ten Jahrhundert aber nicht durch direkte Aus-
breitung desselben auf das anglo-amerikanische Element. Der vorwiegendc
Kultureinfluss in den Vereinigten Staaten wahrend des 18ten Jahr-
hunderts blieb der englische. Die meisten Puritaner standen damals wie
jetzt dem deutschen Kulturelement gleichgiiltig gegeniiber. Nur auf
einem Gebiete beriihrten sich die besten Kulturstromungen und zwar
auf dem der Theologie und Religion. Der aufgeweckte Puritanische
(Yankee) Theologe, schon im 18ten Jahrhundert, durfte nicht die deut-
schen Fachgenossen ganz ausser Acht lassen. Und gerade der Pietismus
und die Erziehungsbewegung des Halleschen Padagogiums erregten un-
ter den puritanischen Philanthropen ein warmes Interesse. Schon Cotton
Mather im Anfang des 18ten Jahrhunderts stand mit dem grossen Pietis-
ten Francke, dem Grander der Halleschen Institute in Verbindung und
verfolgte mit wahrem Enthusiasmus das Unternehmen. Auf dem Ge-
biete der schonen Litteratur zeigt sich der deutsche Einfluss in der zwei-
ten Halfte des 18ten Jahrhunderts. Unter den vielen Hunderten von
deutschamerikanischen Drucken waren eine Anzahl von Litteraturwerken,
wie Gessner und andere.
Obgleich man nur gelegentlich die Aufmerksamkeit auf die deutsche
Litteratur lenkte, lernte man doc'h mit der Zeit die Namen Gessner, Wie-
land, kennen. Durch englische Zeitschriften und sonstige Publika-
tionen wurde man mit der deutschen Litteratur bekannt. Es ist be-
zeichnend, dass Charles Brockden Brown, der erste Romanschreiber von
Bedeutung in der amerikanischen Litteratur und der eigentliche Be-
grunder des amerikanischen Romans, obgleich unter starkem englischen
Einfluss, was Sprache, Stil und litterarische Tradition anbelangt, einen
deutschen oder deutsch-amerikanischen Stoff zum Thema seines ersten
Romans, ,,Wieland," gewahlt. Brown gebuhrt die Ehre den Wert der
ethnischen Charaktertypen fur den gesammten Nationalcharakter des
amerikanischen Volkes erkannt und diese Rassentypen in unsere Litteratur
eingefuhrt zu haben. Er scheint die territoriale Ausdehnung und die
spatere kulturelle Entwicklung der neuen Republik schon vorgeahnt zu
haben, denn er fiihlte in den Adern des aufbliihenden amerikanischen
Handels den Pulsschlag einer schnell heranwachsenden Weltmacht, und
verwertete diese Momente in den kosmopolitischen Charakteren seiner
Romane.
Germanistik und scbone Litter atur in Amerika. 101
Mit dem Jahre 1815 beginnt eine neue Epoche in unserer National-
litteratur, die man kurzweg die deutsche nennen darf, da die Haupt-
anregung von Deutschland ausging. Schon in den ersten Jahrzehnten
des 19ten Jahrhunderts, 1809, hatte Washington Irving das althollandi-
sche Leben in New York zum Thema seiner ,,Knickerbocker — History of
New York" gewahlt, ein Gebiet dem sein Mitarbeiter Paulding spater das
Thema zu seinem Romane ,,The Dutchman's Fireside," 1831, entnahm.
Aber die Periode des direkten deutschen Einflusses fing da an, wo
junge Amerikaner nach Deutschland gingen um sich auf deutschen Uni-
versitaten auszubilden. Im Jahre 1815 gingen George Ticknor, Edward
Everett, u. 1818, und spater George Bancroft u. a. nach Gottingen und
blieben mehrere Jahre in Deutschland. Als Resultat dieses Aufenthaltes
im Auslande brachten sie von dort eine neue Methode des wissenschaft-
lichen Schaffens mit, die sich bald auch auf dem Gebiet der Geschicht-
schreibung, wie der Erziehung und der Litteratur bemerkbar machte.
Ticknor giebt in seinen Briefen eine treffende Charakteristik dieser neuen
Methode, wie er sie in Gottingen bei Prof. Schulze beobachtet hatte.
In den letzten Jahrzehnten des 18ten Jahrhunderts und im Anfange
des 19ten, fand die deutsche Litteratur immer mehr Aufnahme in Eng-
land und Amerika durch die Ubersetzungen und sonstigen Arbeiten von
William Taylor von Norwich, Walter Scott, Samuel Taylor Coleridge and
Southey, und wirkte durch sie befruchtend auf die amerikanische Litteratur
ein. Neben den Ubersetzungen umfangreicher deutscher Werke, wie
Wielands ,,Oberon" durch Sotheby iibersetzt, erschienen wahrend dieser
Periode eine grosse Anzahl von englischen und amerikanischen Uber-
setzungen neuerer deutscher Gedichte in amerikanischen Zeitschriften
und bereiteten das Lesepublikum auf eine tiefere Kenntnis der deut-
schen Litteratur vor, die beim Anbruch der neuen Epoche des direkten
Einflusses deutscher Wissenschafl und Litteratur in Amerika nach 1815
sich zeigte.
Das Zusammentreffen der indirekten deutschen Stromung iiber Eng-
land und der direkten, die von den deutschen Universitaten ausging, in
Neu-England, machte in manchen Richtungen Epoche und wirkte umbil-
dend auf das geistige Leben Neu-Englands ein.
GeorgeBancroftals Schiiler Heerens, des Vertreters der neuen
deutschen Geschichtschreibung in Deutschland, legte den Grund zur
amerikanischen politischen Geschichtschreibung. George Ticknor,
als Schiiler Benecke's und Schulze's in Gottingen, verpflanzte nach Ame-
rika die litterarhistorische Methode der Deutschen und lieferte in seiner
Geschichte der spanischen Litteratur ("History of Spanish Literature")
ein Muster-und Meisterstiick litteraturgeschichtlicher Forschung, dem
leider seine Landsleute seitdem nicht in gebiihrender Weise nachgearbeitet
haben. Edward Everett, der nach Deutschland ging um sich fur
102 P'ddagogische MonatsbejU.
die neu gegriindete Professur des Griechischen an der Harvard Universi-
tat vorzubereiten, publizierte in der ,,North American Review" eine ganze
Reihe von Aufsatzen iiber Deutschland, besonders iiber das deutsche
Erziehungswesen und die deutsche Litteratur und trug viel dazu bei, das
wissenschafftliche Studium der Litteratur in Cambridge und Boston und
in Neu England iiberhaupt anzuregen und zu fordern. Everett impor-
tierte auch eine grosse Masse deutscher Biicher fiir die Harvard Universi-
tatsbibliothek und machte so den Studierenden die zeitgenossische deut-
sche Litteratur zuganglich. Schon 1825 ging man mit dem Gedanken um,
die neue deutsche Methode in den Lehrplan der Harvard Universitat ein-
zufiihren. Im Jahre 1824, also kurz vorher, kamen Karl Beck und Karl
Follen nach Amerika. Beck wurde Professor der lateinischen Sprache
an der Harvard Universitat und Follen ubernahm 1825 den deutschen
Unterricht daselbst.
Mit Follens Anstellung in Cambridge beginnt eine neue Epoche in
der Geschichte der Germanistik in Amerika. Man hatte zwar schon im
18ten Jahrhundert den Anfang eines systematischen Studiums der deut-
schen Sprache gemacht, aber der Versuch beschrankte sich meistens auf
das deutsche Element in Pennsylvanien, wie aus folgenden in dieser frii-
heren Zeit erschienenen Werken ersichtlich ist:
1. Bachmaier, John James, M. A. "A complete German Grammar
in two Parts, the first containing the Theory of the Lan-
guage through all the parts of Speech, the second part is
the Practice in as simple a manner as can be desired. 8
vo. Preface 2 pp. Text 313 pp. and Index Philadelphia 1771.
Henrich Miller." (From the 3d edition of 1771 (London)
the first having appeared in London 1751). Eine zweite
amerikanische Ausgabe erschien 1774 in Carlisle unter fol-
gendem Titel:
2. Bachmaier J. J. "A German Grammar, to which are also an-
nexed Instructions for Germans to acquire a Knowledge
of the English Language." Eine verkiirzte Ausgabe er-
schien im Jahre 1828 in Philadelphia.
Im Jahre 1812 erschienen in Lancaster zwei Werke von grosser pada-
gogischer Bedeutung:
3. Miihlenberg und Schipper. ,,Deutsch-Englisches und Englisch-
Deutsches Worterbuch. Nebst einer deutschen Sprachlehre
und den Grundregeln fiir Aussprache beider Sprachen."
4. B. J. Schipper. "Rudiments of the German Language, with an
Appendix containing the pronunciation of the English let-
ters."
Selbstverstandlich hatten die Deutschen in Pennsylvanien von An-
fang an ihre deutschen Lehrbiicher, welche in den deutschen Schulen ge-
braucht wurden.
Germanistik und scbone Litteratur in Amerika. 103
Im Jahre 1826 gab Follen in Cambridge, Mass., sein ,,Deutsches
Lesebuch fiir Anfanger" heraus, das in Neu-England das Studium des
Deutschen systematisch anleitete. Auch durch seine Vorlesungen iiber
deutsche Litteratur regte er die Studierenden auf der Universitat an.
Gleichzeitig mit Follen arbeiten in der neuen deutschen Richtung seine
amerikanischen Kollegen Ticknor,Everett,Bancroft,Beck und Andere, wie
Theodore Dwight, Henry Edwin Dwight, der mit seinem Binder Sereno
das ,,Gymnasium" in New Haven leitete, und 1829 sein viel gelesenes
Werk, "Travels in the North of Germany in the Years 1825-6" heraus-
gab, Alexander Hill Everett der eine Anzahl ,,Essays" iiber Europaische
Litteratur fiir die ,,North American Review" schrieb und unter anderen
die deutschen Dichter, besonders Schiller, mit feinfiihlender Kritik behan-
delte und dem Publikum verstandlich machte.
Auf diese neue von Deutschland ausgehende Anregung in den
zwanziger Jahren in Neu-England folgte die erste, man mochte sagen
die einzige, grosse schaffende Epoche in der amerikanischen Litteratur,
besonders in der amerikanischen Dichtung. Longfellow, Emerson, Mar-
garet Fuller und die ganze Gruppe der sogenannten "Transcendentalists"
schopften entweder indirekt durch Carlyle oder direkt aus dem deutschen
Quell und schufen in prosaischer und metrischer Form eine wahrhaft
schone amerikanische Nationallitteratur, welche die Folgezeit nicht wieder
erreichte. Longfellow als Vermittler deutscher Poesie in schoner reiner
poetischer Form behauptet noch den hochsten Rang unter unsern Dich-
tern, und gerade da, wo der Amerikaner den grossen Dichter verkennt,
in der ,,Golden Legend/' erscheint er ein wurdiger Nachahtner und Inter-
pret des Altmeisters Goethe. Seine ganze Auffassung des ,,Christus"',
besonders der „ Golden Legend", ist Goethe'sch und echt deutsch, obgleich
er den Stoff teilweise dem amerikanischen Leben entnahm.
Was ware Emerson ohne Kant (und Carlyle)? und was waren die
Transcendentalen, Margaret Fuller und die andern Concorder Dichter und
die Schwarmer der Brook Farm ohne diese deutsche Anregung? Es war
kulturelle Gerechtigkeit, dass der grosse Philosop'hen-Essayist Emerson
einen deutschen Schiiler haben sollte wie Hermann Grimm. Von. Wil-
liam Ellery Channing bis James Russell Lowell ist der deutsche Einfluss
auf unsere Litteratur unverkennbar und unsere grossten Dichter haben
bewusst oder unbewusst unter diesem Einfluss gedichtet und geschrieben.
Wo eine Riickkehr zu rein englischen Vorbildern stattgefunden, ist der
Mangel an schopferischer Kraft, poetischer Tiefe und kulturhistorischer
Auffassung leicht bemerkbar.
In dieser Periode der deutschen Anregung in Neu-England haben
wir die Anfange der amerikanischen Germanistik zu suchen, aus der un-
sere Geschichtsschreibung, unser spateres akademisches Erziehungswesen,
unsere Gymnastik, unsere Musik, zum Teil unser Forschungstrieb auf dem
Gebiete der Naturwissenschaft, unsere liberale Tendenz in Theologie und
104 P'ddagogische Monatsbefte.
Religion, besonders die sogenannte neue Kritik ("new criticism"), unsere
Philosophic und zum grossen Teil, unsere schone Litteratur und angeh-
ende litterarische Kritik direkt oder indirekt erwachsen sind. Von dieser
Zeit an war Deutschland den gebildeten Amerikanern ein zweites Athen
und der Strom der amerikanischen Studenten nach Deutschland wuchs
von Jahr zu Jahr.
Inzwischen war die Revolution von 1848 ausgebrochen und eine
grosse Menge gebildeter Deutschen nach Amerika ausgewandert, deren
viele Lehrstellen fanden an amerikanischen Colleges und Universitaten.
Deutsch wurde nun auf den meisten akademischen Anstalten als Disciplin
anerkannt und in den Lehrplan aufgenommen.
Nach dem Ende des Burgerkrieges (Sezessionskrieges von 1861-
1865) beginnt die zweite Hauptepoche deutschen Einflusses in Amerika,
die Epoche der neuen Erziehungsbestrebungen und der Griindung von
(wirklichen) Universitaten, und somit die Einfuhrung deutscher Unter-
richtsmethoden und der deutsche Forschungstrieb, mit einem Worte die
Epoche der wissenschaftlichen Methode.
Im Laufe von funfundzwanzig Jahren sind beinahe ebenso viele Uni-
versitaten entstanden, welche entweder neugegriindet wurden wie die
Johns Hopkins, Leland Stanford, Jr., und Chicago Universitat, oder aus
alten Colleges erwachsen sind, wie Harvard, Yale, Columbia, Pennsyl-
vania, Cornell und andere. Gerade diese neuen Universitaten sind die
Hauptstiitzen der germanistischen Studien in Amerika. Die samtlichen
germanistischen Abteilungen (Departements) an diesen Pflegestatten der
deutschen Sprache und Litteratur sind vom deutschen Geist durchdrungen
und von deutschen Methoden beherrscht. Das deutsche Seminar ist bei
alien eingefuhrt worden und wissenschaftliche Forschung, sowohl auf
dem Gebiete der Philologie im engeren Sinne (Linguistik), als auf dem
der Litteratur, ist das akademische Losungswort geworden. Als Resultat
dieses Forschungstriebs hat Amerika eine ansehnliche Masse tuchtiger
wissenschaftlicher Resultate aufzuweisen, selbst auf dem Gebiete der
Litteratur. Viele von diesen Arbeiten haben unter den Fachgenossen in
Deutschland Anerkennung gefunden, und die Universitaten wie die Ver-
fasser selbst diirfen mit Recht stolz darauf sein. Auch fur die Wissen-
schaft in Amerika ist das schon eine grosse Errungenschaft, die auch fur
die Zukumft viel verspricht.
Betrachtet man aber die Entwickelung der germanistischen Studien
und der Philologie iiberhaupt in Amerika von Benjamin Woodbridge
Dwight's ,,Modern Philology" (1864) bis auf die neuesten Forschungen
der lebenden amerikanischen Philologen und fragt man nach dem Ein-
fluss dieser Studien auf unsere Litteratur, so findet man eine erstaunlich
vveite Kluft zwischen den Philologen und den zeitgenossischen Schrift-
stellern, ich will nicht sagen Dichtern, in Amerika.
Welches ist nun die Ursache dieser Gleichgiiltigkeit von Seiten un-
Germanistik und schone Litter atur in Amerika. 105
serer Schriftsteller gegen die neuere Philologie und Litteraturwissen-
schaft? Der Grund liegt, man muss es gestehen, in dem Mangel an
litteraturwissenschaftlicher Methode und, was noch schlimmer ist, an der
Oberflachlichkeit und Kleinmalerei unserer Schriftsteller; und in dem
Mangel an einer tiefgehenden Auffassung der amerikanischen Kultur als
Hintergrund einer Nationallitteratur.
Verderbliche Tendenzen haben sich unserer Litterateurs bemachtigt:
Erstens, die schnelle Entwickelung unseres Handels und unserer
Industrie hat die materiellen Interessen unseres Lebens in den Vorder-
grund gestellt, und so eine Umanderung des akademischen Lehrplanes
erfordert, so dass die alten liberalen Disciplinen einen betrachtlichen Teil
der ihnen gewidmeten Zeit haben abtreten mussen. Auch die alten
,,Professionen," Recht (nicht ,,Rechte" wie in Europa) und Medizin, haben
sich hier zu Lande fast ausschliesslich dem ,,Geldmachen" gewidmet und
drohen jetzt den alten festen akademischen Unterbau umzustiirzen.
Zweitens, ein verderbliches Element fiir unsere Litteratur ist das
anglo-amerikanische Zeitungswesen, welches das Publikum mit einer
formlichen Hochflut von gemeinen, alien guten Geschmak verderbenden
Lokalgeschichten und Sensationen uberschwemmt, und, was noch schlim-
mer ist, eine Generation oberflachlicher, genieloser Schriftsteller heran-
bildet und an die Stelle der friiheren hochgebildeten genialen idealisier-
enden Dichter der letzten Generation gesetzt.
Drittens, eine unersattliche Novellenwut hat unsere Schriftstel-
ler wie das Publicum ergriffen, und die anderen litterarischen Gattungen in
den Hintergrund gedrangt.
Viertens, als Resultat dieses Unwesens in unserer Litteratur sind
hohe Ideale und kritischer Sinn eine Seltenheit geworden und man kann
behaupten, dass die litterarische Kritik der Gegenwart bei uns hinter der
ersten Halfte des Jahrhunderts zuriicksteht.
Wie oft muss man die Jeremiade horen, die Erziehungsanstalten,
Colleges und Universitaten, hatten noch keinen Dichter erzogen! Das
ist an sich eine oberflachliche Beobachtung, ein Kind der Zeit. Unsere
grossten Dichter und Litterateurs haben fast ohne Ausnahme eine Col-
lege- oder Universitatsbildung genossen, und verdankten dieser Bildung
die leitende Stellung, die sie unter ihren Mitburgern eingenommen.
Man braucht nur an Emerson, Longfellow und Lowell zu erinnern.
Wie kann dem Grundiibel in unserer Litteratur abgeholfen wer-
den? Man muss also entweder in der Vergangenheit des englischen Vol-
kes oder in der Litteratur eines fremden Volkes neue Anregung suchen.
Welch reiche Fulle an Stoff aus den altgermanischen Quellen zu schopfen
ware, hat William Morris schon angedeutet in seinen Dichtungen auf
diesem Felde, besonders in dem "Fall of the House of the Wolfings",
wo er musterhafte Nibelungenstrophen in englischer Sprache nachgebil-
•det hat. Auch in den friiheren Perioden der englischen Dichtung liegen
106 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
reiche Schatze an Stoffen, wie sie die neuere Philologie aufgedeckt hat,
wenn nur die erforderliche Auffassung vorhanden ware. Aber die Ge-
schichte lehrt, dass die iruchtbarsten Epochen litterarischen Schaffens
ihren Ursprung in fremden Litteraturen haben. Es ist eben diese Be-
riihrung mit dem Leben und der Kultur fremder Volker, welche zur lit-
terarischen Produktion anregt, indem sie den Gesichtskreis erweitert und
den einheimischen Dichtern und dem Volke neue Stoffe und neue For-
men zufuhrt.
Suchen wir als Amerikaner also unter fremden Litteraturen nach
Originalitat und massgebender Form, so finden wir in Deutschland allein
eine Litteratur, welche reichhaltigen Stoff, kulturgeschichtliche Auffas-
sung und musterhafte Form in eins verbindet.
Amerika hat noch keine klassische Periode in seiner litterarischen
Entwickelung erreicht und selbst in der Bliitezeit nur Anlaufe zur Klassi-
zitat gemacht. Es muss daher im Auslande klassische Vorbilder su-
chen, und zwar bei demjenigen Volke, dessen Geist und Kultur der ame-
rikanischen am nachsten verwandt ist. Ein solches Volk ist das deutsche,
welches schon eine klassische Epoche unter dem direkten Einflusse der
Antike erlebt hat und dessen Kultur seit zwei Jahrhunderten auf das
amerikanische Leben einwirkt.
Man findet gerade in der Germanistik von heute das, was der littera-
rischen Methode abgeht:
Erstens, klassische Vorbilder wie Goethe und Schiller, welche ohne
mechanische Nachahmer gewesen zu sein, das Beste der Antike sowie
des modernen Geistes in sich aufgenommen, mit dem einheimischen
Geiste verschmolzen und in neue Formen gegossen und so als modern-
klassische, den Volksgeist atmende, litterarische Meisterwerke wiederge-
geben haben. In ihnen lebt der grosse Shakespeare mit Sophokles und
Euripides von Neuem in der Weltlitteratur auf.
Zweitens, die Germanistik bietet eine wissenschaftliche Methode und
litterarhistorische Kritik, was bekanntlich den Englandern wie den Ame-
rikanern in den letzten Jahrzehnten beinahe ganzlich gefehlt. Selbst das
durch das historische Studium wiedererweckte Interesse fur die alteren
Perioden der englischen Litteratur haben wir der philologischen Methode
zu verdanken, und was man in den letzten Jahren in Amerika neu
entdeckt und mit dem Namen "Comparative Literature" getauft hat, ist
schon lange in Deutschland in aller Stille als das historische Studium der
Litteratur bekannt und gepflegt worden. Schon Georg Ticknor und
Edward Everett befanden sich in ihrer litterarischen Methode auf dem
deutschen Standpunkte und waren manchen ihrer spateren Nachfolger*
weit voraus.
Drittens, die Germanistik fuhrt zu einer kulturgeschichtlichen Auf-
fassung des einheitlichen Stoffes, der litterarischen Momente der Natio-
nalgeschichte und des Volkslebens. Ein Volk kann uberreich sein an
Germanistik und schone Litter atur in Amerika. 107
litterarischem Stoff und sogar an Schriftwerken, aber trotzdem arm an
Erzeugnissen von wahrhaft litterarischem Wert. Das ist bei unserm
Volke der Fall, wo eine Unmasse von Schriftwerken, besonders Romane,
vorhanden, aber unter alien kaum ein geniales, klassisches, der Weltge-
schichte angehorendes Meisterwerk zu finden ist. Man ist meistens nur
darauf bedacht, zahlreiche Auflagen zu erzielen und schreibt fur den Ta-
gesgeschmack und nicht fur die Dauer. So lange die kulturgeschicht-
liche Auffassung der Aufgabe fehlt, kann keine Nationallitteratur ent-
stehen. j
Viertens, die Germanistik (und die deutsche Litteratur insbeson-
dere) leitet auf das Verstandnis, die Wiirdigung und technische Verwen-
dung der klassischen Formen hin. Die Hauptvertreter der klassischen
Periode in Deutschland haben keine Miihe gescheut, die Technik der
Meisterwerke der antiken Dichter sowohl wie der Renaissance und
Neuzeit genau zu studieren und die Strenge der antiken Form dem mo
dernen Stoff anzupassen.
Fiinftens, legt die Germanistik den Grund zu einer asthetischen
Volkserziehung, welche mit den Kinderjahren anfangt und den Schiiler
ins Leben begleitet. So wollte Schiller das deutsche Volk gebildet wis-
sen und schrieb zu diesem Zwecke seine ,,Biiefe iiber die asthetische Er-
ziehung des Menschen," (1795).
Es ware nun die Aufgabe der Germanisten in Amerika nicht nur die
Studierenden zu wissentschaftlichen Forschungen auf einem Spezialgebiet
der Germanistik anzuspornen, sondern ihnen und durch sie dem Volke
auch eine tiefere Kenntnis der deutsc'hen Litteratur und der Beziehungen
zwischen der deutschen und amerikanischen Kultur beizubringen und so
mit zu arbeiten an der Entwicklung einer wahrhaft nationalen Litteratur
in Amerika.
Education in the United States.*
Eine Buchbesprechung.
(Fur die Padagogischen Monatsheftc .)
Von Dir. Emit Dapprich, Milwaukee, Wis.
Fiir die eben geschlossene Weltausstellung in Paris hat Prof.
Nicholas Murray Butler von Columbia University, einer unserer hervor-
ragenden Padagogen, das oben genannte Werk veroffentlicht. Es soil
die Entwicklung des amerikanischen Schulwesens und seinen gegenwar-
tigen Stand zur Darstellung bringen, und enthalt ausser der Einleitung
des Verfassers 19 Monographien iiber die wichtigsten Punkte der ge-
samten amerikanischen Erziehung. Da dasselbe preisgekront aus der
Weltausstellung hervorging, lassl sich erwarten, dass es eine epoche-
machende Arbeit ist. Dieses ist in der That der Fall. Ganz spezielle
Verdienste besitzen die folgenden Beitrage:
,,D i e Elementarschul e", von Dr. Wm. T. Harris,
,,L e h r e r b i 1 d u n g", von Prof. B. A. Hinsdale,
„ W issenschaftliche und technische Erzie-
h u n g", von Pres. T. C. Mendenhall,
,,Erziehung der Indiane r", von Supt. Wm. T. Hailmann.
Die Namen dieser Mitarbeiter biirgen schon im voraus fur die
Giite ihrer Werke. Diese Monographien sind jedern Leser unserer
Padagogischen Monatshefte zum griindlichen Studium zu empfehlen; sie
atmen den Geist echt kosmopolitischer Forschung und sind so frei von
der engherzig nativistischen Beschranktheit des Durdhschnittsschulmei-
sters in diesem Lande, dass man sich mit Freuden in den Inhalt dieser
Abschnitte vertieft. Die allseitige und griindliche Behandlung, die
prazise und gewandte Darstellung geben diesen Kapiteln einen dauern-
den litterarischen und padagogischen Wert. Es verdient aber eine
ernste Ruge, dass ein Werk wie das vorliegende nicht eine Darstellung
des Einflusses der privaten und kirchlichen Lefaranstalten auf die Bil-
dung des amerikanischen Volkes bringt. Aus diesen Anstalten ist eine
so stattliche Reihe grosser Manner hervorgegangen; sie haben auf die
Entwicklung des offentlichen Schulwesens einen so machtigen Einfluss
ausgeiibt und bis in die Gegenwart an der Volksbildung in den Vereinig-
ten Staaten so wacker mitgeholfen, dass ich dem Redakteur, und sei
er noch so beriihmt, den Vorwurf nicht ersparen kann, er habe das
grosse Wort des Klassikers vergessen: ,,Audiatur et altera pars."
Auch die Bewegung fur die mehrsprachige Volksschule, welche die
Schule der Zukunft bei alien Kuiturvolkern werden muss, und die Fort-
*) Education in the United States. A S eries of Monographs prepared for the U. S.
Exhibit at the Paris Exhibition, 1900. Edited by Nicholas Murray Butler, Professor of Phil-
osophy and Education in Columbia University, New York. Albany, N. Y., J. B. Lyon Co.,
1900.
Education in the United States. 109
schritte in der inneren Gestaltung des Schulwesens hier zu Lande batten
spezielle Behandlung verdient.
Uber die Kindergarten referiert Frl. Susan E. Blow. Von den Ver-
diensten, die sich Herr und Frau Hailmann um dieselben erworben
haben, von der Einfiihrung derselben durch Papa Feldner in Detroit
und Peter Engelmann in Milwaukee, von der Agitation durch den Nat.
Deutscham. Lehrerbund weiss die gute Dame nichts, oder will nichts
davon wissen. Dagegen publiziert sie eine Reihe von Berichten ganz
obskurer Personen, die fur die Frage von geringer Bedeutung sind.
Ware es nicht weiser gewesen, klar darzulegen, welche Veranderungen
resp. Verbesserungen die Schopfung Frobels durch die amerikanischen
Kindergartnerinnen erfahren hat, und welche noch anzustreben sind.
Da Miss Blow die einzige Dame unter den Mitarbeitern an diesem
grossen Werke ist, so durfte man von ihr etwas Ausgezeichnetes erwar-
ten. Diese Erwartung hat sich leider nicht erfullt. Trosten wir uns
mit dem Worte Goethes : ,,Was in dem Menschen nicht ist, das kommt
auch nicht aus ihm."
Die schwachste Leistung in beiden Banden ist der Artikel: ,,Erzie-
hung in Kunst und Industrie." Der Schreiber desselben, Herr Clarke
von Washington, D. C., kennt eigentlich nur 3 Afbeiter auf diesem
Felde, die Herren Walter Smith, J. D. Philbrick und Chas. C. Perkins.
Ich will die Verdienste der Genannten durchaus nicht schmalern; aber
ich kenne personlich mindestens 50 Zeichenlehrer, die in ihren Wir-
kungskreisen so Vorziigliches geleistet haben, dass ihre Namen in dieser
Arbeit erscheinen sollten. Ausser diesen sind eine Anzahl von Kunst-
lern auf den Gebieten der Lithographic, des Holzschnitts, des Kupfer-
stichs etc. zu erwahnen, die sich unsterbliche Verdienste um die Bildung
des am. Volkes in bezug auf Geschmack am Schonen erworben haben.
Da ist vor alien Herr Prang in Boston zu nennen, dem das amerikanische
Volk grossen Dank schuldig ist. Dass wir von den Franzosen, Italie-
nern und Deutschen in den schonen Kiinsten mehr gelernt haben als
von den Englandern, weiss jeder, der sich um diese Sache ein wenig
bemiiht hat; Herr Clarke weiss dies nicht. Auch weiss er nicht, dass
in den deutschamerikanischen Schulen seit mehr als 50 Jahren das Zeich-
nen mit Liebe und Geschick gepflegt wurde, dass in ihnen ganz bedeu-
tende Manner die erste Anregung fur ihren zukiinftigen Beruf empfan-
gen haben, wie z. B. Karl Marr, der Schopfer der Flagellanten.
Es lohnt sich kaum, aus einem so umfangreichen Werke fur unsere
Leser irgend welche Ausziige zu machen; wir raten jedem, diese Arbeit
nach eigenem Ermessen zu thun und sind fest uberzeugt, dass keiner
das Buch ohne grosse Befriedigung aus den Handen legen wird.
Zu Washingtons Qeburtstag.
I. Washington.
Zwei Oedichte.
Wenn wir den Grossten uns'rer Toten nennen,
So nennen, Washington, wir jubelnd dich;
Den Vater, hiess es, von den Kindern trennen,
Ruhmt ohne dich Columbias Grosse sich.
Was je die Nachwelt Herrliches besungen:
Staatsklugheit, Heldenruhm und Opfermut
Fur Volkeswohl, auch audern ist's erklungen;
Doch dir gebiihrt ein hoherer Tribut:
Wohl gab es Helden, die in manchen Kriegen
Dir ebenbiirtig glanzten, und im Rat
Gab's weis're Manner auch; doch das Besiegen
Des Selbst im Gliick war einzig deine That.
Dich reizte Purpur nicht, und von dem Throne,
Den man dir bot, da wandtest du dich ab:
Doch dafiir schmiickt dich nun die Biirgerkrone;
Des Volkes Liebe folgte dir ins Grab.
Des ..Vaterlandes Vater" man dich nennet,
Columbias vielgepries'ner Freiheitsheld! —
Doch Biirgertugend keine Grenzen kennet:
Den grossten Burger nennet dich die Welt!
Constantin Qrebner.
Entrollt euch, Firmamente,
Zeigt eurer Sterne Pracht,
Es wacht ein Stern, der glanzet
Mit hoher Ruhmesmacht.
Ein Stern ist's erster Grosse,
Der grossen Sonne gleich,
Die ihren Segen spendet
Dem ganzen Erdenreich.
Drum Heil, Columbia, hehre,
Die solchen Sohn gebar,
Dem alles nur die Menschheit
Und ihre Wohlfahrt war.
Was gait ihm eine Krone,
Was gait ihm Fiirstenmacht?
Auf Freiheit seiner Briider
War nur sein Herz bedacht.
General Jobann von Kalb. Ill
Es glanzt von grossen Namen
Der Himmel jener Zeit.
Doch alle uberstrahlet
Sein Werk an Herrlichkeit.
Noch haben zu den Heil'gen
Die Papst' ihn nicht gezab.lt,
Doch schon hat ihn die Menschheit
Sich zum Patron erwahlt.
Und im Kalenderbuche
Heisst dieser Tag jetzt schon
Der Wiegentag der Freiheit,
Der Tag des Washington. M. Lllienthal.
II. General Johann von Kalb und seine Beziehungen zu
Washington.
Zum 169. Geburtstag Washlngtons, dem 22. Februar 1901.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von Henry Raab, weiland Staats-Schulsuperintendent von Illinois.
Wer George Washington war und was er fur die Vereinigten Staaten be-
deutet, weiss jedes Schulkind. und es ware vergebliche Miihe, seinen Charakter
und seine Verdienste um die Unabhangigkeit unseres Landes beschreiben zu
wollen. In den letzten Jahren ist auch die Forschung inbetreff ,,des Vaters
des Vaterlandes" so ausgedehnt betrieben worden, dass kaum ein Winkelchen
im Leben des grossen Mannes sich dem Lichte entzieht. Selbst in Romanen
und Novellen wird er zum Helden gemacht und gefeiert, so dass auch der wenig
ernste Leser sich ein Bild von seiner Personlichkeit entwerfen kann. Ich will
deshalb bei dieser Gelegenheit eines deutschen Mannes gedenken, dessen Ver-
dienste um die Erlangung der Unabhangigkeit des Landes selten hervorgehoben
werden und der, ausgenommen im Namen von Stadten und Counties, fast ganz-
lich der Vergessenheit anheimzufallen droht. Selbst seine Herkunft war lange
in Dunkel gehullt und seine Schicksale, ehe er mit Lafayette ubers Meer kam,
um fur die Unabhangigkeit der dreizehn Kolonien zu kampfen und zu sterben,
waren unbekannt, bis Friedrich Kapp in seinem Leben Kalb's (Stuttgart, bei
Cotta, 1862) dariiber Licht verbreitete. Ich halte mich in dem Folgenden
streng an Kapps Werk und werde mich bemiihen, so kurz als moglich, das
Wichtigste aus dem Leben des grossen Kriegers und Mannes hervorzuheben.
Der Adelstitel, das Wortchen von vor dem Namen Kalb, hat die Welt an-
nehmen lassen, dass unser Held aus einem begiiterten Geschlecht stammen
musse, und Geschichtsforscher haben nach der reichsfreiherrlichen Stammburg
,,derer von Kalb" in Siiddeutschland gesucht. Es unterliegt aber keinem Zwei-
fel, dass unser Johann Kalb als der zweite von drei Sohnen des Bauersmannes
Hans Kalb zu Hiittendorf, in der Markgrafschaft Bayreuth, am 19. Juni 1721
geboren wurde. Uber seine Jugendjahre und welche Erziehung er genossen,
fehlen jegliche Nachrichten; zu Ende des Jahres 1743 taucht der ehemalige
Bauernjunge Hans Kalb zuerst als Jean de Kalb und als Lieutenant in einem
112 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
deutschen Regiment in franzosischen Diensten auf. Wie er ins Ausland geriet
und seinen Weg fand, wird wohl nie ermittelt werden.
Dass er ohne Berechtigung den Adelstitel annahm, lasst sich nur aus Kalbs
Streben nach Hoherem erklaren. Ausser dem Soldatenbandwerk muss er seine
Zeit nicht schlecht angewandt haben, denn ausser seiner Muttersprache sprach
und schrieb er Franzosisch und spater auch das Englische, wie aus seinen er-
haltenen Brief en diplomatischen und familiaren Inhalts zur Geniige hervor-
geht Als einfacber Hans Kalb hatte er nicht einmal Lieutenant, geschweige
denn vertrauter Geschaftstrager des franzosischen Hofes werden konnen. Er
muss sich auch sonstige Kenntnisse und weltmannische Formen erworben
haben, sonst ware es ihm nicht moglich gewesen, sich unter der adelsstolzen
und hochmiitigen Gesellschaft von Versailles zu bewegen, noch weniger sich
mit einer adeligen Dame, Anna Elisabeth Emilie von Robais, am 10. April 1764,
zu vermahlen. Wahrend der zwanzig Jahre, die zwischen seinem Eintritt in
die Armee und seiner Eheschliessung liegen, kampfte er vorzugsweise in den
Niederlanden und hatte das Gliick, unter dem grossten Feldherrn, dem .pro-
fessor aller europaischen Generale", dem Marschall von Sachsen, seine Kriegs-
schule durchzumachen. Es ist aus jener Zeit eine Denkschrift Kalbs erhalten,
worin er dem franzosischen Konige, Ludwig XIV., seine Ansichten iiber die
Lage der amerikanischen Kolonien und die Moglichkeit, dieselben fiir Frank-
reich zu gewinnen, darthut. Er spricht darin auch iiber die Ausriistung der
notigen Regimenter und die Zusammensetzung des Offizierskorps aus katholi-
schen Irlandern und Englandern, um sie fiir Frankreich desto mehr zu be-
geistern. Diese Denkschrift bekraftigt die Thatsache, dass unser Held einen
weiten Blick und hohes politisches Verstandnis hatte.
Wahrend des siebenjahrigen Krieges machte Kalb auch den Feldzug in
Deutschland mit, ohne dass wir von seiner Anteilnahme an besonderen Kampfen
horen, nur wissen wir, dass er fiirstlichen und adeligen Familien in der Wet-
terau zu ihrem Rechte verhalf fiir Requisitionen, die die franzosische Armee
gemacht hatte. Niemand im deutschen Reiche fiihlte damals deutsch; erst die
Schlacht bei Rossbach, 15. November 1757, zerstorte das franzosische Prestige
in Deutschland und Hess das Volk aufatmen.
Nach seiner Verheiratung zog sich Kalb aufs Land zuriick und widmete
sich der Bewirtschaftung der Giiter in der Nahe von Paris, die ihm durch seine
Frau zugefallen waren. Seine unruhige Natur liess ihn jedoch nicht lange die
Freuden des Landlebens geniessen, und wir finden ihn als Bewerber um eine
Offiziersstelle im portugiesischen Heere. Mittlerweile war er zum Oberstlieute-
nant ernannt worden. Der allmachtige franzosische Minister Choiseul war
mittlerweile an die Spitze der Regierung getreten und erkannte in Kalb den
richtigen Mann zu einer geheimen Sendung nach den amerikanischen Kolonien.
Hier war infolge der ungerechten Besteuerungsversuche Englands grosse Unzu-
friedenheit, ja Erbitterung eingetreten. Die dadurch England erwachsenden
Schwierigkeiten Kamen dem franzosischen Minister sehr gelegen, und zur Be-
richterstattung iiber die Zustande in Amerika reiste Kalb im September 1767
vom Haag nach London und von da am 4. Oktober nach Philadelphia, wo er
erst am 12. Januar 1768 anlangte.
Wahrend seines Aufenthaltes in Amerika erstattete Kalb seinem Auftrag-
geber viermal Bericht, zuletzt aus Boston, worin er sich iiber die geographi-
schen, kommerziellen und politischen Zustande der Kolonien unbefangen aus-
spricht. Wer sich iiber Kalbs richtiges Urteil und seinen Scharfblick belehren
will, muss dies in Kapps Werk nachlesen; hier kann nur angefiihrt werden,
dass er den Unabhangigkeitsgeist des Volkes, den bliihenden Zustand und den
General Jobann von Kalb. 113
ausgebreiteten Handel der Kolonien, sowie deren Misstrauen und Unzufrieden-
heit richtig erkannte. Von New York aus kehrte er Ende April nach Frank-
reich zuriick und kam 12. Juni in Paris an. Choiseul hatte gewunscht, dass
Kalb langere Zeit in Amerika bleiben solle, und warf ihm dies freundlich vor.
Nach des ersteren Sturz ernennt Broglie, der neue Minister, Kalb zum Brigade-
General fur die Kolonien. Mittlerweile war Kalb mit Lafayette bekannt gewor-
den und gewann grossen Einfluss auf diesen. Bereits im Dezember 1776 wollte
er nach Amerika abfahren, aber Schwierigkeiten, die hier nicht naher erortert
werden konnen, verhinderten den Plan. Im Anfang des Jahres 1777 kaufte La-
fayette das Schiff ,,la Victoire" und mit diesem traten sie am 20. April die Reise
nach Amerika an. Mit Silas Deane, dem Geschaftstrager der Vereinigten Staa-
ten in Paris, war am 7. Dezember 1776 ein Vertrag abgeschlossen worden, unter
dem Kalb und Lafayette als Generalmajore und eine Anzahl anderer franzosi-
scher OfHziere, vom Obersten bis zum Lieutenant herab, fiir die amerikanische
Armee angeworben worden waren. Nach einer vierundfvinfzigtagigen Reise
kam die ,, Victoire" nordlich von Charleston, S. C., an und die Reisenden kehrten
bei dem deutschen Major Hiiger daselbst ein und wurden von ihm gastfreund-
lich bewirtet. Die Reise naeh Philadelphia, wohin sie gingen, um sich dem
Kongress vorzustellen, dauerte bei dem heissen Wetter, das ihnen nur kurze
Tagereisen erlaubte, einen vollen Monat, bis zum 27. Juli. Von dem Prasidenten
des Kongresses wurden sie am folgenden Tage sehr kiihl aufgenommen und an
den Vorsitzer des Ausschusses fiir auswartige Angelegenheiten verwiesen, der
ihnen eroffnete, Deane habe seine Machtvollkommenheit iiberschritten, indem
er die hochsten Stellen im Heere mit Mannern seiner Wahl besetzt habe. Ihr
Kontrakt sei deshalb null und nichtig. Dieser kiihle Empfang wurde ihnen auf
Betreiben der einheimischen Offiziere, die, wenn sie auch nichts vom Militar-
wesen, noch weniger etwas von der Bedienung der Geschiitze und der Genie-
kunst verstanden, doch glaubten, dass Auslander nicht die besten Stellen im
Heere einnehmen sollten. In dieser Verlegenheit besann sich Lafayette nicht
lange; er bot seine Dienste als Freiwilliger ohne Gehalt und Pension an, worauf
der Kongress ihn in Anbetracht seines Eifers und seiner Familienverbindungen
zum Generalmajor ernannte. Mit richtigem Takt erkannte Lafayette, dass diese
Auszeichnung einem alten, verdienten Offizier gegeniiber, unter dessen Schutz
er nach Amerika gekommen war, eine Ungerechtigkeit sei, und bestand darauf,
dass Kalb dieselbe Stellung in der Armee erhalte. Es dauerte jedoch noch ge-
raume Zeit, ehe der Kongress sich entschloss, Kalb gerecht zu werden. Die
meisten franzosischen Offiziere waren bereits nach Frankreich zuriickgekehrt
und Kalb stand im Begriff, ein gleiches zu thun, da empfing er am Abend vor
seiner geplanten Abreise, am 15. September, die Nachricht, dass ihn der Kon-
gress auch zum Generalmajor ernannt hatte mit dem gleichen Datum, wie das
Patent Lafayettes, den 31. Juli 1777.
In der Armee, die nordlich von Germantown stand, wurde Kalb von alien
Generalen, mit Ausnahme von dem Irlander Conway, freundlich aufgenommen.
Dieser war Brigadegeneral und empfand es als Zuriicksetzung, dass Kalb iiber
ihn zum Generalmajor befordert wurde und drohte, seine Entlassung nehmen
zu wollen. Er setzte es wirklich durch, dass er zum Generalmajor und General-
inspektor der Armee ernannt wurde; als er aber in April 1778 abermals aus
unbedeutendem Grunde mit seinem Abschied drohte, nahm ihn der Kongress
beim Wort und Hess ihn laufen. Auch hier kann ich den Ereignissen auf dem
Kriegsschauplatze nicht im einzelnen folgen; Kalb befand sich mit Washington
im Felde, lehrte die Amerikaner ihre Lager befestigen, unterstiitze den Ober-
feldherrn durch seine Erfahrung, teilte mit ihm und der schlecht ausgeriisteten
114 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
und verpflegten Armee die Gunst und Ungunst der Verhaltnisse, so z. B. den
triiben Winter in Valley Forge, und schilderte alles getreulich dem Grafen
Broglie. Dass hierbei manche Streiflichter auf die amerikanischen Zustande
im Kongress und im Felde fallen, ist, wenn die Berichte auch nicht immer
giinstig fur die Amerikaner lauten, fiir die Kenntnis der Zeit ausserst wichtig.
Der Milizenunfug, die Schwierigkeit des Rekrutierens, die ttberanstrengung der
Soldaten, die uberflussigen Posten und die Unordnung im Quartiermeistersamt,
sowie die allzuhaufigen und kostspieligen Paraden und die Eifersucht der fran-
zosischen Offlziere verleideten Kalb den Aufenthalt in Amerika und liessen inn
an Plane zur Ruckkehr nach Europa denken.
Da traf die Nachricht von Burgoynes Kapitulation bei Saratoga ein und gab
dem Schicksal der Amerikaner die giinstige Wendung. Lafayette war nicht
eifersuchtig und deshalb im Heere und bei Washington beliebt, an welchem
Geschick Kalb nicht minder teilnahm und sich des vollen Vertrauens Washing-
tons erfreute. Im nachsten Jahre wurde seitens der Amerikaner ein Feldzug
gegen Canada geplant und Lafayette als Oberfeldherr dafur ausersehen und ihm
Kalb als Stiitze beigegeben. Da jedoch Vorbereitungen jeglicher Art mangelten,
kehrte Kalb ins Hauptquartier zu Washington zuriick. In diese Zeit fallen die
Umtriebe Gates' gegen Washington, um ihn des Oberbefehls zu berauben, und
da Kalb mit Lafayette auf Seiten des letzteren stand, so ist es naturlich, dass
die Kreaturen des ersteren ihr Gift auch gegen ihn verspritzten.
Frankreich hatte nun ernst gemacht und am 6. Februar 1778 ein Schutz-
und Trutzbiindnis abgeschlossen, woriiber Kalb sehr erfreut war und seiner
Frau und zugleich iiber die Feierlichkeiten einen enthusiastischen Brief schrieb.
Durch die Bemiihungen Steubens wurde zu Ehren des Ereignisses ein grosses
Manover abgehalten, wobei Kalb das Zentrum, Lord Sterling den rechten und
Lafayette den linken Fliigel kommandierte. Dass dies Biindnis den Mut der
amerikanischen Soldaten hob und Washington zu einem Angriff auf Philadel-
phia Schritte thun liess, ist naturlich; jedoch Kalb riet bei dem Mangel an Vor-
bereitung davon ab, indem er glaubte, die Englander wurden die Stadt von
selbst raumen. Das Jahr 1778 ging in Unthatigkeit voriiber; Kalb war durch
ein hitziges Fieber langere Zeit ans Bett gefesselt und wurde in Philadelphia
durch einen Dr. Pfeil (Phyle) getreulich verpflegt.
Die giinstigen Ereignisse, Riickzug der Englander und ein allgemeiner Krieg,
wie Kalb gehofft hatte, trafen nicht ein, doch schrieb dieser seiner Frau wie
folgt: ,,Seit Frankreich sich in den Krieg gemischt hat, ist an die Eroberung
dieses Kontinents durch die Englander nicht mehr zu denken. Jeden-
falls kommt es zu keinen wichtigen Unternehmungen mehr." Aus dem
Winterquartier am Hudson schreibt er an seine Frau: ..Obgleich ich
nichts fur Kleider und Wasche auszugeben habe, so reicht mein Gehalt doch
nicht aus, meine Bedienten und die vom Kongress nicht gelieferten Tafelbe-
diirfnisse, wie Kaffee, Thee, Butter, Zucker und Milch zu bezahlen."
,,Es ist unmoglich, die Leute hier zu Lande an eine gewisse Okonomie oder an
eine bestimmte Ordnung zu gewohnen, und ebenso unmoglich ist es fiir einen
in Ordnung, Disziplin und Piinktlichkeit gross gewordenen Mann, sich in die
Indolenz dieses Volkes zu finden."
Ich muss mir versagen, auch die Kriegsereignisse im Fruhling des Jahres
1780 naher zu beschreiben, nur eines Briefes will ich erwahnen, den Kalb von
Washington empfing, worin dieser ihm Komplimente iiber die Tapferkeit und
gute Haltung seiner Truppen macht. tJber dieses Lob geriet Kalb mit seinen
Offizieren in Begeisterung, doch als er zur Feier dieses Ereignisses einige Fla-
fichen Wein auffahren lassen wollte, konnte sein Diener, Meister Jakob, keinen
General Jobann von Kalb. 115
bringen; dagegen versprach er seinen Gasten, ,,ihnen den besten Champagner
in Paris vorzusetzen." Endlich batten die Englander sowohl wie die Ameri-
kaner die Bedeutung des Siidens fiir den Ausgang des Krieges eingesehen und
beide Oberbefehlshaber schickten Truppen dahin ab, die Englander zur See, um
das Land zu erobern, die Amerikaner, um die Englander zuriickzuweisen. Mit
Ausnahme Virginiens waren die siidlichen Staaten in betreff der Kriegfiihrung
nur lauwarm, und so konnte Savannah ohne grosse Miihe in die Hande der
Englander fallen. Kalb organisiert die Divisionen und marschiert mit ihnen zu
Lande nach Nord-Carolina. Unterwegs batten die Truppen weder Transport-
noch Lebensmittel und mussten auf ungebahnten Wegen ihren Marsch nehmen;
ausserdem blieben die in den siidlichen Staaten versprochenen Milizen und
Unterstiitzungen aus, trotz aller Mahnunge'n an den Kongress und die Exeku-
tive von Nord-Carolina. Die waflenfahigen Manner hatten sich in die Siimpfe
und Busche verkrochen.
Endlich im August war die unzulangliche amerikanische Armee unter
Gates in Siid-Carolina angekommen und nahm der englischen gegeniiber zwi-
schen Clermont und Camden Stellung. Nach abgehaltenem Kriegsrat, in dem
Kalb wegen der vorteilhaften Position der Englander von einem Angriff abge-
raten hatte, liess Gates doch angreifen. Das amerikanische Zentrum und der
linke Fliigel wandten sich bald zur Flucht, nur Kalb mit der Marylander Divi-
sion suchte die Stampede aufzuhalten und leistete kraftigen Widerstand. Allein
die ttbermacht der Englander war zu gross und Kalb fallt, aus elf Wunden blu-
tend, auf dem Schlachtfeld zu Camden. Nach der Schlacht wurde er bis aufs
Hemd ausgezogen und beraubt, ehe inn seine Leute nach Camden in Sicherheit
bringen und verbinden konnten. Hier kampfte er noch drei Tage mit dem Tode
und starb am 19. August. Sein Adjutant Dubuysson, der in englische Gefan-
genschaft geriet, dankte im Auftrage Kalbs den Offizieren und Soldaten seiner
Division und gab seiner Zufriedenheit Ausdruck iiber das Tapferkeitszeugnis,
das die englische Armee der Tapferkeit seiner Truppen gezollt hatte. Von sei-
nen siegreichen Feinden, unter denen sich viele Freimaurer befanden, wurde
er mit militarischen Ehren zur Ruhe bestattet. Der gedemiitigte General Gates
schrieb am 3. September 1780 an Washington: ,,Der Kongress kann dem An-
denken des Barons von Kalb nicht genug Ehre erweisen. Derselbe war ein in
jeder Beziehung ausgezeichneter Offizier und opferte sein Leben fiir die Sache
der Vereinigten Staaten. Ich bin iiberzeugt, dass der Kongress vor aller
Welt seine hohe Meinung von den Diensten und Thaten desselben aussprechen
wird. Auf Grund dieses unparteiischen Zeugnisses und der bestatigenden An-
sicht Washingtons, der erklarte, Kalb habe die hohe Meinung, die er von ihm
gehabt, gerechtfertigt, und dass sein Andenken dem dankbaren Lande stets
teuer sein werde, beschloss der Kongress am 14. Oktober 1780, dem General
Kalb in Anerkennung des glorreichen seinen Truppen gegebenen Beispiels in
Annapolis, der Hauptstadt des Staates Maryland, dessen Division er gefiihrt,
ein Denkmal zu errichten und demselben folgende Inschrift zu geben:
,,GeweiEt dem Andenken des Freiherrn von Kalb, Hitters des Koniglichen
Kriegsverdienstordens, Brigadiers der franzosischen Armee und Generalmajor
im Dienste der Vereinigten Staaten. Nachdem er mit Ruhm und Ehren drei
Jahre lang gedient hatte, gab er einen letzten und glorreichen Beweis seiner
Hingebung fiir die Freiheit des Menschengeschlechts und fiir die Sache Ame-
rikas in der Schlacht bei Camden in Siid-Carolina. Indem er dort die Truppen
Marylands und Delawares gegen iiberlegene Streitkrafte anfiihrte und sie durch
sein Beispiel zu heroischen Thaten begeisterte, wurde er mehrfach und schwer
116 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
verwundet und starb am 19. August im achtundvierzigsten Lebensjahre.*) Der
Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika hat ihm in dankbarer Anerken-
nung seines Eifers und seiner Dienste und Verdienste dieses Denkmal errichtet."
Jenes Denkmal ist nie errichtet worden und harrt heute noch seiner Auf-
stellung. Nach dem Frieden waren die Finauzen der Vereinigten Staaten er-
schopft und die neue Generation hatte andere Interessen, so dass die Sache
schliesslich in Vergessenheit geriet. ,,Kalb war ein kraftiger und schemer
Mann, eine durch Ernst und Milde imponierende Erscheinung. Seine klugen
braunen Augen, welche unter einer hohen Stirn offen und freundlich hervor-
blickten, eine etwas adlerartig gebogene Nase, ein gutmiitiger und doch
schlauer Zug um den Mund und ein starkes behabiges Unterkinn gaben seinem
Kopfe mehr den sinnenden und berechnenden Ausdruck eines Diplomaten, als
das schroffe, einseitige Geprage eines Kriegsmannes." - - ,,Mit grosser
Massigkeit und Vorsicht verband er eine ausserordentliche Geduld. Er konnte
tagelang Hunger und Durst, Hitze und Kalte ertragen, ohne dass seinen Lippen
nur die leiseste Klage entschliipfte. Er schlief ebenso gut auf einem Tornister
und seinem Mantel, wie auf einem weichen Kissen und im besten Bette, kurz
er besass ganz jene physische Kraft und Zahigkeit, ohne welche ein Held gar
nicht denkbar ist. Er gait allgemein jiinger, als er in der That war. So hielt
ihn auch bei seinem Tode der Kongress fur nur achtundvierzig Jahre alt, wah-
rend er bereits im sechzigsten war."
Zum Schlusse sei es mir vergonnt, Kapps Worte anzufuhren: ,,Nur Deutsch-
land, das Land seiner Geburt. hat seinen Anteil an ihn bisher noch nicht bean-
sprucht. Kalb aber macht dem deutschen Narnen im Auslande Ehre, wie wenig
Andere. Seine Thaten wirken noch heute erhebend und zur Nacheiferung an-
spornend auf unsere Landsleute in Amerika. Nicht der letzte Platz unter den
Helden unseres Volkes gebiihrt daher dem Bauernsohne aus Hiittendorf.
*) Kalb war wirklich 59 Jahre alt, aber, wie unten angegeben, schien er, seiner strik-
ten Lebensweise und Zahigkeit wegen, fur viel jttnger.
Fur die Schulpraxis.
I. Der Unterricht in der Qrammatik.
Yon Frl. K. HooeJf, Saginaw, Mich.
Was ist der Zweck des deutschen Sprachunterrichts in den Elementar-
Massen unserer offentlichen Schulen, und welches Ziel wiinschen wir darin zu
erreichen? Welche Mittel konnten uns behulfuch sein, dieses Ziel zu erreichen?
Der Zweck des deutschen Sprachunterrichts ist erstens, dass die Kinder
die miindlichen und schriftlichen Gedanken anderer verstehen, und zweitens ihre
eigenen Gedanken klar und richtig auszudriicken lernen; das Ziel ist der
praktische miindliche und schriftliche Gebrauch der deutschen Sprache.
Wenn Kinder zur Schule kommen, haben sie oft schon mehr Sprache ge-
lernt, als sie jemals spater lernen werden, aber sie sprechen alle mehr Oder
weniger eine Sprache, die sich von der Schulsprache unterscheidet. Sie spre-
chen die wenigen Worter und Satze unrein, falsch, ungeordnet und mit Dialekt.
Sie sind spracharm und benennen oft die bereits bekannten Begriffe mit ande-
ren Namen als die der Schriftsprache. Und die Ausprache klingt ganz anders,
denn ihr Sprachvorbild war bis jetzt das Haus.
Wie soil nun in der Schule ihr Sprachschatz gereinigt und vergrossert wer-
den? Nach derselben Methode, die sie schon in den ersten sechs Jahren mit
solchem Erfolge angewandt haben? Soil die Sprache mit ihrem geistigen
Wachstum Schritt halten? Sollen ariaerer Gedanken wieder Gedanken erwek-
ken, oder sollen nur Worte allein gelernt werden, in dem Glauben, dass das Kind
spater einmal einen passenden Gedanken haben wird, dieses Wort zu ver-
werten?
Da die Sprache der Gedankenausdruck in Worten ist, diirfen im Unterricht
Geistesbildung und Sprachbildung nie getrennt werden; dadurch wird der
Sprachunterricht eines der wichtigsten und schwierigsten Facher in der Schule.
Die Kinder haben unbewusst von Anfang an alle Formen der Sprache ge-
lernt; dass sie die Sprachlehre weiter fortestzen sollen, ist unzweifelhaft. Die
Prage ist, wie soil sie fortgesetzt werden, wo soil der eigentliche Grammatik-
unterricht anfangen, wie viel soil gelehrt werden? Soil sie als einzelnes Fach
gelehrt werden, oder sich anderen anschliessen?
Sprache wird nur durch Sprechen gelernt, und wie die Kinder schon zu
Hause von ihren Eltern zuerst durch Horen und dann durch Nachahmung und
Gewohnung sprechen lernten, so muss ihnen auch in der Schule die neue
Sprache erst richtig vorgesprochen werden. Sie miissen dann durch die unent-
behrlichen Anschauungsiibungen, durch Auswendiglernen von Gedichten und
Prosa, durch das Erzahlen ihren Sprachvorrat reinigen und bereichern. Die
gesamte Grammatik kann hier von dem Lehrer angewendet werden, ohne auch
nur dieselbe zu erwahnen. Aller Unterricht muss Sprachunterricht sein, und
die Kinder konnen unbewusst alle Wortarten, den Gebrauch derselben und die
Satzlehre lernen.
Wahrend der Anschauungsunterricht die Hauptsprachlehre in dem ersten
und zweiten Schuljahr bildet, tritt das Lesebuch im dritten und vierten mehr
in den Vordergrund. Das Lesebuch wird Gegenstand der Besprechungen und
der Sprachubungen. Wahrend die Kinder in den unteren wortgetreu nach dem
Buche antworten und erzahlen, kann man auf dieser Stufe, wo sie sich die
Sprachformen schon mehr angeeignet haben, das selbstandige Erzahlen ver-
langen. Auf dieser Stufe konnen ihnen schon einige orthographische Regeln
eingepragt werden, wie z. B. von der Dehnung und Scharfung der Silben, von
118 P'ddagogiscbe Monatshefte.
dem Hauptwort und seiner Schreibung. Im fiinften Jahre der Artikel, Einzahl
und Mehrzahl, Arten der Hauptworter und die hauptsachlichsten Vor- und
Nachsilben.
Da die Grammatik auf alien Stufen nur Mittel zum Zweck ist, so miissen
wir den Stoff heraussuchen, welcher uns behiilflich sein kann, diesen Zweck
und unser Ziel zu erreichen. Auch lasst sich dieses Mittel nur anwenden, wenn
die Schiiler so weit in dem Sprachunterricht fortgeschritten sind, dass sie in
der deutschen Sprache denken konnen. Diese Stufe im Sprachunterricht haben
sie kaum vor dem sechsten Schuljahr erreicht, und auch hier ist die Grammatik
nur dann von Wert, wenn sie ihnen auf einfache Weise sagt, wie in den ver-
schiedenen Fallen richtig gesprochen Oder geschrieben werden muss. Darum
konnen wir nur den Teil des Sprachmaterials brauchen, welcher dazu dienlich
ist, wie z. B. im 6. Jahre die Deklination der Hauptworter, Eigenschaftsworter,
Fiirworter; im 7. die Konjugation der Zeitworter, Verbal tniswb'rter, Umstands-
worter und der erweiterte einfache Satz. Im 8. der zusammengesetzte Satz,
Bindeworter und Satzgefiige. Alles, was diesem Zwecke nicht dient, muss weg-
fallen, wie z. B. auch das Lernen der lateinischen Bezeichnungen.
Auch auf den oberen Stufen muss dem mundlichen Gedankenausdruck viel
Sorgfalt zugewendet werden. Durch Schreiben und Lesen allein erlernt man
die deutsche Sprache nicht, sondern vielmehr durch das Sprechen. Das rich-
tige Sprechen unterstiizt den Aufsatz, Lesen, Diktat, ttbersetzen, Deklamieren,
kurz alle anderen Facher. Darum muss sich auch unsere Methode in dem
Unterricht der Regeln in der Grammatik danach richten.
Ein Schiiler kann alle grammatischen Regeln wissen, ohne die Sprache zu
haben. Also muss unsere Grammatik praktisch behandelt werden, iiberall muss
sie von der Sprache ausgehen, mit dem einfachsten Satze anfangen, und vom er-
weiterten einfachen bis zum zusammengesetzten weiterschreiten. Die Sprach-
gesetze diirfen nicht gegeben werden, sondern von den Kindern mit Hilfe des
Lehrers gesucht werden. Dazu hat er zwei Quellen, seinen eigenen Sprachsatz
und das Lesebuch. Doch darf man sich nicht zu sehr auf den Sprachsatz der
Kinder verlassen, weil dieser nicht sehr reich ist, und die Satze der Form zu liebe
oft sehr nichtssagend werden. Auch das Lesebuch bietet nur wenige, verein-
zelte und zerstreute Beispiele fiir grammatische Regeln, welche wir gerade ge-
brauchen wollen. Darum sind die Mustersatze, welche wir in einigen Biichern
flnden, vom grossten Nutzen fiir den Schiiler und eine Hilfe fiir den Lehrer.
Wenn wir fiir den grammatischen Unterricht die Mustersatze als Vorbereitung
benutzen, das Lesestiick zum Priifen des Erlernten und ihre eigenen Beispiele
als Schluss und dann das Gelernte durch fleissiges ttben befestigen und schrift-
lich verwerten, nur dann kann der grammatische Unterricht von praktischem
Nutzen sein, und nur so werden Lehrer und Schiiler ihr Ziel erreichen.
Wohl in keinem Unterrichtszweige bewahrheitet sich der Spruch ,,t)bung
macht den Meister" mehr, als in der Sprachlehre.
II. Wie Grimms Marchen in Schule und Haus gelesen werden.
Nr. 12 der Jugendschriften - W a r t e. Organ der vereinigten deut-
scheu Priifungs-Ausschiisse fiir Jugendschriften, bringt nachfolgenden Bericht
aus einer pfalzischen Stadt, der auch fiir unsere Leser beachtenswert 1st:
Fiir nieine Schulbibliothek — ich habe eine 5. Klasse, bestehend aus 56
elfjahrigen Madchen — habe ich nach Schluss unserer Weihnachtsausstellung
die Reclamsche Ausgabe der Grimmschen Marchen (80 Pfennige) in 33 Exem-
plaren angeschafft, um sie in der Schule lesen lassen zu konnen. Gelesen wird
regelmassig jeden Samstag, vormittags in der letzten Unterrichts.stunde, die
auf meinem Stundenplan mit ,,Lesen und Sprachlehre" belegt ist. Ich kann
Ihnen gar nicht sagen, was fiir eine Freude das den Madchen macht und wie
sie sich immer auf diese Stunde freuen. tJber Sonntag darf das ,,schone Bii-
chel", wie sie's nennen, mit nach Hause genommen werden, das eine Mai von
der einen Halfte der Schiilerinnen, das andere Mai von der anderen. Montags
lasse ich mir dann immer iiber dessen Verwendung berichten. Da hiess es z. B.
am ersten Montag in fiinf Fallen: ,,Die Mutter hat vier Marchen vorgelesen".
In vier Fallen: ,,Der Vater hat drei vorgelesen". Weiter hat Vater oder Mutter
in vielen Fallen ein oder zwei Marchen vorgelesen. Andere Berichte lauteten:
,,Ich habe 2, 3, 4, 5 etc. vorgelesen." — ,,Meine grosse Schwester, meine Tante,
mein Onkel hat vorgelesen." Bins erzahlte: ,,Mein Vater hat bis abends 10
Uhr vorgelesen. Wir haben gar keinen Schlaf bekommen. Der Vater ist nicht
fortgegangen, well's ihm so gut gefallen hat." Mindestens ein Marchen war
in jedem Falle vorgelesen worden.
Viele Kinder wollen die Biichelchen kaufen. Ich gebe sie ihnen natiirlich
gerne und zwar mit dem gleichen Rabattabzug, wie ich sie bezogen habe. Um
auch ganz armen Kindern die Anschaifung zu ermoglichen, habe ich Teilzah-
lungen gestattet; ich nehme selbst 1 Pfennig an. Also eine Art Pfennigspar-
kasse. Es hat mir aber noch kein Kind weniger als 5 Pf. auf einmal gebracht,
mehrere bringen immer 10 Pf., eine kleine Anzahl hat auf einmal den ganzen
Betrag mitgebracht. So sind mir von den 33 Exemplaren fiir meine Schulbibli-
othek unr 5 iibrig geblieben. Wahrend der Woche sind aber trotzdem alle
Exemplare im Schulschrank eingeschlossen. Nach Beginn des neuen Schuljah-
res (1. Mai) werde ich mit der gleichen Klasse den ,,Robinson" in der Grab-
nerschen Ausgabe zu 1,25 Mark in Angriff nehmen und spater noch den
,,Waldbauernbub" folgen lassen. Ich werde Ihnen s. Zt. dariiber berichten.
Berichte und Notizen.
I. Kultusminister Dr. Falk.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von Paul Heininger, Bunzlatt, Schlesien.
Am 7. Juli 1900 starb zu Hamm in Westfalen der friihere preussische
Kultusminister Dr. Falk. In den 7 Jahren seiner ministeriellen Wirksamkeit
hat er reformierend und anregend sowohl auf samtliche Zweige des Unter-
richtswesens, wie auch auf die ihm gleichzeitig unterstellte geistliche und die
Medizinalverwaltung gewirkt. Der Schwerpunkt seines Schaffens und Wirkens
jedoch lag in der Volksschule. Dankbarer wird seiner darum wohl kaum ge-
dacht als von seiten der Volksschullehrer.
Falk gehort zu den geschichtlich hervorragenden Mannern aus der Re-
gierungszeit Wilhelms I. und war neben dem Fiirsten Bismarck der bestge-
hasste Mann seiner Zeit. Als ein Kampfminister, der die in dem Kampfe mit
Rom notwendig gewordenen geistigen Waft'en schmieden sollte, war er in das
Kabinett getreten. Ein hingebungsvoller Mitarbeiter und gliihender Bewun-
derer Bismarcks, wollte er dennoch mehr sein als ein blosses Werkzeug. Er
war der einzige unter den vielen Ministern aus der Ara Bismarck, der diesem
mit einem fertigen Programm gegeniibertrat und seinen Eintritt in das Minis-
terium von der Annahme desselben abhangig machte. Und heute steht ge-
schichtlich fest, welchen gewaltigen Widerstand Bismarck bei dem Konige zu
besiegen hatte, ehe dieser sich entschloss, den ,,altliberalen Radikalen" Falk
zur Leitung des Kultusministeriums zu berufen. Falk selbst ist wahrend sei-
ner siebenjahrigen Ministerlaufbahn die Empflndung von diesem gegen inn be-
stehenden Misstrauen des Konigs, das von seinen Feinden in der Hofpartei
standig genahrt wurde, nie losgeworden. In seiner ausseren Erscheinung er-
innerte der schlesische Pfarrerssohn eher an den milden Gottesmann als an
den scharfsinnigen Juristen und wackeren Kampen gegen pfaffische Intoleranz.
Das schwarze, fast gelockte Haar, die schwarze Halsbinde mit den weissen
Vatermordern, der weiche Gesichtsausdruck liessen in ihm den Geistlichen ver-
muten. Nur das wunderbar klare, durchdringend forschende Auge verriet den
scharfsinnigen Juristen, den wackeren Kampfer fur die Geistesfreiheit seines
Volkes.
Man hat von gegnerischer Seite Falk und zwar ihn nur allein fur Fehler
und Irrtumer aus der Zeit des Kulturkampfes verantwortlich gemacht. Damit
geschieht ihm entschieden Unrecht. Sind solche geschehen, so fallen sie dem
Leiter der preussischen Politik mindestens ebenso zur Last wie dem so viel
gehassten Falk. Erst die spatere Geschichte wird klar daruber urteilen kon-
nen, welchen Anteil Bismarck und Falk an diesen Massnahmen gehabt haben.
Aber der Entschiedenheit seines Auftretens und dem hochfliegenden Idea-
lismus Falks verdankt die preussische Volksschule ihre heutige Gestaltung, der
preussische Volksschullehrer seine gegenwartige Stellung. Um seine Verdienste
urn die Volksschule recht zu wiirdigen, muss man sich die jammerliche Ver-
fassung derselben am Anfange der siebenziger Jahre vergegenwartigen. Die
sogenannte Fortentwicklung der Stiehl'schen Regulative vom Jahre 1854 war
schlimmer als das Original. Die freien Elemente, wie z. B. Diesterweg, waren
beseitigt oder in einflusslose Amter versetzt. Aus dem Seminarlehrplan waren
alle diejenigen Lehrstoffe entfernt, weiche dem zukiinftigen Volksschul-
lehrer den Weg zu einer breiter und tiefer angelegten Bildung hatten weisen
konnen. Die Lehrergehalter bewegten sich auf einer Hohe, die von den Tage-
Versammlungen der N. E. A.
Ibhnereinkiinften fast erreicht wurde; das Durchschnittseinkommen eines
preussischen Landlehrers belief sich 1861 auf 548 M, 1871 noch auf 667 M.
Die Aufhebung der Stiehl'schen Regulative und der Erlass der Allgemei-
nen Bestimmungen wurden vomVolksschullehrerstand wie von den breiten
Schichten des Volkes selbst als eine befreiende Geistesthat empfunden und be-
griisst. Die Volksschule wurde als allgemeine Bildungsanstalt anerkannt und
in den Stand gesetzt, dem Volke seinen Anteil an den Geistesschatzen der Na-
tion zu ubermitteln. Der Etat fur das Volksschulwesen stieg von 1871 bis 1878
von rund 4 Millionen auf beinahe 20 Millionen Mark; die Landlehrergehalter
gelangten von 667 M auf einen Durchschnitt von 953 M. Falk eroffnete den
Lehrern den Zugang zur Leitung von Volks- und Mittelschulen, indem er ein
neues Prufungssystem einfiihrte. Ein Bildungsstreben erfasste den Lehrer-
stand, wie es bis dahin nie vorhanden gewesen war. Es ist nicht zu viel ge-
sagt, wenn man behauptet, ,,Falk hat aus dem verschuchlerten, verelendeten
preussischen Volksschullehrer einen frei sicb fiihlenden Menschen gemacht."
Es ist ihm gelungen, die Grundlagen der preussischen Volksschule derartig um-
zugestalten und zu befestigen, dass die reaktionare Flut, die nach seinem
Kiicktritte iiber Preussen hereinbrach, bis heute in langer als 20 Jahren nicht
im stande gewesen ist, diese Fundamente zu zerstoren. Keiner seiner Nach-
folger von Herrn v. Puttkamer an bis auf Herrn Studt hat es bisher gewagt,
die Wiederherstellung der von ihm beseitigten, beruchtigten Stiehl'schen Regu-
lative in das Werk zu setzen.
Der willensstarke Mann vermochte den politischen Frontwechsel des
Kanzlers nicht mitzumachen; er nahm seinen Abschied. Den gehassigen An-
griffen seiner Feinde setzte er auch nach seinem Sturze unerschiitterliches Still-
schweigen entgegen, obgleich er mit einem Worte das ganze Netz von Intri-
guen hatte zerreissen konnen. Einige Jahre spater iibernahm er, den Be-
miihungen des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm nachgebend, wieder
ein Staatsamt, die Prasidentschaft des Oberlandgerichtsbezirkes von Westfalen.
Seit 3 Jahren war er Ehrenbiirger der Stadt Hamm. Aber seltsam genug! Die-
selbe Stadt, welche sich selbst durch die Ernennung dieses seltenen Mannes zum
Ehrenbiirger ehrte, verweigerte aus kleinlichen, iiberaus angstlichen Erwa-
gungen den Platz zu einem Denkmale fur ihn. Als ob es eines Denkmals aus
Stein fur diesen Mann bediirfte, der sich in den Herzen der Besten seines Vol-
kes ein unverganglicb.es Denkmal gesetzt hat. ,, Nicht ein toter Stein, sondern
die lebendige Arbeit in seinem Geiste ist ein wiirdiges Denkmal fur ihn." Mit
vollem Rechte gilt von Dr. Falk das Dichterwort: ,,Wer den Besten seiner Zeit
genug gethan, der hat gelebt fur alle Zeiten."
II. Die Versammlungen der N. E. A. zu Charleston, 5. C.
(Fur die Padagogi«chen Monatshefte.)
Von Paul Gerisch, Milwaukee, Wis.
II.
Das National Council ist das vornehmste Department der N. E. A. Seine
Starke liegt nicht in der Zahl, denn nur 32 Mitglieder antworteten diesmal dem
Namensaufruf, aber zu ihm gehoren die Gelehrtesten unter den Padagogen, und
mancher treffliche Gedanke mag in seinen Beratungen geboren werden.
Prof. Aaron Gove aus Denver, Col., eine bekannte Figur auf den Konven-
tionen der N. E. A., spfach iiber ..Die Erziehung in unseren neuen Besitzungen."
Herr Gove bewies durch Beispiele, wie ausserst stark in den Vereinigten Staaten
der Widerwille gegen alles sei, was wie Paternalismus aussetie. Es gabe bei
122 P'ddagogische Monatshefte.
uns kein einheitliches System der Erziehung, jeder Staat habe in diesem Punkte
seine eigenen Theorieen. Dann zeigte er, wie die Bundesregierung durch die
Ubernahme der Post Wirkungen von grossem Nutzen hervorgebracht habe, was
von einem so bunten Durcheinander, das entstehen wiirde, wenn man die vielen
Schulsysteme in den Vereinigten Staaten nebeneinander stelle, kaum moglich
gewesen ware. Alle seine Argumente deuteten klar auf ein nationales Erzie-
hungssystem bin, von dem er meinte, dass es, friiher oder spater, doch kommen
wiirde. Fur augenblickliche Bediirfnisse schlug er eine nationale Erziehungs-
Kommission, deren President der mitanwesende Dr. Harris sein solle, vor, um
die Aufgaben der Volkserziebung in den neuen Kolonieen sofort in Angriff zu
nehmen. Fiir diese Arbeit verlangt er, anfangs wenigstens, die Hiilfe des
Kriegsministers. In fiinf Jahren wiirde dann, dessen sei er sicher, auf der gan-
zen Welt nichts Ahnliches zu scbauen sein, wie das Erziehungssystem der Ver-
einigten Staaten. Die Massregel, dass die drei Kommissare, die nach Porto Rico
geschickt worden sind, um die Gesetze zu revidieren, sich, so nebenbei, auch ein-
mal nach den Schulen umsehen sollen, ist nicht nach dem Geschmack des Herrn
Gove. Er machte sich fiber den kiirzlichen Senatsbericht iiber die Schulen von
Washington, D. C., lustig, und meinte, politische Rate seien kaum geeignet, den
neuen Besitzungen die beste Bildungsgelegenheit zu geberi.
Bei der Debatte iiber den Vortrag ist Dr. W. T. Harris, der Erziehungskom-
missar der Vereinigten Staaten, aus Washington, D. C., nicht zugunsten eines
Volksschulsystems, wie es z. B. in Frankreich und in Deutschland in Kraft ist.
Die Schulen der Vereinigten Staaten seien aus verschiedenen Griinden besser
als diejenigen der genannten fremden Lander. In unserem Lande wiirden die
Menschen nicht von Offizieren regiert, sondern von der offentlichen Meinung,
und das Kriegsdepartement konne niemals dazu benutzt werden, Schulgesetze
durchzufiihren. Nach Deweys grossem Manilasieg habe er Hunderte von Brie-
fen von Lehrern erhalten, die alle nach Manila gehen wollten. Er habe ihnen
gesagt, sie mochten warten. Aber wohin auch immer die Armee gehe, die
Schule folge. Es sei gesagt worden, dass man aus den Reihen eines deutschen
Regiments eine Universitat bilden konne. Das konne man beinahe von einem
Regimente der Ver. Staaten auch sagen.
Prof. E. E. White aus Columbus, O., halt nicht sehr viel von dem fran-
zosischen und dem deutschen Volksschulwesen. Diese Systeme zielten dahin,
nicht die besten Menscben, sondern die gefiigigsten Unterthanen zu erziehen.
Wenn das Volk in den neuen Besitzungen English lesen und schreiben lerne,
dann befinde es sich auf dem sichersten Wege zu einer besseren Zivilisation.
Dr. Nicholas Murray Butler aus N5w York, N. Y., sagte, die Aufgabe der
Regierung sei, den Schulen zu helfen, sie zu ermutigen, aber nicht, die Aufsicht
zu fiihren. Das Volk wolle keine Xnderung in dieser Sache. Col. Parker aus
Chicago wollte nichts von einem Unterricht mit vorgestrecktem Bayonett
wissen.
Dr. Harris hielt darauf einen freien Vortrag iiber ,,Klassifizierung und
Versetzung in den Elementarschulen". Die Ausfiihmngen waren ein Argument
zu gunsten des Aufriickens der Schiller in dem Masse, wie die Fortschritte es
ermoglichen.
Dr. J. M. Greenwood aus Kansas City, Mo., sprach iiber ,,Hochschul-Sta-
tistik". Seit einigen Jahren hat Herr Greenwood an einer Statistik gearbeitet»
die zeigen soil, warum ein grosser Prozentsatz der Hochschiiler Im ersten Jahre
abfallt. Man glaube jetzt allgemein, dass so viele Schiiler die Hochschule im
ersten Jahre aus dem Grunde verlassen, weil sie mancher obligatorischen
Facher, namentlich Latein und Algebra, iiberdriissig wiirden. Da habe man
Versammlungen der N. E. A. 123
nun behauptet, dass die Jungen langer in der Hochschule bleiben wiirden, wenn
man jene Facher fakultativ mache. Das sei an manchen Orten geschehen, mit
fraglichem Resultate, denn die Ursachen des Austritts seien sehr mannigfal-
tige. Herr G. schickte Formulare an sechzig der grosseren Stadte des Landes;
ausgel'iillt zuriickgeschickt wurden die Formulare nur von Portland, O.; To-
peka, Kan.; Boys' H. S., New York City; Providence, R. I.; Cambridge, Mass.;
Denver, Col.; Springfield, Mass.; Pittsburgh, Pa.; Louisville, Ky.; West Divi-
sion H. S., Chicago, 111.; Newark, N. J.; Milwaukee, Wis. (drei Schulen);
Paterson, N. J.; Girls' H. S., Brooklyn; Scran ton, Pa. Der Statistiker kommt
vorlaufig zu folgenden Schliissen:
B r s t e n s : Die jiingeren Kinder, die den Lehrgang in den Gramma-
tikschulen vollenden und dann in die Hochschule eintreten, stellen den klein-
sten Prozentsatz zu den Durchgefallenen und Ausgetretenen.
Zweitens : Die alteren Schiiler fallen am ehesten durch Oder verlassen
wahrend des ersten Jahres die Hochschule.
Drittens: In der Mathematik fallt die grossere Anzahl 3er Schiiler
durch, dann in englischer Sprache, drittens in den alten und neueren Sprachen,
viert'ens in den Naturwissenschaften, und fiinftens in Geschichte. In zwei
Fachern kann die Arbeit des Schiilers genauer gemessen werden, in Mathematik
und in den Sprachen, wahrend die andern Facher eine ausgezeichnete Gele-
genheit bieten, das Nichtwissen zu verbergen.
Viertens : Bei einem siebenjahrigen Lehrgang treten von einem
Drittel bis zu einer Halfte mehr Schiller in die Hochschule ein als wenn der
Kursus der der Hochschule vorhergegangenen Schule acht Oder neun Jahre
betragt, und die Schiiler sind ebenso gut fur den Eintritt in "die Hochschule
vorbereitet, wenn das Aufnahmealter in die Volksschule nicEt unter sechs
Jahren ist.
Fiinftens : Wenn der Schiiler in dem ersten und zweiten Jahre in der
Hochschule verbleibt, dann sind die Aussichten fur seine Beendigung des gan-
zen Hochschulkursus giinstiger.
Wer sich fur die Zahlen des Herrn Greenwood besonders interessiert, moge
sich direkt an ihn wenden.
Den Bericht iiber ,,Fortschritte auf dem Gebiete der Erziehung im ver-
gangenen Jahre", der bei jeder Tagung der N. E. A. auf dem Programm des
National Council steht, hatte diesmal Dr. B. A. Hinsdale aus Ann Arbor, Mich.,
iibernommen.
Dr. H. wies eingangs auf die Vorgange in der Volksschule im allgemeinen
bin. Die wichtigste Massregel sei die arztliche Untersuchung der Schulkinder
in New York, Chicago und andern Stadten, welcher Fortschritt der , .child
study"-Bewegung zu verdanken sei. Versuche, den Schulrat der Stadt Boston
zu reformieren, seien fehlgeschlagen; die Bemiihungen, die Schuladministra-
tion des Staates New York einheitlich zu gestalten, seien in die Briiche ge-
gangen; in Indianapolis sei mit einem neuen System von Schuladministration
gliicklich der Anfang gemacht worden.
Auf dem Gebiete des Elementarunterrichts sei nichts Wichtiges, desto
mehr dagegen iiber die Hochschulen und Universitaten zu berichten. Der Be-
richt des Komites iiber ,,College Entrance Requirements" sei iiberall eifrigst
besprochen und gesetzliche Massregeln seien mit Bezug auf den in diesem
Bericht erorterten Gegenstand erlassen worden. Der Schulrat von Chicago
habe einen Studienplan in Ubereinstimmung mit den Empfehlungen jenes Ko-
mites angenommen, wahrend die Colleges und Universitaten der Mittelstaaten
und Marylands sich verbunden batten, um die Priifungsfragen fur den Ein-
tritt in ihre hoheren Schulanstalten einheitlich zu gestalten.
124 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Wichtige Thatsachen seien auch zu berichten, soweit die hoheren Schul-
anstalten allein in Betracht kamen. Die ..Association of American Univer-
sities" habe auf einer in Chicago abgehaltenen Versammlung beraten, welcher
Unterschied zwischen dem Pensum fur Studenten, die nur einen regelmassi-
gen Kursus absolvierten, und dem Pensum fiir solche, die nach der Erlangung
eines bestimmten Grades strebten, zu machen sei; das im Jahre 1898 vom
Council ernannte zustehende Komite habe sich fiir dia Griindung einer allge-
meinen Landesuniversitat, vorausgesetzt, dass sie nicht vom Kongress ins Le-
ben gerufen und kontrolliert werde, ausgesprochen; die Columbia Universitat
beabsichtige, die Anfangsgriinde im Latein zu lehren, um auch solche Studen-
ten, die von Hochschulen kommen, in denen kein Latin gelehrt wird, aufneh-
men zu konnen.
Unter den im Laufe des Jahres erschienenen Biichern sei Dr. Butlers
..Monographs on Education in the United States" das hervorragendste Werk.
tiber das Ausland sagte er, dass in England das neue Erziehungs-De-
partement teilweise organisiert worden 'und der Fortschritl soweit gediehen.
sei, um das neue Lehrerseminar (teaching university) fiir die Stadt London
leistungsfahig zu machen; in Deutschland sei etwas Fortschritt in der Rich-
tung zu verzeichnen, dass man den Frauen gestatle, in hohere Unterrichts-
anstalten einzutreten, und die preussische Regierung habe der Berliner Tech-
nischen Hochschule die Machtbefugnis erteilt, den philosophischen Doktor-
grad zu gewahren.
Am Schlusse warf Herr Dr. Hinsdale auch einen Riickblick auf das, was
im vergangenen Jahrhundert auf erzieherischem Gebiete in Deutschland,
Frankreich, England und den Vereinigten Staaten vor sich gegangen ist» In
einigen der grosseren Staaten Deutschlands, wo der Sporn, den die Reforma-
tion der Erziehung gegeben, niemals vollstandig verloren gegangen, seien
die grossen Umrisse der staatlichen Unterrichtssysteme im Jahre 1801 deutlich
wahrzunehmen. In diesen Staaten habe es Elementarschulen gegeben, um die
Kinder des ganzen Volkes unterrichten zu konnen, doch diese Schulen seien
im allgemeinen von geringem Werte gewesen, Schulzwang, von Luther
empfohlen und friihzeitig von einigen kleineren Staaten angenommen, sei dann
von Friedrich dem Grossen fiir sein K6nigreich Preussen endgiiltig eingefuhrt
worden. Lehrerseminare, die bis 1704 zuriickreichten, seien von demselben auf-
geklarten Monarchen gepflegt worden. Die Gymnasien hatten sich immer noch
in den traditionellen Geleisen bewegt, aber der Pietist Francke und seine Schil-
ler hatten schon vor der Mitte des vorhergegangenen Jahrhunderts die Realien
erfolgreich in die Schulen eingefuhrt und auf diese Weise die Bahn geebnet
fiir jene Art von Unterricht und geistige Schulung, die in Deutschland von den
Realschulen, den Realgymnasien und den technischen Hochschulen geboten
werde. Ausserdem habe diese Bewegung mit der Zeit zu wichtigen Anderun-
gen in den Elementarschulen und in den Gymnasien und zur Aufnahme von
solchen Studenten in die Universitaten gefuhrt, die eine rein moderne Vorbil-
dung genossen. Die Universitaten selbst, von dem Zwang der Kirche befreit,
hatten sich endlich, Halle voran, die philosophische Freiheit errungen. Das
allgemeine Landrecht, von der preussischen Regierung erlassen, habe erklart:
,,Schulen und Universitaten sind Staatsanstalten, die den Unterricht der Ju-
gend in niitzlichen Dingen und in wissenschaftlichen Kenntnissen zur Auf-
gabe haben. Solcher Unterricht kann nur mit Wissen und Zustimmung des
Staates eingerichtet werden. Alle Volksschulen und Erziehungsanstalten ste-
hen unter der Aufsicht des Staates und sind zu jeder- Zeit der Priifung und
Besichtigung unterworfen," Zur Zeit sei diese Verordnung nicht mehr wert
Versammlungen der N. E. A. 125
gewesen als das Papier, auf das sie gescErieben, aber sie sei niemals wider-
rufen und schliesslich eine lebendige Wirklichkeit geworden.
Zur moralischen Seite des Gegenstandes iibergehend, sagte Dr. Hinsdale,
Kant habe seine Thatigkeit bereits zu Ende gefiihrt gehabt, obgleich seine
Vortrage uber Padagog'ik" nicht vor 1S03 veroffentlicht worden seien. Pesta-
lozzi, zur Zeit in Burgdorf, habe, 1781 — 87, ,,Lienhard und Gertrud" verfasst
und habe so seinen Lesern, die ungliicklicher Weise noch gering an Zahl ge-
wesen seien, die reine, liebliche Erscheinung von Bonnal entschleiert. Hegel,
1770 geboren, sei gerade daran gewesen, sich bemerkbar zu machen. Frobel,
damals 18 Jahre alt, ha&i seine Ausbildung zum Lehrer nocE in Frankfurt zu
erhalten gehabt und habe noch zu Pestalozzi in die Schule gehen miissen, ehe
er seine Schrift uber ,,Menschenerziehung", 1816 erschienen, habe schreiben
konnen. Herbart, sechs Jahre alter als Frobel, sei gerade dabei gewesen, seine
akademische und padagogische Laufbahn zu beginnen. Das Erwachen Preus-
sens aus politischer und sittlicher Erstarrung, durch Stein und seine Mitar-
beiter bewerkstelligt, habe noch in der Zeiten Schosse gelegen, noch in der
Zukunft die Niederlage von Jena und der Frieden zu Tilsit. Noch sieben Jahre
habe es gedauert, bis Fichtes ,,Reden an die deutshe Nation" erschienen seien,
und noch neun Jahre, bis die Universitat Berlin gegriindet worden sei.
Man ersehe daraus, dass, obgleich in Deutschland damals viel gethan
worden war, noch viel zu thun iibri'g geblieben sei. Das ganze System der
Volkserziehung habe umgearbeitet und erweitert und das Volk zur Anerken-
nung des Wertes dieses Systems aufgeriittelt werden mussen. Wie hartnackig
der Konservatismus das Feld behauptet habe, zeige teilweise die Thatsache,
dass in Preussen das Realgymnasium bis zum Jahre 1859 nicht vollstandig
eingerichtet gewesen sei, und die Realgymnasiasten bis zum JaKre 1870 an den
Universitaten nicht zugelassen worden seien.
Gerne mochten wir, erlaubte es der Raum, hier noch anfiihren, wie am
Anfange des Jahrhunderts Frankreich und England im Spiegel der Betrach-
tungen des Herrn Dr. Hinsdale angesehen haben. Aber was fur ein Gesicht
Amerika zur selben Zeit gezeigt und was unser Land seitdem errungen hat,
dariiber mussen wir notwendigerweise noch einige Bruchstiicke aus den Aus-
fiihrungen des Referenten mitteilen.
In den Vereinigten Staalen sei der Gegensatz zwischen dem Anfange und
dem Ende des Jahrhunderts, alles in allem genommen, auffalliger als in alien
Landern. Soweit die Quantitat in Betracht komme, habe die Erziehung mit
dem Wachstum des Landes sicherlich mehr als Schritt gehalten, wahrend die
Qualitat nicht zunickgeblieben sei. Im Jahre 1801 natten eine Anzahl Staaten
den Schulen eine Stelle in ihren Verfassungen eingeraumt. Connecticut habe
einen allgemeinen Schulfonds gegriindet, und andere Staaten seien seinem
Beispiele gefolgt. Die Bundesregierung habe die ersten Schritte zu der Mass-
regel gethan, die dahin gefiihrt, die Schulen mit einem Kapital von $300,000,000
zu unterstiitzen. Im Jahre 1787 sei in New York eine Staatsuniversitat ge-
griindet worden. 1801 seien dreiundzwanzig Colleges im Lande gewesen, die
alle, neun ausgenommen, seit 1775 gegriindet worden seien. Obgleich wir jetzt
mehr als vierhundert Colleges westlich und siidlich vom Hudsonstrome Batten,
seien damals nicht einmal die Anfange eines staatlichen Schulsystems vorhan-
den gewesen, wahrend die vielgeriihmten Schulsysteme Neuenglands nur un-
vollkommen entwickelt und verhaltnismassig wirkungslos gewesen seien. Die
paar Grammatikschulen in Neuengland nicht gerechnet, habe es im Lande
keine Volks-Hochschulen gegeben, wahrend wir deren jetzt mehr als fiinf-
tausend hatten. Nur wenige der Staatsregierungen hatten etwas fur den Ele-
126 PUdagogiscbe Monatsbefte.
mentarunterricht gethan gehabt. Erst vor sechsunddreissig Jahren habe es
zum ersten Male einen Staals-Schulrat, einen Staats-Schulsekretar, und einen
Stadt-Schulsuperintendent gegeben, und die erste Staats-Normalschule erst vor
achtunddreissig Jahren! Horace Mann, vier Jahre alt, habe gerade angefangen
gehabt, in seiner Vaterstadt Franklin, Mass., das Strohflechten zu erlernen,
wahrend Henry Barnard nicht vor 1811 geboren worden sei. Noch mehr als
zwanzig Jahre batten vergehen miissen, ehe George Ticknor auf wichtige Re-
formen im Harvard College gedrungen, ehe Thomas Jefferson die Universitat
Virginien gegriindet.
Nachdem Dr. Hinsdale noch darauf hingewiesen, wie selbst in den gebil-
detsten Landern die Erziehung der Frau auf das schmachvollste vernachlassigt
werde, wahrend in diesem Lande in dieser Richtung soviel geschehe, sagte er
am Schlusse seines Vortrages folgende Worte: ,,Die Erziehung ist uberall eine
Sache des Staates geworden, das heisst, sie ist in die einzigen Hande gelegt
worden, die imstande sind, das Volk zu erziehen. Die Staatsmanner sind da-
rauf angewiesen, mit dem Gegenstande zu rechnen, und Konige befiirworten
ihn in Reden vom Throne. Die grossen gebildeten Staaten verwilligen fur
Volkserziehung soviel, oder mehr, als fur die Armee und Flotte. Die Aus-
gaben Deutschlands, Frankreichs, Grossbritanniens, und der Vereinigten Staaten
belaufen sich in einem einzigen Jahre auf $460,000,000. Am Ende des Jahrhun-
derts zahlte man in den Vereinigten Staaten 45,000 Volksschulen mit 15,700,000
Kindern und 418,000 Volksschullehrern. Die Ausgaben fur Volkserziehung be-
liefen sich auf $203,000,000."
Dr. Harper aus Chicago ist Vorsitzender eines Ausschusses von fiinfzehn
Mitgliedern, der fiber die Ratsamkeit der Errichtung einer allgemeinen Landes-
universitat in der Bundeshauptstadt berichten sollte. Da der Ausschuss seine
Arbeiten noch nicht beendet hat, so stattete Herr Harper einen vorlaufigen
personlichen Bericht ab, in dem er mitteilte, dass der Ausschuss sich fast ein-
mutig gegen eine Universitat mit besonderer Verwaltung und der Machtbefug-
nis, akademische Grade zu erteilen, ausgesprochen habe, dass er aber noch
nicht sagen konne, ob sein Ausschuss sich zugunsten eines Planes entscheiden
werde, der Wissbegierigen ermogliche, der Vorteile eines Studiums im Smith-
sonian Institute, in der Kongressbibliothek, etc., teilhaftig zu werden.
Der neue Superintendent der Cincinnatier Schulen, ein Herr R. G. Boone,
redete in einem langen Vortrage einer allgemeineren Bildung als Bestandteil der
Erziehung zum Lehrer das Wort. Unter allgemeiner Bildung will er jedoch
nicht gerade mehr akademische Vorbildung verstanden wissen, sondern nur
die Fahigkeit des richtigen Denkens, die Kenntnis der Vo'rgange, die sich auf
da& Wachstum der Person und der Rasse beziehen, und die Geschicklichkeit
in der Anwendung dieser Vorgange.
Der neue Prasident des National Council ist Charles M. Jordan in Min-
neapolis. Minn.
Wahrend das Council seine Sitzungen abhielt, tagten gerade noch sech-
zehn andere Abteilungen der N. E. A. in den verschiedensten Raumen. Da
aber mit dem Erscheinen dieser Nummer der ,,P. M." auch der Bericht der
Charlestoner Tagung der N. E. A. im Buchhandel zu haben sein wird, so iiber-
lassen wir es dem Leser, zu seiner eigenen Belehrung und Erbauung das Bessere
von dem Wertlosen in diesem Berichte zu trennen, soweit die Fiille des Ge-
sprochenen in den Abteilungen der N. E. A. fur Kindergarten, Elementarun-
terricht, Hochschulen, hohere Schulen, Normalschulen, Handfertigkeit, Kunst,
Musik, HandelsscBulen, Child Study, Naturwissenschaften, Schulverwaltung,
Bibliothek, Schwachsinnige und Indianererziehung in Betracht kommt
Korrespo nden^en .
127
Fiir die richtige Ausbildung des Korpers hat man in diesem Lande noch
inimer kein Verstandnis. Auch auf den Tagungen der N. E. A. 1st die Ab-
teilung fur korperliche Erziehung noch nicht heimisch geworden. Diesmal
stand zwar wiederum die betreftende Abteilung mit auf dem Programm, aber
weder die Beamten noch die angekiindigten Redner waren erschienen,
Das Exekutivkomite der N. E. A. macht nunmehr bekannt, dass es als
nachsten Versammlungsort Detroit, Mich., und als Zeit die Tage vom 8. bis
zum 12. Juli gewahlt hat.
III. Korrespondenzen.
(Fttr die Padagogischen Monatshefte.)
Cincinnati.
Die ,,K6nigin des Westens" steht ge-
genwartig mitten im Zeichen einer
keulenden ,,F a u s t" - A u f f ii h -
rung zur teilweisen Deckung unse-
res finseligen Sangerfest-Defizits. Da
diese ,,Auffuhrung" (ob ,,Sein oder
Nichtsein") unser ganzes Interesse in
Anspruch nimmt und alle anderen
Fragen und Angelegenheiten, sogar
schulmeisterliche, in den Hintergrund
drangt, so miissen die werten Leser
dieses Mai mit einer trockenen Be-
richterstattung iiber Lehrerversamm-
lungen vorlieb nehmen.
In der Sitzung des Oberlehrer-
v e r e i n s, die am Donnerstag, den
31. Januar stattfand, unterbreitete das
aus den Herren Meyder, von Wahlde,
Sutterer und Tackenberg bestehende
Komitee seinen Bericht iiber das Buch
,,Deutsche Geschichten fiir deutscha-
merikanische Schulen und Familien".
Das Werk, das Herrn Constantin
Grebner von hier zum Verfasser hat,
wird ungefahr 275 Seiten stark wer-
den und soil bereits Ende dieses
Schuljahres zum Preis von 85 Cents im
Druck erscheinen, vorausgesetzt, dass
in nachster Zeit eine geniigende An-
zahl Abonnenten gesichert wird. Die
Debatte iiber den empfehlenden Be-
richt, der entgegengenommen wurde,
ist auf die nachste Sitzung verschoben
worden, wozu der Verfasser eingela-
den werden soil, um iiber verschiedene
Punkte naheren Aufschluss zu geben.
Den Schluss der Versammlung bil-
dete ein Vortrag des Herrn J. Fuchs
tiber ,,Erziehliche Errungenschaften
der letzten Jahrzehnte". (Das Manu-
skript des Vortrages befindet sich be-
reits in unseren Handen und soil in
einer der nachsten Hefte zum Ab-
druck gelangen. D. E.)
Die Versammlung des Deutschen
Lehrervereins, die am Sams-
tag Nachmittag, den 3. Februar, in
der 6. Distrikt-Schule abgehalten wur-
de, war erfreulicher Weise sehr stark
besucht. Zur Eroffnung sang der Ge-
mischte Lehrerchor ,,Die Kapelle" von
Kreutzer, worauf Heir Oberlehrer
Aloys Schultz einen kurzen aber in-
haltreichen Vortrag hielt iiber ,,Wech-
selbeziehung der Lehrgegenstande
im amerikanischen Elementarunter-
richt".
Bei Erledigung aes geschaftlichen
Teiles erlangte das ixomitee, welches
iiber Wiedererweckung des Ohio Leh-
rervereins berichten sollte, \veitere
Frist. Als neue Mitglieder wurden
aufgenommen: Herr Constantin Greb-
ner von der Elmwood-Schule und Frl.
Louise Lamarre von der 26. Distrikt-
Schule. Herr Schwaab, der ebenfalls
anwesend war, teilte auf eine Inter-
pellation hin mit, dass das deutsche
Departement bei den sogenannten
halbjahrlichen Versetzungen keine
Kiicksicht auf diese Neuerung zu neh-
men brauche, da diese Versetzungen
im deutschen Unterricht oft zu ein-
schneidende Storungen verursachen
wurden.
Zum Schluss erfreute der Lehrer-
Gesangchor die Versammelten mit
dem flott vorgetragenen Walzerlied,
,,Ach, ein Walzer ist mein Leben", das
der Dirigent Wm. Schafer fiir ge-
mischten Chor eingerichtet und dem
Lehrergesangchor gewidmet hat. Frl.
Henrietta Doll lieferte dazu die Piano-
begleitung mit viblicher Meisterschaf t.
E. K.
Milwaukee.
Im vergangenen Schuljahre hat un-
ser Gesundheitsamt die Untersu-
chung des Seh- und Horvennogens
der Schulkinder angeregt, und im
Friihjahr wurden auch in alien Schu-
len Untersuchungen angestellt.
Dr. F. M. Schulz, Commissioner of
Health, hat nun das Ergebnis der
128
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Untersuchungen berichtet. Der Be-
richt umfasst 42 Schulen. Die Ge-
samtzahl der Kinder, die untersucht
wurden, betrug 19,618; von diesen be-
sitzen 5,789, also 29.5%, kein normales
Sen- oder Horvermogen. 5,055 Schii-
ler, 25.75%, haben ein geschwachtes
Sehvermogen. 1,419 Schiller, 7.25%,
sind schwerhorig. 609 Kinder, 3.1%,
litten an erschwerter Nasenatmung.
Unser Gesundheitsamt hat sich
iiberhaupt mehr mit unseren Schulen
befasst, als das friiher der Fall war.
Es giebt auch heute noch Leute, die
von einer arztlichen Inspektion der
Schulen nichts halten. Die Stadte
New York, Boston, Philadelphia, Chi-
cago und Detroit haben aber die
Wichtigkeit dieser Beaufsichtigung
eingesehen und dieselbe eingefiihrt.
Vom Januar bis Juni 1900 haben
sich unsere Schulen oereits aer Schul-
arzte zu erfreuen gehabt. Der Not
gehorchend, nicht dem eignen Trieb,
ernannte der Commissioner Dr. Schulz
ini Januar 7 Arzte, welche mit den
5 regularen Arzten des Gesundheits-
amtes taglich die Schulen zu besu-
chen hatten. Verschiedene anstek-
kende Kinderkrankheiten traten so
allgemein auf und verbreiteten sich
trotz aller Vorsicht, dass dieser
Schritt notwendig wurde.
In diesem Schuljahr ist die arztli-
che Beaufsichtigung der Schulen
nicht wieder aufgenommen worden.
Es fehlen vorlaufig die Mittel dazu.
Vom 26. — 29. Dezember tagte hier
die Wisconsin Teachers' Association,
bber 1300 Mitglieder wohnten den
Versammlungen bei.
In der Dezembersitzung des V. D.
L. las Herr A. Warnecke von der 9.
Dist.-Schule eine Abhandlung nber
das Buch: Wie denkt das Volk iiber
die Sprache? aus der ,,Schweizeri-
schen Lehrerzeitung" vor. Herr Dr.
W. Rahn, 2. Dist.-Schule, hielt einen
Vortrag liber das 1-iema: Wie kann
der Lehrer der deutschen Sprache den
Unterricht in den anderen Fachern in
seinen Kreis ziehen? An den Vortrag1
schloss sich eine langere Debatte.
Die Januarversammlung des V. D.
L. fand am 21. Januar statt. Dieselbe
war sehr gut besucht. Die Versamm-
lung wurde ptinktlich eroffnet, und.
trotz der friihen Stunde — % nach 4
Uhr — waren die Mitglieder piinktlich
erschienen.
Die Orthographie-Frage bildete das
Thema. So lange unsere sogenannten
,,O r t h o graphien" das sind, was sie
sind, namlich ,,K a k o graphien" d. h.
Schlecht schreibungen, wird der
Unterricht in diesem Fache, im Engli-
schen wie im Deutschen, ein Lehrer-
und Schiilerkreuz bleiben. Im Eng-
lischen vollzieht sich jetzt ein Um-
suhwung. Wer hatte vor 10 Jahren
geglaubt, dass Zeitschriften wie die
"Educational lleview" von Newr York
"tho, altho, catalog, program" u. s. w.
schreiben wurden.
Drei Fragen dienleuals Grundlage
der Besprechung. Drei Lehrerinnen
beantworteten die Frage: Wie berei-
tet man ein Diktat vor? Es wurde
ganz richtig hervorgehoben, dass kla-
re und deutliche Aussprache seitens
des Lehrers und der Schiller, sowie
langsames, silbenweises Sprechen und
Schreiben der schwierigeren Worter
zur Vorbereitung gehoren.
Bei der Besprechung der dritten
Frage: Wie korrigiert und zensiert
man das Diktat? stellte es sich her-
aus, dass ein grosser Meinungsunter-
schied herrscht. Einige der Lehrer
ziehen fiir jeden orthographischen
Fehler zwei ab, so dass ein Diktat, in
dem 10 Fehler vorkommen, mit 80
zensiert wird; andere ziehen 5 ab, so
dass die Zensur in obigem Falle mit
50 bezeichnet werden miisste. Herr
Dapprich verwarf in scharfer VVeise
jede in Prozenten ausgedriickte Zen-
sur. Die amerikanischen Lehrer kon-
nen aber nicht ohne diese Einrichtung
t'ertig werden, denn am Ende eines
Monats muss man ebenfalls dem Schil-
ler eine in Zahlen ausgedriickte Zen-
sur geben.
Herr Abrams vertrat die Ansicht,
dass die Fehler nicht gleich behandelt
werden sollen. Wenn Schiller statt
Pferd — ,,Pfert, pfert, fert, fart" -
schreiben, so solle man dem ersten
zwei, dem zweiten vier u. s. w. abzie-
hen. Die Gerechtigkeit dieses Zen-
sierens wurde anerkannt, doch dass
ein solcher Modus zu viel Zeit in An-
spruch nehme. Auch wurde sehr
richtig hervorgehoben, dass dem
Schiller, der ,,Pfert" schreibt, ein Lob
fiir seine Aufmerksamkeit gebiihrt,
sowie fiir die Befolgung des Grund-
satzes: Schreibe, wie du richtig
sprichst. Um %6 Uhr trat Verta-
gung ein. J. E.
Das Lehrerseminar. Das
Xationale Deutschamerikanische Leh-
rerseminar beendigte den Herbstter-
min seines 23. Jahreskursus am 22.
Dezember 1900. Die Arbeit war wah-
rend dieses Trimesters von den Schu-
lern der Anstalt mit lobenswertem
Fleisse gethan worden; daher laute-
Korresponden^en.
129
ten. die Zeugnisse auch fast durch-
weg befriedigend.
Die Weihnachtsfeier, welche am
Nachmittag des letzten Schultages in
der Halle des Turnerbundes abgehal-
ten wurde, war von vielen Freunden
der Anstalt besucht worden; die Ge-
sange und Deklamationen der Schil-
ler fanden reichen Beifall. Nach
Schluss des Programias bewirtete der
Frauenverein die Schiiler von Seminar
und Akademie in der Singhalle der
Schule.
An der Jahresversammlung der
Lehrer des Staates Wisconsin betei-
ligte sich die Anstalt durch eine Aus-
stellung der Erzeugnisse ihres Hand-
fertigkeitsunterrichtes. Die Arbeiten
wurden von den Besuchern ausserst
giinstig beurteilt, und die Vorsitzerin
der Abteilung, Frau I. F. Eimermann,
dankte uns brieflich fiir die Mitwir-
kung. Sie sagt in diesem Brief e:
"Your addition to the exhibit was a
splendid work of art; many teachers
admired it and asked me about your
school. I feel that your work is a
great help to many teachers."
Der Vorort des Nordamerikanischen
Turnerbundes teilte dem Ortsaus-
schuss mit, dass er bereit sei, die
Halfte der Unkosten fiir den Betrieb
des Turnunterrichts in der gemeinsa-
men Anstalt fiir das Schuljahr 1900/
1901 zu tragen, und der Ortsausschuss
nahm dieses Anerbieten mit Dank an.
Wir hoffen, dass im nachsten Jahre
das Turnlehrerseminar aufs neue in
Thatigkeit tritt, da nach tiichtigen
Turnlehrern in Schulen grosse Nach-
frage sich ergiebt.
Da die Ausgaben des Seminars im
Laufe des gegenwartigen Schuljahres
die Einnahmen um mindestens 1000
Dollars iibersteigen, so erliess das
Lehrerkomitee einen Aufruf an die
Abiturienten der Anstalt um Beitrage
und bat besonders diejenigen unserer
Zoglinge, welche friiher Zuschiisse
aus der Seminarkasse erhalten haben,
um promptere Riickzahlung. Dieser
Aufruf hat bereits nahezu $200 in die
Seminarkasse gebracht, und wir hof-
fen, dass alle dieser Mahnung Folge
leisten werden.
Am dritten Marz findet eine Vorstel-
lung zum Besten des Seminars in dem
Pabsttheater statt und es steht zu er-
warten, dass wir bei dieser Gelegen-
heit ein voiles Haus haben werden.
Der President des Seminars, Dr.
Louis Frank, wurde ennachtigt, ein
Bild des verstorbenen Vorsitz^rs,
Prof. Rosenstengel, von Herrn Photo-
graphen Stein anfertigen zu lassen,
welches im Sitzungszimmer der Be-
horde neben dem des Herrn Frank-
furth seinen Platz finden wird.
Der Musterschule des Seminars
wurde zu Weihnachten von der Firma
Uihlein Bros, ein liberales Geschenk
zu teil; der Sekretar der Schlitz Brew-
ing Co. schickte an den Direktor der
Deutsch-Englischen Akademie eine
Anweisung auf 1000 Dollars. Eine
gleiche Summe hatte die Firma an die
hiesige Madchenschule, Milwaukee
Downer College, geschickt. Keine an-
dere Brauerfirma dieser Stadt hat fiir
erziehliche Bestrebungen ein so war-
mes Herz und eine so offene Hand.
Im Laufe des Friihjahrs feierb die
Akademie das Fest ihres fiinfzigjahri-
gen Bestehens; wahrend dieser Ian-
gen Zeit haben Tausende von tiichti-
gen Mannern und Frauen den Segen
ihrer Thatigkeit genossen, und das
Festkomitee wird sich Miihe geben,
die Feier so wiirdig als moglich zu ge-
stalten.
Eine dem Seminar giinstige Ent-
scheidung traf vor einigen Tagen das
Obergericht des Staates Massachu-
setts. Die Erben des im Anfang vori-
gen Jahres verstorbenen Geo. A.Sam-
met zu Boston hatten dessen Testa-
ment angefochten, in welchem neben
anderen Anstalten auch dem Lehrer-
seminar ein Legat von $10,000 ausge-
worfen worden war. Durch die Ent-
scheidung des Obergerichts sind die
Klager abgewiesen, und dem Seminar
ist dieser Zuwachs zu seinem Stamm-
kapitel gesichert. E. D.
New York.
Verein deutscher Lehrer
Ton New York und Umge-
g e n d. Laut eines Beschlusses der
Dezemberversammlung wurde in der
ersten Sitzung des neuen Jahres eine
festere Organisation ' vorgenommen,
welche folgendes Aiesultat hatte. Als
President vv^urde einstimmig Herr Dr.
C. F. Kayser, New York, und als Vice-
prasident Herr Hermann von der
Heide, Newark, N. J., erw^ahlt. Dr. A.
Kern, Jamaica, L. I., wurde als proto-
kollierender Sekretar, und E. Mueller,
Carlstadt, N. J., als Schatzmeister und
korrespondierender Sekretar erwahlt.
Die Herren Dr. A. Remy, New York,
Dr. R. Mezger, Newark, N. J., un<f
Dr. O. Weineck, New York, wurdefc
130
P'ddagogiscbe Monatshefte.
gewahlt, um in Verbindung mit dem
Vorstande f iir das Programm einer je-
den Versammlung Sorge zu tragen.
Der Mitgliedsbeitrag wurde auf 25c
pro Jahr festgesetzt. Die Sitzungen
finden am ersten Sonnabend des Mo-
nats, nachmittags 3 Uhr, bei Herrn
Allaire, 192 Third Ave., New York,
statt. E. M.
Saginaw.
Die eine Lehrerversammlung be-
schaftigt sich mit der Frage: Sollte
Grammatik gelehrt werden? Die an-
dere stellt die Frage: 1st Anschau-
ungsunterricht wiinschenswert? Die
dritte fragt: 1st das ttbersetzen zulas-
sig? Ich glaube kaum, dass irgend ein
erfahrener und erfolgreicher Lehrer
eins der genannten Facher beseitigen
wiirde, denn sie sind alle f ii r den Un-
terricht im Deutschen vorteilhaft zu
verwenden.*)
Ich wiinsche, dass alle deutschen
Lehrerversammlungen sich gleich-
zeitig mit der Frage beschaftigen
warden: Wie konnen wir den Un-
terricht im Deutschen erfolgreicher
machen? Das ist eine Lebensfrage
fur den deutschen Unterricht in
*) Im Uebersetzen ist die Toussaint-Lan-
genscheidt'sche Methode zu empfehlen, das
sogenannte Riickiibersetzen, welches darin
bestebt, dass man zunachst aus der zu er-
lernenden Sprache in die Muttersprache
libersetzt und dann wieder in die zu erler-
nende, und alsdann die Arbeit selbst nach
dem Buche sorgfaltig verbessert. Ich babe
die Methode griindlich erprobt und kann sie
herzlich empfehlen; aber der Lehrer muss
dafiir sorgen, dass der Schiller sehr gewis-
senhaft verfahre. Einige Schuler werden
versuchen, aus dem Buche abzuschreiben,
anstatt selbststandig die Uebersetzung anzu-
fertigen. Nachdem die erste Uebersetzung
(aus der zu erlernenden in die Mutterspra-
che, hier die englische) angefertigt worden
1st, muss das Buch geschlossen blelben, bis
die Arbeit eines Schulers beendet ist, dann
erst korrigiert er sie selbst. Natiirlich muss
der Lehrer die Arbeit nachsehen.
unseren Elementarschulen. Das Ke-
sultat dieser Fragen sollte den ,,Pa-
dagogischen Monatsheften" zur Ver-
offentlichung eingesandt werden.
Meine langjahrige Erfahrung hat in
mir die Uberzeugung gereift, dass es
uns an zwei wesentlichen Faktoreii
fehlt, namlich an kompetenten Leh-
rern und zielbewusster, begeisternder
Arbeit. Sichern wir uns diese zwei, so
bangt mir nicht mehr vor der Perma-
nenz des deutschen Unterrichts; denn
wir haben jetzt schon die gebildete
Klasse der Angloamerikaner auf unse-
rer Seite. Es giebt in unserer preka-
ren Lage kein besseres Mittel, unseren
Feinden eine Waffe in die Hand zu ge-
ben als Gleichgiltigkeit im Unter-
richt und Laxheit im Besuche der
Lehrerversammlungen. Ich mache die
Behauptung, dass, wenn der deutsche
Unterricht in den Elementarschulen
fallt, so geschieht es nur durch unsere
eigene Schuld. Gewissenhafte Arbeit
gewinnt uns nicht nur Freunde, son-
dern lahmt zugleich unsere knie-
schwachen Feinde.
In der letzten Versammlung des
Lehrervereins des Saginaw-Thales
hielt Frl. K. Hoock einen interessan-
ten Vortrag liber den Unterricht in
der Grammatik.*) I.
*) Der Vortrag von Frl. Hook wurde uns von
unserem Korrespondenten freundlichst zur Ver-
fiigung gestellt und ist in der Abteilung fiir die
Schulpraxis abgedruckt. D. R.
IV. Brief kasten.
M. D. Dayton. Besten Dank fiir
Ihre freundlichen Gliickwiinsche. Alles
Geschaf tliche ist besorgt. V. B. San
Jose. Ihre wohlmeinenden Eat-
schlage durch die Verlagshandlung
mit Dank erhalten! Wir versuchen,
den Wiinschen und Erwartungen aller
Lehrer, an welchen Schulen sie auch
unterichten mogen, gerecht zu wer-
den. Dass das nicht so leicht ist, kon-
nen Sie daraus ersehen, dass wir wie-
derholt deshalb getadelt worden sind,
weil wir nicht ,,schulmeisterlich" ge-
nug sind. Ob die Zukunft des Deut-
schen, auf ,,High Schools und Colle-
ges" beschrankt, eine glanzende ware,
und ob dann die Professoren an sol-
chen Schulen des ,,Schulmeisterli-
chen" entbehren konnten, niochten
wir mit einem grossen Fragezeichen
versehen.
X. Cincinnati, O. Ihr Artikel
tritt aus dem Eahmen, den wir uiis
f iir die Fiihrung der P. M. vorgezeich-
net haben, heraus und kann deshalb
nicht aufgenommen werden. Bitte
um Angabe Ihrer Adresse, damit Ih-
nen das Manuskript zuriickgestellt
werden kann.
V. Umschau.
Amerika.
VomLehrertage. Kurz vor
Schluss der Redaktion erhalten wir
vom Sekretar des Lehrerbuiides,
Herrn E. Kramer, die Nachricht, dass
es einer Cincinnatier Delegation, be-
stehend aus den Herren Dr. Fick,
Hahn, Kramer und Meyder, gelungeu
ist, das Deutschtum von Indianapolis
fur den diesjahrigen Lehrertag in dem
Grade zu interessieren, dass diese
Stadt als Tagungsort gesichert ist.
Die deutschen Vereine, insonderheit,
soweit sie vom Deutschen Hause ver-
treten werden, sowie der Mannerchor
von Indianapolis haben mit Begeiste-
rung ihre Bereitwilligkeit erklart,
ihrerseits alles zu thun, den Lehrer-
tag zu einein glanzenden Erfolge zu
fiihren. Als Termin zur Abhaltung des
Lehrertages sind die letzten Tage des
Monats Juli genannt. Ist dieser Ter-
min in Hinsicht auf die panamerika-
nische Ausstellung in Buffalo und
sonstige Ferienreisen der Lehrer
giinstig?
Prof. Alexis E. Frye hat sein
Amt als Superintendent des offent-
lichen Schulwesens auf Cuba nieder-
gelegt und befindet sich seit dem 14.
Januar wiederum auf amerikanischem
Boden. Die Erfolge seiner ISmonat-
lichen Wirksamkeit in Cuba sind glan-
zende. Als er dieselbe begann, hatte
die Insel kaum ein Schulhaus, das die-
sen Namen verdient hatte; nach 5 Mo-
naten war die Schiilerzahl von 10,000
auf 145,000 gestiegen, und samtliche
Schiller konnten zufriedenstellend un-
tergebracht werden. Die Cubaner be-
trachteten Herrn Frye zuerst mit
gewissem Misstrauen und hielten ihn
fur einen schlauen Yankee, der iiur
darauf aus sei, seine Leitfaden fiir
den Schulunterricht an den Mann zu
bringen. Nachdem er aber den Ver-
kauf seiner Biicher verboten und sein
voiles Gehalt zu Wohlthatigkeitszwek-
ken verwendet hatte, anderte sich
die Gesinnung der Cubaner, so dass er
als der popularste Amerikaner die In-
sel verliess.
Herr Frye hat sich infolge der Dif-
ferenzen mit dem Militargouverneur
von Cuba zur Niederlegung seines
Amtes bewogen gefiihlt. Er kehrt
nach Californien zuriick, wo er der
Besitzer grosser Orangenpflanzungen
ist.
Chicago. Hervorragende bapti-
stische Geistliche in Chicago haben
einen gemeinsamen Protest gegen die
Einfiihrung des Unterrichts in der
Kriegskunst in den Lehrplan der Uui-
versitat von Chicago eingereicht. Wir
wollen hoffen, dass ihre Bestrebungen
Erfolg haben werden. Soldatenspie-
len und Wissenschaft vertragen sich
wenig miteinander.
Die deutsche Regierung
hat behufs Unterweisung der Neger
auf ihren westafrikanischen Besit-
zrungen eine Keihe Lehrer und Stu-
denten des ,,Tuskegee Institute", des-
sen Vorsteher Booker T. Washington
ist, angestellt. Ihre Aufgabe ist es
hauptsachlich, die Anlage von Baum-
wollenpflanzungen zu iiberwachen.
Die Expedition sollte am 1. Januar an
ihrem Bestimmungsorte eintreffen.
Die Frage der Reform der
englischen Orthographic
wird von neuem von der N. E. A., und
zwar von der Schulsuperintendenten-
Vereinigung aufgenommen werden.
Die Direktoren der N. E. A. sollen er-
sucht werden, eine jahrliche Summe
von $1000 auf 5 Jahre zu bewilligen,
um einer Kommission, die von den Su-
perintendenten zu ernennen sein
werde, die Mittel zur Arbeit an die
Hand zu geben.
Frl. Estelle Reel, die Superin-
tendentin der Schulen fiir Indianer,
macht in ihrem letzten Bericht durch-
aus verniinftige Vorschlage, um die
Arbeit an diesen Schulen erfolgrei-
cher zu gestalten. ,,Das Indianerkind,
sagt sie, mit Biicherweisheit voll zu
pfropfen, wird noch auf lange Jahre
hinaus ein Missgriff sein. Eine Zivi-
lisation ohne die durch Arbeit ge-
schaffene Grundlage ist auf Sand ge-
baut und hat keinen Bestand. Wenn
darum der Indianer erst dahin ge-
bracht sein wird, dass er durch seiner
Hande Arbeit sich seinen Lebenaun-
terhalt verdienen kann, dann kann der
Kampf fur die Zivilisation der India-
ner als gewonnen betrachtet werden."
Frl. Reel empfiehlt daher, dass in
den Schulen der Indianer die Unter-
weisung in alien praktischen Dingen,
im Ackerbau und Viehzucht, im Na-
hen, Kochen und Waschen, in der Tep-
pichweberei etc., eingefiihrt werde.
132
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Eine Schule fur zukiinf-
tigeBettler wurde kiirzlich durch
die Polizei in Chicago entdeckt. Ein
Charles Adams war der erfolgreiche
Unternehmer, der einen regelmassi-
gen Unterricht in der Kunst zu bet-
teln erteilte.
In Petersburg, Ind., miissen
nette Zustande in den Schulen herr-
schen. Dort wurde ein Lehrer, Wes-
ley Dugan, so berichtet das ,,School
Journal von New York", von seinen
alteren Schiilern an dem Tage uach
Weihnachten uach einem Teiche ge-
schleppt, um untergetaucht zu wer-
den. Er entkam ihnen, indem er in
das Wasser watete und sich an einein
Stumpf festhielt. Von dort wurde er
durch Steinwiirfe vertrieben und &o
gezwungen, nach dem jenseitigen
Ufer zu schwimmen. Er war dem Er-
trinken nahe, als ihn ein Fanner ret-
tete.
Dem vom Prasidenten der Colum-
bia Universitat, Seth Low, ver-
fassten und veroffentlichten Berichte
iiber die Thatigkeit des Institutes im
verflossenen Jahre entnehmen wir fol-
gendes: Der Universitat wurden an
Schenkungen $554,000 zu teil, wovon
$103,430.29 zur sofortigen Verwen-
dung kamen. Die Gesamtkosten
der Fiihrung des Institutes betrugen
$950,000. Die Ausgaben iiberstiegen
die Einnahmen um $17,328.47.
Der Lehr- und Verwaltungskorper
der Universitat besteht aus 375 Beam-
ten, von denen 87 den Rang ordent-
licher Professoren bekleiden. Die
Zahl der Studenten stieg im letztem
Jahre auf 3958.
Bedeutende Erweiterungen erfuhr
die Anstalt dadurch, dass das „ Bar-
nard College" fiir Frauen und das
,,Teachers College" fiir Studenten bei-
derlei Geschlechts der Universitat ein-
verleibt wurden.
VI. Vermischtes.
Die deutsche Sprache. Der
franzosische Gesandte am Berliner
Hofe in den fiinfziger Jahren ausserte
sich einmal einem beriihmten deut-
schen Schriftsteller gegeniiber, dass
die deutsche Sprache doch mit der
franzosischen in gar keinem Yer-
gleiche stande. ,,Die Deutschen", so
fuhr der Franzose fort, ,,sind nicht
im stande, in ihrer Sprache das genau
auszudriicken, was sie sagen wollen.
Die Sprache ist plump und unbehilf-
lich. Es ist ein solcher Wust von
Worten, die durchaus iiberfliissig sind,
die vielfach nur dasselbe sagen, so
dass man sich aus diesem Labyrinth
nicht zurechtfinden kann. Ihrer
Sprache fehlen eben die f einen Nuan-
cen, wie sie die unsrige hat." — ,,Oh,"
entgegnete ihm der Deutsche, ,,ich
kenne doch meine Muttersprache ganz
gut, das ist mir aber noch nicht auf-
gefallen, dass bei uns zwei Worter
ganz dieselbe Bedeutung haben." —
,,Ach, da konnte ich Ihnen doch ei-
nige Beispiele nennen." — ,,So, da
bin ich begierig." — ,,Na, also zum
Beispiel: Nennen und h e i s s e n."
— ,,Dass ich nicht wiisste," erwiderte
der Schriftsteller, ,,ich kann meinem
Diener wohl heissen, etwas zu thun,
aber nicht nennen." — ,,Hm, ja aller-
dings, da haben Sie recht, aber dann:
Speisen und essen." — ,,Oh nein, Sie
konnen z. B. 100 Arme speisen, uber
nicht essen!" — Da haben Sie auch
wieder recht, aber nun: Senden und
schicken?" — ,,Erst recht nicht, mein
Herr. Sie sind wohl ein Gesandter,
aber kein Geschickter!" — Dem Ge-
sandten soil von da an die deutsche
Sprache noch unsympathischer gewe-
sen sein.
Die K i n d e r p sy c h o 1 og i e
treibt allerlei Bliiten. Stellte jiingst
eine Lehrerin in London an 300 Jina-
ben und Madchen (10 — 13 Jahre) die
Frage: Wiirdest du, wenn du erwacii-
sen bist, vorziehen, ein Mann oder
eine Frau zu sein und warum? Etwa
100 Madchen wiinschten Manner zu
sein, um als Soldaten dienen oder Ent-
deckungsreisen unternehmen zu Kon-
nen, oder weil der Mann mehr Frei-
heit hat, mehr verdient und mehr
erbt Nur zwei Knaben wiinsch-
ten dem andern Geschlecht anzuge-
horen, weil die Frau nichts thut und
das Geld des Mannes ausgeben kann.
Amtsstil. Auf einer Warnungs-
tafel im Salzkammergute ist zu lesen:
,,Dieser Weg ist kein Weg; wer es
aber thut, bekommt einen Tag Arrest
oder 5 Gulden."
Stossseufzer einesLand-
p f a r r e r s. Unter alten Aktenstiik-
ken hat der ,,Kirchliche Anzeiger fiir
Wiirttemberg" etliche Kuriosa aufge-
stobert, darunter nachfolgenden poe-
tischen Stossseufzer eines Landpfar-
rers, dem Fortuna wohl vieles Leben-
dige, doch wenig Gemunztes beschert
hat:
Bttcberbesprfchungen .
133
,,Ach, meine Pfarr ist gar zu klein
Und tragt so karge Sportel ein,
Dass ich bald haben werd', o weh!
Mehr Glaubiger als Glaubige."
Aus Kindermund. L.: Wann
sind die Tage am langsten? Sch.:
Wenn me muess schaffe. — L.: Hier
steht: Da hat ein Bauer seinen Sitz.
Was bedeutet das? Sch.: Er hat ein
Banklein vor dem Hause.
Aus Schiilerheften. Die
Gans ist ein Schnabeltier; sie ist mit
Federn iiberzogen . — In dem Gedicht
,,Die Biirgschaft" schillert F. Schiller
die Freundestreue. — Hans Waldmann
wurde gefangen genommen und ge-
polstert. — Die Gotthardbahn f iihrt
uns zum munteren Tschenere (M.
Cenere).
Ein Zukunftsbild. Schau-
platz: Eine Schulstube im zwanzig-
sten Jahrhundert. Lehrer (zu einem
neu angemeldeten Schiller: ,,Hans,
hast Du einen — — — ?" — ,,Ja,
Herr Lehrer!" — ,,Bist Du gegen
Croup inoculieret?" — Ja, Herr Leh-
rer!" — ,,Bist Du mit Cholerabacillus
geimpft?" — ,,Ja, Herr Lehrer !" —
..Hast Du eine schriftliche Garantie,
dass Du gegen Keuchhusten, Masern
und Scharlach immunisiert bist?" —
,,Ja, Herr Lehrer!" — ,,Hast Du eige-
nes Trinkgefass?" — ,,Ja, Herr Leh-
rer!" — ,,Bist Du damit einverstan-
den, dass wochentlich einmal Deine
Biicher mit Schwefel eingerauchert
und Deine Kleider mit Chlorkalk be-
sprengt werden?" — ,,Ja, Herr Leh-
rer!" — ,,Hans, Du besitzt alles, was
die moderne Hygiene verlangt. Jetzt
kannst Du uber jenen Draht steigen,
einen isolierten Aluminiumsitz ein-
nehmen und anfangen, Deine Kechen-
exempel zu machen."
Aus der Schule. Lehrer: ,,Was
ist ein Amphibium, Meyer?" —
Meyer schweigt. — Lehrer: ,,Nun, ein
Tier, das teils auf dem Lande — "
— Meyer: ,,Und teils in der Stadt
lebt!"
Amtliche Verwarnung. ,,Es
wird hiemit bekannt gemacht, dass
das Vieh nicht mit offenen Lichtern
und brennenden Zigarren sondern
nur mit geschlossenen Laternen ge-
fiittert werden darf."
Biicher besprechungen.
Journalistic German. Se-
lected from Current German Periodi-
cals. Edited by Aug. P r e h m, Ph.
D., Columbia Grammar School. New
York. American Book Co.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe
gestellt, den deutschlernenden Ame-
rikanern mit den Ideen, dem Schaf-
fen und den Wortschatzen des n e u-
e n Deutschland bekannt zu machen.
Der schmachtende Jiingling, die hy-
pergefiihlvolle Jungfrau der ersten
Halfte des verflossenen Jahrhunderts,
die Liebes- und Naturpoesie der Eo-
mantischen Dichter, gehoren dem
a 1 1 e n Deutschland an. Kasselnde
Maschinen, Dampferkolosse, Kolonial-
plane, Elektrizitat sind die Signatur
des n e u e n Deutschland. Diese neue
Zeit mit ihren materiellen Interessen
soil der deutschlernende Nichtdeut-
sche kennen lernen. Die in dem vor-
liegenden 148 Seiten (guter, klarer
Lateindruck) enthaltenen Artikel sind
den besten deutschlandischen Zeit-
schriften entnommen. • Dem Texte
schliesst sich ein reiches Vokabula-
rium an. Als Erganzungslektiire fur
Hochschul- und Universitatsklassen
kann das Werk bestens empfohlen
werden. Der Studierende wird ver-
traut mit der Sprache des aktuellen
Lebens, mit dem Wortschatze der In-
dustrie, der Kunst, des Handels, des
Reiseverkehrs und Gerichtssaales.
Dass neben ganz vorziiglichen Arti-
keln von bleibendem Werte auch Min-
derwertiges erscheint, kann nicht ver-
schwiegen werden. Als Ganzes ist das
Werkchen den Zielen des Verfassers
entsprechend ausgefallen.
German Lyrics and Bal-
lads, with a few epigrammatic po-
ems. Selected and arranged by
James Taft Hatfield, Profes-
sor of German Language and
Literature in Northwestern Univers-
ity. Price ?
Unter diesem Titel bringen D. C.
Heath & Co. ein neues Werkchen von
162 Seiten Text auf den Markt, wel-
ches sich wiirdig den in demselben
Verlag erschienenen Textbiichern fiir
den neusprachlichen Unterricht an-
schliesst. Der verstorbene Professor
Kuggles von Dartmouth College, wel-
cher die Sammlung begonnen, hat in
Prof. Hatfield einen wiirdigenTesta-
134
Padagogiscbe Monatshefte.
mentsvollstrecker gefunden. Von den
b e s t e n Erzeugnissen der deutschen
Epik und Lyrik hat Herr Prof. Hat-
field das B e s t e gewahlt und mit der
sicheren Hand des erfahrenen Schul-
mannes aneinandergereiht. Eine
prachtig gehaltene Einleitung iiber
Gothe als Lyriker und die Romanti-
sche Schule, sowie eine Fiille ausge-
zeichneter Erklarungsnoten geben
dem Werke einen hohen Wert als
Buch fiir Schule und Haus. Ausstat-
tung und Druck lassen nichts zu wiin-
schen iibrig. B. A. A.
Etymologische B e 1 e h -
rungen im Seminar von D r.
Franz Ziemann, Seminardirek-
tor in Pr. Eylau. Verlag von Ferdi-
nand Hirt, Breslau.
Das ansprechende Werkchen ist da-
zu bestimmt, den an Seminarien ge-
brauchten Lehrbiichern der deutschen
Sprache, insbesondere der vortreffli-
chen Schulgrammatik von Martin als
Erganzung zu dienen, indem sie den
etymologischen Teil ausfiihrlicher be-
handelt. In gliicklicher Weise hat der
Verfasser seine Aufgabe gelost. Gar
manches, was \vir zu verstehen glaub-
ten, oder woran wir achtlos voriiber-
zugehen pflegen, wird auf seinen Ur-
sprung zuriickgefiihrt. So wird im
ersten Kapitel, welches liber ,,schein-
bare Tiernamen" handelt, dargethan,
dass die Maulaffen, welche man zu-
weilen feil halt, ebenso wenig etwas
mit dem Affen zu thun haben, als die
Maulesel mit dem Maule. Maulaffen
halten ist eben nur ein Ausdruck fur
das miissige ,,Maul offen halten", dass
aber ein Maulesel ein mulus ist, weiss
jeder Abiturient, der zwar den Staub
des Gymnasiums bereits abgeschiit-
telt, aber noch nicht die heilige
Schwelle der alma mater iiberschrit-
ten hat. — Die Enten, welche in der
flauen Saison umherfiiegen und sich
gewohnlich in der Redaktionsstube
einer politischen Zeitung niederlassen,
sind auch keine wirklichen Enten; sie
werden zuriickgefuhrt auf ,,Legen-
den", woraus der Volksmund ,,Lugen-
den", ,,Liigenten" und schliesslich
,,Enten" gemacht hat.
Andererseits werden versteckte
Tiernamen wieder zu Ehren gebracht.
So sind die Schlaraffen schlarrende
oder schlurrende, d. h. laut schliirfend
dahingehende Affen. ' Die zeitweilig
peinliche Handlung des ,,Berappens"
wird auf eine alte Miinze zuriickge-
fuhrt, welche das Bild eines Vogels,
vielleicht eines Raben, trug. Auch
dem botanischen Gebiet stattet der
Verfasser einen kurzen Besuch ab und
beweist unter anderem, dass die Ohr-
feige nichts mit der Siissigkeit einer
Feige zu thun hat, sondern einfach
,,Ohrstreich" bedeutet. Die Synonyma
,,Maulschelle", ,,Backpfeife" und
,,Dachtel" werden ebenfalls unter die
Lupe genommen, und so wird die
,,Dachtel" mit Recht als etwas be-
zeichnet, womit man jemandem aufs
Dach steigt. Dem ,,Hagestolz" wird
Gerechtigkeit angethan; es wird be-
wiesen, dass dieses vielfach angefein-
dete Wesen gar keinen Stolz besitzt,
und dass es sich nicht mit einer Sta-
chelhecke gegen die Angriffe weibli-
cher Herzen schiitzen will; es ist ein-
fach der auf einem Hag d. h. kleinem
Hof Eingestellte.
Ein Kapilel von allgemeinem Inter-
esse ist das iiber unsere Vornamen.
So mancher f riedfertige Philister wird
mit Erstaunen und Befriedigung er-
sehen, welch kriegerische Bedeutung
sein Namen hat. Die Namen unserer
Wochentage, Monate und Feste wer-
den auf ihren germanischen oder klas-
sischen Ursprung zuriickgefiihrt. Un-
erwartete Ehre geschieht unserem
,,Samstag", dem ein heidnischer Gott,
Samo, zugrunde liegen soil.
Ein besonderes Kapitel widmet der
Verfasser der Geselligkeit. Er schlagt
vor, dasselbe mit den Seminaristen in
einer ,,Unterhaltungsstunde" am
Sonntag durchzunehmen. Was wiir-
den unsere amerikanischen Mucker
und Wassersimpel dazu sagen? Da
heisst es: Du magst deinen Durst
(Zustand des Diirreseins) in massiger
Weise loschen. Das ist ein gern be-
folgter Rat. Wenn aber der Verfasser
die Seminaristen davor warnt, Cham-
pagner oder Sekt zu trinken, so hat
er eine ausserordentlich optimistische
Vorstellung von der Leistungsfahig-
keit eines Seminaristenportemonnaies.
Enttauschend muss es bei der sonst
erfrischenden Trinkfrage \virken, dass
die so gut deutsch klingenden Worter
,,Schoppen" und ,,Seidel" beide klassi-
schen Ursprungs sind; der erstere ist
namlich der griechische skyphos, das
zweite die lateinische situla. Vor dem
Bockbier warnt der Verfasser (auf
Grund eigener Erfahrung?), weil es
wie ein Bock wirken konnte, der den
wackeren Zecher zu Boden wirft. Die
in unseren Kartenspielen gebrauchli-
chen Ausdriicke werden sinnreich er-
klart. Dem edlen Skat wird gebiih-
rendes Lob gezollt. Etwas umstand-
lich wird es hergeleitet von ^carter
d. h. dem Weglegen von Karten. Das
Schwein, oder kraftiger gesagt, die
Bticherbesprechungen .
135
Sau, welche mancher Spieler zum Ar-
ger seiner Mitspieler zuweilen hat,
wird erklart durch das Bild eines
Schweines, welches auf den alteren
Karten das As bezeichnete. Der
Spieler hat also wider alles Verdienst
die hochste Karte und ,,trumpft" da-
mit die andern ab, d. h. er ,,trium-
phiert" fiber sie.
