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Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Redakteur:
Max Griebsch,
Lebrer am Nationtlen Deutschamerikanischen LehrertcmlBir,
Milwaukee.
Leiter der Abteilung fiir hoheres Schulwesen:
M. D. Learned, Ph. D.
Professor der deutschen Sprache und Litteratnr
an der Unlvcrsitat von Pennsylvanien,
Philadelphia.
Vieitten
Dezcmbett 1902
bis
llovcinbcn 1903.
Verlag :
The Herold Co.,
431 to 435 Broadway, Milwaukee, Wis.
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3-abr$an0 der PiidagfOgisclien Monatshefte beginnt im Dexember und
bestebt aus 10 Ileften, weiche regelmilssig in den ersten Tagen eines Monata
(mit Ausnahme der Ferienmonate Juli und August) erscheinen.
BbonnementSpreiS betrflgt 81. 50 pro Jahr, im voraus zahlbar,
nnementeanmelDungen wolle man gafillligst an die Verlagsfirma: ThcHerold
Co., Milwaukee, >Vis., richten.
, das Unirersitatswesen betreffend, siod an Profe»*or M. D. Learned,
Ph. D., (University of Pennsylvania, Philadelphia, Pa.);
eolche, das Hochschulwesen betreffend, an II. M. Ferren, (High School,
Allegheny, Pa.);
s&mtliche Korrcspomlenzen ucd Mitteilnngen, sowie BeitrUge, die allge-
meine 1'adag'Ojrik und das Tolksschalwe&en betreffend, an Max
Oricbsch, (Nat. G. A. Teachers' Seminary, Milwaukee, Wis.);
311 be0pcccbcn6c JSiiCbcr an die VerlagsArma zu senden.
Die Beitrage fur eine bestimmte Monatsnuinmer mussen sputestens am
20. des vorhergehenden Monates in den Htlnden der Redaktion sein.
Padagogische Monatshefte,
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. Dezember 1902. Heft 1
Der Leseunterricht in der Volksschule.
Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.
Von Hermann Woldmann, Ass't. Superintendent, Cleveland, O.
Meine Damen und Herren ! Die Erfahrung lehrt, dass gewisse Lehr-
gegenstande in den offentlichen Schulen zu Zeiten mehr in den Vorder-
grund treten, als andere und mehr die Aufmerksamkeit der Padagogen
und des Publikums auf sich ziehen. 1st ein solches Hervorheben der
Wichtigkeit des Lehrgegenstandes angemessen, wohl und gut; geschieht
es aber als Modesache, d. h. wird e i n Lehrfach auf Kosten der anderen
begiinstigt, weil es das augenblickliche "fad" der Padagogen ist, dann ist
die Geschichte vom Ubel.
Wahrend einer Lehrtatigkeit von mehr als 35 Jahren habe ich manche
solche Modeartikel kommen und gehen sehen. Da war zuerst der Zeichen-
unterricht in den offentlichen Schulen. Anfanglich hatten wir gar keinen
Zeichenunterricht, und als er eingefiihrt wurde, mussten samtliche Lehrer
nach Anweisung des Zeichenlehrers zeichnen lernen, ob sie den Unterricht
zu erteilen hatten oder nicht. Die Wichtigkeit des Zeichenunterrichts,
zuerst gar nicht erkannt, wurde dann iibertrieben. Ich erinnere mich
noch, dass beim Lehrertage in Detroit die Sache weitlaufig debattiert
wurde. Nach und nach fand diese Unterrichts-Disziplin ihr richtiges Ni-
veau.
Ahnliche Erfahrungen wie mit dem Zeichenunterricht habe ich mit
dem Turnunterricht, dem Handfertigkeitsunterrichte und mit den Kin-
dergarten gemacht. Kindergarten und "child study" waren bis vor ganz
kurzer Zeit das alles iiberschattende Element. Nach und nach kommt
2 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
man aber auch dahin, die Wichtigkeit derselben nicht auf Kosten anderer
Lehrgegenstande hervorzuheben, mit anderen Worten, man schenkt den
urspriinglichen Hauptlehrfachern, dem Lesen, Schreiben und Rechnen,
auch wieder etwas mehr Aufmerksamkeit, als sie in den letzten zwanzig
Jahren erfahren haben.
Der Leseunterricht war es besonders, auf dessen Kosten viele neue
Lehrgegenstande eingefiihrt wurden. Man sagte sich, dass das Lesen-
lernen durch bessere Methoden erleichtert worden sei, dass aus diesem
Grunde die friiher dem Leseunterricht gewidmete Zeit verkiirzt werden
konne und verkiirzte mehr und mehr diesen wichtigen Unterrichtszweig,
bis es den Padagogen plotzlich klar wurde, dass unsere Schiiler im Lesen
nicht mehr genug leisteten, um selbst massigen Anspriichen zu geniigen.
Die Reaktion trat ein, in der Presse wurden Stimmen laut, die iiber Uber-
ladung des Lehrplanes mit sogenannten "frills and feathers" klagten und
eine schleunige Ruckkehr zu den drei elementaren R's verlangten, "Read-
ing, Writing and Arithmentic". Einen Schein der Berechtigung hatten
diese Reaktionare gewiss, denn bei der mangelhaften Vorbildung vieler
unserer Lehrkrafte war es kein Wunder, dass besonders junge und uner-
fahrene Lehrerinnen sich mit Feuereifer auf solche Studien legten, die im
Augenblick Mode waren, um in den Augen ihrer Vorgesetzten auf der
Hohe der Zeit zu bleiben. Ergotzliche Erfahrungen konnten da in Menge
gesammelt werden, wenn z. B. die Lehrerinnen dem Papierfalten, Stab-
chenlegen und Buchstabensuchen in den ersten Primargraden ihre Haupt-
aufmerksamkeit vvidmeten, wahrend die Kinder am Ende des ersten Schul-
jahres noch nicht alle Buchstaben kannten. Doch, wie gesagt, die Re-
aktion gegen diese Richtung hat in unseren Schulen eingesetzt, man hat
die Wichtigkeit des Leseunterrichts wieder erkannt, und eine andere Ge-
fahr liegt nahe, dass man in gewohnter Weise auch hier nicht wird Mass
zu halten wissen. Mein heutiger Vortrag soil dazu dienen, die Haupt-
zwecke des Leseunterrichtes ins rechte Licht zu stellen und vor dem Zu-
wenig, wie vor dem Zuviel zu warnen. Werden wir uns vor alien Din-
gen einmal dariiber klar, was der Endzweck des Lesenlernens ist, und
wenn wir einmal genau wissen, was wir wollen, so wird es nicht schwer
sein, dahin zu gelangen, wie wir dieses Endziel erreichen.
Es scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen, dass der Endzweck des
Leseunterrichts der ist, dass erstens die Schiiler gelehrt werden, die Wor-
ter, Silben und Buchstaben richtig zu erkennen und mechanisch lesen zu
konnen; zweitens, dass sie den Sinn des Gelesenen selbst verstehen, und
drittens, dass sie lernen, das so erlangte Verstandnis des Gelesenen ande-
ren durch Vorlesen mitzuteilen.
Vergleichen wir die Wichtigkeit der genannten drei Punkte mit ein-
ander, so werden wir finden, dass der erste Punkt, das mechanische Le-
Der Leseunterricbt in der folks scbule. 3
sen, unbedingte Vorbedingung fiir den zweiten Punkt ist, um zum Ver-
standnis des Gelesenen zu gelangen. Ich gehe hier nicht ganz so weit,
wie Squire Hawkins in seiner Rede in Eggleston's "Housier Schoolmaster,
who puts "Daniel Webster's" Spelling book before the Bible, for who
could read the Bible, before he could spell" ? Aber wichtig ist der mecha-
nische Leseunterricht auf alle Falle. Es hat einmal eine Zeit gegeben,
in der man in den Schulen Pennsylvaniens den Leseunterricht im Engli-
schen so erteilte, dass die Schiller fliessend Englisch lesen lernten, ohne
den Inhalt des Gelesenen zu verstehen. Aus solchen Ubertreibungen kon-
nen wir lernen. Doch noch heute lernt man in Deutschland und auch
anderswo mechanisch Lateinisch und Griechisch lesen, ehe man mit Hilfe
des Worterbuches den Sinn des Gelesenen findet. Der eigentliche Zweck
des Verstandnisses des Gelesenen ist nach meiner Ansicht darin zu su-
chen, das Interesse am Unterricht aufrecht zu erhalten. Dem Schiiler
muss das Verstandnis des Lesestuckes als Belohnung fiir die aufgewen-
dete Zeit und Muhe erscheinen, wenn er in seinen Anstrengungen nicht
ermiiden soil. Unumganglich notwendig ist diese Belohnung nicht, doch
ein recht wirksames Reizmittel. Stellen Sie sich einmal einen Schiiler
vor, der das Klavierspielen erlernen soil, derselbe soil sich erst die notige
Fingerfertigkeit erwerben, ehe er Melodien spielt. Ihm werden deshalb
Tonleitern gegeben, die jedenfalls die Fingerfertigkeit ausbilden, die aber
die Plage der meisten Schiiler sind. Deshalb iibt man neben den Tonlei-
tern auch kleine Melodien, denn das Bewusstsein des Konnens muntert
zu weiteren Anstrengungen auf. Das Kind muss seine Erfolge in der
Nabe sehen, die Vertrostung auf die Zukunft reicht nicht aus, um die
Muhe der Mechanik zu unterstiitzen.
Nach meiner Ansicht sollte daher das mechanische Lesenlernen mit
dem Verstehenlernen Hand in Hand gehen. Haufige Fragen des Leh-
rers iiber das Lesestiick sollten den Schiiler zum Nachdenken anregen und
die Freude am Konnen vvurzen.
Der dritte Zweck des Lesenlernens ist der, das erlangte Verstandnis
des Gelesenen anderen durch Vorlesen mitzuteilen. Zu diesem Zwecke
muss der Vorlesende laut, deutlich und mit richtiger Betonung sprechen,
und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich sage, dass dieser Teil des Lesens
die Hauptaufmerksamkeit der meisten Lehrer in Anspruch nimmt. Auf
den ersten Blick scheint dies auch richtig zu sein, denn wer mit Verstand-
nis vorlesen kann, muss naturgemass das mechanische Lesen erlernt ha-
ben und muss auch selber das Gelesene verstanden haben, weil nach den
Gesetzen der Logik die grossere Pramisse die kleineren einschliesst.
Es ist daher kaum zu verwundern, dass die meisten Lehrer dem Vor-
lesen, oder wie es auch genannt werden konnte, dem Lautlesen den Lo-
wenanteil der Lesestunde widmen. Ob dies richtig ist, wollen wir im
4 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Augenblick nicht untersuchen, wollen uns vielmehr darauf beschranken
festzustellen, ob dieser Zweck durch die Methoden, wie sie meist gebrauch-
lich sind, erreicht wird. Wir brauchen zum Vorlesen erstens jemand,
der etwas vorliest, zweitens eine Geschichte, die vorgelesen wird, drittens
ein Publikum, dem diese Geschichte vorgelesen wird. Dies sind zweifel-
los Vorbedingungen. Stellen wir uns nun den Schiiler, der zum Laut-
lesen aufgefordert wird, als den Vorleser vor; das Lesebuch enthalt die
vorzulesende Geschichte, die iibrigen Schiiler der Klasse samt dem Lehrer
bilden das Publikum. Nun frage ich, ob es ein natiirlicher Weg ist, dass
ein Schiiler eine Geschichte laut vorliest, wahrend die anderen Schiiler
dem Gelesenen im Buche folgen? Geschieht so etwas im wirklichen Le-
ben? Wenn der Familienvater abends seine Familie um sich versammelt
und aus der Zeitung oder einem Buche vorliest, haben dann die iibrigen
Familienmitglieder ebenfalls ein Exemplar derselben Zeitung oder dessel-
ben Buches vor sich, um dem Vorlesenden zu folgen ? Ganz gewiss nicht.
Die Vorbedingung ist eine andere in der Lesestunde, der Vorgang somit
kein natiirlicher.
(Schluss folgt.)
Deutscher Unterricht in Amerikanischen Schulen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von Emil Dapprich, Seminardirektor, Milwaukee, Wls.
Im Auftrage von Dr. Harris, dem verdienstvollen Chef des Erzie-
hungswesens unserer Staaten, hat der friihere Reichstagsabgeordnete, Dr.
Louis Viereck, fur den nachsten Band des jahrlichen Berichtes eine um-
fangreiche Arbeit iiber das Thema : ,,Deutscher Unterricht in Amerika-
nischen Schulen" geliefert.
Seit dem Amtsantritt unseres Dr. Harris sind die Berichte seines Bu-
reaus wahre Fundgruben padagogischen Goldes geworden, und auch die-
ser Beitrag schliesst sich den ubrigen Spezialberichten wiirdig an. Be-
sonders fur uns, denen der deutsche Unterricht Herzenssache ist, bietet
die Arbeit des Herrn Dr. Viereck eine ausserst interessante und wertvolle
Lektiire. Nicht nur den Fleiss in der Sammlung des Materials und die
Sorgf alt in dessen Bearbeitung miissen wir bewundern, mehr noch das Ver-
standnis und das unparteiische Urteil, das sich fast auf jeder Seite des
nahezu 200 Seiten umfassenden Werkes kund gibt. Wenn er auch dem
Unterricht im Deutschen, soweit er von den Universitaten dieses Landes
gepflegt wird, ganz spezielle Aufmerksamkeit widmet, so kommen doch
die Volksschulen nicht zu kurz. Ganz besondere Beachtung finden die
Volksschulen der grosseren Stadte. Eingehende Behandlung batten
Deut sober Unterricht in Amerikanischen Scbulen. 5
allerdings die offentlichen Schulen der Stadte Milwaukee und Cincinnati
verdient, da in diesen der deutsche Unterricht die sicherste Stellung be-
sitzt und auch die erfolgreichste Behandlung erfahrt.
Die Arbeit der Parochialschulen muss in einer zukiinftigen geschicht-
lichen Darstellung dieses Gegenstandes eine gerechtere Behandlung er-
fahren, da dieselben durch ihre Leistungen auf dem Gebiete des deut-
schen Sprachunterrichtes sich die grossten Verdienste erworben haben.
Es ist schade, dass bis jetzt weder die katholische Kirche noch eine der
protestantischen eine Darstellung der Entwickelung ihres resp. Schulwe-
sens zur Veroffentlichung gebracht haben, und wir hoffen, dass diese Ar-
beit in Balde von passenden Personen in Angriff genommen wird, um
dadurch eine Liicke in der Geschichte der Entwickelung unseres gesamten
Schulwesens zu fiillen.
Die Bestrebungen des deutschamerikanischen Lehrerbundes finden
gerechte Anerkennung, ebenso das von ihm gegriindete Lehrerseminar.
Die vom Lehrerbund gesammelten statistischen Berichte sind allerdings
wie der Verfasser richtig bemerkt, unvollstandig. Es sollte daher eir
neuer Zensus iiber diesen so wichtigen Gegenstand aufgenommen und
vom Lehrerbund zur Veroffentlichung gebracht werden.
Blutenlese aus obengenanntem Bericht.
"No historical sketch of the development of German instruction could have been
attempted without a short reference to the relations between Germany and the
United States, and the position of the German-Americans toward Anglo-Americans.
These relations influenced the organization of German instruction to a great extent,
and also explain the favorable or retarding course of public opinion. At present
the position of German in higher education and the recognition of German methods
on the part of the scientists of America is so assured that, in future, patriotic bene-
factors need only occasionally promote the extension of German elementary instruc-
tion in the city district schools." (Vorrede.)
* * #
"It should never be forgotten that he (Pastorius) established the "German-
American" name a whole century before the thought was conceived of giving birth
to a new American nation. To the German immigrants with an academic educa-
tion he gave the example, so often followed since with more or less success, how to
*) Bei dem Versuche, durch Auswahl besonders wichtiger Abschnitte unsern
Lesern einen Einblick in die Bedeutung der Arbeit Dr. Vierecks zu geben, zeigt sich
erst, welche Fundgrube von wertvollem Material der Verfasser uns zur Verfiigung
gestellt hat. Fast auf jeder Seite sind solche Goldkb'rner zu finden; und es be-
diirfte eines bei weitem grosseren Raumes, als er uns zur Verfiigung steht, um
unser Vorhaben auszufiihren. Wir haben daher aufs Geratewohl einige uns in die
Augen fallende Punkte herausgegriffen und hoffen, dass diese unsere Leser bestim-
men werden, sich mit dem Berichte Dr. Vierecks eingehender zu beschaftigen. — D. R.
6 P'ddagogiscbe Monatshefte.
transmit the treasures of older German civilization to the younger shoots of the
German nation, and how to convert them into active elements of the new American
civilization."
* * *
"The first Bible published in the New World appeared at that time in
the German language, forty years before an English Bible was printed in America.
The first printer who undertook to print German works in this country was, strange
to say, no German but an American; none other than Benjamin Franklin. In
1730 he printed (in Roman characters) the oldest German- American book extant,
or at least the oldest discovered until now."*)
* * *
"Although Great Britain is generally honored as the mother of the United
States, Germany has, from an intellectual standpoint, become more and more the
second mother of the United States. More than any other country, Germany has
made the universities and colleges of America what they are to-day — a powerful
force in the development of American civilization." (Andrew D. White, amerika-
nischer Gesandter in Berlin, in seiner daselbst gelegentlich einer Danksagungsfeier
gehaltenen Rede.)
* * *
"The German now stands in a line with that of the most learned nations in
richness of condition and advance in the sciences. It is, too, of common descent
with the language of our own country, a branch of the same original Gothic stock,
and furnishes valuable illustrations for us." (Thomas Jefferson's Views on Public
Education.)
* * *
"German had never been taught in college before, and it was with no little diffi-
culty that a volunteer class of eight was formed. I was one of that class. We
were looked upon with very much the amazement with which a class in some obscure
tribal dialect of the remotest Orient would be now regarded. We knew of but
two or three persons in New England who could read German, though there were
probably many more of whom we did not know. There were no German books in
the bookstores. A friend gave me a copy of Schiller's "Wallenstein," which I read
as soon I was able to do so, and then passed it from hand to hand among those
who could obtain nothing else to read. There was no attainable class book that
could be used as a "reader." A few copies of Nb'hden's Grammar were imported,
and a few copies of I forget whose "pocket dictionary," fortunately too copious for
an Anglo-Saxon pocket, and suggesting the generous amplitude of the Low Dutch
costume, as described in Irving's mythical "History of New York." The German
Reader for Beginners, compiled by our teacher, was furnished to the class in single
sheets as it was needed, and was printed in Roman type, there being no German
type within easy reach. There could not have been a happier introduction to Ger-
man literature than this little volume. It contained choice extracts in prose, all
from writers that still hold an unchallenged place in the hierarchy of genius, and
poems from Schiller, Goethe, Herder, and several other poets of kindred, if inferior,
fame. But in the entire volume Dr. Follen rejoiced especially in several battle
poems from Korner, the soldier and martyr of liberty. I never have heard recita-
tions which impressed me so strongly as the reading of those pieces by Dr. Follen,
who would put into them all of the heart and soul that had made him too much
*) Es ist dies ein Gesangbuch, welches auf Bestellung des Ephrata-Klosters
gedruckt wurde. Das einzige noch vorhandene Exemplar befindet sich in dem Besitz
von Abraham H. Cassel, Harleysville, Montgomery County, Pa.
Deutscher Unterricbt in Amerihaniscben Schulen. 1
a lover of his country to be suffered to dwell in it. He appended to the other
poems in the first edition of the reader, anonymously, a death song in memory of
Korner, which we all knew to be his own, and which we read so often and so feel-
ingly that it sank indelibly into permanent memory, and I find that, after an inter-
val of sixty years, it is as fresh in my recollection as the hymns that I learned in
my childhood." (Dr. A. T. Peabody, in his Harvard Reminiscences.)
* * *
"We have no complete statistics to inform us with any exactness how great
the participation of the different nations represented in our country was in the
civil war. According to the statements of Dr. A. B. Gould, who was commissioned
by the United States Sanitary Commission to make out his report, "Investigations
in the Statistics of American Soldiers," an American work which, as far as I know,
is considered the most reliable by the bureaus in Washington, the Germans gave
187,858 men to the Union army, while, in proportion to the German population,
as given by the census of 1860, they need only have sent 128,102. According to
these figures, therefore, we may assert that the proportion of German troops, in
relation to the population, was greater than that of the troops of other nationali-
ties. The Germans likewise gave a number of brilliant leaders and many officers
of higher and lower rank whose names are imperishable in the history of the war."
(Vocke, the German Soldiers in the American Civil War.)
* * *
"The next subjects for which I claim a position of academic equality with Greek,
Latin, and mathematics are French and German. This claim rests not on the use-
fulness of these languages to couriers, tourists, or commercial travelers, and not
on their merit as languages, but on the magnitude and worth of the literatures,
and on the unquestionable fact that facility in reading these languages is abso-
lutely indispensable to a scholar, whatever may be his department of study. Until
within one hundred or one hundred and fifty years scholarship had a common lan-
guage, the Latin; so that scholars of all the European nationalities had a perfect
means of communication, whether in speaking, writing, or printing. But the culti-
vation of the spirit of nationality and the development of national literature have
brought about the abandonment of Latin as the common language of learning, and
imposed on every student who would go beyond the elements of his subject the neces-
sity of acquiring at least a reading knowledge of French and German, besides
Latin. Indeed, the advanced student of our day can dispense with Latin better
than with French, German, or English; for, although the antiquated publications
in any science may be printed in Latin, the recent (which will probably contain
all that is best in the old) will be found printed in one of these modern languages.
I can not state too strongly the indispensableness of both French and German to
the American or English student. Without these languages he will be much worse
off in respect to communication with his contemporaries than was the student of
the seventeenth century who could read and speak Latin; for through Latin the
student of the year 1684 could put himself into direct communication with all con-
temporary learning. So far as I know, there is no difference of opinion among
American scholars as to the need of mastering these two languages in youth. The
philologists, archaeologists, metaphysicians, physicians, physicists, naturalists, chem-
ists, economists, engineers, architects, artists, and musicians all agree that a knowl-
edge of these languages is indispensable to the intelligent pursuit of any one of
their respective subjects beyond its elements. Every college professor who gives
a thorough course of instruction — no matter in what department — finds himself
obliged to refer his pupils to French and German authorities. In the reference
8 P'ddagogische Monatshefte.
library of any modern laboratory, whether of chemistry, physics, physiology, patho-
logy, botany, or zoology, a large proportion of the books will be found in French
or German. The working library of the philologist, archaeologist, or historian
teaches the same lesson. Without a knowledge of these two languages it is impos-
ible to get at the experience of the world upon any modern industrial, social, or
financial question, or to master any profession which depends upon applications
of modern science. I urge no utilitarian argument, but rest the claims of French
and German for admission to complete academic equality on the copiousness and
merit of the literatures and the indispensableness of the languages to all scholars."
(Pres. Chas. W. Eliot, What is a Liberal Education?)
* * *
"There are, in the first place, numerous practical reasons which speak for a
speedy introduction of German in the high school curriculum. Owing to the large
percentage of the German population of this country, and owing to the constantly
increasing commercial relations between America and Germany, a knowledge of
the German language is invaluable for business purposes. In all the large business
centers of our country young men and women who command the German language
are usually preferred when seeking positions to those who do not understand
German.
It is, moreover, a well-known fact that the professional men, like lawyers and
physicians, profit likewise from a practical knowledge of German; and there is no
reason why our high-school graduates, after they have been instructed in German
by a competent teacher for a period of three years, should not gain a speaking
knowledge of this language, and thus be enabled to avail themselves of the great
practical advantages resulting from such a knowledge.
But the purely educational value of the study of German must be considered as
equally great, especially for those high-school graduates who enter the university.
There is at the present no branch of science in which Germany does not indisputably
take the foremost place among the European nations, and a reading knowledge of
German is therefore indispensable for the student in every department of university
study. As a consequence, in all of the leading universities of this country German
can be substituted for entrance in place of one of the ancient languages, President
Gilman, of Johns Hopkins University, explaining this policy best by saying, "As
Latin was during the middle ages the language of scholars, so the knowledge of
German is now indispensable for anyone claiming the name of a student and
scholar."
While the knowledge of Latin will always remain invaluable for those entering
special professions, it is comparatively of little benefit to the great mass of high-
school pupils, who later on follow the practical pursuits of life. The mental drill
claimed for the study of Latin may be derived in the same measure from a thorough
study of the German language, which at the same time opens to the student a
literature that in wealth of the most advanced thought and in beauty of expression
can only be compared with the literature of the Greeks. Our English tongue is,
moreover, in its formations and structure, essentially a Germanic language, and
it is of far greater educational value for the majority of high-school pupils to study
the historical growth of their own language in comparison with the closely related
German than to learn the rudiments of Latin, which in most cases are only forgot-
ten, because a proficiency in reading Latin can never be attained by the high
school." (Aus einem offenen Brief an die Superintendenten der Hochschulen Cali-
forniens, abgefasst von Prof. Julius Goebel und H. E. F. Ungerth im Auftrage der
deutschen Lehrervereinigung des Staates Californien.)
Lebrbeispiel aus dem Recbtscbreiben. 9
"In the year 1874, at the fifth annual meeting of the German Teachers' Associa-
tion, it was unanimously resolved to establish the seminary on the foundation of
the present high status of the art and science of education. A special "Seminar-
verein" was constituted to promote the agitation and collect a "German national
subscription fund" of $50,000 to $100,000. The first general meeting was held in
Milwaukee in 1877, and, though it possessed not much more than one-fifth of the
prospective large "national fund," the opening of the institution was set for Sep-
tember 1, 1878. The "German-English Academy" in Milwaukee offered a suitable
building for the beginning of the normal courses. According to the prospectus, this
institution aims to educate thorough and zealous teachers, able to teach in German
as well as in English, familiar with the most recent progress in pedagogics, and
trained to present their own knowledge to pupils in an appropriate manner. For
this purpose the school is provided with the best trained teachers, excellent appli-
ances for instruction and accommodations, and a model school in the flourishing
German-English Academy. By its connection with the athletic training school of
the Nordamerikanischer Turnerbund, students enjoy the advantage of perfecting
themselves in all branches of physical culture. There is likewise a normal
course for kindergartners." (Geschichte des Nat. Deutscham. Lehrerseminars.)
Fur die Schulpraxis.
I. Lehrbeispiel aus dem Rechtschreiben.
(Aus ,,Blattcr fur die Schulpraxis".)
Von Ig. Griebl, Seminarsclmllehrer, Straubing.
Scharfung durch ,,ck".
Method. Disposition.
Voraussetzung : Die Lautlehre. Geschlirfte Worter mit tt, ss, rr, mm, nn, 11 etc.
und deren Trennung.
II. Darbiet.: Aufsuchen, Buchstabieren, Anschreiben von ck- Wortern nach Ord-
nung der Hellaute.
III. Vergleich. : Zwischen anderen geschiirften Wortern und den Wortern mit ,,ck".
IV. System. : 1 ) Nach einem Hellaut* ) schreibt man ck ; 2 ) bei der Trennung
kommt ein k zur ersten, das andere zur zweiten Silbe.
V. Anwend. : 1) Abschreiben. 2) Aufsuchen von ck- Wortern. 3) Aufschrei-
ben. 4) Diktat.
Ausarbeitung.
Ziel: Neue gescharfte Worter kennen lernen.
I. Nennt gescharfte Worter! Wodurch ist das Wort ,,Wasser" gescharft?
(Ebenso ,,Mutter, kommen, Sonne etc.") WTie sprichst du den Hellaut in den Wor-
tern ,,Brunnen, Waffe, satt etc." Warum sprichst du den Hellaut kurz? (Weil
zwei gleiche Mitlaute folgen.)
Wie sprichst du den Mitlaut?*) (Scharf) Wodurch wird die Scharfung aus-
gedriickt? (1. Merksatz aus den letzten Lektionen.) Die Scharfung wird ausge-
driickt durch Verdoppelung der Mitlaute.
' ) Hellaut = Selbstlaut, Vokal ; Mitlaut = Konsonant.
10 P'ddagogische Monatsbefte.
Nennt Worter mit Doppelmitlauten und sprecht sie getrennt aus. (Was-ser,
Son-ne etc.) Was haben wir bei der Trennung der gescharften Worter gemerkt?
(2. Merks. aus den letzten Lektionen.) Von 2 Mitlauten kommt einer zur ersten,
der zweite zur zweiten Silbe.
Wahrend der ,,Vorbereitung" ist folgende Buchstabenreihe an der Tafel ent-
standen: tt, ss, ff, rr, nn, mm, 11, pp. Welche Mitlaute konnen wir noch verdop-
peln? (g k.)
Spezialziel: Nun wollen wir Worter mit Doppel-k oder ck schreiben lernen.
II. Nennet solche Worter! (Stock, Rock, wecken etc., etc.) Wie heisst der
gescharfte Laut? Dieser wird nicht verdoppelt, man setzt ein ,,c" voraus! An die
Tafel kk = ck = zeka. Nennt Worter mit ,,ck"! Wir wollen diese ordnen! Erst
solche mit dem Hellaut ,,a". Die Schiller geben selbst die Worter an, buchstabieren
sie, der Lehrer schreibt an die Tafel etwa folgende Reihen:
en;
a :
A .
er, S . .,
P . .
. ** \
ii :
B .
. er, S .
. e, P
. . e;
e:
m .
. ern, E
. e, I
> . . e, St . . en,
W
i:
Str
. . (B. .
, R .
.), d . ., bl . .
en;
o:
St
. ., B. .,
R . .
5
ii :
St.
. lein, R
. . e,
Gl . . lein;
u :
K .
k . k, Z .
. er,
Gl . . e;
ii :
Br
. e, R .
. en,
u. a.
III. Welche Hellaute stehen vor ck? Welche Hellaute stehen vor der Verdop-
pelung mit tt, ss, etc., etc. ? — Wie wird der Hellaut vor ck gesprochen ? Wie wird
der Hellaut vor anderen Verdoppelungen gesprochen ? — Wodurch ist hier bei ck
die Scharfung ausgedriickt? Wodurch ist hier bei tt, ss etc. die Scharfung ausge-
driickt?
IV. 1. Merksatz: ,,Nach einem Hellaut macht man ein ck." Wie trennen wir
hier? (bei tt, ss etc.) (Ein Mitlaut kommt zur ersten etc.)
Wie trennt man die ck- Worter?
2. Merksatz: ,,Bei der Trennung kommt ein k zur ersten Silbe und ein k zur
zweiten Silbe.
V. 1. Abschreiben der obigen Worter. Anwendung in Satzen.
2) Aufsuchen von ,,ck-W6rtern" aus dem Sprach- oder Lesebuch.
3) Auf schreiben von ck-W6rtern.
4) Diktat auf die Tafel. — Korrektur. — Fehlerverbesserung durch wieder-
holtes Schreiben der gefehlten Worter. Diktat ins Heft.
(Nachste Einheit: ,,tz- Worter" ! In einer weiteren Lektion konnen die Aus-
nahmen (Fabrik, Tabak, Jakob, Ignaz, heizen etc.) festgestellt werden. (Nur die
gebrauchlichsten Worter ! )
**) Die Worter erfahren sofort eine entsprechende Erlauterung durch Anwen-
dung in Satzen, was grosstenteils seitens der Schiller selbst geschehen kann.
II. Erfahrungen und Qedanken.
(Aus der ,,Deutsch6sterr. Lehrerzeittmg".)
Von A. Chr. J".
Auf einen blossen Verdacht bin ein Kind beschuldigen, heisst auf gut Gliick in
einen dichten Wald hineinschiessen : die Kugel kann den Wolf treffen, sie kann
auch einen Menschen todlich verwunden.
* * *
Das leugnende Kind steht entweder auf dem sittlichen Boden der Wahrheit und
verficht seine Ehre, oder es ist von Beelzebub angesteckt und baut sich aus der Luge
eine Schanze. D'rum scharfe der richtende Erzieher seine geistige Sehe und lege
sein Urteil auf die Wage des Gewissens.
* * #
Der Erzieher, der ein Kind grundlos beschuldigt, erniedrigt sich in den Augen
des Kindes zu einem fehlbaren Menschen. Mit dem Vertrauen des Kindes aber ent-
gleitet ihm der Schliissel zur Edelkammer des kindlichen Herzens und sinkt in die
Tiefe des Meeres.
* * *
Das Vorurteil ist der Nachrichter der Wahrheit.
* * *
Wie aer Magnet den Eisenspahn, so zieht die Dummheit den Teufel an. Der
Dummheitsteufel aber ist der gefahrlichste Teufel, denn er ist unberechenbar.
* * *
Dem Kinde, dem daheim das Leben duster nachtet, muss in der Schule die
Sonne doppelt freundlich scheinen. Nacht hier wie dort, das bringt die Seele aus
dem Gleichgewicht und gebiert sklavischen Stumpfsinn oder wilden Trotz.
* * *
Das Kind, das banger Zweifel voll zum erstenmale die Schule betritt, fordert
die hb'chste und tiefste Kunst des Erziehers heraus. Ein falscher Griff — und im
jungen Herzen zerreissen die gespannten Saiten, und die Harfe des kindlichen Ge-
mutes gibt auf lange hinaus keinen melodischen Ton.
* * *
Die Mutter, die das weinende Kind beruhigt, indem sie den Tisch ziichtigt, an
dem sich das Kind gestossen hat, predigt das Gesetz der Wiiste. Was, meinest du,
wird aus dem Kindlein werden?
* * *
Arm sein, das raubt dem Menschen noch nicht die Zufriedenheit und die Hei-
terkeit des Gemiits; aber arm werden, das driickt ihm den Stachel ins Herz. Auch
das Empfinden entstammt dem Vergleiche.
* * *
Nicht die Methode macht den Lehrer, sondern der Lehrer macht die Methode.
* * *
Wo man dem Lehrer die Methode vorschreibt, da rechnet man nicht mit sei-
ner Personlichkeit. Das aber heisst: die Rechnung ohne den Wirt machen.
* * #
Eine Methode, die nicht aus der Personlichkeit des Lehrers herauswachst, nicht
Produkt seiner Beobachtung, seiner tfberlegung und seines Temperamentes ist, son-
dern sich in gegebenen starren Formen bewegt, sinkt zum Drill herab.
12 P'ddagogische Monatsbeft*.
Der tiichtige Lehrer hat nicht eine Methode, er hat eine Vielheit von Methoden.
Denn da die Natur des Schiilers iiberall sein Verfahren bedingt und die Schiller
nicht nach einer Schablone zugeschnitten sind, so muss sein Lehrverfahren die ver-
schiedensten Formen annehmen.
* * *
Wer auf einer bestimmten Methode herumreitet, von ihr allein das Heil erwar-
tet, den nimm aufs Korn; er ist ein Handwerker und steht noch der Erkenntnis
feme, dass der Geist es ist, der da lebendig macht.
* * *
Ein freier Lehrerstand ist ohne Methodenfreiheit das Gewehr, dem Lauf und
Kolben fehlen.
* * *
Den Ochsen leitet man mit dem Stachel, das Pferd mit dem Ziigel, die Ziege
mit dem Salzsackchen, jedes nach seinem Wesen. Hierin liegt die Grundweisheit
der Erziehung.
» * *
Soil der Pudel wie ein Frosch, der Frosch wie ein Pudel schwimmen, so er-
reicht keiner das andere Ufer. Aber lass' jeden nach dem Drange seiner Natur ins
Wasser gehen, und du wirst deine Wunder sehen.
* * *
Ein Erzieher, der sein Werk nach der Schablone treibt und mit der Vielgestal-
tigkeit seiner Zoglinge nicht rechnet, gleicht einem Gartner, der wahllos auf jeden
Wildling seines Gartens ein Apfelreis setzt. Nur wenige der Baumchen kominen
davon, die meisten werfen den Fremdling ab und treiben in ihrer Urkraft weiter.
* * *
Als Erzieher verlange nicht, was die Natur versagt, sonst wirst du an deinem
Zogling zum Tyrannen.
* * *
Wo der Tyrann den Erzieher verdrangt, da verdunkelt sich in dem Kinde der
Himmel seines Gemiites, die Sterne der Liebe und des Vertrauens erloschen, ein
diisterer Kerker tut sich auf.
* » *
Sprich dem blinden oder lahmen Kinde niemals bedauernd von seinem Gebrechen.
Deine Worte helfen ihm nicht, aber sie schliessen ihm das Bewusstsein seines Elends
auf und verkehren dein Mitleid in Grausamkeit.
* * *
Achte das Schulgesetz und die Verordnung; wo daruber aber eine Seele zu-
grunde ginge, da iibertrete sie, denn sie sind um des Menschen willen, der Mensch
ist aber nicht um ihretwillen da.
* * *
Das Kind diirstet nach Liebe, so lass die Quelle warmer Liebe aus deinem Her-
zen stromen und die junge Seele wird sich, getrankt und durchfrischt, emporsch win-
gen und ihre Fliigel entfalten wie ein junger Adler.
» * *
Wie der Sonnenschein die Bienchen zu emsiger Arbeit aus ihrem Hauschen lockt,
so lockt der freundliche Blick des Lehrers die jungen Seelen aus ihrer Verschlos-
genheit und erwarmt und befltigelt sie zu freudigem Tun.
* * »
Ein Lehrer, dem niemals ein Hauch der Frohlichkeit die Wangen streift, der
als ewig brummender Bar oder finster schleichende Katze im Kreise der Jugend da-
hinlebt, hat seinen Beruf verfehlt. In seiner Schule herrscht ,,musterhafte" Ruhe,
und die Welt staunt bewundernd den Friedhofsmeister an, aber hat die Jugend wie-
der das Freie gewonnen, so pfeift sie um desto lauter — auf ihn.
Erfahrungen und Gedanken. 13
Wer mit den Wolfen heult, der wird mit den Wolfen geschossen, darum sehe
jeder wohl zu, wo er bleibe.
* » *
Wie mit der Scharfe des Auges das feme Sternenheer sich vermehrt, so haufen
sich vor dem wachsenden Verstande die Weltratsel. Je hoher du ragst, je klarer
wirst du deine Kleinheit erkennen. Die rechte Tochter der wahren Bildung heisst:
Demut.
* * *
Glaube und Verstand stehen zu einander wie zwei feindliche Pole: sie stossen
sich gegenseitig ab. Wo der Glaube annimmt, da schweigt der Verstand; wo der
Verstand erkennt, da verstummt der Glaube. Beide vereinen heisst Feuer und Was-
ser mischen: eines vergeht durchs andere. Darum gebiihrt jedem ein gesondert
Reich.
* * *
Soweit der Verstand vordringt, soweit geht sein Reich, jenseits der Marken die-
ses Reiches liegt die Welt des Glaubens. Der Verstand darf nicht befehlen: Du
sollst nicht glauben, und der Glaube darf nicht fordern: Du sollst nicht denken.
Solche Gebote sind 'Crbergriffe in fremdes Gebiet und gebaren den Krieg.
* * *
Das Kind fiihlt die Personlichkeit seines Lehrers. In der Freiheit ihres see-
lischen Tastsinnes hat die Jugend den Schliissel zum innersten Menschen ihres Er-
ziehers.
* * *
Losgelost von seiner Personlichkeit, sind die Worte des Erziehers dem Kinde
leerer Schwall und ermangeln jedweder ziehenden und hebenden Kraft. Nur das
Wort, hinter dem die ganze Wesenheit des Mannes steht, kann fiihrend wirken.
* * *
Das Erziehen ist keine lernbare Kunst; es ist ein Vermogen, das im Wesen des
Erziehenden wurzelt. Darum lautet die Formel, nach der diese hohe und edle Kunst
erworben wird: Sei was, so kannst du was!
* * *
Was du in der Schule aus dir machst, das schwebt dem Sehuldunste gleich in
der Luft und dringt nicht fiber die Schwelle deiner Werkstatte hinaus. Was du
in der Schule aber bist, das geht der Jugend ins Blut und treibt einmal seine Frucht
im Volke.
Berichte und Notizen.
I. Der Lehrertag zu Minneapolis.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von B. A. Abrams, Aas't Supt., Milwaukee, Wis.
(Schluss.)
Ob die Flagge dem Handel, oder der Handel der Flagge folgt, 1st eine offene
Frage, aber ganz bestimmt folgt der Handel den Jahresversammlungen des araeri-
kanischen Lehrerbundes. Ein Rundgang durch die oberen Raumlichkeiten des ge-
waltigen Ausstellungsgebaudes wahrend der Tagungswoche ist ebenso unterhaltend
wie belehrend. In den modernen Grossbazaren einer Weltstadt kann sich an einem
Haupt- und Staatsaktionstage kaum ein geriiuschvolleres, lebhafteres Treiben ent-
falten als hier unmittelbar iiber dem Versammlungssaale des Lehrerbundes. Was
nur in entferntester Beziehung zum Schulwesen und zur Tatigkeit auf dem Gebiete
der Erziehung gebracht werden kann — hier ist es ausgestellt. Die grossen, die
grb'sseren und die grb'ssten, auch die kleineren und kleinsten Verlagshandlungen,
Schulpult- und Bleistif tf abrikanten ; wer je etwas ersonnen und erfunden hat, um
den Kindern die schwere Arbeit des Lernens, den Lehrern das Lehren zu erleichtern
und zu versiissen, die grossen und kleinen Propheten der Gb'ttin ,,Fadda" — sie
sind alle vertreten. Von der verlockenden Limonadenbude bis zum Riesenglobus,
von den echten oder nachgemachten Erzeugnissen der Flecht- und Webekunst der
rotbraunen Miindel unserer Nation bis zu den kompliziertesten und kostbarsten phy-
sikalischen Instrumenten, hier kann man es sehen, bewundern und — was die Haupt-
sache ist — kaufen oder bestellen. In gerechter Wiirdigung des Umstandes, dass
die meisten Besucher des Lehrertages dem schonen Geschlechte angehb'ren, haben die
grossen Schulbuchfirmen ihre gewandtesten, elegantesten, hb'flichsten, jiingsten und
hiibschesten Verkaufer mit der angenehmen Aufgabe betraut, ihre Biicher an den
Mann, d. h. an die Frau zu bringen. —
Ich habe den Versuch gemacht, fur die Leser der ,,Padagogischen Monatshefte"
in grossen Ziigen ein Bild des letzten grossen Lehrertages zu entwerfen. Die Reich-
haltigkeit des Programmes, die grosse Zahl der Haupt- und Nebenversammlungen,
sind Umstande, die einem auch nur annahernd erschopfenden Berichte als unbe-
siegbare Hindernisse im Wege stehen. Wahrend ich soweit nur das Interessanteste
aus dem in den Hauptversammlungen Gehorten hervorhob, erlaube ich mir zum
Schlusse noch einige der zahlreichen Abteilungsversammlungen in das Bereich mei-
ner Berichterstattung zu ziehen. Vor einer sehr zahlreichen Zuhorerschaft hielt
Dr. Henry Hartung von Chicago, der mit Herrn Suder, dem Vorsteher des Turn-
unterrichts an den offentlichen Schulen Chicagos, als amtlicher Vertreter des Nord-
amerikanischen Turnerbundes dem Lehrertage beiwohnte, einen sehr beifallig auf-
genommenen Vortrag iiber den Wert eines systematischen Turnunterrichtes. Er
verlangt, dass der Kbrpererziehung ein angemessener Platz im Lehrplan der Volks-
schule eingeraumt werde. Unsere Erziehungsideale, meinte der Redner, werden
noch allzusehr durch die veralteten Kulturbegriffe des Mittelalters beeinflusst.
Jahrhunderte hindurch habe man gelehrt, dass Kb'rper und Geist zwei getrennte
Wesen seien, die nebeneinander und unabhiingig von einander arbeiteten. Die mo-
derne Wissenschaft hat uns gezeigt, dass der Mensch eine organische Einheit ist
und dass die geistigen und kbrperlichen Tiitigkeiten im engsten Zusammenhange
Der Lehrertag %u Minneapolis. 15
stehen. In alien Schulen, in denen man die Erziehung des Korpers der Geistespflege
gleichstellte, hat sich dieses als Wahrheit bestatigt.
Redner fuhrte den Ausspruch des verstorbenen Padagogen Parker an: ,,Es wird
vielleicht niemals wissenschaftlich festgestellt werden, welch gewaltigen Einfluss
der Korper und alle seine Organe, jeder Nerv und jeder Muskel und jede Ader auf
das Him und demnach auf den Geist austiben. Je mehr ich mich mit der Seelen-
lehre, besonders mit der Physopsychologie beschaftige, desto starker wird mein
Glaube an den segensreichen Einfluss der Korpererziehung." — Einen hochinteres-
santen Vortrag von einem ,,Nichtlehrer" horte ich in einer Versammlung der Han-
delsschullehrer iiber das Thema: ,,Was kann die Geschaftswelt von den Schulen
verlangen?" Angesichts der grossartigen Entwickelung in unserem Lande auf alien
Gebieten des Handels und der Industrie warnte der Redner seine Landsleute vor
der Gefahr, diese beispiellosen Erfolge der grosseren Tiichtigkeit und Klugheit des
amerikanischen Volkes zugutzuschreiben. Die machtigen natiirlichen Hilfsquellen
und Bodenreichtumer unseres Landes seien als Hauptfaktoren des Erfolges zu be-
trachten. Ausserdem sei Amerika ein neues Land, dessen Sohne sich ungehemmt
von (iberlieferten veralteten Anschauungen bewegte, welche gar haufig als Kette
an den Fiissen unserer europaischen Geschaftsrivalen hangen. Was Goethe sang:
Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, der alte,
Hast keine verfallenen Schlosser,
zog sich als roter Faden durch diesen Teil des Vortrages. Aber Europa lernt von
uns. Auch Europa ist im Begriffe sich auf dem Gebiete des Handels, der Industrie
und der Bodenbearbeitung von dem Banne der Vergangenheit zu befreien. Mit den
modernsten Werkzeugen, Maschinen und Methoden tritt man dem amerikanischen
jungen Rivalen entgegen, und in technisch wissenschaftlicher Vor- und Ausbildung
sind uns die am meisten fortgeschrittenen europaischen Staaten, besonders Deutsch-
land, weit uberlegen. Der Glaube an unsere geistige Superioritat kb'nne verhang-
nisvoll fiir uns werden, wenn wir uns durch denselben einschlafern lassen. Redner
verlangte die Griindung einer grosseren Zahl unter staatlicher Leitung und Auf-
sicht stehender technischer Hochschulen, und eine bessere Ausbildung unserer Han-
dels- und Gewerbebeflissenen.
Zum Schlusse eilend, berichte ich noch, dass als eine Frucht der Minneapoliser
Tagung die Griindung einer nur aus Klassenlehrern bestehenden ,,ISrational Federa-
tion of Teachers" zu verzeichnen ist. An der Spitze des neuen Verbandes, dessen
Hauptzweck die Wahrung der materiellen Interessen der amerikanischen Lehrer ist,
steht Fraulein Haley von Chicago, die geistige Fiihrerin der dortigen Lehrerschaft
und erfolgreiche Vorstreiterin in dem fast aussichtslos scheinenden Kampfe gegen
die grossen Korporationen des Staates Illinois. Wenn ich noch hinzufiige, dass der
Lehrertag in seiner Schlussversammlung eine von einem reprasentativen Ausschusse
ausgearbeitete Prinzipienerkliirung annahm, deren Wortlaut leider nicht in meinem
Besitze ist, dass der nachste Lehrertag in Boston stattfindet und dass in diesem
Jahre President Eliot von Harvard an der Spitze des Lehrerbundes steht, darf ich
wohl das endgiiltige Schlusszeichen setzen. —
II. Korrespondenzen.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Baltimore.
Ein von der Staatslegislatur erlasse-
nes Schulzwanggesetz soil wahrend des
laufenden Schuljahres in Kraft gesetzt
werden.
Nach diesem Gesetze miissen alle Kin-
der vom 8. bis zum 12. Jahre die b'ffent-
lichen Schulen besuchen, ausgenommen,
es wird nachgewiesen, dass sie anderswo
in den Fachern, die in den offentlichen
Schulen gelehrt werden, Unterricht ge-
niessen, oder korperlich und geistig un-
fahig sind, sich an dem Unterricht zu
beteiligen. Allerdings kb'nnen Kinder in
schulpflichtigem Alter vom Schulsupe-
rintendenten oder von einer sonstigen
Schulautoritat, je nachdem die Regeln
sind, in notwendigen Fallen vom Schul-
besuch dispensiert werden. Auch Kin-
der im Alter von 12 bis 16 Jahren sind
diesen Bestimmungen des Gesetzes un-
terworfen, ausgenommen, sie sind zu
Hause oder anderswo in gesetzlicher
Weise beschaftigt. Der Zweck des Ge-
setzes ist, miissige Kinder von der
Strasse wegzuhalten, sowie auch, dass
sie etwas lernen. Keine ^'abriken, au-
sser Konservenfabriken, diirfen Kinder
unter 16 Jahren beschaftigen, ausgenom-
men der Arbeitgeber ist im Besitze eines
Zertifikates vom Oberlehrer der von dem
Kinde zuletzt besuchten Schule und auch
eines solchen von den Eltern oder dem
Vormund desselben, welche bescheinigen,
dass das Kind iiber 12 Jahre alt ist.
Das ersterwahnte Zertifikat ist nicht
notwendig, wenn das Kind zuletzt eine
ausserhalb des Staates gelegene Schule
besucht hat. Wer ein Kind beschaftigt,
ohne diesen Bestimmungen des Gesetzes
nachgekommen zu sein, verfallt in eine
Strafe von nicht mehr als $100, und
muss fiir jeden weiteren Tag, an dem er
das Kind in solcher ungesetzlichenWeise
beschaftigt, weitere $20 Strafe zahlen.
Niemand darf ein Kind von 12 bis 16
Jahren beschaftigen ,welches nicht flie-
ssend lesen und schreiben kann, es sei
denn, das Kind hat zu gleicher Zeit Un-
terricht in einer Schule. Das Gesetz be-
droht auch Eltern und Vormiinder mit
schweren Strafen, wenn sie beziiglich des
Alters ihrer Kinder f alsche Angaben ma-
chen, es zugeben, dass dieselben in un-
gesetzlicher Weise beschaftigt werden,
oder es erlauben, dass sie die Schule
schwanzen, das heisst, dem Unterricht
fern bleiben und sich auf der Strasse
herum treiben.
Zur Durchfiihrung des Gesetzes sind
die Schulkommissare verpflichtet, zwolf
Schulkonstabler zu ernennen, welche je-
des Kind zwischen 8 und 16 Jahreu, das
die Schule schwanzend auf der Strasse
angetroffen wird oder iiberhaupt keine
Schule besucht, festnehmen und den El-
tern oder dem Lehrer iibergeben miissen.
Das Gesetz bestimmt auch, dass der
Mayor und Stadtrat fiir gewohnheitsma-
ssige Schulschwanzer Zwangschulen ein-
richten, welchen solche Kinder von ei-
nem Friedensrichter iiberwiesen werden
konnen.
Sobald der Stadtrat die Gehaltsbe-
stimmung fiir die zwolf Schulkonstabler
(truant officers) erledigt hat, wird die
Schulbehorde diese Beamten ernennen,
und es sollen nach dem Vorbild westli-
cher Stiidte sowohl Manner als auch
Frauen dafiir ausersehen werden. Ehe
aber der Stadtrat die notigen Massre-
geln fiir die Einrichtung der vorge-
schriebenen Zwangschulen nicht getrof-
fen hat, werden die zwolf Schulpedelle
wenig ausrichten konnen.
Der Schreiber kann nicht umhin zu
denken, dass die rechtzeitige Anwendung
eines guten Rohrstocks einer Zwangs-
schule weit vorzuziehen ware. Das denkt
mit ihm auch der phenomenal populare
Nationalabgeordnete W., der bei der
jiingsten Wahl zum dritten Mai in den
Kongress gewJihlt wurde. Bei einer Ban-
kettrede vor einiger Zeit deutete der
Letztere auf den anwesenden Schreiber
und sagte: "There is the only man that
ever licked me, and I am happy to have
this opportunity to thank him for it
publicly. He did more than anybody
else to make a man out of me." Vor
etwa 33 Jahren hatte der Schreiber den
geweckten Jungen in einer Privatschule
vom Schulschwanzen durch dasselbe
krjiftige Mittel griindlich kuriert, das
bei ihm selbst in einem gleichen Falle
ebenso erfolgreich in Deutschland ange-
wendet worden war. Wie nun, wenn der
eine wie der andere damals einer
Zwangsschule iiberwiesen worden ware?
Die Umgestaltung in unserem offentli-
chen Schulwesen ist immer noch im
Gange; wahrend des laufenden Schul-
jahres werden wahrscheinlich in der Or-
ganisation der neuen englisch-deutschen
Schulen Veranderungen vorgenommen
werden. Es ist u. a. angeregt worden,
den deutschen Unterricht von der un-
tersten Klasse, deren Unterrichtszeit von
Korrespondenten.
17
fiinf auf drei Stunden beschriinkt wor-
den ist, auszuschliessen.
Den Pild. Monatsheften wiinscht
Schreiber mit dem ncuen Jahrgang eine
grosse Anzahl neuer Abonnenten aus al-
ien Richtungen. Er wiinscht es sehn-
lichst im Interesse des deutschen Erzie-
hungswesens hierzulande. 1st es doch
dem Jugendfreund gar herzbetriibend, zu
erfahren, wie es da und dort Lehrende
gibt — und leider nicht wenige — die
weder das Bediirfnis noch die Pflicht
fiihlen, durch das Anschaffen einer sol-
chen Zeitschrift sich auf der Hohe der
rasch fortschreitenden Zeit zu halten,
und sich so berufstiichtig zu erhalten
und berufstiichtiger zu machen. Wenn
unter solchen Umstanden der deutsche
Unterricht in manchen Stiidten Einbusse
erlitten hat und zuriickgeht, ist es wahr-
lich nicht zu verwundern. Abgesehen
von allem andern, ahnen solche bedau-
ernswerte Schulhalter nicht, wie sie sich
dabei selbst im Lichte stehen. "Doch der
Mensch hofft immer Verbesserung."*) —
S.
*) Herzlichen Dank unserm lieben
Korrespondenten fiir seine Mahnworte!
Sie konnen nicht dringend genug ge-
macht und oft genug wiederholt werden.
Endlich miissen sie doch fruchtbaren
Boden finden. D. R.
Californien.
Der liebenswiirdige Redakteur der P.
M. schreibt seinem Korrespondenten im
goldenen Staate, dass Wunderdinge von
hier ihm zu Ohren gedrungen seien: Der
deutsche Lehrerverein habe es erreicht,
dass der deutsche Unterricht in den of-
fentlichen Schulen des Staates obligato-
risch gemacht worden sei. Ein schoner
Traum, aber leider, nur ein Traum! Es
tut mir leid, konstatieren zu miissen,
dass wir weit davon entfernt sind, ja
dass dafiir iiberhaupt wohl keine Hoff-
nung ist. Das Hochste, was wir anstre-
ben konnen, ist, dass es uns gelingen
moge, es dahin zu bringen, dass in alien
High Schools des Staates Deutsch ge-
lehrt werde, und dass dieser Unterricht
in f&hige H&nde gelange. Bis jetzt ist
beides noch nicht der Fall, doch sind die
Aussichten auf Verwirklichung dieser
Ideale sehr gut. Mit solch tiichtigen
Mannern an der Spitze des Deutschen
an unseren Universitiiten, wie die Pro-
fessoren Goebel, Schilling und Putzker,
kann die endliche Hebung des deutschen
Unterrichts im Staate nicht ausbleiben.
Scheme Erfolge sind bereits erzielt wor-
den, und Besseres birgt die Zukunft in
ihrem Schosse. Es wird die Leser der P.
M. interessieren zu horen, welche Fort-
schritte in dem bescheidenen Wirkungs-
kreise Hires Korrespondenten, in der
High School zu San Jose, zu verzeich-
nen sind. Als wir vor zwei Jahren hier
ankamen, konnten Deutsch, sowie auch
Franzosich und Spanisch erst im drit-
ten Schuljahre erwiihlt werden, wahrend
Latein schon im ersten Jahre aufgenom-
inen wurde. Dies gereichte den moder-
nen Sprachen zum grossen Nachteil,
denn, wie bekannt, sind bis dahin nur
noch ungefiihr die Hiilfte der eintreten-
den Schiiler in der Schule, und dann
sind schon die meisten derjenigen, die
eine fremde Sprache studieren wollen, in
die Molocharme des Lateinischen getrie-
ben. Das Deutsche hatte also wenig Ge-
legenheit, seine Verdienste als wiin-
schenswerte Fremdsprache zu beweisen.
Isach rastlosem Bemiihen, gegen die
Opposition des ,,klassischen" Departe-
ments bis zum letzten Moment, ist es
uns endlich gelungen es durchzusetzen,
dass die Schiiler schon gleich beim Ein-
tritt in die High School Deutsch auf-
nehmen konnen, so dass sie also zum
Studium einer fremden Sprache zwi-
schen Deutsch und Latein die Wahl ha-
ben. Diese Neuerung ist mit allgemei-
ner Befriedigung aufgenommen worden,
und hat sich bereits ausgezeichnet be-
wiihrt. Wahrend friiher die Anfanger-
klasse nur 20 bis 25 Schiiler ziihlte, mel-
deten sich in diesem Semester iiber fiinf-
zig zum deutschen Unterricht, und wir
erwarten im nachsten Semester eine
ahnliche Anzahl. — Dies beweist nur das
alte Sprichwort: Auf einen Streich fallt
keine Eich', und Ausdauer fiihrt zuletzt
doch zum Ziel. — In der Neujahrswo-
che wird in Los Angeles die grosse Kon-
vention der State Teachers' Association
stattfinden. Dabei werden die hervorra-
gendsten Schulmiinner des Staates, wie
die Priisidenten unserer beiden Universi-
taten, Jordan und Wheeler, u. a. zugegen
sein, und auch einige Grossen aus dem
Osten, unter ihnen der Farbige, Booker
T. Washington. Alle Phasen des Schulwe-
sens werden im allgemeinen und im be-
sonderen behandelt werden. Auch den
modernen Sprachen ist eine besondere
Sektion zugewiesen worden, unter dem
Vorsitz von Professor Julius Goebel.
Dies wird uns eine ausgezeichnete Gele-
genheit geben, fiir unsere Sache zu wir-
ken, und wir versprechen uns gute Re-
sultate. Bericht hieriiber wird spliter
folgen. V. B.
Chicago.
Im deutschenUnterrichtswesen unserer
Stadt haben mit Beginn des jetzigen
Schuljahres durchgreifende Anderungen
18
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
stattgefunden. Um die Notwendigkeit
derselben klar zu machen, muss ich etwas
weit ausholen. Die Stadt Chicago ist
aus einer Menge verschiedener Towns
zusammengesetzt, die bis zu einem ge-
wissen Grade eine von einander unab-
hangige Verwaltung haben . Jedes der-
selben wahlte bis vor kurzem seinen ei-
genen Assessor und jeder dieser Asses-
soren schatzte das in seinem Town vor-
handene steuerbare Eigentum ganz nach
Belieben ein. Auch war es ein offenes
Geheimnis, dass die Reichen beinahe gar
keine Steuer mehr weder auf Grund-
noch auf bewegliches Eigentum bezahl-
ten. Die Steuerlast wurde einfach ganz
und gar auf den sogen. kleinen Mann
abgewalzt, fur den es ,,sich nicht be-
zahlte", den Assessor ,,zu sehen". Diese
Zustiinde wurden vor ein paar Jahren so
unleidlich, dass das Volk sich aufraffte
und gebieterisch die Abschaffung dieser
Assessorenamter verlangte, welchem
Wunsche auch von der Staatslegislatur
Rechnung getragen wurde. Man machte
ein Gesetz, welches ein board of Assess-
ors, bestehend aus sieben Mitgliedern,
schuf, und hoffte nun, dadurch der
schmachvollen Bestechung einen Rie-
gel vorgeschoben zu haben. Je-
der ehrliche Mann atmete auf,
und besonders die Lehrer hofften,
nun auch ihren Anteil an den zu
erwartenden reichlicheren Steuerein-
kiinften in Form von hoheren Gehaltern
zu erhalten. Aber es sollte anders kom-
men.
Die Mitglieder des erwahnten board of
assessors bewilligten sich riesige Jahres-
gehalter (ich glaube $10,000 jeder) und
machten dadurch ihre Amter zu sehr
gesuchten. Da sie vom Volke erwahlt
werden, so war naturgemass ihr gross-
tes Bestreben, sich beim Volke lieb Kind
zu machen, und das kann ein Assessor am
besten, wenn er die Steuern mb'glichst
niedrig ansetzt. Und das taten die Her-
ren. Als vor einem Jahre das stiidtische
Budget festgesetzt wurde, sah man ein
Defizit von mehreren Millionen, und in
den verschiedenen Departements, die in
den letzten Jahren schon fortwiihrend
ungentigend mit Mittel versorgt waren,
musste nun erst recht gespart und die
Ausgaben beschnitten werden. Der
Schu^rat, der infolge des schnellenWachs-
tumes der Stadt Jahr fiir Jahr grossere
Summen benotigt, sah sich vor einem
Defizit von rund einer Million Dollurs
oder einem minus von einem Sechstel
seines erwarteten Einkommens; mit
dieser Summe musste man auskommen.
Unser Schulrat hatte einen schweren
Stand. Wo immer er Beschneidungen
vornehmen wollte, stiess er auf begreif-
lichen Widerstand. Man einigte sich
auf folgende wesentliche Anderungen :
Beschneidung der Gehalter aller Schul-
ratsangestellten um 5 Prozent; Schlie-
ssung der Kindergarten; Nichteroffnung
der Abendschulen; Erhohung der
Schiilerzahl in jeder Klasse auf 55 Kin-
der oder mehr; Verminderung der An-
zahl der Speziallehrer des Singens von 14
auf 4; Abschaffung von 8 Hilfssuperin-
tendenten-Stellen — sechs wurden bei-
behalten — und endlich sollte auch der
deutsche Unterricht abgeschafft werden,
der bisher eine jiihrliche Ausgabe von
$180.000 verursacht hatte. Dem mann-
haften und zielbewussten Auftreten des
Schulrates Dr. Heinrich Hartung, der
friiher selbst Lehrer war, haben
wir's vor allem zu danken, dass es
es doch nicht dazu kam. Er rettete,
was unter den Umstanden zu retten war :
Der deutsche Unterricht wird allerdings
nicht als Spezialfach erteilt, sondern als
,,departmental work". Die Kinder einer
Schule, die z. B. in den fiinften Graden
Deutsch lernen wollen, kommen alle in
ein Zimmer, welchem eine Lehrkraft
vorsteht, die die deutsche Lehrbefahi-
gungspriifung abgelegt hat. Dieselbe
Lehrkraft erteilt den deutschen Unter-
richt im 6. und 7. und 8. Grad
je y2 Stunde per Tag, und jene
Lehrer gehen so lange in das Zim-
mer der deutschen Lehrerin. Wie ich
ho're, haben sie in anderen Stadten dieses
Landes dasselbe System, und es soil sich
z. B. in Cleveland gut bewiihrt haben.
Freilich fiir viele deutsche Lehrerinnen
war das ein harter Schlag, mussten sie
doch, um im Schuldienst zu bleiben, eine
Lehrbefahigungspriifung in den engli-
schen Fachern ablegen. Ungefahr 100
aus 160 haben sich von Januar bis Au-
gust darauf vorbereitet, etliche 40 haben
die Priifung am 20. August bestanden.
Die Fragen waren nicht gerade sehr
schwer, aber auch nicht leicht, im gro-
ssen und ganzen ziemlich gerecht. Pada-
gogik und Psychologic wurde ihnen ge-
schenkt. Verschiedene, die die Priifung
nicht bestanden haben, gehen jetzt nach
der Normalschule ; man wird sie, wie ich
hore, nachsten Herbst ohne weiteres Ex-
amen anstellen. ttber den Erfolg oder
Nichterfolg des deutschen Unterrichtes
in seiner jetzigen Form ein Urteil zu
fiillen, ware voreilig; die Sache ist noch
zu jung. Ernes.
Cincinnati.
Der Stock bleibt. Der Schulrat ver-
warf nach kurzer Diskussion den Antrag
auf bedingungslose Abschaffung der Kor-
perstrafen und die Errichtung von Spe-
Korresponden^en.
19
zialklassen fiir Dauer-Nichtsnutze (S.
meine letzte Korresz. ) . Der Sieg wurde
den Gegnern der Massregel insofern
leicht geinacht, als die besagten Spezial-
klassen nicht zu verachtende Ausgaben
verursacht haben wiirden, die Schulfinan-
zen aber solche nicht tragen konnten. So
liegt denn der gut gemeinte Antrag ad
calendas graecas ,,angefangen und been-
det in der Santa Casa ( Finanzkomitee )
heiligen Registern". Moge derselbe
noch viele Jahre dort, der Stock aber im
Klassenzimmer bleiben, ein Segen fur
die Schiller und ultima ratio des Lehrers,
wenn er nur richtig angewandt wird.
Mit der allmahlichen Einfiihrung aller
Arten von Handfertigkeitsunterricht und
sonstigen modernen Erziehungszweigen,
iiber deren Wert hier, wie anderswo,
die Ansichten himmelweit auseinander-
gehen, wird in unseren Elementarschulen
rustig vorangeschritten. Falls wir auch
in dieser Hinsicht mit mehr Geduld und
Ausdauer gesegnet sind als die Franzo-
sen, die diese Veranstaltungen nach
ziemlich eingehenden Versuchen langst
wieder iiber Bord geworfen haben, mag
es uns gelingen, dieselben hier dauernd
einzubilrgen. Das ware keineswegs zu
bedauern, vorausgesetzt, dass der, jeg-
lichem Erdentaps unumganglich not-
wendige eiserne Bestand positiverKennt-
nisse dabei keine Einbusse erleidet.
Dariiber kb'nnen wir sehr bald im klaren
sein, und bis dahin scheint ein Urteil
iiber die Sache nicht am Platze.
Mit der am 6ten Dezember abgehalte-
nen regelmassigen Versammlung des
deutschen Lehrervereins war eine, durch
die Umstande etwas verspatete Feier des
hundertjahrigen Geburtstages von Wil-
helm Hauff verbunden. Lehrer und
Schiller batten sich in die Biirde des
Tages geteilt, und legten Ehre mit den
gebotenen Vorfiihrungen ein. Den Vor-
trag iiber den gefeierten Dichter hatte
Herr Dr. H. H. Fick iibernommen. Er
entledigte sich seiner Aufgabe in glan-
zender Weise und wurde mit reichlichem
Beifall belohnt.
Herr Theodor Meyder, der Dirigent
der von ihm neubelebten Gesangsektion,
kann nicht zu hoch gepriesen werden
fiir den Genuss, den diesesmal ein
Schiilerchor aus seiner Schule durch den
unter seiner Leitung gebotenen prach-
tigen Vortrag des bekannten Hauffschen
,,Reiters Morgengesang" den Anwesen-
den bot. Nicht weniger Lob gebiihrt
dem Gesanglehrer, Herrn Wilhelm
Rickel, fiir ein schones Cornetsolo,
Thema und Variationen von Hauffs
,.Treue Liebe", sowie Frilulein Emma
Rottmiiller, einer vor kurzem entlassenen
Schiilerin der Sten Intermediatschule,
fiir den hilbscht-ri Vortrag des Lexow-
schen Gedichtes ,,Steh ich in finstrer
Mitternacht". Die sehr gut besuchte
Versammlung war eingeleitet worden
durch eine kurze Trauerfeier fiir unseren
lieben Toten, Wilhelm Heinrich Weick,
den verdienstvollen Kollegen, der vor
vierzehn Jahren den ersten Anstoss zur
Griindung unsercs heute so bliihenden
Vereines gab. Die von Kollegen H. von
Wahlde verfassten Trauerbeschliisse
wurden von der Versammlung einstimmig
angenommen.
In der am Tage vorher stattgefunde-
nen Versammlung des deutschen Ober-
lehrervereines kam der Prasident des-
selben, Herr B. Wittich, auf seine
in meinem vorletzten Berichte be-
sprochene Ansprache, die Pflege der
deutschen Sprache betreffend, zuriick
und unterbreitete einige Vorschlage be-
hufs Agitation fiir die Verbesserung
des gegenwartigen, seiner Ansicht nach,
der Abhilfe sehr bediirftigen Zustandes
durch direktes Wirken der Lehrer au-
ss-erhalb der Schule, im Familienkreise,
in der Presse, in Vereins- und Kirchen-
kreisen u. s. w. Die Angelegenheit wurde
einem Komitee iiberwiesen, das in der
nachsten Vereinsversammlung iiber den
eventuell einzuschlagenden Weg zurVer-
wirklichung der genannten Vorschlage
des Herrn Wittich berichten soil. Den
obligatorischen Vortrag hielt Herr Oberl.
Dr. W. Jager. Er behandelte ,,das Ab-
hJingigkeitsverhaltnis in der deutschen
Satzbildung", unter besonderer Beriick-
sichtigung der durch die Stellung des
Subjektes bedingten Inversion, und ern-
tete mit seiner kurzen, aber hochst kla-
ren Darlegung dieser in der Sprachen-
reihe einzig dastehenden feinen Eigen-
tiimlichkeit wohl verdienten Beifall.
Das vor einigen Tagen erschienene
offizielle ,,8chul-Bulletin" No. 5 behan-
delt ausschliesslich den deutschen Unter-
richt. Verfasst von dem Assistenz-
superintendenten, Herrn Dr. Fick, und
mit empfehlenden Anmerkungen des
Superintendenten und des englischen
Assist.-Superintendenten versehen, bie-
tet dasselbe eine Anzahl Andeutungen
und Erliiuterungen zum deutschen Lehr-
plan, die jedoch lediglich als Ratschla-
ge aufzufassen sind, es jeder Lehrkraft
anheimstellend, nach eigenem Ermessen
vorzugehen. Fiir jede einzelne Diszi-
plin sind bis zum fiinften Schuljahre
hinauf praktische Winke gegeben; em-
pfehlen3werte Hauslektiire fiir Schiller,
sowie Lehr- und Nachschlagewerke fiir
den Lehrer sind in reichlicher Anzahl
genannt; mit einem Worte, es wird in
20
P'ddagogtsche Monatsbefte,
diesem Bulletin eine Fiille von Handlei-
tung und gutem Rat geboten, ohne den
damit Bedachten die Hand fiihren zu
\vollen — ein Fortschritt gegen die alt-
gewohnte krankhafte Bemutterung, der
gewiss nicht verfehlen wird, schone und
allseitig lohnende Fruchte zu erzielen.
quidam.
Milwaukee.
Also endlich haben wir Lehrer eine
Gehaltserhohung zu erwarten. Aber sie
ist vorlaufig nur inSicht; doch nachstes
Jahr, Sept. 1903, wird sie wohl zurWirk-
lichkeit werden. Auch ist sie nicht so
gross ausgefallen, wie man sie in Aus-
sicht gestellt hatte, denn sie betragtnur
5%. Doch sie kommt, und hoffentlich
wird es damit nicht sein Bewenden ha-
ben. Also vivat sequens! Der Schulrat
lasst die Zulage nach der Anciennitat
eintreten. Alle Lehrer mit zehn oder
mehr Dienstjahren erhalten $50 jiihrlich
mehr, die Prinzipale $100. An den Hoch-
schulen erhalten Prinzipale und Lehrer
den doppelten Betrag. Dann erhalten
auch alle Lehrer der 1. und 5. Grade
extra $50, weil die Arbeit an diesen
Klassen fur besonders wichtig und
schwierig angesehen wird. Auch das Ge-
halt der Schuldiener wird erhoht, und
zwar um 10%. Honny soit qui mal y
pense.
Die erste Versammlung des Lehrerver-
eins des Deutschen im neuen Schuljahr
fand am 10. Okt. statt. Es wurden nur
Routinegeschjifte erledigt und fand zu-
gleich die jiihrliche Wahl der Beamten
statt. Gewiihlt wurden als Vorsitzer
Herr Ph. Lucas, als stellvertretende
Vorsitzerin Frl. A. Hogrefe und als
Schriftfiihrer Herr II. Siegmeyer. In
der zweiten Versammlung am 10. Nov.
ergriff nach der Erb'ffnung Herr Abrams
das Wort und teilte der Versammlung
die Trauerkunde von dem Hinscheiden
des in weiten Kreisen bekannten Lehrers
und Schriftstellers Herrn W. H. Weick
in Cincinnati mit. Er sprach in warmen
Worten von den grossen Verdiensten des
bekannten Sehulmannes und Kollegen,
die er sich um das Schulwesen tiber-
haupt und besonders um das deutsch-
amerikanische Schulwesen erworben ha-
be. Er sei als tiichtiger Lehrer und Pii-
dago^e in jeder Hinsicht wtirdig, den
beiden ihm kiirzlich im Tode vorange-
gangenen Kollegen Rosenstengel und
Raab an die Seite gestellt zu werden.
Die Versammlung ehrte das Andenken
des dahingeschiedenen Kollegen durch
Erheben von den Sitzen.
Auf der Tagesordnung stand ein Be-
richt iiber den diesjiihrigen Lehrertag in
Detroit durch die dazu vom Verein er-
nannten Delegaten. Herr Dapprich, der
Prasident des Lehrertags, sprach zuersr
iiber Zweck und Ziele des Lehrertags,
und teilte dann in humorvoller und fes-
selnder Weise, wie gewohnlich, manches
iiber den Verlauf des Lehrertags und die
gehaltenen Vortrage mit. Die anderen
Redner, wie Herr Abrams, Frl. Hogrefe,
Herr Eiselmeyer und Herr Martens,
machten dann noch Mitteilungen von der
praktischen Lehrprobe iiber die ersten
Sprachiibungen, gehalten mit angloame-
rikanischen Schillern. Die allgemeine
Ansicht der Berichtenden schien dahin
zu gehen, dass durch das augenscheinli-
che und offen zu Tage tretende Drillen
und Einpauken des Lehrstoffes der pii-
dagogische Wert der Arbeit sehr in Fra-
ge gestellt sei. Auch wurde es bedauert
und geriigt, dass nach den gehaltenen
Vortriigen und nach der Probelektion
keine Debatten stattgefunden hatten.
Herr 0. Spehr brachte dann noch mit
einigen passenden Worten der Versamm-
lung in Erinnerung, dass der heutige
Tag, der 10. Nov., der Geburtstag zweier
grosser deutscher Manner sei, Luthers
und Schillers, die beide fur uns deutsche
Lehrer und fiir die deutsche Schule und
Sprache von so grosser Wichtigkeit und
Bedeutung seien. Es werde nicht allge-
mein und geniigend anerkannt, dass ge-
rade Luther durch sein ausgezeichnetes
Werk, die Bibeliibersetzung, der eigent-
liche Schopfer der neuhochdeutschen
Sprache geworden sei; was besonders
von Dittes in seinen piidagogischen Wer-
ken und Schriften stets betont wurde.
Auch bemerkte Herr Spehr noch, dass es
in diesem Herbste gerade 200 Jahre her
seien, seitdem Franz Daniel Pastorius
in Germantown in Pennsylvanien (1702)
die erste deutsche Schule gegriindet
habe. A. W.
New York.
Deutscher Lehrerverein von New York
und Umgegend.
Das was ein glorreicher Tag! Nicht
unsere letzte Lehrerversammlung, son-
dern der 9. November, der ,,deutsche
Tag". So viele Leute hatten in unserer
Versammlung ja auch gar nicht sitzen
konnen, f iinfzehntausend ! Wo sollten
wir denn alle die Stiihle herbekommen?
Doch so viele fluteten durch die Tore des
Madison Square Garden an diesem denk-
wiirdigen 9. November. Grossartig in
Masse, grossartiger in Leistungen!
Zeigte der Nachmittag die Schonheit und
Kraft harmonischer Bewegungen eines
Massenkorpers, so entfaltete der Abend
die Schonheic und Kraft geistiger Auf-
Korresponden^en .
21
fassung im Reiche der Tone. Beides so
recht deutsch! Deutsch auf amerikani-
schem Boden, deutsch in der neuen Hei-
mat! Auf solche Biirger kann Amerika
stolz sein, die verstehen mehr als Irish
whiskey zu trinken und in dem saloon
Dorfpolitik zu treiben. Beide Leistun-
gen waren von den patriotischen Reden
typischer Deutschanierikaner begleitet.
Ani Xachmittage sprach Herr Prof. Dr.
Kuno Francke von der Harvarduniversi-
tiit auf Deutsch, am Abend Herr Dr. C.
Hexamer von Philadelphia auf Englisch.
Um dann der Feier die Krone eines
durchschlagenden Erfolges aufzusetzen,
iiberbrachte der Herr Graf von Quadt,
als Vertreter der deutschen Botschaft in
Washington, die Gliickwiinsche des deut-
schen Kaisers an die Vereinigten deut-
schen Gesellschaften von New York und
schloss mit einem Hoch erst auf unse-
ren Prasidenten Roosevelt und dann auf
den Sender der Gluckwiinsche.
ttberwaltigend schon war der Gesamt-
eindruck dieses halben Tausend jugend-
licher Korper in ihren schmucken Tur-
neranziigen und rythmischen Bewegun-
gen zu den schmeichelnden Takten der
Musik. Wie von einem Geiste war die
ganze Masse beseelt, Jiingling und Jung-
frau, Knabe und Miidchen bis zu den
kleinsten der Kleinen in ihrem riihren-
den Eifer, was Grosses zu leisten. Und
etwas Grosses haben sie geleistet in
ihren symetrischen Marschiibungen, in
ihrem Keulenschwingen, ihrem Tanze
und ihrer dramatischen Darstellung des
Star Spangled Banner's. Wie das alles
nur so klappte! Wie mit dem Zauber-
stabe ins Dasein gerufen standen ihre
Menschenpyramiden zum Schlusse da!
Ebenso prazise und gewandt, voll Schon-
heit und Kraft waren die darauffolgen-
den Einzeliibungen der Turner an den
Geriiten.
Am Abende feierte das deutsche Lied
seine Triumphe. Die schwellenden Ak-
korde aus 400 deutschen Mannerkehlen
iiberfluteten den unabsehbaren Raum mit
der Fiille und dem Vollklang, der Zart-
heit und Reinheit deutschen Tones und
deutschen Seelenlebens. Ihr Vortrag war
musterhaft wie auch der Ausdruck der
Solopartieen durch Frau Marie Rap-
pold.
Wie laut sich der Beifall ungeteilter
Anerkennung all der Prachtleistungen
des Tages ausserte, lasst sich eher den-
ken als beschreiben. Wenn zwanzigtau-
send Hande zu gleicher Zeit aufeinan-
derklappen, — da kann selbst ein Tau-
ber horen. Wenn er es nicht tut, —
nun, so ist das seine Sache.
In seiner Festrede erging sich Herr
Prof. Francke ,,iiber die deutsche Auf-
fassung dessen, was echte Volksbildung
ist und zu leisten hat".
So manchem meiner Leser hat gewiss
schon lange die Frage auf der Zunge ge-
brannt : „ Aus welchen Schichten der Be-
volkerung setzten sich denn die Festteil-
nehmer zusammen?" Die Antwort ist
leicht: aus alien. Da waren reiche und
weniger reiche, junge und alte, kurze
und lange, dicke und diirre, gelehrte und
weniger gelehrte, New Yorker und Gaste
von auswarts, kurz, eine echte deutsche
Gesellschaft, voll heiliger Begeisterung
fur die grosse Sache.
Mogen diesem ersten noch recht viele
solcher ,,deutschen Tage" folgen, — ein
Tag des Friedens und briiderlicher Ei-
nigkeit. P. S.
Vom Verein deutscher Speziallehrer
in New York hat man in letzten Jahren
in den Pad. Monatsheften wenig gehort.
Schuld daran waren teils die Nachlas-
sigkeit des dafiir ernannten Berichter-
statters, teils die eigenttimlichen Ver-
haltnisse. Diese Verhiiltnisse batten z.
B. wilhrend des ganzen letzten Jahres
eine Berichterstattung unmoglich ge-
macht, und auch in diesem Jahre musste
der mit der Berichterstattung beauf-
tragte Unterzeichnete mehrere Monate
verstreichen lassen, bis die notwendige
Klarung eintrat.
Der Spezial-Lehrerverein fasst seine
Aufgabe in doppeltem Sinne auf. Ers-
tens natiirlich padagogisch, zweitens
aber ist er, der Natur der Sache nach,
der vornehmliche Hiiter des sorgsamster
Pflege bedurftigen Pflanzleins: ,,Deut-
scher Unterricht in den Elementarschu-
len New Yorks". Und dieser sorgsamen
Pflege hat es zu keiner Zeit mehr be-
durft, als in den letzten Monaten. Ver-
gegenwartigen wir uns die Situation!
Deutsch wurde in den Elementarschulen
bisher nur in den Bezirken Manhattan
und Bronx und in 2 oder 3 Schulen von
Queen's Co. gelehrt. Weder ' Brooklyn
noch Staten Island kannten diesen Un-
terrichtszweig. Der mit dem 1. Februar
in Kraft getretene Teil des Charters, der
sich mit dem Unterrichtswesen beschaf-
tigt, besagt nun, dass fortan der Stu-
dienplan fur alle Bezirke gleichmlissig
durchgefiihrt werden soil. Demgemass
muss nun also der deutsche Unterricht
auf die drei anderen Bezirke ausgedehnt
werden, oder aus den beiden verschwin-
den, in denen er bisher erteilt wurde.
Jeder Wechsel schreckt den Gliicklichen,
sehr mit Recht, auch die Lehrer des
Deutschen, obgleich sie nicht immer den
PUdagogiscbe Monatshejte.
Gliicklichen zugezahlt werden konnen,
und so waren es lange Tage schweren
Kampfes und bangen Zweifels, ob der
Schulrat den rechten Weg einschlagen
werde. Diese bangen Tage sind auch
noch nicht vortiber, aber die Situation
hat sich doch soweit geklart, dass mit
Zuversicht behauptet werden kann: Der
deutsche Unterricht wird nicht nur nicht
aus den Elementarschulen New Yorks
verschwinden, sondern wird auf samtli-
che Bezirke ausgedehnt werden, und der
Kampf dreht sich gegenwartig nur um
die demselben zu gewahrende Zeit. Be-
kanntlich war derselbe bisher auf die
letzten 2% Jahre, mit wochentlich 100
Minuten pro Klasse, beschrankt. Fak-
tisch zugestanden ist nun demselben zur
Zeit nur das letzte Jahr mit auf das
Doppelte erhohter Zeit und mit dem
sehr wichtigen Zugestandnis taglicher
Lektionen. Man kann aber schon jetzt
mit Zuversicht voraussagen, dass diesem
einen noch ein weiteres Jahr hinzuge-
fiigt werden wird. Es wird dann also
der deutsche Unterricht allerdings um
ein halbes Jahr beschrankt werden, diese
Beschrankung aber mehr als wettge-
macht werden durch die verdoppelte
Stundenzahl, durch die Ausdehnung auf
mehr als noch einmal so viele Schulen
als bisher und dadurch, dass ihm eine
geachtetere Stellung als bisher einge-
riiumt wird.
Es ist keine tfberhebung, auszuspre-
chen, dass, wenn auch die Unterstutzung
der deutschen Presse in den letzten Wo-
chen nicht zu unterschatzen ist, diese
Errungenschaften wesentlich dem rtihri-
gen und zielbewussten Eintreten des
Vereins deutscher Speziallehrer zu dan-
ken sind. Hoffentlich kann ich in mei-
nem niichsten Berichte Definitives mit-
teilen und mich spater weiteren Fragen
zuwenden, die, obwohl lokal, fiir einen
grossen Teil des Leserkreises der Mo-
natshefte von Interesse sein diirften.
C. H.
III. Umschau.
An der Cornell Unwersit&t ist ein
Plan in Erwagung, die Professoren
mit ihrem siebzigsten Jahre zu pensio-
nieren. Sicherlich ein Schritt, der hof-
fentlich verwirklicht werden und Nach-
ahmung finden wird.
Dr. Maxwell, Schulsuperintendent des
offentlichen Schulwesens zu 'New York,
wurde von gewissen deutschen Zeitungen
beschuldigt, ein Gegner'des deutschen Un-
terrichts an den offentlichen Schulen zu
sein; darauf hat er folgende Erklarung,
von ihm unterzeichnet, abgegeben:
"I am in favor of teaching German in
the public schools. I am in favor of
teaching German chiefly for two reasons.
First, because of its value as a purely
educational subject and as a means of
intellectual discipline, and second,because
of its great commercial value. The com-
mercial value of knowledge of German
is constantly increasing. Hence, we have
made German one of the most conspicu-
ous features of the course of study in the
high school ofcommerce. All reports to
the effect that the teaching of German is
about to be eliminated from the curricu-
lum of the elementary schools are entire-
ly without foundation. In all probability,
however, there will be, after the new
course of study is adopted, a very great
reform in the teaching of the German
language. As the subject is taught now
it is taught for one hundred minutes a
week during two and a half years. The
results are most unsatisfactory. In the
first place, the teaching of German is an
optional study. Children are not required
to learn the language. In the second
place, the amount of time each week de-
voted to the subject is too small to per-
mit of proper teaching on the part of the
teachers or proper study on the part of
the children. The teachers in the high
schools of New York find that children
coming from the elementary schools of
New York who have studied German in
this way know practically nothing about
the language.
"Evidently this state of affairs cannot
be allowed to continue. While I cannot
anticipate conclusions that have not been
definitely reached by the board of super-
intendents, I may say that in the grades
in which German will be taught hereafter
it will be required of all children in these
grades, and it will be taught a sufficient
length of time each week to secure ade-
quate results for the money and labor
expended.
"Furthermore, the course of study will
be uniform for the entire city, and, unless
my judgment is entirely at fault, I be-
lieve the recommendation of the board of
superintendents will be that the teach-
ing of German should no longer be con-
fined to the boroughs of Manhattan and
the Bronx, but should be extended to the
Umscbau.
23
other boroughs — Brooklyn, Queens, and
Kichmond. WILLIAM H. MAXWELL,
City Superintendent of Schools."
New York, Nov. 13.
Chicago. Die Chicagoer Lehrerverei-
nigung (Teachers' Federation), die eine
Mitgliederzahl von 4,500 aufzuweisen
hat, hat durch einen Majoritatsbeschluss
vom 8. November um Aufnahme in die
Chicagoer Arbeitervereinigung nachge-
sucht. Die Entscheidung fiel nach einer
vierstiindigen Diskussion.
Mitglieder der Arbeitervereinigung
begriissen den Beitritt der Lehrer mit
Freuden. Sollte die Vereinigung der
beiden Korperschaften vor sich gehen,
dann wurde*n die 200,000 Stimmgeber
der Arbeiterunion die Sache der Schulen
und Lehrer zu ihrer eigenen machen, un-
ter anderem, f iir die Notwendigkeit einer
hoheren Geldbewilligung fiir die Schulen
eintreten, und am Stimmkasten fiir
solche Massnahmen undKanditaten tatig
sein, die Schuler und Lehrer giinstig
sind, namentlich auch eine bessere
Besoldung der Lehrer fordern.
Ein besonders wirksames Mittel,
ihre Ziele zu erreichen, werden in Zu-
kunft den Lehrern die Streike bieten.
Natiirlich wiirde zu diesem Mittel nur
im aussersten Notfalle geschritten wer-
den. Jedenfalls wird ihren Forderungen
mehr Gewicht beigelegt werden, wenn
hinter ihnen die machtvolle Union steht.
Augenblickliche Hilfe erwartet man, um
die ftberfiillung der Schulklassen zu
beseitigen, die Gehaltsskala vom Jahre
1895, die fallen gelassen worden war,
wieder einzufiihren und dem Lehrer-
pensionsfonds wieder aufzuhelfen, der
dem Bankrott nahe ist. Frl. Ella Howe,
die bisherige Prasidentin der Lehrer-
vereinigung ist mit dem Beschluss der
Mehrheit nicht einverstanden und hat
infolgedessen ihr Amt niedergelegt.
Nach ihrer Ansicht wird wohl die Halfte
der Chicagoer Lehrer aus der Vereini-
gung austreten.
Auf dem Programm der in den Weih-
nachtsferien zu Los Angeles stattfinden-
den Versammlung der Hochschullehrer
des Staates Califomien befindet sich ein
Vortrag von Herrn Valentin Buehner, an
der Hochschule zu San Jos6, tiber ,,the
Culture Value of Modern Languages".
Herr Buehner ist zugleich Sekretar der
,,Modern Language" Sektion und wird
auch vor deren Versammlung einen Vor-
trag iiber ,,Ziel und Methode des Sprach-
unterrichts" halten. (Wir freuen uns,
von der Riihrigkeit unseres Freundes und
Mitarbeiters an dieser Stelle Kenntnis
nehmen zu konnen. D. R.)
Abschaffung des Gricchischen. Sogar
auf der Universitiit zu Oxford, England,
hat man die Ratsamkeit der Abschaf-
fung des Grieschischen, als obligatori-
sches Studium in Erwagung, und nach
einer Ausserung der ,,Times" wiirde dies
sicher im Einklang mit den Anforde-
rungen, die die moderne Zeit an den
Menschen stellt, stehen.
Allm&hlich scheint es doch auch in
China Tag werden zu wollen. Ein kai-
serlicher Erlass hat eine Anzahl junger
Leute nach den Universitiiten unseres
Landes abgeordnet, damit diese hier
auf Kosten ihrer Regierung den Stu-
dien obliegen, nach deren Absolvierung
und bestandenem Examen sie mit Regie-
rungsstellungen betraut werden sollen.
Der deutsche Doktorgrad. In dem Be-
streben, dem Doktorgrade der deutschen
philosophischen und naturwissenschaft-
lichen Fakultaten seine geschichtlich be-
griindete Bedeutung in wissenschaftli-
cher und sozialer Beziehung zu wahren,
wurde ttbereinstimmung der beteiligten
Unterrichtsministerien iiber folgende
Grundsatze erzielt: 1. Der Doktorgrad
darf nur auf Grund einer durch den
Druck veroffentlichten Dissertation und
einer miindlichen Priifung verliehen wer-
den. Eine promotio in absentia findet
unter keinen Umstanden statt. Die
Ehrenpromotion, promotio honoris causa,
bleibt unberiihrt. II. Von der Disserta-
tion ist zu verlangen, dass sie wissen-
schaftlich beachtenswert ist und die Fa-
higkeit dartut, selbstandig wissen-
schaftlich zu arbeiten. III. DieZulassung
zur Promotion ist an den Nachweis der
Reife einer deutschen neunstufigen ho-
heren Lehranstalt und eines dreijahri-
genUniversitatsstudiums zu kniipfen. Die
Zulassigkeit von Ausnahmen von dem
Erfordernisse der Reife ist durch die
Promotionsordnungen zu regeln und
moglichst zu beschranken. Dabei soil als
Voraussetzung gelten, dass entweder 1.
die Gleichwertigkeit der Vorbildung mit
derjenigen auf einer deutschen neun-
stufigen hoheren Lehranstalt durch aus-
landische Zeugnisse gesichert erscheint,
oder 2. der Mangel dieser gleichwertigen
Vorbildung ersetzt wird durch die Ein-
reichung einer als hervorragende Lei-
stung anzusehenden Dissertation. Die
Zulassung darf in der Fakultatssektion
und unter Gutheissung des vorgeord-
neten Ministeriums erfolgen. Die Pro-
motionsordnungen konnen dariiber be-
stimmen, ob und inwieweit bei Kandi-
daten der naturwissenschaftlich-mathe-
matischen Fiicher die Studienzeit an
Technischen oder anderen deutschen
24
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Hochschulen abgelegt werden darf. IV.
Die Gleichmiissigkeit der Zensierung ist
anzustreben und tunlichst in der Weise
zu regeln, dass nur folgende Prildikate
erteilt werden: bestanden (rite), gut
(cum laude), sehr gut (magna cum
laude), ausgezeichnet (sum ma cum lau-
de). V. Die erfolgten Promotionen sol-
len halbjiihrlich im Reichsanzeiger in
tabellariseher Form veroffentlicht wer-
den. Zu diesem Zwecke werden die be-
teiligten Ministerien dafiir Sorge tragen,
dass die ausgefiillten Formulare beziig-
lich des Somnierhalbjahrs bis zuni 1.
Dezember, beziiglich des Winterhalb-
jahrs bis zum 1. Juni an die Redaktion
des Reichsanzeigers unter ausserlieher
Kenntlichmachung als ,,Philosophische
Promotionssache" eingesandt werden.
Kiinftige Anderungen der geltenden Pro-
motionsordnungen an den philosophi-
schen Fakultaten und den naturwissen-
schaftlichen Fakultiiten zu Heidelberg,
Strassburg und Tubingen werden sich
die beteiligten Ministerien durch ttber-
sendung von Druckabziigen mitteilen.
VI DieseVereinbarung ist moglichst bis
zum 1. April, jedenfalls bis zum 1. Okto-
ber 1902 durchzufiihren.
Dr. Bartelsli. Schuldirektor Dr. Fried-
rich Bartels in Gera, der Herausgeber
der ,,Rheinischen Blatter", ist am 25.
Oktober gestorben.
Deutsch als Vermittlungs-Sprache. Zu
Helsingfors in Finnland tagte kiirzlich
eine Versammlung nordeuropaischer
Naturforscher, wobei ausser den
Danen, Norwegern, Schweden und Finn-
landern auch Russen erschienen waren.
Zur Geschaftssprache wurde einhellig
die deutsche Sprache gewahlt, nicht
die sonst iibliche franzosische, da dieser
die Skandinavier im allgemeinen weni-
ger milch tig sind. Der junge Kaufmann
in Skandinavien lernt von fremden
Sprachen an erster Stelle Deutsch und
an zweiter Englisch; das Franzosische
kommt erst hinter dem Spanischen in
Betracht.
Eine hiibsche Erbschaftsgeschichte fin-
det sich in Pariser Slattern. Die Kin-
der der kleinen Stadt Faremoutiers wer-
den das ,,allgemeine Stimmrecht" ken-
nen lernen. Ein verstorbenes Mitglied
der dortigen freiwilligen Feuerwehr
hinterliess der Stadt, die etwa 1000
Einwohner ziihlt, das notige Kapital zur
Anschaffung von zwei Sparkassen-
biichern tiber je 25 Fes. fur einen
Schiller und Schulerin. Und zwar sollte
dasjenige Kind, je ein Mannlein und ein
Frilulein die Stiftung erhalten, welches
,,als das artigste und hoflichste der gan-
zen Stadt anerkannt sei". Das Testa-
ment fiigt hinzu, dass die Kandidaten
aus alien Schulen von ihren Mitschiilern
mittels geheimer Wahl zu ermitteln
seien. Hoffentlich kommen in Faremou-
tiers keine Wahlbeeinflussungen durch
zeitweilige iibertriebene Hoflichkeit der
Spargeldkandidaten vor !
Aus Rosseggers Heimat." Das von
Rosegger erbauteWaldschulhaus zuAlpl,
Steiermark, die Heimat des grossen
Dichters, wurde am 28. Sept. feierlich
eingeweiht. Rosegger hielt die Festrede.
Das Hauschen ist einstockig, aus Holz
gezimmert auf steinernem Unterbau, ge-
ziert mit Tiirmchen und Balken.
Beim Eintritt griisst uns der auf ein
Schild gemalte Spruch Roseggers:
O Waldheimat traut,
Von Ahnen bebaut,
Von Eltern geweiht,
Von Kindern erneut —
Gott segne dein Erdreich,
Gott segne den Fleiss,
Erleuchte den Landmann,
Auf dass er es weiss,
Und oft wohl bedenkt
Und nimmer vergisst,
Wie treu und heilig
Die Heimat ist.
Im .farterre befindet sich die Lehrer-
wohnung und das Schulzimmer, das
Raum fur 40 Schiller bietet. Das ansto-
ssende Lehrmittelzimmer ist sehr reich
ausgestattet. Im ersten Stockwerk sind
einige Kammern und ein gemiitliches
Balkonzimmer, das der Baumeister fiir
Kosegger eingerichtet hat. In der Wid-
mungsurkunde ist der Fall vorgesehen,
dass das Haus einmal nicht als Schul-
haus benotigt sein konnte. Es ist dann
in irgend einer Weise nutzbar zu
machen, und der Ertrag ist filr Lehr-
und Bildungszwecke der Gemeinde
Krie<?lach zu verwenden.
IV. Vermischtes.
Goethe oder Gothef In einer Bespre-
chung von ,,Jean Pauls Briefwechsel mit
seiner Frau und Christian Otto, heraus-
gegeben von Paul Nerrlich" wird diese
Frage in der ,,Voss. Ztg." wie folgt be-
antwortet. Beilaufig sei erwahnt, dasa
Jean Paul die Namensform ,,Goethe"
nur dann gebraucht, wenn er sie, wie
vorstehend, mit lateinischen Buchstaben
schreibt, was er aber nur selten tut; fur
gewohnlich schreibt er ,,Gothe". Es ist
zweifellos, dass die erstere Schreibweise
nur fiir die lateinische Schrift, fiir die
deutsche Schrift nur die Form ,,Gb'the"
berechtigt ist. Im Deutschen hat es kei-
nen Sinn, das 6 in o und e aufzulosen.
Lassen wir in Namen einmal das e hin-
ter o stehen, so verlangert es nur den
O-Laut, wie denn die Stadtenamen Soest
und Coesfeld bekanntlich ,,Sohst" und
,,Kohsfeld" zu sprechen sind, so dass
man ,,Goethe" eigentlich wie ,,Gothe"
lesen miisste. Die Schreibweise ,,Goethe"
ist erst seit einigen Jahrzehnten durch-
gedrungen; wenn wir einmal eine Aka-
demie fiir deutsche Sprachen haben,
setzt sie die Form ,,Gothe" hoffentlich
wieder in ihre Rechte ein. Einzelne
mutige Leute wagen auch jetzt schon
wieder ,,G6the" zu schreiben, so Georg
Keben in seinem 1901 erschienenen sehr
lesenswerten ,,Fackelzug durch Kunst
und Kultur".
Die Bibel im Kanzleideutsch. Der
,,Frankf. Ztg." wird geschrieben: In ei-
ner Plauderei der ,,Braunschweiger Lan-
deszeitung" wird der Versuch gemacht,
die ersten Verse der Bibel in die Sprache
zu ubersetzten, die ein zunftgerechter Be-
amter schon findet: ,,Im Anfang wurde
seitens Gottes der Himmel beziehungs-
weise die Erde geschaffen. Die letztere
war ihrerseits eine wiiste und leere, und
war es finster auf derselben." Der ttber-
setzer muss aber selber gestehen, dass
ihm sein Versuch noch nicht ganz gelun-
gen ist: drei kurze angereihte Haupt-
satze nacheinander kennt der hohere und
niedere Kanzlist nicht; er hatte Ge-
schick und Geduld genug, das ganze erste
Kapitel der Bibel in einen einzigen Satz
zu bringen. Die Sprachgelehrten der
Kanzleien sollten sich wirklich einmal
an die schb'ne Aufgabe machen, das hei-
lige Original in ihr geliebtes Deutsch zu
tibertragen, um uns z. B. zu berichten:
,,Dass Gott das Licht von der Finsternis
dergestalt zwecks Scheidung zeitlich in
geeigneter Weise anordnete, dass er dem-
zufolge in der Lage war, das Licht und
die Finsternis Tag, bezw. Nacht zu be-
nennen, worauf derselbe sich dann der
weitern Aufgabe unterzog, in betreff der
Meere bezw. der entsprechenden Fliissig-
keiten der Atmosphare eine zweckdien-
liche Abgrenzung dermassen zu bewir-
ken, dass er hinsichtlich dieser vermit-
telst einer sogenannten Feste, welcher er
den Namen ,Himmel' zu verleihen sich
entschied, seither die Gewasser auf der
Erde von den Gewilssern, resp. wasser-
haltigen Gasen am, bezw. im vorbenann-
ten Himmel vollstandig zur Trennung
brachte, worauf dann am Abend einer-
seits und Morgen anderseits der zweite
Tag ebenmassig zum Abschluss ge-
langte".
Verlurst. (Zu Scheffels Liedern vom
Rodenstein. )
I, 6: ,,Hollaheh! doch wie man's treibt,
so gehts,
Was liegt an dem Verlurste?
Man spricht vom vielen Trinken
stets,
Doch nie vom vielen Durste".
Norddeutsche pflegen nach meiner Er-
fahrung zu meinen, dass Scheffel die
Form Verlurst willkiirlich, dem Reime
zuliebe, oder im Scherze gebildet habe.
Wir haben es jedoch mit einer volks-
ttimlichen oberdeutschen Form zu tun,
die schon in der Zimmerischen Chronik
erscheint (s. Lexer, Mhd. Hdwtb. Ill,
170). In Schmellers Bayer. Wtb. I,
1514 lesen wir daruber: ,,Der Verlurst,
im bayr. Schriftgebrauche (wie Dien-st,
Gun-st, Kun-st, Brun-st, vielleicht zur
Unterscheidung von Verlust, (disideri-
um) sehr gewohnlich statt: der Verlust.
So miisste auch Frorst, Frurst fiir Frost
gelten, was doch nicht der Fall ist. ver-
lustig, verlurstig adj. verlierend, verlo-
ren habend." Auch Moriz Heyne in sei-
nem Deutschen Wtb. Ill, 1221 belegt
diese oberdeutsche ,,deutlicher an verlie-
ren anlehnende" Nebenform aus J. Gott-
helfs Schuldenbauer. Die Scheffelstelle
findet sich bei ihm nicht. (Zeitschrift
des Allg. deutschen Sprachvereins ) .
Der sachsische Genetiv". Diese von
vielen deutschen Grammatikern angwen-
dete Bezeichnung ist nach einr Darle-
gung der Zeitschrift des Allgemeinen
deutschen Sprachvereines ungehorig.
Diese Bezeichnung des vorangestellten
zweiten Falls (z. B. ,,des Vaters Haus")
ist der englischen Sprachlehre entlehnt.
Dort ist sie berechtigt. Denn die mit
dem Biegungs-s bezeichnete, nur in der
26 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Voranstellung erhaltene Form des Gene- zweiten Halfte hintereinander. ,,Ele-
tivs (king's servant — the servant of the ment" wiirde somit etwa dasselbe bedeu-
king) stammt fiir die Englander au8 ten wie ,,A B C", also Anfang. Andere
dem Angelsachsischen. Im Deutschen bringen es mit dem gricchischen ,,elaun-
aber ist jene Voranstellung von jeher ein" — hervorbringen, in Bewegung set-
iiblich gewesen, und zwar nicht bloss zen, antreiben (davon: elastisch, Elasti-
im sachsischen Sprachgebiet, ist also fiir zitat), ein neuerer Forscher sogar mit
uns nicht eigenartig Sachsisches. dem hebraischen ,,ailam" — Eingang, in
Verbindung. H. Diels stellt eine neue
Die Etymologic des Wortes ,,Element" Annahme auf. Das lat. ,,elementum"
(elementum) , das ja bekanntlich auch in sei, schreibt er, ein griechisches Lehn-
der Schulsprache seine Rolle spielt (Ele- wort und entstanden aus ,,elepantum"
mente — Anf angsgriinde, Elementarschu- ( von ,,elephas — Elef ant ) durch die Mit-
le, Elementarunterricht u. s. w.), ist telform ,,elepentum" (e aus awegen vor-
noch keineswegs sichergestellt. Meist geriickten Accents). Nach Quintilian
leitet man es ab von ,,1-m-n" (el-em-en). seien namlich beim ersten Leseunter-
Die Buchstaben L M N stehen namlich richt elfenbeinerne Buchstaben verwendet
im lateinischen Alphabet am Anfang der worden.
Bucherschau*
I. Kritik und Antikritik.
Sehr geehrter Herr Redakteur!
Gestatten Sie mir auf die Erwiderung Herrn Prof. Dr. Ferrells folgendes zu
antworten.
Der Rezensent, der sich von dem beleidigten Autoren nicht totschlagen lassen
will, sollte eigentlich, wie der Ktinstler, nicht reden, sondern bilden. Ich verspreche
daher auch bald etwas Positives an die Stelle meiner negativen Kritik von Dr. Fer-
rells Sappho- Ausgabe zu setzen. Einstweilen folgende Thesen: 1) Die Sappho ist
ein Monodrama. 2) Die kiinstlerische Einheit besteht nur in der Einheit der sub-
jektiven Stimmung, woraus der Dichter geschaffen, nicht in der dramatisch-folge-
richtigen Durchfiihrung eines tragischen Konfliktes. 3) Der Dichter beginnt eine
Kiinstlertragodie zu schreiben, fasst das Problem nicht tief genug, wird dazu noch
im Schaffen, wie er selbst sagt, ernstlich gestort, und verliert den Faden. 4) Die
mittleren Akte behandeln ein neues Problem: die Tragik der Eifersucht, der un-
erwiderten Liebe. 5) Auch dieses wird nicht durchgef iihrt ; vielmehr wird am
Schluss das urspriingliche Thema wieder aufgenommen, weshalb die Katastrophe
so ganz unmotiviert erscheint. 6) Daher der unbefriedigende Eindruck des Gan-
zen. 7) Ausserdem steht das Stuck noch so sehr unter dem Einfluss von Goethe
und Schiller, und ist Sprache und Stil so ungleichmassig, dass die Sappho noch zur
Periode der Nachahmung, der Talentproben zu rechnen ist. 8) Erst in dem Golde-
nen Vliess, wo eines der Sappho-Probleme zu vollkommener Darstellung gelangte,
hat sich Grillparzer als Kiinstler selbst gefunden. Darum ist die Sappho zur Ein-
ftihrung des Dichters iiberhaupt nicht geeignet.
Nun zu Herrn Prof. Dr. Ferrell. Er halt an Scherer als Grillparzer-Autoritat
fest. Der betreffende Aufsatz stammt aus dem Jahre 1874, wo die Grillparzerfor-
schung noch in den Windeln lag. Soil der noch massgebend sein? Und hat nicht
Scherer gerade an Grillparzer durch seine Methode gesiindigt? Ich halte jede Ein-
teilung von Grillparzers Dramen nach Stoffen fiir eine Siinde, fur eine Vergewalti-
gung des Dichters, der gesagt hat: ,,Der Dichter wahlt historische Stoffe, weil
er darin den Keim zu seinen eigenen Entwickelungen findet, vor allcm aber, um
seinen Ereignissen und Personen eine Konsistenz zu geben." Der jeweilige StoflF,
Kritik und Antikritik. 27
ob historisch oder mythologisch, ist also f iir . Grillparzer nur eine zufallige Ein-
kleidung. An jedem seiner Dramen hangt eigenstes Herzblut, jedes stellt wieder
eine weitere Stufe seiner inneren Entwickelung dar, so dass jede Einteilung der
Dramen vom Gesamtwerk des Dichters ein falsches Bild geben muss; sie konnen
nur in chronologischer Folge behandelt werden. — Fiir Scherer und seine Schule
ist aber die aussere Klassifikation, das anatomische Praparat als solches, Stolz und
Ziel. In die Seele eines Kiinstlers sehen Scherer und Schererianer gar selten hin-
ein. Ich verweise noch einmal auf die angesichts des heutigen Standes der Grill-
parzer-Forschung geradezu laeherlich erscheinende Beurteilung Grillparzers in
Scherers Literaturgeschichte. Wer da noch Scherer als Autoritat anschen kann! —
Dass allerdings der Aufsatz vom Jahre 1874 ,,wichtig" ist, das bestreite ich gar
nicht. Er ist so wichtig wie das Urteil jedes geistreichen Mannes; auch hat Scherer
im einzelnen viel Gutes beigebracht, aber das Ganze ist verfehlt, und darauf kommt
es an. — Dass R. M. Meyer nur Scherers Aufsatz als ,,wichtig" bezeichnet, ist ganz
natiirlich, beweist aber gar nichts. Denn R. M. Meyer ist direkter Schiller Scherers
und lobt sich selber im Meister. Und schlecht ist es um Literaturhistoriker be-
stellt, denen R. M. Meyer Vorbild und Norm sein muss. Ich will nicht das trau-
rige Kapitel ,,R. M. Meyer und Alexandrinertum" ausschneiden ; ich deute nur
durch ein Zitat von Avenarius meinen Standpunkt an: ,,Erinnern sich (unsere
Leser), wie eine der plattesten Leichtfertigkeiten, die je an der Oberflache der
Literatur aufgetaucht sind, wie R. M. Meyers ,,Literaturgeschichte" als eine hoch-
bedeutsame Geistestat begriisst wurde?" (Kunstwart 16, 110). Wer kann solche
Possenreissereien, wie Meyers Artikel iiber Sudermann in der ,,Literaturgeschichte"
oder neuestens im ,,International Quarterly" lesen und dann diese ethisch haltlose
Gestalt noch ernst nehmen?
Von ,,Liebe und Bewunderung" zum Verstandnis eines Dichters ist noch ein
grosser Schritt. Der ziindende Funke von Seele zu Seele — den vermisse ich in
Prof. Ferrells Versuch, dem deutschen Dichter nahezukommen. Beweisen kann ich
das auf so kleinem Raum allerdings nicht, glaube aber, dass Ferrels Urteil iiber
Bancban und Weh dem, der liigt, deutlich genug spricht. Da$s er dieses Urteil
ausspricht, das ist anzuerkennende Ehrlichkeit, aber sehr unvorsichtig ! Vgl. Jahr-
buch III, 1 ff. und III, 41 ff.
Die Antwort auf Prof. Ferrells nachsten Paragraphen spare ich auf den Schluss
auf. Also zum iibernachsten. Mir was es unmoglich, in dem Apparat von Anmer-
kungen Plan und Ziel zu entdecken; auch nicht, als ich das Buch in einer Klasse
gebraucht hatte. Wenn Prof. Ferrel sagt, er habe einen bestimmten Plan gehabt,
so ist das eine Behauptung ohne Beweis. Im iibrigen ist das allerdings Geschmack-
sache, ob man z. B. die "commonplaces of history and mythology" jahraus, jahrein
durch die Schulausgaben schleppen will oder nicht. Je mehr sich die Anmerkun-
gen auf solche Punkte beschranken, deren Erforschung nur dem Spezialisten mog-
lich ist, desto anregender kann sich der Unterricht gestalten. Wer nimmt einmal
den Kampf auf gegen die Sintflut der ,,Anmerkungen" ? Vielleicht hat Prof. Ferrell
auch eine ganz andere Art von Studenten im Auge gehabt als ich; dann will ich
gar nichts gesagt haben.
Prof. Ferrell fiihrt am Ende seiner Erwiderung das Zeugnis von "two or three
of the foremost scholars of America" fiir sich ins Feld. Ich wiisste
keinen amerikanischen Gelehrten, der sich bis jetzt iiberhaupt, geschweige
denn erfolgreich in Grillparzer-Forschung betatigt hatte, dessen Urteil dem-
nach als massgebend anzuerkennen ware. Es gibt iiberhaupt nur einen Mann
in der Welt, der alle Schliissel zu dem Heiligtum von Grillparzers Kunst besitzt,
und der lebt in Prag. — Einem Amerikaner oder Norddeutschen wird es nie mog-
28 P'ddagogiscbe Monatshefu.
lich sein, sich ganz in Grillparzers Welt hineinzuleben. Das ist kein Vorwurf gegen
Prof. Ferrell, sondern bedeutet eine Schranke in Grillparzers Kunst. Ich wage zu
behaupten, dass es in diesem Lande immer nur ganz wenige Verehrer Grillparzers
geben \vird ; vielleicht wird nur Hero dauernd Fuss fassen konnen. —
Auf meinen Hauptvorwurf, dass er Grillparzer fast nur als den Dichter haus-
lich-stiller Tugend charakterisiert habe, antwortet Prof. Ferrell nicht. Ich gehe
also zu seinen Beziehungen zu Lichtenheld fiber. Selbstverstandlich nehme ich seine
Erklurung, dass die Jthnlichkeit nur allgemeiner Art und "that the thought in each
case is one that would naturally suggest itself to any person at all familiar with
dramatic technique," auf Treu und Glauben an. Ich setze die Parallelstellen nur
her, um zu erklaren, wie ich zu meiner urspriinglichen Auffassung kam:
Vers 40. Ferrell: "In the exuberance of his joy Rhamnes calls forth the
maidens, and then sends them away almost immediately. This gives the poet an
opportunity to bring Melitta before our eyes and to show us the impression that
Phaon's appearance makes upon her."
Lichtenheld: ,,Sein widerspruchsvolles Verhalten, dass er die Madchen erst
ruft und dann wieder fortschickt, ist psychologisch durch seine tfberfreude begrlin-
det. Die Absicht, die der Dichter damit verbindet, ist, Melitta uns sofort vor Augen
zu flihren sanit der Wirkung Vers 30." (Der Eindruck von Phaon's Schonheit.)
Vers 63. Ferrell: "Great stress is here laid on her relation to the Lesbians
in order that a motive may be furnished for their zeal in her behalf towards the
end of the play."
Lichtenheld: ,,Wegen des Eifers der Lesbier am Schluss des vierten und im
fiinften Akt ist die Darlegung des Verhiiltnisses, das zwischen ihnen und ihr ob-
waltet, ein sehr wichtiger Teil der Exposition."
Vers 1427. Ferrell: "Sappho's plan to separate the lovers thus brings them
together and suggests to them the idea of fleeing to Chios. Phaon's determination
to flee seals the fate of all the principal characters and constitutes the Tragic Crisis
of the drama."
Lichtenheld: ,,Durch diese Wendung und den Entschluss wird Sapphos Auf-
trag zur vollstandigen Ironie der Handlung, da sie die Trennung, nicht Vereinigung
herbeif iihren wollte. — Pharons Entschluss besiegelt zugleich das Schicksal aller ;
darum liegt in ihm das ,,tragische Moment."
Vers 1470. Ferrell: "Amphitrite; wife of Poseidon and one of the fifty daugh-
ters of Nereus, god of the quiet, smooth sea."
Lichtenheld: ,,Die Gemahlin des Poseidon, eine der fiinfzig Tochter des Ne-
reus, des Gottes des ruhigen, glatten Meeres."
Akt III, 6. Ferrell (p. 134) : "This scene, in which Phaon comes to himself
and renounces Sappho, marks the climax of the Ascending Action and the turning-
point of the drama."
Lichtenheld: ,,Da Phaon endlich, zum vollen Erwachen gelangend, sich in die-
ser Szene von Sappho lossagt. . . so bringt diese Szene den Hohe- und Wendepunkt
des Stiickes."
Was nun die Einleitung Prof. Ferrells betrifft, so habe ich gesagt : „ ,,Die
,,kritische Analysis" ist ganz von Lichtenheld abhangig und stellenweise hoehst naiv
— "Our Sappho is a tragic figure." " — Nun kann diese Stelle, die mir heute noch,
nach einem vollen Jahre, komisch vorkommt, andern sehr imponieren. Dann muss
ich mich eben zu einem Bruch in meiner Charakteranlage bekennen. Aber der Punkt
ist ja Nebensache. — Unter Abhangigkeit verstehe ich nicht mehr oder weniger hau-
figes Zitieren, oder Ahnlichkeit in der Darstellungsmethode. Ich habe die ganze
Auffassung gemeint, die der armen Sappho eine tragische Schuld zuschiebt, indem
BUcberbesprecbutigen .
29
sie ein Gottergebot iibertreten habe, als sie ,,irdisches Gliick" suchte. Auch hier
bin ich wohl auf einem ganz andern Boden als Terrell. Der entsetzliche Schulbe-
griff ,,tragische Schuld" ist mir verhasst. Ebenso zuwider 1st mir der ganze Appa-
rat von ,,steigender" und ,,fallender Handlung", der, aus Freytags ledernem Buch
heriibergenommen, seit Jahrzehnten unsere Schulausgaben verunstaltet. — Da ich
hier keine Abhandlung schreiben kann, muss ich im iibrigen auf meine Schrift
,,Schillers Einfluss auf Grillparzer" verweisen, wo ich meine Ansichten iiber Sappho
teils auseinandergesetzt, teils angedeutet habe. Zum Schluss bemerke ich, dass ich,
abgesehen von obigen Zugestiindnissen an den guten Willen des Herausgebers, meine
Kritik heute genau so absprechend, vielleicht noch praziser halten wiirde. Ferrells
Ausgabe gibt keinen Begriff von dem Wesen Grillparzers; sie steht weder auf der
Hohe asthetischen Durchempfindens, noch auf der Hohe der Wissenschaft.
O. E. Lessing.
Smith College, den 25. Nov. 1902.
II. Biicherbesprechungen.
A Brief German Grammar with Exer-
cises. By Hjalmar Edgren, Ph. D.,
University of Nebraska, and Lawrence
Fossler, A.M., University of Nebraska.
New York — Cincinnati — Chicago,
American Book Company.
Bahnbrechend Neues zu schaffen ist
den Verfassern deutscher Grammatiken
in unseren Tagen leider nicht mehr ver-
gonnt, da die Grenzen, in denen sich die
Behandlung grammatikalischen Stoffes
zu bewegen hat, im grossen und ganzeu
langst festgestellt, ja, wie es scheint, ein
fiir allemal fixiert sind. Es kann sich
demnach bei der Beurteilung jeder neu-
en Erscheinung auf diesem Gebiete nur
um das mehr oder weniger zutage tre-
tende padagogische Geschick handeln,
mit dem die Verfasser den Stoff be-
waltigt, zusammengestellt und erlautert
haben. Die Namen der zwei bewahrten
Padagogen auf dem Titelblatt obenge-
nannter Grammatik lassen von vornher-
ein Tiichtiges erwarten, und nach einer
eingehenden Priifung des Buches findet
man sich auch wirklich nicht in seinen
Erwartungen getauscht. Die Anordnung
des Materials ist logisch und ubersicht-
lich, die Darstellung klar und anschau-
lich, das Wichtige vom Nebensachlichen
scharf gesichtet und geschieden — alles
ohne Zweifel Resultate praktischer Er-
fahrung im Schulzimmer. Das Gewicht,
das auf einzelne Kapitel, wie beispiels-
weise auf Wortbildung sowie auf die
etymologischen Verwandtschaftsverhalt-
nisse der englischen und deutschen
Sprache gelegt ist. bertihrt angenehm,
wirkt anregend auf die Schiller ein und
kann mit Recht empfohlen werden.
Ebenso verdient die geschickte und sorg-
faltige Bearbeitung des angefiigten In-
dex sowie des englisch-deutschen Wor-
terverzeichnisses voile Anerkennung.
Nicht ganz so giinstig reprasentiert
sich der zweite Teil des Buches, der das
deutsche Material zum ttbersetzen ins
Englische enthalt. Vcr allem sollten die
Herren Verfasser bei Gelegenheit einer
neuen Auflage ihrer Grammatik auf eine
verbesserte Interpunktion ihr Augen-
merk richten, da die gegenwartige
durchaus englisch ist und nur zu oft ge-
gen die im Deutschen herrschenden Re-
geln verstosst. Es sei hier besonders auf
die Relativsatze, die indirekten Frage-
und sonstigen Nebensatze aufmerksam
gemacht, die durchgangig nur durch ein
Komma markiert sind. — Wortformen
wie in's; an's (fiir: ins und ans) ;
Spriichworter ; Waaren; Bogen und
Kriigen konnen bei dem gegemvartigen
Stande der deutschen Rechtschreibung
nicht liinger geduldet werden. Das Zitat
aus Schillers ,,Der Jiingling am Bache"
auf Seite 145 ist fehlerhaft, ebenso das
aus Hans Christian Andersens ,,Bilder-
buch ohne Bilder" auf Seite 160. — Aus-
driicke wie ,,es wiirde mich erstaunen"
(fiir: ,,wundern" oder ,,!iberraschen" ) ;
,,kannst du nichts riechen?" (fiir:
,,riechst du nichts?") ; ,,giesse 61 dazu"
( fiir : ,,zu" ) ; wir wollen nach Hause
jetzt" (fiir: ,,jetzt nach Hause"); es
warcn Eier in dem Grase; die Sache war
zwischen dem Lehrer und seinen iilteren
Schiilern, u. s. w., u. s. w., sind Ver-
stosse gegen das deutsche Sprachgefiihl,
die allerdings hier nicht so schwer wie-
gen, da die Satze, wie schon bemerkt,
30
P'ddagogische Monatshefte.
sich in den Aufgaben finden, also nicht
als Stilmuster, sondern nur als Rohma-
terial, als Mittel zum Zweck des 'ttber-
setzens ins Englische dienen sollen.
Die typographische Herstellung und
Anordnung, die durch geschickte Anwen-
dung der verschiedensten Schriftarten
auf einen Blick Wesentliches von Neben-
sachlichem unterscheiden lassen, verdie-
nen hohe Anerkennung.
,,Biblische Geschichten und Kapitel aus
Weizs&ckers und Luthers Bibeliiber-
setzungen" by Warren Washburn Flo-
rer, Ph. D., University of Michigan. —
George Wahr, Publisher, Ann Arbor,
Mich., 1901.
,,Biblische Geschichten" ist ein an-
spruchloses Biindchen, das ausser einem
nicht alphabetisch, sondern nach Wort-
klassen geordneten Worterverzeichnisse
dem Schiller keinerlei Hilfsmittel bietet
und auch nicht bieten will und soil, da
der Text, nach des Herausgebers eigener
Aussage, nicht zum tfbersetzen bestimmt
ist. Auf 19 Kapitel leichterer histori-
scher Darstellung aus dem alten und
neuen Testament, die 62 Seiten ftillen,
folgen 8 mit Geschick ausgewahlte
Bruchstiicke didaktisch - dythyrambi-
schen Inhalts, darunter das herrliche
,,Hohe Lied der Liebe" aus I. Korinther
13 (nicht I. Korinther 15, wie fiilschlich
im Inhaltsverzeichnis angegeben). Fur
vorgeschrittene Schiller des Deutschen
muss es von Interesse sein, biblische
Stoffe, ihnen im Gewand der Mutter-
sprache schon langst bekannt, auch ein-
mal in der kernigen Ausdrucksweise
Martin Luthers und in dem gefalligen
Deutsch der modernen Karl Weizsacker-
schen ttbertragung des neuen Testamen-
tes begriissen zu konnen.
Heyse's "L'Arrabbiata" by Warren
Washburn Florer, Ph. D., University
of Michigan. George Wahr, Publisher,
Ann Arbor, Mich.
Dem Herausgeber der soeben bespro-
chenen ,,Biblischen Geschichten" haben
wir auch f iir eine neue Schulausgabe von
Paul Heyses weitbekannter und oft be-
arbeiteter Erzahlung "L'Arrabbiata" zu
danken, eine ehrliche Arbeit, die, jedem
der friiheren Herausgeber das Seine las-
send, durchaus originell ( und zwar in des
Wortes bester Bedeutung) ihren eigenen
Zweck verfolgt.
Die vorliegende Ausgabe ist fiir Schu-
len bestimmt, in denen ,,die direkte Me-
thode" gehandhabt wird. Es ist zu be-
dauern, dass gegen den Willen und
Wunsch des Herrn Dr. Florer der Ver-
leger in Ann Arbor verabsaumt hat, dem
Bandchen eine kurzgefasste Darstellung
der genannten Methode beizufiigen und
so Lehrer und Leser in den Stand zu
setzen, sich selbst eine Antwort auf das
quis? quid? cur? contra? der direkten
Methode zu geben. Doch steht das Er-
scheinen einer Broschiire, die das Wesen
der Methode erlautern soil, in Aussicht.
Zu bedauern ist ferner, dass das dem
Buch angefiigte Worterverzeichnis nicht
vollstandig ist und, nach des Herausge-
bers eigener Aussage, auch nicht be-
stimmt war, vollstandig zu sein. ,,Wa-
rum dann iiberhaupt ein Worterver-
zeichnis?" fragt man sich dabei unwill-
kiirlich. — Den giinzlichen Mangel von
Anmerkungen erklart der Herausgeber
damit, dass alle etwa notig werdenden
Erklarungen zum Verstandnis der in der
Klasse zu lesenden Texte dem Belieben
des Lehrers iiberlassen werden sollten.
Wir wiinschen und hoffen von Herzen,
dass auch unser junger Herr Kollege
nach jahrelangen Erfahrungen in und
ausserhalb des Schulhauses zur Einsicht
gelangen moge, dass nur zu oft die Leh-
rer selbst es sind, die solcher Erklarun-
gen bediirfen, zumal in betreff eines
Textes wie "L'Arrabbiata, der, weitab
von unserer gewohnten Reiseroute, im
fernen Siiden spielend so vielerlei
sprachliche und sachliche Erklarungen
erheischt, um Lehrer und Leser in den
Stand zu setzen, das ganz eigenartige
Aroma dieser exotischen Liebesblume zu
geniessen. Wilhelm Bernhardt.
German Composition. With notes and
vocabulary. By E. C. Wesselhoeft,
A. M., Instrructo in German in the
University of Pennsylvania. Boston,
D. C. Heath & Co., 1902.
This book is divided into two parts,
the first of which contains exercises with
independent clauses, while the other has
selections with principal and dependent
clauses. Each part is preceded by intro-
ductory remarks on the position of the
verb. The author has endeavored, he
says, to preserve the simple style of ev-
ery-day speech, avoiding words of un-
usual occurrence; in this he has suc-
ceeded. There are ample foot-notes. On
the whole the book seems to be well
adapted to its purpose.
Among misprints noticed may be men-
tioned the following: Page 21, line 12,
"seperated" for separated; p. 41, 1. 3,
"lost" for loss; p. 72 of the Vocabulary,
"Salz" is given as masculine instead of
neuter. The Vocabulary sometimes fails
to furnish the needed assistance, al-
though "no effort has been spared to
make this complete." The fact that there
are in the exercises on page 35, for in-
Bucberbesprecbungen .
31
stance, three words that do not appear
in the Vocabulary, proves how difficult
it is to make a word-list complete; the
words in point are "fill," "beat," and
"services" (of a physician).
An English-German Conversation Book.
By Gustav Kruger, Ph. D., Professor
in the Kaiser Wilhelm's Realgymna-
sium, Berlin, and C. Alphonso Smith,
Ph. D., Professor of English in the
Louisiana State University. Boston,
D. C. Heath & Co., 1902.
This joint production of Dr. Kruger
and Professor Smith is a valuable col-
lection of such words and expressions as
are difficult to find in dictionaries but
very necessary to an understanding of
German idiom. The plan and contents,
Professor Smith says in the Preface,
were dictated by his own needs during
a visit to Germany, and an attendance
upon university lectures. The work is
similar, in some respects, to Pylodet's
New Guide to German Conversation,
published by the Holts thirty-four years
ago, but it is, in no sense, an imitation;
Pylodet's book has been long forgotten
except possibly that its memory is
cherished now and then by a student
who carried a copy to Germany with
him, interleaved to receive such addi-
tions as travel and experience might
bring. The subjects of the six chapters
are Everyday Expressions, Time, Travel,
Books and Newspapers, The American
College, and The German University.
The English idioms and their German
equivalents are arranged in parallel col-
umns.
The book was written in Dr. Kriiger's
study in Berlin; Professor Smith fur-
nished the English and his collaborator
the German. A book produced under
such conditions and by two such careful
scholars could not help being admirable,
and it is admirable. The foot-notes of
the last two chapters dealing with Ame-
rican and German university matters
will have special interest for persons in-
to whose hands it is likely to fall. It
can safely be recommended as a reliable,
fresh, and stimulating guide to German
conversation.
A German Reader and Theme-Boole by
Calvin Thomas, Professor in Columbia
University and Wm. Addison Hervey,
Instructor in Columbia University.
New York, Henry Holt & Co., 1902.
The distinctive features of this Read-
er, as set forth in the Preface and as
illustrated in the plan of the work, are
as follows:
First, it contains references to a par-
ticular grammar, Thomas's, and is
therefore primarily intended to be used
with that grammar. At the same time,
however, the book is available for use
with any good grammar, for the ref-
erences are accompanied by independent
grammatical statements which are, in
most cases, full enough to be sufficient
in themselves. In view of this fact the
references to a grammar seem unneces-
sary, but may possibly be justified by
the pedagogical principle involved in
repetition.
As a second distinctive feature it con-
tains two sets of exercises for drill in
the class-room, Fragen and Themes. The
former consist of questions in German
intended to encourage the student in
free reproduction. The Themes consist
of English exercises based upon the Ger-
man text and are intended for transla-
tion into German. An English Word-
List at the back of the book is supple-
mentary to the Themes. Having these
two sets of exercises is a good idea, for
anything that will assist in composition
or free reproduction is welcome, and
these are well adapted to their purpose.
The third feature to which the au-
thors direct particular attention is the
fact that the Vocabulary contains page
and line references, in certain cases,
with a view to exactness of rendering
and incidentally to the discrimination of
synonyms and the cultivation of correct
English.
The Fragen are in Roman type; the
rest of the German text in German type.
The reading matter, consisting of one
hundred and forty-two pages of prose
and twenty-two pages of poetry, has
been selected and arranged with good
judgment. Fulda's one-act comedy Un-
ter vier Augen will give students a taste
of colloquial German. This comedy has
been reprinted with revised and expand-
ed notes by Mr. Hervey, and published,
with Benedix's Der Prozess, by the same
firm.
The Vocabulary is well made and de-
serves high commendation. Some atten-
tion is given to etymological relations.
The accentuation of a few words pos-
sibly needs some comment. For instance,
the words also, Altar, Februar, and Ja-
nuar are accented on the last syllable
in the Vocabulary. There is good author-
ity for placing the accent of also upon
the first syllable (see Muret-Sanders and
Fliigel-Schmidt-Tanger), and I believe it
is usually accented in this way. Practice
varies as to the singular of Altar; both
pronunciations should be indicated.
Februar is usually accented on the first
32
P'ddagogische Monatshefte.
syllable, while in the case of Januar
there is irregularity.
The book seems to be remarkable free
from misprints; on page iv, line 11, ex-
ercices was noted, and the gender of
Kammfutteral, page 362 of the Vocabu-
lary, is not indicated. On the whole it
is an excellent piece of work, and should
receive a warm welcome from teachers
who prefer a reader to separate texts.
Charles Bundy Wilson.
The State University of Iowa.
Die Firma Ernst Wunderlich, Leipzig,
hat soeben die dritte Auflage von Dr.
Rich. Seyferts Menschenkunde und Ge-
sundheitslehre veroffentlicht. Das Buch
enthalt vorziigliche Anweisungen, den
Unterricht in diesem so iiusserst wichti-
gen Fache interessant zu gestalten. Es
ist selbstverstlindlich nur fur die Hand
des Lehrers bestimmt und setzt voraus,
dass die Schule fur die notwendigen
Veranschaulichungsmittel in der Anato-
mic ( Bock-Steger, Modelle) sorgt. Der
Lehrstoff ist in ausgezeichneter Weise
zurecht gelegt und die Behandlung er-
folgt nach den bekannten und bewahrten
Herbartschen Stufen. Die in dem Werke
angegebene Lehrform ist ganz vorziig-
lich geeignet, die Schiller zur Selbsttii-
tigkeit und unbefangener Beobachtung
anzuleiten. Die allerneuesten Errungen-
schaften auf dem Gebiete der Physiolo-
gie und Chemie, soweit sie fiir Kinder
in der Volksschule verstandlich sind, fin-
den in dem Werke Verwertung. Dass
der Verfasser das praktische Ziel (die
Verwertung des Wissens in einer ver-
niinftigen Lebensweise) bestandig im
Auge behalt, verleiht dem Biichlein einen
ganz besonderen Wert. Wir empfehlen
unseren Lesern das Werk um so dringen-
der, da der Preis desselben iiusserst be-
scheiden ist (2 Mark 50 Pf., gebunden).
E. D.
III. Eingesandte Biicher.
Geschichte des Dreissigj&hrigen Krie-
ges von Friedrich Schiller. Drittes Buch.
Edited with introduction and notes by
C. W. Prettyman, Prof, of German in
Dickinson College. Boston, D. C. Heath
& Co., 1902.
Orthographisches Worterbuch der
deutschen Sprache von Konrad Duden,
Gymnasialdirektor. Nach den fiir
Deutschland, 6sterreich und die Schweiz
giiltigen amtlichen Regeln. Siebente
Auflage. Leipzig und Wien, Biblio-
graphisches Institut, 1902. Preis: In
Leinwand, M 1.65.
Von demselben Verfasser und in glei-
chem Verlag, in der Serie Meyers Volks-
biicher erschien: Orthographisches Wor-
terverzeichnis. Preis: geh. 20Pf., in
Leinwand 50Pf.
Choice Songs. Book one. Part 1,
containing one and two part songs. Part
II, containing two and three part songs.
Selected and arranged by H. 0. R. Sie-
fert,, Sup't of Public Schools, Milwau-
kee, Wis. Butler, Sheldon & Co., Phila-
delphia, New York, Chicago.
An Elementary German Reader by
Frederick Lutz, A.. M., Professor of Mod-
ern Languages in Albion College. Silver,
Burdett & Co., New York, Boston, Chi-
cago. Introductory price $1.00.
Accounting and Business Practice for
use in all schools where bookkeeping is
taught, by John H. Moore, Commercial
Department, Boston High Schools, and
George W. Miner, Commercial Depart-
ment, Westfield (Mass.) High School.
Boston, Ginn & Co., 1902. List price,
$1.40; mailing price, ^1.55.
Die Arbeitskunde in der Volks- und
allgemeinen Fortbildungsschule. Ein
Vorschlag zur Vereinheitlichung der Na-
turlehre, Chemie, Mineralogie, Technolo-
gic etc., von Dr. Richard Seyfert, Schul-
direktor in 61snitz i. V. Vierte ver-
mehrte und verbesserte Auflage. Preis
M. 3.00, geb. M. 3.60. Leipzig, Verlag
von Ernst Wunderlich. 1902.
Der Deutschunterricht. Entwiirfe und
ausgefiihrte Lehrproben fiir einfache und
gegliederte Volksschulen. Von Gustav
Hudolf. (Dr. Rudolf Schubert). I. Ab-
teilung: Unter- und Mittelstufe. Dritte
Auflage. Preis M. 2.00, geb. M. 2.50.
Leipzig Verlag von Ernst Wunderlich.
1902.
Padagogische Monatshefte
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. Janaar 1903. Heft 2
Der Leseunterricht in der Volksschule.
Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.
Von Hermann Woldmann, Ass't. Superintendent, Cleveland, O.
(Schluss.)
Bleibt uns nur die weitere Annahme, dass der vorlesende Schiiler nur
liest, damit der Lehrer oder auch wohl die Klasse sein Vorlesen kritisie-
ren. Diese Kritik ist eine gerechtfertigte, sie schadigt aber das Interesse
des Lesenden und der Zuhorer, denn letztere haben nicht mehr ein beson-
deres Interesse daran, zu erfahren, was der Inhalt des vorzulesenden
Stiickes ist, sie haben es ja vor sich, und brauchen nicht besonders darauf
acht zu geben, und ersterer ist sich dieser Tatsache auch bewusst und
braucht nicht laut, deutlich und mit richtiger Betonung zu lesen, um ver-
standen zu vverden. Das Lautlesen sinkt zu einer Examination des Le-
senden herab.
Kommt nun zu diesen ungiinstigen Umstanden noch die fehlerhafte
Methode mancher Lehrer hinzu, die einen Schiiler zum Lautlesen auffor-
dern, ehe das Lesestiick von ihm verstanden ist, und ehe er alle mechani-
schen Schwierigkeiten iiberwunden hat, so ergibt sich eine Lesestunde, die
so langweilig wird, dass die meisten Schiiler nur mit Grauen an sie denken.
Stellen Sie sich einmal eine Klasse vor, in der es etwa folgender-
massen hergeht: ,,Kinder, nehmt eure Lesebiicher vor, Seite 68, Num-
mer 19." Die Biicher werden an der betreffenden Stelle aufgeschlagen.
,Jetzt lies du einmal, Karl." Karl fangt an zu lesen : ,,Seite 68, Num-
mer 19. Die giftigen Beeren. Zvvei Kinder, Bruder August und Schwe-
34 P'ddagogische Monatsbefte.
ster Emilie, waren in den Wald gegangen, um die schonen roten Erd-
beeren zu pflucken, welche daselbst wuchsen."
Hier unterbricht der Lehrer den Vorlesenden : ,,Aber Karl, siehst
du denn nicht den Punkt hinter Beeren? Bei einem Punkte musst du
innehalten, wie oft habe ich euch das schon gesagt ? Beim Komma musst
du die Stimme erheben, wozu sind denn diese Lesezeichen da? Dann
musst du auch die Worte richtig betonen und nicht in einem Tone fort-
lesen. Hore einmal zu, wie schon Anna den Satz lesen kann." — Anna,
eine der besten Schulerinnen der Klasse, fiihlt sich geschmeichelt, steht
in musterhafter Haltung und hebt also an :
,,Seite 68, Nummer 19. Die giftigen Beeren. Z w e i Kinder, Bru-
der August und Schwester Emilie, waren in den Wald gegangen,
um die schonen roten Erd beeren zu pflucken, welche daselbst wuch-
sen."
,,Sehr schon/' sagt der Lehrer, ,,nur solltest du das z w e i und
Schwester nicht so sehr betonen, jetzt lies den Satz noch einmal,
Karl !" Karl liest womoglich noch schlechter als das erste mal und muss
sich endlich setzen, weil die Zeit fortschreitet, aber nicht das Verstandnis
der Leselektion. Andere Schiller versuchen ihr Gliick mit mehr oder we-
niger Erfolg an demselben Satze, und am Schlusse der Lektion ist die
Klasse so ziemlich auf demselben Standpunkte, auf dem sie zu Anfang
war.
Glauben Sie nur ja nicht, meine Damen und Herren, dass ich hier
zu schwarz male. Dergleichen Lektionen sind schon gegeben worden.
Wenn Sie vom Schiiler, der nach der Schulzeit Zeitungen auf der Strasse
verkauft und mit melodischer Stimme schreit: "Paper, special extra edi-
tion, all about the horrible accident!'' Ich sage, wenn Sie von diesem
Schiiler verlangen, er solle mit seiner melodischen Stimme die interessante
Geschichte von den giftigen Beeren einer andachtigen Zuhorerschaft vor-
lesen, so befinden Sie sich in einem psychologischen Irrtum und verwen-
den Fleiss und Miihe vergebens.
Ist es denn aber so absolut notwendig, dass jeder Schiiler Ihrer Klasse
die schwere Kunst des guten Vorlesens erlerne? Entspricht dies den Be-
dingungen des Lebens? Wenn wir einmal die Sache analysieren, so wer-
den wir finden, dass etwa 98 Prozent alles Lesens ausserhalb des Schul-
zimmers den Zweck hat, sich mit dem Inhalt des Gelesenen bekannt zu
machen. Kaum 2 Prozent diirfte im wirklichen Leben auf das Vorlesen
fallen. Und Sie verwenden fast 75 Prozent Ihrer kostbaren Zeit im
Schulzimmer darauf, eine Sache zu lehren, die nur verhaltnismassig wenig
im Leben gebraucht wird. Ware es da nicht angebracht, den Schiiler
dahin zu bringen, dass er sich vor alien Dingen an den Inhalt des Lese-
stiickes halt, dass er sich bemiiht, das verstehen zu lernen, was andere
Leute gedacht und geschrieben haben, und dass er, wenn er Talent dazu
Der Leseunterricbt in der Volksschule. 35
hat, es in seiner Weise anderen mitteilen lernt. Die Mitteilung ist doch
erst im zweiten Grade wichtig. Hauptsache ist und bleibt fur ihn, dass
er die Schatze des Wissens und der Poesie, die in den Biichern niederge-
legt sind, sich aneignet.
Hierzu kommt noch, dass vermoge des Mitteilungsdranges ein natiir-
liches Motiv geschaffen wird, andere an unseren Freuden und Genussen
teilnehmen zu lassen. Wie oft ist es mir schon passiert, dass ich einem
Schiiler, der mit unnatiirlich singender Stimme einen Satz las, auffor-
derte, mir den Satz zu geben, ohne ins Buch zu sehen, und dass er dann
denselben mit naturgemasser Betonung sprach, dass er aber im Augen-
blick, in welchem er wieder das Buch vor Augen hatte, in den alten Sing-
sang zuriickfiel. Dies erinnert mich an den sogenannten Kanzelton man-
cher Prediger. Dieser Ton ist, gelinde gesagt, abscheulich; wird aber
angeschlagen, sobald der Prediger die Kanzel betritt, wahrend er im ge-
wohnlichen Leben ganz wie ein anderer verniinftiger Mensch spricht.
Wollen wir darum von unseren Schiilern doch nicht etwas unnatiirliches
in der Betonung verlangen, sondern sie vielmehr dahin zu leiten suchen,
uns den Inhalt eines Lesestuckes in ihrer naturlichen Weise und mit ihrer
natiirlichen Betonung vorzulesen. Des Altmeisters Goethe Worte bleiben
ewig wahr:
Es tragt Verstand und guter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor.
Wenden wir daher weniger Zeit auf den Vortrag und mehr auf das
Verstandnis des Vorzutragenden, und wir werden Resultate erzielen, die
fur den Schiiler erspriesslicher sind, als die bisher erzielten.
In dem bisher Gesagten glaube ich nachgewiesen zu haben, dass viele
Lehrer dem Lautlesen in der Klasse zu viel Zeit einraumen. Die Erkla-
rung fur ein solches Verfahren ist nicht sehr schwierig. Die meisten
Lehrer lehren eben, wie sie selbst unterrichtet worden sind, und dann
kommt noch das Motiv hinzu, dem Voig'esetzten zu zeigen, wie gut die
Kinder lesen konnen. Mir liegt vielmehr daran, dass die Schiiler ange-
leitet werden, den Inhalt des Lesestuckes zu verstehen, als dass sie im-
stande seien, anderen dies Verstandnis mitzuteilen.
Fragen wir uns jetzt noch einmal, warum wir eigentlich lesen ler-
nen, so lautet die Antwort doch wohl : Erstens, um iiber die Tagesereig-
nisse unterrichtet zu werden, mit anderen Worten, um die Zeitung lesen
zu konnen ; zweitens, um die Schatze des Wissens und der Erfahrung der
Jahrhunderte zu geniessen, und drittens, um uns die Kenntnis der Lite-
ratur zum Zwecke geistiger Bildung anzueignen. Bei alien drei Punkten
bleibt das Verstandnis des Gelesenen die Hauptsache. Die Mitteilung
des Erworbenen ist verhaltnismassig Nebensache. Es ist mir keineswegs
unbekannt, dass wir unter den gegebenen Verhaltnissen in der Schule im-
mer damit rechnen miissen, dass jeder Schiiler das Lesebuch in den Han-
36 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
den hat, dass er nachlesen muss, wahrend der andere vorliest ; doch wilt
es mir scheinen , dass wir den Schiiler auffordem, still fur sich den In-
halt des Lesestiickes zu ergriinden, ihn anleiten, selbst die Gedanken zu
finden, die im Lesestiicke niedergelegt sind, die Schwierigkeiten ihm iiber-
winden helfen, Missverstandnisse berichtigen, und nachdem der Inhalt
,des zu Lesenden der Klasse zum Verstandnis gekommen ist, daran gehen,
die mechanischen Schwierigkeiten zu iiberwinden.
Zu diesem Zwecke scheint es mir angebracht, dass der Lehrer das
Stuck entweder teilweise, oder ganz der Klasse vorlese, dass er dann die
Schiiler es im Chor nachlesen lasse, anfangs mitlesend, spater aber die
Schiiler allein lesen lasse. Der Grund hierfiir ist derselbe, den wir beim
Einiiben einer Melodic befolgen. Der Lehrer singt vor, die Schiiler sin-
gen nach, die Schwacheren lehnen sich an die Begabteren an, gewinnen
Selbstvertrauen, iiben die Stimme und werden mitgetragen. Ist einmal
die Klasse imstande, das Lesestiick im Chor fliessend und ohne Stocken
zu lesen, so wiirde ich die besten Schiiler auffordern, jetzt allein laut das-
selbe Stuck oder denselben Paragraphen zu lesen und erst dann mich an
die schwacheren Schiiler wenden, wenn ich Grund habe, anzunehmen, dass
sie das notige Selbstvertrauen erlangt haben. Ich habe es manchmal ge-
sehen, wie Schiiler zum Vorlesen aufgefordert wurden unter Bedingun-
gen, die es fur den Lehrer schwierig gemacht hatten, richtig und gut zu
betonen und zu lesen. Ich frage Sie hier einmal, wie viele unter Ihnen
bereit waren, eine Abhandlung oder ein Gedicht aus dem Stegreif vorzu-
lesen. Wurden Sie nicht Zeit verlangen, das Stiick erst mehrmals griind-
lich durchzulesen und sich mit dem Inhalte vertraut zu machen, ehe Sie
in dieser Versammlung auftraten, um dasselbe vorzulesen? Nun verlan-
gen Sie aber vom Schiiler, dass er ohne geniigende Vorbereitung auftrete.
Das Resultat ist oft fur den Schiiler beschamend, fur die Klasse unend-
lich langweilig, und langweilig zu werden, ist eine Todsiinde im Klassen-
zimmer.
Vorhin habe ich angedeutet, dass ich es fur angebracht halte, dass
der Schiiler den Inhalt des Lesestiickes womoglich durch Selbststudium
finde, weshalb ich dagegen bin, ihm den Inhalt vorzulesen oder zu er-
zahlen. Die Spannung der Geschichte, die Freude am Selbstentdecken
wird ihm dadurch entzogen, wenn Sie ihm muhelos den Inhalt des Lese-
stuckes mitteilen. Sie selber wurden an einem Romane oder einer scho-
nen Geschichte viel verlieren, wenn Sie sofort beim Anfange wussten, wie
die Geschichte enden wiirde. Sie werden mir aber entgegnen, dass manche
Schiiler Ihrer Klasse nicht imstande seien, den Inhalt des Stiickes zu er-
griinden, weil unbekannte Worte und Redewendungen im Stiicke vorkom-
men. Die Antwort auf diese Einwendung ist nicht schwierig. Erstens
liegt es in der Natur des kindlichen Gemiits von einer unklaren Vorstel-
lung, sich nach und nach zu klaren Begriffen durchzuarbeiten, dann stehe
Der Leseunterricbt in der Volksscbule. 37
es dem Schiiler frei, den Lehrer zu fragen, wenn er Auskunft wiinscht.
Ich komme hier zu einem Punkte, der mich schon oft beschaftigt hat,
namlich dazu, dass der Lehrer den Schiiler ermutige, selber Fragen an
den Lehrer zu stellen.
Die ideale Schulklasse diirfte wohl die sein, in welcher der Schiiler,
vom wahren Wissensdrange getrieben, die meisten Fragen stellt, und in
welcher der Lehrer diese Fragen beantwortet. 1st der Geist des Schiilers
geweckt, wiinscht er Belehrung, so haftet die Belehrung unendlich besser,
als wenn sie ungebeten gegeben wird. Natiirlich weiss ich es so gut wie
Sie, dass eine indiskriminierte Antwort von Fragen vom Ubel ist, die
Selbsttatigkeit des Schiilers wiirde dadurch gehemmt werden. Aber von
indiskriminierter Beantwortung aller moglichen Fragen seitens des Schii-
lers ist hier auch nicht die Rede. Weiss der Lehrer, dass der Schiiler die
Antwort auf seine Frage selber finden kann, so geniigt oft eine Gegen-
frage, um die richtige Antwort zu entlocken. Was ich betonen mochte,
ist dies, dass der Schiiler erkennen lerne, der Lehrer sei gern bereit, ihm
bei seiner Selbsttatigkeit behilflich zu sein, dass er Vertrauen in den Leh-
rer habe und zu ihm mit seinen Sorgen und Miihen komme. Manche
Frage, die dem Lehrer auf den ersten Blick albern und zwecklos erscheint,
beruht einfach auf falscher Auffassung des Schiilers und gibt dem den-
kenden Lehrer oft mehr Einsicht in die Geistestatigkeit des Kindes, als
er durch Dutzende von Fragen, die er selber an das Kind stellt, herausge-
bracht hatte. Und ist es nicht wichtig fur jeden Lehrer, die Geistestatig-
keit seiner Schiiler zu ergriinden, zu erfahren, wo er an das Bekannte an-
kniipfen kann? Die Apperzeption hat doch nur den rechten Zweck, wenn
der Lehrer einmal weiss, was dem Kinde wirklich bekannt ist. Darum,
meine Damen und Herren, entmutigen Sie Ihre Schiiler nicht dadurch,
dass Sie ihnen eine scheinbar alberne Frage mit den Worten zuriickwei-
sen : ,,Das war einmal eine dumme Frage." Mir sind einige heitere Bei-
spiele von falscher Auffassungsweise bekannt, die darauf zuriickzufiihren
waren, dass die Schiiler einer hoheren Klasse ein Wort eines Gedichtes
nicht verstanden und sich genierten, zu fragen, um ihre Dummheit, wie
sie es nannten, oder ihre Unwissenheit, wie es in Wirklichkeit war, nicht
offenkundig zu machen. Das bekannte Lied vom Kaiser Barbarossa
wurde gelesen. Darin kommt der Vers vor : ,,Der Stuhl ist elfenbeinern,
darauf der Kaiser sitzt." Bei einer schriftlichen Wiedergabe dieses Ver-
ses hatten mehrere geschrieben : ,,Der Stuhl hat elf Beine." So absurd
auch fur den ersten Augenblick diese Auffassung klingen mag, so beweist
sie doch nur, dass der Schuler das Wort Elfenbein nicht kannte, es sich
auch nicht aus seinem Bewusstsein entwickeln konnte. Da er nicht fragte,
so griff er zur eigenen Etymologic und machte daraus elf Beine.
Wenn es dem Lehrer gelingt, seine Schuler davon zu iiberzeugen, dass
<er den Unterschied zwischen Unwissenheit und Albernheit wohl zu ma-
38 P'ddagogiscbe Monatshefte.
chen weiss, wenn er der Unwissenheit mit seinem Wissen gern abhelfen
will, wird die Lernbegierde der Schiiler bedeutend erhoht werden, und
wird Klasse wie Lehrer den Vorteil davon haben.
Doch um auf den Leseunterricht speziell zuriickzukommen. In
Deutschland und anderen Landern konzentriert sich um das Lesebuch der
meiste Unterricht in der Volksschule. Die Lesestiicke sind meist so ge-
wahlt, dass sie in die Grundziige des allgemeinen Wissens einfiihren. Ge-
meinniitzige Kenntnisse, vaterlandische Geschichte, sogar etwas Botanik
und dergleichen bilden neben den Produkten der schonen Literatur den
Inhalt des Lesebuches. Der Anschauungsunterricht kann an diese Stiicke
ankniipfen, das erlangte Wissen bildet eine positive Grundlage fiir das
Leben. Das Lesebuch der Kinder bildet oft im Hause neben Bibel und
Gesangbuch und allenfalls dem Kalender die ganze Bibliothek der Fami-
lie. Unsere Lesebiicher, ich spreche besonders von denen, die in engli-
scher Sprache abgefasst sind, bilden aber noch keineswegs den Kernpunkt
des Unterrichts, da miissen fiir Geschichte, Botanik, Physiologic und Ge-
sundheitslehre hier fiinf, dort drei oder anderweitig sieben Minuten per
Tag angesetzt werden, und die arme Lehrerin muss nur immer die Uhr
im Auge haben, damit sie auch ja den programmassig bestimmten Un-
terricht zur festgesetzten Minute gebe. Wie anders konnte die Zeit aus-
geniitzt werden, wenn wahre Konzentration dieser Unterrichtsgegenstande
eingefuhrt wiirde.
Lassen Sie mich zum Schlusse jetzt noch einmal resumieren, was ich
als den Hauptzweck des Leseunterrichts ansehe. Erstens die Fertigkeit,
Worte, Silben und Buchstaben zu erkennen. Zweitens den Sinn des Ge-
lesenen zu verstehen. Hierbei bemerke ich, dass der erste Punkt dem
zweiten koordiniert sein sollte, und drittens die Kunst, anderen das ver-
standene Lesestiick verstandlich vorzulesen. Die Fahigkeit, das Gelesene
zu verstehen, ist unbedingt die Hauptsache und sollte den Hauptanteil
beim Leseunterricht erhalten.
Die Wahl des Lesestoffes steht dem Lehrer selten frei, das vom Schul-
rate eingefiihrte Lesebuch ist meist massgebend, doch kommt man nach
und nach dahinter, dass die Literatur noch andere Schatze birgt, als die
im Lesebuche niedergelegten, und sogenannte Erganzungslektiire wird in
den besseren Schulen unseres Landes eingefuhrt. Hier bietet sich fur
den verstandigen Lehrer ein dankbares Feld, den Geschmack der Schiiler
zu bilden. Geben wir dem Kindergemiit gesunde Nahrung, bilden wir
seinen Geschmack an den besten Erzeugnissen der Jugendliteratur, und
wir werden dem verderblichen Einflusse der "Dime-Novels" und der
Frank Leslieschen Giftfabrik entgegenarbeiten. Hier aber muss ich noch
eine Warnung laut werden lassen : Geben Sie dem Schiiler nicht das, was
Sie in Ihrem Alter besonders interessiert, sondern das, was dem jugend-
lichen Alter angemessen ist. Die Jugend verlangt bei den Geschichten
Zum Jabreswecbsel. 39
Handlung, nicht langweiliges Moralisieren, sie verlangt Darstellung von
Tatsachen, nicht Entwickelung von Charakteren, mit anderen Worten,
das, was dem gereiften Verstande als das Beste erscheint, ist oft unge-
niessbar fur die Jugend.
Wenn wir das Pensum der Klasse fur die Woche gelost haben, so
mogen einige begabte Schiiler sich griindlich vorbereiten, eine der Klasse
unbekannte, aber ihrem Begriffsvermogen angepasste interessante Ge-
schichte vorzulesen. Dies gibt einigen Schulern eine ausgezeichnete
Ubung, sich im Vorlesen zu iiben, gewahrt der Klasse Unterhaltung und
Belehrung, entspricht den natiirlichen Verhaltnissen und regt die lang-
sameren Schiiler an, sich die Fahigkeit zu erwerben, die sie zu solcher
Auszeichnung berechtigt. V.
Zum Jahreswechsel.
Dem Tag die Sonne Sieg verleiht,
Es geht die Nacht zu Ende.
Voruber ist die bange Zeit
Der Wintersonnenwende.
Im Sternenlicht das gold'ne Haar
Mit Eisgeschmeid behangen,
Kommt leisen Schritts das neue Jahr
Nun durch die Welt gegangen.
Gar wunderholde Traume spinnt
Es rings auf alien Wegen ;
Und in der Menschenbrust beginnt
Es heimlich sich zu regen.
Aufwacht der Glaube an das Licht, —
Tot sind die alten Sorgen, —
Und sieghaft in die Herzen bricht
Der Hoffnung Ostermorgen !
Und halten auch noch Wahn und Weh
Die fmst're Welt in Banden,
Zerinnen muss des Winters Schnee,
Und Lenz wird alien Landen !
Klingt nur, ihr Glocken, hoch vom Turm
Und kundet's alien Zagen:
Bald wird der Freiheit Fruhlingssturm
Der Knechtschaft Bann zerschlagen !
Schon keimet der Erkenntnis Saat,
Und reifen muss das Wahre!
Zu neuem Kampf und neuer Tat,
Gliick auf im neuen Jahre!
Voruber ist die bange Zeit
Der Wintersonnenwende.
Es siegt das Licht, es stirbt das Leid,
Es geht die Nacht zu Ende! — Konrad Nies.
Neuere Literaturgeschichten.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Von O. E. Leasing, Ph. J>., Smith College, Northampton, Mass.
(Fortsetzung.)
Bartels war einer von den wenigen Kritikern, die sich von Anfang
an durch die Erfolge Hauptmanns und Sudermanns nicht blenden liessen.
Statt den einen gegen den andern auszuspielen, wie es die ,,Hauptmann-
gemeinde" gegen die Sudermanngemeinde" und umgekehrt tat; statt
nach dem Vorbild der Berliner Kritik Hauptmann zum dramatischen Ge-
nie, Sudermann zum grossten Epiker des modernen Deutschland zu er-
heben, erkannte Bartels die Vorziige und Schwachen beider. Frau Sorge
wusste er vollauf zu wiirdigen, die Dumas'sche Frivolitat und Sensations-
lust im Katzensteg, die sogar Anton Schonbach verborgen blieb, durch-
schaute er sofort. Und dass Sudermann seit der Heimat zum Poseur und
blossen Theatraliker herabgesunken war, dass er sein angeborenes Talent
der Sucht nach ausserem Erfolg geopfert, das hatte Bartels schon langst
festgestellt, als ernsthaft zu nehmende Literaturgelehrte wie Kuno Fran-
eke die Heimat nocri als echte und bedeutende Dichtung priesen. Die
seitherige Laufbahn Sudermanns als Epiker, Dramatiker, offentlicher
Redner (Goethe-Bund!) hat Bartels Recht gegeben.
Auch sein niichternes Urteil uber Hauptmann, das er schon 1897 in
seinem Buch niederlegte, hat er spater nicht zuriicknehmen miissen. Auch
hier hat er gegen den beissenden Spott R. M. Meyers das Feld behaup-
tet. Fiir ihn war Hauptmann ein echtes, aber beschranktes Talent, des-
sen Starke in der Beobachtung und Darstellung des alltaglichen Eebens
lag, aber nicht in der Gestaltung dramatischer Charaktere, noch in der
Durchfiihrung tragischer Probleme. Er wies Hauptmann auf die No-
vellistik hin und wurde verlacht. Jetzt wissen wir alle, dass Hauptmann
als Dramatiker gescheitert ist. Vielleicht diirfen wir mit Bartels von dem
Verfasser des Bahmvdrter Thiel und des Apostel noch bemerkenswerte
Leistungen im Epos erwarten. Fraglich erscheint auch das, bei der von
Bartels selbst festgestellten geistigen Armut des schlesischen Dichters.
II.
Deutsche Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts von Carl
Weitbrecht. Goschen. Leipzig, 1902. Mark 1.60.
Wie Bartels ist auch Weitbrecht Literarhistoriker und Dichter zu-
gleich. Letzterer steht im selben Verhaltnis zu Schiller, wie Bartels zu
Hebbel. Ist der eine mit Recht Hebbels Prophet genannt worden, so ist
der andere unablassig bemiiht, die schwindende Begeisterung fur Schiller
Neuere Literaturgeschicbten. 41
in Deutschland neu zu beleben (Schiller in seinen Dramen; Schiller und
die deutsche Gegenwart). Daraus erklaren sich die Ahnlichkeiten und
Verschiedenheiten in ihrer Auffassung. Gemeinsam ist ihnen der kiinst-
lerische Instinkt fiir das Echte, der leidenschaftliche Hass gegen alien
Schein und Trug, der tiefsittliche Grundzug ihres Wesens. Aber wie
die Asthetik Hebbels tiber die Schillers hinausgreift, um wie viel mehr
sie den Anforderungen unseres modernen Lebens gerecht wird, um so
viel weiter ist der Blick des norddeutschen Kritikers. Weitbrecht ist ein
echter und gerechter Schwabe mit alien Vorziigen und Schwachen seines
Stammes. Ehrlich und geradeheraus bis zur Grobheit, feurig bis zur
fanatischen Fieberhitze, iiberzeugungsfest bis zur schroffen Einseitigkeit.
Die beiden griinen Bandchen sind ein Meisterstiick pathetischer Ge-
schichtschreibung, wie sie Schiller liebte. Die Sprache reisst den Leser
fort, und er vergisst gern an der Wahrheit des Gesagten zu zweifeln. Erst
hintennach kommen manche Bedenken. —
Romantik, Junges Deutschland, Moderne, die drei Kulturrevolutio-
nen, denen das heutige Deutschland zum grossen Teil seine Geistesfreiheit
und die Bliite von Kunst und Wissenschaft verdankt, werden von Weit-
brecht in Bausch und Bogen verworfen. Er ist konservativ, eng-natio-
nal, und interessiert sich nur fiir rein poetische, d. h. nach der traditionel-
len Anschauung poetische, Erzeugnisse der deutschen Literatur. Er ist
zu temperamentvoll, um den Versuch zu machen, objektiv zu sein. Da-
rum wird er den Vorbereitungs- und Ubergangsperioden, die nicht unmit-
telbar, sondern erst in ihrem Gefolge grosse Kunstwerke hervorbringen,
nicht gerecht. Nach einem widerwillig ausgesprochenen Lob der "natio-
nalen Bestrebungen der Romantiker, stiirzt er sich mit Feuereifer auf die
Schwachen und Extravaganzen einiger Individuen, um dann iiber das
Ganze ein Verdammungsurteil auszusprechen. Er ist in eine bose Sack-
gasse gekommen : denn was soil er mit den schonsten Friichten der Ro-
mantik^ mit Kleist, Uhland, Chamisso und Eichendorff, nun anfangen?
Es bleibt ihm nichts anderes iibrig, als sich durch ein Hintertiirchen ins
Freie zu retten : Diese Dichter diirfen der Romantik ,,nicht ohne weite-
res zugerechnet werden"! (p. 14). So sind wir einigermassen darauf
vorbereitet, wenn uns in dem Abschnitt iiber Kleist der Satz zu Gesicht
kommt : ,,Wenn Kleist im K'dthchen von Heilbronn und im Prinzen von
Hamburg dem Schlafwandlerischen und traumhaft Hellseherischen Gel-
tung einraumte, so war das kein gedankenloses Zugestandnis an die ro-
mantische Mode. ., sondern es entsprang seinem heissen Bemiihen, in die
letzten und individuellsten Geheimnisse der Menschenseele hinunterzugra-
ben" etc. (p. 22 f.). Nennt man nicht eben dieses Bemiihen ,,roman-
tisch"? Ist es nicht eben ein Hauptverdienst der Romantiker, dass sie
das ,,Gemut" entdeckten, und sich nicht scheuten, auch in die Abgriinde
des seelischen Lebens zu tauchen ? Und wenn Kleist das, was er geschaut.
42 P'ddagogiscbe Monatshefte.
in vollkommenere und dauerndere Formen zu fassen vermochte als die
andern, ist er darum kein Romantiker? —
Ahnlich wie bei Kleist versucht Weitbrecht auch bei den iibrigen Dich-
tern, die aus der Romantik hervorgingen, die romantischen Elemente weg-
zuerklaren oder wenigstens zu entschuldigen. Wo diese eigentumliche
Schrulle das Bild nicht verzerrt, sind die Einzelcharakteristiken treffend
und von plastischer Greifbarkeit ; so die Platens, Immermanns und Grill-
parzers.
Das auf die Darstellung der Romantik und ihrer Auslaufer folgende
II. Kapitel : Zwischen den Revolutionen, ist das bedeutsamste des ganzen
Werkes.Es enthalt die schneidig gefiihrte Fehde gegen Heinrich Heine.
Wahrend Weitbrecht die Bedeutung der mit dem Gesamtnamen ,Junges
Deutschland" unvollkommen bezeichneten Bewegung m. e. unterschatzt :
sein Urteil iiber Heine trifft den Nagel auf den Kopf. Es ware sehr zu
wimschen, dass die klaren, scharfen, in diesem Fall durchaus massvollen
Ausfiihrungen Weitbrechts die weiteste Verbreitung fanden. Hierzu-
lande wird ja noch heutigen Tages Heine als der dritte im Bunde neben
Goethe und Schiller als deutscher Klassiker gepriesen und -- doziert!
Als ob Heine nicht durch seine ganze Tatigkeit den Beweis erbracht hatte,
dass, um wahrhaft Grosses zu gestalten, nicht bloss Talent, sondern auch
Charakter erforderlich ist, bietet man in Schulausgaben aller Art den ame-
rikanischen Studenten Heines unbedeutendste Feuilletons, statt sie dafiir
mit ernsthaften Personlichkeiten, die auch nach Goethe aufgetreten sind,
bekannt zu machen. Dass hier Wandel geschehe, dazu mdge Weitbrechts
Buchlein, das jedem, auch dem schlechtbezahlten deutschen Lehrer der
Dorfschule, zuganglich ist, recht viel beitragen! Ich tute hier durchaus
nicht in das Horn des verachtlichen Antisemitismus und stimme in der
Hinsicht weder mit Weitbrecht, noch mit Bartels iiberein, der im zweiten
Teil seiner jetzt erschienenen, grossen Literaturgeschichte Heine eigentlich
nur als Juden verfolgt. Ich glaube vielmehr, dass Heine nicht, oder doch
nicht viel anders gewesen ware, als er war, auch wenn er einer christlich-
germanischen Familie entsprosst ware. Nicht als Jude, sondern als mo-
ralisch haltloser Mensch, als Talent ohne Charakter, war er der ,,Honig-
kelch voll Gift fur die Nation". Und darum sollte er den allzulange be-
haupteten Platz nach Goethe und Schiller Grosseren einraumen : Kleist,
Uhland, Grillparzer — und Morike.
Wer kennt hier in Amerika Eduard Morike? In Kuno Franckes
Literaturgeschichte muss er sich mit einer Anmerkung begniigen, Prof,
von Klenzes ,,Deutsche Lyrik" weiss gar nichts von ihm ; und ich konnte
Dozenten der Deutschen Literatur nennen, die noch keine Silbe von ihm
gelesen haben. Deswegen ist es gut, dass Weitbrecht dem lange Verbor-
genen eine ausfuhrliche Besprechung widmet. Im letzten Jahre sind ja
zwei umfangreiche Biographieen Morikes erschienen, eine ,,wissenschaft-
Neuere Liter aturgescbichten. 4$
liche" von dem Berliner Harry Maync, und eine popularer gehaltene von
Karl Fischer, der Morike in sich durchlebt hat. Wem diese Biicher un-
zuganglich sind, fiir den geniigen zur Einfiihrung auch die sieben Seiten
in Weitbrechts Biichlein; und wer sich an Lyrik nicht herangetraut, der
lese zuerst das Stutt garter Hutselmannlein, ,,eines jener Trostbiichlein fiir
den Kummer und Arger des Zeitlichen, die nicht zu kennen ein Ungliick
ist."