Aus dieser etwas ausgeschmiickten
Bliitenlese ist zu ersehen, dass das
treffliche Biichlein neben einer Fiille
des Wissenswerten auch geniigende
Unterhaltung bietet, und das ist in
unseren Augen kein Fehler. O. B.
Fibel fur Schiller nicht-
deutscher Abkunft. Von
Bernard A. Abrams, Hiilf ssu-
perintendent der offentlichen Schuleu,
Milwaukee, Wis. American Book Co.
New York. 1901. Klein 8°. 53 Seiten.
Dieses Buch ist, wie sein Titel be-
sagt, als Anfangsbuch fur Schiller
nichtdeutscher Abkunft bestimmt,
und bei der Bearbeitung desselben
waren wohl die Milwaukeer Verha.lt-
nisse massgebend. Nach einem ein-
jahrigen Unterricht nach einem vom
Schulrat herausgegebenen Manual soil
die Fibel den Schiilern in die Hand
gegeben werden. Die Schiller sind
schon im stande, kurze englische
Satze zu lesen. Der Leseprozess ist
ihnen somit nicht mehr fremd.
Darauf hat der Bearbeiter der Fibel
Riicksicht genommen. Deshalb tre-
ten gleich auf der ersten Seite der
Fibel grosse und kleine Druckbuch-
staben auf, aber nicht etwa vereinzelt
sondern gleich in Wortern. Da die
Schiller auf dieser Stufe die ,,lateini-
Bchen Buchstaben" — Antiqua — ken-
nen, so kniipft diese Fibel an das B e-
k a n n t e an und bringt auf den er-
sten 45 Seiten nur Lateindruck.
Schreibschrift enthalt das
Buch iiberhaupt nicht, weder deutsche
noch lateinische. Dies ware somit der
Anfang, uns vor dem deutschen
Schreibzopf, der Doppelwahrung in
unserer Schrift, zu befreien.
Die ersten neun Seiten des Buches
enthalten Wortgruppen, welche aaeh
der Lautahnlichkeit geordnet siud.
Auf Seite 10 treten Satze auf, und die
Satze sind nicht etwa isoliert, wie:
,,Das Dach ist hoch; die Dose ist neu;
im Dome steht eine Orgel", u, s. w.
sondern es besteht ein innerer Zusam-
menhang: ,,Alma und Olga sind in der
Schule. In der Schule sind viele Zim-
mer", u. s. w. Der Inhalt ist deui
kindlichen Auffassungsvermogen an-
gepasst; es sind die Erlebnisse mehre-
rer Knaben und Madchen in der
Schule, wahrend der Pause, am Mit-
tagstisch, bei der Feier des Geburts-
tages und beim frohlichen Spiel. Dann
kommen zwei Marchen: Das Rotkapp-
chen und Dornroschen in sehr eiii-
facher Form. Ferner ist eine Be-
schreibung der Danksagungstagsfeier
enthalten, sowie mehrere Ratsel, Lie-
der und Kinderreime. Auf Seite <i6
treten die deutschen Druckbuchsta-
ben auf, zuerst neben den lateinischen
und auf Seite 53 allein. Der Druck
ist gross und klar; Buchstabenweite
und Zeilenweite entsprechen den An-
forderungen, welche man an ein erstes
Schulbuch stellt. Die Ausstattuiig
des Buches ist gut. Es enthalt keiue
Bilder und keine Vorrede. J. E.
Maria Stuart, ein Trauerspiel
von Schiller; edited with German
Comments, Notes, and Questions by
Margarethe Mueller und
Carla Wenckebach. Boston,
Ginn & Comp. The Athenaeum Press.
1900. XXX+262p.
Obgleich schon mehrere gute Bear-
beitungen von Schillers Maria Stuart
erschienen sind, wie die ganz neue
Schonfeldsche Ausgabe, (The Macrnil-
lan Comp. 1899), darf doch auch die-
ses vorliegende Buch Anspruch erhe-
ben auf eingehendere Priifung. Als
grosse Neuerung finden wir zunachst
die historische und litteraturge-
schichtliche Einleitung in deutscher
Sprache geschrieben, leicht genug,
um dem einigermassen fortgeschrit-
tenen Schiller verstandlich zu seiu,
und an sich wertvolles Material zum
Lesen und Sprechen bildend. Die
Anmerkungen am Ende sind knapp,
klar, und doch geniigend, um ein
Kommentar zu geben zu dunklen Stel-
len im Text. Die entwickelnden Fra-
gen diirften manchemLehrer willkom-
men sein, da sie niitzliche Winke ent-
halten zur zweckmassigsten Behand-
lung und Ausnutzung des Gelesenen.
Maria Stuart kann von nun an mehr
zur Schullektiire benutzt werden, da
so gute Ausgaben wie die von Schon-
feld und diese von Miiller-Wencke-
bach dem Lehrer zu Gebote stehen.
Kriegund Frieden. Erzah-
lungen von Emil Frommel, ,,Villa-
maria" und Hans Hoffmann. For use
in School and College; selected and
edited with introduction and notes by
Dr. Wilhelm Bernhardt.
Boston. Ginn & Comp. The Athe-
naeum Press. 1900, VHI+120 p.
Der Herausgeber dieses Biichleins
hat einen guten Griff gethan in der
Auswahl der drei kleineren Erzahlun-
136
P'ddagogische Monatshefte.
gen, welche dieser Band enthalt. Mut-
terliebe, von Emil Frommel; der Sohri
der Pussta, von ,,Villamaria", (Frau
Marie Timme), und Publius, von Hans
Hoffmann. Der erste dieser drei Ver-
fasser bedarf als Geschichtenerzahler
keiner Einfiihrung mehr bei uns,
wahrend die beiden Letzteren uns
noch nicht bekannt waren. Die Er-
zahlungen sind ganz verschieden un-
ter einander und durften sich fiir
Knaben- oder Madchenklassen gleich
fesselnd und anregend erweisen. Die
ausgiebigen Anmerkungen werden
sehr gewiss viel zum Verstandnis
des lokalen oder historischen Hinter-
grundes und anderer Eigentumlich-
keiten im deutschenVolks- oder Klein-
stadtleben beitragen.
German Excercises. Mater-
ial to translate into German. Book II,
by J. Frederick Stein. Boston. Ginn
& Comp. The Athenaeum Press. 1900.
VI-fll4p.
Vielen Lehrern, welche Steins Ger-
man Excercises, Band I benutzen,
wird auch dieser zweite Teil willkom-
men sein. Es ist noch eine Menge
neuer Lesestiicke, Briefe und Ahn-
liches geboten zum tibersetzen ins
Deutsche. Einleitung und Anhang
enthalten gute Kegeln und Vbungen
fiir besondere grammatische Schwie-
rigkeiten. Das ausgezeichnete kleine
Buch eignet sich fiir jiingere Klassen
als das von Fraulein Wenckebach.
A German Reader with Notes
and Vocabulary by Howard Par-
ker Jones, Ph. D. New York.
D. Appleton & Co. 1901. XI+312p.
(Twentieth Century Text Books.)
Der Mangel guter deutscher Lese-
biicher, auch fiir altere Schuler pas-
send, war langst sehr fiihlbar gewor-
den. Dieses Lesebuch bietet eine au-
regende Sammlung guter Lesestiicke
in Poesie und Prosa, vom Leichtesten
zu Schwerem fortschreitend. Fiir
grossere Schulklassen, wo die An-
schaffung vieler verschiedener Biicher
schwierig, wird sich dieses Lesebuch
besonders eignen, da es in dem einen
Bande fast Stoff genug enthalt fiir
einen zweijahrigen Kursus, auch ist
das Worterbuch ausgiebig genug, um
die Anschaffung eines grosseren un-
notig zu machen. Ausstattung des
Buches mit Druck, Papier und Ein-
band ist hubsch und dauerhaft. Es ist
schade, dass der erste Teil des Buches
so mit Zahlen im Text und Anmer-
kungen am Fusse jeder Seite iiber-
hauft ist. Es durften sich Auswegc
finden lassen, um diese storenden und
dem Schuler die Arbeit ungebiihrlich
erleichternden ,,Eselsbriicken" zu ver-
meidetu
Twenty Questions an d A n-
s w e r s. Kurzgefasste Konversations-
Grammatik der deutschen Sprache
von Hedw^ig Neuhaus. Selbst-
verlag. 28 p.
Ahnlich wie die langst bekannten
,,Tabellen" von A. A. Fischer, bietet
dieses Buchlein in kiirzester Form die
fiir die Repetition oder das Examen
notwendigsten Tabellen fiir Konjuga-
tion, Deklination, Plurale etc. und
wird Lehrern und Schulern von glei-
chem Nutzen sein. C. Cirosse.
Die Oktobe r-N ummer der
Pestalozz i-S t u d i e n (Liegnitz
bei Carl Seyffarth) bringt einen Be-
richt des Rektors Rendschmidt iiber
das padagogische Leben in Yverdon,
der manche neue Seite klar legt, fer-
ner ein sehr anerkennendes Wort von
E. M. Arndt iiber Pestalozzi, eine bio-
graphische Skizze des Direktors
des Joachimsthalschen Gymnasiums
Snethlage in Berlin, des Hauptgeg-
ners Pestalozzis, dessen Ideal aller-
dings — was in unserer Zeit besonders
interessant ist — die chinesische
Staatsverfassung ist — und einige we-
nig bekannte Ausspriiche Pestalozzis.
Eingesandte Biicher.
Das Lied von der Glocke
(Schiller). With Introduction,
Notes, and Vocabulary by W. A.
Chamberlin, Assistant Profes-
sor of Modern Languages, Denison
University. Boston, D. C. Heath &
Co. 1900. Price 20 cts.
Freundliche Stimmen an
Kinderherzen. Herausgegeben
unter Mitwirkung einer Kommission
des Schweiz. Lehrervereins. Verlag:
Art. Institut Orell Fussli, Zurich.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. Marz 1901. Heft 4
Durch die Feuersbrunst, welche in der Nacht vom 18. zum
19. Februar in unserm Gebaude wutete und die Setzerabtei-
lung, sowie einen Teil der Bureau- und Geschaftsraume zer-
storte, wurden auch die Padagogischen Alonatshefte in
Mitleidenschaft gezogen. Wir bitten darum unsere Leser,
freundlichst zu entschuldigen, dass das Erscheinen dieses
Heftes sich um einige Tage verzogerte.
Leider ist auch der Vorrat an bisher erschienenen Heften
so beschadigt worden, dass es uns nicht mehr moglich sein
wird, neuen Abonnenten diese Hefte nachzuliefern, und wir
bitten sie darum, freundlichst davon abstehen zu wollen.
Die V er lags handlung.
Uber Ziele und Lehrmittel des deutschen Unterrichts
an Sekundarschulen und Gymnasien.
Vortrag, gehalten vor dem 30. Deutschatnerikanischen Lehrertage zu
Philadelphia, Pa.
Von Sans Froltcher, The Woman's College, Baltimore, Md.
Wahrend des vergangenen Jahrzehnts haben die Lehrer der neuern
Sprachen Gelegenheit gehabt, im Unterrichtsverfahren und in den Lehr-
mitteln grosse Umwalzungen und Neuerungen zu beobachten, priifen und
fordern. Vielen ward auch Gelegenheit, dieErgebnisse dieser Neu-
erungen zu priifen. Es muss zugestanden werden, dass Sonnenschein
und frische Luft viele Dumpfheit aus der alten Schulstube vertrieben
haben. Der frische Windzug hat aber nicht nur reinigend gewirkt. Er
hat die Vergangenheit sozusagen mit Stumpf und Stiel wegblasen wollen.
Mit andern Worten: Im Sprachunterricht ist an Stelle eines reaktionaren
Konservatism.us in Lehrmitteln undLehrmethoden, an Stelle einer allein-
seligmachenden Whitneygrammatik unter fortschrittlichen Einflussen eine
etwas chaotische Menge von Methoden getreten, an Stelle der Lesebii-
cher und purifizierten Klassikerausgaben eine unabsehbare Menge von
Textbuchern, inhaltlich vom Wertvollsten bis zum Wertlosesten abfal-
lend. in Riicksicht auf den Kommentar vom goldenen Mittelwege in das
Zuviel oder Zuwenig sich verirrend. Kaum hat ein junger Mann seine
Doktorsporen verdient, wird er, obwohl vielleicht unerfahren, Verfasser
von Lehrbiichern, Herausgeber von Texten, und zwar oft nicht, weil ihn
der Geist dazu treiBt, sondern irgend eine grosse Verlagshandlung. Die
Ergebnisse solcher Zustande sind nicht gerade befriedigend, wie jeder
erzahlen kann, der als Examinator die Vorkenntnisse der neueintretenden
Schiiler zu priifen hat in Sekundarschule, Gymnasium oder Untergym-
nasium.
Auf dem Gebiete des Unterrichts wie auf dem der Moral darf man
sagen : wo viel Freiheit, ist viel Irrtum, doch ist hinwiederum auch wahr,
dass die Freiheit allein das Genie hervorbringt. In der guten alten Zeit
wusste man gut, was man wusste. Ich kenne etliche alte Herren, die
heute noch schone Stellen aus unsern deutschen Klassikern herzusagen
wissen, und zwar mit jenem schonen Leuchten in den Augen, welches
besagt: ,Ja, das waren schone Stunden vor dreissig, vierzig Jahren, als
wir auch noch an dem Quell trinken durften." — Und doch wurde der
Unterricht damals mit pedantischer Genauigkeit getrieben. Genauigkeit
war seine Seele; und sein Ziel: Bildung des Verstandes und Geschmackes,
wie denn a 1 1 g e m e i n e Bildung ein Hauptziel des Unterrichts bildete.
Davon sind wir Neuern abgekommen. Diejenigen, welche an Gymna-
sien Eintrittsprufungen zu iiberwachen haben, machen trube Erfahrun-
gen. Bei einer grossen Anzahl Examinanden zeigt sich grosse Unkennt-
nis der einfachsten Thatsachen, eine Neigung zur Fluchtigkeit und Ober-
flachlichkeit, welche fast entmutigt. Die Schiiler schieben zuweilen die
Deutscber Unlerricbt an Sekundarschulen und Gymnasien. 139
Schuld den Schulen zu. Die Gymnasien haben in ihren Anforderungen
an neueintretende Schuler den Standpunkt des Forderns langst aufgege-
ben und bequemen sich zu den weitgehendsten Zugestandnissen. Unter
dem Drucke der Verhaltnisse ist Mahomet zu dem Berg gegangen, da
der Berg sich nicht regte. Ware nur das Wenige, das wir noch erwarten
diirfen, auch gut, gediegen. Die Gymnasien haben fur die Unterschu-
len schon soviel gethan, dass ihnen ,,zu thun fast nichts mehr ubrig
bleibt". Ein deutschamerikanischer nationaler Lehrerverein soil sich des-
halb als Ganzes die Ziele des deutschen Unterrichts vors Gemut fiihren,
und als ein einflussreiches Ganzes in geschlossenen Reihen Forderungen
geltend machen.
Das Hauptziel alles Unterrichts ist Bildung des Charakters durch
Bildung des Geistes und Gemiites, in der Folge dann allgemeine Bildung.
Aus der Bildung des Einzelnen entspringen seine Tugenden, die Tugen-
den seiner nachsten Mitlebenden, der Nation und der Menschheit. Aus
ihr endlich das Gottliche. Diesen Zielen soil und kann vor alien der
deutsche Unterricht nachstreben. Wenn in einer der letzten Nummern
des "Atlantic Monthly" ein Fachgenosse das Deutsche in der modernen
Schule an Stelle des Griechischen setzten mochte, leitete ihn der Gedanke,
dass das Deutsche heidnische und christliche Kultur in Kunst, Litteratur,
Religion, Philosophic, in Sprache und Denkart auf das vollkommenste
verschmolzen habe, und dass vor allem das sittliche Ideal der Neuzeit
in der deutschen Kultur entwickelt sei. Die Bildung und Erhaltung
dieses Ideals, welches sich gleichmassig auf die Ausbildung des Geistes
und Gemiites griindet, muss das Lehrideal des Lehrers sein. Es kann
es sein, nidht nur, wenn er Faust interpretiert, sondern auch, wenn er die
Anfangsgriinde der Grammatik lehrt. Nimmer aber kann der deutsche
Unterricht an den Volksschulen bloss die Aufgabe haben, Philologen her-
anzubilden, Konversation zu lehren, oder im Leben einer geeinigten Na-
tion ein abgesondertes Deutschtum zu erhalten. Das Deutsche und der
Deutschamerikaner mussen naturgemass im Englischen aufgehen, nicht
aber der deutsche Sinn fur Fortschritt, Wissenschaft und Idealismus.
Mit Stolz blicken die Deutschen auf den Deutschamerikaner Karl Schurz,
welcher das reinste Englisch spricht und schreibt, dessen Herz aber immer
noch die Ideale seiner Heimat pflegt. Solches Deutschtum sollen wir
mit Macht in unsern Schulen fortpflanzen durch Vertiefung in das Stu-
dium der deutschen Geschichte und Litteratur, Philosophic und Sprache.
In der Schule geschieht dies in drei Stufen:
1. Die Volksschule als Primarschule;
2. das Gymnasium als: a) Progymnasium oder Sekundarschule,
b) Gymnasium;
3. die Universitat (Hochschule*).
*) High School mit Hochschnle zu iibersetzen, ist fehlerhaft, trotzdem diese Ubersetzong
insbesondere von Lehrern (!) angewendet wlrd. [Wir konnen dem Verfasser hierin tmr teil-
weise beipflichten. Wenn sich atich die Begriffe fur ,,High School" tmd ,,Hochschnle" (im
140 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Sekundarschule und "Preparatory School s".
Von der Primarschule spreche ich nicht. In der Sekundarschule
(High School, Preparatory School, Latin School) haben wir mit Thatsa-
chen, nicht mit Theorien zu thun. Dieselben lehren gewohnlich eine bis
drei Sprachen (Latein, Deutsch und Franzosisch). Viele Zeit und Ar-
beitskraft wird hier verzettelt durch einen verwasserten Unterricht von
zwei bis drei Stunden die Woche wahrend drei bis fiinf Jahren. In ein-
zelnen Anstalten beginnt man wohl auch zwei Sprachen, eine moderne
und eine alte, zu gleicher Zeit. Im ganzen fallen fur das Deutsche wah-
rend der vier Jahre 8 — 12 Stunden ab. Zehn Stunden auf 4 Jahre ver-
teilt, gewahren nur eine schwache Losung des Besten. Ich habe selbst
in meiner Erfahrung solche Experimente gemacht und bin zu dem
Schlusse gelangt, dass man am besten nur eine Sprache auf einmal be-
ginnen solle, und dass ein fahiger Lehrer, welcher eine Klasse 2 Jahre
hindurch 4 oder 5 Stunden unterrichtet, weit mehr erreicht, als wenn er
die gleiche Stundenzahl auf mehrere Jahre verteilen muss. Hierin stehen
die staatlichen Schulen vielfach hinter den Privatschulen zuruck, nahern
sich aber der Norm der politisch nicht beeinflussten Schulen immer mehr.
Diese Norm hat in den vom "Board of Examiners for the Middle States
and Maryland" aufgestellten Eintrittsbedingungen ihren Ausdruck gefun-
den. Viele Schulen, auch Sekundarschulen, haben sich dieser Bewegung
angeschlossen, da dieser "Board" den Zustanden derselben im weitesten
Sinne Rechnung getragen hat. Damit nahern wir uns einer einheitlichen
Form der Eintrittsbedingungen. Die Sekundarschule und auch das Pro-
gymnasium sollen in erster Linie den Bediirfnissen des Vol-
k e s dienen, d. h. durch Einfuhrung in die Naturwissenschaften, Ge-
schichte, Litteratur und einzelne rein praktische Lehrgegenstande auf dem
Unterbau der Primarschule weiterbauen. Denn es soil ein vorlaufiger,
fur viele aber ein endgiiltigerAbschluss der Schulerziehung geboten wer-
den. Erst an zweiter Stelle dienen dann die Sekundarschulen und Pro-
gymnasien als Vorbereitungsschulen zum Gymnasium.
Dem deutschen Unterricht insbesondere fallt auf dieser Stufe die
Aufgabe zu, dem Schiiler eine genaue Kenntnis der Hauptregeln der
Grammatik, Reinheit und Leichtigkeit der Aussprache, Fertigkeit im
Ubersetzen einfacher, deutscher Lesestiicke beizubringen. Dies kann nur
an der Hand der besten Lehrmittel, unter Leitung eines zuverlassigen
Lehrers geschehen.
deutschen Sinne) nicht decken, so thun dies ebenso wenig die Begriffe ,,High School" und
..Gymnasium". Wollen wir ersteren ersch5pfend durch im Deutschen gebrauchliche Bezeich-
nungen wiedergeben, miissten wir zum wenigsten noch Realgymnasium. Realschule und
Gewerbeschule beifugen; ganz abgesehen davon decken sich ..High School" und Progymna-
sium beziehungsweise Gymnasium schon des bei letzterem hoheren, bei ersterem niederen
Lehrzieles wegen nicht. Der Amerikaner verbindet mit dem Worte ..Hochschule" naturge-
mass den Begriff von ,,High School," da ihm die deutsche Bedeutung des Wortes fremd ist.
D. R.]
Deutscber Unterricbt an Sekundarscbulen und Gymnasien. 141
a) Die Lehrmittel sollten nach dem Grundsatze, dass fur die Jugend
nur das Beste gut genug ist, gewahlt werden. Diese Lehrmittel sollten
der geistigen Entwicklungsstufe der Lernenden angepasst sein, im gram-
matischen Unterricht sowohl wie in den Lesestiicken. Wie steht es nun
damit? Auf dem Anmeldebogen der Examinanden findet sich eine stau-
nenswerte Mischung des Wertvollen und des Wertlosen, des Veralteten
und des Ultrafortschrittlichen, von Ahns Grammatik bis zu derjenigen
von Calvin Thomas, von Grimms ,,Marchen" bis zu Goethes ,,G6tz von
Berlichingen", von ,,Nicotiana" bis zur ,,Versunkenen Glocke". Die
Pruning selbst fordert haufig mangelhafte Kenntnisse zu tage: schlechte
Aussprache, geringe Wortkenntnis, Unkenntnis der Formenlehre und
Syntax.
Ich kenne zweierlei Grammatiken: solche, die der Lehrer fur sich
selbst schreibt, andere, die dem allgemeinen Bedurmisse dienen. Die
ersteren griinden sich auf individuelle Methoden und konnen auch nur
von einzelnen nutzbrigend angewandt werden, besonders die nach neuern
(,,natiirlichen") Methoden geschaffenen Lehrbiicher (Sauveur, Gouin).
Diese setzen eine bei verhaltnismassig wenigen vorhandene praktische
Sprachkenntnis voraus. Die andern sind das Ergebnis einer Fiille von
Beofoachtungen, nicht eines Einzelnen, sondern vieler. Ein Beispiel die-
ser Art bleibt die Whitney-Grammatik. Im Kampfe der letzten i5 Jahre
stand sie als Typus des Konservatismus auf der aussersten Rechten, Sau-
veurs Lehrbiicher und ahnliche auf der aussersten Linken, auf der einen
Seite Gelehrsamkeit, Wissenschaftlichkeit, Vollstandigkeit, auf der andern
Le hrgenies ersten Ranges, die ihren Erfolg der Methode mehr als
sich selbst zuschrieben. Ich glaube, dass es sich mit den Methoden ahn-
lich verhalt wie mit den Ringen in Lessings Nathan : wer fest glaubt, dass
er den rechten besitzt und in diesem Glauben handelt, wird Erfolg haben
und den rechten besitzen. Inzwischen haben die Gegensatze sich zum
Teil ausgeglichen. In Lehrbuchern wie Thomas' "Practical Gram-
marist" wird alien Bedurfnissen in schonster Weise Rechnung getragen,
insbesondere den Anforderungen der Konversation, in beschranktem
Sinne, an freie und idiomatische Ubersetzung u. s. w. Man fiige ent-
sprechende zusammenhangende Ubersetzungsstikke und Leseiibungen
hinzu, und es wird wenig zu wiinschen iibrig bleiben.
Meiner Ansicht nach soil die Grammatik nicht in erster Linie als
Textbuch und zum buchstablichen Auswendiglernen dienen. Man leite
die Schiiler zur Selbstbeobachtung an, man verweise sie dann auf die
Grammatik als Nachschlagebuch, worin Selbstbeobachtetes systematische
Darstellung findet und dunkle Punkte ihre Erklarung finden.
b) In der Auswahl des Lesestoffes, der Texte sollte nur das Beste,
welches die Litteratur bietet, beriicksichtigt werden. In einem Schul-
plan sollte kein Buch Aufnahme finden bloss weil es ,,mit in den Zusam-
menhang einer Litteraturepoche gehort", oder besonders leicht oder an-
142 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
ziehend ist. Ein zusammenhangendes Studium fremder Litteraturen
steht auf dieser Stufe ausser Frage. Inbezug auf den zweiten Punkt aber
sollten die Gymnasien die Quantitatsbestimmungdes von den
Unterschulen zu bewaltigenden Lesestoffes (z. B. 300, 400, 500 Seiten
12°) fallen lassen, damit die Unterschulen nicht den Gehalt der Menge
opfern miissen. Man wahle also die der Form und dem Inhalte nach
beste Prosa, welche zugleich einen reichen Wortschatz gewahrt: erzah-
lende, beschreibende, geschichtliche. Nicht aber Sachen wie — doch
nomina sunt odiosa. Bei der karg zugemessenen Zek, der Uberfiillung
des Lehrplans ist das Lesen jener Trivialitaten Zeitverlust und Siinde.
Heyse, Wildenbruch, Storm sind Meister der kurzen Erzahlung. Von
da zu den Klassikern ist kein grosser Schritt. Genauigkeit ohne Pedan-
terie, idiomatische Ubersetzung, zuweilen auch Lesen ohne Ubersetzung
machen die Arbeit nutzbringend. Dann aber lasse man die Schiiler ins-
besondere deutsche Gedichte (z. B. Balladen) auswendig lernen und
vortragen, und deutsche Liedersingen. Was die deutsche Lit-
teratur vor alien andern auszeichnet, ist und war das ,,liet", das Volks-
lied, der sinnigste, unmittelbarste, melodischeste Ausdruck der Volksseele.
Die Krone des Werkes sei etwas Klassisches, etwa Schillers ,Jung-
frau von Orleans" oder ,,Tell", Goethes ,,Hermann und Dorothea".
Durch das Lesen eines soldi en Werkes eroffnet sich dem Geiste des Schii-
lers eine neue Bahn, der Seele eine neue Welt, das Reich des Idealen.
Diejenigen, fur die der Schluss der Sekundarschule den Abschluss ihrer
Schulzeit iiberhaupt bedeutet, bei denen der Kampf um das materielle
Dasein beginnen soil, bediirfen ganz besonders eines Zuges ins Ideale.
Was dabei asthetisches verloren gehen mag, wird reic'hlich anderswie
eingebracht.
c) Das Bediirfnis nach hoherer Bildung hat das Gymnasium ("Col-
lege") geschaffen.Ihm ist die Erhaltung und Verbreitung der Bildungs-
elemente anvertraut. Die Gymnasialbildung soil den Gesichtspunkt des
Schiilers erweitern, den Geist scharfen, das sittliche Bewusstsein wecken,
starken und erhalten. Die auf der Unterstufe angewandten Methoden
erfahren eine bedeutende Umwandlung. Die ganze Atmosphare sozu-
sagen ist von derjenigen des Untergymnasiums, der Sekundarschule ver-
schieden. Der Schiiler tritt mit neuen Lehrern, neuen Lehrmitteln und
Methoden in Beziehung. Die vielen Lehrgegenstande der Unterschule
werden auf wenige beschrankt, einige sind seiner eigenen freien Wahl
iiberlassen. An Stelle des vielstiindigen Schultages tritt eine Durch-
schnittszahl von etwa fiinfzehn Stunden die Woche. Der Unterricht ver-
liert den Charakter der Allseitigkeit und wird oft einseitig. Hier gilt es
mehr als je, unerschlafft im kleinsten Punkt die grosste Kraft zu sam-
meln. Hier kommen die neudeutschen und mittelhochdeutschen Klassi-
ker vollig zur Geltung, nicht als philologisches Material, sondern als Lit-
teratur, als Kunsterzeugnis. Eine Ubersicht der ganzen Litteratur, be-
Deut sober Unterricht an Sekundarschulen und Gymnasien. 143
senders derjenigen des 16. bis i9. Jahrhunderts ist wiinschenswert, aber
ungleich weniger wichtig als eine gute Kenntnis der Dichterwerke selbst.
Vortrage haben im fremdsprachlichen Unterricht sehr problematischen
Wert. In beschrankter Weise sind sie wiinschenswert und notwendig, als
ausschliessliche Methode aber haben sie im Schulplan des Gymnasiums,
meiner Ansicht nach, keine Rechtsexistenz. Die deutsche Sprache sollte,
wo immer moglich, als Unterrichtssprache benutzt werden, d. h. vom Leh-
rer, aber auch von ihm nicht rigoros, nicht auf Kosten klaren Verstand-
nisses wichtiger Fragen. Der Unterrichtsstoff greift besonders die Lit-
teratur des 18. und i9. Jahrhunderts in sich. Das i9. Jahrhundert sollte
jedenfalls fast ausschliesslich in seinen Dramen und in seiner Lyrik zur
Geltung kommen. Ein Uberblick iiber die Prosa des i9. Jahrhunderts
wahrend eines Kursus am Gymnasium scheint unmoglich. Man opfere
den Inhalt nicht der Menge und lasse sich durch das Beispiel der romani-
schen Sprachen nicht verfiihren. Man lese lieber weniger, das Wenige
gan z, und das Ganze tiichtig. Hier eine Nebenbemerkung: Ich bin ein
Feind der editiones usum Delphini, der abgekurzten Ausgaben. Ware
der Lehrer auch geneigt, sich vorschreiben zu lassen, was er lesen solle
und was nicht, so kommen dariiber hinaus noch praktische, sittliche und
asthetische Griinde in betracht. Man nehme irgend einen abgekurzten
Roman und prufe, ob der Herausgefoer nicht die dichterische Form, die
Kunstform. dem Stofflichen aufgeopfert hat ! Davon kenne ich auch nicht
eine einzige Ausnahme. Darum schon sage ich: man lese das Ganze, und
wenn das Ganze des Umfanges wegen in den Rahmen der Scfiule nicht
passt, so lese man etwas anderes. Man denke sich die grausame Pro-
crustesarbeit, vermittelst welcher Freytags ,,Soll und Haben" auf ein
paar Seiten Duodez zusammengehackt worden ist. In der Kunst wiirde
man das Erzeugnis eines solchen Vorgehens ,,Karrikatur" nennen.
Selbst dem guten Trompeter ist jiingst in einer Ausgabe ein pHilosophisch-
misanthropisches Zopflein abgeschnitten worden, und stand ihm doch so
iibel nicht! —
Noch ein zweiter Punkt. Die Werke unserer Klassiker bediirfen
fast immer einer litterarisch-kritischen Einleitung und oft auch Erlaute-
rungen. Niemand wird viel gegen eine sachliche Einleitung und solche
Erlauterungen haben, deren Notwendigkeit man einsehen kann. Wer
sich derselben nicht bedienen mag, wird diese Ausgaben doch immerhin
den Schiilern empfehlen konnen, obschon solche Ausgaben betrachtlich
im Preise hoher zu stehen kommen. Aber ich furchte: wir ,,geben zu
viel heraus". J e d e m Text, selbst dem einfachsten, leichtesten hangt
der Herausgeber unzahlige Erlauterungen an, oft sogar Worterbucher
Diese Erlauterungen zahlen zuweilen das Vierfache der Seitenzahl des
Textes. Wohin soil, das fiihren? Dahin, dass gute tiichtige Hausarbeit
durch fluchtiges Nachschlagen in der Lehrstunde verdrangt wird; dahin,
dass den Schiilern die Speise sozusagen vorgekaut wird! Immer seltener
144 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
erblickt man gute Worterbiicher selbst in den Handen vorgeschrittener
Schiiler; Worterbiicher, in welchen sie nachzuschlagen gezwungen waren,
wobei sich Verstand und Urteil in nicht geringem Masse ausbilden. Das
Ubersetzen wird rein mechanisch, da dem Schuler durch die Erlauterun-
gen fast alle Gedankenarbeit erspart wird. Diese Art Textappendicitis
wiitet sehr schlimm, sie ist epidemisch geworden.
Um nun auf unsern Gegenstand zuruckzukommen, mochte ich soge-
nannte Philologie von den Lehrplanen der Gymnasien ausgeschlossen
sehen. Philologie bedeutet Sprachwissenschaft im Sinne unabhangiger
Sprachforschung, unter Zuhilfenahme solcher Mittel, wie sie ein Gymna-
sium nicht besitzt. Els liegt kein Grund vor, weshalb Gymnasien sich
pratentios auf dem Gebiete der Universitatsstudien breitmachen sollten.
Das Gymnasium hat seine eigenen wichtigen Zwecke, zu welchen die
freie unabhangige wissenschaftliche Forschung nicht gehort.
Ich fasse nochmals kurz zusammen: das Ziel des deutschen Sprach-
unterrichts an Gymnasien und Sekundarschulen (Colleges and High
Schools) in Amerika kann nicht in erster Lmie die Heranbildung von
Philologen, nicht die Erlernung einer Fremdsprache zur Benutzung als
Umgangssprache, nicht die Erhaltung eines abgesonderten Deutschtums,
aber auch nicht das blosse Auswendiglernen von Namen, Daten, Titeln
und Epochen der Litteraturgeschichte sein. Das Ziel des Deutschunter-
richts ist vielmehr vor allem die Einfiihrung durch das 'Mittel der Sprache
in die Kultur eines grossen Volkes, in sein Wissen und Konnen, Denken
und Fiihlen, Leben ud Streben zum Zwecke der eigenen sittlichen und
geistigen Weiterbildung. Dieses Ziel erreicht der feinfiihlende Lehrer,
welcher seiner Aufgabe gewachsen ist, den Lehrstoff beherrscht, dem
Zuge nach dem Idealen auf dem Pfade ehrlicher Arbeit folgt. Nicht die
Methode, sondern die Individualitat des Lehrers sichert Erfolg. Was er
lehrt, mag verloren gehen, vergessen werden; was er ist, das bleibt.
Er nehme sich das Wort eines vielerfahrenen Lehrers, A. Biess'e, zu
Herzen: ,,Es gilt vor allem ein reines, edles, kraftiges Empftnden in der
Jugend zu wecken, denn nur aus ihm erwachst ein kraftiges Wollen, ein
kraftiger Charakter. Das Wissen starkt die Fahigkeiten, weckt die
Talente, aber die Lauterung des Empfindens und Wollens weckt und
starkt den Charakter!"
Wo stehen wir?
Von •/ uliiift Fueha, Cincinnati, O.
Aus einem Vortrage, gehalten am 31. Januar 1901 vor dem Oberlehrer-
verein in Cincinnati, Ohio.
Im Loben und Preisea
Liegt oft ein Verweisen.
Der Schrein mit dem eben erblassten Jahrhundert 1st in den boden-
losen Schacht der Zeit versenkt, und allgemach verhallen die letzten
Klange der mannigfachsten Nachrufe, voll des Lobes und Preises ob der
auf alien Gebieten menschlichen Strebens und Wirkens erzielten Errun-
genschaften, somit auch derer auf dem Gebiete des Erziehungs- und
Unterrichtswesens.
Und wenn beredte Geister, hiiben und driiben, in farbenprachtigen
Gemalden meisterhaft veranschaulichen, was die Schule noch vor fiinfzig
Jahren war, und wie sie jetzt ist, so mag die Welt wahrlich auch dem
Urheber solchen Fortschritts einen Teil des Lorbeers zukommen lassen.
Indes, da ein zweitausendjahriger Spruch besagt, dass in jedem Lob
ein leiser Tadel liege, oder erlautert, dass das Gute nicht des Lobes, das
Bose jedoch des Tadels bediirfe, so wollen wir darangehen, auch jene
Lichtschimmer von hiiben und driiben mit bewaffnetem Auge und be-
dachtigem Sinne eingehender zu sichten, um vielleicht gelegentlich ge-
wisse optische Tauschungen blosslegen und mit der Zeit beseitigen zu
konnen.
Und, so wir als berufsgebildete und berufsbeflissene Erzieher gewis-
senhaft Umschau halten, werden wir ohne Reu und Scheu bekennen
miissen, dass es noch hie und da bei uns auf dem Gebiete des Erziehungs-
wesens ziemlich duster aussieht, ja, dass es uns fast deucht, als ob wir
iiber die Anfangsgriinde praktischer Erziehungsweise noch nicht hinaus
seien.
Im Leben und Streben des Erziehers bilden dessen Vor-, Aus- und
Fortbildung eine nicht zu unterschatzende dreiteilige Hebelkraft zur Er-
langung geeigneter Erziehungsresultate.
Diese dreiarmige, harmonisch geeinte, wirkende Lehrkraft, gehoben
und getragen von einem erleuchteten, opferwilligen Gemein- oder Staats-
wesen, und gewiirdigt von einer einsichtsvollen, fiirsorglichen Verwaltung,
vermag die wahre natur- und zeitgemasse Erziehungsstatte, Schule, zu
schaffen.
Wo stehen wir nun im neuen Jahrhundert? Welches Bild offenbart
sich dem bewaffneten Auge bei einer Umschau?
Wo sind unsere Lehrerbildungsanstalten nach deutschem, streng-
padagogischem Vorbild, in welchen Lernbeflissene durch das lebendige
146 P'ddagogische Monatsbefte.
Wort und Beispiel der Meister ,,lehrfahig" ausgebildet werden, um niclit
als padagogische Naturheiler oder Patentlehrer ihres Amtes walten zu
sollen?
Wo sind unsere Fortbildungsanstalten, Padagogien, wo anerkannte
Altmeister, neue Ideen, Gewebe, an die alten reihen, oder iiberlebte
Ideen, fadenscheinige Gewebe, kunstgerecht und zeitgemass umformen
und umspinnen; wo unsere Vereinsraume mit ihren reichhaltigen fach-
wissenschaftlichen Bibliotheken und Zeitschriften, den neuesten beruf-
lichen Schopfungen und sonstigen Hilfsquellen, dem strebsamen Erzie-
her Gelegenheit bietend, sich auf der Hohe der Zeit halten, semer Ver-
vollkommung leben zu konnen?
Welches erbarmliche Surrogat, Ersatzmittel, wird dem Jugendbild-
ner dafiir hierzulande geboten! Er wird formlich dem lockenden Mo-
loch der Eitelkeit in die Arme getrieben, hochklingende Titel zu erjagen,
und gezwungen, alles Mogliche zu lernen, nur nicht das, was sein Beruf
erfordert und mit sich bringt.
Kein Wunder, dass wir leider noch immer den vom ehemaligen eng-
lischen Mutterlande iibermachten ungluckseligen, naturwidrigen Mecha-
nismus, mit einer Unmasse von Methoden oder Unmethoden, in Anwen-
dung finden! Da wird alles iiber einen Leisten geschlagen, der Indivi-
dualitat keinerlei Rechnung getragen, bloss den Gott-Begnadeten teil-
weise ihre Rechnung gesichert, und zwar auf Kosten der von Natur oder
oder vom Haus aus karglich Bedachten, wo doch letztern vorzugsweise
die Wohlthaten einer verniinftigen Erziehung zugute kommen sollten.
Ein Ausfluss dieser geistlosen Schablone ist der armselige Befund
oder Zustand der zur Veranschaulichung dienenden Lehrmittel. Findet
man doch in mancher deutschen Dorfschule eine reichhaltigere Samm-
lung von wirtschaftlichen, naturgeschichtlichen und physikalischen Ob-
jekten als in unseren Hochschulen!
Diese und gar manche anderen Zustande lehren zur Geniige, dass,
trotz all unserer bisher erzielten Errungenschaften, noch vieles zu wiin-
schen iibrig bleibt, um unser Schulwesen nach innen und aussen zu einem
mustergiiltigen zu gestalten, ja, es drangt sich uns die Frage entgegen,
Ob, um dies erreichen zu konnen, es nicht geboten ware, dasselbe von
der untersten bis zur obersten Stufe vollstandig umzu gestalten.
Wenn alle Kulturstaaten deutschem Schulwesen den Vorrang zuge-
stehen und sich bemuhen, diesem vorziiglichen Beispiele zu folgen, wa-
rum bleiben wir zuriick und zogern noch?
Ware es nicht schon vor dreissig und noch mehr Jahren an der Zeit
gewesen, unsere Schulen von der niedrigsten Elementar- bis zur hochsten
Universitatsklasse so zu gestalten, dass sie den deutschen Schulen gleich-
wertig oder ebenburtig werden.
Sollte es nicht die Pflicht der Eltern sein, nachdem deren Spross-
P'ddagogische Xenien. 147
ling die sechs- oder achtklassige Volksschule zuriickgelegt, somit ein
Alter von 12 bis 14 Jahren erreicht hat, zu wissen, was sie aus demselben
vermoge seiner Neigung und Begabung zu machen gedenken, oder,
welche Gegenstande zu seiner allgemeinen und beruflichen Ausbildung
hauptsachlich erforderlich sind?
Wozu also beispielsweise achtzig Prozenten oder achthundert von
den jahrlich eintretenden tausend Schulern unserer Hochschulen, oft ge-
gen den Willen der Eltern, die lateinische oder irgend eine beliebige
Zwangsjacke anlegen? Was berechtigt zu einem derartigen anmassen-
den, eigenmachtigen Vorgehen? Die Folge davon ist, dass ein bedeu-
tender Prozentsatz der Eingetretenen schon wahrend des ersten Jahres
der Hochschule iiberdrussig wird und diese verlasst. Warum nicht,
wie iiberall in Europa, statt des Wirrwarrs mit den verschiedenen Lehr-
kursen unserer Hochschulen Gymnasien und Realschulen einrichten, die
nicht nur eine griindliche allgemeine, hohere Ausbildung, sondern auch
eine geeignete, zielbewusste Vorbereitung fiir die Uuiversitat oder das
Polytechnikum bezwecken !
Indes moge unser Riigen und Bemangeln bloss als Beweis un-
serer wahren Vaterlandsliebe und treuen Biirgerpflicht gelten, dahin zu
wirken, dieses unser Land zum tonangebenden auch auf dem Gebiete
des Unterrichts- und Erziehungswesens zu machen.
Und moge ferner ein opferwilliges Gemein- und Staatswesen es auch
als eine Ehrenpflicht betrachten, derer nicht zu vergessen, die ihre besten
Jahre und Krafte dem Dienste der Jugend geopfert, den altersgebeug-
ten und gebreehlichen Amtsgenossen den wohlverdienten Sonderbezug
verburgen zu sollen.
Padagogische Xenien.
Der Frankfurter Schulzeitung (No. 16 des vorigen Jah-
res) entnehmen wir eine Reihe von Xenien, die, urspriinglich in der D i-
d a s k a 1 i a, dem Unterhaltungsblatt des Frankfurter Journals,
veroffentlicht, mit ihrem Spott die Auswiichse auf padagogischem Gebiete
hier wie jenseits des Ozeans treffen, ja vielleicht hier noch mehr als drii-
ben angebracht sind.
Zur Einfiihrung.
Der Spott, den ich hier beissen lasse,
Kornmt nicht aus allgemeinem Hasse.
Ach, Gott bewahre, nein — bei Leibe
Ich bin satyrisch — ergo: iibertreibe.
148 P'ddagogiscbe Monatsbejte.
Echte Padagogik.
Lebendige Sinne, anschauliche Kraft,
Nachdenkende thatige Wissenschaft
Und ein wenig dichf rische Phantasie,
Das, dacht' ich, ware ein Lehrergenie.
,,O — o — ich bitte : d a r a u f kommt's nicht an :
,,Methode! Methode! mein lieber Mann!"
Herbartianer.
Ob sie auch falsch, seine Psychologic,
Uns Herbartianer geniert das nie,
Merkt's euch, ihr griinen Jungen:
Es giebt nur ,,Vorstellungen".
Und dann die ,,sechs Int'ressen"
Wollt doch ja nicht vergessen!
Der H e r b a r t hat's uns ja verschafft:
Padagogik ist jetzt Wissenschaft,
Hurra!
Anschauungsmittel.
Die Hauptsache, meine Herrn, ist die:
Ohne Anschauung erreicht man's nie.
Ein Baum, ein Pferd, ein Lammlein mild,
Was war's denn ohne Anschauungsbild?
Und wie der Friihling so herrlich sei,
Das wiisst' man nicht ohne Bildnerei.
Drum, wollt ihr machen den Geist lebendig:
Zeigt Bilder und Bilder — das hilft unbandig!
Das Lehrbuch.
Erzahlen lernen die Kinder nie.
Herzahlen: das nur lehrt man sie.
Und wiirden doch so schon erzahlen,
Liess man sie nur die Worte wahlen.
Aber das vermaledeite Buch!
Wenn sie das konnen, ist's schon genug.
Der Schiller spricht:
,,Die Schulerbesprechung in Konferenzen —
Eine gar bedenkliche Sitte!
Und hatt'st du die besten Referenzen —
Du geratst doch in die Mitte!"
P'ddagogische Xenien. 149
Schwer z u andern!
Der Massen-Klassen-Unterricht
1st wie ein Kirchenlied:
Ist's auch ein herzlich schlecht Gedicht,
Wenn sich's nur recht ins Breite zieht.
Bearbeitung fur die Jugend.
Wenn du das Wort ,,Geliebte" in einem Gedichtelein findest,
Flugs setz' ,,Schwester" dafur — ,,Tante" auch, wenn es sich schickt.
Wo der ,,Geliebte" geweilt, da war es immer ein ,,Onkel"
Oder ein ,,Bruder" vielleicht. — ,,Vetter?" — Bedenklicher schon!
Fandest du dann ein Wort, das der ,,Liebe" ahnlich erklange,
Setze nur ,,Freundschaft" dafiir — alles kannst lesen du dann.
Madchen - Turnen.
,,Was ist denn das fur ein Klimpern und Geigen?"
„ ,,Still, still — sie lernen einen Reigen!" " —
,,Wie? Alte abgedroschene Tanz'?" —
„ ,,O — o — ich bitte — mit Reverenz :
Hier lernt man in Hopsermelodie
Die korperlich-geistige Harmonic!" "
Gesangstudien.
Hauptsache bleibt, dass man das Wie
Der Kunst erfasst, verehrte Herren!
Wichtig ist nur die Theorie!
In praxi blcibt's beim Plarren.
Coedukation nach amerikanischem System.
Wie schon war's, o wie schon und nett,
Wenn jede Turnhoslein auch hatt'!
Was Bub' und Madchen eigentlich ist,
Wiisst' kein anstandiger guter Christ.
Da entwickelte sich erst der gebiihrende Ton!
O hatten wir sie — die Coedukation !
Ferienkurse.
Du, Lehrer, nun sei verniinftig!
Wo die Wissenschaft ist ziinftig,
Da en" in deinen Ferien hin
Und lib' deinen stumpfen Lehrersinn!
Dass man f ii r sich studieren kann,
Glaubt heut' ja kein verniinftiger Mann.
Aber ein paar Kathederbrocken
Aus Deinem Gehirn neue Funken locken.
Editorielles.
Professor Calvin Thomas iiber den deutschen Sprachnnterricht. Mit
lebhafter Frische steht in der Erinnerung des Schreibers dieser Zeilen
dessen Gymnasialzeit mit ihren Freuden, aber auch ihren Leiden. Zwei
Tahrzehnte sind dariiber verflossen, aber immer empfinden wir ein gewis-
ses Gruseln vor den unzahligen regelmassigen und unregelmassigen De-
klinationen und Konjugationen, den mit minutiosester Genauigkeit zu-
sammengestellten Regeln dcr Syntax, den Ubersetzungen, Exerzitien und
Extemporalien. Das war der Inhalt des Unterrichts in den toten, wie
der lebenden Sprache — der franzosischen, Englisch war noch nicht
in den Lehrplan aufgenommen — nie wurde in uns der Gedanke wach
gerufen, dass die Sprache Leben besitzt und nach Leben strebt.
Damals gerade begann der Kampf gegen diese Art und Weise des
Sprachunterriohts. Es war ein doppelter Kampf, einmal gegen die Alt-
philologen, zum andern gegen die aus dem Studium der alten Sprachen
uberkommene Methode des Unterrichts in den modernen Sprachen.
Hartnackig versuchten die Verfechter des Althergebrachten ihre Stellung
zu behaupten, und es war kein Geringerer als der deutsche Kaiser selbst,
der sein Machtwort zu Gunsten der Neuerer in die Wagschale legte, und
so diesen zum wenigstens teilweisen Siege verhalf. Das Ergebnis war,
dass Latein und Griechisch als Lehrfacher beschrankt wurden, dass dafiir
den modernen Sprachen ein grosserer Spielraum gelassen wurde, deren
Ziel geandert und demzufolge ihre Unterrichtsmethode naturgemasser
gestaltet wurde. Man betrachtet gegenwartig das Sprachstudium nicht
bloss als eine Disziplin zur formalen Ausbildung des Geistes, sondern
lasst die lebende Sprache auch lebendig im Schuler werden, indem man
ihn dazu bringt, sich der Sprache im Verkehr zu bedienen, in ihr zu den-
ken und in ihre Geistesschatze einzudringen.
Wie steht es nun bei uns mit dem Sprachunterricht? Nun wir mar-
schieren auch in bezug hierauf wie in vielen andern Sachen, die das Schul-
wesen betreffen, immer hubsch hinten nach, und der Lehrsatz, dass Indi-
viduen sowohl als Gattungen gewisse Entwicklungsstufen durchzuma-
chen haben, scheint auch in der Entwicklung der padagogischen Anschau-
ungen seine Richtigkeit zu haben. So lasst es sich erklaren, dass das,
was jenseits des Ozeans bereits als abgethan betrachtet wird, bei uns als
funkelnagelneue Wahrheit ausposaunt und bejubelt wird.
In unserem Korrespondenzenteil finden die geneigten Leser ejnen
Bericht iiber die erste Versammlung des neuorganisierten Vereins der
Hochschullehrer Gross-New Yorks, in welcher kein Geringerer als
Prof. Calvin Thomas, Haupt der deutschen Abteilung an der Columbia
Universitat, seine Ansichten iiber eine erspriessliche Erteilung des deut-
schen Unterrichts an den Hochschulen kund gab. Dank der eingehen-
den Berichterstattung erhielten wir einen Einblick in seine Ausfiihrungen,
Editorielles. 151
und wir bitten darum unseren Herrn Berichterstatter um Entschuldigung,
wenn wir seine Worte als Basis zu einer Erwiderung beniitzen.
Wir konnen selbstverstandlich nicht auf alle Punkte des Vortrages
eingehen, sondern wollen nur diejenigen hervorheben, die von grundle-
gender Bedeutung fur eine segensreiche Entwicklung des deutschen
Sprachunterrichts in unseren Schulen sind.
Herr Prof. Thomas hat zwei Ziele bei der Erteilung des deutschen
Sprachunterridits im Auge : derselbe soil als Mittel zur formalen Geistes-
schulung dienen und soil den Schuler in deutsche Kultur, deutsches
Geistesleben und deutsche Litteratur einfuhren. Wer wollte ihm hierin
nicht ohne Vorbehalt beistimmen? Nur stosst uns sogleich die Frage auf,
wie Herr Thomas solche 'hohe Ziele erreichen will, wenn er sich des
wichtigsten Faktors in jedem, auch im Sprachunterrichte, der
Volksschule, begiebt. Nicht mit einem Worte erwahnt er derselben.
Unterliess er dies, weil er vor Hochschullehrern sprach? Ein Mann in
seiner Stellung darf keine Opportunitatspolitik trelben, dieselbe kann
Unheil stiften, das schwer wieder gut zu machen ware.
Noch fragwiirdiger wird uns die Erreichung der von Herrn Thomas
angegebenen Ziele, wenn wir die Mittel betrachten, welche er selbst als
zum Ziele fuhrend anrat.
Er verwirft das Sprechenlernen, betrachtet es wenigstens nicht als
Hauptziel. Wir betrachten es als e i n Hauptziel, und zwar als das nachst-
liegende. Wie Herr Thomas Hoheres erreichen will, wenn er das
Nachstliegende verwirft, ist uns unklar. Er will deutsches Geistesleben in
seine Schuler verpflanzen — will sie, so lauten ja unsere Lehrplane, denen
Herr Thomas mit aus der Taufe geholfen hat, Wilhelm Tell, Iphigenie,
Hermann und Dorothea, Faust, Journalisten, Soil und Haben lesen las-
sen, halt es aber fur ,,Zeitverschwendung", Sprechiibungen mit seinen
Schiilern vorzunehmen, die ihrer Umgebung und ihrem Gedankenkreise
Rechnung tragen und sie darum am allerersten in die lebendige Sprache
einfuhren und in ihnen Interesse am Sprachunterricht erwecken.
Im Grammatikunterricht erblickt Herr Thomas alles Heil. Nun wir
wollen diesem Unterrichtszweig seine Bedeutung nicht schmalern; er wird
oft mit Unrecht allzusehr geschmaht. Es ist unsere Ansidht, dass zur
Erreichung unserer Ziele alle Krafte des menschlichen Geistes verwendet
werden mussen, und dass der Grammatikunterricht ein wirksames Mittel
ist, aus dem Sprachgefiihl das Sprachbewusstsein zu entwickeln. Aber
mit Misstrauen betrachten wir die Ausfuhrungen von Herrn Thomas.
Wir wollen ihm nicfat unterschieben, was aus dem Bericht nicht hervor-
geht; doch fiirchten wir, dass er auch noch der Ansicht huldigt, der
Grammatikunterricht habe die formale Geistesbildung zum besonderen
Zwecke. Nun so lange die Grammatik einer toten Sprache in Betracht
kommt, wollen wir ihm nicht widersprechen, wiewohl wir uns wiirdigere
Stoffe denken konnen, die diesem allgemeinen erzieherischen Zwecke die-
152 P'ddagogische Monatshefte.
nen und doch auch praktischen Wert haben; aber die Grammatik einer
lebenden Sprache darf nun und nimmer unter diesem Gesichtspunkte be-
trieben werden. Wollen wir uns denn den alten Zopf, von dem sich das
deutsche Gymnasium allmahlich befreit, anhangen? Er wurde uns schlecht
kleiden.
Natiirlich treibt auch der andere bose Geist, das Ubersetzen, sein Un-
wesen. Das Ubersetzen ist fur den denkenden Menschen ein vorziigli-
ches Mittel, zwei Sprachen zu vergleichen, und hilft ihm sicherlich, beide
Sprachen besser kennen zu lernen und in ihren Geist einzudringen ; darum
gehort es aber nicht an den Anfang des Sprachunterrichts, sondern ans
Ende. Soil das Ubersetzen dazu dienen, den Schiiler in deutsches Geistes-
leben und deutsche Litteratur einzufiihren, dann raten wir jedem Lehrer,
seinen Schiilern mustergiltige Ubersetzungen unserer deutschen Meister-
werke in die Hand zu geben, anstatt jene grausam zu zerstiickeln und
sie dann miihsam in schlechtes Englisch zu iibertragen, in dem die Schii-
ler nichts weniger als die Schonheiten der deutschen Sprache erkennen
werden.
Wir sagen mit dem Obigen nicht zu viel. Wie viele unserer Hoch-
schiiler, die den vorgeschriebenen deutschen Kursus durchgemacht haben,
sind wirklich in die deutsche Litteratur eingedrungen, so dass sie Gefal-
len daran finden und ihre Schonheiten, sowie ihren tiefen Gehalt zu wur-
digen verstehen? Hochstens das ist erreicht, was Herr Thomas vermei-
den will, oberflachliche und ausserliche Bekanntschaft, die nicht einmal
auf empirischem Wege — dann hatte der Geist docfi wenigstens etwas ge-
wonnen — erworben ist, und spurlos im spateren Leben verschwindet.
Summa: Mochten sich unsere Hochschul- und Universitatslehrer,
mit Herrn Prof. Thomas an der Spitze, der Volksschule als des grundle-
genden Faktors fur ihre Arbeit mehr erinnern, als sie es bis jetzt gethan
haben und zu thun geneigt sind! Dann wird eine Arbeitsteilung mog-
lich sein, die eine nach alien Seiten hin erfolgreiche Thatigkeit sicher-
stellen wurde, weil sie naturgemass gestaltet werden konnte. Die
"Natural Methods" konnten ebenso, wie der Grammatikunterricht und
das Ubersetzen zu ihrem Rechte gelangen, aber jeder Zweig derselben zur
geeigneten Zeit und auch in der geeigneten Weise. Und der Erfolg
wiirde der sein, dass wir Menschen heranbilden, die imstande sein wiir-
den, nicht nur eine Unterhaltung in der deutschen Sprache zu fiihren, son-
dern auc'h noch nach ihrem Austritt ausderSchuleein
gutes deutsches Buch mit Verstandnis und darum mit Vergniigen zu
lesen. Wenn wir das erreichen, dann wollen wir uns vollstandig begnii-
gen, und alle ,,hoheren Zwecke" dem gesunden Menschengeiste iiber-
lassen.
M. Q.
Fur die Schulpraxis.
I. Die Behandlung des Aufsatzes in den drei unteren Klassen.
Vortrag, gehalten vor dem deutschen Lchrerverein von Baltimore, von Louise Muller,
Lehrerin an der Stadtschule No. 95 ztt Baltimore.
Es ist mir die ehrenvolle Aufgabe gestellt worden, den Aufsatz in den ersten
drei Klassen zu behandeln, und da mochte ich nun von vorne herein betonen,
dass von, einem Aufsatz, einem wirklichen deutschen Aufsatze wohl kaum in
diesen drei Klassen die Rede sein kann, wohl aber von \rohlgeordneten, klei-
nen Sprech- und Schreibiibungen, die auch der Anfanger schon im ersten Schul-
jahre leisten kann und leisten sollte.
Diese Ubungen sollten stets von voraufgehendem Anschauungsunterricht be-
gleitet sein.
Schon seit Jahrhunderten herrschte uiiter den Gelehrten vielfach die Mei-
nunga dass der Anschauungsunterricht einer der notwendigsten Faktoren der
Erziehung sei. Luther wies darauf hin, dass ,,der Wortkenntnis die Sachkennt-
nis und das Sachverstandnis voraufgehen sollte". Comenius schreibt im
siebzehnten Jahrhundert: ,,Warum sollten wir nicht statt toter Biicher das
lebendige Buch der Natur aufschlagen? Warum sollten wir lieber mit fremden
Augen sehen, als mit den eigenen? Alles werde so viel wie moglich den Sinnen
vorgefiihrt, namlich Sichtbares dem Gesichte, Horbares dem Gehor. Die Men-
schen miissen die Dinge selbst kennen lernen und durchforschen, nicht aber
nur fremde Beobachtungen und Zeugnisse iiber die Dinge." Comenius fordert
dann, dass der Lehrer iiberall, wo es angeht, das Unterrichtsobjekt in natura
anschafft, wo dies unthunlich sei, Bilder und Modelle verwende.
Jean Jaques Rousseau war einer der eifrigsten Vorkampfer des Anschau-
ungsunterrichtes; er geisselte in scharfster Weise das geistlose Unterrichten,
das nicht auf Anschauung beruht, sondern nur Worte, Worte, nichts als Worte
,lehrt. Die ersten Vermogen, die sich in uns bilden und entwickeln, sind die
Sinne; sie muss man also auch am ersten anbauen. Wir verstehen nur so zu
sehen, zu horen, zu fiihlen, wie wir es gelernt haben. tibt also nicht allein die
Krafte, iibt auch die Sinne, die die Krafte leiten; zieht von jedem derselben den
moglichsten Vorteil!
Durch Pestalozzi erhielt der Anschauungsunterricht endlich eine selbststan-
dige Stellung im Unterricht. Er spricht in seiner Erziehungsschrift, wie
Gertrud die Kinder lehrt: ,,Von dem Augenblicke an, wo das Kind fiir die
Eindriicke der Natur empfanglich wird, von dem Augenblicke an iibernimmt die
Natur die Erziehung." — Daher ist es unsere grosste und schonst'e Aufgabe, die
Augen und Ohren der Kinder zu offnen, sie richtig sehen und horen zu lernen,
damit sie fahig werden, selbst zu lesen in dem offen vor ihnen liegenden herr-
lichen Buche der Natur.
In den ersten fiinf bis sechs Monaten des Schuljahres kann bei den Kin-
dern noch nicht die Rede sein von der schriftlichen Wiedergabe irgend eines
selbstandigen Gedankens, Oder auch nur von der Reproduktion des vom Lehrer
Gehorten.
In diesen ersten Monaten sollte jedoch fleissig darauf hingearbeitet werden,
Material zu sammeln fiir die k'ommenden schriftlichen Arbeiten der Kleinen.
Anschauungsunterricht sollte taglich vorgenommen werden. Meinen ersten An-
schauungsunterricht erteile ich in folgender Weise: Ich zeige auf die Gegen-
stande im Schulzimmer, wobei ich frage: Ist das der Stuhl? ist das der Tisch?
154 PMagogiscbe Monatsbefte.
ist das das Fenster, die Wand, der Fussboden, die Bank, der Knabe, das Mad-
chen u. s. w., worauf zu antworten dem Kinde sehr leicht wird, da ja die Ant-
wort schon in der Frage enthalten ist, das ist der Stuhl, der Tisch, das Fenster
u. s. w. Nachdem ich dieses Verfahren wahrend etwa einer Woche geubt, lasse
ich mir wahrend der nachsten Woche die Gegenstande von den Kindern zei-
gen, indem ich frage: Wo ist der Stuhl? wo ist der Tisch, das Fenster u. s. w.
In der folgenden Woche nehme ich dann einige Tierbilder in derselben Weise
vor; ich benutzte zu diesem Zwecke die Leutemann-Lehmannschen Tierbilder,
denen ihrer Grosse und ihres Farbenreichtums wegen die Kinder ein leicht
begreifliches, grosses Interesse entgegenbringen.
Ich zeige z. B. das Bild der Kuh und frage: Ist das die Kuh? Die Antwort
wird nicht im Chor gegeben, ich beschranke iiberhaupt das ,,im Chor spre-
chen" auf das Allernotwendigste; nur wenn ein schwieriges Wort zu lernen ist
Oder beim Erlernen eines Verschens bringe ich es in Anwendung, also die Ant-
wort des Einzelnen lautet: Das ist die Kuh. Ist die Kuh ein Tier? Die Kuh
ist ein Tier. Ist die Kuh ein kleines Oder ein grosses Tier? Die Kuh ist ein
grosses Tier. Hat die Kuh einen Kopf? Was hat die Kuh sonst noch? Nun
tteite ich die Kinder an, die Teile hiibsch der Reihe nach aufzuzahlen, was in
kurzer Zeit gelernt wird. Die Kuh hat einen Kopf, einen Hals, einen Rumpf,
einen Schwanz und vier Beine. Dabei lasse ich die schwacheren Schiiler die
verschiedenen Teile mit dem Stocke zeigen, was ihnen immer sehr viel Vergnii-
gen bereitet. Vor alien Dingen lege ich den Kindern immer die Antwort richtig
in den Mund, damit so wenig wie moglich falsch in der Klasse gesprochen und
somit auch gehort wird. Natiirlich kommt ohnehin noch sehr viel Mangelhaftes
zum Vorschein, und ist stete sorgsame Aufmerksamkeit des Lehrers erforder-
lich, das Unkraut auszumerzen. Nur derjenige, der selbst den ersten Grad mit
Liebe unterrichtet Oder unterrichtet hat, wird mir nachfuhlen und mich ver-
stehen, wenn ich behaupte, dass eine unermessliche Geduld in der ersten Klasse
erforderlich ist, eine weit, weit grossere Geduld, als in irgend einer anderen
Klasse; aber freilich ist auch die Freude am Gelingen der Arbeit eine viel rei-
chere, als in irgend einer andern Klasse. Mit welch stolzer Genugthuung er-
ftillt es den Lehrer, die ersten kleinen, selbstandigen Arbeiten der Kinder zu
sehen und sich sagen zu konnen: ,,Das haben die Kinder nur dir allein zu
danken".
Nachdem ich wahrend der nachsten Wochen mehrere Tierbilder vorgenom-
men, komme ich wieder auf die Schulstube zuriick, indem ich meine Fragen
wieder auders stelle. Ich frage nun z. B.: Wie viele Wande hat die Schulstube,
;wie viele Fenster, Thiiren, Wandtafeln, was befindet sich alles in der Schul-
stube, woraus sind die verschiedenen Gegenstande gemacht u. s. w. Oft nehme
ich irgend eine Frucht, z. B. einen Apfel; ich frage: Was ist das? Das ist ein
Apfel. Was ist der Apfel? Da kommt es natiirlich vor, dass mir ein Kleiner
.die lakonische Antwort giebt: "apple", worauf ich meine Frage in dieser Weise
wiederhole: Ist der Apfel eine Frucht? Jetzt hat er begriffenmnd verkundet:
der Apfel ist eine Frucht. Was hat der Apfel? Der Apfel hat eine Schale,
einen Stengel, eine Krone. Ich nehme nun ein Messer und beginne, den Apfel
zu schalen, dabei die Kinder fragend: was thue ich jetzt? womit schale ich den
Apfel? was kann man sonst noch schalen u. s. w. Wenu. der Apfel geschalt ist,
wird er in zwei, dann in vier Teile geschnitten, dabei jeder Teil benannt, dann
zahlen wir die Kerne, und nachdem wir noch uoer den Apfelbaum gesprochen,
wird das Versuchsobjekt nebst einigen seiner Bruder unter die Kinder verteilt
und von denselben natiirlich mit grossem Behagen verspeist. Eg ware mir an-
moglich, alles, was beim Anschauungsunterrichte vorgenommen wird, aufzuzah-
T)ie Bebandlung des Aufsat^es in den 3 unteren Klassen. 155
len; so vieles und so mancherlei kommt impulsiv, gar oft wird die Gelegenheit
beim Schopfe genommen, und was sich gerade bietet, bearbeitet. Was den Klei-
nen ein ganz besonderes Vergnugen bereitet, ist, wenn wir ,,Tischlein deck dich"
spielen, das heisst, wir decken den Tisch mit allem, was darauf gehort, wobei
^ir leider der Zauberstab fehlt, es in natura zu thun; und nun darf ein jedes
sagen, welches seine Lieblingsgerichte sind und was es am liebsten isst, wobei
herrliche Gelegenheit sich bietet, das allbeliebte ,,i c h g 1 e i c h e" auszumerzen.
Meine unendlich einfache Methode mag meinen verehrten Kollegen und Kol-
leginnen vielleicht zu leicht und einfaltig erseheinen; doch wollen wir nicht
ausser Acht laasen, dasa wir kleiae, sechsjahrige Kinder vor uns haben, deren
deutscher Sprachschatz unendlich armselig ist, ja von denen wir oft von Herzen
wiiBschen, sie hatten das entsetzliche Deutsch, welches sie zuweilen sprechen,
nie gehort; wir wollen nicht vergessen, dass es nicht von dem Durchschnitt der
deutschamerikanischen Kinder zu verlangen ist, deutsch zu denken, dass sich
dies erst durch sorgsamen Unterricht erzielen lasst und gewiss nicht in wenigen
Monaten. Wollten doch alle Lehrer beherzigen, dass wir uns viel zu leicht ver-
leiten lassen, die geistigen Krafte der Kinder zu iiberschatzen, dass wir zu
schnell vorwarts gehen, zu viel erwarten und verlangen und naturlich durch
schlechte Resultate bitter enttauscht sind. Gebt dem Kinde leicht fassliche
Arbeit, versucht es, ihm seine Aufgaben interessant zu machen, und es wird
freudig seine Arbeit liefern und wird sie gut liefern. Ist es nicht viel befriedi-
gender fur Eltern, Lehrer und Schiller, das Kind lernt in den ersten drei Jahren
fliessend lesen, schon schreiben und vor alien Dingen deutsch sprechen und zwar
gut und viel sprechen, sowie allenfalls kurze, kleine Beschreibungen iiber Tiere,
Blumen oder andere Gegenstande selbstandig schreiben, als wenn es lange
Aufsatze liefern soil, von denen es nichts versteht, nichts verstehen kann, weil
seine Sprachkenntnisse nicht "ausreichen. Woran liegt es so haufig, dass wir
Klagen horen iiber schlechtes, nachlassiges Arbeiten der Kinder, dass die Kin-
der die verlangten Aufgaben halb oder gar nicht machen? Es liegt meiner An-
sicht nach sehr haufig daran, dass wir nicht tief genug hinabsteigen konnen
zum Begriffsvermogen des Kindes, dass wir das Kind nicht genug verstehen.
Nur der wird gliickliche Resultate zu verzeichnen haben, der gleichsam selbst
wieder zum Kinde werden kann, nur derjenige, welcher sich die Miihe giebt, zu
erforschen, wie weit ein Kind zu denken vermag; aber wer sich in hochtonen-
den Worten und Redewendungen im ersten, zweiten oder dritten Grade ergeht,
die vielleicht im achten Grade noch kaum verstanden wiirden, der spricht iiber
die Kopfe hinweg, und das Resultat wird ein schlechtes sein.
Zunachst sollte der Lehrer sein Hauptaugenmerk darauf richten, eine lang-
same, deutliche Aussprache zu erzielen, und dies kann nur dadurch erzielt wer-
den, dass der Lehrer selbst sich befleissigt, so deutlich und langsam wie mdglich
seine Fragen zu stellen und darauf zu bestehen, dass der Schiller stets seine
Antwort in einen verstandigen Satz kleide. Nur durch stete t)bung, in vollstan-
digen Satzen zu antworten, kann das Kind zum Denken und zur Wiedergabe
seiner Gedanken gebracht werden. Mit Recht sagt Alfred Graff under: ,,Das
Verfahren, alle Antworten in vollstandigen Satzen geben zu lassen, ist aller-
dings im Anfang zeitraubend, wie jedes griindliche Verfahren, spater aber desto
mehr zeitsparend, weil dann am meisten Zeit gespart wird, wenn am vollstan-
digsten gedacht wird." Techner sagt hieriiber: ,,Zuerst hat der Lehrer mit
allem Eifer darnach zu trachten, dass er selbst immer gut spreche; mit grosser
Peinlichkeit hat er sich und seine Worte zu iiberwachen, dass er sich nicht zum
Vielreden hinreissen lasst, sondern seine Schiiler zu Worte kommen lasst Das
1st nicht leicht und erfordert viel Auftnerksamkeit, Gewissenhaftigkeit und
Selbstzucht."
156 P'ddagogische Monatshefte.
Hat nun der Lehrer einige Monate hindurch fleissig Anschauungsunterricht
gegeben, und hat das Kind inzwischen geniigende Schreibfertigkeit erlangt, so
kann schon etwa im Februar mit dem Schreiben kleiner Satze begonnen werden.
Ich verfahre dabei etwa folgendermassen. Ich nehme z. B. eine Rose und lasse
mir dieselbe natiirlich erst miindlich von den Kindern beschreiben, wobei ich
immer die Reihenfolge beibehalte: Was ist die Rose? was hat sie, Wurzel,
Stamm, Stengel, Blatter, Bliiten, Dornen; wo wachst die Rose? wie ist sie? wann
blviht sie? Nachdem dies tiichtig und griindlich eingeiibt ist, auch die schwien-
gen Worter von der Wandtafel abgelesen wurden, sage ich den Kindern, mir
aufzuschreiben, was sie von der Rose wissen; vier bis fiinf kleine Satze genii-
gen mir. Ausser der Rose nehme ich die Lilie als Aufsatz, wenn wir es nicht
als eine Entweihung des Begriffes Aufsatz auffassen wollen; von den Tieren
wahle ich das Huhn, die Kuh, die Ente u. s. w., von den Baumen die Eiche, die
Tanne, ferner die vier Jahreszeiten, die Schule u. s. w.
Dieselben Themata, die in der ersten Klasse auf solche Weise miindlich und
schriftlich bearbeitet wurden, sollten auf jeden Fall in der zweiten und dritten
Klasse wieder vorgenommen werden, mit kleinen Erweiterungen in jeder Klasse.
Sicher wurde dann der Schiller nach dreijahrigem Kursus eine annehmbare
Arbeit liefern konnen, wenn. auch immer nur noch in einfachen Satzen. Man
mag mir den Vorwurf machen, dies sei ein schablonenhaftes Verfahren, docft.
vergessen wir nicht, dass wir nicht in Deutschland sind; unsere Kinder spre-
chen nicht gerne deutsch, wie viel weniger werden sie deutsch denken. Und
was wir wollen, und was wir sollen, ist, unsere Jugend zu lehren, deutsch lesen,
schreiben und vor alien Dingen deutsch sprechen zu konnen. Je mehr und je
griindlicher das letztere in den ersten Schuljahren geiibt wird, um so leichter
wird in den spateren Schuljahren das Gedachte geschrieben werden konnen.
Darum vor allem: binweg mit den vielen zeitraubenden Buchstabierubungen.
"Was niitzt es dem Kinde, taglich zwanzig Worter zu buchstabieren, wenn es
kein einziges davon zu gebrauchen weiss. 1st es nicht viel verniinftiger, man
lasst neben einem kurzen Diktat taglich einige Satze aufschreiben, die dem
Kinde Gelegenheit geben, Worter, die es gelernt, richtig anzuwenden; und wie
viele kostbare Zeit geht durch das Nachsehen und Verbessern der Fehler in den
Buchstabierarbeiten verloren.
Ich mochte nochmals hervorheben, dass die in vorgeschriebener Weise ein-
geiibten Themata unbedingt in der zweiten Klasse in etwas erweiterter Form
wieder durchgenommen werden sollten; einige Aufsatze konnen hinzugefiigt
werden, dann sollten ganz dieselben mit wiederum hinzugefiigter Erweiterung
in der dritten Klasse bearbeitet werden. Hierdurch ware uns zugleich eine
schone Gelegenheit geboten, die Arbeiten der Kinder von Jahr au Jfthr zu ver-
glefchen. Zum Beispiel, man giebt in alien drei Klassen zu derselben Zeit das-
selbe Thema, welches natiirlich von den Schiilern der zweiten und dritten Klasse
in der ersten resp. ersten und zweiten Klasse vorher geiibt worden war, und
sieht, ob Fortschritt Oder Riickgang zu verzeichnen ist; denn leider kommt auch
das letztere zuweilen vor. — Doch um das zu bewerkstelligen und zu erreichen,
muss ein inniges Zusammenwirken der Lehrerinnen unumganglich stattnnden,
es muss ein Handinhandarbeiten sein in vollstandiger tJbereinstimmung.
Wie kann eine Lehrerin in der zweiten Klasse erfolgreich weiter bauen an dem
Fundamente, wenn sie keine Ahnung hat, welches Material bis dahin verwandt
wurde, und mit welchem Schmerz erfiillt es den ehrlich denkenden Lehrer, wenn
er sehen muss, wie alles miihsam, ach nur zu miihsam Erworbene und Einge-
pragte so gaaz bei Seite geschoben wird. Darum mochte ich an alle L/ehrerin-
nen der ersten drei Klassen die ernstliche Bitte richten, lassen Sie uns zusam-
J/om Roste. 157
menhalten, zusammen arbeiten; verstandigen Sie sich ganzlich mit der Lehrerin
des vorhergehenden Grades, passen Sie Ihre Arbeit der Vorgangerin an. Einig-
keit macht stark, und durch einiges Zusammenwirken lasst sich wirklich viel,
sehr viel erreichen auf diesem Felde. Wir konnten auf diese Weise wenigstens
erreichen, dass die Schiller beim Eintritt in die vierte Klasse iiber bestimmte
Gegenstande kleine selbstandige, richtige Schreibubungen liefern konnen.
Wie ein Haus mit schwachem Fundament oft schon beim Bauen zusammen-
stiirzt, so geht es den armen Kindern, die mit schwacher Grundlage in die hohe-
ren Klassen versetzt werden, und von denen jetzt Arbeiten verlangt werden, die
sie mit dem besten Willen nicht liefern konnen; da stiirzt eben alles zusammen,
und der arme Lehrer verzweifelt an seiner Aufgabe. Lassen Sie uns einig zu-
sammen stehen und ein Fundament bauen, stark genug, darauf weiter zu bauen,
und ich bin sicher, die Lehrer der hoheren Klassen werden es uns Dank wissen
und werden mit um so grosserer Lust weiter schaffen an dem schonen Werk,
das wir begonnen.
II. Vom Roste.
Fiir die Mittelstufe der Volksschnle dargestellt von Lehrer W. Paul, Neu-Weissensee-Berlin.
(Aus ,,Atts der Schule, fiir die Schole.")
Wenn die Hausfrau das Messer aus dem Tischkasten holt, so findet sie es
wohl manchmal mit rotlichen Flecken bedeckt. Das ist der Rost. Rost bildet
sich auch an dem Nagel, der in der Wand steckt, an alten Schlossern und Thii-
ren, an dem Reifen, der das Rad zusammenhalt, und an dem Pfluge des Land-
mannes.
Alle eisernen Gegenstande rosten.
Aber woher kommt der Rost? Wenn Messer und Gabel nach der
Mahlzeit fein sauberlich abgewischt werden, so werden sie selten vom Koste
heimgesucht. Stets aber tritt derselbe auf, wenn diese Gegenstande nach dem
Gebrauche noch langere Zeit in feuchtem Zustande liegen bleiben. In einer
trockenen Stube merken wir von dem Roste so gut wie nichts. In einer feuch-
ten Kiiche oder Kammer konnen wir ihm taglich begegnen. Also wird der
Rost von der Feuchtigkeit kommen.
Um zu sehen, ob unsere Vermutung richtig ist, wollen wir ein Messer be-
trachten, das wir vor ungefahr einer Stunde etwa bis zur Halfte ins Wasser ge-
taucht haben. Es ergiebt sich, dass alle diejenigen Teile, welche mit dem Was-
ser in Beriihrung gekommen sind, vom Roste bedeckt sind, wahrend die ubrigen
Teile ihr blankes Aussehen behalten haben. Der Rost wird also durcft
die Feuchtigkeit herbeigefii h rt. Darum rosten auch die Gegen-
stande bei Regenwetter verhaltnismassig schnell, und in feuchten Gegenden
tritt der Rost immer mehr auf als in trockenen.
WelcheWirkungiibtnun derRostaus? Gabe es keinen Kost,
so wiirde sich die Hausfrau in der Kiiche manche Arbeit ersparen konnen.
Denn der Rost ist es, der sie zwingt, immer wieder zum Putzzeuge zu greifen,
well er stets von neuem bemiiht ist, den schonen Glanz der Kiichengerate zu
zerstoren und ihnen ein stumpfes Aussehen zu verleihen. Gabe es keinen Kost,
so wiirde sich die Hausfrau in der Kiiche manche Ausgaben ersparen konnen.
Denn woher kommt es, dass unsere eisernen Kochtopfe und Trinkgefasse so
leicht kleine offnungen empfangen, aus denen das Wasser in hellen Tropfen her-
vorsickert? Der Rost hat sich daran festgesetzt und nicEt eher nachgelassen,
158 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
bis das Eisen ganz durchfressen war. Auch noch manche andere Dinge richtet
der Rost an. Alte Nagel macht er so miirbe, dass sie bei der geringsten Veran-
derung ihrer Gestalt in Stucke zerbrechen. Schloss und Schliissel verbindet er
manchmal so fest miteinander, dass sich dieser weder nach der einen noch nacn
der andern Seite herumdrehen lasst. So w i r k t der Rost fortwahrend
zerstorendaufdieSchopfungendesMenschen ein. Er
ist stets bemiiht, das blanke Metall, das der Mensch einst aus erdigen Stoffen
gewann, wieder in erdige Stoffe zu verwandeln.
Wie schiitzen wir uns nun gegen diese Wirkung
des Rostes? Da der Rost durch die Feuchtigkeit hervorgebracht wird, so
wird* es vor allem darauf ankommen, eiserne Gegenstande recht trocken zu
h a 1 1 e n. Messer und Gabel miissen darum nach dem jedesmaligen Gebrauche
recbTt sorgfaltig abgetrocknet und an einem trockenen Orte aufbewahrt werden.
Stahlfedern miissen nacb. ihrer Benutzung fein sauberlich von Tinte befreit und
womoglich von einer trockenen Hiille umgeben werden. Bei vielen Gegenstan-
den ist es aber nicht moglich, sie der Einwirkung der Nasse zu entziehen. Der
Deckel, der auf dem Kbchtopfe liegt, kommt fortwahrend mit dem Dampfe in
Benihrung, und der eiserne Pfeiler, der die Briicke tragt, ist stets vom Wasser
umspiilt. Hier hat man andere Mittel angewandt, um die Bildung des Rostes
zu verhindern. Der eiserne Deckel ist mit Zinn, d. i. einem bleiahnlichen Me-
talle, iiberzogen und der eiserne Trager mit Olfarbe iiberstrichen. Von dem
ole wissen wir, dass es kein Wasser annimmt, weil es fettig ist, und der Zinn
lasst ebenfalls keine Feuchtigkeit zu dem Eisen gelangen. Wo also eiserne
Gegenstande fortwahrend der Einwirkung der Nasse ausgesetzt sind, kommen
schutzende Uberziige zur Anwendung. Solchen schiitzenden tiberzug
bildet auch das Email, eine glasartige Masse, mit welcher unsere eisernen Kocn-
gerate iiberzogen sind.
Ole und andere fettige Korper aber haben nicht nur die Fahigkeit, blankes
Eisen gegen das Rosten zu schiitzen, sondern sie sind auch imstande, rostiges
Eisen aufzulosen. Darum nimmt man auch 01, um das rostige Schloss wieder
in den Gang zu bringen, und man verwendet Petroleum, um eingerostete Ge-
genstande wieder vom Roste zu befreien.
Kommt der Rost in das Blut des Menschen, so kann er Entziindung, ja
selbst den Tod herbeifuhren. Man soil sich darum hiiten, auf rostige Nagel zu
treten, oder mit gewohnlichen Nahnadeln und Messern Geschwiire und blasige
Hautauftreibungen zu offnen. An Waschestiicken erzeugt der Rost die soge-
nannten Eisenflecke, welche schwer zu entfernen sind und darum von der Haus-
frau mit Recht gefiirchtet werden.
Berichte und Notizen.
I. Osterreichische Schulverhaltnisse und Lehrergehiilter.
(Fiir die Padagogischen Monatsheftc.)
ttber obiges Thema hielt Herr Dr. F. Monteser vor dem Verein deut-
scher Lehrer von New York und Umgegend in dessen Januarsitzung (siehe Kor-
respondenz aus New York) einen Vortrag, aus welchem folgende Angaben von
allgemeinem Interesse sein werden.
Der Redner gab zuerst eine Skizze der Geschichte der osterreichischen
.Volksschule von der Zeit der Kaiserin Maria Theresia bis zum Erlasse des
Reichs-Volksschulgesetzes des Jahres 1869 und von da an bis zur Gegenwart.
Er zeigte, welch verderblichen Einfluss auf die Volkserziehung das Vorherrschen
der reaktionaren Parteien in Osterreich stets gehabt hatte, und beleucntete
dann gewisse traurige Zustande der Jetztzeit.
Sehr schlecht ist es vor allem mit den Gehaltsverhaltnissen der Lehrer be-
stellt. Trotz der Bestimmung des Reichs-Volksschulgesetzes, dass die Minimal-
beziige, unter welche kein Kronland herabgehen diirfe, so bemessen sein sol-
len, dass Lehrer und Unterlehrer, frei von hemmenden Nebengeschaften, ihre
ganze Kraft dem Berufe widmen und erstere auch imstande sein soilen, eine
Familie ernahren zu konnen, so stehen doch mehr als 50% der osterreichischen
Lehrer hinsichtlich ihres Einkommens zum Teile weit unter dem sog. Existenz-
minimum, das als 600 Gulden angenommen wird. Es wird berichtet, dass Leh-
rer buchstablich Hungers gestorben seien, was uns bei einem monatlichen l*e-
halt von sechs bis sieben Dollars ( ! ! ) allerdings nicht Wunder nehmen
kann. Nur die an den staatlichen Lehrerbildungsanstalten angestellten Lehrer
befinden sich in einer etwas besseren Lage, allein auch deren Gehalt 1st kaum
dem eines Beamten der niedrigsten Rangklasse gleich.
Speziell in Wien, fuhr der Redner fort, sei, seitdem die sog. christlich-so-
ziale Partei, mit dem ,,be — riihmten" Burgermeister Liiger an der Spitze, die
Herrschaft fiihrt, das Schicksal der fortschrittlich gesinnten Lehrer sehr bekla-
genswert. Wer nicht zur Fahne der herrschenden Partei schwore und ihr
Handlangerdienste leiste, werde geachtet. Belohnungen und Beforderungen ftir
die Anhanger der Partei, Zuriicksetzungen, Disziplinaruntersuchungen und Stra-
fen fiir die der anderen seien an der Tagesordnung. Lehrer seien sogar ge-
massregelt worden, weil sie arme Kinder im Schulgebaude mit Kleidern be-
schenkt batten. Geriigt wurde dabei nicht nur der Umstand, dass diese Vertei-
lung ohne amtliche Erlaubnis stattgefunden, sondern namentlich, dass hiezu der
Tag des Regierungsjubilaums des Kaisers gewahlt worden sei.
Die achtjahrige Schulpflicht ist natiirlich der christlich-sozialen Partei oin
Dorn im Auge, und es wird Lehrern als strafwiirdiges Verbrechen angerechnet,
offentlich gegen die Aufhebung dieses Gesetzes aufzutreten. Uberhaupt sei es
so weit gekommen, dass nur Lehrer, die eine ,,christlich-soziale" Gesinnung an
den Tag legen, auf definitive Anstellung rechnen konnen, wahrend andere, mo-
gen sie auch noch so tuchtig sein, sich wahrend zehn bis fiinfzehn Jahren und
noch langer mit provisorischen Unterlehrerstellen und einem Jahresgehalt von
720 Gulden ($288) begniigen miissen.
Auch auf die Schulkinder erstrecke sich die Schulfeindlichkeit der leitenden
Kreise. So entzog man im vorigen Jahre durch eine spezielle Verordnung den
armen Kindern die Lernmittel fast ganzlich, wahrend sie friiher unentgeltlich
von Seite der Stadt geliefert wurden.
160 Padagogiscbe Monatsbefte.
Bei so kleinlicher Sparsucht der grossen Gemeinde Wien wird man auch in
bezug auf Schulbauten keine hochgespannten Erwartungen hegen dlirt'en. in
der That herrscht auch ein solcher Mangel an Schulgebauden, dass die dadurch
hervorgerufene Uberfiillung der Klassen eine ernste Gefahr t'tir die Gesundheit
der Kinder bildet.
Zum Schlusse seiner Auseinandersetzungen wies der Redner auf den wirt-
schaftlichen Niedergang Wiens, besonders im Vergleiche mit dem Aufbluhen
von Berlin bin. Wenn auch noch andere Faktoren fur diesen traurigen Ruck-
gang verantwortlich zu machen seien, so stehe derselbe doch unleugbar mit der
geschilderten Lage des Erziehungswesens in einem gewissen Kausalzusammen-
hange. Es sei jedoch erfreulich, dass die Herrschaft der ,,christlich-sozialen"
Partei, wie es nach dem Ausgang der jungsten Reichstagswahlen den Anschein
Babe, endlich zu Ende zu gehen im Begriffe sei, und dass die fortgeschrittenen
und gebildeten Schichten der Bevolkerung hoffentlich bald den ihnen gebuhren-
den Einfluss auf die Leitung der stadtischen und besonders der Schulangelegen-
heiten erringen wiirden.
Der freisinnigen Lehrerschaft Wiens aber, die trotz der Ungunst der Ver-
haltnisse im Kampfe ausharrt und nicht nur wacker ihre Pflicht thut, Bondern
auch im Dienste der Erziehung stetig an ihrer eigenen Fortbildung weiter arbei-
tet, gebiihre die Achtung der Erziehungsfreunde der ganzen Welt, und der Sieg
sei ihr im Interesse des Fortschritts und der Kultur auf das innigste zu wiin-
schen.
II. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogischen Monatsheftc.)
Baltimore.
Mit dem Monat Februar hat die Um- jede Schule hat einen Vizeprinzipal
gestaltung des hiesigen Schulwesens mit einem Gehalt von $900, welches
ihren Anfang genommen. Die Schu- in grossen Schulen auf $1200 erhoht
len sind neu mimeriert und in Be- werden kann; alle anderen Lehrer
zirke (Gruppen) eingeteilt worden, und Lehrerinnen in Elementarschu-
das Lehrerpersonal hat eine weitge- len, Assistenten genannt, erhalten von
hende Anderung erfahren. Die Prin- $300 bis $504, die letztere Summe aber
ripalstellen an den einzelnen Schulen erst nach 5-jahrigem Lehramt; beste-
sind abgeschafEt. Nach der Neunu- hen sie dann ein gutes Examen, so
merierung fallen die Bezeichnungen konnen sie $600 erhalten, wenn die
Primar-Grammar-, englisch-deutsche Verwilligung es erlaubt; Lehrer und
und Negerschulen weg1, die Schulen Lehrerinnen, die jetzt in den offent-
sind nur noch nach Nnmmern be- lichen Schulen unterrichten, beziehen
kannt, und zwar von 1 — 157 und mehr. in Zukunft das Gehalt, welches sie
Von 1 — 50 sind Primarschulen, 51 — 70 zuvor bezogen, wenn es auch mehr als
Annexschulen, 71 — 90 Grammarschu- $504 betragt; der zweite Hulfssuperin-
len, 91 — 100 englisch-deutsche Schulen tendent soil $2400 pro Jahr beziehen,
und von 101 — 150 Negerschulen. der Supervisor fur den Zeichenunter-
Der Plan der Einteilung der Schu- richt $900, die Supervisoren fur Na-
len in Bezirke schliesst auch die Ein- delarbeit $750 und der Supervisor fur
luhrung einer Gehaltsskala ein. Die den Musikunterricht $1500, dessen
Bchulen sind in 25 Bezirke, alphabe- zwei Assistenten je $900 bekommen.
tisch bezeichnet, eingeteilt, ausge- Oberlehrer Schonrich ist bei dieser
nommen sind alle Hochschulen und Umwalzung an die Schule No. 3 (93)
die polytechnischen Institute. Jede versetzt worden. Bei seinem Abgang
cinzeJne Gruppe hat einen Prinzipal von der Schule No. 1 (91), an der er
mit einem Gehalt von $1800 bis $2000 seit 1884 thatig gewesen war, wurde
pro Jahr; zwei derselben, we'.l die ihm eine hiibsche Abschiedsfeier ge-
Gruppen klein sind, jedcch nur $1500; geben, wobei er mit wertvollen Ge-
Korresponden^en .
161
schenken uberrascht wurde; und zwar
erhielt er von dem Lehrerpersonal
eine Brillantnadel und von den Ober-
klassen einen samtnen Lehnstuhl, ei-
nen seidengefiitterten Hausrock, eine
silberne Rauchgarnitur und impor-
tierte Zigarren nebst Bildern und
Blumenspenden. Seine neue Schule ist
bei weitem die grosste der Stadt; sie
zahlt 1,650 Zoglinge und 40 Lehrer
und Lehrerinnen. (\Vir freuen uns
aufrichtig viber die Auszeichnung, die
unserm werten Freunde und treuen
Mitarbeiter zu teil wurde, und wiin-
schen ihm von Herzen Gliick in sei-
nem neuen Wirkungskreise. D. R.)
In der Schulbenorde wurde un-
langst eine Zuschrift nachfolgenden
Inha'ts verlesen:
,,Der ,,Unabhangige Biirgerverein
von Maryland", eine Organisation,
welche 30 deutsche Vereine reprasen-
tiert und dessen Zweck es ist, eine
wohlthuende tJbersicht iiber die 6f-
fentlichen Angelegenheiten zur Si-
cherung einer ehrlichen, fahigen und
sparsamen Munizipal- und Staatsver-
waltung zu fiihren, den Charakter
und die Fahigkeiten von Kandidaten
fur offentliche Amter zu iiberwachen,
ein Protokoll iiber die Amtsthatigkeit
Erwahlter zu fuhren, die biirgerlichen
und politischen Rechte seiner Mit-
glieder zu schiitzen, den Widerruf
veralteter und hinderlicher Gesetze
anzustreben und im allgemeinen die
Wohlfahrt der Biirger zu fordern, —
dieser Verein hat in seiner letzten
Exekutivsitzung folgende Beschliisse
angenommen :
,,Beschlossen, dass die Schulbehorde
hierdurch ersucht wird, diesen Yerein
dariiber in Kenntnis zu setzen:
1. Warum keine Priifung von Ap-
plikanten um deutsche Lehrerstellen
bei der Priifung im. September zuge-
lassen wurde;
2. \Varum die Vakanzen unter dem
cleutschen Lehrerpersonal nicht ge-
fiillt werden:
3. Was ist die Ursache, dass engli-
sche Stellvertreter fur die deutschen
Lehrer substitutiert werden, wenn
solche abwesend oder krank sind;
4. Was ist die Ursache, dass die
Behorde keinen Hulfssuperintenden-
ten fiir die englisch-deutschen Schu-
len anstellt;
5. Warum werden die Klassen in
englisch-deutschen Schulen von. 40
auf 50 Kinder erhoht;
6. Was ist die Ursache. dass vier
wertvolle Monate des Schuljahres ver-
strichen, ohne dass die Kinder Biicher
und Schreibmaterialien erhielten, wie
es das Gesetz vorschreibt.
Das Exekutivkomitee des ,,Unab-
hangigen Bvirgervereins von Mary-
land" ist ebenfalls autorisiert, die
Aufmerksamkeit Ihrer ehrenwerteu
Korperschaft auf das folgende zu len-
ken, was in einem Zirkular der Be-
horde iibersandt wurde, als man den
Versuch machte, der englisch-deut-
schen Schule No. 1 das fiir sie be-
stimmte Gebaude zu entziehen:
,,Als sich vor einigen Jahren, gerade
wie jetzt, eine feindselige Stimmung
gegen den deutschen Unterricht in
den Volksschulen geltend machte,
wurde der Prinzipal einer der Gram-
marschulen um seine Ansicht iiber
den Wert dieser Schulen befragt, und
dieser erwiderte ohne Zogern, dass
der gute Besuch der beste Beweis
ihrer Zweckmassigkeit sei. Er be-
trachtete es als die Pflicht der Stadt,
diese Schulen nicht nur zu erhalten,
sondern mit dem Wachsen der Stadt
auszudehnen. Seit dem Errichten die-
Ber englisch-deutschen Schulen seien
viele der Privat- und Gemeindeschu-
len geschlossen worden, und die Stadt
sei moralisch gezwungen, die Arbeit
dieser Institute zu ubernehmen und
die Kinder deutscher Eltern als ame-
rikanische Burger zu erziehen. Diese
Arbeit sei von den englisch-deutschen
Schulen so gut gethan worden, dass
der Stadtrat stets bereit war, die er-
forderlichenMittel zu liefern. Nur
kurzsichtige Personen, deren Vorfah-
ren nie ein Wort Englisch verstanden
hatten, konnten diesen Instituten op-
ponieren."
Der Prasident der Schulbehorde
antwortete dem ,,Unabhangigen Biir-
ger\-erein wie folgt:
,,Die Schulbehorde erhielt in ihrer
Versammlung am 22. Januar die Zu-
schrift Ihres Vereins und instruierte
mich darauf, zu erwidern. Ich will
Ihre Fragen in deren Reihenfolge be-
an tworten:
1. Im letzten Sept-ember fand keine
Priifung von Applikanten fiir Stellen
als deutsche Lehrer oder Lehrerinnen
statt, weil nach Ansicht der Behorde
zu jener Zeit keine solche Priifung
notwendig war.
2. Die Vakanzen im Stabe des
deutschen Lehrerpersonals werden
von Zeit zu Zeit durch ttbertragungen
von anderen Schulen, wo solche Leh-
rer oder Lehrerinnen uberzahlig sind,
ausgefiillt.
3. In Fallen, wo englische Lehrer
oder Lehrerinnen angewiesen wurden,
162
P'ddagogiscbe Monat she/it.
die Arbeit von abwesenden Lehrern
oder Lehrerinnen zu thun, geschah
dieses, weil zur Zeit kein deutscher
Lehrer verfiigbar war. Solche Falle
sind weniger haufig gewesen.
4. Die Behorde hat keinen Hiilfs-
superintendenten fur die englisch-
deutschen Schulen ernannt, weil sie
keine gesetzliche Vorschrift kennt,
welche sie dazu anhalt, und es ist
nach Ansicht der Behorde besser, dass
diese Schulen einen Teil des vollstan-
digen Systems bilden sollen, anstatt
sie als Spezialklasse zu behandeln,
5. Die Klassen in den englisch-
deutschen Schulen sind gerade so
gross, wie in anderen Schulen. Die
Behorde kennt keine gesetzliche Vor-
schrift, warum diese Schulen besser
behandelt werden sollten, als andere
Schulen.
6. Sie fragen, warum vier Monate
des Schuljahres verflossen, ohne dass
die Kinder die notwendigen Biicher
und Schreibmaterialien erhielten. Da
der Beschluss, welcher diese Frage
stellt, nach Ihrer Angabe am 3. De-
zember (soil 23. heissen) angenom-
men ward, genau zwei und einen hal-
ben Monat nach Eroffnung der Schu-
len, so mag es geniigen, zu antworten,
dass die Frage auf unrichtige Anga-
ben von Thatsachen basiert ist. Aber
um die Anfrage im Geiste, wie auch
dem Buchstaben nach zu beantwor-
ten, sei hier mitgeteilt, dass die Be-
horde beschlossen hatte, ein anderes
System beim Contrahieren fur Biicher
und Schreibmaterialien gegen das frii-
her gebrauchliche einzufiihren, um
alle Bieter auf gleichen Fuss zu stel-
len. Dieser neue Plan ging dahin, um
Angebote fur bestimmte Betrage zu
ersuchen, anstatt wie friiher ftir sol-
che Sachen, wie sie notig sein mogen.
Diese bestimmten Betrage wurden
von Requisitionen der Prinzipale zu-
sammengestellt. Wegen Missverstand-
nissen in bezug auf den neuen Plan
entstand einige Verzogerung in der
Ablieferung von Biichern und Schreib-
materialien an einige der Schulen;
jetzt aber, nachdem die neue Methode
besser verstanden wird, werden sol-
che Unannehmlichkeiten in der Zu-
kunft kaum mehr zu erwarten sein,
imd die Behorde ist der Ansicht, dass
diese Methode fur alle Betroffenen
besser ist, als die alte. Wenn irgend
eine Schulen nicht vollstandig ver-
sorgt ist, so hat die Behorde keine
Kenntnis davon."
Im deutschen Lehrerverein sind bei
den jungsten Versammlungen wieder
sehr interessante Vorlesungen zu Ge-
hor gekommen. Dieselben wurden
gehalten von Oberlehrer Fr. Schrock
und von den Lehrerinnen Louise Miil-
ler und Bertha Gichner. Fraulein
Gichner wird bei den Besuchern des
Philadelphier Lehrertags noch in gu-
tem Andenken stehen. S.
Chicago.
Am 23. Februar hielt der d e u t-
sche Lehrerverein seine Jah-
resversammlung ab. Der ge-
mischte Chor erfreute uns mit zwei
schonen Liedern: ,,Abschied vom
Walde"1 und ,,Der Lindenbaum".
Jahres- und Kassenberichte wurden
verlesen und mit Befriedigung ent-
gegen genommen. In den Vorstand
wurden ausser dem Unterzeichneten
folgende Damen und Herren gewahlt:
E. Erfurth, A, Scheunemann, B.
Kluge, Cl. von Otterstedt, Frau Zan-
der, Frau Lydia Slomer und P. Zeller.
Leider konnte aus Mangel an Zeit
der angekiindigte Vortrag iiber daa
Ammergauer Passionsspiel nicht ge-
halten werden. Der Verein ersuchte
aber Herrn Dr. Zimmermann den
Vortrag in der Aprilversammlung zu
halten. Mit sichtlicher Freude und
Herzlichkeit wurden Herr Supt.
Abrams und Kedakteur M. Griebsch
aus Milwaukee als Gaste willkommen
geheissen. Der Verein wiinscht, dass
der Lehrertag am Anfang der Ferien
abgehalten werde. An der Unter-
stxitzung der ,,Padagogischen Monats-
hefte" wird sich der Verein thatkraf-
tig beteiligen.
Die Verteilung der dem
Schulrat zurVerfiigung ste-
henden Gelder fur die einzelnen
Abteilungen ist gliicklich geschehen.
Ohne irgendwie Aufsehen zu erregen,
ist es Dr. Zimmermann gelungen, fur
das deutsche Departement $180,000 zu
erhalten. Von den 21 Schulraten
stimmten nur die Herren Dawes, Ro-
gers und Rowland dagegen. Noch
einen anderen grossen Sieg hat Dr.
Zimmermann errungen. Ihm ist es
namlich gelungen, das Deutsche in der
Normal - Ubungsschule einzufiihren.
Unter Aufsicht einer tiichtigen Lehr-
kraft miissen nun die angehenden
Lehrer auch Lehrproben im Deut-
schen abhalten. Dass diese Einrich-
tung fiir den deutschen Unterricht
in Chicago von weittragendster Be-
deutung ist, liegt auf der Hand, Von
seiten der Lehrerschaft, ja des gan-
zen Deutschtums der Stadt gebiihrt
Herrn Dr. Zimmermann hierfiir der
warmste Dank. E. A. Z.
Korresponden^en .
163
Cincinnati.
Die nicht stattgehabte ,,F a u s t-
a u f ii h r u 11 g" 1st gliicklich hinter
xins, und man kann sein Augenmerk
mehr erbaulichen Dingen zuwenden.
Da tritt fur unseren Erziehungsrat
das Schicksal der Technischen
S c h u 1 e wieder in den Vordergrund.
Was soil aus diesem Institut, daa
bisher als Privatunternehmen betrie-
ben wurde, werden, wenn es sein
Quartier bald verlassen muss und die
Privatzuschiisse nachlassen? Diese
Frage beschaftigte den Schulrat in
seiner Sitzung vom 11. Februar, ganz
besonders, als ein Biirgerkomitee sehr
warm, den Plan befiirwortete, ge-
nanntes Institut dem offentlichen
Schulsystem anzugliedern. Das Ko-
mitee wies unter anderem darauf
hin, dass alle grosseren Stadte des
Landes derartige Handfertigkeits-
schulen als Teil ihres offentlichen
Schulsystems besassen, und es bedau-
erlich sei, dass Cincinnati, das doch
als Fabrikstadt eine hervorragende
Stellung einnehme, noch keine solche
Anstalt sein eigen nenne. Den Abi-
turienten der Intermediatschulen soll-
te es freigestellt sein, ob sie die Hoch-
schule oder die Handfertigkeitsschule
besuchen wollen; zweifelsohne wiir-
den sich dann sehr viele fur letztere
erklaren, wo sie ausser einer prak-
tischen Ausbildung auch noch einen
gediegenen Unterricht in der deut-
schen oder spanischen Sprache erhal-
ten. Auf alle die iiberzeugenden Ar-
gumente hat der Erziehungsrat je-
doch immer nur die Erwiderung, dass
keine Gelder fiir Ubernahme dieses
Instituts vorhanden seien.
Diese ewige Klage und Entschuldi-
gung des Schulrats ruf t den Grif-
fith-Griff wieder ins Gedachtnis.
Nach zweimonatlicher Bucherunter-
suchung, die ergeben, dass Griffith ge-
nau $126,718 unterschlagen hat, be-
gannen nun seit dem 25. Feb. die
Staatsinquisitoren mit dem miind-
lichen Zeugenverhor, um auszufinden,
wie viel Schuld den verschiedenen Re-
visionsausschiissen der letzten zwolf
Jahre wegen Nachlassigkeit beizu-
messen sei, und ob sich iiberhaupt
in unserer Schulverwaltung Korrup-
tion eingeschlichen habe. Wer in letz-
terer Beziehung etwas weiss und be-
weisen kann, ist eingeladen, vor dem
hochnotpeinlichen Fehmgericht Aus-
sagen zu machen. ' ,,Wissen thun"
wird wohl mancher etwas, z. B. liber
Anstellung und Absetzung von Leh-
rern, Bau von Schulhausern u. s. w.,
aber beweisen? ! Bei der ganzen Un-
tersucherei wird also am Ende nichts
herauskommen als — der ganze Schul-
rat, namlich aus Amt und Wurde, wie
es leider neuerdings sehr den An-
schein hat. Da man hierzulande be-
zeichnender Weise keinem Menschen
zutraut, dass er einen ofEentlichen
Vertrauensposten nur der Ehre hal-
ber versieht, so soil an Stelle des un-
bezahlten Schulrats eine salarierte
Erziehungskommission, bestehend aus
fiinf oder sieben Mitgliedern, treten.
Bis unsere Staatslegislatur wieder zu-
sammentritt, wird sich dieser radi-
kale rReformeifer hoffentlich etwas
abgekiihlt haben.
Da ich nun gerade bei Betrug und
Schwindelgeschichten bin, so mag
hier ein anderer fauler Zau-
b e r Ervvahnung finden. In den
letzten Wochen liess ein ,,Professor"
A. P. Haupt von Cleveland, O., in
den hiesigen Strassen hiibsch ge-
druckte Reklamezettel verteilen, auf
welchen in grossen Lettern also zu
lesen stand: German in five weeks or
in 25 Lessons — a charmingly inter-
esting course for ladies and gentle-
men of all ages — no hard study re-
quired — endorsed from ocean to
ocean! Der Herr Professor, der reine
Sprachwissenschaft im Heim der
christlichen Jiinglinge verzapft, setzt
stolz hinter seinen Namen M. A. und
Ph. D. und nermt sich geschmackvoll
"The King of entertainers as teacher
of practical German" zu Deutsch wohl
kurz ,,schulmeisterlicher Hanswurst".
Dieser Charlatan hat auch einige
,,praktische" Lehrbiicher iiber seine
Sprachzauberei veriibt und fiihrt auf
seinem Eeklamezettel eine Masse Em-
pfehlungen seiner unfehlbaren Me-
thode an. Warum behauptet Herr
Haupt nicht, dass man, um die deufc-
sche Sprache sozusagen im Schlafe
zu erlernen, sein Lesebuch nur fiinf
Wochen als Kopfkissen zu beniitzen
brauche? — das ware noch viel ein-
facher, und Dumme w^iirden sich ge-
wiss finden, die auch dieses glauben.
Eine gewisse Menschensorte scheint
ja nie ,,alle" zu werden, sonst wiirde
man sich'nicht mit solchem plumpen
Schwindel an die Offentlichkeit wa-
gen.
Eine durch den englischen Lefcrplan
bedingte Neuerung unseres Schulsu-
perintendenten, die halbjahrli-
che Versetzung von Schiilern,
wurde in einer Extrasitzung des
Hochschulrats als vorlaufig unaus-
fiihrbar abgelehnt, soweit es wenig-
164
Padagogische Monatsbefte.
stens die Februarversetzung von der
Intermedia!- nach der Hochschule be-
trifft. Damit diirfte wohl auch der
forcierte Halbjahrschub in den uon-
gen Graden lahm gelegt sein.
Eine andere Neuerung Dr. Boone's,
die aber vielen Lehrern sehr beliebt
war, namlich der Besuch auswarti-
ger Schulen ohne Gehaltsabzug, wird
ebenfalls bald wieder abgethan wer-
den. Bei der Schulratssitzung vom
25. Februar haben sich bereits Stim-
men gegen diese allzustark zuneh-
menden Schulbesuche, die zur weite-
ren Ausbildung des Lehrers dienen
sollen, geltend gemacht, da sie in den
meisten Fallen als Vergniigungsrei-
sen missbraucht wiirden.
In der Sitzung des deutschen Obe r-
lehrervereins vom 28. Februar,
gab Herr Constantin Grebner per-
sonlich naheren Aufschluss iiber In-
halt und Beniitzung seines Buchea
,,Deutsche Geschichten und Sagen
fur Schule und Haus", das er zu Ende
dieses Schuljahres herauszugeben ge-
denkt. Im Verlaufe seiner Erklarun-
gen wies der Verfasser darauf hin,
dass die vielen derartigen Werke, die
bisher in Deutschland herausgegeben
\vorden seien, teils zu weitschweifig,
teils religios oder politisch zu einsei-
tig seien, wahrend er in seinem Wer-
ke beides vermieden habe. Nach ei-
ner langeren Debatte, in welcher be-
sonders hervorgehoben wurde, dasa
die deutschamerikanische Geschichte
noch mehr, als es bereits der Fall,
in dem Buch berucksichtigt werden
mochte, nahm man den Bericht des
Priifungskomitees an. Damit wird
dem Verfasser gestattet, in seinem
Prospekt von der Empfehlung dea
Oberlehrervereins Gebrauch zu ma-
chen.
Wegen vorgeschrittener Zeit wurde
Herrn Schafers Vortrag ,,Deutscher
Minnesang" bis zur nachsten Sitzung
verschoben.
E. K.
Milwaukee.
Grosses Interesse wird einem Ge-
setzentwurf entgegengebracht, den
Senator Devos von Milwaukee in der
Legislatur in Madison eingereicht hat.
Dieser Entwurf bestimmt, dass in Zu-
kunft die Schulbehorde direkt vom
Volke erwahlt werden soil. Jetzt wer-
den die 21 Mitglieder der Schulbe-
horde — jede Ward hat einen Vertre-
ter im Schulrat — von einer Kommis-
sion ernannt. Die vier Mitglieder die-
ser Wahlkommission werden vom
Biirgermeister ernannt. Friiher wur-
den die 42 Mitglieder des Schulrats
von den ,,Aldermen" der betreffen-
den Ward ernannt. Im Jahre 1897
wurde das jetzige Schulgesetz ange-
nommen. Durch dasselbe wurde die
Zahl der Vertreter im Schulrat auf
21 herabgesetzt. Zugleich vv^urde die
Ernennung dieser Schuldirektoren —
so werden die Vertreter der Wards
im Schulrat genannt — durch die vom
Burgermeister ernannte Kommission
vorgesehen. Die Devos'sche Vorlage
wird von gewisser Seite eifrig befiir-
wortet; doch fehlt es auch nicht an
Gegnern.
Der Legislatur liegen noch andere
Vorlagen vor, welche unsere Schulen
betreffen. Ein Entwurf bestimmt,
dass Superintendenten und Prinzipale
im Besitze von Sta^tszeugnissen sein
miissen. Unser Schulrat empfiehlt die
Annahme eines Gesetzes, welches dem
Superintendenten und seinem ersten
Assistenten in den wichtigsten Aus-
schiissen des Schulrats das Stimm-
recht entzieht, und den Superinten-
denten nur noch als beratendes Mit-
glied an den Sitzungen dieser Aus-
schiisse teilnehmen lasst. Die Gemii-
ter werden sich wohl erst wieder be-
ruhigen, wenn sich unsere Gesetzge-
bung vertagt hat.
Am 18. Februar fand eine Sitzung
des Vereins Deutscher Lehrer statt.
Herr Eudolf Braun von der 9. Primar-
schule verlas eine Abhandlung uber
die LehrAveise des Sokrates von C. L.
Roth aus dem Lesebuche von Kehr
vind Kriebitzsch. Von der letzten Sit-
zung lagen noch mehrere Punkte iiber
das Diktat zur Besprechung vor. Herr
B. A. Abrams wies auf einen Aufruf
des Vorstandes des ,,Deutschamerika-
nischen Nationalbundes der Vereinig-
ten Staaten von Nordamerika" hin.
Es wurde hervorgehoben, dass der
Bund das Gefiihl der Zusammengeho-
rigkeit starken, die Erhaltung der
deutschen Sprache in unserem Lande
fordern und alle gemeinsamen geisti-
gen Interessen aller Deutschamerika-
ner wahrnehmen soil. Der Sekretar
wurde beauftragt, sich mit dem Se-
kretar des Nationalbundes, Herrn
Adolph Timme, 522 West Lehigh Ave.,
Philadelphia, Pa., in Verbindiing zu
setzen, urn Genaueres iiber Zweck und
Ziel des Bundes zu erfahren. Spater
soil dann iiber die Zweckmassigkeit
der Griindung eines Staatsverbandes,
sowie iiber eventuellen Anschluss an
Korresponden^en.
165
den Nationalen Bund beraten werden.
In unserer Stadt und im ganzen Staa-
te sollte es nicht schwer fallen, dieses
Ziel zu erreichen; dann konnte Mil-
waukee schon auf der nachsten Kon-
vention des Bundes vertreten sein.
Diese soil im Juni dieses Jahres in
Cincinnati, oder, wenn der Vorschlag
des ,,Zentralbundes von Pennsylva-
nien" angenommen wird, am 6. Ok-
tober, dem Tag der Griindung Ger-
mantowns, in der Halle der ,,Deut-
schen Gesellschaft von Pennsylva-
nien", in Philadelphia, abgehalten
werden.
J. E.
New York.
Deutscher Lehrerverein
von New York und Umge-
g e n d. Dem Herkommen gemass
versammelten sich die Mitglieder der
deutschen Lehrervereins von • New
York und Umgegend auch diesmal
wieder am 1. Samstag des Monats,
in ihrem Lokal bei Allaire, 18. Strasse
und 3. Ave., N. Y. Der Besuch war
ein ungewohnlich lebhafter, und die
Reden und die darauf folgenden Dis-
kussionen beicundeten eine solche Ge-
sinnungsiibereinstimmung, dass uns
die gestrige Vereinsitzung in einer
poetischen Anwandlung fast wie
eine Morgenrote des jungen Jahr-
hunderts erschien. Wirft das 20. Jahr-
hundert seine Schatten voraus? Wer-
den die Deutschen und insbesondere
die deutschen Lehrer wirklich einmal
ein einig Volk von Brudern?
Oder waren es nur aussere Ver-
haltnisse, die eine so stattliche Zahl
zusammenbrachten und die zu einer
so harmonischen tinheit zusammen-
wirkten? War es das neue Direkto-
rium der neuen Organisation, das man
handeln zu sehen wxinschte, oder war
es das neue Lokal, das ochlaraffen-
heim, das eine solche Anziehungs-
kraft ausiibte, oder das Liebesmahl,
das die Einladungskarten in so ver-
fuhrerischen Farben ankundigten,
oder der angemeldete Vortrag, der
aber in mysterioser Weise titellos ver-
schleiert nur den IN amen des Vortra-
genden verriet, oder war es das Vor-
gefiihl eines Extragenusses, dass uns
wahrend der Sitzung noch ein anderes
Vergniigen erwarte. dass man durch
einen Riss im Vorhang der zum Ne-
benzimmer fiihre, das grazioseste Bal-
let der schonsten Schonen New Yorks,
die sich eben auf ihren Fasching ein-
iibten, wiirde bewundern konnen?
Wie dem immer sei, sie waren alle
da, die Herren von Newark bis Jamai-
ca, von Yonkers bis Staten Island,
vom Rektor (Prinzipal) der Hochscnu-
le, vom Professor der Columbia Uni-
versitat und dem Hoehsoh"llp*>Tf»r ^OT)
Nev^ York und Brooklyn bis zum
jtingsten Schulmeisterlein vom Lande.
Mit grosser Spannung sah man der
,,kaiserlicben" Thron- und Eroff-
nungsrede entgegen. Man entschul-
dige den Kalauer. Aber wir haben
ein Recht von einer kaiserlichen Rede
zu sprechen. Unser neugewahlter
Prasident ist namlich wirklich ,,ein
Kaiser von Gottes Gnaden", er wurde
als Kaiser geboren, er heisst Kaiser,
ist Dr. Kaiser und augenblicklich
ruler of the annex of the Boys High-
School of New York City. Man sollte
von der Empfangsrede nicht ent-
tauscht werden. Mit Genugthuung
konstatierte ,,Unser Kaiser", dass die
Beziehungen im Inneren und Xusse-
ren des Vereinsreiches als glanzende
bezeichnet werden miissen, und dass
er alles, was in seinen Kraften stehe,
thun werde, um den Verein zu for-
dern und zu heben, so dass der Verein
dermaleinst den Platz erringe, den er
von Recht swegen verdiene. Ein gun-
stiger Anfang sei schon gemacht, und
\venn noch manches nicht sei, \\rie es
sein sollte, so konnen wir doch mit
Bef riedigung darauf hinweisen, wie
herrlich weit wir es hier in der gro-
ssen Metropole am Hudson in geisti-
ger, kultureller und namentlich finan-
zieller Weise gebracht.
Um diese Thatsache in die richtige
Beleuchtung zu riicken, ersuche er
den Redner des Tages, Dr. F. Monte-
ser, eine Parallele mit Osterreichi-
schen Schulverhaltnissen und Lehrer-
gehaltern zu ziehen. In mehr wie an-
derthalbstiindigem Vortrag entwik-
kelte der Redner, der seine Darstel-
lung auf Grund amtlicher Berichte
und statistischer Tabellen, die ihm
seine Freunde von Wien ubermittel-
ten, ein Bild dieses ungliicklichen
Landes, wie es drastischer wohl sel-
ten gezeichnet wurde. (Siehe oben
einen Auszug).
Nach Beendigung dieses Vortrags,
wurde Herrn Robert Metzger, dem
Vorsitzenden des standigen Ausschus-
ses, das Wort erteilt. Er berichtete
uber die in Aussicht genommenen
Vortrage und regte eine Reihe in-
teressanter Themata an, die etwa aus
gewahlt veerden konnten. Da wir
nicht nur Schulmeister seien, sondern
166
PMagogische Monatshefte.
uns zur Klasse der Gebildeten rech-
nen, sollte unsere Auswahl aus dem
engen Rahmen des rein Padagogisch-
methodischen heraustreten und die
brennenden Fragen der Gegenwart
auch in den Gebieten der Sprache und
Philosophic in das Bereich der Vor-
trage und Diskussionen ziehen. Die
Bereitwilligkeit, mit der einzelne
Herren darauf eingingen, die'vorge-
schlagenen Themata zum Vortrag zu
iibernehmen, zeigte, dass heitere
Schaffenskraft die meisten b_eseelt.
Was mit so viel Ernst begonnen, muss
einen guten Fortgang haben.
A. K.
Diskussion iiber die Me-
thodik in der Erteilung
deutschen Sprachunter-
richts im Verein Deutscher
Hochschullehrer. Die ,,Gesell-
schaft deutscher Hochschullehrer von
Manhattan und Broux" hielt am 19.
Januar ihre erste diesjahrige Ver-
sammlung ab. Dieser junge Verein
umfasste anfanglich nur die Lehrer
der deutschen Sprache an den stad-
tischen Hochschulen von Alt-New
York, anderte aber seine Statuten da-
hin ab, dass auch die deutschen Hocli-
sohullehrer in den anderen Boroughs
von Gross-New York zur Mitglied-
schaft berechtigt sind und sieht so-
mit einer anregenden Zukunft ent-
gegen. Nach der Erledigung von
Verwaltungsgeschaften stand ein Vor-
trag des Professors Calvin Thomas
von der Columbia Universitat auf der
Tagesordnung fiber die Frage: ,,Wie
lasst sich die deutsche Unterrichts-
stunde am vorteilhaftesten fiir die
Schiiler gestalten?" Prof. Dr. Tho-
mas, bekanntlich einer der verdienst-
vollen Fiihrer unter den amerikani-
schen Lehrern der deutschen Sprache,
imd Verfasser weitverbreiteter Lehr-
biicher sprach zuerst uber Lehrmetho-
den im allgemeinen und betonte, dass
es unmoglich sei, irgend eine als die
absolut beste zu erklaren, da die Wahl
und der Erfolg jeder Methode von
einer Menge von Umstanden abhange,
wie Alter und Fahigkeit der Schiller,
Ziel des Unterrichts und Absicht des
Lernenden, Grosse der Klassen und
Individualitat des Lehrers; auf alle
Falle miisse der Unterricht einen er-
ziehlichen Zweck verfolgen; eine gute
Geistesschulung sei das Niitzlichste,
was den Schiilern gegeben werden
konne. Der Redner stellte sich in sei-
nem interessanten Vortrage, bei dem
er nur den Unterricht in den grossen
Klassen offentlicher Hochschulen im
Auge hatte, ganz entschieden auf die
Seite derjenigen, die behaupten, dass
in den hoheren Lehranstalten der Un-
terricht in der deutschen Sprache ein
integrierender Teil der allgemeinen
Erziehungszwecke sein miisse und
nicht etwa als Ziel eine nur ober-
flachliche ausserliche Bekanntschaft
mit der deutschen Sprache verfolgen
soil, wie sie in mechanisch-empiri-
scher Weise durch die sogenannten
"Natural Methods" erreicht wird,
ohne dass dadurch der Zweck einer
hoheren geistigen Bildung erzielt
werden konne. Er bewies ferner,
mit mathematischer Sicherheit, dass
bei der grossen Anzahl der Schiiler in
einer Klasse und der knapp bemesse-
nen Dauer der Unterrichtsperiode die
auf den einzelnen Schiller fallende
Zeit so gering sei, dass die fur das
Sprechen einer Sprache unbedingt
notige praktische Ubung absolut ni^ht
gegeben werden konne. Alle Ver-
suche, unter den angegebenen Ver-
haltnissen den Schiilem die Fahigkeit
beizubringen, ihre Gedanken fliessend
auf Deutsch auszudriicken, hatten nur
magereResultate aufzuweisen gehabt,
die nicht uber die Bemeisterung ge-
wisser Phrasen hinausgingen; daher
sollte das Sprechenlernen nicht als
das Hauptziel des Unterrichts be-
trachtet werden.
Dies schliesst jedoch durchaus nicht
aus, dass nicht in jeder Stunde
Sprachiibung^n in rationeller Weise
betrieben werden miissen. Der
Hauptzweck jedoch werde stets der
bleiben, an d,er allgemeinen Erzie-
hung teilzunehmen und den Schiiler
durch eine Einfiihrung in das Stu-
dium der deutschen Litteratur mit
deutscher Kultur und deutschem Gei-
stesleben bekannt zu machen. Unter
grossem Beifall bezeichnete der Red-
ner den Versuch, den technisch-gram-
matischen Teil des Unterrichts mit-
telst des Deutschen als Unterrichts-
sprache zu betreiben als bare Zeit-
verschwendung.
Zum Schlusse erorterte Prof. Tho-
mas noch die Frage, auf welche Weise
ein moglichst umfangreicher Lese-
stoff unbeschadet der Griindlichkeit
bewaltigt werden konne. In solchen
Klassen, in denen der Lehrer sich.
nicht auf die gewissenhafte Vorbe-
reitung der Schiller verlassen konne,
sei die Ubersetzung das hauptsach-
lichste Mittel zur Priifung des Ver-
standnisses des Gelesenen. Fahige
Lehrer konnten sich. ab und zu durch
Abfragung des Inhalts in deutscher
Brief hasten.
167
Sprache dariiber vergewissern, aber
das erfordere mehr Zeit. Auf der
Blementarstufe des Unterrichts sei
die tlbersetzung jedenfalls unum-
ganglich, indessen sollte der Lehrer
sich bemiihen, sich sobald als moglich
von der tJbersetzungsmethode zu
emanzipieren und mit der zunehmen-
den Ausbildung aes Sprachgefiihls
das unmittelbare Verstandriis des
deutschen Textes seitens der Schiller
zu erstreben. Er wiirde es fiir rat-
sam halten, anfanglich etwa die
Halfte der Stunde dem tlbersetzen zu
widmen, ein Vier+el der Zeit auf
grammatikalischen Drill und den Rest
auf Sprechiibungen zu verwenden, bis
der Schiller imstande sei, das Gelesene
frei zu reproduzieren. Nach und nach
solle an Stelle der ttbersetzung und
des grammatikalischen Drills mehr
und mehr freie Reproduktion treten.
An diesen Vortrag kniipfte sich eine
langere Diskussion, in welcher na-
tiirlich auch andere Ansichten zum
Ausdruck gebracht wurden, aber im
allgemeinen schien die Mehrzahl der
Anwesenden die Ansichten des Re-
ferenten zu teilen.
Frl. Dr. Thomas von Mt.Vernon wies
darauf hin, dass die deutschen Lehr-
biicher fiir Anf anger zu viele Schwie-
rigkeiten haufen und zu rasch zu neu-
en fortschreiten, ehe noch die alten
durch geniigende Ubungen vollig be-
meistert werden konnten. Frl.Biittner
von der Newarker Hochschule erklar-
te, \vas durch die systematische Pflege
der Privatlektiire (supplemantary
reading — wie sie diesselbe vor Jah-
ren in dieser Anstalt eingefiihrt hat —
erzielt werden kann, und wie sehr
das Sprachgefiihl der Schiiler dadurch
gefordert wird. Prof. Althaus von
New York aprach iiber die Sckwierig-
keit im Collegekurs gemischter Hoch-
schulen hinsichtlich der Vorbereitung
fiir die Aufnahmepriifungen in gewis-
sen Madchencolleges, wie Wellesley
und N. Y. Normal College, die trotz
der entgegengesetzten Empfehlungen
der Modern Language Association da-
ran festhalten, in technisch-gramma-
tikalischen Fragen sich der deutschen
Sprache und Terminologie zu bedie-
nen. Prof. Thomas erwartet in die-
ser Sache Abhiilfe durch die fiir die
nachste Priifung in Aussicht gestell-
ten gleichformigen Priifungsfragen
des College Entrance Examination
Board of the Middle States and Mary-
land, an deren Ausarbeitung fiir jedes
Fach je ein Vertreter der Universi-
taten, der offentlichen Hochschulen
und privaten Vorbereitungsschulen
zusammenwirken. An der Diskussion
beteiligten sich ferner die Herren
Prof. McLouth von der New York
Universitat, Dr. Bernstein, Sliollho-
fen, Kaufmann, Leslie Baume-ister u.
a. Die Beamten des Vereins sind die
folgenden: Prasident, Prof. Dr. F.
Monteser; Vizeprasident, Frl. A.
Koch; Sekretar, Frl. Konermann;
Schatzmeister, Frl. If. Gelbach; Exe-
kutiv-Komitee: Ed. Althaus und Frl.
Seidensticker.
R. M.
III. Briefkasten.
B. K. New York. Bitte, lassen
Sie mir Ihren Artikel noch, wenn
Ihre Geduld ausreicht. Sie glauben
nicht, wie schwer es ist, die Auswahl
der Artikel so zu treffen, dass eine
gewisse Abwechslung stattfindet und
doch die Einsender befriedigt werden.
R. M. Newark, N. J. Besten Dank
fiir Ihren eingehenden Bericht. Vivat
sequens! A. J. W. K. Jamaica. N.
Y. Ihnen gelten die vorstehenden
Worte in gleichem Masse. Hoffentlich
werden die Unregelmassigkeiten nicht
zu oft vorgekommen sein. Besten
Dank, dass Sie unsere Aufmerksam-
keit darauf gelenkt haben. Ihr Abon-
nement ist von der Marznummer an
eingetragen. H.N. Philadelphia.
Ziemanns Etymologisches Worterbuch
ist bei uns oicht zu haben. Sie kon-
nen es aber durch irgend eine Buch-
handlung importieren lassen. Sein
Preis betragt 75 Pfennige.
168
P'ddagogische Monatsbefte.
IV. Umschau.
Amerika.
Milwaukee. Schulsuper-
intendenten-Wahl. Am Diens-
tag, dem 5. Marz, fand die Neuwahl
eines Schulsuperintendenten des. 6f-
fentlichen Schulwesens statt, die die
Wiederernennung des bisherigen In-
habers dieses Amtes, des Herrn H. O.
R. Siefert, ergab. Wir freuen uns
aufrichtig fiber diesen Ausgang. Herr
Siefert bekleidete das hervorragende
Amt bereits zwei Termine und hat
es in dieser Zeit verstanden sich die
Achtung seiner ihm unterstellten Leh-
rer zu erwerben, und seine Wiedev-
wahl giebt den besten Beweis dafiir,
dass seine Tiichtigkeit auch in der
Schulverwaltung Anerkennung gefun-
den hat.
Sein Programm, das er sich fiir
seine weitere Amtsfiihrung vorge-
zeichnet hat, und das er im Anschluss
an seine Dankesworte fiir die Wie-
derwahl vor dem Schulrat kund gab,
gipfelt in drei Forderungen: mehr
mannliche Lehrer, kleinere Klassen —
die Schiilerzahl sollte in keiner Klasse
35 iibersteigen — , und Wachsamkeit
bei Aufnahme neuer Lehrfacher im
Lehrplan, der eher einer Entlastung
als einer weiteren Belastung bedarf.
Sollte es ihm gelingen diese drei
Forderungen durchzusetzen, dann
wiirde Herr Siefert sich ein dauerndes
Verdienst urn unsere Schulen erwor-
ben haben.
Herr Siefert ernannte noch am
Abend seiner Wahl seinen bisherigen
Hilfssuperintendenten des Deutschen,
Herrn B. A. Abrams, fiir das gleiche
Amt. Die Thatigkeit von Herrn
Abrams in den P. M. zu beleuchten,
eriibrigt sich. Sein Name ist mit nn-
sern Bestrebungen seit Jahrzehnten
so eng verkniipft, dass er iiberall da,
wo fiir unsere Sache noch Sympathie
und Verstandnis ist, riihmend genannt
\vird. Wir gratulieren ihm und seinem
Chef von ganzem Herzen.
"College Entra n c e Exam-
ination Boar d." Mit der Ab-
sicht, die Anforderungen an die in
die verschiedenen ,,Colteges" und
Universitaten Aufnahme suchenden
Studenten auf gleiche Stufe zu brin-
gen, griindeten diese Schulen in den
mittleren Staaten und Maryland am
17. November vorigen Jahres einen
Priifungsausschuss, welchem die Prii-
fung der Applikanten zu irgend einer
der zur Vereinigung gehorigen An-
stalten obliegen solle. Aus dem, am
10. Dezember erlassenen ersten Do-
kument des Ausschusses entnehmen
wir folgende Punkte von allgemei-
nem Interesse. Der Priifungsaus-
schuss hofft, dass die von ihm abge-
haltenen Aufnahmepriifungen solche
an den einzelnen Anstalten unnotig
machen werden. Die Vorteile der
durch den Ausschuss geleiteten Exa-
minationen sind darin zu suchen,
dass diese einheitlich inbezug auf
Wissensstoff und Ausfiihrung sind;
dass sie an verschiedenen Orten zu
gleicher Zeit abgehalten werden kon-
nen, und darum den Priiflingen die
Teilnahme bedeutend erleichtern;
dass sie ein Zusammenwirken der
rerschiedenen Anstalten in einer sehr
wichtigen Angelegenheit bekunden,
das nur heilsam auf die Arbeit an die-
sen Schulen wirken kann, ganz ab-
gesehen davon, dass diese Priifungen
Zeit und Geld fiir die Anstalten und
die Priiflinge ersparen. Die Ergeb-
nisse der Priifungen sollen fiir die
einzelnen Schulen nicht bindend fiir
die Aufnahme oder Zuriickweisung
des Studenten sein, im Gegenteil
bleibt jeder Schule die endgiltige
Entscheidung iiber Aufnahme oder
Zuriickweisung des Zogling iiberlas-
een.
Die Aufnahmepriifung findet in
den Tagen vom 17. — 21. Juni d. J.
an Orten, die spater noch bestimmt
werden sollen, statt. Jeder Appli-
kant zahlt vor Eintritt in das Exa-
men $5.00. Das Zirkular, welches die
an die Priiflinge gestellten Anforde-
rung-en enthalt, ist gegen Ednsen-
dung von 10 cts. in Briefmarken von
dem Sekretar der Vereinigung (Se-
cretary of the College Entrance Ex-
amination Board, Sub-Station 84, New
York, N. Y.) zu beziehen.
Die Examinatoren fiir das Jahr 1901
sind:
Chemie: Prof. Ira Kemsen, John Hop-
kins Un.
Englisch: Prof. Francis H. Stoddard,
New York University.
Franzosisch: Prof. A. Guyot Camer-
on, Princeton Un.
Deutsch: Prof. M. D. Learned, Un. of
Pennsylvania.
Griechisch: Prof. Herb. Weir Smyth,
Bryn Mawn College.
Geschichte: Prof. Lucy M. Salmon,
Varsar College.
Lateinisch: Prof. Charles E. Sennet,
Cornell Un.
Umschau.
169
Mathematik: Prof. Henry Dallas
Thompson, Princeton Un.
Physik: Prof. Edward L. Nichols,
Cornell Un.
Pittsburgh Pa. Der erste Waf-
fengang, den der deutschamerikani-
sche Zentralbund von Pennsylvania
in der Staatslegislatur mit den deut-
schen Interessen feindlichen Elemen-
ten bestanden, ist siegreich verlau-
fen. Beide Hauser haben die Vor-
lage, welche den deutschen Turnun-
terricht in den offentlichen Schulen
der Stadte 1. und 2. Klasse obligato-
risch macht, angenommen, und die
Vorlage liegt jetzt dem Gouverneur
Wm. A. Stone zur Unterschrift vor.
Dass letzterer, wie seiner Zeit Gou-
verneur Pattison, die Vorlage vetie-
ren konnte, ist kaum zu erwarten.
Von dem Zentralturnverein, dem
deutschen Leseverein und dem west-
lichen Zweige des deutschamerikani-
schen Zentralbundes in Pittsburg
sind Petitionen an den Gouverneur
um Unterzeichnung der Vorlage ge-
sandt worden.
Sacramento, Cal. In dem un-
teren Hause der Staatslegislatur von
Californien ist ein Gesetzentwurf ein-
gebracht worden, nach welchem in
Schulen, in denen mehr als zwei Leh-
rer unterrichten, die ersten Grade
(Anfanger) von solchen Lehrern an-
terrichtet werden sollen, die eine we-
nigstens zweijahrige Erfahrung ha-
ben, oder eine Normalschule oder
eine der beiden Hauptuniversitaten
des Staates — die Staatsuniversitat
oder die Stanf ord-Universitat — ab-
solviert und besondere Empfehlun-
gen fiir das Lehramt erhalten haben.
Chicago. F r e i e Lehrbti-
c h e r. Die Erziehungskommission
des Biirgervereins von Chicago hat
sich entschieden zu Gunsten freier
Schulbiicher an alle Schulkinder er-
klart. Das System, nach welchem
nur den armen Kindern freie Lehr-
biicher gewahrt werden, ist geeignet,
Unfrieden in die Schule zu bringeu
und verletzend auf das Gemiit der
Kinder der Armen zu wirken.
Treuer Amerikanismus.
Von Lehrern und Schiilern der Engle-
wood-Schule gelangte eine Petition
an den Schulrat von Chicaglo, die
Mittagspause von 25 auf 45 Minuten
zu verlangern, unter der Begriindung,
dass kalter ,,pie", ,,ice-cream", Soda-
wasser und ,,pickles" auf die Gesund-
heit der Schiller nachtraglich wirken,
dass aber die Zeit zur Einnahme ci-
nes substantielleren Mahles f ehlt. Der
Schulrat gewahrte die Verlangerung
der Pause, sprach aber seine Missbil-
ligung iiber die gegen den ,,pie" un-
gerecht erhobenen Anschuldigungen
aus. Prasident Harris ausserte sich
folgendermassen: "We want it un-
derstood that the passage of this
resolution will in no way express
our disapproval of that article of
diet."
Milwaukee. Chodwickis
R a die r u n g e n. Am 7. Februar d.
J. waren 100 Jahre seit dem Hin-
scheiden des grossen Kupferstechers
und Miniaturmalers David Chodo-
wiecki verflossen. Eine nahezu voll-
standige Sammlung der Eadierungen
befindet sich in Milwaukee als Eigen-
tum des Herrn George C. Bunsen, der
ein Nachkomme des grossen Kiinst-
lers ist. Die Biicher sind zwei Bande,
einer von 108, der andere von 113 Sei-
ten, und enthalten zusammen 2037
Eadierungen. Sie scheinen dem
Kiinstler als Handexemplar gedient
zu haben; wenigstens deuten darauf
viele Bemerkungen am Eande hin.
Man liest oft das Wort ,,fertig", und
bei einigen Blattern, die doppelt vor-
handen sind. tragt das erste, als nicht
ganz vollendet, keinen Vermerk, wah-
rend erst das zweite als ,,fertig" be-
zeichnet ist. Diese Sammlung ist
eine der fiinf Sammlungen, die der
Kiinstler selbst fiir seine Kinder an-
legte, und wurde nach einem Briefe
Chodowieckis vom 8. Marz 1794 sei-
ner jiingsten Tochter Henriette,
wahrscheinlich an ihrem Hochzeits-
tage iibergeben.
Deutschland.
E r f o 1 g. Der als Schriftsteller
und Dichter bereits in den weitesten
Kreisen aufs vorteilhafteste bekannte
Hamburger Lehrer Otto Ernst
Schmidt (Otto Ernst) • hat mit seiner
neuesten Komodie ,,Flachsmann als
Erzieher" (Verlag von L. Staackmann
in Leipzig, Pr. 2,00 M.) in Frankfurt
a. M., Dresden und Berlin (Lessing-
Theater) einen durchschlagenden Er-
folg erzielt.
Jena. Die kiirzlich verstorbene
Witwe des Privatgelehrten Dr. Tho-
mas in Wittenberg, eines Schulers
Herbarts, hat dem padagogischen Uni-
versitatsseminar hier 12,000 M. zur
Forderung des Studiums Herbart-
scher Padagogik vermacht. Die HaLfte
170
P'ddagogische Monatshefte.
der Zinsen soil fiinf Jahre angesam-
melt und dann bei der akademischen
Preisverteilung fiir eine padagogische
Arbeit als Preis (1000 M.) vergebeu
werden; die andere Halfte soil jahr-
lich als Unterstiitzung an ein Mit-
glied des padagogischen Universitats-
seminars Verwendung finden.
Mit den Schiilervorstellu n-
gen in Hamburg scheints zu
Miiiic zu gehen. Wenigstens schreibt
die ,,Hamburger Schulzeitung": ,,Der
Theaterausschuss der Vereinigung fiir
die Pflege der kiinstlerischen Erzie-
hung macht bekannt, dass es erst
,,nach weiteren Bemiihungen" gelun-
gen ist, die Herren Stadttheater-Di-
rektoren zu bewegen, wenigstens ein
Stuck zu geben, und zwar Schillers
,,Maria Stuart". Auch dieses beschei-
dene Ergebnis konnte nur erreiclit
werden, nachdem den Herren Direk-
toren Bachur und Bittong zugesichert
wurde, dass ihnen die aufs genaueste
berechneten Selbstkosten ersetzt wiir-
den. Voraussichtlich werden die
Eintrittspreise erhoht werden miis-
sen."
Elsass - Lothringen. Nahe-
zu 100 elsass-lothringische Lehrer ha-
ben dem ,,Messin" zufolge um ihre
Versetzunz nach Preussen gebeten.
Der Grund dieses Schrittes ist darin
zu suchen, dass in Preussen die Ein-
kiinfte der Lehrer weit hoher als in
Elsass-Lothringen sind. Da in den
Eeichslanden kein t)berfluss herrscht
an Lehrpersonal, so ist diese Land-
flucht von nicht zu unterschatzender
Bedeutung.
Leipzig. Das Lehrersemi-
nar des deutschen Vereins
fiir Knabenhandarbeit hier
versendet sein Programm fiir das
laufende Jahr. Danach sind, je
nachdem. Teilnehmer dafiir angemel-
det werden, Unterrichtskurse in Aus-
sicht genommen fiir Vorstufe, Holz-
schnitzerei, Hobelbankarbeit, Papp-
arbeit, Metallarbeit, Modellieren,
landliche Holzarbeit und Herstellung
von Lehrmitteln; ausserdem findet,
wie in friiheren Jahren, ein zweiwo-
chentlicher Kursus fiir Obst- und
Gartenbau mit besonderer Beriick-
sichtigung der Schulgartenpflege
statt. Diese Kurse beginnen mit
dem. 1. Juli und endigen im Septem-
ber; der Eintritt in dieselben kann
mit Anfang jeder Woche erfolgen.
Zur Herbeifiihrung einer griindliche-
ren Ausbildung sind von diesem Jah-
re ab zwei wesentliche Neuerungen
getroffen, indem im Anschluss an die
praktische Arbeit in besonderen
Stunden die Einfiihrung in die Metho-
de des Werkzeichnens stattfindet, und
indem nach Analogic der Seminar-
iibungsschulen eine Schiilerwerkstatt
der Anstalt eingerichtet ist. Der deut-
sche Verein verfolgt unausgesetzt
auch den Fortgang der Bestrebungen
im Auslande. Zu diesem Behufe hat
im Auftrage des Vereins der Direktor
Dr. Pabst hier auch die Pariser Welt-
ausstellung besucht, woriiber er jetzt
in den Blattern fiir Knabenhandar-
beit berichtet. Hochbeachtenswertes
ergaben hiernach die Ausstellung der
Stadt Paris und des franzosischen
Unterrichtsministeriums, sowie dieje-
nigen von England, Nordamerika,
Russland und den nordischen Lan-
dern. Dr. Pabst kommt zu dem
Schlusse, dass namentlich die Ein-
richtungen in Frankreich, wo dem
Handfertigkeitsunterricht schon seit
den siebziger Jahren eine ausseror-
dentliche Forderung und Durohbil-
dung zu Teil geworden ist, die voile
Beachtung der deutschen Schulman-
ner verdienen. Sonderabziige dieses
Berichts, wie Exemplare des Leip-
ziger Seminarprogramms konnen un-
entgeltlich von dem Vorsitzenden des
deutschen Vereins von Schencken-
dorff in Gorlitz, oder vom Direktor
Dr. Pabst, Leipzig, bezogen werden.
Urteil fiber Herbart. Der
friihere Provinzialschulrat und jetzige
Kurator der Halleschen Universitat,
Dr. Wilhelm Schrader, prazisiert in
seinen ,,Erfahrungen und Bekennt-
nisse" (Berlin 1900) seine Stellung zur
Herbartschen Padagogik (Seite 196
und 197) folgendermassen: ,,Bei der
Priif ung in der Padagogik habe ich nie
ein besonderes System bevorzugt noch
auch angefochten, selbst nicht das
Herbartsche, obschon ich seine psy-
chologischen Voraussetzungen da-
mals, wie jetzt fiir grundfalsch halte".
Weiter bespricht der Verfasser das
von Herbart im Jahre 1810 in Konigs-
berg gegriindete padagogische Semi-
nar und kommt, gestutzt auf das Ur-
teil des Direktors Beneke, zu dem Er-
gebnis, dass die Schiiler bei ihrer ge-
ringen Zahl und einem allerdings an-
regenden Lehrverfahren rasch fort-
schritten, allein das Erlernte haftete
nicht ,,und offenbar kam es nicht zu
einer harmonischen Erziehung des
Geistes, der ja in dieser Philosophie
auch nicht einheitlich gedacht war.
Vielmehr wurden einzelne geistige
Krafte bevorzugt und iiberhaupt das
Hauptaugenmerk auf die Auffassung
und das Anlernen gerichtet ; auch
heute kann man hinlanglich wahr-
Umscbau.
171
nehmen, dass die Herbartianer in dem ner urspriinglichen und eigentiimli-
Kinde mehr einen Versuchsgegen- chen Begabung zu bildendes Wesen
stand als ein einheitliches nach sei- sehen".
England.
Zu Gunsten der Einfiih-
r u n g des Unterrichts in den
m o d e r n e n Sprachen an den
Elem.entarseh.ulen, hielt Dr.
Garnett, ein in englischen Schul-
kreisen vorteilhaft bekannter Pada-
goge, einer Londoner Korrespon-
denz der Allg. Deutschen Lehrerzei-
tung zufolge, vor der Gesellschaft
fur moderne Sprachen in Liverpool
eine Ansprache, die dem Londoner
Tageblatte, dem "Globe", den Stoff
zu folgenden beherzigenswerten Be-
merkungen giebt:
,,Das von Dr. Garnett angeregte
Thema hat in unserem Lande in den
letzten zwei oder drei Jahren etwas
mehr Beachtung gefunden, denn vor-
dem. Die Unwissenheit unseres Vol-
kes hinsichtlich der Sprachen seiner
Nachbarn hat grosse Nachteile fiir
uns im Gefolge gehabt, wenn schon
es nicht abzustreiten ist, dass die
Verbreitung der englischen Sprache
an und fur sich bedeutend zugenom-
men hat, und wenn immer eine Spra-
che als universell hingestellt werden
soil, die englische die erste Anwart-
schaft darauf hat. Aber wir sind
heute davon noch weit entfernt und
bei vielen unserer Landsleute, die
auf anderem Gebiete ein reiches Wis-
sen bekunden, hapert es mit der
Kenntnis kontinentaler Sprachen In
bedenklicher Weise, Dr. Garnett be-
trachtet die Beherrschung des Deut-
schen und Franzosischen als uner-
lassliche Bedingung fiir den Gebilde-
ten und meint, dass sie einen wesent-
lichen Teil des Wissens der Marine-
und Armeeoffiziere bilden mxisse.
Nicht unbemerkt dxirfte geblieben
sein, dass z. B. Kussland seinen Offi-
zieren das Studium der chinesischen
und anderer orientalischer Sprachen
dringend anempfehle."
Danemark.
Im Marz 1899 ist ein n e u e s
Schulgesetz angenommen, wor-
den, nach welchem in stadtischen
Klassen 35, in landlichen 37 als
Hochstgrenze der Schiilerzahl zu gel-
ten hat. Der Vorteil, welcher der da-
nischen Jugend in padagogischer, be-
sonders aber in hygienischer Hinsicht
aus dieser wahrhaft philanthropi-
schen Bestimmung erwachst, diirfte
ungleich grosser sein, als der Nutzen,
den das erforderliche Kapital auf an-
derem Gebiete zu bringen vermochte.
Inbezug auf die Opfer, die hier von
Staat und Gemeinde gefordert wer-
den, sagt Professor J. Rehmke im
Deutschen Wochenblatte : ,,Um des
Geldes willen diirfen wir diese Frage
nicht an die Seite schieben, diirfen
wir eine der heiligsten Sachen, die
Entwicklung des heranwachsenden
Geschlechts nicht vernachlassigen
und schlecht besorgt sein lassen. Das
Volksschulinteresse ist der innerste
Kern des Staatsinteresses".
Russland.
Wenn man die traurige finanzielle
und gesellschaftliche Stellung der
russischen Volksschulleh-
r e r beriicksichtigt, darf man sich
nicht dariiber wundern, dass sie in
letzter Zeit immer haufiger ihre Po-
sten verlassen, um ein anderes Wir-
kungsfeld zu suchen, welches ihnen
die Moglichkeit gewahrt, ihre mate-
riellen und geistigen Bediirfnisse zu
befriedigen. Schon im Jahre 1896 wa-
ren in den ostlichen Gouvemements
46 und in den siidlichen 498 Schnaps-
verkaufer ehemalige Volksschulleh-
rer; dabei ist es bezeichnend, dass in
den 3 Gouvemements ohne Land-
schaftsverfassung 61 % der Verkau-
fer friiher Lehrer gewesen waren, in
den Landschaftsgouvernements aber
nur 38 %. Dieselbe Erscheinung zeigt
sich iiberall dort, wo das Monopol ein-
gefiihrt wird: wo staatliche Schnaps-
buden entstehen, verlieren die Schu-
len ihre Lehrer.
DieKussifizierung der
Universitat Dorpat ( jetzt Jur-
jew) hat in den letzten Jahren iiber-
raschende Fortschritte gemacht. Un-
ter den Professoren giebt es in diesem
Semester nur noch vier Reichsdeut-
sche, darunter den Anatomen Rauber
und den Chirurgen W. Koch. Diese
vier Professoren halten ihre Vorle-
sungen in deutscher Sprache, alle an-
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
deren Professoren — in russischer. Nur
in der theologischen Fakultat ist die
deutsche Sprache von der Regierung
beibehalten worden. Die Zahl der
Studenten betragt 1709; davon geho-
ren 1027 dem griechisch-orthodoxen
Bekenntnis an. Nach 1895 belief sich
die Zahl der Orthodoxen, die in Dor-
pat immatrikuliert waren, auf nur 90.
Aus den baltischen Provinzen stam-
men 402 Studenten, aus den iibrigen
Gouvernements des Reiches 1301, und
6 Studenten sind Auslander.
Guatemala.
Frau Professor Cacilie S e-
1 e r erzahlt in ihrem soeben erschie-
nenen Buche uber Reisen in Mexiko
und Guatemala von den dortigen
Schulen: Seit wir den Boden von Gua-
temala betreten batten, waren wir da-
durch tiberrascht worden, dass wir
in jedem grosseren Dorfe eine Schule,
meist einen Lehrer fur die Knaben
und eine Lehrerin fiir die Madchen
antrafen; ja haufig war auch ein ro-
ger Schulbesuch vorhanden, was
von den viel sparlicher vorhandenen
Schulen Mexikos nicht behauptet wer-
den kann. Trotzdem haben wir tins
nicht davon iiberzeugen konnen, dass
die allgemeine Volksbildung in Gua-
temala auf einer hoheren Stufe stehe
als in Mexiko. Es mag vielleicht
sein Gutes haben, die jiingere Gene-
ration an regelmassigen Schulbesuch
zu gewohnen; ob aber nennenswerte
weitere Ergebnisse zu verzeichnen
sind, scheint zweifelhaft. In Chiatina
hatten wir die Erfahrung gemacht,
dass nach einem vierjahrigen Unter-
richte die Knaben Gedrucktes unvoll-
kommen lesen und die Drucklettern
miihselig nachzumalen gelernt hat-
ten. Die sehr begabten kamen dann
nach einiger Zeit so weit, ihren Na-
men schreiben zu konnen. In Toa-
quil hatten wir, wahrend die Frau des
Lehrers uns ein Friihstiick zuberei-
tete, Gelegenheit, etwas vom Unter-
richte mit anzuhoren. Eine Schar
schwarzaugiger hiibscher Kinder sass
in der Klasse ziemlich artig beisam-
men; der Lehrer ging at> und zu und
dozierte dabei gelegentlich ein Vier-
telstiindchen, d. h. er miihte sich mit
der grammatischen Analyse eines Sat-
zes ab, unter Anwendung gelehrter
Bezeichnungen seiner Teile, vor Kin-
dern, die in der Schule erst Spanisch
lernen sollen, da sie von Hause aus
nur Indianisch sprechen. Wie schade
um den Aufwand von Zeit und Geld,
der doch bei richtiger Anwendung so
viel Nutzen stiften konnte! Was das
Geld anbetrifft, so ist das so eine
Sache; denn sobald es knapp wird,
sind die Lehrer die ersten, denen das
Gehalt nicht gezahlt wird. Die Mad-
chen habe ich immer nur in Hani-
arbeiten unterrichten sehen. Obgleich
man liber den Nutzen feiner Perl- und
Seidenstickereien in Indianerdorfern
auch seine eigene Ansicht haben
kann, so sind sie immer noch ver-
wendbarer als grammatikalische Ana-
lysen.
Japan.
Die Einfiihrung des deut-
schen Schulsystems wird
hier geplant. Eine japanische Kom-
mission, bestehend aus Dr. J. Yokai,
Prof. J. Kozai vom landwirtschaft-
lichen Institut in Tokio und Prof.
Hashimoto von Sopporo, befindet sich
gegenwartig in Deutschland, um dem
Erziehungswesen ihre Aufmerksam-
keit zu widmen. Die japanische Re-
gierung beabsichtigt, das ' deutsche
System, soweit es japanischen Ver-
haltnissen anzupassen ist, einzufuh-
ren. Die "Eastern World" bemerkt
dazu, dass Vicomte Mori schon vor
mehr als 14 Jahren Schritte zur Eiu-
fuhrung des deutschen Schulsystems
gethan hat. Sein Tod bereitete die-
sen Bestrebungen ein vorzeitiges En-
de. Die Wiederaufnahme des Planes
ist im Interesse des Fortschrittes
abendlandischer Zivilisation in Ost-
asien jedenfalls mit Freuden zu be-
griissen. Es wiirden jedoch, sollten
die beabsichtigten Reformen in der
That eingefiihrt werden, mehr ais
90% der jetzt in den Schulen Japans
thatigen eingeborenen Lehrer entlas-
sen werden miissen, weil sie den An-
forderungen des neuen Systems nicht
Geniige leisten konnten. Dies liesse
die Anstellung einer grossen Anzahl
von deutschen Lehrern, hauptsachlich
solcher, die ihre Studien am orienta-
lischen Seminar in Berlin gemacht ha-
ben, als Notwendigkeit erscheinen.
Fraglich aber bleibt es dennoch, ob
japanische Schulbehorde stark genug
sein wird, um die fast militarische
Disziplin deutscher Schulen durchzu-
fiihren, oder ob die Knaben nach wie
vor die Meister bleiben sollen. Im
letzteren Falle diirfte selbst das deut-
sche Schulsystem, wie jedes andere,
in Japan fehlschlagen.
173
V. Vermischtes.
Was dem Lehrer not thut!!
Unter dieser Uberschrift bringt die
,,Bayerische Schulzeitung" folgende
llatschlage (?!), deren Beherzigung
auch bei uns mitunter von Vorteil
1st: Es 1st leider eine Thatsache,
dass viele Lehrer bei ihrem Unterricht
zu viel auf die Kinder und deren Gei-
stesverfassung Bedacht nehmen und
selten oder gar nicht an den Herrn
Inspektor oder Kektor denken. Statt
sich zu fragen: Wie mach' ich's, dass
ich dem Herrn Inspektor gefalle und
imponiere, lassen sie sich. von — man
mochte sagen — unterrichtshygieni-
schen Griinden leiten. Es kann aber
nicht scharf genug betont werden,
dass das jeweilige Urteil des Herrn
Inspektors allein wahre Geltung und
Objektivitat beanspruchen kann.
Sein Machtspruch, seine Auffassung
1st die wahre Norm fur die padagogi-
schen Bemiihungen der einzelnen Un-
terthanen. Wenn sich Einzelne auf
die padagogische Wissenschaft und
insonderheit auf die doch immerhin
hochst subjektive Methodik glauben
berufen zu diirf en, so mag das in einer
Zeit angangig gewesen sein, in der
man wahnen durfte, der Lehrer sei
die Schule. Heute, wo der Lehrer, na-
mentlich der an grossen Schulkor-
pern, nur als Grlied einer Kette, die
der Herr Inspektor zieht, zu betrach-
ten 1st, muss jene Auffassung tiber
Bord geworfen werden. Und es ist
auch gut so. Viel Kopfe, viel Sinne.
In der Schule kann eben nicht jeder
nach seiner Fagon selig werden. Wo
der Herr Inspektor nicht das Haus
bauet, da arbeiten umsonst, die daran
bauen. Das Gesetz des Herrn Inspek-
tors ist gewiss und machet die Alber-
nen weise. Die Befehle des Herrn In-
spektors sind richtig und erf reuen das
Herz. Die Gebote des Herrn Inspek-
tors sind lauter und erleuchten die
Augen. Sie sind begehrenswerter als
Gold und viel Feingold. Auch wird
der Untergebene, der Knecht, durch
sie erinnert, und wer sie halt, hat
grossen Lohn. Wer kann merken, wie
oft er fehlet? Darum ist die Hilfe des
Herrn Inspektors der Weisheit An-
fang. Und die, so nicht auf seine
Stimme horen, sind wie Spreu, die der
Wind verstreuet. Man wird ihrer bei
alien wichtigen Gelegenheiten entra-
ten mussen. Ja, es muss ihnen stets
zu Gemiite gefiihrt werden, wie sehr
sie im Finstern tappen. Ihre ver-
meintliche Selbstandigkeit muss als
eitel Schein, ihre vermeintliche Weis-
heit als Afterweisheit und hochmut-
erzeugendes Geblah enthiillt werden.
Insonderheit ist es notwendig, bei al-
ien Zuwendungen und Arbeitsverge-
bungen eingehend zu priifen, ob nicht
durch Gewogenheitsbezeigungen der
gefahrliche Diinkel angefacht werde.
Denn es ist eine herrliche Sache um
• die Demut und Anspruchslosigkeit ei-
nes Lehrers. Wie die hochste Stelle
eines Staates bei Verleihung von Ti-
teln und Orden umsichtig zu priifen
hat, wer die Wiirdigsten seien, so der
luspektor bei Vergebung von Neben-
verdiensten. Keiner empfange einen
Zuwachs, der an der verderblichen
Krankheit des Wissensdiinkels leidet.
Die Rufer im Streite, diejenigen, die
nicht sorg- und skrupellos ihren Kohl
bauen, ohne sich umzuschauen, die
sich vermessen, zu viel selbst denken
zu wollen, sind bei Gnadenerweisun-
gen mit Vorsicht zu behandeln oder
von solchen ganz auszuschliessen.
So glaube ich die Grundsatze einer
rationellen Schulleitung richtig dar-
gelegt zu haben. Ihr Lehrer aber,
richtet Euer Vernal ten darnach ein!
Dass diese Grundsatze noch nicht
iiberall zur Durchfiihrung gelangt
sind, moge Euch nicht abhalten, schon
jetzt den Idealen nachzustreben.
Peter der Einsiedler.
Benedicte denpum. Auch
die gewiegtesten Lateiner, so schreibt
das ,,Wiener Extrablatt", werden den
Sinn und Zusammenhang dieser Wor-
te ,,Benedicte denpum" vergeblich zu
ergriinden suchen. Man kann es da-
her auch dem Lehrer nicht verar-
gen, welchem ein Volksschiiler einen
Zettel mit dieser Inschrift und der
beigefugten Unterschrift des Vaters
als Entschuldigung iiberreichte, wenn
er nicht sofort herausfand, was die
zwei Worte zu bedeuten haben. Ei-
niges Nachdenken fiihrte ihn aller-
dings zur Entzifferung dieser moder-
nen Hieroglyphen. Das Ergebnis die-
ser Arbeit lautet: ,,Benotigte den
Buben."
Ansichtskartenstas t i s-
t i k. Das Keichspostamt hat die
Zahl der aufgegebenen Ansichtskar-
ten in der Zeit vom 9. bis 10. August
v. Jrs. ermitteln lassen. Die Erhe-
bungen haben ergeben, dass fast
die Halfte aller aufgegebenen Post-
karten Ansichtskarten sind. Es wur-
den im Durchschnitt taglich 1% Mil-
lionen Ansichtskarten aufgeliefert.
Der Portobetrag fiir den Tag stellt
sich nach der Berechnung der deut-
174
P'ddagogiscbe Monatshefte.
schen Verkehrszeitung auf rund 69,-
000 M. Fur 1900 wird die Zahl der
aufgegebenen Ansichtskarten ca.
300 Millionen Stiick betragen.
Der Orientklub zu Leipzig
unternimmt in den Sommerferien
1901 eine mit ganz wenig Kosten ver-
bundene wundervolle See- und Land-
fahrt durch Dalmatien und ganz Ita-
lien mit Sicilien. Freunde des Sii-
dens sind dem Klub als Mitreisende
willkommen und erhalten gem jede
Auskunft durch den Schriftfiihrer A.
Wunsch, Lehrer, Leipzig-E., Delitz-
scher Chaussee 1.
Biicherschau.
I. Bucherbesprechungen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Der Stern des Westens, epi-
sches Gedicht von Julius Gugler,
Milwaukee, 1900. Selbstverlag des Ver-
fassers. Hauptniederlage: Geo. Brum-
der, Milwaukee, Wis. 75 S., geb. 75 cts.
Die deutschamerikanische Schon-
litteratur hat durch das jiingst er-
schienene lyrisch-epische Gedicht
,,Der Stern des Westens" von dem
Milwaukeer Kiinstler Julius Gugler
eine prachtige Bereicherung erfahren.
Wie alle Arbeiten des Dichters be-
kundet dieses neueste Werk ein ech-
tes deutsches, sinniges Gemiit und
eine edle Begeisterung fur die Kul-
turaufgaben des Deutschtums in die-
sem Lande. Obschon er als junger
Knabe nach Amerika gekommen, 1st
in dem Herzen des Verfassers der
Sinn fur die Vorziige der alten Hei-
mat lebend geblieben und hat ihm
zum deutschen Liede die Sprache
brauchen gelehrt, wie wenigen. Das
bezeugt die stimmungsvolle Wid-
mung:
Denjen'gen, die, gleich mir, — und an
der Zahl
Sind's ihrer Tausende! — nach dieser
Scholle
Das Gliick, der Zufall, oder eig'ne
Wahl
Gefiihrt, die noch der tiefe, seelen-
volle
Gesang der deutschen Sprache riihrt
und hebt,
In deren Herzen jede Fiber bebt,
Beim Wunderklange deutscher Dich-
terstimmen;
Denjenigen, die Deutschlands Keben-
land
Und seine Walder, seine bliih'nden
Stadte,
Schon fast vergessen, oder kaum ge-
kannt,
Die aber hier, aus treuem Eltern-
munde,
Von Lieb und Leben erste siisse
Kunde
In deutschem Wort erhielten, und die
noch
Im letzten Augenblick, was sie be-
wegt,
Was Tiefstes sie im Inneren gehegt,
In deutschen Lauten stammeln wer-
den,
Denjenigen sei dieses Lied gewidmet!
,,Der Stern des Westens" schildert
die Erlebnisse und Ergebnisse eines
von einem Deutschen mit seiner Fa-
milie um die Mitte der fiinfziger Jah-
re unternommenen Zuges nach den
Xiisten des Stillen Weltmeeres, wah-
rend dem sich ein Liebesverhaltnis
zwischen der blonden Tochter Ger-
ruaniens und einem Sohne Neueng-
lands entspinnt, das von dem Einwan-
derer nicht gern gesehen wird. Ein
Indianeriiberfall bietet die Veranlas-
sung, dass des jungen Mannes wahrer
Wert zu Tage tritt, und der zu Tode
getrott'ene Deutsche iibergiebt vor sei-
nem Hinscheiden die Hand der Toch-
ter und die Sorge fur das Geschick
der Hinterbliebenen dem kurz vorher
als Gegner Angesehenen. Mit einer
gltihenden Lobpreisung des Westlan-
des schliesst das Gedicht, dem ein
vielfach wechselnder Rythmus und
mehrere eingeflochtene Lieder ganz
besonderen Eeiz verleihen. Das klei-
ne, sorgfaltig in der Anstalt des Ver-
fassers selbst hergestellte Buch muss
nach Inhalt und Ausstattung eine
Zierde jeder Biicherei bilden.
W i s c o n s i n's D e u t s c h-A m e-
r i k a n e r bis zum Schlusse des neun-
zehnten Jahrhunderts, von W i 1 -
helm Hense-Jensen. 1. Bd.,
Milwaukee 1900. Im Verlage der
Bucberbesprecbungen .
175
Deutschen Gesellschaft. Druck der
Germania. 389 S., geb., $2.50.
Wenn man bedenkt, wie ausseror-
dentlich viel von den Deutschen fur
die glanzende Entwickelung dieses
Landes gethan worden ist, und dabei
sich vergegenwartigt, dass imnier
noch scheeler Neid diese Verdienste
zu verkleinern bestrebt ist, so muss
man ein jedes Unternehmen, welches
darauf abzielt, deutsche Kulturarbeit
in das rechte Licht zu setzen, freudig
begriissen. Viel ist schon gethan wor-
den, aber viel bleibt noch zu leisten.
Und manches muss bald geschehen,
wenn tiberhaupt nicht die Gelegenheit
unbenutzt voriibergehen soil. Da sind
denn die Bestrebungen, welche seit
einiger Zeit in verschiedenen Landes-
teilen angeregt und ermutigt worden
sind, einschlagiges Material zu sam-
meln und geordnet der Offentlichkeit
zu tibergeben, nicht nur berechtigt,
sondern verdienen alle nur denkbare
Unterstiitzung. Filr Wisconsin hat
die Deutsche Gesellschaft von Milwau-
kee die Initiative zur Besorgung der
dankbaren Arbeit ergriffen und als
Resultat der Bemiihungen den ersten
Band geschichtlicher Erinnerungen
und Schilderungen erscheinen lassen,
dem bald ein zweiter Band folgen
soil. Der Verfasser hat es verstanden,
das reichlich vorhandene Material
trefflich zu verwerten und ein Werk
zu schaffen, welches einen jeden Leser
fesseln muss. Moge der Erfolg des
Unternehmens zu ahnlichen Arbeiten
anspornen. H. H. F.
Aus dem Verlage von D. C. Heath
& Co. Modern Language Series, liegt
eine ganze Anzahl kleiner Werke zur
Besprechung vor.
Leichten, anregenden Lesestoff bie-
ten zunachst drei kleine Lustspiele,
Benedix, Nein, mit Anmerkun-
gen, Worterbuch und tJbungen verse-
hen von A. W. Spanhoofd; E 1 z's
Er ist nicht eifersiichtig-,
mit Worterbuch, eowie Benedix,
Der Prozess, mit Worterbuch,
beide herausgegeben von B. W.
Wells.
Schon im ersten Jahre, sobald die
Hauptschwierigkeiten der Grammatik
tiberwunden sind, konnen diese klei-
nen Lustspiele mit Nutzen fur Schul-
klassen verwandt werden, zum Lesen
und besonders zu tJbungen im Spre-
chen, da diese Stiicke als gute Bei-
spiele der taglichen TJmgangssprache
gelten diirfen konnen. Das Benedix'-
sche Lustspiel Nein von. A. Span-
hoofd bietet noch als Anhang eine
Anzahl vontJbungsstiicken zur sohrift-
lichen und mundlichen Benutzung dea
Gelesenen.
Ebenfalls fur das erste Jahr geeig-
net sind die in sehr einfachem, an-
mutigem Stil geschriebenen Erzah-
lungen von Carmen S y 1 v a, ,,der
deutschen Dichterin auf dem ruma-
nischen Konigsthrone" : Aus m e i-
nem Konigreich, herausgegw-
ben von W. Bernhardt. Diese
kleinen Erzahlungen und Marchen
sind aus der Volkssage der Rumanen
geschopftund bieten eine Reihe von
farbenreichen, phantastischen Bil-
dern, die uns die Sagenwelt eines una
BO fremden Volksstammes vorfuhren
sollen. Dieses Buch vrird manchem
Freude machen und sich fiir jiingere
Madchenklassen besonders eignen.
Felix Dahns Sigwalt und
S i g r i d h, herausgegeben von F. G.
G. Schmidt wird sich dahingegen
durchaus nicht mit Nutzen im Schul-
zimmer verwenden lassen. Der Stil
ist ein der heutigen Umgangssprache
so entgegengesetzter, dass es gerade-
zu schadlich sein wiirde, den Schil-
ler damit zu verwirren. Ausserdem
giebt es noch andere Bedenken, die
dem Gebrauch des Buches fur jiin-
gere Schiller verbieten. Dasselbe
gilt von Zschokkes Das
Wirtshaus zu Cransac, her-
ausgegeben von E. S. J o y n e s. Der
Verfasser, einer der beliebtesten und
wirklich guten Volksschriftsteller zu
Anfang des 19ten Jahrhunderts, ge-
hort jetzt zu denen, die als ganzlich
veraltet im Stil und Stoff ihrer Er-
zahlungen, in vollige Vergessenheit
geraten sind. Das vorliegende Ge-
schichtchen kann wenig dazu beitra-
gen, Liebe und Bewunderung fiir die
deutsche Litteratur in dem Schiller
zu wecken.
Heyses, Das Madchen von
T r e p p i, herausgegeben von E. S.
J o y n e s, ist wie das altbekannte
L'Arrabiata eine Perle unter den
zahlreichen kleinen Novellen des Yer-
fassers. Glanzender Stil, edle Spra-
che sind ihm eigen; eine Fiille von
Schonheit entziickt uns in seiner
Schilderung von Landschaft und
Menschen, besonders psychologisch
interessanter Frauencharaktere, die
seine Starke sind. Zu einer Zeit
vielleicht iiber die Gebiihr vergottert,
wird Heyse von der heutigen ober-
tlachlicheren Kritik zu sehr verkannt
und unterschatzt. Mit Unrecht hat
man ihn gar den ,,Lieblingsauthor
der hoheren Tochterschule" genannt.
Das Madchen von Treppi eig-
net sich nicht im mindesten fiir die
176
P'ddagogische Monatshefte.
Hohere Tochterschule, ebenso wenig
wie 1'Arrabiata. Dieser mit einem
Bilde Heyses geschmiickten Ausgabe
wurde ein Anhang beigefiigt, von
englischen Paraphrasen zum Zuriick-
iibersetzen ins Deutsche, die fiir al-
tere Schiller ausgezeichnete Ubungen
bilden diirften.
Gottfried Keller, Kleid er
m a c h e n L e u t e, herausgegeben
mit Anmerkungen und Worterbuch
von M. B. Lambert. Unserer ame
rikanischen Schule den grossen Kel-
ler, ,,den grossten Dichter, den-
Deutschland seit Gothe besass", zu-
ganglich zu machen, ist wahrlich ein
Verdienst. Wean nicht der grosste
Dichter, so ist Keller doch der
grosste deutsche Epiker seit Goethe,
und selbst diese lustige Geschichte
vom Schneiderlein Strapinski ,,ist ei-
nes Bocaccio wiirdig". Diese Aus-
gabe ist mit vielen Noten versehen,
die zum Verstandnis des ziemlich
schweren, idiomatischen Stils notig
waren. Dieses Buch wird auch un-
tef uns viele Freunde finden.
C. Grosse.
II. Eingesandte Biicher.
Laskaris. Eine Dichtung von
Arthur Pfungst. Vierte Auf-
lage (Volksausgabe). Berlin, 1901.
Ferd. Dtimmlers Verlagsbuchhand-
lung. Preis geheftet 2,40 M; elegant
gebunden 3,60 M.
O r th o gr aph i e b 1 a 1 1 er fiir
die Hand der Kinder. Ein An-
hang zu jedem Lesebuch. Verfasser?
Gumbinnen, C. Sterzel (Gebr. Kei-
mer), 1901. Preis 15 Pf.
Deutsche Aufsatze zur Bele-
bung und Vertiefung des Gesamtun-
terrichts. Fiir Oberklassen der Volks-
und Biirgerschulen, sowie fiir Mittel-
klassen hoherer Lehranstalten ,bear-
beitet von A. Kleinschmidt,
Grossherzogl. Kreisschulinspektor in
Erbach in O. I. Band: Aufsatze zum
Unterricht in Religion, Litteratur, Ge-
schichte und Geographic. II. Band:
Aufsatze 1. iiber Menschenleben und
Menschenarbeit; 2. aus dem Gebiete
des Unterrichts in Hauswirtschafts-
und Gesundheitslehre, Naturgeschich-
te und Naturlehre; 3. Jahreszeiten
und Witterung. Leipzig, Friedrich
Brandstetter, 1899. Preis: Band I,
brosch. 3 M, geb. 3.40 M; Band II
desgl.
Soil und Haben von G u s t a v
F r e y t a g. Abridged and Edited
with Introduction and Notes by
George T. Files, Ph. D., Profes-
sor of German in Bowdoin College.
Boston, D. C. Heath & Co., 1901
Price 65 cts.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. April 1901. Hefts
Henry Raab. f
Der Tod halt reiche Ernte unter unsern Besten. In der kurzen
Spanne von wenigen Monaten sind uns zwei Manner entrissen worden,
die treu zu unserer Sache standen und mit eben solcher Begeisterung
als Erfolg fur dieselbe wirkten. Henry Raab war es, der seinem dahin-
gegangenen Freunde, Prof. W. H. Rosenstengel, in dem Dezemberhefte
der P. M. einen tiefgefiihlten Nachruf widmete. Wer hatte es damals
wohl geahnt, dass er, der Hune von Gestalt und scheinbar von Kraft
und Gesundhett strotzend, ihm so bald in das Grab nachfolgen werde. Am
13. Marz wurde er nach kurzem, aber schmerzvollem Leiden abgerufen.
Henry Raab gehorte zu den Mannern, die die Pionierarbeit fur einen
im Sinne unserer grossen Padagogen stehenden Ausbau des amerikani-
schen Schulwesens verrichteten. Er kannte die Wichtigkeit eines zwei-
sprachigen Unterrichts in unseren Schulen, und zwar vom Kindergarten
an, und trat in seinem Wirkungskreise fiir dessen Einfiihrung ein. Die
Bedeutung deutschen Geistes nicht fur unser Schulwesen allein, sondern
fiir die nationale Entwickelung unseres Volkes war ihm klar wie wenigen,
und unentwegt verfocht er unsereldeen, wo sich immer dieGelegenheit bot.
Die Padagogischen Monatshefte verlieren in ihm einen ihrer eifrigsten und
thatkraftigtsen Mitarbeiter; sie klopften nie vergebens bei ihm an, wenn
seine Hilfe in irgend einer Weise notwendig schien. Diese Hilfsbereit-
schaft, die ihn hier auszeichnete, wussten alle, die seiner bedurften, zu
riihmen. Er hatte «in warmes Herz fiir alles Gute und Schone — ein ech-
ter Mann, an dem kein Falsch war.
In unsern Reihen ist durch seinen Hingang eine grosse Liicke ge-
worden, die um so fuhlbarer ist, als sie schwer gefiillt werden kann, und
178 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
von neuem miissen wir die Frage aufwerfen, die uns bei dem Tode Prof.
Rosenstengels bewegte: Wo sind die M'anner, die die Erbschaft der Da-
hingegangenen antreten und das Werk vollenden helfen, zu welchem jene
den Grund legten?
Wir lassen -nun den Nachruf folgen, der nach dem Tode Henry Raabs
in der Illinoiser Staatszeitung aus der Feder Wm. Rapps veroffentlicht
wurde :
Hoch und kraftig wie eine deutsche Eiche, hat er doch nunmehr in seiner
Illinoiser Heimat Belleville an tiickischer Krankheit sterben miissen, wah-
rend er noch einen langeren gesegneten Lebensabend vor sich zu haben scMen.
Heinrich Raab wurde als der alteste von sieben Sohnen zu Wetzlar, der
jetzt zur preussischen Rheinprovinz gehorigen einstigen Statte des Kammer-
gerichts des alten romisch-deutschen Reich.es, im Jahre 1836 geboren. Sein
Vater war ein Gerbermeister, welcher, obgleich mit Gliicksgutern nicht ge-
segnet, den Kindern die bestmogliche Erziehung angedeihen Hess. Er
schickte seinen Heinrich erst in den Kindergarten, dann in die Biirgerschule
und darauf in das Gymnasium von Wetzlar und liess dem aufgeweckten Kna-
ben zugleich bestandigen Privatunterricht erteilen. Aber zur Fortsetzung der
Studien reichten die geringen Mittel des Vaters nicht hin, und darum wurde
aus dem Gymnasiasten Heinrich Raab ein — Gerberlehrling und ein handfes-
ter Gerbergeselle.
Als solcher kam er im Jahre 1854, also in seinem achtzehnten Jahre, nach
den Vereinigten Staaten, und arbeitete riistig und fleissig auf seinem Hand-
werk, erst in Cincinnati, dann in St. Louis. Aus letzter Stadt siedelte er
im Laufe des Jahres 1855 nach dem nahen Belleville, der iiberwiegend deut-
, schen Hauptstadt des Siid-Illinoiser Countys St. Clair iiber. Der gebildete
und auf Vermehrung seiner Bildung bedach'te junge Gerber kam daselbst bald
in Beriihrung mit den strebsamsten der dortigen Lehrer und, was noch viel
wichtiger fur ihn war, mit dem ausgezeichneten deutschen Schulmanne Georg
Bunsen. Dieser regte ihn zur Ergreifung des Lehrfaches an, fiihrte ihn in
die Grundsatze und die Lehrweise Pestalozzis ein und war in jeder Weise
bemiiht, ihn zum tiichtigen Lehrer zu machen.
Georg Bunsen, ein Mitglied der beriihmten deutschen Gelehrtenfamilie
desselben Namens, war ein aufs griindlichste gebildeter Schulmann. In sei-
ner Vaterstadt Frankfurt a. M. hatte er von 1820 bis 1834 eine von ihm er-
richtete hohere Lehranstalt nach den Grundsatzen Pestalozzis geleitet, wan-
derte aber dann* als Freiheitsfreund von der zunehmenden Reaktion bedroht,
mit seiner Familie nach St. Clair County in Illinois aus, liess sich dort auf
einer Farm nieder, unterrichtete seine Kinder und die seiner Nachbarn und
zog, nachdem er auch Friedensrichter und Mitglied des Illnoiser verfassung-
gebenden Staatskonvents von 1847 gewesen war, in die County-Hauptstadt
Belleville hinein, wo er eine Musterschule errichtete. Sie wurde bald auch
von den Lehrern der offentlichen Schulen Bellevilles besucht. Im Jahre 1856
ward Bunsen zum Direktor eben dieser offentlichen Schulen und einige Jahre
daraut zum Direktor samtlicher Offentlicher Schulen des St. Clair Countys
gemacht. Ebenso wurde er Mitglied des damaligen staatlichen Erziehungs-
rates und einer der Grunder des Staatslehrerseminars in Bloomington. Im
Jahre 1874 starb er, einundachtzig Jahre alt.
Einen solchen Lehrmeister im Schulfache hatte Raab; und als ihn Bun-
sen fur reif erklarte, entschloss sich der junge Mann, sofort ganz dem Leh-
Henry Raab. 179
rerberufe zu leben. Als im Winter von 1857 auf 1858 in einer Belleviller
Vorstadtschule ein Hilfslehrer gesucht wurde, meldete sich Raab zu dieser
Stelle und wurde angestellt. Von da an ist er in den Belleviller Schulen
thatig gewesen, zuerst als Gehilfe, dann ols Lehrer des Deutschen, spater
als ,,Prinzipal" und schliesslich als ..Superintendent".
Durch das Studium guter Schriften uber Erziehungskunst und durch hau-
figen Besuch englischamerikanischer und deutschamerikanischer Lehrertage
1st er mit dem Unterrichtswesen der Vereinigten Staaten und der europai-
schen Kulturlander immer vertrauter geworden. Um aber das deutsche Er-
ziehungswesen aus eigener Anschauung noch genauer kennen zu lernen, be-
gab er sich im Jahre 1863 nach Deutschland, blieb dort bis zum folgenden
Jahre und studierte in den vorziiglichsten der dortigen Bildungsanstalten fur
Lehrer weiter, lernte auch den Lehrgang der besten Schulen griindlich
kennen.
Im Jahre 1882 stellte der demokratische Staatskonvent VOD Illinois Raab
als Kandidaten fur das Amt des Staatsschulsuperintendenten auf, und er
wurde mit einer Mehrheit von 3000 Stimmen gewahlt, wahrend im iibrigen
die Republikaner siegten. In seiner vierjahrigen Amtszeit in der Staats-
hauptstadt bewahrte er sich so vorziiglich, dass die Demokraten ihn dann
von neuem aufstellen wollten. Er wies aber die Kandidatur bestimmt zuriick.
Doch im Jahre 1890 ist ihm dieselbe Kandidatur durch einstimmigen Ruf
des demokratischen Staatskonvents doch wieder iibertragen worden, und auf
das Andrangen der Deutschen hat er sie in der elften Stunde angenommen.
Er und seine Familie brachten dadurch ein grosses Opfer.
Bei seiner Kandidatur im Jahre 1890 war Raab der Fuhrer der Deut-
schen von Illinois ohne Unterschied der Partei im heissen Kampfe gegen
das Edward'sche Schulgesetz, welches die deutschen Kirchen- und Privat-
schulen so schwer bedrohte, und er wurde von der Illinois Staatszeitung,
in welcher er schon fruher in trefflichen Aufsatzen dargethan hatte, wie gut
sich der Unterricht im Deutschen mit dem im Englischen vertragt und ihn
fordert, aufs kraftigste und freudigste unterstiitzt. E r selbst bereiste in
jenem Wahlkampfe den Staat und verfocht mit eindringlicher Beredsamkeit
seine und der Deutschen Sache. Das Ereignis war, dass er im republikani-
schen Staate Illinois mit einer Mehrheit von 30,000 gewahlt wurde und dass
das Edwards-Gesetz einem gerechten Schulzwangsgesetz weichen musste.
Nachdem Raab von 1891 bis 1895 sein hohes Amt wieder aufs beste ver-
waltet und namentlich auch viel zur Hebung landlicher Schulen beigetragen
hatte, kehrte er von Springfield ins Privatleben zuriick. Er machte dann
noch zwei Reisen nach Deutschland, wo er wieder das dortige Schulwesen
studierte, woruber er wahrend seiner ersten Reise hochst anziehend in der
Illinois Staatszeitung berichtete.
Raab war eine sehr ansprechende Personlichkeit, hatte im Benehmen
durchaus nichts Schulmeisterliches und sah in den Tagen seiner Gesundheit
ehe/ wie ein waldfrischer deutscher Forstmann aus.
In ihm ist einer der besten amerikanischen Schulmanner gestorben, der
die deutsche Lehrmethode aufs gliicklichste den wahren Bediirfnissen Ame-
rikas anzupassen wusste. Er war aber nicht nur ein Hauptvertreter eines
verniinftigen Schulsystems, sondern auch ein tapferer und unbesieglicher
Vorkampfer des deutschen Unterrichts in der offentlichen Schule und der
volligen Gleichberechtigung der deutschamerikanischen Privat- und Kirchen-
schule mit der amerikanischen offentlichen.
180 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Er hinterlasst eine verehrungswiirdige Gattin, einen Sohn, der es zum
hochangesehenen Arzte gebracht hat, und eine ebenso treffliche, in. Kansas
City gliicklich verheiratete Tochter. W. Rapp.
* * *
Samstag nahm in einer Spezialsitzung die Verwaltungsbehorde des Nati-
onalen D.-A. Lehrerseminars die folgenden Beileidsbeschliisse an:
,,Die Dezembernummer der ,,Padagogischen Monatshefte" enthielt aus
der Feder des Herrn Heinrich Raab von Belleville, 111., einen Aufsatz, wel-
cher in warmen Worten der Personlichkeit und dem segensvollen Wirken
unseres dahingeschiedenen W. H. Rosenstengel ein schones Denkmal setzte.
Nur wenige Monate hat der Verfasser unseren unvergesslichen Mitarbeiter,
mit dem er durch das Band langjahriger, treuer Freundschaft und Briider-
lichkeit vereint war, tiberlebt. Heute haben liebende Hande die sterbliche
Hiille von Heinrich Raab der Feuerbestattung iibergeben. Kraftstrotzend
wie die Eichen seines alten Vaterlandes, schien er zu den Auserkorenen zu
gehoren, denen die Natur eine Lebensdauer beschieden hat, weit iiber das
Mass der gewohnlichen Sterblichen. Und doch hat ihn ein txickisches Leiden
unerwartet friih seiner Familie, seinen zahlreichen Freunden und seinem
segensreichen Berufe entrissen.
Wir, die Beamten des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrersemi-
nars, haben uns versammelt, um unserer Trauer iiber den Tod unseres Freun-
des Heinrich Raab Ausdruck zu verleihen. Wer Heinrich Raab nur flxichtig
kannte, fiihlte sich zu ihm hingezogen, wer ihm naher trat, musste ihn achten
und lieben. Der machtige Korper des Mannes barg das Gemut eines ver-
trauernden Kindes. Weit iiber die Grenzen seines Heimatstaates, Illinois,
welcher ihn oft mit hohen Vertrauensamtern beehrt hatte, war er bekannt
und verehrt als tiichtiger, erfahrener und begeisterter Schulmann, als treuer
Freund und Berater aller jungen und strebsamen Berufsgenossen, als warmer
Befiirworter und kraftige Stiitze aller edlen Bestrebungen, als Ehrenmann
vom Scheitel bis zur Sohle. Der von uns vertretenen Anstalt brachte er die
warmste Liebe entgegen; als Mitglied der Verwaltungsbehorde des Lehrer-
seminars, der er seit der Griindung der Anstalt angehorte, als Mitglied des
Lehrerausschusses hat er sich hohe Verdienste um das Wohl der ihm und
uns so teuren Anstalt erworben. Ehre seinem Andenken.
Wir beschliessen hiermit, der tiefgebeugten Familie unseres dahinge-
schiedenen Mitarbeiters unser herzlichstes Beileid auszusprechen, vorstehende
Kundgebung dem Protokolle einzuverleiben und durch die Presse zu verof-
fentlichen."
Am Samstag, dem 16. Marz, fand die Feuerbestattung Henry Raabs
in St. Louis statt. Die zahlreiche Teilnahme an der Leichenfeier von
nah und fern gab Kunde von der Liebe und Achtung, die der Verstorbene
sich wahrend seiner Laufbahn erworben hatte. Sein langjahriger Freund,
Herr Dir. Emil Dapprich, der ihm als Mensdh wie als Kollege gleich nahe
stand, widmete ihm die letzten Abschiedsworte.
(Offiziell.)
Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.
Aufruf zur Beteiligung an der 31. Jahresversammlung in Indian-
apolis, Ind., am 8., p., 10. und n. Juli 1901.
Zum ersten Male seit Bestehen des Lehrerbundes wird unsere Jah-
resversammlung in Indianapolis, Ind., abgehalten, und zwar vom 8. bis
11. Juli 1901. Dem Bundesvorstand ist es gelungen, erprobte Redner
von padagogischem Rufe fur den diesjahrigen Lehrertag zu gewinnen,
welche wichtige Themata auf erzieherischem Gebiete behandeln werden.
Es war stets das Bestreben des Lehrerbundes, die Anbahnung und Ver-
breitung vernunftgemasser Jugenderziehung, die hierzulande immer noch
sehr notthut, nach besten Kraften zu fordern. Die reaktionare Bewe-
gung kurzsichtiger Nativisten, welche die Vorteile eines zweisprachigen
Unterrichts nie begreifen lernen und deshalb den deutschen Unterricht
stets bekampfen, macht festes Zusammenhalten der fortschrittlichen Ele-
mente auf dem Erziehungsgebiete gegenwartig mehr als je zur gebiete-
rischen Pflicht. Wir richten daher an alle, denen die Einfuhrung, He-
bung und Ausbreitung des deutschen Sprachunterrichts in den Schulen
Amerikas, sowie die Erhaltung deutschen Wesens hier im Lande am Her-
zen liegt, die dringende Einladung, sich am Lehrertage in Indianapolis
zu beteiligen.
Der Ortsausscfiuss daselbst, in dessen Handen die Vorbereitungen
fiir den geselligen Teil des Lehrertags gelegt wurden, ;hat es sich zur
Aufgabe gemacht, diese Jahresversammlung des N. D. A. L. in betreff
Unterhaltung der Gaste aufs glanzendste durchzufiihren. Die geraumi-
gen, luxurios ausgestatteten Vereinshallen des Deutschtums der Hoosier-
hauptstadt, wie ,,Deutsches Haus" und ,,Walhalla" sind an und fur sich
eine sichere Gewahr fiir angenehmen Aufenthalt.
Das vollstandtge Programm des Lehrertags wird in der Mainummer
des Bundesorgans veroffentlicht werden.
Der Bundesvorstand:
M. D. Learned, President,
i Emil Kramer, 1. Schriftfiihrer,
Anna Hohgrefe, 2. Schriftfiihrer,
Louis Hahn, Schatzmeister.
Der Wert des Studiums der Qeschichte.
Vortrag, gehalten vor dem 30. Lehrertage zu Philadelphia.
Von Charles £. Henning, Philadelphia.,
Meine Damen und Herren!
Im Anschluss an die Worte des Herrn Dr. Hexamer bei dem Em-
pfangsabend in der Halle der ,,Deutschen Gesellschaft", gemass welchen
er auf den hohen Wert hinwies, welchen die Beschaftigung mit der
Deutschamerikanischeri Geschichte im besonderen fur uns Deutsche hat,
diirfte es nicht unangebracht sein, dieses Thema heute etwas weiter aus-
zufiihren und den Wert des Studiums der Geschichte im allgemeinen ein-
gehender zu beleuchten. Leider ist das Interesse an der Geschichte iiber-
haupt hierzulande ein sehr geringes, und ich glaube nicht fehl zu gehen,
wenn ich behaupte, dass die vielen Vorurteile, welche die Amerikaner ge-
gen die Deutschen und diese gegen jene haben, wohl vielfach darin ihren
Grund haben diirften, dass der eine zu wenig — oder nichts — von des an-
deren Geschichte weiss. Dass diese Geschichtsunkenntnis sich selbst bis
in die akademischen Kreise erstreckt, sollte man kaum fur moglich hal-
ten; dennoch kann ich mit einem Beispiel dienen. Im Januar 1899 hielt
in einer grossen offentlichen Versammlung in New York ein Professor
von Columbia-College einen Vortrag iiber die Seeschlacht von Manila und
stellte dabei Admiral Dewey in eine Parallele mit dem romischen Feld-
herrn — Aetius! Hatte der betr. Professor auch nur eine Ahnung von der
Bedeutung des Aetius und seiner Zeit gehabt, dann ware sein Vergleich
mit Dewey jedenfalls unterblieben.
Woher kommt nun das geringe Interesse an der Geschichte^ die mei-
stens als etwas ,,Nebensachliches oder Unnotiges"1 betrachtet wird? Sehr
oft wohl daher, weil die Geschichte schon in der Schule in einer Weise ab-
gehandelt wird, dass der Schiiler nur sehr wenig Lust verspiirt sich im spa-
teren Leben damit weiter zu beschaftigen und froh ist, wenn er keine
Schlachtendaten und Regierungszeiten von Herrschern mehr auswendig
zu lernen braucht. Das Wenige, was er vielleicht noch behalt, sind Sagen
aus der alten Geschichte, die ihm noch dadurch aufgefrischt werden, dass
er sie im griechischen und lateinischen Urtext zum so und sovielten Male
vorgesetzt bekommt. Den eigentlichen, dauernden Inhalt der Geschichte
erfahrt er nicht, und deshalb entschwindet sie seinem geistigen Horizont,
sobald er der Schule Valet gesagt hat.
Angesichts dieser Thatsache ist die Frage berechtigt: was ist denn
eigentlich Geschichte, und was ist ihr Inhalt?
Die Antwort darauf kann von zwei Seiten gegeben werden: einmal
vom Standpunkt des Vorurteils und weiter von jenem der Vorurteilslosig-
Der Wert des Studiums der Gescbicbte. 183
keit. Das erstere wird von der sogen. Orthodoxie vertreten, welche alles,
was auf diesem Erdenrund geschieht, geschah und noch geschehen wird,
als etwas ganz Selbstverstandliches ansieht, alle, jedes menschliche
Gefiihl verletzenden Greuelthaten (ich meine z. B. die Bartholomausnacht,
den SOjahr. Krieg, die Hexenprozesse, die Inquisition u. a.) als ,,Gottes-
gerichte" bezeichnet, mit einem Wort, die Geschichte der Menschheit als
,,von oben" geleitet und ,,vorherbestimmt" betrachtet.
Noch kiirzlich las ich in der "Educational Review" (Februar 1899
p. 177) in einem Aufsatz einer Miss Anna Boynton Thompson iiber das
Thema: "How to study history" folgende charakteristische Satze: ,,Die
Geschichte ist die Erscbeinung Gottes; Geschichte studieren heisst die
Thaten seines Glanzes durch die Jahrhunderte verfolgen; die Methode des
Studiums der Geschichte besteht darin, in personliche Gemeinschaft mit
der einen gottlichen Natur zu treten, damit wir in Gottes geheime Rat-
schliisse eindringen und zu sagen und zu beweisen lernen: ,,Siehe, auch
Ich, Ich komme, um Deinen Willen zu thun!" Abgesehen von jeder wei-
teren Polemik iiber diese sinnlose Erklarung des Wesens der Geschichte,
ist sie auch insofern falsch, als sie die ganze Geschichte in direkte Abhan-
gigkeit von einer ausserweltlichen Macht stellt und somit auch die ent-
setzlichsten Greuelthaten, meistens begangen infolge von religiosem Fana-
tismus, als ,,gottliche Vorherbestimmung" bezeichnet — eine Auffassung,
die sich ohne weiteres von selbst richtet.
Neben dieser einseitigen Auffassung steht jene, welche die Geschichte
nach ihrem kulturgeschichtlichen Inhalt behandelt, insbesondere seitdem
durch die seit 1892 in Europa tagenden Historiker-Kongresse der Wert
des kulturgeschichtlichen Studiums immer mehr betont wird.
Zur Erlauterung greife ich ein Ereignis heraus, welches vielleicht
in besonders hohem Grade dazu geeignet ist, das Ringen des Menschen
nach freier Entfaltung, nach Befreiung aus veralteten Zustanden und An-
schauungen zu zeigen: die Reformation des XVI. Jahrhunderts. Die
alte Schulweisheit machte es sich dabei sehr bequem; sie sagte einfach —
und so ist es in Hunderten von Schulbiichern zu lesen — : ,,Am 31. Okto-
ber 1517 schlug Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die
Schlosskirche zu Wittenberg an; dies gab Anlass zum Ausbruch der Re-
formation." Bei genauerer Betrachtung nimmt sich die Sache freilich
etwas anders aus; nicht der Thesenanschlag Luthers war der Grund des
Ausbruchs jener gewaltigen Bewegung, sondern die sittliche Verkommen-
heit des Klerus vom Papste an bis herab zum kleinen Klosterbruder und
im Zusammenhang damit stehend, die moralische Verkommenheit der
ganzen Gesellschaft der damaligen Zeit, die Aussaugung des gemeinen
Mannes und das Abweichen der Kirche von dem einfachen und klaren
Christentum.
Man kann darauf entgegnen: ,,das ist wohl richtig! Aber derartige
Dinge kann man doch nicht vor der heranwachsenden Jugend vortragen!"
184 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Ich bin dariiber entschieden entgegengesetzter Meinung: gerade durch
eine massvolle, wahrheitsgetreue und unparteiische Darstellung der Be-
gebenheiten wird schon in dem Kinde ein gewisser sittlicher Ernst gross-
gezogen, und sein Gemiit wird empfanglich gemacht fiir das allmahliche
Verstandnis der im spateren Leben an die Jugend herantretenden Ver-
haltnisse.
Aber noch eine tiefere Wirkung hatte die Reformation als jene, dass
das Christentum eine tiefgehende Spaltung erfuhr. Die Wissenschaften
erhielten einen kraftigeren Antrieb zur Weiterentwickelung, und ich sage
gewiss nicht zu viel, wenn ich behaupte: batten wir keinen Luther ge-
habt, dann ware ihm auch kein Schiller und Gothe und kein Kant gefolgt.
Mag daher aus diesem einen Beispiel unschwer klar werden, wie das
Studium solcher geschichtlichen Prozesse von hochster Wichtigkeit fiir
unsere gesamte moderne Weltanschauung ist, so wird ein Blick auf die
alte Geschichte dasselbe Resultat ergeben.
Ich greife hier nur die Geschichte des alten Griechenlands heraus
und setze dabei das Urteil eines der hervorragendsten neueren Geschichts-
schreiber, Julius Beloch, hierher, welcher im 1. Bde. seiner meisterhaften
,,Griechischen Geschichte" sagt: ,,Die griechische Geschichte bleibt nun
einmal das wichtigste Blatt in der Geschichte der Menschheit. Alle die
Kampfe, die wir heute noch kampfen um Wahrheit, urn Freiheit, um
Gleichheit, sie sind schon von den Griechen gekampft worden. Und die
ganze Entvvickelung, in deren Mitte wir stehen und wirken, sie liegt hier
fertig und abgeschlossen vor unseren Augen; wir sehen die griechische
Kultur entstehen, sich zur Blute entfalten und Frucht tragen, um endlich
in der Nacht geistigen und politischen Depotismus zu verloschen; und
die Ursachen von alle dem liegen fiir jeden, der in dem Buch der Ge-
schichte zu lesen versteht, klar vor Augen. Und die Griechen haben nicht
vergebens gekampft. Unsere ganze moderne Gesittung ruht auf dem
Boden der hellenischen; die Griechen sind es, denen wir die Giiter ver-
danken, die uns das Leben erst lebenswert machen, unsere Wissenschaft,
unsere Kunst, die Ideale der geistigen und politischen Freiheit. Und
diese Errungenschaften werden bleiben, auch wenn es eine klassische Bil-
dung im heutigen Sinne einst nicht mehr geben wird."
Welchen Einfluss schliesslich die Geschichte Roms auf die Geschichte
der Zivilisation uberhaupt ausgeiibt, ist eine alien bekannte Thatsache,
und es war nicht zuviel gesagt, wenn in den Zeiten des Hohepunkts
papstlicher Machtfulle das stolze Wort aufkam: ,,Rom, das Haupt der
Welt, lenkt die Ziigel des Erdkreises!" Und es war ferner keine "Ober-
treibung, wenn von der ,,ewigen Stadt" der Dichter Rutilius Namatianus,
welcher im J. 416 Rom verliess, um in seine Heimat Gallien zuriickzu-
kehren, in die Worte ausbrach:
Wertscb'At%ung und Lehrmetboden der deutscben Sprache. 185
,,H6re mich, herrliche Roma, die du dem Erdkreis gebietest,
Die du als Gottin wardst hoch zu den Sternen entriickt,
Hore mich Mutter der Menschen, o Roma, und Mutter der Cotter:
Nahe beim Himmel verweilt, wer deine Tempel betritt.
Dich besing ich, so lang mir ein Gott giebt Leben und Odem,
Ja bis der Tod mich entrafft, nimmer vergesse ich dein,
Eher noch mag die Sonne in schaurigem Dunkel versinken,
Ehe aus meinem Gemiit weichet die Liebe zu dir!"
Kann es daher nach dem Vorgetragenen, wozu noch Beispiele in
Menge gehauft werden konnen, irgendwie zweifelhaft sein, dass das Stu-
dium der Geschichte fur jeden in gewissem Sinne eine Notwendigkeit
ist? Sind wir etwa im stande unsere Gegenwart zu verstehen, wenn wir
nicht gleichzeitig wenigstens die hauptsachlichsten Ursachen derselben
kennen aus jener Zeit, welche ihr vorausging?
Das Thema, welches ich vor Ihnen behandelte, mag zwar etwas
ausserhalb des engeren Rahmens der Verhandlungen des Lehrertages lie-
gen, aber nichts destoweniger beruhrt es dennoch auch die Frage beim
Sprachunterricht. Wie viel Gutes kann der Lehrer stiften, wenn er zu
seinem Lesestoff historische Abschnitte wahlt, besonders in den hoheren
Klassen, dabei aber sein Augenmerk nicht der Kriegs- und M'ordge-
schichte zuwendet, sondern vor alien jenen Grossthaten des menschlichen
Geistes, die auf das Kulturleben von bahnbrechendem Einflusse sind; in
diesem Sinne eine gewisse Anregung meinen geehrten Zuhorern gegeben
zu haben, war der bescheidene Zweck meiner Worte.
Wertschatzung und Lehrmethoden der deutschen
Sprache.
Vortrag, gehalten vor dem Verein der deutschen Spezlallehrer
von New York.
Von Bernhard Kuttner, Public Schools, N. Y.
Der Gegenstand, den ich mir zu meinen Ausfuhrungen ausersehen
habe, namlich: ,,Wertschatzung und Lehrmethoden der deutschen
Sprache" ist so oft und so vielfach von bedeutenden Padagogen diesseits
und jenseits des Meeres iiberdacht und besprochen worden, dass es mii-
ssig erscheinen diirfte, ihn noch einmal zu beriihren.
Aber wer von' uns konnte sich riihmen, unter alien Verhaltnissen,
bei den vielfachen Wandlungen und Umanderungen unseres Lehrplans
auf jeder Lehrstufe stets den richtigen Weg eingeschlagen zu haben?
186 P'ddagogische Monatsbefte.
Oder wer wollte behaupten, dass er des Beirates der Erfahrung oder
des Gedankenaustausches mit seinen Kollegen nicht bediirfe?
Zudem ist die Erkenntnis einer richtigen, zweckentsprechenden, auf
padagogischen Grundsatzen aufgebauten Methode, welche mit der uns
karg bemessenen Unterrichtszeit im Einklange steht, fur unsere gute
Sache, fur die Befestigung unserer Stellung von hochster Bedeutung;
denn nur auf den E r f o 1 g unserer Arbeit konnen wir bauen, nur an ihn
appellieren; auf ihrn beruht die Existenzberechtigung des deutschen
Sprachunterrichts an unseren offentlichen Schulen. Nur der begrundete
Hinweis auf unsere Leistungen kann die Gegner des deutschen Unter-
richts entwaffnen, falls es wieder einmal im Getriebe des politischen Le-
bens jemandem im Erziehungsrate einfallen sollten, iiber diesen Lehrge-
genstand das Verbannungsurteil auszusprechen.,,Ein richtiges, nach pa-
dagogisch-praktischcn Grundsatzen geleitetes Lehrverfahren ist somit fur
uns — neben der idealen Seite unseres Wirkens — eine Lebensfrage."
Bevor ich aber die Methoden des Sprachunterrichtes selbst in den
Kreis meiner Betrachtung ziehe, ist es geboten, zunachst die Beweg-
griinde zu erortern, welche zur Einfiihrung der deutschen Sprache in
unsere offentlichen Schulen gefuhrt, und welche Motive die Deutschen
dieses Landes geleitet haben, einen Kulturkampf um die Erhaltung ihrer
hochgeschatzten Sprache mit den angloamerikanischen Elementen aufzu-
nehmen.
Wir haben diese Motive von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus
zu betrachten. Zunachst ist es das ,,ethisch-sittliche Moti v",
welches den wahrhaft gebildeten Deutschen auffordert, das Vermachtnis
seiner Eltern und Voreltern, seine Sprache,^ auch auf seine Kinder und
Nachkommen zu iibertragen.
Die Erhaltung seiner Muttersprache steht mit seinem tiefen Gemiits-
leben, seinem innigen Familienleben in engstem Zusammenhange.
Wohl erkennt der gebildete Deutsche die Kernigkeit und den Wohl-
klang der englischen Sprache an.
Er schatzt ihren Wortreichtum, ihre Kiirze und Biindigkeit im Aus-
druck; fiir die Gefugigkeit ihres Satzbaues ist er empfanglich — von ihrem
Litteraturreichtum nicht zu reden — aber als Familiensprache, d. h. zum
Austausch der Gedanken zwischen ihm und den Seinigen genugt sie ihm
nicht.
Vermag die englische Sprache trotz der Mannigfaltigkeit ihres Wort-
schatzes, das anmutig schone, gemutsinnige ,,d u" zum Ausdruck zu brin-
gen, wie es uns Freundschaft und Liebe in den Mund legt?
Das Fiirwort "thou" thut es nicht, denn sie verweist den Gebrauch
desselben aufs ideale Gebiet. Oder ersetzt die englische Sprache dttrch
ihre Diminutivformen unsere, eine Welt von Liebe atmende Verkleine-
rungsendung ,,chen", wie sie im vertraulichen Familienverkehr zur An-
wendung kommt?
WerHclo'dt^ung und Lehrmethoden der deutschen Spracbe. 187
Ja, noch mehr! Wie sehr viel wiirden die deutschen Vereine an har-
monischer Geselligkeit verlieren, wenn sie die deutsche Sprache und das
deutsche Lied aus ihren Vereinslokalen trieben.
Es kame aber einer Verkennung der Thatsachen gleich, wollten wir
annehmen, dass alle Deutschen samt und senders ihre Muttersprache
schatzten oder sich ihres idealen Wertes bewusst waren.
Das ist leider nicht der Fall. Ein nur verhaltnisma ssig kleiner Bruch-
teil des Deutschtums in Amerika pflegt seine heimatlichen Laute im
Kreise der Familie; nur wenige muntern ihre Angehorigen zu ihrem Ge-
brauche auf; nur wenige bedienen sich derselben im Verkehr mit denen,
die ihre Sprache sprechen.
Nach Beweisen fur diese apathische Stellung gegen die Sprache det
Heimat brauchen wir nicht zu suchen; unsere Berufsthatigkeit giebt uns
Gelegenheit, Beobachtungen auf diesem Gebiete anzustellen.
Treten wir ins Klassenzimmer, auf den eigentlichen Schauplatz unse-
rer Thatigkeit und fragen wir uns, ob es im Durchschnitt die Schiiler
,,deutscher" Abstammung sind, die dai meiste Interesse am deutschen
Unterricht bekunden.
Ja, mehr! Haufig sind es deutsche Kinder, die die Wertschatzung
des Gegenstandes im Klassenzimmer unterminieren und die Wirksamkeit
des Lehrers zu storen suchen.
Die Beispiele sind in der That so selten nicht, dass ,,nichtdeut-
sche Schiiler ihre deutschen Mitschiiler an Aufmerksamkeit und
Fleiss im deutschen Studium iiberragen. ,,Der Fluch der bosen That,
verehrte Freunde, kommt da von oben," namlich aus dem hauslichen
Kreise — dort beginnt die direkte oder indirekte Einwirkung auf das
jugendliche Gemut.
Aus dieser Quelle fliesst das Interesse oder die Interessenlosigkeit
fiir die Sprache, oder das Faktum, ob wir im Lernenden einen V e r f e c h-
t e r oder Verachter der Sprache vor uns haben.
Blicken wir ein wenig zuriick auf die Vergangenheit unseres deut-
schen Unterrichts in New York. In jenen Sturm- und Drangperioden,
die so oft und haufig eingetreten sind, als man damit umging, die deutsche
Sprache vom Lehrplan zu streichen, wer schritt ein, urn die drohende Ge-
fahr abzuwenden?
Waren es die Deutschen in ihrer Gesamtheit etwa, die den Kampf
um die Beibehaltung derselben mit den Gegnern aufnahmen?
Die deutsche Bevolkerung im allgemeinen, sagen wis es unumwun-
den, riihrte keinen Finger.
Es war vielmehr das g e b i 1 d e t e Deutschtum, wie es sich in sei-
nen Turn-, Gesang- und wissenschaftlichen Vereinen verkorpert; es war
die deutsche Presse, welche fiir die gefahrdete Sache energisch zu Felde
zog.
188 P'ddagogische Monatshefte.
Welches Zerrbild der Gleichgiltigkeit um das Schicksal unserer
Sprache uns in jiingster Zeit die Deutschen von St. Louis geliefert haben,
ist Ihnen zu wohl bekannt, als dass es notig ware, weiter darauf einzuge-
hen. Welche Ursachen liegen nun diesem Indifferentismus zu Grunde?
Sie sind zwiefach:
Erstens, der Deutsche mit mangelhafter Bildung spricht seine Sprache
mangelhaft und schlecht.
Er hat kein Ohr und kein Verstandnis fur den Wohlklang, die
Schonheit und den Formenreichtum seiner Sprache.
Er giebt sich alle Miihe, die Sprache seiner Heimat als eine nutzlose
Burde von sich zu walzen, um sie durch ebenso schlechtes Englisch zu
ersetzen, besonders dann, wenn Gliicksguter ihn umgeben
Er hat bei diesem Wechsel nichts verloren, weil er nichts zu verlieren
hatte; und was er dafiir eingetauscht, ist, nach seinen Begriffen, min-
destens ebenso viel wert, als das Gut, dessen er sich entledigte.
Zudem giebt es ihm ja ein gewisses Ansehen, eine gewisse Stellung
beim Angloamerikaner, wenn er dessen Sprache auch nur 1 e i d 1 i c h
spricht. Er hort ja damit auf ein "Dutchman" zu sein.
Und hochst unlieb ware es ihm, wenn man diese verachtliche Be-
nennung gar noch auf seine hier geborenen Kinder iibertriige. Nur be-
darf es gliicklicher- oder ungliicklicherweise seines Einflusses bei solchen
Kindern nicht, ,,sie ertoten den Dutchman auch ohne ihn."
Wie sehr sich viele Kinder Miihe geben, ihre deutsche Abstammung
zu verleugnen, weiss jeder Lehrer aus Erfahrung.
Zweitens sind es die Pflichten des Erwerbes, die Sorge urns tagliche
Brot, welche die meisten Deutschen dieser Klasse ablenkt, sich um Bil-
dungs- und Erziehungsfragen iiberhaupt zu kummern. Wie sollten sie
im Kampfe um die Existenz noch Zeit gewinnen, an die Pflege des Deut-
schen zu denken?
Innerhalb dieses Wirkungskreises glaubt ,,der Mohr seine Pflicht ge-
than zu haben."
Aber so sehr auch das materielle Streben des Einzelnen das Inter-
esse fur die einzelnen Giiter zuriickdrangen mag, so hat andrerseits der
Materialismus der Gesamtheit das Allgemeininteresse fur
die Sprache gefordert.
,,D as praktisc h-m a t e r i e 1 1 e M o t i v" ist der zweite Faktor
fur die Verbreitung und Existenzberechtigung der deutschen Sprache in
unserem Lande. Vom Standpunkt des materiellen Vorteils ist auch der
Angloamerikaner ein Beforderer unserer Sprache, denn wo seine Inter-
essen wurzeln, da ist seine ,,Achillesferse", — da darf man sich ihm nahen.
Der deutsch-franzosische Krieg von 1870 hat ein neues Reich, eine
deutsche Einheitsmacht geschaffen. Er hat die deutsche Nation zu einer
Reprasentativmacht ersten Ranges emporgehoben, mit der in alien Fra-
gen des internationalen Weltverkehrs zu rechnen ist.
Wertscb'dtfung und Lebrmetboden der deutscben Spracbe. 189
Der weit- und umsichtige Amerikaner weiss genau, welche Vorteile
ihm aus einer Mitbewerbung an den Handelsinteressen Europas, und ganz
besonders einer Grossmacht wie Deutschland, erwachsen.
Mit einem solchen Volke geschaftlich zu verkehren, und somit des-
sen Sprache zu sprechen oder mindestens zu verstehen, ist Klugheitsge-
bot. Er wird sich in diesem Sinne niemals zum Gegner derselben aufwer-
fen, denn die deutsche Sprache ist seine zweite Handelssprache geworden.
Wie sehr aber auch der Materialismus die Thatigkeit des Volkes, in dessen
iMitte wir leben, in Anspruch nehmen mag, so ringt es uns doch auch in
seinem idealen Streben unsere Hochachtung ab.
Man blicke auf die grossen Bildungsstatten des Landes, wie Colum-
bia, Harvard, Princeton, Yale u. s. w. und man sage unparteiisch, ob fie
diesem Junglinge unter den Landern nicht zur schonsten Zierde gereichen.
Auch unsere Volksschulen, mindestens die der grossen Stadte, unter-
schatzt der strenge Kritiker gar zu oft. Allerdings sind dieselben der
Vervollkommnung sehr bediirftig. Man bedenke aber, dass sie noch im
Stadium der Entwickelung begriffen sind.
Dieser Entwickelungsprozess vollzieht sich bei der angeborenen Reg-
samkeit des Amerikaners merklich schnell, und jeder Unbefangene wird
zugeben miissen, dass der amerikanische Schulmann jede Neuerung, jede
Anregung auf dem Gebiete der Padagogik mit Freuden begriisst und zu
verwenden sucht.
Wer aber durchaus geneigt ist, unsere Elementarerziehung zu tadeln
und zu schmahen, der wolle nicht vergessen, dass auch driiben noch man-
ches verbessert werden konnte, insofern es sich auf die elementare Volks-
bildung bezieht.
Endlich ist das ,,ethisch-ideale Motiv" der dritte Faktor, dem wir den
Einzug unserer Sprache auch in die hoheren Lehranstalten des Landes
verdanken.
Welche Wertschatzung ihr vom wissensohaftlichen Standpunkte zuer-
kannt wird, welche Stellung sie vermoge ihres Litteraturreichtums ein-
nimmt, dariiber lasst sich z. B. ein amerikanischer Gelehrter, Dr. Edward
Joynes, Professor moderner Sprachen an der Universitat von South Caro-
lina, in einem Vortrage aus:
i "In my own college days, 40 years ago, German was almost wholly
neglected by our students. Yet now — by causes not accidental but most
profound, which are well worth our while to consider — United Germany
stands foremost among ^European nations, and German thought is the
knost potent influence in modern culture and education. We dare not
prophecy. Greece, Rome, Italy, Spain, France, England have successively
held the leadership of civilization. It looks as though we were come to
a period of German predominance. Our own country "hedged by the
inviolate sea" and protected by the genius of democratic institutions, may
or may not escape this dominating influence. But, from the signs of the
190 P'ddagogiscbe Monatsheftt.
times, it seems not too much to say that, in the generations about to come,
the most precious and potent intellectual possession — next to the knowl-
edge and love of our own language and literature — will be the knowledge
and love of German."
Hat sich nun die deutsche Sprache in diesem Lande nicht nur zum
Gegenstande der praktischen Volksbildung, sondern auch zu dem der wis-
senschaftlichen Forschung herausgebildet, so kann den Lehrern, die den
Bildungsfortschritten der Gegenwart Beachtung schenken, die M e -
t h o d e die Sprache zu lehren, nicht gleichgiltig sein.
Bei der Verschiedenheit der Ansichten iiber veraltete und vorherr-
schende Methoden fiele es in der That dem Lehrer schwer, sich aus die-
sem Labyrinthe herauszuwinden, wenn seiner eigenen Anschauung und
Erfahrung oder seiner eigenen Individualitat kein Spielraum gewahrt wer-
den wiirde, denn streng genommen ist jede Methode gut, welche die
Geisteskrafte des Schiilers entwickelt und ihn schnell und sicher zum Ziele
fiihrt.
Sodann sind Unterrichtszeit, Alter, Nationalitat und Bildungsgrad
des Schiilers, sowie der erstrebte Zweck Bestimmungsgrunde fur die zu
befolgende Methode.
Der Schiiler der Hochschule und der Elementarschuler, der deutsche
und der nur Englisch sprechende Schiiler, das Kind und der Erwach-
sene, konnen nicht auf gleiche Weise unterrichtet werden.
Der wissenschaftliche Kursus muss sich vom praktischen unterschei-
den, und der Lehrer, dem 3 oder 4 Stunden per Woche eingeraumt sind,
kann einen andern Lehrgang befolgen, als derjenige, dessen Zeit karg be-
messen ist.
Unter diesen verschiedenartigen Verhaltnissen den richtigen Weg
einzuschlagen, ist eben die Aufgabe des Lehrers.
Welches aber ist der richtige Weg? Nicht immer ist der erfahrene
Lehrer auf richtiger Fahrte.
Gerade e r ist es, der stets an die Richtigkeit und Unanfechtbarkeit
seiner Methode glaubt, denn die Gewohnheit fesselt ihn mit aller Zahig-
keit seines Wesens, daran f estzuhalten ; es sei denn, dass seine Vorge-
setzten ihn zwingen davon abzuweichen.
Es ist unverkennbar, dass jede Methode, sei sie alt oder neu, etwas
psychologisch Wahres und Gutes enthalten miisse, sonst ware sie niemals
zur Methode geworden. Wie hatte sie auch den Argumenten der Wider-
sacher auf die Dauer widerstehen konnen?
Nicht in der Altheit einer Methode liegt positiv das Falsche, noch
in der Neuheit derselben immer das Richtige. ,,Das Beste aus jeder Me-
thode zu entnehmen und nach Massgabe obwaltender Verhaltnisse alles zu
einem Ganzen zu vereinen, ist die Aufgabe eines guten Lehrers.
Ich will versuchen, das Gesagte in Kiirze zu erlautern.
Wertscb'dtiung und Lehrmethoden der deutscben Sprache. 191
Man fordert von einer guten Methode, dass sie eine lebende Sprache
nicht nur lesen und schreiben, sondern hauptsachlich spree hen lehre.
Keine Forderung ist billiger und gerechter als diese.
Beweise dafiir liefern zu wollen, hiesse Eulen nach Athen tragen.
AVer sich dieser Forderung entzieht, will die lebende Sprache auf das
Niveau einer toten herabdriicken.
Das Auftauchen der vielen Sprachunterrichtsmethoden bestatigen das
allgemeine Bediirfnis. Welche von ihnen ist nun padagogisch und psy-
chologisch richtig und welche falsch?
Dass die sogenannte graramatische Ubersetzungsme-
t h o d e, individuell genommen, das Richtige verfehlt, ist, wie gesagt,
langst bewiesen. Giebt es wohl etwas, das mehr ermudend und geist-
totend ist, als Satze zu iibersetzen, die untereinander in keinem logischen
Zusammenhange stehen. Und wenn die Regeln, die diese geistreichen
Satze involvieren, nicht mit grammatischer Prazision wiedergegeben wer-
den, dann natiirlich geht die Welt, oder mindestens das Schulzimmer aus
den Fugen.
Und der Schuler? — Nach jahrelanger Miihe hat er wohl einige Phra-
sen und Gesetze der Sprache, aber nicht die Sprache selbst erlernt.
Die Miihe, die man sich gab, ihn zum Richtigsprechen zu bringen,
hat ihn nicht einmal zum Falschsprechen befordert. Darum sagt der Dich-
ter treffend: ,,Nicht die Sprache an und fur sich ist richtig, tiichtig und
zierlich, sondern der Geist ist es, der sich darin verkorpert."
Ei, wie ist es nun mit der so vielgepriesenen naturlichen, oder
besser, A n s c h au u n g s methode? Nach meiner Ansicht ist sie, so
kiihn es auch klingen mag, individuell angewandt, in vielen ihrer Grund-
ziige hochst unnatiirlich.
Wir besprechen z. B. mit unsern Schulern das Objekt ,,H a u s" und
beschreiben den Bau desselben, dessen Einrichtung u. s. w. Geniigt aber
diese beschreibende Sprache fur den gesellschaftlichen Verkehr?
Konnte sich ein solcher Schuler wofil mit dem Vermieter iiber das
Mieten einer neuen Wohnung verstandigen und iiber alles darauf Beziig-
liche mit ihm verhandeln? Oder konnte der Lernende, mit dem der Leh-
rer den Organismus des menschlichen Korpers besprochen hat, einem
Arzte sprachrichtig seinen Zustand mitteilen?
Der Gedankenaustausch des Menschen beschrankt sich nicht auf die
Beschreibung eines konkreten Gegenstandes, er beurteilt nicht nur die
ihn umgebenden Dinge, sondern er aussert auch dariiber seine Wiinsche,
seine Befehle u. s. w., kurz, alle Empfindungen und Eindriicke seines
Denkens und Wollens.
Besonders lasst diese einseitig betriebene ,,Natiirliche Methode" den
Lernenden und Lehrenden im Stich, wenn sie aufs a b s t r a k t e Gebiet
iibergeht.
192 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Nun giebt es auch Lehrer, welche dem Schiiler die Spracherlernung
zu erleichtern suchen, indem sie sich mit der etymologischen Sprachver-
wandtschaft der zu erlernenden Worter beschaftigen.
Fiir die wissenschaftliche Sprachforschung ist dies allerdings ein not-
wendiges Verfahren.
Die Umgansgssprache des taglichen Lebens aber kiimmert sich nicht
um den Ursprung des Vokabulariums. Der Menschengeist wahlt sich
seinen Wortschatz nicht nach dem Gleichklang oder der verwandtschaft-
lichen Beziehung der Worter, sondern nach den Eingebungen des augen-
blicklichen Bedurfnisses.
Dabei stosst uns auch das Bedenken auf, ob die Assonanz nicht auch
wie die Ubersetzung das freie Denken des Schulers stort und damit die
Grundidee der ,,natiirlichen Methode" verletzt.
Fassen wir nun die Eigentiimlichkeiten der besprochenen Methoden
zusammen, so kommen wir zu folgenden Schliissen:
1) Der freie Anschauungsunterricht beim Sprechenlehren ist rationell
'und fordernd, wenn er auch die Umgangssprache in den Kreis der Be-
achtung zieht.
2) Ubersetzungen von praktischen Dialogen, kurzen Anekdoten,
Fabeln, Briefen u. s. w., besonders aus der eigenen Sprache in die fremde,
sind als Hilfsmittel zur Spracherlernung und als Richtschnur des exakten
Denkens ausserst fordernd.
Die Grammatik als solche darf aber dabei nicht die Grundbasis bilden.
3) Die Grammatik ist zwar auch als Hilfsmittel des Sprachstudiums
notwendig, nur sind fur den Anfang nicht alle Teile gleich wichtig. Auf
die Abwandlung des Zeitworts, das Geschleeht und die Mehrzahl der
Hauptworter ist von Anfang an der hochste Wert zu legen. Auf die De-
klination des Haupt und Eigenschaftswortes, den Gebrauch der Kasus
und vieles Andere mag hingewiesen, aber solch' schwierige Teile diirfen
erst spater erschopfend behandelt werden.
Ich schliesse mit den Worten eines deutschamerikanischen Lyrikers
(Castelhun):
Pflegt die deutsche Sprache,
Hegt das deutsche Wort;
Denn der Geist der Vater
Lebt darinnen fort,
Der soviel des Grossen
• ' . Schon der Welt geschenkt;
i Der soviel des Schonen
Ihr ins Herz gesenkt.
Goethe als Padagog.*
Von Dr. P. S. Stollhofen, Boys' High School, New York.
Meine Herren!
Sie warden von mir gewiss nicht erwarten, dass ich Ihnen hier ein
abgerundetes Bild der Goetheschen Padagogik als System vorfuhre, denn
ein solches System hat Goethe selbst nicht gehabt. Systematische Phi-
losophic war eben seine schwache Seite, Gott sei Dank; sein Schauen hin-
gegen Ansschauen, Intuition. Seine Ausserungen iiber Erziehung sind
vielmehr ein Komplex von Grundsatzen und Regeln, eine Fundgrube der
feinsten Beobachtungen, uberall zerstreut, in poetische Form gegossen
oder mit Gedanken seiner Naturbetrachtung verquickt, ohne indes den
wissenschaftlichen Charakter zu verleugnen. Auch muss ich mir versa-
gen eine genetische Darstellung dieser Ansichten zu geben oder den
historischen Hintergrund zu malen, von dem sie sich abheben. Dafiiri
reicht unsere Zeit nicht.
Auf der anderen Seite werden Sie beriicksichtigen, dass wir hier ein
Verein von Fachleuten sind und von Jugend auf mit Goethe gespeist
wurden. Es kann also nicht im Rahmen unseres Zweckes liegen, nach
der Sitte der Festredner hier ein billiges Lobliedchen anzustimmen auf
die Grosse des Goetheschen Genius, d'es Jahrhundertmenschen, der Dich-
ter und Wegebaumeister, Geschafts- und Staatsmann, Naturforscher und
Rechtsanwalt und zuletzt auch noch Pad'agoge war. Was ich mir unter
Goethe al's Padagog fur u n s als lohnenswerten Gegenstand dachte, ist
eine Betrachtung der in seinen Schriften enthaltenen praktischen Winke
und diese nur insofern, als wir in unserem Fache innerhalb des Mittel-
schulwesens einer grossen Stadt direkt oder indirekt dafur Verwendung
haben konnen.
Um das nun nach unserer deutschen Weise recht griindlich und
praktisch zu thun, diirfte es sich lohnen, uns zuerst unser modernes pada-
gogisches Glaubensbekenntnis kurz zu vergegenwartigen, dann ein kla-
res Bild von Goethes Grundansicht von Welt undi Mensch uns vorzu-
fiihren und im Spiegel derselben zuletzt seine padagogischen Ansichten
und Winke unserer Betrachtung zu unterziehen
Wir alle stimmen zweifellos darin uberein, dass die M'oglichkeit und
Pflicht der Erziehung auf zwei Thatsachen ruht: 1 auf der Vervoll-
kommnungsfahigkeit des Menschen, 2. auf einer sittlichen Weltordnung.
Das Ziel unserer Erziehung ist die sittliche Personlichkeit, der Cha-
rakter, der das Wahre erkennt, das Schone liebt und das Gute will in
klarem Denken, reinem Fuhlen und starkem Wollen. Die Seelentha-
tigkeit des Denkens umfasst die Natur und Begriffe, Denken und Fuh-
len aussert sich im Wertschatzen des Schonen und Guten; und Denken,
* Siehe auch Korrespondenz atis New York.
194 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Fuhlen und Wollen in der Teilnahme am Menschen und an Gott. Da
nun Fuhlen und Wollen nur an Gegenstanden der Vorstellung sich
aussern konnen, hat der U n t e r r i c h t, im Gegensatze zur reinen Zucht,
die Moglichkeit und Fahigkeit durch die Vorstellungsmasse, die er er-
zeugt und ordnet, auch auf das Fuhlen und Wollen entscheidenden Ein-
fluss auszuiiben und sie, soweit natiirliche Veranlagung und Umgebung1
des Erziehungsobjektes es zulassen, zu bestimmen. Dieser erziehende
Unterricht hat, von der nationalen Kultur ausgehend, in vielseitigem
Interesse zu umfassen 1. das Leben des Menschen, 2. das Leben der Na-
tur; das Leben des Menschen in 1. Gesinnungsunterricht (Religion, Ge-
schichte, Litteratur), 2. Kunstunterricht (Zeichnen, Gesang), 3. Sprach-
unterricht (Mutter- und fremde Sprachen); das Leben der Natur in 1.
Geographic, 2. Naturwissenschaft, 3. Mlathematik.
Der Unterricht muss nach psychologischen Grundsatzen gegeben
werden, d. h. er muss
1. die Stufe der Geistesentwicklung des Schiilers beriicksichti-
gen und sich derselben anpassen;
2. vom Bekannteni zum Unbekannten vorschreiten und
3. von der Anschauung zum Begriffe ubergehen.
Wie die der anderen Litteraturheroen des 18. Jahrhunderts, steht
auch Goethes Ansicht von Gott tund Welt unter dem Einfluss Spinozas.
Wie die andern war er kein Spinozist im eigentlichen Sinne des Wortes,
sondern hielt sich an wenige grosse Gedanken, wie ,,an die Einheit alles
Seienden, die Gesetzmassigkeit alles Geschehens, die Identitat von Geist
und Natur." Trotzdem ist Spinoza ihm formlich Grundlage seiner Bil-
dtmg geworden. Gott und Natur fliessen ihm in eins zusammen, um in
seliger Durchdringung von Ewigkeit zu Ewigkeit zu wirken. Mithin
oflfenbart sich die Gottheit auch nur mit und in der Natur und zwar ste-
tig, mit Namen unerreichbar. In demselben Verhaltnis wie Gott und
Natur, stehen Geist und Natur fiir den Dichter. Es 1st ihm ebenso un-
moglich, iiber beides getrennt aBzuhandeln, wie uns uber Leib und Seele
getrennt zu denken. Er sagt selbst: ,,Als Dichter und Kiinstler bin ich
Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eines so entschie-
den als das andere. Bedarf ich eines Gottes fiir meine Personlichkeit
als sinnlicher Mensch, so ist dafiir auch schon gesorgt. Die himmlischen
und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, dass die Organe aller We-
sen zusammen es nur erfassen mogen."
Der Geist seiner grossartigen, durch und durch einheitlichen Natur-
anschauung zeigt ihn als Vorlaufer Darwins. Horen wir ihn selbst: ,,Die
Kenntnis der organischen Natur iiberhaupt, die Kenntnis der vollkom-
meneren, welche wir im eigentlichen Sinne Tiere und besonders Sauge-
tiere nennen ; der Einblick, wie die allgemeinen Gesetze bei verschiedenen
bschrankten Naturen wirksam sind; die Einsicht zuletzt, wie der Mensch
dergestalt gebaut sei, dass er so viele Eigenschaften und Naturen in sich
Goethe als PMagog. 195
vereinige und dadurch auch schon physisch als eine kleine Welt, als ein
Reprasentant der iibrigen Tiergattungen existiere, alles dies kann raur
dann am deutlichsten und schonsten eingesehen warden, wenti wir nicht,
wie bisher leider nur zu oft geschehen, unsere Betrachtungen von obert
herab anstellen und den Menschen im Tiere suchen, sondern wenn wir
von unten herauf anfangen und das einfache Tier im zusanrmengesetzten
Menschen endlich wieder entdecken."
Im Geiste dieser Auffassung ist der Goethe'sche Mensch in erster
Linie fiir diese Welt bestimmt, denn ein tiichtiger Mensch lasse die
kiinftige Welt auf sich beruhen und sei thatig in dieser. ,,Der Mensch
verlange nicht, Gott gleich zu sein, aber er strebe, sich als Mensch zu
vollenden." Wie in dem Reiche der Pflanzen und Tiere ,,jedem der Kin-
der die voile, reine Gesundheit von der Mutter (Natur) bestimmt sei",
so ist ihm Aufgabe, der menschlichen Erziehung diese alien Lebewesen
bestimmte, ,,volle, reine Gesundheit" herzustellen und bis zum Hohe-
punkte zu fordern, den Willen der Natur zu erfiillen. ,,Wenn die ge-
sunde Natur des Menschen als ein Gauzes wirkt, wenn er sich in der
Welt als in einem grossen, schonen, wiirdigen und! werten Ganzen fiihlt,
wenn das harmonische Behageni ihm ein reines, freies Entziicken ge-
wahrt, dann wiirde das Weltall, als an sein Ziel gelangt, aufjauchzen und
den Gipfel eigenen Werdens und Wesens bewundern. Denn wozu dient
all der Aufwand von Sonnen und Planeten und Monden, von Sternen
und Milchstrassen, von Kometen und Nebelflecken, von gewordenen und
werdenden Welten, wenn sich nicht zuletzt ein gliicklicher Miensch unbe-
wusst seines Daseins freut."
In Ubereinstimmung damit ist die Sittlichkeit nicht aus der Religion,
sondern aus der Natur des Menschen herzuleiten. ,,Was ist deine
Pflicht? Die Forderung des Tages", oder Massigung im Wlillkiirlichen,
Emsigkeit im Notwendigen. Trotzdem will er haben, dass die Jungen
an e t w a s glauben. ,,Ob sie an Christ glauben oder Gotz oder Ham-
let, das ist eins, nur an was lasst sie glaubeni! Wer an nichts glaubt,
verzweifelt an sich selber."
Die Notwendigkeit der Erziehung begriindet der ,,moderne Heide"
mit den Worten: ,,Im Grunde sind wir alle kollektive Wesen, wir mo-
gen uns stellen wie wir wollen. Denn wie weniges haben und sind wir,
was wir im reinsten Sinne unser Eigentum nennen! Wir miissen alle
empfangen und lernen, sowohl von denen, die vor uns waren, als von
denen, die mit uns sind. Selbst das grosste Genie wiirde nicht weit koni-
men, wenn es alles seinem eigenen Innern verdanken wollte." Anderswo
nveint es: ,,Das Schicksal ist ein vornehmer, aber treuer Hofmeister.
Ich wiirde mich lieber an die Vernunft eines menscHlichen Meisters hal-
ten."
In all seinen Schriften redet Goethe einer systematischen Erziehung
das Wort. Wusste er doch aus eigener Erfahrung nur zu gut, was pada-
196 P'ddagogische Monatshefte.
gogischer Dilettantismus, Zersplitterung und Encyklopadismus bedeuten.
Er ging durch die Pedanterie und Triibsinnigkeit der damaligen offent-
lichen Schule und durch die Versuche eines ,,Privatunterrichts auf gut
Gliick." Sein Klavierlehrer war seines Zeichens ein Backermeister, sein
englischer Sprachmeister, halb Lehrer, halb Charlatan, machte sich an-
heischig, seinen Schiilern die englische Sprache in vier Wbchen beizu-
bringen. Sie sehen, es giebt nichts Neues unter der Sonne! Der dritte
im Bunde war der Pfuscher von einem Zeichenlehrer. Sein Franzosisch
lernte er von Schauspielern ohne Regel und Begriff, trait und ohne Gram-
matik. Wenn Goethe iiberhaupt was lernte, so dankte er das ausser sei-
ner natiirlichen Anlage dem beharrlichen Wesen, dier Ordnungsliebe,
Konsequenz und Bestimmtheit seines Vaters. Fur den alten Rat, einen
gebornen Schulmeister, gab es nur eine Tugend: Vollbringen und Be-
harren. Doch wusste ihm sein beriihmter Sohn herzlich wenig Dank
dafiir.
Nicht besser ging es Goethe in sittlicher Lauterung. Wie tief
empfunden sind die Worte: ,,Schon mehrere Jahre her hatte mir das
Gliick mehr als einen trefflichen Mentor zugesandt, und doch je mehr
ich ihrer kennen lernte, desto weniger gelangte ich zu dem, was ich
eigentlich suchte. Der eine setzte die Hauptmaxime des Lebens in die
Gutmiitigkeit und Zartheit, der andere in eine gewisse Gewandtheit, der
dritte in Gleichgiltigkeit und Leichtsinn, der vierte in Frommigkeit, der
fiinfte in Fleiss und pflichtgemasse Thatigkeit, der folgende in eine im-
perturbable Heiterkeit und so fort, so dass ich vor meinem zwanzigsten
Jahre fast die Schulen samtlicher Moralphilosophen durchlaufen hatte."
Den Unterschied zwischen Erziehung und Dressur, Entwicklung
rein menschlicher Eigenschaften und Abrichtung fur die Welt hat er in
seinen padagogischen Romanen, den Wahlverwandtschaften und Wilhelm
Meisters Lehr- und Wanderjahren meisterhaft geschildert an fiinf Paaren
padagogischer Antipoden. Doch konnen wir darauf leider hier nicht ein-
genen.
Ausser System verlangt unser ,,Altmeister" Vielseitigkeit des Inter-
esses. Wer nicht iiberzeugt sei, dass er alle Manifestationen des mensch-
lichen Wesens, Sinnlichkeit und Vernunft , EinHldungskraft und Ver-
stand zu einer entschiedenen Einheit ausbilden miisse, welche von die-
sen Eigenschaften auch bei ihm die vorwaltende sei, der werde sich ,,in
einer unerfreulichen Beschrankung immerfort abqualen." An einer an-
deren Stelle urteilt er: ,,Der Mensch vermag gar manches durch zweck-
massigen Gebrauch der Krafte, er vermag das Ausserordentliche durch
Verbindung mehrerer Fahigkeiten, aber das Einzige, ganz Unerwartete
leistet er nur, wenn sich die samtlichen Eigenschaften gleichmassig in
ihm vereinigen."
Dass er fur die Erziehung der Einbildungskraft noch ein besonde-
res warmes Wort hat, darf uns nicht iiberraschen. War er doch Dichter
Goethe als PMagog. 197
und lebte unter tins Deutschen, und wir haben gewiss an asthetisch ver-
anlagter oder geschulter Einbildungskraft gerade keinen tlberfluss.
,,Wenn man bedenke, wie sich der Geschmack mancher, selbst gebilde-
ter Menschen in abscheulichen Missgestalten gefallen konne, so falle es
recht auf, wie notig es sei, in der Erziehung die Einbildungskraft nicht
zu beseitigen, sondern zu regeln, ihr durch zeitig vorgefiihrte edle Bil-
der Lust am Schonen, Bedvirfnis des Vortrefflichen zu geben. Was helfe
es, die Sinnlichkeit zu zahmen, den Verstand zu bilden, der Vernunft ihre
Herrschaft zu sichern, die Einbildungskraft lauere als der machtigste
Feind, sie habe von Natur einen unwiderstehlichen Trieb zum Absurden,
der selbst in gebildeten Menschen machtig wirke." ,,Es ist nichts furch-
terlicher als Einbildungskraft ohne Geschmack." Dabei gehoren Goethe
das Schone und Niitzliche zusammen, denn: ,,Von dem geringsten tieri-
schen Handwerkstriebe bis zur hochsten Ausubung der geistigen Kunst,
vom Lallen und Jauchzen des Kindes bis zur trefflichen Ausserung des
Redners und Sangers — alles das und weit mehr — liegt im Menschen
und muss ausgebildet werden, aber nicht in einem, sondern in vielen." Wir
sagen: in alien.
Andererseits war sich Goethe sehr klar, dass im Gegensatze zur
eigentlichen Erziehung Umgebung und natiirliche Anlage ein gewaltiges
Wort in der Entwicklung eines Menschenkindes mitzureden haben. H6-
ren wir ihn selbst: ,,Saugamme oder Warterin, Vater oder Vormund,
Lehrer oder Aufseher, sowie alle die ersten Umgebungen an Gespielen,
landlicher oder stadtischer Lokalitat, alles bedingt die- Eigentiimlichkeit
durch friihere Entwicklung, durch Zuriickdrangen oder Beschleunigen;
der Damon freilich halt sich durch alles durch, und dieses ist dann die
eigentliche Natur, der alte Adam und wie man es nennen mag; der, so
oft auch ausgetrieben, immer wieder unbezwinglicher zuriickkehrt."
,,Niemand glaube, die ersten Eindriicke der Jugend verwinden zu kon-
nen. Ist er in einer loblichen Freiheit, umgeben von schonen und edlen
Gegenstanden, in dem Umgang mit guten Menschen aufgewachsen, ha-
ben ihm seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen musste, um das
iibrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen
braucht; wurden seine ersten Handlungen so geleitet, dass er das Gute
kiinftig leichter und bequemier vollbringen kann, ohne sich irgend etwas
abgewohnen zu miissen, so wird dieser Mensch ein reineres, vollkomme-
neres und gliicklicheres Leben fiihren als ein anderer, der seine ersten
Jugendkrafte im Widerstand und im Irrtum zugesetzt hat." Ja, das glau-
ben wir Goethe gerne. Hat er doch hier in e i n e m Satze das Ideal einer
Methode fur Unterricht und Zucht ausgedruckt, wie wir sie heutzutage
anzuwenden streben. Zu seiner Zeit war das zwar noch etwas anders.
Denn er fahrt fort: ,,Es wird so viel von Erziehung gesprochen, und
ich sehe nur wenig Menschen, die den einfachen, aber grossen Begriff,
198 P'ddagogische Monatsbefte.
der alles andere in sich schliesst, fassen und in die Ausfiihrung ubertra-
gen konnen."
Fiir den Segen beschrankter Verhaltnisse in der Jugend eines Men-
schen, wie unsere Schiller sie aufweisen, hat er eine klare und verniinf-
tige Auffassung. ,,Ich bemerke," sagt er, ,,dass es fiir junge Leute eine
wahre Wohlthat ist, wenn ihnen gewisse bessere und hohere Zustande
eine Zeit lang versagt bleiben; dadurch lernt man erst schatzen, was man
erhalt; denn leider sieht der Mensch nach einem jeden, was ihm gewor-
den, immer wieder was neues Wunschenwertes vor sich, und seine Un-
geduld wachst mit jedem Gelingen."
Was dachte sich nun der Alte von Weimar als die wirksamsten Mit-
tel, um sowohl der Zucht als auch dem Unterricht zum Erfolg zu verhel-
fen? Ich will zwar nicht vorgreifen, aber ich kann nicht umhin, meine
Meinung dahin zu aussern, dass er gerade in diesem Punkte mir man-
ches, fiir uns New Yorker Beherzigenswerte zu enthalten scheint.
Obenan steht ihm die Liebe als beste Lehrhilfe. ,,Die Liebe herrscht
nicht, aber sie bildet, und das ist mehr." ,,Vor allem kommt es darauf
an, dass derjenige, von dem wir lernen sollen, unserer Natur gemass ist.
Man lernt von dem, den man liebt." Wenn wir die Menschen nur neh-
men, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln,
als waren sie, was sie sein sollen, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu
bringen sind."
Goethe ist durchaus kein Freund von vielem Befehlen und Verbie-
ten. ,,Sowohl bei der Erziehung der Kinder als bei der Leitung der V61-
ker ist nichts ungeschickter und barbarischer, als Verbote, als verbin-
dende Gesetze und Anordnungen. Der Mensch ist von Hause aus tha-
tig, und wenn man ihm zu gebieten versteht, so fahrt er gleich dahinter
her, handelt und richtet aus Der Mensch thut recht gern das Gute,
das Zweckmassige, wenn er nur dazu kommen, kann; er thut es, damit
er was zu thun hat, und sinnt daruber nicht weiter nach, als uber alberne
Streiche, die er aus Miissiggang und langer Weile vornimmt." ,,Froh-
lichkeit ist die Mutter aller Tugenden." ,,Lehre thut viel, aber Aufmun-
terung thut alles. Aufmunterung nach dem Tadel ist Sonne nach dem
Regen, fruchtbares Gedeihen."
Die zweite Hauptsatile seiner Padagogik ist die Autoritat. ,,Lerne
gehorchen." Diese Niederschrift erklart er als das einzige, verniinftige
Wort im Stammbuche seines Enkels. Es ist der standige Refrain in den
Wanderjahren, und anderwarts lesen wir:
,,Wer ist ein unbrauchbarer Mann?
Wer nicht befehlen und nicht gehorchen kann."
Hand in Hand mit der Autoritat muss Scham und gute Sitte gehen.
Beide wurzeln in der Ehrfurcht. ,,Sich zu fiirchten ist leicht, aber be-
schwerlich; Ehrfurcht zu hegen ist schwer, aber bequem. Ungern ent-
Goethe als P'ddagog. 199
schliesst sich der Mensch zur Ehrfurcht, oder vielmehr er entschliesst sich
nie dazu, es ist ein hoherer Sinn, der seiner Natur gegeben werden muss
und der sich nur bei besonders Begiinstigten aus sich selbst entwickelt."
Was Goethe hier Ehrfurcht nennt, nannten die Alten Pietat; und
sie wie Dankbarkeit sind ja dem Menschen nicht angeboren, sondern
miissen erst gebildet werden, wahrend Liebe und Zuneigung auch dem
rohesten Menschen von der Natur verliehen sind. Das Erhabene und
Grosse pflegen ,,Kinder und Volk" in ein Spiel, ja in eine Posse zu ver-
wandeln.
,,Beschrankt und unerfahren, half die Jugend
Sich fur ein einzig auserwahltes Wesen
Und alles iiber alle sich erlaubt."
Doch Goethe liebt die Natur in jeder Gestalt, den naturwahren Men-
schen in erster Linie.
,,Ich tadle nicht gerne, was immer den Menschen
Fiir unschadliche Triebe die gute Natur gab."
So preist er besonders eine gute Dosis Leichtsinn als ein nicht zu
verachtendes Naturgeschenk, um die Entsagung, das allgemeine Los des
Menschen, nicht so schwer zu machen. Uberhaupt besassen wir von
Natur keinen Fehler, der nicht zur Tugend, keine Tugend, die nicht zum
Fehler werden ko.nnte. ,,Der Mensch hat verschiedene Stufen, die er
durchlaufen muss, und jede Stufe fiihrt ihre besonderen Tugenden und
Fehler mit sich, die in der Epoche, in der sie vorkommen, durchaus als
naturgemass zu betrachten und gewissermassen recht sind. Auf
der folgenden Stufe ist er wieder ein anderer, von den friiheren Tugen-
den und Fehlern ist keine Spur vorhanden, aber andere Arten und Un-
arten sind an die Stelle getreten, und so geht es fort bis zur letzten Ver-
wandlung, von der wir nicht wissen, wie sie sein wird." Nun, da der
New Yorker Junge ja auch ein Mensch ist, so wollen wir ihrr; ja recht
gerne Zugestandnisse machen, besonders in betracht des Umstandes, dass
,,In grossen Stadten lernen friih
Die jiingsten Knaben was;
Denn manche Biicher lesen sie
Und horen dies und das."
Doch Goethe geht noch weiter und sagt: ,,Was bildet man nicht
immer an unserer Jugend! Da sollen wir bald diese, bald jene Unart ab-
legen, und doch sind die Unarten nicht ebenso viele Organe, die den
Menschen durchs Leben helfen. Was ist man hinter dem Knaben her,
dem man einen Funken von Eitelkeit abmerkt! Was ist der Mensch fiir
eine elende Kreatur, wenn er alle Eitelkeit abgelegt hat." Da hat er ja
wohl recht.
(Schluss folgt.)
Fur die Schulpraxis.
I. Die Schwierigkeiten der deutschen Sprache fur Auslnder und
Mittel zu deren Bekampfung.
Von Betty Silberberg, New York.
Meine Herren und Damen!
Nichts Neues oder Unbekanntes will ich Ihnen vorfiihren, sondern nur etwas,
was wir alle, ohne Ausnahme, taglich erfahren, gegen welches wir,, als Lehrer
des Deutschen, in jeder Unterrichtsstunde mehr oder weniger ankampfen miis-
sen; ich meine namlich die Schwierigkeiten, die sich dem Auslander, besonders
einem Englisch sprechenden, bei Erlernung der deutschen Sprache darbieten und
welche Mittel wir anwenden miissen, um sle ihm iiberwinden zu helfen.
Mit Recht gilt auch vom Studium der deutschen Sprache das bekannte: ,,A1-
ler Anfang ist schwer", und viele Leute, die gern Deutsch erlernen mochten,
sind vor den Anfangsschwierigkeiten zuriickgeschreckt; besonders wegen des
sogenannten gothischen Druckes und der gleichen Schrift. Wir, gliicklicher
Weise, umgehen diese etwas, indem wir im ersten halben Jahre entweder gar
keine gedruckten Biicher anwenden oder nur solche mit lateinischem Druck,
und spater ist es dem Ermessen eines jeden anheimgestellt, die deutsche Schrift
zu lehren. Doch schon nach wenigen Monaten tritt auch an uns die Aufgabe,
den deutschen Druck zu lehren.
Auf den ersten Anblick kommt ein deutsches Buch dem Schiller sehr kraus
und verworren vor; er sieht nur das Fremde, das Abweichende vom Gewohn-
ten, darum miissen wir vor alien Dingen ihn ermutigen, ihm Vertrauen zu die-
sen Buchstaben einflossen, sie ihm, so zu sagen, als gute Freunde und alte Be-
kannte vorstellen, die sich nur etwas anders geputzt haben. Wir miissen nur
sagen: Ihr konnt alles lesen, versucht es nur! Und wenn einige der Mutigen
es versuchen, so geht es auch. Aber schon bald verwirren sie sich, sie lesen
z. B.: ,,Bas Rind fpeilt auf der Miefe", anstatt: ,,Das Kind spielt auf der
Wiese" u. s. w. Dies zeigt, dass wir diejenigen Buchstaben, die sich sehr ahn-
licii sehen und leicht verwechselt werden konnen, besonders behandeln mils-
sen, sie in Gruppen vorfiihren und uns erklaren lassen, wie wir sie unterscheiden
konnen. Zu diesen gehoren von den kleinen Buchstaben z. B. b und b, f und
lang f, tn und to, t und f, u und n, n und b, auch b und b, r und j, g und q,
auch wohl to und g; ferner sind schwere Buchstaben: <f, fc und ^; von den
grossen 31 und U, $> und D, @ und ©, 9Jt und 28, 91, 01 und 33, # und 31 etc.
Der Unterrichtende zeige nun, wie sich die betreffenden Buchstaben von einan-
der unterscheiden; z. B. dass das b links eine lange gerade Linie bildet
und rechts eine kurze gebogene; wahrend es beim b gerade umgekehrt
ist. Durch die Grundform der beiden Buchstaben an der Wandtafel erhalten
die Schiller ein klares Bild und finden selbst, dass die Buchstaben in der Form
wenig von den englischen abweichen; beim m und to entdecken sie, dass das
m drei gerade Linien hat und unten offen ist, wahrend die dritte Linie beim to
gebogen und geschlossen ist, und so lassen sich an jedem besondere Merkmale
erkennen.
Eine bedeutende Erleichterung fur uns wiirde es sein, wenn wir grosse
Wandkarten hatten, worauf das grosse und kl'eine Alphabet in beiden Formen
dargestellt ware, die deutschen Buchstaben oben und starker gedruckt und die
Die Scbwierigkeiten der deutscben Spracbe. 201
lateinischen sogleich darunter. Ebenso solche mit kleinen Spriichen, Gedichten
Oder Geschichten. Diese sollten stets in den Klassen des vierten Grades oder
Sechs B hangen, so dass das Kind sie bestandig vor Augen hat. Diese Karten
waren ein Sporn, in den Pausen die kleinen Stiicke zu lernen; denn bekanntlich
reizt alles Neue und mochte auch ein jedes Kind es dem andern zuvor thun; vor
allem, wenn sie unter sich sind. — Es ware auch zu wunschen, wenn unsere
Lehrbiicher einige Lesestiicke so dargestellt brachten. Ich fand ein solches Bei-
spiel in der Gurkeschen Fibel, und auf den ersten Blick wird es hierdurch jedem
klar, dass die deutschen und lateinischen Buchstaben im Grunde ein und die-
selben sind. Weil es jedoch deutsche Kinder sind, fur welche diese Fibel be-
Btimmt ist, so steht hier der lateinische Druck oben und der deutsche unten.
Wir alle aber sollten darauf bestehen, dass nur Biicher mit deutlichem, klarem
Druck dem Schiiler in die Hand gegeben werden, solche, worin jeder Buchstabe
scharf und charakteristisch ausgepragt ist. Doch leider lassen unsere jetzigen
Lehrbiicher in dieser Beziehung sehr viel zu wiinschen iibrig.
Doch aJle diese Hilfsmittel und Erklarungen sind von geringem Wert ohne
die Hauptsache, das ist: fleissiges ttben, nach dem altbewahrten Sprichwort:
,,t)bung macht den Meister", sowohl horbar als Lesen, als auch sichtbar durch
Abschreiben von Buchstaben, Wortern, Satzen und Lesestucken.
Dies fuhrt mich nun zum zweiten Punkte: der deutschen Schrift. Auch bei
dieser lasst sich ebenso oder noch besser demonstrieren, dass die deutsche
Schrift nur eine etwas korrumpierte lateinische ist. Der Unterrichtende ver-
meide bei Vorschriften alle Schnorkeleien, gebe die Buchstaben so einfach wie
moglich und lehne sich so viel er vermag an die lateinische Grundform an. Die
meisten der hiesigen Schreibhefte mit Vorschriften geben zu meinem Erstaunen
ganz vorsintflutliche Schriftzeichen; denn auch die Schrift entwickelt sich und
ist bestandigen Veranderungen unterworfen, und diese alle fiihren zur Einfach-
heit, Deutlichkeit und dadurch zur ttbereinstimmung mit anderen Formen.
Fur den Klassenunterricht empfehlen sich auch hierfiir Wandkarten; doch
konnen diese auch ohne grosse Miihe vom Lehrer selbst hergestellt werden, wie
ich solche auch geschrieben habe, als ich vor einigen Jahren auch die deutsche
Schrift lehrte. Ich finde indes, meistens macht das Erlernen der deutschten
Schrift wenig Schwierigkeiten und vermeide ich sie nur der Zeitersparnis wegen.
Viele meiner Schiilerinnen haben deutsch schreiben ganz von selbst gelernt.
Von weit grosserer Bedeutung aber als das Erlernen der Lautzeichen ist
das richtlge Aussprechen derselben. Wenn auch im allgemeinen die Aussprache
des Deutschen leicht ist, da jeder Buchstabe stets denselben Laut hat, so sind
doch andererseits Laute im Deutschen enthalten, die in anderen Sprachen und
vor alien in der englischen nicht vorkommen, besonders 6, ii, ch und z, und
deren Erlernung dem Schiiler grosse Schwierigkeiten bereitet. Aber auch sonst
ist noch die Aussprache der gleichen Vokale und Konsonanten sehr abweichend
von der seinigen, wenn auch dieselben Laute in beiden Sprachen enthalten sind.
Hier miissen wir direkt gegen die Gewohnheiten der englischen Sprache an-
kampfen. Es ist leicht, den Schiilern die richtige Aussprache der einzelnen
Vokale und Konsonanten beizubringen, und nur die Unaufmerksamen werden
den betreffenden Laut in der Unterrichtsstunde nicht richtig aussprechen; doch
lassen wir einige Satze lesen und wir horen zu unserer Verwunderung ein sol-
ches Deutsch, wie: ,,D6r Vater hat inen Hutt. Dei Muter ist gutt. Dei Kin-
dor speilen off der iJisa. Wir lornen duhtsch in dor Schula. Isch habe swei
Hande, oder or hat einen Unkel." Hierdurch wird uns klar, dass viele Sachen,
die wir als selbstverstandlich annehmen, doch ganz besonderer Aufmerksamkeit
202 Padagogiscbe Monatsbejte.
bediirfen. Das Kind hat wohl begriffen, dass a wie a in father, far etc. lautet,
e wie a in late, fate, gate, Oder wie e in merry, ferry etc., i wie i in pin, tin,
sin, fin, o wie o in dome, pole, tone, bone und u wie u in put, push, bush, auch
wie die Umlaute und Doppellaute, v und w ausgesprochen werden, doch bei der
Anwendung vergisst es dies zu leicht und spricht diese Laute nach englischer
Gewohnheit aus. Daher ist es notig, dass die Vokale alle einzeln vorgefiihrt
und an vielen Beispielen geiibt werden, wahrend die meisten Konsonanten wenig
Oder fceine Beachtung erheischen. Bei unrichtiger Aussprache des A ist ea mehr
Vergessen und Unachtsamkeit des Schiilers, hingegen beim Vokal E ist dies
nicht immer der Fall. Dieser Laut wird im Englischen sehr selten wie im Deut-
schen ausgesprochen, hat vielmehr vier verschiedene Schattierungen. Die Kin-
der sprechen Worter wie Schiller, Finger, lesen, sehen, Thee, See, fern, gern
folgendermassen aus: Schiila, Finga, lisen, sihen, Thi, Si, forn, gorn aus. I ist
leichter; Unaufmerksamkeit ist es, wenn die Schiller dafiir ei sagen. In Wor-
tern, die mit dem Englischen gleich sind, wie singen, bringen, trinken, Wind
etc. macht wohl keiner einen Fehler, wohl aber in Wortern, worin ein r oder
1 dem i folgt, z. B. in Wild, mild, Wirt, Hirt. In diesen wird das I bald wie ei,
z. B. weild, meild, bald ungefahr wie 6, z. B. Wort, Hort ausgesprochen. Das
O ist im Englischen selten rein und darf daher nicht vernachlassigt werden,
sonst horen wir anstatt Otto, kocht, Donner, roll, Atter, kacht, Danner, rallt
etc. U ist leicht, nur das gescharfte U wird vielfach lang oder wie ein O aus-
gesprochen, z. B. Muter, Buter, onser, ons, das gedehnte dagegen manchmal
wie: gutt, Hutt, Fuss etc. Bei den Umlauten vergessen die Schiiler haufig das
Umlautzeichen zu beachten und Lesen anstatt Hande, Hande, schon, schon, friih,
fruh etc., wahrend die Diphthonge oft in i. arbiten, Kindlin, in o: off, och, Off-
gabe und in u: Frund, duhtsch etc. verwandelt werden. Hier tritt nun an den
Unterrichtenden die Aufgabe, dem Schiiler die Schwierigkeiten iiberwinden zu
helfen. Dies wird erreicht durch richtiges, langsames und deutliches Vorspre-
chen der Laute, durch unermiidetes Verbessern der unrichtigen Aussprache,
ttbungen mit besonders schwierigen Wortern und Anleitung zur Hervorbringung
der betreffenden Tone, wobei auch die Mundstellung zu beachten ist. Beim A
wiTd der Mund weit geoffnet, wahrend er beim E breit gemacht werden muss,
beim O spitz und etwas offen und beim tJ spitz und mehr geschlossen. Diese
beiden Laute miissen ganz besonders geiibt werden, da sie im Englischen fehlen.
Von den Konsonanten ist die Aussprache des C, Jot, Pf, S, V, W, X, Z, Ch
und Sch hervorzuheben. C und Z klingen meistens gleich; doch hat die eng-
lische, wie noch verschiedene andere Sprachen diesen Laut nicht; die Schiiler
sagen dafu'r entweder ein Sz oder S. Man bringt den Laut hervor, indem man
die Zunge fest gegen die oberen Zahne presst. Jot tont wie das englische Y;
der Laut pf, welcher im Englischen wieder fehlt, wird getfildet, indem man die
Lippen fest aufeinander presst und dann rasch offnet. V lautet wie F, W wie
das englische V. X ist ebenfalls im Deutschen abweichend, da es wie ks klingt,
hingegen in vielen anderen Sprachen wie gs, z. B. Xerxes-Xerxes. Sch wird
im Englischen s h, im Deutschen s c h geschrieben, lautet aber nie wie im SK.
Der schwerste Laut fur die Auslander ist jedoch Ch. Viele verzweifeln, wenn
sie ihn zum ersten Male aussprechen sollen; doch auch hier gilt: Geduld und
Ermutigung des Schiilers von Seiten des Lehrers, viele ttbung, Anleitung den
Laut hervorzubringen, und bald sprechen ihn die Schiiler gerade so korrekt aus
wie die anderen. Komrnt er zuerst auch gewohnlch zu rauh und forciert herf-
aus, so schleift sich dies bald ab; da in unserer schonen Muttersprache dieser
Laut gerade sehr haufig ist. Zu statten kommt uns hierbei auch, dass unsere
Schiiler sehr kosmopolitischer Abstammung sind und dieser Laut noch in den
Die Scbwierigkeiten der deutscben Spracbe. 203
Kehlen der meisten von ihren Eltern oder Voreltern her schlummert 1st doch
derselbe Laut im Keltischen, Skandinavischen, Hebraischen, Spanischen u. s. w.
Von Anfang an 1st aber zu beachten, dass Ch einen harten und einen wei-
chen Laut hat. Ersterer wird mit dem unteren Kehlkopf hervorgebracht, unge-
fahr als ob man sich rauspern wollte und folgt den Vokalen A, O, U und Au;
letzterer mit dem oberen Kehlkopf, wobei der Atem direkt durch die Mund-
hohle geht, und steht bei den Lauten E, I, A, 0, tJ, Ei, Eu. Gewohnlich sage
ich den Schiilern: ,,Legt den Finger an eure Kehle und fub.lt wie die Luft da-
durch geht", und hat dies stets 9en gewiinschten Erfolg.
Mit Erlernung der Aussprache innig verkniipft ist die Orthographie, welche
bekanntlich im Deutschen ausserst einfach ist, und fur Deutsche mit den drei
Regeln: Schreibe, wie du richtig sprichst; schreibe, der Abstammung gemass
und schreibe dem herrschenden Sprachgebrauch gemass, abgemacht ist. Diesel-
ben Kegeln gelten fur Auslander. Nur wenige Buchstaben sind stumm, das Deh-
nungs-H und das stumme E hinter I. Dies letztere verwechselt der Schiller
unaufhorlich mit dem Diphthong Ei, wozu wohl nicht allein das Vergessen der
Regel: dass diese Buchstaben i lauten, wenn das englische E am Ende ist und
ei, wenn das englische I zuletzt steht, sondern vielmehr die englische Gewohn-
heit, e i wie i und i e wie ei auszusprechen, schuld ist. Hier hilft nur, den
Schiller den letzten Buchstaben flnden zu lassen; die Regel einzupragen und zu
wiederholen, viel Aufmerksamkeit, Ausdauer und Geduld von Seiten des Leh-
rers und des Schiilers; dann wird auch zuletzt steter Tropfen den Stein hohlen.
Beim Th, welches die Kinder unwillkiirlich wie th lesen, muss eingepragt wer-
den, dass die deutsche Sprache diesen Laut gar nicht kennt und dass das H nur
ein Dehnungszeichen ist, den Ton lang macht und eigentlich nach dem Vokal
stehen sollte, daher keinen Einfluss auf die Aussprache des T hat.
Viele Schwierigkeit bereitet dem Auslander die richtige Silbentrennung, so
einfach dieselbe auch ist. Im Deutschen entscheidet meistens die richtige Aus-
sprache, wahrend in anderen Sprachen die Zusammensetzung der Worter aus
Haupt- und Neben-, Vor- und Nachsilben die Trennung in Silben bestimmt. Ein
Deutscher kann gar nicht anders als in dieser Weise den folgenden Satz tren-
nen: ,,In un se rem Lie der bu che ste hen vie le scho ne Lie der", wahrend un-
sere Schiller gewohnlich so verfahren: ,,In uns er em Lied er buch e stehen
viel e schon e Lied er." Aus vorgefiihrtem Beispiel ersehen die Schiller, dass
im Deutschen die nachfolgenden Silben mit Konsonanten beginnen; ausgenom-
men in Wortern wie warum, herein, hieraus, darin etc., worin die zweite Regel:
der Abstammung gemass, zur Geltung kommt. Durch einige ttbung, sei es Wor-
ter oder ganze Satze mit getrennten Silben lesen zu lassen, sei es durch Ab-
schreiben in solcher Weise, iiberwindet man diese Schwierigkeit; doch muss
man von Anfang an auf richtige Trennung bestehen, sonst erhalten wir wohl
Resultate, wie ein Beispiel in der Staatszeitung vor einiger Zeit trefflich illu-
strierte. Jemand hatte ein Rebus eingesandt und dies durchweg falsch getrennt,
wodurch es fur Deutsche ganz unverstandlich war. Die zusammengesetzten
Buchstaben: ch, pf, ph, th, sch, sp, st, sz, ck und tz bleiben ungetrennt. Sie
bleiben bei der ersten Silbe, wenn ein Konsonant folgt, treten jedoch zur letzten,
wenn ein Vokal darauf folgt, z. B. Ka sten, nil tzen, niitz lich, A ste, schwa chen,
schwach lich, schme cken, Kno spe etc. In diesem letzten Punkte sind manche
unserer Lehrbiicher nicht sehr korrekt. *
* Verfasserin ist hier im Irrtum. Die Ko nsonantverbindungen allerdings, welche nur
einen Laut bezeichnen: ch, sch, ph, th, kon nen nicht getrennt werden und kommen daher
auf die zweite Zetle; ebenso dt, wo es nur einen Laut bildet. Stehen aber mehrere Kon-
204 P'ddagogische Monatsbefte.
Von viel grosserer Schwierigkeit ist eine andere Eigentiimlichkeit der deut-
schen Sprache, und mit Recht wird ihr vielfach von Auslandern ein Vorwurf ge-
macht, namlich die langen Worter, worunter es wahre W9rtungetiime giebt und
die vielfach den Spott der Fremden hervorgerufen haben. Ich erinnere nur an
Mark Twain, der sich Elertiber in seiner wohlb'ekannten, witzigen Weise geau-
ssert hat. Diese Schwierigkeit ist jedoch bei naherem Ansehen wirklich nicht
BO gross, als sie zuerst scheint; denn diese Wortungetiime sind alle zusammen-
gesetzte Worter, die sich ohne Miihe in ihre Bestimmungs- und Grundworter
zerlegen lassen und dann leicht verstandlich sind. Einige derselben werden dies
beweisen, wie z. B. Haus thiir schliissel, Schornstein feger meister, Porzellan wa-
ren handler, Ober hof meister amf , Lieblings beschaftigung u. s. w. Alle beste-
hen aus zwei, drei oder vier Wortern, deren einzelne sich von selbst erklaren;
jedes hat seinen Begriff behalten, und bei Ubersetzung in fremde Sprachem
zerf alien dieselben auch in verschiedene Worter, wobei die Bestimmungsworter
haufig durch Eigenschaftsworter oder den Genitiv ersetzt werden.
Auch eine andere Eigentiimlichkeit fallt dem Schiller gleich beim Anfangs-
studium der deutschen Sprache in die Augen, ich meine die grossen Anfangs-
buchstaben der Hauptworter. Dies ist aber gerade so wohl ein Vorzug, als ein
Nachteil unserer Muttersprache. Die Hauptworter lassen sich dadurch leicht
erkennen, sie sind sinnlich wahrneEmbar; doch beim Schreiben vergisst der
Schiller dies leicht, schreibt sie klein, Eigenschaftsworter, Fiirworter etc. dage-
gen gross. Er verfallt hierbei in die Gewohnung seiner eigenen Sprache. Er-
wachsene Oder mehr vorgeschrittene Schiller machen selten hierin Fehler, desto
mehr die Kinder aus Fluchtigkeit. Ungleich schwieriger ist aber die zweite Be-
obachtung, die der Schiller macht, namlich das verschiedeneGeschlecht der Haupt-
worter; hierbei hilft nicht blosses Erkennen, um den richtigen Artikel und glei-
ches Fiirwort anzuwenden, sondern es bedarf unendlicher geistiger Anstrengung.
Nur wenig von seiten des Lehrers kann hierin dem Schiller geholfen werden.
Das Beste ist Entwickelung des Sprachgefiihls. Von Anfang an werde der Schil-
ler angehalten, jedes Hauptwort mit dem betreffenden Artikel sich einzupragen,
es im Satze anzuwenden und durch das Fiirwort zu ersetzen. Fiir die Kinder
in unseren offentlichen Schulen ist es sehr schwer zu begreifen, dass viele Dinge
mannlich oder weiblich sind, Personen hingegen manchmal sachlich. Sie kon-
nen noch nicht grammatikaliscb.es und natiirliches Geschlecht von einander un-
terscheiden; fassen nicht, dass in der deutschen Sprache nur das grammatika-
lische Geschlecht gilt und dass hierbei vielfach die Form entscheidend ist. Be-
tont man das unaufhorlich, so erkennen sie, weshalb Madchen und Fraulein
sachlich, Sonne weiblich und Mond mannlich ist. Von grossem Nutzen ist es
auch, bestimmte Regeln zu geben, welche Worter mannlich, welche weiblich
und welche sachlich sfhd. Hat sich der Schiller nun das richtige Geschlecht
der Hauptworter eingepragt, auch wie die Mehrzahl derselben gebildet wird,
so hat er die noch grossere Schwierigkeit der Deklination zu uberwinden,
die in vielen modernen Sprachen nur dem Namen nach vorhanden ist, da
eine Kasusform mit Hilfe von Prapositionen zur Bildung der andern dient.
Der Schiller hat sich bei richtiger Anwendung des Kasus stets zu vergegen-
wartigen, welchen Satztell das Wort vertritt und von welchemi es abhangig
sonanten im Inlaut, so kommt der letzte auf die zweite Zeile; z. B. Mr- ten, Las-ten, Was-
ser, Knos-pe, hak-ken (ck wird in kk auf ge lost), klop-fen, krat-zen, Ach-sel, An-ker, Fin-
ger, Hoffnun-gen. Steht vor pf noch ein r oder m, so gehort pf zur zweiten Zeile. Ebenao
steht nach vorhergehendem Konsonanten at a uf der zweiten Zeile. (Duden, Orthograptu-
sches Worterbuch.) D. B.
Die Schwierigkeiten der deutscben Sprache. 205
1st; ob es ein Attribut, direktes Oder indirektes Objekt ist, Subjekt, Pradikat
oder adverbiale Bestimmung und als Letztes, von welcher Proposition es regiert
wird. Die Erlernung der verschiedenen Deklinationsformen ist freilich Gedacht-
nisarbeit, aber ihre Anwendung nach dem Vorhergesagten entschieden Denk-
arbeit. Hierin kann der Lehrer den Schiiler unterstiitzen; er lasse ihn erst die
betreffenden Satzteile flnden; zeige, dass die Deklination auch nicht so verwlk-
kelt ist, da nur der Artikel und die Pronomina alle Kasusformen besitzen, hin-
gegen Hauptworter starker Deklination nur ein s Oder es im Genitiv der E2n-
zahl annehmen, weibliche sogar ganz unverandert bleiben, der Dativ PL stets in
n enden muss; dass bei der schwachen Deklination die Biegung ganz fehlt, da
mit Ausnahme des Nominativ Einzahl alle Falle in n enden. Leicht lasst sich
auch sagen, welche Worter zur schwachen Deklination gehoren.
Auch ein anderer Vorwurf kann dem Deutschen gemacht werden; dies ist
der Mangel an ttbersichtlichkeit und dadurch an Verstandlichkeit; einesteils her-
beigefiihrt durch Verben mit trennbaren Vorsilben und dass in zusammengesetz-
ten Zeiten Partizip und Inflnitiv vom Hilfszeitwort getrennt sind, andernteils
dass im abhangigen Satze oder wenn irgend ein Satzteil dem Subjekt voraufgeht,
die umgekehrte Wortfolge eintritt und das Pradikat dadurch hauflg ans Ende
nicht allein des Satzes, sondern eines ganzen Satzgefiiges mit vielen Nebensatzen
geruckt wird. Man gebe dem Schiiler in diesem Labyrinth den Ariadnefaden,
lasse ihn zuerst das Zusammengehb'rige finden, dann den Satz in die richtige
Wortfolge Subjekt, Pradikat, Objekt u. s. w. bringen, hierauf die Glieder des
zusammengesetzten Satzes oder des Satzgefiiges an- und unterordnen und sie
als ein harmonisches Ganze erscheinen lassen, dann wird der Schiiler auch keine
Schwierigkeiten haben, den Sinn des Gesagten oder Gelesenen zu erfassen. Bald
macht es ihm auch Freude, der richtign Fahrte folgen zu konnen und spornt
ihn an, andere Hindernisse zu iiberwinden.
Aus Vorhergehendem erhellt wohl, dass fur den Schiller viele und mannig-
faltige Schwierigkeiten bei Erlernung des Deutschen zu bewaltigen sind; an uns
aber tritt die Aufgabe, uns klar fiber dieselben zu sein, bereitwillig hier zu hel-
fen, Geduld und Ausdauer zu haben, fleissig iiben zu lassen und nicht das weise
Wort der Lateiner vergessen: Repetitio est' mater studiorum; doch meine ich
hier mit weniger: Wiederholung ist die Mutter der Wissenschaft, als vielmehr
unser altbewahrtes: ..ttbung macht den Meister."
II. Lehrplan fur die deutschen Klassen in der Hochschule von
Saginaw, E. 5., flich.
Von Ernst Wolf, Saginaw, Mich.
1. Zwolfjahriger Kursus.
2. Sechsjahriger Kursui.
3. Vierjahriger Kursus.
4. Zweijahriger Kursus.
I. Zwolfjahricer Kursus.
Am zwolfjahrigen Kursus nehmen fast ausschliesslich Kinder aus deut-
schen Familien teil; sie haben bei ihrem Eintritt in die Hochschule acht Jahre
lang taglich ungefahr 1 Stunde und 20 Minuten Unterricht in der deutschen
Sprache genossen.
Neuntes Schuljahr. (Dreimal wochentlich.)
Litteratur: Von den folgenden Biichern werden so viele gelesen als
die Kenntnisse und der Eifer der jeweiligen Klasse erlaubt. Die Biicher werden
von den Schiilern zu Hause mit Hilfe eines englisch-deutschen Worterbuches
vorbereitet und in der Klasse absatz-, kapitel- oder stiickweise miindlich oder
schriftlich wiedergegeben; namlich:
Baumbachs Im Zwielicht; Bernhardts Novellettenbibliothek; Fouque's Un-
dine; Freytags Soil und Haben; Hoffmanns Historische Erzahlungen; Schillers
Der Neffe als Onkel; Schillers Lied von der Glocke, Schillers Balladen.
Memorieren: Aus Dr. Joseph Henses Sammlung deutscher Musterdich-
tungen:
1. Chamisso, Die Sonne bringt es an den Tag.
2. Burger, Das Lied vom braven Manne.
3. Miiller, Der Glockenguss zu Breslau.
4. v. Droste-Hiilshoff, Der Knabe im Moor.
5. Riickert, Barbarossa.
6. Kerner, Der reichste Furst.
7. Freiligrat, Prinz Eugen, der edle Hitter.
8. Mosen, Andreas Hofer.
9. Heine, Die Grenadiere.
10. Goethe, Der Sanger.
11. Schiller, Der Alpenjager.
12. Schiller, Der Graf von Habsburg.
13. Schiller, Die Biirgschaft.
Grammatik: Spanhoofds deutsche Grammatik.
Schriftlicettbungen: Im Anschluss an den Lesestoff: Schriftliche
Wiedergabe desselben. Aufschreiben des Memorierstoffes. Aufsatze:
Beschreibung der Holzelschen Wandbilder: Friihling, Sommer, Herbst
und Winter; Stadt, Bauernhof, Wald, Hochgebirge. Diktate. Wieder-
gabe vom Lehrer vorerzahlter historischer Stoffe.
Den Schiilern 1st Gelegenheit gegeben, mit Schiilern deutscher Schulen in
Korrespondenz zu treten.
Konversationsiibungen: Im Anschluss an das Lesebuch und die
Holzelschen Wandtafeln.
Ubersetzungsiibungen: Nur gelegentlich aus dem Englischen ins
Lehrplanjttr die deutscbtn Klassen in der Hocbscbule. 207
Deutsche, wenn solche zur Klarung des grammatischen Verstandnisses
zweckdienlich erscheinen. ttbersetzungen aus dem Deutschen ins Eng-
lische werden in diesem Kursus grundsatzlich vermieden.
Zehntes Schuljahr. (Dreimal wochentlich.)
Litteratur: Goethes Aus meinem Leben und Hermann und Dorothea.
Schillers Wilhelm Tell. Lessings Minna von Barnhelm. Schrakamps
Erzahlungen aus der deutschen Geschichte. (Die Schoninghschen Klas-
sikerausgaben werden benutzt.)
Memorierstoff: Goethe, Der Fischer.
Goethe, Der Erlkonig.
Platen, Das Grab am Busento.
Freiligrat, Die Trompete von Vionville.
Schiller, Der Ring 'des Polykrates.
Schiller, Die Kraniche des Ibykus.
Uhland, Des Sangers Fluch.
Arndt, Des Deutschen Vaterland.
Hoffmann von Fallersleben, Das Lied der Deutschen.
Schenkendorf, Die deutschen Strome.
Grammatik. Spanhoof ds deutsche Grammatik.
Schriftliche tJbungen: Siehe 9. Schuljahr.
Aufsatze: Beschreibung der kulturhistorischen Bilder des Leipziger
Schulbilderverlags: Germanische Gehofte. Ritterburg. Im Rittersaale.
Turnier. Sendgrafengericht. Belagerung. Inneres einer Stadt. Biir-
gerliches Wohnzimmer. Im Klosterhof. Bauern und Landsknechte.
Lagerleben. Aus der Rokokozeit. Kaiserproklamation zu Versailles.
Korrespondenz mit Schulern in Deutschland.
Konversationsiibungen und ttbersetzungen: S. oben.
Elftes Schuljahr. (Zweimal wochentlich.)
Litteratur: Goethes Egmont. Schillers Maria Stuart. Lessings Emi-
lia Galotti. Schillers Jungfrau von Orleans.
Memorieren: Geibel, Morgenwanderung.
Freiligrat, Die Auswanderer.
Weber, Feldmusik und Waldmusik.
Schiller, Glocke (Auswahl.)
Goethe, Legende.
v. Droste-Hulshoff, Der Brief aus der Heimat.
Lenau, Der Postilion.
Freiligrat, Gesicht des Reisenden.
Uhland, Schwabische Kunde.
Schiller, Der Taucher.
Grammatik: Bei der Vorbereitung der Aufsatze wird auf die Punkte
aufmerksam gemacht, die den Schulern Schwierigkeiten verursachen kon-
nen ; und zwar geschieht dies in der Weise, dass der Aufsatzstoff — unter
Zugrundelegung eines Wandbildes — in gemeinschaftlicher Klassenarbeit
gewonnen wird. Das Resultat wird von den Schulern satzweise oder ab-
satzweise an die ,Taf el geschrieben, und etwaige Fehler werden dann ver-
bessert; wenn thunlich, wird die betreffende grammatikalische Regel aus
analogen Beispielen entwickelt. Selbstverstandlich wartet der Lehrer
nicht darauf, dass Fehler gemacht werden, sondern sucht ihnen auf jede
Weise vorzubeugen.