Uber den Rest des Werkes habe ich wenig mehr zu sagen. Von dem
Kapitel Die Riickkehr zur Form an, beriihrt es sich mit der Darstellung
Bartels, dessen Einwirkung da und dort zu spiiren ist. Nicht als ob
Weitbrecht unselbstandig ware — die beiden Manner treffen eben viel-
fach in ihrem Urteil zusammen, schon deswegen, weil beide von jeder
Schultradition frei sind, nicht sogenannten Autoritaten entsprechen, son-
dern ihrem kiinstlerischen Gefiihl und gesunden Menschenverstand fol-
gen; vgl. Z. f. d. U. 15, 6n ff. Ein besonders schones Beispiel fiir des
Verfassers nachempfindende Darstellungskunst ist die kurze, vielsagende
Gegeniiberstellung von Hermann Lingg und Geibel, p. 134.
Von Bedeutung ist es, dass Weitbrecht unter die Hauptvertreter des
Poetischen Realismus auch Hermann Kurz aufnimmt, den Bartels den
,,kleinen Realisten" beigezahlt hatte. Ohne Frage ist Kurz ,,einer von
denen, an denen die Nachwelt etwas gut zu machen hat". Es scheint
mir aber, dass Weitbrecht in seiner Schatzung des schwabischen Novel-
listen und Romandichters zu hoch greift. Ich selbst bin Schwabe genug,
um auf Kurz stolz zu sein, zweifle jedoch, ob Nicht-Schwaben sich in den
,,Sonnenwirt" und den Herzog Karl, der sich den Rockkragen zu eng
kniipft, um rot und gesund auszusehen, oder in die Verhaltnisse in der
alten ,,Legionskaserne'', so recht hineinleben konnen. Mir scheint das
alles viel zu spezifisch-schwabisch, um typisch-menschlich und also allge-
meinverstandlich sein zu konnen. Hoffentlich tausche ich mich.
Wilhelm Jordan unter den Realisten zu finden (II, p. 57 fL), war
mir eine Uberraschung. Ich glaube, dass sich Weitbrecht doch gar zu
sehr durch die nationale Gesinnung des Dichters und dessen Kampf ge*
gen ,,alles Ungesunde in moderner Kultur und Kunst" hat bestechen las-
sen. Freilich lasst sich mit dem Verfasser nicht rechten, da er selbst die
Zeit fiir die richtige Beurteilung Jordans noch nicht fiir gekommen halt.
Dass aber Jordans Nibelunge sich an Wucht und Grosse und Einheitlich-
keit mit Hebbels Trilogie nicht messen konnen, das steht doch wohl jetzt
schon fest. Wenn Jordan auch nicht gerade nur ,,reproduziert" hat, si-
cher hat er den gewaltigen Stoff nicht so aus sich heraus ,,wiedergeboren",
wie es bei Hebbel der Fall ist.
Die letzten zwei Abschnitte: Nationale Einigung und geistige Ent-
artung, und ,,Die Moderne" unterscheiden sich nicht wesentlich von den
entsprechenden Kapiteln in Bartels. Nur ist Weitbrecht viel ablehnender
44 PMagogiscbe Monatshefte.
gegen die Bestrebungen der achtziger und neunziger Jahre als Bartels.
Wenn er von seinem Standpunkte aus die einfache Tatsache, dass der ge-
schmahte Naturalismus die einzige Rettung der deutschen Kunst und Li-
teratur war, nicht gelten lasst, so kann man auch dariiber nicht streiten.
Jedenfalls sind die Zeiten der Ebers, Wolff und Lindau vorbei, auch das
Theoretisieren scheint allmahlich iiberwunden zu werden; mogen die
,,Dichterpersonlichkeiten, die Grosses und Echtes schaffen konnen aus der
selbstherrlichen Kraft ihres poetischen Genius", bald kommen — das deut-
sche Volk konnte sie brauchen!
Editorielles.
An der Jahreswende. Es wird zwar voraussichtlich mehr als die
erste Halfte des Januars verflossen sein, ehe dieses Heft, das erste des
neuen Jahres, in die Hande seiner Leser gelangt, und in unserer schnell-
lebigen Zeit wird daher auch das neue Jahr bereits etwas Altes geworden
sein; doch soil uns das nicht davon abhalten, unsern Lesern noch nach-
traglich einen herzlichen Nenjahrsgliickivunsch zu iibermitteln.
Wenn wir das Fazit iiber die im verflossenen Jahre an unseren Schulen
getane Arbeit zogen, diirften wir wohl ohne Uberhebung behaupten, dass
dies zu unseren Gunsten lauten wurde. Allerorten zeigte sich Leben und
liewegung, die Grundbedingungen fur eine heilsame Entwickelung, wie
andererseits Stillstand und Untatigkeit ihre verderblichsten Feinde sind.
In einer Hinsicht bezeichnet das letzte Jahr einen Wendepunkt fiir
die Schulentwickelung, indem in ihm die Lehrerschaft in regere Aktivitat
trat, die, obgleich unstreitig der bedeutendste Faktor, bisher im Hinter-
gruncle gestanden hatte und hochstens mit mehr oder weniger Geschick
bestrebt gewesen war, den Anordnungen von Superintendenten, Assistenz-
superintendenten und Prinzipalen Folge zu leisten. Man sah auch bisher
nicbt die Notwendigkeit ein, dem Gros der Lehrerschaft eine gewisse
Selbstandigkeit zu gewahren. Teilweise lag dies in dem vorherrschend
inerkantilen Sinne unserer Bevolkerung, die nicht gewohnt ist, den von
ihnen Angestellten gegen ihren Willen Selbstandigkeit zu gewahren, dann
aber auch in den Lehrern selbst, denen es zum grossen Teile an der noti-
gen Vorbildung fehlte, um eine ihnen gewahrte Selbstandigkeit weislich
zu beniitzen.
Dass die kommunalen und beruflichen Vorgesetzten mit der Ab-
hangigkeit der Lehrer einverstanden waren und sie erstrebten, braucht
uns nicht wunderzunehmen. Es lasst sich doch so schon regieren,
wenn man nur vom griinen Tische anzuordnen braucht, wenn, wie
Kollege Burckhardt in seinem Flachsmann-Artikel so treffend sagte, der
Superintendent von seiner Amtsstube aus nur den elektrischen Knopf
Editor ielles. 45
zu driicken braucht, um die Gehirndeckel aller Schiiler fur die
Applizierung eines gewissen Stoffquantums zu offnen; und es
kitzelt doch nicht wenig den Stolz des Schulratsmitgliedes zu wissen,
dass seine Lehrer am Ende eines jeden Schuljahres von seiner
Gnade abhangen. Aber nicht Schulrate, nicht Superintendenten und
Prinzipale machen die Schule, wenn sie nicht der mitschaffenden
Tatigkeit der Lehrer und Lehrinnen im Schulzimner gewiss sind. Dass
dieselben allmahlich zum Bewusstsein ihrer Stellung kommen und nach
grosserer Geltung streben, das ist der grosse Fortschritt, den wir dem
verflossenen Jahre gut schreiben miissen. Nachdem in Chicago das Zu-
sammengehen der Lehrer soldi' gute Friichte gezeitigt hatte, folgten die-
sem Beispiele die Lehrer und Lehrerinnen vieler Stadte, und sicherlich
wird die Bewegung im nachsten Jahre noch in bedeutend weitere Kreise
dringen. Die Ziele, nach welchen die neugegrundeten Klassenlehrerver-
> einigungen zunachst streben, Gehaltserhohung, Sicherung ihrer Stellung
und Pensionierung, sind die ihnen am nachsten liegenden. Doch werden
auch andere folgen, solche, die nicht nur die aussere Stellung der Lehrer
festigen, sondern auch ihrer beruflichen Vervollkommnung und damit
beruflichen Selbstandigkeit dienen werden.
Darum wollen die Herren Schulrate und Schulleiter nicht scheel auf
diese neue Bewegung blicken ; sie muss zum besten unserer gemeinsamen
Arbeit ausfallen. Wie jeder neuen Bewegung, so haften auch dieser noch
manche Schlacken an, und manche Auswiichse werden noch auftauchen —
so konnen wir den Anschluss der Chicagoer Lehrer an die Arbeiterver-
einigung nur mit Misstrauen betrachten — aber die Zeit wird Wandel
schaffen. Wir sehen in der Bewegung eine gewaltige Regung fur die
Griindung eines Lehrer "standes, in dem nicht der einzelne nur nach seinem
eigenen Vorteile trachtet, sondern alle fur einen und einer fur alle einzu-
stehen bereit sind. Uberall da, wo die Lehrerschaft den richtigen Fiih-
rer findet, wird die Schule den meisten Vorteil aus der Bewegung ziehen.
Sie wird Lehrer und Lehrerinnen heranbilden, die stolz sein werden, sich
solche zu nennen, die nicht bloss im giinstigsten Falle untertanigst gehor-
chende sein werden, sondern die mit Mut und Freudigkeit ihr ganzes
Konnen in den Dienst der Schule stellen werden, den sie sich zur Lebens-
aufgabe, nicht nur als Sprosse auf der Leiter zu einem eintraglicheren und
hoher geachteten Berufe gewahlt haben. Welcher Beruf stande wohl
hoher als der Lehrerberuf?
Dr. G. A. Zimmermann. t. Mit aufrichtiger Teilnahme werden un-
sere Leser das an anderer Stelle von unserem Chicagoer Korresponden-
ten gemeldete Hinscheulen von Dr. G. A. Zimmermann, dem friiheren
Superintendenten der modernen Sprachen an den Schulen Chicagos, zur
Kenntnis nehmen. Der Verstorbene stand lange Jahre hindurch auf
Grund seiner vielseitigen beruflichen Tatigkeit und seiner grossen Fahig-
keiten in der Frontreihe der deutschamerikanischen Bestrebungen und
hatte es verstanden, sich unzahlige Anhanger und Freunde zu erwerben,
die jetzt durch seinen Tod eines Fiihrers und Beraters beraubt sind.
M. G.
Allerlei.
Eroffnungsgedicht fur Schulerdarbietungen.*
Wenn trotzig und grimmig durchs Land es braust,
Freund Winter die sperrigen Wipfel zaust,
den Buben gar neckisch die Wange kneipt,
manch Dirnlein die starr-blauen Hande reibt:
dann — husch ! — stiebt die Schar iiber Stock und Stein
ins damm'rige, mollige Stubchen hinein,
bestiirmt und bittet, lasst nimmer Ruh',
bis Grossmutter spricht — sie horen zu — :
,,Es war einmal — "
Sie sitzen und staunen, sie sinnen, gliih'n.
als waren sie selber die Recken kiihn;
sie zagen und bangen, sie hoffen, fleh'n,
als ob ihnen selbst all das Weh gescheh'n;
des Miitterchens Hand umklammern sie bang,
bis endlich die gliickliche Rettung gelang.
Nun atmen sie auf ; es lost sich der Kreis. —
Noch einmal sagt es ein jedes leis':
,,Es war einmal — "
Heut' halten auch wir solch ein Marchenfest
und singen und sagen,, erzahlen aufs best',
wie 's eben das kleine Volk vermag,
wie 's fabuliert am Feiertag.
Lieb' Miitterlein, lieb' Vaterlein,
lasst uns einmal Erzahler sein!
Manch Liedlein und Miirlein wird dargebracht,
und — alles in allem — ein jedes sagt:
,,Es war einmal — "
Nun mag es da draussen nur stiirmen und schnei'n!
Vergessen ist es ! — Prinz Frohsinn, tritt ein !
Regiere, besiege den bosen Geist,
der Sorge und Kummer bei Menschen heisst! —
Dies Miirlein soil wirklich jetzt gescheh'n,
dann werdet ihr f rohlich von dannen geh'n. —
Griisst euch hier eig'ne Jugendzeit,
so sprecht ihr dann voll Seligkeit:
,,Es war einmal — "
(Thiene.)
(Aus der Sachsischen Schulzeitung. )
* Besonders wirkungsvoll ist das Gedicht, wie die Erfahrung gezeigt hat,
wenn es von einem kleineren Schiller (3. oder 4. Schuljahr), einem geweckten, fri-
schen Burschen, vorgetragen wird.
Allerlei. 47
Helden und Heldenbiicher. Ein amerikanischer Dichter, Gelehrter und Lehrer
nimmt es dem grossen Schotten Carlyle sehr iibel, dass er Friedrich dem Grossen,
,,dem kleingeistigen Tyrannen des ein winziges Fleckchen Erde bewohnenden preu-
ssischen Sklavenvolkes", einen unverwelklichen Lorbeerkranz wand, den Andersden-
kende von dem Haupte des Gefeierten auf die Schlafe des Spenders iibertragen
haben.
Der Kritiker steht mit seiner Meinung leider nicht allein. Sie haben heute
das Wort, die da behaupten, ein einziger Lebender — Soldat, Held, grosser Mann
uberhaupt — gelte mehr als zehn Tote. Nach ihrer Ansicht hat auch z. B. nur ein
in neuerer Zeit ermordeter amerikanischer President Anrecht auf Unsterblichkeit ;
die in ihren Betten gestorbenen Helden und Staatsmanner friiherer Zeiten sind
ihnen nur tote Spukgestalten eines liingst tiberwundenen Standpunkts. Wo Spott
und Holm noch nicht angewandt werden konnen, miissen eisige Zuriickhaltung und
nichtachtendes Totschweigen die zersetzende Arbeit tun. Nirgends aber wird diese
Arbeit, mit oder ohne Absicht, so griindlich getan wie in unseren Schulen, nirgends
zeigen sich ihre verderblichen Einfliisse so deutlich wie bei unserer Jugend. Das
bedarf keiner eingehenden Beweisfiihrung.
Gestellt aber, der Heldenkultus widersprache dem Zuge der Jetztzeit. Zuge-
standen, es sei dem kiinftigen Weltbiirger von mehr Vorteil zu wissen, wie viele
Beine der Maikafer besitzt, wie viele Staubfaden die Aster, wie viele Tiiren die
gronlandische Hiitte, als imstande zu sein die Taten und Burgertugenden unserer
Washington, Franklin, Jefferson, Lincoln voll und ganz zu wiirdigen. Angenom-
men, alles geschichtliche, alles positive Wissen uberhaupt sei fur die moderne anglo-
amerikanische Erziehung toter Kram und Ballast, ein blosses Hindernis fur die
freie und selbstandige Entfaltung des schaffensbediirftigen Jugendbetriebes und der
zu hegenden ,,durchgeistigten Fingergelenkigkeit" — kein echter deutschamerikani-
scher Lehrer sollte sich mit dem Gedanken tragen oder befreunden wollen, dass in
den deutschen Klassen unserer Schulen ein gedeihlicher Unterricht erteilt werden
kb'nnte ohne das Hinzuziehen des wahren deutschen und amerikanischen Heldentu-
mes, ohne tatsachliche Vermittelung deutscher und amerikanischer Heldensage und
Heldengeschichte von Siegfried und Dieterich bis auf Bismarck und Moltke, yon
Smith und Penn bis auf Edison und Schley. Wenn die Geburtstagsfeiern Washing-
tons, Franklins und Lincolns heute nur noch in weniger als streifender Beriihrung
irgend eines Ereignisses aus der Jugendzeit dieser Heroen und in dem obligaten
Ableiern irgend eines Nationalliedes ( Lucus a non lucendo ! ) sich bewegen, so ist
es erst recht unsere Pnicht, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit, beim Lese- und
Sprachunterricht vor allem, zielbewusste, zusammenhangende Unterweisung iiber das
Leben und Wirkeen dieser und anderer grossen Manner zu erteilen. Wir werden
in unseren deutschamerikanischen Schiilern dankbare und leicht zu begeisternde
Zuhorer finden. Doch das ist meinen Lesern so bekannt, dass es mir als Anmassung
ausgelegt werden konnte, an dieser Stelle weitere Worte dariiber verlieren zu wollen.
Ein Umstand nur, ein hindernder allerdings, sei hier beriihrt, auf den jiingere
Kollegen mir gegeniiber schon oft hingewiesen haben. Solche Kollegen behaupten,
ihre Vorkenntnisse seien in dieser Hinsicht unzureichend, und ihre Zeit sei ander-
weitig zu sehr in Anspruch genommen, als dass sie sich auf solchen, immerhin nur
gelegentlichen, Unterricht gehorig vorbereiten konnten; vor allem seien sie unbe-
kannt mit den einschlagigen Quellen- und Nachschlagewerken in englischer oder
deutscher Sprache. Durchsichtig und gewiss nur in sehr beschriinktem Kreise
giltig mag dieser Einwand sein. Nichtsdestoweniger will ich es, auf die Gefahr
hin, andere zu ermiiden, wagen, diesen Kollegen eine, wenn auch beschrankte Hand-
reichung in dieser Richtung zu bieten.
48 P'ddagogische Monatshejte.
Man hole sich Rat liber "Washington in Sparks "The Works of Washington" im
Original oder in Raumers deutscher '(Jbersetzung ; in Washington Irvings "Life of
G. W." (englisch oder deutsch) ; in Bakers ,,Bibliotheca Washingtonia" ; in Vene-
days ,,Georg W." (deutsch). ttber Franklin: Bigelows "Life of B. F. by himself"
(englisch oder deutsch) ; "The Sayings of Poor Richard", herausg. von P. L. Ford,
tiber Jefferson: ,,Jeffersons Selbstbiographie" ; Randolph oder Parton: ,,Das Leben
Jeffersons". 'tfber Lincoln: Raymond, Holland, oder Canisius (deutsch) ,,Abra-
ham Lincoln"; Karl Schurz, ,,Ab. Lincoln"; vor allem aber das Schulbuch "The
Words of Abraham Lincoln" von J. Thomas, eine von der American Book Company
neuerdings herausgegebene Sammlung von Reden und Ausspriichen Lincolns ("Ut-
terances of wonderful beauty and grandeur", nach Karl Schurz), die, besser als
eine ausfiihrliche Lebensbeschreibung, den Lehrer iiber das Sein und Wesen dieses
so recht zum Vorbilde fiir die heutige Jugend sich eignenden grossen Amerikaners
aufklaren kb'nnen.
Selbstredend behaupte ich weder mit den genannten Mannern, noch mit den
angefii'arten Werken die Reihe und Liste erschopft zu haben. Unser verhaltnisma-
ssig junges Land ist bereits reich an hochst verdienstvollen Mannern. Es zahlt
seine Helden sowohl, wie seine Heldenbiicher. Die ersteren zu wiirdigen, die letzte-
ren zu benutzen, sei unsere Sache. Lassen wir immerhin den Vorwurf des ,,Hero-
enkultus" iiber uns ergehen, wenn dieser nur die rechten Friichte zeitigt. (Fiir die
,,Padagogischen Monatshefte" von Constantin Grebner.)
Wie man Gedichte lesen und erkl&ren soil. Prof. Dr. J. Stiefel sagte in einem
Vortrage iiber Poesie und Schule in der Ziiricher Schulsynode: Gedichte erklaren
sich nur aus dem Gefiihl heraus, aus der Andacht und Inbrunst des Herzens fiir
die Poesie, und diese gewinnt man nur durch die Versenkung in die Poesie. Willst
du lesen, und noch vielmehr, willst du erklaren ein Gedicht, ,,so sammle dich wie
zum Gebete". Die Gedichtstunde soil die Sonntagsstunde des Unterrichts sein, und
dazu muss der Lehrer sein Gemiit sonntaglich sammeln und stimmen. Gedichte
kann man nur erklaren aus einem vollen, iiberstromenden Herzen heraus, und ein
voiles, iiberstrb'mendes Herz gewinnt man nur durch ein solides Sammeln, wenn man
sich an die Wasserbiiche der Poesie setzt und ihre Melodien in sich aufnimmt.
Aber gerade das mb'chte ich Ihnen aus dem tiefsten Ernste meines Herzens zuru-
fen: wir lesen zu wenig, wir miissen viel mehr lesen, damit wir voll werden des
inneren Reichtums und Segens der Poesie. Und nicht alles Mogliche durcheinan-
derlesen, sondern gute Sachen immer und immer wieder lesen. Und gute Sachen
auswendig lernen! Es hat sich auf das Auswendiglernen ein Rost falscher Auffas-
sung gelegt, als ob es etwas rein Mechanisches ware. Natiirlich man kann alles
mechanisch betreiben, aber man kann auch alles mit Seele betreiben. Lernt man
schone Gedichte so auswendig, dass man sie als sein Abend- und Morgengebet
spricht, so ist daran nichts Mechanisches mehr, dann sind sie die Nahrung der
Seele, die Bildung des Gemiits, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, bis wir
innerlich lauter und tief werden. Dann brauchen wir keine Kiinste mehr zu ma-
chen, dann sprechen wir aus der Inbrunst und Andacht unseres eigenen Herzens
von dem Schonen, Guten, Wahren und von dem Idealen, und dann wird die Poesie-
stunde eine Sonntagsstunde des Unterrichts " (Aus der Schule — fur die Schule.)
Phantasielugner. Der Kampf gegen die Liige ist eine der schwierigsten Auf-
gaben der Erziehung, und nicht selten werden dabei arge Fehler begangen. Der
schlimmste Fehler ist wohl der, dass man haufig nicht unterscheidet zwischen Liige
und Liige, sondern alle Arten ohne Riicksicht auf ihre Quelle in einen Topf wirft.
Allerlei. 49
Wie gi-osa ist doch der Unterschied zwischen einer Umvahrheit, deren ein Kind sich
in der Angst oder aus Verlegenheit schuldig macht, und einer Luge, die aus Neid
oder Bosheit hervorgeht! Eine besondere Behandlung verdient die Phantasieltige.
Sie findet sich haufig bei kleineren Kindern, aber auch bei grosseren, namentlich
solchen, die mit einer lebhaften Einbildungskraft bgabt sind. ,,Die Kinder — schreibt
dariiber Matthias in seinem trefflichen Buche ,Aus Schule, Unterricht und Erzie-
hung' — wissen vielfach noch nicht die Grenze zu ziehen zwischen Einbildung und
Wirklichkeit; sie wollen nicht tauschen, sondern werden selbst getiiuscht durch
ihre lebhafte Phantasie, die beim Kinde alle Schranken und Hindernisse kiihn iiber-
springt. Ein Wesen, das in diesem Augenblicke sich als Pferd fiihlt und das Brii-
derchen oder Schwesterchen auf sich reiten lilsst, das im niichsten Augenblick als
Bitter, Rauber oder wer weiss als sonst was sich fiihlt, hat seine Phantasie noch
nicht so im Zaume, um in jedem Augenblick in seiner Rede der Wirklichkeit, d. h.
der Wahrheit gemass zu verfahren. Es dichtet noch an der Wirklichkeit herum,
ohne zu wissen, dass es dichtet. Die deutsche Sprache, die nach Riccaut de la
MarliniSre ein ,plump Sprak' ist, hat fiir diese Art von Ltigen ein besonderes Wort
erfunden, das Wort ,flunkern', das das Flimmernde, Flackernde, Schimmernde der
Phantasie bezeichnet. Bei solchen Phantasieliignern muss der Erzieher mit grossem
Takt verfahren, um kein ttbel anzurichten. Man stemple beileibe nicht in iibertrie-
bener Gewissensangst harmlose Phantasiegebilde sofort als Liige, man lasse dem
Kinde seine Kinderstubenpoesie ; nur dann greife man ein, wenn es zur bewussten
Unwahrheit kommt."
Doch nehme man die Sache auch nicht zu leicht. Phantasiebegabte, frtihreife
Kinder werden gar leicht bewundert. Dadurch werden sie eitel, sie stellen ihre
Klugheit gern ins rechte Licht, suchen auch da klug zu scheinen, wo sie's nicht
sind. So bildet sich ein Hang zur Unwahrhaftigkeit, der mit der Zeit sich immer
mehr verstarkt. Wo man so etwas merkt, da greife man ein und benutze jede
Gelegenheit, das Kind in die Wirklichkeit zuriickzufiihren, ihm das Unwahre seiner
Redereien vor Augen zu stellen und es dadurch zu beschamen. Geschieht das nicht,
so wild die Flunkerei gar bald zur voll bewussten Liige. Auch hier gilt es, das
Obel im Keime zu ersticken. (Aus der Schule — fiir die Schule.)
ist deutsche Erzieliung? So haufig man es gegenwiirtig aussprechen hort,
die Ausbildung eines kraftigen personlichen Willens, womoglich eines scharf abge-
grenzten und auf sich ruhenden Charakters sei das eigentlich schatzbare Ziel aller
Erziehung und gerade auch fiir uns komme es darauf an, eine Willensbildung in
diesem Sinne unserm Nachwuchs zu teil werden zu lassen, ja so richtig es auch
ist, dass Willensbildung das letzte und entscheidende Ziel aller Jugenderziehung
sein muss, so ist es doch nichts weniger als gleichgiiltig, ob iiberhaupt nur ein
kraftiges personliches Wollen erzielt wird oder ob dasselbe auch auf wertvolle Ziele
geht, namentlich den hoheren Interessen der Gemeinschaft sich zuzuwenden ver-
mag, von edlem Fiihlen genahrt und von einem weiten menschlichen Gesichtskreis
erhellt und bestimmt wird. Es diirfte als deutsches Wesen zu bezeichnen sein, dass
das Wollen sich nicht so sehr als innewohnende und aus sich heraus drangende
Naturkraft kundgibt, als vielmehr mit dem Fiihlen und Denken verwoben und auch
von ihm abhangig. Das ist unserm deutschen Wesen oft praktisch schadlich ge-
worden, aber sein eigentiimlicher Wert ruht doch zum teil darauf, und es ware
nicht gut, uns in diesem Sinne selbst verleugnen zu wollen. So bleibt denn auch
die Bildung eines weiten Gesichtskreises fiir uns ein natiirliches Ziel: die Idee
allgemeiner Bildung ist als solche ausdriicklich von uns Deutschen erfasst und
vertreten worden, wobei ,,Bildung" von Hause aus nicht als ein der Person von
50 P'ddagogiscbe Monatsbejte.
aussen Hinzukommendes, sie etwa Umkleidendes und Verschonendes gedacht 1st,
sondern als das eigentliche Werden und Sichgestalten des Menschen von innen her-
aus. Diese Idee 1st im Laufe der Jahrzehnte sehr in Misskredit gekommen, well
sie sich im Bewusstsein der meisten verschoben hat und hochstens noch ein gewisses
Beriihrtsein von allerlei geistigen Interessen bedeutet. Aber nach ihrem echten
Inhalt konnen wir sie doch nicht aufgeben; eine absichtliche Verengerung, ein will-
kiirlich abgegrenztes Segment aus dem, was uns die allgemeine Bildung bedeutete,
kann uns nicht befriedigen. Zum wirklichen Weltverstandnis hinzustreben, 1st
unser Bediirfnis; wir konnen nicht, wie gewisse andere Nationen, unbekiimmert
bleiben um das, was Grosses und Wertvolles jenseits unserer Landesgrenzen sich
vollzogen und entwickelt hat: wie sich diese Selbstgenugsamkeit racht, haben wir
bereits in mehr als einem Falle mit ansehen konnen. Wir wollen auch ferner es
uns angelegen sein lassen, das Fremde zu verstehen und es gerecht zu beurteilen.
Es gewohnheitsmassig zu iiberschjitzen, haben wir ja wohl so ziemlich aufgehort;
in das andere Extrem zu verfallen, mdge man uns nicht antreiben. Das schone
Wort von einer harmonischen personlichen Bildung freilich wird immerdar mehr
sagen als zu verwirklichen uns beschieden ist: Harmonie ist dem Menschen aller-
warts so schwer zu erreichen; auch ist dem Ohre nicht zu alien Zeiten dasselbe
Harmonie geblieben. Wir fiihlen jetzt, dass mancher Ton kraftiger vorklingen
muss, als er bei uns zu tun pflegte. Auch, dass neben dem Abstrakten und Idealen
das praktisch Tiichtigmachende voile Geltung haben muss; und wir wollen uns noch
uicht bange machen lassen, wenn aus dem Auslande mitunter Stimmen laut werden,
als ob der deutsche Idealismus sich selbst entsagt habe und wir nun nur noch auf
praktische Welterfolge uns legen wollten.
So wenig aber wie Willensbildung um ihrer selbst willen, um jeden Preis, ohne
Riicksicht auf den ethischen Gehalt, ebensowenig wollen wir eine Schatzung und
Pflege der Form suchen, iiber welcher der Sinn fur den Inhalt zuriicktrate. Schon
unsere Begabung weist uns — sehr abvveichend von derjenigen der Franzosen und
Romanen iiberhaupt — nicht nach dieser Seite. Es ist wahr : dass wir auf vielen
Gebieten weniger gleichgiiltig gegen die Form werden als wir geneigt sind, ist sehr
zu wunschen; so z. B. dass wir der Handhabung unserer Muttersprache ein Stuck
von derjenigen Sorgfalt widmen, die fiir alle Franzosen so selbstverstandlich ist.
Aber im ganzen darf uns Deutschen der Kultus der Form eine zu grosse Bedeutung
nicht gewinnenj leicht konnten wir iiber dem Haschen nach solchem neuen Vorzug
den alten samt dem neuen verfehlen. So hat auch in unserm hoheren Unterricht
nicht die Analyse der Form, etwa der Dichtersprache und der sonstigen Kunst-
mittel der Poesie, den naiv unmittelbaren Sinn fiir den Gehalt zu schwachen; ein
Stuck Naivetat in diesem Sinne wird uns Deutschen immer gut anstehen, und
mehr als gut anstehen, wirklich Gutes fiir uns bedeuten. Es ist doch wie ein
Stuck Jugendlichkeit : der Jugend ist die Form noch wenig, der Inhalt fast alles,
das reife Alter und namentlich das iiberreife fiih.lt anders.
Damit hangt einigermassen zusammen der Gegensatz von geistiger Griindlich-
keit und oberflachlichem Interesse, und auch der von objektivem Erkenntnisstreben
und subjektiver Verarbeitung nebst gefalliger Selbstdarstellung. Wiederum muss
man zugestehen, dass unsere deutsche Griindlichkeit mit Schwerfalligkeit sich oft
ganz nahe verwandt zeigt und dass der Mangel an gefalliger Selbstdarstellung ein
wirklicher Mangel heissen darf, wie er denn auch manchen Spott uns Deutschen
zugezogen hat. Aber wiederum, indem wir nicht in baurischer Gleichgiiltigkeit
oder spiessbiirgerlicher Lassigkeit gegen dieses Gebiet verharren wollen, soil es uns
doch am wichtigsten bleiben, den Vorzug griindlichen Denkens nicht einzubiissen,
und auch fiir die hohere Erziehungsaufgabe soil dieser Gesichtspunkt bestehen blei-
Allerlei. 51
ben. Was hier ttbertreibung, Verfehlung, verkehrte Gewohnung ist (und das alles
fehlt wohl nicht), muss bekainpft werden; aber auf das Ernstnehmen der Arbeit
soil der Geist friih hingelenkt werden.
Und zwar auch der Arbeit urn ihrer selbst, um ihrer Bedeutung willen, nicht
so sehr des Erfolges wegen, den sie der Person bringt. Das ist eine weitere wesent-
liche Verschiedenlieit zwischen deutscher und fremdlandischer, z. B. franzosischer,
aber auch vielfach englischer Auffassung. Dort wird von friih auf der Blick auf
den persb'nlichen Erfolg gelenkt, den die Bemiihung zu bringen vermag, sei es nun
der Erfolg als personliche Anerkennung und Ehre oder als praktische Errungen-
schaft. Und damit hangt denn zusammen die grosse Rolle, die in der Erziehung
4er Ehrgeiz spielt und die Gestaltung aller entscheidenden Priifungen als Konkur-
renz. Die Pflege der Amulation hat man von den Alten ubernomnien ; bei den Griechen
hatte sie von je ihre Rolle und auch den Romern lag sie im Blute. Quintilian z. B.
kann sich eine Erziehung ohne dieselbe nicht denken. Und so ist ihre Schatzung
namentlich bei den romanischen Volkern durch die Jahrhunderte hindurch geblie-
ben. Dass man darauf verzichten konne, haben nur voriibergehend die ernsten Jan-
senisten gemeint und auch der unerbittliche Rousseau, aber ohne alle nennenswerte
Wirkung. Am sorgsamsten ist die Kultur des Ehrgeizes bekanntlich betrieben wor-
den von den Jesuiten, die damit gerade eine Konzentration romanischen Geistes
darstellen und hier wie in manchem andern dem deutschen Wesen so fremd wie
moglich sind.
Was aber kann an Stelle des Ehrgeizes stehen, um die zu erziehende Jugend
zu treulichem Bemuhen anzuregen? Zweierlei: einmal die Gewohnung, sich mit
sich selbst zu vergleichen, sein Ich von heute mit dem von gestern, und so iiber sich
selbst emporzustreben. Und zweitens: die Entwicklung des Pnichtgefiihls. Auch
von dem Schulzogling soil seine Schiilerarbeit als die ihn bindende Pflicht empfun-
den werden, der er geniigen soil wie es spaterhin der Mann im Amt und in der
Gemeinschaft soil, nicht als das Mittel, durch das man dereinst zu einer ausge-
zeichneten Position gelangen kann oder zu Behagen und Unabhangigkeit.
Dies wiirde meine Antwort sein auf die Frage: was ist deutsche Erziehung?
oder: was ist ihre Eigenart? und: was soil sie bleiben? Da rum muss sie nicht
starr bei bestimmten Formen und Gepflogenheiten stehen bleiben! Im Gegenteil,
wenn deutsche Erziehung ernste Erziehung ist und man es in Deutschland mit der
Erziehung dauernd ernst nehmen will, dann muss man es der Miihe wert finden,
immer wieder iiber sie nachzudenken, Umschau und Priifung nicht versaumen, um
nicht unmerklich zu sinken, um auf der Ho'he zu bleiben — oder auf die wirkliche
Hohe erst zu gelangen. — Wilhelm Munch, Berlin. (Aus ,,Das Deutschtum im Aus-
lande". )
Der Schlaf der Schulkinder. In Schweden hat man unlangst eine Untersuchung
angestellt iiber den Schlaf der Schulkinder und ist zu dem Resultate gekommen,
dass fiir Schulkinder ein langer Schlaf durchaus notwendig ist und dass diejenigen
Kinder, welche zu wenig schlafen, um 25 Perzent kranker sind als andere Kinder.
Nach dieser Ansicht der mit dieser Untersuchung betrauten Arzte miissen Kinder
von vier Jahren durchschnittlich zwolf Stunden schlafen, Kinder von sieben Jahren
elf Stunden, Kinder im Alter von neun Jahren haben zehn Stunden Schlaf not-
wendig, Kinder von zwolf bis vierzehn Jahren neun bis zehn Stunden und im Alter
von vierzehn bis einundzwanzig Jahren bedarf der Kb'rper acht bis neun Stunden
Schlaf. Blutleere und Blutarmut sowie Bleichsucht sind auf zu wenig Schlaf zu-
riickzufiihren.
52 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
isber den ,,8pielzeugteufel" sprach im Kreise der Vereinigung ,,Die Kunst im
Leben des Kindes" im Biirgersaal des Rathauses zu Berlin Fritz Stahl. Der Vor-
tragende fiihrte nach dem ,,Berl. Tagbl." in der Hauptsache aus, dass die Phanta-
sie, die Kraft, aus Erfahrungen geistige Neuschopfungen hervorzubringen, schon
im Kinde angeregt werden miisse und nicht verkiimmern diirfe, wenn nicht der
spatere Mensch alle Lebensfreude entbehren soil, und dass das allereinfachste Spiel-
zeug das beste sei, um die Phantasie zu wecken und zu erhalten, dass das ,,Reich der
unbegrenzten Moglichkeiten", dass die einfachsten Spielzeuge, der Haufen nassen
Sandes und der Tonklumpen in sich schliessen, durch jede realistische Verbesserung
des Spielzeuges mehr begrenzt wird. Es miisse der Sandhaufen als idealstes Spiel-
zeug hingestellt werden, dann wurde die Spielwarenindustrie von selbst erkennen.
dass sie auf falschem Wege ist, wenn sie immer vollkommenere automatische Spiel-
zeuge schafft, die der Phantasie des Kindes keine Anregung bieten, dagegen in ihrer
Billigkeit und Vielheit ein starkes erzieherisches Moment im Leben des Kindes,
namlich die Treue zu seinem Spielzeug untergraben. (Preuss. Lehrerztg.)
Die Frage des gemeinsamen Unterrichts von Knaben und M&dchen bildete das
Thema eines interessanten Vortrages, welchen Frau Dr. phil. Wegscheider-Ziegler
in einer Sitzung des Vereins fiir Kinderpsychologie in Berlin gehalten hat. Die
Vortragende unterrichtet an einer im aussersten Westen seit einem Jahre beste-
henden Familienschule, die ihren Zoglingen Gymnasialbildung gewahren will. Es
sind zwanzig Schiilerinnen im Alter von 12 bis 13 Jahren, deren Unterweisung Frau
Dr. Wegscheider-Ziegler — teils aus eigener Anschauung, teils nach den Mitteilun-
gen anderer Lehrer und Lehrerinnen — reichlich Stoff zu bemerkenswerten Beob-
achtungen bot. Die Vortragende halt nach den bisher gesammelten Erfahrungen einen
gemeinschaftlichen Unterricht beider Geschlechter nicht fiir erspriesslich. Einmal
diirfte man die feinen Unterschiede nicht ausser Acht lassen, die schon in der nattir-
lichen Konstitution beider Teile begriindet seien. Knaben seien leichter an Dis-
ziplin zu gewohnen als Madchen; deshalb sei eine einheitliche, fiir Knaben und
Madchen gleichzeitig geltende Schulordnung kaum oder gar nicht durchzufiihren.
Aber auch in dem Eingehen auf die einzelnen Unterrichtsfacher zeigen sich erheb-
liche Unterschiede. Auflfallend war bei den jungen Schiilerinnen das Verstandnis
fiir politische und soziale Fragen und die Begabung fiir rein formale, z. B. gram-
matikalische Dinge. Die von vielen Seiten geausserte Befurchtung, dass die Schii-
lerinnen durch die besondere Art ds Unterrichts zu einer Art geistigen Hochmuts
verleitet werden konnten, halt Frau Dr. Wegscheider-Ziegler fiir unwesentlich ; die
strengere Kritik, welche auf Madchengymnasien und ahnlichen Anstalten durchweg
geiibt werde, mache die Schiilerinnen eher bescheiden. Jedenfalls weisen die man-
nigfachen Unterschiede in dem Verhalten der Knaben und Madchen darauf hin,
eine spezielle ,,weibliche" Methode des Gymnasialunterrichts zu suchen; es sei
falsch, Knaben und Madchen dasselbe in derselben Weise lernen zu lassen. Nicht
eine Egalisierung, sondern eine Differenzierung beider Geschlechter sei anzustreben.
( Frankfurter Schulzeitung. )
Berichte und Notizen.
I. Die Versammlung der Central Division of the Modern Language
Association.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Die achte Jahresversammlung der Central Division of the Modern Language
Asociation of America fand am 1., 2. und 3. Januar d. J. in Haskell Hall, dem
Verwaltungsgebaude der Universitiit Chicago, statt. Der Besuch war erfreulicher-
weise zahlreich; an den Sitzungen nahmen insgesamt etwa einhundertfiinfzig Per-
sonen teil; das zugehorige Gebiet erstreckte sich diesmal von Tennessee bis Minne-
sota und von Ohio bis Nebraska und Kansas; auffallenderweise war aber Michigan
gar nicht vertreten.
Am Abend des ersten Tages hiess Dean Judson (of the Graduate School) im
Namen der Universitat und als Vertreter des nicht in Chicago befindlichen Prasi-
denten Harper die Versammelten als Gaste der Universitat willkommen und zog
in seiner Ansprache, in der er den Untergang des Lateinischen als internationaler
Gelehrtensprache bedauerte, anregende Vergleiche zwischen friiheren und heuti-
gen Methoden und Zielen des neusprachlichen Studiums. Ihm folgte der President
der Gesellschaft, Herr Processor Starr W. Cutting von der Universitat Chicago, der
im Gegensatze zu dem Vorredner gegeniiber dem bereits Erreichten in liebenswur-
digem, vornehmem Tone mehr das hervorhob, was im allgemeinen noch fehle, und
wieder und wieder die Wichtigkeit des lebendigen Gebrauches der Fremdsprache be-
tonte. Da dem Vortrage durch einen kurzen Bericht keine Geniige geschahe und
derselbe ohnehin wie gewohnlich in den ,,Publications of the Modern Language As-
sociation" zum Abdruck gelangen wird, sei hier im voraus auf sein Erscheinen ver-
wiesen.
Die Anzahl der wissenschaftlichen Vortrage, die in drei Sitzungen am Vormit-
tag des 2. und 3. und am Nachmittag des 3. Januars gehalten wurden, war dies-
mal geringer als im Vorjahre (16 gegen 28 im Dezember 1901), ein Umstand, aus
dem man nicht auf minder reges Interesse, sondern auf absichtliche weise Beschran-
kung schliessen wolle. Dem Gebiete deutscher Sprache und Literatur entnahmen
folgende Herren ihre Arbeiten: Prof. Carruth-Kansas wies auf Grund sorgfaltiger
Vergleichung des geschichtlichen Hintergrundes, des Ganges der Handlung, der
Charaktere und der Situationen nach, dass sich Hauff bei seinem ,,Lichtenstein" nicht
Scotts ,.Ivanhoe", sondern desselben Verfassers ,,Waverly" zum Muster genommen
habe. Prof. Swig get-Missouri fiihrte Kleists ,,Penthesilea" auf zwei Calderonsche
Dramen (,,E1 Mayor Encanto Amor" und ,,Las Amazonas") zuriick, die Kleist in
einer tfbersetzung von August Wilhelm Schlegel vorlagen, und denen Kleist die
Hauptmotive und einzelne Situationen fiir seine ,,Penthesilea" entnahm. Dr.
Roedder-Wisconsin erlauterte an einigen Beispielen wie ,,Kopf und Haupt" die ver-
schiedenen Erklarungsweisen des Bedeutungswandels der Worter, mit besonderem
Nachdruck auf der Feststellung des Nebensinnes und Gefiihlswertes. Prof. Hat-
field-Northwestern berichtete iiber fiinfzehn von ihm letzten Sommer in deutschen
Bibliotheken neuentdeckte Briefe des Dichters Wilhelm Miiller an bekannte Zeit-
genossen, die einen wertvollen Beitrag zu unserer Kenntnis von Miillers Charakter
und seiner Zeit liefern.
Eine Neuerung, die im allgemeinen Anklang gefunden zu haben scheint, waren
dje am Freitag Nachmittag abgehaltenen getrennten Sitzungen der einzelsprachli-
•chen Sektionen. An der deutschen Versammlung beteiligten sich zwischen sechzig
54 P'ddagogische Monatsbefte.
bis siebenzig Besucher der Versammlung. Die Diskussion der ersten auf dem Pro-
gramm angesetzten Frage, ,,Universitatsvorbildung deutscher Lehrer an Sekimdar-
schulen" eroffnete Prof. Hohlf 'eld-Wisconsin; Redner wies in iiberzeugender, ein-
dringlicher Weise auf die Notwendigkeit geschlossenen Vorgehens der hochsten
Lehranstalten, besonders in diesem Teile des Landes, in den Bildungsanforderungen
an die zukiinftigen Lehrer des Deutschen bin: leider zeigte die sich anschliessende
Erorterung recht deutlieh, dass wir uns selbst in einem auf benachbarte Staaten
beschrankten Landesteile dem in Deutschland schon lange erreichten Ideal gleich-
massiger Vorbildung der Lehrerschaft nur sehr, sehr langsam nahern. Die von
Herrn Prof. Cutting geleitete Erorterung iiber die zweite Programmfrage, wie weit
die Universitat den freien schriftlichen Gebrauch des Deutschen zu unterrichten
habe, verschob sich sehr schnell zu einer Behandlung der Frage, wie man praktisch
der tJberbiirdung des Lehrers mit dem Korrigieren der schriftlichen Arbeiten abhel-
fen kb'nnte; dabei stiessen die Vorschlage, die Stundenzahl der Aufsatzkurse dem
Lehrer doppelt anzurechnen, und die schriftlichen Arbeiten in und mit der Klasse
vor der schriftlichen Abfassung mundlich zu entwickeln, auf geringen Widerstand.
Die Besprechung iiber das Lehren der deutschen Literatur konnte wegen vorgeriick-
ter Zeit nur noch kurz angegriffen werden; dieselbe erb'ffnete wieder Prof. Hohlf eld
mit Bemerkungen iiber die Notwendigkeit geeigneter Darstellung der Beziehungen
zwischen deutscher und englischer Literatur (vgl. die Ausfuhrungen auf dem
Deutschamerikanischen Lehrertag zu Indianapolis, 1901; P. M., Jahrgang III, Seite
46 f., Seite 73 f.)
Als Prasident der Gesellschaft fiir kommendes Jahr wurde Prof. Hempl-Michi-
gan erwahit, dem auch bereits die in den letzten Dezembertagen zu Baltimore ta-
gende b'stliche Abteilung dieselbe Wurde iibertragen hatte. Als Ort der nachsten
Versammlung ist Ann Arbor, Michigan, bestimmt, wo also kommenden Dezember
beide Sektionen eine gemeinschaftliche Versammlung abhalten werden.
Nach allgemeinem Urteil war die diesjahrige Versammlung der Central Divi-
sion weitaus die angenehmste und anregendste, die noch je im Westen stattgefun-
den. Nicht zum wenigsten war das der Energie des Tjnterhaltungs- und Bewirtungs-
ausschusses zu verdanken, iiber dessen Erfolge nur eine Stimme der Anerkennung
und des Lobes laut wurde. In besonders angenehmer Erinnerung wird alien Teil-
nehmern der gemiitliche Kommers im Hotel Bismarck bleiben, nicht minder die
schb'nen Stunden in den Raumen des Quadrangle Club. Fiir die ausserordentliche
Liebenswiirdigkeit, mit der die Versammlung aufgenommen und behandelt wurde,
sei darum auch an dieser Stelle dem Unterhaltungsausschuss, besonders dem Vor-
sitzenden, Dr. Philip 8. Allen, der herzliche Dank der Gesellschaft dargebracht.
Univ. of Wis. Edwin C. Roedder.
II. Jahres versammlung der M. L. A. (Eastern Division).
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Die zwanzigste Jahresversammlung der Modern Language Association of Ame-
rica fand in der Johns Hopkins Universitat zu Baltimore, Md., statt und erfreute
sich eines sehr zahlreichen Besuches, — ein Beweis, dass solche Zusammenkiinfte von
Lehrern der neueren Sprachen voll und ganz gewurdigt werden. Die Versammlung
begann am 29. Dezember und dauerte drei Tage. Nachdem Professor Gildersleeve
die Mitglieder bewilkommnet hatte, nahm das Verlesen der Vortrage seinen Anfang.
Unter den zahlreichen Vortragen, die dargeboten wurden, greifen wir nur einige we-
nige, als von besonderem Interesse fur die Leser der Monatshefte, heraus. Pro-
Korresponden^en. 55
fessor Vos (Johns Hopkins Universitat) bewies, dass altertiimliche Wendungen
und Archaismen in Grimms ,,Kinder- und Hausmiirchen" nicht kiinstlich nachge-
ahmte Elemente seien, sondern in jedem Falle echte ttberbleibsel des alten Spraeh-
zustandes. Professor Shumway (Pennsylvania Universitat) versuchte eine Ehren-
rettung des vielgeschmahten ,,Tristan" von Gottfried. Der Vorwurf, Gottfried sei
unmoralisch, sei unbegriindet und beriicksichtige nicht geniigend die Tatsache, dass
Gottfried zu einer Zeit schrieb, die ihre eigenen Ideale inbezug auf Liebe, Ehre u.
s. W|.hatte. Seine Absicht wenigstens sei durchaus rein. Herr Emil Keppler (Co-
lumbia Universitat) zeigte in hb'chst ansprechender Weise, wie sich die deutsche
Volks- und Studentendichtung mit Amerika befasst hat. Professor Faust (Wes-
leyan University) verteidigte das neunte Buch von Wolframs Parzifal gegen die
Angriffe Bottichers und versuchte dann eine Interpretation der Idee des Dichters
zu geben.
Aber auch die Geselligkeit kam zu ihrem Rechte, und Empfange und gemein-
schaftliche "lunches" gaben den Mitgliedern Gelegenheit, sich naher kennen zu ler-
nen. Besonders muss da der ,,Smoke Talk" vom Abend des 29. Dezembers erwiihnt
werden, bei welcher Gelegenheit Professor Gildersleeve iiber das Thema ,,A Pro-
jected Clearing-House for Ancient and Modern Languages" sprach. Unter dem lau-
nigen Titel barg der Vortrag eine tiefernste, beherzigenswerte Lehre. Die alten
und modernen Sprachen sollen nicht als zwei getrennte Elemente angesehen werden,
und diejenigen, die sie unterrichten, sollen mit einander in Verbindung sein zu bei-
derseitigem Heile. Am Abend des folgenden Tages hielt der Prasident der Gesell-
schaft, Professor Bright, eine Ansprache, in welcher er etwas aus der ungeschrie-
benen Geschichte der Gesellschaft vorlegte. Er gedachte der Griindung der Modern
Language Association vor ungefahr zwanzig Jahren. Er erinnerte daran, dass die
Gesellschaft urspriinglich eine Abzweigung von der ,,American Philological Associ-
ation" gewesen sei, und rechtfertigte ausftihrlich diese Abzweigung, indem er dar-
legte, dass die neueren Sprachen schon damals den alten gegeniiber eine solche wich-
tige Stellung einnahmen, dass die Griindung einer diesen neueren Sprachen aus-
schliesslich gewidmeten Gesellschaft einfach eine Notwendigkeit geworden sei.
Gleich nach dieser Ansprache begaben sich die Mitglieder nach dem Hause des Herrn
Marburg, wo ihnen ein festlicher Empfang bereitet war, welcher den geselligen Teil
der Versammlungen wiirdig abschloss. Auch fiir das Jahr 1902 darf also ein glan-
zender Erfolg konstatiert werden.
Schliesslich sei noch erwahnt, dass fiir das gegenwartige Jahr Professor Hempl
(Michigan Universitat) zum Prasidenten erwahlt wurde, und dass die nachste Ver-
sammlung in Vereinigung mit dem Zentralkorper in Ann Arbor, Michigan, abgehal-
ten werden wird. Moge dieselbe an Erfolg nicht hinter der vergangenen zuriick-
stehen !
Columbia University, New York City. Arthur F. J. Remy.
III. Korrespondenzen.
(Piir die Padagogischen Monatshefte.)
Chicago. sich das Lungenleiden, mit welchem er
Dr. G. A. Zimmermann, der friihere schon seit Jahren voriibergehend ge-
Leiter des deutschen Unterrichtes in den plagt war, so weit verschlimmert, dass
offentlichen Schulen unserer Stadt, ist er einen Arzt zu Rate ziehen musste,
am 5. Januar unerwartet gestorben. der ihm grb'sstmb'glichste Ruhe empfahl.
Erst einige Tage vor seinem Tode hatte Trotzdem hat Zimmermann am Sonntag
56
P'ddagogiscbe Monatshefte.
noch in seiner Kirche gepredigt und
schon am nachsten Tage starb er.
Geboren wurde er am 20. Februar 1850
in der schweizerischen Stadt Basel.
Nachdem er dort die hoheren Schulen
besucht hatte, wanderte er 1869 nach
den Vereinigten Staaten aus und bekam
eine Stelle als Vikar an der Hartmann'-
schen Kirche in Chicago, ausserdem
lehrte er an dem evang. theolog. Semi-
nar in Elmhorst. Nach einigen Jahren
vollendete er seine philologischen und
philosophischen Studien in Bern und
Berlin, wo er sich den ,,Dr." holte. Im
Jahre 1875 kehrte er nach Amerika zu-
riick, war 2 Jahre Pastor in Buffalo und
nahm dann seinen dauernden Wohnsitz
in Chicago. Anno 1877 ubernahm er die
Leitung des deutschen Unterrichtes in
den offentlichen Schulen, die er bis zum
vorigen Jahre behielt. Aus Sparsam-
keitsriicksichten wurde seine Stelle da-
mals abgeschafft und er entlassen, wo-
rauf er seine ganze Kraft seiner Kir-
chengemeinde widmete. — Unter seinen
zahlreichen Freunden hat sein Tod auf-
richtige Trauer hervorgerufen.
Die Teachers' Federation, eine Verei-
nigung der weitaus grossten Mehrzahl
unserer Lehrerinnen an den offentlichen
Schulen, hat vor kurzem einen sehr be-
denklichen Schritt getan, indem sie sich
der Federation of Labor angeschlossen
hat. --In der letzten Nummer der P.
M. wurde schon kurz klar gelegt, wie
durch widerliche politische Verhaltnisse
der Schulrat gezwungen war, die Gehal-
ter der Lehrer zu reduzieren, trotzdem
letztere auf eine Erhb'hung gerechnet
hatten. Nun hofft die Teachers' Feder-
ation durch ihre Vereinigung mit der
Federation of Labor mehr an politischer
Macht zu gewinnen und, wenn die Zeit
reif sein wird, gleich den Arbeiterorga-
nisationen einfach eine Gehaltserho-
hung zu erzwingen.
Das scheint mir aber der heikle Punkt
zu sein. Abgesehen davon, dass die
Wiirde des Lehrerstandes es nimmer ge-
stattet, herabzusteigen auf das Niveau
des gewohnlichen Arbeiters, so mochte
ich wissen, wie man sich jenes ,,Erzwin-
gen" vorstellt. Etwa durch einen Streik?
Der ware denn doch noch nie dagewe-
sen! Dann miissten aber gleichzeitig alle
Gewerkschaften die Arbeit niederlegen,
denn Sympathie-Streiks sind Trumpf.
Und auch umgekehrt, wenn die plumbers
oder sewer builders oder hod carriers
etc. um Lohnerhohung streiken, so wer-
den auch die Lehrerinnen konsequenter-
weise die ,,Arbeit niederlegen" miissen.
Wird sich da unsere Jugend freuen!
Die Civic Federation, eine Biirgerver-
einigung, diese wohl meint und beson-
ders dazu da ist, den Herren Politikan-
ten etwas auf die Finger zu sehen, hat
seit etwa einem Jahre ein Educational
Comite von Hundert in Arbeit gehabt,
und die Herren und Damen haben mit
heissem Bemiihen eine Gesetzesvorlage
ausgearbeitet, die der kommenden Legis-
latur zur Annahme vorgelegt werden
wird. Verschiedene Reformen sind da-
rin vorgesehen: Verminderung der An-
zahl der Schulriite unserer Stadt auf
sieben, Erhohung der Machtbefugnisse
sowohl wie auch der Verantwortung des
Superintendenten u. a. Wegen letzterer
Bestimmung wird die Vorlage von der
Teachers' Federation bekampft.
Ernes.
Cincinnati.
Als. . . .„ Noah aus dem Kasten war,"
fahrt mir Meister Griebsch, nachdem
das erste Wort entfloh'n, durch die Pa-
rade und spricht gelassen weiter: ,,Sie
vergessen augenscheinlich, dass wohl zu-
weilen ein Geschichtchen, eine Plaude-
rei, meinetwegen auch ein Kneiplied -
ich kenne, Gott sei Dank, nur wenige
Sachen letzterer Sorte — mit ,,Als" be-
ginnen konnte, niemals aber eine Kor-
respondenz fiir eine padagogische Zeit-
schrift, die, wie schon aus ihrer Abon-
nentenzahl erhellt, in den weitesten
Kreisen gelesen wird, und mit Recht. ."
Einen Augenblick, Verehrtester ! Ihr
so wohl begriindetes ,,und mit Recht"
veranlasst mich, Sie zu unterbrechen.
um vorlJiufig eine Geschichte an den
Mann zu bringen. Ich zitierte namlich
vor kurzem, im Gesprache mit einem
protestantischen Pfarrherrn, den folgen-
den malaischen Satz: ,,Selamanja be-
gita, dengan betul". Zu deutsch: ,,So
ist es immer, und mit Recht". Diesen
Ausspruch eines hohen katholischen
Geistlichen in Batavia babe ich vor ei-
ner Reihe von Jahren einem jungen ja-
vanisch-holliindischen Ehepaar auf-
tragsgemass iibermittelt und damit ban-
gem Zweifel und nagenden Gewissensbis-
sen iiber die Rechtmassigkeit ihres prie-
sterlich nicht eingesegneten, sonst aber
ausserst glucklichen ehelichen Zusam-
menlebens ein Ende gemacht. Jedesmal
nun, wenn ich das ,,und mit Recht" ho-
re, lese oder selbst gebrauche, ,,brechen
alte Wunden auf"; ich denke an den to-
leranten hollandischen Priester, an die
Freude des hiibschen Mischlingpaares
und schliesslich an gar viel Erlebtes.
Dieses mal gesellte sich zu dem sonder-
baren Maikafervergniigen noch eine wei-
tere angenehme Empfindung, indem
Kor responden^en .
57
mem Freund und Pfarrherr mir, sicht-
lich geriihrt, seinen Entschluss mitteil-
te, diese Sentenz seines langst dahinge-
gangenen katholischen Bruders in Chri-
sto demnachst zum Text einer protes-
tantischen Predigt zu machen. ,,Und
mit Rfcht", denn er ist ein ganzer
Mann, Redner und Schriftsteller. Er
wird es tun, und ich freue mich dessen,
obgleich ich, aufrichtig gesagt, nicht im
entferntesten einsehe, was die ganze Sa-
che mit einer Korrespondenz fur die P.
M. zu schaffen hat, es sei denn, ich er-
wahne noch, dass der Pfarrherr ein be-
liebter Mitarbeiter von ,,Jung-Amerika"
ist. ,,Nun," so sprechen Sie, selbst ge-
ruhrt, ,,Ideenassoziation konnte man's
nennen. Schiessen Sie immerhin los;
ich will Gnade fur Recht ergehen las-
sen. ,,Als," so sagten Sie. ..." Wohlan,
es sei! Als Jean Jacques Rousseau seine
,,Confessions" verfasste, da hatte er be-
reits einiges geleistet. Dennoch steht
dort zu lesen: ,,Wie talentvoll einer auf
die Welt gekommen sein mag, die
Kunst des Schreibens lernt er nicht
iiber Nacht". Dabei sagt er uns nicht
einmal, wie man es mit dem Lernen ma-
chen soil. Angenommen, man habe ei-
nige geringe Fortschritte im schrift-
stellerischen Generalbasse gemacht, so
ergibt sich daraus doch nicht, dass man
es dem Matthias Claudius gleichtun
konnte, die Zipfelmutze schwenken und
mit dem Ausrufe, ,,Ein grosser Gedanke
ist mir aufs Herz geschossen!" an den
Schreibtisch sturzen, um den geschosse-
nen Gedanken meisterhaft niederzu-
schreiben. Es ist uberhaupt sehr frag-
lich, ob Korrespondenten Gedanken ha-
ben sollen oder konnen, denn die schie-
ssen keineswegs wie Salat im Sommer.
Ausserdem leben wir in einer bb'sen Zeit.
Das Lachen ist teuer, das Seufzen gar
wohlfeil. Beten wollen sie auch nicht
emsig. Die Schulmeister utriusque ge-
neris erleiden Ferien und miissen sich
recht sehr in acht nehmen, nicht zu er-
frieren. Bekanntlich ist das Gefrieren
nicht gerade schwierig, desto mehr aber
das Auftauen. Das scheint seine Rich-
tigkeit zu haben. Sang doch schon vor
ein paar hundert Jahren der ,,Cherubi-
nische Wandersmann" Johannes Ange-
lus Silesius in seinen ,,Geistreichen
Sinn- und Schlussreimen" neben vielen
anderen prachtigen Reimen auch diesen:
,Bluh' auf gefrorner Christ!
Der Mai ist vor der Tiir;
Du bleibest ewig tot,
Bliihst du nicht jetzt und hier!"
JEs ist aber erst Weihnacht gewesen
und kaum Neujahr; vom Auftauen und
Aufbluhen kann daher noch keiue Rede
sein. Ich bin auch bis jetzt noch kei-
nein Gefrorenen, ob Christ ob lieide, be-
gegnet, es sei denn,. ich rechne die ge-
plagten Pensionare darunter, die ihre
iieitriige zum hiesigen Lehrerpensions-
fonds noch nicht auf das gesetzlich fest-
gestellte Maximum und Minimum von
sechshundert Dollars abgerundet haben.
Starr vor Schreck waren jedenfalls
diese Genossen, als sie vor kurzer Zeit
die Mahnung bekamen — da hatten wir
doch wenigstens eine korrespondenzfii-
hige Begebenheit — sotane Abrundung
stehenden Fusses zu besorgen, oder aber
die Verwaltung durch hypothekarische
und doppelt verbiirgte ttbertragung
ihrer irdischen Habe sicher zu stellen.
Sistierung, bezvv. Reduzierung um zwan-
zig Prozent der Pensionsauszahlung,
wurde denjenigen in Aussicht gestellt,
die nicht schleunigst einen dieser Wege
einzuschlagen willens oder imstande wa-
ren. Das bedeutet keineswegs einen
schlechten Zustand der Pensionskasse.
Es ist im Gegenteil ein recht hiibsches
Barvermogen da, welches aber nicht
angegriffen werden soil, weil es unter
einem Gesetze akkumuliert wurde, des-
sen Konstitutionalitat noch immer
Zweifeln und Angriffen ausgesetzt zu
sein erachtet wird. Zu bedauern ist
freilich, dass der Zudrang neuer Beitra-
gender nicht in gleichem Schritt und
Tritt gehen soil mit der Mehrung der
Pensionsberechtigten. Damit ist nicht
sowohl die Stabilitat der Einrichtung
selbst in Frage gestellt, als die Kurz-
sichtigkeit und Selbstsucht gar man-
cher Kollegen erwiesen. Jedenfalls
spricht es fur die Richtigkeit meiner
Meinung, dass, abgesehen von dem ver-
hiitschelten Kriegerstande, hierzulande
noch kein Boden ist fur von staats- oder
gemeindewegen tatsachlich und unan-
tastbar gesicherte lebenslangliche An-
stellung und Altersversorgung der Die-
ner des Volkes. Mit nicht ganz gutem
Gewissen rief ich denn auch jiingst ei-
nem pensionierten Kollegen zu: ,,Lache,
lache, du hast nicht iibermassig viel
Zeit zu verlieren!" Grollend kam die
Antwort: ,,Vor eintausend neunhundert
und siebenundvierzig Jahren durfte ei-
ner nicht mager sein, wenn er vor Ju-
lius Caesar mit Ehren bestehen wollte;
heutzutage schadet einem die Magerkeit
nicht, wenn man nur nicht alt dabei
wird. Mir steht das Weinen naher als
das Lachen." Nun, geweint hat er
nicht, der Kollege, und schaffen tut er
noch riistig. Aber die mir bis dahin
noch nicht genau bekannte Geschichte
58
P'ddagogiscbe Monatsbeftt.
von der Pensionsabrundung hat er mir
erzahlt.
Es mag banal, auch wohl banausisch
klingen, eines unscrer Household-words
bleibt es aber dennoch: "Every-one for
himself, and the devil take the hind-
most." Nichtsdestoweniger sieht man
mit Erstaunen die Anstalten zum An-
schlusse Tausender von Lehramtsbeflis-
senen an den grossen Arbeiterbund und
die kindische Freude auf die Errungen-
schaft des Rechtes der Inszenierung ei-
nes fromm-frb'hlichen Streiks, wenn alle
Welt einmal ,,nicht so will, wie ich gern
haben will". Die Moglichkeit eines
Lockout ist natiirlich ausgeschlossen !
Auch hier spuckt es. ,,Und mit
Recht"?
Doch ich will den Lesern, Redakteu-
ren und Herausgebern der ,,P. M." die
Neujahrslaune nicht verderben, sondern
ihnen auf 1903 ,,das Beste" wiinschen.
Hapert's wo, moge sich's bessern. Hilft
alles nicht, dann gestatten wir uns ei-
nen erfrischenden Rtickblick anf ein
besseres quondam.
quidam.
Milwaukee.
Jahresversammlung und oOjahriges
Jubil&um des Wisconsin Staatslehrer-
verbyndes. Vom 29. bis 31. Dez. tagte
hier der jahrliche Lehrerkonvent unse-
res Staates und feierte zugleich sein
goldenes Jubilaum, da dieser Verband
im Jahre 1852, wenn ich nicht irre in
Madison, gegriindet wurde. Einige tau-
send Lehrer aus alien Teilen des Staa-
tes batten sich dazu eingestellt, und alle
schienen die festliche und freudige Ju-
bilaumsstimmung mitgebracht zu haben.
Die Damen, und besonders die jiingeren
und hiibschen trugen ihr schonstes Kos-
tiim und ihr bezauberndstes Lacheln zur
Schau, und die Dezembersonne lachelte
mild und freundlich auf die winterliche
Landschaft und die beschneiten Strassen
herab. Auffallig und iiberraschend war
die gegen friihere Jahre gewaltig abste-
chende 'ttberzahl des mannlichen Ge-
schlechts unter den Lehrern, so dass in
einigen Versammlungen die Damen in
ganz bedeutender Minderzahl waren.
Es ware sehr zu wiinschen, dass sich
das numerische Verhilltnis zwischen den
beiden Geschlechtern etwas mehr aus-
gleichen wurde, denn fur die Manner ist
noch sehr viel Raum da, und wir werden
nicht eher einen wirklichen Lehrerstand
hier in Amerika haben, als bis die jun-
gen Manner in Scharen herbeistromen
und dann auch im Lehrerberufe aushar-
ren und nicht nach einigen Jahren wie-
der ,,umsatteln". Doch ich will mich
keiner Tauschung hingeben; es ist recht
gut mb'glich und sogar sehr wahrschein-
lich, dass die Manner, durch Pflichtge-
fiihl und Standesbewusstsein getrieben,
sich in grb'sserer Menge eingestellt ha-
ben, dagegen unsere lieben und geschatz-
ten Amtsschwestern aus Bequemlichkeit
zuhause geblieben sind; das erkliirt
dann die Tatsache.
Soil ich nun den geschiitzten und ver-
ehrten Lesern einen Auszug aus alien
gehorten und zum Teil recht guten, ja
ausgezeichneten Vortragen geben, so
kb'nnte ich mit dem Dichter des Friih-
lingsliedes ausrufen: ,,Wo aber fang ich
an, wo hor' ich wieder auf?" Im Rah-
men einiger Spalten kann ich nur das
Interessanteste und Wichtigste (wie es
sich mir als solches darstellte) mittei-
len, und ich muss dabei die Kunst ver-
suchen, ,,mit wenigen Worten vieles zu
sagen, mit ein'gen Griffen viele Saiten
anzuschlagen".
Am Montag Vormittag um 9:30 Uhr
rief der Prasident des Vereins, Herr
Karl Mathie, die Versammlung im Da-
vidson-Theater zur Ordnung. Es waren
etwa 5 — 600 Personen anwesend. Nach-
dem er die iiblichen, verschiedenen Aus-
schiisse ernannt hatte, erteilte er Herrn
A. Salisbury, Normalschul-Prasidenten
von Whitewater, das Wort, welcher iiber
,,Historische Skizzen des W. T. A."
sprach. Da nun der folgende Redner,
Normalschul - Prasident D. McGregae
von Plattville, uber fast dasselbe Thema
sprach: "Master Builders of our Schools
and the W. T. A.", so will ich beide Vor-
trage zusammen besprechen. Beide Red-
ner erganzten sich einander und gaben
in Umrissen ein treffliches Bild sowohl
von der Wirksamkeit des Vereins und
den hervorragendsten Persb'nlichkeiten
in demselben, als auch von dem allmah-
lichen Aufbau der verschiedenen Schul-
und Lehranstalten unseres Staates, von
den Landschulen an bis zu den Hoch-
und Normalschulen und zu der Univer-
sitat. Als einige besonders hervorra-
gende Manner in der Padagogik wurden
genannt: L. McMynn, Dr. Jos. L. Pick-
ard, J. P. Mills, A. P. Craig, Prof. C.
N. Allen, Rob. Graham u. a. m. Als
der einzige ttberlebende von den Griin-
dern des W. L. V. im Jahre 1852 wurde
Dr. J. L. Pickard angegeben, welcher
zur Zeit in Kalifornien lebt.
Als eigentlicher Jubilaums - Redner
war der in padagogischen Kreisen sehr
bekannte Dr. Bascom ausersehen, dessen
Name im ganzen Lande einen guten
Klang hat und welcher friiher der Pra-
Korresponden^en .
sident unserer Universitat in Madison
war. Als er das Podium betrat und
von dem Vorsitzer der Versammlung,
welche inzwischen das Theater fast voll-
standig g^fiillt hatte, vorgestellt wurde,
ertb'nten lange anhaltende Beifallsbe-
zeugungen. Wiirdevoll und ernst in sei-
ner Haltung (er hat die 70 langst iiber-
sehritten) ist seine Erscheinung, und
markant und fest die Gesichtsziige, sei-
ne Stimme markig und kraftig, sein
Vortrag ruhig, langsam und bedachtig,
den tiefen Denker zeigend. Sein Thema
lautete: ,,Die Quelle der Autoritat im
Lehrfache". Er sagte, der Staat Wis-
consin konne stolz sein auf das, was in
der Erziehung in dem halben Jahrhun-
dert von den Lehrern und alien, die da-
zu mitgeholfen hatten, z. B. die Volks-
vertreter in der Legislatur, erreicht
worden sei. Von alien Staaten im We-
sten am Mississippi belegen, die einen
so riesigen und schnellen Fortschritt auf
alien Gebieten seit dem verflossenen hal-
ben Sakulum hatten, sei wohl keiner im
Fortschritt mit Wisconsin zu verglei-
chen, und zum grossen Teil schulde es
dies seinem vielseitigen, kosmopoliti-
schen Bevolkerungselement, welches in
gliicklicher Harmonic vereinigt, nun ein
vorwarts und aufwarts strebendes Volk
sei, welches fiir seine idealen Giiter, per-
sonliche Freiheit, Vaterlandsliebe und
eine gute Schulbildung gewillt sei, sei-
nen letzten Blutstropfen herzugeben.
Seine vielen und gut ausgestatteten
Schulen seien hierfiir der beste Beweis.
Dann kam er auf den Lehrerberuf zu
sprechen und er meinte, dieser sei ein
edler Beruf, wenn nicht der edelste von
alien; nichts konne ihn unedel und un-
ansehnlich machen, auch nicht das nied-
rige Gehalt, welches leider noch manche
Lehrer bezogen, denn nicht die hohen
Einnahmen oder Einkiinfte machten ei-
nen Stand nobel, sondern die meisten
und grossten Wohltaten, die der Stand
dem gesamten Volke erzeige. Wir Leh-
rer sollten uns dadurch nicht entmuti-
gen lassen, wenn wir in der Achtung
nicht so hoch standen, als wir sollten,
auch in der Gesellschaft (society) nicht
so angesehen wiirden, wie wir sollten.
Wir miissten uns daran gewohnen, viel
zu geben und wenig dafiir wieder zu
empfangen. Schon der erste 6'ffentliche
Lehrer, Sokrates, habe erfahren miissen,
dass Kenntnisse auf dem Markt des Le-
bens nur geringen Wert besassen; er
habe sie umsonst ausgeteilt und als
Dank dafiir den Tod bekommen. Dann
zeigte sich Dr. Bascom auch als freier
und unabhilngiger Mann, indem er er-
klarte, dass er die Errichtung der C'lii-
cagoer Universitat durch Rockefellers
Millionen fiir ein grosses Unrecht hal-
te. Geld, welches dem Volke durch un-
rechtmassige Praktiken entnommen sei,
sollte niemals zur Errichtung von Lehr-
anstalten verwandt werden. Er scheint
nicht an das ,,non olet" zu glaubeu und
meinte, dass die genannte Lehranstalt
sich durch die Annahme dieses Geldes
in schlechten Geruch gebracht habe.
Seine Worte waren: "The taint of a
bad temper will cling to it, will lack
in it, like a flavor in an unclean infu-
sion." Die Wissenschaft soil und muss
frei sein und bleiben, scheint bei ihm
fest zu stehen.
Am zweiten Tage erst kam der Prii-
sident Mathie dazu, seine Eroffnungs-
rede zu halten, da er in bescheidener
Weise den Jubilaums-Rednern den Vor-
rang gelassen hatte. Mit gewahlten
Worten stellte er gleichsam ein Pro-
gramm auf fiir die zweite Halite des
Sakulums, wozu er als Thema ,,Die
Freiheit des Lehrers" gewiihlt hatte.
Frei solle und miisse Lehrer, Schule und
Wissenschaft sein von alien sie be- und
einengenden Einniissen und Hindernis-
sen, frei von Buchagenten, von unpas-
senden und verkehrten Methoden, iiber-
haupt von allem Zwange, damit sie sich
frei entwickeln kb'nnten. Dann solle
Fortschritt und rege Strebsamkeit alle
Lehrer erfiillen, Lust und Liebe zum
Beruf sie mit heiliger Begeisterung er-
fiillen, ihren Schiilern nur immer das
Beste geben. Wo diese begeisterte Hin-
gabe an den Beruf fehlen, da wiirde der
Lehrer oft verbittert und verdriesslich
und hatte keinen Erfolg. Dann solle
aber auch die Schulbehb'rde und die
Kommune dem Lehrer geben, was ihm
von rechtswegen gehort, namlich aus-
kommliches Gehalt, eine feste und per-
manente Anstell'ung, und womoglich Al-
tersversorgung oder Pension. Jeder Leh-
rer sollte so gestellt sein, dass er in
seinem eigenen Hause wohnen kb'nnte.
Die Rede wurde mit grossem Beifall auf-
genommen.
Gern wiirde ich noch einige andere ge-
horte Vortrage erwahnen, auch tiber die
an den Nachmittagen abgehaltenen Sek-
tionsversammlungen berichten, aber ich
fiirchte, mein Bericht ist so schon zu
,,langlich", und mein gestrenger Herr
Chefredakteur wiirde gezwungen sein,
zu dem gefiirchteten Blaustift zu grei-
fen, und das sehen alle Berichterstatter
nicht gern. A. W.
IV. Briefkasten.
E. A. Z., Chicago. Dass diese in be-
ster Absicht von unserm Gewahrsmann
,,Emes" geschriebenen Zeilen einen sol-
chen Umvillen bei unsern Chicagoer
Kollegen hervorgerufen haben, der sich
nur durch Abbestellung der P. M. Luft
machen konnte, scheint uns doch un-
glaublich. Wir sind doch von vornher-
ein unschuldig. Sie konnen sich wohl
denken, wie schwer es einem ausserhalb
Stehenden fallt, der weder mit den lei-
tenden Personen noch den Verhaltnissen
geniigend vertraut ist, sich ein abschlie-
ssendes Urteil zu bilden. Das, was Sie
den P. M. als Tatsache mitteilen, dass
gegen 38,000 am deutschen Unterrichte
sich beteiligende Schiller in uiesem
Jahre nur deren 18,000 vorhanden
sind, dass statt 210 Lehrern und Leh-
rerinnen jetzt nur 130 Deutsch unter-
richten, ist im hochsten Grade bekla-
genswert und spricht nicht fiir die An-
wendbarkeit des neuen Systems. Was
wir und auch Sie vorlaufig nur tun
konnen, ist abwarten, wie sich die Sache
des deutschen Unterrichts weiterhin ent-
wickeln wird.
H. A. M. a) Behufs Einfiihrung der
internationalen Korrespondenz wenden
Sie sich an Herrn Prof. Dr. M. Hart-
mann, Leipzig, Techerstr. 2. b) Eine
vorziigliche Volksliedersammlung ist die
von Erk (Peters Verlag). Fiir den
Schulgebrauch empfehle ich Ihnen be-
sonders die Liedersammlung fiir Mad-
chenschulen von Moritz Vogel. Drei
Teile. (Verlag: Gebr. Hug & Co., Leip-
zig.) Als Supplement fiir diese Sarnm-
lung ist in gleichem Verlag auch ein
Bandchen erschienen, das einen Teil der
Lieder mit Klavierbegleitung enthiilt.
V. Umschau.
Milwaukee. Ein holier Kunstgenuss
steht dem deutschen Theaterpublikum
gelegentlich der Benefizvorstellung fiir
das Nationale Deutschamerikanische
Lehrerseminar am 16. Januar bevor.
Auf dem Spielplan steht fiir diesen Tag
Shakespeare's Konig Lear, und die
Truppe des hiesigen Pabsttheaters ist
in einer vorziiglichen Verfassung, so
dass diesem gewaltigen Drama eine
vollendete Auffiihrung von vornherein
gesichert ist.
Erziehung und Unterricht auf der
Ausstellung zu St. Louis. In noch aus-
gedehnterer Weise, als dies in Chicago
geschah, soil dem Erziehungs- und Un-
terrichtswesen auf der Weltausstellung
zu St. Louis Rechnung getragen werden.
Ein besonderes Gebaude, das einen Fla-
chenraum von sieben Acker deckt und
im Zentrum des Ausstellungsplatzes
liegt, wird fiir diesen Zweck errichtet,
und zwar wird es das erste unter den
Gebauden sein, das seiner Bestimmung
iibergeben werden kann; es wird zur
Aufnahme von Ausstellungsgegenstan-
den vom 1. Sept. 1903 fertig sein, wah-
rend die Ausstellung selbst erst am 1.
Mai 1904 eroffnet wird. Die Anweisung
der Platze fiir die Aussteller geschieht
nicht vor dem 1. Juni 1903. Bis dahin
also finden noch Applikationen Beriick-
sichtigung. Die Gruppen, in welche die
Ausstellungsgegenstande eingeteilt wer-
den, sind: Elementary Education, Sec-
ondary Education, High Education,
Special Education in Fine Arts, Special
Education in Agriculture, Special Edu-
cation in Commerce and Industry, Edu-
cation of Defectives, Special Forms of
Education-Text-Books, School Furniture,
School Appliances. Alle Staaten der
Union werden selbstverstandlich an die-
ser Ausstellung sich beteiligen. Aus dem
Auslande haben bis jetzt England,
Frankreich, Deutschland und Japan ihre
Mitwirkung zugesagt; andere Nationen
haben dieselbe in Aussicht gestellt. Dem
Chef des Erziehungs-Departements auf
der Ausstellung, Howard J. Rogers,
steht ein Beratungskomitee zu Seite,
das aus den bedeutendsten Schulman-
nern unseres Landes zusammengesetzt
ist, an ihrer Spitze Dr. W. T. Harris
aus Washington.
Einewnderbare Idee soil von Chicago
aus zur Ausfiihrung gebracht werden,
um der Herstellung von Zigaretten Ein-
halt zu tun. Eine Million Kinder sol-
len Bittgesuche an die Tabakstrusts und
Tabakfabriken richten, die Zigaretten-
fabrikation einzustellen. ,,Als ob diese
Gesellschaften sich durch ein ,,auf Er-
suchen" bestimmen lassen wiirden", be-
merkt das School Journal.
Das Baukomitee des New Yorker
Schulrates hat einen Plan entworfen,
nach welchem Wolkenschaber-Schulhau-
Umscbau.
61
ser gebaut werden sollen. Diese Ge-
biiude sollen Raum fiir 5000 Kinder ent-
halten, absj»lut feuersicher sein, mit
Fahrstiihlen ausgestattet sein, die eine
Klasse auf einmal befordern, und dabei
nicht mehr kosten als die jetzt ge-
brauchlichen, die nur Raum fiir 1000 —
2000 Schiiler gewahren.
Aus Mangel an Kohlen sah sich der
Schulrat der Stadt Boston gezwungen,
die Schulen vom 15. Dezember bis 5.
Januar zu schliessen.
Unglucksf&lle beim Fussballspiel.
Nach dem ,,School Journal" fanden in
der letzten Fussballsaison 12 Spieler
beim Spiel den Tod, einer wurde tb'd-
lich, 85 schwer verletzt. Im Jahre 1901
starben 8 an den Folgen von beim Spiel
empfangenen Verletzungen, und 75 zo-
gen sich schwere Verletzungen zu.
Carlo, Wenck»hnch t- Wellesley Col-
lege hat durch den am 29. Dez. erfolgten
Tod von Frl. Carla Wenckebach, welche
an der Anstalt seit langen Jahren die
Professur fiir deutsche Sprache und Li-
teratur bekleidete, einen grossen Verlust
erlitten. Die Verstorbene wurde im
Jahre 1853 in Hildesheim geboren und
studierte auf den Universitaten Zurich
und Leipzig. Eine hochgebildete Dame
und vorziigliche Lehrerin, verstand sie
es, sich die Liebe und Zuneigung ihrer
Schiilerinnen zu erwerben, und der Aus-
bau des deutschen Departements der
Anstalt ist zum grossten Teile ihrer
Wirksamkeit zuzuschreiben ; doch auch
an anderen Fragen, die die Anstalt be-
trafen, war ihr Wort von ausschlagge-
bender Bedeutung. Schriftstellerisch
entfaltete sie ebenfalls eine sehr frucht-
bare Tatigkeit.
Otto Ernst's ,,Gerechtigkeit" ist jetzt
an mehr als 80 Biihnen angenommen und
bereits ins Russische iibersetzt worden.
Es ist aufgefuhrt in Dresden, Wien, Miin-
chen, Leipzig, Prag, Niirnberg und Gor-
litz. In Berlin wird es Ende Januar zur
Auffiihrung kommen. Anlasslich der
Aufftihrung des Stiickes in Miinchen kam
der Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern
auf die Biihne und gratulierte dem Dich-
ter zu' dem Stiicke. — Die ersten 3000
Exemplare aer Buchausgabe (das Stiick
ist bei Ludicig Staackmann in Leipzig
erschienen) war en in 8 Tagen ganzlich
vergriffen. Eine von Beleidigung strot-
zende Schmahkritik der ,,Frankfurter
Zeitung" hat der Dichter jetzt voraus-
drucken lassen. Sie soil dort stehen
zu dauerndem Gedachtnis.
Hochschulwesen. Die deutsche Regie-
rung wiinscht, dass die schweiz. Univer-
sitaten sich den einheitlichen Bestim-
mungen der deutschen Universitaten
iiber das philosophische Doktorexamen
(inbegr. das der naturwissenschaftlichen
Sektion) anschliessen. Die schweiz. Uni-
versitaten werden dem Departement des
Innern ihre Ansichten mitteilen.
Das Schiceizervolk hat am 23. No-
vember mit rund 260,000 gegen 85,000
Stimmen einen Zusatz zu Artikel 27 der
Schweiz. Bundesverfassung angenommen,
nach welchem dem Bunde das Recht ein-
geraumt wird, aus Bundesmitteln das
Primarschulwesen der Kantone zu unter-
stiitzen. Ein Ausfiihrungsgesetz, das die
Hohe und Vervvendung der Beitrage fest-
setzt, wird nun wohl nicht lange auf
sich warten lassen. Hoffentlich waltet
cann am Abstimmungstag iiber dieses
ungleich wichtigere Gesetz ein gleich
j>uter Stern.
In samtlichen Hittelschulen Serbiens
i^l der Unterricht in der russischen
Sprache obligatorisch eingefiihrt wor-
den.
Die rum&nischen Lehrerinnen sollen
an landliche Tracht gewohnt werden.
Der Unterrichtsminister Spiru Haret
hat an samtliche Schulinspektoren des
].andes ein Schreiben ergehen lassen
worin er iiber den immer mehr iiberhand
I'ehmenden Kleiderluxus der Lehrerin-
uen bittere Klage fiihrt, die Inspektoren
auffordend, den Lehrerinnen die einfache,
itber doch so schone Nationaltracht ihrer
Dorfer ans Herz zu legen und ihm jene
Damen, die nach wie vor sich in kost-
spieligen Kleidern zeigen, unverziiglich
anzuzeigen. Dieser Kleiderkrieg wird
sicherlich die herrlichsten Bliiten zeiti-
gen; denn die weibliche Eitelkeit wird
sich wohl nur nach schwerem Kampfe
herbeilassen, die seidenen Rocke der neu-
esten Pariser Mode mit dem rumani-
schen Bauernmadchenkostiim zu vertau-
schen. Dieses Eingreifen des Ministers
in Dinge, die ihn doch gar nichts angeh-
en, hat viel boses Blut gemacht.
VI. Vermischtes.
A us der liltesten Handschrift der Men-
schen. 2000 Jahre vor Moses lebte ein
Prinz in Agypten namens Ptahhotep, der
ein Alter von 110 Jahren erreichte und,
was er in seinem langen Leben gelernt,
zu Nutz und Frommen seiner Mitmen-
62
P'ddagogiscbe Monatshefte.
schen niederschrieb. Eine Papyrusrolle,
die eine genaue Abschrift dieses Werkes
enthiilt, ist bis auf uns gekommen und
wird gegenwartig in der Bibliothek zu
Paris aufbewahrt. Es ist dies bis jetzt
die alteste Handschrift des menschlichen
Geschlechtes. Hier einige Proben aus
dem Werke:
,,Sei nicht tibermiitigen Sinnes auf
Grund deines Wissens; kein Meister ist
vollkommen in seiner Herrlichkeit. —
Achte die Weisheit hoher als die Edel-
steine, denn diese werden auch am Arme
einer Sklavin getroffen. —
Hiite dich, Unweises an dir zu zeigen.
Bilde dich, damit du kenntnisreich und
verstandig werdest und dir an deines
Lebens Ziel das Zeugnis werde: Er war
ein MeiEiler. —
Die Enthaltsamkeit ist an sich selbst
ein Reichtum. —
Auch dein torichter Sohn ist doch im-
mer dein Kind. Entfremde ihm dein
Herze nicht! Bleibe ihm ein Vater! —
Nicht zu bereuen brauchen ist ein Zei-
chen der Weisheit. —
Verspotte den Bittenden nicht; dir
ware Sirger, als wenn du seinen Korper
schliigest. Schreie ihn nicht an; was
ihm wehe tun muss, das sage ihm mild
und freundlich. —
Wenn du zu den grossen Denkern ge-
horst, so bilde dir nicht ein, dass du sol-
chcs leistest, dessen auch ktinftige Tage
sich noch erinnern werden. Kein Wort
gelangt zu dauerndem Ruhme. Siehe, das
Krokodil taucht auf und wieder unter —
und schon ist seine Erscheinung ver-
wischt. —
Mache dem Bittenden Mut, dir vorzu-
tragen, weswegen er zu dir gekommen
ist. —
Die Klugheit deiner Rede ist mehr
wert als die Floskeln deines Geschwat-
zes. —
Gefahrlicher ist das Wort als alle Din-
ge. Wer es loslasst, bringt er es wieder
zum Umkehren? —
Wenn du an einem Verwandten Ein-
eicht vermissest, so schmahe ihn darum
nicht. Schadige ihn nicht in der offent-
lichen Meinung. Sprich allein mit ihm,
aber stelle ihn nicht so armselig hin,
dass er sich vor dir schamen muss. Sei
zutraulich mit ihm und driicke ihn nicht
nieder. —
Wurdig ist eigenes Verdienst; wiirdi-
ger als ererbter Reichtum. —
Lass frohlich leuchten dein Antlitz, so
lange du lebst. Verliess je ein Mensch
den Sarg wieder, wenn er einmal hinein-
gebettet war? —
Nachdem du gross geworden bist,
nachdem du niedrig warst, und Schatze
gesamnielt hast nach vergangener Ar-
mut; und wenn du um deswillen der
Vornehmste bist in deiner Stadt und
dich die Leute kennen ob deines ttber-
Husses und du als ein machtiger Herr
dastehst: so lass dein Herz sich nicht
iiberheben um deines Reichtums willen,
denn der Urheber dessen 1st Gott. Ver-
achte nicht den Nachsten, der da ist, was
du selber warst, sondern' behandle ihn
wie deinesgleichen. —
Die Menschenliebe ist hoher zu achten,
als der Opferkuchen." — (Aus: Das alte
Wunderland der Pyramiden von Dr.
Karl Oppel. Fur die P. M. von Carl
Ullrich, Milwaukee.)
Ich bin der alte Herr Meier
Und habe schon viel gesehn.
Doch wie ich es drehe und wende,
Ich kann nicht alles verstehn.
Seit Fruhjahr seh ich die Kleinen
Tagtaglich zur Schule gehn.
Seh, wie sie sich rniihen und qualen,
Das A B C zu verstehen.
Sie reden von Dehnen und Scharfen
Und traumen von uh und von ah;
Sie schreiben schon alle die Zeichen
Vom i bis zum schwierigsten K.
Ich meine, man lasst die Kleinen
Nur lesen und schreiben zu viel
In einem Alter, da Leben
Ist Freude und kindliches Spiel!
(Schweiz. Lehrerzeitung.)
Wiederholung des Foucaultschen Pen-
delversuches im Pantheon zu Paris. In
den letzten Monaten wurde der Pendel-
versuch Foucaultsy taglich einige Male
im Panthgon wiederholt. Das Publikum
brachte dem majestatischen Schauspiele,
dem einzigen direkten Beweise fur die
Rotation der Erde, ein grosses Interesse
entgegen. Um das Riesenpendel befesti-
gen zu konnen, hatte man aus der Mitte
der PanthSonkuppel das ,,Auge Gottes",
eine Kupferplatte von 250 kg Gewicht,
weggenommen und in die gahnende Off-
nung zwei Balken in Kreuzform gelegt
mit einem besonderen kupfernen Auf-
hangeapparat. Dieser hielt das Ende
einer 57 m langen stahlernen Klavier-
saite von 0,7 mm Durchmesser, ihr voile
Bewegungsfreiheit lassend. Das andere
Ende trug eine 28kg schwere Bleikugel
mit einer langen Nadel am unteren Pol.
Auf dem Fussboden stand eine kreisfor-
mige Tafel von etwa 5 m Durchmesser.
16 eingravierte Durchmesser teilten sie
in 32 gleiche Felder. Ihr Mittelpunkt
befand sich dicht unter der Nadelspitze
des ruhenden Pendels. Zwei Tischchen
waren 4 m vom Mittelpunkt entfernt
Erwiderung.
63
aufgestellt, uii'". /.war an den Enden des
verliingerten Durchniessers, ttber dem
das Pendel zu schwingen begann. Die
Tischchen trugen je eine kleine Mauer
feinsten Sandes, ein kleines Hindernis
fur das schwingende Pendel. Eine Balu-
strade, um die das Publikum Aufstel-
lung genommen hatte, schloss das Ganze
ein. Um auch die geringste Erschtitte-
rung bei Beginn des Versuches zu ver-
meiden, war die Kugel mit einem Faden
iiber dem einen Sandtischchen befestigt.
Jetzt wurde der Faden angebrannt, und
die Kugel setzte sich vermoge der
Schwerkraft in Bewegung. Langsam,
majestiitisch schwebte sie wie ein leben-
des Wesen dahin. Ihr Lauf war nicht
schneller als der Gang eines Menschen.
Erst nach 16 Sekunden war sie an ihrem
Ausgangspunkte wieder angelangt. Die
grandiosen und stillen Schwingungen
einer einfachen Kugel liessen uns die
Unermesslichkeit der himmlischen Be-
wegungen ahnen, regiert wie dies durch
das Gesetz der Schwere. Die Schwing-
ungen dauerten mehrere Stunden; aber
schon nach einigen Minuten strich das
Pendel nicht mehr iiber dem Ausgangs-
durchmesser bin. Es hatte, immer mehr
Sand von den kleinen Sandwellen weg-
streichend, scheinbar nach links sich ge-
dreht. Nach 10 Doppeschwingungen be-
trug die Abweichung schon 3% cm; nach
einer Stunde rund 11 Grad. Um 360
Grad durchwandern zu kb'nnen, brauchte
die Kugel also rund 32 Stunden fur Pa-
ris, welches auf dem 48 ^ Breitengrade
liegt. Da aber die Schwingungsebene
eines Pendels stets in derselben Rich-
tung bleibt, selbst wenn der Unterstiit-
zungspunkt des Pendels seinen Platz
andert, so muss die Erde in umgekehrter
Richtung sich bewegt haben. Warum
brauchte aber die Scheibe, um eine
Drehung unter dem schwingenden Pen-
del ausfiihren zu konnen, 32 Stunden
und uicht 24?
Die Kohlenlager Chinas. In einem be-
merkenswerten Vortrage in dem Ameri-
can Institute of Mining Engineers mach-
te Mr. Drake interessante Angaben iiber
die chinesischen Kohlenlager. Sie er-
strecken sich iiber eine Lange von 800
km und die mittlere Dicke dieses Lager
ist folgende: Kou-Ping 5,50 m, Wang-
Ping 10,50 m Fang-Schau 6 m, ebenso
in Ping-Ting und Tse-Chou. Mr. Drake
berechnet die Gesamtsumme der zu for-
dernden Kohle auf 350,000 Mill. Tonnen.
Auf Grund des heutigen Verbrauches
wiirden die Kohlenlager die ganze Erde
fiir mehrere Jahrhunderte versorgen
konnen. In manchen Lagern stellt die
Hauptader die grosste Masse der zu fb'r-
dernden Kohlen dar, aber in Kai-Ping
z. B. existieren noch andere Adern, so
dass der Hauptstock nur den dritten Teil
des Gesamtvorrates enthalt. Mr. Drake
ist iiberhaupt iiberzeugt, dass eine ge-
naue Untersuchung noch einen bei wei-
tem grb'sseren Reichtum an Kohle in
China ergeben wird, als man bis jetzt
annimmt.
Bucherschau*
I. Erwiderung.
University P. 0., Mississippi, 22nd December 1902.
Editor of P&dagogische Monatshefte: —
After sentence has been pronounced in P. M. Ill, 2, upon my edition of Sappho
and its doom sealed in P. M. IV, 1, it may seem presumptuous in me to say any-
thing further. I approach the task with extreme diffidence.
First, with regard to the charge of plagiarism from Lichtenheld's school edi-
tion. As I was preparing a college text book, it was from the nature of the case
necessary that I should touch upon some of the same points as Lichtenheld. Out
of some twenty-five pages of notes in my edition Dr. Lessing finds five notes which
should be enclosed by quotation marks, he thinks. He prints (P. M. IV, 1) these
five notes and the corresponding notes from Liehtenheld. In four of these notes
there is, as I have already stated (P. M. Ill, 10), only a general resemblance, —
the thought in each case being one that would naturally suggest itself to any per-
son at all familiar with dramatic technique. If the statement in the other note, —
that Amphitrite was the wife of Poseidon and one of the fifty daughters of Nereus,
god of the quiet, smooth sea, — is a plagiarism on my part, it is a plagiarism on
64 P'ddagogiscbe Monatsbette.
the part of Lichtenheld also, for almost these identical words are to be found in
any good manual of mythology. Mr. Lessing might have found several other notes
in which there is quite as strong a resemblance as in the four he cites. All these
notes call attention to things which cannot well be left out of an annotated school
edition, yet need not be plagiarized from anybody. It was certainly my honest
purpose to give credit in every case where credit was directly due. Nearly all my
notes had taken on their final form before I ever saw Lichtenheld's edition of the
play.
Instead of admitting that the accusation with regard to my critical analysis'
being entirely dependent on Lichtenheld was a slip of the pen, — for nothing could
be further from the truth than this charge, — Dr. Lessing takes refuge behind gen-
eral statements. My analysis is no more dependent on Lichtenheld than it is on
the Koran. It is indeed in accord with those generally recognized principles of
dramatic technique which Dr. Lessing would overthrow.
Perhaps it is on account of my being so naive myself that I can find nothing
komisch or naiv about my sentence "Our Sappho is a tragic figure", unless it is
wrenched out of its connection.
It was my purpose to prepare a careful and scholarly edition of Grillparzer's
Sappho for use as a college text book. To accomplish this end I spared neither
labor nor pains. I studied enthusiastically the works of the poet, and read all the
principal Grillparzer and Sappho literature up to October 1898. It is my misfor-
tune and not my fault that my book appeared three full years before Mr. Lessing
revolutionized Grillparzer study with his monumental work Schillers Einfluss auf
Grillparzer. My edition has its faults of course, but I think the treatment is sym-
pathetic and the work accurate. It may be true, as Dr. Lessing says, that no
American and no North German can ever enter the holy of holies in Grillparzer's
sanctuary of art, but a number of scholars, — one or two of whom deserve quite as
much as anyone in this country to rank as Grillparzer specialists, — have pronounced
my edition, — 'introduction' and 'notes', — thoroughly satisfactory and have spoken
even warmly of it.
It has never been my purpose to convert Dr. Lessing. I merely wish again to
ask all scholars who do not know my edition to form their opinion at first hand,
for Mr. Lessing's review gives no fair idea of the book. He would have us believe
that no one in this country is competent to pass judgment on a college edition of
one of Grillparzer's plays, but I cannot agree with him. I insist that every point
to which Dr. Lessing objects is merely a matter of opinion, in which I often have
great authorities on my side. It seems never to have occurred to him that anyone,
— even among the greatest scholars of Germany, — can hold a different opinion from
him and yet be right. Chiles Clifton Ferrell.
II. Bingesandte Biicher.
Zur Jugendschriftenfrage. Eine D. Mead. Published for the Interna-
Sammlung von Aufsiltzen und Kritiken. tional Union, Ginn & Co., Boston; 1902.
Mit dem Anhang: Empfehlenswerte Bii- The Future of War in its technical,
cher fOr die Jugend mit charaktensie- economic, and political relations by
renden Anmerkungen. Herausgegeben Jean de Blochi translated by R. C
von den Veretntgten deutschen Prii- Long> and with a conversation with the
fungs-Ausschiissen fnr Jugendschriften. author by W. T. Stead, and an intro-
Leipzig, Ernst Wunderlich. 1903. Preis • duction by Edwin D Meadf pubiished
M. 1.60; geb. M. 2. for the International Union, Ginn & Co.,
..Addresses on War by Charles Sum- Boston; 1902.
mer. With an introduction by Edwin
Padagogische Monatshefte,
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. Februar 1903. Heft 3
Idealismus, Gedanken und Beobachtungen.
Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.
Von C. V. Weiser, High School, Detroit, Mich.
Das, woriiber ich zu Ihnen sprechen wollte, fasste ich in die Worte :
Idealismus, Gedanken und Beobachtungen. Es sollte Ihnen dadurch von
vornherein gesagt sein, dass Sie hier keine irgendwie gerundete Be-
handlung dieses vielgestaltigen Gegenstandes erwarten diirfen. Sodann
hatte ich auch zur Zeit, da ich das Thema formulirte, tatsachlich noch
kein klares Bild von dem, was ich sagen wollte, und durch die Fassung
desselben wollte ich mir deshalb die Freiheit bewahren, die verschiedensten
Dinge, die mir von diesem Gesichtspunkt aus wichtig werden konnten, in
den Kreis meiner Betrachtung zu ziehen. Endlich muss ich noch be-
merken, dass mir der gestrige Redner, Herr Prof, von Jagemann von der
Harvard Uniyersitat, einen grossen Teil jener praktischen Gedanken
vorweggenommen hat, die meinen Ausfuhrungen ein Recht und einen
Zweck auf diesem Lehrertage gaben. Und nur, indem Sie Ihre Ein-
driicke von dem gestrigen Vortrage mit den Gedanken, die die heutigen
Ausfuhrungen anregen sollen, zusammenfliessen lassen, wird darum der
Gesamteindruck erzeugt, um den es mir ursprunglich zu tun war.
Gestatten Sie mir nun zunachst zur Orientierung eine Ubersicht iiber
das weite Gebiet, das der Begriff Idealismus in dem einen oder anderen
Sinne einschliesst.
So alt wie die Sache selbst ist, so ist doch der Ausdruck ,,Idealismus"
erst etwa 200 Jahre alt. Von dem spatlateinischen Adjektive idealis hat
man ihn gebildet, welches selbst wieder auf das griechische Wort idea
66 P'ddagogiscbe Monatshefte.
zuriickgeht. Dieses Wort erinnert jeden von uns an Plato, den Gross-
meister der Philosophic.
Fur das Denken dieses griechischen Weisen bestand eine Ideenwelt,
d. h. ein Raum, in dem die Ideen, die Gattungsbegriffe, die Urbilder
der Dinge dieser Welt versammelt sind, von denen w.ir hier in unserer
Welt nur unvollkommene, verstummelte Abarten, fluchtige Schattenbilder
wahrnehmen. Plato weiss sogar von einem Besuch in diese Ideenwelt zu
berichten.
Seit Plato scheint es immer wieder Menschen gegeben zu haben,
denen es vergonnt war, eine Wanderung durch die Ideenwelt zu machen,
und die sich in unserer Welt noch der Dinge erinnerten, die sie in einer
anderen Sphare geschaut. Auf ahnlichen Gedanken wie den platonischen
hat man denn auch zu jeder Zeit die verschiedensten Systeme gebaut, die
unter sich das eine Gemeinsame haben, dass sie von Ideen oder Idealen
ausgehen, statt von der gegebenen Wirklichkeit.
Alan spricht nun von Idealismus vom erkenntnistheoretischen Stand-
punkt aus. Hier kommt Kant. Dieser Idealismus fiihrt einiges oder
alles an unserer Erkenntnis auf Vorstellungen, auf Ideen in uns zuriick.
Ahnlich wie bei Plato liegen fur diesen Idealisten die Formen der Er-
kenntnis a priori im Gemiit. Auf den ersten Blick scheinen solche Theo-
rien, die unsere Erkenntnis fur subjektiv erklaren, unserer ganzen Erfah-
rung zu widersprechen und die realistische Betrachtungsweise, die von
den Dingen ausgeht, so wie wir sie mit unseren Sinnen wahrnehmen,
scheint uns viel einfacher, naturlicher und verniinf tiger. Um Ihnen je-
doch zu zeigen, dass es sich hier jedenfalls nicht ausschliesslich um miissi-
ge Spekulationen handelt, gestatten Sie mir, eine Frage aufzuwerfen und
je nachdem Sie dieselbe fur sich beantworten, mochten Sie vielleicht un-
vermerkt in den Bann des Kant'schen und Fichte'schen Idealismus ge-
raten und den Kreis der objektiven Tatsachen unserer Erkenntnis enger
und enger ziehen. Stellen Sie sich einmal vor, auf der ganzen Erde gabe
es keine Lebewesen mehr mit einem solchen oder ahnlichen Gehorsinn wie
wir Menschen ihn besitzen. Gabe es dann wohl noch einen Donner, so
wie wir ihn jezt horen ? Klingt es nicht sehr wahrscheinlich und wird es
nicht fast fur jeden nach einigem Nachdenken zur tJberzeugung, dass es
also bloss die Ursache des Donners ist, die ausser uns liegt, wahrend wir
nichts anderes als die Wirkung dieser Ursache auf unseren eben so
und nicht anders beschaffenen Gehorsinn einem anderen mitteilen, wenn
wir sagen: ,,Es donnert." Mit den anderen Sinneswahrnehmungen ver-
halt es sich ebenso, das Beispiel der Farbenblinden ist Ihnen bekannt.
In der Metaphysik bedeutet Idealismus zunachst die Anerkennung
eines Ideellen, eines Geistigen, im Gegensatz zu Materialismus, und so-
dann die "Uberordnung des Geistes iiber die Materie, mit der Annahme
oines geistigen Weltgrundes. Hier waren Fichte, Hegel und Schelling
Idealismus, Gedanhen und Beobachtungen. 67
zu nennen, wobei man Fichtes Idealismus als den ethischen, Schellings
als den physischen und Hegels als den logischen bezeichnen kann. Diese
drei hauptsachlich bilden die sogenannte idealistische Denkerschule. Ein
bekanntes Wort Schellings konnte man als das Glaubensbekenntnis dieser
Gruppe bezeichnen, wenn er sagt : ,,Uns alien wohnt ein geheimes, wunder-
bares Vermogen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser innerstes, von
allem was von aussen her hinzukam, entkleidetes Selbst zuriickzuziehen
und da unter der Form der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzu-
schauen. Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfahrung, von
welcher allein alles abhangt, was wir von einer iibersinnlichen Welt wissen
und glauben."
Gehen wir nun zu den einzelnen Wissenschaften iiber, so finden wir
«inen Idealismus in der Naturphilosophie, in der Ethik und in der Asthe-
tik. In der Naturphilisophie bedeutet derselbe die Erklarung der Er-
scheinungen aus der Idee oder Bestimmung des Gegenstandes, die Ethik
bezeichnet mit Idealismus jene Sinnesart des Menschen, die sich auf etwas
Hoheres als die Befriedigung sinnlicher Lust, auf Ideale richtet, und in
in der Asthetik denken wir vor alien Dingen an den Idealisten Schiller,
der das Schone in der Idee fand, die uns in der Erscheinung entgegen-
tritt, wahrend Kant sagt : ,,Das Schone gefallt durch seine blosse Form."
Wenn man nun endlich im gewohnlichen Leben einen Menschen einen
Idealisten nennt, so wird derselbe die Bezeichnung in den meisten Fallen
nicht als Schmeichelei, sondern als einen Tadel auffassen, indem man dabei
weniger an ein hohes, uneigenniitziges Streben denkt, als vielmehr an einen
Mangel an praktischer Klugheit, die mit den gegebenen Verhaltnissen
.zu rechnen hat.
Das sind also die verschiedenen Arten von Idealisten, wie man die-
selben in irgend einem Handbuche der Philosophic bequem zusammen-
suchen kann.
Es ist nicht nur ein Studium von grossem Reiz, sondern auch eine
Beschaftigung, die uns eine reiche, vielgestaltige Fiille der Belehrung bie-
tet, den Weisen der verschiedenen Zeiten und Zonen auf ihren Gedanken-
gangen zu folgen. Jedes denkende Volk und jedes Geschlecht beantwor-
tet in seiner ihm eigenen Weise jene hochsten Fragen, die der Mensch
sich stellen kann. Der Menschengeist hat tatsachlich gar kein hoheres
Geschaft, als sich dariiber klar zu werden und die Vielgestaltigkeit der
Dinge auf eine Einheit zuriickzufuhren, so weit sein Denken und Fiihlen
•es vermag, um sodann seine eigene Stellung inmitten dieser Erscheinun-
gen zu begreifen und die aus derselben fur ihn entspringenden Pflichten
und sittlichen Aufgaben mit Ernst und Mut zu erfassen.
Die Wahrheit, nach deren letztem Punkte, nach deren hochster Spitze
das Beste des menschlichen Strebens, auf welchem Gebiet es auch sei, deu-
tet, stellt sich mir unter dem Bilde eines hohen Berges dar, dessen Gipfel
68 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
in die Wolken hineinragt, nein, dessen Gipfel die Wolken iiberragt ; denn
wahrend das Auge des einen nur bis an die Wolkengrenze reicht, erblicken
die anderen das weisse Haupt des Berges einer Alpenspitze gleich in
Spharen weit iiber Nebel und Wolken in reiner ruhiger Sonnenhohe, und
ihr Auge miiht sich, die Umrisse des Berges durch das trennende Ge-
wolk hindurch bis zu jener erhabenen Hohe zu verfolgen, vor der sie sich
in Ehrfurcht beugen.
Seit Jahrtausenden schon ist die Menschheit in der Ersteigung dieses
Berges begriffen. Bald ist es dieses, bald ist es jenes Volk, das die Fiihrung
iibernimmt. Anscheinend planlos strebt die gewanderte Strasse nach oben
und immer nach langeren oder kiirzeren Zwischenraumen kommen wir wie-
der an dieselbe Seite des Berges, um von dem mehr oder weniger erhohten
Standort aufs neue Blicke zu tun hinaus in das Land der Erscheinungen,
das sich um uns dehnt.
Es ist dies ein Bild des ganzen Werdeganges der Menschheitsge-
schichte, der ganzen Art unseres Fortschritts. Die Zeit drangt bald nach
dieser, bald nach jener Richtung und so steigen wir immer weiter empor.
Lauschige Taler offnen sich und schliessen sich wieder unseren Blicken,
bald engt sich der Horizont, bald schweift das Auge in blaue Fernen, und
so oft uns auch der Weg wieder nach derselben Seite des Berges, den
wir ersteigen, d. h. nach derselben Betrachtungsweise der Dinge, zuriick-
bringt, immer ist die Perspektive wieder eine andere, in der sich uns die
verschiedenen menschlichen Fragen und Probleme darstellen.
Zwei Grundprinzipien nun sind es hauptsachlich, die die Richtung,
die das Hin und Her des Weges bestimmen : der Realismus und der
Idealismits, die urspriinglich wohl in der geistigen Konstitution der Men-
schen und Volker begrundet liegen, aber gleichzeitig von der geschicht-
lichen Entwickelung und von Zeitstromungen entschieden abhangig sind
Wie liessen sich nun Idealismus und Realismus als bestimmte Uran-
lagen in Menschen und Volkern erklaren?
Wir nehmen durch unser Auge die buntfarbigsten Eindrucke in uns
auf, und unser Geist fiillt sich mit Bildern der Welt um uns. Nun ist eine
doppelte Behandlung dieses Bilderschatzes von seiten des Menschen mog-
lich. Entweder entspricht es seiner geistigen Eigenart, die empfangenen
Eindrucke unter Gattungsbegriffe zu ordnen, das Allgemeine aus dem Be-
sonderen zu entwickeln, so dass ihn also die Wahrnehmung zunachst zum
Denken reizt, oder er ordnet die Bilder nach der Wichtigkeit, die si*, fur
ihn haben in der Umgebung, in der er sich befindet, so dass also die em-
pfangenen Eindrucke ihn zuforderst zum Handeln veranlassen, zur prak-
tischen Benutzung der gemachten Wahrnehmungen.
Diese Verschiedenheit in der Behandlung der Wahrnehmung driickt
sodann naturgemass der ganzen Kultur ihren Stempel auf. Im ersten
Falle wird die Eigenart des Denkens, des Kombinierens und Vergleichens
Idealismus, Gedanken und Beobachtungen. 69
vor allem eine bilderreiche, poetische Sprache schaffen. Daraus erwachst
ganz natiirlich die Neigung, die Poesie an sich zu pflegen, zusammen mit
ihrer Zwillingsschwester, der Religion, und die Spekulation wird endlich
geneigt sein, sich iiber das Sichtbare zu erheben und sich mit Begeisterung
dem Erhabenen, dem ewig Wahren, Guten und Schonen zuzuwenden,
ohne Rucksicht auf alle praktische Verwendbarkeit. Hier haben wir den
Idealisten.
Im zweiten Falle endlich wird die Sprache sich auf eine einfacbe Be-
zeichnung der wahrgenommenen Dinge beschranken, ohne jede poetische
Zutat. Dementsprechend werden die Wissenschaften solcher Volker des
spekulativen Elementes mehr oder weniger vollstandig ermangeln, da es
ihnen nur darauf ankommt, Systeme zu praktischer Benutzung zu bilden
und Religion und Philosophic werden auch ein dementsprechend reali-
stisch utilitarisches Geprage tragen.
Die Arier lassen sich als Beispiel fur jene erste Art des Denkprozesses
anfiihren, wahrend die mongolische Rasse die zweite Art illustriert.
Wie nun vorhin bemerkt, miissen wir die geschichtliche Entwickelung
und die verschiedenen Zeitstromungen in Betracht ziehen, wenn wir Be-
obachtungen machen, die mit der soeben aufgestellten Behauptung nicht
zusammenstimmen, wenn wir in die Augen springende Verschiedenheiten
innerhalb der arischen Volkerfamilie wahrnehmen, oder wenn wir die ei-
gentiimlichsten Verwandlungsprozesse in dem Charakter eines Volkes be-
obachten. Doch, ich muss der Versuchung widerstehen, hier ins einzelne
zu gehen ; denn es kam mir darauf an, einiges zu sagen iiber Dinge und
Verhaltnisse, mit denen wir es direkt zu tun haben.
Wir sahen, dass es fur die Arier naturgemass ist, eine Kultur mit idea-
listischem Geprage zu erzeugen. Trotzdem jedoch zeigten sich immer,
auch innerhalb unserer Volkerfamilie, entschieden realistische Tendenzen
auf jedem Gebiet menschlichen Lebens und Strebens. Dieser Realismus
kann naturlich nicht mit dem chinesischen verglichen werden, schon aus
dem einfachen Grunde nicht, weil er immer auf einem tatsachlich idealisti-
schen Boden erwuchs und meistens nur eine heilsame Gegenwirkung ge-
gen den ins Extrem gegangenen Idealismus darstellt, wo er sich nicht als
das Produkt zeitweiliger politischer und wirtschaftlicher Verhaltnisse
ergibt.
Fur gewohnlich nun nennt man die Englander Realisten und die
Deutschen Idealisten, und doch glaube ich bestimmt, dass es Perioden
in der Entwickelungsgeschichte der beiden Volker gab, in denen die Deut-
schen ziemlich ebenso gut Realisten wie die Englander Idealisten genannt
werden konnen. Es gab eine Zeit, wie Sie wissen, da die Deutschen und
die Genuesen sich in den Welthandel teilten, so weit wie damals von einem
solchen die Rede sein konnte, und da man meist mehr deutsche Dreimaster
in, den Hafen von London sah als englische. Die Deutschen von damals
70 Padagogiscbe Monatshefte.
waren in vielen Stucken die Englander von heute und das England jener
Zeit weist in mehr als einem Punkte eine uberraschende Ahnlichkeit auf
mit unserem alten Deutschland.
Darauf kam der riesige wirtschaftliche und politische Aufschwung
England*. Die kurze Spanne zwischen 1585 und 1588 ist vielleicht eine
der wichtigsten Perioden fur die Kulturgeschichte Englands. 1585 nahm
Alexander von Parma Antwerpen ein und wie Guiccardini behauptet,
wandte sich damals der dritte Teil der Kaufleute und Fabrikanten nach
dem verbiindeten England. Drei Jahre spater kam das Armada jahr. Nun
standen den Englandern die Meere, die Welt often, und ihrem Denken und
Sinnen bot sich alliiberall eine solche Menge verlockender Realitaten, dass
es bis heute nahezu der ganzen physischen und geistigen Energie be-
durfte, die sich ihnen fortwahrend aufdrangenden politischen, praktischen
Fragen zu bewaltigen.
In Deutschland kam im Gefolge der Reformation jenes Kriegsjahr-
hundert, das nur den vierten Teil der Bevolkerung ubrig Hess, das die
kulturellen Traditionen brach und iiber das einst so glanz- und macht-
volle Imperium konnte man spaterhin wohl spotten, dass es die Luft als
sein Revier habe, wahrend die Englander die See und die Franzosen das
Land beherrschten. Der Blick nach aussen, in die Welt, war den Deut-
schen genommen, dafiir hatten ihre Nachbarn gesorgt. Nichts war nun
natiirlicher fur ein urspriinglich ohnedies so vorwiegend idealistisch ange-
legtes Volk, als dass sich der Blick jezt nach innen und nach oben kehrte.
Ich glaube, die Deutschen hatten auf dem Gebiet, das durch einen solch
langen Zeitraum ihr eigenstes war, nie so Hervorragendes geleistet mit
einer solch selbstlosen Hingabe an ideales Denken und Empfinden, wenn
kein ausserer Zwang vorhanden gewesen ware. Es erwuchs also hier Gu-
tes aus Bosem.
• Darum brach mit dem Jahre 1871 eine neue Zeit in der Kulturent-
wickelung Deutschlands an. Der Kaiser weist aufs Meer und es dehnt
sich jetzt wieder vor den Deutschen die weite reale Welt und ladt sie ein,
Kraft und Gedanken einzusetzen fur ein ,,Platzchen an der Sonne", wie
Bulow es nannte, fur praktische Giiter. Die Energie, die vorher auf alien
Gebieten der Wissenschaft und philosophischer und religioser Spekula-
tion das Hochste geleistet, setzt sich nun in Tat um und dadurch ver-
knupft sich die neueste Geschichte Deutschlands wiederum mit der Zeit
der Hansa und der Fugger.
Was konnte man nun iiber das kurze Stuck amerikanischer Ge-
schichte, die hiesige Kultur, die hiesigen Menschen sagen? Es ist mir, als
ob Sie mir gerade eben alle zuriefen: Realistisch bis aufs Mark! In der
Tat ist das auch die allgemeine Ansicht. Ich konnte Ihnen nun eine ganze
Anzahl Autoritaten anfuhren, die sich in der Beurteilung der amerikani-
schen Geschichte und Kultur und des heutigen Amerikaners in ganz humo-
ristischer Weise widersprechen.
Idealismus, Gedanhen und Beobachtungen. 71
Zum ersten miissen wir nun festhalten, dass die ersten englischen
Einwanderer immer noch aus dem mehr idealistisch gearteten England
kamen und hier mochte ich nur beilaufig auf die Tatsache hinweisen, dass
Kolonien geneigt sind, die Sprache und Kultur des Mutterlandes zur
Zeit ihrer Griindung beharrlicher festznhalten als das Mutterland selber,
eine Erscheinung, die sich durch das Beispiel der franzosischen Kanadier
und der griechischen Kolonien illustrieren lasst. Sodann lasst sich ein
bedeutender Unterschied zwischen dem fiir die amerikanische Kulturent-
wickelung so wichtigen Puritanertum des 17. und 18. Jahrhunderts fest-
stellen. Das des siebzehnten Jahrhunderts war offenbar von einem hohen
religiosen Idealismus erfiillt; denn fiir Ideale des Glaubens und absoluter
Gewissensfreiheit gaben sie den realen Boden der Heimat daran und zogen
in eine gefahrvolle Fremde. Dieser religiose Idealismus der alten Puri-
taner hat eine allgemeine idealistische Grundstimmung geschaffen, die in
der Neuengland Renaissance, in der ersten Halfte des letzten Jahrhunderts
hervorquoll und bis heute noch nachwirkt. Andererseits stellt sich die
idealistische Renaissancebewegung auch als eine Reaktion dar gegen das
in geistlos dogmatisierendem Unitarianertum verflachten Puritanertum
des achtzehnten Jahrhunderts, wie uberhaupt als eine Geltendmachung
der asthetisch philosophischen Seite der menschlichen Natur, die schon
seit der Auswanderung aus England und langer nicht zu ihrem Rechte ge-
kommen war.
Der Einfluss des amerikanischen Freiheitskrieges darf endlich auch
nicht vergessen werden. Damals focht man vor alien Dingen fiir Ideen,
fiir Ideale und die Bedeutung eines solchen Kampfes fur die Ausgestal-
tung des Volkscharakters darf sicher nicht unterschatzt werden.
Beziiglich des Amerikaners von heute lasst sich wohl mit Bestimmt-
heit sagen, dass in seinem Charakter eine mehr oder weniger starke ideali-
stische Unterstromung vorhanden ist, die zum Teil auf die soeben aufge-
deckten historischen Quellen und zum Teil auf europaische und zwar be-
sonders deutsche Einfliisse zuruckzufiihren ist. Dieses idealistische Grund-
bild des amerikanischen Charakters ist jedoch fiir den oberflachlichen
Beobachter so iiberwuchert durch einen so ausgesprochen scheinenden Re-
alismus, dass es oft der redlichen Absicht bedarf, Idealismus zu suchen,
wenn man ihn finden will.
Im allgemeinen kann man von der heutigen Kultur in Europa wie hier
wohl sagen, dass sie eine realistische ist. Die Volker sowohl wie die ein-
zelnen wollen alle ,,ein gemiitliches Platzchen an der Sonne" und Wissen-
schaft sowohl wie Philosophic stellt sich in den Dienst unseres korperlichen
und biirgerlichen Wohlergehens. Die philosophische Richtung, die ich im
Auge habe, geht allerdings von England aus, hat aber auf dem Kontinente
sowohl wie auch hier eifrige Vertretung gefunden.
72 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Dem Publikum, zu dem ich rede, den Realismus und Naturalismus
in Kunst und Literatur zu charakterisieren, habe ich nicht notig.
Dass dieser Naturalismus insbesondere weder hier noch in England
so iippig ins Kraut geschossen ist, wie auf dem europaischen Kontinente,
findet, von anderen Ursachen abgesehen, nach meiner Ansicht, besonders
fur Amerika seine sehr einfache Erklarung darin, dass die Schriftsteller
auf ihr Publikum Riicksicht nehmen und da dasselbe sich hier mehr aus
jungen Madchen als aus reifen Mannern zusammensetzt, konnte man wohl
kaum durchweg als Hauptattraktion ein ehebriichiges Weib an den novel-
listischen Pranger stellen. Gleichzeitig darf man sich jedoch der Tatsache
nicht verschliessen, dass dieser Umstand eine freie und natiirliche Entfal-
tung der amerikanischen Romanliteratur in mancher Hinsicht behindern
mochte.
In welcher Richtung nun bewegt sich unsere heutige Kultur? Mich
will es diinken, als stiinden wir eben an einer Biegung des Weges, und
es sind entschieden deutliche Anzeichen vorhanden, die uns eine neue Zeit
gewahrleisten. Dass Zolas Schule heute nicht mehr in der Weise wie vor
zehn Jahren den Ton angiebt, wissen wir alle und in der Malerei scheint
mir Bocklin ein Mann der neuen Zeit zu sein. Das wurde mir klar, als ich
letztes Jahr im Bocklin Zimmer in Basel stand. Das schien mir Idealismus.
Auf den Symbolismus hier einzugehen, gebricht mir die Zeit. Jeden-
falls bedeutet er ein Hinwegstreben vom Realismus und ist deshalb schon
zu schatzen. Was wir jedoch heute notig haben, ist keine neue Manier.
Wir brauchen Kiinstler, Schriftsteller, Mcnschen brauchen wir mit reinem,
reichem Herzen, mit frohlichem Mute und mi;. Augen nicht nur fur das
Hassliche und Gemeine, sondern fur alles Grosse and Schone um uns.
In der Schrift heisst es: ,,Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie
werden Gott schauen", und damit sich die Wahrheit, damit sich die gro-
ssen Realitaten des Lebens, damit sich die Welt nicht verzerrt, sondern
wahr, gross und erhaben in uns spiegle, dazu gehort allerdings ein reines
Gemut, das wie ein tiefklarer Alpensee die Berge und Walder schoner
noch wiederspiegelt als sie sich rings um seine Ufer erheben.
Es hatte des unsichern Umhertastens nach neuen Methoden und
Prinzipien wahrlich nicht not. Warum lernen wir nicht aus der Vergan-
genheit, die doch der grossen Werke und Namen so viele kennt.
Sollte es fur einen modernen Menschen nicht moglich sein fiir seine
eigene Personlichkeit jene griechischc Lebenseinheit zu erringen, die fiir
das Volksleben allerdings unwiederbringlich verloren ist, die aber das
Streben des Einzelnen zur kraftigsten und schonsten Harmonic, zur
hochst moglichen Vollendung fuhren miisste!
Und bietet uns die christliche Periode — wenn wir die ersten fiinfzehn
Jahrhunderte unserer Zeitrechnung biindig so charakterisieren durfen —
nichts, das der Erhaltung und Pfiege auch heute wert ware? Wie bitter
Idealismus, Gedanken und Beobacbtungen. 73
not tate uns nicht heute etwas von jener zum Himmel lodernden Begei-
stenmg fur iiberirdische Giiter, die einen Paulus und die ersten Christen
auszeichnete ! Nennen Sie es lachelnd Fanatismus, nennen Sie es Aber-
glaube; es war die vollige, innige, kindliche und begeisterte Hingabe an
ein grosses iiberweltliches Ideal.
In Shakespeare tritt uns ein Mensch entgegen. Mehr sage ich nicht
iiber ihn. Wie er die Menschen, ohne dass sie die Miihe des Aufstiegs
irgendwie empfanden, auf Hohen der LebensaufFassung fiihrte, wo man
weit ausschaute, wo man freier atmete, wo man Mensch war, ist bekannt.
Und was konnten unsere Naturalisten nicht endlich von unserm
Schiller lernen! Folgender Satz, der sich in seinem geistvollen Aufsatz:
„ liber naive und sentimentalische Dichtung" findet, konnte ebenso wohl
die Kraftstelle einer modernen Abhandlung iiber zeitgenossische Literatur
bilden. Schiller sagt da: ,,Wirkliche menschliche Natur ist jede mora
lische Niedertrachtigkeit, aber zvahre menschliche Natur ist sie hoffentlich
nicht ; denn diese kann nie anders als edel sein. Es ist nicht zu iibersehen,
zu welchen Abgeschmacktheiten diese Verwechslung wirklicher Natur mit
wahrer menschlicher Natur in der Kritik wie in der Ausiibung verleitet
hat: welche Trivialitaten man in der Poesie gestattet, ja lobpreist, weil sie,
leider! wirkliche Natur sind; wie man sich freut, Carikaturen, die einen
schon aus der wirklichen Welt herausangstigen, in der dichterischen sorg-
faltig aufbewahrt und nach dem Leben konterfeit zu sehen. Freilich darf
der Dichter auch die schlechte Natur nachahmen und bei dem satirischen
bringt dieses ja der Begriff schon mit sich; aber in diesem Falle muss
seine eigene schone Natur den Gegenstand ubertragen und der gemeine
Stoff den Nachahmer nicht mit sich zu Boden ziehen." Unserem Schiller
gebiihrt gerade heute wieder mehr Gehor, und zwar aus mehr ais einem
Grunde! Was iibrigens Schiller in seinem beriihmten Aufsatze des wei-
teren ausfiihrt und asthetisch begriindet, driickt George Sand kurz aus,
wenn sie sagt : ,,L'art n'est pas une etude de la verite positive ; c'est une
recherche de la verite ideale."
Liesse sich doch all das Gute, das die Geschlechter vor uns hatten,
in eine grosse Menschenkraft, in eine grosse Personlichkeit zusammen-
fassen ! Gabe uns der Himmel doch einen Mann, der auf jener griechi-
schen Hohe des Lebens steht, der die Quelle der inneren Kraft, der Ruhe
und Einheit gefunden hat, sei es in den christlichen, sei es in dem poetisch
philosophischen Zusammenfassen des vielgestaltigen Lebens um uns in ein
hochstes, unbegreifliches Leben, das auch durch uns stromt, einen Mann,
der mit der kraftvollen Kunst eines Shakespeare und dem keuschen Auge
eines Schiller uns Bilder des Lebens darbote, Bilder, in denen wir uns
wiederfanden, Bilder, in denen wir auch voile und ganze Menschen schau-
ten, Menschen und Dinge so wie sie sein sollten und so wie wir vielleicht
sein konnten, wenn \vir unsere ganze Kraft zusammenfassten ; Welt- und
74 P'ddagogtscbe Mcnatstiefte.
Menschenbilder miisste der Mann uns zeigen, die ohne einen Versuch uns
im einzelnen zu belehren, zu erbauen, oder zu strafen, als Gauzes auf uns
wirkten, uns erfassten durch ihre innere Wahrheit, ihren tiefen Ernst und
ihre frohliche Begeisterung fur jene Guter, die das Leben erst lebenswert
machen. Eine solche Kunst, eine solche Literatur wiirde uns unversehens
emporheben ubers Alltagliche und wurde uns auf eine Alpenhohe der
Lebensauffassung stellen, wo wir uns der Gottheit, wo wir uns der Quelle
unserer Kraft naher fiihlten und freier und frohlicher aufatmeten als in
eng dumpfem Tale, wo Naturalisten und Symbolisten ihr Wesen treiben
ein jeder in seiner Art.
In Deutschland empfindet man das Bediirfnis nach Vollmenschen,
wie man sie dort wohl nennt, nach frischer, kraftiger Luft. Lienhard
vor alien Dingen und dann auch Weigand und Bartels stossen da ins Alp-
horn. Heimatkunst ist die Losung! In den Heimatboden solle man die
Wurzeln schlagen, aus ihm Kraft saugen und dann das Beste, Schonste
und Kraftigste der Sonderart, sei es nun Bayerisch oder Friesisch, der
Allgemeinheit bieten.
Meine Freunde ! Der Ruf edler deutscher Manner dringt zu uns
ubers Meer, aus der Stammesart das Schonste und Kraftigste seinem Vol-
ke zu bieten. Fur uns handelt es sich hier nicht um Bayern und Friesen.
Wir haben als Deutsche unsere Pflicht diesem neuen, grossen Volke gegen-
iiber, unter dem wir als Lehrer wirken. Seien1 wir Lehrer in einem wei-
ten, hohen Sinne des Worts. Seien wir Vertreter des Hochsten und Be-
sten aus unserem Stamm. Lassen wir doch den alten deutschen Idealis-
mus der Forschung und Kunst nicht aussterben, von dem man so wenig
mehr spurt in Neudeutschland sowohl wie hier in Amerika.
,,Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet."
sagt Goethes Sanger. Ich wollte, ich konnte das unseren grossen San-
gern und Virtuosen gelegentlich sagen. Die Kiinstler und die Kunst wiir-
den ja so viel gewinnen, wenn die Kiinstler sich zu einer idealeren Auf-
fassung ihrer Kunst verstehen konnten und die Tiiren der Konzertsale und
Theater etwas weiter offneten. Kunst gehort alien. Die Kunst hebt das
Schone, so dass alle es sehen konnen.
Ohne Lohn verlasst Goethes Sanger allerdings auch nicht das Schloss.
Er ruft dem Konige zu :
,,Doch, darf ich bitten, bitt' ich eins:
Lass mir den besten Becher Weins
In purem Golde reichen !"
Der Lebensgenuss ist uns also nicht versagt alsLohn fur unser Lied, fur
unsere Kunst. Wir diirfen die Freude des Lebens mit vollen Ziigen schlur-
fen. Es war jedoch der beste Wein, den Goethes Sanger verlangte, und er
Milndliche Erteilung des deutscben Unterrkbts. 75
trank ihn aus goldencm Becher. Edle Lebensfreude, in edler Form, aus gol-
denem Becher — genossen : Das ist auch eine Lebenskunst, die wir Deut-
sche hier iiben, hier vertreten sollten. Unsere Pflicht haben wir jetzt in
diesem Stiicke nicht getan — der Genius unseres Volkes klagt uns an.
Endlich, — und das ist das letzte — lassen wir das Abendrot am Him-
mel ! Wo die Wissenschaft uns verlasst, da sollten wir Poesie und Religion
nicht zuriickstossen. Im Abendrot sah Schiller goldne Friichte gliihen
und einen Nachen schwanken nach jenem Lande, wo nach den Worten
des Paulus ,,das Stiickwerk aufhort" und von dem Goethes Chorus Mysti-
cus singt :
,,Das Unsulangliche
Hier zvirds Ereignis."
Das ist der letzte und hehrste Idealismus.
Miindliche Erteilung des deutschen Unterrichts in den
Anfangsklassen unserer of f en t lichen Schulen.
Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit.
Von Vhilipp Jfuber, Saginaw, W. S., Mich.
Wird in unseren offentlichen Schulen und besonders in den Anfangs-
klassen derselben, wobei Kinder von fiinf Jahren zu unterrichten sind,
deutsch gelehrt, so kann der Zweck und das Ziel des Unterrichts nur darin
bestehen, die Kinder mit dem Gebrauch der deutschen Sprache ver-
traut zu machen, sowie dieselben zum miindlichen und schriftlichen Ge-
dankenausdruck zu befahigen.
Dass die zur Zeit gebrauchlichen Methoden, wobei mit Lesen und
Schreiben in der Fremdsprache begonnen wird, ehe die Kinder die Sprache
verstehen, ein Hindernis sind, das wichtigste Ziel, die Kinder mit dem
Gebrauch der deutschen Sprache vertraut zu machen, und zwar mog-
lichst rasch, damit sie dann desto langer und tiefer auf Herz und Ge-
mut ihrer Schiiler durch diese Sprache einzuwirken vermogen, steht wohl
bei jedem Lehrer, der auf dieErgebnisse des deutschen Sprachunter-
richts ein aufmerksames Auge hat, fest.
Die^se Ergebnisse werden jedoch um so geringer sein, je mehr die
wirkliche deutsche, d. h. aus Deutschland eingewanderte Bevolkerung ab-
nimmt und wir in den Schulen bereits die zweite oder dritte Generation
zu unterrichten haben; mit organischer Notwendigkeit muss dann der
deutsche Unterricht vollstandig aufhoren. Sollten jedoch die Resultate
des deutschen Unterrichts derartige sein, dass die Kinder, auch diejenigen
angloamerikanischer Abkunft, die Sprache wirklich sprechen
lernen, nicht nur lesen und schreiben, so werden wir keinen grosseren und
76 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
begeisterten Anhanger und Verteidiger dieses Unterrichtszweiges haben,
als den Angloamerikaner.
Das Haupthindernis, dass die Methode des deutschen
Sprachunterrichts noch nicht so vollkommen ist, wie sie sein sollte, um ihr
Ziel zu erreichen, ist, dass sie zu sehr auf den Leib der rein deutschen
Schule zugeschnitten ist.
Im Z w e c k und Ziel des deutschen Unterrichts stimmt die zwei-
sprachige mit der einsprachigen deutschen Schule vollkommen uberein.
Beide haben denselben Zweck: die hochdeutsche Sprache ihren Schiilern
gelaufig zu machen und durch dieselbe auf Herz und Geist der Kinder
einzuwirken ; und dasselbe Ziel : die Schiiler zum Verstandnis des mund-
lichen und schriftlichen Gedankenausdrucks in Wort und Schrift zu be-
fahigen. Wahrend es aber in der rein deutschen Schule hauptsachlich nur
darauf ankommt, die Kinder mit einer ihnen mehr oder weniger schon b e-
k a n n t e n Sprache vertraut zu machen, hat die zweisprachige Schule
die ungemein schwierige Aufgabe, ihre Schiiler zum Gebrauch einer ihnen
noch v 6 1 1 i g oder t e i 1 w e i s e fremden Sprache zu befahigen. Aus
diesem Grunde ist es wohl ersichtlich, dass der deutsche Sprachunterricht
in zweisprachigen Schulen ganz andere Wege, als in rein deutschen Schu-
len einschlagen muss, um zu seinem Ziele zu gelangen, dass mithin die
Methode dieses Unterrichtsfaches eine in beiden Schulen von einander
verschiedene sein muss.
Die Worter fur die verschiedenen Dinge, Eigenschaften, Tatigkei-
ten, Umstande und Verhaltnisse machen gewissermassen das Knochen-
geriist der Sprache aus. Ohne eine hinreichende Wortkenntnis kann
man Reden und Schriftstiicke in der in Betracht kommenden Sprache ih-
rem sachlichen Inhalte nach nicht geniigend verstehen und sich selbst nur
kummerlich ausdriicken. Wir miissen uns darum vergegenwartigen :
i. Wie viel Worter die Kinder der zweisprachigen Schule lernen
sollen,
2. Nach welchen Gesichtspunkten diese Worter zu wahlen und zu ver-
teilen sind,
3. Wie man die Kinder am zweckmassigsten in das Verstandnis
der Worter einfuhrt und
4. Wie man sie vor dem Vergessen der einmal erlernten Worte be-
wahrt.
i. Eine bestimmte Zahl der Worter, die die Kinder in der zwei-
sprachigen Schule iiberhaupt lernen sollen, lasst sich nicht ohne weiteres
mit voller Sicherheit aufstellen. Man muss zunachst nach einem Anhalte
zur Berechnung dieser Zahl suchen. Den besten Anhalt dafiir geben uns
wohl die fur die verschiedensten Stufen gebrauchten Lesebiicher. Durch
Mundliche Erteilung des deutscben Unterricbts. 11
vorsichtige Vergleichung kam man zu folgendem Resultate : Die Spross-
formen und Zusammensetzungen ausgeschlossen, ergeben ungefahr 2000
— 2400 Worter als Lernstoff fur eine Schulzeit von 6 Schuljahren ; wir
erhalten dann fiir jedes Schuljahr rund 400 Worter, die einzuuben vvaren
und aucli ohne iibergrosse Muhe geiibt werden konnen.
2. Einen sicheren Weg zur Ermittlung der in erster Reihe zu be-
riicksichtigenden Worter gibt es zur Zeit noch nicht. Wenn wir etwa
den Wortschatz genau kennen lernen wollten, tiber welchen sechsjahrige
Kinder in ihrer Muttersprache verfiigen, so miissten diesbeziigliche Un-
tersuchungen von mehreren Seiten vorliegen, damit durch Vergleichung
und Zusammenstellung derselben Einseitigkeiten und Irrtiimer ausge-
schieden werden konnten.
Ich glaube jedoch, dass folgende Punkte bei der Auswahl zu beriick-
sichtigen sind :
Nur recht praktische Gegenstande besprechen ; ganz besonders Dinge,
mit denen sich die Sprache des taglichen Lebens befasst und die in dem
Anschauungskreise der Kinder liegen. Ausdriicke, welche in der tag-
lichen Umgangssprache haufig vorkommen, miissen dabei besonders be-
riicksichtigt werden ; die Kinder miissen auch auf den Markt, in die Werk-
statt, auf den Wirtschaftshof und ins hausliche Leben gefiihrt werden,
miissen angeleitet werden, wie sie bitten, griissen, wiinschen und fragen
sollen, insbesondere sind sie in der Fragestellung zu iiben, denn die Frage
spielt bekanntlich in der Unterhaltung des taglichen Lebens eine Haupt-
rolle.
Bringen wir dem Kinde zunachst die Kindessprache bei ! Ma-
chen wir es fahig, sich mit seinen Schul-, Spiel- und Hausgenossen in der
ihm eigenen Gedankensphare zu unterhalten, dann wird das Kind auch
mehr Freude an der Sprache haben.
Als Wiirze gebe man Spriiche, Gedichte, dramatische Behandlung
derselben, Lieder, Spiele, Ausfluge u. s. w.
3. Beschaftigen wir uns nun mit der Frage, wie die Kinder in das
Verstandnis der Worter einzufiihren sind. Diese Einfuhrung kann er-
folgen durch die AnschauungderWirklic h k e i t, durch die
Verwendung von M o d e 1 1 e n und B i 1 d e r n und durch die Vermitt-
lung der Muttersprache, also durch Ubersetziing.
tiber die Ubersetzungsmethode zur Erlernung einer fremden Sprache
in den Elemenlarklassen haben Theorie und Praxis der Padagogik zwar
schon langstens ihr endgiltiges Urteil gesprochen, aber immer noch wagen
sich Manner, wenn auch unberufene, hervor, um die aus der Volksklasse
verbannte Alethode wieder dahin zuruckzufiihren. Da nicht wenige
Menschen die Bequemlichkeit lieben, seien einige Worte uber diese be-
queme Methode gesagt. Den Kindern, welche den deutschen Sprachun-
'78 P'ddagogische MonatsbejU.
terricht nach dieser Methode empfang-en, wird die deutsche Sprache nie
.zum geistigen Eigentum warden, denn sie werden nie in ihr denken ler-
nen, sondern ihre Sprache wird immer ein miihsames Ubersetzen sein.
Wer aber in einer fremden Sprache nicht denken kann, der wird doch nicht
behaupten, dass er sie besitzt. Die Muttersprache wird stets alleinige
Tragerin der Vorstellungen sein, aber nicht die deutsche. Derjenige, der
vielleicht meint, dass das Kind von selbst darauf kommt, eine direkte Ver-
bindung zwischen dem betreffenden Begriffe und dem deutschen Worte
herzustellen, hat keine Ahnung von dem tragen, hilflosen Geiste der mei-
sten Kinder bei ihrem Schuleintritte. Ganz so, wie ihm die Stoffe vom
Lehrer dargeboten werden, nimmt er dieselben auf und reproduziert sie
ohne jegliche selbstandige Veranderung.
Manche meinen, es schade ja nichts, auf der Unterstufe die englische
Sprache zu Hilfe zu nehmen und dann in den Mittel- und Oberstufen nur
<Ieutsch zu sprechen — geschieht dies, so achten die Schiiler nicht mehr
auf die deutsche Sprache und das Bediirfnis nach derselben wird also
nicht in ihnen geweckt.
Da das Behalten der deutschen Worter hierbei lediglich Sache des
Gedachtnisses ist, so kann es bei weniger sorgfaltiger Einiibung der Uber-
setzung leicht vorkommen, dass das Kind die Zusammengehorigkeit der-
selben vergisst oder mehrere Worter mit einander verwechselt und die
babylonische Sprachverwirrung im kleinen ist da.
Der Einwand, dass die Kinder ohne Zuhilfenahme der Muttersprache
das deutsche Wort zwar lernen, aber nicht verstehen werden, fallt in sich
selbst zusammen durch die Forderung: Unterrichte anschaulich. Durch
•die Schwierigkeiten, welche das Ubersetzen notwendigerweise mit sich
bringt, wird den Schiilern die deutsche Sprache verleidet.
Diese Methode leitet die Kinder auch sogar zur unrichtigeij Aneig-
nung der deutschen Sprache an, indem diese dadurch gewohnt werden,
•wortlich, ohne Riicksicht auf die Wortfolge, zu ubersetzen, wodurch jenes
schauderhafte Deutsch grossgezogen wird, das wir alle kennen. (Przi-
Mla.)
,,Wenn der deutsche Sprachunterricht nicht ganz und gar seine ge-
mutliche und belebende Seite verlieren soil, so darf er nicht als Anhangsel
•des englischen betrieben werden, sondern er muss direkt aufs Ziel los-
steuern und den Schiiler so schnell und gerade als moglich in den Geist
"der deutschen Sprache einfuhren. Der Schiiler muss gleich in der deut-
schen Sprache denken und unabhangig von der Muttersprache den Gedan-
ken auch nach den Gesetzen der deutschen Sprache aussprechen lernen.
Nur dann erhalten die deutschen Worter auch ihren bedeutsamen Inhalt
'«nd dann wird das Horen, Verstehen und Sprechen in der deutschen
.Sprache das richtige sein." (Spohn.) Als Regel sollte gelten: Nie darf
Mundlicbe Erteilung des deutschen UnterriMs. 79
die englische Sprache alsVermittlerin des Verstandnisses der deut-
schen Worter gebraucht werden.
Es mochte jedoch einige Falle geben, in welchen die Muttersprache
den Kindern wirklich das beste Mittel zur Einfiihrung in das Verstandnis
des deutschen Wortes ist, wie dies bei ,,gestern, heute, morgen" zutreffen
diirfte.
Man ware iiberhaupt nie zur Beniitzung jener Methode gelangt, hatte
man mehr auf unsere bedeutenden Psychologen und Padagogen gehort.
Schon Comenius sagte in seiner Didactica magna : Die Worte miissen im-
mer in Verbindung mit den Dingen und Handlungen gelehrt werden, da-
mit Verstand und Sprache immer gleichzeitig gebildet werden. Worte
ohne Dinge sind Schalen ohne Kerne, eine Scheide ohne Schwert, Schatten
ohne Korper, Korper ohne Seele. Die Weisheit besteht in den Dingen,
nicht in den Worten. Noch deutlicher sagt er dies in seinem ,,Orbis pic-
tus": ,,Dies parallellaufende Kennenlernen der Dinge und Worte ist das
grosse Geheimnis der naturgemassen Methode."
Wie muss nun eine naturgemasse Methode verfahrent
1. Wirkliche Anschauung und Veranschaulichung des Sprach-
unterrichts und Sprachstoffs ; wobei zuerst die einfachste Form der Spra-
che gewab.lt und die Wahl des Stories aus dem Kreise getroffen werden
muss, in dem das Kind lebt und sich bewegt.
2. Die in den ersten Ubungen zu lernenden Worter miissen mog-
lichst kurz und volltdnend sein.
3. Ausschliesslich in ganzen Satzen wurde stets die Antwort zu ge-
ben sein ; denn nur dadurch werden die Schuler d e n k e n d sprechen ler-
nen.
4. *\uf die Einiibung einer richtigen Aussprache und guten Beto-
nung ist besonders zu achten und deshalb sind Atempausen von grosser
Bedeutung.
5. Von der Notwendigkeit der Sprachformen- und Wortbildungs-
ubungen in zweisprachigen Schulen sind alle Padagogen iiberzeugt.
Fremdsprachige Kinder bringen kein Sprachverstandnis fiir gebrauch-
liche Sprachformen, Zusammensetzungen und Sprossformen mit, wie
Kinder deutscher Abkunft, und deshalb wird eine planmassige Ein-
fiihrung in das Verstandnis und in die Anwendung aller hochdeut-
schen Sprachformen und aller Arten der Wortbildung gefordert. Die
planmassige Formenbildung ist eine gewollte Erzeugung des der Natur
abgelauschten Vorganges, bei welchem die am haufigsten auftretenden
Formen sich zuerst und am sichersten einpragen.
a) Diese Ubungen verhelfen den Kindern zu einem tieferen Sprach-
verstandnis— vom Leichten zum Schweren fortschreitend, jede Ubung
80 P'ddagogische Monatsbefte.
auf die vorhergehende bauend, iibt man die einzelnen Formen der deut-
schen Sprache, dass sie den Schulern in Fleisch und Blut iibergehen und
dadurch zu ihrem unverlierbaren Eigentum werden.
b) Das Interesse der Kinder ist dabei ein lebendiges, da ein reger
Wechsel der Objekte vorherrscht, da die Ubungssatze sich mit den ver-
schiedensten Dingen und deren Eigenschaften und Tatigkeiten beschaf-
tigen.
c) Der Tod jeglichen Unterrichts ist die Gleichgiltigkeit der Kin-
der fur den betreffenden Lehrgegenstand ; soil nun der Sprachunterricht
nicht an dieser Klippe scheitern, so ist es von grosser Wichtigkeit, den
Kindern ein moglichst reges Interesse fur diesen Unterricht einzuflossen.
Dies geschieht durch deutliche, allseitige Anschauung, naturgemasse Be-
handlung klares Verstandnis der Sprachstoffe ; indem man alle Ubungen
aus dem Anschauungskreise der Kinder nimmt, indem man den toten
Korpern Leben verleiht — indem die Kinder stets handeln, veranschau-
lichen, selbst tatig sind, sich gegenseitig fragen, spielen, singen ; nicht
nur horen und sehen wollen die Kinder, sondern auch fiihlen, riechen,
schmecken; alle Sinne sollen geiibt werden. Dabei wird vor- und nach-
gesprochen, oft wiederholt, oft zuriickerinnert u. s. w., kurz das wirkliche
kindliche Leben gelebt — die Schule ist Leben.
Auf diese Weise besitzen die Kinder rasch eine Fiille von Sprachfor-
men, gegen die ein Schatz von Vokabeln ganz tot ist.
d) Ein Mittel, den Kindern das Verstandnis der deutschen Sprache
zu erschliessen, sind auch Gebarde und Geste.
e) Zum Einiiben der Sprachformen ist auch das Chorsprechen von
Wichtigkeit.
6. Die Ubungen der Worter und Sprachformen wiirden aber allein
nicht geniigen, die Schiiler mit der Sprache geniigend vertraut zu machen,
sondern das in den Ubungen gewonnene Material muss auch noch in be-
sonderen Besprechungen verarbeitet werden. Die Besprechungen folgen,
sobald ein kleiner Sprachschatz angeeignet ist — wobei nie eine Form ge-
braucht werden darf, die noch nicht geiibt wurde — spater darf der Lehrer
auch noch nicht geiibte Formen gebrauchen, wenn er stets fur voiles Ver-
standnis seiner Frage Sorge tragt. In betreff der Veranschaulichung
des Sprachstoffes fur die Besprechung ebenso wie fur den Sprachform-
unterricht muss des Lehrers Ideal die wirkliche Anschauung der zu
besprechenden Dinge sein. Ein wesentliches Merkmal eines jeden Ideals,
die Unerreichbarkeit, tritt auch hierbei zutage; deshalb ist das Nachste,
gute Modelle und Bilder; jedoch soil als erster Grundsatz gelten, lieber
iiber die gewohnlichsten Dinge, die in natura vorgezeigt werden konnen,
Mundliche Ertcilung dcs deutscben Unterrichts. 81
zuerst zu reden, als iiber Gegenstande, von denen vielleicht noch kein Kind
etwas gesehen oder gehort hat.
Gegen das Vergessen des einmal Erlernten schiitzt man die Kinder
am besten durch eine moglichst feste Einpragung beim Erlernen und
durch eine haufige gelegeritliche Wiederholung. Die feste Einpragung
ist nicht schon mit der Vermittlung des Verstandnisses ohne weiteres er-
reicht. Das Wort muss auch seinem Lautgehalte nach scharf aufgefasst
— deswegen deutlich vorgesprochen, nachgesprochen und einzeln und im
Chor wiederholt werden.
Soweit der Stand des Schreibunterrichtes es erlaubt, soil jedes neue
Wort auch geschrieben und gelesen werden ; der Lehrer schreibt diese
Worter vor, lasst sie lesen und in der auf die Sprachiibung folgenden stil-
len Beschaftigung abschreiben. Die Einpragung ist ferner eine um so
festere, in je mehr Satzen das neue Wort bei seiner Einfuhrung auftritt.
Uber Fehlerverbesserung sei zu bemerken, der Lehrer
mache es sich zum Grundsatz, gleich von vornherein, von den ersten
Sprachiibungen an, keine Fehler durchschliipfen zu lassen; nie lache der
Lehrer iiber gemachte Fehler oder werde heftig — die Verbesserung muss
eingeiibt werden.
Nun noch einige Worte iiber die Zeit, wenn der Schreib- und Lese-
unterricht begonnen werden soil. Aus dem bisher gesagten geht hervor,
dass der Leseunterricht in Verbindung mit der Fibel nicht eher begonnen
werden soil, als bis die Klasse fahig ist, denselben in der deutschen Spra-
che zu empfangen; was meiner jetzigen Erfahrung nach gegen das Ende
des i. Schuljahres, bestimmt am Ende des 2. Schuljahres geschehen kann.
Der Schreibleseunterricht kann jedoch schon friiher, vielleicht gegen das
Ende des ersten Halbjahres beginnen.
Correlation of German with Other Studies.
(Fur die Padagogischcn Monatshefte.)
Von Betty Silberberg, New York City.
If we observe nature, the different conditions of society, trade, industry, art,
and politics, we find that every where there ia an interdependence, an inter-
relation between two things. Nowhere can there be an absolute independence,
everything and everybody is subject to outside conditions and forces. If it does
not rain, the plant cannot grow, animals and human beings suffer from it.
Drought and misery in one part of the world cause a rise in the market in
another. Prosperity at home prevents people from emigrating. Industry creates
wealth, this is a favorable condition for science and art. People are satisfied and
content, peace reigns in the country.
In science we see the same process. The invention of the compass, the theory
that the world is round, caused Columbus to search for a new way to India, and
thus led to the discovery of a new world. Without the invention of the printing
press and the spread of learning among the masses, the Reformation would not
have been possible. So we see everywhere, how one thing cannot prosper without
another; the same holds good in all fields of human activity and therefore, also,
in education.
No teacher can devote himself entirely to teach one subject alone, constantly
he needs to refer to another, either for illustration or for impressing the subject
with which he is dealing more on the minds of his pupils. Even studies like arith-
metic and grammar, when we want to apply them and make them fruitful, depend
entirely on other subject matter, be it on a piece of literature or on a commer-
cial or industrial transaction. We call this interrelation between the different
studies, "Correlation" in its limited sense. To this I shall confine myself and not
dwell on the meanings of this term by Herbart, de Garmo, or Harris.
The term Correlation came into use at the same time with Apperception. We
cannot apperceive or assimilate anything of which we have not some kind of know-
ledge, that does not call forth ideas slumbering in our mind. This creates or
wakes the Association of Ideas, by which the new subject matter is illustrated and
intensified. Correlation is therefore a new term used for an old process.
As I stated before, each study has resource to another in order to be interest-
ing and fruitful. No study is more valuable than the study of the Mother-tongue,
this one draws instruction from all sides, forms and moulds the youthful mind in
widening his spiritual horizon and inspiring him with lofty ideals. But richer
yet in correlation to other studies than that of the mother-tongue is the study of
a foreign language. By this another world is unfolded to the mind, another horizon
opens, from another point of view he observes, takes in and judges customs, modes
of living and ways of thinking of other nations than his own. The mind is
broadened in every respect. The pupil understands better his native tongue by
trying to master the intricacies of a foreign idiom. Justly Goethe says: "Nobody
understands his own language before he has studied another." The object of this
essay shall be to show the correlation of German with other studies.
It is paradox, somebody might say, that the study of a foreign language
should possess greater correlation to other studies than that of the mother-tongue
itself, yet it is not. The study of the mother-tongue is limited to one language,
that of a foreign takes in the study of two. Step for step we are obliged to
Correlation of German with Other Studies. 83
compare the two and to discriminate between them; our sense of judgment and
our reasoning powers are developed and sharpened by that. What we understand
we retain better in memory. An example of this is the difference in strength and
intensiveness between the knowledge of a little child and that of an older person.
The first has learnt the foreign idiom either in the nursery or abroad. Easily it
was acquired, easily it is forgotten again, because no reasoning was developed by
it. Side by side, the words and phrases of the foreign language rest with those
of his native tongue. Soon one is predominant, soon another, according to the
prevailing external impetus. If one of these two forces is lacking, either that the
child only hears the foreign idiom or his native tongue, one is soon forgotten, and
no trace of it is left in the mind. Different it is with the adult. When he
began to acquire the new language, he had already one language developed. Not
so quickly did he learn the foreign, but by force of comparison and judgment, he
gave to each one its proper place, assimilated the new knowledge to the old one
of his native tongue, and: after the study of the foreign language has stopped,
he does not forget it easily and never entirely.
This comes that in beginning to study a foreign language, we have to know
our own Grammar and Etymology. We observe the differing genders, inflections,
order of words, moods and syntax; also the points in which the foreign language
agrees with our own. We notice the formation of words, a new light is thrown
on our own language. Soon we recognize which relation exists in the structure
of the two languages. As for German and English we find out from the start,
that they are nearly related. So many words used in daily intercourse are the
same in both languages, some have changed their meaning but retained the form.
Even the derivations are greatly alike, where they differ another element has
entered into the English, the French. In grammar we notice that both languages
have three genders, shown best by the personal pronouns, that the possessive case
•of masculine and neuter nouns of the strong declension is formed like the English
f. i. "des Vaters Hut": the father's hat; "des Madchens Buch": the girl's book,
and without the article even the feminine have the same form, f . i. Mutters Kleider :
mother's dresses, Elisens Schuhe: Eliza's shoes, etc. The ground-work of both
languages, their back-bone, is the same; namely the verbs. We find in both the
strong or old and the weak or new conjugation, and most verbs which belong in
German to the first also do in English, and vice versa. The ending of the
weak conjugation in the imperfect tense is ed, in English equivalent to the Ger-
man te. In the strong conjugation the sound-mutation in both languages almost
follows the same rules, f. i. singen, sang, gesungen: sing, sang, sung; beissen, biss,
gebissen: bite, bit, bitten; brechen, brach, gebrochen: break, broke, broken, etc.
But not alone the structure of both languages affords material for correla-
tion; also its content, I mean the literature of these two languages shows a
constant influence of one over the other. In the dawn of both stands the Beowulfs-
lied, claimed by both as their own. Inspired and composed in the swamps and
marshes of Northern Germany, it wandered with the Anglo-Saxons as their greatest
national treasure over to the British isles. Until the Norman invasion 1066 Anglo-
Saxon literature flourished. The intercourse between Germany and England was
great in these times. Our great national epos "Gudrun" is a splendid illustra-
tion of that. In England the first TrouvSres flourished; from here their poetry
spread to Germany introduced by Mathilda, the wife of "Heinrich der Lowe",
the great antagonist of Friedrich Barbarossa. The legends of the holy Grail and
rthe Table Round held their triumphant entrance in Germany. The German genius
84 P'ddagogiscbe Monatshefte.
embraced them, deepened and idealized them, for ever "Parzival" and "Tristan
and Isolde" will remain the gem of all mediaeval poetry. Later German legends
wandered over to England and again from there were brought over to Germany.
Before Shakespeare, Christopher Marlowe composed his Dr. Faust, the first great
and successful attempt to solve this deep problem of the aspiring and thinking
human mind. A little later English comedians brought this over to Germany
with some of Shakespeare's plays. Jakob Ayrer the first German dramatist was
inspired by these. Hundred years later Shakespeare was made the battle-cry
between Gottsched and the Swiss Bodmer and Breitinger. His genius showed the
Germans the way to free themselves from the fetters of French conventionalism.
Our great poets owe much to the inspiration they received from English sources,
though the clear, sharp mind of Lessing has made them independent of all foreign
imitations. Since the time of Goethe, Germany exerts a great influence on English
and with that on American literature. We see by this how closely both literatures
are connected with each other. Without referring to the other no clear insight
is possible in any of them. A good teacher of languages and literature, therefore,
cannot afford to pass by one of these without pointing out the connecting links.
I have dwelled with some length on the correlation of German to the English
language; as this is the most important, however, I pointed out already, that all
human activities need to be mirrored in the foreign idiom, before this is thor-
oughly mastered. I cannot adequately teach German without some knowledge of
Arithmetic. Numbers are one of the parts of speech. But not the name or the
mere sound of them will make them our own, we must apply them in easy or
more difficult examples. All the different manoeuvres of the four species have
to be practiced before the scholar will know how to buy any article in the foreign
language or to ask the number of a street, house, the time of the day, to tell the
hour and know his watch. In the public schools of New York, Arithmetic in Ger-
man is prescribed, but I think, not too much stress ought to be laid on this,
because I am convinced all the more difficult problems will always be solved in
the native tongue. This may be unconscious, when not pronounced as in written
arithmetic, and so the process might go on unobserved by most. Yet I as a
teacher of languages have watched myself and found out that, though I think
perhaps more in English than in German, arithmetic I do in my native tongue.
It is a formal study and has not taken hold of me as one of the content studies.
Different from this are the sciences. Here we do not meet abstract thought,
but have to deal with concrete reality. We live in the world, are part of it,
nature surrounds us everywhere. Man is either subject to the forces of nature or
has made them subject to his will and ingenuity. In studying a foreign language
we must be able to understand all these relations in the foreign tongue, otherwise
our mastery over it would be very limited. Different selections of our readers
treat these subjects, not to speak of scientific works for the advanced student.
Lives of plants and animals are described as well as the qualities and uses
of minerals. A great deal of knowledge in these subjects is imparted by the
medium of the foreign tongue.
The same is true for physics and chemistry; though they apply more to the
advanced student than the beginner; yet the elements of these sciences are also
treated in the reader. Lightning and thunder, ice, snow, rain, air; salt, water,
light, colors, etc., are described in prose or poetry.
A knowledge of geography and astronomy is imparted by the study of a
foreign language. We are led to distant countries. We see the glaciers and
avalanches of Switzerland as well as the blue lakes of Northern Italy; the bold
Correlation of German with Other Studies. 85
coasts of Norway with their indented fjords; the plains of North Germany and
famous Father Rhine; the wonders of the Torrid Zone as well as the grandeur
and terror of the Frigid. We learn the names of oceans, rivers, continents, moun-
tains, stars, moons, sun, eclipse, etc.
Even more than by this we are interested by the mode of living in foreign
countries. We hear of the great centres of industry, commerce, learning and art.
We are introduced to quaint Nuremberg, the bustle and life of Hamburg, the im-
perial city of Berlin, to gay Vienna and Paris and see the wharfs of Rotterdam
and Amsterdam. Heidelberg, Gottingen, Jena and Bonn with their student life;
Weimar with its reminiscences of our great poets, Dresden, Munich and Diisseldorf
as centres of art are conjured up before our eye.
This leads me to refer what correlation German has to history. We cannot
understand the German literature, its fairy-tales, legends, "Volkslieder," chorals,
ballads, epics, novels and dramas without a thorough knowledge of German myth-
ology, history, development of civilization (Kulturgeschichte) and thought. Who
can comprehend the Nibelungenlied without knowing the old Norse or German
mythology represented by Siegfried and Brunhilde, the migration of the nations
with its heroes Attila, Etzel, Theodorick the Great, known in poetry as "Dietrich
von Bern," the Burgund kings Giinther, Gernot and Giselher, etc.? "Tell" shows
the beginning of Swiss independence. "Gotz von Berlichingen" is an exponent of
the time immediately following the Reformation, when mediaeval ideas were strugg-
ling with the new light that came in, resulting in the "Peasant-Wars." "Wall'en-
stein" faithfully depicts the terrible times of the Thirty Years' War and "Minna
von Barnhelm" those of Frederick the Great. Biirger's, Shiller's, Uhlands', Heine's
and Freiligrath's ballads reflect the civilization of different periods from olden
times down to our own.
However German literature is cosmopolitan; it draws its inspiration from
many sources. Greek antiquity is glorified in Goethe's "Iphigenie," Grillparzer'a
"Hero and Leander," some of Schiller's ballads. The troubadours of Southern
France live for us in Uhland's ballads. The "Jungfrau von Orleans" represents
the heroic spirit of the long struggle for national independence of the French;
from the encroachments of the English kings. "Maria Stuart" brings us to Eng-
land under Elizabeth. "Egmont" to the Netherlands during their struggle for
independence from the Spanish rule. "Torquato Tasso" and "Die Braut von Mes-
sina" lead us to Italy, the former reflecting the serene spirit of the Renaissance,
the latter the fatalistic spirit of the Middle Ages. In "Nathan der Weise" we
see the Crusaders of the East, in Herder's "Cid" those of the West. The Romantic
school goes to the Orient; India, Persia and Arabia offer their treasures.
Modern German poets introduce political and social questions into literature.
Sudermann and Hauptmann are the principal representatives of these, not to speak
of novels like Spielhagen's "Hammer und Ambos."
Industry and Art is the theme of many a German poem. Schiller's "Lied
von der Glocke" occupies the first rank among them. In stories like Hillern's
"Hoher als die Kirche" we see the cathedral and altar of Alt-Breisach ; the time of
Albrecht Diirer rises before our eyes.
By this I have shown that the study of German, grammar, etymology and
literature makes the whole realm of human knowledge subservient to its mastery,
though I have not touched on works of science, as their study does not belong to
the study of the German language proper, but rather follows it. I will give now
some illustrations of the correlation of German with other studies; however, I
86 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
shall confine myself to the limits of the elementary and the lower grades of ther
secondary school.
I give a lesson in the fifth grade, the class where in New York the pupils begin
to learn German. We have spoken about a time-piece. I have shown the pupils my
watch as well as the English teacher's clock. The subject-matter of the lesson has
been developed. If the children did not know the answer in German, as for some
this was impossible, I allowed them to give it in English. They learnt the parts
of the watch, of what it was made, who made it and what purpose it serves.
Then I wrote the lesson on the black-board, not using everything that was said,
but only as follows : "Das ist eine Uhr. Die Uhr ist rund. Sie ist von Gold
gemacht und hat eine gelbe Farbe. Die Uhr hat ein Gehause. Innen ist das Werk.
Diese Uhr hat auch einen Deckel. Der Deckel bedeckt das Zifferblatt. Auf dem
Zifferblatt sind zwb'lf Ziffern oder Zahlen und drei Zeiger; der Stundenzeiger,
welcher die Stunden anzeigt, der grb'ssereMinutenzeiger und der kleinere Sekunden-
zeiger. Diese Uhr hat auch eine Kette; die Kette ist von Silber. Sie ist weiss.
Der Uhrmacher macht die Uhr. Der Tag hat vierundzwanzig Stunden. Die
Stunde hat sechzig Minuten und die Minute hat sechzig Sekunden. Wie viel Uhr
ist es?"
The whole lesson is now before the eyes of the pupils. They find how much
the words resemble the English. "Uhr" is different, but it is contained in the
English word "hour." For clock the German has "Glocke," which means "bell,"
the instrument that tells the time. There is the word "Gehause"; the pupils see
the word "Haus" in it. The house of the watch is the case. "Rund" is round,
"gelbe" yellow, "innen" inside, "Werk" works. Deckel is found in the English
words: deck, bedeckt; it means here cover; this explains the German word "be-
deckt" covers. "Zifferblatt" is found in cipher-sheet. "Zeiger" is entirely different
from the English, it means a pointer. It is contained also in "Zeigefinger." The
children know now why German differs here from English, they understand the
meaning of the different "Zeiger." For "Kette" no equivalent is found in English,
but the words: Gold, Silber, weiss, Uhrmacher, Tag, vierundzwanzig, sechzig, etc.,
are about the same in both languages. Only one suffix is in this exercise, "zig,"
equivalent to the English "ty." Looking at the verbs the pupils easily notice that
in German the third person singular ends in "t," in English in "s," f. i. ist is,
hat has, macht makes, bedeckt covers, anzeigt shows. The sentences: "Sie ist
von Gold gemacht, welcher die Stunden, anzeigt," offer a difference from the
English. From the first we learn that in compound tenses the perfect participle
stands at the end of the sentence, while in dependent clauses the whole predicate
itself. By the few adjectives we learn that the German follows the same rule as the
English for comparison, in adding "er" to the positive for forming the compara-
tive, and "est" for the superlative. Attention, however, must be called to the place
of the adjective before or after the noun. In the first place the German adjective
takes an "e," which is added only for euphony to make the speech smooth, and
which serves to connect the adjective with the following noun. It has no
reference to the meaning. Looking at the nouns from a grammatical point of
view, we find in this short lesson indeed nouns of all three genders, but unfor-
tunately they are a little confusing for younger children, who naturally will
say, a thing must be neuter. Stress must, therefore, be put on the statement that
in German we distinguish between natural sex and grammatical gender, that the
latter alone is determined by the article. Few rules for the formation of the
plural can be elicited from this lesson, yet that nouns ending in "e," like "Stunde,
Minute, Sekunde" take an "n" in the plural can easily be indicated.
Correlation of German with Other Studies. 87
I have chosen here only very simple sentences in order to show the relation
of the English language to the German, to point out that the starting point, the
apperceptive basis, of a new study is the knowledge of the mother-tongue, through
which points of agreement and disagreement are recognized and assimilated. As
to the contents of this lesson, it correlates firstly with arithmetic, because the
pupil who must be able to tell the time in a foreign language has to know
half and quarter hours, etc. This can only be impressed by practice; little examples
relating to time are given and solved. Secondly, an object useful in every-day life
has been described, an important industry touched upon; resource to the children's
general knowledge of environment has been taken.
More than through one single object, like the watch or clock, this is called
forth by a picture-study. The pupils have been promoted to the sixth grade. They
have already acquired a store of words in German; though this is limited they
know how to use it. In their reader is a description of autumn. I bring into
the class-room the large "Hoelzelsche" picture representing the autumn. Familiar
and unfamiliar scenes greet the pupils' eyes. Human occupations and sports are
represented. In the foreground, at the left, we see the people joyfully working in
the vineyard. Men and women are busily engaged to pick the grapes. In large
baskets, decorated with the gay foliage of the grape-vine, the purple fruit is carried
down the mountain and emptied in large vats, which are drawn to some houses in
the distance. A river flows at the foot of the mountain; some ships are sailing
up and down. The children ask: "Is that the Rhine?" As I know this picture
is only a constructed one and does not particularly represent a definite place, I
answer: "Let us imagine we are on the Rhine. This vine-yard differs from those
I have seen in the south of France and in California. In France, the vine--yards
near Bordeaux are in a plain; the grape-vines stand in rows like beans also, but
they are kept lower and have not so much foliage as we see in this picture. In
California I have seen vine-yards on the slopes of hills, but the grape-vines were
not separate bushes; they were trailing and only lifted a little from the ground."