208 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Schriftliche Ubungen: Siehe oben. Aufsatzthemen.
a. Die Griinder des neuen deutschen Reiches: Kaiser Wilhelm, Fiirst
Bismarck und Graf Moltke.
b. Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm II.
c. Friedrich Wilhelm III. und Konigin Louise.
d. Friedrich der Grosse.
e. Der Rhein bei Bingen.
f. Der Dam zu Koln.
g. Der Hamburger Hafen.
h. Dresden.
I. Der Thviringer Wald.
k. Das Brandenburger Thor.
Zwolftes Schuljahr. (Zweimal wochentlich.)
Litteratur: Heines Harzreise.
Schillers Wallenstein.
Goethes Iphigenie.
Goethes Tasso.
Memorieren: Von den Schiilern angefertigte Arbeiten werden auswendig ge-
lernt; ganze Szenen und Monologe aus den gelesenen Dramen. Teile von
Reden des Fursten Bismarck, Karl Schurz' und anderer.
Privatlektiire: Ausgewahlte moderne Novellen.
Geschichte der deutschen Litteratur: Klemms VIII. Kreis.
Schriftliche ttbungen: Siehe oben. Aufsatzthemen:
Die deutsche Sprache.
Die Verdienste der Deutschen urn die Kultur.
Schillers Leben.
Goethes Leben.
Weimar im Jahre 1803.
Der Rheinfall bei Schaffhausen.
Das Nationaldenkmal auf dem Niederwald.
Die Gotthardbahn.
Der Bodensee.
Fiirst Bliicher.
Die unterliegenden Grundsatze fur den ganzen deutschen Unterricht sind in
vorstehendem Lehrplan ausgedriickt; in gedrangter Kiirze folgt der fiir die ande-
ren Klassen:
Sechsjahriger Kursus.
Siebentes Schuljahr (5mal wochentlich).
Von Daell und Schrakamp, Das deutsche Buch.
Achtes Schuljahr (4mal wochentlich).
Keller's First Year in German.
Neuntes Schuljahr (3mal wochentlichV
Keller's Second Year in German.
Zehntes Schuljahr (3mal wochentlich).
Bernhardts Novellettenbibliothek, Freytags Soil und Haben, Hoffmanns Hi-
storische Erzahlungen, Bronson's Colloquial German, Buchheim's deutsche Lyrik.
Schriftliche Arbeiten: Diktate im Anschluss an den Lesestoff; teilweise Re-
produktion des Lesestoff es; die einfachste Briefform.
Lebrplanfilr die deutschen Klassen in der Hocbscbule. 209
Elftes Schuljahr.
Lessings Minna von Barnhelm, Goethes Egmont, Schillers Tell.
Schriftliche Arbeiten: Diktate, zu denen die Holzelschen Wandbilder den Stoff
liefern. tibungen im Briefwechsel.
Die vorgeschritteneren Schiller nehmen an der internationalen Korrespon-
denz teil.
Zwolftes Schuljahr.
Goethes Hermann und Dorothea, Lessings Emilia Galotti, Schillers Maria
Stuart.
Die Diktate werden nach und nach zu freieren Vortragen des Lehrers unter
Zugrundelegung von Bildern. Die Schiiler reproduzieren diese Vortrage miind-
lich und schriftlich. Korrespondenz.
Vierjahriger Kursus. (Neuntes bis zwolftes Schuljahr.)
Die Schiller in diesem Kursus haben vier Jahre lang wochentlich 5mal
deutsch.
Im allgemeinen unterscheidet sich diese Arbeit wenig von der im 6jahrigen
Kursus. Da die Schiller zwei Jahre alter sind, wenn sie deutsch beginnen, so 1st
es schwieriger, ihnen die Zunge zu losen; infolgedessen treten die Sprachiibun-
gen zuriick.
Zweijahriger Kursus. (Elftes und zwolftes Schuljahr.)
Keller's First and Second Year in German.
N. B. Selbstverstandlich ist der Lehrplan nicht als eine Zwangsjacke auf-
zufassen, die bei Lehrer und Schiller die freie Bewegung hemmt, noch auch als
ein Prokrustesbett, das fur die geistig Langen und geistig Kurzen passen
muss; in manchen Jahren wird in einer gewissen Klasse mehr, in andern in der-
selben Klasse weniger geleistet als der Lehrplan angiebt.
Auch die Lehrstoffe werden nach Gutdiinken des Lehrers und haufig in Uber-
einstimmung mit den Wiinschen des Schiilers vertauscht.
Ich hoffe, dass recht viele Kollegen meinem Beispiel folgen und ihre Lehr-
plane an die Redaktlon einsenden werden. Die meisten Ideen, die ich habe, kom-
men von anderen. Und wem geht es anders? ,
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
Baltimore.
Das 25jahrige Bestehen der Johns
Hopkins Universitat wurde im Beisein
zahlreicher hervorragender Gaste aus
nah und fern in feierlicher Weise be-
gangen. Die Festrede hielt Dr. David
J. Hill, der Unterstaatssekretar von
Washington und friiherer President
der Universitat von Rochester.
Prasident Daniel C. Gilnaan machte
hierauf in einer Rede wiehtige Mit-
teilungen. Er sagte: ,,Der deutsche
Botschafter, Baron von Holleben, hat
dera Prasidenten der ,,Johns Hopkins
Universitat" naitgeteilt, dass der deut-
sche Kaiser, Wilhelm der Zweite, der
Bibliothek der Universitat eine hiisch
gebundene Kopie der ausgezeichneten
Ausgabe der Werke Friedrichs des
Grossen, die von der preussischen Re-
gierung vor einigen Jahren unter den
Auspizien der koniglichen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin heraus-
gegeben wurden, geschenkt habe.
Dies Geschenk ist eine Anerkennung
der wichtigen Beitrage zur biblischen
Litteratur seitens des Professors Dr.
Paul Haupt, friiher Professor an der
Universitat Gottingen, jetzt aber
Haupt der orientalischen Abteilung
der ,,Johns Hopkins Universitat".
Als eine weitere Anerkennung der
Verdienste des Prof. Haupt hat der
deutsche Kaiser ihm den roten Adler-
orden vierter Klasse verliehen."
Die Sylvesterpreise, zwei Bronce-
Medaillons, erhielten Lord Kelvin an
der Universitat zu Glasgow und Prof.
Simon Newcomb, ein hervorragender
Astronom. Ferner teilte Prasident
Oilman mit, dass Dr. Phil. Ogden und
Dr. Ed. C. Armstrong zu ausserordent-
lichen Professoren der franzosischen
Litteratur befordert wurden. Letzte-
rer befindet sich zur Zeit in Berlin.
Des Weiteren teilte Dr. Gilman mit,
dass das silberne Jubilaum der
,,Johns Hopkins Universitat" Mitt-
woch und Donnerstag, den 16. und 17.
Oktober 1901, gefeiert werden soil.
Vor der Gedenkfeier hielt der Ver-
waltungsrat eine kurze Versammlung,
in welcher Prasident Gilman seine Re-
signation formell unterbreitete. In
derselben heisst es: ,,In tJbereinstim-
mung mit meinem friiheren Schreiben
resigniere ich formell von meinem
Amt, zu welchem ich die Ehre hatte,
am Schluss des Jahres 1874 von Cali-
fornien berufen zu werden. Ich wihi-
sche mit Ihrer Zustimmung, dass die
Resignation am Schlusse des akade-
mischen Jahres, das ist am 1. Septem-
ber 1901, in Kraft tritt, da ich dann
mein 70. Lebensjahr vollendet habe.
Ausdriicke der Dankbarkeit und Hoff-
nung, die meine Gedanken bewegen,
verschiebe ich auf einen spateren
Tag." Der Verwaltungsrat nahm die
Resignation an und iiberliess die wei-
tere Regelung der Sache einem zu er-
nennenden Komitee.
Auch die Resignation des Ge-
schichtsprofessors Dr. Herbert B.
Adams, die derselbe am 4. Februar
wegen leidender Gesundheit einge-
reicht hatte, wurde angenommen.
Die ,,Maryland Children Playground
Association" hat von der Schulbe-
horde die nachgesuchte Bewilligung
bekommen, den Kindern an den
Samstag Nachmittagen wahrend der
Monate Marz, April und Mai Unter-
richt in Blumenkultur geben zu las-
sen.
Mit nachstem September werden
imsere offentlichen Schulen auch Kin-
dergarten bekommen, und zwar soil
in jeder der 25 existierenden Gruppen
eine Kindergartenklasse eingerichtet
werden.
Direktor Emil Dapprich erfreute in
der ersten Marzzwoche hiesige Kolle-
gen und Freunde durch seinen Besuch,
nur w^ar derselbe leider viel zu kurz;
als die Lokalpresse seine Anwesenheit
in der Stadt erwahnte und infolge des-
sen eine Anzahl seiner ehemaligen
Schiller und Schulerinnen nach ihm
fragte, da war der Gesuchte schon
wieder unterwegs nach dem Westen.
Die dem Schreiber aufgetragenen
Griisse seien ihm hiermit nachge-
sandt. Es wird ihm hier ein treues
Andenken bewahrt. — S.
Cincinnati.
Der Expertenbef und iiber die Grif-
fiths - Unterschleife wurde
dem Schulrat in seiner Sitzung vom
11. Marz unterbreitet. In dem 117
Seiten langen Dokument erhielten,
nach einem genauen ziffernmassigen
Ausweis iiber die Hohe und Geschichte
der Unterschlagung, die Erziehungs-
behorde einen allgemeinen Riiffel, die
Ausschiisse aber, welche die Biicher-
revisionen vorzunehmen hatten, sowie
verschiedene Schulratsbeamten w^egen
Pflichtvernachlassigung oder Unfa-
higkeit einen besonderen Riiffel. Mit-
schuldige w^urden zufolge des ,,Befun-
des" keine gefunden — alles wird dem
Defraudanten ins Grab geschoben
Korresponden^en.
211
und — zugedeckt! ,,Macht die Musik
zinnra bummra, — domit war die
G'schicht am End", wiirde der selige
Gottfried Nadler dazu sagen.
Doch halt, em sehr wichtiges An-
hangsel hatte der Bericht noch, eine
e i n gefliisterte Empfeh-
1 u n g, die eigentlich mit der Unter-
suchung nichts zu thun hatte und die
Herren Experten schlechterdings
nichts anging. Dieselben befiirworten
namlich am Schluss ihres Berichtes,
den ganzen Schulrat abzuschafEen
und dafiir eine bezahlte Kommission
von fiinf oder sieben Mitgliedern ein-
zusetzen, um dadurch eine bessere
Verwaltung unserer Schulen zu si-
chern. In friiheren Korrespondenzen
hat der Berichterstatter bereits seine
Meinung iiber die geheime Absicht
dieser von einem gewissen medizini-
schen Schulrat aus selbstsiichtigen
Zwecken eingefliisterten ,,Verbesse-
rung" geaussert. Es mag dieses Mai
nur noch darauf hingewiesen werden,
dass eine solche bezahlte Kommission
durchaus keine Gewahr leistet fur
eine bessere und okonomischere Ver-
waltung der Schulen, als eine vom
Volke erwahlte Behorde, die wie jetzt
aus dreissig Mitgliedern besteht und
ihren Dienst den Schulen gegeniiber
als Ehrensache betrachtet. Dass eine
kleine Kommission, wenn sie fahrlas-
sig, oder zu vertrauensselig wird, von
einem diebischen Clerk ebenso wohl
begaunert werden kann als eine viel-
kopfige Korperschaft, sieht man oft
genug bei Bankdirektorien, die doch
meistens aus erfahrenen und vorsich-
tigen Geschaftsleuten bestehen. Und
ist eine Behorde aus fiinf oder sieben
Mitgliedern — auch wenn die Xmter
hoch bezahlt sind — nicht leichter zu
bestechen und zu beeinflussen als
eine solche aus dreissig Mitgliedern?!
Man hat hier ja ,,Beispiele von Ex-
empeln"! ttberdies ist jede stadtische
Kommission, besonders wenn sie vom
Gouverneur ernannt wird, undemokra-
tisch und unrepublikanisch im Prin-
zip, und steht in direktem Wider-
spruch mit stadtischer Selbstverwal-
tung, die gegenwartig iiberall so sehr
angestrebt wird. Doch die ,,Empfeh-
lung", wenn sie auch vorlaufig bei ge-
wissen Klubs warme Unterstiitzung
findet, wird am Ende nie zur Ausfiih-
rung gelangen, und der padagogische
Doktor sollte sich daher lieber nach
einem anderen ,,Job" umsehen, als
nach dem eines Schulkommissars.
Der s. Z. vielgeriihmten S t e i 1 -
s c h r i f t, die im Herbst 1899 in un-
seren Schulen eingefuhrt wurde, ist
man schon wieder iiberdriissig. Die
englischen Prinzipale haben dem
Schulrat bereits die Empfehlung un-
terbreitet, zur Schragschrift zuriick-
zukehren, jedoch nicht zum friiheren
System, sondern zu einem sogenann-
ten Natural Slant, das ungefahr die
Mitte zwischen der ehemaligen
Schragschrift mit 55 Grad und der
Steilschrift halt, namlich mit einem
Neigungswinkel von 75 Grad. Die
American Book Co. hat das neue
Schreibsystem bereits im Verlag, wird
also mit dem nachsten Schuljahre
eingefuhrt werden.
Der klobigen englischen Steilschrift
oder eigentlich Druckschrift, wie sie
hier unterrichtet wurde, wird wohl
niemand eine Thrane nachweinen;
doch als eigentumliche Erscheinung
dabei mag nur noch erwahnt werden,
dass man hier das Vertikalsystem
einfiihrte, als man es in anderen
Stadten, besonders in Deutschland,
wieder abschaffte Es geht halt nichts
iiber das Selbstprobieren !
In der Sitzung- des deutschen
Oberlehrerverein s vom 28.
Marz hielt Herr Wm. Schafer seinen
Vortrag iiber ,,Deutschen Minne-
sang". Der Referent hatte sein
Thema in gedrangter aber doch er-
schopfender Weise behandelt, ohne
indessen auf die Hauptvertreter des
Minnegesangs naher einzugehen. Er
sprach zum Schluss seines beifallig
aufgenommenen Vortrages den
Wunsch aus, dass die Kollegen in
ihrer Lektiire auch die deutsche Lit-
teratur des Mittelalters beriicksichti-
gen sollten. Herr C. Grebner teilte
in einer Zuschrift mit, dass er seinem
Buch ,,Die Deutschen" weitere 50
Druckseiten aus der deutschamerika-
nischen Geschichte hinzugefiigt habe,
ohne dadurch den Preis desselben zu
erhohen. Den in der vorhergehenden
Versammlung ausgesprochenen Wiin-
schen glaubt der Verfasser damit
vollauf Geniige geleistet zu haben.
Das Buch wird nunmehr 325 Seiten
stark und nur 85 Cents kosten.
E. K.
New York.
Vom Verein deutscher
Lehrer von New York und
Umgegend. Erschien mir die
Februarversammlung der deutschen
Lehrer New Yorks und Umgegend als
die Morgenrote eines neuen Lebens,
so flutete uns in der gestrigen Marz-
sitzung schon das helle Licht des vol-
len Tages entgegen. Goethe als Er-
zieher", Vortrag von Hrn, Dr. P. S.
Stollhofen, stand auf der Tagesord-
212
Padagogiscbe Monatsbefte.
nung1. Ein schwieriges Thema! Um
so mehr so, als Goethe nirgends im
Zusammenhang iiber Erziehung
spricht, uns nirgends ein System, sei-
ner Anschauungsweise dariiber vor-
fiihrt, sondern nur in vereinzeltnen
Ausserungen, die man da und dort zer-
streut findet, durchblicken lasst, was
er iiber diesen Gegenstand denkt und
wie er sich die Erziehung der Jugend
vorstellt oder vielmehr, wie er unsere
Jugend am liebsten erzogen sahe.
Die Aufgabe des Keferenten bestand
nun darin, diese Ausserungen aus den
samtlichen Werken Goethes — und
mein Goethe umfasst 40 Bande — zu-
sammenzutragen, kritiseh zu trennen
und kritiseh zu verbinden, aus der
Vielheit eine Einheit zu gestalten,
und dann endlich ein klares System
herauszuschalen.
Wie schwierig die Arbeit des Her-
ausschalens in Goethes Fall ist, er-
misst man erst, wenn man bedenkt,
dass Goethe seine eigene Ansicht sel-
ten rundweg ausspricht, sondern dass
er fast immer dialogisch verfahrt und
dieser Person dieses, jener jenes in
den Mund legt. Ziehe ich z. B. das
fiinfte Kapitel aus den Wahlverwandt-
schaften an, das Dr. Stollhofen zufal-
ligerweise nicht zitiert, so wird die
Sache sofort klar. Der Gehiilfe der
Schulvorsteherin schreibt dort den
Pflegeeltern Ottiliens einen Brief, in
dem er darlegt, warum Ottilie keinen
Preis erhalten und auch kein Zeugnis
empfangen habe. Der Gehiilfe spricht
in diesem Briefe sowohl seine Ansicht,
wie die der Vorsteherin und die der
Priifungskommissare aus. Jede der
Ansichten weicht wesentlich von der
anderen ab. Welche der dreien ist
nun Goethes Ansicht?
Dr Stollhofen war der Schwierigkeit
vollauf gewachsen. Er hat sich seiner
Aufgabe in feiner Weise und mit psy-
chologischem Scharfsinn unterzogen
und uns wahre Fundgruben padago-
gischer Beobachtungen Goethes eroff-
net und sie in einem wohlabgerunde-
ten Bild zusammengestellt.
Der Dank der Anwesenden am
Schluss seines Vortrages gestaltete
sich denn auch zu einer wahren Ova-
tion fiir den Eedner. Was man da
horte, war nicht das pflichtschuldige
Handeklatschen, es war ein Ausdruck
spontaner Begeisterung. Und sofort
wurde der Wunsch laut, den Genuss,
der uns soeben bereitet wurde, andern
nicht vorenthalten zu sollen und
Herrn Stollhofen zu bitten, den Vor-
trag dem Vereinsorgan zur Veroffent-
lichung zu iiberlassen und die Redak-
tion der Padagogischen Monatshefte
zu ersuchen, den Vortrag- im Namen
des New Yorker Lehrervereins gefl.
ganz zum Abdruck bringen zu wollen.
Geziemt dem Referenten voiles Lob
fiir seine verdienstvolle Arbeit, so
muss er mir es zu gute halten, wenn
ich in einem Punkte nicht mit ihm
iibereinstimme Er sagt unter ande-
rem in seiner Einleitung, dass Goethe
seine Philosophic einzig und allein
Spinoza verdanke. Das ist doch wohl
irrefiihrend. Wir wissen, dass Goe-
thes Gedankenwelt sich nicht im An-
schluss an ein besonderes philosophi-
sches System gebildet hat, sondern
dass sie aus inneren Notwendigkeiten
seiner eigenen Natur und den Erfah-
rungen seines Lebens hervorging, dass
er an grossen Denkern nur das beob-
achtete, was seiner Natur gemass war,
und von ihnen nur das ergriff, was
seinen eigenen Lebensprozess zu for-
dern versprach. Indem er z. B. mit
dankbarer Verehrung anerkennt, was
er Spinoza schuldet, verwahrt er sich
zugleich energisch dagegen, dessen
Schriften zu unterschreiben und sich
buchstablich dazu bekennen zu wol-
len. Mit grosserem Eecht konnte man
Goethe einen Schiiler Platos, Leibniz',
Kants, Schellings nennen, ganz beson-
ders Kants, mit dem er sich mehr und
mehr beschaftigte Sagt doch Goethe
selbst iiber Kants ,,Kritik der Urteils-
kraft": ,,Wenn auch meine Vorstel-
lungsart nicht eben immer dem. Ver-
fasser sich zu fiigen moglich werden
konnte, wenn ich hie und da etwas
zu missen schien, so waren doch die
grossen Hauptgedanken des Werkes
meinem bisherigen Schaffen, Thun,
Denken ganz analog."
Man sieht, Goethe steht nicht, wie
der Referent uns glauben machen will,
einzig und allein in dem Bannkreis
Spinozas; Goethe ist vielmehr ein
Eklektiker und ist fiir alle Forde-
rung, woher sie auch stammen mag,
offen. So sind seine Beziehungen zu
den grossen Geistern nur Entwicklun-
gen seines eigenen Seins, Bekennt-
nisse iiber sein eigenes Streben,
Goethe hat sich mit den andern Den-
kern nur im Interesse seiner eigenen
Entwicklung befasst, er hat sich mehr
a n ihnen als d u r c h sie gebildet und
sich immer seine voile Selbstandigkeit
gewahrt.
Damit giebt Goethe der Welt und
uns Padagogen einen Fingerzeig, wie
man grosse Denker auffassen soil, wie
er sich selbst behandelt wissen moch-
te. Es ist, als ob er sagen wollte:
Sieh in mir nicht den Meister, die bin-
dende Autoritat, die massgebende
Norm, aber kniipfe fruchtbare Bezie-
'Briefkasten — Umschau .
213
hungen zu mir an, fordere damit dein
eigenes Leben, werde durch mich ein
Befreier.
Der letztere Teil gehort eigentlich
nicht in den Rahmen dieser Berichter-
stattung, da der Berichterstatter ja
nur den Verlauf der Verhandlungen
in sein Bereich ziehen sollte. Doch lag-
die Versuchung zu nahe, einem Gedan-
ken Eaum zu geben, der in der Ver-
sammlung selbst ausgesprochen wor-
den "ware, hatte man nicht der vorge-
schrittenen Zeit halber die Diskussion
abbrechen miissen. So moge man die-
sen anscheinenden ttbergriff gefalligst
entschuldigen.
Die Versammlung war wiederum
stark besucht. Eine Eeihe werter Ga-
ste beehrte uns mit ihrer Anwesen-
heit.
Interessieren diirfte die Kedaktion
der Padagogischen Monatshefte noch,
dass Ihr Zirkular, in dem Sie zur Mit-
gliedschaft des Vereinsorgans auf-
munterten, der Versammlung unter-
breitet wurde, dass der Erfolg ein
augenblicklicher war und dass sich
sofort drei neue Mitglieder gewinnen
liessen. Vivat sequens. A. K.
II. Briefkasten.
Answers to questions sent by G. L. S.
1) Correct forms are:
Future Perfect:
Er wird es haben thun miissen.
II. Cond.:
Er wurde ihn haben gehen lassen.
(The conjugated aux. ,. haben" pre-
cedes the two infinitives.)
2) a. Er gab es ihm zu essen, zu
lesen.
He gave it to him to eat, to read.
b. Er gab es ihm zum Essen, zum
Lesen.
He gave it to him for or as his meal,
for his reading.
3) In colloquial German the perfect
is more generally used; the imperfect
for past events depending on each
other, or in the narrative style.
Ex.:
Perf.: Ich bin gestern angekommen.
Imp.: Als ich gestern ankam, traf
ich. . . .
Or narrative: ,,Es war einmal ein
Konig und eine Konigin, die sprachen
alle Tage "
4) a. Er sollte es wollen —
He ought to be willing (to do) it.
b. Er wird es haben wollen sollen, —
(an impossible phrase).
c. Er wird es wollen haben sollen —
(likewise impossible).
d. Er wiirde es haben wollen sol-
len—
(also impossible).
e. Er wollte es gethan haben —
he claimed (or pretended) to have
done it (himself)
or: he wished to have it done (by
another).
Not exactly incorrect but not to be
used in good German.
f. Er hatte es thun wollen —
he would have been willing to do it.
A thorough study of Collar's Eysen-
bach's German Lessons (Ginn & Co.,
Boston) would give G. L. S. all the in-
formation desired on above subjects.
C. Grosse.
Univ. of Penn., Phila.
III. Umschau.
Amerika.
Verniinftige Ansichten
brechen sich Bahn, wenn auch lang-
6am. Bisher war eine Kenntnis des
Griechischen fakultativ fur die Zulas-
Bung zum ,,Yale College". Nunmehr
ist eine Bewegung im Gange, und
President Hadley stellt den wahr-
scheinlichen Erfolg d&rselben in Aus-
eicht, dass das Griechische nicht mehr
fur den Eintritt in das genannte In-
stitut notwendig sein, sondern zum
Wahlstudium gemacht werden wird.
Prauenerziehung. Dem Be-
richte des Erziehungskommissars Dr.
W. T. Harris zufolge graduierten an
den Hochschulen des Landes im Jahre
1899 20,344 Knaben und 36,124 Mad-
chen. Die Gesamtzahl der Knaben an
den Hochschulen betrug 139,187, die
der Madchen 260,413. Diese Zahlen
beweisen, dass die Madchen durch-
schnittlich langer die Schulen besu-
chen als die Knaben. In den meisten
Familien, in denen sich nur eine
Spur von Armut zeigt, muss der Kna-
be, sobald er nur die Volksschule hin-
ter sich hat, sich nach Geldverdienst
umsehen, wahrend keine Anstrengung
gespart wird, der Schwester den Be-
such der Hochschule zu ermoglichen.
214
P'ddagogische Monatsbefte.
Das ,,School Journal" bemerkt dazu
mit Recht: ,,Diese Zustande sind
hochst beklagenswert — nicht dass die
Madchen zu viel Schulung, sondem die
Knaben zu wenig Schulung erhalten.
Wenn auch Geschaftspraxis einen ge-
wissen erzieherischen Wert besitzt, so
kann sie doch niemals eine gute Schu-
lung ersetzen."
Chicago. Der Schulrat Chica-
gos hat das Ansinnen zuriickgewiesen,
verheiratete Lehrerinnen, deren Chi-
cago mehr als 100 hat, abzusetzen, so
lange dieselben ihren Pflichten nach-
kommen. I>ie Bewegung gegeu
diese Lehrerinnen soil von jiingeren
Applikanten ausgehen, die in die
durch deren Entlassung entstehenden
vakanten Stellen einzuriicken hoffen.
Das ,,Chicago Institut e",
von dessen Griindung unter der Lei-
tung von Col. Parker und durch die
Munifizenz von Mrs. Emmons Elaine
wir im vorigen Jahre berichteten, ist
nunmehr mit der Universitat von
Chicago verbunden worden. Ganz ab-
gesehen davon, dass dadurch das
Stammkapital der Universitat um
$2,000,000 erhoht wird, so ist diese
nunmehr auch in der Lage, mehr fiir
das Fach der Padagogik zu thun, als
sie es bisher imstande war.
Schlussfeierlichkeiten
an Hochschulen. Eine zeitge-
masse Verordnung traf kiirzlich der
Schulrat von Chicago. Laut dersel-
ben sind die Schlussfeierlichkeiten der
Hochschulen (graduation exercises)
auf die Schulgebaude beschrankt und
alle unnotigen Extravaganzen, als
kostbare Blumendekorationen und
Musik sind damit abgethan.
Deutschland.
Berlin. Ein Komitee von
Kiinstlern, an dessen Spitze Professor
Max Liebermann steht, will eine Aus-
stellung, ,,D ie Kunst im Leben
des Kinde s", veranstalten, die im
Marz dieses Jahres im Gebaude der
Berliner Sezession stattfinden soil.
Sie wird in drei Abteilungen —
,,Kiinstlerischer Wandschmuck fiir
Schule und Haus", ,,Bilderbiicher",
und ,,Das Kind als Kiinstler" — vor-
fiihren, was auf den genannten Ge-
bieten an brauchbarem Material fur
Deutschland und in erster Linie fur
Berlin — denn bei diesem Bemiihen
wird man stets am besten die heimat-
liche Besonderheit in Betracht ziehen
— bereits vorliegt Sie wird ferner in
einzelnen Proben zeigen, wie man im
Auslande seit Jahren im Dienste die-
ser Gedanken thatig war. Und sie
will schliesslich, und vor allem auf
Lehrer und Eltern, auf Behorden und
Freunde der Kunst und des Erzie-
hungswesens und nicht zuletzt auf die
Kiinstler anregend wirken. Ein Auf-
ruf des Komitees, der die hohe Bedeu-
tung der Kunst fur die Erziehung her-
vorhebt, schliesst mit den Worten:
,,Wir sind uns wohl bewusst, dass mit
der Veranstaltung einer solchen Aus-
stellung nur ein erster Schritt in ei-
nem weiten und vielfach noch uner-
forschten Lande gethan wird. Aber
dieser erste Schritt muss einmal ge-
than werden." — Wir wiinschen nur,
dass er Erf olg und viel Nachf olge ha-
ben mochte.
Wahrend in Berlin f riiher die
Sommerferien fiir die Gemein-
deschulen 4 Wochen betrugen, wurden
sie im vorigen Jahre auf 5 Wochen
ausgedehnt. Eine nun vorgenommene
Statistik hat ergeben, dass die Beur-
laubungen wegen Krankheit der
Schiller und Lehrer gegen die vorher-
gehenden Jahre bedeutend abgenom-
men haben. Man schreibt dieses giin-
stige Resultat der langeren Ferien-
dauer zu. Die stadtische Schuldepu-
tation hat deshalb in ihrer letzten
Sitzung beschlossen, auch heuer die
Sommerferien auf 5 Wochen festzu-
setzen.
Aachen Vor einigen Jahren
kam plotzlich eine Liebhaberei
fiir Blumen in den Schulen auf.
durch deren sinnige Betrachtung und
sorgsame Pflege das kindliche Gemiit
tief ethisch beeindruckt werden soll-
te. Das ging so eine Zeitlang, nun
hat aber die Konigl. Regierung zu
Aachen gefunden, dass eine regelma-
ssige griindliche Liiftung der Klassen-
zimmer wahrend der Pausen wertvol-
ler sei als Blimercher an den Fenstern
und hat in einem Rundschreiben an
die Kreisschulinspektoren erstere an-
geordnet, letztere verbannt. Sic tran-
sit gloria florum.
Elsass - Lothringen. Mit
welchem Erfolg die deutsche Volks-
schule im Reichslande gewirkt hat,
ergiebt sich aus folgenden Ziffern:
Bei der 1866 vorgenommenen Zah-
lung nahm der Niederrhein unter al-
ien franzosischen Departements den
ersten Platz in Bezug auf Schulbil-
dung ein. Die Zahl der Analphabeten
betrug 5,44 Prozent; an 6. Stelle folgte
Meurthe mit 10,20, an 9. Stelle Ober-
rhein mit 13,60 und an 19. Stelle Mo-
sel mit 20,20 Prozent. Personen, wel-
che die damalige Zahlung mitgemacht
haben, versichern, dass diese Ziffern
erheblich hinter der Wirklichkeit zu-
riickstehen, weil zahlreiche Personen
aus naheliegenden Griinden den Man-
gel an Schulbildung zu verheimlichen
VermiscUes.
215
suchten. Bei den 1875/76 eingestellten
Eekruten, deren Schulzeit noch in die
franzosische Zeit fallt, wurden noch
3,45 Prozent Analphabeten festge-
stellt. Von da ab macht sich ein ste-
ter Riickgang bemerklich. 1891/92
waren nur noch 0,37 und 1893/94 noch
0,30 Prozent der eingestellten Rekru-
ten ohne Schulbildung. Bei der letz-
ten Einstellung waren deren gar nur
noch 4 vorhanden, was einem Prozent-
satz von 0,05 entspricht. Selbst diese
wenigen Analphabeten fallen der
Schvilverwaltung nicht zur Last. Es
bandelt sich dabei in der Eegel urn
junge Leute, die wahrend ihres schul-
pflichtigen Alters sich nit ihren El-
tern im Auslande aufgehalten haben.
Im Jahre 1877/78 hatten 17,8 Prozent
der Eingestellten nur franzosische
Schulbildung aufzuweisen. Diese Zif-
fer ist 1891/92 auf 5,44 Prozent zuriick-
gegangen und in den letzten Jahren
sind iiberhaupt Rekruten, die nicht
wenigstens notdiirftig deutsch lesen
und schreiben konnen, nur ausnahms-
weise zur Einstellung gelangt. Das
Sprechen des Deutschen lasst dagegen
bei den aus dem f ranzosischen Sprach-
gebiet stammenden Leuten noch viel
zu wiinschen iibrig.
England.
Wie berichtet wird, hat sich der Vi-
zeprasident des englischen Unter-
richtsministeriums, Sir John Gorst,
auf einer Versammlung in der Stan-
dehalle sehr abfallig liber die
britischenSchulen geau-
s s e r t. Er nannte das dortige Un-
terrichtssystem eine fortlaufende
Reihe von Fehlern, die meist in der
schlechten Bezahlung der Lehrkrafte
ihre Erklarung zu suchen hatten. Das
Resultat ware fast immer das gleiche;
man betrachte die Kinder als grosse
Arbeitsmaschine und iiberbiirde sie
mit unnotigem Lehrstoff. Ausserdem
hatte es den Anschein, als ob man die
Schiller ohne eigentliche Lust und
Liebe, die der Beruf des Lehrers ja
von vornherein unbedingt erfordere,
unterichte, sondern sie lediglich als
Mittel zum Zwecke betrachte, um von
der Regierung Brotstellen einfordern
zu konnen. Der Unterricht erfolge
vollig maschinenmassig und die Kin-
der wurden gleich vollendeten Tieren
behandelt, die in verschiedenen
Kunststiicken gedrillt und als Schau-
objekt fiir Ausstellungsbesucher be-
niitzt werden. Nach dem Verlassen
der Schule ware es stets Regel, dass
das Kind wieder in seine urspriingli-
che Dummheit und Unwissenheit ver-
fiele und in kurzer Zeit alles Erlernte
vergasse.
Frankreich.
A 1 1 gemeine Schulpflicht.
Aus Zeitungserorterungen geht her-
vor, dass die Durchfuhrung der allge-
meinen Schulpflicht in Frankreich
seit dem 20jahrigen Bestehen dieser
Einrichtung noch immer zu wiinschen
lasst; vier Prozent der schulpflichti-
gen Kinder besuchen keine Schule,
und von den Kindern, welche die
Volksschule besuchen, fehlen viele
wahrend eines Funftels, eines Viertels
und eines Drittels des Schuljahres.
IV. Vermischtes.
Welches ist das dichtest
bevolkerte Land? Nach dem
Reichsanzeiger steht Agypten oben-
an; dort komme auf einen Quadratki-
lometer 290 Personen; in Belgien 226
Personen. Die Niederlande haben 154,
Grossbritannien 128, Japan 114 und
Italien 110 auf je einen Quadratkilo-
meter. Deutschland steht nach der
Volkszahlung von 1895 erst auf sie-
benter Stufe mit 97, Osterreich mit
84, Schweiz 78, Frankreich 73, Dane-
mark 60, Ungarn 58, Serbien 50, Ru-
manien 51, Griechenland 38, Spanien
mit 35 Einwohnern auf einen Quadrat-
kilometer. Dann tritt eine langere
Pause ein und es folgen Schweden mit
11, die Vereinigten Staaten 10, Nor-
wegen 7, Russland 6, Mexiko 6, Chile
4, Argentinien und Brasilien 2. In
China, das man gewohnlich fiir sehr
dicht bevolkert halt, kommen nur 32
auf den Quadratkilometer mit Aus-
nahmc der Provinz Schantung mit 172
und Kianffu mit 200 Einwohnern auf
den Quadratkilometer.
Die Korperstarke bei
Knaben und Madchen. Da-
riiber hat Professor Christopher in
Chicago wichtige Beobachtungen ver-
offentlicht.. Er liess Schulkinder bei-
derlei Geschlechtes mit dem Mittel-
finger der rechten Hand ein Gewicht
von 7 Prozent des Eigengewichtes he-
ben und senken. Das Gewicht war in
90 Sekunden 45mal zu heben. Die Leis-
tung der Madchen war geringer als
die der Knaben von gleichem Alter.
Bei Madchen erreicht die Arbeitsleie-
tung mit dem 14. Lebensjahre das
Hochstmass und wachst bis zum 20.
Jahre nicht mehr. Bei Knaben ist
216
P'ddagogische Monatsbefte.
eine gleichmassige Steigerung der
Arbeitsleistung mit dem Alter wahr-
zunehmen und ist mit dem 20. Le-
bensjahre etwa doppelt so gross als
bei Madchen. Die korperliche ttber-
legenheit halt etwa mit der geistigen
im allgemeinen gleichen Schritt.
Ahnliche Versuche, die MacDonalds in
Washington an 12,000 Kindern mach-
te, hatten ahnliche Ergebnisse. Der-
selbe stellte noch fest, dass im Som-
mer geborene Kinder viel starker, we-
niger schwerfallig und geistig vorge-
schrittener sind als Kinder von glei-
chein Alter, die im Winter geboren
wurden.
Eussland hat kiirzlich das d e -
zimale Mass- und Gewichts-
system eingefiihrt. Wie lange
werden die Vereinigten Staaten noch
bei ihrem veralteten und schwierigen
Mass- und Gewichtssystem aushar-
ren?
Im Union Club zu Boston machte
Prof. Charles Eliot N orton
gelegentlich eines Vortrages die Be-
merkung, dass Theodore Eoosevelt
die argste Enttauschung der Jetztzeit
sei. Zur Erlauterung dieser Behaup-
tung dienen seine eigenen Worte:
"The ideals of our own community
are not now so firmly set on higher
things as they were in earlier youth.
At the time of the Rebellion our
young men were inspired with more
noble motives. There was no boast-
fulness in the hearts of those who
went to the Civil war. There was
none of the Eough Eider spirit. They
had a serious purpose. They were not
brutal."
Ein wahres Wort Mark
T w a i n s. Die Vereinigung mann-
licher Lehrer New Yorks hatte als
Ehrengast bei ihrem am 16. Marz ge-
gebenen gemeinschaftlichen Abend-
brot Herrn Samuel L. Clemens (Mark
Twain) in ihrer Mitte. Staats-Schul-
superintendent Skinner erging sich in
optimistischen Ergiissen iiber die Er-
ziehung zum Patriotismus, worauf der
grosse Schriftsteller dem "School
Journal" zufolge, folgende ernstge-
meinte Worte sprach: "Mr. Skinner is
much better satisfied with present
conditions than I am. But he is an
older man and has nearly as good
principles. This is the way I would
teach patriotism in the schools: "I
would leave out the old maxim, 'my
country, right or wrong,' and make it
'my country, when she's right. ' Chil-
dren ought not to be instructed to
accept obediently whatever brand of
patriotism is handed down from the
head of affairs. Let them think for
themselves."
Bei derselben Gelegenheit erhob ein
Schulkommissionar Charles C. Bur-
lingham Anklagen gegen den Unter-
richt der franzosischen und deutschen
Sprache an den Elementarschulen
New Yorks. (Es lage uns daran, da-
riiber Genaueres von unseren New
Yorker Kollegen zu erfahren. D. E.)
Einfluss derFarben auf
dieNerven. Durch vielfache Ver-
suche ist nachgewiesen, dass die ro-
ten Farbentone des Spektrums einen
aufregenden Einfluss auf die Nerven
ausiiben, dass dagegen Violett, Blau
und Griin beruhigend auf dieselben
wirken. Allbekannt ist es, wie Tiere
(Puter, Bullen) durch die rote Farbe
in Aufregung geraten, und wie blaue
Glaser zur Beruhigung der Pferde die-
nen. Aber auch am Menschen ist der-
selbe Einfluss zu merken. So konnte
man in dem grossen photographi-
schen Institut der Herren Lumiere zu
Lyons (Frankreich) bemerken, dass
die Arbeiter an den photographischen
Flatten, so lange dieselben in einem
Zimmer mit rotem Licht hergestellt
wurden, sangen und zu Unterhaltung
und Scherz geneigt waren, dass sie
aber, seitdem. grimes Licht zur Her-
stellung der Flatten benutzt wird, ru-
hig und teilnahmslos bleiben, dafiir
aber auch am Abend weniger mvide
als fruher seien. Diese Beobachtun-
gen geben wichtige Fingerzeige zur
Behandlung Nervenleidender.
Ausder guten altenZeit.
Polizist: „!' sag's ja allweil: es is ka
Gottesfurcht mehr auf der Welt ka'
Achtung vor der Obrigkeit und ka' gar
nix!" — Aktuar: ,,Um Himmelswillen,
was ist denn wieder geschehen?" —
Polizist: ,,Die Schulbuabn, diese ver-
kommene Bande, ham draussen am
Anschlagbrett in der eigenhandigen
Verordnung vom Herrn Oberamtmann
die Schreibfehler korrigiert!"
Aus Schiilerheften. Der
Frosch ist nicht gleich fertig. Es
werden noch Verwandlungen mit ihm
geschehen. Zuerst legt das Weibchen
Eier. Diese heissen Leichen. Der
Frosch kann sie nicht ausbriiten,
denn sie haben kaltes Blut. Anfangs
haben sie Schwanzchen, eine Zeit her-
nach fallt das Schwanzchen ab und
der Frosch ist fertig.
Die Mutterlieb' ist reich durch
stetes Geben
Sie ist schon gliicklich, wenn sie wei-
nen kann;
Dem Taue gleicht ihr sorgenvolles
Leben —
Er setzt sich nur in kiihlen Nachten
an.
Karl Gutzkow.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. Mai 1901. Heft 6
(Offiziell.)
Entwurf fur Abanderung der 5tatuten des Natio*
nalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes,
(Angenommen 1895. Revidiert 1896, 1897, 1900.)
I. Zwecke.
§ 1. Der nationale deutschamerikanische Lehrerburid bezweckt:
a) Die Erziehung wahrhaft freier amerikanischer Staatsbiirger,
b) Propaganda zu machen fur naturgemasse (entwickelnde) Brziehung In
Schule und Haus,
c) die Pflege der deutschen Sprache und Litteratur neben der englischen, und
d) die Wanning der geistigen und materiellen Interessen der deutschen Leh-
rer in den Vereinigten Staaten.
§ 2. Die Bundeszwecke werden angestrebt:
a) Durch im Juli cxier August abzuhaltende Versammlungen,
b) durch Ernennung und Unterstiitzung eines Bundesorganea,
c) durch Errichtung von Zweig- und Lokalvereinen,
d) durch Teilnahme an der Verwaltung des nationalen deutsch-
amerlkanischen Lehrers e m i n a r s.
II. Organisation des Bundes.
§3. Der nationale deutschamerikanische Lehrerbund ist elne Vereinigung
von Lokalvereinen deutschamerikanischer Lehrer und Erziehungsfreunde,
Bowie von Einzelmitgliedern zu einem festen Verbande.
§4. Der Bund gliedert sich in B e z i r k e, aus denselben zugehorigen L o-
kalvereinen und Einzelmitg 1 i ed er n bestehend. Jeder Bezirk
wahlt einen Lokalverein als Vorort, und dessen Vorstand liegt die Leitung dea
betreffenden Verbandes ob.
218 P'ddagogische Monatsbefte.
85. Die oberste gesetzgebende Behorde des nationalen
deutschamerikanischen Lehrerbundes 1st seine Tagsatzung. Kein Bezirkslehrer-
tag dart wabrend der Abhaltung des Bundeslehrertages stattflnden.
S 6. Die oberste Exekutivbehorde ist der Bundesvortand. Dieser be-
eteiit aus neun von dem Bundeslehrertage zu wahlenden Mitgliedern und funk-
tioniert bis zum Schlusse der nachsten regelmassigen Tagsatzung desselben. Die
Vorstandsmitglieder wahlen aus ihrer Mitte einen Prasidenten, einen ersten und
zweiten Schriftfiihrer und den Schatzmeister. Ausser diesen Beamten wahlt der
Bundesvorstand einen standigen Geschaftssekretar, der ein jahrliches Gebalt be-
ziehen soil.
5 7. Die in Paragraph 6 benannten Beamten bilden den Vollzugsaus-
B c h u s s des Bundesvorstandes und das Bureau des nachsten Bundeslehrertages,
Der Vollzugsausschuss besorgt alle laufenden Geschafte nach den allgemeinen
Anordnungen des Bundesvorstandes, er bewirkt nach Kraften die Ausfiihrung
der Beschliisse und der Auftrage der Bundesversammlungen, er hat das Recht,
sich zu erganzen, und soil die Hauptergebnisse seiner Beratungen im Bundes-
blatte bekannt machen. Insbesondere liegt dem Vollzugsausschusse die Agi-
tation fur Bildung von Lokalvereinen, die Organisation derselben zu aus einem
oder mehreren Staaten bestehenden Bezirksverbanden und der geschaftliche
Verkehr mit den Bezirken ob. Er hat mit Beriicksichtigung berechtigter Wun-
sche dieser Verbande und des Jeweiligen fiir Veranstaltung des Bundeslehrerta-
ges organisierten Ortsausschusses die Geschafts- und Tagesordnung desselben
festzustellen und dieselben mindestens zwei Monate vor dem Zusammentritt der
Konvention im Bundesorgan zu veroffentlichen. Er empfangt von den iibrigen
Ausschiissen Berichte iiber deren Tfiatigkeit, verwaltet das Bundeseigentum,
veroffentlicht durch den Schriftfiihrer die von ihm beglaubigten Protokolle des
Bundes, fiihrt die Listen derBundesmitglieder und publiziert dieselben im Bun-
desorgan; er erstattet dem Bunde am Bundeslehrertage Bericht und iibergiebt
am Ende des letzteren dem neuerwahlten Bundesvorstande die Akten und das
Bundeseigentum.
§ 8. Als standigeA u sschiisse werden von jedem Bundeslehrertage
fiir verschiedene Zweige des Erziehungswesens und des Unterrichtes, sowie fiir
die deutschamerikanische Schulstatistik je nach Bediirfnis eine Anzahl Abtei-
lungen ernannt, welche aus drei Oder mehr, wenn moglich an ein und demselben
Orte wohnhaften Mitgliedern mit dem Rechte der Erganzung und Verstarkung
bestehen. Sie bilden zugleich die standigen Ausschusse fiir den nachsten Bun-
deslehrertag und haben demselben ausfiihrliche Berichte iiber ihre Thatigkeit
zu erstatten. Die Namen und Adressen, die Mitglieder dieser und aller ubrigen
Ausschusse, sowie alle etwaigen Veranderungen sind im Bundesorgan mitzutei-
len. Sie treten ihr Amt am Schlusse des nachstfolgenden Bundeslehrertages
ihren Nachfolgern ab und iiberweisen ihnen schriftlich alle unerledigten Ge-
schafte. Wenn ein Mitglied eines der vorerwahhlen stanaigen Ausschusse sei-
nen Pflichten nicht nachkommt, soil der Bundesvorstand dasselbe absetzen und
eine Erganzung vornehmen konnen.
59. DieTeilnahmeanderVerwaltungdesnationa-
len deutschamerikanischen Seminars ist folgendermassen
geregelt
a) Der Lehrerbund schlagt Jedes Jahr durch den Bundesvorstand dem na-
tionalen deutschamerikanischen Seminarverein vier Mitglieder vor, von denen
.der Seminarverein zwei mit dreijahriger Amtsdauer erwahlt Diese Fachleute
bilden das standige Seminarkomitee dea Verwaltungsrates des nationalen
deutschamerikanischen Lehrerseminars.
Entwurf fttr Ab'dnderung der Statuten. 219
b) Der Lehrerbund wahlt alljahrlich aus der Relhe der stimmbereehtigten
Mitglieder ein aus dreien bestehendes Priifungskomitee fiir das Seminar. Bi-
nes dieser Mitglieder soil in Milwaukee und die a n-
derninirgendwelchenStadtendesLandesansassig
8 e i n. Dieses Komitee soil dem Bundesvorstand und dem Verwaltungsrat des
Seminars genauen Bericht abstatten. Die Auslagen des Priifungskomitees wer-
den aus der Bundeskasse b'estritten, und sollen die Summe von fiinf-
zigDollarsnichtiiberstei g e n. Eintretende Vakanzen in dem Prii-
fungskomitee werden vom Bundesvorstande ausgefiillt.
§ 10. Die Lokalvereine jedes Bezirkes halten ihre Versamm-
lungen nach Bediirfnis ab und vereinigen sich auf Veranlassung ihres Vorortes
in Gemeinschaft mit den Einzelmitgliedern des Verbandes zu einem Bezirks-
lehrertag. Die Thatigkeit der Lokalvereine wird durch den Vorort des Be-
zirks geregelt. Zu den Bundesslehrertagen wird von den Lokalverei-
nen fiir je zehn ihrer Mitglieder ein D e 1 e g a t erwahlt und durch den be-
treffenden Vorort mit Legitimation versehen. Ein jeder Delegat ist zu einer
Stimme berechtigt; er kann jedoch auch, wenn dazu beauftragt, mehrere oder
Bamtliche Stimmen eines Bezirks vertreten.
§11. Einzelmitglieder sind zur Teilnahme an den Bezirks- und
Bundeslehrertagen berechtigt und reprasentieren eine Stimme.
III. Mitgliedschaf t und Beitrage.
§ 12. Die Mitgliedschaft des nationalen deutschamerikanischen Leh-
rerbundes konnen erwerben:
a) Lokalvereine deutscher Lehrer und Erziehungsfreunde, sowie deutsche
•Gesellschaften, welche verwandte Ziele verfolgen,
b) einzelne deutsche Lehrer und Erziehungsfreunde.
c) Der Bundesvorstand soil ermachtigt sein, solche Burger, die sich um das
Erziehungswesen vex •'ient gemacht haben, als Ehrenmitglieder aufzunehmen.
Die A u f n a h m e\ '^t durch den Vollzugsausschuss des Bundesvorstandes
statt. EinzelmitgliederVcihlen einen regelmassigen Jahresbeitrag von einem
Dollar. Ein jeder Besucher des Lehrertages zahlt einen Dollar als Jahresbei-
beitrag. Bezirks- Oder Lokalvereine zahlen fiir je zehn Mitglieder einen Jah-
resbeitrag von einem Dollar und sind dadurch zur Abgabe von einer Stimme fiir
Je zehn Mitglieder berechtigt. Die Bezirksverbande sind fiir die piinktliche und
regelmassige Berichtigung der Vereinsbeitrage verantwortlich. Die Mitglied-
schaft erlischt durch schriftliche Abmeldung beim Vollzugsausschusse des Bun-
<iesvorstandes oder durch Ausschliessung. Letztere kann nur auf Antrag des
Bundesvorstandes wegen riickstandiger Leistung der Jahresbeitrage oder auf
Antrag von mindestens fiinfundzwanzig Mitgliedern mit Angabe der Griinde,
welche dem Bundesvorstande drei Monate vor dem Zusammentritt des Bundes-
lehrertages eingereicht werden, durch letztgenannten erfolgen.
IV. Vermogensverwaltung.
§ 13. Die Bundeskasse wird von dem Vollzugsausschusse verwaltet
Dieser setzt die Hohe der Biirgschaft des Schatzmeister fest, nimmt dieselbe in
Empfang und hat das Recht fiir ausserordentliche Zwecke von den vorhandenen
Geldern Summmen bis zum Gesamtbetrage von fiinfzig Dollars innerhalb einea
Jahres zu verwenderi.
V. Abstimmnngen.
a) Die Abstimmung bei den Tagsatzungen des Lehrerbundes soil durch ein-
fache Majoritat der anwesenden Mitglieder entschieden werden. Bei Bewilli-
220 P'ddagogiscbe Monatshefte.
gungen von Geldern und Vorschlagen zur Abanderung der Statuten sollen nur
die Stimmen der Delegaten gezahlt werden, sowie die der einzelnen Mitglieder.
b) Die Wahlen des Bufldesvorstandes geschehen durch Stimmzettel, alle an-
dern Abstimmungen in Versammlungen viva voce, doch muss auf Verlan-
gen eine Teilung vorgenommen werden.
c) Der Vollzugsausschuss kann zu irgend einer Zeit eine Urabstimmung
iiber Antrage veranlassen. Solche Antrage miissen im Bundesorgan oder durch
ein Rundschreiben an die Bundesmitglieder bekannnt gemacht werden. Zur
Abstimmung soil mindestens ein Monat Zeit nach dieser Bekanntmachung ge-
geben werden.
d) Wenn fiinf Mitglieder des Bundesvorstandes oder funfundzwanzig Bun-
desmitglieder, bezw. Stimmen, es schriftlich verlangen, muss der Vollzugsaus-
schuss eine Urabstimmung fiber irgend eine vorliegende Frage veranstalten.
VI. Statntenandernng. '
§ 15. Ein Antrag auf Abanderung der Statuten kann in irgend einer Sitzung
des Bundeslehrertages, ausser der Schlusssitzung, eingebracht werden, darf aber
erst in der nachsten Sitzung zur Debatte und Abstimmung gebracht werden.
Wenn drei anwesende Mitglieder es schriftlich verlangen, muss iiber eine ange-
nommene Statutenveranderung vom Vollzugsausschusse innerhalb zweier Mo-
nate eine Urabstimmung veranlasst werden.
VII. Nebengesetze.
§ 16. Nebengesetze konnen vom Bunde jederzeit den Statuten hinzugefxigt
werden, falls sie nicht den oben niedergelegten Bestimmungen zuwiderlaufen.
An die Mitglieder des Nationalen Deutschamerikanisciien Lehrerseminars.
Die re g el m a s s i ge Generalversammlung des ,,N a t i o-
nalen Deutschamerikanischen Lehrerseminarver-
e i n s" flndet am
Montag, dem 24. Juni, vormittags 9 U h r
im Seminargebaude (558 — 568 Broadway) statt.
Wer dieser Versammlung nicht personlich beiwohnen kann, moge sich ver-
treten lassen, und wir fxigen zu diesem Zwecke eine Vollmacht (proxy) bei, welche
die eigenhandige Unterschrift des Mitgliedes oder des Vorsitzenden und Schrift-
fuhrers des Vereins und die Stimmenzahl, auf die der Vertreter Anspruch hat,
enthalten muss. Nach dem Vereinigten Staaten-Gesetz muss jede Vollmacht
(proxy) mit einer 10 Cents-Steuermarke (Revenue Stamp) versehen sein.
Ausser den gewohnlichen Routinegeschaften liegt auch dieErwahlung
von 5 Direktoren auf 3 Jahre an die Stelle der verstorbenen JHerren
W. H. Rosenstengel, Madison, Wis., Henry Raab, Belleville, 111., und Ferd. Kiihn,
Milwaukee, Wis., vor, sowie der Herren Louis F. Frank, Milwaukee, Wis., und
Gottlieb Miiller, deren Amtszeit mit dem Schluss der Generalversammlung zu
Ende geht.
Die regelmassige Versammlung des Verwaltungs-
r a t s flndet am 23. J u n i d. J., morgens 9 Uhr, im Seminargebaude statt
Milwaukee, Wis., 25. April 1901.
Der Vollzugsausschuss des N. D. A. Lehrerseminarvereins:
i Louis F. Frank, Prasident.
Albert Wallber, Sekretar.
Zum nachsten Lehrertage.
(Fflr die Padagogischen Monatshefte.)
Von Pencil Vania.
In den Vereinigten Staaten giebt es wohl iiber 6000 deutsche Lehrer
und Lehrerinnen. Die Zahl der Mitglieder des Nationalen Deutschameri-
kanischen Lehrerbundes betragt kaum ebenso viele hundert. Ein in die
Verhaltnisse nicht Eingeweihter konnte glauben, dass der Bund nur kurze
Zeit bestehe und dass sich daraus eine so kleine Mitgliederzahl erklare;
allein der Bund ist iiber seine Jugend langst hinaus; er ist sogar, nacih
amerikanischer Ansicht, ein schon ziemlich alter Verein, denn sein Alter
belauft sich auf voile dreissig Jahre. Der schwachen Beteiligung an sei-
nen Bestrebungen entsprechend ist auch die Teilnahme an den deutsch-
amerikanischen Lehrertagen stets eine sehr diirftige gewesen. Es waren
iru letzten Sommer in Philadelphia kaum 100 auswartige Lehrer und Leh-
rerinnen versammelt. So muss denn wohl, wenn man keine schlechte
Leitung annehmen will — wozu Ursache kaum vorhanden ware — dieses
die Wahrheit sein, dass die grosse Mehrzahl unserer deutschen LeEren
fur das Vereinsleben uberhaupt keinen Sinn hat.
Diese Thatsache ist gewiss trauriger Natur. Was wird ein Lehrer,
der sich zu seinen Berufsgenossen nicht hingezogen fuhlt, den es nicht
clrangt und treibt, mit den Kollegen Schul- und Lehrerfragen gemeinsami
zu besprechen — 'was wird der in seiner Schule leisten? Von wenigeni
Ausnahmen, die sich aus besondern Verhaltmssen erklaren und rechtfer-
tigen, abgesehen, ist ein solcher Alleinsteher ein rechter Lehrer nicht, kann
es nicht sein. Ihm feMt die Liebe zu seinem Amte, die Liebe, die ganz
naturgemass das Verlangen nach Vervollkommnung und Belehrung setzt
und eine Einweihung in die Ansichten und Erfahrungen Anderer, Gleich-
gesteillter, gebieterisch erheischt. Kein Lehrer kann sich selbst genug
sein, einen Teil seiner Kraft muss er aus fremden Quellen schopfen.
Diese Wahfheit wird ganz besonders da empfunden, wo deutscfie Lehrer-
vereine unmoglich sind. Und woher sollen nun die Lehrer das schopfen,
was sie aus eigener Erfahrung nicht wissen konnen? Aus Buchern? Sie
kommen meist aus weiter Feme, oft aus fremden Landern, sind somit
Friichte, gereift unter Verhaltnissen, die der Heimat nicht entsprechen.
Sie sollen hiermit nicht verdammt und nicht verbannt werden, sie miissen
in der Rustkammer des Lehrers einen vornehmen Platz behalten. Aber
den personlichen Verkehr mit Berufsgenossen, mit raumlich nahen und
unter gleichem Wind und gleicher Sonne ein gleiches Ackerfeld bebauen-
den Kollegen konnen sie niemals entbehrlich machen. Wer andera
spricht, der liigt, und wehe dem, der liigt!
222 P'ddagogiscbe Monatsbtfte.
Der Lehrer soil einem Yereine angehoren — das-ist das Eine; er soil
ein lebendiges Glied seines Vereines sein — das ist das Andere. Fehlt
es an dem Einen nodi gar sehr, so steht es um das Andere wo moglich
noch schlechter. Findet der Lehrertag, der ja doch bis jetzt nur als die
Generalversammlung des Lehrerbundes angesehen werden kann, auch nur
einmal im Jahre statt, so sieht man doch sehr wenige Mitglieder des
Bundes auf demselben vertreten. Ein Grund fur das Ausbleiben ist im-
mer leicht gefunden. Bald helfen Familienverhaltnisse, bald anderweitige
— wichtigere ! — Zusammenkunfte ; bald hilft vorgeschiitztes Unwohl-
sein, das heisse Wetter, der weite Weg, die hohe Fahrrate. Sie konnten
kommen, aber sie wollen nicht, denn — sie mogen nicht. Es fehlt eben
das innere, treibende Feuer, die moralische Kraft, die sicH an der Liebe
zur Sadie nahrt. Und die sogenannten Lehrertagsbesucher, Nichtmit-
glieder des Bundes, aber Schulfreunde — besser LeErertagsfreunde, die
sich von Jahr zu Jahr einstellen, sind ein sehr zweifelhafter Ersatz fiir die
fehlenden Lehrer.
Ein Blick auf andere Berufskreise kann das strenge Urteil, das uns
treffen muss, nicht mildern. Sehen wir, um nur ein Beispiel zu haben,
auf die Arbeiter einer Grossstadt. Hat so ein armer Kerl des Tages Last
und Hitze getragen, so findet ihn der Abend doch noch stark und willig,
in seinen Verein zu gehen. Da wimmelt's auf den Strassen von ge-
schwarzten, in Schweiss gebadeten Gestalten, in ganzen Bataillonen rucken
sie an, ein schier endloser Strom, viel zu machtig, um in dem Versamm-
lungslokale Raum zu finden. Woher dieser Trieb und Drang zu (Ten Ge-
nossen ? Aus dem Gemeinsinne, aus dem Interesse fiir das Wohl des
Standes. Vor diesem Interesse tritt alles Andere zuriick ; selbst die Ge-
fahr, als Ruhestorer ergriffen und der Freiheit beraubt zu werden, schreckt
den Mann nicht in seine armliche Wohnung. Was in der Versammlung
geschehen soil, das betrifft ihn, und seinem einfachen, aber gesunden Ver-
stande wiirde es nimmer eingehen, dass er zu Hause bleiben solle.
Nehmen wir dagegen den letzten deutschamerikanischen Lehrertag,
der in Philadelphia abgehalten wurde. Von den schon erwahnten 6000
deutschen Lehrern und Lehrerinnen des Landes waren vielleicht hundert
beisammen. In fruheren Jahren war die Beteiligung manchmal noch ge-
ringer. Solche Erfahrungen geben zu denken. Die Griindung des Leh-
rerbundes fallt in jenes glorreiche Jahr, in welchem ,,deutsche Kraft" auf
dem Boden Frankreichs die Franzosen zermalmte, und heute — nach drei-
ssig Jahren, lasst ,,deutsche Kraft" 6000 deutsche Lehrer und Ldirerinnen
von einer echt deutschen Sache ruhig fern bleiben. Umstande verschlim-
mern diese Sachlage noch mehr. Die Lehrertage sind eigens dazu auf die
Ferienzeit angesetzt, die Tagesordnung war mit Geschick und Sorgfalt zu-
sammenstellt worden, die Gastfreundschaft der Burger hat des Guten eher
zu viel als zu wenig gethan. Wir geben zu, die Stadt Philadelphia ist nicht
Zum ndcbsten Lebrertage. 223
zentral gelegen; wir mochten aber fragen: Wo waren denn die deut-
schen Lehrer und Lehrerinnen von Pennsylvanien, von Maryland, New
Jersey, New York, deren Zahl sich doch gewiss auf mehr als 500 belauft?
So, liebe Freunde, sollte es nicht sein und nicht bleiben. Was soil
nun geschehen, um eine Besserung in dieser Sache anzubahnen? Jemandf
hat behauptet, dass die Lehrertage mehr geistige Anregung und mehr
Genuss bieten konnten und sollten. Ersteres mag wahr sein, letzteres be-
zweifeln wir. Wir glauben im Gegenteil, dass eine weise Einschrankung
der Vergnugungen nur dazu beitragen konnte, den Lehrertagen und dem
Bunde zu Ansehen und Erfolg zu verhelfen. Inwiefern? — davon wollen
wir spater einmal reden. Was nun die geistige Anregung betrifft, d. h.
den eigentlichen Zweck der Lehrertage fur die Lehrer, so Hesse sich an
den bisherigen Programmen manches aussetzen. Wir wollen fur dieses-
mal nur einen Punkt beriihren. Die Zahl der Hauptvortrage ist nicht
nur zu gross, sondern diese Vortrage sind auch an und fur sich meistens
zu lang. Dadurch wird den Debatten zu wenig Raum zugemessen. Da-
zu kommen dann noch die schrecklichen Bandwiirmer, Komiteeberichte
genannt, auf deren Verlesung kein Mensch hort. Auf den Lehrertagen
werden in der Regel sehr gediegene und aussert sorgfaltig ausgearbeitete
Vortrage gehalten, die gewiss manch Kornlein edlen Samens ausstreuen
und schone Fruchte bringen werden. Aber drei oder gar vier Vortrage
in einer Versammlung, die dann noch diskutiert werden sollen — das ist
den eifrigsten Teilnehmern doch zu viel; die Leute driicken sich. Ein
Referat sollte hochstens eine halbe Stunde wahren und nie etwas anderes
sein, als ein Rahmen fur eine Debatte. Mancher hatte schon Gedanken
— gesunde Gedanken, aber der Referent hat seinen Faden so lang gespo-
nen, dass die Versammlung schon ermudet ist und dem willkommenen
Antrag auf Schluss der Debatte sofort seine Zustimmung erteilt. Da
geht dann der Vorteil, der eben aus einer vielseitigen Auffassung und Be-
'handlung des Gegenstandes fliesst, ganz verloren. Bei Vieleh erstirbt
auch das Interesse an den Verhandlungen an den verhaltenen Gedanken.
Statt die Geister zu erwarmen und anzuziehen, stosst die Zusammenkunft
dieselben ab, statt geistiges Leben zu pflanzen, erzeugt sie den geistigen
Tod.
Mit den schon oben erwahnten unvermeidlichen Komiteeberichten
wird auf den Lehrertagen sehr viel Zeit totgeschlagen. Dies wird auch
nicht besser werden, so lange die sogenannten standigen Ausschiisse all-
jahrlich neu ernannt und organisiert werden. Man mache diese Aus-
schiisse wirklich standig, und lasse sie Berioht erstatten, wenn sie etwas
zu berichten haben. Einschlagige und gelegentliche Fragen mogen ihnen
zur Untersuchung und Berichterstattung zugewiesen werden, aber man
erwarte keine Berichte von ihnen, wo nichts zu berichten ist". Eisner fiihl-
224 P'ddagogische Monatsbefte.
ten die Mitglieder dieser Ausschusse sich oft in der Rolle des bekannten
Kaisers, der nichts bieten kann, weil er nichts zu holen hat.
Hoffentlich liegen die Vorbereitungen zum nachsten Lehrertage in
guten Handen. Der Bundesausschuss besteht zum grosseren Teile aus
alten und erprobten Kraften; die Fehler, die bisher gemacht wurden, kon-
nen ihnen nicht entgangen sein. Der Lehrertag soil in Indianapolis statt-
finden; diese Stadt hat noch nie einen deutschen Lehrertag in fHren Mau-
ern gesehen. Hoffen wir nun, dass unsere Versammlung in Indianapolis
den Anfang einer neuen Epoche in der Geschichte dieser hochst wichtigen
Versammlungen bedeute, und dass der einunddreissigste Lehrertag dem
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbunde ein wirklicher Ehrentag
sein moge.
Flachsmann als Erzieher.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von Oscar Burckhardt, Milwaukee, Wis.
Am 31. Marz hielt der vielbesprochene ,,Flachsmann als Erzieher"
seinen Einzug in unserer guten Stadt Milwaukee. Er ist, sozusagen, iiber
Nacht beruhmt gewordcn ; gekannt hatte man ihn zwar schon seit langem,
aber er fristete mehr ein seiner ganzen Anlage entsprechendes Dunkel-
dasein, aus welchem ihn erst Otto Ernst ans Tageslicht, oder, besser ge-
sagt, ans Licht der Rampen gezogen hat. Da ist er denn ein hochwill-
kommener Cast, denn er erfiillt alles, was Theaterdirektor, Schauspieler
und Publikum fiiglich verlangen diirfen: dem ersten bringt er eine Reihe
voller Hauser, den Schauspielern ,,gutliegende" Rollen, dem Publikum
aber ein paar hochst vergniigte, im guten Falle auch anregende Stunden.
Wenn sich nebenbei etliche iiber ihn argern und in moralischer Ent-
riistung gegen die Profanation der heiligen deutschen Schule und die Ver-
unglimpfung des beinahe noch heiligeren deutschen Lehrerstandes Protest
erheben, so bewirken sie nur das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigten;
sie machen fur das Stuck im vornhinein ,,Stimmung" und verschaffen ihm
eine Popularitat, die es bei aller Vortrefflichkeit in solchem Ausmasse
nicht finden mochte.
Ist nun die Komodie, als welche Otto Ernst sein Werk bezeichnet,
lediglich eine Polemik gegen die Schulverhaltnisse in Deutschland? Das
Publikum, die iiberwaltigende Mehrheit der deutschen Lehrer, der Dichter
selbst sagen : nein. Letzterer macht ausdriicklich gegen die Anschauung
Front, als bedeute sein Stuck eine ideelle Schadigung des LeErerstandes
und der Schule. ,,Das Ansehen des Lehrerstandes, sagt er, hangt nicht
von der Fiktion ab, dass alle Lehrer gute und gescheite Leute sind; es
Flacbsmann als Er^ieber. 225
giebt unter ihnen, wie in jedem Stande, Schufte und Narren, sind doch
auch die Lehrer Menschen. Jeder Dichter aber hat das Recht, lacher-
liche und verachtliche Menschen darzustellen, wie er beispielsweise Rich-
ter, Geistliche von gleicher Seelenqualitat darstellt. Wer wiirde in letz-
terem Falle von Verunglimpfung des Standes sprechen? Wie schlecht
wiirde es um den Lehrerstand bestellt sein, wenn er das Lampenlicht weni-
ger vertriige als andere Stande! Gott sei Dank, steht es besser um ihn.
Nur soil sich das deutsche Volk jeden Lehrer darauf ansehen, ob er ein
Fladhsmann oder ein Flemming ist."
Also, eine Polemik hat der Didhter nicht im Sinne gehabt; worm
liegt nun aber der Wert des Stuckes, und welchen Umstanden ist der
grosse Erfolg zuzuschreiben, den es ausnahmslos auf alien Buhnen
Deutschlands und auch hier in Milwaukee gefunden hat, wo doch das
aktuelle Interesse an der vermeintlichen Streitfrage im Hintergrunde
steht? Es ist der gliickliche Griff ins Volkstiimliche, welcher das Publi-
kum im grossen anzieht ; es ist die innere, selbst aus den Ubertreibungen
deutlich hervorleuchtende Wahrheit, welche diejenigen fesselt, die in ei-
nem Schauspiel nicht allein Unterhaltung, sondern auch Anregung suchen.
Seit Jahrzehnten wandeTn mit unheimlicher Regelmassigkeit dieselben Ge-
stalten iiber unsere Buhnen : der auf seinen Geldsack protzende Parvenu,
dem der Ehrentitel ,,Kommerzienrat" in den seltensten Fallen erspart
bleibt; der Schwerenoter von Leutnant, der im Gewinne von Frauen-
herzen und im Kontrahieren von Schulden gleiche Genialitat zeigt; der
heruntergekommene Baron, der nur in einer reichen Heirat die Remedur
fur seinen dilapidierten Zustand findet; der hohere Regierungsbeamte,
der in der strikten Befolgung seiner Standesvorurteile ein Martyrertum
sucht; die Naive, deren Natiirlichkeit nur Kunst, deren Kunst Unnatuf
ist; die Schwiegermutter, in der die altesten Witze ein heiliges Asyl ge-
funden haben; der schuchterne Referendar, der so gern walzen und
eine Liebeserklarung machen mochte, aber keines von beiden kann; der
geistesabwesende Professor, ein "lucus a non lucendo" u. a. m.
Das sind die Ingredienzien, aus denen viele unserer Komodiendichter
das wohlbekannte Ragout bereiten; und unser Publikum hat sich daran
gewohnt, an diesen seinen litterarischen Hunger zu befriedigen, mit dem
gleichen Aufwand von Entsagungskraft und Duldermut, mit welcher der
ungliickliche Insasse eines amerikanischen Boardinghauses die in unsag-
licher Monotonie ihm vorgesetzte leibliche Kost zu verdauen sucht. Aber
gebt dem Armen einmal ein ordentliches Beefsteak, welches nicht aus der
nachsten Gerberei stammt, und schmackhafte Gemiise, die nicht aus dem
Drugstore geholt wurden, und ihr werdet sehen, wie ,,des Lebens Pulse
frisch lebendig schlagen". Wir haben es eben hier mit dem litterariscihen
Dyspeptiker zu thun. Was diesem not thut, ist die Anschauung einer
Individualitat. Eine stark ausgepragte, in sich abgeschlossene Eigenart,
ein Charakter im Lessing'schen, eine Natur im Goethe'schen Sinne hat im
P'ddagogiscbe '• Monatsbefic.
Recht, wenn sie in den Einzelheiten auch Unrecht hat. Indi-
vidualitat aber lasst sich dem Verfasser des Flachsmann gewiss nicht ab-
sprechen. Ein kiihner Streiter, erteilt er mit seinem schneidigen Schwerte
Hiebe nach rechts und links; kein Wunder, dass auch der Unschuldige
manchmal etwas abbekommt. Er ist von einem wirklichen Wahrheits-
fanatismus beseelt, aber Fanatismus macht zeitweilig auch blind, und so
sucht er die Wahrheit nicht immer dort, wo sie ist. Es geht ihm zuweilen
auch wie andern Aposteln der Toleranz: aus lauter Streben nach Toleranz
werden sie intolerant. Alles das aber sind Schatten, die mit dem Lichte
eirihergehen : sie sollen uns die Freude am letzteren nicht schmalern.
Otto Ernst ist selbst Lehrer gewesen und wird es vielleicht, wenig-
stens im Herzen bleiben, obgleich cine halbe Million Mark (so viel tragt
ihm ja sein Flachsmann ein) und die bescheidene Existenz eines Volks-
schullehrers gar unvereinbare Dinge sind. Dass er es aber lange gewe-
sen, kam seinem Werke wohl zustatten. Das Kleinliche und das Erha-
bene eines Lehrerdaseins, Handwerk und Kunst, finden in ihm den beru-
fenen Schilderer. Handwerker aber giebt es unter den Ldhrern alliiberall
genug; sie bilden in Ernsts Komodie sogar die Majoritat, ein Umstand,
welcher die hochweise Altenburger Lehrerschaft so sehr in Harnisch
brachte, dass sie gegen die Wiederholung des Stiickes am dortigen Her-
zoglichen Hoftheater Einsprache erhob.
Da ist der Handwerker, oder noch treffender gesagt, der ,,BiWungs-
schuster" Flachsmann. Seit dreissig Jahren steht er der offent-
lichen Knabenschule einer deutschen Provinzstadt vor; seit dreissig Jah-
ren sitzt er an einem Schreibtische und driickt einfach auf den elektrischen
Knopf, duroh den die ganze komplizierte Erziehungsmaschine in und
ausser TKatigkeit gesetzt wird ; und er driickt ihn mit der heiteren Seelen-
ruhe eines Mannes, der sich bewusst ist: iiber ihm, dem Unterknopf-
driicker steht ein Oberknopfdriicker, und uber diesen wieder ein anderer,
noch 'hoherer; iiber alien aber schwebt der Geist des heiligen Biirokrazius.
Es ist doch ein schones Ding um einen solchen Knopf. Hierzu-
lande, wo man alles grossartiger und praktischer macht als in der alten
Welt, hat man auch einen noch viel sinnreicheren Knopf erfunden. Da
sitzt der Prinzipal der Schule in seiner Office, die ungefahr so aussieht
wie die Zentralweichenstelle eines unserer grossen Eisenbahnsysteme,
wo ein einziger Mann das schier verwirrende Netz von Schienenwegen
kontrolKert. Ein Druck auf den Knopf von der zarten Hand des Prinzi-
pals und zur selbigen Sekunde offnen sich hundert Gehirndeckel, um das
bis auf ein Tausendteil genau zugemessene Quantum von Arithmetik in
die gahnende Hohlung einzulassen. Ein zweiter Druck bedeutet: ,,Ge-
hirndeckel zu"; der nachste: ,,Gehirndeckel auf" fur Geschichte der
Vereinigten Staaten oder Temperenzlehre; und so geht es von 9 Uhr
morgens bis 4 Uhr nachmittags; Klingkling— Deckel auf; Klingkling —
Flacbsmann als Er Cither. 227
Deckel zu. Der letzte Druck auf den Knopf ist besonders nachdrucklich-
vaterlich, er scheint zu sagen: ,Jetzt, liebe Kinder, geht nach Hause
und verdaut! Die Schule hat euch Nahrung gegeben, aber ob und wie
ihr sie verdaut, das ist ganz cure Sache, ganz allein cure Sache."
Der Prinzipal ist iibrigens seinen Lehrerinnen gegeniiber (von dem
seltenen Vogel ,,mannlicher Lehrer" wollen wir absehen) recht gefallig;
er gestattet ihnen zwar nicht, einen so komplizierten Mechanismus wie
seinen Knopf zu driicken, aber er stellt ihnen doch die kleinen elektrischen
Glocken aufs Pult, damit auch sie etwas zu driicken haben und in der
edlen Kunst des Knopfdriickens allmahlich bis zur Meisterschaft sich her-
aniiben. Er selbst ist hier wie driiben nur eine Staffel, wenni auch eine
sehr wichtige, auf der Stufenleiter der Schule; iiber ihm steht der Ober-
knopfdriicker Superintendent, und iiber alien schwebt in gleicher Weise
der Geist des "schoolcommissioner," der noch viel, viel heiliger ist als der
heilige Burokrazius in Deutsohland. Wo ist der Dichter, der den ameri-
kanischen Flachsmann schriebe?
Wir aber wollen zu unserm deutschen Flachsmann zuriickkehren.
Sechs Lehrer und zwei Lehrerinnen wirken an einer Schule, einige im
echt Flachmann'schen Sinne, andere in enger Begrenzung der Pflicht-
erfullung, einer als Kiinstler — Jan F 1 e m m i n g. Flemming ist der
Posa in Ernsts Komodie, nur dass er es mit einem wahren Jammer-
philipp zu thun hat. Stolz ist er wie der Spanier, aber Jammerphilipp
Flachsmann will keine stolzen Schulmeister unter sich haben, sondern
nur devote. "Qbrigens sehen Flachsmann und Konsorten in Flemmings
Stolz nur eitlen Hochmut, und hochmiitig darf ein Schulmeister nicht
sein. Fur ihn scheint ja das Wort des weisen Nathan im besonderen zu
gelten:
Nur muss der Eine nicht den Andern makeln,
Nur muss der Knorr den Knubben hiibsch vertragen,
Nur muss ein Gipfelchen sich nicht vermessen,
Dass es allein der Erde nicht entsprossen.
Ja, wenn es einer wagt, sich nur ein wenig iiber das Niveau der All-
gemeinheit zu erheben, dann kommt sogleich die grosse Gleichmachungs-
guillotine, und wenn er sich nicht schnell bescheiden duckt, dann heisst
es unbarmherzig: Kopf ab.
(Schluss folgt.)
Goethe als Padagog.
Von I>r. P. 8. Stollhofen, Boya' High School, New York.
(Schluss.)
Bemerkenswert ist die Eindringlichkeit, mit der Goethe das Gefiihl
von der Wichtigkeit der Zeit in dem Zogling wach zu erhalten empfiehlt,
weil sie ,,die hochste Gabe Gottes und der Natur und die aufmerksame
Begleiterin des Daseins" sei. Diese Betonung der Zeit dient gleichfalls
der praktischen Seite seiner Sittenlehre, die hauptsachlich auf Besonnen-
heit dringt, und diese wird durch Einteilung der Zeit, durch Aufmerk-
samkeit auf jede Stunde hochlichst gefordert Jeden Tag betrachtet er
als ein Gefass, in das sich sehr vieles eingiessen lasst, wenn man es wirk-
lich ausfiillen will." ,,Es ist besser, das Geringste von d'er Welt zu thun,
als eine halbe Stunde gering halten." So werde man ein ,,Geistesmilli-
onar".
Obwohl Goethe in der Wahl der Unterrichtsstoffe auf dem Boden
seiner Zeit stand, hat er doch die Wichtigkeit der Realien fur den Unter-
richt vorausgeahnt. Die kultufhistorischen Stoffe machten, wie Sie wis-
sen, so ziemlich den ganzen Erziehungsunterricht der damaligen Zeit
aus. Goethe spricht wohl im Namen seiner Zeit, wenn er sagt: ,,Ein
Lehrer, der das Gefiihl an einer einzigen guten That, an einem einzigen
guten Gedicht erwecken kann, leistet mehr als einer, der uns ganze Rei-
hen untergeordneter Naturbildungen der Gestalt und dem Namen nach
uberliefert; denn das ganze Resultat davon ist, was wir ohnedies wissen
konnen, dass das Menschengebild am vorziiglichsten und einzigsten das
Gleichnis der Gottheit an sich tragt." Dann wieder: ,,Eine Hauptiiber-
zeugung aber, die sich immer in mir erneuerte« war die Wichtigkeit der
alten Sprachen; denn so viel drangte sich mir aus dem litterarischen
Wirrwarr immer wieder entgegen, dass in ihnen alle Muster der Rede-
kiinste und zugleich alles andere Wurdige, was die Welt jemals beses-
sen, aufbewahrt sei." So verstehen wir seinen Ausruf : ,,M6ge das Stu-
dium der griechischen und romischen Litteratur die Basis der hoheren
Bildung bleiben!"
Obwohl, was er iiber das Studium der Sprachen aussert, sich zu-
nachst auf die klassischen bezieht, halte ich es doch auch auf moderne
Sprachen fur ausdehnibar. So bemerkt er: ,,Der Mensch bedarf der
Klarheit und Aufmunterung, und es thui ihm not, dass er sich zu solchen
Kunst- und Litteraturepochen wende, in denen vorziigliche Menschen zu
vollendeter Bildung gelangten, . . . die imstande sind, die Seligkeit ihrer
Kultur wieder auf andere auszugiessen." Was er iiber die Lektiire des
Ovid denkt, lasst sich auf jede Schullektiire anwenden. ,,Das Herz wird
Goetbt als P'ddagog. 229
ofters zum Vorteil verschiedener, besonders geselliger und feiner Tugen-
den geriihrt, und die zarteren Empfindungen warden in ihm erregt und
entwickelt. Besonders werden sich viele Ziige eindriicken, welche
dem jungen Leser eine Einsicht in den verborgenen Winkel des
menschlichen Herzens und seiner Leidenschaften geben, eine Kenntnis,
die mehr als alles Latein und Griechisch wert ist, und von welchen Ovid
ein gar trefflicher Meister war. Aber dies ist noch nicht, warum man
eigentlich der Jugend die alten Dichter in die Hande giebt. Wir haben
von dem giitigen Schopfer eine Menge Seelenkrafte, welchen man ihre
gehorige Kultur, und zwar gleich in den ersten Jahren zu geben nicht
verabsaumen muss, und die man doch weder mit Logik noch Metaphy-
sik, Latein oder Griechisch kultivieren kann : wir haben eine Einbildungs-
kraft, der wir, wofern sie sich nicht der ersten, besten Vorstellungen
selbst bemachtigen soil, die schicklichsten und schonsten Bilder vorlegen
und dadurch das Getnut gewohnen und iiben miissen, das Schone iiberall
und in der Natur selbst unter seinen bestimmten, wahren und auch in
den feineren Ziigen zu erkennen und zu lieben." ,,Die Einbildungskraft
wird nur durch Kunst, besonders durch Poesie geregelt."
Seine Meinung iiber die allein zulassige Behandlung der Klassiker
hat er sehr klar dargelegt. ,,Ein Schriftsteller wie Plato lass't sich lesen,
um sich dunkel aus ihm zu erbauen — das leisten aber auch geringere
Schriftsteller; man kann ihn aber auch kennen lernen, um einen vortreff-
lichen Mann in seiner Individualitat kennen zu lernen. Diese Erkennt-
nis erbaut nicht nur, sondern sie bildet uns auch zugleich." Doch ,,ein
Lump bleibt freilich immer ein Lump, und eine kleinliche Natur wird
durch einen selbst taglichen Verkehr mit der Grossheit antiker Gesin-
nung um keinen Zoll grosser werden. Allein ein ecfier Mensch, in des-
sen Seele Gott die Fahigkeit kiinftiger Charaktergrosse und Geisteshoheit
gelegt, wird durch die Bekanntschaft und den vertrauten Umgang mit
den erhabenen Naturen griechischer und romischer Vorzeit sich auf das
herrlichste entwickeln und mit jedem Tage zusehends zu ahnlicher Grosse
heranwachsen."
Zur technischen Aneignung fremder Sprachen lasst er in der pada-
gogischen Provinz der Wanderjahre die Zoglinge eine fremde Sprache
,,monatweise" sprechen nach dem Grundsatze, dass man nichts lerne aus-
serhalb des Elementes, welches bezwungen werden soil." So sagt er
einem Englander: ,,Sie haben wohlgethan, dass Sie, um Deutsch zu
lernen, zu uns heriiber gekommen sind, wo Sie nicht allein die Sprache
leicht und schnell gewinnen, sondern auch die Elemente, worauf sie ruht,
unseren Boden, Klima, Lebensart, Verfassung und dergl. mit nach Eng-
land hinubernehmen/' Diese letzten Worte sind ein feiner Wink fur
die Aufgabe der Schule.
Besagter Englander erinnert fich daran, dass es Sie vielleicht inter-
essiert, Goethes Urteil iiber die Englander zu horen, besonders da er an
230 P'ddagogiscbe Monatsbtjte.
den kurzsichtigen, blassen deutschen jungen Gelehrten mit eingefallener
Brust, die jung sind ohne Jugend, so viel auszusetzen hat. ,,Es ist ein
eigenes Ding," aussert er sich gegen Eckermann, ,,liegt es in der Ab-
stammung, liegt es im Boden, liegt es in der freien Verfassung, liegt es
in gesunder Erziehung — genug, die Englander uberhaupt scheinen mir
vor vielen andern etwas voraus zu haben." Er nennt die jungen Eng-
lander, mit denen er bekannt wurde, ,,tiichtige, hiibsche Leute". Und
wie sind sie das geworden? Nicht durch Geburt und Reichtum, sondern
dadurch, dass sie eben die Kourage haben, das zu sein, wozu die Natur
sie gemacht hat. Es ist an ihnen nichts verbildet und verbogen, es sind
an ihnen keine Halbheiten und Schiefheiten ; sondern, wie sie auch sind, es
sind immer komplette Menschen. Auch komplette Narren mitunter, das
gebe ich von Herzen zu ; allein es ist doch was und hat auf der Wage der
Natur immer einiges Gewicht. — Das Gliick der personlichen Freiheit,
das Bewusstsein des englischen Namens kommt schon den Kindern zu
gute, so dass sie sowohl in der Familie als in den Unterrichtsstunden mit
weit grosserer Achtung behandelt werden und einer weit gliicklich frei-
eren Entwicklung geniessen als bei uns Deutschen."
Der Alte von Weimar starb bekanntlich als ein ziemlich alter Mann
und fiel sein Leben in die Zeit des sich allmahlich steigernden Kampfes
zwischen Humaniora und Naturwissenschaften. Es darf uns deshalb
-nicht wundern, wenn wir ihn eines Tages im grellen Gegensatz zu der mit-
geteilten Ansicht iiber die klassischen Sprachen sagen horen: ,,Schon
seit einem Jahrhundert wirken Humaniora nicht mehr auf das Gemiit des-
sen, der sie treibt, und es ist ein rechtes Gliick, dass die Natur dazwischen
getreten, das Interesse an sich gezogen und uns von ihrer Seite den Weg
zur Humanitat geoffnet hat." Es ist der Naturforscher, der hier ein ge-
sundes Urteil abgiebt.
Um Ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange auf die Folter zu spannen,
will ich mich beschranken, nur noch die Goetheschen Ansichten iiber die
psychologische Seite des Untenichtes anzufuhren.
Zuerst Apperzeption. ,,Die Erkenntnis wachst in jedem Menschen
nach Graden, die ein Lehrer weder iibertreiben soil noch kann; und den
hielt ich fur den geschicktesten Gartner, der fur jede Epoche jeder Pflanze
•die erforderliche Warning verstande." ,,Der Mensch versteht nichts, als
was ihm gemass ist." ,,Zu allem Verstehen ist Vorbereitung, Vorkennt-
nis notig." ,,Fassen Sie einen Gegenstand. eine Materie, einen Begriff,
wie man es nennen will; halten Sie ihn recht fest; machen Sie sich ihn
in alien Teilen recht deutlich, und dann wird es Ihnen leicht sein, ge-
sprachsweise an einer Masse Kinder zu ersehen, was sich davon schon
in ihnen entwickelt hat, was noch anzuregen, zu iiberliefern ist. Die Ant-
worten auf Ihre Fragen mogen noch so ungehorig sein, mogen noch so
sehr ins weite gehen, wenn nur sodann Ihre Gegenfrage Geist und Sinn
wieder hereinwarts zieht, wenn Sie sich nicht von Ihrem Standpunkt ver-
Goetbe als P'ddagog. 231.
riicken lassen : so mussen die Kinder zuletzt denken, begreifen, sich iiber-
zeugen nur von dem, was der Lehrende will." ,,Echt asthetisch-cfialek-
tisch konnte man sein, wenn man mit seinen Schiilern an alien Empfin-
dungswerten voriiberginge oder es ihnen zubrachte im Moment, wo es
kulminiert und sie hochst empfanglich sind." ,,Unser Kopf muss iiber-
sehen, was ein anderer Kopf fassen kann."
tlber den Fortschritt vom Bekannten zum Unbekannten lasst er sich
horen in den Worten: ,,Der echte Schiiler lernt aus dem Bekannten das
Unbekannte und nahert sich dem Meister." ,,Nur indem man sich iiber
das Bekannte vollig verstandigt hat, kann man mit einander zum Unbe-
kannten fortschreiten." u. s. w.
t)ber Anschauung und Begriff. ,,Lebendige Kenntnisse erlangt man
nur auf praktischem Wege." Kostlich ist seine Satire des anschauungs-
losen geographischen Unterrichts seiner Zeit im Gotz von Berlichingen.
,,Ich weiss noch was> wendet sich der kleine Karl an semen Vater, Jaxt-
hausen ist ein Dorf und Schloss an der Jaxt, gehort seit zweihundert Jah-
ren denen Herren von Berlichingen erbeigentiimlich zu." Als ihn aber
der Vater fragt, ob er die Herren von Berlichingen kenne, sieht ihn Karl
starr und verwundert an, ohne An-twort zu geben. ',Wem gehort Jaxthau-
sen ? examiniert der Vater weiter, und wieder tont es mechanisch von den
Lippen des Kleinen : Jaxthausen ist ein Dorf und Schloss an der Jaxt —
da geht dem guten Gotz die Geduld aus und ein Licht auf. So erzie-
hen die Weiber ihre Kinder, klagt er ganz entsetzt, und wollte Gott, sie
allein ! Ich kannte alle Pfade, Weg una Furten, eh' ich wusst' wie Fluss,
Dorf und Burg hiessen.
Den naturwissenschaftlichen Geschichtsunterricht persifliert er in den
Versen des Faust:
,,Im Ganzen aber, wie man sieht>
Im Weltlauf immer doch etwas geschieht.
Was Kluges, Dummes auch je geschah,
Das nennt man Welt-Historia.
Und die Herren Bredow's kiinft'ger Zeiten
Werden daraus Tabellen bereiten.
'Darin studiert die Jugend mit Fleiss,
Die falsche Anwendung 'der sokratischen Methode zeigt er mit Hu-
mor in dem folgenden Gedichtchen:
Lehrer: Bedenk', o Kind, woher sind diese Gaben?
Du kannst nichts von dir selber haben.
Kind: Ei, alles hab' ich vom Papa.
L.: Und der, woher hat's der?
K.: Vom Grosspapa.
L.: Nicht doch! Woher hat's denn der Grosspapa bekommen?
K.: Der hat's genommen.
232 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Fur Goethe fiihrt Gehalt ohne Methode zur Schwarmerei, Methode
ohne Gehalt zu leerem Kliigeln.
Uber die Personlichkeit dts Lehrers hat der Weimarer Geheimrat
ein paar saftige Worte, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Horen
Sie: ,,Es ist nichts schrecklicher, als ein Lehrer, der nicht mehr weiss,
als die Schuler allenfalls wissen sollen. Wer andere lehren will, kann
wohl oft das Beste verschweigen, was er weiss, aber er darf nicht halb-
wissend sein." Wir Brillentrager kommen schlecht bei dem Frankfurter
Apollo weg: ,,Was habe ich von einem Menschen, "dem ich bei seinen
mundlichen Ausserungen nicht ins Auge sehen kann, und dessen Seelen-
spiegel durch ein Paar Glaser, die mich blenden, verschleiert ist." Sehr
verniinftig ist sein Rat fur den Lehrer: ,,Ein solcher Mann soil in dem
Fache, worin er Meister ist, lehren, sich auf das taglich und stiindlich zu
Lehrende vorbereiten, um sich, wenn er es auch in- und auswendig
kennt, fiir den Moment fertig zu machen."
Die Quintessenz Goethescher Anschauung lasst sich passend in fol-
gende Worte Jungs zusammenfassen : ,,Erziehet den Menschen, indem
ihr Achtung vor dem habt, was sein tiefstes Wesen> was seine Eigen-
tumlichkeit ist, um ihm Achtung vor andern einzuflossen. Bringt ihn
aber auch schon friih zum Bewusstsein seiner eigenen Wiirde. Haltet
in zartester Jugend ihn gleich frei von aller Gemeinheit, wie von aller
Uberspanntheit, von aller Sklaverei, wie von aller Gesetzlosigkeit und
beschaftigt euch in einer gesonderten und doch weiten und grossartigen
Sphare ausschliesslich mit ihm, reicht ihm die edelste, aber auch
einfachste Nahrung fiir Leib und Seele, uberladet ihn nicht mit
Kenntnissen, als dass ihr ihn vielleicht empfanglidh macht fiir eine
Unendlichkeit immer neuer OffenBarungen, ihn aber auch heranbil-
det zu einem ausubenden Meister in einem bestimmten Fach, und ihr
werdet ihn zu einem edelen, von Selbstsucht freien, in der Hingebung
an andere niitzliche Wesen erziehen, dessen Grundzuge des Personfichen :
Empfanglichkeit, Lauterkeit und Ehrfurcht sind."
Auch fiir Goethe ist die Schule nur eine Vorschule, auch fiir ihn
giebt es mehr Dinge im Himmel und auf Erden als unsere Schulweisheit
sich traumen lasst; auch er ruft: Hinaus ins Leben. Ich scfiliesse des-
halb mit den Worten:
,,Ein edler Mensch kann einem engen Kreise
Nicht seine Bildung danken. Vaterland
Und Welt muss auf ihn wirken. Ruhm und Tadel
Muss er ertragen lernen. Sich und andre
Wird er gezwungen recht zu kennen. Ihn
Wiegt nicht die Einsamkeit mehr schmeichelnd ein.
Es will der Feind — es darf der Freund nicht schonen;
Dann iibt der Jungling streitend seine Krafte,
Fuhlt was er ist, und fiihlt sich bald ein Mann."
Editorielles.
Folgende Erwiderung auf unsere Bemerkungen zu dem Berichte iiber
Prof. Calvin Thomas' Vortrag vor der Hochschullehrervereini-
gung zu New York (Heft 3, Jahrg. II.) ist uns von geschatzter Seite zuge-
gangen, und wir lassen dieselbe im Wbrtlaut folgen :
An die Redaktlon der Pad. Monatshefte. :
Dass der Vortrag, den Hr. Prof. Calvin Thomas am 19. Jan. d. J. vor dem
,,Verein der Lehrer des Deutschen an New Yorker Hochschulen" gehalten hatte,
in der Marznummer Ihrea geschatzten Blattes editoriell besprochen wurde, ist
ein Beweis dafiir, dass derselbe auch anderwarts dasselbe Interesse erregt hat,
wie bei uns, die wir Gelegneit hatten, denselben zu horen.
Der Umstand jedoch, dass obige Kritik, trotz des genauen Berichtes des Hrn.
Rob. Mezger in manchen Punkten den Ausfiihrungen und den Ansichten des
Vortragenden direkt zuwiderlauft, und gegen Behauptungen, die von ihm gar
nicht aufgestellt wurden, zu Felde zieht, veranlasst mich, die geschatzte Redak-
tion zu bitten, mir die Richtigstellung der irrigen Punkte gewahren zu wollen.
Ich habe hierbei zunachst nicht die Absicht, mich zum Verteidiger der Ansieh-
ten des Redners aufzuwerfen, denn Hr. Prof. Thomas ist imstande, fur sich. und
seine Ansichten selbst eintreten zu konnen. Der Grund, weshalb ich mich zum
Worte melde, ist ein anderer. Ich teile namlich die tJberzeugung der Redak-
tion, wenn sie meint, dass die Worte eines Mannes wie des Hrn. Prof. Thomas
nicht nur fur die Methodik, sondern sogar fiir den Bestand des deutschen Unter-
richts von weittragendster Bedeutung sind, und dass sie demselben betrachtigen
Nutzen, resp. Schaden zuzufiigen vennogen. Es ist deshalb von grosster Wich-
tigkeit, dass seine offentlichen Meinungsausserungen richtig wiedergegeben und
kommentiert werden. Von einer absichtlichen Oder geflissentlichen Entstellung
der Ansichten des Redners ist natiirlich nicht die Rede, aber es scheint mir
doch, dass sich einzelne Punkte der teilweise ziemlich scharf ausgefallenen Kri-
tik durch den oben erwahnten Bericht des Hrn. Mezger nicht rechtfertigen lassen.
Zunachst ist der dem Artikel gegebene Titel ,,Prof. Calvin Thomas iiber den
deutschen Sprachunterricht" kein gliicklicher und ist dazu angethan, den ,,ge-
neigten" Leser irrezufiihren. Derselbe erweckt den Glauben, dass der Vortra-
gende sich iiber das ganze Gebiet des deutschen Sprachunterrichtes verbreitete,
wahrend er sich programmgemass auf eine ganz bestimmte Art desselben be-
schrankte. Es lag keineswegs in seiner Absicht, uns sein ,,ganzes Glaubensbe-
kenntnis" iiber den modernsprachlichen Unterricht vorzulogen oder seine Stel-
lung fiir oder gegen die zweisprachige Volksschule zu erklaren und zu ergriin-
den. Was er sich zu thun vorgenommen hatte, und was ihm nach Ansicht der
meisten Anwesenden in hervorragender Weise gelungen ist, war einfach, uns
seine auf langjahrige Erfahrung gegriindete und durch genaue und vielfache Be-
obachtung befestigte Meinung iiber die Frage mitzuteilen: ,,Wie lasst sich die
deutsche Unterrichtsstunde in unseren Hochschulen fiir den Schiiler am nutz-
bringendsten gestalten und verwenden?" Die Fassung der Frage schloss natiir-
lich von vornherein jede Polemik und Propaganda fiir oder gegen Erweiterung
der deutschen Sprache als Unterrichtsgegenstand der Schule aus. Der Redner
schloss sich deshalb in der Besprechung an die gegebenen Verhaltnisse an, und
da sich die Hochschulverhaltnisse der meisten Stadte dieses Landes mit der un-
serigen decken, so sind seine Bemerkungen von mehr als lokaler Bedeutung.
Der modernsprachliche Unterricht beginnt bei uns erst in der Hochschule;
234 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
denn obgleich in den Boroughs von Manhattan und The Broux — nicht in Brook-
lyn und den iibrigen — sowohl Deutsch als Franzosisch fakultativ schon in
den letzten zwei Oder drei Jahren der Elementarschule unterrichtet wird, sowar
es bis jetzt nicht moglich, bei der Klassifizierung neu eintretender Schiller in
gebiihrender Weise darauf Riicksicht zu nehmen. Der Unterricht in beiden
Sprachen 1st somit im ersten Jahre der Hochschule Anfangerunterricht. So liegt
es wohl in den meisten Stadten des Landes, und der Vortragende war deshalb
berechtigt, in seinen Erorterungen von unseren Verhaltnissen als Norm auszu-
gehen.
Wenn wir diese Pramisse im Auge behalten und die Absicht des Rednera
nicht verkennen, so muss die Behauptung: ,,er begiebt sich des wichtigsten Fak-
tors der Volksschule", zum mindesten als eine nicht innerhalb des Rahmens des
Vortrages liegende Oder als eine sich nicht aus demselben ergebende hingestellt
werden.
Mit Riicksicht auf die scharfe Begrenzung des Vortrages werden auch einige
der iibrigen Punkte in den Ausfiihrungen des Sprechers uns in giinstigerem
L/i elite erscheinen, als sich aus der Kritik ergiebt.
Die Frage, was unter den gegebenen Verhaltnissen in einem zwei-, resp.
drei- Oder vierjahrigen Kursus mit vier bis fiinf wochentlichen Unterrichtsstun-
den anzustreben und zu erreichen sei, beantwortete Hr. Thomas mit: Nicht
Alles, sondern nur das Mogliche. Hieraus ergiebt sich, dass eine Auswahl ge-
troffen werden muss, und selbstverstandlich 1st es das Wertvolle, das Bleibende,
dem er das Hauptaugenmerk geschenkt haben will. Dasselbe besteht fiir ihn in
der geistigen Schulung, die das Studium der Sprache als solche und als Littera-
turtrager gewahrt. Die Beherrschung der gesprochenen Sprache 1st ihm eben-
falls ein wiinschenswertes Ziel, und wer seine Grammatik kennt und iiberdies die
Thatsache beriicksichtigt, dass er, laut Bericht, etwa den vlerten Teil der Stunde
der tfbung im Sprechen gewidmet haben will, weiss, dass er jene Fertigkeit als
Erziehungsmittel keineswegs unterschatzt; aber die Frage, ob unter den gege-
benen Verhaltnissen am meisten fiir die geistige Schulung des Schiilers zu er-
reichen sei, wenn die gesprochene Sprache in den Vordergrund geriickt wird,
glaubt er mit ,,Nein" beantworten zu miissen. — Er mag vielleicht das Sprechen
iiberhaupt nicht als das hochste und begehrenswerteste Ziel des Studiums einer
modernen Sprache ansehen, aber zu behaupten, ,,er verwirft das Sprechenler-
nen," 1st eine Missdeutung seiner Ansichten und 1st nicht im Einklang mit
eeinen Ausfiihrungen.
Ebensowenig ist die Behauptung: ,,Im Grammatikunterricht erblickt Hr.
Thomas alles Heil." Was er sagte, und was auch im Berichte geniigend betont
wurde, ist, dass die Grammatik in erster Linie als Mittel zum Zwecke anzusehen
sei, und dass man sich bestreben solle, den Unterricht mit ihr so wenig als mog-
lich zu belasten. Als praktischer Schulmann weiss er aber, dass es ohne Kennt-
nis der Grammatik auf die Dauer nicht geht, dass auch in dem Studium der
Grammatik einer Fremdsprache ein grosser Gewinn liegt; darum, meint er, diirfe
man etwa ein zweites Viertel der Stunde dem grammatischen Unterrichte opfern.
Ich kann nicht einsehen, wie sich aus obiger Ansicht eine Riickkehr zum alten
2opfe konstruieren lasst.
Ein weiterer Punkt, der mir ebenfalls anfechtbar erscheint, ist der Versuch
xles Rezensenten, die amerikanische Hochschule mit einem deutschen Gymna-
sium vergleichen zu wollen. Doch dariiber vielleicht spater einmal.
C. F. K.
Obige Richtigstellung kam leider so kurz vor Abschluss dieses Hef-
Editor idles. 235
tes, dass wir es unmoglich finden, auf Einzelheiten einzugehen. Wir
bitten darum unsere Leser, dieselbe mit der editoriellen Notiz in dem
Marzheft dieses Jahres und dem dieser zu Grunde liegenden Berichte zu
vergleichen, um sich selbst ein Urteil zu bilden, in wie weit wir zu unse-
ren Auslassungen berechtigt waren.
Es lag selbstverstandlich nicht in unserer Absicht, mit unserem Arti-
kel nach irgend einer Seite bin zu verletzen, und wir erkennen es dankbar
an, dass unser geschatzter Kollege unsere Stellungnahme wiirdigt. Die
P. M. halten aus vollster Uberzeugung daran fest und werden keine Gele-
genheit voriibergehen lassen, derselben Ausdruck zu verleihen, dass eine
erfolgreiche Fiihrung des deutschen Unterrichts nur dann moglich
i s t, wenn damit inderunterstenKlassederVolksschu.le
begonnen wird; denn erst dann werden Hochschulen und Universitaten
die Ziele erreichen konnen, die ihnen vorschweben. Eins dieser Ziele aber
muss unbedingt die Aneignung der Sprache als Umgangssprache sein.
Das Studium der Sprache als solches tragt wenig zur allgemeinen Geistes-
bildung bei, wenn sie nicht einen Inhalt bekommt, an dem sie im Men-
schen wachsen kann. Das naturlichste Material aber liefert das tagliche
Leben, erst dann kommen die Geistesschatze der Sprache, wie sie in deren
Litteratur aufgespeichert sind.
Zur Erreichung dieser Ziele sind uns alle Mittel recht. Wir sind
nicht so engherzig, dass wir uns zu einer Methode bekennen und in ihr
alles Heil suchen; nur muss jedes Mittel zur richtigen Zeit, am richtigen
Platz und in der richtigen Weise angewandt werden. Aber mit Entschie-
denheit machen wir gegen die Zopftrager Front, die un-
sere schone deutsche Sprache dazu beniitzen wollen, um an ihr ihre
mathematisch-grammatikalischen Formeln zu erproben.
Dass Herr Prof. "Thomas nicht zu diesen Zopftragern gehort, davon
sind wir von vornherein iiberzeugt, und die P. M. haben von jeher willig
seine grossen Verdienste um den deutschen Sprachunterricht anerkannt.
(Wir verweisen nur auf die Besprechung des Berichtes des Zwolferko-
mitees, dessen Vorsitzer Herr Thomas war, aus der Feder Prof. Rosen-
stengels.)
Mochte nun aber Herr Thomas noch einen Schritt weiter gehen —
und da kommen wir zu unserem ,,ceterum censeo" — mochte er auch die
Hand dazu bieten, dass das, was er in so eindriicklicher Form zu Papier
gebracht hat, auch in die Praxis umgesetzt werde. Viel, sehr viel muss
da noch an alien Ecken und Enden besser werden; viel kann geschehen,
wenn sich alle Lehrer der deutschen Sprache von der Volksschule bis hin-
auf zur Universitat vereinigen, um gemeinsam Hand ans Werk zu legen.
Der deutschamerikanische Lehrertag steht wiederum vor der Thiir.
Werden die deutschen Lehrer zeigen, dass es ihnen
ErnstumihreSacheist? Wenn Manner wie Prof. Thomas vor-
angingen, die deutschen Lehrer miissten in Scharen folgen !
236 P'ddagogische Monatsbefte.
Das SOjahrige Jubilanm der Deutsch-Englischen Akademie zu Mil-
waukee. Am 24. Mai des Jahres 1851 war es, als zu Milwaukee deutsche
Manner, die der Volkersturm von 1848 hierher geweht hatte, sich zu-
sammenthaten und die Griindung der bald weit uber die Grenzen Mil-
waukees hinaus riihrnlichst bekannten Deutsch-Englischen Akademie
beschlossen. In ihren Herzen war die Flamme der Begeisterung fiir
Volksfreiheit und Volkswohlfahrt — Gaben, die nur der erwerben und
geniessen kann, dessen Sinn zum Rechten geleitet wurde — nicht erlo-
schen, und sie erblickten darum ihre erste Sorge darin, ihren Kindern
zum Besitze und verstandigen Genusse dieser Gaben durch eine Erzie-
hung und Schulung im fortschrittlichen Geiste zu verhelfen.
Funfzig Jahre sind eine lange Zeit, besonders hierzulande, wo wir
an Riesenschritte in der Entwickelung aller Zweige menschlicher Tha-
tigkeit gewohnt sind; und der wiirde fehl gehen, der diese Fortschritte
dem offentlichen Schulwesen unseres Landes absprechen wollte. Dass
es angesichts dessen der Deutsch-Englischen Akademie nicht leicht war,
ihren Platz zu behaupten, leuchtet ohne weiteres ein. Schwere Tage
blieben ihr nicht erspart, und mitunter schien es, als wiirde sie dasselbe
Schicksal treffen, dem so viele andere ahnliche Institute zum Opfer fielen.
Aber immer gelang es ihr wieder, sich zu einer Achtung gebietenden
Stellung emporzuarbeiten.
* * *
Eine Privatschule hat in unserm Erziehungswesen nicht nur einen
berechtigten Platz, sondern ist noch eine Notwendigkeit, so lange die of-
fentlichen Schulen, namentlich in den unteren Graden, so iiberfullt sind,
wie sie es gegenwartig sind. Es werden sich immer Eltern zur Genuge
finden, die diesen Mangel des Schulwesens erkennen und, um ihren Kin-
dern eine individuelle geistige Pflege angedeihen zu lassen, zur Privat-
schule ihre Zuflucht nehmen werden.
Ahnlich verhalt es sich mit der deutschamerikanischen Privatschule.
Kurzsichtige und engherzige Menschen — wir finden deren leider unter
unsern Deutschen nicht wenige — halten ihre Tage fiir gezahlt. Wir wa-
gen, das Gegenteil zu behaupten. Die deutschamerikanische Privat-
schule vertritt das Prinzip des zweisprachigen Unterrichts. In dem
Masse, in dem sich die Erkenntnis von der Richtigkeit dieses Prinzips in
unserm Volke Bahn brechen wird, wird auch das Bediirfnis nach der
zweisprachigen Privatschule — das muss die deutschamerikanische Pri-
vatschule sein — wachsen. Die Zukunft dieser Institute ist also nichts
weniger als triibe.
Allerdings wird eine nach ehrlichen padagogischen Grundsatzen
gefuhrte Privatschule nie eine hohen Gewinst einbringende Kapitalsan-
lage sein ; sie wird im Gegenteil darauf angewiesen sein, auf die Opfer-
freudigkeit fiir das Werk der Erziehung Begeisterter zu rechnen. Denn
Editorielles. 237
es geniigt bei einer solchen Schule nicht, dass sie mit den offentlichen
Schulen Schritt halt, sondern man erwartet von ihr, dass sie als Weg-
weiser diene. Das sei nichts weniger, als eine Zuriicksetzung des
offentlichen Schulwesens. Dasselbe ist seiner Grosse wegen ein viel zu
schwerbeweglicher Apparat, als dass in ihm ohne sehr gefahrliche Sto-
rungen Neuerungen erprobt werden konnten. Die Privatschule dage-
gen bietet dazu das geeignete Feld, vorausgesetzt, dass verstandige und
erprobte Leiter an ihrer Spitze stehen.
* * *
Dass die Deutsch-Englische Akademie es vermochte, ihren Platz zu
behaupten, verdankt sie in erster Linie ihren geistigen Leitern. Von
Engelmann, ihrem genialen Griinder, bis zu unserm Dapprich, dessen
vielseitige, uneigenniitzige und unermudliche Thatigkeit der Anstalt zum
grossten Segen gereicht, finden wir fahige von Begeisterung fur ihren
Beruf erfiillte Manner, von denen ein jeder Bausteine fur den Ausbau der
Anstalt herbeigetragen und sie dem Ganzen eingefiigt hat. Darin er-
fuhren sie aber auch Verstandnis und Unterstiitzung bei den zahlreichen
Gonnern und Freunden der Anstalt, die es an Opferwilligkeit nicht feh-
len liessen, wenn es das Wohl der Schule erforderte.*)
Die Deutsch-Englische Akademie ist seit der Grundung des
Deutschamerikanischen Lehrerseminars dessen Musterschule. Sie ist
dadurch unser aller Interesse naher getreten, ihr Wohl und Wehe muss
denen, die mit uns zu gleichem Streben vereint sind, gleich am Herzen
liegen.
So wiinschen denn die P. M., dass die Jubilaumstage einen bleiben-
den Nutzen fiir die Anstalt im Gefolge haben mogen. Wir rufen ihr ein
herzliches Gliickauf fur ihre fernere segensreiche Wirksamkeit entgegen !
* Im Auftrage des Komitees, dem die Vorbereitungen fiir die Jubilaums-
feier oblagen, ist von dem Direktor der Anstalt eine Festschrift herausgege-
ben worden, die ein klares Bild von der Entwickelung der Anstalt bietet.
Dieselbe steht unsern Lesern zur Verfiigung; sie wird ihnen auf Verlangen
von Herrn Direktor Dapprich (558-568 Broadway, Milwaukee, Wis.) unentgelt-
lich zugesandt werden.
Aus deutschen Schulzeitungen.
Em Eiickblick auf das 19. Jahrhundert.
Sage mir, Muse, was sing" ich zum Preis des alten Jahrhunderts,
Dessen sterbliches Teil schon in der Grube versank? —
Seltsam fragst du fiirwahr! Stromt nicht in unendlicher Fulle
Herrliches, Gottliches dir, das dies Jahrhundert erschuf?
Haucht der gebandigte Wind nicht selbst in tonende Saiten?
Klingt dir im Ohre nicht brausend des Athers Gesang?
Blitze wandeln gemessene Bahnen von Polen zu Polen,
Kehren das Dunkel in Licht, kiinden des Menschen Gebot
Neueroberten Welten. Es tummeln sich Strome und Meere
Willig dem Menschen zum Dienst. Krafte erzeugen die Kraft.
Bald ersteigt der Sieger auf Helios' Wagen die Sterne,
Baut sich selber den Thron, den er der Gottheit geraubt. —
Traun, nicht Kleines denkst du vom Menschen, erhabene Muse.
Freilich freut sich der Zwerg seines titanischen Stamms.
Endlos sinnt er und schafft er, das Tiefste und Hochste durchdringt sein
.Unenniideter Geist. Aber erhoht er sich selbst?
Thaler und Berge durchfliegt er, durchfurcht die entlegensten Meere,
Grabt im gliihenden Sand, wiihlet im arktischen Eis.
Rasender Hunger nach Gold nur treibt die gierigen Volker.
Einen fiihret der Ruhm. Tausende lechzen nach Gold.
Priester deines Altars, o Muse, heilige Sanger
Waren die Fiirsten des Tags, als dies Jahrhundert erstand.
Ihre Gedanken nahren die "Welt. Wer miide der Unruh,
Fliichtet in ihren Hain. Wem's noch im Herzen gluht,
Klimmt mit ihnen empor zum Reiche der reinen Ideen,
Schaut, was nimrner vergeht, naht mit anbetendem Geist
Sich der Sonne Homers und trinkt sich die lechzenden Augen
Voll von ambrosischem Licht, das ihm die Erde verklart,
Dunkles erhellt, das Helle verschont und das Schone verewigt.
Hassliches unverhiillt, schwarender Wunden Geruch
Aufzuzeigen erpicht, die ekliche Wahrheit vergotternd,
Lachen sie heute des Scheins, drin uns ein giitiger Geist
Liebend und mitleidvoll unzahlige Ratsel verborgen.
Gott ist tot, und roh waltet das blinde Gesetz. —
Schelte mir nicht, wie frevelnd es scheine, das Streben nach Wahrheit!
Auf dem Pfade zu ihr hat auch der Irrende recht.
Keiner entratselt der Sterblichen doch das letzte Geheimnis,
Das um den innersten Schrein hiillte der Schopfer des Alls.
Wahrheit suchte das kiihne Geschlecht, und Wahrheit ist Freiheit!
Wahrheit erschutterte einst Priester- und Ftirstengewalt;
Wahrheit sprengte den Bann der tausendjahrigen Elnechtschaft;
Burger schuf sie zu Herrn, Horige machte sie frei.
Allen gab sie ein Recht, sich der Giiter der Erde zu freuen;
Auoh der Kleinste streckt keck nach dem Hochsten die Hand.
Elemente ins Joch gespannt, umkrelst er im Fluge
Die scUimme Jugend. 239
Welten. Seinem Gebote bringen sie willig Tribut. —
Wo hi! Doch schaffen die Thoren nicht selbst sich neue Tyrannen?
Freie nennen sie sich! Was ist es, Geist Oder Gold,
Das die Menge der Volker bewegt, das sie hierbin und dortbin
Drangt; Was hilft es dem Mann, so er die Seele verdirbt,
So er der Liebe vergisst, ob die ganze Welt ihm gehore? —
Drum bist, Lehrender, du Hiiter der Jugend genannt,
Dass du im starken Leib die starke Seele erziebest,
Die im taglichen Kampf nicbt dem Gemeinen erliegt;
Dass du den heiter-beweglichen Geist an den reinlicbsten Quellen
Labst, deren Krystall, einmal genossen, in eucb
Heilige Sehnsucht weckt, die Flecken der Seele zu baden,
Deren lebender Tau frischt das verwelkte Gemiit.
Lehre, dass Wissen und Konnen nicht Ziel, nur Mittel des Lebens,
Dass kein erfreuendes Gliick ohne das friedliche Herz.
Streu im Acker, den unbeschrankt das letzte Jahrhundert
Offnete, Saaten, die euch Schiller und Goethe gescbenkt.
Spendest du also den Hort, den nahe und ferae Geschlechter
Emsig hauften, so weiht freudig die Muse dein Werk! T.
(Schweizerische Lehrerzeitung.)
Die schiimme Jugend. Ein stehendes Kapitel in den Klagen iiber die Ver-
derbtheit unserer Zeit bilden die harten Urteile iiber die ,,schlimme Jugend", wo-
bei man gewohnlich unsern Tagen die ,,gute alte Zeit" gegeniiber stellt, in der
es so viel besser gewesen sei. Gewiss, es kommen Ausschreitungen unseres jun-
gen Nachwuchses vor, die man mit Recht beklagt; auch kennen die Gerichtssale
Vorkommnisse, die oft ganz jugendlich Angeklagte in einem recht betriibenden
Lichte erscheinen lassen. Niemand bedauert das mehr als wir Erzieher, nie-
mand auch leidet unter der schlimmen Jugend mehr als wir. Aber so war es von
je, was schon das Volkssprichwort bezeugt: „ Jugend hat keine Tugend". Wer,
wie Einsender dieses, auf fast drei Vierteljahrhunderte zuriickblickt, weiss, dass
friiher die Jugend durchschnittlich auch nicht besser war als heutzutage; ja nach
den Schilderungen alterer Personen, die mir aus den Jugendjahren noch sehr gut
erinnerlich sind, kamen schon vor hundert Jahren Ausschreitungen vor, die viel
bedenklicher waren, als die ich selbst erlebte. Wer aber sich tiefer in das Stu-
dium der Geschichte versenkt, wird flnden, dass wir gar keine Ursache haben, die
Jugend fniherer Jahrhunderte der unsrigen als Muster gegenviber zu stellen.
Felix Platter, geb. 1536, der Sohn des bekannten Thomas Platter, erzahlt,
dass ihm einmal das Werfen mit Steinen auf eines Nachbarn Dach ordentliche
Strafe eingetragen, dass er ein andermal, da er einem Kameraden auflauerte, sei-
nem zufalHg des Wegs kommenden Vater mit einem Schneeballen so auf die Nase
traf, dass diese blutete, dass er aber dem Schlage, den dann der Vater ihm appli-
zieren wollte, auswich. Auch erzahlte er, dass er iiber seiner Mutter Hollermus
gekommen sei, sehr viel genascht und heimlich Schleckereien gekauft babe. —
In Augsburg mussten 1647 vier Schrannenknechte nachmittags auf dem Wein-
markte Obacht geben auf die ,,bosen Buben", die die ehrlichen Leute mit Schnee-
ballen warfen. — Hermann von Weinsberg und seine Mitschiiler warfen abends
bei zwei verlasseneri Hausern die Fenster ein und lief en davon; auch klopften
und lauteten sie an den Hausern. In Brieg (Schlesien) wurde eine alte Frau, die
als Hexe verrufen war, von den Schulbuben mit Steinen und Unflat beworfen und
so vibel traktiert, dass die Herzogin Sibylle sich ihrer annehmen musste. Der
P'ddagogiscbe Monatsbeftt.
Schulmeister wurde angewiesen, den Knaben mit Ochsenziemern und scharfen
Ruten die Verfolgungslust auszutreiben.
Was Hans Sachs in seiner ,,Comedie von den ungleichen Kindern Eva" (1553)
vom ungezogenen Buben Kain erzahlt, ist sicher aus dem Leben gegriffen. Ein
recht sauberes Frfichtchen war Gottfried Wernher von Zimmern. Noch nicht
acht Jahre alt, hatte er unter andern Schalkheiten sich auch erlaubt, ganz nackt
sich im Kot zu walzen und dann im Dorfe umher zu laufen, die Kinder zu jagen,
ja die Frauen in den Hausern zu erschrecken. Sein Oheim, dem er zur Erziehung
anvertraut war, bestrafte ihn trotz erhobener Klagen nicht, sondern lachte noch
fiber den Knabenstreich. Da ist es nicht zu verwundern, dass der Bursche dem
Erzieher fiber den Kopf wuchs, und am Ende entlief, um sich mit andern Schii-
lern dem Zuge der Schweizer nach Mailand anzuschliessen. In Chur wurden die
Pliichtlinge vom Pfriindamman des Frauenmiinsters in Zurich eingeholt. Der
Oberst gab aber die Jungen nur gegen das Versprechen frei, dass sie nicht be-
straft weden diirften. Auch ein zehnjahriger Graf von Furstenberg, der in Frei-
burg studierte, zeigte sich als sauberes Friichtl. Er liess nachts einen Kamera-
den sich in sein Bett legen, um den Prazeptor zu tauschen. Er trieb sich auf der
Strasse herum und verubte allerlei Unfug. Die Schilderung eines fliegenden Blat-
tes, der ,,Hagenauer Sohn" von einem schlimmen Knaben, ist offenbar der Wirk-
lichkeit entnommen. Es wird u. a. von ihm gesagt: ,,Alle Siind und Raubrei
trieb er taglich ohne Scheu"; seine Mutter schimpfte er: ,,Du Sau, du krummer,
alter Bar, du Hex', du Aas und noch viel mehr!"
Der Strassburger Jugend musste 1738 das Stein- und Hutwerfen, Raketen-
und Schwarmerschiessen, das Anziinden von Stroh und anderen feuerfangenden
Stoffen, das Larmen vor d<*r Kirche wahrend des Gottesdienstes verboten werden.
Die mittelalterlichen Belchtspiegel fiir die Jugend enthalten Fragen, aus de-
nen man entnehmen kann, was Schlimmes man dieser zutraute. Sie mussten ihr
Gewissen daraufhin erforschen, ob sie gelogen, geflucht, sich gezankt und ge-
schlagen, die Eltern verunehrt, diesen und den Lehrern etwas entwendet, mit
Karten gespielt, mit Steinen geworfen, Xcker, Wein- und Baumgarten bestohlen,
sich vermummt, Serenaden gebracht hatten, ja ob und wie sie sich wider das
sechste Gebot versiindigt hatten.
Daraus mag man ersehen, dass Knaben und Magdlein der ,,guten alten Zeit"
auch keine Engel und im allgemeinen nicht besser waren als unsere heutigen.
Stellt doch die Bibel schon gleich im Anfang ihrer Menschengeschichte neben den
frommen Abel den ganz schlimmen Kain. So hat es stets neben den guten Kin-
dern — gewiss die Mehrzahl — auch schlimme gegeben, und so wird es bleiben
in aller Zeit M.
(Bayerische Lehrerzeitung.)
Schwedisches und deutsches Tumen. Behufs Stellungnahme zu dem im
vorigen Sommer hier vorgefuhrten schwedischen Turnen hatte der Ausschuss der
vier Berliner Turngaue kiirzlich eine Turnerversammlung einberufen, zu der auch
der Geh. Oberregierungsrat Brandi aus dem Kultusministerium erschienen war.
Auch die hiesige schwedische Kolonie hatte Vertreter entsandt. Nachdem, wie
die Tagespresse berichtet, Schulrat Dr. Kiippers, der Leiter der hiesigen staat-
lichen Turnlehrer-Bildungsanstalt, ein Bild der Vorfuhrungen der schwedischen
Gymnasiasten gegeben und dabei ruhmend auf das wohldurchdachte, eine eben-
massige Korperbildung erstrebende System hingewiesen, d«r Gewandtheit der
Schweden gedacht und die wahrhaft iiberraschende Schonheit einzelner Ubungen
gewfirdigt hatte, nahm Privatdozent Dr. Reinhardt das Wort zu einer mehr kri-
Ober Scbulpausen und Nacbmittagsunterricbt.
tischen Betrachtung. Er verbreitete sich namentlich uber die Frage der Hand-
habung der Freiiibungen, auf die die Schweden das Hauptgewicht legen. Auf
diesem Gebiete konne die deutsche Turnerei von Schweden noch mancherlei ler-
nen, vor allem die einfache Form und den leichten, geschmeidigen und doch straf-
fen Gang, der dem Redner bedeutend besser gefallen hat, als die deutsche Art des
Marschierens, die mit dem Stampfschritt geradezu eine Karrikatur geworden sei.
Beziiglich des Gerateturnens sei dagegen Deutschland Schweden mindestens eben-
biirtig. In der ausgedehnten Besprechung nahmen auch drei schwedische Herren
das Wort. Dr. med. Ekgren hob die harmonische Ausbildung des ganzen Korpers
durch das Turnen nach schwedischer Art hervor und behauptete, dass das deut-
sche Turnen zu sehr die Muskulatur des oberen Korpers bevorzuge, eine Behaup-
tung, der der stadtische Turnlehrer Dr. med. Luckow entgegenzutreten suchte.
Herr Erikson, der Reprasentant des hiesigen schwedischen Gymnasiastenvereins,
trat nicht minder warm wie sein vorerwahnter Landsmann fur das schwedische
Turnen ein und wandte sich dabei namentlich gegen die sogenannte deutsche
Gipfelturnerei, gegen die Ausfiihrung allzu komplizierter Sachen, die teilweise
der Gesundheit direkt schadlich seien. Fur das deutsche Turnen trat warm ein
der Kreisvertreter Atzrott, der besonders auch des deutschen Marschschritts sich
annahm, der nun einmal der deutschen Art entspreche, wenn es dabei auch ein
bischen plumpse. Nach langer Auseinandersetzung gelangte folgende Resolution
zur Annahme. Die versammelten deutschen Turner beschliessen: Die schwedi-
schen Gymnasiasten erfreuten uns am 13. Juni 1900 in der hiesigen grossen stadti-
schen Turnhalle durch die musterhafte Darbietung einfacher Freiiibungen, wir
sind aber der Uberzeugung, dass unser deutsches Turnen in der Ausfiihrung der-
artiger ttbungen mit belasteten Handen eine gunstige Weiterentwickelung er-
reicht hat Obwohl die gezeigte Sauberkeit in der Vorfiihrung einfacher Kraft-
iibungen an den Geraten anzuerkennen ist, so mochten wir doch in unseren zu
Mut und Gewandtheit erziehenden schwierigeren Geratiibungen einen wertvollen
Fortschritt des Turnens sehen, auf den wir deutschen Turner nie verzichten
wollen. (Deutsche Schulztg.)
tJber Schulpausen und Nachmittagsunterricht schrieb der Geh. Medl-
zinalrat Prof. Dr. Eulenburg in der ..Umschau". Wir iibergehen die Begrtin-
dung und beschranken uns auf die Wiedergabe der gestellten Forderungen. I.
Unterrichtspausen : Wahrend der ersten Schuljahre (7. — 9. Lebensjahr) darf in
der Regel die auf jede einzelne Unterrichtsstunde entfallende Zeit nicht mehr
als eine halbe Stunde, in den unteren Klassen der hoheren Lehranstalten (etwa
bis zum vollendeten 13. Lebensjahre, also bis zur Quarta oder besser bis zur
Untertertia) darf die Dauer einer jeden Unterrichtsstunde unter keinen Umstan-
den mehr als 45 Minuten betragen; und es muss hier auf jede Unterrichtsstunde
eine Pause von durchschnittlich fiinfzehnminutiger Dauer folgen. In den mittle-
ren und oberen Klassen der hoheren Lehranstalten kann annahernd in der Mitte
der Vormittagsunterrichtszeit, also nachdem mindestens zwei durch keine oder
sehr kurze Pause unterbrochene Schulstunden voraufgegangen sind, eine langere
Pause von mindestens 20minutiger Dauer eingeschaltet werden, die unter alien
Umstanden ausserhalb der Klassenraume, wenn irgend angangig im Freien zuge-
bracht und (womoglich vorschriftsmassig) als ,,Fnihstuckspause" benutzt werden
miisste. Die dann noch folgenden zwei oder drei Lehrstunden — mehr als fiinf
wissenschaftliche Lehrstunden hintereinander sollten iiberhaupt unter keinen
Umstanden erteilt werden ! — waren durch kvirzere Pausen von etwa lOminutiger
Dauer von einander zu trennen. Auf eine vierstiindige Unterrichtszeit ergeben
242 P'ddagogiscbe Monatsbejte.
eich hiernach (als Minimum) 30 — 35, auf eine fiinfstiindige 40 — 45 Minuten Pause.
Vorteilhafter als dieses System ware allerdings das Einlegen von Pausen von
wachsender Lange nach jeder Lehrstunde. Prof. E. schlagt folgendes Schema
vor:
1. Stunde (45 Minuten)— (z. B. 8 bis 8:45
1. Pause 10 " , 8:45 " ,8:55
2. Stunde 45 " 8:55 " 9:40
2. Pause 15 " 9:40 " 9:55
3. Stunde 45 " 9:55 " 10:40
3. Pause 15 " i 10:40 " 10:55
4. Stunde 45 " 10:45 " 11:40
4. Pause 20 " i 11:40 " 12
5. Stunde 45 " 12 " 12:45
Bemerkenswert ist, dass E. davor warnt, die Turnstunden als erholend anzu-
sehen und demgemass an den Schluss oder in die Mitte des Vormittagsunterrichts
zu legen. Der Turnunterricht ist, wofern er seinen Zweck erfiillen, nicht aus
einem Segen zum Nachteil, ja zum Unheil sich gestalten soil, folgerichtig zu iso-
lieren; er ist auf die schulfreien Nachmittage (im Sommer auf die spateren Nach-
mittagsstunden) zu verlegen, und es hat dann allerdings auch keinen Sinn, an der
vorgeschriebenen Trennung und Vereinzelung der drei Turnstunden in der bis-
herigen Weise mechanisch festzuhalten, die an sich schon vielfach zu einer bedau-
erlichen Zerriittung der Lehrplane Anlass gegeben hat. Vielmehr wiirde es weit
zweckmassiger sein, anderthalb bis zwei Turnstunden hintereinander anzusetzen,
wie das ja auch in friiheren Zeiten vielfach zu geschehen pflegte und gewiss an
manchen Lehranstalten als bewahrte Praxis auch jetzt noch geiibt wlrd. — II.
Nachmittagsunterricht: Daa Ideal ware ganzlicher Wegfall des Nachmittagsun-
terrichts, mindestens aber Beseitigung der wissenschaftlichen Lehrstunden, Be-
schrankung auf die technischen und fakultativen Lehrgegenstande (abgesehen
von dem schon besprochenen Unterricht); iiberdies sollte der Nachmittagsunter-
richt in der Regel nicht friiher als drei Stunden nach beendetem Vormittagsunter-
richt beginnen. (Die Deutsche Schule. Heft 3, 1901.)
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
Baltimore.
Einen ungemein s c h w e -
ren Verlust hat die Johns Hop-
kins Universitat erfahren. Professor
Dr. Henry A. Rowland, der beriihmte
Physiker und Erfinder, welcher, wie
wenig Andere, dazu beigetragen hat,
der jungen Johns Hopkins Universitat
einen Weltmhm zu verschaffen, ist am
16. April im Alter von 53 Jahren ganz
unerwartet gestorben. Er war ein
Schiller des Prof. Helmholtz in Berlin.
Bei Griindung der hiesigen Univer-
sitat iibertrug man Dr. Rowland einen
Lehrstuhl und das physikalische La-
boratorium. In diesem hat er seitdem
Grosses geleistet und selbst in Berlin
Staunen und Bewunderung erregt. Er
hat die Spektralanalyse vervollkomm-
net, die Niagara-Falle ins Joch ge-
spannt, um elektrische Kraft zu erzeu-
gen, und den Multiplex-Telegraphen
erfunden, der jetzt von einer Gesell-
schaft praktisch verwertet wird. An
Ehren und Auszeichnungen hat es
ihm nicht gefehlt, und in der kurzen
Spanne Zeit seiner Wirksamkeit hat
sich Erf olg an Erfolg gereiht. Es wird
schwer werden, einen ebenbiirtigen
Nachfolger zu finden.
Der Lehrplan anden drei
hoheren Schulen hat eine
ganzliche Umgestaltung erfahren. Zu-
nachst ist der Kursus am City College
um ein Jahr verkiirzt worden, so dass
er nur noch vier Jahre umfassen wird,
wie der an den beiden hoheren Toch-
terschulen. Der neue Lehrplan be-
stimmt, dass diese Zoglinge dieser
Lehranstalten nunmehr in alien vier
Jahren jede Woche 16 Stunden engli-
schen und 20 Stunden lateinischen, in
den letzten drei Jahren jede Woche
13 Stunden deutschen und 15 Stunden
griechischen und in den letzten zwei
Jahren jede Woche 4 Stunden franzO-
sischen Unterricht nehmen konnen.
Die Mathematik beschrankt sich im
ersten Jahre auf 4 Stunden in der Wo-
che fur Algebra, im zweiten Jahre auf
4 Stunden pro Woche fur gewohnli-
che Geometrie, im dritten Jahre auf
4 Stunden fur hohere Geometrie und
im vierten Jahre auf ' 4 Stunden pro
Woche fur hohere Algebra. Im ersten
Jahre werden ausserdem 4 Stunden in
der Woche auf den Unterricht in Geo-
graphic, 4 Stunden fur Zoologie, 5
13tunden fur Physik und 4 Stunden fiir
Chemie verwandt. Der Unterricht in
der Geschichte ist wie folgt eingeteilt:
4 Stunden in der Woche fur alte Ge-
schichte, 4 Stunden fur neue europai-
sche Geschichte, 4 Stunden fur engli-
sche Geschichte und 5 Stunden in der
Woche fur amerikanische Geschichte.
Der Unterricht in geschaftlichen Fa-
chern beginnt im zweiten Jahre und
umschliesst Buchhaltung und Steno-
graphic. Fur Zeichenunterricht, Mu-
sik und korperliche Ausbildung sind
in jeder Woche 6 Stunden — 2 fur jedes
Fach — angesetzt. Die vier fremden
Sprachen, welche auf dem Lehrplan
stehen, konnen die Schiller und Schii-
lerinnen alle erlernen, wenn sie wol-
len; sie sind aber nur gezwungen, das
Studium einer derselben aufzuneh-
men, ab,er zwei Jahre lang. Lateinisch
muss gelernt werden, die Schiller kon-
nen aber zwischen der griechischen,
deutschen und franzosischen Sprache
wahlen. Begabte Schiiler konnen in 3
Oder 3% Jahren die hoheren Lehran-
stalten absolvieren. Fiir eine Klasse
sind 25 Schiiler erf orderlich, und wenn
in einer Lehranstalt nicht genug
Schiiler oder Schiilerinnen sind, um
z. B. das Studium der deutschen Spra-
che aufzunehmen, dann konnen die
Schiiler und Schiilerinnen aller drei ho-
heren Lehranstalten zu einer Klasse
zusammengethan werden.
Es ist schade, dass nicht auch Spa-
nisch auf den Lehrplan gesetzt wurde.
Durch seine griindliche Kenntnis des
Spanischen hat ein friiherer Zogling
des City College, der jugendliche Ju-
rist Otto Schonrich, eine seltene Aus-
zeichnung bekommen; seit dem 15.
April ist er Bezirksrichter von Are-
cibo, dem zweitgrossten der fiinf
Distrikte Porto Ricos. Er ist der
jiingste Richter im Land, am nachsten
9. Juli wird er erst 25 Jahre alt.
Die offentlichen Abendschulen ha-
ben ihren Kursus beendigt. Die am
Siid-Broadway gelegene Abendschule
No. 2 war am besten besucht. An die-
ser war eine besondere Klasse fiir sol-
che eingerichtet, denen die englische
Sprache noch vollig fremd war, und
Kollege Schonrich war mit Leitung
derselben betraut. Man nannte die-
selbe die internationale
Klasse, denn die 46 Schiiler und
Schiilerinnen — im Alter von 16 bis
46 Jahren — die sich im Laufe des
244
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Winters eingefunden batten, gehorten
zehn verschiedenen Nationen an. Un-
ter ihnen befanden sich ein Tiirke und
ein Araber: mit dem letzteren ver-
standigte sich der Lehrer durch den
Tiirken, der ein wenig Franzosisch
verstand. Bei der Schlussfeier iiber-
raschten die Zoglinge ihren Lehrer
mit einem silberbeschlagenen Regen-
schinn, Zigarren, Wein u. dergl.; die
Deutschen unter ihnen, etwa zwanzig,
wollten ihm noch besonders ein Baar-
geschenk machen, doch verweigerte er
entschieden die Annahme eines sol-
chen. Da schickten sie ihm am fol-
genden Tag einen grossen Hefenkranz,
und als er den Kuchen spater auf-
Bchnitt, entdeckte er, dass das Back-
werk mit nagelneuen Vierteldollars
gespickt war.
Oberlehrer August Hering hielt in
der Aprilversammlung des deutschen
Lehrervereins einen sehr interessan-
ten Vortrag liber ,,Rechenunterricht
in den unteren Klassen der Volksschu-
le". Er wurde gebeten, das betreffende
Manuskript den Pad. Monatsheften
zur Veroffentlichung zu iiberlassen.
In derselben Versammlung wurden
Trauerbeschliisse liber den kurz zuvor
erfolgten Tod eines werten Kollegen,
Johann H. Kiinker, weiland Lehrer an
der Stadtschule No. 93, gefasst. Er
•war ein sehr befahigter, treuer Leh-
rer und guter Kollege, sein Heimgang
1st ein empfindlicher Verlust fur un-
sere Schulen. — S.
Californien.
Am sechsten April hielt der C a 1 i-
fornische Verein von Leh-
rern der deutschen Spra-
c h e seine regelmassige Versammlung
im Mark Hopkins Institute zu San
Francisco ab.
Dr. Julius Goebel von der Stanford
Universitat fxihrte den Vorsitz und
Herr Martin Centner von der Staats-
universitat fungierte als Sekretar.
Die Versammlung war gut besucht
und Professor Goebel eroflnete sie mit
einer Ansprache iiber das Lesen von
den deutschen Klassikern. Der Red-
ner machte geltend, dass die grossen
deutschen Dichter einen viel grosseren
Anspruch darauf haben, an unseren
Universitaten und Colleges studiert zu
werden, als die alten Klassiker. Schil-
ler's ,,Asthetische Briefe" z. B. wagen
Ciceros Reden auf, und Goethes Werke
wurden von keinem alten Klassiker
iibertroffen.