In the middle of the picture we notice a gentleman returning from hunting,
his gun over his shoulder. Two dogs accompany him; a boy carries two hares.
More to the right a boy is picking apples from a tree laden with them; he throws
some down into his sister's apron. In the field we see some people harvesting
potatoes; children have made a fire and enjoy themselves roasting potatoes. The
farmer thinks already of next spring, with two horses he plows the acre where the
wheat and rye were standing in order to sow the winter-seed.
This all indicates the joyous harvest time, but other signs point out the fall
of the year, the coming winter. High in the air we see a chain of wild geese
flying southward; to the right, the swallows assemble on the roof of a house and
on telegraph wires, before they start on their long trip across the Mediterranean
Sea. The leaves are changing their colors; soon they will fade and fall.
This picture as well as the others were studied in connection with the reading-
matter. Naturally this occupied more than one lesson. The pupils' knowledge of
German was widened by the insight they had gained in the life of nature and in
human occupations.
(To be continued.)
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Baltimore.
Der Jahresbericht der hiesigen Schul-
behorde erweist, dass die b'ffentlichen
Schulen wahrend des abgelaufenen Jah-
res von 88,997 Kindern besucht wurden.
Der tiigliche Durchschnittsbesuch war
63,734. Die Schulkinder waren in 129
Schulhausern untergebracht, die Zahl
der Schulen war 109, die unter 1712 Leh-
rern und Lehrerinnen standen. Die Ver-
willigung fiir die Schulen belief sich auf
$1,275,522. Der Bericht sagt, dass mehr
Schulgebaude notig sein werden, selbst
wenn die im Bau begriffenen fertig sind,
und dass viele alte Gebaude umgebaut
werden miissen. Vier weitere Kinder-
garten sind eroffnet worden, und eine
besondere Schule wurde etabliert, um be-
gabtere Schiller des sechsten Schuljahres
in kiirzerer Zeit fiir die Hochschulen
vorzubereiten. Durch diese Schule und
halbjahrige Beforderung in den unteren
Klassen sollen solche Schiller zwei Jahre
friiher in die Hochschulen gelangen als
unter dem alten System. Zu den zwei
bereits eingefiihrten Kochschulen soil
nun auch eine solche fiir Neger eingerich-
tet werden. Die Einfiihrung des Semi-
narunterrichts fiir die graduierenden
Klassen der Hochschulen wird auch als
ein Fortschritt bezeichnet, wodurch der
ziemlich fiihlbare Mangel an guten Lehr-
kraften beseitigt wurde.
Gelegentlich der jiingst hier abgehalte-
nen Jahresversammlung der Modern
Language Association of America hatten
wir das Vergniigen, unsern lieben Freund
Dr. M. D. Learned, wie auch seinen uns
vom Detroiter Lehrertag her befreunde-
ten wackeren Assistenten Dr. L. F. Brede
begriissen zu diirfen. Dieselben mach-
ten uns interessante Mitteilungen iiber
ihre deutschpennsylvanische Forsehungs-
reise — The American Ethnographical
Survey — vom letzten Sommer. Ihre
Tiitigkeit begann mit den alten deutschen
Ausiedlungen in Lancaster County, langs
des Pequea und des Conestoga Flusses,
und erstreckte sich auf die andern deut-
schen Counties Ostpennsylvaniens und
das westliche Ende des Staates bis in den
Staat Ohio. Tausende von Heimstatten
wurden besucht, mit echt deutscher
Griindlichkeit wurde die Arbeit durchge-
fiihrt, und die Ergebnisse sind auch dem-
entsprechend. Ausfiihrliche Berichte
werden in den "German American An-
nals" erscheinen. eine Monatsschrift, die
mit Beginn dieses Jahres and die Stelle
der Vierteljahresschrift "Americana Ger-
manica" getreten ist. Dr. Learned ist
nach wie vor der Schriftleiter. Zu bezie-
hen sind die 72 Seiten starken Monats-
hefte durch Charles H. Breitbarth,
1120 Chestnut street, Philadelphia, Pa.
Das Jahresabonnement betriigt drei
Dollars. S.
Californien.
In der Neujahrswoche hielt die "State
Teachers' Association of California" ihre
jiihrliche Versammlung in Los Angeles
ab. Der Prasident der Vereinigung,
Herr A. E. Schumate, Superintendent der
Schulen von San Jos6, hatte ein umfas-
sendes Programm aufgestellt, das alien
Teilen der Schulorganisation Gelegenheit
gab, Fragen von besonderem und von all-
gemeinem Interesse zu behandeln. Es
kann nicht ausbleiben, dass durch diese
jiihrlichen Diskussionen der praktischen
und theoretischen Fragen des Schulfachs
die Schulen des Staates sich immer mehr
heben miissen.
Von besonderem Interesse waren wie-
der die Sitzungen der High School Asso-
ciation. Dieselben fanden an den Vor-
mittagen von Mittwoch und Freitag im
High School Gebaude statt. Unter dem
Vorsitz von Herrn Chas. L. Biedenbach
von Berkeley wurde besonders das Ver-
haltnis der High Schools zum Leben und
zu der Universitat besprochen. Vor ei-
nem Jahre waren mehrere Komitees er-
nannt worden, die iiber bestimmte Fra-
gen berichten sollten. Die Vorsitzenden
dieser Komitees holten durch Korrespon-
denzen die Meinungen der Lehrer an den
High Schools des Staates iiber ihre be-
treffenden Fragen ein, und somit spiegel-
ten ihre Berichte die allgemeine Gesin-
nung wieder, und waren deshalb von ho-
hem Interesse. Die wichtigsten Berichte
waren "Prescribed Admission Require-
ments", von W. H. Housh, dem Prinzipal
der High School von Los Angeles, und
"The Accrediting System," von Edward
Hohfeld, dem Prinzipal der High School
von Auburn. Wir konnen hier nur die
Hauptpunkte erwsihnen. Herr Housh
berichtete, dass die neuen Aufnahme-
bedingungen der Staatsuniversitat noch
nicht befriedigend seien, doch sei ein
Fortschritt zu verzeichnen. Dieselben
seien zu kompliziert und verlangten be-
sonders in den alten Sprachen noch zu
viel. Er hob hervor, wie tiberraschend
die Einstimmigkeit sei, mit welcher die
Lehrer wiinschten, dass Deutsch mit dem
Korresponden^en .
Lateinischen in den Aufnahmebedingun-
gen auf gleiche Stufe gestellt werden
sollte. Zum Schlusse empfahl er, dass
von den fiinfzehn credits, die zur Auf-
nahme in die Universitiit notig sind,
neun vorgeschrieben und seeks electiv
sein sollten. Von den neun vorgesehrie-
benen sollten zicei eine fremde Sprache
sein, ohne zu spezifizieren, ob dies eine
alte oder eine moderne Sprache sei. Der
Bericht von Herrn Hohfeld iiber das
"Accrediting System" war mit viel Ein-
sicht und Verstandnis abgefasst. Bis-
her hat die Staatsuniversitat jedes Friih-
jahr je einen Vertreter der verschiedenen
Facher ausgeschickt, um die Klassen in
ihren Fachern in den High Schools des
Staates zu besuchen, und dann in der
Universitat zu berichten, welche Schulen
berechtigt sein sollen, ihre Schiiler mit
Empfehlungen nach der Universitat zu
schicken, ohne dass dieselben das Ein-
trittsexamen zu machen brauchen. Herr
Hohfeld empfahl, dass anstatt der vielen
Examinatoren ein einziger Besucher von
der Universitat ausgeschickt werden sol-
le, der hierfiir besonders befahigt ist, und
der dann iiber die Schule als Ganzes be-
richtet. Wo es notig ist, sollen dann
auch noch Vertreter der einzelnen De-
partements ausgeschickt werden, um die
Schulen mit Rat und Beistand zu unter-
stiitzen. Einige Tage vor der Verlesung
dieses Berichts brachten die Zeitungen
die Nachricht, dass President Wheeler
von der Staatsuniversitat bereits densel-
ben Plan ausgearbeitet hatte, und dass
von nun an im Herbst ein Vertreter des
padagogischen Departements die High
Schools des Staates besuchen wird, um
iiber deren allgemeine Leistungen zu be-
richten, und dass dann im Friihjahr Pro-
fessoren von anderen Departements die
Schulen besuchen, in denen der Unter-
richt in einzelnen Facher noch nicht ganz
annehmbar ist. President Wheeler war
bei der Versammlung selbst zugegen und
ergriff das Wort, um den Lehrern an den
High Schools zu versichern, dass die Uni-
versitat gesinnt ist, den Schulen des
Staates entgegenzukommen, und mit ih-
nen Hand in Hand fur die Hebung des
Erziehungssystems zu wirken. Das Pro-
gramm war so genau aufgestellt und die
Zeit so kurz bemessen, dass die Berichte
tiber die einzelnen Erziehungsfacher an
den High Schools nicht zur Verlesung ge-
langen konnten. Es wurde beschlossen,
dieselben drucken zu lassen und den Leh-
rern des Staates zu schicken. Der Vor-
stand der Vereinigung hat eine Spezial-
versammlung fiir den Sommer in Ber-
keley einberufen. wobei diese Berichte
und andere wichtige Angelegenheiten zur
Abhandlung kommen sollen.
Am 17. Januar hielt der Verein von
Lehrern der deutschen Sprache seine Ver-
sammlung in San Francisco ab. Dr. A.
Altschul hielt einen Vortrag iiber die
natiirliche Methode. In demselben gab
er die Geschichte der Entwicklung dieser
Methode und deren jetzigen Stand. Er
sprach sich zugunsten einer liberalen An-
wendung derselben aus. In der darauf-
folgenden Debatte wies Herr W. Zim-
mermann auf die vielen Unrichtigkeiten
hin, die sich in den Anmerkungen zu
amerikanischen Ausgaben deutscher Tex-
te vorfinden, weil die Herausgeber nicht
in den Geist der Sprache eingedrungen
sind und viele Idiome missverstehen. Es
wurde beschlossen, in der nachsten Ver-
sammlung Textbiicher fiir den deutschen
Unterricht und den Humor im Sprach-
nnterricht zu besprechen. Auf den Be-
richt des Nominationskomitees hin wur-
den die folgenden Beamten fiir dieses
Jahr gewahlt:
President, Dr. Julius Goebel; Vizepra-
sident, Dr. Hugo K. Schilling; Schrift-
fiihrer, Herr Valentin Buehner; Schatz-
meisterin, Frl. Emma Garretson.
V. B.
Chicago.
Unser Schulrat hat in seiner Sitzung
am 21. Jan. eine allgemeine Gehaltserhij-
hung vorgenommen, von der beinahe
alle Lehrer, Schuldiener und sonstige
Angestellte betroffen wurden. Das Ein-
kommen des Superintendenten wurde von
$7000 auf $10,000 erhb'ht, das der Lehrer
im Durchschnitt um zehn Prozent, nur
die Turnlehrer, die mit wenigen Ausnah-
men schon mehr als zehn Jahre im Dien-
ste sind, gingen wieder leer aus, trotz-
dem ihnen von Jahr zu Jahr eine Ge-
haltserhohung versprochen war.
Der Superintendent, Herr Cooley, ent-
puppt sich immer mehr als Reformer.
Am 17. Sept. v. J. hat der Schulrat auf
seine Anregung einen Beschluss ange-
nommen, nach welchem Prinzipale und
Lehrer nur nach abgelegtem Examen eine
Gehaltserhohung bekommen kb'nnen, resp.
in eine andere Gruppe versetzt werden.
Die Priifung erstreckt sich auf Pedagogy,
Psychology, School-Management und His-
tory of Education; ausserdem muss noch
ein Examen in einem selbstgewahlten
Fach (Geschichte, Geographic, Musik
u. s. f.) abgelegt werden. 80 Punkte
sind zum Bestehen erforderlich. Dass
diese Bestimmung ein Schlag ins Gesicht
namentlich der alteren Lehrer ist, liegt
auf der Hand. Sind bestandene Exa-
mina an und fiir sich nicht ein sicherer
Beweis fiir Tiichtigkeit und Erfolg im
Lehren. so ist diese Zumutung, dass eine
Promotion nur nach einem solchen ge-
90
P'ddagogiscbe Monatshefte.
stattet werde, geradezu demiitigend und
sollte von der ganzen Lehrerschaft zu-
riickgewiesen werden. Wer wiirde sich
erkiihnen, den Jtrzten, Architekten, Geist-
lichen, nachdem diese den besten Teil ih-
res Lebens in ihrem Amte vevbracht ha-
ben, eine Priifung vorschreiben zu wol-
len?
Herr Bamberger, der Leiter der jiidi-
schen Handfertigkeitsschule, welcher
auch unsere Lehrertage gelegentlich be-
suchte, ist vor einigen Wochen gestorben.
Er hat seine Anstalt mit vielem Geschick
geleitet und sie zu grosser Bliite ge-
bracht. Ernes.
Cincinnati.
Kreissend geb&rten die Berge ein grau-
siges Mammut. Der Schiiker Horaz und
seine diversen ftbersetzer werden mir
diese neue Lesart hoifentlich nicht all-
zuschlimm ankreiden. Jedenfalls tue
ich mir auf die ,,nur so aus der Feder
geflossene" Alliteration nicht wenig zu-
fute, und ausplaudern darf ich es wohl,
ass die verehrten Herren Oberlehrer
daran schuld sind, wenn ich einen ante-
diluvianischen Elefanten aus der bekann-
ten "ridiculus mus" gemacht habe. Es
liest sich besser.
Sie erinnern sich aus meinen friihe-
ren Berichten der Mengen von 61 und
Miihe", die Kollege Benjamin Wittich,
der President unseres deutschen Oberleh-
rervereins, an meisterhafte Reden und
zeitgemasse, zielbewusste Vorschlage ge-
wandt hat, um dem Riickgange der deut-
schen Schiilerzahl und der Gleichgiltig-
keit vieler deutschamerikanischer Eltern
zu steuern. Sie erinnern sich auch, dass
ich in jenen Berichten die Toga des rei-
nen Berichterstatters ablegte und mir
gestattete, statt des Amtes, eine Mei-
nung zu haben. Dass diese zu gunsten
des Herrn Wittich war, gestehe ich noch
heute sehr gerne. Ich hielt und halte
seine Vorschlage fiir wohlbegriindet und
zweckmassig, mag jedoch, wie er, ,,ein
sonderbarer Schwarmer" sein. Nun wie-
der der Berichterstatter ganz ohne. Die
Wittichschen Vorschlage wurden in der
Oberlehrerversammlung vom 30. Januar
den Empfehlungen des mit ihrer Zer-
gliederung betrauten Komitees gemass,
nochmals besprochen, und man einigte
sich dahin, dass vor allem ein aggressives
Vorgehen seitens der deutschen Lehrer
nicht geboten sei, vielmehr ein Abwarten
etwaiger Angriffe auf sie und den deut-
schen Unterricht. Ebensowenig sei es
angezeigt, Broschiiren zu gunsten unserer
Sache zu veroffentlichen ; man solle sich
mit Zeitungrsartikeln begniigen und sol-
che jedesmal im August, kurz vor dem
Wiederanfange der Schulen in den Tage-
blattern loslassen. Ein Komitee, wel-
ches der PrRsident zu ernennen hat, soil
die ganze Angelegenheit betreiben. Nun
wieder Meinung, unmassgeblich natiir-
lich: Die griechischen Calenden scheinen
mir in diesem Falle nicht wohl ange-
bracht, das Zaudern vom ttbel zu sein.
Die Ablehnung irgend einer Aggressive
stimmt durchaus nicht mit friiheren Wil-
lensausserungen der hiesigen deutschen
Lehrer. Denn als der Vorsitzende des
deutschamerikanischen Lehrertages, Hr.
Teuteberg, im Jahre 1885 in hiesiger
Stadt die Notwendigkeit eines aggressi-
ven Vorgehens ausdriicklich betonte, da
gab sich allgemeine Zustimmung durch
jubelnden Beifall kund; und als etwa
zehn Jahre spater Dr. John B. Peaslee
in einem Vortrage vor der Jahresver-
sammlung des deutschen Lehrervereins
von Ohio in Sandusky in ganz ahnlicher
Weise sich ausliess, da fand auch er all-
gemeinen Anklang. Und doch waren
weder vor zwanzig, noch vor zehn Jah-
ren die Klagen, auf die Herr Wittich
sich stiltzt, so allgemein und so begriin-
det, wie sie es unstreitig heute sind. Da
moge denn, nach Horaz und Plautus^
noch ein dritter alter Lateiner sprechen,
Juvenal : ,,Es ist schwer, Satyren nicht
zu schreiben".
Die, gelinde gesagt, gewaltatige
Durchfiihrung des Impfzwanges in unse-
ren Schulen seitens der stadtischen Sa-
nitiitsbehb'rde hat so lange und so viel
boses Blut zutage gefordert, bis zu-
letzt der Schulrat sich veranlasst sah,
diesem wirklich unverantwortlichen Vor-
gehen ein Ziel zu setzen, und es den ein-
zelnen Schulleitern anheimzustellen, sich
durch selbsteigene Untersucaung und
durch Einsichtnahme arztlicher Zertifi-
kate betreffs der Zulassung der Schiller
bestimmen zu lassen. Die besagte Be-
hb'rde versagte namlich den Angaben al-
ler Xrzte, die nicht von ihr selbst als
Distriktarzte bezeichnet sind, jeglichef
Anerkennung und Beriicksichtigung. Es
wurde daher ebenso ruhig, wie brutal
weiter geimpft, und Tausende von Kin-
dern mussten ohne die geringste Ursache
nicht nur aus der Schule bleiben, son-
dern sich die Arme auf immer verschan-
den lassen. Wer es erfahren hat, wie
hierzulande das Wholesaleimpfen betrie-
ben wird, und wessen Kinder nach vie-
len Jahren noch die brutalen Narben,
nein Schmarren, mit sich herumtragen,
der wird diesen Ausdruck nicht zu stark
finden. Um die Herbeifiihrung des jetzt
obwaltenden menschlich-verniinftigen Zu-
standes hat sicji, zu ihrer hohen Ehre sei
es gesagt, die hiesige ,,Deutscher Tag-
Gesellschaft" besonders verdient gemacht,
Korresponden^en.
91
in deren Exekutivbehorde nicht nur De-
legaten der deutschen Lehrervereinigun-
gen Sitz und Stimme haben, sondern
auch ein friiherer deutscher Lehrer, Rich,
ter August Bode, den Vorsitz fiihrt. Ein
Nachspiel in der Form eines Testfalles
vor den Gerichten steht der Impffrage
allerdings bevor, und da darf erst recht
ein ,,Hornberger Schiessen" mit ziem-
licher Bestimmtheit erwartet werden.
Mit den Vorbereitungen auf den Em-
pfang und die ztveckdienliche Unterhal-
tung der Schulsuperintendenten in der
letzten Februarwoche sind wir tiichtig
an der Arbeit. Cincinnati will seinen
Ruf als Feststadt aufrecht halten; Leh-
rer und andere Zeitgenossen greifen
mehr oder weniger tief in die Tasche;
zwei schulfreie halbe Tage sind in Aus-
sicht gestellt; ein ganz klein wenig an
den Schiilerarbeiten herumgefixt wird,
trotzdem und alledem; auf die bevor-
stehende Anregung durch gute "Vortrage
u.s.w. darf man sich freuen; kurz, wir
werden bei der Sache in mehr als einer
Hinsicht unsere Rechnung finden.
Ein rechter Genuss wurde uns vor ei-
nigen Wochen geboten durch die Anwe-
senheit in unserer Mitte des friiheren
Kollegen, Dichters und Schriftstelleys
Wilhelm Hiiller. Derselbe erfreute, auf
Veranlassung der Schulbehb'rde, die deut-
schen Lehrer mit einem sehr gediegenen
Vortrage iiber ,,Das Spiel in der Erzie-
hung". Naeh jahrelangem Aufenthalt
in Europa und vielfachem Umgange mit
dortigen Autoritaten auf dem Gebiete
der Erziehung konnte es sich nicht feh-
len, dass Herr Muller viele neue Gesichts-
punkte zur Geltung brachte und dadurch
den meisterhaften Vortrag um so interes-
santer gestaltete. Alle fiihlten sich ihm
zu Dank verpflichtet und geizten denn
auch nicht mit wohlverdientem Beifall.
Mir und einigen anderen Genossen war
es vergb'nnt, en petit comit£ einige
Stunden mit dem genialen Freunde zu
verbringen und uns ob der, wenn moglich
noch erhohten Geistesfrische zu freuen,
mit welcher der immer liebenswtirdige
Exkollege es versteht, den Umgang mit
ihm angenehm zu machen. Es ist recht
sehr zu hoffen, dass Cincinnati, oder ir-
gend eine andere Stadt es nicht versau-
men moge, sich die unverminderte Rii-
stigkeit und die alten sowohl, wie die
neuen Erfahrungen dieses hochgebilde-
ten Erziehers durch eine passende An-
stellung zu nutze zu machen. Er ist
gerade der Mann, der, nach eigener An-
schauung, imstande ware, gewissen zeit-
gemassen Neuerungen den Charakter der
ttberstiirzung zu nehmen und ihnen den
so riotigen Schliff zu geben. Er hat drii-
ben nicht nur angeschaut und zugehb'rt,.
sondern auch mitgearbeitet und -han-
tiert in Seminaren, Akademien und
Kunstschulen, so dass er ganz sicherlich
weiss, was er will, und will, was er
kann in modernerziehlicher Hinsicht.
Fur die am 7ten dieses Monats statt-
findende Versammlung unseres deulschen
Lehrervereins ist ein gutes Programm
aufgestellt worden. ttber den Verlauf
der Versammlung hoffe ich nachstes Mai
berichten zu konnen. quidam.
Milwaukee.
Versammlung der Lehrer des Deut-
schen am 12. Jan. Auf der Tagesord-
nung stand das Thema : ,,Behandlung des
Memorierstoffs in der Schule". Eine
ganze Anzahl Lehrer, namlich zehn (man
wird mir wohl die namentliche Auffiih-
rung derselben erlassen) war ersucht,
sich fur den Gegenstand vorzubereiten
und zu berichten, und so fand derselbe
eine recht ,,vielseitige" Beleuchtung und
erschb'pfende Ausfiihrung. Wichen nun
auch die Ansichten der Referenten in
methodischer Hinsicht etwas in bezug
auf Behandlung und Einubung des Stof-
fes von einander ab, so dokumentierte
sich doch im ganzen und in der Haupt-
sache eine bemerkenswerte tfbereinstim-
mung des von alien als eines recht wich-
tig angesehenen Lehrgegenstandes. Alle
stimmten dariiber iiberein, dass der Me-
morierstoff, er sei, welcher er wolle, je-
desmal vorher griindlich durchgearbeitet,
also gut gelesen und gut erklart werden
miisse, nach der alten padagogischen Re-
gel, nichts dem Gedachtnis einzupragen,
was nicht vollig verstanden sei. Der
Stoff selbst kb'nne sein Gedichte, Spriich-
wb'rter, Sinnspriiche, kurze Erzahlungen,
Fabeln und Parabeln. Schon auf der
Unterstufe sei damit zu beginnen, und
zwar im Anschluss and das Lesebuch.
In bezug auf Ziel und Quantum des
Stoffes solle man sich einen festen Plan
ausarbeiten, fiir jede Woche den Stoff
einteilen und einiiben, und vor allem
von Zeit zu Zeit fleissig wiederholen.
Alle stimmten dann auch darin iiberein,
dass das Einiiben und Einlernen am be-
sten in der Schule geschehe und nicht
als Hausaufgabe zu geben sei; aber nie-
und unter keinen Umst&nden als Straf-
arbeit aufzugeben sei; denn damit er-
reiche man das gerade Gegenteil, statt
Liebe und Lust zur Sache flosse man den
Kindern Widerwillen dagegen ein. Die
schonsten Erfolge kann der Lehrer nur
auf der Oberstufe erreichen, wo die Schil-
ler schon mehr das notige Verstandnis
fiir die Perlen der Literatur haben, und
hier liegt es ihm ob, die Schiiler mit
dem Reichtum dieser Perlen unserer
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
deutschen Literatur bekannt zu machen,
sie in das Verstandnis derselben einzu-
filhren, und durch Einpragung ins Ge-
diichtnis sie zum geistigen Eigentum
der Schiller zii machen. Dazu gehort
denn auch, dass der Lehrer selbst von
Begeisterung fiir diese Sprachschatze
durchgliiht ist, und diese Begeisterung
durch ein mustergiiltiges Vorlesen der
Oedichte vor der Klasse auf die Schiller
zu iibertragen versteht. Ich mochte
dann noch eins bemerken zum Einlernen
der Gedichte in der Schule^ was ich
bei den Ausfiihrungen der Referenten
vermisst habe, was mir aber doch recht
wichtig scheint. Es macht keinen guten
Eindruck auf die Schiller, wenn der Leh-
rer beim Einiiben, Abhoren und Einhel-
fen immer das Buch in der Hand hat.
Er soil die Gedichte selbst auswendig ler-
nen. Was er von den Schillern verlangt,
soil er selbst tun. Der gute Turnlehrer
turnt vor, der Zeichenlehrer zeichnet vor,
der Schreiblehrer schreibt vor; warum
soil der Lehrer nicht auch hier vor-
lernenl Der Supt. des Deutschen machte
dann noch einige Bemerkungen tiber das
Was? und Wieviel? des Stoffes. Man
sollte sich nicht an die Zahl der angege-
nen Stiicke oder Nummern im Lehrplan
stossen; diese seien nicht ,,vorgeschrie-
ben", sondern nur empfohlen oder als
passend und geeignet angemerkt. Er
iiberlasse es jedem Lehrer, seine Auswahl
zu treffen. Er wisse recht wohl, dass
die Verhaltnisse der Schulen und Klas-
sen sehr verschieden seien, und alle konn-
ten nicht dasselbe leisten, und es werde
das auch nicht verlangt. Jeder solle
trachten, das zu leisten, was er unter den
gegebenen Verhaltnissen leisten konne;
und man mo'ge lieber weniger nehmen,
aber es gut und sicher einiiben. ,,Und
das mit Recht," sagt mein Kollege Qui-
dam. Nicht vielcs, aber viel. Besser
ein Gedicht gut und griindlich gelernt,
als drei halb und schlecht.
Herr J. Eiselmeier erwahnte dann
noch, dass der unerbittliche Tod wieder
zwei bekannte Schulmanner aus dem'
Kreise ihrer Wirksamkeit abberufen hat-
te, namlich den langjahrigen Leiter des
deutschen Unterrichts an den Schulen
Chicagos, Dr. G. A. Zimmermann, und
Herrn G. Bamberger, Vorsteher und
Griinder des unter dem Namen ,,Jewish
Training School" bekannten Institutes
in Chicago. Die Versammlung ehrte
das Andenken der beiden Schulmanner
durch Erheben von ihren Sitzen.
Sodann wurde auf Antrag von Herrn
Abrams beschlossen, Herrn Prof. Dr. von
Jagemann von der Harvard Universitiit,
welcher am 5. Febr. vor dem hiesigen
,,Deutschen Club" einen Vortrag iiber
,,Aus dem Leben der Sprache" halten
wird, einzuladen, womoglich am Abend
des 6. Febr. der Gast des ,,Vereins deut-
scher Lehrer" hierselbst zu sein und uns
mit einer Ansprache zu erfreuen.
A. W.
II. Umschau.
Milwaukee. Herr Seminardirektor
Dapprich tritt am 9. Februar einen vier-
monatlichen Urlaub an, den er zu einer
Erholungs- beziehungsweise Studienreise
nach der alten Heimat beniitzen wird.
Er verliisst am 14. Feb. auf dem Dam-
pfer ,,Trave" New York und wird sich
nach mehrwochentlichem Aufenthalt in
Italien durch die Schweiz nach Deutsch-
land begeben, um dort die hervorragend-
sten Schulen sowie Lehrerbildungsanstal-
ten zu besuchen. Es bereitet uns die
grb'sste Freude und Genugtuung, dass
Herr Dapprich nach seiner fast vierzig-
jahrigen angestrengtesten Wirksamkeit
im Dienste der Jugenderziehung und un-
serer Sache im besonderen in den Stand
gesetzt worden ist, diese Reise zu unter-
nehmen. und unsere herzlichsten Wtin-
sche wie die aller seiner Freunde beglei-
ten ihn auf derselben.
Milwaukee. Am 4., 5. und 6. Februar
weilte Herr Professor H. C. G. von Jage-
mann von der Harvard Universitat in
unsern Mauern. Nachdem er am ersten
Tage einem Diner des hiesigen Harvard
Clubs als Ehrengast beigewohnt hatte,
hielt er am darauffolgenden Abende vor
dem Deutschen Club einen Vortrag iiber
das Thema ,,Aus dem Leben der Spra-
che", dem eine zahlreiche Zuhorerschaft
mit grossem Interesse lauschte. Am
letzten Tage bereitete ihm die deutsche
Lehrerschaft der Stadt einen Empfang,
der aufs gemtitlichste verlief. Der ge-
feierte Gast hielt bei dieser Gelegenheit
ebenfalls einen Vortrag und zwar iiber
,.Petri Rosegger", wodurch er sich die
Gastgeber zu dem aufrichtigsten Danke
verpflichtete.
Das Germanische Museum an der Har-
vard Universitiit ist seit dem 7. Januar
fiir den Besuch des allgemeinen Pub-
likums geoffnet. Die formelle Eroff-
nungsfeier soil erst stattfinden, nachdem
die Geschenke, welche vom deutschen
Kaiser dem Museum in Aussicht gestellt
wurden, eingetroffen sein werden.
President Eliot von der Harvard Uni-
versitat ist von dem Prasidenten der
Umscbau.
93
franzosischen Republik zum Mitgliede
der Ehrenlegion ernannt worden.
New York. Deutsche Theatervorstel-
lungen. Herr Heinrich Conried, Direk-
tor des "Irving Place" Theaters, hat ftir
die Samstagmorgen eine Serie von klas-
sischen Theatervorstellungen angekun-
digt, um besonders der Jugend den Be-
such derselben zu ermoglichen. Die erste
Vorstellung und zwar die von Schillers
"Wilhelm Tell" fand am 24. Januar
statt, und muss nach jeder Hinsicht als
ein Erfolg bezeichnet werden.
Boston kennt in seinen Schulen noch
die korperliche Ziichtigung und sein
Schulsuperintendent scheut sich auch
gar nicht, an seinen Schulrat zu berich-
ten, dass wahrend des verflossenen Schul-
jahres in 8055 Fallen dieses Ziichti-
gungsmittel angewandt worden ist.
An der Washington Universitat zu St.
Louis wurde ein Kampf zwischen den
"Freshmen" und den "Sophomores"
prompt durch Suspendierung der erste-
ren von seiten des "Chancellor" Winfield
Scott Chaplin beendet. Die Sophomores
hatten von deT Turnhalle Besitz ergrif-
fen, welche dann von den Freshmen ge-
sturmt werden sollte. Einer Aufforde-
rung auseinanderzugehen kamen diesel-
ben niclit nach, was dann zu ihrer Suspen-
dierung fiihrte. Noch einige soldier
Exempel — und der Unsitte der Fuchs-
prellerei an unsern Universitaten wtirde
bald gesteuert sein.
In Californien ist es nunmehr beschlos-
sene Sache, den chinesischen Kindern den
Besuch der offentlichen Schulen zu ver-
weigern. Es sollen fur sie besondere
Schulen eingerichtet werden.
John L. Sullivan, der beriihmte Faust-
kJimpfer des Landes, hat sich ein Ver-
mogen von nahezu einer Million Dollars
zusammengeklopft. Wenn wir horen,
dass er in einzelnen Fallen bis zu $18,-
000 verdiente, und dann bedenken, dass
der Wert des Menschen nur zu leicht
nach seinem Geldbeutel beurteilt wird,
auf welcher Stufe der gesellschaftlichen
Wtirdigung steht dann der Lehrer? Ste-
hen wir in unserer Zivilisation eigentlich
gar soweit iiber den Romern?
Die Erfahrungen unserer Lehrer auf
den Philippinen sind nicht immer ange-
nehmster Natur. Ein Lehrer in Batanga
sah sich genotigt, einen Schiller korper-
lich zu zlichtigen. Die Eltern desselben
verklagten ihn daraufhin, und er wurde
von dem Richter, einem Eingeborenen,
zu 15 Tagen GefSngnis verurteilt.
Untcrsuchungen iiber das Gedachtnis
von Schulkindern hat Prof. Lough vor
der-Akademie in New York besprochen.
Als ..Material" hatte er 682 Schulmad-
ohen im Alter zwischen 9 und 15 Jahren.
Er las eine Reihe von zehn Wortern den
Schiilerinnen vor, die dann soviel davon
niederschreiben mussten, als sie behal-
ten hatten. Besonders merkwiirdig ist
die Beobachtung von Lough, dass in den
unteren Schulklassen die blonden Schii-
lerinnen das bessere Gedachtnis haben,
in den hoheren die briinetten.
Einem englischen Schulmann verdan-
ken wir die statistische Angabe, dass in
Deutschland von den 50 Millionen Ein-
wohnern 30,000 junge Leute die Univer-
sitat besuchen, wahrend auf die 30 Mil-
lionen der Einwohnerschaft Englands
nur 5000 Universitatsstudierende kom-
men.
Trotz aller Anstrengungen, amerika-
nische Studenten von den deutschen Uni-
versitaten nach franzosischen, haupt-
sachlich nach Paris, zu ziehen, wachst
doch die Anzahl von Studierenden an
den ersteren aus Amerika stetig. Na-
mentlich sind es die Universitaten von
Berlin, Leipzig, Miinchen und Gottin-
gen, die von Amerikanern besucht wer-
den.
Die Berliner Universitat hat in diesem
Jahre mehr Studenten als je zuvor, nam-
lich 13,400; eine Abnahme ist nur in
der theologischen Fakultat zu bemerken.
34 Studenten in Berlin kommen aus Eng-
land und 146 aus den Vereinigten Staa-
ten.
Redaktionswechsel. Bei der Allg.
Deutschen Lehrerzeitung ist am 1. Jan.
an Stelle des Herrn Dr. Jahn, welcher die
Leitung des Anzeigers fiir die neueste
padag. Literatur behalt, Herr Direktor
Dr. Kiessling in Leipzig-Lindenau als
Redakteur eingetreten.
Die Rheinischen Blatter, im Jahre
1827 von Diesterweg begrundet und von
ihm bis 1866 fortgesetzt, spater von
Wichard Lange, Richard Kohler und seit
1887 von Friedrich Barthels geleitet, ho-
ren auf zu erscheinen.
Eisferien. In den stadtischen hoiieren
Schulen Berlins ist an den kalten Tagen
der ersten Dezemberwoche mit den sog.
Eisferien begonnen worden, d. h. die
Schulen wurden eine Stunde friiher ge-
schlossen, und die Kinder beauftragt,
die freie Zeit beini Eislauf zuzubrineen.
Es sind verschiedene Bahnen zu diesem
Zwecke gepachtet worden, auf denen die
Kinder unter Aufsicht der Lehrer den
Schlittschuhlauf iiben.
Vom unsittlichen Lenau wird aus
Bamberg berichtet: Dieser Tage konzer-
tierte hier das Miinchener Kaim-Orches-
ter unter F. Weingartners Leitung. wo-
bei unter anderem Liszts zwei Episoden
aus Lenaus ,,Faust" zur Auffiihrung ge-
langten. Die Leiter der beiden Bamber-
•94
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
,ger Gymnasien erfuhren zum Gliick noch
in letzter Stunde, dass der die Moral
hochlichst gefahrdende Text dieser Kom-
position auf der Riickseite des Pro-
grammes abgedruckt war. Sofort erlie-
ssen sie einen Befehl, wonach es den
Schiilern ihrer Institute strengstens ver-
boten sei, die unmoralische Musik an-
zuhoren. Zweihundert Schiller mussten
daraufhin die gelosten Eintrittskarten
wieder zuriickgeben. Die altesten Bam-
berger Buchhandler aber erinnern sich
nicht, jemals so viel Bande Lenau ver-
kauft zu haben, wie jetzt.
Der letzte Jahresbericht des Schulam-
tes von London beansprucht besonderes
Interesse angesichts der Tatsache, dass
die Umgestaltung des Volksschulwesens
gegenwartig die brennendste Frage der
inneren Politik ist. Der Bericht zeigt,
•dass von 20,116 Volksschulen in England
und Wales immer noch 14,319 konfessio-
nelle, sogenannte ,,Voluntary"-Schulen,
und nur 5797 ,,Board"-Schulen, d. h.
offentliche, paritatische Schulen sind,
und dass jene 3,054,709 und diese 2,703,-
434 Schiller auf ihrem Register fiihren.
Der Staat hat letztes Jahr fiir das
Volksschulwesen 9,753,107 Pfd. Sterl.
ausgegeben, und dieser Betrag verteilt
sich ziemlich gleichmassig zwischen den
zwei Kategorien von Schulen, doch so,
dass die Board-Schools, dank ihrer besse-
ren Leistungen, pro Schiller einen staat-
lichen Beitrag von $5.21, die kon-
fessionellen von nur $5.09 verdien-
ten. Nur die Board-Schools konnen
einen Teil ihres Einkommens aus den
Lokalsteuern beziehen — letztes Jahr 6,-
349,811 Pfd. Sterl. — wahrend die kon-
fessionellen Schulen fiir alles weitere auf
freiwillige Beitrage angewiesen sind, die
letztes Jahr 834,123 Pfd. Sterl. abwar-
fen. Die Board-Schools konnten daher
letztes Jahr pro Kopf der Schiller
$14.44 und in London $19.31 aus-
geben, die konfessionellen Schulen nur
-$11.21. Die neue Schulvorlage will
bekanntlich diese finanzielle Ungleichheit
und die dadurch bedingte Ungleichheit
der Leistungen ausgleichen, ohne aber der
'Gesamtheit zugleich dieselbe Kontrolle
tiber die konfessionellen Schulen zu ge-
ben, die sie ilber die Board-Schools be-
sitzt. Der schwache Punkt des engli-
schen Volksschulwesens scheint noch im-
mer der Mangel an ausgebildeten und ge-
priiften Lehrkraften zu sein. Es kommt
nur ein Lehrer auf je 71 Kinder, und von
138,000 Lehrern beider Geschlechter ha-
ben nur 66,000 eine Priifung abgelegt,
und auch von diesen 66,000 haben nur
38,000 einen ordentlichen zweijahrigen
Ausbildungskurs durchgemacht. Drei
Viertel der Lehrkriifte sind Frauen.
Das franzosische Schulwesen. Nach
dem verhiingnisvollen Jahre 1870 — 71 er-
kannte man in Frankreich, dass es vor
allem mit der allgemeinen Volksbildung
anders werden miisse. Es ist nicht zu
leugnen, dass es in der Beziehung seit
1870 wirklich ganz anders geworden ist.
Das franzosische Volksschulwesen nahm
einen ungeahnten Aufschwung, dank der
Gesetzgebung der 80er Jahre. Das Land,
vor allem aber die Stadt Paris, ist zu
jedem Opfer bereit, um immer weiter vor-
zuschreiten auf dem eingeschlagenen We-
ge. Im Laufe von 7 Jahren hat man
nicht weniger als 18,000 Schulhauser
neu gebaut und 3000 repariert. Eine
eifrige Lehrerschaft arbeitet nach einem
alien Anforderungen der Neuzeit gerecht
werdenden Lehrplane. Die Organisation
der Schulverwaltung und Schulaufsicht
hat das voraus, dass in alien Instanzen,
von der niedrigsten bis zur hochsten,
neben Vertretern der Regierung, solche
der Gemeinden und Lehrer Sitz und
Stimme haben. Die Schulpflicht der
Volksschule dauert vom 6. bis zum vol-
lendeten 13. Jahre. Leider ist vom li.
Jahre ab eine vollstandige Dispensation
von jeglichem Unterricht moglich, so-
bald sich der Schiller das ,,certificat
d'etudes primaires" erwirbt. Die be-
gabten armeren Kinder werden dadurch
der Schule entzogen. — Die Pariser
Volksschulhauser sind meist klein. Die
Sale liegen der Strasse abgewandt.. Kar-
ten, Bilder und Spriiche schmiicken die
Wande. Dem Deutschen fallt sofort
auf, dass Elsass-Lothringen schwarz ge-
zeichnet ist. In jedem Schulhaus liegt
zu ebener Erde der PrSau, ein langer
Saal, der zur Versammlung der Klassen
vor und nach dem Unterricht dient. Da-
selbst werden auch Feste abgehalten.
Ausserdem nehmen viele Kinder im
Pr6au ihr Mittagsmahl ein. — Die Unter-
richtszeit dauert von 8% — 11% und von
1 — 4 Uhr; der Donnerstag ist schulfrei.
Hitzferien gibt es nicht. Das vorherr-
schende Schulsystem ist das sechsklas-
sige. Jeder Lehrer hat 30 Stunden Un-
terricht zu erteilen. Leider sind die
Lehrergehalte ungeniigend, und es ist
nur zu wiinschen, dass die Bestrebungen
der Lehrerschaft auf deren Erhohung er-
folgreich sein mochten.
Friihreife Knaben sind die italieni-
schen Gymnasiasten und Realschiiler.
Sie werden allerdings auch auf der Sexta
schon von ihren Lehrern mit Sie ange-
redet. In Rom hielten sie jiingst in ei-
nem Theater eine Versammlung, um eine
giinstigere Priifungsordnung zu erlan-
gen. Sie beauftragten die republikani-
schen Abgeordneten Mazza und Barzila
mit der Vertretung ihrer Wiinsche bei
Umscbau.
95
•der Regierung. Auch einen Beschluss
gegen die ,,improduktiven Staatsausga-
ben", d. h. die Ausgaben fiir das Heer
und die Schulverwaltung, fassten sie und
verlangten, dass die hierfiir verwandten
Mittel dem Unterrichtswesen zu gute
kiimen.
Ein Bjornson-Fonds. Aus Anlass des
70. Geburtstages Bjornstjerne Bjornsona
haben die Sammlungen zu einem Bjorn-
son-Fonds, der dem Dichter zur Verfii-
gung gestellt werden und eine dauernde
Erinnerung an die Wirksamkeit Bjb'rn-
sons bilden soil, begonnen. Diesen Fonds
will Bjornson in den Dienst der norwegi-
schen Lehrer und Lehrerinnen stellen,
da diese schlecht besoldet werden. Im
iibrigen hat Bjornson seine Unterstiit-
zung aus eigenen Mitteln in der Sache
zugesagt.
Russland. (Deutsch oder franzosischf)
Von der russischen Regierung wurde ein
Gelehrtenkomitee eingesetzt, das im Ver-
ein mit den Direktoren der Gymnasien
iiber die viel diskutierte Frage endgiltig
Beschluss fassen sollte, ob unter den
modernen Sprachen deutsch oder franzo-
sisch obligatorisch in den Mittelschulen
gelehrt werden soil. Das Komitee ent-
schied nun, dass die deutsche Sprache
einzufiihren sei, und zwar nicht nur in
Ansehung der hohen Entwicklungsstufe
der Wissenschaften in Deutschland, son-
<lern auch in anbetracht der iiberwiegend
deutschen wissenschaftlichen Werke, die
in Russland in Verwendung stehen. An
der Universitat in Moskau sind, wie im
Motivenbericht angefiihrt wird, von 200
Universitatslehrern 700 deutsche Lehr-
biicher und nur 190 franzosische zur
Beniitzung empfohlen.
Der danische Unterrichtsminister hat
dem Reichstage die neue Vorlage, betref-
fend eine Reform des Schulwesens, unter-
treitet. Kiinftig soil dort, wie in Nor-
wegen, auf die klassischen Sprachen
nicht mehr das Hauptgewicht gelegt wer-
den. Die meisten padagogischen Auto-
ritaten haben sich dieser Reform ange-
schlossen. Nach dem vorliegenden Ent-
wurfe soil die Volksschule die Grundlage
des ganzen diinischen Schulwesens bilden.
Die Schiller, die befahigt sind, ihre Stu-
dien fortzusetzen, kb'nnen durch die ho-
here Volksschule, die sog. Mittelschule,
die Jugendschule, die mit dem Abiturien-
tenexamen abschliesst, erreichen. In der
Jugendschule wird der Unterricht in
streng klassischer, in modern-sprach-
licher oder in mathematisch-naturwissen-
schaftlicher Richtung erteilt. Die sprach-
liche Richtung wird nicht, wie bisher,
auf die franzosische, sondern auf die
deutsche und die englische Sprache das
Hauptgewicht legen. Fiir die Schiller,
die die Jugendschule nicht besuchen wol-
len, jedoch einen vollstandigeren Unter-
richt als denjenigen, den die Volksschule
geben kann, wiinschen, wird eine ein-
jiihrige sog. Fortbildungsklasse einge-
richtet, in welcher besonders in solchen
Fachern, die fiir die praktische Ausbil-
dung der Schiller Bedeutung haben, un-
terrichtet wird. Dass die Vorlage in ih-
ren Hauptziigen angenommen wird, gilt
als sicher.
Sndafrika. Aus Kapstadt wurde der
,,Tagl. Rundschau" telegraphisch gemel-
det: Die unheilvolle Wirkung des Krie-
ges auf das Schulwesen in Siidafrika
wird durch eine soeben ausgegebene Sta-
stistik erlautert. Danach bestanden vor
Ausbruch des Krieges in 18 Bezirken
302 Schulen, beim Friedensschluss nur
noch 139. Die Bezirke von Hay und Cal-
vinia sind ganzlich ohne Schulen. In
Kapstadt selbst sieht es giinstiger aus;
das dortige South African College be-
schaf tigt sich mit einem Plan zur Erwei-
terung seiner Anstalten und Errichtung
neuer Gebaude und weiterer Lehrstiihle,
wofiir ilber 2 Millionen Mark ausgewor-
fen sind.
III. Vermischtes.
In einem Dorfchen an der Lahn, un-
weit Marburg, wo der Nachtwachter-
dienst nach alter Vater Sitte ,,Reihe
rum" geht, wurde auch dem Lehrer eines
Tages Spiess und Horn gebracht mit
dem Bemerken, dass die Reihe an ihm sei.
Der Lehrer weigerte sich und beschwerte
sich bei der vorgesetzten Behorde iiber
das Ansinnen. Diese entschied, dass der
Lehrer von alien Kommunalsteuern frei
sei, soweit sie sein Gehalt betreffen.
Habe er aber Privatvermogen, so miisse
er auch die Kommunallasten tragen, also
auch Nachtwache leisten oder fiir sein
•Geld leisten. Der Lehrer als Nachtwach-
ter, welcher Jubel fiir Schulkinder!
,,0 diese Fremdworter !" Perblank —
stand dieser Tage in der Bude eines Ber-
liner Obsthandlers auf einer kleinen wei-
ssen Tafel, die, an einem Holzchen be-
festigt, auf einen Hiigel saftiger Friichte
herabsah. Eine Bauerfrau in der Nach-
barschaft versuchte darauf, dem geheim-
nisvollen Worte eine verstandlichere Fas-
sung zu geben, und malte mit ungelenker
Hand auf ihr Schildchen ,,Blanke Beere".
Es handelte sich hier und dort um die
allbekannte Butterbirne Beurr§ blanc,
und in Mitteldeutschland gewohnlich
Birne Blank genannt.
96
P'ddagogischc Monatsbefte
Gute Entschuldigung. Eine Schiilerin
entschuldigt einen Mitschiiler mit den
Worten: ,,lch soil Otto Meier entschuldi-
gen; er 1st krank, sie schlachten heute."
Die Bedcutung des anriichigen Aus-
drucks ,,Nassauern" kennt wohl jeder,
aber nicht jeder auch seine Entstehung.
Dass das Land Nassau mit im Spiele ist,
lasst sich von vornherein vermuteru und
so ist es auch. Das friihere Herzogtum
Nassau, jetzt ein Teil der Provinz Hes-
sen-Nassau, besass keine Universitat; die
zum Studium Berechtigten sahen sich da-
her genb'tigt, eine Hochschule in frem-
dem Lande zu besuchen. Nun hatten,
so erzilhlt ein alter Nassauer, im An-
fange und in der Mitte dieses Jahrhun-
derts die Studenten nur dann Aussicht,
im Lande eine Staatsstellung zu erlan-
gen5 wenn von ihnen in Erfiillung eines
ein filr alle Male geausserten Wunsches
des Landesherrn die Universitat Gottm-
gen besucht worden war. Die nassaui-
schen Fiirsten waren indes von jeher sehr
auf den Wohlstand und das Wohlergehen
ihrer Landeskinder bedacht. Gern und
freudig unterstiitzten sie jeden Empor-
strebenden, dem es an Mitteln gebrach,
sich allein auszubilden. So war denn
auch in Gottingen ein von der nassaui-
schen Regierung unterhaltener freier
Mittagstisch fiir solche nassauischen
Studenten eingerichtet, denen die Ver-
hiiltnisse nicht gestatteten, aus eigener
Tasche zu leben. Diesen ,,Freitisch" be-
nutzten jedoch bei giinstiger Gelegenheit
auch solche Studenten, die nicht aus
Nassau stammten, und diese wurden
dann von ihren Kommilitionen scherz-
weise ,,Nassauer" genannt, weil sie an
dem nassauischen Freitisch ,,genassau-
ert" hatten. Die ersten ,,Nassauer" wa-
ren also alles andere, nur keine — Nas-
sauer.
Sic transit gloria mundi! Ein Herr
in Siiddeutschland will eine unzweifel-
haft sehon im voraus gepriigte Sieges-
denkmiinze Napoleons III. besitzen. Dem-
gegeniiber dtirfte vielleicht das Gegenteil,
wie schnell die ganze napoleonsche Wirt-
schaft nach dem 2. September 1870 abge-
tan wurde, interessieren. Ich land, so
schreibt ein alter Krieger, danials als
Einjahriger im 1. kgl. sachsischen Jager-
Bataillon ,,Kronprinz Albert", im Okto-
ber 1870 auf einer unserer haufigenj
Schleichpatrouillen nach dem schb'nen
Villemomble vor Paris, das den meisten
Jagern unvergesslich sein wird, in einer
hochherrschaftlichen, vollig leerstehen-
den Villa eine Bronzemiinze, die mir
heute noch vorliegt. Auf ihr ist der
Kopf Napoleons deutlich ausgepragt, ge-
ziert mit der preussischen Pickelhaube;
um den Hals ist ein starkes mit einem
Ringe versehenes Hundehalsband gelegt,
worauf das Wort ,,Sedan" steht. Die
Umschrift lautet: ,,Napoleon III. Le
Miserable. 80,000 Prisonniers." Die
Kehrseite zeigt den beriihmten aigle
franQais, aber mit einem Eulenkopfe.
Hier lautet die Umschrift: ,,Vampire
franQais. 2. Dec. 1851 — 2. Sept. 1870!"
Das H&rchen.
Das war ein eifrig, unermiidlich Lau-
schen,
Wenn er ein Miirchen unsrer Schar er-
ziihlte.
Und wie viel lieber war uns da der Leh-
rer,
Der gute, den wir sonst schon herzlich
liebten.
Da fiel kein Blick von seinem reichen
Munde,
Der uns so Schones zu erzahlen wusste,
So Wunderschones, das wir gierig
schliirften,
Und das die Phantasie, die bilderreiche,
Sogleich in tausend bunte Farben
tauchte.
's ist lange her, seit ich, ein kleiner
Knabe,
Mit andern diesen Wundermiirchen
horchte.
Der Ernst des Lebens trat an meine
Seite
Und wies die Pflichten mir mit heil'gem
Mahnen.
Und doch, ich konnte jene Miirchen nie
vergessen,
Die einstmals sich ins Kinderherz ge-
stohlen.
Und die Erinnerung aus Jugendtagen,
Sie hat sich ihrer herzlich angenommen,
Erzahlt mir sie in meinen Traumen wie-
der
Und lasst mich jener Stunden stets ge-
denken.
Das war ein eifrig, unermiidlich Lau-
schen. —
Und nun, nach manchen arbeitsschweren
Jahren
Ward mir ein hohes, teures Gliick be-
schieden,
Und Marchen darf ich selber nun erzah-
len.
O, welche Freude fiir das Herz des Leh-
rers,
Der Kinder Blicke all auf seinen Mund
gerichtet,
Wenn er erzahlt vom Hansel und vom
Gretel,
Vom bosen VVolf und von den sieben
Geisslein,
Vom Tischlein deck dich und vom Aschen-
brodel.
Da mocht ich selbst ein Kind noch ein-
mal werden
Und kindlich nochmals goldne Marchen
horen ;
Es ist ein susses, unermiidlich Lauschen.
Emit Wechsler.
Padagogische Monatshefte,.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. Marz 1903. Heft 4
Abhangigkeitsverhaltnisse in der deutschen
Satzbildung.*
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von Dr. Wni. Jaeger, Cincinnati.
Jede Sprache hat ausser der ihr eigentiimlichen Konjugations-, Dekli-
nations- und Rektionsformen noch besondere, charakteristische Eigenhei-
ten, die ihr unter den Schwestersprachen ein ganz besonderes Geprage
verleihen. Dass Wahl wie Wechsel des Ausdruckes, bedingt durch un-
gleiche Anschauung, in den Sprachen oft grundverschieden ist, hat wohl
jedermann erfahren, der eine wortliche Ubersetzung eines Idioms in eine
andere Sprache versuchte.
Aber nicht nur diese Wahl des Ausdrucks, die ja selbst in ein und
derselben Sprache ganz individuell ausfallt, bedingt die Gegensatze zweier
Sprachen ; weit mehr noch als diese sind es die Gesetze und Normen, nach
welchen die Anordnung, der Aufbau der einzelnen Satzteile zum fertigen
Satz geschieht. Sind doch diese Sprachgesetze so eigenartig, und ist doch
diese Eigenart so tiefbegriindet in der eigentiimlichen Anschauung und
Entwicklung eines Volkes, so geheiligt durch jahrtausendlangen Ge-
brauch, dass sich niemand denselben eigenmachtig entgegenstellen kann.
Unter den Kultursprachen der Gegenwart nimmt aber die deutsche
Sprache inbezug auf die Vielseitigkeit ihres Satzbaues eine hervorragende,
wenn nicht leitende Stellung ein.
Durch die vollige Entwicklung der Biegungsendungen besitzt diese
Sprache ein Mittel, welches sie vor alien andern Sprachen befahigt, die
mannigfachsten Verschiebungen der Satzteile vorzunehmen, um dadurch
*) Nach einem Vortrag, gehalten am 4. Dezember 1902 vor dem Verein der Ober-
lehrer von Cincinnati.
98 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
dem ausgesprochenen Gedanken grossere Genauigkeit und bedeutungs-
volleren Inhalt zu verleihen.
Denn diese Umstellung — Inversion — ist durchaus nicht nebensach-
licher Natur; sie hat den Zweck, irgend einen Satzteil durch ungewohn-
liche Stellung starker hervorzuheben, oder aber um die Rede mannigfal-
tiger zu gestalten und den Wohlklang derselben zu erhohen. Liegt also
in vielen Fallen dieselbe als bloss rednerisches Kunstmittel in der Willkiir
des Sprechenden oder Schreibenden, so ist sie wiederum in andern fiir
gewisse Satzformen als charakteristisch gewahlt und fiir immer festge-
setzt, sodass jede Nichtbeachtung oder Zuwiderhandlung als ein groblicher
Verstoss gegen den Sprachgebrauch muss aufgefasst werden.
Lassen Sie uns zwei der eigenartigsten Regeln deutscher Wortfolge
ein wenig scharfer ins Auge fassen, und zwar zunachst die Forderung:
doss die Zeitworter in zusammengesetzten Zeitformen im Satze von ein-
ander getrennt werden; sodann, doss in dem von einer unterordnenden
Konjunktion oder einem relativen Fiirwort eingeleiteten Nebensatze die
konjugierte Form des Zeitwortes — das Verbum finitum — seine ur-
sprungliche Stellung verliert und sich an das Ende der Konstruktion ver-
schieben lasst.
Um mit dem Erstgenannten zu beginnen: der Deutsche sagt also
nicht, wie es in anderen modernen Sprachen iiblich ist : ,,Ich habe gesehen
Sie gestern" ; ,,ich bin gewesen zur Kirche" ; ,,ich werde gehen nach Eng-
land"; ,,ich kann (will, muss, soil u. s. w.) sehen deine Fortschritte" ; —
sondern er trennt die beiden den Pradikatbegriff bildenden Zeitworter, in-
dem er das Mittelwort der Vergangenheit (,,gesehen", ,,gewesen"), oder
die Nennform des Zeitwortes (,,gehen", ,,sehen") an das Ende der Kon-
struktion stellt. Diese Verschiebung des Mittelwortes und der Nennform
findet nun in der deutschen Sprache immer statt, und wenn eine Ausnahme
dazu vorkommt, so hangt ihr unleugbar etwas Fremdartiges, Undeutsches
an. Man trifft dieselben deshalb besonders in der Prosa an, als Nach-
ahmung der Sprechweise von Auslandern und nichtdeutschen Elementen.
In der gebundenen Rede vermogen diese Ausnahmen allerdings durch
ihre Eigentiimlichkeit denEindruck desGesprochenen zu erhohen, wie denn
durch Luthers haufigen Gebrauch in seiner Bibeliibersetzung ihr rhetori-
scher Wert wohl zur hochsten Geltung gelangt. Man beachte z. B. die
folgende biblische Ausdrucksweise : ,,Dass sich dein Same mehre wie die
Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres, und er soil be-
sitzen die Tore deiner Feinde ;" — oder wie im Gebet des Herrn, wo
ausser der Umstellung des deutschen ,,Unser Vater" in ,,Vater unser" es
heisst : ,,der du bist im Himmel" wahrend es doch in deutscher Wortfolge
heissen miisste, ,,der du im Himmel bist"; sowie: ,,vergib uns unsere
Schuld, wie wir unsern Schuldigern vergeben" statt ,,wie wir vergeben
unsern Schuldisrern".
Abb'dngigkeitsverb'dltnisse in der deutschen Sat^bildung. 99
Aber trotz Luthers haufiger Anwendung in der Bibel hat seine Wort-
stellung die der echt deutschen Trennung nicht zu verdrangen vermocht :
ist ihm auch nicht darum zu tun gewesen, wie geniigsam aus seinen andern
Prosaschriften erhellt
Dass die deutsche Stellung des Zeitwortes dem Nichtdeutschen, be-
sonders in erweiterten Satzen recht eigentiimlich erscheinen muss, lasst
sich aus den Kritiken ersehen, die wir dariiber hinnehmen miissen. Eine
der kostlichsten ist jedenfalls die des amerikanischen Humoristen ,,Mark
Twain" in seinem beriihmten Werke ,,Innocents Abroad". Wie langsam
und schwierig iiberhaupt diese Umstellung bei den meisten deutschler-
nenden Schiilern Verstandnis und Eingang findet, hat der deutsche Lehrer
hierzulande Gelegenheit zu beobachten. Da mag es denn fast taglich
vorkommen, dass ein Schiiler, dem die deutsche Konstruktion noch nicht
in Fleisch und Blut iibergegangen ist, ganz ruhig erklart: er werde seine
schriftliche Aufgabe f iir heute Nachmittag : sodass der Lehrer erst
mit Fragen wie ,,abschreiben ?", ,,vorlesen ?", ,,bringen ?", ,,abgeben" ,,oder
fortnehmen ?" einhelf en muss, um die Wichtigkeit des ausgelassenen Satz-
teiles hervorzuheben.
Dem Deutschen, sowie dem Auslander, der diese Umstellung griind-
lich beherrscht, erscheint jene Auslassung allerdings unmoglich. Er ist
daran gewohnt, das pragnante Wort, das dem ganzen Satze erst den In-
halt verleiht, zuletzt zu horen. Eigentiimlich bleibt die Sache aber im-
merhin; und es diirfte demjenigen, der sich nicht tiefer mit der Satzlehre
befasst hat, doch wohl recht schwer fallen, auf die Fragen eines wissens-
durstigen Schiilers eine befriedigende Antwort zu geben ; Fragen wie die
folgenden sind wohlberechtigt : Warum trennt man diese Verbformen
iiberhaupt? Warum nicht auch im Englischen, im Franzosischen oder in
einer andern modernen Sprache ? — Steht ihm dann sein Schutzengel bei,
da mag's dem so in die Enge Getriebenen wohl herausfahren : Weil 's eben
Deutsch ist ! Und tatsachlich hat er mit diesem kurzen Bescheid — zwar
unbewusst — den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn es spricht sich in
dieser eigenartigen Umstellung des Verbums ein Zug echt deutschen We-
sens aus — ein Charakterzug, der bis auf den heutigen Tag dem deutschen
Volke zu manchem Wohl aber auch zu manchem Weh gereicht hat.
Die Sprache ist ein Spiegel der Gedanken, wie sie aus dem Denken,
Fuhlen und Wollen des Einzelmenschen sowohl, als eines ganzen Volkes
hervorgehen. In seiner Sprache offenbart sich das Tiefinnerste eines
Menschen, wie eines Volkes ; nicht im Ausdruck allein, und im Ton :
selbst in der Form charakterisiert sich die Eigenart des einen wie des
andern.
Nun gibt es aber keine Nation, die die Standesunterschiede, die
Rangverhaltnisse deutlicher, scharfer begrenzt und durchgebildet hat, wie
gerade die deutsche. Das soil weder ein Lob, noch eine Verurteilung
100 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
sein; denn Gutes, recht viel Gutes, aber auch manche Unzulassigkeit 1st
daraus hervorgegangen.
Das steht fest, dass ausser dem Russen, der denn doch in seiner nie-
drigen Knechtschaft und mit seiner weit geringeren Bildung nicht zum
Vergleich gebracht werden kann, kein Volk so sehr die bescheidene Hoch-
achtung, die Wertschatzung alles Hochstehenden und Fremden so aus-
gebildet hat, wie der Deutsche.
Wer wiisste es nicht, wie im Vaterlande die Titel und Namen hoch-
stehender Personen nur mit einer gewissen, scheuen Reverenz ausgespro-
chen werden! Wie ,,der Herr Doktor" oder gar ,,der Herr Sanitatsrat",
,,der Herr Major" — ja selbst ,,der Herr Pastor" und ,,der Herr Lehrer"
dem guterzogenen, einfachen Burger oder Bauer weit mehr respekthei-
schende Wesen sind, als jene es hierzulande jemals sein konnten! An-
spruchslos, nach guter, alter Sitte, raumt der Deutsche dem Hoherstehen-
den gern den ersten Platz, ja in seiner — so oft missverstandnen — Be-
scheidenheit tritt er selbst wohl an den letzten Platz ! Und siehe : was er
in seinem Tun und Handeln ubt, das spiegelt die Sprache getreulich wie-
der; denn wo immer sick ein Verhaltnis der Abh'dngigkeit herausgebildet
hat — da steht der untergeordnete, abhdngige Teil bescheidentlich am
letzten Platz.
Abhangig sein heisst doch wohl, ohne die Hilfe eines andern — oder
ohne die Hilfe von etwas anderm — nicht bestehen konnen. Nun, dem-
nach sind in den oben angefiihrten Satzen alle Mittelformen der Zeitwor-
ter, sowie die Nennformen derselben von den sie begleitenden Hilfszeit-
wortern abhangig. Denn falls man die vollendete Gegenwart — das Per-
fektum — von ,,sehen" nicht ohne Zuhilfenahme von dem Hilfszeitwort
,,haben" bilden kann, — mit anderen Worten, wenn man nicht sagen darf :
,,Ich Ihren Bruder gesehen", sondern das Wort ,,habe" unbedingt ein-
setzen muss, um den Satz verstandig zu machen, dann kann eben die Mit-
telform ,,gesehen" nicht ohne ,,habe" bestehen ; sie ist also abhangig davon,
und da sie dieses Verhaltnis anerkennt, so tritt sie bescheidentlich an den
letzten Platz, — an das Ende der Satskonstruktion.
Dasselbe Verhaltnis wiederholt sich bei den Nennformen, die ent-
weder vor den Hilfsverben des Modus (konnen, wollen u. s. w.), dem
Hilfsverb der Konjugation ,,werden", oder von einem andern regelmassi-
gen Verbum (wie: sehen, horen) abhangen mogen, — ja, selbst im unter-
geordneten, also abhdngigen Satsverhaltnis, im Satzgefuge, findet diese
sicherlich charakteristische Verschiebung des Haupttragers des Satzinhal-
tes, namlich des Hauptverbums, statt, und es ist gerade diese Tatsache,
welche als begriindendes Beispiel fiir die angebene Erklarung solcher Satz-
stellung moge angefiihrt werden.
Oder wie wollte man andernfalls diese Umstellung des Zeitwortes
geniigsam erklaren? Lassen Sie uns einen solchen Fall naher betrachten.
Abb'dngigkeits'verb'dltnisse in der deutscben Sat^bildung. 101
,,Dir bliiht gewiss das schonste Gliick der Erde, da du so fromm und
heilig bist", so stellt Schiller zwei einfache Satze in ein Gefiige zusam-
men. ,,Dir bluht gewiss das schonste Gliick der Erde", — oder auch:
,,Das schonste Gliick der Erde bliiht Dir", und ,,Du bist so fromm und
heilig" sind die einfachen Satze. In beiden nimmt der Pradikatsbegriff
— das Zeitwort — die zweite Stelle ein — solange sie fur sich bestehen.
In der Beziehung auf einander, in der Zusammenfiigung durch das Binde-
wort ,,da" verliert jedoch das Zeitwort des mit ,,da" eingeleiteten Satzes
seine Stellung; es heisst nicht mehr da du bist so fromm und heilig, son-
dern ,,da du so fromm und heilig bist". Was bedingt also die Umstel-
lung? Doch jedenfalls das Wortchen ,,da" — oder eigentlich der in diesem
Wortchen sich bergende Begriff: die Angabe des logischen Erkenntnis-
oder Beweisgrundes fur die im Vorsatz enthaltene Aussage, wodurch dann
ein inneres, so nahes Verhaltnis der beiden Aussagen geschaffen wird, dass
die letztere ihre Selbstandigkeit aufgibt und sozusagen als Satzteil der
ersteren sich einfiigt, kurz, in ein Abh'dngigkeitsverhdltnis zum ersten Satz
tritt.
Dass dem so ist, lasst sich leicht durch die Einschaltung des Binde-
wortes ,,denn" an Stelle des ,,da" beweisen. Auch dieses Bindewort
fiihrt den logischen Erkenntnisgrund ein ; es wird aber dieser Grund nicht
als absolut notwendige, von der ersten Aussage direkt abhangige Tatsache
hingestellt, vielmehr als eine mehr oder weniger zufdllige Begleiterschei-
nung.
Denn wahrend die mit ,,da" eingeleitete Begriindung in unserm Bei-
spiele etwa so zu erklaren ware : weil du so fromm und heilig bist, so muss
dir das schonste Gliick der Erde bliihen, — enthalt der mit ,,denn" einge-
fiihrte Satz etwa den Sinn : es ist wahr, du bist fromm und heilig ; dem-
nach muss dir auch das schonste Gliick der Erde bliihen.
Beide Gedanken bleiben also im letztern Satz trotz innerer Beziehung
als selbstandige Erkenntnissatze bestehen, — der eine fiigt sich nicht als
Teil dem andern ein ; er bleibt unabhangig, und in der Konstruktion behalt
auch das Zeitwort als Haupttrager der Satzidee seine unabhangige Stel-
lung ; es heisst : dir bliiht gewiss das schonste Gliick auf Erden ; denn du
bist so fromm und heilig.
Selbst die Zeichensetzung bestrebt sich, diesem Unterschied zwischen
abhangigem und selbstandigem Satzverhaltnis gerecht zu werden; denn
wahrend vor ,,da" ein Komma steht, setzt man vor ,,denn" in der Regel
ein Semikolon; ja, nach besonders langem, vorstehendem Hauptsatz selbst
einen Punkt.
Zuriickkommend auf unsere Abhangigsverhaltnisse und auf die eigen-
artige Verbstellung in denselben, noch einige Bemerkungen zur Ergan-
zung.
102 P'ddagogische Monatsbefte.
Es wird tins von Auslandern oft der Vorwurf gemacht, dass durch
die Trennung der Verbformen notwendiger Weise auch der Pradikats-
begriff zerhackt, zerstuckelt wurde; ja, dass durch die Verschiebung des
Zeitwortes sozusagen „ der Karren vor den Gaul gespannt sei."
Dem Deutschen selbst wird sich diese Empfindung nie aufdrangen;
von seinem Standpunkt aus ist diese Konstruktion nicht nur gut, sondern
sogar folgerichtig, und ihm erscheint die deutsche Wortfolge z. B. in der
Trennung zusammengesetzter Zeitformen als festerer, soliderer Bau, als
die anderer Sprachen.
Wahlen wir zum Vergleich ein Beispiel aus dem Englischen. Da
heisst es : / have just torn up a letter for my brother in Germany. Der
Pradikatsbegriff, der Trager der Satzidee, "torn up" folgt unmittelbar
dem Subjekt ; wir wissen von vornherein, was geschah, — es wurde etwas
,,zerrissen". Der Hauptinhalt des Satzes und damit das Hauptinteresse
desselben konzentriert sich also auf den Eingang des Satzes. Fiigen wir
nun zum Aussagebegriff die Erganzung hinzu, so sind wir befriedigt. "/
have just torn up a letter." Man darf hier getrost einen Punkt setzen.
Das noch hinzugefiigte "for my brother" ist mehr als eine zufallige Bei-
gabe denn notwendiger oder erklarender Satzteil zu betrachten. Wieder
konnen wir hinter die Aussage : / have just torn up a letter for my brother
einen Punkt setzen. Die Idee ist vollstandig abgeschlossen. Es folgt
aber noch eine weitere Bestimmung "in Germany" ; auch diese ist wie die
vorhergehende nur lose angereiht ; sie kann unbeschadet des Inhaltes un-
seres Satzes fortgelassen oder angefiigt werden, — die Konstruktion des
Satzes beeinflusst sie so wenig wie die vorstehende Beifiigung.
Vergleichen wir nun damit denselben Satz im Deutschen. ,,Ich habe
gerade einen Brief — " nun, was denn? erhalten? geschrieben? gelesen?
abgeschickt? ? Durch den uns vorenthaltenen Pradikatsbegriff wird un-
sere Wissbegierde nicht nur erregt, sondern noch gesteigert. Wir lau-
schen erwartungsvoll auf das Kommende; ,,an meinen Bruder" So?
An den Bruder? Nun da wird das Zeitwort wohl ,,geschrieben" lauten?
Oder ist es ,,abgeschickt ?" Vielleicht ,,verloren ?" — I, nun soil uns doch
wundern, was?
,,in Deutschland." — Nun ja, der Bruder ist in Deutschland, aber was
ist mit dem Brief geschehen? Wir sind jetzt beim Ende des Satzes ange-
kommen und wissen von dem, was eigentlich geschehen ist, noch gar
nichts.
Erst mit dem letzten Wort ,,zerrissen" kommt der spannend erwar-
tete Aufschluss. Dieses letzte Wort ist sozusagen der Trager der Satz-
idee ; es ist der Schliissel zum Verstandnis des ganzen Satzes, — oder
noch passender: es ist der Schlussstein eines festgemauerten Bogens.
Wie jener, zuletzt gesetzt, den ganzen Bau zusammenhalt und vermoge
seiner Stellung und seiner Form die ganze Konstruktion fester fiigt, so
auch das Schlusswort des deutschen Satzes.
Abbangigkeits-verbaltnisse in der deutschen Satfbildung. 103
Man versuche nur, das letzte Wort fortzunehmen. Was bleibt? Ein
unverstandliches Etwas; nicht einmal ein Satz. Ohne den Schlussstein
bricht die Konstruktion zusammen.
Und nun vergleiche damit andere Sprachen. Zerstort auch da die
Auslassung des letzten Satzteiles die Konstruktion? Liegen nicht hier die
Satzteile nebeneinander, wie lose Bausteine geschichtet? —
Es ist schon oben angedeutet, dass diese Eigenart im deutschen Satz-
bau sich bis in die altsten Perioden der deutschen Sprache verfolgen lasst.
In einem der Merseburger Zauberspriiche, die, obwohl von Monchen auf-
gezeichnet, noch Spuren sehr hohen Altertums tragen, heisst es:
Phol ende Uuodan vuorun zi holza.
du uuart demo Balderes volon sin vuoz birenkit.
thu biguolen Sinthgunt, Sunna era suister,
thu biguolen Frija, Volla era suister,
thu biguolen Uuodan, so he uuola conda.
sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki:
ben zi bena, bluot zi bluoda,
lid zi gilidin, sose gelimida sin.
In der Ubersetzung :
Phol und Wotan fuhren (-ritten) zu Holze.
Da ward dem Fohlen (-Fiillen) Balders der Fuss verrenkt;
Da besprach ihn Sinthgut, der Sonne (ihre) Schwester;
Da besprach ihn Freia, der Volla Schwester,
Da besprach ihn Wotan, so wohl er konnte:
Ob Knochen-, ob Blut-, ob Gliedverrenkung :
Bein (-Knochen) zu Bein; Blut zu Blute;
Glied zu Glied, als ob sie (sose -though they!) geleimt seien."
Als Beleg fur das abhangige Satzverhaltnis weisen wir auf Reihe 2:
du uuart dem Balderes volon sin vuoz birenkit, sowie auf die letzte Reihe,
worin das Verbum finitum ,,sin", weil im Nebensatz, an das Ende der
Konstruktion tritt.
Audi im Hildebrandslied, das jedenfalls der friihesten Periode deut-
scher Dichtung angehort, finden wir reichlich Belege fiir die deutsche
Eigenart des Satzbaues.
Garutun se iro gudhamun, gurtun sih iro suert ana,
helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun.
Zu deutsch:
Legten an ihre Kampfgewander, giirteten sich ihre Schwerter an,
(die) Heldei?, uber (die Panzer-) ringe, da sie zum Kampfe ritten.
Sowie: her fragen gistuont fohem uuortum, hwer sin fater
ztwi er (zu) fragen anhub,
(mit) wenigen Wort en, wer sein Vater ware.
104 P'ddagogischt Monatsheftt.
Erwahnenswert ist es jedenfalls, dass auch die angelsachsische Spra-
che etwa bis zur Mitte des zwolften Jahrhunderts die deutsche Umstel-
lung, wie uberhaupt den deutschen Satzbau befolgt.
Aus JEAi rics Grammatik, etwa um 970, zitieren wir : Tha waes Thridh-
woed sprecen. Da wurde (ein) Machtwort gesprochen. — Ferner aus
einer Bibeliibersetzung, etwa um das Jahr 1000 : Tha se Haelend gefulbod
waes,astah he. Da der Heiland getauft war, stieg er heraus.
Aber schon zur Zeit Chaucers, in der letzten Halfte des vierzehnten
Tahrhunderis, hat die deutsche Art dem franzosischen Einfluss weichen
miissen.
Hat das Englische dadurch eingebiisst? Uns will es so erscheinen;
denn es kann von der vorurteilslosenKritik nicht geleugnet werden, dass
dem Deutschen in der veranderten Wortfolge seines Satzbaues ein Mittel
gegeben ist, welches die Darstellungsweise seiner Gedanken geschmeidi-
ger, gefiigiger, abwechslungsreicher und rhythmischer gestaltet.
Es darf allerdings nicht unerwahnt bleiben, dass sich durch die gro-
ssere Mannigfaltigkeit der Gestaltung auch die Moglichkeit fehlerhafter
Konstruktion in gleichem Masse steigert; dass fiiglich dem Lehrer des
Deutschen wohl eine hochst schwierige aber auch ausserst anregende Auf-
gabe daraus erwachst.
Aus dem Tagebuch eines deutschamerikanischen
Schulmeisters.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von C. O. Sehonrich, Baltimore.
5. Allerlei Zuschriften vom Elterhaus.
Die in die Schule gelangenden Zuschriften verhelfen uns zu einem
weiteren Verstandnis fur Jungamerika. Tausende derselben habe ich in
meiner Berufstatigkeit seit 1868 erhalten, in den letzten Jahren kamen
sie in verschiedenen Sprachen, da meine jetzige Schule, die grosste in
Stadt und Staat, aus 35 Klassen mit 40 Lehrkraften bestehend, in drei
Gebauden untergebracht, von Kindern verschiedener Nationalitaten be-
sucht wird. So zeigte ich dieser Tage unserem geschatzten Direktor
Dapprich, als er mich bei seiner Durchreise nach Europa besuchte, einen
eben eingegangenen hebraischen Brief. Lesen konnte ihn freilich weder
er noch ich.
Wenn nun hier zum Anfang eine der englischen Zuschriften wieder-
gegeben ist, so geschieht dies einerseits, um diese, die ja doch in der Mehr-
zahl vorkommen, in diesem Kapitel nicht ganz und gar zu iibergehen, an-
derseits aber, um damit zu zeigen, dass manche der in nachfolgenden
Noten reprasentierten deutschamerikanischen Mutter und Vater vor man-
Aus dem Tagebucb eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 105
chen angloamerikanischen beziiglich Orthographic und Stil in ihrer Weise
keineswegs zuruckstehen. Die Namen sind aus naheliegenden Griinden
verandert.
,,Please kipe Willie in at reses time as he had bin sick
Oplige Mrs Jones"
Die nachste Zuschrift ist die kiirzeste in meiner Sammlung, sie bildet
gewissermassen den Ubergang vom Englischen ins Deutsche :
,,Bliss Miss Esskuss die Mehre."
Das Eis ist gebrochen, in den folgenden Zuschriften gewinnt das
Deutsche immer mehr Bahn:
,,Miss Lissi,
Der Lui hat sor an his fit und ich hab ihn von der Schul heimbehalten.
Mis Schulz."
,,Mis Tille.
Die Meme hat die ganze woche nicht gut gefielt deswegen hab ich Sie zu Haus
behalten. Mis Maier."
Mis Line
Der Herre hat zehnewetag ghabt dan kont er nicht komen."
,,Miss Gusse bliess lass mein Jani heim mit der ersten Bel,"
,,Die Make konnte gestern nachmittag nicht kommen, sie hatte Klaftir-
stunde."
,,Da Josie Wurzburger
Morgen fort Muft mo'gte ich sie um eine Karte Bitten.
Jackob Wurzburger."
,,Freulein Emma.
Entschultige sie den Schanne Miller er War Nicht Heute morgen in der Schulle
den er War Wiitr Krank. im auf drag
for Mis J. Miller."
,,Mrs. Eide
sein sie so gut und Lasen sie den Karlchen Lehman Witter in die Schulstube
Komen Wen er in Bisas ausgewesen ist. Weil er so ein Husten hat
agtunkzfoll M. Lehman."
Ein Schiller, dessen Namen vom Monitor aufgeschrieben worden war,
weil er sich der Regel zuwider vor Offnen der Tiir am Schulhause gezeigt
hatte, brachte folgende auf ein abgerissenes Stuck gelben Einwickelpapie-
res gekritzelte Note:
ich schicke Luis vor der Schulle For ein Keckstenter und er komt zu Haus und
Weint das ein Bub sein Nam genomen hate for die Schull."
Eine osterreichisch-ungarische Mutter sandte folgenden Zettel:
,,Ms tizern!
die ursache was mein sohn ist zu Haus ferbliben ist er hat zahn wehtig also
bitte Ihm zu ferzeuen. Mikrosch,"
Mit den folgenden Zuschriften gelangen wir allmahlich in ein reineres
Deutsch :
,,Fraulein Annabel Johann hat eine wehe Fuss gehabt."
Freulein Marie
Enschulige sie die Rickchen den sie Glagte zu fill iiber iren Gopf We Weshalb
sie Nicht iren auf satz Gont aus fiilen
Achtungfoll
Mis Schulze."
106 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Beim Betrachten vorstehender Zuschriften wird sich der deutsche
Lehrer da und dort Worterklarungen gewunscht haben. Diesem stillen
Wunsche soil nun entsprochen warden, ehe wir weiter gehen. Herre
steht fur Harry, Schanne fur Johnnie, Mehre fur Mary, Meme fur Mamie,
Tille fur Tillie, Ottilie, Josie fur Joseph, Make fur Maggie, Eide fur
Ida, Gusse fur Gussie, Kek fur cake, muft fur moved, Risas fur recess
(Freizeit, Spielzeit), bliss fur please, esskuss fiir excuse, tizern fur
teacher, sor an his fit fiir sore on his feet (wehe Fiisse).
Folgende Zuschriften geben andere Einblicke.
,,Geehrter Herr!
Entschuldigen Sie giitigst meine Tochter Gretchen und Blanche fiir Abwesen-
heit von der Schule, und fiir ihre Lektionen, sie waren auf dem Ball.
Hochachtungsvoll
N. N.
,,Geehrte Dame!
Sie mb'chten so gut sein und entschuldigen Friedrich das Er nicht in der
Schule war und auch zu gleicher Zeit fiir spat kommen heute Morgen und ich
wollte sie liessen Ihn einmal ordentlich durchhauen, denn wenn Er wieder spat
kommen thut wir sein immer auf der Hut das schb'n rein aussieht wenn Er nicht
sich rein halt so geben sie Ihm ordentliche Tracht Priigel und Ich bleibe Er-
gebenst Sein Vater N. N.
,,Sehr geehrter Herr!
Sie haben meinen Sohn nach Hause geschickt und sagen lassen, wenn ich nicht
nait ihm in die Schule komme, werde er suspendiert. Und das Alles, weil seine
Lehrerin ihn ungerecht beschuldigt hat, wie ich von meinem Sohne positiv iceiss.
Das ist gegen alles Recht und gegen die Constitution der Vereinigten Staaten,
und als freier Burger protestiere ich dagegen. Ich verstehe es wohl, wenn Sie
Ihr Lehrerpersonal in Schutz nehmen, aber Alles hat seine Grenze, und ich
kann nicht einsehen, wie Sie als gebildeter Mann die Seite einer ganzlich un-
fahigen Lehrerin nehmen kb'nnen.
Wenn Sie nun darauf beharren und meinem Sohn ohne mein Hinkommen die
Wiederaufnahme verweigern, dann bin ich leider gezwungen, mich an die Schul-
behorde zu wenden.
Mit grosster Hochachtung
Dr. X.
Der Brief hatte nicht die erwartete Wirkung, und der Herr Vater
fand es geraten, andern Tags doch in die Schule zu kommen und den
Fall erledigen zu helfen. Was den Fall hasslich machte ist der Umstand,
dass die betreffende Lehrerin befahigt und pflichttreu war und sich gerade
mit jenem verzogenen Jungen grosse Muhe gegeben hatte. Zum Dank
war sie noch vom Elternhaus beschimpft worden.
Ja, Dank ist fiir den Lehrer eine seltene Bliite. Mir ist er von mei-
nen Privatschiilern immer reichlich geworden, die andern Schiiler haben
mich dadurch in spateren Jahren auch vielfach erfreut und ermuntert, aber
von Dankbarkeit des Elternhauses finde ich in meinen Tagebuchblattern
verhaltnismassig nur wenige Falle angegeben, und in der grossen Mehr-
zahl gingen sie von israelitischen Eltern aus.
Aus dem Tagebuch eines deutscbamerikaniscben Scbulmeisters. 107
Dass iibrigens die Dankbarkeit schon vor Jahrtausenden ein Anstoss
errengender Gegenstand gewesen sein mag, kann aus dem Umstand er-
sehen werden, dass, als Zeus im Olymp ein Gotterfest gegeben, nur zwei
der geladenen Gaste einander fremd gegeniiber standen, und erst mit ein-
ander bekannt gemacht werden mussten : die Gottin der Wohltatigkeit
und jene der Dankbarkeit ; sie waren einander noch nie begegnet.
Zum Abschluss dieses Kapitels noch eine Korrespondenz. An einem
stiirmischen Freitag im Marz 1892 sandte der Schreiber den Zoglingen
seiner Oberklasse aus dem einsamen Krankenzimmer, wohin ihn ein Hals-
leiden gefesselt hatte, nachfolgenden Brief:
,,Meine lieben Schiller!
Das rauhe Wetter halt im Haus
Den Korper noch gefangen,
Den Geist jedoch tragt hin zu Euch
Mein sehnendes Verlangen;
Und wenn es Gottes Wille 1st,
Bin ich in Eurem Kreise
Am nachsten Montag wiederum
Ganz in der alten Weise.
Um nun die alte Freundschaft dann
Werktatig zu erneuen,
Sollt Ihr mit einem Aufsatz mich
An jenem Tag erfreuen.
Legt ihn erst aus, und schreibt ihn schon
Auf lose, weisse Blatter,
Braucht sparsam den Superlativ,
Das Thema sei ,,Das Wetter."
Doch nennet nicht das Wetter ,,schlecht,"
Denn Gott lasst's so geschehen,
Und was Er schickt, ist immer gut,
Wenn wir's auch nicht gleich sehen. —
So lebt denn wohl, und lasset Euch
Die Milhe nicht gereuen,
Dann kann ein jedes doppelt sich
Am Montag mit mir freuen.
Euer treuer Lehrer C. 0. 8."
Der Brief war aber nicht nur in die Hande der Schiiler geraten,
sondern auch in die Spalten einer Lokalzeitung, deren argusaugigen Be-
richterstattern er nicht hatte entgehen konnen, und der Montag brachte
nicht allein die Aufgaben der betreffenden Schiiler, sondern auch per
Post folgende Epistel von ,,einem Exschuler" :
,,Das Wetter.
Das Wetter, das in diesen Tagen
Uns Regen, Wind und Schnee beschert,
Das ist fiirwahr kaum zu ertragen,
Indem es den Verkehr erschwert.
108 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Es hullten Manner sich und Frauen
Gar fest in ihre Pelze ein,
Um einigermassen vor dem rauhen
Und ka It i'ii Wind geschiitzt zu sein.
Der Wettergott vertibt mitunter
Aus tibermut die tollsten Streich;
Er treibt es taglich immer bunter,
1st rticksichtslos und keck zugleich.
Das Wetter, ja, es ist verschieden
Und wird es immerwahrend sein,
Es stellt die Menschen nicht zufrieden,
Sei's Regen oder Sonnenschein.
Das Wetter, es halt auch mich heute
In warmer Stube festgebannt,
Allwo ich jetzt die Zeit vergeude
Mit dem ob'gen Gegenstand.
Von einem Exschiiler.'
Editorielles.
German in public schools. . . Unter diesem Titel bringt die Februar-
ntimmer des in Milwaukee erscheinenden ,,Western Teacher" aus der Fe-
der des Redakteurs S. Y. Gillan einen Artikel, auf den einzugehen wir uns
gezwungen sehen. Herr Gillan glaubte sich zu diesem Artikel veranlasst
durch einen vom hiesigen Superintendenten des offentlichen Schulwesens
Herrn H. O. R. Siefert gemachten Vorschlag, der dahinging, durch all-
mahliche Heranbildung von englisch-deutschen Lehrern das gegenwartige
Fachlehrersystem im deutschen Unterricht durch das Klassenlehrersystem
zu ersetzen. Nachdem dieser Vorschlag in der hiesigen Presse bereits
heftigen Widerstand gefunden hatte, greift ihn nun auch Herr Gillan an
und knupft daran Bemerkungen, die den deutschen Unterricht im allge-
meinen treffen und uns darum zwingen, uns mit denselben zu beschaftigen.
Herr Gillan fiihrt aus, dass der deutsche Unterricht in den offent-
lichen Schulen weder eine Notwendigkeit ist, noch von Dauer sein wird.
Er ist ein zeitweiliger Notbehelf gewesen und wird nur geduldet; einen
eigentlichen Wert besitzt er fur den Elementarunterricht nicht. Die Un-
terrichtszeit ist zu kurz, um die nicht von Hause aus deutschsprechenden
Kinder zum Gebrauch der Sprache zu bringen, und fiir die Schiiler, welche
sich nicht am deutschen Unterricht beteiligen, ist die demselben gewidmete
Zeit verloren.
Das Deutsche erhielt einen Platz in unseren offentlichen Schulen zu
einer Zeit, als die deutsche Einwanderung eine besonders grosse war.
Editorielles. 109
Um namlich die neu eingewanderten Deutschen schneller zu amerikani-
sieren, wollte man sie in die.offentlichen Schulen ziehen, und man gab
ihnen den deutschen Unterricht gleichsam als Lockspeise, die denn auch
den gewiinschten Erfolg hatte. Der Gedanke kam aber damals nieman-
dem, dass dieses Interimistikum einst zur standigen Einrichtung werden
konnte. Jeder intelligente Deutsche, der sich in Amerika niederlasst,
weiss, dass seine Nachkommen die Sprache seines Vaterlandes vergessen
werden. Dieser Prozess mag in einigen abgelegenen Gegenden Wiscon-
sins oder Pennsylvaniens langsam vor sich gehen, aber aufgehalten kann
er nirgends werden, und wo es geschieht, geschieht es zum Nachteil der
Beteiligten. Gewohnlich finden wir schon die zweite Generation sich des
fliessendsten Englisch bedienen, das kaum noch ihre Abstammung verrat.
Daher ist Superintendent Sieferts Plan reaktionar und findet nicht einmal
die Unterstiitzung der intelligenten und weitblickenden Deutschen.
In den Hochschulen liegen nach Herrn Gillan die Verhaltnisse anders.
Da gebiihrt dem deutschen Unterricht seines kulturellen Wertes halber
der gleiche Platz wie andern modernen Sprachen, wenn vielleicht auch
die politischen Ereignisse der letzten Jahre dem Spanischen aus prakti-
schen Griinden mehr Wert beigelegt haben als dem Deutschen.
Soweit Herr Gillan. Es ist natiirlich hier nicht am Platze, auf den
Siefertschen Vorschlag einzugehen, den iibrigens Herr Gillan vollstandig
entstellt wiedergegeben hat, wenn er sagt, dass nach demselben jede Lehr-
kraft Milwaukees Deutsch sprechen und unterrichten miisste. Auch wir
konnen uns nicht mit dem Siefertschen Plane befreunden. So sehr das
Klassenlehrersystem in der Volksschule dem Fachlehrersystem aus erzieh-
lichen Griinden vorzuziehen ist, so wird sich das erstere kaum auf den
fremdsprachlichen Unterricht ausdehnen lassen. Dies geschieht nicht
einmal in Europa, wo doch fremde Sprachen seit Jahrhunderten einen
wichtigen Zweig des Lehrkursus bilden. Wenn aber Herr Gillan die
Opposition unserer intelligenten Deutschen gegen den Siefertschen Vor-
schlag daraus erklart, dass sie die Sache des deutschen Unterrichtes auf-
geben und darum den Vorschlag fur unzeitgemass halten, so irrt er sich.
Gerade, weil unsere Deutschen eine Verkummerung des deutschen Unter-
richts furchten, deshalb sind sie Gegner dieser Neuerung.
Im iibrigen miissen wir unsere Verwunderung dariiber ausdrucken,
dass Herr Gillan solche Ansichten iiber den deutschen Unterricht aussert.
Wir halten ihn fur einen Mann des Fortschritts auf padagogischem Ge-
biete, dass wir uns seine riickschrittliche Stellung auf dem Gebiete des
fremdsprachlichen Unterrichts kaum zusammenreimen konnen.
Ein jeder, der mit der Geschichte des deutschen Unterrichts vertraut
ist, weiss, dass die Angaben Herrn Gillans nicht den Tatsachen entspre-
chen. Die Deutschen hatten den Unterricht in ihrer Muttersprache als
Lockspeise erhalten? Ob Herr Gillan wohl je von den Kampfen gehort
110 P'ddagogische Monatsbefte.
und gelesen hat, die die deutsche Bevolkerung unserer grossen Stadte zu
bestehen hatte, ehe man sich zu Konzessioneij beziiglich des deutschen Un-
terrichts verstand. Der Geist, der damals — es war in den Zeiten der gro-
ssen deutschen Einwanderung — die Kampfer beseelte, er ist auch heute
noch bei vielen — wenn auch leider nicht bei alien — vorhanden; auch
heute finden wir noch zahlreiche Deutsche, die mit derselben Zahigkeit und
Begeisterung fiir die Erhaltung des kostbarsten Gutes in der neuen Heimat
zu kampfen willens sein werden wie ihre Vorfahren.
Doch da haben wir uns auf ein Gebiet begeben, auf das zu folgen wir
Herrn Gillan nicht zumuten werden. Seine Muttersprache ist ja die eng-
lische Sprache, und er wird kaum verstehen, welche im tiefsten Innern
schlummernden Herzenstone im Deutschen beim Klange deutscher Laute
geweckt werden, und warum daher der Deutschamerikaner mit aller ihm
innewohnenden Energie neben dem Englischen, das er allerdings zu be-
herrschen trachtet und auch schon in der zweiten Generation vollstandig
beherrscht, wie Herr Gillan gerechterweise zugibt, am Deutschen festhalt.
Und dies macht uns sicherlich nicht zu schlechtern Burgern dieses Landes,
was uns der Gerechtigkeitssinn Herrn Gillans hoffentlich auch zugestehen
wird.
Wir gehen also auf das padagogische Gebiet, auf dem Herr Gillan
als tiichtiger Arbeiter gilt. Wird er als Ersieher den grossen Wert des
zweisprachigen Unterrichts verneinen wollen? Denselben an dieser Stelle
verteidigen zu wollen, hiesse Eulen nach Athen tragen. Nur zu seiner
Information mochten wir Herrn Gillan auf die Schriften und Ansichten
von Mannern hinweisen wie Alexander Bain, Bayard Taylor, James Mc-
Alister, J. B. Peaslee, M. D. Learned, D. St. Jordan, Chas. W. Eliot, D.
C. Gilman, W. H. Maxwell und W. T. Harris, dem Erziehungskom-
missar, der erst in seinem letzten Jahresbericht eine umfangreiche Arbeit
beziiglich des deutschen Unterrichts veroffentlicht hat. Wir sind der fe-
sten t)berzeugung, dass der zweisprachigeUnterricht von der ersten Klasse
der Volksschule an eine padagogische Notwendigkeit ist, und sind zu-
gleich anmassend genug, die deutsche Sprache als die zweite Sprache
zu bezeichnen, nicht deshalb, weil ein grosser Teil unserer Bevolkerung
deutscher Abstammung ist, sondern weil sie vom Standpunkte ihrer Lite-
ratur — das Wort im weitesten Sinne genommen — die moderne Kultur-
sprache ist. Diesen Platz raumt ihr auch Herr Gillan, soweit die Hoch-
schule in Betracht kommt, ein, und nur ein Schnitzer in der Logik seiner
Ausfiihrungen, indem er den kulturellen Wert mit dem praktischen ver-
mengt, bringt ihn zu dem Schlusse, dass das Spanische dem Deutschen
den Rang streitig mache. Ubrigens bezweifeln wir, dass das Spanische
einen grosseren praktischen Wert als das Deutsche habe ; es kame darauf
an, die Anzahl derer, die sich in ihrem Berufsleben des Spanischen, be-
ziehungsweise des Deutschen zu bedienen haben, statistisch festzustellen.
Inter esse des Volkesfur Schulen und Lehrer. Ill
Die zweisprachige Volksschule ist die Schule der Zukunft. tlberall
da, wo sie eingefiihrt ist, zeitigt sie die besten Resultate, und das Englische
hat nichts weniger als Schaden aus ihr. Wenn Herr Gillan sagt, dass
gegenwartig die dem deutschen Unterricht ausgeworfene Zeit zu kurz sei,
so mag er recht haben. Wenn er nun dafiir eintrate, dass die Zeit ver-
langert werde ; vielleicht wiirde er dann andern Sinnes werden ! M. Q.
Das wachsende Interesse des Volkes fur Hebung der
Schulen und Besserstellung der Lehrer.
(FOr die Padagogischen Monatshefte.)
Von A.. WarnecJee, Milwaukee.
Es ist eine erfreuliche Tatsache zu bemerken, dass seit einiger Zeit in alien
Schichten der Bevolkerung unseres Landes eine Bewegung im Gange ist, welche ener-
gisch fur Hebung unserer Volksschulen eintritt, und dieses einerseits durch Anstel-
lung tiichtiger und allseitig ausgebildeter Lehrkrafte, und andererseits durch Auf-
besserung des Gehalta und Sicherstellung derselben im Amte anzustreben sucht.
Diese Bewegung findet denn auch in der Presse, als dem eigentlichen Volksmunde,
kraftigen und energischen Ausdruck, und zwar durchweg in geschickter Weise und
mit trefflichen Argumenten. Man kann das wohl als ein allmahliches Erwachen des
Volksgewissens bezeichnen; denn unter alien idealen Giitern, die ein Volk unter
kraftiger Mithtilfe des Staates und der Kegierung anzustreben hat, steht doch wohl
eine gute Erziehung und Ausbildung der Jugend mit obenan. Wir halten uns hier
in Amerika fiir das gebildetste Volk der Erde, sind es auch wohl in mancher Be-
ziehung, jedenfalls in technischer und kommerzieller Hinsicht; aber auf dem Gebiet
der Erziehung und des Unterrichts konnen wir den Beweis der Superioritat doch noch
nicht durch den Nachweis darbringen, dass wir die wenigsten Illiteraten haben.
Darin sind uns doch Deutschland und die Schweiz noch ziemlich ,,uber", auch wenn
wenn wir die Indianer und Neger nicht mit einzahlen.
Wir miissen doch wohl zugeben, dass es mit der Ausbildung unserer Jugend, und
zwar besonders auf dem Lande, noch recht klaglich aussieht. Hier ist noch viel,
sehr viel zu tun und eben so auch noch in den meisten Stadten.
Doch was sollen wir Lehrer nun dieser Bewegung gegeniiber tun? Miissig zu-
schauen und uns das Ding gemiitlich ansehen? Auf keinen Fall. Wir sind es uns
selbst, unserer Familie und auch der Schule und unserm Amte schuldig, tatkraftig
mit in die Bewegung einzugreifen, Hand ans Werk legen und die Sache in jeder Be-
ziehung mitfordern zu helfen. Wie riihrig sind nicht die Arbeiter, ihre Lage zu
verbessern. Alle Gewerkschaften schliessen sich zusammen zu Vereinen und Ge-
nossenschaften zum gemeinschaftlichen Handeln, und wie viel haben sie nicht schon
erreicht durch tatkraftiges Handeln und festes Zusammenhalten ? Warum sollen wir
Lehrer nicht dasselbe tun? Glauben wir etwa, dass uns alles Gewiinschte und Er-
hoffte wie eine reife Frucht in den Schoss fallen wird? Darin werden wir uns sehr
tauschen.
Wir Lehrer hier in Milwaukee haben nun auch schon seit Monaten kriiftig fiir
eine bessere Stellung der Lehrer, als Gehaltserhohung ,permanente Anstellung und
Pension agitiert; aber dabei wird es einem so recht klar, dass wir hier in Amerika
doch durchaus keinen Lehrerstand, keine Berufsklasse haben. Da ist kein Standes-
bewusstsein, kein solidarisches Gefiihl der Zusammengehorigkeit, keine Kollegialitat.
112 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Wie kommt das und welches sind die Ursachen? Einfach daher, well hier die Lehrer
ihre Beschaftigung nur in seltenen Fallen zum Lebensberuf machen. Die meisten
sind eigentlich gar keine Lehrer, sie sind nur Schulhalter und haben darum auch kein
Standesbewusstsein. Und der Grund hiervon ist wieder, weil sie zu schlecht bezahlt
werden.
Alles bezahlt sich hier in Amerika, nur nicht das Schulehalten. Warum mel-
den sich nicht mehr junge Manner zum Lehrerberuf? Nun, sie konnen in fast jeder
andern Stellung mehr Geld verdienen. Darum hat ja auch das weibliche Geschlecht
fast ausschliesslich das Lehrergeschaft monopolisiert, und die Folge davon ist, wie
statistisch nachgewiesen wird, dass durchschnittlich alle 4 Jahre gewechselt wird.
Das ist gewiss doch nicht zum besten der Schule. Lehrerinnen miissen und sollen
sein (man denke sich einmal einen Mann als Kindergartner ! ) aber das starke Ge-
schlecht konnte ein bisschen mehr vertreten sein. In der Familie teilen sich Mann
und Frau friedlich in das Geschaft der Erziehung; warum kann es in der Schule
nicht eben so sein ? Ich glaube, es ware wohl wiinschenswert, wenn in den Oberklassen,
wo die Knaben gewohnlich anfangen, sich fur das Stadium der Flegeljahre zu ent-
wickeln, eine feste mannliche Hand die Ziigel ftihrte, statt der sanften weiblichen.
Die Friichte der allzugrossen Freiheit zeigen sich dann oft spater in widerlicher
Art. Was soil man z. B. dazu sagen, wenn an einer Universitat die Sophomores den
Freshmen bei einem Tanzvergniigen Stinkkatzen in die Tanzhalle warfen, oder an
einer anderen Universitat die Studenten ihren weiblichen Commilitonen nachts heim-
lich die Unterwasche aus den Waschraumen holen und mit Dinte beschmieren. Das
ist doch sicher nicht gentleman-like und kann nicht als harmloser Studentenulk be-
zeichnet werden. Doch dafiir ist gewiss nicht allein die Schule verantwortlich zu
machen, sondern vorziiglich das Elternhaus, wo die Erziehung in vielen Fallen sehr,
sehr vernachlassigt wird, weil der pater familias keine Zeit fur solche Kleinigkeiten
hat.
Es ist also nicht allein die tflberfiillung des Arbeitsmarktes durch das weibliche
Geschlecht und das dadurch herbeigefiihrte Herabdriicken der Gehalter, was die
Schule schadigt, sondern vor allem auch die mangelhafte Vorbildung mancher Be-
werberinnen. Unser Staats-Hochschulinspektor, Herr W. W. Parker, sagt sehr
richtig in einer Zuschrift an eine hiesige Zeitung:
"For the last 5 years teachers wages in Wisconsin have shown a slight increase
each year. This may be encouraging to some, yet the student of political economy
sees in it only the natural working of the law of supply and demand. The greater
the call for laborers in other fields, the fewer there are to teach school, hence the
higher wages. An awakened public conscience is the only permanent remedy for this
evil. A conscience which will recognize the value of the teacher to the world, the
sacrifice he must make to become a teacher, and the nerve-racking work he must do
in order to maintain himself in the teaching profession." Ja, das sind wahre Worte,
aber dem grossen Publikum gegeniiber sind sie meistens in den Wind gesprochen. Die
Menschen sehen die Arbeit des Lehrers meistens als eine sehr leichte an. Man kann
ja auch leider den Erfolg seiner miihevollen Arbeit nicht mit dem Yardmass oder
mit der Masskette messen und auch nicht mit dem Gewicht wiegen. Deswegen sieht
man geringschatzig auf sie herab. Die Lehrer sind die Farias der Gesellschaf t ;
,,the school-ma'm and the schoolsmaster" sind zwei Ausdnicke, bei denen man ge-
wohnlich mitleidig mit der Achsel zuckt. Man denkt dabei wohl an die Worte
im Faust: ,,Es muss auch solche Kauze geben." Also da heisst es fur uns, wie
Parker sagt, das Gewissen des Volkes aufwecken, fiir unsere Stellung kampfen und
zwar gemeinschaftlich Schulter an Schulter.
Correlation of German with Other Studies. 113
Das haben die Lehrer auch in Deutschland tun miissen und sie tun es noch dort,
aber sie haben auch schon manches und vieles erreicht. Professor Dr. Rein in Jena
sagt dariiber: ,,Die Geschichte des Lehrerstandes ist eine Leidensgeschichte. Mtih-
sam hat der Lehrerstand sich Ansehen und geniigendes Einkommen erk&mpfen miis-
sen. Die Gesellschaft hat sich in der sozialen Wiirdigung und der finanziellen
Sicherung des Lehrerstandes schwerer Versiiumnisse schuldig gemacht." Passt das
nicht auch auf unsere Verhaltnisse hier in jeder Beziehung? Lasst uns denn auch
versuchen, uns eine bessere soziale Stellung, Anerkennung unserer schwierigen Arbeit
durch hohern Gehalt, eine permanente Anstellung und Pension zu erkampfen. Bei
fast alien Beamten sind die Gehalter in den letzten Jahren verbessert, nur nicht bei
den Lehrern. Aber unsere Gehalter sind trotzdem nicht dieslben geblieben, sondern
sie sind herunter gegangen, denn da alle Lebensbediirfnisse in den letzten Jahren
um 25 — 35 Prozent in die Hohe gegangen sind, so ist die Kaufkraft des Geldes und
unsers Gehalts folgerichtig eben so viel herunter gegangen. Die Kosten des Lebens-
unterhaltes (cost of living) wurde namlich in unserer Lehrerversammlung fiir einen
verheirateten Lehrer mit Familie auf $1800 angegeben. Da kommen wir also um
die Hiilfte ,,zu kurz". Was wir also notig haben, ist gemeinschaftliches Handeln
und Zustammenstehen und Zusammenhalten, dann wird auch nach und nach imnier
mehr erreicht werden; denn gut Ding will Weile haben, und was lange wahrt, wird
endlich gut.
Correlation of German with Other Studies.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
By Betty Silberberg, New York City.
(Concluded.)
Some of the prose-stories in the readers are also descriptions of industries; or
they show us scenes from life; bring us to distant countries and tell us about
events famous in history. In order to illustrate these, I shall mention four little
stories, one from the first Eclectic Reader, two from the second, and the fourth from
Maynard's Easy German Readings.
a. Die Miihle.
We are going to read: "Die Muhle." A picture in the reader illustrates it.
We see it is a water-mill. The content is the following: "The children had
long been desirous to know whence the flour came, out of which the mother bakes
the bread and cake. The father promises to show it to them. Merrily they walk
through the forest, over the meadow down to the brook. Here the mill stands.
Already in the distance they had heard the clattering of the millstones. These
are in the mill-course (Mahlkasten). The large wheel outside the mill sets the
machinery inside in motion. The children see how the grain is poured from the
bags into the mill-course, how from here it runs through sieves and at last falls
into the flour box (Mehlkasten) as the nice, white flour they know. Everything is
in motion in the mill and turns around continually. The white flour covers every-
thing, building as well as miller. The children are astonished that the manufacture
of this simple article causes so much labor. This story does not need many extra
explanations. After the children know how to read, translate and tell it to me in
German, I proceed to something else.
114 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
6. Z)er grosse Hund.
The next story, "Der grosse Hund," calls for a longer treatment. It is one of
Hans Andersen's charming little tales from his Bilderbuch ohne Bilder. The riioon
tells the following story: In the parlor of an inn the bear-leader is waiting for his
supper. Bruin the bear stands outside in the yard, tied to a post. He feels lone-
some and has found the way to the stairs. Heavily he mounts them and comes to
the door of a room which he opens. Here three little boys are playing in the light
of the moon. Their ages vary from two to six years. They have never seen a
bear and think it is a big dog. They pat him and the bear lays down on the floor.
The boys, full of fun, roll over him. The eldest takes his drum and beats it. Now
the bear rises on his hind-legs. Oh! it is too funny. The children play soldiers,
every-one has a gun, the bear also, and he knows how to hold it. Then they
march up and down. At this moment the mother enters; she nearly faints when
she sees in what dreadful company her darlings are. But joyfully these exclaim:
"We are playing soldiers." Now the bear-leader comes and takes his runaway bear
down stairs.
This story introduces us into the life of one of these wandering mountaineers;
generally from the Pyrenees, who with their bear wander from place to place,
everywhere amusing the children by the awkward dancing of the bear, his climbing
and also by their own quaint, outlandish singing. Such a man with his bear has
wandered through France, Germany and Denmark. To-day he has given perform-
ances in a little place in the north of Denmark. But why do we conclude that the
town is situated in Denmark? We look for the author's name and find it is
"Hans Andersen." I ask the children what they know about him. Some have read
his fairy-tales, "Der Tannenbaum, Das Miidchen mit den Schwefelholzern," etc. I
tell them about Andersen and induce some to find out more about this poet. This
they do with pleasure. Some do it in English, some in German. We hear about
the poor boy from the Island of Fiinen, his struggles for education, his success in
Kopenhagen, his stay in Rome, etc. How he became famous and now is known
all over the world.
A scene from life, geography and literature form the correlation of this lesson
to the study of German.
c. Die St. Bernhardshunde.
To another part of the world leads us the well-known story, "Die St. Bernhards-
hunde. The dangers of the snow-covered Alps, the pious devotion of the monks is
unfolded to us. We see them roaming over the Alps during a snow-storm, accom-
panied by their faithful dogs, whom they also send out alone to search for unfor-
tunate travellers buried under the snow. We wonder at the intelligence of these
dogs in rescuing people. How at first they try to do it alone and when they
cannot succeed rush back to the Hospice for aid. I ask my pupils why the monks
and dogs had been such benefactors of humanity? Tell them that before building
the large tunnel through the St. Gotthardt, travellers from Germany to Italy were
obliged to follow the dangerous Pass over the St. Bernhard. In order to impress
this more, I show them a large picture representing a part of the Alps, The Welland
WTetterhorn. They see the snow-covered pics towering up in the background, the
glacier flowing down at the side of them ending in a mountain stream. Below that
the pine forest and sheltered by this the "Aim" ( (Alpine-meadow) with its "Senn-
hiitten" and herds of cattle. One of the chief industries of Switzerland, cheese
making, is explained by that. Through this picture the children's interest in their
German lesson is intensified; their knowledge in geography expanded.
Correlation of German with Other Studies. 115
d. Die Geschichte von Wilhelm Tell.
But let us stay a little longer in Switzerland and visit the banks of the Lake
of Luzern. His German name, "Der Vierwaldstattersee," proves that four cantons,
Die Waldstatte, border on it. Here is the scene of William Tell, with whose story
the children are already familiar through stories from their English reader.
However, they have no idea of the cause of the Swiss struggle for independence.
So I tell them that Switzerland once belonged to Germany, but was an independent
state, only ruled by the Emperor. Once Germany had no emperor for a long time,
the great princes did not want a powerful ruler over them. Therefore they elected
a pious Swiss count the "Graf von Habsburg"; he is known as Emperor Rudolph
von Habsburg and was the founder of the still ruling Austrian house. He began
to restore order in Germany, where the "robber knights" had every road made
unsafe, and also to conquer many princes whose domain he took, thus laying the
foundation to the Austrian power. His son Albrecht wanted to subdue Switzerland
too, where his family possessed large estates, and therefore sent cruel governors.
One of them was Gessler, with whom the story of William Tell deals. Sometimes
I read also Schiller's poem, "Der Graf von Habsburg," which interests the pupils
greatly. This winter I had in my class a girl of Swiss descent, who possessed a
beautiful, illustrated book, "The Legends of Switzerland," which contained all these
stories. The book went from hand to hand and many a girl read the stories with
growing delight. I am sorry that such books are not in the school-libraries. A
great many girls knew also that Schiller had written the wonderful drama, "William
Tell." Some of German descent had already seen it in the theatre. We then spoke
about Schiller; a few pupils brought in an account of his life, mentioning his
most important works.
So the simple story of William Tell called for geographical, historical and
poetical descriptions, but care must be taken that the study of the German language
is not subordinated to these comments.
Just as manifold correlations to other studies as the prose selections offer
those from poetry. Splendid examples for nature-study are the poems, "Im Friih-
ling," by Julius Sturm, and the well-known "Die Schwalben" by Chamisso. In the
former Spring is personified. He comes and calls down from the mountain:
"Sleepy-heads awake! no matter how deep your sleep may be!" All nature has
heard his call. The germs begin to stir, they blast their little prisons and begin
to sprout. Then the leaves step out of their brown cradles and nestle to the
swaying twigs. The flowers awake; first of all little snowdrop, who was afraid
to have overslept herself. The coffins of quiet sleepers open, gnats and beetles are
again playing in the sunshine. Other flowers awake now too, especially the violets,
deeply hidden in the grass, the white anemones and the colored primroses. The
whole awakening of nature is poetically described. The children led by a few
questions understand why the poet makes the germs blast their prisons. They
have already observed germs resting in a cell, bursting open the outer shell and
stretching forth their tender rootlets. The brown cradles of the leaves are under-
stood as the buds, covered by the hard, horny, brown leaves to protect them from
winter's frost. The coffins of quiet sleepers are the cocoons of insects in which
they await the vivifying rays of the sun.
Animal life is brought near to us by Chamisso's touching poem. The child for
a long time has secretly watched the swallows, how so wonderfully they built their
nest. Then they furnished it and laid their eggs. One after another had guarded
their little house like a jewel; now the young brood stretches forth their little
heads that the parents may feed them alternately. At this moment the little girl
116 P'ddagogiscbe Monatshefte.
calls her mother and tells her all about the swallows. Charmingly she describes
how it seemed as if the swallows wanted to tell her something and how sorry they
were that they could not speak. She admires much the parents' love for their
young ones.
Besides speaking about the swallows as clever architects, messengers of spring
and harbingers of good fortune, as some believe, I tell the pupils something about
the author. As the son of a French nobleman, he was driven out, during the
French Revolution, from his castle Boncourt in the Champagne. How with his
parents he emigrated to Germany, came to the court of Prussia, later entering the
army, which he quitted during the wars of Liberation ( Bef reiungskriege ) . His
painful position during these times, when his adopted and beloved fatherland was
in war with the land of his birth. How he always remembered the place where
he was born as shown in his beautiful poem, "Das Schloss Boncourt." But this
noble character had forgiven all the wrong he had suffered through the Revolution,
blessing the soil over which the farmer now leads his plow and blessing it doubly
whosoever this may be, wishing the soil to be fertile for his new possessor. Now
Chamisso has become one of our best and dearest poets, demonstrating by his
noble example how it is possible for a foreigner to become identified with his
adopted country.
The pupils are introduced by this to the times of the French revolution and
Napoleon 1, besides having gained an acquaintance with German literature.
The next poem, Ferdinand Freilgrath's "Die Auswanderer," shows the correla-
tion of geography to the study of German, as well as the relations between Germany
and America. The poet as a young merchant has lived in Holland. Here he has
occasion to observe the life in the harbor. One day he sees German emigrants
going to America. They are from the Black Forest, have come down the Rhine
in a boat, bringing along many articles from their old home. Mournfully the poet
looks at them. He cannot understand why the slim brown maidens from the Black
Forest and the strong men leave their home. He notices how carefully they place
pots and jars on the bench of the sloop which will transport them to the big ship
farther out in the ocean. He tells them how on the banks of the Missouri, when
every other remembrance of their old home will be silent, these pots and jars
would remind them of the village-well surrounded by stones, the familiar hearth,
the mantel-piece they have ornamented, the joyful vintage. Soon they will decorate
the walls of their light-built house in the West, the Indian tired from hunting
will drink out of them. He asks them why they emigrate? The valley of the
Neckar is so fertile, the Black Forest and the Spessart so beautiful. He feels
how in the distant forests they will long for their old home with its golden fields
and green vineyards. Like a golden legend this will forever stand before their soul.
The time for departure has arrived. The poet wishes them God-speed and pros-
perity in their new fatherland.
This poem is a reference to the settling and civilization of the West, in which
German immigrants took such a leading part. From the border of the Rhine they
went to the Missouri. This poem was composed a little after the West had been
opened for civilization. Another relation with America exists also in the poet's
friendship with Longfellow, who when Freiligrath afterwards was in adversity
wanted him to come to America.
With quite a different subject deals "Das Erkennen," by the Austrian poet,
Nepomuk Vogl, the most touching illustration of a mother's love for her child.
She recognizes her son for whose welfare she was constantly praying in spite of
all the changes caused by time and the burning sun. Her son is a travelling jour-
Correlation of German with Other Studies. 117
neyman ( Handwerksbursche ) , who for years has been in foreign countries. Cheer-
fully he enters the old town; his friend, the toll-keeper, is just leaning against the
old gate. He thinks how often they have sat together enjoying a glass of winej
surely the friend will recognize him. But he is sorely disappointed; the sun has
burnt his face too much. Entering the town he sees his sweetheart, who perhaps
expects him, she is looking out of the window. The youth greets her joyfully.
Alas! also for his loved one, he has become a stranger. His face is tanned too
much. Then he meets his mother coming from church. She hardly has seen him
and heard his voice, when sobbingly she embraces him. The mother's eye sharpened
by love knows her child under any disguise. The poem is short, but full of pathos.
It introduces us into the life of a tradesman or mechanic. Formerly all the trades
formed guilds, which were strictly regulated corporations. A boy who wanted to
learn a trade was apprenticed to a master, who taught him all he knew about
the trade. After the apprentice had stayed three or four years with the master,
he became a journeyman (Geselle). Now he had to travel from place to place,
in order to perfect himself in his trade. His steed was a good pair of soles
( Schusters Happen ) , so he saw the world. Into whatever place he came, he
went to the lodging-house of his guild (Handwerkerherberge), after that he asked
for work at the different masters of his trade. His education was not finished
unless he had worked for a great many masters and seen many cities, also in
foreign countries. Then the youth thought of returning home to make his master-
piece, a kind of examination, before he could enter the guild, and then settle down
as a master.
Many children have also no idea of a toll-keeper; this has to be explained.
In olden times every city had gates, which were closed in the evening and opened
in the morning. By the gate the toll-man lived, who collected the duties on all
ar-ticles which passed through the gates. A similar tax is also levied on some
roads in this country, for all wagons that pass over them. In Europe in a great
many cities duties are yet collected on goods especially eatables that are brought
in through the gates.
Different phases of civilization and society have become familiar to the pupils
through the study of this poem; also the last one which I shall mention leads to
this. Hardly anybody who studies German is not charmed by Goethe's beautiful
poem, "Der Sanger." The most glorious times of the Middle Ages rise before
our eyes. We see the song-loving king sitting in the lofty hall of his castle sur-
rounded by his court. Suddenly he hears music on the draw-bridge before the
gate. He sends out his page to bring in the singer, as he wants to hear him in the
hall. It is a noble old man, full of dignity, with excellent manners. Respectfully
he greets the king, his courtiers and the ladies-in-waiting, but he does not spend
his time in idly admiring them. He closes his eyes so that his song may com<e
more from his innermost heart and be more deeply felt. We see the effects of it
by the attitude of the knights and the ladies. He sings of war, because the knights
look courageously, and of love the ladies lower their eyes. The king, pleased with
the song, wants to reward him by the gift of a golden chain, but here the old
singer rises to his full dignity. Not for outward reward does he sing, but for his
own enjoyment and pleasure. His song is recompense enough for him, just as it
is for the bird who merrily sings in the branches of a tree. He only asks for a
glass of pure golden wine and wishes his audience may always thank God as much
for their welfare as he does for this little gift.
"Who was this singer?" the pupils will ask. Then I tell them that he was
not alone a singer, but also a God-inspired poet, who lived in the Middle Ages.
118 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
He belonged to the "Minnesanger" who flourished mostly in the twelfth and thir-
teenth century. They were knights who composed short love-songs or long heroic
stories. These they recited in the castles of famous knights or at the courts of
princes. Everywhere they were welcome guests. A great many princes and even
emperors were "Minnesanger" ; especially the noble "Hohenstaufen," the high-
spirited German emperors during these centuries. I have a picture of a castle,
"Ritterburg aus dem dreizehnten Jahrhundert," which I use as an illustration of
the life during these times. The castle stands on a high mountain. The draw-
bridge is lowered, the gate opened, through it passes a cavalcade of knights and
ladies on steeds and chargers. They are going hunting; dogs accompany them. The
ladies carry on their hands their favorite falcon; they are going therefore hunting
the heron. The "Burg" consists of different buildings. We see the watch-towers,
the "Pallas" where the ladies live, the church, gardens, courts, stables, etc., the
whole surrounded by the crenelated wall and on one side by the moat. The others
are built up on a precipitous rock.
Then I mention some of the most famous "Minnesanger": Walther von der
Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Strassburg, etc., and ask if they
ever had heard these names before? Some pupils have heard "Tannhauser" or the
"Singers' War on the Wartburg," and these persons were living for them. Their
interest is aroused, they want to find out more about the "Minnesanger," and bring
in short accounts. Others have prepared an outline of Goethe's life and his prin-
cipal works. All have learned some poems of Goethe before, like "Gefunden,"
"Heidenroslein," "Mignon," "Erlkonig," etc.
It is needless to dwell longer on the correlation of German to the different
branches of study. We see by the foregoing illustrations what an aid the study
of German is to the pupil's general education, how his mind receives nourishment
through it in various ways, how his views are broadened and deepened. A good
teacher of German, therefore, must be highly educated; he has to understand the
whole extent of the present civilization. It is not necessary that he be an expert in
every branch, yet he must be able to give the full information that belongs to a
thorough and all-sided treatment of the pieces he is to teach his pupils. Such a
correlation is the most fruitful when it follows the instruction that the English
teacher gives, when it intensifies and completes her teachings. Therefore it is a
necessity that the teachers of a school work hand in hand, that they know what
their pupils learn from other teachers, because not their special branch is the aim
of the pupil's education, but the harmonious development of all his powers, in order
to fit him to become a participant in all that makes life worth living, a useful
member of society, who will further the welfare and happiness of his fellow-men as
well as his own.
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Baltimore.
Dircktor Dapprich besuclite uns in der
Schnle auf seiner Durchreise nach Eu-
ropa. Leider konnte der liebe Freund
nur etwa eine halbe Stunde bei uns wei-
len, da er noch am selben Vormittag nach
New York weiter reisen musste, von wo
er sich tags darauf nach Neapel ein-
schiffte. So kurz auch die Zeit war, und
so viel wir uns zu sagen hatten, so liess
sich doch noch schnell eine kleine Ab-
schiedsfeier fiir den geschatzten Gast im-
provisieren. Achtzig Schiller und Schii-
lerinnen der siebten und achten Klasse
wurden zusammen in ein Zimmer geru-
fen, und dort sangen sie ihm deutsche
Lieder vor. die sie aus den Rosenstengel-
Dapprichschen Lesebiichern gelernt hat-
ten. ,,Die Wacht am Rhein" gait als
Gruss Jungamerikas an die deutsehe
Muttererde, die er bald wieder betreten
sollte, ,,Ich hatt' einen Kameraden" wur-
de in humoristischer Auffassung gesun-
gen, und zum Abschied erklang das ein-
zig' schb'ne Lied ,,Es 1st bestimmt in
Gottes Rat."
War auch die Ausfiihrung keine so
runde, wie wir sie gerne gehabt hatten,
und wie sie auch wohl geworden ware,
wenn wir uns daftir hatten nur einiger-
massen vorbereiten kb'nnen, so fehlte es
hingegen nicht an der richtigen Stim-
mung, und der Gesang machte einen tie-
fen Eindruck auf den lieben Freund — wie
auch auf den Schreiber — , seine treuen
Augen feuchteten sich bei den Worten:
Wenn Menschen auseinandergehn,
So sagen sie: ,,Auf Wiedersehn!
Ja, Wiedersehn!"
Dass die bewegten Worte, die der Ge-
feierte zum Abschied an die Zoglinge
richtete, wie sie vom Herzen kamen, so
auch zum Herzen gingen, durfte Schrei-
ber am heutigen Tage bei Durchsicht von
Aufsatzen zu seiner Freude wahrneh-
men. — Auf Wiedersehn, ja, Wiedersehn!
S.
Cincinnati.
Wie himmelweit auch die Meinungen
iiber Wert und Opportunitat der jiingst
hier gehorten padagogischen Vortr'&ge
auseinandergehen mb'gen, iiber die Ver-
sammlungen, vor welchen sie gehalten
wurden, und iiber den Gesamtverlauf der
Schulsuperintendenten - Konvention, die
vom 23. bis zum 26. Februar allhier ab-
gehalten wurde, herrscht nur eine Stim-
me. Es war im grossen und ganzen eine
sehr wiirdige Veranstaltung, deren Ein-
druck und Folgen nicht hoch genug ange-
schlagen werden kb'nnen. Befugtere Fe-
dern werden ja wohl in den P. M. dar-
iiber berichten, so dass ich mich auf ei-
nige Bemerkungen lokaler Natur be-
schranken kann. In ttbereinstimmung
mit der Ansicht jener, die da meinten,
die Konvention sei nicht der Stadt und
der Schulen Cincinnatis wegen da, und
der Besuch der letzteren seitens Auswar-
tiger werde wohl kein sehr zahlreicher
sein, fanden nur wenige Fremde Zeit und
Musse unsere Anstalten mit ihrer Gegen-
wart zu beehren. Eine Ausnahme mach-
ten, soweit das deutsche Departement in
Betracht kam, der Schulsuperintendent
von Baltimore und der Assistenzsuperin-
tendent Herr Straubenmiiller von New
York. Befand sich der Erstgenannte
auf einer Forschungstour nach Griinden,
warum und wie der deutsche Unterricht
in Baltimore insofern beschnitten wer-
den konnte, als man den Anfang dessel-
ben um einige Jahre hb'her hinaufschrau-
ben durfte, ohne seinenErfolg abzuschwa-
chen, und sah sich Ihr Korrespondent
veranlasst, dem verehrten Herrn Besu-
cher, bescheiden aber entschieden, zu sa-
gen, dass eine solche Massregel der An-
fang vom Ende des deutschen Unter-
richts in Baltimore sein wiirde — so ent-
ledigte sich Herr Straubenmiiller in sehr
eingehender Weise eines ihm gewordenen
offiziellen Auftrags, unsere deutschen
Klassen-Einrichtungen, -Ziele und -Er-
folge so genau wie mb'glich zu priifen und
iiber die gewonnenen Eindriicke Bericht
zu erstatten behufs eventueller Beriick-
sichtigung und Verwendung bei der ge-
planten Reorganisation des deutschen
Unterrichts in Gross-New York. Der
ebenso liebenswiirdige, wie gewisenhafte
Besucher iiberzeugte sich von dem Stand
der Dinge in alien deutschen Graden vom
ersten bis zum achten Schuljahre. In
der Schule, in welcher Ihr Korrespon-
dent beschaftigt ist. und deren deutscher
Abteilung Kollege Von Wahlde vorsteht,
brachte er zwei voile Stunden zu und
iiberzeugte sich von der Sachlage in Klas-
sen der 6ten, 7ten und 8ten Schuljahre.
Riickhaltslos gestand er den Hauptvor-
teil unserer Einrichtungen zu, wonach
der deutsche Unterricht im ersten Schul-
jahre beginnt und bis zum vierten je
fiinf halbe Schultage wb'chentlich. in den
vier letzten Graden aber je fiinf Stunden
120
P'ddagogiscbe Monatsbejte.
wb'chentlich eingeriiumt erhalt. Die auf
den verschiedenen Stufen erzielten Er-
folge wusste der Herr nicht genug zu
riihmen und in uns, die ihm dieselben
vorfiihren konnten, den Wunseh hervor-
zurufen, dass es ihm gelingen mb'ge, in
New York einen, wenn auch vorliiufig
nur anniihrend giinstigen, iihnlichen Zu-
stand ins Leben zu rufen. Besondere
Vorbereitungen fiir den Empfang von
Besuchern, die sich einige Schulleiter
und englische Lehrgenossen nicht ver-
kneifen konnten, waren unter den Um-
stiinden mehr oder weniger fiir die Katz'
— ,,und mit Recht," \vie mein Kollege
A. W., Milwaukee, mit mir gerne zu sa-
gen scheint.
Die am 7ten Februar abgehaltene Ver-
sammlung des Deutschen Lehrervereins
von Cincinnati war eine der bestbesuch-
testen, die jemals stattgefunden haben,
besonders von seiten des Ewigweiblichen.
Die Anwesenden fanden ihre Rechnung
voll und ganz. Frau Hermine Hansen,
die Leiterin des deutschen Unterrichts
in der Clifton-Schule, hielt einen vor-
ziiglichen Vortrag iiber ,,Die Beteiligung
der Frau an der deutschen Literatur"
und wusste dem an sich schon dankbaren
Thema in der Tat die interessanteste
Seite abzugewinnen. Erhoht wurde der
schone Eindruck durch die eingefloch-
tene Deklamation des Gedichtes ,,Der
Knabe am Moor" von Annette von
Droste-Hiilshoff. Avelches von Frl. Va-
leska Razall, einer noch sehr jugend-
lichen Schiilerin der Walnut Hills-Hoch-
schule, in wirklich ergreifender und aus-
gezeichneter Weise vorgetragen wurde.
Ein Violinsolo unseres Kollegen und Vir-
tuosen, Herrn Gesanglehrer Josef Surdo,
sowie ein Sopransolo, ,.Schlummerlied"
mit Manner-Chorbegleitung, der Kolle-
gin Lillie Deremo bildeten den musikali-
schen Teil des Programms und wurden
beide mit ungeteiltem Beifall aufgenom-
men.
Die Vcrsammlung der deutschen Ober-
lehrer, die am 26. Februar hatte statt-
finden sollen, musste der Superintenden-
ten-Konvention halber ausfallen.
Ich konnte Ihnen noch ein Lied vom
chronischen Geldmangel, unter dem un-
sere Schulbehorden gebiickt gehen. und
von den oft kuriosen Rettungsmitteln,
zu denen man greifen muss, singen;
konnte Ihnen auch etwas von der bb'sen
Grippe vorjammern, von welcher die Ge-
nossen fb'rmlich der Reihe nach heimge-
sucht werden — doch wozu alte Wunden
aufreissen? ,,Es muss doch Fruhling
werden. quidam.
Milwaukee.
Am 5. Febr. hatten wir hier die Freu-
de, Herrn Professor v. Jagemann von der
Harvard Universitat in einem Vortrage
iiber ,,Aus dem Leben der Sprache" im
,,Deutschen Klub" zu hb'ren, wozu alle
deutschen Lehrer eingeladen waren. Der
Professor zeigte in diesem interessanten
Vortrage, wie die menschliche Sprache
so recht eigentlich die grosiartigste Er-
findung der Menschen ist, well sie die
Grundlage aller Erfindungen und aller
Erzeugnisse des menschlichen Geistes ist.
Alle Forschung beruht auf Mitteilung
friiherer Forseher durch die Sprache, und
darum besitzt sie Leben wie jedes andere
organische Wesen dieser Erde. Das Le-
ben einer feprache besteht nun in der
Gesamtverbindung der Gedankenassozia-
tionen der einzelnen Menschen. Daher
ist es ein grosser Irrtuni, wenn sich
manche die Sprache als etwas Fertiges,
Vollstiindiges und Abgeschlossenes vor-
stellen. Ganz im Gegenteil; sie veran-
dert und vervollkommnet sich fortwah-
rend wie alles Lebende und Organische,
wie man das am besten an der Lautver-
iinderung sehen kann.
In iilterer Zeit hatte man z. B. in
der deutschen Sprache die beiden Dop-
pellaute ei und au noch nicht, und man
hatte dafiir die einfachen Laute i und u.
Dies sieht man an den altdeutschen Wor-
tern ,,lieden" und Mus", hochdeutsch
leiden, Maus. Dann hat sich auch der
Sinn und die Bedeutung mancher Wor-
ter ganz veriindert; so hatte das Wort
,,Frauenzimmer" friiher eine recht vor-
nehme Bedeutung, eine fiirstliche Frau,
dagegen ist die Bedeutung jetzt eine
ganz andere, eine ziemlich zweideutige.
Der Professor zeigte dahn, wie das Volk
oft in deni Irrtum befangen sei, dass
sieh Wort und Begriff, und Name und
Sache immer vollsttindig deckten, und
dass sie nicht wussten, wie manchmal
dasselbe Wort 5 oder 6, ja noch mehr
verschiedene BegrifFe hatte.
Als drastisches Beispiel fiihrte er die
Geschichte von den drei Soldaten in Wien
an, wo sich ein dstreicher, ein Ungar und
ein Italiener um das Wort ,,Wasser"
stritten. Der 6streicher erhebt ein Glas
mit Wasser und fragt den Ungar: Wie
nennst du diesen Stoff in dem Glase in
deiner Sprache? er antwortet ,,teska".
Dann fragt er den Italiener, und der
sagt ..aqua"; dann spricht der 6streicher
wichtig und mit Nachdruck: ,,und ich
nenne ihn ,,Wasser" und er heisst nicht
bloss so, sondern er ist es auch."
Dann kam der Professor auf die Ety-
mologie zu sprechen und erwahnte, wie
in der Zeit der Renaissance Gelehrte und
auch Geschliftsleute ihre Namen so gern
laiinisiert hatten, und wie dabei oft
komische Vervvechselungen stattgefunden
hiitten. So hjitte einst ein Kaufmann
Korresponden^en.
121
in Hamburg die Gerichte ersucht, seinen
Namen ,,Plummbohm" andern zu diirfen,
und zwar wiinschte er den Namen ,,Blei"
zu haben. Auf die Frage warum er ge-
rade diesen Namen haben wollte, ant-
wortete er, das sei sein rechter Name,
und sein Vorfahr babe den Namen la-
teinisch iibersetzt und sich ,,plumbum"
genannt, woraus dann im guten Ham-
burger Plattdeutsch ,,Pluminbohm" ge-
worden sei.
Der Professor schloss mit der Ermah-
nungjeder solle an seinemTeil, so vielwie
moglich, und vor allem dieGebildeten,sich
bestreben, unsre schone deutsche Sprache,
die so reich, edel und vielseitig im Aus-
drucke sei, mit alien Kraften noch zu
veredeln und zu vervollkommnen suchen;
denn damit wiirden wir auch die Mah-
nung unseres grossen Dichters Goethe er-
fiillen : J3Was du ererbt von deinen Va-
tern hast, erwirb es, um es zu besitzen."
Reicher und anhaltender Beifall lohnte
den Redner fiir seinen interessanten Vor-
trag, welcher von den zahlreichen Zu*
horern voll und ganz gewiirdigt wurde.
Am Abend des 6. Feb. gaben die deut-
schen Lehrer in Gemeinschaft mit den
Lehrern des Seminars und der Akademie
Herrn Professor v. Jagemann in dem
Seminargebaude einen Empfang, welcher
sich zu einer sehr gemiitlichen Feier ge-
staltete. Zugleich bildete sie eine Ab-
schiedsfeier fur Direktor Dapprich, wel-
cher zur Starkung seiner angegriffenen
Gesundheit eine auf mehrere Monate be-
rechnete Europareise unternommen hat.
Das geraumige Musikzimmer war in eine
schon geschmiickte und mit Blumen de-
korierte Banketthalle umgewandelt, und
die zwei langen Reihen Festtafeln waren
mit etwa 150 Festgasten besetzt. Der
Prasident des Lehrervereins, Herr Ph.
Lucas, diente als Festprlisident. Nach
einem gut vorgetragenen Violinsolo von
Lehrer H. Mertens stellte der Vorsitzer
den Ehrengast in einer kurzen Ansprache
der Versammlung vor.
Professor Jagemann hielt dann eine
langere Ansprache, in welcher er iiber die
schwere und oft undankbare Arbeit des
deutschen Lehrers hier in Amerika
sprach. Dann bemerkte er, wie so oft,
ja meistens, nach Verlauf von mehreren
Jahren im Amte und Dienst, der deut-
sche Lehrer in die gewohnliche Routine
und schulmeisterliche Pedanterie ver-
falle, die ihm dann oft alle Lust zum
Amte raube und ihn gramlich und ver-
driesslich mache. Als ein gutes Mittel
dagegen empfehle er alien deutschen Leh-
rern die fleissige Beschaftigung mit gu-
ten deutschen Volksschriftstellern ; und
unter den vielen, welche die deutsche
Literatur aufzuweisen habe, empfehle er
ganz besonders den steirischen Volks-
dichter, Peter K. Rosegger. Er Hess als-
dann einen Vortrag iiber diesen Dichter
folgen, worin der eigentiimliche Werde-
gang des steirischen Bauernjungen und
nachherigen Schneiders zu einem so vor-
ziiglichen Dichter in drastischer, an-
schaulicher und recht humoristischer
Weise geschidert wurde.
Nach dem Vortrage des Professors
folgten einige gesangliche Vortrage von
Frl. Camille Bickler, ein Damenchor un-
ter der Leitung des Herrn M. Griebsch
und Soli von den Herren O. Burckhardt
und C. Bronson. Dann folgte das Ban-
kett, wobei die Kolleginneri in liebens-
wiirdiger Weise die Wirtinnen machten.
lleden wurden dabei gehalten von Supt.
H. 0. R. Siefert, Asst. Supt. Abrams und
Herrn J. Eiselmeier. Herrn Dapprich
wurde zum Abschied ein schones Rosen-
bouquet iiberreicht, und er hielt dabei
eine begeisterte Ansprache iiber die wich-
tige Aufgabe des deutschen Lehrers an
niedern und hohern Schulen hier in Ame-
rika.
So verflossen die Stunden schnell bis
nach Mitternacht. Wohl alle Teilneh-
mer werden dieses frohe und gemiitliche
Fest und ebenso unsern geschatzten Kol-
legen und Ehrengast in freundlicher Er-
innerung behalten. Ja lange ist es her,
dass wir im Kreise des Vereins deutscher
Lehrer ein frohes Fest gefeiert haben;
keins seit dem Silberjubilaum vor 5 Jah-
ren. Ach, wie manche frohe und schone
Feste haben wrir friiher gefeiert, Pick-
nicks und Abendunterhaltungen ! Doch —
,,es war einmal"! Lang' ist es her, ja
lang3 ist es her!
O deutsche Lehrer-Gemiitlichkeit, wo bist
du nur geblieben?
Wer hat dich schon seit langer Zeit so
ganzlich f ortgetrieben ?
Wo blieb Kollegialitat, Gesang und frohe
Lieder ?
Dahin — wie's Blatt im Sturm verweht,
und kehret nimmer wieder..
A. W.
New York.
Obwohl der Verein deutscher Lehrer
von Neic York und Umgegend in den letz-
ten Monaten nichts hat von sich ho'ren
lassen, so war derselbe doch tatiger als
je. Besonders wrar der Besuch der am
ersten Samstag im Monate stattfindenden
Versammlungen ein ausserst reger. Al-
lerdings waren die Vortrage und die Per-
son der Vortragenden von ganz besonde-
rer Giite. In Dezember gab Herr Di-
rektor Konried vom deutschen Theater
einen mit grossem Beifall aufgenomme-
nen Vortrag iiber ,.Das moderne Drama."
Herr Direktor Leopold Bahlsen aus Ber-
lin, der zur Zeit am Teachers College
122
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
tiitig ist, sprach in einem wohldurch-
daehten, beredten Vortrag iiber den Dich-
ter der ,,Vierzehn Linden", F. Weber,
wiihrend in der ersten Februarwoche
der vielseitige Sekretar des Deutschen
Gesellig-Wissenschaftlichen Vereins, Hr.
Joseph Winter, in einem begeisterten und
begeisternden Vortrage das deutsche
Volkslied behandelte. Das deutsche Volk
— so f iihrte der Redner aus — ist ein
Volk von Dichtern und von Sangern.
Das Lied ist zweifellos die alteste Form
der Poesie, sind doch die alten Volks-
sagen ein Zyklus von Gesangen. Von
den Hofen, wo der Minnegesang bltihte
und aus den Stiidten, wo das Lied ini
Meistergesang verkiimmerte, fliichtete
sich das Lied in die Volksmassen, wo es
schon am Ende des 13ten Jahrhunderts,
herrliche Bliiten trieb. Der Hirte, der
Soldat, der Scholar, der Mo'nch, der
Hitter, der Schiffer, der Kaufmann und
der Landmann, alle hatten sie ihre Lie-
der, in denen ein echt germanischer Zug
sich auspragte; ihr Inhalt ist das Leben
der Natur und das Menschenschicksal,
vor allem das Liebesleben. Das echte
Volkslied ist der Ausdruck des Gefiihls,
der momentanen Empfindung, kurz,
scharf, prazis, einfach, ungeziert; nicht
kunstmassig, nicht erkiinstelt, und vor
allem: singbar. Die Lieder entstanden
im Volke, mit dem Volke, durch das
Volk und fiir das Volk: an den Winter-
abenden in der Spinnstube ; bei der Heim-
kehr vom Felde; auf dem Marsche; auf
den Sonntagsspaziergangen durch Wald
und Feld. Die Versifikation ist die deuk-
bar einfachste und ungekiinstelt ; mei-
stens vierzeilige Strophen im jambischen
Masse, in denen die zweite und vierte
Zeile sich reimen. Die reichhaltigste
Fundgrube von Volksliedern ist: des
Knaben Wunderhorn. Die Lieder lebten
lange nur im Munde des Volkes und
pflanzten sich durch den Gesang fort;
oft werden im Volksmunde mehrere Lie-
der vermischt und verschmolzen. Wer
das Lied zuerst gesungen, wer es gedich-
tet, das weiss das Volk nicht und darum
kiimmert es sich nicht. Die hb'chste Ehre,
die einem Kunstdichter widerfahren
konnte und kann, ist die, dass das Volk
sein Lied sich zu eigen macht und den
Dichter vergisst.
Das lote und 16te Jahrhundert sind
die Blutezeit des Volksliedes, das beson-
ders reich ist an Trinkliedern (,,den lieb-
sten Buhlen, den ich hab'" ) , Liebeslie-
dern (,,Es steht ein Baum im Oden-
wald") und Kinderliedern. Von unsern
Klassikern treffen Goethe, Uhland und
Heine den echten Volksliederton, wah-
rend Schiller weniger gliicklich ist.
In interessanter Weise illustrierte Herr
Winter die Art und Weise, in der das-
selbe Thema von drei Dichtern in volks-
tiimlicher und doch nach ihrer Indivi-
dualitat verschiedener Weise behandelt
wird durch ein Analyse der bekannten
Hirtenlieder von Goethe (,,Ich stand auf
einem Berge"), Heine (,,Kb'nig ist der
Hirtenknabe" ) , und Uhland (,,Ich bin
vom Berg der Hirtenknab"). Nachdem
der Redner alphabetisch die Dichter ge-
nannt, die das Volkslied dauernd be-
reichert haben, schloss er in begeistern-
der Weise: ,,Und das deutsche Volks-
lied, es singt von Lenz und Liebe, von
sel'ger, goldner Zeit, von Freiheit, Man-
nerwiirde, von Treu und Heiligkeit; es
begleitet uns von der Wiege zum Grabe;
es zieht mit uns in die Fremde und macht
uns die Fremde zur Heimat; das Volks-
lied, es iiberlebt alle Wandlungen poli-
tischer und sozialer Art, und so lange die
Deutschen das deutsche Volkslied pfle-
gen, wird lebendig bleiben der deutsche
Geist und die deutsche Art."
In der Februarsitzung wurden die bis-
herigen Beamten des Vereines auf ein
weiteres Jahr erwahlt: Dr. H. Zick, Vor-
sitzender; Herr von der Heyde stell-
vertretender Vorsitzender ; Herr E. Miil-
ler, Sekretar und Schatzmeister. Auf
Vorschlag des HerrnDoktorKaiser wurde
die Biirde des Amtes eines berichterstat-
tenden Sekretars mit der Wtirde des Vor-
sitzers verbunden, da der Vorsitzende ja
derjenige sei, der so zienilich am regel-
massigsten erscheine, oder doch zu er-
scheinen verpflichtet sei. H. Z.
II. Briefkasten.
J. 8. Es freut uns, dass Dr. Lessings
Artikel iiber ,,Neuere Literaturgeschich-
ten" Ihren Beifall finden. Hoffentlich
konnen wir spaterhin mit mehr aufwar-
ten. — Wegen eines Probeheftes von Prof.
Langhaus' ,,Deutsche Erde" wenden Sie
sich gefalligst an die Verlagshandlung
von Justus Perthes in Gotlia, die Ihnen
ein solches unentgeltlich zur Verfiigung
stellen wird.
B. R. Mansfield. Die P. M. haben auf
ihrem Programm vornehmlich die Ein-
fiihrung des deutschen Sprachunterrichts
in die Klassen der Volksschule, und Sie
werden darum dort umfangreiches Ma-
terial finden, das sich mit den Methoden,
Umscbau.
123
dem Wert etc. dieses Unterrichts befasst.
Ausser den vor dem letzten Lehrertage
in Detroit gehaltenen Vortriigen mbchten
wir noch namhaft machen: Cutting, ei-
nige Prinzipien des Sprachunterrichts;
Dapprich, Methoden des modernen
Sprachunterrichts; Hepp, iiber natiirliche
Methoden; Kiefer, sechsjahriger deut-
scher Kursus; Silberberg, Schwierigkei-
ten der deutschen Aussprache fiir Aus-
liinder; Buehner, wie kann man den
deutschen Unterricht lebendig und prak-
tisch machen.
Z. M. Cleveland, ttber den nachsten
Lehrertag konnen wir Ihnen leider bia
jetzt nichts mitteilen. Ausser einem per-
sbnlichen Schreiben des Bundessekretars,
nacli welchem die Aussichten ftir eine
erfolgreiche Tagung gute zu sein schei-
nen, ist uns keine Nachricht zugegangen.
Wir sind also beziiglich des Programms
und anderer Arrangements vb'llig im
Dunkeln.
III. Umschau.
Die Legislatur des Staates Massachu-
setts beschiiftigt sich gegenwlirtig mit
dem Plane, den Musikunterricht in den
b'ffentlichen Schulen des Staates ein-
heitlich zu regeln, wie dies bereits mit
dem Zeichenunterricht und anderen Spe-
zialfachern geschehen ist. Man kommt
zu der Erkenntnis, dass bei den grossen
Kosten und der Wichtigkeit des Musik-
unterrichts diesem auch bestimmte Auf-
gaben gestellt werden sollten.
Die Durchschnittsschiilcrzahl fiir den
einzelnen Lehrer in den offentlichen
Schulen unserer grossen Stadte, ist nach
dem ,,School Journal" folgende : In Chi-
cago kommen auf jeden Klassenlehrer
43 Schiller, in New York deren 50, in
Philadelphia 53, in St. Louis 58, in Bo-
ston 50, in Baltimore 51, in Cleveland
44, in Buffalo 51 und in Cincinnati 46.
In den Hochschulen ist der Unterschied
nicht so gross; die Schiilerzahl fur jeden
einzelnen Lehrer schwankt dort in den
genannten Stadten zwischen 29 und 33.
Einen weisen Schritt hat Mrs. Jane
Stanford vor zu tun. Sie beabsichtigt,
sich der Kontrolle iiber die ,,Leland
Stanford Jr." Universitat zu Gunsten
eines Verwaltungsrates zu begeben. Ein
diesbeziiglicher Gesetzesvorschlag liegt
gegenwiirtig der Legislatur des Staates
Californien vor. Wer sich noch der KHm-
pfe erinnert, die die Universitat und die
Fakultat gerade durch das Eingreifen
der sonst so grossen Wohltaterin der
Anstalt vor einigen Jahren zu bestehen
hatte, wird ihren Entschluss nur mit
Freuden begriissen. trbrigens sollen die
Mitglieder des Verwaltungsrates die Ab-
sicht haben, Mrs. Stanford zur Priisiden-
tin der Kb'rperschaft zu erwahlen.
Dem beriihmten Meister des Schach-
spiels, Dr. Emanuel Lasker, ist eine Pro-
fessorenstelle in der mathematischen
Abteilung der Universitat Chicago an-
getragen worden.
S chiiler streike. An der Staatsuniver-
sitat zu Utah gingen kiirzlich 300 Stu-
denten an den Streik, weil 10 ihrer Kom-
militonen wegen ungehorigen Betragens
vom Unterricht suspendiert worden wa-
ren. — Zwei Knabenklassen streikten an
den offentlichen Schulen Philadelphias,
weil die 15 Minutenpause am Nachmit-
tage durch Schulratsbeschluss abge-
schafft worden war. — An der ,,Purdue
Universitat" (Indiana) wurden zwei
Studenten wegen Insubordination aus-
gewiesen, was 50 ihrer Mitschliler zum
Streik veranlasste. Der Friede wurde
wiederhergestellt, indem die Fakultat
nach einigem Zogern die Strafe zuriick-
nahm und die Wiederaufnahme der Aus-
gewiesenen beschloss.
Das Indianer-Institut zu Carlisle fei-
erte am 12. Februar den Jahrestag seiner
Griindung. Wlihrend der 15 Jahre sei-
nes Bestehens hat das Institut 4587
Schiiler ausgebildet, und gegenwiirtig
wird es von mehr als 1000 Schiilern be-
sucht. Viel hat die Anstalt getan, um
unsere Pflegebefohlenen unserer Zivili-
sation naher zu bringen. 200 friihere
Zb'glinge waren bei der diesjahrigen
Feier zugegen und teilten ihre Erfahrun-
gen mit, die sie nach ihrem Austritte
aus der Anstalt gemacht hatten. Viele
derselben haben bedeutende Stellungen
inne und erfreuen sich der Achtung ihrer
Mitbiirger.
Die Columbia- Universitat hat in Ver-
bindung mit der ,,Alliance Franqaise"
von New York einen freien Kursus zur
Erlernung der franzb'sischen Sprache ein-
gerichtet. Mit Anfang dieses Monates
sind zwei solcher Kurse eroffnet worden,
welche von den Herren Stanislas Le Roy
und Coheleach geleitet werden. Die
Schiilerzahl einer jeden Klasse ist auf
50 beschrankt worden.
Um die Kinder von Matrosen nicht
ohne Schulbildung zu lassen, hat die Re-
124
P'ddagogiscbe Monatshefte.
gierung zu Potsdam verfiigt, dass diese
iiberall da, \vo sie sich lunger als 8 Tage
aufhalten, Schulen zu besuchen und, dass
sie solches getan haben, durch Zeugnisse
zu bestatigen haben. Haben die Kinder
wahrend des schulpflichtigen Alters nicht
eine hinreichende Schulbildung erhalten,
so kb'nnen sie zu langerem Schulbesuch
gezwungen werden.
Weniger Lehrerinnen! Die ,,Piid. Re-
form" schreibt: Die stadtischen Behor-
den von Berlin haben den Beschluss ge-
fasst, in Zukunft verhaltnisimissig weni-
ger Lehrerinnen anzustellen als bisher.
Der Prozentsatz, der urspriinglich fest-
gelegt worden war, 3:1, hat sich langst
zu gunsten der weiblichen Lehrkriifte
verschoben. So betriigt an den Madchen-
schulen, wo die Halfte der Stellen mit
Lehrern besetzt sein soil, deren Zahl
kaum noch ein Drittel der Gesamtzahl
der Lehrkrafte, und an den Knabenschu-
len sind fast uberall die Unterklassen
mit Lehrerinnen besetzt. Ein Grund zu
dieser Verschiebung lag wohl darin, dass
die Lehrerinnen trotz geringerer Stun-
denzahl viel billiger arbeiten als Lehrer;
diese beziehen Gehalter von 1848 bis 4248
M., jene steigen nur von 1432 bis 2731 M.
Ferner kommt in Betracht, dass bei au-
genblicklichem Bedarf wohl Lehrerinnen,
aber keine Lehrer zur Verfiigung stehen.
Jetzt beginnt man aber einzusehen, dass
die Rechnung doch nicht ganz stimmt:
nicht nur verbrauchen sich die Lehrerin-
nen rascher und treten zeitiger in den
Ruhestand, auch ihre Beurlaubung
krankheitshalber ist ganz unverhiiltnis-
massig stark und kostet jahrlich recht
bedeutencle Summen. Im vorigen Jahre
kamen auf 2881 Lehrer der Gemeinde-
schulen 23,873 Urlaubstage, das ist
durchschnittlich 8,29; auf die 1525 Leh-
rerinnen dagegen entfielen nicht weniger
als 26,338 Tage, im Durchschnitt also
17,27. Vom 1. Januar ab sollen daher
die Lehrer in grosserer Zahl als bisher
angestellt werden, damit nach und nach
jene als richtig erkannte Verhaltniszahl
wieder hergestellt wird.
ttber Reform des Unterrichts in den
weiblichen Handarbeiien hielt die Hand-
arbeitslehrerin Olga Petersen in einer
freien Versammlung zu Hamburg einen
Vortrag. Sie forderte u. a. den Wegfall
der Handarbeitsstunden in der unteren
Klasse. Sie begriindet diese Forderung
in folgender Weise: ,,Die Erlernung des
Strickens ist fur Gjahrige Kinder so
schwierig, so nervenanstrengend, dass sie
nicht gefordert werden darf; dies um so
weniger, als erfahrungsgemass feststeht,
dass diese Schwierigkeiten in einem spii-
teren Lebensalter viel geringer sind, und
dass der Beginn des Handarbeitsunter-
richts im 2. Schuljahre die Erreichung
der Strickfertigkeit nur um ein geringes
hinausschieben aber nicht beeintrach-
tigen wiirde.
Am 2. Februar fand in Wien die feier-
liche Eroffnung des osterreichischen
Reichs-Schulmuseums statt. Ein langge-
hegter Wunsch der Lehrerschaft 6ster-
reichs, dem vaterlandischen Schulwesen
ein Museum zu widmen, ist erfiillt wor-
den. Der geistige Urheber, Landesschul-
inspektor Dr. Steyskal, hat sich das
Schulmuseum gedacht als ein Zentrum
aller unterrichtlichen Bestrebungen 6ster-
reichs.
Das Lehrerblatt ,,Freie deutsche Schu-
le" (Wicn) hat sich infolge der unaus-
gesetzten Massregelungen ihrer Schrift-
leiter bemiissigt gesehen, das Amt eines
Redakteurs einem jungen Nichtlehrer zu
iibertragen. Auf diese Weise hofft die
Zeitung, den Kampf gegen die Reaktion
frisch und frei fortfuhren zu kb'nnen,
ohne ihren verantwortlichen Sehriftleiter
dem Hasse der Christlichsozialen preis-
geben zu miissen. Der gewesene Sehrift-
leiter der ,,Freien deutschen Schule",
Lehrer Eduard Jordan, der im Vorjahre
gemassregelt wurde, indem er vom Pada-
gogium an eine Biirgerschule versetzt
worden ist, hatte hiegegen Beschwerde
eingebracht, doch fiihrte dieselbe zu kei-
nem Erfolge.
Frankreich. Die Reform des Gymna-
sialuntcrrichts ist jetzt in Kraft getre-
ten, die grb'sste auf diesem Gebiete, die in
Frankreich seit einem Jahrhundert vor-
genommen worden ist. Der griechische
und lateinische Unterricht hb'rt auf, das
fast alleinige Bildungsmittel der fran-
zosischen Gymnasien und Lyceen zu sein.
Die Naturwissenschaften und die leben-
den Sprachen nehmen einen hervorragen-
deren Platz ein. Nunmehr werden die
Schiller der hoheren Bildungsanstalten
in Frankreich auf vier verschiedenen
Bildungswegen das Zeugnis der Reife
(Baccalauretat) erlangen.
Russland. Um das bevorstehende zwei-
h under j ah rige Bestehen Petersburgs zu
feiern, beschloss die Stadtverwaltung
einmalig sechs Millionen Rubel bereit zu
stellen zur Vermehrung der Zahl der
Volksschulen und der Einftihrung des
unentgeltlichen Unterrichts in diesen.
Dass die russische Presse diesen treff-
lichen Entschluss mit Freuden begrtisst,
versteht sich von selbst.
Ein Bericht der Kaiserl. Hochschule zu
Moskau sagt, dass die Kenntnis des Deut-
schen unbedingt auf alien hoheren Schu-
len zu fordern ist, vor der franzosischen
Bucberbesprecbungen.
125
oder englischen Sprache. Ferner heisst
es in demselben: ,,Bei jeder wissenschaft-
lichen Arbeit auf jeglichem Gebiete ist
die Kenntnis der deutschen Sprache sehr
wichtig, da einerseits bei der hohen Ent-
wicklungsstufe der Wissenschaft in
Deutschland die deutsche Literatur sehr
reichhaltig ist und andererseits jedes
hervorragende Buch, in welcher Sprache
es auch erschienen sein mag, sofort ins
Deutsche iibersetzt wird." Fiir das Lehr-
jahr 1899|1900 empfehlen etwa 200 Hoch-
schiiler im ganzen 1548 Lehrbiicher. Da-
von sind nur 53 v. H. in russischer Spra-
che, 46 v. H. sind in anderen neuen
Sprachen und 1 v. H. in den alten
Sprachen abgefasst. Die Zahl der in den
neuen Sprachen, mit Ausnahme des Rus-
sischen, verfassten Biicher betrat 703 ;
davon sind 66 v. H. deutsch, 27 v. H.
franzosisch und 7 v. H. englisch. Da-
nach erscheint Deutsch dreimal wichtiger
als Franzosisch.
Schiveiz. Die Schulbehb'rden von
Schaffhausen haben beschlossen, es sei
den Lehrern in Zukunft verboten, den
Kindern iiber Sonntag Hausaufgaben zu
geben.
Bucherschau.
I. Bucherbesprechungen.
Anno 1870. Kriegsbilder von Detlev
von Liliencron. Selected and edited with
introduction, notes and vocabulary by
Dr. Wilhelm Bernhardt. Boston, D. C.
Heath & Co., 1903. VIII— 138 Ss.
Geschichte des dreissigj&hrigen Krie-
ges von Friedrich Schiller. Drittes Buch.
Edited with introduction and notes by
C. W. Prettyman. . . Boston, D. C. Heath
& Co., 1902. XV— 170 Ss.
Zu der unter ( 1 ) genannten Auswahl
aus von Liliencrons Kriegsnovellen sind
Herausgeber und Verleger nur zu be-
gluckwiinschen. Das war wieder einmal
ein Griff ins Voile und bietet eine ange-
nehme Abwechslung in der Lektiire fiir
die ersten Jahre des deutschen Lehrgan-
ges. Die kurze, aber vollauf geniigende
Einleitung entrollt ein in grossen Ziigen
gehaltenes Bild des unvergleichlichen
Krieges und charakterisiert den Verfas-
ser der Kriegsbilder in feiner und treff-
sicherer Weise. Dem Text (56 Seiten)
folgen 21 Seiten Anmerkungen und ein
ausfiihrliches Worterverzeichnis von 58
Seiten. Zu S. 8 Anm. 3 ware zu bemer-
ken, dass ,,Kommando" aus dem Italieni-
schen oder Spanischen, nicht aber aus
dem Hollandischen stammt. S. 9. Anm.
1 : die iiblichere Aussprache von Signal
zeigt doch wohl stimmhaftes s und ein-
faches g statt des nasalen ng. Seite 24
Anm. 3: Losung=pass-word (wie in der
tfbertragung des Zedlitzschen Gedichtes;
der erste Teil der Anmerkung ist irre-
fuhrend). S. 36 Anm. 7: Nach der
ttberlieferung ist Michael kein Cherub,
sondern ein Erzengel; der Hiiter am
Eingange des Paradieses ist Gabriel. Der
Drache ist hier genauer als der Hollen-
drache zu kennzeichnen, um einer Ver-
wechslung Michaels mit dem heiligen
Georg vorzubeugen. Erwiinscht ware
eine Anmerkung zu S. 22 Z. 9 iiber Her-
kunft und Aussprache des Namens Kjer-
kewanden. tfbungen zum Riickuberset-
zen aus dem Englischen ins Deutsche
sind dem Buche nicht beigegeben; der
Herausgeber hat dies wohl unterlassen in
der richtigen Erkenntnis, dass sich ein
solcher Text wegen der Eigenart des
Wortschatzes und der vielen standes-
sprachlichen Ausdrucke iiberhaupt nicht
sonderlich zu ttbungen im freien Ge-
brauch des Deutschen eignen diirfte.
Das dritte Buch von Schillers Ge-
schichte des dreissigj&hrigen Krieges
hat der Zwolferausschuss als geigneten
Lesestoff fiir das dritte Jahr des deut-
schen Unterrichts an Mittelschulen em-
pfohlen. Eine Auswahl aus Schillers
Darstellung mit besonderer Riicksicht auf
die Geschichte Gustav Adolfs und Wal-
lensteins hat schon 1899 Prof. Palmer
bei H. Holt & Co. in New York erschei-
nen lassen. Dieser vorziiglichen Ausgabe
gegeniiber fallt die Prettymansche (2),
die den ganzen Text des dritten Buches
bietet, in Einleitung, Anmerkungen und
Ausstattung stark ab. So enthalt die
Einleitung kein Wort iiber den offen-
baren Zwiespalt in Schillers Darstellung
des Charakters und der Motive des
Schwedenkb'nigs am Anfang und am En-
de des Buches; keine Anmerkung spricht
von der heute unumstrittenen Tatsache,
dass die Zerstorung Magdeburgs nicht
das Werk Tillys, sondern das der Vertei-
diger war ; kleine ttbersichtsplane wie die
in Palmers Ausgabe wiirden das Ver-
stiindnis der Schlachtenschilderungen we-
sentlich erleichtern; und ganz ungenii-
gend ist die Karte von Deutschland im
17. Jahrhundert auf S. 132, — eine nicht
126
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
in Farben gegebene Karte des damaligen
Deutschland ist und bleibt eben ein Un-
ding, dem gegeniiber die buntscheckigste
Ostereierfarbenmusterkarte der trber-
sichtlichkeit halber vorzuziehen ist.
Einen sinnstorenden Fehler enthalt die
Einleitung, S. IV Z. 1, wo Schiller 1783
als Theaterdichter in Meiningen (statt
Mannheim) angestellt wird; auch konnte
man aus der Darstellung einige Zeilen
spliter die Ansicht gewinnen, Schiller
habe von 1787 an bis 1789 bestandig in
Weimar gelebt. S. IV Z. 4 v. u. lies
Diintzer; S. 35 Z. 2 lies Alliierten. Der
Name Donauworth, in welcher Form ihn
das ( unvollstandige ) Ortsverzeichnis am
Schlusse gibt, erscheint im Text in
Schillerscher Schreibung mit e statt 6.
In Schulausgaben diirfte es wohl ange-
zeigt sein, solche Namen in der heutigen
Fassung zu geben; z. B. auch Kastel (S.
25 Anm. 2) statt der friiheren Form
Kassel, besonders wenn das einzige auf
der Karte erscheinende Kassel das an
der Fulda ist. Zu S. 1 Anm. 3 ist hinzu-
zufiigen, dass die Form ,,Europens" heute
nur noch im hohe'ren Stil gestattet ist.
Anmerkungen waren erwiinscht an fol-
genden Stellen: S. 2 Z. 6: die heute ge-
brauchliche Form fiir das Schillerschfe
Ligue ist das lateinische Liga. S. 4 Z.
6: Unmacht, heute Ohnmacht. !S. 8 Z.
32: Reinigkeit, heute Reinheit. S. 12 Z.
23: Upsal, heute allgemein Upsala. S.
13 Z. 14 (und S. 34 Z. 29) : Traktaten,
heute ganz uniiblich fiir Verhandlungen.
S. 20 Z. 13 (und ofters) : wahrend dass,
heute nur wahrend. S. 21 Z. 22 : Pfaffen
hier nicht im verachtlichen Sinne ge-
braucht. S. 29 Z. 10: Gymnasium als
allgemeiner Name der deutschen Mittel-
schulen ungeniigend erklart. S. 45 Z. 2:
Magdeburg nicht von Tilly eingeaschert ;
s. o. S. 46 Z. 22: abgeschildert, heute
geschildert. (Hier ware ein Verweis auf
den heute noch in Franken iiblichen Kin-
derreim ,,Kindle, Kindle, bet'! Jetzund
kummt der Schwed'!" nicht unange-
bracht.) S. 52 Z. 3: welche, in solcher
Fiigung heute nur die. S. 95 Z. 27:
Lagern, heute ohne Umlaut. S. 126 Z.
24: Warum nicht ruhig ,nur* statt ,nun'
einsetzen und die Anmerkung demgemass
andern? S. 129 Z.2: inTrummern (Dativ
des Plurals) fallen findet sich auch heute
noch, ebenso in Stiicken schlagen, gehen,
u. s. w., wenn auch selten. S. 131 Z. 21 :
mit Unruh' und Neide, heute nur Neid.
Ein genaueres Nachprufen, als ich mir
gestatten konnte, wird vielleicht noch
mehr Punkte entdecken, die einer nahe-
ren Erklarung bedurfen. Zur raschen
Lektiire mag sich die Prettymansche
Ausgabe eignen; zu eingehenderer Be-
schiiftigung jedoch ist die Palmersche
entschieden vorzuziehen.
Edwin C. Roedder.
University of Wisconsin.
German Daily Life. A reader giving
in simple Gernian full information on the
various topics of German life, manners,
and institutions. By R. Kron, Ph. D.
(Goettingen). Newson & Company, New
York.
One of the most fascinating little
books that I have ever seen in many a
day is Kron's "German Daily Life." As
Mr. Buell says in the Introduction:
"Such a book as this will be a valuable
addition as a reader to any course. The
language is pure, the style excellent, the
matter interesting and valuable. One
hour a week for a year will be sufficient
to complete it. It will yield rich returns
for all the time spent in the light which
it will throw upon literature and hist-
ory." It can well be taken as the basis
for work in the practical use of the
language. All the subjects treated have
a human interest, and there is hardly a
dry page among the nearly three hun-
dred that make up the book.
About forty pages are devoted to
Alltagsdeutsch. This part is a mine
of information, and contains much that
cannot be found elsewhere, and that
could be collected only after long resi-
dence in Germany. It comes to the assis-
tance of students where dictionaries fail.
The student is properly warned to use
with caution the words and phrases here
gathered together.
The work can be recommended for use
in secondary schools or college.
Newson's First German Book. By 8.
Alge, 8. Hamburger, Walter Rippmann,
and Walter H. Buell. Newson & Com-
pany, New York.
Te method of this book presupposes
that German will be the language of the
class-room, but it is not considered an
unpardonable sin by the authors for the
teacher to use an English word when it
will contribute to accuracy of thought
and economy of time. The book is in-
tended for the use of children; for their
private study are appended on folded
sheets reduced copies of four Holzel pict-
ures representing the seasons. The value
of these is doubtful. The main body of
the work does not differ essentially from
other publications of the kind.
The vocabulary gives a complete sent-
ence with each word, the principal word
being indicated by black type. The ad-
vantage in this plan is that the student
is led to think of the word not as an in-
BUcberbesprecbungen .
127
dividual but as belonging in a group with
a connected meaning. In each case there
is a reference to the exercise in which the
word occurred for the first time. The
choice of these illustrative sentences is
of course arbritrary. Following the
vocabulary are poems that are intended
to be read with some of the lessons in the
earlier part of the book. The vocabulary
of each poem is similar to that of the
lesson with which it is intended to be
used. For instance, lesson seventeen deals
principally with birds, and the compan-
ion poem is Hoffmann von Fallersle-
ben's Das Lied der Vogel. Of the thirty-
three poems, seventeen are by this poet.
A more representative selection might
have been made.
At the end of the book a few pages are
devoted to phonetics, that is, there are
ten exercises transcribed, without com-
ment, into phonetic notation. The sys-
tem of the Association Phon6tique Inter-
nationale is used.
This "First German Book" will attract
young pupils, and it is well arranged for
use in the secondary schools of about the
grade of the grammar-school.
Newson's German Reader. By 8. Alge,
Walter Rippmann, and Walter H. Buell.
Newson & Company, New York.
The authors of this Reader start with
the conviction that the problem of teach-
ing pupils to think and to express them-
selves in a foreign language has found
no satisfactory solution, and they hold
that the end can be most nearly approxi-
mated by making a part of the work for
every recitation consist in the thorough
mastery of short selections, which are in-
teresting to the pupil and stimulating to
his imagination. And so the book they
have produced concerns itself with the
home and familiar objects of the street,
and with poems and stories that are
within the grasp and the experience of
every pupil. There are a few illustra-
tions, designed to assist the pupil by pre-
senting to his eye the objects mentioned
in the lessons. For instance, the picture
entitled Die Wohnung will have special
interest for young pupils for it shows
the interior of a German home, and they
will thus be enabled to grasp at a glance
the essential characteristics of German
style of household furniture and domes-
tic arrangement. Nearly all the lessons
are closed with three topics: Fragen,
Grammatisches, and Aufgabe. The Fra-
gen are intended to stimulate conversa-
tion in German; the names of the other
topics indicate their character.
The- vocabulary, which is an interest-
ing piece of work, covers more pages than
the main part of the book, there being
116 pages devoted to vocabulary and 108
pages to the preceding part. The whole
vocabulary is in German, and it is ele-
mentary, clear, and rich in suggestion;
it contains more than mere definitions.
Following the vocabulary are two pages
on German money, weights, etc. The
work closes with a short collection of
Gedichte and Marchen.
Charles Bundy Wilson.
Choice Songs. Book one. Part I, con-
taining one and two part songs. Part
II, containing two and three part songs.
Selected and arranged by H. 0. R. Sie-
fert, Superintendent of Public Schools,
Milwaukee, Wis. Butler, Sheldon & Co.,
Philadelphia, New York, Chicago.
Durch die vorliegende Liedersammlung
hat der Verfasser sein Material von fur
die Volksschule passenden Gesangen ver-
vollstandigt, und diese bietet nun in
Verbindung mit der vor drei Jahren er-
schiedenen Sammlung fiir Sopran, Alt
und Bass einen liickenlosen Liederkursus
fiir die acht Grade der Volksschulen.
Was wir damals an der ersten Sammlung
als riihmenswert hervorhoben, gilt auch
von der vorliegenden, deren ganze An-
lage den praktischen Schulmann verrat.
Nur musikalisch Wertvolles ist aufge-
nommen, und der Liederschatz fast aller
Nationen hat Vertretung gefunden, aber
die uns alien so lieben deutschen Volks-
lieder bilden gleichsam den Grundstock
der Sammlung. Auch die Texte sind
geschickt gewahlt; sie sind dem Ver-
standnis der Alterklassen, fiir die die
Lieder bestimmt sind, angemessen und
ihrem Inhalte nach dem Charakter der
Melodie angepasst. Die Sammlung ent-
halt iiber 300 Gesange und wird daher
sowohl dem Geschmack eines jeden Ge-
sanglehrers, als auch den Bediirfnissen
einer jeden Klasse Rechnung tragen kon-
nen.
OrthographischesWorterbuch der deut-
schen Sprache von Dr. Konrad Duden.
Nach den fiir Deutschland, dsterreich
und die Schweiz giiltigen amtlichen Re-
geln. Siebente Auflage. Preis 1 M. 65
Pf. — Von dem gleichen Verfasser : Ortho-
graphisches Worterverzeichnis der deut-
schen Sprache. Preis geheftet 20 Pf., in
Leinwand gebunden 50 Pf. Verlag des
Bibliographischen Institutes in Leipzig
und Wien.
Das Dudensche Worterbuch oder ,,der
Duden", wie es der Volksmund getauft
hat, erfreut sich seit dem Erscheinen der
ersten Auflage kurz nach dem ersten Er-
lass des preussischen Kultusininisters)
beziiglich der Reform der deutschen Or-
thographie einer grossen Popularitat, so
128
P'ddagogische Monatshefte.
dass es gegenwiirtig in jeder Frage der
deutschen Orthographic als Autoritat an-
gesehen wird. Die vorliegende Auflage
war notwendig, nachdem im letzten Jah-
re weitere Schritte in der Orthographie-
reform getan worden sind, auf welche
in den P. M. wiederholt hingewiesen
wurde. Das Worterbuch hat seit seinem.
ersten Erscheinen bedeutende Erweite-
rungen erfahren. Es ist, sowohlt was
die auch hier nicht fehlenden Regeln als
was den auf das augenblickliche Nach-
schlagebediirfnis berechneten Wortschatz
betrifft, eine volligeNeubearbeitung, ohne
dass jedoch an den altbewahrten Grund-
festen, welche das Werk jedem Benutzer
bisher ebenso wert wie unentbehrlich ge-
macht haben, geriittelt worden ware:
VollstJindigkeit der zulassigen Schrei-
bungen fiir Worter aller erdenklichen
Art, wobei insbesondere auch mundart-
liche, wissenschaftliche und technische
Ausdriicke beriicksichtigt sind; zahl-
reiche kurze Wort- und Sacherklarungen,
Verdeutschungen von Fremdwb'rtern,
grammatische Winke u. s. w. ; all dies
ist geblieben, nur mit Sorgfalt, wie es
von dem auch am Zustandekomraen der
,,neuen Rechtschreibung" hervorragend
beteiligten Verfasser nicht anders zu er-
warten war, auf den neuesten Stand und
der relativen Vollstandigkeit wieder ei-
nen Schritt naher gebracht. Alles in
allem, das alte Buch in neuen Formen,
und der Empfehlung, wenn auch nicht
mehr bediirftig, so doch im hb'chsten Gra-
de wert.
Das zweitgenannte Worterverzeichnis
ist ein Auszug aus dem obengenannten
Worterbuch und kann als der im Leben
und in der Schule gleich unentbehrliche
orthographische Hausrat bezeichnet wer-
den.
Zur Jugcndschriftenfrage. Eine Samm-
lung von Aufsatzen und Kritiken. Mit
dem Anhang: Empfehlenswerte Biicher
fiir die Jugend mit charakterisierenden
Anmerkungen. Herausgegeben von den
vereinigten deutschen Prufungsausschiis-
sen fiir Jugendschriften. Leipzig, Ernst
Wunderlich, 1903. Preis M. 1.60; geb.
M. 2.
Wer je einen Einblick in die ungeheure
Menge von Jugendschriften getan hat,
weiss, wieviel Wertloses, ja fiir den wer-
denden Charakter des Kindes geradezu
Gefiihrliches sich unter denselben be-
findet. Es ist das Verdienst der deut-
schen Jugendschriftenkommission, das
Material zu sichten und furchtlos die
Spreu aus dem Weizen zu scheiden. Hire
monatliche Veroffentlichung, ,,die Ju-
gendschriftenwarte", die, nebenbei ge-
sagt, kiirzlich ihren elften Jahrgang be-
gann, halt den deutschen Lehrer beziig-
lich aller Neuerscheinungen auf dem Ge-
biete der Jugendliteratur auf dem lau-
fenden.
Das vorliegende Buch ist gleichsam
eine Zusammenfassung der langjahrigen
Arbeit der genannten Kommission. Auf
den 143 Seiten bringt es zunachst einige
Originalaufsiitze, alsdann eine Auswahl
von Kritiken zugleich mit einer Inhalts-
angabe der neueren Jugendschriften, end-
lich ein Verzeichnis empfehlenswerter
Jugendlektiire. Die kurzen Angaben wer-
den geniigen, um die Aufmerksamkeit
unserer Leser auf dieses Werkchen zu
lenken. Gerade der deutschamerikani-
sche Lehrer kommt sehr haufig in die
Lage, Auskunft oder Ratschlage beziig-
lich geeigneter Jugendlektiire fiir unsere
Jugend erteilen zu miissen. Da wird ihm
dasselbe als wertvolles Vademekum die-
nen konnen. M. Q.
II. Eingesandte Biicher.
The English Language. An introduc-
tion to the principles which govern its
right use, by Frederick Manley and W.
~N. Hailmann. .. Boston, C. C. Birchard
& Co., 1903.
The Laurel Readers, a Primer by W.
N. Hailmann, illustrated by Marie Estelle
Tufts, with an addition: Suggestions to
Teachers. C. C. Birchard & Co., 1903.
Der Talisman, dramatisches Marchen
in vier Aufziigen von Ludwig Fulda.
Edited with introduction and notes by
Edward Stockton Meyer, Ph. D., Asso-
ciate Professor of German in the Western
Reserve University. New York, Henry
Holt & Co., 1903. Price 35 cts.
Padagogische Monatshefte. :
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. April 1903. Heft 5
Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.
Aufruf zur Beteiligung an der 33. Jahresversammlung in Erie, Pa.,
30. Juni, 1. 2. und 3. Juli 1903.
(Offiziell.)
Zum erstenmale seit dem Bestehen des Lehrerbundes findet unsere
Jahresversammlung in Erie statt. Fiir die Vortrage sind tuchtige
Krafte gewonnen, und der Ortsausschuss wird alles tun, was er vermag,
um den Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt zu einem angeneh-
men zu machen.
Erie ist fur eine Konvention ausserordentlich giinstig gelegen ; denn
es ist vom Osten sowohl als auch vom Westen leicht zu erreichen. Die
Stadt bietet mit ihrer ,,Presque Isle Bay" mancherlei Erinnerungen an
historische Ereignisse. Das Klima ist daselbst auch im Hochsommer
ein angenehmes, und fur die Bequemlichkeiten der Gaste wird in Erie
wohl gesorgt werden.
Man findet hier ein kraftiges, gesundes Deutschtum, und die Pflege
der deutschen Sprache in der Volksschule erfreut sich eines glucklichen
Gedeihens.
Wir richten an alle Lehrer und Freunde der deutschen Sprache und
des deutschen Unterrichts die dringende Bitte, den Lehrertag recht zahl-
reich zu besuchen ; nur dann konnen wir Erspriessliches leisten. Vieles ist
schon geschehen, aber es bleibt noch manches zu tun iibrig.
- In dem Maihefte der P. M. wird mit dem vollstandigen Programme
130 Padagogiscbe Monatsbefte.
auch Auskunft iiber Wohnungsverhaltnisse, sowie iiber Eisenbahn- und
Dampferverbindungen gegeben werden.
Alle Anfragen bittet man an den Prasidenten des Lehrerbundes zu
richten.
Der Bundesvorstand.
G. G. v. d. Groeben, President, Erie High School, Erie, Pa.
Schiller, Uhland und Hauff in ihrer Bedeutung fiir
die Gegenwart.
Rede, gehalten bei der Jahresfeier von Schillers Geburtstag im
Schiller- Verein von St. Louis, Nov. 1902.
Yon Dr. Otto Seller, Washington University, St. Louis, Mo.
Ein Dreiklang von stolzen Namen ertont am Eingang des heutigen
Festes. Gehoren sie in irgend einem tieferen Sinne zu einander, oder
hat sie die Willkiir des Vergniigungskommissars bloss verbunden, um
einen bequemen Festvorwand zu schaffen? Welcher Art ist das Band, das
Schiller, Uhland und Hauff in unserem Geiste umschlingt ? Hat vielleicht
nur der Zufall sie zeitlich und ortlich verkniipft ? Denn das Schwabenland
hat alle drei geboren, und der November war der Schicksalsmonat, der
ihnen das Leben oder den Tod brachte.
Dass Schiller und Hauff in diesem Monate geboren und Uhland und
Hauff in demselben gestorben sind, scheint mir an sich kein ausreichender
Grund fiir diese Feier. Denn wollten wir die Manner der Vergangenheit
nach dem Hauskalender gemeinsam feiern, so gabe es oft eine wunder-
liche Zusammenstellung unvertraglicher Heiliger.
Und wenn vollends der Schillerverein mit dem heutigen Feste den
Manen der drei Dichter eine landsmannschaftliche Huldigung hatte be-
reiten wollen, so ware er in der Wahl des Festredners ebenso ungliicklich
wie unvorsichtig gewesen.
Im Namen aller nichtschwabischen Teilnehmer an dieser Feier lege
ich Verfahrung dagegen ein, dass Schiller, Uhland und Hauff noch fiirder
nurals Schwaben betrachtet werden. Das Schwabenland hat sie uns ge-
schenkt, heute sind sie langst alldeutsches Eigentum, und wir alle erheben
feierlich Anspruch auf unseren Anteil an dem kostlichen Besitze.
Es gibt eine ausgesprochen bodenstandige Heimatkunst, und wir be-
kommen neuerdings viel von ihr zu horen; kein Verstandiger wird die
voile Berechtigung des zum enger Volkstiimlichen strebenden Schrifttums
in Abrede stellen, dessen Verdienste schmalern wollen. Aber es gibt denn
doch neben dieser regionalen eine in die hochsten Spharen des Gedankens
Schiller, Ubland und Hauffin ihrer Bedeutung ftir die Gegenwart. 131
hinantragende Menschheitkunst, und ihr Gesichtsfeld reicht weit iiber
jene Grenzen hinaus, die auf der Landkarte blau und rot und grim ange-
strichen sind.
Im weiten Reiche dieser Kunst haben sich unsere drei Dichter mit Eh-
ren das Burgerrecht erworben. Es hangen aber ihre Namen in der Tat
nicht durch Zufallslaune, bloss ausserlich, sondern durch Faden von bin-
dender Kraft auch innerlich zusammen. Unsere fortdauernde Anhang-
lichkeit an Schiller, Uhland und Hauff erklart die sie einigende Haupt-
eigenschaft : sie waren insgesamt grosse Volksdichter. Auf diesen Ruhm
haben sie das gleiche Anrecht, so ungleich ihre Grosse sonst: denn wer
erschiene nicht kleiner neben der Erhabenheit Schillers ?
Sie waren alle aus einer grossen ,,Kunstperiode" hervorgegangen.
Der Romantik wie dem Klassizismus lag als Haupttendenz dieselbe Ent-
schlossenheit zu Grunde, sich der armseligen deutschen Umgebung, mit
deren Erbarmlichkeit die Kunst nichts anzufangen wusste, durch den
Flug in eine ideale Welt zu entziehen. Erst die Spatromantik schlug die
verbindende Briicke, so dass die Dichtung wieder den Fuss auf deutsche
Erde setzen konnte. Es ware also gar nicht zu verwundern gewesen,
wenn ein Schiller sich in vornehmer Abgeschlossenheit mit seinen Werken
nur an die kleine Gemeinde gewandt hatte, mit deren Beifall sich Goethe
begniigte. Statt dessen wirkte er mit alien Kraften fur den weitesten
Kreis. Und ebenso standen auch Uhland und Hauff nicht als Priester
eines Geheimkultus an der Tempelpforte und wehrten den Profanen, son-
dern sie schufen ihrem Worte eine breite Resonanz in der ganzen bil-
dungsfahigen Masse ihres Volkes.
Dass der kraftige Schaffenstrieb bei jedem der drei Volksmanner
anders durchschlug, lag in ihrer natiirlichen Verschiedenheit. Durch spe-
zifische Beanlagung wurden sie einzeln auf die entsprechenden Hauptge-
biete kiinstlerischer Tatigkeit geleitet, und es durften die jiingeren Dichter
erganzend in die Lucken von Schillers kolossalem Werke treten.
Schiller war vornehmlich Dramatiker. Fast ist man versucht zu sa-
gen ausschliesslich, so sehr wiegt der dramatische Charakter auch in je-
nen Schillerschen Werken vor, die ausser den Schauspielen heiite noch ein
lebendiger Bestandteil unseres nationalen Schrifttums sind. Das trifft
namentlich auf die grossen Balladen zu, mit ihrem belebten Tempo, ihrer
szenischen Ausstattung, getragenen Rhetorik, plastischen Gruppierung,
kurz, wenn ich den Ausdruck in tiefster Ehrerbietung anwenden darf,
ihrer Theatralik. An der dramatischen Technik hat gleichfalls die re-
flektive Dichtung teil; zumal deren vollendetste Leistung, das Lied von
der Glocke. Rein lyrische Gedichte finden sich bei Schiller so gut wie
garnicht.
Ja sogar seine historiographischen Werke durchzieht eine machtige
dramatische Unterstromung. Wahrend der Geschichtsphilosoph Schiller
132 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
schon vorschauenden Geistes die moderne entwicklungsgeschichtliche Er-
kenntnis teilt, dass es die sozialen Krafte sind, die den Werdegang der
Menschheit im wesentiichen bestimmen, so greift er doch zur Darstellung
nur die konvulsivischen Ereignisse heraus, die den stetigen Gang der lang-
sam arbeitenden aber tmendlich feinmahlenden Gottermiihle scheinbar un-
terbrechen ; und er wahlt mit Vorliebe historische Handlungen, auf deren
Verlauf die iiberragende Einzelperson ausschlagebend wirkt. Tritt sodann
der Ausnahmsmensch vom Schauplatz, so nimmt Schillers Anteil ersicht-
lich ab, so dass er beispielsweise die Geschichte des dreissigjahrigen Krie-
ges nach dem Hingang der grossen Gegenspieler Gustav Adolf und Wal-
lenstein nur mit erlahmtem Interesse zu Ende zu fiihren vermag.
Wie Schiller zum Dramatiker, war Uhland zum Lyriker pradesti-
niert ; es sind darum auch unter seinen dichterischen Erzeugnissen einzig
die Gedichte, denen die Gegenwart ein unaffektiertes Verstandnis entge-
gentragt. In sehr weiten Kreisen ist der Irrtum zu Hause, dass sich das
lyrisch hochbegnadetelndividuum nurdurch rucksichtslose poetischeSelbst-
durchsetzung bekunde, wie sie zum klassischen Beispiel Heinrich Heine
iibte. Und da mag es zunachst befremden, wie wenig uns Uhlands Lyrik
von der Eigenart seiner tiefen Personlichkeit verrat. Nun ist es unwider-
ruflich wahr, dass alle echte Lyrik subjektiv ist, was aber nicht bedeutet,
dass der Dichter eine einzigartige Personlichkeit zu besitzen oder, falls er
sie hat, ungemildert hervorzustellen braucht. Wie hatte sonst das Volks-
lied entstehen konnen ?
Gerade mit letzterem nun hat Uhland die Quelle der Popularitat
gemein : das Ich verbleibt allemal innerhalb einer umfangreichen Katego-
rie, und statt wie etwa Heine im Gedicht vor alien Dingen ein eigenmensch-
liches Dokument zu liefern, leiht sich der Sanger zum naturgemassen Or-
gan einer gleichgestimmten Vielheit.
Somit erfiillt Uhland schwerlich Emile Zola's bekannte Forderung,
die Dichtung solle einen durch ein Temperament hindurch betrachteten
Weltausschnitt zeigen. Im Gegenteil: er selbst schaut die Aussenwelt
durch das Medium des poetischen Volksgemiits. Kein loderndes Tem-
perament setzt hier den Hebel an zur poetischen Tat, sondern umgekehrt,
der Dichter selbst ist Werkzeug der ihn unwiderstehlich zu sich hinziehen-
den Naturseele.
Von der willensfreien, herben Energie Schillers steht diese Art fernab.
Was Wunder, dass vor Uhlands Kunst die Dinge sich diskret in den letzten
Schleier einhiillen ! So erscheinen sie niemals scharf profiliert ; umsomehr
verweilt unsere Aufmerksamkeit bei den typischen Reizen von Kontur
und Form : die edlen Konige, zarten Burgfraulein, zierlichen Ritter, from-
men Hirtenknaben, blinden Harfner sind alte Hebe Bekannte. Und auch
Bach und Baum, Blume und Stern meinen wir von jeher ganz so geschaut
zu haben.
Schiller, Uhland und Hauffin ihrer Bedeutung fUr die Gegenwart. 133
Dass Hauff, der ausgezeichnete, in mehr als einer Hinsicht uniiber-
troffene Erzahler, gleichfalls seine Kunstgattung in Gemassheit seiner
natiirlichen Begabung wahlte, bedarf keines naheren Nachweises.
Nach dem Erscheinen von Scotts "Waverley" (1814) wurde auch in
Deutschland die vaterlandische Geschichte zu einem Lieblingsgegenstand
zahlreicher Nacheiferer und Nachahmer. Aber Wilhelm Hauff war kein
blosser Epigone, sonst hatte seine ,,romantische Sage aus der wurttem-
bergischen Geschichte", Lichtenstein, nicht im Gegensatz zu den ephe-
meren Biichern der Modeschriftsteller vor der hochsten Instanz des lite-
rarischen Urteils, vor der unumstosslichen Kritik der Zeiten, bestanden
und nun schon beinahe achtzig Jahre sich unerschiittert in der Gunst eines
ungeheueren Leserkreises erhalten. Eine nicht minder reiche Lebensader
schlagt in seinen anmutigen, ergreifenden Novellen, seinen von Trinker-
weihe durchwehten ,,Phantasien im Bremer Ratskeller" und in den zeit-
satirischen ,,Memoiren des Satan". Sie alle haben deshalb ihre wohlver-
diente Popularitat in unsere fernliegende Zeit heriibergerettet.
Jede Zeit muss sich ihre eigenen Wegweiser erzeugen ; aber die Rich-
tung geben die unverganglichen Werke der Meister. Um die Nachwir-
kung der von Schiller, Uhland und Hauff aufgestellten Muster zu wiirdi-
gen, werfen wir nun einen Blick auf ihr Vollbrachtes.
Den Dichtern, deren Andenken dieser Tage hier und anderorts geehrt
wird, war die Zeit karg zugemessen. Schiller erlag der Krankheit im
sechsundvierzigsten Jahre seines Lebens, nachdem er, schon lange todes-
wund, seinem gebrechlichen Korper vermoge einer unerhorten Willens-
kraft die grossartigsten Leistungen abgetrotzt hatte. Wenn man von
Schiller sagt, er habe mit seinem Herzblut geschrieben, so ist das nur zum
kleinsten Teile Phrase. Denn er hatte ungefahr seit 1798 bei klarer Er-
kenntnis der Gefahr seine Arbeitskraft unausgesetzt iiber die Grenze
menschlicher Leistungsfahigkeit hinaus angespannt und um seine gro-
ssen Dramen den teuren Preis der besten Mannesjahre willig hingegeben.
Selten ist die Macht des Geistes so vollig des physischen Gebrechens Herr
geworden. Keine Spur von Krankheit haftet an Schillers Meisterwerken.
Vom Wallenstein bis zum Demetrius, welch eine Bergfahrt im Alpen-
lande der Kunst ! Da geht's von der Hohe der Vollkommenheit immer noch
aufwarts zu neuen Hohen. Und wie nahe war der Demetrius, in welchem
wohl der Aufstieg gegipfelt hatte, seiner Vollendung, als Schiller mitten
im Arbeiten und Planen dahingerafft ward! Kein anderes Schillersches
Werk vermag uns in gleichem Grade in personliche Beziehung zum Dich-
ter zu setzen, wie der Demetrius. Unter den nachgelassenen Fapieren
sind die Vorarbeiten zu diesem Schauspiel bis auf den unbedeutendsten
Zettel erhalten. Vom formlosen Rohstoff konnen wir die mahliche Em-
porbildung des Kunstwerks bis zur edlen Harmonic der zur Vollendung
gediehenen Teile in der Werkstatte des Meisters beobachten.
134 P'ddagogische Monatsbeftt.
Sei es mir gestattet, jede iiberfliissige Anpreisung von Schillers allbe-
kannten Grosswerken zu unterdriicken, und im Geiste das zu uberfliegen,
was Schiller noch fur die Zukunft gewollt und bedacht.
Uberreichliches Arbeitsmaterial lag in seiner unerschopflichen Vor-
ratskammer aufgespeichert. Auf der letzten Seite von Schillers Notiz-
buch sind einunddreissig Dramen verzeichnet, von denen sechs als fertig
durchstrichen sind. Nicht alle Entwiirfe waren bis zur Niederschrift ge-
diehen ; bei mehreren diirften die Aufzeichnungen verloren sein.
Eine ganze Reihe Helden aus der deutschen Geschichte harrte von
fruherher der gestaltenden Hand desDramatikers : ,,GustavAdolf,Friedrich
der Grosse, Bernhard von Weimar, Ludwig von Bayern, Friedrich von
Osterreich. Die vorhandenen sechzehn schriftlichen Entwurfe gewahren
Einblick in die weltumfassenden Aufgaben, mit denen sich Schillers Rie-
sengeist trug. In den ,,Maltesern" sollte gleichwie in der griechischen
Tragodie ein einheitlicher Chor die Handlung begleitend durchschreiten.
Ein eigentliches Charakterdrama ware hingegen ,,Agrippina" geworden,
denn nach Schillers Absicht sollte Neros Mutter, ohne ihren iiberlieferten
abscheuerrengenden Charakter abzulegen, dem Horer nichtsdestoweniger
ein reichliches Teil menschlichen Mitleids entlocken.
Der Romertragodie hatte der ,,Tod des Themistokles" gegeniiberge-
standen, ein grossziigiges, farbensattes Abbild griechischen Lebens.
In anderen Entwiirfen steht statt des historischen Moments ein ethno-
graphisches in der Mitte. Wir konnen uns kaum die allerentfernteste
Vorstellung machen, wie Schiller in den Schauspielen ,,das Schiff" und
,,die Flibustiers" den zentralen Gedanken herausgearbeitet hatte. Enorme
stoffliche Schwierigkeiten waren da zu bewaltigen. Die Konzeption
entsprang der Lektiire von Beschreibungen des Seelebens und uberseei-
scher Verhaltnisse. In lebensvollen Bildern sollten geographische Ent-
deckungen, die buntesten Episoden und krausesten Abenteuer des See-
mannsleben zu dem Schicksale der Hauptpersonen in Wechselbeziehung
gesetzt werden. Landen und Absegeln, Sturm, Scheitern der Schiffe,
ausgesetzte Mannschaft, Leben der Kreolen, Brand im Wasser, verlo-
rener Anker, Seebegrabnis ; solche und mancherlei ahnliche Momente ge-
dachte Schiller in diese beiden Stiicke einzuflechten. Er, der kein grosse-
res Gewasser als die Elbe kaimte, wollte in dem einen davon, dessen Hand-
lung sich ganz auf See abspielen sollte, das ,,Schiff als eine Heimat, eine
eigne Welt" darstellen.
Ein womoglich noch bunter belebtes Kulturbild ware das Schauspiel
,,die Polizei" geworden. Urspriinglich plante der Dichter eine zweiteilige
Tragikomodie uber diesen Stoff, doch gab er anscheinend den Gedanken
an das Lustspiel uber den Gegenstand auf ; hingegen beschaftigen sich zwei
Entwurfe: ,,Narbonne, oder die Kinder des Hauses" und ,,Die Polizei",
Schiller, UHand und Hauffin ihrer Bedeutung fttr die Gegenwart. 135
ein Schauspiel, mit dem tragischen Teile. Den Stoff gab das gross-
stadtische Treiben in Paris her, das Schiller zwar nicht aus der Anschau-
ung kannte, das er sich jedoch kraft seiner schopferischen Phantasie in
greifbarer Wirklichkeit vorzustellen imstande war.
Auch auf eine Fortsetzung der Rauber unter dem Titel ,,die Braut in
frailer" hatte Schiller schon seit friiher Zeit seinen Sinn gerichtet. Ferner
hatte er, so viel uns bekannt, noch folgende Stiicke vor: ,,Elfriede", aus
der Geschichte der Angelsachsen, ,,Die Grafin von Flandern" und ,,Der
Graf von Konigsmark", aus anderen historischen Perioden geschopft. So-
gar einen romantischen Operntext : ,,Rosamund oder die Braut der Holle"
nahm der Dichter in Arbeit.
Von all diesen Planen sind allerdings nur zwei weit genug ausge-
fiihrt, um dramaturgische Beachtung zu verdienen : Warbeck und Deme-
trius. Aber es ist leicht zu ersehen, welch eine unermessliche Fiille von
dichterischer Tatkraft noch in dem rastlosen Riesengeist enthalten war, als
die gleichgiiltige Hand der Natur dazwischengriff und das geweihte Leben
des herrlichen Mannes unerbittlich zerstorte. Es mutet uns an wie ein bit-
terer Hohn des Schicksals, dass nicht lange nach Schillers Hingang sein
wahlverwandter Landsmann, der seelenvolle Holderlin, dreissigjahrig in
unheilbaren Wahnsinn verfiel, und dass er, fur den der Tod ein wahrer Er-
loser gewesen ware, noch fast vierzig Jahre hindurch in briitendem Blod-
sinn fortvegetieren musste.
Ich habe auch Ludwig Uhland zu den kurzlebigen Dichtern gezahlt;
denn obschon er ein Alter von fiinfundsiebzig Jahren erreichte, so er-
streckte sich seine poetische Fruchtbarkeit iiber wenig mehr als acht Jahre
und war folglich von erheblich kiirzerer Dauer als diejenige Schillers.
Wahrend dieser kleinen Spanne hat Uhland seinem vollen Herzen die
quellenfrischesten Tone entstromen lassen. Bald, und fast plotzlich, ver-
stummte sein Liedermund. Das seitherige Streben des freisinnigen,
opferwilligen und als Politiker wie Gelehrter hochbedeutenden Mannes
verfolgte andere Wege als die blumigen Pfade im Irrgarten der Poesie
und legte dadurch Zeugnis ab fur eine richtige Selbstbewertung, die leider
unter den Poeten ebenso selten ist wie unter den Alltagsmenschen. Als
grazioser Lebenskiinstler sprach Uhland seiner Muse das Goethesche Ur-
teil:
Die Jugend ist um ihretwillen hier,
Es ware toricht, zu verlangen:
Komm, altle du mit mir.
Denn das tiefinnerste Geheimnis von Uhlands Wirkung heisst : Stim-
mung, und der Schliissel dazu : Jugend. Die liebliche Romantik, die zarte
Glut, die frauenhaft keusche Weltbetrachtung und der erfrischende Opti-
mismus seiner Lieder, das ist ein Quickborn, dessen wir nimmermehr ent-
136 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
behren mochten. Aber er sprudelt nur kurze Zeit in einem Herzen. Kin
Dichter wie Uhland ist zu echt, um sich wie ein ewiges Paradigma seiner
Kunst unaufhorlich abzuwandeln. Er wird nur so lange singen, bis er
seine Welt poetisch ausgebeutet hat. Und die Grenze ist verhaltnis-
massig bald erreicht.
Dass Schiller sein dichterisches Lebenswerk in der Vollreife seines
Konnens abbrechen musste, war ein nationales Ungliick. Selbst heute
vermag der trostreiche Gedanke an den unverlierbaren Besitz, den er uns
vollendet hinterliess, kaum den Schmerz um solch jahen Verlust zu sanf-
tigen. Von einer gewaltsamen Beendigung kann bei Uhlands Dichtung
nicht die Rede sein. Sein poetisches Vermachtnis ist in keiner Hinsicht
stiickhaft; sondern es ist das voile Ertragnis einer echten Dichterseele,
die sich ausgelebt hatte und von der Gunst des Tages zu unabhangig war,
als dass sie sich hatte iiberleben wollen.
Mit Hauff verhielt es sich anders. Er starb fiinfundzwanzigjahrig,
also in einem Alter, wo Goethe und Schiller keines ihrer reifen, grosseren
Werke hervorgebracht hatten. ,,Dem jungen, frischen, farbenhellen Le-
ben, — clem reichen Frtihling, dem kein Herbst gegeben" .... — zollte
Uhland in den Versen ,,auf Wilhelm Hauffs friihes Hinscheiden" das
schonste Totenopfer. Und ganz Deutschland betrauerte mit ihm den
hochbegabten Jtingling, der in seiner zweijahrigen schriftstellerischen
Laufbahn sich aller Herzen erobert hatte. Wie sich sein rasch und leicht
produzierendes Talent weiterhin entwickelt hatte, ob Hauff wirklich, wie
wohl in manch einer heftigen Lobrede verkiindet wird/ in raschem
Siegeslauf den deutschen Roman zur gleichen Hohe mit dem deutschen
Schauspiel und dem deutschen Lied emporgefiihrt hatte, dariiber masse
ich mir kein Urteil an. Derlei fein abgewogene Behauptungen konnen
nicht bewiesen und brauchen nicht widerlegt zu werden.
Wilhelm Hauff gebiihrt das unschatzbare Verdienst, den deutschen
Roman in gutem Sinne popularisiert zu haben, indem er ihn, ohne seiner
kiinstlerischen Wiirde etwas zu vergeben, fur das Bedurfms des ausge-
dehnten Leserkreises umschuf.
Die Klassiker hatten aus naheliegenden Griinden das Feld des histori-
schen Romans und der unterhaltenden Novelle im ganzen ziemlich brach
liegen lassen. Wielands ,,Agathon" war nach Lessings Meinung ,,der
erste deutsche Roman fur den denkenden Kopf von klassischem Ge-
schmack". Ganz zutreffend bemerkt Hauffs Herausgeber Felix Bobertag
(D. N. L. Bd. 156, 9.) : ,,Wer Romane fur Manner, die nach Lessings
Meinung einen denkenden Kopf und klassischen Geschmack besitzen,
schreibt, bringt die Gattung durch die Voraussetzung, die er macht, doch
wohl in eine Gefahr, in die Gefahr, fiir ein sehr kleines Publikum ver-
standlich zu sein. Wer wird leugnen, dass Goethe auf diesem Wege wei-
Schiller, UUand und Hauff in ibrer Bedeutung fur die Gegemvart. 137
tergegangen ist ? Wer sieht nicht, dass Goethe schon mit seinem Werther,
noch viel mehr aber mit Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften
seiner Nation Offenbarungen eines Genies vorlegte, die um Offenbarun-
gen zu sein und nicht Geheimnisse zu bleiben, eine selbst bei den ,,Gebilde-
ten" nur selten mogliche Stufe des geistigen Lebens erforderten ?" Auch
die Romantiker haben das Terrain des Romans bepfliigt — ich erinnere an
die Novellensammlungen Achims von Arnim und an seinen halbgeschicht-
lichen Roman ,,Die Kronenwachter" — aber ihre unverbesserliche Sonder-
art zog die Furchen zu tief, und die Saat konnte nicht aufgehen. Erst
Hauff hat den reichen Acker mit dauerndem Erfolg angebaut. Er hat
der erzahlenden Gattung, ohne ihren asthetischen Wert herabzustimmen,
einen ausserordentlich vermehrten Anhang verschafft, den Geschmack
der Leserwelt fur die Folge gehoben und dadurch die vaterlandische Kul-
tur gefordert.
Die Namen Schiller, Uhland und Hauff durfen aber insbesondere in
Anbetracht der Nachwirkung ihrer Trager auf das geistige Leben der Ge-
genwart fiiglich zusammen genannt und gefeiert werden. Es gibt keine Er-
scheinung in der deutschen Literatur, die sich beziiglich ihrer praktischen
Nachwirkung auf das neunzehnte Jahrhundert mit Schillers Dramatik
messen kann ; keinen Sanger, dessen Lied im Volksherzen lebendiger nach-
klingt, als Uhlands Lied. Und auch den wohltatigen Einfluss Hauffs
kann man kaum zu hoch einschatzen : seine Schriften, die dem Sehwinkel
der Vielen nicht entruckt sind, haben durch Stoff und Schreibweise auf die
neuere Erzahlkunst unverloschlichen Eindruck gemacht. Freilich, Schil-
lers Name iibertont mit seinem ehernen Klange die beiden anderen.
Zweimal hat man im Verlaufe des neunzehnten Jahrhunderts den
wahnwitzigen Versuch gemacht, Schiller seinem Volke zu entfremden.
Der Versuch ist beide Male klaglich gescheitert. Der Tag, an dem das
deutsche Volk Schiller verleugnet, ist der Tag seines hoffnungslosen mo-
ralischen Bankerotts. Moge er uns nie erscheinen ! Das Verstandnis fur
Friedrich Schiller ist am modernen Menschen der zuverlassigste Grad-
messer ethischer Kultur, das sympathische, eindringende Verstandnis, das
Schillers Ideale begreift und sie gegebenen Falles in Wirklichkeit umzu-
setzen sich nicht scheut. Des hohlen Lobes ist wahrhaftig kein Mangel.
Und wie oft ist die vorgebliche Treue gegen sein hehres Werk nichts als
eine bequeme Ausrede fur die schnode Ablehnung alles dessen, was in
unserer eigenen bewegten Zeit nach kunstlerischem Ausdruck ringt!
Wir haben Goethe, Schiller ja, wohl sagt ihr,
Die Klassiker! Doch ihrer zu gedenken,
Wie ihre Namen nur zu nennen wagt ihr?
Sie stehn bestaubt in euren Bucherschranken,
Und weislich je sie aufzuschlagen zagt ihr.
138 P'ddagogiscbe
Lasst euch ein Goldschnitt-Weihnachtsbuch doch schenken!
Das passt fur euch. Allein scheinheilig preist
Die beiden nicht, und Lessing noch und Kleist.
So ruft in heller Entriistung derselbe Paul Heyse, der doch wieder
den unvvandelbaren deutschen Glauben an Macht und Sieg des Ideals mit
folgenden derben Worten bekennt : ,,Man mag das Ideal mit der Mistgabel
des Naturalismus hinauswerfen so oft man will, es kehrt immer wieder
zuriick."
Ein jedes Volk bedarf zu seiner vollstandigen Bildung zweier Litera-
turen. Und nun, da das deutsche Leben genugsam erstarkt ist, um die
schon von Lessing herbeigesehnte nationale Realistik zu zeitigen, diirfen
wir diese mit Freuden als eine durchaus rechtmassige Kunstart begriissen.
Hochste Poesie ist und bleibt dessenungeachtet jene beschwingtere Kunst,
die ,,als ein weltliches Evangelium durch innere Heiterkeit und ausseres
Behagen uns von alien irdischen Lasten zu befreien weiss."
In das Gemeine und Traurigwahre
Webt sie die Bilder des goldenen Traums.
Die an leuchtenden Vorbildern wie Schiller, Uhland und Hauff fest-
haltende Begeisterung der Deutschen muss auch hiiben in Amerika halb
erloschene Ideale wieder lebendig werden lassen.
Das ist der Sinn dieser Feier. Sie soil dartun, dass wir das Beisam-
menstehen noch nicht verlernt haben. Und beisammenstehen, nicht nur
gelegentlich, heisst es, wenn wir als Burger unsere Pflicht gegen diese
Republik, die uns zum Vaterlande ward, erfiillen wollen. Es liegt im
vitalen Interesse der Vereinigten Staaten, dass wir ihrer werdenden Kul-
tur die besten Faktoren der unsrigen eingliedern. Die Zivilisierung Ame-
rikas ist erst zur Halfte vollzogen. Die Signatur seiner bisherigen Er-
rungenschaft auf alien Feldern menschlichen Tuns ist Geschicklichkeit.
Das amerikanische Volk bedarf in diesem Zeitalter mehr als jedes andere
der Inspiration. Wir wollen uns nicht umsonst in der Riistkammer un-
serer glorreichen Vergangenheit gewappnet haben. Namentlich ist es die
hochste Zeit, dass in der Krise, die unser materiell voll aufgebliihtes, aber
moralisch und asthetisch versumpftes Gemeinwesen jezt durchzumachen
hat, etliche unserer wohlbehiiteten Ideale in den politischen Alltagsge-
brauch ubergehen.
Die Literaturwerke hohen Stils gewinnen ihre eigentliche Bedeutung
fur die menschliche Wohlfahrt erst, wenn sie in werktatiges Bemiihen
iibersetzt werden. Sonst bleiben sie in alle Ewigkeit papierene Erzeug-
nisse.
Allerlei fiir die Schulpraxis.
(Aus nnsern Tanschblattern.)
Vom Sitzenbleiben. Durch die Arbeit des statistischen Amtes*) ist die Auf-
merksamkeit dem Sitzenbleiben in erhohtem Masse zugewendet worden. Die ausser-
ordentlichen Abweichungen, die sich in der Statistik zeigen, lassen sich wohl zum
grossen Teil erklaren durch die verschiedenartigen Verhaltnisse bei einzelnen Schul-
gattungen und Schulen. Zum Teil weisen sie aber doch auch auf eine recht ver-
schiedenartige Behandlung der Angelegenheit durch die einzelnen Kollegien und Kol-
legen bin. Im Interesse einer Kliirung und Vereinheitlichung ist es deshalb viel-
leicht am Platze, einmal zusammenzustellen, was bei der Entscheidung iiber die Ver-
setzung eines Kindes etwa zu beriiksichtigen ist.
Einig ist man sich wohl dariiber, dass das Sitzenbleiben nicht als Strafe, son-
dern als Heilmittel zu betrachten ist, das zum Segen des betreffenden Kindes ange-
wendet wird. Da nun aber fast von alien Betroffenen und namentlich auch meist
von den Eltern dasselbe als Strafe und oft auch als Schande empfunden wird, so ist
von seiten der Schule mit alien Mitteln gegen diese falsche Auffassung anzukampfen.
Vielleicht wiirde es sich empfehlen, zur geeigneten Zeit, vor Schluss des Schuljah-
res, die Tagespresse dazu zu Hilfe zu nehmen. Vor allem ist natiirlich ernste Riick-
sprache mit den Eltern notig. In der Schule sollte man sich sehr hiiten, faulen oder
nachlassigen Kindern mit dem Sitzenbleiben zu drohen. Bei diesen sind andere
Mittel am Platze.
Ja, miissen denn aber iiberhaupt die Kinder sitzen bleiben? Ist nicht gerade
der ein besonders fleissiger und geschickter Lehrer, dem es gelingt, alle seine Kin-
der ans Ziel zu fiihren? Wir wollen sehen. Es ist unerlasslich, dass in einer ge-
gliederten Schule fiir jede Klasse ein festbestimmtes Ziel gesetzt wird. Sehr haufig
ist nun leider zur wirklichen Erreichung desselben ein Idealschiiler notig. Aber
nehmen wir an, dass man bei Festsetzung des Lehrplanes einen Durch schnittsschii-
ler im Auge gehabt hat. Was wird nun aus den Kindern, deren Begabung unter
dem Normalen liegt? Diejenigen, die dem Durchschnitt nahe kommen, werden ja
vielleicht bei besonderer Anstrengung noch einigermassen den Anforderungen genii-
gen, obwohl auch hier schon sich Bedenken regen. Denn es ist gerade eine Eigen-
tiimlichkeit schwacher Begabung, dass die Betreffenden einer dauernden gesteigerten
geistigen Anstrengung meist unfahig sind. Alle die Schwachen aber in der Klasse,
und deren gibt es stets eine erhebliche Zahl, werden nicht imstande sein, den An-
spriichen zu geniigen, die man an ihre Kraft stellen muss. Und sich mit geringen
Leistungen begniigen, das heisst hier meist gar nichts fordern. Denn wenn ein Kind
eine Aufgabe nur unter Beihilfe des Lehrers oder erst nach andern losen kann, dann
hat es iiberhaupt nichts getan, was fiir seine geistige Entwicklung irgend einen Wert
hat. Daraus ergibt sich, dass unter normalen Verhiiltnissen in jeder Klasse eine
ganze Anzahl Kinder dem Gange des Unterrichts nicht folgen konnen.
Was wird nun mit diesen? Die Allerschwachsten pflegt man ja zuriickzulas-
sen, aber was irgend nur notdiirftig angeht, wird doch oft aus den verschiedensten
Griinden mit fortgegeben. Bald genug zeigen sich nun aber die verderblichen Fol-
gen dieses skrupellosen Versetzens. Ein Kind, das die Stoffe der niederen Klasse
nicht sicher beherrscht, ist natiirlich unfahig, das in der hoheren Klasse Dargebo-
tene zu erfassen und zu verarbeiten. Man baut nicht ungestraft auf schwankendem
*) Leipziger Schulstatistik 1901, S.-A. aus dem IQOOer Verwaltungsbericht der
Stadt Leipzig.
140 P'ddagogische Monatsbefte.
Grunde. Die Liicken werden grosser und grosser, der ganze errichtete Bau immer
lockerer und verworrener. Das verschlimmert sich von Jahr zu Jahr, und das Er-
gebnis sind die Kinder, die wir mit den geringsten Zensuren aus den ersten Klassen
entlassen miissen, Kinder, von denen wir uns zu unserm grossen Schmerze sagen,
dass alle ihre Miihe, wie alle unsere Arbeit beinahe vollig vergeblich war. Diese
Erfahrung wird jeder machen, der mit offenem Auge und ohne Selbsttauschung hin-
schaut. So gross gewiss auch der Segen einer abgeschlossenen Ausbildung ist, so
muss man angesichts solcher Kinder doch sagen, dass es besser, tausendmal besser
war, wenn sie aus der zweiten, ja dritten Klasse entlassen wurden, wenn ihnen ein
ganzes Stuck des Baues fehlte, daftir aber der Rest ihr selbsterworbener, sicherer
Besitz war.
Noch viel schwerer ins Gewicht fallt die andere Seite der Angelegenheit. Wir
betonen sonst so sehr unsere Tatigkeit als Erzieher. Ich glaube, dass wir doch
zuweilen unseren Einfluss in dieser Beziehung etwas iiberschatzen. Allein hier wird
durch skrupellose Versetzung oft so direkt schadigend auf den Charakter des Kin-
des eingewirkt, dass der Schaden wohl nie wieder gut zu machen ist. Wenn Kinder
den Anforderungen einer Klasse nicht gewachsen sind, so ist es ihnen natiirlich un-
moglich, dem Unterrichte zu folgen. Unaufmerksamkeit und Zerstreutheit sind die
notwendige Folge. Strafen hierftir wurden ungerecht sein. Welche Naehteile es
aber fiir die Willensentwicklung eines Kindes haben muss, wenn es jahrelang zer-
streut und unaufmerksam oder doch lediglich zuschauend, selbst untatig dasitzt,
liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass solche schwache Kinder sehr bald auch von
den iibrigen zuriickgesetzt werden. Die Folgen von alledem sind aber beinahe vol-
liger Verlust alles Selbstvertrauens. Auch vor angemessenen und leichten Aufga-
ben schrecken sie zuriick, und es halt sehr schwer, sie hier und da doch zur eignen
Arbeit heranzuziehen. Und wie leicht erwacht auch im Lehrer eine gewisse Bitter-
keit, ein Groll gegen Kinder, die immer und ewig das Hindernis eines frischen,
frohlichen Weiterstrebens sind, die uns so manche Stunde der kostbaren Zeit rau-
ben. Wie leicht trifft ein hartes Wort oder herber Tadel das Kind, das doch im
letzten Grunde, selbst wenn es unaufmerksam war, unschuldig ist. Und wie wird
einem solchen Kinde die goldne Jugend vergallt! Wie wird das Lernen anstatt zur
Lust zur Qual! Und wie bitter ist es fiir uns, von einem solchen Kinde fordern
zu miissen, was es nicht leisten kann. Wie gliicklich ist doch dagegen das Kind,
das zur rechten Zeit zuriickblieb, das eintrat in einen neuen Kreis von Mitschtilern,
denen es gewachsen ist an Leib und Geist. Hier kann es sich frei und mit Sicher-
heit bewegen. Selbstvertrauen und Freude an eigner Tatigkeit kehren zuriick. Da-
mit wachsen die Krafte, und die Schule wird zu dem, was sie sein soil, zur Statte
frohlichen Lernens.
Freilich wird man sofort einwenden, dass wohl ein Teil der Sitzengebliebenen
dies bestatige, dass dagegen die meisten ein ganz anderes Bild darstellen. Das ist
wahr. Aber der Grund daftir ist darin zu suchen, dass einmal viele der Kinder,
die heute aus der vierten Klasse entlassen werden, eigentlich in die Hilfsschule ge-
horen, dass aber vor allem die Kinder nicht zur rechten Zeit zuriickbehalten wur-
den. Wie oft werden Kinder versetzt in der Hoffnung, dass spater ,,der Knoten
reisst". Das geschieht auch gewiss zuweilen. Aber ebenso gewiss ist ein solches
Kind dann unfahig, in einer hoheren Klasse bei gelegentlichen Repetitionen aus
eigner Kraft das Wissen und Konnen nachzuholen, das normale Kinder in monate-
und jahrelanger Arbeit erworben haben. Ein Erfolg ist nur dann moglich, wenn
das Kind auf der entspreehenden Stufe geblieben ist. Es wiirde naturgemass der
grosste Prozentsatz in den beiden ersten Schuljahren zuruckbleiben miissen, und
man sollte sich hier auch vor ziemlich hohen Zahlen nicht scheuen. Solche Kinder,
Allerlei ftir die Schulpraxis. 141
die dann meist im nachsten Jahre zu guten Schiilern werden, sind fur den Lehrer
auch keine Last. Ein verspatetes Sitzenlassen in hoheren Klassen ist in den mei-
sten Fallen vollig nutzlos.
Dies fuhrt zum Schluss zu der Frage: Welches ist das Mass, das wir bei der
Beurteilung der Versetzungsfahigkeit eines Kindes anlegen miissen? Es besteht in
Leipzig wohl meist die Bestimmung, dass Kinder, die die Hauptzensur 4, aber im
Rechnen und Deutsch Zensur 5 haben, zuriickbleiben. Das heisst also, dass Kin-
der, welche auch nur ganz notdiirftig das Ziel der Klasse erreicht haben — und sei
es auch unter Zuhilfenahme von Privatstunden und sonstiger Druckmittel — doch
mit zu versetzen sind. Ich halte das nicht fur richtig. Unter dem Drucke der
Verhaltnisse gestaltet sich die Sache meist noch so, dass sich der Lehrer die Frage
vorlegt : Kann ich es verantworten, das Kind sitzen zu lassen ? d. h. : Werde ich
auch bei Beschwerden seitens der Eltern mit meinem Urteil durchdringen, oder
kann ich in die fatale Lage kommen, dass nach kurzer Priifung meine Entscheidung
umgestossen wird? Ich meine, die Frage muss direkt umgekehrt werden und darf
nur heissen: Kann ich es verantworten, das Kind den Anforderungen auszusetzen,
die die nachste Klasse stellt? Hat das Kind die nb'tige geistige Reife erlangt, die
Aufgaben aus eigner Kraft zu lo'sen, die das nachste Schuljahr ihm bringt? Der
Klassenlehrer wird dariiber ein ziemlich sicheres Urteil haben, und in Zweifelfal-
len wird das Kind immer den geringeren Schaden erleiden, wenn es zuriickbleibt.
Alle die erwahnten Schwierigkeiten wurden ja besser und sicherer behoben wer-
den durch eine Scheidung der Kinder in den Parallelklassen nach ihrer Befahigung,
die ja von verschiedenen Seiten vorgeschlagen und an manchen Orten auch schon
durchgefiihrt ist. Aber da wohl noch manches Jahr vergehen wird, bis wir dieses
Ziel erreichen, mussen wir versuchen, durch das Sitzenbleiben einen, wenn auch not-
durftigen, Ausgleich zu schaffen. — (Leipziger Lehrerzeitung. )
den Wert der Normalwortermethode. Vor wenigen Tagen fiihrte mich das
Gesprach mit einem Kollegen auf den Wert der Normalwortermethode; hierbei
konnte ich die Beobachtung machen, dass jener nur geringe Kenntnis der Bedeu-
tung dieser Methode besass. Dieser unerfreulichen Beobachtung steht gliicklicher-
weise die andere gegenuber, dass einsichtsvolle Schulmanner entschieden fiir die
Normalwortermethode sich aussprechen und ihre Einfiihrung in die Schule fordern.
In der Tat ist die Normalwortermethode in ihrem padagogischen Werte der
synthetischen Leselehrmethode weit uberlegen. Es handelt sich um den inneren Zu-
sammenhang des Lesens und Schreibens mit dem gleichzeitigen Anschauungsunter-
richte. In dieser Beziehung wird die Normalwortermethode ihre Gegnerin immer
an Wert iiberragen. Nehmen wir hierzu ein Beispiel aus der Unterrichtspraxis !
Vor kurzem gelangte in unserer Elementarklasse der Apfelbaum zur Bespre-
chung. In der Unterredung mit den Kindern wurden etwa folgende Satze gewon-
nen : Im Garten steht der Apfelbaum. An seinen Zweigen hangen rotbackige Apfel.
Der Vater nimmt die Apfel ab. Die Jtpfel schmecken stiss.
Bis zur Entwicklung und Einpragung dieser vier Satze fiihrte die Besprechung
des Apfelbaumes im Anschauungsunterrichte. An diesen reihte sich der Unterricht
im Lesen und Schreiben. Hierbei wurden die folgenden beiden Satze — im Anschluss
an den vorausgegangenen Anschauungsunterricht — an die Wandtafel geschrieben :
Im Garten ist der Apfelbaum. Er hat schone Jtpfel. Nun folgte die Zerlegung die-
ser Satze in Worte und Laute und die Zusammenfassung der sprachlichen Teile zum
Ganzen. Hieran schloss sich die Niederschrift der beiden Satze durch die Kinder.
142 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Danach wurden die Satze auch in Druckschrift an der Lesemaschine gezeigt, gelesen
und lautiert, nach welcher ttbung das Lesen der Druckschrift in der Fibel beim Nor-
malwort Apfel eintrat.
Man sieht leicht ein, worin der padagogische Wert dieses Unterrichtsganges
liegt: er ruht im sachlichen Zusammenhange der Schreibleseiibungen mit dem Ge-
genstande des Anschauungsunterrichtes. Auf diese Weise wird das Interesse des
Kindes leicht und natiirlich von der Sache auf die Form, also auf das Wortbild und
den Wortklang, hiniibergeleitet. Dass die Kinder wirklich mit regem Interesse die-
sem Unterrichtsgange folgen, lehrt die Beobachtung.
Deshalb ist es mit Freude zu begriissen, dass die Normalwortermethode, als
das interesseerweckende Lehrverfahren, in neuerer Zeit energisch sich Bahn bricht,
also die synthetische Methode mit ihrem geistlosen Wirrwarr von vielfach abstrak-
ten Wortern als ein iiberlebtes Verfahren aus der Schule verdrangt.
(Emil Martin — Sachs. Schulzeitung. )
Die Pflege der guten Aussprache in der Schule. Ernst Liittge erortert in einem
gehaltvollen Aufsatz der ,,Deutschen Schulpraxis" (Nr. 1 u. f. ) iiber den gesamten
Deutschunterricht auf einheitlicher Grundlage u. a. auch die Notwendigkeit, der
guten Aussprache in der Schule alle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wer mit pho-
netisch gescharftem Ohr an die Aussprache unserer Schiller herantritt, findet hier
ein weites Arbeitsfeld, \vo das Unkraut in urwtichsiger Fiille wuchert. Ich denke
dabei nicht bloss an die groben Auswiichse des Dialekts; auch wo diese beseitigt
sind, bleibt die Lautbildung in vieler Hinsicht immer noch eine ausserst mangel-
hafte. Das Sprechen mit zusammengepressten Zilhnen und kaum geoffneten Lip-
pen, die unreine Vokalisation, die schlaffe Artikulation der Konsonanten, das Ver-
schlucken einzelner Laute und ganzer Silben, das hastige akzentlose Herleiern der
Satze: das sind Fehler, die der Sprache der Kinder, wie ja iiberhaupt des Unge-
bildeten das charakteristische Geprage geben und die, weil niemals planmassig be-
kampft, gewissermassen zu chronischen Sprachfehlern werden. Die Lehrer gewoh-
nen sich allmahlich so an diese Mangel, dass sie sie gar nicht mehr horen oder doch
damit wie mit einem notwendigen ttbel rechnen, zu dessen griindlicher Beseitigung
es an Zeit fehlt. Aber doch muss man sich wundern, dass man nicht schon mit
Riicksicht auf die Orthographic, die ja sonst so sorgfaltig gepflegt wird, der guten
Aussprache mehr Sorgfalt zuwendet. Denn wiirde man die Peinlichkeit und Kon-
sequenz, womit beim Schreiben auf genaue Darstellung aller Buchstaben gehalten
wird, auch aufs Sprechen anwenden, wiirde man ein Wort, statt es zehnmal schrei-
ben zu lassen, ebenso oft mit recht scharfer Artikulation sprechen lassen: ich bin
tiberzeugt, die Rechtschreibung wiirde weniger, als es jetzt der Fall ist, als ein Schul-
kreuz empfunden werden. Die Pflege einer guten Aussprache ist zunachst Selbst-
zweck. Denn wer die Sprache als Ganzes beherrschen will, der muss sie in ihren
Elementen beherrschen. Diese Elemente aber sind die Laute, und ihre richtige Er-
zeugung ist eine Grundbedingung jeder gesunden Sprachbildung. Nur wenn der
Schiller angeleitet wird, jeden Laut in seiner eigentiimlichen Gestalt darzustellen,
kann er zu einer vom Buchstaben unabhiingigen Lautvorstellung gelangen; und nur
wenn seine Sprechtechnik bis ins einzelnste und kleinste ausgebildet wird, kann er
gut und fliessend sprechen lernen.
Schulwanderungen. Dieses Thema behandelt ein Artikel von Kienscherf
inder ,,NeuenPadagogischenZeitung". Der Nutzen der Schulwanderungen wird im
folgenden erschopfend nachgewiesen : Neben andern unterrichtlichen Hilfsmitteln
Allerlei fUr die Schulpraxis. 143
und neben der Erfahrung vor alien Dingen haben Schulwanderungen den Zweck,
jeglichen Unterricht mit zahlreichen brauchbaren Anschauungen zu versorgen. Sie
helfen dadurch eine solide Grundlage zu schaffen ftir die geistige Entwicklung des
Menschen, die naturgemass von Anschauungen zu Vorstellungen, Begriffen und Ideen
fiihrt, und damit wieder Grundlagen des Gefiihls und Impulse des Wollens erhalt.
Sie entnehmen diese Anschauungen der Heimat. Welche grosse Bedeutung gerade
die heimatlichen Vorstellungen im gesamten Vorstellungsorganismus haben, ist
eben schon nebenbei hervorgetreten. Es handelt sich nur noch darum, diese Bedeu-
tung psychologisch zu erkliiren, um sie in vollem Lichte zu sehen und damit zu-
gleich die der Schulwanderungen. Die Anschauungen aus der Heimat sind einmal
die ersten, zudem werden sie in einem Alter aufgenommen, welche sinnlichen Ein-
driicken die grosstmb'gliche Empfanglichkeit entgegenbringt und noch nicht unter
einer ttberfiille der verschiedensten Eindriicke leidet. Beides bewirkt, dass die An-
schauungen von vornherein einen sicheren Platz, wenn auch noch nicht eine sichere
Gestaltung im Vorstellungsleben gewinnen. Beide gewinnen wieder sehr durch die
oftmalige Wiederholung der Vorstellung, die sich von selbst ergibt. Die Folgen die-
ser giinstigen Umstande fiir die heimatlichen Anschauungen selbst lassen sich kurz
und gut so ausdriicken: Die heimatlichen Anschauungen bezw. Vorstellungen ha-
ben unter alien andern Vorstellungen die grosste Starke und infolgedessen die
grosste Dauer. Die Folgen davon fur ihre Stellung und Bedeutung im Vorstellungs-
leben iiberhaupt aber bestehen darin, dass die heimatlichen Vorstellungen keine
neue, fremde Vorstellung voriibergehen lassen, ohne sich zuvor mit ihr ausgegli-
chen zu haben, dass sie die Apperzeptionshilfen nicht bloss fiir alle spater auftre-
tenden, sondern auch fiir alle nicht auftretenden, oder doch nicht erreichbaren An-
schauungen bilden. Die Anschauungen der Heimat geben also nicht nur die Grund-
stoffe fiir das geistige Leben ab, sondern auch die Grundkrafte. Infolge ihrer
eigentiimlichen Geburtsvorziige sind sie aber ferner auch die gefiihlskraftigsten und
daher wieder die den Willen am meisten beeinflussenden. Infolgedessen treten sie im
geistigen Leben immer besonders hervor und geben ihm einen Teil seiner Eigenart.
Abschliessend lasst sich deshalb iiber ihre Bedeutung sagen: Sie geben der geistigen
Personlichkeit nicht nur die Grundlage, sondern auch zum Teil die Eigenart. — Liegt
darin der fundamental Nutzen der Schulwanderungen, dass sie an diesemWerke mit-
helfen, so haben sie daneben oder auch darin noch manchen Nutzen ornamentalenCha-
rakters. Sie gewahren dem Kb'rper Kraftigung und Erholung; sie erheben zu fro-
her Stimmung, zu edlem Vergniigtsein ; sie schiirfen und pflegen das Beobachtungs-
vermogen wie die Empfindungsgabe ; sie gewb'hnen damit an eine denkende und
empfindende Naturbetrachtung ; sie schaffen dem Kinde fur spatere Zeit die Nei-
gung und Befahigung zu edlem Vergniigen und wahrer Erholung; sie fordern die
Sanges- und Wanderlust; sie wecken und pflegen die Liebe zur Heimat, indem sie
letztere kennen lernen und zwar in einem ergiebigen und heiteren Lichte; sie hel-
fen das Verhaltnis zwischen Lehrer und Schiilern wie kaum ein anderes Mittel un-
gezwungener und inniger, dadurch aber wiederum ergiebiger gestalten; sie sind end-
lich fiir den Lehrer eine vorziigliche Quelle und ein nicht minder gutes Praktikum
zugleich jeglicher padagogischen Kunst und Wissenschaft.
Ein Beispiel phonetischer Schreibiceise. Bekantlich bricht sich immer mer
di erkentnis*) ban, das der leseunterricht in unsern schulen zu frii erteilt wird,
*) Di grosbuchstaben werden, wi in alien europaischen sprachen, nur am saz-
anfang und bei eigennamen angewant. Im iibrigen gelten di regeln: fiir jeden laut
144 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
zu einer zeit, wo beim kind noch eine ganze reihe fon forbedingungen felen.
Der hochdeutsche wortschaz des kindes ist meist noch fil zu gering; manche kinder
beherschen in irer aussprache noch nicht alle laute und lautf erbindungen ; dabei
sind si auch zu unentwikkelt, um di laute aus den wortern herauszuhoren und ab-
zulosen; die zufallige form der buchstaben, di mit den lauten in keinem innern
zusammenhang stet, bitet irem gedachtnis grose schwirigkeiten ; dazu ist ire hand
noch zu ungeiibt, um die formen selbst nachzubilden.
Zu disen naturgemasen schwirigkeiten geselt sich noch eine kiinstliche, di un-
sern fibelferfassern ire arbeit noch weiter erschwert, das ist unsere rechtschreibung.
Der fibelferfasser braucht fur den anfang moglichst kurze worter, di dem kind be-
kant sind. Di deutsche sprache ist aber an solchen, besonders an zweilautigen, ge-
schweige den einlautigen, wortern auserordentlich arm, und di wenigen, di si besizt,
biten meist rechtschreibliche schwirigkeiten, so das si fur den anfang der fibel un-
brauchbar sind.
Grosen schaden fiigt dem leseunterricht auch di grosschreibung der dingworter
zu, fon der di meisten fibeln nicht abzuweichen wagen. Entweder wird dan gerade
auf di alleranschaulichsten worter, auf die namen der dinge, di das kind umgeben,
ferzichtet, oder di grosbuchstaben werden for der zeit eingefiirt, und der zeitpunkt,
wo das kind zu freier selbsttatiger anwendung des mtisam erlernten komt und da-
durch seines lesen- und schreibenkonnens erst fro wird, ungebiirlich hinausgescho-
ben. (Aus: Reform.)
Dean Briggs on "Discipline." Dean L. B. R. Briggs, of Harvard university,
addressed the Schoolmasters' Association on Discipline, last Saturday, discussing
the topic from his experience at Harvard. He concluded that "the best discipline
is that which relies upon the understanding between pupil and teacher that the
objects of both are the same; a discipline based on sympathy thru the home life
with the interests of youth ; a discipline which allows of lasting friendship even with
pupils who must be disciplined or expelled; a discipline which relies upon co-opera-
tion wherever such co-operation is reasonable, with the leaders among the pupils
and thru the leaders with the great body of the pupils; a discipline based upon
absolute straightforwardness and perfect courtesy; a discipline which does not call
it loss of dignity for an instructor or a master to explain his point of view; a
discipline which insists that there is no training without work, and that the work
must not be done for training only; a discipline which remembers that it is want
of training which temporarily wrecks many pupils and makes their evolution into
energetic manhood discouragingly slow."
"I believe further, that in every school there should be an effort from the start
to make a youth imbibe that wonderful tonic called school spirit, to make him feel
that from the moment he enters a school he has become forever a part of it, one
of its makers, and that thruout his life, wherever he goes, he takes with him, drag-
ging or exalting it, as the case may be, the name of his school. Once again a deep
loyalty, and the problem of discipline is gone." (School Journal.)
nur ein buchstabe — wo man keinen laut hort, wird auch kein buchstabe gesezt, —
und di offene silbe hat stets langen vokal, di geschlossene meist kurzen.
Die Entwicklung des Schulwesens im Staate
Massachusetts.
(Fur die Padagogischen Monatsheftc.)
Von C. B. Straube, Lehrer des Deutschen, 2O. Distriktschule, Milwaukee, Wis.
"By common consent the teachers of the United States would choose Mas-
sachusetts as the State possessing the most interesting educational history
The claims of the history of education in Massachusets to pre-eminent interest
are based on the fact that it offers the completed exhibition of the Puritan
ideal of education that is to be found. It shows it in all its phases and makes
evident both its strength and its weakness. The experience of Massachusetts
has aided all the other colonies settled by Puritans to outgrow the earlier and
more defective stages of Puritan development. The experience of the 'Bay
State' has thus been vicarious, serving not only for itself but in a measure for
all the other New England States, and also for the new communities in the
West, settled in great part by emigrants from New England."
(Dr. Wm. T. Harris in der Vorrede zu Martins "Evolution of Mass. School-
system."
"In no country on earth could the progress of a free system of education
be so well studied in all its varieties as in the state of Massachusetts."
(Horace Mann.)
Obige Worte weisen zur Geniige auf den gewaltigen Einfluss hin, den der kleine
Staat Massachusetts auf das amerikanische Erziehungswesen ausgeiibt hat, und eine
weitere Erklarung, warum als Thema zu diesem Artikel gerade die Entwicklung der
Erziehung in dem genannten Staat gewahlt wurde, diirfte iiberfliissig erscheinen.
Schon von allem Anfang an waren die nach den Neuenglandstaaten iibersiedeln-
den Kolonisten bestrebt, ihren Nachkommen eine ihren beschrankten Mitteln ange-
messene Schulbildung zu teil werden zu lassen. Inmitten der miihsamen, anstren-
genden Arbeit, welche die Besiedlung eines neuen Landes bedingt, haben sie die fur
ein jedes Volk so wichtige Institution — die Schule — nicht ausser acht gelassen.
Die Grundlage zu der jetzt an der Spitze aller Erziehungsanstalten des Landes ste-
henden Harvard-Universitat wurde schon 1636, also sechs Jahre nach der Landung
der Puritaner an der Kiiste der Massachusetts-Bai, gelegt. Die Summe von £400,
welche man zu diesem Zwecke bewilligte, war, den damaligen Verhiiltnissen ange-
messen, eine sehr hohe, indem sie einer ganzen Jahressteuer der Ansiedlung gleich-
kam.
Im Jahre 1642 erliess die gesetzgebende Behorde der Kolonie (General Court)
das erste, und ftinf Jahre spiiter das zweite Schulgesetz. Letzteres bestimmte, dass
jedes Town von fiinfzig Familien eine Elementarschule, jeder Ort von hundert Fa-
milien eine Sekundarschule (Grammar school) unterhalten miisse. Die Grundsatze,
auf welchen diese zwei Gesetze beruhen, bilden den Kern der gesamten Schulge-
setzgebung in Massachusetts, und lauten wie folgt:
1. Die allgemeine Schulbildung ist fur die Wohlfahrt des Staates von wesent-
licher Bedeutung;
2. Die Eltern iibernehmen die Verpflichtung, ihren Kindern diese Schulbildung
zu verschaffen;
3. Der Staat hat das Recht, die Erfullung dieser Pflicht zu erzwingen;
146 P'ddagogische Monatsbefte.
4. Der Staat darf iiber die Art und das Minimalmass der Schulbildung Bestim-
mungen treffen;
5. Die durch allgemeine Besteuerung erhobenen Gelder diirfen fiir Schulzwecke
Verwendung finden.
Das Bemerkenswerteste an dieser Gesetzgebung ist, dass hierdurch zum ersten-
male in der Weltgeschichte ein Volk seine eigene Schule griindete.
,,Before the first generation had passed away the colony of Massachusetts
Bay virtually had on the ground, for the first time in human history, a system
of public education over which neither state nor church nor municipality nor
corporation nor the despotic personal control of private beneficence had full
domination." (A. D. Mayho, Rep. of U. S. Bureau of Ed. 1893-94; p. 651.)
Bei dem ausgepragten religiosen Sinn der Puritaner war es nicht zu verwun-
dern, dass Schule und Kirche lange Zeit eng verkniipft blieben. Die Elementarbil-
dung bestand wahrend der ganzen Kolonialzeit nur im Schreib- und Leseunterricht,
Religionslehre und einer Kenntnis der Hauptstaatsgesetze. Als Lehrer fungierte in
den meisten Fallen der Ortsgeistliche. In den Sekundarschulen bereiteten sich die
Knaben fiir das College zu Cambridge (Harvard) vor. Auch bei der Griindung die-
ser Lehranstalt war die Ausbildung der Geistlichkeit erster und einziger Zweck.
"The first object sought in the establishment of a college was the study of
theology." "The avowed object of this university (Harvard) was the training
of young men for the ministry." (G. C. Bush, "History of Higher Ed. in
Mass." p. 12—21.)
Als die Ansiedlungen noch auf Boston und Umgegend beschrankt waren und
eine verhaltnismiissig dichte Bevolkerung hatten, konnte sich jeder Ort einer oder
mehrerer Schulen rtihmen, in welchen der Unterricht regelmassig und von m&nnli-
chen Lehrkriiften erteilt wurde. ,,Ein voiles Jahrhundert nach der Griindung der
Volksschule finden wir in den Townurkunden nur die Bezeichnung 'schoolmaster' ",
sagt Martin. Ja, es bildete sich sogar ein Lehrerstand, der nach A. D. Mayho ,,viel
grossere Anerkennung verdient, als man ihm selbst heutigen Tages zu zollen geneigt
ist. Denn diese Manner waren es, die durch ihre lebenslange Hingabe zum edlen
Werke der Erziehung erst die feste Grundlage zu unserer amerikanischen Volks-
schule legten.
Als indessen nach Beendigung der Kampfe mit den Indianern die Ansiedler in
die ,,Wildnis" hinausdrangen und eine Diinne der Bevolkerung eintrat, veranderten
sich die Verhaltnisse dermassen, dass die Bestimmung betreffs der Ortsschulen
(town-schools) hinfiillig wurde. Jedes Town wurde je nach der Grosse seines Ge-
bietes in mehrere Bezirke ("districts", "squadrons") eingeteilt. Eine geraume Zeit
lang gab es in den spiirlich bevolkerten Gegenden iiberhaupt keine Schulhauser.
Die Kinder gingen nicht mehr zur Schule; die Schule kam zu ihnen in der Gestalt
eines herumziehenden Lehrers, oder vielmehr einer Lehrerin; denn um diese Zeit
(Mitte des 18. Jahrhunderts) erfolgte die Anstellung der school-dames. Eine
manche fleissige Hausfrau hat damals neben ihren hauslichen Pflichten noch die
eines Lehreramtes versehen und wahrend der Schulzeit noch Hemden fiir die India-
ner und Hosen fiir ihren Gatten genaht. Letztere Beschaftigung war allerdings
haufig eintraglicher als ihre Lehrerstelle, fiir deren Verwaltung sie vielfach nur
einige Pence pro Woche erhielt.
Aus dieser Einrichtung der "moving school" erwuchs im Laufe der Zeit das
in vielen Staaten jetzt noch bestehende ,,Distriktsystem". Im Jahre 1789 wurde
Die Entwicklung des Scbulwesens im Staate Massachusetts. 147
dieses System vom Staate Massachusetts gesetzlich anerkannt. Horace Mann be-
zeichnet diese Verordnung als ,,das unglticklichste Schulgesetz, das je die Legislatur
des Staates erlassen hat." Jeder Distrikt baute jetzt sein eigenes Schulhaus und
wetteiferte mit dem Nachbarbezirk, fur die Bildung seiner Schuljugend quantitativ
das meiste zu tun, an dem Grundsatz festhaltend: Je billiger der Lehrer, desto
langer das Schuljahr! Die Bewilligungen fiir Schulzwecke waren denn auch ausserst
gering, und mancher Distrikt hat damals mit einer Bewilligung von weniger als
zehn Dollars pro Jahr seine Schule unterhalten miissen. Das Schuljahr wurde na-
tiirlich dementsprechend verkiirzt und in manchen Fallen auf nur wenige Wochen
herabgesetzt. Die hochwichtige Frage, wo man das zwanzig Fuss lange, fiinfzehn
Fuss breite Schulhaus hinstellen sollte, wurde damals von den fiir die Jugenderzie-
hung begeisterten Biirgern eifriger und unter grosserem Aufwand von Beredtsamkeit
erortert, als die sonst so wichtige Prasidentenwahl oder irgend eine das nationale
Wohl betreffende Frage. Dieser iibertriebene Lokalgeist war der starkste Feind,
den spater der beriihmte Schulmann Horace Mann zu bekampfen hatte. Ein anderes
ttbel, das dieses die Schulen isolierende ,,Distriktsystem" im Gefolge hatte, war der
allerorten eintretende Verfall der Sekundarschulen. An deren Stelle trat die durch
Privatmittel erhaltene academy, ,,das Kind der Kirchen und des Privatunterneh-
mens". Auch Elementarschulen wurden von den bemittelten Klassen fiir ihre Kin-
der gegriindet. Den Kindern der Armen war der Zutritt zu diesen Schulen schon
wegen des hohen Schulgeldes nicht moglich. Fiir die breiten Schichten des Volkes
fehlte eine auch nur einigermassen gute Schule. Im Jahre 1837 gab es 42,000 schul-
pflichtige Kinder, die iiberhaupt keine Schule besuchten, und die durchschnittliche
Dauer des Schuljahres fiir alle iibrigen Kinder betrug nicht mehr als siebzehn Wo-
chcn. Und welcher Art war die von der Jugend damals erhaltene Bildung? Die
begeisterten Lobspriiche, welche man heute noch so oft tiber den Weisheitstempel,
"little red school-house" genannt, hort, beruhen, genau betrachtet, auf dem falschen
Schluss post hoc, ergo propter hoc. Lassen wir den Amerikaner Martins hieriiber
das Wort:
"Whether we mean by education the acquisition of useful knowledge merely,
or the culture of intellect and feeling and will which ultimate in thoughtful,
skillful, and righteous men and women, we must answer that these schools,
even the best of them, did little The knowledge which an average boy
or girl could acquire or retain in ten or twelve weeks study for each of ten or
twelve years, each period of study separated from the next by forty weeks of
something else, must be scanty under the best conditions; and the training of
powers, mental or moral, could at best only be intermittent and desultory. But
when besides the meagerness of opportunity, we consider the unfavorable phys-
ical conditions, the crowded, unhealthy, uncomfortable rooms, the inexperience
and ignorance of most of the instructors, the mechanical and dreary, often mean-
ingless task-work which went by the name of study, we are forced to conclude
that other influences must have been at work — that we may have over-estimated
the district-school." (Evolution of the Mass. Public School-system; p. 112 — 14.
Appleton & Co., New York.)
Auf diese niedrige Stufe war die Volksschule in Massachusetts gesunken, als
im Jahre 1837 Horace Mann zum Sekretar der in jenem Jahre von der Staatslegis-
latur geschaffenen Erziehungsbehorde (State Board of Education) berufen wurde.
Der gewaltige Umschwung des Erziehungswesens in Massuchusetts, sowie in
alien Nordstaaten der Union, welchen die Geschichte von jener Zeit an verzeichnet,
ist in erster Reihe dem unermiidlichen Wirken dieses Mannes zu verdanken. Wah-
148 Pttdagogische Monatsbefte.
rend seiner elfjahrigen Amtstatigkeit war er ununterbrochen an der Hebung der
Volksschule tatig. Er brach den Grundsatzen moderner Padagogik Bahn und schuf
eine feste Basis fiir die spatere gesunde Entwicklung der gesamten Volkserziehung.
Die irrige Ansicht, dass Horace Mann das amerikanische Schulsystem geschaffen
habe, muss hier berichtigt werden; denn dasselbe bestand schon vor seiner Zeit, und
zwar in alien damals bestehenden Staaten der Union. Sein Wirken im Interesse
der Erziehung ist aber deswegen nicht minder verdienstvoll. Durch seine zahlrei-
chen Reden und Flugschriften und vor allem durch die jahrlich veroffentlichten Be-
richte hat er nicht nur die Lehrerschaft aufs hochste begeistert, sondern auch unter
dem Volke das erloschende Interesse an der Jugenderziehung wieder entfacht, den
geschwundenen Gemeinsinn von neuem belebt. Mit beissender Satire legte er die
tfbel bloss, die durch das herrschende ,,District"-Schulsystem erzeugt worden waren.
Seine ganze Kampfeslust bezeichnen so recht die bei seinem Amtsantritt gesproche-
nen Worte:
"I shall avail myself of the opportunity to recommend a few improvements
and generally to apply a flesh-brush to the backs of the people."
Horace Mann war kein Padagoge ,,von Hause aus". Er gehorte dem Advoka-
tenstand an und hat als Abgeordneter im Staatssenat und spater im Kongress meh-
rere Jahre gesessen. Und dennoch sind seine jahrlichen Berichte (Annual Reports,
1837 — 48) wahre Fundgruben padagogischen Wissens, die uns den scharfen durch-
dringenden Geist zeigen, der auch auf dem ihm fremden Gebiet das Richtige zu tref-
fen versteht.
Sein Hauptziel war es, die Bevolkerung seines Staates fiber den schlechten Zu-
stand, in welchem sich die Schulen befanden, aufzuklaren, und er hat es bewirkt,
dass sich unter dem apathischen Volke ein neuer Geist Bahn brach, der den weiteren
Fortschritt der Volkserziehung verbiirgte. Die Statistik lehrt uns, dass wahrend
seiner Amtstatigkeit folgende Errungenschaften gemacht wurden: eine Verdoppe-
lung der Bewilligungen fiir Schulzwecke; eine Ausgabe von zwei Millionen Dollars
fiir den Bau neuer, besserer Schulhauser; eine Steigerung der Lehrergehalter von
62 Prozent; eine durchschnittliche Verlangerung des Schuljahres um einen Monat;
ein Sinken der Ausgaben fiir Privatschulen ; die Besoldung der Ortsschulbehorden ;
allgemeine und regelmassig stattfindende Aufsicht liber die Schulen seitens der Be-
horden; die Griindung dreier Lehrerbildungsanstalten (normal schools) — die ersten
im ganzen Lande.
Einer Stelle aus Martins Werk iiber diesen mit Recht gefeierten Schulreformator
sei hier noch Raum gegonnt.
"When we set ourselves to measure the work of Horace Mann all this must
be taken into account. He fought the battle of educational reform through to
the bitter end and conquered. Apathetic indifference, hide-bound conservatism,
niggardly parsimony, sectarian bigotry, and political animosity surged around
him as the enemies of France surged around the white plume of Henry of Na-
varre; but he left the field so clear that since his day none of these reactionary
forces, singly or combined, have made any successful opposition to the ongoing
movements of popular education.
To the vigor, the skill, the self-sacrificing ordor, and the conscientious rec-
titude with which he conducted the offensive and defensive campaigns of his
official life, is due the fact that Massachusetts has suffered none of those educa-
tional reverses which have befallen most of the other states. The school chil-
dren of Massachusetts made no mistake when they placed in front of the Capitol
of the State a statue of Horace Mann as of their benefactor and their ideal."
(Evolutions of the Public School-system in Mass. p. 184 — 85.)
Die Entwicklung des Scbulwesens im Staate Massachusetts. 149
Der Boden war bereitet, der Samen gesaet; aber erst die folgenden Generationen
durften die Friichte ernten. Die Entwicklung der Volksschule in Massachusetts seit
1850 ist eine stetig fortschreitende, dem Ideal wahrer Volkserziehung unaufhaltsam
entgegengehende.
Aus einem Ackerbau treibendeh Staat war jetzt ein Industriestaat geworden.
Durch den Zufluss der Einwanderung nahm seine Bevb'lkerung nicht nur bedeutend
zu, sondern sie wurde auch ungleichartig und verdichtete sich, besonders in den
Fabrikorten. Schon im Jahre 1850 finden wir nicht weniger als 200,000 ,,Ausian-
der", ein Fiinftel der gesamten Einwohnerzahl, im Staat verstreut. Es waren keine
leichten Aufgaben, die den Erziehungsbehorden hierdurch gestellt wurden. Mit wel-
ch em Erfolg sie dieselben gelost haben, erhellt aus der Schulstatistik von 1890, welche
wie folgt dariiber berichtet: Die Bevolkerung hatte sich seit 1850 um 125 Prozent
vermehrt, der Schulbesuch um 96 Prozent erhoht. Das besteuerte Eigentum war um
260 Prozent vermehrt worden; die Bewilligungen fiir Schulzwecke aber waren um
551 Prozent gestiegen. Das Gesetz verlangt, dass jedes Town die Summe von drei
Dollars pro Kind fur dessen Schulung erhebt; die Statistik weist nach, dass durch-
schnittlich $26.67 bewilligt wird und die Schulen acht und einen halben Monat offen
gehalten werden, und nicht nur sechs Monate, wie das Gesetz bestimmt.
Das von Horace Mann und alien fortschrittlich gesinnten Schulmannern so stark
bekiimpfte ,,District"-System hielt sich zwar in den kleineren Orten noch bis zum
Jahre 1882, dem Jahre seiner endgiiltigen Abschaffung seitens der Legislatur; in
den grb'sseren Ortschaften — Stadten und Towns — wurde jedoch die Klasseneintei-
lung (grading) schon etwa um die Mitte des letzten Jahrhunderts vorgenommen
und die Schulen wieder zentralisiert. Die Lehrerbildungsanstalten vermehrten sich;
Hochschulen entstanden an alien grossren Orten. Schon im Jahre 1827 wurde das
Gesetz angenommen, welches bestimmte, dass jeder Ort von 2500 Einwohnern eine
free English high school, jeder Ort mit 4000 Einwohnern eine classical high school
haben miisse. Welche Bedeutung dieses Gesetz besitzt, besagen die Worte A. D.
Mayhos :
"Massachusetts is still the only American commonwealth that in this way
makes the secondary education now compulsory on all her population." ( Re-
port U. S. Bureau of Ed. 1896 — 97, p. 739.)
Das erste in Amerika erlassene Schulzwanggesetz wurde in Massachusetts, und
zwar schon im Jahre 1852 angenommen; demnach musste jedes in dem Alter zwi-
schen acht und vierzehn Jahren stehende Kind mindestens 12 Wochen pro JahrSchule
geniessen. Spater erhohte man die zwangliche Dauer auf zwanzig, in neuerer Zeit
sogar auf dreissig Wochen pro Jahr. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung der
freien Volksschule wurde getan, als 1884 der Staat die freie, unentgeltliche Liefe-
rung der Schulbiicher an alle Schiller in den offentlichen Schulen gesetzlich be-
stimmte. Eine merkbare Zunahme der die Schulen besuchenden Kinder, besonders
an den Hochschulen, war die sofortige Folge.
"So popular has the system (free text-books) become that for political pur-
poses men have contended for the honor of its paternity, as the cities of Greece
contended for the honor of having cradled Homer," sagt Martin; und im 63.
Jahresbericht (1898 — 99) der Staats-Erziehungsbehorde steeht dariiber folgendes:
"The first year under the compulsory law was naturally an expensive year,
the cost per pupil being $2.08; thereafter the cost per pupil fell off, the lowest
point since reached being $1.42. In some places the compulsory law has at times
literally cost less per pupil than the old 'indigent pupil' system, the reduced
150 P'ddagogische Monatshefte.
cost of books when purchased by the municipality in large quantities more then
offsetting the increased number of pupils supplied and the more liberal supplies
furnished."
Der deutsche Sprachunterricht wird in den Elementarschulen nicht erteilt, wohl
aber auf den Hochschulen und hoheren Lehranstalten. So haben, laut Bericht der
Erziehungsbehorde von 1901, von den 244 Hochschulen im Staate 105 den Unterricht
im Deutschen, teils obligatorisch, teils als Wahlstudium eingefiihrt. Die deutsche
Abteilung der Harvard-Universitat ist dem neuesten Bericht des Bundes-Erziehungs-
kommissars zufolge (Report of 1901, Vol. I., p. 660 — 61) die starkste im ganzen
Lande. Zwolfhundert Studenten geniessen hier gegenwartig den Unterricht in der
deutschen Sprache unter einem Kollegium von sechzehn Professoren. In den vier
anderen hoheren Lehranstalten des Staates, welche der Bericht anfiihrt, beteiligen
sich insgesamt eintausend Schiller am deutschen Unterricht.
Hiermit ist in kurzen Umrissen der Ausbau des Schulwesens in dem kleinen,
fortschrittlichen Staate Massachusetts skizziert.
Mit Recht diirfen seine Burger auf ihr Schulsystem, wie es jetzt besteht, stolz
sein.
"No other State is giving so much education to its people as Massachu-
setts," sagt Dr. Harris.
Die Volksschule in diesem Staat ist des Volkes eigenes Werk, unter grossen
Opfern und mit vieler Miihe aufgebaut.
Alle Verbesserungen, alle neuen Einrichtungen, aller Fortschritt, der daran ge-
macht worden ist, ging jederzeit vom Volke aus. Erst nachdem einzelne Ortschaf-
ten das Neue eingefiihrt und gepriift hatten, folgten andere nach, bis sich die Neu-
erung allgemein Eingang verschafft hatte; und erst dann hat die gesetzgebende Be-
horde ihr voile Gultigkeit verliehen.
Auf diesem festen Boden steht das herrliche Gebaude der Volkserziehung im
Staate Massachusetts, zu dem die aus der intelligenten Mittelklasse Englands stam-
menden Puritaner den Grundstein gelegt haben und an dem manch geschickter Bau-
meister seine Kunst erprobt hat. Noch ist der Bau unvollendet, noch bedarf er man-
cher Verbesserung, mancher Verzierung; aber fest und unerschiitterlich steht er da;
und das amerikanische Volk wird nicht fehl gehen, wenn es in der Entwicklung sei-
nes Schulwesens sich den ,,Bay State" zum Vorbild nimmt.
Im Eifer.
(Aus der ,, Neuen Padagogischen Zeitung.")
Humoristische Erzahlung yon Richard Lcisslinff.
Mitten im Winter war's. Auf eine Zeit milden Wetters war eine Zeit stren-
ger Kalte gefolgt. Das Thermometer zeigte durchschnittlich — 14° R. Wer hin-
aus musste, ging nicht, ohne sich gut eingehiillt zu haben. Sonst aber zog es jeder
vor, in der warmen Stube zu bleiben. Was in der vorhergehenden Zeit an Feuerung
gespart war, das musste jetzt doppelt zugesetzt werden.
Der alte Kantor hielt es heute auch fur notig, wahrend der Mittagspause noch
ein paar Scheit Holz zu zerkleinern, damit am Nachmittag das Feuer im Schul-
zimmer desto lustiger brennen konnte. Er selbst war ja schon fast in die Jahre
gekommen, wo die Leute immer fiber kalte Fiisse klagen. Er tat's also schon seiner
selbst wegen. Trotz seiner sechzig Jahre war er aber noch ein alter Haudegen, der
Im Eifer. 151
sich in seiner Schule recht wohl ein Ansehen zu verschaffien wusste. Und dass
er auch bei den Erwachsenen geachtet und beliebt war, davon zeugte der prachtige
Lehnstuhl, der ihm an seinem letzten Geburtstage von der Gemeinde verehrt war.
Er ging also iiber den Hof seinem Holzschuppen zu, und wahrend er bestrebt
war, durch fleissige Arbeit sich warm zu erhalten, da betraten auch schon die ersten
Kinder den Schulhof. Freilich, dort mussten sie auch verbleiben; denn der Lehrer
fiihrte ein gar strenges Regiment und liess keinen das Zimmer betreten, solange
noch mehr als fiinf Minuten am Glockenschlage fehlten. Was sollten sie wahrend
dieser Zeit anfangen? Nun, es gab ja Schnee genug. Zwar liess er sich heute nicht
gut zu Kugeln formen; aber das schadete auch nichts, denn die zerspriihenden Balle
gaben ja den schonsten Pulverdampf ab. Bald waren die Knaben auch in ein regel-
rechtes Gefecht verwickelt. Und wenn auch nur die Halfte der Geschosse in die
Reihen der Feinde gelangte, so fehlten sie doch selten das Ziel, da der Hof keine
grosse Ausdehnung hatte. Aber gefahrbringend waren die Geschosse heute nicht.
Immer grosser wurde die Zahl der Kampfenden; iinmer mehr Kugeln kreuzten
sich in der Luft; immer ausgelassener wurden die Knaben, immer toller ihr Jubel
iiber einen ,,sitzenden" Ball. Und bei allem Eifer merkten sie von der Kalte nichts;
denn die Bewegung machte sie warm.
Nur einmal trat eine ganz kurze Unterbrechung ein, an der jedoch nicht einmal
samtliche Knaben teilnahmen. Vom Schuppen her ertonte die Stimme des Lehrers,
der einen Knaben zu sich rief, um einen Arm voll des gespaltenen Holzes in die
Klasse zu tragen.
Bald trabte auch der Knabe mit bepacktem Arm iiber den Hof. Wohlweislich
vermied er dabei das offene Schlaehtfeld. Aber kaum hatte er einige Schritte ge-
tan, so wurde ihm dennoch durch einen Schneeball ein Teil seiner Btirde abgenom-
men und in den Schnee versenkt. Beabsichtigt oder nicht: der Ball hatte seine
Wirkung getan, und damit war zugleich das Zeichen zu einem allgemeinen Angriff
gegeben; denn nun regnete es formlich Schneeballe auf den Knaben herab. Wie
geschwind der aber seine Holzstiicke wieder zusammenbrachte, und wie er, indem
er seine Biirde fester umspannte, seine Beine aufhob und eiligst hinter der Haus-
tiir Schutz suchte! Denn auch bis dahin verfolgten ihn die Balle seiner Kamera-
den, und noch mancher von ihnen liess seine Photographie auf dem Riicken des
Knaben zuriick. Selbst die Tiir musste noch herhalten, und jetzt machte sich bei
dem Schuss auch noch der Knall bemerkbar, wenn auch erst im Augenblick des
Treffens.
Da auf einmal: ,,Klirr — !"
Zwar nicht wie ein Blitz, aber doch wie ein Donnerschlag bei heiterem Himmel
fuhr das zwischen die Knaben. Verschwunden war das Getose, die Schneeballe wie
weggefegt; verlegene Stille uberspannte den Schulhof. Selbst der alte Kantor liess
bei dieser plotzlichen Ruhe eine Pause in seiner Arbeit eintreten und spahte in den
Hof hinaus. Meinte er doch, Hochehrwiirden ware gekommen, weil bei dessen Er-
scheinen die Kinder jedesmal verstummten. Aber weil er weder einen Gruss
seitens der Kinder vernahm, noch sonst irgendwelches Anzeichen darauf hindeutete,
so nahm er seine Arbeit bald wieder auf. Die Knaben aber traten tuschelnd zu-
sammen und liessen ihre Augen dabei mehr als notig nach dem Schulfenster wan-
dern.
,,Wer ist's gewesen?"
,,Ich nicht. Ich machte mir gerade einen neuen Ball."
,,Ich auch" — ,,Ich auch."
,,Meiner war noch garnicht bin."
,,Meiner auch nicht."
152 P'ddagogiscbe Monatshefte.
,,Du bist's gewesen!"
,,Nein! Da liegt mein Ball noch; ich habe ihn gleich fallen lassen, als ea
klirrte."
So und noch mehr klangen die erregten Stimmen durcheinander, wenn auch
nicht so laut, dass der Lehrer etwas hatte verstehen konnen. —
Der Lehrer hatte seine Arbeit beendet. Jetzt trat er heraus, und wahrend er
einen zweiten Knaben heranrief, um den Rest des Holzes in die Stube befordern zu
lassen, hiess er die andern sich ordnen. Ein zweites Klatschen mit den Hiinden
war das Zeichen, dass ihnen der Eintrit't in das Schulzimmer gestattet sei. Wah-
rend er selbst in seiner Stube verschwand, um sich da seiner Mutze zu entledigen,
wohl auch erst noch einmal mit der Biirste iiber den Rock zu fahren, suchten drin-
nen die Schiller ihre Platze auf. Die zerbrochene Fensterscheibe mochte ihnen wohl
schwer in den Gliedern liegen. Nur ein unruhiges Fliistern war unter den Knaben
zu bemerken; die Madchen aber lachten heimlich und ergotzten sich an der Angst
der Knaben.
Da trat der Gestrenge herein, von der Schar durch Aufstehen begriisst. Sein
erster Blick fiel auf die Glasscherben und von da auf die fiffnung im Fenster, durch
die der Winter seine Kalte hereinschickte. Wie das zugegangen war, danach
brauchte er nicht erst zu fragen. Die feuchten Stellen am Fussboden und die ttber-
reste des Schneeballes im Fenster redeten eine deutliche Sprache. Jetzt aber
schweifte sein unheilverkiindendes Auge iiber die Schar der Knaben, ob sich der
Titter nicht selbst verraten wiirde. Aber, obwohl jeder in dem Auge des Lehrers
die Frage nach dem Tater lesen konnte, keiner riihrte sich. Auf dem Gesichte eines
jeden lag aber etwas wie Schuldbewusstsein. Noch einmal blickte er nach dem Fen-
ster und nach den Scherben. Dann aber, wahrend sein Blick sich wieder der Klasse
zuwandte, kam mit unheimlicher Ruhe die Frage von seinen Lippen: ,,Wer hat
das getan?"
So wenig aber vorhin auf den fragenden Blick sich einer gemeldet hatte, so
wenig bekam er jetzt eine Antwort. Ebenso blieb auch seine zweite Frage unbe-
antwortet. Als aber auch beim drittenmale jene Stille weiterdauerte, da schien
ihn seine Ruhe zu verlassen. Selbst sein gewohnlich angewandtes Mittel, sich selbst
zu beruhigen — von eins bis zehn und wieder zuriick zu zilhlen — unterliess er.
Mit immer mehr wachsender Erregung begann er die Reihen jetzt einzeln durch-
zuf ragen :
,,Bist Du's gewesen?"
,,Nein." — ,,Du?" — ,,Nein." — ,,Du? — Du? — "
Aber auf jedes ,,Du?" folgte ebenso regelmassig die Antwort ,,Nein". Noch
einmal fragte er seine zwanzig Knaben durch. Keine andere Antwort.
,,Nun denn, wenn's keiner war, so hat eben einer soviel Schuld als der andere."
Und wahrend er sein Haselnussstockchen hervorholte, das ihm ein Knabe vor
zwei Tagen erst besorgt hatte, gebot er ihnen, sie sollten der Reihe nach herantreten.
Der erste kam. Dreimal pfiff der Stock durch die Luft; dreimal sauste er nie-
der auf den Korperteil, der durch seine ,,hervorragende" Lage ganz dazu geeignet
erscheint. Dem ersten folgte der zweite und so fort. Wohl rieb jeder die bevor-
zugte Stelle, als er auf dem Seitengange wieder seinem Platze zustrebte und so
einen Kreislauf ausfiihrte. Aber schliesslich, als einer nach dem andern seine drei
Hiebe empfing, da kam ihnen die Sache doch ganz spasshaft vor. Nahm denn
die Reihe noch kein Ende? Der Lehrer war dabei warm geworden. Er hielt einen
Augenblick inne, streifte die Rockarmel in die Hohe und begann seine ,,Arbeit" aufs
neue.
Doch plotzlich hielt er inne. Den erhobenen Arm Hess er langsam wieder her-
absinken. Sein Auge aber heftete sich streng auf die Stelle, die er eben auf ihre
Korresponden^en .
153
Empfindlichkeit priifen wollte. Was war das? Das rot- und weissgestreifte Zipfel-
chen, das sich da einen verbotenen Ausweg gesucht hatte und ihm nun freundlich
entgegenlachte, hatte das nicht schon mit seinem Stocke Bekanntschaft gemacht?
,,Junge!" rief er ihm zornig zu, ,,hast Du Deine Priigel nicht schon empfangen?"
,,Ja!" gestand der erschrockene Knabe.
,,Warum kommst Du noch einmal? Willst Du mich argern?"
,,Die andern sind auch schon wieder vorn gewesen."
,,Sooo — ?" rief entsetzt der alte Kantor, und als er sein blitzendes Auge iiber
die ttbeltater hingleiten lasst, erkennt er aus der heimlichen Freude, die ihm aus
den Augen derselben entgegenleuchtet, dass der Knabe die Wahrheit geredet hat.
Tatsiichlich war also mit dem letzten Knaben die Reihe nicht beendet, sondern durch
die ersten wieder eigenmachtig verlangert.
Schon wollte er zu den Platzen der Schlingel eilen, um noch viel ,,nachdriick-
licher" mit ihnen zu reden. Doch da besann er sich eines besseren: ,,Eins, zwei,
drei — " und so weiter bis zehn, dann noch einmal riickwarts. Er hatte seinen Zorn
unterdriickt.
,,Jungens! Von heute ab gibt's fiir Euch keine Schneeballschlacht mehr!"
Er warf seinen Stock auf den Schrank, stellte eine Lesetafel vor das offene
Fenster und trat hinter den Tisch. ,,Danket dem Herrn, denn er ist freundlich — "
klang es ihm nun aus aller Munde entgegen. Der Unterricht nahm seinen Anfang.
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Baltimore.
Die offentlichen Schulen haben ihren
sechsmonatlichen Kursus mit dem Mo-
nat Marz gliicklich beendet. Es waren
deren elf, und zwar sechs fiir Weisse
und fiinf fur Neger. Die Unterrichts-
zeit war Montag, Mittwoch und Freitag
Abend von 7% bis 9% Uhr. Wie an
den iibrigen stadtischen Schulen ist auch
an diesen der Unterricht frei, und Bii-
cher, sowie Schreibmaterialien werden
unentgeltlich verabfolgt. Wahrend frii-
her die Lehrer fiir diese Schulen aus de-
nen der Tagschulen gewahlt worden wa-
ren, wurden diesmal letztere nur ganz
ausnahmsweise als Klassenlehrer zuge-
lassen, weil die verdoppelte Berufstatig-
keit an leitender Stelle als zu anstren-
gend erachtet wurde. Es fand daher im
Herbst eine entsprechende Spezialprii-
fung statt, woran sich tiber hundert,
darunter Studenten, junge Advokaten
und Handelsbeflissene, beteiligten. Da-
bei ereignete es sich, dass u. a. einige
Universitatsstudenten durchfielen, ein
Beweis fur die Unverlasslichkeit schrift-
licher Priifungen. Die Leitung dieser
Schulen war nach wie vor in den Han-
den" von Oberlehrern der Tagschulen; sie
erhalten drei Dollars den Abend, die
Klassenlehrer zwei Dollars. Den Ober-
lehrern steht eine weitgehende Diskre-
tion zu, sie treffen die Auswahl und An-
ordnung der UnterrichtsfJicher, und kb'n-
nen selbst die Schulabende verlegen und
die Unterrichtsstunden andern, wo sie
das im Interesse ihrer Schiller finden.
Die grosste der Abendschulen, welcher
der Schreiber als Prinzipal vorstand,
war insofern bemerkenswert, als an ihr
besondere Klassen fiir Eingewanderte
bestanden. Es waren ihrer vier; fiinf
weitere Klassen waren fiir Einheimische,
zwei davon fiir Anfanger, die iibrigen
konnten mehr oder weniger nach dem
Vorbild einer deutschen Fortbildungs-
schule eingerichtet werden. Die Schule
war in einem Schulgebaude nahe dem
Fusse des Broadway untergebracht, in-
mitten einer Bevolkerung aus vieler Her-
ren LSnder, und zahlte unter ihren 320
Lernbegierigen Vertreter und Vertrete-
rinnen von vierzehn Nationalitaten,
namlich Amerikaner, Deutsche, Bob-
men, Polen, Russen, Ungarn, Italiener,
fisterreicher, Norweger, Engliinder, Ir-
lander, Schweizer, Griechen und TUrken.
Die verschiedenen Altersstufen zwischen
154
P'ddagogiscbe Monatsbejte.
dem 13. und 49. Lebensjahre waren hier
zu finden.
Jungamerika war daran, sich in der
ersten Woche unangenehm zu machen;
es war die ohnehin schon lebhafte Wahl-
woche, da drangten nach einander zwei
sich befehdende Rotten, unter den omi-
nosen Namen Market Rats und Wharf
Rats bekannt, von der Strasse herauf
ins Amneldezimmer — die eine wie die
andere liess sich aber nach einem era-
sten Hinweis zur Ausgangstiire geleiten,
ohne dass auch nur ein unfreundliches
Wort geaussert worden ware. Ja, einige
der jungen Burschen kamen eine Woche
spater zuriick und wurden fleissige Schii-
ler. Wahrend des ganzen Kurses herrsch-
te in der Schule dieselbe Ruhe wie in ei-
ner Kirche, wozu das gute Vorbild der
Eingewanderten wesentlich beigetragen
hat.
Nach dem Vorbild anderer Stadte
werden unsere offentlichen Schulen dem-
nachst durch Namen hervorragender
Burger bezeichnet werden. Ein Histori-
ker an der Johns Hopkins Universitat
hat den Auftrag bekommen, der Schul-
behorde diesbeziigliche Vorschlage aus-
zuarbeiten, wofiir ihm einhundert Dol-
lars ausgesetzt worden sind. Nur sol-
che Burger, die sich vor der Zeit des
Biirgerkrieges ausgezeichnet haben, sol-
len beriicksichtigt werden. Bis jetzt sind
die Schulen numeriert, die englisch-deut-
schen fiihren die Nummern 91 bis 99.
S.
Chicago.
Chicago ist in Gefahr, das herrliche
TTiomas-Orchester zu verlieren! Seit
mehr als einem Dutzend Jahren hat es
die Musiklreunde der Stadt und Umge-
bung durch die Wiedergabe klassischer
Musikwerke in vollendeter Form gera-
dezu entziickt. Es steht unstreitig auf
gleicher Hohe mit den allerersten Verei-
nigungen dieser Art in der alten Welt!
Und das will sehr viel sagen.
Die Defizite sind allerdings von Jahr zu
Jahr geringer worden, allein die paar
Leute, die seither jahrlich 15 — 20 Tau-
send Dollars zugelegt haben, sind ea
miide geworden, das weiter zu tun. Ein
eigenes Heim, zu dem die Plane und
Voranschlage schon gemacht sind, das
aber $7f>0,000 kosten wiirde, konnle den
Zusammenbrucii verhindern. Biah-^r sind
otwas iiber $200,000 gezeifhnet worden.
I)a die Kontrakte der Musiker in etwa
vier Woclien ablaufen, so hat die Sadie
grosse Eile, um im giinstigen Sinne ent-
schieden zu werden.
Hier ware eine Gelegenheit fur unsere
Millionare, ihren Gemeinsinn zu zeigen!
Das Thomas-Orchester hat in der Zeit
seines Bestehens mehr ftir Erziehung
des Volkes getan, als die Universitiit des
Mr. Rockefeller. Ernes.
Cincinnati.
,,Wenn Du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse Dich begraben — Lump!"
Wenn je einmal im Leben, so war Ihr
Korrespondent in diesen Tagen recht
ernstlich gesonnen, diesen Rat Heine's
zu befolgen. Da fiel ihm aber noch im
letzten Augenblicke Goethes Diktum
ein: ,,Nur Lumpe sind bescheiden".
Ergo: Schreiben, wenn es weniger als
blutwenig zu schreiben gibt! — ,,Dieses
vorausgeschickt", ist eine weitere Ent-
schuldigung ob der Magerkeit dieser
Korrespondenz nicht vonnoten. Ich geb's
gern!
Gliicklicherweise batten wir gestern
eine Versammlung des Deutschen Leh-
rervereins, bei der nicht nur vorziigliche
Gesang- und Instrumentalpiegen von
Nicht-Berufsgenossen — Lehrer und Leh-
rerinnen haben einstweilen den Sang
,,sich abgetan" — zu Gehor gebracht
wurden, sondern auch ein langjahriger
bewahrter Freund unserer Gilde, Herr
Pastor Eduard Voss (ein Urenkel von
Johann Heinrich Voss) einen sehr zeit-
gemassen und packenden Vortrag hielt
iiber das Thema ,,Der Deutsche Michel
in Amerika". Wohlverdientes Lob, aber
auch Tadel und ernste bedeutsame Mah-
nungen liess der gewandte Redner den
Deutschamerikanern in begeisterten
Worten angedeihen. Der deutsche Mi-
chel, der im alten Vaterlande sich auf
immer drunten im Kyffhauser zur ewi-
gen Ruhe niedergelegt hat, so meinte
der Redner, schickte vorher einige ge-
sunde Ableger heriiber zu uns, und die
sorgen dafiir, dass er hierzulande iippig
weiter gedeiht, so iippig, dass er seine
Sprache, seine guten Sitten und GebrSiu-
che, nur zu oft wissentlich und geflis-
sentlich, schmahlich vernachlassigt und
preisgibt. Niemand konne mehr dazu
beitragen, hierin Xnderung zu schaffen,
als der deutsche Lehrerstand, denn die
deutschamerikanische Jugend sei es
nunmehr allein, die das Deutschtum in
Amerika vor Versumpfung und endli-
chem Untergange bewahren kann. Sie
in dieser Hinsicht auf den rechten Weg
zu leiten und dafiir zu sorgen, dass sie
ihn wacker auch beschreite, das sei un-
sere, der Lehrer Sache, da leider so viele
deutsche Eltern dieses ihres Amtes nicht
walten. — Der prilchtige Vortrag ist im
Manuskript nicht vorhanden, da der
Redner keines hat, sonst ware eine voll-
inhaltliche Wiedergabe desselben in den
P. M. gewiss recht sehr am Platze. Wei-
tere Satze aber herauszugreifen, wiirde
Korresponden^en.
155
die gewiinschte und durch den Vortrag
BO weit erreichte Wirkung abschwachen.
Vielleicht lasst der Redner sich herbei,
seine Ausfiihrungen nachtraglich doch
noch niederzuschreiben, dann seien die-
selben unseren Lesern nicht vorenthal-
ten.
In unseren Lehrerkreisen im allgemei-
nen geht's hoch her. Nicht nur werden
in den verschiedenen Vereinen die Vor-
standsneuwahlen mit wirklicher In-
brunst vorgenommen, bezw. betrieben
und vorbereitet, sondern von padagogi-
scher Weisheit triefende monatliche of-
fizielle Schulbulletins und nichtoffizielle
Lehrerzeitungen lassen es an Ratschla-
gen und Mahnungen unterschiedlicher
Giite nicht fehlen. Daneben ist j'eder
Freitag der Woche zu einer Muss-Ver-
sammlung samtlicher Lehrer — aller
Grade der Reihe nach — bestimmt. Im
englischen Departement besteht die Sa-
che aus Vortragen der verschiedenen Su-
perintendenten, wahrend im deutschen
Departement Probelektionen vorgefiihrt
werden, jedenfalls eine nicht genug zu
lobende Neuerung unseres Dr. Fick, an
dem es — ich will's offen sagen — wahr-
lich nicht liegt, wenn der deutsche Un-
terricht nicht die hochste, unter den
Umstanden mogliche, Stufe erreicht.
Das tut uns alien ohne Ausnahme wohl,
und wir diirfen ohne Scheu sagen, dass
gar manche englische Kollegen uns da-
rum beneiden. ,,Wir alle wollen Hiiter
sein'!" Das haben wir in Cincinnati im-
mer bewahrheitet.
Wir stehen vor einer neuen Stadt-
wahl, bei welcher der Schulrat gleich-
falls in Mitleidenschaft gezogen werden
wird. Doch sind jetzt schon Zweifel laut
geworden, ob unter der neufabrizierten
Gemeindeverwaltung in Ohio eine solche
Wahl im jetzigen Augenblicke wohl ge-
boten oder statthaft sei. Da steht ja
wohl ein Einhaltsbefehl, oder so was
Ahnliches, post festum in Aussicht. Un-
eingehalten und unangefochten kann ja
heutzutage nichts mehr existieren — also
warn in nicht? quidam.
Milwaukee.
Es ist in diesen Korrespondenzen
schon ofter die Rede gewesen von der
Notwendigkeit eines guten Schulzwang-
gesetzes. Es wurde auch mitgeteilt, dass
eine Vorlage ausgearbeitet sei. Diese ist
nun der Legislatur unterbreitet worden,
und soweit man bis jetzt die Sachlage
beurteilen kann, hat die Vorlage die be-
ste Aussicht angenommen zu werden.
Damit wiirde dann einem doppelten
tibelstande abgeholfen werden, namlich
dem des Schulschwanzens einerseits, und
sodann dem Arbeiten in den Fabriken
seitens schulpflichtiger Kinder. Der letz-
tere ttbelstand besteht besonders in Mil-
waukee in ganz erschreckender Weise.
Tausende von Kindern beiderlei Ge-
schlechts unter 14 Jahren sind hier in
Fabriken und Kaufladen beschaftigt.
Traurig, sehr traurig ist es, dass wir so
gewissenlose und pflichtvergessene El-
tern haben, die um des karglichen Loh-
nes willen ihren Kindern den so nb'tigen
Schulunterricht rauben und sie geistig,
korperlich und moralisch verkiimmern
und verderben lassen in den Fabriken.
Nun haben wir ja Fabrikinspektoren, die
dazu sehen sollen, dass keine Kinder
unter 14 Jahren in Fabriken arbeiten;
aber wozu ist man denn in Amerika ? Da
muss man sich zu helfen wissen; denn
augenscheinlich werden hier die meisten
Gesetze nur zu dem Zwecke gemacht,
dass sie iibertreten werden. Da gehen
also die Eltern einfach zu irgend einem
Friedensrichter, Notar oder Winkeladvo-
katen und schworen frech und schamlos,
dass ihr 12-, ja 11- oder lOjahriges Kind
14 Jahre alt ist, und fur einige Dollars
stellt dann der gefallige Beamte die be-
ziigliche Bescheinigung ausu Doch
hoffen wir, dass dies nur Ausnahmen
sind und nicht die Regel. Aber wie
traurig steht es doch mit unsern sozia-
len Verhaltnissen, dass Kinder und
bleichsiichtige, schwachliche junge Mad-
chen den Platz der Miinner in den Fabri-
ken einnehmen. Sind die letzteren nicht
oft im wahrhaften Sinne des Wortes ein
Moloch, dem Ehre und Tugend mancher
junger Madchen, der Wohlstand der Fa-
milien und die Wohlfahrt des Staates
und des Landes geopfert werden?
Dann wird hoffentlich auch das ttbel
des Schulschwanzens grilndlicher ausge-
rottet werden. Bis jetzt hatten wir hier
in Milwaukee nur einen ,,Truant officer",
und der ist sicherlich nicht geniigend
fur eine solche grosse Stadt. Leider be-
kiimmern sich manche Eltern nicht ge-
wissenhaft genug um den Schulbesuch
ihrer Kinder, darum kommt es oft ge-
nug vor, dass Kinder die Schule schwan-
zen, ohne dass die Eltern nur eine
Ahnung davon haben. Dann ist noch
ein grosser ttbelstand da, aber der kann
wohl schwerlich durch Gesetze abgestellt
werden. Ich meine namlich den so sehr
unregelmassigen Schulbesuch der Kin-
der. Wenn die Eltern nur eine Idee da-
von hatten, wie sehr sie ihren Kindern
schaden durch das viele Zuhausebehalten
derselben, und wie sie uns Lehrern un-
ser Amt damit erschweren, so wiirden
sie das wohl zu vermeiden suchen. Wie
kann ein Schiller regelmassige Fort-
schritte machen im Unterricht, wenn er
156
P'ddagogiscbe Monatshefte.
von 5 Schultagen fast regelmassig einen
oder zvvei Tage zuhause bleibt, und zwar
ohne krank zu sein? Wenn dann die
Kinder im Unterricht zuriick bleiben,
so wird oft den Lehrern die Schuld da-
von gegeben. A. W.
II. Umschau.
Dr. M. D. Learned, Professor der deut-
schen Sprache und Literatur an der
Staatsuniversitat von Pennsylvanien,
unser friiherer verdienstvoller Bundes-
prasident und Mitarbeiter an diesem
Blatte, tritt am 18. d. M. einen lange-
ren Urlaub an, den er zu einer Reise
nach Europa beniitzen wird. Soil diese
Reise zunachst auch eine nach zehnjah-
riger angestrengtester Tatigkeit wohl-
verdiente Erholungsreise sein, so wird
der rastlos tatige Mann die Zeit doch
zugleich seinen Privatstudien widmen.
Von Liverpool, dem ersten Ziel seiner
Reise, beabsichtigt Prof. Learned sich
nach Deutschland zu begeben, um vor-
nehmlich in den Rheinlanden und der
Schweiz literarischen und kulturge-
schichtlichen Studien obzuliegen. Dem
Scheidenden unsere und aller seiner
Freunde besten Wiinsche fiir eine gliick-
liche Reise und frb'hliche Wiederkehr!
Aus Veranlassung der Feier des Deut-
schen Tages, die am 9. November des vo-
rigen Jahres in New York abgehalten
wurde, erschien eine Festschrift, welche
von mehr als lokalem Interesse zu sein
verdient. Sie wurde unter der fahigen
Leitung von Kollegen A. J. W. Kern
hergestellt und soil nicht nur einen
Denkstein der kulturellen Tatigkeit des
Deutschtums von New York, sondern
des gesamten Deutschamerikanertums
bilden; sie bietet ein iiberaus reichhalti-
ges Material aus diesem Gebiete und ist
daher einem jedem, der der Entwicke-
lung des Deutschtums in diesem Lande
Interesse entgegenbringt, aufs angele-
gentlichste zu empfehlen. Die Sehrift
ist gegen Einsendung von ID cts. von
Herrn A. J. W. Kern, Jamaica, N. Y.,
zu beziehen.
In Indiana kam kurzlich die Frage
des Impfzwanges vor dem Staatsoberge-
richt zur Entscheidung. Es waren nam-
lich von dem Gesundheitsamt verschie-
dener Stadte alle Kinder, die nicht ge-
impft waren und sich dem Impfen wi-
dersetzten, von dem Schulbesuch ausge-
schlossen worden, und mancheSchulen, so
besonders in Terre Haute, mussten aus
diesem Grunde geschlossen werden. Auf
Grund einer diesbeziiglichen Berufung
hat das Obergericht nunmehr entschie-
den, dass es unstatthaft sei, ungeimpf-
ten Kindern den Schulbesuch zu verwei-
gern, und die Schulen konnten daher
wieder geoffnet werden.
New York. Von der fiir Verbesserun-
gen ausgeworfenen Summe von $9,940,-
000 sind $3,500,000 fiir Schulzwecke be-
stimmt. — Die Kosten fiir die Fuhrung
der Columbia-Universitat belaufen sich
fiir das kommende Schuljahr 1903 — 1904
laut soeben verb'ffentlichten Etats ouf
$1,703,994.80. Ein Defizit von $150,000
wird durch freiwillige Beitrage gedeckt
werden miissen.
Wahrend des Monats April werden
voraussichtlich alle die vom deutschen
Kaiser dem Germanischen Museum zu
Harvard zum Geschenk gemachten Gips-
abgiisse zum Versand kommen.
Schutzhallen fur Schulhofe sind in
den Kreisen der Schulhygieniker lange
schon als notwendig bezeichnet worden.
Einen Versuch mit einer solchen Schutz-
halle will die stiidtische Schulverwal-
tung Berlins bei dem neuen Gemeinde-
schulhause machen, das in der Putbuser
Strasse errichtet werden soil. Auf
Wunsch der Schuldepudation ist von der
stadtischen Bauverwaltung in dem Bau-
entwurf ausser der iiblichen Turnhalle
noch eine besondere offene Halle vorge-
sehen worden, die einen Teil des Holes
iiberdacht. Es wird dadurch mb'glich,
die Schulkinder auch bei Regenwetter
sich wiihrend der Unterrichtspausen im
Freien aufhalten zu lassen.
Jena. Die diesjahrigen Ferienkurse
fiir Lehrer und Lehrerinnen dauern vom
3. — 15. August d. J. Das Verzeichnis
gibt folgende Vortrage an: I. Naturwis-
senschaftliche Kurse: 1) Botanik (Prof.
Dr. Detmer) ; 2) Anleitung zu bota-
nisch-mikroskopischen Arbeiten und
pflanzenphysiologischen Experimenten
(Prof. Dr. Detmer) ; 3) Die Tierwelt
des Meeres, mit Demonstrationen (Prof.
Dr. Ziegler) ; 4) Praktischer Kursus der
Zoologie (Prof. Dr. Ziegler); 5) Physi-
ologic des Gehirns, mit Demonstrationen
(Privatdozent Dr. Noll) ; 6) Die Geolo-
gie in der Schule (Prof. Dr. Johannes
Walther) ; 7) Anwendung optischer In-
strumente zum Zwecke chemischer Un-
tersuchungen : Spektralanalyse, Mikro-
skopie, Polarisation, Refraktion (Pri-
Umscbau.
157
vatdozent Dr. Gange). II. Padagogische
Kurse : 1 ) Allgerueine Didaktik ( Prof.
Dr. Rein); 2) Spezielle Didaktik, mit
praktischen ttbungen (die Oberlehrer
Fr. Lehmensick und H. Landmann) ; 3)
Abnorme Erscheinungen im kindlichen
Seelenleben, mit Demonstrationen (Di-
rektor J. Triiper) ; 4) Psychologic des
Kindes (Dr. A. Spitzner- Leipzig). Au-
sserdem werden noch gehalten: padago-
gische Kurse, geschichtliche, theologi-
sche, philosophische Kurse, Kurse aus
dem Gebiete der Kunst und Sprachkur-
se. Programme stehen auf Wunsch zur
Verfiigung. Anmeldungen nimmt entge-
gen: Das Sekretariat (Frau Dr. Schnet-
ger, Jena, Gartenstrasse 2 ) .
Ungeteilte Schulzeit. Bekanntlich ist
schon in einer Reihe reichsdeutscher
Stadte die ungeteilte Schulzeit einge-
ftihrt. Kiirzlich wurden die Schularzte
von Gottingen zu einem Gutachten in
dieser Angelegenheit aufgefordert, und
sie haben sich fiir die Aufhebung des
Nachmittagsunterrichtes ausgesprochen.
Biireaukratius mit dem Rohrstock.
Einem Einwohner Sommerfelds gingvor
einigen Tagen folgendes Schreiben zu:
Auf Veranlassung der Koniglichen
Bezirksschulinspektion Leipzig II hat
der hiesige Schulvorstand beschlossen,
Ihren Sohn, den Schulknaben Hermann
Sch. aus Klasse II hiesiger Volksschule,
wegen Liigens und Weglaufens aus der
Schule zu bestrafen, und zwar gemass
Ihres vor der Koniglichen Amtshaupt-
mannschaft zu Leipzig am 27. November
1902 zu Protokoll gegebenen Wunsches
durch eine korperliche Ziichtigung. Die-
selbe wird im Interesse der Gesundheit
Ihres Sohnes unter Zuziehung eines Arz-
tes vollzogen werden und die hiesige
Schulkasse die dadurch verursachten
Unkosten von Ihnen einziehen.
Sollten Sie etwas dagegen geltend ma-
chen wollen, so haben Sie dies bis Mitt-
woch, den 11. Februar d. J., bei dem
unterzeichneten Vorsitzenden des Schul-
vorstandes anzubringen, wobei Sie da-
rauf aufmerksam gemacht werden, dass
die hiesige Schulkasse alle durch Ihrer-
seits verursachte Weiterungen entste-
henden Kosten ebenfalls von Ihnen ein-
ziehen wird.
Sommerfeld bei Leipzig, den 4. Febr.
1903.
Der Schulvorstand.
Liz. Dr. Wirth, Pfarrer, I. Vorsitzender.
Ob der Junge seine Hiebe wohl end-
lich weghaben mag?
Zur neuen Rechtschreibung. Die Ver-
einigungen der Buchdruckereibesitzer
des Deutschen Reiches, 6sterreichs und
der Schweiz haben beschlossen, die neue
deutsche Rechtschreibung in ihren Ge-
schaften derart zu vereinheitlichen und
zur Durchfiihrung zu bringen, dass zur
moglichsten Beseitigung der immer noch
zulassigen vielfachen Doppelschreibun-
gen die in den Regeln und im Worter-
verzeichnisse bevorzugte Schreibung als
massgebend erklart wird. Infolgedessen
wird Regierungsrat Dr. Duden in Leip-
zig eine ,,Rechtschreibung der Buch-
druckereien deutscher Sprache" bearbei-
ten, welche sodann von den Verlagsbuch-
handlern, Zeitungsverlegern und Zei-
tungsredaktionen in Anwendung ge-
bracht werden soil.
Steilschrift. In den Schulen des Her-
zogstums Meiningen wird die Steilschrift
mit einem Richtungswinkel von 65° ein-
gefiihrt.
Jahresgehalt fur den Lehrer Classen.
Zwei Hamburger Privatleute haben dem
Verfasser des sozialen Romans ,,Kreuz
und Ambos", Walter Classen, in Aner-
kennung der tiichtigen schriftstelleri-
schen Leistung und der in dem Roman
niedergelegten Bestrebungen ein Jahres-
gehalt von 1500 Mark ausgesetzt, damit
Classen nicht gezwungen ist, im Volks-
schuldienst zu bleiben.
Deutschlands Lehrerseminar fur Kna-
benhandarbeit in Leipzig erfreut sich
unter der trefflichen Leitung Dr. Pabsts
nach wie vor der allgemeinen Wert-
schatzung. Wie aus dem vorliegenden
Bericht iiber die Unterrichtskurse im
Sommer v. J. hervorgeht, batten sich 76
Kursisten aus den deutschen Bundes-
staaten, aus Amerika, Grossbritannien,
Russland, 6sterreich-Ungarn eingefun-
den, um sich in den verschiedenen Fa-
chern ausbilden zu lassen. Der Erfolg
entsprach den Bemiihungen der Teilneh-
mer sowohl als auch der Lehrenden, und
so darf das Lehrerseminar mit Befriedi-
gung auf die verflossenen Jahre zurvick-
blicken und getrost in die Zukunft
schauen! Vom 8. — 10. Juli soil an die-
ser Anstalt ein kostenfreier Kursus fiir
Schulaufsichts- und Verwaltungsbeamte
sowie fiir Schulleiter abgehalten werden.
Programme hierfiir konnen von dem Vor-
sitzenden des Deutschen Vereins fur
Knabenhandarbeit, E. von Schencken-
dorff, in Gorlitz, bezogen werden, an
welchen auch, spatestens bis zum 10.
Juni, die Anmeldungen zu richten sind.
Die gebildetste Nation der Welt ist
nach einer englischen statistischen Ta-
belle die deutsche. In Deutschland be-
sucht ein Mann unter 213 die Universi-
tat, in Schottland einer unter 520, in
den Ver. Staaten einer unter 2000 und
in England einer unter 5000.
III. Vermischtes.
Eine ansehnliche Reihe bedeutender
Manner waren in der Schule durchaus
keine Musterknaben. Karl von Linne,
der Vater der Naturgeschichte und Be-
griinder der wissenschaftlichen Botanik,
musste aus der Schule genommen wer-
den und wurde zu einem Schuster in die
Lehre getan. Erst spater entdeckte ihn
ein Arzt in der Schusterstube. Dem
Bahnbrecher auf dem Gebiete der Che-
mie, Justus von Liebig, gehorte stets der
letzte Platz in der Klasse und der ,,dum-
me Justus" war zur stehenden Redens-
art bei den Kommilitonen geworden.
Alexander von Humboldt war als Kind,
im Gegensatz zu seinem Bruder, so
schwachsinnig, dass seine Lehrer und
seine Mutter zu der tfberzeugung kamen,
er eigne sich zum Studieren gar nicht,
und Humboldt sagte selbst, dass es ihm
ganz plotzlich licht im Kopfe geworden
sei. Burger, der Balladendichter, qualte
sich als Knabe bei den lateinischen Kon-
jugationen tagelang ab, ehe er nur eine
Form in den Kopf gebracht hatte, und
Ernst Schulze, der Dichter der ,,bezau-
berten Eose", soil ein Muster von Schlaf-
miitzentum gewesen sein. Walter Scott,
der beriihmte englische Romanschreiber,
war all seiner Lehrer Schrecken. Noch
auf der Universitilt zu Edinburg prophe-
zeite ihm ein Professor, dass er es zu
nichts bringen werde. Der geistreiche
englische Kritiker und Politiker Swift
fiel auf der Hochschule zu Dublin so
kraftig durchs Examen, dass man ihm
in Oxford nicht die Aufnahme zur Voll-
endung seiner Studien gewahren wollte.
Auch Wellington zeichnete sich in sei-
ner Kindheit durch Tragheit und Unge-
schicklichkeit aus, und der grosse Napo-
leon war als Knabe sehr schwer von Be-
griff und entwickelte sich erst auf der
Kriegsschule zu Brienne. Hogarth, der
grosse Humorist in Bildern, wurde von
seinen Lehrern fur stumpfsinnig erklart.
Thorwaldsen, der geniale danische Bild-
hauer, musste in der zweiten Klasse sei-
ner heimatlichen Schule drei voile Jahre
sitzen.
Lehrer und Landstreicher. Eine merk-
wiirdige Erscheinung des russischen
Landlebens sind die Lehrer, die sich als
Landstreicher herumtreiben, weil ihren
Diensten zu wenig nachgefragt wird.
Diese landstreichenden Lehrer setzen
sich aus den verschiedenartigsten Be-
rufszweigen zusammen. Man findet un-
ter ihnen gewesene Studenten, verab-
schiedete Soldaten, entlassene Geistliche
und Schreiber aller Art, mit einem Wort
gescheiterte Existenzen aller Professio-
nen. Die weitaus grossere Mehrzahl die-
ser Leute sind starke Saufer, Leute, die
in ihrem Leben alles verloren haben.
Viele haben sogar die einst besseren
Kenntnisse vergessen, so dass es mit
ihrem Wissen recht trostlos bestellt ist.
Das Friihjahr und den Sommer iiber
treibt sich diese Art von Lehrern in der
Stadt herum. Der vagierende ,,Lehrer"
bildet hier einen standigen Besucher der
verschiedenen Kneipen und Theehallen,
in denen er Klagen oder Briefe fiir die
iibrigen Besucher schreibt und dabei ge-
horig trinkt. Mit Eintritt des Herbstes
schniirt der ,,Lehrer" sein Biindel und
zieht aufs Land, um in irgend einem
Dorfe den Bauernkindern Weisheit ein-
zutrichtern. Es gibt sehr viele land-
streichende Lehrer, die ihren bestimm-
ten Ort haben, an welchem sie sich all-
jahrlich niederlassen. Man freut sich,
wenn sie kommen, kennt sie genau und
iibersieht ihre Fehler wregen ihrer guten
Eigenschaften. Aber es gibt auch Leh-
rer, deren Riickkehr das Dorf nicht ohne
Grund fiirchtet. Erscheint ein landstrei-
chender Lehrer in einem Dorf und wird
das Bediirfnis fur seine Gegenwart fest-
gestellt, so beginnt er mit dem ,,Sam-
meln" von Schiilern. Diejenigen Lehrer,
die wirklich einige Kenntnisse besitzen,
stellen sich meist unter die Protektion
des Dorfgeistlichen, um ihrer Person
mehr Gewicht zu verleihen. Hat sich der
Lehrer niedergelassen, so vereinbart er
mit den Eltern der Schiller die Bedin-
gungen, unter denen er ihre Kinder un-
terrichten wird, sowie den Ort und die
Zeit des Unterrichts. Das Honorar, das
diesen Lehrern zuerkannt wird, besteht
aus einer Zahlung von 50 Kop. bis zu
einem Rubel monatlich fiir jedes Kind.
Zu Unterrichtszwecken wird entweder
eine besondere Hiitte gemietet oder der
Unterricht findet abwechselnd in der ei-
nen oder anderen Bauernhiitte statt. Im
ersteren Falle bedingt sich der Lehrer
auch ein bestimmtes Quantum von Nah-
rungsmitteln aus, oder aber er isst bei
den Bauern, in deren Hiitten er unter-
richtet. Der Unterricht beginnt meist,
sobald es hell geworden ist, und wird
fortgesetzt, bis der kurze Wintertag zur
Neige geht. Von einer Einheitlichkeit
des Unterrichts kann bei derartigen Leh-
rern natiirlich nicht die Rede sein. Ein
jeder lehrt, wie es ihm gut diinkt. Er
weiss, dass der Bauer geizig ist, und
kommt daher nie mit irgendwelchen For-
derungen. Alle Misserfolge werden den
Vermischtes.
159
Schiilern zugute geschrieben, denn der
Lehrer, der sich den ganzen Tag mit sei-
nen Zb'glingen beschaftigt und die Fau-
len dazwischen gehorig durchpriigelt,
muss gut sein. Man muss den Unter-
richt eines solchen landstreichenden
Lehrers angehort haben, um die
Kinder und deren Eltern tief zu bemit-
leiden. Abgelumpt, schmutzig, brannt-
weinduftend herrscht ein solcher Lehrer
iiber die unschuldigen Kinderseelen.
Dabei katzbuckelt und dienert er vor je-
dem betrunkenen Bauern in der Hoff-
nung, vielleicht ein Glaschen Brannt-
wein zu erhalten; jedem Bauernwirt
fiihrt er seine Kunststiicke vor, um seine
Gunst zu erwerben. Schlimmer wird die
Sache jedoch, wenn das Dorf einen Win-
keladvokaten, der in den Kneipen der
Stadt gearbeitet hat, zum Lehrer erhalt.
Dieser begniigt sich nicht daunt, die
Kinderherzen zu vergiften, sondern er
drangt sich in alle Angelegenheiten des
Dorflebens, bemtiht sich, Zwist und fal-
sche Ansichten zu verbreiten, und tritt
als Rechtsanwalt derjenigen Partei auf,
die mehr bezahlt. Es wird wohl noch
lange dauern, ehe diese russische Leh-
rer-Spezialitat verschwindet.
Sind wir eine zivilisierte Nation? Ein
Kriegsschiff erster Klasse kostet soviel
als die 94 Gebaude der Harvard-Univer-
sitat, kann jedoch von dem neuen
Sprengstoffe ,,Maximite" augenblicklich
vernichtet werden. Wir verausgaben
fur Schulzwecke jahrlich 200 Millionen
Dollars, fur Kriegszwecke 400 Millionen,
und doch leben wir im tiefsten Frieden.
Militar und Unterricht. Der ,,Pionier"
in Bern bringt bei Gelegenheit der Be-
sprechung der Unterstiitzung der Volks-
schule durch den Bund folgende Zusam-
menstellung der Ausgaben in den Lan-
dern Europas fur Militar und Unter-
richt :
Ausgaben per Einwohner :
Grossbritannien und Irland, fur Militar,
25 Fr., fur Unterricht 6 Fr. ; Frankreich,
f iir Militar, 24 Fr., fur Unterricht, 5 Fr. ;
Deutsches Reich, 18 Fr., 7 Fr; Dane-
mark, 11 Fr., 3 Fr.; Griechenland, 10,
2; Schweden, 9, 4; fisterreich-Ungarn, 9,
2; Italien, 9, 1; Rumanien, 9, 5; Nor-
wegen, 8, 4; Belgien, 8, 5; Schweiz, 8, 15.
fiber ,,Babel und Bibel" hat vor lange-
rer Zeit Prof. Delitzsch in Gegenwart
des Kaisers gesprocken und dabei
den Widerspruch der Theologen beider
christlicher Konfessionen, sowie des jiidi-
schen Rabbinen erregt. In einem neuen,
wieder in Gegenwart des Kaiserpaares,
des Reichskanzlers, des Kultusministers,
zahlreicher hervorragender Theologen u.
s. w. gehaltenen Vortrage iiber dasselbe
Thema ist Prof. Delitzsch noch welter
vorgegangen. Auf Grund der Ergebnisse
der Nachgrabungen in Babel ist Prof.
Delitzsch zu der tfberzeugung gelangt,
es sei ein Irrtum, wenn man annehme,
dass die hebraische Sittenlehre mit allem,
was zu ihr gehore, aus sich selbst ent-
standen sei; sie sei vielmehr aus vor-
handenem geboren, zum grossen Teil aus
der Kultur anderer hochentwickelter
Staaten geschopft. Die in den Biichern
Mosis verzeichneten Gesetze seien erst
nach der Einwanderung in Kanaan, erst
nachdem die Juden sesshaft geworden,
entstanden und auf Moses nur zuriick-
gefiihrt worden, um ihnen mehr Ansehen
und Geltung zu verschaffen. Die mei-
sten Gesetze der Juden seien bereits von
den Babyloniern ebenso heilig gehalten
worden wie von den Juden. Lange vor
der mosaischen Zeit bestand in Babylo-
nien ein wohlgeordneter Rechtsstaat, mit
Gesetzen, in denen sich die von Moses
aufgestellten Bestimmungen befinden.
Obenan steht darin der Schutz der Wai-
sen, der Witwen und der Schwachen. So
gut wie die Gesetze von Babel mensch-
lichen Ursprungs seien, seien es auch die
mosaischen. Die weitere Forschung miis-
se ermitteln, was an den mosaischen Ge-
setzen nur israelitisch, was allgemein
semitisch, was babylonischen Ursprungs
ist. Viele ttbereinstimrnungen fallen ins
Auge, wie beispielsweise der Rechtssatz
Auge um Auge, der Sabbat und vor allem
der Gedanke des Einen Gottes (Jahwe).
Delitzsch bestreitet, dass die Beschnei-
dung das besondere Bundeszeichen zwi-
schen Jahwe und Israel gewesen sei. Ge-
meinsamen Ursprungs aus der babylo-
nisch-assyrischen Welt sind nach De-
litzsch auch das Wiedervergeltungsrecht,
das Neumondsfest, das Brustschild des
Hohenpriesters, das Schaubrot u. s. w.
Bei den zehn Geboten nimmt Delitzsch
das fiinfte und siebente von der babylo-
nischen Abhangigkeit aus. Im iibrigen
sind manche babylonischen Anschauun-
gen den jiidischen iiberlegen, so z. B.
in betreff der Stellung der Frauen. Selbst
der Monotheismus ist nicht israelitischen
Ursprungs. Der Gottesname Jehu ist
aus der Urkunde des dritten vorchristli-
chen Jahrtausends erwiesen. Vor alien
Dingen nehmen es die strengglaubigen
Theologen dem ernsten Forscher De-
litzsch iibel, dass er es fiir Aberglauben
erklart, das alte Testament sei eine
Offenbarung Gottes.
Was ein Vogelnest icert ist. Hieriiber
finden wif Rechnung: In einem Neste
sind fiinf Junge. Jedes dieser Jungen
braucht durchschnittlich taglich 50Stiick
Raupen zur Nahrung. Aae Jungen zu-
160 P'ddagogische Monatshefte.
sammen brauchen also taglich 250 Rau- ehrten Erzieher, in dessen Institut zu
pen. Die Atzung dauert durchschnitt- Yverdon sie einige Zeit zugebracht hatte.
lich dreissig Tage. Wa'hrend dieser Zeit Dabei konnte sie eine Locke des Meisters
werden 7500 Raupen vernichtet. Jede vorweisen, welche sorgsam in einem
Raupe frisst taglich ihr eigenes Gewicht Etui verwab.pt wurde. Und wenn sie
an Slattern und Bliiten. Angenommen, dann etwa von den Eigentiimlichkeiten
sie brauche, bis sie ausgefressen hat, Pestalozzis erzahlt hatte, so fiigte sie
auch dreissig Tage und fresse taglich bei: ,,Aber wir batten ihn sehr, sehr
nur eine Bliite, die eine Frucht gegeben lieb".
hatte, so frisst sie in dreissig Tagen
dreissig Obstfruchte, und die 7,500 Rau- Schuler-GrammaUk: ,,Die Tulpe ist
pen fressen zusammen 225,000 soldier 8ch6n' aber sle lst rucWos.
Bliiten. Aus der Schule. Lehrer (bei Erkla-
Die letzte Schiilerin Pestalozzis, Frau rung von Uhlands ,,Gliick von Eden-
A. M. von Wattenwil-Gormann, ist im hall") : Hat vielleicht einer von euch
Schlingmoos bei Gurzelen im hohen Alter etwas von einer Fey oder Fee gelesen?
von 89 Jahren gestorben. Laut ,,Ev. Was ist eine Fee? Schiller: Ein hiibsches
Schbl." erzahlte sie gerne von ihrem ver- Weib, \vo einem gern etwas schenkt.
Bucherschau.
Berichtigung.
Erst nach Abfassung meiner Anzeige der Prettyman'schen Ausgabe von Schil-
lers Dreissig jahrigem Kriege, Buch III, in der Marznummer der P. M. (S. 125 f.)
bin ich mit Dr. Bernhardts Bearbeitung des gleichen Stoffes bekannt geworden, der
bereits 1894 — also geraume Zeit vor den beiden andern in meiner Besprechung ge-
nannten Ausgaben — im Verlage der American Book Company erschienen ist. Ich
bedaure das Versehen um so mehr, als, wie ich nachtraglich erfahren habe, gerade
Dr. Bernhardts Buch den Zwb'lferausschuss veranlasste, den betreffenden Lesestoff
in seine Liste empfehlenswerter Texte aufzunehmen. Eine genaue Priifung der
Ausgabe, die den Titel fiihrt ,,Gustav Adolf in Deutschland, 1630 — 1632. From
Schiller's History of the Thirty Years' War," tiberzeugt mich, dass diese ehrende
Anerkennung wohl verdient war. Dr. Bernhardts Ausgabe enthalt etwa vier Seiten
einfuhrender Bemerkungen und ist mit neun Illustrationen — vorwiegend Portrats
der bertihmten Feldherren des Krieges — sowie einer ttbersichtskarte zur Liitzener
Schlacht ausgestattet. Wie das Vokabular schon andeutet, ist das Buchlein mehr
fur High Schools als fur Colleges berechnet. — An Einzelheiten mochte ich folgendes
bemerken: Anm. 6 zu S. 9 erweckt eine irrige Vorstellung; die Schweden sind wohl
mit den Goten stammverwandt, aber doch keineswegs deren Nachkommen. Falsch
ist die Ableitung Welschland = Gallic land, Anm. 6 zu S. 24 ; siehe Kluges Etymo-
logisches Worterbuch unter welsch. Angesichts des sonst so beliebten Totschwei-
gens der geschichtlichen Wahrheit hat mich auch Anm. 4 zu S. 24 angenehm be-
riihrt; und hierzu sei mir gestattet, aus Prof. Kochs Besprechung des Trumpelmann-
schen Schauspiels ,,Die Zerstorung Magdeburgs" ( Literarisches Centralblatt, 7.
Marz 1903, Beilage Sp. 73) folgendes anzufuhren: ,,Von Triimpelmann weiss man
von seinem Lutherfestspiel her, dass er die Gegner Luthers scharf anzugreifen liebt.
Um so mehr ist die Macht der geschichtlichen Wahrheit anzuerkennen, die auch
Trumpelmann zwingt, die alte, einstens von Schiller so schneidend hervorgehobene
Legende von Tillys Mordbrennertum beiseite zu lassen. Die Frage, pb ein Verschul-
den Gustav Adolf s vorliegt, hat Trumpelmann nicht beruhrt; den Plan zur Zersto-
rung Magdeburgs lasst er aber den Vertreter des Schwedenk6nigs, Oberst Falken-
berg, fassen," — was dem richtigen Sachverhalt am nachsten kommen diirfte.
Univ. of Wis. Edwin C. Roedder.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. Mai 1903. Heft 6
Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.
Aufruf zur Betei ligung an der 33. Jah res versa mmlung in Erie, Pa.,
30. Juni, 1. 2, und 3. Juli 1903.
(Offiziell.)
Zum erstenmale seit dem Bestehen des Lehrerbundes findet unsere
Jahresversammlung in Erie statt. Fiir die Vortrage sind tiichtige
Krafte gewonnen, und der Ortsausschuss wird alles tun, was er vermag,
um den Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt zu einem angeneh-
men zu machen.
Erie ist fiir eine Konvention ausserordentlich giinstig gelegen;
denn es ist vom Osten sowohl als auch vom Westen leicht zu erreichen.
Die Stadt bietet mit ihrer ,,Presque Isle Bay" mancherlei Erinnerun-
gen an historische Ereignisse. Das Klima ist daselbst auch im Hoch-
sommer ein angenehmes, und fiir die Bequemlichkeiten der Gaste wird
in Erie wohl gesorgt werden.
Man findet hier ein kraftiges, gesundes Deutschtum, und die Pflege
der deutschen Sprache in der Volkschule erfreut sich eines gliicklichen
Gedeihens.
Wir richten an alle Lehrer und Freunde der deutschen Sprache
und des deutschen Unterrichts die dringende Bitte, den Lehrertag recht
zahlreich zu besuchen; nur dann konnen wir Erspriessliches leisten.
Vieles ist schon geschehen, aber es bleibt noch manches zu tun iibrig.
Alle Anfragen bittet man an den Prasidenten des Lehrerbundes zu
richten.
Der Bundesvorstand.
G. G. v. d. Groeben, President, Erie High School, Erie, Pa.
162 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Die Deutschen Eries sehen mit Freuden dem Besuche des Lehrerbun-
des in ihren Mauern entgegen.
Die deutsche Sprache imd das deutsche Lied haben hier eine wahre
Heimstatte gefunden, und die Anwesenheit so vieler Mitkampfer auf die-
sem Gebiete wird uns mit neuem Mut und neuer Begeisterung im Kampfe
fiir die Erhaltung der teuren Muttersprache erfiillen.
Wir Deutsche hier werden tun, was in unsern Kraften steht, den Be-
suchern den Aufenthalt so angenehm zu machen, daas alle sich mit Ver-
gniigen dieser Stunden erinnern werden.
Die zentrale Lage Eries, sein schones Klima im Sommer machen es
zu einer ausserordentlich giinstigen Konventionsstadt, und wir hoffen,
recht viele Gaste bei uns begriissen zu konnen.
Der Ortsausschuss.
G. Gorensto, Vorsitzer.
E. Lohse, Sekretar.
Programm.
Dienstag, 30. Juni.
Abends 8 Uhr — Eroffnungsfeier in der Mannerchorhalle (State Str.)
Begriissungsansprachen des Vorsitzenden des Ausschusses, des Biirgermeisters
und verschiedener Mitglieder der Schulbehorde. Gesang des Mannerchors.
Eroffnung des Lehrertages durch den Bundesprasidenten. Gemfitliche
Unterhaltung in den Raumen de Mannerchorhalle.
Mittwoch, 1. Juli.
Vormittags 9 Uhr. — Erste Hauptversammlung. Samtliche Hauptversammlungen
finden im Auditorium der Hochschule (10. und Sassafrasstrasse, Eingang
von der 10. Strasse) statt.
1) Geschaftliches. (Berichte der Beamten. Erneuerung und Erganzung von
Ausschiissen).
2) Vortrag: Die Realien im deutschen Sprachunterrieht — Prof. Ernst Wolf,
High School, Saginaw, Mich.
3) Bericht der Seminar-Priifungskommission.
4) Vortrag: Unsere Nonnalschulen und einige Vorschlage zu ihrer Verbesse-
rung — Prof. J. Barandun, Pittsburg, Pa.
Nachmittags — Besuch der Bibliothek des Soldatenheims und einiger anderer Se-
henswiirdigkeiten.
Abends — Sommernachtsfest. Grove House Park am Seeufer.
Donnerstag, 2. Juli.
Vormittags 9 Uhr — Zweite Hauptversammlung.
1 ) Geschaftliches.
2) Vortrag: Deutsche Frauenschriftstellerei von gestern und heute — Prof.
Otto Heller, Ph. D., Washington University, St. Louis, Mo.
3) Etwaige Komiteeberichte.
4) Vortrag: Das deutsche Volkslied in der Volksschule — Frau Mathilde
Grossart, Case School, Cleveland, O.
Nachmittags : Ausflug.
Rationales Deutschamerikaniscbes Lebrer seminar. 163
Abends 8 Uhr, im Auditorium der Hochschule: Musikalisch-literarische Abendun-
terhaltung unter gUtiger Mitwirkung des Mannerchors und des ,,Glee Clubs"
und ,,Girls' Chorus" der Hochschule. Festrede: Die deutschamerikanische
Dichtung — Dr. H. H. Fick, Cincinnati.
Freitag, S. Juli.
Vormittags 9 Uhr — Schlussversammlung.
1) Geschaftlich.es.
2) Vortrag: Ein Bruch mit der tfberlieferung — August Prehn, Ph. D., Co-
lumbia Grammar School, New York.
3) Vortrag: Noch nicht bestimmt.
4) Berichte der verschiedenen Ausschusse.
5 ) Vorstandswahl.
6 ) Vertagung.
Jfachmittags — Besichtigung der Stadt.
Abends — Abschiedskommers in der Mannerchorhalle.
N. B. — In dem Nachmittags- und Abendprogramm konnen eventuell kleinere
Veranderungen eintreten.
Einquartierung : Die beiden grSsseren Hotels in Erie sind das ,,Reed House"
<$2 — $4) und ,,Libell House" ($2, mit Bad $2.50). Das erstere Hotel ist ganz neu
renoviert und kann 300 und mehr Gaste unterbringen ; das letztere 100 — 150. Von
kleineren Hotels sind zu empfehlen: Park View Hotel, 30 — 40 Personen ($1.50) ;
Wilson House, National Hotel und Moore House ($1.50 — $2).
Alle Anfragen bitte zu richten an:
Gr. G. v. d. Groeben, P. O. Box 35, Erie, Pa.
Mit den Eisenbahnen ist kein allgemein giiltiges Abkommen getroffen worden,
da die Erfahrung gelehrt hat, dass die einzelnen Delegationen von ihren Eisenbah-
nen billigere Fahrpreise erhalten konnen, als sie der Bundesvorstand auszuwirken
vermag.
Nationales Deutschamerikanesches Lehrerseminar zu
Milwaukee, Wis., 558-568 Broadway.
Das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar eroffnet am
achten September dieses Jahres seinen ftmfundzwanzigsten Kursus.
Seit ihrer Griindung im Jahre 1878 hat diese Pflegestatte deutscher
Sprache, deutscher Padagogik und deutscher Sitten Hunderten von jun-
gen Lehrern und Lehrerinnen ihre berufliche Vorbildung gegeben und sie
instand gesetzt, an offentlichen und privaten Lehranstalten mit Begeiste-
rung und treuer Hingabe an dem grossen Erziehungswerke mitzuhelfen.
Das Nationale Deutschamerikanische Lehrerseminar bildet seine
Zoglinge im Sinne der modernen Padagogik fur die amerikanische Volks-
schule aus und befahigt sie, sowohl in englischer als in deutscher Sprache
zu unterrichten. Glaubensbekenntnis, Religionsanschauung und Nationa-
litat kommen bei der Aufnahme der Zoglinge nicht in Betracht.
Der Seminarkursus umfasst drei Jahre bei vollstandig kostenfreiem
Unterricht. Die Lehrbucher stehen den Zoglingen gegen ein sehr gerin-
164 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
ges Entgelt leihweise zur Verfiigung. Mittellosen Zoglingen wird auf
Empfehlung des Direktors der Anstalt aus der Seminarkasse ein in Mo-
natsraten zur Auszahlung gelangender Stipendienvorschuss gewahrt.
Das Lehrerseminar verfugt iiber tiichtige und erprobte Lehrkrafte,
die Schulraume sind modern, alien sanitaren Anforderungen Rechnung
tragend; die Klassenarbeit wird erganzt und unterstutzt durch reichhal-
tige Sammlungen und eine gute Biicherei ; es erfreut sich einer Muster-
schule, — der Deutsch-Englischen Akademie, — die erfolgreich die hochste
Stufe der Leistungsfahigkeit anstrebt und den Zoglingen des Seminars
die erwiinschte Gelegenheit gibt, sich fur ihren Beruf als Lehrer prak-
tisch auszubilden.
Durch das in innigster Verbindung mit dem Lehrerseminar und des-
sen Musterschule stehende Turnlehrerseminar, einer Schopfung des Nord-
amerikanischen Turnerbundes, wird den Seminaristen eine griindliche
turnerische Ausbildung gewahrleistet. Der einjahrige Kursus fiir Turn-
lehrer wird im September gleichfalls eroffnet.
An die Freunde unserer Anstalt und an Erziehungsfreunde im allge-
meinen, an alle, denen die Pflege der deutschen Sprache an den Lehran-
stalten dieses Landes und die Verbreitung gesunder Erziehungsgrundsatze
und Unterrichtsmethoden am Herzen liegt, richten wir die dringende
Bitte, in ihren Kreisen unsere Bestrebungen durch die Zuweisung passen-
der Schiiler zu unterstiitzen.
Strebsame junge Leute, welche die Neigung in sich fuhlen, sich dem
schweren aber schonen Lehrerberufe zu widmen und der begriindeten
Ansicht sind, dass ihre sprachliche und wissenschaftliche Vorbildung sie
befahigt, den untenstehenden Aufnahmebedingungen zu entsprechen, wer-
den freundlichst ersucht, sich mit dem unterzeichneten Direktor des Leh-
rerseminars baldigst schriftlich oder personlich in Verbindung zu setzen.
Aufnahmebedingungen.
A) Deutsche und ettglische Sprache. 1. Mechanisch-gelaufiges und logisch-
richtiges Lesenj 2. Kenntnis der Hauptregeln der Wort- und Satzlehre; 3. Rich-
tige (miindliche und schrif tliche ) Wiedergabe der Gedanken in beiden Sprachen.
B) Mathematik. Sicherheit und Gewandtheit in ganzen Zahlen, in gemeinen
und Dezimalbriichen, in benannten und unbenannten Zahlen, Zins- und Diskonto-
Rechnung.
C) Geographic. Bekanntschaft mit den fiinf Erdteilen und Weltmeeren, der
Geographic Amerikas und den Hauptbegriffen der mathematischen Geographic.
D) Geschichte. Kenntnis der Geschichte der Vereinigten Staaten.
E) ~Naturgeschichte und Naturtehre. Beschreibung einheimischer Pflanzen,
Tiere und Steine; die einfachsten Lehren der Chemie und Physikj eine elementare
Kenntnis des menschlichen Korpers.
F ) Turnen. Alle korperlich befahigten Zoglinge des Lehrerseminars sind ver-
pflichtet, behufs Ausbildung als Turnlehrer am Turnunterricht der Anstalt teil zu
nehmen. Zeitweilige sowohl als permanent* Entschuldigung von diesem Fach kann
nur durch das Zeugnis des von der Anstalt angestellten Arztes erlangt werden.
Die deutscbe Lektiire an den amerihaniscben Scbulen. 165
Kursus fiir Kindergartnerinnen.
Da der Kindergarten ein wesentlicher Teil des Volksschulsystems 1st, so 1st von
der Seminarbehorde ein Kursus zur Ausbildung von Lehrerinnen fiir seiche Anstal-
ten eingerichtet worden. Die Aufnahmebedingungen fiir diesen Kursus sind die
gleichen wie fur die anderen Zoglinge des Seminars.
Emil Dapprich, Direktor.
Milwaukee, Wis., 5. Mai 1903.
Die deutsche Lektiire an den amerikanischen Schulen.
Von Dr. Leopold Jiahlsen (aus Berlin), Teachers College
(Columbia University), New York.
Es handelt sich bei diesem Thema um das, was wir in unseren Schu-
len in Deutschland den Lektiirekanon nennen. Wir verstehen driiben
unter ,,Kanon" eine im Lehrplan jeder hoheren Schule festgesetzte Liste
von Werken, die in den verschiedenen Klassen gelesen werden miissen,
oder in etwas erweitertem Sinne: eine Liste von Autoren, aus welcher
die betreffenden Fachlehrer vor Beginn jedes Schulhalbjahres den Lese-
stoff fiir die Klassen- resp. Privatlektiire auszuwahlen haben. Unsere
vorgesetzte Behorde, das Konigl. Provinzialschulkollegium, vor allem aber
die vom Kultusministerium herausgegebenen Lehrplane und Lehraufga-
ben fur ,,die hoheren Schulen in Preussen" (die neuesten datieren aus
dem Jahre 1901) geben fiir solche Auswahl allgemeine Direktiven, wei-
sen auch auf gewisse Autoren hin, die unter keinen Umstanden ausser
Acht gelassen werden diirfen, kontrollieren auch etwaige Neuvorschlage,
aber sie gewahren doch innerhalb bestimmter Grenzen dem einzelnen Leh-
rer noch einige Freiheit in der Wahl. Besonders im modern-fremdsprach-
lichen Unterricht will man ,,driiben" eine gewisse Mannigfaltigkeit der
Lektiire zunachst wenigstens noch nicht zu sehr beschneiden. In der
Praxis ordnet sich die Sache gewohnlich so, dass an den einzelnen hohe-
ren Schulen von Zeit zu Zeit eine Spezialkonferenz der in den verschie-
denen Klassen unterrichtenden Fachlehrer berufen wird, welche sich da-
riiber einigen, inwieweit der Lektiirekanon zu modifizieren oder zu ergan-
zen ist. Ihre Beschliisse werden im Lehrplan der betr. Anstalt zu Papier
gebracht, und dieser Lehrplan wird dem zustandigen Provinzialschulkol-
legium zur Genehmigung vorgelegt, welches nun seinerseits priift, ob der
beschlossene Kanon der Eigenart der betr. Schulgattung entspricht und
mit den von der Regierung gegebenen Direktiven im Einklang steht. Im
Lateinischen, Griechischen und Deutschen ist in dieser Beziehung auf
preussischen Schulen eine entschiedene Stabilitat. Das ist fiir die toten
Sprachen durchaus und furs Deutsche in gewissem Sinne ganz naturlich
und gerechtfertigt. Wir iiberschauen schon seit Jahrhunderten den Ge-
samtvorrat dessen, was Griechenlands Geistesheroen, was romische klas-
166 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
sische Autoren als kostlichen Besitz von unverganglichem Werte der spa-
teren Zeit hinterlassen haben. Homers Ilias und Odyssee und Horazens
Oden sind so sehr eiserner Bestand unseres Lektiirekanons geworden,
dass die griechischen und lateinischen Stunden, in denen diese Autoren
interpretiert werden, im Lektionsplan der Sekunda und Prima geradezu
die Bezeichnung Homerstunde, Horazstunde fiihren. Uber den grosse-
ren oder geringeren Wert der anderen antiken Autoren ist man sich langst
im klaren, und nur ganz vereinzelt kommt es da im Kanon einmal zu einer
zeitweiligen unbedeutenden Variation.
Im Deutschen gelten Lessing, Goethe, Schiller, Uhland als unbestrit-
tene Schulklassiker, aber in der Auswahl ihrer Werke herrscht schon mehr
Freiheit. Jedenfalls ist es nach unseren preussischen Lehrplanen unmog-
lich und undenkbar, dass ein Schiiler selbst die sechsklassige lateinlose
Realschule durchmacht, ohne mindestens je ein Meisterwerk Lessings,
Goethes, Schillers ,,mit eingehendem Verstandnis" gelesen, und ohne ei-
nige der Uhlandschen Balladen und Romanzen auswendig gelernt zu ha-
ben. Aber jenseit dieses Rahmens liegen noch reiche Schatze besonders
unserer neueren Literatur, und da, muss ich sagen, finde ich es nicht ganz
gerechtfertigt, dass auch hier die Tradition und der amtliche Wille dem
individuellen Ermessen der Fachlehrer nicht viel Spielraum lassen.
In dieser Beziehung sind die Lehrer der modernen Fremdsprachen in
Preussen besser daran, und da mit diesen die Deutsch unterrichtenden
Lehrer in Amerika doch eigentlich analoge Aufgabe haben, so mochte ich
hierbei ein wenig verweilen.
Langst voriiber sind die Zeiten, wo im modern fremdsprachlichen
Lektiirekanon deutscher Schulen Racine, Corneille, Moliere, Voltaire,
Shakespeare, Goldsmith's Vicar of Wakefield, Byron's Childe Harold,
Dickens' Christmas Carol und Cricket on the Hearth, Washington Ir-
ving's Sketch Book oder Alhambra Tales allgemein paradierten, und wo
der als keeker Griinschnabel oder banausischer Revolutionar gait, der es
wagte, den ,,Charles XII." oder den ,,Vicar of Wakefield" durch ein paar
weniger verstaubte, sprachlich und inhaltlich wertvollere, neuere Werke zu
ersetzen.
Der machtige Aufschwung, den unser modern-fremdsprachlicher Un-
terricht in Deutschland in den letzten fiinfzehn Jahren genommen hat,
brachte es mit sich, dass auch durch den uberlieferten Lektiirekanon ein
frischer, belebender, reinigender Hauch strich, der manches wurmstichige
Inventarstiick purzeln machte und es ermoglichte, an Stelle iiberlebter
Cotter oder Gotzen moderne Grossen, wichtige Faktoren im Geistesleben
unserer Tage zu setzen. Unsere Behorden liessen uns auf diesen Gebie-
ten freie Hand. Sie hatten uns, und da gebiihrt unserm Kaiser fiir die
von ihm gegebenen Anregungen unser besonderer Dank, neue Ziele ge-
wiesen, die Pflege der heutigen Literatur- und Umgangssprache als nicht
Die deutsche Lektttre an den amerikaniscben Schulen. 167
zu vernachlassigenden Faktor bezeichnet und damit eine freie Bahn, ein
weites fruchtbares Gebiet der Schule gedffnet. Auf diesem halten wir
Umschau, und da gerade in den letzten Jahrzehnten Hunderte von neuen
Schulausgaben auf den Markt gebracht wurden und der Geschmack der
einzelnen Fachlehrer oft nach gar verschiedenen Richtungen divergiert, so
kann man sich ungefahr einen Begriff machen, wie buntscheckig der Lek-
tiirekanon, wenn auf diesem Gebiet iiberhaupt noch von einem solchen die
Rede sein kann, jetzt ausschaut. Zumeist gestatten unsere Direktoren den
im Franzosischen und Englischen unterrichtenden Lehrern, furs neue Se-
mester das von ihnen neu ausgewahlte Buch vorzuschlagen, und — mag
es nun sich schon sonstwo als Klassenlektiire bewahrt haben oder nicht, —
es kommt nur ganz vereinzelt vor, dass die nach individuellem Geschmack
getroffene Wahl beanstandet wird. Der betreffende Lehrer und sein Di-
rektor tragen natiirlich der Behorde gegeniiber die Verantwortung.
Man sieht, auf diesem Gebiete kann man den preussischen Behorden
ganz gewiss nicht den Vorwurf engherziger Pedanterie, zahen Festhaltens
an iiberlebten Prinzipien machen. Und ein preussischer Provinzialschul-
rat war es, der mir vor etwa 8 Jahren in bezug auf die modern fremd-
sprachliche Lektiire an deutschen Schulen die Worte schrieb :
,,Wir mussten aus dem einseitig asthetisch-literarisch-historischen
Stoff heraus und das Leben der verwandten Volker in seiner modernen
Erscheinung auf den verschiedenen Gebieten der Arbeit als Lesestoff zu
verwenden suchen."
Und ich meine, dieser Gesichtspunkt konnte mit Fug und Recht auch
fur die Auswahl deutscher Lektiire an amerikanischen „ Secondary
Schools" geltend gemacht werden. In frischem, frohlichem Aufstreben,
wie es sich in diesem wunderbaren Lande auf alien Gebieten zeigt, ist auch
das amerikanische Schulwesen und last not least der deutsche Unterricht
hierselbst begriffen.
Zu allermeist sind es jugendfrische Krafte, die ihm dienen, Lehrer
und Lehrerinnen, die entweder aus deutschen Gauen heruberkamen, oder
driiben einen wertvollen Teil ihrer geistigen Ausbildung erhielten, oder
durch gelegentliche Reisen nach Deutschland in regem Konnex zu bleiben
suchen mit dem Land und Volk, dessen Sprache sie berufen sind, Ame-
rikas Jugend zu lehren.
Solche Lehrkrafte, glaube ich, sind hiernach vor der Gefahr ge-
schiitzt, zu lange in ausgefahrenen Geleisen stecken zu bleiben und, un-
empfanglich fiir das, was das frisch pulsierende geistige Leben der Ge-
genwart an Bliiten und Friichten zeitigt, immer nur das verstaubte Alte
liebevoll zu betrachten und wertvollem Neuen den Einzug in ihre Klassen
zu versagen, weil dort eine erbeingesessene Schullektiire, welche der ver-
bleichende Schimmer der Klassizitat umgibt, dafiir nicht Raum lasst.
168 Padagogiscbe Monatsbeftt.
Aber nach welchen Gesichtspunkten soil nun solch ein deutscher Lek-
tiirekanon fiir ,,Secondary Schools" zusammengestellt warden? Wo im-
mer im Leben wir einen Weg suchen, schauen wir zuvorderst auf das
Ziel, nach welchem jener Weg fiihren soil. Und haben wir uns fiir einen
entschieden, so richten wir bei seiner Verfolgung den Blick immer wieder
auf jenes Ziel, dem wir zustreben, und vergewissern uns, dass wir unter-
wegs nicht abirren. Dem Lehrer des Deutschen an amerikanischen Schu-
len sollte als leuchtendes Endziel vor Augen stehen, was ich in den Leit-
satz zusammenfassen mdchte : Deutsch lehren und lernen heisst Deutsch-
land, deutschen Volkes Art und Sitte, Deutschlands Kultur- und Geistes-
leben verstehen lehren und kennen lernen!
Diesem Zwecke sollte jede deutsche Klassen- und Privatlekture
dienstbar sein, und nach diesem eben angedeuteten Gesichtspunkt ist die
Auswahl zu treffen, auch die Auswahl des ersten dem deutschen Anfangs-
unterricht zu Grunde liegenden Buches ! Als unbedingter Anhanger der
analytisch-induktiven Methode befiirworte ich natiirlich die Form des
,,German Reader", einer Art Lesefibel, in welcher an der Spitze jeder Lek-
tion oder jedes Kapitels ein kurzes, sprachlich und inhaltlich einf aches Le-
sestiick steht, welches in der Klasse zu iiben, zu Hause womoglich zu me-
morieren ist. Mag das nun eine geschichtliche oder literarische Anekdote,
eine kurze Beschreibung oder eine Fabel, ein winziger Ausschnitt aus dem
reichen Schatz deutscher Marchen oder Sagen sein, — jedes einzelne
Stiickchen muss seine unverkennbare Beziehung haben zu jenem idealen
Endziel des deutschen Unterrichtes an hiesigen Schulen. An Stoff kann
es da wirklich nicht mangeln, und je bunter er in jenem „ First German
Reader" gemischt ist, um so niitzlicher fiir die Aneignung eines moglichst
reichhaltigen Wortschatzes, um so interessanter fiir die Schiiler. Histo-
rische und zugleich literarische Bonmots sollten an Stelle des nichtigen
und alltaglichen Schnickschnacks treten, dem man so haufig in den Bii-
chern dieser Art begegnet. Ich uberschatze den ethischen Wert geschicht-
licher oder literarischer Anekdoten wirklich nicht; aber in mancher von
ihnen wird durch ein Wort, einen Zug eine bedeutsame Personlichkeit
kurz und treffend karakterisiert. Und schon die blosse Erwahnung solch
einer Personlichkeit aus Deutschlands grossen Zeiten erscheint mir wert-
voll. Ich schlage aus dem grossen Vorrat beliebter Lehrbiicher dieser Art
ein beliebiges auf, nebenbei bemerkt sogar eines der besseren seiner Art,
und f rage mich beim Anblick der ersten Seite : Was in aller Welt bedeu-
tet der in London einem Fussballspiel zuschauende turkische Gesandte fiir
unsern deutschen Klassenunterricht ? Was soil in einem andern deutschen
Lesebuch fiir Anfanger die Beschreibung eines chinesischen Gastmahls, in
einem dritten die Fahrt der Argonauten, Gesprache zwischen Jupiter und
Apollo, u. s. w., u. s. w. ? Ins rechte deutsche Milieu miissen von vornher-
ein diejenigen Schiiler gefiihrt werden, die Deutsch und durchs Deutsche
Die deutsche Lekture an den amerihanischen Scbulen. 169
Deutschland verstehen lernen wollen! Und in diesem Milieu sie festhal-
ten, sie darin fortdauernd zu interessieren und anzuregen, dazu muss
ihnen ihr ,,German Reader" weiterhin passend gewahlte Stoffe vorsetzen,
kleine Stiicke, in denen hier etwa der Schuler mit Baldur und Loki, dort
mit Siegfried und Kriemhilden, hier mit Barbarossa, dort mit Gutenberg,
hier mit dem alten Fritz, dort mit Bismarck bekannt gemacht wird; da-
neben kurze Texte, welche vielleicht von Dornroschen oder Riibezahl, von
Doktor Faust oder Tell und seinem Apfelschuss, von der Lorelei oder
Burg Niedeck, vom Strassburger Miinster oder dem Brandenburger Thor,
von einem deutschen Turnier oder vom modernen Manover erzahlen.