Der zweite Redner war Prof. W. Kip
von der Stanford Universitat. Er
sprach iiber das Lesen von Gedichten
im deutschen Unterricht und hob her-
vor, dass die Gedichte ein Spiegelbild
des Nationalgeistes seien und als sol-
ches behandelt werden miissten. Auch
sollten sie dazu benutzt werden, um
auf das Gemxit des Schiilers einzuwir-
ken. Im ganzen war er fur eine
schlichte Darbietung, da diese einen
um so grosseren Eindruck mache.
An letzteren Vortrag seniors sich
eine Debatte, woran sich mehrere der
Anwesenden beteiligten.
Wegen der vorgeriickten Stunde
musste ein Vortrag von Herrn V.
Buehner von der San Jose High School
iiber das Thema: ,,Wie kann man den
deutschen Unterricht lebendig und
praktisch machen?" und ein Vortrag
von Prof. A. Putzker von der Staats-
universitat: ,,Kiinf tiger deutscher Un-
terricht in Californien", auf die
nachste Versammlung im Oktober ver-
schoben werden. V. B.
Chicago.
Am 20. April fand unter dem Vor-
sitz des Prasidenten, Herrn Zutz, die
regelmassige monatliche Versamm-
lung des Deutschen Lehrervereins von
Chicago in der Handel-Halle statt.
Nach Erledigung einiger notwendiger
Geschafte hielt Herr Dr. G. A. Zim-
mermann einen ebenso lehrreichen
wie interessanten Vortrag iiber das
Thema ,,Das Passionsspiel inOber-Am-
mergau". Sodann sang Frl. Rosa Lu-
tiger, welche sich im Besitze einer
sehr gut geschulten und sympathi-
schen Stimme befindet, von Fraulein
Zutz auf dem Klavier begleitet, zu-
nachst ,,O bitt Euch, liebe Vogelein",
und sodann als Zugabe ,,Mein Liebster
ist ein Weber". Sehr grosses Inter-
esse erregte ein von Fraulein Jane
Adams (vom Hull House) in englischer
Sprache gehaltener Vortrag, fur wel-
chen sie sich als Thema "Social Eco-
nomies at the Paris Exposition" ge-
wahlt hatte . Samtliche Anwesende,
deren Zahl wohl gegen 200 betragen
mochte, verliessen die Versammlung
nach Schluss derselben in ausserst be-
friedigter Stimmung. Der Lehrerver-
ein wird im kommenden Juni einen
Ausflug pach einem noch naher zu be-
stimmenden Orte in der Nahe von
Chicago unternehmen. E. A. Z.
Cincinnati.
Wenn diese Nummer der P. M. in
die Hande der werten Leserinnen und
Leser gelangi, wird die Superin-
tendenten - Wahl langst erle-
digt und damit die Qual der Ungewiss-
Korresponden^en.
245
heit und des Erratens vortiber sein.
Heute, nur acht Tage vor dem fur die
hiesige Lehrerschaft so wichtigen Er-
eignis, sind die Aussichten flit die bei-
den Hauptkandidaten noch sehr unge-
wiss. Moge die Entscheidung am
Abend des 6. Mai zum Wohle und zur
gedeihlichen, zielbewussten Fortent-
wicklung unserer offentlichen Schulen
ausfallen, indem sie keinen konfusen
Theoretiker, sondern einen prakti-
schen Schulmann, der mit dem Cincin-
natier Erziehungswesen vertraut ist,
an dessen Spitze bringt. Es thut uns
wahrlich not! Wenn bei dieser Wahl
die Ansichten und Wunsche der Lehrer
Beriicksichtigung fanden, wie es doch
eigentlich sein sollte, so wiirde der
richtige Mann an den richtigen Platz
kommen. Sintemalen aber bei solchen
Angelegenheiten die Politik zu viel ins
Spiel kommt, so achtet man die Mei-
nung der Lehrerschaft so wenig als
in jeder anderen Beziehung. Fiir letz-
tere Behauptung ein Beweis: — In
einer ihrer Versammlungen erklarten
sich die englischen Prinzipale einstim-
ntig1 g e g e n die Beteiligung der
Schulen bei der nachsten B 1 u m e n-
parade im Herbst d. J. Sie wiesen
eindringlich darauf hin, dass fur die
Vorbereitungen zur vorjahrigen Blu-
menparade durchschnittlich vierzehn
Tage Schulzeit vertrodelt wurden, ab-
gesehen von den finanziellen Opfern,
die von Schiilern und Lehrern dafiir
gebracht werden mussten. Sie pro-
testierten auch mit Recht gegen den
fortwahrenden Missbrauch der Schu-
len zu geschaftlichen Reklamezwecken
— half alles nichts! Bei der Schul-
ratssitzung vom 22. April erklarte sich
diese Korperschaft zum Gefallen un-
serer Geschaftsleute einstimmig fur
die Beteiligung der Schulen an der
nachsten Blumenparade. Damit
basta!
In der Oberlehrerver-
versammlung am 25. April hielt
Herr Louis Hahn einen zehn Minuten
langen Vortrag liber ,,Aufsatz in den
Primar- oder Distrikt-Graden". Der
Eef erent betonte dabei besonders zwei
Punkte, namlich, dass sich der Aufsatz
eng an das Lesebuch anzuschliessen
habe, ohne dabei aber nur eine Wie-
dergabe der betreffenden Musterlese-
stiicke zu liefern. Solche Reprodukti-
onen mit verandertem Zahl-, Perso-
nen- und Zeitverhaltnis seien ortho-
graphische oder grammatische Ubun-
gen, aber keine Aufsatze. Zweitens
erinnerte er an den schon oft gepre-
digten, aber leider sehr oft ausser
Acht gelassenen Grundsatz, dass die
Vorbereitung und nicht die Korrektur
des Aufsatzes die Hauptsache sei.
Denn es sei besser, die Entstehung
von Ubeln zu verhindern, als die be-
gangenen Fehler zu bestrafen oder
auszumerzen. Die Besprechung des
zweiten Teils seines Themas, der Auf-
satzunterricht in den Intermediat-
Graden, behielt sich der Referent fiir
eine spatere Gelegenheit vor. Da keine
anderen Geschafte vorlagen, so kam
die Sitzung zu einem ungewohnlich
schnelleu Abschluss.
In der Versammlung des Lehrer-
v e r e i n s, die aus verschiedenen
Grunden vom ersten auf den letzten
Samstag im April verschoben wurde,
hielt Dr. Gustav Bruhl, unter dem
Schriftsteller-Namen Kara Giorg wohl
bekannt, einen fesselnden Vortrag
iiber den ,,Ursprung der amerikani-
schen Rassen und ihrer Kultur". Der
Redner, der als Dichter, Forschungs-
reisender und Ethnologe diesseits und
auch jenseits des Ozeans einen bedeu-
tenden Namen besitzt, wusste sein
Thema, wenn auch in mancher Bezie-
hung abweichend von den Forschun-
gen anderer Gelehrter auf diesem Ge-
biete, in solch anziehender Weise zu
behandeln,dass die Anwesenden seinen
Ausftihrungen bis zum Schluss mit ge-
spannter Aufmerksamkeit folgten.
President Willenborg sprach jeden-
falls im Sinne aller Zuhorer, als er dem
Redner den herzlichen Dank fiir sei-
nen Vortrag aussprach.
Herr Eckhart Keller, Turnlehrer der
Newport Turngemeinde, fiihrte hier-
auf mit acht seiner Schulerinnen ei-
nen hiibschen Reifenreigen vor, der
bereits letzten Februar eine Nummer
bei der gymnastischen Schaustellung
in der Sangerfesthalle bildete. Herr
Oberlehrer Victor Groneweg folgte
alsdann mit einem Violin-Solo, wobei
er von seiner Schwester, Frl. Cora, auf
dem Piano begleitet wurde. Herr
Groneweg, der sich ein Allegretto und
ein Larghetto von Hauptmann fiir sei-
nen Vortrag gewahlt hatte, spielte
mit anerkenneswertem Verstandnis
und Gefiihl.
Bei Erledigung des geschaftlichen
Teiles verlas Dr. H. H. Fick folgenden
Bericht, der gutgeheissen und einstim-
mig angenommen wurde:
,,Das Komitee, welches beauftragt
wurde, die Frage einer Wiederbele-
bung des Ohioer Deutschen Lehrer-
bundes und die Zweckmassigkeit der
Abhaltung eines diesjahrigen Lehrer-
tages im Staate in Erwagung zu zie-
hen, erlaubt sich, folgendermassen zu
berichten:
246
Pttdagogiscbe Monatsbefte.
Es Bind Erkundigungsbriefe an die
verschiedenen Lehrervereinigungen
Ohios und die frflheren Einzelmitglie-
der des Ohioer Deutschen Lehrerbun-
des ausgeschickt worden, urn deren
Stellung zur Frage bestimnaen zu kon-
nen. Aus Cleveland, Columbus, Day-
ton, Toledo und Spring-field sind Ant-
worten eingetroffen, welche wohl er-
mutigend lauten, aber doch nicht ei-
nen festen Beschluss hinsichtlich ei-
ner Versammlung1 jetzt angebracht er-
echeinen lassen. Das Komitee em-
pfiehlt daher dem Deutschen Lehrer-
verein von Cincinnati, vorlaufig die
Angelegenheit ruhen zu lassen, allein
die Verbindung mit den frttheren
Zweigvereinen und Einzelmitgliedera
aufrecht zu erhalten und agitatorisch
fur die Erneuerung des Ohioer Deut-
schen Lehrerbundes zu wirken."
Das Komitee: H. H. Pick, H. Q.
Burger, Louis Hahn.
Zur Ehrung des verstorbenen Mit-
gliedes Frl. Margarethe Deckebach
von der 25. Distriktschule erhoben
sich die Anwesenden von ihren Sitzen.
Von derselben Schule wurde Frl. Rosa
Asbach als neues Mitglied aufgenom-
men. Es wurde beschlossen, auch
dieses Jahr wiederum einen Ausflug
des Lehrervereins zu veranstalten und
zwar im Monat Juni. Der Vorstand
wurde mit den naheren Vorbereitun-
gen dafiir betraut.
Zur ErSffnung und Schluss der gut
besuchten Versammlung erfreute der
Lehrergesangchor die Zuhdrer mit den
recht flott vorgetragenen Liedern
,,Frtihlings-Ahnung" und ,,Abend-
glocken".
Nachschrift. In der Schulrata-
sitzung am 6. Mai wurde Dr. B o o n e
einstlmmlg als Superintendent
der offentlichen Schulen auf zwei Jahre
wiedererwahlt. Es lebe Seiner Maje-
stat allerunterthanigste Opposition
und die politische Allmacht Cincinna-
tis ! Amen. E. K.
New York.
Deutscher Lehrerverein
von New York und Umge-
g e n d. Jupiter Pluvius spielte uns
gestern einen groben Schabernack.
Oder wollte er uns nur versuchen?
Wollte er herausfinden, wer mit dem
Verein durch Dick und Dunn gehe,
wollte er die Treuen sehen, denen we-
der Kegen noch Sturmschauer ins
Herz haucht, wenn es gilt, der guten
Sache zu dienen? Es war in der That,
im wahrsten Sinne des Wortes, ein
Gehen durch dick und diinn. Denn
die Strassen New Yorks, vom strdmen-
den Regen gepeitscht, glichen am
gestrigen Ostersamstag einem wild-
schaumenden Gebirgsstrome. Aber
ein Dutzend der Getreuen hat die
Wasserprobe bestanden. Und der
Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts
w^ird statt dem Lied vom braven Mann
einst das ,,Lied der zwolf Braven" sin-
gen, die fiber New Yorks Flut-
schlamm hinweg wie ,,mit Blumen-
fiissen" ihr Lokal betraten. Der Ver-
einsgenius hatte s i e nicht verlassen.
,,Wen du nicht verlasst, Genius,
Wird dem EegengewOlk,
Wird dem Schlossensturm
Entgegen singen,
Wie die Lerche,
Du da droben."
So war es. Einmal warm im kosi-
gen Winkel, sang man von Lenz und
Liebe, von seliger Studentenzeit, von
Freiheit, Schulmeisterwurde, von
Schulmeistersleid und Schulmeisters-
freud'! Auch die leichte und leichter
geschurzte Muse stellte sich imDam-
merlicht des Abends ein: Witz und
Witz, Blitz und Blitz kam Schlag auf
Schlag. Was Wunder, wenn in solch
gehobener Stiminung der angekiin-
digte Vortrag: ,,t)ber amerikanische
Padagogen der Gegenwart" fast ganz
vergessen wurde. Und als dann end-
lich jemand auf die Tagesordnung
aufmerksam machte, wurde in ,,Anbe-
tracht der schwachen Beteiligung"
der Vortrag auf die nachste Versamm-
lung verschoben.
Die Titel der anderen in Aussicht
genommenen Vortr&ge sind: 1) Volks-
kunde im deutschen Unterricht. 2)
Die Behandlung der deutschen Mytho-
logie im deutschen Unterricht. 3)
Bericht fiber die Verhandlungen des
Internationalen Congresses ffir mo-
derne Sprachen in Paris und der letz-
ten Neuphilologen - Versammlung in
Deutschland. 4) Besprechung des
Wundt'schen Werks: Die Sprache. 5)
Schulferien. 6) Vergleich des ameri-
kanischen und deutschen Lehrers, was
kann der eine vom andern lernen. 7)
Lessing als Erzieher. 8) Eussische
Schulverhaltnisse. A. K.
II. Umschau.
Amerika.
Chicago. Auch ein "E d -
u c a t o r". In einer Versammlung
des Lehrervereins von Cook County
hielt Charles K. Barrett, Superinten-
dent des ,,Chicago Athenaeum", einen
Vortrag iiber das Thema, was der Leh-
rer zur Belebung des Unterrichts bei-
tragen konne. Kleine Erzahlungen
konnten sehr wohl verwendet werden;
auch wiirde die Wiirde des Lehrers
nicht beeintrachtigt werden, wenn er
dem Ratsel einen Platz im Schulzim-
mer gewahrte. Folgendes Ratsel
wiirde zur Aufmunterung der Schiiler
beitragen: "When does lettuce
blush?" "When it sees the salad dress-
ing." — Weiterhin fiihrte er aus, dass
ein Lehrer sich des Trinkens, Tabak-
rauchens und -kauens enthalten mila-
ge. Auch miisse der Lehrer das Kind
anhalten, auf seine aussere Erschei-
nung zu achten. "Ask a boy why he
wears a collar two sizes larger than
his shirt or why he wets his hair be-
fore combing it. Never be prosy in the
class room. Bead a newspaper and
talk about the topics of the day," wa-
ren seine eigenen Worte. (The School
Journal.)
Auf Supt. Cooley's Em-
pfehlung hin beschloss der Schul-
rat von Chicago, bei Einrichtung von
neuen Kindergarten erst die
armeren Distrikte zu beriicksichtigen.
Diese Korperschaft wich auch nicht
von diesem Beschlusse ab, als die Be-
wohner von Eogers Park sich erboten,
einen Kindergarten auf eigene Kosten
auszustatten, wenn der Schulrat sich
zur Anstellung einer Lehrerin herbei-
lassen wiirde.
San Francisco. Die Stadtver-
waltung nahm kiirzlich eine Hegel an,
nach welcher die Schulkinder auf
ihrer Fahrt nach und von der Schule
auf den Strassenbahnen eine Fahr-
preisermassigung um die Halfte des
regelmassigen Fahrpreises erhalten
sollen. Eine Einrichtung, die Nach-
ahmung verdient!
In Salt Lake City wurden die
Schulen aus Mangel an Mitteln zur
Bestreitung der Unterhaltungskosten
am 19. April geschlossen.
Zu B i n g h a m t o n, N. Y., hat der
Polizeichef vorgeschlagen, dass die
Strafgesetze in die Schulleitfaden auf-
genommen werden. So solle z. B. die
Definition fur Diebstahl (larceny) und
dessen gesetzliche Strafen von jedem
Schiller gelernt werden. What next?
Auch nicht iibel! Die Schiller
der Hochschule zu Charles City in
Iowa nahmen unter sich eine Abstim-
mung vor, wie viele von ihnen die
deutsche Sprache studieren wollten.
Das Kesultat war, dass sie alle mit
,,Ja" stimmten, bis auf 13, und diese
waren allesamt Kinder von — deut-
schen Eltern! Weitere Bemerkungen
sind hierzu eigentlich uberniissig.
Deutschland.
Fiir die deutsche Recht-
schreibung soil in der That et-
was geschehen. In der Kammer der
Abgeordneten zu Stuttgart hat der
wiirttembergische Kultusminister auf
eine Anfrage des Abg. Hieber erklart,
die vom Reichskanzler angeregte
Konferenz zur Einfiihrung einer ein-
heitlichen deutschen Eechtschreibung
trete noch diesen Sommer zusammen.
Die Grundlage werde wohl die Puttka-
mersche Rechtschreibung, unter Ab-
streifung der Differenzen der einzel-
nen Staaten, bilden.
Der Allgemeine Deut-
sche Schulverein hat im Jahre
1900 insgesamt 43,000 Mark verein-
nahmt, gegen 35,000 M. im Durch-
schnitt der letzten sechs Jahre. An
Unterstiitzungen wurden iiber 34,000
M. gewahrt, gegen 22,000 M. im Durch-
schnitte der letzten sechs Jahre.
tJber 8,000 M. flossen davon nach den
Sudetenlandern und iiber 6,000 M.
nach Tirol. Bei der Bedeutung dieser
Unterstiitzungen fur das Deutschtum
im Auslande ware dem Verein ein rei-
cher Zufluss von Mitteln wohl zu wiin-
schen.
Absch i e d sf ei er fiir Otto
Ernst. Am 8. Marz d. J. f and im
deutschen Schauspielhause zu Ham-
burg die Erstauffiihrung des Flachs-
mann statt. Der Erfolg und die Be-
geisterung waren derartig gross, dass
der Autor 16 Mai vor der Rampe er-
scheinen musste. Nach der Auffiih-
rung vereinigte sich eine grosse An-
zahl von Lehrern und Freunden des
Herrn Otto Ernst im Grundsteinkel-
ler, um ihm anlasslich seines Aus-
scheidens aus dem Lehrerberufe eine
kleine Abschiedsfeier zu bereiten. In
einem ganzen Reigen von Trinksprii-
chen wurde Ernst als Dichter und
Kiinstler gefeiert. In seiner Erwide-
rung versprach der Geehrte, dass er
auch ferner dem Lehrerstande die
248
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
treueste Anhanglichkeit bewahren
werde. Fiir ihn habe es sich darum
gehandelt, entweder dem Lehrerberuf
oder dem Schriftstellerberuf ganz an-
zugehoren. Er habe sich, dem Drange
seines Herzens folgend, fur den Dich-
terberuf als den hoheren entschlossen.
Sein Hoch gait der deutshcn Schule
und dem vorwarts strebenden Lehrer-
stand.
Pommern. Hausfriedens-
bruch und Freiheitsberau-
b u n g. ,,Am 22. Febr. vormittags
drang, so berichtet das ,,Stralsunder
Tageblatt", der Rittergutsbesitzer v.
Platen auf Parchow in das Klassen-
zimmer der Bischof sdorf er Schule und
beschimpfte den Lehrer, weil er ihm
Kinder zur Fuchsjagd verweigert hat-
te. Als er sogar thatlich gegen den
Lehrer vorging, wurde er von diesem
zur Thiir hinausbefordert. Bald aber
kam er mit Arbeitern und Gutsbeam-
ten zuriick, liess die verschlossene
Hausthiir aufbrechen und den Lehrer,
der durch die Flucht aus dem Fenster
alien weiteren thatlichen Beleidigun-
gen aus dem Wege gehen wollte, er-
greifen und gefesselt auf einem
Schlitten nach Altenkirchen zum
Amtsvorsteher bringen. Nachdem die-
ser Herr von beiden Seiten den Sach-
verhalt erfahren hatte, setzte er
Herrn Wolf sofort in Freiheit, und
dieser erstattete ungesaumt Anzeige
von dem Vorgefallenen. Hoffentlich
wird Herrn v. P. und seinen Helfern
Gelegenheit geboten, dariiber Be-
trachtungen anzustellen, dass in ei-
nem geordneten Rechtsstaat andere
Mittel angewandt werden miissen, um
vermeintliche Rechte geltend zu
machen." — Die ,,Deutsch. Tagesztg."
weist jetzt darauf hin, dass Herr v.
Platen-Parchow seit einigen Tagen in
eine Irrenanstalt eingeliefert worden
sei.
Seiner Kuriositat wegen
verdient ein Vorschlag des Regie-
rungsrats v. Unruh in Liegnitz Erwah-
nung. Herr v. Unruh will in Anleh-
nung an die Bell-Lancasterschen
Schuleinrichtungen in England altere
Schiller fur den Unterricht der jiinge-
ren anlernen und sie nach der Schul-
zeit ,,gegen ein angemessenes Tage-
lohn" anstellen. Die Sache hat nach
Herrn v. Unruh so ziemlich alles fur
sich. ,,Armen, aber klugen und fleissi-
gen Kindern wird eine verhaltnis-
massig glanzende Zukunft eroffnet";
die so allmahlich herangezogenen jun-
gen Lehrer bekommen eine vorziigli-
che ,,Praxis"; die ,,anlernenden "Orts-
schulinspektoren verdienen sich ,,eine
Entschadigung", und die Gemeinden
,,machen Ersparnisse", da das Tage-
lohn des Gehilfen natiirlich nicht so
hoch sein darf, wie das Gehalt ernes
jungen Lehrers". Der Vorschlag ist
patent, hat aber seinem Urheber be-
reits eine Versetzung nach einem an-
deren Wirkungskreis eingebracht.
Frankreich.
Ein kiinstlerisches Unter-
n e h m e n, das nicht der Originalitat
entbehrt, ist soeben in Paris ins Le-
ben genifen worden. Es nennt sich
,,Ecole de la rue" und bezweckt, bei
Handwerkern, Arbeitern sowie Ange-
stellten den Sinn fur Formenschonheit
und Kunstgeschmack zu wecken,
ihnen in Museen, historischen Gebftu-
den, ja sogar unter freiem Himmel
Vortrage iiber Kunst und Wissen-
schaft halten zu lassen. Das Volk —
so heisst es in dem Prospekt dieser
neuen Kunstvolksschule — soil zum
Verstandnis des Schonen und Erhabe-
nen herangezogen werden, und das sei
in Paris ebenso wie anderwarts erfor-
derlich; denn der kiinstlerische Sinn
nehme in den mittleren und unteren
Volksschichten mehr und mehr ab.
Dass das neue Unternehmen ernst zu
nehmen ist, dafiir biirgen die Namen
hervorragender Kiinstler und Kunst-
gelehrter, die ihm beigetreten sind
oder ihre Unterstiitzung zugesagt
haben. — tJber den Militardienst
der f ranz 6 s is ch e n Lehrer
hat auf Antrag des Kriegsministers
der Senat kurzlich ein Gesetz ange-
nommen, das besagt, dass kiinftig die
franzosischen Lehrer auf ihr Gesuch,
je nach Wunsch, von der ersten oder
der zweiten Eeserveiibung dispensiert
werden konnen. Ein Jahr miissen sie
als gewohnliche Soldaten ohne Aus-
sicht auf Beforderung dienen.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das detitschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. Juni 1901. Hefty
Zum Lehrertage. Unser lieber Kollege ,,Pencil Vania" hat mit dem
kraftigen Wortchen in dem Maihefte der P. M. beziiglich des Lehrertages
tins voll und ganz aus der Seele gesprochen, und wir konnen nur , Ja und
Amen" dazu sagen.
Sollen wir nun von neuem auf die Bedeutung von Lehrervereinen,
auf die Wichtigkeit der Vereinigung gerade der deutschamerikanischen
Lehrer, auf den Segen der gemeinsamen Tagungen fur die Gesamtheit
wie fur den Einzelnen hinweisen? Dessen ist zur Geniige geschehen; und
alle Lehrer und Lehrerinnen, die da Ohren haben zu horen, die sich Be-
geisterung und Freudigkeit fur ihren Beruf, sowie das Bewusstsein, einer
grossen Sache zu dienen, aus der Alltaglichkeit gerettet haben, wissen, was
wir wollen und sie sollen.
Der 31. Lehrertag zu Indianapolis bietet ein inhaltreiches Programm,
das jedem Lehrer, welche beruflichen Interessen er auch haben mag, An-
rcgung versprioht, der Ortsausschuss bietet uns die Gastfreundschaft des
gesamten Deutschtums der Stadt Indianapolis, so dass neben der Arbeit
auch der Unterhaltung und Geselligkeit Gerechtigkeit widerfahrt — n u n,
deutschamerikanische Lehrerschaft, liegt es an
dir, den Erfolg zu sichern! Ruttle dich endlich auf!
Noch istes Zeit, bald aber mochte es zu spat sein!
* * *
Unsern Lesern und Leserinnen entbieten wir einen herzlichen Ferien-
gruss und wiinschen ihnen, dass sie die wohlverdiente Ruhe und Erholung
nach schwerer Jahresarbeit finden mogen!
Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.
(Offlziell).
31. Jahresversammlung in Indianapolis, Ind., 10., 11., 12., 13. Juli 1901.
Aufruf des Bundesvorstandes.
/.inn ersten Male seit Bestehen des Lehrerbundes wird unsere Jahresver-
sammlung in Indianapolis, Ind., abgehalten. Dem Bundesvorstand 1st es ge-
lungen, erprobte Eedner von padagogischem Eufe fur den diesjahrigen Lehrer-
tag zu gewinnen, welche wichtige Themata auf erzieherischem Gebiete behan-
deln werden. Es war stets das Bestreben des Lehrerbundes, die Anbahnung
und Verbreitung vernunftgemasser Jugenderziehung, die hierzulande immer
noch sehr notthut, nach besten Kraften zu fordern. Die reaktionare Bewe-
gung kurzsichtiger Nativisten, welche die Vorteile eines zweisprachigen Unter-
richts nie begreifen lernen und deshalb den deutschen Unterricht stets be-
kampfen, macht festes Zusammenhalten der fortschrittlichen Elemente auf
dem Erziehungsgebiete gegenwartig mehr als je zur gebieterischen Pfllcht.
Wir richten daher an alle, denen die Einfiihrung, Hebung 'und Ausbreitung
des deutschen Sprachunterrichts in den Schulen Amerikas, sowie die Erhal-
tung des deutschen Wissens hier im Lande am Herzen liegt, die dringende
Einladung, sich am Lehrertage in Indianapolis zu beteiligen .
Der Ortsausschuss daselbst, in dessen Hande die Vorbereitungen fur den
geselligen Teil des Lehrertags gelegt wurden, hat es sich zur Aufgabe ge-
inacht, diese Jahresversammlung des N D. A. L. in betreff Unterhaltung der
Gaste aufs glanzendste durchzufiihren. . , , ,,
Der Bundesvorstand.
Einladung des Biirgerausschusses.
Das hiesige Deutschtum, welchem die Erhaltung der teuren Muttersprache
uiid die Pflege deutschen Geistes und Wesens Ehrensache ist, heisst mit Freu-
den seine Mitkampfer auf dem Gebiete der Erziehung in seiner Mitte willkom-
men. Die zentrale Lage Indianapolis' ermoglicht es den deutschen Lehrern
und Schulfreunden aus alien Teilen der Union, der Jahresversammlung bei-
zuwohnen. Aufgabe der hiesigen Deutschen ist es, diesen Lehrertag zu einem
sowohl fiir die Besucher der Stadt wie fiir die Biirgerschaft denkwiirdigen Er-
eignisse zu gestalten.
Achtungsvoll,
Der Biirgerausschuss,
Robert Nix, Vofsitzer,
Peter Scherer, Sekretar.
Program m.
Mittwoch, 10. Juli.
Abends 8 bis 10 Uhr — Empfang im Deutschen Haus.
Begriissungsansprache des Gouverneurs, des Mayors und eines Mit-
gliedes des Schulrats.
Eroffnung des Lehrertages durch den Bundesprasidenten.
Gemiitliche Unterhaltung.
Donnerstag, 11. Juli.
Vormittags 9 Uhr -- Erste Hauptversammlung.*
* Samtliche Versammlungen flnden im Deutschen Haus statt.
Nationaler Deutschamerikanischer Lebrerbund. 251
1. Geschaftliches (Berichte der Beamten, Erganzung des Vorstan-
des und Ernennung der verschiedenen Ausschiisse).
2. Vortrag: Deutsche Beitrage zum amerikanischen Geistesleben
der Gegenwart. — P rof. Starr Willard Cutting, University of
Chicago.
3. Bericht der Seminar-Priimngskommission.
4. Vortrag: Der deutsche Unterricht vom Standpunkte der Sozial-
padagogik. — Prof. Adolf Kromer, Cleveland, O.
J 2 U h r — Gemeinsames Mittagessen im Hotel English.
Nachmittags — Ausflug.
Abends — Konzert, veranstaltet vom Deutschen Klub und Musikver-
ein im Garten des Deutschen Hauses.
Freitag, 12. Juli.
Vormittags 9 Uhr — Zweite Hauptversammlung.
1. Geschaftliches.
2. Vortrag: Welche Unterrichtsmittel stehen dem deutschen Leh-
rer ausserhalb seiner Klasse zur Verfiigung? — Prof. G. E.
Karsten, University of Bloomington, Ind.
3. Bericht des Komitees zttr Pflege des Deutschen.
4. Vortrag: Die berufliche und finanzielle Stellung des Elementar-
lehrers. — Prof. B. Kuttner, New York.
•£2 Uhr — Gemeinsames Mittagessen im Hotel English.
Nachmittags — Ausflug. Dampfschiff fahrt auf dem White River.
Abends — Unterhaltung durch den Mannerchor.
Samstag, 13. Juli.
Vormittags 10 Uhr — Schlussversammlung.
1. Geschaftliches.
2. Vortrag: Gegenseitige Beziehungen der deutschen und engli-
schen Litteratur, mit besonderer Riicksicht auf den Litteraturbe-
trieb in der Schule. — Prof. A. R. Hohlfeld, Vanderbilt Univers-
ity, Nashville, Tenn.
3. Berichte der verschiedenen Ausschiisse. Revision der Statuten,
Vorstandswahl.
4. Vertagung.
\ 2 Uhr — Gemeinsames Mittagessen im Hotel English.
Nachmittags — Besichtigung der Stadt.
Abends — Abschiedskommers im Deutschen Haus.
Einqnartiemng.
Fur die Einquartierung der Lehrertagsbesucher sind mit nachstehenden
Hotels Abkommen . getroffen worden:
Hotel English — $2.00 pro Tag und Person f iir Kost und Zimmer ohne
Bad — $2.50 mit Bad. Europ. Plan: Einzelzimmer $1.00 pro Tag; Zimmer
fur zwei Personen $1.50. Bad 50c bis $1.00 extra.
Circle Park Hotel — $1.50 fur Kost und Zimmer.
252 P'ddagogische Monatsbefte.
Reisebedingungen.
Die Fahrt nach Indianapolis von alien Platzen ostlich vom Mississippi
kostet den regelmassigen Preis. Die Besucher des Lehrertages miissen sich
jedoch beim Erstehen der einfachen Fahrkarte ein Zertiflkat geben lassen und
letzteres nach der Ankunft in Indianapolis dem Bundessekretar zur Unter-
schrift einhandigen, urn dadurch die ermassigte Kuckfahrt (% des regularen
Preises) zu sichern. Die Fahrkarte hat fur z e h n Tage Giltigkeit.
Damit obige Ermassigung erlangt werden kann, ist es notwendig, dass
wenigstens hundert Zertifikate abgegeben werden.
Una weitere Auskunf t wende man sich an Herrn Louis Hahn, 2531
Scioto Str., Cincinnati, O.
Das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar.
Die Anstalt beginnt ihren 24. Jahreskursus am 3. September 1901,
Die Aufnahmepriifung findet am 2. September statt. Junge Leute, die
sich dem Lehrerberuf widmen wollen, und eine gediegene Vorbildung su-
chen, werden gebeten, ihr Aufnahmegesuch in Balde an den unterzeichne-
ten Direktor zu richten.
Das Seminar ist die erste und einzige nationale Anstalt, welche das
freisinnige Deutschtum in den Vereinigten Staaten gegriindet hat und er-
halt. Es hat sich die hohe Aufgabe gestellt, fur die Volksschule dieses
Landes Lehrer heranzubilden, welche imstande sind, in deutscher sowohl
als in englischer Sprache erfolgreich zu unterrichten. Es versucht, seine
Schiiler mit den Errungenschaften der modernen Padagogik vertraut zu
machen und sie fur ihre erhabene Mission, die Erhaltung und Pflege deut-
scher Sprache und deutscher Sitte zu begeistern. Damit sie dieser Auf-
gabe um so besser gerecht werden konnen, geben wir ihnen eine gedie-
gene turnerische Ausbildung, die sie befahigt, den Unterricht in der Gym-
nastik nach deutschem System in ihren resp. Schulen zu erteilen. Die
Verbindung der Anstalt mit dem Turnlehrerseminar des Nordamerikani-
schen Turnerbundes erleichtert uns diese Aufgabe.
Ein Kurstrs fur Kindergartnerinnen ist in dem Lehrplan vorgesehen;
fiir denselben gelten die gleichen Aufnahmebedingungen wie fur die
Volksschullehrer. Dem Handfertigkeitsunterricht wird gebuhrende Auf-
merksamkeit geschenkt.
Der Unterricht ist unentgeltlich ; das Schreib- und Zeichenmaterial
liefert die Anstalt. Talentvollen aber unbemittelten Studenten werden
Vorschiisse gewahrt; auch stehen Lehrbiicher leihweise zur Verfiigung.
Das Direktorium hat somit Sorge getragen, auch armeren Schiilern
den Besuch des Seminars zu ermoglichen.
Der Direktor des Lehrerseminars ist gern bereit, Schulbehorden,
welche neue Lehrkrafte suchen, passende Personen vorzuschlagen.
Flachsmann als Er^ieber. 253
Wir halten es fur unsere Pflioht, die Musterschule des Seminars, die
deutsch-englische Akademie, solchen Eltern zu empfehlen, welche ihren
Kindern eine gediegene und griindliche allgemeine Bildung zu geben
wtinschen. Alle Facher der Volksschule . mit Einschluss von Turnen,
Singen, Zeichnen, Modellieren und weiblichen Handarbeiten werden von
tiichtigen, erfahrenen Lehrkraften gelehrt.
Weitere Auskunft erteilt auf Verlangen
Direktor Emil Dapprich,
558-568 Broadway, Milwaukee, Wis.
Der Verwaltungsrat des Lehrerseminars :
Dr. Louis F. Frank, President
Albert Wallber, Sekretar.
Flachsmann als Erzieher.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von Oscar Burekhardt, Milwaukee, Wis.
(Schluss.)
Es steht schlimm um den Kopf Flemings ; zwei ubereingestimmte See-
len arbeiten mit Maulwurfslust daran, ihn zum Fall zu bringen: Flachs-
mann und Diercks. Diercks ist der ,,gute" Kollege, ein Schulmeister aus
dem vierfachen f: faul, frech, fett und feige, oder wie Fleming ihn mit
einem alliterierenden epitheton ornans bezeichnet, ein Filou. Den Fle-
ming konnte er schon im Seminar nicht ausstehen; verstand es doch der-
selbe, sich als ,,lieb Kind" aufzuspielen, besonders da er in seinen Auf-
satzen ,,Gedanken" entwickelte. Dass er seine Kollegen beim Direktor
verhetzte, konne er, Diercks, zwar nicht beweisen, aber beschworen wolle
er es gern.
Ein solcher Mann muss hinaus, er passt nicht in das schone Ensemble.
Da heisst es nun, gemeinsam ein padagogisches und allgemeines Siin-
denregister zusammenzustellen und damit die geheime Conduiteliste an-
zufiillen. Sehen wir uns doch einmal das interessante, von Herrn Flachs-
mann eigenhandig, sorgsam und methodisch verfertigte Schriftstiick an,
das sich ungefahr so liest wie das Protokoll, welches der Untersuchungs-
richter mit einem Angeklagten aufnimmt.
N o. 1. Der Angeklagte lasst seine Schtiler nicht vorschriftsmassig
unter einem Winkel von 45 Grad schreiben, sondern gerade wie sie wol-
len, indem er insubordinationswidriger Weise erklart, die Sache sei ihm
ganz egal, so lange sie nur gut schrieben.
N o. 2. Die Namen der Propheten haben die Sohuler des Angeklag-
ten zwar in der Reihe hersagen konnen, aber nicht riickwarts, und Herr
254 P'ddagogische Monatshefte.
Flachsmann legt doch so grossen Wert auf diesen von ihm eigenkopfig
atisgedachten Zug verfeinerter Padagogik.
N o. 3. An einem heissen Nachmittage hat der Angeklagte seine
Schuler in den Hof hinausgenommen, hat sie dort ihre Jacken aus-
ziehen lassen und hat sie selbst — horribile dictu — in Hemdsarmeln unter-
richtet. Der Angeklagte behauptet, dass Pestalozzi es auch so gethan
habe. Lacherlich! Immer Pestalozzi, als wenn es keine modernen Pa-
dagogen gabe, wenn auch ihre Namen nicht in den Lehrbiichern der Ge-
schichte der Padagogik zu finden seien. Ein hemdarmliger Lehrer ist ein
Verbrechen in den Augen des propern Herrn Flachsmann, der stets seinen
sogenannten Bratenrock anhat und es zu einer Hauptobliegenheit des
Schuldieners macht, dafiir zu sorgen, dass kein Staubchen sich dauernd
auf diesem padagogisch korrekten Rock niederlasse.
N o. 4. Der Angeklagte ist zu nachtlicher Zeit, wahrscheinlich nach
einer in die Lange gezogenen Kneiperei, mit den Kleidern in den Teich
gesprungen, um daselbst ein abkiihlendes Schwimmbad zu nehmen. Das
mag vielleicht im 18. Jahrhundert Mode gewesen sein, als die gottsjam-
merliche Bande von Stiirmern und Drangern in Dichtung, Religion, Poli-
tik, Wissenschaft und vor allem in der Moral so heillose Unordnung an-
stifteten; aber ein Lehrer ist doch kein Stiirmer und Dranger, sondern sei-
nem ureigensten Wesen und Zwecke nach ein Vorbild der Schicklichkeit,
wf Iche der Angeklagte aufs grobste verletzt hat.
N o. 5. Der Angeklagte hat beim Ausbessern von Schiileraufastzen
Fehler stehen lassen. Als Rechtfertigung fuhrt derselbe an, dass beim
Korrigieren von fiinfzig Heften nur der nicht stumpfsinnig werde, der es
nicht notig habe. Herr Flachsmann erklart, er sei es nicht gevvorden trotz
seiner dreissigjahrigen orthopadischen Thatigkeit in Stilverrenkungen
und Sprachverkrummungen. Angeklagter antwortet.nur mit einem viel-
sagenden: So?, auf welches Herr Flachsmann nichts zu antworten weiss
(ein Beweis, dass schuftige Seelen gegen Spott und Ironic waffenlos sind).
N o. 6. Entgegen der hochobrigkeitlichen Vorschrift, namlich der
Flachsmann'schen, hat der Angeklagte in seinem Klassenzimmer Blumen
geziichtet und Bilder angebracht, wodurch die Aufmerksamkeit der Kin-
der von ernsten Dingen abgelenkt, und der Hang zur Oberflachlichkeit,
ja zur Frivolitat in ihnen erzeugt wird. Der wahre Zweck der Erziehung
sei aber nicht, die Kinder zu asthetischen Wesen heranzubilden, wie es viel-
leicht der Idealist Schiller meint, sondern Unterthanen aus ihnen zu ma-
chen; ja, Herr Fleming und Konsorten, gute, glaubenstreue, loyale und
in der Wolle gefarbte Unterthanen.
N o. 7. Der Angeklagte hat — die keusche Feder Flachsmanns
straubt sich und taucht vor Scham in die links stehende rote Tinte unter —
der Angeklagte also ihat zehn Minuten im Klassenzimmer seiner hiibschen
Kollegin zugebracht, worauf diese wiederum dem Angeklagten einen Be-
such in seinem Klassenzimmer gemacht hat. Ausserdem sind die beiden
Flachsmann als Er^ieher. 255
zu wiederholtenmalen freundlich mit einander plaudernd im Korridor an-
getroffen worden. Solche hart ans ,,Bedenkliche" streifende Vorkomm-
msse mussten umsomehr die moralische Entriistung des Herrn Flachs-
mann entfachen, als besagte hiibsche Lehrerin ihm, dem Direktor, gegen-
iiber stets von dianenhafter Sprodigkeit war.
N o. 8. Mit eigenwilliger Ausserachtlassung der Vorschriften iiber
den zu behandelnden Lesestoff hat der Angeklagte seinen Schiilern Ge-
schichten erzahlt, die nicht im Lehrplan stehen, beispielsweise die Irrfahr-
ten des Odysseus, und zwar wegen ihres poetischen Gehaltes, wie er zu sei-
ner Entschuldigung anfuhrt, obwohl ihm Herr Flachsmann oft genug be-
deutet hat: Poesie? 1st nichts — Thatsachen, mein Herr Fleming, That-
sachen!" — Zu wiederholten Malen hat der Angeklagte die Schuler nach
Schluss des Unterrichtes zuriickbehalten, um ihnen Goethe und Schiller
vorzulesen oder Musik vorzumachen; ferner hat er die Eltern der Kinder
zu abendlichen Versammlungen eingeladen, um gemeinsam mit ihnen das
Erziehungswerk zu besprechen. Alles das sind Neuerungen, die storend
in den wohlgeolten Mechanismus der uniibertreffiichen Erziehungsma-
schine eingreifen etc., etc., etc.
Herrn Flachsmanns Bemerkungen gipfelten in dem pyramidalen
Satze: Die Schule braucht die neuen Wege des Herrn Fleming nicht,
denn die moderne Padagogik ist vollkommen. Wo haben wir denn das
schon einmal gehort? War es in China? Nein, in China sind wir ja nie
gewesen. So war es also in einem anderen grossen Lande, wo die Leute
noch mit Ausnahme einiger Renegaten, ihr regelrechtes Zopfchen tragen
und wo sie zum Schutz gegen aussere Kulturangriffe eine ideelle chinesi-
sche Mauer bauen mochten. Ja, dort, wo man den gleichen Stolz fiihlt,
dass alles so funkelnagelneu ist, wie im alten China, dass alles durch Jahr-
tausende eingerostet ist, dort haben wir den vom Individuum Flachsmann
ausgesprochenen Grundsatz gehort, und wenn er auch nicht in die Konsti-
tution aufgenommen ist, so gilt er doch im ganzen Lande als heilig und
unantastbar. Die ,,vollkommene" Padagogik wiirde freilich als ein chine-
sisch eingefrorenes oder versteinertes Gebilde erscheinen, triebe sie nicht
alljahrlich reiche Bliiten, die man "fads" zu nennen pflegt. Dieselben ver-
gehen zwar ebenso schnell wie sie gekommen sind, aber fur die kurze Zeit
ihrer Existenz hat ihnen ganz China gehuldigt, und so ist es immerhin
eine dankbare Aufgabe fur die Erzieher, vom Commissioner herab bis zur
wohlgesetzten Schoolma'm, einen neuen "fad" zu ersinnen. Der Segen
der Uniformitat zeigt sich hier im hellsten Lichte ; man darf ja, wie Fleming
einmal bemerkt, den grossten Unsinn machen, wenn man nur darauf be-
dacht ist, dass ihn alle machen.
Immer ertappen wir uns darauf, dass unsere Gedanken einen Seiten-
sprung nach China machen, wahrend sie doch in Deutschland beim deut-
schen Flachsmann weilen sollten. Die Szene, in welcher die Gegensatze
Flachsmann und Fleming, Handwerk ud Kunst, Dogmatismus und Wahr-
256 P'ddagogische Monatshefte.
heitsmut auf einander prallen, ist nicnt allein der dramatische Hohepunkt
des Stiickes, sie ist auch vom padagogischen Standpunkte, den wir hier be-
riicksichtigen miissen, die wertvollste. Der kecke Freimut Flemings, der
jugendliche Enthusiasmus, der aus seinen Worten und seinem ganzen We-
sen spricht, wirken erfrischend. Lassen wir ihn in eigener Person spre-
chen: ,,Ihnen, Herr Flaohsmann, ist die Schulmeisterei ein Handwerk,
mir ist sie eine Kunst. Sie wollen den Unterricht durch Verfiigungen lei-
ten, ich will schaffen. Stehe ich vor meinen fiinfzig Jungen, dann habe ich
fiinfzig Seelen vor mir, fiinfzig Essen, in deren Feuer Zukiinftiges ge-
schmiedet wird und nicht Vergangenes."
Herr Flachsmann weiss auch vaterliche Tone anzuschlagen, er will
dem reuigen Sunder einen Weg.offen lassen, und so sagt er: ,,Sie haben
meine Vorschriften buchstablich auszufiihren, Herr Fleming; dann hoffe
ich, mit der Zeit noch einen Lehrer aus Ihnen zu machen." — ,,Einen Leh-
rer? Sind Sie denn ein Lehrer?" — ,,Das dachte ich." — ,,Sie ein Lehrer?
Ein Bildungsschuster sind Sie und ein ganz miserabler." —
Die Wut Flachsmanns wirkt ungemein erheiternd, besonders in der
Darstellung, die ihr der vortreffliche Vertreter dieser Rolle auf unserer
Biihne verliehen hat. Man erinnerte sich an den Gerichtsdiener Holzapfel
in Shakespeares ,,Viel Larm um Nichts", der den ihm angehangten Esel
in alle Welt hinausschreien mochte. Vergesst mir nicht, dass ich ein Bil-
dungsschuster bin! Wenn es auch nicht hingeschrieben ist, erinnert euch
ja, dass ich ein Bildungsschuster bin! Ach, hatte ich nur einen Zeugen,
der's mir bestatigen konnte,dass ich ein Bildungsschuster bin!
Der ,, Bildungsschuster" hat dem Fass den Boden ausgebrochen. Nun
muss doch der Kopf Flemings einmal fallen. Nicht nur seinen Vorgesetz-
ten hat er gegen sich, sondern auch seine werten Kollegen. Sie bilden
eine amusante Gesellschaft, wenigstens auf der Biihne, und so wollen wir
ihnen im Vorbeigehen auch einen Blick schenken. Da ist, um den Damen
den Vortritt zu lassen, Fraulein Betty Sturhahn. Sie entspricht im
vollsten Masse ihrem so onomatopoetisch gewahlten Namen. Hier sitzt
sie, das Bulldoggengesicht iiber einen Stoss von Schiilerheften geneigt.
Man hort ihre Feder rasseln; gewisse Fehler werden mit besonderem In-
grimm unterstriehen,. wobei es nicht an derben Fliichen mangelt. Den
Fleming kann sie nicht leiden; erstens. weil er zu eingebildet ist; zweitens,
weil er die Schwache hatte, sich in ein hubsches Larvchen zu vergaffen.
Aber bei alledem giebt sie zu, dass er ein Mann ist, ein Pradikat, welches
sie dem Kollegen Weidenbaum ins Gesicht hinein abspricht.
Weidenbaum ist, wie der Name erraten lasst, der Gefiigige. Op-
ponieren thut er nie ; Ideen hat er auch, aber sie in die Schule bringen, —
nein — das gabe nur Storungen. Seine Disziplin, auf die er nicht wenig
stolz ist, besteht in dem hundertmaligen Abschreibenlassen : Ich soil oder
ich soil nicht — . Damit erreicht er alles. Der spater auf der Bildflache
erscheinende Schulrat Prell behauptet sogar, wenn Weidenbaum seine
Flacbsmann als Erfieher. 257
Schiiler fiinfzigmal abschreiben Hesse: ,,Das Sofa ist ein Saugetier, denn
es bringt lebendige Junge zur Welt", so miissten 's die Kinder auch glauben.
Dann ist C 1 a u s R i e m a n n da. Er hat sein Lieblingsbuch. Jeder
strebsame Mensch hat ein solohes. Der eine liest im Buche der Natur, der
andere holt sich den Goetheschen Faust hervor, ein dritter meinetwegen
die Bibel; Claus Riemann aber widmet in ungeschwachtem Eifer, in nie
versiegendem Interesse, Stunden, Tage, Jahre seines wertvollen Lebens
dem Buch mit den zweiunddreissig Blattern. Warum hat ihn der Dich-
ter, der doch sonst fur seine Helden bezeichnende Namen gefunden hat,
nicht Wenzel genannt?
Ja, das edle Skatspiel! Eine hohe Regierung sollte viel mehr thun,
dasselbe zu unterstiitzen und zu verbreiten. Es sollte in den Schulen ge-
lehrt werden und gleich vom Kindergarten an, wo den Kleinen durch An-
schauungsunterricht der Unterschied zwischen dem roten und grunen
Wenzel klar gemacht wird. In den hoheren Graden werden dann unter
Aufsicht des Lehrers einfache Spiele gemacht und analysiert; auf den Uni-
versitaten aber miisste ein Seminar, am besten als Zweiginstitut der juristi-
schen Fakultat, eingerichtet werden, wo alle auf das edle Spiel bezuglichen
Streitfragen eine wissenschaftliche Erledigung finden. Das ware doch
Volkserziehung, und was fiir Patentbiirger wiirden aus derselben
hervorgehen! Skatbriider sind ein Bollwerk gegen jede Revolution; denn
wenn es zu einer solchen kommt, miissen sie ja noch schnell die letzten
Runden ansagen, und ehe diese zu Ende sind, ist die Revolution auch zu
Ende.
Zwei andere Kollegen, den fidelen Vogelsang und den noch vom
Jugendfeuer beseelten Franz Romer, die friiher mit Begeisterung zu Fle-
ming hielten, hat er sich zu Feinden gemacht, da er ja gesagt haben soil,
das ganze Lehrerkollegium ware faul und tot, und nur er lebendig. Als
Fleming ins Lehrerzimmer tritt, verlassen Weidenbaum und Riemann,
Romer und Vogelsang dasselbe mit Ostentation.
Armer Fleming! Es wird ihm doch gar eng urns Herz. Da tritt
<jisa Holm ins Zimmer, und ihm ist, als brache die Sonne durch das dunkle
Gewolk seiner Gedanken. Vielleicht hat der Dichter einen Akt der Ge-
rechtigkeit vollziehen wollen, indem er dieses liebenswiirdige und natiir-
liche Wesen zur Lehrerin machte. Man ist ja leicht geneigt, wie in vie-
len andern Fallen so auch hier eine ganze Klasse nach den Ausnahmen,
tesonders den als Karrikatur auftretenden, zu beurteilen, und ermisst
nicht, welche Energie und noch mehr als das, welche Kraft der Entsagung
einem solchen Wesen zugemutet wird, wenn man es dauernd in die Fes-
seln des Lehrerberufes schlagt.
Gisa ist nur gezwungen Lehrerin, und nach den starren Grundsatzen
der Padagogik auoh eine schlechte Lehrerin. Schulrat Prell nennt das,
was er in ihrer Klasse zu sehen Gelegenheit hatte, eine fidele Anarchic
und kann es mit den Gesetzen der Geometric gar nicht vereinbaren, dass
258 P'ddagogische Monatshefte.
auf einer so kleinen Nase zu gleicher Zeit fiinfzig kleine Jungen herum-
springen konnen. Das Schulehalten macht ihr Freude, so lange sie unter
ihren Kindern ein Kind sein darf, sonst erscheint es ihr nur eine unange-
nehme Unterbrechung der Ferien. Eine gar richtige Bemerkung; der
Schreiber dieser Zeilen hat sie auch schon manchmal gemacht und hat
sich eingebildet, etwas Originelles damit zu sagen; nun aber schwort er,
wie es sonst seine Gewohnheit ist, wieder auf Ben Akibas ,,Alles schon
dagewesen".
,,Ist es wahr, dass man Sie von hier entfernen will?" fragt Gisa. Fle-
ming bejaht. — ,,Sie finden gewiss eine andere Stellung." — ,,Als Weg-
gejagter? Sicherlich keine, die mir zusagt. Freilich, im Ausland giebt
es auch deutsche Schulen, aber leider keine ,,deutsche Schul e"." •
Im Herzen manches deutschen Lehrers mochten diese Worte, hierzulande
von der Biihne gehort, einen seltsamen Nachklang erweckt haben. Deut-
sche Schulen, ja, aber keine ,,deutsche Schule". Mit dem Wort ,,deutsche
Schule" steigt alles wieder auf: der deutsche Wald, die deutsche Lebens-
freude und Sangeslust, das deutsche tiefinnerste Gemut.
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar.
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
Aber Freude soil einkehren in das Herz Flemings. Als "Dens ex ma-
china" erscheint zur rechten Zeit der Schulrat Prell, der mit dem Auftre-
ten des Burokraten ein klar schauendes Auge und ein warm empfindendes
Herz vereinigt. Ihm gelingt es, Flachsmann als Schwindler zu entlarven,
der mit gefalschten Papieren seine Stellung erlangt und durch dreissig
Jahre zur allerhochsten Zufriedenheit des heiligen Biirokrazius verwaltet
hat. Er und sein boser Geist Diercks sind davongejagt und Herr Fle-
ming wird von Prell seinen Kollegen als nunmehriger Leiter der Schule
vorgestellt. Alle leisten ihrem netien Fuhrer mehr oder minder willig
den Lehenseid und komplimentieren sich zur Thiire hinaus.
Gisa und Fleming bleiben allein zuriick. Wie in der Stunde, wo sich
ihre Herzen zuerst gefunden hatten, ertont aus der benachbarten Mad-
chenschule von siissen Kinderstimmen gesungen ,,Annchen von Tharau".
Zitternd erklingt die alte Volksweise in ihren Herzen wieder. Dann kehrt
der frische Mut beider zuriick. — ,,Weisst du, was ich so herrlich an dir
finde?" sagt Fleming. — ,,Dass du keine Schulmeisterin bist. Wenn ich
aus der Schule heimkomme und dann auch Schulmeister sein will, dann
musst du mich bei den Schultern packen und schutteln und sagen: Du,
Schulmeister, sei ein Mensch! denn das hochste in seiner Kunst erreicht
man nur, so lange man Mensch ist!"
Lasst uns das gute Wort aufnehmen und zum Schlusse sagen wie die
einstige Frau Flemming:
Schulmeister, sei ein Mensch!
Die hausliche Erziehung.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von John Eiselmeier, Milwaukee, Wis.
,,Es giebt keine wichtigere, keine heiligere Aufgabe
fur die Menschheit, als die Bildung des heranwachsenden
Geschlechtes. Es giebt aber auch keine schwierigere, denn
sie erfordert die ganze Hingabe des Herzens. D e r
Hauptanteil an dieser Aufgabe fallt der
F a m i 1 i e z u, in den ersten Lebensjahren des Kindes na-
mentlich der Mutter."
Dr. L. Seyffarth.
Wenn man die padagogische Litteratur der Gegenwart iiberblickt, so
fallt einem zunachst auf, dass die Unterrichtslehre ganz ungebiihrlich
in den Vordergrund des Interesses geriickt worden ist. Und wo das
Problem der Erziehung zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wird,
erfasst man sehr selten dasselbe in seiner Totalitat und lasst auch die
iibrigen Faktoren des Erziehungswerkes zu ihrem Rechte gelangen, son-
dern man verliert sich auf das zwar sehr wichtige, aber doch immerhin
begrenzte Einzelgebiet der Schule. Methodik, Unterricht und Schule
sind die Gegenstande, die auch auf den Konferenzen ihre Beachtung fin-
den. ,,In den Volksschulen wiiten die ,Methodiker* und in den hoheren
Anstalten die ,Spezialisten', von welch' letzteren die Worte Kleists gel-
ten: ,Diese Menschen sitzen samtlich wie die Raupen auf einem Blatte;
jeder glaubt, seines sei das beste, und um den Baum kiimmern sie sich
nicht.' "
Von diesem Baume der Erziehung ist aber nichts so sehr vernach-
lassigt worden, als gerade das Wichtigste, die Wurzel, die hausliche Er-
ziehung. Dass die hausliche Erziehung sehr wichtig, ja grundlegend
ist fiir die ganze spatere Erziehung, haben Padagogen, Arzte und andere,
die sich mit dem Thema beschaftigt haben, zugestanden; aber diese An-
sichten sind nicht allgemein bekannt, und es ist nicht uberfliissig, die-
selben vorzufuhren.
Ackermann sagt in dem Encyklopadischen Handbuch von Rein:
,,So hoch man auch die erziehlichen Einfliisse der anderen Erziehungs-
faktoren, der Schule, der Kirche, des Freundeskreises u. a. m. zu schatzen
berechtigt ist, ihre Wirkung ist zum guten Teil bedingt durch das, was
Haus und Familie schon vorher in den jugendlichen
Seelen angebahnt haben, und was sie an ihnen dann neben
den anderen Faktoren thun."
,,So birgt die Familie eine Fiille individuellen und gemeinschaft-
lichen Lebens in ihrem Schosse, und sie ist's, welche die e r s t e u ji d
nachhaltigsteSchuledes Menschen bleibt." (Frommel.)
260 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
,,Dass die Familienerziehung aber der Schulerziehung vor-
ansteht, dass von jener viel mehr abhangt als von dieser, soil bei
aller Wertschatzung der Schule nicht vergessen werden. Denn wo im
Hause gut erzogen wird, da giebt die Schule an ,Erziehung' nicht viel
Gutes mehr hinzu, da empfangt sie vielmehr das Beste. Es ist noch
heute wie zu Luthers Tagen: ,Das Hausregiment ist das erste, von dem
alle Regimenter und Herrschaften ihren Ursprung nehmen. Ist diese
Wurzel nicht gut, so kann weder Stamm noch gute Frucht folgen.' "
(Matthias.)
,,Die Sorgen aber, die man sich fur das korperlidhe wie geistige Wohl
der Kinder in den ersten sechs Jahren macht, sind die bestan-
gewandten, sie lagern ein Kapital ab, das sich im Leben vortrefflich ver-
zinst Was in diesen ersten Erziehungsjahren nicht erzogen ist,
konnen alle iibrigen Erziehungsjahre, kann keine noch so treff-
liche Schule, kann das Leben mit seiner erziehenden Wirkung
n i m m e r gut machen." (Matthias.)
Der bekannte Arzt Dr. Max von Zimmermann ist der Ansicht, dass
,,die Eltern auf die Erziehung im ersten Kindesalter ihr ganz
besonderes Augenmerk richten mussen, weil schon jetzt
der Grand ebenso zum Guten wie zum Bosen gelegt wird."
Was die hausliche Erziehung aus dem Kinde gemacht hat, das wird
der Mensch im spateren Leben. ,,Der Charakter kann nur durch Ge-
wohnung, also durch stetige Einwirkung gebildet werden, und eine solche
ist bloss innerhalb der Familie moglich, nicht in der
Schule. Denn in dieser bring! der Zogling taglich nur wenige Stun-
den zu^ ausserdem kann der Lehrer dem Einzelnen seine Aufmerksam-
keit bloss in sehr beschranktem Masse widmen, da er ja eine ganze
grosse Schar von Kindern zu leiten hat. Mit anderen Worten, der Leh-
rer kann nur wenig bei seiner Thatigkeit individualisieren ; aber gerade
darauf kommt bei der Charakterbildung ausserordentlich viel an, spielt
doch hier das Gefiihlsleben des Menschen eine sehr grosse Rolle, und Ge-
fuhle sind in eminentem Sinne subjektiv. Zudem kann der Lehrer bei der
betrachtlichen Anzahl von Schulern, die seiner Obhut anvertraut sind, zu
einer so genauen Kenntnis ihrer Individualitaten, wie sie fur tiefergehende
Charakterbildung durchaus erforderlich ist, unmoglich gelangen." (Ber-
gemann, Soziale Padagogik.)
Erst vom sechsten oder siebenten Jahre an macht sich eine Vertei-
lung der verschiedenen Erziehungsfunktionen geltend. ,,Fur die haus-
liche Erziehung sind allerdings auch jetzt noch alle fiinf Funktionen in
Betracht zu ziehen Ihre Hauptdomane ist nunmehr die
Zucht; ihr Streben ist jetzt vor allem darauf gerichtet, den Cha-
rakter des Kindes zu bilden." (Bergemann.)
Der umfassendste Bestandteil der offentlichen Erziehung ist die
Die lo'duslicbe Erziehung. 261
Schule; dieselbe befasst sich jedoch in erster 'Lime mit der Bildung des
Intellektes; ihr eigentliches Gebiet ist somit der Unterricht. Allerdings
hat die Schule auch die Zucht zu beriicksichtigen, indem sie den Zogling
zwingt, sich dem erweiterten Lebenskreis der Schule einzuFiigen.
Unser 'Commissioner of Education', Herr W. T. Harris, hat in sei-
nem Jahresbericht fiir 1898-99 die Funktionen der verschiedenen Er-
ziehungsfaktoren selir klar gezeichnet. Auf Seite 1313 heisst es dort:
"Much of the education into a respect for social forms and usages is
given by the family, and before the age proper for schooling The
family, the vocation, the state, the church, are the four great cardinal in-
stitutions of education. The school is only a device brought in to reenforce
these substantial institutions; but it is a very important device, notwith-
standing its supplementary character .... We must carefully bear in mind
the several educational functions of these institutions, so as not to over-
estimate the functions of the school, or in any way confound its province
with what belongs to the great social institutions .... Family education
must furnish that indispensible preliminary education in personal habits,
such as cleanliness, care of the person and clothing, respectful treatment
of elders and superiors, obedience to authority, the sense of shame, religious
observances, and the use of the mother tongue. The school must pre-
suppose that these are already taught by the family. .. . The school, as
we have seen, is a means of education auxiliary to each of the four cardinal
institutions."
Wenn die hausliche Erziehung so ungemein wichtig ist, so lohnt es
sich wohl, zu untersuchen, wie die Eltern, die Trager dieses Teiles der
Erziehung, fiir die Ausubung dieser Pflicht vorbereitet sind.
,,Es ist gewiss, dass auf keinem zweiten Gebiete unseres modernen
Kulturlebens ein so grosses Missverhaltnis zwischen Anstrengung und
Leistung, Aufwand und Erfolg besteht, als auf dem padagogischen. Eben-
so gewiss ist es aber auch, dass die Ursache dieser auffallenden Er-
scheinung in erster Linie in der durchaus ungeniigenden Vorbe-
reitung der Eltern zur Ubernahme und Losung ihrer wichtigen
und vornehmsten Lebensaufgabe liegt, und dass alle Bemuhungen zur
Herbeifiihrung giinstigerer Erziehungsresultate diese Thatsache wohl in
Betracht und zu ihrem Ausgangspunkte nehmen miissen." (Schafer.)
,,Ist es nicht haarstraubend, das Schicksal einer neuen Generation
den Zufalligkeiten unverniinftiger Gewohnheit, jeweiligen Gemiitserre-
gungen, Eaunen des Augenblicks, samt den Einflusterungen unwissender
Ammen und den Ratschlagen vorurteflsvoller Grossmiitter zu iiberlassen?
Wenn ein Kaufmann ohne jede Kenntnis des Rechnens und der Buch-
fuhrung ein Geschaft anfinge, wiirden wir laut iiber seine Thorlieit
schreien und ungliicklichen Folgen entgegensehen. Oder wenn jemand,
ohne Anatomic studiert zu haben, als Wundarzt auftrate, wiirden wir
262 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
uns iiber seine Dreistigkeit wundern und seine Patienten bemitleiden.
Aber dass Eltern an die schwierige Aufgabe der Kindererziehung heran-
treten wollen, ohne an die Grundsatze derselben in leiblicher, sittlicher
oder geistiger Hinsicht, welche sie leiten sollten, auchnurgedacht
z u h a b e n, das erregt weder Erstaunen iiber die Thater, noch Mitleid
mit ihren Opfern. Die Kindererziehung, in leiblicher, sittlicher und gei-
stiger Hinsicht, ist erschrecklich mangelhaft. Und es ist in hohem Masse
deshalb so, weil den Eltern die Kenntnis fe'hlt, durch wel-
che die Erziehung allein richtig gehandhabt werden kann. Was ist da
zu erwarten, wenn eines der dunkelsten Probleme von Menschen zu
losen unternommen wird, die kaum einmal ernstlich an die Grundsatze,
von welchen diese Losung abhangt, gedacht haben? Zum Schuhmachen,
zum Hauserbauen, zur Leitung einer Lokomotive oder eines Schiffes ge-
hort eine lange Lehrzeit. Ist denn die Entwicklung eines menschlichen
Wesens an Leib und Seele im Vergleich dazu ein so einfacher Vorgang,
dass jemand ihn ohne irgend welche Vorbereitung beaufsichtigen und len-
ken kann? Wenn nicht — wenn der Vorgang ohne irgend eine Aus-
nahme verwickelter als irgend einer in der Natur und die Aufgabe, ihn zu
unterstiitzen, von ausserordentlicher Sdhwierigkeit ist, ist es dann nicht
Wahnsinn, fur eine solche Aufgabe nicht Fursorge zu tragen? Lieber die
sogenannte feine Bildung geopfert, als diese hochwichtige Unterweisung
unterlassen." (Spencer.)
,,Es liegt ein eigentumlicher Widerspruch in unseren Kulturzu-
standen: fur jedes andere Amt und Fach werden sorgsame Vorberei-
tungen und peinliche Priifungen gefordert, und an den veranwortungs-
vollsten Beruf von alien, an die grosse Aufgabe der Elternschaft, welche
Vater und Mutter dem Edelsten, was die Natur hervorbringt, dem Geiste
unserer Kinder und seiner Pflege, gegeniiberstellt, treten die a 1 1 e r-
meisten ohne jede Vorbildung heran. Das ist mehr als
leichtsinnig, es ist einfach frevelhaft und ge w i s se n 1 os!" (Dr.
Schultze.)
Die Resultate, welche infolge der ungeniigenden Vorbildung der
Eltern die hausliche Erziehung aufweist, sind in der That hochst unbe-
friedigend. Niemand hat mehr darunter f.u leiden, als die Schule.
Dr. phil. J. Schreiber, k. Lokalsc'iulinspektor in Kaiserslautern,
schreibt in einer Broschiire ,,t)ber die Notwendigkeit eines Zwangserzie-
hungsgesetzes, 1898": ,,Ich wurde im praktischen Schulaufsichtsdienste
durch die Erfahrung und die harte Logik der Thatsachen zu der unwider-
leglichen Uberzeugung gedrangt, dass dererste, weilnatiirlich-
ste Erziehungsfaktor, die Familie, der Erziehungspflicht
in ungeahnt zahlreichen Fallen gar nicht oder nur halb oder
v e r k e h r t, sei es mit bewusster oder unbewusster Verschuldung, sei es
auch gegen bessere Absicht und besseren Willen, in unserer Zeit ge-
Die bausliche Er^iebung. 263
rechtzuwerdenversteht, class die redliche Arbeit von S c h u 1 e
und Kirche vielfach ohne V erschulden derselben unfrucht-
bar bleibt und dass unserer sittlichen Kultur schwere Gefahren drohen,
die abgewendet werden mussen."
Ahnlich aussert sich B. Presting, Kgl. Seminardirektor in Coslin,
in einer Abhandlung ,/Uber die Notwendigkeit einer besseren Erziehung
der Jugend, Berlin, Oehmigke, 1899": ,,Die erste Erziehungsanstalt,
das Vaterhaus, die Mutterschule, lost ihre Aufgabe
gar nicht oder nur zum kleinsten Teile. Die zweite, die
vom Staate geschaffene, die Volksschule, welche nun die Kinder auf-
nimmt, muss die Aufgaben jener Schttle noch zu den ihrigen machen,
muss das nicht gelegte Fundament der Sittlichkeit nachzulegen versuchen.
Ja, sie muss das Unkraut, welches in den kleinen Herzen schon wuchert,
mit dem scharfen Messer der Zucht oft ausstechen. Welch ein Wachs-
tum der Aufgaben der Volksschullehrer, wieviel grosser und schwieriger
wird ihre Arbeit, da sich in dem Herzensboden dieser Kinder nicht mehr
so leicht arbeiten lasst!"
Das sind Stimmen aus Deutschland. Auch in unserem Lande
kommt die Familie in sehr vielen Fallen ihrer Pflicht gar nicht nach,
und in den anderen Fallen lost sie die ihr zukommende Arbeit nur zum
kleinsten Teile. Und in wie vielen Familien wird hierzulande die Erzie-
hungsarbeit in ganz verkehrter Weise zu losen versucht! Der amerika-
nische Volksschullehrer muss daher einen grossen Teil seiner Energie
darauf venvenden, das im Hause nicht gelegte Fundament der Sittlich-
keit nachzulegen. Er muss zum grossen Teil die Aufgaben der Familie
noch zu den seinigen machen, weil eben das Haus die Kinder nicht an
das gewohnt hat, was Dr. Harris als "respectful treatment of elders and
superiors and obedience to authority" bezeichnet. Die Schularbeit ist
infolgedessen iiberaus anstrengend und unbefriedigend. Lehrer und Leh-
rerinnen bleiben daher auch nicht sehr lange in dem Berufe. Der Sohule
geht auf diese Weise ein grosser Gewinn, den solche Krafte durch ihre
Erfahrung bilden, verloren. Einen Volksschullehrerstand
giebt es daher in den Vereinigten Staaten noch nicht.
Weil die Aufrechterhaltung der Disziplin so viel Energie und Zeit
fordert, so sind auch die Erfolge der Schule auf dem Gebiet des Unter-
richtes oft recht unzulangfich. In der "Intelligence" druckt ein Lehrer
dieselbe Ansicht aus: "The teacher is under the wearing strain of im-
parting a certain amount of learning to pupils, a large part of whom do not
wish to learn, and at the same time maintain good order. . . . But, in the
common school, a large part of th'e pupils !have little interest in, or capacity
for study. They come to school because they must .... The teacher
must compel the scholar to pay attention, whether he wishes to or not;
she must force him to study tho it is sorely against his will .... The great
264 P'ddagogtscbe Monatsbeftt.
demand upon the teacher is will power, not learning, a fact which should
be better realized We teachers ourselves do not realize how much vital
force we are spending."
Was soil geschehen, um die hausliche Erziehung zu bessern? Zuerst
muss die Uberzeugung, dass dieselbe ausserst mangelhaft ist, allgemei-
ner anerkannt werden, als das bis jetzt der Fall ist. Die Lehrer haben die
Pflicht, uberall, wo die Zuchtlosigkeit und Unbotmassigkeit der Jugend
der Scfiule zur Last gelegt wird', diesen Vorwurf energisch zuriick-
zuweisen, und die Anklager darauf aufmerksam zu machen, dass derselbe
fast ausschliesslich die Familie trifft. Ganz zuriickweisen diirfen die Leh-
rer den Vorwurf j'a nicht. Aber hauptsachlich und in erster Linie ist die
Familie Schuld daran, wenn die schulpflichtige Jugend unbotmassig
und roh ist.
Wenn ein massiger Teil der Energie und Aufmerksamkeit, die heute
in Wort und Schrift der Schule gewidmet werden, der hauslichen Erzie-
hung gewidmet wiirde, so konnte das nur vorteillhaft sein fiir beide Teile.
Der Schule hat man mehr als die ihr notige Aufmerksamkeit geschenkt.
Alles norgelt an ihr herum. Die Presse, die Gesetzgebungen, die Arzte,
die Frauenverbindungen, alles hat etwas an der Schule auszusetzen,
alles ist mit Rat bereit. Die Familie und die iibrigen Erziehungs-
faktoren hat man ungebiihrlich vernachlassigt.
Ganz besonders soil man aber bei der Erziehung der Madchen darauf
Bedacht nehmen, dass dieselben einst den wichtigsten Teil der hauslichen
Erziehung zu iibernehmen haben. Der grosste Teil der hauslichen Er-
ziehung war immer Sache der Mutter. Heute ist das noch viel mehr der
Fall, als friiher. Die ganze Last der hauslichen Erziehung liegt, infolge
unserer ungesunden sozialen Verhaltnisse, auf den Schultern der Mutter.
Darauf soil man Riicksicht nehmen und die Frau auf diese ihre wich-
tigste, heiligste, aber auch sdhwierigste Aufgabe grundlich vorbereiten.
Was bietet aber die ,,hohere" Erziehung heute den Madchen? "It
is only fair to let the colleges state their own case. The dominant purpose
with them all is 'to offer to the women fi the country as liberal and thuro
an education as that provided for its men/ They (the graduates) will
marry, perhaps, or remain single, helr/ful sisters or aunts. They will have
houses to manage, marketing to do, stupid cooks to guide, babies to rear,
sick children and men to nurse. Not once in a woman's life, perhaps,
will she be called upon to quote from an Assyrian-Baby Ionic epic, or to
disect a cat. But three times every day a meal must be cooked under
her supervision. At any minute, be she cook or countess, she may be
called upon to make a poultice for a sick child, to change the sheets under
him, to know why the bread is sodden and the meat uneatable, to give
medicine intelligently to the baby in her arms. One fact remains certain
and underlies the whole matter: The man eternally remains the man,
Die b'duslicbe Er^iebung. 265
and the woman the woman; and that education is most profoundly wise
which recognizes the difference and trains a girl thuroly for her own wom-
anly work and her own place in life." (An American Mother, Ladies'
Home Journal, July 1900.)
Gerade unter den Frauen der ,,hoheren" Stande unseres Landes re-
gen sich Heute so viele Federn und Zungen fur Emanzipation und Gleich-
stellung der Frau mit dem Manne. Die Frau soil sich nicht damit be-
gniigen, dem Manne g 1 e i c h gestellt zu werden. Sie soil zeigen, dass
ihre Rolle eine viel wichtigere ist, als die des Mannes. Das kann
die Frau am besten dadurch, dass sie sich fur ihre Aufgabe als erste Er-
zieherin der Menschheit griindlich vorbereitet, und dieselbe
gewissenhaft und treu erfiillt.
Sehr treffend hat Dr. Carl du Prel diese wichtige Pflicht der Frau in
seiner Schrift ,,Die vorgeburtliche Erziehung" hervorgehoben :
,,Die Frauenfrage wird gerade heute nach vielen Richtungen erwogen,
setzt unzahlige Federn in Bewegung und mancherlei Vorsohlage sind
schon gemacht worden. Es ist mir aber nichts davon bekannt, dass der
wichtigste Teil derselben, das Problem der Menschen-
ziichtung, auch nur in Envagung gezogen worden ware. Die Frau
ist in ein Konkurrenzverhaltnis mit dem Mann geraten, und nun wird
dariiber gestritten, wie weit sie dazu befahigt sei und auf welchen Gebie-
ten sie zugelassen werden konne. Diese Frage ist aber weniger wichtig,
als sie heute erscheint; denn von Natur aus sind die Geschlechter nicht
zum Wettstreit bestimmt, sondern zur Erganzung. Die Konkurrenz
tritt iiberhaupt nur in ungesunden sozialen Perioden ein und ist auf die
Dauer derselben beschrankt. Es muss also das erganzende Verhaltnis
sich wieder geltend machen, aber verbessert durch die Einsicht, dass d i e
RollederFrauin Ansehung der kiinftigen Generation u n g 1 e i c h
erhabener ist, als die des Mannes. Wenn diese Einsicht allgemein
sein wird, wird auch die Frauenfrage eine andere Richtung erhalten, und
zwar nicht bloss zum Vorteil der Frau, sondern auch der F a -
milie, der Gesellschaft und des Staate s."
Schliesslich ware noch zu erwagen, ob denn der Staat nicht auch
darauf sehen sollte, dass die in die Ehe Tretenden im stande sind, ihre
wichtigen Erziehungspflichten zu erfiillen. Dr. Carl Andreae, Seminardi-
rektor in Kaiserslautern, aussert sich in der ,,,Deutschen Schule" folgen-
dermassen :
,,Es ist zum mindesten merkwiirdig, dass der Staat, welcher die Ehe-
schliessung mit eir^er ganzen Reihe von Gesetzesschranken umgeben hat,
bis jetzt an der Frage vorbeigegangen, wie weit der Durchschnitt der in
die Ehe Tretenden fur' eine auch nur halbwegs ordentliche K i n d e r e r-
z i e h u n g gewisse Garantien bietet. Nicht nur unter den Enterbten
und Armen, sondern weit hoher -hinauf ist die intellektuelle und s i 1 1 -
266 P&dagogische Monatshefte.
1 i c h e Beschaffenheit derjenigen, welche Eltern zu werden im Begriffe
sind, mitunter eine so bedenkliche, dass nur die Gewohnheit, an derglei-
chen iiberhaupt nicht zu denken, dariiber hinwegsehen lasst; und welche
Summe von grober Unwissenheit, von Leidhtsinn und Mangel an Verant-
wortlichkeitsgefiihl bei einer grossen Zahl von jungen Miittern anzutref-
fen 1st, darf nicht nach den wenigen Beispielen bemessen werden, welche
zufallig, vielleicht um der begleitenden Nebenumstande willen, weiteren
Kreisen bekannt werden. Tritt hierzu die entsprechende Rohheit und
Gemeinheit der Vater und das zu dem Paar passende sonstige Milieu, so
muss der so vorbereitete Erziehungsboden Friichte tragen, g e g e n
welche die zeitlich so beschrankte Schulepisode
nichtsauszurichtenvermag. In der That, schon vom Stand-
punkte der Selbsterhaltung konnen die kommenden Geschlechter diesen
Sachverhalt nicht ignorieren."
Die erste Kinderknnstansstellnng in Berlin. Die Kunst im Leben des
Kindes zeigt eine Ausstellung im Hause der Berliner Sezession, Kantstr. 12, in
3 Abteilungen. Kiinstlerischer Wandschmuck fur Schule und Haus, Bilderbiicher
und das Kind als Kiinstler. Der Zweck dieser Ausstellung ist zunachst, das fur
die kiinstlerische Jugendbildung brauchbare Material in Deutschland und in erster
Linie in Berlin vorzufuhren. Sie zeigt ferner Proben, wie man im A.uslande fur
diesen Zweig der Erziehung thatig ist
Den Katalog von Dr. Max Osborn mit 3 instruktiven Abhandlungen fiber je
eine der Abteilungen kann man mit Recht einen modernen Fiihrer fiir kiinstleri-
sche Jugenderziehung nennen.
Die bedeutendste erste Abteilung zeigt einen reichen "Wandschmuck fiir Schu-
len und etwas besser situierte Hauser. Die kiinstlerische Ausstattung dernachs-
ten Umgebung des Kindes soil in dem Kind den Sinn fiir das Schone erwecken,
damit es sich von selbst Hasslichem abwendet. Zu diesem Zwecke werden Re-
produktionen der grossen Meisterwerke in der Vergangenheit und Gegenwart vor-
gefiihrt. Da sind beispielsweise Bockli'is Herbstgedanken, Friihlingserwachen,
Ruine am Meer, das Schweigen im Walr e, der Einsiedler; Defreggers Heimkehr
der Sieger; Diirers die Flucht nach Xgrpten; Holbeins und Raffaels Madonnen;
Lenbachs Portraits; Menzels historiySche Bilder; die heilige Geschichte von
Schnorr von Karolsfeld; Barolsius, die Wartburg. Aus England die vier Jahres-
zeiten, die Arbeit, die Eisenbahn, das Spiel. Aus Frankreich, das Bachlein, Som-
merabend, der Fluss, Seinebild, Uferweide, Mondaufgang und der Winter.
Das Originellste dieser Abteilung ist die Ausstellung von 28 Entwiirfen der
Karlsruher Kiinstler. Neben Tieren, welche das Kind der Grossstadt in der Na-
tur nicht sieht, wie Fuchs, Rabe und Edelmarder, sind Landschaften wie Mond-
schein, Einsamer Hof, Sonnenaufgang, Bauernhof und Kleinstadt ausgestellt.
Eine Trennung dieser Abteilung in Bilder fur spezifischen Wandschmuck und
solche fiir unterrichtliche Behandlung, zu denen besonders einige Karlsruher und
die genannten Bilder aus England geeignet erscheinen, ware besser gewesen.
Die zweite Abteilung, Auswahl der Bilderbiicher, ist hervorgegangen aus einer
energischen Bewegung in Lehrerkreisen gegen die Fabrikation von spezifischen
Jugendschriften. Die Jugend bedarf keiner besonderen Schriften! Wir haben
Die erste Kinderkunstausstellung in 'Berlin. 267
sie nur davor zu hiiten, dass sie nicht in ein spateres Alter hiniibergreife. Bei
dem gegenwartigen Stande des Marktes fur Jugendschriften hat die Leitung der
asthetischen Entwicklung beim Kinde ihr Hauptaugenmerk darauf zu richten,
dass der Geschmack nicht erst durch minderwertige Schriften verbildet wird.
Bild und Text der Bilderbiicher miissen den Forderungen der Kunst entspre-
chen. Die Ausstellung zeigt, dass England das klassische Land des Bilderbuches
ist. Ausserdem sind vertreten Deutschland, Frankreich, Schweiz, Italien, Nord-
amerika und Japan.
Die Anordnung der Bilderbiicher nach Altersstufen macht die Abteilung recht
iibersichtlich. Die Auswahl ist eine gliickliche z. B. fur Kinder bis zum 8. Le-
bensjahre: Unser Liederbuch von Friedrich Merk mit Bildern von Zumbusch,
fiir Kinderstimmen gesetzt von Volbach; Paul Thumann, alte Reime mit neuen
Bildern; W. Keys fiinfzig Fabeln fur Kinder und noch fiinfzig Fabeln fur Kinder
mit Bildern von Speckter; ABC von Paul Meyerheim; Bilderbuch zum Nach-
zeichnen; Konig Nobel von Lohmeyer & Flinzer; Blumenmarchen von Kreidolf.
Eltern, welche in der Charakteristik anstrebenden Kunst von Busch nur Kar-
rikatur sehen, werden eines besseren belehrt. Da ist Hans Huckebein, das Puste-
rohr und Max und Moritz. Fiir die beiden folgenden Jahre Kinder- und Haus-
marchen mit 13 Bildern von Paul Meyerheim; Andersens ausgewahlte Marchen;
eine Tierschule von Feodor Flinzer.
Fiir die weiteren Altersstufen sind Marchen und Kunstmarchen, die Bibel in
Bildern von Julius Schnorr von Karolsfeld und der alte Fritz und die Konigin
Luise von Knotel vertreten.
Das Pestalozzi-Frobelhaus hat die 3. Abteilung, das Kind als Kiinstler, aus-
gestellt. Nicht nach den ausgestellten Leistungen, sondern nach dem Triebe zu
seiner Bethatigung hat man das Kind zum Kiinstler erhoben.
Die Zeichnungen der Kinder vom 5. Lebensjahre ab sind eine freie Wieder-
gabe von Linien, Formen und Farben der Gegenstande in der Umgebung des Kin-
des, z. B. Hammer, Biirste, Uhr; von Bildern Pferd und Sperling, Schwalbenbild,
Erntebild, Bienenbilder. Nach Erzahlungen sind gezeichnet Aschenbrodel, der
schlafende Apfel, Wichtelmanner, Spatzchens erste Reise. Frei gezeichnet sind
der Mensch, Haustiere und Pflanzen und Erlebtes und Erdachtes.
Die Kinder sind angeleitet worden, die farbigen Erscheinungen der Gegen-
stande und zwar durch den Pinsel, der Flache und Farbe gleichzeitig herstellt.
Als Fortsetzung der Zeichnungen aus dem Kindergarten finden wir 2 Proben
aus den Public Schools in Minneapolis.
Den Schluss bilden Zeichnungen durch Anschauungsunterricht mit Modellie-
ren. Dr. Pappenheim in Lichterfelde hat von Sextanern Hand, Gebiss, Fliigel,
Baum mit Storchnest zeichnen und den Elefanten zeichnen und modellieren las-
sen; das hatte in einer einfacheren Tierform geschehen konnen.
Der Entwicklung der Sinnesorgane des Kindes und den Kunstepochen ent-
sprechend ist es, wenn das Kind als Kiinstler mit der Plastik beginnt und nicht
mit Zeichnung und Malerei.
An dieser Stelle hatte noch der andere Weg, wie beispielsweise Prof. Flinzer-
Leipzig durch das mit Bewusstsein vollzogene Sehen das Kind aktiv in die bil-
dende Kunst einfiihrt, gezeigt werden miissen.
Die Ausstellung hat ein in Deutschland ungewohnliches Interesse fur Erzie-
hung erweckt. Die Er.6ffnung unter Beteiligung des Oberbiirgermeisters, eines
Vertreters aus dem Kultusministerium, .vieler Kiinstler und Kunstschriftsteller
spricht dafiir. Sie zeigt das ABC der kiinstlerischen Jugendbildung und sollte
darum als offentliches Institut erhalten bleiben. Otto Wendtlandt.
(Frankfurter Schulzeitung.)
Berichte und Notizen.
I. Die JubUaumsfeier der Deutsch-Englischen Akademie zu
Milwaukee.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von S. A. Abrams, Milwaukee, Wis.
Milwaukee, Juni 1901.
In der dritten Maiwoche prangte das vielen auswartigen Lesern der ,,Pa-
dagogischen Monatshefte" und vielen Mitgliedern des Lehrerbundes wohlbe-
kannte Gebaude an Broadway, unter dessen schutzendem D.ache das deutsch-
amerikanische Lehrerseminar, dessen Musterschule, die deutsch-englische Aka-
demie, und das Turnlehrerseminar friedlich nebeneinander und zusammenwir-
ken, in prachtigem Festessehmucke. Fiinfzig Jahre waren verflossen, seitdem
deutsche Thatkraft und ideales Streben die Erziehungsanstalt ins Leben gs-
rufen hatten, die, vom Geiste ihres Griinders und ersten Leiters beseelt, unter
dem Namen ,,Engelmanns Schule" Vorziigliches leistet, Tausende unserer tuch-
tigsten Mitbiirger deutscher Abkunft als Lernende in ihren Raumen sah, be-
fruchtend die Entwickelung der offentlichen Schulen Milwaukees forderte und
heute noch als deutsch-englische Akademie und Musterschule unseres Lehrer-
seminars auf der Hohe ihrer friiheren Leistungsfahigkeit steht.
Gegriindet zu einer Zeit, als die Volksschule des jungen Gemeinwesens de-
nen nicht geniigen konnte, die fur ihre Kinder mehr beanspruchten, als die
offentliche Schule damals bieten konnte, den Mannern und Frauen nicht genii-
gen konnte, die deutschen Lehranstalten Bildung und Wissen verdankten, die
nach einer Schule verlangten, in deren Raumen die deutsche Sprache neben
der englischen liebevoll und sorgsam gepflegt und eine harmonische Ausbil-
dung von Herz, Him und Hand angestrebt wurde, hat die deutsch-englische
Akademie alien Stiirmen getrotzt, ist Dank der Opferwilligkeit und Hingebung
wackerer Manner und Frauen von den machtig emporwachsenden Schulen
nicht erdriickt worden, und heute, nach einem halben Jahrhundert, wirkt sie
in ungeschwachter Jugendkraft unter der tiichtigen Leitung unseres lieben
Kollegen, des Seminardirektors Emil Dapprich und seiner wackeren Lehrer-
schar.
Die Jubelfeier wurde durch einen akademischen Abend in dem geraumi-
gen, fur die Gelegenheit schon geschnr^ckten Saal der Turnhalle des Turn-
vereins ,,Milwaiikee" in wiirdiger Weise ^ingeleitet. Trotz des stromenden Re-
gens war der Saal bis auf den letzten /Platz besetzt. Graubarte und frische
Knaben und Madchen ,Jiinglinge und/ Jungfrauen — drei Generationen von
Zoglingen der Jubilarin, — Erziehungsfreunde, Lehrer und Lehrerinnen der
offentlichen Schulen batten sich zusammengefunden, des unvergesslichen geis-
tigen Griinders der Schule, des 3m Jahre 1874 verstorbenen Peter Engelmann
zu gedenken. Ein formvollendeter Prolog, voll von tiefen Empfindens und poe-
tischer Schonheit, welcher die Jubilarin darstellte, als jugendfrische Matrone,
die sinnend gedenkt des Tages, an dem sie vor fiinfzig Jahren in brautlicher
Anmut und Liebe sich dem Geiste der Freiheit vermahlte, wurde von dem Ver-
fasser, Herrn Oskar Burckhardt, wirkungsvoll vorgetragen und bildete die ein-
leitende Nummer der Feier.* General F. C. Winkler, der erste Zogling Peter En-
gelmanns und einer der hervorragendsien Kechtsanwalte Milwaukees, der sich
seinen militarischen Rang auf den Schlachtfeldern des Siidens erworben hat,
* Der Prolog, den nns Kollege Burckhardt freundlicbst zur Verftigung gestellt hat, wird
in der nachsten Nummer zum Abdruck gelangen. In dieser Nummer fehlte es uns leider an
Raurn. D. R.
Korresponden^en. 269
pries den Wert und die Schonheit der deutschen Sprache. Herr Albert Wall-
ber, Prasident des Schulvereins, wies auf die Bedeutung der Feier hin, Schul-
superintendent H. O. Siefert gedachte in wannen Worten der Verdienste Engel-
manns, den er personlich wohl gekannt, riihmte den Anteil der deutsch-eng-
lischen Akademie an dem gedeihlichen Werden und Wirken unseres offentli-
chen Schulsystems, an dessen Spitze er seit Jahreii steht, und zollte warme
Anerkennung der Thatigkeit des Herrn Dapprich, auf dessen wiirdige Schul-
tern ,,Elias' Mantel" gefallen 1st. Herr Leo Stern, Mitglied des Prufungsaus-
schusses fiir das Lehrerseminar, ubermittelte in wohlgesetzter Kede der Jubl-
larin die Griisse und Gluckwunsche des Lehrerbundes.
Beim Lesen der nachfolgenden Zeilen wird der Eedakteur der ,,Mcmats-
hefte", dessen madchenhafte Bescheidenheit jedermann kennt, gebeten, sich
die Ohren zuzuhalten.
Unbeschadet der Trefflichkeit aller Beden, in welchen der Jubilarin gehul-
digt vvurde, war doch der Glanzpunkt der ,,Akademischen Feier" die von einem
Chor von 150 frischen jugendlichen Stimmen, vier Solistinnen und vollem Or-
chester ausgefiihrte Abt'sche Cantate ,,Aschenbrodel". Unter der tiichtigen
Leitung des Herrn Max Griebsch, der augenscheinlich sein ganzes Konnen und
Wollen der schwierigen Aufgabe gewidmet, hatte die Sangerschar wacker ge-
tibt und durch ihren frischen, sicheren, reinen Sang, durch die glanzende Wie-
dergabe der einschmeichelnden Abt'schen Melodien Herz und Sinn der Horer
bezaubert.
Zwei Tage nach dieser erhebenden akademischen Feier versammelten sich
die Freunde und alten Zoglinge der Anstalt zu einem Festmahle in dem glan-
zenden Bankettsaale des Pfisterhotels. Hier herrschte frohliche Feststim-
mung. Bei Gesang und Becherklang gedachte man vergangener Zeiten, ge-
dachte man der Manner und Frauen, die sich Verdienste erworben um das
Wohl der Schule und der Jugend. Briefe und Depeschen von alten Schulern
und Freunden der Anstalt wurden verlesen. Auch eine vom Vorstande des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes eingegangene Gluckwunsch-
depesche wurde freudig entgegengenommen.
Eine von den Alumnen der Schule veranstaltete Festlichkeit, die sich ihren
Vorgangern wurdig anreihte, bildete den Abschluss der Feier, der die Herzen
der Teilnehmer, der Freunde der Schule, der Erziehung und der deutschen
Sprache eine freundliche Erinnerung bewahren werden.
II. Kor respond enzen.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Cincinnati. noch an Jahren — gegen die Plane
Und wiederum kam die Zeitder und Satzungen gemurrt hatten — denn
Heimsuchung, allwo der Wiirge- mein ist die Eache, spricht der Herr
engel an den Wohnstatten der Jugend- der Herrscharen!
erzieher voriiberzog und die Schwel- Nach dieser erbaulichen Einleitung
len derjenigen zeichnete, die dem Un- fiber die iibliche jahrliche Pensionie-
tergange geweiht waxen — und siehe, rung bezw. Enthauptung von Lehr-
es fielen die Haupter jener, die vier kraften hat der Korrespondent nur
Dezennien und mehr im Weinberge noch fiber die Versammlung
des Herrn gearbeitet und also der des deutschen O b erlehrer-
Euhe bedurftig waren; aber es fielen vereins zu berichten. In der
auch die Haupter solcher, die — jung ersteren, die am 23. Mai stattfand,
270
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
wurden fur das nachste Schuljahr die
alien Beam ten wiedererwahlt, mitAus-
nahme des Sekretars Erich Bergmann,
der ablehnte, und an dessen Stelle
Herr Viktor Groneweg trat. — Bei der
Versammlung des Lehrervereins am
1. Juni wurden ebenfalls samtliche Be-
amten wiedererwahlt. Im ubrigen
kam bei dieser Schlusssitzung, wie
iiblich, em musikalisch-deklamatori-
sches Programm zur Durchfuhrung.
Nach langerem Siechtum starb am
Samstag, dem 1. Juni, der unter den
alten Kriegsveteranen, besonders aber
unter der deutschen Lehrerschaft
hier und in Dayton, O., wohlbekannte
Herr Gustav Bergmann. Der
Verblichene wurde am 3. Oktober 1837
in Zeitz, Sachsen, geboren, kam aber
schon im Alter von 18 Jahren nach
Amerika. Wahrend des Biirgerkrie-
ges kampfte er im 9. Ohioer Freiwil-
ligen-Eegiment zwanzig Monate lang
fur die Einigkeit seines Adoptiwater-
landes. Im Jahre 1864 verzog Herr
Bergmann nach Dayton, wo er bis
zum Jahre 1890 als deutscher Lehrer
thatig war und sich eines grossen Be-
kanntenkreises erfreute. Vor nun-
mehr zehn Jahren kehrte er nach
Cincinnati zuriick, woselbst er bis
zum Jahre 1897 als einer unserer ge-
achtetsten deutschen Oberlehrer an
der 26. Distriktschule in Cummins-
ville f ungierte. Die Witwe und sieben
Kinder, darunter Herr Oberlehrer
Erich Bergmann von der 16. Distrikt-
schule hier, betrauern ausser den
zahlreichen Freunden und Berufsge-
nossen den Tod des Dahingeschiede-
nen, der am Dienstag, dem 4. Juni, auf
dem Begrabnisplatze der Familie in
Dayton beigesetzt wurde.
Mit dem Namen Gustav Bergmann
wird das Andenken an einen braven,
rechtschaffenen Menschen und an ei-
nen tiichtigen, verdienstvollen Lehrer
stets verknupft bleiben. E. K.
New York.
VomVereindeutscherLeh-
rer von New York und Umge-
g e n d. In freiem fliessenden Vortrag
fiihrte uns letzten Samstag Herr
Ossian Lang, Editor of the School
Journal, die ,,Amerikanischen Pada-
gogen der Gegenwart" vor. Seine Ab-
sicht war zu zeigen, weniger was die
Vereinigten Staaten auf dem padago-
gischen Gebiete Europa verdanken,
als vielmehr, worin Amerika iiber Eu-
ropa hinausgeht und befruchtend auf
die alt-e Welt zuriickwirkt .
Zunachst gab der Redner einen
historischen ttberblick der erzieheri-
schen Bewegungen bis zu dem Zeit-
punkt, den wir gewohnt sind als den
Anfang ,,der neuen Erziehung" zu be-
zeichnen. In rascher Aufeinander-
folge entwickelte er Bacon's Ideen
und wie sie in Neuengland Wurzel ge-
schlagen, ging liber auf Comenius, der
— und das ist vielleicht nicht allge-
mein bekannt — an die eben gegriin-
dete Harvard-Universitat berufen und
zum 1, Prasidenten dieser Universitat
vorgeschlagen wurde; er behandelte
dann Eousseau und zeigt« wie seine
Ideen in der Unabhangigkeitserkla-
rung der jungen amerikanischen Re-
publik ihren Ausdruck gefunden und
wie seine Schlagworter ins Englisch-
Amerikanische iibersetzt, hier gang
und gabe wurden. Pestalozzis (Neffs),
Herbarts und Frobels Einfluss im all-
gemeinen und ihren besonderen Wir-
kungszentren (z. B. Indiana, Philadel-
phia, Concord) kamen alsdann zur
Sprache; auch den sozialistischen Na-
tionalokonomen Owen zog er ins Be-
reich seiner Diskussion und raumte
ihm seine gebiihrende Stellung in Be-
zug auf die Griindung der indiana-
'schen Gemeindeschulen ein. In die-
ser Weise wies der Redner nach, wie
in den verschiedenen Teilen der Ver-
einigten Staaten verschiedene Ein-
fliisse, englische, schweizerische, hol-
landische, franzosische, schottische,
deutsche, wirksam waren und noch
heute wirksam sind — entgegen der
Ansicht Fiskes, der die ganze Ent-
wickelung auf englischen Einfluss zu-
riickfuhren w^ollte — wie aber die ge-
borgten Ideen hier durch- und umge-
arbeitet, wie sie den amerikanischen
Verhaltnissen angepasst und so ein
iTeil des organischen Ganzen des ame-
vrikanischen Staatsbegriffes wurden.
Diesen Werde- und Umwandlungs-
prozess schilderte er hierauf an der
Hand der fiihrenden Geister. Insbe-
sondere zeigte er die bedeutsame und
charakteristische Wirksamkeit von
Horace Mann, Dr. Harris (den Repra-
sentanten der Concord-Schule und des
deutschen Einflusses), Stanley Hall,
Col. Francis Parker, Dewey, Brooker
T. Washington. Es ware hochinteres-
sant, auf die Einzelheiten hier naher
einzugehen und namentlich die indi-
viduellen Verschiedenheiten in der
Auffassung, der Durchfiihrung und
den Endzielen ihrer reformatorischen
Bestrebungen hervorzuheben. Dies
wurde jedoch den Rahmen einer kur-
zen Berichterstattung uberschreiten.
Es ware aber zu wiinschen, dass Dr.
Lang seine mundliche Ausfiihrung
schriftlich ausarbeiten und sie der Re-
Korresponden^en.
271
daktion der Padagogischen Monats-
hefte zur Verfiigung stellen wiirde.
Er wiirde sich damit ein grosses und
dauerndes Verdienst um die gauze
deutschamerikanische Lehrerwelt er-
werben. Denn wir Deutschen kennen
ja vielleicht die hervorragendsten eu-
ropaischen Padagogen, verstehen auch
am Ende das amerikanische Schul-
system, wissen aber im allgemeinen
wenig iiber die Schopfer dieses Sys-
tems. Ich personlich wiinschte es um-
somehr, als Hr. Lang vor alien andern
dazu berufen scheint, sich einer sol-
chen Aufgabe zu unterziehen, da er,
als Redakteur des "School Journal"
mit den meisten Fiihrern personlich
bekannt wurde, ihr Privatleben kennt,
und ihre innersten Regungen und Be-
weggriinde zu erfassen und zu verdol-
metschen versteht.
Dem Vortrag ging der geschaftliche
Teil voraus. Den Vorsitz in beiden
fuhrte wiederum der Vereinsprasident
Dr. Karl F. Kayser. Es wurde be-
schlossen, statt der nachsten Ver-
sammlung in Allaire's Lokal einen ge-
meinschaftlichen Ausflug zu machen.
Die verschiedensten Vorschlage wur-
den laut. Man einigte sich schliesslich
auf ,,Eagle Rock", den bekannten Aus-
flugsort Newarks. Man versprach uns
Wunder von diesen hochromantischen
Hohen, der entziickenden Rundsicht,
von den Schatzen, die Ktiche und Kel-
ler bergen. Qui vivra verra. A. K.
New York, den 19. Mai 1901.
Mit der gestrigen Sitzung beschloss
,,derVerein derLehrer des
Deutschen anN. Y. Hoch-
s c h u 1 e n" sein erstes Vereinsjahr.
Infolge ortlicher und statutarischer
Beschrankung umfasste der Verein
nur eine Mitgliedschaft von etlichen
zwanzig Lehrern, allein dank dem In-
teresse, das Kollegen anderer Schulen
tmseren Bestrebungen entgegenbrach-
ten und mit dem sie an unseren Ver-
handlungen teilnahmen, war der Be-
such unserer Versammlungen stets ein
weit starkerer gewesen. Mit Riick-
sicht auf diese rege Teilnahme von
seiten anderer Lehrer beabsichtigt der
Verein nun, vom kommenden Jahre an
seine Mitgliedschaft zu erweitern und
\vom6glich alle Lehrer des Deutschen
an offentlichen und privaten Mittel-
schulen New Yorks und der Umgegend
in sich zu vereinigen; es darf somit
mit ziemlicher Bestimmtheit voraus-
gesagt werden, dass der Verein sich
in wenigen Jahren zu einer kraftigen
und einflussreichen Korperschaft ent-
v;ickeln wird.
Die Wiederwahl der Beamten, mit
Herrn Dr. Fr. Monteser an der Spitzer
verbiirgt ruhrige Vereinsthatigkeit
und lehr- und genussreiche Versamm-
lungen auch fiir das kommende Jahr.
Der Redner der gestrigen Versamm-
lung war Hr. Dr. A. F. J. Reny, Dozent
an der Columbia Universitat. Er be-
handelte das Thema: Germanistische
Philologie im Dienste der Lehrer des
Deutschen. — In der Einleitung pra-
zisierte Hr. Remy den Begriff und den.
Inhalt der Wissenschaft und betonte,
dass zu einem umf assenden und allsei-
tigen Verstandnis derselben nattirlich
das ganze indogermanische Sprachge-
biet gehore und dass demzufolge eine
Kenntnis der einschlagigen oder
grundlegenden Sprachen der Griechen
und Romer, der Inder und Iraner, der
Kelten und Litu-Slawen unerlasslich
sei. Fiir das Studium der Germanistik
im engeren Sinne jedoch, oder besser
gesagt, fiir die praktische Ausbeutung
derselben im Mittelschulunterrichte
geniige die Kenntnis einer alten
Sprache, der Lateinischen oder Grie-
chischen, zusammen mit dem Goti-
schen, dem Alt- und Mittelhochdeut-
schen, weil sich durch diese sowohl
der Wandel und die Komposition der
Worter als auch deren Bedeutungsver-
anderungen in hinreichender Weise
erklaren liessen. Der Vortragende ver-
wahrte sich jedoch von vornherein ge-
gen die etwaige Schlussfolgerung,
dass er eine ganzliche Umgestaltung
der Unterrichtsweise befiirworte und
an Stelle des gebrauchlichen Lehrver-
fahrens wissenschaftliche Vortrage
iiber Germanistik gesetzt haben wol-
le; solches sei keineswegs seine Ab-
sicht. Er bemerkte, dass er zunachst
nur den Lehrer im Auge habe, und fiir
ihn stehe es ausser Frage, dass eine
etwas genauere Bekanntschaft mit
den Ergebnissen der Forschung auf
germanistischemGebiete von grosstem
Nutzen seien. Sie helfe ihm nicht nur
selbst iiber eineReihe gefahrlicher und
triigerischer Klippen hinweg, erklare
ihm manche Eigentiimlichkeiten und
scheinbaren Unregelmassigkeiten, be-
reichere sein Wissen iiber die Bedeu-
tung einzelner Worter oder Redewen-
dungen und erhohe dadurch seine Ach-
tung vor der Kraft und Fiille seiner
eigenen Sprache, sondern befahige
ihn auch, dem Schiller und besonders
dem englisch sprechenden, hier und
dort durch geschickte geschichtliche
Wort- und Satzerklarungen iiber et-
waige Schwierigkeiten hinwegzuhel-
fen.
In der interessant^sten Weise ge-
272
P'ddagogiscbe Monatsheftt.
lang1 es dem Vortragenden diese An-
sichten zu begriinden. Nachdem er
an verschiedenen Beispielen die erste,
sog. germanische Lautverschiebung
veranschaulicht hatte und damit be-
wies, dass auch. im Leben der Spra-
chen Gesetzmassigkeit und nicht Will-
kiir vorherrsche, erklarte er des Wei-
teren, wie der deutsche Lehrer einer
englischen Klasse durch das genaue
Studium der Grimm'schen und Ver-
ner'schen Gesetze des Lautwandels,
wie auch. der Gesetze des Umlautea
etc. sich seine Aufgabe erheblich zu
erleichtern und nutzbringender zu ge-
stalten imstande ist. — An Wortern,
wie Beispiel, Demut, Frohn-
leichnam, Karfreitagu. a. er-
lauterte er darauf, una wie viel klarer
dem Lehrer der Inhalt der Worter und
um wie viel leichter ihm in manchen
Fallen deren Erklarung werden muss,
wenn er weiss, dass der eine oder an-
dere Teil eines Wortes in der fnihe-
ren Sprache eine Bedeutung hatte, die
heute ganzlich verschwunden ist. So
z. B., dass das Wort ,,Beispiel" nichts
mit ,,Spiel" zu thun habe, also nicht
mit by play zu iibersetzen sei, sondern
dass es althochdeutsch bispel war und
der zweite Teil spel (engl. spele) Er-
zahlung oder Erklarung- bedeutete;
oder dass ,,Kar" in Karfreitag1 und
Karwoche vom altdeutschen Kara
(engl. care) die Klage, stamme. — In
ahnlicher Weise wies er darauf hin,
wie wichtig es fur den Lehrer sei und
wie es inn selbst von Irrlehren und ev.
auch von Blamagen retten konne,
wenn er weiss, dass oft ganz gleich-
oder ahnlich lautende Worter in gar
keinem urspriinglichen Zusammen-
hange stehen, wie z. B. der Mund und
der Vormund, blau und blauen (durch-
blauen), weich und Weichbild, dauern
und bedauern, kosten (cost) und
kosten (taste) etc., oder wenn er
weiss^ dass das Perfekt des Partizips
einst ohne Vorsilbe g e gebildet wurde
und darum Formen wie ,,worden" und
,,sehen" in ,,er ist geliebt worden" und
,,ich habe inn kommen sehen" eigent-
lich gar keine Ausnahme sind; und
ebenso, dass dasselbe Partizip ur-
spriinglich auch aktive Bedeutung ge-
habt, wie sich noch in Wortern wie
,,der Bediente" oder ein ,,vergessener"
(\ergesslicher) Mensch erhalten hat.
Eine derartige Kenntnis der Spra-
che, behauptete der Redner, mache
den Lehrer zum ,,Fachmanne" und er-
hebe ihn vom Sprachmeister zum
Sprachlehrer, und es sei im Interesse
der Sache, wenn neben dem Konnen
auf dem Gebiete des modernen
Sprachunterrichtes auch dem Kennen
mehr Achtung geschenkt werde.
Die hoheren Anforderungen, die von
dem Eedner an den deutschen Lehrer
der Mittelschulen gestellt werden, ver-
dienen sicherlich die ernstliche Beach-
tung aller derer, denen die Entwicke-
lung der Hochschulen im allgemeinen
und der modernen Sprachen im beson-
deren am Herzen liegt. Sie gehen
Hand in Hand mit den erhohten For-
derungen auf samtlichen Gebieten des
Mittelschulwesens, und es kann wohl
nicht bezweifelt werden, dass in nicht
allzu ferner Zeit ein griindliches neu-
philologisches Wissen bei der Auswahl
modernsprachlicher Lehrer schwer-
wiegend in die Wagschale fallen wird.
Let us not be caught napping!
C. F. K.
I
III. Brifikmsten.
M. D., Dayton. So wie wir das uns
vorliegende Zirkular auffassen, soil-
ten die Fragen Ihnen nach dem Ex-
amen, das vom 17. — 21. Juni stattfin-
det, zur Verfligung stehen. Wenden
Sie sich an den Sekretar des ,, College
Entrance Examination Board" (Sub-
Station 84, New York, N. Y.). Wir ha-
ben das Gleiche gethan, konnen aber
kaum Antwort erwarten, ehe die Num-
mer zur Presse gehen muss. — Die
Preise der besprochenen Biicher ge-
ben wir sow^eit an, als sie uns von
den Verlagsfirmen mitgeteilt werden;
diese gewohnen sich allmahlich daran,
es regelmassig zu thun. V. B., San
.Jose, Cal. Besten Dank fur Ihre
freundlichen Ratschlage. Wir wollen
sie befolgen und hoffen auf giinstiges
Eesultat. Brief nachstens.
Bucherschau.
I. Bucherbesprechungen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Die Deutschen in Pennsyl-
vanien vor d e m Revoluti-
onskrieg. Im Verlag von Henry
Holt & Co. (New York) ist vor kurzem
ein Werk erschienen, das an ,,Fiskes
Dutch and Quaker Colonies" erin-
nernd, ein Stiick amerikanischer Ko-
lonialgeschichte behandelt. Unter
dem Titel "The German and
Swiss Settlement of Colon-
ial Pennsylvania: A Study
of the So-called Pennsyl-
vania Dutc h," wendet sich das
Buch, in englischer Sprache verfasst,
an den gebildeten Amerikaner, der die
Kulturgeschichte des eigenen Landes
zu erforschen sucht, aber ganz beson-
ders und zwar zum Zwecke der Selbst-
erkenntnis an den engeren Kreis der
deutschen Nachkommen, denen die
englische Sprache gelaufiger gewor-
den als die Sprache ihrer Vorfahren.
Der Verf asser, Professor Oscar
K u h n s, tritt unter giinstigen Vorbe-
dingungen an seine Arbeit heran.
Selbst von den ersten deutschen An-
siedlern in Pennsylvanien abstam-
mend, kennt er das Leben und den
Charakter des grossen Agrikultur-
volkes aus eigener Beobachtung in sei-
ner Heimat in Lancaster County, spa-
ter als Professor der Neueren Spra-
chen siedelte er sich im Herzen des
,,Yankeetums", im Staate Connecticut
an, und wurde dadurch vollkommen
mit dem Vorziiglichen in Kultur und
Charakter des amerikanischen Volkes
vertraut. Man findet deswegen im
vorliegenden Werke ein unbefangenes
Urteil, ein Geltenlassen der Ver-
dienste anderer Volker, eine Beschran-
kung auf Thatsachen, die ohne rheto-
rischen Schmuck, mit dem Schilde der
Wahrheit glanzen.
Im ersten Kapitel seines Buches
fiihrt uns der Verfasser in die Heimat
der Deutsch-Pennsylvanier zuriick,
nach der Rheinpfalz und an den Ober-
rhein, und gewahrt uns einen raschen
historischen Uberblick auf dortige
Verhaltnisse. Der allgemeine Wohl-
stand Deutschlands zu' Ende des sech-
zehnten Jahrhunderts erstreckte sich
gleichfalls fiber die gesegnete Pfalz,
deren Bewohner, seit Menschengeden-
ken in der Kunst des Ackerbaus ge-
iibt, den Fleiss und die Ausdauer des
Landmanns mit dem heiteren Tem-
perament des Rheinlanders in ihrem
Volkscharakter vereinigten. Die
Fruchtbarkeit gereichte dem Lande
im Dreissigjahrigen Krieg aber nur
zum Verderben, umsonst erholte es
sich mehrmals rasch von Verwiistung
und Armut, durch wiederholte Ver-
heerungen des Krieges und der Seu-
chen vollstandig zu Grunde gerichtet,
entstand in den Jahren 1836-38 eine
derartige Hungersnot, dass man die
Graber und die Galgen vor Menschen-
fressern hiiten musste. Nach dem.
westfalischen Frieden folgten die
schrecklichen Kriege Ludwigs XIV.,
der es darauf abgesehen hatte, da es
nicht in seiner Macht stand, das Land
selbst dauernd zu besetzen, es seinen
Feinden als Vorratskammer zu verder-
ben. Wo friiher Glaubensfreiheit
herrschte, entstanden bald die Verfol-
gungen der Reformierten. Hire Kir-
chengiiter \vurden eingezogen, der
Einfluss der Jesuiten siegte. Den
Pfalzern ward nun durch die okono-
misch bedriickte Lage und durch den
Religionsz\vang ihre schone Heimat
verleidet, und als William Penn mit
Reden und Schriften fur seine neu er-
worbene Besitzung am fernen Dela-
ware um Kolonisten warb, und spater
die Versprechungen der Konigin
Anna von England verlauteten, fass-
ten Tausende von Deutschen den Ent-
schluss, jenseits des Meeres in der
Wildnis ein neues Heim zu grunden.
Dazu gesellte sich noch in vielen Fal-
len die deutsche Wanderlust, die von
jeher, so sehr auch ihm die alte Hei-
mat anhing, den Deutschen antrieb,
ein Gliick unter fernem Himmel zu su-
chen.
Professor Kuhns' Buch beschrankt
sich auf die Schilderung der Einwan-
derung vor dem Ausbruch des Revo-
lutionskrieges, im Jahre 1775. Wah-
rend des Krieges geriet die Einwande-
rung ins Stocken. Kuhns unterschei-
det drei Perioden: 1) 1683-1710 Von.
der Griindung Germantowns bis zur
Einwanderung der Mennoniten. 2)
1710-27. Die Jahre, in welchen die
Einwanderung starker wurde, und
man offizielle Statistiken dariiber ver-
offentlichte. 3) 1725-75. Die Periode.
der gesteigerten Einwanderung, in
274
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
welcher durchschnittlich 1500 Deu1>
sche jahrlich in Philadelphia anka-
men. Indem er die Einwanderungs-
listen zu Eate zieht, macht der Ver-
fasser den Versuch, die Zahl der urn
1775 in Pennsylvanien lebenden Deut-
schen zu bestimmen, und kommt auf
das gewohnlich angenommene Eesul-
tat, namlich, dass etwas uber 100,000
Deutsche und deren Nachkommen zur
Zeit in Pennsylvanien ansassig gewe-
sen, oder etwa ein Drittel der ganzen
Bevolkerung Pennsylvaniens. Die
deutschen Ansiedlungen in anderen
Landesteilen kommen nicht in den Be-
reich des Buches.
Die Deutsch-Pennsylvanier hatten
auch ihre ,,Mayflower", namlich das
Schiff ,,Concord", welches im Oktober
des Jahres 1683 dreizehn deutsche Fa-
milien nach Philadelphia brachte, die
unter der Fiihrerschaft des zwei Mo-
nate friiher angekommenen Franz
Daniel Pastorius die Stadt ,,German-
town" griindeten. Wegen ihrer Armut
zuerst als ,,Armentown" verspottet,
bliihte die Ansiedlung durch den
Fleiss und die Ausdauer der Einwan-
derer rasch empor und lockte bald
neue Kolonisten aus der uberseei-
schen Heimat. Nach 1710 siedelten
sich zahlreiche Mennoniten aus der
Schweiz im Bezirk von Lancaster
County an. Wo der deutsche Bauer
hinkam, verwandelte sich die Wildnis
in ein Gartenland, immer weiter
dehnte sich sein Gebiet ,uber die
Grafschaften Berks, Montgomery, an
dem jenseitigen Ufer des Susquehan-
nah, nach den Grafschaften York und
Cumberland, siidlich wanderte das
Volk, immer die besten Landereien
wahlend, nach den Ufern des Mono-
cacy, im Staate Maryland, weiter in
das fruchtbare Virginier Shenandoah-
thal.
Im Kapitel ,,ttber Land und Meer"
werden uns die Beschwerden der See-
reise vorgefiihrt. Damals war der
Auswanderer nicht allein der Wut der
Elemente ausgesetzt, sondern ganz
besonders der Gefahr vor anstecken-
den Krankheiten, beim oft vorkom-
menden Schiffbruch der Gefahr vor
Hungersnot. Ebenso gefahrlich fiir
ihn war die Habgier der Agenten und
Schiffskapitane. Oft auf der Ehein-
fahrt hatten schon die Emigranten ei-
nen Vorgeschmack kommender Lei-
den und Sorgen erhalten, wenn durch
zahlreiche Abgaben ihr Hab und Gut
ihnen geraubt, wenn, um die Seereise-
kosten zu bestreiten, sie sich auf
Jahre einem amerikanischen Gutsbe-
gitzer zur Sklavenarbeit verdingen
mussten. Doch war solcher Dienst oft
segenbringend, da der sogenannte Be-
demptionist eine Lehrzeit durchmach-
te, die ein Freier schwer entbehrte.
Jede gediegene Schilderung der
Sitten und Gebrauche der Deutschen
in Pennsylvanien geht zuriick auf das
vortreffliche Biichlein (The Manners
of the German Inhabitants of Pennsyl-
vania, 1789) des angesehenen Philadel-
phier Arztes Benjamin Eush, Unter-
zeichners der Unabhangigkeitserkla-
rung, der in hohen Amtern vielfach
fiir das Gemeinwohl thatig, den Wert
des deutschen Agrikulturvolks in sei-
nem Staate redlich anerkannte. Sech-
zehn Charakteristiken zahlt Dr. Eush
zusammen, die den Deutschen im
Kampf mit der Wildnis siegreich her-
vorgehen und alle anderen Volker
iiberniigeln lassen. Auf ahnliche Weise
beschreibt Professor Kuhns die Eigen-
art der Bebauung der Felder, die Wahl
des Kalksteinbodens, die Behandlung
des Viehs, die Konstruktion ihrer
Hauser, ihrer Scheunen (Swisser
barns), der Wagen (Conestoga \va-
gons). Bedeutend war auch ihre Blu-
menzucht und der Gartenbau, eigen-
tumlich der Aberglaube und die Um-
standlichkeit bei Hochzeiten und Lei-
chenbegangnissen.
Wie an ihren Sitten hielten die
Deutsch-Pennsylvanier an ihrer Spra-
che fest. Anfangs bemuhten sie sich
auch nicht, die englische Sprache zu
lernen, ,,damit sie ja nicht eirisch
wiirden," wie Chas. Sealsfield lachelnd
bemerkt in seinem Buche, ,,Die Verei-
nigten Staaten von Nordamerika,
nach ihrem politischen und gesell-
schaftlichen Verhaltnisse betrachtet.
(Unter dem Pseudonym C. Sidons 1827
' erschienen.) Auf der Grundlage des
1 mitgebrachten pfalzischen und
schweizerischen Dialektes entstand
nun durch die fortdauernde Beriih-
rung mit dem Englischen eine merk-
wiirdige Sprachmengerei, die man ge-
wohnlich mit dem Namen ,,Pennsylva-
nia Dutch" bezeichnet. Erst seit 1849
entstanden Versuche, von Harbaugh,
Fischer ,Eauch u. a., diesen Dialekt in
Poesie und Prosa zu verherrlichen ; es
entstanden darunter recht gemiitvolle
Verse, jedoch zum Volksdichter im
Sinne Hebels brachte es keiner. Eine
eingehende Studie des Dialektes fin-
det man in Professor Learned's "The
Pennsylvania German Dialect," Balti-
more 1889 (mit einer Grammatik).
Kuhns giebt einige der Hauptmerk-
male des Dialektes kurz und leicht-
verstandlich an.
Die litterarischen Bestrebungen der
BUcherbesprecbungen .
Deutschen vor 1775 beschrankten sich.
auf einzelne zeitgemasse und theolo
gische Schriften in neuhochdeutscher
Schriftsprache, und es fand mancher
der deutschen Vorfahren an Bildung
und Gelehrsamkeit unter seinen ame-
rikanischen Zeitgenossen nicht seines-
gleichen. Kuhns erklart, dass der oft
wiederholte Vorwurf, als seien die
deutschen Ansiedler roh und ungebil-
det gewesen, hochst ungerecht sei,
und zum teil davon herruhrte, dass
die deutsche Sprache der nativisti-
schen Bevolkerung unverstandlich
und folglich verachtungswiirdig er-
schienen sei. Die erste in Amerika
gedruckte Bibel war eine deutsche aus
der Presse Christoph Sauers, davon
erschien die dritte Ausgabe im Jahre
1776, die erste englische Bibel dagegen
erst 1782. Die Deutschpennsylvanier
importierten viele Biicher, sie lasen
eifrig, und ihre Schulen standen den
amerikanischen nicht nach.
,,Das religiose Leben" der Pennsyl-
vanier bildet den Inhalt des sechsten
Kapitels, und ist dies ein ergiebiges
Thema, das der Verfasser griindlich
durchforscht hat. Die zahlreichen, in
der Wildnis zerstreuten protestanti-
schen Sekten, Herrenhuter, Wieder-
taufer, Schwenkfelder, Ephratenser,
Tunker u. s. w. waren alle vona Geist
des Pietismus durchdrungen. Uner-
mudlich im Dulden, fest im Glauben,
unerschiitterlich im. Vertrauen auf
Gottes Hilfe, fiihrten sie ein zufriede-
nes, pflichtgetreues Leben, wobei der
Segen nicht ausbleiben konnte. Den
Schatz, welchen sie unter den irdi-
schen Gutern hoher hielten als Haus
und Hof, war die Bibel. Diese diente
ihnen aber nicht zum Schmuck der gu-
ten Stube, sondern sie bildete ihre
tagliche geistige Nahrung. Die
Deutschpennsylvanier waren aber
nicht nur ,,bibelfest", spricht der Ver-
fasser, sondern auch ,,gesangbuch-
fest", da sie ebenso gut mit den
schonsten deutschen Kirchenliedern
vertraut waren. Es fehlte lange den
auseinander liegenden Ansiedlungen
an kirchlicher Organisation, auch an
Pastoren, bis Miihlenberg fur die Lu-
theraner und Schlatter fiir die Refor-
mierten den Noten Abhilfe brachte.
Ein schoner Zug war ofters der dop-
pelte Gebrauch derselben Kirche zum
Gottesdienst bei den Lutheranern
und Eeformierten, — angesichts der
machtigen Offenbarung Gottes im
Urwalde konnte man die Unterschiede
der Konfessionen vergessen. Nichts-
destoweniger schlug ein Versuch Zin-
zendorfs, alle protestantischen Ge-
meinden unter einer Synode zu verei-
nigen, fehl. Er hatte 1742 eine Ver-
sammlung nach Germantown einberu-
fen, der wohlwollende Plan scheiterte
aber an dem Neid und den Zwistigkei-
ten der Sekten. Den Mennoniten und
Methodisten widmet Kuhns noch be-
sondere Aufmerksamkeit und be-
schliesst damit eines der interessan-
testen und belehrendsten Kapitel sei-
nes Buches.
Der Einfluss der Deutschpennsylva-
nier ,,in Krieg und Frieden" auf die
Entwickelung des Landes mag ein
sehr betrachtlicher gewesen sein,
Kuhn rechnet, dass die urspriingli-
chen, vor dem Revolutionskrieg ange-
siedelten Deutschen Pennsylvaniens
sich bis auf heute auf vier bis fiinf
Millionen Menschen deutschen Blutes
vermehrt haben, vpovon etwa zwei
Millionen im Staate Pennsylvanien
ansassig geblieben, die iibrigen sich
hauptsachlich iiber den ferneren
Westen verteilt, den Kampf mit der
ungezahmten Natur dort fortgefiihrt
haben. Politisch waren die Deutschen
vor 1775 nicht besonders thatig, von
Hause aus waren sie es nicht gewohnt,
sich um die Regierung zu bekiimmern.
Jedoch lernten sie das Selbstregieren
bald den anderen ab, und schon friih
fehlte es nicht an hervorragenden
Personlichkeiten, wie z. B.: F. A. Miih-
lenberg, Vorsitzender der Verfas-
sungskonvention und erster Sprecher
des Reprasentantenhauses unter
Washington, und Michael Hillegass,
Schatzmeister des Kontinental-Kon-
gresses. Das friedliche Verfahren
der Deutschen gegen die Indianer
kam den Kolonisten im allgemeinen
zu gute, besonders wurde Konrad Wei-
ser oft vom Staate Pennsylvanien als
Dolmetscher, Unterhandler oder Frie-
densstifter unter die Indianer ge-
schickt. Trotzdem, dass vielen ihre
Religion das Waffentragen verbot, lie-
ferten die Deutschen im Revolutions-
krieg doch ihren vollen Beitrag an
Truppen, die nach dem Urteil von
Amerikanern an Mut und Tiichtigkeit
es nicht fehlen liessen. Unter den
Generalen waren Nicholas Herkimer
und Peter Miihlenberg. Von letzterem
wird erzahlt, wie er als Prediger in
Blue Ridge (Virginien) eines Sonntags
nach einer entziindenden Rede iiber
die Unterdriickung der Kolonien
plotzlich sein priesterliches Gewand
abstreifend, seine Offiziersuniform
habe blicken lassen, und vor der Kir-
chenthiire zum Werben von Rekruten
die Trommel riihren liess. Professor
Kuhns erwahnt, dass die ersten aus-
276
Padagogiscbe Monatsbefte.
wartigen Hilfstruppen, welche 1775 in
Cambridge zur Belagerung Bostons
anlangten, eine Kompagnie aus York
County gewesen, dass hundert Jahre
spater die ersten zum Schutz der Re-
gierung in Washington ankommenden
Truppen Nachkommen der Patrioten
des Revolutionskrieges gewesen, eine
Kompagnie aus Reading, Allentown,
Pottsville und Lewiston.
Im Schlusskapitel gewahrt uns der
Verfasser noch einige Betrachtungen
iiber das Leben und die Charakteristi-
ken der Deutschpennsylvanier, er
spricht auch von dem Aufgehen des
alten Volkstums in einem neuen
Mischvolk und hat dafiir keine Klage.
Er vertritt die Ansicht, dass die aller-
hochsten Zwecke nicht durch einseiti-
ges Beharren bei dem. Eigenen und
Eigentiimlichen zu erzielen seien, son-
dern dass deutsche Griindlichkeit,
deutscher Trotz und Fleiss, Konserva-
tismus und Pflichtgefuhl mit amerika-
nischer Energie, genialem Erfindungs-
geist und praktischem Sinn verbun-
den, ein hoheres Volksleben und eine
thatenreichere Zukunft hervorzubrin-
gen imstande seien.
In einem Anhang giebt der Verfas-
ser viele Beispiele der wunderbaren
Metamorphosen an, welche die alten
mitgebrachten deutschen Namen
durchmachten, eine Arbeit, die er
noch zu vervollstandigen verspricht.
Die umfangreiche Bibliographic am
Ende des Buches legt Zeugnis der
griindlichen Studien des Verfassers
ab, nur befremdet einigermassen die
Anordnung der angefiihrten Werke,
welche in der zufalligen Folge ihrer
Erwahnung im Buche nicht alphabe-
tisch noch ubersichtlich geordnet sind. ,
A. B. Faust.
Romeo und Julie auf dem
Lande von Gottfried Keller
Edited with Introduction and Note
by W. A. Adams, P h. D., Assistant
Professor of German in Dartmouth
College, Boston, D. C. Heath & Co.,
1900. Price 30 cts.
In Heft 2 des vorigen Jahrgangs
der Padagogischen Monatshefte legte
ich in einem Artikel gegen die Verkur-
zung von deutschen Werken zum
Zwecke der Herausgabe von Schulbu-
chern energische Verwahrung ein und
nannte eine derartige Handlungsweise
einen ,,litterarischen Vandalismus".
Die Hen-en Osthaus & Hohlfeld haben
in ihren Erwiderungen auf meinen Ar-
tikel den entgegengesetzten Stand-
punkt verteidigt, mich aber nicht zu
ihrer Anschauung bekehrt, woran
vielleicht auch die vielen zustimmen-
den Briefe, die ich von Kollegen, de-
ren Namen einen guten Klang haben,
erhielt, und in die der Redakteur der
P. M. auch Einblick nahm, ihren Teil
beitrugen. Heute noch einmal die
ganze Frage aufzurollen, ware viel-
leicht zu sehr post festum und rtick-
sichtslos gegen die Leser dieser Zeit-
schrift. In den letzten Monaten ha-
ben mehrere verstiimmelte Ausgaben
deutscher Dichtungen die Presse ver-
lassen, und ich mochte meine Gegner
nun heut auf einen derartigen Torso
aufmerksam machen und sie, nach-
dem sie denselben gepriift, fragen, ob
es nicht Zeit ist, gegen die Verkiir-
zungen deutscher Werke zu protes-
tieren.
Herr Dr. Adams hat sich gemussigt
gefiihlt, Gottfried Kellers herrliche
Novelle ,,Romeo und Julie auf dem
Lande" fur den Schulgebrauch herzu-
richten, d. h. diese Bliite moderner
Novellistik einiger ihrer schonsten
Blatter zu berauben. Fur ein derarti-
ges Vergehen kenne ich keine Ent-
schuldigung. ,,Romeo und Julia" ist
keine Schullektiire, das verbietet die
in dieser Novelle stellenweise hervor-
tretende realistische Darstellung, die
aber zugleich in ihrer Eigenart dem
Werke einen solch poetischen Duft
verleiht, dass ohne sie das Buch nicht
den Stempel seines Autors tragt.
Wollte Dr. Adams durchaus ein Werk
Kellers fur den Schulgebrauch schaf-
fen, warum wahlte er nicht eine der
anderen Novellen, bei denen die Grvin-
de, die hier fiir die Verstummelung
angeblich vorlagen, nicht vorhanden
sind? Schade um die sorgfaltig ausge-
arbeitete Einleitung, in der uns Dr.
Adams eine recht brauchbare Biogra-
phic Kellers giebt, und um die sehr
fachgemassen ,,notes". Ich kann diese
Ausgabe von ,,Romeo und Julia" aus
den oben angefiihrten Griinden nicht
Umgebung des Vierwaldstatter Sees,
empfehlen. Leo Stern.
S c h u 1-W andkarte zu Schil-
ler s ,,W i 1 h e 1 m Tel 1". Entwor-
fen von E. V o g t.
In dem. Verlage von E. Morgenstern
in Breslau ist eine prachtig im Far-
bendrucke gehaltene, in dem karto-
graphischen Institut von Karl Flem-
ming in Glogau bearbeitete Schul-
Wandkarte zu Schillers ,,Wilhelm
Tell" erschienen. Die Karte zeigt die
Umeebung des Vierwaldstatter Sees,
ist im Massstab von 1:45,000 gezeich-
net, 32 zu 40 Zoll gross, und koetet
einen Dollar. Da ,,Wilhelm Tell" fast
Bttcberbesprecbungen .
277
iiberall in den amerikanischen hohe-
ren Schulen gelesen wird, so diirfte
die Karte, die unaufgezogen leicht
versandt werden kann, auch in unse-
rem Lande von alien Lehrern als ein
hochst willkommener Beitrag zum
Verstandnis des ,,Wilhelm Tell" be-
grusst werden. Paul Cierisch.
Our Native Birds. How to
protect them and attract them to our
homes. By D. L a n g e, Instructor in
Nature Study, Public Schools, St.
Paul, Minn. With illustrations. New
York, The MacMillan Company, 1899.
12mo, cloth, IX+162 pp. ; price $1.00.
"The true scientist has no passion
for killing things. He says with Tho-
reau, 'to shoot a bird is to lose it'."
These words of Elbert Hubbard are
called to one's mind in reading Mr.
Lange's book. Throughout the book
the ideas of protection and attraction
are predominant. In teaching Nature
Study the book will prove helpful, for
the author does not confine himself
to birds, but "pleads for flowers,
trees, and beasts as well as for birds,
on wings and breezes skyward
bound." In those states, in which
"Bird Day" is observed, the book will
prove of special service, since it con-
tains excellent matter for appropriate
exercises. . J. E.
Felix Dahn, Ein Kampf urn
Rom. Episodes arranged to form a
continuous narrative and edited, with
notes, by Carla Wenckebach.
Boston, D. C. Heath & Co., 1900. 228
pages. 70c.
Ob stark verkiirzte und vom Heraus-
geber redigierte Schulausgaben dich-
terischer Werke, die sich ihres Um-
fanges halber nicht zur Schullektiire
eignen, grundsatzlich anzuerkennen
oder zu verwerfen seien, ist in den
P. M. (von Leo Stern, Ein litterari-
scher Vandalismus, I, 2, S. 19-21) eben-
so entschieden verneint als (von Carl
Osthaus, Ein litterarischer Vandalis-
mus? I, 4, S. 8-9) entschieden bejaht
worden. Im allgemeinen bekenne ich
mich zur erstern Ansicht, zu der auch
wohl die meisten Schriftsteller selbst
und deren Freunde neigen werden;
um jedoch im vorliegenden Falle mit
der Herausgeberin womoglich auf an-
nahernd demselben Boden zu stehen,
will ich gerne alle Bedenken grund-
satzlicher Art unterdriicken. Aber
selbst dann hat meines Erachtens die
Herausgeberin hier einen Missgriff
gemacht. Fraulein Wenckebach, die
auf eine stattliche Reihe tiichtiger Ar-
beiten fur den deutschen Unterricht
weisen kann, (anderseits freilich auch
schon eine verkiirzte Ausgabe von
Scheft'els Ekkehard und gar dem
Trompeter von Sakkingen auf dem
Gewissen hat) unternimmt es hier,
die ersten beiden Bande der Original-
ausgabe von Dahns Meisterwerk auf
nicht ganz 200 Text — gegen mehr
als 800 der Vorlage — fur den Schul-
gebrauch zurechtzustutzen. Dass der
Titel des Ganzen fur den Auszug nicht
so recht passt, da vom eigentlichen
Kampf um Rom darin fast nicht die
Rede ist, sei beilaufig erwahnt. Die
Auswahl ist im ganzen geschickt ge-
troffen, und die redigierende Hand
drangt sich nicht sonderlich storend
hervor. Schwere Bedenken aber ver-
anlasst der Schluss. Wie viel oder wie
wenig auch die Herausgeberin bieten
wollte, mit der Vermahlung des Witi-
gis mit Mataswintha durfte nie und
nimmer abgebrochen werden; vom
Charakter des Helden erhalten wir so
kein vollstandiges, wenn nicht gar ein
falsches Bild; seine Wiedervereini-
gung mit Rauthgundis und ihrer bei-
der tragischen Tod in die Erzahlung
einzubeziehen, war unerlasslich. Frei-
lich war die nicht fur die Schullek-
tiire berechnete dazwischenliegende
Schilclerung der Brautnacht nicht
auszuscheiden, ohne das einheitliche
Kunstwerk schlimm zu verunstalten;
und das wird wohl auch fur die Her-
ausgeberin der Stein des Anstosses
gewesen sein. Eine diirftige Anmer-
kung auf S. 212 belehrt uns, dass Wi-
tigis nach vielen Siegen und Nieder-
lagen gebrochenen Herzens gestor-
ben; dass dies geschehen mehrere
Jahre nachdem ihn Belisar gefangen
im Triumphe zu Byzanz aufgefuhrt
hatte, musste hier erwahnt werden,
desgl. die Art, wie der Dichter ihn
sterben lasst.
Die Anmerkungen und die Liste der
Personen und Orte des Romans tragen
die Merkmale fliichtiger Arbeit. Die
meisten Versehen, wenn es solche
sind, hatten noch bei der Korrektur
des Druckes beseitigt werden konnen.
Einige seien hier genannt: S. 2, 4.
Den Ausdruck Rabenstadt^Ravenna
hat nicht Dahn aufgebra-cht. — S. 10, 3.
Sollte sterben=war dem Tode nahe.
Die gegebene t)bersetzung wird der
in den einfachen Worten ausgedriick-
ten Allmacht des Schicksals nicht ge-
recht. — S. 72, 3. Dass die Volksver-
sammlung "the forerunner of our
Parliament" gewesen, ist eine schiefe
Auffassung. — S. 122, 1. Natiirlich
wurde nur die Zustimmung, nicht
auch das Missfallen durch den Waf-
278
P'ddagogiscbe Monatshefte.
fenklang ausgedriickt. — S. 138, 2.
Beim Donner=beim Hammer Thors;
die englische ttbersetzung 1st viel zu
schwach. — In der Liste: Aligern ist
eine geschichtliche Person, nach Pro-
kop der jiingste Bruder Tejas, der ge-
schickteste Bogenschiitze seiner Zeit,
der die letzte gotische Feste, Cumae,
noch zwei Jahre nach der Schlacht am
Mons Lactuarius gegen Narses hielt.
— Boethius lebte nicht von 524 — 575,
sondern von etwa 470 — 524. — Was soil
die Bemerkung uber Julius Casar? —
Die unerwartete Neuigkeit iiber Sei-
pio durfte romische Geschichtsfor-
scher hochlich interessieren. — Tul-
lius bedeutet natiirlich nicht den bie-
dern alten Servius Tullius; gemeint
ist, wie die Zusammenstellung mit
Vergil auf den ersten Blick ergiebt,
ein gewisser M. Tullius Cicero. — Die
unmogliche Bildung Xernachos, die
auch im Texte erscheint, muss Xenar-
chos heissen. — An storenden Druck-
fehlern fallen auf: S. 162, Z. 9, das
Blut der Amaler in ihren Augen (1.
Adern); unter Ibbas (S. 216) 1. 510;
der Fall des Westromischen Keiches
ist als 476 (nicht 475) zu geben.
An Colleges kann das mit zwei
Karten ausgestattete Buch bei der no-
tigen Vorsicht in einem Kurs fiber
deutsche Geschichte wegen des darin
enthaltenen kulturhistorischen Stof-
fes gute Dienste leisten. Mehr Scha-
den als Nutzen wird es stiften in den
Handen eines Lehrers, der das Origi-
nal nicht griindlich kennt. Wie viele
Schiller sich iibrigens wohl nach dem
Lesen eines solchen Auszugs an das
unverkiirzte Original machen werden
(was allein solchen gekiirzten Ausga-
ben eigentlich Daseinsberechtigung
gabe) ? wie viele es nicht wegen, son- /
dern trotz der Ausgabe thun?