Freilich offnet ein solches kurzes Lesestiick nur ein winziges Guck-
fensterchen, aber es schauen dadurch doch in unser Schulzimmer mancher
Stern und manche Zinnen herein, die in dem Schuler die Ahnung eines
reichen, schonen Gebietes entstehen lassen, mit dem sich spater naher zu
befassen, sehr wohl der Miihe lohnt.
Und was das allererste deutsche Lese- und Lehrbuch nur gewisser-
massen in mice und in kleinen blinkenden Steinchen bieten konnte, das
baut sich in dem zweiten deutschen Buche schon planmassig aus und zu
vollstandigerem Bilde zusammen.
Ich rede hier der Chrestomathie das Wort. Wohl weiss ich, dass
manche meiner hiesigen Kollegen dafiir nicht viel Meinung haben, aber
denen schwebt wohl eine Chrestomathie alten Stiles vor, ein dickleibiger
Band, worin Leichtes neben Schwerem, Altes neben Modernem, Profanes
neben Klassischem steht und ein buntes Gemisch von Stilarten die Schu-
ler verwirren muss. Wer die alten Anthologien und Chrestomathien die-
ser Art von Plotz, Burguy, Herrig u. a. noch in der Erinnerung hat, wird
es verstehen, dass wir auch in Deutschland lange Jahre hindurch der Auto-
fvnlektiire den Vorzug gaben vor der Chrestomathie. Wir sind von un-
serm zeitweiligen Vorurteil gegen die Chrestomathie zunickgekommen,
hauptsachlich weil diese sich heute in viel annehmbarerer Form prasen-
tiert als friiher. Auch aus praktischen Griinden. Man verlangt vom mo-
dern fremdsprachlichen Unterricht so vielerlei, vom Schuler Vertrautheit
mit so reichhaltigem Wortschatz, selbst nach der Seite des Naturwissen-
schaftlichen, Technischen und Kommerziellen, Kenntnis der Realien u. s.
w., dass es schlechterdings unmoglich ist, dies Alles durch Autorenlektiire
zu erreichen. Auch haben wir uns doch schliesslich uberzeugen miissen,
dass der Sprung vom Elementarbuch znm Autor ein zu grosser, der Uber-
gang ein zu unvermittelter ist. Dazwischen schieben wir nun z. B. im
franzosischen Unterricht an deutschen Schulen leichte Prosawerkchen wie
die auch hier in Amerika erschienenen und fur hiesige Schulen bearbeite-
ten von G. Bruno: ,,Le Tour de la France par deux Enfants" und ,,Fran-
cinet". Darin wird im Rahmen einer anspruchslosen Erzahlung von ei-
nem Autor, der fur die Jugend schrieb, dem lesenden Schuler eine bunte
170 P'ddagogische Monatsbejtt.
Fiille von allerhand Wissenswertem iiber des fremden Landes Geographic
und Volkskunde, Kultur und Geschichte, Literatur, Kunst und Wissen-
schaft und dergl. geboten, selbst Gedichte sind eingestreut, kurz : eine Art
Chrestomathie, freilich ganz anderer Art als die friiher bearbeiteten, und
empfehlensivert vor allem des ausgeglichenen Stils, der einheitlichen Dar-
stellung wegen. Ahnliches ist gewiss auch fur den dentschen Unterricht
in amerikanischen Schulen schon zusammengestellt worden oder ist bei der
regen Publikationstatigkeit, die sich auf diesen Gebieten des literarischen
Marktes beobachten lasst, in nicht ferner Zeit zu erwarten.
Mir schwebt hier mehr ein deutsches Lesebuch etwa der Art vor, wie
es die jiingst verstorbene Carla Wenckebach zusammen mit Margarethe
Miiller unter dem Titel ,,Gluck auf \" oder wie es Dr. Weineck in seinem
,,Third German Reader" uns geboten hat.
In ausfuhrlicherer Darstellung als es im ersten Elementarbuch mog-
lich war, wird hier den Schiilern ein deutscher Lesestoff geboten, durch
dessen Mannigfaltigkeit doch iiberall das goldene Ziel, dem wir zuzustre-
ben haben, sichtlich hindurchblinkt. Durch die germanische Cotter- und
Sagenwelt, durch wichtige Abschnitte deutscher Geschichte, durch deut-
sche Kunststatten und den deutschen Dichterwald, deutsche Spruchweis-
heit und deutsche Volkslieder wird der Schiller hindurchgefiihrt, und die
Art, wie z. B. in dem Miiller- Wenckebach'schen Buche das Verstandnis
Goethescher, Heinescher, Uhlandscher und Riickertscher Dichtungen vor-
bereitet wird durch sinnige Prosaumschreibung, die dem betr. Gedicht je-
desmal vorgestellt ist, verdient alles Lob.
Dass man das Wichtigste iiber Leben und Schaffen unserer Klassiker,,
von denen die Schiiler spater das eine oder das andre Meisterwerk lesen
werden, nicht bis zu einer kiinftigen Literaturstunde aufschiebt, sondern
ihnen schon im zweiten Jahr der High School als Lesestoff bietet (vgl.
Weineck-Bernstein), finde ich ganz in der Ordnuhg.
Soil unser Weg uns wirklich zu jenem Ziele fiihren, das ich vorhin
als fur die Auswahl der Lektiire bestimmend angegeben habe, so wird man
bei der Vielseitigkeit des zu Erstrebenden auf die Dauer ohne ein zweites
chrestomathieartiges Lesebuch hoheren Stils wohl doch nicht auskommen,
welches die Autorenlektiire im dritten und vierten Jahr der High Schools
begleitet und erganzt, und aus dem die PnVaflekttire mit Nutzen schopfen
kann.
Bedenken wir : selbst bei fleissiger Lekture kann der deutsche Lehrer
doch nur eine sehr begrenzte Anzahl von literarisch wertvollen Werken le-
sen lassen, will oder soil aber doch dem Schiiler eine dariiber hinausgrei-
fende Vorstellung von den herrlichen Schatzen geben, die im Wunder-
schacht deutscher Literatur aufgeschichtet sind.
Da gibt es meines Erachtens nur eine Moglichkeit: ein deutsches
Lesebuch auch fur die oberen Klassen der High Schools. Wenn z. B. im
Die deutscht Lektiire an den amerikaniscben Schulen. 171
dritten Jahr mit Recht Schillers Tell und sein Lied von der Glocke in der
Klasse gelesen werden, so wird das Bild seines dichterischen Schaffens
im Lesebuch erganzt werden konnen durch eine Darstellung des Inhalts
seiner iibrigen, ich meine natiirlich nur der wichtigsten, Dramen mit ein-
gestreuten Proben.
Wird im vierten Jahr Goethes ,,Hermann und Dorothea" gelesen, so
konnte das Lesebuch erganzend bringen eine (natiirlich nicht trockene)
Analyse von Gotz, Iphigenie, Tasso, Egmont und Faust, sowie als Muster
Goethescher Prosa einen Abschnitt aus Dichtung und Wahrheit.
Und Lessing? Ich bin Ketzer genug, ihn ganz und gar in jenes Le-
sebuch zu packen, — und zwar gerade weil ich wiinschte, dass die ameri-
kanischen Schiiler ihn genauer kennen lernten, als dies der Fall ist, wenn
man sie monatelang zur Lektiire von ,,Minna von Barnhelm" zwingt und
dann natiirlich keine Zeit hat, sich noch mit anderen Werken Lessings zu
befassen. Ob amerikanische Schiiler wirklich durch dieses preussische
Soldatenstiick fur Lessings Grosse Verstandnis und Begeisterung gewin-
nen ? Ganz abgesehen von der Sprache, die der heutigen Literatursprache
doch gewaltig fern steht, bietet der Konflikt dem Verstandnis selbst deut-
scher Gymnasiasten nicht geringe Schwierigkeit, wievielmehr amerikani-
schen Hochschiilern, denen man den preussischen Major mit seinem sub-
tilen Empfinden und seinen nicht leicht zu inpretierenden Ehrbegriffen
doch nimmer so echt vor die Seele zaubern kann.
Wohl aber gibt es treffliche Wiedergaben des Inhalts jenes besten
deutschen Lustspiels, aus denen hiesige Schiiler wahrscheinlich eine kla-
rere Vorstellung von dem gewinnen, worauf es dem Dichter ankam.
Zwei oder drei karakteristische Szenen eingestreut, zeigen dem Schiiler
Lessings Biihnensprache ; — das ist bald durchgelesen, und man hat Zeit
eriibrigt, um (gleichfalls durch Abschnitte aus dem Lesebuch) noch dem
Laokoon und dem Nathan gerecht zu werden, vor allem fur die Ring-Pa-
rabel in Lessings unsterblichen Versen die Schiiler zu begeistern. Denn,
und auch hier wird meine Ansicht manchem recht ketzerisch erscheinen,
den Gesamt-Nathan halte ich fur Schullektiire nicht geeignet.
Lessing hat darin die poetische Gerechtigkeit verletzt, indem er nur
fur zwei der drei Religionen wirklich edle und ideale Reprasentanten auf
die Biihne stellt, und hat der eigentlichen Fabel des Stiickes einen Ab-
schluss gegeben, der selbst von i/'jahrigen Schiilerinnen und Schiilern
wohl schon als peinlich oder verletzend empfunden werden diirfte: zwei
Menschenkinder, in deren jugendlichen Herzen wir in den ersten Akten
des Stiickes die Liebe (gewiss nicht die geschwisterliche) keimen sehen,
sinken sich schliesslich als Bruder und Schwester geriihrt in die Arme. —
Solch ein Klassikerlesebuch, im gewandten Schriftdeutsch von heute
und mit eingestreuten Perlen aus den Meisterwerken einer grossen Zeit,
konnte meines Erachtens auch noch Klopstock, Wieland, Herder und
172 Padagogiscbe Monatsnefte.
Heinrich von Kleist beriicksichtigen. Wir haben etwas Ahnliches im eng-
lischen Unterricht deutscher Schuler in einem Shakespearelesebuch, das
es uns ermoglicht, selbst Schiilern sechsklassiger Berliner Realschulen, die
nur zwei Jahre dem Englischen widmen, den grossen Briten ein wenig
naher zu riicken.
Sollte meine hier gegebene Anregung fiir amerikanische Schulen je
Gestalt gewinnen, so werden die Deutschlehrer an den Secondary Schools
merken, wie viel mehr Zeit sie dann der heutigen Literatursprache, dem
modernen Kultur- und Geistesleben Deutschlands und soldier Lekture zu-
wenden konnen, aus der ihren Klassen die heute so dringend geforderte
Kenntnis der Realien zustromt.
Wenn ich das durchlese, was der ,,College Entrance Examination
Board of the Middle States and Maryland" als Zielforderung im Deut-
schen hingestellt hat und an Lekture empfiehlt, so erkenne ich daraus das
sehr gesunde Bestreben, in den Secondary Schools nicht einseitigen Klas-
sikerkultus aufkommen zu lassen und ihnen die Notwendigkeit zu zeigen,
auch mit der heutigen Umgangssprache die Schuler vertraut zu machen.
Ob sie diese moderne Umgangssprache aber wirklich aus alien dort
vorgeschlagenen Lustspielen und Possen gewinnen konnen, will mir zwei-
felhaft erscheinen. Sollen Freytags Journalisten nur diesem Zwecke die-
nen, so liesse sich uber die Berechtigung, dieses vor gerade einem halben
Jahrhundert erschienene Stuck in den Lektiirekanon zu setzen, streiten.
Und aus nichtigen Einaktern, wie sie schon von unsern Vatern und Mtit-
tern in geselligen Zirkeln auf deutschen Liebhaberbiihnen dargestellt wur-
den, ,,Er ist nicht eifersiichtig", ,,Einer muss heiraten" u. dergl. klingt uns
einerseits nicht mehr der moderne Konversationston entgegen, und andrer-
seits ist die deutsche Unterrichtsstunde doch eigentlich zu schade fiir sol-
che Ware. Auch des guten alten Benedix Kulissenerzeugnisse bezeich-
nen einen solchen Tiefstand des deutschen Dramas, dass es mir wirklich
an der Zeit scheint, auf neuere Lustspiele wirklicher Dichter hinzuweisen,
die turmhoch iiber den Benedixiaden und Moserschwanken stehen und in
den amerikanischen Schulen mit grosstem Interesse und wirklichem
Nutzen gelesen werden wiirden : das feinsinnige Versspiel ,,Durchs Ohr"
vom trefflichen Wilhelm Jordan, mehrere graziose Einakter von Ludwig
Fulda, und — sollen im 2. Jahr die Schuler sich an einem lustigen Ein-
akter wirklich amiisieren (ich weiss zwar nicht, ob das der Zweck einer
Schullektiire sein kann), so bieten sich im ,,Vetter aus Bremen" oder dem
,,Nachtwachter" von Theodor Korner wenigstens Erzeugnisse eines in der
deutschen Literatur mit Achtung, von vielen mit Begeisterung genannten
Dichters.
Von der dramatischen Lekture in jenem ,,second year" scheint sich
nach dem Wortlaut seiner Bestimmungen der „ College Entrance Exami-
nation Board" iiberhaupt nicht viel zu versprechen, er scheidet fiinfaktige
Die deutsche Lekture an den amerikaniscben Scbulen. 173
Stiicke als zu lang aus und empfiehlt, jedenfalls nicht mehr als einen Ein-
akter mit der Klasse zu lesen. Ich meine, auch den konnte man in die Pri-
vatlektiire verweisen. Mit Recht wird auf jener Stufe der erzdhlenden
Prosa vor solchen dramatischen Nichtigkeiten der Vorzug gegeben, und
ich begriisse Autoren wie Heyse, Storm, Baumbach, Seidel, Volkmann-
Leander mit Freuden in der vorgeschlagenen Liste. Freilich Andersen
gehort meines Erachtens nach nicht dazwischen. So prachtig er auch er-
zahlt, — er war kein deutscher Autor; und sollen Mdrchen und Sagen
iiberhaupt ausserhalb des Rahmens jenes von mir karakterisierten deut-
schen Lesebuches noch im Zusammenhang traktiert werden, so greife man
zu den klassischen Volksmarchen der Gebriider Grimm, oder besser noch
zu den so schlicht und doch so wundervoll erzahlten Deutschen Volks-
und Heldensagen von Gustav Schwab.
Die Vorliebe fur Hillerns ,,H6her als die Kirche" verstehe ich nicht,
auch sahe ich an Gerstackers Platz lieber einen Grossern, z. B. Hauff
oder Chamisso. Dass sich Wilhelm Hauff,einer der prachtigsten Erzah-
ler in der deutschen Literatur, noch nicht die Herzen der deutschschrei-
benden amerikanischen Schiller hat erobern konnen, iiberrascht mich.
Seine Marchen, sein Lichtenstein, seine meisterhaften Novellen gehoren
ebenso in den Kanon der Klassen- und der Privatlektiire wie Chamissos
,,Peter Schlemihl" und Eichendorffs „ Aus dem Leben eines Taugenichts".
Zschokkes ,,Zerbrochener Krug" ware heute langst vergessen, wenn nicht
ein Grosserer als er gleichzeitig mit ihm zu dramatischer Bearbeitung des
Stoffes angeregt worden ware. Ich empfehle Heinrich von Kleists gleich-
betiteltes Lustspiel allerdings auch nicht als Schullektiire, aber wertvoller
als Zschokkes Novelle erscheint mir denn doch Kleists „ Michael Kohl-
haas", welche Erzahlung ein bedeutsames Kulturbild aus der markischen
Vergangenheit entrollt und in Berliner Schulen gern gelesen wird.
Gegen Wildenbruchs ,,Edles Blut" konnte man ja einwenden, dass
fur deutsches Kadettenleben die hiesige Jugend doch wohl nicht das
richtige Verstandnis mitbringt; ein Juwel moderner Erzahlungskunst ist
die reizende Novelle darum doch. Wer aus dem angedeuteten Grunde
einer anderen Novelle Wildenbruchs den Vorzug geben mochte, der sei
auf ,,Neid" besonders hingewiesen, wo der Autor gleichfalls eine Jugend-
geschichte erzahlt, aber iiberall das allgemein Menschliche heraushebt, das
echte Empfinden des Kinderherzens betont, wie es hier sich nicht anders
regen mag als in der deutschen Heimat.
Im ,,third year" soil schwierigere Prosa gelesen und den Klassikern
gebiihrende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Riehl und Freytag sind
trefflich gewahlte Autoren, nur wiirde ich vom letzteren lediglich einige
Abschnitte aus seinen meisterhaften Kulturbildern mit den Schiilern lesen,
ihres kerndeutschen Inhalts, aber auch ihrer klassischen Prosa wegen.
Wer hier noch reichere Auswahl wiinscht, dessen Aufmerksamkeit sei auf
174 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
zwei neuere Meister deutscher Prosa, treffliche Schilderer deutschen Lan-
des gelenkt, auf Theodore Fontane, den Autor der Wanderungen durch
die Mark und den thuringischen Wandersmann August Trinius. Dass im
,,third year" Schillers Glocke und Tell den Ehrenplatz behalten miissen,
betonte ich schon friiher. Aber im ,,Neffen als Onkel" und im ,,Geister-
seher" lernen die Schiiler den grossen Dichter gerade von seinen schwach-
sten Seiten kennen. Da Schillers Prosa ohnehin im ,,fourth year"
den Schiilern noch vorgelegt werden soil, so halte ich es fiir keine Ver-
siindigung an Schillers Manen, wenn ich einen kleinen Teil von der ihm
bisher gewidmeten Zeit dem Dichterherold des neuen deutschen Reiches,
Emanuel Geibel, und der Lektiire seines gewaltigen Sophonisbe-Dramas
oder seines „ Meister Andrea" gewidmet sehen mochte.
Ganz unerwahnt unter all den Vorschlagen, die von berufener und
unberufener Seite fiir die Lektiire an den Secondary Schools gemacht wor-
den sind, finde ich auffallenderweise Theodor Korners Zriny. Sollte es
Korner, dessen Familiengeschichte mit der Schillers so innig verwachsen
ist, Korner, der in des Vaterlandes bewegtester Zeit ,,den griinen Kranz
der Dichtung urns blutige deutsche Racheschwert geschlungen", denn
nicht verdienen, dass sich auch deutsche Lehrer in Amerika zu Interpre-
ten seiner Muse machen?
Im ,,fourth year course" tritt nun Goethe zunachst in den Mittel-
punkt, und dass neben ,,Hermann und Dorothea" auch ,,Dichtung und
Wahrheit" teilweise gelesen, weiterhin dieses Dichterbild noch durch Pri-
vatlektiire diesbeziiglicher Abschnitte aus dem Lesebuch erganzt werden
moge, wurde schon angedeutet. Wenn ich recht berichtet bin, empfangen
hochstens 20 bis 30% von den Schiilern der High Schools noch eine wei-
tere College- Ausbildung. Sollten nun wirklich jene aus den obersten
Klassen der Secondary Schools in die Prosa des Lebens tretenden Schii-
ler entlassen werden, ohne dass ihr deutscher Lehrer ihnen wenigstens an
der Hand einer passend zusammengestellten Chrestomathie von der unver-
ganglichen Schonheit des „ Faust" eine Vorstellung gegeben hat? Sollen
sie nicht wenigstens uber Goethes Gotz, Iphigenie, Tasso und Egmont ei-
niges gelesen haben?
Noch zwei oder drei dieser Werke vollstandig dem Kanon einzufu-
gen, widerrate ich geradezu im Interesse soldier klassischen Lektiire, die
dann ja doch nur durchgehetzt werden konnte.
Auch Schiller soil ja im vierten Jahre wieder traktiert werden. Ob
aber Maria Stuart mit ihrer katholisierenden Schwarmerei eine dramati-
sche Heldin ist, fiir die man die amerikanische Jugend wird begeistern
konnen, mochte ich fast bezweifeln. Sie wird sich weit mehr angezogen
fiihlen durch den frischen Ton von Wallensteins Lager, durch die
schwungvolle Prosa der Geschichte des 3ojahrigen Krieges.
Die deutsche Lekture an den amerikadiscben Scbulen. 175
Fur die Streichung von Lessings ,,Minna von Barnhelm" habe ich
schon vorhin meine Griinde angegeben und gezeigt, wie sich auf andere
Weise dafiir sorgen lasst, dass auch jener Heros unserer Literatur nicht
zu kurz kommt, „ der uns vom falschen Regelzwange zur Wahrheit und
Natur zuruckgefuhrt". Einige wiirden auch um des spezifisch preussi-
schen Inhalts willen, und weil der Schiiler daran in deutsche Geschichte
eingefiihrt wird, mit edlen Vertretern des preussischen Soldatenstandes
bekannt gemacht werden kann, nur ungern auf Minna von Barnhelm ver-
zichten. Nach dieser Richtung hin Hesse sich in Paul Heyses ,,Colberg"
oder in Wildenbruchs ,,Mennoniten" oder ,,Vater und Sohne" Ersatz
schaffen, denn in den ,,Quitzows" wiirde der Berlinische Dialekt hiesigen
Schiilern zu viel Schwierigkeiten machen, und ,,Der neue Herr" steht li-
terarisch nicht auf der Hohe der friiheren historischen Dramen Wilden-
bruchs.
Um aber der friiher angedeuteten Gefahr zu entgehen, nicht doch
schliesslich im asthetisch-literarisch-historischen Stoff stecken zu bleiben,
scheint es mir im letzten Jahre deutschen Unterrichts an den Secondary
Schools an der Zeit zu sein, der Klasse auch eine moderne Prosalektiire
zu bieten, aus welcher deutsche ,,Realien" zu lebendiger Anschauung kom-
men. In manchen hier erschienenen Biichern, wie z. B. in Sterns ,,Geschich-
ten vom Rhein" und ,,Aus deutschen Stadten" und anderen, ist damit ein
mehr oder minder gelungener Anfang gemacht worden. Die Kenntnis der
,,Realien", deutscher Verfassung, deutschen Heenvesens, deutschen Han-
dels, deutscher Industrie u. s. w. diirfte gerade fur die zahlreichen Jiing-
linge von Wert und Interesse sein, die spater durch Reisen hinuber oder
durch Handelsbeziehungen in Konnex kommen mit Deutschland und es
dann geradezu als eine Liicke in ihrer Ausbildung empfinden wiirden,
wenn ihnen nach diesen Seiten hin die Schule das richtige Verstandnis
noch nicht erschlossen hatte. Ich verlange ja nicht, dass solche Werke
wie ,,A German Science Reader" von Gore, ,,Course in Scientific Ger-
man" von Hodges, ,,Commercial German" von Arnold Kutner, ,,Scientific
German Reader" von Vogel, Krons ,,German Daily Life", Prehns ,Jour-
nalistic German" und ahnliche, 'monatelang die Klassenlektiire bilden ;
aber — wie manche Schulen im allgemeinen iiberhaupt mehr durch das
wirken, was sie anregend vorbereiten, als wirklich abschliessend schaffen,
so diirften sie auch in dieser Beziehung ihrer Aufgabe wohl schon hinrei-
chend entsprechen, wenn sie die 16- bis i8-jahrigen Schiiler neben litera-
risch wertvollerer Lekture auch fur solche mehr praktischen Bediirfnissen
dienende zu interessieren beginnen.
Auch auf deutschen Realanstalten, auch auf solchen, die ihre Abitu-
rienten unmittelbar zur Universitat entlassen, gilt es nicht mehr fur eine
Blasphemie, in dem einen Semester Shakespeares Hamlet, im folgenden
Tynda'lls Fragments of Science oder ein Werk von Stuart Mill zu lesen.
176 Pttdagogiscbe Monatsbefte.
Auffallend wenig Beachtung scheint hier noch die deutsche Brief-
und Memoirenliteratur gefunden zu haben, und doch brauche ich hier
nur die Namen Humboldt, Bismarck, Moltke zu nennen, um anzudeuten,
wie Wertvolles aus jenem Schatze noch herausgehoben und auch fur die
Schullektiire nutzbar gemacht werden konnte. Deutschlands grosster
Stratege z. B. war auch einer der grossten Stilisten, ist doch die Darstel-
lung seiner kleinasiatischen Reisen Xenophons Anabasis an die Seite ge-
stellt worden !
Und noch auf eine andere Liicke im Kanon der deutschen Lektiire
an hiesigen Schulen mochte ich hinweisen. Von welchem sprachlichen
und historischen Wert war uns, von Demosthenes und Cicero ganz zu
schweigen, in unserer eigenen Schulzeit die Lektiire von Mirabeaus Re-
den!
Mag sein, dass unser Bismarck nicht iiber den leidenschaftlichen
Schwung des Pariser Tribunen verfiigte, aber die Lektiire seiner Reden
verrat doch, dass auch er der Sprachgewaltigen Einer war, und — was
von keiner philippischen und keiner catilinarischen Rede sich sagen lasst
— aus seinem kernigen, wuchtigen Deutsch spricht zu uns machtvoll der
grosse Heros seiner Nation, von dessen Geist auch dieses Landes Sohne
einen Hauch verspiiren sollten. —
Mit fliichtigen Strichen und hie und da nur andeutend habe ich nun
das weite Gebiet umzogen, auf dem der hiesige Deutschlehrer die Lektiire
fur seine Klassen wahlen mag. Alljahrlich erweitert sich dieses Gebiet,
wie die Literatur sich stetig verjiingt, und wer kann sagen, ob nicht schon
die nachsten Jahre der deutschen Dichtung einen neuen Klassiker bringen,
an dem man nicht voriibergehen darf, wo irgend in der Welt Deutsch un-
terrichtet wird. Auch der Lehrer der modernen Fremdsprachen, er viel-
leicht mehr als jeder andere, muss auf der W art e stehen, auslugend nach
wertvollem Neuen. Stetig erneut sich ja auch seines Unterrichts Aufgabe
und Ziel. Er muss (wie Stephan Watzoldt auf dem Berliner Neuphilolo-
gentage ausrief) im Gegensatz zum klassischen Philologen, neben liebe-
vollem Betrachten der dichterischen Meisterwerke friiherer Zeit auch auf
das Lebendige, das der Gegenwart Entsprossene und sie Kennzeichnende
eingeben und durch angemessene Auswahl des Lesestoffes fur des frem-
den Volkes eigenartige geistige und materielle Kultur, in unserem Falle
also fur deutschen Volkes Art und Sitte das Verstandnis zu erschliessen
trachten. So baut er mit an jener Geistesbriicke, die — ob auch Tausende
von Meilen vom alten Vaterland uns trennen — aus der alten Welt zur
machtig aufstrebenden neuen heriiberfuhrt, und auf welcher auch — von
driiben und hiiben — das junge Geschlecht, an dessen Erziehung wir mit-
arbeiten, sich dermaleinst verst'dndnisvoll die Hand reicht zu bruderlicher
Mitarbeit an den gemeinsamen grossen Aufgaben der Menschheit.
Arno Holz.
(Fttr die Padagogischen Monatshefte. )
Von O. E. Leasing, Ph. J>., Smith College.
So hart und stark wie der Klang seines Namens 1st der Mann selbst. Echt und
wahr bis in den innersten Kern seines Wesens; unerschiitterlich in seiner 'ttberzeu-
gung, zielbewusst in seinem Streben, klar und scharf in seinem Denken, furchtlos und
unermiidlich im Kampf. Ein ganzer Mann. Darum hat er wenige Anhanger, zahl-
lose Feinde.
Arno Holz ist ein Dichter von tiefstem Gefiihl, feinstem Empfinden; von uner-
schopflicher Kraft der Phantasie. Sein Wollen kennt keine Grenzen. An Sprachge-
walt und Ausdrucksvermogen, an sicherer Beherrschung der technischen Mittel iiber-
trifft er alle Dichter des Jiingsten Deutschland. Er beugt sich vor keiner Autori-
tat; aber er achtet die Grossen. Er verdankt seinen inneren Reich turn niemand
als sich selber. Er geht Wege, die noch keiner vor ihm betreten. Er ist ein echter
Kiinstler, eine Welt fiir sich. Darum scheint diese Welt dem Publikum verschlos-
sen. Die Kritiker-Menge bemiiht sich nicht hineinzudringen. Sie steht aussen, spot-
tet und verleumdet, was sie nicht kennt. Die Literaturgeschichtsschreiber haben
einen fliichtigen Blick hineingeworf en ; sie haben da und dort in seinem Garten einen
Keim bemerkt, ein Blattchen abgezupft, es nach hergebrachtem Schema ,,bestimmt",
rubriziert, prapariert. Arno Holz ist nun fur sie tot. Sein Schatten spukt noch als
,,konsequenter Naturalist" in den dicken Banden ,,wissenschaftlicher" Werke.
Es hilft nichts, dass der lebendige, der vierzigjahrige Arno Holz sich seines Le-
bens wehrt, seine Stimme erhebt: ,,Das grassliche Praparat, das Ihr aus ein paar
Schnitzeln meiner Jugendwerke gemacht habt, das Ihr in Euren Schubladen als Ku-
riosum aufbewahrt — das ist ja gar nicht der wirkliche, der leibhaftige Arno Holz!
Hort mich doch an! Lest meine Schriften ganz; und lest sie selbst! Plappert nicht
einander nach; gebt mir Luft und Licht, damit ich weiter schaffen kann. In ein
paar Jahrzehnten sprechen wir uns wieder. Dann verdammt mich — wenn Ihr das
Herz habt!" — Umsonst; Arno Holz ist der ,,konsequente Naturalist"; er ist und
bleibt tot. Tot fiir die Herren der ,,Wissenschaft".
So ist Grillparzer einige Menschenalter lang als Schicksalstragodien-Schreiber
durch die Liiteraturgeschichte geschleppt, so ist Hebbel verkannt, so ist Morike und
Hugo Wolf missachtet worden. So hat Deutschland Otto Ludwig und dutzend an-
dere, die nicht waren wie alle, verhungern lassen. So hat es Arnold Bocklin, als
dieser schon herrlichste Werke geschaffen hatte, verlacht, verhohnt, mit Fiissen ge-
treten. Und so kampft heute Arno Holz, einsam, in Not und Sorge, fiir seine ttber-
zeugung, fiir seine kiinstlerischen Ideale. Unverstand und Bosheit des Kritikerhau-
fens, der noch stets vom Blute seiner Opfer gelebt hat; Schwerfalligkeit und Pedan-
terie der Zunftgelehrten, denen ,,Methode" mehr am Herzen liegt als die Forderung
der Kunst — das sind die Machte, die Arno Holz seit nunmehr zwolf Jahren zu be-
kampfen gehabt hat. Das sind die Machte, die einen Kiinstler gezwungen haben,
durch Fabrikation von Kinderspielzeug jahrelang kiimmerlich sein Brot zu verdie-
nen; die Machte, die denselben Kiinstler heute wieder dem Abgrund des Hungerto-
des nahe gebracht haben. Es ist hier nicht die Frage, ob Arno Holz einst neben
jenen Grossen im Andenken der Nachwelt fortleben wird: das bleibt der Nachwelt
iiberlassen. Fiir die Mitwelt aber handelt es sich darum, ob sie einem Kiinstler,
der bereits glanzende Proben seines Konnens gegeben hat, die ihm gebiihrende Ach-
tung schenke, oder nicht; es handelt sich darum, ob sie einem Talente, das auch die
verbohrtesten Gegner nicht wegzustreiten wagen, die ausseren Bedingungen sich ganz
178 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
zu entfalten, gewahren will, oder nicht. Es handelt sich darum, ob wir uns mit
einer eigenartigen Personlichkeit ehrlich und ohne Vorurteile auseinandersetzen,
oder ob wir gewissenlos uns dem Haufen der Spotter gesellen wollen, die das Wesen
dieser Personlichkeit nicht erfasst haben.
In jeder Literaturgeschichte steht zu lesen, dass Arno Holz in Gemeinschaft mit
seinem Freunde Johannes Schlaf die Technik des modernen Dramas geschaffen hat.
Um ein ,,Dokument" zu haben, muss ich zitieren, und zwar den gewiss niichtern ur-
teilenden Adolf Bartels. In seiner Geschichte der deutschen Literatur, II, 674 f.,
heisst es: ,,Seine (des konsequenten Naturalismus ) Schopfer sind Arno Holz aus
Rastenburg in Ostpreussen (geb. 1863) und Johannes Schlaf aus Querfurt (geb.
1862), und zwar mit den... novellistischen Skizzen Papa Hamlet (1889) und dem
Drama Familie Selicke. Dem Zola'schen Reporter-Naturalismus gegenuber, der an
die Objekte herangeht und sie, drastisch gesagt, beschnuppert, predigten Holz und
Schlaf die Notwendigkeit, die Dinge an sich herankommen zu lassen, sie gewisser-
massen einzusaugen, und gelangten so zu einem intimen Naturalismus, der Sinnen-
und dadurch auch Stimmungseindriicke gleichsam phonographisch wiedergeben will.
Die wichtigste praktische Folge war eine vollige Revolution der dramatischen Rede,
die nun im Bunde mit der schon im Ibsenschen Drama erreichten tauschenden (sach-
lichen) Wirklichkeitstreue, volligen Unabsichtlichkeit und exakten Motivierung das
neue deutsche Milieudrama ergab. Holz, der sich vorher durch sein Buch der Zeit
(1855) als das grosste Formtalent unter den lyrischen Stiirmern und Drangern er-
wiesen und spater auch noch eine Revolution der Lyrik (Abschaffung von Reim und
Rhytmus zugunsten eines natiirlichen Sprach- und Sachrythmus) ins Werk setzte,
und Schlaf . . . pfllickten trotz einer Reihe dramatischer Schopf ungen . . . nicht die
Frtichte ihrer Neupflanzung, die fielen einem j ungen schlesischen Poeten, Gerhart
Hauptmann, zu, der . . . unter Holzens Einfluss geraten war." Sonst weiss Adolf
Bartels iiber den ,,Schopfer des konsequenten Naturalismus" nichts zu sagen. ttber
die Stellung, die Richard M. Meyer gegen Arno Holz einnimmt, habe ich friiher ein-
mal gesprochen; s. P. M. Ill, p. 271. Der Dichter selbst sagt, Die Kunst, ihr Wesen
und ihre Gesetze, I, p. 44: ,,Als Theoretiker stehe ich weder auf dem Boden des
„ ,,Realismus" " noch des „ ,,Naturalismus" ", noch sonst eines Ismus. Nur als
Praktiker bin ich Parteimann" ; und Revolution der Lyrik, p. 47 : ,,Niemand hat das
Recht, unter Naturalismus literarisch etwas Beliebiges zu verstehen, sondern seine
Anschauungen sind dokumentarisch festgelegt worden durch Zola. Gegen das Prin-
zip dieser Anschauungen wandte ich mich . . . und fundamentierte in meiner Schrift
Die Kunst ein neues". Ebendort, p. 64 : ,,Wir wehren uns gegen jede Schulbezeich-
nung"; u. s. w.
Mit ,,phonographischer Wiedergabe", ,,konsequentem Naturalismus", etc. muss
es also eine eigene Bewandtnis haben. Sehen wir uns den Theoretiker Arno Holz
einmal genauer an; vielleicht lernen wir den Praktiker dann rascher kennen; denn
der Praktiker hat die Theorie geschaffen oder vielmehr aus seinen eigenen Werken
gezogen, nicht umgekehrt, und das ist wiehtig zu wissen. Verstehen wir das Prin-
zip von Holzens Asthetik, so werden wir es leicht in alien seinen Schopf ungen wieder-
gespiegelt finden. Diese werden uns von vornherein vertraulicher ansprechen, als
wenn wir ihnen zogernd, von den Vorurteilen der alten Jtsthetik gehalten, entgegen-
treten.
Noch selten ist ein Satz so oberfliichlich gelesen, so toricht gedeutet, so boshaft
gegen seinen Urheber ausgebeutet worden, als die Formel, zu welcher Arno Holz
durch seine asthetischen Untersuchungen gelangte, an deren Inhalt er zah festhalt,
deren Form er preisgibt. Dieser Satz heisst: ,,Die Kunst hat die Tendenz, wieder
die Natur zu sein; sie wird sie nach Massgabe ihrer jeweiligen Reproduktionsbe-
Arm Hol{. 179
dingungen und deren Handhabung." Wie ist Arno Holz zu diesem Satz gekommen?
Was ist das Neue, das Revolutionare daran? Was ist das Element darin, das den
Jtsthetikern und Kritikern aller Gattungen und Schulen so unausstehlich, so lacher-
lich erschien?
Was ist Kunst? Seit dem Streit Gottsoheds mit den Schweizern ist diese Frage
nicht zur Ruhe gekommen. Unsere grossten Kiinstler haben eine Antwort darauf
zu geben versucht. Es ist klar: Kann die Frage annahernd beantwortet, kann der
Begriff Kunst iiberhaupt definiert werden, so kann das nur durch einen echten Kiinst-
ler geschehen. Alle andern Menschen, mogen sie sich auf Wissen, Scharfsinn,
,,Kunstverstand" noch so viel einbilden, von dem innersten und tiefsten Wesen der
Kunst haben sie hochstens eine entfernte Ahnung. Daran muss unbedingt festgehal-
ten werden: trotz Hegel, Fechner, Volkelt, Lipps, etc. Gehen wir also zu denen von
unsern grossen Kiinstlern, die sich am eifrigsten bemttht haben, die ihrem eigenen
und dem Schaffen anderer unterliegenden Gesetze zu nnden und auszusprechen :
Schiller und Goethe, Grillparzer, Hebbel und Otto Ludwig. Einen tfberblick zu ge-
winnen, geniigt es, die Kardinalsatze anzufiihren.
Schiller und Goethe sprechen ihre Definitionen, soweit sie klar abgerissene De-
finitionen zu geben versuchten, fast immer als Forderungen aus; das ist wohl zu be-
achten. Aus den von Harnack in seinen Biichern: Die Asthetik der Deutschen und
Goethe in der Epoche seiner Vollendung zusammengestellten Ausserungen der Dich-
ter liber das Wesen der Kunst geht als Quintessenz hervor: 1) Der Massstab des
Urteils ist nicht die Natur an sich, sondern der ,,schone Mensch" im speziellen. 2)
Die Aufgabe der Kunst ist ,,durch den Schein die Tauschung einer hoheren Wirk-
lichkeit zu geben"; ,,des Kunstlers Schopfung sei soweit real, dass sie steta wahr
sei, soweit ideal, dass sie niemals tcirklich sei". Ganz allgemein ausgedriickt: Die
Kunst stellt die Natur in schoner Form dar.
Grillparzer stimmt darin uberein, wenn er sagt: ,,Die Kunst beruht auf einer
Steigerung des Wirklichen und unterscheidet sich eben dadurch von der Natur".
Dabei steht er aber viel fester auf dem Boden der Natur als selbst Goethe. Alles
Lehr- und Reflektionsmassige, alles, was nicht ,,durch seine blosse Existenz Glauben
erzwingt", weist er aus dem Bereich der Kunst. Wohl schatzt er die Form aufs
hochste, denn ,,sie schliesst ab wie die Natur"; aber sie ist ihm nicht Selbstzweck.
Leben und Form will er vereinigen, dass ,,beiden ihr Recht geschehe".
Hebbel und Ludwig gehen noch einen Schritt weiter. Ihre Definition von Kunst
ist im wesentlichen die: 1) Die Kunst stellt die Natur (,,das Leben") dar. 2)
Die Sehonheit der Form ist der kiinstlerischen Darstellung immanent und wird nicht
vom Kiinstler gleichsam ausserlich hinzugetan. 3) Die Fixierung des Lebensge-
halts ist wichtiger als die Sehonheit im einzelnen. Sehonheit und Wahrheit sind
dasselbe. ,,Wahrheit ist ttbereinstimmung eines Reichtums von Zugen fur den Ver-
stand, Sehonheit die ttbereinstimmung, Einheit in der Mannigfaltigkeit fiir den un-
mittelbaren Sinn". Ahnliches hatte freilich auch schon Goethe ausgesprochen. Aber
wUhrend er und Schiller nie ganz von dem einseitigen Schonheitsideal des Winckel-
mann'schen Klassizismus loskamen und dieses auch noch auf Grillparzer bis zu einem
bedeutenden Grade fortwirkte, haben Ludwig und Hebbel sich davon befreit. Sie
unternahmen es, sich ohne Vorurteile, klassischer oder romantischer Farbung, mit
den Problemen ihrer eigenen Zeit kiinstlerisch auseinander zu setzen, sich durch
griindliches Forschen iiber die Ziele ihrer Kunst klar zu werden. So wurden sie die
Vorlaufer einer neuen Kunst, deren technische Mittel sich mehr und mehr vervoll-
kommneten, deren Gebiet die tiefsten Abgriinde, die feinsten Verzweigungen des viel-
gestaltigen modernen Lebens zu umspannen begann. Aber sie drangen nicht ins
Volk; ihr Werk wurde rasch vergessen. Das literarische Leben Deutschlands ver-
sandete.
180 P'ddagogiscbe Monatshefte.
Die politischen Ereignisse nahmen die ganze Energie des Volkes in Anspruch.
Der grosse Krieg brachte keine grosse Dichtung oder Kunst hervor. Was an bedeu-
tenden Talenten da war, wurde nicht gewtirdigt. Menzel und Bocklin, Keller und
Raabe blieben unbeachtet, Anzengruber bahnte sich langsam seinen Weg. Ein gut-
gemeinter Patriotismus liess sich an den aufkostiimierten Goten Felix Dahns, an
der siisslichen Minnesingerei Julius Wolffs und Baumbachs geniigen. Archaisieren-
der Dilettantismus begeisterte sich fur die Mumienpoesie des Xgyptologen Ebers.
Aber in den Goldschnittbandchen dieser Modeschriftsteller pulsierte kein Leben. Da
halite nichts nach von dem Larm und Gebraus der neuen Zeit, von den tausend Fra-
gen, die eine rastlos vorwarts schreitende Naturwissenschaft, eine machtig wach-
sende Industrie, Kapitalismus und Sozialismus in die Gegenwart hineinwarf.
Die neue Zeit gehorte der Jugend. Sie hatte alle diese Fragen zu 18sen. Ihr
konnten die Lieblingsautoren der alteren Generation nichts bieten. Im Auslande
aber waren Kiinstler, die mit unerhorter Kiihnheit in das Leben der Gegenwart grif-
fen. Zola, Ibsen, Tolstoi, Dostojewskij wurden den jungen Talenten Deutschlands
zur kiinstlerischen Offenbarung. Ein neuer Sturm und Drang ging durch die Litera-
tur. Zola insbesondere wurde zum Befreier von den Fesseln einer erstarrten Asthe-
tik. Sein beriihmter Satz: ,,Ein Kunstwerk ist ein Stuck Natur, durch ein Tem-
perament gesehen", gait als das Zauberwort, vor dem alle Schranken der Kunst fie-
len. Der Inhalt dehnte sich ins Unermessliche aus und sprengte die alten Formen,
Auch die hasslichsten Niederungen des Lebens gehorten in den Bereich kiinstlerischer
Darstellung. Nicht mehr ,,Sohonheit", eine ,,hohere Wirklichkeit" war das Ziel der
Kunst, sondern Wahrheit; Wahrheit um jeden Preis. Kein Wunder, dass radikale
Stunner nun iibers Ziel hinausschossen, und, in verworrener Auffassung jenes Satzes,
die Wahrheit mit der virtuosen Darstellung des Xusserlichen verwechselten, dass sie
mit Vorliebe das Hassliche und Gemeine zum Gegenstand ihrer Kunst machten. We-
der sie, noch die Alten, denen die ,,Schmutzliteratur" der Jiingst-Deutschen ein
Greuel war, dachten daran, dass Zolas Satz etwas anderes besagte, als der Ausspruch
Goethes: ,,Im Grunde bleibt kein realer Gegenstand unpoetisch, sobald der Dichter
ihn gehorig zu gebrauchen weiss".
Unter den Stimmfuhrern der Jiingst-Deutschen war einer, der sich auf die
Dauer von dem neuen Kunstgesetz nicht blenden liess : Arno Holz. Nach einer Ge-
dichtsammlung Klinginsherz und einer Schrift tiber Geibel veroffentlichte er zwei-
undzwanzigjahrig sein erstes Werk, — denn das Friihere ,,rechnete" er nicht — Das
Buck der Zeit, Lieder eines Narren, Zurich 1885. In dem 500 Seiten starken Band
steckte mehr, als nur die glanzende Leistung eines Formtalents. Der Geist des Bu-
ches war in der Tat, wie der Titel sagte, der Geist einer neuen Zeit. Mit dem iiber-
lieferten BegrifT von ,,Poesie" war griindlich gebrochen. Nicht nur im Walde, im
Wehen des Abendwindes, in zerbrockelten Ruinen, in schilfumkranzten Weihern fand
Arno Holz Poesie, sondern auch im Kohlendunst von Bergwerken und Fabriken, im
Pochen und Hammern der Maschinen, im Sausen der Eisenbahn, im Gefangnis, im
Spital. Eine unendliche Mannigfaltigkeit, die feinste Abstufung von Tonen, Bil-
dern und Stimmungen zeichnen dieses wunderbare Jugendwerk aus. Laurie Magnus
hat einen schonen Aufsatz dariiber geschrieben, Fortnightly Review, 1897, pp. 492 ff.
Arno Holz wird da vorwiegend als revolutionarer Dichter geschildert. Freilich, der
bittere Hass der Sozialisten gegen die Unterdruckung durch Kirche und Staat
flammt tiberall auf j er steigert sich sogar zum gotteslasterlichen Fluch. Der eng-
lische Schriftsteller findet mit Recht eine Entschuldigung dafUr in der Jugend des
Dichters und in dem jammervollen Byzantinismus, der in Deutschland damals wie
heute die freiheitlichen Regungen des Volkes mit seiner muffigen Schwiile zu er-
sticken drohte. Wie ein Catullus, ein Burns, ein Shelly sei Arno Holz deswegen
Arm Hol. 181
nicht von der Unsterblichkeit ausgeschlossen : ,,May not Germany one day raise to
Arno Holz his marble tribute of a dome?" Der Atheismus des jungen Dichters hat
seinen Grund nicht in oberflachlicher Negation des Bestehenden, sondern im ehrli-
chen Ringen nach Wahrheit, im tiefen Schmerz iiber die triibe Gegenwart. So er-
schallt neben dem hohnischen Lachen des Skeptikers auch der begeisterte Ruf des
Idealisten, der an eine kvinftige Trias von Wahrheit, Freiheit und Recht glaubt.
Der unbefangene Leser wird sich durch den sozialistischen Radikalismus des Bu-
ches nicht am Genuss des Lieblichen und Zarten, das der Dichter in reichlichem
Masse bietet, storen lassen. Arno Holz hat nicht nur ein seltenes Vermogen der
Nachempfindung : die frische Waldromantik Eichendorflfs trifft er im Tone ebenso
gut, wie die kraftige Rhetorik Emanuel Geibels; er zeigt vielmehr auch schon in
diesem Erstlingswerk seine ganz bestimmte Eigenart. Abgesehen von der stofflichen
Erweiterung der Lyrik, und abgesehen von der sozialistischen Tendenz, die den An-
fang der sog. Grosstadtlyrik bezeichnet, hat Arno Holz bereits eine Forderung des
Kritikers Julius Hart zu erfiillen begonnen: die im Gegensatz zur vorhergehenden
Poesie grossere Objektivitat der modernen Lyrik. ,,Die Lyrik," sagt Hart, ,,wird
auch aus der fremden Seele heraus denken, fiihlen und reden lemen und nicht immer
das Ich zum Wort kommen lassen. Sie wird das Landschaftliche in ganz anderer
Deutlichkeit uns malen, das Einzelbild statt eines typischen hinstellen, die Empfin-
dungen scharfer begriinden, ihre Ursachen darlegen und die Gefiihle selber feiner
zerlegen. In dieser Kunst hat Goethe zum Teil Grosses geleistet. . . Vorwiegend ist
aber auch die Goethesche Sprache Gefiihlssprache und ihr Wesen musikalischer Na-
tur; dem gegeniiber wird die Lyrik des Realismus reichere Elemente der Naturan-
schauung verarbeiten und einen mehr malerischen und plastischen Karakter anneh-
men, das Bildliche, das bei Goethe zuriicktritt, machtiger in den Vordergrund stel-
len."*) Die Objektivitat des Dichters, der aus der fremden Seele heraus denkt und
fiihlt, kommt zu schonem Ausdruck in dem Zyklus: Arme Lieder, ,,Mein Fenster
schaut auf einen diistern Hof", ,,Een Boot Is Noch Buten!", ,,So Einer War Auch
Er!", ,,Nachtstiick". Wie alle diese Armen Lieder zugleich auch Beispiele plasti-
scher Anschaulichkeit sind, so erweist sich die Fahigkeit, die innere Stimmung durch
die aussere Umgebung zu verbildlichen, in noch hoherem Grade in einigen Liedern
aus den Tagebuchblattern und dem Phantasus, z. B. ,,Ihr Dach stiess fast bis an die
Sterne", ,,Die Nacht verrinnt, der Morgen dammert, vom Hof her poltert die Fabrik".
Kurz, das Buch hatte geniigt, zehn junge Dichter beriihmt zu machen. Johan-
nes Scherr und Graf von Schack priesen es; ,,es tropfelt einige wohlwollende Kri-
tiken"; die Augsburger Schillerstiftung kronte es mit einem Preis: aber es drang
nicht durch. Der enttauschte Dichter zergriibelte sich den Kopf fiber seinen Miss-
erf olg. (Fortsetzung folgt.)
*) Zitiert aus der trefflichen Broschure Dr. Strobls: Arno Holz und die jiingst-
deutsche Bewegung, Berlin 1902.
Berichte und Notizen.
I. Bine deutsche Bildungsstatte in Neapel.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von SeminardlreMor Emit Dapprich.
In der Villa Nazionale, dem ewig gninenden und bliihenden Parke, der sich
dicht am Meeresufer im nordlichen Teil der schonen Stadt Neapel hinzieht, steht
ein prachtvolles, palastahnlich.es Gebaude, das die Namen Aquarium Neapolitanum
und Stazione Zoologica fiihrt. Es ist mit deutschem Gelde auf dem von der Stadt
zur Verfiigung gestellten Bauplatze aufgefiihrt worden und enthalt ausser dem reich-
haltigen, 26 grosse Becken umfassenden See- Aquarium im unteren Stock in den bei-
den oberen Stockwerken die Arbeitsraume der seit 30 Jahren bestehenden marinen
Station des genialen und unermiidlichen Forschers, Prof. Heinrich Dohrn.
Er kam i. J. 1870 als Privatdozent nach Neapel, um dort die erste und fiir lange
Zeit einzige eoologische Station zu errichten, die nach der Ansicht der bedeutendsten
Naturforscher schon lange ein dringendes Bediirfnis war. Er verwandte auf die
Griindung dieser Anstalt aus eigenen Mitteln mehr als 300,000 Mark, und wusste
durch eine geschickte und unermtidliche Agitation seiner Sache mit dem Beistand
der grossten Zoologen, das deutsche Reich sowohl als auch Privatleute und wissen-
Bchaftliehe Gesellschaften,zu so hohen Beitragen zu bewegen, dass der Bau und seine
Einrichtungen im Betrage von einer halben Million Mark vollendet werden konnten
und ein Betriebskapital von mehr als 70,000 Mark per Jahr ihm zur Verfiigung
stand. Mit diesen Mitteln hat Prof. Dohrn Erstaunliches geleistet; er hat die Na-
turforschung so machtig gefordert, dass sein Name fiir alle Zeit als einer der besten
seines Berufes leben wird.
Vier Aufgaben hat sich diese zoologische Station gestellt: 1. Sie will die
Fauna des mittellandischen Meeres, soweit dies moglich ist, fiir Laien und Gelehrte^
zur Darstellung bringen; 2. die Herstellung zoologischer Praparate fiir Museen und
Schulen in kiinstlerischer Weise zu immer grosserer Vollkommenheit bringen ; 3. den
Zoologen aller Nationen Raume, Apparate und Material zur Verfiigung stellen, und
4. durch Veroffentlichung der Resultate ihrer Forschung in den Jahrbiichern der
wissenschaftlichen Welt Kunde geben von ihren Leistungen. Lassen Sie mich in we-
nig Worten zeigen, wie vorziiglich diese Arbeiten in den 30 Jahren geleistet worden
sind.
Betreten Sie mit mir das Museum ; wir kauf en uns fiir einen Lire den ,,Leitfaden
fiir das Aquarium", der auf iiber 100 Seiten Illustrationen und Beschreibungen fast
aller der Seetiere gibt, die in diesen Raumen hausen, und wir treten vor das Basin
No. 1. Hier haben. die Stachelhauter ihr Heim. Da kriechen Seesterne in alien
Farben, vom tiefsten Rot bis zum Violet, auf ihren durchsichtigen, fadeniihnlichen
Fiisschen umher, steigen bisweilen an der glatten Glaswand empor, oder wandeln an
den iiberhangenden Felsen mit grosster Sicherheit dahin. Dazwischen liegen trage
Seeigel von meist kugeliger Form, schon gefarbt und mit weissen, roten oder brau-
nen Stacheln iiber und iiber bedeckt, zwischen denen die fast unsichtbaren Fiisschen
wie feine Glasfaden hervorragen. Auf dem Grunde liegen zwischen Steinen die See-
walzen, von denen einige reifen Gurken sehr ahnlich sind, da sie dieselbe Form,
Farbe, Grosse und Rauhigkeit besitzen. Seeigel und Seewalzen werden von gewis-
sen Volkern als Nahrungsmittel benutzt, ja sogar als Delikatessen sehr geschatzt.
Auch Seelilien und Schlangensterne ergotzen das Auge durch ihre langen, graziosen
Anne, die sich nach alien Richtungen bin beugen und verschlingen. Wenn sie ein
Eine deutscbe Bildungsstattt in Neapel. 183
Korallenbaumchen umklammern, sehen sie fast wie Blumen aus, die dort hervorge-
sprosst erscheinen. Die gefiederten Arme der Haarsterne, von denen sich hier die
bunten Exemplare von Antedon rosacea befinden, sind in bestandiger Bewegung; oft
losen sich diese Tiere von ihrem Stiitzpunkte los und gleiten, mit ihren Armen die
Flut peitschend, schwimmend von Ort zu Ort. Stundenlang stehen die Besucher vor
diesem Lebensbild, ergotzen sich an dem bunten Wechsel, der sich ohne Rast und
ohne Ruh' in der krystallenen Flut vollzieht; zogernd wendet sich der Fuss zum
Weitergehen; nichts kennzeichnet besser das Gefiihl der Zuschauer, als der Ausruf
eines kleinen deutschen Madchens, die neben mir stand: Ach, Mutter, wie schon!
Es wiirde meine Leser ermiiden, wollte ich den Reichtum und die Pracht der
tausende von Lebewesen, welche sich in diesen Raumen befinden, auch nur mit der
grosstmoglichen Kiirze darstellen; ich beschranke mich darauf, den Goethe'schen
Satz etwas zu erweitern, indem ich ihn so fasse:
,,Greif nur hinein ins voile Leben;
Wo du es fasst, da ist es interessant."
Fiir die Herstellung zoologischer Priiparate hat sich Prof. Dohrn einen Mitar-
beiter erzogen, der in der Welt seinesgleichen sucht: es ist der Konservator der
Anstalt, Salvatore Lo Bianco. In Palermo als Kind armer Leute geboren, kam er
in seinem 14. Lebensjahre zu Dohrn und hat sich unter dessen Fiihrung zu einem
ausgezeiehneten Gelehrten und geschickten Prakftker emporgearbeitet. Seine Spezi-
alitat ist das Praparieren seltener und schwierig zu konservierender Seetiere. Mil-
waukee besitzt in seinem Museum eine kleine Sammlung von Exemplaren aus der
Dohrn'schen Anstalt, von denen sich die meisten 20 Jahre lang gut erhalten haben;
heute aber bietet die Station Formen, an deren Herstellung man vor so viel Jahren
kaum denken durfte. Gibt es doch Quallen, die so unendlich zart sind, dass die lei-
seste Bertihrung des Fingers sie sofort zerstort, indem sie wie in nichts zerfliessen,
oder die bei der Anwendung der friiher gebrauchliehen Konserviermittel in unfor-
mige Kliimpchen zusammenschrumpfen. Heute werden auch diese schonen und zar-
ten Gebilde der Ktinstlerin Natur durch die Hand eines Lo Bianco so prapariert,
dass sie fur 100 Jahre Gestalt, Farbe und Grosse bewahren, und nur die Bewegung
fehlt, um sie fur lebendig zu halten. Wie viele tausend Versuche aber notig waren,
diese Methoden zu schaffen, das lasst sich leichter ahnen, als sagen. Bedeutende
Zoologen haben unter der Schulung dieses Italieners sich das notige Geschick erwor-
ben, bei Expeditionen die reichen Schatze aus der Fauna der Meere fiir spatere Be-
arbeitung in den Laboratorien der Naturforscher aller Lander in vorziiglicher Weise
zu erhalten.
Weit iiber 1000 Gelehrte aus fast alien Kulturstaaten haben in Neapel langere
oder kiirzere Zeit gearbeitet, um unter Dohrn ihre Vorbildung zu vollenden, oder ge-
wisse zoologische Probleme zu losen. Katheder und Horsale gibt es dort freilich
nicht; weder der Leiter noch seine standigen Mitarbeiter unterrichten. Sie stellen
den Besuchern alles zur Verfiigung, was zu selbstandiger Arbeit notig ist, und iiber-
lassen jedem die Auswahl seines Arbeitsfeldes, seiner Zeit, Methode etc. Gesetzt
es wiirde sich einer als das Ziel seiner Forschung die embryonale Entwickelung der
Selachier (Haie) wahlen, so wiirden ihm Haifischeier in alien Stufen der Entwicke-
lung zur Verfiigung gestellt, die er nun von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde be-
obachten kann, die er sezieren darf, die er in bestandig fliessendem Meerwasser ganz
nach seinem Willen behandeln mag. Enthalt das Resultat seiner Forschung Neues
und Interessantes zur Geniige, so steht ihm der Jahresbericht zur Veroffentlichung
seiner Monographic zur Verfiigung. Wenn einer meiner Leser iiber das eigentiim-
liche Thema lacheln sollte, das ich eben anfiihrte, so gebe ich ihm zu bedenken, dass
durch die genaue Erforschung der Entwicklungslehre der Haifische die Entwick-
184
P'ddagogische Monatsbefte.
lungslehre alles Wirbeltiere eine machtige Forderung erfahren hat, die bis hinauf
in das Gebiet der embryonalen Entwieklung des Menschen reicht. Das Haifischei
ist fiir die Beobachtung um so passender, da sowohl Schale als Kern vollstandig
durchsichtig sind und es bis zur vollendeten Reife bleiben.
Das Institut gibt drei wissenschaftliche Werke heraus: ,,Flora und Fauna, des
Golfs von Neapel" (nahezu 30 Bande), ,,Mitteilungen der Zoologischen Station"
(etwa 15 Bande) und ,,Zoologischer Jahresbericht" (an die 20 Bande).
Das erste dieser Werke ist eine wahre Fundgrube fiir angehende Zoologen, dabei
reich illustriert durch die Hand eines bedeutenden Kiinstlers, des Malers Merculi-
ano, der seit 20 Jahren nichts anderes malt, als die Bewohner des Meeres.
Mein kurzer Bericht zeigt den Lesern der Padagogischen Monatshefte wohl zur
Geniige, wie gross der Wirkungskreis der beschriebenen Anstalt ist und wie berech-
tigt der Stolz ist, mit dem Deutsche auf dieses grosse Werk eines grossen Mannes
ihrer Nation blicken.
II. Korrespondenzen.
(Fiir die Padagogischen Monatshefte.)
Baltimore.
Mitte April batten wir das Vergniigen,
Professor Dr. Kuno Francke von der
Harvard Universitat hier begriissen zu
dtirfen. Er hielt drei geistvolle Vortra-
ge am Woman's College. Der erste war
in englischer Sprache und behandelte
deutsche Munizipalmethoden im Mittel-
alter. Im zweiten, deutschen Vortrag
beleuchtete er in enthusiastischer Weise
Gerhart Hauptmanns eigentiimliches
Drama ,,Der arme Heinrich", aus dem
er wahrend zweier Stunden die leitenden
Szenen mit grosser Wirkung vorlas. Der
dritte Vortrag war wieder ein englischer ;
der gewandte Redner fiihrte der ausge-
wahlten Versammlung das Germanische
Museum der Harvard Universitat in
Wort und Bild vor. Im Marz des
Jahres 1897 war von jener altehrwiir-
digen Bildungsstatte die erste Anregung
zur Schaffung eines solchen Museums
ausgegangen. In einem damals erlasse-
nen allgemeinen Aufruf war die hohe
Zweckmassigkeit dafiir klar gelegt und
ein entsprechender ausfiihrlicher Plan
mitgeteilt worden. Der Aufruf schloss
mit den Worten:
,,It would be the first attempt to bring
before the eyes of American students a
picture of early European and mediaeval
civilization. It would, at the same time,
be a worthy monument to the genius of
a people which has had a large part in
shaping the ideals of modern life and
which has given to this country millions
of devoted citizens."
Obgleich 10,000 Dollars fiir den ersten
Anfang gewiinscht wurden, waren bei al-
ler Arbeit nach vier Jahren erst 4,000
Dollars eingegangen. Erst mit der ver-
standnisinnigen Mitwirkung des deut-
schen Kaisers gewann das Unternehmen
einen festen Boden und eine gliickver-
heissende Zukunft; Wilhelm der Zweite
kann, wie Professor Francke hervorhob,
als der eigentliche Begriinder des Ger-
manischen Museums angesehen werden.
Dass er selbst die Seele des Ganzen ist,
wollte der bescheidene Gelehrte in keiner
Weise gelten lassen. Die iiber alles Er-
warten mannigfaltigen und reichen kai-
serlichen Geschenke werden im Lauf e des
Jahres in Cambridge eintreffen und mit
ihnen weitere reiche Geschenke von an-
dern hochsinnigen Deutschen. Professor
Francke erwahnte eine Audienz, die er
letztes Friihjahr im Schlosse zu Berlin
hatte; er sei erstaunt gewesen, bei dem
genialen Monarchen ein so eingehendes
Verstandnis fiir amerikanische Universi-
tatsverhaltnisse zu gewahren.
Ein Orientalistenkongress fand kurz
nach Ostern in der Aula der Johns Hop-
kins Universitat statt, gut besucht sei-
tens der hervorragenden Hochschulen des
Ostens. Ganz besonders interessant er-
wies sich ein Vortrag des hiesigen Pro-
fessors Dr. Paul Haupt iiber ,,Babel und
Bibel". Die Landespresse wird bereits
Ausziige daraus gebracht haben.
Die deutsch Sprak. — Die im Gange
befindliche Agitation fiir die Munizipal-
wahl hat u. a. eine gar erbauliche Bliite
hervorgebracht in Gestalt eines Zirku-
lars, worauf ein Bewerber um die No-
mination fiir einen Sitz im ersten Zweig
des Stadtrats den Biirgern seiner Ward
auf einer Seite in englischer, und auf der
andern in deutscher Sprache klar zu ma-
Korresponden^en.
185
chen sucht, dass er der rechte Mann fiir
den Platz sei. Der englische Teil der
Karte ist fehlerlos, der deutsche Teil
lautet buchstablich, wie folgt:
,,Candidat fiir den Ersten Abtheil des
Stadtrahts.
Subject der Demokratischen Primar
Wahlen.
Wehrte Mitbiirger: —
Um mit der Gegenwart Schritt zu hal-
ten, werden wir es nothwendig finden ei-
nen Augenblick um uns zu werfen. Auf
unsere Strassen, unsere Halb - zerfallene
Hauser und andere Oeffentliche Gebau-
de, etc. Desshalb sollten bei der kom-
menden Primar Wahlen Sie auch nicht
vergessen ftir einen Mann zustimmen
dem das Wohl unseres Bezirks im Her-
zen liegt. Ich erinnere Euch hierdurch
das als Candidat f iir die kommende Pri-
mar Wehlen, verspreche auf die Interes-
sen Eures eigenthums zu sehen wie auf
das meine.
Denn ein Steigen des Wehrtes unseres
Eigenthums,und unsererHauser geschieht
nur durch Verbesserung unsererStrassen.
Was wir als Steuerzahle gerade so gut
be-anspruchen haben als Burger anderer
Bezirke.
Darum liebe Mitbiirger vergesset nicht
Euer Wohl, und stimmt fiir mich, einem
Manne der fiir Eure Intressen ebenso
gut zu handeln verspricht, als fiir die
Seinen.
Euer Mitbiirger,
Da mochte man auch mit Biccaut de
la MarliniSre ausrufen: ,,O, was ist die
deutsch Sprak fiir ein arm Sprak! fiir
ein plump Sprak!"
Mit dem Monat Juni wird filr Balti-
more eine mehrmonatliche Festperiode
anfangen. Den Reigen beginnt das von
Sonntag, den 14. Juni, bis Freitag, den
19. Juni, dauernde Sangerfest. Grossar-
tige Vorbereitungen werden fiir dieses
Fest, an dem sich auch President Roose-
velt beteiligen wird, getroffen. Der Stadt-
rat hat allein fiir Illumination 25,000
Dollars bewilligt. S.
Californien.
Am vierten April hielt der Californi-
sclie Verein von Lehrern der deutschen
Sprache seine regelmassige Sitzung in
San Francisco ab. Es war vorgeschla-
gen worden, nur zweimal jahrlich zu-
sammenzukommen, doch wurde diese An-
derung abgelehnt, und es wurde beschlos-
sen, wie bisher sich dreimal das Jahr zu
versammeln. Den Hauptvortrag hielt
Dr. Julius Goebel iiber das Thema: Der
Kampf urns Deutsche in Amerika. Da
der Redner sich eben mit der Abfassung
eines griindlichen Werkes iiber die deut-
sche Bewegung in Amerika beschaftigt,
so war besonders der historische Ge-
sichtspunkt der Frage von grossem In-
teresse. Er wies nach, wie schon den
ersten Versuchen der Deutschen, sich
ihre Sprache in diesem Lande zu erhal-
ten, englischerseits entgegengearbeitet
wurde. Die Einwanderung von hervor-
ragenden deutschen Kampfern nach der
Revolution von 1848, und der Sieg der
deutschen Waffen im deutsch-franzosi-
schen Kriege starkten die deutscheSaehe,
so dass die Deutschen und ihre Sprache,
besonders in Stadten mit starker deut-
seher Einwohnerzahl, grossere Anerken-
nung erhielten. Deutsche Schulen und
deutsche Vereine wurden zahlreich ge-
griindet. Durch die politische Starke
der deutschamerikanischen Burger wur-
de diesen in vielen Stadten das Zuge-
standnis gemacht, dass der deutsche Un-
terricht in den offentlichen Schulen ein-
gefiihrt wurde. Doch war dieser schein-
bare Triumph der deutschen Sache ei-
gentlich eine Perfidie, wie der Redner
behauptete. Das Zugestandnis wurde
gemacht mit der geheimen Absicht,
dadurch die deutschen Privatschulen
totzumachen, und in der Hoffnung, dass
sich iiber kurz oder lang eine Gelegen-
heit finden wiirde, den deutschen Unter-
richt wegen mangelhaften Resultaten
oder aus anderen Griinden wieder aus
den offentlichen Schulen herauszuwerfen.
Dieser Prozess ist bereits vor sich ge-
gangen und vollzieht sich noch immer.
Die einzige Hoffnung fiir die Erhaltung
der deutschen Sprache liegt in den High
Schools. Es sollte deshalb unser Bestre-
ben sein, den deutschen Unterricht in
diesen Anstalten so wirkungsvoll und
fruchtbringend wie mo'glich zu machen.
Die Ansichten des Redners wurden von
den Anwesenden nicht durchweg indos-
siert, und es wurde beschlossen, die Dis-
kussion des Vortrags auf das nachste
Programm zu setzen. — Hierauf folgte
eine sehr nutzbringende Besprechung von
empfehlenswerten deutschenTextbiichern.
Fraulein Garretson von Alameda verlas
einen kurzen Vortrag, worin sie allge-
meine Grundsatze fiir die Auswahl von
Texten niederlegte, und dann folgende
Texte empfahl: Immensee, Hoher als die
Kirche, L'Arrabiata, der Schwiegersohn,
die Journalisten, der Bibliothekar, Gu-
stav Adolf in Deutschland, Wilhelm Tell.
Herr Buehner von San Jos6 ging naher
auf den Unterricht im ersten Schuljahre
in den High Schools ein und empfahl
fiir den theoretischen und praktischen
Teil des Unterrichts Spanhoofds Lehr-
buch der deutschen Sprache als das be-
186
P'ddagogiscbe Monatshefte.
friedigendste ttbungsbuch. Dieses 1st mit
passendem Lesestotf zu erganzen. Herr
Zimmermann von San Francisco kriti-
sierte das neue Buch fiir Anfiinger,
,,Gltlck auf!" und empfahl, ausser schon
genannten Werken Leanders ,,Traume-
reien", ,,der zerbrochene Krug", ,,die
Freiherren von Gemperlein" und Riehls
!Novellen. Herr Centner von der Staats-
universitat beschrankte sich darauf, ei-
nige der genannten Biicher zu indossie-
ren. — Hierauf vertagte sich die Ver-
sammlung bis zum Herbst. V. B.
Chicago.
Diesmal kann ich iiber zwei freudige
Vorkommnisse berichten, die allerdings
negativer Natur sind, uns geniigsame
Lehrer aber trotzdem schon gliicklich
machen. Unser Thomas-Orchester wird
nicht aufgelost werden! Die fur die Er-
richtung eines eigenen Hauses notwendi-
gen $750,000 sind beinahe ganz gezeich-
net, und der Bau wird daher demnachst
in Angriff genommen werden. Bezeich-
nend ist es, dass grossere Zeichnungen
(von $1000 oder dariiber) selten sind,
dass aber mehrere Tausende willens sind,
von $50 bis $500 zu dem Unternehmen
beizusteuern. Daran kann man sehen,
wie tief das Orchester im Volke der
Stadt Wurzel gefasst hat und wie viele
doch echte, kilnstlerische Musik zu wiir-
digen wissen! Gentisse der herrlichsten
Art stehen uns also wieder in Aussicht!
Die andere Tatsache, die die hiesige
Lehrerschaft mit Genugtuung erfiillen
muss, ist die Verwerfung der sog. Marck-
schen Gesetzesvorlage in Springfield.
Ware sie von der Legislator angenom-
men worden, so ware unser Schul supe-
rintendent mit einer Machtvollkommen-
heit ausgestattet worden, wie sie hierzu-
lande noch nie erhort worden ware. Er
ware der reinste Zar geworden. ttber An-
stellung der Lehrer, deren Gehalter, de-
ren Promotion, tiber Einfiihrung von
Schulbiichern, iiber Lehrmethode und
Examina u. s. f. hatte nur er zu ent-
scheiden gehabt! Was wir Lehrer von
Herrn Cooley zu erwarten haben, das hat
er uns schon in den Regeln gezeigt, die
auf seine Veranlassung von unserem
Schulrate angenommen wurden. Unter
anderem kann kein Lehrer eine Gehalts-
erhohung bekommen, ohne dass er eine
Prilfung in Psychologic, Padagogik, Ge-
schichte der Padagogik und school-man-
agement, sowie in einem sog. akademi-
schen Fach besteht. Derselbe Herr hat
sich aber sein Gehalt von $7,- auf $10,-
000 erhohen lassen, ohne jemals ein Ex-
amen abgelegt zu haben!
Und diese hubschen Zustande hatte
man gerne durch unsere Gesetzgebung
permanent gemacht! Wir sind der
Teachers Federation zu grossem Dank
verpflichtet, dass sie dieses unverschamte
Machwerk durch eifrigen Protest zu Fall
gebracht hat! Ernes.
Cincinnati.
Superintendentenwvchsel. Richard
Wagner wohnte im Jahre 1871 zu Leip-
zig bei dem kunstsinnigen Gasthofsbe-
sitzer Kraft, Hotel de Prusse, und sang
denselben ob liebevoller Behandlung, die
ihm wahrend seines Aufenthaltes gewor-
den, beim Abschiede mit dem selbst ge-
dichteten und komponierten ,,Kraft-Lied-
chen" folgendermassen an:
,,Der Worte viele sind gemacht,
Doch selten wird die Tat vollbracht;
Was ein Hotel zum Eden schafft,
Das sind nicht Worte, sondern Kraft."
Substituiert man in diesem Sang sine
ira et studio fiir ,,ein Hotel" die Wort-
lein ,,eine Schul'", so ist ohne weiteres
die Tat unseres neuen Erziehungsrates
erklart, dessen Erstes die Erwahlung des
fruheren Assistenzsuperintendenten und
jetzigen Direktors des Normal-Departe-
ments der Staatsuniversitat zu Oxford,
O., Herrn F. B. Dyer, zum Superinten-
denten unserer Schulen war. Bis auf
ein einziges sind die Mitglieder des Ra-
tes der Ansicht, Dr. Boone sei nicht im-
stande gewesen, die Notwendigkeit, bezw.
Niitzlichkeit der von ihm wahrend seiner
dreijahrigen Amtszeit eingefiihrten Re-
formen durch praktische und iiberzeu-
gende Resultate zu beweisen, und der
Wechsel wurde ohne viel Federlesens
vollzogen. Es ist ein wirklicher Wech-
sel, da, wie es heisst, Dr. Boone derNach-
folger des Herrn Dyer in Oxford sein
wird.
In der vor einigen Tagen abgehaltenen
Versammlung des Deutschen Oberlehrer-
vereins hielt Herr Hermann von Wahlde
einen gediegenen Vortrag iiber das au-
genblicklich die Bretter, so die Welt be-
deuten, beherrschende Thema : ,,Wie man
dem Verfall des deutschen Unterrichts
steuert", in dem es nicht nur dem un-
umganglich notwendigen Gebrauche der
deutschen als einzige Unterrichtssprache,
und der Erweckung des deutschen
Sprachgefiihls und damit der Liebe zum
Deutschen das Wort redete, sondern auch
verlangte, man mtisse versuchen, es da-
hin zu bringen, dass die Schiller stolz
werden auf das ihnen gewahrte Vor-
recht, Deutsch in den offentlichen Schu-
len lernen zu dtirfen. Ferner mtisse man
sich recht sehr hiiten, in der Hitze des
Gefechtes der englischen Sprache irgend-
wie eins zu versetzen, um die Vorziige
des deutschen Sprachbaues mehr hervor-
zuheben, sondern im Gegenteil die gro-
Korresponden^en .
187
ssere Wichtigkeit des Englischen ftir das
hiesige praktische Leben recht oft und
nachdriicklich betonen, auf dass die
Schiller begreifen lernen, dass der Haupt-
zweck des deutschen Unterrichts vor al-
lem die Erschliessung der veredelnden
Schatze der deutschen Literatur und die
Erkenntnis des moralischen Wertes vie-
ler Seiten des deutschen Tuns und deut-
scher Sitte durch die Sprache ist. Da
die Kollegen ohne Ausnahme es wissen
und zugeben, dass, ohne seine Unter-
richtsmethode iiber Gebiihr der von an-
deren angewandten den Vorrang geben
zu wollen, der Vortragende in seinen
Klassen seine Worte zu betatigen ver-
steht, so wurde die notgedrungen kurze
Arbeit mit aufrichtigem Beifall belohnt.
Wir leben hier im Zeichen der turne-
rischen, erziehlich wirken sollenden 6f-
ientlichen Schaustellungen. Nach unpar-
teiischer Beobachtung und Wttrdigung
dessen, was die zwei bedeutendsten hie-
sigen deutschen Turnvereine in dieser
Hinsicht neuerdings geleistet haben, bin
ich, wie sehr viele andere, zu der An-
sicht gekommen, dass mit den betreffen-
den Vorfiihrungen nicht mehr und nicht
minder Propaganda gemacht wurde, als
wenn z. B. eine Young Men's Christian
Association sich auf Jthnliches verlegt
hatte. ,,Deutsches Turnen" war das
nicht, sondern sehr schon, prazis und ele-
gant ausgefiihrtes Athletentum. Bei den
Vorfiihrungen des der Zahl nach gross-
ten deutschen Turnvereins waren sogar
die Kommandoworte samt und senders
englisch. Sonst aber: ,,Bene! Optime!"
quidam.
Milwaukee.
Schulratsernennung. Im Mai jeden
Jahres reorganisiert sich der hiesige
Schulrat, indem ein Drittel seiner Mit-
glieder (8, reap. 7) ausscheiden und
neue an deren Stelle von der dazu vom
Burgermeister ernannten Kommission,
bestehend aus 4 Mitgliedern, ernannt
werden. Es bestehen 23 Schuldistrikte
in der Stadt, welche meist parallel mit
den Grenzen der Stadtbezirke (Wards)
laufen, und jeder Distrikt ist im Schul-
rat durch ein Mitglied vertreten. Filr
die ersten 8 Distrikte wurden nun die-
ser Tage neue Mitglieder ernannt, mit
Ausnahme eines Distrikts, da sich die
Kommission nicht einigen konnte. Man
sieht also, dieses System ist auch nicht
perfekt, es hat seine Mangel und Feh-
ler, wie alles Menschliche. Friiher wur-
den die Vertreter des Schulrats durch die
beiden Aldermen der Stadt ernannt.
Um die Politik aus der Schule oder bes-
ser, aus dem Schulrat fernzuhalten, er-
sann man dies System. Doch die Poli-
tik spielt auch jetzt wohl noch eine Rol-
le, da die Kommissare so hartnackig auf
ihrem Kopfe bestehen und sich nicht ei-
nigen konnen, weil zwei von ihnen das
ttichtige, seit 8 Jahren im Schulrat
eitzende Mitglied nicht wieder ernennen
wollen, obgleich es seinen Distrikt in
ausgezeichneter Weise vertreten hat und
auch Prasident des Schulrats war. Der
betreffende Schuldistrikt wird also heute
bei der Reorganisation im Schulrat nicht
vertreten sein.
Exit Gehaltserhohung und Lehrerpen-
sion. Ach ja! Die Berge kreisten und
kreisten, und sie gebaren — nicht ein-
mal das kleinste Mauschen, sondern das
reine — nihil nihilum. Doch hoffenwir,
die Berge werden noch einmal kreisen
und dann irgend etwas Greifbares, Sub-
stantielles und Wertvolles produzieren.
Die Lehrer haben alle ihre voile Schul-
digkeit getan, haben in seltener Einmii-
tigkeit und Kollegialitat gearbeitet, die
Sachen vorbereitet, dem Schulrat ihre
Wtinsche, Argumente, Vorschlage be-
scheidentlich unterbreitet ; der Schulrat
hatte nach ernster und eingehender Er-
wagung betreffs der Gehaltserhohung
eine solche auch in Aussicht gestellt, wie
an dieser Stelle gemeldet wurde — aber
jetzt die Sache endgiiltig fallen lassen —
weil — kein Geld dazu vorhanden ist.
Immer die alte Geschichte; fur die Schu-
len und die Lehrer ist niemals Geld da.
Fur alles andere hat die Stadt heiden-
massig viel Geld, manchmal fur Dinge,
die gar nicht notig sind. Auch das Ge-
halt aller stadtischen Angestellten, von
unten bis oben, ist aufgebessert, und
zwar meistens nicht mit lumpigen $5.00
den Monat, sondern mit 10, 15 und 20.
Unser Herr Burgermeister soil gesagt
haben, die Lehrer batten Gehalt genug,
sie brauchten keine Erhohung. Recht
freundlich von Sr. Ehren! Ja, was
kann er auch mit den Schulmeistern ma-
chen, die passen nicht in seinen politi-
schen Kuddelmuddel und konnen und
wollen ihm keine politischen Handlan-
gerdienste tun. Und noch dazu die ar-
men ,,schoolmams", die haben nicht ein-
mal eine Stimme, die sie fur ihn abge-
ben konnten! You see?! Doch Herr
Rose, die Lehrer konnen warten. Viel-
leicht bestatigt sich noch hier einmal
das Sprichwort: All things come to him
who patiently waits.
Die Pensionsbewegung hat ein bisschen
zu spat angefangen. Schade darum! Es
war eine vortreffliche Vorlage, welche die
Prinzipale in Gemeinschaft mit den Leh-
rern ausgearbeitet batten. Aber der
Schulrat hatte nicht Zeit und Gelegen-
188
Padagogiscbe Monatshefte.
heit genug gehabt, die Sache zu priifen
und ihr geniigend Aufmerksamkeit zu
widmen. im Prinzip stimmten die Mit-
giieder des Schulrats und der Superin-
tendent damit iiberein. Dann war auch
die Zeit zu kurz, um die Vorlage noch
in dieser Session vor die Staats-Legisla-
tur zu bringen, welche sich vielleicht
schon in einigen Wochen vertagen wird.
Es bleibt also nichts anderes iibrig, als
diese Vorlage in zwei Jahren wieder dem
Schulrat und dann der Legislatur zu un-
terbreiten, und hoffentlich haben wir
dann den gewiinschten Erfolg damit.
Aber erfreulich ist es doch, dass eine so
grosse Majoritat aller Lehrer, mehr wie
zwei Drittel, sich mit der Sache selbst
einverstanden erklart hat. Man musa
bedenken, dass bei den Damen im Lehr-
fach, und besonders bei den jiingern und
im hoffnungsvollen Alter stehenden, der
Ausdruck ,,Pension" einen schrecklichen
Klang hat; und so hat man denn einen
etwas milderen Ausdruck: ,,Retirement
Fund" dafiir gesetzt, ,,wat de siilwe Ge-
schichte is", wie ,,der alte Brasig" sa-
gen wiirde. A. W.
New York.
Verein deutscher Lehrer von New York
und Vmgegend. Die zwei letzten Sitzun-
gen unseres Vereins boten den Anwesen-
den eine willkommene Abwechselung.
Statt der tiblichen Themata philologi-
scher, philosophischer oder padagogi-
scher Natur schweifte man ins Gebiet
der politischen Geschichte und der Tech-
nik. Am 7. Marz hielt Herr Professor
Tombo, senior, von der Columbia Uni-
versitat, einen hochinteressanten Vor-
trag liber Bennigsen, den deutschen Par-
lamentarier und gab seinen Zuhorern ei-
nen belehrenden Einblick in das innere
Parlamentsgetriebe im Beginne des neu-
en deutschen Reiches. Herr Tombo kam
seiner Zeit als Reichstagsstenograph mit
den Koryphiien der verschiedenen Par-
teien in nahere Beriihrung. Daher fehlte
dem Vortrag auch nicht das anziehende
Element der personlichen Erinnerungen.
An der darauf folgenden Diskussion
nahmen die Herren Dr. Bahlsen, Herzog
una Dr. Kern lebhaften Anteil.
Am 4. April gab der gegenwartige
Briickenkommissar, Herr Lindenthal, un-
serem Vereine in einer ungezwungenen
Plauderei ein Bild dessen, was deutsche
Ingenieurkunst und deutsche Ingenieure
in Amerika geleistet haben und noch lei-
sten. Er stellte vor allem der deutschen
Griindlichkeit, wie sie auf den techni-
schen Hochschulen Deutschlands gepflegt
und gelehrt wird, ein gutes Zeugnis aus
und wies auf die Eisenbahnen und
Briicken bin, bei deren Bau Deutsche in
hervorragender Weise tatig waren.
Nach dem Vortrage antwortete der Red-
ner auf eine Anzahl von Fragen, die sich
auf die bestehende und die im Bau be-
griffene Brooklyner Briicke bezogen.
Besonders interessierte sich Herr Kall-
witz fiir die Haltbarkeit der Brooklyner
Briicke, da er dieselbe taglich zweimal
zu passieren hat. Der Kommissar ver-
sicherte ihm, dass bei der gegenwartigen
Aufsichtsbehorde er nichts zu befiirch-
ten habe, ebenso wenig wie die 120 Mil-
lionen, die alljahrlich iiber die Brttcke
gehen oder befordert werden. H. Z.
III. Umschau.
New York. Einen gewaltigen Schritt
nach vorwarts hat der Schulrat von New
York durch seinen Beschluss getan, den
aeutschen Unterricht in dem achten
Grade der Volksschulen obligatorisch zu
machen, ihn also auf gleiche Stufe mit
den anderen Fachern des Lehrplanes zu
stellen. Dass dies freilich nicht genii-
gend ist, wenn der deutsche Unterricht
den Erfolg haben soil, den alle sich mit
demselben Befassenden erwarten, son-
dern dass er so friih als moglich — im
ersten Grade, ja im Kindergarten — zu
beginnen habe, haben die P. M. sowohl,
als die Lehrertage als Hauptforderung
auf ihrem Programm. Auch die Verei-
nigung der deutschen Lehrer New Yorks
vertritt einen ahnlichen Standpunkt, da-
von zeugt dieEingabe an denSchulratNew
Yorks, die ein bemerkenswertes Doku-
ment in dem Kampfe fiir unsere Sache
ist, und welcher wir von Herzen alien
Erfolg wiinschen. Die Petition des Ver-
eins hat folgenden Wortlaut:
"We are reliably informed that it is
your plan to confine the study of Ger-
man to the eighth school year of the
new curriculum. Relying upon this in-
formation the Association of the Teach-
ers of German has decided by an unani-
mous vote to petition your honorable
board to extend the instruction of Ger-
man over the last two school years at
least.
We highly welcome your plan of mak-
ing the instruction in this branch of
study obligatory, and of assigning to it
a daily period of forty minutes. But in
Umscbau.
189
reference to the proposed restriction of
the period of instruction we respectfully
invite your attention to the following
points :
First — A one-year plan for a modern
language in the elementary schools can-
not possibly provide for a course, defi-
nite, comprehensive in itself and fairly
independent of the high school curricu-
lum; a course elementary in character
and at the same time a hormonious unit.
Second — A large percentage of our
pupils, frequently for reasons beyond
their control, never reach grade 8 A,
where the teaching of a modern language
is to begin, according to the new plan,
and hence, say seventy-five per cent, of
the children desirous of receiving in-
struction in a modern language will be
deprived of this most valuable and ef-
fective means of mental training.
Third — It is the aim of the modern
language course in our high schools not
so much to impart a practical introduc-
tion and speaking ability of the new
tongue, as to acquaint the pupils broad-
ly with the grammatical structure and
the literary treasures of the foreign idi-
om. With elementary schools, on the
other hand, it is the admitted object to
emphasize the very element eliminated
from the secondary school course, viz.,
the practical instruction. Now it is
clear that the practical knowledge of a
foreign tongue, involving as it does a
speaking and writing ability, cannot be
acquired in one year, and can surely
never be gained if it is begun at the ad-
vanced age contemplated.
Fourth — The great importance justly
attached to the commercial department
of our high schools has found no better
expression than that their whole curri-
culum is so shaped as to equip young
men and women for the higher practical
pursuits of modern life and civilization.
In modern languages, too, the aim has
been rather to make it possible for the
students to speak and write, than to
merely convey to them a theoretical
Knowledge. No student of languages will
hold that this great aim of the commer-
cial departments can ever be attained
unless the foreign idiom is taught far
below the high school course and high
school age.
We feel that our petition to your hon-
orable board would be incomplete if it
did not contain our most earnest request
to place us on the same footing as the
other .special branches, such as manual
training, music, etc., by giving us a di-
rector for our special branch."
Der Schulrat von New York hat fur
die Wintersaison 1903 — 4 einen Vorle-
sungskursus in deutscher Sprache be-
schlossen, der vornehmlich fur Erwach-
sene bestimmt sein soil.
In West-Virginien ist ein Gesetz, wel-
ches den Schulzwang fordert, mit der
Begriindung verworfen worden, dass es
die Industrien Wheelings schadigen
wiirde, wenn diese auf die Kinderarbeit
in ihren Fabriken verzichten miissten.
Prof. Ernst A. Eggers, Vorsteher dea
deutschen Departements an der Staats-
universitat zu Columbus, O., beging am.
10. vorigen Monats Selbstmord. Er war
seit 1882 an der gen. Anstalt tatig.
Chicago. Unter vorziiglicher Begriin-
dung hat die Vereinigung der Schulprin-
zipale Chicagos um die Abschaffung aller
Schiilerpreise ersucht. Die Griinde deftir
sind folgende:
"While the prospect of a prize has no
effect upon the class as a whole, it acts
as a spur to the few who need rather a
curb.
The prospect of a prize at the end of
the year makes necessary the keeping of
very minute records, thus taking the
time and strength of the teacher from
tne work she is engaged to do, namely,
teaching.
It tends to awaken the spirit of envy
and jealousy among those near the head
of the class, making what snould be their
happiest days filled with bitterness and
spite."
Saginaw. Philipp Huber, Superinten-
dent des deutschen Unterrichts und Pro-
fessor des Deutschen an der Hochschule
zu Saginaw, ist vom Schulrate fiir das
Amt des Siiperintendenten der offentli-
chen Schule Saginaw (W. S.) auserse-
hen worden. Diese Stelle wird mit dem
1. Juli durch die Resignation des bishe-
rigen Inhabers vakant. Wir gratulieren
herzlich und wiinschen vielen Erfolg! —
D. R.
Preussen. Im Staatsvoranschlage fiir
1903 fordert die preussische Regierung
120,000 M, als erste Rate fiir die Welt-
ausstellung in St. Louis und begriindet
diese Forderung wie folgt: ,,Fiir die im
Jahre 1904 stattfindende Weltausstel-
lung in St. Louis ist eine, das Unter-
richtswesen aller ausstellenden Kultur-
nationen zusammenfassende Ausstellung
in besonders grossartigem Massstabe und
in einem eigenen Gebaude in Aussicht
genommen. Nachdem die Reichsregie-
rung die Einladung der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika zur
Teilnahme an der Weltausstellung ange-
nommen hat, wird angesichts des beson-
190
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
deren \Vertes, der von den massgebenden
Stellen auf die Beteiligung Deutschlands
an dieser Ausstellung gelegt wird, beab-
sichtigt, neben der Veranstaltung einer
Kunst und Gewerbeausstellung, die Lei-
stungen auf dem Gebiete unseres gesam-
ten Unterrichts- und Erziehungswesens
in geeigneter Auswahl und nach ihrem
neuesten Stande zur Veranschaulichung
zu bringen. Vorzugsweise wird es sich
darum handeln, das Werden und Wirken
der Universitaten und sonstiger Hoch-
schulen, sowie der damit im Zusammen-
hange stehenden wissenschaftlichen An-
stalten, einschliesslich der Bibliotheken,
in umfassender Weise vorzuffihren. Au-
sserdem wird aber in beschrankterem
Umfange auch das hohere und niedere
Unterrichtswesen durch geeignete und
mustergiiltige Darbietungen fiber die
Entwickelung und den gegenwartigen
Stand zu beriicksichtigen sein. Nach den
Erfahrungen der Unterrichtsausstellung
in Chicago 1893 wird es bei geeigneter
Heranziehung der gewerblichen Interes-
senkreise zur wirksamen und erfolgrei-
chen Durchf iihrung des Unternehmens —
Beschaffung von Ausstellungsgegenstan-
den, Transport und Versicherung der-
selben, Einrichtung der Ausstellung, Lei-
tung derselben etc. — eines Kostenauf-
wandes von rund 300,000 M. bedttrfen,
wovon fur das Rechnungsjahr 1903 als
erste Rate 120,000 M. bereit zu stellen
sind."
Die kleinste offentliche Schule im
Deutschen Reich wurde zu Ostern auf
der Hallig Nordstrandisch Moor im
schleswig-holsteinischen Wattenmeer er-
b'ffnet. Das Eiland, das die Staatsregie-
rung durch Dammbauten vor dem Unter-
gang zu bewahren sucht, hat im letzten
Jahrhundert stetig abgenommen. Dem-
entsprechend sank auch die Zahl der In-
selbewohner, und vor einigen Jahren
ging die Schule ein, da keine schulpflich-
tigen Kinder mehr vorhanden waren.
Der FOrsorge der Regierung ist inzwi-
schen die Landfestmachung der Insel
durch einen Verbindungsdamm gelungen.
Die Warf, auf der das Schulhaus steht,
wird wieder bewohnt, und ein geprilfter
Lehrer und zwei Schiller ziehen Ostern
ein.
Philipp Reis, der Erfinder des Tele-
phons, war bekanntlich ein Lehrer. Der
Frankfurter physikalische Verein, dem
Reis seinerzeit als Mitglied angehorte,
setzt ihm in Frankfurt ein Denkmal.
i>asselbe besteht aus einem Steinsockel,
auf dem sich die Biiste des genialen Er-
finders erhebt. Zu beiden Seiten des
Sockels sind zwei Knabenfiguren ange-
bracht, welche in telephonischer Unter-
haltung begriffen sind. Die Gartenlaube
bringt in ihrer Nr. 9 eine Abbildung des
Denkmals.
Die Zahl der Deutschen in Europa
wird im Lehrbiichlein der vergleichenden
Zahlenkunde von Beringer in Berlin auf
68 Millionen geschatzt. Die Zahl erreicht
76,536,000, wenn man die Hollander und
die Vlamen hinzuftigt. Davon kommeu
auf Deutschland 52,113,000, Osetrreich
8,662,000,Ungarn 2,133,000 (eher mehr),
Bosnien 80,000, Schweiz 2,083,000, Russ-
land 2,000,000,Holland 5,094,000, Belgien
3,420,000, Frankreich 500,000, England
100,000.
Greifswalder Ferienkurs. (X. Jahr-
gang. ) Der heurige Kurs findet an der
Universitat Greifswald vom 13. Juli bis
1. August statt und zwar ffir Lehrer und
Lehrerinnen. Die Vorlesungen werden
an den Wochentagen ausser Donnerstag
(mit wenigen Ausnahmen) nur vormit-
tags gehalten. Am Schlusse des Kurses
werden itesuchsbescheinigungen ausge-
stellt. Die Begrussung fallt auf Sonn-
tag, den 12. Juli, halb 9 Uhr abends
(Aula des Gymnasiums). Gemeinschaft-
hche Ausfliige an die Ostseekiiste und
nach der Insel Riigen. Fur Wohnungen
findet sich eine Auskunftsstelle auf dem
Bahnhofe. (1 Zimmer 18—25 M. wo-
chentlich — bei voller Pension, ohne
Pension 5 — 10 M. Auskunfte erteilt un-
ter der Adresse ,,FerienkurseGreifswald"
Prof. Dr. Bernheim in Greifswald,
Brinkstr 71, I.
Bucherschau.
I. Biicherbesprechungen.
Ludwig Fulda. Der Talisman. Dra-
matisches Marchen in vier Aufzttgen.
Edited with introduction and notes by
Edward Stockton Meyer, Ph. D. New
York, Henry Holt and Co., 1902. XLI+
171 Ss.
Fuldas Talisman erschien in der Buch-
ausgabe zuerst 1892 und ging im Febr.
1893 zum erstenmale fiber die Bretter.
Welche Buhnenerfolge das Stfick in den
ersten Jahren seines Daseins erzielt hat,
ist mir unbekannt; angesichts des Um-
standes jedoch, dass es nach Breitkopf
und Hartels deutschem Spielplan inner-
Bttcberbesprecbungen .
iialb der letzten drei Jahre insgesamt
nur fiinfzig Auffiihrungen erlebt hat und
ebenda unter des Verfassers Dramen je-
weils erst an vierter bis neunter Stelle
genannt wird, erscheint mir die sowohl
in Meyers als auch in Prettymans (vgl.
P. M. Ill, S. 360) Ausgabe enthaltene
Darstellung, der Talisman sei Fuldas be-
deutendsterBiihnenerfolg, recht befremd-
lich. Desgleichen mochte ich Prof. Mey-
ers Angabe iiber den Einfluss des Stiik-
kes auf Hauptmann und Sudermann
ernstlich in Zweifel ziehen; mir wenig-
stens will die Annahme, die Versunkene
Glocke sei mit dem Talisman geistesver-
wandt und direkt unter dessen Einfluss
entstanden, ganz und gar nicht einleuch-
ten; das Marchenspiel lag damals sozu-
sagen in der Luft und war der naturge-
masse Riickschlag gen den (ibertriebenen
Wirklichkeitskult. Zudem ist der Talis-
man gar kein Marchendrama im Sinne
der Versunkenen Glocke; und die Be-
zeichnung ,,Dramatisches Marchen" ist
iiberhaupt kaum angebracht fur ein
Stiick, das abgesehen von dem Glauben
eines ganzen Volkes an die Moglichkeit
der Herstellung eines unsichtbaren Ge-
wandes keinerlei Marchenelemente ent-
halt. Der zugrundegelegte Stoff ist eine
in den Motiven vertiefte Eulenspiegelei,
ein Schwank; zum Marchen konnte ihn
erst die wirkliche Herstellung des Klei-
des mit den wunderbaren Eigenschaften
machen.
Ein kostliches Stiick aber ist der Ta-
lisman, und die ihm auf der Textliste
aes Zwolferausschusses zugewiesene Stel-
le verdient er. Nur will es mir scheinen,
als ob Prof. Meyer in der an und f iir sich
Ib'blichen Herausgeberbegeisterung die
Bedeutung des Stiickes und damit auch
die Stellung seines Verfassers weit iiber-
schatzt hatte. Und eine Einleitung von
42 Seiten — da wir ihres Inhaltes wegen
billigerweise auch Vorwort und Anhang
dazu zahlen milssen — ist, selbst mehr-
fache wortliche Wiederholungen abge-
rechnet, fiir den Talisman zu umfang-
reich.
Gar nicht befriedigt hat mich die Dar-
stellung der politischen Satire im Talis-
man, tfberhaupt diinkt es mich zweifel-
haft, ob in einer amerikanischen Schul-
ausgabe bei der hierzulande mannigfach
verbreiteten irrigen Ansichten iiber den
Karakter KaiserWilhelms II. diese ganze
Darstellung nicht besser unterlassen oder
wenigstens mit ein paar Worten abgefer-
tigt worden ware. Dass das Stiick, das
ich ohne Kenntnis der Zeit und Geschich-
te seiner Entstehung gelesen hatte, eine
Satire fcuf Kaiser Wilhelm sein sollte,
-erfuhr ich erst aus Prof. Meyers schnei-
diger Verurteilung der Prettyman'schen
Ausgabe (Modern Language Notes 1902,
col. 436 ff. ) und der Einleitung zu seiner
eigenen. Ich kann nicht laugnen, dass
mir diese Auffassung, deren Richtigkeit
ich ja keineswegs bestreite, bei wieder-
holtem Lesen den Genuss griindlich ge-
stort hat. Nicht etwa, als ob ich als
besonderer Verehrer Sr. Majestiit dem
Dichter das Vergniigen missgonnte, die
Person des Monarchen in die Diskussion
zu ziehen, ohne mit dein Staatsanwalt
in Konflikt zu kommen. Aber ich kann
den Gedanken nicht los werden, mit
Omar sei am Ende gar Herbert Bismarck
gemeint — und Omar passt auf Herbert
und Gandolin auf den grollenden Ein-
siedler im Sachsenwalde wie die Faust
aufs Auge. Und so iiberhebend wie die-
ser Astolf der ersten drei Aufziige war
der Kaiser nicht einmal in dem Augen-
blicke, da er das bekannte Lex suprema
regis voluntas ins Goldene Buch eintrug.
Sollte iibrigens die Karakterentwicklung
Kaiser Wilhelms an dem abnehmenden
Biihnenerfolge des Talisman schuld sein,
so ware das ein vorziigliches Beispiel
dichterischer oder vielmehr geschichtli-
cher Gerechtigkeit. — Was mir an Mey-
ers Darstellung unverzeihlich vorkommt,
ist ein Ausdruck wie,,the stolid stubborn-
ness of brutal violence" mit bezug auf
den eisernen Kanzler; das klange schon
in einer politischen Brandrede anstossig
und gehort nicht in ein Schulbuch. Dass
vers 239 — 41 (,,Und Gandolin, der nie
geschont sein Blut, der in dem Kampfe
mit den Heiden einst uniiberwindlich war
geblieben") fiir den deutschen ,,Hass"
gegen die Franzosen karakteristisch sei,
kommt mir auch merkwiirdig vor; si-
cherlich wird kein unbefangener Zu-
schauer oder Leser aus dem Worte ,,Hei-
den" eine Schmahung der Gegner von
1870 heraushoren; so etwas heisst den
Bogen allzu straff spannen. Und denkt
sich Prof. Meyer die nachste Umgebung
des deutschen Kaisers im Ernste aus sol-
chen Schurken und Speichelleckern zu-
sammengesetzt, wie S. XXXII es vermu-
ten lasst? — Die Behauptung, seit den
Tagen des Aristophanes habe die Biihne
nie wieder solch eine scharfe politische
Satire gesehen als der Talisman, ist zum
mindesten iibertrieben; gegeniiber Beau-
marchais' Figaro und Augiers Le Fils de
Giboyer ist FuldasDrama ausserst zahm,
und an tiefliegendem Einfluss kann es
sich mit beiden entfernt nicht messen.
In noch einem Punkte kann ich mich
mit Prof. Meyers Behandlung des Stoffes
nicht befreunden, und das ist die Art,
wie er iiberall im Drama Beziehungen zu
anderen Literaturwerken aufzudecken
sucht. Derartige Einfliisse, offenkundig
oder versteckt, zu verfolgen scheint nach-
192
P'ddagogiscbe Monatshefte.
gerade zum guten Ton in literarischen
Arbeiten aller Art zu gehb'ren, kann aber
doch nur in den Handen wenig Berufe-
ner fruchtbar und segensreich werden.
In Meyers Ausgabe mochte ich den gan-
zen langen Paragraphen auf S. XXXV f.
gestrichen sehen. Zum grossten Teile
sind die daselbst angezogenen Parellelen
(aus Grillparzer, Leasing, Schiller, Goe-
the, Sudermann, Shakespeare, Kleistund
Richard Wagner) ohnenin In den Anmer-
kungen fast wortlich wiederholt; und
einige derselben sind mit Gewalt in das
System eingepresst. Wozu soil man zur
Erklarung der Worte des alten Habakuk
Z. 194: ,,Die Sorge? Nein, die kommt
ihm nicht heran" (als Antwort auf
Omars ,,Meinst du, der Konig kennt die
Sorge nicht?") die vier grauen Weiber
aus Faust il, 11,384 ff., beschwb'ren und
budermanns ,,Frau Sorge, die graue, ver-
schleierte Frau" an den Haaren herbei-
schleppen? Wer da litterarische Ein-
fliisse wittert, konnte ebensogut einem
deutschen Bauer, in dessen Mund Haba-
kuks Rede Wort fur Wort keineswegs
auffiele, eine intime Bekanntschaft mit
dem zweiten Teil des Faust zutrauen.
Geradezu geschmacklos aber ist es, bei
Habakuks Flehen um Schonung Ritas
auch nur entfernt an Tells ohnmachtig
flehend Ringen vor Gessler erinnern zu
wollen; die beiden Szenen haben nicht
das Geringste gemeinsam. Dadurch wird
ein an sich wertvoller und fruchtbarer
Gedanke zu Tode gehetzt und eine be-
rechtigte, massvolle Vergleichung in Ver-
ruf gebracht.
Zu den Anmerkungen hatte ich nur we-
nig zu sagen. Im Personenverzeichnis
sind die Namen Berengar (deutsch) und
Diomed (griechisch) als orientalisch (d.
h. doch wohl arabisch, persisch oder in-
disch) angegeben; auch Astolf scheint
germanischen Ursprungs zu sein. Z. 165:
Die aus Grillparzer angefuhrte Stelle
steht daselbst in ganz anderm Zusam-
menhang; Beeinflussung scheint ausge-
schlossen. — Z. 555 und 1801 : Die bos-
hafte Anspielung auf die vielen hundert
Kleider passt ebensogut auf einen andern
europaischen Monarchen, den Abgott der
amerikanischen Stutzer. — Z. 639: Wenn
schon verwandte Dichterstellen beigezo-
gen werden mussten (was hier wieder
ganz unnb'tig war), so war auch einVer-
weis auf Lessings Nathan, Z. 1889 f.,
angebracht. — Z. 912. Sprach man von
der Ahnlichkeit zwischen Gretchen und
Rita (beilaufig, ist Rita nicht die Abkiir-
zung von italienisch Margherita ? ) , so
musste man auch mit einem Worte die
grundverschiedene Karakteranlage der
beiden beruhren. — Z. 1069 ff.: Die Stelle
aus Grillparzer, Der Traum ein Leben,
Z. 1629 (1639 ist Druckf ehler ) , ist wie-
der aus dem Zusammenhang gerissen.
Eher scheint mir eine Erinnerung an das
altbekannte Marchen vom falschen Prin-
zen vorzuliegen, wo der Betriiger sich ge-
rade dadurch entlarvt, dass er mit Na-
del und Schere umzugehen versteht. —
Z. 1080: Schwerenot ist grundfalsch er-
kliirt; siehe Pauls deutsches Worterbuch.
— Z. 1275: Der hier gegebene Ausspruch
Ludwigs XIV. ist mir unbekannt (le in
diesem Zitat ist Druckfehler f iir la) ;
meint der Herausgeber nicht das beruhm-
te ,,L'Etat c'est moi"? — Z. 1597: Die
betreffenden Parteien kennt man als die
Rechte und Linke (nicht: Rechts und
Links ) . Mit der Linken sind aber ge-
wiss nicht die Liberalen, sondern die frei-
sinnige, die Fortschritts- und die sozial-
demokratische Partei gemeint. — Z.
1894: stiirbe, wiirbe, wtirfe u. s. w. sind
keineswegs am Aussterben, sondern die
Regel. — Z. 1915: Das Morgen ist na-
tiirlich kein ,,angenommener aber nicht
existierender Infinitiv", sondern das sub-
stantivierte Zeitadverb, wie schon ein
Blick auf das ewige Gestern in Z. 1917
zeigt; iibersetze: the morrow. — Fiir un-
notig halte ich die weitschweifigen Eror-
terungen in den Anmerkungen zu Z. 420,
806 und 1437. — Der S. VIII, Z. 4 be-
ginnende Satz ist ohne Anpassung an
das neue Jahrhundert unverandert aus
einem friiheren Aufsatze des Herausge-
bers heriibergenommen worden.
Druckfehler habe ich ausser den schon
bezeichneten an folgenden Stellen ver-
merkt: S. XVI, Z. 13 lies Nietzsche;
XXIX, 19 1. deceive; XXXVII, 8 1. impos-
sibilities; XXXIX, 10 v. u., 1. exhilarate;
Z. 39, 1. wir; Z. 1903, Punkt nach ver-
lassen; S. 149, Z. 14, 1. wiirde; 153, 10
v. u., 1. villain; 157, 9 v. u., 1. neidge-
sch well ten; 160, 12 v. u., 1. geliebet.
Die Ausstattung des Buches lasst
nichts zu wiinschen ubrig.
University of Wisconsin.
Edwin C. Roedder.
II. Eingesandte Biicher.
An Introduction to the History of
Western Europe by James Harvey Rob-
inson, Professor of History in Columbia
University. Ginn & Co., Boston. 1903.
Chemical Exercises for Class Room
and Home Study. By Rufus P. Willi-
ams, Teacher of Chemistry in the Eng-
lish High School, Boston, and Author of
Elements of Chemistry, Chemical Expe-
riments, etc. Boston, Ginn & Co. 1903.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das detitschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Jahrgang IV. Junl 1903. Heft 7
Ferienzauber-Wandergliick.
,,Hurrah, die Schule ist nun aus",
Ruft laut die Kinderschar.
Nun wandern in das Land hinaus
Magister und Scholar.
Die liebe Sonne scheint so hell,
Der Vogel singt sein Lied,
Es murmelt traulich jeder Quell,
Und alles grunt und bliiht.
Und alles scherzt und singt und lacht
Und jauchzt aus voller Brust,
Und ehe Du es Dir gedacht,
Erfasst Dich gleiche Lust.
Du schwingest jubelnd Deinen Hut
Hoch in die blaue Luf t :
,,O Gott, wie tut das Wandern gut
Bei Sang und Bliitenduft."
Drum wandre, wer nur wandern kann,
Ins grime Land hinaus :
Du kehrst, o lieber Wandersmann,
Als neuer Mensch nach Haus.
Edward Muellr-Langfuhr.
Nationaler Deutschamerikanischer Lehrerbund.
Aufruf zur Beteiligung an der 33. Jahresversammlung in Erie, Pa.,
30. Juni, 1. 2, und 3. Juli 1903.
(Offiziell.)
Zum erstenmale seit dem Bestehen des Lehrerbundes findet unsere
Jahresversammlung in Erie statt. Fur die Vortrage sind tuchtige
Krafte gewonnen, und der Ortsausschuss wird alles tun, was er vermag,
um den Besuchern den Aufenthalt in unserer Stadt zu einem angeneh-
men zu machen.
Erie ist fur eine Konvention ausserordentlich giinstig gelegen;
denn es ist vom Osten sowohl als auch vom Westen leicht zu erreichen.
Die Stadt bietet mit ihrer ,,Presque Isle Bay" mancherlei Erinnerun-
gen an historische Ereignisse. Das Klima ist daselbst auch im Hoch-
sommer ein angenehmes, und fur die Bequemlichkeiten der Gaste wird
in Erie wohl gesorgt werden.
Man findet hier ein kraftiges, gesundes Deutschtum, und die Pflege
der deutschen Sprache in der Volkschule erfreut sich eines gliicklichen
Gedeihens.
Wir richten an alle Lehrer und Freunde der deutschen Sprache
und des deutschen Unterrichts die dringende Bitte, den Lehrertag recht
zahlreich zu besuchen; nur dann konnen wir Erspriessliches leisten.
Vieles ist schon geschehen, aber es bleibt noch manches zu tun iibrig.
Alle Anfragen bittet man an den Prasidenten des Lehrerbundes zu
richten.
Der Bundesvorstand.
G. G. v. d. Groeben, President, Erie High School, Erie, Pa.
Die Deutschen Eries sehen mit Freuden dem Besuche des Lehrerbun-
des in ihren Mauern entgegen.
Die deutsche Sprache und das deutsche Lied haben hier eine wahre
Heimstatte gefunden, und die Anwesenheit so vieler Mitkampfer auf die-
sem Gebiete wird uns mit neuem Mut und neuer Begeisterung im Kampfe
fur die Erhaltung der teuren Muttersprache erfiillen.
Wir Deutsche hier werden tun, was in unsern Kraft en steht, den Be-
suchern den Aufenthalt so angenehm zu machen, dags alle sich mit Ver-
gniigen dieser Stunden erinnern werden.
Die zentrale Lage Eries, sein schones Klima im Sommer machen es
zu einer ausserordentlich giinstigen Konventionsstadt, und wir hoffen,
recht viele Gaste bei uns begriissen zu konnen.
Der Ortsausschuss.
G. Gorensto, Vorsitzer.
E. Lohse, Sekretar.
Nationaler Deutscbamerikanischer Lebrerbund. 195
Program m.
Dienstag, 30. Juni.
Abends 8 Vhr — Eroffnungsfeier in der Mannerchorhalle (State Str.)
Begriissungsansprachen des Vorsit/enden des Ausschusses, des Biirgermeistera
und verschiedener Mitglieder der Schulbehorde. Gesang des Mannerchors.
Eroffnung des Lehrertages durch den Bundesprasidenten. Gemtttliche
Unterhaltung in den Raumen de Mannerchorhalle.
Mittwoch, 1. Juli.
Vormittags 9 Uhr. — Erste Hauptversammlung. Samtliche Hauptversammlungen
linden im Auditorium der Hochschule (10. und Sassafrasstrasse, Eingang
von der 10. Strasse) statt.
1) Geschaftliches. (Berichte der Beamten. Erneuerung und Erganzung von
Ausschiissen) .
2) Vortrag: Die Realien im deutschen Sprachunterricht — Prof. Ernst Wolf,
High School, Saginaw, Mich.
3) Bericht der Seminar-Priifungskommission.
4) Vortrag: Unsere Normalschulen und einige Vorschlage . zu ihrer Verbesse-
rung — Prof. J. Barandun, Pittsburg, Pa.
Nachmittags — Besuch der Bibliothek des Soldatenheims und einiger anderer Se-
henswiirdigkeiten.
Abends — Sommernachtsfest. Grove House Park am Seeufer.
Donnerstag, 2. Juli.
Vormittags 9 Uhr — Zweite Hauptversammlung.
1 ) Geschaftliches.
2) Vortrag: Deutsche Frauenschriftstellerei von gestern und heute — Prof.
Otto Heller, Ph. D., Washington University, St. Louis, Mo.
3) Etwaige Komiteeberichte.
4) Vortrag: Das deutsche Volkslied in der Volksschule — Frau Mathilde
Grossart, Case School, Cleveland, O.
Nachmittags : Ausflug.
Abends 8 Vhr, im Auditorium der Hochschule: Musikalisch-literarische Abendun-
terhaltung unter giitiger Mitwirkung des Mannerchors und des ,,Glee Clubs"
und ,,Girls' Chorus" der Hochschule. Festrede: Die deutschamerikanische
Dichtung — Dr. H. H. Fick, Cincinnati.
Freitag, 3. Juli.
Vormittags 9 Uhr — Schlussversammlung .
1 ) Geschaftliches.
2) Vortrag: Ein Bruch mit der tfberlieferung — August Prehn, Ph. D., Co-
lumbia Grammar School, New York.
3) Vortrag : The Direct Method as a Basis for Literary Interpretation.— Prof.
W. W. Florer, Ph. D., University of Michigan.
4) Berichte der verschiedenen Ausschiisse.
5) Vorstandswahl.
6) Vertagung.
Nachmittags — Besichtigung der Stadt.
Abends — Abschiedskommers in der Mannerchorhalle.
N. B. — In dem Nachmittags- und Abendprogramm konnen eventuell kleinere
Veranderungen eintreten.
196 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
Einquartierung : Die beiden gr5sseren Hotels in Erie sind das ,,Reed House"
($2 — $4) und ,,Libell House" ($2, mitBad $2.50). Das erstere Hotel ist ganz neu
renoviert und kann 300 und mehr Gaste unterbringen ; das letztere 100 — 150. Von
kleineren Hotels sind zu empfehlen: Park View Hotel, 30 — 40 Personen ($1.50) ;
Wilson House, National Hotel und Moore House ($1.50 — $2).
Alle Anfragen bitte zu richten an:
G. G. v. d. Groeben, P. O. Box 35, Erie, Pa.
Mit den Eisenbahnen ist kein allgeraein giiltiges Abkommen getroffen worden,
da die Erfahrung gelehrt hat, dass die einzelnen Delegationen von ihren Eisenbah-
nen billigere Fahrpreise erhalten konnen, als sie der Bundesvorstand auszuwirken
vermag. Doch ist anzuraten, sich von ihren Eisenbahnen ein Zertifikat ausstellen
den Besuchern lassen, um wenn moglich, doch noch eine Reduktion des Fahrpreiseg
auswirken zu konnen, wenn 100 solcher Zertifikate zusammenkommen.
Am vierten Juli gehen von Erie aus nach den Niagaraf alien Extraziige, auf welchen
die Fahrkarte fiir Hin- und Riickfahrt $1.75 kostet.
An die Chicagoer Kollegen und Kolleginnen, die sich an dem Lehertage beteiligen
wollen, richtet Herr M. Schmidhofer (601 Newport Ave., Chicago, 111.,) die Bitte, mit
ihm sich beziiglich der Aufstellung eines gemeinsamen Reiseplanes in Verbindung
zu setzen.
An die Mitglieder des
Nationalen Deutsch amerikanischen
Lehrerseminar - Vereins.
Die regelmassige Generalversammlung des ,, Nationalen Deutsch-
amerikanischen Lehrerseminar- Vereins" findet am
Freitag, den 26. Juni 1903, vormittags 9 Uhr,
im Seminargebdude (558-568 Broadway) statt.
Ausser den gewohnlichen Routinegeschaften liegt die Erwdhlung
•von 5 Verwaltungsrdten auf 3 Jahre an die Stelle von C. C. Baumann,
Davenport, — C. O. Schonrich, Baltimore, — Hermann Lieber, Indian-
apolis,— Albert O. Trostel und Albert Wallber, Milwaukee, vor, deren
Amtszeit mit dem Schluss der Generalversammlung zu Ende geht,
sowie die Wahl eines Verwaltungsratsmitgliedes auf 2 Jahre an Stelle
von Henry Mann, welcher resignierte.
Die regelmassige Versammlung des Verwaltungsrats findet am 25.
Juni d. J., nachmittags um 4- Uhr, in Seminargebdude statt.
Milwaukee, Wis., 4 Mai 1903.
Der Vollzugsausschuss des N. D.-A. Lehrerseminar- Vereins :
Louis F. Frank, Prdsident,
Albert Wallber, Sekretdr.
The Educational Value of Modern Languages.
A Paper Written for the California High School Association.
By Valentin Buehner, Teacher of Modern Languages,
High School, San Jose, Cal.
In his lecture on the study of modern languages before the Modern
Language Association in 1889, James Russell Lowell says that before
1808 there was at Harvard University no regularly appointed tutor in
French, but a stray Frenchman was caught now and then, and kept as
long as he could endure the baiting of his pupils. If he failed as a
teacher, he commonly turned dancing master. By hook or by crook some
enthusiasts managed to learn German, but there was no official teacher
until about 1825, when Dr. Follen was appointed. Another old Harvard
student relates that it was with no little difficulty that a volunteer class
of eight was formed. They were looked upon with very much the amaze-
ment with which a class in some obscure dialect of the remotest Orient
would now be regarded. But to-day, all this has changed. There are
now at Harvard University more professors and assistants employed in
teaching modern languages than there were students of them when these
men attended college.
Many causes have worked together to bring about this change. Mod-
ern inventions, such as the railroads, steamships and the telegraph have
annihilated distance. The immense progress in the manufacturing indus-
tries has made it desirable to enter the markets of the world. The unusual
activity in all departments of science and learning has made it necessary
to knew the chief European languages, so as to be in closer touch with
the new discoveries and theories that are continually advanced by the
scholars of the various nations. Not the least cause, however, of the
greater esteem in which the modern languages are held, has been their
being themselves raised to a higher level through the investigations and
achievements of modern philology. While before the great labors of
Grimm and others, only the classical languages were considered worthy
of the attention of scholars, it has since then been found that in the
modern languages, philology first gathers its real blossoms and fruits.
The growth of the languages could only then be traced to its ultimate
conclusions, when the modern languages were made the starting point as
well as the culminating point of philological investigations.
The question immediately before us to-day is, what claim have the
modern languages to be made an integral part of the secondary school
198 P'ddagogische Monatshefte.
course? Our commercial age clamors for a practical education, an edu-
cation that will assist the student to enter the race in the struggle for
existence with a chance to compete successfully with his fellow-compet-
itors. In my opinion, the schools should not too readily yield to this
clamor, but should rather assume a conservative attitude; for it is they
that link the present to the past as well as to the future. They should,
therefore, look farther than the immediate demands of the present time.
They cannot make it their object primarily to turn out artisans, or
artists, or scholars, or professional men, but they must direct their efforts
toward producing all round human beings, educated up to the culture of
the present day. The education for special callings must follow the
general training.
It is remarkable, however, how few of the patrons of our schools look
at education in this way. With them, the "bread and butter" question is
the most important and demands recognition. The interest which the
common man takes in education, especially in this country with its
democratic institutions, has gradually caused the schools to come in
closer touch with actual life. It is, therefore, desirable that the subjects
taught at school should have a practical as well as an educational value.
The modern languages answer these requirements in an eminent de-
gree. They give the student a valuable linguistic discipline by making him
compare the idioms and constructions of his own language with those of
the foreign tongue. They open up to him a beautiful literature and the
thoughts and sentiments of another race, and thus enrich his own soul
and intellect. They make him more broad minded by teaching him that
there are other races who have fought the battle of existence and of
civilization outside of his own, and that there are other nations beyond the
confines of his own who have written pages of history.
Of the practical side we need say little here. The commercial spirit
which has entered the lists of the world in the conquest of new markets
takes care of that. We will only say that the professors in our univer-
sities find it necessary to direct their students to study the modern
languages, if they would do the best work in their different depart-
ments.
With the growing importance of the modern languages, there has
taken place a corresponding development in the methods of teaching
them. At first they were taught either without any system whatever,
merely with the object of learning to speak them, or they were taught in
the same manner as the dead languages. Then there were the adherents
of the "natural method," who promised to make the learning of the lan-
guage as pleasant and as facile as the child learns its mother tongue. But
by this method, only superficial results were produced.
The Educational Value of Modern Languages. 199
In Europe, the advocates of the phonetic method have found many
followers within the last few decades.
But of late there has been a revulsion from all of these special meth-
ods. It is now recognized by the most advanced educators, that the
study of a foreign language must at the same time furnish linguistic
discipline, i. e., it must give the student a better command of his own
mother tongue. The severe drill of the ancient languages must be com-
bined with the advantages which the modern languages offer as such.
To this end, the grammatical laws of the language are made the basis
of instruction; with this is combined drill in the spoken language; the
student is introduced into the foreign literature as early as possible, and
his literary taste is appealed to and developed ; he is made acquainted with
the manners and customs of the people whose language he studies by being
brought in direct contact with their modes of feeling and thinking; all
kinds of helps, such as illustrations, maps, etc., are used to enliven the
instruction; in short, "Let there be Life!" is made the watchword, in
order that the student's interest may be aroused to the highest pitch ; for
it is recognized that interest is the soul of pedagogy, but not the least
important of all, his conception of the human race is broadened by making
use of the achievements of modern philology; the history of words and
their changes in form and meaning are occasionally brought to his atten-
tion, the close relation existing between English and other European
tongues is made clear, and he learns the important fact that language is
not something dead and petrified, but that it is a living and ever growing
organism.
These are, in brief, some of the aims of modern language teaching,
and it is apparent that such teaching and such learning possess a high
disciplinary value. But to teach the languages with such results, we need
competent teachers. It is only too true that in the past the modern lan-
guages have too often occupied the position of a step-child in the school
course. Any one that could speak a few words in the foreign tongue, or
had acquired it by some lightning process, perhaps in a six weeks' course,
or had taken it a year or two at the university, was considered good
enough to teach the class. On the other hand, no other teacher is so
readily criticized as the teacher of modern languages. Anybody that has
a smattering of the language or knows some dialect of it, considers him-
self called upon to find fault with the teacher's accent, and everybody
claims to know much better than the teacher by what method he should
teach. What we need, then, is teachers who are masters of their subject,
who have a thorough knowledge not only of the grammar of the lan-
guage, and who can speak it, but who also have a good literary and
philological training, as well as a liberal education in other branches. Such
teachers will not be easily swayed by criticism, for they know what they
200 P'ddagogiscbe Monatshefte..
want, and they are confident that the results of their teaching will be
generally satisfactory in the end.
Some of the arguments advanced in favor of the study of foreign lan-
guages apply as well to the study of the ancient languages. But we
think that the modern languages have a few advantages over the ancient
languages, from an educational as well as from a practical standpoint.
They come nearer home; we find in them modern life and modern ideas
brought down to the present day and not a life and ideas removed from us
by thousands of years ; they are more or less similar in construction, and
very much simplified as compared with the ancient languages, and for
that reason, because we proceed from the nearer to the more remote, the
student makes better progress in them and sooner obtains actual results.
The argument that Latin should be studied before the modern lan-
guages because it makes the acquisition of the latter easier, is unpedagog-
ical, for it causes the pupil to proceed from the more complex to the
simpler. It often happens that, on account of the wide gap existing be-
tween English and Latin, the student is discouraged and abandons all
language study forever. A modern language is a much better and more
reasonable introduction to Latin than vice versa. This is recognized in
the secondary schools of Europe, where the tendency is to begin with
a modern language, and it has been found that, under those circum-
stances, as much is now accomplished in Latin in six years as formerly
in eight.
It is to be regretted that the study of modern languages is not more
encouraged by our State University, but on the contrary is discouraged
by discriminating in favor of the ancient languages. The present en-
trance requirements compel smaller high schools who can afford
to teach but one foreign language, to decide upon Latin, in order to enable
their graduates to enter the chief departments of the university, when
a modern language would be of much greater benefit to the majority of
the students, and much more acceptable to the community. Some of
the eastern universities have for these and other reasons removed Latin
from the list of subjects prescribed for admission. We representatives
of modern culture ask nothing unreasonable ; all we ask is, that the mod-
ern languages be given a fair chance, and that they be placed on an
equal footing with the ancient languages, and we are confident that the
relation between them will in time adjust itself.
In conclusion I wish to refer to a conference of principals and teachers
of secondary schools which has recently been held in Cleveland, Ohio,
and which has adopted the following recommendations: The triennium
should be made the basis of the school system ; the primary and grammar
schools should consist of three years each; then there should be a lower
and an upper high school of three years each; the college course giving
Arno Hol{. 201
the degree of A. B. should be three years ; special studies and post-gradu-
ate work should then be pursued for three years more, leading up to
the degree of Ph. D. (The secondary schools of France have recently
been re-organized on the same basis.) The conference further recom-
mends that a modern language should be begun in the first year of the
lower high school, and Latin in the third ; Greek should be taught at the
college. These seem to be very good suggestions, and it seems desirable
that we should work toward the end of obtaining such a well organized
educational system.
I close with a plea that the modern languages be given a proper
place in the school course, and that they be put in the hands of teachers
who are well prepared for their work, and we are confident that they will
win for themselves the position which they by rights ought to occupy.
Arno Holz*.
(Fttr die Padagogischen Monatshefte.)
Von O. E. Leasing, Ph. D., Smith College.
(Fortsetzung und Schluss.)
War Arno Holz bis dahin ein ,,naiv schaffender" Ktinstler gewesen, so schien
er sich jetzt in theoretischen Spekulationen verlieren zu wollen. Er ging daran,
sich durch den Berg der bestehenden Asthetik durchzuarbeiten, um in das gelobte
Land der wahren Kunst zu gelangen. Er wurde Stammgast in der Bibliothek. Er
studierte sowohl Aristoteles, Leasing und Winkelmann, als Mill, Comte, Spencer,
Taine und Zola. Man hat in diesem seinem Theoretisieren eine Schwache ktinstleri-
acher Veranlagung sehen wollen. Sehr mit Unrecht. Gerade die bedeutendsten
Klinstler sind in ihrer Entwicklung immer an einen Punkt gekommen, wo sie sich
tiber ihr Schaffen Rechenschaft gaben, wo sie sich durch theoretische Studien die
Grundlagen zu reicherer Tatigkeit zu bauen suchten: Lionardo da Vinci, Albrecht
Dtirer, Schiller, Goethe, Hebbel, Ludwig, um nur einige zu nennen.
In einem ausserordentlich anschaulich geschriebenen Buch — Die Kunst, Ihr
Wissen und Ihre Gesetze, Berlin 1891, II. Heft 1892 — hat Arno Holz erzahlt, wie
er die Wahrheit suchte, und wie er endlich sein neues Kunstgesetz fand. Im Wi-
derspruch gegen Zola erreichte er nach heissem Bemiihen das Ziel. Hatten die Ge-
briider Hart in ihren Kritischen Waffengangen den Versuch Zolas, den Roman ,,wis-
Benschaftlich" zu machen, angegriffen und erklart, der Romandichter Zola sei immer-
hin ein Stern, der Theoretiker hochstens ein Nebelstern, so drang Arno Holz tiefer.
Er wies nach, dass von Zolas Theorie das Richtige Taine angehore, und nur das Ver-
kehre Zolas alleiniges Eigentum sei. Nicht, die Kunst zur Wissenschaft zu machen,
gait es, sondern die Wissenschaft der Kunst zu finden. Taine hatte mit der Er-
* ) In dem ersten Teile dieses Artikels, der im Maihef te der P.M. erschien, ist ein
sinnentstellender Druckfehler stehen geblieben. Auf Seite 180 muss es in der ftinf-
ten Linie des dritten Abschnittes statt ,,Lieder eines Narren" — Lieder eines Moder-
nen heissen.
202 P'ddagogiscbe MonatsbeJU.
kenntnis, dass jedes Kunstwerk aus seinem Milieu resultiere, die Kunst in die Ge-
samtentwicklung der menschlichen Kultur hineingestellt. Damit liess sich die be-
reits vorhandene Kunst erklaren, aber nichts iiber ihre kiinftige Entwicklung vor-
hersagen. Es handelte sich also einfach darum, das Naturgesetz zu finden, dem die
Kunst als eine existierende Tatsache, als eine Erscheinung im Universum, wie jede
andere Erscheinung, unterworfen war. Statt an die Kunst kategorische Forderun-
gen zu stellen: so und so muss und soil es sein, suchte Arno Holz nach der Formel,
die alle bisherige Kunstausiibung in sich schloss, und die alle kiinftige mit anna-
hernder Genauigkeit voraus bestimmen liess, wie den Lauf eines Planeten.
Eine Betrachtung seiner eigenen Schb'pfungen, wie der anerkannten Kunst-
werke, ergab nun den Schluss, dass stets eine Lucke klaffe zwischen dem von dem
Kiinstler Gewollten, d. h. seinem Vorstellungsbild von der Natur, und dem wirklich
Erreichten. Andererseits war immer das Streben des Klinstlers sichtbar, seinen Ge-
bilden die ttberzeugungskraft, die Wahrheit alien organischen Lebens zu geben. An-
ders ausgedriickt: die Kunst hatte die Tendenz wie die Natur zu wirken, Natur
zu sein. Ferner ergab die Betrachtung der kompliziertesten und der primitivsten
Kunstwerke, dass jene Lucke umsoviel kleiner wurde, je vollkommener die Reproduk-
tionsbedingungen, die technischen Mittel war en, und je vollkommener sie gehand-
habt wurden. Arno Holz stellte also den bereits angefiihrten Satz auf, der hier in
der spateren und pragnanteren Fassung wiederholt wird: ,,Die Kunst hat die Ten-
denz, die Natur EU sein; sie wird sie nach Massgabe ihrer Mittel und deren Hand-
habung." —
Dieser Satz scheint so selbstverstandlich und klar, dass wir heute kaura mehr
begreifen konnen, wie man ihn je falsch auslegen konnte. Wer zweifelt daran, dass
Homer, Shakespeare und Goethe deswegen als die grossten Dichter der Menschheit
anerkannt sind, weil ihre Werke mehr, als die aller andern Dichter, die iiberwal-
tigende Kraft von Naturgebilden haben? Weil sie, die grossten aller Menschen, am
tiefsten und reinsten das Wesen, die Bedeutung alles Seins erschaut und das Er-
schaute ihren Nebenmenschen vermittelt haben? — Wer will behaupten, Goethe habe
in seinem Lebenswerk eine hb'here Wirklichkeit dargestellt? Hat er die ,,Wirk-
lichkeit" auch nur erreicht? Wird er nicht in dem demiitigen Bewusstsein aus dem
Leben geschieden sein, dass er zwar im Faust der Menschheit einen unerschopflichen
Schatz hinterlasse, aber nur ein schwaches Abbild dessen, was er selbst in sich ge-
fuhlt, gedacht, erlebt hatte? Miissen wir nicht gestehen, dass gerade die Stellen
im Faust, wo des Dichters individuelle Befangenheit und Begrenztheit, sein Tempe-
rament, am wenigsten hervortritt, wo wir keinerlei Kenntnisse von seinem Leben,
keinerlei Kommentar brauchen, am gewaltigsten auf uns wirken? Was kommt der
Kerkerszene am Schluss des Ersten Teils gleich? — Miissige Fragen! So mtissig
diese Fragen sind, so unsinnig war die Behauptung der Kritiker, Arno Holz verlange
eine ,,exakte Reproduktion der Natur". Niemals hat er das getan. NiemtQs hat
er unter Wahrheit, Wirklichkeit, Natur den b'den Abklatsch irgend eines Stiicks
Oberflache verstanden. Im Gegenteil sah er von jeher die Aufgabe des Kiinstlers
darin, die Natur zu sehen, d. h. ihr Wesen, ihre Seele zu erfassen und den Mitmen-
schen zu erschliessen. Wie hatte es bei ihm, dem Kiinstler, auch anders sein kon-
nen! Statt im Sinne des Schlagwortes ein ,,konsequenter Naturalist" zu sein, der
iiber Einzelheiten das Ganze vergessen hatte, war Arno Holz konsequent vielmehr
in dem Streben nach absoluter Stileinheit.
Diese konnte aber nur dadurch erzielt werden, wenn die technischen Mittel der
Dichtkunst in ahnlicher Weise vervollkommnet wurden, wie die Technik der Malerei
und Musik. Daher die miihseligen Experimente und Studien, die er gemeinsam mit
Johannes Schlaf anstellte, um der konventionell erstarrten Sprache neues Lebens-
Arno Hol^. 203
blut zurufiihren. Daher die peinlich gewissenhafte Beobachtung und Darstellung des
Kleinen und Kleinsten in den Skizzen des Papa Hamlet und dem Drama Familie
Selicke. Es fiel Arno Holz niemals ein, diese Skizzen fur ausgefiihrte Kunstwerkc
auszugeben; es waren Vorbereitungen auf kiinftige Schopfungen und nicht mehr.
Die Kritiker aber fielen fiber diese Versuche als Illustrationen des neuen Kunstge-
setzes her, als ob Arno Holz ewig dabei hatte stehen bleiben wollen — daher die un-
verstandige und verfrtihte Verurteilung und Rubrizierung des Dichters als ,,konse-
quenten Naturalisten".
Konsequent war er allerdings auch darin, dass er aus seinem Gesetz nicht nur
das Zolasche Temperament ausschloss, sondern auch jegliche Forderung von ,,Schon-
heit", Wahrheit", oder ,,hoherer Wirklichkeit". Er wagte es, im Gegensatz zur
Schulfisthetik auszusprechen, was noch jeder echte Kiinstler gefiihlt hat, was Nicht-
Kiinstler immer wieder missachten oder missverstehen, was in den asthetishen The-
orien unserer Klasiker nie recht deutlich geworden war: dass der Kiinstler nicht
iiber der Natur steht, sondern innerhalb, und als Individuum stets unter dem Natur-
ganzen* ) . Es liegt auf der Hand, wie wertvoll diese Erkenntnis f iir den werdenden
Kiinstler sein muss: sie scharft sein Auge, sie halt seine Sinne frisch, sie bewahrt
ihn vor tandelndem Spiel mit den Erscheinungen des Lebens und der Natur, sie
zwingt ihn zu unablassiger Arbeit. Wertvoll ist aber das Neue Kunstgesetz vor
allem auch fur die Betrachtung und Beurteilung der Kunstwerke. Schielen wir
nicht mehr nach dem sogenannten Schonen, gewohnen wir uns daran, im Kiinstwerk
den Lebenswert zu sehen, den es uns erschliessen soil, dann werden wir weder aussere
Formglatte suchen, noch moralische Tendenzen, sondern wir werden als selbstver-
stiindlich voraussetzen, dass Form und Gehalt dasselbe sein miissen, weil sie einan-
der bedingen, wie Seele und Korper. Das ist der Sinn von dem Kunstgesetz, das
Arno Holz aufstellte; so hat er es im zweiten Heft seines Buches Die Kunst erklart.
Wer dieses Heft nicht gelesen hat, darf iiber Arno Holz iiberhaupt kein Urteil fallen.
Die Tragweite dieser neuen Xsthetik wird so recht klar, wenn man z. B. Stucks
Krieg mit alteren Darstellungen vergleicht. Auf dem bekannten Holzschnitt Diirers
und dem Gemalde Cornelius' Die apokalyptischen Reiter, da jagen Reiter durch die
Luft mit geschwungenen Schwertern und Sensen, vom Bogen schnellt der Pfeil, die
Wage des Gerichtes wird emporgehalten, auf dem Boden kriimmen sich in Verzweif-
lung die Leiber der dem Verderben Geweihten. Aber der Beschauer ahnt die Schrek-
ken der Zerstorung mehr, als dass er sie mitempfande. Denn Diirer und Cornelius
binden sich an traditionelle Ideen und Allegorien, und in ihrem technischen Konnen
sind sie nicht weit genug vorgeschritten, um durch straffste Konzentration der vor-
handenen ausseren Mittel ihren Darstellungen die tiberzeugungskraft wirklichen Ge-
schehens zu geben. Sie bleiben abstrakt. Anders der moderne Kiinstler. Krieg war
ihm Vernichtung, Grausamkeit, Unerbittlichkeit, Entsetzen, Tod. Auf der Erde lie-
gen Tote und Sterbende in grausem Gemisch, in erstarrendem Blut. Blut trauft
von dem breiten Schlachtschwert des Reiters, dessen Ziige kein Erbarmen kennen.
Mit eherner Ruhe, mit einer gleichgiltigen Sicherheit, vor der es kein Ausweichen
gibt, treibt er sein dunkles Ross iiber die fahlen Leichen. Ein Bild so grauenhaft
und kalt, so unerbittlich furchtbar — wie der Krieg. Aber — ,,schon" ist es nicht!
Wer zweifelt jedoch daran, dass Stuck das kiinstlerische Problem gelost, dass er das
wirklich dargestellt hat, was die anderen nur andeuteten? Wer leugnet, dass in sei-
nem Werke Idee und Form in unerhorter Weise eins geworden sind, dass es uns mit
elementarer Naturgewalt packt und erschiittert, wahrend die Bilder Diirers und sei-
nes Nachahmers uns nur zu denken geben? — Wer allerdings vor Stucks Krieg hin-
f) In diesem Sinn gibt es keinen Unterschied zwischen ,,Realismus" und ,,Ide-
alismus".
204 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
tritt, um ,,Sch6nheit" zu suchen, der wird bitter enttauscht sein.*) Hier gilt e«
unbefangen und kiihn, und, im Sinne unseres Dichters, modern zu sein.
Und nun kehre man zuriick zu des Dichters eigenen Schopfungen, zu Papa Ham-
let und Familie Belicke. Da ist das Prinzip absoluter Stileinheit, welches uns in
dem Stuckschen Gemalde an einem erhabenen Gegenstand angewandt erschien, in
einem kleinen verkorpert. Wollen wir Arno Holz deswegen fiir den kleineren Kiinst-
ler erklaren, weil er, der sich das Werkzeug seiner Sprache erst schmieden musste,
dieses Werkzeug nicht gleich am Grossen tibte ? Man lese einmal eine Jener Skizzen,
Den Ersten Schultag. Wie ist das Bangen des kleinen Kinderherzens, die pedanti-
sche Strenge des Schulmeisters, die muffige Atmosphare des Klassenzimmers, das
Harren auf den Schulschluss, das larmende Treiben draussen wiedergegeben ! Mit
solcher Virtuositat war die deutsche Sprache seit den Tagen der Klassiker nicht
mehr gebraucht worden. Arno Holz hatte sie tatsiichlich von dem Staub und
Schwulst der Epigonenzeit befreit. Die segensreichen Folgen dieser neuen Reform
haben sich nicht nur im modernen Drama, sondern auch im modernen Epos gezeigt.
Wenn unsere Schriftsteller heute durchweg ein besseres, klareres Deutsch schreiben,
als vor dreissig Jahren, so ist das zum grossen Teil Arno Holz zu verdanken.
Doch der Schopfer des modernen Dramas, der Begriinder des deutschen Realis-
mus, wie er genannt wurde, hatte keinen weiteren Lohn fiir seine Verdienste, al«
sein eigenes Kiinstlerbewusstsein und die Anerkennung von Mannern, wie Theodor
Fontane. Wahrend sein Schiller Gerhard Hauptmann schnell beruhmt wurde und
auch die materiellen Friichte der neuen Technik ernten durfte, war Arno Holz dem
bitteren Kampf ums tagliche Brot ausgesetzt. In sieben langen Jahren versuchte
er, sich durch Verfertigung von Spielwaren die finanzielle Grundlage zur Ausfiih-
rung seiner kiinstlerischen Plane zu schaffen. Es gelang ihm nicht. Wer will ihn
darum tadeln, dass sich sein Herz verhartete, dass er in bitterem Unmut die Satire
Sozialaristokraten den Literaten Berlins ins Gesicht warf? So frostig uns dieses
unsympathische Werk des Dichters anweht, so sehr mtissen wir die Treue und An-
schaulichkeit der Darstellung, die feine Abstufung der Sprache, den Fleiss der tech-
nischen Ausarbeitung bewundern. Und ein unbefangener Kritiker, selbst ein b«-
gabter und feinsinniger Dichter, Richard Schaukal, sagt von dem Werk: ,,Ein sou-
veraner Witz, eine quellende Laune verbindet sich mit der eindringlichen Detailbe-
obachtung zu einem Kabinettsttick der Grossstadt-Satire. Schade, dass das Buch —
Buch geblieben ist. Unsere Pseudomodernen, die Sudermann, Otto Ernst und Ge-
nossen lagen platt gedriickt, wenn es seine Sohlen hobe zum Brettergang" (Das lit-
terarische Echo, V, 13, p. 884).
Durch Vermittlung Maximilian Hardens kam dem bedrangten Dichter Hilfe.
Freundesgaben befreiten ihn von den driickendsten Sorgen, und so entstanden in ra-
scher Folge die Werke, die Arno Holz eine so merkwiirdige Stellung in der deutschen
Lyrik gaben: Die Gedichtsammlungen des Phantasus, I und II, und die theoretische
Schrift Revolution der Lyrik (1898 und 1899). Wie Arno Holz die neue Technik
des Dramas begriindet hatte, so schuf er damit eine neue Form fiir die Lyrik. In
folgerechter Weiterentwicklung seiner asthetischen Grundsatze kam er dazu, auch
die Lyrik auf die Basis absoluter Stileinheit und Notwendigkeit zu stellen. Er war
der ttberzeugung, dass sich Reim und Strophe als Ausdrucksmittel iiberlebt hatten.
Waren sie fiir die Ideenfiille echter Kiinstler zu lastigen Fesseln geworden, so dien-
ten sie Halbdichtern nur zu oft als rein ausserliches Schmuckmittel, hinter dem sich
* ) Damit soli nicht etwa Franz Stuck iiber Albrecht Diirer gestellt werden, son-
dern nur gesagt sein, dass gerade in diesem Werk die brutale Kraft und Riicksichts-
losigkeit des modernen Kiinstlers, im Bund mit einer raffinierten Technik, die
Leistung des alteren weit ubertraf .
Arno Hol. 205
die Hohlheit des Inhalts verbarg. So forderte Arno Holz ,,eine Lyrik, die auf jede
Musik durch Worte als Selbstzweck verzichtet, und die, rein formal, lediglich durch
einen Rhythmus getragen wird, der nur noch durch das lebt, was durch ihn zum
Ausdruck ringt". Die Kritiker regten sich naturlich wieder unnotigerweise auf.
Man machte gel tend, dass Rhythmus (hn traditionellen Sinn), Versmass, und Stro-
phenbau und Reim die Grundpfeiler der Lyrik seien, ja dieselbe iiberhaupt erst er-
schaffen hatten; so auch der sonst klarsehende Franz Servaes in Praludien, p. 95.
Man beachtete kaum, dass es immer grosse Dichter gegeben hat, die sich in die
Schranken der konventionellen Strophen- und Reimform nicht bannen lassen wollten,
z. B. Klopstock, Holderlin, Carducci, Walt Whitman, nicht zu reden von den ,,freien
Rhythmen" Goethes und Heines. Man beachtet heute noch nicht die Untersuchun-
gen Prof. Erich Schmidts ,,iiber die verschiedenen Arten von Zwang und Beschran-
kung, durch welche die Reimnot den deutschen Dichter angstigt", in seiner Schrift
Deutsche Reimstudien, woriiber Prof. Anton Schonbach in einem Artikel Der Tod
des Reimes, ,,Die Zeit", Wien, 4. Okt. 1902, berichtet. Wer die Zeichen zu deuten
versteht, wird sich der Einsicht nicht verschliessen, dass die tausend jahrige Herr-
schaft des Reimes, und damit auch der gegenwartigen Strophenform, ihrem Ende nahe
gekommen ist. Man wird also der Theorie Holzens immerhin wissenschaftliche Neu-
gierde schuldig sein. Und man wird nicht ohne weiteres den Stab brechen wollen
iiber die ersten praktischen Versuche mit der vollstandig neuen Technik. Denn nach
des Dichters ausdriicklicher Erklarung handelt es sich in den Phantasusgedichten,
ebenso wie in den Papa Hamlet-Skizzen, nur um erste tastende Versuche. Er spricht
sich fiber den Plan des Werkes in der Revolution der Lyrik (p. 48), so aus: ,,Das
erste Heft gab funfzig, das zweite Heft gab wieder funfzig (Gedichte) und das voll-
endete Werk, falls es mir glucken sollte, wird tausend geben. Und ich fiige hinzu,
es wird mir nur dann glucken, falls es mir gelingen sollte, mich in keiner dieser
,,Stimmungen" zu wiederholen. Dass ich einen ziemlichen Prozentsatz der bereits
fertigen Stiicke zu diesem Zwecke hochst wahrscheinlich wieder werde ausscheiden
miissen, um sie durch geeignetere zu ersetzen, tut nichts. Bei einer Komposition,
die aus so vielen Farbenbrechungen zum erstenmal mit den Mitteln der Lyrik ein
Weltbild versucht, kann unmoglich alles gleich ,,auf den ersten Hieb" sitzen. Das
kommt erst allmahlich. Auswahl und Ordnung lasse ieh daher ruhig fur spater",
Trotzdem, fahrt er fort, ,,habe ich schon mit diesem Anfang den Wahrscheinlichkeits-
beweis angetreten, den starksten, den es im Augenblick gibt, dass kein Stoff und keine
Stimmung sein wird, die sich dieser Technik entziehen dttrfte; entgegen wohlverstan-
den der bisherigen Technik, die alle drei Schritte iiber ihre Nase stolperte".
Also wie seinerzeit im ,,Buch der Zeit" strebt der Dichter wieder nach einer Er-
weiterung des Stoffgebietes und zwar diesmal, mit besseren Mitteln als im Jugend-
werk, nach einer ganz unbegrenzten ; und damit erfullt er jene Forderung Julius
Harts. Wie nun die Darstellung des Weltbilds gemeint ist, geht aus einem Briefe
an Dr. Strobl hervor: ,,Das letzte Geheimnis" der von mir in ihrem untersten
Fundament bereits angedeuteten Phantasuskomposition besteht im wesentlichen da-
rin, dass ich mich unaufhorlich in die heterogensten Dinge und Gestalten zerlege.
Wie ich vor meiner Geburt die ganze physische Entwicklung meiner Spezies durch-
gemacht habe, wenigstens in ihren Hauptstadien, so seit meiner Geburt ihre psychi-
sche. Ich war ,,Alles" und die Relikte davon liegen ebenso zahlreich wie kunter-
bunt in mir aufgespeichert. Ein Zufall, und ich bin nicht mehr Arno Holz, sondern
ein beliebiges Etwas aus jenem Komplex. Das mag meinetwegen wunderlich aus-
gedruckt sein, aber was dahinter steckt, wird mir ermoglichen, aus tausend Einzel-
organismen nach und nach einen riesigen Gesamtorganismus zu bilden, der lebendig
aus ein und derselben Wurzel wachst". — Die innere Verwandtschaft dieses kiinst-
206 P'ddagogiscbe Monatshefte.
lerischen Erlebens der gesamten Kulturentwicklung mit dem kosmischen Gefiihl Walt
Whitmans darf nicht iibersehen werden.
Was aber die aussere Form anbelangt, so hat Arno Holz das wirklich erreicht,
was Whitman nur geahnt hat. Nicht einen freien Rhythmus wollte Arno Holz, son-
dern einen nattirlichen, d. h. notwendigen; eine Form, die nicht den Inhalt ein-
schniirt, sondern aus diesem jedesmal neu herauswachst, und die, eben weil sie keine
durch musikalische Nebenabsichten erzeugte Sonderexistenz fiihrt, nur durch den
pragnantesten, den einzig moglichen, den immanenten, natiirlichen Rhythmus be-
steht: oder vielmehr, alles das ist. Da der Inhalt sich seine Form immer neu schafft,
da prinzipiell der Unterschied zwischen der sogenannten ,,inneren" und ,,ausseren"
Form aufgehoben ist, so kann sich kein Stoff, weder der erhabenste noch der kleinste
der lyrischen Darstellung entziehen. Weder Reimgeklingel noch kiinstlich gesuchte
musikalische Wirkungen konnen tiber das Wesen und den Wert eines Gedichtes tau-
schen; ,,der geheime Leierkasten" ist aus der Lyrik verbannt. Der Gehalt wirkt
nur noch durch sich selbst. Und darin liegt das Revolutionise von Holzens lyri-
scher Form.
Wie weit diese vom freien Rhythmus, wie von platter Prosa verschieden ist,
geht aus folgenden Andeutungen des Dichters hervor: ,,Lese ich z. B. bei Heine:
,,Gl(icklich ist der Mann, der den Hafen erreicht hat und hinter sich liess das Meer
und die Stiirme", so habe ich die Empfindung, als ob die Steine auf diesem Kntip-
peldamm auch beliebig anders liegen konnten. Der Rhythmus ist hier bei Licht be-
sehen nichts weiter als ein Konglomerat von metrischen Reminiszenzen. Er hat
mit der Sache, die er eigentlich ausdriicken sollte, nichts zu tun. Seine ausschliess-
liche Sorge, der alles ttbrige sich unterordnen muss, ist, dass er klingt". ,,Der fa-
mose freie Rhythmus ftihrt seinen Namen mit Recht. Er ist in der Tat so frei, als
dies der Dichter ftis seine Bequemlichkeit — wtinscht. Der notwendige Rhythmus,
den ich will, darf sich solche, oder auch nur ahnliche Scherze (Abkiirzung und Ver-
stiimmelung von Wortbildern) nicht mehr erlauben. Er wachst, als ware vor ihm
irgend etwas anders noch nie geschrieben worden, jedesmal neu aus dem Inhalt. Er
unterscheiden sich dadurch genau so auch von der Prosa. Ich schreibe als Prosaiker
einen ausgezeichneten Satz nieder, wenn ich schreibe: ,,Der Mond steigt hinter blti-
henden Apfelbaumzweigen auf." Aber ich wiirde tiber ihn stolpern, wenn man ihn
mir fiir den Anfang eines Gedichts ausgabe. Er wird zu einem solchen erst, wenn
ich ihn forme. ,,Hinter bltihenden Apfelbaumzweigen steigt der Mond auf." Der
erste Satz referiert nur, der zweite stellt dar. Erst jetzt, ftihle ich, ist der Klang
eins mit dem Inhalt. Und um diese Einheit bereits deutlich auch nach aussen zu
geben, schreibe ich :
,,Hinter bltihenden Apfelbaumzweigen
steigt der Mond auf."
Das ist meine ganze ,,Revolution der" Lyrik".
Diese Probe aus der Theorie des Dichters mag geniigen, um zu zeigen, dass es
sich nirgends um willktirliche und dilettantische Umsttirzung traditioneller Formen
handelt, sondern um die ernste Arbeit eines fein empfindenden Ktinstlers. Wenn
Arno Holz an anderer Stelle ausftihrt, dass eine gegebene Strophe wohl der entspre-
chende Ausdruck eines gewissen Gedankens sein konne, aber schon aufhore ihren
Zweck zu erfttllen, wenn der nachste Gedanke des betreffenden Gedichtes in dieselbe
Strophe gepresst werde — so mag das manchem als pedantische Dtif telei erscheinen.
Aber konnen wir es heute noch ertragen, wenn uns ein Komponist zumutet, durch
mehrere Strophen eines Kunstliedes die gleiche Melodie, wie in der ersten, durchzu-
horen? Wenn die ganze Theorie Holzens keinen weiteren Wert hatte, als das Nach-
denken des Lesers zu erzwingen, sein Gehor zu scharfen, seine asthetischen Ansprti-
Arm Hol. 207
che zu verfeinern und zu steigern, dann hatte der Verfasser der Revolution der Lyrik
sich um die Kunst grossere Verdienste erworben, als das ganze Heer seiner Kritiker.
Welche Schatze miissen noch in dem Kiinstler liegen, der die Phantasusgedichte
bescheiden als einen Anfang bezeichnet! Die besten Stiicke der Sammlung erreichen
eine plastische Gegenstandlichkeit, eine reiche Klangfiille, eine Gedrungenheit und
Geschlossenheit des Aufbaus, wie sie der hergebrachten Form, selbst unter den Han-
den eines Goethe und Morike, nur in einzelnen kurzen Gedichten moglich gewesen
war. Da sind keine Fiillworte, keine indifferenten ttbergange, keine toten Stellen,
sondern jedes Wort lebt in und durch sich selbst, leuchtet und funkelt in frischer
Pracht. — Und welche Fillle der Anschauung! Dem Dichter sind die Hohen des
Olymp so vertraut wie die Tiefen des Meeres. Das Plaudern des Kindes klingt aus
seinen Rhythmen so natiirlich wie der Titanentrotz des gottverlassenen Mannes.
Der indische Gotze sitzt in seinem Tempel, von siebzig Bronzekiihen bewacht; wiirde
er aufstehen, so zerbrachen seine Schultern das Dach, der Diamant auf seiner Stirne
stiesse den Mond ein, aber er steht nicht auf, die Priester diirfen ruhig welter schnar-
chen. Die Sichel des Bauers zischt durchs Korn, sein Weib sammelt die Jthren;
hinter ihnen, mit nackten Beinchen, kleinen, braunen Fausten, die Blumen halten,
liegt, lacht und strampelt ihr Gliick. — In den Grunewald speit Berlin seine Extra-
ziige. ttber die Briicke im Tiergarten reitet der Leutnant, unter ihm, pfropfenzieher-
artig ins Wasser gedreht, den Kragen siegellackrot, sein Spiegelbild. Durch die
Friihlingsnacht duftet der Flieder, blinkt der Goldregen. Die Marmorstatue, die tau-
send Jahre begraben lag, ist zu neuem Leben auferstanden, ihre Augen, weit ge-
offnet, starren auf das griine Wasser des Parkteiches. —
Es gibt ein jetzt beriihmtes Gemalde von Arnold BQcklin: Schweigen im Walde.
Auf einem seltsamen Tier, teils Einhorn, teils Pferd, niemand kann es genau sagen,
sitzt ein Weib. Ihre Augen sind weit off en; sie starrt in den Wald hinein, lau-
schend, traumend. Kein Liiftchen regt sich. Am Boden kriecht das Gewiirm. Das
Laub wird rascheln. Plotzlich werden Tier und Weib verschwunden sein. Es war
ein Nichts. Der Wald liegt stumm und schweigend wie zuvor. — Wie hat man
noch vor wenigen Jahren iiber den Maler und sein Bild gespottet! Heute ist es
Tausenden zu einer Offenbarung geworden. Wird es mit dem folgenden Gedicht von
Arno Holz nicht auch so gehen?
In graues Grim
verdammern Riesenstamme.
Von greisen Asten
hangt
in langen Barten Moos.
Irgendwo — hammernd . . ein Specht.
Kommt der Wolf? Wilchst das Wunschkraut hier?
Wird auf ihrem weissen Zelter,
liichelnd,
auf mein klopfendes Herz zu,
die Prinzessin reiten?
Nichts.
Wie schwarze Urweltkroten,
regungslos,
hockt am Weg der Wachholder.
Zwischendurch
giftrot
leuchten Fliegenpilze.
Die Farbenpracht, der drohnende Wohllaut, die edle Einfachheit der Sprache,
die greifbare Verkorperung des Stimmungsgehaltes, stellen dieses Gedicht dem Be-
P'ddagogische Monatsbefte.
sten, was unsere Lyrik besitzt, ebenbtirtig an die Seite. Wer die gezierte Haufung
klingender Worte in dem bekannten Gedicht Stefan Georges: ,,Hinaus zum Strom!
wo stolz die hohen Rohre", dariiber zu stellen geneigt ist, der vergisst die alte Tat-
sache, dass kiinstlerische Vollendung und Einfachheit dasselbe sind.
In echter Kiinstlerweise hat sich Arno Holz der Angriffe seiner Gegner auf die
Phantasusgedichte nicht nur durch schneidige Polemik, sondern auch durch dich-
terische Schb'pfungen zu erwehren gesucht. In den parodistisch-satirischen Werken
Die Blechschmiede und Lieder auf einer alien Laute zeigt er noch einmal seine ganze
Virtuositat in der Handhabung der (iberlieferten Formen. In der Blechschmiede
halt er den hypermodernen Symbolisten, Mystikern und Dekadenten ihhr Spiegel-
bild vor. In den Liedern auf einer alien Laute erneuert er mit tollem Humor die
Schaferpoesie des alten Opitz, als wollte er an einem konkreten Beispiel zeigen, wie
rasch die Entwicklung der lyrischen Formen vorwarts schreiten muss. Auch mit
diesen Intermezzi stiess Arno Holz wieder auf die Verstandnislosigkeit der professi-
onellen Kritik. Sogar geschulte Philologen liessen sich durch die gelungene Parodie
mystifizieren und schleppten den ausgelassenen Scherz einer iibermiitigen Dichter-
laune auf den Seziertisch des philologischen Laboratoriums. Der Dichter aber wird
sich nicht irre machen lassen. Er fiihlt sich heute erst recht am Amfange aller sei-
ner Krafte. Seine Bahn ist f rei. Nur ein Feind droht noch : die Sorge.* ) Es steht
zu hoffen, dass auch diesen Erbfeind der Kiinstler bald besiegen wird. Dann darf
der Welt noch vieles von ihm erwarten.
Eine schluchzende Sehnsucht mein Friihling,
ein heisses Ringen mein Sommer —
wie wird mein Herbst sein ?
Ein spates Garbengold?
Ein Nebelsee?
*) Um dem Dichter den Kampf urns Dasein zu erleichtern und damit seine
Schaffensfreudigkeit zu erhohen, hat Dr. O. E. Lessing in selbstloser Hingabe neue
Freunde fiir ihn zu gewinnen gesucht. Arno Holz befindet sich in Nahrungssor-
gen, und rasche Hilfe ist notig, wenn er nicht dem bittersten Elend preisgegeben
werden soil. Das Deutschamerikanertum, das so oft seine Liberalitat bewiesen hat,
sollte diese auch hier, dem Dichter gegeniiber kund tun. Dank dem unermiidlichen
Eifer Dr. Lessings haben Aufrufe den Weg in die bedeutenderen Tageszeitungen des
Landes gefunden, und namhafte Betrage sind bereits zur Unterstiitzung des Dich-
ters eingegangen. Doch mehr muss und kann noch getan werden! Mochte der vor-
stehende Artikel das Interesse fur den Dichter in weitere Kreise tragen und unjsere
Leser bestimmen, zu seiner Unterstiitzung mitzuwirken. Die Redaktion dieses Blat-
tes, sowie Dr. O. E. Lessing, Smith College, Northampton, Mass., sind gem erbotig
Beitrage zu einem Unterstiitzungsfonds entgegenzunehmen. D. R.
Disziplin.
Eine Plauderei.
(Fur die Padagogischen Monatshefte.)
Von Arthur Kiefer, Instructor in German.
Jedem besuchenden Auslander fallt zweifelsohne die grosse Anzahl von ,,law-
yers" hierzulande auf: ,,Lawyers, lawyers, lawyers an alien Ecken und Enden";
,,the law" scheint in keinem Lande eine wichtigere Rolle zu spielen wie gerade hier.
Wer zum erstenmal aus dem Munde des ,,law abiding citizen" den ehrfurchtsvollen
Satz hort : ,,It is against the law", denkt sich : ,,Hut ab vor diesem tief en Respekt
vor dem Gesetz!" Aber wovon leben diese Unmassen von Advokaten? Von dem tie-
fen Respekt, den man den Gesetzen gegeniiber zeigt, oder vielmehr von dem geraden
Gegenteil — dem Nichtrespekt vor denselben ? Es hindert den ,,law abiding citizen"
nicht, auf der einen Seite dem Gesetze mitunter ein gehoriges Schnippchen zu schla-
gen, und auf der andern die Achtung vor demselben als eine echte republikanische
Biirgertugend hinzustellen und oft prahlerisch im Munde zu fuhren.
Eine iihnliche Gedankenreihe, wie dieses Wort ,,law", erregten mir, als ich mich
mit dem Schulwesen hier vertrauter machte, der haufige Gebrauch des Wortes: Dis-
ziplin — ein Ausdruck, der mit einer Art scheuen Ehrf urcht ausgesprochen zu wer-
den scheint. Von einer Lehrerin zu sagen: ,,She keeps discipline," ist der hochste
Tribut, dem man der Fahigkeit in ihrem Berufe zollen kann. —
Haben wir denn nun in unseren Schulen, wo das Wort Disziplin oft geradezu
mit einem Nimbus umgeben ist, wirklich bessere Schuldisziplin als anderswo? Ich
glaube kaum. Was ist Schuldisziplin? Die Unterordnung der Schiiler unter be-
stimmte vemunftige Anordnungen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung im all-
gemeinen und zur Erteilung eines erfolgreichen Unterrichtes im speziellen notwendig
sind. Wer sich gegen die Anordnungen vergeht, sollte die Folgen tragen, gerade
wie das Kind, das trotz der Warnung die Hand dem heissen Ofen zu nahe bringt,
die Strafe fiihlen muss. Die Person des Lehrers sollte bei diesen Disziplinarstrafen
soviel als moglich aus dem Spiele bleiben; seine personliche Energie sollte nicht
jahraus jahrein in der Aufrechterhaltung einer Art ,,Fad-Disziplin" aufgebraucht
werden. Wenn die Kinder, von unten herauf, entsprechend ihrer Auffassungskraft und
ihrem Alter zur Einsicht gebracht werden, dass die Schulgesetze etwas ganz Objek-
tives sind, getrennt von der Personlichkeit des Lehrers, dann werden in den hoheren
Klassen wenig und als Regel nur kleine Vergehen gegen die Disziplin vorkommen.
Aber, wenn sie vorkommen, was soil die Strafe sein, die dem Vergehen mit dersel-
ben Sicherheit folgen soil, wie der Donner dem Blitzstrahl ? Da sitzt der Has' im
Pfeffer — ich weiss keine, bei der sich der Lehrer nicht selber mitbestraft, und mit
einer Art Wemut gedenke ich des Pedells im deutschen Pennal, der sich nach der
Schulstunde unserer mitunter so teilnahmsvoll annahm. —
Ich bin grundsatzlich gegen korperliche Ziichtigung in alien Graden, da gerade
bei dieser Art der Straferteilung die Personlichkeit des Lehrers zu sehr in den Vor-
dergrund tritt, er buchstablich zu ,,ausschlaggebend" wird. Solche Falle mogen
notwendig werden; aber sie bleiben seltene Ausnahmen. Auf der andern Seite hiesse
es, Eulen nach Athen tragen, wollte ich die allgemein anerkannte Wahrheit wieder-
holen, dass die Disziplin einer Schule zu 90% durch die Personlichkeit und den Ka-
210 P'ddagogiscbe Monatshefte.
rakter des Lehrers im voraus bestimmt 1st, dass in seinen Eigenschaften oft die un-
scheinbaren Anfange fiir die Vergehen der Disziplin zu suchen sind. Menschen-
kenntnis ist neben der Padagogik ein schatzenswertes Besitztum ftir den Lehrer.
Gerade das Gegenteil von wirklicher Disziplin ist da erreicht, wo man sich der-
selben gleichsam aus personlicher Gefalligkeit gegen den Lehrer unterordnet, ,,be-
cause they like the teacher". Wieviel Zeit und Energie wird oft nicht, besonders
von Lehrerinnen, darauf verschwendet, die Schiller mit alien moglichen Arten ver-
zuckerter Worte dazu zu bringen, ,,gut zu sein" — ein kolossaler Irrtum, der die
schlechtesten Frtichte zeitigt. Ein freundliches, ja f reundschaftliches Verhaltnis zwi-
schen Schiller und Lehrer soil bestehen; aber dieses darf nicht in Giinstlingswirt-
schaft ausarten. Wo man den Lehrer, haufiger noch die Lehrerin, bestandig von
ihren sogenannten ,,Pets" umgeben sieht, die als Zeichen ihrer Anhanglichkeit w5-
chentlich ein paarmal Blumen, Zuckerwerk, und wer weiss was alles, auf ihrem
Pulte opf ern — da kann von wahrer Disziplin keine Rede sein.
Ich gebrauchte oben das Eigenschaftswort verniinftige Anordnungen; das ist
nun allerdings ein sehr disputierbarer Begriff. Was dem einen das sine qua non
fiir die Erhaltung der Disziplin erscheint, ist dem andern eine einfaltige Lappalie,
erfunden zur Tortur des Lehrers und doch tausendmal umgangen von seiten der
Schiller. Die Anschauungen sind eben hierin verschieden, wofiir ich zur Illustration
zwei Beispiele anfiihren mochte. In dem Gymnasium in der alten Heimat verfiig-
ten wir Schiller uns vor dem Beginn des Unterrichts in die Klassenzimmer, worin
kein Lehrer anwesend war; letztere waren in dem sogenannten Konferenzzimmer,
und wir waren uns allein iiberlassen; ich kann mich aber nicht erinnern, dass je
grobe Vergehen gegen die Disziplin vorgekommen waren. Mit dem Zeichen der
Glocke nahmen wir unsere Platze ein. In jeder Pause war die Klasse wieder allein.
Im Gegensatz zu dieser Anordnung miissen in vielen Schulen hierzulande die Lehrer
mindestens *4 Stunde vor dem Beginn des Unterrichts im Klassenzimmer sein; in
manchen Schulen miissen die Schiller sofort auf ihre Platze gehen, sobald sie das
Zimmer betreten, diirfen dieselben nicht mehr verlassen, noch mit einander plaudern.
In andern sind sie ebenfalls auf die Platze gebannt, aber diirfen im Fliisterton sich
mit einander unterhalten, u. s. w. So gibt es noch Dutzende von Variationen. Und
was meint das alles fiir den im Klassenzimmer anwesenden Lehrer? Es meint eine
ungeheure Inanspruchnahme seiner Energie, noch bevor der eigentliche Unterricht
beginnt, da er auch das freiere Benehmen der Schiller fortwahrend zu iiberwachen
hat. Die Klasse aber, die sich aber ausserhalb der eigentlichen Unterrichtsstunde
nicht allein iiberlassen werden kann, fiillt selbst das abfalligste Urteil iiber das in
der Schule gehandhabte System der Disziplin.
Bei der Anerziehung der Disziplin kommen zwei sich bekampfende Momente in
Betracht: Der Individualismus des Schiilers und die Notwendigkeit, sich Anordnun-
gen anderer zu fiigen. Von dem ersteren hat die amerikanische Jugend ein hinrei-
chendes Mass, und ich weiss wirklich nicht, ob man ihr dazu nicht gratulieren soil;
ebenso wie der Karakterzug bei uns Deutschen, sich alien Anordnungen zu leicht zu
fiigen, besonders wenn sie nach Obrigkeit schmecken, sich mitunter von zweifelhaf-
tem Werte erweisen kann. Der Individualismus soil durch die Disziplin nicht ge-
brochen, sondern zum freiwilligen Fiigen in Anordnungen gebracht werden, die von
ihm als notwendig und berechtigt anerkannt worden sind.
Die Mischung dieser beiden Elemente, wie wir sie in den Schulen unseres Landes
finden, diirfen den Satz berechtigt erscheinen lassen, dass die Disziplin nicht den
Grad erreicht hat, welchen man nach der Bedeutung, die man ihr beimisst, und der
Zeit, die man zu ihrer Anerziehung verwendet, oftmals auch verschwendet, erwarten
diirfte.
Fur die Schulpraxis.
1st es nicht erspries slicker statt spezieller Literaturgeschichte im 3. und 4.
Jahre unserer Hochschulen die dadurch gewonnene Zeit auf Vertiefung
der Klassiker zu verwenden?
Wenn es der Zweck dieses Unterrichtszweiges 1st, den Schiller mit dem Ent-
wickelungsgange der geistigen Bildung des deutschen Volkes, wie sich diese aus den
poetischen Werken desselben erkennen lasst, im allgemeinen vertraut zu machen, so
sind von der Literaturgeschichte wohl die folgenden Hauptaufgaben zu erfilllen:
1) Die wichtigen Einzelwerke der Dichtkunst nach Entstehung und Wir-
kung, nach Inhalt und Form zu kennzeichnen ;
2) Den Zusammenhang, in dem diese Einzelerscheinungen des Geisteslebens
zu einander stehen, nachzuweisen ;
3) Die ausseren Lebensumstande der Schriftsteller, insofern sie fur ihre
Werke von Bedeutung sind, darzulegen.
An welchen Schulen ist nun dieser Unterrichtszweig am Platze und von dem
davon erwarteten Nutzen begleitet? — natiirlich auch nur dann, wenn derselbe nicht
zu wissenschaftlich und ausf iihrlich betrieben wird. — Wohl nur in den oberen Klas-
sen deutscher ho'herer Lehranstalten, wie Gymnasien, Realgymnasien und Realschu-
len, wo die Schiller einmal sprachlich reif genug dazu, und dann durch ausgiebige
Lekture, Auswendiglernen u. s. w. hinlanglich mit den wichtigeren Erzeugnissen der
deutschen Literatur bekannt sind, und in ihrer Eigenschaft als Deutsche ein natio-
nales Interesse daran haben. Treffen nun bei den Schiilern unserer Hochschulen die
obigen Voraussetzungen zu? — Deren Muttersprache ist mit wenigen Ausnahmen ja
doch nicht die deutsche; deshalb kann bei ihnen naturgemass kein allzu grosses
Interesse fiir tiefer gehende Kenntnisse der deutschen Literatur erwartet werden.
Und mit der sprachlichen Vorbereitung und Reife unserer Schiller ist es im Laufe
der Jahre aus verschiedenen Griinden eben auch nicht besser geworden. So bereitet
der Text der Leitfaden, die wir beim Unterricht der Literaturgeschichte gebrauchen,
den Schiilern oft genug gewaltige Schwierigkeiten ; und hat man sich dann endlich
zur Sache durchgearbeitet, dann ist die Lust und das Interesse des Schiilers haufig
ganz bedenklich gesunken, so dass der Lehrer am liebsten in leicht fasslicher Form
vortragen mb'chte, um so dem Schiller die Haupthindernisse aus dem Wege zu rau-
men und ihm die Lust nicht ganz zu benehmen. Doch das geht ja nicht an. Nur
passives Anhoren von Seiten der Schiller, fast ohne jeglichen Anspruch an deren
Selbstandigkeit? —
Eine andere Frage ist die, ob iiberhaupt der Unterricht in spezieller Literatur-
geschichte dem vorbereitenden und elementaren Karakter unserer Hochschulen so
ganz entspricht, oder ob derselbe nicht richtiger der Universitat oder den Lehrer-
seminarien zu iiberlassen ist. Die Hochschule soil doch wohl nur den Zweck haben,
den Schiller in die deutsche Literatur auf dem Wege der Lekture einzufiihren. Und
dabei ist es ja nur auf eine Kenntnis der Hauptmeisterwerke, nicht auf Vollstan-
digkeit abgesehen. Das eingehende, vertiefende Studium von solchen ausgezeichne-
ten Dichtungen wird nicht nur die sprachliche Entwickelung des Schiilers, sondern
auch die asthetische und sittliche Bildung desselben fordern, also von wirklich bil-
dendem Einflusse sein. Unter Vertiefung ist, abgesehen von Wort- und Sinnver-
standnis, doch wohl an richtiges Auffassen der Anlage, der Karaktere und desGrund-
212 P'ddagogiscbe Monatsbefte.
gedankens zu denken. Dadurch erkennt und empfindet der Schiller das Schone in
Inhalt und Form der Dichtungen und bildet sein asthetisches Gefiihl, er wird durch
das Ideale in der Idee und in den Karakteren der Dichtungen seinen Willen lautern
und seinen eigenen Karakter starken.
Vielleicht Hesse es sich bei unsern Schiilern ganz gut so machen, dass wir ihnen
im dritten Jahre in grossen Ziigen den Gang der deutschen Literatur, den Karakter
der wichtigsten Perioden andeuten und die hervorragendsten Vertreter nebst ihren
Haupterzeugnissen anfiihrten, ahnlich wie wir ihnen in der sog. Tell-Klasse eine
kurze tfbersicht iiber das Wesen und die verschiedenen Gattungen der Poesie nach
Inhalt und Form geben. —
Ich schliesse meine kurzen Ausflihrungen mit Lessings Ausspruch:
Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? — Nein.
Wir wollen weniger erhoben
Und fleissiger gelesen sein.
(Carl Engelmann, West Division High School, Milwaukee, Wis.)
Die hochste Aufgabe eines deutschen Lehrers in der amerikanischen Schule. —
Ich erachte es als die hochste Aufgabe eines deutschen Lehrers in der amerikani-
achen Schule, die Hochachtung vor dem deutschen Wort und die Liebe zum deut-
schen Unterricht in den Herzen der Schiller immer neu zu schiiren und zu festi-
gen; denn nur im Lichte dieser Hochachtung und Liebe wird das Kind die Ge-
neigtheit zum oftmaligen Verwerten der deutschen Sprache bekunden und die Klinge
finden, mittels der es in seinem spatern Leben, in unseren Reihen stehend, den
deutschen Unterricht, wenn notig, verteidigen helfen soil. Ja, wie die Klarheit
des Geistes und der aus innerer Zufriedenheit emporsteigende Frohsinn die zwei
besten Saulen sind, auf die sich das Lebensgliick eines Menschen stiitzt. so sind
die Hochachtung vor dem deutschen Wort und die Liebe zu demselben die zwei ein-
zigen Grundpfeiler, die der Bereitwilligkeit zur Verteidigung des deutschen Unter-
richts und zur Verwendung deutscher Worte in geselligem und geschaftlichem Ver-
kehr als Stiitze dienen konnen. Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit unseren
jetzigen und friiheren Schiilern? Ehren sie die deutsche Sprache? Ehren sie un-
sern Unterricht? Ehren sie uns selbst? 1st es der Fall, dann brauchen wir uns
in der Tat beziiglich des Fortbestands unseres deutschen Departements vorlaufig
keiner Sorgen hinzugeben und diirfen uns gratulieren zu einem solchen Erfolg. 1st
es aber nicht der Fall : betrat die iiberwiegende Mehrzahl nur mit Widerwillen un-
ser Schulzimmer und blickt sie mit beleidigender Geringschatzung oder gar mit
Verachtung auf unser Wirken, dann allerdings haben wir wohlbegriindete Ursache,
die Moglichkeit ins Auge zu fassen, dass iiber kurz oder lang der Baum des deut-
schen Unterrichts, umtobt vom Sturm des Nativismus, sein Haupt neigen und so-
dann sterbend seinen Gegnern vor die Fiisse fallen wird.
Der Prozentsatz der eingewanderten hiesigen Deutschen verringert sich eben
von Jahr zu Jahr. Je weiter deshalb die Zeit vorwarts schreitet, in desto hoherem
Masse sind wir, wenn der deutsche Unterricht nicht mit der Zeit in sich selbst zer-
fallen soil, der Unterstiitzung der Hiergeborenen bediirftig. — Die Mittel, die uns
zum Ziehle fiihren, sind folgende: ein interessanter, schoner Unterricht, ein mit
Festigkeit und Entschiedenheit gepaartes giitiges Walten, sowie gelegentliche Be-
tonung des hohen Werts der Kenntnis der deutschen Sprache. Nur sollte man bei
Anwendung des letztgenannten Mittels mit Vorsicht zu Werke gehen; keine Be-
hauptungen aufstellen, die das Kind entweder sofort oder in spaterer Zeit, als
Fur die Scbulpraxts. 213
nicht mit der Wirklichkeit im Einklang stehend, verwerfen wvirde. Es 1st dies z.
B. der Fall, wenn man dem Kinde sagt, dass die Kenntnis der deutschen Sprache
in unserem Lande absolut notwendig sei, oder wenn man in irgend einer Weise ver-
sucht, das Englische in den Augen der Schiller zu erniedrigen. Durch ein derar-
tiges Vorgehen streut man Misstrauen in die Herzen mancher Kinder und bewirkt
infolge dessen nur zu leicht gerade das Gegenteil von dem, was man bewirken will.
Etwas anderes ist es allerdings, wenn man bei vergleichendem Sprachunterricht
klarstellt, dass unsere Muttersprache der andern in mehr als einer Beziehung iiber-
legen ist, im iibrigen aber diirfen, ja sollen unsere Schiller wissen, dass wir auch
die englische Sprache hochschatzen und dass wir einzig und allein deshalb von
ihnen erwarten, sich vor uns ausschliesslich der deutschen Sprache zu bedienen,
weil wir wiinschen, dass ihnen auch der Gebrauch dieser Sprache gelaufig werden
soil.
Das Antlitz unserer herrlichen Muttersprache braucht iiberhaupt nicht mit be-
trilgerischer Schminke iiberzogen zu werden; es darf sich zeigen, wie es ist, in sei-
ner natiirlichen Farbe. Und die der Kenntnis derselben entspringenden Friichte
und Vorteile sind gliicklicherweise auch hier von solch hervorragender Art, dass
sie ebensowenig einer kiinstlichen Verzierung bediirfen, wenn man sie den Schiilern
zur Besichtigung vorlegen will; denn es ist Tatsache, dass das Studium der deut-
schen Sprache nicht nur der geistigen Kraftentwickelung und der Verschonerung
des Herzens, sondern auch dem Fortschritt im Englischen und der Erzielung ge-
schaftlicher Erfolge Vorschub leistet, sowie auch, dass das Deutsch von alien hier
vertretenen Volkerschaften respektiert, von alien treugesinnten Deutschamerikanern
hochverehrt und in hoheren Lehranstalten aller zivilisierten Lander der Erde ge-
lehrt wird. Das also ist es, worauf wir hinzuweisen haben. Desgleichen sollten
unsere grosseren Schiller wissen, in welch herrlicher Weise die friiheren Prasiden-
ten des Landes, Cleveland und Harrison, ihre hohe Achtung vor dem deutschen Wort
bekundet, und dass unser jetziger Superintendent, sowie auch seine Vorganger die
Erlernung einer zweiten Sprache in Elementarschulen wiederholt dringend empfoh-
len haben.
Es bietet sich uns in der Tat haufig Gelegenheit, hier auf den einen, dort auf
den andern obiger Punkte mit wenigen aber packenden Worten die besondere Auf-
merksamkeit der Schiller zu lenken, u. a. auch dann, wenn wir in Erfahrung brin-
gen, dass einer unserer friiheren Schiller eine Anstellung erhielt, die er ohne Kennt-
nis des Deutschen nicht hatte erhalten konnen. (Aus einem Vortrag, gehalten vor
dem Oberlehrerverein zu Cincinnati, von H. von Wahlde. )
Fur schicachbefahigte Schulkinder legt in der Sachsischen Schulzeitung Schul-
direktor Hildner in Treuen ein gutes Wort ein. Er nennt sie geradezu einen Segen
fiir die Schule, weil sie die Lehrer notigen, den Lehr- und Lernstoff so geschickt
als moglich zu behandeln. Indem die Lehrer der Schwachen wegen nach den besten
Methoden, den geeignetsten Lehrmitteln, der zweckdienlichsten Zeitausniitzung su-
chen miissen, haben auch die begabten Schiller derselben Schule mannigfachen Ge-
winn. '(Jbrigens sind gerade die schwachbefahigten Kinder oft recht dankbare Schil-
ler und werden haufig sehr brauchbare Menschen. Es liegt viel Wahres in den von
Menschenliebe und Hingabe an den Lehrerberuf getragenen Ausfiihrungen des Herrn
Direktor Hildner. Weiteste Verbreitung ist ihnen zu wiinschen. Zustimmung wird
auch folgende Bemerkung in seinem Aufsatze finden: Man erkenne irgendwelche
gute Leistungen bei Schwachen erst recht durch gute Zensuren an. Das hebt, das
erfreut! Man gebe iiberhaupt nicht zu schlechte Zensuren und wolle bedenken,
214 P'ddagogiscbe Monatshefte.
welch tiefe Wunden wir dadurch oft den Kinder- und Elternherzen schlagen. Nur
bei Faulheit und bSsem Willen sollte die 4 und 5 gegeben werden, wahrend bei
Fleiss und gutem Willen die 3 die schlechteste Zensur sein mochte.
Die Xmter der Pultabwischer, Papieraufleser, Tinteneingiesser, Kreideholer,
Tilraufschliesser, Thermometerableser, Blumenpfleger u. dgl. vertraue man braven,
schwachbefahigten Schulern, die unter die Leitung einiger anderer gestellt werden,
damit alle an prazise Pflichterfilllung, an Ehrlichkeit, Hoflichkeit und Wohlanstan-
digkeit, an Freundlichkeit und Gefalligkeit, an Fleiss, Piinktlichkeit, Ordnung und
Sorgf alt gewohnt werden. In alien solchen Dingen, die im Leben gar viel wert sind,
kann und soil selbst der schwachste Schiller dem gescheitesten keinen Vorsprung
lassen. Und wie gut warten viele ihres anvertrauten Arates.
Das Freihandzeichnen. Nach langen und heftigen Redekampfen hat die Ham-
burger Schulsynode am 20. Februar in einer sehr gut besuchten Versammlung die
Antrage Gotze und Genossen betreffend Freihandzeichnen angenommen. Die Ab-
stimmung liber das Linearzeichnen wird hinausgeschoben. Der Antrag Gotze und
Genossen hat folgenden Wortlaut: Die Schulsynode ersucht die Oberschulbehorde,
dem Lehrplan fiir Zeichnen folgende Fassung zu geben: 1) Freihandzeichnen: Auf-
gabe: Der Zeichenunterricht soil die Schiller befahigen, die Natur und die Gegen-
stiinde ihrer Umgebung nach Form und Farbe zu beobachten und das Beobachtete
einfach und klar darzustellen. — Unterstufe: 1. — 3. Schuljahr. Klasse 7 — 5. Im
1. und 2. Schuljahr wird das Zeichnen mit dem Anschauungsunterrichte verbunden.
Einfache Gegenstande aus dem Gesichtskreise des Schiilers werden nach der Beob-
achtung und aus dem Gedachtnis dargestellt. Der Unterricht ist Klassenunterricht.
Vorlagen jedweder Art sind ausgeschlossen. — Mittelstufe: 4. und 5. Schuljahr.
Klasse 4 und 3. Aufgaben: Das Zeichnen nach dem Gegenstande tritt in den Vor-
dergrund. Das Zeichnen aus dem Gedachtnis wird fortgesetzt. Als Vorbilder die-
nen flache Gegenstande, drehrunde Korper, insbesondere Naturformen. Nach den-
selben Gegenstiinden werden tibungen im Treffen von Farben und in der freien Wie-
dergabe der Form mit dem Pinsel ohne Vorzeichnung vorgenommen. — Oberstufe:
6. — 8. Schuljahr. Klasse 2, 1, Selekta. Aufgabe: Das Zeichnen nach dem Gegen-
stande wird auf die Wiedergabe der perspektivischen und Beleuchtungserscheinun-
gen ausgedehnt. Die ttbungen im Treffen von Farben und im Zeichnen aus dem
Gedachtnis werden fortgesetzt. '(Jbungen im Skizzieren mit dem Stift oder mit dem
Pinsel werden gelegentlich vorgenommen. Vorbilder: Geriite, Gefasse, Teile des
Schulgebaudes, Naturgegenstande (Friichte, Bliiten, Muscheln, ausgestopfte Vogel).
Ein Lehrplan fiir einen Hochschullcursus im Deutschen. Der diesjahrige Be-
richt des Prinzipals der High School zu San Jose, Californien, enthalt folgendes
flber den Unterricht in den modernen Sprachen:
In the study of modern languages, the aims and methods pursued are as fol-
lows: The grammar is made the basis of instruction; it is supplemented by ap-
propriate reading matter; with this is combined practice in oral expression, so as
to give the student a speaking knowledge of the language as far as circumstances
will permit; the student is made acquainted with the foreign country and the man-
ners and customs of its people; specimens of representative works of literature are
read, proceeding from simple to more advanced texts; these are translated into
idiomatic English, with a view of leading the student to observe shades and dif-
ferences in the meaning of words, and to increase his own vocabulary; the im-
Der deutscbe Unterricht in Erie. 215
portance of accurate construction in English as well as in the foreign language is
insisted upon; the relationship of English to other languages, especially to German
and French, is brought to the student's attention, and the historical development
of words and their changes in form and meaning are occasionally -indicated.
The following textbooks are used in the German department: First year —
Spanhoofd's Lehrbuch der deutschen Sprache — Heath. Huss's German Reader —
Heath. Benedix's Der Prozess — Am. Book Co. Storm's Immense e — Heath.
Second year — Bernhardt's German Composition — Ginn. Moser's Der Bibliothe-
kar — Am. Book Co. Wildenbruch's Das edle Blut — Heath. Schiller's Der Neffe
als Onkel — Heath. Ebner-Escheribach's Die Freiherren von Gemperlein — Heath.
Third year — Jagemann's German Composition — Holt. Scheffel's Trompeter von
Sakkingen — Am. Book Co. Helbig's Komodie auf der Hochschule — Heath. Schil-
ler's Die Jungfrau von Orleans — Appleton.
Berichte und Notizen.
I. Entwickelung und Stand des deutschen Unterrichts in den
Schulen von Erie, Pa.
Vortrag, gehalten vor dem 32. Lehrertage zu Detroit, Mich.
Von G. G. von der Groben, High School. Erie. Pa.
Meine Damen und Herren!
Ich bitte, es mir nicht als trberhebung und Eitelkeit auszulegen, wenn ich fur
meinen Vortrag einen Gegenstand gewahlt habe, in dessen Verlauf ich notgedrun-
gen von mir selbst und von meinen Arbeiten und Bestrebungen sprechen muss. Er-
stens geschah es auf den ausdriicklichen Wunsch unseres verehrten Herrn Prasiden-
ten, und dann war es meine Absicht, Sie nicht nur mit der Entwickelung und dem
gegenwartigen Stand des deutschen Unterrichts in Erie bekannt zu machen, sondern
auch Ihre Kritik herauszufordern und Ihre Ansichten iiber die Richtigkeit und
etwaige Mangel unserer Methoden zu horen. Wahrend die Verhaltnisse in den
grosseren Stadten wie Milwaukee, Cincinnati, Detroit u. s. w. allgemeiner bekannt
sind, weiss man wenig oder gar nichts von uns, und wir kb'nnen uns doch recht gut
mit unserem deutschen Departement sehen lassen.
Ich kann wohl annehmen, dass es von Interesse fiir Sie sein wird, nicht nur
etwas vom deutschen Unterricht zu horen, sondern von der Entwickelung des Schu-
wesens in Erie iiberhaupt, die natiirlich mit dem Deutschen aufs engste verknupft
ist. Im Jahre 1806 wurde in dem nur etwa 10 Jahren alten Stildtchen das erste
Schulhaus gebaut. Es war ein rohes Blockhaus, 22 Fuss lang und 18 Fuss breit.
Die Kosten beliefen sich auf 30 Dollar, und wurde dieser Betrag von den Biirgern ge-
sammelt. Die Kosten des Unterrichts wurden ebenfalls von den Leuten bestritten,
die ihre Kinder zur Schule schickten. Im Jahre 1834 wurde das gegenwartige
Schulsystem eingefiihrt. Freie Schule fiir alle Kinder und Aufbringung des notigen
Geldes durch Auferlegung von Steuern. Anfangs regte sich heftiger Widerstand
gegen diese Massregel, aber er wurde durch die Bemiihungen einzelner einflussreicher
Burger besiegt. Im Jahre 1860 besass die Stadt 3 Schulen, und 1866 wurden in
diesen Schulen hohere Klassen eingerichtet, die unter dem Namen High-School-
Department den Grundstein der heutigen Hochschule bildeten. Schon im folgenden
Jahre wurde die Hochschule als solche etabliert. Ein fiir damalige Zeiten stattlichea
216 P'ddagogische Monatsbejte.
Gebaude stand an Stelle des kleinen Blockhauses. Aber auch diese Schule 1st ver-
schwunden und hat einem priichtigen Neubau Platz machen miissen, der offentlichen
Schule No. 2. Die Stadt wuchs und besitzt heute bei einer Bevolkerung von etwa
56,000 Seelen eine Hochschule und 17 offentliche Schulen mit iiber 6000 Schiilern und
200 Lehrern, darunter nur 6 Manner. Ausserdem bestehen auch einige katholische
Parochialschulen, darunter mehrere deutsche.
In einer Stadt wie Erie mit einer starken deutschen Bevolkerung, fast die Halfte
der Einwohner ist deutsch, hat sich naturgemass schon friih der Wunsch geregt,
deutschen Unterricht in den b'ffentlichen Schulen einzufuhren. Die verschiedenen
deutschen Kirchen hatten wohl ihre kleinen Gemeindeschulen, aber das wurde doch
nicht als geniigend anerkannt.
Die ersten Anfange eines geregelten deutschen Unterrichts datieren bis zum
Jahre '64 zuriick, als eine Anzahl der prominenten Deutschen der Stadt zusammen-
trat und einen Schulverein griindete. Dieser Verein wurde am 9. Februar '65 in-
korporiert unter dem Namen ,,The German Free-School Association of the City of
Erie. Paragraph 2 der Inkorporationsurkunde lautet ,,The object of the association
is to provide for means to buy a suitable lot for the erection of a school-house
thereon, which, when finished, shall be tendered to the school-directors of the city
for the instruction of German classes free of any charge if necessary." Der Plan
kam zur Ausfiihrung, und eine Reihe von Jahren wurde hier deutscher Unterricht er-
teilt. Der Verein hatte mit mancherlei Schwierigkeiten zu klimpfen, und nicht die ge-
ringste war die Beschaffung von geeigneten Lehrkraften. Man musste eben nehmen,
was kam, und machte dabei manche triibe Erfahrungen, die anderen Stadten auch
wohl nicht erspart geblieben sind. Leute, die sonst nichts anderes zu tun fanden,
wurden deutsche Lehrer, und selbst wenn sie die nb'tigen Kenntnisse besassen, ent-
wickelten sich in ihrem sonstigen Lebenswandel Schwachen, die sie nicht zu Erzie-
hern der Jugend geeignet machten.
Nach einer Reihe von Jahren setzte es der Verein durch, dass Deutsch als U»
terrichtsgegenstand in alle offentlichen Schulen aufgenommen wurde. Die Ver-
haltnisse wurden nun geregelter und die Lehrkriifte wurden aus dem vorhandenen
Material von Lehrerinnen beschafft. Es wurde nun regelmlissig Unterricht erteilt,
aber es war kein System in dem Unterricht, die Lehrerinnen war en auch nicht immer
geeignet und von einer eigentlichen Methode war auch kaum die Rede. Es erhoben
sich mehr und mehr Stimmen gegen die Fortsetzung des deutschen Unterrichts in
den Schulen unterhalb der Hochschule. Die Verhaltnisse spitzten sich mehr und
mehr zu, und eine Krisis war unvermeidlich. So beschlossen dann die deutsch-
freundlichen Mitglieder des School-Boards, die Angelegenheit zu einer Entscheidung
zu bringen und die Aufhebung oder Beibehaltung des deutschen Unterrichts dem
Volkswillen zu iiberlassen. Eine Anzahl offentlicher Versammlungen fanden statt,
und viel wurde daflir und dawider geredet. Zwei Komitees von Schulratsmitgliedern
wurden ernannt, um die Frage eingehend zu studieren und dann dem Plenum ihre
Berichte vorzulegen. Es war das im Februar 1900.
In der Versammlung der Schuldirektoren wurde der folgende Bericht zu Gunsten
des deutschen Unterrichts eingereicht:
Gentlemen !
After due and careful consideration, the majority of your committee believes
it to be to the best interest of our schools to continue the teaching of German. Tne
teaching of a foreign language is sanctioned by the leading authorities on public-
school instruction as an important and valuable aid in the elementary training of
children, also meets the social conditions and wants of our community. German in
Erie is a necessity, it is not a theory. Your committee therefore recommends that the
teaching of German be continued; that on the opening of schools in September each
Der deutsche Unterricbt in Erie. 217
pupil shall be required as a condition of admission to file with the principal a
written request from the parent or guardian, whether he desires such pupil to study
German or not: that pupils commencing the study of German shall be required to
continue it to the close of the school year unless excused by the superintendent; that
it shall be rated in the promotion of pupils the same as other studies; that it
shall be under the special supervision at a suitable compensation of Mr. v. d.
Gr. of the High-School who shall prepare a course of study in German for all
grades including the High School; and that the German teachers and all candidates
for the teaching of German, be organized by him into a training class to receive
instruction in methods not less than twice each month during the year.
Die Gegner wandten ein, dass die Kosten des Unterrichts in keinem Verhaltnis
zu den erlangten Resultaten standen, dass der deutsche Unterricht nur ein den
Deutschen der Stadt gezolltea Kompliment sei, dass derselbe zwecklos und unver-
standlich sei fur Kinder, die ihrer eigenen Sprache nicht machtig seien, und dass
mit demselben Rechte die anderen Nationalitaten wie Polen, Russen, Italiener die
Einfiihrung ihrer Sprachen in den offentlichen Unterricht beanspruclien konnten.
Die endliche Abstimmung ergab eine Majoritat von 16 gegen 4 zu Gunsten der Bei-
behaltung, und als im Herbst die Karten mit der Unterschrift der Eltern zuriick-
kamen, erklarten sich 80 Prozent der Eltern zu Gunsten des deutschen Unterrichts.
Das war wohl der schlagendste Beweis, dass die Niitzlichkeit auch von vielen nicht-
deutschen Eltern anerkannt wurde.
Wie schon oben erwiihnt, besitzt die Stadt Erie bei einer Bevolkerung von etwa
56,000 Seelen 1 Hochschule und 17 Volksschulen. Nach einem von den deutschen
J^ehrerinnen am loten April aufgenommenen Zensus war die Hochschule von 500, die
17 offentlichen Schulen von 5927 Schiilern besucht. Von diesen letzteren beteiligten
sich am deutschen Unterricht 4775 oder 83.9 Prozent; Kinder deutscher Eltern wa-
ren 2201 oder 47.6 Prozent. Die Teilnahme am deutschen Unterricht richtet sich
hauptsachlich nach der Bevolkerung des Distriktes, in dem die Schule gelegen ist,
jedoch hat auch die Personlichkeit der Lehrerin grossen Einfluss. Der Prozentsatz
der Teilnahme am deutschen Unterricht schwankt zwischen 95.4 Prozent in einer
Schule, in der 37.3 Prozent deutsche Kinder sind, und 71 Prozent mit 63 Prozent
deutschen Kindern. Man sieht aus diesen Zahlen, dass er ganz und gar nicht ein
Privileg der Deutschen ist. Noch auffallender stellen sich die Zahlen in einer klei-
nen hauptsachlich von Slaven und Irlandern besuchten Schule. Von 199 Kindern
nahmen 179 am deutschen Unterricht teil, und 15 davon sind von deutschen Elfern.
Deutlicher kb'nnen wohl Zahlen kaum reden. Die Gesamtkosten belaufen sich auf
$6920 oder $1.40 pro Kopf der deutschlernenden Kinder. Die Hochschule ist in
diese Zahlen nicht eingeschlossen. Hier stellt sich der Prozentsatz der deutsch-
studierenden Schiller naturlich nicht so hoch. Etwa 180 von den 500 Schiilern der
Hochschule beteiligten sich am deutschen Unterricht. Latein iibt stets eine grosse
Anziehungskraft aus, und auch die Klassen in Griechisch und Franzosisch sind
meist gut besucht. An Lehrerinnen fur den deutschen Unterricht besitzen wir eine
ftir jede Schule unterhalb der Hochschule, in letzterer zwei. Die Lehrerinnen sind
samtlich von deutscher Herkunft und beherrschen dieSprache, die sie lehren, voll-
standig.
Bei der Aufstellung eines Lehrplanes fur den deutschen Unterricht vom ersten
Schultage bis zum 4ten Jahre in der Hochschule musste naturlich in erster Linie
den Wiinschen des Publikums Rechnung getragen werden. Warum lernen unsere
Schfiler Deutsch? Die Deutschen, um sich ihre Muttersprache zu erhalten und mit
ihr mancherlei gute Sitten und Gebrauche. Der Zweck ist hier ein mehr idealer, aber
er soil auch ein praktischer sein, und die Kinder sollen lernen, die Sprache im tag-
lichen Leben, besonders im Geschaftsleben zu gebrauchen, und es ist eine unbe-
218 P'ddagogische Monatsbefte.
atrittene Tatsache, dass ein junger Mann oder ein junges Madchen mit der Kenntnis
von zwei modernen Sprachen, und bier ist doch in erster Ldnie an Deutsch zu den-
ken ,weiter kommen und bessere Aussichten haben als diejenigen, die nur ihre
Muttersprache verstehen. Dazu gehort aber, dass sie die Spraehe sprechen lernen
und nicht nur lesen und verstehen, und darauf ist unser ganzer Lehrplan basiert.
Der Kursus in den Volksschulen ist siebenjahrig. Der Unterricht im Deutschen be-
ginnt mit dem ersten Schultage. In den ersten beiden Jahren ist der Unterricht nur
miindlich, d. h. Textbiicher werden nicht benutzt aus dem sehr triftigem Grunde,
weil wir keine haben und ich eine so bedeutende Auslage augenblicklich nicht von
dem School-Board verlangen kann. Wie es Ihnen wohl bekannt ist, haben wir in
Pennsylvanien freie Biicher. Ich wiirde sehr gerne wenigstens im zweiten Jahre ein
passendes Lesebuch einfiihren, aber wir haben uns noch zu gedulden. Ablesen von
Wortern und Satzen von der Wandtafel wird fleissig geiibt und wir besitzen auch
gedruckte Buchstaben, die in Worter und kleine Satze zusammengestellt werden.
Schreibunterricht beginnt im zweiten Jahre. Als Material fttr den Anschauungsun-
terricht benutzen wir die ,,Strassburger Bilder, Holtzels Wandbilder und Wilkes
Bildertafeln." Diese Bilder stellen die 4 Jahreszeiten, Stadt, Bauernhof, Wald, Ge-
birge und Hafen u. s. w. dar. Wir haben mit diesen Bildern ausserordentliche Er-
folge erzielt, und ich kann sie alien Kolleginnen und Kollegen aufs warmste em-
pfehlen. Sie iiben auf die Kinder grosse Anziehungskraft aus, und wir haben mit
denselben erreicht, dass die Schiller selbstandig sprechen lernen,in dem sie auf das,
was sie sehen, hinweisen und die Handlung und Situation beschreiben. Die Bilder
sind fur wenig Geld von der Leipziger Lehrmittelanstalt zu beziehen. Als Material
fiir die Konversation dient natiirlich alles, was den Kindern nahe liegt und ver-
standlich ist, besonders die Klasse und das Heim, die Korperteile, Kleidung, einige
Blumen und Friichte. Die Arbeiten der Mutter, wie Waschen, Kochen, Einkaufen
werden besprochen und kleine Satze gebildet mit den Zeitwb'rtern gehen, kommen,
legen ,stellen, tragen, werfen. Der Gebrauch einiger Prapositionen, wie an, auf, in,
neben, unter, wird geiibt und eine Anzahl von kleinen Liedern und Reimen werden
gelernt und gesungen. Der Anschauungsunterricht im zweiten Jahre ist ahnlich
wie im ersten, nur dem Begriffsvermogen der Kinder angepasst, vorgeschrittener.
Die Namen der Tage, Monate, Jahreszeiten werden gelernt, ebenso die Namen und
der Gebrauch von einigen Werkzeugen und Gegenstanden des taglichen Gebrauches.
Zeitworter wie ,,haben, sitzen, stehen, liegen, hangen und die Frage wo?" werden
geiibt, ebenso die Eigenshaftsworter, die Farben und Dimensionen ausdriicken. In
dieser Klasse beginnt der Schreibunterricht und das Ablesen von Wortern und Satzen
von der Wandtafel.
Im dritten Jahre beginnen wir mit Weick und Grebners erstem Lesebuch. Die
Lektionen werden nicht nach der Reihenfolge durchgenommen, sondern hier ist die
grossere oder geringere Schwierigkeit, die sie bieten, massgebend gewesen. So be-
ginnen wir nicht mit der ersten Lektion, sondern mit der 7ten, dann folgt 29, 50,
1 u. s. w. Die Lektionen werden gelesen, erklart, wohl auch ins Englische iibersetzt
und dann iiberzeugt sich die Lehrerin durch viele Fragen, ob die Schiller das Gele-
sene verstanden. Konversation und gutes Lesen, gute Aussprache und Gelaufigkeit
sind die massgebenden Punkte. Auch in dieser Klasse werden, wie iiberhaupt in
alien die Bilder benutzt und Sprechunterricht fleissig geiibt, ebenso Schreiben und
Diktat. Spriichworter, kleine Lieder und Gedichte werden gelernt. Miindliche
Steigerung von Beiwortern bildet hauptsachlich die Grammatik dieser Klasse. Im
4ten Jahre beginnen wir mit der Konjugation von Zeitwortern im Prasens. Solche
werden gewahlt, die im Text der Lesestiicke vorkommen und in den friiheren Klassen
fiir Konversationszwecke benutzt werden. Als Lesebuch dient ebenfalls Weick und
Grebners erstes Buch. Im fiinften Jahre wird das erste Lesebuch beendigt. Die
Der deutscbe Unterricbt in Erie. 219
Hauptformen der in friiheren Lektionen gelernten Zeitworter werden geiibt und die
Konjugation des Imperfekt, ferner die erste Deklination mit dem bestimmten Artikel
und der (rebranch des ersten, zweiten und 4ten Falles in Satzen. Im 6ten Jahre
beginnen wir das zwelte Lesebuch. Hauptworter der dritten und vierten Deklination
werden dekliniert, ferner Worter wie dieser, jener, jeder, welcher, wer und was.
Konjugiert werden das Prasens, das Perfekt und das Futurum. Die Prapositionen,
welche den Dativ regieren werden gelernt und in Satzen geiibt. Im siebenten Jahre
wird das zweite Lesebuch beendigt. Dekliniert werden der unbestimmte Artikel, die
besitzanzeigenden Fiirworter und die zweite Deklination; ferner die personlichen
Fiirworter; konjugiert bekannte Verben in den schon friiher gelernten Formen und
im Plusquamperfektum. Die Prapositionen, die den Akkusativ regieren, werden ge-
lernt. In alien diesen Klassen nehmen Sprachiibungen die Hauptzeit ein, aber auch
Schreiben und Diktat werden hier nicht vernachlassigt. Zum Anschauungsunterricht
gebrauchen wir in den hoheren Klassen auch ,,Monsteitte Pictorial Chart of Geog-
raphy."
Wenn wir uns nun die Frage stellen: sind die erreichten Resultate zufrieden-
etellend und dem Aufwande an Arbeit, Zeit und Geld entsprechen, so glaube ich
die Frage ehrlich mit ,,ja" beantworten zu konnen. Was unter den bestehenden
Verhaltnissen moglich ist, wird in reichem Masse geleistet. Wir haben mit man-
cherlei Schwierigkeiten zu kampfen, wie es wohl auch anderswo sein wird. Unsere
Klassen, namentlich in den ersten Jahren sind gross und die Zeit ist sehr kurz, von
20 bis 30 Minuten taglich; ferner hat die Lehrerin in nur wenigen Schulen ein ei-
genes Zimmer und Storungen sind unvermeidlich. In den hoheren Klassen ist die
Schiileranzahl geringer und veranlassen die am Ende des Terrains stattfindenden
Priifungen manche Schiller Deutsch aufzugeben. Infolgedessen konnen diese Klassen
auch Besseres leisten und kommen die wenigen, die iibrig bleiben, gut vorbereitet in
die Hochschule. Manche Verbesserungen haben wir schon durchgesetzt, und mit der
Zeit wird es ja auch noch besser werden. Wir haben im School-Board stets eine
Anzahl dem Deutschen wohlgesinnte Mitglieder. Wenn nur die leidige Geldfrage
nicht bei alien eine so grosse Rolle spielte.
Ich komme nunmehr zu der Hochschule und mochte hier etwas genauer auf
die Art und Weise des Unterrichts eingehen. Der Kursus ist hier vierjahrig. Wir
teilen die Anfangerklassen in Schiller mit und ohne Vorkenntnisse. Ich iibernehme
eine Klasse, die aus Schiilern besteht, die absolute Anfanger sind oder kaum nennens-
werten Unterricht gehabt haben, meine Kollegin den Rest. Meine Klasse besteht
durchschnittlich aus 25 bis 30 Schiilern, wahrend die andere weit grosser ist und
in verschiedenen Unterabteilungen geteilt wird. Als Textbuch benutze ich Prof.
Bernhardts deutsch'es Sprach- und Lesebuch, und ich gebrauche die deutsche Sprache
vom ersten Unterrichtstage an und habe ich in achtjahriger Praxis nur gute Re-
sultate mit diesem Buche erreicht. Das Buch ist deutsch vom Anfang bis zum Ende.
Die Lektionen sind so leicht verstandlich, dass auch ein mittelmassiger Schiller
keine besonderen Schwierigkeiten finden wird, aber er muss seine ganze Aufmerksam-
keit konzentrieren, um folgen zu konnen. Es wiirde hier zu weit fiihren, wollte ich
den ganzen Gang des Unterrichts beschreiben, aber einige Bemerkungen mochte ich
mir doch erlauben. Das Buch ist in erster Reihe eine Konversationsmethode, ent-
halt aber auch alle fur ein erstes Schuljahr notwendige Grammatik in leicht fass-
licher Darstellung. Die Lesestiicke sind vorziiglich gewahlt, ebenso die Gedichte.
Jede Lektion enthalt auch einen englichen Text fiir Komposition. Um diese Methode
gebrauchen zu konnen, ist conditio sine qua non vollstandige Kenntnis und Be-
herrschung der Sprache, auch ein wenig Zeichentalent ist von grossem Nutzen.
Sie erfordert iibrigens auch bedeutendes Material, und das ist vielleicht fiir manche
Lehrer schwierig zu beschaffen und mit Kosten verbunden. Dank der Gute meines
220 P'ddagogische Monatsbefte.
Freundes Bernhardt bin ich aufs reichste mit dem versehen. Ich kann die Methode
jedem Lehrer dringend empfehlen, der ohne zu erroten, mit dem Bewusstsein vor
seine Klasse treten kann ,,Ich kann Deutsch." Das Buch fiillt ein Jahr reichlich aus
und benutze ich nur dieses eine.
Ausser Sprachunterricht spielen ttbersetzungen ins Deutsche und Diktat eine
grosse Rolle. Etwa 8 Gedichte werden wahrend des Schuljahres gelernt wie die
Engel, Lorelei, Erlkonig, Was ich Hebe, Kapelle, Wanderers Nachtlied u. andere.
Meine Kollegin benutzt in ihren Klassen Joynes Meissners Grammatik und Jones
Reader. Auch sie benutzt Deutsch als Sprache in der Klasse, das hat aber natiirlich
nicht fur die Schiller die Schwierigkeiten wie in einer Anfangerklasse. Im zweiten
Jahre benutzen wir A Course in German Conversation, Composition and Grammar
Review von Prof. Bernhardt, ebenfalls ein vortreffliches Buch besonders fur daa
zweite Jahr geeignet. Jede der 32 Lektionen enthalt einen Text, Composition, Con-
versation und Grammatik. Als Lektiire benutzen wir die bekannten Biicher, wie
Immensee, Hoher als die Kirche, Traumereien und ahnliche. Die besten sind die,
die am meisten Handlung und deshalb Material fur Konversation enthalten.
Im dritten Jahre habe ich bis jetzt ,,Unter dem Christbaum" von Helene Stb'ckel
gelesen, doch werde fch im kommenden Schuljahre Sterns ,,Sagen vom Rhein" be-
nutzen. Das letztere Buch bietet ein unerschopfliches Material fiir Konversation,
und die Schiiler lernen auch mancherlei, das nicht gerade zum deutschen Unterricht
gehort, wie Geschichte, Geographic, u. s. w. Ich verlange von meinen Klassen eine
gute Vorbereitung der gebenenen Aufgabe. Alle unbekannten Worter miissen mit
der englischen Bedeutung in ein besonderes Heft geschrieben werden. Dadurch wer-
den die Schiiler mit dem Inhalt des Lesestiickes vertraut und die Arbeit in der Klasse
sehr erleichtert. Ich lasse nicht regelmlissig ins Englische iibersetzen, besonders
nicht, bevor ich das Gelesene griindlich durchgenommen und besprochen habe, und ich
iiberzeuge mich durch viele Fragen, ob die Schiiler das Gelesene verstanden. Ich
habe stets gefunden, dass ich die angespannte Aufmerksamkeit der Klasse habe, so-
lange ich nur Deutsch spreche. Die Schiiler miissen aufpassen, um folgen zu kon-
nen, und sind auch viel mehr interessiert, da sie sprechen lernen wollen. Ich gehe
nur langsam vorwiirts. Ich bin der Ansicht, dass es wertvoller fiir die Schiiler ist,
20 Seiten griindlich zu lernen als 40 nur halb. Im zweiten Term lesen wir Tell. Tell
ist seiner lebhaften Handlung wegen von alien klassischen Dramen wohl das geeig-
netste fiir Klassengebrauch und auch das leichteste. Die mancherlei Personen und
Szenen geben reichen Unterhaltungsstoff. Zum 'tfbersetzen ins Deutsche benutze ich
Harris Composition. Die Schiiler miissen ein bestimmtes Pensum zu Hause iiber-
setzen und in ihr Aufgabeheft schreiben. Dann schicke ich 8 bis 10 von ihnen an
die Tafel und lasse jeden einen oder mehrere Siitze anschreiben. Der Rest der Klasse
muss nun die gemachten Fehler herausfinden. Es bildet sich hier bald ein gewisser
Wetteifer heraus, Fehler zu finden, und ihnen entgeht auch nicht der kleinste ortho-
graphische Fehler, den ich selbst vielleicht iibersehen habe. Das an die Tafel Ge-
schriebene wird korrigiert und besprochen und an die gemachten Fehler Grammatik
angekniipft. Die eigenen Arbeiten werden verbessert und am Ende der Stunde sehe
ich eine Anzahl Hefte nach, um mich davon zu iiberzeugen, ob das auch geschehen.
Ich lasse 8 bis zehn Gedichte lernen und zwar solche wie Belsazar, Abseits vom
Strom, Konig in Thule, Madchen aus der Fremde und andere. Ich gebe die Ge-
dichte als Diktat und lasse sie dann ebenfalls strophenweise an die Tafel schreiben
und verbessern und kniipfe 'Obungen in Orthographie daran an. Im vierten Jahre
lesen wir Hermann und Dorothea und die Jungfrau in ahnlicher Weise wie in den
andern Klassen. Zum tfbersetzen ins Deutsche benutze ich v. Jagemanns ,,Materials
for Composition" und zum Grammatikunterricht v. Jagemanns ,,Syntax". Eimnal
Der deutscbe Unterricbt in Erie. 221
wochentlich habe ich eine Literaturstunde und gebrauche ich als Textbuch Bernhardts
Hauptfakta der deutschen Literatur.
Selbstverstftndlich 1st es nicht moglich, in so wenigen Stunden von den Schulern
ein griindliches Studium der gesamten Literatur zu erwarten. Es ist das auch
durchaus nicht meine Absicht. Was ich bezwecke und auch erreiche, ist die deutsch-
lernenden Schiller mit dem Wichtigsten, besonders auch mit der Entwickelung der
Sprache bekannt zu machen, ferner mit den verschiedenen Perioden und den wichtig-
sten Werken von Ulfilas Bibeliibersetzung bis zur neuesten Zeit. Ich diktiere fur
jede Periode eine bestimmte Anzahl Fragen, welche die Schiller schriftlich zu beant-
worten und nach Durchnahme und Verbesserung auswendig zu lernen haben. Da-
bei wird natiirlich auf einzelne Schriftsteller und deren Werke genauer eingegangen,
besonders auf Schiller und Goethe. Am Schluss des Schuljahres kniipfte ich einige
Worte iiber die Schriftsteller an, deren Werke wir in unserer offentlichen Bibliothek
finden, und die viel von den hiesigen Deutschen und auch von Schulern gelesen wer-
den. Vorbereitung filr diese Stunde verlange ich nicht. Ich gebe in diesen Litera-
turstunden auch die Gedichte. Als Parallelklasse zum 4ten Jahre haben wir noch
eine sogenannte German-German Klasse fiir Schiller, die zu Hause deutsch sprechen.
Diese Klasse ist ausserordentlich interessant, da ich mit den Schulern wie mit gebore-
nen Deutschen reden kann. Die meisten sprechen recht gut Deutsch, wenn auch oft
stark im siiddeutsehen Dialekt oder in Pennsylvania Dutch. Unter diesen Schulern
findet man viele, die aus den deutschkatholischen Parochialschulen kommen. In
diesen wird ein halber Tag englisch und ein halber Tag deutsch gelehrt. Ich lese
in dieser Klasse Maria Stuart und die Journalisten mit verteilten Rollen. In Litera-
tur Schillers und Goethes Leben und Werke und Gedichte verschiedener anderer
Dichter, die in Prosa schriftlich oder miindlich wiedergegeben werden. Zu ttber-
setzungen ins Deutsche benutze ich v. Jagemanns oder Polls Biicher fiir Komposi-
tion, als Grammatik und Prosalesebuch Bernhardts Sprach- und Lesebuch II. Teil.
Ich nehme hier besonders das Zeitwort und den Gebrauch der Konjunktionen durch.
Das Buch eignet sich vorziiglich fiir Schiller im 4ten Jahre einer Hochschule und
auch fiir Kolleggebrauch.
In vorliegenden Blattern habe ich versucht, Ihnen zu schildern, was wir in unse-
rem deutschen Departement tun. Vielleicht eignet sich der Kursus nicht fiir andere
Orte so gut wie fiir Erie; aber fiir unsere Verhaltnisse mit einem so starken deut-
schen Element ist er durchaus geeignet, nicht nur fiir Schiiler, deren geistige Erzie-
hung mit der Hochschule aufhort, sondern auch fiir die, die ein Kolleg oder eine
Universitat besuchen. Wir haben die praktischen Beweise dafiir. Die Verhaltnisse
in unseren Schulen sind die besten, es herrscht eine vollstandige Harmonie. Das
Deutsche ist in den Schulen von den Vorsteherinnen und anderen Lehrerinnen gern
gesehen und begiinstigt. So hoffe ich, dass die Zukunft auch hier die besten Friichte
bringen wird. Ich bin der ftberzeugung, dass das Deutsche in den Schulen unserer
Stadt fiir absehbare Zeit gesichert ist. Die Lehrerinnen des Deutschen gehoren
siimtlich als Zweigverein dem Lehrerbunde an. Unsere Versammlungen finden alle
14 Tage statt und werden Angelegenheiten des Unterrichts besprochen. So leben
wir hier im besten Einverstandnis in fleissiger Arbeit fiir unsere Sache, das Deutsche,
fern vom Gerausch der Welt. Vieles haben wir schon erreicht, aber wir gedenken
nicht dabei stehen zu bleiben. Worauf wir hinarbeiten, ist vollstandige Gleichstel-
lung des deutschen Unterrichts mit den anderen Fachern. Ob wir es erreichen wer-
den, liegt im Schosse der Zukunft.
II. Korrespondenzen.
Baltimore.
Ein deutschamerikanisches Dichter-
tournier fand irn wonnigen Maimonat
hier statt, gewissermassen ein Vorliiufer
zu dem fiir die mittlere Juniwoche ge-
planten Sangertournier, dem 20. Natio-
nalen Sangerfest des Nordbstlichen San-
gerbundes von Amerika, dessen in der
jiingsten Korrespondenz bereits Erwah-
nung geworden. Das benachbarte Wa-
shington hatte zu dem interessanten
Verstournier drei wackere Ritter ent-
sandt: Frank Claudy, den tremichen
ftbersetzer des Goetheschen ,,Faust", den
Journalisten Dr. Straib und Hugo
Schulze. Von Baltimore traten vier mu-
tige Kampen in die Schranken: Dr. E.
Henrici, Prof. Otto Fuchs, Dr. M.
Schapiro und Louis Illmer. Ein eigenes
Zusamrnentreffen, dass am selben Tag
auch in Koln die Preise fiir die diesjah-
rigen Blumenspiele zur Verteilung ka-
men, bei denen unser Dr. Henrici als ei-
ner der Sieger hervorgegangen war.
Sein Dichterpreis, eine goldene Nadel
mit dein Kb'lner Wappen, ist bereits
hier eingetroffen.
Diese Kolner Blumenspiele sind eine
Neubelebung der alten provengalischen
,,Jeux floraux", deren Entstehung in das
vierzehnte Jahrhundert zuriickreicht, die
neuerdirigs in siidfranzosischen Stadten
und in Spanien wieder aufgebliiht sind.
Hof rat Dr. Johannes Fastenrath hat die
Blumenspiele vor filnf Jahren auch in
Deutschland eingebiirgert, und mit gro-
ssem Erfolge. Blumenspiele werden die-
se dichterischen Wettbewerbe genannt,
weil die Preise fiir die besten Dichtun-
gen in Blumen bestehen; eine goldene
Kornblume fiir das beste patriotische
Gedicht, ein goldenes Veilchen fiir das
beste religiose Gedicht, lebende Blumen
mit Schleife fiir das beste Liebesgedicht
und das Recht, die Blumenkonigin zu er-
nennen, eine goldene Rose oder eine Re-
benbliite fiir die beste Novellette oder
Humoreske. Neben diesen von Dr. Fa-
stenrath gestifteten Preisen sind in den
vier letzten Jahren zahlreiche ausseror-
dentliche Preise von anderen Seiten ge-
stiftet worden, sogar aus Spanien. Von
Jahr zu Jahr wachst das Interesse an
diesen Spielen.
So ernst wie in Koln war der Dichter-
wettstreit in der ,,Vorwartshalle" nicht
gemeint; und doch mag er der Anfang
werden, dass unsere deutschamerikani-
sche Dichtung, die bisher zum grossen
Teil in den Zeitungen Unterschlupf su-
chen musste und iiber eng begrenzten
Leserkreis nicht hinaus kam, sich wei-
tere Gebiete erobert, dass unsere deutsch-
amerikanischen Dichter, und ihre Zahl
ist recht gross, mehr bekannt und ge-
wiirdigt werden.
Die bei diesem Tournier in Wettbe-
werb getretenen Dichtungen fanden rei-
chen Anklang, und der unermiidlich
strebsame Turnverein ,,Vorwarts" hat
mit dieser Veranstaltung nicht allein ei-
nem grossen Publikum von geladenen
Gasten einen schb'nen und genussreichen
Abend bereitet, sondern auch, unbeab-
sichtigt vielleicht, den Anfang gemacht,
deutschamerikanische Dichter einander
naher zu bringen. Unser ehemaliger
Kollege Richard Ortmann, der wiirdige
Nachfolger Leyhs in der Schriftleitung
des ,,Deutschen Correspondenten",
schreibt hieriiber folgende beherzigungs-
werte Worte: ,,Warum jetzt nicht wei-
ter bauen? Warum den kleinen Kreis
vom letzten Sonntag nicht erweitern? Zu
welch grossen musikalischen Festen ha-
ben sich die Siingerfeste dieses Landes
aus den kleinsten Anfangen entwickelt!
Im Mai des Jahres 1844 machte der
Baltimorer ,,Liederkranz" eine Fahrt
nach Philadelphia, um dem dortigen
Mannerchor einen Besuch abzustatten —
das erste Sangerfest in den Ver. Staa-
ten; und wie sind dieselben riesig ange-
wachsen! So reich an Zahl wie deutsch-
amerikanische Sangerkehlen sind die ja
nicht, in deren Adern echtes Poetenblut
rollt; aber was tut das? Die Menge
tut's in der Dichtkunst nicht, sondern
die Qualitat. Wir mochten hier eine
Anregung geben, solchen Dichterwettbe-
werben, wie sie in Siidfrankreich, in
Spanien, in Koln stattfinden, auch zum
Biirgerrecht zu verhelfen. Unsere
deutschamerikanischen Dichter wiirden
damit mehr Fiihlung unter einander ge-
winnen, was aber viel hb'her zu werten
ist, unsere Dichter wiirden aus dem be-
scheidenen, veilchenartigen Dasein her-
austreten; ein frischer, frohlicher Zug
wiirde einsetzen." S.
Cincinnati.
Ganz unerwartet nicht, aber doch sehr
plotzlich und jedenfalls zu friihe, iiber-
raschte uns am 14. Mai die Kunde von
dem Ableben des Kollegen Dr. Wilhelm
Jager, des deutschen Oberlehrers der 6.
und 8. Distriktschulen. Der erst im 43.
Lebensjahre stehende, seit etwa zwei
Jahren an den hiesigen offentlichen
Schulen tatig gewesene, hochgebildete
und allgemein beliebte Kollege, ein
Korresponden^en .
223
Braunschweiger von Geburt, war friiher
in verschiedenen Stadten unseres Landes
als Vorsteher von Berlitz-Schulen sehr
giinstig bekannt; hatte zu verschiedenen
Malen die alte Heimat besucht und dort
immer wieder an seiner fachlichen Aus-
bildung weiter gearbeitet, in der er sich
in jeder Hinsicht auszeichnete. Es war
ihm in hohem Grade die Gabe verliehen,
sein VVissen in logisch-gediegene Gedan-
ken zu kleiden und diese in tadelloser
Form zum Ausdruck zu bringen. Zeuge
davon ist der vor nicht langer Zeit in
den ,,P. M." erschienene Aufsatz aus
seiner Feder. Er litt augenscheinlich an
einem Herzfehler und war dabei nicht
frei von Leber- und Nierenbeschwerden.
Das hinderte ihn in den letzten Monaten
b'fters an der Ausiibung seiner Dienst-
pflichten; und als er vor etwa zwei Mo-
naten sich in der frohen Hoffnung wieg-
te, wenigstens annahernd genesen zu
sein, da war es nur das letzte Aufflak-
kern eines dem baldigen Tode unwider-
ruflich Verfallenen. Ein Lungenleiden
kam dazu und machte dem Leben des
Mannes, der ein besseres Los verdient
hatte, ein schnelles Ende. — Seine Stelle
ist noch unbesetzt; der Aspiranten sol-
len viele sein. —
Wie vieler Hoffnungen der bevorste-
hende Abgang des Superintendenten Dr.
Boone erfiillt, wie vielen er solche zer-
stort haben mag, davon merkt man
nichts. Alles ist ruhig, um so mehr als
der Schulschluss vor der Tiire steht und
kein Zweifel dariiber zu herrschen
scheint, dass ein Systemwechsel im all-
gemeinen zu den beschlossenen Dingen
gehort. Personenwechsel werden allem
Anscheine nach keine, oder nur sehr we-
nige eintreten. Ob nun alle diejenigen
im Rechte sind, die mit Stauffacher sa-
gen: ,,von einer grossen Furcht sind wir
befreit", das wird sich ja wohl zeigen,
wenn wir im Herbst wieder gesund zu-
sammenkommen.
Die am 28. Mai im deutschen Oberleh-
rerverein stattgefundene Vorstandsneu-
wahl ergab: Prasident, F. W. Strubbe;
Vizeprasident, Erich Bergmann; Sekre-
tar, F. J. Keller; Schatzmeister, Max
Reszke. In derselben Versammlung wur-
de bschlossen, die neueste deutsche
Rechtschreibung allmiihlich einzufuhren,
sowie in alien Schulen, wo Zeit und Um-
stande es gestatten, besondere Sprech-
und Sprachiibungsstunden zu veranstal-
ten, eine Massregel, die hier und dort
bekanntermassen nicht vom tfbel sein
diirfte, teils dieser- und teils jenerhalb.
quidam.
Milwaukee.
Sollst mir nicirt lange klagen,
Was alles dir wehe tut;
Nur frisch, nur frisch gesungen!
Und alles wird wieder gut.
Unarnisso.
Der Gesangunterricht in der Volks-
schule. Die Wichtigkeit, ja Notwendig-
keit dieses Unterrichtsfaches wird im-
mer noch nicht geniigend anerkannt, und
daruni schenkt man ihm oft nicht die ge-
niigende Aufmerksamkeit, raumt ihm
nicht die notige Zeit ein oder erteilt ihn
in ganz verkehrter Weise. Der Gesang-
unterricht wird ja leider auch zu den
,,ornamental studies" gerechnet und so-
mit vielfach als ganz entbehrlich ange-
sehen; doch wie wichtig und wie frucht-
bringend ist dieser Unterricht, wenn er
recht erteilt wird. Palmer sagt in sei-
nem Werke iiber Erziehung: ,,Die Mu-
sik ist schon an sich ein edler Genuss,
ein reicher Schmuck des armen Lebens,
und darum muss die Tonkunst hoch an-
geschlagen werden. Welch unerschopfli-
che Quelle von Freude, von reiner nie
versiegender Lust ist demjenigen ver-
schlossen, der fiir die Musik kein Ohr
hat. Gewiss, wenn es Sache vaterlicher
Liebe ist, den Kindern, wie die Schrift
sagt, gute Gaben zu geben, so ist die mu-
sikalische Bildung der Kinder in der
Schule gewiss unsere Pflicht, und wahr-
lich nicht die geringste." Und unser ge-
schatzter Landsmann Carl Schurz sagt:
,,Die Musik hat viele erhoben; aber sie
hat noch niemand erniedrigt; durch sie
ist noch niemand zum Schlechten ver-
fiihrt worden. Sie mag Gefiihle erre-
gen, ja Leidenschaften entflammen, aber
immer nur die edlen. Die Musik ist die
reinste, die tugendhafteste aller Kiinste.
Sie erhebt uns von dem Gemeinen hin-
auf zu dem, was iiber uns schwebt. Sie
ist die Stimme des Unaussprechlichen,
die Farbe des Unfehlbaren. Ihr Gruss
lasst keinen Flecken, keine Reue zuruck.
In ihr finden sich die Menschen in ihren
reinsten Empfindungen vereinigt." Ist
das nicht ein schones und zugleich wah-
res Loblied, das der edlen Musika, wie
Luther sie nannte, gesungen wird? Na-
tiirlich kommt fiir die Schule zunachst
nur die Vokalmusik in Betracht.
Auch hier in Milwaukee wird der Ge-
sangunterricht noch nicht so betrieben.
wie er sollte; da ist zu viel Theorie und
zu wenig wirklicher Gesang; da ist
chart reading, music reading, exercises,
cultivation of voice und was noch alles
mehr an hochtonenden Phrasen; da ist
do, re, me, fa, sol, — und solcher Hum-
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
bug mehr, als ob man die Kinder zu
Opernsangern ausbilden wollte. Da mils-
sen einem die armen Kinder dauern, de-
nen man statt des Brotes einen Stein
reicht. Der Schulrat hat sich schon den
ganzen Winter herumgezankt und dispu-
tiert und debattiert tiber ein passendes
Liederbuch ( music reader ) , als wenn
das die Hauptsache beim Singen ware.
Irgend ein Buch ist gut, wenn es nur
recht viele gute, patriotische Volkslieder
hat, und daran ist ja wahrlich kein
Mangel. Die meisten davon sind ja
deutschen Ursprungs, sowohl Text wie
Melodie, wenn sie auch ein englisches
Kleid angezogen haben. Ein rechter Ge-
sanglebrer weiss sich bald zu helfen, die
Me!odie wird vorgespielt oder vorgesun-
gen und die Kinder haben sie bald im
Ohr, und gut ist's, wenn sie den Text
auch im Gedachtnis haben. Aber singen
wollen sie, nur qualt sie nicht mit ex-
ercises. ,,Ich singe, wie der Vogel singt,
der in den Zweigen wohnet." So sangen
die alten Siinger. Arion, der ,,Tone Mei-
ster" und alle die fahrenden Sanger im
Altertum haben weder Noten noch Text
gehabt. Darum gebt den Kindern Lie-
der, lasst sie singen. Singe, wem Ge-
sang gegeben! Lasst uns den Kindern
etwas geben fiir Herz und Gemiit; sie
bekommen ohnehin genug fiir Kopf und
Verstand. Nur frisch, nur frisch gesun-
gen, und alles wird wieder gut, sagt
Chamisso. Wie wahr sagt er! Wenn
der Lehrer unter seiner Last fast zusam-
men brechen will, wenn er den Himmel
pechschwarz ansieht und er fast verzwei-
feln mochte bei seiner Arbeit — schnell
ein Lied frisch und frohlich mit der
Klasse gesungen, und alles ist wieder
gut! Ja die Musik ist eine edle, hehre
und kostliche Gottesgabe. Wer nicht
singen kann, ist fast so schlimm daran
wie der Stumme. Musik und Gesang
verschonern das Leben, sie lassen den
Armen, den Arbeiter, den Elenden seine
Mtihe, Plage und Elend vergessen und er-
heben ihn von der Erde zu den Hb'hen
des Himmels. Sollte also nicht die
Volksschule die dringende und zwingen-
de Pflicht haben, die Kinder des Volks,
die Kinder der Arbeiter mit der edlen
Gabe des Gesanges auszuriisten fiir ihr
spateres Leben? Die Volksschule soil
doch der Masse des Volks dienen, sie soil
das grdsste Gut der grossten Masse ge-
ben, das ist echt demokratisch. Die Rei-
chen konnen ihre Kinder privatim in
Musik und Gesang ausbilden lassen;
nicht so die Armen. Aber leider werden
die Volksschulen oft den Bediirfnissen
der Reichen und nicht der Armen ange-
passt; man sieht sie als Vorbereitungs-
anstalten fiir Hochschulen, Colleges und
Universitiiten an, was sie aber nicht sind
und nicht sein sollen. A. W.
New York.
Der Aufforderung, uber den gegenicdr-
tigen Stand oder die Aussichten fur den
deutschen Unterricht in New York zu
berichten, ware ich langst zuvorgekom-
men, wenn nur etwas zu berichten ware.
Wir stehen heute noch auf demselben
Standpunkte wie vor f iinfMonaten, nam-
lich auf dem des ,,Nichts Gewisses weiss
man nicht". Unter dem ,,man" bitte ich
aber nicht nur die deutschen Lehrer zu
verstehen, denn auch die Behorden wis-
sen Bestimmtes immer nur fiir einen ge-
wissen Tag oder hb'chstens eine Woche.
In der nachsten Woche ist wieder alles
iiber den Haufen geworfen und neue
ttberraschungen stehen in Aussicht. Zur
Zeit meines letzten Berichtes war im
Rate der Superintendenten beschlossen,
den deutschen Unterricht im neu zu be-
griindenden 8. Jahre des Kursus obliga-
torisch zu machen und taglich 40 Minu-
ten darauf zu verwenden. Es wurde uns
aber auch in Aussicht gestellt, dass der-
selbe fakultativ auch im 7. Jahre erteilt
werden wiirde. Vor zwei Monaten wur-
de uns mitgeteilt, nur das 8. Schuljahr
?ei'verfiigbar, da aber obligatorisch, aus-
genommen in den wenigen (ca. 19)
Schulen, wo jetzt franzosischer Unter-
richt erteilt wird. Der Verein deutscher
Lehrer antwortete darauf damit, dass er
1 ) eine Petition einschickte, in der er ge-
gen die beabsichtigte Beschriinkung pro-
testierte, und 2) dass er eine Agitation
ins Werk setzte, um das in den Verei-
nen reprasentierte Deutschtum zu veran-
lassen, sich dem Proteste der deutschen
Lehrer anzuschliessen. ftber 350 Vereine,
eine Mitgliederzahl von beinahe 80,000
Biirgern reprasentierend, haben sich
jetzt schon dem Proteste angeschlossen,
und noch immer laufen taglich zahlrei-
che Petitionen um Ausdehnung auf das
7. Schuljahr bei dem Schulrate ein. Su-
perintendent W. H. Maxwell erkennt
,,the wide public demand" an, und trotz-
dem hat der Rat der Superintendenten
in der letzten Woche den friiheren Be-
schluss riickgangig gemacht und em-
pfiehlt dem Schulrate, es den Schiilern
des 8. Jahres zu iiberlassen, ob sie
Deutsch, Franzosisch, Lateinisch oder
Stenographic nehmen wollen. Sup. Max-
well ernannte ein Komitee, bestehend aus
Frl. Constantini und den Herren Bau-
meister, Herzog, Kutner, Ohmstede und
Scholl, um einen ,,Syllabus" . f iir das 8.
Schuljahr auszuarbeiten. Das Komitee
beendigte seine Arbeiten und reichte sei-
nen Bericht am 14. Mai ein. Nach die-
sem Syllabus sollte vom September an
unterrichtet werden. Gestern aber sagte
mir ein Superintendent, dass in bezug
auf das 8. Jahr alles noch im unklaren
sei, der deutsche Unterricht also auch im
Umscbau.
225
nachsten Jahre im bisherigen Umfange
welter werde gegeben werden.
Auch die Frage desDirektors des deut-
schen Unterrichtes ist in den letzten 3
Wochen auf dreierlei Weise behandelt
worden. In der ersten ,,dachte man"
gar nicht an einen solchen; in der zwei-
ten wurden Verhandlungen mit einer
ganz bestimmten Person gepfiogen und
in der dritten wartet man wieder auf
die weitere Entwickelung. Das Amt ei-
nes Berichterstatters ist demnach ein
sehr schwieriges. Schwieriger aber noch
ist die Lage der deutschen Lehrer an
den Elementarschulen, wegen der so
lange andauernden Unsicherheit. Zu be-
dauern sind sie um so mehr, als sie wah-
rend des ganzen Jahres weder Zeit noch
Miihe, nochKosten gescheut haben, ihren
gewiss bescheidenen Forderungen Gel-
tung zu verschaffen. Schon vor einem
Jahre wiesen sie in einem vom damali-
gen Prasidenten L. B. Bernstein verfass-
ten Pamphlet*) die Berechtigung des
deutschen Unterrichtes in den Elemen-
tarschulen nach. In den letzten beiden
Monaten aber haben sie die ganzen
recht betrachtlichen Kosten der Agita-
tion allein getragen und haben sie gern
getragen. Ihr Lohn sollte in der Ge-
wahrung ihrer Forderungen bestehen.
Noch ist nicht alle Hoffnung auf Erfolg
geschwunden. Hoffen wir, dass wir den
Teilnehmern am Lehrertage in Erie
f reudigen Herzens zurufen konnen : ,,Der
Max bringt gute Zeichen mit."
C. Herzog.
*) Die P. M. wiesen seinerzeit auf
dies hochbedeutende Schriftstuck hin. —
D. R.
III. Umschau.
Vom Lehrertage. Die Vorbereitungen
fiir den diesjahrigen Lehrertag schreiten
rtistig vorwarts, und eine erfolgreiche
Tagung scheint gesichert. Das Pro-
gramm ist vielseitig und wird darum
f ilr alle Besucher gleich interessant sein.
In Erie selbst ist man emsig an der Ar-
beit, die Gaste wiirdig zu empfangen und
zu unterhalten, da von gibt folgender
Ausschnitt aus einem dortigen Blatte
geniigend Zeugnis:
,,Wenn die Deutschen zusammenhal-
ten, konnen sie irgend etwas fertig brin-
gen. Vor drei Jahren haben sie hier ein
Gesangfest gehabt, dessen sie sich gewiss
nicht zu schamen brauchten. Zwei Wo-
chen nach dem Fest waren alle Rechnun-
gen, welche durch dasselbe kontrahiert
wurden, bezahlt, und obschon einzelne
Personen grosse Opfer bringen mussten,
sind sie doch mit seltener Bereitwillig-
keit ihren Verpflichtungen gerecht ge-
worden, und haben gewissen Grosstadten
ein glanzendes Beispiel gegeben, wie es
bei solchen Veranstaltungen gemacht
werden sollte. Nun ist unserer Stadt
die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, die
deutschamerikanischen Lehrer im kom-
menden Sommer wahrend ihrer Jahres-
konvention zu unterhalten, und auch
diese Aufgabe ist mit Freudigkeit und
seltener Opferwilligkeit aufgenommen
worden. Mit fester Zuversicht ging das
betreffende Komitee an die Arbeit, und
schon nach wenigen Tagen hatte es mehr
Geld, als Herr G. G. v. d. Groben im
ersten Voranschlag fur notwendig Melt.
Aber es soil noch mehr gesammelt wer-
den, gerade genug, damit das Komitee
nicht geizig zu sein braucht, wenn es
sich darum handelt, den Giisten dieStadt
von der besten Seite zu zeigen. Bei die-
ser Angelegenheit darf nicht vergessen
werden, dass auch unsere amerikani-
schen Mitbiirger sich von der besten
Seite zeigten, wofiir ihnen Dank ge-
biihrt."
New York. In einem Artikel mit der
Oberschrift: ,,Ein Sieg der Luge" stellt
die ,,New Yorker Staatszeitung" den
dortigen Schulsuperintendenten Maxwell
an den Pranger als einen intriguanten
Heuchler, dessen Wort keinen Glauben
mehr verdiene. Seit einem Jahre habe
HerrMaxwell fortwahrend beteuert, dass
er ein Freund des deutschen Unterrichts
sei und dass er wunsche, dass er fiir
das achte, also das letzte Schuljahr, ob-
ligatorisch gemacht werde. Zehn Tage
vor der jiingsten Stadtwahl sei er sogar
ungefragt und ungebeten in der Redak-
tion der ,,Staatszeitung" erschienen, um
ihr zu versichern, dass er stets fiir den
deutschen Unterricht eintreten werde.
Die letzte Schulratssitzung aber, welche
am vorigen Mittwoch stattfand, habe den
Beweis geliefert, dass die Freunde des
deutschen Unterrichts systematisch und
absichtlich belogen worden seien. Es ha-
be sich dabei herausgestellt, dass Su-
perintendent Maxwell und seine Assis-
tenten bereits am 4. Mai beschlossen
hatten, den deutschen Unterricht nur
fakultativ zu machen. Man habe ferner
226
P'ddagogische Monatsbefte.
in jener Sitzung den Eindruck zu ereek-
ken versucht, als ob nur ein paar deut-
sche Gesang- und Schiitzenvereirie dafiir
eingetreten seien, dass der deutsche Un-
terricht im achten Schuljahr obligato-
risch gemacht werde, wahrend tatsach-
lich 320 Petitionen, welche das anstreb-
ten und verlangten, eingelaufen seien,
darunter solche von der Universitat Co-
lumbia, der Universitat von New York
und anderen hervorragenden Kb'rper-
schaften. Maxwell habe jenes Verspre-
chen nur gegeben, um eine starkere Agi-
tation zu Gunsten des Projektes zu ver-
hiiten.*
Den Roman ,,0nkel Toms Hiitte" ist
von dem Katalog der New Yorker Schul-
bibliotheken gestrichen worden unter der
Begriindung, dass das Buch, dem jeder
geschichtliche Wert abgeht, seinenZweck
erfiillt hat und jetzt nur geeignet ist,
den Parteihader zu schiiren.
Madison. Der Verwaltungsrat der
Staatsuniversitat von Wisconsin er-
wahlte nach langen Beratungen Prof.
Charles R. Van Rise zum Prasidenten
der Universitat. Derselbe ist an der An-
stalt seit dem Jahre 1892 tatig; er ist
Professor der Geologie und hat sich
durch seine Forschungen in der Gelehr-
tenwelt einen grossen Namen erworben.
Welche Schreibweise der Kaiser will.
In einem Erlass der Kolonialabteilung
des Auswartigen Amtes an das Gouver-
nement von Deutsch-Ostafrika werden
bestimmte Wiinsche des Kaisers mit Be-
/ug auf die Schreibweise in amtlichen
Berichten in folgender Form zur Kennt-
nis gebracht: ,,Seine Majestat der Kai-
ser und Konig haben anlasslich eines
Spezialfalles zu befehlen geruht, dass
die Berichterstatter sich einer kurzen
und klaren Schreibweise befleissigen sol-
len. Seine Majestat wiinschen insbe-
sondere lange, schleppende Siitze und
Einschachtelungen, sowie das Stellen des
Zeitwortes am Ende des Satzes vermie-
den zu sehen." Der Erlass verweist
dann als auch fiir die koloniale Korre-
spondenz geltend auf das, was v. Konig
in seinem Handbuch des Deutschen Kon-
sularwesens sagt: ,,Demgemass soil der
Ausdruck in der konsularischen Korre-
spondenz klar und einfach, gemessen
und ernst sein, sich von jed&m Niedrigen
wie von rhetorischem Pathos fern hal-
ten. Unniltze Umschreibungen und Bei-
wb'rter, gesuchte Ausdriicke und Fremd-
worter einerseits, Gemeinplatze ander-
seits sind fernzuhalten. Lange Perioden
*) Siehe auch Korrespondenz aus
New York.
erschweren oft das Verstandnis und sind
daher zu vermeiden."
Die preussische Lehrerschaft betrauert
den Hinschied desAbgeordneten Knorcke
(t 31, III.)* der im Landtag die Inter-
essen der Lehrerschaft so oft und warm
(s. Z. gegen Treitschke) verteidigte.
Schweiz. Am Schlusse des Sommerse-
mesters findet in Zurich (erste Halite
des August) ein Ferienkursiis fiir Leh-
rer statt. Folgende Fachergruppen sind
in Aussicht genommen: 1. Biologische
Gruppe: Botanik und Zoologie (Vorle-
sungen und ttbungen). 2. Chemie und
Physik (id.). 3. Sprachliche Gruppe:
a) fiir deutschsprechende Kandidaten:
Ausgewahlte Kapitel aus der deutschen,
franzb'sischen und englischen Literatur.
Im Franzb'sischen Phonetik und Dikti-
on. b) fiir fremdsprachliche Kandida-
ten: Vorlesungen und (Jbungen (Phone-
tik, Diktion) in der deutschen Sprache
und Literatur. 4. Allgemeine Kurse fiir
Teilnehmer aller Gruppen: Vorlesungen
aus dem Gebiete der experimentellen Pa-
dagogik, Schweizerische Politik im 19.
Jahrhundert.
Danemark. Der Folkething (Landtag)
hat nunmehr das neue Schulgesetz ange-
nommen. Nach diesem Gesetz wird das
gesamte offentliche Bildungswesen neu
organisiert und zwar in der Weise, dass
die Volksschule die Grundlage bildet,
auf dieselbe sich die sog. Jugendschule
(Mittelschule) aufbaut und an diese sich
die Hochschule anschliesst. Wer die
Volksschule durchgemacht hat und nicht
in die Mittelschule eintreten will, kann
noch eine einjahrige Fortbildungsklasse
besuchen, in welcher besonders in sol-
chen Fachern, die fiir die praktische
Ausbildung der Schiiler Bedeutung ha-
ben, unterrichtet wird. Durch dieses Ge-
setz hat die Volksschule eine weit ho-
here Bedeutung erhalten, als bisher, und
es marschiert nun Diinemark hinsicht-
lich einer zeitgemassen Schulorganisa-
tion an der Spitze der Kulturlander.
England. Am 26. Marz trat offiziell,
1. April tatsiichlich die Education Bill
von 1902 in Kraft, deren Tragweite da-
rin besteht, dass alle Schulen, Elemen-
tar- und Mittelschulen, Gemeinde- oder
freiwillige Schulen in jeder Grafschaft
und in jeder Stadt (county boroughs)
einer und derselben Behorde der Graf-
schaft oder der Stadt unterstellt und der
Staatshilfe teilhaftig werden. Die kiirz-
lich zur Leitung der Schulen eingesetz-
ten Educational Committees (61 in den
Counties; 68 in County Boroughs) be-
stehen aus 17 bis 56 Mitgliedern. In
den meisten derselben ist der Lehrer-
Umschau.
227
schaft eine Vertretung mit voller Stim-
me zugestanden worden. Der ganze
Lehrkorper der Elementarschule, die un-
ter die Leitung der neuen Behorden
tritt, umfasst in England und Wales
153,696 Personen: 37,052 Manner und
Knaben, 116,644 Frauen und Madchen.
Patentiert sind 65,401 erwachsene Lehr-
kriifte; daneben wirken 35,714 Lehrschii-
ler, 34,625 ehemalige Lehrschiiler und
17,956 Madchen oder Frauen, die keinen
andern Ausweis fur die Lehrbefahigung
haben, als dass sie nach dem Urteil des
Inspectors ,,presentable" Personen und
mit Erfolg geimpft sind. Diese nicht
vorbereiteten Lehrkrafte durch ausgebil-
dete Lehrkrafte zu ersetzen, wird eine
der ersten Aufgaben sein, deren Erfiil-
lung das (jesetz von 1902 den neuen
Schulbehorden iiberbindet.
England. 34- Jahresversammlung der
National Union of Teachers. Das wich-
tigste Ereignis auf dem Gebiete der
Schule in England war die 34. Jahres-
versammlung der englischen Lehrer
wahrend der Osterwoche in Buxton. Die-
selbe war durch iiber 2000 Delegierte be-
schickt, darunter 600 Damen und 130
Vertreter Londons. Die Vereinigung
zahlt 47,326 Mitglieder. Es war ein
gliicklicher Umstand zu nennen, dass
diese grosse, angesehene Korperschaft so
unmittelbar nach Einbringung der neuen
Vorlage im Parlament vor dem ganzen
Lande Stellung dazu nehmen konnte.
Mr. H. Coward ( Bristol ) , der neue Pra-
sident, wies in seiner Eroffnungsrede auf
die Bedeutung dieser Tatsache hin und
°agte, dass das offentliche Interesse nie-
mals wahrend der Geschichte ihrer Ver-
einigung so auf die Erziehungsfrage ge-
richtet gewesen sei als jetzt. Wahrend
der Redner auch das Gute an dem Ge-
setz vom vorigen Jahre anerkannte, ver-
urteilte er die neue Vorlage ganz und
gar. Ganz besonders ging er dagegen
vor, dass den Borough Councils die Ver-
waltung der Schule iibertragen werde.
Dieselben seien dafiir nicht geeignet.
tteberdies seien sie schon mit anderen
Geschaften uberlastet. Die Anstellung
der Lehrer wiirde nicht auf Grund er-
ziehlicher Erwagungen, sondern lokaler
Einfliisse geschehen. Das Gesetz miisse
zur Apathie gegen Londons Erziehung
fiihren. Was immer fur eine Ansicht die
Konferenz auch gewinne, kein System
konne gutgeheissen werden, welches
nicht eine direkt gewahlte Autoritat fur
ganz London schaffe, die sich aus-
schliesslich der Verwaltung eines ganzen
einheitlichen Erziehungssystems widme.
Hierauf ging der Redner zu der Frage
der Vorbildung des Lehrers iiber. Zu-
nachst bemerkte er, dass man an Stelle
des getadelten Systems,Praparanden mit
dem Unterricht der Kinder zu betrauen,
bisher noch nichts besseres gefunden ha-
be. Dann riigte der Redner die Unzu-
langlichkeit der Seminarien (Training
Colleges). Gegenwartig seien nur 2221
Platze fur mannliche und 3669 fur weib-
liche angehende Lehrer vorhanden. In-
folgedessen seien von den in diesem
Jahre mit Erfolg Gepriiften von den
ersteren 1202 und von den letzteren 6038
von der Seminarbildung ausgeschlossen.
Von den 45 bestehenden Internaten seien
35 ausschliesslich anglikanisch oder ro-
misch-katholisch, was dem System der
nationalen Erziehung entgegen wirke.
Die Aussichten fur das Aufsteigen im
Amte milssten besser sein, und es diirfe
den Lehrer keine kiinstliche Barri&re
hindern, zu einer andern Form von Schu-
le iiberzugehen, fiir welche er sich eigne.
Une id&e vraiment franqaise. In Nr.
12 (21. Marz 1903) des ,,Manuel ggnGral
de 1'instruction primaire" macht ein
Schulinspektor Mitteilung von einer selt-
samen Einrichtung, die er getroffen hat,
um den Moralunterricht, dieses Schmer-
zenskind der franzosischen Volksschule,
zu heben und zu beleben. Er hat nam-
lich ein ,,goldenes Buch" gegriindet, in
das alle von einem Kind ausgefiihrten
schb'nen Taten eingetragen werden sol-
len. Jeder Lehrer und jede Lehrerin
seines Inspektionskreises, die Kenntnis
von einer solchen Tat erhalt, 1st ver-
pflichtet, ihm dariiber einen kurzen Be-
richt einzusenden, in dem das Ereignis
selbst und die naheren Umstande seines
Verlaufs geschildert, sowie Name und
Alter des Kindes angegeben sind. Die-
ser Bericht wird vervielfaltigt und an
alle Schulen seines Bezirks geschickt.
Die Lehrer und Lehrerinnen bezw. der
E,ektor lesen ihn darauf der versammel-
ten Schule vor und tragen ihn in das
,,goldene Buch" ein, das jede Schule er-
halt und das Eigentum derSchule bleibt.
Es soil dadurch zweierlei erreicht wer-
den: 1. wie oben angegeben, eine Bele-
bung des Moralunterrichts durch Heran-
ziehung von Beispielen aus dem Leben,
und 2. die Nacheiferung, die emulation
der Schiller, die in den franzosischen
Schulen eine so grosse Rolle spielt. —
Russland. Jedes Jahr wird eine ganze
Anzahl Bticher von der Zensur ver-
brannt, in denen sie noch nachtraglich
Gedanken aufspiirt, die ihrer Meinung
nach sich nicht ganz mit den Ansichten
und Bestrebungen der Regierung in Ein-
klang befinden. Der Scheiterhaufen der
Hauptpressverwaltung hat dieses Jahr
mehr als je Nahrung gehabt, denn wie
die Beamten der Verwaltung selbst zu-
geben, erreichte die Anzahl der noch
228
P'ddagogische Monatsbefte..
nachtriiglich als schadlich anerkannten
Schriften, die dem Feuer uberliefert wer-
den, einen noch kaum dagewesenen Um-
fang. Als staatsgefahrlich sind unter
anderem auch eine Biographie Viktor
Hugos und der erste Band der Geschicbte
der franzosischen Revolution von Louis
Blanc befunden worden, der schon vor
dreissig Jahren in russischer Sprache er-
schienen ist. Aus einem grosseren Wer-
ke iiber die Kooperationsbewegung in
Kussland von Prokopowitsch hat die
Zensur noch nachtrJiglich die letzten
sechs Seiten herausgeschnitten.
IV. Vermischtes.
Kur Beseitigung der Staubplage in den
hbheren LehranstaltenDeutschlands sind
jetzt langere Versuche mit sog. Staubbl
abgeschlossen worden. Der Erfolg ist so
gut, dass es bei der wb'chentlich zweima-
ligen griindlichen Reinigung der Schulen
bleiben wird. Wahrend beim Ausfegen
der Klassenraume friiher trotz reichli-
cher Verwendung von nassen Sagespanen
grosse Staubmassen aufwirbelten und
Tische und Banke mit einer dicken
Staubschicht bedeckten, wird der Staub
jetzt durch das Staubol gebunden und
am Boden f estgehalten ; auch sonst wird
die Staubentwicklung fast vollstandig
verhindert und die Klassen bieten einen
reinlicheren und angenehmeren Anblick
als friiher. Samtliche Klassenfussbbden
werden kiinftig viermal im Jahre mit
Staubol geschmiert werden. Die 61ung
der Korridore und Treppen, sowie der
Aulafussbbden soil nach Bediirfnis vor-
genommen werden.
Geringe Wider stands fahigkeit der
Lehrerinnen. In der grossen Debatte
iiber die Madchengymnasien fiihrte Kul-
tusminister Dr. Studt iiber die Wider-
standsfahigkeit der Lehrerinnen gegen
die gesundheitsschadlichen Einfliisse des
Schulamtes folgendes aus: ,,Die ttbel-
stande, die mit dem Lehrerinnenberuf
fiir die kb'rperliche Verfassung der Leh-
rerinnen verbunden sind, sind bekannt;
sie geben sich in der Statistik deutlich
kund, die zahlenmassig nachweist, dass
der weibliche Kbrper den Anstrengungen
des Lehrerberufes weniger gewachsen
ist als der mannliche. Gegeniiber den
zum Teil auch kb'rperlichen Anstrengun-
gen scheint in dem weiblichen Korper
eine geringere Widerstandsfahigkeit vor-
handen zu sein. Die Lehrerinnen sind
anscheinend namentlich auch weniger
widerstandsfahig gegen die schlechte
Luft, die sich in den Klassenzimmern
entwickelt. Wie die Arzte Ihnen besta-
tigen konnen, ertragt der mannliche
Korper die schlechte Luftbeschaffenheit
viel besser als der weibliche. Da helfend
einzugreifen, ist Sache der Schulverwal-
tung."
Wann werden die Steinkohlen ausge-
henf Dass es hiezu kommen muss, geht
aus dem jahrlichen Verbrauch dieses
Heizmaterials hervor. Nach der Gaa be-
trug die Jahresfb'rderung an Steinkohle
im Jahre 1900 700 Millionen Tonnen. Das
wiirde in Doppelwagen zu 10 Tonnen auf
ein Eisenbahngeleise gestellt eine Lange
von 630,000 km. oder 16 mal den Erdum-
f ang geben. So enorm ist heute die Jah-
resproduktion an Steinkohle. Daran be-
teiligen sich hauptsachlich folgendeStaa-
ten mit den beigesetzten Betragen in
MillionenTonnen : England 225,Deutsch-
land 109, Frankreich 33, Belgien 23,
Nordamerika 245.
fiber die Zugehorigkeit der Bewohner
unserer Erde zu den einzelnen Religions-
genossenschaften. Zeller, der Vorstand
des statist. Amtes in Stuttgart, schatzt
die Zahl samtlicher Bewohner unserer
Mutter Erde auf 1,544,510,000. Davon
sind Christen: 534,940,000, Israeliten
10,860,000, Muhamedaner 175,290,000,
anderen religiosen Bekenntnisses : 823,-
420,000 und zwar scheiden sich dieselben
in 300 Mill. Anhanger des Konfutsius,
214 Brahmanen und 121 Mill. Budd-
histen. Demnach treffen auf 1000 Men-
schen durchschnittlich 346 Christen, 7
Israeliten, 114 Muhamedaner und 533
Angehb'rige anderer Religionen.
Sie hawwe zu hawwe. Ein Schiiler
einer hessischen hoheren Schule brachte
einst einen Thukydides in einer anderen
als der vorgeschriebenen Ausgabe mit.
Als der Lehrer ihn darob zur Rede stell-
te, entschuldigte sich der Getadelte mit
der Bemerkung, er habe das Buch noch
von seinem alteren Bruder. Wiitend
schnaubte ihn da der gestrenge Profes-
sor an: ,,Sie hawwe net zu hawwe, was
Se hawwe, Sie hawwe zu hawwe, was
Se zu hawwe hawwe!"
Aus dem Anschauungsunterricht. Leh-
rer: ,,Wozu habt ihr zu Hause einen
Hund?" Schiiler: ,,Zum Ziehen." Leh-
rer: ,,Wozu noch?" Schiiler: ,,Er spielt
abends den Nachtwachter."
BUcberbesprecbungen.
229
Derpddagogische Spatz.
Von den Examen.
Pi-pip! Nun hab' ich sie wieder geseh'n,
Die Buben all und die Miidchen,
Im Sonntagsstaate und weisheitsschwer !
Und alles ging, \vie am Riidchen,
Scharf blitzte des Lehrers Auge im
Kreis,
Die Eltern nickten und flusterten leis,
Es giihnte der Herr Visitator.
Pi-pip! Nicht alles, was aufmarschiert,
Schien mir nach Echtheit zu schmecken;
Oft musste der Schein den wahrenStand,
Das Wort die Sache verdecken!
Mich wundert, dass auf so leichte Art,
Man Eltern und Schulbehorden n . . . —
Ein Spatz sogar konnte es merken — Pi-
pip!
( Schweizerische Schulzeitung. )
Bucherschau.
I. Blicherbesprechungen.
The English language. An Introduc-
tion to the Principles which Govern its
Right Use by Frederick Manley and W.
N. Hailmann. Boston, C. C. Birchard &
Co., 1903.
Considering the hundreds of gram-
mars, that have been and are being
thrown upon the educational market,
one is apt to look with suspicion on the
author who launches the, latest and best,
language book upon the sea of text
books for our common schools.
The authors of the "English Lan-
guage" need make no apology for their
appearance in the world of "Gram-
mars"; their faculty of inserting the
worn-out, dry-as-dust "grammar" of the
old school-master, with new life und re-
freshing interest will make their publi-
cation welcome to the teachers as well
as to the student.
Technical grammar has wisely been
introduced rather sparingly and inci-
dentally, but, instead the authors have
seen fit to introduce a larere number of
practical exercise tending to stimulate
the student to thought and awaken in
him a feeling for the beautiful in our
language.
One may take issue with the authors
regarding the emphasis placed upon the
philosophy of language and the psycho-
logy of thought expression in a text
book intended for the use of pupils in
grammar grades, but the manner in
which their intentions have been carried
out is surprisingly interesting and lucid.
Another very strong feature of the
book is its refined literary and poetic
tone. At every turn the learner meets
with extracts from standard authors,
making the exercises inspiring and sti-
mulating and adding unto its value as
an introduction to the study of the best
in English literature.
The closing pages are devoted to
"Composition"; a most excellent treatise
on this most important, and at the same
time most difficult part of the work of
the practical teacher of English.
The book presents many new ideas both
as to matter and method; it is distinct-
ively poetical, it has a lofty purpose and
its authors have not once swerved from
the course in the accomplishment of
their aim.
The Laurel Primer. By Wm. N. Hail-
man. Published by C. C. Birchard & Co.
The first thing that strikes the reader
of ,,The Laurel Primer" is the unusual
torm of the book, it being much larger
and more elaborately gotten up than the
ordinary school-book. A wealth of il-
lustrations, — pictures descriptive of
the life of children, is a strong feature
of the new primer. The illustrations by
Marie Estelle Tufts emphasize the
thought contained in the text, and in
many cases the printed and written texts
are inserted by the picture thus bringing
the word and the thing it stands for into
close and proper proximity. Mr. Hail-
man is to be congratulated on the clever
manner in which he combines the best
elements of various methods of teaching
reading — the "sentence method, word
method", and the old, old spelling met-
hods are brought into service in this new
book. "Alliteration", a prominent char-
acteristic of the earliest literature of our
race is a strong feature of Mr. Hailman's
text. Possibly to much stress has been
laid upon "alliterativ phrases" as to sac-
rifice an easy and natural flow of words
in the first lessons. Choice bits of chil-
dren's literature, jingles from Mother
Goose and other "rhymes" lend an extra
charm to this altogether novel publica-
tion.
230
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
The words arranged in a progressive m
manner according to their difficulty have «F
been chosen from the actual vocabulary •
of the child, and the stories will be found
intensity interesting to the little ones.
The ,,suggestions to teachers" which
accompany the book contain much that
will benefit the practical teacher". The
many exercises indicated in its pages are
the result of actual experience in the
class room.
We are confident that the many new
and fascinating features of the primer
will gain for it a large circle of admirers.
H.D. H.
Commercial German. A complete
course for use in Commercial Schools
and in the Commercial Courses of High
Schools. By Arnold Kutner, High School
of Commerce, New York. New York, Cin-
cinnati, Chicago, American Book Co.
A growing importance is attached to
commercial education, undoubtedly due
in part to the Spanish- American War;
high schools are establishing commercial
courses, universities are foundingSchools
of Commerce (possibly only re-grouping
subjects long since taught) , the National
Government has heard the commercial
cry and has wisely added to the Cabinet
a portfolio of Commerce and Labor, and
not to be outdone, Professor Kutner has
caught the spirit of the age and has pro-
duced a book called "Commercial Ger-
man".
The author's plan is to introduce the
student to the foreign language by means
of its commercial vocabulary, presuppos-
ing no knowledge of German beyond an
acquaintance with its language-signs and
speech-sounds. This is, 1 fear, some-
thing that cannot be easily accomplished.
Unless the teacher is very alert, the re-
sult might be a swarm of "counter-jump-
ers" who could, with little self-confidence,
talk nothing but wool, reciprocity, and
pork. The author wisely attempts to
combine the practical features with
thoroughness of grammatical discipline.
In Part I are to be found the elements
of "commercial German", covering about
eighty pages, and "grammar tables",
covering something over thirty pages,
while Part II consists of reading-selec-
tions that deal with German business
customs and institutions, commercial
correspondence, documents, advertise-
ments, etc., and of an ample vocabulary.
The advertisements, printed in the Ger-
man style, will have a curious interest
for students. The commercial corre-
spondence partakes very much of the
character of "ready -reckoners" and "let-
tter-writers". The clerk, when about to
place an order for goods or to acknowl-
edge the receipt of a check, can turn to
the proper page and ptck out his ready-
made form. On the whole, however,
there is much in the book to commend
it. The author's purpose is praiseworthy,
and the material he has compiled is in-
structive and interesting. I doubt, how-
ever, the feasibility of the plan. The
weak point, in my opinion, lies in the
attempt to start with commercial Ger-
man. If students could have one or two
years of general training in the language
before taking up work of this kind, the
result would be far more satisfactory.
How to Study Literature. A guide to
the intensive study of literary master-
pieces. By Benjamin A. Heydrick, A. B.
(Harv.), Professor of English Litera-
ture, State Normal School, Millersville,
Pa. Hinds & Noble, New York.
The fundamental principle of the au-
thor is sound, namely, that the aim of
literary study is the appreciation and en-
joyment of a literary masterpiece, and he
states that the purpose of his manual is
to facilitate the systematic, careful and
appreciative study of literature as liter-
ature. The essence of the method is that
it endeavors to concentrate the attention
upon the text itself, not upon editorial
explanation or comment, and that it fur-
nishes means by which the student may
ascertain for himself the 'chief character-
istics of any piece of literature. Out-
lines are presented for the study of six
literary types: in poetry, the epic, the
lyric, and the drama; in prose, fiction,
the essay, and the oration. Lists of crit-
ical terms are given which will aid the
student to say exactly what he feels and
means. Of course these outlines are only
suggestive, but they furnish the student
something definite and tangible to work
upon. Any live teacher can modify or
enlarge them to suit his own individual
taste or the scope of his work.
Part II consists of six specimen stud-
ies which illustrate the principles and
methods set forth in Part I. There is a
brief appendix on figures of speech, and
a longer one on versification. The treat-
ment of these two subjects, figures of
speech and versification, appears rather
elementary, and is undoubtedly intended
to be merely suggestive. It should be
supplemented by consulting larger works
on the subjects.
The book can easily be adapted for use
in the study of literature in any lan-
guage; it will certainly be found to be
a valuable little aid.
BUcberbesprecbungen .
231
An Italian and English Dictionary.
With pronunciation and brief etymolo-
gies. By Hjalmar Edgren, Ph. D., recent
Professor of Romance Languages in the
University of Nebraska; member of the
Nobel Institute of the Swedish Academy
in Stockholm, etc. etc., assisted by
Giuseppe Bico, D. G. L., University of
Rome, and John L. Gerig, A. M., In-
structor, University of Nebraska. New
York, Henry Holt & Co., 1902.
Scholars will readily admit that there
has been great need of a good Italian and
English dictionary; this field has been
practically unoccupied. Persons fam-
iliar with German have, however, been
able to make use ofMichaelis's ,,Taschen-
worterbuch der italienischen und deut-
schen Sprache". Dr. Edgren's work
seems likely to receive a warm welcome,
and while it will not supplant Michaelis,
it will supplement this German work; for
it is fresner and contains some excellent
features lacking in the Michaelis.
The main characteristics of Edgren's
book, as outlined in the Preface and as
shown in the general plan, are as fol-
lows: The vocabulary embraces a larger
number of Italian words than ordinary
dictionaries of similar size; almost every
modern word in Petrocchi's scholastic
dictionary, the chief authority, is quoted,
and such rare and obsolete words as are
indispensable in reading Italian classics
are included; irregular forms of inflec-
tions are noted not only with their words
but also as separate titles in their alpha-
betical order; the pronunciation is mark-
ed principally by subscript signs; etymo-
logically related words are grouped to-
gether; the derivation of Italian words
is indicated; and English cognates are
shown. The English-Italian part is not
quite so complete as the Italian-English
part.
Fullness in the matter of idiomatic
phrases has suffered through a desire to
economize space in favor of a large voc-
abulary. This is noticeably apparent in
the treatment of prepositions. For inst.,
Edgren gives less than an inch to the
preposition a, while Michaelis devotes a
column and a half to it; Edgren allows
di about an inch, and Michaelis allows
three-fourths of a column.
The book is well printed, and the typo-
graphical arrangement is pleasing to the
eye. The work should commend itself
to students.
Charles Bundy Wilson,
The State University of Iowa.
Beginning German, a Series of Lessons
with an Abstract of Grammar by H. C.
Biertoirth, Ph. D., Instructor in German
in Harvard College. Henry Holt and
Co., 1903.
We thank the author of the excellent
book Elements of German for a very
practical and accurate elementary book
entitled Beginning German. The book
consists of a series of thirty lessons and
an abstract of grammar. A short re-
sume of the first eight lessons will suf-
ficiently demonstrate the method of the
author.
With eminent common sense the author
begins with verbs, that most essential
thing for the American student. The first
lesson treats the present and past indi-
cative of the weak verbs. The second
lesson contains the regular strong verbs
which do not differ from the weak in the
inflection of the present. (At the bot-
tom of page 15 the type failed to catch
the paper in the book I have.) Lesson
three introduces the beginner to haben,
sein and werden. In lesson four the de-
finite article and Class I of the nouns are
treated. In lesson five words which are
declined like der are introduced. (This
is practically the same system I have
been using in my beginning classes.)
Class II is treated here. Lesson six con-
tains ein and kein and the possessive ad-
jectives. In seven we find Class III and
prepositions with the dative or accusa-
tive. Lesson eight treats Class IV and
the personal pronouns. Under Class IV
the author includes the weak nouns. In
this lesson is found a practical table il-
lustrating the four declensions. In this
connection I have found that a different
order is perhaps more practical — I, III,
IV. It is easy for the student to learn
the general membership of I, III, IV,
and II includes the rest. Of course the
order of the plural endings ( - ) , -er, -en
seems more simple offhand, but when
brought into application the proposed
order is more easily learned. The re-
maining lessons show the same general
pedagogical insight.
Early in the book a table of the con-
jugations of the weak and strong verbs
in parallel columns would give the stu-
dent a clear conception of the differences
in the conjugations. One may differ in
regard to the nature of the reading les-
sons without criticising the opinion of
the author. I prefer continuous narra-
tive to disconnected sentences. The same,
or practically the same vocabulary could
be introduced without affecting the order
of the grammatical treatment. Dr. Bier-
wirth's selection of vocabulary is evi-
dently based upon his systematic collec-
tion of material. Compare Elements of
German, p. 124.
232
P'ddagogiscbe Monatsbefte.
The abstract of German grammar will
meet the approval of all teachers who do
not make the study of German a purely
mechanical drill of syntactical excep-
tions, thereby retarding the progress and
deadening the interest of the students.
This abstract seems to find the middle-
way between no Grammar at all and
lists of things, the ways of which are
wonderful to behold. A separate pub-
lication will be welcomed by many teach-
ers who are not in the position, or of the
conviction, to select the reading material
as given in this edition. It would be a
practical little reference book for more
advanced classes. The references in the
vocabulary to the lessons are a fitting
close to this valuable book.
It is to be regretted, however, that
Dr. Bierwirth seemed best to retain the
traditional terminology of verb order —
normal, inverted and transposed. The
treatment in Wesselhoeft's German Com-
position is more clear. Some of the
points suggested I will discuss later in
a pamphlet on ,,The Direct Method."*)
Warren W. Florer.
* ) Compare my edition ofHeyse's L'Ar-
rabbiata, George Wahr, Ann Arbor,
Mich., 1902. General Rules, p. 57 — 68.
II. Eingesandte Biicher.
Wood Folk at School by William J.
Long. Wood Folk Series, Book Four.
Boston, Ginn & Co., 1903.
Discourses on War by William Ellcry
Channing. With an introduction by Ed-
win D. Mead. Ginn & Co., Boston, 1903.
Die Harzreise. With some of Heine's
best- known short poems. Edited for
schools and colleges by Leigh R. Gregor,
B. A., Ph. D., Lecturer on Modern Lang-
uages in McGill University, Montreal,
Canada. Ginn & Co., 1903.
Teacher's Manual. A handbook for
teachers prepared for use with Account-
ing and Business Practice by John H.
Moore, Commercial Department, Boston
High Schools, and George W. Miner,
Commercial Department, Westfield
(Mass.) High School. Ginn & Co., Bos-
ton, 1903.
Padagogische Monatshefte
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
•
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
3ahfujang IV. Scptcmbcn-Oktobcn 1903. Heft 8-9.
Protokoll
der33. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen
Lehrerbundes.
Erie, Pa., 30. Juni — 3. Juli 19O3.
(Offiziell.)
Eroffnungfeier. — Am Dienstag Abend des 30. Juni wurde in
der Mannerchorhalle der 33. Lehrertag eroffnet. Durch ein Missverstandnis
wegen der Zeit — die meisten Delegaten batten \vestliche Zeit — konnte
die Feier erst eine voile Stunde spater beginnen. Es war bereits 9 Uhr, als
die Sanger des Erie Mannerchors die Anwesenden mit einem frisch vorge-
tragenen Liede erfreuten. Es erfolgten alsdann die iiblichen Begriissungs-
ansprachcn, und zvvar von Biirgermeister Harwick, vom Prasidenten der
Schulbehorde, C. L. Baker, Prof. Missimer und Prof. Burns. Nach einem
weiteren Gesang des Mannerchors hielt der President des Lehrerbundes,
Prof. v. d. Groeben, in englischer Sprache eine kurze Rede, worin er, in
Riicksicht auf die anwesenden Englisehamerikaner die Geschichte, Zweck
und Zielc des Bundes klarlegte. Aus demselben Grunde hatte auch der
folgende Redner, Herr H. Woldmann von Cleveland, seiiien Vortrag in eng-
lischer Sprache abgefasst. Er betonte dabei, \vie notwendig es sei, minde-
stens eine fremde Sprache ausser der eigenen zu lernen, denn nur dadurch
lerne man die eigene besser kennen. Er beriihrtc dann die einzelnen
Punkte 'les Fortschrittes im amerikanischen Schulwesen, wie sich dasselbe
nach und nach hier entwickelt, Hess jedoch durchblicken, dass noch man-
ches notwe«dig sei, um unser Erziehungssystem dahin zu bringen, dass es
Anspruch auf das Pradikat ,,vollkommen" machen konne. Sein Hauptar-
gument besland darin, dass Kinder, die ngben dem englischen auch deut-
schen Unterricht nehmen, die englische Sprache griindlicher bemeisterten
als solche, die sich bloss mit dieser befassten. Man habe nie bemerkt, dass
ein Schiiler, welcher deutschen Unterricht nahm, seine anderen Studien
234 Padagogische Monatshefte.
vernachlassigte. Xachdem der Mannerchor noch ein Lied vorgetragen, er-
klarte Herr v. d. Groeben den Lehrertag offiziell fiir ero^Cnet. Im Speisesaal
der Halle fand hierauf bei Sang und Bgcherklang eine gemiitliche Nach-
sitzung statt, die freilich nur von kurzer Dauer war, da die Empfangsfeier,
v\ie oben bemerkt, sehr verspiitet begonnen hatte.
Erste Hauptversammlung. — Der Prasident eroffnete dieselbe
am %10 Uhr in der Aula der Hochschule. Die Biihne war sehr geschmack-
voll mit Blattpflanzen und 'Flaggen dekoriert. Der Sekretar verlas zunachst
seinen Jahresbericht, der wie folgt lautete: .
Werte Kolleginnen und K o 1 1 e g e n:
Auch hier in Erie ware ich, wie bei der letzten Tagung in Detroit, bei-
nahe wieder genotigt, vor Sie hinzutreten mit der kurzen Meldung ,,Nichts
zu berichten iiber das verflossene Vereinsjahr." Doch muss ich heuer zu-
T.-achst dreier Mitglieder gedenken, die wir seit der letzten Jahresversamm-
lung durch den unerbittlichen Tod verloren, namlich des biederen, pflicht-
getreuen W. H. Weick von Cincinnati, des wackeren, tiichtigen Henry
Bamberger von Chicago und des so vielseitig tatigen G. A. Zimmermann
ebenfalls von Chicago. In unserem Bundesorgan den ,,Padagogischen Mo-
natsheften", wurde s. Z. des schweren Verlustes, den der I.ehrerbtind durch
das plotzliche Hinscheiden dieser hervorragenden und zielbewussten Pa-
dagogen erlitten, gebiihrend gedacht. Es eriibrigt hier nur nochmals ins
Gediichtnis zu rufen, dass Weick, der am 14. Oktober 1902 am Herzschlag ge-
storben, eiuer der Griinder des Lehrerbundes war, im Jahre 1893 als dessen
Prasident fimgierte, und dass er Jahre lang ein regelmassiger Besucher der
Lehrertage war, auf welchen er wiederholt Vortrage gehalten hat. G.
Kamberger, Vorsteher und Leiter der jiidischen Handfertigkeitsschule von
Chicago, G. A. Zimmermann, Superintendent des deutschen Unterrichts
von Chicago, wurden beide anfangs Januar unerwartct vom Felde ihrer
TJitigkeit abberufen. Wenn Bamberger und Zimmermann auch in den
letzten Jahren nicht mehr aktiv an unseren Bestrebungen teilnahmen und
den Lehrortagen fernblieben, so waren sie doch friiher einmal eifrige Mit-
glieder und diirfen wir sie deshalb mit Eecht unser nennen. Ehrc ihrem
Andenken!
Dass Ihr Vorstand, besonders Ihr Prasident, wahrend des letzten Ver-
einsjahres nicht miissig war, im Interesse des Lehrerbundes zu wirken, be-
weist das Programm fiir die gegenwartige Tagung, wofiir iibrigens Herrn
v. d. Groeben in erster Linie Anerkennung und Dank gebiihrt.
Die Aufstellung eines Lehrertagprogrammes, besonders die Gewinnung
von Vortragenden, ist sicherlich keine leichte Arbeit, wie friihere Vor-
fctandsmitgleider gerne zugestehen werden. Trotzdem bin ich der Ansicht,
dass sich das Wirken und die Aufgabe des jeweiligen Bundesvorstandes
nicht lediglich darauf, namlich auf die Aufstellung des Lehrertagpro-
jrramms beschranken sollte. Der Lehrerbund konnte vielleicht durch seinen
A'orstand — nach dem Vorbilde des N. A. Turnerbundes — in engere Be-
xiehung zu seinen Zweigvereinen treten, ihnen durch Rat und Tat beistehen.
Die Griindung von neuen Zweigvereinen anregen, schon bestehende, aber
schlafrige Vereine aufriitteln und ermutigen. Die Tatsache, dass unser
Bund von den ungefiihr 3000 deutschamerikanischen Lehrern kaum den
zehnten Teil zu seinen Mitgliedern zahlt, ist wahrlich kern Grund zur
Selbstzufriedenheit, und die von Jahr zu Jahr abfallende Beteiligung an
den Lehrertagen ebenfalls nicht. Hier muss Wandel geschaffen werden,
Protokcll des 33. Lehrertages. 235
wenn der deutschamerikanische Lehrerbund nicht seiner baldigen Auf-
losung entgegengehen soil. Freilich gehoren bekanntlich zu einer enolg-
reichen Propaganda — oder wie mein Vorgiinger, Professor Ferren sagte,
zu einem intellektuellen Kriege — die unentbehrliehen Propaganda- oder
Kriegsmittel. Es diirfte deshalb ratsam sein, die Jahresbeitriige wieder
auf $2.00 zu erhohen. Welche Schritte alsdann zur Stiirkung und Hebung-
unseres Bundes zu tun sind, das stelle ich dem naehsten Vorstande und zu-
nachst der Tagsatzung zur Erwagung anheim.
Zum Schluss empfehle ich, unsere Konventionen in Zukunft nur alle
zwei Jahre abzuhalten. Dadureh wiirden die Lehrertage mit ihren bedeu-
tenden Geldopfern nicht in allzukurzen Zeitabstiinden auf gewisse Stiidte
fallen, und die Staatsverbande konnten alsdann ihre Konventionen in die
Zwischenjahre verlegen. Diese Anderung wiirde nach meinem Dafiirhalten
beiden Seiten nur zum Vorteil gereichen. Achtungsvoll,
E. Kramer, Bchriftf iihrer.
Die im Sekretiirsbericht enthaltenen Empfehlungen warden auf An-
trag von Herrn Abranis an den Vorstand verwiesen, um in der zweiten
Hauptversammlung dariiber zu berichten. Der Aufforderung des iPrasi-
denten, sich zu Ehren der im letzten Vereinsjahre verstorbeiien Mitglieder
von den Sitzen zu erheben, wiirde Folge geleistet.
Bei der Ergiinzung des Vorstandes wurde Herr Avoldinann als Vize-
Priisident und Herr Paul Gerisch von Milwaukee sowie Frl. Brinker von
Cleveland als stellvertretende Schriftfxihrer ernannt. Der Sekretar verlas
hierauf ein Schreiben von Dr. Hexamer von Philadelphia, President des D.
A. Nationalbundes, worin er mitteilte, dass er die Erwiihlung als Ehren-
mitglied des Lehrerbundes mit Dank annehme. Auf Antrag von Herrn
Schmidhofer soil Herrn Seminardirektor Dapprich, der zu seiner Herstel-
lung seiner Gesundheit in Deutschland weilt, Gruss und Gliickwunsch des
Lehrerbundes per Kabel entsandt werden. Da Herr Wolf von Saginaw,
Mich., nicht anwesend sein Konnte, verlas der Priisident dessen eingeschick-
ten Vortrag "Eealien im deutschen Sprachunterricht".*)
Nach der Lunchpause verlas Herr Schmidhofer nachstehenden Bericht
der Seminar-Priifungskommission:
Milwaukee, den 24. Juni 1903.
Ihre Priifungskommission erlaubt sich hiermit, Ihnen de'n Bericnt
iiber die diesjahrige Priifung der Zogiinge des Seminars vorzulegen.
Nach einem gemeinschaftlich mit der Fakultat des 'Lehrerseminars
festgesetzten Programme fand vom 22. — 24. Juni die miindliche Priifung-
der Zogiinge statt. Dieselbe umfasste 'die folgenden Facher: Ge-
schichte der Padagogik, Deutsche Literaturgeschichte, Englische
Grammatik.
Diesa miindlichen Priifungen zeugten von gewissenhafter Arbeit
seitens der Lehrer und der Zogiinge. Das gleiche Lob konnen wir den
schriftlichen Arbeiten in der Padagfogik, dem Aufsatz, deutsch und
englisch, der deutschen Gramraatik und der englischen Literatur er-
teilen.
Gleichmassigkeit der Giite, Sauberkeit und Sorgfalt der Anfertigung
verdienen riickhaltslose Anerkennung. Jedes der zwolf Mitglieder der
*) Samtliche Vcrtrage dieses Lehrertages — auch oie ungelesenen —
gelangen, laut Beschluss der 2. Hauptversammlung, in dieser Nummer der
P. M. zum Abdruck.
236 Padagogische Monatshefte.
Abgangsklasse, \voruiiter sich diesmal auch zwei junge Manner befan-
den, gab niit den Schiilern der Musterschule eine Probe seines didak-
tischen Konnens, welche bewies, dass die jungen Lehrer auch in prak-
tischer Beziehung wohl vorbereitet fiir ihren Beruf die Anstalt verlas-
sen. Samtlichen Zciglingen dieser Klasse wurde einstimmig das Zeng-
nis der Eeife zuerteilt.
Auch die Leistungen der ersten und zyeiten Seminarklasse waren
derartig, dass die Mitglieder derselben zur Beforderung empfohlen
werden konnten.
Den Lehrern des Seminars, die sich mit so freudiger Opferwillig-
keit in die Pflichten des leider krankheitshalber abwesenden Seminar-
direktors teilten, sprechen wir hiernut die warmste Anerkennung aus.
Wahrend wir den Leistungen der Lehrer und Schiiler des Seminars
voiles Lob zollen, konnen wir uns nicht enthalten zu bemerken, dass
dieselben nach unserer Ansicht durch iibergrosse korperliche An-
strengung erkauft \vurden. Das Aussehen mehrerer der Schiiler deutete
auf tieberanstrengung hin. Das Lehrerseminar muss in seiner jetzigen
Verfassung in drei Jahren ein Arbeitspensum bewaltigen, wozu in an-
deren Bildungsanstalten mindestens vier Jahre zur Verfiigung stehen.
Diesem ubelstande kann nur durch eine Verlangerung des Seminarkur-
sus oder durch eine entsprechende rationelle Abiinderung des Lehr-
plans abgeholfen werden. |
Achtungsvoll unterbreitet:
Hermann Woldmann, Cleveland.
Bernard A. Abrams, Milwaukee.
M. Schmidhofer, Chicago.
John Eiselmeier, Milwaukee.
Dieser Bericht wurde gutgeheissen und angenommen. An Stelle von
Prof. Barandun von Pittsburg, der ebenfalls nicht erschienen war, hielt
Prof. H. M. Ferren von Allegheny, Pa., einen Vortrag in englischer 8prache
iiber ,,Die Notwendigkeit der Erlernung einer zweiten Sprache in diesem
Lande'", oder wie das Thema in Englisch lautete "Monolinguism, the bane
of our country". JDieser Vortrag wurde mit grossem Enthusiasmus auf-
genommen.
Herr Schoenrich von Baltimore machte zum Schluss auf die Jahres-
versammlung des D. A. Nationalbundes aufmerksam, worauf die Herren
Ferren und Schoenrich als Delegaten des Lehrerbundes beim Nationalbund
erwahlt wurden.
Zweite Hauptversammlung. — Das Protokoll der ersten
Hauptversammlung ^vurde vom Sekretar verlesen und nach einigen Be-
richtigungen angenommen. Hierauf gab der President folgenden Nomi-
nationsausschuss belcaiint :
John Eiselmeier, Milwaukee, Wis.; Wm. Schiifer, Cincinnati, O.; C. O.
Schonrich, Baltimore, Md.; J. G. Rossler, Chicago, 111.; Albert Diirr, Cleve-
land, O.; Frl. Emma Siegel, Erie, Pa.; Alexis Miiller, Lockport, N. Y.
Von den Herren Theo. Meyder und Albert Mayer von Cincinnati lief
nachstehende Depesche ein: ,,\Viinschen dem Bunde besten Erfolg! Die
Kollegen auf dem Dampfer Bliicher." Herr v. d. Groeben empfahl alsdann,
die im Jahresberichte des Sekretars enthaltenen Vorsciiiiige — Erhohung
der Beitriige und zweijahrliche Konvention — zur Annahme. Auf Antrag
von Herrn Griebsch von Milwaukee wurde darauf hin beschlossen, den
Protokoll des 33. LeJirertages. 237
Lehrertag wenigsteus niichstes Jahr ausfallen zu lassen, da wegen der
\Yeltaustellung in St. Louis keine nennenswerte Beteiligung an den Ver-
handlungen zu erwarten sei. Die Debatte iiber die Empfehlung, den Jah-
resbeitrag1 auf $2.00 zu erhohen, wurde auf die Schlussversammlung ver-
fachoben, da sie eine Veranderung der Statuten in sich schliesst. Ein An-
Irag von Abrams, die Gesamtprotokolle der Lehrertage
nebst den dabei gehaltenen Vortragen jeweilig in einer
Doppelnummer der Padagogischen Monatshefte, und zwar im Sep-
tember zu veroffentlichen nnd alien Mitgliedern des Lehrerbundes frei zu-
zustellen, wurde einstimmig angenommen. Die daraus entstehenden Ex-
trakosten fiir die Herausgeber sollen axis der Bundeskasse gedeckt werden.
Da keine weiteren Komiteeberichte vorlagen, erfolgte nun der Vortrag
von Prof. Otto Heller von der Washington Universitat, St. Louis, iiber
,,Deutsche Frauenschriftstellerei von gestern und heute". Dem Hedner
wurde nach Schluss seines Vortrages der Dank der Versammlung ausge-
sprochen.
Nach der Pause ernannte der President folgende Ausschiisse:
Komitee fiir Revision der Schatzmeistersbiicher: Paul Gerisch, Mil-
waukee; Frank Keller, Cincinnati; Frl. Lina Ziechmann, Cleveland.
Komitee fiir Dankesbeschliisse: Max Griebsch, Milwaukee; H. M. Fer-
ren, Allegheny, Pa.; Frl. Lydia Hanke, Philadelphia.
Frau Mathilda Grossart von Cleveland, die niit dem Vortrag ,,Das deut-
sche Volkslied in der Volksschule" auf dem Programm stand, konnte nicht
anwesend sein, da ihr Sohn schwer erkrankt darniederliegt. Dieser Vor-
trag fiel deshalb aus.
Zum Schluss hielt Herr Albert Gehring, President der Clevelander
Schulbehorde, einen Vortrag iiber das Thema: ,,Der Garten der Mensch-
heit'. Auch dieser Vortrag erntete reichen Beifall; dem Verfaser wurde
ebenfalls der Dank der Versammlung ausgesprochen.
Musikalisch - literarische Abendunterhaltung. — •
Zu Ehren der Gaste hatte die Biirgerschaft Eries, die iiberhaupt an der
Tagung des Lehrerbundes grosses und herzliches Interesse genommen, fur
denselben Abend eine musikalisch-literarische Unterhaltung veranstaltet.
Der Besuch war trotz der hohen Temperatur ein sehr guter, so dass das
Auditorium der Hochschule, das tausend Sitzplatze hat, nahezu ganz ge-
fiillt war. Als Hauptnummer des Programms, das in seinem musikalischen
Teil recht abwechslungsreich imd gut gewahlt, wenn auch etwas zu breit
angelegt war, gait ein Vortrag von Dr. H. H. Fick, Superintendent des
deutschen Unterrichts von Cincinnati. Der gewandte Eedner hatte sich das
Thema gewahlt ,,Die deutschamerikanische Dichtung". Durch seinen wohl-
durchdachten, in elegantem Stile abgefassten Vortrag,, der von griind-
licher Kenntnis des Themas zeugte, verstand es Herr Fick, die Zuhorer in
den deutschamerikanischen Dichterwald einzufiihren und mit den schiin-
sten Bliiten darin bekannt zu machen. Langanhaltender Beifall wurde dem
Kedner am Schluss seiner Ausfiihrungen zu teil.
Schlussversammlung. — Da fiir die Schlussversammlung nur
ein "Vortrag in Aussicht stand, so beeilte man sich nicht sehr mit der Er-
nft'nung der Sitzung. Es war nahezu 10 Lhr, als der President die Anwesen-
dea zur Ordnung rief, worauf der Sekretiir das Protokoll der gestrigen
bitzung verlas, das unvertindert angenommen wurde. Der von Herrn Wold-
mann schriftlich eingebrachte Antrag, Erhohung des Jahresbeitrages auf
238 Padagogische Monatshefte.
$2.00, gab Anlass zu einer lebhaften Debatte, da derselbe eine Anderung der
Ktatuten in sich schloss. Es stellte sich dabei heraus, dass der neue Sta-
tutenentwurf vom Jahre 1900 bis heute noch nicht angenommen ist.
bchliesslich wurde der Antrag angenommen und voin Jahre 1904 an beliiuft
sich der Mitgliederbeitrag auf $2.00.
Der Revisionsausschuss berichtete alsdann, dass er die Biicher des
Schatzmeisters gepriift, und in bester Ordnung gefunden habe. Danach be-
trugen die Einnahmen $208.16; Ausgaben $130..79; Kassenbestand $77.37.
Es folgte nun ein hochinteressanter Vortrag von Prof. August Prehn
von New York ,,Ein Bruch mit der uberlief erung,,*) . Dem Kedner wurde der
Dank der Versammlung fiir seine gediegene Arbeit ausgesprochen.
Von Prof. W. W. Florer von der Universitat Michigan in Ann Arbor lief
eine Depesche ein, worin er mitteilte, dass er leider verhindert sei, recht-
zeitig fiir seinen Vortrag in Erie einzutreft'en.
Das Nominationskomitee unterbreitete hierauf folgenden Bericht:
Vorgeschlagen fiir den Bundesvorstand:
C. O. Schonrieh, Baltimore. Alexis Miiller, Lockport, N Y.
G. G. von der Groben, Erie. Louis Hahn, Cincinnati.
B. A. Abrams, Milwaukee. Frl. Marie Diirst, Dayton, O.
Wm. Schiifer, Cincinnati. Frl. Anna Hohgrefe, Chicago.
H. M. Ferren, Allegheny, Pa.
Komitee zur Pflege des Deutsche n.
Herrmann Woldmann, Cleveland. Carl Herzog, New York. -
Albert Gehring, Cleveland. Emil Kramer, Cincinnati.
H. J. Martens, Milwaukee.
Priifungskommission fiir das deutschamerikanische Lehrer-
seminar in Milwaukee:
Dr. H. H. Fick, Cincinnati. Martin Schmidhofer, Chicago.
John Eiselmeier, Milwaukee.
Diese Priifungskommission soil fiir zwei Jahre bestehen. Als nachster
Konventionsort wurde Chicago oder Baltimore in \orschlag gebracht.
Samtliche Vorschlage wurden einstimmig angenommen.
Wiihrend der nun eintretenden Pause organisierte sich der neugewahlte
Bundesvorstand wie folgt:
President: B. A. Abrams, Milwaukee.
1. Schriftfiihrer: Alexis Miiller, Lockport, N Y.
'2. Schriftt'iihrerin: Anna Hohgrefe, Milwaukee, Wis.
Schatzmeister: Louis Hahn, Cincinnati.
;^f , .Ausschuss.
C. O. Schonrich, Baltimore. Wm. Schiifer, Cincinnati.
G. G. von der Groben, Erie, Pa. Frl. Marie Durst, Dayton, O.
H. M. Ferren, Allegheny, Pa.
Als Ort fiir die niichste Tagung, die im Jahre 1905 stattfindet, wurde de-
finitiv Chicago gewiihlt.
Zum Schluss wurden folgende Dankesbeschliisse angenommen:
An die 33. Jahresversammlung des Nationalen Deutschamerikanischen
Lehrerbundes.
Das in der gestrigen Versammlung ernannte Komitee erlaubt sich
*) Das Manuskript dieses Vortrages ist leider verloren gegangen. Prof.
Prehn hat uns jedoch fiir eins der nachsten Hefte der P. M. einen Auszug
seiner Arbeit zugesagt. D. K.
Protokoll des 33. Lehrertages. 239
hierdurch, folgende Beschliisse zur gefiilligen Begutachtung zu unter-
breiten :
Am Schlusse dhrer Tagung stattet die 33. Jahresversammlung des N.
D. A. Lehrerbundes ihren herzlichsten Dank ab:
1. Dem Lokalkomitee der Stadt Erie f iir seine aufopferndeTatigkeit,
mit welcher die Vorbereitungen fiir die diesjahrige Tagung getroffen
wurden und so den Besuchern der Aufenthalt zu einem hochst ange-
nehmen gemacht wurde;
2. Dem Biirgermeister der Stadt, Herrn Hardwick, deni Prasidenten
der Schulbehorde, Herrn C. L. Baker, dem Superintendenten des offent-
lichen Schulwesens, Herrn Prof. C. H. Missimer, Herrn Prof. J. R.
Burns, dem Vorsitzenden des Lokalkomitees, Herrn Gorenflo, den Her-
ren F. Brevillier und Paul Miiller fiir ihre herzlichen Worte des Will-
kommens an dem Eroffnungsabende der Tagung;
3. Dem Mannerchor" der Stadt Erie und seinem wackeren Dirigen-
ten Prof. Oswald fiir die herrlichen Gesiinge am Eroffnungsabende und
an dem am gestrigen Abend stattgefundenen Konzerte;
4. Den Damen und Herren, die dureh ihre Teilnahme bei diesem
Konzerte den Zuhorern so herrliche Geniisse bereiteten, insbesondere
Frl. Irene Noonan, Frl. Mildred Watson, Frl. Nettie Hulburd, und den
Herren Prof. J. C. Diehl, Edwin Bell und Prof. Kowalski;
5. Den Rednern, welche das Programm unserer Tagung zu einem
besonders interessanten und lehrreichen machten;
6. Dem Vorstande, in dessen Handen die Verantwortlichkeit fiir die
Vorbereitungen unserer Tagung und die Leitung der Versammlungen
lagen, besonders Herrn Prof. G. G. von der Groben, der mit Begeisterung
und Hingabe seinen vielseitigen Pflichten oblag.
7. Der Presse der Stadt Erie, der deutschen, sowie der englischen,
die durch ihre flihige Berichterstattung liber unsere Verhandlungen ihr
Interesse an denselben bekundete, und
8. Der gesamten Bevolkerung der Stadt, die durch ihre tatkraftige
Teilnahme die Vorbereitungen fiir den Empfang der Besucher wesent-
lich orleichterte,
Wir empfehlen, dass diese Beschliisse in der deutschen imd eng-
lischen Presse zur Veroffentlichung gelangen.
Weiterhin diene zur Mitteilung, dass der in der ersten Versammlung
gefasste Beschluss, Herrn Direktor Dapprich einen telegraphischen
Gruss zu ubermitteln, durch die Absendung folgender Kabeldepesche
ausgefiihrt wurde:
Herrn Direktor Dapprich, Emmerichenhain, Nassau.
Gruss Idem treuen Freunde vom Lehrertag.
Achtungsvoll
Lydia S. Hanke,
H. M. F e r r e n,
Max Griebsch.
Hierauf erkliirte President Von der Groben die 33. Jahresversammlung
mit einigen wohlgesetzten Worten fiir vertagt.
Am Vorabend des 4. Juli kam der Lehrertag mit einem solennen Bankett
in der Mannerchorhalle zum Abschluss.
Emil Kramer, Schrif tf iihrer.
Die Realien im deutschen Sprachunterricht.
Vcn Ernst Wolf, High School, Saginaw, Mich.
Untor den vielen Fragen, die fiir uns deutsche Lehrer von Interesse
imd Wichtigkeit sind, gibt es gliicklicherweise wohl keine einzige, iiber
die wir nicht geteilter Meinung sind. Die Anschauungs- oder Konversa-
tions-Methode wird von den Verfechtern der alleinseligmachenden
Grammatik- oder Ubersetzungsmethode mit kraftigen Schlagwortern wie
"Papageien-Methode", "Kellner-Deutsch", "Bonnen-Franzb'sisch" lacher-
lich gemacht, und die Reformer zahlen prompt und schlagfertig diese
Liebenswiirdigkeiten zuriick mit dem nicht minder eleganten, aber den
Nagel auf den Kopf treffenden Schlagwort "Kochbuch-Methode'', denn
in der Tat beschrankt sich ja die unverfalschte Grammatik-Methode
darauf, dem Schiller Rezepte zur Anfertigung sprachlicher Gerichte dar-
zubieten. Dass diese dann so unverdaulich sind wie andere nach dem
Kochbuch angefertigte Speisen, ist fiir den seines Triumphes im voraus
eicheren Reformer die natiirliche Folge.
Ich halte diesen Zustand keineswegs fiir beklagenswert; wenn auch
manchmal ein wenig mehr Toleranz auf beiden Seiten am Platze und der
guten Sache fordernder ware, so begriisse ich ihn nichtsdestoweniger.
Wo Kampfe wiiten, da herrscht intensives Leben, wo gebildete Menschen
aus Liebe zu tiberzeugimgen und Grundsatzen, errungen beim Scheine
der mitternachtlichen Lampe, aus innerem Drang nach Wahrheit und
Klarheit mit Berserkerwut iiber einander herfallen, alte Freundschaft
in die Briiche gehen lassen in der Verteidigung dessen, was sie fiir recht
erkannt haben oder doch vermeinen erkannt zu haben — da herrscht
Fortschritt, da ist Aussicht, dass aus den Reibungen sohliesslich doch ein
Licht entstehen wird.
Gliicklicherweise lebt in unserem Stande im grossen und ganzen des
kriegerischen Geistes die Fiille, er macht es undenkbar, dass unsere Ver-
eammlungen als solche eines gegenseitigen Bewunderungs-Vereins ver-
kannt werden.
Mit der Absicht, ich darf wohl sagen, in der frohen Hoffnung, an
dem Kampfe der Meinungen teil nehmen zu diirfen, bin ich hierher ge-
kommen in die freundliche Seestadt, deren gastfreie Bewohner uns
einen so herzlichen Empfang bereitet haben.
Ich habe mir sogar die Gunst erwirkt, den Reigen eroffnen zu diir-
fen, nicht eigentlich deshalb, weil mein Thema der am heftigsten um-
strittene Punkt unserer Meinungsverschiedenheiten ist, sondern weil die
Fragc des Realienunterrichts fiir den Grammatiker wie fiir den radikal-
sten Reformer gleiche Wichtigkeit und gleiches Interesse hat, und wir
uns deshalb bei ihrer Besprechung auf neutralem Boden bewegen.
Die Realien im dentschen Sprachwitenicht. 241
Wer auch. nnr einigermassen mit der wahrend der letzten 15 Jahre
erschienenen Literatur iiber den Unterricht in den modernen Sprachen
Tertraut ist, weiss sogar, dass die Realienfrage kaum mehr unter die
schwebenden zu rechnen ist; auch die reaktionarsten Elemente erkennen
an, dass sieh der deutsche Unterricht mit dem deutschen Volke, dem
deutschen Lande, der deutschen Geschichte, mit deutschen Einrichtun-
gen, vor allcm aber mit der deutschen Kultur zu bschaftigen hat.
Hiermit ware bereits der Begriif "Realien" definiert. Wenn auch die
prinzipielle und theoretische Erorterung dieser Frage als abgeschlossen
angesehen werden darf, so hat doch leider dieser Zweig des Unterrichts
noch iiber arge Vernachlassigung in den Schulen zu klagen: Noch immer
sind unsero Lehrbiicher angefiillt mit Asopischen Fabeln, hebraischen,
agyptischen, babylonischen, griechischen und romischen Mythen, die,
eo wertvoll, interessant und lehrreich sie auch nach Form, Inhalt und
ethischem Gehalt sein mogen, doch in keiner Weise dem Ziele des deut-
Bchen Unterrichts dienen, namlich dem Schiller Verstandnis fur die ei-
genartige geistige und materielle Kultur, fiir Leben und Sitten des
deutschen Volkes zu erschliessen.
In einem weitverbreiteten Lehrbuche, das bereits 33 Auflagen erlebt
hat, und dessen Verfasser hinsichtlich der Methodik der Radikalsten einer
ist, sind folgende Lesestiicke enthalten: Die griechischen Spiele. Perikles
und die Bliite Athens. Hannibals Ubergang iiber die Alpen. Der Tod1 des
Tiberius. England unter Elisabeth. Shakespeare. Frankreich und Ludwig
XIV. Das Ende Ludwigs XVI. Napoleon in Russland. Die wissenschaft-
liche Prosa Nord-Amerikas.
Ich enthalte mich eines Kommentars; aber das Wort Juvenals —
Difficile est satiram non dicere — das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Dass der Lesestoff deutsch ist, d. h. sich mit deutscher Geschichte
und deutscher Kultur beschaftigt, ist beinahe noch wichtiger als dass —
es mag dies paradox klingen und ist auch nicht wortlich zu verstehen —
als dass die Unterrichtssprache deutsch ist, denn "deutsch" in dem Sinne,
wie ich es Jctzt verstehe, kann man auch in englischer Sprache lehren.
"Deutscher Stoff fiir den deutschen Unterricht" ist meine erste
Forderung. Viel schwieriger ist es, genau festzustellen, was aus der ge-
radezu verwirrendcm Fiille der Erscheinunge auf dem Gebiete der Realien
in den Unterricht aufgenommen werden kann. Gliicklicherweise ist es
aber nicht meine Aufgabe, fiir jede Schulklasse einen Lehrplan aufzu-
stellen, was schon um des willen eine Unmoglichkeit ware, dass unsere
Schulen sich durch die weitest gehende Unabhangigkeit, um nicht zu
sagen "Regellosigkeit", auszeichnen.
Der Griinde fiir die Betonung der Realien sind viele: im weitesten
Sinne des Wortes soil dem Schiller durch die bewusste Erkenntnis der
fremden Nationalitat zum besseren Verstandnis der eiffenen verholfen
242 Padagogische Monatshefte.
werden; jeder klare Einblick in die Sitten, Gewohnheiten, Eeclite und
Gesetze des fremden Volkes weckt das Verstandnis und scharft den Blick
fiir die Gepflogenheiten des eigenen Volkes. Es ist meiner Ansicht nach
eine imbestrittene Wahrheit, dass es weit besser ist, die Vorziige auswarts
und die Fehler daheim zu erkennen, als umgekehrt, mag es auch einem
gedankenlosen Chauvinismus als Vaterlandsverrat erscheinen, solche
Ketzereien zu aussern.
Dass die Kenntnisse unserer Schuler iiber die auf dem europaischen
Kontinent lebenden Nationen minimal sind, ist eine beschamende Wahr-
heit. "Wenn unsere Schuler glauben, dass die Geschichte Europas iden-.
tisch ist mit der Geschichte Englands, so ist dies eben dem Umstand zu-
zuschreiben, dass der Geschichte Englands im Verhaltnis zur Geschichte
des europaischen Kontinents eine Bedeutung eingeraumt wird, die ihr
nicht gebiihrt. Der deutsche Lehrer sollte nicht versaumen, seinen
Kollegen, der Geschichte rortragt, auf diesen Missstand aufmerksam zu
machen.
Aber die planmassige deutsche Landeskunde und Geschichte —
dem Durchschnittsschulmeister ist zwar alles ein Greuel, was nicht in ein
System gebracht werden kann — wiirde schliesslich doch nur in einem
diirren, mit Zahlen und Namen iiberhauften Abriss gegeben werden kon-
nen, mit dem wir der Jugend nur geringe Freude bereiten wiirden. In
der -Hauptsache werden wir uns damit begniigen miissen, bei der Auswahl
der Lekture solchen Werken hervorragender Schriftsteller den Vorzug zu
geben, in denen gewaltige Ereignisse oder das Leben hervorragender
Manner bedeutend und fesselnd geschildert werden. Auch wohlgerun-
dete und kunstlerisch befriedigende Landschilderungen sollen willkom-
men sein.
In Fontanes Geschiehte des deutsch-franzosischen Krieges bin ich
einem solchen Abschnitt begegnet, den ich als ein Muster betrachte, und
den ich deshalb an dieser Stelle anfiihren will. Er lautet:
"Der Ehein war das Objekt wie mutmasslicher Schauplatz des Krie-
ges, der Khein, der vielleicht kostbarste und heiterste Streifen Landes,
den die heutige Erde aufzuweisen hat. Hier verwirklicht sich seit einem
Menschenalter und langer, was die Philanthropen des vorigen Jahr-
hunderts "die Gliickseligkeit des Menschengeschlechts" nannten, schoner,
reicher und voller, als es jene Menschenfreunde in ihrer traurigen Zeit
jemals zu ahnen und zu prophezeien wagten. Der Fleiss der Einwohner,
ihr lebhaftes Naturell, ihr unternehmender Geist in Verbindung mit ei-
ner, wie im Bewusstsein ihrer ausgestreuten Wohltaten, lachenden Natur
haben eine Welt geschaffen, die kaum ihresgleichen hat, selbst nicht in
den begiinstigsten Zonen, eine Welt, die der Hypochonder der entfernte-
sten Gegenden aufsucht, um sein verfinstertes Gemiit aufzuheitern. Er
badet seine Seele in dieser Atmosphare der Schonheit und des Gliicks,
Die Realien im deutschen Sprachunterricht. 243
wie seinen kranken Leib in den Heilquellen, die hier uberall aus dem
Boden springen. Es ist das Land, das keinen Bettler kennt und keine
triibseligen Gesichter. Die lustige Pfalz, "Gott erhalt's", die lieblichen
Saume des badischen Schwarzwaldes, der langgestreckteGarten der Berg-
strasse — das Ganze eine ununterbrochene Perlenschnur von Schonheiten
und von Wohmmgen des Gliicks.
ITnd mitten durch diese Welt wandelt der gewaltige Strom, wie einer
der vier Hauptstrome des Gartens Eden, Wohltaten an beiden Ufern
ausstreuend, die mehr wert sind als alle Nibelungenschatze, die in seinern
Schosse geborgen liegen. Auf keinem Strome der Welt, einige Miindun-
sen englischer Fliisse ausgenommen, findet sich ein solcher munterer und
lebhafter Verkehr, wie auf dem gesegneten Ehein; seine unzahligen
Boote und Dampfschiffe, die Schienenwege rechts und links reichen kaum
aus, die Volker, die sich an seinen Ufern drangen, und die Erzeugnisse
menschlichen Fleisses ihren Zielen entgegenzutragen.
Soweit er seine Windungen erstreckt, wachsen die alten Stadte, die
noch der Romerzeit ihre Entstehung verdanken, Ja entstehen neue auf
beinahe amerikanische Weise, und selbst die Dorfer sind Statten der
Bildung, des Genusses, der Wohlhabenheit geworden.
Und da? Alles rein aus dem gliicklichen Boden dieser warmen Erde
und des tatigen Biirgertums erwachsen und erbliiht und zu Friichten ge-
worden, an deren Anblick sich das ganze deutsche Vatorland erf rent!
Da ist kein Fuss breit Erde, der nicht kostbar, kein Menschenherz,
das nicht vom Geiste der Gesittung angeweht ware.
Was wir seit einem Jahrhundert singen: "Gesegnet sei der Ehein!"
— es ist an seinen Ufern aufs herrlichste in Erfiillung gegangen."
Welch' eine Fiille von Realien ist hier in stylistisch vollendeter, ja
poetischer Form geboten. Man zeige dem Schiiler bei der Lektiire dieses
Abschnitts noch einige Bilder, z. B. "der Rhein bei St. Goar" von Holzel,
in prachtigen Farben ausgefiihrt, und man wird sich wenigstens einem
Ziele des deutschen Unterrichts, der Erweckung des Interesses fur das
deutsche Land und das deutsche Volk, bedeutend naher befinden, als
wenn man sich durch den oft sinnlosen und wertlosen Schund durch-
qualt, den noch manche unserer Lehrbiicher enthalten.
Nichtsdestoweniger ist es wohl moglich, unter der Unmasse von
brauchbaren und unbrauchbaren Schultexten, die uns heute von den
Verlagsbuchhandlungen geboten werden, eine Auswahl zu treffen, die
auch den Anforderungen eines Realienfanatikers entsprechen diirfte.
Denn es muss immer wieder betont werden, dass die Lektiire als Haupt-
quelle fur den Realienunterricht anzusehen ist, da die Literatur eines
Yolkes stets unzertrennbar mit seinem Volkstum verkniipft ist.
Ich habe mich im Laufe des letzten Winters der Miihe unterzogen,
die Kataloge unserer Yerleger daraufhin zu untersuchen und gefunden,
244 Padagogische Monatskefte.
dass fast alle Stoffe angeboten werden, deren wir bediirfen. In der von
mir zusammengestellten Liste sind alle bedeutenden Perioden der deut-
schen Geschichte behandelt; alle Formen der Literatur- historische Prosa,
das klassische Trauerspiel und das klassische Lustspiel, das moderne
Lustspiel, die Lyrik, die epische Poesie und Xovellistik sind darin ver-
treten; Werke der Klassiker nehmen an Zahl den ihnen gebiihrenden
Platz ein. Diese Liste lautet wie folgt:
Schrakamp, Sagen und Mythen. Goebel, Hermann der Cherusker.
Freytag, Ingo. Dahn, Ein Kompf um Rom. Freytag, Karl der Grosse.
Aus dem Klosterleben. Scheffel, Ekkehard. Freytag, Aus den Kreuz-
ziigen. Riehl, Kulturgeschichtliche Novellen. Ebner, Walther von der
Vogelweide. Hillern, Hoher als die Kirche. Schiller, Tell. Hauff,
Liechtenstein. Freytag, Dr. Luther. Schiller, Wallenstein. Goethe, Eg-
mont. Scheffel, Der Trompeter. Gutzkow, Zopf und Schwert. Schrader,
Friedrich der Grosse, Lessing, Minna von Barnhelm, Goethe, Wahrheit
und Dichtung. Kohlrausch, Das Jahr 1813. Freytag, Soil und Haben.
Die Journalisten. Zastrow, Wilhelm der Siegreiche. Bismarcks Ausge-
wahlte Brief e und Heden. Wachsenhusen, "Vom ersten bis zum Letzten
Schuss. Elster, Zwischen den Schlachten. Lodemann, Germany and the
Germans. Kron, German Daily Life. Prehn, Journalistic German.
Schrakamp, Erzahlungen aus der deutschen Geschichte. Beriihmte
Deutsche. Hoffmanns Historische Erzahlungen. Wagners Ballads on
German History.
Ich halte dafiir, dass der Vorwurf, die Freunde des Realien-TJnter-
richts vernachlassigten die Herz und Gemiit bildende Seite der deutschen
Literatur durch diese Liste aufs wirksamste zuruckgewiesen wird; es ist
fiir den ernsten Lehrer, dem der Glaube an Ideale ja nicht verloren ge-
gangen sein darf, selbstverstandlich, dass die von ihm gewahlten Texte
den allgemeinen Forderungen des erziehlichen Unterrichts entsprechen
miissen.
Die geographischen Kenntnisse unserer Schiller mogen sich auf ein
Minimum beschranken; eine gute Karte von Deutschland, wie etwa die
von Kiepert oder von Sydow-Habenicht, die nicht des Guten zu viel ent-
halt, die gelegentlich auch zu Sprechiibungen Verwendung finden
kann, geniigt in einfachen Schulverhaltnissen; in langeren Kursen sollte
auch des Naheren eingegangen werden auf Deutschlands Lage im Kon-
tinent, seine politischen und natiirlichen Grenzen, Bodenerhebungen,
Bodenart, unterirdischen Schatze, Gewasser, sein Klima, den durch das-
selbe bedingten Pflanzenbau, den deutschenMenschen, seineGewerbe und
Industrieen, die in Deutschland vertretenen Konfessionen, seine Verwal-
tungsbezirke, die wichtigsten Stadte, Festungen, Seehafen, seine Verfas-
sung, die deutschen Kolonieen und einige wichtige Daten aus der Ge-
schichte der deutschen Sprache.
Die Realien im deutschen Sprachunterricht. 245
In imserem 12Jahrigen Kursus in Saginaw benutzen wir in den drei
obersten Klassen die fur die Untertertia, Obertertia und Untersekunda
deutscher Gymnasien bei Teubner in Leipzig erschienenen Lehrbiicher
der deutschen Geschichte von Schenk.
Da Professor Schenk nicht in koniglich preussischen Diensten steht,
sind seine Biicher frei von jenem ekelhaften, liebedienerischen Byzantis-
nius, der die Mehrzahl in Deutschland erschienener Geschichtsbiicher fur
amerikanische Schulen vollstandig unbrauchbar macht, denn die von Sr.
Kaiserlichen und Koniglichen Majestat anbefohlene "dynastische Ge-
sinnung" muss der amerikanischen Schule feme bleiben, wennschon sich
durch den erfahrenen Lehrer auch an solche Erscheinungen lehrreiche
Yergleiche ankniipfen liessen.
"\Venn ich, wie oben bemerkt, auch die planmassige Erteilung des
Bealien - Unterrichts in den kiirzeren Lehrgangen nicht befiirworten
kann, so bleibt es doch wiinschenswert, dass in zwb'lfjahrigen Kursen der
Stoff in systematischer Anordnung an der Hand eines vorlaufig noch
nicht vorhandenen Realienlesebuch.es geboten werde.
Als die Hauptmittel zur Einfiihrung in die Realien betrachte ich:
1. die Lektiire,
2. die Sprechiibungen im Anschluss an historische und geogra-
phische Anschauungsbilder,
3. den internationalen Briefwechsel,
4. ein Realienlesebuch,
5. das Memorieren von Gedichten geschichtlichen Inhaltes. Wo
imnier die Kenntnisse der Klasse zum ausschliesslichen Gebrauch der
Fremdsprache berechtigen, sollte diese auch natiirlich angewandt werden.
In zweijahrigen Kursen wird dies nicht moglich sein, in vier-
jahrigen nur ausnahmsweise unter sehr giinstigen Bedingungen. Aber
selbst in zwolfjahrigen Kursen darf und soil die englische Sprache mit-
herangezogen werden; manchmal sogar will es mir scheinen, als ob ein
sachkundiges Urteil iiber deutsche Zustande aus berufener englischer
Feder — und deren gibt es ja gliicklicherweise die Fiille — von ungleich
^tarkerer Wirkung begleitet sei als das Wort eines in Deutschland ge-
borenen und dort erzogenen Lehrers, selbst wenn er sonst das voile Ver-
trauen seiner Schiiler besitzt. Jmmerhin sollte jedoch die deutsche
Sprache als das naturgemasse Mittel zur Mitteilung dieser Kenntnisse an-
gesehen werden.
Wenn der in Deutschland geborene Lehrer vor dem Fehler gewarnt
werden muss, dass er seine Verehrung fur alles Deutsche nicht in allzu
gliihenden Farben male, so muss auf der anderet Seite der deutsche Re-
negat und der mit deutschen Zustanden nur oberflachlich bekannte Leh-
rer von amerikanischer Geburt vor einer ebenso grossen Gefahr gewarnt
werden: kein Lehrer sollte sich so weit vergessen, dass er die fremde Na-
246 PMagoghcbe Monatshefte.
lion der Lacherlichkeit preisgibt, um nach Art des Demagogen sich Po-
pularitat zu verschaffen. Ohhe der geschichtlichen "Wahrheit eine Blosse
zu geben, muss jener sich wohl in acht nehmen, dass er das wohlberech-
tigte, vielleicht etwas zu reizbare nationale Selbstgefiihl unserer ameri-
kanischen Jugend nicht verletze, dieser, dass er sich nicht scheue, der
alteren Kultur die ihr gebiihrende Ehre zu geben.
Es steckt ja so wie so schon ein gut Teil oppositionellen Geistes in
a Her Jugend; in der amerikanischen gewiss noch mehr als in der europa-
ischen. Ich sage dies gewiss nicht in tadelndem Sinne, im Gegenteil, ich
behaupte: wohl der Jugend, dass dem so ist. Ich habe schon Unterrichts-
stunden beigewohnt, wo ich mich innerlich gefreut habe, dass ich mir
sagen konnte, nicht alles, was vom Katheder verkiindet wird, wird glau-
bigen und gedankenlosen Sinnes verschlungen, ohne gepriift zu werden
von einer skeptischen Jugend; ist es ja doch unsere vornehmste Aufgabe,
die Jugend zu denkenden Menschen heranzubilden, zu Mannern tmd
Weibern, in denen sklavischer Autoritatsglaube nicht jede Selbstandig-
keit im Denken erstickt hat. Ich fiir mein Teil begriisse den oppositio-
nellen Geist der Jugend ials fast die einzige Garantie fiir die freiheitliche
EntwicKelung un seres Landes.
Fiir unsere Schiller wiirde die Beruecksichtigung der Realien keine
neue Biirde bedeuten; sie heisst Ja eigentlich nichts anderes als die Wah-
rung neuer Gesichtspunkte und neuer Grundsatze bei der Auswahl der
Lekture, wenn iiberhaupt bislang bei deren Auswahl von Grundsatzen
geredet werden konnte. Der zu erhoffende Gewinn wiirde aber selbst
cine neue Biirde rechtfertigen. Vor allem verspreche ich mir davon dies:
An der Stelle des sentimentalen Liebesgegirres, .das jetzt so haufi|}
tmserer Jngend als geistige Nahrung geboten wird, tritt eine kraftige
Speise, die vielleicht momentan den Gaumen nicht in demselben Masse
kitzcln wird, die aber dafiir umso nahrhafter sein wird. Die Jahre der
Schulzeit sind zu kurz, um mit Trivialitaten vergeudet zu werden, der
Blick unserer Jugend muss auf Grosses, Ernstes und Bedeutendes ge-
richtet werden; in einer Republik, wo Mann und Weib dazu berufen sind,
ihr Teil zur Losung der grossen Fragen der Gegenwart beizutragen, ist
dies noch viel notwendiger als in einem patriarchalisch regierten Lande.
Diesen Fragen werden sie mehr Verstandnis entgegenbringen, wenn sie
aus der Geschichte eines der machtigsten Volker, das an Kultur und Ge-
sittung hinter keinem anderen zuriicksteht, erfahren werden, wie um je-
den Fussbreit Fortschritt gekampft und gerungen wiirde, wie oft die
Besten und die Edelsten mit TJndank belohnt wurden, die Brutalitat und
der Unsinn im fleckenlosen Gewande der Unschuld umherwandelten, ihr
geschichtliches Verstandnis wird erweitert werden, sie werden den tiefen
Sinn im Schillerschen Worte ,,Die Weltgeschichte ist das Weltgericht"
wiirdigen lernen.
Die Realien im deutschen Sprachuntenicht. 247
Das ist aber noch nicht alles: Unsere Jugend wird auch lernen, sich
von der Vcrmundschaft einer chauvinistischen Presse freizumachen, in
deren Spa Hen die Fremdenhetze sich immer mehr in der ekelhaftesten
Weise breit macht. In Europa ist es in dieser Hinsicht ja nicht viel bes-
ser. So schreibt Professor Hartmann in einem Artikel im Organ fur den
internationalen Briefwechsel Folgendes: "Die Presse ist eine Schule des
gegenseitigen Basses geworden, wie zwischen Parteien und Konfessionen,
so zwischen verschiedenen Volkern. Nichts kann den Zeitungsschreiber
daran hindern, ein fremdes Volk so boshaft und gehassig in den Staub zu
ziehen, als sein Temperament ihm eingibt."
Wir veiiangen von unseren Schiilern gewiss nicht, dass sie sich bei
Betrachtung fremdlandischer Erscheinungen auf eine fremdlandische
Gefuhlsbasis versetzen sollen. Wir sind zu alien Zeiten bereit, von frem-
den Nationen das anzunehmen, was brauchbar, gut und schon ist, miissen
uns aber ganz entschieden das Kecht vorbehalten, mit unserer eigenen
Elle zu messen.
Der Realien - Unterricht, wenn in diesem Sinne erteilt, wird ein gut
Teil dazu beitragen, ein besseres Verstandnis zwischen den beiden in
Frage kommenden Nationen herbeiziifiihren, und dann das werden, was
er sein sollte, ein im edelsten Sinne des Wortes patriotisches AYerk.
Monolingualism, the Bane of This Country.
By H. M. Ferren, High School, Allegheny, Pa.
Most of the opposition in this country to a thorough and extensive
study of modern foreign languages emanates from a misconception of the
word, Americanize. To the average Anglo-American it is synonymous
with a Circean form of Anglicizing or Hibernicizing foreigners coming
to our shores. Let us attempt a broader definition: Americaniza-
tion is agradual assimilating process allowing each
constituent part of our heterogene ous population
ample time and opportunity to contribute its share
ofwhat is typically strong and good. In no other manner
can our social life receive that versatility and richness of content so indis-
pensable to a nation's happiness.
The coming of the Germans to America, to cite the most represen-
tative case, has much in common with the transplanting of a tree. II
it is to flourish in other environments, its primary root must remain in-
tact, the contiguous earth should be retained, nor should the new soil
differ much from the old. Their language is to the Germans, what the
primary root is to the tree. Sever it, and they are permaturely blighted.
Whatever vegetation remains, is as the mistletoe to the oak or as the
sucker to the fruit-tree. Their time-honored customs and traditions are
to them as the original earth which has been left adhering to the roots of
the newly transplanted tree and through which alone its sustenance can be
properly conveyed. Lastly, they thrive best in a rather meagre soil.
When placed in too fertile a loam, they develop luxuriant foliage, but
cease to bear fruit. The criminal indifference with which our wealthy
Germans look upon the sublime mission of their countrymen in our
republic is a heartrending illustration of this fact.
To foster his language and song, to cling to his national customs
and traditions with every tendril of his soul, is the most sacred duty
devolving upon the German-American. In performing it, he will not
only transmit to the American nation its legitimate inheritance from
the fatherland, but will also develop his own faculties to their fullest
extent, thereby becoming a more versatile and more useful member of
society.
By breaking with his own past, in order to become Anglecized, he
would lose his ethnical characteristics, without, however assuming another
nationality. For civilizations, such as the English and the German, are
the products of centuries, and it is a fatal error to imagine that they can
be exchanged at will like articles of wearing apparel.
Monolingualism, the Bane of This Country. 249
The scarcely landed foreigner who shouts himself hoarse in praise
of the American flag and maligns his native land is a superficial, fickle-
minded person, upon whom we could place no reliance in time of national
peril. The German by birth or descent who has cast aside the precious
heritage of his great language and literature is a rudderless ship on an
unknown sea. He is left without a past and without a people. He is
neither English nor German, but only a hideous mixture of the baser
elements of both. Though he be self-sustaining, though he may add to
our material prosperity, he is nevertheless a pauper and a parasite feeding
upon the very heart-blood of our nation. Were it not for his deplorable
ignorance, he would have to be branded as a traitor even more culpable
than Benedict Arnold.
I am far from underrating the invaluable benefits which we have
derived from England. No blame attaches to her, for she has done more
than her duty by us. But the composite nature of the American people
makes it imperative that other forces beside those of English origin
should become more than nominally operative in our national organism.
While the Eevolutionary War gave this coutry its political auton-
omy, the overwhelming predominance of the English language caused it
to remain a British dependency from a social and intellectual point of
view. With the increasing immigration from Europe this state of de-
pendence became ever more incongruous and detrimental. What a mag-
nificent legacy was never claimed by us, because our English eyes could
not behold it! What a Gospel of European culture was preached in vain
to us, because our English ears were deaf to it! Myriads of seeds fraught
with untold blessings, pregnant with the possibilities of a rich and re-
plendent vegetation, are being wafted to us year after year across the
Atlantic; yet they cannot take root in our shallow monolingual soil.
Monolingualism has been our greatest curse! By suppressing our
latent powers, it has retarded our intellectual growth and has im-
poverished our social life. It has made a desert of what might have been
a paradise. It has robbed this nation of its soul!
Nor will the dawn of a brighter era appear, until Americans learn
to comprehend and to put in practice the message which the non-
English literatures contain for them.
The first step in this direction will consist in enabling our youth,
not merely in a few large cities, but all over the land, to begin a second
representative modern language at such an early age that they may be-
come imbued with its literary spirit and may make its masterpieces part
of their own flesh and blood. The prevailing custom of beginning all
foreign languages in our secondary schools is based upon the irrational
assumption that knowledge can be compressed and cut and piled up in-
discrimately like so many bales of hay. Under this arrangement the time
250 PSdagogiscbe Monatshefte.
devoted to modern language study is so short and the number of
participants so limited that it can be nothing else than an imaginary
quantity in our public education.
The more languages we master, the broader our horizon, the keener
our vision becomes. It is a fallacy to suppose, that we can absorb the
European literatures through English translations, lectures and book —
reviews. No more than all the waters of the Baltic and the German
Ocean can enter the Atlantic through the English Channel, no more
does the English language suffice to convey to the American people their
intellectual and social heritage from the continent of Europe. Moreover,
Anglo- American literary criticism of to-day resembles a river with count-
less shoals and gorges, where many a vessel bearing a cargo of inestimable
value is stranded on the sand-banks of dilettanteism or is dashed to
pieces in the narrows of frenzied racial prejudice, erroneously called
patriotism. The English language is too weak a glass for the American;
it cannot reveal to him the civilization of the world. Only when he
learns to look through the compound lens of more than one great
literature, will he discern in distinct outlines and in symmetrical form,
what now appears blurred or distorted to him. Then he will perceive the
real purport of Schiller's criticism addressed to the English: "Sluggishly
the thick blood flows in your veins. Pleasure is foreign to you, who
know but frenzy." Then he will glean a profounder meaning from that
beautiful inscription above the portal of the famous music hall in
Leipzig: "True enjoyment is a matter of grave importance." Then the
truth will dawn upon him that theGermans, in promoting music and
song in this country, contributed infinitely more toward the suppression
of vice than all our law and order societies ever did or ever will do.
Brutality and excess of every kind come rushing in, like a replenishing
ether, wherever a social vacuum occurs. To displace them effectively,
we must secure a richer content for our inner national life. Our tempe-
rance and Sunday questions, along with many others of a similar nature,
will sink into insignificance, the moment we learn to provide for the
masses the proper forms of enjoyment, because a heart overflowing with
genuine joy has no room for wickedness.
Let us hope that, that this nation may soon proclaim a second de-
claration of independence, that it may bid a friendly but final farewell to
British insularity. Long enough we have tarried in the narrow English
Channel. Let us lift our anchors and hoist our sail! 'Tis time to put
to sea — in quest of our lost birthright, the golden fleece of the world's
best thought.
the p..
be exchan6.
Die deutsche Schriftstellerin von gestern
und heute.
Von Dr. Otto Heller, Professor an der Washinyton-Universitcet, St. Louis, Mo.
Das in der deutschen Literaturgeschichte eingebiirgerte Verfahren,
die Frauenschriftstellerei als ein besonderes Untersuchungsgebiet fur sich
zu behandein, wurde, obschon es prinzipiell durchaus nicht einwandfrei
erscheint, auch fiir die vorliegende Arbeit eingeschlagen. ZweiErwagungen
waren bestimmend. Einmal drangte die Keichhaltigkeit der Materie zu
einer orientierenden tibersicht; sodann lockte die Aufgabe, den immerhin
erkennbaren entwickelungsgeschichtlichen Verlauf der Frauenschriftstel-
lerei des vergangenen Jahrhunderts darzustellen. Das fast allgemeine
Urteil iiber die literarische Produktion der Frauen kiindigt sich schon in
der herkommlichen Methode an, den einzelnen Abschnitten der Literatur-
geschichte kurze, oft fliichtige und unzuverlassige Kapitel iiber die "ein-
schliigigen" Autoren weiblichen Geschlechts anzuhiingen. Und im gros-
sen und ganzen betrachtet, ist das entschuldbar. In Sachen der Kunst
sind die Frauen die Nachziigler der Weltgeschichte. Es gebricht ihnen in
peinlichom Grade die Kraft zur kiinstlerischen Selbstbestimmung. Dafiir
besitzen sie allerdings ein grosses Nachahmungs- und Anempfindungs-
talent. Soil man die Schuld fiir ihr scheinbares Unvermogen zu
,,potenziertem" Pesrsonlichkeitsausdruck der jahrhundertelangen haus-
lichen Eingezogenheit der Frau, ihrer Ausschliessimg von hoheren In-
teressenspharen zur Last legen? Lassen wir das von der Deutschen im-
rnerhin gelten. Wie steht es urn die Frauenliteratur galanterer Volker?
Man gehe bin und priife. \\ro bleiben die Nachfolgerinnen einer George
Eliot, einer George Sand? Stehen nicht beide vereinsamt in ihrer Grosse?
Noch viel trauriger sieht es mit dem weiblichen Kunstschaffen bei uns
in Amerika aus, wo doch weissgott die Frauen nicht iiber Unterdriickung
zu klagen haben. Ungepanzert, wie ich bin, gebe ich kiihn der Wahrheit
die Ehre: aus der amerikanischen Frauen welt ist bisher keine einzige
grosse Kunstleistung hervorgegangen.
Man halte mit Kntrustungsausbriichen nachsichtigst zuriick.
Es fiiilt mir nicht im Traume ein, die hohe literarische Kul-
tnr der Frau abzuleugnen. Ich kenne ihre wohltatige Ein-
wirkung auf das Schrifttum der Vergangenheit. Ich glaube etwas
von ihrem Einfluss auf die mittelalterliche Lyrik und Epik zu wissen;
auch von der weit gesiinderen, gleichfalls massigenden und verfeinernden
Einwirkung gebildeter Frauen auf Goethe und Schiller. Iphigenie, Leo-
nore, Dorothea, Johanna, das sind unwiderlegliche Zeugnisse. Vollends
die Briefwechsel jener geistig regen Zeit beseitigen den letzten Zweifel.
Aber was haben die Frauen von Weimar und Jena aus dem eigenen Kon-
252 Padagogische Monatshefte.
nen zu unserem litcrarischen Besitz beigesteucrt ? Und die weiblichen
Nachklassiker der nachstfolgenden Generation, sind nicht die Spuren
ihrer Tatigkeit so gut wie venveht? Hochstens, dass wir uns vom Pennal
her an den prachtigen ,,Colural)ns" der Luise Brachmann erinnern, die
c;ich so effektvoll an Schillers mannliche Schulter zu lehnen weiss.
Die sogenannte Frauenschriftstellerei kam erst im neunzehnten Jahr-
himdert in Schwang. Man kann sie zur systematischen tibersiclit etwas
grobschlachtig in Kunst-, Tendenz- imd blosse Unterhaltimgsliteratur
zerlegen. Ganz achtlos konnen wir an der letzteren nicht vorbeigehen,
gerade wir deutschen Lehrer in den Vereinigten Staaten nicht; denn aus
den Biichern dieser Sorte sind zum grossen Teil die hierzulande verbreite-
ten unerfreulichen Ansichten iiber deutsche Wesensart, zumal iiber den
Charakter des deutschen Weibes unter die Amerikaner gedrungen.
Von den schablonenliaften Typen dieser Leihbibliotheksschmb'ker
sei es deshalb verstattet, einen einzigen leiclit hervorzuheben: die welt-
beriihmte deutsche Jungfrau mit den blonden Zb'pfen, dem veil-
chenblauen Auge und ditto Gemiit. Zart und ziichtig bewegt sie sich ewig
lachelnden Mundes in dem mit Eecht so beliebten hauslichen Kreise.
Ihre geistige Ausbildung hat sie hauptsachlich durch Lekture fiir die rei-
fere weibliche Jugend erlangt, doch liest sie daneben auch Schiller und
tlhland, auch dieses und jenes von Goethe; sogar den expurgierten Heine
lispelt sie iiber ihrem Stickrahmen. In alien iibrigen Dingen sanft und
versohnlich, kennt sie in ihrem musikalischen Eifer weder Ziigel noch
Scheming. Das ^Yenige, was sie zu sagen hat, kann sie auf deutsch, eng-
lisch und franzosisch von sich geben. Fiir Blumen und Kanarienvogel
echwarmt sie vorschriftsmassig. Als wirbelloses Geschopfchen wandelt
sie — durch das Leben? Nein, durch den Roman, um im letzten Kapitel ir-
gend einen uniformierten Schmachtlappen mit Herz und Hand zu be-
gliicken. AYas AYunder, wenn Amerikaner, die sich aus derlei Scharteken
vertrauensvoll ihre ethnologische Belehrung holen, die ganze deutsche
Itomanliteratur fiir sentimental erklaren!
Doch betrachten wir bis auf weiteres die beiden anderen ernst zu neh-
menden Art en der Frauenschriftstellerei. Nur in ganz vereinzelten Fal-
len haben sich unsere Autorinnen in kiistlerischem Sinne, d. h. durch
sichere Formbeherrsc-hung und die Gabe, intensiv zu erleben und das Er-
lebnis gekliirt, doch ungeschmalert ins Werk heriiberzuretten, ausge-
zeichnet. Hingegen, eine aussergewohnliche Intelligenz und eine mutig
zupackende Energie wird man fraglos vielen unter ihnen zuerkennen. Mit
ausgesprochenem Eeformatoreneifer ziehen sie vorzugsweise fiir die sog.
Frauenemanzipation zu Felde. Und mehr als einen Sieg haben sie fur ihre
Sache mittels ihrer literarischen Arbeit erkampft. Zwar weitaus nicht alle
•^chriftstellerinnen schlagen sich zur liberalen Partei; doch die vornehm-
sten kampfen mit wenigen Ausnahmen fiir Fortschritt und Freiheit. So
Die deutsche Schriftstellerin -von gestern und heute. 253
finden wir zum Beispiel, dass sogar die durch ihr Temperament nnd durch
enge personliche Bande mit der romantischen Schule verstrickte Bettina
von Arnim, statt die reaktionaren Bestrebungen der Spatromantik zu
teilen, ahnlich wie Heine von dieser znr jungdeutschen Zeitliteratur iiber-
geht.