/
Heinrich Seidel, L e b e /
rechtHuhnchen. Edited, witii
notes and a vocabulary, by A. W.
Spanhoofd. Boston, Heath & Co.,
1901.
Krieg und Frieden. Erzah-
lungen von Frommel, Villama-
r i a und Hoffmann. Edited,
with notes, by W. B e r n h a r d t.
Boston, Ginn & Co., 1900.
Paul Heyse, Anfang und
E n d e. Edited, with notes and voca-
bulary, by Max Lentz. Am. Book
Co., 1900.
B. Groller, Incognito, und
P. Albersdorf, cand. phil.
Lauschmann. Edited, with
notes, materials for prose composi-
tion, and vocabulary, by Max
Lentz. Am. Book Co., 1901.
Die drei bekanntesten Erzahlungen
Seidels, die zerstreut in mehreren
Sammlungen, geschlossen auch in ei-
nem etwas unbequemen Abdruck aus
der ,,Germania" herausgegeben sind,
in einem hubsch ausgestatteten Band-
chen zu vereinigen, war entschieden
ein gliicklicher Gedanke; je weitere
Kreise der Sonnenschein Huhnchen-
scher Lebensphilosophie durchdringt
und erwarmt, desto besser. Nicht rat-
sam aber erscheint uns, das Buch An-
fangern (s. Schluss des Vorworts) in
die Hande zu geben. Dazu ist Seidels
Stil zu schwer; auch die zahlreichen
Anmerkungen (22 Seiten) und das Yo-
cabular (42 Seiten) zu den 54 Seiten
Text werden nicht immer dariiber
hinweghelfen. Unseres Erachtens
musste in den Anmerkungen auf die
colloquiale und burschikose Aus-
drucksweise weit scharfer hingewie-
sen werden. Einige der langen gram-
matischen Anmerkungen, wie 1, 1;
10, 5, konnten entsprechend gekiirzt
werden durch Verw^eise auf die ge-
brauchlichsten Schulgrammatiken,
ein Verfahren, das iiberhaupt den
Herausgebern von Schulausgaben
nicht angelegentlich genug empfohlen
werden kann. Einzelnes: Zu 9, 6 ware
zu bemerken, dass ,,der erste Stock=
eine Treppe hoch" nur nordlich vom
Main gilt, Siiddeutschland aber die
auch in Amerika iibliche Zahlung ver-
•wendet; zu 18, 9, dass die Verwechs-
lung von Dativ und Akkusativ in den
unteren Klassen in Niederdeutschland
allgemein ist. — Ganz unrichtig, we-
nigstens in ihrer Allgemeinheit, ist
die Bemerkung iiber Eisenbahnbe-
amte zu S. 33, 1. — Warum soil ,,nach
dem Bahnhof", ,,nach dem Siidpol"
richtiger sein (32, 3; 37, 2) als ,,zum
B., zum S."? — Die richtige Ausspra-
che von Don Quixote (don kichote)
bricht sich jetzt in Deutschland im-
mer mehr Bahn, statt des 7, 2 gege-
benen Dongkischott.
Eecht hubsch ist die Zusammenstel-
lung der drei Geschichten in ,,Krieg
und Frieden". Ob aber hierzulande
der ausgezeichnete Humor in Hans
Hoffmanns ,,Publius" Wiirdigung fin-
den wird? Zu wiinschen ware es. Dem
Buche wiirden wir gerne weite Ver-
breitung gonnen. — Die Anmerkun-
gen sind etwas zu zahlreich und weit-
schweifig ausgef alien; vgl. z. B. 73, 6
und 88, 21. — Oberland (1, 2) bedeutet
die siidliche (nicht die ostliche), Un-
terland die nordliche (nicht die west-
liche) Halfte des Grossherzogtums
Bttcberbesprecbungen .
279
Baden. Vogt (5, 14) nicht = Polizist,
sondern = Burgermeister. Gewalt-
haufe (83, 1, hier im Zusammenhang
richtig ubersetzt) bedeutet in der
Sprache der Landsknechte den Heeres-
teil, der den Hauptstoss auszufvihren
hat. — Statt mit dem Dativ ist we-
nigstens in Suddeutschland ganz ge-
wohnlich. 27, 25 inne werden = er-
fahren war als Provinzialismus zu
kennzeichnen. Bei 64, 10 ware eine
Bemerkung iiber das (absichtlich ?)
mangelhafte Latein der Parodie (hu-
mana alienum statt aliena, — seliger
Publius!) angebracht gewesen. — Die
Bemerkungen zu 4, 23, auf Handwer-
ker aller Art sowie auf die Schul-
meister zu Beginn des 19. Jahrhun-
derts ausgedehnt, hatte schon zu 2, 10
— 15 gegeben werden sollen ; bei 2, 22
und 4, 23 konnte man dann darauf ver-
weisen.
Ein guter Griff war es, Heyses ,,An-
fang und Ende" fur die Schule her-
auszugeben. Die Anmerkungen (am
Fusse der Seite) beschranken sich auf
das Notwendige, und das Vocabular
1st desto ausfuhrlicher. Zu 13, 12
sollte erklart werden, dass der be-
stimmte Artikel bei Eigennamen siid-
deutsche Eigentiimlichkeit ist. Die
Anmerkung zu 16, 7 — 9 sollte zeigen,
wie die \Yiederholung zu vermeiden
war, 19, 10 ist zu weit hergeholt;
,,mit" heisst hier soviel wie ,,auch".
,,Am Ende des letzten Weges" (22, 21)
ware doch nicht = ,,am letzten Ende
des Weges". Der S. 56, 7 erwahnte
Brauch beim Schmollis ist heute noch
auf suddeutschen Universitaten leben-
dig.
Schade, dass sich zu der drolligen
Geschichte ,,Incognito" die Mar vom
Bummelgenie Lauschmann gesellt
hat; diese wird manchem Lehrertrotz
der fleissig gearbeiteten Materialien
zur Kuckubersetzung ins Deutsche
das Buch schlecht empfehlen. Die
mannigfach verbreitete Ansicht vom
deutschen Studenten kann cand. phil.
Lauschmann in unreifen Kopfen nur
starken und dadurch bosen Schaden
stiften. (Eeferent verwahrt sich nach-
driicklich gegen den Verdacht des Pu-
ritanismus!) — 28 Jahre (36, 4) ist
doch wohl nicht gewohnlich genug,
um die Anmerkung zu rechtfertigen.
Verbindung und Corps (37, 15) ist kei-
neswegs dasselbe; unnotig ist der
Vermerk iiber de,n Kosener S. C.
Falsch ist die Anmerkung zu 39, 23
tiber das obligatorische Farbentra-
gen; der Text giebt das Richtige. Die
Auslassung von Pronomen und Hilfs-
zeitwort (41, 3) ist weder lacherlich
noch der Studenteu und Offiziersspra-
che besonders eigen. — S. 42, 15 — 16
lies Studentenleben (statt Studen-
leben). — r.
Deutsche Schulen und der
deutsche Unterricht im
A u s 1 a n d e. Mit neun Vollbil-
dern und zahlreichen Abbildungen im
Text. Zusammengestellt von J. P.
M ii 1 1 e r, Dr. philos., Direktor der
Allgemeinen Deutschen Schule in
Antwerpen. Selbstverlag. In Kom-
mission bei Th. Thomas in Leipzig,
1901. Preis im Originalband 12 M.
Die grossartigen Errungenschaften
Deutschlands auf alien Gebieten
menschlicher Thatkraft und mensch-
lichen Wissens wahrend der letzten
Jahrzehnte hoben nicht allein das Na-
tionalgefiihl der Eeichsdeutschen,
sondern bewirkten auch, dass die im
Auslande lebenden Deutschen sich
ihrer Abstammung mit Stolz bewusst
wurden und sich zusammenthaten, um
ihre nationalen Guter gegen den Ein-
fluss des Fremden, dem der Deutsche
mehr als irgend eine andere Nation
zuganglich ist, zu wahren. Haupt-
sachlich waren es die Schulen, auf
welche die Deutschen des Auslandes
ihr Augenmerk richteten; und wie
Deutschland auf padagogischem Ge-
biete mehr als auf jedem anderen der
Lehrmeister der Welt genannt zu wer-
den verdient, so waren auch die deut-
schen Schulen des Auslandes bald ein
Vorbild aller anderen dortigen Erzie-
hungsinstitute .
Welche Ausdehnung die deutschen
Schulen des Auslandes gewonnen ha-
ben, zeigt uns das vorliegende Werk
in ausfuhrlicher Weise. In alle Lan-
der und Erdteile fiihrt uns der Ver-
fasser und zeigt uns, was Begeiste-
rung, verbunden mit Opferfreudig-
keit, zu schaffen imstande gewesen
ist. Freilich werden auch manche
Klagelaute und Rufe nach Hilfe hor-
bar, und der Verfasser hatte bei der
Abfassung seines Werkes den Zweck
im Auge, solchen Schulen vom deut-
schen Reiche aus Hilfe zu verschaffen,
die derselben benotigen. ,,Denn, so
spricht er mit Dr. Schwatlos, eine
deutsche Auslandschule ist, \vie es in
immer weiteren Kreisen zum Be-
wusstsein zu kommen scheint, nicht
bloss ein wichtiger Faktor fur den
Aufschwung einer Kolonie, sondern
geradezu die festeste Stiitze des deut-
schen Ansehens und Einflusses bei
den Angehorigen anderer Nationen."
Herr Seminardirektor Emil Dapp-
rich ist der Verfasser des Kapitels
280
P'ddagogische Monatsbefte.
iiber den deutschen Unterricht in den
Vereinigten Staaten. In kurzer und
knapper, dabei iibersichtlicher Form
giebt er einen Uberblick iiber die ver-
schiedenen Schulen, in denen die
deutsche Sprache als Unterrichts-
zweig eingefiihrt ist, so die katholi-
schen und lutherischen Kirchenschu-
len, die sonstigen Privatschulen und
die offentlichen Schulen. Ausser wert-
vollem statistischem Material enthalt
dieses Kapitel manche Fingerzeige
und Gedanken, die anregend auf den
Leser wirken miissen. Dass die Be-
strebungen des Nat. Deutschamerika-
nischen Lehrerbundes und dessen
Schopfung, das Lehrerseminar zu
Milwaukee, besondere Wurdigung er-
fahren, ist wohl selbstvterstandlich.
Das Werk ist vorzxiglich ausgestat-
tet; namentlich tragen die zahlreichen
Abbildungen dazu bei, das Leben und
Treiben in den deutschen Ausland-
schulen zu veranschaulichen. Das
Buch verdient die warmste Empfeh-
lung. n. Q.
II. Eingesandte Bucher.
Edelsteine. Six Select Stories
by Baumbach, Seidel, and Volkmann-
Leander. Edited with Notes ajid
Vocabulary by Richard Alexan-
der Minckwitz and Frida von
U n w e r t h, Central High School,
Kansas City, Mo. Boston, Ginn & Co.,
1901. Price 65 cts.
Selections from Charlotte
Niese's ,,Aus danischer
Z e i t". With Introduction and Ex-
planatory Notes by Laurence
F o s s 1 e r, A. M., Professor of Ger-
manic Language, University of Ne-
braska. Boston, Ginn & Co., 1901.
Price 50 cts.
Johannes, Tragodie in f iinf Ak-
ten und einem Vorspiel von Her-
mann Sudermann. Edited with
an Introduction and Notes by F. G.
G. Schmidt, Ph. D., Professor of
Modern Languages, State University
of Oregon. Boston, D. C. Heath & Co,
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. September 1901. Heft 8
Protokoll
der 31. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen
Lehrerbundes.
Indianapolis, Ind., 10.— 13. Juli 1901.
(Offiziell.)
Eroffnungsfeier. — Im grossen Saale des deutschen Hauses — ein
Heim, wie es eleganter, kosiger und bequemer wohl kein Verein diesseits des
Ozeans sein eigen nennt, und womit das Deutschtum von Indianapolis sich selbst
das schonste Denkmal gesetzt — wurde der 31. Lehrertag am Mittwoch Abend
des 10. Juli feierlich eroffnet. Die prachtige Halle des herrlichen Vereinstempels
war fur diese Gelegenheit mit Palmen und anderen Blattpflanzen verschwenderisch
geschmuckt, aber das Publikum hatte sich wegen der allzuhohen Temperatur
nur sparlich eingestellt.
Nach der von der Indianapolis Militar-Kapelle ausgefiihrten Ouverture, trug
der ,,Liederkranz" unter der Leitung seines Dirigenten, Herrn Ernst Knodel,
das Lied ,,Germania" in solch vortrefflicher Weise vor, dass das Publikum mit
seinem Beifall nicht eher ruhte, bis der Verein noch eine Zugabe sang. Spater
trug der Verein noch das herzige Lied ,,O Mutterlein, o Mutterlein" vor.
Herr Prof. Robert Nix, in seiner Eigenschaft als Vorsitzer des Orts-Aus-
schusses und als Superintendent des deutschen Unterrichts der offentlichen
Schulen von Indianapolis, begriisste hierauf die Gaste in herzlicher Weise. In
seiner kurzen, aber wohldurchdachten Rede, teilte er die eingewanderten Deut-
schen in drei Gruppen ein. In die erste Gruppe zahlte er diejenigen, welche allzu
schnell alles, was Deutsch heisst, von sich abstreifen, in gebrochenem Englisch
uber das Vaterland losziehen und kein gutes Haar an diesem lassen. In die
zweite Gruppe stellte er diejenigen, denen es nicht moglich ist, sich zu amerikani-
sieren, die immer iiber den transatlantischen Ozean nach der fernen Heimat als
dem hochsten Ideale blicken, die sich nicht hier einleben, das neue Vaterland
nicht kennen lernen konnen. Die dritte Gruppe bilden diejenigen, welche das
282 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Gute und Edle des Deutschen mit dem Guten und Edlen des Amerikanischen
verschmelzen, die amerikanische Burger werden, ohne ihre guten deutschen
Charaktereigenschaften abzustreifen. Und im Sinne dieser letztgenannten
Gruppe, fuhrte Redner weiter aus, war der Nationale Deutschamerikanische
Lehrerbund seit seiner Organisation thatig und ist dies heute noch. Die Rede
wurde mit grossem Beifall aufgenommen.
Als Vertreter des von der Stadt abwesenden Mayor Taggart, hiess Herr
Albert Sahm, President des Rats fur offentliche Werke, die Teilnehmer an dem
Lehrertage im Namen der Stadt in freundlicher Weise willkommen. General-
Anwalt Taylor hielt im Namen des plotzlich erkrankten Gouverneurs die Be-
griissungsrede. Er freute sich, dass die deutschen Lehrer endlich einmal auch
Indianapolis mit ihrer Gegenwart beehrt batten.
Prof. M. D. Learned, President des Lehrerbundes, eroffnete hierauf mit einer
langeren Ansprache den 31. Lehrertag. Da diese Ansprache, sowie samtliche
Vortrage dieses Lehrertages in den ,,P. M." zum Abdruck gelangen, wurde von
einer Inhaltsangabe der Vortrage im Protokoll abgesehen. Nachdem Herr
Learned seine Rede beendet, fand noch in dem Garten des Deutschen Hauses
ein gemutliches Beisammensein statt.
Dieerste Hauptversammlung wurde um halb zehn Uhr im Audi-
torium des Deutschen Hauses vom Prasidenten zur Ordnung gerufen. Ungefahr
85 Mitglieder waren anwesend. Nachdem der Vorsitzer erklart hatte, die ver-
schiedenen Ausschtisse erst am nachsten Tage ernennen zu wollen, verlas der
Bundes-Schriftfuhrer Emil Kramer seinen Jahresbericht, welcher wie folgt lautete:
Werte Kolleginnen und Kollegen! Als vor Jahresfrist das Sekretariat des
Lehrerbundes in meine Hande gelegt wurde, da war ich mir sehr wohl bewusst,
welche Arbeit und Verantwortung ich mit Annahme dieses Amtes mir aufburdete.
Meinem unmittelbaren Vorganger, Herrn H. M. Ferren, war es durch auf-
opfernde Hingabe und unermudlichen Fleiss gelungen, die Kreise des Lehrer-
bundes zu erweitern, ihm neue Krafte zuzufuhren, indem er viele Lehrer des
Deutschen an Hochschulen und Universitaten als Mitglieder gewann. Das
Gewonnene wenigstens zu erhalten, darauf beschrankte sich meine Thatigkeit;
denn die erspriessliche Propaganda im Sinne meines Vorgangers fortzusetzen,
dazu fehlten dem Bunde dieses Jahr leider cie notigen Mittel, deren man zur
erfolgreichen Fuhrung auch eines intellektuell» n Krieges so unumganglich bedarf.
Der Besuch des Lehrertages in Philadelphia war eben nicht der Art, dass die
Bundeskasse dadurch erheblich geschwellt yorden ware, wie der Bericht des
Schatzmeisters zeigen wird.
Ueber die Thatigkeit des Vollzugsausschusses seit der letzten Jahresversamm-
lung bis heute, habe ich zu berichten: In Philadelphia wurde bekanntlich Detroit
als nachster Tagungsort vorgeschlagen und auf meine sofortige Anfrage hin
erklarte sich das Deutschtum jener Stadt durch Kollege Weick gerne bereit zur
Uebernahme des Lehrertages. Da jedoch in der Weihnachtswoche die N. E. A.
sich entschied, ebenfalls Detroit als Konventionsstadt zu wahlen, so hatte sich
der Yollzugsausschuss aus guten Griinden entschlossen, von Detroit Abstand zu
nehmen und womoglich Indianapolis dafiir zu gewinnen, weil daselbst der Lehrer-
tag noch nie zuvor stattgefunden hat. Ende Januar begab sich deshalb eine
Cincinnatier Delegation, bestehend aus den Herren Fick, Meyder, Hahn und
Kramer, nach der Hoosierhaupstadt, um dessen deutsche Burgerschaft und seine
wackere Presse fur den diesjahrigen Lehrertag in dem Grade zu interessieren,
dass diese Stadt als Versammlungsort gesichert werde. Mit grosster Bereitwillig-
keit kam man daselbst diesem Wunsche der Delegation entgegen und setzte die
Protokoll der 31. Jabresversammlung des N. D. L. 283
letzten Tage des Monats Juli als Terrain fur die Abhaltung der Konvention fest.
Da diese Zeit der Tagung zu weit in die Ferien fiel und auch mit den Reiseplanen
mancher Mitglieder kollidierte, so wurde spater der Terrain auf die Tage vom 10.
bis 13. Juli festgesetzt. Um die Vorbereitungen fur die Jahresversammlung in
rechten Fluss zu bringen und dem Ortsausschuss darin die notigen Winke zu
geben, gingen am 10. Mai der Bundesschatzmeister und der Sekretar nochmals
nach Indianapolis und besprachen die Einzelheiten des Unterhaltungsprogramms.
Alles Weitere wurde schriftlich erledigt.
Ueber die Schwierigkeit, Vortragende fur die Tagung zu gewinnen, will ich
hier nicht sprechen, — das weiss und begreift derjenige, der dies jemals
besorgt hat.
Ich darf meinen Bericht nicht schliessen, ohne der wahrend des Vereins-
jahres verstorbenen langjahrigen Mitglieder des Bundes zu gedenken. Im No-
vember v. J. wurde Professor W. H. Rosenstengel, an der Staats-Universitat
von Wisconsin und President des D. A. Lehrerseminars, plotzlich vom Felde
seiner Thatigkeit durch den Tod abgerufen. Der schwer gepriiften Familie des
Verschiedenen ubermittelte der Vorstand im Namen des Lehrerbundes tele-
graphisch sein herzliches Beileid. Einen anderen hochverdienten deutschameri-
kanischen Schulmann verloren wir im Marz d. J. durch den Tod von Herrn Heln-
rich Raab, dem ehemaligen Staats-Schulsuperintendenten von Illinois. Am 24.
Mai verstarb nach langerem Siechtum ein treues, langjahriges Mitglied des
Bundes, Herr Oberlehrer Gustav Bergmann von Cincinnati.
Aber auch ein freudiges Ereignis habe ich zum Schluss zu verzeichnen,
namlich das sojahrige Jubilaum der deutsch-englischen Akademie, der beruhmten
Engelmann'schen Schule, das vom 22. bis 25. Mai in Milwaukee gefeiert wurde
und wozu der Bundesvorstand seine GluckwUnsche entbot.
Der Bericht wurde, wie verlesen, angenommen.
Der Bericht des Bundesschatzmeisters Louis Hahn zeigte folgenden
Ausweis:
Einnahmen $240.66
Ausgaben $221.98
Kassenbestand $ 18.68
Der Bericht wurde wie iiblich dem Revisionskomite uberwiesen.
Hierauf wurde zur Erg&nzung des Bureaus geschritten. Herr Emil Dapp-
rich, Direktor des Lehrer-Seminars, wurde zum Vize-Pr&sidenten und Fraulein
Emma Schramm aus Chicago zur Htilfs-Sekretarin erwahlt.
Herr Prof. Starr Willard Cutting, von der Universitat von Chicago, erhielt
nun das Wort zu seinem Vortrag: ,,D eutsche Beitrage zum ameri-
kanischen Geistesleben der Gegenwar t."
Im Anschluss an den ausserst beifallig aufgenommenen Vortrag wies Herr
Dapprich darauf hin, dass es den Anwesenden aus dem Inhalte der Rede klar
geworden sei, welche Mission der deutsche Lehrerstand hierzulande auf dem
Gebiete der Erziehung habe; und Herr Schonrich von Baltimore stellte den
Antrag, dass Herr Cutting freundlichst ersucht werde, seinen Vortrag, wenigstens
im Auszuge, der englischen Presse zuzustellen, damit auch deren Leser von dem-
selben profitieren. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Nach einer kurzen Erfrischungspause kam folgendes Telegramm zur Ver-
lesung:
,,Die Turnlehrerschaft des Nordamerikanischen Turnerbundes in der
284 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Turnhalle des Buffalo Turnvereins versammelt, sendet dem Nat. Deutsch-
amerikanischen Lehrerbunde zu seiner 31. Jahresversammlung herzliche
Griisse und wiinscht, dass die Arbeit desselben erfolgreich sein m6ge."
Der Sekretar beantwortete auf Antrag die Depesche in nachstehender Weise:
,,Der N. D.-A. L. im Deutschen Hause in Indianapolis zu seiner Jahres-
versammlung vereinigt, erwidert auf das Herzlichste die Griisse und
Wiinsche der Turnlehrerschaft. M6ge die Arbeit beider Korperschaften
stets von echtem humanen und freiem Geiste getragen sein zum Heile des
heranwachsenden Geschlechtes".
M. D. Learned, Pras.
Emil Kramer, Sek.
Die Prufungs-Kommission des Lehrerseminars in Milwaukee unterbreitete
alsdann folgenden Bericht:
An die Mitglieder des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes !
Das Komitee, welches Sie bei der Tagsatzung in Philadelphia im
vorigen Jahre ernannten, um bei den Priifungen im Seminar zugegen zu
sein und Ihnen iiber den Befund zu berichten, erlaubt sich Ihnen folgenden
Bericht zu unterbreiten:
Wir finden, dass die oberste (dritte) Seminarklasse aus acht Schulern
und Schtilerinnen besteht, dass diese ihr Schlussexamen, sowohl das schrift-
liche, wie das miindliche, in befriedigender Weise gemacht haben; weshalb
wir auch dafiir gestimmt haben, dass samtliche Mitglieder der Klasse das
Zeugnis der Reife erhielten.
Die Abiturienten zeigten samtlich einen grossen Eifer fur den Beruf,
dem sie sich zu widmen gedenken und fassen denselben nicht als Brot-
studium oder Uebergangsstudium in einen anderen Beruf oder eine andere
Lebensstellung auf. Es ist zweifellos, dass der Leiter des Seminars, Herr
Dapprich sowohl wie die anderen Lehrer der Anstalt, die Veranlassung und
Vorbilder fur diese ideale Auffassungsweise des Lehrerberufes gewesen
sind.
Die Leistungen der Abiturienten, eb';nso wie die der untersten und zwe!-
ten Seminarklasse, waren noch befriedij ender, als die der Klassen fruherer
Jahre. Besonders ist-zu bemerken, da<ss die Leistungen in den Fachern,
welche bei den Priifungen fiir die offinlichen Schulen gefordert werden,
mehr Beriicksichtigung gefunden haben. Englische Grammatik und
Mathematik, amerikanische Geschichte und Geographic, waren Lehrgegen-
stande, die den Abiturienten des Seminars bei ihren Priifungen fiir Lehrer-
stellen an den offentlichen Schulen manchmal Schwierigkeiten bereiteten.
Diese Schwierigkeiten werden, dank der Veranderung im Lehrplan des
Seminars, fiir die Zukunft wegfallen, unbeschadet der Griindlichkeit, mit
der die anderen wichtigeren Studien behandelt werden.
Die Zoglinge des Seminars sollen gewissermassen als Missionare einer
vernunftgemassen Unterrichtsmethode unter ihren angloamerikanischen
Kollegen wirken. Zu diesem Zwecke ist es notwendig, dass sie denselben
iiberlegen seien. Aus diesem Grunde haben auch die Mitglieder des
Priifungskomitees wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass den ge-
nannten Lehrgegenstanden mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt
werde. Dass diese Vorstellungen solch bereitwilliges Entgegenkommen
seitens des Direktors wie der Lehrer gefunden haben, wird hiermit bereit-
willigst anerkannt.
Der Geist, welcher im Seminar und in der damit verbundenen Muster-
Protokoll der 31. Jahresversammlung des N. D. L. 285
schule herrscht, ist ein so vortrefflicher, dass es den im Seminar ausge-
bildeten Lehrern oft schwer fallt, sich in anderen minder gunstigen Ver-
haltnissen zurechtzufinden.
Organische Disciplin herrscht in der ganzen Schule, Pedanterie und
mechanische Disziplin werden nicht geduldet, und gerade dieser Vorzug
der ganzen Schule, macht es den jungen Lehrern oft recht schwer, sich
anderswo in minder giinstige Verhaltnisse zu schicken.
Wir erlauben uns daher, ohne abfallige Kritik iiben zu wollen, den
Leitern der Anstalt den Rat zu geben, ihre Schuler darauf aufmerksam
zu machen, dass sie nicht immer das Gluck haben werden, an einer Mustcr-
schule zu unterrichten und dieselben auch auf solche Disziplinarmittel auf-
merksam zu machen, die unter ungiinstigeren Verhaltnissen anzuwenden
sind.
Moge das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar eine
Pflanzstatte wahrer humaner Bildung bleiben und auf dem bisher einge-
haltenem Pfade vorwarts schreiten seinem Ideale entgegen, welches den
Grundern des Seminars vorgeschwebt hat.
Achtungsvoll unterbreitet
Leo Stern,
H. H. Pick,
H. Woldmann.
Der Bericht wurde gutgeheissen und auf einen diesbezUglichen Antrag hin,
sprach der Lehrerbund der Leitung des Seminars seinen Dank fur die guten
Dienste aus, welche sie bisher dem deutschen Lehrerstand erwiesen habe. Hier-
auf hielt Herr Prof. Adolph Kromer aus Cleveland einen mit grossem Beifall
aufgenommenen Vortrag uber das Thema: ,,D e r deutsche Unter-
richt vom Standpunkte der Sozialpadagogi k". Sodann
erfolgte Vertagung.
(Fortsetzung folgt.)
Deutsche Beit rage zum amerikanischen Geistesleben.
Vortrag, gehalten vor dem 31. Lehrertag zu Indianapolis.
Von Prof. Starr Willard Cutting, Chicago, 111.
Wir Amerikaner betrachten als Grundforderung unserer politischen
und sozialen Theorie und Praxis die Gleichberechtigung aller Staats-
biirger. Mit Stolz weisen wir auf den Kampf unserer Vorfahren mit un-
zahligen Widerwartigkeiten des Schicksals hin, den sie deshalb bestehen
mussten, weil sie sich gegen die Anmassungen despotischer Regierungen
und die Einschrankungen lastiger Gesellschaftsformen auflehnten. Am 4.
Juli und auch wohl an anderen politischen Gedachtnisstagen erinnern wir
uns noch lebhafter als sonst immer an den demokratischen Ursprung
unseres Nationallebens. Bei solchen Gelegenheiten vergessen wir nicht
ganz, dass andere Nationen uns mit kritischen Augen ansehen und, wie wir
stets behaupten, in der Rolle scheelsiichtiger Ungliickspropheten das bald
zu erwartende Scheitern unseres nordamerikanischen demokratischen
Staatsversuchs verkiinden. Wir trosten uns aber auch dann gar zu leicht
dariiber hinweg, ohne die Griinde solcher Aeusserungen auf deren Stich-
haltigkeit hin zu priifen. Das biblische Wort : Das hat der Feind gethan,
macht die Volker der Erde gegen internationale Kritik taub.
Es giebt aber auch hierzulande wie sonstwo Zentralisationstendenzen
im Gebiete des Geschafts und der Politik, die dem ernsten Burger einer
Republik schwerwiegende Bedenken aufdrangen. Verhaltnismassig
grosse und verwickelte geschaftliche Unternehmungen geraten immer
haufiger unter die Kontrolle einer einzigen Direktion. Nicht selten wird
diese Direktion von einem einzigen Menschen nach seinem Gutdiinken
manipuliert. Eine Folge davon ist, dass alle mit dem betreffenden Ge-
schaftszweig in Verbindung stehenden Arbeiter und sonstigen Interes-
senten sich als Teile einer grossen Maschine betrachten und Privatinitiative
allmahlich verlernen. Aber noch bedenklicher als die daraus hervor-
gehende gewerbliche Unfahigkeit der Einzelnen und alle etwaigen mo-
nopolistischen Missbrauche ist die Einbusse an politischer Unabhangig-
keit, die damit verbunden ist. Denn eine Republik ist eine Regierung der
Mehrheit aller Staatsbiirger in ihrem eignen Interesse. Wenn sich aber die
geschaftlichen Verhaltnisse so gestalten sollten, dass es einer numerisch
sehr beschrankten Klasse moglich wiirde, ihre Mitbiirger unter Androhung
der Arbeitslosigkeit oder einer bedeutenden Lohnherabsetzung einzu-
schiichtern und somit aus dem politischen Problem zu eliminieren, so hatte
die Republik schon aufgehort und eine Despotic oder eine Oligarchic ware
schon im vollen Gange. Ungliicklicherweise hat bisher eine schlaffe,
molluskenartige offentliche Meinung den Beutepolitikern ermoglicht, die
Deutsche 'Betir'dge %um amerihanischen Geistesleben. 287
zunehmende geschaftliche Zentralisation zu begiinstigen und auszu-
nutzen. Aber man fangt schon an, in alien Schichten der Bevftlkerung
dies zu bedauern und auf Reformmassregeln zu sinnen. Das ist auch an
sich schon ein erfreuliches Symptom wiederkehrender Gesundheit. Ein
Uebel einsehen ist der erste Schritt zu dessen Beseitigung. Sobald die
offentliche Meinung dermassen gereinigt und gestarkt worden ist, dass sie
das terroristische Regiment des geschaftlich-politischen ,,Boss" als lebens-
gefahrlich fur die Republik erkennt und nicht mehr duldet, wird der Sieg
schon gewonnen sein.
Zur Schulung der offentlichen Meinung des Landes in dieser Hinsicht
tragt der Deutsche Betrachtliches bei. Er ist namlich von Natur ein indi-
vidualistisch angelegter Mensch. Das beweist schon seine ganze Er-
scheinung in der Weltgeschichte. Bei aller Bereitwilligkeit sich fremde
Sitten anzueignen, lasst er nicht gern seinen eignen Gesichtspunkt fahren.
Er behalt sich stets vor, fremde Ansichten, fremde Brauche und fremde
Vorschlage erst gehorig zu priifen, ehe er sie annimmt. Manchmal tritt
er sogar infolgedessen Andersdenkenden recht schroff und unversohnlich
gegeniiber. Er ist nicht geneigt, weitgehende Zugestandnisse zu machen,
an das, was er fiir Vorurteile seiner Mitmenschen halt. Dieser tiefliegende
Hang seiner Natur hat ihm von jeher bei seinen Bestrebungen, grosse,
politische Staaten zu griinden, verhangnisvoll entgegenwirkt. Das
sieht man schon an der grossen Mannigfaltigkeit politischer Parteien und
der daraus fliessenden Ohnmacht parlamentarischer Versuche auf deut-
schem Boden. Von dieser Seite betrachtet, erscheint also der Individu-
alismus des Deutschen als ein Mangel und ein Hindernis. Wenn er aber
hierzulande mit dem iibertriebenen angloamerikanischen Hang zum Kol-
lektivismus in Beriihrung kommt, gewinnt er eine ganz andere Bedeutung.
Da erscheint er nicht mehr als Mangel, sondern als erwiinschtes Gegen-
gewicht gegen die angelsachsische Zentripetaltendenz. Der Deutsche hat
schon wiederholt bewiesen, dass er ein wahrer Freund der Republik ist.
Ja, er hat dies bei Gelegenheit des Biirgerkrieges mit seinem Herzblut be-
siegelt. Aber er ist infolge seiner soeben betonten Eigenheit ein gesunder
und unerschrockener Kritiker unserer politischen, sozialen und erzieh-
lichen Zustande."
Die Pionierverhaltnisse einer jungen Nation begiinstigen eine Viel-
seitigkeit des Schaffens und Konnens seitens der Burger, die nur auf
Kosten der Tiefe und der Griindlichkeit erkauft werden kann. Hier in
Amerika hat man anfangs mit zahllosen Schwierigkeiten zu kampfen
gehabt, um den aussern Daseinsbedingungen zu geniigen. Die sparliche
Bevolkerung des Landes, der Mangel an Kapital und die fast ganzliche
Abwesenheit solcher Arbeitsteilung, wie sie fiir die europaische Kultur
schon charakteristisch geworden war, haben den einzelnen amerikanischen
288 P'ddagogische Monatsheftt.
Ansiedler auf seine eigenhandigen physischen und geistigen Anstren-
gungen angewiesen. Um den von seiner Lebenslage gestellten Anfor-
derungen gerecht zu werden, musste er sich mannigfaltige Fahigkeiten
aneignen, die ihn in den Stand setzten, einen siegreichen Kampf urns
Dasein zu fiihren. Er musste mit ein«m Wort eine Art Tausendkiinstler
werden, um sich den Kopf iiber Wasser zu halten. Nach den Lebenser-
fahrungen dieser ersten Generation gestaltete sich natiirlich das friihere
amerikanische Bildungsideal. In erster Linie erwartete man von der
Schulbildung eine praktische Einfiihrung ins amerikanische Leben. Man
schaute mit souveraner Geringschatzung auf alle Lehrzweige herab, die
sich nicht als Hebel ansetzen liessen, zur Erlangung der erwiinschten Kon-
trolle materieller Hiilfsquellen. Dieses Ideal blieb auch dann noch be-
stehen, als man schon lange iiber die ersten Anfange hinaus war. Je
energischer man zugriff, um die noch unentwickelten Hiilfsquellen der
Natur auszunutzen und sich dienstbar zu machen, desto weitere Perspek-
tiven thaten sich vor den Augen der Pioniere auf und lockten sie zu noch
grosseren Anstrengungen und gewagten Unternehmungen heran. Mit
diesem Entwickelungsgang hielt auch das Bildungsideal gleichen Schritt.
Was irim an Tiefe und Griindlichkeit abging, ersetzte er durch weiten
Umfang und grosse Mannigfaltigkeit ,,Wer vieles bringt, wird manchem
etwas bringen" kennzeichnet Ziel und Richtung unserer demokratischen
Bildungsbestrebungen bis auf den heutigen Tag herunter.
Ausserdem noch zeigt der Angelsachse iiberall eine grossere Vorliebe
fiir zweckentsprechende Anwendung vorhandener Kenntnisse auf prakti-
sche Lebensaufgaben als fiir langwierije Forschungen zur Entdeckung
neuer Wahrheit. Er ist iiberall bemu<it, sich die Krafte der Natur zu
unterjochen und sie in seinen Dienst zu ^wingen. Er berechnet den Wert
neuentdeckter Wahrheiten nach dem Grad ihrer Verwendbarkeit zu voll-
standigerer Beherrschung der Gewerbs- und Handelsbedingungen. Als
Beispiel davon erwahne ich Englands und Nordamerikas Abhangigkeit
von Deutschland in Bezug auf Forschungen im Gebiete der Chemie. Statt
sich die Miihe zu geben, langwierige Experimente anzustellen und chemi-
sche Prinzipien auf eigne Hand zu entdecken, begniigt man sich damit,
kunstgewerbliche Anwendungen von deutschem Fleiss und Scharfsinn zu
machen. Was fiir den Angelsachsen iiberhaupt charakteristisch ist, hat
durch die eigentiimlichen Verhaltnisse unserer Nationalentwickelung eine
scharfe Akzentuierung erfahren.
Aber Nordamerika ist kein spezifisch angelsachsisches Land mehr.
Europaische Einwanderung pfropft schon seit mehreren Jahren neue Reiser
auf den alten amerikanischen Stock, so dass der Baum sich ganz anders
ausnimmt als friiher. Im Einklang mit geanderten Lebensbedingungen
und mit der geanderten Beschaffenheit unserer Bevolkerung, vollzieht sich
Deutsche 'Beitr'dge %um amerihanischen Geistesleben. 289
allmahlich ein Umschwung in unsern Bildungsidealen. Der vorwiegend
utilitarische Zuschnitt unserer bisherigen Praxis befriedigt uns nicht mehr.
In einigen Kreisen sieht man schon ein, dass die Reformaufgabe in etwas
mehr besteht, als der Verdrangung unzulanglicher Bildungsideale durch die
Einfuhrung und Betonung geeigneterer Lehrzweige und Kurse. Der be-
stehende Mechanismus der Organisation und Verwaltung unserer Schulen
und hoheren Lehranstalten ist das Produkt langjahriger Experimentierung
unter dem Druck der soeben erwahnten praktischen Ansichten und bietet
alien Neuerungsversuchen den betrachtlichen Widerstand des Beharrungs-
vermogens. Es handelt sich also nicht allein um einen Konflikt zwischen
friihern Idealen, sondern auch um eine noch zu bewirkende Anpassung
der Organisation und Verwaltung unserer Lehranstalten an die Bediirf-
nisse der Gegenwart im Lichte geanderter Verhaltnisse und reiferer An-
sichten. Dies bedeutet unter anderem die Durchdringung unserer Lehrer
mit dem Geist selbstloser Hingabe an die Entdeckung und Verkiindigung
der Wahrheit als solcher und auch die Umgestaltung unseres ganzen
Unterrichtswesens im Interesse grosserer Griindlichkeit und Intensitat.
Der unverkennbare Hang des Deutschen zu freier Forschung aller Er-
scheinungen des physischen und geistigen Lebens — zu scharfer Betonung
des individuellen Gesichtspunkts — zu unermiidlicher Verfolgung einmal
ins Auge gefasster Ziele und zu riicksichtsloser Verteidigung dessen, was
er fur die Wahrheit halt, hat ihm unter alien Nationen eine fiihrende Rolle
in Bezug auf Wissenschaft, Philosophic und Unterricht zuerteilt. Auch
in Amerika wird der Deutsche sein Wesen nicht verleugnen, sondern wie
in der Vergangenheit so auch in der Zukunft die Schulung der offentlichen
Meinung im Sinne der neuen Bewegung machtig befordern.
(Schlusa folgt.)
Deutsch gegen Englisch, oder Deutsch neben
Englisch ?
Ansprache, gehalten zur Eroffnung des 31. Lehrertages zu
Indianapolis.
Vom Praaidenten Prof. 31. I). Learned, Philadelphia.
Das neunzehnte Jahrhundert war die Siegesepoche detttschen Wesens
in Amerika. Deutsche Theologie und Philosophic, deutsche Philologie,
deutsche Geschichtsforschung, deutsche Naturwissenschaften, deutsche
Sprache und Litteratur, deutsches Turnen, deutsche Musik und deutsche
Erziehungsmethoden feierten glanzende Siege. Mit der Wende des Jahr-
hunderts aber bilden sich neue Probleme im amerikanischen Volksleben.
Die junge Republik ist plotzlich alt und klug geworden und neigt sich
syrapathisch mehr und mehr dem alten Mutterlande England zu, woraus
naturgemass dem leitenden angloamerikanischen Elemente des Volkes
neue Kraft erwachst. Auch die Handelsinteressen der beiden Volker ver-
binden dieselben zu einem Volke im Welthandel, und selbst wo wichtige
diplomatische Fragen, wie die der Alaskagrenze oder die des Kanals durch
Zentralamerika, alte Handelsvertrage zu vernichten drohen, nimmt Has
junge jingoistische Amerika die Zuriickweisung des Kanalvorschlages von
seiten der englischen Regierung mit Gelassenheit entgegen. Mit einem
Wort, die Kulturfreundschaft zwischen England und Amerika ist durch
die Haltung Englands wahrend des spinischen Krieges zu einer nationalen
Freundschaft geworden und sind nun im zwanzigsten Jahrhundert die alte
Mutter und die neue Republik wieder jin Volk.
Noch andere Momente diirfen nicht vergessen werden, und zwar
zunachst das spukende Gespenst des drohenden Krieges, welches in der
nativistischen Presse die Runde macht. Wahrend der deutsche Kaiser
in der liberalsten und freundlichsten Weise seiner Teilnahme an dem Fort-
schritte des amerikanischen Volkes Ausdruck leiht, warmen die anglo-
amerikanischen Blatter immer von neuem das alte Ragout eines deutschen
Staates in Brasilien wieder auf, oder einer deutschen Kohlenstation auf den
Westindischen Inseln. DieserUnsinn aber wirkt demEinfluss des deutschen
Elementes in Amerika entgegen und flosst der angloamerikanischen
Jugend ein Misstrauen ein gegen das deutsche Wesen. Dazu tritt noch
die soziale Trinkfrage und zieht mit Unrecht eine scharfe Grenzlinie zwi-
schen Deutsch und Englisch im amerikanischen Gemiitsleben. Da die
Deutschen als Volksklasse an ihrem alten Nationalgetrank festhalten, so
erscheint dem nativistischen Angloamerikaner Deutschsein und Bier-
trinken als unzertrennlich. Er weiss nicht oder vergisst, dass das deutsche
Bier in tausenden von englischen Clubs das beliebteste Getrank ist, und
Deutsch gegen Engliscb, oder Deutscb neben Engliscb? 291
hier in Amerika schon zum Nationalgetrank des Angloamerikaners ge-
worden ist. Sei es aber Vorurteil oder Unwissenheit, die angloameri-
kanische Opposition gegen alles Deutsche ist Thatsache. Jede Bestre-
bung also der Deutschen, die deutsche Sprache in die amerikanische
Volksschule einzufiihren, erregt sofort das Misstrauen, wo nicht die direkte
Opposition der nativistischen Partei im Lande.
Dann kommt womoglich gleich die Frage, was ist mit den in den
letzten Jahrzehnten eingewanderten Slavenhorden in Amerika zu thun?
Soil deren Sprache auch als Schulsprache anerkannt und durch offentlichen
Unterricht weiter gepflegt werden? Mit der Slavenfrage verglichen, tritt
die Deutschenfrage tief in den Hintergrund zuriick, denn selbst die
rohesten Deutschen waren uns willkommener als die besten Slaven.
Man darf auch nicht vergessen, dass heute ein ganz neues Problem
an die Thiiren unserer Volksschulen klopft, das Problem des Spanischen
in unseren Schulen. Was so oft in der Weltgeschichte geschehen, droht
auch hier sich zu wiederholen, namlich dass die Sprache des Besiegten
im Lande des Siegers sieghaft wird. Keiner glaubt, dass das Spanische
die Sprache der Vereinigten Staaten werden konnte, doch weiss Jeder,
der die Verhaltnisse versteht, dass das Spanische im Laufe des zwanzigsten
Jahrhunderts eine bedeutende Rolle in der amerikanischen Kultur zu
spielen haben wird. Es ist ja schon der Versuch gemacht worden, die
spanische Sprache in die Schulen einer grossen amerikanischen Stadt mit
Hunderttausenden von deutschen Biirgern einzufiihren.
Gerade dieser Versuch, der spanischen Sprache, die von einer sehr
geringen Anzahl der Burger gesprochen wird, vor der von Hundert-
tausenden gesprochenen deutschen Sprache den Vorzug zu geben, giebt
uns das Grundprinzip an die Hand, welches das Volk in der Wahl der
Unterrichtsgegenstande leitet. Nicht Pietat, wie stark sie auch wirken
mag in dieser oder jener Klasse des Volkes, sondern der kulturelle Wert
der betreffenden Disziplin berechtigt ihren Anspruch auf Anerkennung
im Lehrplan der Volksschulen.
Welchen Anspruch kann denn die deutsche Sprache erheben als
Disziplin in den Volksschulen und welche Aussichten hat dieselbe auf eine
Zukunft in Amerika? Ueberblickt man die zweihundert Jahre deutscher
Bestrebungen in diesem Lande, so muss man bekennen, dass das Deutsche
seine Herrschaft allmahlich an das Englische abtritt.
Deutsche Gemeindeschulen sind eingegangen, die deutsche Predigt
weicht der englischen. Deutsche Zeitungen gehen ein oder vereinigen
sich und verlieren ihre Individuality und zum Teil ihre Macht. Die
deutschen Clubs, Gesangvereine, Turngemeinden und sonstigen Vereine
lassen das Englische in ihre Hallen eindringen, und die Turn- und Privat-
schulen kampfen vergebens gegen die sieghafte Macht des Englischen.
292 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Deutsche Volksschulen, wo solche noch bestehen, fristen eine unsichere
Existenz. Selbst die Neger scheinen in einer Stadt bei der Schulbehorde
die Bevorzugten zu sein und drohen die Deutschen zu verdrangen. Die
Deutschen haben also nicht nur gegen Nativisten, Slaven und Spanier, son-
dern an manchen Orten selbst gegen ehemalige Negersklaven zu kampfen.
1st es denn wirklich um die deutsche Sprache so iibel bestellt? Ich
antworte: Nein! Deutsch hat noch eine Zukunft als Kultursprache
in der amerikanischen Geschichte. Die Deutschen stehen jetzt auf dem
Hohepunkte ihres Einflusses auf das amerikanische Volk. Die Errungen-
schaften des neunzehnten Jahrhunderts waren auf dem Gebiete des geisti-
gen Strebens. Erst gegen Ende der Periode gewann Deutschland seine
hervorragende Stellung auf dem materiellen Gebiete des Handels und der
Industrie. Mit dem Anbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts beginnt
eine neue Epoch e fur Deutschland und Amerika im Welthandel. Diese
beiden Volker sind es, welche einen erbitterten Krieg um die Weltherr-
schaft im Handel fiihren sollen. Das war ein grosses Wort des deutschen
Kaisers, das er vor kurzem an seine Marinetruppen richtete: ,,Euer
Reich liegt unter der Sonne auf dem Meere". Deutschlands grosser
Kaiser hat lange eingesehen, dass das Fortbestehen des deutschen Reiches
von der Herrschaft der Deutschen auf dem Meere abhangt, und Amerika
ist auch in den letzten Jahren ein Licht aufgegangen, wahrend die wach-
sende Seemacht Deutschlands die Welt in Erstaunen setzt, deutscher Han-
del und deutsche Industrie das alte Britannien seiner Oberherrschaft
beraubt und Amerika mit deutschen Waren iiberschwemmt. Kein
Krieg mit Kriegsschiffen und Kanor^n, nein, ein Handelskrieg soil es
sein mit Handelsschiffen und den Erz vrugnissen der Industrie, ein Krieg
gefiihrt nicht allein auf dem Atlantiscnen Ozean, sondern auch auf dem
Stillen Meere und auf der Siidsee, uberall, wohin der Handel seine Arme
streckt.
Es versteht sich von selbst, dass eine fur uns erfolgreiche Konkurrenz
mit dem deutschen Handel eine geschulte Handelsklasse voraussetzt,
welche mit der deutschen Sprache, deutschen Industrie, deutschen Han-
delsmethoden, kurz mit alien Zweigen des okonomischen Lebens des
deutschen Volkes vertraut ist.
Oeffentliche Handelsschulen miissen uberall im Lande gegriindet
werden, wo die amerikanische Jugend freien Unterricht erhalt zur Vorbe-
reitung fur die kaufmannische Laufbahn. Wo bisher Deutsch als fakulta-
tive Nebensache behandelt wurde, muss es in diesen Schulen als obligatori-
sche Disziplin aufgenommen werden, und zwar nicht nur als Schliissel
zur deutschen Litteratur, sondern auch als praktisches Mittel zur Erlang-
ung einer zeitgemassen kaufmannischen Ausbildung. Die Schiller miissen
Deutsch schreiben und sprechen lernen, was bis jetzt nicht allgemein
erreicht wurde.
Deutscb gegen English, oder Deutscb neben Engliscb? -293
Wird Deutsch als eine fiir die Karriere der Jugend erforderliche
Disziplin anerkannt und in den Lehrplan aufgenommen, so braucht das
Deutsche sich nicht mehr auf spezielle Argumente zu stiitzen. Es wird
sich vielmehr bald zeigen, dass schon in den Primar- und Grammarschulen
Deutsch gelehrt werden muss, wenn die Schiller die Sprache fertig schrei-
ben und sprechen wollen. Dies kann auch Deutsch sprechende Familien
anregen, ihre Kinder zu Hause in der Muttersprache zu iiben, und so die
Arbeit der Schule zu erleichtern.
1st diese Methode in der Handelsschule durchgefiihrt, so diirfte es
nicht lange dauern, bis man in alien Klassen der Volksschulen nicht nur
mehr Interesse fande, sondern auch tiichtigere Lehrer, welche selbst
Deutsch schreiben und sprechen konnten. Dann kame die deutsche
Sprache zu ihrem Rechte, nicht als Muttersprache einer besonderen Biir-
gerklasse, sondern als ein fiir alle Schichten unentbehrlicher Lehrgegen-
stand in den Volksschulen, Colleges und Universitaten Amerikas.
An diesen Bestrebungen hat nun der Lehrerbund einen hochwichtigen
Anteil. Durch harmonisches Zusammenwirken aller Krafte kann der
Deutschamerikaner noch die Muttersprache und auch zum grossen Teil
das deutsche Wesen in Amerika retten und erhalten. Dies kann nur
durch eine Vereinigung aller deutschen Vereine geschehen. Eine solche
Vereinigung ist schon im Werden begriffen in Gestalt des Deutschameri-
kanischen Nationalbundes, der am Deutschen Tage, am 6. Oktober, in
Philadelphia, an der Wiege des Deutschtums in Amerika, zu stande kom-
men wird. Wenn alle Deutschamerikaner, alle deutschen Vereine im
Lande, welcher Art sie auch seien, sich diesem Bunde anschliessen, so
werden diese Deutschamerikaner eine unbezwingliche Macht im Lande bil-
den und nicht nur deutsches Turnen in den off entlichen Unterricht einge-
fiihrt sehen, wie es in Pennsylvanien geschehen soil, sondern auch der
deutschen Sprache zu ihrem Rechte verhelfen, deutschamerikanische Ge-
schichtsforschung pflegen und die Thaten der Vater fiir die Nachwelt
aufbewahren, und eine noch ungeahnte Rolle in dem kommenden kom-
merziellen Weltkampf spielen konnen. Zur Durchfiihrung dieses Planes
aber von seiten des Lehrerbundes ist ein Bundesorgan das notwendige
Mittel. Das neue Organ, ,,Die Padagogischen Monats-
h e f t e," besteht schon seit zwei Jahren, hauptsachlich durch die Frei-
gebigkeit der Verlagsfirma, der Herold Compagnie von Milwaukee. Die
Firma hat in einer sehr noblen Weise eine bedeutende Summe Geld aus-
gelegt in der Hoffnung, dass mit der Zeit die Abonnentenzahl wachst,
Ibis das Organ sich bezahlt. Solches ist noch nicht der Fall, und der
Bund wird auf diesem Lehrertage aufgefordert, dem Organ eine feste
Basis zu schaffen. Der Bund muss das Fortbestehen des Bundesorgans
zu ermoglichen suchen, und die Lehrer sollten es sich zur Pflicht machen,
diese Zeitschrift zu unterstiitzen.
Prolog zur 50-jahrigen Jubelfeier der Deutsch-
Englischen Akademie zu Milwaukee, Wis.
ai. flai 1901.
Von Oscar Surekhardt, Milwaukee, Wls.
So kam der Tag! Mit freudigem Verlangen
Hat hoffend sie entgegen ihm geschaut.
Ist's doch ihr Ehrentag! Sie hat fur ihn
Ihr Haus bestellt, geordnet und geschmuckt;
Denn edle Gaste gilt es zu empfangen.
Kein Staubchen, alles glanzt, als war's
Aus Meisters Hand gerad hervorgegangen.
Durch blanke Scheiben scheint die helle Sonne
So freundlich in die altgewohnten Raume.
Im Fensterrahmen winken frische Blumen,
Zu kiinden, dass auch hier der Fruhling sei.
Das schonste Kleid, sie legt es heute an
Und freudezitternd schlingt sie durch die Locken
Den gold'nen Brautkranz, der nach funfzig Jahren
Dem Geist der Freiheit sie aufs neu vermahlt.
Ja, ftnfzig Jahr'! beinah ein Menschenleben;
Fast spurlos ging die Zeit an ihr vorbei;
Zieht sich durchs Haar auch mancher Silberfaden:
Auf ihren Wangen bluhen noch die Rosen,
Um ihren Mund spielt noch ein Jujfendlacheln,
In ihrem Auge strahlt das al*t tfeuer.
Es ist so still um sie; der Festesjubel,
Der Gaste freud'ges Wogen ist noch fern;
Allein in ihr, da hebt es an zu klingen,
Aus langst vergang'nen Zeiten tont's heruber.
Sie legt die Hande in den Schoss, und sinnend
Ti&umt sie ein halb Jahrhnndert sich zuruck.
Zu Ihren Fussen liegt sie da, die Stadt,
Ein jugendlich Gebild in engen Grenzen.
Es stand das Haus des Pioniers, von Baumen
Des alten Urwalds friedlich eingehegt.
Noch schlug nicht in der Symphonic der Stimmen
Der Hammer Tosen, der Maschinen Brausen
Als einz'ger Grundton ans betaubte Ohr.
Noch herrschte nicht das tolle Hasten, Treiben,
Ein Bild des Lebens und des Lebens Tod.
Doch horte sie der Aexte helles Klirren;
Am Werke sah sie ein Geschlecht von Mannern,
Das einst, ein jugendfrischer, stolzer Zweig
Dem Baum des deutschen Vaterlands entsprossen.
Prolog %ur Jubelfeier der Deutscb-Engliscben Akademie. 295
Das grosse Jahr hatt' sie hieher gebracht;
Sie zogen nach des Westens halber Wildnis,
Weil hier die Freiheit sie zu finden hofften,
Fur die in Deutschland sie umsonst gekampft.
Das sind die Manner, die mit freud'gem Mut
Der jungfraulichen Erde Scholle brachen;
Die treuen Herzens deutschem Wort und^Lied
Im fernen Westen eine Heimat schufen;
Die dankbar ihrem neuen Vaterlande
Ein Kleinod schenkten: das Gemiit des Deutschen.
Mit Ruhrung denkt sie heute dieser Manner;
Denn ihnen schuldet sie das eig'ne Dasein;
Sie fiihrten sie ins Leben sanft hinein,
Sie bahnten sorgsam ihr der Zukunft Wege.
Und Frauen standen ihnen treu zur Seite;
Und beide wachten, wie's nur Eltern konnen,
Ob ihrem Schmerzens-, ihrem Lieblingskinde.
Wo sind sie hin, die wackern Frau'n und Manner?
In stiller Erde ruhen sie fast alle;
Doch lebt ihr Name noch in spat'ren Zeiten.
Und wie sich nun die freundlichen Gestalten
Dem Dunkel der Vergangenheit entheben,
An ihrer Seele still voriiberzieh'n:
Da ist's ein Mann, dem sie vor alien andern
So gern ein Wort der Liebe sagen mochte.
Als heute sie ihr Haus so wohl bestellt,
Da hat sie um die Biiste dieses Manns
Zuerst den Kranz der Dankbarkeit geschlungen.
Er war's, der seinen Namen ihr gegeben,
Er hat das Ziel ihr deutlich vorgezeichnet;
Ein Mann der Freiheit hat er nicht geruht,
Bis selbst sie's wurde: ein Gebild der Freiheit.
So stand er ihrem Herzen stets der Nachste,
Ein Engel nicht, jedoch ein ganzer Mann.
Und wie die freundlichen Gestalten wieder
Ins Dunkel der Vergangenheit entschweben,
Da treten and're schon vor ihre Seele:
Krauskopf'ge Knaben, blondgelockte Madchen;
Sie alle, die seit fiinfzig langen Jahren
Zu ihren Fiissen andachtsvoll gesessen.
O Kinderseele, hehrer Wundergarten,
In dem die Blume der Verheissung bluht;
Du klarer Born, aus dem das spate Alter
Noch letzte Lebensregung schlurfet;
Du Land der Sehnsucht, drein der Kampfesmude
Im Traum sich fltichtet aus des Lebens Drang:
Hier'ist ein heiFger Tempel dir beschieden;
Die gold'nen Pforten thuen weit sich auf,
Als sprachen sie: ,,Zieh ein in Frieden!
296 Padagogische Monatshefte.
Hier, Kinderherz, ist deine wahre Heimat;
Hier darfst du deine Schwingen frei entfalten;
Auf ewigem Altare, fromm gehutet,
Gluht hier die Flamme reiner Menschlichkeit.
Mit jedem Jahr' sah sie ein neu Geschlecht;
Liess segnend zieh'n mit jedem Jahr ein and'res.
Zu starken Mannern wuchsen ihre Knaben,
Gestahlt im Kampfe fur den Kampf des Lebens;
Und ihre Madchen wurden ernste Frauen.
Die Jahre kamen, und es sassen dann
Der Kinder Kinder schon zu ihren Fiissen;
Und Jahre kommen, wo mit gleicher Lust
Die Kinder jener Kinder zu ihr wallen.
So loset ein Geschlecht das and're ab;
Und wie sie freundlich sich die Hande reichen,
Kniipft sich die Zukunft an Vergangenheit.
Noch bebt die Freude durch ihr Herz, da zieht
Des Zweifels Wolke uber ihren Himmel.
Sie fragt sich bangend: ,,Was hast du erreicht?
Hast Grosses du, Vollkommenes geschaffen?" —
Vollkommenheit ist nirgend hier auf Erden.
Doch wer das Gute voll und recht erstrebt,
Dem darf als eine That dcr Wille gelten.
So scheuch' hinweg die Wolke deines Zweifels
Und wandle fiirder deine lichte Bahn!
Hier sind sie, deine Schiller, deine Kinder.
Du hast gelehrt sie, nicht alleit> was nutzt,
Der Schonheit Heiligtum Last du erschlossen,
Hast ihrem Dasein hoher'n Wert verlieh'n;
Du warst versohnend mild die Mittlerin
Im Geistesleben zweier Nationen.
Drum magst du ruhig in die Zukunft schauen;
Und hat sich dein Jahrhundert dann vollendet,
Dann wandelt hier ein sel'geres Geschlecht;
Dann ist der grosse Volkerstreit beendet,
Dann herrscht die Freiheit, wie wir sie getraumt.
Wenn dann der Menschenliebe Geist entglommen,
Dann wird auch dir der Tag der Ernte kommen.
Allerlei Winke.
(Aus unsern Wechselblattern.)
Etwas gegen die Umwege. Ein alter Schulmann hat einmal gesagt: Wir
waren jetzt gliicklich soweit, dass eine ,,Methode" um so mehr Aussicht hatte,
anerkannt zu warden, je umstandlicher sie ist. Das ist ja gewiss iibertrieben,
aber mehr als ein Quentlein Wahrheit steckt doch in dem Satze. Um des lieben
Prinzips und um der Allmahlichkeit willen macht man Umwege und weite Bogen,
statt gerade auf das Ziel loszusteuern. Ein paar Beispiele: Ein Umweg ist
das Schreiben auf die Schiefertafel, wenn man das Schreiben mit Tinte
und Feder als Ziel ansieht. Es ist ja manchem leid um die alte, ehrwiirdige
Schiefertafel; aber forderlich ist sie der Schreibkunst nicht. Einmal muss das
Hindernis, das dem Schreiben mit der Feder entgegensteht, doch genommen
werden. Warum hinausschieben? Warum es durch eine an sich unzweck-
massige Schreibtechnik, wie es das Schreiben auf Schiefer ist, noch verbreitern
und erhohen? Aehnlich ist es mit den Zahlenbildern im Rechnen. Dass
die symmetrische Anordnung dem Auge wohl gefallt, und dass das Formenge-
dachtnis, das hierbei in Frage kommt, bei den Kindern des I. Schuljahres schon
mehr entwickelt ist als das Zahlengedachtnis (darauf beruhen die Scheinerfolge
des Zahlenbilderrechnens), kann und braucht nicht bestritten zu werden, aber
fur das Rechnen selbst, das es mit der Zahlenreihe und nicht mit raumlichen
Punktanordnungen zu thun hat. Es ist ein Umweg, ein ganz bedenklicher
Umweg, weil er anfangs durch Auen fiihrt. Jedoch sein Fortgang bringt Gefahr,
denn er endigt an einer Wand. Warum nicht gleich von vornherein die Trias
zusammenfugen: Zahlenreihe veranschaulicht durch Zahlkorper, Ziffernreihe,
Zahlwortreihe? Das mag zunachst etwas mehr Anstrengung kosten; aber diese
wird belohnt durch glatten, liickenlosen Fortgang und Aufbau. — Oder denken
wir an den Gesangunterricht. Dessen formales Ziel ist das Singen nach Noten,
Um die Intervallstufen der Erkentnis naher zu bringen, driickt man sie in Zahlen-
namen aus: Damit schliesst man an Bekanntes an und fiihrt das Neue auf Be-
kanntes zuriick. Ein Umweg aber ist es, zunachst statt der Noten, die mit
Zahlennamen benannt werden, auch die geschriebene Ziffer einzu-
fiihren. Viel richtiger und sicherer zum Ziele fuhrend ist die sofortige Schreibung
der Noten, die bloss als Ziffern gelesen werden. Die Aehnlichkeit der Notenreihe
mit der Zahlkorperreihe an der Rechenmaschine ist dem Kinde sehr leicht an-
schaulich zu machen, wahrend eine in Ziffern geschriebene Tonfolge gar nichts
Anschauliches hat. Einen Umweg bedeutet auch das Netzzeichnen fur
den Zeichenunterricht; es knebelt Hand und Auge, statt sie zu befreien. Das
freie malende Zeichnen, d irch das innerlich Geschautes vom Kinde wieder-
gegeben wird, das ist die psychologisch richtige Vorstufe zum systematischen
Zeichenunterrichte. Noch viele solcher Umwege giebt es, aber es mag an den
gekennzeichneten genug sein. Fur uns handdt es sich nur darum, den Blick
einmal auf diese Dinge zu lenken, die sich mit viel padagogisch ausschauendem
Aufputz in die methodistischen Anweisungen eindrangeln, sich aber schliesslich
als Krafttoter entpuppen. Meist kennzeichnen sie sich aber dem scharfer Zu-
sehenden sofort als gesucht und gekunstelt. Vielleicht ertappt sich der oder
jener Leser gelegentlich auch auf einem Umwege, und kehrt um und schlagt
den kvirzeren Weg ein. Practicus- (Deutsche Schulpraxis).
298 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Das Einlesen des Musterstiickes. Die in der Schule zu behandelnden
Musterstucke sollen nicht allein in das Vorstellungsleben eingehen, sondern in
der kindlichen Seele auch Gemvitsbewegungen herbeifuhren, die dem Schonen
angehoren. Soweit nun die asthetische Auffassung im rhythmischen Lesen, also
in der sorgfaltigen Artikulation einer Reihe von Worten besteht, hat sie auch eine
grosse, bis jetzt noch nicht recht gewiirdigte Bedeutung fur das Vorstellungs-
leben. Sie unterstiitzt namlich die Associationsfestigkeit der Vor-
stellungen. In der ,,Deutschen Schulpraxis" teilt Dr. Otto Schleinitz die experi-
mentellen Untersuchungen mit, welche Professor Cohn an der Universitat in
Freiburg angestellt hat und durch welche die Wichtigkeit des rythmischen
Lesens und Lernens dargethan wird. Aus der beztiglichen experimentalen Er-
fahrung zieht der Verfasser folgenden Schluss: Der Lehrer hat nach der
erklarenden Besprechung des Musterstiickes sein Augenmerk in ganz besonderer
Weise auf das Einlesen zu richten und hierbei auf artikuliertes Sprechen zu achten.
Um eine befriedigende Leistung zu erzielen, muss dasselbe Musterstuck wieder-
holt gelesen werden, erst von den geubteren Schulern, dann von den schwacheren,
endlich im Chore. Durch das Chorlesen werden alle Schiller gleichmassig ge-
wohnt, das richtige Tempo und die richtige Betonung einzuhalten. Bei dem
angegebenen Verfahren wird den Schulern das Memorieren wesentlich erleichtert
un>1 so Freude am Lernen geweckt. (Oesterreichischer Schulbote).
TJeber die Haltung der Schulkinder beim Schreiben giebt die Kgl. Regierung
zu Sigmaringen folgende Anweisung: ,,Der Schiiler muss bei dem Schreiben so
vor dem Tische sitzen, dass die Fiisse mit der ganzen Sohle aufstehen, die Unter-
schenkel senkrecht. Beide Unterarme sollen fast bis zu den Ellbogen aufliegen,
der Oberkorper muss gestreckt und nur der Kopf etwas geneigt sein. Das
Heft oder die Tafel soil nicht gleichlaufend iiit dem Tischrand liegen; der untere
Rand des Heftes oder der Tafel soil n/it dem untern Tischrand einen Winkel
von 30 — 40 Grad bilden. Auch auf die richtige Haltung des Federhalters miissen
die Lehrer mehr Gewicht legen. Die Feder muss leicht zwischen dem Daumen,
dem Mittelfinger und dem Zeigefinger gehalten werden. Der Goldfinger wird
zuriickgebogen und der kleine Finger vorgestreckt; dieser dient der Hand bei
der Bewegung von links nach rechts als Stiitze. Der Federhalter soil stets auf
die rechte Schulter gerichtet sein." (Bayerische Lehrerzeitung).
Geistig Arbeitende. Wo Nachdenken, Einbildungskraft, Gedachtnis und
Gemiit gleichzeitig in Anspruch genommen werden, ist es das Gehirn, welches
arbeitet, und daher mit grosser Vorsicht behandelt werden will, wenn nicht
Schlaflosigkeit, Nervositat die Folge sein sollen. Das Gehirn darf nicht zu
lange hintereinander und immer auf dieselbe Weise thatig sein, sondern muss
Ruhe und Schlaf, wenigstens 7 bis 8 Stunden taglich haben. Es darf auch nicht
durch Reizmittel erregt werden. Man habe im Arbeitszimmer reine, nicht zu
warme Luft und nehme nahrhafte, leicht verdauliche Kost. Alljahrliche Reisen
sind fiir geistig Arbeitende eine Notwendigkeit, um durch andere Eindriicke,
Luftwechsel u. s. w. die geistige Spannkraft und die Gesundheit zu erhalten.
(Korresp. f. nat. Ernahrung und Gesundheitspflege v. Dr. L6wenthal, Nr. 57.)
Sei nicht launisch! Damit ist nicht gesagt, dass des Lehrers Antlitz stets
wie die Sonne leuchten sollte und dass er nie die Falten des Unmuts anf seiner
Stirne und den Ernst der Missbilligung in seinem Blicke dulden diirfe. O ja,
das gehort alles zu seinen Erziehungsmitteln, er muss sie brauchen. Aber der
Lehrer darf eine ausserordentliche Gemiitsstimmung nicht zum Durchbruch
kommen lassen. Sein Gemiitszustand muss im grossen und ganzen immer der
Allerlei Winhe. 299
gleiche sein. Das gehort mit zur Bildung. Wenn die Kinder sagen, heut ist
,,unser Lehrer bos", so ist das ein schlimmes Zeichen von ihm; es stempelt ihn
zum Spielball der Leidenschaften. Das darf er um alles nicht sein, denn er ist
zuerst Erzieher und dann erst Mensch. — Im Aerger macht der Mensch im
allgemeinen und der Lehrer im besonderen selten das Kliigste, aber meistenteils
das Diimmste! Das ist eine Erfahrungswahrheit, die jeder aus sich selbst ent-
wickeln kann, wenn er aufrichtig ist. Leider kommt man in der Welt ohne
Aerger nicht durch, auch beim besten Willen nicht. Aber wir durfen ihn nicht
Herr uber uns werden lassen und ihn nicht als Aushangeschild brauchen. Vor
allem darf er uns nicht hinreissen zu uniiberlegten Streichen. — Ein argerlicher,
launischer Lehrer ist ein Kreuz fur die Kinder; er ist ein Tyrann fur die einen,
ein Verhatscheler fur die andern; er ist die Ungerechtigkeit in Person, er tritt
die Padagogik mit Fussen. Damit ist gesagt, dass Launenhaftigkeit gerade das
ist, was fur den Mann von Bildung gar nicht und fur den Lehrer am allerwenigsten
passt. (Rep. d. Padag.)
Wann und wo soil korrigiert werden? Diese Frage beantwortet ein Aufsatz
der Schweizerischen Schulzeitung (Nr. 18) uber die Korrektur der schriftlichen
Arbeiten, wie folgt: Wann und wo soil korrigiert werden? In der Schule oder
zu Hause, in Gegenwart oder in Abwesenheit der Schiller? Ich glaube, das
erstere, das Korrigieren vor den Schiilern diirfte das beste und erspriesslichste sein,
indem man in diesem Falle die Sunder gerade bei der Hand hat und sie wo-
m6glich die Fehler selber herausfinden lassen kann. In Schulen mit Abteilungen
ist jedoch dieses Verfahren total unmoglich, indem der Lehrer stets mit dem
mundlichen Unterricht beschaftigt ist und keine oder zu wenig Zeit zu Korekturen
findet, so dass er dieselben notgedrungen neben der Schule, in seiner ,,freien
Zeit" vornehmen muss. In diesem Falle wiirde ich aber, um den guten Humor
fur einen Schultag nicht in Gefahr zu bringen, entschieden dem Korrigieren nach
der Schule demjenigen vor den Unterrichtsstunden den Vorzug geben. Im
weitern ist vor der Angewohnheit dringend zu warnen, die schriftlichen Arbeiten
in einem Zuge, alle Hefte hintereinander ohne zeitliche Unterbrechung zu korri-
gieren. ,,Die geistige Spannkraft des Korrektors reicht nicht aus, um samtliche
Hefte mit der erforderlichen Aufmerksamkeit und der wUnschenswerten Ge-
miitsruhe zu durchgehen. Die unausbleibliche Folge ist das Uebersehen zahl-
reicher, oft schwerer Fehler. Gegen diese fur den Lehrer und wohl auch fur den
Schiiler peinliche Erscheinung ist das zweckmassigste Mittel, die Korrektur
einer und derselben schriftlichen Arbeit in mehreren Portionen vorzunehmen
und zwischen hinein sich mit etwas anderem zu beschaftigen."
Etwas uber das Gahnen. Das Vollatmen, bei welchem moglichst alle
Lungenzellen — 600 an der Zahl — sich beteiligen, ist nur im Gehen, Stehen
oder Liegen, und auch da nur bei willenskraftiger Ausdehnung des Brustkorbes,
moglich. Fur gewohnlich begniigen wir uns mit oberfladilicher Atmung, welche
die Lunge nur zu Zweidrittel oder gar nur zur Halfte mit Luft fiillt. Ganz be-
sonders trifft dies zu beim Sitzen. Haben daher die Kinder in der Schule bei
oberflachlichem Atmen dem interessanten Unterrichte langere Zeit mit ge-
spannter Aufmerksamkeit zugehort, so ist es erklarlich, ja ganz natiirlich, dass
sich bei ihnen das Bediirfnis tieferen Atmens in der Neigung zum Gahnen ein-
stellt. Die Natur s'ucht sich gewissermassen damit selbst zu helfen.
Pedantische Lehrer suchen in iibertriebener Wertschatzung des sogenannten
Anstandes diese vermeintliche ,,Unsitte" der Kinder mit alien Mitteln zu be-
kampfen, aber mit Unrecht. Das Tiefgahnen ist die natiirlichste Lungengym-
300 P'ddagogische Monatsbefte.
nastik. Dabei hebt und streckt sich die Schlundmuskulatur, um die Lunge
gehorig auszupumpen und namentlich auch einmal die knorpelige Ohrtrompete
auszuquetschen. Wenn der Lehrer seine Schuler anhalt, bei Befriedigung dieses
naturlichen Bedurfnisses die Hand gebtihrlich vor den Mund zu halten, ist den
Gesetzen des Anstandes Gentige geleistet.
Dass das Gahnen fur die Gesundheitspflege von Bedeutung ist, beweisen die
Aerzte, die es therapeutisch verwerten, indem sie ihre Patienten sechs- bis zehn-
mal nacheinander gahnen und gleich darauf schlucken lassen. Auch der Lehrer
kann nach Stunden gespanntester Aufmerksamkeit, die nur ein oberflachliches
Atmen ermoglichen ,etwas zur Lungenpflege beitragen. Er lasst die Kinder
einige Minuten aufstehen und durch geeignete gymnastische Uebungen die Lunge
tiichtig ausluften. Besser kann die Zwischenpause, die doch in erster Linie
Erholungspause sein soil, kaum ausgefullt werden.
A. K. (Deutsche Schulpraxis).
Berichte und Notizen.
I. National Educational Association.
Von JS. A. Abratns, Miv*raukee, Wis.
Gleichzeitig mit der Tagung des Nutionalen Deutschamerikanischen Lehrer-
bundes in Indianapolis, uber deren Verlauf das in dieser Nummer der ,,P. M."
veroffentlichte amtliche Protokoll ausfiihrlich berichtet, fand in der schonen
Stadt Detroit die Jahresversammlung der alteren und machtigeren Schwester-
vereinigung statt. Mehr als zehntausend Berufsgenossen, Vertreter von Hun-
derttauseriden von Lehrern der Volks- und Privatschulen dieser Republik und
Canadas hatten Besitz ergriffen von den Strassen, den Gasthausern und den
Versammlungshallen der Metropole Michigans. Dass einige Hundert der Teil-
nehmer dieser grossen padagogischen Machtentfaltung es nicht vorgezogen
hatten, die Tagung von Indianapolis durch ihre Anwesenheit numerisch ein-
drucksvoller zu gestalten, habe ich wahrend der Detroiter Tage mehrmals lebhaft
bedauert. Viele habe ich in Detroit gesehen, deren Wirken auf dem Felde des
Unterrichts durch die Jahresversammlung des deutschamerikanischen Lehrer-
bundes eine nachhaltigere wohlthatigere Beeinflussung erfahren hatte. Manche
habe ich gesehen und gesprochen, die durch ihre personliche Beteiligung und
ihr kraftiges Mitwirken den Zusammenkunften der deutschamerikanischen
Lehrerschaft eine grossere Bedeutung verleihen und ein segensreicheres Wirken
sichern konnten. Die oft erorterten Fragen: Warum hielt sich der deutsch-
amerikanische Lehrerbund von den Jahresversammlungen der ,,National Edu-
cational Association" fern? Warum geschieht seitens der leitenden Geister
des Lehrerbundes nichts, um eine Verschmelzung der beiden Korperschaften
herbeizufiihren? wurden zu verschiedenen malen in meiner Gegenwart gestellt
und besprochen. Mancher deutschamerikanische Kollege stellte diese Frage,.
um sein Fernbleiben von den Versammlungen des Lehrerbundes zu entschul-
digen oder zu erklaren; mancher Berufsgenosse nichtdeutscher Abkunft suchte
Erklarung und Belehrung; andere witzelten uber das Selbstbewusstsein des
National Educational Association. 301
,,kleinen Bruders," der es wage, die Existenzberechtigung zu beanspruchen.
,,Der Deutschamerikanische Lehrerbund" kann fur seine vornehmsten Ziele:
Einfuhrung und Pflege des deutschen Unterrichts in den offenlichen Lehran-
stalten dieses Landes und Beeinflussung des Lehrstoffes und Unterrichtsme-
thoden kraftiger und erfolgreicher wirken, wenn er sich die machtvolle Bundes-
genossenschaft der N. E. A. sichert, als in seiner jetzigen Sonderstellung" erklarte
mir ein hevorragender deutschamerikanischer Padagoge. Dass dieser an und
fur sich wiinschenswerten Vereinigung fast unbesiegbare Hindernisse im Wege
stehen, dass eine Sondertagung des Lehrerbundes unter den bestehenden Ver-
haltnissen notig ist, dass die fiihrenden Mitglieder des Lehrerbundes nicht
dunkelhaft oder ,,nativistisch" handeln, wenn sie g e g e n eine Verschmelzung
der beiden Vereinigungen sind, wollten die Detroiter Kritiker nicht gelten
lassen. Die deutsche Sprache bildet die Wurzel unserer Kraft; unsere Ver-
sammlungen konnen eine segensreiche, agitatorische Thatigkeit nur da ent-
wickeln, wo sie der Sympathie der Bevolkerung und der Mitwirkung der
deutschamerikanischen Presse sicher sind. Gleichviel welche Stadt die National
Educational Association als Versammlungsort erwahlt; sei es im Suden oder
am Goldenen Thore, so kann sie auf Tausende von Teilnehmern mit Bestimmt-
heit zahlen, die innerhalb hundert Meilen vom Tagungsorte wirken; der Lehrer-
bund konnte als Abteilung der National Association in Canada oder Californien,
in Florida oder in der Hauptstadt des Mormonenstaates kaum auf ein Backer-
dutzend zahlen. Diese GrUnde zwingen die deutschamerikanische Lehrerschaft,
ihre selbststandige Vereinigung aufrechtzuerhalten. Wir ,,marschieren getrennt
und schlagen vereint." Dass es dem Schreiber dieses aus verschiedenen
Griinden in diesem Jahre nicht vergonnt war, mit den deutschamerikanischen
Berufsgenossen in Indianapolis zu raten und zu thaten, fallt ihm schwer aufs
Herz; Neigung und Pflicht zogen ihn nach Indianapolis; in Detroit konnte er
das Gefuhl nicht loswerden, als wandele er auf dem Pfade des Unrechts. Doch
leichter wurde es ihm urns Herz, als er bei der Durchsicht des ausserst umfang-
reichen Programmes eine Nummer fand, die in enger Beziehung stand zu den
Beratungen, an denen er sich in Indianapolis hatte beteiligen konnen, wenn er
dort gewesen ware. Unter Leitung des Kollegen Herrn Krug von Cleveland
fand unter den Auspizien des Zweiges ^.Secondary Education" auch eine Ver-
sammlung statt, die sich mit dem deutschen Unterricht an den Hochschulen
befasste. Diese von etwa funfzig Damen und Herren besuchte Versammlung
fand an einem Nachmittage in einem Zimmer der herrlichen Central High
School unter Leitung Ihres Berichterstatters statt. Ein interessantes, wohl-
durchdachtes und sorgfaltig ausgearbeitetes Referat uber Grammatik und
Uebersetzen in deutschen Hochschulen — Referent Herr Josef Krug, Cleveland
— bildete die Grundlage einer lebhaften Besprechung, welche fast drei Stunden
in Anspruch nahm. Ich konnte den Gedanken nicht unterdriicken, dem ich
an dieser Stelle Ausdruck verleihen will. Hoffentlich wird eine Aeusserung nicht
missdeutet werden. Die Jahresversammlungen des deutschamerikanischen
Lehrerbundes leiden unter dem Uebelstande, dass dem freien Gedankenaus-
tausche, der unendlich anregender und befruchtender wirkt als die Vortrage,
zu wenig Spielraum gegeben wird, und dass auf die Vortrage selten die Be-
leuchtung einer eingehenden miindlichen Erorterung fallt, die dem Vortragenden
so wohlthun, so anregend auf die Horer wirken und dem Vortrage selbst einen
hoheren Wert verleihen, und eine kraftigere Wirkung sichern.
(Fortsetzung folgt.)
302
P'ddagogische Monatsbefte.
II. Korrespondenzen.
Buffalo.
In unserer, im herrlichsten Blatter-
und Bliitenschmuck prangenden Staat
bildet die Pan American selbst-
verstandlich das Tagesgesprach, and
alle anderen Interessen stehen gleich-
wohl hinter jenem, das ,,Dichten und
Trachten" von Jung und alt Erfiillen-
dem, zuriick. Auch den Lehrern und
Lehrerinnen wurden dieses Jahr die
Examenwochen besonders schwer,
denn die Eindriicke, welche die Kinder
auf der, das Auge und Ohr so mannig-
fach fesselnden Ausstellung empfangen,
machten sie schwerer empfanglich fur
ihre Studien, und nur dem Ehrgeize
unserer Jugend ist es zuzuschreiben,
wenn die meisten Kinder, aller ab-
lenkenden Eindriicke ungeachtet, ihr
Examen mit Ehren bestanden. Da ich
nun einmal das Pan American-Thema
beriihrt habe, so kann ich nicht umhin,
noch ein paar Zeilen iiber dasselbe hin-
zuzufiigen, wenngleich der Thatsache
nicht uneingedenk, dass Zeitungen,
Telegraphen und Tauben die Kunde
von der unformellen und unoffiziellen
Eroffnung der Ausstellung in alle
Gauen unseres Landes und weit iiber
die Grenzen desselben hinaus getragen
und gegirrt hatten. Auch bin ich mir
nicht minder bewusst, dass dergleichen
Themen eigentlich von der Richtung
der Padagogischen Monatshefte ab-
weichen. Und doch! Steht nicht
unsere Zeitschrift im Dienste der Bil-
dung sowohl als Erziehung? Und die
so wunderbare, von echtem Kunstsinn
zeugende Ausstellung ist gewiss ebenso
belehrend und bildend, wie erhebend
und erbauend, interessant und das Auge
beriickend. Wenn sich auch die Pan
American naturgemass an Bedeutung
und Ausdehnung nicht mit der Weltaus-
stellung in Chicago messen kann, so
iibertrifft sie doch dieselbe inbezug auf
architektonische Zierden und in har-
monischer Farbenverschmelzung samt-
licher Bauten, sowie die grossartige,
jeglicher Beschreibung spottende elek-
trische Beleuchtung. Diese verwandelt
den Schauplatz des Abends thatsachlich
in einen Zaubergarten, und lasst, die
prachtigen Gruppen feenhaft beleuch-
tend, dieselbe wunderbar aus dem
Dunkel der Nacht hervortreten. Im
Midway findet man neben dem Ab-
straktisten wie einem mit dem Dache
in die Erde und dem Keller nach oben
gerichtetem Hause noch vielerlei Neues
und Anziehendes; fiir Deutsche giebt
es aber kaum etwas Schoneres als das
altertiimliche, anheimelnde Alt-Niirn-
berg. Padagogen bietet die Pan
American iibrigens — und diese Haupt-
sache hatte ich beinahe vergessen —
noch besonderen Genuss durch die Aus-
stellung der mannigfaltigsten Schiiler-
produkte, welche zu einem Vergleiche
herzlichst einladen.
Was die Lehrerinnen Buf-
f a 1 o s im verflossenen Winter beson-
ders beschaftigt, war ihre G e h a 1 1 s-
erhohung-. Wie vielleicht bekannt,
werden sie im Verhaltnis zu denen der
Schwesterstadte gleicher GrOsse und
mit Bezugnahme auf die hohen An-
spriiche an ihre Fahigkeiten nicht ent-
sprechend besoldet. iTir Gehalt beginnt
mit 400 Dollars, welche Summe im
Laufe der nachsten vier Jahre auf 600
steigt. Aehnlich ergeht es den Lehre-
rinnen der Hochschulen, nur erhalten
dieselben durchschnittlich 150 — 200 Dol-
lat-s mehr. Schon mehrere Male hat
^ian versucht, eine Gehaltserhohung zu
/bewirken, doch alle dahin zielenden
Plane scheiterten bestandig. Diesmal
waren Dr. Ida Bender, Supervisor of
the Primary Grades und eine vorziig-
liche Prinzipalin, Miss N. A. Graybiel,
eifrige und unermiidliche Befiirwor-
terinnen des Gesuches. Dabei fiel be-
sonders schwer in die Wagschale, dass
die Erhohung das Gehalt genannter
Damen nicht einschloss. Hauptsach-
lich wirkten Dr. Benders ziindende Re-
den, in denen sie auf die betrachtlich
vermehrten Pflichten und Anforde-
rungen hinwies und betonte, die
hoheren Gehalter anderer Stadte seien
geeignet, uns die besten Lehrkrafte hin-
wegzulocken. All dessen ungeachtet,
erlitt die gerechte Forderung manche
Anfechtung, wurde aber endlich doch
von den niederen und hoheren Stadt-
raten gutgeheissen und die Gewahrung
der Bitte wird, zwar angeblich den
finanziellen Verhaltnissen Buffalos
Rechnung tragend, in etwas umgean-
derter Form, als man gewiinscht, doch
noch dieses Jahr manches Lehrerinnen-
herz begliicken. Man bat um eine Zu-
lage von 50 Dollars im nachsten und
100 in den folgenden Jahren. Laut
hochsten Beschluses wurden die Leh-
rerinnen jedoch erst im vierten Zu-
kunftsjahre der vollen Zulage wiirdig
befunden. B. R.
Korresponden^en.
303
Californien.
Gothe -Schiller Denkmal.
Am ii. August dieses Jahres haben
sich die Deutschen Californiens ein
Monument gesetzt, indem sie der Stadt
San Francisco eine Kopie des Go'the-
Schiller Denkmals zu Weimar zum Ge-
schenk machten. Dieses herrliche
Denkmal, in denselben Formen gegos-
sen wie das weimarische, stellt das
Dichterpaar in heroischer Gro'sse dar,
zusammen einen Lorbeerkranz haltend,
den sie briiderlich miteinander zu teilen
scheinen. Wer das Denkmal nicht ge-
sehen hat, kann sich keine Vorstellung
machen von dem imposanten Eindruck
der beiden Gestalten: Gothe im Staats-
gewand, mit der Rechten den Kranz
haltend, die Linke auf der Schulter
Schillers, als rede er diesem zu, die
Huldigung einer Nation mit ihm zu tei-
len; Schiller in wallendem Mantel, mit
der Rechten den Kranz erfassend, in
der Linken eine Manuskriptrolle, das
Antlitz erhoben mit dem Ausdruck
durchgeistigter Idealitat; das Ganze
von packender Lebendigkeit.
Das Denkmal wurde neben dem mas-
siven Musikpavillon errichtet, welchen
Claus Spreckels vor einem Jahre im
Golden Gate Park der Stadt zum Ge-
schenk machte. Es nimmt ohne Zweifel
den besten Platz ein, den man in dem
grossen und scho'nen Park dafur hatte
finden kb'nnen. In dem Musikpavillon
werden alle Sonntagsnachmittage Kon-
zerte gegeben, denen Tausende lau-
schen, fur die im ,,Musikthale" Platze
eingerichtet sind. Da es in Californien
keinen Winter giebt, so finden diese
Konzerte fast das ganze Jahr hindurch
statt, mit Ausnahme von ein paar
Regentagen. Unter den Musikstiicken
nehmen gewb'hnlich deutsche Kompo-
sitionen den Hauptrang ein, und es ist
ein schoner Gedanke, das Denkmal so
zu plazieren, dass die beiden Dichter-
fvirsten auf die andachtig Lauschenden
herabblicken.
Der Plan fur das Geschenk reifte am
,,deutschen Tage" der Mittwinter Aus-
stellung in San Francisco im Jahre
1894, und wurde von alien hervorragen-
den Deutschen des Staates unterstutzt.
Die Enthullungsfeier fand im Musik-
pavillon statt, unter Mitwirkung des
Orchesters und der verschiedenen Ge-
sangvereine der Stadt. Letztere trugen
Uhlands ,,Das ist der Tag des Herrn"
vor, und sangen spater mit Begleitung
des Orchesters den Soldatenchor aus
,, Faust." Begeisterte Ansprachen wur-
den gehalten von Dr. C- M Richter,
Pras. Chas. Bundschn, Mayor James
Phelan von San Francisco und Dr. E-
wald Fltigel von der Stanford Universi-
tat. Herr M. Greenblatt trug ein Ge-
dicht vor, dass der vor einem Jahre ver-
storbene Dichter Theodor Kirchhoff
fur die Enthullungsfeier verfasst hatte.
Am Abend fand eine Nachfeier statt,
wobei ausser Musikeinlagen Anspra-
chen gehalten wurden von Herrn Chas.
Bundschu, Dr. Julius Goebel von der
Stanford Universitat, Dr. Hugo K.
Schilling und Professor Albin Putzker
von der Staatsuniversitat, die samtlich
mit grossem Beifall aufgenommen wur-
den. Auch ein weiteres Gedicht,
zur Enthullungsfeier von dem beliebten
Dichter Dr. Castelhun verfasst, wurde
von dessen Tochter Maida sehr ein-
drucksvoll vorgtragen, woftir dem
Dichter von den Anwesenden eine
rauschende Ovation dargebracht wurde.
Der Abend schloss mit einem Bankett,
wobei President Wheeler von der
Staatsuniversitat den Vorsitz fuhrte.
Im ganzen war es eine wiirdige und
erhebende Feier, und die Errichtung
des Denkmals kann als die Krone der
deutschen Bestrebungen in diesem
Staate angesehen werden. * V. B.
* Uns liegen ausfiihrliche Berichte
aus der San Franciscoer Tagespresse
uber die erhebenden Einweihunsfeier-
lichkeiten vor, um so mehr bedauern
wir, dass der Raummangel uns hindert,
Ausziige aus den vorziiglichen Reden
zu bringen. Hoffentlich bietet sich
in einem spateren Hefte dazu die Ge-
legenheit. D. R.
Cincinnati.
Zwei Hulfs - Superinten-
dent e n wurden in der Sitzung un-
sererErziehungsbehorde am 30.Juli von
Supt. Boone fur die Schulleitung er-
nannt und in der darauffolgenden Sit-
zung bestatigt, namlich Dr. H. H. Fick,
bisher Prinzipal der 6. Distrikt-Schule,
und F. B. Dyer, Supt. der offenlichen
Schulen von Madispnville, O. Die
Schaffung dieser beiden Aemter, die
mit einem Gehalt von je $2500 ver-
kniipft sind und, wie Dr. Boone behaup-
tet, zur besseren Ueberwachung des
englischen und deutschen Unterrichts
unbedingt notwendig seien, involvieren
eine Neuerung in unserem Schulwesen.
Solche Assistenten sind bereits von
fruheren Superintendenten gewUnscht
worden, besonders von Dr. White, der
seinerzeit gleich deren sechs verlangte.
Diese Forderung wurde jedoch bisher
stets mit der Begriindung abgewiesen,
dass diese Assistenten nicht notig
304
Padagogiscbe Monatsbefte.
seien, da jeder Schulprinzipal gewisser-
massen ein Hilfs-Superintendent sei
und iiberdies fiir jedes Spezialfach,
wie Singen, Zeichnen, Schonschreiben
und Turnen ein Superintendent vorhan-
den sei. Dieses Argument wurde auch
dieses Mai wieder von einem Schul-
ratsmitgliede, Dr. Albers, geltend ge-
macht, allein von.Supt. Boone mit der
Erklarung zu entkraften versucht, dass
manche der Schulvorsteher in punkto
Ueberwachung des Unterrichts selbst
nicht massgebend und zuverlassig seien!
Ein Kompliment fiir diese betreffenden
Herren ist das wohl nicht, und warum
ersetzt man dieselben nicht durch kom-
petentere Krafte?
Das neue Amt wird ubrigens, wie
wir von einem der Inhaber desselben
erfahren, keineswegs eine Sinekure
sein, denn Dr. Boone stellt sehr hohe
Anforderungen an seite Assistenten.
Ausser der taglichen Beaufsichtigung
des Unterrichts haben die beiden Her-
ren wochentliche Versammlungen nach
der Schulzeit mit gewissen Klassenleh-
rern abzuhalten, wobei sie die verschie-
denen Unterrichtsfacher d. h. der Er-
teilung derselben nach neuester Mode
und Methode zu erklaren, resp. prak- f.
tisch vorzufiihren haben. Dr. Boone /
besteht namlich darauf, dass sein se;/
einem Jahre mit mehr oder weniger
Gliick erprobter und viel bejammerter
Reform-Lehrplan nunmehr strikt be-
folgt werde, besonders inbezug auf Ab-
teilung der Klassen in obere und untere
Halften, sowie auf die halbjahrliche
Versetzung der Schuler. Es muss hier
namlich eingeschaltet werden, dass das
Spezial-Komitee des Schulrats. welches
seit vielen Wochen unter Verhor einer
grossen Anzahl von Lehrern und Prin-
zipalen untersuchte, ob Dr. Boones
Lehrplan praktisch und mit Erfolg
durchgefuhrt werden k6nne, berichtete,
dass dies mit einigen geringfiigigen
Abanderungen sehr wohl moglich sei.
Die vielen Klagen uber Unausfiihrbar-
keit des Studienplans, sowie die zahl-
losen Abanderungsvorschlage miissen
somit verstummen.
Einer der beiden Assistenten ist spe-
ziell dazu bestimmt, dass er neben dem
englischen auch den deutschen Unter-
richt iiberwache. Dr. H. H. Pick, ein
besonders in der deutschamerikani-
schen Lehrerwelt wohl bekannter und
geachteter Padagoge und Litterat, ist
fiir diesen Posten ausersehen. Wenn
es Herrn Pick gelingt, neben der
Ueberwachung des Unterrichts ver-
schiedenen deutschen Lehrkraften et-
was mehr Korpsgeist beizubringen, auf
dass sie z. B. eifriger die Lehrerver-
sammluneen besuchen und sich iiber-
haupt reger an deutschen Bestrebungen
bethatigen, wie dies letztes Jahr von
Schulrat Schwaab so eindringlich p-e-
wiinscht wurde, wenn er ausserdem ge-
wisse deutsche Lehrkrafte zum griind-
licherem Studium der deutschen
Sprache veranlassen kann, wenn dies
alles Herrn Dr. Pick gelingt, dann wird
er jedenfalls seine hohe, verantwort-
ungsvolle Aufgabe aufs gliicklichste
losen, und seine Stellung sich zum Heil
und Seeren fiir das deutsche Departe-
ment der offentlichen Schulen erweisen.
Der Korrespondent und mit ihm die
gesamte deutsche Lehrerschaft wiinscht
gliicklichsten Erfolg! (Wir begriissen
die Ernennung unseres lieben Freundes
und Kollegen Dr. Pick mit Freuden
und begliickwiinschen ihn von ganzem
Herzen. Er ist in ein Amt gelangt,
das ihm manche schwierige Aufgabe
stellen wird, aber wir sind iiberzeugt,
dass es ihm gelingen wird, diese Auf-
gaben zu losen und segensreich fiir
unsere Sache wie bisher, so auch in
seinem erweiterten Wirkungskreise zu
schaffen. D. R.)
DieUntersuchungunserer
Schulhauser betreffs ihres sani-
taren Zustandes, die ein medizinischer
Schulrat auf Betreiben eines hiesigen
,,gelben" englischen Nachmittags-
blattes seit Monaten vorgenommen und
seinen ,,Befund" regelmassig unter
extra fetter Reklame-Ueberschrift natiir-
lich in demselben Sensationswisch be-
kannt gab, hat bitterboses Blut in einer
der letzten Sitzungen des Schulrats ge-
macht. Die Herren Erziehungsrate
wurden besonders arg aufgebracht und
hochst ungemiitlich, als ein Vertreter
des Business Men's Clubs, der seine
Nase in diese Angelegenheit hinein-
stecken zu miissen glaubte, dem Schul-
rat in sehr unparlamentarischen Aus-
driicken seine Meinung sagen wollte,
weil die Korperschaft die Sache ver-
schob.
Verschiedene Schulhauser mbgen un-
zweifelhaft in hygienischer Hinsicht
vieles zu wiinschen iibrig lassen, da
sollten aber Beschwerden oder Bericht
dariiber in anderer Form und an zu-
standiger Stelle unterbreitet werden.
Die Berichte zuerst in der Presse zu
veroffentlichen und dabei in teilweise
ungenauer und aufgebauschter Weise,
riecht doch ziemlich stark nach No-
torietatssucht.
In zwei Wochen wird wiederum zur
Eroffnung der Schulen die sogenannte
Normalwoche oder das Lehrerinstitut
abgehalten. Ein Abweichen von bis-
TSrief hasten — Umscbau.
305
heriger Gepflogenheit wird dabei in so
fern stattfinden, als dieses Mai keine
auswartige Redner von grosserer oder
kleiner padagogischer Prominentenhaf-
tigkeit ihre Weisheit yerzapfen. Man
begniigt sich heuer mit einheimischen
Talenten. Supt. Boone und seine bei-
den Assistenten werden das ganze In-
stitut selbst leiten und die Lehrerschaft
mit padagogischem Wissen fur das
kommende Schuljahr erfullen. In der
deutschen Abteilung werden ausser Dr.
Fick die Herren Fuchs und Kramer
Vortrage halten.
Nach dem viertagigen Leherinstitut
wird noch eine yplle Woche mit den
Vorbereitungen fur die Blumenparade
vertrodelt, alsdann wird man so allge-
mach mit dem Unterricht anfangen.
Nur keine Ueberstiirzung!
III. Briefkasten.
J-, S a g i n a w. Ihr Bericht kam
leider fiir die Juninummer zu spat und
ist wohl jetzt post festum. Hoffentlich
horen wir recht bald wieder aus Ihrem
Thale.
IV. Umschau.
Belleville, 111. Am 16. Juni
d. J. verstarb Emil Feigenbutz, Diri-
gent des ,,Liederkranz" und Musik-
lehrer. Im Jahre 1869 kam er als
Lehrer des Deutschen und des Ge-
;<anges nach Belleville, legte aber nach
4 Jahren dieses Amt nieder und uber-
nahm die Leitung des damals neuge-
grundeten Gesangvereins ,,Lieder-
kranz," die er mit Ausnahme von zwei
Jahren, wahrend welcher er auf dem
Musikkonservatorium zu Frankfurt
dem Studium oblag, bis zu seinem Tode
inne hatte. Unter seiner Fuhrung ent-
wickelte sich ein reges musikalisches
Leben in Belleville, in ihm vereinigten
sich die Vorziige eines ebenso tuchti-
gen Padagogen wie eines Musikers.
Sein Leichenbegangnis gab den klar-
sten Beweis von der Liebe und Ver-
ehrung, die der Verstorbene sich durch
seine Wirksamkeit erworben hatte.
James Earl Russel, Dekan des
Teachers' College und Professor der
Erziehungsgeschichte an der Columbia
Universitat, hielt am Schluss des Som-
merkursus an der Staatsuniversitat von
Californien zu Berkeley eine Ansprache,
der wir folgenden Passus entnehmen:
"Teachers are as a class the most
bigoted and narrowminded set of peo-
ple I know of. This comes from the
fact that we spend our lives always
looking down. The lawyer finds him-
self brought against his equal at every
turn. He must see things clearly, sharp-
ly and keenly. This constant intershock-
ing with his equal broadens him,
lengthens him, deepens him. It is the
same with the business man, the phy-
sician, even the minister. All of these
men are subject to criticism. This is
just what the teacher lacks, living all
alone, day after day, on the hill or plain,
meeting only little children, becoming
narrower and narrower. His life lacks
the association that brightens and in-
spires. I wonder really that any of
them ever get up. It is for such of
those as feel the pressure of that life,
who desire quickening influences and
inspiration that the summer school
exists."
"We are not only narrow, however;
we are too docile, too obedient. In no
other profession is such abject submis-
sion displayed. We cringe before the
ward politician. We submit because
we are narrow.
"And one of the reasons for this state
of things is that we are incompetent.
We are not able to do the work we are
expected to do. We are not, as a class,
fitted to occupy the place we do. We
do not know enough of the subjects
that we are teaching. As I look about
me, I doubt if things could really be
worse. We do not know the subjects
that we are trying to teach, and if we
did, we would not know how to teach
them."
Hat der Herr wohl in manchen
Punkten Recht?
Dr. Nathan C. Schaeffer,
Staats-Schulsuperintendent von Penn-
sylvania, ist vom Gouverneur des
Staates fiir dieses Amt wiederernannt
worden. Herr Schaeffer hatte dasselbe
bereits zwei Termine inne, und die zahl-
reichen Petitipnen gerade aus Lehrer-
kreisen beweisen, dass er der rechte
Mann am rechten Platze ist.
306
P'ddagogische Monatsbefte.
Chicago. Einen schlauen Schach-
zug that der Schulrat der offentlichen
Schulen durch die Wiederwahl des
Schulsuperintendenten Cooley zwei
Monate vor Ablaut seines gegenwarti-
gen Amtstermins. Dadurch wird Herr
Cooley frei von Einfliissen von seiten
der Stellung suchenden Lehramtskan-
didaten und deren Freunde.
Philippineninseln. Der
amerikanische Schulmeister wird sich
allem Anscheine nach bald die Herzen
der Bewohner erobern. Die Regierung
thut aussergewohnlich viel fur das Un-
terrichtswesen. Im letzten Philip-
pinenetat sind anderthalb Millionen
Dollar mehr fur Schulzwecke ausge-
worfen als je zuvor, und annahernd
loco amerikanische Lehrkrafte werden
nach den Inseln geschickt, da ungefahr
ebensoviel neue Schulen gegrUndet
werden sollen. In Manila wird ausser-
dem ein Lehrerseminar und eine Ge-
werbeschule errichtet und auf der Insel
Negro eine Ackerbauschule. Natiirlich
ist ausser der Sprache der Bewohner
des Inselreiches auch die englische obli-
im Juli d. J. in Berlin stattfand und von
samtlichen deutschen Staaten, sowie
von Oesterreich beschickt war, werden
Einzelheiten von den Beschlussen be-
kannt. Das wichtigste ist, dass kunftig
in deutschen Wortern th uberhaupt
nicht mehr geschrieben werden soil.
Mithin schreibt man: Tal, Taler, Ton
(der musikalische Ton und der vom
Topfer bearbeitete werden also gleich
geschrieben und die Bedeutung muss
aus dem Inhalte des Satzes erkannt
werden), Tor (der und das), Tran,
Trane, tat und Tat, Untertan, Tiir.
Dagegen bleibt th in Fremdw6rtern
aus dem Griechischen und Lateini-
schen, z. B. Thermometer, Thema,
Theater, Apotheke. Die Endung ,,ieren"
(zitieren, fungieren) behalt das e. Die
Schulen werden die neue Rechtschrei-
bung wohl schon am i. Januar 1902
einfuhren. Das neue Worterbuch wird
von dem Gymnasialdirektor Dr.
Duden-Hersfeld bearbeitet werden, der
damit am Ende seiner orthographischen
Einheitsbestrebungen steht.
I7 Antwerpen. Der gegen 500
gatorisch. Religionsunterricht " wird /vlamische Lehrer und Lehrerinnen
ausgeschlossen, und alle Schulbiicher / zahlende Verem ,,Diesterweg" veran-
und sonstige Schulbediirfnisse werder/ staltete zum Besten der Fenenkolomen
gratis geliefert. Allen Berichten aus fur kiankliche Schuler der Antwerpener
Schulen am i. April ein grosses Kon-
zert, welches dem Konnen des Leher-
gesangvereins das glanzendste Zeugnis
ausstellte und einen Reinertrag von
dem Inselreich zufolge sind die Philip-
pines sehr erstaunt iiber die Riihrigkeit
der Amerikaner auf diesem Gebiete, die
ganz im Gegensatz zu den spanischen
Methoden steht.
Die Deutsche Zeitschrift
fiir Au s 1 an d i s ch e s Unter-
richtswesen (Redakteur Prof. Dr.
J. Wychgram) hat nach sechsjahrigem
Bestehen mit der Julinummer zu er-
scheinen aufgehort.
Am 31. Juli d. J. verstarb
Dr. B o s s e, gewesener Kultusmi-
nister Preussens, im Alter von 70 Jah-
ren Nachst dem vor Jahresfrist
dahingegangenen Dr. Falk hatte er es
verstanden durch seine Amtsfuhrung
sich die Zuneigung der preussischen
Lehrerschaft zu erwerben. Besonders
war es ihm gelungen, trotz des Wider-
streites der verschiedenen Interessen
im preussischen Landtage ein Bespl-
dungsgesetz durchzubringen, das eine
erhebliche Verbesserung der materiel-
len Lage der Lehrer bedeutete. Dieses,
sowie sein allzeit freundliches und ent-
gegenkommendes Wesen hat ihm in
dem Herzen jedes Lehrers ein bleiben-
des Denkmal gesetzt.
Aus der Rechtschrei-
bungs - Konferenz. Von der
Rechtschreibungs-Konferenz, welche
2800 Franken erbrachte. Wahrend der
Verein bisher die einzelnen Abteilungen
seiner Ferienkolonisten an verschiede-
nen Orten des Landes auf einige
Wochen unterbrachte, hat er jetzt den
Plan gefasst, ein eigenes geraumiges
Landgut zur bestandigen Aufnahme
schwachlicher Schulkinder zu erwer-
ben, vorausgesetzt, das die mildthati-
gen Gaben so reichlich fliessen, als man
erwartet.
Seit einigen Monaten besteht in Ant-
werpen ein ,,Verein deutscher Lehrer,"
der alle deutschen Lehrer der Stadt und
ihrer Umgebung in sich vereinigt, zu
dem auch die deutschen Lehrer in
Briissel enge Fiihlung genommen
haben. Der Verein hofft, mit der Zeit
samtliche deutschen Lehrer im Aus-
lande zu einer festen Organisation zu-
sammenzuschliessen, und die Sache der
deutschen Auslandsschulen und beson-
ders die Sicherstellung ihrer Lehrer
nachdriicklich zu fordern.
Danemark. Was in keinem an-
derem Lande mOglich ist, das geschah
jtingst im demokratischen Danemark.
Ein Volksschullehrer vertauschte kurz-
lich das Dorfschulkatheder mit dem
Vermiscbtes.
307
Ministersessel. Es ist dies der jetzige
Minister des Kultus und Unterrichts,
namens Christensen Stadil. Er ging
nach der ,,Voss. Ztg." aus einem
Bauernhause hervor, besuchte die
Volksschule und das Lehrerseminar
und war bis vor kurzem Lehrer in
einem Dorfe Westjutlands. Im Jahre
1887 wurde er Mitglied der Linken im
Folkething (Reichstag), bekleidete
spater den Posten eines Staatsrevisors
und erhielt jungst bei der Neukonsti-
tuierung des Ministeriums die wichtige
Stelle des Kultusministers. Hoffentlich
steht uber seinen einstigen Nachrufen
in danischen Lehrerzeitungen nicht:
,,Apostata" !
S p a n i e n. In Valencia haben sich
die Volksschullehrer, die schon seit 2
Jahren keinen Gehalt bekommen haben,
zum Streik entschlossen. Den Kindern
ist damit ein grosser Gefallen erwiesen
worden, und die Stadtgemeinde scheint
sich von dieser Masregel auch nicht
schwer betroffen zu fuhlen. Allem
Anscheine nach wird der Streik den
Lehrern nicht zu ihrem Rechte ver-
helfen, denn in Spanien ist es schon
zur allgemeinen Volkssitte geworden,
den Lehrern den Gehalt schuldig zu
bleiben.
V. Vermischtes
Wie Schiller sprach. Diese
Frage wird mancher Leser sehr leicht
beantworten zu konnen glauben:
Schiller sprach eben wie er schrieb, das
ist doch selbstverstandlich. Das ist
nun freilich keineswegs selbstverstand-
lich, und es trifft auch bei Schiller gar
nicht zu, ebensowenig wie bei irgend
einem andern Dichter. Die Vorstel-
lung, die wir Nachgeborenen uns von
der PersOnlichkeit dieses Dichters zu
machen gewohnt sind, wenn wir seine
Werke lesen, wird iiberhaupt bald zer-
stort, wenn wir horen, was seine Zeit-
genossen uber ihn berichten. Das Pa-
thetische war seinem Wesen fremd, und
vollends die Art, wie er das Deutsche
aussprach, muss auf den Zuhorer einen
Eindruck gemacht haben, der demjeni-
gen durchaus entgegengesetzt ist, den
die Sprache seiner Dichtungen auf uns
macht. Schiller stammt aus dem
schwabischen Stadtchen Marbach a.
N. ; das legt von vornherein die Ver-
mutung nahe, dass er zeitlebens ge-
schwabelt hat. Zu Schillers und
Goethes Zeit war der Schauspieler
Anton Gnast Regisseur am weimar-
schen Hoftheather. Sein Sohn Eduard
Gnast, gleichfalls Schauspieler, berich-
tet in seinen Memoiren auch uber die
Thatigkeit seines Vaters in dieser Stel-
lung. Als in Weimar — erzahlte er —
am 14. Mai 1800 zum erstenmal Shake-
speares ,, Macbeth" in Schillers Bear-
beitung gegeben wurde, steigerte sich
der Beifall von Akt zu Akt, und
namentlich war es der Darsteller der
Titelrolle, der Schauspieler Voss, der
das Publikum begeisterte. Nach dem
2. Akt eilte Schiller auf die Buhne.
,,Wo ischt der Voss?" fragte er, und
dann, als dieser ihm entgegenkam, um-
armte er ihn und sagte: ,,Nein, Voss*.
Ich muss Ihne sage, meischterhaft!
meischterhaft! Aber nun ziehe Sie sich
zum 3. Akt um!" Voss dankte dem
Dichter, worauf sich dieser an den Re-
gisseur Gnast wandte: ,,Sehe Sie,
Gnascht, wir habbe recht gehabt! Er
hat zwar ganz andre Versch gesprochc,
als ich sie geschriebe hab, aber er ischt
trefflich." Ein andermal, als ein
Schauspieler Haide, der trotz mehr-
facher Mahnungen Goethes immer
wieder in den hochsten Tonen seines
Organs deklamierte und heftig mit den
Armen gestikulierte, Schillern bei einer
Probe seine Griinde dafur auseinander-
setzen wollte, rief dieser zornig: ,,Ei
was! Mache Sie's, wie ich's Ihne sage
und wie's der Goethe habe will! Und
er hat recht — es ischt a Graus, das
ewige Vagiere mit dene Hand und das
Hinauspfeife bei Recitation." — Aehn-
liches wird uber Schillers Art zu spre-
chen auch von andern berichtet. (Vom
stimmhaften und stimmlosen ,,s" hat
der Arme also offenbar noch nichts ge-
wusst.)
Dem Allerweltswort ,,I n -
t e r e s s e und seiner weitverzweigten
Sippe hat ein Conner des Deutschen
Sprachvereins einen ganzen Druck-
bogen von Verdeutschungen gewidmet,
der die Marznummer der Zeitschrift als
besondere Beilage begleitet. Die ganze
Uebersicht ist eingeteilt nach den zwolf
Hauptwendungen und -verbindungen
wie: Das Interesse, ich interessiere
mich, ich interessiere jemand, im In-
teresse, interessant, interessiert, der
Interessent u. s. w. — wofur alles in
allem nahe an 800 gut deutsche Aus-
308
P'ddagogiscbe Monatsbejtti.
driicke aufgefiihrt warden. Es ist hier
wohl alles zusammengetragen, was von
deutschen Wortern irgend einmal
geeignet und berechtigt scheinen
mochte, den fremden Eindringlingen
den Platz streitig zu machen oder ihnen
wenigstens zurufen: Sehet her, die
deutsche Sprache ist reich genug, um
auch ohne euch auszukommen!"
Die Ergebnisse des Ausganges vori-
gen Jahres vom Zweigverein Berlin-
Charlottenburg des Allgemeinen Deut-
schen Sprachvereins verkiindeten Preis-
ausschreibens, die beste Verdeutschung
von 10 FremdwOrtern betreffend, liegen
jetzt in folgenden preisgekronten deut-
schen Neuwortern vor: Baby —
Kleinling; Couplet — Schelmenlied;
Pedal (am Fahrrade) — Tritt; Swea-
ter (als Kleidungsstiick) — Sport-
warns; Rochade, rochieren — a. Konig-
sprung, den Konig springen lassen; b.
Frobenzug, den Frobenzug machen;
Record — Stand; Reclame — Verkund.
Bei drei anderen FremdwOrtern musste
von einer Preisverteilung abgesehen
werden: fiir Concours hippique ist eine
bessere als die schon gebrauchliche ,
Verdeutschung ,,Ross- und Wagen-^/
schau" nicht eingegangen; auch dr/
fiir Amateur schon gebrauchte ,,Liob-
haber" wird von keinem der einge-
sandten Worter ubertroffen; und zu
Hotelrestaurant ist kein fiir den Be-
griff hinreichendes Deckwort vorge-
schlagen worden.
Das Frankfurter ,,als" als
abschreckendes Beispiel.
Die Stunde ist als x noch nicht herum;
ich wollte es ware als 2 wieder Pause.
Dann springen wir als 3 im Hof herum
und spielen auch als 4. Wir kampfen
als 4 als Buren und Englander. Es wol-
len mehr Knaben als Buren als 6 als
Englander mitspielen, da gehe ich als 6
zu den Englandern. Als Gewehre
nehmen wir uns als 4 St6cke, die wir
als 2 morgens mitbringen. In der
Pause geht ein Lehrer als Aufseher
als 3 auf und ab, und spielt auch als 4
mit. Als es gestern regnete, gingen
wir als 7 in das Treppenhaus, bis es
schellte. Der Pedell fragte, was wir
als 8 gespielt hatten und wer als 8 mit-
gespielt hatte. Frankfurter Schulztg.)
1 immer. 2 schon. 3 immerwahrend.
4 zuweilen. 5 denn, wie. 6 echon gut ge-
nug, zufrieden damit. 7 einstweilen.
8 zum Beispiel. » doch.
Gegen den i n t e r n a t i o n a -
len S c h iil e r b r i e f w e c h s e 1
wendet sich Dr. J. Hertel im 2. Heft
der Padag. Studien. Proben aus Brie-
fen franzosischer Schiiler gebend, weist
er den zweifelhaften Wert einer solchen
Korrespondenz fiir die Sprachbildung
deutscher Schiiler nach. Auch macht
er darauf aufmerksam, dass der Brief-
wechsel geradezu gefahrlich sei fiir die
Sittlichkeit der Schiiler, weil die kleinen
Korrespondenten zumeist wenig erbau-
liche Sachen beriihrten und gerade der-
artige Schriftstiicke sich der Kontrolle
seitens der Eltern und der Lehrer ent-
zogen.
Ein bisher unbekanntes
Gedicht- Ernst Moritz
A r n d t s veroffentlicht Pfarramtskan-
didat Max Henze im Thiirmer. Das
Original, ein yergilbtes Albumblatt,
befindet sich im Besitze der Frau
Pastor Meyer in Gottberg i. Pomm.
und lautet:
Was ist Liebe? Eine zarte Blume,
Die zerflattert, wenn die Hand sie
pfliickt,
Eine Gottin, die im Heiligtume
Nur durch Anschaun Sterbliche
beglvickt,
Eine Biene, die mit leichtem
Wallen
Wenig Stunden um die Kelche
summt,
Eine Melodic der Nachtigallen,
Die nach kurzem Lenz verstummt.
Was ist Freundschaft, was ist
Seelengiite,
Was der Herzen siisse Sympathie?
Ach! aus bessern Welten eine
Bliite,
In der Erde Liiften reift sie nie.
Was ist Tugend? in dem Lumpen-
kittel
Predigt sie: ein Nichts ist Ruhm
und Gold!
Was ist Wahrheit? in dem Narren-
spittel
Reicht man ihr den Gnadensold.
Templin in der Mark, den 19. X. 1799.
Leben Sie gliicklich und denken Sie
unserer frohen Reise und Ihres Lands-
mannes
Ernst Moritz Arndt aus Riigen.
S po r t s m a s s i g. A. : ,,Wie sind
Sie denn mit Ihrem neuen Vorgesetz-
ten zufrieden?" — B.: ,,Ach. das ist
ein Radfahrer ersten Ranges!" — A.:
,,Wie meinen Sie das?" — B-: ,,Ganz
einfach: Nach oben hin ein krummer
Riicken und nach unten hin lauter
Fusstritte?"
Humor. Vater (der seinem Jungen
bei der Aufgabe geholfen hatte):
,,Nun was hat der Lehrer zu der Ueber-
setzung gesagt?" — Emil: ,,Er hat ge-
sagt, dass ich jeden Tag diimmer
werd'."
Biicherschau.
I. Biicherbesprechungen.
Praparationen f ii r den g e-
ographischen Unterricht
an Volksschulen. Fiinf Teile.
Ein methodischer Beitrag zum erzie-
henden Unterricht. Von Julius
Tischendorf. Verlag von Ernst
Wunderlich, Leipzig.
Der erste Teil des Werkes behandelt
das Konigreich Sachsen, der zweite
und dritte Deutschland, der vierte Eu-
ropa, und der fiinfte Amerika, Asien,
Afrika und Australien. Uns lagen nur
der vierte und der fiinfte Teil vor, und
wir beschranken unsere Besprechung
hauptsachlich auf den Abschnitt des
fiinften Teiles, der den Erdteil Ameri-
ka behandelt. Der Verfasser geht rich-
tig von der Ansicht aus, dass auch der
Geographieunterricht sich soviel als
moglich auf Anschauung zu stiitzen
hat; er setzt voraus, dass neben Glo-
ben, Tellurien und Wandkarten auch
Sammlungen von geographischen
Charakterbildern, von auslandischen
Kulturpflanzen und Tieren, vielleicht
sogar eine Mineraliensam m lung dem
Lehrer der Geographieklasse zur Ver-
fiigung stehen. Da die Praparationen,
nach des Verfassers Worten, nicht nur
den einfachen, sondern auch den mitt-
leren und hoheren Volksschulen
Handreichung thun sollen und dem
Lehrer ausserdem die Auswahl des
Stoffes selbstverstandlich iiberlassen
bleiben muss ,so enthalt der fiinfte
Teil nicht gerade zu viel Stoff.
Wir wollen an der Hand der ,,Pra-
parationen" zeigen, wie in einer
Volksschule Deutschlands der Erdteil
Amerika behandelt werden mag, und
unsere kritischen Bemerkungen wol-
len wir sofort da, wo sie uns am pas-
sendsten erscheinen, anbringen.
Der Geschichtsunterricht hat die
Behandlung dieses Erdteils unmittel-
bar veranlasst. Mit Hilfe der Karte
erhalten die Schiller einen vorlaufigen
Uberblick iiber die Lage , die Gliede-
rung und Gestalt, die Bodenbeschaf-
fenheit und die Bewasserung des Erd-
teils (Nord- und Siidamerika) . Dann
schreitet der Lehrer zunachst zur Be-
trachtung der von Columbus gefunde-
nen westindischen Inseln. Dem Schil-
ler wird ausfiihrlich mitgeteilt, dass
die Inseln zur Zeit des Columbus
schon und fruchtbar, aber trotz ihrer
Fruchtbarkeit wenig angebaut waren,
dass sie arm an vierfiissigen Tieren
und stark bevolkert waren; dass West-
indien heute sorgfaltig angebaut,
doch nicht mehr so fruchtbar wie
einst ist, dass die Bewohner, die Co-
lumbus vorfand, ausgestorben sind,
und dass die Inseln nicht mehr im Be-
sitze der Spanier sind. Kaffee-, Zuk-
ker- und Tabak-Plantagen werden
recht anziehend geschildert, und auf
Seite 10 eilt der Verfasser der Zeit
voraus, indem er Cuba bereits zu ei-
ner amerikanischen Besitzung macht.
Dann lernt der deutsche Schiiler das
Festland kennen, das Columbus bei
seiner dritten Eeise entdeckte. Nach
einer jetzt bereits genaueren Orien-
tierung wird ihm eine lebendige
Schilderung einer Keise iiber die Cor-
dilleren von Lima aus dargeboten;
dann halt er sich einen Tag und eine
Nacht lang im siidamerikanischen Ur-
walde am Amazonenstrom auf; hier-
auf besieht er sich die Llanos als
Staubgebilde, als Grasmeer und als
Wasserflache; und endlich besucht er
auch die Pampas. Das gewonnene
Material wird zusammengestellt, ver-
glichen und geordnet, geographische
Wahrheiten werden gefunden und
eingepragt. tJberall zeigt sich des
Verfassers Bestreben, die innige
Wechselwirkung zwischen Mensch
und Tier und Natur nach Gebiihr her-
vorzuheben. Lobend zu erv^ahnen ist,
dass jedes neu auftretende geographi-
sche Fremdwort in seine Bestandteile
zerlegt und erklart wird, ein mnemo-
technisches Hilfsmittel, das vielfach
unterschatzt wird. Die Staaten Siida-
merikas erhalten gebiihrende Erwah-
nung, und diejenigen Mittelamerikas
w^erden aufgezahlt.
Hierauf lernt der deutsche Schiiler
Mexiko naher kennen, das Land, das
die Hoffnungen der Spanier erfiillte.
Den Raubzug der grausamen, habgie-
rigen Spanier unter Cortez' Fiihrung
nennt der Verfasser der ,,Praparatio-
nen etc." eine ,,Erwerbung" Mexikos.
Zu den Erwerbszweigen der Mexika-
ner vrird neben der Pflege des Kakao-
baumes und der Ziichtung der Koche-
nillelaus auch der Baumwollenbau ge-
rechnet. Letzterer ist in Mexiko von
ganz untergeordneter Bedeutung; da-
gegen hatte der Tabakbau, der ausser-
ordentlich zugenommen hat, erwahnt
werden miissen. Wenn der Schiiler
von der Anpflanzung, dem Wachstum,
310
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
dem Lesen, der Ausscheidung der Sa-
men tmd der Verpackung der Baum-
wolle ein getreues Bild erhalten soil,
dann muss er warten, bis er zu den
Vereinigten Staaten von Nordamerika
kommt. Denn dorthin gehort die
Baumwolle !
Ehe der deutsche Schiiler nun Nord-
amerika kennen lernt, muss er mit
seinem Lehrer die Reise iiber das
Weltmeer machen. Er sieht sich die
Einrichtungen auf dem Schiffe genau
an, und in New York steigt er ans
Land. Er wandert den Broadway ent-
lang und sperrt den Mund auf vor den
Wolkenkratzern oder vor den grell be-
malten Firmen- und Annoncenschil-
dern. Dann biegt er in die Bowery
ein und rennt gegen einen ungeheu-
ren blanken Holzstiefel und — weiss
nicht, dass er hier Stiefelwichse kau-
fen kann. Auf der Fifth Avenue
macht er die Bekanntschaft von Leu-
ten, die durch den Verkauf verbesser-
ter Hosenknopfe, praktischer Stiefel-
knechte, oder durch ein Mittel gegen
den Schnupfen sich Millionen erwar-
ben.
Nordamerika wird nun nach Lage
und Gestalt, Gliederung, Bodengestal-
tung und Bewasserung betrachtet.
Mt. Logan in den Kaskaden wird mit
5900 Metern (19,357 Fuss) kurzer
Hand der hochste Gipfel Nordameri-
kas genannt. Die Vereinigten Staaten
schickten vor etwa drei Jahren eine
Gesellschaft von Forschern nach
Alaska, um einen Berg zu messen, von
dem man berichtet, dass er hoher als
der St. Eliasberg sei. (Der St. Elias
wird in den meisten Schulgeographien
noch immer der hochste Gipfel des
nordamerikanischen Kontinents ge-
nannt.) Die Forscher fanden den
Berg, den die Eingeborenen Bulshaia
nennen, 20,464 Fuss hoch und gaben
ihm den Namen McKinley. Wenn die
Messungen richtig sind, ist Mt. Mc-
Kinley hoher als Mt. Elias und auch
hoher als Mt. Logan.
Von dem Mississippi wird erzahlt,
dass an den Ufern seines Oberlaufes
gewaltige Urwalder rauschen.
,,Rausch t en" wiirde jedoch richtiger
sein, denn die gewaltigen Urwalder
sind langst durch die Sagemuhlen un-
serer Holzbarone gegangen. Lake
Superior bis Lake Ontario heissen in
den ,,Praparationen" stets die ,,Kana-
dischen Seen". Da diese Seen zum
Stromgebiet des St. Lawrence geho-
ren, so lasst sich die Berechtigung fur
diese Bezeichnung nicht bestreiten.
Aber in den Schulen der Vereinigten
Staaten kennt man die Seen nur unter
dem Namen ,,die fiinf grossen Binnen-
seen", und die Kraft solcher Namen,
haben sie sich einmal eingebiirgert,
ist bekanntlich gross.
Der Schiiler sieht sich selbstver-
standlich die Niagarafalle an. Hier-
auf reist er nach Cincinnati, das man,
so wird ihm mitgeteilt, ,,die deutsche
Hauptstadt Amerikas" nennt. Das ist
u n s allerdings neu. Aber warum
nennt man denn Cincinnati ,,die deut-
sche Hauptstadt Amerikas"? Lassen
wir die ,,Praparationen" selbst reden:
,,Sie zahlt mehr als 100,000 Deutsche
zu ihren Bewohnern. Die englische
Sprache, die fast uberall in Amerika
die vorherrschende ist, tritt hier hin-
ter die deutsche Sprache zuruck. Die
Amerikaner, Englander und I r r lan-
der (ein hiibscher Druckfehler!), die
in der Stadt wohnen ,lernen Deutsch,
um mit den Deutschen deutsch reden
zu kdnnen, und befestigen dann an
ihren Laden die Inschrift: ,Hier
spricht man deutsch'." — Wohl giebt
es in Aro^icKa (die Ver. Staaten sind
hier £<rmeint) Stadte, in denen sich
das Verhaltnis der deutschen Bewoh-
ner zu dem der Bewohner anderer Na-
tionalitaten sogar noch giinstiger
stellen mag, als in Cincinnati, auch
einige Stadte, in denen noch weit
mehr als 100,000 Deutsche wohnen,
aber nirgends tritt die englische
Sprache hinter die deutsche zuruck,
es sei denn in rein deutschen Kreisen,
von denen jedoch hier nicht die Rede
ist. Die englisch-amerikanischen Blat-
ter erzahlen sich von Zeit zu Zeit,
dass in der Stadt Milwaukee, die eine
zahlreiche deutsche Bevolkerung hat,
die Kaufleute vor ihren Auslegefen-
stern die Worte anbringen: "English
spoken here", aber wird man solche
Geschichtchen ernst nehmen? Wir
wollen mit dieser Anekdote nur an-
deuten, dass der Verfasser der ,,Pra-
parationen" wenig zuverlassige, und
oft sehr fernliegende Quellen bearbei-
tet hat, eine Behauptung, die wir wei-
ter unten noch bekraftigen werden.
Wenn es ihm darum zu thun war, eine
richtige Vorstellung von dem Einfluss
der Deutschen in Amerika zu erwek-
ken, so mussen wir leider ausspre-
chen, dass ihm das nach unserer Mei-
nung in keiner Weise gelungen ist.
Die Prairie ist das nachste Reise-
ziel. Der deutsche Schiiler macht die
Bekanntschaft der Rothaut und gerat
durch einen Prairiebrand in die Stam-
pede einer Herde von Bisonten, die in
den ,,Praparationen" schlechthin Biif-
fel genannt werden. Der Verfasser
der ,,Praparationen" wird sich nicht
Bticberbesprecbungen .
311
wenig wundern, wenn er erfahrt, dass
er selbst im Waldorf Astoria fur das
schwerste Geld kein Gericht Biiffel-
zungen mehr haben konnte, dass der
Bison seit der Fertigstellung der Pa-
cificbahnen nicht mehr auf der Prai-
rie, sondern nur noch in verstaubten
Glaskasten der Museen anzutreffen
ist, dass unsere Bundesregierung ein
paar dieser Tiere im Yellowstone
Park vergeblich zu erhalten versucht;
er wird nicht wenig staunen, wenn er
vernimmt, dass die Indianer nicht
mehr frei auf der Prairie herumjagen,
sondern auf besonderen, von unserer
Bundesregierung zu dem Zwecke bei-
seite gesetzten Landereien wohnen.
Der Indianer kommt in den ,,Pra-
parationen" iiberhaupt schlecht weg.
Ihm werden nichts als Unvugenden
vorgeworfen. Die Wahrheit ist aber
die: Die Indianer bewohnten einst-
mals das Ganze der Staaten Indiana,
Ohio, Illinois, ja, alle Staaten. Si«
wurden von den Weissen von ihren
Wohnsitzen vertrieben. Sie sind eine
edle Basse gewesen. Wer sie einmal
belogen oder betrogen hatte, dem
schenkten sie nie wieder Vertrauen.
Verstellung und Verfuhrung blieben
ihnen fremd, bis sie mit den Weissen
in Beriihrung kamen. Sie waren
schlicht und vertrauensvoll, und Gast-
freundschaft gait ihnen als eine hohe
Tugend. Obgleich wild und grausam,
veriibten sie doch niemals Treubruch,
und nie missachteten sie die Rechte
anderer. Sie waren tapfer und kilhn,
und Trunkenheit, Faulheit und an-
dere Laster der Zivilisation waren
ihnen vollstandig fremd. Seumes
wahre Erzahlung, ,,Ein Kanadier, der
Europens iibertunchte Hoflichkeit
nicht kannte", bildet nach unserer
Meinung bessere Anhaltspunkte, den
Charakter der Indianer kennen zu ler-
nen, als die in den ,,Praparationen"
enthaltene widerliche Mitteilung, ein
Indianer habe, um zu zeigen, wie sehr
er seinen Freund schatze, einige
Schlucke Branntwein in den Mund ge-
nommen, dann einen Stammesgenos-
sen umarmt und ihm aus seinem
Munde den Schnaps eingeflosst.
Eine Reise auf der ersten gebauten
Pacificbahn bringt den deutschen
Schtiler endlich an den Stillen Ozean.
Wahrend der Fahrt wird er iiber den
Bau desEiesenwerkes belehrt; er lernt
die Einrichtung der Ziige und die
grosse Bedeutung dieses Schienenwe-
ges kennen.
Bei seiner Hast, die Sonne Kalifor-
niens zu schauen, lasst er sich den
4000 englische Quadratmeilen grossen
Yellowstone Nationalpark entgehen,
dieses Naturwunder mit den Geysern,
die ihre Strahlen 250 Fuss hoch in die
Luft schleudern und deren Wasser so
heiss ist, dass man Fische darin ko-
chen konnte, mit den farbenprachti-
gen Schaumbecken, mit dem schonen,
forellenreichen Yellowstone-See, mit
den hohen Wasserfallen und dem
grossen Canyon des Yellowstone-
Flusses! Er hat keine Zeit, den un-
triiglichsten Beweis von dem hohen
Alter der Erde am Colorado Eiver, der
200 Meilen zwischen 6000 Fuss hohen
senkrechten Felswanden dahinfliesst,
auf sich einwirken zu lassen; nicht
einmal im paradiesischen Yosemite-
thal rastet er, und den kalifornischen
Eiesenbaumen gonnt er keinen Blick.
Kanada wird in den ,,Praparatio-
nen" gar nicht besprochen, dagegen
werden Gronland fiinf Seiten gewid-
met. Nach der Eeise quer durch den
Kontinent bis zum Grossen Ozean und
nach der Wanderung durch Gronland
werden die Vereinigten Staaten noch
einmal inbezug auf Lage und Aus-
dehnung, Bodenformen, Be\vasserung
und Klima behandelt; die Boden-
schatze, Ackerbau, Viehzucht, In-
dustrie und Welthandel, und auch die
Verwaltung, werden kurz bespro-
chen; dann werden die Staatengrup-
pen gedrangt beriicksichtigt, und end-
lich wird das ganze gewonnene Mate-
rial geordnet, verglichen und ange-
wandt.
Die Weizenregion der Union liegt
nach den ,,Praparationen" siidlich von
den grossen Seen. Das wiirde aber
die beiden bedeutendsten Weizenstaa-
ten, Minnesota und Dakota, beinahe
vollstandig ausschliessen. Nach dem
amtlichen Bericht von 1897 betrug die
Weizenernte in Minnesota allein 60
Millionen Bushel. Man nehme als
Zentrum das nordliche Illinois, unge-
fahr 100 engl. Meilen westlich von
Chicago, und ziehe mit einem Eadius,
der bis Pittsburg oder bis nach Chat-
tanooga reicht, einen Kreis — inner-
halb dieses Kreises befindet sich die
Getreidekammer Amerikas!
Wir konnen nicht umhin, die man-
gelhafte Aussprachebezeichnung eng-
lischer Namen zu erwahnen. Dass
sich nach der Neuanschaffung einiger
besonders gewahlter Typen auch in
dieser Beziehung gerechten Anforde-
rungen nachkommen lasst, haben
Langenscheidt und andere gezeigt.
Die englische Sprache vertragt oft
eine schlechte Aussprache, nie aber
einen falschen Accent. Der Accent ist
aber in den ,,Praparationen" gar
312
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
nicht angegeben. Vollstandig ver-
fehlt sind: hadszu fur Hudson; bof-
falo fiir Buffalo; cincinneti fiir Cin-
cinnati; uoshingtn fiir Washington;
men fiir Maine; wennont fiir Ver-
mont; rot-eiland fiir Khode Island,
und viele andere.
Abgesehen von den geriigten Man-
geln, die sich bei einer Neuauflage
leicht beseitigen lassen, indem der
Verfasser oder die Verlagshandlung
einen Mann, der die Verhaltnisse aus
eigener Anschauung kennt, mit der
Neubearbeitung oder der Durchsicht
des auf Amerika beziiglichen Ab-
schnittes beauftragt, diirften die
,,Praparationen", deren ganze Anlage
padagogisch ausserst lobenswert ist,
eine wahre Fundgrube fiir die Geogra-
pbielehrer an unseren vielen deut-
schen Schulen, ja selbst fiir den Leh-
rer an englischen Schulen, der des
Deutschen machtig ist, sein.
P. Gerisch.
II. Eingesandte Biicher.
(Eingehende Besprechung vorbehalten.)
Schulgebetbuch fiir evangeli-
sche Schulen. Von H. Schindler,
Biirgerschuldirektor. Dritte, vermehrte
Auflage. Dresden. Justus Nau-
mann'sche Buchhandlung (L. Unge-
lenk). 1901.
Lessings H a m b u r g i s c h e
Dramaturgic, abridged and edited
with introduction and notes by C h a s.
Harris, Professor of German in
Adelbert College of Western Reserve
University, New York, Henry Holt &
Co., 1901. Price $1.00.
Goethe's Poems, selected and
edited with introduction and notes by
Julius Goebel, Professor of Ger-
man Philology and Literature in Stan-
ford Uni^irsity. New York, Henry
Holt £ <%>., 1901. Price 80 cts.
Sli pplementary Exercise
to Thomas's Practical
Grammar (based in part on the
reading lessons and colloquies, by Wm.
Addison Hervey, Instructor in
Columbia University. New York,
Henry Holt & Co., 1901.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgangll. Oktober 1901. Heft 9
Protokoll
der 31. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen
Lehrerbundes.
Indianapolis, Ind., 10.-13. Juli 1901.
(Offi*iell.)
(Scblttss.)
Zweite Hauptversammlung. — Nach Eroffnung der Sitzung gegen
zehn Uhr gab der President nachstehende Ausschusse bekannt:
Fur Bundesverfassung: — Dr. H. H. Fick von Cincinnati, Emil Zutz von
Chicago, Prof. Starr Willard Cutting von Chicago, Hermann Woldmann
von Cleveland und Prof. C. E. Karsten von Bloomington, Ind.
Nominationen: Carl Herzog von New York, Adolf Kromer von Cleve-
land, Frl. Ida Fredrich von Milwaukee, Wm. Schafer von Cincinnati und
Eugen Mittler von Indianapolis.
Fur Revisions-Komitee: C. O. Schonrich von Baltimore, Prof. A. R.
Hohlfeld von Madison, Wis. und Lena Uhl von Cleveland.
Fur Beschlusse: Emil Dapprich von Milwaukee, Von der Groeben von
Erie, Pa. und Frl. Bertha Wendland von Chicago.
Hierauf hielt Prof. G. E. Karsten von der Indiana Universitat zu
Bloomington einen Vortrag fiber das Thema: ,,W e 1 c h e Unterrichts-
mittelstehendemdeutschen Lehrer ausserhalb seiner
Klasse zurVerfiigung?"
An diesen Vortrag, den Herr Karsten grosstenteils frei hielt und haufig mit
launigen Anmerkungen wtirzte, kntipfte sich eine langere interessante Debatte.
Dr. Learned wies zunachst darauf hin, dass der Vortragende nicht nur Univer-
sitats-Professor, sondern auch Herausgeber des .Journal of Germanic Philology"
sei, und da stellte es sich heraus, dass verschiedene der Anwesenden gar keine
Ahnung von der Existenz dieses Blattes hatten. Her Woldmann bem^rkte,
314 Pttdagogische Monatsbefte.
dass es auch viele Akademiker gebe, welche nicht wussten, dass der Deutsch-
amerikanische Lehrerbund die Padagogischen Monatshefte herausgebe. So
wussten auch viele Akademiker nicht, wie es in den Volksschulen zugehe und
umgekehrt.
An der Debatte beteiligten sich ferner: die Herren Dr. Pick, v. Wahlde,
Direktor Dapprich, Prof. Cutting, Prof. Hohlfeldt, Rattermann, Kromer, Schon-
rich, Frl. Hohgrefe, u. v. a. m.
Nach der alien Teilnehmern so angenehmen Erfrischungspause verlas der
Sekretar eine Zuschrift des Herrn Ferren von Allegheny, worin derselbe mit-
teilte, dass es ihm eines schweren Augenleidens wegen nicht moglich gewesen
sei, als Vorsitzer des Agitationsausschnsses irgend etwas zu verrichten. Auch
den Lehrertag konnte er nicht besuchen, da er zur Vornahme einer Augen-
operation nach Deutschland reise.
Herr Emil Dapprich, als Vorsitzer des Komitees zur Pflege des Deutschen
erstattete folgenden Bericht:
An die 31. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen
Lehrerbundes.
Verehrte Kollegen!
Ihr KomiteefurPflegedfcs Deutschen" hat in vergangenen
Jahren dem Bunde grosse Dienste geleistet. Ueber den jeweiligen Stand
des deutschen Unterrichts in den offentlichen und privaten Schulen dieses
Landes hat es umfassende Arbeiten gemacht; den Freunden unserer Sache
hat es im Kampf fur unser heiliges Recht wirksame Waffen zum Angriff
geliefert; fur die Feststellung der Ziele unserer beruflichen Thatigkeit hat
es ausgezeichnete Winke gegeben.
Leider hat es in den letzten beiden Jahren seine Aufgabe nicht erfullen
konnen, da es ihm an den dazu notigen pekuniaren Hilfsmitteln gebrach.
Die Seminarkasse, welche bei friiheren Arbeiten einen grossen Teil der
Ausgaben bestritt, konnte uns keine Geldmittel zur Verfvigung stellen, da
der Ausfall der Turnlehrerkurse zu grosster Sparsamkeit zwang. Daher
sind wir auch heute wieder zu der Erklarung genotigt, dass wir des leidigen
Geldes wegen unsere Pflicht nicht haben thun konnen. An die gegen-
wartige Tagsatzung richten wir deshalb die Bitte, dem Komitee die zu
seiner Arbeit notigen Mittel aus der Bundeskasse zu gewahren. Eine aus-
fuhrliche Darstellung des gegenwartigen Standes unserer Sache fur den
nachsten Lehrertag halten wir fu> eine dringende Pflicht des Bundes.
In den gebildeten Schichten der englischsprechendenBevOlkerung dieses
Landes ist die Sympathie fur unsere Bestrebungen in den letzten Jahren
sehr gewachsen; die Forderung der Einfiihrung einer modernen Sprache
als Lehrfach in den oberen Graden der Volksschule durch die ,,Na t i o n a 1
Education Association" hat unseren Feinden den Wind aus den
Segeln genommen; die vermehrte Beteiligung am Deutschen in den offent-
lichen und privaten Lehranstalten der Union verleiht uns rtistige und ge-
wandte Hilfstruppen. Ich lege den Lehrern des Deutschen an den hoheren
Schulen besonders ans Herz, dafiir zu sorgen, dass ihren Studenten die
deutsche Sprache eine Herzenssache werden m6ge, und das wird sie nur
dann, wenn die jungen Manner und Frauen sich mit derselben so vertraut
machen, dass sie dieselbe zum Medium ihres Gedankenaustausches ge-
brauchen konnen. Die Hauptfrage, die wir an den gebildeten Amerikaner
stellen mochten, ist nicht die: Kennst Du Gothe, Schiller, Lessing, Kant?
sondern: Kannst Du mit uns uber diese Manner in ihrer Sprache reden?
Protokoll der 31. Jabresversammlung des N. D. L. 315
Wir verhehlen uns nicht, dass diese Aufgabe fur unsere Kollegen cine
schwierige und miihevolle ist, aber wir versichern dabei, dass es eine ehren-
volle und lohnende sein wird. Die deutschamerikanische Presse muss
noch viel energischer fur unsere Forderungen eintreten, als es bisher ge-
schehen ist. Wir legen in diesen Wunsch nicht den leisesten Tadel, da wir
uberzeugt sind, dass es den Redakteuren nicht am guten Willen fehlt. Da
sie aber durch ihr Amt die berufenen Fuhrer des Volkes sind, sollten sie
fur die Volksschule den zweisprachigen Unterricht entschiedener fordern
und in einer solchen Gestaltung verlangen, dass die Schiller neben der
englischen auch die deutsche Sprache so gut und gelaufig erlernen,
um dieselbe im Verkehr mit Lust und Liebe gebrauchen zu konnen.
Wir deutsche Schulmeister schulden den deutschamerikanischen Journa-
listen viel, und wenn Manner vom Schlage eines Leigh uns entrissen
werden, so ist der Tod solcher Mitarbeiter fur uns ein herber Verlust.
Auch aus den Reihen unserer Fachgenossen sind uns im letzten Jahre
drei der besten entschlafen; mit tiefster Wehmut nennen wir die Namen:
W. H. Rosenstengel, Bergmann und Heinrich Raab. Sie haben uner-
mudlich und ehrenvoll fur die heilige Sache der Erziehung und ganz speziell
fur die Erziehung nach unseren Grundsatzen ihr Leben in die Schanze
geschlagen. Die Pflicht der Dinkbarkeit fordert, dass wir ihrer an dieser
Statte gedenken. Wir wollen ihnen ein treues Gedenken bewahren, so
lange wir leben und in ihrem Sinne in unserem hohen Berufe wirken, bis
auch unser Stiindlein schlagt.
Mit Wehmut und nicht ohne einen Grad von Bitterkeit beruhren wir
den wundesten Punkt im deutschamerikanischen Volksleben, die Ver-
nachlassigung der Pflege unserer schonen Muttersprache in der Familie.
Wenn der unwissende Bauer auf seiner einsamen Farm den Kindern
erlaubt, die Sprache ihrer Eltern zu vergessen, so ist das zu verzeihen;
sie war ihm weder eine Waffe des Geistes noch ein Quell hohen Genusses.
Im Kampfe urns tagliche Brot achtet er nur, was Geldeswert besitzt und
ihm ist es daher gleichgiltig, was gesagt wird und wie es gesagt wird.
Dass aber in Stadten und Dorfern sogenannte gebildete Leute ihrer Mutter-
sprache untreu werden, ja was noch schlimmer ist, sich ihrer Abstammung
schamen und ihr Vaterland verleugnen, ist geradezu emporend. Sollte man
es fur m6glich halten, dass es Leute geben konne, die ihren Eltern daraus
einen Vorwurf machen, dass dieselben ihnen die deutsche Sprache beige-
bracht haben, und doch giebt es solcher Idioten eine schwere Menge. Da
ist es wirklich schwer, wie der alte Juvenal sagt, keine Satire zu schreiben.
Ich weise nur auf den allerneuesten Fall deutschamerikanischer Stupiditat
hin, indem ein Schulratsmitglied deutscher Abstammung den Antrag
stellt, aus der Volksschule von Chicago den deutschen Unterricht zu ent-
fernen. Man sollte nicht glauben, dass es in diesem neuen Jahrhundert
in diesem so aufgeklarten Lande noch solche antediluviale Saurier geben
konne.
Ihr Komitee halt es fur seine Pflicht. auf die Notwendigkeit einer
energischen Unterstiitzung des Bundesorgans hinzuweisen. Wir miissen
die Abonnentenzahl bedeutend erhohen, wenn wir das Blatt lebensfahig
machen wollen. Es ware wunschenswert, diese Angelegenheit zum Gegen-
stand einer speziellen Diskussion zu machen und einen warmen Aufruf an
alle Lehrer des Deutschen zu richten.
316 P'ddagogische Monatsbefte.
Zum Schluss mochten wir die Mitglieder des Lehrerbundes auf die vor
Kurzem in Pennsylvania gegrundete Vereinigung ,,Bimd der Deutschen"
aufmerksam zu machen. Wir sollten in unseren Stadten Zweigvereine
griinden und dem Unternehmen in jeder Weise Vorschub leisten.
Achtungsvoll unterbreitet
Das Komitee.
Der Bericht wurde angenommen und an den Ausschuss fur Bundesverfassung
verwiesen.
Hierauf hielt Herr B. Kuttner von New York einen Vortrag iiber ,,D i e
berufliche und finanzielle Stellung des Elementar-
1 e h r e r s." Da es mit Schluss dieses fesselnden Vortrages nahezu i Uhr gewor-
den war, erfolgte Vertagung.
In der dritten Schlussversammlung fuhrte Herr Dapprich
den Vorsitz und erteilte sofort nach der Eroffnung Herrn Prof. A. R. H o h 1 -
f e 1 d t von der Universitat in Wisconsin (Nachfolger des verstorbenen Prof.
Rosenstengel) das Wort zu einem Vortrag ubsr das Thema: ,,D i e gegen-
w a r t i g e n Beziehungen der _/n glischen und deutschen
Litteratur mit besondererRiicksicht auf den Litter a-
turbetrieb in der Schul e."
Da noch verschiedene Komiteeberichte und auch anderes Geschaftliche der
Erledigung harrte, so musste von einer langeren Diskussion des geistvoll und
interessant behandelten Themas Abstand genommen werden, und Dr. Pick verlas
nun zunachst den Bericht des Komitees fur Bundesverfasung, welcher lautete:
,,Zur Erwagung der Vorschlage fur die Abanderung der Bundesver-
fassung erlaubt sich Ihr Komitee folgendermassen zu berichten:
Da kein Mitglied des im vorigen Jahre ernannten Ausschusses, wel-
chem die Ausarbeitung etwaiger Verbesserungen der Konstitution uber-
tragen wurde und der auch einen schriftlichen Bericht eingeschickt hat,
bei der jetzt stattfindenden Tagung zugegen ist, empfiehlt Ihr Komitee,
die Beschlussfassung iiber den beredten Gegenstand zu verschieben.
So gerne der N. D. A. Lehrerbund seinem Komitee fur ,,Pflege des
Deutschen" hinreichende Geldmittel zur energischen Betreibung einer Agi-
tation resp. Sammlung und Drucklegung von statistischen Ermittelungen
zuweisen mOchte, erlaubt doch der Stand der Bundeskasse leider jetzt keine
Verwilligung.
Das Komitee legt den Mitgliedern des N. D. A. Lehrerbundes die that-
kraftigste und weitgehendste Unterstiitzung des Bundesorgans, der ,,Pad.
Monatshefte," ans Herz. Zu dem Zwecke sei den Verlegern, der Herold
Publ. Co. von Milwaukee, der Vorschlag gemacht, in den verschiedenen
Stadten verantwortliche Lehrkrafte auf geeignete Empfehlung hin anzu-
stellen, denen die Verbreitung der Zeitschrift in ihren besonderen Wir-
kungskreisen anvertraut sein soil.
Das Komite glaubt, die Unterstiitzung der Bestrebungen des neuer-
dings in Pennsylvanien gegriindeten ,,Deutschamerikanischen Zentral-
Bundes" nach jeder Richtung hin gutheissen zu konnen, und befurwortet
die Griindung von Zweigvereinen oder den Anschluss an schon bestehende."
Die einzelnen Punkte des Berichts wurden hierauf durchgenommen und be-
schlossen, in diesem Jahre keine Revision der Bundesverfassung vorzunehmen.
Betreffs des Schmerzenskindes, des Bundesorgans ,,Padag. Monatshefte", ent-
stand eine lange Debatte. Schliesslich wurde der Vorschlag des Komitees ange-
nommen. Da jedoch die Herausgeber der Monatsschrift, die ,,Herold Publishing
Protokoll der 31. Jahresversammlung des N. D. L. 317
Co." darauf besteht, nur unter der Bedingung das Blatt auch ferner heraus-
geben zu wollen, wenn der Lehrerbund jahrlich einen Zuschuss von $150 zahlt,
so wurde ein aus den Herren Dapprich, Pick und Abrams bestehendes Komitee
ernanntj welches Mittel und Wege finden soil, um ein fur beide Teile (Lehrer-
bund und Verlagsfirma) befriedigendes Abkommen zu treffen, damit das Organ
gesichert werde.
Beziiglich der letzten Empfehlung wurde beschlossen, die Bestrebungen des
,,Deutschamerikanischen Zentral-Bundes" von Pennsylvanien zu unterstutzen.
Die Herren Prof. Learned von Philadelphia und C. O. Schonrich von Baltimore
wurden als Delegaten ernannt, um der Generalversammlung des Verbandes als
Vertreter des Lehrerbundes beizuwohnen.
Der Ausschuss fur Nominationen unterbreitete durch Herrn Herzog folgende
Empfehlungen:
1. Zur Abhaltung des nachsten Lehrertages wird Detroit, Mich.,
vorgeschlagen.
2. Zu Mitgliedern des Bundesvorstandes: M. D. Learned,
Philadelphia; Louis Hahn, Cincinnati; Emil Dapprich, Milwaukee; Robert
Nix, Indianapolis; Emil Zutz, Chicago; Emil Kramer, Cincinnati; Anna
Hohgrefe, Milwaukee; Lena Uhl, Cleveland; Ernst Muller, New York.
3. Priifungs - Kommission des Lehrerseminars : H. Wold-
mann, Cleveland; Leo Stern, Milwaukee; M. Schmidhofer, Chicago.
4. Pflege des Deutsche n: Dr. H. H. Fick, Cincinnati; A.
R. Hohlfeldt, Madison, Wis.; H. Geppert, Newark, N. J.; B. Kuttner, New
York; G. G. von der Groben, Erie, Pa.
5. Agitations - Ausschuss: H. M. Ferren, Allegheny, Pa.;
Max Griebsch, Milwaukee; C. O. Schonrich, Baltimore; Frl. E. Schramm,
Chicago; H. A. Rattermann, Cincinnati.
6. Seminar - Direktoren fur dieses Jahr: John Schwaab,
Cincinnati; Chas. E. Emmerich, Indianapolis; S. W. Cutting, Chicago;
Joseph Grever, Cincinnati. Fur nachstes Jahr: B. A. Abrams, Milwaukee;
H. von der Heide, Newark, N. J.
Samtliche Vorschlage wurden gutgeheissen, worauf sich der Vorstand wie
folgt organisierte:
President, Emil Dapprich; I. Schriftfuhrer, Emil Kramer; 2. Schrift-
fuhrer, Anna Hohgrefe; Schatzmeister, Louis Hahn.
Das Andenken der im verflossenen Jahre verstorbenen Mitglieder des Bundes,
Rosenstengel, Raab und Bergmann wurde durch Erheben von den Sitzen geehrt.
Das Komitee fur Dankesbeschliisse reichte folgenden Bericht ein:
1. Der Ortsausschuss verdient den hochsten Dank fur seine umfassen-
den Vorbereitungen sowie fur die vortreffliche Leitung des nicht offiziellen
Teils unserer Tagsatzung.
2. Wir danken der Verwaltung des Deutschen Hauses fur den iiberaus
freundlichen Empfang und die liebevolle Ueberlassung ihrer prachtvollen
Raume.
3. Der Vertreter des Staates, General-Anwalt Taylor, der President
des Rats fur offentliche Werke, Herr Albert Sahm, und der Reprasentant
der offentlichen Schulen, Herr Schulrat Moores, haben uns durch ihre Be-
griissungsansprachen grosse Freude bereitet.
4. Wir danken dem Gesangverein ,,Liederkranz" und der Militar-
kapelle von Indianapolis fur ihre freundliche Mitwirkung bei der Em-
pfangsfeier.
318 P'ddagogische
5. Das ausgezeichnete Konzert des Musikvereins und das darauffol-
gende gesellige Zusammensein im Garten des Deutschen Hauses werden
uns unvergesslich sein.
6. Dem Sozialen Turnverein sind wir fur die liebenswurdige Be-
wirtung in seinem Park tausend Dank schuldig.
7. Der Mannerchor von Indianapolis hat durch sein reizendes Sommer-
nachtsfest und seine freundliche Bewirtung uns zu grossem Danke ver-
pflichtet.
8. Die deutsche Tagespresse der Stadt Indianapolis hat durch ihre
ausgezeichneten Berichte iiber unsere Arbeiten dem Lehrerbunde grosse
Dienste geleistet, wofur wir ihr von Herzen danken.
9. Auch dem Bundesvorstand gebiihrt fur seine ausgezeichnete
Fiihrung der Geschafte wahrend des verflossenen Jahres unser warmster
Dank.
Nachdem diese Dankesbeschliisse angenommen waren, erklarte President
Learned den 31. Lehrertag offiziell fur ver<>gt.
Emil Kramer, Schriftfuhrer.
Deutsche Beitrage zum amerikanischen Geistesleben.
Vortrag, gehalten vor dem 31. Lehrertag zu Indianapolis.
Von Prof. Starr Willard Cutting, Chicago, 111.
(Schluss.)
Die Fortschritte im Universitatswesen,dieAmerika seit der Griindung
der Johns Hopkins University im Jahre 1876 zu verzeichnen hat, sind im
hohen Grade dem Einfluss deutscher Theorie und Praxis zuzuschreiben.
Bis dahin waren unsere sogenannten Universitaten im besten Fall nur
mehr oder weniger hochentwickelten ,,Colleges" gewesen. Die Kurse
beschrankten sich auf einige Gebiete und waren gar nicht dazu geeignet,
Lernende in irgend einem Fach zu eigenhandiger Forschung noch unent-
schiedener Fragen heranzubilden. Unsere Hochschulen waren eben,
qualitativ gesprochen, lauter Fortsetzungen der Sekundarschulen. Diesem
Mangel versuchte man dadurch abzuhelfen, dass man nach Deutschland
reiste und auf deutschen Hochschulen studierte. Allmahlich iiberzeugte
man sich von der Ueberlegenheit des deutschen Gesichtspunkts und
machte bei seiner Riickkehr nach Amerika Propaganda fur eine Differen-
zierung der Universitat von der High School und dem College. Als eine
Frucht dieser Ueberzeugung ist die Griindung der Johns Hopkins Univer-
sity anzusehen. Amerikanische Beziehungen und Traditionen mussten
natiirlich die Gestaltung der Baltimore'er Anstalt mit bestimmen; aber
Deutsche Beitr'dge %um amerikaniscben Geistesleben. 319
das Grundprinzip der neuen Stiftung war doch die Zentralbedeutung, die
man hier zum ersten Mai in Amerika produktiver Gelehrsamkeit offiziell
zuerkannte. Zur Erlangung dieser Einsicht waren wir buchstablich bei
den Deutschen in die Schule gegangen. Seitdem arbeiten wir immer
noch an der Umgestaltung unseres hoheren Bildungswesens nach dem
Vorbilde dieses ersten Experiments. Griindliche Besprechungen der
gegenwartigen akademischen Sachlage und der zunachst einzuschlagenden
Richtung, wie sie Herr Professor Miinsterberg von der Harvard Univer-
sity im Maiheft der ,,Atlantic Monthly" unter dem Titel: ,,Productive
Scholarship in America" liefert, zeugen von dem bestimmenden Einfluss
unserer deutschamerikanischen Mitbiirger auf die Entscheidung der geisti-
gen Lebensfragen der Gegenwart.
fin Gebiete der Industrie gehen die Nationen Europas und Amerikas
bei einander in die Schule. Entdeckungen und Erfindungen zur Forder-
ung schneller und billiger Herstellung materieller Waren werden bald
Gemeingut aller Volker. Nach dem Masse ihres Erfolges machen sich
die Nationen als fiihrende Machte in diesem Gebiete geltend. Deutsch-
lands iiberraschend schnelle und zugleich solide gewerbliche Entwickelung
wahrend der letzten dreissig Jahre hat ihrn in dieser Hinsicht eine nicht
zu verkennende Bedeutung verliehen, die der Amerikaner einsieht und zu
wiirdigen weiss. Der soeben betonten Griindlichkeit des Deutschen im
Bereich der Wissenschaft und des Unterrichtswesens entspricht die Ge-
diegenheit und Tiichtigkeit seiner industriellen Leistungen.
Wir Angelsachsen verstehen uns, historisch gesprochen, vorziiglich
aufs Lavieren. Ohne Zweifel verdanken wir dieser Fahigkeit unter
anderm unsern bedeutenden Erfolg beim Griinden und Verwalten demo-
kratischer Staaten. Bei der grossen Meinungsverschiedenheit, mit der
man stets in einer Republik oder verfassungsmassigen Monarchic rechnen
muss, lasst sich nur dadurch eine praktische Durchschnittsverfahrungs-
weise einschlagen, dass man Konzessionen an die Sonderinteressen zahl-
reicher Menschen macht, um eine parlamentarische Mehrheit fur oder
wider jeweilige Massregeln zu erzielen. Aber diese sonst so vorteilhafte
und bewunderungswiirdige Bereitwilligkeit durch gegenseitiges Nach-
geben streitige Punkte zu erledigen, lauft stets Gefahr, in eine recht hass-
liche Untugend auszuarten. Aus der Toleranz wird leicht eine Gleichgiiltig-
keit, die jeder Winkelpolitikant auszunutzen weiss. Mehr als fast irgend ein
anderes Moment ist der jetzt unter uns herrschende politische Indifferen-
tismus Grund der oft gehegten Zweifel an der Dauerhaftigkeit unserer
republikanischen Institutionen.
Die geistige Unabhangigkeit des Deutschen, seine Abneigung gegen
alles Scheinwesen und seine Unfahigkeit, Zugestandnisse an seine Mit-
menschen zu machen, arten nicht selten in blosse Halsstarrigkeit und Un-
320 P'ddagogische Monatsbefte.
ertraglichkeit aus. Aber gerade diese strenge Unversohnlichkeit thut
manchmal Not. Mir erscheint der Deutsche dazu geboren und durch den
bestimmenden Einfluss einer Reihe von Jahrhunderten dazu erzogen, dem
Umsichgreifen angloamerikanischer Gleichgiiltigkeit Einhalt zu thun. Wo
sich deutsche Ueberzeugungstreue mit angelsachsischer Anpassungsfahig-
keit im rechten Verhaltnis paart, ,,da giebt es einen guten Klang."
Der Amerikaner schenkt den materiellen Interessen des Lebens so viel
Aufmerksamkeit, dass er oft dabei versaumt, seine hoheren und hochsten
Geistesfahigkeiten gehorig zu beriicksichtigen. Ueber dem Kunstgewerbe
vergisst er leicht die schonen Kiinste ganz und gar. Seine Mussestunden
verkiirzt er und seine geselligen Zusamnienkiinfte richtet er mit ziemlicher
Sorgfalt darauf ein, womoglich ,,zyei Fliegen mit einer Klappe zu
schlagen". Sein Vergniigen schielt /ft nach dem Geschaft hiniiber. "To
combine business with pleasure" isr die stehende Formel zum Ausdruck
dieser praktisch zugespitzten Uebereilungssucht. Demselben materialisti-
schen Sturmschritt des amerikanischen Lebens ist unsere oberflaehliche
Durchschnittsbekanntschaft mit der Geschichte und mit den vorziiglichsten
Erzeugnissen der Weltlitteratur zuzuschreiben. Kein Wunder, dass man
oft das Leben aus falscher Perspektive betrachtet! Kein Wunder, dass
man oft keinen rechten Wertmesser fur die Erscheinungen des Lebens
hat. Unbekanntschaft mit der Vergangenheit fiihrt naturgemass zu einer
verhangnissvollen Ueberschatzung der jeweiligen Gegenwart. Gliick-
licherweise fangt man schon seit geraumer Zeit an, in dieser Hinsicht
Kehrt zu machen. Auf alien Seiten gewahrt man die Vorzeichen einer
kommenden bessern Zeit. Allerorten ist man bestrebt, Bildungsgelegen-
heiten zu schaffen und zu benutzen. Besonders versucht man einen ge-
diegenen Volksunterricht zu vertiefen und zu verbreiten. Freischulen
und Bibliotheken, Kunstgallerien und wissenschaftliche Vortrage, neuge-
griindete und beschenkte Universitaten und Colleges bezeugen das zu-
nehmende Interesse des amerikanischen Volkes an der Geistesbildung.
Wochentlich iiber vier Millionen Mark haben amerikanische Biirger
wahrend des soeben verflossenen Jahres zur Griindung und Erhaltung
zahlreicher Lehranstalten verschenkt. Es liefern auch die grossen Geld-
summen, die man alljahrlich hierzulande zur Unterstiitzting unzahliger
Wohlthatigkeitsanstalten anwendet, einen erfreulichen Beweis fur die
altruistischen Regungen des amerikanischen Gemiits. Die erste Etappe
auf der Pionierreise amerikanischen Kulturlebens hat man also schon
hinter sich. Der Amerikaner sucht eben einige seiner schon erworbenen
materiellen Giiter in geistige Aequivalente umzusetzen.
Auch im Gebiete der Kunst mochte er gerne geniessend und erzeu-
gend auftreten. Aber die Kunst will eben erlernt werden, und lasst sich
erst durch begeisterte Hingabe und unermiidlichen Fleiss aneignen. Zur
Deutsche Beitr'dge iwn amerikanischen Geistesleben. 321
Entwickelung der Kunst muss man nicht nur Kiinstler, sondern auch,
was ebenso wichtig ist, ein sympathisches, kunstliebendes Publikum haben.
Unsere angehenden Kiinstler mb'gen wohl auf unabsehbare Zeit hinaus in
Europa eine leidliche technische Schulung erlangen; aber sie warden erst
von einem verstandnisvollen, enthusiastischen amerikanischen Publikum
zum Schaffen wirklicher Meisterwerke angespornt werden. Ein solches
Publikum giebt es aber hier noch nicht und lasst sich nicht so auf Befehl
herstellen. Es muss erst im Laufe der Zeit unter dem Einfluss geeigneter
erziehlicher Momente erstehen. Zu diesen Momenten zahlen: Kunstvor-
stellungen und Kunstschulen hier in Amerika, langerer Aufenthalt in
alteren kunstliebenden und kunstpflegenden Kulturstaaten und Verkehr
mit Vertretern solcher Staaten, die sich unter uns angesiedelt haben.
Die Geschichte der Musik in Amerika illustriert diesen Vorgang vicl-
leicht am besten. Unstreitig stehen die Deutschen obenan im Gebiete
der modernen Musik. Ihnen verdanken alle Nationen eine inspirierte und
zugleich inspirierende musikalische Offenbarung. Scharenweise stromen
strebsame Amerikaner seit Jahren nach Deutschland, um sich in die Ge-
heimnisse dieser Kunst einfiihren zu lassen. Die besten unter ihnen
fanden bei ihrer Riickkehr anfangs keinen Anklang, weil das musikalisch
geschulte Publikum fast ganzlich fehlte. Erst allmahlich bildet sich das
amerikanische Volk an Opern und Konzerten zu einem bessern Verstand-
nis fur die Musik heran. Manner wie Thomas, die beiden Damrosch,
Nickisch und zahlreiche andere Deutsche im ganzen Lande haben sich
um diesen wichtigen Zweig der Volksbildung in hohem Grade verdient
gemacht. Der soeben erwahnte immer noch im Werden begriffene
Bildungsprozess erweckt schon die Hoffnung, dass die Zeit wohl kommen
werde, wo ein musikliebendes, amerikanisches Publikum nicht nur aus-
fiihrende, sondern auch komponierende heimische Kiiunstler ersten
Ranges mit rauschendem Beifall begriissen wird.
Zum Schluss mochte ich noch einmal die idealistische Anlage des
Deutschen betonen. Dafiir legen seine Denker und Dichter beredtes
Zeugnis ab. Er verachtet durchaus nicht die materielle Seite unseres
Erdenlebens. Das heisst, er ist kein weltentriickter Asket. ,,Wein, Weib
und Gesang" hat man seit Luthers Lebzeiten auf deutschem Boden weder
verkannt noch verpont. Aber bei alledem und, ich mochte sagen, im Ein-
klang damit, verlangt der Deutsche, dass das Leben einen gediegenen
geistigen Gehalt haben soil. Ganz ohne Riicksicht auf besondere An-
schauungen, Ziele und Vorlieben muss ihm das Privatleben wie das b'ffent-
liche Leben wahrhaft, aufrichtig, ehrlich, frei und tiichtig sein, wenn es
iiberhaupt noch lebenswert bleiben soil. Dies ist der Grundton seiner
Dichtkunst wie seiner Philosophic, den ein rechter Deutscher nie ver-
leugnet. Ueberall, wo man ihn antrifft, bekennt er gleich in dieser Hin-
322 Padagogiscbe Monatsbefte.
sicht Farbe. Man weiss woKl, wes man sich von ihm zu versehen hat. Es
mag sein, dass er sichmitunter infolge der Intensitat seiner Ueberzeu-
gungen seinen Mitmenschen gegeniiber recht unliebsam — sogar wider-
haarig zeigt, aber gerade wegen dieser Grundtendenz seines Wesens,
wegen seiner unbestechlichen Liebe zur Wahrheit, Aufrichtigkeit, Frei-
heit und Gerechtigkeit, liefert er stets einen willkommenen Beitrag zur
Klarung und Vollendung unserer Auffassung der Pflicht und Bestim-
mung des Menschen in Amerika.
Der deutsche Unterricht vom Standpunkte der
Sozialpadagogik.
Vortrag, gehalten vor dem 31. Lehrertag zu Indianapolis.
Von Adolf Kromer, Cleveland, O.
Man kann das Erziehungsgeschaft von zwei Gesichtspunkten aus
betrachten: von dem individualen und dem sozialen: Eine jede dieser
Betrachtungsweisen hat ihre Berechtigung und ihre Vorziige. Mit der
ersteren verbunden kann insbesondere die zweite die Erziehungs- und die
Bildungsmateriale naher bestimmen und ihnen neue Werte zufiihren.
Vom individualen Gesichtspunkte aus betrachtet, stellen sich die Er-
ziehung, der Unterricht und die Bildung dar als der Prozess, der die Ent-
wickelung gesetzter, individueller geistiger Fahigkeiten zu fordern sucht
und sie einem gewissen Abschlusse entgegen zu fiihren sich bemiiht. Es
ist diese Auffassung, die vom Gegenstande der Erziehung als dem Zogling,
dem Schiiler, dem Lehrling spricht. Es ist diese Auffassung, der als Ziel
und Ende aller Erziehung immer das Einzelne vorschwebt: der selbst-
standige Charakter, die Selbstandigkeit, ,,der eigene Erzieher,"
eine Summe ,,wahrer Menschlichkeit" oder ,,Verniinftigkeit," u. s. w.
Rousseau forderte, dass der Zogling stets zu der Frage berechtigt sei:
,,Wozu niitzt mir das, wozu ist es gut." * Und unsere eigene Zeit, fast
vorwiegend, gleich als ware sie nur zu Rousseau und den Philantropisten,
der Aufklarungs-Zeit, in die Schule gegangen, glaubt nicht nur zu jener
Frage berechtigt zu sein, sie meint vielmehr, jene Frage stellen zu miissen.
Es ist diese individualistische Auffassung der Bildung (diese schliesst wohl
* Willmann, Didaktik, II., S. 12, unten.
Der deutscbe UnterricU vom Standpunhte der So^ialp'ddagogik. 323
in gewissem Sinne Zucht und Lehre ein), welche die Bildungsstoffe zu
blossen Mitteln herabwertet, indem sie diese Stoffe einzig zur Kraftent-
wickelung im Individuum verwertet, friiher oder spater sie zu Miinzen
schlage, mit denen er personliche Geniisse sich aneigne.
Der ganzen individualistischen Ansicht der Erziehung und Bildung
liegt die Schatzung eines Selbst zu Grunde, die aber nur zu leicht zur
Ueberschatzung anwachst, zur Sucht, die nur fur ein Selbst eine moglichst
grosse Fiille der Behaglichkeit sucht, und den Kraftmenschen gerne als
Uebermenschen verehrt. Diese Ansicht spricht mit Vorliebe von Wissen,
Kenntnissen, vom Konnen, und Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Macht
schweben ihr gar oft als einzige erwiinschte Endziele vor.
Wie ganz anders fasst die Sozialpadagogik das ErziehungsgeschUft
auf! Sie verlegt ihren Standpunkt in die lebendige Gesellschaft, in die
zur natiirlichen Einheit gewordene Vielheit, in einen gewachsenen Ver-
band. Sie sucht dort Einsichten zu gewinnen in die gegebenen Erschei-
nungen, beginnt die Ergebnisse zu sichten und gelangt so zu willkom-
menen Erkenntnissen. Sie erkennt Bindendes und Gebundenes, Ge-
tragenes und Trager, erkennt Schaffende und Geschaffenes, Erhaltenes
und Erhalter, Ueberkommenes und Ererbtes erkennt sie und erkennt
Hiiter, Pfleger und Mehrer. Sie fasst Bindende, Getragene, Geschaffene,
Erhaltene, Ueberkommene und Ererbte zusammen in dem Begriffe ,,Be-
sitztum" oder ,,Gut" und scheidet dann sauberlich nach Wesenheit und
Eigenheit in materielle und zeitige oder ideale Giiter, iiberlasst die materi-
ellen Giiter anderen Gewalten und wendet sich fiirsorgend den idealen zu.
Sie tritt ein fur deren Erhaltung und Wiirdigung und spricht der gehorigen
Uebermittelung derselben das Wort. Sie thut mehr. Sie schafft ganze
Systeme von Veranstaltungen ; zum Umtrieb des geistigen Besitzes; nennt
die Gesamtheit dieser Veranstaltungen Schulwesen und weiter ausgreifend
Bildungswesen, sie betraut ein Heer begeisterter Jiinger mit der hehren
Aufgabe der Uebermittelung und nennt die Gesamtheit der Uebermittler
den Lehrstand. Der Gegenstand ihrer Sorge ist nicht mehr der Einzelne,
sondern die jiingere Generation. ,,sie regelt die Strebungen der jugend-
lichen Natur und fiihrt sie sittlicher Gestaltung entgegen, indem sie dem
Nachwuchse die Grundlagen ihres eigenen geistig-sittlichen Lebensinhaltes
zu eigen giebt."
Was die Individualpadagogik einzig als Mittel auffasst, das wird der
Sozialpadagogik zum Lehrgut, zu einem Gut, das, obgleich immateriell,
doch objektive Existenz besitzt und vermoge innewohnender Kraft als
Gestaltungsprinzip der Uebermittelung wiirdig ist. Die Sozialpadagogik
geht liber das Wissen hinaus. Sie lasst das gemeine Harz des Wissens
tief im Meere der Menschenbrust zum Bernstein der Weisheit werden,
bei ihr verdichten sich Kenntnisse zu Erkenntnissen, und das Konnen
324 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
wird bei ihr zur hehren goldenen Kunst. Lauter Dinge, die mit und durch
die Sprache, dem elementarsten aller idealen Giiter, wachsen und sich ent-
wickeln, die innig verbunden mit dem Seelenleben eines Volkes, uns
sicheren Aufschluss geben konnen iiber seinen Wert, seine Strebungen
un3 Ideale. Die soziale Auffassung der Erziehungs- und Bildungslehre
geht gerne zur Geschichte in die Lehre, um mit ihrer Hilfe die Quellen
ihrer idealen Zufliisse aufzuspiiren, um sie in ihren Laufen und Wirkungen
verfolgen zu konnen, um eben selber sich wieder in den Stand zu setzen, in-
telligent mitzuwirken an der sozialen Erneuerung und der historischen
Kontinuitat des Volkeslebens.
Die Sprache — sie hat sich eben auf einen Augenblick in den Vorder-
grund gedrangt, um gleichsam ihr sofortiges langeres Erscheinen anzu-
melden.
Die Sprache wachst uns zu im ersten Liebesverkehr mit der Mutter
und wird so bezeichnend Muttersprache genannt. Die Rb'mer nannten
ihre ihnen zugewachsene Sprache sermo patrius und zeigten damit an,
dass sie, wie ein vaterlicher Besitz, vererbt werden sollte. Im Einzelnen
weckt sie immer wachsend und erstarkend die Seele und fiihrt ihr Licht
zu, bis diese selbst geniigend gekraftigt hegende Herrscherin wird. Im
Verbande bereitet die Sprache die erwiinschte Angliederung der jungen
Geschlechter an die alteren vor. Sie ist es mit, die die Entwickelung
eines Volkslebens bedingt, die es vom Zustande der Natur zur Zivilisation,
zur Kultur, zur Gesittung und Bildung hinaufheben hilft, und selbst wieder
hinaufgehoben wird. Im Dienste des Gedankens erzieht sie sich zur
Meisterin im Formen. Sie fasst die Perle der Weisheit in den goldenen
Spruch, miinzt die reine Stimmung zum innigen Lied, verwandelt kind-
iches Ahnen in sinnige Marchen, giebt der That den Glanz der Ode, Frei-
heitsdrang wird Freiheitssang, hehres Ringen verwandelt sie zu grossen
Dramen, alles Geschehene unter ihrer Kiinstlerhand wird zur Geschichte.
Die Sprache ist aufs innigste verwachsen mit der Volksseele. Unter
wechselseitiger Einwirkung anf einander, streben sie gewissen Giitern zu
und es entwickelt sich der Volkscharakter. So wuchsen die deutsche
Sprache und die deutsche Volksseele auf und zusammen, und indem sie
gewissen Giitern entgegenstrebten und sich dieselben zu eigen machten,
bildete sich, allmahlich wachsend, der deutsche Volkscharakter.
Dieser deutsche Volkscharakter, wie ihn insbesondere die Unter-
suchung des deutschen Volkstums offenbar macht, ist ein Stuck Natur.
Er steht fur eine ganze Summe glanzender Eigenheiten: fur warme
Empfindung, fur ebenes, ruhiges Temperament, fur tiefe Innerlichkeit,
fur ein gesundes Naturgefiihl und ein edles Gemiit. Er steht fur aus-
dauernde Hingabe, fur Treue, Griindlichkeit und Wahrhaftigkeit. Diese
individuellen Ziige bilden das Fundament fur jene gesellschaftlichen
Der deutscbe Unterricbt wm Standpunkte der So^ialp'ddagogik. 325
Seelenausserungen, die das deutsche Zusammenleben mit einem so unaus-
sprechlichem Reize iiberziehen. Da die deutsche Lebenslust, der Frauen
holde Weiblichkeit, die deutsche Liebe, die deutsche Hauslichkeit, der
deutsche Heimatsinn.
Es ist wahr, all diesen Tugenden stehen auch Schattenseiten gegen-
iiber, und gewohnlich fallen diese anderen Nationen zu allererst in die
Augen und wecken den beissenden Spott. Indes hier sollen nur die
positiven Charakterziige unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.
Sie wuchsen der Seele in ihrem langsamen steten Wachstum zu und an,
halfen mit auf- und ausbauen, verliehen Wert und gaben Richtung und
Festigkeit. Sie sind Giiter geworden, hoheitsvoll und kraftig stehen
sie uns gegeniiber, sie laden um unserer selbst willen ein, zur Ueber-
mittelung, zur Vererbung. Sie weisen auf ihre Geschichte und ihre
Thaten, auf ihre innige Verbindung mit dem Charakter, auf ihre Hiiterin
und Pflegerin, die deutsche Sprache, und auf ihre stummen Fragen ant-
wortet die Sozialpadagogik : Nimm das Erbe deiner Vater, Deutscher,
woimmer du auch bist, und vererbe es bis ins hundertste Geschlecht. Was
immer du sein willst, sei es mit deiner ganzen Seele, in wes Dienste du
dich stellst, sei als Ganzes dienendes Glied!
Die Vererbung aber giebt sich Form in der Erziehung und dem Un-
terricht. Und da des Menschen Art sich wohl am besten auspragt in seiner
Sprache, und da zu gleicher Zeit diese Sprache die Tugenden des Volkes in
sich schliesst, wie eine Schatzkammer, so muss dieser Unterricht eben
deutscher Sprachunterricht sein. Durch den deutschen Unterricht, weil
dieser eben eine bewusste Uebermittelung ist, bleiben die besten Art-
eigentiimlichkeiten erhalten und unseren Nachkommen bleibt ein Verlust
erspart und dem neuen Verband, in dessen sittliche und staatliche Ord-
nung wir die jungen Geschlechter einreihen, fallt ein Gewinn zu. Dieser
Gewinn nimmt zu an Wichtigkeit, wenn man sich daran erinnert, dass die
Sprache zugleich auch ein Schliissel ist zur grossen Schatzkammer der
deutschen Litteratur. Die Dichter sind nach Horaz Lehrer:
,,Sie formen den Mund, den stammelnden, zarten, des Knaben niedri-
ger Rede entfremden sein Ohr sie, bilden das Herz ihm, freundliche
Lehren erteilend, wohlthatige, welche des Sinnes trotzige Rauheit mil-
dern, benehmen den Zorn und die Scheelsucht; edle Thaten berichtet ihr
Lied, dem neuen Geschlechte halt die bewahrten Muster es vor."
Durch die Dichter und ihre Werke, wie die Litteratur sie uns treulich
bewahrt, sind uns geistige Briicken geschlagen, die den Verkehr mit den
Quellgebieten unserer Bildung und Wesenheit ermoglichen und wach-
halten konnen. Die Litteratur gewahrt uns Riickblicke selbst in die
dunkelste Vergangenheit, sie zaubert vor unsere Augen den Boden, auf
dem sie grossgewachsen. Sie lockt den Geist hinaus in die Feme und in
326 Padagogische Monatsbefte.
die Vergangenheit, gewohnt das geistige Auge ans Schauen und Beobach-
ten und pflanzt so den Keim deutscher Griindlichkeit. Sie spinnt tausend
Faden und verbindet das Innere mit der ausseren Natur, erhebt die
aussere Erscheinung zum Symbol und bereichert so die liebliche Sprache
und durchgeistigt die Natur. Da ,,lachelt der See", da ,,schweigt der
Wald", da ,,ruhen die Felder", da ,,heult der Wind" und die Nacht
,,schaut uns mit hundert schwarzen Augen an", die Rose, das Veilchen,
die Lilie, wie mit schonen Seelen belebt sie der Dichter und wie zart ist
ihre Sprache! So macht die deutsche Litteratur empfanglich fur Innig-
keit und Sinnigkeit und schafft sich das deutsche Gemiit. Sie bringt uns
in Verbindung mit dem Fiihlen und Streben der Besten und schiirt das
Mitgefiihl und erregt die Schaffenslust, lenkt Herz und Sinn auf Hohes
und Schones und fiillt die Umgebung mit Idealen und Idealem. Sie
begleitet, sie trostet, sie feuert an, sie lehrt und wehrt; sie macht des Som-
mers Schatten kiihler und angenehmer und des Winters Lampenlicht
behaglich wie die Maienluft; sie macht den Sonntag heiliger, versiisst die
Biirde der Arbeitstage. Zum ganzen Reichtum, zur ganzen Pracht dieser
Litteratur giebt die deutsche Sprache den Schliissel und ermoglicht einen
Einblick in die Tiefe der deutschen Volksseele, weckt die Liebe zum
Stamm, und starkt das Selbstgefiihl. Es ist diese Sprache selbt wieder,
die die Angleichung an das Neue moglich macht, denn wer Wert besitzt,
weiss Wert zu schatzen.
Der deutsche Unterricht muss also Krafterhaltung und Kraftiiber-
mittelung werden. Der deutsche Unterricht muss auf die Pfade hin-
weisen, die durch die Felder der Gesittung, durch den Wald der litterari-
schen Schopfungen nach den Quellen der Werte hinfiihren und muss diese
Pfade gangbar machen. Er muss die Wichtigkeit dieser Werte vor Augen
fiihren, und deren Erhaltung fur mehr als bloss wiinschenswert hinstellen,
so dass dieser Unterricht ein Faktor wird im sozialen Weben und Treiben,
und mit so viel Selbstgefiihl und Hoffnung sollte er jeden erfiillen, dass er
mit dem Sanger Geibel wenigstens mit einem gewissen Masse von Be-
rechtigung ausrufen kann :
"Macht und Freiheit, Recht und Sitte
Klarer Geist und scharfer Hieb
Ziigele aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb.
Und es soil am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen!"
Schulanfang— um neun Uhr, oder um acht Uhr?
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von Pencil Vania.
In den Volksschulen dieses Landes ist der Anfang der taglichen
Unterrichtsstunden auf neun Uhr vormittags festgesetzt. Die Privatschu-
len richten sich in diesem Punkte nach den Volksschulen. So ist es seit
vielen Jahren gewesen, und niemand scheint es anders zu wiinschen. In
Europa beginnt der Vormittagsunterricht um acht Uhr, im Sommer sogar
um sieben. Als nun wahrend der letzten paar Jahre in einigen Grosssta-
dtenDeutschlands undOsterreichs derVersuch gemacht wurde, den Schul-
anfang auf neun Uhr zu verlegen, da erhob sich unter dem Volke, beson-
ders dem arbeitenden, ein wahrer Sturm der Entrustung gegen die wohl-
gemeinte Neuerung. Die Regierungen mussten nachgeben, und die
Sache blieb beim alten.
Die Frage giebt zu denken und wird auch hierzulande fruher oder
spater die Behorden beschaftigen. Es giebt eben auf der Welt zweierlei
Leute. Leute, die schwer um das tagliche Brot arbeiten, und Leute, die
vielleicht auch arbeiten, aber daneben doch das Leben geniessen. Erstere
bilden den Stand der eigentlichen Arbeiter. Manner — und Frauen, die
diesem Stande angehoren, beginnen wahrend der Winterszeit ihre Arbeit
sobald der Tag graut. Um sieben Uhr fruh ertonen da in den Stadten
die Dampfpfeifen und Signalglocken der Fabriken, und in langen Reihen
begeben sich die Arbeiter durch die Fabrikthore nach den Platzen ihres
Tagewerkes. Anders jene, denen das Los besser gefallen ist, die nicht
um die Existenz ringen miissen, die vielmehr schon erwas vor sich gebracht
haben. Diese legen sich nicht nur die Frage vor: Was muss ich heute
arbeiten? sondern auch d i e Frage: Was unternehme ich heute, um mich
gut zu unterhalten? Ihnen ist es noch lange in den Federn wohl, wenn
jene schon die Sehnen spannen und arbeiten. Sie erheben sich im Winter
nicht schon um sechs Uhr, sie stehen erst um halb acht, acht, halb neun
Uhr auf ,recken und strecken sich und kleben noch mit all ihren Gedan-
ken an den Vorgangen des letzten Abends. Sie zehren im Nachgefiihle
noch an den Genussen, die ihnen gestern in der Gesellschaft bis spat nach
Mitternacht zu teil wurden, und freuen sich schon im Vorgefiihl der Dinge,
die heute Abend ihrer harren.
Es ist nun ganz naturlich, dass diese beiden Volksklassen, die in ihrer
Lebensordnung so weit auseinander gehen, hinsichtlich des taglichen
Schulanfanges verschiedene Wiinsche haben. Den Arbeitern ist es darum
zu thun, dass ihre Kinder morgens moglichst fruh von der Schule in Ob-
328 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
hut genommen warden. Denn wenn sie, und mit ihnen ja vielfach auch
ihre Frauen, das Haus verlassen, so sind die Kinder allein. Wer biirgte
ihnen dafur, dass kein Ungliick geschidht? Feuer und Licht und auf-
sichtslose Kinder passen schlecht zusammen. Und warum muss denn
das Feuer brennen und die Lampe das 01 verzehren? Es langen ja die
wenigen Cents, die sich im Laufe des Tages verdienen lassen, so schon
kaum aus, um das Leben halbwegs ertraglich zu gestalten, und da muss
jede Mehrausgabe, die nicht unbedingt notig ist, vermieden werden. Dass
die Kinder mit aus der Wohnung hinausgenommen und stundenlang der
Strasse iiberliefert werden, dagegen straubt sich das menschliche Gefuhl.
In Nebel und Frost die Kleinen stehen zu lassen — es ware grausam.
Und doppelt grausam, weil die Kinder, die hier in Betracht kommen, meist
nur diirftig gekleidet sind und iiberdies vielfach mit nur halbgesattigtem
Magen der rauhen Witterung preisgegeben sein wurden. Und sind sie,
in Wind und Wetter auf eine Stunde hinausgestossen, nicht auch noch
andern Zufalligkeiten ausgesetzt, die wohl nicht ihre leibliche Gesundheit
bedrohen, aber ihre Moral gefahrden? Ohne Beschaftigung in den Gassen
der Grossstadt umherstehen und umherstreichen, das ist fur die empfang-
liche Jugend kein Leben, dass muss wohl so manches Kind auf die schiefe
Ebene der Sittenlosigkeit versetzen. So blickt denn der arme Mann auf
das gewarmte und wohl iiberwachte Schulzimmer als das geeigneteste
Asyl fur seine Kinder, und geht, wenn sich das Schulthor schon bald nach
halb acht Uhr fur dieselben offnet, getroster an seine Tagesarbeit.
Fiir den besser gestellten, sein Leben zwischen Arbeit und Genuss
teilenden Burger und selbstandigen Handwerker liegen die Dinge anders.
Wenn morgens um sieben Uhr die Kinder sich erheben miissen, um
nac'h erfolgter Reinigung und Labung rechtzeitig in der Schule erscheinen
zu konnen, so ist es auch mit der ungestorten Ruhe der Alten vorbei.
Die Mutter kann nicht liegen bleiben; hundert Fragen und Wiinsche
des kleinen Volkes treiben sie aus dem Bette. Und wenn der Alte auch
noch so verdriesslich knurrt, so hilft ihm dies wenig. Er wird von den
Kindern, wenn schon nicht aus dem warmen Neste herausgeschmissen,
so doch dergestalt beunruhigt, dass es mit einer redhten Erholung nach
den Anstrengungen des letzten Abends keine Art mehr hat. Was ist nun
natiirlicher, als dass der Mann iiber den zu fruhen Beginn des Unterrichts
raisonniert und sich jenen anschliesst, die gleich ihm, nach einer verlore-
nen Nachtruhe eine ungestorte Morgenruhe wollen und deshalb fur die
Beibehaltung des Unterrichtanfanges zu spater Vormittagsstunde schwar-
men.
Erziehliche Griinde? Sanitare Griinde? Sie erscheinen nicht. Das
Kind, das um eine Stunde fruher aufsteht, muss sich um eine Stunde frii-
her zu Bette begeben, daher bedeutet der Schulanfang um acht Uhr mit
nichten einen Raub an dem Schlafbedurmis der Kinder. Der Morgen-
Scbulanfang — urn neun Ubr, oder um acbt Ubr. 329
nebel? die Morgenkalte? Diese Dinge sind um halb neun ganz so wie
um halb acht. Das Gaslicht in den Schulen? Nun, schiebt denn eine
schulfrei gewordene Fruhstunde nicht eine Nachmittagsstunde in das
Abenddunkel und in die Gasbeleuchtung hinein? Es geht ein Zug allge-
meiner Entnervung durch unsere Zeit. Das ,,Schwing' mir die Buben und
schwing' sie mir stark!" ist dem ,,Wasch' ihm den Pelz, doch mach' ihn
nicht nass!" auch in der Erziehung gewichen. Damit kommen wir aber
nicht an das rechte Ziel. Denn das Friihaufstehen kann, wenn das Zur-
Ruhegehen rechtzeitig erfolgt, dem Kinde nur niitzen. Wir haben alle
Ursache, der Verweichlichung unserer Zeit entgegen zu arbeiten und un-
sere Kinder nicht angstlich von der frischen Morgenluft abzuschliessen.
Die ganze Frage liegt nun so, dass man, um eine richtige Entschei-
dung zu treffen, ein ernstes Bedurfnis der Arbeiterbevolkerung gegen die
Bequemlichkeit und Genusssucht des besser gestellten Biirgerstandes ab-
wagen muss. Wie Connte da das Urteil auch nur einen Augenblick im
Zweifel stehen! Die Arbeit er mussen im Interesse der leiblichen und
geistigen Wohlfahrt ihrer Kinder auf einem Schulanfang zu friiher Stunde
bestehen, die bessergestelllten Burger brauchen aus keinem einzigen
e r n s t e n Grunde gegen diese Anderung zu stimmen. Ein Weiter-
gehen nach dem alten Brauch ist einfach eine Ungerechtigkeit gegen die
Arbeiterbevolkerung, neues 01 in die Flamme des sozialen Brandes und
tief bedauerlich. Die warnenden Stimmen, welche sich driiben gegen
die Verlegung des Schulanfanges auf eine spatere Stunde erheben, soil-
ten auch bei uns gehort und verstanden werden. Denn was in diesem
Fatle bis jetzt Gesetz und Regel war, bedeutete nichts Anderes als die
Wahrung eines einseitigen Klassen-Interesses, in direktem Gegensatz
zum Interesse der Majoritat des Volkes.
Das und dass.
Eine sprachwissenschaftliche Plauderei.
Von Dr. Ernst Waaaerzieher in Oberhatisen (Rheinland).*
(Aus ,, Deutsche Blatter fur Krziehung ttnd Unterricht.")
Als wir noch auf der Schulbank sassen, wieviel Not machte uns da die Unter-
scheidung jener beiden Worter, das und dass! Sie klangen unserm Ohr ganz gleich,
absolut gleich, und doch verlangte der Lehrer mit unerbittlicher Strenge, die gera-
dezu an Pedanterie grenzte, wir sollten das mit einem s und dass mit 2 s schrei-
ben. Hundertmal hiess es, wenn einer die ominosen Worter verwechselt hatte:
Weisst du denn nicht, dass das Relatir, doss aber Konjunktion ist? Und jeder
wusste die Regel auswendig, dass man das zu schreiben habe, wenn man statt dessen
welches setzen konne. Also: ,,das Kind, das ich kenne," aber ,,er sagte, dass er
ihn kenne." Wer noch in der Sexta die beiden Worter, die doch nichts miteinander
gemein haben, verwechselte, zog sich nicht nur den Tadel des Lehrers, sondern auch
das Mitleid der Genossen zu. Er dokumentierte nicht nur Unfleiss oder Unauf-
merksamkeit — das sind Eigenschaften, die Mitschiiler einander gern verzeihen — son-
dern auch Mangel an Denkvermogen, kurz gesagt: Borniertheit. Und borniert
wollte doch niemand sein, dagegen baumte sich der Stolz jedes nicht ganz gleich-
giiltigen und geistig verkommenen Schulers. Krampfhafte Anstrengungen machten
deshalb auch die unbeholfeneren Geister, dasjenige sich einzupragen, was anderen
leicht fiel: die verschiedene Schreibweise der himmelweit verschiedenen Worter das
und dass.
Allein, was wir in Sexta gelernt, hielt in Sekunda und Prima nicht immer
Stand. Es war uns doch nicht so in Fleisch und Blut ubergegangen, dass es nicht
hie und da vorgekommen ware — namentlich bei den langen und schwierigen Auf-
satzen, wo man auf so vielerlei anderes zu achten hatte — dass einer schrieb: Wir
haben nunmehr bewiesen, das nicht Virgil nach den Kiinstlern der Laokoongruppe,
sondern diese nach jenem gearbeitet haben.
Auch in den Zeitungen, die wir nun anfingen zu lesen, kam haufig die Verwech-
selung vor; man las dariiber hin und machte weiter kein Aufhebens davon.
Leider erhielten wir niemals Aufklarung dariiber, weshalb denn die beiden
Wortchen verschieden geschrieben wtirden, und wie sich denn die Verschiedenheit
in der Schreibweise bei der Gleichheit der Aussprache erklare.
Erst als ich auf der Universitat dem Studium der Germanistik oblag und es
mir vergonnt war, zu den Quellen hinaufzusteigen, aus denen unsere Sprache quillt,
wurde mir manches klar, und auch das Verhaltnis von das und dass.
Wie in der Natur, so ist auch in der Sprache die Mannigfaltigkeit und Ver-
schiedenheit nicht der urspriingliche Zustand, sondern das Ergebnis einer langen
Entwickelung. Aus verhaltnismassig wenigen und einfachen Wurzeln haben sich
die Hunderttausende von Wortern gebildet, aus denen unsere heutige Sprache be-
steht. Unter den ausserlich so verschieden klingenden oder wenigstens verschieden
geschriebenen Gebilden der Sprache verbergen sich oftmals nahe Verwandte oder gar
dieselben Individuen, deren Verkleidung und Vermummung sie als ganzlich verschie-
den erscheinen lasst. So hat es beispielsweise keine Berechtigung, einen orthogra-
*) Vgl. des Verfassers soeben erschienenea Buch ,,Leben und Weben der Spra-
che". Arnsberg, F. W. Becker, 1901. Preis 1,50 M.
<Das und dass. 331
phischen Unterschied zwischen die Haide und der Heide zu machen; beide bedeuten
urspriinglich ganz dasselbe. Heiden hiessen bei den Romern diejenigen, die im ge-
heimen der neuen Religion, dem Christentum, huldigten. In der Stadt durften sie
es nicht wagen, darum verbargen sie sich draussen in Wald, Feld und Heide und
wurden pagani genannt, von pagus. Auch das Franzosische hat diesen Zusammen-
hang bewahrt; pays entspricht dem pagus, paien dem paganus. Durch die Schreib-
weise Haide und Heide wird jener Zusammenhang verdunkelt und das Sprachgefiihl
gestort. Man schreibt daher jetzt nach Duden auch beide Worter mit einem e.
Aehnlich verhalt es sich mit wider und wieder, mit fiillen, voll, Volk, mit Maid
und Magd, Stadt and Statt, erleuchtet und erlaucht und vielen anderen.
Zu diesen Wortern gehort auch das und dass. Sie sind nicht miteinander ver-
wandt, sondern sie sind identisch. Urspriinglich bedeuteten sie genau dasselbe und
wurden auch gleich geschrieben.
Wie ist das aber moglich? fragt vielleicht mancher, der diesen Dingen bisher
noch nicht nachgegangen ist. Dos ist hinweisend und relativ, doss aber Konjunk-
tion. Sie gehoren ganzlich verschiedenen Wortklassen an, haben ganzlich verschie-
dene Funktionen im Satze zu verrichten. Der Heide und die Heide sind wenigstens
beides Substantive; hier scheint der Bedeutungswechsel noch eher moglich; aber der
Uebergang von einer Wortklasse in die andere — gemach! Auch leben, das Zeitwort,
ist in die Klasse der Hauptworter iibergegangen ; ebenso verhalt sichs mit essen und
Essen und anderem. ,,Ich weiss, dass er kommt," hiess urspriinglich: "Ich weiss
das; er kommt." Es bestand also nicht Unterordnung des zweiten Satzes unter
den ersten, sondern Nebenordnung ; keine Abhangigkeit, sondern ein freies Verhalt-
nis. Ueberhaupt bezeichnet die Rede, die sich in Satzgefiigen, Haupt- und Neben-
satzen bewegt, eine hohe und spate Kulturstufe, auf die unsere heutige Sprache we-
sentlich nur in den Biichern gelangt ist; in der Umgangssprache bedienen wir uns,
wie jedermann an sich und anderen beobachten kann, am liebsten der Aneinander-
fiigung von kurzen Hauptsatzen, mit ,,und" oder einer anderen einfachen beiord-
nenden Konjunktion verbunden. Ich weiss das; er kommt — ist ja sachlich genau:
Ich weiss, dass er kommt; nur bezeichnet die zweite Form eine verwickeltere Stufe
der Satzbildung. Ebenso verhalt es sich mit alien ubrigen Fallen; immer lasst sich
doss auf das zuruckzuf iihren ; eine eigentumliche Verschiebung der Satzpause, heute
durch ein Komma angedeutet, hat dem das (dass) einen veranderten Charakter
verliehen. Das hindert aber nicht, dass es dasselbe Wort ist und bleibt, trotz der
verschiedene Schreibweise. ,,Ich wlinsche, doss das Wetter schon bleibt," ent-
spricht urspriinglichem ,,Ich wunsche dos; das Wetter moge schon bleiben."
Natiirlich hat sich auch das Relativ der, die, das erst aus dem Demonstrativ
der, die, das entwickelt; die Orthographic blieb hier dieselbe, vermutlich weil die
Verwandtschaft sichtbarer schien. ,,Der Feind, den wir besiegt haben," ,,die Frau,
die ich gesehen habe," ,,das Kind, das er hatte," lautet in der einfachen, auch heute
in der Sprache des gemeinen Mannes ublichen Rede: ,,der Feind, den haben wir
besiegt," ,,die Frau, die habe ich gesehen," ,,das Kind, das hatte er." Zur Abrun-
dung und Abschliessung des nunmehr abhangigen Relativsatzes tritt das Zeitwort
an das Ende, wie im Lateinischen meist auch irn Hauptsatze ( Verbum finitum ) .
Wem noch andere Beweise zur Stutzung unserer Behauptung notig scheinen,
der sei auf das Englische und Franzosische verwiesen, die dem Gebildeten wenigstens
in den Elementen bekannt zu sein pflegen. Hier haben der, die, das als Relativ und
doss als Konjunktion ein und dieselbe Schreibweise behalten; es heisst: il veut
que je vienne (dass ich komme) und I'enfant que j'ai vu (das ich gesehen habe) ;
he wishes that I go ( dass ich gehe ) ; the child that I saw ( das ich sah ) . Kb'nnen
sich das Franzosische und Englische auch sonst keiner musterhaften Orthographic
riihmen — in diesem Falle stehen sie liber dem Deutschen; den Zopf des doppelten
,,das" kennen sie nicht.
332 P'ddagogische Monatshefte.
Damit sind die Funktionen jener kleinen und doch so wichtigen Worter noch
keineswegs abgeschlossen. Zu dem dreifachen Beruf, als Demonstrativ, Relativ und
Konjunktion zu dienen, tritt noch eine vierte, verhaltnismassig junge. Sie treten
namlich vor das Substantiv und bezeichnen das Geschlecht desselben; sie fiihren
dann den wunderbaren, nichtssagenden Namen ,,Artikel" ; also der K6nig, die Henne,
das Buch; ein mannliches Wesen, ein weibliches, und eine Sache. Manche Spra-
chen, wie das Lateinische, kennen diese Wortklasse tiberhaupt nicht; rex heisst K6-
nig, es heisst auch der KSnig und ein Konig. Auch dem Deutschen war in den
alteren Perioden dieser Gebraueh von ,,der, die, das" fremd. Die Geschichte und
Bedeutung des Artikels zu verfolgen, zu erSrtern, wie bei der Geschlechtsbezeichnung
einerseits wertvolle mythologische Einblicke gewonnen werden, andererseits aber
Logik und Willklir, Grammatik und Sprachgebrauch mit einander gekampft und
das Ergebnis zu Tage gefordert haben, wie es heute vorliegt — das zu erortern wurde
den Gegenstand einer eigenen Untersuchung bilden.
Berichte und Notizen.
I. Ein Riickblick auf den letzten Lehrertag.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.}
Von Dir. Emit Dapprich, Milwaukee, Wis.
Dem regelmassigen Besucher der Lehrertage boten die diesjahrigen Sitzungen
eine angenehme Ueberraschung. Seit Jahren hatten sich nicht so viele der alten
Kampen eingestellt wie diesmal, und da die Furcht vor der Hitze die holde Weib-
lichkeit teilweise vom Kommen abgehalten hatte, so trug die Versammlung, wie
in alten Zeiten, einen ausgesprochen mannlichen Charakter. Der Ortsausschuss
hatte kiihles Wetter bestellt und — was kaum zu erwarten war — auch richtig erhal-
ten. Der Empfang war allerdings ein recht warmer in des Wortes allseitigster Be-
deutung; wahrend der Nacht aber wechselte das Wetter und die Tage der Arbeit
waren (iberraschend milde, fast wie in einem Sommeraufenthalt. Das deutsche Haus
hatte seine gastlichen Thore weit geoffnet und seine Besitzer entwickelten eine so
herzliche Liebenswtirdigkeit, dass sich Herren und Damen bald heimisch fiihlten.
Alle Einrichtungen in bezug auf Arbeit und Vergnttgen waren mit so viel Umsicht
und Geschick getroffen, dass wir nicht umhin konnen, unseren Kollegen Nix, Em-
merich, Scherer und Knodel nochmals von ganzem Herzen zu danken. Da die deut-
sche Lehrerschaft von Indianapolis sich dem Lehrerbund gegenliber seit Jahren
neutral verhalten hatte, so erwartete man wenig und war daher um so angenehmer
von der Behandlung iiberrascht, die uns zu teil wurde. Auch die deutschen Vereine
wetteiferten mit einander, uns das Beste zu bieten, was in ihren Kraften stand, und
wir glauben kaum, dass irgend eine andere Stadt einen Lehrertag schQner gestalten
k8nnte, als es Indianapolis that.
Im Vergleich zur Anzahl der Teilnehmer waren die Versammlungen sehr gut
besucht, und den Vortragen wurde grosses Interesse entgegengebracht. Dass Man-
ner vom Schlage eines Learned, Cutting, Hohlfeld und Karsten mit uns fiir deutsche
Die Jabresversammlung der National Educational Association. 333
Sprache und deutsche Padagogik kampfen, ist fUr unsere Sache von hohem Wert,
und ich wage zu hoffen, dass die stattliche Zahl der Lehrkrafte in den deutschen
Abteilungen der hoheren Schulen dem schonen Beispiel dieser Namen folgen mogen.
Wenn wir auch getrennt marschieren, wir Volksschullehrer auf dem engen Pfad im
Thai, sie, die Professoren, auf der Heerstrasse, die iiber die Berge fiihrt, so sollten
wir doch vereint kampfen; ihnen muss unser Beistand, uns der ihrige lieb und wert
sein. Ist es ihr Ziel, jeden Studenten der Anstalt, an welcher sie wirken, in dem
deutschen Departement zu haben, so ist es das unsrige, jedem amerikanischen Kinde
neben der englischen Sprache den Gebrauch der deutschen zur Verfiigung zu stellen
und so die Schule dieses Landes zu einer mehrsprachigen umzugestalten, wie es die
Zukunft fur die ideale Schule fordert.
Der Anschluss des Lehrerbundes an den deutschen Nationalverband und die Ent-
sendung zweier Delegaten zu ihrer Tagung nach Philadelphia war daher ganz zeit-
gemass. Es ist die Pflicht aller Mitglieder des Lehrerbundes, in ihren Kreisen fiir
den Anschluss aller deutschen Vereine an diesen Bund nach Kraften zu wirken.
Hier gilt das Wort unseres Goethe:
Immer strebe zum Ganzen; und kannst du ein Ganzes nicht werden,
Schliesse als dienendes Glied gern an das Ganze dich an.
II. Die Jahresversammlung der National Educational Association.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von B. A. Abrams, Milwaukee, Wis.
Fortsetzung.
Der Nationale Lehrerbund umfasst fiinfzehn Abteilungen, welche ihre Sitzun-
gen in fast ebenso vielen, oft weit auseinanderliegenden Raumlichkeiten abhalten.
Die Hauptversammlungen fanden in der ,,Light Guard Armory", einem riesigen
Saale mit mangelhaf ter Akustik, statt. Mit den ublichen Begriissungsreden von dem
Gouverneur, dem Staatsschulsuperintendenten und dem Bilrgermeister Detroits, de-
nen im Namen der fremden Teilnehmer Superintendent Boone von Cincinnati dankte,
wurde am Abend des neunten Juli die Jahresversammlung eroffnet.
Bundesprasident Greene wies in seiner Eroffnungsansprache darauf bin, dass
es die Pflicht des Verbandes sei, die offentliche Meinung tiber Erziehungs- und Un-
terrichtsfragen zu beeinflussen und auf die richtige Bahn zu leiten. Ein einmiitiges,
zielbewusstes Zusammenwirken der verschiedenen Abteilungen des Verbandes sei
dringend geboten.
Ihm folgte Bischof Spaulding von Peoria, 111., mit einer prachtigen Ansprache
liber den Fortschritt in der Erziehung. ,,Das Neunzehnte Jahrhundert war das
Jahrhundert des Fortschrittes. Zum Sonnenfluge entfaltete der Menschengeist seine
Schwingen, dem Worte Freiheit verlieh unser Jahrhundert einen tieferen Sinn,
cineu hoheren Gehalt. Mit neuen Welten, unendlich grossen und winzig kleinen,
kam unsere Zeit in verstandnisvolle Beriihrung. Wir haben Hypothesen aufgestellt,
welche den Entwickelungsprozess der Sonne und der Planeten erklaren; den Spuren
des Lebens folgten wir von der Urzelle dureh alle Windungen endloser Abweichun-
gen; den Verlauf der schlimmsten Plagen, sowie die Verhiitungs- und Heilmittel
haben wir entdeckt; die vielen Sprachen und Dialekte der modernen Menschheit mit
334 P'ddagogiscbe Monatshefte.
dem ganzen Reichtum ihres Wortschatzes kb'nnen wir zuriickfiihren auf einige Tau-
sende von Wurzeln; der Werdeprozess und der Entwickelungsgang von Sitten und
Gebrauchen, von Gesetzen und Einrichtungen liegt klar vor den Augen der Kinder
unseres Jahrhunderts.
Einen eingehenden Bericht iiber die Verhandlungen der Jahresversammlung des
Nationalen Lehrerverbandes zu liefern, liegt nicht in meiner Absicht. Hunderte
von Vortragen, Refer aten und Diskussionen zu besprechen, ja nur zu erwahnen, ist
eine Aufgabe, von der ich mich schaudernd abwende, der ich machtlos gegeniiber-
stehe. Aus der Ueberfulle des Gebotenen erlaube ich mir, das ftir mich Interessan-
teste hervorzuheben. In erster Linie gedenke ich hier des Vortrages von Professor
Geo. M. Grant, dem Prasidenten der Queen's Universitat zu Ontario, iiber das Thema
,,Irrtumer in der Erziehung".
Diese Irrtiimer sind nach den Ausfiihrungen des Vortragenden dreifach: Der
erste, dass wir den Lehrerstand hintenansetzen und ihm nicht geniigend Anerken-
nung zollen; der zweite, dass wir der lernenden Jugend die Wege zu sehr ebnen, und
der dritte, dass unsere Lehrer nicht geniigend fur ihren Beruf vorbereitet werden.
,,Die Aufgabe der Schule ist, der Jugend zu lehren, dass die Pflicht jederzeit dem
Vergniigen vorangehe. Wir haben Lehrer, die nicht mehr wissen als Handlungsdie-
ner und Fabrikmlidchen, und einige von unseren Collegeprofessoren konnten nicht
einmal an einem deutschen Gymnasium unterrichten. Wenn der Geist etwas hohe-
res ist, als der Korper, wenn Ideen wertvoller sind als Reichtiimer, wenn Charakter
von grosserer Wichtigkeit ist, als alles andere, dann sollten Unterricht und Erzie-
hung nur den Mannern und Frauen anvertraut werden, welche den hb'chsten Bil-
dungsgrad erreicht haben, und diese Manner und Frauen sollte man ehren und hoch-
halten, wie keine anderen. Welchen schlimmen Fehlschlag haben wir gerade in
diesem Punkte zu verzeichnen ?" Nichts ist dem Redner in Deutschland und Schott-
land mehr aufgefallen, als der Kontrast zwischen unserer Haltung dem Lehrerstande
gegeniiber und der dortigen. Dort fasst man den Beruf ernst auf, dort ehrt man
den Lehrer. Hier wird der Lehrerstand haufig nur als Vorbereitungsstufe fur einen
besser zahlenden und mehr geachteten Beruf angesehen. Wenn Prof. Grant, wie
der geehrte Leser sofort erkennen wird, auch ein wenig stark auftragt, sind seine
Aeusserungen schon deshalb hoch interessant, weil sie in erfrischendem Gegensatze
stehen zu dem Grundton, der aus den meisten Abhandlungen und Vortragen ameri-
kanischer Padagogen hervorklingt : ,,Wir haben die besten Schulen in der Welt."
Ebenso interessant war es, dass den Ausfiihrungen des Redners lebhafter Beifall
gezollt wurde.
Fortsetzung folgt.
HI. Korrespondenzen.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Buffalo.
e£nen flgj. grossten Besttirzung
Selten hat wohl das Schuljahr in unse- und des Entsetzens verwandelnd, dann,
rer Stadt einen so stillen Anfang zu ver- nachdem man die Besinnung wiederer-
zeichnen gehabt, wie den diesjahrigen. langt, die tiefste Trauer in den Men-
Wen hatte auch nicht der entsetzliche schenherzen zuriicklassend. Der prach-
Schlag, der unser geliebtes Land getrof- tige Musiktempel, welcher das Auge der
fen, im Innersten erschiittert ! War er Millionen Besucher der Ausstellung ge-
doch, einem jahen Blitze gleich, aus dem fesselt und entztickt, und aus dessen
heitersten Himmel herniedergefahren, Halle wunderbare Symphonien und ge-
zuerst Wut und Schrecken gebarend, den weihter Orgelton, von Meisterhanden
Ort der lautersten Freude und Begeiste- hervorgezaubert, zum Himmel geklun-
Korresponden^en.
335
gen, war der Schauplatz der ruchloses-
ten That geworden. Die Hoff nungen be-
zuglich des Erf olges der Ausstellung wa-
ren gerade kurz vorher, durch die von
Nah und Fern herbeistromenden Scha-
ren hoch geschwellt, kiihn emporgestie-
gen, um nun bis ins Mark vernichtet
getroff en zu werden. Wohl wird und muss
sich die Ausstellung wieder aufraffen
und versuchen zu glanzen und zu leuch-
ten, wie vor dem verheerenden Strahle,
aber, wie die Blatter der Lilie, vom Wet-
ter gestreift, sich nie mehr wie zuvor er-
heben und duften, trotz aller inneren
Lebenskraft, so wird das mit dem
edelsten Blute bespritzte Blatt in der
Geschichte der Pan-American sich bis
zum Ende fiihlbar machen. Ganz Buf-
falo schien seit dem verhangnisvollen
Tage fur den Genuss eines Besuches des
Ausstellungsplatzes vollkommen un-
empfanglich zu sein, so sehr hatte das
Schauderhafte der Nachricht und die
Sorge um das Leben des Prasidenten die
Gemuter eingenommen. Infolge des in
die eigentliche erste Schulwoche fallen-
den Besuches des Landesherrn war der
Schulanfang um eine Woche verschoben
worden, und als man drei Tage nach (7 em
Attentate auf die Schulgebaude zu-
schritt, da kamen die Kinder ernst, bei-
nahe feierlich daher, und die meisten
vergassen, sich die ersten Tage auf der
Schulbank eingefangenen Vogeln gleich
zu benehmen, wie das sonst wohl nach
den langen Ferien iiblich war. Auch die
Feiertagsverkiindigung anlasslich der
Bestattung des seinen Wunden erlegenen
Prasidenten wurde mit mancher Thrane
im Auge entgegengenommen. Hoffen
wir, dass der grosse nationale Schmerz
einen unverwischbaren Eindruck auf
Jungamerika gemacht hat und dem Auf-
gehen der oft schon in die Kinderherzen
gesaten Samenkornlein des Anarchismus
steuern wird, denn die Geschichte hat
ja stets gelehrt, dass dem Blute der
Martyrer Wunderblumen der Liebe ent-
spriessen. —
Wie in den verflossenen Jahren, so
mangelt es auch in diesem den meisten
Volksschulen an Raum; dagegen werden
die Hochschulen erst anfangs November
vollstandig gefullt werden, da einige
hundert Schiller auf dem Ausstellungs-
platze beschaftigt sind. Die Teilnahme
am deutschen Unterricht in den Hoch-
schulen ist, wie immer, hochst befriedi-
gend, doch hat man in den Volksschulen
bei einer der Bevolkerung entsprechen-
den Zunahme leider auch ab und zu ei-
nen Fall zu berichten, wo das Deutsche
eingegangen. Wessen Schuld das ist, ist
schwer zu sagen; jedenfalls kann den
dem deutschen Elemente abholden engli-
schen Lehrerinnen viel ungunstiger Ein-
fluss zugeschrieben werden.
Das Gesuch der Lehrerinnen um eine
Gehaltszulage von hundert Dollars ist
bewilligt worden, wenn auch nicht in
der gewunschten Weise. Anstatt im
ersten Jahre fiinfzig und in den folgen-
den den vollen Betrag zu erhalten, ha-
ben die Stadtvater nur eine jahrliche
Zulage von zwanzig Dollars bewilligt,
und so wird ihnen denn erst im funften
Jahre die voile Summe zu gute kommen.
Da gute deutsche Theatervorstellun-
gen einen ausgezeichneten Faktor zur
Aufrechterhaltung und Hebung des
Deutschtums bilden, so haben die in
Aussicht gestellten dreissig Vorstellun-
gen reges Interesse und viel Freude
wachgerufen. Herr Eisemann, einer un-
serer besten Darstellungskiinstler, hat
sich redlich bemtiht, eine gute Truppe
von einheimischen und importierten
Schauspielern zusammenzubringen und
man sieht dem Ertiff nungsstiicke : ,,Das
weisse Ross'l" von Kadelburg und
Schonthan mit grosser Spannung entge-
gen. Dieselbe Gesellschaft wird sich
auch in einigen Nachbarstadten horen
lassen. B. R.
Chicago.
In den offentlichen Schulen Chicagos
nehmen etwa 40,000 Kinder am deut-
schen Unterrichte teil. Ebenso viele er-
halten griindlichen Unterricht in der
deutschen Sprache in den katholischen
und protestantischen Kirchenschulen. —
L)ie vier unteren Grade der offentlichen
Schulen erhalten nun freie Schulbucher
trotz des Protestes der deutschen Ka-
tholiken. Die Gerichte werden sich nun
mit dieser Frage zu beschaftigen haben.
Bei der Eroffnung der Schulen im
September stellte es sich heraus, dass
der Schulrat im Juni fur die Hochschu-
len 28 Lehrer zu viel fur dieses Jahr er-
nannt hatte. Dik betreffenden Lehrer
miissen sich jetzt mit einer Stelle in der
Elementarschule begniigen oder der
Schule Valet sagen. —
Am 20. September hielten die deut-
schen Lehrkrafte unter dem Vorsitze
des Herrn Dr. Zimmermann ihre erste
diesjahrige Versammlung in der Dewey-
Schule ab. Frl. Ottilie Nielsen zeigte
mit einer Klasse des achten Grades, dass
sich bei gewissenhafter, fleissiger Arbeit
recht anerkennenswerte Resultate in
der Grammatik erzielen lassen. Herr
Dr. Zimmermann legte einen von ihm
ausgearbeiteten Kursus flir den Unter-
richt im Deutschen vor, den sich nun
die deutschen Lehrer zum Wegweiser
dienen lassen mttssen; jedoch sollen die
individuellen Anlagen des Lehrers keine
allzu grosse Einschrankung erfahren. —
336
PMagogische Monatsbeftt.
Die Agitation gegen den deutachen
Unterricht in den offentlichen Schulen
halt an. Schulrat Losch, welcher auf
Beseitigung des deutschen Unterrichts
hinarbeitet, meint, die erzielten prakti-
schen Resultate rechtfertigen nicht die
jahrliche Ausgabe von mehr als $150,-
000. Der Bund deutscher Biirger, der
Verband deutscher Vereine und einzel-
stehende Vereine treten filr Beibehal-
tung resp. Verbesserung des deutschen
Unterrichts ein. Dass die Lehrer sich
bei dieser Sachlage nicht sehr wohl fiih-
len, liegt auf der Hand.
E. A. Z.
New York.
Am 9. Sept. wurde New Yorks Schul-
maschinerie wieder in Bewegung gesetzt.
Da zeigte sich aufs neue, dass die Welt
stadt am Hudson bei weitem nicht ge-
nug Raumlichkeiten hat, um ihre Schul-
jugend entsprechend zu hausen. Hunderte
von Kindern wurden abgewiesen und so-
zusagen aufs Strassenpflaster geworfen,
Tausende konnen nur halbtagigen Unter-
richt geniessen. Es wurden zwar einige
Schulhauser im Verlauf des Jahres neu-
gebaut, andere vergrossert. Was ist dies
aber im Verhaltnis zum jahrlichen Zu-
wachs der Riesenstadt ! Seit Jahren
schon hat man in dieser Richtung gesiin-
digt. Diesmal scneint aber das Uebel
grosser zu sein, als selbst die dunkelse-
hendsten Pessimisten ahnten. Doch
trifft den Schulrat keine Schuld. Die-
ser verlangte immer und immer wieder
die notigen Summen, um der wachsen-
den Gefahr wirksam entgegenzuarbeiten.
Aber der ,,Board of Estimate", der
Mayor, der Comptroller, der Biirgeraus-
schussobmann u. s. w., der allein iiber
die stadtischen Geldmittel zu verfiigen
hat, verweigerte fortwahrend ganz oder
teilweise die verlangten Gelder. Jetzt
ist die Kalamitat so gross, dass es voile
20,000,000 Dollars bedarf, um die noti-
gen Raumlichkeiten zu beschaffen! Ob
die nachsten Novemberwahlen die Lage
andern werden?
Unsere erste Herbstversammlung der
Lehrer von New York und Umgegend
wird nachsten Samstag, den 5. Oktober,
stattfinden. Giebt es ja doch ,,nach der
Vakanz und ihren unendlichen Freuden"
so vieles zu erzahlen und auszutauschen.
Mehrere unserer Mitglieder waren wah-
rend des Sommers in der alten Heimat,
andere verbrachten kiihle Tage und ,,bal-
samische Nachte" in den Bergen, wieder
andere verjiingten sich in den salzigen
Badern des Ozeans; andere blieben bei
,,Muttern" und gaben Privatunterricht,
und wieder andere erholten sich in
schriftstellerischer Thatigkeit.
A* J. ix.
IV. Umschau.
Amerika-
Chicago. Supt. E. G. Cooley scheint
mit energischer Hand an eine Reforma-
tion der Chicagoer Schulen zu gehen und
findet, was besonders bemerkenswert ist,
in der Ausftihrung seiner Reformplane
die voile Unterstiitzung des Schulrates.
Wahrend wir bereits in der vorigen
Nummer berichteten, dass seine Wieder-
wahl vor Ablauf seines Amtstermines
stattfand, um ihn von lastigen Einfliis-
sen bei der Anstellung von Lehrern zu
befreien, ist nun auch den Distriktkomi-
tees jede Einmischung untersagt, und
neue Vorschriften legen die Anstellung
von Lehrkraften in die Hande des Su-
perintendenten und seiner Assistenten.
Ein neues System fiir die Priifung von
Lehramtskandidaten ist eingefuhrt wor-
den, und die Mitglieder der Priifungs-
kommission werden von dem Superinten-
denten ernannt. Von alien Spezialleh-
rern, auch denen der deutschen Sprache,
wird eine padagogische Vorbildung ver-
langt. Die Normalschule wird erweitert
werden, um alien diese Vorbildung zu
gewahren; vorlaufig ist eine Abteilung
fiir Handfertigkeitslehrer geschaffen
worden. Ein Experiment mit der Ein-
fuhrung freier Schulbucher soil in den
ersten vier Graden gemacht werden, und
die Mittel sind dafiir ausgeworfen wor-
den. Es wird aber erwartet, dass ka-
tholischerseits Einspruch gegen diese
Neuerung erhoben werden wird. (Vergl.
Korr. aus Chicago.)
Gegen Steilschrift. Wie vorauszusehen
war, macht sich nach der Stromung zu
gunsten der Steilschrift, die deren Ein-
fiihrung fast in alien Schulen des Lan-
des zur Folge hatte, eine GegenstrSmung
bemerkbar, die zur Schragschrift wieder
zuriickkehren will. Cincinnati ist ge-
genwartig daran, diesen Wechsel vorzu-
nehmen, und nur die Lauheit der Schul-
ratsmitglieder, die die Sitzungen nicht
regelmassig besuchen, hat in der letzten
Versammlung die Annahme von neuen
Schreibbiichern verhindert. Es ist nam-
lich fiir Annahme von Lehrbiichern ein
diesbeziiglicher Beschluss von drei Vier-
tel aller Mitglieder notig; so viel schei-
Umscbau.
337
nen aber nicht anweaend gewesen zu
sein. Die Steilschrift wurde bereits vor
den Ferien durch einen Schulratsbe-
schluss abgethan.
Philadelphia. Den Lehrern der offent-
lichen Schulen Philadelphias ist anem-
pfohlen worden, ihre Klassen ein- oder
zweimal wahrend des Schuljahres nach
dem Fairmount Park und nach dem zoo-
logischen Garten zu nehmen, und zwar
werden diese Ausfliige den regelmassigen
Schulstunden zugezab.lt werden. Proba-
tum est!
Milwaukee. Folgenden Bericht finden
wir im ,,New York School Journal", den
wir hier im Wortlaunt wiedergeben:
The Milwaukee school board has
done a wise thing in admitting to the
high school curriculum courses in Ger-
man, not conversational but designed
to prepare pupils for the requirements
of the state university. The new clas-
ses will not supplant the conversa-
tional classes that have been estab-
lished for upwards of twenty years in
Milwaukee. The university authorities
at Madison have long complained that
students prepared in conversational
methods do not come up to the uni-
versity ready to do the work in mod-
ern languages. It must be admitted
that for the average scholar it is more
important to know the principles and
the grammar of the German language
and to be able to read it, even tho
painfully and with a great deal of
help from the dictionary, than it is to
be able to chat pleasantly in stock
phrases about the weather.
Welches tiefe padagogische Urteil iiber
den Wert des Sprachunterrichts offen-
bart sich nicht in diesen Worten ! f
Deutschland.
Schulen fuer Schicachsinnige. Seit
dem Ende der siebziger Jahre ist in dem
Volksschulorganismus zu Berlin zuerst
vereinzelt, dann in immer rascherer
Folge eine neue Art von Schulen ent--
standen — Schulen fiir Schwachsinnige
leichtern Grades, fur geistig geschwach-
te Kinder, bei denen ein ein- oder mehr-
jahriger Besuch einer Normalschule ge-
zeigt hat, dass hier auf einen auch nur
einigermassen ausreichenden Unter-
richtserfolg nicht zu rechnen ist. Mit
Riicksichtnahme auf die Gefiihle der
Eltern hat man diese Schulen meist als
Hilfsschulen fur Schwachbefahigte be-
zeichnet. Sie bestanden 1880 in 5, 1885
in 10, 1890 in 22, 1895 in 37, 1898 in
52 deutschen Stadten. Ostern 1898 wur-
de im Anschluss an eine von Freunden
und Vertretern der Hilfsschulen in Han-
nover abgehaltene Versammlung ein Ver-
band der Hilfsachulen Deutschlands ge-
bildet. Als Ziele setzte sich dieser ne-
ben Erforschung des Wesens des kindli-
chen Schwachsinns, seiner Aeusserungen
und der bestmSglichen Erziehungs- und
Unterrichtsweise der damit behafteten
Kinder die Herbeifuhrung einer gebiih-
renden Riicksichtnahme auf den
Schwachsinn im Justiz- und Militarwe-
sen und eine moglichst weite Verbrei-
tung der Hilfsschulen. Seit 1898, also
in nur 3 Jahren, ist die Zahl der deut-
schen Stadte mit Hilfsschulen um iiber
30 gewachsen, so dass letztere jetzt im
Norden und Westen Deutschlands fast
in der Half£e aller grosseren Stadte vor-
handen sind. Daneben hat in vielen
schon langer bestehenden Hilfsschulen
eine starke Vermehrung der Klassen
stattgefunden. Es ist das nicht zum we-
nigsten auf die Thatigkeit des Hilfs-
schulverbandes zuriickzufuhren, der nach
Kraf ten die Kenntnis von dem Wesen und
Nutzen der Hilfsschulen zu verbreiten
suchte und auch vielerorts dem lebhaf-
testen Interesse fiir eine geeignete Ver-
sorgung der Schwachen am Geist begeg-
nete. Die bereits langer bestehenden
Hilfsschulen haben bewiesen, dass sie
den in sie gesetzten Erwartungen zu ge-
niigen vermogen, da sie 75 — 95 Prozent
ihrer Zoglinge vollig oder doch anna-
hernd zu wenn auch bescheidenem selb-
standigen Broterwerb im spatern Leben
befahigt entlassen konnten.
In Saeckingen, der alten Waldstadt,
in welcher Viktor v. Scheffel gelebt hat,
ist unter sinnigen und eindrucksvollen
Feierlichkeiten ein prachtiges Denkmal
enthullt worden, welches dem Dichter
dea ,,Trompeter von Sackingen" gewid-
met ist. Das Denkmal, welches durch
den Bildhauer Menges in Miinchen aus-
gefiihrt wurde, besteht aus einem vier
Meter hohen Sockel mit dem Brustbild
Scheffels aus Bronze; vor dem Sockel
steht der Trompeter in Lebensgrosse.
Seminarlehrer Joh. Boehm, der Her-
ausgeber der Schulpraxis, ist im Al-
ter von 64 Jahren gestorben. Er war
nicht nur in seinem Heimatlande, son-
dern in ganz Deutschland hochgeachtet.
Seine Geschichte der Padagogik ist ein
sehr gutes Werk. Wahrend einiger
Jahre war er Mitglied der bayerischen
Abgeordnetenkammer und gehorte dort
der freisinnigen Partei an.
Die Pausen an den hoeheren Schulen
Preussens. Der preussische Kultusmi-
nister hat mit Berufung auf einen Er-
lass des Kaisers folgendes verfiigt: 1.
Die Gesamtdauer der Pausen jedes
Schultages ist in der Weise festzusetzen,
dass auf jede Lehrstunde zehn Minuten
Pause gerechnet werden. 2. Nach jeder
338
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Lehrstunde muss eine Pause eintreten.
3. Es bleibt den Anstaltsleitern iiberlas-
sen, die nach 1 zur Verfiigung stehende
Zeit auf die einzelnen Pausen nach ih-
rem Ermessen zu verteilen. Jedoch fin-
den dabei zwei Einschrankungen statt:
a) Die Zeitdauer jeder Pause ist min-
destens so zu bemessen, dass eine aus-
giebige Lufterneuerung in den Klassen-
zimmern eintreten kann und die Schiller
die Moglichkeit haben, sich im Freien zu
bewegen; b) nach zwei Lehrstunden hat
jedesmal eine grossere Pause einzutre-
ten.
Sonderbaren paedagogischen Grund-
saetzen muss das Lehrerkollegium des
katholischen Lehrerseminars zu Meers-
burg huldigen. Direktor und Lehrer
dieser Anstalt erklaren, dass sie schon
manche Zoglinge, ja solche der hochsten
Klasse, geohrfeigt haben, und dass sie
ohne ein so entehrendes Disziplinarmit-
tel nicht auskommen kb'nnten. Wen soil
man da nun mehr bedauern, die Schil-
ler, die solcher Behandlung unterworfen
sind, oder die Lehrer, deren Takt und
padagogische Einsicht auf so niederer
Stuf e steht ? Die Entriistung iibrigens in-
nerhalb der pildagogischen Presse sowohl
als auch der Tagespresse ist allgemein
und hat schon zu Beleidigungsklagen ge-
f iihrt, die gegenwartig vor den Gerlchten
ausgefochten werden.
Ein westpreussischer Lehrer erlaubte
sich an das Generalkommando die Fra-
ge, wann die Lehrer dieses Jahr die mi-
litarische Uebung zu leisten hatten und
ob eine Versetzung Studien halber mog-
lich ware. Die Antwort ist: 24 Stun-
den Arrest wegen Umgehung des Dienst-
weges, abzusitzen im Spritzenhaus des
Dorfes. Alle Reklamation war umsonst.
Ja die Autoritat!
Frankreich.
In Frankreich tragt man sich mit ei-
ner wunderlichen Reform des Unter-
richts im erst en Schuljahre. Der neue
Direktor des Elementarunterrichts,
Bayet, will die Fibel, das A-B-C-Buch,
vollig aus dem Unterricht der Kleinen
entfernen und durch ein Bilderbuch er-
setzen. Diese neuen Fibeln sollen nur
Zeichnungen enthalten, deren Entwurf
den ersten franzb'sischen Kilnstlern an-
vertraut werden soil. Der Unterrichts-
minister Leygues ist, wie berichtet wird,
fiir diese moderne Reform sehr einge-
nommen und will einen Appell an die
Maler erlassen, Beitrage zu solchen Btt-
chern zu liefern und die Wande der
Scnulraume mit dekorativen Entwiirfen
zu schmilcken. Bayet setzt das Ziel, das
er verfolgt, in folgender Weise ausein-
ander: ,,Das Kind findet in dem Augen-
blick, wo es in die Schule eintritt, also
im Alter von sechs Jahren, grosses Ver-
gnilgen daran, Bilder zu betrachten und
andererseits Darstellungen eines ver-
trauten Gegenstandes zu zeichnen, frei-
lich in kindlicher Weise derartige Zeich-
nungen anzufertigen. Allein wenn das
Kind sich Bilder anzusehen liebt, so ver-
steht es doch nicht. sie zu betrachten,
es betrachtet sie schlecht. Es blattert
im Bilderbuche und halt sich niemals
dabei auf, aufmerksam und eine gewisse
Zeit lang ein bestimmtes Bild genau an-
zusehen. Auch Erwachsene betrachten
in derselben oberflachlichen Weise. Das
erste Schulbuch soil ein Bilderbuch sein,
in dem es keine Buchstaben giebt, son-
dern in dem sehr einfache Geschichten
in drei oder vier Szenen erziih.lt wiirden,
so dass die Aufgabe des Kindes darin
bestande, diese Szenen in miindlicher Er-
zahlung wiederzugeben, nachdem es sie
betrachtet und genau angesehen hatte.
Dies Verfahren wiirde den doppelten
Vorteil haben, die Kinder zu zwingen,
Bilder zu analysieren und sich fiber das
Geschaute auszusprechen. Es ware dies
die erste Uebung im Erzahlen, und man
weiss, wie schwer es in der Schule ist,
die Kinder zur rechten Zeit zum Spre-
chen zu bringen. Ich glaube daher, dass
es aus vielen Griinden sehr niitzlich wa-
re, Bilderbucher zu haben, die unter Lei-
tung des Lehrers die Schiller zum ge-
nauen Sehen zwingen und die Kleinen
machtig anregen wiirden, zu erzahlen,
was sie vor Augen haben. Damit ware
auch ein Stoff zu Mai- und Zeicheniibun-
gen gegeben, die in der ersten Schulzeit
recht fleissig zu betreiben sind."
,,Die armen Kinder sollen wieder ein-
mal laufen, ehe sie gehen gelernt haben!
Und — die alte Lehre! — die am we-
nigsten Erfahrungen auf einem bestimm-
ten Arbeitsgebiet gemacht haben, sind
am reichsten an geistreichen Einfallen.
Arme Kinder, die all diesen Einfallen als
Versuchsobjekte dienen miissen! Und
wahrend ail dieser Reformereien schrei-
en die franzosischen Lehrer dringend
nach Brot." So urteilt die ,,Frankfur-
ter Schulzeitung".
England.
England. Auf dem Philologenkongress
in Bradford wurde mit Bedauern betont,
dass die uebertriebene Hervorhebung des
Wertes rein sportlicher Erfolge bereits
ernste Folgen in England zeitige. Der
,,Daily Telegraph" fiihrt hierzu weiter
aus: In der Betonung des Wertes phy-
sischer Ausbildung sei man unter Ver-
nachliissigung der Geistesbildung zu weit
gegangen. Der volkstumliche Held sei
der Athlet, ein Held nicht nur in den
Vermischtes.
339
Augen der Mitschtiler und Eltern, son-
dern auch in denen der Lehrer. Man
habe bittere Erfahrungen tiber die Ir-
rigkeit solcher Anschauungen machen
miissen; nicht einmal ini Kriege komme
es so sehr auf korperliche Leistungen
und gedankenloses Wagen und Draufge-
hen, als vielmehr darauf an, zu wissen,
wann und wie man wagen mtisse. Wei-
ter zieht die Zeitung gegen die Beherr-
schung des ganzen sozialen Lebens durch
athletische Vergniigungen mit ihrem Zu-
behor von Wetten zu Felde. England sei
ein gewaltiger Spielplatz geworden und
seine Stellung unter den Nationen leide
darunter; die technische Erziehung sei
niedriger als bei den Konkurrenten ; die
kommerzielle Arbeit beginne zu weichen
und zwar nur infolge des Mangels an
Spezialkenntnissen. Das ganze Erzie-
hungs- und Unterrichtssystem bilde ein
Chaos. Kurzum, die ganze Frage schnei-
de tief in die Zukunft des Landes und
der angelsachsischen Rasse ein.
Mexiko.
Die deutsche Kolonie zu Mexiko griin-
dete im Jahre 1894 eine eigene Schule,
um ihren Kindern eine Ausbildung nach
dem Muster der deutschen Schulen zu
sichern. Aus kleinen Anfangen und un-
ter mancherlei Schwierigkeiten hat sich
die Anstalt in der verhaltnismassig kur-
zen Zeit ihres Bestehens weiter ent-
wickelt, so dass sie nunmehr ein wohl-
organisiertes Schulsystem bildet, wel-
ches drei Elementarklassen, sowie eine
Realschule im deutschen Sinne bis zu
Obertertia fur Knaben und Madchen und
eine besondere Madchenklasse umfasst.
In Sexta und Quinta ist der Unterricht
fur Knaben und Madchen gemeinsam, in
den oberen Klassen dagegen geteilt. Der
Lehrplan ist den Lehrplanen in deut-
schen Schulen angepasst, natiirlich mit
den Aenderungen, welche die besonderen
Verhaltnisse Mexikos erfordern. Die Un-
terrichtssprache ist die deutsche. An der
Spitze der Anstalt steht seit dem Juli
vorigen Jahres Professor August Heck,
der vorher 11 Jahre an der Realschule
zu Karlsruhe (Baden) thatig war; der
Vorsitzende der Schulkommission ist
Baron von Heyking, deutscher Gesandter
und bevollmachtigter Minister. Die
Schiilerzahl betrug am Ende des letzten
Schuljahres 128.
V. Vermischtes
Ein autobiographisches Urteil ueber
,,Robinson". Professor G. F. Schuma-
cher, vormaliger Rektor der Domschule
zu Schleswig, Ritter vom Dannebrog,
giebt uns in seinem heute noch lesens-
werten, aber wohl vergriffenen Werke:
Genrebilder aus dem Leben eines siebzig-
jahrigen Schulmannes, eras ten und hu-
moristischen Inhalts ; oder : Beitrage zur
Geschichte der Sitten und des Geistes
seiner Zeit" (Schieswig, 1841) eine in-
teressante Darstellung von den Eindriik-
ken, welche die Lektiire des ,,alteren Ro-
binsons" auf ihn, den neunjahrigen Kna-
ben, ausiibten. ,,Mein Leben floss triibe
dahin. besonders im Winter, wo ich sel-
ten hinaus durfte. Viel und oft horte
ich den Vorwurf, dass ich wohl verzehre
und koste im hauslichen Kreise, aber
nichts erwerbe. Es schmerzte mich, aber
wie sollte ich erwerben? Ich wusste es
nicht anzufangen. Dies alles wandte
meine Gedanken und Gefiihle von der
Aussenwelt ab. In mir selbst fand ich
noch nicht Stoff genug zum Ersatz durch
Gedanken oder Selbstarbeit ; so lebte ich
in der Phantasie, und ein Buch, welches
mich ganz der Gegenwart entfremdete,
das war mein Himmel. Einer meiner
Kameraden aus der Abendschule zeigte
mir einst ein Buch, was ihm gehorte. Es
war ein in braunes Leder gebundenes
Exemplar des alten Robinson, ( nach wel-
chem Campe den seinigen nachher gear-
beitet) er lieh ihn mir, und nie erinnere
ich eines solchen Seelengenusses, als der
war, mit dem ich, in einem stillen Win-
kel gekauert, mit Robinson und seiner
Insel lebte. Die Form des Buches ist die
langweiligste ; die einzelnen Vorfalle im
Stil eines Tagebuches erzahlt; die Zahl
der Schlage seiner Axt, um ein Boot zu
machen, die Zahl der gefundenen Au-
stern der Inhalt ganzer Seiten ; aber wie
genugend fiir mich! Ich war dadurch
der herben Wirklichkeit entrilckt, ich
lebte mit ihm in Gedanken, empfand alle
Schauer und Angst bei Erscheinung der
Wilden, alle Freude bei seiner endlichen
llettung, bei der nur die einzige schmerz-
liche Seite ftir mich war, dass das Buch
hier endigte. Von nun an aber spielte
das Buch eine grosse Rolle in meinem
innern Leben; ein Reich der Phantasie
war mit ihm aufgegangen, und was mir
wichtig war, die Gewohnheit einer sol-
chen Gedankenabsonderung und die nie
wieder erloschene Liebe zu einer Lektttre
ahnlicher Art. Ich litt spater jeden
Winter an wunden Ftissen durch Frost,
340
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
und konnte dann gar nicht hinaua. Mir
ward die Zeit lang, denn alle Umgebun-
gen waren traurig. Ich verging fast in
unbesiimmter Sehnsucht. Da flel mir
mein Robinson ein. Ich bat meine Mut-
ter, hinschicken zu diirfen, um ihn von
neuem zu leihen. Wie aber mein See-
lenzustand war in der Zwischenzeit, ehe
ich wusste, ob er kommen werde, meine
Angst, er moge ausgeliehen sein, und wie
mir zu Mute ward, als ich den Abge-
schickten aus dem Fenster erblickte, mit
einem braunen Buch unter dem Arm!
Das kann belachen, wer dergleichen
nicht zu verstehen weiss, aber nachem-
pfinden kann es mir keiner. Ich fiihle
mich glucklich, zufrieden, selig im Be-
sitz des Buches; alles Widrige der Ge-
genwart verschwand dagegen; ich nahm
es, und suchte einen Lesewinkel. Ich
habe Gourmands gekannt, die den teu-
ren Leckerbissen langsam, langsam, ge-
nossen, um lange zu geniessen, und sich
des kostlichen Geschmacks recht be-
wusst zu bleiben; so ging es mir. Ich
las mit Fleiss, langsam, legte oft auf
Minuten das Buch weg, um langer gut
davon zu haben, und freute mich meiner
wunden und oft sehr schmerzenden
Fiisse, weil ich ihnen diesen Genuss ver-
dankte.
Diese Art, ein Buch zu geniessen,
mich ganz der Einbildungskraft fur die
fremden Szenen hinzugeben, die Gegen-
wart zu vergessen, in der Abbsonderung
von alien Aeussern meine Freude zu fin-
den, ist mir fiir das ganze Leben ge-
blieben; und ich glaube, hier liegt der
Grund."
Sehr schoen werden die kindlichen
Pflichten im ,,Sching Yu", einem ge-
reimten chinesischen Jugendbuche, zur
Darstellung gebracht:
,,Das Kind bedarf der Eltern zarter Sor-
gen
bis angstvoll sie 3 Jahre es ernahrt.
Des Vaters wachsam Aug', der Mutter
Liebe
sie stehen selbst dem hohen Himmel
gleich.
Nahrhaft sei drum die Kost, mit der der
Sohn
fUr seine Eltern sorgt. Vor Winters
Kalte
beschiitz' er ihren schwachen Leib mit
Seide.
In ihrem Alter wachse seine Pflege.
Beim Gehen stutze ihren Schritt sein
Arm.
Beim Sitzen wart' er ihnen sorgsam auf;
Bequemlichkeit ftir sie sei seine Sorge,
und jeden Wunsch erf till' er ihnen gern.
Wenn Schmerz und Krankheit ihre
Krafte schwachen,
erwache seine ganze Sorg' und Liebe:
er suche schnell Arznei, die jenen heil-
sam,
und hole des geschickten Arztes Hilfe.
Und wenn zuletzt des Scheidens Stunde
kommt,
bereite Sarg und Grabtuch er mit Sorg-
falt.
Ja, lebenslang mit Opfer und Gebet
Gedenk' er seiner Eltern ehrfurchts-
voll!"
Fuer Freunde der EinsamJceit! Die
kleine vulkanische Insel Tristan da
Cunha, zwischen Siidafrika und Stidame-
rika, mitten im Atlantischen Ozean ge-
legen, geho'rt zu den einsamsten Punk-
ten der Erde. Im Mai vergangenen Jah-
res war es Kapitan Otto, Fuhrer des
Schiffes R. C. Rickmers, auf der Fahrt
von New York nach Hongkong mb'glich,
mit den wenigen Bewohnern des Felsen-
eilandes in Verbindung zu treten. In
den ,,Annalen der Hydrographie" be-
richtet er, dass, als sein Schiff 4 See-
meilen von der Insel entfernt war, ein
mit 9 Personen besetztes Walboot langs-
seit kam und Fleisch, Milch, Eier zum
Tausch gegen Mehl, Reis, Taback etc.
anbot. Auch alte Kleidungsstiicke wur-
den mit Dank angenommen. Die Insas-
sen des Bootes waren gesund aussehen-
de, kraftige Leute und beim Handel sehr
bescheiden. Nach Aussage derselben le-
ben auf der Insel gegenwartig 63 Perso-
nen. Sie besitzen 5 — 600 Stuck Rind-
vieh, sowie zahlreiche Schafe. Jedes Jahr
einmal kommt ein englisches Kriegs-
schiff, um die Post zu bringen und mit-
zunehmen, auch etwaige Auswanderer
abzuholen. Die Ernte war 1900 schlecht
ausgefallen, da schwere Sturme dem
Wachstum hinderlich gewesen waren.
Fleisch, Gemiise, Eier, Butter, Milch,
Kartoffeln sind auf der Insel im Ueber-
fluss vorhanden; es fehlt aber oft an
Mehl, Thee, Kaffee, auch an Taback, ob-
gleich nur 5 Raucher auf der Insel le-
ben. Schiffe laufen Tristan da Cunha
nur ganz vereinzelt an, seitdem der Wai-
fang in diesem Meeresstriche ausseror-
dentlich zurlickgegangen ist. Die Leute
erzahlten, dass in der letzten Zeit hau-
fig Dampfer vorbeigekommen seien, die
aber nicht anhielten. Kapitan Ottover-
mutet, es seien Transportschiffe der eng-
lischen Regierung gewesen, welche Vieh
von den argentinischen Hafen nach Kap-
stadt brachten. Nachdem die Insulaner
etwa 45 Minuten an Bord gewesen wa-
ren, wurde Abschied genommen, und die
Besucher schieden, anscheinend sehr zu-
frieden mit dem gemachten Tauschhan-
del. Tristan da Cunha, nach ihrem por-
tugiesischen Entdecker (1506) benannt,
hat einen Flacheninhalt von 164 Qua-
dratkilometern, und sein erloschener
Vermischtes.
341
Vulkan erreicht eine Hohe von 200 Me-
tern.
Denkmaeler oder Volksbibliothekent
Der allbekannte osterreichische Vplks-
dichter P. K. Rosegger schreibt: ,,Die
Denkmaler erstehen, die poetischen
Schopfungen verstauben. Als ob die
Dichter geboren wtirden und ihre Werke
schrieben, damit einmal eine Denksaule,
eine Figur ihren Namen triige! Die
Hoffnung, der Stolz, das Leben und die
Unsterblichkeit einea Dichters besteht
aber darin — gelesen zu werden, mit
seinen Schopfungen im Volke zu wirken,
so lange es mOglich. Ich weiss Denkma-
ler, die viele Tausende von Gulden ko-
sten, die mit grosster Miihe zusammen-
gebettelt werden. Bei der glanzenden
Enthiillungsfeier sind sogar aus den
Werken des betreffenden Dichters Aus-
sprtiche zitiert worden — im iibrigen
aber? Keiner kauft das Buch, keiner
liest es. Wenn das grosse Kapital, das
fur ein Dichterdenkmal aufgebracht
worden, zinsbar angelegt wiirde, und aus
demselben jahrlich Hunderte von Exem-
plaren der Werke des Dichters ange-
schafFt und in der unbemittelten, aber
lesefrohen und empfanglichen Bevolke-
rung filr Volksbibliotheken richtig ver-
teilt werden mochte — es ware unver-
gleichlich zweckmassiger, es ware ein
wahrhaft lebendiges, unvergiingliches
Denkmal!"
(Deutsche Blatter fur Erz. u. Unt.)
Die boesen Fremdwoerter.
Dozemol, wie mer im preissische Staat
hot
,,Franco" noch gesaat un noch ,,Billet"
gesaat hot,
Wu mer noch sei Brief ,,recommandirt"
hot,
Und der ,,Conducteur" ahm ins ,,Coup€"
gefihrt hot:
Koom vo Atzelgift e Bauer her
Uff de Post: ,,Ob nit e Brief do war?"
„ ,,Poste restante ?" " f roogt do der Mann
am Schalter.
,,Gott bewohr! Katholisch, Herr Ver-
walter!"
Bonn. J. E. W.
Einige neckiscke Fremdwoerter-Ver-
deutschungen. Souffleur = Kastengeist,
Plagiarius = Schriftstehler, medizini-
sehes Rezept = Himmelfahrtkarte, Kor-
set = Busenfreund, Manuskripfe=Korb-
blflte, Prinzipal=Uebermensclu
Recht schreibung der Eigennamen im
Rhevnland. Merkwtirdig! die Name von
all meine Kinner fangen mit S an: des
Schorschche (George), des Schanche
(Jean), des Scharlche (Charles), des
Schanettche (Jeanette) und des Schar-
lottche (Charlotte). No des Klah (Klei-
ne), des Zofiche (Sophie), sell fangtmit
erne Z an!"
Humor. Lehrer: ,,Womit bestrafte
Gott die Menschen beim Turmbau zu
Babel?" Schtiler: ,,Mit der Sprachlehre
( Sprachverwirrung) ."
Eine ergoetzliche Examengeschichte
berichtet ein deutsches Schulblatt:
Die Religionsprtifung an der Volks-
schule in Y war vor versammelter Orts-
schulbehorde gut vonstatten gegangen.
Nun sollten die weltlichen Facher vor-
genommen werden. Da tritt plStzlich
das jungste Mitglied des Gemeinderates,
Herr X, ehemaliger Abiturient einer Pri-
vatrealschule, Leibdragoner a. D. und
Landwirt vor die Klasse: ,,Kinner!"
sagt er, ,,kennt dir ah dess Gedicht von
der Bergschaft?" ,,Ja!" war die Ant-
wort. ,,Sou", wendet er sich an den
Lehrer, jetzt weg a mol, Hr. Lehrer, los-
sese grad a mol miech mache!" Darauf
verlasst der Lehrer das Schulzimmer, um
Streit vor seinem Wegzuge zu vermei-
den. ,,Kinner", fahrt X fort, ,,basst a
mol recht uff, mir wella jetzundet die
Bergschaft vornemma, jedes vunich sagt
sei Versch un nord erkiara mars. Allo
Jakoble, fang a mol a: Zu Dionis dem
Dirannen schlich." S'Jakoble lasst also
los, wird aber gleich mit der Frage un-
terbrochen: ,,Halt! Wisst dir a, was an
Dirann is?" S'Friederle streckt den Fin-
ger: ,,An Tyrann ist ein First!" ,,Jo,"
meint Hr. X, ,,sell scho, awer doch nett
so recht." S'Michele behauptet, ein Ty-
rann sei einer, wo die Leut misshandelt;
auch diese Antwort bef riedigt den Kate-
cheten nicht. Schliesslich giebt er die
Antwort selbst: ,,Ein Dirann isch ei-
ner, wu da Leit nett giebt, was se wel-
la!" etc. Str. 8. ,,Kinner! wer is denn
der Zais!" S'Babettel ruft: ,,Des ist
der Hebe Hergott." X: ,,Oho! Oho!
sell net grad. Wer weiss es? Adam,
was meinst du?" Sch. "Es ist einer
von den lieben GSttern." X: ,,So dess
iseh besser! Weil ders awer nett recht
wisst, will iechs euch saga. Die Alten
hawa viel liebe Herrgotter khatt, un
der Zais isch einer von denna lieba Herr-
gott." Str. 10. X: ,,Wisst'r a, was a
Morder isch? Mir wella a mol seha.
Isch M5ros a MSrder, weil'r den wtischta
Dirann hot umbringe wella?" Fritzel:
,,Ja!" X: ,,Ha, nett so ganz! Warum
isch'r kai MSrder?" Aadres: ,,Weil er
den Tyrann hat totstechen wollen." X:
,,Jo, jo, des isch recht, — sell kennt als
nix schada."
Bucherbesprechungen.
Wm. Addison Hervey, Supplementary
Exercises to Thomas's Practical German
Grammar (based in part on the reading
lessons and colloquies). VI + 124 pp.
New York (Henry Holt & Co.), 1901.
Bei der stetig wachsenden Beliebtheit,
deren sich Prof. Thomas' Grammatik
verdientermassen erfreut, hat sich das
Bediirfnis nach einem Buche wie dem
hier vorge/eigten schon lange herausge-
stellt; es bildet also eine sehr willkom-
mene Erganzung zur Grammatik. Da-
neben besitzt es aber auch selbstandigen
Wert und miisste sich nach Durchnahme
des ersten Teiles der Grammatik, also
vielleicht im zweiten Jahre des deut-
schen Lehrgangs, zur Wiederholung vor-
trefflich eignen, liesse sich auch neben
einer andern Grammatik mit Vorteil
verwenden.
Die Anlage des Werkchens war durch
die der Grammatik schon vorgezeichnet,
und diese hat sich gut bewahrt; wtin-
schenswert ware etwa ein friiheres Ein-
gehen auf Verb und Wortstellung gewe-
sen. Auch sonst besitzt Herrn Herveys
Biichlein dieselben Vorziige wie die
Uebungen in Thomas' Grammatik: die
Satze sind frisch und lebendig geschrie-
ben, keine ermiidenden grammatischen
Praparate. Den Zwischengesprachen
und Briefen, die zum Teil die Uebungs-
stiicke in der Grammatik weiterfiihren
und erganzen, muss man nachriihmen,
dass sie anschaulich erdacht und mit
viel Geschick und Takt ausgefuhrt sind;
ausgezeichnet sind 27a, 30b, 31b und 33b;
ungewohnlich padagogisches Talent ver-
raten die beiden letzteren, in denen je-
weils nur eine Person spricht, aber so,
dass der Schiller mit Lust und Liebe den
Gedanken aufnehmen und ein Zwiege-
sprach daraus machen wird. Schade,
dass die ersten Uebungen statt der Ein-
zelsatze nicht auch Gesprachscharakter
tragen. Wo, wie in 40a, mehrere klei-
nere Dialoge in einem Paragraphen ver-
einigt sind, ware der Uebersichtlichkeit
halber eine ausserliche Kennzeichnung
durch Zerlegen in kleinere Abschnitte
oder wenigstens Einfiigung von Gedan-
kenstrichen angebracht.
Bei diesen entschiedenen Vorziigen ist
es um so bedauerlicher, dass die Uebun-
gen nicht zur genauen Priifung auf idi-
omatischen Ausdruck einem gebildeten
Deutschen vorgelegt wurden; wenigstens
safft das Vorwort nichts davon, und der
Mangel macht sich auch uberall fiihlbar.
Eine Anzahl von teilweise recht erheb-
lichen Fehlern sind auf diese Weise ste-
hen geblieben. Unrichtige Uebersetzung
des Englischen bieten 12d Anm. 12 (sage
,,Freihandel" statt ,,Handelsf reiheit" ) ,
18cl (sage ,,schmalen" statt ,,engen"),
21cl2 (sage ,,urteilen" statt ,,richten";
im Worterbuch sind ebenso die Artikel
richten und judge zu bessern), 37cl5,
Anm. 17 (sage ,,vollauf" statt ,,voll-
ends"), 40alO, Anm. 14 (sage ,,Brot"
statt ,,Butterbrod" ; eine kurze Anmer-
kung iiber den wirtschaftlichen Grund
der verschiedenen Ausdrucksweise im
Deutschen und Englischen ware wohl am
Platze; der Artikel Butterbrot im Wor-
terbuch ware demgemass zu streichen),
ebenda Anm. 17 (sage ,,zu Tode langwei-
len" statt ,,tot qualen"). Undeutsch
sind 10e5 (sage ,,Vaterlandslied" oder
,,vaterlandisehes Volkslied" statt
,,Volkslied des Vaterlandes" ) , 17c8 (sa-
ge ,,Griinde zur Angst" statt ,,der
Angst"), 22b2, Anm. 3 (sage ,,zu Turn-
iibungen" statt ,,zur Turniibung" ) , 22c
13, Anm. 9 (sage ,,eine durchschnittliche
Breite von" statt ,,eine B. im Durch-
schnitt von"), 29bll (sage ,,unverbesser-
lich" statt ,,nicht zu verbessern"), 31b8,
Anm. 13 (sage ,,man" statt ,,irgend je-
mand"), 33b8, Anm. 10 (sage ,,deklamiere
gern" statt ,,habe das Deklamieren
gern"). Ganz undeutsch steht ,,doch"
statt ,,jedoch, aber, aber doch" in 16cl,
19f5, Anm. 6, 20dl4, Anm. 15, 21c4; um-
gekehrt sollte ,,doch" statt ,,ja" in 28c5,
Anm. 11 stehen; ebenda ist auch Perfekt
statt Prateritum zu setzen. Storend wir-
ken iibrigens auch die vielen vorgesetz-
ten Genitive (z. B. 7cll, 7e4, 8e3, 13c7) ;
ich vermisse eine deutliche Angabe, dass
diese Fiigung im Deutschen mehr
der gehobenen Sprache vorbehalten ist;
das Gleiche ware auch zum e-Dativ
(statt endungslosem) nach vorausgehen-
der genitivischer Bestimmung zu sagen,
wie in 9c4. — Falsch ist der Plural
,,Kindchen" (statt ,,Kinderchen" ) in 6e
10,11; der Akkusativ (statt Dativ) in
34c5, Anm. 3; das Reflexiv fiir is build-
ing in 39clO, Anm. 7 (,,Von Perlen baut
sich eine Briicke" ist dichterische Verle-
bendigung). Falsch ist ferner die Stel-
lung des Objekts in 8elO, 12e7, 14c9
(ausser wenn dies letzte Beispiel als un-
mittelbare Fortsetzung von 8 zu fassen
ist) ; in all diesen Fallen sollte der Ak-
kusativ am Ende stehen. Die falsche
Stellung in 39b3, Anm. 6, (,,blieb noch
ilbrig" statt ,,noch iibrig blieb", oder
besser: ,,sei") geht auf ein Versehen zu-
riick. — An Kleinigkeiten bemerke ich:
In 6clO sage ,,in dem Hauschen auf dem
Hugel" statt ,,im H.", vgl. Grammatik
232,2; 17fl, Anm. 2, im Deutschen bes-
Bucberbesprecbungen .
343
ser kein Artikel; 37blO, Anm. 16, wa-
rum nicht ,,mtissen"? Unverstandlich 1st
mir 17c6; es soil statt ,,Wichtiges" wohl
,,Ungewohnliches" oder ,,Ausserordentli-
ches" heissen. — Beizufiigen ware in 13d4
zu Anm. 9 "do not use preposition but
definite article"; 21dl3 eine Anmerkung,
dass with hier mit ,,bei" wiederzugeben
1st; 35b4, Anm. 12 "at the end, or
omit" ; Anm. 14 : "or iibernacht" ; zu 39c
18 ware zu bemerken, dass "dark" hier
nicht mit ,,dunkel" ubersetzt werden
darf, da der Unterschied nicht im Wor-
terbuch gekennzeichnet ist. — Druckfeh-
ler oder Versehen ist 20e4 ,,heiterer"
statt ,,heit(e)rerer". In 19clO streiche
das Komma; in 21e6 setze Komma statt
Semikolon. — Fur einen argen padago-
gischen Missgriff halte ich 21c7 ,,die am
meisten interessante (statt ,,die interes-
santeste") Sehenswurdigkeit", was ne-
ben dem Hinweis auf Grammatik 295
gar nicht einmal richtig ist ; ahnlich 39b
15, Anm. 21, wo es in Uebereinstimmung
mit heutigem Sprachgebrauch ,,gehalten
worden sein sollen" heissen muss.
Trotz der hier geriigten Fehler, die ja
neben der Fiille des Guten verhaltnis-
massig zurucktreten und sich bei einer
Neuauflage leicht beseitigen lassen, ist
das Werkchen eine sehr erfreuliche Lei-
stung, der von Herzen der beste Erfolg
zu wiinschen ist.
— r.
Goethe's Poems. Selected and edited
with introduction and notes. By Julius
Goebel, Professor of Germanic Philology
and Literature in Stanford University.
New York. Henry Holt & Co. 1901.
Mr. Goebel has compressed within the
very convenient limits of 244 8vo pages,
of which 95 are occupied by copious and
scholarly, yet not in the least pedantic
notes, and an index of first lines, an ex-
tremely satisfactory and suggestive se-
lection of poems by Goethe. The book
which is intended to serve as an intro-
duction to the study of Goethe addresses
itself to the classroom as well as the
serious student of one of the great poets
of the world. The editor groups the
poems under the following heads: I
Leipzig, II Sesenheim, III Sturm und
Drang, IV Rom, V Lieder und Balladen,
VI Westostlicher Divan, VII Alter (con-
taining a number of Spriiche).
It will be seen from this list — as is
stated explicitly in the preface — that
the editor has principally been guided by
the historical method, each group, ex-
cept part of the fifth, and the seventh,
both of which have of necessity been
made somewhat more elastic than the
rest, representing in chronological order
important phases in Goethe's develop-
ment as a poet and man, as the thinker
and spiritual liberator, the apostle of
the new humanism. Mr. Goebel's aim
is to reveal to the student who is sup-
posed to approach this book with a
knowledge of the principal facts of Goe-
the's life, the deep, expansive, never
inert, sincere soul of the poet, partly by
his excellent commentaries in the sum-
maries preceding the several groups and
contained in the notes, partly by con-
stantly referring the student to the
writings of Goethe himself, following the
principle that the key for the meaning
of every writer ought to be sought pri-
marily in his own writings. From a
careful examination of the book the re-
viewer is confident in his belief that a
thorough study of it will result not only
in the acquisition of a considerable num-
ber of essential and well correlated facts
of biography, history of manners and
intellect, and esthetics, but, what is
more important, in fashioning the mind
and emotional nature of the student for
the reception and absorption of the
humanism and culture that Goethe has
taught the world. —
The introduction, which covers ten
pages, being a verse, forceful and enthu-
siastic presentation of the main forces
at work in Goethe's mind, is a typical
work of the German scholar full of his
subject. The student who cannot find
the "Open Sesame" to Goethe's treasure
house, in this introduction, and whose
soul is not kindled with the desire to
dwell with the immortal spirit lingering
there, will look in vain for inspiration
any where.
Sudermann's "Johannes." Edited
with an introduction and notes by F. G.
G. Schmidt, Ph.D., Professor of Mod-
ern Languages, State University of Ore-
gon. Boston. D. C. Heath & Co.
Mr. Schmidt's edition of Sudermann's
Johannes, which has appeared in
Heath's Modern Language Series, is a
commendable piece of work. The intro-
duction, which is essentially biograph-
ical, is succinct and to the point. It
seems to the reviewer that the discus-
sion of the drama from the technical as
well as the historical standpoint — with
special reference to the many recent
dramas based on biblical subjects, par-
ticularly Ibsen's Emperor and Galilean
might have been somewhat extended.
The notes are clear and to the point,
without being burdened with too much
historical detail. The book will satisfy
tne requirements of the class room in
an excellent manner.
Martin Schutze.
The University of Chicago.
344
P'ddagogische Monatsbtftc.
Der Leipziger Schulbilderverlag von F.
E. Wachsmuth, Leipzig in Deutschland,
Kreuzstrasse 3, hat den ,,Padagogischen
Monatsheften" eine Auslese von grossen
farbigen Wandbildern gesandt.. Darun-
ter sind fiinf kulturgeschichtliche Bil-
der: Aegptischer Tempel, Innerea eines
rOmischen Hauses, Rb'misches Kriegsla-
ger, Im Klosterhofe (10. Jahrhundert ) ,
Bauern und Landsknechte ( 16. Jahrhun-
dert) ; zwei zoologische Bilder: Lama
und Walross; ein geographisches Cha-
rakterbild: Benares (eine indische
Stadt) ; eine technologische Tafel (Hoch-
ofen) ; eine anatomische Tafel: Auge,
Ohr, Nerven und Haut; und zwei Ergan-
zungstafeln zum physiologisch-anatomi*
schen Unterricht: Die erste Hilfelei-
stung bei Ungliicksfallen, und Die kiinst-
liche Atmung. Neben diesen Bildern
kulturgeschichtlichen, zoologischen, geo-
graphischen, technologischen und anato-
niischen Inhalts erscheinen in dem
Wachsmuthschen Verlage noch Bilder
mit Reproduktionen beriihmter Meister-
werke zur Pflege des asthetischen Sin-
nes, zoatomische Wandtafeln, Wandta-
f eln zur mathematischen Geographic, Ta-
feln mit Volkertypen, und solche mit den
Menschenrassen, ferner Bilder litterari-
sehen Inhalts, z. B. : Der Glockenguss
(zu Schillers ,,Lied von der Glocke").
Die Bilder, von hervorragenden Schul-
mannern herausgegeben, sind von nam-
haften Kttnstlern gezeichnet, und der
farbige Druck ist von deutscher Giite.
Sie sind durehschnittlich 88x66 Centime-
ter (34x26 Zoll) e;ross, kosten von 25
Cents bis zu einem Dollar das Stuck,
und sind schulfertig zum Aufhangen zu
kaufen. Auf dem ganzen europSischen
Kontinent, nach Sudamerika und ande-
ren Landern finden die Wachsmuthschen
Bilder reissenden Absatz, der nordameri'
kanische Lehrer allein ist bis jetzt ohne
solch packende Anschauungsmittel fertig
geworden. Unter den Bildern befinden
sich viele, die sich zur Belebung des
deutschen Unterrichts an alien unseren
Sehulen, von der Volksschule bis zur
Universitat ganz besonders eignen. Die
Verlagshandlung sendet auf Wunsch ei-
nen ausfiihrlichen Katalog postfrei und
umsonst. Paul Qerisch.
Allerlei. Gesammelt und umgearbei-
tet von Agnes Fahsel. Am. Book Co.
Das Werkchen enthalt eine grosse
Reihe unserer.beliebtesten deutschen Er-
zahlungen und Fabeln fiir Kinder, wel-
che mit Sorgfalt ausgewahlt und bear-
beitet sind, so dass sie als Material zur
Bereicherung des Lesestoffes (supple-
mentary reading) im Klassenzimmer mit
Freuden werden begriisst werden. Das
Buchlein ist fiir die Mittelgrade der
Volksschule bestimmt. Druck und Aus-
stattung sind geschmackvoll. Das Werk-
chen ist hoehst empfehlenswert.
M. Q.
Das soeben ausgegebene September-
Doppelheft der bekannten Mflnchner
Zeitschrift ,,Die Gesellschaft" (Heraus-
geber Dr. Arthur Seidl, Miinchen — ^Ver-
lag von E. Pierson, Dresden) wird da-
durch besonders wertvoll, dass darin der
Miinchner Professor der Forstzoologie,
Dr. August Pauly mit VerSffentlichung
von allgemeimnenschlichen, die verschie-
densten Gebiete aus WIssenschaft, Lit-
teratur, Kunst und Leben bertthrenden
,,Aphorismen" beginnt. ,,Wilhelm Raa-
be" begrtisst zur Jubelfeier sein Bio-
graph Prof. Paul Gerber. Aktuelle Ar-
tikel zur Zeitgeschichte bringen weiter-
hin Polytropos: ,,China!" und Paul
Dehn: ,,Kommende HandelspolitiK .
Mit Julius Harts ,,Neuem Gott" setzt
sich Dr. Mathieu Schwann einlUsslich
auseinander; von Darmstadt sprechen
nochmals Dr. M. G. Conrad: ,,In
Schonheit leben!" und Eberhard Bueh*
net: ,,Die D. Sprele", und fiber ,,25
Jahre Bayrenth — 24 Stunden Mun-
chen" verbreitet sich der Herausgeber.
Endlich referieren: Lehrer H. Junge
tiber ,,Schulrat Dr. Kerschensteiner und
seinen Lehrplan fiir Miinchens Volks-
schulen", sowie Helene Bonfort iiber
,,neuere Frauen-Litteratur". (Zu bezie-
hen durch die Buchhandlung Paul Wen-
zel, New fork.}
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang II. November 1901. Heft 10
An die deutschamerikanische Lehrerschaft!
Vor zwei Jahren betraute die in Cleveland tagende Jahresversamm-
lung des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes einen Aus-
schuss mit der Aufgabe, ein Bundesorgan ins Leben zu rufen, welches
an Stelle der eingegangenen ,,Erziehungsblatter" die Interessen der
deutschamerikanischen Lehrerschaft in wirksamer Weise vertreten und
an der Verwirklichung der Ziele, die der Lehrerbund sich gesteckt hat,
nach Kraften mithelfen solle. Die Griindung der ,,Padagogischen Mo-
natshefte", herausgegeben von der Herold-Gesellschaft in Milwaukee,
Wis., war die Frucht der Thatigkeit des Lehrerbundausschusses. Seit
einem Jahre wirkt unsere padagogische Monatsschrift in einer Weise,
welche die allgemeinste Anerkennung verdient. Redaktion und Heraus-
geber thaten das Moglichste, um eine Fachschrift zu schaffen, welche dem
Lehrerbund zur Ehre gereicht, welche hinsichtlich der Ausstattung und
des reichen, gediegenen Inhaltes der besten ihrer Art wiirdig sich er-
weist. Verleger und Redakteur haben ihre Schuldigkeit gethan ; aber
die deutschamerikanische Lehrerschaft muss sich den Vorwurf gefallen
lassen, dass sie ihre Pflicht nicht erfiillt hat. Nur ein winziger Bruchteil
der Tausende von deutschen Lehrern und Lehrern des Deutschen steht
auf der Abonnentenliste der ,,P'ddagogischen Monatshefte'1 ; die Ein-
kiinfte bleiben um eine bedeutende Summe hinter den Ausgaben zuruck,
und die Moglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass die Herausgeber die
Zeitschrift eingehen lassen mussen, wenn seitens der Lehrer nichts ge-
schieht, um Einnahmen und Ausgaben in ein richtiges Verhaltnis zu
bringen.
Teilen Sie unsere Ansicht, dass es eine Ehrenpflicht der Lehrer die-
ses Bundes ist, das Blatt zu erhalten und ihm zur Blute zu verhelfen ?
346 P'ddagogische Monatsheftt.
Sind Sie gleich den Unterzeichneten der Ansicht, dass die deutsch-
amerikanische Lehrerschaft eines tiichtigen unabhangigen Organs bedarf
zur Wahrung ihrer geistigen und materiellen Interessen, zur Verbreitung
gesunder padagogischer Ideen und Methoden, als geistiges Band zur
Sammlung und Vereinigung der Beruf sgenossen ?
Teilen Sie unsere Ansicht, dass das Eingehen der Monatshefte als
Folge unserer Gleichgiltigkeit einen Schatten werfen wurde auf unsere
Standesehre ?
Wenn Sie vorstehende Fragen, wie wir hoffen, bej abend beantwor-
ten miissen, richten wir das dringende Ersuchen an Sie, zahlender Leser
der ,,P'ddagogischen Monatshefte" zu werden, wenn Sie es noch nicht
sind, und auch unter Ihren Kollegen behufs Erweiterung des Leserkrei-
ses unseres Organs wirken zu wollen.
Wir hoffen, dass wir nicht vergebens Ihre Mithilfe anrufen und dass
unser langjahriges Wirken in dem Beruf e, dem wir angehoren, uns vor
jeder Missdeutung der Motive, den en unsere Bitte entspringt, schiitzen
wird.
Mit kollegialischem Grusse,
B. A. Abrams, Asst. Supt., Milwaukee, Wis. Starr Willard Cutting,
Unv. of Chicago, Chicago, 111. Emil Dapprich, Milwaukee,
Wis. R. W. Deering, Western Reserve Unv., Cleveland O. H. M. Fer-
ren, High School, Allegheny, Pa. H. H. Pick, Principal Public Schools,
Cincinnati, O. Ewald Fliigel, Stanford University, Cal. Hans Froli-
cher, Woman's College, Baltimore, Md. Louis Hahn, Public Schools,
Cincinnati, O. W. N. Hailmann, Supt. of Public Schools, Dayton, O.
Carl Herzog, High School, New York. A. R. Hohlfeld, Vanderbilt Unv.,
Nashville, Tenn. C. Fr. Kayser, De Witt Clinton High School, New
York. Camilla von Klenze, Unv. of Chicago, Chicago, 111. Emil Kramer,
Public Schools, Cincinnati, O. Joseph Krug, High School, Cleveland,
O. Paul E. Kunzer, New England College of Languages, Boston, Mass.
M. D. Learned, Unv. of Pennsylvania, Philadelphia, Pa. Gottlieb Miil-
ler, Public Schools, Cincinnati, O. Robert Nice, Asst. Supt., Indianapo-
lis, Ind. John Schwaab, School Board, Cincinnati, O. C. 0. Schonrich,
Public Schools, Baltimore, Md. Gustave L. Spillmann, Central Normal
College, Danville, Ind. Leo Stern, High School, Milwaukee, Wis. Rudolf
Tombo, Columbia Unv., New York. W. H. Weick, Public Schools, Cin-
cinnati, 0. Carlo, Wenckebach, Wellesley College, Wellesley, Mass.
Charles Bundy Wilson, State University, Iowa City, la. H. Woldmann,
Asst. Supt., Cleveland, 0. G. A. Zimmermann, Asst. Supt., Chicago, 111.
Emil A. Zutz, Public Schools, Chicago, 111.
Vorstehendes Rundschreiben wurde uns vor Jahresfrist von Freun-
den der P. M. zu Agitationszwecken iibergeben. Wo sich uns Gelegen-
heit bot, machten wir im Laufe des Jahres von demselben Gebrauch ; lei-
der aber konnen wir uns auch jetzt noch nicht, am Schluss des zweiten
Jahrganges unseres Blattes, dieses Agitationsmittels begeben. Der Le-
serkreis hat sich nur ganz unwesentlich erweitert, und immer noch steht
die Existenz des Blattes in Frage.
Deutsche Gescbicbte in der deutscbamerikaniscben Scbule. 347
So sehr wir die Gleichgiltigkeit der deutschamerikanischen Lehrer-
schaft — sie ist der schlimmste Feind unserer und auch ihrer Sache —
beklagen, erkennen wir doch hinwiederum dankbar das Wohlwollen an,
mit welchem uns von vielen und den verschiedensten Seiten begegnet
wurde, und dieses lasst uns immer noch hoffnungsvoll in die Zukunft
blicken. An sie, die uns freundlich gesinnten Leser, wenden wir uns mit
der Bitte, uns in unserer Agitation fur Verbreitung der P. M. zu unter-
stiitzen. Fur sie haben wir obiges Schreiben veroffentlicht, um ihnen
«in Hilfsmittel an die Hand zu geben, auf die Gleichgiltigen und solche,
denen das Bestehen des Blattes nicht bekannt ist, einzuwirken.
Gelingt es jedem Leser, uns nur einen neuen Leser zuzufuhren, dann
ist uns geholfen.
Ist der Kampf gegen die Gleichgiltigkeit gewonnen, dann beginnen
wir jeden anderen Kampf mit Freuden. Ein frischer und frohlicher
sachlicher Kampf soil uns immer auf dem Plane finden ; und wenn nicht
als Sieger, so sollen wir doch stets mit gescharften Waffen aus demselben
"hervorgehen.
Ein Bestellzettel liegt diesem Hefte bei. Mochte er von vielen ge-
braucht werden.
Deutsche Qeschichte in der deutschamerikanischen
Schule.
(FUr die Padagogischen Monatshefte.)
Von Constantin Grebner, Cincinnati, O.
Das Lehren ist eine wundervolle Sache und Lehrer sein des Schwei-
sses wert. Es giebt aber auch unter den Lehrern Naturen, die so unend-
lich viel mit sich zu thun haben, dass fur sie die Aussenwelt nur noch in
zweiter Linie in Betracht kommt. Wahrend sie gewissenhaft ihre Be-
rufspflichten erfiillen, gleicht ihr Inneres einem dunklen, verschlossenen
Schacht, in den sie hinabsteigen, um beim bleichen Schein der Gruben-
lampe angstlich zu hammern und zu klopfen und kargen Reichtum zu
f ordern. Andere wieder zeichnen mit zitternder Hand Sterne in das iiber
ihnen schwebende Wolkendunkel in der meist fruchtlosen Hoffnung, die-
selben wiirden sich entziinden und ihnen die ersehnte Helle zustrahlen.
Bald aber suchen sie, dazu gedrangt, nicht nur in sich selbst und nicht
am Himmel zu lesen, sondern auch in den Menschen, in deren Gegen-
wart und Vergangenheit.
348 P'ddagogtsche Monatshefte.
Jetzt haben sie Formeln gefunden fur ihr Thun. Das Leben, jener
Prozess, in dem jeder Mensch sich allmahlich fiir die Allgemeinheit ab-
wirtschaftet — es ist es, von dem sie das Beste kennen und sich erhalten
wollen.
Gar mancher Weg bietet sich ihnen. Sie studieren ihre grossen
Meister, die alten wie die neuen. Sie reiten emsig manches miide Ross,
das unter ihnen, oft auch mit ihnen, zusammenbricht. Schon wollen sie
sich verdriesslich, nicht selten verzweifelnd in die Toga der reinen, un-
verfalschten Berufspflicht hiillen und alles von sich fernhalten, was diese
nicht erheischt.
Doch siehe da! Wieder tritt das Leben an sie heran mit der Mah-
nung : ,,Mich musst du erforschen, meine Tiefen musst du dir selbst und
deinen Schiilern erschliessen durch meine Geschichte! Nicht nachdem
du dich, wie du wohl einmal dir einbilden magst, sattsam mit dem Stu-
dium der Natur, der Psychologic, der Padagogik beschaftigt hast und
etwa beim letztgenannten zu jenem modernen padagogischen Nihilismus
gelangt bist, dem Komenius, Pestalozzi, Diesterweg und Frobel nur Ru-
inen aus einer weit hinter uns liegenden Epoche sind — nicht dann erst
sollst du Trost und Anregung in mir suchen undjfinden, nein! vor jenen,
mit jenen sollst du den Schatz heben, der allein wahre Erquickung, stolze
Freude, reine Hoffnung bietet."
Denn, was ist Geschichte ? ,,Es ist nicht mehr die Zusammenstellung
von Begebenheiten, nicht eine Reihe von Biographien, aber auch nicht
eine einseitige Hervorhebung sogenannter Kulturerrungenschaften. Es
ist vielmehr ein Spiegelbild des Lebens, das durch den Odem der Mensch-
heit zieht; alles, was das Leben erfiillt, gehort zur Geschichte: Huma-
nitat, Kultur, Kunst, Poesie, Erziehung, Religion, alle charakteristischen
Momente und Ergebnisse der Gegenwart sowohl wie der Vergangenheit.
Und in diesem Sinne verlangt man heute von dem Geschichtsschreiber
und Geschichtslehrer vor allem die Kunst des Auffassens, klare Ver-
standlichkeit, reiches Gefiihl, standhafte Begeisterung."
Es ist Heine, dem ich diese Definition entlehne.
Aber Heine war ja kein Historiker, sondern ein Dichter!
In jedem Dichter steckt etwas vom Geschichtsschreiber, und jeder
Geschichtsschreiber, der nicht ein blosser Annalist ist, hat eine poetische
Ader. Schiller, Scott, Treitschke, Freytag, Dahn, Mommsen sind Dich-
ter gewesen, ehe sie Historiker wurden. Gerade sie sind es, die Laube
,,Historische Sonntagskinder" genannt hat, ,,die am schnellsten das eine
und einzige der Gestalten auffinden, wodurch sie sich von alien andern
unterscheiden." Das Leben aber, das wir erforschen wollen, ist weiter
nichts als die Gesamtheit aller dieser Gestalten und ihres Schaffens, als
die Gesamtheit der Ergebnisse dieses Schaffens und Wirkens.
Was meint Diesterweg, den zu beseitigen denn doch nicht gelungen
Deutsche Gescbicbte in der deutscbamerikaniscben Scbule. 349
ist, anderes mit seinem Ausspruche: ,,Wir wurden es als die Aufgabe
der Geschichte bezeichnen, die bisherige Entfaltung des Menschengeistes
im Verfolgen seiner Arbeit, Ideen zu verwirklichen, zur Anschauung und
zum Verstandnis zu bringen als das gottlichste Schauspiel, das der Herr
des Himmels und der Erde geschaffen." Und Diesterweg war gewiss
kein Verachter anderer Wissenschaften. —
Dass der Geschichtsunterricht in den Schulen unseres Landes lange
ein rechtes Stiefkind war und es an vielen Orten noch ist, das ist man-
niglich bekannt. Erst seit dem Erscheinen des vielbesprochenen Zehner-
ausschussberichtes, also kaum vor einem Jahrzehnt, wird diesem Unter-
richtsfache wenigstens annahernd die ihm gebiihrende Aufmerksamkeit
gewidmet. An der vollstandigen Durchfiihrung des in diesem Berichte
Geforderten oder Empfohlenen diirfte man jedoch, wenigstens bezuglich
der allgemeinen Geschichte, Zweifel hegen. Wie es geschehen sollte
oder geschehen wird, das ist nicht unsere Sache; wird doch kaum die
angloamerikanische Lehrerschaft um ihre Ansichten zur Sache gefragt!
Wir haben es hier mit einem gelegentlichen Geschichtsunterricht in
den deutschamerikanischen Schulen zu thun; und damit kann nur die
deutsche und deutschamerikanische Geschichte gemeint sein.
Nur beilaufig sei hier erwahnt, dass der Schreiber dieses Aufsatzes
schon vor 15 Jahren auf dem nationalen deutschamerikanischen Lehrer-
tage zu Chicago mit einem Antrage auf Abfassung eines Geschichtsfa-
dens fur deutschamerikanische Schulen insofern Erfolg gehabt hat, als
sogleich ein Komitee mit dieser Aufgabe betraut wurde. Wie so man-
ches andere zerschlug sich die Sache. Und wieder vor zehn Jahren, auf
dem ersten Ohioer deutschen Lehrertage zu Dayton, sagte er unter an-
derem : ,,Ich wunsche vor allem, von dem Augenblick an, wo die Kinder
es nachsagen, wenn auch noch nicht lesen konnen, bedingungslose Be-
vorzugung des deutschen Volksliedes, der deutschen episch-lyrischen
Dichtung in ihrem einfachsten aber schonsten Gewande, furs Deklamie-
ren, furs Hersagen im Chor, f iirs Singen .... Zugleich mit dem Volks-
liede kommt das deutsche Marchen in Betracht, dessen poetische Gestalten
auf unsere Schiiler ein en um so tiefer dringenden Einfluss ausiiben, je
besser und in je grosserer Auswahl sie erzahlt, beileibe nicht vorgelesen,
werden .... Nur ein Schritt ist es vom Marchen zu den Sagen, in de-
nen, wie Grimm sagt, ,,das deutsche Volk seine ganze Seele niedergelegt
und seine wahrste Meinung iiber Personen und Geschichte, und die der
Herzschlag des deutschen Volkes sind" .... Ganz unmerkbar gelangen
wir so zu den deutschen Geschichten, und in diesen und den sich ihnen
bald anschliessenden mehr zusammenhangenden Schilderungen liegt das
Hauptmittel fur die Einflossung von Ehrfurcht, Bewunderung, Achtung
und Liebe gegen ihre deutschen Ahnen bei den deutschamerikanischen
Kindern."
350 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Nicht meine Worte, wenn auch meine Herzensmeinung, sondern die
des Superintendenten McAllister, sind die folgenden :
,,Man hiite sich, die Geschichten vorzulesen ; man soil sie selbst wis-
sen, oder lernen und iiben, und sie dann frei erzahlen. Wer das nicht
kann, bemenge sich nicht mit diesem wichtigsten aller Unterrichtszweige."
Die Geschichte im Kopfe und auf der Zunge, heiliges Feuer und das
feste Vornehmen des Gelingens im Herzen — dann muss es sehr schlimm
um eine deutsche Klasse bestellt sein, wenn es dem Lehrer nicht gelingt,
seine Schiiler fur das deutsche Volkslied, die deutsche Sage, deutsche Ge-
schichten, ja allmahlich zusammenhangende deutsche und deutschameri-
kanische Geschichte zu begeistern.
Da, wo solche Geschichten, wie bislang leider an vielen Orten der
Fall war, nur als Hilsmittel fur den deutschen Sprachunterricht betrach-
tet werden, wird auch der Inhalt des vorliegenden Aufsatzes eitel ,,Luft"
sein und bleiben. Wo sie hingegen Mittel sind zur Erweckung deutschen
Sinnes und zur Idealisierung des deutschen Unterrichts, da kann der
rechte Erfolg nicht ausbleiben und dennoch von Deutschtumelei keine
Rede sein. Echte Deutschheit, das leugnen heute auch verstandige
Angloamerikaner nicht, ist die beste Mitgift fur unsere Kinder und Schii-
ler ins Amerikanertum, ins Leben. Und welchen Wust von absichtli-
chen oder, hoffen wir es, unfreiwilligen Irrtiimern, die den Schiilern
,,spielend" beigebracht werden, konnen wir durch einen solchen Unter-
richt nicht beseitigen !
Man werfe nur einen kurzen Blick in unsere allerbesten englischen
Lese- und Geschichtsbucher. Wer Raum und Lust hatte, den oft urko-
mischen Unsinn aufzuzahlen!
Was aber brauchen wir zur Erreichung unseres Zieles ? Mut, Recht-
lichkeit, Ehrlichkeit, Wissen und Geschick, alles Voraussetzungen, die im
Lehrerberufe obenanstehen. Und wo es fehlt, da bleibe man der Satze
Diesterwegs eingedenk: ,,Bereite dich vor auf jede Unterrichtsstunde ;
studiere immer etwas, das dich selbst bildet und deinen Zoglingen niitzen
kann ; verliere nie den Glauben an dich selbst."
Dieser ist es, der Glaube an uns selbst, der Glaube an unsere Mis-
sion, die unbedingt eine hohere ist, als nur deutsche Sprachlehrer zu sein,
der uns lei ten sollte. Wir haben, nicht um ein Jota weniger als unsere
angloamerikanischen Kollegen, die heilige Pflicht der Bildung zukiinfti-
ger Burger, amerikanischer Burger, und unser Mittel zur Erfullung die-
ses Zweckes, zur Erreichung dieses hohen Zieles ist vor allem die Vor-
fuhrung des Geisteslebens und der Thaten eines grossen, seit zweitausend
Jahren in glorreicher Entwickelung begriffenen Volkes, als dessen mittel-
bare Glieder sich selbst die ,,amerikanisiertesten" Deutschamerikaner, be-
wusst oder unbewusst, trotzdem und alledem dennoch betrachten. Im-
mer tritt auch bei ihnen ein Zeitpunkt, ein Augenblick ein, wo sie deutsch
Deutsche Gescbicbte in der deutscbamerihanischen Scbule. 351
sind oder es wieder werden, und wo sie das auch vor ihren Kindern nicht
verleugnen konnen und wollen.
Wir Lehrer sollten diesen Zeitpunkt als einen bleibenden ernstlich
betrachten, und dann wird es uns gelingen, denselben zu einem solchen
zu machen.
Kollege W. N. Hailmann sprach es neuerdings aus : ,,Erst mit der
Einfiihrung der deutschen und deutschamerikanischen Geschichte wird
der deutsche Unterricht in unseren Schulen wirklich Zweck und Halt be-
kommen." Und Superintendent Boone von Cincinnati sagt: ,,Kein
grosserer Dienst konnte dem deutschen Unterricht erwiesen werden, als
die Schiiler in der Geschichte ihrer deutschen Vorfahren zu unterweisen,
und selbst englische Lehrer sollten darauf besonderes Gewicht legen."
Unter solchen Umstanden wiirde es eine Unterlassungssiinde, ein
Verbrechen unsererseits sein, wollten wir nicht von dem giinstigen
Augenblicke Gebrauch machen, indem wir jetzt, wo alliiberall im Lande
so emsig in den Schulen reformiert wird, nicht alles aufbieten wollten, die
offene, oder meinetwegen stillschweigende Sanktionierung zu erzielen,
der gelegentlichen anfangs, und spater regelmassigen Behandlung der
deutschen und deutschamerikanischen Geschichte in unseren Klassen, in
alien deutschamerikanischen Schulen. Kurzsichtigkeit, iibertriebene
Schiichternheit und Gleichgiltigkeit gegen unser eigenes Interesse nur
konnte uns davon zuriickhalten, von der augenblicklich so giinstigen Ge-
legenheit Gebrauch zu machen.
Hand ans Werk! Der Erfolg wird nicht ausbleiben.
Noch einmal Diesterweg: ,,Die Zeit ist, wie eine machtige Zersto-
rerin, so auch eine machtige Baumeisterin. Das Zeitwesen, Mensch ge-
nannt, soil in die Zeit Samen streuen und sie wird ihn entwickeln. Nur
das Nichtige geht unter."
Es diirfte kaum notig sein, unseren Lesern des naheren auseinander-
zusetzen, dass und wie ein solcher Geschichtsunterricht auch dem deut-
schen Sprachunterrichte dienstbar gemacht werden konne und miisse.
Werden doch auch die Schiiler bei ihren schriftlichen Arbeiten und
Sprechiibungen ebenso gerne, nein, noch viel lieber, solche Vorwiirfe be-
handeln, als nichtssagende, oder doch meistens abgedroschene, von soge-
nannter Moral strotzende Erzahlungen u. s. w. ; und diejenigen unter
ihnen, die das anfanglich nicht thun, werden bald leicht dahin gelangen.
Man muss sie nur stolz darauf machen, dass sie Deutschamerikaner sind
und anerkanntermassen alle Eigenschaften zukiinftiger guter amerikani-
scher Burger im Keime besitzen. Sie miissen nur erfahren, dass das
letztere eine auch von Angloamerikanern riickhaltslos anerkannte That-
sache ist. Wir miissen ihnen nur in richtiger Weise die glanzenden Tha-
ten und hervorragenden Verdienste der deutschamerikanischen Manner
und Frauen um die Entwickelung dieses Landes vorfiihren und zum Ver-
352 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
standnis bringen; wir miissen ihnen klar machen, was es bedeutet, wenn
Murat Halstead sagt : ,,Die Deutschamerikaner sind das Salz der Erde",
und es ihnen beweisen, dass jeder einzelne von ihnen dazu berufen ist,
ein solches Salzkorn zu sein, es jedoch nicht werden kann, ohne die Ur-
quelle des Deutschamerikanertums zu kennen, die Geschichte der Deut-
schen.
Goethe und Schiller.
Festrede, gehalten bei der Enthiillung des Goethe-Schillerdenkmals
in San Francisco am 11. August 1901.
Von Prof. Julius Goebel, Stanford University, Cal.
Wie der Friihling wandelt der Genius
Von Land zu Land
Holderlin.
Das schone Dichterwort hat sich auch heute erfiillt, und es ist uns,
als sei der Genius unseres Volkes mit uns gezogen und blickte nun in
seiner edelsten kiinstlerischen Gestalt aus dem Denkmal des Dichterpaares
freundlich winkend, mahned und Herz und Geist zum Hochsten weisend,
auf uns herab. Und das alte Weimar steigt in seiner weltverlorenen hei-
ligen Stille vor unserem Geiste herauf, es scheint, als erhebe sich hinter
dem Standbilde die Kunststatte, von der die beiden zu ihrem Volke, zu
der Menschheit sprachen, und in den hohen Baumen des stillen Parkes,
der Pflanzung Goethe's, scheint es zu rauschen, als wehe der Genius des
Grossen dort immer noch in den Zweig.cn und fliistere uns zu : Haltet
fest an dem Schatz, den wir euch hinterliessen. —
Wenn sich nun so Vergangenheit und Gegenwart in dieser Feier-
stunde verschlingen, dann ist es nicht leicht, in wenigen Worten zu deu-
ten, was uns warm im Gefiihle lebt: warum wir in dem grossen Dich-
terpaare den Genius unseres Volkes verkorpert finden. Denken wir heute
an Goethe und Schiller, dann erscheint vor uns nicht bloss das grosse
Dichterpaar, das in Freundschaft zusammen lebte und schuf, es ersteht
vor uns der ganze Bildungsschatz unseres Volkes, das Hochste, was der
Deutsche im Laufe seiner Geschichte erreichte. Es gab eine Zeit, die
Schiller als den grosseren Dichter pries, und dann wieder hob man Goethe
als den Gewaltigeren auf den Schild. Heute dringt langsam die Er-
kenntnis durch, dass beide Dichter zusammen erst das ausmachen, was
wir als deutschen Genius verehren. Und darum verehren wir in beiden
das Hochste, was uns Deutschen im Geistesgebiete zu verwirklichen be-
Goethe und Schiller. 353
schieden gewesen ist, well sie das Menschliche darstellen, wie es in sol-
cher Vollendung bei keinem anderen Volke erschienen ist.
Verschieden sind die Versuche gewesen, die Einheit zu bestimmen,
jenes Ganze in Worten auszusprechen, das iiber dem Wesen der beiden
schwebt. Schon Goethe hatte dies Ganze im Sinne, wenn er von Schiller
als der erganzenden Halfte seines Daseins spricht. Aber am besten hat es
Schiller in bestimmte Formel zu fassen gesucht in einem seiner bedeu-
tendsten Aufsatze, der geradezu von seinem Verhaltnis zu Goethe han-
delt. Von dem Gegensatz ausgehend, den jeder von uns erlebt, und den
die Sprache mit den Worten Natur und Geist, Sinnlichkeit und Vernunft
ausdruckt, sucht er der Verschiedenheit in seiner und des Freundes Geis-
tesrichtung nahe zu kommen. Er unterscheidet zwischen dem naiv
schaffenden und dem bewusst arbeitenden Dichter, dem Realisten und
dem Idealisten. Halt sich der Realist an die Erfahrung und lasst die
Natur frei in sich walten, dann tritt ihr der Idealist mit den Forderungen
der Vernunft gegeniiber und wahrt das heilige Recht des Willens. ,,Zieht
man von beiden Charakteren das eigentliche Poetische ab, dann bleibt von
dem Realisten nichts iibrig als ein niichterner Beobachtungsgeist, eine
feste Anhanglichkeit an das gleichformige Zeugnis der Sinne, eine resig-
nierte Unterwerfung unter die Notwendigkeit der Natur, das heisst also
eine Ergebung in das, was ist und was sein muss. Vom Idealisten aber
bleibt nichts als ein unruhiger Spekulationsgeist, der auf das Unbedingte
in alien Erkenntnissen dringt, ein moralischer Rigorismus, der auf dem
Unbedingten in Willenshandlungen besteht."
Man mag die Verschiedenheit der menschlichen Geistesrichtungen
und Naturen anders zu bezeichnen versuchen, schwerlich mochte es aber
gelingen, den Gegensatz scharfer zu fassen, der alle Geister im Grunde
zu trennen scheint. Wer erkennte in dem Realisten nicht Goethe wieder,
wie er sein Leben lang geneigt war, den Sinnen zu trauen, fast willenlos
die Natur in sich walten zu lassen und der Ausbildung seines Ich zu le-
ben. Und wer sahe in dem Idealisten nicht Schiller, wie er die Wirk-
lichkeit an dem Ideale misst, das Gebot des selbstbestimmenden freien
Geistes predigt, und, ein Prophet, die unverausserlichen Rechte der
Menschheit verkundet. Es ist, als habe sich das idealistische 18. Jahr-
hundert und das anbrechende 19. Jahrhundert mit seinem Drang zur Er-
fassung der Wirklichkeit in den beiden Dichtern verkorpert. Aber die
Gefahr lag nahe, dass Goethe sich an die Sinne, an die Wirklichkeit ver-
lor, dass Schiller sich in das Wolkenheim der Spekulation verstieg. Da
findet jenes denkwiirdige Zusammentreffen beider statt, bei dem Goethe
seine Entdeckung der Metamorphose der Pflanze vortragt, die Schiller
nicht fur eine Thatsache nimmt, sondern fur eine Idee erklart. Und nun
konnen wir das grossartige Schauspiel verfolgen, wie die beiden Manner,
die sich der entgegengesetzten Richtung ihres Geistes bewusst sind, sich
354 P'ddagogiscbe Monatshefte.
langsam finden, um sich an einander zu erganzen und zu erhohen. Wohl
hat es in alien grossen Epochen des menschlichen Geistes Manner gege-
ben, die einen ahnlichen Gegensatz zu einander bilden, aber nirgends in
der Geschichte bietet sich der erhebende Anblick, dass zwei Manner iiber
den Gegensatz ihrer Natur hinweg das Ganze, die Einheit suchen.
,,Sieh, da entbrennen in feurigem Kampf die eifernden Krafte,
Grosses wirket ihr Streit, Grosseres wirket ihr Bund",
singt Schiller. Zwischen den beiden Dichtern erhebt sich als leuchten-
des Ideal die Einheit ihrer Krafte, jenes Hochste, was dem Deutschen
zu verwirklichen vergonnt war. Und wieder ist es Schiller, der dies am
scharfsten und klarsten ausspricht: Nicht im Realisten und nicht im
Idealisten erscheint das Ideal schoner Menschlichkeit und damit des wah-
ren Dichters, sondern in der Vereinigung beider, in ihrem Bund zu einem
hoheren Dritten. Und so gewahren wir nun, wie sich Schiller an Goe-
the, Goethe an Schiller zu vervollkommnen sucht, wie Schiller es lernt,
der Wirklichkeit treuer und liebevoller nachzugehen, und wie Goethe dem
Freund in das Land der Ideale nachfolgt. Und die Frucht des einzigen
Bundes, der auch fur die Versohnung der Gegensatze unserer Zeit ewig
vorbildlich bleibt, ist die Dichtung gewesen, die nach Schillers Wort ,,zu-
gleich ganz ideal und doch im tiefsten Sinne real ist", die Dichtung, der
es verliehen ist, den Geist des All zu ergreifen und in korperliche For-
men zu kleiden." —
Ja, dem Friihling gleich keimte und sprosste es, als jener Genius,
den wir heute feiern, unter unserem Volke wandelte. Das ist ja das
Grosse der deutschen Dichtung, die aus jenem Bunde entsprosste, dass
sie kein nationaler Schmuck ist, den man in Feierstunden bewundert oder
anlegt, sondern die schonste vollendetste Menschheit selbst. Kein an-
deres Volk hat es wie das deutsche ergriffen, dass der eigentliche Gegen-
stand der Dichtung der Mensch ist. Daher kommt es denn auch, dass
alles Forschen nach dem Wesen der Poesie und des Schonen zugleich ein
Forschen nach dem Wesen des Menschen ist. Zwar haben sich seit dem
17. Jahrhundert auch die iibrigen Kulturvolker Europas um die Erkennt-
nis des Schonen bemuht, aber den Franzosen blieb die Poesie stets ein
Spiel des Witzes und Verstandes, und die Englander brachten es nur zu
Ahnungen des Wahren. Dem Deutschen erst ging in der Zeit unserer
klassischen Dichtung die Einsicht auf, dass in der Schopferkraft des
Dichters die Natur selbst wirke, dass der Dichter, das Genie, der ganze
harmonische Mensch sei, dessen Aufgabe es ist, der Menschheit ihren
moglichst vollstandigen Ausdruck zu geben.
Humanitat, schone Menschlichkeit sind Worte, die heute, wo wir
gern vom Kampf urns Dasein reden, schon im Verblassen sind. Aber
es gilt, sie wieder in aller Farbenpracht aufzufrischen, um uns des
Schatzes in seinem ganzen Umfang bewusst zu werden, an dessen Be-
Goethe und Schiller. 355
wahrung uns der Genius Goethes und Schillers heute mahnt. Man hat
mit Recht gesagt, dass das letzte Ziel der grossen Geistesbewegung, de-
ren Hauptvertreter Goethe und Schiller sind, die Erneuerung und Wie-
dergeburt des Menschenwesens war. Oder wie Schiller es bewusst aus-
driickt:
,,Glaubt mir, es ist kein Marchen, die Quelle der Jugend, sie rinnet
Wirklich und immer. Ihr fragt wo? In der dichtenden Kunst."
Und dies hohe Amt der Erneuerung war den deutschen Dichtern
darum zugefallen, weil sie in der Stille ihres Herzens die heilige Flamme
reiner Natur gehiitet hatten. Nun loderte sie hell auf, Licht und warmes
Leben iiber die ganze Welt verbreitend. Es ist nicht von ungefahr, dass
es in Deutschland war, wo man zuerst das Wesen der Volkspoesie er-
kannte, jener Laute, in den en die Natur mit der unwiderstehlichen Macht
der Wahrheit ergreifend und erschiitternd an unser Herz riihrt. Und
seines Priesteramtes bewusst, durfte Schiller von sich und Goethe das
stolze Wort sprechen: ,,Wir Dichter sind die Rdcher und Bewahrer der
Natur". Das war es ja, warum Goethe und Schiller schon bei ihrem ersten
Auftreten die Herzen der Zeitgenossen bezwangen: dass in ihren Wer-
ken zum erstenmal wieder die Sprache der Wahrheit und der Natur er-
klang. Und was sie in ihrer Jugend unbewusst ausiibten, das wird ihnen
in der Zeit des Zusammenwirkens zum letzten Zweck ihres Dichtens.
,,Und edlen Seelen vorzufiihlen
Ist wiinschenswertester Beruf,"
singt Goethe und klarer noch driickt es Schiller aus in der ,,Macht des
Gesanges" :
,,Und wie nach hoffnungslosem Sehnen,
Nach langer Trennung bitterm Schmerz
Ein Kind mit heissen Reuethranen
Sich stitrzt an seiner Mutter Herz,
So fiihrt zu seiner Jugend Hiitten,
Zu seiner Unschuld reinem Gliick,
Vom fernen Ausland fremder Sitten
Den Fliichtling der Gesang zuriick,
In der Natur getreuen Armen
Von kalten Regeln zu erwarmen.
Nicht zufallig gebraucht Schiller in diesen Versen das Bild vom
Kinde. Es stellt sich ihm und Goethe ofters ein, wenn sie das ewig1
Menschliche schildern, das in ihrer Dichtung lebt und wirkt. Dem Kinde
in seiner keuschea Unschuld, in der Harmonic aller seiner Geisteskrafte
und in seiner seligen Unbewusstheit gleicht das Genie, die hochste Er-
scheinung des Menschen. ,,Naiv muss jedes wahre Genie sein oder es
ist keines", ruft Schiller aus, und Goethe singt:
356 P'ddagogische Monatsbefte.
,,A11 unser redlichstes Bemiih'n
Gliickt nur im unbewussten Momente,
Wie konnte denn die Rose bliih'n,
Wenn sie der Sonne Herrlichkeit erkennte."
Das Volk, ,,das es in der Unnatur und in der Reflexion dariiber am
weitesten gebracht hatte", die Franzosen, batten den Begriff des Naiven
schon friih entdeckt, aber unter den Deutschen erst, die der Natur treu
geblieben waren, kam das Naive zur Rettung der Menschheit zum vollen
Ausdruck. Und wie kam es, dass gerade die Deutschen dazu auserwahlt
waren ?
,,Den deutschen Frauen danket! Sie haben euch
Der Gotterbilder freundlichen Geist bewahrt,"
singt Holderlin. Ja, zu der Wiedergeburt des reinen Menschentums, die
unsere Dichter schufen, gehort auch die Wiederentdeckung reinen Frau-
enwesens, in dem sich, wie in dem Kinde, die Natur am treuesten offen-
bart. Wahrend die franzosisch gebildete Welt jener Zeit — und die
f ranzosische Bildung beherrschte damals die Welt — das Weib zum Ge-
nussmittel erniedrigte, und uber die Liebe witzelte oder in stelzenhaften
Phrasen deklamierte, singt Schiller den unsterblichen Hymnus :
,,Ehret die Frauen, sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben,"
denn:
,,In der Mutter bescheidener Hutte
Sind sie geblieben mit schamhafter Sitte
Treue Tochter der frommen Natur."
Und das letzte Wort des scheidenden Goethe, der wie kein anderer
Dichter der Welt edles Frauentum verherrlichte und so die enge Ver-
wandtschaft zwischen dem Genius und der Frauennatur bekundet, war:
,,Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan."
Die Riickkehr zur reinen Natur, die Wiedergeburt schoner Mensch-
lichkeit ist allein durch die Kunst, besonders aber die Poesie moglich.
Der Genuss der Poesie ist wesentlich ein Nachschaffen, die Dichtung
als Produkt der harmonisch wirkenden Geisteskrafte bringt in uns die
Wirkung hervor, dass sie uns zu vollen, ganzen Menschen macht. Nie-
mand hat dies klarer gesehen als Schiller, wenn er sagt: ,,Die wahre
Kunst hat es nicht bloss auf ein voriibergehendes Spiel abgesehen, es ist
ihr ernst damit, den Menschen nicht bloss voriibergehend in einen Traum
von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der That frei zu
machen" Damit ist denn die Freude als Ziel der Kunst verkntipft. ,,Der
hochste Genuss, den sie gewahrt, ist die Freiheit des Gemiites in dem
lebendigen Spiel aller seiner Krafte." Und dies vollbringt die Dichtung,
indem sie uns in die Welt des schonen Scheines einfiihrt, ja uns erkennen
Goethe und Schiller. 357
lehrt, dass im Schein, den wir um die Dinge weben, und nicht im abstrak-
ten Gedanken die Wahrheit zu finden ist. Denn iiberall, wo Leben wirkt,
hiillt es sich in den farbigen Schleier des Schemes, nur der Tod, das
Nichts, ist farblos, grau und starr. Und der Dichter, als Vertreter hoch-
sten Lebens, weckt uns jugendliche Freude am Leben, indem es zur
Quelle alles Lebens zuruckfiihrt und dessen heiligen Sinn tiefsinnig aus-
legt.
Das ist in ganz groben Umrissen ein Bild von der verjiingten
Menschheit, die unsere Dichter schufen, und an deren Verwirklichung
sie ihre beste Kraft setzten. So lasst es sich erklaren, wie durch ihr gan-
zes Wirken eine erzieherische Absicht geht, wie sie uns Idealbilder einer
schoneren Menschlichkeit aufstellen, denen ahnlich zu werden sie von
uns fordern, wie sie es von sich selbst verlangten. Kein Wunder, dass
die Zeitgenossen erstaunt aufhorchten, dass die altersschwache franzosi-
sche Geistesbildung, die die Welt beherrschte, langsam ihre letzte Stunde
heranriicken sah. Wie Friihlingswehen zog es namentlich durch die jun-
geren Geister und so singt der junge Friedrich Schlegel zu Anfang des
Jahres 1800:
,,Europas Geist erlosch, in Deutschland fliesst
Der Quell der neuen Zeit. . . .
Des Geistes heiligen Krieg kampft, treu wie Ritter !
Damals war es, dass der deutsche Genius, wie der Friihling von Land
zu Land zu ziehen begann, und es gereicht Amerika nicht zu geringem
Ruhme, dass es eines der ersten Lander war, die ihm semen Einzug ge-
wahrten. Ich rede hier nicht von der deutschen Einwanderung, die, so-
weit sie iiberhaupt vom Geiste Goethes und Schillers erfiillt war, viel-
leicht hier und da das Verstandnis fur die grossen deutschen Dichter ver-
mittelte. Unabhangig von der deutschen Einwanderung und erst spater
von einzelnen hervorragenden Deutschamerikanern, wie Follen, Lieber
und anderen gefordert, hielt der deutsche Genius in das hohere ameri-
kanische Geistesleben seinen Einzug, um ihm, was wenige wissen, fur
immer seinen Stempel aufzudriicken. Ja, wir Deutschen in Amerika
durfen es wohl als eine wunderbare Fiigung preisen, dass es der Geist
Goethes und Schillers war, der, als man in Amerika begann, ein unab-
hangiges Geistesleben zu schaffen, Weg und Ziel wies.
Dasselbe Buch, das Thomas Carlyle zu seiner Begeisterung fur deut-.
sche Litteratur fiihrte, das Buch der Franzosin Madame de Stae'l uber
Deutschland, sollte auch hier seine Wirkung bewahren. In dem Werke
der geistreichen Frau, die das Wesen der deutschen Litteratur tiefer als
andere Auslander erkannte, kam der Satz vor: ,,Es mag sein, dass die
Jugend des Menschengeschlechts fur immer dahin ist, indessen glaube
ich in den Schriften der Deutschen eine neue Jugend zu bewahren." Und
wie neue Jugend schien die deutsche Litteratur auf die hervorragendsten
358 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Geister Amerikas, die sich seit 1815 besonders an der Harvard Universi-
tat zusammenfanden, auf Manner wie Edward Everett, Geo. Bancroft,
C. C. Felton, Longfellow u. a. zu wirken. Ein Entziicken ergriff die
Geister bei der Entdeckung der Schatze deutscher Litteratur, schreibt ein
Zeitgenosse, als habe man eine wunderbare nie geschaute Insel in der
Siidsee gefunden. Es waren in erster Linie die Dichtungen Schillers und
Goethes, die diese Zauberkraft ausiibten.
Schon im Jahre 1812 verofFentlichte Everett einen Aufsatz iiber Goe-
the, worm er beklagt, dass von diesem Dichter nichts als eine wertlose
Ubersetzung des Werther und eine noch schlechtere des Faust bekannt
sei, und worin er auf die grosse Bedeutung des Dichters hinweist, ja so-
gar eines seiner Lieder ubersetzt. Einige Jahre spater erschien eine Be-
sprechung des Lebens und der Werke Schillers von Geo. Bancroft, die
gleiche Begeisterung fur deutsche Litteratur atmete und ebenfalls t)ber-
setzungen von Schillers Gedichten brachte. Wie die ersten Humanisten
des 15. Jahrhunderts ein Durst nach griechischer Weisheit und Poesie,
so ergreift die fuhrenden Geister Amerikas ein Durst nach deutscher Lit-
teratur, und ruhrend ist es zu sehen, mit welchen Opfern sich diese Man-
ner dem Studium unserer Sprache hingeben, urn zu den Geistesschatzen
zu gelangen, die ihnen ein neues Leben versprechen, wie sie es weder bei
Englandern noch Franzosen finden konnten. Damals, im zweiten Jahr-
zehnt des 19. Jahrhunderts, beginnt auch die Wanderung hervorragender
Amerikaner nach dem Mekka der deutschen Universitaten, die bis auf
unsere Tage dauert. Es war ja die Bliitezeit deutscher Wissenschaft, die
Zeit, wo die Saat, die Goethe und Schiller und die iibrigen Grossen ge-
streut hatten, auf alien Gebieten deutschen Geisteslebens auf ging ; es war
die Zeit, wo Deutschland die Fuhrung der Geisteskultur ubernahm. Wer
vermochte zu sagen, wie viele dieser Keime von damals bis heute nach
diesem Lande verpflanzt wurden ! Zuerst zeigte es sich auf dem Gebiete
der klassischen Altertumswissenschaft, damals noch die Hauptstarke der
amerikanischen Colleges. Nicht von Englandern und Franzosen, son-
dern von den Deutschen allein konnen wir lernen, ruft ein klassischer
Philologe damals aus. Und man braucht nur die Liste der Biicher nach-
zusehen, die seit 1820 veroffentlicht wurden, um zu gewahren, dass un-
sere amerikanischen Studenten keinen lateinischen oder griechischen Klas-
siker gelesen haben, dessen Text nicht auf die Arbeit deutscher Gelehr-
ter zuriickgeht. Begeisterung und Bewunderung erregend wirkte der
Geist deutscher Wissenschaft, der sich im Fleiss, in der -Grimdlichkeit,
im grossen freien Blick und in der tiefen Auffassung offenbart. Und
nicht nur die klassische Philologie, auch die Geschichte, die Staatswissen-
schaft, die Mathematik und die Naturwissenschaft wurden nach und nach
vom deutschen Geiste umgestaltet, ja selbst die Theologie konnte und
kann sich seinem Einfluss nicht mehr entziehen. Und soil ich hier von
Das M'ddchern von Fort Henry. 359
dem Siegeszug reden, den die deutsche Musik seit jener Zeit iiber das
ganze Land hin gehalten hat? Sogar in der amerikanischen Litteratur
zeigte sich der Einfluss des deutschen Geistes. Schon im Jahre 1745 be-
merkte ein amerikanischer Schriftsteller : ,,Unser Zeitalter ist gelehrt,
geistvoll und nachahmend. Unsere amerikanischen Dichter bilden sich
immer mehr und mehr durch Ubersetzten aus dem Deutschen und es ist
kein Wunder, dass ihre spateren Arbeiten den Stempel der deutschen
Studien tragen." Was wiirde der Mann erst heute sagen, wo es keinen
Gelehrten von Ruf in Amerika giebt, der nicht sein Bestes deutscher Wis-
schenschaft verdankt, wo es in unserem Lande keine hohere Unterrichts-
anstalt mehr giebt, an der die Sprache Schillers und Goethes nicht gelehrt
wird!
Ja, wie der Friihling wandelt der Genius von Land zu Land, und der
Angelsachse, der vor 1500 Jahren die deutsche Heimat verliess, darf sich
heute mit uns Deutschen auf amerikanischem Boden vereinen, um den
Genius zu feiern, der der hochste Ausdruck des gemeinsamen germani-
schen Lebens ist. In den Sagen und Mythen aller Volker finden wir die
grossen Gegensatze der Menschennatur in Doppelgestalten als friedlich
kampfende Heroen oder als Gotter des Lichts und der Finsternis verkor-
pert. Aber nur das deutsche Volk kennt als Spiegel seines Wesens das
Heroenpaar, das sich zu friedlichem hoheren Streben die Hande reicht,
das Bild der in Freundschaft und Liebe iiberwundenen Gegensatze, das
Bild hochsten Menschentumes, wie es in Goethe und Schiller erscheint.
Moge ihr Standbild uns in alle Zukunft als Vorbild leuchten, dass sich
Deutsche und Angelsachsen die Hande reichen, um auf dem freien Boden
Amerikas dies hochste Menschentum im Wahren, Guten und Schonen zu
verwirklichen.
Das Madchen von Fort Henry.'
Von Dr. H. H. FicJe, Cincinnati, O.
,,Die roten Teufel nah'n dem Fort,
Vom weissen Schuft gefiihret!
Schnell, raumt die off'ne Siedlung dort,
Bringt Weib und Kind an sichern Ort!"
Der Oberst kommandieret.
*) Anm. Die geschilderte Begebenheit trug sich im Jahre 1777 zu, als eine
Indianerbande unter Anfiihrung des weissen Renegaten Simon Girty das Fort
Henry, unser heutiges Wheeling, W. Va., belagerte. Der Name des wackeren Mad-
chens war Elisabeth Zane.
360 P'ddagogische Monatshefte.
,,Was faselt doch von brit'schem Schutz
Una Girty, der Verrater?
Wir bieten der Belag'rung Trutz
So lang die Waff en etwas nutz!
Fluch sei dem Attentater!"
Die Horde stiirmt, doch Schuss auf Sehuss
Kracht ihr gar scharf entgegen;
Und manche tiick'sche Rothaut muss
Sich bei der Kugel herbem Kuss
Im Tode niederlegen.
Doch weh! ,,Am Ziindkraut es gebricht,
Bald wird der Vorrat enden!"
Voll Angst der Kommandant es spricht.
, ,,Wird flugs uns frische Zufuhr nicht,
Sind wir in Feindeshanden.
,,Zwar liegt, wo dort die Mauern stehn,
Ein Fasschen noch verstecket,
Doch miisst' dem Tod ins Auge sehn,
Wer aus dem There wollte gehn,
Wenn ihn der Feind entdecket!"
Ein Madchen hort's, sie ruft geschwind:
,,Lasst mich nur dafiir sorgen!"
Sie stiirzt hinaus, flink wie der Wind,
Und eh' der Gegner sich besinnt,
Hat's Pulver sie geborgen.
Sie tragt zuriick im fliicht'gen Lauf
Den Schatz so hochwillkommen.
Da blitzt das Feuern wieder auf,
Und wie auch tobt der Wilden Hauf,
Das Fort wird nicht genommen.
Die Maid, sie war von deutschem Blut,
Das wollen wir ermessen.
Wohl opfern Manner Leib und Gut,
Doch auch des Weibes Heldenmut
Werd' nimmermehr vergessen.
Fur die Schulpraxis.
Erlkonig.
( Aus ,, Deutsche Schulpraxis.")
Fur die litteraturkundliche Behandltmg.
Die Ballade versetzt uns in eine Herbstnacht, eine windige Herbstnacht. Es
reitet jemand dahin. Frage? Wer ist's, der so spat dahin reitet durch Nacht und
Wind? Antwort? Es ist der Vater mit seinem Kind. Zwei andere Fragen dran-
gen sich auf. Welche? Kann das Kind nicht herabstiirzen vom Pferd — gerade in
der Nacht, wo das Pferd wohl manchmal fehltritt, leicht herabstiirzen ? Kann das
Kind nicht einen Schaden erleiden in dem kalten Nachtwind? Antwort? Der Va-
ter hat den Knaben wohl in dem Arm, er fasst ihn sicher, er halt ihn warm.
Das Kind schaut hinein in die dunkle Nacht. Von einem unbestimmten Grau-
sen wird's erfasst. Seine Phantasie fangt an sich zu regen. Geschichten vom Erl-
konig tauchen in ihm auf. Auf einmal driickt's das Gesicht in Bangigkeit an den
Vater. Der Vater? Mein Sohn, sagt er, was birgst du so bang dein Gesicht? Das
Kind ? Siehst, Vater, du den Erlkonig nicht ? Den Erlkonig mit Kron' und Schweif ?
Der Vater zur Beruhigung? Mein Sohn, es ist ein Nebelbild.
Das Wort'bleibt ohne Wirkung. Die Phantasie des Knaben steigert sich. In-
wiefern? Er sieht den Erlkonig dicht neben sich schweben — hort, wie der Erlkonig
ihm etwas zufliistert — hort die Worte, die der Erlkonig ihm zufliistert, die Worte:
Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schone Spiele spiel ich mit dir; manch'
bunte Blumen sind an dem Strand, meine Mutter hat manch gulden Gewand. Der
Vater muss diese Worte doch auch horen. Welcher Zuruf des Knaben? Mein Va-
ter, mein Vater, und horest du nicht, was Erlenkonig mir leise verspricht? Darauf
der Vater wieder zur Beruhigung? Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; in durren
Slattern sauselt der Wind.
Auch dieses Wort bleibt ohne Wirkung. Die Phantasie des Knaben steigert
sich weiter: noch andere Gestalten zieht sie in ihren Kreis hinein. Inwiefern?
Der Erlkonig fliistert: Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Tothter sol-
len dich warten schon; meine Tochter filhren den nachtliehen Reihn, und wiegen
und tanzen und singen dich ein. Der Vater muss diese Gestalten doch auch sehen.
Welcher Zuruf darum? Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlko-
nigs Tochter am diistern Ort? Der Vater, abermals zur Beruhigung? Mein Sohn,
mein Sohn, ich seh' es genau; es scheinen die alten Weiden so grau. Auch dieses
Wort bleibt ganzlich wirkungslos.
Die Macht der Phantasie des Kindes erreicht jezt den hochsten Grad. Inwie-
fern? Jetzt horts den Erlkonig fliistem: Ich liebe dich, mich reizt deine schone
Gestalt; und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Das Kind ftib.lt die Ge-
walt. Wie ruft's, bis in die Tiefen Leibes und der Seele ergriffen von furchtbarem
Grausen? Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an! Erlkonig hat mir ein
Leids gethan.
Der Vater jetzt? Auch ihn grauset's jetzt. Geschwind reitet er dahin. Um
sich nicht von dem Grausen und von der Angst um das achzende Kind, das er im
Arme halt, bewaltigen zu lassen, muss er seine ganze Kraft zusammennehmen, so
*) Aus ,,Bruchstucke aus der Mappe eines alten Schulmannes".
362 P'ddagogiscTje Monatsbefte.
dass er nur mit Mtihe und Not den Hof erreicht. Und sieli — dort angekommen?
In seinen Armen das Kind — war — tot.
Wer reitet so spat durch Nacht und Wind? — Mit diesem Anfang erreicht der
Dichter sofort dreierlei dem Horer gegeniiber. Was namlich? — Einnial versetzt er
ihn sofort auf den Schauplatz der Handlung: der HSrer ist draussen in Nacht und
Wind — sodann in die Handlung selbst: der Horer nimmt wahr, wie jemand dahin
reitet — endlich regt er durch die Frage: wer ist's, der so spat durch Nacht und
Wind reitet — das Interesse an der Handlung kraftig an.
Wer reitet so spat durch Nacht und Wind?
Nicht:
Wer ritt so spat durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind —
nicht:
Es war der Vater mit seinem Kind,
u. s. w.
Immer das Prasens (mit einer Ausnahme in der letzten Strophe), nie das Im-
perfekt. Alles wird fiir den Horer zu etwas Gegenwartigem, und welche Wirkung
hat das? Alles wird lebendiger fiir ihn.
Der Vater fragt: Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?
Der Vater fragt — wird aber das dem Horer noch besonders angedeutet? Nein.
Das Kind antwortet: Siehst, Vater, du den Erlkonig nicht?
Das Kind antwortet — wird das dem Hb'rer noch besonders angedeutet?
Erlkonig spricht: Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Erlkonig spricht — wird das dem Horer noch besonders angedeutet ? . . . .
Durchweg in der Ballade wird die Rede der Personen gegeben, ohne dass noch
besonders angedeutet wird, wer redet. Auch dadurch wird alles fur den Horer zu
etwas Gegenwartigem und so alles lebendiger fur ihn.
Du liebes Kind, komm, geh mit mir ! Gar schone Spiele spiel ich mit dir. —
Welcher Vokal ist vorherrschend ? Der Vokal i.
Noch einmal recht horen! Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schone
Spiele spieZ ich mit dir. —
Was wohl in dem Wesen des Erlkonigs kommt durch das Vorherrschen dieses
Vokals zu lebendigerem Ausdruck? Das Freundliche, Lockende.
Das Diistere, Unheimliche wird durch einen Vokal in den folgenden Versen zu
leisem Ausdruck gebracht. Recht horen! Manch bwnte Blwmen sind an dem
Strand, meine Mutter hat manch gulden Gewand. Durch welchen Vokal? Durch
u in den Wortern bunte — Blumen — Mutter. Du liebes Kind etc. Der Vokal i —
sagten wir — ist vorherrschend. Wir horen — so wollen wir jetzt sagen — einen
Gleichklang der Vokale, die in gewissen Wortern bezw. in den Hebungen gewisser
Worter auftreten. Diesen Gleichklang nennt man eine Assonanz. Horn wir aber-
juals: bunte — Blumen — Mutter. Wih horen einen Gleichklang der Vokale in den
Hebungen der Worter, eine Assonanz; wir horen, wie die Worter assonieren. Ho-
ren wir noch einmal: Manch bunte Blumen sind an dem Strand, meine Mutter hat
manch gulden Gewand. Welche Worter assonieren ? die Worter manch — an u. s. w.
Ein anderes. Du liebes .Kind, fcomm, geh mit mir. Auch ein Gleichklang. In
welchen Wortern? Kind — komm — und, wenn auch nicht vollig, geh. Nicht Vo-
kale, Konsonanten sind's, die gleichklingen, und zwar Konsananten am Anfange der
Worter. Solch einen Gleichklang nennt man eine Alliteration; die Worter Kind,
komm, geh, alliterieren. Gar schone Spiele spiel ich mit dir. Wieder Alliteration.
In welchen Wortern? — schone — Spiele — spiel. Aber die Worter Spiele — spiel — alli-
terieren und — wie wir bereits gesagt haben — assonieren nicht nur, sie klingen — ab-
gesehen von der ausgeschiedenen Endung e in spiel' — vollig gleich. So einen volli-
Fttr die Scbulpraxis. 363
gen Gleichklang von Wortern verschiedener Bedeutung nennt man eine Annomina-
tion. Assonanz, Alliteration, Annomination in der Strophe. Welchen Charakter
gewinnt dadurch der Klang der Strophe? Hort sie noch einmal: Du liebes Kind,
komm u. s. w. — Den Charakter einer gewissen Gleichformigkeit. Und wozu wohl
passt so recht dieser Charakter ? . . . . Zu dem geisterhaf ten Wesen des Erlkonigs.
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In diirren Blattern sauselt der Wind.
Horen wir einmal in unserer Phantasie, wie der Wind durchs diirre Herbstlaub
sauselt. Merken wir jetzt. auf den Wortklang des Verses : in diirren Blattern sau-
selt der Wind. Welche Wahrnehmung machen wir wohl? In dem Wortklang des
Verses ist mancherlei, das eine leise Aehnlichkeit mit jenem Schalle hat. Darin
aber liegt mit die Wirkung des Verses begrundet.
Meine Tochter fiihren den nachtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.
Und wiegen und tanzen und singen dich ein. Horen wir der Goetheschen Fas-
sung gegentiber einmal die Fassung: Sie wiegen, tanzen, singen dich ein — oder: Sie
wiegen, sie tanzen, sie singen dich ein. Wir fiihlen merkbar einen Unterschied.
Welchen Unterschied? In der Goetheschen Fassung ist viel mehr Bewegung und
Leichtigkeit ; dazu: ist etwas von Verstrickung und Verschlingung. Welche Bedeu-
tung hat aber das f iir den Horer ? Der Charakter des Elf entanzes kommt dadurch zu
einem kraftigeren Ausdruck.
Vergegenwartigen wir uns die Hebungen und Senkungen eines jeden Verses. . . .
Zu welcher Art von Versen gehoren nach gebrauchlichem Ausdruck die Verse des
Gedichts? Zu den jambisch-anapastischen Versen. Nur drei Verse sind rein jam-
bisch. Achten wir auf die Zahl der Hebungen eines jeden Verses .... In jedem
Verse sind vier Hebungen, nur in einem sind f tinf : Ich Hebe dich, mich reizt u. s. w.
Offenbar ist der Rhytmus des Gedichts von besonderer Wirkung. Worin liegt das
begrundet? Er passt ganz und gar zu der Bewegung des Reitens, zu der angstvollen
Erregung des Kindes, zu der angstvollen Erregung, in die auch der Vater schliess-
lich gerat, zu der Begierde des Erlkonigs, den Knaben in seinen Besitz zu bekom-
men. Achten wir noch einmal auf den Vers, der, wie wir sagten, fiinf Hebungen
hat: Ich Hebe dich, mich reizt deine schone Gestalt. Ich accentuiere jetzt etwas
anders: Ich Hebe dich, mich reizt deine schone Gestalt. Wieviel Hebungen? Vier
Hebungen. Ich trage den Vers mit fiinf Hebungen — ich trage ihn mit vier Hebun-
gen vor .... In welchem Falle ist der Vers wirksamer ? . . . . Wenn er mit vier He-
bungen vorgetragen wird. Worin liegt das wohl begrundet? Die Erregung, die
zornige Erregung des Erlkonigs kommt starker zum Ausdruck.
Achten wir noch auf die grammatische Bildung und Verbindung der Satze.
Wer reitet so spat durch Nacht und Wind |
Es ist der Vater mit seinem Kind |
Er hat den Knaben wohl in dem Arm [
Er fasst ihn sicher |
Er halt ihn warm |
u. s. w.
Was nehmen wir wahr? Die Satze sind kurz. Sie sind einfach; nur zwei Satz-
gefiige kommen vor. Fast durchweg fehlt grammatische Verbindung. Auch diese
Eigenttimlichkeiten sind von Bedeutung. Inwiefern? Sie passen ganz und gar zu
der Bewegung und Erregung, die durch die Ballade geht. —
Berichte und Notizen.
1. Die Zweihundertjahrige Jubilaumsfeier der Yale Universitat.
(Flir die Padagogischen Monatshefte.)
Von Miss E. C. Walker, New Haven, Conn.
In schonem Festkleid von blauen Fahnen und griinen .Guirlanden stand die altc
historische Stadt New Haven da, um mit freundlich ausgebreiteten Armen die
"Sons of Yale" willkommen zu heissen, die von nah und fern herbeigeeilt waren,
um das zweihundertjahrige Jubilaum ihrer Alma Mater festlich zu begehen. Gross-
artige Vorbereitungen, die mehrere Jahre in Anspruch genommen hatten, waren
von den Universitatsbehorden getroffen worden, um eine Feier zu veranstalten,
welche Yale und seiner Ehrengaste wiirdig sein sollte. Der Einladung der Univer-
sitat folgend, fanden sich hervorragende Manner aus Amerika, Europa und dem
fernen Osten ein, um dem Feste beizuwohnen. Die Feier, welche vier Tage wahrte,
begann am Sonntag, dem 20. Oktober. Rev. Joseph Twichell verrichtete am Mor-
gen den Gottesdienst in der Universitatskirche. Am Nachmittage hielt Rev. Dr.
George P. Fisher eine Rede iiber ,,Yale in seiner Beziehung zur christlichen Theo-
logie". Am folgenden Tage vormittags sprach Herr Thomas Thacher iiber ,,Yale
in seiner Beziehung zur Rechtswissenschaft". Ihm folgte Prof. William H. Welch
von Johns Hopkins, der iiber die Beziehung der Universitat zur Medizin sprach.
Am Nachmittage hiess Prasident Arthur T. Hadley die Gaste und Graduierten im
Namen der Universitat willkommen. Am grossartigsten und prachtigsten gestal-
tete sich der ungeheuer grosse Fackelzug, welcher am Montag abends stattfand.
Der Zug, an dem sich wenigstens 7000 Mann beteiligten, bewegte sich durch die mit
bunt gefarbten Laternen geschmiickten Strassen, derweil der Himmel durch strah-
lendes Feuerwerk glanzend erhellt war. Die Kostiime aller Teilnehmer des Zuges
waren aufs sorgfaltigste ausgedacht, und es gingen vor den Augen der Zuschauer
in historischer Reihenfolge voriiber: rote Indianer, Manner der urspriinglichen
13 Kolonieen, Soldaten des Revolutionskrieges, Matrosen, Rough Riders u. s. w. ;
den Schluss bildeten fast 6000 friihere Schiller der Universitat. Am Dienstag wur-
den folgende Reden gehalten: ,,Yale in seiner Beziehung zur Entwickelung des
Landes", von Cyrus Northrop, dem Prasidenten der Universitat von Minnesota, und
,,Yale in seinen Beziehungen zur Wissenschaft und Litteratur", von Daniel C. Gil-
man, friiherem Prasidenten von Johns Hopkins. Es fehlte dem Feste auch nicht
an musikalischen Darbietungen. So gab am Mittwoch das Symphonie-Orchester
von Boston ein herrliches Konzert, und Dienstag gelangte Prof. Horatio Parkers
Oratorium, Hora Novissima, von seiten der Gounod Society von New Haven zur
vollendeten Auffiihrung. An einem der Abende versammelten sich alle Gaste und
Graduierte der Universitat auf dem Campus, welcher mittels Tausender von gelben
Laternen erleuchtet wurde, um der dramatischen Auffiihrung beizuwohnen und den
aus 300 Yale Studenten bestehenden Chor zu horen. Denn in den Pausen wurden
alte und neue Studentenlieder gesungen, wobei die grosse Masse der anwesenden
friiheren Schiller sehr oft begeistert mitsangen. Diese Auffiihrung bestand aus zehn
Szenen, die dem friiheren Leben auf der Universitat entnommen waren. Die An-
fangsszene stellte die Griindung des College von den zehn Predigern im Jahre 1701
dar, und die ttberreichung der vierzig Biicher, der bescheidene Anfang der jetzigen
grossen Bibliothek. Nachher kam eine Szene, worin Washington zur Zeit des Re-
volutionskrieges die Stadt besuchte und eine Anzahl Yale Studenten exerzieren
Neuordnung der Volksschullebrerbildung in Preussen. 365
liess. Dann folgte die Hinrichtungsszene im britischen Lager, wo der vielgeliebte
"Sou of Yale," Nathan Hale, als Spion den Tod erlitt. Mittwoch fand die eigent-
liche Gedachtnisfeier statt, und mit der Ankunft von Prasident Roosevelt erreichte
die Feier ihren Hohepunkt. Die Festrede hielt Hon. David J. Brewer. Das Fest-
gedicht wurde von seinem Verfasser, Herrn Clarence Stedman, vorgelesen. Zu er-
wahnen ist Prof. Goodells griechische Ode, welche Prof. Horatio Parker in Musik
gesetzt hatte. Zum Schluss kam die Erteilung akademischer Wurden. Unter den
fremden Gasten, die von Yale geehrt wurden, befanden sich: Geheimrat Wilhelm
Waldyer von der Universitat von Berlin, Knut Henning Gezelius von Scheele, Bi-
schof von Gotland, Prof. Jacques Hadamard von der Universitat von Paris, Kazno
Hatoyama von der Universitat von Tokio, und Marquis Ito, Staatsminister von
Japan. Unter den Amerikanern, die solche Wurden erhielten, waren: Staatssekre-
tar John Hay, Joseph Choate, gegenwartiger Gesandter in England, Rear Admiral
Sampson und Prasident Theodore Roosevelt. Prasident Hadley erteilte in wenigen
schon gewahlten Worten jedem Kandidaten seine akademische Wtirde. Zu Prasi-
dent Roosevelt ausserte er, dass ihm, als er noch Privatmann war, die Universitat
die akademische Wurde eines Doktors der Rechte zugedacht habe. Da es jedoch
der gottlichen Vorsehung gefallen habe, ihm noch einen anderen Ehrentitel zu ver-
leihen, so hiess ihn deswegen die Universitat zweifach willkommen. Prasident
Roosevelt erwiderte, unter iiberwaltigendem Beifall vortretend: Nie habe er eine
Aufgabe unternommen, welche der Muhe wert war, dass nicht ein "Son of Yale"
ihm zur Seite gestanden hatte. Noch nie habe er fur das Recht und gute Sitten
gekampft, dass sich "Men of Yale" nicht gefunden batten, um ihm zu helfen und
ihm Starke und Mut zu verleihen. . ,
II. Neuordnung der Volksschullehrerbildung in Preussen.
(A«s ,,A.us der Schule — fur die Schule".)
tfber die Neuordnung der Volksschullehrerbildung in Preussen berichtet Semi-
narlehrer Dr. Eduard Clausnitzer unter anderem folgendes: Schon seit einer Reihe
von Jahren wurde die Frage der Neuordnung der Volksschullehrerbildung in Preu-
ssen lebhaft erortert. Fort und fort ist sie in den Lehrervereinen beraten, in den
Fachzeitungen besprochen worden. Fast allgemein war man der ttberzeugung, dass
die bisherigen Vorschriften aus dem Jahre 1872 nicht mehr der Gegenwart ent-
sprachen.
Die preussische Unterrichtsverwaltung hat unter dem 1. Juli d. J. neue Be-
stimmungen erlassen, welche die Volksschullehrerbildung regeln. Sie gliedern sich
in Lehrplane und Priifungsordnugen. Der wichtigste Punkt der neuen Lehrplane
ist ohne Zweifel folgender: ,,Der Lehrplan der Praparandenanstalt und des Semi-
nars bilden ein organisches Ganzes."
Die Unterrichtsverwaltung hat die augenblickliche Ausbildungszeit — je drei
Jahre auf der Praparandenanstalt und dem Seminar — beibehalten und innerhalb
der bisherigen. Zeitgrenze durchgefuhrt.
Es bedeutet eine erhebliche Vereinfachung der Arbeit fur Lehrer und Schiller,
dass jetzt Praparandenanstalt und Seminar beziiglich des Lehrplanes als ein orga-
niaches Ganzes zu betrachten sind. Dadurch war die Unterrichtsverwaltung im-
stande, innerhalb der bisherigen Zeitgrenzen den zu verarbeitenden Stoff sowohl zeit-
366 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
gemass zu vermehren, als auch ihn gehorig zu vertiefen, so dass sich das Wissen
zur Bildung gestalten kaim. Hierdurch war ferner die Moglichkeit gegeben, den
grSssten Teil des Lernstoffes aus dem Seminar heraus in die Praparandenanstalt
zu verweisen.
An Lehraufgaben, die jetzt ausschliesslich der Praparandenanstalt zuf alien und
dort zum Abschluss gebracht werden, seien genannt: Biblische Geschichte, Kate-
chismus, Kirchenlied, deutsche Elementargrammatik, Eelementarrechnen, alte Ge-
schichte, aus der Naturbeschreibung die Kenntnis der einzelnen Naturkorper, sowie
das Schreiben.
Auch das Seminar schliesst die wissenschaftliche Bildung einiger Facher schon
vor Beendigung des ganzen Kursus ab, so nach Schluss des zweiten Seminar jahres:
Mathematik, Natur- und Erdkunde. Nur in Padagogik, Religion, Deutsch und Ge-
schichte findet in der Oberklasse eine wissenschaftliche Fortbildung statt. Sonst
tragt die Oberklasse den Charakter der Fachschulej die methodische Ausbildung
im Unterrichten in den einzelnen Fachern, sowie das praktische Unterrichten selbst
stehen im Vordergrund. In grossen Ziigen wiirde sich demgemass die Ausbildung
der Lehrer jetzt folgendermassen gestalten: In der Praparandenanstalt (15. — 17.
Lebensjahr) die Lernstoffe, in der Unter- und Mittelklasse des Seminars (18. und
19. Lebensjahr) die Vermittelung der Bildung, in der Oberklasse (20. Lebensjahr)
die Fachausbildung.
In Padagogik wird ausser der Geschichte der Padagogik Psychologic, allgemeine
Unterrichts- und Erziehungslehre getrieben, daneben werden auch die neuerdings
aufgenommenen Studien zur padagogischen Pathologic beriicksichtigt. In der Re-
ligion ist die vielumstrittene Frage, ob der kiinftige Lehrer etwas von der moder-
nen Bibelkritik erfahren soil, erfreulicherweise bejaht worden. Vielleicht diirfte
es sich empfehlen, bei der Glaubens- und Sittenlehre die Augsburgische Konfession
heranzuziehen. Ausdriicklich wird betont, dass mit der unterrichtlichen Aufgabe
die erzieherische zu verbinden ist, ,,charaktervolle christliche Personlichkeiten her-
anzubilden, welche befahigt sind, als Lehrer durch Wort und Vorbild segensreich
auf die Jugend einzuwirken."
Im Deutschen hat die grammatische und litterarische Seite eine erhebliche Er-
weiterung erfahren. Die Bliitezeiten unserer Litter atur werden eingehend auf
Grund der Litteraturprodukte behandelt. Phonetik, Geschichte der Sprache und
ihrer Eigenart wird gelehrt. Auch die Prosalektiire kommt zu ihrem Recht.
Eine fremde Sprache als Pflichtfach ist jetzt eingefuhrt, die Schulkollegien ent-
scheiden je nach den Verhaltnissen, ob dies Franzosisch oder Englisch sein soil. Das
Ziel ist, ganz wie bei den Gymnasiallehrplanen von 1892 fiir das Franzosische, Ver-
standnis nicht zu schwieriger Schriftwerke, sowie einige ftbung im miindlichen und
schriftlichen Gebrauch der Sprache. Die Lektiire steht im Vordergrund.
Die Geschichte — im Seminar wird nur vaterlandische getrieben — betont auch
die sozialen und kulturellen Verhaltnisse, sowie die Befahigung, das Verstiindnis
der Gegenwart aus der Vergangenheit zu wecken. Quellensammlungen und Werke
neuerer Geschichtsschreiber sind heranzuziehen.
In Mathematik besteht derselbe Lehrplan wie fiir Gymnasien, nur der binomi-
sche Satz und der Koordinatenbegriff fehlen. Die Naturkunde legt den Wert auf
die unterrichtliche Durcharbeitung der Lehrstoffe und nicht auf so grossen Umfang
des Wissens — eine dankenswerte Beschrankung bei dem fast uniibersehbaren Ge-
biet der Naturwissenschaften. Stets ist auf die Verwendung der Naturkrafte im
Haushalt der Natur, im taglichen Leben, in Landwirtschaft, Industrie, Verkehr
u. s. w. hinzuweisen. Das Experiment ist nicht allein in Physik und Chemie ( letz-
tere bietet auch Mineralogie und Nahrungsmittellehre ) , sondern auch in Zoologie,
Botanik und Anthropologie zu verwenden. Gemeinverstandliche naturwissenschaft-
Korresponden^en. 367
liche Werke sind heranzuziehen. Die Erdkunde fiihrt dankenswerterweise die iiber-
trieben naturwissenschaftliche Behandlung, die letzter Zeit geradezu ,,Mode" war,
auf das reelle Mass zurtick. Kultur- und Handelsgeographie werden besonders be-
riicksichtigt.
Beziiglich der technischen FUcher sei erwahnt, dass dem Turnen eine recht weit-
gehende Pflege gewidmet wird, bsonders der Einfluss des Turnens auf den Charak-
ter wird betont. Schwimmen, Eislauf, Turnerfahrten, volkstumliche tfbungen im
Laufen, Springen und Werfen sind nicht zu vernachlassigen. In der Musik wird
Gesang, Violinspiel, Orgel und Musiktheorie getrieben, die Pflege des Volksliedes,
das auch im deutschen Unterricht erfreulicherweise eine Stelle findet, wird gefor-
dert. Endlich sei noch des landwirtschaftlichen Unterrichts gedacht. Dieser —
recht notwendig fur die Landlehrer — findet schon seit Jahrzehnten statt.
Das Seminar will seine Zoglinge zum Weiterarbeiten anleiten. Deshalb wird
in der Oberklasse auf freies Arbeiten grosser Wert gelegt. In alien Fachern soil
auf die Litteratur, welche eine Weiterbildung ermoglicht, hingewiesen werden.
Diese Bestimmungen sind von grosstem Werte. Wird der kunftige Lehrer bereits
auf dem Seminar zu selbstandigem, von dem am naehsten Morgen falligem Pensum
unabhangigen Arbeiten erzogen, so ist ihm die Moglichkeit gegeben, die Priifungen
abzulegen, welche ihm die dauernde Anstellung, sowie hohere Jtmter (Kreisschul-
inspektor, Seminardirektor, Seminarlehrer, Leiter von hoheren Madchenschulen,
sechs- und mehrklassigen Volksschulen u. s. w. ) bringen konnen ; denn seine Bildung
ist der eines Abiturienten gleichwertig.
Ein wichtiger Punkt muss noch nachdrilcklich aus den neuen Lehrplanen her-
vorgehoben werden. tiberall kommt die neueste Forschung zur Geltung, uberall
wird dem Fach entsprechend auf die Verhaltnisse und Forderungen der Gegenwart
eingegangen. Die Unterrichtsverwaltung vertritt damit den Grundsatz, dass der
kunftige Lehrer nicht, wie es wohl oft gefordert wurde, angstlich vor der neuesten
Wissenschaft und vor Kenntnis der Anschauungen der Gegenwart bewahrt werden
miisse, sondern dass ihm im Gegenteil all dieses bereits auf dem Seminar bekannt
gegeben werde, damit er unter fachmassiger Leitung tiber die neuesten Forschungen
und tiber die Fragen der Gegenwart Aufklarung empfangen kann. Dadurch wird
der Lehrer vor vielen Irrtiimern bewahrt, dadurch kann in ihm eine ganz andere
charaktervolle Personlichkeit erzogen werden, die befahigt ist, in besonnener und
sachlicher Weise den Bestrebungen der Jetztzeit gegeniiber Stellung zu nehmen —
als wenn man ihn auf dem Seminar sorgfaltig vor derartigen Dingen behiiten will.
III. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Chicago. wurde durch einen vom gemischten Chor
Chicagoer Lehrerverein. Die erste gesel- des Vereins, unter der Leitung des Hrn.
lige Zusammenkunft der Herbst- und Kriiger, sehr hiibsch und mit grosser
Wintersaison, welche kiirzlich von den Prazision zu Gehor gebrachten gesang-
Mitgliedern des Chicagoer Lehrervereins lichem Vortrag eingeleitet. Darauf Melt
in der Schillerhalle des Schillergebaudes Herr Professor Schmidt- Wartenberg von
abgehalten wurde, hat einen in jeder Be- der Chicago Universitat einen hoch in-
ziehung gelungenen Verlauf genommen. teressanten und sehr belehrenden Vor-
Da auch der Besuch ein sehr guter war, trag iiber das Thema: ,,Deutsche Fami-
so wurde von vorneherein der Beweis ge- liennamen". Er erlauterte dabei auch
liefert, dass die Mitglieder an diesen Zu- in der klarsten und verstandnisvollsten
sammenkiinften immer mehr Gefallen Weise die Entstehung der Namen samt-
finden. Die Nachmittagsunterhaltung licher Anwesenden. Frl. ^.nna Bobzien,
368
P'ddagogische Monatsbefte.
eine jugendliche Kirchensangerin aus
Dr. Zimmermanns Gemeinde, welche sich
im Besitz einer ebenso angenehmen wie
wohlgeschulten Sopranstimme befindet,
erfreute die Anwesenden durch die au-
sserordentlich ansprechende Wiedergabe
einiger Lieder, und Frl. Emma Schramm
schilderte in humoristischer Weise in
Versen den Hergang des Lehrertages in
Indianapolis. Als Ehrengaste waren zu-
gegen: Frau Pauline Reed, die erste ehe-
malige deutsche Lehrerin in den offent-
lichen Schulen, das Schulratsmitglied
Christian Mayer nebst Gattin, und Herr
Dr. Zimmermann. Der Verein wird, wie
bereits in den letzten Jahren, so auch
wiederum in diesem, ein Weihnachtsfest
veranstalten.
In der ersten Woche des Novembers
wurde alien deutschen Lehrern Gelegen-
heit gegeben, in der Seminarubungs-
schule Probelektionen im Deutschen zu
sehen und zu horen. Es ist der deut-
schen Lehrerin, Frl. Therese Torgatsch,
gelungen, den Schiilern das Deutsche so
interessant zu machen, dass jetzt fast
alle Schiller am deutschen Unterrichte
teilnehmen. Obgleich die meisten Schil-
ler nicht deutsch sind, so konnen sie doch
im 6. Grad ohne alle Schwierigkeit dem
Unterricht folgen, und Frl. Torgatsch
spricht nur Deutsch beim Unterricht.
Es ist fiir unsere deutsche Sache nicht
hoch genug anzuschlagen, dass es Herrn
Dr. Zimmermann gelungen ist, den deut-
schen Unterricht auch in der Seminar-
iibungsschule einzufiihren.
E. A. Z.
Cincinnati.
Der Reform-Lehrplan und die neue
Schulbildung sind nochmals — um mit
Wippchen zu reden — der saure Apfel,
in welchen der Korrespondent beissen
muss; denn wo alles an dem Apfel her-
umknabbert, darf ihn der Plauderer
nicht als Hekuba behandeln. Seit Be-
ginn dieses Schuljahres wird seller Lehr-
plan unter Anleitung der beiden Hilfs-
superintendenten so energisch ins Prak-
tische iibersetzt und durchgesetzt, dass
viele Pestalozzijiinger darob ganz ent-
setzt sind. Um das padagogische Koch-
und Rezeptbuch dreht sich hier, wie um
einen Hexenkessel, das schulmeisterliche
Tagesgesprach. Mit "Nature Studies"
gehen jetzt unsere englischen Kollegen
zu Bett, mit "Constructive Work" ste-
hen sie auf, und dazwischen traumen sie
von "Civics" und "Weather Charts". In
den Schulstunden, d. h. soweit solche, ab-
zilglich Versammlungen und Schiiler-
exkursionen, noch iibrig bleiben, versu-
chen sie dann mit heissem Bemiihen, die
Traume mittels — verzeihen Sie das harte
Wort! — Dreck, Farbenschachtel, Pa-
pier und Schere bildlich darstellen zu
lassen. Gelegentlich oder "incidentally"
unterrichten sie manchmal auch ein biss-
chen Lesen, Schreiben und Rechnen, so
viel natiirlich zufallig hangen bleibt.
Nach der Schule heisst es gewohnlich
,,in die Versammlung", allwo den Arm-
sten von den vielgeplagten Hilfssuperin-
tendenten fein sauberlich die Rationen
fiir die nachsten Wochen zugewiesen wer-
den, auf dass sie wissen, was sie zu
thun haben im Kneten, Schneiden, Flech-
ten, Singen und noch in manchen andern
Dingen. Damit aber die Spezialsuperin-
tendenten, namlich die Zeichnen-, Sing-,
Schreib- und Turnmeier, nicht zu kurz
kommen, halten diese so zwischen hin-
ein noch ihre Spezialsitzungen ab, wobei
sie die Lehrerinnen fiir ihre Spezialfii-
cher ganz speziell zu begeistern suchen.
Wir leben halt gegenwartig in dem ver-
sammelten Zeitalter. Um zu verhiiten,
dass die Lehrerinnen die in den verschie-
denen Konferenzen erhaltenen Instrukti-
onen vergessen, werden sie (die Instruk-
tionen, nicht die Lehrerinnen ! ) auf ein
,,Bulletin" gedruckt, das halbmonatlich
als padagogischer Wegweiser erscheint.
Anschauungsunterricht heisst das
Steckenpferd, das man hier gegenwartig
mittels der oben erwahnten Kindergar-
tenarbeiten in amerikanischer ttbertrei-
bung zu Tode reitet. Der gute Pesta-
lozzi wiirde staunen, wenn er sehen wur-
de, wie man ihn auf seinem ureigensten
Gebiete noch iibertrifft oder — missver-
steht. Nicht als Mittel zum Zweck, son-
dern als Selbstzweck wird hier grossten-
teils das Papierschneiden, Falten, Flech-
ten etc. betrieben; dies hat aber selbst
der Schopfer des neuen Lehrplans, Dr.
Boone, sicherlich nicht beabsichtigt.
Im deutschen Departement ist man,
dank der Einsicht des Supervisors Dr.
Fick, gliicklicherweise konservativer.
Nach wie vor wird da der Anschauungs-
unterricht nur insoweit betrieben, als er
zur Erlangung der Sprache zweckdien-
lich ist, und die Resultate sind dabei
durchaus befriedigend, wie Herr Fick
nach seinem Besuche der verschiedenen
Schulen mit Freude und Genugthuung
erklarte. Auch sein Kollege Dyer und
Supt. Boone sahen sich schon wiederholt
zu der Jtusserung veranlasst, dass sie ge-
rade unter den deutschen Lehrkraften
das beste und richtigste Verstandnis fiir
Natur- und Anschauungsunterricht fan-
den. Entschiedene Anerkennung ver-
dient Dr. Fick auch daf iir, dass er angst-
lich iiber die dem deutschen Unterricht
zugemessene Zeit wacht, und dass er in
einigen Fallen bereits mehr Zeit dafiir
erhalten hat. Sobald im englischen De-
partement fiir Lehnnittel und Ergan-
Korresponden^en .
369
zungslektiire die gewiinschten Gelder be-
willigt werden, wird er darauf achten,
dass auch das deutsche Departement da-
bei nicht zu kurz komme. Recht so!
In der Oberlehrersitzung vom 31. Okt.
wurde das Thema ,,Das Lesen der Ju-
gend" ebenfalls eingehend behandelt und
zwar von Herrn Kollegen Schiele, der in
einem fleissig ausgearbeiteten Vortrage
die Notwendigkeit von passender Ju-
gendlektiire begriindete. In der darauf-
folgenden Debatte wurde der schon oft
geausserte Wunsch laut, dass jedes
Schulhaus auch mit einer deutschen
Schiilerbibliothek versehen wiirde, wie
dies bis jetzt leider nur bei wenigen der
Fall sei. Eine Monatsschrift, betitelt
,,Jung Amerika", die bereits vom nach-
sten Monat an unter der Oberleitung
von Dr. Fick hier herausgegeben wird,
diirfte dem dringenden Bediirfnis entge-
genkommen, umsomehr, als darin haupt-
sachlich deutschamerikanische Stoffe
und zwar in einer fiir unsere Schiller
leicht verstandlichen Sprache behandelt
werden sollen.
Am 8. und 9. November tagt in unse-
ren Mauern die Central Ohio Teachers'
Association, was ungefahr 2000 Lehrer
und Lehrerinnen aus dem Herzen des
Buckeye-Staates hierher bringen wird.
Von den hiesigen Schulen wird fur diese
Gelegenheit eine prachtige Ausstellung
von Kindergartenarbeiten und "Con-
structive Work" geliefert, die den aus-
wartigen Kollegen zu ihrer Verwunde-
rung zeigen wird, dass wir ,,nicht so
ganz ohne" sind. Aber auch ehrliche
Klassenarbeit in anderen Fachern, be-
sonders auch im Deutschen, wird ausge-
stellt werden. In erfreulichem Gegen-
satze zu friiheren Gelegenheiten sollen
dies keine fiir den Zweck eigens zuge-
stutzte Paradeleistungen sein, sondern
wirkliche Klassenarbeiten, wie sie tag-
lich von den Schulen geliefert werden.
E. K.
Kalifornien.
Am 7. Oktober hielten die Lehrer des
Deutschen von Kalifornien ihre regel-
massige Versammlung ab. Es wurde be-
schlossen, dass der Verein sich dem
Deutschamerikanischen Zentralbunde an-
schliesse. Dann Melt das neue Haupt
des deutschen Departements an der
Staatsuniversitat, Dr. Hugo Schilling,
eine Ansprache an die Lehrer, worin er
auf die Ziele des deutschen Unterrichts
hinwies, und die Stellung, die er and den
High Schools des Staates und in den
Aufnahmebedingungen der Universitat
haben sollte. Es wird sein Bestreben
sein, dem Deutschen mehr Anerkennung
zu verschaffen und sonderlich darauf zu
sehen, dass er von den klassischen Spra-
chen nicht langer mehr in den Hinter-
grund geschoben wird. Sobald er mit
den Verhaltnissen in seinem neuen Wir-
kungskreise besser vertraut ist, wird er
weitgreifende V eranderungen in bezug
auf die Stellung des Deutschen vorschla-
gen.
Wegen vorgeriickter Stunde wurden
andere Vortrage, die auf der Tagesord-
nung standen, bis zur nachsten Ver-
sammlung im Dezember verschoben.
V. B.
Milwaukee.
Unsere Stadt steht augenblicklich im
Zeichen der neuen Schulhausbauten. Im-
mer und immer wieder musste die Schul-
behorde bei dem Stadtrat darauf drin-
gen, Gelder fiir neue Schulhauser zu be-
willigen, und so ist denn endlich dadurch
Abhiilfe geschaffen worden, dass die
Stadt zu diesem Zwecke Bonds in der
Hohe von $400,000 ausgegeben hat. Da-
von sollen fiinf neue Schulhauser errich-
tet und drei umgebaut werden, resp. ei-
nen neuen Anbau erhalten. Das ist vor-
derhand geniigend, um die erste und
dringendste Not zu beseitigen; wenn die
aber fertig sind (was wohl mehrere
Jahre in Anspruch nehmen wird), so
wird in anderen Stadtteilen die Not wie-
der eben so dringend werden. Ja, ge-
wiss, die Schulhauser und der ganze Ap-
parat des Unterrichts unserer schul-
pflichtigen Jugend kostet der Stadt eine
Menge Geld, und doch wird dieses Geld
wohl am besten angelegt, und die Bur-
ger sollten mit Recht darauf dringen.
dass die stiidtischen Behorden in dieser
Hinsicht nicht mit den Ausgaben knau-
sern. Es wird ja leider sonst auch nicht
geknausert, sondern viel Geld ausgege-
ben, was gespart werden konnte. Und
aller Notbehelf sollte in Schulsachen
nicht geduldet werden, z. B. Halbtags-
schulen, und die elenden Baracken als
Substitut fiir ordentliche Schulhauser.
Jedoch die Klage iiber Mangel an Schul-
hausern ist eine allgemeine in alien
grossen Stadten dieses Landes, und je
grosser die Stadt, desto grosser die Klage
und der Mangel. New York und Chicago
sind hierin wohl am schlimmsten be-
stellt. Die Bevolkerung in den grossen
Sttidten hierselbst wachst riesig an, be-
sonders in den Stadtteilen, wo das
f remdgeborene Element und deren Nach-
kommen wohnen. Diese guten Leute
konnen oder wollen sich durchaus noch
nicht zu dem ,,idealen Standpunkt" des
Zweikindersystems aufschwingen, und
so bilden sie den Hauptfaktor in der Be-
volkerung des Landes, wohingegen die
Angloamerikaner hierin den allerletzten
Platz einnehmen. Doch die Fremdgebo-
renen, besonders die Deutschen, thun
370
P'ddagogische Monatsbefte.
noch mehr, sie nehmen den anderen Biir-
gern noch einen grossen Teil der Lasten
und Steuern ab fiir Schulhausbauten,
denn viele von ihnen unterhalten noch
Privatschulen und schicken ihre Kinder
dorthin. So besuchen allein hier in Mil-
waukee etwa 20,000 Kinder solche Schu-
len. Wie viel mehr Schulhauser wiirde
die Stadt nun erst bauen miissen, wenn
diese Schulen nicht da waren?
Der hiesigc Verein deutscher Lehrer
der offentlichen Schulen hielt am 21.
Okt. seine erste Versammlung in diesem
Jahre ab. Bei der vorgenommenen Wahl
der Beamten wurden der Vorsitzer, Herr
C. B. Straube, und die stellvertretende
Vorsitzerin, Frl. A. Hohgrefe, wiederge-
wahlt, und als Schriftfiihrer und Schatz-
meister Herr F. Hamann ausgewahlt.
Ausserdem wurden nur Routinegeschafte
erledigt. Der Verein ernannte auch 3
Vertreter fur den neugegrundeten ,,D.
A. Zentralverein" in Philadelphia.
Eine ganze Anzahl unserer liebens-
wiirdigen Kolleginnen im Verein sind am
Schluss des letzten Schuljahres fahnen-
niichtig geworden, indem sie die Schul-
stube mit Haus und Kiiche, das Lese-
buch mit dem Kochbuch, und den Lehr-
stand mit dem Hausstand vertauscht
und — sich verheiratet haben. Den ed-
leii Lehrerberuf haben sie aufgegeben
und dafiir den noch edleren, ja, den
edelsten Beruf des Weibes, namlich den
der Gattin und Mutter, erwahlt. Wer
wollte sie wohl dafiir tadeln! Jetzt wer-
den sie gute Gelegenheit haben, die Er-
fahrungen auf erzieherischem Gebiet, die
sie in der Schule gesammelt haben, zu
verwerten. Wir wollen ihnen viel Gliick
und Segen in ihrem neuen Stande wiin-
schen, und hoffen, dass sie das stramme
Schulregiment nicht auch ganzlich aufs
Haus iibertragen, sondern auch manch-
mal Nachsicht und Milde dem lieben
Gatten gegenuber walten lassen.
Die Prinzipale der offentlichen Schu-
len hierselbst hatten in ihrer letzten
Versammlung eine recht lebhafte De-
batte ilber Steil- und Schr&gschrift, und
es kam iiber das Fiir und Wider auf bei-
den Seiten zu einer erregten Aussprache.
Die Mehrzahl der Prinzipale scheint
sich wieder dem alten System der
Schragschrift zuzuneigen. Ihre Argu-
mente gegen die Steilschrift sind folgen-
de: Dieselbe sei unnatiirlich, erfordere
eine ganz andere und unbequeme Hal-
tung des Korpers, beseitige auch durch-
aus nicht die gekriimmte Haltung des
Rtickens. Dann sei die Schrift unschon,
und auch wegen der fast gleichen Lange
der kleinen und grossen Buchstaben un-
leserlich. Besonders aber sei sie sehr
unpopular bei den Geschaftsleuten, und
das hatte schon dazu gefiihrt, dass sie
in vielen Stadten wieder abgeschafft sei.
Alle Business- und Commercial Colleges
wollten nichts von ihr wissen. Ein
Schuldirektor von hier will in der nach-
sten Schulratssitzung beantragen, dass
der Sekretar Erkundigungen iiber ihren
Erfolg in den Stadten, wo sie in Ge-
brauch ist, einzieht. Man glaubt, dass
in den meisten Schulen, wo jetzt die
Steilschrift gelehrt wird, dieselbe wieder,
wie alle Modesachen, bald spurlos ver-
schwinden wird. A. W.
New York.
Deutscher Lehrerverein von New York
und Umgegend.
t Karl Mayer, f
Ein tiefer Schatten legte sich auf un-
sere Reihen, als unser Vorsitzender, Dr.
Karl Kayser, lezten Samstag die erste
Versammlung im neu beginnenden Schul-
jahre mit den Worten eroffnete: ,,Karl
Mayer, unser lieber Freund von der Sta-
ten Island Hochschule, ist nicht mehr!"
Wie ein zuckender Strahl aus wolken-
losem Himmel fiel diese Nachricht auf
die ahnungslosen Anwesenden. Hatten
sie doch in ihren Sommerferien, in den
entlegenen Gebirgsthalern der Catskills
und der Adirondacks, den fernen Mee-
resgestaden von Maine und Newfound-
land oder der deutschen Heimat nichta
vernommen von der tiickischen Krank-
heit und dem j alien Hinscheiden des an-
scheinend so kriiftigen, schaffensfreudi-
gen, lebensspriihenden Kollegen. Wer
hatte auch an ein so plotzliches Stehen-
bleiben seiner Lebensuhr gedacht? Hei-
terer wie je nahm er an unserer letzten
Juniversammlung in Newark teil! Und
nun ist er tot, verblichen, ehe der
Abend kam. Herr H. von der Heide,
der Karl Mayer wohl am langsten kann-
te, widmete dem Dahingeschiedenen ei-
nen warm empfundenen Nachruf. Was
Herr von der Heide sagte, klang mir wie
ein Lied in wahren Mollakkorden : We-
nig Sonnenschein, wenig wirklich reine
Freude war nach ihm dem Dahingegan-
genen beschieden gewesen. Was sein
Leben ausmachte, war ein steter Kampf
mit der Ungunst der Verhaltnisse, ein
bisschen Gliick nur, doch viel Schmerz
und rnanche Thranen, ein kurzer Friih-
lingstraum, und dann nur Sturm und
Wetter.
,,Nun spinnt der Epheu deine Ruhstatt
ein,
Zu deinen Fiissen spriessen Herbstesblii-
ten —
Du konntest schoner nicht gebettet sein!
Ich aber bete: Hege mir die Mtiden,
Du heil'ge Erde, und du Kreuz von
Stein,
O sprich auch meiner Not das Wort vom
Frieden!" A. K.
IV. Umschau.
Amerika.
Cambridge. Professor Horatio 8.
White, Dekan an der Cornell Universi-
tat, 1st fur das nachste Schuljahr als
Professor der deutschen Sprache an der
Harvard Universitat ernannt worden,
und zwar wird er Vorlesungen iiber Mit-
telhochdeutsch und die moderne deutsche
Litteratur halten. Prof. White ist ein
Schiiler der Harvard Universitat, welche
er im Jahre 1873 absolvierte.
Madison. Prof. Charles Kendall
Adams, bisheriger Prasident der Staats-
universitat von Wisconsin, sah sich
krankheitshalber gezwungen, sein Amt
niederzulegen. Seiner langjahrigen ener-
gischen Thatigkeit verdankt die Univer-
sitat ihre gegenwartige hohe Stellung
unter den Universitaten des Landes, und
sein Weggang wird darum allseitig be-
dauert. Prof. Adams war ein eifriger
Befiirworter des deutschen Schulsystems,
welches er bei mehr als einer Gelegen-
heit in Wort und Schrif t als Muster hin-
stellte.
Deutschland.
Am 15. September starb im 74. Le-
bensjahre Schulrat Prof. Dr. Euler in
Berlin, seit 1860 Lehrer an der Kb'nigl.
.Zentral-Turnlehrerbildungsanstalt, seit
1877 Unterrichtsdirigent derselben. Der
Verstorbene war ein ausserst fruchtba-
rer Schriftsteller auf turnerischem Ge-
biete; insbesondere muss man ihn als
die zur Zeit erste Autoritat auf dem Ge-
biete der Turngeschichte bezeichnen.
Auch auf die Gestaltung des Turnunter-
richts in . den preussischen Schulen hat
er massgebenden Einfluss ausgeiibt. Die
hervorragendsten seiner Schriften sind:
Geschichte des Turnunterrichts in Kehrs
Geschichte der Methodik (2. Aug. 1890),
Ausgabe der Werke Jahns (1884-87),
Encyklopadisches Handbuch des gesam-
ten Turnwesens (1893-96). Seit 1882
gab er mit Eckler die ,,Monatsschrift fur
das Turnwesen" heraus.
Oskar J&ger iiber Schulleitung. Der
bekannte Bonner Professor Geheimrat
O. .lager sagt in seinem Buche: ,,Aus
der Praxis" : ,,Man kann auf zweierlei
Art regieren.' Auf die orientalische : mit
viel amtlichen Air — Verordnungen,
Zirkularen, Protokollen, Fachkonferen-
zen, allgemeinen Konferenzen, Referaten,
Korreferaten, Lehrplanfolianten. Dabei
kannst du auf deinem Zimmer bleiben,
deinen Schlafrock in wiirdige Falten le-
gen, und der Schuldiener tragt dir alles
zu, bis die Stunde schlagt. Du zeigst
dich wenig, wie einst die Perserkonige,
damit deine Unterthanen nicht den Re-
spekt verlieren; erscheinst du dann ein-
mal, so macht das um so mehr Effekt. —
Es giebt noch eine andere, die man die
occidentalische, germanische, menschli-
che nennen kann. Sie besteht darin, dass
man auf dem Platze ist und die Augen
offen halt, — am Gesprach der Kollegen
in den Pausen mit Heiterkeit teilnimmt;
fur jedes Desiderium zuganglich ist —
diese Methode hat den grossen Vorteil,
dass man sehr vieles im Keime ersticken
— ruhig schlichten kann, ehe es an die
grosse Glocke kommt. Wenn da etwas
Dummes gesagt wird — von dir und dei-
nen Mitarbeitern, es ist ja doch moglich,
das wird wenigstens nicht protokolliert."
Neues von Otto Ernst. Otto Ernst
hat die Neubearbeitung seines Dramas
,,Die grosste Siinde" beendet. Nach der
Lektiire des Manuskriptes hat sich Ba-
ron von Berger das Erstauffiihrungsrecht
fur das Deutsche Schauspielhaus in
Hamburg gesichert.
Schiessferien erhalt alljahrlich eine
Anzahl von Schulkindern in einem Ort
des Regierungsbezirks Posen. Dort
uberlasst ein Gutsbesitzer einen Teil sei-
ner Felder in jedem Sommer dem Mili-
tar zu ttbungen im Gefechtsschiessen mit
scharfen Patronen. Mitten iiber dieses
Feld fiihrt ein von der Regierung ange-
kaufter Fusssteig, den eine Anzahl Kin-
der taglich als Schulweg benutzen muss.
Eben zu diesem Zweck wurde der Fuss-
steig seiner Zeit angekauft. Wahrend
des Gefechtsschiessens befindet sich der
Fusssteig in der Flugbahn der Geschos-
se, sodass die Benutzung des Steiges
dann mit grosser Lebensgefahr verbun-
den ware. Eingaben der beteiligten El-
tern und Lehrer um Verlegung des
Schiessgebietes haben bisher keinen Er-
folg gehabt. Um die Schulkinder nicht
in Lebensgefahr zu bringen, miissen sie
fiir die Zeit der ttbungen vom Schulbe-
such befreit werden, sie haben also
Schiessferien. Es lebe der Militarismus !
Auch ein arztliches Urteil uber die
Steilschrift. Dem Magistrat von Fiirth
lag — wie der Frk. Kurier berichtet —
iiber die Ergebnisse der in 10 Jahren mit
der Steilschrift vorgenommenen Versu-
che, wie solche auch in den dortigen
Volksschulen stattgefunden haben, ein
oberarztliches Gutachten vor. Dasselbe
vertritt die Ansicht, dass gesundheitliche
Nachteile aus der Schragschrift fiir die
Kinder nicht vorlagen, weder betreffs
Kurzsichtigkeit noch Verkriimmung der
Wirbelsaule. Falls eine Obermiidung der
Kinder vermieden und auf eine gute Hal-
tung beim Schreiben gesehen werde, sei
es in gesundheitlicher Beziehung ganz
372
Padagogiscbe Monatsbefte.
gleich, ob in Steilschrift oder in Schrag-
schrift geschrieben wird.
England.
Die jiingst abgehaltene Versammlung
der Gewerkvereine Englands hat einstim-
mig einen Beschluss angenommen, der
die Thatigkeit der Regierung auf dem
Gebiete des Unterrichtswesens missbil-
ligt und Schulbesuchspflicht bis zum 15.
Jahre und Unentgeltlichkeit in alien
Elementar-, Fortbildungs- und Gewerbe-
schulen fordert. Begabten Arbeiterkin-
dern soil durch Gewahrung von Stipen-
dien die Moglichkeit zu hoherer Ausbil-
dung eroffnet werden.
Serbien.
Trotz des neuen Schulgesetzes, das den
Schulbesuch fur alle Kinder von 6 — 10
Jahren obligatorisch macht, besuchen
doch etwa zwei Drittel aller schulpflich-
tigen Kinder iiberhaupt keine Schule,
weil die vorhandenen Schulgebaude filr
deren Unterbringung gar nicht geniigen;
dass aber mit der Zeit alle Kinder des
angegebenen Alters die Schule besuchen
werden, lasst sich bestimmt erhoffen, da
die Regierung den ernsten Willen hat,
die Volksbildung zu heben.
V. Vermischtes
Automobil, Automobilist, Automobilis-
mus. Auf das vom Allg. Schnaufel-Klub
(Vereinigung deutscher Automobilisten )
in Miinchen zu Anfang dieses Jahres er-
lassene Preisausschreiben fiir Verdeut-
schung der Worte Automobil, Automobi-
list, Automobilismus und Automobilfah-
ren sind insgesamt nicht weniger als 848
Einsendungen mit mehr als 1000 Vor-
schlagen eingegangen. Den ersten Preis
errang Herr Regierungsbaufiihrer Wil-
helm Will in Berlin. Er giebt dem neuen
Fahrzeug den einfachen Namen ,,das
Aut" (Mehrzahl ,,die Aute"), wozu er
fiir Automobil, Automobilismus und Au-
tomobilfahren die Ableitungen der Aut-
ler, das Auteln, auteln bilden. Densel-
ben Gedanken hat Geheimer Rat Kopke
in Dresden, der den zweiten Preis er-
hielt, nur dass er zu dem Stammwort
Aut die Ableitungen Auter, Auterei, au-
ten (die Autung) vorschlagt. Den Will-
schen Ableitungen ist der Vorzug gege-
ben worden, weil sie sich an die im
Sportwesen schon gebrauchlichen Bil-
dungen ,,Radler, das Radeln, radeln" an-
schliessen. Der dritte Preis musste un-
ter sieben gleichlautenden Vorschlagen
ausgelost werden. Dieselben lauten auf
,,Triebwagen, Triebfahrer, Triebfahrwe-
sen (Triebfahrsport), Triebfahren"
Der Name ,,Amerika". In der Bibli-
othek des Schlosses Wolfegg wurde kiirz-
lich eine Karte aus dem Jahre 1387 von
Martinus Waldseemuller, ,,die Reisen
von Americus Vespuccius und ande-
ren" beschreibend aufgefunden, auf
welcher zum ersten Male der Name Ame-
rika fur den neuentdeckten Erdteil auf-
tritt; und zwar ist der Name den Lan-
derstrecken in dem Wendekreis des
Steinbocks beigelegt. Es scheint somit
klar, dass wir einem Deutschen den Na-
men unseres Erdteiles zu verdanken fia-
ben.
Die Probe. ,,Nun," meinte der Herr
Inspektor halblaut, ,,ich bin ja nicht un-
zufrieden, mein lieber Herr Lehrer! Aber
eines:Sie miissen mehr mit der Kreide
arbeiten! Mehr Anschauungsunterricht !
Was das Kind sieht, behalt es! Immer
alles vorzeichnen — ."
,,Ach," seufzte der Lehrer, ,,wenn ich
das nur konnte!"
,,Papperlapapp ! " entgegnete der In-
spektor eifrig. ,,So ein bisschen Kiinst-
ler muss der Lehrer immer sein! Pas-
sen Sie auf! Ich zeichne hier mit weni-
gen Strichen eine Eule auf die Tafel ! . . .
Sehen Sie — so! Nun geben Sie mal
acht! . . . Also, lieber Kleiner," wendet
er sich an einen aufgeweckt dreinschau-
enden Jungen, ,,was ist das?"
Der Kleine betrachtet das Gebilde von
Inspektorshand eine Weile ; dann sagt er
entschieden: ,,Eine Sau!"
Mit unmutigem Brummen wendet sich
der Herr Inspektor, seinen Zorn verwin-
dend, nach der Miidchenseite. ,,Nun,
mein Kind," lachelt er ein hiibsches
Blondkopfchen an, ,,sag' Du's: Was ist
das?"
Auch das Dirndl sieht die Zeichnung
eine Weile an; dann entgegnet es kura-
giert und bestimmt: ,,Eine Sau!"
Jetzt schlagt der Herr Inspektor die
Hande iiber dem Kopfe zusammen.
,,Wie," ruft er emport in die Schule hin-
ein, ,,was ist das?" Und aus fiinfzig fri-
schen Kehlen schallt's ihm einmiitig und
Uberzeugt entgegen: ,,Eine Sau!"
(Pr. L.-Ztg.)
0 diese Fremdworter! Ein westtiroli-
sches Steueramt fordert Bericht iiber ei-
nen Bauer Gregor Rentner behufs seiner
Eintragung in die richtige Kategorie.
Der Gemeindevorsteher half sich aus sei-
ner Verlegenheit, in die ihn das anfangs
dunkle Wort versetzt hatte, endlich kurz
und biindig durch folgenden Bericht:
,,Der Gregor Rentner ist fur die Kathi,
sein Weib, der richtige Gori."
Biicherschau.
I. Deutschamerikanische Schulgrammatiken.
Von Otto Heller, Washington University, St. Louis, Mo.
II.
Otis's Elementary German.
Elementary German. By the late Charles P. Otis., Ph.D., Professor of Modern
Languages in the Massachusetts Institute of Technology. Seventh edition, based
on the sixth edition and edited by Horatio Stevens White, Professor of the German
Language and Literature in the Cornell University. With additional revisions by
William Herbert Carruth, Professor of the German Language and Literature in the
University of Kansas. New York, Henry Holt & Co., F. W. Christern. Boston,
Carl Schoenhof. (No date.)
The title is long, and full of promise: a seventh edition, bearing three names
which sound well in the ears of American teachers, ought to be warrant for a high
degree of excellence. For whatever may be the difficulties of expounding German
grammar to the young American pupil, they can unquestionably be cleared away
by three well-trained Germanists and experienced pedagogues working in harmonious
effort. No wonder the book has held its own in the competition with more recent
and, let this reveal my personal disposition towards it, far worthier elementary
grammars. I became intimately acquainted with Otis's Grammar upon assuming
the directorship of the German Department at the Chautauqua Assembly. There
I found the little volume snugly established in the program and likewise in the affec-
tions of Chautauquans. Many of my students at the Assembly are teachers of
German who use Otis's Elementary German in their schools. If I am not in error,
it is also on the 'Regents' List' in the state of New York. Under these circum-
stances I believe that this text-book needs to be thoroughly revised and printed
from new-set type, or — to be withdrawn from the market, lest the obvious blunders
committed by Professor Otis and not purged away in the later editions continue to
do mischief.
A mild protest against the 'showiness' of the title-page may not be out of place.
For it is a deplorable fact that the average Anglo-American teacher of German and
French in our High- Schools is crassly undereducated, linguistically, and inasmuch
as for this reason he does not depend on his own judgment in selecting his text-
books, but rather on that of the publisher's catalog or agent, it is plain enough that
he cannot but be unduly impressed by the combination of three such good names.
More than once, in correcting indisputably bad German, I have been confronted
with the sometimes timid, sometimes confident rejoinder that the passage I was
condemning was built upon a model in Otis's Elementary German, and that the model
must be right, else would it not have been sifted out with the other mistakes, by
at least one of two rigorous critics?
And so Professors White and Carruth, jointly with the late Professor Otis, ap-
pear to stand sponsors, in a way, for certain grammatical sins, of which the follow-
ing will contain samples.
I shall not undertake a general review of the book, and so I need not speak of
its many good qualities. They are sufficient, in my estimation, to justify a new,
374 P'ddagogiscbe Monatshefte.
radically revised, edition. On the other hand, it will not be necessary for me to give
more than a few typical examples of its prevalent faults, in order to make good
my charges: that it was not carefully compiled, and that it is not edited carefully
enough.
In the theoretical explanations the student is not frequently misinformed, al-
though occasionally such is the case, as when he reads, p. 187: The only preposi-
tions governing the infinitive are ohne, urn, statt. These stand at the beginning
of the clause, with the infinitive preceded by zu at the end. Er ging vorbei, ohne
mich zu sehen, he went past without seeing me. Or, when he is told, p. 261, that
'that, in order that' are translated by damit, dass, or — horribile dictu — urn doss!
But the explanations are, on the whole, so meagre as to be often misleading through
ambiguity.
For example, on p. 193 the difference between durch und von is discussed, thus:
durch is no longer used for the personal agent which is von, but expresses an im-
personal agent or cause, etc. The student, not having been given to understand
that this synonymic distinction relates to the passive voice, innocently translates,
from one of the subsequent exercises: I sent the letter through a messenger, ich
sandte den Brief von einem Boten,
Fault must be found with the exercises that accompany the lessons, both on
account of their general character and their want of accuracy. Their general char-
acter is Ollendorffian. They lack coherence, continuity, and gradation. E.g.
p. 180. 1. Do you wear a hat or a cap? 2. Were you acquainted with my brother
William? 3. The work praises the master. 4. The accusative is the case which
a transitive verb governs. 5. Liszt taught her [the] music. 5. Hunters call in
Germany the ears of the ha,re "spoons", etc.
This is especially objectionable in the German exercises. Here at least the
learner might be offered a more interesting matter than that furnished by entirely
unrelated, sadly commonplace word-combination, such as:
P. 179. 1. Er tragt eine Miitze. 2. Ich wunsche ihn zu sehen. 3. Guten
Tag, lieber Herr Miiller. 4. Schonen Dank, Heinrich. 5. Betet einen frommen
Spruch. 6. Er fragte mich manches iiber meinen Ausflug von gestern. 7. Er
nannte ihn einen gemeinen Menschen, etc.
The only justification of such sentences consists possibly in their paradigmatic
value. They should, then, at least be unimpeachable on the score of grammatic and
idiomatic correctness. But we read:
P. 176. Alle Knochen will ich euch abschlagen.
P. 183. Lass das Biichlein dein Freund sein.
P. 189. Unfern des Berges hochsten Gipfels machten wir unser Friihstuck.
Ibid. Ich ging an dessen Statt. Ibid. Sonder Zweifel ist das.
P. 203. Er stieg in ein Gasthaus ab.
P. 211. Mein Freund gab mir eine Einlasskarte, sonst wiirde ich nicht haben
eingehen diirfen. (The ticket evidently admitted to a hospital for the obese.)
P. 223. Der Dogge lasst sich nicht necken, etc.
P. 70. Abwarts liegt das Dorf.
The vocabularies are both incomplete and inaccurate. This results in mistrans-
lations on the part of the student, go out is translated ausgehen. The learner
will therefore not seek for a vocable outside of his grammar in translating, on p.
211: Please ask whether people are allowed to go out here. Obviously, however,
ausgehen cannot be used in this place, unless we strain the sentence. Expressions
like das 1'a.sst sich horen (p. 223) and others with lossen, being of an idiomatic
nature, should have been translated in the vocabulary. In / scarcely need tell you
that (p. 211) brauchen not diirfen is required. On p. 216 the pupil will naturally
Bttcberbesprecbungen. 375
translate 'are you fond of music' by mogen Sie die Musikf Yet that is wrong.
On p. 217 he learns to associate an undue emphasis with wollen, when he is to trans-
late by means of it: 'I am determined to read this book through today.' 'I must,
I think, write to him,' p. 220, is rather an unfortunate choice for a model sentence,
as is likewise: 'Can I take a seat here?' on p. 211.
Ich lehre ihn die Musik is too uncommon an expression to be quoted as a para-
digm, p. 178. Also, es liistet is obsolete in conversational German (p. 178). To
fall to one's share is not einem zu, teil fallen, but werden (p. 176).
The book also contains many conversational exercises. How little these will
serve the practical needs of the pupils is easily seen. They deal chiefly with history
and geography and contain for the most part empty names. E. g. p. 177. 1. Welche
Nebenflusse hat die Weser? Die Aller (mit dem Nebenflusse Leine), die Fulda und
die Werra sind Nebenflusse der Weser. 2. Welche Stadte liegen an der Weser?
Die Stadte Bremen und Minden. 3. Welche Stadte liegen an der Leine? Die
Stadte Hannover und Gottingen. 4. Welche Stadte liegen an der Fulda? Die
Stadte Cassel und Fulda liegen an der Fulda, etc.
Occasionally, bad German has crept even into the Sprachiibungen, as for instance
p. 148: In welchem Lande werden die grossen Seedampfer fabriziertf One might
ask, with better reason: In welchem Lande werden die deutschen Grammatiken
fabriziert f
The electroplates from which Otis's Elementary German is printed, are badly
worn. Another reason for re-printing the book from types. Typographic errors oc-
cur in many places, for example on pp. 182, 203, 210, 212, 219.
II. Bucherbesprechungen.
Gustav Freytag, Soil und Haben. Files' Ausgabe offenbar nicht; wenig-
Abridged and edited with introduction stens sind die daselbst gegebenen Anre-
and notes by George T. Files, Ph. D. gungen hier nicht verwertet. Welche
Boston (D. C. Heath & Co.), 1901. VI+ nennenswerten Vorziige das Buch gegen-
231+32 S. iiber der Bultmannschen Ausgabe besa-
Noch alle verkiirzten Schulausgaben sse, will mir auch nicht recht einleuch-
deutscher Romane, die mir in den letz- ten; im Gegenteil scheint mir die in der
ten Jahren zu Gesicht gekommen sind, letzteren enthaltene Liste der von der
haben mich angemutet wie etwa Teile Herausgeberin eingefugten Stellen em-
von Gemalden, die aus der Leinwand her- pfehlenswert. Unerlasslich ware meines
ausgeschnitten und notdiirftig zusam- Erachtens eine Kennzeichnung solcher
mengeflickt waren (trotz allem, was aus Einfiigungen durch abweichende Schrift
Lessings Laokoon iiber das Nebeneinan- im Texte oder Gebrauch eckiger Klam-
der in der Malerei und das Nacheinan- mern (vgl. S. 132-3) ; sowie auch be-
der in der Dichtung Schones vorgebracht stimmte Bezeichnung der Stellen, wo das
werden konnte) ; und das Siindhafte sol- Ausgelassene nicht in gedrangter Dar-
cher Verstiimmelung eines Kunstwerks stellung erscheint, um dem Verfasser
wachst im geometrischen Verhaltnis zum nicht technische und stilistische Mangel
Kunstwert. Dem grossen Romane Frey- zuzuschieben, die lediglich durch das
tags widerfahrt dies Schicksal schon Verfahren der Herausgeber verschuldet
zum zweiten Male; die Leser der P. M. sind; vgl. z. B. S. 194, Z. 1, ebenda Z.
werden sich des wuchtigen Angriffs erin- 11 und S. 196, Z. 21, mit den vorausge-
nern, den Leo Stern in Bd. I, 2, S. 19ff. henden Abschnitten.
gegen Frl. Bultmanns Ausgabe gerichtet Ein paar Fragen: Verdankc Freytags
hat. Ein direktes Ergebnis der durch Roman seine Beliebtheit einzig einer
Herrn Sterns Artikel hervorgerufenen spanncnden Handlung? 1st der Titel des
Erorterungen fur und wider ist Dr. Originals fur einen Auszug aus dem
376
P'ddagogische Monatshefte.
Gang der Handlung berechtigt? Und soil
nur dieser zur Darstellung kommen, wa-
rum geht man dann nicht konsequent ei-
nen Schritt weiter und erziihlt die Ge-
schichte in schlichter Weise mit seinen
eigenen Worten unter entsprechendem
Titel? Eine leidliche Kopie ware viel-
leicht doch noch ertraglicher als ein zer-
stiickeltes Original.
Die Befiirworter verkiirzter Ausgaben
werden an den bis jetzt vorliegenden
keine rechte Freude haben. Interessant
ware ein Versuch, an einem praktischen
Beispiele zu zeigen, wie die anderseits
geriigten Ausstellungen sich vermeiden
liessen.
Zu S. 36, Z. 7, vermisse ich eine An-
merkung iiber den homerischen Ursprung
der Redensart. — Druckfehler ist Knie-
schallen statt Knieschnallen auf S. 179,
Z. 28. Eine ganze Anzahl Worter in dem
Buche waren nach der neuen Orthogra-
phie grosszuschreiben.
Gut ist die kurze Einleitung iiber
Freytags Leben. Auch die Anmerkun-
gen sind anerkennenswert. ,Geschmuse'
(S. 101, 3) war als Judendeutsch an-
zugeben. ,Rosskamm' (S. 103, 3) ist
kein Eigenname, sondern Schimpfname
fur Pferdehandler, vgl. Pauls Worter-
buch.
Germany and the Germans. Contain-
ing the greater part of P. D. Fischers
Betrachtungen eines in Deutschland rei-
senden Deutschen. Edited, with notes,
by A. Lodeman. New York ( Silver, Bur-
dett & Co.) 1901. VIII+94+34 S., mit
einer Karte. 60c.
Dies Biichlein diirfen wir mit Freuden
begriissen. Dass es einem wirklichen Be-
diirfnisse entgegenkommt, weiss jeder
Lehrer des Deutschen, der neben der
nachgerade beangstigenden Masse von
Schulausgaben erzahlender Litteratur
nach einem passenden Texte sucht, wel-
cher die aktuellen Zustande Deutseh-
lands darstellt und beweist, dass die
Deutschen sich auf noch anderes verste-
hen als Lieben und Heiraten. Allwarts
macht sich im neusprachlichen Unter-
richt das Verlangen nach vertiefter
Kenntnis von Land und Leuten immer
starker geltend; auch unser Zwb'lferaus-
schuss besteht darauf; aber an entspre-
chenden Texten herrscht noch ein unan-
genehmer Mangel, dem Prof. Lodemans
Buch einigermassen abhelfen wird. Ein
Buch, betitelt ,,Deutschland und die
Deutschen", das vor Jahren hierzulande
vielfach gebraucht wurde und infolge sei-
ner veralteten Anschauungen iiber den
Gegenstand sowie seines fehlerhaften
Deutsch mehr Schaden als Nutzen ge-
stiftet hat, ist gottlob vom Biichermarkt
verschwunden. Das hier angezeigte
Werkchen ist mit Ausnahme von Dr.
Prehns Journalistic German (s. P. M.
II, S. 133) jetzt das einzige auf diesem
Felde und besitzt dem eben genannten
fegeniiber den grossen Vorzug der Ein-
eitlichkeit, guter Anmerkungen und
sorgfiiltigerer Schreibweise, obwohl ich
keineswegs in die Lobeserhebungen des
Herausgebers ttber des Verfassers Stil
miteinstimmen mochte ; ein naheres Ein-
gehen hierauf verstattet der Raum
nieht. Jedenfalls aber sind die Schilde-
rungen Deutschlands aus berufener Fe-
der geflossen; gegen den gelegentlich
durchschimmernden politischen Stand-
punkt des ehemaligen Unterstaatssekre-
tars im Reichspostamt Hesse sich frei-
lich wohl dies und das vorbringen. Die
Betrachtungen sind mit warmer Liebo
zur Heimat und zur Sache geschrieben.
Fischers Werk erscheint im Auszuge;
das Original liegt mir nicht vor, so kann
ich mir iiber die jeweilige Notwendigkeit
der Kiirzungen kein Urteil erlauben;
doch diinkt mich, dass die Hinzufiigung
des 68 Seiten langen Schlussabschnitts
— vorausgesetzt, dass er sonst sich zur
Schullektiire eignete — dem Buche nicht
hatte schaden konnen. Wenn aber schon
einmal die Schere gebraucht wurde, so
hatten ohne Stoning des Zusammenhangs
mehrere Listen von Namen entfernt wer-
den konnen, die wohl dem deutschen Le-
ser, nicht aber dem amerikanischen Schil-
ler etwas bedeuten; auch kiimmern uns
einige persb'nliche Erlebnisse des Verfas-
sers recht wenig, z. B. dass er im De-
zember 1892 vom Karlsruher Mannerge-
sangverein angesungen wurde.
In den Anmerkungen halt Prof. Lode-
man die gliickliche Mitte; sie geniigen
zum Verstandnis und enthalten keinen
gelehrten Ballast. Mancher hatte es
vielleicht lieber gesehen, wenn fur die ge-
ographischen Namen ein besonderes Re-
gister geschaffen worden ware. Ohne
nennenswerte Unkosten hatte sich auch
die beigegebene farbige Karte (die leider
die physikalischen Konturen nicht scharf
genug hervortreten lasst) nach Art
mancher Handatlanten durch Buchsta-
ben und Zahlen am Rande in Felder tei-
len lassen, um das Aufsuchen zu ermog
lichen. — S. 1, Z. 5, to be in its infancy
kame dem Sinn wohl naher; ebenso S.
16, Z. 17, solitary confinement. — S. 30,
Z. 9: Dass Gerichtsvollzieher kein be-
stimmtes Amt bezeichnet, wird doch
kaum stimmen; das englische sheriff
diirfte ihm am nachsten kommen.. — S.
40, Z. 28, soil wohl heissen ,,das Kopf-
zerdrehen=Kopfzerbrechen". — S. 55, Z.
6, Anm. iiber ,,Sachsenganger" geschicht-
lich verfehlt. — S. 63, Z. 16: Was soil
das Ausruf ungszeichen ? — Selbstver-
standlich falsch ist, was der Verfasser
S. 75, Z. 2, sagt; soil es nur ein schlech-
Bilcberbesprechungen.
377
ter Witz sein? — Druckfehler: S. 33, Z.
10, 1. Karawansereien; S. 34, Z. 19, 1.
wohlgehaltenen; S. 39, Z. 22, 1. seiner:
S. 58, Z. 29, setze ein Komma nach Lan-
der. — "Cultivated officials" (Preface)
muss wohl heissen "cultured."
Dem hiibschen Biichlein Gliick auf den
Weg! — Wie man mir berichtet, wird
von anderer Seite ein ahnliches Unter-
nehmen iiber ,,Modern Germany" ge-
plant. Erfreulich miisste das Ergebnis
sein, wenn sich ein gebildeter Deutsch-
amerikaner, den die Nachliebe zur alten
Heimat nicht gegen deren Schaden, und
ein Amerikaner, den missverstandener
Patriotismus nicht gegen Deutschlands
Vorziige blind machte, zu gemeinsamem
Schaffen zusammenfanden. Nicht etwa.
als ob ich auch auf diesem Gebiete eine
tfberproduktion eintreten sehen mochte!
E. C. Roedder.
I have before me an abridged edition
of Hauff's Lichtenstein, by Frank Vogel,
Associate Professor of Modern Lan-
guages in the Massachusetts Institute of
Technology, published by D. C. Heath &
Co., Boston.
Leaving the question of the desirabil-
ity of abridged texts entirely aside, it
seems that the editor has solved his pro-
blem satisfactorily, avoiding alterations
of the text as much as possible, and ex-
ercising great care in preserving the
character of Hauff's great historical
novel as much as the circumstances per-
mit.
The introduction seems too scant, both
in the sketch of Hauff's life, as in that
of the career of Ulrich von Wurttemberg.
A somewhat more extended sketch of the
tremendous social, political and religious
forces that constantly project themselves
into the story, might have added interest
and color for the American student who
can not be supposed to have the partly
acquired, partiy instinctive sense of the
life of the past of the German people,
that makes the book so fascinating to
the German youth.
The purpose of the notes is mainly,
aside from a few brief historical refer-
ences to overcome difficulties of inter-
pretation by translation and grammat-
ical explanation.
The edition would prove useful for
second year's rapid reading.
Martin Schutze.
The University of Chicago.
Der Anschauungs- und Sprachunter-
richt im zweite.n und dritten Schuljahr
von Hermann Prull. Verlag von Ernst
Wunderlich, Leipzig.
Ein ausgezeichnetes Buchlein fiir den
Elementarlehrer. Es giebt in der Ein-
leitung eine wissenschaftliche Begriin-
dung der Stoffverteilung und des Lehr-
verfahrens und am Schluss eine iiber-
sichtliche Darstellung des gesamten
Sach- und Sprachunterrichts in beiden
Klassen in der Form einer Tabelle. Es
geht von der Schulstube aus durch Gar-
ten und Feld zu Wiese und Wald und
nimmt in jedem dieser Bereiche die Ge-
genstande, welche fiir den kindlichen
Geist und das kindliche Gemiit die wich-
tigsten sind. Die Verteilung des sprach-
lichen Lesestoffes ist eine geschickte und
die Behandlung musterhaft. Wie alle
Herbartianer der Neuzeit schliesst auch
Priill die Sprachubungen nicht direktan
das Lesestiick, sondern an den aus dem
Lesesttick gewonnenen Aufsatz an. Die
Reihenfolge der bei Durcharbeitung des
Lesestiickes notigen Stufen ist folgende:
a) Logische Behandlung des Lesestiickes
nach der Herbartschen Methode; b)
Sprachliche Behandlung. Nur die letz-
tere ist ins Auge gefasst und bietet fol-
gende Abschnitte: 1. Erwerbung des
miindlichen Aufsatzes; 2. Miindliche
Spracharbeit ; 3. Schriftliche Darstel-
lung der Merkworter ; 4. Schriftliche Be-
arbeitung des Sprachstoffes ; 5. Diktat
zur Priifung der Rechtschreibung ; 6.
Schriftliche Darstellung des Lehrstoffes,
als Aufsatze.
An unseren am. Schulen wird das Ma-
terial wohl passender im dritten und
vierten Schuljahr zur Verwendung kom-
men.
Da das Buchlein nur 2 Mark 50 Pf.
kostet, so raten wir zum Ankauf. —
Schramms Deutsche Kinder-Schau-
spiele. English-German School Dia-
logues and Dramas by Emma Iwa
Schramm. E. I. Schramm, Publisher,
6537 Parnell Ave., Chicago, 111.
Die talentvolle Verfasserin dieser Kin-
dergesprache und fur die Jugend be-
stimmten dramatischen Auffiihrungen
hat der deutschamerikanischen Lehrer-
welt durch die Drucklegung und Verof-
fentlichung ihrer Arbeiten entschieden
einen grossen Dienst geleistet. Bislang
herrschte ein auffallender Mangel an
brauchbarem Material fiir kleine drama-
tische Darstellungen, wie sie bei festli-
chen Gelegenheiten in der Schulstube be-
lieot und zweckdienlich sind. Von dem
Vorhandenen war manches seiner auf-
dringlichen Tendenz halber ungeeignet,
anderes gar zu kindisch und seicht oder
hplprig in der Form, das wenige Gute
aber zerstreut und schwer zuganglich.
Fraulein Schramms deutsche Kinder-
Schauspiele diirften bestimmt sein, die
Lticke weniger fiihlbar zu machen. Die
uns zur Besprechung vorliegenden 33
kleineren und grosseren Stiicke werdeii
378
P'ddagogische Monatsbefte.
den Anforderungen, welche berechtigter
Weise gestellt werden konnen, durchaus
geniigen. Sie sind meistens gliicklich
erfunden, natiirlich und geschickt im
Aufbau, und in fliessender Sprache ge-
schrieben. Besonders verdienen mehrere
der kleinen Stticke, wie ,,Hopps", ,,Annas
Bescherung", ,,K6chin und Tanzerin"
uneingeschranktes Lob. Aber auch die
weitlaufiger angelegten, eine bedeuten-
dere Zahl von Mitwirkenden erfordern-
den theatralischen Schopfungen wie
,,Waldmannchens Lager", ,,Die Gliih-
mannchen" u. s. w. werden willkommen
sein und beitragen, die Lust an deut-
schem Wesen und die Neigung zum Ge-
brauche der deutschen Sprache zu fb'r-
dern. Die Sammlung sei daher angele-
gentlich empfohlen.
Bertha Raab, Weihnachts-Klange, Ge-
dichte, Dialoge und dramatische Spiele.
2. Aufl. G. Brumder, Milwaukee, 110S.
Wie die vorherbesprochene Sammlung
von Kinderauffiihrungen verdankt dieses
Biiehlein seine Entstehung der Notwen-
digkeit, passenden Stoff fur gelegentli-
che Schulfeiern zu beschaffen. Die neu-
ere englischamerikanische Jugendlittera-
tur ist iiberreich daran, minder gut be-
dacht jedoch ist die deutschamerikani-
sche. Die „ Weihnachts-Klange" bekun-
den das gemiitvolle Sinnen und Schaffen
einer begeisterten deutschen Lehrerin
und werden in manchen Schulen mit
Freuden willkommen geheissen werden.
H. H. F.
Kurz vor Schluss der Redaktion er-
hielten wir den Prospekt einer neuen
Zeitschrift fiir die deutschamerikanische
Jugend unter dem Titel ,,Jung-Ameri-
ka" zugeschickt. Dieselbe steht unter
der Leitung von Dr. H. H. Fick und hat
die Herren Constantin Grebner und Emil
Kramer zu Mitarbeitern. Sie ist bei
Gus. Muehler, 1328 und 1330 Main Str.,
Cincinnati, O., verlegt, und ihr Abon-
nementspreis betragt fiir 10 Nummern
im Jahre 30 cts. ; die einzelne Nummer
kostet 5 cts.
Die Verlagshandlung giebt als Zweck
der Zeitschrift an, ,,der Deutsch lernen-
den Jugend Amerikas eine Lektiire zu
verschaffen, die sie leicht versteht und
angenehm unterhalt, gleichzeitig aber ihr
bei der Erlernung der deutschen Spra-
che und anderen Lehrfachern behilnich
ist". Die Klage ist nur zu haufig und
von alien Seiten laut geworden, dass es
unserer Jugend an unterhaltendem und
belehrendem deutschem Lesestoff man-
gele, als dass wir nicht jedem Unterneh-
men, diesem ,,lange gefiihlten Bediirfnis-
se" abzuhelfen, sympathisch gegenuber-
standen. Wenn nun noch Manner, wie
die obengenannten, deren Namen in der
deutschamerikanischen Litteratur, sowie
im deutschamerikanischen Schulwesen
den besten Klang haben, an der Spitze
des Unternehmens stehen, so diirfen wir
fiir seine Gediegenheit in litterarischer
als auch padagogischer Hinsicht von
vornherein einstehen. Die erste Num-
mer soil als Weihnachtsnummer anfangs
Dezember erscheinen. Ihr voraussichtli-
cher Inhalt ist folgender: Weihnacht,
H. H. Fick; ein Liebling der Jugend
(mit Bild), H. H. Fick; die Heimkehr,
Johanna Spyri; der Weihnachtsbaum
(mit Bild), Constantin Grebner; wie
Goldrute und blaue Aster entstanden,
dem Englischen nacherzahlt; der listige
Fuchs, Emil Kramer; Schnatterlieschen,
ein Marchen fiir kleine Madchen; Lolo,
Constantin Grebner; Brief an denWeih-
nachtsmann; Erwartung; Ratsel, Sprii-
che, etc.
Wir weisen vor Erscheinen des ersten
Heftes bereits auf die Zeitschrift hin, da-
mit unsere Leser sich baldigst mit ihr
vertraut machen, behalten uns jedoch
vor, spater noch auf das Unternehmen
zuriickzukommen. M. Q.
III. Eingesandte Bucher.
Hochzeit auf Capri von Paul Eeyse.
With introduction, notes, vocabulary,
and material for conversational exercises
in German, by Dr. Wilhelm Bernhardt.
Boston, D. C. Heath & Co., 1901. Price
30 cts.
Aus Ernst Wunderlichs Verlag, Leip"-
zig:
Deutsche Aufs'&tee von Paul Th. Her-
mann. Bd. I. Fiir die obern Klassen
der Volksschule und fiir Mittelschulen.
Dritte vermehrte und verbesserte Auf-
lage. 1901. Preis, brosch. M. 2.80;
fein gebunden M. 3.40. — Bd. II. Fiir
die mittleren und unteren Klassen der
Volksschule. Zweite vermehrte und ver-
besserte Auflage. 1900. Preis. M. 2.80,
fein geb. M. 3.40.
Diktatstoffe, bearbeitet im Anschlusse
an die einzelnen Unterrichtsfacher als
Sprachganze von Paul Th. Hermann.
Bd. I. Zur Einiibung und Befestigung
der deutschen Rechtschreibung. 5./6.
vermehrte und verbesserte Auflage.
1901. Preis M. 1.60; fein geb. M. 2.—
Bd. II. Zur Einubung und Befestigung
der deutschen Satzlehre. 3. vermehrte
und verbesserte Auflage. 1901. Preis
brosch. M. 1.60, fein geb. M. 2. —
Inhaltsverzeichnis.
Offizielles.
Aufruf zum 31. Lehrertag. 181, 250.
Entwurf zur Abanderung der Statuten
des Lehrerbundes. 217
Nat. Deutschamerikanisches Lehrersemi-
nar. 252.
Protokoll des 31. Lehrertages. 281, 313.
Editorielles.
An die deutsehamerikanische Lehrer-
schaft. 345.
Der niichste Lehrertag. 51.
Erwiderung. 233.
Fiinfzigjahriges Jubilaum der D. E. Aka-
demie. 236.
Henry Raab. f 177.
Prof. Calvin Thomas iiber den deutschen
Sprachunterricht. 150.
Prof. Rosenstengel. t 1-
Zum Jahreswechsel. 49.
Zum Lehrertage. 249.
Aufsatze.
Burckhardt, O. Flachsmann als Erzie-
her. 224, 253.
Cutting, St. W. Deutsche Beitrage zum
am. Geistesleben. 286, 318.
Eiselmeier, J. Die hausliche Erzie-
hung. 259.
Eiselmeier, J. Die korperliche Zuchti-
gung in der am. Schule. 65.
Ferren, H. M. Die nationale Aufgabe
des Deutscham. Lehrerbundes. 7.
Frb'licher, Hans. ttber Ziele und Lehr-
mittel des deutschen Uterrichts an
Sekundarschulen und Gymnasien.
138.
Fuchs, J. Wo stehen wir? 145.
Goebel, J. Goethe und Schiller. 352.
Grebner, C. Deutsche Geschichte in der
deutscham. bchule. 347.
Henning, Ch. L. Der Wert des Studiums
der Geschichte. 182.
Kromer, Adolf. Der deutsche Unterricht
vom Standpunkte der Sozialpadago-
gik. 322.
Kuttner, B. Wertschatzung und Lehr-
methoden der deutschen Sprache.
185.
Learned, M. D. Deutsch gegen Englisch,
oder . Deutsch neben Englisch. 290.
Learned, M. D. Germanistik und schb'ne
Litteratur in Amerika. 97.
Pencil Vania. Schulanfang um 9 Uhr,
oder um 8 Uhr? 327.
Pencil Vania. Zum nachsten Lehrerta-
ge. 220.
Raab, H. tfber europaische Schulver-
haltnisse. 58.
Raab, H. General Johann von Kalb und
seine Beziehungen zu Washington.
111.
Rathmann, Franz. Friedrich Nietzsche.
19.
Schonrich, C. O. Aus dem Tagebuche ei-
nes deutschen Schulmeisters. 11, 52.
Stollhofen, P. S. Goethe als Padagog.
193, 228.
Wasserzieher, E. Das und dass. 330.
Gedichte.
Arndt, E. M. Bisher unbekanntes Ge-
dicht. 308.
Burckhardt, O. Prolog zur 50jahrigen
Jubelfeier der D. E. Akademie. 294.
Fick, H. H. Das Madchen von Fort
Henry. 359.
Grebner, C. Washington. 110.
Gutzkow. Die Mutterlieb'. 216.
Lilienthal, M. Washington. 110.
Padagogische Xenien. 147.
Ruben. Verganglichkeit (Knox). 71.
Ruckblick auf das 19. Jahrhundert. 238.
Fur die Schulpraxis.
Einlesen des Musterstiickes. 298.
Erlkonig. 361.
Etwas gegen die Umwege. 297.
Etwas iiber das Gahnen. 299.
Geistig Arbeitende. 298.
Gild. Nachsitzen. 78.
Haltung der Schulkinder beim Schreiben.
298.
Hoock, K. Der Unterricht in der Gram-
matik. 117.
Konrad. Selbstbeherrschung in der
Schule. 73.
Lieb, A. 'Auf satzbehandlung : Die Grille
und die Ameise. 32.
Liittge. Verbesserung der Aufsatze. 74.
Muller, Louise. Die Behandlung des
Aufsatzes in den drei unteren Klas-
sen. 153.
Paul W. Lehrprobe: Vom Roste. 157.
Sei nicht launisch. 298.
Silberberg, Betty. Schwierigkeiten der
deutschen Aussprache fiir Auslan-
der und Mittel zu deren Bekam-
pfung. 200.
Wann und wie soil korrigiert werden?
299.
IV
P'ddagogiscbe Monatshefte.
Wie Grimms Marchen in Schule und
Haus gelesen werden. 119.
Wischer, Max. Lehrprobe: Deklination
des Dingwortes in einf achster Form.
34.
Wolf, Ernst. Lehrplan fiir die deut-
schen Klassen in der Hochschule zu
Saginaw, E. S., Mich. 206.
Berichte.
Abrams, B. A. Jubilaumsfeier der D.
E. Akademie. 268.
Abrams, B. A. National Educational
Association. 300, 333.
Dapprich, E. Riickblick auf den letzten
Lehrertag. 332.
Erste Kinderkunstausstellung in Berlin.
266.
Gerisch, P. Versammlungen der N. E.
A. zu Charleston. 80, 121.
Heininger, P. Kultusminister Dr. Falk.
120.
Monteser, F. 6sterreichische Schulver-
haltnisse und Lehrergehalter. 159.
Neuordnung der Volksschullehrerbil-
dung in Preussen. 365.
Walker, E. C. Die zweihundertjahrige
Jubelfeier der Yale Universitat. 364.
Kor r es po n denze n .
Baltimore. 85, 160, 210, 243.
Buffalo. 37, 302, 334.
Californien. 244, 303, 369.
Chicago. 38, 86, 162, 244, 335, 367.
Cincinnati. 39, 87, 127, 163, 210, 244,
269, 303, 368.
Cleveland. 88.
Columbus. 40.
Dresden. 85.
Milwaukee. 40, 127, 164, 369.
New York. 88, 129, 165, 211, 246, 270,
336, 370.
Philadelphia. 89.
Saginaw. 90, 130.
Umschau.
Amerika.
Albany. C. Wight iiber Teacher's
Burden. 91.
Atlanta. Radikalmittel. 91.
Belleville. Emil Feigenbutz. t 305.
Binghampton. Strafgesetz im Schul-
leitfaden. 247.
Boston. Munizipalwahlen. 91.
Boston. Supt. Balliet iiber deutsche
Schulen. 91.
Boston. Unzufriedenheit in der Schul-
verwaltung. 43.
Cambridge. Prof. H. S. White. 371.
Charles City. Der deutsche Unter-
richt. 241.
Chicago. Auch ein Educator. 247.
Chicago. Biblische Lesestoffe. 43.
Chicago. Chicago Institute. 214.
Chicago. Finanzielle Schwierigkeiten.
91.
Chicago. Freie Lehrbucher. 169.
Chicago. Kindergarten. 247.
Chicago. Protest gegen militarische
ttbungen. 131.
Chicago. Reform im Schulwesen. 336.
Chicago. Schachzug des Schulrates.
306.
Chicago. Schule fur Bettler. 132.
Chicago. Schlussfeierlichkeiten in
Hochschulen. 214.
Chicago. Treuer Amerikanismus. 169.
Chicago. Verheiratete Lehrerinnen.
214.
College Entrance Examination Board.
169.
Frauenerziehung in den Ver. Staaten.
213.
Frye Alexis. 131.
Galveston. Erb'ffnung neuer Schulen.
43.
Gegen Steilschrift. 336.
Griechisch im \ale College. 213.
Indianererziehung. 131.
Jahresbericht der Columbia Universi-
tat. 132.
Kanada. Zahl der Lehrkrafte in On-
tario. 91.
Madison. Prof. Chas. K. Adams. 371.
Milwaukee. Chodowiecki - Radierun-
gen. 169.
Milwaukee. Faustvorstellung. 43.
Milwaukee. Musikvereinskonzert. 43.
Milwaukee. Superintendentenwahl.
168.
Milwaukee, ttber Sprachmethoden. 337.
New York. Gedachtnisfeier fiir Prof.
Max Miiller. 43.
Petersburg, Ind. Nette Schulzustande.
132.
Philadelphia. Schulspaziergange. 337.
Philippinen. Thatigkeit des am. Leh-
rers. 306.
Pittsburg. Turnunterricht in den 6f-
fentlichen Schulen. 169.
Reform der engl. Orthographic. 131.
Russel, J. E. Urteil iiber die Lehrer.
305.
Sacramento. Lehrkrafte der unteren
Klassen. 169.
Salt Lake City. Fruhzeitiger Schul-
schluss. 247.
San Francisco. Fahrpreisermassigung
fur Schulkinder. 247.
Stand der ostlichen Universitaten. 43.
Supt. Schaefters Wiederernennung.
305.
Unterweisung der Neger in deutschen
Kolonieen. 131.
Vom Lchrertage. 131.
Belgien.
Antwerpen. Deutscher Lehrerverein.
306.
Chile.
Deutsche Schule in Valparaiso. 93.
hibalt sver ^eichnis .
Diinemark.
Ehrung eines Volksschullehrers. 300.
Neues Schulgesetz. 171.
Deutschland.
Aachen. Blumen im Schulzimmer 214.
Abschiedsfeier fiir Otto Ernst. 247.
Allg. deutscher Schulverein. 247.
Berlin. Frequenz der Berliner Uni-
vcrsitat. 44.
Berlin. Kunst im Leben des Kindes.
214.
Berlin. Sommerferien in den Gemein-
deschulen. 214.
Boehm. f 337.
Bosse. f 306.
Botschafter White. 91.
Deutscher Frobelbund. 44.
Deutsche Zeitschrift fur Aual. Unter-
richtswesen. 306.
Defizit des Lehrertages zu Koln. 92.
Elsass-Lothringen. Erfolge der deut-
schen Volksschule. 214.
Elsass-Lothringen. Lehrerflucht. 170.
Friihstiick fiir arme Schulkinder. 44.
Gr.-Salza. Schulkiichen. 92.
Hamburg. Schiilervorstellungen. 170.
Hausfriedensbruch und Freiheitsbe-
raubung. 248.
Hygienische Massregeln. 92.
Insubordination. 338.
Jager iiber Schulleitung. 371.
Jena. Vermachtnis. 169.
Jubilaum der Rhein. Blatter. 91.
Kurioser Vorschlag. 248.
Leipzig. Vom Lehrerseminar fiir Kna-
benhandarbeit. 170.
Oranienburg. Betrug am Lehrersemi-
nar. 44.
Otto Ernst's Erfolg. 169.
Otto Ernst. Neues. 371.
Pausen an den hoheren Schulen. 337.
Rechtschreibungskonferenz. 247, 306.
Scheffel-Denkmal. 337.
Schiessferien. 371.
Schulen fiir Schwachsinnige. 337.
Sonderbare pad. Grundsatze. 338.
Steilschrift. 372.
Urteil iiber Herbart. 170.
England.
Board of Education. Jahresbericht. 92.
Dr. Garnett iiber Einfiihrung des mo-
dernen Sprachunterrichts. 171.
Max Miiller. f. 45.
Schulbesuch. 45.
Obertreibung des Sports. 238.
Urteil iiber <!as britische Schulwesen.
214.
Versammlung der Gewerkvereine. 372.
Frankreich.
Allgemeine Schulpflicht. 215.
Fortschrkte des franz. Volksschulwe-
sens. 45.
Kongress der pad. Presse. 46.
Kiinstlerisches Unternehmen. 248.
Militardienst der franz. Lehrer. 248.
Reform des Unterrichts in den ersten
Schuljahren. 338.
Vereinfachung der franz. Grammatik.
92.
Guatemala.
Cacilie Seler iiber die Schulen Guate-
malas. 172.
It alien.
Eigentiimliche Massnahmen. 93.
Japan.
Einfiihrung des deutschen Schulsys-
tems. 172.
Mexiko.
Schule der deutschen Kolonie. 338.
Qsterreich- Ungarn.
Dittesdenkmal. 44.
Kultusminister iiber den deutschen
Sprachunterricht. 93.
Massregelungen der Lehrerschaft. 44.
Russland.
Lage des russischen Volksschullehrers.
171.
Russifizierung der Universitat Dorpat.
171.
Serbien.
Schulbesuch. 372.
Spanien.
Riickstandige Lehrergehalter. 307.
Vermischtes.
Ansichtskartenstatistik. 173.
Denkmaler oder Volksbibliotheken. 341.
Der franzosische Gesandte iiber die deut-
sche Sprache. 132.
Dezimalsystem in Russland. 216.
Die schlimme Jugend. 239.
Dr. von Schneider iiber die Vereinstha-
tigkeit. 94.
Linfluss der Farben auf die Nerven. 216.
frankfurter ,,als". 308.
Fiir Freunde der Einsamkeit. 340.
Gegen den internationalen Schiilerbrief-
wechsel. 308.
Klenk. J. G. Die Mutter im Munde der
Dichter und Denker. 31.
Korperstarke bei Knaben und Madchen.
215.
Orientklub. 174.
Prof. Norton iiber Roosevelt. 216.
Schulpausen und Nachmittagsunterricht.
241.
Schwedisches und deutsches Turnen. 240.
Sonderbare Bliite der Kinderpsychologie.
132.
Tunnel der ,,Great Northern". 46.
ttbersetzung des Wortes ,,Interesse". 307.
Unterrichtsresultate auf der Pariser
Weltausstellung. 93.
Urteil iiber Robinson. 339.
Verbreitung der deutschen Sprache. 46.
Verdeutschung von Automobil. 46, 372.
Wahres Wort Mark Twains. 216.
Was dem Lehrer not thut. 173.
VI
P'ddagogische Monatsbefte.
Welches 1st das dichtbevolkertste Land?
215.
Wie Schiller sprach. 307.
Woher der Name Amerika? 372.
Humoristisches aus Schule und Leben.
Amtliche Verwarnung. 133.
Amtsstil. 132.
Aufsatzbliite. 47.
Aus der guten alien Zeit. 216.
Aus der Schule. 133.
Aus Kindermund. 133.
Aus Schtilerheften. 133, 216.
Benedicte denpum. 173.
Buses Urteil. 308.
Die bosen Fremdworter. 341.
Die Probe. 372.
Bin Zukunftsbild. 133.
Examengeschichte. 341.
Fremdworter- Verdeutschung. 341.
Gut Heil! 47.
Handwerksspriiche. 47.
Hiibsches Vorkommnis. 46.
O diese Fremdworter! 372.
Rechtschreibung von Eigennamen. 341.
Sportsmassig. 308.
Stossseufzer eines Landpfarrers. 132.
Treff ende . Antwor t. 341.
Bucherschau.
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grammatiken. II. 373.
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Brief kasten.
42, 130, 167, 213, 272, 305.
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