Fur die tendenziose Frauenliteratur wurde ,,das Junge Deutsehland"
die bedeutungsvollste Episode. Von Frankreich her war zusammen mit
mit den iibrigen revolutionaren Ideen eine neuartige Auffassung der Ehe
eingedrungen. Als Nachhall der von St.Simon, George Sand und anderen
erhobenen Forderungen erklang in dem weiblichen Anhang Jungdeutsch-
lands der Ruf nacli einer neuen, vernunftmassigeren Hegelung des ehe-
lichen Verhaltnisses in alien Tonarten wieder: von der Verstaatlichimg
der Familie durch die Civilehe bis zu ihrer praktischen Abschaffung durch
die ,,freie Liebe" variierten die verschiedenartigsten Vorschlage;
und sie alle musste der dehnbare Ausdruck ,,Emanzipation" decken. Das
Auftauchen unverfalscht anarchistischer Maximen mitten unter den Vor-
arbeiten fur einen sozialistischen Umbau der Gesellschaft lasst die be-
rechtigte Frage aufsteigen, ob nicht Sozialismus und Individualismus am
Ende doch nur divergierende Ausfliisse derselben Triebquelle seien.
Auch diesmal stiess die fanatische Fraktion der Frauenrechtlerinnen
die offentliche Sympathie ab, und man blieb infolgedessen in weitesten
Kreisen blind gegen die Berechtigung der Bewegung. Uaher riihrt auch
die allgemeine Unwissenheit iiber die damaligen Frauenbestrebungen.
Unser "neues AVeib" wiirde sich liber die Modernitat seiner Grossmiitter
nicht iibel verwundern, wenn es z. B. wiisste, wie kraftig eine gewisse Julie
Burow fur berufliche Frauenerziehung pladierte oder die Urheberin des
1855 gegriindeten "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins", Luise Otto,
fur die Organisierung weiblicher Gewerkschaften eintrat.
Die gegensatzlichen Standpunkte innerhalb der jungdeutsch gefarb-
ten Frauenliteratur, den kollektivistischen und den individualistischen,
bezeichnen am deutlichsten die Werke zweier in jeder Hinsicht grundver-
schiedener Frauen: Ida Hahn-Hahn und Fanny Lewald. Ihr Leben um-
tpannt fast das ganze Jahrhundert und reicht bis zu den Anfangen der
literarischen Gegenwart herauf. Literarisch genommen sind sie aber
schon lange tot, und die neuerdings von Eichard Meyer an der Grafin
Hahn-Hahn vorgenommenen Wiederbelebungsversuche werden verlorene
Liebesmiih' bleiben. Ida Hahn-Hahn gehort in ihre, nicht in unsere Zeit;
oder besser, sie gehort mit ihrer kapriziosen tiberspanntheit selber in die
von ihr erschlossene Romanwelt. In der Tat bilden ihre Heldinnen eine
Galerie von Selbstportrats; in hellen Lichtern gemalt, in reichstes ver-
goldetes Schnitzwerk eingerahmt. "Aus der Gesellschaft" erschien 1838.
Der Titel klang wie eine Anpreisung, schien ein Versprechen zu enthal-
teh. Die Grafin hielt Wort. Sie hat das staunende 'biirgerliche Publikum
254 Padagogische Monatsbefte.
in die mit glitzernden Uniformen und fabelhaft dekolletierten Toiletten
erfiillten Sale der vornehmen Welt eingefiihrt. Doch nein; nicht einge-
fiihrt. Dazu 1st sie zu sehr Standesdame. Nur zur Galerie hat sie den Soh-
nen und Tochtern der misera plebs den Eintritt vergonnt. Und \vie
so ganz fiihlt man sich Canaille, wenn man in das Gewiihl der waschech-
ten Herrschaften drunten hineinblickt! An der Saaltiir steht die wach-
same Grafin; Fiirsten, Graf en, Freiherren, zur Not noch einfache Vons
diirfen nach Belieben ein und aus. Fiir Biirgerliche bedarf es einer beson-
dern Legitimation, die niclit viele aufbringen konnen: Genialitat, oder
doch das Surrogat, das die Grafin dafiir nimmt, namlich ein luftballon-
artiges Expansions vermogen, eine stets in Gefahr des Piatzens schwe-
bende, hochstrebende, unbefriedigte, immer etwas-aber-ich-weiss-nicht-
\\ras wollcnde Kiinstlerseele. Yor alien Dingen muss man eine komplexe
Natur sein, um vor der hohen Frau zu bestehen. Denn gegen alles Ein-
fache, vom ausserlichsten Kleidungsstiick bis zum innersten Charakter-
zug, hat sie eine uniiberwindliche Abneigung.
Die Milieuschilderung der Hahn-Hahnschen Eomane erhebt keinen
Anspruch auf Lebenstreue. Was sie an wirklichem Wahrheitsgehalt be-
sitzen, ist bereits konstatiert. Sie reihen sich zu einer Universalbeichte
zusammen. Eine iiberschwengliche Enthusiastin, stiirmische, lodernde
und dennoch kapriziose Liebhaberin, eine fanatische Glaubensbekennerin,
go stellt sich die Verfasserin in diesem vielfaltigen Selbstbildnis dar.
Was Ida Halm-Halms Ethik betrifft, so steckt in ihr schon ein entschie-
den herrcnmoralischer Keim: Befreiung von der konventionellen Moral
wird lautgef order t. Doch nicht fur die Herde der Vielzuvielen; nur der
das Durchschnittsmass iiberragenden Personlichkeit wird sie als Vorrecht
zuerkannt.
Dieser riicksichtslosen aristokratischen Selbstiiberhebung steht der
demokratische Altruismus Fanny Lewalds gegeniiber. Was die kiinstle-
rischc Darstellung angeht, ragen ihre Werke nicht entfernt an die der
Grafin Hahn-Hahn heran. Unromantisch bis zur Niichternheit, beredt
nicht durch hinreissenden Schwung der Sprache oder die Macht der Lei-
denschaft, sondern lediglich durch unerschutterliche, mit festgefiigter Lo-
pik vorgetragene tiberzeugung, war sie ein bedeutsamerer Faktor in de^
Frauenbewegung als in der Literatur. Auch sie giebt in ihren Schriften
den auf die Ehe beziiglichen Fragen einen breiten Raunij und /war be-
liandelt sie dieselben mit einer solchen dialektischen Schlagfertigkeit und
ruhigen Positiviiat, dass z. B. ihr Buch ,,Eine Lebensfrage", worin sie
der Zulassigkeit der Ehescheidung energisch das Wort redet, nicht ver-
fehlte einen allgemeinen tiefen Eindruck zu iiben.
Nicht wenige Schriftstellerinnen verbleiben jedoch trotz des herr-
schenden Zeitgeists ausserhalb des Eadikalismus oder fassen gar in der
Eeaktion festen Fuss, weil die sozialpolitischen Verbesserungsvorschlage
Die deutsche Schriftstellerin von gestern und heute. 255
nnd -versuche, welche dieGestaltung dieserWelt der gottlichenVorsehung
entwinden mochten, ihren frommen Seelen Besorgnis und Grauen ein-
flb'ssen. Weit iiber die gottergebene Protestantin Marie Nathusius, die
Verfasserin des "Tagebuchs eines armen Frauleins" erhebt sich die katho-
lische Dichterin Annette von Droste-Hiilshoff. Lage nicht iiber ihren
Gedichten und Novellen eine schattenhafte mystische Verziickung, ware
ihr sonst so hellblickendes Auge nicht von religib'ser Bigotterie ver-
schleiert, man miisste ohne weiteres der Kritik beipflichten, die Annette
von Droste fiir Deutschlands vornehmste Dichterin erklart. Auch so
wird man die loyale Tochter der roten Erde ohne tibertreibung als die
erste grosse Heimatkiinstlerin Deutschlands, als einen der grossten im-
pressionistischen Naturdichter anerkennen miissen.
Wie sich trotz der resignierten Grundstimmung bei Droste-Hiilshoff
nicht selten das eigenste Personlichkeitsbewusstsein gegen das Joch der
Satzung baumt, so auch bei der gleich ihr nachdenklichen, aber weit lei-
denschaftlicheren Wienerin Betty Paoli. Gegen die Emanzipationsbe-
gtrebungen ist sie gleichgiiltig. Das Weib darf nur einen Ehrgeiz kennen:
die Erfiillung ihres Berufes, durch unbedingte Selbsthin^abe zu beseligen
nnd selbst also selig zu werden.
Wir miissen nun auf kurze Zeit von der Frauenliteratur ernsten Ge-
halts abschweifen und uns den beiden popularsten Schriftstellerinnen
ihrer Zeit zuwenden, die mit bewunderungswertem Gleichmut die Stiirme
des offentlichen Lebens von sich f ernzuhalten verstanden. Es wiirde
schwer halten, in der Literaturgeschichte analoge Beispiele fiir das
schreiende Missverhaltnis zwischen offenlicher Be\rertung und wirk-
lichem Wert anzufiihren, das uns in der Popularitat der Luise Miihlbach
und Charlotte Birch-Pfeiffer entgegentritt.
Miihlbachs Ungliick war die spielende Leichtigkeit, mit der sie pso-
duzierte. Ihre Laufbahn fiel in eine Epoche, in welcher der "gebildete"
Leser dem Romanschriftsteller in Bezug auf historische Treue
nicht sehr auf die Finger sah; wo dem letzteren folglich nicht sehr viel da-
ran lag, die Weltgeschichte und ihren Treppenwitz streng auseinanderzu-
halten. Mit ihrem dreizehn Ba'nde dicken Friedrich dem Grossen machte
die Miihlbach ihren ersten Schlager. Fortan klapperte sie ihre Dutzend
Bande pro Jahr ab. Von Friedrich dem Grossen bis auf den Vater
des jetzt regierenden deutschen Kaisers entging kein Held der
europaischen Geschichte ihrem scharfen Kiichenmesser; und alle
wurden sie lecker zubereitet und appetitlich garniert. Doch ob-
gleich die vortreffliche Kochin und Wirtin mit ihren Opfern
aufs sparsamste verfuhr und die Gerichte ausserst diinn aufs
Brot strich, brauchte sie bei ihrer grossartigen Betriebsamkeit den-
noch den ganzen historischen Proviant auf und war genotigt, an ihrem
Lebensabend dem ungestillten Hunger ihrer zahllosen Leserschar ihre al-
ten Lieblinge nochmals aufzuwiirmen.
256 Padagogische Monatshefte.
Es ist ein Sprichwort, das lautet: Ein Ungliick kommt sel-
ten allein. Charlotte Birch-Pfeiffer ist die Luise Miihlbach des
deutschen Dramas. Von dramatischem Erfassen und Gestalten
eines lebendigen Charakters hatte sie keine Ahnung; doch wusste
sie als routinierte Schauspielerin, wie man dankbare Rollen verfertigt.
Was Handlung und Komposition betrilu, lassen ihre Theaterstiicke fur
den besseren Geschmack fast alles zu wiinschen iibrig. Dafiir verstand
sie banale Szenen zu einer geschickten Augenblickswirkung zusammen-
suzimmern und verfiigte iiber eine nie versagendeMacht auf die Lachmus-
keln und Tranendriisen des spiessbiirgerlichen Parterres. Und ihre Un-
ternehmungslust! Dickens, Bronte, Victor Hugo, George Sand, Bulwer,
George Eliot, Auerbach, Spindler, Schiicking, alle wurden sie wie podo-
lische Mastochsen zur dramatischen Schlachtbank gefiihrt; der beste Ro-
man wurde fix in ein von klebriger Sentimentalitat triefendes Schauspiel
umgewandelt. Wie schade fiir die genialen Schopfer des "Theatrical
Trust", dieser unserer unvergleichlichen demokratischen Einrichtung,
dass Charlotte um ein halbes Jahrhundert zu friih auf die Welt kommen
musste!
Und hinter Miihlbach und Birch-Pfeiffer gahnt die unendliche Ode
der vom Weibe geborenen Unterhaltungsbiicher. Um die Mitte des ver-
flossenen Jahrhunderts war das Romanschreiben eben die einzige ver-
meintlich geistige Tatigkeit, die dem Weibe offen stand. Dazu erleich-
terte die Stabilitat des b'ffentlichen Geschmacks den Schriftstellerinnen
ihren Beruf. Eine Definition des Familienromans kann ich mir gliick-
licher Weise erlassen. Unter dem Protektorat der Familienblatter, unter
denen etwa die Gartenlaube das hochste Niveau bezeichnete, das vom
Bildungsphilister geduldet ward, bemachtigten sich unsere Schriftstelle-
rinnen dieses Genres. Seine Zeit ist noch immer nicht voriiber. Auch
liier in Amerika nicht. Das beweist der eben erst in der Abkiihlung be-
griffene Triumph von Winston Churchills zwar garantiert unschadlichem,
aber von Apollo und alien Musen verlassenem Geschreibsel.
Wer kennt nicht das ausgepragteste Muster aller Romanfabrikantin-
nen dieses Schlages, die liebenswiirdige, riihrselige, betriebsame E. Mar-
litt? Wer erinnert sich nicht dankbewegten Herzens an "Goldelse",
"Reichsgrafin Gisela", "Im Hause des Kommerzienrats", "Das Geheim-
nis der alten Mamsell", "Die zweite Frau", "Das Heideprizesschen" und
die sonstigen spannenden Geschichten, die man in friihlingsgriinen Jah-
ren auf der Schulbank unter den Augen des ahnungslosen Lehrers dreist
verschlang? Freilich, priift man sie nach, so stellt sich unsere Marlittbe-
geisterung von damals als eine der naturnotwendigen Jugendeseleien her-
aus, die jeder halbwegs verniinftige Mensch — tantum mutatus ab illo —
durchgemacht haben muss. Gewisse Vorziige findet man allerdings in
den Marlitt'schen Romanen -zu seinem grossen Vergniigen wieder: die
Die deutsche Schriftstellerin von gestern und heute. 257
gcwandte Schreibart, die Anmut der Schilderung, das — wenn ich es so
ausdriicken darf — angenehme Exterieur mit den gefalligen Mauieren.
Aber man ist leider ein alter Knabe geworden, hat zugelernt und legt die
niichternen Tatsachen des Lebens als Massstab an die Lekture an; das
etwas verhartete Gemiit reagiert nicht mehr so leicht auf romanhafte
Schonfarbereien. Nicht ohne einen gewissen neidischen Verdruss nimmt
man jetzt wahr, wie es die Marlittschen Menschen mit ihrem vortreffli-
chen Herzen und massigen Verstand alle so herrlich weit bringen, durch
Xacht zum Licht, durch Kampf zum Sieg, Ende gut alles gut. Denn das
erste Gebot, oder besser gesagt Verbot aller echten Familienromane lau-
tet: Ein schlimmes Ende ist strengstens untersagt.
Unter den Jiingerinnen der Marlitt, die man gemeinhin abschatzig
bloss als ihre mechanischen Nachtreterinnen beurteilt, sind ganz be-
trachtliche Talente, die, wenn sie auch in der Fiihrung der Handlung an
der Methode der Meisterin festhalten, doch in der Auslegung des mensch-
iichen Charakters und Schicksals eine grossere Selbstandigkeit an den
Tag legen; wie E. Werner, Golo Raimund, Egon Fels, Emmy von Dinck-
lage und Claire von Gliimer. Noch unabhangiger erweisen sich die etwas
jiingeren Sophie Junghans und E. Junker. Mit diesen sind wir bereits an
der Schwelle der neuen Zeit angelangt. Der Euhm, das erste Frauenwerk
von bleibendem Werte im neuen deutschen Eeiche geschaffen zu haben,
gebiihrt unstreitig Luise von Frangois. Das Buch fiihrt den Titel "die
letzte Reckenburgerin" und gewahrt mit seiner realistischen Spiegelung
patriarchalischer Lebensformen eine weit ernstere Auffassung der Kunst
und einen entschieden solideren Idealismus als bei Marlitt und ihrem Ge-
folge zu verspiiren ist.
Eine gleich vornehme Erscheinung wie Luise von Frangois war die
vor wenigen Monaten dahingegangene Malwida von Meysenbug. Ihre
dreibandigen Memoiren buchen die Geschichte eines seelisch erlebnis-
reichen, von der Freundschaft der Besten ihrer Zeit erleuchteten Wan-
dels. Der direkten Beteiligung an der Frauenbewegung enthalten sich
die letztgenannten geistvollen Frauen, weil sie vorerst die Kraftigung
der idealistischen Triebe aller Menschen ohne Unterschied des Ge-
schlechts nottuend diinkt.
In dies.er Anschauung begegnet ihnen eine weit beriihmtere Genos-
sin, die nun vierundsiebzigjahrige Marie von Ebner-Eschenbach, die mit
vollem Eecht als eine der grossten Novellistinnen der Gegenwart, ja vie-
len Kritikern geradezu als der hervorragendste deutsche Prosadichter gilt.
Man mag mit solch uneingeschranktem Lobe einverstanden sein oder
nicht, Ebner-Eschenbach zwingt auch dem borniertesten Gegner der
Frauenschriftstellerei hochste Achtung ab. An ihr imponiert vor allem
die Geschlossenheit der Weltanschauung. Im Grunde mit der bestehen-
den Ordnung der Dinge nicht unzufrieden, sagt sie auch-zu der herr-
258 Padagogische Monatshefte.
schenden Moral im ganzen ja. Aber ihre Menschen brauchen sich darum
doch nicht den Satzungen der Gesellschaft zu fiigen. Gewohnlich aller-
dings miissen sie in diesem Kampfe unterliegen, denn in der Fiihrung der
Handlung lasst sich die Dichterin durch keine albernen Bedenken vor
einem tragischen Abschluss die Hande binden. Trotz ihrer Vertrautheit
mit den Schwachen und Lastern der Menschen setzt sie eine feste Zuver-
sicht auf die Besserungsfahigkeit der Menschen. Derselbe Glaube an die
Menschheit durchtrankt die reflektiven Dichtungen Carmen Sylva's, der
Konigin von Eumanien. Der Grundpfeiler ihrer optimistischen Philo-
pophie ist die von Darwin und seinen Schiilern ausgebaute evolutionisti-
sche Erkenntnislehre.
Auf den Werken der soeben besprochenen Schriftstellerinnen liegt
ein starker, wiewohl spater Abglanz der grossen Zeit Goethe's und Schil-
lers. Urn ohne Umschweife von diesen Schriftstellerinnen zur sogenann-
ten "Moderne" zu gelangen, miissen wir zunachst den Sprung zu einer
kleinen Gruppe von tibergangstypen wagen. Es sind Osterreicherinnen,
aber das saftige, fidele Temperament des ostmarkischen Phaaken eignet
keiner unter ihnen. Hochstens findet Ada Christen ab und zu den Ton
des leichtbliitigen ,,Weaner Hamurs". Sonst huldigt gerade sie einem
tiefdunklen Pessimismus. Ihr spezifisch moderner Zug beruht in der
mutvollen Blosslegung ihres weiblichen Gefiihlslebens. Einer ahnlichen
TJnverhohlenheit begegnet man bisweilen bei Ossip Schubin, sie beriihrt
aber bei ihr peinlicher, weil sie nicht den Eindruck der Echtheit macht.
Die auf sie gesetzten grossen Hoffnungen hat Schubins sensationsliister-
nes, unstat hin und her flackerndes Wesen zu nichte gemacht. Fiir hyste-
risch mochte man auch die streckenweise wie eine schwiile Atmosphare
auf ihren Erzahlungen lagernde Erotik ansehen. Gerade in diesem Zu-
sammenhang, an der Schwelle der ,,Moderne", wird die Erorterung eines
etwas heiklen Themas unvermeidlich. Ein unterscheidendes Kennzeichen
der heutigen Frauenschriftstellerei ist eine hart an Schamlosigkeit strei-
fende Offenheit. Hatten friiherhin unsere Damen von der Feder in
heiliger Scheu vor der keuschen Madchenseele auch die leiseste unzarte
Andeutung zimperlich vermieden — Namen wie Ottilie Wildermuth und
Elise Polko sind noch heutigen Tages ein Geleitbrief zum Weihnachts-
und Geburtstagstisch der hoheren Tochter — so gefallen sich viele unse-
rer beliebtesten modernen Schriftstellerinnen in der Erorterung von Din-
gen aus der geschlechtspsychologischen Sphare. Indem sie stolz die
einnliche Seite der Weibsnatur offenbaren, nehmen sie oft eine feierliche,
weihevolle Miene an. Das ist bei Maria Janitschek der Fall, die, gleich-
falls zur Gruppe der Vorlauferinnen gehorig, als die erste riickhaltlos zur
Moderne iiberging. So fand auch Nietzsche's tibermenschevangelium an
ihr eine verziickte Priesterin. Liegt doch in dem durch Nietzsche ent-
brannten Kampf um eine kiinstlerisch freie, ganz individuell zu nor-
Die dentsche Schriftstellerin von gestern und heute. 259
mierende Lebensform die machtigste Triebfeder der jiingstdeutschen lit-
terarischen Bewegung. In den Werken der Frauen hat die Saat des gros-
sen Rebellen zweierlei Frucht getragen: einen bis dahin unerhorten
Kunst- imd Kiinstlerkultus und, was in seinen ethischen Folgen schwe-
rer ins Gewicht fallt, die Entschlossenheit zu riicksichtsloser Selbstdurch-
setzung. Einst waren es die Frauen, die in erster Linie ihre Personlich-
keit dem allgemeinen Wohl unterzuordnen bereit waren. Heute verkiin-
den sie mit erhobener Stimme den fundamentalen Lehrsatz der Stirner-
Nietzsche'schen Wahnlehre, der Gesellschaft gegeniiber habe derEinzelne
immer recht; wer das Gliick eines schb'pferisch tatigen Daseins begehre,
der dtirfe, ja miisse den formelhaften Moralkodex der Herde, der Vielzu-
vielen von sich schleudern. Man kann sich leicht denken, in welcher
Weise dieses grundlegende Element eines fragmentarischen Anschauungs-
komplexes die Frauenemanzipation beeinflusst. Nicht ausschliesslicli
gegen die mannliehen Unterdriicker, sondern auch gegen die uner-
schb'pfliche Geduld des Weibes, gegen seine haustierahnliche Zahraheit
richten sich hinfort die heftigsten Angriffe. Ein Tier, so ungefahr driickt
sich Helene Bb'hlan einmal aus, ein Tier, hatte man es gehetzt, wie man
das Weib gehetzt, hatte irgend eine Waffe an sich entwickelt, ein Horn
etwa oder einen Giftzahn. Das Weib hingegen wurde zahmer und zah-
mer, zahm bis zur Widerlichkeit, ein Lasttier im wahrsten Sinne des
Wortes.
Jetzt soil es sein Joch abwerfen. Dazu bedarf es vor alien Dingen
einer ganz eigenpersbnlichen Moral, die natiirlich auch unter den Wei-
bern nur den eigentlichen Herrenmenschen zukommt. Dass es gefahrlich
ist, jeden selbst dariiber bestimmen zu lassen, ob er ein ,,Vielzuvieler"
oder ein ,,Einziger" sei, dariiber scheint sich Nietzsche keine Gedanken
gemacht zu haben. Ubrigens ist aus seinem anregungsreichen, wenn auch
nicht ganz gesunden Individualismus dem deutschen Schrifttum kein
Schaden erwachsen. Und auch das deutsche Gemeinwohl hat Nietzsche's
Anarchismus meines Erachtens nicht gefahrdet. Ist doch sein tJber-
menschentum nur ein hb'chstens im Kunstberuf durchfiihrbares, dazu
recht vages, Eeservatrecht. Hier in Amerika, wo unser aller Zwing-
herrin, die offentliche Meinung, mit dem Nietzsche'schen Ubermenschen
kurzen Prozess machen wiirde, wird das Gemeinwohl durch zwei bei wei-
tem gefahrlich ere Spezies des Ubermenschen untergraben: den politi-
?chen Pantata und den Syndikatsmacher.
Den eigentlichen Fortschritt der neuesten Frauenschriftstellerei er-
blicke ich in ihrer Technik. Kein Unparteiischer wird das in Abrede
stellen. Vergleicht man die Marlitts von heute, W. Heimburg, St. Key-
ser e tutte quante mit ihren asthetisch ausgereifteren Kolleginnen, so
sieht man auch ohne kritische Lupe, dass inbezug auf Beobachtungs- und
Darstellungsvermogen, auf psychologischen Tiefblick und auf Umfang
260 Padagogische Monatshefte.
des Ideen- und Empfindungskreises die letzteren turmhoch iiberragen.
Der praktische Wert alles dessen fur die von den Frauen verfochtene
Sache aber ist der, dass eine litterarische Tatigkeit, welche nicht ver-
fehlt, dem Manne eine bessere Meinung von den geistigenFahigkeiten der
Fran beizubringen, ihrer angestrebten Zulassung zu einer grosseren
Wirkungssphare Vorschub leistet.
Unter den Romanschriftstellerinnen, die fiir die Aufklarung ihres
Geschlechts weiterkampfen, stehen in der vordersten Reihe Gabriele Ren-
ter nnd Helene Bb'hlau. Beide spornen ihre Schwestern zur Geltend-
machung ihrer natiirlichen Rechte an, suchen aber zugleich ihr Verant-
wortlichkeitsgef iihl zu kraftigen und zu vertiefen.
Gabriele Reuters Buch ,,Aus guter Familie" ist ein fulminanter
Protest sowolil gegen die unfreiwillige Ehe wie gegen die elterliche Ver-
hinderung einer gewollten Eheschliessung. Es behandelt den typischen
Fall einer Beamtentochter, die sorgfaltig zum Geheiratetwerden erzogen
wird und, da sie doch nicht unter die Haube kommt, kb'rperlich und gei-
stig zugrunde geht. Als Kunstwerk betrachtet, verdient der Roman sei-
nen grossen Ruf keineswegs; dazu ist er schon zu grell und zu gerausch-
voll. Aber es ist leider eine Tatsache, dass man als Agitator mit lantern
Organ und heftiger Gebarde mehr ausrichtet als mit wohlabgewogenem,
kiinstlerisch gemassigtem "Worte.
Diesem Umstande verdankt teilweise auch Helene Bohlau ihre Er-
folge, wiewohl sie als Kiinstlerin der Renter iiberlegen ist. Hier ist nicht
von ihren behaglichen ,,Ratsmadel-" und anderen Weimarer Geschichten
die Rede, sondern von ihren Tendenzromanen. Es sind Variationen iiber
das Thema ,,der Frauen Zustand ist beklagenswert." Fiir Bohlau desto
beklagenswerter als nach ihrer iibertreibenden Erklarung das Weib es
noch gar nicht bis zum menschlichen Zustand gebracht hat. Von diesem
Standpunkt aus durfte sie ihren sensationellen Roman ,,Adam und Eva"
in der Buchausgabe ,,Halbtier" umtaufen. In diesem Werke wird, nicht
gerade iiberzeugend, dargelegt, wie geistberaubt das Weib sich durchs
Lcben schleppe; unfahig, in sich selbst einen Halt zu finden, sinke sie
vor jedem Streich, der sie trifft, rettungslos darnieder. Und dennoch
werde das Geschlecht falschlich das "schwachere" genannt. In Wahrheit
sei es das robustere, zu grobem Materialismus verurteilte, den feinen
Regungen unzugangliche, jedem Aufschwung sich widersetzende. In
solcher dogmatischen Entstellung wirklicher Verhaltnisse durch einen
sich iiber soine Ziele nicht vollig klaren Idealismus liegt Helene Bb'hlau's
Hauptschwache. Jene seichte Zufriedenheit mit dem Leben, wie sie sich
bei Frauen so haufig einstellt, ist ihr ein Greuel. Ganz leben oder im ho-
hen Wellenschlag untergehen, nur das ist menschlich. Alles iibrige ist
verachtliches, bettelhaftes Sichbescheiden.
Die deutsche Schrtftstellerin von gestern und heute. 261
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
Drangt immer fremd und fremder Stoff sich an.
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heisst das Bess're Trug und Wahn.
Anch fiir Helene Bohlau sind, wie fiir Faust, nur die hoheren Ge-
ftihle lebengebend, und die erstarren bald im irdischen Gewiihle. All-
mahlich verkummern, das ist keine menschenwiirdige Tragodie, son-
dern das Los des "Halbtiers". Zur Not entgeht solch traurigem Schick-
sal die Heldin von Bohlau's bestem Buche: ,,der Rangierbahnhof". Von
den verstandnislosen Ihrigen unwissentlich zu Tode genorgelt, stirbt sie,
die Hohergeartete, auf ihrem Isolierschemel langsam ab, una erst ganz
am Ende erwarmt sie an einer grossen Freundschaft wieder zum wahren
Leben, um resigniert in den Tod zu gehen. Die Miinchener Kiinstler-
atmosphare ist ausserst lebensvoll wiedergegeben. Doch Bohlau's rea-
iistische Walirheitsliebe stort der die Einzelerscheinung hastig verallge-
meinernde Symbolismus, dem sie mit manch anderenRealistikern huldigt,
und ihre streitbare Erregtheit tut ihrer Vertrauenswiirdigkeit Abbruch.
So kommt es, dass mit Ausnahme von ein paar nicht gerade glaubhaften
Exemplaren des Genus tTbermensch die Manner in ihren Eomanen ent-
weder ganz unverbesserliche Halunken oder riickgratlose Ziehpuppen
sind.
Nicht so ungerecht gegen die Mannerwelt ist die selbst in manchem
Betracht mannlich fiihlende Clara Viebig. Sie hat neuerdings durch ih-
ren ausgezeichneten Vaterlandsroman "Die Wacht am Rhein" das offent-
liche Interesse ganz ungemein gefesselt, doch steht sie schon seit Jahren
an einem hochgeachteten Platz im modernen Schrifttum. Am tiichtig-
sten und gliicklichsten ist sie in der Schilderung der heimatlichen Eifel
mit ihrem leidenschaftlichen Menschenschlag. Mit fester Hand, ohne
Schminke und Aufputz wird da die Wahrheit aufgetragen. Auf moderne
Fraueiiemanzipation ist sie nicht sehr erpieht. Yielmehr neigt sie, zum
wenigsten ir dem fast cynischen "Weiberdorf", zu der Laura Marholm'-
schen Doktrin, dass ,,des Weibes Inhalt der Mann", demnach das ehelose
jungfrauliche Weib nur ein stiickhaftes Geschdpf sei. Mit einem prakti-
schen Problem der Frauenfrage befasst sie sich in vollig humanitarem
Sinne in dem Dienstbotenroman "Das tagliche Brot".
Es konnen selbstverstandlich im Rahmen einer knappen und not-
vvendiger Weise fliichtigen Skizze wie der vorliegenden nur die allerwenig-
ften Erscheinungen der Frauenliteratur Beriicksichtigung finden. Und es
konnen nieht einmal bei weitem alle beachtenswerten Sshriftstellerinnen
der Gegenwart verzeichnet werden. Aus der langen Reihe seien immerhin
einige Namen hervorgehoben wie Anselm Heine, Anna Croissant-Rust,
die ungliickliche Juliane Dery, die gleich der letztgenannten aus Oster-
reich stammenden Emil Marriot und Marie Eugenie delle Grazie; ferner
262 Padagogische Monatshefte.
Leo Hildeck. in technischem Sinne eine der Berufensten; Lou Andreas-
Salome, dmch ihr Verhaltnis zu Nietzsche bekannt. Wie die genannten
pamtlich, stehen auch die talentreichsten Vertreterinnen der allerjiing-
sten Generation, Sophie Hoechstetter und die grb'sste Milieukiinstlerin
nnter den Frauen, Hans von Kahlenberg, stark unter dem Einfluss
Nietzsche's, der, wie aus den vorausgegangenen Ausfiihrungen erhellt,
in der Frauenschriftstellerei von heute zu einer dominierenden Macht
gediehen ist.
Ich kbnnte diese anspruchslose und in der vorliegenden Fassung
ausserst unvollstandige Arbeit kaum passender beschliessen als mit eini-
gen Worter* iiber zwei Dichterinnen, die nach meinem LTrteil die vollste
Hohe der bisher von der Frau erreichten kiinstlerischen Entwickelung
bezeichnen: Isolde Kurz und Ricarda Huch. Auch sie haben sich dem
Einfluss Nietzsche's nicht entzogen, aber man kann sie nicht ohne weite-
res zu dessen Sekte zahlen. Ebenso haben sie von der naturalistischen
Technik sehr viel gelernt, ohne dass man sie schlechthin als Realistinnen
klassifizieren diirfte. Auch von der symbolischen Methode machen sie
unbedenklich ausgiebigen Gebrauch. Kurz, sie bedienen sich aller tech-
nischen Fortschritte der verschiedenen Schulen, sind namentlieh auch
willige und gelehrige Schiilerinnen alterer Meister, bewahren jedoch
trotzdem eine ungebrochene Eigenart und erbringen dadurch den giiltig-
sten Beweis ihrer Kiinstlerschaft. Geschautes und Durchlebtes lebendig
und doch sinnbildlich, sub specie aeterni nachzuschaffen, ist Zweck und
Ziel ihrer Kunst.
Isolde Kurz ist die vielseitigere. Bald entziickt sie den Leser durch
die keusche doch warme Plastik ihrer wunderbaren Sprache, bald durch
den hohen Ernst ihrer reifen Philosophic, dann wieder reisst sie ihn mit
ihrem unwiderstehlichen, satirisch zugespitzten Humor hin. Eine aus-
serordentliehe Gabe, sich in das Sein anderer Menschen hineinzufiihlen,
befahigt sie, die substilsten seelischen Vorgange ans Licht zu ziehen und
mit erstaunlicher Anschaulichkeit darzustellen. Auch ganz Visionares
weiss sie glaubwiirdig zu gestalten, wie beispielsweise im ,,Mittagsge-
spenst" ein Stiick mittelalterlichen Stadtelebens unter der Traumform.
Die Eenaissancewelt ist vielleicht, wie bei ihrem grossen Lehiineister
Conrad Ferdinand Meyer, die Hauptquelle ihrer Inspiration.
Das Schaffen Ricarda Huchs beseelt der gleiche antik-moderne Geist,
er ist auch ihr zum nicht geringen Teil durch Conrad Ferdinand Meyers
Kunst vermittelt; gleich stark haben ausserdem unter den Modernen
Gottfried Keller und wiederum Friedrich Nietzsche auf sie eingewirkt.
Im Alter von neununddreissig Jahren hat Ricarda Huch bereits eine
stattliche Reihe durchaus bedeutender Werke aufzuweisen; indes beruht
ihr wohlverdienter Ruhm hauptsachlich auf den "Erinnerungen von Lu-
dolf Ursleu dem Jiingeren." Dies wundervolle Buch ist eine echte
Die deutsche Schriftstellerin von gestern und heute. 263
"Oeuvre de longue haleine", d. h. eines jener seltenen Werke grossen
Stiles, welche die Stimmung, in der sie konzipiert wurden, in alien ihren
Nuancen bis ans Ende festhalten und sie wie hypnotisierend ira Leser
wiedererzeugen; wahrend doch fiir gewohnlich unter der Arbeit gar viel
von der unwiederbringlichen Intimitat jener Empfangnisstimmung ver-
loren geht. Ich glaube besser verstanden zu werden, wenn ich diese un-
zulangliche Definition mit dem Namen Thackeray erlautere. Er steht in
dieser Kunst zu oberst, und ,,Pendennis", ,,Henry Esmond", ,,The New-
comes", sind uniibertroffene Muster von Konsistenz und Zwingkraft der
Stimmung. Du Mauri er's "Trilby" zeigt, was von einem solchen Meister
sogar ein Mittelmasstalent zu lernen imstande ist. Unter den lebenden
Dichtern kommen nach meinem Empfinden dem englischen Meister in
Stimmungszauber am nachsten Pierre Loti, Gabriele D'Annunzio, und —
Eicarda Huch. Ich muss es mir leider versagen, auf die ausserordent-
lichen Vorziige ihrer Biicher hinzuweisen. Die moderne Literatur be-
sitzt nicht viele Werke, die in gleichem Grade gelesen zu werden verdie-
nen wie Huchs ,,Ludolf Ursleu."
Wenn ich mit Isolde Kurz und Kicarda Huch die Besprechung der
modernen Frauenschriftstellerei etwas jah zum Abschluss bringe, so bin
ich mir natiirlich wohl bewusst, dass ich da einen nicht ganz objektiven
Standpunkt einnehme. Das ist nun einmal bei der Kritik der zeitgenos-
sischen Literatur nicht anders moglich. Es gibt gewiss zahlreiche an-
dere Schriftstellerinnen, die sich um die Hebung des litterarischen Ge-
schmacks verdient machen. Ich nenne nur Klaus Kittland, Hermine
Villinger, Charlotte Niese, Elsbeth Meyer-Forster, Hermione von Preu-
schen, Richard Nordmann, Use Frapan. Doch wiirde eine Besprechung al-
ler dieser dem Bilde, das wir von der Frauenliteratur von heute gewon-
nen haben, keine wesentlichen neuen Ziige hinzufiigen. Die grossen Er-
folge gewisser beriihmter Frauenromane hinwiederum, wie namentlich
von Frau v. Suttners ,,Die Waffen nieder", haben mit ihren literarischen
Werte wenig oder nichts zu schaffen. Und vollends die ffanz ephemere
Schriftstellerei, wie sie in der ganzen sogenannten Vera-Litteratur und
in der billigen Komik der "Berliner Range" vorliegt, fallt nicht in den
Bereich unserer Betrachtungen.
Dass es mit wenigen Ausnahmen Romanschriftstellerinnen waren,
die hier besprochen worden sind, hat einen natiirlichen Grund. Hat doch
bis gegen die Mitte der achtziger Jahre der Roman im neunzehnten Jahr-
hundert nicht nur in der Frauenschriftstellei die Suprematie iiber die an-
deren Dichtungsarten behauptet.
Auf den anderen Gebieten haben sich die Frauen mit weit weniger
Gliick betatigt. Zwar Lyrikerinnen gibt es in Hiille und Fiille. Recht an-
erkennenswerte Talente sind unter ihnen: Anna Ritler, Agnes Miegel,
Mia Holm, Alberta v. Puttkamer, Thekla Lingen u. a. m. Doch ausser
264 Padagogische Monatshefte.
den an friiherer Stelle genannten erhebt sicli meines Wissens keine ein-
zige zu dem Yollrang einer echten Dichterin.
Vielleicht hatte eine solche innerhalb eines engumfriedeten Gebiets
aus Johanna Ambrosius werden konnen, ware dies tiichtige \Veib aus dem
Volke nicht friihzeitig in den Bannkreis der Lekture "fur Geist und Ge-
miit" geraten. So ist sie zwischen Volks- und Kunstdichtung mitten drin
stecken geblieben.
Reiches lyrisches Leben pulsiert in den glutvollen Versen der ratsel-
haften "Marie Madeleine"; doch schlagt ihre mass- und ziigellose Erotik
schon in das Kapitel der Pathologic.
Auch im Drama sind den Nachfolgerinnen der Birch-Pfeiffer keine
grossen Eroberungen beschieden gewesen. Unter den lebenden Dramati-
kerinnen ist Ernst Kosmer mit ihren Marchenstiicken die einzige erfolg-
gekronte.
Im ganzen betrachtet, legen die Frauen eine gewisse Scheu vor den
rigorosen Anforderungen der formbestimmten Kunstiibung an den Tag
nnd entscheiden sich viel leichter fiir die immerhin zwanglosere erzah-
lende Prosa Ihre Schwachen verleugnen sie auch auf diesem vorzugs-
weise kultivierten Felde nicht. Es fehlt ihnen die ruhig abwagende Ob-
jektivitat, die nur ein hochentwickelter historischer Sinn reifen lasst; und
es fehlt ihnen weiter der Segen eines wohlequilibrierten Personlichkeits-
bewusstseins und einer ordnenden philosophischen Einsicht.
Wie aus guten, doch ohne verbindenden Mortel aufgeschichteten
Bausteinen nur ein baufalliges Haus wird, so errichten sich oft unsere
Frauen aus leicht und richtig erkannten Einzelheiten eine inkonsequente
und unhaltbare Weltanschauung.
Aus diesen und anderen Griinden ist es mit dem kritischen Gewis-
sen unvereinbar, fiir die Frauenliteratur des neunzehnten Jahrhunderts
mit vollen Backen in die Lobesposaune zu stossen. Doch mochte ich
unter keiner Umstanden fiir einen Gegner der Frauenschriftstellerei ge-
halten merden. Es war meine Absicht Sie von der energisch aufwarts-
strebenden Tendenz in der Entwickelung derselben iiberzeugen zu helfen.
Schon was heute erreicht ist, geniigt zur Entwaffnung des Pessimisten.
Gilt es, die vornehmsten Namen in den literarischen Bewegungen der Ge-
genwart anzufiihren, so miissen mehrere Frauen mitgenannt werden. Das
ist ein erfreulicher Beweis des Fortschritts. Im iibrigen schwebte mir
nicht die Aufgabe ror, in der Frauenfrage irgend einen Standpunkt dog-
matisch zu verfechten, sondern die bescheidenere, ein Stuck Entwicke-
lungsgeschichte nachzuerzahlen und auf den aus ihr resultierenden heu-
tigen Zustand hinzuweisen.
Ueber den Garten der Menschheit.
Von Albert Qehring, President des Schulrats, Cleveland, O.
Die Menschheit 1st mit einera grossen Garten vergleichbar, worm die
Menschen die Pflanzen und die Erzieher und Lehrer die Gartner sind.
Zu einem guten Garten gehoren fruchtbare Erde, Diinger, sonnige
Lage, Spaten, Hacke, Rechen, Giesskanne und auch — Blumen; und zu
einer schonen Menschenpflanze bedarf es des Unterhalts: der Nahrung,
Kleidung und Wohnung, — aber auch einer schonen, edlen Seele.
Sonderbar, Jedoch, — im Garten verkennt niemand den Zweck, im
Leben tun es die meisten Menschen. Man schaufelt und hackt und recht,
man schafft frische Erde herbei, man besorgt die Bewasserung, man ver-
bessert die beschadigten Geratschaften, — und iiber allem vergisst man
der Blumen, um die es sich eigentlich handelt.
Das Leben des Menschen beruht auf zwei Faktoren: einem objektiven
oder ausserlichen, und einem subjektiven oder innerlichen. An den Korper
gebunden, bediirfen wir der Nahrung und des Schutzes vor den feind-
lichen Einwirkungen der Elemente; und um uns diese zu sichern, bedie-
nen wir uns der zahlreichen mechanischen Hilfsmittel, die der Mensch im
Laufe seiner Entwicklung ersonnen und denen er seine Herrschaft iiber
die materielle Natur verdankt. Die Geratschaften der Kiiche, des Acker-
baues und der Handwerke, die Eisenbahnen und Dampfschiffe, der Tele-
graph, das kiinstliche Licht und die vielen iibrigen Mechanismen der mo-
dernen Kulturwelt sind mehr oder minder notwendige Bedingungen un-
seres Daseins. Dennoch bilden sie stets nur Mittel zum Zweck. Sie sind
vergleichbar mit dem fruchtbaren Boden und den Geriitschaften des
Gartners, die wohl der Pflanzenzucht forderlich und teilweise auch unum-
ganglich notwendig sind, in denen jedoch der eigentliche Zweck des Gar-
tens noch keineswegs liegt. Wie es sich im Garten vornehmlich um die
Blumen, so handelt es sich im Leben einzig und allein um die inneren Ee-
sultate, um das Gliick, das Wohl und die Schb'nheit der Seele. Geistige
Gesundheit, frischer Humor, Freude an der Arbeit und der Gesellschaft
seiner Mitmenschen, Begeisterung fiir das Schone und Wahre, fiir Kunst,
Natur und "Wissenschaft, frohe Zuversicht auf das eigene sowie all-
gemeine Wohl, und der Glaube an einen giitigen Lenker des Weltalls, —
diese bilden den kostlichen Inhalt, den wiirzigen Kern des Lebens.
Diese Wahrheit wird leider nicht von alien Menschen anerkannt. sie
trachten nach Eeichtumern, schonen Hausern, kostbaren Equipagen, nach
Ehre, Ruhm, geschaftlichem und politischem Erfolg, und erblicken in
ihnen die hochsten Ziele, deren ErringiTng endgiiltige Zufriedenheit und
dauerndes Wohl herbeifiihren miisse. Sie gleichen dabei denjenigen, die
266 Padagogische Monatshefte.
ewig Diinger fahren lassen, bestandig hacken, graben und rechen, unauf-
horlich an ihren Geratschaften ausbessern, sich aber nicht im geringsten
um die Blumen kiimmern, denen all diese Arbeit dienstbar sein soil. Ja,
es gibt sogar manche, die vor lauter Schaufeln und Pfliigen die Bliimchen,
die wirklich schon hervorgesprossen, wieder riicksiclitslos zerstoren. Wie
Behr sich diese der Fata Morgana der ausseren Welt Nachjagenden tau-
schen, weiss wohl derjenige am best en zu beurteilen, der sich selbst im
Besitze der erstrebten Dinge befindet. Doch auch Jeder andere beobach-
tende und denkende Mensch kann leicht zu derselben Schlussfolgerung
gelangen. Werf en wir nur einen Blick um uns, auf arm und reich, vor-
nehm und niedrig, so werden wir erkennen, wie das Gliick und die Zu-
friedenheit, der wahre innere Wert und die Charaktergrosse sich keines-
wegs nach solch ausseren Dingen abmessen lassen. Der Reichste mag der
Unzufriedenste unter den Menschen, der Armste der Gliicklichste sein.
Der ruhmreiche Fiirst mag ein erbarmungswurdiges, von Krankheiten und
Charakterschwachen zernagtes Geschopf, der unbekannte Schneider von
einer seltenen Seelengrosse sein.
Die Eikenntnis der Souveranitat des subjektiven Faktors haben wir
Gartner der Menschheit ganz besonders zu beherzigen. Sie ist gleichsam
das Band, das die hoheren Geister und Erzieher aller Zeitalter und Zonen
aneinanderkniipft. Was auch ihre sonstigen Unterschiede sein mogen, in
diesem Punke stimmen sie iiberein. Alle grossen Keligionen, alle her-
vorragenden geistigen Fiihrer der Menschheit predigen dieselbe Wahr-
heit. ,,Kehre der Welt den Eiicken, gewiniie dir innere Schatze!" das ist
die Lehre der orientalischen sowie auch der christlichen Eeligionen. In
veranderter Form rufen es uns wieder die Stoiker des Altertums entgegen:
Marc Aurel, Epiktet, Seneca, — alle stimmen denselben Grundton an.
,,In dir selbst", verklindigte Luther, ,,liegt das Heil!" und die Mystiker
des Mittelalters hallen in verschwommenem, iiberirdischemAkkorde nach:
,,Amen!" ,,Bilde dich!" ist die Mahnung Goethes, die Losung, die zur
Ileligion einer ganzen Reihe machtiger Geister geworden. In seinem ei-
genen Innern findet Spinoza das hochste Gut, und aus demselben unver-
siegbaren Quell schopft auch der unvergessliche Fichte. Emerson, Tho-
reau und Whitman besingen diesseits des Meeres in dithyrambischen Ver-
sen den Wert und die Herrlichkeit der Menschenseele, wahrend Tolstoi
sich im verschneiten Russland aus der kalten, erstarrten Welt des Mam-
mon an den leuchtenden Herd seines eigenen Busens fliichtet. Ja, sogar
Schopenhauer, der verbitterste und schwarzsehendste aller Propheten,
kennt doch noch ein einziges Gut, den inneren, freien Akt der Entsagung,
die Verneinung der Welt und des Lebens. Von den altesten Zivilisations-
anfangen an vernehmen wir schon diesen in das Innere dringenden Ton,
und es breitet sich im machtigen Chore iiber die Zeitalter aus, alle hervor-
ragenden Geister mit sich dahinreissend.
Ueber den Garten der Menscbheit. 267
Diesem Chore haben sich, wie gesagt, aueh die Erzieher und Lehrer
tinzuschliessen. Ja, die Betonung des Inneren, ira Gegensatz zu dem
Ausseren, bildet gleichsam den Kern und die Essenz aller Bildung und
Erziehung, wie auch aller waliren Eeligion. Der naive, natiirliehe Menseh.
trachtet, wie schon betont, nur nach den ausseren Giitern des Lebens; die
echte Bildung, jedoch, soil ihn auf die Samnilung innerer Reichtumer
lenken.
In der Verfolgung dieses Ziels herrschen jedoch so manche falsehe
Auffassungen. Der innere Wert des Menschen wird vielfach gar zu ein-
peitig betont. Man botanisiert zu sehr und kiimmert sich zu wenig um die
Schbnheit der Blumen. Man belastet sie mit bandwurnilangen lateini-
schen Xamen, um sich schliesslich ein Herbarium voll getrockneter, Ge-
lehrsamkeit ausstromender Exemplare gesammelt zu haben, die aller
Frische und alien Duftes ermangeln. Man behandelt das Kind als reines
Gehirn, das mit so und so viel Daten und Namen pro Tag und Stunde
ausgestattet werden soil: als Tatsachen-Automaten oder Phonographen, in
den man Konjugation, Deklination und Versifikation hineinsingt, um ihn
gelegentlich, bei richtigem Aufziehen des Apparats dasselbe wieder her-
unterleiern zu lassen; als Lexikon, oder Portfolio fur allerlei vergilbte
Zettel, dessen Wert man nach der Zahl der gesammelten Etiketten schatzt.
Xein, botanische Exemplare sind noch lange keine Blumen, und rein
intellektuelles Leben ist noch lange kein Leben. Lessing hatte Eecht,
als er das Suchen nach der Wahrheit — die Arbeit, Begeisterung, Erwar-
tung und Befriedigung — der fertigen Wahrheit vorzog. Faust und
Manfred beweisen uns die Leere und Hohlheit des reinen Gehimlebens.
Der Schmerz macht weise, und wer's Meiste weiss,
Den schmerzt am meisten auch die bittre Wahrheit:
Dass der Erkenntnisbaum kein Baum des Lebens!
In der Tat, die Blume muss mehr sein, als eine Zusammensetzung
von Kelchblattern, Staubfadchen und Pistillen: sie muss Farbe, Duft,
Frische und Schonheit ausstromen. Und der Menseh muss neben der
Geistesbildung auch Gemiit und Liebe, Offenheit, Redlichkeit, Mut, Be-
geisterung und Grazie besitzen. Dem Dufte und der Farbenschonheit der
Blumen entsprechend, verleihen diese ihm Frische und Leben; und ihre
Ausbildung muss sich der Lehrer und Erzieher zur Hauptaufgabe machen.
Eine schwierige Aufgabe zwar, zu deren Losung — bekennen wir es
offen — wir nur wenige Schritte gemacht haben. Von diesem Stand-
punkte aus stehen wir erst auf den Anfangsstufen der wahren Lehr- und
Bildungskunst: wir befinden uns noch im dunklen Mittelalter der Pada-
gogik und die Sonne der Aufklarung schimmert noch kaum am Horizonte.
Freilich, unser Ziel mag vielleicht der ganzen Natur der Sache gemass un
erreichbar sein. Namen, Daten, Tatsachen lassen sich schon noch syste-
matisieren und mitteilen, wie soil man aber dem Schiller Gemiitseigen-
268 Padagogiscbe Monatsbefte.
schaften, Herzensveranderungen beibringen? Wie soil man dem Zaghaften
Mut einflossen, dem Apathischen Begeisterung, dem Neidischen Liebe,
dem Griesgrame sonnige Zufriedenheit? Wie im Blumenbeete, so scheint
es auch im Menschengarten gewisse Arten zu geben, die ewig gesondert
bleiben miissen imd sich nicht in einander iiberfiihren lassen. Die Rose
bleibt Rose, die Lilie Lilie, aiis einer Distel wird nie ein Maiglockchen
werden, mid die Sonnenblume wird sich vergeblich bemiihen, den Duft
des Veilchens zu gewinnen. Im Menschengarten sind eben die Samen alle
schon ausgestreut, und der Gartner kann nur ziehen, was schon da, nicht
bestimmen, was noch werden soil. Und dennoch braucht er deshalb nicht
zu verzagen. Eine gewisse Entwickhmgs- und Verfeinerungsfahigkeit
mag doch noch existieren; und ist es auch unmoglich, die Arten ganz und
gar umzubilden, bleibt auch die Rose ewig eine Rose und die Lilie immer
eine Lilie, so mag doch jede Art die Anlage zu einer besonderen, ihr allein
eigenen Schonheit in sich bergen, die durch die richtige Zucht zur volle-
ren Entwicklung gebracht werden kann. Das Veilchen wird sich wohl
rde die stolze Pracht der Rose aneignen konnen; dennoch mag es als be-
scheidenes Veilchen eigene Reize entfalten, die sogar diejenigen der Rose
iiberwiegen
Hier wird nun wiederum vielfach gesiindigt. Man wiirdigt die Un-
terschiede in der mensch lichen Natur nicht geniigend und mochte alle In-
dividuen nach einem und demselben Muster zuschneiden. Man will nur
Rosen oder Maiglockchen haben und versucht, alle Arten in diese iiber-
zufiihren. Dabei lauft man Gefahr, die natiirlichen Reize zu verlieren,
ohne die angestrebten zu gewinnen. Man raubt dem Veilchen seinen
Duft, erzielt aber doch nicht die prachtvolle Farbe der Konigin der
Blumen. Die Entwicklung muss sich der Natur des Menschen anpassen.
Wir konnen nur ziehen, nicht erzeugen, wie ja auch der Gartner den Duft
und die Farbenpracht der Blumen nicht selbst erschafft, sondern sie nur
der Natur entnimmt, um sie zur volleren Entfaltung zu bringen. Beson-
ders aber muss man beim weiblichen Geschlecht in dieser Hinsicht Vor-
sicht iiben. So lange der Jungfrau das hohere Studium nicht deren Ge-
sundheit und spontanen Weiblichkeit schadigt, ist nichts gegen dasselbe
einzuwenden ; sobald dies jedoch der Fall, begeht man einen zweif elhaf ten
Tausch. Wie es in einem Verse heisst:
Sie hat nun studieret viele Jahre lang,
Hat die Schatze des Wissens erkoren,
Ich zweifle jedoch, ob sie mehr von Belang
Als die Anmut, die sie verloren.
Die grosste Gefahr des Studiums und der Bildung jedoch liegt in der
Versuchung, echte mit kiinstlichen, falschen Blumen zu ersetzen. Man
will den Geist sozusagen nur iibertiinchen und polieren, lasst aber den
Kern unberiihrt: man verziert das Aussere, um bildlich zu reden, kammt
Ueber den Garten der Menschbeit. 269
die Haare, putzt die Fingernagel, wichst die Schuhe und kiimmert sich
nicht um das innere Leiden, das an dem Kinde zehrt. Die Welt betrach-
tet die Sclmlung und Bildung nur allzusehr als Mittel zur gesellschaftli-
chen Auszeichnung und zur Uberhebung iiber die ungeschulteren Mit-
menschen. In der Tat, dies ist so vielfach die Art und Weise, wie man
Schule und Bildung nicht nur unter Laien, sondern leider auch unter
Lehrern, betrachtet, dass das Wort ,,Bildung", ,,C u 1 1 u r e", einen An-
strich des Yerachtlichen, dumm Vornehmen angenommen hat. Unter
einem gebildeten ,,G e n 1 1 e m a n" oder einer ,,c u 1 1 u r e d Lady"
versteht man vielfach nur eine Person, die sieh einen gewissen ausseren
Glanz, einen Schein der Gelehrsamkeit angeeignet hat. Dass jedoch das
Wesen der Bildung keineswegs in solchen Ausserlichkeiten beruht, son-
dern sich bis tief in die Wurzeln der Personlichkeit erstreckt, braucht
wohl kaum noch betont zu werden.
Machen wir nun zum Schluss noch einmal die Runde durch unseren
Garten und wiederholen wir die Grundregeln der menschlichen Pflanzen-
zucht. Endzweck alles Menschenlebens, und somit auch aller Schule und
Erziehung ist die Entwicklung einer schb'nen Seele, eines reinen Herzens,
eines gliicklichen Gemiits. Geld, Nahrung, Behausung, sowie alle die me-
chanischen Hilfsmittel des Unterhaltes, haben nur Wert als Mittel zu
diesem Zweck. Sie entsprechen der Erde, dem Regen und den zahlreichen
Geratschaften des Gartners, die wohl notwendig sind, die aber nie die
Farbenpracht und den Duft der Blumen ersetzen kb'nnen. In den Blu-
men allein und nicht in ihren materiellen Bedingungen liegt der Wert
des Gartens. Die Blumen jedoch sind weit mehr als botanische Exem-
plare. Der Mensch ist nicht bloss als Gehirn zu betrachten, dessen Auf-
gabe es ist, die grosstmogliche Zahl von Daten und sonstigen Tatsachen
in sich aufzunehmen. In seinem Herzen und seinem Gemiit ruht sein
wirkliches Wesen, entfaltet sich die wahre Schb'nheit der Bliite. Wie es
jedoch unzahlige Blumenarten gibt, so auch unzahlige Geistes- und
Gemiitsanlagen, die der Gartner anzuerkennen und auf denen er weiterzu-
bauen hat. Schliesslich sollen die Blumen nicht verfalscht, nicht durch
kiinstliche ersetzt werden. Der Schein und das angenehme Aussere sind
wohl von Wert, treten sie Jedoch als Verdeckung eines unedlen Inneren
auf, so sind sie verwerflich.
Hoffen wir nun, dass die Zukunft uns gute, fruchtbare Jahre gonne;
moge es den Gartnern gelingen, die Gesetze der menschlichen Blumen-
zucht allmjjihlich zu begeistern; mogen sie das Unkraut, das gar zu iippig
emporschiesst, immer mehr und mehr ersticken und vertilgen, und mogen
die Blumen gedeihen, wie noch nie zuvor.
Die deutschamerikanische Dichtung.
Von Dr. H. H. Pick, Cincinnati, O.
Die Neigung zur Pocsie 1st ein Grundzug der Menschennatur. Sie
1st weder an Ort noch an Zeit, weder an Stand noch an Geschlecht ge-
bunden, sondern ira vollen Sinne des Wortes irdisches Gemeingut. Auf
die Dichtung passt voll und ganz der Vers Schillers in seiner reizenden
Allegoric ,,Das Madchen aus der Fremde":
,,Sie teilte Jedem eine Gabe,
Dem Friichte, jenem Blumen aus!"
Beeinflusst vom Singen und Sagen werden aller Herzen weit, die
Augen leuehten und die Pulse schlagen hoher in edler Begeisterung. Ein
trefflicher deutsclier Schriftsteller schreibt, dass unser Leben ein ewiges
Arerbluten sein wiirde, vvenn nicht die Dichtkunst ware. ,,Sie gewahrt
uns, heisst es, was uns die Natur versagt; eine goldene Zeit, die nicht
rostet, einen Friihling, der nicht abbliiht, wolkenloses Gliick, und ewige
Jugend." Fiirwahr, machtiger ist das Ideale als die niichterne Alltag-
lichkeit.
Der echte wahre Dichter gehorcht einem machtigen inneren Drange
und verleiht sein em Empfinden und Sehnen, seiner Uberzeugung und
feeinem Hoffen Worte und Reime, weil er nicht anders kann. An ihn
treten die alten und stets neuen Probleme des Daseins zur Erwagung
heran; es bieten sich ihm die ewig unergriindliehen, aber immer reiz vol-
len Ratsel des Lebens. Ihn freuen und erheben die Wunder der Natur,
die Schb'nheiten der Kunst, die Meisterwerke menschlicher Erfindungs-
gabe. Er erhebt begeistert den schaumenden Krug oder das lichtfun-
kelndc Glas und kiisst in seligem Wonnegefiihl die schwellenden Purpur-
lippeu der Geliebten. Sein Lied preist in stolzem Schwunge die Gross-
taten des Edelmutes und der Opferfreudigkeit, der Barmherzigkeit und
der Nachstenliebe, wettert und weint iiber das Ungliick, die Schmach
des Yaterlandes, das Elend der Menschen, unh schmiickt mit dauerndem
Kranze den Sarg des Helden.
Der Dichter wagt auf der schwa nken Wage seines Empfindens die
Urteile der' Menge und verkiindigt seine Meiniing, gleichgiltig ob ihm
uun ein ,,Hosianna" oder das ,,Kreuziget ihn" entgegen schalle. Zwar
wird ihm fiir seine mit Herzblut und Geistessaft geschriebenea, aus tief-
eigenstem Wesen hervorgegangenen Worte und Verse und Strophen sel-
ten irdisches Gut zuteil, aber als Entschadigung fiir Gold und Silber
fallt auf ihn ein Abglanz iiberirdischer Hoheit und stempelt ihn zu dem
Auserwahlten. Ob seine Euhestatte spater keine Marmorbiiste schmiicke,
keine Erztafel seinen Namen verewige oder von seinen Werken rede, seine
ie deutscbamerikaniscbe Dichtung. 271
Gedanken, seine Mahnungen, sein Lob und sein Tadel barren aus und
werden welter getragen auf den Fliigeln der Jab re. 1st auch der musen-
gekiisste Mund verstummt, das in dichterischer Verziickung erstrahlende
Auge des Poeten im Tode gebrochen, seine Stimme verhallt, so redet er
dennoch in eindringlicher Sprache zur Mitwelt und nicbt minder zu
kommenden Geschlechtern.
Nach dem schonen \Vrorte Follens:
,,Wenn die Saiten langst zersprungen,
Lebt das Lied auf alien Zungen,
Lebt unsterblich im Gemiit.
Nur des Lebens Licbt verdimkelt,
Doch der Stern der Liebe funkelt,
Bis im Lichtmeer er vergliiht."
Bis in die neuere Zeit hinein aber hat man sich darin gefallen, Ame-
rika als unfruchtbaren Boden fiir poetische Bestrebungen zu schildern,
als ein Land gleichsam, dessen Luft sich wie Mehltau auf dichterisches
Empfinden und kiinstlerisches Schaffen lege. Selbst nachdem die Dich-
tungen eines Bryant, eines Poe, eines Whittier, eines Longfellow, eines
Holmes Zeugnis ablegten von der Schaffensfreudigkeit und Schaffens-
tiichtigkeit angloamerikanischer Poeten, blieb eine Geringschatzung der
Versuche von Deutschamerikanern auf dichterischem Gebiete vorherr-
schend. Wiederholt bezeugen das die literarischen Besprechungen und
ITrteile aus deutsehlandischen Kreisen. Noch immer werden die Verse
Geroks augefiihrt:
^Amerika, dich konnt' ich nie recht lieben,
So prahlend sich dein Sternenbanner blaht,
Darunter meist ein Kratnervolk sich dreht
Urns gold'ne Kalb, dem Mammon ganz verschrieben.
Der Urwald sank vor seiner Axte Hieben,
Mit stolzen Stadten ward dein Strand besa't,
Doch ward die Poesie erst weggemaht
Dnd herzlos erst des Urwalds Sohn vertrieben."
1st das durchaus \\rahr und gerechtfertigt? Nein und abermals nein!
Freilich hatte der Pionier, abgesehen von Ausnahme fallen, Anspriichen
zu geniigen, die ihm Musse karg zumassen. Sein war das Los schwieli-
ger Hande und korperlicher Abspannung. Im Schweisse des Ange-
sichtes musste er frohnen, um den jungfraulichen Boden dieses Landes
arbar zu machen, und sich die Statte zur Erbauung der Blockhiitte zu
sichern. Da von singt Freiligrath:
,,Mit nerv'ger Faust und weh'nden Haaren,
Mit Hacke, Spaten und Gewehr,
So ist sie kiihn hinausgezogen,
Die deutsche Arbeit, iibers Meer.
272 Padagogische Monatshefte.
Sie hat ihr Werkzeug wohl geschwimgen,
Kein Hemmnis schreckte sie zuriick,
Froh schaffend hat sie sich errungen
Das Biirgerrecht der Republik."
Ebenso wahr 1st auch die Schlussstrophe:
,,Wer aber, als sie zog ins Weite,
Zog mit ihr iibers Meer hinaus,
Wer gab ihr frohlich das Geleite?
Wer half ihr bau'n das neue Haus?
"Wer stand ihr bei in Lieb imd Treue,
Dass, was sie schaffte, wohl geriet?
Wer gab der deutschen Kraft die Weihe
Jenseits des Meers? Das deutsche Lied."
Die verschiedenartigen Ausserungen deutschen Gemiitslebens ver-
siissten und adelten die Miihen und Sorgen des Aufenthaltes imd der
Sesshaftmachung im neuerworbenen Heim, das Mitgebrachte fiihrte na-
turgemass zu Neuschb'pfungen und so entstand eine deutschamerika-
nische Dichtung.
Freilich hat das Deutsehtmn Amerikas weder einen Schiller, noch
einen Goethe, weder einen Lessing noch einen Heine zu eigen, ebenso-
wenig wie sich die angloamerikanische Poesie schon eines Shakespeare,
eines Milton, eines Byron riihmen kann. Es ist leicht genug zu behaup-
ten, dass aus deutschamerikanischen Kreisen nichts Hervorragendes vor-
handen sei und diese Behauptung durch Anfiihrung einiger Proben zu
belegen: der Sache wird dadurch ein schlechter Dienst geleistet. Das
nicht wegzuleugnende ehrliche dichterische Streben deutscher Manner
und Frauen in Amerika verdient weit eher Aufmunterung und Aner-
kennung, als Spott und Achselzucken. Einer der Unsrigen, Max Hem-
pel, sprach in einem Toast zur Schillerfeier:
,,Es ist nicht alles Wein vom Ehein,
Den die durstige Kehle hinunterschlingt,
Es kann nicht jeder ein Schiller sein,
In dem der Quell der Dichtung springt.
Nicht jeder Glanz ist Sonnenschein,
Es gibt auch kleinere Lichter,
In unser Herz leuchten sie alle hinein,
Des deutschen Volkes Dichter.
I
Auch hier in diesem Lande gedeiht
Das Singen und Sagen aus Dichtermund,
Es weckt ein Echo von Gliick und Leid
Und gibt uns von Liebe und Heimat Kund',
e dentschamerikanische Dichtung. 273
Drum werd' auch ihm der Ehre Preis!
Es trotze noch lang der Vernichtung
Und bliihe — das amerikanische Reis
Am Baume der deutschen Dichtung."
Des ofteren 1st der deutschamerikanischen Poesie der Vorwurf ge-
macht word en, es fehle ihr jeglicher unterscheidende Charakter. Es ist
schwer zu begreifen, welche Eigenartigkeit die also urteilenden Kritiker
erwarten.
Die verschiedensten Gattungen der gebundenen Eede sind vertreten,
lyrisch, episch, dramatisch und didaktisch. Es findet sich das schlichte
Lied und die schwungvolle Ode, die Ballade, wie das Sonett, die Tenzone
und das Madrigal, Glosse und Spruchdichtung, neben dem Ernste der
Humor und die Mundart. Und was die Themata anbetrifft, lasst dieses
grosse Land, welches sich von den Kiisten Maines bis zum ,,Goldenen
Tore" Calif orniens, von den Orangenhainen Floridas bis zur majestati-
schen Kette der nordlichen Seen erstreckt, welches einzig in der Art da-
stehende Wunder der Natur und unvergleichliche Denkmaler menschli-
cher Ausdauer und menschlichen Tuns besitzt, welches gleich eigenartig
und merkwiirdig in historischer, in geographischer, in politischer, in so-
zialer Beziehung ist, den Dichter nicht um Stoffe und Bilder verlegen
sein. Alles was Menschenherz durchbebt und erhebt, die geheimsten
Eegungen der menschlichen Psyche, das was
,,Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt bei der Nacht"
weckt des Sanges Lust hier wie driiben. Aber welche Fiille von An-
regungen! Die majestatische Bucht von New York mit der weitaus-
schauenden Statue der welterleuchtenden Freiheit, der stattliche Hud-
son und der scheme Ohiofluss, die Magnolienhaine des Siidens, der Golf
mit dem sich ihm vermischenden Riesenstrome, dessen Bett eine Wasser-
wiiste anderer Strome mit sich fiihrt, die Hohlenwimder Virginiens und
Kentucky s, der unvergleichliche Niagarafall, die endlos sich dehnenden
Prarien, die mannigfaltigen tiberraschungen der Felsengebirge und der
Kiiste des stillen Meeres, alles das kann sich in den Schopfungen unserer
Dichter wiederspiegeln und ist von ihnen zum Vorwurf genommen wor-
den.
,,Es ist dir viel zu teil geworden,
Mein herrlich Land Amerika,
Dein Adler zieht vom eis'gen Norden
Zum sonnbeglanzten Florida,
Dein sternbesii'tes Banner wehet
Von Maine bis fern am ,,goldnen Tor,"
\Vo duster noch der Urwald stehet
Und wo die Palme ragt empor."
274 Padagogische Monatsbefte.
So klingt es von der Pracht und der Macht des ganzen Landes. Die
Eigenart einzelner Gegenden ist oft genug das Thema des ansassigen
oder auf Besuch weilenden Dichters gewesen. Theodor Kirchhoff schil-
dert den Staat, der ihm die neue Heimat wurde, in begeisterten Worten
wie folgt:
„ Welch e zaubervollen Bilder
Hat geschaut mein trunk'nes Auge,
California, du Schonste
In Columbias stolzem Bunde,
Wenn, dein weites Reich durchwandernd,
Zogernd oft am Pfad ich weilte!
Deine koniglichen Taler,
Mit den Eichen drin zerstreut,
Wie ein Parkland anzusehen;
Deine iipp'gen Felder, endlos,
Mit der Halme gelben Wogen;
Deine sonn'gen Weingelande,
Mit der Traube siissem Segen;
Deine dunkelgriinen Haine,
Wo die Goldorangen leuchten.
Uns'rer Erde hehres Wunder
Xennt man in entleg'nen Zonen
Jene felsumbaute Talschlucht,
Wo die donnernden Kaskaden
Wie vom Himmel niederstiirmen;
Jene ernsten Mammutbaume,
Biesensaulen in dem Urwald,
Die der Menschheit Wiege schauten.
Herrlich dehnt sich deines Himmels
Blaue Wolbung iiber Taler,
Hochgebirge, Wald und Seen,
Drauf Italias Sonne leuchtet.
Wahrlich! Wie kein Land der Erde
Schmiickte dich die Hand des Schopfers."
Unter dem Tafelfelsen, angesichts des liberwaltigend-gossartigen
Niagara schrieb vor mehr als fiinfzig Jahren Kaspar Butz:
,,Yom Felsen sickert es tropfenweis
In langsam einformigem Takt,
Nun vor mir schaumt er, wie siedendheiss,
Der tobende Katarakt —
Hoch oben die ragende Felsenwand
Ein Baldachin fiir das Haupt."
*Die dentschametikanische Dichtung. 275
Neuerer Zeit entstammt eine gedankenvolle Schilderimg desselben
Naturwunders. Otto Wichers von Gogh besingt den Pfingsten am Nia-
gara folgendermassen:
,,Brausend walzt die "\Vogenmasse sich von einem See zum andern.
Grollend muss der Strom in Fesseln seine Schicksalsbahn durchwandern.
lTnheil kiindend flatternMoven; gurgelnd tont's vom Grimd wie Stohnen;
Angstgepeitscht die Wellen rollen, dass die Ufer rings erdrohnen.
Hastlos treibt es den Giganten seinem jahen Fall entgegen;
Tropfen spriih'n um seine Schlafen funkelnd wie Demantenregen.
Wie im letzten Krampfe wolbt sich hoch die Brust des Todgeweihten;
Schaumend stiirzt der Fluss hinunter in den Schlund der Ewigkeiten.
Ein Koloss wird hier zerschmettert, doch der Riese trotzt Gewalten,
Welche wirbelnd, sturmend jagen iiber ihm wie Spukgestalten.
Schnaubend, brodelnd, zischend hallt es dumpf herauf axis dunklem
Kessel,
Gellend donnert's durch die Brandling: ,,Frei bin ich der Sklavenfessel!"
Siegreich steigt er aus dem Grabe, schiittelt seine nassen Locken;
Zu den Wolken fliegt die Lohe, hoch anf stieben Wasserflocken.
Jubilierend durch den Ather die krystall'nen Tropfen dringen,
Die in jauchzenden Akkorden: ,,Heil dir, Niagara!" singen.
tiber Felsgeroll und Schluchten schallt die Botschaft ew'gen Lebens:
Dass im Angesicht des Todes Heldenmut ringt nicht vergebens.
iJnaufhaltsam und gewaltig ist der Strom zum Meer geflossen.
Auf der Niagara-Landschaft liegt der Pfmgstgeist ausgegossen.
Den, der Sage nach unermesslich tiefen, geheimnisvollen ,,Devils
Lake" Wisconsins beschreibt Otto Soubron in anschaulicher Weise in den
Strophen:
,,Starre Felsen ragen trotzig
Um den See, den schwarzen, stillen,
Der wie ein gebroch'nes Auge —
Leblos, kalt und unergriindlich —
Blickt verglast empor zum Himmel.
Still, verodet ist die Gegend,
Nur mit tragem Fliigelschlage
tiber'm Abgrund kreist der Adler,
Und die Brut der Schlange nistet
Unten in den Felsenspalten."
276 P&Jagogische Monatshefte.
Die Sclionheit Floridas, ,,in dem sonnenwarmen Klima, in der mil-
den, lauen Luft, hochgewiirzt mit Fb'hrenbalsam und Orangenbliiten-
duft", begeistert Frank Siller, und der gefeierte Konrad Krez schildert
,,Little Rock":
,,Wo, wie aus einem Tore von Smaragd
Ein Strom von Silber, der Arkansas, aus
Waldreichen Hiigeln in das nache Land
Hinunterstromt, kronst du den Schieferstein,
Der von den Felsen seines langen Laufs
Der letzte ist, den seine Flut bespiilt."
Gewiss, offenes Auge und warmes Empfinden haben die deutschen
Dichter dieses Landes fiir seine Eigenart, seine Grossartigkeit und seine
Schonheiten gehabt. Nicht minder ist dieses der Fall in bezug auf
Amerikas Gestalten in Sage und Geschichte. Die tiberlieferungen der
verschiedenen Indianerstamme, die Sagen und Legenden der Pottowato-
mies, der Irokesen, der Delawares, der Chippewas, der Wyandots, der
Dacotas, der Ottawas und anderer, die teils riihrenden, teils grauenerre-
genden Erzahlungen vom weissen Nachen des Niagarastromes, von der
Maid der Mississippifalle, vom Kampfe der Halbgotter im Oregontale,
vom Maiden Rock, sind in englischer wie nicht minder in deutsclier Fas-
sung nacherzahlt worden, ohne den urspriinglichen Reiz zu verlieren.
Genau so verhalt es sich mit historisclien Personen und geschichtli-
chen Ereignissen. Der Vikingerzug iiber das atlantische Meer ist von
dem Englander Montgomery und dem Angloamerikaner Lowell diclite-
risch verwertet worden, aber auch die deutschamerikanische Poesie feiert
die Nordlandsrecken und kiindet den Ruhm des Schmieds vom Rheine,
der am diesseitigen Gestade Trauben entdeckte. Das Marchen vom Jung-
brunnen, der Zauberquelle, die dem Alternden die Jugend wiedergeben
konne, sehr ansprechend von Butterworth in englischen Versen bearbei-
tet, hat die denkbar beste Verkorperung in dem gedankenreichen, sprach-
und formvollendeten Gedichte ,,Ponce de Leon' von Kara Giorg gefun-
den.
Dieser hat auch den Heldenmut einer Deutschamerikanerin, der
Frau eines Kanoniers, welche in der Schlacht bei Monmouth nach der
Verwundung ihres Mannes dessen Posten am Geschiitze einnahm und die
zagenden Mitkampfer durch ihr Beispiel anfeuerte in der Ballade "Moll
Pitcher" wirksamer geschildert, als es Collins in dem englischen Gedichte
"Mollie Maguire at Monmouth" vermochte, wie auch Charltons "The
Death of Jasper" weit hinter des deutschamerikanischen Dichters Ver-
herrlichung des Helden von Fort Moultrie zuriicksteht. Der amerika-
nische Maler und Dichter Thomas Buchanan Read verdient hohes Lob
fiir sein packendes Gedicht ,.,The Revolutionary Rising", in dem er er-
zahlt, wie der deutsche Prediger der Gemeinde in Woodstock auf der
'Die deutschamerikanische Dicbtung. 277
Kanzel den Talar mit dem Waffenrock vertauschte und seine Zuhorer zur
Teilnahme an dem Befreiungskampfe einlud. Wilhelm Miillers deutsche
Ballade ,,Miihlenberg" ist der englischen vollkommen ebenbiirtig. Nur
eine Voreingenommenheit kann absprechend iiber die Dichtungen in
deutscher Sprache, welche das blutige Kingen der Bauern ira Mohowk-
tale und den Siegertod Herkheimers besingen, urteilen und der, diesel-
ben Begebenheiten feiernden englischen Strophen Helmers riihmend ge-
denken.
Die wiirdige Gestalt des Patriarchen von Germantown, Pastorius,
von Whittier im Gegensatz zu den Pilgervatern des Nordens als ,,Pilger
einer mildern Flur und sanftern Sinns" in englischen Dreizeilern geprie-
sen, tritt nicht minder sympathisch beriihrend in den Vordergrund,
wenn Miiller ausruft:
,,Das war ein Mann von echtem Schlage,
Voll Mut sprach er ein hohes Wort,
Es klingt bis in die spatsten Tage
In alien edlen Herzen fort.
Die neue Welt schloss ihre Pforten
Den Armen und Bedriickten auf,
Da zogen bald von alien Orten
Die Pilger iibers Meer zuhauf,
Die finstrer Glaubenshass vertrieben
Vom trauten Herd am Heimatland,
Die aus dem Kreise ihrer Lieben
Der Herrscher Machtgebot verbannt;
Sie lenkten durch die Wasserwiiste
Voll Sehnsucht ihrer Schiffe Kiel
Und fanden an Columbiens Kiiste
Im fernen Westen ein Asyl.
Und jedem freien Siedler lohnte
Der reiche Boden seinen Fleiss.
Im neuen Heim, das er bewohnte,
Gen oss er seiner Arbeit Preis.
Nur einem der geladnen Gaste,
Der Wiistensonne dunklem Sohn,
Dem gonnt man keinen Eaum beim Feste,
Dem winkt fiir schweres Miih'n kein Lohn.
* * *
Da ruft der Mann vom deutschen Maine:
,,Ihr Freunde, das flihrt nicht zum Heil!
Wo jeder froh geniesst das Seine,
Gebiihrt dem Schwarzen auch sein Teil."
278 Padagogiscbe Monatshefte.
,,Der Himmel schuf ihn nicht zum Knechte,
Noch ward euch Herrschermacht verliehn.
Der Menschheit heil'ge, ew'ge Rechte,
Vernehmt's — ich fordere sie fur ihn!"
Es sollte noch anderthalb Jahrhunderte dauern, elie die Sklavenket-
ten fielen. Noch bedurfte es der Opfer, die ihr Mene Tekel mit dem Le-
ben bezahlen mnssten. ,,Einem Toten zum Gedachtnis" schrieb am 1.
Dezember 1861 Eduard Dorsch:
,,Wenn auf der Alpen iiberschneiten Hoh'n
Der Wand'rer schreitet mit bestiirzter Miene,
Da braucht es nicht das Donnerwort des Flohn',
Vom leisen Schlaf zu wecken die La wine;
Das Glb'ckchen eines Saumtiers ist genug,
Der Hungerschrei des Geiers oder Raben, —
Die erste Flocke reisst sich los im Plug,
Schneemassen folgen, Stadte sind begraben.
1
Der Becher ist gefiillt; ein Tropfen mehr,
Und ungeduldig wird er iiberschaumen;
Ein Rosenblatt ist eine Last zu schwer
Furs Volk, das mild', und es vergisst zu traumen.
Nur einen Anstoss braucht's, um tausend Weh'n
Der Opfer ihren Henkern zu vtrgelten, —
Nur eine Scholle, um darauf zu stelrn,
Und aus den Angeln hebt der Weise Welten.
John Brown, Du warst das Glockchen, das erklang,
Du warst der Rabe, der verscheidend hauchte,
Du warst die Flocke, welche los sich rang,
Du warst die Scholle, die das Schicksal brauchte.
Hernieder auf das Haupt der Sklaverei,
Yon dir geweckt, jetzt donnert die Lawine,
Zermalmend stiirmet sie zum Tal und frei,
Schwirrt auf der Drohnen Grab die Arbeitsbiene."
Brown von Ossowattomie, der tollkiihne Held von Harpers Ferry,
verdient das Lob des Dichters, in welcher Zunge es auch erklinge, aber
auch die kleine Schar, welche im ungleichen Kampfe gegen die Uber-
macht des Kapitals unterlag und den Versuch einer Befreiung aus so-
zialer Sklaverei am Galgen biisste, gebiihrt neben der Ehrung, wel-
che ihr Tucker angedeihen lasst in den Worten:
"They never fail who die
In a great cause: the block may soak their gore;
Their heads may sodden in the sun; their limbs
deutschamerikanische Dichtung. 279
Be strung to city gates and castle walls —
But still their spirit walks abroad."
voll und ganz die Strophe Bechtolds:
,,So werden auch noch viele Helden fallen,
Die sich gewagt aus schiitzendem Asyl,
Und unentwegt der Wahrheit Bahnen wallen
Zum Blutgeriist statt zum ersehnten Ziel."
Was ware die Poesie ohne ein verstandnisvolles, liebendes Erfassen
der durch die Vorgange und Erscheinungen im All bedingten Stimmun-
gen. Englander wie Amerikaner haben dem lebendigen ^aturgefiihl be-
redten und deutereichen Ausdruck in gebundener und ungebundener
Sprache gegeben, selbstverstandlich ist auch der Deutsche nicht zuriick-
geblieben. Der Wechsel der Jahreszeiten, das Kommen und Gehen der
Monate, das Erwachen und Absterben in der Schopfung, die Tage der
Aussaat und die der Ernte, ihre Schonheiten, ihre Eigenart, ihre Lehren
spiegeln sich in deutschamerikanischen Dichtungen. Emerson beschreibt
die unbegreiflich klaren, milden letzten Sommertage, ,,wo in der Welt
eine Heiligkeit ist, die unsere Religionen iiberstrahlt und eine Kraft der
Wirklichkeit, vor der das Heldentum zusammenschwindet." Yon ahn-
licher Auffassung zeugen die Verse ,,Indianersommer" von Schmitt:
,,Der Sonnenball, der dort im Westen flammt,
Beschliesst des Tages Hohepriesteramt,
Als Opferwolke gliiht die Abendrote;
Wie segnend breitet iiber das Gefild
Ein goldner Schein die Hande ernst und mild.
Noch einmal wirft das rote Sonnenherz
Den Liebeskuss zur Erde niederwarts.
Es ist, ols ob es in des Scheidens Schmerz
Den letzten Abschiedskuss den Fluren bote."
Ein anderer Dichter, Gieseler, schlagt mehr den Ton der Wehmut
an und gedenkt des Scheidens, von dem Oktobertage kiinden. Seine
Zeilen lauten:
,,Alluberall in der Katur
Ein traumumfangnes Trauern;
Zuweilen durch die Wipfel nur
Zieht's wie ein frostelnd Schauern;
Dann rieselt leise es herab
Gleich wie ein linder Regen:
Das sind die Blatter, die ins Grab
Sich sommermude legen.
Ob heut noch einmal Sommerpracht
Den stillen Wald durch zittert —
280 PMagogische Monatshefte.
Schon morgen wird von Sturmes Macht
Yernichtend er umwittert."
Dass das Fest der Liebe, das Weihnachtsfest mit dem schimmern-
den Lichterbaume und den Gaben, welche die Zweige niederziehen, die
hohe Zeit, welche die grossen und kleinen Freuden bringt, ohne die kein
Menschenleben verlauft, immer und immer wiederkehrt in der deutsch-
amerikanisehen Poe&ie, 1st leicht begreiflich. Der Winter mit seinen
Flocken urd seinem Eiseshauche mahnt aber schon wieder an Aufer-
stehung, an Erlosung, an neues Leben. So heisst es bei Hempel in dem
Gedichte ,,In Eisesnoten":
,,Alte Linde, du mein Better
Von des Sommers Feuersluft,
Langst verweht sind deine Blatter
Und dein siisser Bliitenduft.
Eegenschauer, Froste sandte
Tins der Norden iiber Nacht,
Konig Winter herrscht im Lande
Und du prangst in fremder Pracht.
Dein Gezweig, das blatterleere,
Selbst das allerkleinste Eeis,
Halt umsponnen eine schwere
Diamantne Kruste Eis.
Deine Glieder, unter Qualen
Stohnen, von der Last gepresst,
Tausend Sonnenfunken strahlen
In dem glasernen Geast.
Traget furchtlos das krystallen
Winterliche Prachtgewand,
Herz und Linde, es muss fallen,
Zieht der Fruhling in das Land.
Neue Knospen, alte Linde,
Sprossen dir im Marzenhauch,
Armes Menschenherz, o finde
Der Erlosung Friihling auch!"
Und es schmilzt das Eis, es schwindet der Schnee, der Winter ver-
geht, es hebt sich die Scholle, an Zweigen und Aesten brechen Knospen
Jiervor, ans Licht kriecht der Kafer, der Wurm empfindet von neuem sein
Dasein, im lauen Sonnenstrahle zittert und blitzt es von metallisch-
flimmernden Lebewesen. Da erwacht auch die Schopferlust und die Muse
weiht die empfindsame Dichterseele. In einem solchen Augenblick hat
Hedwig Yogel in Calif ornien ein Gedicht ,,0stern" in Worte geklcidet:
deutschamerikaniscJie Dichtung. 281
,,Die wilden Tauben hor' ich wieder girren,
TJnd blau verschleiert traumt das stille Meer,
Ich sah die Kolibris um Blumen schwirren,
Der alte Pfirsichbaum ist bliitenschwer.
Zum Neste tra'gt die Schwalbe weisse Flocken,
Der Fliederbaum steht wieder griin belaubt,
Den Elfen lauten wilder Blumen Glocken,
Die Mandelbaume sind mit Gold bestaubt.
In alien Landen will der Lenz erwachen,
Und auf dem stillen, waldumsaumten See
Schwankt keck bewimpelt schon ein leichter Nachen,
Erklingt ein Lied von Liebeslust und Weh.
Im Flur und Hain ein selig Auferstehen,
Yom Bann erlost, wird auch das Herze frei;
Lass mich den Friihling dir im Auge sehen,
Und herrlich wieder bliiht auch mir der Mai."
Auch die amerikanische Flora und Fauna hat die Aufmerksamkeit
hiesiger dentscher Dichter erregt und sie zu poetischem Schaffen getrie-
ben. Der Kolibri, der Leuchtkafer, die Rotbrust, die Hiittensanger, die
Schwarzamsel, die Spottdrossel, der Mais, die Baumwollstaude, 'die Hebe,
alien zum Lobe ist hier schon deutsches Wort im Verse erklungen. Eine
Perle ist Thomanns ,,Gutedel" zu nennen, im Weinlande der pazifischen
Kiiste entstanden. Der Dichter fragt:
,,Wie nennt ihr die liebliche Traube hier?
Wie nennt ihr den "\Vein, den wilden?"
Ihm wird die Antwort:
,,Gutedel; aus Deutschland holten wir
Ilm einst nach Sonomas Gefilden."
LTnd dem von Longfellow besungenen Ohiowein spendete Dr. Bauer
gleich feurige Anerkennung in dem ,,Herbstlied 1853":
,,Wie der Wein so reich und siiss
Heuer ist geraten!
Will er uns das Paradies
Auf die Erde laden?
Des Ohio Hiigelwand
Speiet siisse Lava;
Bist du dem Vulkan verwandt,
Funkelnder Catawba?"
Die Fiille des hiesigen Traubensaftes zeitigte und zeitigt noch jetzt
zahllose begeisterte Dithyramben. Eines der besten Trinklieder Ratter-
manns schliesst mit den Zeilen:
282 Padagogische Monatshefte.
,,Drum muss der letzte Tropfen auch
Verschwinden aus dem Glas!
Stosst an, trinkt aus, nach altem Brauch,
Das gottbeseherte Nass!
So lange noch die Rebe bliiht,
Soil unser Wahlspruch sein:
Die Liebe hold, das frohe Lied,
Der gold'ne, siisse \Vein,
Sie leben im Verein!"
Der Dreiklang Lieb', Lied und Labe; in immer neuen Wendungen ist
ihm gehuldigt, seine Allmacht zugestanden, sein "\Valten erfleht worden.
Die selbstlose, reine Liebe zur unschuldsvollen Madchenschonheit veran-
lasst Robert Reitzel zu den riihrenden Versen, welche das tragische Ge-
schick der von ihm Besungenen andeuten:
,,Ich denke dein wie einer Blume,
Die in der Knospe ich belausehte,
Wie eines hohen Himmelsliedes,
Das sanft durch meine Seele rauschte.
Ich denke dein, wie eines Sternes,
Des Strahlen ich in mich gezogen,
- Es kam der Sturm, — ein letztes Leuchten —
Und dann verschlangen ihn die Wogen."
Die Erfiillung des Liebeswerbens, das Gliick eines kosigen Heims
und eines innigen Familienlebens, dann aber auch das herzzerreissende
,,Scheiden vom Liebsten, was man hat", ist Mittelpunkt des folgenden
Gedichtes von Bernhard Bettmann:
,,Es war ein Traum: Die Ros' in deinem Haar
Ergliihte, als ich selig bei dir stand;
Du reichtest lachelnd mir die Blume dar,
Ich kiisste sie, ich kiisste deine Hand
Und riss dich an mein Herz; o Augenblick,
So reich an reinem, siissem, vollem Gliick.
Es war ein Traum, ich weiss es wohl, und doch,
Es war so schb'n, ich wollt', ich traumte noch.
Es war ein Traum: ich sah ein kleines Haus,
Versteckt im Grim in friedlich stiller Ruh,
Das Kind auf deinem Arm tratst du heraus
Und winktest mir von fern schon Griisse zu
Und Jauchzend hangt der Knabe sich an mich;
Ich hob ihn auf und herzte ihn und dich.
Es war ein Traum, ich weiss es wohl, und doch,
Es war so schb'n, ich wollt', ich traumte noch.
*Die deutschamerikanische Dichtung. 283
Auf stillem Friedhof steh' ich nun allein,
Das Herz so schwer, das einst so froh und leicht,
Und deinen Namen les' ich auf dem Stein.
Ich ruf ihn laut, doch selbst das Echo schweigt.
Da berg5 am Stein ich weinend mein Gesicht
Und ruf dich wieder, doch du horst mich nicht.
Vereinsamt steh' ich hier im Weltenraum,
Allein, allein, o war' es nur ein Traum."
Dass nur zu oft, wie das alte Epos schon kiindet, Liebe Leid bringt,
deutet Franz Pauly in dem Vierzeiler an:
,,Eine Rose tmg sie in bliihender Pracht
An ihrer Brust in jener Nacht;
Auf ihrem Lager im Morgenrot,
Da lag die Hose welk und tot."
Deutsche Spraehe, deutsches Lied! Wo waren Deutsche zusammen-
gekommen in triiber und heiterer Zeit, im festlichen Prunksaale und iin
traulichsten Vereinszimmer, zu zweien und dreien oder in aehtunggebie-
tender Volksversammlung, dass sich die Anhanglichkeit an die Mutter-
sprache nicht bemerkbar gemacht hatte. Die Achtung und Wertschatzung
des Guten, die tiberzeugung, dass die deutschen Laute ein Hort und ein
Heiligtum, ein Schutz und ein Schild fiir das Beste und Bedeutungsvolle
ties germanischen Wesens und Wollens sein miissen, fordernd das un-
umstossliche Recht, empfehlend das Edle und das Hehre, solcher Art ist
der Grundton von tausenden von Zeilen, teils kurz, schlicht und biindig,
teils gewaltig, volltb'nend und zur Abwehr bereit. Die Vorziige der
deutschen Sprache kennzeichnet Grebners Gedicht:
Schon seist du nicht?
Er hat wohl nie gesungen, nie zu Orgelklang
1m deutschen Dom gehort den hehren Festgesang,
Der sagt, du seist nicht schon.
Mild seist du nicht?
Der Liebe Sprache kennt er nicht, Gekose leis
Ist fremd ihm; er sass nie in deutscher Freunde Kreis,
Der sagt, du seist nicht mild.
Stark seist du nicht?
Nie hort' er Manneswort, hat nie in wilder Schlacht
Gekampft in deutschen Reih'n, kennt nicht des Kampfrufs Macht,
Der sagt, du seist nicht stark.
Gross seist du nicht?
Er weiss nicht, wie im fernen Land das helle Licht
284 Padagogische MonatsJiefte.
Des Geistes mit der deutschen Spracli' durchs Dunkel bricht,
Der sagt, du seist nicht gross.
Bist alles ja!
Des Mamies Wort, der Liebe Fliistern, Schlachtenruf,
Gesang und Rede — wo die Sprach', die solches schuf ?
Es ist die deutsche nur."
Von der Allmacht des deutschen Liedes aber heisst es in eiuem
Sangergrusse von Nies:
,,Durch des Unvalds Nacht, durch der Prairie Eied
Erklingt es aus tausend Kehlen —
Sei gegriisst unser Lied, unser deutsches Lied,
Du Gluthauch lichtspendender Seelen!" —
Es wird nicht selten mit einem gewissen Stolze darauf hingewiesen,
wie viele Namen sich auf einer Liste deutschamerikanischer Dichter be-
finden. ,,Deutsch in Amerika", eine Anthologie, vor einem Jahrzehnt
in Chicago herausgegeben, envahnt iiber 300 Manner und Frauen als
mehr oder weniger erfolgreich im Dienste der Muse. Leider fehlt es
immer noch an einer kritischen Zusammenstelhmg des Besseren, was hier
geschaffen worden ist, und dessen ist iiberreichlich vorhanden. Freilich
sehr zerstreut neben dem, was das vorher erwahnte Buch, der 1856 er-
schienene ,,Deutschamerikanische Dichterwald", die beiden von Steiger
publizierten Biichelchen ,,Heimatgrusse" und ,,Dornrosen", vornehmlich
aber die Bande des als Fnndgrube deutschamerikanischer Literatur nicht
hoch genug zu schatzenden ,,Deutscher Pionier", und ,,Deutschamerika-
nisches Magazin'', sowie die leider viel zu friih eingegangene ,,Deutsch-
amerikanische Dichtung" bringen. Es ware verdienstvoll, ein Bild des in
der Poesie sich wiederspiegelnden Geisteslebens der Deutschen auf der
wcstlichen Halbscheid zu entrollen. Pastorius, der Mann, welcher die
erste Niederlassung der Deutschen auf diesseitigem Boden bewerkstel-
ligte, wiirde uns als Bahnbrecher entgegentreten. Freilich mag die Jetzt-
zeit wenig Geschmack an den Versen finden, in denen er die schmack-
haften Friichte seines Gartens, die duftenden Blumen und die niitzlichen
Kiichen- oder Arzneigewachse besingt. Dennoch konnen sie mit Ehren
neben dem Schwulst eines Lohenstein, der Kiinstelei eines Hoffmanns-
waldau und der Niichternheit eines Brockes, alle in jener Periode hoch-
geehrte Poeten Deutschlands, bestehen. Auch die Dichtungen der Sie-
bentager in Ephrata, iiberschwanglich und masslos in frommelndem Pa-
thos und in gesuchter Sentimentalitat, und spiiter die Gedichte einiger
gelehrter Seelsorger sind nicht schlechter als manches gepriesene Er-
zeugnis des Mutterlandes. Kurz vor den zwanziger Jahren des letzten
Sakulums begann der Strom der Auswanderung hierher abermals Man-
ner zu tragen, deren Namen Glanz verbreiten. Als Eepositorium der bald
e deutschamerikanische Dichtung. 285.
r-ich mehrenden poetischen Arbeiten diente die im Jahre 1834 in Phila--
delphia ins Leben gcrufene nnd lange unter gediegener Leitung fortge-
setzte ,,Alte und neue Welt". ,,Die meisten der poetischen Ergiisse,
sagt Kattermann, gehb'ren der patriotischen Gattimg an, das Streben
nach Freiheit ist das Ideal derselben. Sie behandeln die nnwiirdigen
Zustande im alten Vaterlande, denen die meisten der Dichter znm Opfer
Helen." Aber, fiigen wir hinzu, es klingt aus ihnen atich die Sehnsucht,
das Heimwch und nicht selten bittere Anklagen des Schicksals. Bei aller
Wertschiitzung der Vorziige dieses Landes vermag der Eingewanderte
doch nicht das Land der Jugend, den Ort, wo seine Wiege stand, wo die
Muttersprache suss ihm ans Ohr tonte, zu vergessen. Wilhehn Wagner
verleiht dem Wunsche des Wiedersehens Ausdrtick, wenn er dichtet:
,,0 heiliger Boden, sei mir stets gegriisst,
Du Heimat, die mein Paradies umschliesst!
Auch in der fremden Welt denk ich an dich;
Und neigt dereinst des Lebens Sonne sich,
Dann Vater, lass dahin, dahin
JSToch einmal mich diesseits der Urne ziehn."
Noch ergreifender heisst es in dem viel und mit Eecht bewunderten
Gedichte von Krez: ,,An mein Vaterland ' zum Schlusse:
,,Land meiner Vater, langer nicht das meine,
So heilig ist kein Boden, wie der deine,
Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden,
Und kniipfte dich an mich kein lebend Band,
So wiirden mich die Toten an dich binden,
Die deine Erde deckt, mein Vaterland!
0 wiirden jene, die zu Hause blieben,
Wie deine Fortgewanderten dich lieben,
Bald wiirdest du zu einem Eeiche werden,
Und deine Kinder gingen Hand in Hand
Und machten dich zum grossten Land auf Erden,
Wie du das beste hist, o Vaterland."
Der Deutsche ist ein Vorkampfer gewesen fur echte Humanitat, fill
das wahrhaft Grosse und Schone, fur die Loslosung von den Fesseln
nativistischer und sektiererischerUnduldsamkeit, fiir dieHochhaltung rei-
ner Lebensfreude und massvollen Lebensgenusses. Fiir ein ,,Grossameri-
ka" hat er Gut und Blut eingesetzt, die Freiheit hat er im Liede verherr-
licht, mit dem Schwerte verteidigt. Eines der schwungvollsten Lieder,
die diesseits des Ozeans gesungen wiirden, ist Schmitts „ Sterne und
Streifen":
Padagogisclie Monatshefte.
,,Im Morgenwind in der Sonne Gold
Der Freiheit heiliges Banner rollt;
Sein Eauschen tont wie Adlerflug
Um Alpenhaupter im Siegeszug.
Es klingt wie Rauschen im Urwaldsdom,
Es klingt wie das Brausen im Felsenstrom,
Es klingt wie die Brandung am Klippenstrand
Von See zu See und von Land zu Land:
Freiheit, Freiheit!
Wie die ewigen Sterne vom Himmelszelt
Herniedergriissen zur traumenden Welt,
Wie im blauen Ather ihr Lied ergliiht,
Erfreuend, erhebend das Menschengemiit,
So griissen die Sterne des Banners, wenn hold
Es den staimenden Blicken der Volker entrollt,
So kiindet ihr Anblick vom heiligen Hort
Dem Lande der Freien das herrliche Wort:
Freiheit, Freiheit!
So zogen es voran einst der Yater Heer,
Als die Knechtschaft draute und Fesseln schwer,
So hat es ermutigt die Kampfer im Streit,
So hat es die Waffen der Krieger gefeit,
So hat es die heilige Lohe geschiirt,
So hat es zum herrlichen Siege gefiihrt,
So hat es gewahrt ihnen kostlichen Lohn,
So hat es geheiligt die Union:
Freiheit, Freiheit!
Und auch die Ereignisse im Mutterlande, seine Schicksale und seine
Emmgenschaften haben in der deutschamerikanischen Sphare stets einen
Nachhall gefunden und als Tribut der Anhanglichkeit Freudenklange
oder Trauerweisen geweckt. ,,Deutschland erwacht" singt 1870 Ernst
Anton ZUndt:
Blitze zucken, Funken spriihen,
Und es bebt die trunk'ne Luft;
Ein gewalt'ger Donner sprenget
Des Kyffhausers dunkle Gruft.
Und der alte Barbarossa
Fahrt vom langen Schlaf empor,
Blickt um sich, es strahlt die Sonne
Hell durchs offne Felsentor.
'Die deutschamerikaniscbe Dichtung. 287
Millionen Stimmen rufen:
Tritt hervor ans Licht, o Held!
Sieh dein Volk, es steht vereinigt,
Stark wie keines in der Welt!"
Hit Stolz vermag der Solin Germaniens seiner alten, nun so mach-
tig entwickelten Heimat zu gedenken: stolz aber kann Deutschland auch
sein auf seine Kinder, die in der Feme mit Liebe der Statte ihrer Ge-
burt sich erinnern. Den Ruhm des alten Vaterlandes hat der Ausgewan-
derte in jeder Weise hochgehalten, den seines Adoptivlandes der einge-
wanderte Deutsche gewahrt. Es ist, als seien die Worte des Perikles fiir
die Deutschen geschrieben: ,,Wir haben von unserer Tatkraft grosse Be-
weise gegeben und sie wahrlich nicht unbezeugt gelassen. Freunde und
Feinde, die wir gezwungen haben, unsere Verdienste anzuerkennen, und
die ewigen Denkmale unserer Anwesenheit, die wir gestiftet, werden fiir
und von uns zeugen immerdar". In diesem Sinne mag die Strophe eines
nach draussen zuriickgekehrten Padagogen und Literaten, der hier ver-
geblich um den Erfolg warb, welcher driiben ihm wurde, dessen Kritik
leider aber deutschamerikanischen Dichtern wenig Wohlwollen zeigte,
diese Arbeit beschliessen:
,,N"icht fremd mehr sind uns diese Auen,
Drauf wie im alten Yaterland
Die Sterne trostend niederschauen,
Denn Heimat ward uns dieser Strand;
Wir haben Schweiss und Blut gegeben
Als Zeugen unsrer Lieb' und Treu, .
Es kiindet unser bess'res Streben:
Der Kern blieb alt, das Kleid ward neu."
Einiges uber die Berufsbildung des Lehrers.
Von Prof. Jno. Barandun, Pittsburg, Pa.
,,Sie sagen, das mutet mich nicht an,
Und meinen, sie hiitten's abgetan".
Goethe.
,,Xicht dem Prunk, sondern dem Ge-
brauch". Herbart.
Wenn der Laie oder der Fremde die Schulen eines Landes beurtei-
len will, wendet er sich gewb'hnlich an die Berichte der Statistik. Das
Land, welches das meiste Geld fiir Schulhauser, Seminare oder Normal-
schulen, Hochschulen, Laboratorien und neue, kostspielige Erziehungs-
Experimente ausgibt, hat nach seiner Ansicht auch immer die besten
Ijchulen. Dies ist ungefahr so logisch, als wenn man behaupten wollte,
die Fran, die das meiste Geld auf ihre Ausstattung verwendet, miisse auch
immer die beste Fran sein. Es mag hie und da einmal zufalligerweise zu-
treifen. Dass eine Stadt oder ein Land irgend einem Fachgelehrten eine
enorme Besoldung zukommen lasst, oder gewisse Erziehungsanstalten
mit stolzen, ehrwiirdigen Namen schmiickt, ist ebenfalls noch lange kein
richtiger Wertmesser fiir den Unterricht, der seiner jungen Generation
erteilt wird. Imgrunde sind dies, wie jeder wirkliche Erzieher wohl weiss,
Ausserlichkeiten, die mit dem Kern der Sache wenig oder nichts zu
schaffen haben. Wie man den Karakter eines Menschen am sichersten
nach den Zielen beurteilen kann, die dieser im Leben verfolgt, so lassen
sich auch die Schulen eines Landes am besten nach ihrem Ziele beurtei-
len, und nach den Mitteln, die zur Erreichung desselben dienen sollen.
In der nachfolgenden kurzen Besprechung muss ich von den Fach-
schulen ganzlich absehen, obschon ich wohl weiss, dass auch in denselben
ein tiichtiger Lehrer erzieherisch und wahrhaft bildend wirken kann. So
niitzlich und notwendig dieselben auch an und fiir sich sind, so haben sie
doch mit der eigentlichen Erziehung unmittelbar nichts zu tun. Ihr
Ziel besteht bloss darin, ihren Schiilern auf leichte, sichere, vielleicht gar
spielende Art die Kenntnisse beizubringen, die einem bestimmten, prak-
tischen Zwecke dienen sollen. Die Schiller solcher Schulen bereiten sich
auf irgend ein Examen vor, das fiir ihr spateres Fortkommen wichtig
ist, oder sie betreiben ein bestimmtes Brotstudium: sie wollen Handels-
gehiilfen, Mechaniker, Chemiker, Aerzte, Advokaten, Prediger, Priester,
Apotheker u. s. w. werden. Die zweckmassige, vielseitige Ausbildung ihres
geistigen Lebens, ihr innerster, wahrer Charakter, kommt dabei direkt
nicht in Betracht. Fiir den eigentlichen Piidagogen haben daher solche
TJnterrichtsanstalten nicht mehr und nicht weniger Interesse als die Fa-
briken, die gewisse Waaren oder phonographische Apparate herstellen.
Einiges iiber die Berufsbildung des Lehrers. 289
Er weiss, dass Kenntnisse, die bloss und ausschliesslich dazu dienen sollen,
ihrem Besitzer Geld oder Ansehen zu verschaffen, so niitzlich sie auch
zum Fortkommen im Leben sind, doch mit achter Bildung und Erziehung
unmittelbar nichts zu tun haben.
Wir miissen uns also auf die Erziehungsschulen im eigentlichen Sinne
des Wortes und deren Lehrer beschranken, um von denselben aus zum
Gegenstand unserer Besprechung zu gelangen. Bevor wir aber wissen,
welche wir dazu zu rechnen haben und welcbe Lehrer an ihnen wirken
sollten, wird es notwendig sein, die Ziele einer solchen Schule zu kennen.
Wie wir schliesslich sehen werden, ist das, was ich hier vorausschicken
muss, um moglichst richtig verstanden zu werden, nur eine scheinbare
Abschweifung von unserm Thema, welches ich dabei keineswegs aus dem
Auge lasse.
Die verschiedenen padagogisehen Kichtungen alter und neuerer Zeit
stellen, wenigstens dem Wortlaut nach, verschiedene Erziehungsziele auf.
Die korperliche Erziehung, die ebenfalls, und natiirlich mit Recht, betont
wird, konnen wir hier ruhig iibergehen, da sie ihre Prinzipien von der
Physiologic entlehnt, und ihr Wert oder Unwert von der seelischen
Ausbildung abhangt. Sie gehb'rt dem Prinzip nach in das Gebiet des Arz-
tes. Kehren wir also nach dieser Nebenbemerkung zum eigentlichen Ge-
biete der Erziehung zuriick. Trotz ihrer abweichenden Ansichten in Ein-
zelheiten stimmen doch alle bedeutenderen Padagogen darin iiberein, dass
es sich dabei um geistige Zustande, — gleichviel, was man unter dem
Worte ,,geistig" verstehen mag, — um ein geistiges Leben handelt, das
der Erzieher bei seinen Zoglingen anbahnen, befordern oder ausbilden
poll. Auch diirften die meisten damit einverstanden sein, dass dieses gei-
stige Leben den Gesetzen der Ethik und der Natur entsprechen soil. Wie
die Uebertretung ethischer Gebote gleichbedeutend ist mit der Verletzung
von Naturgesetzen hat meines Wissens der geniale Philosoph, oder richti-
ger Naturphilosoph, Herbert Spencer am klarsten gezeigt. Ein sittlicher,
der Vernunft entsprechender Karakter, ein gesunder, idealistisch gesinn-
ter und doch zugleich praktischer Geist sollte auch nacli dem sehr kiihl
denkenden und besonnenen Herbert Spencer das Ideal der Erziehung
bilden, wenn er dies auch in seinem klassischen Werke u'ber die Erziehung
nicht gerade mit den gleichen Worten ausspricht. Leider hat bei ihm
der Einzelne nur als Mitglied der Herde einen Wert, was den indivi-
dualistisch gesinnten Deutschen wenig anmutet. Es ist daher ein unsterb-
liches Verdienst Herberts, Max Stirners und vor allem Xietzsches, dass
sie das Vorrecht der Individuality, die Wahrheit, dass der Einzelne zu-
nachst fiir sich selber da ist und einen von der Gesamtheit unabhangigen
Wert, eine individuelle Bestimmung hat, zu verschiedenen Zeiten und
auf verschiedene Weise aufs entschiedenste betont haben. Worin der un-
abhangige, ethisch gebildete Karakter besteht und wie er zu verwirk-
290 Padagogische Monatshefte.
lichen ware, dariiber kann natiirlieh nur die Psychologic genauern Auf-
schluss geben. Damit meine Bemerkungen alien verstandlicher werden,
scheint es mir also unbedingt notwendig, einen Augenblick bei derselben
zu verweilen. Natiirlieh kann ich hier bloss iiber die notwendigsten
Punkte einige knrze Andeutungen geben. Diese werden aber das Nach-
folgende vielleicht einleuchtender erscheinen lassen und auch manchen
zum tiefern Studium dieser Fragen anregen.
Das gesamte Seelenleben beruht auf den Vorstellungen, wie sich
die Bevolkerung eines Staates aus den einzelnen Individuen zusammen-
setzt. Wie das Volk im Staat, so bilden auch die Vorstellungen gleichsam
Gesellschaften, Klassen, Gruppen oder Kreise. Auch die Vorstellungen
haben ihren "Kampf urns Dasein"; die weniger starken, die, welche ge-
ringere Kraft und Klarheit besitzen, werden von den andern, starkeren,
verdunkelt, aber niemals vernichtet. Sie konnen spater wieder ans Licht
des Bewusstseins kommen, wie auch unterdriickte Individuen nicht selten
sich wieder emporarbeiten. Aus der Wechselwirkung zwischen den Vor-
stellungen entsteht nach und nach das gesamte geistige Leben, von dem
im letzten Grunde unser Wert, unser "VVohl und Wehe abhangt. Alles,
was wir mit den Sammelnamen Verstand, Vernunft, Gefiihl und Wille
bezeichnen, 1st aus dieser Wechselwirkung entstanden. Selbst das
unbewusste Seelenleben — woriiber, nebenbei bemerkt, ein gewisser
Waldstein in New York ein treffliches Biichlein veroffentlicht hat und
welches auch der Philosoph John Fiske ausfiihrlicher beleuchtet — das
mit unsern natiirlichen Trieben und Anlagen eng verbunden 1st, kann
nur dann Einfluss auf uns gewinnen, wenn unsere Vorstellungen, die
schon einmal im Bewusstsein waren, ihm keinen geniigenden Widerstand
zu leisten imstande sind, also wenn die innere Einheit oder die geistige
Gesundheit fehlt. Die einzigen Seelenkrafte sind daher die Vorstellungen
selber, sobald sie mit einander zusammentreffen und sich gegenseitig
hemmen, f ordern, verschmelzen oder verbinden. Es ist leicht einzusehen,
dass kein Lehrer oder Erzieher eine bestimmte, zielbewusste Wirkung auf
das Seelenleben seines Zoglings ausiiben kann, der nicht mit der Natur,
den Gesetzen desselben, genau vertraut ist. Er muss wissen, wie klare
Vorstellungen erzeugt werden; wie sie mit einander zu verbinden sind;
wie Urteile und Schliisse entstehen; er muss das Kind anleiten konnen,
Begriffe aus den Anschauungen selber zu abstrahieren; er soil mit den
verschiedenen Arten der Gefiihle vertraut sein, um solche durch den Un-
terricht erzeugen zu konnen; er soil wissen, wie ethische Gefiihle, Urteile,
Schliisse entstehen; wie der Wille entsteht und durch den Unterricht ge-
bildet werden kann; den Unterschied zwischen dem bios mittelbaren und
dem achten, unmittelbaren Interesse muss er kennen, und das letzere nach
und nach in des Zoglings Seele erzeugen und starken, denn das selbstlose,
freudige Interesse an allem, was Menschen getan und gelitten, an der
Einiges uber die Berufsbildimg des Lehrers. 291
Xattir und ihrem Studium, ist das einzige sichere Gegengift gegen den
natiirlichen Egoismus und lehrt den Menschen edlere Freuden und
Ziele kennen; zu diesem Zwecke muss er wissen, wie sich die verschiede-
nen Lehrfacher ura den Gesinnungsstoff, der mit Willensverhaltnissen zu
tun hat, konzentrieren lassen, und sollte genau vertraut sein mit den oft
komplizierten Erscheinungen der Apperzeption, Abstraktion und der
frei steigenden Vorstellungen, die sich besonders in den Spielen der
Kinder kundgeben. Denn was der Erzieher im wahren Sinne des Wortes
im Zogling erzeugen soil, ist an und fiir sich ein geistiges Kunstwerk, ein
inneres Leben, das am Wohl und Wehe der Menschheit und des Einzel-
nen, an den Fortschritten der Kultur, am Wohlergehen des Vater-
landes, an allem Schonen, Wahren und Guten regen, selbstlosen Anteil
nehmen und dabei den Gesetzen der Natur und der Vernunft willig ge-
horchen soil. Die Vorstellungen miissen zu diesem Zwecke so geordnet
n nd verbunden sein, dass im Notfall alle einander zu Hilfe kommen oder
reproduziert werden, so dass, wie Gothe sagt, "ein Schlag tausend Ver-
bindnngen sehlagt". Dies ist die geistige Regsamkeit, die die Natur den
schopferischen Geistern, den "Genies" verliehen. Durch Erziehung kann
sie bis zu cinem gewissen Grade alien Zoglingen zu Teil werden, die nicht
geborene geistige Kriippel sind. Lessing sagte daher mit vielleicht mehr
itecht, als er selber ahnte: "Der Knabe muss ein Genie werden, oder es
kann nichts aus ihm werden." Doch wiirde uns dies Thema zu weit fuh-
len, Auch das "Wohlgefiihl des Gelingens", das auf diese Art im Zogling
entsteht, ist vom hb'chsten padagogischen Wert. Bei einem solchen Un-
terricht wird die Disziplin natiirlich auch sehr erleichtert, und die Exa-
mina und Schaustellungen werden uberfliissig, sie dienen sowieso nur
der Eitelkeit und damit dem Egoismus. Der Lehrer, der psychologisch
richtig unterrichtet, wird bald finden, dass er vor den andern grosse Vor-
teile voraus hat; er erfahrt bald, dass nur im tiichtigen Idealen das wahr-
liaft Reale und Praktische liegt. Der Weg ist anfangs etwas miihsam, be-
lohnt aber nach und nach durch die herrlichsten Aussichten und Erfolge
in jeder Hinsicht.
Es versteht sich von selbst, dass eine Erziehung im eigentlichen
Sinne des Wortes, bei der es vor allem auf die Ausgestaltung eines zweck-
niassig geordneten Vorstellungsschatzes ankommt, friih anfangen musa
Abgesehen von den Privatschulen, fiir welche natiirlich die gleichen
Grundsatze gelten, ist die V o 1 k s s c h u 1 e ihr Fundament, ihr Haupt-
gebiet, oder sollte es sein. Von derselben aus kann sie in den hohern
Schulen, die eine allgemeine, achte Bildung bezwecken, fortgesetzt wer-
den, bis endlich das Leben an die Stelle der Schulen tritt. Es wird auch
klar sein, dass es bei der wirklichen Erziehung und Bildung der Jugend
in erster Linie nicht auf kostbare Schulgebaude, Laboratorien u. dgl. an-
kommt, sondern auf den Erzieher, denLehrer, selbst. Von seiner
292 Padagogische Monatshefte.
Ausbildung, seiner Berufstreue, seinem Enthusiasmus, hangt der Erfolg
der Schule ab. Der wirkliche Lehrer 1st, wie der Dichter, im gewissen
Sinne als soldier geboren. Er muss ein Seelen-Bildner sein, mit kiinstle-
lischen Anlagen begabt, der, wie Lessing sagt, ,,im"rohen Marmorblock
die gottliche Gestalt sich denkt", die er formen will: Begeisterung fiir
eeinen hohen Beruf, ein poetischesGemiit, damit er sich leicht auf den
geistigen Standpimkt des Kindes stellen kann, geistige Regsamkeit, die
im Unterrieht alles zu verwerten versteht und sich keiner Schablone fii-
gen mag, Menschenliebe und ein gesunder Idealismus sind ihm unent-
behrlich, wenn er niclit zum blossen Handworker und Taglohner herab-
sinken soil. Aber wie bei jedem von der Natur reichlich begabten Men-
schen, so miissen auch bei ihm diese Anlagen entfaltet und richtig aus-
gebildet werden, wenn sie zum Besten seiner Zbglinge und der Mensch-
heit wirken sollen, sonst niitzen sie wenig oder nichts. Der Lehrer muss
einsehen lernen, dass sein Beruf der hochste und wichtigste ist, den es
geben kann; er soil wissen, dass von seiner YTirksamkeit die Zukunft der
Nation abhangt, die sich ja aus den einzelnen Individuen zusammensetzt.
Keine staatliche oder kirchliche Partei, kein Staatsmann, Fiirst oder po-
litischer ,,Keformer" kann dauernde Resultate erzielen, wo die Menschen
fiir den Fortschritt, fiir ein hoheres Ideal, kein Verstandnis haben. Er-
zieher, d. h. Kiinstler im wahren Sinne des Wortes, sind auch die Dich-
ter und Schriftsteller; aber sie werden kein Gehdr finden, wo ihnen nicht
ihr wichtigster Bahnbrecher und Kollege, der Lehrer, vorgearbeitet hat.
Es hangt somit ausserordentlich viel davon ab, dass der Staat, die
Menschheit, gute Erzieher oder Lehrer haben. Aber ohne griindliche
berufliche Ausbildung ist dies nicht moglich. Der Lehrer braucht die-
selbe mindestens ebenso sehr, wie der Arzt, der Chemiker, der Astro-
nom, u. s. w. Sie alle miissen das Feld ihrer Tatigkeit griindlich kennen,
sonst leisten sie nichts oder richten bloss Unheil an. Das sollte doch
selbstverstandlich sein; dennoch gibt es Leute, die dies nicht zu begreifen
scheinen. Mit solchen zu streiten, ware nicht der Miihe Avert. Diese Aus-
bildung sollten die padagogischen Seminare oder Normalschulen besorgen.
Wir wollen zuniichst untersuchen, ob dieselben dies bei uns in Pennsyl-
vanien auch wirklich tun. Ich hatte weder Zeit noch Gelegenheit, un-
sere Normalschulen alle eingehend zu studieren. Es war dies fiir den
Zweck dieser Besprechung, die hauptsachlich mit positiven Vorschlagen
zu tun hat, auch gar nicht notig. Die an und fiir sich freilich kurzen
Berichte der meisten hiesigen Normalschulen zeigen nur zu klar, wie
wenig dieselben ihrem Zwecke entsprechen.
Schon die Anordnung eines solchen Berichtes kommt dem kritischen
Auge etwas verdachtig vor, insofern sie einen Schluss auf das erlaubt, was
den Leitern einer solchen Schule von der grossten Wichtigkeit zu sein
scheint. Da werden z. B. die Gebaude und Einrichtungen besehrieben und
Einiges iiber die Berufsbildung des Lehrers. 293
photographiert, natiirlich mit einigen hiibschen Madchen im Vorder-
grunde, die ausserst zufriedene Gesichter zeigen, um zu beweisen, dass
ihnen nichts abgeht. Die schone Umgebimg, die Aussichtspunkte, wer-
den ebenfalls im Bilde vorgefuhrt. Auf Laboratorien, wo ja so viel Zeit
vertrodelt werden kann, wird mit Stolz hingewiesen; ebenso auf Bibliothe-
ken, deren Inhalt, nach dem Katalog zu schliessen, offenbar
mehr auf Zeitvertreib imd oberflachliche Schongeisterei, als auf
ernste Sludien berecbnet ist; Kirchen, Eisbahnen und dgl.
werden ebenfalls sorgfaltig aufgezahlt. Wo der Handfertigkeits-
unterricht eingefiihrt ist, geht er weit iiber das Bediirfnis hinaus, denn
der Erzieher soil vor allem Menschen, nicht blosse Handwerker heranzie-
hen. Die Ausbildung in gewissen Fertigkeiten, Luxusfachern, alten und
ncuen Sprachen, die fiir den Lehrer zwecklos sind, und die er doch selten
oder nie bemeistern wird, in Kiinsten, die hauptsachlich als Lockmittel
dienen, um Schiller anzuziehen, und manchem anderen unpraktischen
Zeug wird ganz besonders betont. In mehreren Anstalten kommen noch
allerlei Allotria hinzu, wie Kochkurse fur beide Geschlechter, Gesellschaf-
ten, um auf die Umgebung ,,erziehend einzuwirken", zeitraubende sog.
wissenschaftliche Experimente, u. s. w. Aber das alles konnten wir hin-
gehen lassen, vorausgesetzt, dass die Hauptsache, die eigentliche
Berufsbildung, dabei nicht zu kurg kame.
"Welchen Aufschluss erhalten wir nun dariiber? Mit Stolz weist der
Berichterstatter darauf hin, dass die Anstalt eine "Musterschule" besitzt.
Das ist ja ganz prachtig! denken wir zuerst. Aber fragen wir weiter, wie
die angehenden Padagogen daselbst den Unterricht erteilen; ob sie sich
darauf vorbereiten; ob sie dort wohlverstandene Theorien praktisch an-
wenden lernen; ob sie wirklich ein klares Bewusstsein dessen haben, was
sie in der Musterschule tun, oder bloss dem gedankenlosen Schlendrian
iolgen, so erhalten wir dariiber zunachst keinen Aufschluss. Um solche
Kleinigkeiten kiimmert man sich offenbar nicht im mindesten. Das sind
ja nach Ansicht der Berichterstatter Nebensachen, nicht der Kede wert.
Aber wenn wir recht fleissig suchen, finden wir irgendwo in einem be-
scheidenen Winkel des Buches die ganz beilaufige Bemerkung, dass in der
Anstalt auch Psychologic, besonders experimentelle, zu den Lehrfachern
gehore, und sogar Padagogik, wenn es hoch kommt. Selbst Geschichte
der Padagogik wird mitunter genannt, und die Namen von zwei oder drei
ziemlich bedeutungslosen "Padagogen", die einmal ein Textbuch — ver-
brochen haben, werden dabei angefiihrt. Das ist so ziemlich alles. Von
der Wichtigkeit der eigentlichen Berufsbildung fiir den angehenden Leh-
rer, und wie die letatere am besten angebahnt werden kann, scheinen die
meisten Leiter solcher angehender "Lehrerbildungsanstalten" auch keine
blasse Ahming zu haben. Ihnen ist das rein Ausserliche, Zufallige, was
irgendwie der augenblicklichen Mode dient, die Hauptsache. Reklame
294 Padagogische Monatshefte.
zu machen, recht viele Studierende anzulocken, von denen ein Teil gauz
andere Ziele verfolgt, als den Lehrerberuf, nur darauf geht ihr wirkliches
Sinnen und Trachten. Aber ich will'hier nicht welter darauf eingehen,
denn das blosse Kritisieren an und fur sich hilft nichts, oder selten etwas.
Es wiirde, wie schon Pestallozzi bemerkte, umsonst sein, denjenigen, die
nie .ein Licht gesehen, begreiflich zu machen, dass sie ira Dunkeln woh-
nen; aber zeigt ihnen das Licht, und sie werden von selber herausfinden,
dass sie vorher im Finstern waren, ohne dass es notig ware, es ihnen di-
rekt zu sagen. An der Negation und Kritik des Bestehenden fehlt es
unsrer Zeit wahrlieh nicht; was uns am meisten fehlt, ist dagegen das Po-
sitive, welches an die Stelle des Unhaltbaren oder Fehlerhaften treten
soil. Wir sind zu kritisch, zu wenig produktiv. Aber mit dem blossen
Niederreissen ist's nicht getan; das Aufbauen ist noch wichtiger.
Ich habe es deshalb fur das Beste gehalten, das Hauptgewicht auf
positive Vorschlage zu legen. An neuen Ideen fehlt es ja am meisten,
d. h. an solchen, die sich wissenschaftlich begriinden lassen; an blossen
Utopien haben wir allerdings Ueberfluss. Sie schiessen wie Pilze empor
und vergehen ebenso schnell. Die Vorschlage, die ich Ihrer Beachtung
empfehlen mochte, und die sich teilweise schon aus dem ersten Teil dieses
Vortrags von selbst ergeben, sind iibrigens keineswegs neu im eigentlichen
Sinne des Wortes, sondern griinden sich auf die Psychologic und wissen-
schaftliche Padagogik der Herbart'schen Schule. Natiirlich musste ich
auf die hiesigen Verhaltnisse Riicksicht nehmen. Bemerken mochte ich
noch, dass ich bloss die Absicht hatte, einige Anregungen zu geben, die
zu weiterem Nachdenken iiber die Sache veranlassen sollen; ich musste
sonst ein ganzes Buch schreiben. Wenn es mir gelingt, das Bewusstsein
eines grossen Mangels in unserer Lehrerbildung wachzurufen und den
Weg anzudeuten, auf dem Abhiilfe moglich ware, so ist der Zweck dieser
anspruchslosen Besprechung erreicht.
Der Zweck der Normalschulen oder Lehrerseminare sollte a u s-
schliesslich darin bestehen, tiichtige Lehrer und Lehrerinnen her-
anzubilden. Ist dies bei uns der Fall? Verfolgt wenigstens ein Teil un-
serer Normalschulen nieht ganz andere Ziele? Nehmen sie nur solche
Zoglinge auf, die sich dem Lehrerberuf e widmen wollen? Diese Fragen
mag sich jeder selber beantwoften, der unsere Verhaltnisse kennt. Fragen
wir lieber weiter, welcheKenntnisse und Eigenschaften ein tiichtigerLeh-
rer, der nicht bios abrichten, sondern wirklich erziehen will, haben muss.
Dariiber habe ich in meinen kurzen Andeutungen iiber des Lehrers Ein-
wirkung auf das Seelenleben des Zoglings und iiber die Wichtigkeit des
Erzieherberufes gesprochen. Dem dort Gesagten mochte ich noch hinzu-
fiigen, dass die sprachlich-historische Veranlagung, die humanistische
Bichtung, die besonders menschliche Verhaltnisse im Auge hat, also Ge-
schichte, Sprachen, Literatur, Philosophic im deutschen Sinne des Wor-
Einiges fiber die Berufsbildung des Lehrers. 295
tes, Padagogik und Poesie umfasst, ihren Besitzer zimi eigentlichen Er-
zieher besonders qualifiziert; dies sollte bei der Auswahl von Aspiranten
fiir den Lehrerberuf in Erziehungsschulen besonders beachtet werden.
Die mathematisch - naturwissenschaftliche oder realist ische Anlage gibt
Macht iiber die Natur und ihre Krafte; sie ist fiir den Fortschritt der
Menschheit von der grossten Wichtigkeit; aber die Tiefen des menschli-
chen Gemiites und Gedankenlebens sind ihr fremd. Sie wird die besten
Fachlehrer auf ihrem eigenen, grossartigen Gebiete liefern konnen. Diese
Andeutungen erlauben auch einen Schluss auf die leitenden Geister, die
in den Normalschulen wirken sollten. Handelte es sich in denselben um
ein blosses Brotstudium, so konnte die Auswahl der Lehrkrafte gleich-
giiltig sein, vorausgesetzt, dass dieselben in ihrem eigenen Fach gut be-
schlagen waren. Aber wo es sich um hb'here Ziele handelt, ist es nicht so
leicht, passende Lehrkrafte zu finden. Der Leiter einer Normalschule
muss die gleichen Kenntnisse und Eigenschaften besitzen, die dem Lehrer
an einer Erziehungsschule unentbehrlich sind, aber seine padagogische
und philosophische Bildung sollte noch griindlicher und umfassender
sein. Er sollte es auch verstehen, mit den andern Lehrkraften harmo-
nisch und zielbewusst zusammenzuwirken.
Die Auswahl des Unterrichtsstoffes, die Gestaltung des Lehrplanes,
die Unterrichtsmethode, erfordern fiir die Normalschule ganz besondere
Sorgfalt, wenn nicht viele kostbare Zeit verloren gehen soil. Auch hier
ware eine Konzentration der einzelnen Facher um einen Mittelpunkt sehr
am Platze, sowie die fortgesetzte Anwendung der formalen Unterrichts-
stufen, damit der junge Erzieher sich durch die lebendige Anschauung
und praktische, personliche Erfahrung daran gewohnen konnte, und sein
Takt und das "padagogische Gewissen" griindlich ausgebildet wiirden.
Natiirlich miisste in der Normalschule statt des Gesinnungsstoffs der
Volksschule die Padagogik in alien ihren Verzweigungen in den Mittel-
punkt gestellt werden. Psychologic und Ethik wiirden auch in andern
Fachern, wie Geschichte, Literatur, Kunst, Aesthetik, und sogar in der
Geographic, Physiologie, ja selbst an den Handarbeiten und Leibesiibun-
gen Beziehungs- oder Verbindungspunkte genug finden. Der kiinftige
Erzieher wiirde so einen einheitlich geordneten Gedankenkreis in sich
ausbilden, in dem alles am richtigen Platze ware und zu einander in Be-
ziehung stiinde, wie beim Genie, von dem ich oben sprach. Aber solch
ein ideales Seminar wird noch lange ein frommer Wunsch bleiben, und
ich will daher nicht naher darauf eintreten. Kehren wir also zur Wirk-
Jichkeit zuriick und sprechen wir von dem, was mehr Aussicht auf Ver-
wirklichung haben diirfte, also von dem ersten Schritt in der rechten
Eichtung.
Es versteht sich, dass auch unter den hiesigen Verhaltnissen eine
moglichst griindliche Ausbildung des kiinftigen Erziehers in den ver-
296 PMagogiscbe Monatshefte.
schiedenen Zweigen der Erziehungswissenschaft angestrebt werden must.
Psychologie, Methodik, Ethik und wenigstens die wichtigsten Forderun-
gen der Padagogik im engeren Sinne sollten von ihm moglichst griindlich
studiert werden. Darauf werde ich nachher zuriickkommen. Den pa-
dagogischen Fachern kommen die Gesinnimgsfacher am nachsten, d. h.
sie sind fur den Erzieher die wichtigsten naeh der Padagogik, denn ihr
Gegenstand 1st der Mensch selber mit seinem Wirken und Leiden, Fiililen
und Wollen. Sie haben daher den grossten erzielierischen Wert. Die ver-
schiedenen Zweige der Geschichte, die Literatur, und in gewissem Sinne
die Sprache, — insofern dieselbe als die Schatzkammer oder die silberne
Schale angesehen wird, die die kostbarsten Schiitze des Menschengeistes
enthalt, oder als der goldene Schliissel zu den unerschopflichen Perlen
des menschlichen Herzens, — sie alle wirken, im Unterrieht richtig ver-
wertet, unmittelbar auf die Gesinnung, das Fiihlen und Wollen, und so-
mit auf den Charakter ein, wesshalb eine griindliche Vertrautheit mit
ihnen fiir den Erzieher von der grossten Wichtigkeit ist. Der Anwen-
dung der Ps}rehologie und Ethik in der Beurteilung historischer Perso-
nen oder literarischer Charaktere haben wir schon oben gedacht. Zwischen
den padagogischen und den Gesinnungsfachern bestehen so viele direkte
und innige Beziehungen, dass sich daraus ganz von selbst eine Haupt-
gruppe bildet. Mit der Geschichte steht atich die Kenntnis der Erde im
innigsten Zusammenhang, und von den padagogischen und den Gesin-
nungsfachern fiihren zahlreiche Faden zu den Naturwissenschaften im
weitern Sinne, Zoologie, Botanik, Chemie, Physik, Physiologic und Bio-
logic hiniiber und von dort zuriick, so dass die beiden Gruppen einan-
der erganzen und beleuchten. Gesang und Musik stehen mit den Ge-
sinnungsfachern in Zusammenhang, Eechnen und Mathematik mit der
naturwissenschaftlichen Gruppe. Der Handfertigkeitsunterricht findet
Ankniipfungspunkte an der Padagogik und Methodik, wenn er im Semi-
nar erteilt wird, und die Leibesiibungen an der Physiologic. Auf die an-
gedeutete Art Hesse sich in unsern Normalschulen unmerklich, gleichsam
als ungezwungene, naturliche Folge eines psychologisch begriindeten
Unterrichts, eine Art Conzentration herstellen, die den giinstigsten Ein-
fluss auf die spatere Tatigkeit des Erziehers oder Lehrers haben mtisste,
dem die richtige Erteilung des Unterrichts sowohl durch sein Fach-
studium, als auch durch personliche Erfahrung an sich selber, schon im
Seminar gleichsam zur zweiten Natur geworden ware. Ueber die philo-
sophische Ausbildung des Lehrers im engeren Sinne des Wortes liesse
sich vieles hinzufiigen, aber dies wiirde uns zu weit fiihren. Keligiose
Fragen miissen wir in Amerika ganz iibergehen, obschon eine Volkser-
ziehung ohne die Hilfsmittel, die die lleligion darzubieten vermochte,
ein Problem ist, dessen Lb'sung man nicht leicht finden dtirfte. Wir
liatten also, um zu rekapitulieren, in der Normalschule drei Haupt-
Einiges uber die Berujsbildung des Lebrers. 297
gruppen: die padagogischen Facher: Psychologie, Methodik,
Ethik, Padagogik im engern Sinne, und giinstigenfalls eine Exkursion in
das Gebiet der eigentlichen Philosophic, um die geistige Einheit, soweit
dies der Schule moglich ist, anzubahnen; zweitens und in enger Beziehung
damit stehend, dieGesinnungsfacher: Geschichte in alien
ihren Zweigen, Literatur und Poesie; drittens tritt die Gruppe der
naturwissenschaftlichen Facher im weiteren Sinne des
Wortes hinzu, wie Geographie, Zoologie, Botanik, Physik, Cheinie, An-
thropologie, Geologic, u. s. w. Die formalen Facher haben ohne die an-
dern keine selbstandige Bedeutung, aber an der richtigen Stelle sind sie
von der grossten Wichtigkeit. Von letztern schliessen sich die Sprachen —
besonders die Muttersprache — direkt an die Gesinnungsfacher an, Rech-
nen und Mathematik an die naturwissenschaftlichen. Andere, etwa hin-
zukonimende Unterrichtsgegenstande lassen sich leicht an die oben ge-
nannten Gruppen ankniipfen. Es wird also leicht sein, auch in der Nor-
malschule die Konzentration des Unterrichts durchzufiihren, und ebenso
leicht wiirde es sein, die formalen Unterrichtsstufen in ihren Haupt-
ziigen — Apperception, Abstraktion und Anwendung auf wirkliche oder
fmgierte Falle — fortwahrend anzuwenden. Auf diese Weise wiirde der
kiinftige Lehrer zu einer geistig regsamen, wahrhaft gebildeten Person
werden, die sich leicht in jeder Lage zurechtfinden kb'nnte und den
Trieb und die Fahigkeit besasse, sich selbstandig weiter zu bilden.
Hier ist wohl auch der geeignete Ort, um der Fremdsprachen
zu gedenken. die in der iNTormalschule betrieben werden. Dass der Unter-
richt in den sogenannten klassischen Sprachen bei einer zwei- oder drei-
lahrigen Studienzeit zu keiner griindlichen Kenntnis derselben
fiihren kann, sollte die Erfahrung oft genug be wiesen haben; dieses Stu-
dium ware also die reine Zeitverschwendung. Es raubt dem Zb'gling die
Kraft und Zeit, die es fur wichtigere Studien so notig hatte, und fiihrt zu
keinem wertvollen, gediegenen Wissen. Die alten Sprachen sind auch
an unc! fur sich, besonders fur den amerikanischen Lehrer, iiberfliissig,
denn unsere lebenden Sprachen enthalten weit wertvollere Wissens-
schatze fiir Geist und Herz, als jene alten Pergamente der Griechen und
Eomer, und was sie uns mitzuteilen haben, steht dem modernen Bewusst-
sein viel naher, als die gallischen Metzeleien eines Casars oder die Helden
Homers, die man heutzutage ins Irrenhaus schicken wiirde. Von den
modernen Sprachen sollte aber diejenige gewahlt werden, die den Lehrei
in seiner Fortbildung am meisten fordern kann; die zugleich eine reiche
Literatur aufweist, welche die Kultur- und Geistesrichtung der teuto-
nischen Eassen am reinsten darstellt und vom idealistischen Geiste des
Fortschritts, des Strebens nach hoheren Zieleh beseelt ist. Von diesem
gewiss berechtigten Gesichtspunkte aus betrachtet, kann dabei nur das
Deutsche in Betracht kommen. Die slavischen Sprachen mit ihrer ver-
298 Padagogische Monatshefte.
wickelten Grammatik, ihrer pessimistischen und im Vergleich zum
Deutsclien recht armseligen Literatur sind von vornherein ausgeschlos-
sen. Von den neulateinischen oder romanischenldiomen wiirde in er-
zieherischem Sinne nur das Italienische mit seiner herrlichen, gediegenen
Literatur von grossem Werte sein. Doch reicht es nicht an
das Deutsche heran. Die spanische Sprache hatte fiir uns einen bedeu-
tenden praktischen Wert; aber sie atmet einen Geist, der uns anmutet
wie der Wind, der aus alten Griiften kommt. Das Franzosische ist im
ganzen steif oder frivol; und wo er moralisiert, da wird derGallier schreck-
lich langweilig und unausstehlich. Man denke an die Plattheiten von
La Fontaine oder an den haufig hohlen Pathos von Viktor Hugo.
Das Deutsche aber, abgesehen davon, dass es eine grosse Zukunft vor sich
hat, steht schon wegen seines praktischen Wertes und seiner Verwandt-
schaft mit der hiesigen Landessprache im Vordergrunde des Interesses.
Wenigstens ebenso wichtig aber sollte fiir die angehenden Lehrer der
bekannte TJmstand sein, dass sie unbestritten die besten und zahlreichsten
padagogischen Klassiker enthalt, und dass es deutsche Manner waren,
denen die modernen Volksschulen und die besten hohern Schulen ihr
Dasein verdanken. So bietet die deutsche Sprache gerade auf dem Ge-
biete, das fiir die Lehrer das wichtigste ist, die wertvollsten Schatze dar.
Aber auch auf andern Gebieten des Wissens und der schonen Literatur
linden wir im Deutschen einen Eeichtum, eine Mannigfaltigkeit, Gedaii-
kentiefe und Innigkeit, die man in andern alten oder modernen Spra-
chen vergebens suchen wiirde. Zudem ist das Deutsche auch sehr pas-
send, um das Studium einer alten oder "toten" Sprache zu ersetzen, da
es selbst noch teilweise den Charakter einer solchen bewahrt hat und
auch durch seine Kraft und Wiirde an die Sprache der alten Bomer er-
innert. Zudem wird hierzulande neben dem Englischen keine andere
Sprache mehr gebraucht, als die Deutsche.
Was die dem Erzieher unentbehrliche padagogische Ausbildung
anbelangt, so sollte sie vor allem recht praktisch sein. Wir haben Lehrer
genug uberall, die in allgemeinen Phrasen gar schon liber die Ziele der
Erziehung, die Wichtigkeit dieses oder jenes Faches, die Pflichten des
Lehrers und der Schule sprechen und deklamieren konnen. Aber wenn
wir ins Einzelne gehen, so vermogen sie iiber keinen Schritt, den sie tun,
begriindete und genaue Rechenschaft abzulegen. Sie sind nicht einmal
imstande, die verschiedenen Arten der Vorstellungen von einander zu un-
terscheiden, oder Eeproduktionshilfen zweckmassig zu gebrauchen; sie
wissen nicht, wie die Begriffe aus den konkreten Vorstellungen abgelei-
tet werden, wie ein Gefiihl oder ein Entschluss entsteht, wie das Wollen
durch den Unterricht gebildet werden kann, wie das selbstlose, unmittel-
bare Interesse hervorgerufen und angebahnt, wie die Disziplin durch ei-
Einiges fiber die Benifsbilditng des Lehrers. 299
nen zweckmassigen Unterricht erleichtert wird, sie wissen niclit im ge-
ringsten, wie eine Lektion richtig bearbeitet, oder wie die verschiede-
nen Vorstellungsgruppen mit einander verbunden, das ethische Ilrteil
gewonnen, die sittlichen Ideen zur herrschenden Macht in des Zoglings
Seele erhoben werden. Ihr Wissen ist blosses Wortgeklingel ohne prak-
tischen Wert. Die meisten englischen padagogischen Lehrbiicher be-
giinstigen diese Oberflachlichkeit. Da miissen in den englisch-amerika-
nischen Normalschulen vor allem neue Bahnen betreten werden, wenn sie
wirklich etwas niitzen sollen Theorie und Praxis sollten auch daselbst
stets Hand in Hand gehen. Jedes neue theoretische Wissen sollte sofort
erprobt und angewendet werden, wenn es nicht toter Ballast bleiben soil.
Nehnien wir z. B. an, der padagogische Lehrer hatte mit seinen Studen-
ten wahrend des Unterrichts durch konkrete Beispiele und Abstraktion
das psychische Gesetz von der ,,Enge des Bewusstseins" gefunden, so
sollten die daraus entstehenden Folgerungen in ihren so unendlich zahl-
reichen Anwendungen auf das praktische Scliulleben fiir den Unter-
richt verwertet werden. Der Normalschuler wird dann
bald einseben, wie wicbtig und niitzlich jede neue Erkenntnis fiir ihn
ist, und nachdem auf diese Art nach und nach sein unmittelbares In-
teresse geweckt worden, wird ihm das Studium zur Lust, und sein einmal
angeregter ForschuDgseifer wird nie wieder erlahmen. Das beste Hilfs—
mittel fiir den theoretischen Unterricht, um dessen Resultate gleich prak-
tisch verwerten zu lernen, ware natiirlich eine Musterschule. Wo eine sol-
ohe besteht, muss sich der Seminarist oder Normalschiiler auf jede neue
Lektion, die er daselbst erteilen soil, schriftlich vorbereiten, und alles, was
er dabei tut oder spricht, jeden seiner Schritte, psychologisch genau be-
griinden. Das ist bei der Herbart'schen Psychologic, die mit den einzel-
nen Yorstellungen und Vorstellungsgruppen wie mit Individuen und
Klassen im Staate rechnet, sehr leicht, nachdem einmal deren Anfangs-
griinde bemeistert wurden. Die Kritik, der die Seminaristen von Seite
ihrer Lehrer oder Mitstudierenden unterworfen werden, bildet ihren Takt
und scharft ihr "padagogisches Gewissen", wie es Ziller treffend nennt.
Wo aber eine Musterschule nicht vorhanden ist, liisst sich dem Mangel
durch das fingierteHandeln, dasHerbart so kurz und klar charak-
terisiert hat^ bis zu einem gewissen Grade abhelfen. Die theoretische
Erkenntnis wird nach jeder padagogischen Lektion sofort und auf die
mannigfaltigsteArt auf fingierte ,,konkrete" Falle angewendet, wozu eben-
falls Praparationen anleiten miissen. Auch bei diesen Anlassen kann die
Kritik ihre heilsame Tatigkeit ausiiben. Wenn ich von Kritik spreche,
meine ich natiirlich sachlich begriindete Kritik, nicht wertloses Ge-
schwatz, wie es so oft bei unsern modernen ,,Schongeistern" vorkommt,
also keine fade Geistreichelei. Auch dieses fingierte Handeln kann prak-
tisch tiichtige Lehrer bilden, die sich dann, wenn sie eine wirkliche
300 Padagogische Monatshefte.
•Schule iibernehmen, sehr bald zurechtfinden. Die Hauptsache bleibt im-
mer, dass der angehende Lehrer sich seine Kenntnisse, so weit sie reichen,
moglichst griindlich angeeignet hat. Dann wird er bald auch praktische
Tiichtigkeit zeigen, wenn er korperlich und geistig gesund ist. Wie vie]
aus dem fast unerschopflichen Schatz padagogischen Wissens dem Nor*
malschiiler mitgeteilt werden soil, hangt von der Studierzeit und andern
Umstanden ab. Vor allem sorge man dafiir, dass eine moglichst griind-
liche Kenntnis der verschiedenen Yorstellungsarten, ihrer Yerbindung,
sowie der Eeproduktionsgesetze, der Begriffs- und womoglich der Wil-
lensbildung, sowie die praktische Verwertung dieser Kenntnis nicht
fehle. Schon die Fahigkeit, die verschiedenen Vorstellungsarten in kon-
kreten Fallen schnell von einander zu unterscheiden, findet sich ziemlich
selten. Aehnlich steht es mit den andern erforderlichen Kenntnissen,
sobald man die Seminaristen auf die Probe stellt. Fleissiges Ueben ist
unerlasslich. Griindlichkeit ist der Yollstandigkeit
weit vorzuziehen. War der Normalunterricht praktisch und
griindlich, so wird das spatere Selbstudium sehr vieles erganzen. War
aber der Unterricht oberflachlich, so wird das Selbstudium nur in sehr
seltenen Fallen im Ernst betrieben werden und auch hochst selten etwas
niitzen.
Ueber das blosse Spielen mit Worten gilt auch noch heutzutage die
geheimnisvolle Drohung:
,,Weh' dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld,
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."
So weit der Unterricht in den padagogischen Fachern in Betracht
kommt, sollte sich also die Normalschule zimachst auf das Einfachste
und Not wend igste beschranken, um es desto sicherer und griindlicher
rlurchfiihren zu konnen. Aber auch in Bezug auf die andern Facher
sollten daselbst die gleichen Grundsatze gelten. G'eschichte z. B. sollte
nur in ihren fiir die Entwickelung der Menschheit wichtigsten Perioden
behandelt werden, und das Kulturgeschichtliche in den Yordergrund tre-
ten. Die Poesie, besonders die epische und dramatische, wird das Yer-
standnis historischer Ereignisse, Zustande und Personen erleichtern. ,,Ge-
schichtsperioden, die kein Meister beschrieb, deren Geist kein Dichter
atmet, haben fiir die Erziehung wenig Wert", sagt Herbart in seinen
klassischen padagogischen Aphorismen. Ebenso sollte die Naturerkennt-
nis in alien ihren Zweigen mehr dazu dienen, das gesetzmassige, einheit-
liche Leben in der Natur und dessen wichtigsten Erscheinungen dem Ver-
standnis des Studenten niiher zu bringen, als letzterem ausfiihrliche, oft
unzusammenhangende Detailkenntnisse aufzubiirden. Eechnen und Ma-
thematik konnten ohne Schaden zugunsten realer Facher beschnitten
werden. Alle Unterrichtsfacher sollten in der Normalschule vor allem
dazu beitragen, den Lehrer fiir seinen Beruf moglichst tiichtig zu machen
Einiges tiber die TSerufsbildung des Lebrers. 301
und ilin zugleich so weit als tunlich in das Verstandnis des Menschen-
und Naturlebens einzufiihren. Nur so weit sie dies tun, haben sie fur
ihn wirklichen Wert. Ein zweckmassiger, einfacher Unterricht im Se-
minar, der nicht auf blosse Schaustellung und Effekt bereclmet ist, muss
angestrebt werden. Hier musste ich mich natiirlich auf einige kurze An-
deutungen beschranken und mit absichtlicher Vermeidung jedes hierzu-
lande so beliebten rhetorischen Schmuckes streng bei der Saebe bleiben,
wesshalb mein Vortrag etwas trocken erscbeinen diirfte. Aber wer beim
Lesen desselben durstig geworden ist, wird wobl keine Scliwierigkeit ha- .
ben, etwas Nasses zu finden.
Erlauben Sie mir zum Schlusse noch ein paar allgemeinere Be-
merkungen. Die bessere Normalschulbilduug hat f iir uns
Deutsche noch eine besondere Bedeutung. Erstens wird kein
Lehrer imstande sein, einen gedeihlichen deutschen Unterricht zu cr-
teilen, falls das Deutsche in unsre Volksschulen eingefiihrt wird, der
nicht selber eine tiichtige praktische Ausbildung erhalten hat. Darin liegt
fiir uns eine grosse Gefahr. Wenn das Volk sieht, dass beim deutschen
Unterricht nichts herauskommt, wird es ihn wieder, als nutzlosen Ballast,
iiber Bord werfen. Je besser der Unterricht im Deutschen hierzulande
erteilt wird, desto hoffnungsvoller diirfen wir in die Zukunft schauen. —
Zweitens wiirde bei Einfiihrung der vorgeschlagenen ,oder ahnlicher Ee-
formen das amerikanische Volk mit deutscher Bildung und deutschen
Bestrebungen besser bekannt. Es wiirde unsere Kultur holier achten,
in das Geistesleben unsrer Dichter und grossen Denker tiefer eindringen,
und dies wiirde sowohl dem Anglo- Amerikaner als dem Deutschen zum
grossten Yorteil gereichen. Der gesunde deutsche Idealismus wiirde ein
hoheres geistiges Leben anbahnen.
Wir diirfen bei unsern Bestrebungen nicht vergessen, dass im tiich-
tigen Idealen auch das wahrhaft Eeale und Praktische liegt und umge-
kehrt. Ohne Idealismus ist keine wirklich praktische Arbeit oder Wirk-
samkeit, kein edleres Geistesleben moglich; und ohne praktischen Sinn,
ohne "gesunden Menschenverstand", wiirde der Idealismus in blosse
Utopien ausarten, woran es uns heutzutage wahrlich nicht fehlt. Beide
gehoren unzertrennlich zusammen, und nur wer b e i d e s, ideale Ge-
sinnung und praktischen Verstand, in sich vereinigt, ist geistig gesund.
Wenn wir dies im Auge behalten, so werden wir nicht erwar-
ten, dass unsere Bestrebungen so fort Friichte tragen. Ein
falscher Optimismus ist ebenso verderblich, wie der iibertriebene
Pessimismus. Auch der erstere kommt schliesslich dahin, alles
aufzugeben und sich vom Jvampfe zuriickzuziehen. Nur der
achte, praktische Idealismus lasst sich nicht entmutigen, weil er nichts
fiir sich von der Aussenwelt envartet. Er weiss: nur Schritt fiir Schritt,
indem ein praktisches, erreichbarcs Ziel nach dem andern verfolgt und
302 Padagogische Monatshefte.
schliesslich erreicht wird, 1st ein gesunder, dauernder Fortschritt moglich.
Auch die Natur hat ja Millionen von Jahren gebraucht, um den gegen-
wartigen Standpunkt der Entvvickelung zu erreichen, und was die
Menschheit im besonderen anbelangt, so steht sie trotz ihrer altklugen
Miene wolil erst am Anfang ihrer hoheren geistigen Kulturmission, wenn
wir wenige bevorzugteGeister davon ausnehmen, die den andern vielleicht
um Jahrhunderte voraus sind. Wir sind noch weit entfernt von den Leit-
bildern, die unsern grossten Denkern und Dichtern vorschwebten. Da
aber die Zeit unendlich ist, diirfen wir die weitere Entwickehmg ruhig
ubwarten. Die Yolker miissen vorwarts schreiten, selbst wenn sie nicht
wollten, oder sie gehen zu grunde. Da gibt es fur jeden Arbeit genug,
der sein ,,Sandkornchen zum grossen Bau der Zeiten" beitragen will. Wer
indessen am "Werke des Fortschritts aus Eigennutz oder Ehrgeiz mitarbei-
tet, zeigt dadurch, dass er nichts ist, als ein grosses Kind: Bitterkeit,
Schmerz, Enttauschung und ein verlorenes Leben werden in der Kegel
sein Loos sein. Wer dagegen ohne an sich selbst zu denken, ohne auf
baldigen aussern Erfolg zu rechnen, aus innerem Triebe und Pfiichtge-
f iihl sich der grossen Sache des Fortschritts widmet, der wird in der Regel
zwar auch nicht viel Anerkennung ernten, aber er findet den reichsten
Lohn in dem begliickenden Bewusstsein, sein Bestes getan zu haben. Der
a u s s e r e Misserf olg ist oft ein i n n e r e r Erfolg. Das Wohl und Wehe
des Menschen hangt ja imgrunde von seinem eigenen Gemiite ab, wie wir
schon oben gesehen. Diese Wahrheit wird sich dem Einzelnen und der
Menschheit immer wieder aufdrangen, so oft noch Perioden eintreten
mogen, wo der Utilitarismus das Scepter halt. Da aber die Erziehung
unmittelbar auf den Geist einwirkt, von dessen Zustand des Menschen
Lust und Leid in erster Linie abhangt, so ist sie wohl die wichtigste
Frage, die wir kennen, und die Losung dieser Frage wiirde fiir die
Menschheit eine neue, gliickliche Zukunft bedeuten. Wer fiir eine bessere
Erziehung und Volksbildung wirkt, steht daher im Dienste des hochsten
uns bekannten Ideals; aber nur Geduld, Liebe zur Sache und selbstlose
Hingebung fiihren die Kampfer fiir dieses Ziel einst zum Siege.
Remarks on the Direct Method of Teaching
German.*
By Prof. Warren W. Florer, Fh. D., Univers ty of Michigan,
Ann Arbor, Mich.
"Ich .weiss es, der Mensch soil
Immer streben zum Bessern; und, \vie wir sehen, er strebt auch
Immer dem Hoheren nach, zuni wenigsten sucht er das Neue.
Aber gent nicht zu weit! Denn neben diesen Gefiihlen
Gab die Natur uns auch die Lust zu verharren im Alten,
Und sich dessen zu freun, was jeder lange gewohnt ist."
One of the most interesting tendencies of recent years is the forced
Recognition of contemporary thought, and especially in College circles.
"Why the men at the head of many of the departments in the lines of
literature persist in remaining years behind the times seems almost
unexplainable. Instead of opening the eyes of their students to the truths
which fill the very atmosphere they inhale, they are busy as beavers in
endeavoring to dam the irresistible current of developement. This is
especially true in the field of modern language, and we of the Germanic
faith are not without sins of commission and omission.
Under the present condition it is impossible to have any definite
goal towards which we should labor. The German born and educated
will of necessity be imbued with ideals which the average American can
not understand and which sometimes are in direct opposition to the
customs of certain communities. These ideals meet a stubborn resist-
ance, for nothing is so obstinate as prejudice based on ignorance. The
natural result is that the community goes to the opposite extreme and
endeavors to block every thing that might savor of German ideals. And
this is fatal to the development of the community. Either German is
not taught at all or taught in order to fill the paper requirements of
the colleges by a teacher who is absolutely ignorant of any phase of her
subject, or by a teacher who can do nothing more than drill set para-
digms and listen patiently to a so-called translation.
And here is the point where many College teachers are fault. Be-
cause th^y, under the pretence of conservation or for the sake of self-
preservation, foster the petrified traditions and continue to bring forth
generation after generation of fossilized teachers. No wonder that a
Tolstoi has stated that the primary fault of our education is that the
teachers are dead before they begin to teach. On the other side we
have a diversified confusion of natural methods which are intended to
*) This paper, which might be entitled ,,Eine Kombination der tfber-
lieferung", is merely an abstract of a plan, the execution of which is being
rendered difficult by the accumulation of material.
304 Padagogiscbe Monatshefte.
bring forth immediate results, a condition of affairs Just as deplorable
as the first mentioned. The entire object of these methods is a super-
ficial smattering of a few daily phrases.
Such are the two extremes which you will meet in visiting our
schools. And between these extremes you will find various phases. The
great problem is where should the center of gravity be. First of all we
must catch the main current of education.
N"o one can deny that the primary object of education is to develop
the power of thinking. Accordingly our entire forces should be directed
to give to the youth that equipment which will best prepare him for in-
dependent development in after life. In our field the ultimate end
should be broad humanistic literary interpretation, and all our endeavors
should center upon this goal.
The problem then is how can we lay the strongest foundation for
literary interpretation? What are the most certain methods? And here
we are divided. However all agree that we must awaken feeling for the
language before the literature can be understood. In recent years, as
you have heard and read, a great reaction has taken place in the teaching
of modern languages, due mostly to the commercial demands of the
times, and we see a tendency which is a great progress in
the methods of instruction. The instructing must be done in
German to accomplish the crying needs. It is not my purpose to repeat
the advantages of this method in giving the student the best working
vocabulary and a practical control of the essentials of the grammar.
I wish to go one step farther in the carrying out of this method of
instruction and emphasize the importance of the direct method in literary
instruction. I do not pretend to give you any fixed results.
That would mean that the method had become wooden. Nor do I claim
to bring any definite original method, as that would be dishonest
and would indicate an ignorance of the history of pedagogy and of the
tendencies in Germany and America. I desire to give a few of my sources
before mentioning my plan.
In Luther's pamphlet "von Schulen" we find the following: When
the scholars have learned to read certain beginning material "So sie
dis kiinnen, sol man jnen den Donat vnd Cato zusammen fiirgeben.
Den Donat zu lesen. Den Cato zu exponiren. Also, das der Schulmeister
einen vers odder zween exponire, Welche die kinder darnach zu einer
andern stunde auff sagen, das sie dadurch eynen hauffen Lateinischer wort
lernen vnd einen vorrat schaffen zu reden. Darinnen sollen sie geiibet
werden so lange, bis sie wol lesen kiinnen. — Daneben sol man sie leren
schreiben vnd treiben, das sie teglich jre schrifft dem Schulmeister zei-
gen. — Damit sie auch viel Lateinischer wort lernen, sol man jnen teg-
lichs am abent etliche wb'rter zu lernen fiirgeben, wie vor alter diese weise
Remarks on the Direct Method of Teaching German. 305
Jnn der Schnlen gewest ist." They progress from book to book. The
daily home work is increased to "einen Sentenz ans einem Poeten odder
andern (Meister), den sie morgens wider auffsagen". Along with the
reading "sol der Preceptor etliche nomina vnd verba decliniren — vnd
fragen auch die kinder die regel vnd vrsach soldier declination. — Wenn
auch die kinder haben regulas constructionum gelernet, sol man auff
diese stunde fodern, das sie, wie mans nennet, Construirn, Welchs seer
fruchtbar ist vnd doch von wenigen geiibet wird." As they proceed from
text to text Luther insists on grammar drill "Denn wo solchs nicht ge-
schicht, ist alles lernen verloren vnd vergeblich." — ,,Es sollen auch die
kinder solche regulas Grammatice auswendig auffsagen, das sie gedrun-
gen vnd getrieben werden, die Grammatica wol zu lernen." Luther would
dismiss all teachers who neglect this work. As the scholar progresses
he increases the outside work and assigns psalms to be learned, as many
of us assign poems. Finally Luther requires the scholars to prepare
original work, as letters or verses — "Denn die selb vbung ist seer
fruchtbar, anderer schrifft zuuerstehen. Machet auch die knaben reich
an worten vnd zu vielen sachen geschickt." He closes by saying
"Es sollen auch die knaben dazu gehalten werden, das sie Latinisch reden.
Vnd die Schulmeister sollen selbs, so viel miiglich, nichts denn Latinisch
mit den knaben reden, dadurch sie auch zu solcher vbung gewonet vnd
gereitzt werden."
Such are the principles which the great linguistic master has esta-
blished. But in spite of these truths proclaimed centuries ago, the
modern language teachers have too often travelled in the olden rut. One
may say even in this connection — "Luther, du grosser verkannter
Mann!"
L e s s i n g, in various letters, has mentioned the impossibility of
translating until one has acquired the power "dem Originale nachzuden-
ken". But in spite of this impossibility one sees High School teachers
encouraging their scholars to translate "Hermann und Dorothea" and
College professors listening to an "aufsagen" of miserable attempts.
Schiller has given us an insight into his method of work when
speaking of his translation of Virgil in a letter to Kb'rner, April 10,
1791. — "Es ist aber beinahe Originalarbeit, weil man nicht nur den la-
teinischen Text neu eintheilen muss, um fur jede Stanze ein kleines
Ganze daraus zu erhalten, sondern weil es durchaus nothig ist dem
Dichter im Deutschen von einer andern Seite wiederzugeben, was von
der einen unvermeidlich verloren geht." Goethe has in numerous
places expressed his method of studying literature and languages: "Lesen,
Exponiren, Grammatik, Aufsagen, Hersagen von Wb'rtern dauerten sel-
ten eine vollige halbe Stunde; denn ich fing sogleich an, auf den Sinn der
Sache loszugehen." — He sought for "den Zusammenhang, denn darauf
306 Padagogische Monatsbefte.
kommt doch eigentlich alles an." — "Wie das zugehe: war jetzt mein An-
liegen." — "Ich studirete das Stuck ganz in mich hinein, ergriff alle Eol-
len und lernte sie auswendig " etc., etc.
The more I began to investigate the more I discovered that all
the great poets and thinkers cherished the same thoughts. If then this
is the process of the leaders of literature, why should not the teachers
of literature profit by their example? This was the question which
naturally asserted itself.
I started to combine the fundamental thoughts of the modern
methods with the processes of our great teachers and poets. This com-
bination of the Uberlieferung with the present tendencies has no limit
but grows and grows. It involves unceasing labor, but so does everything
which bears results. "Wo auch den Schulmeister solcher arbeit verdreus-
set, wie man viel findet, sol man dieselbigen lassen lauffen vnd einen an-
dern suchen der sich dieser arbeit anneme."
The problem of material is a very difficult one. Material must be se-
lected which will give the best foundation for all possible demands,
whether they be commercial or literary. At the same time this material
must at least correspond to the development of the scholar's mind and
not be too difficult to grasp in a foreign language. And here again I fol-
lowed the private examples of our best scholars of German literature and
introduced the German Bible. No one can deny that the German
Bible is the font from which all German poets from Luther to Gustav
Frenssen have drawn inspiration. Luther's greatest work is more potent
today in Germany than ever before. In a short time the scholars can ac-
quire a large vocabulary and a fund of the greatest thoughts which man
has ever received. On this foundation they can base their future work.
The scholars can begin to read at the very first, or as soon as they have
studied the verbs. I know that we must overcome a mountain of prejudice,
but the tendency towards a broader conception is evident, and it is our
duty to assist in this great work. Our country is beginning to realize that
moral strength depends upon broad education. Therefore to deprive the
youth of the country of his educational right is to undermine his moral
development.
With this equipment the scholar can enter the study of literature
corresponding to his age and tastes. The problem of material again
asserts itself. I would select modern literature, which to a certain extent
reflects the German customs. Upon this one can base the conversation
exercises. In this way neither side of the present demands would be
neglected.
Then I would select texts which gradually lead up to the Classics,
as 1'Arrabbiata, Riehl's Kulturgeschichtliche Novellen, Burg Neideck,
for example. By the time the student has reached the classics he has
Remarks on the Direct Method of Teaching German. 307
obtained a fair working vocabulary, provided tbe teacher has insisted
upon the use- of German from the very beginning. Of course his German
is not without mistakes in the very essentials, but infinitely better than
according to the old ways of instruction.
Then I would take up the Classics, but along with the Classics I
would have the scholars read some of the modern dramas so that they
could notice the trend of the development in this line, laying especial
stress upon the social condition as reflected in the literature. This gives
an excellent opportunity for talks in simple German on German life and
thought.
The problem of the application of the direct method to literature is
a most difficult one, and each teacher will have his own particular so-
lution. However, if one follows the methods of Luther, Lessing, and
Goethe he must obtain results. The students should prepare
the lessons, even from the very beginning, so as to be able to re-
cite without the books. This plan at once offsets the objection which
may truthfully be made to the usual application of the direct method —
loose preparation. This plan requires the most accurate preparation and
is not easy, but the German language is not a simple one
and can not be learned by dwelling on kindergarten or nursery methods.
Two objections have been raised to this plan — First, a student is not
able to read so many pages as according to the translation method. Let
Luther answer "dann viel biicher machen nit geleret, vil lesen auch nit,
sondern gut ding und oft lesen, wie wenig sein ist, das machet geleret in
der schrift". Second it is mechanical: this objection is more apparent
than real. It is true, that the learning of any language is mechanical
and slow at first, but all accurate foundation is of slow growth. I always
feel tempted to ask a translation man — "why beholdest thou the mote
that is in thy brother's eye but considerest not the beam that is in thine
own eye?"
I will outline in short the general plan used with the last book we
read in the first year class — 1'Arrabbiata — First the scholars read the book
to obtain the outline — then they read the book again with more accurate
study. — Then we took each character separately (in the first readings
the scholars checked in the margin of the book the passages referring to
the different characters, so that when they glanced through the book it
was easy to collect the material for study). They began to see the re-
lations. They next took up general episodes and topics. We reviewed
the book again, but this time the scholars conducted the recitations by
asking questions to bring out the story — this was repeated. (In order to
further this study a guide was published which was later included in an
edition of this book. A similar guide to Burg Neideck is published by
Wahr of Ann Arbor.) Along with this they had a rigid grammar drill.
308 PMdagogiscbe Monatshefte.
I may add that a few of the weak students could not entirely grasp the
plan, due mostly to the fact that they had never tried to remember the
contents of a book, but the work of the class as a whole was a valuable
lesson to them.
The principal advantages of this plan are: the scholar has acquired
a working vocabulary of words, idioms and phrases; has become freed
from incessant use of the ^dictionary; has started to ascertain the mean-
ing of words from the context, and has been compelled to remember the
thoughts of the book — in short has learned to read a book directly.
The work on the dramas is along the same general lines, only more
stress is put on the development. Take Egmont for example. The
students learn the exposition nearly by heart, as they should in studying
any drama. It is absolutely necessary to master the exposition before
one can appreciate the work of the poet. However commonplace such a
remark may sound, this factor is almost always neglected, judging from
the preparation of the students. Doubtless some teachers have told their
students this a dozen times, and they may have written learned lectures
on the nature of the drama, according to out-of-date theories, but they
have never taken their students to the sources for independent study.
Perhaps they have led them like horses to water and have tried to make
them drink, but either the students were not thirsty, or the water had
lost its savor by standing in the old trough, or was made roily by for-
eign substances.
The fact remains that the students must learn the exposition and
they must learn it directly. First of all we must remember what Goethe
paid of the teacher "his only task is to awaken feeling". This can not be
done by translation or by explanation. The student must first learn what
is contained in the exposition before any explanation will be understood.
Or the most he can possibly do is' to accept what the teacher dictates —
"friss Vogel, oder stirb!"
The entire first scene should be read, then re-read so as to obtain the
"Zusammenhang". Then each character should be studied. The surest
plan is to have the students copy the speeches of each character so as to
have the material all together. Then they can obtain a clearer conception
of the characters. If they once understand the characters they can re-
member better what each one will say under the circumstances which
may arise. They will also catch the "Stimmung,, of the scene. Then
topics should be assigned, as Regierung, Religion, Krieg; these may be
subdivided, e. g. under Religion — Bischofe, Psalmen, Inquisition, die
neuen Prediger. Then have the students collect what is said about
Margarete, Oranien, and finally Egmont. By this time they have learned
the scene without committing it. The students are prepared to proceed
to the next scene. (In the meantime have the class read ahead as far as
Remarks on the Direct Method of Teaching German. 309
possible). The second scene is studied in the same manner. Material
for the different topics is continually added, and especially material on
the characters, above all on Egmont. Then the connecting threads of
the scene are studied, e. g. in the first scene Soest mentions the kind of
rulers the people wish — Machiavell does the same thing. The Bischofe
are referred to in both scenes. In the first scene Oranien and Egmont
are mentioned separately, in the second they are brought together. The
opinion of the people in regard to Egmont is repeated, etc. etc. And so
they proceed in the study of the drama.
When they have finished the drama they study different groups of
scenes, as the burger-scenes, the regent-scenes etc. Gradually the student
begins to see "dass es ist mit der Gedankenfabrik, wie mit einem Weber-
meisterstiick, wo ein Tritt tausend Faden regt, die Schifflein heriiber,
hiniiber schiessen, die Faden ungesehen fliessen, ein Schlag tausend Ver-
bindungen schlagt." Er hat nicht nur die Teile in seiner Hand sondern
auch sogar das geistige Band. And Egmont is to him not a series of
disconnected scenes, but a living drama which knows but one funda-
mental law — the unity of the development of human
life.
But such interpretation must rest upon a living basis, and this basis
is the direct method in the broadest meaning of the word. The students
slowly but surely gain an appreciation of the German language and
literature. As they proceed from play to play, from author to author,
from period to period they can review the "zuriiekgelegten Weg", and
if they turn around they have an "Aussicht". They have been initiated
into the most essential of all, namely into the evolution of
thought.
At first the teacher may make mistakes. But every successful man
learns more from his mistakes than from his passive virtues, more from
practice than from theoretical study. That which in the distance seemed
to be a steep road is but an interesting slope. If you become discouraged,
the pleasure of climbing higher will refreshen you. Back of all you have
a living growing method which enlivens the man and thus the teacher
and then the class. The life of the class will reflect. Along with practical
drill in paradigm- «ud syntax with live composition you have awakened
the students to search directly for the thoughts underlying the words,
and that is the ultimate aim of all instruction. Von dem Erziehungsrecht,
das mit den Schiilern geboren, ist die Eede.
Umschau.
Vom Lehrerseminar. Am 7.
Sept. d.J. fand die Aufnahmepriifung
zum Eintritt in das Nat. Deutscham.
Lehrerseminar statt, und am darauf-
folgenden Tage wurde der neue
Kursus mit 6 Schiilern in der Unter-
klasse, 12 in der Mittel- und 14 in der
Oberklasse eroffnet.
Herr Seminardirektor Emil Dapp-
rich, der bereits Ende Juli von seiner
Urlaubsreise zuriickkehrte, ist leider
noch nicht gekraftigt genug, um die
Arbeit an der Anstalt aufnehmen zu
konnen, und erhielt deshalb eine Ver-
langerung des Urlaubs. Die Herren
Oscar Burckhardt und Max Griebsch
sind bis zu seiner vollstandigen Ge-
nesung mit seiner Vertretung be-
traut worden.
Das Seminar schloss seinen letzt-
jahrigen Kursus am 24. Juni, nach-
dem an den drei vorhergehenden Ta-
fen das miindliche Abgangsexamen
er Abiturienten abgehalten worden
war. Die schriftliche Priifung hatte
bereits Mitte Mai stattgefunden, und
die Arbeiten der Schiiler waren den
Mitgliedern der Examinationsbe-
horde zur Durchsicht zugesandt
worden. Auf Grund der bestande-
nen Priifung wurden folgenden Abi-
turienten gelegentlich der Schluss-
feier vom Prasidenten des Seminars,
Herrn Dr. Louis Frank, die Abgangs-
djplome terteilt: John Andressohn,
Eugenia Bechtner, Wanda Buetow,
Alma Frahm, Gertrude M. Fuhr-
mann, Else Grebner, Paula Grebner,
Lilla Krull, Emma Loos, Victoria
Lueders, Doris Rose und John
Stuckert.*)
Aus den Verhandlungen der am
26. Juni im Seminargebaude stattge-
habten Generalversammlung des Se-
minarvereins ist hervorzuheben, dass
fast alle Berichte der Beamten*)
eine Beschrankung des Stundenpla-
nes und des Lehrstoffes des Seminars
forderten, um der gegenwartig be-
fctehenden Uberbiirdung zu steuern.
*) Der ausfiihrliche Bericht der
Seminarpriifungskommission befin-
det sich im Protokoll iiber die
Verhandlungen des Lehrertages zu
Erie, Pa.
*) Siimtliche Berichte der Beamten
befinden sich im Wortlaut in deui
vor kurzem zur Veroffentlichung ge-
laneten Jahresbericht des Seminars.
Derselbe steht auf Wunsch unent-
geltlich zur Verfiigung.
Es gelangte ein Beschluss zur An-
nahme, nach welchem der Ortsaus-
schuss des Lehrerseminars beauf-
tragt wurde, im Verein mit der Fa-
kultiit des Lehrerseminars und dem
Vorort des Turnerbundes die Lehr-
pliine der beiden Anstalten, des Leh-
rer- und des Turnlehrerseminars,
einer griindlichen Priifung zu unter-
ziehen und eine rationelle Kiirzung
derselben, ohne Beeintrachtigung
der Leistungsfahigkeit vorzimehmen.
Auf Empfehlung des Nominations-
ausschusses warden die folgenden
Mitglieder des Verwaltungsrates auf
die Dauer von drei Jahren gewahlt:
C. C. Baumann, Davenport; C. O.
Schonrich, Baltimore; Hermann Lie-
ber, Indianapolis; Albert O. Trostel,
Milwaukee, und Albert Wallber, Mil-
waukee. Als Nachfolger von Henry
Mann wurde Carl Penshorn von Mil-
waukee auf die Dauer von zwei Jah-
ren gewahlt.
Der Verwaltungsrat wahlte die
nachstehenden Beamten fiir das
kommende Jahr:
Dr. Louis F, Frank, President.
Fred. Vogel, Vize-Prasident.
Albert Wallber, Sekretar.
Albert Trostel, Schatzmeister.
Finanzkomitee: Fred. Vogel, jr.,
Carl Penshorn.
Lehrerausschuss: B. A. Abrams
und Louis Schutt, Chicago.
Herr C. O. Schonrich, Baltimore,
wurde zum Delegaten fiir die iin Mo-
nat September in Baltimore statt-
findende Konvention des Deutscham.
Nationalbundes ernannt.
New York. Der deutsche
Unterricht in den offent-
lichen Schulen New Yorks ist
nun doch trotz aller energischen
Proteste seitens seiner Freunde, die
sich bei Aveitem nicht bloss aus den
deutschen Kreisen, sondern zum
grossen Teile aus den gebildeten
angloamerikanischen Kreisen der
htadt rekrutierten, vom Schulrate
auf das 8. Schuljahr beschrankt wor-
den, wo er als fakultatives Studium
mit Franzosisch und Stenographic
in Konkurrenz treten muss. Das
,,School Journal" benutzt den Kampf
in New York zu einem allgemeinen
Kreuzzuge gegen den deutschen
6prachunterricht in den offentlichen
Schulen. Die Griinde, die es gegen
denselben ins Feld fiihrt, sind un-
gefahr dieselben, wie wir sie aus den
Kreisen der ,,Know-nothings" zu ho-
Umschau.
311
ren gewohnt sind; auf die von uns
inainer und imrner wieder hervorge-
hobenen allgemein padagogischen
Griinde fiir die Notwendigkeit der
Aufnahme einer zweiten Sprache in
unser offentliches Schulwesen — gane
abgesehen von derZusammensetzung
der Bevolkerung beziiglich ihrer Na-
tionalitiit — geht das , , School Jour-
nal" nicht ein, oder ferligt sie als
von einseitig interessierten Personen
ausgehend kurzerhand ab. Es ver-
lohnt sich daher fiir uns nicht, noch
einmal den Kampf aufzunehmen; wer
sich nicht bekehren lassen will und
starr bei seiner vorgefassten Ansicht
beharrt, dem kann man die besten
Argumente bis in a lie Ewigkeit vor-
predigen, ohne dass sie irgend einen
Eindruck hinterlassen \verden. Wenn
aber ein Herr P. Kreuzpointer
in Altoona, Penn., dessen Wiege in
Deutschland gestanden und der dort
auch seine Erziehung genossen hat,
sich berufen fiihlt, in den Spalten
des ,,School Journal" seiner Befrie-
digung iiber die Handlungsweise des
New Yorker Schulrates Ausdruck zu
geben, so kann uns der Mann nur leid
tun; er mag sich ,,eine ehrenhafte
Stellung in wissenschaftlichen Krei-
isen erworben" haben, von erzieh-
lichen Fragen aber soil er seine
Hande ablassen, denn da hat er noch
manches zu lernen.
Indianapolis. Herr Carl E.
Emmerich, Prinzipal der ,, Manual
Training High School" von Indiana-
polis, beging am 25. August sein 30-
jahriges Lehrerjubilaum. Seine zahl-
reichen Freunde und Schiiler veran-
stalteten zur Feier des Tages eine
solenne Festlichkeit, die ausseror-
dentlich harmonisch verlief und kund
tat, wie grosser Liebe, Achtung und
Verehrung sich der Jubilar in seiner
zweiten Heimatsstadt erfreut. (Auch
wir schliessen uns den Gratulanten
an und wiinschen dem verehrten Ju-
bilar Wohlergehen und weiteren Er-
folg in seinem Berufe. D. R.)
Urteil iiber Amerika. Im
,,Deutschen Reichsanzeiger" ist fol-
gendes zu lesen: Im Gegensatz zu
den europaischen Kulturstaaten, in
deren Budgets dieAufwendungen fiir
Schulen hinter den fiir die Landes-
verteidigung erforderlichen hohen
Ausgaben naturgemass \veit zuriick-
treten, betragen in der nordamerika-
nischen Union die staatlichen Aus-
gaben ftir Bildungszwecke ein Viel-
faches derjenigen fiir Heer und
Flotte. Die Vereinigten Staaten ge-
ben fiir ihre Schulen jetzt jahrlich
so viel aus wie Deutschland, England
und Frankreich zusammen fur ihre
Kriegsmarinen. Das Volksschulbud-
get hat sich seit 1870 verdreifacht.
Dazu kommen bekanntlich riesige
Privatspenden fiir Uiiterrichts-
zwecke: in den letzten 10 Jahren 115
— 120 Millionen Dollars! — Die Ame-
rikaner sind als ,,praktische Leute"
bekannt. Sie werden also ganz sicher
wissen, warum sie ihr Geld ,,in Schu-
len anlegen". (Wenn nur auch das
Geld immer an dem richtigen Platze
verwendet werden mochte und haupt-
sachlich auch die Volksschule etwas
von dem Segen erhielte! D. R.)
Roseggers Dank. Peter Ro-
segger veroffentlicht fiir die vielen
Gliickwiinsche und Widmungen zu
seinem 60. Geburtstage (u. a. ist er
anlasslich des Jubilaums der Heidel-
berger Universitat zum Ehrendoktor
in der philosophischen Fakultat er-
nannt worden) eine Danksagung, in
welcher es heisst: ,,In jungen Jahren
habe ich mir gedacht, welch ein ko-
nigliches Gefiihl das sein miisste, auf
aieser Welt mehr zu geben als zu
empfangen, der Menschheit Schuld-
herr zu sein. Zeitweilig schien es,
als ware diese stolze Wiirde mir be-
schieden. Und nun, in meinen alten
Tagen bin ich so tief in Schulden ge-
raten! Das, was ich jetzt empfangen,
kann ich nimmermehr bezahlen
Der Geburtstagsgruss ist ein brau-
sendes Lied geworden, wohl ein Jahr
lang werde ich zu lesen haben
daran, was in diesen marchenhaften
Tagen freundlich, liebreich und
schon an und iiber mich geschrieben
worden ist. Anzengruber hat ein-
mal seinen Geburtstagsgratulanten
versprochen, er wolle fleissig dafiir
dichten. Sollte der Dank von unser-
einem nicht besser darin bestehen,
das Dichten endlich sein zu lassen?
lea kann nichts versprechen. Lasset
tmich jetzt nur innig danken, von
dieser Stelle aus und nach alien Sei-
ten hin, jeder Korperschaft und je-
dem Einzelnen danken fiir alle Grii-
sse, fiir -alle Spenden, fiir alle Ehr-
ungen — fur alle Liebe. Und dann
lasset mich wieder zuriickkehren zu
mir selbst! Krieglach, 6. August
1903. Peter Rosegger."
Berlin zahlt z. Z. 264 Gemein-
deschulen mit 4052 ordentlichenLehr-
kraften, wovon 400 katholisch und
51 jiidisch sind. Die durchschnitt-
liche Besetzung einer Klasse betragt
47,88.
Briefkasten.
K. St., M a n i t o w o c, W i s. Sie
fragen, ob wir den Gillanschen An-
griff auf den deutschen Unterricht
in unseren offentlichen Schulen
(Western Teacher, May 1903) erwi-
dern werden. Wir halten solches
nicht fiir notwendig und auch fiir
unerspriesslich. Prof. Gillan steht
auf der Seite derer, die die Ent-
wickelung unseres Landes als abge-
schlossen betrachten und daher
glauben, alles Neue und Fremde bis
auf die letzte Spur absorbieren zu
konnen. Wir dagegen erblicken ei-
nen grossen Segen in der Tatsache,
dass unsere Nation noch im Werden
begriffen ist, und versuchen deshalb,
auch unsererseits Bausteine zu dem
grossen Ban — dena amerikanischen
Volkscharakter — herbeizutragen,
weigern uns jedenfalls, uns so ohne
weiteres absorbieren zu lassen. So
lange Prof. Gillan der sogenannten
,,angelsiichsischen" Kultur das Wort
redet, ist jede weitere Diskussion
verlorene Liebesmuhe. Wir empfeh-
len ihm aber, die goldenen Worte
unseres lieben Ferren in diesem
Hefte zu lesen. Vielleicht ware es
ihm moglich, sich in unseren Gedan-
kenkreis hineinzudenken; dann wiir-
den wir auch iiber die padagogische
Beite der Erteilung des deutschen
Bprachunterrichts mit ihm ins Reine
kommen.
Eingesandte Biicher.
Essentials of German by
B. J. V o s, Associate Professor of
German in The Johns Hopkins Uni-
versity. New York, Henry Holt & Co.,
1903. Price 80 cts.
Goethes Egmont. Edited
with introduction and notes by
Robert Walter Deering,
P h. D., Professor of Germanic Lang-
uages in Western ReserveUniversity.
New York, Henry Holt & Co., 1903.
Price 60 cts.
Allerhand Sprachdumm-
h e i t e n. Kleine deutsche Gramma-
tik des Zweifelhaften, des Falschen
und des Hjisslichen. Ein Hilfsbuch
fiir alle, die sich offentlich der deut-
schen Sprache bedienen, von G u -
s t a v W u s t m a n n. Dritte ver-
mehrte und verbesserte Ausgabe.
Leipzig, F. Wilh. Grunow, 1903.
Agriculture for Begin-
ners by Charles William
B u r k e 1 1, Professor of Agricult-
ure, and Frank Lincoln Ste-
vens, Professor of Biology, and
Daniel Harvey Hill, Professor
of English in the North Carolina
College of Agriculture and Mechanic
Arts. Boston, Ginn and Co. Price
85 cts.
The Jones Readers by L.
H. Jones, A. M., President of the
Michigan State Normal College,
formerly Superintendent of Schools
of Indianapolis, Ind., and Cleveland,
Ohio. 6 Vol. Boston, Ginn and Co.
Padagogische Monatshefte.
PEDAGOGICAL MONTHLY.
Zeitschrift fur das deutschamerikanische Schulwesen.
Organ des
Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerbundes.
Dahnyany IV. Hovcmbcr 1903. Heft 10.
Eine englische Geschichte der deutschen Literatur.
(FOr die Piidagogischen Honatshefte.l
Von Prof. A. R. Hohlfeld, University of Wisconsin, Madison, Wis.
Von englischen Gesamtdarstellungen der deutschen Literaturge-
schichte besassen wir bis vor kurzem nur zwei, die streng wissenschaftli-
chen Anspriiehen zu geniigen vermochten: die tibertragung von Scherers
,,Geschichte der deutschen Literatur" durch Max Miillers Tochter, Mrs.
Conybeare, (1886) und Kuno Franckes "Social Forces in German Litera-
ture", wie das eigenartige Werk in der ersten Auflage von ] 896 wohl be-
zeichnender hiess als jetzt, da es den landlaufigen Titel einer einfachen
,,Literaturgeschichte" angenommen hat. Der grossen Zahl weiterer eng-
iisch gesciiriebener Werke — ich nenne aus dem Gedachtnis Bayard
Taylor, Japp, Lublin, Gostwick and Harrison, Hosmer, Wells, Moore
— soil durch ihre Ausschliessung an dieser Stelle gewiss nicht eo ipso
ihre Daseinsberechtigung abgesprochen werden. Nur dienen sie ent-
weder rein popularen und elementarpadagogischen Zwecken, oder sie
bieten nur eine Reihe mehr oder weniger selbstandiger Essays, die keine
eigentliche zusammenhangende Literaturgeschichte bilden. Die alteren
Werke, wie William Taylors "Historic Survey of German Poetry" aus
dem Jahre 1830 und die englische tibersetzung von Menzels verschrobe-
*) John G. Robertson, A History of German Literature. New York,
G. P. Putnam's Sons, 1902, 635 pp. 8vo, geb. $3.50.
314 Pddagogische Monatshefte.
ner nnd kurzsichtiger Literaturgeschichte (London 1840) konnen hier
natiirlich noch weniger in Betracht kommen. Dieselben haben nur noch
historisehen Wert, insofern als sie uns interessante Einblicke gestatten
in die damalige Haltung der englischen Kritik gegeniiber der deutschen
Literatur. Sonst sind sie wohl in jeder Hinsicht veraltet.
Neben die beiden erstgenannten Werke ist nun in letzter Zeit die
Arbeit Robertsons *) getreten, eines wohlbekannten englischen Gelehr-
ten, der ganz vor kurzem seine Lektorenstells an der Universitat Strass-
burg aufgegeben hat, urn die neugeschaffene Professur fur deutsche
Sprache und Literatur an der Londoner Universitat anzutreten. Zweifel-
los hat Robertson durch dieses neue Werk dera Studium der deutschen
Literatur in englisch sprechenden Kreisen einen wichtigen Dienst er-
wiesen, der ruckhaltlose Anerkennung verdient. Denn nicht nur ist das
stattliche Buch das Ergebnis umfassender Quellenstudien und griind-
licher, wissenschaftlicher Verarbeitung derselben, sondern es behandelt
auch seinen Gegenstand in einer Ausdehnung und Art und Weise, die
ihm neben seinen beiden alteren Rivalen einen durchaus selbstandigen
Platz sichern. Von den drei etwa gleich umfangreichen Werken schliesst
bekanntlich das Scherersche ungefahr mit dem Tode Goethes ab, wah-
rend die Darstellung Franckes im Grande nicht weit liber dieses Datum
hinauskommt, insofern als die Behandlung der letzten zwei Drittel des
neunzehnten Jahrhunderts selbst in der in dieser Hinsicht erweiterten
vierten Auflage nur eine kurz andeutende geblieben ist. Ganz anders
verfahrt in dieser Hinsicht Robertson. Bei eingehender Darstellung der
alteren Perioden und der sogenannten klassischen Zeit widmet er doch
der naehklassischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts voile 200 Seiten,
wovon etwa 80 auf die zweite Halfte des Jahrhunderts entfallen. Robert-
son ist also der erste, der die Entwicklung der deutschen Literatur des 19.
Jahrhunderts in ihrem Zusammenhang einigermassen eingehend in eng-
lischer Sprache dargestellt hat. Wie weit in dieser Hinsicht Robertson
iiber Francke hinausgeht, erharte folgender kurze statistische Vergleich:
Beide Werke widmen Wagner je etwa sechs Seiten. Doch wahrend sich
bei Francke z. B. Eichendorff mit einer halben Zeile begniigen muss,
Morike mit einer Fussnote und Hebbel, Ludwig, Storm und Keller sogar
mit blosser Erwahnung ihrer Namen, so verwendet Robertson auf Ei-
chendorff drei Seiten, auf Morike zwei, Hebbel sechs, Ludwig drei, Storm
cine und Keller vier. Jeder also, der sich vom Entwicklungsgang der
deutschen Literatur in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts ein zu-
sammenhangendes Bild zu machen wiinscht und dazu ein englisches
Buch benutzen will, wird zu Robertson greifen mlissen und bei ihm in
den allermeisten Fallen bis herab auf die letzten Werke eines Schnitzler
oder Hofmannsthal auch nicht vergeblich suchen.
Eine englische Geschichte der deutschen Literal ur. 315
Dieser Umstand 1st von nicht geringem Wert; denn es lasst si eh nun
doch hoffen, dass englische und amerikanische Freunde deutscher Lite-
ratur allmahlJch in weiteren Kreisen erkennen werden, dass zwischen
Heine einerseits und Hauptmann nnd Sudermann andrerseits eine ge-
stalten- und farbenprachtige Entwicklimg urdeutschen dichterischen
Schaffens liegt, die selbst dureh bedeutende Schriftsteller wie die leid-
lich bekannten Freytag, Scheffel und Heyse in keiner Weise erschopfend
charakterisiert ist. Hoffentlich wird Eobertsons Vorgang seine Sprach-
genossen zum mindesten auf Hebbel, Ludwig und Keller fiihren. Dafiir
allein waren wir alle ihm grossen Dank schuldig.
Fassen wir nun das Werk als Ganzes ins Auge, so freut es uns, dem
Verfasser wohlverdientes Lob zollen zu diirfen fiii* den eisernen Fleiss,
die weitschauende Umsicht, die geradezu wohltuende Zuverlassigkeit in
Angaben und Urteilen, die seine Arbeit charakterisieren. Das Werk
ruht auf der sichern Grundlage tiefdringender, selbstandiger Studien,
und mit anerkennenswerter Gewissenhaftigkeit hat der Verfasser ver-
fcucht, in der Verteilung von Raum und Licht und Schatten eine mog-
lichst vorurteilsfreie Objektivitat zu wahren und den verschiedensten
Zeiten und Stromungen gleichenveise gerecht zu werden. Besonders in
der Darstellung der mittelhochdeutschen Bliitezeit, so wie der klassischen
und romantischen Periode des 18. und 19. Jahrhunderts ist ihm in die-
ser Hinsicht Vorziigliches gelungen. Kurz, in dem TJrnfang, in dem der
Verfasser sich seine Aufgabe gestellt hat, hat er sie in tiichtigster Weise
gelost und ein Werk von dauerndem Wert geschaffen.
Dies soil urn so nachdriicklicher anerkannt werden, als es in der
Natur wissenschaftlicher Kritik liegt, wenn im weiteren Verlauf dieser
Besprechung besonders die Seiten des Werkes zur Sprache kommen, die
unerfiillt bleibende Wiinsche erwecken oder der nachbessernden Hand
spaterer Uberarbeitung zu bediirfen scheinen.
Es sind vor allein zwei Gesichtspunkte, in Bezug auf die das Ro-
bertsonsche Werk bei all seinen ausgezeichneten Eigenschaften uns etwas
enttauscht, jedenfalls nicht voll befriedigt hat.
Erstens fehlen dieser neuen Literaturgeschichte, und das in geradem
Gegensatz zu Scherer und Francke, die wuchtige Eigenart in Auffassung
und Auslegung der Tatsachen, die temperamentvolle Belebtheit des
Tons der Darstellung und die Vorzuge eines hoher entwickelten Stils,
die wir in einer gross angelegten geschichtlichen Darstellung neben wis-
senschaftlicher Zuverlassigkeit zu suchen geneigt sind. Der Stil des vor-
liegenden Werkes ist gewiss klar, gewandt und in Jeder Hinsicht tadellos.
Nur sehr selten aber erhebt er sich zu der belebten Warme und plasti-
schen Greifbarkeit, durch die allein es moglich ist, kiinstlerischen Wer-
ken nahe zu kommen und etwas von ihrer geheimnisvollen Wirkung wie-
derzugeben. Er bleibt im Ganzen ziemlich monoton und farblos. Schon
316 Pddagogische Monatshefte.
die iiberhaufige Unterbrechung des Textes durch Schragdruck und Pa-
renthesen fiir Titel und Zahlen wirkt beim Lesen hochst nnangenehm
und be \reist, dass der Verfasser dem, was wir die kiinstlerische Seite sei-
ner Darstellung nennen diirfen, nur untergeordnete Aufmerksamkeit
geschenkt hat.
Noch bedenklicher aber wird der Genuss des Gebotenen und die
Lebendigkeit des Eindrucks dadurch gestort, dass auch dieses Werk die
gefahrlichen Klippen der Kapitelbildung und Stoffverteilung nicht im-
mer erfolgreich vermieden hat. Die Art und Weise, wie die Darstellung
des Lebens und der Arbeit einzelner Dichter in Stucke zerrissen worden
ist, geht sicher weit iiber das hinaus, was sich bei der Behandhmg viel-
eeitiger und langlebiger Dichter, wie z. B. Goethes, nie ganz vermeiden
lasst. Die einheitliche dichterische Persb'nlichkeit, die trotz aller ausse-
ren Widerspriiche sich meistens nachweisen lasst, geht bei solcher Dar-
stellung allzusehr verloren, und aus diesem Grunde konnen wir uns, von
Goethe einmal ganz abgesehen, mit Robertsons Darstellung von Schillers
Schaffen kaum befreunden, das auf fiinf verschiedene Kapitel verteilt
ist und immer wieder durch die Einschiebung andrer Entwicklungsgange
Tinterbrochen wird. Doch auch Gerstenberg, Tieck, Geibel, Fontane und
andre Dichter, deren Einfluss in mchr nls einer Richtung massgebend ge-
wesen 1st, miissen sich diesen Trennungsprozess gef alien lassen, ohne an
der «inen oder anderen'-Stelle in ihrex Totalitat vorgefiihrt zu werden.
So wird Tieck z. -B. in zwei getrennten Kapiteln besprochen, was ja er-
klarlich genug ist. Aber weder an der einen, noch anderen Stelle wird
uns ein zusaramenhangendes Bild seines Lebens und Schaffen s geboten,
und auf seine wieder an dritter Stelle erwahnten Schicksalstragodien
wird dabei nicht einmal verwiesen.
Nun diirfte man erwarten, dass bei dieser Hintansetzung der Dich-
ter-Personlichkeit die organischen Zusammenhange und zeitlichen Ent-
wicklungsprozesse sich um so scharfer und ungezwungener darstellen
sollten. So erregt es denn um so melir unsere Vernrunderung, wenn z. B.
TJhland, dessen dichterische Tatigkeit gegen das Jahr 1820 beinahe ihr
Ende erreicht hatte, wenn die iibrigen schwabischen Dichter uud Grill-
parzer erst nach dem jungen Deutschland behandelt werden, wenn die
Heidelberger Romantik auf Goethes Alter folgt, wenn E. T. A. Hoff-
mann unter der Berliner Romantik fehlt. tiberhaupt ist der Inhalt man-
cher Kapitel im 19. Jahrhundert recht eigentiimlich zusammengestellt,
was um so mehr auffallt, als der Verfasser kein einheitliches Einteilungs-
prinzip befolgt, sondern augenscheinlich reine Opportunitatspolitik
treibt. Warum gehoren denn gerade Riickert, Wilhelm Miiller und
Tiecks spatere Novellen zum ,,Verfall" der Romantik? Wie kommt
Annette von Droste unter die politischen Lyriker? Was soil Hebbel im
gleichen Kapitel neben der Heimatskunst ("literature of the province")
Eine engliscbe Geschicbte tier detttschen Literatur. 317
eines Gotthelf, Auerbacli und Reuter? Und gehort denn endlich Wagner
eigentlich in die Zeit von 1870—1890?
Auch scheint uns die Lesbarkeit des Werkes durch eine gewisse
tiberfiille von Material geschadigt zu werden. Das Streben nach relati-
ver Vollstandigkeit ist in einer einbandigen Literaturgeschichte stets
eine missliche Sache, besonders aber in einera f iir Auslander geschriebe-
nen Buche. Statt Namen dritten oder vierten Ranges, die das Ent-
wicklungsbild nicht wesentlich beeinflussen, ware vor allem in einem
solchen Werke energische Konzentration auf das Wichtigste und Typi-
sche geboten. Fur Spezialforscher im engeren Sinne des Wortes schreibt
Robertson wohl kaum. Denn viel erorterte Streitfragen, selbst wo sie die
hervorragendsten Werke und Dichter betreffen, erortert er nicht. Hoch-
stens streift er sie leicht, wie z. B. die Frage nach Sprache und Yerfasser
des Heliand, nach der Chronologie der Hartmannsehen Werke, nach
dem Ursprung der Tristansage, nach der Art der Heihmg des Orest in
Goethes Iphigenie, oder nach dem Grade, bis zu dem in Grillparzer ein
quietistischer Zug herrsche. Oder aber er lasst sie ganz unberiihrt, wie z.
B. die Frage nach dem Abstammungsverhaltnis zwischen der deutsehen
und nordischen Form der Nibelungensage oder nach dem Ausgang des
Goetheschen Tasso. Im Gegenteil, Robertson setzt wenig voraus und
gibt in den meisten Fallen kurze Inhaltsangaben der Hauptwerke, die
allerdings bei der notwendigen Kiirze in manchen Fallen recht unwirk-
sam bleiben miissen. (Man vergleiche z. B. die Angaben iiber Ludwigs
Erbforster und Zwischen Himmel und Erde). Der Fachmann aber, der
sich neben Hartmann von Aue und Friedrich von Hausen auch fiir
den Pleier, Albrecht von Johannsdorf oder Rudolf von Fenis interessiert,
den neben Giinther und Haller auch Wernisrke und Drollinger anziehen,
der neben Fran von Stein auch ibre dichtende Nichte Amalie von Hel-
vig-Imhoff, neben Uhland und Kenier auch Pfizer und Waiblinger k^n-
nen lernen will, wird wissen, wo er in deutsehen Werken leicht und be-
quem iiber diese Dichter nachschlagen kann. Jedem andern aber, fiirchte
ich, bleiben sie ,,Schall und Rauch, umnebelnd Ilimmelslicht." Dieses
Einfiigen von durchaus Nebensachlichem ist um so bedenklicher, als ea
dem Werke, abgesehen von der ausgezeichneten Einleitung, an zusam-
menfassenden Uberblicken fehlt, in denen fiir grossere Perioden die Fa-
den nach riickwarts und vorwarts zusammengezogen werden. In dieser
Hinsicht Hesse sich in einer spateren tiberarbeitung leicht noch zu Gun-
sten des Werkes nachhelfen.
Am schmerzlichsten aber — und dies bringt uns zum zweiten der
oben erwahnten Gesichtspunkte — hat der Berichterstatter in Robert-
sons Werk das vermisst, was sich vielleicht als die berechtigte Eigenart
des Englanders bezeichnen Hesse. Wahrend sich namlich Robertsons
Buch in Darstellung und Beurteihmg der literarischen Tatsachen in kei-
318 Padagogische Monatshefte.
ner Weise von einera von Grund aus deutschen Werke unterscheidet, so
dass es meineni Empfinden nach recht gut die tJbertragung eines solchen
sein konnte, so hatte der Berichterstatter bei der Ankiindigung des Wer-
kes vor allem auf ein Buch gehofft, das uns die deutsche Literatur von
eiuem mehr oder weniger eigenartigen Standpunkt darstellen wiirde.
Liebevolle Behandlung. der zahlreichen Zusammenhange mit dem eng-
lischen Schrifttum, anregende Bezugnahme auf eigentumliche englische
Beurteilungen deutscher Dichter und ihrer Werke, Literaturangaben, die
neben den deutschen Schriften auch moglichst englische Arbeiten be-
riicksiehtigen sollten, fesselnde Vergleiche zwischen wesenverwandten
Erscheinungen beider Literaturen, und wie die Wiinsche alle lauten
mogen, die ich vor einiger Zeit in diesen Blattern (Januar-Februar-Heft
1902) fur eine zu erhoffende englisch-deutsche Literaturgeschiehte ge-
aussert habe — das waren die besonderen Eigenschaften, die wir neben
allgemeiner wissenschaftlicher Tiichtigkeit bei Robertson zu finden hoff-
ten, und die das Werk leider ganz verniissen lasst. Es ware nun ge-
wiss ungerecht, den gelehrten Yerfasser zu tadeln, weil er seine Aufgabe
in an derm Lichte gesehen hat. Bedauern aber diirfen und miissen wir
es, dass diese schone Aufgabe, fur die er so besonders befahigt und be-
stimmt schien, ihn nicht hat locken kb'nnen.
Selbst was seine eignen Urteile betrifft, so verrat Robertson, als
hatte er ganz gelernt, durch die deutsche Brille zu sehen, kaum in irgend
welcher Weise einen spezifisch englischen Gesichtspunkt. Er bereitet
uns fast nie die angenehme tiberraschung, Sachen ganz anders aufge-
fasst zu sehen, als man es bei seinen eignen Landsleuten gewohnt ist,
und dadurch zum Nachdenken und zu scharferer Begriindung des eig-
nen TJrteils genotigt zu werden. Allerdigs ist das Werk nicht fur Deut-
sche geschrieben, aber gerade des Verfassers Sprachgenossen konnten
erwarten, dass er das Fremde ihnen durchBezugnahme aufBekanntes und
Vertrautes naher bringen wiirde. Auf diese Weise wiirde das Werk so-
wohl fur Deutsche als auch fur englisch sprechende Leser eine eigenar-
tige Bedeutimg gewonnen haben, die es so kaum beanspruchen darf.
Denn jeder Englander, der sich bis zu dem Grade fiir deutsche Literatur
interessiert, als das die ausfuhrliche Darstellung und die Literaturanga-
ben Robertsons voraussetzen, muss im Deutschen geniigend zu Hause
sein, sich Scherer oder Vogt und Koch, Meyer oder Bartels zu seinem
Fiihrer zu wahlen.
Das Inhaltsverzeichnis Robertsons, das an die 1200 Namen auffiihrt,
enthalt — es scheint kaum glaublich — nicht mehr als etwa fiinf eng-
lische Namen! Vergebens sucht man selbst Fielding, Sterne, Marlowe,
Addison, Pope, Carlyle, Whitman, Byron, Scott, Percy, Longfellow u.
s. w. Im Text selber werden wohl manche von diesen das eine oder an-
dere Mai genannt; doch aber eben nur so voriibergehend, dass sie sich
Eine englische Geschichte der deutschen Literatur. 319
nicht einmal in das sehr sorgfiiltig gearbeitete Register verirrt haben.
Fiir Goethe \vird dem englischen Leser keine einzige englische Biogra-
phic genannt, weder empfehlend, noch vielleicht warnend; und fur Les-
sing, Schiller u. a. ist das Gleiche der Fall. Fur Hartmanns von Aue
Armen Heinrich erwahnt der Verfasser nicht einmal seine eigene hand-
liche Ausgabe. Selbst von den hervorragendsten englischen tibersetz-
ungen deutscher Dichterwerke wird nichts gesagt, weder fur die mittel-
hochdeutschen Epen, noch fiir Gotz, Iphigenie, Faust, Wilhelm Meister,
Wallenstein, Kleist oder Heine. Die Einwirkungen Shakespeares auf die
Entwickhmg der deutschen Literatur ist in keiner Weise ausfiihrlicher
dargestellt als in anderen deutschen Literaturgeschichten. Nirgends wird
endlich der Versuch gemacht, tiefgewurzelte englische Vorurteile, die
immer noch ziemlich weit verbreitet sind, und die der feinsinnige Verfas-
ser jedenfalls nicht teilt, anzugreifen und als nichtig zu erweisen. Kurz,
es fehlt dem Buch jeder Anklang an die spezifisch englischen Verhalt-
nisse, unter denen es doch seine Wirksamkeit entfalten soil. Es fehlt
ihm vielleicht im Interesse irrtiimlich aufgefasster Wissenschaftlichkeit,
jeder Zusammenhang mit dem Leben und Empfinden der Nation, fur
die es geschrieben worden ist. Manche mogen eine solche Kluft zwischen
akademischer Gelehrsamkeit und wirklichem Leben sogar loben. Wir
konnen iins zu diesem Standpunkt nicht bekennen, wenigstens nicht fur
ein Werk dieser Art.
Auch in anderer Hinsicht geht der Verfasser fast jeder vergleichen-
den Darstellung aus dem Wege, und die Zusammenhange der Literatur
mit den bildenden Kiinsten, der Musik, der Religion, dem sozialen und
politischen Leben, kurz der Entwicklung der Kultur im Allgemeinen,
sind meistens unberiihrt geblieben oder doch nur ganz fliichtig ange-
deutet worden.
\VTir konnten nicht umhin, diesem aufrichtigen Bedauern im Interes-
se dessen, was vielleicht noch ,,in der Zukunft Schosse" ruht, Ausdruck
zu verleihen. Trotzdem sind wir uns vollauf bewusst, dass es hochst unge-
recht ware, eine ernste wissenschaftliche Arbeit aus einem Gesichtspunkt
beurteilen zu wollen, den sie sich eben nicht zur Richtschnur genom-
men hat.
Zum Schlusse seien einige Einzelheiten erwahnt, die bei einer wei-
teren Auflage vielleicht umgeandert werden konnten.
In der Besprechung des Nibelungenlieds ist der doppelte Kultur-
boden, auf dem die mittelhochdeutsche Dichtung beruht — die Zeit der
Volkerwanderung und des Ritterwesens des 12. Jahrhunderts — wohl an-
gedeutet, nicht aber klar und scharf herausgearbeitet; und iiber das
Fortleben des Stoffes in der deutschen Literatur erfahren wir im Zusam-
menhang gar nichts. — Letzeres trifft auch fiir die Tristansage zu, deren
Weiterentwicklung im Volksbuch, bei Hans Sachs und in der neueren
320 Pddagogische Monatshefte.
Literatur nicht erwahnt wird. Auch glauben wir kaum, dass neuere
Untersuchungen es erlauben, der Tristansage einen besonders primitiven
Charakter oder die grossartige Einfachheit der altgermanischen Sagen
zuzuschreiben. — Mit der Zartheit der Nachtszene zwischen Walther und
Hildegund (S. 30) liesse sich doch allenfalls das Verhaltnis Volkers und
Hagens im Nibelungenlied und die selbstlose Liebe der Pachterstochter
im Armen Heinrich vergleichen. — Das altere religiose Drama, wie es
sich zwischen den ersten liturgischen Anfangen und dem Scbauspiel der
Keformationszeit entwickelte, wird allzu kurz auf zwei Seiten abgethan,
die nur den Schluss der althochdeutschen Zeit bilden. — Die iibertrieben
hohe Einschatzung der Verdienste Opitzens ("he inaugurated a literary
revolution such as no German before or after him achieved; he was the
greatest innovator in the history of German lettres") steht kaum im Ein-
klang mit dem auf Seite 205 iiber Weckherlin Gesagten. Auch befremdet
es, dass unter diesen Umstanden Kobertson die Umsetzung einer beson-
deren Epoche fiir das 17. Jahrhundert (etwa von 1624 — 1748) hat fallen
lassen und die ganze Zeit von 1350 bis 1700 einer Periode zuweist. —
Die Bemerkung, dass Klopstock an dem Zerwiirfnis mit Bodmer die
Hauptschuld trage (S. 261) entspricht nicht der Darstellung Munckers
in seiner Klopstock-Biographie (S. 235 ff.). — Wenn Gotz "enemy of
prince and priest alike" genannt wird, der dem Wahlspruch folgte
"might is right", so trifft das fiir den Goetheschen Gotz, um den allein es
sich hier handelt, so schlankweg durchaus nicht zu, da derselbe dem
Recht gegen die Macht beisteht und die edelsten Anschauungen vom
Berufe eines Fiirsten hat. — Wenn der Verfasser auf S. 351 sagt, Goethes
Harzreise im Winter "fills a volume of his works", so liegt wohl
eine Verwechslung mit den zwei Schweizerreisen vor, da die Harzreise
meines Wissens nur als Episode von einigen Seiten in der Campagne
inFrankreich dargestellt wird. — Auf S. 532 wird trotz Sauers Aus-
fuhrungen (Anz. f. dtsch. Altert. 19, 323: ,,Ich glaube nach dem Gesag-
ten nicht, dass Grillparzer Kleists Drama gekannt hat") ein Einfluss von
Franz von Kleists Sappho auf Grillparzers Drama angenommen. —
Von Wagners Nibelungen heisst es S. 600: "here he united the
Scandinavian Volsungasaga to that of the Ehinelander Siegfried." Ohne
nahere Angaben erscheint diese gewiss nicht unrichtige Behauptung
doch wohl eher irrefiihrend als aufklarend, wenn man bedenkt, dass die
ersten drei Dramen des Wagnerschen Zyklus dem Stoff des Nibelungen-
liedes ganz fern stehen, und dass selbst in der Gotterdammerung
Wagner eigentlich nur in Bezug auf den Mord Siegfrieds von der Dar-
Btelhmg der Volsungasage zu Gunsten des Nibelungen liedes ab-
gewichen ist. Denn wenn es auch auf S. 601 von der Werbung um
Briinnhilde heisst: "Siegfried, disguised in the Tarnhelm, once more
braves the fire and, as in the German Nibelungenlied, wins
f DIREKTOR EMIL DAPPRICH. f
Soeben, kurz vor Versendung dieses Heftes, erreicht
uns die Trauerbotschaft von dem heute morgen, wenige
Minuten nach Mitternacht, erfolgten Ableben unseres
allverehrten, lieben Freundes und Kollegen, des Direktors
des Nationalen Deutschamerikanischen Lehrerseminars zu
Milwaukee, Emil Dapprich. Ein schweres und tueckisches
Leiden hielt seinen Koerper in ehernen Fesseln, so dass
weder die im Fruehjahr unternommene Urlaubsreise in
seine alte Heimat, noch die sorgsamste Pflege seiner treuen
Gattin imstande waren, ihn von demselben zu befreien und
ihm seine verlorenen Kraefte wiederzuersetzen. Langsam,
aber unerbittlich wurden diese aufgezehrt, bis seinLebens-
licht erlosch.
Was Dapprich uns alien, was er seinen Freunden, der
Anstalt, an der er wirkte und fuer deren Wohlergehen er
alle seine Kraefte einsetzte, was er der deutschen Sache,
ja dem ganzen Schulwesen unseres Landes gewesen ist —
das jetzt zu schildern, fehlt uns Raum und Zeit. Er war
der Besten einer, zu dem alle mit Verehrung emporblicken
konnten. Treu seinen Freunden, aufopfernd und hilfs-
bereit, wo seine Dienste verlangt wurden, oder wo er sah,
dass sie notwendig waren, edel und uneigennuetzig in all
seinem Denken und Tun, eine Pestalozzinatur, dabei ein
Schulmann, der Kopf und Herz auf dem rechten Flecke
hatte, — das war der Verstorbene. Sein Andenken wird
unausloeschlich in den Herzen aller, die ihn kannten, be-
wahrt bleiben.
Das Leichenbegaengnis findet am Samstag, 28. d. M.,
nachmittags, vom Anstaltsgebaeude aus statt, und zwar
soil die Leiche nach dem Wunsche des Hingeschiedenen in
dem Krematorium auf dem hiesigen ,, Forest Home"-Fried-
hofe zu Asche verwandelt werden.
MILWAUKEE, 26. Nov. 1903.
Eine englische Geschichte der deutschen Liter atur. 321
Briinnhilde for Gunther", so folgt in dieser Szene Wagner doch durch-
aus der nordischen Sagenform. — Von den Gesammelten Schrif-
t e n der Ebner-Sschenbach waren 1902 doch sicher schon mehr als sechs
Bande erschienen. — Auf S. 616 heisst es beziiglich der Sudermannschen
H e i m a t, dass die Eeihe der biirgerlichen Trauerspiele, zu der sie ge-
hore, mit Iffland begonnen habe, wahrend doch Gemmingen (Vgl. S.
342), aber auch Lessing imd einige der Stunner und Dranger, auf diesem
Gebiet Ifflands Vorlaufer waren.
Das in jeder Hinsicht iiberaus sorgfaltig gearbeitete Buch zeichnet
sich durch fast vollstandige Freiheit von Druckfehlern aus. Nur die fol-
genden Versehen sind uns aufgestossen: S. 343 (lies Wiener), S. 344
(lies S child dekopf), S. 348 (lies poetry), S. 429 (lies Mono-
logen), S. 525 (lies Maync), S. 531 (lies Schicksals-
t r ag 6 d i e), S. 534 (lies B a n c b a n), S. 625 (lies D r e i k 6-
n i g s s p i e 1), S. 628, Zeile 1 (lies 325 ff. statt 375 ff.)
Nach diesen freimiitigen Auseinandersetzungen mit dem Verfasser,
die jedenfalls beweisen, wie sehr uns sein Werk interessiert hat, mochten
wir nochmals auf das Nachdriicklichste betonen, dass Kobertson in sei-
ner Literaturgeschichte uns eine gediegene, auf der Hohe wissenschaft-
licher Forschung stehende Leistung geboten hat, die ihn als einen er-
staunlich genauen Kenner der deutschen Literatur erweist, auf die die
Vertreter grmanischer Studien in England mit Eecht stolz sein diirfen,
und die ihrerseits sicher viel dazu beitragen wird, eben diese Studien
unter englischen Fachleuten sowohl, als auch in weiteren Kreisen zu
fordern und zu vertiefen.
Ueber die naturliche Methode im deutschen
Unterricht.
Vortrag, gehalten im Californischen Verein von Lehrern der deutschen Sprache.
Von Dr. Arthur Altschul, San Francisco.
Der Ansdruck ,,N"atiirliche Methode" 1st im folgenden nieht — wie
im amerikanischen Sprachgebrauch sehr iiblich — gleichbedeutend mit
,,Konversationsmethode", sondern er bezeichnet cine der grossen Haupt-
methoden des Sprachunterrichts, von der die Konversationsmethode nur
eine speziolle Foim, eine Unterart ist. Solcher Hauptmethoden gibt es
nur zwei: ausser der natiirlichen nur noch die grammatiscbe. Die letz-
tere koni'te man auch die formale, abstrakte oder analystische nennen,
und die erstere auch die direkte, imitative, konkrete, oder synthetische.
Die Ausdriicke abstrakt und konkret driicken den Unterschied wohl am
deiTtlichsten aus. Abstrakt ist diejenige Art des Sprachunterrichts, die
Paradigmen und Eegeln als Lehrmittel verwendet, und die infolgedessen
vom Schiller Verstandestatigkeit, Denkarbeit, logische tiberlegung ver-
langt. Konkret dagegen ist dasjenige Lehrverfahren, das dem Schiller
einfach die fremden Sprachformen an sich, ohne Analyse und theore-
tische Erklarung, bietet und ihm daher, freilich dnrchaus nicht das
Denken iiberhaupt, wohl aber die strenge logische Verstandesarbeit er-
spart. Dieses letztere Verfahren, das konkrete oder natiirliche, bildet
den Gegenstand meines Vortrages; und ich will gleich bemerken, dass
ich fiir das naturliche Verfahren sehr eingenommen bin und es in durch-
aus giinstigem Sinn zu besprechen beabsichtige. Ich bitte mich nicht
misszuverstehen. Sie fassen vielleicht das eben Gesagte so auf, als ob ich
alle Grammatik aus dem deutschen Unterricht verbannt zu sehen
wiinschte. Das ist aber keineswegs der Fall. Erstens — dies ist ein wich-
tiger Punkt und wohl nicht allgemein bekannt — ist in der natiirlichen
Methode selbst Platz fur die Grammatik; die Grammatik, das heisst die
system atische Behandlung der Sprachformen und Spracherschei-
nungen, lasst sich konkret, ohne Analyse und Theorie, darstellen, nam-
lich durch sorgfaltig gewahlte und angeordnete, nach einem wohlerwo-
genen Plan einzuiibende Beispiele. In Deutschland wird diese naturliche
Grammatik im englischen und franzosischen Unterricht tatsachlich in
weitem Uinfang angewendet. Zweitens: Wenn jemand fur die naturliche
Methode eintritt, so ist damit keineswegs gesagt, dass er das abstrakte
Lehrverfahren ganz und gar verwirft. Es mag Anhanger der naturlichen
Methode geben, die nicht das mindeste abstrakte Element im Sprachun-
terricht dulden wollen; aber bei weitem die meisten opponieren wohl nur
der zu ai'.sgedehnten oder zu friihzeitigen Einfiihrung des abstrakten
Element?.
Ueber die natiirliche Methode im deutschen Unterricht.
Dass das iiberwiegend abstrakte Verfahren im allgemeinen den
Schiller zu sehr anstrengt und nicht geniigend interessiert, dabei nicht
c-inmal zu befriedigenden Kesultaten fiihrt, dauber ist in den letzten
dreissig Jahren sehr viel gesprochen und geschrieben worden. Ich
mochte aber besonders auf ein Schriftchen verweisen, das freilich kaum
a Is ein Beitrag zur padagogisehen Fachliteratur betrachtet werden kann:
ich meine Mark Twains Aufsatz iiber ,,The Dreadful Gennan Language",
im Anhang zu ,,A Tramp Abroad". Dieses Opusculum ist jedem Lehrer
des Deutschen zu empfehlen, denn es ist nicht nur ausserst amiisant,
sondem enthiilt auch unter alien seinen tollen Sehnorkeln und phanta-
stischen tlbertreibungen einen soliden und beherzigenswerten Kern.
All die schnurrigen Bemerkungen iiber die entsetzlichen deutschen Pe-
rioden, die man am leichtesten A'erstehen kann, wenn man das Buch vor
den Spiegel halt oder sich auf den Kopf stellt, ,,so as to reverse the
construction"; iiber das als blosse Yerzierung am Ende des Satzes an-
gebrachte ,,haben sind gewesen gehabt haben geworden sein" u. s. w.,
u. s. w. — alle diese barocken Auslassungen beschreiben doch in hochst
anschaulicher und lehrreicher Weise den Geisteszustand des Anfangers,
dem eine schwierige Sprache in trockener, abstrakter Methode einge-
trichtert \vird, der mit den mannigfachsten Schwierigkeiten iiberhauft
vird, ohne eine einzige wirklich bewaltigen zu konnen, der mit Gramma-
tik gestopft wird wie die Gans mit Welschkorn. Mark Twains moralische
Entriistung iiber die Unvemunft und Abgeschmacktheit der fremden
Sprache, seine Verwirrung inmitten all der kaleidoskopisch wechselnden
3»egeln imd Erscheinungen, sein Unbehagen, da er keinen festen Boden
unter seinon Fiissen verspiirt, alles dies ist auf die Wirklichkeit begriin-
det und kann uns als Mahnung dienen, unser Unterrichtsverfahren den
"Bed iirf nissen des Schiilers und insbesondere des Anfangers anzupassen.
Das Nachteilige der iiberwiegenl grammatischen Methode (wenn sie
angewendet wird, wo die Umstande dies nicht rechtfertigen, d. h. bei
weniger fortgeschrittenen Schiilern) liegt in folgenden Punkten. Erstens:
Die strenge Verstandestatigkeit, die sie vom Schiller bestandig verlangt,
ist ungebiihrlich anstrengend. Zweitens: Die abstrakte Grammatik ist
trocken und fiir die meisten Schiller interesselos. Drittens: Da, soweit
Arie moglich, keine andern Sprachformen verwendet werden als solche,
die der Schiller grammatisch zu beherrschen gelernt hat, so ist der Lese-
stoff an einen beschriinkten Wortschatz gebunden und besteht meistens
aus isolierten Satzen, die, selbst wcnn sie nicht von dem Hund des Bru-
ders, des Spaniers und dem Tintenfass der Tante, des Gartners handeln,
doch ohne wirklichen Inhalt und ohne alles Interesse sind. Viertens:
Der dem Schiller in abstrakter Form gebotene grammatische Stoff wird
von ihm oft nur ausserlich angeeignet, geht ihm nicht in Fleisch und
Blut iiber und ist ihm daher eine nur sehr ungeniigende Hiilfe zum wirk-
Lchen Eriassen und Beherrschen der fremden Sprache.
324 Padagogische Monatshefte.
In eben diesen Punkten zeigt sich mm die IJberlegenheit der na-
tiirlichen Methode, die denn auch, in ihren modernen Formen, aus dem
bewussten Bestreben, jene Mangel der abstrakten Methode zu vermeiden,
hervorgegangen ist. Die natiirliche Methode macht dem Schiller die
Arbeit imgleich leichter und ungleich angenehmer und interessanter,
imd sie bietet ihm den Lernstoff in einer solchen Form, dass er sich ihn
vollstandig zu eigen machen kann, und dass jeder Schritt, den er in sei-
nem Studium macht, ihn in der wirklichen, praktischcn Kenntnis der
fremden Sprache vorwarts bringt.
Es gibt wohl auch heute noch nicht wenige Sprachlehrer, die die na-
tiirliche Methode als eine moderne Neuerung mit Misstrauen betrachten.
Tatsachlich aber ist die natiirliche Methode gar nicht modern und nichts
weniger als eine Neuerung; vielmehr ist sie ohne Zweifel zu alien Zeiten
und uborall angewendet worden, wahrend die grammatische Methode
erst verhaltnismassig spat und nur in beschranktem Umfang neben der
natiirlichen aufgekommen ist: fiirs Lateinische und Griechische seit un-
gefahr 2000 Jahren, fiir die modernen Sprachen sogar eret seit dem 36.
Jahrhundert. Ganz verdrangt ist das natiirliche Verfahren nie worden.
Zum Beispiel wird es Sie vielleicht interessieren, dass Goethe in einem
Brief vom 20. November 1774 eine Art von natiirlicher Methode, um den
Homer lesen zu lernen, beschreibt und auf Grund eigener Erfahrung
empfiehlt.
Ich gohe nun dazu iiber, die natiirliche Unterrichtsweise in ihren
Umrissen ?-u beschreiben. Hicrbei will ich die verschiedenen ihr zuge-
horigen Lehrverfahren gesondert behandeln. Ich muss bemerken, dass
ich im folgenden die Ausdriicke ,,Methodew und ,,Arerfahren?J wie folgt
unterscheide: AVenn ein Lehrer einen Schiller ausschliesslich oder haupt-
fcachlich inittels Konversation unterrichtet, so sage ich, er wendet die
Konversationsm e t h o d e an. Spreche ich dagegen vom Konversations-
\erfahren, so meine ich die auf der Konversation beruhende Art des
Unterrichts iiberhaupt, gleichviel ob sie ausschliesslich oder iiberwiegend
gebraucht wird oder nicht, mit andern Worten, ob sie allein den Charak-
ter einer Methode bestimmt, oder nur ein Element derselben bildet.
Die natiirliche Unterrichtsweise verfiigt vor allem iiber drei Haupt-
und Grundverfahren: das Sprechverfahren, das Leseverfahren und das
Memoriervc-rfahren.
Zuerst und vor allem das Sprechverfahren. In der Hauptsache ist
es natiirlich Konversationsverf ahren ; doch ist ausserdem eine andere
Varietat moglich: ein monologisches A7erf ahren, wobei der Lehrer deutsch
spricht und die Schiller das gesprochene verstehen lernen, aber nicht
selbst deutsch sprechen. Das mag unter Umstanden ganz zweckmassig
sein. Ungleich wichtiger ist aber natiirlich das Konversationsverfahren.
Dies, das natiirlichste unter alien Verfahren, ist zugleich das leistungs-
Ueber die natilrliche Methode im deutschen Unterricbt. 325
fahigste und umfassendste von alien; es lasst sich namlich damit alles
lehren; und wenn der Schiller die fremde Sprache hinreichend zu ver-
stehen und zu sprechen gelernt hat, so folgt dann das Lesen- und Schrei-
benkonnen ganz von selbst, wenn er nur noch das Alphabet und die Or-
thographic dazulernt. Damit will ich nicht gesagt haben, dass das Kon-
versationsverfahren immer und iiberall im Vordergrund des Unterrichta
stehen soil, wohl aber bin ich der Ansicht, dass es mehr verwendet wer-
den sollte, als jetzt wohl iiblich.
Das Konversationsverfahren lasst sich zu zwei verschiedenen
Zwecken anwenden: Erstens, um dem Schiller neue Kenntnis beizubrin-
gen; zweitens um Dinge, die ihm schon von friiher her bekannt sind,
einzupragen und seinem Ohr und seiner Zunge tibung zu geben. Die
letztere Anwendung — meiner Ansicht nach die wichtigere — bedarf
keiner besonderen Erlauterung; dagegen iiber die Konversation als Mit-
iel zur Aneignung ganz neuer Kenntnis mogen einige Worte der Er-
klarung nicht iiberfliissig sein. Es gibt vielleicht unter meinen Zuhorern
einige, die wohl gehort haben, aber es nicht glauben, dass es moglich sein
soil, eine fremde Sprache ganz von Anfang zu erlernen durch eine Art
des Unterrichts, wobei sowohl der Lehrer wie der Schiller ausschliesslich
die fremde Sprache gebrauchen, Die Sache verhalt sich aber wirklich so
und bietet nicht einmal besondere Schwierigkeit. Wer sich iiber die
Sache zu informieren wiinscht, dem empfehle ich vor allem den ersten
Teil von Sterns ,,Studien und Plaudereien" (Henry Holt), und ,,Le pre-
mier livre de Franeais" von Louise Hotchkiss (Heath & Co.); zwei hochst
lebensvolle und interessante "Werkchen, die man mit wirklichem Vergnii-
gen lesen kann; in beiden sind die Vorreden sehr zu beachten. — Darii-
ber, ob es wiinschenswert ist, beim Konversationsverfahren den Gebrauch
der Muttersprache ganz und gar auszuschliessen, dariiber sind die Mei-
nungen geteilt. Manehe Lehrer sind darin sehr strikt und geben sich
lieber die Millie, einen schwierigen neuen Ausdruek auf allerhand Um-
wegen und mit allerlei Kunstgriffen auf Deutsch dem Schiller begreiflich
zu machen, als dass sie sich entschliessen wiirden, ihn zu iibersetzen. Ich
halte es nicht fiir notig, so rigorb's zu sein, und wurde in solchein Falle
ofters vorziehen, das englische Wort zu nennen, um Zeit und Miihe zu
sparen. Doch darf man nicht iibersehen, das jenem extremen Verhalten
ein sehr gutes und wichtiges Prinzip zu Gnmde liegt. Die Absicht ist
namlich, den Schiller bestandig zu geistiger Tatigkeit, zu scharfem Auf-
passen, Kombinieren und Erraten anzuhalten, und durch die entschie-
dene Konzentration auf die fremde Sprache ihn dahin zu bringen,
dass er in der fremden Sprache zu denken sich gewohnt. tibrigens sind
die verschiedenen Kunstgriffe, die der Lehrer anwendet, um tiberset-
zung zu vermeiden, ofters ganz amiisant fiir die Schiller und tragen viel
2,ur Belebung des Unterrichts bei.
326 Padagogische Monatshefte.
Soviel iiber das Konversationsverfahren als Mittel zur Erwerbung
neuer Kenntnis. Die Anwendung des Verfahrens, urn das Gelernte ein-
zuiiben und durch haufige und mannigfach kombinierte Wiederholung
znm wirklichen geistigen Eigentum des Schiilers zu machen, diese An-
wendimg balte ich, wie schon gesagt, fur die wichtigere; diese ist ee, die
meines Erachtens in jeder Methode des deutschen Unterrichts einen Platz
finden sollte. Es ist namlich ein grosser Irrtum. wenn man bedenkt, dass
das Konversationsverfahren nur da am Platze ist, wo die Fahigkeit, die
fremde Sprache zu sprechen, ein Hauptziel des Unterrichts bildet. Es
ist ein grosser Irrtum; denn das miindlicheVerfahren ist ein vortreffliches
Hulfsmittel zum Erlernen der Sprache iiberhaupt; der Gebrauch der
fremden Sprache sollte stets bis zu einem gewissen Grade gepflegt wer-
den, wenn nicht als Zweck, dann als Mittel zum Zweck. Konversation
ist das beste Mittel zur Einiibung des Gelernten; sie bringt ein beleben-
des und anregendes Element in den Unterricht, erweckt das Interesse des
Schiilers und macht aus dem Lernen eine lebendige Tatigkeit; sie er-
laubt eine muntere, ungezwungene, natiirliche Art der Behandlung, so-
dass unter einigermassen giinstigen Umstanden die Schuler an solchem
Unterricht richt selten soviel Vergniigen finden werden, wie an einem
amiisanten Gesellschaftsspiel. Und schliesslich ist es ein grosser Vorteil,
dass der Lehrer beim mundlichen Verfahren mit dem Unterrichtsstoff
ganz frei schalten und walten und ihn je nach dem besonderen Fall und
Bediirfnis bilden, erweitem, variieren kann.
Wir kommen zunachst zum Leseverfahren. Die Lektiire zusammen-
hangenden Lesestoffes, scfern sie direkt und konkret ist, nicht miihsam
und analystisch mit Hiilfe der Grammatik und des Worterbuches be-
trieben \vlrd, ist entschieden ein naturliches Verfahren. Das natiirliche
Leseverfahren kann in ebenderselben doppelten Weise, wie das Konver-
sationsverfahren, angewendet werden. In der kursorischen Lektiire und
im ,,sight reading in class" dient es hauptsachlich dazu, das schon ge-
lernte dem Schuler einzupragen, ihn in der prompten und augenblick-
lichen Anwendung des Gelernten zu iiben, ihn an rasches Auffassen des
Zusammenhanges zu gewohnen und sein Sprachgefiihl zu kultivieren.
Ausserdem kann aber das Verfahren auch zur Aneignung neuer Kennt-
nisse gebraucht werden, namlich als langsamesDurchnehmen neuenLese-
stoffes in der Klasse, wobei die Interpretation des Lehrers die Haupt-
sache ist. In dieser Form kann das Verfahren sehr wohl im ersten An-
fang des Unteirichts verwendet werden. Ich selbst wiirde in jeder mo-
dernen Sprache, ja auch im Lateinischen, den ersten Anfang, wenn nicht
mit Konversation, dann gewiss mit solchem Lesen machen. Sicher ist
diese Art des Sprachunterrichts eine durchaus uaturliche und organische
imd lasst sich sehr anregend und fruchtbar gestalten. Es versteht sich,
dass beim Fortschreiten des Unterrichts die Interpretation des Lehrers
eine immer zunehmende Prazision und Vollstandigkeit zeigen muss.
Ueber die naturlicbe Methode im deutscben Untenicht. 327
Neben dem Sprech- und dem Leseverfahren finden wir schliesslich
noch das Memorierverfahren, worin das Auswendiglernen als Lehrmittel
verwendet wird. Es 1st moglich, dieses Verfahren ganz allein anzu-
wenden, also eine Methode darauf zu begriinden. So verlangt das Mei-
sterschaft-System vora Schiller ausschliesslich das Auswendiglernen einer
grossen Zahl von Satzen, die er so beherrschen soil, dass, wenn einer der
gelernten Satze ihm in seiner Muttersprache gegeben wird, er augenblick-
lich den entsprechenden Satz der fremden Sprache vollkommen korrekt
von sich geben kann. Das Verfahren ist nicht so imsinnig, wie es auf
den ersten Blick scheinen konnte; empfehlen mb'ehte ich es allerdings
niemand. Das Gouin- Verfahren beriiht zum grossen Teil (namlieh in der
,,Assimilation der objektiven Serie") auf einem — allerdings nicht me-
chanischen — Auswendiglernen. Meist wird das Memorieren aber als
cin mehr untergeordnetes Element in beschranktem Umfang verwendet,
und in dipser Form ist es ohne Zweifel eine iiberaus niitzliche und sehr
zu empfeblende tibung. Der Anf anger sollte eine grosse Menge kurzer
idiomatischer und der Alltagssprache entnommener Satze auswendig
lernen; spater sind auch langere zusammenhangende Stiicke zum Memo-
rieren geeignet.
Soviol iiber die drei Grundverfahren der natiirlichen Methode, die
primiiren und selbstandigen. Zu diesen kommen ferner zwei sekundare
oder Hiilfs verfahren; sie beruhen auf der Anwendung eines natiirlichen
Verfahrens im grammatischen Unterricht und im ,,composition work".
In der Grammatik handelt es sich, wie schon gesagt, hauptsachlich. urns
Lehren durch Beispiele allein; im ,,composition work" hauptsachlich
darum, clas tlbersetzen aus der Muttersprache in die fremde Sprache
iiberfliissig zu machen. Um Zeit zu sparen, will ich auf diese beiden sehr
interessanten und wichtigen Verfahren heute nicht naher eingehen.
Die obigen Ausfiihrungen haben die natiirlichc Lehrweise nach
ihrer formalen Seite zum Gegenstand gehabt. Ich wende mich nun
znnachst zu gewissen inhaltlichen Eigentiimlichkeiten des Lehr-
verfahrens, die sehr haufig in Verbindung mit dem formal-natiirlichen
Verfahren erscheinen, eich in innerer Ubereinstimmung mit ihm befin-
den, eben falls den Charakter des natiirlichen an sich haben, und in der
modernen Eeformbewegung im Sprachunterricht ebenfalls ein Hauptmo-
ment bildeii. Ich meine diejenige Art der Lehrbehandlung, die man in
Ennangelung eines passenden Ausdrucks allenfalls mit dem Wort ,,Ak-
tualitat" bezeichnen konnte; diejenige namlieh, die das Sprachlernen fur
die Auffassung des Schiilers mit der Welt der Wirklichkeit in Verbin-
dung bringt. Ich unterscheide drei Arten dieser Behandlung: Aktuali-
tat durch das personliche Element, durch Anschauungsunterricht und
durch die sogenannten Kealien.
Aktualitat durchs personliche Element nenne ich es, wenn die Per-
328 Pddzgogische Monatshefte.
sonlichkeit des Lehrers und- Schiilers selbst zum Substrat des Unter-
richtsprozesses genommen wird. Dies 1st vor allem beim Konversations-
vcrfahren natiirlich ausserst naheliegend. Hierhin gehort z. B., wenn
der Lehrcr zum Schiller sagt: ,,Ich bin ein Lehrer, du bist ein Schiller"
oder ,,Kannst du singen?" oder ,,Zeige mir deine rechte Hand!" oder
,,Hast du das geschrieben?" u. s. w., u. s. w. Sehr anregend wirkt es,
wenn einzclnen Schiilern aufgegeben wird, selbst Fragen an andere
Schiller zu richten. Eine besonders wichtige Art dieser personlichen
Aktualitat ist das dramatische Element. Dahin gehort es, wenn der Leh-
rer einem Schiller ein Wort der fremden Sprache durch eine von ihm
eclbst oder von einem andern Schiller ausgefiihrte Handlung begreinich
macht. Z. B. wenn ein Schiller das Wort ,,aufmachen" nicht versteht,
so wiirde ich, falls ein anderer Schiller das Wort kennt, zu diesem sagen:
,,Mache dein Buch auf — mache es zu — mache deine Augen zu —
mache sie auf," u. s. w. Dahin gehort es ferner, wenn der Schiller ir-
grend eine Handlung ausfiihrt und sie gleichzeitig in Worten ausdriickt,
oder auch wenn er eine von jemand anders in seiner Gegenwart ausge-
fiihrte Handlung beschreibt. In Gouins Methode spielt diese Ubung
eine grosse Rolle. Offenbar nach seinem Vorgange wird sie auch in
manchen deutschen Schulen angewandt. So beschreibt Mary Brebner in
ihrem vorziiglichen Biichlein ,,The Methods of Teaching Modern
Languages in Germany" (Macmillan) auf Seite 8 ff. den englischen Un-
tericht in einer deutschen Klasse, wo dieses Verfahren zu einer festen
Koutine ausgebildet war. Z. B. als der Lehrer ins Zimmer kam und
v/ahrend er seinen Platz am Pult einnahm, gab er verschiedenen Schii-
lern, einfach indem er sie einen nach dem andern ansah, das Signal zu
folgenden Bemerkungen: ,,You are going to your desk. You are sitting
down. You are taking your pen. You are writing your name. You are
putting the pen on the table" u. s. w. Als der Lehrer einem Schiller
sagte, er solle auf die Tiir zugehn, tat er dies mit den Worten ,,I am
going to the door," und von den iibrigen Schiilern sagten die einen ,,You
are going to the door" und die andern ,,He is going to the door." Das
Verfahren ist entschieden sehr sinnreich, und die haufig wiederholte Ver-
bindung des Ausdrucks mit der Handlung ist gewiss ein sehr wirksames
Mittel, den ersteren dem Gedachtnis fest einzupragen. Auch Dramati-
sches im eigenthchen Sinn lasst sich mit dem grossten Nutzen verwen-
den, indem namlich Lesestiicke, die in Gesprachsform abgefasst sind, mit
verteilten Bollen vorgelesen oder auswendig hergesagt werden.
Zweitens, Aktualitat mittels Besprechung von Dingen, die der Schil-
ler vor Augen hat. Ausser wirklichen im Klassenzimmer befindlichen
oder von dort sichtbaren Gegenstanden sind Bilder zu verwenden. In
Deutschland werden Bildertafeln viel gebraucht, worauf die vier Jahres-
zeiten, die Stadt, das Land, der Wald u. s. w. dargestellt sind. Fur noch
Ueber die naturliche CMethode im dentschen Unterricht. 329
niitzlicher halte ich Bilder, die der Lehrer an die "Wandtafel zeichnet,
vor den Augen der Schiller entstehen lasst, indem er sie gleichzeitig auf
Deutsch bespricht. Wenn der Lehrer ordentlich zeichneji kann, urn so
besser; aber selbst wenn seine kiinstlerischen Leistungen denen des klei-
nen Moritz in den Fliegenden Blattern ahneln sollten, wird er auch
daran ein treffliches Hiilfsmittel zum Sprachunterricht haben. Mir ist
es selbst schon gehmgen, schlafrige und teilnahmslose Schiller, nachdem
alles andore fehlgeschlagen, auf diese Weise aus ihrer Lethargic zu er-
wecken und zu lebendiger Anteilnahme am Unterricht zu bringen.
Schliesslich, Aktualitat durch Realien, d. h. durch Mitteilungen
iiber das Volk und Land, dessen Sprache gelernt wird. Man sieht, der
Begriff der Eealien ist ein ausserst umfassender. Die gesamte Existenz
pines Volkes in Gegenwart und Vergangenheit, sein Charakter, seine
Lebensgewohnheiten, seine Institutionen, seine ganze Kultur, seine Ge-
schichte, die Geographic und Topographic seines Landes, dies alles bil-
det die unendliche Stoffmasse, aus der der Lehrer beim Realienunter-
richt schopfen kann. Realien konnen auf verschiedene Art dem Schiller
iibermittelt werden: sie konnen im Lesestoff enthalten sein, oder der
Lehrer kann davon erzahlen; zum Teil konnen sie auch durch Anschau-
img gelehrt werden, durch Vorzeigen von wirklichen Gegenstanden und
besonders von Bildern; letztere konnen auch als Illustration dem Lese-
buch einverleibt werden. Der Nutzen der Realien ist ein doppelter: Er-
stens konnen so bei Gelegenheit des Sprachunterrichts eine Menge wis-
senswerter Tatsachen beigebracht, der geistige Gesichtskreis des Schii-
iers erweitert und er selbst zu sympathischem Verstandnis des fremden
Volkes, also zu internationaler Toleranz angeleitet werden. Zweitens aber
haben die Realien auch als rein technisches Mittel zum Sprachlernen
grossen "VVert, indem sie, ebenso wie die andern Formen des Aktuellen,
durch Ideenassoziation das aufmerksame Arbeiten und das dauernde Er-
fassen der Sprachfakten wesentlich erleichtern.
Dass die aktuelle Unterrichtsweise iiberhaupt eines der allerwichtig-
sten Mittel ist, die Arbeit des Sprachlernens angenehm sowohl wie ge-
deihlich zu machen, ist wohl unzweifelhaft. Was ich an ihr besonders
riihmenswert finde, ist der humane Grundzug an ihr; human nenne ich
sie, insofern sie den Schiller als ein menschliches Wesen, nicht als eine
blosse Arbeitsmaschine behandelt. Mir fiel neulich eine Stelle in ,,Na-
than der Weise" auf, die ich auf unsern Gegenstand anwenden mochte.
Recha versi chert Sittah, die es nicht glauben will, dass sie im Lesen von
Biichern schr wenig tibung habe. ,.Mein Vater," sagt sie, ,,liebt Die
kalte Buchgelehrsamkeit, die sich Mit toten Zeichen ins Gehirn nur
driickt. Zu wenig. Sittah. ,,Ei, was sagst du! Hat indes Wohl nicht sehr
Uijrecht! Und so manches, was Du weisst?" Recha. „ Weiss ich allein aus
seinem Munde, und konnte bei dem meisten dir noch sagen, wie, wo,
330 Padagogische Monatshefte.
warum er's mich gelehrt." Sittah. ,,So hangt sich alles freilich bessor
an. So lernt mit eins die gauze Seele." Diese letzten Worte mochte ich
mir mit einer leichten Anderung aneignen und mit Hinblick auf die
aktuelle Lehrweise sagen: ,,So hangt sich alles freilich besser an. So lemt
init eins der ganze Mensch" — nicht bloss der kalte Verstand und das
trockene Gedachtnis.
Ich komme jetzt auf die verschiedenen Formen der natiirlichen Me-
thode zu sprechen. Unter einer natiirlichen Methode verstehe ich einen
Unterrichtsplan, worin die natiirliche Lehrweise, in einer oder mehreren
ihrer Forrnen, entweder ansschliesslich oder iiberwiegend angewendet ist.
Ich will mich hieriiber sehr kurz fassen und nur einige der Hauptrich-
tungen mit wenigen Worten kennzeichnen. Ich beginne mit der natiir-
lichen Lesemethode. Sie beruht auf dem natiirlichen Leseverfahren,
neben welch em Sprechen, Schreiben und Grammatik, aber nur in gerin-
gem Umfang, auftreten konnen. Von der gewohnlichen Form der Le-
semethode unterscheidet sie sich zu ihrem Vortheil durch ihren konkre-
ten, wenig analysierenden Charakter; gemeinsam mit jener aber hat sie
den Mangel, dass sie, wenigstens fur den Schulunterricht, nicht genug
Lebhaftigkeit besitzt und daher, wie der ,,Report of the Committee of
Twelve" treffend hervorhebt, nur die gesetzteren Schiller zu interessie-
ren geeiguet ist.
Die auf dem Auswendiglernea beruhende Methode mag im Privat-
unterricht unter Umstanden bfauchbar sein, kann aber fur den Schul-
unterricht kaum in Betracht kommen.
Ferner die Konversationsmethode. Konversation wird ausschliess-
lich gepflegt oder ist wenigstens das Hauptunterrichtsmittel, neben wel-
chem Lesen und Schreiben in ziemlichem Umfange geiibt werden kon-
nen, wogcgen die Grammatik nur stiefmiitterlich behandelt wird. Der
jetzt in Amerika bliihende Betrieb der Konversationsmethode scheint auf
Gottlieb Heness zuriick/ugehen, der sie seit dem Jahr 1866 anwendete.
Der Hauptmangel der Methode ist natiirlich, dass sie, ebenso wie die vor-
her besprochenen, in der Kegel nicht imstande sein wird, dem Schiiler
Prazision im Gebrauch der Sprache beizubringen.
Schliesslich kommen wir zu den modernen vervollkommneten For-
men der natiirlichen Methode, d. h. denjenigen, die zwar das Sprechen
als Gnmdelement des Unterrichts verwenden, dabei aber ohne Einseitig-
keit auch die iibrigen Seiten des Sprachstudiums sorgfaltig pflegen, und,
ohne ihren iiberwiegend konkreten Charakter aufzugeben, durch syste-
inatische und exakte Einubung der Sprache die sonst der natiirlichen
Methode anhaftende Unvollkommenheit iiberwinden. Diese Methoden
fiind seit ungefahr 1875 ausgebildet worden. Zwei davon sind besonders
wichtig. Die eine wurde von dem Franzosen Goiiin erfunden und dann
in England von Swan und Betis unter dem Namen der psychologischen
Ueber die natilrliche Metbode im deutscben Unterricht. 331
Methode weiter ausgebildet und verandert. Zu einer Beschreibung der
Methode fehlt mir die Zeit, ich verweise daher auf die-im ,,Report of the
Committee of Twelve" (Heath&Co., Preis 15 Cents), Seite 20, angefiihrte
Literatur und bemerke nur, dass an dem System manches Gute und man-
ches sehr Geistreiche ist, dass es als Ganzes mir aber nicht einleuchtet,
und dass die anseheinend damit erzielten bedeutenden Erfolge wohl
hauptsachlich von dem herriihren, was dem System mit andern natiirli-
chen Methoden gemeinsam, nicht von dem, was ihm eigentiimlich ist.
Die andere vervollkommnete Methode ist die in den letzten zwanzig Jah-
ren in Deutschland aitfgekommene und jetzt dort entschieden vorherr-
schende. Sie wird in Deutschland selbst meist einfach ,,die neue" ge-
nannt; ich mochte sie ,,die deutsche" nennen; sehr ungeeignet erscheint
mir dagegen die ebenfalls gebrauchliche Bezeichnung als ,,phonetische
Methode", ungeeignet, weil der phonetische Unterricht, obwohl eine sehr
verniinftige ISTeuerung, durchaus nicht das hauptsachlich Charakteristi-
sche der Methode ist, und weil der Ausdruck den ganz falschen Eindruck
erweckt, als hatten wir es hier mit einer sehr speziellen Technik zu tun.
1m Gegensatz namlich zu Gouins System, worin Lesestoff, Lehrgang,
Lehrverfahren bis ins einzelne festgestellt und vorgeschrieben sind, ist
die deutsche Methode vielmehr eine allgemeine, freie, elastische,
die sich in hundertfal tiger Verschiedenheit gestalten und anwenden
lasst. Sie beruht erstens auf Venvendung aller in den friiheren natiir-
hchen Methoden enthaltenen wertvollen Elemente; zweitens auf Ver-
bindung der konkreten Unterrichtsweise mit griindlicher systematischer
Durcharbeitung und Einiibung; drittens auf eifriger Pflege des aktuellen
Elements mittels Anschauung und mittels Realien. Die deutsche Methode
ist meines Erachtens entschieden die vollkommenste Form, die der Un-
terricht in den modernen Sprachen bisher angenommen hat. Hinreichend
eingehende Belehrung iiber sie findet man in dem schon erwahnten
Biichlein von Mary Brebner; und wie die Methode (die in Deutschland
natiirlich hauptsachlich im englischen und franzb'sischen Unterricht ge-
braucht wird) auf den Unterricht im Deutschen anzuwenden ist, ist sehr
gut gezeigt im Abschnitt iiber die neueren Sprachen in ,,The Aims and
Practice cf Teaching" von Frederic Spencer (1897).
Soviel iiber die verschiedenen naturlichen Methoden. Ich habe den
Gegenstand meines Vortrages noch lange nicht erschopft, verschiedene
\vichtige Punkte sind noch unberiihrt; doch will ich Ihre Geduld nur
noch fiir einen davon in Anspruch nehmen. Es fragt sich namlich
schliesslich, wie und in welchem Umfange es fur uns amerikanische Leh-
rer des Deutschen ratlich ist, die natiirliche Methode in unserer eige-
nen Praxis anzuwenden. Meines Erachtens hatte es wenig Sinn, Ihnen
irgend eine der besprochenen Einzelmethoden zur Aneignung in toto zu
empfehlen. In mannigfacher Beziehung sind die Verhaltnisse von Fall
332 Pddagogiscbe Monatshefte.
zu Fall so \erschieden, dass eine jede spezifische Empfehlung derart fiir
sehr viele Falle das Angeraessene verfehlen wurde. Hit aller Entschie-
denheit mochte ich dagegen die naturliche Methode im allgemeinen als
Gregenstand aufmerksamer Priifung und eklektischer, auswahlender Be-
nutzung jedem Lehrer des Deutschen empfehlen. Wem die naturliche
Methode in ihrer radikalsten Form, mit volliger Ausschliessung der ab-
strakten Grammatik, des tibersetzens u. s. w. nicht passt, braucht ja nur
dieee radikalen Ziige wegzulassen, und 60 kann man iiberhaupt von der
natiirlichen Methode, soviel man fiir gut halt, annehmen und im iibrigen
dem traditionellen Verfahren treu bleiben. Und ich mochte besonders
darauf hinweisen, dass auch schon eine quantitativ geringe Beimischung
von natiirlichen Elementen als ein wohltatiger Sauerteig zur Belebung
des ganzen Unterrichts wirken kann; und ferner, dass Bekanntschaft
mit der naturlichen Methode den Lehrer, auch wenn er die bisher von
ihm angewandte Lehrmethode in ihrer aussern Form nicht wesentlich
andert, doch zu verbesserter, anregender und gedeihlicherer Behandlung
der alten Methode befahigen diirfte.
Berichte und Notizen.
I. Der 43. Nationale Lehrertag zu Boston.
(FUr die Patlagofrischen Monatshefte.)
Von B. A. Abrants, Milwaukee, Wis.
Von dem kleinen, g-emiitlichen und gastfreien Erie und dem kleinen,
gremiitlichen deutschamerikanischen Lehrertage trug mich das Dampfross
uach der an miichtigen geschichtlichen Erinnerungen reichen Metropole
der Neu-Englandstaaten, Boston, ,,an island of intellect surrounded by the
world." Erie und Boston! Welch gewaltiger Gegensatz! Dort ein kleines
Hauflein deutschamerikanischer Lehrer, das in einem Dutzend Sitzreihen
in einem massig grossen Versammlungssaale bequem untergebracht
werden konnte, hier ein Heer von xiber dreiunddreissig Tausend Lehrern
xind Erziehern aus alien Teilen unserer grossen Republik, — dort ein ziem-
lich magerer Kiichenzettel, der noch dadurch geschmalert wurde, dass ein
Teil der versprochenen geistigen Gerichte gar nicht aufgetragen wurde,
hier Fiille und uberfiille von Vortriigen, Berichten und Debatten.
Von den meisten seiner Vorganger unterscheidet sich der Bostoner Leh-
rertag in einem wichtigen Punkte. Fast alle amerikanischen Stadte, die
sich um die Ehre bewerben, den Nationalen Amerikanischen Lehrerbund
beherbergen zu diirfen, denken nicht ausschliesslich an den mit grossen
Zusammenkiinften verbundenen Gewinn an Geld und Ansehen, sie hegen
auch die Hoffnung, dass Tagungen dieser einflussreichen Korperschaft be-
fruchtend, belebend und anregend auf ihr eigenes Schulwesen wirke. In
Boston ist der Lehrertag nicht der gebende, sondern der empfangende
Teil. In alien Strassen, Gassen und Winkeln der alten Baystadt, in Con-
Der 43. Nationale Lehrertag %u Boston. 333
cord, Lexington, Cambridge, Plymouth und liberal!, wo ein Monument, ein
Grab, ein Hiiuschen oder ein Name Erinnerungen wachruft an die jungen
Tage der ersten Ansiedlungen, an die ruhmvollen Kiimpfe des Befreiungs-
krieges, im stillen Hause Longfellows, in den weiten Salen der Harvard-
Universitat, in Museen und Gallerien, Bibliotheken und Schulen — iiberall
sah man Dutzende, Hunderte, oft Tausende von gelben, roten, blauen und
weissen Abzeichen, deren Trager oder Tragerinnen mit Notizbuch und
Bleistift be waff net, die Spuren vergangener Tage, Taten und Ereignisse
mit beharrlichem Fleisse verfolgten. So ist es diesesmal der Tagungsort,
der anregend und befruchtend auf den Besucher wirkt.
So oft ich nach Chicago komme, gibt mir ein wohlmeinender Freund
den Rat: Vergessen Sie ja nicht, unsere Viehhofe und Schlachthauser zu
besuchen. In Boston ist die erste Frage: ,,Wie gefallt Ihnen unsere Stadt?"
Die zweite ganz bestimrat: ,,Haben Sie schon Harvard und die neue Biblio-
thek besucht?" Der Bostoner ist stolz auf seiii Gemeinwesen und freut
sich herzlich, wenn der fremde Besucher sich lobend iiber die Stadt, die
Bildung seiner Bewohner und die Schonheit der offentlichen Gebaude aus-
spricht. ,,Ich danke Ihnen im Namen meiner Heimatstadt," entgegnete
mir mit einer wiirdevollen Verbeugung ein Mitglied der Bostoner Feuer-
wehr, dessen Frage: ,,Welchen Eindruck hat Boston auf Sie gemacht?" ich
in passender Weise beanwortet hatte. ,,Unsere Waschfrau und unser
Dienstmadchen sind Abiturienten der Hochschule," sagte mir eine in Cam-
bridge wohnende Dame. Doch ich wollte ja iiber den Lehrertag berichten.
Als Augenzeuge kann ich es vielleicht; als Ohrenzeuge, kaum. Wenn ich
den Lesern der ,,P. M." sage, dass taglich elf Versamnilungen an verschie-
denen Orten abgehalten und durchschnittlich 75 Vortrage gehalten wurden,
bei Temperaturverhiiltnissen, die den Aufenthalt im geschlossenen Raume
fast unertraglich machten, werden sie wohl begreifen, dass ein sich auf
eigenes Horen stiitzender ausfiihrlicher Bericht nicht erwartet werden
kann. Lebhaft im Gediichtnisse ist mir die erste Hauptversammlung am
Abende des sechsten Juli in dem machtigen Saale des ,,Mechanic" Gebaudes
geblieben. tiber 90 Grad Hitze; 4500 Sitzplatze st&nden zur Verfiigung und
waren schon um halb acht Uhr besetzt. uber dreitausend Giiste mussten
sich mit Stehpliitzen begniigen, darunter war ich, und iiber dreitausend
machten heldenhafte, aber vergebliche Anstrenguogen in den Saal zu ge-
langen, den grossten .geschlossenen Versammlungsort in den Neuengland-
staaten. Der prangte im herrlichsten Festschmuck. Auf der Biihne sassen
die hervorragendsten Erzieher der Vereinigten Staaten. tiber ein Dutzend
Universitatspriisidenten, Staatsschulsuperintendenten xind andere hohe
Wurdentrager vom Reiche des Erziehungswesens umringten als glanzende
Sterne den hochsten Beamt^n des Lehrerbundes, den Prasidenten Eliot von
der Harvard Universitat; und den bedeutenden Schriftsteller und Kanzel-
redner Edward Everett Hale; der das Eroffnungsgebet pprach. Im Hin-
tergrunde ein Chor von hundert Stimmen und ein grosses, fiinfzig Instru-
mente umfassendes Orchester. Mit einer eindrucksvollen Ansprache, deren
Wirkung keine Einbusse erlitt durch den Umstand, dass sie nur drei Mi-
nuten in Anspruch nahm, begriisste Gouverneur Bates von Massachusetts
die versammelten Erzieher Amerikas, ,,welche die dunkelsten Orte mit
Licht erfiillen, die das Schwert fiihren, um den Aberglauben zu bekampfen,
und Speere zur Vernichtung der Feinde der Republik". Er begi-iisste die
Lehrer im Namen des Staates, ,,vor dessen vornehmstem Amtsgebaude das
Denkmal von Horace Mann als leuchtendes, bedeutsames Sinnbild prangt."
334 Pddagogische Monatshefte.
Gleich kurze und packende Ansprachen hielten noch der Biirgermeister der
Stadt Boston und der President, der sich eines hohen Rufes erfreuenden
technischen Hochschule. ,,Im Namen der Nation, in deren Schulen im
laufenden Jahre siebzehn Millionen Lernbeflissene \mterrichtet wurden,"
dankte der Nestor der amerikanischen Lehrerschaft, Dr. W. T. Harris von
Washing-ton. Der Lehrerbund ist hierhergekommen, sagte er, um die von
der edlen Phantasie der hier geborenen Dichter vergoldeten Statten ehr-
furehtsvoll zu betrachten. Andere Reden folgten. President Eliot behan-
delte in eineni langeren, gediegenen Vortrag das Thema: ,,The New Defini-
tion of the Cultivated Man", und mit einer prachtigen Wiedergabe der
Weberschen Jubelouverture, deren Schlussakkorde von dem miichtigen
Stimmenchor der zehntausend Zuhorer, die stehend die erste Strophe von
,,My country 'tis of thee" sangen, iibertont wurde, schloss die Eroffnungs-
feier. Die wirkliche Arbeit begann am zweiten Tage. Nur die Vormittage
und die Abende waren den Geschaften und Vortrjigen gewidmet, iiber die
Nachmittage konnte man frei verfiigen. Mein erster Besuch gait dem
Germanischen Museum, dessen geistige Urheber die Leiter der deutschen
Abteilung an der Harvard Universitat sind, und dessen vornehmster
Schmuck die Gaben des deutschen Kaisers, herrliche Abgiisse der edelsten
Erzeugnisse der deutschen plastischen Kunst aus dem Mittelalter und dem
letzten Jahrhundert bilden. Das Museum befand sich zur Zeit meines Be-
suches in einem unfertigen Ztistande. Man war gerade beim Aufstellen der
Kunstwerke, ein Katalog war noch nicht zu haben, die deutschen Profes-
soren weilten ausserhalb der Stadt; ein eingehender Bericht iiber diese
Schopfung, der die hohe Bestimmung zufallt, ein geistiges Band um die Ab-
kommlinge der germanischen Stilmme zu schlingen, muss deshalb axif einen
spateren Zeitpunkt verschoben werden.
Wenn ich von den vielen Abteilungsversammlungen des ersten Ge-
schaf tstages die Sitzutig der Abteilung f iir Handf ertigkeitsunterricht be-
snchte, so ist diese Bevorzugung lediglich auf den Umstand zuriickzufiih-
ren, dass in dem betreffenden Saale eine Sitzgelegenheit frei war. Die her-
vorragendsten der an\vesenden Vertreter des Handfertigkeitsunterrichtes
waren die bekanhten Herren Calvin D. Woodward von St. Louis und der
schoii frtiher erwahnte Leiter der Bostoner technisehen Hochschule, Henry
S. Pritchett. Dr. Woodward verlangt eine Ausdehnung des Lehrplanes der
Sekunrlarschulen, \im die Forderung zu befriedigen, die Schule in Einklang
zu bringen mit dem modernen Leben, modernen Bedingungen und moder-
ner Verantwortlichkeit. ,,Wenn ein Knabe weiss," meint er, ,,dass das
Wesen der Elektrizitat, des Danripfes und der Warme, die Kunst der Zeich-
nungsentwiirfe ohne grossere Anstrengung und in kiirzerer Zeit verstan-
den werden konnen, als notig ist, eine Grammatik dem Gedachtnisse ein-
zuverleiben, oder Demosthenes ohne Worterbuch lesen zu konnen, und
wenn er weiss, dass die ersteren Gegenstande ihm in seiner spateren Lauf-
bahn von Nutzen seih konnen, wird er sie wahlen, wrenn er die Gelegenheit
dazu hat, und unsere Aufgabe ist es, ihm diese Gelegenheit zu verschaffen.
Es ist erstaunlich, vine eng die Fessel der iiberlieferung uns noch gefangen
halt. Wir halten es fur wertvoller, mit der Mythologie Griechenlands ver-
traut zu sein, als mit der Tatsache, dass Edison das Gliihlicht erfunden
und uns in den Stand gesetzt hat, eine Stadt aus einer Entfernung von
zwanzig Meilen zu beleuchten; und doch ist es uns bekannt, dass die My-
then ein schones Lligeiigewebe bilden, wahrend das Letztere auf Wahrheit
beruht.
Korresponden^en.
335
Eine hochst interessante Sitzung fand am Abend des zweiten Tages
in der ,,Chickering Hall" statt. Klassenlehrer der Volksschulen bildeten die
Versammlung, und die materielle Lage der V7olksschnllehrer war das wich-
tige Thema. Der Nationale Lehrerbund, dessen Leiter und einflussreiche
Wortfiihrer der diinnen Eeihe hochsalarierter Schulmanner angehoren,
hatte sich bis zur Bostoner Tagung stets geweigert, fiir die Aufbesserung
der niedrigen Ge halter der Volksschullehrer einzutreten. Unter der Fiih-
rung tat kraf tiger Vertreterinnen der Klassenlehrerinnen ist ein Nationaler
Vereinsverband ins Leben getreten, dem es in Boston gelang, den Lehrer-
bund zu verpflichten, sich mit der Gehaltsfrage zu beschiiftigen. Aus man-
ehen Reden, die ich in ,,Chickering Hall" horte, klangen Tone des Kampfes
tmd der Emporung gegen die aristokratische Leitung des Lehrerbundes,
dessen Ziele und Bestrebungen. Ein Redner entfesselte einen wahren Bei-
fallssturm durch die Erklarung, es sei eine Schande fiir das amerikanische
Volk, dass es dulde, dass man den Volksschullehrern Hungerlohne zahle.
Der Korper konne nicht gekleidet und geniihrt werden, der Geist miisse
hungern bei einem Durchschnittslohn von$270 fiir die weiblichen Lehr-
krafte. In seiner Schlusssitzung beschloss der Lehrerbund eine Summe
von $1500 fiir Sammlung statistischen Materials iiber Lohnverhaltnisse
auszuwerfen und der Gehaltsfrage — zum ersten male in seiner Geschichte
— einen hervorragenden Platz auf dem Programm der nachstjahrigen
Tagung anzuweisen. (Fortsetzung folgt.)
II. Korrespondenzen.*
(Fiir die Padagogischen Honatshefte. )
Ba timore und Ocean City.
Mit der Mitte September
wurden die Tiiren uud Toren unse-
rer offentlichen Tagschulen fiir das
neue Schuljahr geoffnet — die
Abendschulen beginnen einen Monat
spater — , der Schiilerandrang war
aber nicht so gross, als erwartet
werden durfte. Am Ende der ersten
Woche hatten zwar die Hochschulen
2,820 Zoglinge uufzuweisen, gegen
2,523 zur selben Zeit des vorherge-
henclen Jahres, dagegen blieb die
Schiilerzahl an den Elementarschu-
len hinter der des Vorjahres zuriick,
dieselbe betrug damals 65,138, dies-
mal aber nur 61,518. Man kann in-
dessen erwarten, dass sie iin Okto-
ber auf 70,000 steigen wird. Die zehn
englisch-deutschen Schulen haben
keine Schulerverminderung aufzu-
weisen, so zahlte die des Schreibers,
die grosste aller hiesigen Schulen,
am Ende der ersten Woche schon
1,550 Zoglinge. Die Arbeit ist nun
* Einige dieser Korrespondenzen
befanden sich bereits seit Anfang
September im Satz, konnten jedoch
wegen Mangel an Raum nicht in dem
vorigen Hefte zur Aufnahme ge-
langen. D. R.
in vollem Gang, ihm wird sie erleich-
tert durch die Erinnerung an die
vergangene Ferienzeit.
Und schon war sie, diese
Ferienzeit. — Am Beginn der-
selben hatte Schreiber den Genuss,
auf dem Lehrertag zu Erie mit
strebsamen Kollegen und Kollegin-
nen zusammen zu sein und durch
'sie neue Anregungen und neuen
Schaffensmut zu gewinnen, dann
reiste er iiber Pittsburg, woselbst
einen kostlichen Tag im trauten El-
ternhause unseres gemiit- und geist-
vollen Kollegen Ferren eingekehrt
wurde, nach Ocean City, Maryland,
132 Meilen ostlich von Baltimore,
und dort bewohnte er mit seiner
Familie iiber zwei Monate ein Som-
merhaus, 80 Schritte vor sich den
brandenden Ozean, und 300 Schritte
hinter sich die stille Sinepuxent Bai.
Obgleich fiir diese schmale Insel,
eine et-wa 60 Meilen lange Sand-
dune, in die der Ort eingepfahlt ist,
die Uhlandschen Worte gelten:
Kein Baum verstreuet Schatten,
Eein Quell durchdringt den Sand,
so bot doch der Aufenthalt daselbst
gar seltene Reize. Vor allem konnte
man sich ganz und gar dem Genuss
der wunderbaren Ozeannatur hinge-
336
Pddagogische Monatshefte.
ben, ungestort durch Frivolitaten
oder Modervicksichten. Der Ort hat
in der Hohe der Saison kaum 1800
Gaste, und ausserhalb dieser 1st er
ein einfaches Fischerdorf. Jeden
Tag der Woche fahren die Fischer
bei Sonnenaufgang in ihren offenen
Boten hinaus auf die See, manche 15
Meilen \veit, ausser Sicht des Lan-
des, und ein Gast 1st ihnen dabei
stcts willkommen. Freilich mxiss
man bei der Fahrt durch die unver-
meidliche Brandung gewartig sein,
gehorig iiberschiittet zu werden, und
auf dem Ozean darf man auch
manch derben Puff erwarten, doch
trifft man dort draussen so manches
Neue und Wunderbare, und beina
Heimkommen schmeckt dann auch
das Essen um so besser. Am Harpu-
nieren liistiger Storenfriede, wie
Hammerhaie, Hundehaie und Men-
schenbaie, die alle sehr zahlreich
vorkoik»»«ien, liessen die Bootfiihrer
ihren fast taglichen Gast gerne teil-
nehnwn, so ungeschickt er sich auch
dabei oft zeigte; er bewahrt jetzt
den ScUwanz eines zwolf Fuss Ian-
gen Menschenhaies, welch letzterer
ihm bedeutende Aufmerksamkeit ge-
zeigt hatte. Einen weiteren Genuss
verschaffte er sich durch Fusstou-
ren im Badeanzug, barfuss und ohne
Kopfbedeckung, langs des einsamen
Strandes, eine davon debute sich
euf zwolf Meilen aus. Unterwegs
wurde gelegentlich ein Erfrisch-
ungsbad genommen, ohne Badean-
zug.
Die an dieser ausgesetzten Kiiste
ohnehin hohe Brandung nahm bei
der diesen Sommer ungewohnlich
stiirmischen Witterung oft gewal-
tige Dimensionen an, ein die
Seele iiberwaltigender Anblick —
das regelmassige Bad wurde darum
aber immerhin nicht unversucht ge-
lassen, fein fiirsichtiglich natiirlich,
der Genuss wurde aber beeintrach-
tigt, als bei einer Gelegenheit die
lAusliiufer der Ozeanwellen an eini-
gen Stellen iiber die flache Insel weg
in die Bai dahinter getrieben wur-
den. So wurde im steten, innigen
Verkehr mit der Xatur an, auf und
in dem Ozean der Schulstaub griind-
lich weggeblasen und abgespiilt, die
Erinnerung an die Freunde blieb
aber frisch, oft gedachte Schreiber
derer, mit denen er auf dem Lehrer-
tag verkehrt hatte, und vergass
auch die nicht, die er auf demselben
gern gesehen hatte.
Wie die Ferien durch den Lehrer-
tag einen so schonen Anfang gehabt
hatten, so gewannen sie durch den
Konvent des Deutschame-
rikanischen National-
bun d e s einen gleich wiirdigen Ab-
schluss. Es waren gesinnungstreue
Manner deutschen Stammes aus den
verschiedensten Teilen des weiten
Landes, Manner aus den verschie-
densten Lebensstellungeu und Be-
rufen, unter ihnen auch Vertreter
unseres Lehrerbundes xind Lehrer-
seminars, die sich in Baltimore vom
12. bis 15. September zu ernster, ziel-
bewusster Arbeit vereinigt hatten.
iiber diese, sowie iiber die bereits
errungenen Erfolge der vor erst
zwei Jahren begonnen deutschameri-
kanischen Bewegung, werden die
Monatshefte einen Bericht bringen.
Endlich ist auch der deutsche Michel
in Amerika aus dem Schlaf geriittelt
worden.
Die Nationalkonvention hat die
Veranlassung zur Bildung eines Ver-
eins in hiesiger Stadt gegeben, der
sich aie schone Aufgabe gestellt hat,
durch Pnege deutscher Literatur
und Kunst anregend und befruch-
tend zu wirken. Zweck und Ziele der
Gesellschaft sind in folgendem Pa-
ragraphen der Statuten klargelegt:
,,Tn Erwagung, dass das Deutsch-
tum eine bestimmte Kulturaufgabe
zu erfiillen berufen und gewillt isi,
und dass diese in erster Linie auf
peistigem Gebiete stets gelegen hat
und weiter liegen wird, dass aber im
Deutschtum der Vereinigten Staaten
dies hohere Streben, um dessentwil-
len allein es fiiglich berechtigt
ist, die deutsche Sprache im Lande
zu erhalten, bisher nicht geniigend
zrm Aur>druck gekommen ist, hat
sich in Baltimore, Md., die ,,Gesell-
schaft fiir deutsche Literatur und
Kunst" hegriindet. Sie verfolgt den
Zweck, dem Deutschtum in AmeriKa
einen tieferen, dauernd lebensfahi-
gen Inhalt zu geben durch die Pflege
deutscher Literatur und Kunst und
das Deutschtum zu einer geistigen
Macht zu bringen, welche richtung-
gebend auf die Kultur des Landes
einwirken kann und will.,,
Gliickauf! S.
Boston.
,,Harvard University", die alteste,
gri'sste und beriihmteste Universi-
tat Amerikas, woselbst deutsche
Wissenschaft und deutsche Geistes-
kultur mehr wie sonst wo in diesem
Lande gehegt und gepflegt werden,
hat einen neuen Fortschritt aufzu-
weisen, indem nun auch ein Kursus
Korresponden^en.
337
fur technische Forstkultur nnter
Leitung beriihmter Fachmanner ein-
gefiihrt worden ist. Derselbe um-
fasst ausser dem Elementarunter-
richt in Botanik, Geologie und Zoo-
logie, auch Physik, Chemie, Trigono-
metrie, Deutsch und Franzosisch.
Zum Anschauungsunterricht in
diesen Wissenschaften enthalt das
Universitatsmuseum Gegenstande
von enormem Werte. Erwahnt sei
nur die Sammlune1 kunstvoller Glas-
nachahmungen einheimischer Pflan-
zen, Blumen, Friichte, Getreide u. s.
w., die von einem Bohmen namens
Leopold Blaschka, und dessen Sohn
Rudolph hergestellt wurden.
Es ist erstaimlich, init welcher
Genauigkeit die Erzeugnisse der
Mutter Erde in Farbe, Grosse und
alien Bestandteilen, bis zum winzig-
jsten Staubfadchen getreu nachge-
bildet sind. Man meint, die Zweige
mit Knospen, Bliiten, Friichten und
Blatterschmuck waren erst soeben
von den Stauden im Freien geschnit-
ten. Als eine Sendung ,,Golden Rod"
ausgepackt wurde, glaubte man, es
ware auf irgend eine Weise Staub
hineingeraten und beim Versuch,
denselben zu entfernen, stellte sich
tjeraus, dass der geniale Kiinstler
die stolze Feldblume gerade so an-
gefertigt hatte, wie er sie in Ameri-
ka fand, mitsamt dem Staub am
unteren Teil des Stengels! ^
Die Sachen sind nicht etwa ange-
strichen, oder bemalt, sondern die
Farbe ist im Glase selbst enthalten
und die Zubereitung dieser Masse ist
Geheimnis des noch lebenden Soh-
nes. Der altere Hr. Blaschka, 1822
in Aicha, Bohmen, geboren und 1895
gestorben, war der Erfinder dieser
Mischung, imd da sein gegenwartig
zu Holsterwitz im Konigreich Saeh-
sen \vohnender Sohn kinderlos ist,
wird die schone Kunst mit ihm wohl
aussterben, denn er hat noch nie-
manden dariiber belehrt. Seit vie-
len Jahren waren Vater und Sohn
ausschliesslich fiir das Harvard-
Museum tiitig, und jetzt sind etwa
3000 Exemplare ihres Fleisses in 700
Sehaukasten ausgestellt. Wie miih-
sam die Arbeit ist, mag der Leser
daraus schliessen, dass in den letz-
ten zwei Jahren nur 26 Stiick anka-
men. Herr R.udolph Blaschka kommt
fast jedes Jahr nach Amerika, er-
halt seine Auf trage und reist dann
nach Deutschland zuriick. Die von
ihm verlangten Preise werden nie
beanstandet. Er besorgt auch die
Verpackung der zerbrechlichen
Waren selbst, und sie kommen ge-
wohnlich unversehrt an. A.
Chicago.
Wir stehen immer noch im Z e i-
chen der Examina. Unser
Schulsuperintendent Herr Cooley,
von dem es heisst, dass er selbst
nicht eininal ein Prinzipals-Examen
abgelegt hat, verlangt von alien Leh-
rern, die in hohere Gehaltsklassen
aufriicken wollen, dass sie eine
schwere Priifung bestehen. Ferner
verlangt er von alien Kandidaten fiir
Spezial-Lehrerstellen im Zeichnen,
jSingen, Tujrnen, Kochkunst, Hand-
fertigkeitsunterricht, dass sie eine
umfassende Fachpriifung und dann
noch ein allgemeines Lehrerexamen
bestehen.
Die Friichte zeigen sich schon. Im
Haiidfertigkeitsdepartement werden
iiber ein Dutzend Lehrer notwendig
sein, kein Mensch weiss, woher ^sie
bekommen. Wenn einer nicht weiss,
wann die Schlacht bei Marathon
war, kann er doch den Jungen das
Sagen und Hobeln nicht lehren. Herr
Cooley gibt schon zu, dass er ,,man-
ual training teachers" wird anstellen
miissen, die die vorgeschriebene Prii-
fung nicht abgelegt haben. — Von
den Kandidaten, die die Priifung fur
Turnlehrer versucht haben, ist kein
Einziger durchgekommen. In der
Xormalschule sieht es auch traurig
aus. . Nicht mehr die Halfte der frii-
heren Anzahl bereiten sich auf den
Lehrerberuf vor, da die Anforderun-
gen immer hoher wurden, die Be-
zahlung dagegen eine sehr geringe
geblieben ist. Im Laufe dieses
Schuljahres, oder ganz gewiss im
nachsten tritt in Chicago Lehrer-
inangel ein, dann \vird man hoffent-
lich wieder zu einem verniinftigen
System der Beforderung zuriickkom-
Imen, das meiner Ansicht nach ohne
die Chikanen einer Priifung durch-
gefiihrt werden kann. Wozu sind
a lie die hochbezahlten Prinzipale,
Hilfssuperintendenten u. s. w. da,
wenn sie nicht bestimmen konnen,
welcher Lehrer tiichtig ist und wel-
cher nicht. Eine Priifung ist na-
mentlich den alteren Kriiften gegen-
iiber eine Ungerechtigkeit. Und wenn
man von unseren Lehrern ver-
langt, dass sie eine Universitats-
bildung haben sollen, dann soil man
sie auch dementsprechend bezah-
len.
Mit derSache des deut-
sehen Unterrichts geht es bei
338
Pddagogische Monatskefte.
uns riesig schnell bergab. Vor etwa
15 Jahren hat der damalige deutsche
Schulverein an Wells Strasse ein
hiibsches Gebaude errichtet, das
heute noch den stolzen Titel
"Deutsch-Englische Schule und Aka-
demie fiihrt. Bei der Einweihung
desselben wurden herrliche Reden
gehalten, die von Schlagwortern, wie
,,Pflege desDeutschtums", ,,Bildungs-
Statte dgutschen Geistes", ,,Hort der
Muttersprache" u. s. f. voll waren.
Ein • Dutzend Jahre hat sich die
Schule hingeschleppt, die Deutschen
haben sie immer mehr im Stich ge-
lassen, bis das Gebaude von einem
reichen Backermeister gekauft und
in einen Rossstall umgewandelt
\vurde! Und oben steht noch in Ter-
rakottoschrift ,,Deutsch - Englische
Schule und Akademie" wie zum Hohn
auf die deutschen Bestrebungen.
Und \vie steht es mit dem deut-
schen Unterricht in den
offentlichen Schulen? Be-
kanntlich hat unser Superintendent
voriges Jahr iiberall zu reformieren
angefangen. Unter anderem muss-
ten sich die deutschen LehrKrafte
einer englischen Priifung unterzie-
*nen, die die meisten von ihnen nicht
bestehen konnten. Um Lehrer der
deutschen Sprache zu bekommen, hat
man dann deutsche Priifungen fiir
englische Lehrer ausgeschrieben, die
durchaus nicht schwierig waren.
Aber wie es mit dem Deutsch man-
cher derselben bestellt ist, kann man
Sich denken. — Zudem hat die dgut-
sche Lehrerin auch'ihr eigenes (eng-
lisches) Zimmer und erteilt nur
deutsch in Form von Abteilungunter-
richt. — Im grossen und ganzen kann
man heute nach einjahrigem Experi-
ment Ischon mit Bestimmtheit sagen,
dass das neue System sich nicht be-
wahrt hat und sich wohl anch nicht
bewahren wird, (und dass es den An-
fang vom Ende des deutschen Unter-
richts in den offentlichen Schulen
bedeutet.
I n u n serer Normalschule
scheint auch vieles faul zu sein. Dem
Leiter wird Parteilichkeit vorgewor-
fen und eine Untersuchung ist ein-
geleitet, die ihm und, wie neulich
eine englische Zeitung meinte, dem
Herrn Cooley die 'Sttellung kosten
kann.
Am 1. ,T u 1 i trat im Staate Illi-
nois ein Gesetz in Kraft, nach wel-
chem alle Kinder im Alter von 6 bis
14 Jahren angehalten sind, 40 Wo-
chen per Jahr die Schule zu besu-
chen. Fiir unentschuldigte Versaum-
nisse trifft den Vater oder Vormund
eine Strafe von 5 bis 20 Dollars fiir
jeden Fall. Wvinscht ein Kind mit
14 Jahren zur Arbeit zu gehen, so
muss es vom Prinzipal seiner Schule
ein Zeugnis beibringen, dass es min-
destens fliessend lesen und schreiben
kann. Ist es nicht imstande, diese
Befahigung aufzuweisen, so muss es
bis zum 16. Lebensjahre in die
Schule gehen. — Dasselbe Gesetz
verfiigt, dass junge Leute unter 16
Jahren nicht an gefahrlichen Ma-
schinen und nicht langer als 8
Stunden per Tag arbeiten diirfen.
Die einfache Anwesenheit in einer
Fabrik oder einem ,,shop" wird als
Beweis angesehen, dass das Kind
daselbst arbeitet.
Unser Thomas-Orchester
nahm am 23. und 24. Okt. seine re-
gelmassigen Konzerte wieder auf.
Auf dem ersten Programm standen:
Huldigungsmarsch, Wagner; Vor-
spiel, Lohengrin, Wagner; Siebente
Symphonic, Beethoven; Entr' Acte —
Symphonic, Bruneau; Sechs Varia-
tionen iiber ein russisches Thema,
und Ouverture Le carnival Remain,
Berlioz. Wenigstens 5000 Personen
wohnten beidemale dem herrlichen
Konzert bei. Leider hat das Or-
chester noch nicht seine eigene
Halle. Zum Fonds zur Erbauung ei-
ner solchen haben beigesteuert:
33 von $5,000 — $10,000 — $255,000.00
44 von 1,000— 2,500 — 46,500.00
201 von 100— 1,000 — 44,300.00
2081 von $100 oder weniger 20,254.50
5708 Clubs, Vereine etc — 42,672.61
Zusammen 8065 Verspre-
chungen in der Hohe von $408,727.11
Die Voranschlage der Kosten der
eigenen Halle sind $725,000. Hof-
fen wir, dass der ,,schabige Rest"
cald gezeichnet sein wird, sonst ver-
lieren wir unser herrlichstes Or-
chester, das je in Amerika spielte.
Ernes.
Cincinnati.
Frisch geolt und neu be-
schlagen hat unser, inf olge
weiterer Annexionen von umliegen-
den Dorfern wiederum vergrossertes
Schulfuhrwerk seine Zehnmonats-
fahrt in der ersten Septemberwoche
angetreten. Das unter der verflos-
senen Administration als veraltet
und zwecklos in die Rumpelkammer
geworfene ,,Teachers Institute"
Kor t esponden^en.
339
wurde wieder hervorgeholt und, wie
friiher, in Betrieb gesetzt, so dass
wir auf ein Jahr mit padagogischem
Proviant versehen, frisch-fromm ins
Geschirr gehen konnten. Die Haupt-
sache ist dabei, dass der neue Rosse-
lenker ohne viel Larmen angesetzt
und in seinem Gespann nur gering-
fiigige Stellungsveranderungen vor-
genommen hat. Die beiden Hiilfs-
lenker-Stellen sind eingegangen: Der
Schulsuperintendent hat keine As-
sistenzsuperintendenten mehr; er
will, unterstiitzt von den Schulprin-
zipalen, die Ziigel ganz allein halten.
Fiir den deutschen Unterricht aber
haben wir in der Person des Herrn
Dr. H. H. Fick einen Spezialsuperin-
tendenten bekommen und wir sind,
so viel ich bis heute habe ermitteln
konnen, mit der Steuerung samt
und. senders einverstanden, beson-
ders beziiglich des mit deni neuge-
schaffenen Amte betrauten Herrn.
Ob im englischen Unterrichtssysteme
Anderungen eingetreten sind, ist mir
nicht bekannt. Die halbjahrigen
Versetzungen sind aber abgeschafft,
und das Zwei-Klassenwesen, die
Gruppenteilung u. s. w. sind, wie ich
vernehme, nicht mehr notwendig. Ich
wage zu behaupten, dass ob dem all-
ihahlichen Dahinschwinden dieser
Siichelchen, denen gewiss langsam
sich noch andere ,,fads" anschliessen
werden, wenig oder keine Tranen
vergposen werden.
Der deutsche Karren wird
unbedingt gut fahren, und das ist
tins furs erste noch die Hauptsache.
Gestern (27. Sept.) wurden im hie-
sigen Krematorium die irdischen
tiberreste von Frau JennyJones,
einer im ganzen Lande langst giin-
stig bekannten und unter Kellers
Direktion am Seminar zu Milwaukee
tatig gewesenen Lehrerin, zu Asche
verwandelt. Die Verstorbene hatte
sich erst vor einem Jahre vom Lehr-
rimt uriickgezogen, war aber bis zu
ihrem Tode schriftstellerisch fiir
das Erziehungswesen tatig gewesen.
An \inserer stadtischen
(McMicken-) Universitat ist
nunmehr ein padagogischer Kursus
mit einem regelrechten Zweitausend-
fiinfhundert Dollarigen Professor
eingerichtet worden, und wir konnen
uns demnach auch hier gelegentlich
auf einen Magister oder Doktor der
Padagogik, a la Columbia, New York,
p-efasst machen. Nicht besonders gut
diirften, dabei, im englischen Departe-
ment wenigstens, die noch vorhan-
denen 150 — 200 gepriiften Lehramts-
kandidatinnen fahren, da der Schul-
rat bereits beschlossen hat, den Abi-
turienten der Universitat in alien
Fallen den Vorzug bei der Besetzung
von Lehrstellen zu geben. Da wird
leider gar oft das Krautlein Geduld
Trumpf sein miissen, um so weniger
angenehm fiir die Betreffenden, als
von ihnen noch axisserdem verlangt
wird, dass sie dreihundert Schultage
als soffenannte ,,Kadetten" in Schul-
hausern herumpraktizieren, auch
wenn sie nicht Stellen erkrankter
oder sonstwie abwesender Lehrkrafte
gegen Bezahlung versehen. Fiir man-
che unbemittelte Kandidaten ist daa
eine ziemlich harte Nuss, und Zahne
wirds hie und da wohl kosten. Zieht
man noch die Tatsache in Betracht,
dass die Lehrergehiilter an Land-
^chulen inOhio nachgerade unerhort
klein geworden sind, so dass es sich
kaum noch lohnt, sich darum zu be-
werben, so liegt der Gedanke recht
nahe, es sei besser fiir junge Mzid-
chen, Stellen in anstandigen Haxishal-
tungen anztmehmen, als hoheren Stu-
dien obzuliegen. Doch das diirfte
wohl tauben Ohren gepredigt sein.
MM
Milwaukee.
Am 19. Sept. versammelte sich der
Milw. Lehrerverein (Milw.
Teachers Association) zum erstenmal
wieder im neuen Schuljahr. Wohl
alle waren iiberrasqht, eine so grosse
Anzahl Kollegen zu finden, da ge-
wohnlich die erste Versammlung nur
schwach besiicht wird. Es waren
wohl an 130 Personen anwesend, und
alle schienen frisch, gesund und en-
thusiastisch zu sein, und so also mit
neuem Mut und neuer Hoffnung ihre
lArbeit wieder begonnen zu haben.
'So ists recht! Ein Lehrer soil ein:
Optimist sein, voll Freudigkeit, Hei-
terkeit und Lebensmut; denn nur
dann kann er auch seinen Schiilern
Begeisterung, Lust und Liebe, zum
Stiidium einflossen. Auf der Tages-
ordnung standen nebst den Routine-
geschaften zwei Vortriige iiber die im
Juli in Boston stattgefundene Allge-
meine Lehrerversammlung. Der erste
Referent war unser 1. Ass. Supt.
Her W. Allen, der auf Ersuchen sich
freundlichst bereit gefunden hatte,
seine Eindriicke und Anschauungen
von der Versammlung und der an hi-
storischen Erscheinungen so reichen
Stadt Boston samt der ganzen Um-
geoung, als Plymouth Rock, Concord
und Lexington u. a. m. der Versamm-
lung mitzuteilen. In meisterhafter,
freier Rede schilderte er den Ver-
340
Pddagogisclje Monatshefte.
lauf der Verhandlungen und zeich-
nete gleichsam in grossen Umrissen
die Hauptpunkte und Ergebnisse.
Dass bei der riesigen Menge der Be-
sucher (an 30,000) bei den Hauptver-
^ammJungen kein besonderes Ergeb-
nis zu verzeichnen ist, erscheine nur
natiirlieh, denn kein Redner hatte
sich der riesigen Masse verstandlich
tnachen konnen. Auch habe die
schreckliche Hitze den Versammlun-
gen grossen Abtrag getan. Die Sek-
tions-Versammlungen seien darum
auch nur recht schwach besucht ge-
wesen, in einer hatte er z. B. nur 19
Personen anwesend gefunden. Doch
sehr viel Interesse batten die Lehrer
fiir die historischen Orter und Platze
in der Stadt und in der Umgebung
ron Boston gezeigt, z. B. am ineisten
fur Plymouth Rock. Wohl die mei-
sten hatte n die felsigen Ufer am
Meere besucht, wo einst die Pilgrim-
vater gelandet seien. Er glaube
auch, dass spater der Geschichtsun-
terrieht in den Klassen eben dadurch
recht fruchtbringend und interes-
sant gemacht werden konnte, wenn
die Lehrer den Schiilern von diesen
Orten erziihlen wiirden, und beider
Interesse wiirde dadurch am Unter-
richt geweckt. Dann hielt noch Frl.
Slawson einen Vortrag, und zwar
auch iiber alle die historischen Orte
und Punkte in der Umgebung Bo-
stons, vorziiglich iiber Concord. Der
Vortrag fand ebenso viel Interesse.
In meiner letzten Korrespondenz
vom letzten Juni berichtete ich vom
Gesangunterrichte in u n-
'sernSchulen und ausserte zu-
gleich meine Befiirchtung, dass wir
anscheinend wieder dem Gesangssy-
stem des ,,do — re — mi — fa — sol — la —
si" rait seinem unsinnigen ,,tiffee —
taffee" und ,,tee — ta" zuzutreiben
^chienen. Der Schulrat hat sich
namlich veranlasst gesehen, eine Ge-
sangslehrerin, oder besser, eine Auf-
seherin iiber den Gesangsunterricht,
anzustellen. Bei dem letzten Gesang-
lehrer, vor 6 — 7 Jahren, konnte man
15 Minute n lang die armen Schiiler
tiffee-taffee, tiffee-taffee sinp-en ho-
ren; aber sie konnten nicht 3 oder 4
Lieder ordenlich mehr singen. Hof-
fentlich kehren die Zeiten nicht wie-
der.— Der Nordwestliche Siingerbund
wird im nachsten Sommer in Milwau-
kee ein grosses Sangerfest abhalten.
Da hat er beschlossen, einen grossen
Kinderchor von 2000 Stimmen zu bil-
den, der mehrere Gesange und Volks-
lieder bei dem Sangerfest singen soil.
Herr M. Griebsch ist mit der Bildung
und Einiibung dieses Chors betraut.
Ich glaube und bin gewiss, dass wir
einen ausgezeichneten Kinderchor
horen werden; aber ich glaube auch,
dass HerrGriebsch das Einiiben ohne
do-re-mi, und tiffee-taffee, und teeta,
fertig bringen wird. Nichts klingt
schoner, wie ein gut eingeiibter,
zweistimmiger Kinderchor mit fri-
schen, reinen Stimraeii. ubungen
miissen seiu, aber ich glaube, daiss
die Hauptiibungen bei den Liedern
und Chciren selbst stattfinden. Die
alte Methode mit den Notennamen c,
d, e, f etc. sind in Deutschland noch
immer gebrauchlich und werden es
auch wohl bleiben, und so auch hier
bei uns in den meisten Schulen und
Gesangvereinen, und ebenso beim
Gesangunterricht. England, von wo
diese famose Methode herkam, mag
sie behalten, wir gonnen sie ihnen
gern. Die Lehrmethoden, die von
dort her kommen, sind meistens
nicht viel wert.
Vom 21.— 23. Juli tagte hier in Mil-
waukee die jiihrliche Nordwest-
liche L e h r e r k o n f e r e n z. Das
ist eine Vereinigung lutherischer
Lehrer, die sich aus den Lokalkon-
ferenzen der Lehrer von Chicago,
Milwaukee, Addison, 111., und Win-,
nebago Co., Wis., zusammen setzt.
Die Versammlung Avar recht zahl-
reich besucht; es waren an 150 — 175
Lehrer, Professoren und Pastoren
anwesend und zwar ausschliess-
1 i c h Manner. Das ist hier in
Amerika gewiss eine sehr seltene Er-
scheinung. Auf der Tagesordnung
stand eine Reihe recht interessan-
ter Vortrage und zwei praktische
Lehrproben, namlich: die 5 Formal-
stufen der Herbartschen Methode.
Wie hat der Lehrer die Individuali-
tat seiner Schiiler zu beobachten?
Wie kann der Lehrer sich vor Zer-
splitterung seiner Krafte im Unter-
richt hiiten? uber Inspektion in den
Schulen. Die Respektlosigkeit der
heutigen lJugend. Passendes und
Aviirdiges Orgelspiel beim Gottes-
dienst. Der Humor in der Schule,
und als praktische Lehrproben eine
Katechese iiber /Christ! Axifer-
stehung, und — Anschauungsunter-
richt iiber das Ei. Natiirlieh kamen
nicht alle Themata zur Verhandlung,
aber diejenigen Arbeiten, die ver-
lesen wurden, kamen zu ciner griind-
lichen Besprechung und Debatte.
Recht erfreulich war es zu beobach-
ten, wie jeder seine Meinung frei und
offen aussprach ohne Scheu und
Riickhalt /vor den anwesenden Pro-
fessoren und Pastoren. Ebenso
Korresponden^en.
341
wurden aueh die beiden praktischen
Lehrproben, welche mit Schulklassen
abgehalten wurden, kritisch bespro-
chen in methodischer und sachlicher
Hinsicht. Die zweite Arbeit war be-
sonders gut, namlich eine Probe im
Anschauungsunterricht, es war eine
wirkliche Miisterlektion. Es liegt auf
der Hand, dass durch solche griind-
liehe Besprechungen und Debatten
die gehorten Vortrtige oder Referate
erst fruchtbar gemacht werden, so
dass jedes Mitglied auch etwas mit
nach Hause tragen kann. Wie er-
frischend und anregend ist es fiir
den Lehrer, eine Anzahl tiichtiger
Schulmanner zu sehen und zu horen,
die es ernst mit fihrem Beruf nehmen
und von denen inanche im Schulamt
echon ergraut sind. Diese haben
dann auch den Mut, ihre Meinung
offen und frei auszusprechen, und
dadurch kann ja auch nur etwas Er-
spriessliches in Lehrerkonferenzen
erzielt werden. Wie verschijden da-
von ist es oft in anderen Versamm-
lungen, wo Lehrer und Lehrinnen in
den Debatten oft angstlich nach
,,oben schielen, um zu lernen, woher
dort der Wind weht, (wahrschein-
lich jist das eine neue Art Meteorolo-
gie) und darauf dann ihre Meinung
formeln, weil sie entweder selbst
keine Meinung haben, oder auch zu
feige sind, dieselbe auszusprechen.
A. W.
Washington.
Die Ferienklassen waren diesen
bommer wieder ganz und gar iiber-
fiillt, die darin gebotene Abwechs-
lung war aber auch eine reichhal-
tige. Da horte man den schrillen
Ton von Hobel und Sage, das Ticken
aer Schreibmaschine, das Surren der
Nahmaschine, Stiihle wurden ge-
flochten, Drahtarbeiten verfertigt,
im ,,Kiichengarten" kochte und bro-
delte es, und im Kindergarten er-
klangen die munteren Gesange der
Kleinen beim frohen Spiele. Gross-
herzige Burger hatten nicht nur das
notige Arbeitsmaterial beigesteuert
(die vom Kongress ausgesetzte
S'lmme war nicht hinreichend), son-
dern auch verschiedene Ausfliige
mit der elektrischen Bahn fiir die
Zoglinge veranstaltet. In den jetzt
begonnenen Abendschulen, die in
gewissem Sinne das Gegenstiick zu
den Ferienschulen bilden, soil nun
auch der Handfertigkeitsunterricht
eingefiihrt, resp. erweitert werden.
Der sclion friiher an denselben ein-
gefiihrte Kochunterricht scheint be-
sonders begehrt zu sein, es hatten
sich auch miinnliche Zoglinge daran
beteiligt, und zwar mit gutem Er-
folg.
Die Schulen sind alle in vollem
Gange, offentliche wie private. Die
Zahl der Zoglinge an den offentlichen
Schulen belauft sich rund auf 50,000,
wo von 17,000 Farbige sind. Die etwa
1350 Personen betragende Lehrer-
schaft weist folgenden Prozentsatz
auf: weisse Lehrer 7 Prozent, weisse
Lehrerinnen 60 Prozent; farbige
Lehrer 6 Prozent, farbige Lehrerin-
nen 27 Prozent. Die offentlichen
Schulen begannen ihren Kursus
Ende September, die Mehrzahl der
Privatschulen fingen aber mit vor-
nehmer Gemutlichkeit erst im Ok-
tober an; dafiir scheint an densel-
ben indessen auch mehr eingetrich-
tert zu werden, wenn man nach den
hohen Schulgeldern schliessen kann,
an einigen betragt allein das Schul-
geld fiir jiingere Madchen iiber fiinf-
zig Dollars den Monat. Was sollte
nach diesem Massstab wohl das mo-
natliche Schulgeld an der Muster-
schule unseres Lehrerseminars in
Milwaukee sein, an der, wie Schrei-
ber weiss, so viel mehr geleistet
wird?
Die deutschamerikanische Natio-
nalbewegung hat in der Bundes-
hauptstadt bereits gute Frtichte ge-
zeitigt. Mit Ausnahme des altesten
Gesangvereins haben sich alle deut-
sche Vereine und Logen hierselbst
dem Zentralverband des Distrikts
Columbia angeschlossen, und der-
selbe zeigt ein reges Leben. An der
Spitze desselben stehen die Herren
Kurt Volckner, von der Kongress-
Bibliothek, Gustav Bende, vom
Kriegsministerium, und der friiher
im Finanzministerium angestellte
^xrchitekt Pohl. Unter Leitung die-
ser hochbefahigten und enthusiasti-
schen Manner wird die 220. Jahres-
f eier der ersten deutschen Einwan-
derung in grossartiger Weise im
November stattfinden. Eine Darstel-
lung von ,,Alt-Deutschland" wird
vorbereitet.
Die Konventionshalle, ein wirklich
riesiges GebJiuae, welches bequem
10,000 Menschen fassen kann, ist ge-
mietet und deutschen Architekten
iibergeben worden. Sie werden im
Innern ein ,,Alt Niirnberg" erbauen.
Auf einer Vogelwiese werden sich
Zelte fiir allerlei Belustigungen er-
342
Pddagogische Monatshefte.
heben, \md an alien Ecken tmd En-
den soil deutsches Wesen veran-
schaulicht werden. Die Feier wird
eine ganze Woche dauern und der
Reinertrag fallt zum grossten Teil
uen einzelnen Vereinen wieder zu.
President Roosevelt hat fiir einen
Abend sein Erscheinen in Begleitung
des deutschen Botschafters zuge-
sagt, und er wird sehr wahrschein-
i*ch eine Ansprache in deutscher
Sprache halten.
Eine schone Vorfeier des deut-
schen Tages hat bereits im Oktober
stattgefunden, und bei dieser \varen
samtliche deutsche Vereinigungen
Washingtons vertreten, also auch
der bereits erwahnte alteste Gesang-
verein des Distrikts, der sich bis
jetzt noch nicht angeschlossen hat,
aber augenscheinlich auch bald da-
zu gehoren wird. Bei dieser Gele-
genheit hiel President Volckner eine
von Begeisterung getragene Rede,
worin er nach einer kurzen Einlei-
tung, in der er an die Grundung von
Germantowii erinnerte, zunachst die
Frage beantwortete: ,,Haben wir ein
Recht, einen ,,Deutschen Tag" zu
feiern?" Herr Volckner sagte: ,,Die
Irliinder haben ihren St. Patricks-
tag, die Franzosen ihren 14. Juli, die
Norweger ihren 17. Mai. Wenn die
Amerikaner deutscher Abkunft auch
ihren Festtag haben wollten, so
waren sie dazu vollstiindig berech-
tigt, und sie haben weise gehandelt,
wenn sie nicht etwa den 2. Septem-
ber, sondern den 6. Oktober als sol-
chen auswiihlten, denn der St.
Patrickstag basiert auf der griinen
Insel, der 14. Juli der Franzosen hat
seinen Ursprung in Frankreich, der
17. Mai der Norweger in Norwegen,
aber der ,,Deutsche Tag" ist ein
amerikanischer Tag, und wir kon-
nen stolz darauf sein, dass unser
Festtag nicht begriindet ist in frem-
der Geschichte, sondern trotz seines
Namens ,,Deutscher Tag" in der
Kulturentwickelungs - Geschicbte
Amerikas." O.
III. Umschau.
Chicago ist das moderne
Babel. Es werden insgesamt 40
Sprachen in der Stadt gesprochen,
davon 14 von mehr als 10,000 Men-
schen. Chicago ist die zweitgrosste
bohmische Stadt der Welt, die dritt-
grosste schwedische und die fiinft-
grosste deutsche. Zeitungen erschei-
nen in zehn verschiedenen Sprachen
und Gottesdienst wird in 20 Sprachen
abgehalten. Unter den fremden Ko-
lonien in Chicago besteht eine aus
Islandern, eine andere aus Basken
und eine dritte aus Bretonen.
S c h u Isuperintendent
C o o 1 e y von Chicago huldigt der
sehr verniinftigen Ansicht, dass in
keiner Klasse mehr als 30 Schiiler
sein sollten. Vorlaufig wird es wohl
mit der Ausfiihrung dieses Planes
noch gute Wege haben; denn
das Chicagoer Budget fiir die Schul-
verwaltung wiirde dadurch um die
Kleinigkeit von einer Million Dollars
mehr belastet w^erden. Ja, wenn es
sich um irgend welche anderen Ver-
besserungen, oder wenigstens um
eine Dotation fiir die Universitat
handelte — aber fur die Volks-
schule ! ?
In der S t a a t s 1 e gi s 1 a t u r
von Georgia lag ein Gesetzent-
wurf vor, nach welchem der Schul-
fonds zwischen Weissen und Schwar-
zen geteilt werden sollte im Verhalt-
nis zu ihren Beitragen zu demselben.
Der Entwurf wurde niedergestimmt
— ein Beschluss, der aller Ehren
wert ist.
Das Kultus (Unterrichts)
Ministerium Baierns dringt
auf Verwendung gleicher Lehrmittel
in den Schulen. ,,Einmal eingefiihrte
kostspieligere Lehrbiicher diirfen
zehn Jahre lang nicht gewechselt
werden," bei kleineren Lehrmitteln
darf ein Wechsel nicht vor fiinf Jah-
ren vorgenommen werden. Ein
Wechsel der Lehrbucher ist von der
Kreisregierung den Gewerbetrei-
benden rechtzeitig bekannt zu
geben.
Uns ging der Jahresbericht
iiber den Stand der dem
Volksschulrektorate unter-
stellten stadtischen Schulen in
Mannheim zu. Der Lehrkorper
ziihlte am Schlusse des Schuljahres
ssul Hauptschullehrer, 24 Hauptleh-
rerinnen, 97 Unterlehrer, 26 Unter-
Umschau.
343
lehrerinnen, 5 Hilfslehrer, 6 Hilfs-
lehrerinnen, 47 Industrielehrerinnen
und 6 Haushaltungslehrerinnen. Die
Schiilerzahl betrug 19,610 gegen 18,-
589 iin Vorjahre. An der erweiter-
ten Volksschule wird in 3 Wochen-
stunden fakultativ franzosischer Un-
terricht erteilt, die Zahl der Teil-
nehmer betrug 571, die sich auf 26
Kurse verteilten. Die Knabenarbeits-
schule hatte einen bedeutenuen Zu-
wachs an Teilnehmern, von 860 Neu-
angemeldeten konnten 781 Auf-
.nahme finden. Die Knabenfortbil-
dungsschule ziihlte 604, die haus-
wirtschaftliche Madchenfortbil-
dungsschule 793 Teilnehmer. Zur
praktischen Erprobung wurde auf
Veranlassung der Grossherzogin die
aus Schweden stammende ,,Koch-
kiste" eingefiihrt. Zu dem fur frei-
willige Teilnehmerinnen eingerich-
teten Flickkurs batten sich 128 Fort-
bildimgsschtilerinnen gemeldet. Kna-
ben- und Madchenhorte waren stark
besxicht. Die Schuiorausebader wur-
den im ganzen von 3586 Kindern be-
nutzt. Friihstiick, bestehend aus
Milch und Brotchen, erhielten 2996
Kinder. In Ferienkolonien wurden
435 ausgeschickt. 96 Schiilerinnen
erhielten Pramien wegen besonders
giinstiger Aufzucht von Stecklings-
pflanzen (Blumenpflege).
Prof. Dr. Wilhelm Rein in
Jena hat einen Euf an die Univer-
sitat Prag erhalten, wo er zum
Nachfolger des in den Euhestand
tretenden Professors Dr. Willmann
ausersehen ist. Wie verlautet, wird
Rein die Wahl annehmen.
jKonigliche Jahresgabe
fiir Detlev v. Liliencron.
Dem Dichter Detlev v. Liliencron ist
— wie gemeldet wird — vom Konig
von Preussen neben seiner Offiziers-
pension noch eine konigliche Gna-
dengabe von jahrlich 2000 M. iiber-
wiesen \vorden, wodurch es dem
Dichter jedenfalls ermoglicht wird,
sich die fiir seine geistige Arbeit er-
forderliche, aber leider lang ent-
behrte materielle Basis zu schaffen.
Urteile iiber ungeteilte
Schulzeit. 1. Kaiser Wilhelm
II.: ,,Was den Korper betrifft, so bin
ich auch der bestimmten Ansicht,
dass die Nachmittage frei sein muss-
ten, ein fur allemal."
2. Der Magistrat der Stadt Konigs-
be'rg: ,,Der Schulbesuch ist regel-
massiger geworden, der Gesund-
heitszustand unter den Kindern ist
infolge der neuen Einrichtung bes-
ser geworden, die hauslichen Arbei-
ten haben sich gebessert, die Kinder
sind in der fiinften Morgenstunde
noch munterer, als friiher am Nach-
mittage, von den Ortsschulinspekto-
ren und Rektoren hat sich niemand
gegen die Aufhebung des Nachmit-
tagsunterrichts ausgesprochen."
3. Geh. Ober-Medizinalrat Dr. Eu-
lenberg: ,,Der ausschliessliche Vor-
mittagsunterricht hat sich in alien
grosseren Stadten bewahrt, beson-
ders wenn auf grossere Pausen
Riicksicht genommen wird."
4. Dr. Wagner-Darmstadt: ,,84 Pro-
zent der Schuler sind nach dreistiin-
diger Mittagspause noch nicht wie-
der erholt. Der Nachmittagsunter-
richt ist padagogisch fast wertlos,
da er mit ermiideten Kindern arbei-
tet, und hygienisch bedenklich, da
er eine zu starke Inanspruchnahme
des Gehirns verlangt."
5. Dr. Schmid-Monnard in Halle:
,,Bei Schiilern der Volksschule, die
bis zum 11. Jahre gleiche, von da ab
verschiedene Unterrichtszeit hatten,
finden sich folgende Verschiebungen
der Kranklichkeitsziffern: a) nur
Vormittagsunterricht: Knaben 13 —
25 Proz., Madchen 21—40 Proz.; b)
Vor- und Nachmittagsunterricht:
Knaben 26 — 37 Proz., Madchen 30 —
45 Proz."
Gemeindliche Dankbar-
k e i t oder zwei Tragikomodien aiis
dem Lehrerleben, die es verdienen,
der Vergessenheit entrissen zu wer-
den. Die erste spielte vor etwa 25
Jahren. In der Gemeinde X. hatte
der Lehrer sein halbes Leben lang
mit Treue und Liebe dem schweren
Werke der Jugenderziehung gearbei-
tet und sich dabei nicht nur der An-
erkennung seiner Behorden, sondern
auch der Liebe seiner Gemeinde er-
freuen konnen. Als er starb, erhielt
seine Witwe, wie ublich, die damals
recht schmale Pension. Die Not der
armen Frau ging den Gemeindeglie-
dern zu Herzen; man beschloss, ihr
einen Zoll der Dankbarkeit fiir das
treue Wirken ihres Mannes zu ent-
richten. So wurde denn in der Ge-
meindesitzung feierlichst folgender
Beschluss gefasst: ,,In Anerkennung
der langjahrigen, treuen Dienste, die
der verstorbene Lehrer unsrer Ge-
meinde geleistet hat, wird seiner
Witwe fiir ihre fernere Lebenszeit
ein — freier Sitz im hintern Teil des
Kirchschiffes (unter dem Turm) ge-
344
Padagogische Monatshefte.
wahrt!" — Es gibt doch noch Dank-
barkeit auf Erden!! — Die zweite
Geschichte ereignete sich vor weni-
gen Wochen. Der Inhaber einer
Lehrerstelle in einem Filialkirchdorf
hatte bisher die Vervvaltung des
Friedhofs, speziell das Anweisen der
Grabstellen, unentgeltlich zu besor-
gen. Da aber bekanntlich jeder Ar-
beiter seines Lohnes wert ist, stellte
er jiingst den Antrag auf Gewahrung
einer Vergiitnng fiir diese Dienste.
Als diese unbescheidene Forderung
des Lehrers im Kirchenrat zur Be-
sprechung kani, wurde auf Antrag
des Geistlichen und Ortsschulinspek-
tors folgender Beschluss gefasst:
,,Fiir die Verwaltung des Friedhofs
und speziell fiir das Anweisen der
Grabstellen erhalt der Lehrer als
Entschadigung fiir sich und seine
Frau je eine — freie Grabstelle auf
dem Kirchhof der Gemeinde ange-
wiesen!" — So geschehen im 20.
Jahrhundert! !
P a u s e n. Die Schulverwaltung
zu Minden hat folgende Verfiigung
erlassen: In einzelnen Schulen des
diesseitigen Bezirks ist es iiblich,
dass der Unterricht in den ersten
beiden Vormittagsstunden ohne Un-
terbrechung .erteilt wird und die
erste Pause erst nach Ablauf der 2.
Unterrichtsstimde eintritt. Das ist
mit Riicksicht auf die Gesundheit
der Kinder nicht zu billigen. Wir
ordnen daher an, dass fortan nach
jeder Unterrichtsstunde eine Pause
von 10 Minuten gemacht wird. Die
schon jetzt allgemein bestehende
grosser e Pause, die bis zu 20 Minu-
ten ausgedehnt werden kann, ist
nach der 2. oder 3. Unterrichtsstunde
zu legen. Sie ist mir dann zu ma-
chen, wenn der zusammenhangende
Unterricht iiber 3 Stunden dauert.
Aus dem S t a t i s t i s c h e n
Jahrbuch fiir das Deutsche
Reich. Der X. Jahrgang des sta-
tistischen Jahrbuches deutscher
Stadte gibt folgende Zahlen beziig-
lich der Anzahl der weiblichen
IL e h r kr a f vt e in den deutschen
Grossstadten. (N. B. Die technischen
undFachlehrerinnen, sowie die nicht
vollbeschaftigten Lehrkrafte sind
eingerechnet) : Es kommen in Ber-
lin auf je 100 Lehrkrafte 44,02 Leh-
rerinnen. Diese Zahl wird nur in
Aachen (49,50), Altona (44,51), Dan-
zig (44,72), Erfurt (44,72), Liibeck
((44,69), Miinchen (47,85) und Strass-
burg (46,50) iiberschritten. In den
sachsischen Stlidten Chemnitz (4,02),
Plauen i. V. (5,81), Zwickau (5,17),
Leipzig (10,92) bleiben die Zahlen
weit hinter denen Berlins zuriick,
ebenso in Duisburg (7,65), Niirnberg
(15,98), Wiesbaden (19,85). Der An-
teil der Lehrerinnen betriigt zwi-
schen 20 und 30 vom Hundert in 12
Stiidten, in den iibrigen 14 Stadten
zwischen 30 und 40 vom Hundert.
Durchschnittlich ist in den 42 Gross-
stadten der Anteil der Lehrerinnen
30 auf je 100 Lehrpersonen.
Schweden. Deutschun-
terricht. Da die schwedische
Ijnterrichtsverwaltung den Unter-
richtsplan der hoheren Lehranstal-
ten zu iindern wiinscht, wandte sie
sich an die Lehrkorper der einzelnen
Anstalten und holte ihre Ansicht
iiber den Unterricht in den neueren
Sprachen ein. Fast allgemein Melt
man fiir notig, Deutsch an die erste
(Stelle zu setzen und ihm den Vor-
rang vor Englisch und Franzosisch
einzuriiumen. Die Begriindung die-
ser Ansicht gibt einLehrerkollegium
in folgender Weise: ,,Die deutsche
Kultur mit ihren reichen Wissens-
schiitzen, ihren dichterischen Er-
zeugnissen und der Vielseitigkeit
des sprachlichenAusdruckes rangiert
ganz unbestritten in unsern Tagen
an der vornehmsten Stelle. Hinzu-
konimt, dass die neuzeitlichen Schul-
bestrebungen mehr und mehr einer
positiven Beriicksichtigung jener be-
sonderen Aufgabe zuneigen, durch
\Velche die Befahigung der heran-
wachsenden Jugend zur spiiteren
Teilnahme am wirtschaftlichen Le-
ben erhoht und die Aussichten auf
eine gesicherte Lebensstellung ver-
bessert werden konnen. In diesen
beiden grundlegenden Beziehungen
bietet weder das Franzosische mit
seinem geringen kommerziellen
Werte noch das Englische mit seiner
geringen Bedeutung auf rein kul-
Jturellem Gebiete die gleichen Bil-
dungsmoglichkeiten wie das Deut-
sche." Dass die Reform durchsre-
fiihrt wird, geht daraus hervor, dass
in Upsala und Lund zwei neue Pro-
fessuren fiir germanische Sprachen
eingerichtet werden sollen, damit es
nicht an gut vorgebildeten Lehrera
fehlt.
tJber Deutschtum und
deutsche Schulen in Au-
stralien finden sich in der ,,Tagl.
Rundschau" folgende Angaben: Zur
Zeit stellen die Deutschen etwa 2,3
vom Hundert der Bevolkerung Au-
straliens. Es sind rund 107,000, von
Vermischtes.
345
denen ziemlich 47,000 noch in
Deutschland geboren sind. Das
Hauptmittel, ihre Kinder deutsch zu
erhalten, ist die Schule. West-
australien und Tasmanien (500 und
1000 Deutsche) haben keine
deutschen Schulen. Neu-Seeland hat
bei 12,000 Deutschen nur 7, Neu-Siid-
Wales fiir 10,000 Deutsche nur 3
Schulen zur Verfiigung. Die 15,000
Deutschen in Viktoria unterhalten
11 deutsche Schulen. Am schlimm-
sten sieht es in Queensland aus, wo
auf 38,000 Deutsche, von denen 15,-
000 im Mutterlande geboren sind,
nur zwei deutsche Schulen kommen,
wenn man davon absieht, dass in den
deutschevangelischen Kirchenge-
meinden wiichentlich cinnial deut-
scher Unterricht iui Lesen und
Schreiben und deutscher Konfirman-
denunterricht erteilt wird. Am be-
sten liegen die Verhaltnisse in Sud-
australien. Dort unterhalten 30,000
Deutsche rund 53 deutsche Schulen
mit 18,000 Schiilern.
IV. Vermischtes.
Erziehungsgrunds a t z e
eines alten Lehrers. Man
erzahlt von einem alten Lehrer, dass
er Eltern, die ein Kind in die Schule
brachten, zwei Spriiche sagte. Er-
stens: ,,Allein kann ich nicht ziehen,
Ihr miisst mitziehen." Zweitens:
,,Und wenn Ihr mitzieht, so miisst
Ihr nicht riickwarts wollen, wenn
ich vorwarts will." Wenn aber ein
Vater ein Sohnchen oder eine Mutter
ihr Tochterchen recht herausstrich,
pflegte er einen dritten Spruch bei-
zufiigen: ,,Lieber ungezogen Kind,
als verzogen Kind" — und erzahlte
folgendes Exempel: Ich kannte einen
Lautenschlager, der oftmals sagte:
,,Wenn ich einen Schiiler bekomme,
der nichts auf der Laute kainn, so
fordere ich 5 n. Lehrgeld; bekommf
ich aber einen, der schon etwas
kann, so verlange ich 10 fl." Wenn
man ihn fragte, warum er das tue,
sprach er: ,,Fiinf verlange ich fur
das, was ich lehre, und fiinf fiir das,
was ich ihm abgewohnen muss."
Konig Ahmed hatte zwei wiss-
begierige Sohne: Behmed und Ceh-
med.
Und der Konig schenkte seinem
Erstgeborenen, Behmed, tausend
gute Biicher, und seinem Zweitge-
borenen Cehmed, ein gutes Buch.
Und die wissbegierigen Sohne la-
sen in einem fort.
Und Cehmed wurde weise, und
Behmed wurde dumm.
Eine Mahnung, die auch wir
unserenLesern ans Herz legen moch-
ten, richtet eine Redaktion in eigen-
artiger Form an denLeserkreis ihrer
Zeitung; sie ersucht namlich um
standige, tatige Mitarbeit in folgen-
dem Wortspiel: ,,Wenn Sie etwas
wissen, was zu wissen interessant
ist, und was wir eigentlich wissen
sollten, und von dem Sie wissen, dass
wir es nicht wissen — bitte, lassen
Sie es tins auch wissen, damit wir es
auch andere wissen lassen konnen."
Der padagogische Spatz.
Von den Schulbiichern.
Pi-pip! Mich jammern die Kinder
fast,
Die fiir ihr bisschen Wissen
Der diinnen und dicken Biicher
Last
Alltaglich schleppen miissen!
Ich hege fiir mich den leisen
Verdacht,
Dass sie viel Unheil schon ge-
bracht,
Die Schiiler-Folianten!
Pi-pip! Wohl sind sie aufge'baut
Nach Regeln und Systemen;
Doch konnen sie dem Jugendgeist
Sich selten anbequemen.
Auf alien Stufen weit und breit
Vermisse ich die Freudigkeit,
Die Liebe zu den Buchern —
Pi-pip!
Von der Disziplin.
Pi-pip! Im ganzen Schulbetrieb,
Auf alien Altersstufen
Wird stets nach Ordnung und Gesetz
Nach Disziplin gerufen;
Mit Blick und Wort, mit Hand und
Stab
Miiht sich die Padagogik ab,
Ihr Volk im Zaum zu halten.
Pi-pip! Es ist ein leer' Bemiihn
Und fiihrt zu keinem Ende,
Reicht hierin nicht das Elternhaus
Der Schule fest die Hande!
Was dort gefehlt bei Tag und Nacht,
Das wird so leicht nicht gutgemacht
Mit Wort und Reglementen —
Pi-pip!
(Schweiz. Lelirerzeitung.)
346
Padagogische Monatshefte.
Eingesandte Bucher.
Mechanics Molecular
Physics and Heat, a twelve
•weeks' college course by R,o b e r t
Andrews Millikan, Ph. D.,
Assistant Professor of Physics in the
University of Chicago. Boston, Ginn
& Co., 1903. Price $1.60.
Questions on Thoina s's
Grammar with Essential of
Grammar in German by
Warren W. Florer, University
of Michigan. George Wahr, Ann
Arbor, Mich., 1903.
Lessons in Physics by
Lothrop D. Higgins, Ph. B.,
Instructor in Natural Science in the
Morgan School, Clinton, Conn.
Boston, Ginn & Co., 1903. Price 90 cts.
Kinder- und Hausmarchen
der Briider Grimm. Selected
and edited with an introduction,
notes and a vocabulary by B. J.
V o s, Associate Professor of Ger-
man in the John Hopkins University.
American Book Co.
The Corona Song Book. A
choice collection of choruses desig-
ned for the use of high schools,
grammar schools, academies, and
seminaries, composing part songs
and choruses, oratorio selections,
selected hymns and tunes, national
and patriotic songs. Selected and
compiled, and arranged by
William C. H o f f , Director of
Music in the Public Schools of Yon-
kers, N. Y. Ginn & Co., Boston, 1903.
Price $1.20.
Die Unterrichtslektion
als didaktische Kunst-
f o r m. Praktische Ratschliige und
Proben fur die Alltagsarbeit fur
Lehrproben von Dr. Richard
S e y f e r t, Seminaroberlehrer. Leip-
zig, Ernst Wunderlich, 1904. Preis
M. 2.40.
JJiktatstoffe zur Einubung
und Befestigung der deutschen Satz-
lehre. Im Anschlusse an die einzel-
nen Unterrichtsfacher als Sprach-
ganze bearbeitet von Paul T h.
Hermann. Vierte vermehrte und
verbesserte Auflage. Leipzig, Ernst
Wunderlich, 1904. Preis M. 1.60.
Geographic Influences in
American History by Al-
bert Perry Brigham, A. M.,
F. G. S. A., Professor of Geology in
Colgate University. Boston, Ginn &
Co., 1903. Price $1.40.
Questions set at the
Examinations held by the College
Entrance Examination
Board, June 15. — 20., 1903, Boston,
Ginn & Co., 1903. Price 60 cts.
C o m i h g's Complete Record
for Attendance and Scholarship.
High School Edition. Boston, Ginn
& Co., 1903.
TheMedialWritingBooks
by H. W. Shay lor and G. H.
Shattuck. Shorter Course, Books
A, B, C. By the same authors M e-
dial Spelling Blanks, Nos. 1,
2, 3. Ginn & Co., Boston, 1903.
Die allgemeine obligato-
rische Madchen - Fortbild-
ungssc h u 1 e. Vortrag von
Jo h. H o f m a n n, Rektor. Leipzig,
Ernst Wunderlich, 1903. Preis 50 Pf.
Padagogische Briefe von
Prof. Dr. M. Lazarus. Mit
einem Vorwort herausgegeben ron
Dr. Alfred Leicht. Breslau,
Schlesische Verlagsanstalt von S.
Schottlaender, 1903. Preis M. 1.50.
TheShipofState by Those
at the Helm. The Youths Com-
panion Series. Boston, Ginn & Co.,
1903.
Mediaeval and Moderjn
History. Part II, The Modern
Age by Philip Van Ness
M y e r s, formerly Professor of
History and Political Economy in
the University of Cincinnati. Boston,
Ginn & Co., 1903. Price $1.25
Poems of Tennyson. Edited
by Henry Van Dyke and D.
L a u r a n c e Chambers, A. M.,
Assistant in English, Princeton Uni-
versity. Boston, Ginn & Co.
Berichtigung.
Auf Wunsch bringen wir folgende Mitteilung zur Kenntnis unserer
Leser:
To the Editor:
Due to a misunderstanding the title of Professor was placed before my
name in the last number of the P. M. W. W. Florer.
Inhaltsverzeichnis.
Offizielles. Warnecke, das wachsende Inter-
Aufruf zum 33. Lehrertag |s?e ,des Volkcs fur Hebung der
129 161 194 Schulen und Besserstellung der
Lehrer ............ .111
Generalversammlung des Lehrer- Weiser, Idealismus, Gedanken und
semmar-Verems .............. 196 Beobachtungen ................ 65
N. D. A. Lehrerseminar zu Mil- Woldmann, der Leseunterricht in
waukee ....................... 163 der Volksschule .............. 133
Protokoll des 33. Lehrertages. . 233 Wolf, die Kealien im deutschen
Sprachunterricht , 240
Aufsatze.
Altschul, natiirnche Methods im Fiir dle Schulpraxls.
deutschen Unterricht ........ 322 Brtegs, on ,,Disciplin" .......... 144
Bahlsen, deutsche Lektiire an den Engelmann, Literaturgeschichte
amerikanischen Schulen ...... 165 in der Hochschule . ., .......... 211
Barandun, eiiiiges 'iiber die Be- Erfahrungen und Gedanken.... 11
rufsbildung des Lehrers ...... 288 Freihandzeichnen .............. 214
Buehner, Educational Value of Grebner, Helden und Helden-
Modern Languages .......... 197 biicher ................ ........ 47
Editorielles, an der Jahreswende 44 Griebel, Lehrbeispiel aus dem
Dr. G. A. Zimmer- Kechtsschreiben .............. 9
mann gest. .................. 45 Hildner, ein Wort fiir schwach-
Editorielles, German in public befahigte Kinder . . . ., ........ 213
schools ........................ 108 Kienscherf , iiber Schulwander-
Ferren, Monolingualism, the Bane ungen .......... .............. 142
of this Country .............. 248 Lehrplan fiir den Hochschuikur-
Fick, die deutschamerikanische sus im Deutschen in San Jose,
Dichtung .................... 270 Cal ............................ 214
Florer, Remarks on the Direct Liittge, Pflege der guten Aus-
Method of Teaching German.. 303 . sprache in der Schule ........ 142
Gehring, iiber den Garten der Martin, iiber den Wert der Nor-
Menschheit .................... 265 malwortermethode .......... 141
Heller, die deutsche Schrif tstelle- Phantasieliigner ................ 48
rin von gestern und heute .... 251 Stief el, wie man Gedichte lesen
Heller, Schiller, Uhland und Haufl und erklaren soil ............ 48
in ihrer Bedeutung fiir die Ge- Vom Sitzenbleiben .............. 139
genwart ...................... 130 Wahlde, hochste Aufgabe eines
Hohlfeld, eine englische Gesehich- deutschen Lehrers in der ame-
te der deutschen Literatur. . 313 rikanischen Schule ............ 212
Huber, miindliche Erteilung des
deutschen Unterrichts ........ 75 Sprachliches.
Jaeger, Abhangigkeitsverhaltnis Beispiel phonetischer Schreib-
in der deutschen Satzbildung. . 97 weise 144
Kief er, Disziplin ................ 209 Etymologic des Wortes ',,Eieme'nt" 26
Lessing, Arno Holz ........ 177, 201 Nassauern ...................... 96
Lessing, neuere Literaturgeschich- Sachsischer Genitiv ............ 25
ten ............................. 40 Verlurst .................... .... 25
Munch, was ist deutsche Er- Qedichte.
ziehung ...................... 49
Schonrich, aus dem Tagebuch Erpffnungsgedicht fur Schuler-
eines deutschamerikanischen darbietungen
. 104
. MUller, Ferienzauber - Wander-^
Straube, die Entwickelung des "^'i ....... i.' * V "
- Schulwesens im Staate Massa- Nies, zum Jahreswechsel ........
chusetts . ____ 145 Wechsler, das Marchen ........ 96
IV
Pddagogische Monatsbefte.
Berichte.
Abrams, der Lehrertag zu Min-
neapolis 14
Abrams, der 43. Nationale Leh-
rertag1 zu Boston 832
Dapprich, eine deutsche Bildungs-
statte in Neapel 182
Groben, Entwickelung und Stand
des deutschen Uterrichts in den
Schulen von Erie, Pa 215
Bemy, Jahresversammlung der
M. L. A. (Eastern Division) 54
Roedder, Versammlung der ,,Cen-
tral Division of the M. L. A." 53
Korrespondenzen.
Baltimore (S)
16, 88, 119, Io3, 184, 222, 385
Boston 336
Briefkasten 60, 122, 312
Calif ornien (V. B.) 17, 88, 185
Chicago (Ernes)
17, 55, 89, 154, 186, 327
Cincinnati (quidam)
18, 56, 90, 119, 154, 186, 222, 338
Milwaukee (A. W.)
20, 58, 91, 120, 155, 187, 223, 339
New York (P. S.) 20, (C. H.) 21, 224
(H. Z.) 121, 188
Washington, D. C. 341
Umschau.
A m e r i k a.
Abschaffung des Griechischen. . 23
Boston, Kohlenmangel 61
Boston, kiirperliche Ziichtigung 93
Californien, Schulbesuch der
chinesischen Kinder. ., 93
Chicago, Abschaffung der
Biicherpreise 189
Chicago, das moderne Babel. . 342
Chicago, Sup't Cooley iiber
Schiilerzahl 342
Chicago, Teachers' Federation 23
Chinesen an unseren Universi-
tiiten 23
Columbus, Prof. E. A. Eggers
gestorben 189
Durchschnittsschiilerzahl in un-
seren grossen Stadten 123
Ehrung Pras. Eliots 93
Erie, vom Lehrertage 225
Franzosisch an der Columbia-
Universitat 123
Gegen das Zigaretten-Rauchen 60
Georgia, Beschluss der Staats-
legislatur 342
Germanisches Museum.... 92, 156
Indiana, Impf/wang 156
Indianapolis, Lehrerjubilauin. . 311
Indianer-Institut zu Carlisle.. 123
John L. Sullivan.. 93
Lasker in Chicago 123
Lehrererfahrungen auf den Phi-
lippinen 93
Madison, Prof. Von Hise Pra-
sident der Universitat 226
Massachusetts, Musikunterricht
in den Schulen 123
Milwaukee, Lear - Auffiihrung 60
Milwaukee, Seminardirektor
Dapprich 92
Milwaukee, vom Lehrerseminar 310
Milwaukee, Vortrag Prof, von
Jagemann 92
New York, ausgeworfene Be-
trage fiir Schulzwecke 156
New York, deutscher Unterricht
22, 188, 225, 310
New York, deutsche Theater-
vorstellung ,. . 93
New York, Festschrift zum
Deutschen Tage 156
New York, Schulhausbauten. . 60
N. .ew York, Vorlesungskursus
in deutscher Sprache 189
Onkel Toms Hiitte 226
Pensionierung der Professoren
in Cornell 22
Philadelphia, Dr. Learned.... 156
Saginaw, Philipp Huber befor-
dert 189
Stanford, Mrs. Stanford's Ent-
schluss 123
Schiilerstreike 123
Schutzhallen fiir Schulhofe 156
St. Louis, Fuchsprellerei 93
St. Louis, Erziehung und Unter-
richt auf der Ausstellung. ... 60
Ungliicksfalle beim Fussball-
spiel 61
Wenckebach, Cara gest 61
West-Virginien, Schulzwang. . 189
Deutschland.
Amerikanische Studenten an
deutschen Universitaten 93
Baiern, Wechsel von Lehr-
biichern 342
Bartels gestorben 24
Berlin, Eisf erien 93
Berlin, Anzahl der Gemeinde-
schulen 311
Berlin, Besuch der Universitat 93
Bewilligungen fiir die Weltaus-
stellung 189
Biireaukratius mit dem Eohr-
stock 157
Denkmal fiir Philipp Reis 190
Deutsch als Vermittlungs-
sprache 24
Deutscher Doktorgrad 23
Ernst's ,,Gerechtigkeit" 61
Gemeindliche Dankbarkeit. . . . 343
Greifswald Ferienkursus. .. . 190
Inhaltsver^eichnis.
Hochscliulwesen 61
Jahresgehalt fur Lelirer
Classen . 157
Jahresgehalt fur Liliencron.. 343
Jena, Ferienkurse 156
Jena, Prof. Rein 343
Kleinste offentliche Schule 190
Leipzig, Lehrerseminar fur
Kuabeiihaudarbeit 157
Lenau, der unsittliche 93
Mannheim, Stand der Volks-
schule 343
Pausen wain-end des Unter-
richts 344
Redaktionswechsel an der Allg.
D. Lehrerzeitung 93
Reform des Unterrichts in
weiblichen Handarbeiten 124
Rheinische Blatter 93
Schulbesuch der Matrosenkin-
der 124
Statistisches aus dem Jahr-
buch des Deutschen Reichs 344
Steilschrif t 157
Ungeteilte Schulzeit 157
Urteil iiber Amerika 311
Welche Schreibweise der Kaiser
will 226
Weniger Lehrerinnen 124
Zahl der Deutschen in Europa 190
Zur neuen Rechtschreibung. . 157
Danemark.
Bjornson-Fonds 95
Neues Schulgesetz 226
Reform des Schulwesens 95
England.
Jahresbericht des Schulamtes
in London 94
Jahresversammlung der ,,Na-
tional Union of Teachers". . 227
Tragweite der Educational Bill 226
Frankreich.
Erbschaftsgeschichte 24
Reform des Gymnasialunter-
richts 124
Une idee vraiment franchise. . 227
1 1 a 1 i e n.
Friihreif e Knaben .
94
5 s t e r r eic h-Ungarn.
Freie deutsche Schule 124
Reichs - Schulmuseum 124
Roseggers Dank 311
R u m a n i e n.
Tracht der Lehrerinnen . . 61
Russian d.
Deutsch, oder Franzosisch. .. . 95
Kenntnis des Deutschen 124
Zensur 227
Zentennialfeier in Petersburg 124
S c h w e d e n.
Deutschunterricht 344
S c h w e i z.
Ferienkursus in Zurich 226
Hausaufgaben 125
Schulunterhaltung 61
S e r b i e n.
Russischer Sprachunterricht. . 61
Siidafrika.
Folgen des Burenkrieges 95
Australien.
Deutsche Schulen 344
Vermischtes.
Alteste Handschrift derMenschen 61
Babel— Bibel 159
Bedeutende Maner als Schiiler in
ihrer Jugend 158
Beseitigung der Staubplage. . . . 228
Bibel im Kanzleideutsch 25
Chinas Kohlenlager 60
Erziehiingsgrundsiitze eines al-
ten Lehrers 345
Gemeinsamer Unterricht von
Knaben und Madchen 52
Geringe Widerstandsfahigkeit
der Lehrerinnen 228
Goethe oder Gothe? 25
Lehrer als Nachtwachter 95
Lehrer und Landstreicher 158
Mahnung an die Leser 345
Militar und Unterricht 159
O, diese Fremdworter 95
Pestalozzis letzte Schxilerin 160
Schlaf der Schulkinder 51
Sic transit gloria mundi 96
Sind wir eine zivilisierte Nation? 159
Spielzeugteufel 52
Statistisches iiber den Universi-
tatsbesuch 93
Untersuchen iiber das Gedacht-
nis der Schulkinder 93
Edgren, an Italien and English
Dictionary (Chas. B. Wilson).. 231
Edgren und Fossler, a Brief Ger-
man Grammar (W. Bernhardt) 29
VI
Pddagogische Monatshefte.
Ferrell, Erwiderung 62
Florer, biblische Geschichten (W.
Bernhardt) 30
Florer, Heyses 1'Arrabiata (W.
Bernhardt) 30
Heydrich, how to Study Litera-
ture (Chas. B. Wilson) 230
Hail ma nn, the Laural Primer
(H. D. H.) 229
Kron, German Daily Life (Chas.
B. Wilson) 126
Kutner, Commercial German
(Chas. B. Wilson) 230
Kriiger, English German Conver-
sation Book (Chas. B. Wilson) 31
Wann werden die Steinkohlen
ausgehen 228
Wert eines Vogelnestes *. 159
Wiederholung des Foucault-
schen Pendelversuchs 62
Zugehorigkeit zu den Religions-
gemeinschaf ten 228
Humoristisches aus Schule und
Leben.
Aus dem Anschauungsunterricht 228
Gute Entschuldigung 96
Konig Ahmed 345
Leissling im Eif er 150
Schulgrammatik 160
Sie hawwe zu hawwe 228
Was ist eine Fee? . . 160
Biich er besprech u ngen .
Alge, Hamburger, Rippmann,
Buell — Newson's First Ger-
man Book (Chas. B. Wilson) . . 126
Alge, Rippmann, Buell - - New-
son's German Reader (Chas. B.
Wilson) 127
Bernhardt, Liliencrons Anno 1870
(E. C. Roedder) 125
Bierwirth, Beginning German
(W. W. Florer) 231
Duden, orthographisches WSrter-
buch (M. G.) 127
Lessing, Rritik und Antikritik. . 26
Manley and Heilmann, the
English Language (H. D. H.) . . 229
Meyer, Fuldas Talisman (E. C.
Roedder) 190
Prettyman, Schillers Geschichte
des SOjahrigen Krieges (E. C.
Roedder) 125
Roedder, Berichtigung 160
Seyfert, Menschenkunde (E. D.) 32
Siefert, Choice Songs (M. G.) 127
Thomas and Herwey, German
Reader and Theme Book
(Chas. B. Wilson) 31
Viereck, cleutscher Unterricht in
am. Schulen (Rep. of Com. of
Ed. (E. Dapprich) 4
Wesselhoeft, German Composi-
tion (Chas. B. Wilson) 30
Zur Jugendschriftfrage (M. G.) 128
c r
PF
3003
M6
Monatshefte
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY