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Full text of "Monatshefte; a journal devoted to the study of German language and literature"

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Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 


Redakteur: 

Max  Griebsch, 

Lebrer  am  Nationtlen  Deutschamerikanischen  LehrertcmlBir, 
Milwaukee. 


Leiter  der  Abteilung  fiir  hoheres  Schulwesen: 

M.  D.  Learned,  Ph.  D. 


Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratnr 

an  der  Unlvcrsitat  von  Pennsylvanien, 
Philadelphia. 


Vieitten 


Dezcmbett  1902 

bis 
llovcinbcn  1903. 


Verlag : 
The  Herold  Co., 

431  to  435  Broadway,  Milwaukee,  Wis. 


PF 


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3-abr$an0  der  PiidagfOgisclien  Monatshefte  beginnt  im  Dexember  und 
bestebt  aus  10  Ileften,  weiche  regelmilssig  in  den  ersten  Tagen  eines  Monata 
(mit  Ausnahme  der  Ferienmonate  Juli  und  August)  erscheinen. 

BbonnementSpreiS  betrflgt  81. 50  pro  Jahr,  im  voraus  zahlbar, 

nnementeanmelDungen  wolle  man  gafillligst  an  die  Verlagsfirma:  ThcHerold 
Co.,  Milwaukee,  >Vis.,  richten. 

,  das  Unirersitatswesen  betreffend,   siod  an   Profe»*or  M.  D.  Learned, 
Ph.  D.,  (University  of  Pennsylvania,  Philadelphia,  Pa.); 

eolche,  das  Hochschulwesen  betreffend,  an  II.  M.  Ferren,  (High  School, 
Allegheny,  Pa.); 

s&mtliche  Korrcspomlenzen  ucd  Mitteilnngen,  sowie  BeitrUge,  die  allge- 
meine  1'adag'Ojrik  und  das  Tolksschalwe&en  betreffend,  an  Max 
Oricbsch,  (Nat.  G.  A.  Teachers'  Seminary,  Milwaukee,  Wis.); 

311  be0pcccbcn6c  JSiiCbcr  an  die  VerlagsArma  zu  senden. 

Die    Beitrage  fur  eine   bestimmte   Monatsnuinmer   mussen    sputestens  am 
20.  des  vorhergehenden  Monates  in  den  Htlnden  der  Redaktion  sein. 


Padagogische  Monatshefte, 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  Dezember  1902.  Heft  1 

Der  Leseunterricht  in  der  Volksschule. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem   32.  Lehrertage  zu  Detroit. 

Von  Hermann  Woldmann,  Ass't.  Superintendent,  Cleveland,  O. 

Meine  Damen  und  Herren  !  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  gewisse  Lehr- 
gegenstande  in  den  offentlichen  Schulen  zu  Zeiten  mehr  in  den  Vorder- 
grund  treten,  als  andere  und  mehr  die  Aufmerksamkeit  der  Padagogen 
und  des  Publikums  auf  sich  ziehen.  1st  ein  solches  Hervorheben  der 
Wichtigkeit  des  Lehrgegenstandes  angemessen,  wohl  und  gut;  geschieht 
es  aber  als  Modesache,  d.  h.  wird  e  i  n  Lehrfach  auf  Kosten  der  anderen 
begiinstigt,  weil  es  das  augenblickliche  "fad"  der  Padagogen  ist,  dann  ist 
die  Geschichte  vom  Ubel. 

Wahrend  einer  Lehrtatigkeit  von  mehr  als  35  Jahren  habe  ich  manche 
solche  Modeartikel  kommen  und  gehen  sehen.  Da  war  zuerst  der  Zeichen- 
unterricht  in  den  offentlichen  Schulen.  Anfanglich  hatten  wir  gar  keinen 
Zeichenunterricht,  und  als  er  eingefiihrt  wurde,  mussten  samtliche  Lehrer 
nach  Anweisung  des  Zeichenlehrers  zeichnen  lernen,  ob  sie  den  Unterricht 
zu  erteilen  hatten  oder  nicht.  Die  Wichtigkeit  des  Zeichenunterrichts, 
zuerst  gar  nicht  erkannt,  wurde  dann  iibertrieben.  Ich  erinnere  mich 
noch,  dass  beim  Lehrertage  in  Detroit  die  Sache  weitlaufig  debattiert 
wurde.  Nach  und  nach  fand  diese  Unterrichts-Disziplin  ihr  richtiges  Ni- 
veau. 

Ahnliche  Erfahrungen  wie  mit  dem  Zeichenunterricht  habe  ich  mit 
dem  Turnunterricht,  dem  Handfertigkeitsunterrichte  und  mit  den  Kin- 
dergarten gemacht.  Kindergarten  und  "child  study"  waren  bis  vor  ganz 
kurzer  Zeit  das  alles  iiberschattende  Element.  Nach  und  nach  kommt 


2  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

man  aber  auch  dahin,  die  Wichtigkeit  derselben  nicht  auf  Kosten  anderer 
Lehrgegenstande  hervorzuheben,  mit  anderen  Worten,  man  schenkt  den 
urspriinglichen  Hauptlehrfachern,  dem  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen, 
auch  wieder  etwas  mehr  Aufmerksamkeit,  als  sie  in  den  letzten  zwanzig 
Jahren  erfahren  haben. 

Der  Leseunterricht  war  es  besonders,  auf  dessen  Kosten  viele  neue 
Lehrgegenstande  eingefiihrt  wurden.  Man  sagte  sich,  dass  das  Lesen- 
lernen  durch  bessere  Methoden  erleichtert  worden  sei,  dass  aus  diesem 
Grunde  die  friiher  dem  Leseunterricht  gewidmete  Zeit  verkiirzt  werden 
konne  und  verkiirzte  mehr  und  mehr  diesen  wichtigen  Unterrichtszweig, 
bis  es  den  Padagogen  plotzlich  klar  wurde,  dass  unsere  Schiiler  im  Lesen 
nicht  mehr  genug  leisteten,  um  selbst  massigen  Anspriichen  zu  geniigen. 
Die  Reaktion  trat  ein,  in  der  Presse  wurden  Stimmen  laut,  die  iiber  Uber- 
ladung  des  Lehrplanes  mit  sogenannten  "frills  and  feathers"  klagten  und 
eine  schleunige  Ruckkehr  zu  den  drei  elementaren  R's  verlangten,  "Read- 
ing, Writing  and  Arithmentic".  Einen  Schein  der  Berechtigung  hatten 
diese  Reaktionare  gewiss,  denn  bei  der  mangelhaften  Vorbildung  vieler 
unserer  Lehrkrafte  war  es  kein  Wunder,  dass  besonders  junge  und  uner- 
fahrene  Lehrerinnen  sich  mit  Feuereifer  auf  solche  Studien  legten,  die  im 
Augenblick  Mode  waren,  um  in  den  Augen  ihrer  Vorgesetzten  auf  der 
Hohe  der  Zeit  zu  bleiben.  Ergotzliche  Erfahrungen  konnten  da  in  Menge 
gesammelt  werden,  wenn  z.  B.  die  Lehrerinnen  dem  Papierfalten,  Stab- 
chenlegen  und  Buchstabensuchen  in  den  ersten  Primargraden  ihre  Haupt- 
aufmerksamkeit  vvidmeten,  wahrend  die  Kinder  am  Ende  des  ersten  Schul- 
jahres  noch  nicht  alle  Buchstaben  kannten.  Doch,  wie  gesagt,  die  Re- 
aktion gegen  diese  Richtung  hat  in  unseren  Schulen  eingesetzt,  man  hat 
die  Wichtigkeit  des  Leseunterrichts  wieder  erkannt,  und  eine  andere  Ge- 
fahr  liegt  nahe,  dass  man  in  gewohnter  Weise  auch  hier  nicht  wird  Mass 
zu  halten  wissen.  Mein  heutiger  Vortrag  soil  dazu  dienen,  die  Haupt- 
zwecke  des  Leseunterrichtes  ins  rechte  Licht  zu  stellen  und  vor  dem  Zu- 
wenig,  wie  vor  dem  Zuviel  zu  warnen.  Werden  wir  uns  vor  alien  Din- 
gen  einmal  dariiber  klar,  was  der  Endzweck  des  Lesenlernens  ist,  und 
wenn  wir  einmal  genau  wissen,  was  wir  wollen,  so  wird  es  nicht  schwer 
sein,  dahin  zu  gelangen,  wie  wir  dieses  Endziel  erreichen. 

Es  scheint  mir  keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass  der  Endzweck  des 
Leseunterrichts  der  ist,  dass  erstens  die  Schiiler  gelehrt  werden,  die  Wor- 
ter,  Silben  und  Buchstaben  richtig  zu  erkennen  und  mechanisch  lesen  zu 
konnen;  zweitens,  dass  sie  den  Sinn  des  Gelesenen  selbst  verstehen,  und 
drittens,  dass  sie  lernen,  das  so  erlangte  Verstandnis  des  Gelesenen  ande- 
ren durch  Vorlesen  mitzuteilen. 

Vergleichen  wir  die  Wichtigkeit  der  genannten  drei  Punkte  mit  ein- 
ander,  so  werden  wir  finden,  dass  der  erste  Punkt,  das  mechanische  Le- 


Der  Leseunterricbt  in  der  folks scbule.  3 

sen,  unbedingte  Vorbedingung  fiir  den  zweiten  Punkt  ist,  um  zum  Ver- 
standnis des  Gelesenen  zu  gelangen.  Ich  gehe  hier  nicht  ganz  so  weit, 
wie  Squire  Hawkins  in  seiner  Rede  in  Eggleston's  "Housier  Schoolmaster, 
who  puts  "Daniel  Webster's"  Spelling  book  before  the  Bible,  for  who 
could  read  the  Bible,  before  he  could  spell"  ?  Aber  wichtig  ist  der  mecha- 
nische  Leseunterricht  auf  alle  Falle.  Es  hat  einmal  eine  Zeit  gegeben, 
in  der  man  in  den  Schulen  Pennsylvaniens  den  Leseunterricht  im  Engli- 
schen  so  erteilte,  dass  die  Schiller  fliessend  Englisch  lesen  lernten,  ohne 
den  Inhalt  des  Gelesenen  zu  verstehen.  Aus  solchen  Ubertreibungen  kon- 
nen  wir  lernen.  Doch  noch  heute  lernt  man  in  Deutschland  und  auch 
anderswo  mechanisch  Lateinisch  und  Griechisch  lesen,  ehe  man  mit  Hilfe 
des  Worterbuches  den  Sinn  des  Gelesenen  findet.  Der  eigentliche  Zweck 
des  Verstandnisses  des  Gelesenen  ist  nach  meiner  Ansicht  darin  zu  su- 
chen,  das  Interesse  am  Unterricht  aufrecht  zu  erhalten.  Dem  Schiiler 
muss  das  Verstandnis  des  Lesestuckes  als  Belohnung  fiir  die  aufgewen- 
dete  Zeit  und  Muhe  erscheinen,  wenn  er  in  seinen  Anstrengungen  nicht 
ermiiden  soil.  Unumganglich  notwendig  ist  diese  Belohnung  nicht,  doch 
ein  recht  wirksames  Reizmittel.  Stellen  Sie  sich  einmal  einen  Schiiler 
vor,  der  das  Klavierspielen  erlernen  soil,  derselbe  soil  sich  erst  die  notige 
Fingerfertigkeit  erwerben,  ehe  er  Melodien  spielt.  Ihm  werden  deshalb 
Tonleitern  gegeben,  die  jedenfalls  die  Fingerfertigkeit  ausbilden,  die  aber 
die  Plage  der  meisten  Schiiler  sind.  Deshalb  iibt  man  neben  den  Tonlei- 
tern auch  kleine  Melodien,  denn  das  Bewusstsein  des  Konnens  muntert 
zu  weiteren  Anstrengungen  auf.  Das  Kind  muss  seine  Erfolge  in  der 
Nabe  sehen,  die  Vertrostung  auf  die  Zukunft  reicht  nicht  aus,  um  die 
Muhe  der  Mechanik  zu  unterstiitzen. 

Nach  meiner  Ansicht  sollte  daher  das  mechanische  Lesenlernen  mit 
dem  Verstehenlernen  Hand  in  Hand  gehen.  Haufige  Fragen  des  Leh- 
rers  iiber  das  Lesestiick  sollten  den  Schiiler  zum  Nachdenken  anregen  und 
die  Freude  am  Konnen  vvurzen. 

Der  dritte  Zweck  des  Lesenlernens  ist  der,  das  erlangte  Verstandnis 
des  Gelesenen  anderen  durch  Vorlesen  mitzuteilen.  Zu  diesem  Zwecke 
muss  der  Vorlesende  laut,  deutlich  und  mit  richtiger  Betonung  sprechen, 
und  ich  gehe  wohl  nicht  fehl,  wenn  ich  sage,  dass  dieser  Teil  des  Lesens 
die  Hauptaufmerksamkeit  der  meisten  Lehrer  in  Anspruch  nimmt.  Auf 
den  ersten  Blick  scheint  dies  auch  richtig  zu  sein,  denn  wer  mit  Verstand- 
nis vorlesen  kann,  muss  naturgemass  das  mechanische  Lesen  erlernt  ha- 
ben  und  muss  auch  selber  das  Gelesene  verstanden  haben,  weil  nach  den 
Gesetzen  der  Logik  die  grossere  Pramisse  die  kleineren  einschliesst. 

Es  ist  daher  kaum  zu  verwundern,  dass  die  meisten  Lehrer  dem  Vor- 
lesen, oder  wie  es  auch  genannt  werden  konnte,  dem  Lautlesen  den  Lo- 
wenanteil  der  Lesestunde  widmen.  Ob  dies  richtig  ist,  wollen  wir  im 


4  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Augenblick  nicht  untersuchen,  wollen  uns  vielmehr  darauf  beschranken 
festzustellen,  ob  dieser  Zweck  durch  die  Methoden,  wie  sie  meist  gebrauch- 
lich  sind,  erreicht  wird.  Wir  brauchen  zum  Vorlesen  erstens  jemand, 
der  etwas  vorliest,  zweitens  eine  Geschichte,  die  vorgelesen  wird,  drittens 
ein  Publikum,  dem  diese  Geschichte  vorgelesen  wird.  Dies  sind  zweifel- 
los  Vorbedingungen.  Stellen  wir  uns  nun  den  Schiiler,  der  zum  Laut- 
lesen  aufgefordert  wird,  als  den  Vorleser  vor;  das  Lesebuch  enthalt  die 
vorzulesende  Geschichte,  die  iibrigen  Schiiler  der  Klasse  samt  dem  Lehrer 
bilden  das  Publikum.  Nun  frage  ich,  ob  es  ein  natiirlicher  Weg  ist,  dass 
ein  Schiiler  eine  Geschichte  laut  vorliest,  wahrend  die  anderen  Schiiler 
dem  Gelesenen  im  Buche  folgen?  Geschieht  so  etwas  im  wirklichen  Le- 
ben?  Wenn  der  Familienvater  abends  seine  Familie  um  sich  versammelt 
und  aus  der  Zeitung  oder  einem  Buche  vorliest,  haben  dann  die  iibrigen 
Familienmitglieder  ebenfalls  ein  Exemplar  derselben  Zeitung  oder  dessel- 
ben  Buches  vor  sich,  um  dem  Vorlesenden  zu  folgen  ?  Ganz  gewiss  nicht. 
Die  Vorbedingung  ist  eine  andere  in  der  Lesestunde,  der  Vorgang  somit 

kein  natiirlicher. 

(Schluss  folgt.) 


Deutscher    Unterricht    in  Amerikanischen    Schulen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Emil  Dapprich,  Seminardirektor,  Milwaukee,  Wls. 

Im  Auftrage  von  Dr.  Harris,  dem  verdienstvollen  Chef  des  Erzie- 
hungswesens  unserer  Staaten,  hat  der  friihere  Reichstagsabgeordnete,  Dr. 
Louis  Viereck,  fur  den  nachsten  Band  des  jahrlichen  Berichtes  eine  um- 
fangreiche  Arbeit  iiber  das  Thema :  ,,Deutscher  Unterricht  in  Amerika- 
nischen Schulen"  geliefert. 

Seit  dem  Amtsantritt  unseres  Dr.  Harris  sind  die  Berichte  seines  Bu- 
reaus wahre  Fundgruben  padagogischen  Goldes  geworden,  und  auch  die- 
ser Beitrag  schliesst  sich  den  ubrigen  Spezialberichten  wiirdig  an.  Be- 
sonders  fur  uns,  denen  der  deutsche  Unterricht  Herzenssache  ist,  bietet 
die  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Viereck  eine  ausserst  interessante  und  wertvolle 
Lektiire.  Nicht  nur  den  Fleiss  in  der  Sammlung  des  Materials  und  die 
Sorgf alt  in  dessen  Bearbeitung  miissen  wir  bewundern,  mehr  noch  das  Ver- 
standnis  und  das  unparteiische  Urteil,  das  sich  fast  auf  jeder  Seite  des 
nahezu  200  Seiten  umfassenden  Werkes  kund  gibt.  Wenn  er  auch  dem 
Unterricht  im  Deutschen,  soweit  er  von  den  Universitaten  dieses  Landes 
gepflegt  wird,  ganz  spezielle  Aufmerksamkeit  widmet,  so  kommen  doch 
die  Volksschulen  nicht  zu  kurz.  Ganz  besondere  Beachtung  finden  die 
Volksschulen  der  grosseren  Stadte.  Eingehende  Behandlung  batten 


Deut sober  Unterricht  in  Amerikanischen  Scbulen.  5 

allerdings  die  offentlichen  Schulen  der  Stadte  Milwaukee  und  Cincinnati 
verdient,  da  in  diesen  der  deutsche  Unterricht  die  sicherste  Stellung  be- 
sitzt  und  auch  die  erfolgreichste  Behandlung  erfahrt. 

Die  Arbeit  der  Parochialschulen  muss  in  einer  zukiinftigen  geschicht- 
lichen  Darstellung  dieses  Gegenstandes  eine  gerechtere  Behandlung  er- 
fahren,  da  dieselben  durch  ihre  Leistungen  auf  dem  Gebiete  des  deut- 
schen  Sprachunterrichtes  sich  die  grossten  Verdienste  erworben  haben. 
Es  ist  schade,  dass  bis  jetzt  weder  die  katholische  Kirche  noch  eine  der 
protestantischen  eine  Darstellung  der  Entwickelung  ihres  resp.  Schulwe- 
sens  zur  Veroffentlichung  gebracht  haben,  und  wir  hoffen,  dass  diese  Ar- 
beit in  Balde  von  passenden  Personen  in  Angriff  genommen  wird,  um 
dadurch  eine  Liicke  in  der  Geschichte  der  Entwickelung  unseres  gesamten 
Schulwesens  zu  fiillen. 

Die  Bestrebungen  des  deutschamerikanischen  Lehrerbundes  finden 
gerechte  Anerkennung,  ebenso  das  von  ihm  gegriindete  Lehrerseminar. 
Die  vom  Lehrerbund  gesammelten  statistischen  Berichte  sind  allerdings 
wie  der  Verfasser  richtig  bemerkt,  unvollstandig.  Es  sollte  daher  eir 
neuer  Zensus  iiber  diesen  so  wichtigen  Gegenstand  aufgenommen  und 
vom  Lehrerbund  zur  Veroffentlichung  gebracht  werden. 


Blutenlese  aus  obengenanntem   Bericht. 


"No  historical  sketch  of  the  development  of  German  instruction  could  have  been 
attempted  without  a  short  reference  to  the  relations  between  Germany  and  the 
United  States,  and  the  position  of  the  German-Americans  toward  Anglo-Americans. 
These  relations  influenced  the  organization  of  German  instruction  to  a  great  extent, 
and  also  explain  the  favorable  or  retarding  course  of  public  opinion.  At  present 
the  position  of  German  in  higher  education  and  the  recognition  of  German  methods 
on  the  part  of  the  scientists  of  America  is  so  assured  that,  in  future,  patriotic  bene- 
factors need  only  occasionally  promote  the  extension  of  German  elementary  instruc- 
tion in  the  city  district  schools."  (Vorrede.) 

*  *  # 

"It  should  never  be  forgotten  that  he  (Pastorius)  established  the  "German- 
American"  name  a  whole  century  before  the  thought  was  conceived  of  giving  birth 
to  a  new  American  nation.  To  the  German  immigrants  with  an  academic  educa- 
tion he  gave  the  example,  so  often  followed  since  with  more  or  less  success,  how  to 


*)  Bei  dem  Versuche,  durch  Auswahl  besonders  wichtiger  Abschnitte  unsern 
Lesern  einen  Einblick  in  die  Bedeutung  der  Arbeit  Dr.  Vierecks  zu  geben,  zeigt  sich 
erst,  welche  Fundgrube  von  wertvollem  Material  der  Verfasser  uns  zur  Verfiigung 
gestellt  hat.  Fast  auf  jeder  Seite  sind  solche  Goldkb'rner  zu  finden;  und  es  be- 
diirfte  eines  bei  weitem  grosseren  Raumes,  als  er  uns  zur  Verfiigung  steht,  um 
unser  Vorhaben  auszufiihren.  Wir  haben  daher  aufs  Geratewohl  einige  uns  in  die 
Augen  fallende  Punkte  herausgegriffen  und  hoffen,  dass  diese  unsere  Leser  bestim- 
men  werden,  sich  mit  dem  Berichte  Dr.  Vierecks  eingehender  zu  beschaftigen. — D.  R. 


6  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

transmit  the  treasures  of  older  German  civilization  to  the  younger  shoots  of  the 
German  nation,  and  how  to  convert  them  into  active  elements  of  the  new  American 

civilization." 

*  *  * 

"The  first  Bible  published  in  the  New  World  appeared  at  that  time  in 
the  German  language,  forty  years  before  an  English  Bible  was  printed  in  America. 
The  first  printer  who  undertook  to  print  German  works  in  this  country  was,  strange 
to  say,  no  German  but  an  American;  none  other  than  Benjamin  Franklin.  In 
1730  he  printed  (in  Roman  characters)  the  oldest  German- American  book  extant, 
or  at  least  the  oldest  discovered  until  now."*) 

*  *  * 

"Although  Great  Britain  is  generally  honored  as  the  mother  of  the  United 
States,  Germany  has,  from  an  intellectual  standpoint,  become  more  and  more  the 
second  mother  of  the  United  States.  More  than  any  other  country,  Germany  has 
made  the  universities  and  colleges  of  America  what  they  are  to-day — a  powerful 
force  in  the  development  of  American  civilization."  (Andrew  D.  White,  amerika- 
nischer  Gesandter  in  Berlin,  in  seiner  daselbst  gelegentlich  einer  Danksagungsfeier 

gehaltenen  Rede.) 

*  *  * 

"The  German  now  stands  in  a  line  with  that  of  the  most  learned  nations  in 
richness  of  condition  and  advance  in  the  sciences.  It  is,  too,  of  common  descent 
with  the  language  of  our  own  country,  a  branch  of  the  same  original  Gothic  stock, 
and  furnishes  valuable  illustrations  for  us."  (Thomas  Jefferson's  Views  on  Public 

Education.) 

*  *  * 

"German  had  never  been  taught  in  college  before,  and  it  was  with  no  little  diffi- 
culty that  a  volunteer  class  of  eight  was  formed.  I  was  one  of  that  class.  We 
were  looked  upon  with  very  much  the  amazement  with  which  a  class  in  some  obscure 
tribal  dialect  of  the  remotest  Orient  would  be  now  regarded.  We  knew  of  but 
two  or  three  persons  in  New  England  who  could  read  German,  though  there  were 
probably  many  more  of  whom  we  did  not  know.  There  were  no  German  books  in 
the  bookstores.  A  friend  gave  me  a  copy  of  Schiller's  "Wallenstein,"  which  I  read 
as  soon  I  was  able  to  do  so,  and  then  passed  it  from  hand  to  hand  among  those 
who  could  obtain  nothing  else  to  read.  There  was  no  attainable  class  book  that 
could  be  used  as  a  "reader."  A  few  copies  of  Nb'hden's  Grammar  were  imported, 
and  a  few  copies  of  I  forget  whose  "pocket  dictionary,"  fortunately  too  copious  for 
an  Anglo-Saxon  pocket,  and  suggesting  the  generous  amplitude  of  the  Low  Dutch 
costume,  as  described  in  Irving's  mythical  "History  of  New  York."  The  German 
Reader  for  Beginners,  compiled  by  our  teacher,  was  furnished  to  the  class  in  single 
sheets  as  it  was  needed,  and  was  printed  in  Roman  type,  there  being  no  German 
type  within  easy  reach.  There  could  not  have  been  a  happier  introduction  to  Ger- 
man literature  than  this  little  volume.  It  contained  choice  extracts  in  prose,  all 
from  writers  that  still  hold  an  unchallenged  place  in  the  hierarchy  of  genius,  and 
poems  from  Schiller,  Goethe,  Herder,  and  several  other  poets  of  kindred,  if  inferior, 
fame.  But  in  the  entire  volume  Dr.  Follen  rejoiced  especially  in  several  battle 
poems  from  Korner,  the  soldier  and  martyr  of  liberty.  I  never  have  heard  recita- 
tions which  impressed  me  so  strongly  as  the  reading  of  those  pieces  by  Dr.  Follen, 
who  would  put  into  them  all  of  the  heart  and  soul  that  had  made  him  too  much 


*)  Es  ist  dies  ein  Gesangbuch,  welches  auf  Bestellung  des  Ephrata-Klosters 
gedruckt  wurde.  Das  einzige  noch  vorhandene  Exemplar  befindet  sich  in  dem  Besitz 
von  Abraham  H.  Cassel,  Harleysville,  Montgomery  County,  Pa. 


Deutscher  Unterricbt  in  Amerihaniscben  Schulen.  1 

a  lover  of  his  country  to  be  suffered  to  dwell  in  it.  He  appended  to  the  other 
poems  in  the  first  edition  of  the  reader,  anonymously,  a  death  song  in  memory  of 
Korner,  which  we  all  knew  to  be  his  own,  and  which  we  read  so  often  and  so  feel- 
ingly that  it  sank  indelibly  into  permanent  memory,  and  I  find  that,  after  an  inter- 
val of  sixty  years,  it  is  as  fresh  in  my  recollection  as  the  hymns  that  I  learned  in 
my  childhood."  (Dr.  A.  T.  Peabody,  in  his  Harvard  Reminiscences.) 

*  *  * 

"We  have  no  complete  statistics  to  inform  us  with  any  exactness  how  great 
the  participation  of  the  different  nations  represented  in  our  country  was  in  the 
civil  war.  According  to  the  statements  of  Dr.  A.  B.  Gould,  who  was  commissioned 
by  the  United  States  Sanitary  Commission  to  make  out  his  report,  "Investigations 
in  the  Statistics  of  American  Soldiers,"  an  American  work  which,  as  far  as  I  know, 
is  considered  the  most  reliable  by  the  bureaus  in  Washington,  the  Germans  gave 
187,858  men  to  the  Union  army,  while,  in  proportion  to  the  German  population, 
as  given  by  the  census  of  1860,  they  need  only  have  sent  128,102.  According  to 
these  figures,  therefore,  we  may  assert  that  the  proportion  of  German  troops,  in 
relation  to  the  population,  was  greater  than  that  of  the  troops  of  other  nationali- 
ties. The  Germans  likewise  gave  a  number  of  brilliant  leaders  and  many  officers 
of  higher  and  lower  rank  whose  names  are  imperishable  in  the  history  of  the  war." 
(Vocke,  the  German  Soldiers  in  the  American  Civil  War.) 

*  *  * 

"The  next  subjects  for  which  I  claim  a  position  of  academic  equality  with  Greek, 
Latin,  and  mathematics  are  French  and  German.  This  claim  rests  not  on  the  use- 
fulness of  these  languages  to  couriers,  tourists,  or  commercial  travelers,  and  not 
on  their  merit  as  languages,  but  on  the  magnitude  and  worth  of  the  literatures, 
and  on  the  unquestionable  fact  that  facility  in  reading  these  languages  is  abso- 
lutely indispensable  to  a  scholar,  whatever  may  be  his  department  of  study.  Until 
within  one  hundred  or  one  hundred  and  fifty  years  scholarship  had  a  common  lan- 
guage, the  Latin;  so  that  scholars  of  all  the  European  nationalities  had  a  perfect 
means  of  communication,  whether  in  speaking,  writing,  or  printing.  But  the  culti- 
vation of  the  spirit  of  nationality  and  the  development  of  national  literature  have 
brought  about  the  abandonment  of  Latin  as  the  common  language  of  learning,  and 
imposed  on  every  student  who  would  go  beyond  the  elements  of  his  subject  the  neces- 
sity of  acquiring  at  least  a  reading  knowledge  of  French  and  German,  besides 
Latin.  Indeed,  the  advanced  student  of  our  day  can  dispense  with  Latin  better 
than  with  French,  German,  or  English;  for,  although  the  antiquated  publications 
in  any  science  may  be  printed  in  Latin,  the  recent  (which  will  probably  contain 
all  that  is  best  in  the  old)  will  be  found  printed  in  one  of  these  modern  languages. 
I  can  not  state  too  strongly  the  indispensableness  of  both  French  and  German  to 
the  American  or  English  student.  Without  these  languages  he  will  be  much  worse 
off  in  respect  to  communication  with  his  contemporaries  than  was  the  student  of 
the  seventeenth  century  who  could  read  and  speak  Latin;  for  through  Latin  the 
student  of  the  year  1684  could  put  himself  into  direct  communication  with  all  con- 
temporary learning.  So  far  as  I  know,  there  is  no  difference  of  opinion  among 
American  scholars  as  to  the  need  of  mastering  these  two  languages  in  youth.  The 
philologists,  archaeologists,  metaphysicians,  physicians,  physicists,  naturalists,  chem- 
ists, economists,  engineers,  architects,  artists,  and  musicians  all  agree  that  a  knowl- 
edge of  these  languages  is  indispensable  to  the  intelligent  pursuit  of  any  one  of 
their  respective  subjects  beyond  its  elements.  Every  college  professor  who  gives 
a  thorough  course  of  instruction — no  matter  in  what  department — finds  himself 
obliged  to  refer  his  pupils  to  French  and  German  authorities.  In  the  reference 


8  P'ddagogische  Monatshefte. 

library  of  any  modern  laboratory,  whether  of  chemistry,  physics,  physiology,  patho- 
logy, botany,  or  zoology,  a  large  proportion  of  the  books  will  be  found  in  French 
or  German.  The  working  library  of  the  philologist,  archaeologist,  or  historian 
teaches  the  same  lesson.  Without  a  knowledge  of  these  two  languages  it  is  impos- 
ible  to  get  at  the  experience  of  the  world  upon  any  modern  industrial,  social,  or 
financial  question,  or  to  master  any  profession  which  depends  upon  applications 
of  modern  science.  I  urge  no  utilitarian  argument,  but  rest  the  claims  of  French 
and  German  for  admission  to  complete  academic  equality  on  the  copiousness  and 
merit  of  the  literatures  and  the  indispensableness  of  the  languages  to  all  scholars." 
(Pres.  Chas.  W.  Eliot,  What  is  a  Liberal  Education?) 

*  *  * 

"There  are,  in  the  first  place,  numerous  practical  reasons  which  speak  for  a 
speedy  introduction  of  German  in  the  high  school  curriculum.  Owing  to  the  large 
percentage  of  the  German  population  of  this  country,  and  owing  to  the  constantly 
increasing  commercial  relations  between  America  and  Germany,  a  knowledge  of 
the  German  language  is  invaluable  for  business  purposes.  In  all  the  large  business 
centers  of  our  country  young  men  and  women  who  command  the  German  language 
are  usually  preferred  when  seeking  positions  to  those  who  do  not  understand 
German. 

It  is,  moreover,  a  well-known  fact  that  the  professional  men,  like  lawyers  and 
physicians,  profit  likewise  from  a  practical  knowledge  of  German;  and  there  is  no 
reason  why  our  high-school  graduates,  after  they  have  been  instructed  in  German 
by  a  competent  teacher  for  a  period  of  three  years,  should  not  gain  a  speaking 
knowledge  of  this  language,  and  thus  be  enabled  to  avail  themselves  of  the  great 
practical  advantages  resulting  from  such  a  knowledge. 

But  the  purely  educational  value  of  the  study  of  German  must  be  considered  as 
equally  great,  especially  for  those  high-school  graduates  who  enter  the  university. 
There  is  at  the  present  no  branch  of  science  in  which  Germany  does  not  indisputably 
take  the  foremost  place  among  the  European  nations,  and  a  reading  knowledge  of 
German  is  therefore  indispensable  for  the  student  in  every  department  of  university 
study.  As  a  consequence,  in  all  of  the  leading  universities  of  this  country  German 
can  be  substituted  for  entrance  in  place  of  one  of  the  ancient  languages,  President 
Gilman,  of  Johns  Hopkins  University,  explaining  this  policy  best  by  saying,  "As 
Latin  was  during  the  middle  ages  the  language  of  scholars,  so  the  knowledge  of 
German  is  now  indispensable  for  anyone  claiming  the  name  of  a  student  and 
scholar." 

While  the  knowledge  of  Latin  will  always  remain  invaluable  for  those  entering 
special  professions,  it  is  comparatively  of  little  benefit  to  the  great  mass  of  high- 
school  pupils,  who  later  on  follow  the  practical  pursuits  of  life.  The  mental  drill 
claimed  for  the  study  of  Latin  may  be  derived  in  the  same  measure  from  a  thorough 
study  of  the  German  language,  which  at  the  same  time  opens  to  the  student  a 
literature  that  in  wealth  of  the  most  advanced  thought  and  in  beauty  of  expression 
can  only  be  compared  with  the  literature  of  the  Greeks.  Our  English  tongue  is, 
moreover,  in  its  formations  and  structure,  essentially  a  Germanic  language,  and 
it  is  of  far  greater  educational  value  for  the  majority  of  high-school  pupils  to  study 
the  historical  growth  of  their  own  language  in  comparison  with  the  closely  related 
German  than  to  learn  the  rudiments  of  Latin,  which  in  most  cases  are  only  forgot- 
ten, because  a  proficiency  in  reading  Latin  can  never  be  attained  by  the  high 
school."  (Aus  einem  offenen  Brief  an  die  Superintendenten  der  Hochschulen  Cali- 
forniens,  abgefasst  von  Prof.  Julius  Goebel  und  H.  E.  F.  Ungerth  im  Auftrage  der 
deutschen  Lehrervereinigung  des  Staates  Californien.) 


Lebrbeispiel  aus  dem  Recbtscbreiben.  9 

"In  the  year  1874,  at  the  fifth  annual  meeting  of  the  German  Teachers'  Associa- 
tion, it  was  unanimously  resolved  to  establish  the  seminary  on  the  foundation  of 
the  present  high  status  of  the  art  and  science  of  education.  A  special  "Seminar- 
verein"  was  constituted  to  promote  the  agitation  and  collect  a  "German  national 
subscription  fund"  of  $50,000  to  $100,000.  The  first  general  meeting  was  held  in 
Milwaukee  in  1877,  and,  though  it  possessed  not  much  more  than  one-fifth  of  the 
prospective  large  "national  fund,"  the  opening  of  the  institution  was  set  for  Sep- 
tember 1,  1878.  The  "German-English  Academy"  in  Milwaukee  offered  a  suitable 
building  for  the  beginning  of  the  normal  courses.  According  to  the  prospectus,  this 
institution  aims  to  educate  thorough  and  zealous  teachers,  able  to  teach  in  German 
as  well  as  in  English,  familiar  with  the  most  recent  progress  in  pedagogics,  and 
trained  to  present  their  own  knowledge  to  pupils  in  an  appropriate  manner.  For 
this  purpose  the  school  is  provided  with  the  best  trained  teachers,  excellent  appli- 
ances for  instruction  and  accommodations,  and  a  model  school  in  the  flourishing 
German-English  Academy.  By  its  connection  with  the  athletic  training  school  of 
the  Nordamerikanischer  Turnerbund,  students  enjoy  the  advantage  of  perfecting 
themselves  in  all  branches  of  physical  culture.  There  is  likewise  a  normal 
course  for  kindergartners."  (Geschichte  des  Nat.  Deutscham.  Lehrerseminars.) 


Fur  die  Schulpraxis. 

I.     Lehrbeispiel  aus  dem  Rechtschreiben. 


(Aus  ,,Blattcr  fur  die  Schulpraxis".) 


Von  Ig.  Griebl,  Seminarsclmllehrer,  Straubing. 

Scharfung  durch  ,,ck". 
Method.  Disposition. 
Voraussetzung :     Die  Lautlehre.     Geschlirfte  Worter  mit  tt,  ss,  rr,  mm,  nn,  11  etc. 

und  deren  Trennung. 
II.  Darbiet.:     Aufsuchen,  Buchstabieren,  Anschreiben  von  ck- Wortern  nach  Ord- 

nung  der  Hellaute. 
III.  Vergleich. :     Zwischen  anderen  geschiirften  Wortern  und  den  Wortern  mit  ,,ck". 

IV.  System. :     1 )   Nach  einem  Hellaut* )   schreibt  man  ck ;  2 )   bei  der  Trennung 

kommt  ein  k  zur  ersten,  das  andere  zur  zweiten  Silbe. 

V.  Anwend. :     1)    Abschreiben.     2)    Aufsuchen  von   ck- Wortern.     3)    Aufschrei- 

ben.     4)   Diktat. 

Ausarbeitung. 

Ziel:     Neue  gescharfte  Worter  kennen  lernen. 

I.  Nennt  gescharfte  Worter!  Wodurch  ist  das  Wort  ,,Wasser"  gescharft? 
(Ebenso  ,,Mutter,  kommen,  Sonne  etc.")  WTie  sprichst  du  den  Hellaut  in  den  Wor- 
tern ,,Brunnen,  Waffe,  satt  etc."  Warum  sprichst  du  den  Hellaut  kurz?  (Weil 
zwei  gleiche  Mitlaute  folgen.) 

Wie  sprichst  du  den  Mitlaut?*)  (Scharf)  Wodurch  wird  die  Scharfung  aus- 
gedriickt?  (1.  Merksatz  aus  den  letzten  Lektionen.)  Die  Scharfung  wird  ausge- 
driickt  durch  Verdoppelung  der  Mitlaute. 


' )    Hellaut  =  Selbstlaut,  Vokal ;  Mitlaut  =  Konsonant. 


10  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Nennt  Worter  mit  Doppelmitlauten  und  sprecht  sie  getrennt  aus.  (Was-ser, 
Son-ne  etc.)  Was  haben  wir  bei  der  Trennung  der  gescharften  Worter  gemerkt? 
(2.  Merks.  aus  den  letzten  Lektionen.)  Von  2  Mitlauten  kommt  einer  zur  ersten, 
der  zweite  zur  zweiten  Silbe. 

Wahrend  der  ,,Vorbereitung"  ist  folgende  Buchstabenreihe  an  der  Tafel  ent- 
standen:  tt,  ss,  ff,  rr,  nn,  mm,  11,  pp.  Welche  Mitlaute  konnen  wir  noch  verdop- 
peln?  (g  k.) 

Spezialziel:     Nun  wollen  wir  Worter  mit  Doppel-k  oder  ck  schreiben  lernen. 

II.  Nennet  solche  Worter!  (Stock,  Rock,  wecken  etc.,  etc.)  Wie  heisst  der 
gescharfte  Laut?  Dieser  wird  nicht  verdoppelt,  man  setzt  ein  ,,c"  voraus!  An  die 
Tafel  kk  =  ck  =  zeka.  Nennt  Worter  mit  ,,ck"!  Wir  wollen  diese  ordnen!  Erst 
solche  mit  dem  Hellaut  ,,a".  Die  Schiller  geben  selbst  die  Worter  an,  buchstabieren 
sie,  der  Lehrer  schreibt  an  die  Tafel  etwa  folgende  Reihen: 


en; 


a  : 

A  . 

er,  S  .  ., 

P  .  . 

.  **  \ 

ii  : 

B  . 

.  er,  S  . 

.  e,  P 

.  .  e; 

e: 

m  . 

.  ern,   E 

.  e,  I 

>  .  .  e,    St  .  .  en, 

W 

i: 

Str 

.  .    (B.  . 

,  R  . 

.),  d  .  .,  bl  .  . 

en; 

o: 

St 

.  .,  B.  ., 

R  .  . 

5 

ii  : 

St. 

.  lein,  R 

.  .  e, 

Gl  .  .  lein; 

u  : 

K  . 

k  .  k,  Z  . 

.  er, 

Gl  .  .  e; 

ii  : 

Br 

.  e,  R  . 

.  en, 

u.  a. 

III.  Welche  Hellaute  stehen  vor  ck?     Welche  Hellaute  stehen  vor  der  Verdop- 
pelung  mit  tt,  ss,  etc.,  etc.  ?  —  Wie  wird  der  Hellaut  vor  ck  gesprochen  ?    Wie  wird 
der  Hellaut  vor   anderen   Verdoppelungen  gesprochen  ?  —  Wodurch   ist  hier   bei   ck 
die  Scharfung  ausgedriickt?     Wodurch  ist  hier  bei  tt,  ss  etc.  die  Scharfung  ausge- 
driickt? 

IV.  1.  Merksatz:     ,,Nach  einem  Hellaut  macht  man  ein  ck."     Wie  trennen  wir 
hier?     (bei  tt,  ss  etc.)      (Ein  Mitlaut  kommt  zur  ersten  etc.) 

Wie  trennt  man  die  ck- Worter? 

2.  Merksatz:  ,,Bei  der  Trennung  kommt  ein  k  zur  ersten  Silbe  und  ein  k  zur 
zweiten  Silbe. 

V.  1.    Abschreiben  der  obigen  Worter.     Anwendung  in  Satzen. 

2)  Aufsuchen  von  ,,ck-W6rtern"  aus  dem  Sprach-  oder  Lesebuch. 

3)  Auf schreiben  von  ck-W6rtern. 

4)  Diktat  auf  die  Tafel.  —  Korrektur.   —   Fehlerverbesserung   durch   wieder- 
holtes  Schreiben  der  gefehlten  Worter.     Diktat  ins  Heft. 

(Nachste  Einheit:  ,,tz- Worter" !  In  einer  weiteren  Lektion  konnen  die  Aus- 
nahmen  (Fabrik,  Tabak,  Jakob,  Ignaz,  heizen  etc.)  festgestellt  werden.  (Nur  die 
gebrauchlichsten  Worter ! ) 


**)   Die  Worter  erfahren  sofort  eine  entsprechende  Erlauterung  durch  Anwen- 
dung in  Satzen,  was  grosstenteils  seitens  der  Schiller  selbst  geschehen  kann. 


II.     Erfahrungen  und  Qedanken. 


(Aus  der  ,,Deutsch6sterr.  Lehrerzeittmg".) 


Von  A.  Chr.  J". 

Auf  einen  blossen  Verdacht  bin  ein  Kind  beschuldigen,  heisst  auf  gut  Gliick  in 
einen  dichten  Wald  hineinschiessen :  die  Kugel  kann  den  Wolf  treffen,  sie  kann 
auch  einen  Menschen  todlich  verwunden. 

*  *  * 

Das  leugnende  Kind  steht  entweder  auf  dem  sittlichen  Boden  der  Wahrheit  und 
verficht  seine  Ehre,  oder  es  ist  von  Beelzebub  angesteckt  und  baut  sich  aus  der  Luge 
eine  Schanze.  D'rum  scharfe  der  richtende  Erzieher  seine  geistige  Sehe  und  lege 
sein  Urteil  auf  die  Wage  des  Gewissens. 

*  *  # 

Der  Erzieher,  der  ein  Kind  grundlos  beschuldigt,  erniedrigt  sich  in  den  Augen 
des  Kindes  zu  einem  fehlbaren  Menschen.  Mit  dem  Vertrauen  des  Kindes  aber  ent- 
gleitet  ihm  der  Schliissel  zur  Edelkammer  des  kindlichen  Herzens  und  sinkt  in  die 

Tiefe  des  Meeres. 

*  *  * 

Das  Vorurteil  ist  der  Nachrichter  der  Wahrheit. 

*  *  * 

Wie  aer  Magnet  den  Eisenspahn,  so  zieht  die  Dummheit  den  Teufel  an.  Der 
Dummheitsteufel  aber  ist  der  gefahrlichste  Teufel,  denn  er  ist  unberechenbar. 

*  *  * 

Dem  Kinde,  dem  daheim  das  Leben  duster  nachtet,  muss  in  der  Schule  die 
Sonne  doppelt  freundlich  scheinen.  Nacht  hier  wie  dort,  das  bringt  die  Seele  aus 
dem  Gleichgewicht  und  gebiert  sklavischen  Stumpfsinn  oder  wilden  Trotz. 

*  *  * 

Das  Kind,  das  banger  Zweifel  voll  zum  erstenmale  die  Schule  betritt,  fordert 
die  hb'chste  und  tiefste  Kunst  des  Erziehers  heraus.  Ein  falscher  Griff  —  und  im 
jungen  Herzen  zerreissen  die  gespannten  Saiten,  und  die  Harfe  des  kindlichen  Ge- 
mutes  gibt  auf  lange  hinaus  keinen  melodischen  Ton. 

*  *  * 

Die  Mutter,  die  das  weinende  Kind  beruhigt,  indem  sie  den  Tisch  ziichtigt,  an 
dem  sich  das  Kind  gestossen  hat,  predigt  das  Gesetz  der  Wiiste.  Was,  meinest  du, 
wird  aus  dem  Kindlein  werden? 

*  *  * 

Arm  sein,  das  raubt  dem  Menschen  noch  nicht  die  Zufriedenheit  und  die  Hei- 
terkeit  des  Gemiits;  aber  arm  werden,  das  driickt  ihm  den  Stachel  ins  Herz.  Auch 
das  Empfinden  entstammt  dem  Vergleiche. 

*  *  * 

Nicht  die  Methode  macht  den  Lehrer,  sondern  der  Lehrer  macht  die  Methode. 

*  *  * 

Wo  man  dem  Lehrer  die  Methode  vorschreibt,  da  rechnet  man  nicht  mit  sei- 
ner Personlichkeit.  Das  aber  heisst:  die  Rechnung  ohne  den  Wirt  machen. 

*  *  # 

Eine  Methode,  die  nicht  aus  der  Personlichkeit  des  Lehrers  herauswachst,  nicht 
Produkt  seiner  Beobachtung,  seiner  tfberlegung  und  seines  Temperamentes  ist,  son- 
dern sich  in  gegebenen  starren  Formen  bewegt,  sinkt  zum  Drill  herab. 


12  P'ddagogische  Monatsbeft*. 

Der  tiichtige  Lehrer  hat  nicht  eine  Methode,  er  hat  eine  Vielheit  von  Methoden. 
Denn  da  die  Natur  des  Schiilers  iiberall  sein  Verfahren  bedingt  und  die  Schiller 
nicht  nach  einer  Schablone  zugeschnitten  sind,  so  muss  sein  Lehrverfahren  die  ver- 

schiedensten  Formen  annehmen. 

*  *  * 

Wer  auf  einer  bestimmten  Methode  herumreitet,  von  ihr  allein  das  Heil  erwar- 
tet,  den  nimm  aufs  Korn;  er  ist  ein  Handwerker  und  steht  noch  der  Erkenntnis 
feme,  dass  der  Geist  es  ist,  der  da  lebendig  macht. 

*  *  * 

Ein  freier  Lehrerstand  ist  ohne  Methodenfreiheit  das  Gewehr,  dem  Lauf  und 

Kolben  fehlen. 

*  *  * 

Den  Ochsen  leitet  man  mit  dem  Stachel,  das  Pferd  mit  dem  Ziigel,  die  Ziege 
mit  dem  Salzsackchen,  jedes  nach  seinem  Wesen.  Hierin  liegt  die  Grundweisheit 

der  Erziehung. 

»  *  * 

Soil  der  Pudel  wie  ein  Frosch,  der  Frosch  wie  ein  Pudel  schwimmen,  so  er- 
reicht  keiner  das  andere  Ufer.  Aber  lass'  jeden  nach  dem  Drange  seiner  Natur  ins 
Wasser  gehen,  und  du  wirst  deine  Wunder  sehen. 

*  *  * 

Ein  Erzieher,  der  sein  Werk  nach  der  Schablone  treibt  und  mit  der  Vielgestal- 
tigkeit  seiner  Zoglinge  nicht  rechnet,  gleicht  einem  Gartner,  der  wahllos  auf  jeden 
Wildling  seines  Gartens  ein  Apfelreis  setzt.  Nur  wenige  der  Baumchen  kominen 
davon,  die  meisten  werfen  den  Fremdling  ab  und  treiben  in  ihrer  Urkraft  weiter. 

*  *  * 

Als  Erzieher  verlange  nicht,  was  die  Natur  versagt,  sonst  wirst  du  an  deinem 

Zogling  zum  Tyrannen. 

*  *  * 

Wo  der  Tyrann  den  Erzieher  verdrangt,  da  verdunkelt  sich  in  dem  Kinde  der 
Himmel  seines  Gemiites,  die  Sterne  der  Liebe  und  des  Vertrauens  erloschen,  ein 

diisterer  Kerker  tut  sich  auf. 

*  »  * 

Sprich  dem  blinden  oder  lahmen  Kinde  niemals  bedauernd  von  seinem  Gebrechen. 
Deine  Worte  helfen  ihm  nicht,  aber  sie  schliessen  ihm  das  Bewusstsein  seines  Elends 
auf  und  verkehren  dein  Mitleid  in  Grausamkeit. 

*  *  * 

Achte  das  Schulgesetz  und  die  Verordnung;  wo  daruber  aber  eine  Seele  zu- 
grunde  ginge,  da  iibertrete  sie,  denn  sie  sind  um  des  Menschen  willen,  der  Mensch 

ist  aber  nicht  um  ihretwillen  da. 

*  *  * 

Das  Kind  diirstet  nach  Liebe,  so  lass  die  Quelle  warmer  Liebe  aus  deinem  Her- 
zen  stromen  und  die  junge  Seele  wird  sich,  getrankt  und  durchfrischt,  emporsch win- 
gen  und  ihre  Fliigel  entfalten  wie  ein  junger  Adler. 

»  *  * 

Wie  der  Sonnenschein  die  Bienchen  zu  emsiger  Arbeit  aus  ihrem  Hauschen  lockt, 
so  lockt  der  freundliche  Blick  des  Lehrers  die  jungen  Seelen  aus  ihrer  Verschlos- 
genheit  und  erwarmt  und  befltigelt  sie  zu  freudigem  Tun. 

*  *  » 

Ein  Lehrer,  dem  niemals  ein  Hauch  der  Frohlichkeit  die  Wangen  streift,  der 
als  ewig  brummender  Bar  oder  finster  schleichende  Katze  im  Kreise  der  Jugend  da- 
hinlebt,  hat  seinen  Beruf  verfehlt.  In  seiner  Schule  herrscht  ,,musterhafte"  Ruhe, 
und  die  Welt  staunt  bewundernd  den  Friedhofsmeister  an,  aber  hat  die  Jugend  wie- 
der  das  Freie  gewonnen,  so  pfeift  sie  um  desto  lauter  —  auf  ihn. 


Erfahrungen  und  Gedanken.  13 

Wer  mit  den  Wolfen  heult,  der  wird  mit  den  Wolfen  geschossen,  darum  sehe 

jeder  wohl  zu,  wo  er  bleibe. 

*  »  * 

Wie  mit  der  Scharfe  des  Auges  das  feme  Sternenheer  sich  vermehrt,  so  haufen 
sich  vor  dem  wachsenden  Verstande  die  Weltratsel.  Je  hoher  du  ragst,  je  klarer 
wirst  du  deine  Kleinheit  erkennen.  Die  rechte  Tochter  der  wahren  Bildung  heisst: 

Demut. 

*  *  * 

Glaube  und  Verstand  stehen  zu  einander  wie  zwei  feindliche  Pole:  sie  stossen 
sich  gegenseitig  ab.  Wo  der  Glaube  annimmt,  da  schweigt  der  Verstand;  wo  der 
Verstand  erkennt,  da  verstummt  der  Glaube.  Beide  vereinen  heisst  Feuer  und  Was- 
ser  mischen:  eines  vergeht  durchs  andere.  Darum  gebiihrt  jedem  ein  gesondert 

Reich. 

*  *  * 

Soweit  der  Verstand  vordringt,  soweit  geht  sein  Reich,  jenseits  der  Marken  die- 
ses Reiches  liegt  die  Welt  des  Glaubens.  Der  Verstand  darf  nicht  befehlen:  Du 
sollst  nicht  glauben,  und  der  Glaube  darf  nicht  fordern:  Du  sollst  nicht  denken. 
Solche  Gebote  sind  'Crbergriffe  in  fremdes  Gebiet  und  gebaren  den  Krieg. 

*  *  * 

Das  Kind  fiihlt  die  Personlichkeit  seines  Lehrers.  In  der  Freiheit  ihres  see- 
lischen  Tastsinnes  hat  die  Jugend  den  Schliissel  zum  innersten  Menschen  ihres  Er- 

ziehers. 

*  *  * 

Losgelost  von  seiner  Personlichkeit,  sind  die  Worte  des  Erziehers  dem  Kinde 
leerer  Schwall  und  ermangeln  jedweder  ziehenden  und  hebenden  Kraft.  Nur  das 
Wort,  hinter  dem  die  ganze  Wesenheit  des  Mannes  steht,  kann  fiihrend  wirken. 

*  *  * 

Das  Erziehen  ist  keine  lernbare  Kunst;  es  ist  ein  Vermogen,  das  im  Wesen  des 
Erziehenden  wurzelt.  Darum  lautet  die  Formel,  nach  der  diese  hohe  und  edle  Kunst 
erworben  wird:  Sei  was,  so  kannst  du  was! 

*  *  * 

Was  du  in  der  Schule  aus  dir  machst,  das  schwebt  dem  Sehuldunste  gleich  in 
der  Luft  und  dringt  nicht  fiber  die  Schwelle  deiner  Werkstatte  hinaus.  Was  du 
in  der  Schule  aber  bist,  das  geht  der  Jugend  ins  Blut  und  treibt  einmal  seine  Frucht 
im  Volke. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Der  Lehrertag  zu  Minneapolis. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  B.  A.  Abrams,  Aas't  Supt.,  Milwaukee,  Wis. 


(Schluss.) 

Ob  die  Flagge  dem  Handel,  oder  der  Handel  der  Flagge  folgt,  1st  eine  offene 
Frage,  aber  ganz  bestimmt  folgt  der  Handel  den  Jahresversammlungen  des  araeri- 
kanischen  Lehrerbundes.  Ein  Rundgang  durch  die  oberen  Raumlichkeiten  des  ge- 
waltigen  Ausstellungsgebaudes  wahrend  der  Tagungswoche  ist  ebenso  unterhaltend 
wie  belehrend.  In  den  modernen  Grossbazaren  einer  Weltstadt  kann  sich  an  einem 
Haupt-  und  Staatsaktionstage  kaum  ein  geriiuschvolleres,  lebhafteres  Treiben  ent- 
falten  als  hier  unmittelbar  iiber  dem  Versammlungssaale  des  Lehrerbundes.  Was 
nur  in  entferntester  Beziehung  zum  Schulwesen  und  zur  Tatigkeit  auf  dem  Gebiete 
der  Erziehung  gebracht  werden  kann  —  hier  ist  es  ausgestellt.  Die  grossen,  die 
grb'sseren  und  die  grb'ssten,  auch  die  kleineren  und  kleinsten  Verlagshandlungen, 
Schulpult-  und  Bleistif tf abrikanten ;  wer  je  etwas  ersonnen  und  erfunden  hat,  um 
den  Kindern  die  schwere  Arbeit  des  Lernens,  den  Lehrern  das  Lehren  zu  erleichtern 
und  zu  versiissen,  die  grossen  und  kleinen  Propheten  der  Gb'ttin  ,,Fadda"  —  sie 
sind  alle  vertreten.  Von  der  verlockenden  Limonadenbude  bis  zum  Riesenglobus, 
von  den  echten  oder  nachgemachten  Erzeugnissen  der  Flecht-  und  Webekunst  der 
rotbraunen  Miindel  unserer  Nation  bis  zu  den  kompliziertesten  und  kostbarsten  phy- 
sikalischen  Instrumenten,  hier  kann  man  es  sehen,  bewundern  und  —  was  die  Haupt- 
sache  ist  —  kaufen  oder  bestellen.  In  gerechter  Wiirdigung  des  Umstandes,  dass 
die  meisten  Besucher  des  Lehrertages  dem  schonen  Geschlechte  angehb'ren,  haben  die 
grossen  Schulbuchfirmen  ihre  gewandtesten,  elegantesten,  hb'flichsten,  jiingsten  und 
hiibschesten  Verkaufer  mit  der  angenehmen  Aufgabe  betraut,  ihre  Biicher  an  den 
Mann,  d.  h.  an  die  Frau  zu  bringen.  — 

Ich  habe  den  Versuch  gemacht,  fur  die  Leser  der  ,,Padagogischen  Monatshefte" 
in  grossen  Ziigen  ein  Bild  des  letzten  grossen  Lehrertages  zu  entwerfen.  Die  Reich- 
haltigkeit  des  Programmes,  die  grosse  Zahl  der  Haupt-  und  Nebenversammlungen, 
sind  Umstande,  die  einem  auch  nur  annahernd  erschopfenden  Berichte  als  unbe- 
siegbare  Hindernisse  im  Wege  stehen.  Wahrend  ich  soweit  nur  das  Interessanteste 
aus  dem  in  den  Hauptversammlungen  Gehorten  hervorhob,  erlaube  ich  mir  zum 
Schlusse  noch  einige  der  zahlreichen  Abteilungsversammlungen  in  das  Bereich  mei- 
ner  Berichterstattung  zu  ziehen.  Vor  einer  sehr  zahlreichen  Zuhorerschaft  hielt 
Dr.  Henry  Hartung  von  Chicago,  der  mit  Herrn  Suder,  dem  Vorsteher  des  Turn- 
unterrichts  an  den  offentlichen  Schulen  Chicagos,  als  amtlicher  Vertreter  des  Nord- 
amerikanischen  Turnerbundes  dem  Lehrertage  beiwohnte,  einen  sehr  beifallig  auf- 
genommenen  Vortrag  iiber  den  Wert  eines  systematischen  Turnunterrichtes.  Er 
verlangt,  dass  der  Kbrpererziehung  ein  angemessener  Platz  im  Lehrplan  der  Volks- 
schule  eingeraumt  werde.  Unsere  Erziehungsideale,  meinte  der  Redner,  werden 
noch  allzusehr  durch  die  veralteten  Kulturbegriffe  des  Mittelalters  beeinflusst. 
Jahrhunderte  hindurch  habe  man  gelehrt,  dass  Kb'rper  und  Geist  zwei  getrennte 
Wesen  seien,  die  nebeneinander  und  unabhiingig  von  einander  arbeiteten.  Die  mo- 
derne  Wissenschaft  hat  uns  gezeigt,  dass  der  Mensch  eine  organische  Einheit  ist 
und  dass  die  geistigen  und  kbrperlichen  Tiitigkeiten  im  engsten  Zusammenhange 


Der  Lehrertag  %u  Minneapolis.  15 

stehen.  In  alien  Schulen,  in  denen  man  die  Erziehung  des  Korpers  der  Geistespflege 
gleichstellte,  hat  sich  dieses  als  Wahrheit  bestatigt. 

Redner  fuhrte  den  Ausspruch  des  verstorbenen  Padagogen  Parker  an:  ,,Es  wird 
vielleicht  niemals  wissenschaftlich  festgestellt  werden,  welch  gewaltigen  Einfluss 
der  Korper  und  alle  seine  Organe,  jeder  Nerv  und  jeder  Muskel  und  jede  Ader  auf 
das  Him  und  demnach  auf  den  Geist  austiben.  Je  mehr  ich  mich  mit  der  Seelen- 
lehre,  besonders  mit  der  Physopsychologie  beschaftige,  desto  starker  wird  mein 
Glaube  an  den  segensreichen  Einfluss  der  Korpererziehung."  —  Einen  hochinteres- 
santen  Vortrag  von  einem  ,,Nichtlehrer"  horte  ich  in  einer  Versammlung  der  Han- 
delsschullehrer  iiber  das  Thema:  ,,Was  kann  die  Geschaftswelt  von  den  Schulen 
verlangen?"  Angesichts  der  grossartigen  Entwickelung  in  unserem  Lande  auf  alien 
Gebieten  des  Handels  und  der  Industrie  warnte  der  Redner  seine  Landsleute  vor 
der  Gefahr,  diese  beispiellosen  Erfolge  der  grosseren  Tiichtigkeit  und  Klugheit  des 
amerikanischen  Volkes  zugutzuschreiben.  Die  machtigen  natiirlichen  Hilfsquellen 
und  Bodenreichtumer  unseres  Landes  seien  als  Hauptfaktoren  des  Erfolges  zu  be- 
trachten.  Ausserdem  sei  Amerika  ein  neues  Land,  dessen  Sohne  sich  ungehemmt 
von  (iberlieferten  veralteten  Anschauungen  bewegte,  welche  gar  haufig  als  Kette 
an  den  Fiissen  unserer  europaischen  Geschaftsrivalen  hangen.  Was  Goethe  sang: 

Amerika,  du  hast  es  besser 
Als  unser  Kontinent,  der  alte, 
Hast  keine  verfallenen  Schlosser, 

zog  sich  als  roter  Faden  durch  diesen  Teil  des  Vortrages.  Aber  Europa  lernt  von 
uns.  Auch  Europa  ist  im  Begriffe  sich  auf  dem  Gebiete  des  Handels,  der  Industrie 
und  der  Bodenbearbeitung  von  dem  Banne  der  Vergangenheit  zu  befreien.  Mit  den 
modernsten  Werkzeugen,  Maschinen  und  Methoden  tritt  man  dem  amerikanischen 
jungen  Rivalen  entgegen,  und  in  technisch  wissenschaftlicher  Vor-  und  Ausbildung 
sind  uns  die  am  meisten  fortgeschrittenen  europaischen  Staaten,  besonders  Deutsch- 
land,  weit  uberlegen.  Der  Glaube  an  unsere  geistige  Superioritat  kb'nne  verhang- 
nisvoll  fiir  uns  werden,  wenn  wir  uns  durch  denselben  einschlafern  lassen.  Redner 
verlangte  die  Griindung  einer  grosseren  Zahl  unter  staatlicher  Leitung  und  Auf- 
sicht  stehender  technischer  Hochschulen,  und  eine  bessere  Ausbildung  unserer  Han- 
dels- und  Gewerbebeflissenen. 

Zum  Schlusse  eilend,  berichte  ich  noch,  dass  als  eine  Frucht  der  Minneapoliser 
Tagung  die  Griindung  einer  nur  aus  Klassenlehrern  bestehenden  ,,ISrational  Federa- 
tion of  Teachers"  zu  verzeichnen  ist.  An  der  Spitze  des  neuen  Verbandes,  dessen 
Hauptzweck  die  Wahrung  der  materiellen  Interessen  der  amerikanischen  Lehrer  ist, 
steht  Fraulein  Haley  von  Chicago,  die  geistige  Fiihrerin  der  dortigen  Lehrerschaft 
und  erfolgreiche  Vorstreiterin  in  dem  fast  aussichtslos  scheinenden  Kampfe  gegen 
die  grossen  Korporationen  des  Staates  Illinois.  Wenn  ich  noch  hinzufiige,  dass  der 
Lehrertag  in  seiner  Schlussversammlung  eine  von  einem  reprasentativen  Ausschusse 
ausgearbeitete  Prinzipienerkliirung  annahm,  deren  Wortlaut  leider  nicht  in  meinem 
Besitze  ist,  dass  der  nachste  Lehrertag  in  Boston  stattfindet  und  dass  in  diesem 
Jahre  President  Eliot  von  Harvard  an  der  Spitze  des  Lehrerbundes  steht,  darf  ich 
wohl  das  endgiiltige  Schlusszeichen  setzen.  — 


II.     Korrespondenzen. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Baltimore. 

Ein  von  der  Staatslegislatur  erlasse- 
nes  Schulzwanggesetz  soil  wahrend  des 
laufenden  Schuljahres  in  Kraft  gesetzt 
werden. 

Nach  diesem  Gesetze  miissen  alle  Kin- 
der vom  8.  bis  zum  12.  Jahre  die  b'ffent- 
lichen  Schulen  besuchen,  ausgenommen, 
es  wird  nachgewiesen,  dass  sie  anderswo 
in  den  Fachern,  die  in  den  offentlichen 
Schulen  gelehrt  werden,  Unterricht  ge- 
niessen,  oder  korperlich  und  geistig  un- 
fahig  sind,  sich  an  dem  Unterricht  zu 
beteiligen.  Allerdings  kb'nnen  Kinder  in 
schulpflichtigem  Alter  vom  Schulsupe- 
rintendenten  oder  von  einer  sonstigen 
Schulautoritat,  je  nachdem  die  Regeln 
sind,  in  notwendigen  Fallen  vom  Schul- 
besuch  dispensiert  werden.  Auch  Kin- 
der im  Alter  von  12  bis  16  Jahren  sind 
diesen  Bestimmungen  des  Gesetzes  un- 
terworfen,  ausgenommen,  sie  sind  zu 
Hause  oder  anderswo  in  gesetzlicher 
Weise  beschaftigt.  Der  Zweck  des  Ge- 
setzes ist,  miissige  Kinder  von  der 
Strasse  wegzuhalten,  sowie  auch,  dass 
sie  etwas  lernen.  Keine  ^'abriken,  au- 
sser  Konservenfabriken,  diirfen  Kinder 
unter  16  Jahren  beschaftigen,  ausgenom- 
men der  Arbeitgeber  ist  im  Besitze  eines 
Zertifikates  vom  Oberlehrer  der  von  dem 
Kinde  zuletzt  besuchten  Schule  und  auch 
eines  solchen  von  den  Eltern  oder  dem 
Vormund  desselben,  welche  bescheinigen, 
dass  das  Kind  iiber  12  Jahre  alt  ist. 
Das  ersterwahnte  Zertifikat  ist  nicht 
notwendig,  wenn  das  Kind  zuletzt  eine 
ausserhalb  des  Staates  gelegene  Schule 
besucht  hat.  Wer  ein  Kind  beschaftigt, 
ohne  diesen  Bestimmungen  des  Gesetzes 
nachgekommen  zu  sein,  verfallt  in  eine 
Strafe  von  nicht  mehr  als  $100,  und 
muss  fiir  jeden  weiteren  Tag,  an  dem  er 
das  Kind  in  solcher  ungesetzlichenWeise 
beschaftigt,  weitere  $20  Strafe  zahlen. 
Niemand  darf  ein  Kind  von  12  bis  16 
Jahren  beschaftigen  ,welches  nicht  flie- 
ssend  lesen  und  schreiben  kann,  es  sei 
denn,  das  Kind  hat  zu  gleicher  Zeit  Un- 
terricht in  einer  Schule.  Das  Gesetz  be- 
droht  auch  Eltern  und  Vormiinder  mit 
schweren  Strafen,  wenn  sie  beziiglich  des 
Alters  ihrer  Kinder  f alsche  Angaben  ma- 
chen,  es  zugeben,  dass  dieselben  in  un- 
gesetzlicher  Weise  beschaftigt  werden, 
oder  es  erlauben,  dass  sie  die  Schule 
schwanzen,  das  heisst,  dem  Unterricht 
fern  bleiben  und  sich  auf  der  Strasse 
herum  treiben. 


Zur  Durchfiihrung  des  Gesetzes  sind 
die  Schulkommissare  verpflichtet,  zwolf 
Schulkonstabler  zu  ernennen,  welche  je- 
des  Kind  zwischen  8  und  16  Jahreu,  das 
die  Schule  schwanzend  auf  der  Strasse 
angetroffen  wird  oder  iiberhaupt  keine 
Schule  besucht,  festnehmen  und  den  El- 
tern oder  dem  Lehrer  iibergeben  miissen. 
Das  Gesetz  bestimmt  auch,  dass  der 
Mayor  und  Stadtrat  fiir  gewohnheitsma- 
ssige  Schulschwanzer  Zwangschulen  ein- 
richten,  welchen  solche  Kinder  von  ei- 
nem  Friedensrichter  iiberwiesen  werden 
konnen. 

Sobald  der  Stadtrat  die  Gehaltsbe- 
stimmung  fiir  die  zwolf  Schulkonstabler 
(truant  officers)  erledigt  hat,  wird  die 
Schulbehorde  diese  Beamten  ernennen, 
und  es  sollen  nach  dem  Vorbild  westli- 
cher  Stiidte  sowohl  Manner  als  auch 
Frauen  dafiir  ausersehen  werden.  Ehe 
aber  der  Stadtrat  die  notigen  Massre- 
geln  fiir  die  Einrichtung  der  vorge- 
schriebenen  Zwangschulen  nicht  getrof- 
fen  hat,  werden  die  zwolf  Schulpedelle 
wenig  ausrichten  konnen. 

Der  Schreiber  kann  nicht  umhin  zu 
denken,  dass  die  rechtzeitige  Anwendung 
eines  guten  Rohrstocks  einer  Zwangs- 
schule  weit  vorzuziehen  ware.  Das  denkt 
mit  ihm  auch  der  phenomenal  populare 
Nationalabgeordnete  W.,  der  bei  der 
jiingsten  Wahl  zum  dritten  Mai  in  den 
Kongress  gewJihlt  wurde.  Bei  einer  Ban- 
kettrede  vor  einiger  Zeit  deutete  der 
Letztere  auf  den  anwesenden  Schreiber 
und  sagte:  "There  is  the  only  man  that 
ever  licked  me,  and  I  am  happy  to  have 
this  opportunity  to  thank  him  for  it 
publicly.  He  did  more  than  anybody 
else  to  make  a  man  out  of  me."  Vor 
etwa  33  Jahren  hatte  der  Schreiber  den 
geweckten  Jungen  in  einer  Privatschule 
vom  Schulschwanzen  durch  dasselbe 
krjiftige  Mittel  griindlich  kuriert,  das 
bei  ihm  selbst  in  einem  gleichen  Falle 
ebenso  erfolgreich  in  Deutschland  ange- 
wendet  worden  war.  Wie  nun,  wenn  der 
eine  wie  der  andere  damals  einer 
Zwangsschule  iiberwiesen  worden  ware? 

Die  Umgestaltung  in  unserem  offentli- 
chen Schulwesen  ist  immer  noch  im 
Gange;  wahrend  des  laufenden  Schul- 
jahres werden  wahrscheinlich  in  der  Or- 
ganisation der  neuen  englisch-deutschen 
Schulen  Veranderungen  vorgenommen 
werden.  Es  ist  u.  a.  angeregt  worden, 
den  deutschen  Unterricht  von  der  un- 
tersten  Klasse,  deren  Unterrichtszeit  von 


Korrespondenten. 


17 


fiinf  auf  drei   Stunden  beschriinkt  wor- 
den  ist,   auszuschliessen. 

Den  Pild.  Monatsheften  wiinscht 
Schreiber  mit  dem  ncuen  Jahrgang  eine 
grosse  Anzahl  neuer  Abonnenten  aus  al- 
ien Richtungen.  Er  wiinscht  es  sehn- 
lichst  im  Interesse  des  deutschen  Erzie- 
hungswesens  hierzulande.  1st  es  doch 
dem  Jugendfreund  gar  herzbetriibend,  zu 
erfahren,  wie  es  da  und  dort  Lehrende 
gibt  —  und  leider  nicht  wenige  —  die 
weder  das  Bediirfnis  noch  die  Pflicht 
fiihlen,  durch  das  Anschaffen  einer  sol- 
chen  Zeitschrift  sich  auf  der  Hohe  der 
rasch  fortschreitenden  Zeit  zu  halten, 
und  sich  so  berufstiichtig  zu  erhalten 
und  berufstiichtiger  zu  machen.  Wenn 
unter  solchen  Umstanden  der  deutsche 
Unterricht  in  manchen  Stiidten  Einbusse 
erlitten  hat  und  zuriickgeht,  ist  es  wahr- 
lich  nicht  zu  verwundern.  Abgesehen 
von  allem  andern,  ahnen  solche  bedau- 
ernswerte  Schulhalter  nicht,  wie  sie  sich 
dabei  selbst  im  Lichte  stehen.  "Doch  der 
Mensch  hofft  immer  Verbesserung."*)  — 

S. 


*)  Herzlichen  Dank  unserm  lieben 
Korrespondenten  fiir  seine  Mahnworte! 
Sie  konnen  nicht  dringend  genug  ge- 
macht  und  oft  genug  wiederholt  werden. 
Endlich  miissen  sie  doch  fruchtbaren 
Boden  finden.  D.  R. 

Californien. 

Der  liebenswiirdige  Redakteur  der  P. 
M.  schreibt  seinem  Korrespondenten  im 
goldenen  Staate,  dass  Wunderdinge  von 
hier  ihm  zu  Ohren  gedrungen  seien:  Der 
deutsche  Lehrerverein  habe  es  erreicht, 
dass  der  deutsche  Unterricht  in  den  of- 
fentlichen  Schulen  des  Staates  obligato- 
risch  gemacht  worden  sei.  Ein  schoner 
Traum,  aber  leider,  nur  ein  Traum!  Es 
tut  mir  leid,  konstatieren  zu  miissen, 
dass  wir  weit  davon  entfernt  sind,  ja 
dass  dafiir  iiberhaupt  wohl  keine  Hoff- 
nung  ist.  Das  Hochste,  was  wir  anstre- 
ben  konnen,  ist,  dass  es  uns  gelingen 
moge,  es  dahin  zu  bringen,  dass  in  alien 
High  Schools  des  Staates  Deutsch  ge- 
lehrt  werde,  und  dass  dieser  Unterricht 
in  f&hige  H&nde  gelange.  Bis  jetzt  ist 
beides  noch  nicht  der  Fall,  doch  sind  die 
Aussichten  auf  Verwirklichung  dieser 
Ideale  sehr  gut.  Mit  solch  tiichtigen 
Mannern  an  der  Spitze  des  Deutschen 
an  unseren  Universitiiten,  wie  die  Pro- 
fessoren  Goebel,  Schilling  und  Putzker, 
kann  die  endliche  Hebung  des  deutschen 
Unterrichts  im  Staate  nicht  ausbleiben. 
Scheme  Erfolge  sind  bereits  erzielt  wor- 
den, und  Besseres  birgt  die  Zukunft  in 
ihrem  Schosse.  Es  wird  die  Leser  der  P. 


M.  interessieren  zu  horen,  welche  Fort- 
schritte  in  dem  bescheidenen  Wirkungs- 
kreise  Hires  Korrespondenten,  in  der 
High  School  zu  San  Jose,  zu  verzeich- 
nen  sind.  Als  wir  vor  zwei  Jahren  hier 
ankamen,  konnten  Deutsch,  sowie  auch 
Franzosich  und  Spanisch  erst  im  drit- 
ten  Schuljahre  erwiihlt  werden,  wahrend 
Latein  schon  im  ersten  Jahre  aufgenom- 
inen  wurde.  Dies  gereichte  den  moder- 
nen  Sprachen  zum  grossen  Nachteil, 
denn,  wie  bekannt,  sind  bis  dahin  nur 
noch  ungefiihr  die  Hiilfte  der  eintreten- 
den  Schiiler  in  der  Schule,  und  dann 
sind  schon  die  meisten  derjenigen,  die 
eine  fremde  Sprache  studieren  wollen,  in 
die  Molocharme  des  Lateinischen  getrie- 
ben.  Das  Deutsche  hatte  also  wenig  Ge- 
legenheit,  seine  Verdienste  als  wiin- 
schenswerte  Fremdsprache  zu  beweisen. 
Isach  rastlosem  Bemiihen,  gegen  die 
Opposition  des  ,,klassischen"  Departe- 
ments  bis  zum  letzten  Moment,  ist  es 
uns  endlich  gelungen  es  durchzusetzen, 
dass  die  Schiiler  schon  gleich  beim  Ein- 
tritt  in  die  High  School  Deutsch  auf- 
nehmen  konnen,  so  dass  sie  also  zum 
Studium  einer  fremden  Sprache  zwi- 
schen  Deutsch  und  Latein  die  Wahl  ha- 
ben.  Diese  Neuerung  ist  mit  allgemei- 
ner  Befriedigung  aufgenommen  worden, 
und  hat  sich  bereits  ausgezeichnet  be- 
wiihrt.  Wahrend  friiher  die  Anfanger- 
klasse  nur  20  bis  25  Schiiler  ziihlte,  mel- 
deten  sich  in  diesem  Semester  iiber  fiinf- 
zig  zum  deutschen  Unterricht,  und  wir 
erwarten  im  nachsten  Semester  eine 
ahnliche  Anzahl. — Dies  beweist  nur  das 
alte  Sprichwort:  Auf  einen  Streich  fallt 
keine  Eich',  und  Ausdauer  fiihrt  zuletzt 
doch  zum  Ziel.  —  In  der  Neujahrswo- 
che  wird  in  Los  Angeles  die  grosse  Kon- 
vention  der  State  Teachers'  Association 
stattfinden.  Dabei  werden  die  hervorra- 
gendsten  Schulmiinner  des  Staates,  wie 
die  Priisidenten  unserer  beiden  Universi- 
taten,  Jordan  und  Wheeler,  u.  a.  zugegen 
sein,  und  auch  einige  Grossen  aus  dem 
Osten,  unter  ihnen  der  Farbige,  Booker 
T.  Washington.  Alle  Phasen  des  Schulwe- 
sens  werden  im  allgemeinen  und  im  be- 
sonderen  behandelt  werden.  Auch  den 
modernen  Sprachen  ist  eine  besondere 
Sektion  zugewiesen  worden,  unter  dem 
Vorsitz  von  Professor  Julius  Goebel. 
Dies  wird  uns  eine  ausgezeichnete  Gele- 
genheit  geben,  fiir  unsere  Sache  zu  wir- 
ken,  und  wir  versprechen  uns  gute  Re- 
sultate.  Bericht  hieriiber  wird  spliter 
folgen.  V.  B. 

Chicago. 

Im  deutschenUnterrichtswesen  unserer 
Stadt  haben  mit  Beginn  des  jetzigen 
Schuljahres  durchgreifende  Anderungen 


18 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


stattgefunden.  Um  die  Notwendigkeit 
derselben  klar  zu  machen,  muss  ich  etwas 
weit  ausholen.  Die  Stadt  Chicago  ist 
aus  einer  Menge  verschiedener  Towns 
zusammengesetzt,  die  bis  zu  einem  ge- 
wissen  Grade  eine  von  einander  unab- 
hangige  Verwaltung  haben  .  Jedes  der- 
selben wahlte  bis  vor  kurzem  seinen  ei- 
genen  Assessor  und  jeder  dieser  Asses- 
soren  schatzte  das  in  seinem  Town  vor- 
handene  steuerbare  Eigentum  ganz  nach 
Belieben  ein.  Auch  war  es  ein  offenes 
Geheimnis,  dass  die  Reichen  beinahe  gar 
keine  Steuer  mehr  weder  auf  Grund- 
noch  auf  bewegliches  Eigentum  bezahl- 
ten.  Die  Steuerlast  wurde  einfach  ganz 
und  gar  auf  den  sogen.  kleinen  Mann 
abgewalzt,  fur  den  es  ,,sich  nicht  be- 
zahlte",  den  Assessor  ,,zu  sehen".  Diese 
Zustiinde  wurden  vor  ein  paar  Jahren  so 
unleidlich,  dass  das  Volk  sich  aufraffte 
und  gebieterisch  die  Abschaffung  dieser 
Assessorenamter  verlangte,  welchem 
Wunsche  auch  von  der  Staatslegislatur 
Rechnung  getragen  wurde.  Man  machte 
ein  Gesetz,  welches  ein  board  of  Assess- 
ors, bestehend  aus  sieben  Mitgliedern, 
schuf,  und  hoffte  nun,  dadurch  der 
schmachvollen  Bestechung  einen  Rie- 
gel  vorgeschoben  zu  haben.  Je- 
der ehrliche  Mann  atmete  auf, 
und  besonders  die  Lehrer  hofften, 
nun  auch  ihren  Anteil  an  den  zu 
erwartenden  reichlicheren  Steuerein- 
kiinften  in  Form  von  hoheren  Gehaltern 
zu  erhalten.  Aber  es  sollte  anders  kom- 
men. 

Die  Mitglieder  des  erwahnten  board  of 
assessors  bewilligten  sich  riesige  Jahres- 
gehalter  (ich  glaube  $10,000  jeder)  und 
machten  dadurch  ihre  Amter  zu  sehr 
gesuchten.  Da  sie  vom  Volke  erwahlt 
werden,  so  war  naturgemass  ihr  gross- 
tes  Bestreben,  sich  beim  Volke  lieb  Kind 
zu  machen,  und  das  kann  ein  Assessor  am 
besten,  wenn  er  die  Steuern  mb'glichst 
niedrig  ansetzt.  Und  das  taten  die  Her- 
ren.  Als  vor  einem  Jahre  das  stiidtische 
Budget  festgesetzt  wurde,  sah  man  ein 
Defizit  von  mehreren  Millionen,  und  in 
den  verschiedenen  Departements,  die  in 
den  letzten  Jahren  schon  fortwiihrend 
ungentigend  mit  Mittel  versorgt  waren, 
musste  nun  erst  recht  gespart  und  die 
Ausgaben  beschnitten  werden.  Der 
Schu^rat,  der  infolge  des  schnellenWachs- 
tumes  der  Stadt  Jahr  fiir  Jahr  grossere 
Summen  benotigt,  sah  sich  vor  einem 
Defizit  von  rund  einer  Million  Dollurs 
oder  einem  minus  von  einem  Sechstel 
seines  erwarteten  Einkommens;  mit 
dieser  Summe  musste  man  auskommen. 
Unser  Schulrat  hatte  einen  schweren 
Stand.  Wo  immer  er  Beschneidungen 


vornehmen  wollte,  stiess  er  auf  begreif- 
lichen  Widerstand.  Man  einigte  sich 
auf  folgende  wesentliche  Anderungen : 
Beschneidung  der  Gehalter  aller  Schul- 
ratsangestellten  um  5  Prozent;  Schlie- 
ssung  der  Kindergarten;  Nichteroffnung 
der  Abendschulen;  Erhohung  der 
Schiilerzahl  in  jeder  Klasse  auf  55  Kin- 
der oder  mehr;  Verminderung  der  An- 
zahl  der  Speziallehrer  des  Singens  von  14 
auf  4;  Abschaffung  von  8  Hilfssuperin- 
tendenten-Stellen  —  sechs  wurden  bei- 
behalten  —  und  endlich  sollte  auch  der 
deutsche  Unterricht  abgeschafft  werden, 
der  bisher  eine  jiihrliche  Ausgabe  von 
$180.000  verursacht  hatte.  Dem  mann- 
haften  und  zielbewussten  Auftreten  des 
Schulrates  Dr.  Heinrich  Hartung,  der 
friiher  selbst  Lehrer  war,  haben 
wir's  vor  allem  zu  danken,  dass  es 
es  doch  nicht  dazu  kam.  Er  rettete, 
was  unter  den  Umstanden  zu  retten  war : 
Der  deutsche  Unterricht  wird  allerdings 
nicht  als  Spezialfach  erteilt,  sondern  als 
,,departmental  work".  Die  Kinder  einer 
Schule,  die  z.  B.  in  den  fiinften  Graden 
Deutsch  lernen  wollen,  kommen  alle  in 
ein  Zimmer,  welchem  eine  Lehrkraft 
vorsteht,  die  die  deutsche  Lehrbefahi- 
gungspriifung  abgelegt  hat.  Dieselbe 
Lehrkraft  erteilt  den  deutschen  Unter- 
richt im  6.  und  7.  und  8.  Grad 
je  y2  Stunde  per  Tag,  und  jene 
Lehrer  gehen  so  lange  in  das  Zim- 
mer der  deutschen  Lehrerin.  Wie  ich 
ho're,  haben  sie  in  anderen  Stadten  dieses 
Landes  dasselbe  System,  und  es  soil  sich 
z.  B.  in  Cleveland  gut  bewiihrt  haben. 

Freilich  fiir  viele  deutsche  Lehrerinnen 
war  das  ein  harter  Schlag,  mussten  sie 
doch,  um  im  Schuldienst  zu  bleiben,  eine 
Lehrbefahigungspriifung  in  den  engli- 
schen  Fachern  ablegen.  Ungefahr  100 
aus  160  haben  sich  von  Januar  bis  Au- 
gust darauf  vorbereitet,  etliche  40  haben 
die  Priifung  am  20.  August  bestanden. 
Die  Fragen  waren  nicht  gerade  sehr 
schwer,  aber  auch  nicht  leicht,  im  gro- 
ssen  und  ganzen  ziemlich  gerecht.  Pada- 
gogik  und  Psychologic  wurde  ihnen  ge- 
schenkt.  Verschiedene,  die  die  Priifung 
nicht  bestanden  haben,  gehen  jetzt  nach 
der  Normalschule ;  man  wird  sie,  wie  ich 
hore,  nachsten  Herbst  ohne  weiteres  Ex- 
amen  anstellen.  ttber  den  Erfolg  oder 
Nichterfolg  des  deutschen  Unterrichtes 
in  seiner  jetzigen  Form  ein  Urteil  zu 
fiillen,  ware  voreilig;  die  Sache  ist  noch 
zu  jung.  Ernes. 

Cincinnati. 

Der  Stock  bleibt.  Der  Schulrat  ver- 
warf  nach  kurzer  Diskussion  den  Antrag 
auf  bedingungslose  Abschaffung  der  Kor- 
perstrafen  und  die  Errichtung  von  Spe- 


Korresponden^en. 


19 


zialklassen  fiir  Dauer-Nichtsnutze  (S. 
meine  letzte  Korresz. ) .  Der  Sieg  wurde 
den  Gegnern  der  Massregel  insofern 
leicht  geinacht,  als  die  besagten  Spezial- 
klassen  nicht  zu  verachtende  Ausgaben 
verursacht  haben  wiirden,  die  Schulfinan- 
zen  aber  solche  nicht  tragen  konnten.  So 
liegt  denn  der  gut  gemeinte  Antrag  ad 
calendas  graecas  ,,angefangen  und  been- 
det  in  der  Santa  Casa  ( Finanzkomitee ) 
heiligen  Registern".  Moge  derselbe 
noch  viele  Jahre  dort,  der  Stock  aber  im 
Klassenzimmer  bleiben,  ein  Segen  fur 
die  Schiller  und  ultima  ratio  des  Lehrers, 
wenn  er  nur  richtig  angewandt  wird. 

Mit  der  allmahlichen  Einfiihrung  aller 
Arten  von  Handfertigkeitsunterricht  und 
sonstigen  modernen  Erziehungszweigen, 
iiber  deren  Wert  hier,  wie  anderswo, 
die  Ansichten  himmelweit  auseinander- 
gehen,  wird  in  unseren  Elementarschulen 
rustig  vorangeschritten.  Falls  wir  auch 
in  dieser  Hinsicht  mit  mehr  Geduld  und 
Ausdauer  gesegnet  sind  als  die  Franzo- 
sen,  die  diese  Veranstaltungen  nach 
ziemlich  eingehenden  Versuchen  langst 
wieder  iiber  Bord  geworfen  haben,  mag 
es  uns  gelingen,  dieselben  hier  dauernd 
einzubilrgen.  Das  ware  keineswegs  zu 
bedauern,  vorausgesetzt,  dass  der,  jeg- 
lichem  Erdentaps  unumganglich  not- 
wendige  eiserne  Bestand  positiverKennt- 
nisse  dabei  keine  Einbusse  erleidet. 
Dariiber  kb'nnen  wir  sehr  bald  im  klaren 
sein,  und  bis  dahin  scheint  ein  Urteil 
iiber  die  Sache  nicht  am  Platze. 

Mit  der  am  6ten  Dezember  abgehalte- 
nen  regelmassigen  Versammlung  des 
deutschen  Lehrervereins  war  eine,  durch 
die  Umstande  etwas  verspatete  Feier  des 
hundertjahrigen  Geburtstages  von  Wil- 
helm  Hauff  verbunden.  Lehrer  und 
Schiller  batten  sich  in  die  Biirde  des 
Tages  geteilt,  und  legten  Ehre  mit  den 
gebotenen  Vorfiihrungen  ein.  Den  Vor- 
trag  iiber  den  gefeierten  Dichter  hatte 
Herr  Dr.  H.  H.  Fick  iibernommen.  Er 
entledigte  sich  seiner  Aufgabe  in  glan- 
zender  Weise  und  wurde  mit  reichlichem 
Beifall  belohnt. 

Herr  Theodor  Meyder,  der  Dirigent 
der  von  ihm  neubelebten  Gesangsektion, 
kann  nicht  zu  hoch  gepriesen  werden 
fiir  den  Genuss,  den  diesesmal  ein 
Schiilerchor  aus  seiner  Schule  durch  den 
unter  seiner  Leitung  gebotenen  prach- 
tigen  Vortrag  des  bekannten  Hauffschen 
,,Reiters  Morgengesang"  den  Anwesen- 
den  bot.  Nicht  weniger  Lob  gebiihrt 
dem  Gesanglehrer,  Herrn  Wilhelm 
Rickel,  fiir  ein  schones  Cornetsolo, 
Thema  und  Variationen  von  Hauffs 
,.Treue  Liebe",  sowie  Frilulein  Emma 
Rottmiiller,  einer  vor  kurzem  entlassenen 


Schiilerin  der  Sten  Intermediatschule, 
fiir  den  hilbscht-ri  Vortrag  des  Lexow- 
schen  Gedichtes  ,,Steh  ich  in  finstrer 
Mitternacht".  Die  sehr  gut  besuchte 
Versammlung  war  eingeleitet  worden 
durch  eine  kurze  Trauerfeier  fiir  unseren 
lieben  Toten,  Wilhelm  Heinrich  Weick, 
den  verdienstvollen  Kollegen,  der  vor 
vierzehn  Jahren  den  ersten  Anstoss  zur 
Griindung  unsercs  heute  so  bliihenden 
Vereines  gab.  Die  von  Kollegen  H.  von 
Wahlde  verfassten  Trauerbeschliisse 
wurden  von  der  Versammlung  einstimmig 
angenommen. 

In  der  am  Tage  vorher  stattgefunde- 
nen  Versammlung  des  deutschen  Ober- 
lehrervereines  kam  der  Prasident  des- 
selben,  Herr  B.  Wittich,  auf  seine 
in  meinem  vorletzten  Berichte  be- 
sprochene  Ansprache,  die  Pflege  der 
deutschen  Sprache  betreffend,  zuriick 
und  unterbreitete  einige  Vorschlage  be- 
hufs  Agitation  fiir  die  Verbesserung 
des  gegenwartigen,  seiner  Ansicht  nach, 
der  Abhilfe  sehr  bediirftigen  Zustandes 
durch  direktes  Wirken  der  Lehrer  au- 
ss-erhalb  der  Schule,  im  Familienkreise, 
in  der  Presse,  in  Vereins-  und  Kirchen- 
kreisen  u.  s.  w.  Die  Angelegenheit  wurde 
einem  Komitee  iiberwiesen,  das  in  der 
nachsten  Vereinsversammlung  iiber  den 
eventuell  einzuschlagenden  Weg  zurVer- 
wirklichung  der  genannten  Vorschlage 
des  Herrn  Wittich  berichten  soil.  Den 
obligatorischen  Vortrag  hielt  Herr  Oberl. 
Dr.  W.  Jager.  Er  behandelte  ,,das  Ab- 
hJingigkeitsverhaltnis  in  der  deutschen 
Satzbildung",  unter  besonderer  Beriick- 
sichtigung  der  durch  die  Stellung  des 
Subjektes  bedingten  Inversion,  und  ern- 
tete  mit  seiner  kurzen,  aber  hochst  kla- 
ren Darlegung  dieser  in  der  Sprachen- 
reihe  einzig  dastehenden  feinen  Eigen- 
tiimlichkeit  wohl  verdienten  Beifall. 

Das  vor  einigen  Tagen  erschienene 
offizielle  ,,8chul-Bulletin"  No.  5  behan- 
delt  ausschliesslich  den  deutschen  Unter- 
richt.  Verfasst  von  dem  Assistenz- 
superintendenten,  Herrn  Dr.  Fick,  und 
mit  empfehlenden  Anmerkungen  des 
Superintendenten  und  des  englischen 
Assist.-Superintendenten  versehen,  bie- 
tet  dasselbe  eine  Anzahl  Andeutungen 
und  Erliiuterungen  zum  deutschen  Lehr- 
plan,  die  jedoch  lediglich  als  Ratschla- 
ge  aufzufassen  sind,  es  jeder  Lehrkraft 
anheimstellend,  nach  eigenem  Ermessen 
vorzugehen.  Fiir  jede  einzelne  Diszi- 
plin  sind  bis  zum  fiinften  Schuljahre 
hinauf  praktische  Winke  gegeben;  em- 
pfehlen3werte  Hauslektiire  fiir  Schiller, 
sowie  Lehr-  und  Nachschlagewerke  fiir 
den  Lehrer  sind  in  reichlicher  Anzahl 
genannt;  mit  einem  Worte,  es  wird  in 


20 


P'ddagogtsche  Monatsbefte, 


diesem  Bulletin  eine  Fiille  von  Handlei- 
tung  und  gutem  Rat  geboten,  ohne  den 
damit  Bedachten  die  Hand  fiihren  zu 
\vollen — ein  Fortschritt  gegen  die  alt- 
gewohnte  krankhafte  Bemutterung,  der 
gewiss  nicht  verfehlen  wird,  schone  und 
allseitig  lohnende  Fruchte  zu  erzielen. 

quidam. 
Milwaukee. 

Also  endlich  haben  wir  Lehrer  eine 
Gehaltserhohung  zu  erwarten.  Aber  sie 
ist  vorlaufig  nur  inSicht;  doch  nachstes 
Jahr,  Sept.  1903,  wird  sie  wohl  zurWirk- 
lichkeit  werden.  Auch  ist  sie  nicht  so 
gross  ausgefallen,  wie  man  sie  in  Aus- 
sicht  gestellt  hatte,  denn  sie  betragtnur 
5%.  Doch  sie  kommt,  und  hoffentlich 
wird  es  damit  nicht  sein  Bewenden  ha- 
ben. Also  vivat  sequens!  Der  Schulrat 
lasst  die  Zulage  nach  der  Anciennitat 
eintreten.  Alle  Lehrer  mit  zehn  oder 
mehr  Dienstjahren  erhalten  $50  jiihrlich 
mehr,  die  Prinzipale  $100.  An  den  Hoch- 
schulen  erhalten  Prinzipale  und  Lehrer 
den  doppelten  Betrag.  Dann  erhalten 
auch  alle  Lehrer  der  1.  und  5.  Grade 
extra  $50,  weil  die  Arbeit  an  diesen 
Klassen  fur  besonders  wichtig  und 
schwierig  angesehen  wird.  Auch  das  Ge- 
halt  der  Schuldiener  wird  erhoht,  und 
zwar  um  10%.  Honny  soit  qui  mal  y 
pense. 

Die  erste  Versammlung  des  Lehrerver- 
eins  des  Deutschen  im  neuen  Schuljahr 
fand  am  10.  Okt.  statt.  Es  wurden  nur 
Routinegeschjifte  erledigt  und  fand  zu- 
gleich  die  jiihrliche  Wahl  der  Beamten 
statt.  Gewiihlt  wurden  als  Vorsitzer 
Herr  Ph.  Lucas,  als  stellvertretende 
Vorsitzerin  Frl.  A.  Hogrefe  und  als 
Schriftfiihrer  Herr  II.  Siegmeyer.  In 
der  zweiten  Versammlung  am  10.  Nov. 
ergriff  nach  der  Erb'ffnung  Herr  Abrams 
das  Wort  und  teilte  der  Versammlung 
die  Trauerkunde  von  dem  Hinscheiden 
des  in  weiten  Kreisen  bekannten  Lehrers 
und  Schriftstellers  Herrn  W.  H.  Weick 
in  Cincinnati  mit.  Er  sprach  in  warmen 
Worten  von  den  grossen  Verdiensten  des 
bekannten  Sehulmannes  und  Kollegen, 
die  er  sich  um  das  Schulwesen  tiber- 
haupt  und  besonders  um  das  deutsch- 
amerikanische  Schulwesen  erworben  ha- 
be.  Er  sei  als  tiichtiger  Lehrer  und  Pii- 
dago^e  in  jeder  Hinsicht  wtirdig,  den 
beiden  ihm  kiirzlich  im  Tode  vorange- 
gangenen  Kollegen  Rosenstengel  und 
Raab  an  die  Seite  gestellt  zu  werden. 
Die  Versammlung  ehrte  das  Andenken 
des  dahingeschiedenen  Kollegen  durch 
Erheben  von  den  Sitzen. 

Auf  der  Tagesordnung  stand  ein  Be- 
richt  iiber  den  diesjiihrigen  Lehrertag  in 


Detroit  durch  die  dazu  vom  Verein  er- 
nannten  Delegaten.  Herr  Dapprich,  der 
Prasident  des  Lehrertags,  sprach  zuersr 
iiber  Zweck  und  Ziele  des  Lehrertags, 
und  teilte  dann  in  humorvoller  und  fes- 
selnder  Weise,  wie  gewohnlich,  manches 
iiber  den  Verlauf  des  Lehrertags  und  die 
gehaltenen  Vortrage  mit.  Die  anderen 
Redner,  wie  Herr  Abrams,  Frl.  Hogrefe, 
Herr  Eiselmeyer  und  Herr  Martens, 
machten  dann  noch  Mitteilungen  von  der 
praktischen  Lehrprobe  iiber  die  ersten 
Sprachiibungen,  gehalten  mit  angloame- 
rikanischen  Schillern.  Die  allgemeine 
Ansicht  der  Berichtenden  schien  dahin 
zu  gehen,  dass  durch  das  augenscheinli- 
che  und  offen  zu  Tage  tretende  Drillen 
und  Einpauken  des  Lehrstoffes  der  pii- 
dagogische  Wert  der  Arbeit  sehr  in  Fra- 
ge  gestellt  sei.  Auch  wurde  es  bedauert 
und  geriigt,  dass  nach  den  gehaltenen 
Vortriigen  und  nach  der  Probelektion 
keine  Debatten  stattgefunden  hatten. 
Herr  0.  Spehr  brachte  dann  noch  mit 
einigen  passenden  Worten  der  Versamm- 
lung in  Erinnerung,  dass  der  heutige 
Tag,  der  10.  Nov.,  der  Geburtstag  zweier 
grosser  deutscher  Manner  sei,  Luthers 
und  Schillers,  die  beide  fur  uns  deutsche 
Lehrer  und  fiir  die  deutsche  Schule  und 
Sprache  von  so  grosser  Wichtigkeit  und 
Bedeutung  seien.  Es  werde  nicht  allge- 
mein  und  geniigend  anerkannt,  dass  ge- 
rade  Luther  durch  sein  ausgezeichnetes 
Werk,  die  Bibeliibersetzung,  der  eigent- 
liche  Schopfer  der  neuhochdeutschen 
Sprache  geworden  sei;  was  besonders 
von  Dittes  in  seinen  piidagogischen  Wer- 
ken  und  Schriften  stets  betont  wurde. 
Auch  bemerkte  Herr  Spehr  noch,  dass  es 
in  diesem  Herbste  gerade  200  Jahre  her 
seien,  seitdem  Franz  Daniel  Pastorius 
in  Germantown  in  Pennsylvanien  (1702) 
die  erste  deutsche  Schule  gegriindet 
habe.  A.  W. 

New  York. 
Deutscher    Lehrerverein    von    New  York 

und  Umgegend. 

Das  was  ein  glorreicher  Tag!  Nicht 
unsere  letzte  Lehrerversammlung,  son- 
dern  der  9.  November,  der  ,,deutsche 
Tag".  So  viele  Leute  hatten  in  unserer 
Versammlung  ja  auch  gar  nicht  sitzen 
konnen,  f iinfzehntausend !  Wo  sollten 
wir  denn  alle  die  Stiihle  herbekommen? 
Doch  so  viele  fluteten  durch  die  Tore  des 
Madison  Square  Garden  an  diesem  denk- 
wiirdigen  9.  November.  Grossartig  in 
Masse,  grossartiger  in  Leistungen! 
Zeigte  der  Nachmittag  die  Schonheit  und 
Kraft  harmonischer  Bewegungen  eines 
Massenkorpers,  so  entfaltete  der  Abend 
die  Schonheic  und  Kraft  geistiger  Auf- 


Korresponden^en . 


21 


fassung  im  Reiche  der  Tone.  Beides  so 
recht  deutsch!  Deutsch  auf  amerikani- 
schem  Boden,  deutsch  in  der  neuen  Hei- 
mat!  Auf  solche  Biirger  kann  Amerika 
stolz  sein,  die  verstehen  mehr  als  Irish 
whiskey  zu  trinken  und  in  dem  saloon 
Dorfpolitik  zu  treiben.  Beide  Leistun- 
gen  waren  von  den  patriotischen  Reden 
typischer  Deutschanierikaner  begleitet. 
Ani  Xachmittage  sprach  Herr  Prof.  Dr. 
Kuno  Francke  von  der  Harvarduniversi- 
tiit  auf  Deutsch,  am  Abend  Herr  Dr.  C. 
Hexamer  von  Philadelphia  auf  Englisch. 
Um  dann  der  Feier  die  Krone  eines 
durchschlagenden  Erfolges  aufzusetzen, 
iiberbrachte  der  Herr  Graf  von  Quadt, 
als  Vertreter  der  deutschen  Botschaft  in 
Washington,  die  Gliickwiinsche  des  deut- 
schen Kaisers  an  die  Vereinigten  deut- 
schen Gesellschaften  von  New  York  und 
schloss  mit  einem  Hoch  erst  auf  unse- 
ren  Prasidenten  Roosevelt  und  dann  auf 
den  Sender  der  Gluckwiinsche. 

ttberwaltigend  schon  war  der  Gesamt- 
eindruck  dieses  halben  Tausend  jugend- 
licher  Korper  in  ihren  schmucken  Tur- 
neranziigen  und  rythmischen  Bewegun- 
gen  zu  den  schmeichelnden  Takten  der 
Musik.  Wie  von  einem  Geiste  war  die 
ganze  Masse  beseelt,  Jiingling  und  Jung- 
frau,  Knabe  und  Miidchen  bis  zu  den 
kleinsten  der  Kleinen  in  ihrem  riihren- 
den  Eifer,  was  Grosses  zu  leisten.  Und 
etwas  Grosses  haben  sie  geleistet  in 
ihren  symetrischen  Marschiibungen,  in 
ihrem  Keulenschwingen,  ihrem  Tanze 
und  ihrer  dramatischen  Darstellung  des 
Star  Spangled  Banner's.  Wie  das  alles 
nur  so  klappte!  Wie  mit  dem  Zauber- 
stabe  ins  Dasein  gerufen  standen  ihre 
Menschenpyramiden  zum  Schlusse  da! 
Ebenso  prazise  und  gewandt,  voll  Schon- 
heit  und  Kraft  waren  die  darauffolgen- 
den  Einzeliibungen  der  Turner  an  den 
Geriiten. 

Am  Abende  feierte  das  deutsche  Lied 
seine  Triumphe.  Die  schwellenden  Ak- 
korde  aus  400  deutschen  Mannerkehlen 
iiberfluteten  den  unabsehbaren  Raum  mit 
der  Fiille  und  dem  Vollklang,  der  Zart- 
heit  und  Reinheit  deutschen  Tones  und 
deutschen  Seelenlebens.  Ihr  Vortrag  war 
musterhaft  wie  auch  der  Ausdruck  der 
Solopartieen  durch  Frau  Marie  Rap- 
pold. 

Wie  laut  sich  der  Beifall  ungeteilter 
Anerkennung  all  der  Prachtleistungen 
des  Tages  ausserte,  lasst  sich  eher  den- 
ken  als  beschreiben.  Wenn  zwanzigtau- 
send  Hande  zu  gleicher  Zeit  aufeinan- 
derklappen,  —  da  kann  selbst  ein  Tau- 
ber  horen.  Wenn  er  es  nicht  tut,  — 
nun,  so  ist  das  seine  Sache. 


In  seiner  Festrede  erging  sich  Herr 
Prof.  Francke  ,,iiber  die  deutsche  Auf- 
fassung  dessen,  was  echte  Volksbildung 
ist  und  zu  leisten  hat". 

So  manchem  meiner  Leser  hat  gewiss 
schon  lange  die  Frage  auf  der  Zunge  ge- 
brannt :  „ Aus  welchen  Schichten  der  Be- 
volkerung  setzten  sich  denn  die  Festteil- 
nehmer  zusammen?"  Die  Antwort  ist 
leicht:  aus  alien.  Da  waren  reiche  und 
weniger  reiche,  junge  und  alte,  kurze 
und  lange,  dicke  und  diirre,  gelehrte  und 
weniger  gelehrte,  New  Yorker  und  Gaste 
von  auswarts,  kurz,  eine  echte  deutsche 
Gesellschaft,  voll  heiliger  Begeisterung 
fur  die  grosse  Sache. 

Mogen  diesem  ersten  noch  recht  viele 
solcher  ,,deutschen  Tage"  folgen,  —  ein 
Tag  des  Friedens  und  briiderlicher  Ei- 
nigkeit.  P.  S. 

Vom  Verein  deutscher  Speziallehrer 
in  New  York  hat  man  in  letzten  Jahren 
in  den  Pad.  Monatsheften  wenig  gehort. 
Schuld  daran  waren  teils  die  Nachlas- 
sigkeit  des  dafiir  ernannten  Berichter- 
statters,  teils  die  eigenttimlichen  Ver- 
haltnisse.  Diese  Verhiiltnisse  batten  z. 
B.  wilhrend  des  ganzen  letzten  Jahres 
eine  Berichterstattung  unmoglich  ge- 
macht,  und  auch  in  diesem  Jahre  musste 
der  mit  der  Berichterstattung  beauf- 
tragte  Unterzeichnete  mehrere  Monate 
verstreichen  lassen,  bis  die  notwendige 
Klarung  eintrat. 

Der  Spezial-Lehrerverein  fasst  seine 
Aufgabe  in  doppeltem  Sinne  auf.  Ers- 
tens  natiirlich  padagogisch,  zweitens 
aber  ist  er,  der  Natur  der  Sache  nach, 
der  vornehmliche  Hiiter  des  sorgsamster 
Pflege  bedurftigen  Pflanzleins:  ,,Deut- 
scher  Unterricht  in  den  Elementarschu- 
len  New  Yorks".  Und  dieser  sorgsamen 
Pflege  hat  es  zu  keiner  Zeit  mehr  be- 
durft,  als  in  den  letzten  Monaten.  Ver- 
gegenwartigen  wir  uns  die  Situation! 
Deutsch  wurde  in  den  Elementarschulen 
bisher  nur  in  den  Bezirken  Manhattan 
und  Bronx  und  in  2  oder  3  Schulen  von 
Queen's  Co.  gelehrt.  Weder '  Brooklyn 
noch  Staten  Island  kannten  diesen  Un- 
terrichtszweig.  Der  mit  dem  1.  Februar 
in  Kraft  getretene  Teil  des  Charters,  der 
sich  mit  dem  Unterrichtswesen  beschaf- 
tigt,  besagt  nun,  dass  fortan  der  Stu- 
dienplan  fur  alle  Bezirke  gleichmlissig 
durchgefiihrt  werden  soil.  Demgemass 
muss  nun  also  der  deutsche  Unterricht 
auf  die  drei  anderen  Bezirke  ausgedehnt 
werden,  oder  aus  den  beiden  verschwin- 
den,  in  denen  er  bisher  erteilt  wurde. 
Jeder  Wechsel  schreckt  den  Gliicklichen, 
sehr  mit  Recht,  auch  die  Lehrer  des 
Deutschen,  obgleich  sie  nicht  immer  den 


PUdagogiscbe  Monatshejte. 


Gliicklichen  zugezahlt  werden  konnen, 
und  so  waren  es  lange  Tage  schweren 
Kampfes  und  bangen  Zweifels,  ob  der 
Schulrat  den  rechten  Weg  einschlagen 
werde.  Diese  bangen  Tage  sind  auch 
noch  nicht  vortiber,  aber  die  Situation 
hat  sich  doch  soweit  geklart,  dass  mit 
Zuversicht  behauptet  werden  kann:  Der 
deutsche  Unterricht  wird  nicht  nur  nicht 
aus  den  Elementarschulen  New  Yorks 
verschwinden,  sondern  wird  auf  samtli- 
che  Bezirke  ausgedehnt  werden,  und  der 
Kampf  dreht  sich  gegenwartig  nur  um 
die  demselben  zu  gewahrende  Zeit.  Be- 
kanntlich  war  derselbe  bisher  auf  die 
letzten  2%  Jahre,  mit  wochentlich  100 
Minuten  pro  Klasse,  beschrankt.  Fak- 
tisch  zugestanden  ist  nun  demselben  zur 
Zeit  nur  das  letzte  Jahr  mit  auf  das 
Doppelte  erhohter  Zeit  und  mit  dem 
sehr  wichtigen  Zugestandnis  taglicher 
Lektionen.  Man  kann  aber  schon  jetzt 
mit  Zuversicht  voraussagen,  dass  diesem 
einen  noch  ein  weiteres  Jahr  hinzuge- 


fiigt  werden  wird.  Es  wird  dann  also 
der  deutsche  Unterricht  allerdings  um 
ein  halbes  Jahr  beschrankt  werden,  diese 
Beschrankung  aber  mehr  als  wettge- 
macht  werden  durch  die  verdoppelte 
Stundenzahl,  durch  die  Ausdehnung  auf 
mehr  als  noch  einmal  so  viele  Schulen 
als  bisher  und  dadurch,  dass  ihm  eine 
geachtetere  Stellung  als  bisher  einge- 
riiumt  wird. 

Es  ist  keine  tfberhebung,  auszuspre- 
chen,  dass,  wenn  auch  die  Unterstutzung 
der  deutschen  Presse  in  den  letzten  Wo- 
chen  nicht  zu  unterschatzen  ist,  diese 
Errungenschaften  wesentlich  dem  rtihri- 
gen  und  zielbewussten  Eintreten  des 
Vereins  deutscher  Speziallehrer  zu  dan- 
ken  sind.  Hoffentlich  kann  ich  in  mei- 
nem  niichsten  Berichte  Definitives  mit- 
teilen  und  mich  spater  weiteren  Fragen 
zuwenden,  die,  obwohl  lokal,  fiir  einen 
grossen  Teil  des  Leserkreises  der  Mo- 
natshefte  von  Interesse  sein  diirften. 

C.  H. 


III.     Umschau. 


An  der  Cornell  Unwersit&t  ist  ein 
Plan  in  Erwagung,  die  Professoren 
mit  ihrem  siebzigsten  Jahre  zu  pensio- 
nieren.  Sicherlich  ein  Schritt,  der  hof- 
fentlich  verwirklicht  werden  und  Nach- 
ahmung  finden  wird. 

Dr.  Maxwell,  Schulsuperintendent  des 
offentlichen  Schulwesens  zu  'New  York, 
wurde  von  gewissen  deutschen  Zeitungen 
beschuldigt,  ein  Gegner'des  deutschen  Un- 
terrichts  an  den  offentlichen  Schulen  zu 
sein;  darauf  hat  er  folgende  Erklarung, 
von  ihm  unterzeichnet,  abgegeben: 

"I  am  in  favor  of  teaching  German  in 
the  public  schools.  I  am  in  favor  of 
teaching  German  chiefly  for  two  reasons. 
First,  because  of  its  value  as  a  purely 
educational  subject  and  as  a  means  of 
intellectual  discipline,  and  second,because 
of  its  great  commercial  value.  The  com- 
mercial value  of  knowledge  of  German 
is  constantly  increasing.  Hence,  we  have 
made  German  one  of  the  most  conspicu- 
ous features  of  the  course  of  study  in  the 
high  school  ofcommerce.  All  reports  to 
the  effect  that  the  teaching  of  German  is 
about  to  be  eliminated  from  the  curricu- 
lum of  the  elementary  schools  are  entire- 
ly without  foundation.  In  all  probability, 
however,  there  will  be,  after  the  new 
course  of  study  is  adopted,  a  very  great 
reform  in  the  teaching  of  the  German 
language.  As  the  subject  is  taught  now 
it  is  taught  for  one  hundred  minutes  a 


week  during  two  and  a  half  years.  The 
results  are  most  unsatisfactory.  In  the 
first  place,  the  teaching  of  German  is  an 
optional  study.  Children  are  not  required 
to  learn  the  language.  In  the  second 
place,  the  amount  of  time  each  week  de- 
voted to  the  subject  is  too  small  to  per- 
mit of  proper  teaching  on  the  part  of  the 
teachers  or  proper  study  on  the  part  of 
the  children.  The  teachers  in  the  high 
schools  of  New  York  find  that  children 
coming  from  the  elementary  schools  of 
New  York  who  have  studied  German  in 
this  way  know  practically  nothing  about 
the  language. 

"Evidently  this  state  of  affairs  cannot 
be  allowed  to  continue.  While  I  cannot 
anticipate  conclusions  that  have  not  been 
definitely  reached  by  the  board  of  super- 
intendents, I  may  say  that  in  the  grades 
in  which  German  will  be  taught  hereafter 
it  will  be  required  of  all  children  in  these 
grades,  and  it  will  be  taught  a  sufficient 
length  of  time  each  week  to  secure  ade- 
quate results  for  the  money  and  labor 
expended. 

"Furthermore,  the  course  of  study  will 
be  uniform  for  the  entire  city,  and,  unless 
my  judgment  is  entirely  at  fault,  I  be- 
lieve the  recommendation  of  the  board  of 
superintendents  will  be  that  the  teach- 
ing of  German  should  no  longer  be  con- 
fined to  the  boroughs  of  Manhattan  and 
the  Bronx,  but  should  be  extended  to  the 


Umscbau. 


23 


other   boroughs — Brooklyn,   Queens,   and 
Kichmond.         WILLIAM  H.  MAXWELL, 

City  Superintendent  of  Schools." 
New  York,  Nov.  13. 

Chicago.  Die  Chicagoer  Lehrerverei- 
nigung  (Teachers'  Federation),  die  eine 
Mitgliederzahl  von  4,500  aufzuweisen 
hat,  hat  durch  einen  Majoritatsbeschluss 
vom  8.  November  um  Aufnahme  in  die 
Chicagoer  Arbeitervereinigung  nachge- 
sucht.  Die  Entscheidung  fiel  nach  einer 
vierstiindigen  Diskussion. 

Mitglieder  der  Arbeitervereinigung 
begriissen  den  Beitritt  der  Lehrer  mit 
Freuden.  Sollte  die  Vereinigung  der 
beiden  Korperschaften  vor  sich  gehen, 
dann  wurde*n  die  200,000  Stimmgeber 
der  Arbeiterunion  die  Sache  der  Schulen 
und  Lehrer  zu  ihrer  eigenen  machen,  un- 
ter  anderem,  f iir  die  Notwendigkeit  einer 
hoheren  Geldbewilligung  fiir  die  Schulen 
eintreten,  und  am  Stimmkasten  fiir 
solche  Massnahmen  undKanditaten  tatig 
sein,  die  Schuler  und  Lehrer  giinstig 
sind,  namentlich  auch  eine  bessere 
Besoldung  der  Lehrer  fordern. 

Ein  besonders  wirksames  Mittel, 
ihre  Ziele  zu  erreichen,  werden  in  Zu- 
kunft  den  Lehrern  die  Streike  bieten. 
Natiirlich  wiirde  zu  diesem  Mittel  nur 
im  aussersten  Notfalle  geschritten  wer- 
den. Jedenfalls  wird  ihren  Forderungen 
mehr  Gewicht  beigelegt  werden,  wenn 
hinter  ihnen  die  machtvolle  Union  steht. 
Augenblickliche  Hilfe  erwartet  man,  um 
die  ftberfiillung  der  Schulklassen  zu 
beseitigen,  die  Gehaltsskala  vom  Jahre 
1895,  die  fallen  gelassen  worden  war, 
wieder  einzufiihren  und  dem  Lehrer- 
pensionsfonds  wieder  aufzuhelfen,  der 
dem  Bankrott  nahe  ist.  Frl.  Ella  Howe, 
die  bisherige  Prasidentin  der  Lehrer- 
vereinigung  ist  mit  dem  Beschluss  der 
Mehrheit  nicht  einverstanden  und  hat 
infolgedessen  ihr  Amt  niedergelegt. 
Nach  ihrer  Ansicht  wird  wohl  die  Halfte 
der  Chicagoer  Lehrer  aus  der  Vereini- 
gung austreten. 

Auf  dem  Programm  der  in  den  Weih- 
nachtsferien  zu  Los  Angeles  stattfinden- 
den  Versammlung  der  Hochschullehrer 
des  Staates  Califomien  befindet  sich  ein 
Vortrag  von  Herrn  Valentin  Buehner,  an 
der  Hochschule  zu  San  Jos6,  tiber  ,,the 
Culture  Value  of  Modern  Languages". 
Herr  Buehner  ist  zugleich  Sekretar  der 
,,Modern  Language"  Sektion  und  wird 
auch  vor  deren  Versammlung  einen  Vor- 
trag iiber  ,,Ziel  und  Methode  des  Sprach- 
unterrichts"  halten.  (Wir  freuen  uns, 
von  der  Riihrigkeit  unseres  Freundes  und 
Mitarbeiters  an  dieser  Stelle  Kenntnis 
nehmen  zu  konnen.  D.  R.) 


Abschaffung  des  Gricchischen.  Sogar 
auf  der  Universitiit  zu  Oxford,  England, 
hat  man  die  Ratsamkeit  der  Abschaf- 
fung des  Grieschischen,  als  obligatori- 
sches  Studium  in  Erwagung,  und  nach 
einer  Ausserung  der  ,,Times"  wiirde  dies 
sicher  im  Einklang  mit  den  Anforde- 
rungen,  die  die  moderne  Zeit  an  den 
Menschen  stellt,  stehen. 

Allm&hlich  scheint  es  doch  auch  in 
China  Tag  werden  zu  wollen.  Ein  kai- 
serlicher  Erlass  hat  eine  Anzahl  junger 
Leute  nach  den  Universitiiten  unseres 
Landes  abgeordnet,  damit  diese  hier 
auf  Kosten  ihrer  Regierung  den  Stu- 
dien  obliegen,  nach  deren  Absolvierung 
und  bestandenem  Examen  sie  mit  Regie- 
rungsstellungen  betraut  werden  sollen. 

Der  deutsche  Doktorgrad.  In  dem  Be- 
streben,  dem  Doktorgrade  der  deutschen 
philosophischen  und  naturwissenschaft- 
lichen  Fakultaten  seine  geschichtlich  be- 
griindete  Bedeutung  in  wissenschaftli- 
cher  und  sozialer  Beziehung  zu  wahren, 
wurde  ttbereinstimmung  der  beteiligten 
Unterrichtsministerien  iiber  folgende 
Grundsatze  erzielt:  1.  Der  Doktorgrad 
darf  nur  auf  Grund  einer  durch  den 
Druck  veroffentlichten  Dissertation  und 
einer  miindlichen  Priifung  verliehen  wer- 
den. Eine  promotio  in  absentia  findet 
unter  keinen  Umstanden  statt.  Die 
Ehrenpromotion,  promotio  honoris  causa, 
bleibt  unberiihrt.  II.  Von  der  Disserta- 
tion ist  zu  verlangen,  dass  sie  wissen- 
schaftlich  beachtenswert  ist  und  die  Fa- 
higkeit  dartut,  selbstandig  wissen- 
schaftlich  zu  arbeiten.  III.  DieZulassung 
zur  Promotion  ist  an  den  Nachweis  der 
Reife  einer  deutschen  neunstufigen  ho- 
heren Lehranstalt  und  eines  dreijahri- 
genUniversitatsstudiums  zu  kniipfen.  Die 
Zulassigkeit  von  Ausnahmen  von  dem 
Erfordernisse  der  Reife  ist  durch  die 
Promotionsordnungen  zu  regeln  und 
moglichst  zu  beschranken.  Dabei  soil  als 
Voraussetzung  gelten,  dass  entweder  1. 
die  Gleichwertigkeit  der  Vorbildung  mit 
derjenigen  auf  einer  deutschen  neun- 
stufigen hoheren  Lehranstalt  durch  aus- 
landische  Zeugnisse  gesichert  erscheint, 
oder  2.  der  Mangel  dieser  gleichwertigen 
Vorbildung  ersetzt  wird  durch  die  Ein- 
reichung  einer  als  hervorragende  Lei- 
stung  anzusehenden  Dissertation.  Die 
Zulassung  darf  in  der  Fakultatssektion 
und  unter  Gutheissung  des  vorgeord- 
neten  Ministeriums  erfolgen.  Die  Pro- 
motionsordnungen konnen  dariiber  be- 
stimmen,  ob  und  inwieweit  bei  Kandi- 
daten  der  naturwissenschaftlich-mathe- 
matischen  Fiicher  die  Studienzeit  an 
Technischen  oder  anderen  deutschen 


24 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


Hochschulen  abgelegt  werden  darf.  IV. 
Die  Gleichmiissigkeit  der  Zensierung  ist 
anzustreben  und  tunlichst  in  der  Weise 
zu  regeln,  dass  nur  folgende  Prildikate 
erteilt  werden:  bestanden  (rite),  gut 
(cum  laude),  sehr  gut  (magna  cum 
laude),  ausgezeichnet  (sum  ma  cum  lau- 
de). V.  Die  erfolgten  Promotionen  sol- 
len  halbjiihrlich  im  Reichsanzeiger  in 
tabellariseher  Form  veroffentlicht  wer- 
den. Zu  diesem  Zwecke  werden  die  be- 
teiligten  Ministerien  dafiir  Sorge  tragen, 
dass  die  ausgefiillten  Formulare  beziig- 
lich  des  Somnierhalbjahrs  bis  zuni  1. 
Dezember,  beziiglich  des  Winterhalb- 
jahrs  bis  zum  1.  Juni  an  die  Redaktion 
des  Reichsanzeigers  unter  ausserlieher 
Kenntlichmachung  als  ,,Philosophische 
Promotionssache"  eingesandt  werden. 
Kiinftige  Anderungen  der  geltenden  Pro- 
motionsordnungen  an  den  philosophi- 
schen  Fakultaten  und  den  naturwissen- 
schaftlichen  Fakultiiten  zu  Heidelberg, 
Strassburg  und  Tubingen  werden  sich 
die  beteiligten  Ministerien  durch  ttber- 
sendung  von  Druckabziigen  mitteilen. 
VI  DieseVereinbarung  ist  moglichst  bis 
zum  1.  April,  jedenfalls  bis  zum  1.  Okto- 
ber  1902  durchzufiihren. 

Dr.  Bartelsli.  Schuldirektor  Dr.  Fried- 
rich  Bartels  in  Gera,  der  Herausgeber 
der  ,,Rheinischen  Blatter",  ist  am  25. 
Oktober  gestorben. 

Deutsch  als  Vermittlungs-Sprache.  Zu 
Helsingfors  in  Finnland  tagte  kiirzlich 
eine  Versammlung  nordeuropaischer 
Naturforscher,  wobei  ausser  den 
Danen,  Norwegern,  Schweden  und  Finn- 
landern  auch  Russen  erschienen  waren. 
Zur  Geschaftssprache  wurde  einhellig 
die  deutsche  Sprache  gewahlt,  nicht 
die  sonst  iibliche  franzosische,  da  dieser 
die  Skandinavier  im  allgemeinen  weni- 
ger  milch  tig  sind.  Der  junge  Kaufmann 
in  Skandinavien  lernt  von  fremden 
Sprachen  an  erster  Stelle  Deutsch  und 
an  zweiter  Englisch;  das  Franzosische 
kommt  erst  hinter  dem  Spanischen  in 
Betracht. 

Eine  hiibsche  Erbschaftsgeschichte  fin- 
det  sich  in  Pariser  Slattern.  Die  Kin- 
der der  kleinen  Stadt  Faremoutiers  wer- 
den das  ,,allgemeine  Stimmrecht"  ken- 
nen  lernen.  Ein  verstorbenes  Mitglied 
der  dortigen  freiwilligen  Feuerwehr 


hinterliess  der  Stadt,  die  etwa  1000 
Einwohner  ziihlt,  das  notige  Kapital  zur 
Anschaffung  von  zwei  Sparkassen- 
biichern  tiber  je  25  Fes.  fur  einen 
Schiller  und  Schulerin.  Und  zwar  sollte 
dasjenige  Kind,  je  ein  Mannlein  und  ein 
Frilulein  die  Stiftung  erhalten,  welches 
,,als  das  artigste  und  hoflichste  der  gan- 
zen  Stadt  anerkannt  sei".  Das  Testa- 
ment fiigt  hinzu,  dass  die  Kandidaten 
aus  alien  Schulen  von  ihren  Mitschiilern 
mittels  geheimer  Wahl  zu  ermitteln 
seien.  Hoffentlich  kommen  in  Faremou- 
tiers keine  Wahlbeeinflussungen  durch 
zeitweilige  iibertriebene  Hoflichkeit  der 
Spargeldkandidaten  vor ! 

Aus  Rosseggers  Heimat."  Das  von 
Rosegger  erbauteWaldschulhaus  zuAlpl, 
Steiermark,  die  Heimat  des  grossen 
Dichters,  wurde  am  28.  Sept.  feierlich 
eingeweiht.  Rosegger  hielt  die  Festrede. 
Das  Hauschen  ist  einstockig,  aus  Holz 
gezimmert  auf  steinernem  Unterbau,  ge- 
ziert  mit  Tiirmchen  und  Balken. 

Beim  Eintritt  griisst  uns  der  auf  ein 
Schild  gemalte  Spruch  Roseggers: 

O  Waldheimat  traut, 
Von  Ahnen  bebaut, 
Von  Eltern  geweiht, 
Von  Kindern  erneut  — 
Gott  segne  dein  Erdreich, 
Gott   segne   den   Fleiss, 

Erleuchte  den  Landmann, 
Auf  dass  er  es  weiss, 
Und  oft  wohl  bedenkt 
Und  nimmer  vergisst, 
Wie  treu  und  heilig 
Die  Heimat  ist. 

Im  .farterre  befindet  sich  die  Lehrer- 
wohnung  und  das  Schulzimmer,  das 
Raum  fur  40  Schiller  bietet.  Das  ansto- 
ssende  Lehrmittelzimmer  ist  sehr  reich 
ausgestattet.  Im  ersten  Stockwerk  sind 
einige  Kammern  und  ein  gemiitliches 
Balkonzimmer,  das  der  Baumeister  fiir 
Kosegger  eingerichtet  hat.  In  der  Wid- 
mungsurkunde  ist  der  Fall  vorgesehen, 
dass  das  Haus  einmal  nicht  als  Schul- 
haus  benotigt  sein  konnte.  Es  ist  dann 
in  irgend  einer  Weise  nutzbar  zu 
machen,  und  der  Ertrag  ist  filr  Lehr- 
und  Bildungszwecke  der  Gemeinde 
Krie<?lach  zu  verwenden. 


IV.     Vermischtes. 


Goethe  oder  Gothef  In  einer  Bespre- 
chung  von  ,,Jean  Pauls  Briefwechsel  mit 
seiner  Frau  und  Christian  Otto,  heraus- 
gegeben  von  Paul  Nerrlich"  wird  diese 
Frage  in  der  ,,Voss.  Ztg."  wie  folgt  be- 
antwortet.  Beilaufig  sei  erwahnt,  dasa 
Jean  Paul  die  Namensform  ,,Goethe" 
nur  dann  gebraucht,  wenn  er  sie,  wie 
vorstehend,  mit  lateinischen  Buchstaben 
schreibt,  was  er  aber  nur  selten  tut;  fur 
gewohnlich  schreibt  er  ,,Gothe".  Es  ist 
zweifellos,  dass  die  erstere  Schreibweise 
nur  fiir  die  lateinische  Schrift,  fiir  die 
deutsche  Schrift  nur  die  Form  ,,Gb'the" 
berechtigt  ist.  Im  Deutschen  hat  es  kei- 
nen  Sinn,  das  6  in  o  und  e  aufzulosen. 
Lassen  wir  in  Namen  einmal  das  e  hin- 
ter  o  stehen,  so  verlangert  es  nur  den 
O-Laut,  wie  denn  die  Stadtenamen  Soest 
und  Coesfeld  bekanntlich  ,,Sohst"  und 
,,Kohsfeld"  zu  sprechen  sind,  so  dass 
man  ,,Goethe"  eigentlich  wie  ,,Gothe" 
lesen  miisste.  Die  Schreibweise  ,,Goethe" 
ist  erst  seit  einigen  Jahrzehnten  durch- 
gedrungen;  wenn  wir  einmal  eine  Aka- 
demie  fiir  deutsche  Sprachen  haben, 
setzt  sie  die  Form  ,,Gothe"  hoffentlich 
wieder  in  ihre  Rechte  ein.  Einzelne 
mutige  Leute  wagen  auch  jetzt  schon 
wieder  ,,G6the"  zu  schreiben,  so  Georg 
Keben  in  seinem  1901  erschienenen  sehr 
lesenswerten  ,,Fackelzug  durch  Kunst 
und  Kultur". 

Die  Bibel  im  Kanzleideutsch.  Der 
,,Frankf.  Ztg."  wird  geschrieben:  In  ei- 
ner Plauderei  der  ,,Braunschweiger  Lan- 
deszeitung"  wird  der  Versuch  gemacht, 
die  ersten  Verse  der  Bibel  in  die  Sprache 
zu  ubersetzten,  die  ein  zunftgerechter  Be- 
amter  schon  findet:  ,,Im  Anfang  wurde 
seitens  Gottes  der  Himmel  beziehungs- 
weise  die  Erde  geschaffen.  Die  letztere 
war  ihrerseits  eine  wiiste  und  leere,  und 
war  es  finster  auf  derselben."  Der  ttber- 
setzer  muss  aber  selber  gestehen,  dass 
ihm  sein  Versuch  noch  nicht  ganz  gelun- 
gen  ist:  drei  kurze  angereihte  Haupt- 
satze  nacheinander  kennt  der  hohere  und 
niedere  Kanzlist  nicht;  er  hatte  Ge- 
schick  und  Geduld  genug,  das  ganze  erste 
Kapitel  der  Bibel  in  einen  einzigen  Satz 
zu  bringen.  Die  Sprachgelehrten  der 
Kanzleien  sollten  sich  wirklich  einmal 
an  die  schb'ne  Aufgabe  machen,  das  hei- 
lige  Original  in  ihr  geliebtes  Deutsch  zu 
tibertragen,  um  uns  z.  B.  zu  berichten: 
,,Dass  Gott  das  Licht  von  der  Finsternis 
dergestalt  zwecks  Scheidung  zeitlich  in 
geeigneter  Weise  anordnete,  dass  er  dem- 
zufolge  in  der  Lage  war,  das  Licht  und 


die  Finsternis  Tag,  bezw.  Nacht  zu  be- 
nennen,  worauf  derselbe  sich  dann  der 
weitern  Aufgabe  unterzog,  in  betreff  der 
Meere  bezw.  der  entsprechenden  Fliissig- 
keiten  der  Atmosphare  eine  zweckdien- 
liche  Abgrenzung  dermassen  zu  bewir- 
ken,  dass  er  hinsichtlich  dieser  vermit- 
telst  einer  sogenannten  Feste,  welcher  er 
den  Namen  ,Himmel'  zu  verleihen  sich 
entschied,  seither  die  Gewasser  auf  der 
Erde  von  den  Gewilssern,  resp.  wasser- 
haltigen  Gasen  am,  bezw.  im  vorbenann- 
ten  Himmel  vollstandig  zur  Trennung 
brachte,  worauf  dann  am  Abend  einer- 
seits  und  Morgen  anderseits  der  zweite 
Tag  ebenmassig  zum  Abschluss  ge- 
langte". 

Verlurst.  (Zu  Scheffels  Liedern  vom 
Rodenstein. ) 

I,  6:   ,,Hollaheh!   doch  wie  man's  treibt, 
so  gehts, 

Was  liegt  an   dem  Verlurste? 

Man   spricht   vom   vielen   Trinken 
stets, 

Doch  nie  vom  vielen  Durste". 
Norddeutsche  pflegen  nach  meiner  Er- 
fahrung  zu  meinen,  dass  Scheffel  die 
Form  Verlurst  willkiirlich,  dem  Reime 
zuliebe,  oder  im  Scherze  gebildet  habe. 
Wir  haben  es  jedoch  mit  einer  volks- 
ttimlichen  oberdeutschen  Form  zu  tun, 
die  schon  in  der  Zimmerischen  Chronik 
erscheint  (s.  Lexer,  Mhd.  Hdwtb.  Ill, 
170).  In  Schmellers  Bayer.  Wtb.  I, 
1514  lesen  wir  daruber:  ,,Der  Verlurst, 
im  bayr.  Schriftgebrauche  (wie  Dien-st, 
Gun-st,  Kun-st,  Brun-st,  vielleicht  zur 
Unterscheidung  von  Verlust,  (disideri- 
um)  sehr  gewohnlich  statt:  der  Verlust. 
So  miisste  auch  Frorst,  Frurst  fiir  Frost 
gelten,  was  doch  nicht  der  Fall  ist.  ver- 
lustig,  verlurstig  adj.  verlierend,  verlo- 
ren  habend."  Auch  Moriz  Heyne  in  sei- 
nem Deutschen  Wtb.  Ill,  1221  belegt 
diese  oberdeutsche  ,,deutlicher  an  verlie- 
ren  anlehnende"  Nebenform  aus  J.  Gott- 
helfs  Schuldenbauer.  Die  Scheffelstelle 
findet  sich  bei  ihm  nicht.  (Zeitschrift 
des  Allg.  deutschen  Sprachvereins ) . 

Der  sachsische  Genetiv".  Diese  von 
vielen  deutschen  Grammatikern  angwen- 
dete  Bezeichnung  ist  nach  einr  Darle- 
gung  der  Zeitschrift  des  Allgemeinen 
deutschen  Sprachvereines  ungehorig. 
Diese  Bezeichnung  des  vorangestellten 
zweiten  Falls  (z.  B.  ,,des  Vaters  Haus") 
ist  der  englischen  Sprachlehre  entlehnt. 
Dort  ist  sie  berechtigt.  Denn  die  mit 
dem  Biegungs-s  bezeichnete,  nur  in  der 


26                                   P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Voranstellung  erhaltene  Form  des  Gene-  zweiten    Halfte    hintereinander.        ,,Ele- 

tivs  (king's  servant  —  the  servant  of  the  ment"  wiirde  somit  etwa  dasselbe  bedeu- 

king)    stammt    fiir    die    Englander    au8  ten  wie  ,,A  B  C",  also  Anfang.     Andere 

dem   Angelsachsischen.       Im   Deutschen  bringen  es  mit  dem  gricchischen  ,,elaun- 

aber   ist   jene   Voranstellung   von   jeher  ein"  —  hervorbringen,  in  Bewegung  set- 

iiblich    gewesen,    und    zwar    nicht    bloss  zen,  antreiben   (davon:  elastisch,  Elasti- 

im  sachsischen  Sprachgebiet,  ist  also  fiir  zitat),  ein  neuerer  Forscher   sogar  mit 

uns  nicht  eigenartig  Sachsisches.  dem  hebraischen  ,,ailam"  —  Eingang,  in 

Verbindung.     H.   Diels   stellt   eine   neue 

Die  Etymologic  des  Wortes  ,,Element"  Annahme  auf.      Das    lat.    ,,elementum" 

(elementum) ,  das  ja  bekanntlich  auch  in  sei,    schreibt  er,   ein  griechisches   Lehn- 

der  Schulsprache  seine  Rolle  spielt  (Ele-  wort   und   entstanden   aus    ,,elepantum" 

mente  —  Anf angsgriinde,  Elementarschu-  ( von  ,,elephas  —  Elef ant )  durch  die  Mit- 

le,    Elementarunterricht    u.    s.    w.),    ist  telform  ,,elepentum"  (e  aus  awegen  vor- 

noch   keineswegs   sichergestellt.       Meist  geriickten   Accents).       Nach    Quintilian 

leitet  man  es  ab  von  ,,1-m-n"   (el-em-en).  seien    namlich    beim    ersten    Leseunter- 

Die  Buchstaben  L  M  N  stehen  namlich  richt  elfenbeinerne  Buchstaben  verwendet 

im  lateinischen  Alphabet  am  Anfang  der  worden. 


Bucherschau* 


I.     Kritik  und  Antikritik. 

Sehr  geehrter  Herr  Redakteur! 

Gestatten  Sie  mir  auf  die  Erwiderung  Herrn  Prof.  Dr.  Ferrells  folgendes  zu 
antworten. 

Der  Rezensent,  der  sich  von  dem  beleidigten  Autoren  nicht  totschlagen  lassen 
will,  sollte  eigentlich,  wie  der  Ktinstler,  nicht  reden,  sondern  bilden.  Ich  verspreche 
daher  auch  bald  etwas  Positives  an  die  Stelle  meiner  negativen  Kritik  von  Dr.  Fer- 
rells Sappho- Ausgabe  zu  setzen.  Einstweilen  folgende  Thesen:  1)  Die  Sappho  ist 
ein  Monodrama.  2)  Die  kiinstlerische  Einheit  besteht  nur  in  der  Einheit  der  sub- 
jektiven  Stimmung,  woraus  der  Dichter  geschaffen,  nicht  in  der  dramatisch-folge- 
richtigen  Durchfiihrung  eines  tragischen  Konfliktes.  3)  Der  Dichter  beginnt  eine 
Kiinstlertragodie  zu  schreiben,  fasst  das  Problem  nicht  tief  genug,  wird  dazu  noch 
im  Schaffen,  wie  er  selbst  sagt,  ernstlich  gestort,  und  verliert  den  Faden.  4)  Die 
mittleren  Akte  behandeln  ein  neues  Problem:  die  Tragik  der  Eifersucht,  der  un- 
erwiderten  Liebe.  5)  Auch  dieses  wird  nicht  durchgef iihrt ;  vielmehr  wird  am 
Schluss  das  urspriingliche  Thema  wieder  aufgenommen,  weshalb  die  Katastrophe 
so  ganz  unmotiviert  erscheint.  6)  Daher  der  unbefriedigende  Eindruck  des  Gan- 
zen.  7)  Ausserdem  steht  das  Stuck  noch  so  sehr  unter  dem  Einfluss  von  Goethe 
und  Schiller,  und  ist  Sprache  und  Stil  so  ungleichmassig,  dass  die  Sappho  noch  zur 
Periode  der  Nachahmung,  der  Talentproben  zu  rechnen  ist.  8)  Erst  in  dem  Golde- 
nen  Vliess,  wo  eines  der  Sappho-Probleme  zu  vollkommener  Darstellung  gelangte, 
hat  sich  Grillparzer  als  Kiinstler  selbst  gefunden.  Darum  ist  die  Sappho  zur  Ein- 
ftihrung  des  Dichters  iiberhaupt  nicht  geeignet. 

Nun  zu  Herrn  Prof.  Dr.  Ferrell.  Er  halt  an  Scherer  als  Grillparzer-Autoritat 
fest.  Der  betreffende  Aufsatz  stammt  aus  dem  Jahre  1874,  wo  die  Grillparzerfor- 
schung  noch  in  den  Windeln  lag.  Soil  der  noch  massgebend  sein?  Und  hat  nicht 
Scherer  gerade  an  Grillparzer  durch  seine  Methode  gesiindigt?  Ich  halte  jede  Ein- 
teilung  von  Grillparzers  Dramen  nach  Stoffen  fiir  eine  Siinde,  fur  eine  Vergewalti- 
gung  des  Dichters,  der  gesagt  hat:  ,,Der  Dichter  wahlt  historische  Stoffe,  weil 
er  darin  den  Keim  zu  seinen  eigenen  Entwickelungen  findet,  vor  allcm  aber,  um 
seinen  Ereignissen  und  Personen  eine  Konsistenz  zu  geben."  Der  jeweilige  StoflF, 


Kritik  und  Antikritik.  27 

ob  historisch  oder  mythologisch,  ist  also  f iir .  Grillparzer  nur  eine  zufallige  Ein- 
kleidung.  An  jedem  seiner  Dramen  hangt  eigenstes  Herzblut,  jedes  stellt  wieder 
eine  weitere  Stufe  seiner  inneren  Entwickelung  dar,  so  dass  jede  Einteilung  der 
Dramen  vom  Gesamtwerk  des  Dichters  ein  falsches  Bild  geben  muss;  sie  konnen 
nur  in  chronologischer  Folge  behandelt  werden.  —  Fiir  Scherer  und  seine  Schule 
ist  aber  die  aussere  Klassifikation,  das  anatomische  Praparat  als  solches,  Stolz  und 
Ziel.  In  die  Seele  eines  Kiinstlers  sehen  Scherer  und  Schererianer  gar  selten  hin- 
ein.  Ich  verweise  noch  einmal  auf  die  angesichts  des  heutigen  Standes  der  Grill- 
parzer-Forschung  geradezu  laeherlich  erscheinende  Beurteilung  Grillparzers  in 
Scherers  Literaturgeschichte.  Wer  da  noch  Scherer  als  Autoritat  anschen  kann! — 
Dass  allerdings  der  Aufsatz  vom  Jahre  1874  ,,wichtig"  ist,  das  bestreite  ich  gar 
nicht.  Er  ist  so  wichtig  wie  das  Urteil  jedes  geistreichen  Mannes;  auch  hat  Scherer 
im  einzelnen  viel  Gutes  beigebracht,  aber  das  Ganze  ist  verfehlt,  und  darauf  kommt 
es  an.  —  Dass  R.  M.  Meyer  nur  Scherers  Aufsatz  als  ,,wichtig"  bezeichnet,  ist  ganz 
natiirlich,  beweist  aber  gar  nichts.  Denn  R.  M.  Meyer  ist  direkter  Schiller  Scherers 
und  lobt  sich  selber  im  Meister.  Und  schlecht  ist  es  um  Literaturhistoriker  be- 
stellt,  denen  R.  M.  Meyer  Vorbild  und  Norm  sein  muss.  Ich  will  nicht  das  trau- 
rige  Kapitel  ,,R.  M.  Meyer  und  Alexandrinertum"  ausschneiden ;  ich  deute  nur 
durch  ein  Zitat  von  Avenarius  meinen  Standpunkt  an:  ,,Erinnern  sich  (unsere 
Leser),  wie  eine  der  plattesten  Leichtfertigkeiten,  die  je  an  der  Oberflache  der 
Literatur  aufgetaucht  sind,  wie  R.  M.  Meyers  ,,Literaturgeschichte"  als  eine  hoch- 
bedeutsame  Geistestat  begriisst  wurde?"  (Kunstwart  16,  110).  Wer  kann  solche 
Possenreissereien,  wie  Meyers  Artikel  iiber  Sudermann  in  der  ,,Literaturgeschichte" 
oder  neuestens  im  ,,International  Quarterly"  lesen  und  dann  diese  ethisch  haltlose 
Gestalt  noch  ernst  nehmen? 

Von  ,,Liebe  und  Bewunderung"  zum  Verstandnis  eines  Dichters  ist  noch  ein 
grosser  Schritt.  Der  ziindende  Funke  von  Seele  zu  Seele  —  den  vermisse  ich  in 
Prof.  Ferrells  Versuch,  dem  deutschen  Dichter  nahezukommen.  Beweisen  kann  ich 
das  auf  so  kleinem  Raum  allerdings  nicht,  glaube  aber,  dass  Ferrels  Urteil  iiber 
Bancban  und  Weh  dem,  der  liigt,  deutlich  genug  spricht.  Da$s  er  dieses  Urteil 
ausspricht,  das  ist  anzuerkennende  Ehrlichkeit,  aber  sehr  unvorsichtig !  Vgl.  Jahr- 
buch  III,  1  ff.  und  III,  41  ff. 

Die  Antwort  auf  Prof.  Ferrells  nachsten  Paragraphen  spare  ich  auf  den  Schluss 
auf.  Also  zum  iibernachsten.  Mir  was  es  unmoglich,  in  dem  Apparat  von  Anmer- 
kungen  Plan  und  Ziel  zu  entdecken;  auch  nicht,  als  ich  das  Buch  in  einer  Klasse 
gebraucht  hatte.  Wenn  Prof.  Ferrel  sagt,  er  habe  einen  bestimmten  Plan  gehabt, 
so  ist  das  eine  Behauptung  ohne  Beweis.  Im  iibrigen  ist  das  allerdings  Geschmack- 
sache,  ob  man  z.  B.  die  "commonplaces  of  history  and  mythology"  jahraus,  jahrein 
durch  die  Schulausgaben  schleppen  will  oder  nicht.  Je  mehr  sich  die  Anmerkun- 
gen  auf  solche  Punkte  beschranken,  deren  Erforschung  nur  dem  Spezialisten  mog- 
lich  ist,  desto  anregender  kann  sich  der  Unterricht  gestalten.  Wer  nimmt  einmal 
den  Kampf  auf  gegen  die  Sintflut  der  ,,Anmerkungen"  ?  Vielleicht  hat  Prof.  Ferrell 
auch  eine  ganz  andere  Art  von  Studenten  im  Auge  gehabt  als  ich;  dann  will  ich 
gar  nichts  gesagt  haben. 

Prof.  Ferrell  fiihrt  am  Ende  seiner  Erwiderung  das  Zeugnis  von  "two  or  three 
of  the  foremost  scholars  of  America"  fiir  sich  ins  Feld.  Ich  wiisste 
keinen  amerikanischen  Gelehrten,  der  sich  bis  jetzt  iiberhaupt,  geschweige 
denn  erfolgreich  in  Grillparzer-Forschung  betatigt  hatte,  dessen  Urteil  dem- 
nach  als  massgebend  anzuerkennen  ware.  Es  gibt  iiberhaupt  nur  einen  Mann 
in  der  Welt,  der  alle  Schliissel  zu  dem  Heiligtum  von  Grillparzers  Kunst  besitzt, 
und  der  lebt  in  Prag.  —  Einem  Amerikaner  oder  Norddeutschen  wird  es  nie  mog- 


28  P'ddagogiscbe  Monatshefu. 

lich  sein,  sich  ganz  in  Grillparzers  Welt  hineinzuleben.  Das  ist  kein  Vorwurf  gegen 
Prof.  Ferrell,  sondern  bedeutet  eine  Schranke  in  Grillparzers  Kunst.  Ich  wage  zu 
behaupten,  dass  es  in  diesem  Lande  immer  nur  ganz  wenige  Verehrer  Grillparzers 
geben  \vird ;  vielleicht  wird  nur  Hero  dauernd  Fuss  fassen  konnen.  — 

Auf  meinen  Hauptvorwurf,  dass  er  Grillparzer  fast  nur  als  den  Dichter  haus- 
lich-stiller  Tugend  charakterisiert  habe,  antwortet  Prof.  Ferrell  nicht.  Ich  gehe 
also  zu  seinen  Beziehungen  zu  Lichtenheld  fiber.  Selbstverstandlich  nehme  ich  seine 
Erklurung,  dass  die  Jthnlichkeit  nur  allgemeiner  Art  und  "that  the  thought  in  each 
case  is  one  that  would  naturally  suggest  itself  to  any  person  at  all  familiar  with 
dramatic  technique,"  auf  Treu  und  Glauben  an.  Ich  setze  die  Parallelstellen  nur 
her,  um  zu  erklaren,  wie  ich  zu  meiner  urspriinglichen  Auffassung  kam: 

Vers  40.  Ferrell:  "In  the  exuberance  of  his  joy  Rhamnes  calls  forth  the 
maidens,  and  then  sends  them  away  almost  immediately.  This  gives  the  poet  an 
opportunity  to  bring  Melitta  before  our  eyes  and  to  show  us  the  impression  that 
Phaon's  appearance  makes  upon  her." 

Lichtenheld:  ,,Sein  widerspruchsvolles  Verhalten,  dass  er  die  Madchen  erst 
ruft  und  dann  wieder  fortschickt,  ist  psychologisch  durch  seine  tfberfreude  begrlin- 
det.  Die  Absicht,  die  der  Dichter  damit  verbindet,  ist,  Melitta  uns  sofort  vor  Augen 
zu  flihren  sanit  der  Wirkung  Vers  30."  (Der  Eindruck  von  Phaon's  Schonheit.) 

Vers  63.  Ferrell:  "Great  stress  is  here  laid  on  her  relation  to  the  Lesbians 
in  order  that  a  motive  may  be  furnished  for  their  zeal  in  her  behalf  towards  the 
end  of  the  play." 

Lichtenheld:  ,,Wegen  des  Eifers  der  Lesbier  am  Schluss  des  vierten  und  im 
fiinften  Akt  ist  die  Darlegung  des  Verhiiltnisses,  das  zwischen  ihnen  und  ihr  ob- 
waltet,  ein  sehr  wichtiger  Teil  der  Exposition." 

Vers  1427.  Ferrell:  "Sappho's  plan  to  separate  the  lovers  thus  brings  them 
together  and  suggests  to  them  the  idea  of  fleeing  to  Chios.  Phaon's  determination 
to  flee  seals  the  fate  of  all  the  principal  characters  and  constitutes  the  Tragic  Crisis 
of  the  drama." 

Lichtenheld:  ,,Durch  diese  Wendung  und  den  Entschluss  wird  Sapphos  Auf- 
trag  zur  vollstandigen  Ironie  der  Handlung,  da  sie  die  Trennung,  nicht  Vereinigung 
herbeif iihren  wollte.  —  Pharons  Entschluss  besiegelt  zugleich  das  Schicksal  aller ; 
darum  liegt  in  ihm  das  ,,tragische  Moment." 

Vers  1470.  Ferrell:  "Amphitrite;  wife  of  Poseidon  and  one  of  the  fifty  daugh- 
ters of  Nereus,  god  of  the  quiet,  smooth  sea." 

Lichtenheld:  ,,Die  Gemahlin  des  Poseidon,  eine  der  fiinfzig  Tochter  des  Ne- 
reus, des  Gottes  des  ruhigen,  glatten  Meeres." 

Akt  III,  6.  Ferrell  (p.  134)  :  "This  scene,  in  which  Phaon  comes  to  himself 
and  renounces  Sappho,  marks  the  climax  of  the  Ascending  Action  and  the  turning- 
point  of  the  drama." 

Lichtenheld:  ,,Da  Phaon  endlich,  zum  vollen  Erwachen  gelangend,  sich  in  die- 
ser  Szene  von  Sappho  lossagt. . .  so  bringt  diese  Szene  den  Hohe-  und  Wendepunkt 
des  Stiickes." 

Was  nun  die  Einleitung  Prof.  Ferrells  betrifft,  so  habe  ich  gesagt :  „  ,,Die 
,,kritische  Analysis"  ist  ganz  von  Lichtenheld  abhangig  und  stellenweise  hoehst  naiv 
— "Our  Sappho  is  a  tragic  figure."  "  —  Nun  kann  diese  Stelle,  die  mir  heute  noch, 
nach  einem  vollen  Jahre,  komisch  vorkommt,  andern  sehr  imponieren.  Dann  muss 
ich  mich  eben  zu  einem  Bruch  in  meiner  Charakteranlage  bekennen.  Aber  der  Punkt 
ist  ja  Nebensache.  —  Unter  Abhangigkeit  verstehe  ich  nicht  mehr  oder  weniger  hau- 
figes  Zitieren,  oder  Ahnlichkeit  in  der  Darstellungsmethode.  Ich  habe  die  ganze 
Auffassung  gemeint,  die  der  armen  Sappho  eine  tragische  Schuld  zuschiebt,  indem 


BUcberbesprecbutigen . 


29 


sie  ein  Gottergebot  iibertreten  habe,  als  sie  ,,irdisches  Gliick"  suchte.  Auch  hier 
bin  ich  wohl  auf  einem  ganz  andern  Boden  als  Terrell.  Der  entsetzliche  Schulbe- 
griff  ,,tragische  Schuld"  ist  mir  verhasst.  Ebenso  zuwider  1st  mir  der  ganze  Appa- 
rat  von  ,,steigender"  und  ,,fallender  Handlung",  der,  aus  Freytags  ledernem  Buch 
heriibergenommen,  seit  Jahrzehnten  unsere  Schulausgaben  verunstaltet.  —  Da  ich 
hier  keine  Abhandlung  schreiben  kann,  muss  ich  im  iibrigen  auf  meine  Schrift 
,,Schillers  Einfluss  auf  Grillparzer"  verweisen,  wo  ich  meine  Ansichten  iiber  Sappho 
teils  auseinandergesetzt,  teils  angedeutet  habe.  Zum  Schluss  bemerke  ich,  dass  ich, 
abgesehen  von  obigen  Zugestiindnissen  an  den  guten  Willen  des  Herausgebers,  meine 
Kritik  heute  genau  so  absprechend,  vielleicht  noch  praziser  halten  wiirde.  Ferrells 
Ausgabe  gibt  keinen  Begriff  von  dem  Wesen  Grillparzers;  sie  steht  weder  auf  der 
Hohe  asthetischen  Durchempfindens,  noch  auf  der  Hohe  der  Wissenschaft. 

O.  E.  Lessing. 

Smith  College,  den  25.  Nov.  1902. 


II.     Biicherbesprechungen. 


A  Brief  German  Grammar  with  Exer- 
cises. By  Hjalmar  Edgren,  Ph.  D., 
University  of  Nebraska,  and  Lawrence 
Fossler,  A.M.,  University  of  Nebraska. 
New  York  —  Cincinnati  —  Chicago, 
American  Book  Company. 
Bahnbrechend  Neues  zu  schaffen  ist 
den  Verfassern  deutscher  Grammatiken 
in  unseren  Tagen  leider  nicht  mehr  ver- 
gonnt,  da  die  Grenzen,  in  denen  sich  die 
Behandlung  grammatikalischen  Stoffes 
zu  bewegen  hat,  im  grossen  und  ganzeu 
langst  festgestellt,  ja,  wie  es  scheint,  ein 
fiir  allemal  fixiert  sind.  Es  kann  sich 
demnach  bei  der  Beurteilung  jeder  neu- 
en  Erscheinung  auf  diesem  Gebiete  nur 
um  das  mehr  oder  weniger  zutage  tre- 
tende  padagogische  Geschick  handeln, 
mit  dem  die  Verfasser  den  Stoff  be- 
waltigt,  zusammengestellt  und  erlautert 
haben.  Die  Namen  der  zwei  bewahrten 
Padagogen  auf  dem  Titelblatt  obenge- 
nannter  Grammatik  lassen  von  vornher- 
ein  Tiichtiges  erwarten,  und  nach  einer 
eingehenden  Priifung  des  Buches  findet 
man  sich  auch  wirklich  nicht  in  seinen 
Erwartungen  getauscht.  Die  Anordnung 
des  Materials  ist  logisch  und  ubersicht- 
lich,  die  Darstellung  klar  und  anschau- 
lich,  das  Wichtige  vom  Nebensachlichen 
scharf  gesichtet  und  geschieden  —  alles 
ohne  Zweifel  Resultate  praktischer  Er- 
fahrung  im  Schulzimmer.  Das  Gewicht, 
das  auf  einzelne  Kapitel,  wie  beispiels- 
weise  auf  Wortbildung  sowie  auf  die 
etymologischen  Verwandtschaftsverhalt- 
nisse  der  englischen  und  deutschen 
Sprache  gelegt  ist.  bertihrt  angenehm, 
wirkt  anregend  auf  die  Schiller  ein  und 
kann  mit  Recht  empfohlen  werden. 


Ebenso  verdient  die  geschickte  und  sorg- 
faltige  Bearbeitung  des  angefiigten  In- 
dex sowie  des  englisch-deutschen  Wor- 
terverzeichnisses  voile  Anerkennung. 

Nicht  ganz  so  giinstig  reprasentiert 
sich  der  zweite  Teil  des  Buches,  der  das 
deutsche  Material  zum  ttbersetzen  ins 
Englische  enthalt.  Vcr  allem  sollten  die 
Herren  Verfasser  bei  Gelegenheit  einer 
neuen  Auflage  ihrer  Grammatik  auf  eine 
verbesserte  Interpunktion  ihr  Augen- 
merk  richten,  da  die  gegenwartige 
durchaus  englisch  ist  und  nur  zu  oft  ge- 
gen  die  im  Deutschen  herrschenden  Re- 
geln  verstosst.  Es  sei  hier  besonders  auf 
die  Relativsatze,  die  indirekten  Frage- 
und  sonstigen  Nebensatze  aufmerksam 
gemacht,  die  durchgangig  nur  durch  ein 
Komma  markiert  sind.  —  Wortformen 
wie  in's;  an's  (fiir:  ins  und  ans)  ; 
Spriichworter ;  Waaren;  Bogen  und 
Kriigen  konnen  bei  dem  gegemvartigen 
Stande  der  deutschen  Rechtschreibung 
nicht  liinger  geduldet  werden.  Das  Zitat 
aus  Schillers  ,,Der  Jiingling  am  Bache" 
auf  Seite  145  ist  fehlerhaft,  ebenso  das 
aus  Hans  Christian  Andersens  ,,Bilder- 
buch  ohne  Bilder"  auf  Seite  160. — Aus- 
driicke  wie  ,,es  wiirde  mich  erstaunen" 
(fiir:  ,,wundern"  oder  ,,!iberraschen" )  ; 
,,kannst  du  nichts  riechen?"  (fiir: 
,,riechst  du  nichts?")  ;  ,,giesse  61  dazu" 
( fiir :  ,,zu" )  ;  wir  wollen  nach  Hause 
jetzt"  (fiir:  ,,jetzt  nach  Hause");  es 
warcn  Eier  in  dem  Grase;  die  Sache  war 
zwischen  dem  Lehrer  und  seinen  iilteren 
Schiilern,  u.  s.  w.,  u.  s.  w.,  sind  Ver- 
stosse  gegen  das  deutsche  Sprachgefiihl, 
die  allerdings  hier  nicht  so  schwer  wie- 
gen,  da  die  Satze,  wie  schon  bemerkt, 


30 


P'ddagogische  Monatshefte. 


sich  in  den  Aufgaben  finden,  also  nicht 
als  Stilmuster,  sondern  nur  als  Rohma- 
terial,  als  Mittel  zum  Zweck  des  'ttber- 
setzens  ins  Englische  dienen  sollen. 

Die  typographische  Herstellung  und 
Anordnung,  die  durch  geschickte  Anwen- 
dung  der  verschiedensten  Schriftarten 
auf  einen  Blick  Wesentliches  von  Neben- 
sachlichem  unterscheiden  lassen,  verdie- 
nen  hohe  Anerkennung. 

,,Biblische  Geschichten  und  Kapitel  aus 
Weizs&ckers  und  Luthers  Bibeliiber- 
setzungen"  by  Warren  Washburn  Flo- 
rer,  Ph.  D.,  University  of  Michigan. — 
George  Wahr,  Publisher,  Ann  Arbor, 
Mich.,  1901. 

,,Biblische  Geschichten"  ist  ein  an- 
spruchloses  Biindchen,  das  ausser  einem 
nicht  alphabetisch,  sondern  nach  Wort- 
klassen  geordneten  Worterverzeichnisse 
dem  Schiller  keinerlei  Hilfsmittel  bietet 
und  auch  nicht  bieten  will  und  soil,  da 
der  Text,  nach  des  Herausgebers  eigener 
Aussage,  nicht  zum  tfbersetzen  bestimmt 
ist.  Auf  19  Kapitel  leichterer  histori- 
scher  Darstellung  aus  dem  alten  und 
neuen  Testament,  die  62  Seiten  ftillen, 
folgen  8  mit  Geschick  ausgewahlte 
Bruchstiicke  didaktisch  -  dythyrambi- 
schen  Inhalts,  darunter  das  herrliche 
,,Hohe  Lied  der  Liebe"  aus  I.  Korinther 
13  (nicht  I.  Korinther  15,  wie  fiilschlich 
im  Inhaltsverzeichnis  angegeben).  Fur 
vorgeschrittene  Schiller  des  Deutschen 
muss  es  von  Interesse  sein,  biblische 
Stoffe,  ihnen  im  Gewand  der  Mutter- 
sprache  schon  langst  bekannt,  auch  ein- 
mal  in  der  kernigen  Ausdrucksweise 
Martin  Luthers  und  in  dem  gefalligen 
Deutsch  der  modernen  Karl  Weizsacker- 
schen  ttbertragung  des  neuen  Testamen- 
tes  begriissen  zu  konnen. 
Heyse's  "L'Arrabbiata"  by  Warren 
Washburn  Florer,  Ph.  D.,  University 
of  Michigan.  George  Wahr,  Publisher, 
Ann  Arbor,  Mich. 

Dem  Herausgeber  der  soeben  bespro- 
chenen  ,,Biblischen  Geschichten"  haben 
wir  auch  f iir  eine  neue  Schulausgabe  von 
Paul  Heyses  weitbekannter  und  oft  be- 
arbeiteter  Erzahlung  "L'Arrabbiata"  zu 
danken,  eine  ehrliche  Arbeit,  die,  jedem 
der  friiheren  Herausgeber  das  Seine  las- 
send,  durchaus  originell  ( und  zwar  in  des 
Wortes  bester  Bedeutung)  ihren  eigenen 
Zweck  verfolgt. 

Die  vorliegende  Ausgabe  ist  fiir  Schu- 
len  bestimmt,  in  denen  ,,die  direkte  Me- 
thode"  gehandhabt  wird.  Es  ist  zu  be- 
dauern,  dass  gegen  den  Willen  und 
Wunsch  des  Herrn  Dr.  Florer  der  Ver- 
leger  in  Ann  Arbor  verabsaumt  hat,  dem 
Bandchen  eine  kurzgefasste  Darstellung 


der  genannten  Methode  beizufiigen  und 
so  Lehrer  und  Leser  in  den  Stand  zu 
setzen,  sich  selbst  eine  Antwort  auf  das 
quis?  quid?  cur?  contra?  der  direkten 
Methode  zu  geben.  Doch  steht  das  Er- 
scheinen  einer  Broschiire,  die  das  Wesen 
der  Methode  erlautern  soil,  in  Aussicht. 
Zu  bedauern  ist  ferner,  dass  das  dem 
Buch  angefiigte  Worterverzeichnis  nicht 
vollstandig  ist  und,  nach  des  Herausge- 
bers eigener  Aussage,  auch  nicht  be- 
stimmt war,  vollstandig  zu  sein.  ,,Wa- 
rum  dann  iiberhaupt  ein  Worterver- 
zeichnis?" fragt  man  sich  dabei  unwill- 
kiirlich.  —  Den  giinzlichen  Mangel  von 
Anmerkungen  erklart  der  Herausgeber 
damit,  dass  alle  etwa  notig  werdenden 
Erklarungen  zum  Verstandnis  der  in  der 
Klasse  zu  lesenden  Texte  dem  Belieben 
des  Lehrers  iiberlassen  werden  sollten. 
Wir  wiinschen  und  hoffen  von  Herzen, 
dass  auch  unser  junger  Herr  Kollege 
nach  jahrelangen  Erfahrungen  in  und 
ausserhalb  des  Schulhauses  zur  Einsicht 
gelangen  moge,  dass  nur  zu  oft  die  Leh- 
rer selbst  es  sind,  die  solcher  Erklarun- 
gen bediirfen,  zumal  in  betreff  eines 
Textes  wie  "L'Arrabbiata,  der,  weitab 
von  unserer  gewohnten  Reiseroute,  im 
fernen  Siiden  spielend  so  vielerlei 
sprachliche  und  sachliche  Erklarungen 
erheischt,  um  Lehrer  und  Leser  in  den 
Stand  zu  setzen,  das  ganz  eigenartige 
Aroma  dieser  exotischen  Liebesblume  zu 
geniessen.  Wilhelm  Bernhardt. 

German  Composition.     With    notes    and 
vocabulary.     By    E.    C.    Wesselhoeft, 
A.  M.,    Instrructo  in    German  in  the 
University  of  Pennsylvania.      Boston, 
D.  C.  Heath  &  Co.,  1902. 
This  book  is  divided  into  two  parts, 
the  first  of  which  contains  exercises  with 
independent  clauses,  while  the  other  has 
selections  with  principal  and  dependent 
clauses.    Each  part  is  preceded  by  intro- 
ductory remarks  on  the  position  of  the 
verb.     The  author    has    endeavored,    he 
says,  to  preserve  the  simple  style  of  ev- 
ery-day    speech,   avoiding  words  of    un- 
usual  occurrence;     in   this    he  has   suc- 
ceeded.    There  are  ample  foot-notes.    On 
the  whole    the    book    seems    to  be  well 
adapted  to  its  purpose. 

Among  misprints  noticed  may  be  men- 
tioned the  following:  Page  21,  line  12, 
"seperated"  for  separated;  p.  41,  1.  3, 
"lost"  for  loss;  p.  72  of  the  Vocabulary, 
"Salz"  is  given  as  masculine  instead  of 
neuter.  The  Vocabulary  sometimes  fails 
to  furnish  the  needed  assistance,  al- 
though "no  effort  has  been  spared  to 
make  this  complete."  The  fact  that  there 
are  in  the  exercises  on  page  35,  for  in- 


Bucberbesprecbungen . 


31 


stance,  three  words  that  do  not  appear 
in  the  Vocabulary,  proves  how  difficult 
it  is  to  make  a  word-list  complete;  the 
words  in  point  are  "fill,"  "beat,"  and 
"services"  (of  a  physician). 

An  English-German  Conversation  Book. 
By  Gustav  Kruger,  Ph.  D.,    Professor 
in  the   Kaiser  Wilhelm's  Realgymna- 
sium,  Berlin,  and  C.  Alphonso  Smith, 
Ph.  D.,    Professor  of    English    in    the 
Louisiana  State  University.      Boston, 
D.  C.  Heath  &  Co.,  1902. 
This  joint  production  of    Dr.  Kruger 
and  Professor   Smith  is   a  valuable  col- 
lection of  such  words  and  expressions  as 
are  difficult  to  find  in  dictionaries    but 
very  necessary  to  an  understanding    of 
German  idiom.     The  plan  and  contents, 
Professor    Smith    says    in    the  Preface, 
were  dictated  by  his   own  needs  during 
a  visit  to  Germany,  and  an  attendance 
upon  university  lectures.      The  work  is 
similar,    in  some  respects,    to  Pylodet's 
New    Guide     to    German    Conversation, 
published  by  the  Holts  thirty-four  years 
ago,  but  it  is,  in  no  sense,  an  imitation; 
Pylodet's  book  has  been  long  forgotten 
except    possibly     that    its     memory     is 
cherished  now    and    then  by  a  student 
who  carried  a  copy  to    Germany    with 
him,  interleaved    to  receive    such    addi- 
tions   as    travel    and    experience    might 
bring.     The  subjects  of  the  six  chapters 
are  Everyday  Expressions,  Time,  Travel, 
Books   and  Newspapers,    The  American 
College,    and    The    German    University. 
The  English  idioms    and    their  German 
equivalents  are  arranged  in  parallel  col- 
umns. 

The  book  was  written  in  Dr.  Kriiger's 
study  in  Berlin;  Professor  Smith  fur- 
nished the  English  and  his  collaborator 
the  German.  A  book  produced  under 
such  conditions  and  by  two  such  careful 
scholars  could  not  help  being  admirable, 
and  it  is  admirable.  The  foot-notes  of 
the  last  two  chapters  dealing  with  Ame- 
rican and  German  university  matters 
will  have  special  interest  for  persons  in- 
to whose  hands  it  is  likely  to  fall.  It 
can  safely  be  recommended  as  a  reliable, 
fresh,  and  stimulating  guide  to  German 
conversation. 

A  German  Reader    and  Theme-Boole    by 
Calvin  Thomas,  Professor  in  Columbia 
University  and  Wm.  Addison  Hervey, 
Instructor    in     Columbia     University. 
New  York,  Henry  Holt  &  Co.,  1902. 
The  distinctive  features  of  this  Read- 
er, as  set  forth  in  the  Preface  and  as 
illustrated  in  the  plan  of  the  work,  are 
as  follows: 

First,  it  contains  references  to  a  par- 


ticular grammar,  Thomas's,  and  is 
therefore  primarily  intended  to  be  used 
with  that  grammar.  At  the  same  time, 
however,  the  book  is  available  for  use 
with  any  good  grammar,  for  the  ref- 
erences are  accompanied  by  independent 
grammatical  statements  which  are,  in 
most  cases,  full  enough  to  be  sufficient 
in  themselves.  In  view  of  this  fact  the 
references  to  a  grammar  seem  unneces- 
sary, but  may  possibly  be  justified  by 
the  pedagogical  principle  involved  in 
repetition. 

As  a  second  distinctive  feature  it  con- 
tains two  sets  of  exercises  for  drill  in 
the  class-room,  Fragen  and  Themes.  The 
former  consist  of  questions  in  German 
intended  to  encourage  the  student  in 
free  reproduction.  The  Themes  consist 
of  English  exercises  based  upon  the  Ger- 
man text  and  are  intended  for  transla- 
tion into  German.  An  English  Word- 
List  at  the  back  of  the  book  is  supple- 
mentary to  the  Themes.  Having  these 
two  sets  of  exercises  is  a  good  idea,  for 
anything  that  will  assist  in  composition 
or  free  reproduction  is  welcome,  and 
these  are  well  adapted  to  their  purpose. 

The  third  feature  to  which  the  au- 
thors direct  particular  attention  is  the 
fact  that  the  Vocabulary  contains  page 
and  line  references,  in  certain  cases, 
with  a  view  to  exactness  of  rendering 
and  incidentally  to  the  discrimination  of 
synonyms  and  the  cultivation  of  correct 
English. 

The  Fragen  are  in  Roman  type;  the 
rest  of  the  German  text  in  German  type. 
The  reading  matter,  consisting  of  one 
hundred  and  forty-two  pages  of  prose 
and  twenty-two  pages  of  poetry,  has 
been  selected  and  arranged  with  good 
judgment.  Fulda's  one-act  comedy  Un- 
ter  vier  Augen  will  give  students  a  taste 
of  colloquial  German.  This  comedy  has 
been  reprinted  with  revised  and  expand- 
ed notes  by  Mr.  Hervey,  and  published, 
with  Benedix's  Der  Prozess,  by  the  same 
firm. 

The  Vocabulary  is  well  made  and  de- 
serves high  commendation.  Some  atten- 
tion is  given  to  etymological  relations. 
The  accentuation  of  a  few  words  pos- 
sibly needs  some  comment.  For  instance, 
the  words  also,  Altar,  Februar,  and  Ja- 
nuar  are  accented  on  the  last  syllable 
in  the  Vocabulary.  There  is  good  author- 
ity for  placing  the  accent  of  also  upon 
the  first  syllable  (see  Muret-Sanders  and 
Fliigel-Schmidt-Tanger),  and  I  believe  it 
is  usually  accented  in  this  way.  Practice 
varies  as  to  the  singular  of  Altar;  both 
pronunciations  should  be  indicated. 
Februar  is  usually  accented  on  the  first 


32 


P'ddagogische  Monatshefte. 


syllable,  while    in    the  case  of    Januar 
there  is  irregularity. 

The  book  seems  to  be  remarkable  free 
from  misprints;  on  page  iv,  line  11,  ex- 
ercices  was  noted,  and  the  gender  of 
Kammfutteral,  page  362  of  the  Vocabu- 
lary, is  not  indicated.  On  the  whole  it 
is  an  excellent  piece  of  work,  and  should 
receive  a  warm  welcome  from  teachers 
who  prefer  a  reader  to  separate  texts. 
Charles  Bundy  Wilson. 

The  State  University  of  Iowa. 

Die  Firma  Ernst  Wunderlich,  Leipzig, 
hat  soeben  die  dritte  Auflage  von  Dr. 
Rich.  Seyferts  Menschenkunde  und  Ge- 
sundheitslehre  veroffentlicht.  Das  Buch 
enthalt  vorziigliche  Anweisungen,  den 
Unterricht  in  diesem  so  iiusserst  wichti- 
gen  Fache  interessant  zu  gestalten.  Es 
ist  selbstverstlindlich  nur  fur  die  Hand 
des  Lehrers  bestimmt  und  setzt  voraus, 
dass  die  Schule  fur  die  notwendigen 


Veranschaulichungsmittel  in  der  Anato- 
mic ( Bock-Steger,  Modelle)  sorgt.  Der 
Lehrstoff  ist  in  ausgezeichneter  Weise 
zurecht  gelegt  und  die  Behandlung  er- 
folgt  nach  den  bekannten  und  bewahrten 
Herbartschen  Stufen.  Die  in  dem  Werke 
angegebene  Lehrform  ist  ganz  vorziig- 
lich  geeignet,  die  Schiller  zur  Selbsttii- 
tigkeit  und  unbefangener  Beobachtung 
anzuleiten.  Die  allerneuesten  Errungen- 
schaften  auf  dem  Gebiete  der  Physiolo- 
gie  und  Chemie,  soweit  sie  fiir  Kinder 
in  der  Volksschule  verstandlich  sind,  fin- 
den  in  dem  Werke  Verwertung.  Dass 
der  Verfasser  das  praktische  Ziel  (die 
Verwertung  des  Wissens  in  einer  ver- 
niinftigen  Lebensweise)  bestandig  im 
Auge  behalt,  verleiht  dem  Biichlein  einen 
ganz  besonderen  Wert.  Wir  empfehlen 
unseren  Lesern  das  Werk  um  so  dringen- 
der,  da  der  Preis  desselben  iiusserst  be- 
scheiden  ist  (2  Mark  50  Pf.,  gebunden). 

E.  D. 


III.     Eingesandte  Biicher. 


Geschichte  des  Dreissigj&hrigen  Krie- 
ges  von  Friedrich  Schiller.  Drittes  Buch. 
Edited  with  introduction  and  notes  by 
C.  W.  Prettyman,  Prof,  of  German  in 
Dickinson  College.  Boston,  D.  C.  Heath 
&  Co.,  1902. 

Orthographisches  Worterbuch  der 
deutschen  Sprache  von  Konrad  Duden, 
Gymnasialdirektor.  Nach  den  fiir 
Deutschland,  6sterreich  und  die  Schweiz 
giiltigen  amtlichen  Regeln.  Siebente 
Auflage.  Leipzig  und  Wien,  Biblio- 
graphisches  Institut,  1902.  Preis:  In 
Leinwand,  M  1.65. 

Von  demselben  Verfasser  und  in  glei- 
chem  Verlag,  in  der  Serie  Meyers  Volks- 
biicher  erschien:  Orthographisches  Wor- 
terverzeichnis.  Preis:  geh.  20Pf.,  in 
Leinwand  50Pf. 

Choice  Songs.  Book  one.  Part  1, 
containing  one  and  two  part  songs.  Part 
II,  containing  two  and  three  part  songs. 
Selected  and  arranged  by  H.  0.  R.  Sie- 
fert,,  Sup't  of  Public  Schools,  Milwau- 
kee, Wis.  Butler,  Sheldon  &  Co.,  Phila- 
delphia, New  York,  Chicago. 

An  Elementary  German  Reader  by 
Frederick  Lutz,  A..  M.,  Professor  of  Mod- 


ern Languages  in  Albion  College.  Silver, 
Burdett  &  Co.,  New  York,  Boston,  Chi- 
cago. Introductory  price  $1.00. 

Accounting  and  Business  Practice  for 
use  in  all  schools  where  bookkeeping  is 
taught,  by  John  H.  Moore,  Commercial 
Department,  Boston  High  Schools,  and 
George  W.  Miner,  Commercial  Depart- 
ment, Westfield  (Mass.)  High  School. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1902.  List  price, 
$1.40;  mailing  price,  ^1.55. 

Die  Arbeitskunde  in  der  Volks-  und 
allgemeinen  Fortbildungsschule.  Ein 
Vorschlag  zur  Vereinheitlichung  der  Na- 
turlehre,  Chemie,  Mineralogie,  Technolo- 
gic etc.,  von  Dr.  Richard  Seyfert,  Schul- 
direktor  in  61snitz  i.  V.  Vierte  ver- 
mehrte  und  verbesserte  Auflage.  Preis 
M.  3.00,  geb.  M.  3.60.  Leipzig,  Verlag 
von  Ernst  Wunderlich.  1902. 

Der  Deutschunterricht.  Entwiirfe  und 
ausgefiihrte  Lehrproben  fiir  einfache  und 
gegliederte  Volksschulen.  Von  Gustav 
Hudolf.  (Dr.  Rudolf  Schubert).  I.  Ab- 
teilung:  Unter-  und  Mittelstufe.  Dritte 
Auflage.  Preis  M.  2.00,  geb.  M.  2.50. 
Leipzig  Verlag  von  Ernst  Wunderlich. 
1902. 


Padagogische  Monatshefte 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  Janaar  1903.  Heft  2 

Der  Leseunterricht  in  der  Volksschule. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem   32.  Lehrertage  zu  Detroit. 


Von  Hermann  Woldmann,  Ass't.  Superintendent,  Cleveland,  O. 


(Schluss.) 

Bleibt  uns  nur  die  weitere  Annahme,  dass  der  vorlesende  Schiiler  nur 
liest,  damit  der  Lehrer  oder  auch  wohl  die  Klasse  sein  Vorlesen  kritisie- 
ren.  Diese  Kritik  ist  eine  gerechtfertigte,  sie  schadigt  aber  das  Interesse 
des  Lesenden  und  der  Zuhorer,  denn  letztere  haben  nicht  mehr  ein  beson- 
deres  Interesse  daran,  zu  erfahren,  was  der  Inhalt  des  vorzulesenden 
Stiickes  ist,  sie  haben  es  ja  vor  sich,  und  brauchen  nicht  besonders  darauf 
acht  zu  geben,  und  ersterer  ist  sich  dieser  Tatsache  auch  bewusst  und 
braucht  nicht  laut,  deutlich  und  mit  richtiger  Betonung  zu  lesen,  um  ver- 
standen  zu  vverden.  Das  Lautlesen  sinkt  zu  einer  Examination  des  Le- 
senden herab. 

Kommt  nun  zu  diesen  ungiinstigen  Umstanden  noch  die  fehlerhafte 
Methode  mancher  Lehrer  hinzu,  die  einen  Schiiler  zum  Lautlesen  auffor- 
dern,  ehe  das  Lesestiick  von  ihm  verstanden  ist,  und  ehe  er  alle  mechani- 
schen  Schwierigkeiten  iiberwunden  hat,  so  ergibt  sich  eine  Lesestunde,  die 
so  langweilig  wird,  dass  die  meisten  Schiiler  nur  mit  Grauen  an  sie  denken. 

Stellen  Sie  sich  einmal  eine  Klasse  vor,  in  der  es  etwa  folgender- 
massen  hergeht:  ,,Kinder,  nehmt  eure  Lesebiicher  vor,  Seite  68,  Num- 
mer  19."  Die  Biicher  werden  an  der  betreffenden  Stelle  aufgeschlagen. 
,Jetzt  lies  du  einmal,  Karl."  Karl  fangt  an  zu  lesen :  ,,Seite  68,  Num- 
mer  19.  Die  giftigen  Beeren.  Zvvei  Kinder,  Bruder  August  und  Schwe- 


34  P'ddagogische  Monatsbefte. 

ster  Emilie,  waren  in  den  Wald  gegangen,  um  die  schonen  roten  Erd- 
beeren  zu  pflucken,  welche  daselbst  wuchsen." 

Hier  unterbricht  der  Lehrer  den  Vorlesenden :  ,,Aber  Karl,  siehst 
du  denn  nicht  den  Punkt  hinter  Beeren?  Bei  einem  Punkte  musst  du 
innehalten,  wie  oft  habe  ich  euch  das  schon  gesagt  ?  Beim  Komma  musst 
du  die  Stimme  erheben,  wozu  sind  denn  diese  Lesezeichen  da?  Dann 
musst  du  auch  die  Worte  richtig  betonen  und  nicht  in  einem  Tone  fort- 
lesen.  Hore  einmal  zu,  wie  schon  Anna  den  Satz  lesen  kann."  —  Anna, 
eine  der  besten  Schulerinnen  der  Klasse,  fiihlt  sich  geschmeichelt,  steht 
in  musterhafter  Haltung  und  hebt  also  an : 

,,Seite  68,  Nummer  19.  Die  giftigen  Beeren.  Z  w  e  i  Kinder,  Bru- 
der  August  und  Schwester  Emilie,  waren  in  den  Wald  gegangen, 
um  die  schonen  roten  Erd  beeren  zu  pflucken,  welche  daselbst  wuch- 
sen." 

,,Sehr  schon/'  sagt  der  Lehrer,  ,,nur  solltest  du  das  z  w  e  i  und 
Schwester  nicht  so  sehr  betonen,  jetzt  lies  den  Satz  noch  einmal, 
Karl !"  Karl  liest  womoglich  noch  schlechter  als  das  erste  mal  und  muss 
sich  endlich  setzen,  weil  die  Zeit  fortschreitet,  aber  nicht  das  Verstandnis 
der  Leselektion.  Andere  Schiller  versuchen  ihr  Gliick  mit  mehr  oder  we- 
niger  Erfolg  an  demselben  Satze,  und  am  Schlusse  der  Lektion  ist  die 
Klasse  so  ziemlich  auf  demselben  Standpunkte,  auf  dem  sie  zu  Anfang 
war. 

Glauben  Sie  nur  ja  nicht,  meine  Damen  und  Herren,  dass  ich  hier 
zu  schwarz  male.  Dergleichen  Lektionen  sind  schon  gegeben  worden. 
Wenn  Sie  vom  Schiiler,  der  nach  der  Schulzeit  Zeitungen  auf  der  Strasse 
verkauft  und  mit  melodischer  Stimme  schreit:  "Paper,  special  extra  edi- 
tion, all  about  the  horrible  accident!''  Ich  sage,  wenn  Sie  von  diesem 
Schiiler  verlangen,  er  solle  mit  seiner  melodischen  Stimme  die  interessante 
Geschichte  von  den  giftigen  Beeren  einer  andachtigen  Zuhorerschaft  vor- 
lesen,  so  befinden  Sie  sich  in  einem  psychologischen  Irrtum  und  verwen- 
den  Fleiss  und  Miihe  vergebens. 

Ist  es  denn  aber  so  absolut  notwendig,  dass  jeder  Schiiler  Ihrer  Klasse 
die  schwere  Kunst  des  guten  Vorlesens  erlerne?  Entspricht  dies  den  Be- 
dingungen  des  Lebens?  Wenn  wir  einmal  die  Sache  analysieren,  so  wer- 
den  wir  finden,  dass  etwa  98  Prozent  alles  Lesens  ausserhalb  des  Schul- 
zimmers  den  Zweck  hat,  sich  mit  dem  Inhalt  des  Gelesenen  bekannt  zu 
machen.  Kaum  2  Prozent  diirfte  im  wirklichen  Leben  auf  das  Vorlesen 
fallen.  Und  Sie  verwenden  fast  75  Prozent  Ihrer  kostbaren  Zeit  im 
Schulzimmer  darauf,  eine  Sache  zu  lehren,  die  nur  verhaltnismassig  wenig 
im  Leben  gebraucht  wird.  Ware  es  da  nicht  angebracht,  den  Schiiler 
dahin  zu  bringen,  dass  er  sich  vor  alien  Dingen  an  den  Inhalt  des  Lese- 
stiickes  halt,  dass  er  sich  bemiiht,  das  verstehen  zu  lernen,  was  andere 
Leute  gedacht  und  geschrieben  haben,  und  dass  er,  wenn  er  Talent  dazu 


Der  Leseunterricbt  in  der  Volksschule.  35 

hat,  es  in  seiner  Weise  anderen  mitteilen  lernt.  Die  Mitteilung  ist  doch 
erst  im  zweiten  Grade  wichtig.  Hauptsache  ist  und  bleibt  fur  ihn,  dass 
er  die  Schatze  des  Wissens  und  der  Poesie,  die  in  den  Biichern  niederge- 
legt  sind,  sich  aneignet. 

Hierzu  kommt  noch,  dass  vermoge  des  Mitteilungsdranges  ein  natiir- 
liches  Motiv  geschaffen  wird,  andere  an  unseren  Freuden  und  Genussen 
teilnehmen  zu  lassen.  Wie  oft  ist  es  mir  schon  passiert,  dass  ich  einem 
Schiiler,  der  mit  unnatiirlich  singender  Stimme  einen  Satz  las,  auffor- 
derte,  mir  den  Satz  zu  geben,  ohne  ins  Buch  zu  sehen,  und  dass  er  dann 
denselben  mit  naturgemasser  Betonung  sprach,  dass  er  aber  im  Augen- 
blick,  in  welchem  er  wieder  das  Buch  vor  Augen  hatte,  in  den  alten  Sing- 
sang  zuriickfiel.  Dies  erinnert  mich  an  den  sogenannten  Kanzelton  man- 
cher  Prediger.  Dieser  Ton  ist,  gelinde  gesagt,  abscheulich;  wird  aber 
angeschlagen,  sobald  der  Prediger  die  Kanzel  betritt,  wahrend  er  im  ge- 
wohnlichen  Leben  ganz  wie  ein  anderer  verniinftiger  Mensch  spricht. 
Wollen  wir  darum  von  unseren  Schiilern  doch  nicht  etwas  unnatiirliches 
in  der  Betonung  verlangen,  sondern  sie  vielmehr  dahin  zu  leiten  suchen, 
uns  den  Inhalt  eines  Lesestuckes  in  ihrer  naturlichen  Weise  und  mit  ihrer 
natiirlichen  Betonung  vorzulesen.  Des  Altmeisters  Goethe  Worte  bleiben 
ewig  wahr: 

Es  tragt  Verstand  und  guter  Sinn 
Mit  wenig  Kunst  sich  selber  vor. 

Wenden  wir  daher  weniger  Zeit  auf  den  Vortrag  und  mehr  auf  das 
Verstandnis  des  Vorzutragenden,  und  wir  werden  Resultate  erzielen,  die 
fur  den  Schiiler  erspriesslicher  sind,  als  die  bisher  erzielten. 

In  dem  bisher  Gesagten  glaube  ich  nachgewiesen  zu  haben,  dass  viele 
Lehrer  dem  Lautlesen  in  der  Klasse  zu  viel  Zeit  einraumen.  Die  Erkla- 
rung  fur  ein  solches  Verfahren  ist  nicht  sehr  schwierig.  Die  meisten 
Lehrer  lehren  eben,  wie  sie  selbst  unterrichtet  worden  sind,  und  dann 
kommt  noch  das  Motiv  hinzu,  dem  Voig'esetzten  zu  zeigen,  wie  gut  die 
Kinder  lesen  konnen.  Mir  liegt  vielmehr  daran,  dass  die  Schiiler  ange- 
leitet  werden,  den  Inhalt  des  Lesestuckes  zu  verstehen,  als  dass  sie  im- 
stande  seien,  anderen  dies  Verstandnis  mitzuteilen. 

Fragen  wir  uns  jetzt  noch  einmal,  warum  wir  eigentlich  lesen  ler- 
nen,  so  lautet  die  Antwort  doch  wohl :  Erstens,  um  iiber  die  Tagesereig- 
nisse  unterrichtet  zu  werden,  mit  anderen  Worten,  um  die  Zeitung  lesen 
zu  konnen ;  zweitens,  um  die  Schatze  des  Wissens  und  der  Erfahrung  der 
Jahrhunderte  zu  geniessen,  und  drittens,  um  uns  die  Kenntnis  der  Lite- 
ratur  zum  Zwecke  geistiger  Bildung  anzueignen.  Bei  alien  drei  Punkten 
bleibt  das  Verstandnis  des  Gelesenen  die  Hauptsache.  Die  Mitteilung 
des  Erworbenen  ist  verhaltnismassig  Nebensache.  Es  ist  mir  keineswegs 
unbekannt,  dass  wir  unter  den  gegebenen  Verhaltnissen  in  der  Schule  im- 
mer  damit  rechnen  miissen,  dass  jeder  Schiiler  das  Lesebuch  in  den  Han- 


36  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

den  hat,  dass  er  nachlesen  muss,  wahrend  der  andere  vorliest ;  doch  wilt 
es  mir  scheinen  ,  dass  wir  den  Schiiler  auffordem,  still  fur  sich  den  In- 
halt  des  Lesestiickes  zu  ergriinden,  ihn  anleiten,  selbst  die  Gedanken  zu 
finden,  die  im  Lesestiicke  niedergelegt  sind,  die  Schwierigkeiten  ihm  iiber- 
winden  helfen,  Missverstandnisse  berichtigen,  und  nachdem  der  Inhalt 
,des  zu  Lesenden  der  Klasse  zum  Verstandnis  gekommen  ist,  daran  gehen, 
die  mechanischen  Schwierigkeiten  zu  iiberwinden. 

Zu  diesem  Zwecke  scheint  es  mir  angebracht,  dass  der  Lehrer  das 
Stuck  entweder  teilweise,  oder  ganz  der  Klasse  vorlese,  dass  er  dann  die 
Schiiler  es  im  Chor  nachlesen  lasse,  anfangs  mitlesend,  spater  aber  die 
Schiiler  allein  lesen  lasse.  Der  Grund  hierfiir  ist  derselbe,  den  wir  beim 
Einiiben  einer  Melodic  befolgen.  Der  Lehrer  singt  vor,  die  Schiiler  sin- 
gen  nach,  die  Schwacheren  lehnen  sich  an  die  Begabteren  an,  gewinnen 
Selbstvertrauen,  iiben  die  Stimme  und  werden  mitgetragen.  Ist  einmal 
die  Klasse  imstande,  das  Lesestiick  im  Chor  fliessend  und  ohne  Stocken 
zu  lesen,  so  wiirde  ich  die  besten  Schiiler  auffordern,  jetzt  allein  laut  das- 
selbe  Stuck  oder  denselben  Paragraphen  zu  lesen  und  erst  dann  mich  an 
die  schwacheren  Schiiler  wenden,  wenn  ich  Grund  habe,  anzunehmen,  dass 
sie  das  notige  Selbstvertrauen  erlangt  haben.  Ich  habe  es  manchmal  ge- 
sehen,  wie  Schiiler  zum  Vorlesen  aufgefordert  wurden  unter  Bedingun- 
gen,  die  es  fur  den  Lehrer  schwierig  gemacht  hatten,  richtig  und  gut  zu 
betonen  und  zu  lesen.  Ich  frage  Sie  hier  einmal,  wie  viele  unter  Ihnen 
bereit  waren,  eine  Abhandlung  oder  ein  Gedicht  aus  dem  Stegreif  vorzu- 
lesen.  Wurden  Sie  nicht  Zeit  verlangen,  das  Stiick  erst  mehrmals  griind- 
lich  durchzulesen  und  sich  mit  dem  Inhalte  vertraut  zu  machen,  ehe  Sie 
in  dieser  Versammlung  auftraten,  um  dasselbe  vorzulesen?  Nun  verlan- 
gen Sie  aber  vom  Schiiler,  dass  er  ohne  geniigende  Vorbereitung  auftrete. 
Das  Resultat  ist  oft  fur  den  Schiiler  beschamend,  fur  die  Klasse  unend- 
lich  langweilig,  und  langweilig  zu  werden,  ist  eine  Todsiinde  im  Klassen- 
zimmer. 

Vorhin  habe  ich  angedeutet,  dass  ich  es  fur  angebracht  halte,  dass 
der  Schiiler  den  Inhalt  des  Lesestiickes  womoglich  durch  Selbststudium 
finde,  weshalb  ich  dagegen  bin,  ihm  den  Inhalt  vorzulesen  oder  zu  er- 
zahlen.  Die  Spannung  der  Geschichte,  die  Freude  am  Selbstentdecken 
wird  ihm  dadurch  entzogen,  wenn  Sie  ihm  muhelos  den  Inhalt  des  Lese- 
stuckes  mitteilen.  Sie  selber  wurden  an  einem  Romane  oder  einer  scho- 
nen  Geschichte  viel  verlieren,  wenn  Sie  sofort  beim  Anfange  wussten,  wie 
die  Geschichte  enden  wiirde.  Sie  werden  mir  aber  entgegnen,  dass  manche 
Schiiler  Ihrer  Klasse  nicht  imstande  seien,  den  Inhalt  des  Stiickes  zu  er- 
griinden, weil  unbekannte  Worte  und  Redewendungen  im  Stiicke  vorkom- 
men.  Die  Antwort  auf  diese  Einwendung  ist  nicht  schwierig.  Erstens 
liegt  es  in  der  Natur  des  kindlichen  Gemiits  von  einer  unklaren  Vorstel- 
lung,  sich  nach  und  nach  zu  klaren  Begriffen  durchzuarbeiten,  dann  stehe 


Der  Leseunterricbt  in  der  Volksscbule.  37 

es  dem  Schiiler  frei,  den  Lehrer  zu  fragen,  wenn  er  Auskunft  wiinscht. 

Ich  komme  hier  zu  einem  Punkte,  der  mich  schon  oft  beschaftigt  hat, 
namlich  dazu,  dass  der  Lehrer  den  Schiiler  ermutige,  selber  Fragen  an 
den  Lehrer  zu  stellen. 

Die  ideale  Schulklasse  diirfte  wohl  die  sein,  in  welcher  der  Schiiler, 
vom  wahren  Wissensdrange  getrieben,  die  meisten  Fragen  stellt,  und  in 
welcher  der  Lehrer  diese  Fragen  beantwortet.  1st  der  Geist  des  Schiilers 
geweckt,  wiinscht  er  Belehrung,  so  haftet  die  Belehrung  unendlich  besser, 
als  wenn  sie  ungebeten  gegeben  wird.  Natiirlich  weiss  ich  es  so  gut  wie 
Sie,  dass  eine  indiskriminierte  Antwort  von  Fragen  vom  Ubel  ist,  die 
Selbsttatigkeit  des  Schiilers  wiirde  dadurch  gehemmt  werden.  Aber  von 
indiskriminierter  Beantwortung  aller  moglichen  Fragen  seitens  des  Schii- 
lers  ist  hier  auch  nicht  die  Rede.  Weiss  der  Lehrer,  dass  der  Schiiler  die 
Antwort  auf  seine  Frage  selber  finden  kann,  so  geniigt  oft  eine  Gegen- 
frage,  um  die  richtige  Antwort  zu  entlocken.  Was  ich  betonen  mochte, 
ist  dies,  dass  der  Schiiler  erkennen  lerne,  der  Lehrer  sei  gern  bereit,  ihm 
bei  seiner  Selbsttatigkeit  behilflich  zu  sein,  dass  er  Vertrauen  in  den  Leh- 
rer habe  und  zu  ihm  mit  seinen  Sorgen  und  Miihen  komme.  Manche 
Frage,  die  dem  Lehrer  auf  den  ersten  Blick  albern  und  zwecklos  erscheint, 
beruht  einfach  auf  falscher  Auffassung  des  Schiilers  und  gibt  dem  den- 
kenden  Lehrer  oft  mehr  Einsicht  in  die  Geistestatigkeit  des  Kindes,  als 
er  durch  Dutzende  von  Fragen,  die  er  selber  an  das  Kind  stellt,  herausge- 
bracht  hatte.  Und  ist  es  nicht  wichtig  fur  jeden  Lehrer,  die  Geistestatig- 
keit seiner  Schiiler  zu  ergriinden,  zu  erfahren,  wo  er  an  das  Bekannte  an- 
kniipfen  kann?  Die  Apperzeption  hat  doch  nur  den  rechten  Zweck,  wenn 
der  Lehrer  einmal  weiss,  was  dem  Kinde  wirklich  bekannt  ist.  Darum, 
meine  Damen  und  Herren,  entmutigen  Sie  Ihre  Schiiler  nicht  dadurch, 
dass  Sie  ihnen  eine  scheinbar  alberne  Frage  mit  den  Worten  zuriickwei- 
sen :  ,,Das  war  einmal  eine  dumme  Frage."  Mir  sind  einige  heitere  Bei- 
spiele  von  falscher  Auffassungsweise  bekannt,  die  darauf  zuriickzufiihren 
waren,  dass  die  Schiiler  einer  hoheren  Klasse  ein  Wort  eines  Gedichtes 
nicht  verstanden  und  sich  genierten,  zu  fragen,  um  ihre  Dummheit,  wie 
sie  es  nannten,  oder  ihre  Unwissenheit,  wie  es  in  Wirklichkeit  war,  nicht 
offenkundig  zu  machen.  Das  bekannte  Lied  vom  Kaiser  Barbarossa 
wurde  gelesen.  Darin  kommt  der  Vers  vor :  ,,Der  Stuhl  ist  elfenbeinern, 
darauf  der  Kaiser  sitzt."  Bei  einer  schriftlichen  Wiedergabe  dieses  Ver- 
ses hatten  mehrere  geschrieben :  ,,Der  Stuhl  hat  elf  Beine."  So  absurd 
auch  fur  den  ersten  Augenblick  diese  Auffassung  klingen  mag,  so  beweist 
sie  doch  nur,  dass  der  Schuler  das  Wort  Elfenbein  nicht  kannte,  es  sich 
auch  nicht  aus  seinem  Bewusstsein  entwickeln  konnte.  Da  er  nicht  fragte, 
so  griff  er  zur  eigenen  Etymologic  und  machte  daraus  elf  Beine. 

Wenn  es  dem  Lehrer  gelingt,  seine  Schuler  davon  zu  iiberzeugen,  dass 
<er  den  Unterschied  zwischen  Unwissenheit  und  Albernheit  wohl  zu  ma- 


38  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

chen  weiss,  wenn  er  der  Unwissenheit  mit  seinem  Wissen  gern  abhelfen 
will,  wird  die  Lernbegierde  der  Schiiler  bedeutend  erhoht  werden,  und 
wird  Klasse  wie  Lehrer  den  Vorteil  davon  haben. 

Doch  um  auf  den  Leseunterricht  speziell  zuriickzukommen.  In 
Deutschland  und  anderen  Landern  konzentriert  sich  um  das  Lesebuch  der 
meiste  Unterricht  in  der  Volksschule.  Die  Lesestiicke  sind  meist  so  ge- 
wahlt,  dass  sie  in  die  Grundziige  des  allgemeinen  Wissens  einfiihren.  Ge- 
meinniitzige  Kenntnisse,  vaterlandische  Geschichte,  sogar  etwas  Botanik 
und  dergleichen  bilden  neben  den  Produkten  der  schonen  Literatur  den 
Inhalt  des  Lesebuches.  Der  Anschauungsunterricht  kann  an  diese  Stiicke 
ankniipfen,  das  erlangte  Wissen  bildet  eine  positive  Grundlage  fiir  das 
Leben.  Das  Lesebuch  der  Kinder  bildet  oft  im  Hause  neben  Bibel  und 
Gesangbuch  und  allenfalls  dem  Kalender  die  ganze  Bibliothek  der  Fami- 
lie.  Unsere  Lesebiicher,  ich  spreche  besonders  von  denen,  die  in  engli- 
scher  Sprache  abgefasst  sind,  bilden  aber  noch  keineswegs  den  Kernpunkt 
des  Unterrichts,  da  miissen  fiir  Geschichte,  Botanik,  Physiologic  und  Ge- 
sundheitslehre  hier  fiinf,  dort  drei  oder  anderweitig  sieben  Minuten  per 
Tag  angesetzt  werden,  und  die  arme  Lehrerin  muss  nur  immer  die  Uhr 
im  Auge  haben,  damit  sie  auch  ja  den  programmassig  bestimmten  Un- 
terricht zur  festgesetzten  Minute  gebe.  Wie  anders  konnte  die  Zeit  aus- 
geniitzt  werden,  wenn  wahre  Konzentration  dieser  Unterrichtsgegenstande 
eingefuhrt  wiirde. 

Lassen  Sie  mich  zum  Schlusse  jetzt  noch  einmal  resumieren,  was  ich 
als  den  Hauptzweck  des  Leseunterrichts  ansehe.  Erstens  die  Fertigkeit, 
Worte,  Silben  und  Buchstaben  zu  erkennen.  Zweitens  den  Sinn  des  Ge- 
lesenen  zu  verstehen.  Hierbei  bemerke  ich,  dass  der  erste  Punkt  dem 
zweiten  koordiniert  sein  sollte,  und  drittens  die  Kunst,  anderen  das  ver- 
standene  Lesestiick  verstandlich  vorzulesen.  Die  Fahigkeit,  das  Gelesene 
zu  verstehen,  ist  unbedingt  die  Hauptsache  und  sollte  den  Hauptanteil 
beim  Leseunterricht  erhalten. 

Die  Wahl  des  Lesestoffes  steht  dem  Lehrer  selten  frei,  das  vom  Schul- 
rate  eingefiihrte  Lesebuch  ist  meist  massgebend,  doch  kommt  man  nach 
und  nach  dahinter,  dass  die  Literatur  noch  andere  Schatze  birgt,  als  die 
im  Lesebuche  niedergelegten,  und  sogenannte  Erganzungslektiire  wird  in 
den  besseren  Schulen  unseres  Landes  eingefuhrt.  Hier  bietet  sich  fur 
den  verstandigen  Lehrer  ein  dankbares  Feld,  den  Geschmack  der  Schiiler 
zu  bilden.  Geben  wir  dem  Kindergemiit  gesunde  Nahrung,  bilden  wir 
seinen  Geschmack  an  den  besten  Erzeugnissen  der  Jugendliteratur,  und 
wir  werden  dem  verderblichen  Einflusse  der  "Dime-Novels"  und  der 
Frank  Leslieschen  Giftfabrik  entgegenarbeiten.  Hier  aber  muss  ich  noch 
eine  Warnung  laut  werden  lassen :  Geben  Sie  dem  Schiiler  nicht  das,  was 
Sie  in  Ihrem  Alter  besonders  interessiert,  sondern  das,  was  dem  jugend- 
lichen  Alter  angemessen  ist.  Die  Jugend  verlangt  bei  den  Geschichten 


Zum  Jabreswecbsel.  39 

Handlung,  nicht  langweiliges  Moralisieren,  sie  verlangt  Darstellung  von 
Tatsachen,  nicht  Entwickelung  von  Charakteren,  mit  anderen  Worten, 
das,  was  dem  gereiften  Verstande  als  das  Beste  erscheint,  ist  oft  unge- 
niessbar  fur  die  Jugend. 

Wenn  wir  das  Pensum  der  Klasse  fur  die  Woche  gelost  haben,  so 
mogen  einige  begabte  Schiiler  sich  griindlich  vorbereiten,  eine  der  Klasse 
unbekannte,  aber  ihrem  Begriffsvermogen  angepasste  interessante  Ge- 
schichte  vorzulesen.  Dies  gibt  einigen  Schulern  eine  ausgezeichnete 
Ubung,  sich  im  Vorlesen  zu  iiben,  gewahrt  der  Klasse  Unterhaltung  und 
Belehrung,  entspricht  den  natiirlichen  Verhaltnissen  und  regt  die  lang- 
sameren  Schiiler  an,  sich  die  Fahigkeit  zu  erwerben,  die  sie  zu  solcher 
Auszeichnung  berechtigt.  V. 

Zum  Jahreswechsel. 


Dem  Tag  die  Sonne  Sieg  verleiht, 

Es  geht  die  Nacht  zu  Ende. 
Voruber  ist  die  bange  Zeit 

Der  Wintersonnenwende. 
Im  Sternenlicht  das  gold'ne  Haar 

Mit  Eisgeschmeid  behangen, 
Kommt     leisen  Schritts  das  neue  Jahr 

Nun  durch  die  Welt  gegangen. 
Gar  wunderholde  Traume  spinnt 

Es  rings  auf  alien  Wegen ; 
Und  in  der  Menschenbrust  beginnt 

Es  heimlich  sich  zu  regen. 
Aufwacht  der  Glaube  an  das  Licht,  — 

Tot  sind  die  alten  Sorgen,  — 
Und  sieghaft  in  die  Herzen  bricht 

Der  Hoffnung  Ostermorgen ! 
Und  halten  auch  noch  Wahn  und  Weh 

Die  fmst're    Welt  in  Banden, 
Zerinnen  muss  des  Winters  Schnee, 

Und  Lenz  wird  alien  Landen ! 
Klingt  nur,  ihr  Glocken,  hoch  vom  Turm 

Und  kundet's  alien  Zagen: 
Bald   wird   der   Freiheit   Fruhlingssturm 

Der  Knechtschaft  Bann  zerschlagen ! 
Schon  keimet  der  Erkenntnis  Saat, 

Und  reifen  muss  das  Wahre! 
Zu  neuem  Kampf  und  neuer  Tat, 

Gliick  auf  im  neuen  Jahre! 
Voruber  ist  die  bange  Zeit 

Der  Wintersonnenwende. 
Es  siegt  das  Licht,  es  stirbt  das  Leid, 

Es  geht  die  Nacht  zu  Ende!  — Konrad  Nies. 


Neuere  Literaturgeschichten. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  O.  E.  Leasing,  Ph.  J>.,  Smith  College,  Northampton,  Mass. 


(Fortsetzung.) 

Bartels  war  einer  von  den  wenigen  Kritikern,  die  sich  von  Anfang 
an  durch  die  Erfolge  Hauptmanns  und  Sudermanns  nicht  blenden  liessen. 
Statt  den  einen  gegen  den  andern  auszuspielen,  wie  es  die  ,,Hauptmann- 
gemeinde"  gegen  die  Sudermanngemeinde"  und  umgekehrt  tat;  statt 
nach  dem  Vorbild  der  Berliner  Kritik  Hauptmann  zum  dramatischen  Ge- 
nie, Sudermann  zum  grossten  Epiker  des  modernen  Deutschland  zu  er- 
heben,  erkannte  Bartels  die  Vorziige  und  Schwachen  beider.  Frau  Sorge 
wusste  er  vollauf  zu  wiirdigen,  die  Dumas'sche  Frivolitat  und  Sensations- 
lust  im  Katzensteg,  die  sogar  Anton  Schonbach  verborgen  blieb,  durch- 
schaute  er  sofort.  Und  dass  Sudermann  seit  der  Heimat  zum  Poseur  und 
blossen  Theatraliker  herabgesunken  war,  dass  er  sein  angeborenes  Talent 
der  Sucht  nach  ausserem  Erfolg  geopfert,  das  hatte  Bartels  schon  langst 
festgestellt,  als  ernsthaft  zu  nehmende  Literaturgelehrte  wie  Kuno  Fran- 
eke  die  Heimat  nocri  als  echte  und  bedeutende  Dichtung  priesen.  Die 
seitherige  Laufbahn  Sudermanns  als  Epiker,  Dramatiker,  offentlicher 
Redner  (Goethe-Bund!)  hat  Bartels  Recht  gegeben. 

Auch  sein  niichternes  Urteil  uber  Hauptmann,  das  er  schon  1897  in 
seinem  Buch  niederlegte,  hat  er  spater  nicht  zuriicknehmen  miissen.  Auch 
hier  hat  er  gegen  den  beissenden  Spott  R.  M.  Meyers  das  Feld  behaup- 
tet.  Fiir  ihn  war  Hauptmann  ein  echtes,  aber  beschranktes  Talent,  des- 
sen  Starke  in  der  Beobachtung  und  Darstellung  des  alltaglichen  Eebens 
lag,  aber  nicht  in  der  Gestaltung  dramatischer  Charaktere,  noch  in  der 
Durchfiihrung  tragischer  Probleme.  Er  wies  Hauptmann  auf  die  No- 
vellistik  hin  und  wurde  verlacht.  Jetzt  wissen  wir  alle,  dass  Hauptmann 
als  Dramatiker  gescheitert  ist.  Vielleicht  diirfen  wir  mit  Bartels  von  dem 
Verfasser  des  Bahmvdrter  Thiel  und  des  Apostel  noch  bemerkenswerte 
Leistungen  im  Epos  erwarten.  Fraglich  erscheint  auch  das,  bei  der  von 
Bartels  selbst  festgestellten  geistigen  Armut  des  schlesischen  Dichters. 

II. 

Deutsche  Literaturgeschichte  des  19.  Jahrhunderts  von  Carl 

Weitbrecht.     Goschen.     Leipzig,  1902.     Mark  1.60. 

Wie  Bartels  ist  auch  Weitbrecht  Literarhistoriker  und  Dichter    zu- 

gleich.     Letzterer  steht  im  selben  Verhaltnis  zu  Schiller,  wie  Bartels  zu 

Hebbel.     Ist  der  eine  mit  Recht  Hebbels  Prophet  genannt  worden,  so  ist 

der  andere  unablassig  bemiiht,  die  schwindende  Begeisterung  fur  Schiller 


Neuere  Literaturgeschicbten.  41 

in  Deutschland  neu  zu  beleben  (Schiller  in  seinen  Dramen;  Schiller  und 
die  deutsche  Gegenwart).  Daraus  erklaren  sich  die  Ahnlichkeiten  und 
Verschiedenheiten  in  ihrer  Auffassung.  Gemeinsam  ist  ihnen  der  kiinst- 
lerische  Instinkt  fiir  das  Echte,  der  leidenschaftliche  Hass  gegen  alien 
Schein  und  Trug,  der  tiefsittliche  Grundzug  ihres  Wesens.  Aber  wie 
die  Asthetik  Hebbels  tiber  die  Schillers  hinausgreift,  um  wie  viel  mehr 
sie  den  Anforderungen  unseres  modernen  Lebens  gerecht  wird,  um  so 
viel  weiter  ist  der  Blick  des  norddeutschen  Kritikers.  Weitbrecht  ist  ein 
echter  und  gerechter  Schwabe  mit  alien  Vorziigen  und  Schwachen  seines 
Stammes.  Ehrlich  und  geradeheraus  bis  zur  Grobheit,  feurig  bis  zur 
fanatischen  Fieberhitze,  iiberzeugungsfest  bis  zur  schroffen  Einseitigkeit. 
Die  beiden  griinen  Bandchen  sind  ein  Meisterstiick  pathetischer  Ge- 
schichtschreibung,  wie  sie  Schiller  liebte.  Die  Sprache  reisst  den  Leser 
fort,  und  er  vergisst  gern  an  der  Wahrheit  des  Gesagten  zu  zweifeln.  Erst 
hintennach  kommen  manche  Bedenken.  — 

Romantik,  Junges  Deutschland,  Moderne,  die  drei  Kulturrevolutio- 
nen,  denen  das  heutige  Deutschland  zum  grossen  Teil  seine  Geistesfreiheit 
und  die  Bliite  von  Kunst  und  Wissenschaft  verdankt,  werden  von  Weit- 
brecht in  Bausch  und  Bogen  verworfen.  Er  ist  konservativ,  eng-natio- 
nal,  und  interessiert  sich  nur  fiir  rein  poetische,  d.  h.  nach  der  traditionel- 
len  Anschauung  poetische,  Erzeugnisse  der  deutschen  Literatur.  Er  ist 
zu  temperamentvoll,  um  den  Versuch  zu  machen,  objektiv  zu  sein.  Da- 
rum  wird  er  den  Vorbereitungs-  und  Ubergangsperioden,  die  nicht  unmit- 
telbar,  sondern  erst  in  ihrem  Gefolge  grosse  Kunstwerke  hervorbringen, 
nicht  gerecht.  Nach  einem  widerwillig  ausgesprochenen  Lob  der  "natio- 
nalen  Bestrebungen  der  Romantiker,  stiirzt  er  sich  mit  Feuereifer  auf  die 
Schwachen  und  Extravaganzen  einiger  Individuen,  um  dann  iiber  das 
Ganze  ein  Verdammungsurteil  auszusprechen.  Er  ist  in  eine  bose  Sack- 
gasse  gekommen :  denn  was  soil  er  mit  den  schonsten  Friichten  der  Ro- 
mantik^ mit  Kleist,  Uhland,  Chamisso  und  Eichendorff,  nun  anfangen? 
Es  bleibt  ihm  nichts  anderes  iibrig,  als  sich  durch  ein  Hintertiirchen  ins 
Freie  zu  retten :  Diese  Dichter  diirfen  der  Romantik  ,,nicht  ohne  weite- 
res  zugerechnet  werden"!  (p.  14).  So  sind  wir  einigermassen  darauf 
vorbereitet,  wenn  uns  in  dem  Abschnitt  iiber  Kleist  der  Satz  zu  Gesicht 
kommt :  ,,Wenn  Kleist  im  K'dthchen  von  Heilbronn  und  im  Prinzen  von 
Hamburg  dem  Schlafwandlerischen  und  traumhaft  Hellseherischen  Gel- 
tung  einraumte,  so  war  das  kein  gedankenloses  Zugestandnis  an  die  ro- 
mantische  Mode.  .,  sondern  es  entsprang  seinem  heissen  Bemiihen,  in  die 
letzten  und  individuellsten  Geheimnisse  der  Menschenseele  hinunterzugra- 
ben"  etc.  (p.  22  f.).  Nennt  man  nicht  eben  dieses  Bemiihen  ,,roman- 
tisch"?  Ist  es  nicht  eben  ein  Hauptverdienst  der  Romantiker,  dass  sie 
das  ,,Gemut"  entdeckten,  und  sich  nicht  scheuten,  auch  in  die  Abgriinde 
des  seelischen  Lebens  zu  tauchen  ?  Und  wenn  Kleist  das,  was  er  geschaut. 


42  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

in  vollkommenere  und  dauerndere  Formen  zu  fassen  vermochte  als  die 
andern,  ist  er  darum  kein  Romantiker?  — 

Ahnlich  wie  bei  Kleist  versucht  Weitbrecht  auch  bei  den  iibrigen  Dich- 
tern,  die  aus  der  Romantik  hervorgingen,  die  romantischen  Elemente  weg- 
zuerklaren  oder  wenigstens  zu  entschuldigen.  Wo  diese  eigentumliche 
Schrulle  das  Bild  nicht  verzerrt,  sind  die  Einzelcharakteristiken  treffend 
und  von  plastischer  Greifbarkeit ;  so  die  Platens,  Immermanns  und  Grill- 
parzers. 

Das  auf  die  Darstellung  der  Romantik  und  ihrer  Auslaufer  folgende 
II.  Kapitel :  Zwischen  den  Revolutionen,  ist  das  bedeutsamste  des  ganzen 
Werkes.Es  enthalt  die  schneidig  gefiihrte  Fehde  gegen  Heinrich  Heine. 
Wahrend  Weitbrecht  die  Bedeutung  der  mit  dem  Gesamtnamen  ,Junges 
Deutschland"  unvollkommen  bezeichneten  Bewegung  m.  e.  unterschatzt : 
sein  Urteil  iiber  Heine  trifft  den  Nagel  auf  den  Kopf.  Es  ware  sehr  zu 
wimschen,  dass  die  klaren,  scharfen,  in  diesem  Fall  durchaus  massvollen 
Ausfiihrungen  Weitbrechts  die  weiteste  Verbreitung  fanden.  Hierzu- 
lande  wird  ja  noch  heutigen  Tages  Heine  als  der  dritte  im  Bunde  neben 
Goethe  und  Schiller  als  deutscher  Klassiker  gepriesen  und  --  doziert! 
Als  ob  Heine  nicht  durch  seine  ganze  Tatigkeit  den  Beweis  erbracht  hatte, 
dass,  um  wahrhaft  Grosses  zu  gestalten,  nicht  bloss  Talent,  sondern  auch 
Charakter  erforderlich  ist,  bietet  man  in  Schulausgaben  aller  Art  den  ame- 
rikanischen  Studenten  Heines  unbedeutendste  Feuilletons,  statt  sie  dafiir 
mit  ernsthaften  Personlichkeiten,  die  auch  nach  Goethe  aufgetreten  sind, 
bekannt  zu  machen.  Dass  hier  Wandel  geschehe,  dazu  mdge  Weitbrechts 
Buchlein,  das  jedem,  auch  dem  schlechtbezahlten  deutschen  Lehrer  der 
Dorfschule,  zuganglich  ist,  recht  viel  beitragen!  Ich  tute  hier  durchaus 
nicht  in  das  Horn  des  verachtlichen  Antisemitismus  und  stimme  in  der 
Hinsicht  weder  mit  Weitbrecht,  noch  mit  Bartels  iiberein,  der  im  zweiten 
Teil  seiner  jetzt  erschienenen,  grossen  Literaturgeschichte  Heine  eigentlich 
nur  als  Juden  verfolgt.  Ich  glaube  vielmehr,  dass  Heine  nicht,  oder  doch 
nicht  viel  anders  gewesen  ware,  als  er  war,  auch  wenn  er  einer  christlich- 
germanischen  Familie  entsprosst  ware.  Nicht  als  Jude,  sondern  als  mo- 
ralisch  haltloser  Mensch,  als  Talent  ohne  Charakter,  war  er  der  ,,Honig- 
kelch  voll  Gift  fur  die  Nation".  Und  darum  sollte  er  den  allzulange  be- 
haupteten  Platz  nach  Goethe  und  Schiller  Grosseren  einraumen :  Kleist, 
Uhland,  Grillparzer  —  und  Morike. 

Wer  kennt  hier  in  Amerika  Eduard  Morike?  In  Kuno  Franckes 
Literaturgeschichte  muss  er  sich  mit  einer  Anmerkung  begniigen,  Prof, 
von  Klenzes  ,,Deutsche  Lyrik"  weiss  gar  nichts  von  ihm ;  und  ich  konnte 
Dozenten  der  Deutschen  Literatur  nennen,  die  noch  keine  Silbe  von  ihm 
gelesen  haben.  Deswegen  ist  es  gut,  dass  Weitbrecht  dem  lange  Verbor- 
genen  eine  ausfuhrliche  Besprechung  widmet.  Im  letzten  Jahre  sind  ja 
zwei  umfangreiche  Biographieen  Morikes  erschienen,  eine  ,,wissenschaft- 


Neuere  Liter aturgescbichten.  4$ 

liche"  von  dem  Berliner  Harry  Maync,  und  eine  popularer  gehaltene  von 
Karl  Fischer,  der  Morike  in  sich  durchlebt  hat.  Wem  diese  Biicher  un- 
zuganglich  sind,  fiir  den  geniigen  zur  Einfiihrung  auch  die  sieben  Seiten 
in  Weitbrechts  Biichlein;  und  wer  sich  an  Lyrik  nicht  herangetraut,  der 
lese  zuerst  das  Stutt garter  Hutselmannlein,  ,,eines  jener  Trostbiichlein  fiir 
den  Kummer  und  Arger  des  Zeitlichen,  die  nicht  zu  kennen  ein  Ungliick 
ist." 

Uber  den  Rest  des  Werkes  habe  ich  wenig  mehr  zu  sagen.  Von  dem 
Kapitel  Die  Riickkehr  zur  Form  an,  beriihrt  es  sich  mit  der  Darstellung 
Bartels,  dessen  Einwirkung  da  und  dort  zu  spiiren  ist.  Nicht  als  ob 
Weitbrecht  unselbstandig  ware  —  die  beiden  Manner  treffen  eben  viel- 
fach  in  ihrem  Urteil  zusammen,  schon  deswegen,  weil  beide  von  jeder 
Schultradition  frei  sind,  nicht  sogenannten  Autoritaten  entsprechen,  son- 
dern  ihrem  kiinstlerischen  Gefiihl  und  gesunden  Menschenverstand  fol- 
gen;  vgl.  Z.  f.  d.  U.  15,  6n  ff.  Ein  besonders  schones  Beispiel  fiir  des 
Verfassers  nachempfindende  Darstellungskunst  ist  die  kurze,  vielsagende 
Gegeniiberstellung  von  Hermann  Lingg  und  Geibel,  p.  134. 

Von  Bedeutung  ist  es,  dass  Weitbrecht  unter  die  Hauptvertreter  des 
Poetischen  Realismus  auch  Hermann  Kurz  aufnimmt,  den  Bartels  den 
,,kleinen  Realisten"  beigezahlt  hatte.  Ohne  Frage  ist  Kurz  ,,einer  von 
denen,  an  denen  die  Nachwelt  etwas  gut  zu  machen  hat".  Es  scheint 
mir  aber,  dass  Weitbrecht  in  seiner  Schatzung  des  schwabischen  Novel- 
listen  und  Romandichters  zu  hoch  greift.  Ich  selbst  bin  Schwabe  genug, 
um  auf  Kurz  stolz  zu  sein,  zweifle  jedoch,  ob  Nicht-Schwaben  sich  in  den 
,,Sonnenwirt"  und  den  Herzog  Karl,  der  sich  den  Rockkragen  zu  eng 
kniipft,  um  rot  und  gesund  auszusehen,  oder  in  die  Verhaltnisse  in  der 
alten  ,,Legionskaserne'',  so  recht  hineinleben  konnen.  Mir  scheint  das 
alles  viel  zu  spezifisch-schwabisch,  um  typisch-menschlich  und  also  allge- 
meinverstandlich  sein  zu  konnen.  Hoffentlich  tausche  ich  mich. 

Wilhelm  Jordan  unter  den  Realisten  zu  finden  (II,  p.  57  fL),  war 
mir  eine  Uberraschung.  Ich  glaube,  dass  sich  Weitbrecht  doch  gar  zu 
sehr  durch  die  nationale  Gesinnung  des  Dichters  und  dessen  Kampf  ge* 
gen  ,,alles  Ungesunde  in  moderner  Kultur  und  Kunst"  hat  bestechen  las- 
sen.  Freilich  lasst  sich  mit  dem  Verfasser  nicht  rechten,  da  er  selbst  die 
Zeit  fiir  die  richtige  Beurteilung  Jordans  noch  nicht  fiir  gekommen  halt. 
Dass  aber  Jordans  Nibelunge  sich  an  Wucht  und  Grosse  und  Einheitlich- 
keit  mit  Hebbels  Trilogie  nicht  messen  konnen,  das  steht  doch  wohl  jetzt 
schon  fest.  Wenn  Jordan  auch  nicht  gerade  nur  ,,reproduziert"  hat,  si- 
cher  hat  er  den  gewaltigen  Stoff  nicht  so  aus  sich  heraus  ,,wiedergeboren", 
wie  es  bei  Hebbel  der  Fall  ist. 

Die  letzten  zwei  Abschnitte:  Nationale  Einigung  und  geistige  Ent- 
artung,  und  ,,Die  Moderne"  unterscheiden  sich  nicht  wesentlich  von  den 
entsprechenden  Kapiteln  in  Bartels.  Nur  ist  Weitbrecht  viel  ablehnender 


44  PMagogiscbe  Monatshefte. 

gegen  die  Bestrebungen  der  achtziger  und  neunziger  Jahre  als  Bartels. 
Wenn  er  von  seinem  Standpunkte  aus  die  einfache  Tatsache,  dass  der  ge- 
schmahte  Naturalismus  die  einzige  Rettung  der  deutschen  Kunst  und  Li- 
teratur  war,  nicht  gelten  lasst,  so  kann  man  auch  dariiber  nicht  streiten. 
Jedenfalls  sind  die  Zeiten  der  Ebers,  Wolff  und  Lindau  vorbei,  auch  das 
Theoretisieren  scheint  allmahlich  iiberwunden  zu  werden;  mogen  die 
,,Dichterpersonlichkeiten,  die  Grosses  und  Echtes  schaffen  konnen  aus  der 
selbstherrlichen  Kraft  ihres  poetischen  Genius",  bald  kommen — das  deut- 
sche  Volk  konnte  sie  brauchen! 


Editorielles. 


An  der  Jahreswende.  Es  wird  zwar  voraussichtlich  mehr  als  die 
erste  Halfte  des  Januars  verflossen  sein,  ehe  dieses  Heft,  das  erste  des 
neuen  Jahres,  in  die  Hande  seiner  Leser  gelangt,  und  in  unserer  schnell- 
lebigen  Zeit  wird  daher  auch  das  neue  Jahr  bereits  etwas  Altes  geworden 
sein;  doch  soil  uns  das  nicht  davon  abhalten,  unsern  Lesern  noch  nach- 
traglich  einen  herzlichen  Nenjahrsgliickivunsch  zu  iibermitteln. 

Wenn  wir  das  Fazit  iiber  die  im  verflossenen  Jahre  an  unseren  Schulen 
getane  Arbeit  zogen,  diirften  wir  wohl  ohne  Uberhebung  behaupten,  dass 
dies  zu  unseren  Gunsten  lauten  wurde.  Allerorten  zeigte  sich  Leben  und 
liewegung,  die  Grundbedingungen  fur  eine  heilsame  Entwickelung,  wie 
andererseits  Stillstand  und  Untatigkeit  ihre  verderblichsten  Feinde  sind. 
In  einer  Hinsicht  bezeichnet  das  letzte  Jahr  einen  Wendepunkt  fiir 
die  Schulentwickelung,  indem  in  ihm  die  Lehrerschaft  in  regere  Aktivitat 
trat,  die,  obgleich  unstreitig  der  bedeutendste  Faktor,  bisher  im  Hinter- 
gruncle  gestanden  hatte  und  hochstens  mit  mehr  oder  weniger  Geschick 
bestrebt  gewesen  war,  den  Anordnungen  von  Superintendenten,  Assistenz- 
superintendenten  und  Prinzipalen  Folge  zu  leisten.  Man  sah  auch  bisher 
nicbt  die  Notwendigkeit  ein,  dem  Gros  der  Lehrerschaft  eine  gewisse 
Selbstandigkeit  zu  gewahren.  Teilweise  lag  dies  in  dem  vorherrschend 
inerkantilen  Sinne  unserer  Bevolkerung,  die  nicht  gewohnt  ist,  den  von 
ihnen  Angestellten  gegen  ihren  Willen  Selbstandigkeit  zu  gewahren,  dann 
aber  auch  in  den  Lehrern  selbst,  denen  es  zum  grossen  Teile  an  der  noti- 
gen  Vorbildung  fehlte,  um  eine  ihnen  gewahrte  Selbstandigkeit  weislich 
zu  beniitzen. 

Dass  die  kommunalen  und  beruflichen  Vorgesetzten  mit  der  Ab- 
hangigkeit  der  Lehrer  einverstanden  waren  und  sie  erstrebten,  braucht 
uns  nicht  wunderzunehmen.  Es  lasst  sich  doch  so  schon  regieren, 
wenn  man  nur  vom  griinen  Tische  anzuordnen  braucht,  wenn,  wie 
Kollege  Burckhardt  in  seinem  Flachsmann-Artikel  so  treffend  sagte,  der 
Superintendent  von  seiner  Amtsstube  aus  nur  den  elektrischen  Knopf 


Editor  ielles.  45 

zu    driicken    braucht,     um    die    Gehirndeckel    aller    Schiiler    fur    die 
Applizierung     eines     gewissen     Stoffquantums      zu     offnen;     und     es 
kitzelt  doch  nicht    wenig  den  Stolz  des    Schulratsmitgliedes  zu  wissen, 
dass    seine    Lehrer    am    Ende    eines    jeden    Schuljahres    von    seiner 
Gnade    abhangen.      Aber  nicht   Schulrate,   nicht   Superintendenten   und 
Prinzipale    machen    die    Schule,    wenn    sie    nicht    der    mitschaffenden 
Tatigkeit  der  Lehrer  und  Lehrinnen  im  Schulzimner  gewiss  sind.     Dass 
dieselben  allmahlich  zum  Bewusstsein  ihrer  Stellung  kommen  und  nach 
grosserer  Geltung  streben,  das  ist  der  grosse  Fortschritt,    den  wir    dem 
verflossenen  Jahre  gut  schreiben  miissen.     Nachdem  in  Chicago  das  Zu- 
sammengehen  der  Lehrer  soldi'  gute  Friichte  gezeitigt  hatte,  folgten  die- 
sem  Beispiele  die  Lehrer  und  Lehrerinnen  vieler  Stadte,  und  sicherlich 
wird  die  Bewegung  im  nachsten  Jahre  noch  in  bedeutend  weitere  Kreise 
dringen.     Die  Ziele,  nach  welchen  die  neugegrundeten  Klassenlehrerver- 
>  einigungen  zunachst  streben,  Gehaltserhohung,  Sicherung  ihrer  Stellung 
und  Pensionierung,  sind  die  ihnen  am  nachsten  liegenden.    Doch  werden 
auch  andere  folgen,  solche,  die  nicht  nur  die  aussere  Stellung  der  Lehrer 
festigen,   sondern  auch  ihrer  beruflichen  Vervollkommnung  und  damit 
beruflichen  Selbstandigkeit  dienen  werden. 

Darum  wollen  die  Herren  Schulrate  und  Schulleiter  nicht  scheel  auf 
diese  neue  Bewegung   blicken ;   sie  muss  zum  besten  unserer  gemeinsamen 
Arbeit  ausfallen.     Wie  jeder  neuen  Bewegung,  so  haften  auch  dieser  noch 
manche  Schlacken  an,  und  manche  Auswiichse  werden  noch  auftauchen — 
so  konnen  wir  den  Anschluss  der  Chicagoer  Lehrer  an  die  Arbeiterver- 
einigung  nur  mit  Misstrauen  betrachten  —  aber  die  Zeit  wird  Wandel 
schaffen.     Wir  sehen  in  der  Bewegung  eine  gewaltige  Regung  fur    die 
Griindung  eines  Lehrer "standes,  in  dem  nicht  der  einzelne  nur  nach  seinem 
eigenen  Vorteile  trachtet,  sondern  alle  fur  einen  und  einer  fur  alle  einzu- 
stehen  bereit  sind.     Uberall  da,  wo  die  Lehrerschaft  den  richtigen  Fiih- 
rer  findet,  wird  die  Schule  den  meisten  Vorteil  aus  der  Bewegung  ziehen. 
Sie  wird  Lehrer  und  Lehrerinnen  heranbilden,  die  stolz  sein  werden,  sich 
solche  zu  nennen,  die  nicht  bloss  im  giinstigsten  Falle  untertanigst  gehor- 
chende  sein  werden,    sondern  die  mit  Mut    und  Freudigkeit  ihr   ganzes 
Konnen  in  den  Dienst  der  Schule  stellen  werden,  den  sie  sich  zur  Lebens- 
aufgabe,  nicht  nur  als  Sprosse  auf  der  Leiter  zu  einem  eintraglicheren  und 
hoher  geachteten  Berufe  gewahlt  haben.       Welcher  Beruf  stande  wohl 
hoher  als  der  Lehrerberuf? 

Dr.  G.  A.  Zimmermann.  t.  Mit  aufrichtiger  Teilnahme  werden  un- 
sere  Leser  das  an  anderer  Stelle  von  unserem  Chicagoer  Korresponden- 
ten  gemeldete  Hinscheulen  von  Dr.  G.  A.  Zimmermann,  dem  friiheren 
Superintendenten  der  modernen  Sprachen  an  den  Schulen  Chicagos,  zur 
Kenntnis  nehmen.  Der  Verstorbene  stand  lange  Jahre  hindurch  auf 
Grund  seiner  vielseitigen  beruflichen  Tatigkeit  und  seiner  grossen  Fahig- 
keiten  in  der  Frontreihe  der  deutschamerikanischen  Bestrebungen  und 
hatte  es  verstanden,  sich  unzahlige  Anhanger  und  Freunde  zu  erwerben, 
die  jetzt  durch  seinen  Tod  eines  Fiihrers  und  Beraters  beraubt  sind. 

M.  G. 


Allerlei. 


Eroffnungsgedicht  fur  Schulerdarbietungen.* 

Wenn  trotzig  und  grimmig  durchs  Land  es  braust, 
Freund  Winter  die  sperrigen  Wipfel  zaust, 
den  Buben  gar  neckisch  die  Wange  kneipt, 
manch  Dirnlein  die  starr-blauen  Hande  reibt: 
dann  —  husch !  —  stiebt  die  Schar  iiber  Stock  und  Stein 
ins  damm'rige,  mollige  Stubchen  hinein, 
bestiirmt  und  bittet,  lasst  nimmer  Ruh', 
bis  Grossmutter  spricht  —  sie  horen  zu  — : 
,,Es  war   einmal  — " 

Sie  sitzen  und  staunen,  sie  sinnen,  gliih'n. 
als  waren  sie  selber  die  Recken  kiihn; 
sie  zagen  und  bangen,  sie  hoffen,  fleh'n, 
als  ob  ihnen  selbst  all  das  Weh  gescheh'n; 
des  Miitterchens  Hand  umklammern  sie  bang, 
bis  endlich  die  gliickliche  Rettung  gelang. 
Nun  atmen  sie  auf ;  es  lost  sich  der  Kreis.  — 
Noch  einmal  sagt  es  ein  jedes  leis': 
,,Es   war   einmal  — " 

Heut'  halten  auch  wir  solch  ein  Marchenfest 
und  singen  und  sagen,,  erzahlen  aufs  best', 
wie  's  eben  das  kleine  Volk  vermag, 
wie  's  fabuliert  am  Feiertag. 
Lieb'  Miitterlein,  lieb'  Vaterlein, 
lasst  uns  einmal  Erzahler  sein! 
Manch  Liedlein  und  Miirlein  wird  dargebracht, 
und  —  alles   in  allem  —  ein  jedes   sagt: 
,,Es   war   einmal  — " 

Nun  mag  es  da  draussen  nur  stiirmen  und  schnei'n! 
Vergessen  ist  es !  —  Prinz  Frohsinn,  tritt  ein ! 
Regiere,  besiege  den  bosen  Geist, 
der  Sorge  und  Kummer  bei  Menschen  heisst!  — 
Dies  Miirlein  soil  wirklich  jetzt  gescheh'n, 
dann  werdet  ihr  f rohlich  von  dannen  geh'n.  — 
Griisst  euch  hier  eig'ne  Jugendzeit, 
so  sprecht  ihr  dann  voll  Seligkeit: 
,,Es   war   einmal  — " 

(Thiene.) 
(Aus  der  Sachsischen  Schulzeitung. ) 


*  Besonders  wirkungsvoll  ist  das  Gedicht,  wie  die  Erfahrung  gezeigt  hat, 
wenn  es  von  einem  kleineren  Schiller  (3.  oder  4.  Schuljahr),  einem  geweckten,  fri- 
schen  Burschen,  vorgetragen  wird. 


Allerlei.  47 

Helden  und  Heldenbiicher.  Ein  amerikanischer  Dichter,  Gelehrter  und  Lehrer 
nimmt  es  dem  grossen  Schotten  Carlyle  sehr  iibel,  dass  er  Friedrich  dem  Grossen, 
,,dem  kleingeistigen  Tyrannen  des  ein  winziges  Fleckchen  Erde  bewohnenden  preu- 
ssischen  Sklavenvolkes",  einen  unverwelklichen  Lorbeerkranz  wand,  den  Andersden- 
kende  von  dem  Haupte  des  Gefeierten  auf  die  Schlafe  des  Spenders  iibertragen 
haben. 

Der  Kritiker  steht  mit  seiner  Meinung  leider  nicht  allein.  Sie  haben  heute 
das  Wort,  die  da  behaupten,  ein  einziger  Lebender  —  Soldat,  Held,  grosser  Mann 
uberhaupt  —  gelte  mehr  als  zehn  Tote.  Nach  ihrer  Ansicht  hat  auch  z.  B.  nur  ein 
in  neuerer  Zeit  ermordeter  amerikanischer  President  Anrecht  auf  Unsterblichkeit ; 
die  in  ihren  Betten  gestorbenen  Helden  und  Staatsmanner  friiherer  Zeiten  sind 
ihnen  nur  tote  Spukgestalten  eines  liingst  tiberwundenen  Standpunkts.  Wo  Spott 
und  Holm  noch  nicht  angewandt  werden  konnen,  miissen  eisige  Zuriickhaltung  und 
nichtachtendes  Totschweigen  die  zersetzende  Arbeit  tun.  Nirgends  aber  wird  diese 
Arbeit,  mit  oder  ohne  Absicht,  so  griindlich  getan  wie  in  unseren  Schulen,  nirgends 
zeigen  sich  ihre  verderblichen  Einfliisse  so  deutlich  wie  bei  unserer  Jugend.  Das 
bedarf  keiner  eingehenden  Beweisfiihrung. 

Gestellt  aber,  der  Heldenkultus  widersprache  dem  Zuge  der  Jetztzeit.  Zuge- 
standen,  es  sei  dem  kiinftigen  Weltbiirger  von  mehr  Vorteil  zu  wissen,  wie  viele 
Beine  der  Maikafer  besitzt,  wie  viele  Staubfaden  die  Aster,  wie  viele  Tiiren  die 
gronlandische  Hiitte,  als  imstande  zu  sein  die  Taten  und  Burgertugenden  unserer 
Washington,  Franklin,  Jefferson,  Lincoln  voll  und  ganz  zu  wiirdigen.  Angenom- 
men,  alles  geschichtliche,  alles  positive  Wissen  uberhaupt  sei  fur  die  moderne  anglo- 
amerikanische  Erziehung  toter  Kram  und  Ballast,  ein  blosses  Hindernis  fur  die 
freie  und  selbstandige  Entfaltung  des  schaffensbediirftigen  Jugendbetriebes  und  der 
zu  hegenden  ,,durchgeistigten  Fingergelenkigkeit"  —  kein  echter  deutschamerikani- 
scher  Lehrer  sollte  sich  mit  dem  Gedanken  tragen  oder  befreunden  wollen,  dass  in 
den  deutschen  Klassen  unserer  Schulen  ein  gedeihlicher  Unterricht  erteilt  werden 
kb'nnte  ohne  das  Hinzuziehen  des  wahren  deutschen  und  amerikanischen  Heldentu- 
mes,  ohne  tatsachliche  Vermittelung  deutscher  und  amerikanischer  Heldensage  und 
Heldengeschichte  von  Siegfried  und  Dieterich  bis  auf  Bismarck  und  Moltke,  yon 
Smith  und  Penn  bis  auf  Edison  und  Schley.  Wenn  die  Geburtstagsfeiern  Washing- 
tons,  Franklins  und  Lincolns  heute  nur  noch  in  weniger  als  streifender  Beriihrung 
irgend  eines  Ereignisses  aus  der  Jugendzeit  dieser  Heroen  und  in  dem  obligaten 
Ableiern  irgend  eines  Nationalliedes  ( Lucus  a  non  lucendo ! )  sich  bewegen,  so  ist 
es  erst  recht  unsere  Pnicht,  bei  jeder  sich  darbietenden  Gelegenheit,  beim  Lese-  und 
Sprachunterricht  vor  allem,  zielbewusste,  zusammenhangende  Unterweisung  iiber  das 
Leben  und  Wirkeen  dieser  und  anderer  grossen  Manner  zu  erteilen.  Wir  werden 
in  unseren  deutschamerikanischen  Schiilern  dankbare  und  leicht  zu  begeisternde 
Zuhorer  finden.  Doch  das  ist  meinen  Lesern  so  bekannt,  dass  es  mir  als  Anmassung 
ausgelegt  werden  konnte,  an  dieser  Stelle  weitere  Worte  dariiber  verlieren  zu  wollen. 

Ein  Umstand  nur,  ein  hindernder  allerdings,  sei  hier  beriihrt,  auf  den  jiingere 
Kollegen  mir  gegeniiber  schon  oft  hingewiesen  haben.  Solche  Kollegen  behaupten, 
ihre  Vorkenntnisse  seien  in  dieser  Hinsicht  unzureichend,  und  ihre  Zeit  sei  ander- 
weitig  zu  sehr  in  Anspruch  genommen,  als  dass  sie  sich  auf  solchen,  immerhin  nur 
gelegentlichen,  Unterricht  gehorig  vorbereiten  konnten;  vor  allem  seien  sie  unbe- 
kannt  mit  den  einschlagigen  Quellen-  und  Nachschlagewerken  in  englischer  oder 
deutscher  Sprache.  Durchsichtig  und  gewiss  nur  in  sehr  beschriinktem  Kreise 
giltig  mag  dieser  Einwand  sein.  Nichtsdestoweniger  will  ich  es,  auf  die  Gefahr 
hin,  andere  zu  ermiiden,  wagen,  diesen  Kollegen  eine,  wenn  auch  beschrankte  Hand- 
reichung  in  dieser  Richtung  zu  bieten. 


48  P'ddagogische  Monatshejte. 

Man  hole  sich  Rat  liber  "Washington  in  Sparks  "The  Works  of  Washington"  im 
Original  oder  in  Raumers  deutscher  '(Jbersetzung ;  in  Washington  Irvings  "Life  of 
G.  W."  (englisch  oder  deutsch)  ;  in  Bakers  ,,Bibliotheca  Washingtonia" ;  in  Vene- 
days  ,,Georg  W."  (deutsch).  ttber  Franklin:  Bigelows  "Life  of  B.  F.  by  himself" 
(englisch  oder  deutsch)  ;  "The  Sayings  of  Poor  Richard",  herausg.  von  P.  L.  Ford, 
tiber  Jefferson:  ,,Jeffersons  Selbstbiographie" ;  Randolph  oder  Parton:  ,,Das  Leben 
Jeffersons".  'tfber  Lincoln:  Raymond,  Holland,  oder  Canisius  (deutsch)  ,,Abra- 
ham  Lincoln";  Karl  Schurz,  ,,Ab.  Lincoln";  vor  allem  aber  das  Schulbuch  "The 
Words  of  Abraham  Lincoln"  von  J.  Thomas,  eine  von  der  American  Book  Company 
neuerdings  herausgegebene  Sammlung  von  Reden  und  Ausspriichen  Lincolns  ("Ut- 
terances of  wonderful  beauty  and  grandeur",  nach  Karl  Schurz),  die,  besser  als 
eine  ausfiihrliche  Lebensbeschreibung,  den  Lehrer  iiber  das  Sein  und  Wesen  dieses 
so  recht  zum  Vorbilde  fiir  die  heutige  Jugend  sich  eignenden  grossen  Amerikaners 
aufklaren  kb'nnen. 

Selbstredend  behaupte  ich  weder  mit  den  genannten  Mannern,  noch  mit  den 
angefii'arten  Werken  die  Reihe  und  Liste  erschopft  zu  haben.  Unser  verhaltnisma- 
ssig  junges  Land  ist  bereits  reich  an  hochst  verdienstvollen  Mannern.  Es  zahlt 
seine  Helden  sowohl,  wie  seine  Heldenbiicher.  Die  ersteren  zu  wiirdigen,  die  letzte- 
ren  zu  benutzen,  sei  unsere  Sache.  Lassen  wir  immerhin  den  Vorwurf  des  ,,Hero- 
enkultus"  iiber  uns  ergehen,  wenn  dieser  nur  die  rechten  Friichte  zeitigt.  (Fiir  die 
,,Padagogischen  Monatshefte"  von  Constantin  Grebner.) 


Wie  man  Gedichte  lesen  und  erkl&ren  soil.  Prof.  Dr.  J.  Stiefel  sagte  in  einem 
Vortrage  iiber  Poesie  und  Schule  in  der  Ziiricher  Schulsynode:  Gedichte  erklaren 
sich  nur  aus  dem  Gefiihl  heraus,  aus  der  Andacht  und  Inbrunst  des  Herzens  fiir 
die  Poesie,  und  diese  gewinnt  man  nur  durch  die  Versenkung  in  die  Poesie.  Willst 
du  lesen,  und  noch  vielmehr,  willst  du  erklaren  ein  Gedicht,  ,,so  sammle  dich  wie 
zum  Gebete".  Die  Gedichtstunde  soil  die  Sonntagsstunde  des  Unterrichts  sein,  und 
dazu  muss  der  Lehrer  sein  Gemiit  sonntaglich  sammeln  und  stimmen.  Gedichte 
kann  man  nur  erklaren  aus  einem  vollen,  iiberstromenden  Herzen  heraus,  und  ein 
voiles,  iiberstrb'mendes  Herz  gewinnt  man  nur  durch  ein  solides  Sammeln,  wenn  man 
sich  an  die  Wasserbiiche  der  Poesie  setzt  und  ihre  Melodien  in  sich  aufnimmt. 
Aber  gerade  das  mb'chte  ich  Ihnen  aus  dem  tiefsten  Ernste  meines  Herzens  zuru- 
fen:  wir  lesen  zu  wenig,  wir  miissen  viel  mehr  lesen,  damit  wir  voll  werden  des 
inneren  Reichtums  und  Segens  der  Poesie.  Und  nicht  alles  Mogliche  durcheinan- 
derlesen,  sondern  gute  Sachen  immer  und  immer  wieder  lesen.  Und  gute  Sachen 
auswendig  lernen!  Es  hat  sich  auf  das  Auswendiglernen  ein  Rost  falscher  Auffas- 
sung  gelegt,  als  ob  es  etwas  rein  Mechanisches  ware.  Natiirlich  man  kann  alles 
mechanisch  betreiben,  aber  man  kann  auch  alles  mit  Seele  betreiben.  Lernt  man 
schone  Gedichte  so  auswendig,  dass  man  sie  als  sein  Abend-  und  Morgengebet 
spricht,  so  ist  daran  nichts  Mechanisches  mehr,  dann  sind  sie  die  Nahrung  der 
Seele,  die  Bildung  des  Gemiits,  von  Stunde  zu  Stunde,  von  Tag  zu  Tag,  bis  wir 
innerlich  lauter  und  tief  werden.  Dann  brauchen  wir  keine  Kiinste  mehr  zu  ma- 
chen,  dann  sprechen  wir  aus  der  Inbrunst  und  Andacht  unseres  eigenen  Herzens 
von  dem  Schonen,  Guten,  Wahren  und  von  dem  Idealen,  und  dann  wird  die  Poesie- 
stunde  eine  Sonntagsstunde  des  Unterrichts "  (Aus  der  Schule — fur  die  Schule.) 


Phantasielugner.     Der  Kampf  gegen  die  Liige  ist  eine  der  schwierigsten  Auf- 
gaben  der  Erziehung,  und  nicht  selten  werden  dabei  arge  Fehler  begangen.      Der 
schlimmste  Fehler  ist  wohl  der,  dass  man  haufig  nicht  unterscheidet    zwischen  Liige 
und  Liige,  sondern  alle  Arten  ohne  Riicksicht  auf  ihre  Quelle  in  einen  Topf  wirft. 


Allerlei.  49 

Wie  gi-osa  ist  doch  der  Unterschied  zwischen  einer  Umvahrheit,  deren  ein  Kind  sich 
in  der  Angst  oder  aus  Verlegenheit  schuldig  macht,  und  einer  Luge,  die  aus  Neid 
oder  Bosheit  hervorgeht!  Eine  besondere  Behandlung  verdient  die  Phantasieltige. 
Sie  findet  sich  haufig  bei  kleineren  Kindern,  aber  auch  bei  grosseren,  namentlich 
solchen,  die  mit  einer  lebhaften  Einbildungskraft  bgabt  sind.  ,,Die  Kinder — schreibt 
dariiber  Matthias  in  seinem  trefflichen  Buche  ,Aus  Schule,  Unterricht  und  Erzie- 
hung' — wissen  vielfach  noch  nicht  die  Grenze  zu  ziehen  zwischen  Einbildung  und 
Wirklichkeit;  sie  wollen  nicht  tauschen,  sondern  werden  selbst  getiiuscht  durch 
ihre  lebhafte  Phantasie,  die  beim  Kinde  alle  Schranken  und  Hindernisse  kiihn  iiber- 
springt.  Ein  Wesen,  das  in  diesem  Augenblicke  sich  als  Pferd  fiihlt  und  das  Brii- 
derchen  oder  Schwesterchen  auf  sich  reiten  lilsst,  das  im  niichsten  Augenblick  als 
Bitter,  Rauber  oder  wer  weiss  als  sonst  was  sich  fiihlt,  hat  seine  Phantasie  noch 
nicht  so  im  Zaume,  um  in  jedem  Augenblick  in  seiner  Rede  der  Wirklichkeit,  d.  h. 
der  Wahrheit  gemass  zu  verfahren.  Es  dichtet  noch  an  der  Wirklichkeit  herum, 
ohne  zu  wissen,  dass  es  dichtet.  Die  deutsche  Sprache,  die  nach  Riccaut  de  la 
MarliniSre  ein  ,plump  Sprak'  ist,  hat  fiir  diese  Art  von  Ltigen  ein  besonderes  Wort 
erfunden,  das  Wort  ,flunkern',  das  das  Flimmernde,  Flackernde,  Schimmernde  der 
Phantasie  bezeichnet.  Bei  solchen  Phantasieliignern  muss  der  Erzieher  mit  grossem 
Takt  verfahren,  um  kein  ttbel  anzurichten.  Man  stemple  beileibe  nicht  in  iibertrie- 
bener  Gewissensangst  harmlose  Phantasiegebilde  sofort  als  Liige,  man  lasse  dem 
Kinde  seine  Kinderstubenpoesie ;  nur  dann  greife  man  ein,  wenn  es  zur  bewussten 
Unwahrheit  kommt." 

Doch  nehme  man  die  Sache  auch  nicht  zu  leicht.  Phantasiebegabte,  frtihreife 
Kinder  werden  gar  leicht  bewundert.  Dadurch  werden  sie  eitel,  sie  stellen  ihre 
Klugheit  gern  ins  rechte  Licht,  suchen  auch  da  klug  zu  scheinen,  wo  sie's  nicht 
sind.  So  bildet  sich  ein  Hang  zur  Unwahrhaftigkeit,  der  mit  der  Zeit  sich  immer 
mehr  verstarkt.  Wo  man  so  etwas  merkt,  da  greife  man  ein  und  benutze  jede 
Gelegenheit,  das  Kind  in  die  Wirklichkeit  zuriickzufiihren,  ihm  das  Unwahre  seiner 
Redereien  vor  Augen  zu  stellen  und  es  dadurch  zu  beschamen.  Geschieht  das  nicht, 
so  wild  die  Flunkerei  gar  bald  zur  voll  bewussten  Liige.  Auch  hier  gilt  es,  das 
Obel  im  Keime  zu  ersticken.  (Aus  der  Schule — fiir  die  Schule.) 


ist  deutsche  Erzieliung?  So  haufig  man  es  gegenwiirtig  aussprechen  hort, 
die  Ausbildung  eines  kraftigen  personlichen  Willens,  womoglich  eines  scharf  abge- 
grenzten  und  auf  sich  ruhenden  Charakters  sei  das  eigentlich  schatzbare  Ziel  aller 
Erziehung  und  gerade  auch  fiir  uns  komme  es  darauf  an,  eine  Willensbildung  in 
diesem  Sinne  unserm  Nachwuchs  zu  teil  werden  zu  lassen,  ja  so  richtig  es  auch 
ist,  dass  Willensbildung  das  letzte  und  entscheidende  Ziel  aller  Jugenderziehung 
sein  muss,  so  ist  es  doch  nichts  weniger  als  gleichgiiltig,  ob  iiberhaupt  nur  ein 
kraftiges  personliches  Wollen  erzielt  wird  oder  ob  dasselbe  auch  auf  wertvolle  Ziele 
geht,  namentlich  den  hoheren  Interessen  der  Gemeinschaft  sich  zuzuwenden  ver- 
mag,  von  edlem  Fiihlen  genahrt  und  von  einem  weiten  menschlichen  Gesichtskreis 
erhellt  und  bestimmt  wird.  Es  diirfte  als  deutsches  Wesen  zu  bezeichnen  sein,  dass 
das  Wollen  sich  nicht  so  sehr  als  innewohnende  und  aus  sich  heraus  drangende 
Naturkraft  kundgibt,  als  vielmehr  mit  dem  Fiihlen  und  Denken  verwoben  und  auch 
von  ihm  abhangig.  Das  ist  unserm  deutschen  Wesen  oft  praktisch  schadlich  ge- 
worden,  aber  sein  eigentiimlicher  Wert  ruht  doch  zum  teil  darauf,  und  es  ware 
nicht  gut,  uns  in  diesem  Sinne  selbst  verleugnen  zu  wollen.  So  bleibt  denn  auch 
die  Bildung  eines  weiten  Gesichtskreises  fiir  uns  ein  natiirliches  Ziel:  die  Idee 
allgemeiner  Bildung  ist  als  solche  ausdriicklich  von  uns  Deutschen  erfasst  und 
vertreten  worden,  wobei  ,,Bildung"  von  Hause  aus  nicht  als  ein  der  Person  von 


50  P'ddagogiscbe  Monatsbejte. 

aussen  Hinzukommendes,  sie  etwa  Umkleidendes  und  Verschonendes  gedacht  1st, 
sondern  als  das  eigentliche  Werden  und  Sichgestalten  des  Menschen  von  innen  her- 
aus.  Diese  Idee  1st  im  Laufe  der  Jahrzehnte  sehr  in  Misskredit  gekommen,  well 
sie  sich  im  Bewusstsein  der  meisten  verschoben  hat  und  hochstens  noch  ein  gewisses 
Beriihrtsein  von  allerlei  geistigen  Interessen  bedeutet.  Aber  nach  ihrem  echten 
Inhalt  konnen  wir  sie  doch  nicht  aufgeben;  eine  absichtliche  Verengerung,  ein  will- 
kiirlich  abgegrenztes  Segment  aus  dem,  was  uns  die  allgemeine  Bildung  bedeutete, 
kann  uns  nicht  befriedigen.  Zum  wirklichen  Weltverstandnis  hinzustreben,  1st 
unser  Bediirfnis;  wir  konnen  nicht,  wie  gewisse  andere  Nationen,  unbekiimmert 
bleiben  um  das,  was  Grosses  und  Wertvolles  jenseits  unserer  Landesgrenzen  sich 
vollzogen  und  entwickelt  hat:  wie  sich  diese  Selbstgenugsamkeit  racht,  haben  wir 
bereits  in  mehr  als  einem  Falle  mit  ansehen  konnen.  Wir  wollen  auch  ferner  es 
uns  angelegen  sein  lassen,  das  Fremde  zu  verstehen  und  es  gerecht  zu  beurteilen. 
Es  gewohnheitsmassig  zu  iiberschjitzen,  haben  wir  ja  wohl  so  ziemlich  aufgehort; 
in  das  andere  Extrem  zu  verfallen,  mdge  man  uns  nicht  antreiben.  Das  schone 
Wort  von  einer  harmonischen  personlichen  Bildung  freilich  wird  immerdar  mehr 
sagen  als  zu  verwirklichen  uns  beschieden  ist:  Harmonie  ist  dem  Menschen  aller- 
warts  so  schwer  zu  erreichen;  auch  ist  dem  Ohre  nicht  zu  alien  Zeiten  dasselbe 
Harmonie  geblieben.  Wir  fiihlen  jetzt,  dass  mancher  Ton  kraftiger  vorklingen 
muss,  als  er  bei  uns  zu  tun  pflegte.  Auch,  dass  neben  dem  Abstrakten  und  Idealen 
das  praktisch  Tiichtigmachende  voile  Geltung  haben  muss;  und  wir  wollen  uns  noch 
uicht  bange  machen  lassen,  wenn  aus  dem  Auslande  mitunter  Stimmen  laut  werden, 
als  ob  der  deutsche  Idealismus  sich  selbst  entsagt  habe  und  wir  nun  nur  noch  auf 
praktische  Welterfolge  uns  legen  wollten. 

So  wenig  aber  wie  Willensbildung  um  ihrer  selbst  willen,  um  jeden  Preis,  ohne 
Riicksicht  auf  den  ethischen  Gehalt,  ebensowenig  wollen  wir  eine  Schatzung  und 
Pflege  der  Form  suchen,  iiber  welcher  der  Sinn  fur  den  Inhalt  zuriicktrate.  Schon 
unsere  Begabung  weist  uns  —  sehr  abvveichend  von  derjenigen  der  Franzosen  und 
Romanen  iiberhaupt  —  nicht  nach  dieser  Seite.  Es  ist  wahr :  dass  wir  auf  vielen 
Gebieten  weniger  gleichgiiltig  gegen  die  Form  werden  als  wir  geneigt  sind,  ist  sehr 
zu  wunschen;  so  z.  B.  dass  wir  der  Handhabung  unserer  Muttersprache  ein  Stuck 
von  derjenigen  Sorgfalt  widmen,  die  fiir  alle  Franzosen  so  selbstverstandlich  ist. 
Aber  im  ganzen  darf  uns  Deutschen  der  Kultus  der  Form  eine  zu  grosse  Bedeutung 
nicht  gewinnenj  leicht  konnten  wir  iiber  dem  Haschen  nach  solchem  neuen  Vorzug 
den  alten  samt  dem  neuen  verfehlen.  So  hat  auch  in  unserm  hoheren  Unterricht 
nicht  die  Analyse  der  Form,  etwa  der  Dichtersprache  und  der  sonstigen  Kunst- 
mittel  der  Poesie,  den  naiv  unmittelbaren  Sinn  fiir  den  Gehalt  zu  schwachen;  ein 
Stuck  Naivetat  in  diesem  Sinne  wird  uns  Deutschen  immer  gut  anstehen,  und 
mehr  als  gut  anstehen,  wirklich  Gutes  fiir  uns  bedeuten.  Es  ist  doch  wie  ein 
Stuck  Jugendlichkeit :  der  Jugend  ist  die  Form  noch  wenig,  der  Inhalt  fast  alles, 
das  reife  Alter  und  namentlich  das  iiberreife  fiih.lt  anders. 

Damit  hangt  einigermassen  zusammen  der  Gegensatz  von  geistiger  Griindlich- 
keit  und  oberflachlichem  Interesse,  und  auch  der  von  objektivem  Erkenntnisstreben 
und  subjektiver  Verarbeitung  nebst  gefalliger  Selbstdarstellung.  Wiederum  muss 
man  zugestehen,  dass  unsere  deutsche  Griindlichkeit  mit  Schwerfalligkeit  sich  oft 
ganz  nahe  verwandt  zeigt  und  dass  der  Mangel  an  gefalliger  Selbstdarstellung  ein 
wirklicher  Mangel  heissen  darf,  wie  er  denn  auch  manchen  Spott  uns  Deutschen 
zugezogen  hat.  Aber  wiederum,  indem  wir  nicht  in  baurischer  Gleichgiiltigkeit 
oder  spiessbiirgerlicher  Lassigkeit  gegen  dieses  Gebiet  verharren  wollen,  soil  es  uns 
doch  am  wichtigsten  bleiben,  den  Vorzug  griindlichen  Denkens  nicht  einzubiissen, 
und  auch  fiir  die  hohere  Erziehungsaufgabe  soil  dieser  Gesichtspunkt  bestehen  blei- 


Allerlei.  51 

ben.  Was  hier  ttbertreibung,  Verfehlung,  verkehrte  Gewohnung  ist  (und  das  alles 
fehlt  wohl  nicht),  muss  bekainpft  werden;  aber  auf  das  Ernstnehmen  der  Arbeit 
soil  der  Geist  friih  hingelenkt  werden. 

Und  zwar  auch  der  Arbeit  urn  ihrer  selbst,  um  ihrer  Bedeutung  willen,  nicht 
so  sehr  des  Erfolges  wegen,  den  sie  der  Person  bringt.  Das  ist  eine  weitere  wesent- 
liche  Verschiedenlieit  zwischen  deutscher  und  fremdlandischer,  z.  B.  franzosischer, 
aber  auch  vielfach  englischer  Auffassung.  Dort  wird  von  friih  auf  der  Blick  auf 
den  persb'nlichen  Erfolg  gelenkt,  den  die  Bemiihung  zu  bringen  vermag,  sei  es  nun 
der  Erfolg  als  personliche  Anerkennung  und  Ehre  oder  als  praktische  Errungen- 
schaft.  Und  damit  hangt  denn  zusammen  die  grosse  Rolle,  die  in  der  Erziehung 
4er  Ehrgeiz  spielt  und  die  Gestaltung  aller  entscheidenden  Priifungen  als  Konkur- 
renz.  Die  Pflege  der  Amulation  hat  man  von  den  Alten  ubernomnien ;  bei  den  Griechen 
hatte  sie  von  je  ihre  Rolle  und  auch  den  Romern  lag  sie  im  Blute.  Quintilian  z.  B. 
kann  sich  eine  Erziehung  ohne  dieselbe  nicht  denken.  Und  so  ist  ihre  Schatzung 
namentlich  bei  den  romanischen  Volkern  durch  die  Jahrhunderte  hindurch  geblie- 
ben.  Dass  man  darauf  verzichten  konne,  haben  nur  voriibergehend  die  ernsten  Jan- 
senisten  gemeint  und  auch  der  unerbittliche  Rousseau,  aber  ohne  alle  nennenswerte 
Wirkung.  Am  sorgsamsten  ist  die  Kultur  des  Ehrgeizes  bekanntlich  betrieben  wor- 
den  von  den  Jesuiten,  die  damit  gerade  eine  Konzentration  romanischen  Geistes 
darstellen  und  hier  wie  in  manchem  andern  dem  deutschen  Wesen  so  fremd  wie 
moglich  sind. 

Was  aber  kann  an  Stelle  des  Ehrgeizes  stehen,  um  die  zu  erziehende  Jugend 
zu  treulichem  Bemuhen  anzuregen?  Zweierlei:  einmal  die  Gewohnung,  sich  mit 
sich  selbst  zu  vergleichen,  sein  Ich  von  heute  mit  dem  von  gestern,  und  so  iiber  sich 
selbst  emporzustreben.  Und  zweitens:  die  Entwicklung  des  Pnichtgefiihls.  Auch 
von  dem  Schulzogling  soil  seine  Schiilerarbeit  als  die  ihn  bindende  Pflicht  empfun- 
den  werden,  der  er  geniigen  soil  wie  es  spaterhin  der  Mann  im  Amt  und  in  der 
Gemeinschaft  soil,  nicht  als  das  Mittel,  durch  das  man  dereinst  zu  einer  ausge- 
zeichneten  Position  gelangen  kann  oder  zu  Behagen  und  Unabhangigkeit. 

Dies  wiirde  meine  Antwort  sein  auf  die  Frage:  was  ist  deutsche  Erziehung? 
oder:  was  ist  ihre  Eigenart?  und:  was  soil  sie  bleiben?  Da  rum  muss  sie  nicht 
starr  bei  bestimmten  Formen  und  Gepflogenheiten  stehen  bleiben!  Im  Gegenteil, 
wenn  deutsche  Erziehung  ernste  Erziehung  ist  und  man  es  in  Deutschland  mit  der 
Erziehung  dauernd  ernst  nehmen  will,  dann  muss  man  es  der  Miihe  wert  finden, 
immer  wieder  iiber  sie  nachzudenken,  Umschau  und  Priifung  nicht  versaumen,  um 
nicht  unmerklich  zu  sinken,  um  auf  der  Ho'he  zu  bleiben  —  oder  auf  die  wirkliche 
Hohe  erst  zu  gelangen. — Wilhelm  Munch,  Berlin.  (Aus  ,,Das  Deutschtum  im  Aus- 
lande". ) 


Der  Schlaf  der  Schulkinder.  In  Schweden  hat  man  unlangst  eine  Untersuchung 
angestellt  iiber  den  Schlaf  der  Schulkinder  und  ist  zu  dem  Resultate  gekommen, 
dass  fiir  Schulkinder  ein  langer  Schlaf  durchaus  notwendig  ist  und  dass  diejenigen 
Kinder,  welche  zu  wenig  schlafen,  um  25  Perzent  kranker  sind  als  andere  Kinder. 
Nach  dieser  Ansicht  der  mit  dieser  Untersuchung  betrauten  Arzte  miissen  Kinder 
von  vier  Jahren  durchschnittlich  zwolf  Stunden  schlafen,  Kinder  von  sieben  Jahren 
elf  Stunden,  Kinder  im  Alter  von  neun  Jahren  haben  zehn  Stunden  Schlaf  not- 
wendig, Kinder  von  zwolf  bis  vierzehn  Jahren  neun  bis  zehn  Stunden  und  im  Alter 
von  vierzehn  bis  einundzwanzig  Jahren  bedarf  der  Kb'rper  acht  bis  neun  Stunden 
Schlaf.  Blutleere  und  Blutarmut  sowie  Bleichsucht  sind  auf  zu  wenig  Schlaf  zu- 
riickzufiihren. 


52  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

isber  den  ,,8pielzeugteufel"  sprach  im  Kreise  der  Vereinigung  ,,Die  Kunst  im 
Leben  des  Kindes"  im  Biirgersaal  des  Rathauses  zu  Berlin  Fritz  Stahl.  Der  Vor- 
tragende  fiihrte  nach  dem  ,,Berl.  Tagbl."  in  der  Hauptsache  aus,  dass  die  Phanta- 
sie,  die  Kraft,  aus  Erfahrungen  geistige  Neuschopfungen  hervorzubringen,  schon 
im  Kinde  angeregt  werden  miisse  und  nicht  verkiimmern  diirfe,  wenn  nicht  der 
spatere  Mensch  alle  Lebensfreude  entbehren  soil,  und  dass  das  allereinfachste  Spiel- 
zeug  das  beste  sei,  um  die  Phantasie  zu  wecken  und  zu  erhalten,  dass  das  ,,Reich  der 
unbegrenzten  Moglichkeiten",  dass  die  einfachsten  Spielzeuge,  der  Haufen  nassen 
Sandes  und  der  Tonklumpen  in  sich  schliessen,  durch  jede  realistische  Verbesserung 
des  Spielzeuges  mehr  begrenzt  wird.  Es  miisse  der  Sandhaufen  als  idealstes  Spiel- 
zeug  hingestellt  werden,  dann  wurde  die  Spielwarenindustrie  von  selbst  erkennen. 
dass  sie  auf  falschem  Wege  ist,  wenn  sie  immer  vollkommenere  automatische  Spiel- 
zeuge schafft,  die  der  Phantasie  des  Kindes  keine  Anregung  bieten,  dagegen  in  ihrer 
Billigkeit  und  Vielheit  ein  starkes  erzieherisches  Moment  im  Leben  des  Kindes, 
namlich  die  Treue  zu  seinem  Spielzeug  untergraben.  (Preuss.  Lehrerztg.) 


Die  Frage  des  gemeinsamen  Unterrichts  von  Knaben  und  M&dchen  bildete  das 
Thema  eines  interessanten  Vortrages,  welchen  Frau  Dr.  phil.  Wegscheider-Ziegler 
in  einer  Sitzung  des  Vereins  fiir  Kinderpsychologie  in  Berlin  gehalten  hat.  Die 
Vortragende  unterrichtet  an  einer  im  aussersten  Westen  seit  einem  Jahre  beste- 
henden  Familienschule,  die  ihren  Zoglingen  Gymnasialbildung  gewahren  will.  Es 
sind  zwanzig  Schiilerinnen  im  Alter  von  12  bis  13  Jahren,  deren  Unterweisung  Frau 
Dr.  Wegscheider-Ziegler  —  teils  aus  eigener  Anschauung,  teils  nach  den  Mitteilun- 
gen  anderer  Lehrer  und  Lehrerinnen  —  reichlich  Stoff  zu  bemerkenswerten  Beob- 
achtungen  bot.  Die  Vortragende  halt  nach  den  bisher  gesammelten  Erfahrungen  einen 
gemeinschaftlichen  Unterricht  beider  Geschlechter  nicht  fiir  erspriesslich.  Einmal 
diirfte  man  die  feinen  Unterschiede  nicht  ausser  Acht  lassen,  die  schon  in  der  nattir- 
lichen  Konstitution  beider  Teile  begriindet  seien.  Knaben  seien  leichter  an  Dis- 
ziplin  zu  gewohnen  als  Madchen;  deshalb  sei  eine  einheitliche,  fiir  Knaben  und 
Madchen  gleichzeitig  geltende  Schulordnung  kaum  oder  gar  nicht  durchzufiihren. 
Aber  auch  in  dem  Eingehen  auf  die  einzelnen  Unterrichtsfacher  zeigen  sich  erheb- 
liche  Unterschiede.  Auflfallend  war  bei  den  jungen  Schiilerinnen  das  Verstandnis 
fiir  politische  und  soziale  Fragen  und  die  Begabung  fiir  rein  formale,  z.  B.  gram- 
matikalische  Dinge.  Die  von  vielen  Seiten  geausserte  Befurchtung,  dass  die  Schii- 
lerinnen durch  die  besondere  Art  ds  Unterrichts  zu  einer  Art  geistigen  Hochmuts 
verleitet  werden  konnten,  halt  Frau  Dr.  Wegscheider-Ziegler  fiir  unwesentlich ;  die 
strengere  Kritik,  welche  auf  Madchengymnasien  und  ahnlichen  Anstalten  durchweg 
geiibt  werde,  mache  die  Schiilerinnen  eher  bescheiden.  Jedenfalls  weisen  die  man- 
nigfachen  Unterschiede  in  dem  Verhalten  der  Knaben  und  Madchen  darauf  hin, 
eine  spezielle  ,,weibliche"  Methode  des  Gymnasialunterrichts  zu  suchen;  es  sei 
falsch,  Knaben  und  Madchen  dasselbe  in  derselben  Weise  lernen  zu  lassen.  Nicht 
eine  Egalisierung,  sondern  eine  Differenzierung  beider  Geschlechter  sei  anzustreben. 

( Frankfurter  Schulzeitung. ) 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Die  Versammlung  der  Central  Division  of  the  Modern  Language 

Association. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Die  achte  Jahresversammlung  der  Central  Division  of  the  Modern  Language 
Asociation  of  America  fand  am  1.,  2.  und  3.  Januar  d.  J.  in  Haskell  Hall,  dem 
Verwaltungsgebaude  der  Universitiit  Chicago,  statt.  Der  Besuch  war  erfreulicher- 
weise  zahlreich;  an  den  Sitzungen  nahmen  insgesamt  etwa  einhundertfiinfzig  Per- 
sonen  teil;  das  zugehorige  Gebiet  erstreckte  sich  diesmal  von  Tennessee  bis  Minne- 
sota und  von  Ohio  bis  Nebraska  und  Kansas;  auffallenderweise  war  aber  Michigan 
gar  nicht  vertreten. 

Am  Abend  des  ersten  Tages  hiess  Dean  Judson  (of  the  Graduate  School)  im 
Namen  der  Universitat  und  als  Vertreter  des  nicht  in  Chicago  befindlichen  Prasi- 
denten  Harper  die  Versammelten  als  Gaste  der  Universitat  willkommen  und  zog 
in  seiner  Ansprache,  in  der  er  den  Untergang  des  Lateinischen  als  internationaler 
Gelehrtensprache  bedauerte,  anregende  Vergleiche  zwischen  friiheren  und  heuti- 
gen  Methoden  und  Zielen  des  neusprachlichen  Studiums.  Ihm  folgte  der  President 
der  Gesellschaft,  Herr  Processor  Starr  W.  Cutting  von  der  Universitat  Chicago,  der 
im  Gegensatze  zu  dem  Vorredner  gegeniiber  dem  bereits  Erreichten  in  liebenswur- 
digem,  vornehmem  Tone  mehr  das  hervorhob,  was  im  allgemeinen  noch  fehle,  und 
wieder  und  wieder  die  Wichtigkeit  des  lebendigen  Gebrauches  der  Fremdsprache  be- 
tonte.  Da  dem  Vortrage  durch  einen  kurzen  Bericht  keine  Geniige  geschahe  und 
derselbe  ohnehin  wie  gewohnlich  in  den  ,,Publications  of  the  Modern  Language  As- 
sociation" zum  Abdruck  gelangen  wird,  sei  hier  im  voraus  auf  sein  Erscheinen  ver- 
wiesen. 

Die  Anzahl  der  wissenschaftlichen  Vortrage,  die  in  drei  Sitzungen  am  Vormit- 
tag  des  2.  und  3.  und  am  Nachmittag  des  3.  Januars  gehalten  wurden,  war  dies- 
mal geringer  als  im  Vorjahre  (16  gegen  28  im  Dezember  1901),  ein  Umstand,  aus 
dem  man  nicht  auf  minder  reges  Interesse,  sondern  auf  absichtliche  weise  Beschran- 
kung  schliessen  wolle.  Dem  Gebiete  deutscher  Sprache  und  Literatur  entnahmen 
folgende  Herren  ihre  Arbeiten:  Prof.  Carruth-Kansas  wies  auf  Grund  sorgfaltiger 
Vergleichung  des  geschichtlichen  Hintergrundes,  des  Ganges  der  Handlung,  der 
Charaktere  und  der  Situationen  nach,  dass  sich  Hauff  bei  seinem  ,,Lichtenstein"  nicht 
Scotts  ,.Ivanhoe",  sondern  desselben  Verfassers  ,,Waverly"  zum  Muster  genommen 
habe.  Prof.  Swig  get-Missouri  fiihrte  Kleists  ,,Penthesilea"  auf  zwei  Calderonsche 
Dramen  (,,E1  Mayor  Encanto  Amor"  und  ,,Las  Amazonas")  zuriick,  die  Kleist  in 
einer  tfbersetzung  von  August  Wilhelm  Schlegel  vorlagen,  und  denen  Kleist  die 
Hauptmotive  und  einzelne  Situationen  fiir  seine  ,,Penthesilea"  entnahm.  Dr. 
Roedder-Wisconsin  erlauterte  an  einigen  Beispielen  wie  ,,Kopf  und  Haupt"  die  ver- 
schiedenen  Erklarungsweisen  des  Bedeutungswandels  der  Worter,  mit  besonderem 
Nachdruck  auf  der  Feststellung  des  Nebensinnes  und  Gefiihlswertes.  Prof.  Hat- 
field-Northwestern  berichtete  iiber  fiinfzehn  von  ihm  letzten  Sommer  in  deutschen 
Bibliotheken  neuentdeckte  Briefe  des  Dichters  Wilhelm  Miiller  an  bekannte  Zeit- 
genossen,  die  einen  wertvollen  Beitrag  zu  unserer  Kenntnis  von  Miillers  Charakter 
und  seiner  Zeit  liefern. 

Eine  Neuerung,  die  im  allgemeinen  Anklang  gefunden  zu  haben  scheint,  waren 
dje  am  Freitag  Nachmittag  abgehaltenen  getrennten  Sitzungen  der  einzelsprachli- 
•chen  Sektionen.  An  der  deutschen  Versammlung  beteiligten  sich  zwischen  sechzig 


54  P'ddagogische  Monatsbefte. 

bis  siebenzig  Besucher  der  Versammlung.  Die  Diskussion  der  ersten  auf  dem  Pro- 
gramm  angesetzten  Frage,  ,,Universitatsvorbildung  deutscher  Lehrer  an  Sekimdar- 
schulen"  eroffnete  Prof.  Hohlf 'eld-Wisconsin;  Redner  wies  in  iiberzeugender,  ein- 
dringlicher  Weise  auf  die  Notwendigkeit  geschlossenen  Vorgehens  der  hochsten 
Lehranstalten,  besonders  in  diesem  Teile  des  Landes,  in  den  Bildungsanforderungen 
an  die  zukiinftigen  Lehrer  des  Deutschen  bin:  leider  zeigte  die  sich  anschliessende 
Erorterung  recht  deutlieh,  dass  wir  uns  selbst  in  einem  auf  benachbarte  Staaten 
beschrankten  Landesteile  dem  in  Deutschland  schon  lange  erreichten  Ideal  gleich- 
massiger  Vorbildung  der  Lehrerschaft  nur  sehr,  sehr  langsam  nahern.  Die  von 
Herrn  Prof.  Cutting  geleitete  Erorterung  iiber  die  zweite  Programmfrage,  wie  weit 
die  Universitat  den  freien  schriftlichen  Gebrauch  des  Deutschen  zu  unterrichten 
habe,  verschob  sich  sehr  schnell  zu  einer  Behandlung  der  Frage,  wie  man  praktisch 
der  tJberbiirdung  des  Lehrers  mit  dem  Korrigieren  der  schriftlichen  Arbeiten  abhel- 
fen  kb'nnte;  dabei  stiessen  die  Vorschlage,  die  Stundenzahl  der  Aufsatzkurse  dem 
Lehrer  doppelt  anzurechnen,  und  die  schriftlichen  Arbeiten  in  und  mit  der  Klasse 
vor  der  schriftlichen  Abfassung  mundlich  zu  entwickeln,  auf  geringen  Widerstand. 
Die  Besprechung  iiber  das  Lehren  der  deutschen  Literatur  konnte  wegen  vorgeriick- 
ter  Zeit  nur  noch  kurz  angegriffen  werden;  dieselbe  erb'ffnete  wieder  Prof.  Hohlf  eld 
mit  Bemerkungen  iiber  die  Notwendigkeit  geeigneter  Darstellung  der  Beziehungen 
zwischen  deutscher  und  englischer  Literatur  (vgl.  die  Ausfuhrungen  auf  dem 
Deutschamerikanischen  Lehrertag  zu  Indianapolis,  1901;  P.  M.,  Jahrgang  III,  Seite 
46  f.,  Seite  73  f.) 

Als  Prasident  der  Gesellschaft  fiir  kommendes  Jahr  wurde  Prof.  Hempl-Michi- 
gan  erwahit,  dem  auch  bereits  die  in  den  letzten  Dezembertagen  zu  Baltimore  ta- 
gende  b'stliche  Abteilung  dieselbe  Wurde  iibertragen  hatte.  Als  Ort  der  nachsten 
Versammlung  ist  Ann  Arbor,  Michigan,  bestimmt,  wo  also  kommenden  Dezember 
beide  Sektionen  eine  gemeinschaftliche  Versammlung  abhalten  werden. 

Nach  allgemeinem  Urteil  war  die  diesjahrige  Versammlung  der  Central  Divi- 
sion weitaus  die  angenehmste  und  anregendste,  die  noch  je  im  Westen  stattgefun- 
den.  Nicht  zum  wenigsten  war  das  der  Energie  des  Tjnterhaltungs-  und  Bewirtungs- 
ausschusses  zu  verdanken,  iiber  dessen  Erfolge  nur  eine  Stimme  der  Anerkennung 
und  des  Lobes  laut  wurde.  In  besonders  angenehmer  Erinnerung  wird  alien  Teil- 
nehmern  der  gemiitliche  Kommers  im  Hotel  Bismarck  bleiben,  nicht  minder  die 
schb'nen  Stunden  in  den  Raumen  des  Quadrangle  Club.  Fiir  die  ausserordentliche 
Liebenswiirdigkeit,  mit  der  die  Versammlung  aufgenommen  und  behandelt  wurde, 
sei  darum  auch  an  dieser  Stelle  dem  Unterhaltungsausschuss,  besonders  dem  Vor- 
sitzenden,  Dr.  Philip  8.  Allen,  der  herzliche  Dank  der  Gesellschaft  dargebracht. 

Univ.  of  Wis.  Edwin  C.  Roedder. 

II.     Jahres versammlung  der  M.  L.  A.  (Eastern  Division). 

(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Die  zwanzigste  Jahresversammlung  der  Modern  Language  Association  of  Ame- 
rica fand  in  der  Johns  Hopkins  Universitat  zu  Baltimore,  Md.,  statt  und  erfreute 
sich  eines  sehr  zahlreichen  Besuches, — ein  Beweis,  dass  solche  Zusammenkiinfte  von 
Lehrern  der  neueren  Sprachen  voll  und  ganz  gewurdigt  werden.  Die  Versammlung 
begann  am  29.  Dezember  und  dauerte  drei  Tage.  Nachdem  Professor  Gildersleeve 
die  Mitglieder  bewilkommnet  hatte,  nahm  das  Verlesen  der  Vortrage  seinen  Anfang. 
Unter  den  zahlreichen  Vortragen,  die  dargeboten  wurden,  greifen  wir  nur  einige  we- 
nige,  als  von  besonderem  Interesse  fur  die  Leser  der  Monatshefte,  heraus.  Pro- 


Korresponden^en.  55 

fessor  Vos  (Johns  Hopkins  Universitat)  bewies,  dass  altertiimliche  Wendungen 
und  Archaismen  in  Grimms  ,,Kinder-  und  Hausmiirchen"  nicht  kiinstlich  nachge- 
ahmte  Elemente  seien,  sondern  in  jedem  Falle  echte  ttberbleibsel  des  alten  Spraeh- 
zustandes.  Professor  Shumway  (Pennsylvania  Universitat)  versuchte  eine  Ehren- 
rettung  des  vielgeschmahten  ,,Tristan"  von  Gottfried.  Der  Vorwurf,  Gottfried  sei 
unmoralisch,  sei  unbegriindet  und  beriicksichtige  nicht  geniigend  die  Tatsache,  dass 
Gottfried  zu  einer  Zeit  schrieb,  die  ihre  eigenen  Ideale  inbezug  auf  Liebe,  Ehre  u. 
s.  W|.hatte.  Seine  Absicht  wenigstens  sei  durchaus  rein.  Herr  Emil  Keppler  (Co- 
lumbia Universitat)  zeigte  in  hb'chst  ansprechender  Weise,  wie  sich  die  deutsche 
Volks-  und  Studentendichtung  mit  Amerika  befasst  hat.  Professor  Faust  (Wes- 
leyan  University)  verteidigte  das  neunte  Buch  von  Wolframs  Parzifal  gegen  die 
Angriffe  Bottichers  und  versuchte  dann  eine  Interpretation  der  Idee  des  Dichters 
zu  geben. 

Aber  auch  die  Geselligkeit  kam  zu  ihrem  Rechte,  und  Empfange  und  gemein- 
schaftliche  "lunches"  gaben  den  Mitgliedern  Gelegenheit,  sich  naher  kennen  zu  ler- 
nen.  Besonders  muss  da  der  ,,Smoke  Talk"  vom  Abend  des  29.  Dezembers  erwiihnt 
werden,  bei  welcher  Gelegenheit  Professor  Gildersleeve  iiber  das  Thema  ,,A  Pro- 
jected Clearing-House  for  Ancient  and  Modern  Languages"  sprach.  Unter  dem  lau- 
nigen  Titel  barg  der  Vortrag  eine  tiefernste,  beherzigenswerte  Lehre.  Die  alten 
und  modernen  Sprachen  sollen  nicht  als  zwei  getrennte  Elemente  angesehen  werden, 
und  diejenigen,  die  sie  unterrichten,  sollen  mit  einander  in  Verbindung  sein  zu  bei- 
derseitigem  Heile.  Am  Abend  des  folgenden  Tages  hielt  der  Prasident  der  Gesell- 
schaft,  Professor  Bright,  eine  Ansprache,  in  welcher  er  etwas  aus  der  ungeschrie- 
benen  Geschichte  der  Gesellschaft  vorlegte.  Er  gedachte  der  Griindung  der  Modern 
Language  Association  vor  ungefahr  zwanzig  Jahren.  Er  erinnerte  daran,  dass  die 
Gesellschaft  urspriinglich  eine  Abzweigung  von  der  ,,American  Philological  Associ- 
ation" gewesen  sei,  und  rechtfertigte  ausftihrlich  diese  Abzweigung,  indem  er  dar- 
legte,  dass  die  neueren  Sprachen  schon  damals  den  alten  gegeniiber  eine  solche  wich- 
tige  Stellung  einnahmen,  dass  die  Griindung  einer  diesen  neueren  Sprachen  aus- 
schliesslich  gewidmeten  Gesellschaft  einfach  eine  Notwendigkeit  geworden  sei. 
Gleich  nach  dieser  Ansprache  begaben  sich  die  Mitglieder  nach  dem  Hause  des  Herrn 
Marburg,  wo  ihnen  ein  festlicher  Empfang  bereitet  war,  welcher  den  geselligen  Teil 
der  Versammlungen  wiirdig  abschloss.  Auch  fiir  das  Jahr  1902  darf  also  ein  glan- 
zender  Erfolg  konstatiert  werden. 

Schliesslich  sei  noch  erwahnt,  dass  fiir  das  gegenwartige  Jahr  Professor  Hempl 
(Michigan  Universitat)  zum  Prasidenten  erwahlt  wurde,  und  dass  die  nachste  Ver- 
sammlung  in  Vereinigung  mit  dem  Zentralkorper  in  Ann  Arbor,  Michigan,  abgehal- 
ten  werden  wird.  Moge  dieselbe  an  Erfolg  nicht  hinter  der  vergangenen  zuriick- 
stehen ! 

Columbia  University,  New  York  City.  Arthur  F.  J.  Remy. 


III.    Korrespondenzen. 


(Piir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 

Chicago.  sich  das  Lungenleiden,  mit  welchem    er 

Dr.   G.  A.  Zimmermann,    der  friihere  schon     seit    Jahren    voriibergehend    ge- 

Leiter  des  deutschen  Unterrichtes  in  den  plagt  war,   so  weit  verschlimmert,   dass 

offentlichen  Schulen    unserer  Stadt,    ist  er  einen  Arzt  zu  Rate  ziehen    musste, 

am     5.     Januar     unerwartet    gestorben.  der  ihm  grb'sstmb'glichste  Ruhe  empfahl. 

Erst  einige  Tage  vor  seinem  Tode  hatte  Trotzdem  hat  Zimmermann  am  Sonntag 


56 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


noch  in  seiner  Kirche  gepredigt  und 
schon  am  nachsten  Tage  starb  er. 

Geboren  wurde  er  am  20.  Februar  1850 
in  der  schweizerischen  Stadt  Basel. 
Nachdem  er  dort  die  hoheren  Schulen 
besucht  hatte,  wanderte  er  1869  nach 
den  Vereinigten  Staaten  aus  und  bekam 
eine  Stelle  als  Vikar  an  der  Hartmann'- 
schen  Kirche  in  Chicago,  ausserdem 
lehrte  er  an  dem  evang.  theolog.  Semi- 
nar in  Elmhorst.  Nach  einigen  Jahren 
vollendete  er  seine  philologischen  und 
philosophischen  Studien  in  Bern  und 
Berlin,  wo  er  sich  den  ,,Dr."  holte.  Im 
Jahre  1875  kehrte  er  nach  Amerika  zu- 
riick,  war  2  Jahre  Pastor  in  Buffalo  und 
nahm  dann  seinen  dauernden  Wohnsitz 
in  Chicago.  Anno  1877  ubernahm  er  die 
Leitung  des  deutschen  Unterrichtes  in 
den  offentlichen  Schulen,  die  er  bis  zum 
vorigen  Jahre  behielt.  Aus  Sparsam- 
keitsriicksichten  wurde  seine  Stelle  da- 
mals  abgeschafft  und  er  entlassen,  wo- 
rauf  er  seine  ganze  Kraft  seiner  Kir- 
chengemeinde  widmete.  —  Unter  seinen 
zahlreichen  Freunden  hat  sein  Tod  auf- 
richtige  Trauer  hervorgerufen. 

Die  Teachers'  Federation,  eine  Verei- 
nigung  der  weitaus  grossten  Mehrzahl 
unserer  Lehrerinnen  an  den  offentlichen 
Schulen,  hat  vor  kurzem  einen  sehr  be- 
denklichen  Schritt  getan,  indem  sie  sich 
der  Federation  of  Labor  angeschlossen 
hat.  --In  der  letzten  Nummer  der  P. 
M.  wurde  schon  kurz  klar  gelegt,  wie 
durch  widerliche  politische  Verhaltnisse 
der  Schulrat  gezwungen  war,  die  Gehal- 
ter  der  Lehrer  zu  reduzieren,  trotzdem 
letztere  auf  eine  Erhb'hung  gerechnet 
hatten.  Nun  hofft  die  Teachers'  Feder- 
ation durch  ihre  Vereinigung  mit  der 
Federation  of  Labor  mehr  an  politischer 
Macht  zu  gewinnen  und,  wenn  die  Zeit 
reif  sein  wird,  gleich  den  Arbeiterorga- 
nisationen  einfach  eine  Gehaltserho- 
hung  zu  erzwingen. 

Das  scheint  mir  aber  der  heikle  Punkt 
zu  sein.  Abgesehen  davon,  dass  die 
Wiirde  des  Lehrerstandes  es  nimmer  ge- 
stattet,  herabzusteigen  auf  das  Niveau 
des  gewohnlichen  Arbeiters,  so  mochte 
ich  wissen,  wie  man  sich  jenes  ,,Erzwin- 
gen"  vorstellt.  Etwa  durch  einen  Streik? 
Der  ware  denn  doch  noch  nie  dagewe- 
sen!  Dann  miissten  aber  gleichzeitig  alle 
Gewerkschaften  die  Arbeit  niederlegen, 
denn  Sympathie-Streiks  sind  Trumpf. 
Und  auch  umgekehrt,  wenn  die  plumbers 
oder  sewer  builders  oder  hod  carriers 
etc.  um  Lohnerhohung  streiken,  so  wer- 
den  auch  die  Lehrerinnen  konsequenter- 
weise  die  ,,Arbeit  niederlegen"  miissen. 
Wird  sich  da  unsere  Jugend  freuen! 


Die  Civic  Federation,  eine  Biirgerver- 
einigung,  diese  wohl  meint  und  beson- 
ders  dazu  da  ist,  den  Herren  Politikan- 
ten  etwas  auf  die  Finger  zu  sehen,  hat 
seit  etwa  einem  Jahre  ein  Educational 
Comite  von  Hundert  in  Arbeit  gehabt, 
und  die  Herren  und  Damen  haben  mit 
heissem  Bemiihen  eine  Gesetzesvorlage 
ausgearbeitet,  die  der  kommenden  Legis- 
latur  zur  Annahme  vorgelegt  werden 
wird.  Verschiedene  Reformen  sind  da- 
rin  vorgesehen:  Verminderung  der  An- 
zahl  der  Schulriite  unserer  Stadt  auf 
sieben,  Erhohung  der  Machtbefugnisse 
sowohl  wie  auch  der  Verantwortung  des 
Superintendenten  u.  a.  Wegen  letzterer 
Bestimmung  wird  die  Vorlage  von  der 
Teachers'  Federation  bekampft. 

Ernes. 
Cincinnati. 

Als. .  .  .„  Noah  aus  dem  Kasten  war," 
fahrt  mir  Meister  Griebsch,  nachdem 
das  erste  Wort  entfloh'n,  durch  die  Pa- 
rade und  spricht  gelassen  weiter:  ,,Sie 
vergessen  augenscheinlich,  dass  wohl  zu- 
weilen  ein  Geschichtchen,  eine  Plaude- 
rei,  meinetwegen  auch  ein  Kneiplied  - 
ich  kenne,  Gott  sei  Dank,  nur  wenige 
Sachen  letzterer  Sorte  —  mit  ,,Als"  be- 
ginnen  konnte,  niemals  aber  eine  Kor- 
respondenz  fiir  eine  padagogische  Zeit- 
schrift,  die,  wie  schon  aus  ihrer  Abon- 
nentenzahl  erhellt,  in  den  weitesten 
Kreisen  gelesen  wird,  und  mit  Recht.  ." 

Einen  Augenblick,  Verehrtester !  Ihr 
so  wohl  begriindetes  ,,und  mit  Recht" 
veranlasst  mich,  Sie  zu  unterbrechen. 
um  vorlJiufig  eine  Geschichte  an  den 
Mann  zu  bringen.  Ich  zitierte  namlich 
vor  kurzem,  im  Gesprache  mit  einem 
protestantischen  Pfarrherrn,  den  folgen- 
den  malaischen  Satz:  ,,Selamanja  be- 
gita,  dengan  betul".  Zu  deutsch:  ,,So 
ist  es  immer,  und  mit  Recht".  Diesen 
Ausspruch  eines  hohen  katholischen 
Geistlichen  in  Batavia  babe  ich  vor  ei- 
ner  Reihe  von  Jahren  einem  jungen  ja- 
vanisch-holliindischen  Ehepaar  auf- 
tragsgemass  iibermittelt  und  damit  ban- 
gem  Zweifel  und  nagenden  Gewissensbis- 
sen  iiber  die  Rechtmassigkeit  ihres  prie- 
sterlich  nicht  eingesegneten,  sonst  aber 
ausserst  glucklichen  ehelichen  Zusam- 
menlebens  ein  Ende  gemacht.  Jedesmal 
nun,  wenn  ich  das  ,,und  mit  Recht"  ho- 
re,  lese  oder  selbst  gebrauche,  ,,brechen 
alte  Wunden  auf";  ich  denke  an  den  to- 
leranten  hollandischen  Priester,  an  die 
Freude  des  hiibschen  Mischlingpaares 
und  schliesslich  an  gar  viel  Erlebtes. 
Dieses  mal  gesellte  sich  zu  dem  sonder- 
baren  Maikafervergniigen  noch  eine  wei- 
tere  angenehme  Empfindung,  indem 


Kor  responden^en . 


57 


mem  Freund  und  Pfarrherr  mir,  sicht- 
lich  geriihrt,  seinen  Entschluss  mitteil- 
te,  diese  Sentenz  seines  langst  dahinge- 
gangenen  katholischen  Bruders  in  Chri- 
sto  demnachst  zum  Text  einer  protes- 
tantischen  Predigt  zu  machen.  ,,Und 
mit  Rfcht",  denn  er  ist  ein  ganzer 
Mann,  Redner  und  Schriftsteller.  Er 
wird  es  tun,  und  ich  freue  mich  dessen, 
obgleich  ich,  aufrichtig  gesagt,  nicht  im 
entferntesten  einsehe,  was  die  ganze  Sa- 
che  mit  einer  Korrespondenz  fur  die  P. 
M.  zu  schaffen  hat,  es  sei  denn,  ich  er- 
wahne  noch,  dass  der  Pfarrherr  ein  be- 
liebter  Mitarbeiter  von  ,,Jung-Amerika" 
ist.  ,,Nun,"  so  sprechen  Sie,  selbst  ge- 
ruhrt, ,,Ideenassoziation  konnte  man's 
nennen.  Schiessen  Sie  immerhin  los; 
ich  will  Gnade  fur  Recht  ergehen  las- 
sen.  ,,Als,"  so  sagten  Sie.  ..."  Wohlan, 
es  sei!  Als  Jean  Jacques  Rousseau  seine 
,,Confessions"  verfasste,  da  hatte  er  be- 
reits  einiges  geleistet.  Dennoch  steht 
dort  zu  lesen:  ,,Wie  talentvoll  einer  auf 
die  Welt  gekommen  sein  mag,  die 
Kunst  des  Schreibens  lernt  er  nicht 
iiber  Nacht".  Dabei  sagt  er  uns  nicht 
einmal,  wie  man  es  mit  dem  Lernen  ma- 
chen soil.  Angenommen,  man  habe  ei- 
nige  geringe  Fortschritte  im  schrift- 
stellerischen  Generalbasse  gemacht,  so 
ergibt  sich  daraus  doch  nicht,  dass  man 
es  dem  Matthias  Claudius  gleichtun 
konnte,  die  Zipfelmutze  schwenken  und 
mit  dem  Ausrufe,  ,,Ein  grosser  Gedanke 
ist  mir  aufs  Herz  geschossen!"  an  den 
Schreibtisch  sturzen,  um  den  geschosse- 
nen  Gedanken  meisterhaft  niederzu- 
schreiben.  Es  ist  uberhaupt  sehr  frag- 
lich,  ob  Korrespondenten  Gedanken  ha- 
ben  sollen  oder  konnen,  denn  die  schie- 
ssen  keineswegs  wie  Salat  im  Sommer. 
Ausserdem  leben  wir  in  einer  bb'sen  Zeit. 
Das  Lachen  ist  teuer,  das  Seufzen  gar 
wohlfeil.  Beten  wollen  sie  auch  nicht 
emsig.  Die  Schulmeister  utriusque  ge- 
neris erleiden  Ferien  und  miissen  sich 
recht  sehr  in  acht  nehmen,  nicht  zu  er- 
frieren.  Bekanntlich  ist  das  Gefrieren 
nicht  gerade  schwierig,  desto  mehr  aber 
das  Auftauen.  Das  scheint  seine  Rich- 
tigkeit  zu  haben.  Sang  doch  schon  vor 
ein  paar  hundert  Jahren  der  ,,Cherubi- 
nische  Wandersmann"  Johannes  Ange- 
lus  Silesius  in  seinen  ,,Geistreichen 
Sinn-  und  Schlussreimen"  neben  vielen 
anderen  prachtigen  Reimen  auch  diesen: 

,Bluh'  auf  gefrorner  Christ! 

Der  Mai  ist  vor  der  Tiir; 

Du  bleibest  ewig  tot, 

Bliihst  du  nicht  jetzt  und  hier!" 
JEs  ist  aber  erst  Weihnacht    gewesen 
und  kaum  Neujahr;  vom  Auftauen  und 


Aufbluhen  kann  daher  noch  keiue  Rede 
sein.  Ich  bin  auch  bis  jetzt  noch  kei- 
nein  Gefrorenen,  ob  Christ  ob  lieide,  be- 
gegnet,  es  sei  denn,.  ich  rechne  die  ge- 
plagten  Pensionare  darunter,  die  ihre 
iieitriige  zum  hiesigen  Lehrerpensions- 
fonds  noch  nicht  auf  das  gesetzlich  fest- 
gestellte  Maximum  und  Minimum  von 
sechshundert  Dollars  abgerundet  haben. 
Starr  vor  Schreck  waren  jedenfalls 
diese  Genossen,  als  sie  vor  kurzer  Zeit 
die  Mahnung  bekamen  —  da  hatten  wir 
doch  wenigstens  eine  korrespondenzfii- 
hige  Begebenheit  —  sotane  Abrundung 
stehenden  Fusses  zu  besorgen,  oder  aber 
die  Verwaltung  durch  hypothekarische 
und  doppelt  verbiirgte  ttbertragung 
ihrer  irdischen  Habe  sicher  zu  stellen. 
Sistierung,  bezvv.  Reduzierung  um  zwan- 
zig  Prozent  der  Pensionsauszahlung, 
wurde  denjenigen  in  Aussicht  gestellt, 
die  nicht  schleunigst  einen  dieser  Wege 
einzuschlagen  willens  oder  imstande  wa- 
ren. Das  bedeutet  keineswegs  einen 
schlechten  Zustand  der  Pensionskasse. 
Es  ist  im  Gegenteil  ein  recht  hiibsches 
Barvermogen  da,  welches  aber  nicht 
angegriffen  werden  soil,  weil  es  unter 
einem  Gesetze  akkumuliert  wurde,  des- 
sen Konstitutionalitat  noch  immer 
Zweifeln  und  Angriffen  ausgesetzt  zu 
sein  erachtet  wird.  Zu  bedauern  ist 
freilich,  dass  der  Zudrang  neuer  Beitra- 
gender  nicht  in  gleichem  Schritt  und 
Tritt  gehen  soil  mit  der  Mehrung  der 
Pensionsberechtigten.  Damit  ist  nicht 
sowohl  die  Stabilitat  der  Einrichtung 
selbst  in  Frage  gestellt,  als  die  Kurz- 
sichtigkeit  und  Selbstsucht  gar  man- 
cher  Kollegen  erwiesen.  Jedenfalls 
spricht  es  fur  die  Richtigkeit  meiner 
Meinung,  dass,  abgesehen  von  dem  ver- 
hiitschelten  Kriegerstande,  hierzulande 
noch  kein  Boden  ist  fur  von  staats-  oder 
gemeindewegen  tatsachlich  und  unan- 
tastbar  gesicherte  lebenslangliche  An- 
stellung  und  Altersversorgung  der  Die- 
ner  des  Volkes.  Mit  nicht  ganz  gutem 
Gewissen  rief  ich  denn  auch  jiingst  ei- 
nem pensionierten  Kollegen  zu:  ,,Lache, 
lache,  du  hast  nicht  iibermassig  viel 
Zeit  zu  verlieren!"  Grollend  kam  die 
Antwort:  ,,Vor  eintausend  neunhundert 
und  siebenundvierzig  Jahren  durfte  ei- 
ner nicht  mager  sein,  wenn  er  vor  Ju- 
lius Caesar  mit  Ehren  bestehen  wollte; 
heutzutage  schadet  einem  die  Magerkeit 
nicht,  wenn  man  nur  nicht  alt  dabei 
wird.  Mir  steht  das  Weinen  naher  als 
das  Lachen."  Nun,  geweint  hat  er 
nicht,  der  Kollege,  und  schaffen  tut  er 
noch  riistig.  Aber  die  mir  bis  dahin 
noch  nicht  genau  bekannte  Geschichte 


58 


P'ddagogiscbe  Monatsbeftt. 


von  der  Pensionsabrundung  hat  er    mir 
erzahlt. 

Es  mag  banal,  auch  wohl  banausisch 
klingen,  eines  unscrer  Household-words 
bleibt  es  aber  dennoch:  "Every-one  for 
himself,  and  the  devil  take  the  hind- 
most." Nichtsdestoweniger  sieht  man 
mit  Erstaunen  die  Anstalten  zum  An- 
schlusse  Tausender  von  Lehramtsbeflis- 
senen  an  den  grossen  Arbeiterbund  und 
die  kindische  Freude  auf  die  Errungen- 
schaft  des  Rechtes  der  Inszenierung  ei- 
nes fromm-frb'hlichen  Streiks,  wenn  alle 
Welt  einmal  ,,nicht  so  will,  wie  ich  gern 
haben  will".  Die  Moglichkeit  eines 
Lockout  ist  natiirlich  ausgeschlossen ! 
Auch  hier  spuckt  es.  ,,Und  mit 
Recht"? 

Doch  ich  will  den  Lesern,  Redakteu- 
ren  und  Herausgebern  der  ,,P.  M."  die 
Neujahrslaune  nicht  verderben,  sondern 
ihnen  auf  1903  ,,das  Beste"  wiinschen. 
Hapert's  wo,  moge  sich's  bessern.  Hilft 
alles  nicht,  dann  gestatten  wir  uns  ei- 
nen  erfrischenden  Rtickblick  anf  ein 
besseres  quondam. 

quidam. 

Milwaukee. 

Jahresversammlung  und  oOjahriges 
Jubil&um  des  Wisconsin  Staatslehrer- 
verbyndes.  Vom  29.  bis  31.  Dez.  tagte 
hier  der  jahrliche  Lehrerkonvent  unse- 
res  Staates  und  feierte  zugleich  sein 
goldenes  Jubilaum,  da  dieser  Verband 
im  Jahre  1852,  wenn  ich  nicht  irre  in 
Madison,  gegriindet  wurde.  Einige  tau- 
send  Lehrer  aus  alien  Teilen  des  Staa- 
tes batten  sich  dazu  eingestellt,  und  alle 
schienen  die  festliche  und  freudige  Ju- 
bilaumsstimmung  mitgebracht  zu  haben. 
Die  Damen,  und  besonders  die  jiingeren 
und  hiibschen  trugen  ihr  schonstes  Kos- 
tiim  und  ihr  bezauberndstes  Lacheln  zur 
Schau,  und  die  Dezembersonne  lachelte 
mild  und  freundlich  auf  die  winterliche 
Landschaft  und  die  beschneiten  Strassen 
herab.  Auffallig  und  iiberraschend  war 
die  gegen  friihere  Jahre  gewaltig  abste- 
chende  'ttberzahl  des  mannlichen  Ge- 
schlechts  unter  den  Lehrern,  so  dass  in 
einigen  Versammlungen  die  Damen  in 
ganz  bedeutender  Minderzahl  waren. 
Es  ware  sehr  zu  wiinschen,  dass  sich 
das  numerische  Verhilltnis  zwischen  den 
beiden  Geschlechtern  etwas  mehr  aus- 
gleichen  wurde,  denn  fur  die  Manner  ist 
noch  sehr  viel  Raum  da,  und  wir  werden 
nicht  eher  einen  wirklichen  Lehrerstand 
hier  in  Amerika  haben,  als  bis  die  jun- 
gen  Manner  in  Scharen  herbeistromen 
und  dann  auch  im  Lehrerberufe  aushar- 
ren  und  nicht  nach  einigen  Jahren  wie- 


der  ,,umsatteln".  Doch  ich  will  mich 
keiner  Tauschung  hingeben;  es  ist  recht 
gut  mb'glich  und  sogar  sehr  wahrschein- 
lich,  dass  die  Manner,  durch  Pflichtge- 
fiihl  und  Standesbewusstsein  getrieben, 
sich  in  grb'sserer  Menge  eingestellt  ha- 
ben, dagegen  unsere  lieben  und  geschatz- 
ten  Amtsschwestern  aus  Bequemlichkeit 
zuhause  geblieben  sind;  das  erkliirt 
dann  die  Tatsache. 

Soil  ich  nun  den  geschiitzten  und  ver- 
ehrten  Lesern  einen  Auszug  aus  alien 
gehorten  und  zum  Teil  recht  guten,  ja 
ausgezeichneten  Vortragen  geben,  so 
kb'nnte  ich  mit  dem  Dichter  des  Friih- 
lingsliedes  ausrufen:  ,,Wo  aber  fang  ich 
an,  wo  hor'  ich  wieder  auf?"  Im  Rah- 
men  einiger  Spalten  kann  ich  nur  das 
Interessanteste  und  Wichtigste  (wie  es 
sich  mir  als  solches  darstellte)  mittei- 
len,  und  ich  muss  dabei  die  Kunst  ver- 
suchen,  ,,mit  wenigen  Worten  vieles  zu 
sagen,  mit  ein'gen  Griffen  viele  Saiten 
anzuschlagen". 

Am  Montag  Vormittag  um  9:30  Uhr 
rief  der  Prasident  des  Vereins,  Herr 
Karl  Mathie,  die  Versammlung  im  Da- 
vidson-Theater zur  Ordnung.  Es  waren 
etwa  5 — 600  Personen  anwesend.  Nach- 
dem  er  die  iiblichen,  verschiedenen  Aus- 
schiisse  ernannt  hatte,  erteilte  er  Herrn 
A.  Salisbury,  Normalschul-Prasidenten 
von  Whitewater,  das  Wort,  welcher  iiber 
,,Historische  Skizzen  des  W.  T.  A." 
sprach.  Da  nun  der  folgende  Redner, 
Normalschul  -  Prasident  D.  McGregae 
von  Plattville,  uber  fast  dasselbe  Thema 
sprach:  "Master  Builders  of  our  Schools 
and  the  W.  T.  A.",  so  will  ich  beide  Vor- 
trage  zusammen  besprechen.  Beide  Red- 
ner erganzten  sich  einander  und  gaben 
in  Umrissen  ein  treffliches  Bild  sowohl 
von  der  Wirksamkeit  des  Vereins  und 
den  hervorragendsten  Persb'nlichkeiten 
in  demselben,  als  auch  von  dem  allmah- 
lichen  Aufbau  der  verschiedenen  Schul- 
und  Lehranstalten  unseres  Staates,  von 
den  Landschulen  an  bis  zu  den  Hoch- 
und  Normalschulen  und  zu  der  Univer- 
sitat.  Als  einige  besonders  hervorra- 
gende  Manner  in  der  Padagogik  wurden 
genannt:  L.  McMynn,  Dr.  Jos.  L.  Pick- 
ard,  J.  P.  Mills,  A.  P.  Craig,  Prof.  C. 
N.  Allen,  Rob.  Graham  u.  a.  m.  Als 
der  einzige  ttberlebende  von  den  Griin- 
dern  des  W.  L.  V.  im  Jahre  1852  wurde 
Dr.  J.  L.  Pickard  angegeben,  welcher 
zur  Zeit  in  Kalifornien  lebt. 

Als  eigentlicher  Jubilaums  -  Redner 
war  der  in  padagogischen  Kreisen  sehr 
bekannte  Dr.  Bascom  ausersehen,  dessen 
Name  im  ganzen  Lande  einen  guten 
Klang  hat  und  welcher  friiher  der  Pra- 


Korresponden^en . 


sident  unserer  Universitat  in  Madison 
war.  Als  er  das  Podium  betrat  und 
von  dem  Vorsitzer  der  Versammlung, 
welche  inzwischen  das  Theater  fast  voll- 
standig  g^fiillt  hatte,  vorgestellt  wurde, 
ertb'nten  lange  anhaltende  Beifallsbe- 
zeugungen.  Wiirdevoll  und  ernst  in  sei- 
ner Haltung  (er  hat  die  70  langst  iiber- 
sehritten)  ist  seine  Erscheinung,  und 
markant  und  fest  die  Gesichtsziige,  sei- 
ne Stimme  markig  und  kraftig,  sein 
Vortrag  ruhig,  langsam  und  bedachtig, 
den  tiefen  Denker  zeigend.  Sein  Thema 
lautete:  ,,Die  Quelle  der  Autoritat  im 
Lehrfache".  Er  sagte,  der  Staat  Wis- 
consin konne  stolz  sein  auf  das,  was  in 
der  Erziehung  in  dem  halben  Jahrhun- 
dert  von  den  Lehrern  und  alien,  die  da- 
zu  mitgeholfen  hatten,  z.  B.  die  Volks- 
vertreter  in  der  Legislatur,  erreicht 
worden  sei.  Von  alien  Staaten  im  We- 
sten  am  Mississippi  belegen,  die  einen 
so  riesigen  und  schnellen  Fortschritt  auf 
alien  Gebieten  seit  dem  verflossenen  hal- 
ben Sakulum  hatten,  sei  wohl  keiner  im 
Fortschritt  mit  Wisconsin  zu  verglei- 
chen,  und  zum  grossen  Teil  schulde  es 
dies  seinem  vielseitigen,  kosmopoliti- 
schen  Bevolkerungselement,  welches  in 
gliicklicher  Harmonic  vereinigt,  nun  ein 
vorwarts  und  aufwarts  strebendes  Volk 
sei,  welches  fiir  seine  idealen  Giiter,  per- 
sonliche  Freiheit,  Vaterlandsliebe  und 
eine  gute  Schulbildung  gewillt  sei,  sei- 
nen  letzten  Blutstropfen  herzugeben. 
Seine  vielen  und  gut  ausgestatteten 
Schulen  seien  hierfiir  der  beste  Beweis. 
Dann  kam  er  auf  den  Lehrerberuf  zu 
sprechen  und  er  meinte,  dieser  sei  ein 
edler  Beruf,  wenn  nicht  der  edelste  von 
alien;  nichts  konne  ihn  unedel  und  un- 
ansehnlich  machen,  auch  nicht  das  nied- 
rige  Gehalt,  welches  leider  noch  manche 
Lehrer  bezogen,  denn  nicht  die  hohen 
Einnahmen  oder  Einkiinfte  machten  ei- 
nen Stand  nobel,  sondern  die  meisten 
und  grossten  Wohltaten,  die  der  Stand 
dem  gesamten  Volke  erzeige.  Wir  Leh- 
rer sollten  uns  dadurch  nicht  entmuti- 
gen  lassen,  wenn  wir  in  der  Achtung 
nicht  so  hoch  standen,  als  wir  sollten, 
auch  in  der  Gesellschaft  (society)  nicht 
so  angesehen  wiirden,  wie  wir  sollten. 
Wir  miissten  uns  daran  gewohnen,  viel 
zu  geben  und  wenig  dafiir  wieder  zu 
empfangen.  Schon  der  erste  6'ffentliche 
Lehrer,  Sokrates,  habe  erfahren  miissen, 
dass  Kenntnisse  auf  dem  Markt  des  Le- 
bens  nur  geringen  Wert  besassen;  er 
habe  sie  umsonst  ausgeteilt  und  als 
Dank  dafiir  den  Tod  bekommen.  Dann 
zeigte  sich  Dr.  Bascom  auch  als  freier 


und  unabhilngiger  Mann,  indem  er  er- 
klarte,  dass  er  die  Errichtung  der  C'lii- 
cagoer  Universitat  durch  Rockefellers 
Millionen  fiir  ein  grosses  Unrecht  hal- 
te.  Geld,  welches  dem  Volke  durch  un- 
rechtmassige  Praktiken  entnommen  sei, 
sollte  niemals  zur  Errichtung  von  Lehr- 
anstalten  verwandt  werden.  Er  scheint 
nicht  an  das  ,,non  olet"  zu  glaubeu  und 
meinte,  dass  die  genannte  Lehranstalt 
sich  durch  die  Annahme  dieses  Geldes 
in  schlechten  Geruch  gebracht  habe. 
Seine  Worte  waren:  "The  taint  of  a 
bad  temper  will  cling  to  it,  will  lack 
in  it,  like  a  flavor  in  an  unclean  infu- 
sion." Die  Wissenschaft  soil  und  muss 
frei  sein  und  bleiben,  scheint  bei  ihm 
fest  zu  stehen. 

Am  zweiten  Tage  erst  kam  der  Prii- 
sident  Mathie  dazu,  seine  Eroffnungs- 
rede  zu  halten,  da  er  in  bescheidener 
Weise  den  Jubilaums-Rednern  den  Vor- 
rang  gelassen  hatte.  Mit  gewahlten 
Worten  stellte  er  gleichsam  ein  Pro- 
gramm  auf  fiir  die  zweite  Halite  des 
Sakulums,  wozu  er  als  Thema  ,,Die 
Freiheit  des  Lehrers"  gewiihlt  hatte. 
Frei  solle  und  miisse  Lehrer,  Schule  und 
Wissenschaft  sein  von  alien  sie  be-  und 
einengenden  Einniissen  und  Hindernis- 
sen,  frei  von  Buchagenten,  von  unpas- 
senden  und  verkehrten  Methoden,  iiber- 
haupt  von  allem  Zwange,  damit  sie  sich 
frei  entwickeln  kb'nnten.  Dann  solle 
Fortschritt  und  rege  Strebsamkeit  alle 
Lehrer  erfiillen,  Lust  und  Liebe  zum 
Beruf  sie  mit  heiliger  Begeisterung  er- 
fiillen, ihren  Schiilern  nur  immer  das 
Beste  geben.  Wo  diese  begeisterte  Hin- 
gabe  an  den  Beruf  fehlen,  da  wiirde  der 
Lehrer  oft  verbittert  und  verdriesslich 
und  hatte  keinen  Erfolg.  Dann  solle 
aber  auch  die  Schulbehb'rde  und  die 
Kommune  dem  Lehrer  geben,  was  ihm 
von  rechtswegen  gehort,  namlich  aus- 
kommliches  Gehalt,  eine  feste  und  per- 
manente  Anstell'ung,  und  womoglich  Al- 
tersversorgung  oder  Pension.  Jeder  Leh- 
rer sollte  so  gestellt  sein,  dass  er  in 
seinem  eigenen  Hause  wohnen  kb'nnte. 
Die  Rede  wurde  mit  grossem  Beifall  auf- 
genommen. 

Gern  wiirde  ich  noch  einige  andere  ge- 
horte  Vortrage  erwahnen,  auch  tiber  die 
an  den  Nachmittagen  abgehaltenen  Sek- 
tionsversammlungen  berichten,  aber  ich 
fiirchte,  mein  Bericht  ist  so  schon  zu 
,,langlich",  und  mein  gestrenger  Herr 
Chefredakteur  wiirde  gezwungen  sein, 
zu  dem  gefiirchteten  Blaustift  zu  grei- 
fen,  und  das  sehen  alle  Berichterstatter 
nicht  gern.  A.  W. 


IV.     Briefkasten. 


E.  A.  Z.,  Chicago.  Dass  diese  in  be- 
ster  Absicht  von  unserm  Gewahrsmann 
,,Emes"  geschriebenen  Zeilen  einen  sol- 
chen  Umvillen  bei  unsern  Chicagoer 
Kollegen  hervorgerufen  haben,  der  sich 
nur  durch  Abbestellung  der  P.  M.  Luft 
machen  konnte,  scheint  uns  doch  un- 
glaublich.  Wir  sind  doch  von  vornher- 
ein  unschuldig.  Sie  konnen  sich  wohl 
denken,  wie  schwer  es  einem  ausserhalb 
Stehenden  fallt,  der  weder  mit  den  lei- 
tenden  Personen  noch  den  Verhaltnissen 
geniigend  vertraut  ist,  sich  ein  abschlie- 
ssendes  Urteil  zu  bilden.  Das,  was  Sie 
den  P.  M.  als  Tatsache  mitteilen,  dass 
gegen  38,000  am  deutschen  Unterrichte 
sich  beteiligende  Schiller  in  uiesem 
Jahre  nur  deren  18,000  vorhanden 
sind,  dass  statt  210  Lehrern  und  Leh- 
rerinnen  jetzt  nur  130  Deutsch  unter- 
richten,  ist  im  hochsten  Grade  bekla- 


genswert  und  spricht  nicht  fiir  die  An- 
wendbarkeit  des  neuen  Systems.  Was 
wir  und  auch  Sie  vorlaufig  nur  tun 
konnen,  ist  abwarten,  wie  sich  die  Sache 
des  deutschen  Unterrichts  weiterhin  ent- 
wickeln  wird. 

H.  A.  M.  a)  Behufs  Einfiihrung  der 
internationalen  Korrespondenz  wenden 
Sie  sich  an  Herrn  Prof.  Dr.  M.  Hart- 
mann,  Leipzig,  Techerstr.  2.  b)  Eine 
vorziigliche  Volksliedersammlung  ist  die 
von  Erk  (Peters  Verlag).  Fiir  den 
Schulgebrauch  empfehle  ich  Ihnen  be- 
sonders  die  Liedersammlung  fiir  Mad- 
chenschulen  von  Moritz  Vogel.  Drei 
Teile.  (Verlag:  Gebr.  Hug  &  Co.,  Leip- 
zig.) Als  Supplement  fiir  diese  Sarnm- 
lung  ist  in  gleichem  Verlag  auch  ein 
Bandchen  erschienen,  das  einen  Teil  der 
Lieder  mit  Klavierbegleitung  enthiilt. 


V.     Umschau. 


Milwaukee.  Ein  holier  Kunstgenuss 
steht  dem  deutschen  Theaterpublikum 
gelegentlich  der  Benefizvorstellung  fiir 
das  Nationale  Deutschamerikanische 
Lehrerseminar  am  16.  Januar  bevor. 
Auf  dem  Spielplan  steht  fiir  diesen  Tag 
Shakespeare's  Konig  Lear,  und  die 
Truppe  des  hiesigen  Pabsttheaters  ist 
in  einer  vorziiglichen  Verfassung,  so 
dass  diesem  gewaltigen  Drama  eine 
vollendete  Auffiihrung  von  vornherein 
gesichert  ist. 

Erziehung  und  Unterricht  auf  der 
Ausstellung  zu  St.  Louis.  In  noch  aus- 
gedehnterer  Weise,  als  dies  in  Chicago 
geschah,  soil  dem  Erziehungs-  und  Un- 
terrichtswesen  auf  der  Weltausstellung 
zu  St.  Louis  Rechnung  getragen  werden. 
Ein  besonderes  Gebaude,  das  einen  Fla- 
chenraum  von  sieben  Acker  deckt  und 
im  Zentrum  des  Ausstellungsplatzes 
liegt,  wird  fiir  diesen  Zweck  errichtet, 
und  zwar  wird  es  das  erste  unter  den 
Gebauden  sein,  das  seiner  Bestimmung 
iibergeben  werden  kann;  es  wird  zur 
Aufnahme  von  Ausstellungsgegenstan- 
den  vom  1.  Sept.  1903  fertig  sein,  wah- 
rend  die  Ausstellung  selbst  erst  am  1. 
Mai  1904  eroffnet  wird.  Die  Anweisung 
der  Platze  fiir  die  Aussteller  geschieht 
nicht  vor  dem  1.  Juni  1903.  Bis  dahin 
also  finden  noch  Applikationen  Beriick- 
sichtigung.  Die  Gruppen,  in  welche  die 
Ausstellungsgegenstande  eingeteilt  wer- 


den, sind:  Elementary  Education,  Sec- 
ondary Education,  High  Education, 
Special  Education  in  Fine  Arts,  Special 
Education  in  Agriculture,  Special  Edu- 
cation in  Commerce  and  Industry,  Edu- 
cation of  Defectives,  Special  Forms  of 
Education-Text-Books,  School  Furniture, 
School  Appliances.  Alle  Staaten  der 
Union  werden  selbstverstandlich  an  die- 
ser  Ausstellung  sich  beteiligen.  Aus  dem 
Auslande  haben  bis  jetzt  England, 
Frankreich,  Deutschland  und  Japan  ihre 
Mitwirkung  zugesagt;  andere  Nationen 
haben  dieselbe  in  Aussicht  gestellt.  Dem 
Chef  des  Erziehungs-Departements  auf 
der  Ausstellung,  Howard  J.  Rogers, 
steht  ein  Beratungskomitee  zu  Seite, 
das  aus  den  bedeutendsten  Schulman- 
nern  unseres  Landes  zusammengesetzt 
ist,  an  ihrer  Spitze  Dr.  W.  T.  Harris 
aus  Washington. 

Einewnderbare  Idee  soil  von  Chicago 
aus  zur  Ausfiihrung  gebracht  werden, 
um  der  Herstellung  von  Zigaretten  Ein- 
halt  zu  tun.  Eine  Million  Kinder  sol- 
len  Bittgesuche  an  die  Tabakstrusts  und 
Tabakfabriken  richten,  die  Zigaretten- 
fabrikation  einzustellen.  ,,Als  ob  diese 
Gesellschaften  sich  durch  ein  ,,auf  Er- 
suchen"  bestimmen  lassen  wiirden",  be- 
merkt  das  School  Journal. 

Das  Baukomitee  des  New  Yorker 
Schulrates  hat  einen  Plan  entworfen, 
nach  welchem  Wolkenschaber-Schulhau- 


Umscbau. 


61 


ser  gebaut  werden  sollen.  Diese  Ge- 
biiude  sollen  Raum  fiir  5000  Kinder  ent- 
halten,  absj»lut  feuersicher  sein,  mit 
Fahrstiihlen  ausgestattet  sein,  die  eine 
Klasse  auf  einmal  befordern,  und  dabei 
nicht  mehr  kosten  als  die  jetzt  ge- 
brauchlichen,  die  nur  Raum  fiir  1000 — 
2000  Schiiler  gewahren. 

Aus  Mangel  an  Kohlen  sah  sich  der 
Schulrat  der  Stadt  Boston  gezwungen, 
die  Schulen  vom  15.  Dezember  bis  5. 
Januar  zu  schliessen. 

Unglucksf&lle  beim  Fussballspiel. 
Nach  dem  ,,School  Journal"  fanden  in 
der  letzten  Fussballsaison  12  Spieler 
beim  Spiel  den  Tod,  einer  wurde  tb'd- 
lich,  85  schwer  verletzt.  Im  Jahre  1901 
starben  8  an  den  Folgen  von  beim  Spiel 
empfangenen  Verletzungen,  und  75  zo- 
gen  sich  schwere  Verletzungen  zu. 

Carlo,  Wenck»hnch  t-  Wellesley  Col- 
lege hat  durch  den  am  29.  Dez.  erfolgten 
Tod  von  Frl.  Carla  Wenckebach,  welche 
an  der  Anstalt  seit  langen  Jahren  die 
Professur  fiir  deutsche  Sprache  und  Li- 
teratur  bekleidete,  einen  grossen  Verlust 
erlitten.  Die  Verstorbene  wurde  im 
Jahre  1853  in  Hildesheim  geboren  und 
studierte  auf  den  Universitaten  Zurich 
und  Leipzig.  Eine  hochgebildete  Dame 
und  vorziigliche  Lehrerin,  verstand  sie 
es,  sich  die  Liebe  und  Zuneigung  ihrer 
Schiilerinnen  zu  erwerben,  und  der  Aus- 
bau  des  deutschen  Departements  der 
Anstalt  ist  zum  grossten  Teile  ihrer 
Wirksamkeit  zuzuschreiben ;  doch  auch 
an  anderen  Fragen,  die  die  Anstalt  be- 
trafen,  war  ihr  Wort  von  ausschlagge- 
bender  Bedeutung.  Schriftstellerisch 
entfaltete  sie  ebenfalls  eine  sehr  frucht- 
bare  Tatigkeit. 

Otto  Ernst's  ,,Gerechtigkeit"  ist  jetzt 
an  mehr  als  80  Biihnen  angenommen  und 
bereits  ins  Russische  iibersetzt  worden. 
Es  ist  aufgefuhrt  in  Dresden,  Wien,  Miin- 
chen,  Leipzig,  Prag,  Niirnberg  und  Gor- 
litz.  In  Berlin  wird  es  Ende  Januar  zur 
Auffiihrung  kommen.  Anlasslich  der 
Aufftihrung  des  Stiickes  in  Miinchen  kam 
der  Prinz  Ludwig  Ferdinand  von  Bayern 
auf  die  Biihne  und  gratulierte  dem  Dich- 
ter  zu'  dem  Stiicke.  —  Die  ersten  3000 
Exemplare  aer  Buchausgabe  (das  Stiick 
ist  bei  Ludicig  Staackmann  in  Leipzig 
erschienen)  war  en  in  8  Tagen  ganzlich 


vergriffen.  Eine  von  Beleidigung  strot- 
zende  Schmahkritik  der  ,,Frankfurter 
Zeitung"  hat  der  Dichter  jetzt  voraus- 
drucken  lassen.  Sie  soil  dort  stehen 
zu  dauerndem  Gedachtnis. 

Hochschulwesen.  Die  deutsche  Regie- 
rung  wiinscht,  dass  die  schweiz.  Univer- 
sitaten sich  den  einheitlichen  Bestim- 
mungen  der  deutschen  Universitaten 
iiber  das  philosophische  Doktorexamen 
(inbegr.  das  der  naturwissenschaftlichen 
Sektion)  anschliessen.  Die  schweiz.  Uni- 
versitaten werden  dem  Departement  des 
Innern  ihre  Ansichten  mitteilen. 

Das  Schiceizervolk  hat  am  23.  No- 
vember mit  rund  260,000  gegen  85,000 
Stimmen  einen  Zusatz  zu  Artikel  27  der 
Schweiz.  Bundesverfassung  angenommen, 
nach  welchem  dem  Bunde  das  Recht  ein- 
geraumt  wird,  aus  Bundesmitteln  das 
Primarschulwesen  der  Kantone  zu  unter- 
stiitzen.  Ein  Ausfiihrungsgesetz,  das  die 
Hohe  und  Vervvendung  der  Beitrage  fest- 
setzt,  wird  nun  wohl  nicht  lange  auf 
sich  warten  lassen.  Hoffentlich  waltet 
cann  am  Abstimmungstag  iiber  dieses 
ungleich  wichtigere  Gesetz  ein  gleich 
j>uter  Stern. 

In  samtlichen  Hittelschulen  Serbiens 
i^l  der  Unterricht  in  der  russischen 
Sprache  obligatorisch  eingefiihrt  wor- 
den. 

Die  rum&nischen  Lehrerinnen  sollen 
an  landliche  Tracht  gewohnt  werden. 
Der  Unterrichtsminister  Spiru  Haret 
hat  an  samtliche  Schulinspektoren  des 
].andes  ein  Schreiben  ergehen  lassen 
worin  er  iiber  den  immer  mehr  iiberhand 
I'ehmenden  Kleiderluxus  der  Lehrerin- 
uen  bittere  Klage  fiihrt,  die  Inspektoren 
auffordend,  den  Lehrerinnen  die  einfache, 
itber  doch  so  schone  Nationaltracht  ihrer 
Dorfer  ans  Herz  zu  legen  und  ihm  jene 
Damen,  die  nach  wie  vor  sich  in  kost- 
spieligen  Kleidern  zeigen,  unverziiglich 
anzuzeigen.  Dieser  Kleiderkrieg  wird 
sicherlich  die  herrlichsten  Bliiten  zeiti- 
gen;  denn  die  weibliche  Eitelkeit  wird 
sich  wohl  nur  nach  schwerem  Kampfe 
herbeilassen,  die  seidenen  Rocke  der  neu- 
esten  Pariser  Mode  mit  dem  rumani- 
schen  Bauernmadchenkostiim  zu  vertau- 
schen.  Dieses  Eingreifen  des  Ministers 
in  Dinge,  die  ihn  doch  gar  nichts  angeh- 
en,  hat  viel  boses  Blut  gemacht. 


VI.     Vermischtes. 


A  us  der  liltesten  Handschrift  der  Men- 
schen.  2000  Jahre  vor  Moses  lebte  ein 
Prinz  in  Agypten  namens  Ptahhotep,  der 


ein  Alter  von  110  Jahren  erreichte  und, 
was  er  in  seinem  langen  Leben  gelernt, 
zu  Nutz  und  Frommen  seiner  Mitmen- 


62 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


schen  niederschrieb.  Eine  Papyrusrolle, 
die  eine  genaue  Abschrift  dieses  Werkes 
enthiilt,  ist  bis  auf  uns  gekommen  und 
wird  gegenwartig  in  der  Bibliothek  zu 
Paris  aufbewahrt.  Es  ist  dies  bis  jetzt 
die  alteste  Handschrift  des  menschlichen 
Geschlechtes.  Hier  einige  Proben  aus 
dem  Werke: 

,,Sei  nicht  tibermiitigen  Sinnes  auf 
Grund  deines  Wissens;  kein  Meister  ist 
vollkommen  in  seiner  Herrlichkeit. — 

Achte  die  Weisheit  hoher  als  die  Edel- 
steine,  denn  diese  werden  auch  am  Arme 
einer  Sklavin  getroffen. — 

Hiite  dich,  Unweises  an  dir  zu  zeigen. 
Bilde  dich,  damit  du  kenntnisreich  und 
verstandig  werdest  und  dir  an  deines 
Lebens  Ziel  das  Zeugnis  werde:  Er  war 
ein  MeiEiler. — 

Die  Enthaltsamkeit  ist  an  sich  selbst 
ein  Reichtum. — 

Auch  dein  torichter  Sohn  ist  doch  im- 
mer  dein  Kind.  Entfremde  ihm  dein 
Herze  nicht!  Bleibe  ihm  ein  Vater!  — 

Nicht  zu  bereuen  brauchen  ist  ein  Zei- 
chen  der  Weisheit. — 

Verspotte  den  Bittenden  nicht;  dir 
ware  Sirger,  als  wenn  du  seinen  Korper 
schliigest.  Schreie  ihn  nicht  an;  was 
ihm  wehe  tun  muss,  das  sage  ihm  mild 
und  freundlich. — 

Wenn  du  zu  den  grossen  Denkern  ge- 
horst,  so  bilde  dir  nicht  ein,  dass  du  sol- 
chcs  leistest,  dessen  auch  ktinftige  Tage 
sich  noch  erinnern  werden.  Kein  Wort 
gelangt  zu  dauerndem  Ruhme.  Siehe,  das 
Krokodil  taucht  auf  und  wieder  unter — 
und  schon  ist  seine  Erscheinung  ver- 
wischt. — 

Mache  dem  Bittenden  Mut,  dir  vorzu- 
tragen,  weswegen  er  zu  dir  gekommen 
ist. — 

Die  Klugheit  deiner  Rede  ist  mehr 
wert  als  die  Floskeln  deines  Geschwat- 
zes. — 

Gefahrlicher  ist  das  Wort  als  alle  Din- 
ge.  Wer  es  loslasst,  bringt  er  es  wieder 
zum  Umkehren? — 

Wenn  du  an  einem  Verwandten  Ein- 
eicht  vermissest,  so  schmahe  ihn  darum 
nicht.  Schadige  ihn  nicht  in  der  offent- 
lichen  Meinung.  Sprich  allein  mit  ihm, 
aber  stelle  ihn  nicht  so  armselig  hin, 
dass  er  sich  vor  dir  schamen  muss.  Sei 
zutraulich  mit  ihm  und  driicke  ihn  nicht 
nieder. — 

Wurdig  ist  eigenes  Verdienst;  wiirdi- 
ger  als  ererbter  Reichtum. — 

Lass  frohlich  leuchten  dein  Antlitz,  so 
lange  du  lebst.  Verliess  je  ein  Mensch 
den  Sarg  wieder,  wenn  er  einmal  hinein- 
gebettet  war? — 

Nachdem  du  gross  geworden  bist, 
nachdem  du  niedrig  warst,  und  Schatze 


gesamnielt  hast  nach  vergangener  Ar- 
mut;  und  wenn  du  um  deswillen  der 
Vornehmste  bist  in  deiner  Stadt  und 
dich  die  Leute  kennen  ob  deines  ttber- 
Husses  und  du  als  ein  machtiger  Herr 
dastehst:  so  lass  dein  Herz  sich  nicht 
iiberheben  um  deines  Reichtums  willen, 
denn  der  Urheber  dessen  1st  Gott.  Ver- 
achte  nicht  den  Nachsten,  der  da  ist,  was 
du  selber  warst,  sondern'  behandle  ihn 
wie  deinesgleichen. — 

Die  Menschenliebe  ist  hoher  zu  achten, 
als  der  Opferkuchen." — (Aus:  Das  alte 
Wunderland  der  Pyramiden  von  Dr. 
Karl  Oppel.  Fur  die  P.  M.  von  Carl 
Ullrich,  Milwaukee.) 

Ich  bin  der  alte  Herr  Meier 
Und  habe  schon  viel  gesehn. 
Doch  wie  ich  es  drehe  und  wende, 
Ich  kann  nicht  alles  verstehn. 

Seit  Fruhjahr  seh  ich  die  Kleinen 
Tagtaglich   zur   Schule   gehn. 
Seh,  wie  sie  sich  rniihen  und  qualen, 
Das  A  B  C  zu  verstehen. 

Sie  reden  von  Dehnen  und  Scharfen 
Und  traumen  von  uh  und  von  ah; 
Sie  schreiben  schon   alle  die  Zeichen 
Vom  i  bis  zum  schwierigsten  K. 

Ich  meine,  man  lasst  die  Kleinen 
Nur  lesen  und  schreiben  zu  viel 
In  einem  Alter,  da  Leben 
Ist  Freude  und  kindliches  Spiel! 

(Schweiz.  Lehrerzeitung.) 

Wiederholung  des  Foucaultschen  Pen- 
delversuches  im  Pantheon  zu  Paris.  In 
den  letzten  Monaten  wurde  der  Pendel- 
versuch  Foucaultsy  taglich  einige  Male 
im  Panthgon  wiederholt.  Das  Publikum 
brachte  dem  majestatischen  Schauspiele, 
dem  einzigen  direkten  Beweise  fur  die 
Rotation  der  Erde,  ein  grosses  Interesse 
entgegen.  Um  das  Riesenpendel  befesti- 
gen  zu  konnen,  hatte  man  aus  der  Mitte 
der  PanthSonkuppel  das  ,,Auge  Gottes", 
eine  Kupferplatte  von  250  kg  Gewicht, 
weggenommen  und  in  die  gahnende  Off- 
nung  zwei  Balken  in  Kreuzform  gelegt 
mit  einem  besonderen  kupfernen  Auf- 
hangeapparat.  Dieser  hielt  das  Ende 
einer  57  m  langen  stahlernen  Klavier- 
saite  von  0,7  mm  Durchmesser,  ihr  voile 
Bewegungsfreiheit  lassend.  Das  andere 
Ende  trug  eine  28kg  schwere  Bleikugel 
mit  einer  langen  Nadel  am  unteren  Pol. 
Auf  dem  Fussboden  stand  eine  kreisfor- 
mige  Tafel  von  etwa  5  m  Durchmesser. 
16  eingravierte  Durchmesser  teilten  sie 
in  32  gleiche  Felder.  Ihr  Mittelpunkt 
befand  sich  dicht  unter  der  Nadelspitze 
des  ruhenden  Pendels.  Zwei  Tischchen 
waren  4  m  vom  Mittelpunkt  entfernt 


Erwiderung. 


63 


aufgestellt,  uii'".  /.war  an  den  Enden  des 
verliingerten  Durchniessers,  ttber  dem 
das  Pendel  zu  schwingen  begann.  Die 
Tischchen  trugen  je  eine  kleine  Mauer 
feinsten  Sandes,  ein  kleines  Hindernis 
fur  das  schwingende  Pendel.  Eine  Balu- 
strade, um  die  das  Publikum  Aufstel- 
lung  genommen  hatte,  schloss  das  Ganze 
ein.  Um  auch  die  geringste  Erschtitte- 
rung  bei  Beginn  des  Versuches  zu  ver- 
meiden,  war  die  Kugel  mit  einem  Faden 
iiber  dem  einen  Sandtischchen  befestigt. 
Jetzt  wurde  der  Faden  angebrannt,  und 
die  Kugel  setzte  sich  vermoge  der 
Schwerkraft  in  Bewegung.  Langsam, 
majestiitisch  schwebte  sie  wie  ein  leben- 
des  Wesen  dahin.  Ihr  Lauf  war  nicht 
schneller  als  der  Gang  eines  Menschen. 
Erst  nach  16  Sekunden  war  sie  an  ihrem 
Ausgangspunkte  wieder  angelangt.  Die 
grandiosen  und  stillen  Schwingungen 
einer  einfachen  Kugel  liessen  uns  die 
Unermesslichkeit  der  himmlischen  Be- 
wegungen  ahnen,  regiert  wie  dies  durch 
das  Gesetz  der  Schwere.  Die  Schwing- 
ungen dauerten  mehrere  Stunden;  aber 
schon  nach  einigen  Minuten  strich  das 
Pendel  nicht  mehr  iiber  dem  Ausgangs- 
durchmesser  bin.  Es  hatte,  immer  mehr 
Sand  von  den  kleinen  Sandwellen  weg- 
streichend,  scheinbar  nach  links  sich  ge- 
dreht.  Nach  10  Doppeschwingungen  be- 
trug  die  Abweichung  schon  3%  cm; nach 
einer  Stunde  rund  11  Grad.  Um  360 
Grad  durchwandern  zu  kb'nnen,  brauchte 
die  Kugel  also  rund  32  Stunden  fur  Pa- 
ris, welches  auf  dem  48  ^  Breitengrade 


liegt.  Da  aber  die  Schwingungsebene 
eines  Pendels  stets  in  derselben  Rich- 
tung  bleibt,  selbst  wenn  der  Unterstiit- 
zungspunkt  des  Pendels  seinen  Platz 
andert,  so  muss  die  Erde  in  umgekehrter 
Richtung  sich  bewegt  haben.  Warum 
brauchte  aber  die  Scheibe,  um  eine 
Drehung  unter  dem  schwingenden  Pen- 
del  ausfiihren  zu  konnen,  32  Stunden 
und  uicht  24? 

Die  Kohlenlager  Chinas.  In  einem  be- 
merkenswerten  Vortrage  in  dem  Ameri- 
can Institute  of  Mining  Engineers  mach- 
te  Mr.  Drake  interessante  Angaben  iiber 
die  chinesischen  Kohlenlager.  Sie  er- 
strecken  sich  iiber  eine  Lange  von  800 
km  und  die  mittlere  Dicke  dieses  Lager 
ist  folgende:  Kou-Ping  5,50  m,  Wang- 
Ping  10,50  m  Fang-Schau  6  m,  ebenso 
in  Ping-Ting  und  Tse-Chou.  Mr.  Drake 
berechnet  die  Gesamtsumme  der  zu  for- 
dernden  Kohle  auf  350,000  Mill.  Tonnen. 
Auf  Grund  des  heutigen  Verbrauches 
wiirden  die  Kohlenlager  die  ganze  Erde 
fiir  mehrere  Jahrhunderte  versorgen 
konnen.  In  manchen  Lagern  stellt  die 
Hauptader  die  grosste  Masse  der  zu  fb'r- 
dernden  Kohlen  dar,  aber  in  Kai-Ping 
z.  B.  existieren  noch  andere  Adern,  so 
dass  der  Hauptstock  nur  den  dritten  Teil 
des  Gesamtvorrates  enthalt.  Mr.  Drake 
ist  iiberhaupt  iiberzeugt,  dass  eine  ge- 
naue  Untersuchung  noch  einen  bei  wei- 
tem  grb'sseren  Reichtum  an  Kohle  in 
China  ergeben  wird,  als  man  bis  jetzt 
annimmt. 


Bucherschau* 


I.     Erwiderung. 

University  P.  0.,  Mississippi,  22nd  December  1902. 
Editor  of  P&dagogische  Monatshefte: — 

After  sentence  has  been  pronounced  in  P.  M.  Ill,  2,  upon  my  edition  of  Sappho 
and  its  doom  sealed  in  P.  M.  IV,  1,  it  may  seem  presumptuous  in  me  to  say  any- 
thing further.  I  approach  the  task  with  extreme  diffidence. 

First,  with  regard  to  the  charge  of  plagiarism  from  Lichtenheld's  school  edi- 
tion. As  I  was  preparing  a  college  text  book,  it  was  from  the  nature  of  the  case 
necessary  that  I  should  touch  upon  some  of  the  same  points  as  Lichtenheld.  Out 
of  some  twenty-five  pages  of  notes  in  my  edition  Dr.  Lessing  finds  five  notes  which 
should  be  enclosed  by  quotation  marks,  he  thinks.  He  prints  (P.  M.  IV,  1)  these 
five  notes  and  the  corresponding  notes  from  Liehtenheld.  In  four  of  these  notes 
there  is,  as  I  have  already  stated  (P.  M.  Ill,  10),  only  a  general  resemblance, — 
the  thought  in  each  case  being  one  that  would  naturally  suggest  itself  to  any  per- 
son at  all  familiar  with  dramatic  technique.  If  the  statement  in  the  other  note, — 
that  Amphitrite  was  the  wife  of  Poseidon  and  one  of  the  fifty  daughters  of  Nereus, 
god  of  the  quiet,  smooth  sea, — is  a  plagiarism  on  my  part,  it  is  a  plagiarism  on 


64  P'ddagogiscbe  Monatsbette. 

the  part  of  Lichtenheld  also,  for  almost  these  identical  words  are  to  be  found  in 
any  good  manual  of  mythology.  Mr.  Lessing  might  have  found  several  other  notes 
in  which  there  is  quite  as  strong  a  resemblance  as  in  the  four  he  cites.  All  these 
notes  call  attention  to  things  which  cannot  well  be  left  out  of  an  annotated  school 
edition,  yet  need  not  be  plagiarized  from  anybody.  It  was  certainly  my  honest 
purpose  to  give  credit  in  every  case  where  credit  was  directly  due.  Nearly  all  my 
notes  had  taken  on  their  final  form  before  I  ever  saw  Lichtenheld's  edition  of  the 
play. 

Instead  of  admitting  that  the  accusation  with  regard  to  my  critical  analysis' 
being  entirely  dependent  on  Lichtenheld  was  a  slip  of  the  pen, — for  nothing  could 
be  further  from  the  truth  than  this  charge, — Dr.  Lessing  takes  refuge  behind  gen- 
eral statements.  My  analysis  is  no  more  dependent  on  Lichtenheld  than  it  is  on 
the  Koran.  It  is  indeed  in  accord  with  those  generally  recognized  principles  of 
dramatic  technique  which  Dr.  Lessing  would  overthrow. 

Perhaps  it  is  on  account  of  my  being  so  naive  myself  that  I  can  find  nothing 
komisch  or  naiv  about  my  sentence  "Our  Sappho  is  a  tragic  figure",  unless  it  is 
wrenched  out  of  its  connection. 

It  was  my  purpose  to  prepare  a  careful  and  scholarly  edition  of  Grillparzer's 
Sappho  for  use  as  a  college  text  book.  To  accomplish  this  end  I  spared  neither 
labor  nor  pains.  I  studied  enthusiastically  the  works  of  the  poet,  and  read  all  the 
principal  Grillparzer  and  Sappho  literature  up  to  October  1898.  It  is  my  misfor- 
tune and  not  my  fault  that  my  book  appeared  three  full  years  before  Mr.  Lessing 
revolutionized  Grillparzer  study  with  his  monumental  work  Schillers  Einfluss  auf 
Grillparzer.  My  edition  has  its  faults  of  course,  but  I  think  the  treatment  is  sym- 
pathetic and  the  work  accurate.  It  may  be  true,  as  Dr.  Lessing  says,  that  no 
American  and  no  North  German  can  ever  enter  the  holy  of  holies  in  Grillparzer's 
sanctuary  of  art,  but  a  number  of  scholars, — one  or  two  of  whom  deserve  quite  as 
much  as  anyone  in  this  country  to  rank  as  Grillparzer  specialists, — have  pronounced 
my  edition, — 'introduction'  and  'notes', — thoroughly  satisfactory  and  have  spoken 
even  warmly  of  it. 

It  has  never  been  my  purpose  to  convert  Dr.  Lessing.  I  merely  wish  again  to 
ask  all  scholars  who  do  not  know  my  edition  to  form  their  opinion  at  first  hand, 
for  Mr.  Lessing's  review  gives  no  fair  idea  of  the  book.  He  would  have  us  believe 
that  no  one  in  this  country  is  competent  to  pass  judgment  on  a  college  edition  of 
one  of  Grillparzer's  plays,  but  I  cannot  agree  with  him.  I  insist  that  every  point 
to  which  Dr.  Lessing  objects  is  merely  a  matter  of  opinion,  in  which  I  often  have 
great  authorities  on  my  side.  It  seems  never  to  have  occurred  to  him  that  anyone, 
— even  among  the  greatest  scholars  of  Germany, — can  hold  a  different  opinion  from 
him  and  yet  be  right.  Chiles  Clifton  Ferrell. 


II.     Bingesandte  Biicher. 


Zur        Jugendschriftenfrage.         Eine  D.  Mead.       Published  for  the    Interna- 

Sammlung  von  Aufsiltzen  und  Kritiken.  tional  Union,  Ginn  &  Co.,  Boston;  1902. 

Mit  dem  Anhang:   Empfehlenswerte  Bii-  The  Future  of  War    in  its  technical, 

cher  fOr  die  Jugend  mit  charaktensie-  economic,     and     political    relations     by 

renden     Anmerkungen.      Herausgegeben  Jean     de     Blochi    translated    by    R.    C 

von     den    Veretntgten     deutschen    Prii-  Long>  and  with  a  conversation  with  the 

fungs-Ausschiissen   fnr   Jugendschriften.  author  by  W.  T.  Stead,    and  an  intro- 
Leipzig,   Ernst   Wunderlich.    1903.   Preis  •    duction  by  Edwin  D  Meadf      pubiished 

M.   1.60;  geb.  M.  2.  for  the  International  Union,  Ginn  &  Co., 

..Addresses  on  War   by    Charles    Sum-  Boston;   1902. 
mer.     With  an  introduction  by    Edwin 


Padagogische  Monatshefte, 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  Februar  1903.  Heft  3 

Idealismus,  Gedanken  und  Beobachtungen. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  32.  Lehrertage  zu  Detroit. 


Von  C.  V.  Weiser,  High  School,  Detroit,  Mich. 

Das,  woriiber  ich  zu  Ihnen  sprechen  wollte,  fasste  ich  in  die  Worte : 
Idealismus,  Gedanken  und  Beobachtungen.  Es  sollte  Ihnen  dadurch  von 
vornherein  gesagt  sein,  dass  Sie  hier  keine  irgendwie  gerundete  Be- 
handlung  dieses  vielgestaltigen  Gegenstandes  erwarten  diirfen.  Sodann 
hatte  ich  auch  zur  Zeit,  da  ich  das  Thema  formulirte,  tatsachlich  noch 
kein  klares  Bild  von  dem,  was  ich  sagen  wollte,  und  durch  die  Fassung 
desselben  wollte  ich  mir  deshalb  die  Freiheit  bewahren,  die  verschiedensten 
Dinge,  die  mir  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  wichtig  werden  konnten,  in 
den  Kreis  meiner  Betrachtung  zu  ziehen.  Endlich  muss  ich  noch  be- 
merken,  dass  mir  der  gestrige  Redner,  Herr  Prof,  von  Jagemann  von  der 
Harvard  Uniyersitat,  einen  grossen  Teil  jener  praktischen  Gedanken 
vorweggenommen  hat,  die  meinen  Ausfuhrungen  ein  Recht  und  einen 
Zweck  auf  diesem  Lehrertage  gaben.  Und  nur,  indem  Sie  Ihre  Ein- 
driicke  von  dem  gestrigen  Vortrage  mit  den  Gedanken,  die  die  heutigen 
Ausfuhrungen  anregen  sollen,  zusammenfliessen  lassen,  wird  darum  der 
Gesamteindruck  erzeugt,  um  den  es  mir  ursprunglich  zu  tun  war. 

Gestatten  Sie  mir  nun  zunachst  zur  Orientierung  eine  Ubersicht  iiber 
das  weite  Gebiet,  das  der  Begriff  Idealismus  in  dem  einen  oder  anderen 
Sinne  einschliesst. 

So  alt  wie  die  Sache  selbst  ist,  so  ist  doch  der  Ausdruck  ,,Idealismus" 
erst  etwa  200  Jahre  alt.  Von  dem  spatlateinischen  Adjektive  idealis  hat 
man  ihn  gebildet,  welches  selbst  wieder  auf  das  griechische  Wort  idea 


66  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

zuriickgeht.     Dieses  Wort  erinnert  jeden  von  uns  an  Plato,  den  Gross- 
meister  der  Philosophic. 

Fur  das  Denken  dieses  griechischen  Weisen  bestand  eine  Ideenwelt, 
d.  h.  ein  Raum,  in  dem  die  Ideen,  die  Gattungsbegriffe,  die  Urbilder 
der  Dinge  dieser  Welt  versammelt  sind,  von  denen  w.ir  hier  in  unserer 
Welt  nur  unvollkommene,  verstummelte  Abarten,  fluchtige  Schattenbilder 
wahrnehmen.  Plato  weiss  sogar  von  einem  Besuch  in  diese  Ideenwelt  zu 
berichten. 

Seit  Plato  scheint  es  immer  wieder  Menschen  gegeben  zu  haben, 
denen  es  vergonnt  war,  eine  Wanderung  durch  die  Ideenwelt  zu  machen, 
und  die  sich  in  unserer  Welt  noch  der  Dinge  erinnerten,  die  sie  in  einer 
anderen  Sphare  geschaut.  Auf  ahnlichen  Gedanken  wie  den  platonischen 
hat  man  denn  auch  zu  jeder  Zeit  die  verschiedensten  Systeme  gebaut,  die 
unter  sich  das  eine  Gemeinsame  haben,  dass  sie  von  Ideen  oder  Idealen 
ausgehen,  statt  von  der  gegebenen  Wirklichkeit. 

Alan  spricht  nun  von  Idealismus  vom  erkenntnistheoretischen  Stand- 
punkt  aus.  Hier  kommt  Kant.  Dieser  Idealismus  fiihrt  einiges  oder 
alles  an  unserer  Erkenntnis  auf  Vorstellungen,  auf  Ideen  in  uns  zuriick. 
Ahnlich  wie  bei  Plato  liegen  fur  diesen  Idealisten  die  Formen  der  Er- 
kenntnis a  priori  im  Gemiit.  Auf  den  ersten  Blick  scheinen  solche  Theo- 
rien,  die  unsere  Erkenntnis  fur  subjektiv  erklaren,  unserer  ganzen  Erfah- 
rung  zu  widersprechen  und  die  realistische  Betrachtungsweise,  die  von 
den  Dingen  ausgeht,  so  wie  wir  sie  mit  unseren  Sinnen  wahrnehmen, 
scheint  uns  viel  einfacher,  naturlicher  und  verniinf tiger.  Um  Ihnen  je- 
doch  zu  zeigen,  dass  es  sich  hier  jedenfalls  nicht  ausschliesslich  um  miissi- 
ge  Spekulationen  handelt,  gestatten  Sie  mir,  eine  Frage  aufzuwerfen  und 
je  nachdem  Sie  dieselbe  fur  sich  beantworten,  mochten  Sie  vielleicht  un- 
vermerkt  in  den  Bann  des  Kant'schen  und  Fichte'schen  Idealismus  ge- 
raten  und  den  Kreis  der  objektiven  Tatsachen  unserer  Erkenntnis  enger 
und  enger  ziehen.  Stellen  Sie  sich  einmal  vor,  auf  der  ganzen  Erde  gabe 
es  keine  Lebewesen  mehr  mit  einem  solchen  oder  ahnlichen  Gehorsinn  wie 
wir  Menschen  ihn  besitzen.  Gabe  es  dann  wohl  noch  einen  Donner,  so 
wie  wir  ihn  jezt  horen  ?  Klingt  es  nicht  sehr  wahrscheinlich  und  wird  es 
nicht  fast  fur  jeden  nach  einigem  Nachdenken  zur  tJberzeugung,  dass  es 
also  bloss  die  Ursache  des  Donners  ist,  die  ausser  uns  liegt,  wahrend  wir 
nichts  anderes  als  die  Wirkung  dieser  Ursache  auf  unseren  eben  so 
und  nicht  anders  beschaffenen  Gehorsinn  einem  anderen  mitteilen,  wenn 
wir  sagen:  ,,Es  donnert."  Mit  den  anderen  Sinneswahrnehmungen  ver- 
halt  es  sich  ebenso,  das  Beispiel  der  Farbenblinden  ist  Ihnen  bekannt. 

In  der  Metaphysik  bedeutet  Idealismus  zunachst  die  Anerkennung 
eines  Ideellen,  eines  Geistigen,  im  Gegensatz  zu  Materialismus,  und  so- 
dann  die  "Uberordnung  des  Geistes  iiber  die  Materie,  mit  der  Annahme 
oines  geistigen  Weltgrundes.  Hier  waren  Fichte,  Hegel  und  Schelling 


Idealismus,  Gedanhen  und  Beobachtungen.  67 

zu  nennen,  wobei  man  Fichtes  Idealismus  als  den  ethischen,  Schellings 
als  den  physischen  und  Hegels  als  den  logischen  bezeichnen  kann.  Diese 
drei  hauptsachlich  bilden  die  sogenannte  idealistische  Denkerschule.  Ein 
bekanntes  Wort  Schellings  konnte  man  als  das  Glaubensbekenntnis  dieser 
Gruppe  bezeichnen,  wenn  er  sagt :  ,,Uns  alien  wohnt  ein  geheimes,  wunder- 
bares  Vermogen  bei,  uns  aus  dem  Wechsel  der  Zeit  in  unser  innerstes,  von 
allem  was  von  aussen  her  hinzukam,  entkleidetes  Selbst  zuriickzuziehen 
und  da  unter  der  Form  der  Unwandelbarkeit  das  Ewige  in  uns  anzu- 
schauen.  Diese  Anschauung  ist  die  innerste,  eigenste  Erfahrung,  von 
welcher  allein  alles  abhangt,  was  wir  von  einer  iibersinnlichen  Welt  wissen 
und  glauben." 

Gehen  wir  nun  zu  den  einzelnen  Wissenschaften  iiber,  so  finden  wir 
«inen  Idealismus  in  der  Naturphilosophie,  in  der  Ethik  und  in  der  Asthe- 
tik.  In  der  Naturphilisophie  bedeutet  derselbe  die  Erklarung  der  Er- 
scheinungen  aus  der  Idee  oder  Bestimmung  des  Gegenstandes,  die  Ethik 
bezeichnet  mit  Idealismus  jene  Sinnesart  des  Menschen,  die  sich  auf  etwas 
Hoheres  als  die  Befriedigung  sinnlicher  Lust,  auf  Ideale  richtet,  und  in 
in  der  Asthetik  denken  wir  vor  alien  Dingen  an  den  Idealisten  Schiller, 
der  das  Schone  in  der  Idee  fand,  die  uns  in  der  Erscheinung  entgegen- 
tritt,  wahrend  Kant  sagt :  ,,Das  Schone  gefallt  durch  seine  blosse  Form." 

Wenn  man  nun  endlich  im  gewohnlichen  Leben  einen  Menschen  einen 
Idealisten  nennt,  so  wird  derselbe  die  Bezeichnung  in  den  meisten  Fallen 
nicht  als  Schmeichelei,  sondern  als  einen  Tadel  auffassen,  indem  man  dabei 
weniger  an  ein  hohes,  uneigenniitziges  Streben  denkt,  als  vielmehr  an  einen 
Mangel  an  praktischer  Klugheit,  die  mit  den  gegebenen  Verhaltnissen 
.zu  rechnen  hat. 

Das  sind  also  die  verschiedenen  Arten  von  Idealisten,  wie  man  die- 
selben  in  irgend  einem  Handbuche  der  Philosophic  bequem  zusammen- 
suchen  kann. 

Es  ist  nicht  nur  ein  Studium  von  grossem  Reiz,  sondern  auch  eine 
Beschaftigung,  die  uns  eine  reiche,  vielgestaltige  Fiille  der  Belehrung  bie- 
tet,  den  Weisen  der  verschiedenen  Zeiten  und  Zonen  auf  ihren  Gedanken- 
gangen  zu  folgen.  Jedes  denkende  Volk  und  jedes  Geschlecht  beantwor- 
tet  in  seiner  ihm  eigenen  Weise  jene  hochsten  Fragen,  die  der  Mensch 
sich  stellen  kann.  Der  Menschengeist  hat  tatsachlich  gar  kein  hoheres 
Geschaft,  als  sich  dariiber  klar  zu  werden  und  die  Vielgestaltigkeit  der 
Dinge  auf  eine  Einheit  zuriickzufuhren,  so  weit  sein  Denken  und  Fiihlen 
•es  vermag,  um  sodann  seine  eigene  Stellung  inmitten  dieser  Erscheinun- 
gen  zu  begreifen  und  die  aus  derselben  fur  ihn  entspringenden  Pflichten 
und  sittlichen  Aufgaben  mit  Ernst  und  Mut  zu  erfassen. 

Die  Wahrheit,  nach  deren  letztem  Punkte,  nach  deren  hochster  Spitze 
das  Beste  des  menschlichen  Strebens,  auf  welchem  Gebiet  es  auch  sei,  deu- 
tet,  stellt  sich  mir  unter  dem  Bilde  eines  hohen  Berges  dar,  dessen  Gipfel 


68  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

in  die  Wolken  hineinragt,  nein,  dessen  Gipfel  die  Wolken  iiberragt ;  denn 
wahrend  das  Auge  des  einen  nur  bis  an  die  Wolkengrenze  reicht,  erblicken 
die  anderen  das  weisse  Haupt  des  Berges  einer  Alpenspitze  gleich  in 
Spharen  weit  iiber  Nebel  und  Wolken  in  reiner  ruhiger  Sonnenhohe,  und 
ihr  Auge  miiht  sich,  die  Umrisse  des  Berges  durch  das  trennende  Ge- 
wolk  hindurch  bis  zu  jener  erhabenen  Hohe  zu  verfolgen,  vor  der  sie  sich 
in  Ehrfurcht  beugen. 

Seit  Jahrtausenden  schon  ist  die  Menschheit  in  der  Ersteigung  dieses 
Berges  begriffen.  Bald  ist  es  dieses,  bald  ist  es  jenes  Volk,  das  die  Fiihrung 
iibernimmt.  Anscheinend  planlos  strebt  die  gewanderte  Strasse  nach  oben 
und  immer  nach  langeren  oder  kiirzeren  Zwischenraumen  kommen  wir  wie- 
der  an  dieselbe  Seite  des  Berges,  um  von  dem  mehr  oder  weniger  erhohten 
Standort  aufs  neue  Blicke  zu  tun  hinaus  in  das  Land  der  Erscheinungen, 
das  sich  um  uns  dehnt. 

Es  ist  dies  ein  Bild  des  ganzen  Werdeganges  der  Menschheitsge- 
schichte,  der  ganzen  Art  unseres  Fortschritts.  Die  Zeit  drangt  bald  nach 
dieser,  bald  nach  jener  Richtung  und  so  steigen  wir  immer  weiter  empor. 
Lauschige  Taler  offnen  sich  und  schliessen  sich  wieder  unseren  Blicken, 
bald  engt  sich  der  Horizont,  bald  schweift  das  Auge  in  blaue  Fernen,  und 
so  oft  uns  auch  der  Weg  wieder  nach  derselben  Seite  des  Berges,  den 
wir  ersteigen,  d.  h.  nach  derselben  Betrachtungsweise  der  Dinge,  zuriick- 
bringt,  immer  ist  die  Perspektive  wieder  eine  andere,  in  der  sich  uns  die 
verschiedenen  menschlichen  Fragen  und  Probleme  darstellen. 

Zwei  Grundprinzipien  nun  sind  es  hauptsachlich,  die  die  Richtung, 
die  das  Hin  und  Her  des  Weges  bestimmen :  der  Realismus  und  der 
Idealismits,  die  urspriinglich  wohl  in  der  geistigen  Konstitution  der  Men- 
schen  und  Volker  begrundet  liegen,  aber  gleichzeitig  von  der  geschicht- 
lichen  Entwickelung  und  von  Zeitstromungen  entschieden  abhangig  sind 
Wie  liessen  sich  nun  Idealismus  und  Realismus  als  bestimmte  Uran- 
lagen  in  Menschen  und  Volkern  erklaren? 

Wir  nehmen  durch  unser  Auge  die  buntfarbigsten  Eindrucke  in  uns 
auf,  und  unser  Geist  fiillt  sich  mit  Bildern  der  Welt  um  uns.  Nun  ist  eine 
doppelte  Behandlung  dieses  Bilderschatzes  von  seiten  des  Menschen  mog- 
lich.  Entweder  entspricht  es  seiner  geistigen  Eigenart,  die  empfangenen 
Eindrucke  unter  Gattungsbegriffe  zu  ordnen,  das  Allgemeine  aus  dem  Be- 
sonderen  zu  entwickeln,  so  dass  ihn  also  die  Wahrnehmung  zunachst  zum 
Denken  reizt,  oder  er  ordnet  die  Bilder  nach  der  Wichtigkeit,  die  si*,  fur 
ihn  haben  in  der  Umgebung,  in  der  er  sich  befindet,  so  dass  also  die  em- 
pfangenen Eindrucke  ihn  zuforderst  zum  Handeln  veranlassen,  zur  prak- 
tischen  Benutzung  der  gemachten  Wahrnehmungen. 

Diese  Verschiedenheit  in  der  Behandlung  der  Wahrnehmung  driickt 
sodann  naturgemass  der  ganzen  Kultur  ihren  Stempel  auf.  Im  ersten 
Falle  wird  die  Eigenart  des  Denkens,  des  Kombinierens  und  Vergleichens 


Idealismus,  Gedanken  und  Beobachtungen.  69 

vor  allem  eine  bilderreiche,  poetische  Sprache  schaffen.  Daraus  erwachst 
ganz  natiirlich  die  Neigung,  die  Poesie  an  sich  zu  pflegen,  zusammen  mit 
ihrer  Zwillingsschwester,  der  Religion,  und  die  Spekulation  wird  endlich 
geneigt  sein,  sich  iiber  das  Sichtbare  zu  erheben  und  sich  mit  Begeisterung 
dem  Erhabenen,  dem  ewig  Wahren,  Guten  und  Schonen  zuzuwenden, 
ohne  Rucksicht  auf  alle  praktische  Verwendbarkeit.  Hier  haben  wir  den 
Idealisten. 

Im  zweiten  Falle  endlich  wird  die  Sprache  sich  auf  eine  einfacbe  Be- 
zeichnung  der  wahrgenommenen  Dinge  beschranken,  ohne  jede  poetische 
Zutat.  Dementsprechend  werden  die  Wissenschaften  solcher  Volker  des 
spekulativen  Elementes  mehr  oder  weniger  vollstandig  ermangeln,  da  es 
ihnen  nur  darauf  ankommt,  Systeme  zu  praktischer  Benutzung  zu  bilden 
und  Religion  und  Philosophic  werden  auch  ein  dementsprechend  reali- 
stisch  utilitarisches  Geprage  tragen. 

Die  Arier  lassen  sich  als  Beispiel  fur  jene  erste  Art  des  Denkprozesses 
anfiihren,  wahrend  die  mongolische  Rasse  die  zweite  Art  illustriert. 

Wie  nun  vorhin  bemerkt,  miissen  wir  die  geschichtliche  Entwickelung 
und  die  verschiedenen  Zeitstromungen  in  Betracht  ziehen,  wenn  wir  Be- 
obachtungen  machen,  die  mit  der  soeben  aufgestellten  Behauptung  nicht 
zusammenstimmen,  wenn  wir  in  die  Augen  springende  Verschiedenheiten 
innerhalb  der  arischen  Volkerfamilie  wahrnehmen,  oder  wenn  wir  die  ei- 
gentiimlichsten  Verwandlungsprozesse  in  dem  Charakter  eines  Volkes  be- 
obachten.  Doch,  ich  muss  der  Versuchung  widerstehen,  hier  ins  einzelne 
zu  gehen ;  denn  es  kam  mir  darauf  an,  einiges  zu  sagen  iiber  Dinge  und 
Verhaltnisse,  mit  denen  wir  es  direkt  zu  tun  haben. 

Wir  sahen,  dass  es  fur  die  Arier  naturgemass  ist,  eine  Kultur  mit  idea- 
listischem  Geprage  zu  erzeugen.  Trotzdem  jedoch  zeigten  sich  immer, 
auch  innerhalb  unserer  Volkerfamilie,  entschieden  realistische  Tendenzen 
auf  jedem  Gebiet  menschlichen  Lebens  und  Strebens.  Dieser  Realismus 
kann  naturlich  nicht  mit  dem  chinesischen  verglichen  werden,  schon  aus 
dem  einfachen  Grunde  nicht,  weil  er  immer  auf  einem  tatsachlich  idealisti- 
schen  Boden  erwuchs  und  meistens  nur  eine  heilsame  Gegenwirkung  ge- 
gen  den  ins  Extrem  gegangenen  Idealismus  darstellt,  wo  er  sich  nicht  als 
das  Produkt  zeitweiliger  politischer  und  wirtschaftlicher  Verhaltnisse 
ergibt. 

Fur  gewohnlich  nun  nennt  man  die  Englander  Realisten  und  die 
Deutschen  Idealisten,  und  doch  glaube  ich  bestimmt,  dass  es  Perioden 
in  der  Entwickelungsgeschichte  der  beiden  Volker  gab,  in  denen  die  Deut- 
schen ziemlich  ebenso  gut  Realisten  wie  die  Englander  Idealisten  genannt 
werden  konnen.  Es  gab  eine  Zeit,  wie  Sie  wissen,  da  die  Deutschen  und 
die  Genuesen  sich  in  den  Welthandel  teilten,  so  weit  wie  damals  von  einem 
solchen  die  Rede  sein  konnte,  und  da  man  meist  mehr  deutsche  Dreimaster 
in,  den  Hafen  von  London  sah  als  englische.  Die  Deutschen  von  damals 


70  Padagogiscbe  Monatshefte. 

waren  in  vielen  Stucken  die  Englander  von  heute  und  das  England  jener 
Zeit  weist  in  mehr  als  einem  Punkte  eine  uberraschende  Ahnlichkeit  auf 
mit  unserem  alten  Deutschland. 

Darauf  kam  der  riesige  wirtschaftliche  und  politische  Aufschwung 
England*.  Die  kurze  Spanne  zwischen  1585  und  1588  ist  vielleicht  eine 
der  wichtigsten  Perioden  fur  die  Kulturgeschichte  Englands.  1585  nahm 
Alexander  von  Parma  Antwerpen  ein  und  wie  Guiccardini  behauptet, 
wandte  sich  damals  der  dritte  Teil  der  Kaufleute  und  Fabrikanten  nach 
dem  verbiindeten  England.  Drei  Jahre  spater  kam  das  Armada jahr.  Nun 
standen  den  Englandern  die  Meere,  die  Welt  often,  und  ihrem  Denken  und 
Sinnen  bot  sich  alliiberall  eine  solche  Menge  verlockender  Realitaten,  dass 
es  bis  heute  nahezu  der  ganzen  physischen  und  geistigen  Energie  be- 
durfte,  die  sich  ihnen  fortwahrend  aufdrangenden  politischen,  praktischen 
Fragen  zu  bewaltigen. 

In  Deutschland  kam  im  Gefolge  der  Reformation  jenes  Kriegsjahr- 
hundert,  das  nur  den  vierten  Teil  der  Bevolkerung  ubrig  Hess,  das  die 
kulturellen  Traditionen  brach  und  iiber  das  einst  so  glanz-  und  macht- 
volle  Imperium  konnte  man  spaterhin  wohl  spotten,  dass  es  die  Luft  als 
sein  Revier  habe,  wahrend  die  Englander  die  See  und  die  Franzosen  das 
Land  beherrschten.  Der  Blick  nach  aussen,  in  die  Welt,  war  den  Deut- 
schen  genommen,  dafiir  hatten  ihre  Nachbarn  gesorgt.  Nichts  war  nun 
natiirlicher  fur  ein  urspriinglich  ohnedies  so  vorwiegend  idealistisch  ange- 
legtes  Volk,  als  dass  sich  der  Blick  jezt  nach  innen  und  nach  oben  kehrte. 
Ich  glaube,  die  Deutschen  hatten  auf  dem  Gebiet,  das  durch  einen  solch 
langen  Zeitraum  ihr  eigenstes  war,  nie  so  Hervorragendes  geleistet  mit 
einer  solch  selbstlosen  Hingabe  an  ideales  Denken  und  Empfinden,  wenn 
kein  ausserer  Zwang  vorhanden  gewesen  ware.  Es  erwuchs  also  hier  Gu- 
tes  aus  Bosem. 

•  Darum  brach  mit  dem  Jahre  1871  eine  neue  Zeit  in  der  Kulturent- 
wickelung  Deutschlands  an.  Der  Kaiser  weist  aufs  Meer  und  es  dehnt 
sich  jetzt  wieder  vor  den  Deutschen  die  weite  reale  Welt  und  ladt  sie  ein, 
Kraft  und  Gedanken  einzusetzen  fur  ein  ,,Platzchen  an  der  Sonne",  wie 
Bulow  es  nannte,  fur  praktische  Giiter.  Die  Energie,  die  vorher  auf  alien 
Gebieten  der  Wissenschaft  und  philosophischer  und  religioser  Spekula- 
tion  das  Hochste  geleistet,  setzt  sich  nun  in  Tat  um  und  dadurch  ver- 
knupft  sich  die  neueste  Geschichte  Deutschlands  wiederum  mit  der  Zeit 
der  Hansa  und  der  Fugger. 

Was  konnte  man  nun  iiber  das  kurze  Stuck  amerikanischer  Ge- 
schichte, die  hiesige  Kultur,  die  hiesigen  Menschen  sagen?  Es  ist  mir,  als 
ob  Sie  mir  gerade  eben  alle  zuriefen:  Realistisch  bis  aufs  Mark!  In  der 
Tat  ist  das  auch  die  allgemeine  Ansicht.  Ich  konnte  Ihnen  nun  eine  ganze 
Anzahl  Autoritaten  anfuhren,  die  sich  in  der  Beurteilung  der  amerikani- 
schen  Geschichte  und  Kultur  und  des  heutigen  Amerikaners  in  ganz  humo- 
ristischer  Weise  widersprechen. 


Idealismus,  Gedanhen  und  Beobachtungen.  71 

Zum  ersten  miissen  wir  nun  festhalten,  dass  die  ersten  englischen 
Einwanderer  immer  noch  aus  dem  mehr  idealistisch  gearteten  England 
kamen  und  hier  mochte  ich  nur  beilaufig  auf  die  Tatsache  hinweisen,  dass 
Kolonien  geneigt  sind,  die  Sprache  und  Kultur  des  Mutterlandes  zur 
Zeit  ihrer  Griindung  beharrlicher  festznhalten  als  das  Mutterland  selber, 
eine  Erscheinung,  die  sich  durch  das  Beispiel  der  franzosischen  Kanadier 
und  der  griechischen  Kolonien  illustrieren  lasst.  Sodann  lasst  sich  ein 
bedeutender  Unterschied  zwischen  dem  fiir  die  amerikanische  Kulturent- 
wickelung  so  wichtigen  Puritanertum  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  fest- 
stellen.  Das  des  siebzehnten  Jahrhunderts  war  offenbar  von  einem  hohen 
religiosen  Idealismus  erfiillt;  denn  fiir  Ideale  des  Glaubens  und  absoluter 
Gewissensfreiheit  gaben  sie  den  realen  Boden  der  Heimat  daran  und  zogen 
in  eine  gefahrvolle  Fremde.  Dieser  religiose  Idealismus  der  alten  Puri- 
taner  hat  eine  allgemeine  idealistische  Grundstimmung  geschaffen,  die  in 
der  Neuengland  Renaissance,  in  der  ersten  Halfte  des  letzten  Jahrhunderts 
hervorquoll  und  bis  heute  noch  nachwirkt.  Andererseits  stellt  sich  die 
idealistische  Renaissancebewegung  auch  als  eine  Reaktion  dar  gegen  das 
in  geistlos  dogmatisierendem  Unitarianertum  verflachten  Puritanertum 
des  achtzehnten  Jahrhunderts,  wie  uberhaupt  als  eine  Geltendmachung 
der  asthetisch  philosophischen  Seite  der  menschlichen  Natur,  die  schon 
seit  der  Auswanderung  aus  England  und  langer  nicht  zu  ihrem  Rechte  ge- 
kommen  war. 

Der  Einfluss  des  amerikanischen  Freiheitskrieges  darf  endlich  auch 
nicht  vergessen  werden.  Damals  focht  man  vor  alien  Dingen  fiir  Ideen, 
fiir  Ideale  und  die  Bedeutung  eines  solchen  Kampfes  fur  die  Ausgestal- 
tung  des  Volkscharakters  darf  sicher  nicht  unterschatzt  werden. 

Beziiglich  des  Amerikaners  von  heute  lasst  sich  wohl  mit  Bestimmt- 
heit  sagen,  dass  in  seinem  Charakter  eine  mehr  oder  weniger  starke  ideali- 
stische Unterstromung  vorhanden  ist,  die  zum  Teil  auf  die  soeben  aufge- 
deckten  historischen  Quellen  und  zum  Teil  auf  europaische  und  zwar  be- 
sonders  deutsche  Einfliisse  zuruckzufiihren  ist.  Dieses  idealistische  Grund- 
bild  des  amerikanischen  Charakters  ist  jedoch  fiir  den  oberflachlichen 
Beobachter  so  iiberwuchert  durch  einen  so  ausgesprochen  scheinenden  Re- 
alismus,  dass  es  oft  der  redlichen  Absicht  bedarf,  Idealismus  zu  suchen, 
wenn  man  ihn  finden  will. 

Im  allgemeinen  kann  man  von  der  heutigen  Kultur  in  Europa  wie  hier 
wohl  sagen,  dass  sie  eine  realistische  ist.  Die  Volker  sowohl  wie  die  ein- 
zelnen  wollen  alle  ,,ein  gemiitliches  Platzchen  an  der  Sonne"  und  Wissen- 
schaft  sowohl  wie  Philosophic  stellt  sich  in  den  Dienst  unseres  korperlichen 
und  biirgerlichen  Wohlergehens.  Die  philosophische  Richtung,  die  ich  im 
Auge  habe,  geht  allerdings  von  England  aus,  hat  aber  auf  dem  Kontinente 
sowohl  wie  auch  hier  eifrige  Vertretung  gefunden. 


72  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Dem  Publikum,  zu  dem  ich  rede,  den  Realismus  und  Naturalismus 
in  Kunst  und  Literatur  zu  charakterisieren,  habe  ich  nicht  notig. 

Dass  dieser  Naturalismus  insbesondere  weder  hier  noch  in  England 
so  iippig  ins  Kraut  geschossen  ist,  wie  auf  dem  europaischen  Kontinente, 
findet,  von  anderen  Ursachen  abgesehen,  nach  meiner  Ansicht,  besonders 
fur  Amerika  seine  sehr  einfache  Erklarung  darin,  dass  die  Schriftsteller 
auf  ihr  Publikum  Riicksicht  nehmen  und  da  dasselbe  sich  hier  mehr  aus 
jungen  Madchen  als  aus  reifen  Mannern  zusammensetzt,  konnte  man  wohl 
kaum  durchweg  als  Hauptattraktion  ein  ehebriichiges  Weib  an  den  novel- 
listischen  Pranger  stellen.  Gleichzeitig  darf  man  sich  jedoch  der  Tatsache 
nicht  verschliessen,  dass  dieser  Umstand  eine  freie  und  natiirliche  Entfal- 
tung  der  amerikanischen  Romanliteratur  in  mancher  Hinsicht  behindern 
mochte. 

In  welcher  Richtung  nun  bewegt  sich  unsere  heutige  Kultur?  Mich 
will  es  diinken,  als  stiinden  wir  eben  an  einer  Biegung  des  Weges,  und 
es  sind  entschieden  deutliche  Anzeichen  vorhanden,  die  uns  eine  neue  Zeit 
gewahrleisten.  Dass  Zolas  Schule  heute  nicht  mehr  in  der  Weise  wie  vor 
zehn  Jahren  den  Ton  angiebt,  wissen  wir  alle  und  in  der  Malerei  scheint 
mir  Bocklin  ein  Mann  der  neuen  Zeit  zu  sein.  Das  wurde  mir  klar,  als  ich 
letztes  Jahr  im  Bocklin  Zimmer  in  Basel  stand.  Das  schien  mir  Idealismus. 

Auf  den  Symbolismus  hier  einzugehen,  gebricht  mir  die  Zeit.  Jeden- 
falls  bedeutet  er  ein  Hinwegstreben  vom  Realismus  und  ist  deshalb  schon 
zu  schatzen.  Was  wir  jedoch  heute  notig  haben,  ist  keine  neue  Manier. 
Wir  brauchen  Kiinstler,  Schriftsteller,  Mcnschen  brauchen  wir  mit  reinem, 
reichem  Herzen,  mit  frohlichem  Mute  und  mi;.  Augen  nicht  nur  fur  das 
Hassliche  und  Gemeine,  sondern  fur  alles  Grosse  and  Schone  um  uns. 
In  der  Schrift  heisst  es:  ,,Selig  sind,  die  reines  Herzens  sind;  denn  sie 
werden  Gott  schauen",  und  damit  sich  die  Wahrheit,  damit  sich  die  gro- 
ssen  Realitaten  des  Lebens,  damit  sich  die  Welt  nicht  verzerrt,  sondern 
wahr,  gross  und  erhaben  in  uns  spiegle,  dazu  gehort  allerdings  ein  reines 
Gemut,  das  wie  ein  tiefklarer  Alpensee  die  Berge  und  Walder  schoner 
noch  wiederspiegelt  als  sie  sich  rings  um  seine  Ufer  erheben. 

Es  hatte  des  unsichern  Umhertastens  nach  neuen  Methoden  und 
Prinzipien  wahrlich  nicht  not.  Warum  lernen  wir  nicht  aus  der  Vergan- 
genheit,  die  doch  der  grossen  Werke  und  Namen  so  viele  kennt. 

Sollte  es  fur  einen  modernen  Menschen  nicht  moglich  sein  fiir  seine 
eigene  Personlichkeit  jene  griechischc  Lebenseinheit  zu  erringen,  die  fiir 
das  Volksleben  allerdings  unwiederbringlich  verloren  ist,  die  aber  das 
Streben  des  Einzelnen  zur  kraftigsten  und  schonsten  Harmonic,  zur 
hochst  moglichen  Vollendung  fuhren  miisste! 

Und  bietet  uns  die  christliche  Periode  —  wenn  wir  die  ersten  fiinfzehn 
Jahrhunderte  unserer  Zeitrechnung  biindig  so  charakterisieren  durfen  — 
nichts,  das  der  Erhaltung  und  Pfiege  auch  heute  wert  ware?  Wie  bitter 


Idealismus,  Gedanken  und  Beobacbtungen.  73 

not  tate  uns  nicht  heute  etwas  von  jener  zum  Himmel  lodernden  Begei- 
stenmg  fur  iiberirdische  Giiter,  die  einen  Paulus  und  die  ersten  Christen 
auszeichnete !  Nennen  Sie  es  lachelnd  Fanatismus,  nennen  Sie  es  Aber- 
glaube;  es  war  die  vollige,  innige,  kindliche  und  begeisterte  Hingabe  an 
ein  grosses  iiberweltliches  Ideal. 

In  Shakespeare  tritt  uns  ein  Mensch  entgegen.  Mehr  sage  ich  nicht 
iiber  ihn.  Wie  er  die  Menschen,  ohne  dass  sie  die  Miihe  des  Aufstiegs 
irgendwie  empfanden,  auf  Hohen  der  LebensaufFassung  fiihrte,  wo  man 
weit  ausschaute,  wo  man  freier  atmete,  wo  man  Mensch  war,  ist  bekannt. 

Und  was  konnten  unsere  Naturalisten  nicht  endlich  von  unserm 
Schiller  lernen!  Folgender  Satz,  der  sich  in  seinem  geistvollen  Aufsatz: 
„ liber  naive  und  sentimentalische  Dichtung"  findet,  konnte  ebenso  wohl 
die  Kraftstelle  einer  modernen  Abhandlung  iiber  zeitgenossische  Literatur 
bilden.  Schiller  sagt  da:  ,,Wirkliche  menschliche  Natur  ist  jede  mora 
lische  Niedertrachtigkeit,  aber  zvahre  menschliche  Natur  ist  sie  hoffentlich 
nicht ;  denn  diese  kann  nie  anders  als  edel  sein.  Es  ist  nicht  zu  iibersehen, 
zu  welchen  Abgeschmacktheiten  diese  Verwechslung  wirklicher  Natur  mit 
wahrer  menschlicher  Natur  in  der  Kritik  wie  in  der  Ausiibung  verleitet 
hat:  welche  Trivialitaten  man  in  der  Poesie  gestattet,  ja  lobpreist,  weil  sie, 
leider!  wirkliche  Natur  sind;  wie  man  sich  freut,  Carikaturen,  die  einen 
schon  aus  der  wirklichen  Welt  herausangstigen,  in  der  dichterischen  sorg- 
faltig  aufbewahrt  und  nach  dem  Leben  konterfeit  zu  sehen.  Freilich  darf 
der  Dichter  auch  die  schlechte  Natur  nachahmen  und  bei  dem  satirischen 
bringt  dieses  ja  der  Begriff  schon  mit  sich;  aber  in  diesem  Falle  muss 
seine  eigene  schone  Natur  den  Gegenstand  ubertragen  und  der  gemeine 
Stoff  den  Nachahmer  nicht  mit  sich  zu  Boden  ziehen."  Unserem  Schiller 
gebiihrt  gerade  heute  wieder  mehr  Gehor,  und  zwar  aus  mehr  ais  einem 
Grunde!  Was  iibrigens  Schiller  in  seinem  beriihmten  Aufsatze  des  wei- 
teren  ausfiihrt  und  asthetisch  begriindet,  driickt  George  Sand  kurz  aus, 
wenn  sie  sagt :  ,,L'art  n'est  pas  une  etude  de  la  verite  positive ;  c'est  une 
recherche  de  la  verite  ideale." 

Liesse  sich  doch  all  das  Gute,  das  die  Geschlechter  vor  uns  hatten, 
in  eine  grosse  Menschenkraft,  in  eine  grosse  Personlichkeit  zusammen- 
fassen !  Gabe  uns  der  Himmel  doch  einen  Mann,  der  auf  jener  griechi- 
schen  Hohe  des  Lebens  steht,  der  die  Quelle  der  inneren  Kraft,  der  Ruhe 
und  Einheit  gefunden  hat,  sei  es  in  den  christlichen,  sei  es  in  dem  poetisch 
philosophischen  Zusammenfassen  des  vielgestaltigen  Lebens  um  uns  in  ein 
hochstes,  unbegreifliches  Leben,  das  auch  durch  uns  stromt,  einen  Mann, 
der  mit  der  kraftvollen  Kunst  eines  Shakespeare  und  dem  keuschen  Auge 
eines  Schiller  uns  Bilder  des  Lebens  darbote,  Bilder,  in  denen  wir  uns 
wiederfanden,  Bilder,  in  denen  wir  auch  voile  und  ganze  Menschen  schau- 
ten,  Menschen  und  Dinge  so  wie  sie  sein  sollten  und  so  wie  wir  vielleicht 
sein  konnten,  wenn  \vir  unsere  ganze  Kraft  zusammenfassten ;  Welt-  und 


74  P'ddagogtscbe  Mcnatstiefte. 

Menschenbilder  miisste  der  Mann  uns  zeigen,  die  ohne  einen  Versuch  uns 
im  einzelnen  zu  belehren,  zu  erbauen,  oder  zu  strafen,  als  Gauzes  auf  uns 
wirkten,  uns  erfassten  durch  ihre  innere  Wahrheit,  ihren  tiefen  Ernst  und 
ihre  frohliche  Begeisterung  fur  jene  Guter,  die  das  Leben  erst  lebenswert 
machen.  Eine  solche  Kunst,  eine  solche  Literatur  wiirde  uns  unversehens 
emporheben  ubers  Alltagliche  und  wurde  uns  auf  eine  Alpenhohe  der 
Lebensauffassung  stellen,  wo  wir  uns  der  Gottheit,  wo  wir  uns  der  Quelle 
unserer  Kraft  naher  fiihlten  und  freier  und  frohlicher  aufatmeten  als  in 
eng  dumpfem  Tale,  wo  Naturalisten  und  Symbolisten  ihr  Wesen  treiben 
ein  jeder  in  seiner  Art. 

In  Deutschland  empfindet  man  das  Bediirfnis  nach  Vollmenschen, 
wie  man  sie  dort  wohl  nennt,  nach  frischer,  kraftiger  Luft.  Lienhard 
vor  alien  Dingen  und  dann  auch  Weigand  und  Bartels  stossen  da  ins  Alp- 
horn.  Heimatkunst  ist  die  Losung!  In  den  Heimatboden  solle  man  die 
Wurzeln  schlagen,  aus  ihm  Kraft  saugen  und  dann  das  Beste,  Schonste 
und  Kraftigste  der  Sonderart,  sei  es  nun  Bayerisch  oder  Friesisch,  der 
Allgemeinheit  bieten. 

Meine  Freunde !  Der  Ruf  edler  deutscher  Manner  dringt  zu  uns 
ubers  Meer,  aus  der  Stammesart  das  Schonste  und  Kraftigste  seinem  Vol- 
ke  zu  bieten.  Fur  uns  handelt  es  sich  hier  nicht  um  Bayern  und  Friesen. 
Wir  haben  als  Deutsche  unsere  Pflicht  diesem  neuen,  grossen  Volke  gegen- 
iiber,  unter  dem  wir  als  Lehrer  wirken.  Seien1  wir  Lehrer  in  einem  wei- 
ten,  hohen  Sinne  des  Worts.  Seien  wir  Vertreter  des  Hochsten  und  Be- 
sten  aus  unserem  Stamm.  Lassen  wir  doch  den  alten  deutschen  Idealis- 
mus  der  Forschung  und  Kunst  nicht  aussterben,  von  dem  man  so  wenig 
mehr  spurt  in  Neudeutschland  sowohl  wie  hier  in  Amerika. 

,,Das  Lied,  das  aus  der  Kehle  dringt, 
Ist  Lohn,  der  reichlich  lohnet." 

sagt  Goethes  Sanger.  Ich  wollte,  ich  konnte  das  unseren  grossen  San- 
gern  und  Virtuosen  gelegentlich  sagen.  Die  Kiinstler  und  die  Kunst  wiir- 
den  ja  so  viel  gewinnen,  wenn  die  Kiinstler  sich  zu  einer  idealeren  Auf- 
fassung  ihrer  Kunst  verstehen  konnten  und  die  Tiiren  der  Konzertsale  und 
Theater  etwas  weiter  offneten.  Kunst  gehort  alien.  Die  Kunst  hebt  das 
Schone,  so  dass  alle  es  sehen  konnen. 

Ohne  Lohn  verlasst  Goethes  Sanger  allerdings  auch  nicht  das  Schloss. 
Er  ruft  dem  Konige  zu : 

,,Doch,  darf  ich  bitten,  bitt'  ich  eins: 
Lass  mir  den  besten  Becher  Weins 
In  purem  Golde  reichen !" 

Der  Lebensgenuss  ist  uns  also  nicht  versagt  alsLohn  fur  unser  Lied,  fur 
unsere  Kunst.  Wir  diirfen  die  Freude  des  Lebens  mit  vollen  Ziigen  schlur- 
fen.  Es  war  jedoch  der  beste  Wein,  den  Goethes  Sanger  verlangte,  und  er 


Milndliche  Erteilung  des  deutscben  Unterrkbts.  75 

trank  ihn  aus  goldencm  Becher.  Edle  Lebensfreude,  in  edler  Form,  aus  gol- 
denem  Becher  —  genossen :  Das  ist  auch  eine  Lebenskunst,  die  wir  Deut- 
sche hier  iiben,  hier  vertreten  sollten.  Unsere  Pflicht  haben  wir  jetzt  in 
diesem  Stiicke  nicht  getan  —  der  Genius  unseres  Volkes  klagt  uns  an. 

Endlich,  —  und  das  ist  das  letzte  —  lassen  wir  das  Abendrot  am  Him- 
mel !  Wo  die  Wissenschaft  uns  verlasst,  da  sollten  wir  Poesie  und  Religion 
nicht  zuriickstossen.  Im  Abendrot  sah  Schiller  goldne  Friichte  gliihen 
und  einen  Nachen  schwanken  nach  jenem  Lande,  wo  nach  den  Worten 
des  Paulus  ,,das  Stiickwerk  aufhort"  und  von  dem  Goethes  Chorus  Mysti- 
cus  singt : 

,,Das  Unsulangliche 
Hier  zvirds  Ereignis." 

Das  ist  der  letzte  und  hehrste  Idealismus. 


Miindliche  Erteilung  des  deutschen  Unterrichts  in  den 
Anfangsklassen  unserer  of f en t lichen  Schulen. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  32.  Lehrertage  zu  Detroit. 


Von  Vhilipp  Jfuber,  Saginaw,  W.  S.,  Mich. 

Wird  in  unseren  offentlichen  Schulen  und  besonders  in  den  Anfangs- 
klassen derselben,  wobei  Kinder  von  fiinf  Jahren  zu  unterrichten  sind, 
deutsch  gelehrt,  so  kann  der  Zweck  und  das  Ziel  des  Unterrichts  nur  darin 
bestehen,  die  Kinder  mit  dem  Gebrauch  der  deutschen  Sprache  ver- 
traut  zu  machen,  sowie  dieselben  zum  miindlichen  und  schriftlichen  Ge- 
dankenausdruck  zu  befahigen. 

Dass  die  zur  Zeit  gebrauchlichen  Methoden,  wobei  mit  Lesen  und 
Schreiben  in  der  Fremdsprache  begonnen  wird,  ehe  die  Kinder  die  Sprache 
verstehen,  ein  Hindernis  sind,  das  wichtigste  Ziel,  die  Kinder  mit  dem 
Gebrauch  der  deutschen  Sprache  vertraut  zu  machen,  und  zwar  mog- 
lichst  rasch,  damit  sie  dann  desto  langer  und  tiefer  auf  Herz  und  Ge- 
mut  ihrer  Schiiler  durch  diese  Sprache  einzuwirken  vermogen,  steht  wohl 
bei  jedem  Lehrer,  der  auf  dieErgebnisse  des  deutschen  Sprachunter- 
richts  ein  aufmerksames  Auge  hat,  fest. 

Die^se  Ergebnisse  werden  jedoch  um  so  geringer  sein,  je  mehr  die 
wirkliche  deutsche,  d.  h.  aus  Deutschland  eingewanderte  Bevolkerung  ab- 
nimmt  und  wir  in  den  Schulen  bereits  die  zweite  oder  dritte  Generation 
zu  unterrichten  haben;  mit  organischer  Notwendigkeit  muss  dann  der 
deutsche  Unterricht  vollstandig  aufhoren.  Sollten  jedoch  die  Resultate 
des  deutschen  Unterrichts  derartige  sein,  dass  die  Kinder,  auch  diejenigen 
angloamerikanischer  Abkunft,  die  Sprache  wirklich  sprechen 
lernen,  nicht  nur  lesen  und  schreiben,  so  werden  wir  keinen  grosseren  und 


76  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

begeisterten  Anhanger  und  Verteidiger  dieses  Unterrichtszweiges  haben, 
als  den  Angloamerikaner. 

Das  Haupthindernis,  dass  die  Methode  des  deutschen 
Sprachunterrichts  noch  nicht  so  vollkommen  ist,  wie  sie  sein  sollte,  um  ihr 
Ziel  zu  erreichen,  ist,  dass  sie  zu  sehr  auf  den  Leib  der  rein  deutschen 
Schule  zugeschnitten  ist. 

Im  Z  w  e  c  k  und  Ziel  des  deutschen  Unterrichts  stimmt  die  zwei- 
sprachige  mit  der  einsprachigen  deutschen  Schule  vollkommen  uberein. 
Beide  haben  denselben  Zweck:  die  hochdeutsche  Sprache  ihren  Schiilern 
gelaufig  zu  machen  und  durch  dieselbe  auf  Herz  und  Geist  der  Kinder 
einzuwirken ;  und  dasselbe  Ziel :  die  Schiiler  zum  Verstandnis  des  mund- 
lichen  und  schriftlichen  Gedankenausdrucks  in  Wort  und  Schrift  zu  be- 
fahigen.  Wahrend  es  aber  in  der  rein  deutschen  Schule  hauptsachlich  nur 
darauf  ankommt,  die  Kinder  mit  einer  ihnen  mehr  oder  weniger  schon  b  e- 
k  a  n  n  t  e  n  Sprache  vertraut  zu  machen,  hat  die  zweisprachige  Schule 
die  ungemein  schwierige  Aufgabe,  ihre  Schiiler  zum  Gebrauch  einer  ihnen 
noch  v  6  1 1  i  g  oder  t  e  i  1  w  e  i  s  e  fremden  Sprache  zu  befahigen.  Aus 
diesem  Grunde  ist  es  wohl  ersichtlich,  dass  der  deutsche  Sprachunterricht 
in  zweisprachigen  Schulen  ganz  andere  Wege,  als  in  rein  deutschen  Schu- 
len  einschlagen  muss,  um  zu  seinem  Ziele  zu  gelangen,  dass  mithin  die 
Methode  dieses  Unterrichtsfaches  eine  in  beiden  Schulen  von  einander 
verschiedene  sein  muss. 

Die  Worter  fur  die  verschiedenen  Dinge,  Eigenschaften,  Tatigkei- 
ten,  Umstande  und  Verhaltnisse  machen  gewissermassen  das  Knochen- 
geriist  der  Sprache  aus.  Ohne  eine  hinreichende  Wortkenntnis  kann 
man  Reden  und  Schriftstiicke  in  der  in  Betracht  kommenden  Sprache  ih- 
rem  sachlichen  Inhalte  nach  nicht  geniigend  verstehen  und  sich  selbst  nur 
kummerlich  ausdriicken.  Wir  miissen  uns  darum  vergegenwartigen : 

i.  Wie  viel  Worter  die  Kinder  der  zweisprachigen  Schule  lernen 
sollen, 

2.     Nach  welchen  Gesichtspunkten  diese  Worter  zu  wahlen  und  zu  ver- 
teilen  sind, 

3.  Wie  man  die  Kinder  am  zweckmassigsten  in  das  Verstandnis 
der  Worter  einfuhrt  und 

4.  Wie  man  sie  vor  dem  Vergessen  der  einmal  erlernten  Worte  be- 
wahrt. 

i.  Eine  bestimmte  Zahl  der  Worter,  die  die  Kinder  in  der  zwei- 
sprachigen Schule  iiberhaupt  lernen  sollen,  lasst  sich  nicht  ohne  weiteres 
mit  voller  Sicherheit  aufstellen.  Man  muss  zunachst  nach  einem  Anhalte 
zur  Berechnung  dieser  Zahl  suchen.  Den  besten  Anhalt  dafiir  geben  uns 
wohl  die  fur  die  verschiedensten  Stufen  gebrauchten  Lesebiicher.  Durch 


Mundliche  Erteilung  des  deutscben  Unterricbts.  11 

vorsichtige  Vergleichung  kam  man  zu  folgendem  Resultate :  Die  Spross- 
formen  und  Zusammensetzungen  ausgeschlossen,  ergeben  ungefahr  2000 
—  2400  Worter  als  Lernstoff  fur  eine  Schulzeit  von  6  Schuljahren ;  wir 
erhalten  dann  fiir  jedes  Schuljahr  rund  400  Worter,  die  einzuuben  vvaren 
und  aucli  ohne  iibergrosse  Muhe  geiibt  werden  konnen. 

2.  Einen  sicheren  Weg  zur  Ermittlung  der  in  erster  Reihe  zu  be- 
riicksichtigenden  Worter  gibt  es  zur  Zeit  noch  nicht.     Wenn  wir  etwa 
den  Wortschatz  genau  kennen  lernen  wollten,  tiber  welchen  sechsjahrige 
Kinder  in  ihrer  Muttersprache  verfiigen,  so  miissten  diesbeziigliche  Un- 
tersuchungen  von  mehreren  Seiten  vorliegen,  damit  durch  Vergleichung 
und  Zusammenstellung  derselben   Einseitigkeiten   und   Irrtiimer  ausge- 
schieden  werden  konnten. 

Ich  glaube  jedoch,  dass  folgende  Punkte  bei  der  Auswahl  zu  beriick- 
sichtigen  sind : 

Nur  recht  praktische  Gegenstande  besprechen ;  ganz  besonders  Dinge, 
mit  denen  sich  die  Sprache  des  taglichen  Lebens  befasst  und  die  in  dem 
Anschauungskreise  der  Kinder  liegen.  Ausdriicke,  welche  in  der  tag- 
lichen  Umgangssprache  haufig  vorkommen,  miissen  dabei  besonders  be- 
riicksichtigt  werden ;  die  Kinder  miissen  auch  auf  den  Markt,  in  die  Werk- 
statt,  auf  den  Wirtschaftshof  und  ins  hausliche  Leben  gefiihrt  werden, 
miissen  angeleitet  werden,  wie  sie  bitten,  griissen,  wiinschen  und  fragen 
sollen,  insbesondere  sind  sie  in  der  Fragestellung  zu  iiben,  denn  die  Frage 
spielt  bekanntlich  in  der  Unterhaltung  des  taglichen  Lebens  eine  Haupt- 
rolle. 

Bringen  wir  dem  Kinde  zunachst  die  Kindessprache  bei !  Ma- 
chen  wir  es  fahig,  sich  mit  seinen  Schul-,  Spiel-  und  Hausgenossen  in  der 
ihm  eigenen  Gedankensphare  zu  unterhalten,  dann  wird  das  Kind  auch 
mehr  Freude  an  der  Sprache  haben. 

Als  Wiirze  gebe  man  Spriiche,  Gedichte,  dramatische  Behandlung 
derselben,  Lieder,  Spiele,  Ausfluge  u.  s.  w. 

3.  Beschaftigen  wir  uns  nun  mit  der  Frage,  wie  die  Kinder  in  das 
Verstandnis  der  Worter  einzufiihren  sind.     Diese  Einfuhrung  kann  er- 
folgen  durch  die  AnschauungderWirklic  h  k  e  i  t,  durch  die 
Verwendung  von  M  o  d  e  1 1  e  n  und  B  i  1  d  e  r  n  und  durch  die  Vermitt- 
lung  der  Muttersprache,  also  durch  Ubersetziing. 

tiber  die  Ubersetzungsmethode  zur  Erlernung  einer  fremden  Sprache 
in  den  Elemenlarklassen  haben  Theorie  und  Praxis  der  Padagogik  zwar 
schon  langstens  ihr  endgiltiges  Urteil  gesprochen,  aber  immer  noch  wagen 
sich  Manner,  wenn  auch  unberufene,  hervor,  um  die  aus  der  Volksklasse 
verbannte  Alethode  wieder  dahin  zuruckzufiihren.  Da  nicht  wenige 
Menschen  die  Bequemlichkeit  lieben,  seien  einige  Worte  uber  diese  be- 
queme  Methode  gesagt.  Den  Kindern,  welche  den  deutschen  Sprachun- 


'78  P'ddagogische  MonatsbejU. 

terricht  nach  dieser  Methode  empfang-en,  wird  die  deutsche  Sprache  nie 
.zum  geistigen  Eigentum  warden,  denn  sie  werden  nie  in  ihr  denken  ler- 
nen,  sondern  ihre  Sprache  wird  immer  ein  miihsames  Ubersetzen  sein. 
Wer  aber  in  einer  fremden  Sprache  nicht  denken  kann,  der  wird  doch  nicht 
behaupten,  dass  er  sie  besitzt.  Die  Muttersprache  wird  stets  alleinige 
Tragerin  der  Vorstellungen  sein,  aber  nicht  die  deutsche.  Derjenige,  der 
vielleicht  meint,  dass  das  Kind  von  selbst  darauf  kommt,  eine  direkte  Ver- 
bindung  zwischen  dem  betreffenden  Begriffe  und  dem  deutschen  Worte 
herzustellen,  hat  keine  Ahnung  von  dem  tragen,  hilflosen  Geiste  der  mei- 
sten  Kinder  bei  ihrem  Schuleintritte.  Ganz  so,  wie  ihm  die  Stoffe  vom 
Lehrer  dargeboten  werden,  nimmt  er  dieselben  auf  und  reproduziert  sie 
ohne  jegliche  selbstandige  Veranderung. 

Manche  meinen,  es  schade  ja  nichts,  auf  der  Unterstufe  die  englische 
Sprache  zu  Hilfe  zu  nehmen  und  dann  in  den  Mittel-  und  Oberstufen  nur 
<Ieutsch  zu  sprechen  —  geschieht  dies,  so  achten  die  Schiiler  nicht  mehr 
auf  die  deutsche  Sprache  und  das  Bediirfnis  nach  derselben  wird  also 
nicht  in  ihnen  geweckt. 

Da  das  Behalten  der  deutschen  Worter  hierbei  lediglich  Sache  des 
Gedachtnisses  ist,  so  kann  es  bei  weniger  sorgfaltiger  Einiibung  der  Uber- 
setzung  leicht  vorkommen,  dass  das  Kind  die  Zusammengehorigkeit  der- 
selben vergisst  oder  mehrere  Worter  mit  einander  verwechselt  und  die 
babylonische  Sprachverwirrung  im  kleinen  ist  da. 

Der  Einwand,  dass  die  Kinder  ohne  Zuhilfenahme  der  Muttersprache 
das  deutsche  Wort  zwar  lernen,  aber  nicht  verstehen  werden,  fallt  in  sich 
selbst  zusammen  durch  die  Forderung:  Unterrichte  anschaulich.  Durch 
•die  Schwierigkeiten,  welche  das  Ubersetzen  notwendigerweise  mit  sich 
bringt,  wird  den  Schiilern  die  deutsche  Sprache  verleidet. 

Diese  Methode  leitet  die  Kinder  auch  sogar  zur  unrichtigeij  Aneig- 
nung  der  deutschen  Sprache  an,  indem  diese  dadurch  gewohnt  werden, 
•wortlich,  ohne  Riicksicht  auf  die  Wortfolge,  zu  ubersetzen,  wodurch  jenes 
schauderhafte  Deutsch  grossgezogen  wird,  das  wir  alle  kennen.  (Przi- 
Mla.) 

,,Wenn  der  deutsche  Sprachunterricht  nicht  ganz  und  gar  seine  ge- 
mutliche  und  belebende  Seite  verlieren  soil,  so  darf  er  nicht  als  Anhangsel 
•des  englischen  betrieben  werden,  sondern  er  muss  direkt  aufs  Ziel  los- 
steuern  und  den  Schiiler  so  schnell  und  gerade  als  moglich  in  den  Geist 
"der  deutschen  Sprache  einfuhren.  Der  Schiiler  muss  gleich  in  der  deut- 
schen Sprache  denken  und  unabhangig  von  der  Muttersprache  den  Gedan- 
ken  auch  nach  den  Gesetzen  der  deutschen  Sprache  aussprechen  lernen. 
Nur  dann  erhalten  die  deutschen  Worter  auch  ihren  bedeutsamen  Inhalt 
'«nd  dann  wird  das  Horen,  Verstehen  und  Sprechen  in  der  deutschen 
.Sprache  das  richtige  sein."  (Spohn.)  Als  Regel  sollte  gelten:  Nie  darf 


Mundlicbe  Erteilung  des  deutschen  UnterriMs.  79 

die  englische  Sprache  alsVermittlerin  des  Verstandnisses  der  deut- 
schen  Worter  gebraucht  werden. 

Es  mochte  jedoch  einige  Falle  geben,  in  welchen  die  Muttersprache 
den  Kindern  wirklich  das  beste  Mittel  zur  Einfiihrung  in  das  Verstandnis 
des  deutschen  Wortes  ist,  wie  dies  bei  ,,gestern,  heute,  morgen"  zutreffen 
diirfte. 

Man  ware  iiberhaupt  nie  zur  Beniitzung  jener  Methode  gelangt,  hatte 
man  mehr  auf  unsere  bedeutenden  Psychologen  und  Padagogen  gehort. 
Schon  Comenius  sagte  in  seiner  Didactica  magna :  Die  Worte  miissen  im- 
mer  in  Verbindung  mit  den  Dingen  und  Handlungen  gelehrt  werden,  da- 
mit  Verstand  und  Sprache  immer  gleichzeitig  gebildet  werden.  Worte 
ohne  Dinge  sind  Schalen  ohne  Kerne,  eine  Scheide  ohne  Schwert,  Schatten 
ohne  Korper,  Korper  ohne  Seele.  Die  Weisheit  besteht  in  den  Dingen, 
nicht  in  den  Worten.  Noch  deutlicher  sagt  er  dies  in  seinem  ,,Orbis  pic- 
tus":  ,,Dies  parallellaufende  Kennenlernen  der  Dinge  und  Worte  ist  das 
grosse  Geheimnis  der  naturgemassen  Methode." 

Wie  muss  nun  eine  naturgemasse  Methode  verfahrent 

1.  Wirkliche  Anschauung  und  Veranschaulichung  des  Sprach- 
unterrichts  und  Sprachstoffs ;  wobei  zuerst  die  einfachste  Form  der  Spra- 
che gewab.lt  und  die  Wahl  des  Stories  aus  dem  Kreise  getroffen  werden 
muss,  in  dem  das  Kind  lebt  und  sich  bewegt. 

2.  Die  in  den  ersten  Ubungen  zu  lernenden  Worter  miissen  mog- 
lichst  kurz  und  volltdnend  sein. 

3.  Ausschliesslich  in  ganzen  Satzen  wurde  stets  die  Antwort  zu  ge- 
ben sein ;  denn  nur  dadurch  werden  die  Schuler  d  e  n  k  e  n  d  sprechen  ler- 
nen. 

4.  *\uf  die  Einiibung  einer  richtigen  Aussprache  und  guten  Beto- 
nung  ist  besonders  zu  achten  und  deshalb  sind  Atempausen  von  grosser 
Bedeutung. 

5.  Von  der  Notwendigkeit  der  Sprachformen-  und  Wortbildungs- 
ubungen    in    zweisprachigen    Schulen    sind    alle  Padagogen    iiberzeugt. 
Fremdsprachige  Kinder  bringen  kein  Sprachverstandnis  fiir  gebrauch- 
liche   Sprachformen,   Zusammensetzungen   und   Sprossformen   mit,   wie 
Kinder  deutscher  Abkunft,  und  deshalb  wird  eine  planmassige  Ein- 
fiihrung  in  das  Verstandnis  und  in  die  Anwendung  aller  hochdeut- 
schen  Sprachformen  und  aller  Arten  der  Wortbildung  gefordert.     Die 
planmassige  Formenbildung  ist  eine  gewollte  Erzeugung  des  der  Natur 
abgelauschten  Vorganges,  bei  welchem  die  am  haufigsten  auftretenden 
Formen  sich  zuerst  und  am  sichersten  einpragen. 

a)  Diese  Ubungen  verhelfen  den  Kindern  zu  einem  tieferen  Sprach- 
verstandnis—  vom  Leichten  zum  Schweren  fortschreitend,  jede  Ubung 


80  P'ddagogische  Monatsbefte. 

auf  die  vorhergehende  bauend,  iibt  man  die  einzelnen  Formen  der  deut- 
schen  Sprache,  dass  sie  den  Schulern  in  Fleisch  und  Blut  iibergehen  und 
dadurch  zu  ihrem  unverlierbaren  Eigentum  werden. 

b)  Das  Interesse  der  Kinder  ist  dabei  ein  lebendiges,  da  ein  reger 
Wechsel  der  Objekte  vorherrscht,  da  die  Ubungssatze  sich  mit  den  ver- 
schiedensten  Dingen  und  deren  Eigenschaften  und  Tatigkeiten  beschaf- 
tigen. 

c)  Der  Tod  jeglichen  Unterrichts  ist  die  Gleichgiltigkeit  der  Kin- 
der fur  den  betreffenden  Lehrgegenstand ;  soil  nun  der  Sprachunterricht 
nicht  an  dieser  Klippe  scheitern,  so  ist  es  von  grosser  Wichtigkeit,  den 
Kindern  ein  moglichst  reges  Interesse  fur  diesen  Unterricht  einzuflossen. 
Dies  geschieht  durch  deutliche,  allseitige  Anschauung,  naturgemasse  Be- 
handlung  klares  Verstandnis  der  Sprachstoffe ;  indem  man  alle  Ubungen 
aus  dem  Anschauungskreise  der  Kinder  nimmt,  indem  man  den  toten 
Korpern  Leben  verleiht  —  indem  die  Kinder  stets  handeln,  veranschau- 
lichen,  selbst  tatig  sind,  sich  gegenseitig  fragen,  spielen,  singen ;  nicht 
nur  horen  und  sehen  wollen  die  Kinder,  sondern  auch  fiihlen,  riechen, 
schmecken;  alle  Sinne  sollen  geiibt  werden.     Dabei  wird  vor-  und  nach- 
gesprochen,  oft  wiederholt,  oft  zuriickerinnert  u.  s.  w.,  kurz  das  wirkliche 
kindliche  Leben  gelebt  —  die  Schule  ist  Leben. 

Auf  diese  Weise  besitzen  die  Kinder  rasch  eine  Fiille  von  Sprachfor- 
men, gegen  die  ein  Schatz  von  Vokabeln  ganz  tot  ist. 

d)  Ein  Mittel,  den  Kindern  das  Verstandnis  der  deutschen  Sprache 
zu  erschliessen,  sind  auch  Gebarde  und  Geste. 

e)  Zum  Einiiben  der  Sprachformen  ist  auch  das  Chorsprechen  von 
Wichtigkeit. 

6.  Die  Ubungen  der  Worter  und  Sprachformen  wiirden  aber  allein 
nicht  geniigen,  die  Schiiler  mit  der  Sprache  geniigend  vertraut  zu  machen, 
sondern  das  in  den  Ubungen  gewonnene  Material  muss  auch  noch  in  be- 
sonderen  Besprechungen  verarbeitet  werden.  Die  Besprechungen  folgen, 
sobald  ein  kleiner  Sprachschatz  angeeignet  ist  —  wobei  nie  eine  Form  ge- 
braucht  werden  darf,  die  noch  nicht  geiibt  wurde  —  spater  darf  der  Lehrer 
auch  noch  nicht  geiibte  Formen  gebrauchen,  wenn  er  stets  fur  voiles  Ver- 
standnis seiner  Frage  Sorge  tragt.  In  betreff  der  Veranschaulichung 
des  Sprachstoffes  fur  die  Besprechung  ebenso  wie  fur  den  Sprachform- 
unterricht  muss  des  Lehrers  Ideal  die  wirkliche  Anschauung  der  zu 
besprechenden  Dinge  sein.  Ein  wesentliches  Merkmal  eines  jeden  Ideals, 
die  Unerreichbarkeit,  tritt  auch  hierbei  zutage;  deshalb  ist  das  Nachste, 
gute  Modelle  und  Bilder;  jedoch  soil  als  erster  Grundsatz  gelten,  lieber 
iiber  die  gewohnlichsten  Dinge,  die  in  natura  vorgezeigt  werden  konnen, 


Mundliche  Ertcilung  dcs  deutscben  Unterrichts.  81 

zuerst  zu  reden,  als  iiber  Gegenstande,  von  denen  vielleicht  noch  kein  Kind 
etwas  gesehen  oder  gehort  hat. 

Gegen  das  Vergessen  des  einmal  Erlernten  schiitzt  man  die  Kinder 
am  besten  durch  eine  moglichst  feste  Einpragung  beim  Erlernen  und 
durch  eine  haufige  gelegeritliche  Wiederholung.  Die  feste  Einpragung 
ist  nicht  schon  mit  der  Vermittlung  des  Verstandnisses  ohne  weiteres  er- 
reicht.  Das  Wort  muss  auch  seinem  Lautgehalte  nach  scharf  aufgefasst 
—  deswegen  deutlich  vorgesprochen,  nachgesprochen  und  einzeln  und  im 
Chor  wiederholt  werden. 

Soweit  der  Stand  des  Schreibunterrichtes  es  erlaubt,  soil  jedes  neue 
Wort  auch  geschrieben  und  gelesen  werden ;  der  Lehrer  schreibt  diese 
Worter  vor,  lasst  sie  lesen  und  in  der  auf  die  Sprachiibung  folgenden  stil- 
len  Beschaftigung  abschreiben.  Die  Einpragung  ist  ferner  eine  um  so 
festere,  in  je  mehr  Satzen  das  neue  Wort  bei  seiner  Einfuhrung  auftritt. 

Uber  Fehlerverbesserung  sei  zu  bemerken,  der  Lehrer 
mache  es  sich  zum  Grundsatz,  gleich  von  vornherein,  von  den  ersten 
Sprachiibungen  an,  keine  Fehler  durchschliipfen  zu  lassen;  nie  lache  der 
Lehrer  iiber  gemachte  Fehler  oder  werde  heftig  —  die  Verbesserung  muss 
eingeiibt  werden. 

Nun  noch  einige  Worte  iiber  die  Zeit,  wenn  der  Schreib-  und  Lese- 
unterricht  begonnen  werden  soil.  Aus  dem  bisher  gesagten  geht  hervor, 
dass  der  Leseunterricht  in  Verbindung  mit  der  Fibel  nicht  eher  begonnen 
werden  soil,  als  bis  die  Klasse  fahig  ist,  denselben  in  der  deutschen  Spra- 
che  zu  empfangen;  was  meiner  jetzigen  Erfahrung  nach  gegen  das  Ende 
des  i.  Schuljahres,  bestimmt  am  Ende  des  2.  Schuljahres  geschehen  kann. 
Der  Schreibleseunterricht  kann  jedoch  schon  friiher,  vielleicht  gegen  das 
Ende  des  ersten  Halbjahres  beginnen. 


Correlation  of  German  with  Other  Studies. 


(Fur  die  Padagogischcn  Monatshefte.) 


Von  Betty  Silberberg,  New  York  City. 

If  we  observe  nature,  the  different  conditions  of  society,  trade,  industry,  art, 
and  politics,  we  find  that  every  where  there  ia  an  interdependence,  an  inter- 
relation between  two  things.  Nowhere  can  there  be  an  absolute  independence, 
everything  and  everybody  is  subject  to  outside  conditions  and  forces.  If  it  does 
not  rain,  the  plant  cannot  grow,  animals  and  human  beings  suffer  from  it. 
Drought  and  misery  in  one  part  of  the  world  cause  a  rise  in  the  market  in 
another.  Prosperity  at  home  prevents  people  from  emigrating.  Industry  creates 
wealth,  this  is  a  favorable  condition  for  science  and  art.  People  are  satisfied  and 
content,  peace  reigns  in  the  country. 

In  science  we  see  the  same  process.  The  invention  of  the  compass,  the  theory 
that  the  world  is  round,  caused  Columbus  to  search  for  a  new  way  to  India,  and 
thus  led  to  the  discovery  of  a  new  world.  Without  the  invention  of  the  printing 
press  and  the  spread  of  learning  among  the  masses,  the  Reformation  would  not 
have  been  possible.  So  we  see  everywhere,  how  one  thing  cannot  prosper  without 
another;  the  same  holds  good  in  all  fields  of  human  activity  and  therefore,  also, 
in  education. 

No  teacher  can  devote  himself  entirely  to  teach  one  subject  alone,  constantly 
he  needs  to  refer  to  another,  either  for  illustration  or  for  impressing  the  subject 
with  which  he  is  dealing  more  on  the  minds  of  his  pupils.  Even  studies  like  arith- 
metic and  grammar,  when  we  want  to  apply  them  and  make  them  fruitful,  depend 
entirely  on  other  subject  matter,  be  it  on  a  piece  of  literature  or  on  a  commer- 
cial or  industrial  transaction.  We  call  this  interrelation  between  the  different 
studies,  "Correlation"  in  its  limited  sense.  To  this  I  shall  confine  myself  and  not 
dwell  on  the  meanings  of  this  term  by  Herbart,  de  Garmo,  or  Harris. 

The  term  Correlation  came  into  use  at  the  same  time  with  Apperception.  We 
cannot  apperceive  or  assimilate  anything  of  which  we  have  not  some  kind  of  know- 
ledge, that  does  not  call  forth  ideas  slumbering  in  our  mind.  This  creates  or 
wakes  the  Association  of  Ideas,  by  which  the  new  subject  matter  is  illustrated  and 
intensified.  Correlation  is  therefore  a  new  term  used  for  an  old  process. 

As  I  stated  before,  each  study  has  resource  to  another  in  order  to  be  interest- 
ing and  fruitful.  No  study  is  more  valuable  than  the  study  of  the  Mother-tongue, 
this  one  draws  instruction  from  all  sides,  forms  and  moulds  the  youthful  mind  in 
widening  his  spiritual  horizon  and  inspiring  him  with  lofty  ideals.  But  richer 
yet  in  correlation  to  other  studies  than  that  of  the  mother-tongue  is  the  study  of 
a  foreign  language.  By  this  another  world  is  unfolded  to  the  mind,  another  horizon 
opens,  from  another  point  of  view  he  observes,  takes  in  and  judges  customs,  modes 
of  living  and  ways  of  thinking  of  other  nations  than  his  own.  The  mind  is 
broadened  in  every  respect.  The  pupil  understands  better  his  native  tongue  by 
trying  to  master  the  intricacies  of  a  foreign  idiom.  Justly  Goethe  says:  "Nobody 
understands  his  own  language  before  he  has  studied  another."  The  object  of  this 
essay  shall  be  to  show  the  correlation  of  German  with  other  studies. 

It  is  paradox,  somebody  might  say,  that  the  study  of  a  foreign  language 
should  possess  greater  correlation  to  other  studies  than  that  of  the  mother-tongue 
itself,  yet  it  is  not.  The  study  of  the  mother-tongue  is  limited  to  one  language, 
that  of  a  foreign  takes  in  the  study  of  two.  Step  for  step  we  are  obliged  to 


Correlation  of  German  with  Other  Studies.  83 

compare  the  two  and  to  discriminate  between  them;  our  sense  of  judgment  and 
our  reasoning  powers  are  developed  and  sharpened  by  that.  What  we  understand 
we  retain  better  in  memory.  An  example  of  this  is  the  difference  in  strength  and 
intensiveness  between  the  knowledge  of  a  little  child  and  that  of  an  older  person. 
The  first  has  learnt  the  foreign  idiom  either  in  the  nursery  or  abroad.  Easily  it 
was  acquired,  easily  it  is  forgotten  again,  because  no  reasoning  was  developed  by 
it.  Side  by  side,  the  words  and  phrases  of  the  foreign  language  rest  with  those 
of  his  native  tongue.  Soon  one  is  predominant,  soon  another,  according  to  the 
prevailing  external  impetus.  If  one  of  these  two  forces  is  lacking,  either  that  the 
child  only  hears  the  foreign  idiom  or  his  native  tongue,  one  is  soon  forgotten,  and 
no  trace  of  it  is  left  in  the  mind.  Different  it  is  with  the  adult.  When  he 
began  to  acquire  the  new  language,  he  had  already  one  language  developed.  Not 
so  quickly  did  he  learn  the  foreign,  but  by  force  of  comparison  and  judgment,  he 
gave  to  each  one  its  proper  place,  assimilated  the  new  knowledge  to  the  old  one 
of  his  native  tongue,  and:  after  the  study  of  the  foreign  language  has  stopped, 
he  does  not  forget  it  easily  and  never  entirely. 

This  comes  that  in  beginning  to  study  a  foreign  language,  we  have  to  know 
our  own  Grammar  and  Etymology.  We  observe  the  differing  genders,  inflections, 
order  of  words,  moods  and  syntax;  also  the  points  in  which  the  foreign  language 
agrees  with  our  own.  We  notice  the  formation  of  words,  a  new  light  is  thrown 
on  our  own  language.  Soon  we  recognize  which  relation  exists  in  the  structure 
of  the  two  languages.  As  for  German  and  English  we  find  out  from  the  start, 
that  they  are  nearly  related.  So  many  words  used  in  daily  intercourse  are  the 
same  in  both  languages,  some  have  changed  their  meaning  but  retained  the  form. 
Even  the  derivations  are  greatly  alike,  where  they  differ  another  element  has 
entered  into  the  English,  the  French.  In  grammar  we  notice  that  both  languages 
have  three  genders,  shown  best  by  the  personal  pronouns,  that  the  possessive  case 
•of  masculine  and  neuter  nouns  of  the  strong  declension  is  formed  like  the  English 
f.  i.  "des  Vaters  Hut":  the  father's  hat;  "des  Madchens  Buch":  the  girl's  book, 
and  without  the  article  even  the  feminine  have  the  same  form,  f .  i.  Mutters  Kleider : 
mother's  dresses,  Elisens  Schuhe:  Eliza's  shoes,  etc.  The  ground-work  of  both 
languages,  their  back-bone,  is  the  same;  namely  the  verbs.  We  find  in  both  the 
strong  or  old  and  the  weak  or  new  conjugation,  and  most  verbs  which  belong  in 
German  to  the  first  also  do  in  English,  and  vice  versa.  The  ending  of  the 
weak  conjugation  in  the  imperfect  tense  is  ed,  in  English  equivalent  to  the  Ger- 
man te.  In  the  strong  conjugation  the  sound-mutation  in  both  languages  almost 
follows  the  same  rules,  f.  i.  singen,  sang,  gesungen:  sing,  sang,  sung;  beissen,  biss, 
gebissen:  bite,  bit,  bitten;  brechen,  brach,  gebrochen:  break,  broke,  broken,  etc. 

But  not  alone  the  structure  of  both  languages  affords  material  for  correla- 
tion; also  its  content,  I  mean  the  literature  of  these  two  languages  shows  a 
constant  influence  of  one  over  the  other.  In  the  dawn  of  both  stands  the  Beowulfs- 
lied,  claimed  by  both  as  their  own.  Inspired  and  composed  in  the  swamps  and 
marshes  of  Northern  Germany,  it  wandered  with  the  Anglo-Saxons  as  their  greatest 
national  treasure  over  to  the  British  isles.  Until  the  Norman  invasion  1066  Anglo- 
Saxon  literature  flourished.  The  intercourse  between  Germany  and  England  was 
great  in  these  times.  Our  great  national  epos  "Gudrun"  is  a  splendid  illustra- 
tion of  that.  In  England  the  first  TrouvSres  flourished;  from  here  their  poetry 
spread  to  Germany  introduced  by  Mathilda,  the  wife  of  "Heinrich  der  Lowe", 
the  great  antagonist  of  Friedrich  Barbarossa.  The  legends  of  the  holy  Grail  and 
rthe  Table  Round  held  their  triumphant  entrance  in  Germany.  The  German  genius 


84  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

embraced  them,  deepened  and  idealized  them,  for  ever  "Parzival"  and  "Tristan 
and  Isolde"  will  remain  the  gem  of  all  mediaeval  poetry.  Later  German  legends 
wandered  over  to  England  and  again  from  there  were  brought  over  to  Germany. 
Before  Shakespeare,  Christopher  Marlowe  composed  his  Dr.  Faust,  the  first  great 
and  successful  attempt  to  solve  this  deep  problem  of  the  aspiring  and  thinking 
human  mind.  A  little  later  English  comedians  brought  this  over  to  Germany 
with  some  of  Shakespeare's  plays.  Jakob  Ayrer  the  first  German  dramatist  was 
inspired  by  these.  Hundred  years  later  Shakespeare  was  made  the  battle-cry 
between  Gottsched  and  the  Swiss  Bodmer  and  Breitinger.  His  genius  showed  the 
Germans  the  way  to  free  themselves  from  the  fetters  of  French  conventionalism. 
Our  great  poets  owe  much  to  the  inspiration  they  received  from  English  sources, 
though  the  clear,  sharp  mind  of  Lessing  has  made  them  independent  of  all  foreign 
imitations.  Since  the  time  of  Goethe,  Germany  exerts  a  great  influence  on  English 
and  with  that  on  American  literature.  We  see  by  this  how  closely  both  literatures 
are  connected  with  each  other.  Without  referring  to  the  other  no  clear  insight 
is  possible  in  any  of  them.  A  good  teacher  of  languages  and  literature,  therefore, 
cannot  afford  to  pass  by  one  of  these  without  pointing  out  the  connecting  links. 
I  have  dwelled  with  some  length  on  the  correlation  of  German  to  the  English 
language;  as  this  is  the  most  important,  however,  I  pointed  out  already,  that  all 
human  activities  need  to  be  mirrored  in  the  foreign  idiom,  before  this  is  thor- 
oughly mastered.  I  cannot  adequately  teach  German  without  some  knowledge  of 
Arithmetic.  Numbers  are  one  of  the  parts  of  speech.  But  not  the  name  or  the 
mere  sound  of  them  will  make  them  our  own,  we  must  apply  them  in  easy  or 
more  difficult  examples.  All  the  different  manoeuvres  of  the  four  species  have 
to  be  practiced  before  the  scholar  will  know  how  to  buy  any  article  in  the  foreign 
language  or  to  ask  the  number  of  a  street,  house,  the  time  of  the  day,  to  tell  the 
hour  and  know  his  watch.  In  the  public  schools  of  New  York,  Arithmetic  in  Ger- 
man is  prescribed,  but  I  think,  not  too  much  stress  ought  to  be  laid  on  this, 
because  I  am  convinced  all  the  more  difficult  problems  will  always  be  solved  in 
the  native  tongue.  This  may  be  unconscious,  when  not  pronounced  as  in  written 
arithmetic,  and  so  the  process  might  go  on  unobserved  by  most.  Yet  I  as  a 
teacher  of  languages  have  watched  myself  and  found  out  that,  though  I  think 
perhaps  more  in  English  than  in  German,  arithmetic  I  do  in  my  native  tongue. 
It  is  a  formal  study  and  has  not  taken  hold  of  me  as  one  of  the  content  studies. 

Different  from  this  are  the  sciences.  Here  we  do  not  meet  abstract  thought, 
but  have  to  deal  with  concrete  reality.  We  live  in  the  world,  are  part  of  it, 
nature  surrounds  us  everywhere.  Man  is  either  subject  to  the  forces  of  nature  or 
has  made  them  subject  to  his  will  and  ingenuity.  In  studying  a  foreign  language 
we  must  be  able  to  understand  all  these  relations  in  the  foreign  tongue,  otherwise 
our  mastery  over  it  would  be  very  limited.  Different  selections  of  our  readers 
treat  these  subjects,  not  to  speak  of  scientific  works  for  the  advanced  student. 

Lives  of  plants  and  animals  are  described  as  well  as  the  qualities  and  uses 
of  minerals.  A  great  deal  of  knowledge  in  these  subjects  is  imparted  by  the 
medium  of  the  foreign  tongue. 

The  same  is  true  for  physics  and  chemistry;  though  they  apply  more  to  the 
advanced  student  than  the  beginner;  yet  the  elements  of  these  sciences  are  also 
treated  in  the  reader.  Lightning  and  thunder,  ice,  snow,  rain,  air;  salt,  water, 
light,  colors,  etc.,  are  described  in  prose  or  poetry. 

A  knowledge  of  geography  and  astronomy  is  imparted  by  the  study  of  a 
foreign  language.  We  are  led  to  distant  countries.  We  see  the  glaciers  and 
avalanches  of  Switzerland  as  well  as  the  blue  lakes  of  Northern  Italy;  the  bold 


Correlation  of  German  with  Other  Studies.  85 

coasts  of  Norway  with  their  indented  fjords;  the  plains  of  North  Germany  and 
famous  Father  Rhine;  the  wonders  of  the  Torrid  Zone  as  well  as  the  grandeur 
and  terror  of  the  Frigid.  We  learn  the  names  of  oceans,  rivers,  continents,  moun- 
tains, stars,  moons,  sun,  eclipse,  etc. 

Even  more  than  by  this  we  are  interested  by  the  mode  of  living  in  foreign 
countries.  We  hear  of  the  great  centres  of  industry,  commerce,  learning  and  art. 
We  are  introduced  to  quaint  Nuremberg,  the  bustle  and  life  of  Hamburg,  the  im- 
perial city  of  Berlin,  to  gay  Vienna  and  Paris  and  see  the  wharfs  of  Rotterdam 
and  Amsterdam.  Heidelberg,  Gottingen,  Jena  and  Bonn  with  their  student  life; 
Weimar  with  its  reminiscences  of  our  great  poets,  Dresden,  Munich  and  Diisseldorf 
as  centres  of  art  are  conjured  up  before  our  eye. 

This  leads  me  to  refer  what  correlation  German  has  to  history.  We  cannot 
understand  the  German  literature,  its  fairy-tales,  legends,  "Volkslieder,"  chorals, 
ballads,  epics,  novels  and  dramas  without  a  thorough  knowledge  of  German  myth- 
ology, history,  development  of  civilization  (Kulturgeschichte)  and  thought.  Who 
can  comprehend  the  Nibelungenlied  without  knowing  the  old  Norse  or  German 
mythology  represented  by  Siegfried  and  Brunhilde,  the  migration  of  the  nations 
with  its  heroes  Attila,  Etzel,  Theodorick  the  Great,  known  in  poetry  as  "Dietrich 
von  Bern,"  the  Burgund  kings  Giinther,  Gernot  and  Giselher,  etc.?  "Tell"  shows 
the  beginning  of  Swiss  independence.  "Gotz  von  Berlichingen"  is  an  exponent  of 
the  time  immediately  following  the  Reformation,  when  mediaeval  ideas  were  strugg- 
ling with  the  new  light  that  came  in,  resulting  in  the  "Peasant-Wars."  "Wall'en- 
stein"  faithfully  depicts  the  terrible  times  of  the  Thirty  Years'  War  and  "Minna 
von  Barnhelm"  those  of  Frederick  the  Great.  Biirger's,  Shiller's,  Uhlands',  Heine's 
and  Freiligrath's  ballads  reflect  the  civilization  of  different  periods  from  olden 
times  down  to  our  own. 

However  German  literature  is  cosmopolitan;  it  draws  its  inspiration  from 
many  sources.  Greek  antiquity  is  glorified  in  Goethe's  "Iphigenie,"  Grillparzer'a 
"Hero  and  Leander,"  some  of  Schiller's  ballads.  The  troubadours  of  Southern 
France  live  for  us  in  Uhland's  ballads.  The  "Jungfrau  von  Orleans"  represents 
the  heroic  spirit  of  the  long  struggle  for  national  independence  of  the  French; 
from  the  encroachments  of  the  English  kings.  "Maria  Stuart"  brings  us  to  Eng- 
land under  Elizabeth.  "Egmont"  to  the  Netherlands  during  their  struggle  for 
independence  from  the  Spanish  rule.  "Torquato  Tasso"  and  "Die  Braut  von  Mes- 
sina" lead  us  to  Italy,  the  former  reflecting  the  serene  spirit  of  the  Renaissance, 
the  latter  the  fatalistic  spirit  of  the  Middle  Ages.  In  "Nathan  der  Weise"  we 
see  the  Crusaders  of  the  East,  in  Herder's  "Cid"  those  of  the  West.  The  Romantic 
school  goes  to  the  Orient;  India,  Persia  and  Arabia  offer  their  treasures. 

Modern  German  poets  introduce  political  and  social  questions  into  literature. 
Sudermann  and  Hauptmann  are  the  principal  representatives  of  these,  not  to  speak 
of  novels  like  Spielhagen's  "Hammer  und  Ambos." 

Industry  and  Art  is  the  theme  of  many  a  German  poem.  Schiller's  "Lied 
von  der  Glocke"  occupies  the  first  rank  among  them.  In  stories  like  Hillern's 
"Hoher  als  die  Kirche"  we  see  the  cathedral  and  altar  of  Alt-Breisach ;  the  time  of 
Albrecht  Diirer  rises  before  our  eyes. 

By  this  I  have  shown  that  the  study  of  German,  grammar,  etymology  and 
literature  makes  the  whole  realm  of  human  knowledge  subservient  to  its  mastery, 
though  I  have  not  touched  on  works  of  science,  as  their  study  does  not  belong  to 
the  study  of  the  German  language  proper,  but  rather  follows  it.  I  will  give  now 
some  illustrations  of  the  correlation  of  German  with  other  studies;  however,  I 


86  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

shall  confine  myself  to  the  limits  of  the  elementary  and  the  lower  grades  of  ther 
secondary  school. 

I  give  a  lesson  in  the  fifth  grade,  the  class  where  in  New  York  the  pupils  begin 
to  learn  German.  We  have  spoken  about  a  time-piece.  I  have  shown  the  pupils  my 
watch  as  well  as  the  English  teacher's  clock.  The  subject-matter  of  the  lesson  has 
been  developed.  If  the  children  did  not  know  the  answer  in  German,  as  for  some 
this  was  impossible,  I  allowed  them  to  give  it  in  English.  They  learnt  the  parts 
of  the  watch,  of  what  it  was  made,  who  made  it  and  what  purpose  it  serves. 
Then  I  wrote  the  lesson  on  the  black-board,  not  using  everything  that  was  said, 
but  only  as  follows :  "Das  ist  eine  Uhr.  Die  Uhr  ist  rund.  Sie  ist  von  Gold 
gemacht  und  hat  eine  gelbe  Farbe.  Die  Uhr  hat  ein  Gehause.  Innen  ist  das  Werk. 
Diese  Uhr  hat  auch  einen  Deckel.  Der  Deckel  bedeckt  das  Zifferblatt.  Auf  dem 
Zifferblatt  sind  zwb'lf  Ziffern  oder  Zahlen  und  drei  Zeiger;  der  Stundenzeiger, 
welcher  die  Stunden  anzeigt,  der  grb'ssereMinutenzeiger  und  der  kleinere  Sekunden- 
zeiger.  Diese  Uhr  hat  auch  eine  Kette;  die  Kette  ist  von  Silber.  Sie  ist  weiss. 
Der  Uhrmacher  macht  die  Uhr.  Der  Tag  hat  vierundzwanzig  Stunden.  Die 
Stunde  hat  sechzig  Minuten  und  die  Minute  hat  sechzig  Sekunden.  Wie  viel  Uhr 
ist  es?" 

The  whole  lesson  is  now  before  the  eyes  of  the  pupils.  They  find  how  much 
the  words  resemble  the  English.  "Uhr"  is  different,  but  it  is  contained  in  the 
English  word  "hour."  For  clock  the  German  has  "Glocke,"  which  means  "bell," 
the  instrument  that  tells  the  time.  There  is  the  word  "Gehause";  the  pupils  see 
the  word  "Haus"  in  it.  The  house  of  the  watch  is  the  case.  "Rund"  is  round, 
"gelbe"  yellow,  "innen"  inside,  "Werk"  works.  Deckel  is  found  in  the  English 
words:  deck,  bedeckt;  it  means  here  cover;  this  explains  the  German  word  "be- 
deckt" covers.  "Zifferblatt"  is  found  in  cipher-sheet.  "Zeiger"  is  entirely  different 
from  the  English,  it  means  a  pointer.  It  is  contained  also  in  "Zeigefinger."  The 
children  know  now  why  German  differs  here  from  English,  they  understand  the 
meaning  of  the  different  "Zeiger."  For  "Kette"  no  equivalent  is  found  in  English, 
but  the  words:  Gold,  Silber,  weiss,  Uhrmacher,  Tag,  vierundzwanzig,  sechzig,  etc., 
are  about  the  same  in  both  languages.  Only  one  suffix  is  in  this  exercise,  "zig," 
equivalent  to  the  English  "ty."  Looking  at  the  verbs  the  pupils  easily  notice  that 
in  German  the  third  person  singular  ends  in  "t,"  in  English  in  "s,"  f.  i.  ist  is, 
hat  has,  macht  makes,  bedeckt  covers,  anzeigt  shows.  The  sentences:  "Sie  ist 
von  Gold  gemacht,  welcher  die  Stunden,  anzeigt,"  offer  a  difference  from  the 
English.  From  the  first  we  learn  that  in  compound  tenses  the  perfect  participle 
stands  at  the  end  of  the  sentence,  while  in  dependent  clauses  the  whole  predicate 
itself.  By  the  few  adjectives  we  learn  that  the  German  follows  the  same  rule  as  the 
English  for  comparison,  in  adding  "er"  to  the  positive  for  forming  the  compara- 
tive, and  "est"  for  the  superlative.  Attention,  however,  must  be  called  to  the  place 
of  the  adjective  before  or  after  the  noun.  In  the  first  place  the  German  adjective 
takes  an  "e,"  which  is  added  only  for  euphony  to  make  the  speech  smooth,  and 
which  serves  to  connect  the  adjective  with  the  following  noun.  It  has  no 
reference  to  the  meaning.  Looking  at  the  nouns  from  a  grammatical  point  of 
view,  we  find  in  this  short  lesson  indeed  nouns  of  all  three  genders,  but  unfor- 
tunately they  are  a  little  confusing  for  younger  children,  who  naturally  will 
say,  a  thing  must  be  neuter.  Stress  must,  therefore,  be  put  on  the  statement  that 
in  German  we  distinguish  between  natural  sex  and  grammatical  gender,  that  the 
latter  alone  is  determined  by  the  article.  Few  rules  for  the  formation  of  the 
plural  can  be  elicited  from  this  lesson,  yet  that  nouns  ending  in  "e,"  like  "Stunde, 
Minute,  Sekunde"  take  an  "n"  in  the  plural  can  easily  be  indicated. 


Correlation  of  German  with  Other  Studies.  87 

I  have  chosen  here  only  very  simple  sentences  in  order  to  show  the  relation 
of  the  English  language  to  the  German,  to  point  out  that  the  starting  point,  the 
apperceptive  basis,  of  a  new  study  is  the  knowledge  of  the  mother-tongue,  through 
which  points  of  agreement  and  disagreement  are  recognized  and  assimilated.  As 
to  the  contents  of  this  lesson,  it  correlates  firstly  with  arithmetic,  because  the 
pupil  who  must  be  able  to  tell  the  time  in  a  foreign  language  has  to  know 
half  and  quarter  hours,  etc.  This  can  only  be  impressed  by  practice;  little  examples 
relating  to  time  are  given  and  solved.  Secondly,  an  object  useful  in  every-day  life 
has  been  described,  an  important  industry  touched  upon;  resource  to  the  children's 
general  knowledge  of  environment  has  been  taken. 

More  than  through  one  single  object,  like  the  watch  or  clock,  this  is  called 
forth  by  a  picture-study.  The  pupils  have  been  promoted  to  the  sixth  grade.  They 
have  already  acquired  a  store  of  words  in  German;  though  this  is  limited  they 
know  how  to  use  it.  In  their  reader  is  a  description  of  autumn.  I  bring  into 
the  class-room  the  large  "Hoelzelsche"  picture  representing  the  autumn.  Familiar 
and  unfamiliar  scenes  greet  the  pupils'  eyes.  Human  occupations  and  sports  are 
represented.  In  the  foreground,  at  the  left,  we  see  the  people  joyfully  working  in 
the  vineyard.  Men  and  women  are  busily  engaged  to  pick  the  grapes.  In  large 
baskets,  decorated  with  the  gay  foliage  of  the  grape-vine,  the  purple  fruit  is  carried 
down  the  mountain  and  emptied  in  large  vats,  which  are  drawn  to  some  houses  in 
the  distance.  A  river  flows  at  the  foot  of  the  mountain;  some  ships  are  sailing 
up  and  down.  The  children  ask:  "Is  that  the  Rhine?"  As  I  know  this  picture 
is  only  a  constructed  one  and  does  not  particularly  represent  a  definite  place,  I 
answer:  "Let  us  imagine  we  are  on  the  Rhine.  This  vine-yard  differs  from  those 
I  have  seen  in  the  south  of  France  and  in  California.  In  France,  the  vine--yards 
near  Bordeaux  are  in  a  plain;  the  grape-vines  stand  in  rows  like  beans  also,  but 
they  are  kept  lower  and  have  not  so  much  foliage  as  we  see  in  this  picture.  In 
California  I  have  seen  vine-yards  on  the  slopes  of  hills,  but  the  grape-vines  were 
not  separate  bushes;  they  were  trailing  and  only  lifted  a  little  from  the  ground." 

In  the  middle  of  the  picture  we  notice  a  gentleman  returning  from  hunting, 
his  gun  over  his  shoulder.  Two  dogs  accompany  him;  a  boy  carries  two  hares. 
More  to  the  right  a  boy  is  picking  apples  from  a  tree  laden  with  them;  he  throws 
some  down  into  his  sister's  apron.  In  the  field  we  see  some  people  harvesting 
potatoes;  children  have  made  a  fire  and  enjoy  themselves  roasting  potatoes.  The 
farmer  thinks  already  of  next  spring,  with  two  horses  he  plows  the  acre  where  the 
wheat  and  rye  were  standing  in  order  to  sow  the  winter-seed. 

This  all  indicates  the  joyous  harvest  time,  but  other  signs  point  out  the  fall 
of  the  year,  the  coming  winter.  High  in  the  air  we  see  a  chain  of  wild  geese 
flying  southward;  to  the  right,  the  swallows  assemble  on  the  roof  of  a  house  and 
on  telegraph  wires,  before  they  start  on  their  long  trip  across  the  Mediterranean 
Sea.  The  leaves  are  changing  their  colors;  soon  they  will  fade  and  fall. 

This  picture  as  well  as  the  others  were  studied  in  connection  with  the  reading- 
matter.  Naturally  this  occupied  more  than  one  lesson.  The  pupils'  knowledge  of 
German  was  widened  by  the  insight  they  had  gained  in  the  life  of  nature  and  in 
human  occupations. 

(To  be  continued.) 


Berichte  und  Notizen. 


I.    Korrespondenzen. 

(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Baltimore. 

Der  Jahresbericht  der  hiesigen  Schul- 
behorde  erweist,  dass  die  b'ffentlichen 
Schulen  wahrend  des  abgelaufenen  Jah- 
res  von  88,997  Kindern  besucht  wurden. 
Der  tiigliche  Durchschnittsbesuch  war 
63,734.  Die  Schulkinder  waren  in  129 
Schulhausern  untergebracht,  die  Zahl 
der  Schulen  war  109,  die  unter  1712  Leh- 
rern  und  Lehrerinnen  standen.  Die  Ver- 
willigung  fiir  die  Schulen  belief  sich  auf 
$1,275,522.  Der  Bericht  sagt,  dass  mehr 
Schulgebaude  notig  sein  werden,  selbst 
wenn  die  im  Bau  begriffenen  fertig  sind, 
und  dass  viele  alte  Gebaude  umgebaut 
werden  miissen.  Vier  weitere  Kinder- 
garten sind  eroffnet  worden,  und  eine 
besondere  Schule  wurde  etabliert,  um  be- 
gabtere  Schiller  des  sechsten  Schuljahres 
in  kiirzerer  Zeit  fiir  die  Hochschulen 
vorzubereiten.  Durch  diese  Schule  und 
halbjahrige  Beforderung  in  den  unteren 
Klassen  sollen  solche  Schiller  zwei  Jahre 
friiher  in  die  Hochschulen  gelangen  als 
unter  dem  alten  System.  Zu  den  zwei 
bereits  eingefiihrten  Kochschulen  soil 
nun  auch  eine  solche  fiir  Neger  eingerich- 
tet  werden.  Die  Einfiihrung  des  Semi- 
narunterrichts  fiir  die  graduierenden 
Klassen  der  Hochschulen  wird  auch  als 
ein  Fortschritt  bezeichnet,  wodurch  der 
ziemlich  fiihlbare  Mangel  an  guten  Lehr- 
kraften  beseitigt  wurde. 

Gelegentlich  der  jiingst  hier  abgehalte- 
nen  Jahresversammlung  der  Modern 
Language  Association  of  America  hatten 
wir  das  Vergniigen,  unsern  lieben  Freund 
Dr.  M.  D.  Learned,  wie  auch  seinen  uns 
vom  Detroiter  Lehrertag  her  befreunde- 
ten  wackeren  Assistenten  Dr.  L.  F.  Brede 
begriissen  zu  diirfen.  Dieselben  mach- 
ten  uns  interessante  Mitteilungen  iiber 
ihre  deutschpennsylvanische  Forsehungs- 
reise  —  The  American  Ethnographical 
Survey  —  vom  letzten  Sommer.  Ihre 
Tiitigkeit  begann  mit  den  alten  deutschen 
Ausiedlungen  in  Lancaster  County,  langs 
des  Pequea  und  des  Conestoga  Flusses, 
und  erstreckte  sich  auf  die  andern  deut- 
schen Counties  Ostpennsylvaniens  und 
das  westliche  Ende  des  Staates  bis  in  den 
Staat  Ohio.  Tausende  von  Heimstatten 
wurden  besucht,  mit  echt  deutscher 
Griindlichkeit  wurde  die  Arbeit  durchge- 
fiihrt,  und  die  Ergebnisse  sind  auch  dem- 
entsprechend.  Ausfiihrliche  Berichte 
werden  in  den  "German  American  An- 
nals" erscheinen.  eine  Monatsschrift,  die 
mit  Beginn  dieses  Jahres  and  die  Stelle 


der  Vierteljahresschrift  "Americana  Ger- 
manica"  getreten  ist.  Dr.  Learned  ist 
nach  wie  vor  der  Schriftleiter.  Zu  bezie- 
hen  sind  die  72  Seiten  starken  Monats- 
hefte  durch  Charles  H.  Breitbarth, 
1120  Chestnut  street,  Philadelphia,  Pa. 
Das  Jahresabonnement  betriigt  drei 
Dollars.  S. 

Californien. 

In  der  Neujahrswoche  hielt  die  "State 
Teachers'  Association  of  California"  ihre 
jiihrliche  Versammlung  in  Los  Angeles 
ab.  Der  Prasident  der  Vereinigung, 
Herr  A.  E.  Schumate,  Superintendent  der 
Schulen  von  San  Jos6,  hatte  ein  umfas- 
sendes  Programm  aufgestellt,  das  alien 
Teilen  der  Schulorganisation  Gelegenheit 
gab,  Fragen  von  besonderem  und  von  all- 
gemeinem  Interesse  zu  behandeln.  Es 
kann  nicht  ausbleiben,  dass  durch  diese 
jiihrlichen  Diskussionen  der  praktischen 
und  theoretischen  Fragen  des  Schulfachs 
die  Schulen  des  Staates  sich  immer  mehr 
heben  miissen. 

Von  besonderem  Interesse  waren  wie- 
der  die  Sitzungen  der  High  School  Asso- 
ciation. Dieselben  fanden  an  den  Vor- 
mittagen  von  Mittwoch  und  Freitag  im 
High  School  Gebaude  statt.  Unter  dem 
Vorsitz  von  Herrn  Chas.  L.  Biedenbach 
von  Berkeley  wurde  besonders  das  Ver- 
haltnis  der  High  Schools  zum  Leben  und 
zu  der  Universitat  besprochen.  Vor  ei- 
nem  Jahre  waren  mehrere  Komitees  er- 
nannt  worden,  die  iiber  bestimmte  Fra- 
gen berichten  sollten.  Die  Vorsitzenden 
dieser  Komitees  holten  durch  Korrespon- 
denzen die  Meinungen  der  Lehrer  an  den 
High  Schools  des  Staates  iiber  ihre  be- 
treffenden  Fragen  ein,  und  somit  spiegel- 
ten  ihre  Berichte  die  allgemeine  Gesin- 
nung  wieder,  und  waren  deshalb  von  ho- 
hem  Interesse.  Die  wichtigsten  Berichte 
waren  "Prescribed  Admission  Require- 
ments", von  W.  H.  Housh,  dem  Prinzipal 
der  High  School  von  Los  Angeles,  und 
"The  Accrediting  System,"  von  Edward 
Hohfeld,  dem  Prinzipal  der  High  School 
von  Auburn.  Wir  konnen  hier  nur  die 
Hauptpunkte  erwsihnen.  Herr  Housh 
berichtete,  dass  die  neuen  Aufnahme- 
bedingungen  der  Staatsuniversitat  noch 
nicht  befriedigend  seien,  doch  sei  ein 
Fortschritt  zu  verzeichnen.  Dieselben 
seien  zu  kompliziert  und  verlangten  be- 
sonders in  den  alten  Sprachen  noch  zu 
viel.  Er  hob  hervor,  wie  tiberraschend 
die  Einstimmigkeit  sei,  mit  welcher  die 
Lehrer  wiinschten,  dass  Deutsch  mit  dem 


Korresponden^en . 


Lateinischen  in  den  Aufnahmebedingun- 
gen  auf  gleiche  Stufe  gestellt  werden 
sollte.  Zum  Schlusse  empfahl  er,  dass 
von  den  fiinfzehn  credits,  die  zur  Auf- 
nahme  in  die  Universitiit  notig  sind, 
neun  vorgeschrieben  und  seeks  electiv 
sein  sollten.  Von  den  neun  vorgesehrie- 
benen  sollten  zicei  eine  fremde  Sprache 
sein,  ohne  zu  spezifizieren,  ob  dies  eine 
alte  oder  eine  moderne  Sprache  sei.  Der 
Bericht  von  Herrn  Hohfeld  iiber  das 
"Accrediting  System"  war  mit  viel  Ein- 
sicht  und  Verstandnis  abgefasst.  Bis- 
her  hat  die  Staatsuniversitat  jedes  Friih- 
jahr  je  einen  Vertreter  der  verschiedenen 
Facher  ausgeschickt,  um  die  Klassen  in 
ihren  Fachern  in  den  High  Schools  des 
Staates  zu  besuchen,  und  dann  in  der 
Universitat  zu  berichten,  welche  Schulen 
berechtigt  sein  sollen,  ihre  Schiiler  mit 
Empfehlungen  nach  der  Universitat  zu 
schicken,  ohne  dass  dieselben  das  Ein- 
trittsexamen  zu  machen  brauchen.  Herr 
Hohfeld  empfahl,  dass  anstatt  der  vielen 
Examinatoren  ein  einziger  Besucher  von 
der  Universitat  ausgeschickt  werden  sol- 
le,  der  hierfiir  besonders  befahigt  ist,  und 
der  dann  iiber  die  Schule  als  Ganzes  be- 
richtet.  Wo  es  notig  ist,  sollen  dann 
auch  noch  Vertreter  der  einzelnen  De- 
partements  ausgeschickt  werden,  um  die 
Schulen  mit  Rat  und  Beistand  zu  unter- 
stiitzen.  Einige  Tage  vor  der  Verlesung 
dieses  Berichts  brachten  die  Zeitungen 
die  Nachricht,  dass  President  Wheeler 
von  der  Staatsuniversitat  bereits  densel- 
ben  Plan  ausgearbeitet  hatte,  und  dass 
von  nun  an  im  Herbst  ein  Vertreter  des 
padagogischen  Departements  die  High 
Schools  des  Staates  besuchen  wird,  um 
iiber  deren  allgemeine  Leistungen  zu  be- 
richten, und  dass  dann  im  Friihjahr  Pro- 
fessoren  von  anderen  Departements  die 
Schulen  besuchen,  in  denen  der  Unter- 
richt  in  einzelnen  Facher  noch  nicht  ganz 
annehmbar  ist.  President  Wheeler  war 
bei  der  Versammlung  selbst  zugegen  und 
ergriff  das  Wort,  um  den  Lehrern  an  den 
High  Schools  zu  versichern,  dass  die  Uni- 
versitat gesinnt  ist,  den  Schulen  des 
Staates  entgegenzukommen,  und  mit  ih- 
nen  Hand  in  Hand  fur  die  Hebung  des 
Erziehungssystems  zu  wirken.  Das  Pro- 
gramm  war  so  genau  aufgestellt  und  die 
Zeit  so  kurz  bemessen,  dass  die  Berichte 
tiber  die  einzelnen  Erziehungsfacher  an 
den  High  Schools  nicht  zur  Verlesung  ge- 
langen  konnten.  Es  wurde  beschlossen, 
dieselben  drucken  zu  lassen  und  den  Leh- 
rern des  Staates  zu  schicken.  Der  Vor- 
stand  der  Vereinigung  hat  eine  Spezial- 
versammlung  fiir  den  Sommer  in  Ber- 
keley einberufen.  wobei  diese  Berichte 
und  andere  wichtige  Angelegenheiten  zur 
Abhandlung  kommen  sollen. 


Am  17.  Januar  hielt  der  Verein  von 
Lehrern  der  deutschen  Sprache  seine  Ver- 
sammlung in  San  Francisco  ab.  Dr.  A. 
Altschul  hielt  einen  Vortrag  iiber  die 
natiirliche  Methode.  In  demselben  gab 
er  die  Geschichte  der  Entwicklung  dieser 
Methode  und  deren  jetzigen  Stand.  Er 
sprach  sich  zugunsten  einer  liberalen  An- 
wendung  derselben  aus.  In  der  darauf- 
folgenden  Debatte  wies  Herr  W.  Zim- 
mermann  auf  die  vielen  Unrichtigkeiten 
hin,  die  sich  in  den  Anmerkungen  zu 
amerikanischen  Ausgaben  deutscher  Tex- 
te  vorfinden,  weil  die  Herausgeber  nicht 
in  den  Geist  der  Sprache  eingedrungen 
sind  und  viele  Idiome  missverstehen.  Es 
wurde  beschlossen,  in  der  nachsten  Ver- 
sammlung Textbiicher  fiir  den  deutschen 
Unterricht  und  den  Humor  im  Sprach- 
nnterricht  zu  besprechen.  Auf  den  Be- 
richt des  Nominationskomitees  hin  wur- 
den  die  folgenden  Beamten  fiir  dieses 
Jahr  gewahlt: 

President,  Dr.  Julius  Goebel;  Vizepra- 
sident,  Dr.  Hugo  K.  Schilling;  Schrift- 
fiihrer,  Herr  Valentin  Buehner;  Schatz- 
meisterin,  Frl.  Emma  Garretson. 

V.  B. 
Chicago. 

Unser  Schulrat  hat  in  seiner  Sitzung 
am  21.  Jan.  eine  allgemeine  Gehaltserhij- 
hung  vorgenommen,  von  der  beinahe 
alle  Lehrer,  Schuldiener  und  sonstige 
Angestellte  betroffen  wurden.  Das  Ein- 
kommen  des  Superintendenten  wurde  von 
$7000  auf  $10,000  erhb'ht,  das  der  Lehrer 
im  Durchschnitt  um  zehn  Prozent,  nur 
die  Turnlehrer,  die  mit  wenigen  Ausnah- 
men  schon  mehr  als  zehn  Jahre  im  Dien- 
ste  sind,  gingen  wieder  leer  aus,  trotz- 
dem  ihnen  von  Jahr  zu  Jahr  eine  Ge- 
haltserhohung  versprochen  war. 

Der  Superintendent,  Herr  Cooley,  ent- 
puppt  sich  immer  mehr  als  Reformer. 
Am  17.  Sept.  v.  J.  hat  der  Schulrat  auf 
seine  Anregung  einen  Beschluss  ange- 
nommen,  nach  welchem  Prinzipale  und 
Lehrer  nur  nach  abgelegtem  Examen  eine 
Gehaltserhohung  bekommen  kb'nnen,  resp. 
in  eine  andere  Gruppe  versetzt  werden. 
Die  Priifung  erstreckt  sich  auf  Pedagogy, 
Psychology,  School-Management  und  His- 
tory of  Education;  ausserdem  muss  noch 
ein  Examen  in  einem  selbstgewahlten 
Fach  (Geschichte,  Geographic,  Musik 
u.  s.  f.)  abgelegt  werden.  80  Punkte 
sind  zum  Bestehen  erforderlich.  Dass 
diese  Bestimmung  ein  Schlag  ins  Gesicht 
namentlich  der  alteren  Lehrer  ist,  liegt 
auf  der  Hand.  Sind  bestandene  Exa- 
mina  an  und  fiir  sich  nicht  ein  sicherer 
Beweis  fiir  Tiichtigkeit  und  Erfolg  im 
Lehren.  so  ist  diese  Zumutung,  dass  eine 
Promotion  nur  nach  einem  solchen  ge- 


90 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


stattet  werde,  geradezu  demiitigend  und 
sollte  von  der  ganzen  Lehrerschaft  zu- 
riickgewiesen  werden.  Wer  wiirde  sich 
erkiihnen,  den  Jtrzten,  Architekten,  Geist- 
lichen,  nachdem  diese  den  besten  Teil  ih- 
res  Lebens  in  ihrem  Amte  vevbracht  ha- 
ben,  eine  Priifung  vorschreiben  zu  wol- 
len? 

Herr  Bamberger,  der  Leiter  der  jiidi- 
schen  Handfertigkeitsschule,  welcher 
auch  unsere  Lehrertage  gelegentlich  be- 
suchte,  ist  vor  einigen  Wochen  gestorben. 
Er  hat  seine  Anstalt  mit  vielem  Geschick 
geleitet  und  sie  zu  grosser  Bliite  ge- 
bracht.  Ernes. 

Cincinnati. 

Kreissend  geb&rten  die  Berge  ein  grau- 
siges  Mammut.  Der  Schiiker  Horaz  und 
seine  diversen  ftbersetzer  werden  mir 
diese  neue  Lesart  hoifentlich  nicht  all- 
zuschlimm  ankreiden.  Jedenfalls  tue 
ich  mir  auf  die  ,,nur  so  aus  der  Feder 
geflossene"  Alliteration  nicht  wenig  zu- 

fute,  und  ausplaudern  darf  ich  es  wohl, 
ass  die  verehrten  Herren  Oberlehrer 
daran  schuld  sind,  wenn  ich  einen  ante- 
diluvianischen  Elefanten  aus  der  bekann- 
ten  "ridiculus  mus"  gemacht  habe.  Es 
liest  sich  besser. 

Sie  erinnern  sich  aus  meinen  friihe- 
ren  Berichten  der  Mengen  von  61  und 
Miihe",  die  Kollege  Benjamin  Wittich, 
der  President  unseres  deutschen  Oberleh- 
rervereins,  an  meisterhafte  Reden  und 
zeitgemasse,  zielbewusste  Vorschlage  ge- 
wandt  hat,  um  dem  Riickgange  der  deut- 
schen Schiilerzahl  und  der  Gleichgiltig- 
keit  vieler  deutschamerikanischer  Eltern 
zu  steuern.  Sie  erinnern  sich  auch,  dass 
ich  in  jenen  Berichten  die  Toga  des  rei- 
nen  Berichterstatters  ablegte  und  mir 
gestattete,  statt  des  Amtes,  eine  Mei- 
nung  zu  haben.  Dass  diese  zu  gunsten 
des  Herrn  Wittich  war,  gestehe  ich  noch 
heute  sehr  gerne.  Ich  hielt  und  halte 
seine  Vorschlage  fiir  wohlbegriindet  und 
zweckmassig,  mag  jedoch,  wie  er,  ,,ein 
sonderbarer  Schwarmer"  sein.  Nun  wie- 
der  der  Berichterstatter  ganz  ohne.  Die 
Wittichschen  Vorschlage  wurden  in  der 
Oberlehrerversammlung  vom  30.  Januar 
den  Empfehlungen  des  mit  ihrer  Zer- 
gliederung  betrauten  Komitees  gemass, 
nochmals  besprochen,  und  man  einigte 
sich  dahin,  dass  vor  allem  ein  aggressives 
Vorgehen  seitens  der  deutschen  Lehrer 
nicht  geboten  sei,  vielmehr  ein  Abwarten 
etwaiger  Angriffe  auf  sie  und  den  deut- 
schen Unterricht.  Ebensowenig  sei  es 
angezeigt,  Broschiiren  zu  gunsten  unserer 
Sache  zu  veroffentlichen ;  man  solle  sich 
mit  Zeitungrsartikeln  begniigen  und  sol- 
che  jedesmal  im  August,  kurz  vor  dem 
Wiederanfange  der  Schulen  in  den  Tage- 


blattern  loslassen.  Ein  Komitee,  wel- 
ches der  PrRsident  zu  ernennen  hat,  soil 
die  ganze  Angelegenheit  betreiben.  Nun 
wieder  Meinung,  unmassgeblich  natiir- 
lich:  Die  griechischen  Calenden  scheinen 
mir  in  diesem  Falle  nicht  wohl  ange- 
bracht,  das  Zaudern  vom  ttbel  zu  sein. 
Die  Ablehnung  irgend  einer  Aggressive 
stimmt  durchaus  nicht  mit  friiheren  Wil- 
lensausserungen  der  hiesigen  deutschen 
Lehrer.  Denn  als  der  Vorsitzende  des 
deutschamerikanischen  Lehrertages,  Hr. 
Teuteberg,  im  Jahre  1885  in  hiesiger 
Stadt  die  Notwendigkeit  eines  aggressi- 
ven  Vorgehens  ausdriicklich  betonte,  da 
gab  sich  allgemeine  Zustimmung  durch 
jubelnden  Beifall  kund;  und  als  etwa 
zehn  Jahre  spater  Dr.  John  B.  Peaslee 
in  einem  Vortrage  vor  der  Jahresver- 
sammlung  des  deutschen  Lehrervereins 
von  Ohio  in  Sandusky  in  ganz  ahnlicher 
Weise  sich  ausliess,  da  fand  auch  er  all- 
gemeinen  Anklang.  Und  doch  waren 
weder  vor  zwanzig,  noch  vor  zehn  Jah- 
ren  die  Klagen,  auf  die  Herr  Wittich 
sich  stiltzt,  so  allgemein  und  so  begriin- 
det,  wie  sie  es  unstreitig  heute  sind.  Da 
moge  denn,  nach  Horaz  und  Plautus^ 
noch  ein  dritter  alter  Lateiner  sprechen, 
Juvenal :  ,,Es  ist  schwer,  Satyren  nicht 
zu  schreiben". 

Die,  gelinde  gesagt,  gewaltatige 
Durchfiihrung  des  Impfzwanges  in  unse- 
ren  Schulen  seitens  der  stadtischen  Sa- 
nitiitsbehb'rde  hat  so  lange  und  so  viel 
boses  Blut  zutage  gefordert,  bis  zu- 
letzt  der  Schulrat  sich  veranlasst  sah, 
diesem  wirklich  unverantwortlichen  Vor- 
gehen ein  Ziel  zu  setzen,  und  es  den  ein- 
zelnen  Schulleitern  anheimzustellen,  sich 
durch  selbsteigene  Untersucaung  und 
durch  Einsichtnahme  arztlicher  Zertifi- 
kate  betreffs  der  Zulassung  der  Schiller 
bestimmen  zu  lassen.  Die  besagte  Be- 
hb'rde  versagte  namlich  den  Angaben  al- 
ler  Xrzte,  die  nicht  von  ihr  selbst  als 
Distriktarzte  bezeichnet  sind,  jeglichef 
Anerkennung  und  Beriicksichtigung.  Es 
wurde  daher  ebenso  ruhig,  wie  brutal 
weiter  geimpft,  und  Tausende  von  Kin- 
dern  mussten  ohne  die  geringste  Ursache 
nicht  nur  aus  der  Schule  bleiben,  son- 
dern  sich  die  Arme  auf  immer  verschan- 
den  lassen.  Wer  es  erfahren  hat,  wie 
hierzulande  das  Wholesaleimpfen  betrie- 
ben  wird,  und  wessen  Kinder  nach  vie- 
len  Jahren  noch  die  brutalen  Narben, 
nein  Schmarren,  mit  sich  herumtragen, 
der  wird  diesen  Ausdruck  nicht  zu  stark 
finden.  Um  die  Herbeifiihrung  des  jetzt 
obwaltenden  menschlich-verniinftigen  Zu- 
standes  hat  sicji,  zu  ihrer  hohen  Ehre  sei 
es  gesagt,  die  hiesige  ,,Deutscher  Tag- 
Gesellschaft"  besonders  verdient  gemacht, 


Korresponden^en. 


91 


in  deren  Exekutivbehorde  nicht  nur  De- 
legaten  der  deutschen  Lehrervereinigun- 
gen  Sitz  und  Stimme  haben,  sondern 
auch  ein  friiherer  deutscher  Lehrer,  Rich, 
ter  August  Bode,  den  Vorsitz  fiihrt.  Ein 
Nachspiel  in  der  Form  eines  Testfalles 
vor  den  Gerichten  steht  der  Impffrage 
allerdings  bevor,  und  da  darf  erst  recht 
ein  ,,Hornberger  Schiessen"  mit  ziem- 
licher  Bestimmtheit  erwartet  werden. 

Mit  den  Vorbereitungen  auf  den  Em- 
pfang  und  die  ztveckdienliche  Unterhal- 
tung  der  Schulsuperintendenten  in  der 
letzten  Februarwoche  sind  wir  tiichtig 
an  der  Arbeit.  Cincinnati  will  seinen 
Ruf  als  Feststadt  aufrecht  halten;  Leh- 
rer und  andere  Zeitgenossen  greifen 
mehr  oder  weniger  tief  in  die  Tasche; 
zwei  schulfreie  halbe  Tage  sind  in  Aus- 
sicht  gestellt;  ein  ganz  klein  wenig  an 
den  Schiilerarbeiten  herumgefixt  wird, 
trotzdem  und  alledem;  auf  die  bevor- 
stehende  Anregung  durch  gute  "Vortrage 
u.s.w.  darf  man  sich  freuen;  kurz,  wir 
werden  bei  der  Sache  in  mehr  als  einer 
Hinsicht  unsere  Rechnung  finden. 

Ein  rechter  Genuss  wurde  uns  vor  ei- 
nigen  Wochen  geboten  durch  die  Anwe- 
senheit  in  unserer  Mitte  des  friiheren 
Kollegen,  Dichters  und  Schriftstelleys 
Wilhelm  Hiiller.  Derselbe  erfreute,  auf 
Veranlassung  der  Schulbehb'rde,  die  deut- 
schen Lehrer  mit  einem  sehr  gediegenen 
Vortrage  iiber  ,,Das  Spiel  in  der  Erzie- 
hung".  Naeh  jahrelangem  Aufenthalt 
in  Europa  und  vielfachem  Umgange  mit 
dortigen  Autoritaten  auf  dem  Gebiete 
der  Erziehung  konnte  es  sich  nicht  feh- 
len,  dass  Herr  Muller  viele  neue  Gesichts- 
punkte  zur  Geltung  brachte  und  dadurch 
den  meisterhaften  Vortrag  um  so  interes- 
santer  gestaltete.  Alle  fiihlten  sich  ihm 
zu  Dank  verpflichtet  und  geizten  denn 
auch  nicht  mit  wohlverdientem  Beifall. 
Mir  und  einigen  anderen  Genossen  war 
es  vergb'nnt,  en  petit  comit£  einige 
Stunden  mit  dem  genialen  Freunde  zu 
verbringen  und  uns  ob  der,  wenn  moglich 
noch  erhohten  Geistesfrische  zu  freuen, 
mit  welcher  der  immer  liebenswtirdige 
Exkollege  es  versteht,  den  Umgang  mit 
ihm  angenehm  zu  machen.  Es  ist  recht 
sehr  zu  hoffen,  dass  Cincinnati,  oder  ir- 
gend  eine  andere  Stadt  es  nicht  versau- 
men  moge,  sich  die  unverminderte  Rii- 
stigkeit  und  die  alten  sowohl,  wie  die 
neuen  Erfahrungen  dieses  hochgebilde- 
ten  Erziehers  durch  eine  passende  An- 
stellung  zu  nutze  zu  machen.  Er  ist 
gerade  der  Mann,  der,  nach  eigener  An- 
schauung,  imstande  ware,  gewissen  zeit- 
gemassen  Neuerungen  den  Charakter  der 
ttberstiirzung  zu  nehmen  und  ihnen  den 
so  riotigen  Schliff  zu  geben.  Er  hat  drii- 


ben  nicht  nur  angeschaut  und  zugehb'rt,. 
sondern  auch  mitgearbeitet  und  -han- 
tiert  in  Seminaren,  Akademien  und 
Kunstschulen,  so  dass  er  ganz  sicherlich 
weiss,  was  er  will,  und  will,  was  er 
kann  in  modernerziehlicher  Hinsicht. 

Fur  die  am  7ten  dieses  Monats  statt- 
findende  Versammlung  unseres  deulschen 
Lehrervereins  ist  ein  gutes  Programm 
aufgestellt  worden.  ttber  den  Verlauf 
der  Versammlung  hoffe  ich  nachstes  Mai 
berichten  zu  konnen.  quidam. 

Milwaukee. 

Versammlung  der  Lehrer  des  Deut- 
schen am  12.  Jan.  Auf  der  Tagesord- 
nung  stand  das  Thema :  ,,Behandlung  des 
Memorierstoffs  in  der  Schule".  Eine 
ganze  Anzahl  Lehrer,  namlich  zehn  (man 
wird  mir  wohl  die  namentliche  Auffiih- 
rung  derselben  erlassen)  war  ersucht, 
sich  fur  den  Gegenstand  vorzubereiten 
und  zu  berichten,  und  so  fand  derselbe 
eine  recht  ,,vielseitige"  Beleuchtung  und 
erschb'pfende  Ausfiihrung.  Wichen  nun 
auch  die  Ansichten  der  Referenten  in 
methodischer  Hinsicht  etwas  in  bezug 
auf  Behandlung  und  Einubung  des  Stof- 
fes  von  einander  ab,  so  dokumentierte 
sich  doch  im  ganzen  und  in  der  Haupt- 
sache  eine  bemerkenswerte  tfbereinstim- 
mung  des  von  alien  als  eines  recht  wich- 
tig  angesehenen  Lehrgegenstandes.  Alle 
stimmten  dariiber  iiberein,  dass  der  Me- 
morierstoff,  er  sei,  welcher  er  wolle,  je- 
desmal  vorher  griindlich  durchgearbeitet, 
also  gut  gelesen  und  gut  erklart  werden 
miisse,  nach  der  alten  padagogischen  Re- 
gel,  nichts  dem  Gedachtnis  einzupragen, 
was  nicht  vollig  verstanden  sei.  Der 
Stoff  selbst  kb'nne  sein  Gedichte,  Spriich- 
wb'rter,  Sinnspriiche,  kurze  Erzahlungen, 
Fabeln  und  Parabeln.  Schon  auf  der 
Unterstufe  sei  damit  zu  beginnen,  und 
zwar  im  Anschluss  and  das  Lesebuch. 
In  bezug  auf  Ziel  und  Quantum  des 
Stoffes  solle  man  sich  einen  festen  Plan 
ausarbeiten,  fiir  jede  Woche  den  Stoff 
einteilen  und  einiiben,  und  vor  allem 
von  Zeit  zu  Zeit  fleissig  wiederholen. 
Alle  stimmten  dann  auch  darin  iiberein, 
dass  das  Einiiben  und  Einlernen  am  be- 
sten  in  der  Schule  geschehe  und  nicht 
als  Hausaufgabe  zu  geben  sei;  aber  nie- 
und  unter  keinen  Umst&nden  als  Straf- 
arbeit  aufzugeben  sei;  denn  damit  er- 
reiche  man  das  gerade  Gegenteil,  statt 
Liebe  und  Lust  zur  Sache  flosse  man  den 
Kindern  Widerwillen  dagegen  ein.  Die 
schonsten  Erfolge  kann  der  Lehrer  nur 
auf  der  Oberstufe  erreichen,  wo  die  Schil- 
ler schon  mehr  das  notige  Verstandnis 
fiir  die  Perlen  der  Literatur  haben,  und 
hier  liegt  es  ihm  ob,  die  Schiiler  mit 
dem  Reichtum  dieser  Perlen  unserer 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


deutschen  Literatur  bekannt  zu  machen, 
sie  in  das  Verstandnis  derselben  einzu- 
filhren,  und  durch  Einpragung  ins  Ge- 
diichtnis  sie  zum  geistigen  Eigentum 
der  Schiller  zii  machen.  Dazu  gehort 
denn  auch,  dass  der  Lehrer  selbst  von 
Begeisterung  fiir  diese  Sprachschatze 
durchgliiht  ist,  und  diese  Begeisterung 
durch  ein  mustergiiltiges  Vorlesen  der 
Oedichte  vor  der  Klasse  auf  die  Schiller 
zu  iibertragen  versteht.  Ich  mochte 
dann  noch  eins  bemerken  zum  Einlernen 
der  Gedichte  in  der  Schule^  was  ich 
bei  den  Ausfiihrungen  der  Referenten 
vermisst  habe,  was  mir  aber  doch  recht 
wichtig  scheint.  Es  macht  keinen  guten 
Eindruck  auf  die  Schiller,  wenn  der  Leh- 
rer beim  Einiiben,  Abhoren  und  Einhel- 
fen  immer  das  Buch  in  der  Hand  hat. 
Er  soil  die  Gedichte  selbst  auswendig  ler- 
nen.  Was  er  von  den  Schillern  verlangt, 
soil  er  selbst  tun.  Der  gute  Turnlehrer 
turnt  vor,  der  Zeichenlehrer  zeichnet  vor, 
der  Schreiblehrer  schreibt  vor;  warum 
soil  der  Lehrer  nicht  auch  hier  vor- 
lernenl  Der  Supt.  des  Deutschen  machte 
dann  noch  einige  Bemerkungen  tiber  das 
Was?  und  Wieviel?  des  Stoffes.  Man 
sollte  sich  nicht  an  die  Zahl  der  angege- 
nen  Stiicke  oder  Nummern  im  Lehrplan 
stossen;  diese  seien  nicht  ,,vorgeschrie- 
ben",  sondern  nur  empfohlen  oder  als 
passend  und  geeignet  angemerkt.  Er 
iiberlasse  es  jedem  Lehrer,  seine  Auswahl 
zu  treffen.  Er  wisse  recht  wohl,  dass 
die  Verhaltnisse  der  Schulen  und  Klas- 


sen  sehr  verschieden  seien,  und  alle  konn- 
ten  nicht  dasselbe  leisten,  und  es  werde 
das  auch  nicht  verlangt.  Jeder  solle 
trachten,  das  zu  leisten,  was  er  unter  den 
gegebenen  Verhaltnissen  leisten  konne; 
und  man  mo'ge  lieber  weniger  nehmen, 
aber  es  gut  und  sicher  einiiben.  ,,Und 
das  mit  Recht,"  sagt  mein  Kollege  Qui- 
dam.  Nicht  vielcs,  aber  viel.  Besser 
ein  Gedicht  gut  und  griindlich  gelernt, 
als  drei  halb  und  schlecht. 

Herr  J.  Eiselmeier  erwahnte  dann 
noch,  dass  der  unerbittliche  Tod  wieder 
zwei  bekannte  Schulmanner  aus  dem' 
Kreise  ihrer  Wirksamkeit  abberufen  hat- 
te,  namlich  den  langjahrigen  Leiter  des 
deutschen  Unterrichts  an  den  Schulen 
Chicagos,  Dr.  G.  A.  Zimmermann,  und 
Herrn  G.  Bamberger,  Vorsteher  und 
Griinder  des  unter  dem  Namen  ,,Jewish 
Training  School"  bekannten  Institutes 
in  Chicago.  Die  Versammlung  ehrte 
das  Andenken  der  beiden  Schulmanner 
durch  Erheben  von  ihren  Sitzen. 

Sodann  wurde  auf  Antrag  von  Herrn 
Abrams  beschlossen,  Herrn  Prof.  Dr.  von 
Jagemann  von  der  Harvard  Universitiit, 
welcher  am  5.  Febr.  vor  dem  hiesigen 
,,Deutschen  Club"  einen  Vortrag  iiber 
,,Aus  dem  Leben  der  Sprache"  halten 
wird,  einzuladen,  womoglich  am  Abend 
des  6.  Febr.  der  Gast  des  ,,Vereins  deut- 
scher  Lehrer"  hierselbst  zu  sein  und  uns 
mit  einer  Ansprache  zu  erfreuen. 

A.  W. 


II.     Umschau. 


Milwaukee.  Herr  Seminardirektor 
Dapprich  tritt  am  9.  Februar  einen  vier- 
monatlichen  Urlaub  an,  den  er  zu  einer 
Erholungs-  beziehungsweise  Studienreise 
nach  der  alten  Heimat  beniitzen  wird. 
Er  verliisst  am  14.  Feb.  auf  dem  Dam- 
pfer  ,,Trave"  New  York  und  wird  sich 
nach  mehrwochentlichem  Aufenthalt  in 
Italien  durch  die  Schweiz  nach  Deutsch- 
land  begeben,  um  dort  die  hervorragend- 
sten  Schulen  sowie  Lehrerbildungsanstal- 
ten  zu  besuchen.  Es  bereitet  uns  die 
grb'sste  Freude  und  Genugtuung,  dass 
Herr  Dapprich  nach  seiner  fast  vierzig- 
jahrigen  angestrengtesten  Wirksamkeit 
im  Dienste  der  Jugenderziehung  und  un- 
serer  Sache  im  besonderen  in  den  Stand 
gesetzt  worden  ist,  diese  Reise  zu  unter- 
nehmen.  und  unsere  herzlichsten  Wtin- 
sche  wie  die  aller  seiner  Freunde  beglei- 
ten  ihn  auf  derselben. 

Milwaukee.  Am  4.,  5.  und  6.  Februar 
weilte  Herr  Professor  H.  C.  G.  von  Jage- 
mann von  der  Harvard  Universitat  in 
unsern  Mauern.  Nachdem  er  am  ersten 


Tage  einem  Diner  des  hiesigen  Harvard 
Clubs  als  Ehrengast  beigewohnt  hatte, 
hielt  er  am  darauffolgenden  Abende  vor 
dem  Deutschen  Club  einen  Vortrag  iiber 
das  Thema  ,,Aus  dem  Leben  der  Spra- 
che", dem  eine  zahlreiche  Zuhorerschaft 
mit  grossem  Interesse  lauschte.  Am 
letzten  Tage  bereitete  ihm  die  deutsche 
Lehrerschaft  der  Stadt  einen  Empfang, 
der  aufs  gemtitlichste  verlief.  Der  ge- 
feierte  Gast  hielt  bei  dieser  Gelegenheit 
ebenfalls  einen  Vortrag  und  zwar  iiber 
,.Petri  Rosegger",  wodurch  er  sich  die 
Gastgeber  zu  dem  aufrichtigsten  Danke 
verpflichtete. 

Das  Germanische  Museum  an  der  Har- 
vard Universitiit  ist  seit  dem  7.  Januar 
fiir  den  Besuch  des  allgemeinen  Pub- 
likums  geoffnet.  Die  formelle  Eroff- 
nungsfeier  soil  erst  stattfinden,  nachdem 
die  Geschenke,  welche  vom  deutschen 
Kaiser  dem  Museum  in  Aussicht  gestellt 
wurden,  eingetroffen  sein  werden. 

President  Eliot  von  der  Harvard  Uni- 
versitat ist  von  dem  Prasidenten  der 


Umscbau. 


93 


franzosischen  Republik  zum  Mitgliede 
der  Ehrenlegion  ernannt  worden. 

New  York.  Deutsche  Theatervorstel- 
lungen.  Herr  Heinrich  Conried,  Direk- 
tor  des  "Irving  Place"  Theaters,  hat  ftir 
die  Samstagmorgen  eine  Serie  von  klas- 
sischen  Theatervorstellungen  angekun- 
digt,  um  besonders  der  Jugend  den  Be- 
such  derselben  zu  ermoglichen.  Die  erste 
Vorstellung  und  zwar  die  von  Schillers 
"Wilhelm  Tell"  fand  am  24.  Januar 
statt,  und  muss  nach  jeder  Hinsicht  als 
ein  Erfolg  bezeichnet  werden. 

Boston  kennt  in  seinen  Schulen  noch 
die  korperliche  Ziichtigung  und  sein 
Schulsuperintendent  scheut  sich  auch 
gar  nicht,  an  seinen  Schulrat  zu  berich- 
ten,  dass  wahrend  des  verflossenen  Schul- 
jahres  in  8055  Fallen  dieses  Ziichti- 
gungsmittel  angewandt  worden  ist. 

An  der  Washington  Universitat  zu  St. 
Louis  wurde  ein  Kampf  zwischen  den 
"Freshmen"  und  den  "Sophomores" 
prompt  durch  Suspendierung  der  erste- 
ren  von  seiten  des  "Chancellor"  Winfield 
Scott  Chaplin  beendet.  Die  Sophomores 
hatten  von  deT  Turnhalle  Besitz  ergrif- 
fen,  welche  dann  von  den  Freshmen  ge- 
sturmt  werden  sollte.  Einer  Aufforde- 
rung  auseinanderzugehen  kamen  diesel- 
ben  niclit  nach,  was  dann  zu  ihrer  Suspen- 
dierung fiihrte.  Noch  einige  soldier 
Exempel  —  und  der  Unsitte  der  Fuchs- 
prellerei  an  unsern  Universitaten  wtirde 
bald  gesteuert  sein. 

In  Californien  ist  es  nunmehr  beschlos- 
sene  Sache,  den  chinesischen  Kindern  den 
Besuch  der  offentlichen  Schulen  zu  ver- 
weigern.  Es  sollen  fur  sie  besondere 
Schulen  eingerichtet  werden. 

John  L.  Sullivan,  der  beriihmte  Faust- 
kJimpfer  des  Landes,  hat  sich  ein  Ver- 
mogen  von  nahezu  einer  Million  Dollars 
zusammengeklopft.  Wenn  wir  horen, 
dass  er  in  einzelnen  Fallen  bis  zu  $18,- 
000  verdiente,  und  dann  bedenken,  dass 
der  Wert  des  Menschen  nur  zu  leicht 
nach  seinem  Geldbeutel  beurteilt  wird, 
auf  welcher  Stufe  der  gesellschaftlichen 
Wtirdigung  steht  dann  der  Lehrer?  Ste- 
hen  wir  in  unserer  Zivilisation  eigentlich 
gar  soweit  iiber  den  Romern? 

Die  Erfahrungen  unserer  Lehrer  auf 
den  Philippinen  sind  nicht  immer  ange- 
nehmster  Natur.  Ein  Lehrer  in  Batanga 
sah  sich  genotigt,  einen  Schiller  korper- 
lich  zu  zlichtigen.  Die  Eltern  desselben 
verklagten  ihn  daraufhin,  und  er  wurde 
von  dem  Richter,  einem  Eingeborenen, 
zu  15  Tagen  GefSngnis  verurteilt. 

Untcrsuchungen  iiber  das  Gedachtnis 
von  Schulkindern  hat  Prof.  Lough  vor 
der-Akademie  in  New  York  besprochen. 
Als  ..Material"  hatte  er  682  Schulmad- 
ohen  im  Alter  zwischen  9  und  15  Jahren. 


Er  las  eine  Reihe  von  zehn  Wortern  den 
Schiilerinnen  vor,  die  dann  soviel  davon 
niederschreiben  mussten,  als  sie  behal- 
ten  hatten.  Besonders  merkwiirdig  ist 
die  Beobachtung  von  Lough,  dass  in  den 
unteren  Schulklassen  die  blonden  Schii- 
lerinnen  das  bessere  Gedachtnis  haben, 
in  den  hoheren  die  briinetten. 

Einem  englischen  Schulmann  verdan- 
ken  wir  die  statistische  Angabe,  dass  in 
Deutschland  von  den  50  Millionen  Ein- 
wohnern  30,000  junge  Leute  die  Univer- 
sitat besuchen,  wahrend  auf  die  30  Mil- 
lionen der  Einwohnerschaft  Englands 
nur  5000  Universitatsstudierende  kom- 
men. 

Trotz  aller  Anstrengungen,  amerika- 
nische  Studenten  von  den  deutschen  Uni- 
versitaten nach  franzosischen,  haupt- 
sachlich  nach  Paris,  zu  ziehen,  wachst 
doch  die  Anzahl  von  Studierenden  an 
den  ersteren  aus  Amerika  stetig.  Na- 
mentlich  sind  es  die  Universitaten  von 
Berlin,  Leipzig,  Miinchen  und  Gottin- 
gen,  die  von  Amerikanern  besucht  wer- 
den. 

Die  Berliner  Universitat  hat  in  diesem 
Jahre  mehr  Studenten  als  je  zuvor,  nam- 
lich  13,400;  eine  Abnahme  ist  nur  in 
der  theologischen  Fakultat  zu  bemerken. 
34  Studenten  in  Berlin  kommen  aus  Eng- 
land und  146  aus  den  Vereinigten  Staa- 
ten. 

Redaktionswechsel.  Bei  der  Allg. 
Deutschen  Lehrerzeitung  ist  am  1.  Jan. 
an  Stelle  des  Herrn  Dr.  Jahn,  welcher  die 
Leitung  des  Anzeigers  fiir  die  neueste 
padag.  Literatur  behalt,  Herr  Direktor 
Dr.  Kiessling  in  Leipzig-Lindenau  als 
Redakteur  eingetreten. 

Die  Rheinischen  Blatter,  im  Jahre 
1827  von  Diesterweg  begrundet  und  von 
ihm  bis  1866  fortgesetzt,  spater  von 
Wichard  Lange,  Richard  Kohler  und  seit 
1887  von  Friedrich  Barthels  geleitet,  ho- 
ren auf  zu  erscheinen. 

Eisferien.  In  den  stadtischen  hoiieren 
Schulen  Berlins  ist  an  den  kalten  Tagen 
der  ersten  Dezemberwoche  mit  den  sog. 
Eisferien  begonnen  worden,  d.  h.  die 
Schulen  wurden  eine  Stunde  friiher  ge- 
schlossen,  und  die  Kinder  beauftragt, 
die  freie  Zeit  beini  Eislauf  zuzubrineen. 
Es  sind  verschiedene  Bahnen  zu  diesem 
Zwecke  gepachtet  worden,  auf  denen  die 
Kinder  unter  Aufsicht  der  Lehrer  den 
Schlittschuhlauf  iiben. 

Vom  unsittlichen  Lenau  wird  aus 
Bamberg  berichtet:  Dieser  Tage  konzer- 
tierte  hier  das  Miinchener  Kaim-Orches- 
ter  unter  F.  Weingartners  Leitung.  wo- 
bei  unter  anderem  Liszts  zwei  Episoden 
aus  Lenaus  ,,Faust"  zur  Auffiihrung  ge- 
langten.  Die  Leiter  der  beiden  Bamber- 


•94 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


,ger  Gymnasien  erfuhren  zum  Gliick  noch 
in  letzter  Stunde,  dass  der  die  Moral 
hochlichst  gefahrdende  Text  dieser  Kom- 
position  auf  der  Riickseite  des  Pro- 
grammes abgedruckt  war.  Sofort  erlie- 
ssen  sie  einen  Befehl,  wonach  es  den 
Schiilern  ihrer  Institute  strengstens  ver- 
boten  sei,  die  unmoralische  Musik  an- 
zuhoren.  Zweihundert  Schiller  mussten 
daraufhin  die  gelosten  Eintrittskarten 
wieder  zuriickgeben.  Die  altesten  Bam- 
berger  Buchhandler  aber  erinnern  sich 
nicht,  jemals  so  viel  Bande  Lenau  ver- 
kauft  zu  haben,  wie  jetzt. 

Der  letzte  Jahresbericht  des  Schulam- 
tes  von  London  beansprucht  besonderes 
Interesse  angesichts  der  Tatsache,  dass 
die  Umgestaltung  des  Volksschulwesens 
gegenwartig  die  brennendste  Frage  der 
inneren  Politik  ist.  Der  Bericht  zeigt, 
•dass  von  20,116  Volksschulen  in  England 
und  Wales  immer  noch  14,319  konfessio- 
nelle,  sogenannte  ,,Voluntary"-Schulen, 
und  nur  5797  ,,Board"-Schulen,  d.  h. 
offentliche,  paritatische  Schulen  sind, 
und  dass  jene  3,054,709  und  diese  2,703,- 
434  Schiller  auf  ihrem  Register  fiihren. 
Der  Staat  hat  letztes  Jahr  fiir  das 
Volksschulwesen  9,753,107  Pfd.  Sterl. 
ausgegeben,  und  dieser  Betrag  verteilt 
sich  ziemlich  gleichmassig  zwischen  den 
zwei  Kategorien  von  Schulen,  doch  so, 
dass  die  Board-Schools,  dank  ihrer  besse- 
ren  Leistungen,  pro  Schiller  einen  staat- 
lichen  Beitrag  von  $5.21,  die  kon- 
fessionellen von  nur  $5.09  verdien- 
ten.  Nur  die  Board-Schools  konnen 
einen  Teil  ihres  Einkommens  aus  den 
Lokalsteuern  beziehen  —  letztes  Jahr  6,- 
349,811  Pfd.  Sterl.  —  wahrend  die  kon- 
fessionellen Schulen  fiir  alles  weitere  auf 
freiwillige  Beitrage  angewiesen  sind,  die 
letztes  Jahr  834,123  Pfd.  Sterl.  abwar- 
fen.  Die  Board-Schools  konnten  daher 
letztes  Jahr  pro  Kopf  der  Schiller 
$14.44  und  in  London  $19.31  aus- 
geben,  die  konfessionellen  Schulen  nur 
-$11.21.  Die  neue  Schulvorlage  will 
bekanntlich  diese  finanzielle  Ungleichheit 
und  die  dadurch  bedingte  Ungleichheit 
der  Leistungen  ausgleichen,  ohne  aber  der 
'Gesamtheit  zugleich  dieselbe  Kontrolle 
tiber  die  konfessionellen  Schulen  zu  ge- 
ben,  die  sie  ilber  die  Board-Schools  be- 
sitzt.  Der  schwache  Punkt  des  engli- 
schen  Volksschulwesens  scheint  noch  im- 
mer der  Mangel  an  ausgebildeten  und  ge- 
priiften  Lehrkraften  zu  sein.  Es  kommt 
nur  ein  Lehrer  auf  je  71  Kinder,  und  von 
138,000  Lehrern  beider  Geschlechter  ha- 
ben nur  66,000  eine  Priifung  abgelegt, 
und  auch  von  diesen  66,000  haben  nur 
38,000  einen  ordentlichen  zweijahrigen 
Ausbildungskurs  durchgemacht.  Drei 
Viertel  der  Lehrkriifte  sind  Frauen. 


Das  franzosische  Schulwesen.  Nach 
dem  verhiingnisvollen  Jahre  1870 — 71  er- 
kannte  man  in  Frankreich,  dass  es  vor 
allem  mit  der  allgemeinen  Volksbildung 
anders  werden  miisse.  Es  ist  nicht  zu 
leugnen,  dass  es  in  der  Beziehung  seit 
1870  wirklich  ganz  anders  geworden  ist. 
Das  franzosische  Volksschulwesen  nahm 
einen  ungeahnten  Aufschwung,  dank  der 
Gesetzgebung  der  80er  Jahre.  Das  Land, 
vor  allem  aber  die  Stadt  Paris,  ist  zu 
jedem  Opfer  bereit,  um  immer  weiter  vor- 
zuschreiten  auf  dem  eingeschlagenen  We- 
ge.  Im  Laufe  von  7  Jahren  hat  man 
nicht  weniger  als  18,000  Schulhauser 
neu  gebaut  und  3000  repariert.  Eine 
eifrige  Lehrerschaft  arbeitet  nach  einem 
alien  Anforderungen  der  Neuzeit  gerecht 
werdenden  Lehrplane.  Die  Organisation 
der  Schulverwaltung  und  Schulaufsicht 
hat  das  voraus,  dass  in  alien  Instanzen, 
von  der  niedrigsten  bis  zur  hochsten, 
neben  Vertretern  der  Regierung,  solche 
der  Gemeinden  und  Lehrer  Sitz  und 
Stimme  haben.  Die  Schulpflicht  der 
Volksschule  dauert  vom  6.  bis  zum  vol- 
lendeten  13.  Jahre.  Leider  ist  vom  li. 
Jahre  ab  eine  vollstandige  Dispensation 
von  jeglichem  Unterricht  moglich,  so- 
bald  sich  der  Schiller  das  ,,certificat 
d'etudes  primaires"  erwirbt.  Die  be- 
gabten  armeren  Kinder  werden  dadurch 
der  Schule  entzogen.  —  Die  Pariser 
Volksschulhauser  sind  meist  klein.  Die 
Sale  liegen  der  Strasse  abgewandt..  Kar- 
ten,  Bilder  und  Spriiche  schmiicken  die 
Wande.  Dem  Deutschen  fallt  sofort 
auf,  dass  Elsass-Lothringen  schwarz  ge- 
zeichnet  ist.  In  jedem  Schulhaus  liegt 
zu  ebener  Erde  der  PrSau,  ein  langer 
Saal,  der  zur  Versammlung  der  Klassen 
vor  und  nach  dem  Unterricht  dient.  Da- 
selbst  werden  auch  Feste  abgehalten. 
Ausserdem  nehmen  viele  Kinder  im 
Pr6au  ihr  Mittagsmahl  ein.  —  Die  Unter- 
richtszeit  dauert  von  8% — 11%  und  von 
1 — 4  Uhr;  der  Donnerstag  ist  schulfrei. 
Hitzferien  gibt  es  nicht.  Das  vorherr- 
schende  Schulsystem  ist  das  sechsklas- 
sige.  Jeder  Lehrer  hat  30  Stunden  Un- 
terricht zu  erteilen.  Leider  sind  die 
Lehrergehalte  ungeniigend,  und  es  ist 
nur  zu  wiinschen,  dass  die  Bestrebungen 
der  Lehrerschaft  auf  deren  Erhohung  er- 
folgreich  sein  mochten. 

Friihreife  Knaben  sind  die  italieni- 
schen  Gymnasiasten  und  Realschiiler. 
Sie  werden  allerdings  auch  auf  der  Sexta 
schon  von  ihren  Lehrern  mit  Sie  ange- 
redet.  In  Rom  hielten  sie  jiingst  in  ei- 
nem Theater  eine  Versammlung,  um  eine 
giinstigere  Priifungsordnung  zu  erlan- 
gen.  Sie  beauftragten  die  republikani- 
schen  Abgeordneten  Mazza  und  Barzila 
mit  der  Vertretung  ihrer  Wiinsche  bei 


Umscbau. 


95 


•der  Regierung.  Auch  einen  Beschluss 
gegen  die  ,,improduktiven  Staatsausga- 
ben",  d.  h.  die  Ausgaben  fiir  das  Heer 
und  die  Schulverwaltung,  fassten  sie  und 
verlangten,  dass  die  hierfiir  verwandten 
Mittel  dem  Unterrichtswesen  zu  gute 
kiimen. 

Ein  Bjornson-Fonds.  Aus  Anlass  des 
70.  Geburtstages  Bjornstjerne  Bjornsona 
haben  die  Sammlungen  zu  einem  Bjorn- 
son-Fonds, der  dem  Dichter  zur  Verfii- 
gung  gestellt  werden  und  eine  dauernde 
Erinnerung  an  die  Wirksamkeit  Bjb'rn- 
sons  bilden  soil,  begonnen.  Diesen  Fonds 
will  Bjornson  in  den  Dienst  der  norwegi- 
schen  Lehrer  und  Lehrerinnen  stellen, 
da  diese  schlecht  besoldet  werden.  Im 
iibrigen  hat  Bjornson  seine  Unterstiit- 
zung  aus  eigenen  Mitteln  in  der  Sache 
zugesagt. 

Russland.  (Deutsch  oder  franzosischf) 
Von  der  russischen  Regierung  wurde  ein 
Gelehrtenkomitee  eingesetzt,  das  im  Ver- 
ein  mit  den  Direktoren  der  Gymnasien 
iiber  die  viel  diskutierte  Frage  endgiltig 
Beschluss  fassen  sollte,  ob  unter  den 
modernen  Sprachen  deutsch  oder  franzo- 
sisch  obligatorisch  in  den  Mittelschulen 
gelehrt  werden  soil.  Das  Komitee  ent- 
schied  nun,  dass  die  deutsche  Sprache 
einzufiihren  sei,  und  zwar  nicht  nur  in 
Ansehung  der  hohen  Entwicklungsstufe 
der  Wissenschaften  in  Deutschland,  son- 
<lern  auch  in  anbetracht  der  iiberwiegend 
deutschen  wissenschaftlichen  Werke,  die 
in  Russland  in  Verwendung  stehen.  An 
der  Universitat  in  Moskau  sind,  wie  im 
Motivenbericht  angefiihrt  wird,  von  200 
Universitatslehrern  700  deutsche  Lehr- 
biicher  und  nur  190  franzosische  zur 
Beniitzung  empfohlen. 

Der  danische  Unterrichtsminister  hat 
dem  Reichstage  die  neue  Vorlage,  betref- 
fend  eine  Reform  des  Schulwesens,  unter- 
treitet.  Kiinftig  soil  dort,  wie  in  Nor- 
wegen,  auf  die  klassischen  Sprachen 


nicht  mehr  das  Hauptgewicht  gelegt  wer- 
den. Die  meisten  padagogischen  Auto- 
ritaten  haben  sich  dieser  Reform  ange- 
schlossen.  Nach  dem  vorliegenden  Ent- 
wurfe  soil  die  Volksschule  die  Grundlage 
des  ganzen  diinischen  Schulwesens  bilden. 
Die  Schiller,  die  befahigt  sind,  ihre  Stu- 
dien  fortzusetzen,  kb'nnen  durch  die  ho- 
here  Volksschule,  die  sog.  Mittelschule, 
die  Jugendschule,  die  mit  dem  Abiturien- 
tenexamen  abschliesst,  erreichen.  In  der 
Jugendschule  wird  der  Unterricht  in 
streng  klassischer,  in  modern-sprach- 
licher  oder  in  mathematisch-naturwissen- 
schaftlicher  Richtung  erteilt.  Die  sprach- 
liche  Richtung  wird  nicht,  wie  bisher, 
auf  die  franzosische,  sondern  auf  die 
deutsche  und  die  englische  Sprache  das 
Hauptgewicht  legen.  Fiir  die  Schiller, 
die  die  Jugendschule  nicht  besuchen  wol- 
len,  jedoch  einen  vollstandigeren  Unter- 
richt als  denjenigen,  den  die  Volksschule 
geben  kann,  wiinschen,  wird  eine  ein- 
jiihrige  sog.  Fortbildungsklasse  einge- 
richtet,  in  welcher  besonders  in  solchen 
Fachern,  die  fiir  die  praktische  Ausbil- 
dung  der  Schiller  Bedeutung  haben,  un- 
terrichtet  wird.  Dass  die  Vorlage  in  ih- 
ren  Hauptziigen  angenommen  wird,  gilt 
als  sicher. 

Sndafrika.  Aus  Kapstadt  wurde  der 
,,Tagl.  Rundschau"  telegraphisch  gemel- 
det:  Die  unheilvolle  Wirkung  des  Krie- 
ges  auf  das  Schulwesen  in  Siidafrika 
wird  durch  eine  soeben  ausgegebene  Sta- 
stistik  erlautert.  Danach  bestanden  vor 
Ausbruch  des  Krieges  in  18  Bezirken 
302  Schulen,  beim  Friedensschluss  nur 
noch  139.  Die  Bezirke  von  Hay  und  Cal- 
vinia  sind  ganzlich  ohne  Schulen.  In 
Kapstadt  selbst  sieht  es  giinstiger  aus; 
das  dortige  South  African  College  be- 
schaf tigt  sich  mit  einem  Plan  zur  Erwei- 
terung  seiner  Anstalten  und  Errichtung 
neuer  Gebaude  und  weiterer  Lehrstiihle, 
wofiir  ilber  2  Millionen  Mark  ausgewor- 
fen  sind. 


III.     Vermischtes. 


In  einem  Dorfchen  an  der  Lahn,  un- 
weit  Marburg,  wo  der  Nachtwachter- 
dienst  nach  alter  Vater  Sitte  ,,Reihe 
rum"  geht,  wurde  auch  dem  Lehrer  eines 
Tages  Spiess  und  Horn  gebracht  mit 
dem  Bemerken,  dass  die  Reihe  an  ihm  sei. 
Der  Lehrer  weigerte  sich  und  beschwerte 
sich  bei  der  vorgesetzten  Behorde  iiber 
das  Ansinnen.  Diese  entschied,  dass  der 
Lehrer  von  alien  Kommunalsteuern  frei 
sei,  soweit  sie  sein  Gehalt  betreffen. 
Habe  er  aber  Privatvermogen,  so  miisse 
er  auch  die  Kommunallasten  tragen,  also 
auch  Nachtwache  leisten  oder  fiir  sein 
•Geld  leisten.  Der  Lehrer  als  Nachtwach- 
ter,  welcher  Jubel  fiir  Schulkinder! 


,,0  diese  Fremdworter !"  Perblank  — 
stand  dieser  Tage  in  der  Bude  eines  Ber- 
liner Obsthandlers  auf  einer  kleinen  wei- 
ssen  Tafel,  die,  an  einem  Holzchen  be- 
festigt,  auf  einen  Hiigel  saftiger  Friichte 
herabsah.  Eine  Bauerfrau  in  der  Nach- 
barschaft  versuchte  darauf,  dem  geheim- 
nisvollen  Worte  eine  verstandlichere  Fas- 
sung  zu  geben,  und  malte  mit  ungelenker 
Hand  auf  ihr  Schildchen  ,,Blanke  Beere". 
Es  handelte  sich  hier  und  dort  um  die 
allbekannte  Butterbirne  Beurr§  blanc, 
und  in  Mitteldeutschland  gewohnlich 
Birne  Blank  genannt. 


96 


P'ddagogischc  Monatsbefte 


Gute  Entschuldigung.  Eine  Schiilerin 
entschuldigt  einen  Mitschiiler  mit  den 
Worten:  ,,lch  soil  Otto  Meier  entschuldi- 
gen;  er  1st  krank,  sie  schlachten  heute." 
Die  Bedcutung  des  anriichigen  Aus- 
drucks  ,,Nassauern"  kennt  wohl  jeder, 
aber  nicht  jeder  auch  seine  Entstehung. 
Dass  das  Land  Nassau  mit  im  Spiele  ist, 
lasst  sich  von  vornherein  vermuteru  und 
so  ist  es  auch.  Das  friihere  Herzogtum 
Nassau,  jetzt  ein  Teil  der  Provinz  Hes- 
sen-Nassau,  besass  keine  Universitat;  die 
zum  Studium  Berechtigten  sahen  sich  da- 
her  genb'tigt,  eine  Hochschule  in  frem- 
dem  Lande  zu  besuchen.  Nun  hatten, 
so  erzilhlt  ein  alter  Nassauer,  im  An- 
fange  und  in  der  Mitte  dieses  Jahrhun- 
derts  die  Studenten  nur  dann  Aussicht, 
im  Lande  eine  Staatsstellung  zu  erlan- 
gen5  wenn  von  ihnen  in  Erfiillung  eines 
ein  filr  alle  Male  geausserten  Wunsches 
des  Landesherrn  die  Universitat  Gottm- 
gen  besucht  worden  war.  Die  nassaui- 
schen  Fiirsten  waren  indes  von  jeher  sehr 
auf  den  Wohlstand  und  das  Wohlergehen 
ihrer  Landeskinder  bedacht.  Gern  und 
freudig  unterstiitzten  sie  jeden  Empor- 
strebenden,  dem  es  an  Mitteln  gebrach, 
sich  allein  auszubilden.  So  war  denn 
auch  in  Gottingen  ein  von  der  nassaui- 
schen  Regierung  unterhaltener  freier 
Mittagstisch  fiir  solche  nassauischen 
Studenten  eingerichtet,  denen  die  Ver- 
hiiltnisse  nicht  gestatteten,  aus  eigener 
Tasche  zu  leben.  Diesen  ,,Freitisch"  be- 
nutzten  jedoch  bei  giinstiger  Gelegenheit 
auch  solche  Studenten,  die  nicht  aus 
Nassau  stammten,  und  diese  wurden 
dann  von  ihren  Kommilitionen  scherz- 
weise  ,,Nassauer"  genannt,  weil  sie  an 
dem  nassauischen  Freitisch  ,,genassau- 
ert"  hatten.  Die  ersten  ,,Nassauer"  wa- 
ren also  alles  andere,  nur  keine  —  Nas- 
sauer. 

Sic  transit  gloria  mundi!  Ein  Herr 
in  Siiddeutschland  will  eine  unzweifel- 
haft  sehon  im  voraus  gepriigte  Sieges- 
denkmiinze  Napoleons  III.  besitzen.  Dem- 
gegeniiber  dtirfte  vielleicht  das  Gegenteil, 
wie  schnell  die  ganze  napoleonsche  Wirt- 
schaft  nach  dem  2.  September  1870  abge- 
tan  wurde,  interessieren.  Ich  land,  so 
schreibt  ein  alter  Krieger,  danials  als 
Einjahriger  im  1.  kgl.  sachsischen  Jager- 
Bataillon  ,,Kronprinz  Albert",  im  Okto- 
ber  1870  auf  einer  unserer  haufigenj 
Schleichpatrouillen  nach  dem  schb'nen 
Villemomble  vor  Paris,  das  den  meisten 
Jagern  unvergesslich  sein  wird,  in  einer 
hochherrschaftlichen,  vollig  leerstehen- 
den  Villa  eine  Bronzemiinze,  die  mir 
heute  noch  vorliegt.  Auf  ihr  ist  der 
Kopf  Napoleons  deutlich  ausgepragt,  ge- 
ziert  mit  der  preussischen  Pickelhaube; 
um  den  Hals  ist  ein  starkes  mit  einem 
Ringe  versehenes  Hundehalsband  gelegt, 
worauf  das  Wort  ,,Sedan"  steht.  Die 


Umschrift  lautet:  ,,Napoleon  III.  Le 
Miserable.  80,000  Prisonniers."  Die 
Kehrseite  zeigt  den  beriihmten  aigle 
franQais,  aber  mit  einem  Eulenkopfe. 
Hier  lautet  die  Umschrift:  ,,Vampire 
franQais.  2.  Dec.  1851 — 2.  Sept.  1870!" 

Das  H&rchen. 
Das   war    ein    eifrig,    unermiidlich    Lau- 

schen, 
Wenn  er  ein  Miirchen  unsrer  Schar  er- 

ziihlte. 
Und  wie  viel  lieber  war  uns  da  der  Leh- 

rer, 
Der  gute,  den  wir  sonst  schon  herzlich 

liebten. 
Da  fiel   kein   Blick   von   seinem   reichen 

Munde, 

Der  uns  so  Schones  zu  erzahlen  wusste, 
So  Wunderschones,  das  wir  gierig 

schliirften, 

Und  das  die  Phantasie,  die  bilderreiche, 
Sogleich  in  tausend  bunte  Farben 

tauchte. 
's   ist    lange    her,    seit   ich,    ein    kleiner 

Knabe, 
Mit  andern  diesen  Wundermiirchen 

horchte. 
Der    Ernst    des    Lebens    trat    an    meine 

Seite 
Und  wies  die  Pflichten  mir  mit  heil'gem 

Mahnen. 
Und  doch,  ich  konnte  jene  Miirchen  nie 

vergessen, 
Die   einstmals    sich    ins    Kinderherz    ge- 

stohlen. 

Und  die  Erinnerung  aus  Jugendtagen, 
Sie  hat  sich  ihrer  herzlich  angenommen, 
Erzahlt  mir  sie  in  meinen  Traumen  wie- 

der 
Und  lasst  mich  jener  Stunden  stets  ge- 

denken. 
Das    war    ein   eifrig,    unermiidlich    Lau- 

schen.  — 

Und  nun,  nach  manchen  arbeitsschweren 

Jahren 
Ward   mir  ein  hohes,   teures   Gliick  be- 

schieden, 

Und  Marchen  darf  ich  selber  nun  erzah- 
len. 
O,  welche  Freude  fiir  das  Herz  des  Leh- 

rers, 
Der  Kinder  Blicke  all  auf  seinen  Mund 

gerichtet, 
Wenn  er  erzahlt  vom  Hansel  und  vom 

Gretel, 
Vom    bosen    VVolf    und   von    den    sieben 

Geisslein, 
Vom  Tischlein  deck  dich  und  vom  Aschen- 

brodel. 
Da  mocht  ich  selbst  ein  Kind  noch  ein- 

mal  werden 
Und  kindlich  nochmals  goldne  Marchen 

horen ; 

Es  ist  ein  susses,  unermiidlich  Lauschen. 
Emit   Wechsler. 


Padagogische  Monatshefte,. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  Marz  1903.  Heft  4 

Abhangigkeitsverhaltnisse  in  der  deutschen 
Satzbildung.* 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Dr.  Wni.  Jaeger,  Cincinnati. 

Jede  Sprache  hat  ausser  der  ihr  eigentiimlichen  Konjugations-,  Dekli- 
nations-  und  Rektionsformen  noch  besondere,  charakteristische  Eigenhei- 
ten,  die  ihr  unter  den  Schwestersprachen  ein  ganz  besonderes  Geprage 
verleihen.  Dass  Wahl  wie  Wechsel  des  Ausdruckes,  bedingt  durch  un- 
gleiche  Anschauung,  in  den  Sprachen  oft  grundverschieden  ist,  hat  wohl 
jedermann  erfahren,  der  eine  wortliche  Ubersetzung  eines  Idioms  in  eine 
andere  Sprache  versuchte. 

Aber  nicht  nur  diese  Wahl  des  Ausdrucks,  die  ja  selbst  in  ein  und 
derselben  Sprache  ganz  individuell  ausfallt,  bedingt  die  Gegensatze  zweier 
Sprachen ;  weit  mehr  noch  als  diese  sind  es  die  Gesetze  und  Normen,  nach 
welchen  die  Anordnung,  der  Aufbau  der  einzelnen  Satzteile  zum  fertigen 
Satz  geschieht.  Sind  doch  diese  Sprachgesetze  so  eigenartig,  und  ist  doch 
diese  Eigenart  so  tiefbegriindet  in  der  eigentiimlichen  Anschauung  und 
Entwicklung  eines  Volkes,  so  geheiligt  durch  jahrtausendlangen  Ge- 
brauch,  dass  sich  niemand  denselben  eigenmachtig  entgegenstellen  kann. 

Unter  den  Kultursprachen  der  Gegenwart  nimmt  aber  die  deutsche 
Sprache  inbezug  auf  die  Vielseitigkeit  ihres  Satzbaues  eine  hervorragende, 
wenn  nicht  leitende  Stellung  ein. 

Durch  die  vollige  Entwicklung  der  Biegungsendungen  besitzt  diese 
Sprache  ein  Mittel,  welches  sie  vor  alien  andern  Sprachen  befahigt,  die 
mannigfachsten  Verschiebungen  der  Satzteile  vorzunehmen,  um  dadurch 

*)   Nach  einem  Vortrag,  gehalten  am  4.  Dezember  1902  vor  dem  Verein  der  Ober- 
lehrer  von  Cincinnati. 


98  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

dem  ausgesprochenen  Gedanken  grossere  Genauigkeit  und  bedeutungs- 
volleren  Inhalt  zu  verleihen. 

Denn  diese  Umstellung  —  Inversion  —  ist  durchaus  nicht  nebensach- 
licher  Natur;  sie  hat  den  Zweck,  irgend  einen  Satzteil  durch  ungewohn- 
liche  Stellung  starker  hervorzuheben,  oder  aber  um  die  Rede  mannigfal- 
tiger  zu  gestalten  und  den  Wohlklang  derselben  zu  erhohen.  Liegt  also 
in  vielen  Fallen  dieselbe  als  bloss  rednerisches  Kunstmittel  in  der  Willkiir 
des  Sprechenden  oder  Schreibenden,  so  ist  sie  wiederum  in  andern  fiir 
gewisse  Satzformen  als  charakteristisch  gewahlt  und  fiir  immer  festge- 
setzt,  sodass  jede  Nichtbeachtung  oder  Zuwiderhandlung  als  ein  groblicher 
Verstoss  gegen  den  Sprachgebrauch  muss  aufgefasst  werden. 

Lassen  Sie  uns  zwei  der  eigenartigsten  Regeln  deutscher  Wortfolge 
ein  wenig  scharfer  ins  Auge  fassen,  und  zwar  zunachst  die  Forderung: 
doss  die  Zeitworter  in  zusammengesetzten  Zeitformen  im  Satze  von  ein- 
ander  getrennt  werden;  sodann,  doss  in  dem  von  einer  unterordnenden 
Konjunktion  oder  einem  relativen  Fiirwort  eingeleiteten  Nebensatze  die 
konjugierte  Form  des  Zeitwortes  —  das  Verbum  finitum  —  seine  ur- 
sprungliche  Stellung  verliert  und  sich  an  das  Ende  der  Konstruktion  ver- 
schieben  lasst. 

Um  mit  dem  Erstgenannten  zu  beginnen:  der  Deutsche  sagt  also 
nicht,  wie  es  in  anderen  modernen  Sprachen  iiblich  ist :  ,,Ich  habe  gesehen 
Sie  gestern" ;  ,,ich  bin  gewesen  zur  Kirche" ;  ,,ich  werde  gehen  nach  Eng- 
land"; ,,ich  kann  (will,  muss,  soil  u.  s.  w.)  sehen  deine  Fortschritte" ; — 
sondern  er  trennt  die  beiden  den  Pradikatbegriff  bildenden  Zeitworter,  in- 
dem  er  das  Mittelwort  der  Vergangenheit  (,,gesehen",  ,,gewesen"),  oder 
die  Nennform  des  Zeitwortes  (,,gehen",  ,,sehen")  an  das  Ende  der  Kon- 
struktion stellt.  Diese  Verschiebung  des  Mittelwortes  und  der  Nennform 
findet  nun  in  der  deutschen  Sprache  immer  statt,  und  wenn  eine  Ausnahme 
dazu  vorkommt,  so  hangt  ihr  unleugbar  etwas  Fremdartiges,  Undeutsches 
an.  Man  trifft  dieselben  deshalb  besonders  in  der  Prosa  an,  als  Nach- 
ahmung  der  Sprechweise  von  Auslandern  und  nichtdeutschen  Elementen. 

In  der  gebundenen  Rede  vermogen  diese  Ausnahmen  allerdings  durch 
ihre  Eigentiimlichkeit  denEindruck  desGesprochenen  zu  erhohen,  wie  denn 
durch  Luthers  haufigen  Gebrauch  in  seiner  Bibeliibersetzung  ihr  rhetori- 
scher  Wert  wohl  zur  hochsten  Geltung  gelangt.  Man  beachte  z.  B.  die 
folgende  biblische  Ausdrucksweise :  ,,Dass  sich  dein  Same  mehre  wie  die 
Sterne  am  Himmel  und  wie  der  Sand  am  Ufer  des  Meeres,  und  er  soil  be- 
sitzen  die  Tore  deiner  Feinde ;"  —  oder  wie  im  Gebet  des  Herrn,  wo 
ausser  der  Umstellung  des  deutschen  ,,Unser  Vater"  in  ,,Vater  unser"  es 
heisst :  ,,der  du  bist  im  Himmel"  wahrend  es  doch  in  deutscher  Wortfolge 
heissen  miisste,  ,,der  du  im  Himmel  bist";  sowie:  ,,vergib  uns  unsere 
Schuld,  wie  wir  unsern  Schuldigern  vergeben"  statt  ,,wie  wir  vergeben 
unsern  Schuldisrern". 


Abb'dngigkeitsverb'dltnisse  in  der  deutschen  Sat^bildung.  99 

Aber  trotz  Luthers  haufiger  Anwendung  in  der  Bibel  hat  seine  Wort- 
stellung  die  der  echt  deutschen  Trennung  nicht  zu  verdrangen  vermocht : 
ist  ihm  auch  nicht  darum  zu  tun  gewesen,  wie  geniigsam  aus  seinen  andern 
Prosaschriften  erhellt 

Dass  die  deutsche  Stellung  des  Zeitwortes  dem  Nichtdeutschen,  be- 
sonders  in  erweiterten  Satzen  recht  eigentiimlich  erscheinen  muss,  lasst 
sich  aus  den  Kritiken  ersehen,  die  wir  dariiber  hinnehmen  miissen.  Eine 
der  kostlichsten  ist  jedenfalls  die  des  amerikanischen  Humoristen  ,,Mark 
Twain"  in  seinem  beriihmten  Werke  ,,Innocents  Abroad".  Wie  langsam 
und  schwierig  iiberhaupt  diese  Umstellung  bei  den  meisten  deutschler- 
nenden  Schiilern  Verstandnis  und  Eingang  findet,  hat  der  deutsche  Lehrer 
hierzulande  Gelegenheit  zu  beobachten.  Da  mag  es  denn  fast  taglich 
vorkommen,  dass  ein  Schiiler,  dem  die  deutsche  Konstruktion  noch  nicht 
in  Fleisch  und  Blut  iibergegangen  ist,  ganz  ruhig  erklart:  er  werde  seine 

schriftliche  Aufgabe  f iir  heute  Nachmittag : sodass  der  Lehrer  erst 

mit  Fragen  wie  ,,abschreiben  ?",  ,,vorlesen  ?",  ,,bringen  ?",  ,,abgeben"  ,,oder 
fortnehmen  ?"  einhelf en  muss,  um  die  Wichtigkeit  des  ausgelassenen  Satz- 
teiles  hervorzuheben. 

Dem  Deutschen,  sowie  dem  Auslander,  der  diese  Umstellung  griind- 
lich  beherrscht,  erscheint  jene  Auslassung  allerdings  unmoglich.  Er  ist 
daran  gewohnt,  das  pragnante  Wort,  das  dem  ganzen  Satze  erst  den  In- 
halt  verleiht,  zuletzt  zu  horen.  Eigentiimlich  bleibt  die  Sache  aber  im- 
merhin;  und  es  diirfte  demjenigen,  der  sich  nicht  tiefer  mit  der  Satzlehre 
befasst  hat,  doch  wohl  recht  schwer  fallen,  auf  die  Fragen  eines  wissens- 
durstigen  Schiilers  eine  befriedigende  Antwort  zu  geben ;  Fragen  wie  die 
folgenden  sind  wohlberechtigt :  Warum  trennt  man  diese  Verbformen 
iiberhaupt?  Warum  nicht  auch  im  Englischen,  im  Franzosischen  oder  in 
einer  andern  modernen  Sprache  ?  —  Steht  ihm  dann  sein  Schutzengel  bei, 
da  mag's  dem  so  in  die  Enge  Getriebenen  wohl  herausfahren :  Weil  's  eben 
Deutsch  ist !  Und  tatsachlich  hat  er  mit  diesem  kurzen  Bescheid  —  zwar 
unbewusst  —  den  Nagel  auf  den  Kopf  getroffen.  Denn  es  spricht  sich  in 
dieser  eigenartigen  Umstellung  des  Verbums  ein  Zug  echt  deutschen  We- 
sens  aus  —  ein  Charakterzug,  der  bis  auf  den  heutigen  Tag  dem  deutschen 
Volke  zu  manchem  Wohl  aber  auch  zu  manchem  Weh  gereicht  hat. 

Die  Sprache  ist  ein  Spiegel  der  Gedanken,  wie  sie  aus  dem  Denken, 
Fuhlen  und  Wollen  des  Einzelmenschen  sowohl,  als  eines  ganzen  Volkes 
hervorgehen.  In  seiner  Sprache  offenbart  sich  das  Tiefinnerste  eines 
Menschen,  wie  eines  Volkes ;  nicht  im  Ausdruck  allein,  und  im  Ton : 
selbst  in  der  Form  charakterisiert  sich  die  Eigenart  des  einen  wie  des 
andern. 

Nun  gibt  es  aber  keine  Nation,  die  die  Standesunterschiede,  die 
Rangverhaltnisse  deutlicher,  scharfer  begrenzt  und  durchgebildet  hat,  wie 
gerade  die  deutsche.  Das  soil  weder  ein  Lob,  noch  eine  Verurteilung 


100  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

sein;  denn  Gutes,  recht  viel  Gutes,  aber  auch  manche  Unzulassigkeit  1st 
daraus  hervorgegangen. 

Das  steht  fest,  dass  ausser  dem  Russen,  der  denn  doch  in  seiner  nie- 
drigen  Knechtschaft  und  mit  seiner  weit  geringeren  Bildung  nicht  zum 
Vergleich  gebracht  werden  kann,  kein  Volk  so  sehr  die  bescheidene  Hoch- 
achtung,  die  Wertschatzung  alles  Hochstehenden  und  Fremden  so  aus- 
gebildet  hat,  wie  der  Deutsche. 

Wer  wiisste  es  nicht,  wie  im  Vaterlande  die  Titel  und  Namen  hoch- 
stehender  Personen  nur  mit  einer  gewissen,  scheuen  Reverenz  ausgespro- 
chen  werden!  Wie  ,,der  Herr  Doktor"  oder  gar  ,,der  Herr  Sanitatsrat", 
,,der  Herr  Major"  —  ja  selbst  ,,der  Herr  Pastor"  und  ,,der  Herr  Lehrer" 
dem  guterzogenen,  einfachen  Burger  oder  Bauer  weit  mehr  respekthei- 
schende  Wesen  sind,  als  jene  es  hierzulande  jemals  sein  konnten!  An- 
spruchslos,  nach  guter,  alter  Sitte,  raumt  der  Deutsche  dem  Hoherstehen- 
den  gern  den  ersten  Platz,  ja  in  seiner  —  so  oft  missverstandnen —  Be- 
scheidenheit  tritt  er  selbst  wohl  an  den  letzten  Platz !  Und  siehe :  was  er 
in  seinem  Tun  und  Handeln  ubt,  das  spiegelt  die  Sprache  getreulich  wie- 
der;  denn  wo  immer  sick  ein  Verhaltnis  der  Abh'dngigkeit  herausgebildet 
hat  —  da  steht  der  untergeordnete,  abhdngige  Teil  bescheidentlich  am 
letzten  Platz. 

Abhangig  sein  heisst  doch  wohl,  ohne  die  Hilfe  eines  andern  —  oder 
ohne  die  Hilfe  von  etwas  anderm  —  nicht  bestehen  konnen.  Nun,  dem- 
nach  sind  in  den  oben  angefiihrten  Satzen  alle  Mittelformen  der  Zeitwor- 
ter,  sowie  die  Nennformen  derselben  von  den  sie  begleitenden  Hilfszeit- 
wortern  abhangig.  Denn  falls  man  die  vollendete  Gegenwart  —  das  Per- 
fektum  —  von  ,,sehen"  nicht  ohne  Zuhilfenahme  von  dem  Hilfszeitwort 
,,haben"  bilden  kann,  —  mit  anderen  Worten,  wenn  man  nicht  sagen  darf : 
,,Ich  Ihren  Bruder  gesehen",  sondern  das  Wort  ,,habe"  unbedingt  ein- 
setzen  muss,  um  den  Satz  verstandig  zu  machen,  dann  kann  eben  die  Mit- 
telform  ,,gesehen"  nicht  ohne  ,,habe"  bestehen ;  sie  ist  also  abhangig  davon, 
und  da  sie  dieses  Verhaltnis  anerkennt,  so  tritt  sie  bescheidentlich  an  den 
letzten  Platz,  —  an  das  Ende  der  Satskonstruktion. 

Dasselbe  Verhaltnis  wiederholt  sich  bei  den  Nennformen,  die  ent- 
weder  vor  den  Hilfsverben  des  Modus  (konnen,  wollen  u.  s.  w.),  dem 
Hilfsverb  der  Konjugation  ,,werden",  oder  von  einem  andern  regelmassi- 
gen  Verbum  (wie:  sehen,  horen)  abhangen  mogen,  —  ja,  selbst  im  unter- 
geordneten,  also  abhdngigen  Satsverhaltnis,  im  Satzgefuge,  findet  diese 
sicherlich  charakteristische  Verschiebung  des  Haupttragers  des  Satzinhal- 
tes,  namlich  des  Hauptverbums,  statt,  und  es  ist  gerade  diese  Tatsache, 
welche  als  begriindendes  Beispiel  fiir  die  angebene  Erklarung  solcher  Satz- 
stellung  moge  angefiihrt  werden. 

Oder  wie  wollte  man  andernfalls  diese  Umstellung  des  Zeitwortes 
geniigsam  erklaren?  Lassen  Sie  uns  einen  solchen  Fall  naher  betrachten. 


Abb'dngigkeits'verb'dltnisse  in  der  deutscben  Sat^bildung.          101 

,,Dir  bliiht  gewiss  das  schonste  Gliick  der  Erde,  da  du  so  fromm  und 
heilig  bist",  so  stellt  Schiller  zwei  einfache  Satze  in  ein  Gefiige  zusam- 
men.  ,,Dir  bluht  gewiss  das  schonste  Gliick  der  Erde",  —  oder  auch: 
,,Das  schonste  Gliick  der  Erde  bliiht  Dir",  und  ,,Du  bist  so  fromm  und 
heilig"  sind  die  einfachen  Satze.  In  beiden  nimmt  der  Pradikatsbegriff 
—  das  Zeitwort  —  die  zweite  Stelle  ein  —  solange  sie  fur  sich  bestehen. 
In  der  Beziehung  auf  einander,  in  der  Zusammenfiigung  durch  das  Binde- 
wort  ,,da"  verliert  jedoch  das  Zeitwort  des  mit  ,,da"  eingeleiteten  Satzes 
seine  Stellung;  es  heisst  nicht  mehr  da  du  bist  so  fromm  und  heilig,  son- 
dern  ,,da  du  so  fromm  und  heilig  bist".  Was  bedingt  also  die  Umstel- 
lung?  Doch  jedenfalls  das  Wortchen  ,,da"  —  oder  eigentlich  der  in  diesem 
Wortchen  sich  bergende  Begriff:  die  Angabe  des  logischen  Erkenntnis- 
oder  Beweisgrundes  fur  die  im  Vorsatz  enthaltene  Aussage,  wodurch  dann 
ein  inneres,  so  nahes  Verhaltnis  der  beiden  Aussagen  geschaffen  wird,  dass 
die  letztere  ihre  Selbstandigkeit  aufgibt  und  sozusagen  als  Satzteil  der 
ersteren  sich  einfiigt,  kurz,  in  ein  Abh'dngigkeitsverhdltnis  zum  ersten  Satz 
tritt. 

Dass  dem  so  ist,  lasst  sich  leicht  durch  die  Einschaltung  des  Binde- 
wortes  ,,denn"  an  Stelle  des  ,,da"  beweisen.  Auch  dieses  Bindewort 
fiihrt  den  logischen  Erkenntnisgrund  ein ;  es  wird  aber  dieser  Grund  nicht 
als  absolut  notwendige,  von  der  ersten  Aussage  direkt  abhangige  Tatsache 
hingestellt,  vielmehr  als  eine  mehr  oder  weniger  zufdllige  Begleiterschei- 
nung. 

Denn  wahrend  die  mit  ,,da"  eingeleitete  Begriindung  in  unserm  Bei- 
spiele  etwa  so  zu  erklaren  ware :  weil  du  so  fromm  und  heilig  bist,  so  muss 
dir  das  schonste  Gliick  der  Erde  bliihen,  —  enthalt  der  mit  ,,denn"  einge- 
fiihrte  Satz  etwa  den  Sinn :  es  ist  wahr,  du  bist  fromm  und  heilig ;  dem- 
nach  muss  dir  auch  das  schonste  Gliick  der  Erde  bliihen. 

Beide  Gedanken  bleiben  also  im  letztern  Satz  trotz  innerer  Beziehung 
als  selbstandige  Erkenntnissatze  bestehen,  —  der  eine  fiigt  sich  nicht  als 
Teil  dem  andern  ein ;  er  bleibt  unabhangig,  und  in  der  Konstruktion  behalt 
auch  das  Zeitwort  als  Haupttrager  der  Satzidee  seine  unabhangige  Stel- 
lung ;  es  heisst :  dir  bliiht  gewiss  das  schonste  Gliick  auf  Erden ;  denn  du 
bist  so  fromm  und  heilig. 

Selbst  die  Zeichensetzung  bestrebt  sich,  diesem  Unterschied  zwischen 
abhangigem  und  selbstandigem  Satzverhaltnis  gerecht  zu  werden;  denn 
wahrend  vor  ,,da"  ein  Komma  steht,  setzt  man  vor  ,,denn"  in  der  Regel 
ein  Semikolon;  ja,  nach  besonders  langem,  vorstehendem  Hauptsatz  selbst 
einen  Punkt. 

Zuriickkommend  auf  unsere  Abhangigsverhaltnisse  und  auf  die  eigen- 
artige  Verbstellung  in  denselben,  noch  einige  Bemerkungen  zur  Ergan- 
zung. 


102  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Es  wird  tins  von  Auslandern  oft  der  Vorwurf  gemacht,  dass  durch 
die  Trennung  der  Verbformen  notwendiger  Weise  auch  der  Pradikats- 
begriff zerhackt,  zerstuckelt  wurde;  ja,  dass  durch  die  Verschiebung  des 
Zeitwortes  sozusagen  „  der  Karren  vor  den  Gaul  gespannt  sei." 

Dem  Deutschen  selbst  wird  sich  diese  Empfindung  nie  aufdrangen; 
von  seinem  Standpunkt  aus  ist  diese  Konstruktion  nicht  nur  gut,  sondern 
sogar  folgerichtig,  und  ihm  erscheint  die  deutsche  Wortfolge  z.  B.  in  der 
Trennung  zusammengesetzter  Zeitformen  als  festerer,  soliderer  Bau,  als 
die  anderer  Sprachen. 

Wahlen  wir  zum  Vergleich  ein  Beispiel  aus  dem  Englischen.  Da 
heisst  es :  /  have  just  torn  up  a  letter  for  my  brother  in  Germany.  Der 
Pradikatsbegriff,  der  Trager  der  Satzidee,  "torn  up"  folgt  unmittelbar 
dem  Subjekt ;  wir  wissen  von  vornherein,  was  geschah,  —  es  wurde  etwas 
,,zerrissen".  Der  Hauptinhalt  des  Satzes  und  damit  das  Hauptinteresse 
desselben  konzentriert  sich  also  auf  den  Eingang  des  Satzes.  Fiigen  wir 
nun  zum  Aussagebegriff  die  Erganzung  hinzu,  so  sind  wir  befriedigt.  "/ 
have  just  torn  up  a  letter."  Man  darf  hier  getrost  einen  Punkt  setzen. 
Das  noch  hinzugefiigte  "for  my  brother"  ist  mehr  als  eine  zufallige  Bei- 
gabe  denn  notwendiger  oder  erklarender  Satzteil  zu  betrachten.  Wieder 
konnen  wir  hinter  die  Aussage :  /  have  just  torn  up  a  letter  for  my  brother 
einen  Punkt  setzen.  Die  Idee  ist  vollstandig  abgeschlossen.  Es  folgt 
aber  noch  eine  weitere  Bestimmung  "in  Germany" ;  auch  diese  ist  wie  die 
vorhergehende  nur  lose  angereiht ;  sie  kann  unbeschadet  des  Inhaltes  un- 
seres  Satzes  fortgelassen  oder  angefiigt  werden,  —  die  Konstruktion  des 
Satzes  beeinflusst  sie  so  wenig  wie  die  vorstehende  Beifiigung. 

Vergleichen  wir  nun  damit  denselben  Satz  im  Deutschen.  ,,Ich  habe 
gerade  einen  Brief — "  nun,  was  denn?  erhalten?  geschrieben?  gelesen? 
abgeschickt?  ?  Durch  den  uns  vorenthaltenen  Pradikatsbegriff  wird  un- 
sere  Wissbegierde  nicht  nur  erregt,  sondern  noch  gesteigert.  Wir  lau- 

schen  erwartungsvoll  auf  das  Kommende;  ,,an  meinen  Bruder" So? 

An  den  Bruder?  Nun  da  wird  das  Zeitwort  wohl  ,,geschrieben"  lauten? 
Oder  ist  es  ,,abgeschickt  ?"  Vielleicht  ,,verloren  ?"  —  I,  nun  soil  uns  doch 
wundern,  was? 

,,in  Deutschland."  —  Nun  ja,  der  Bruder  ist  in  Deutschland,  aber  was 
ist  mit  dem  Brief  geschehen?  Wir  sind  jetzt  beim  Ende  des  Satzes  ange- 
kommen  und  wissen  von  dem,  was  eigentlich  geschehen  ist,  noch  gar 
nichts. 

Erst  mit  dem  letzten  Wort  ,,zerrissen"  kommt  der  spannend  erwar- 
tete  Aufschluss.  Dieses  letzte  Wort  ist  sozusagen  der  Trager  der  Satz- 
idee ;  es  ist  der  Schliissel  zum  Verstandnis  des  ganzen  Satzes,  —  oder 
noch  passender:  es  ist  der  Schlussstein  eines  festgemauerten  Bogens. 
Wie  jener,  zuletzt  gesetzt,  den  ganzen  Bau  zusammenhalt  und  vermoge 
seiner  Stellung  und  seiner  Form  die  ganze  Konstruktion  fester  fiigt,  so 
auch  das  Schlusswort  des  deutschen  Satzes. 


Abbangigkeits-verbaltnisse  in  der  deutschen  Satfbildung.          103 

Man  versuche  nur,  das  letzte  Wort  fortzunehmen.  Was  bleibt?  Ein 
unverstandliches  Etwas;  nicht  einmal  ein  Satz.  Ohne  den  Schlussstein 
bricht  die  Konstruktion  zusammen. 

Und  nun  vergleiche  damit  andere  Sprachen.  Zerstort  auch  da  die 
Auslassung  des  letzten  Satzteiles  die  Konstruktion?  Liegen  nicht  hier  die 
Satzteile  nebeneinander,  wie  lose  Bausteine  geschichtet?  — 

Es  ist  schon  oben  angedeutet,  dass  diese  Eigenart  im  deutschen  Satz- 
bau  sich  bis  in  die  altsten  Perioden  der  deutschen  Sprache  verfolgen  lasst. 
In  einem  der  Merseburger  Zauberspriiche,  die,  obwohl  von  Monchen  auf- 
gezeichnet,  noch  Spuren  sehr  hohen  Altertums  tragen,  heisst  es: 

Phol  ende  Uuodan  vuorun  zi  holza. 

du  uuart  demo  Balderes  volon  sin  vuoz  birenkit. 

thu  biguolen  Sinthgunt,  Sunna  era  suister, 

thu  biguolen  Frija,  Volla  era  suister, 

thu  biguolen  Uuodan,  so  he  uuola  conda. 

sose  benrenki,  sose  bluotrenki,  sose  lidirenki: 

ben  zi  bena,  bluot  zi  bluoda, 

lid  zi  gilidin,  sose  gelimida  sin. 
In  der  Ubersetzung : 

Phol  und  Wotan  fuhren  (-ritten)  zu  Holze. 

Da  ward  dem  Fohlen  (-Fiillen)  Balders  der  Fuss  verrenkt; 

Da  besprach  ihn  Sinthgut,  der  Sonne  (ihre)  Schwester; 

Da  besprach  ihn  Freia,  der  Volla  Schwester, 

Da  besprach  ihn  Wotan,  so  wohl  er  konnte: 

Ob  Knochen-,  ob  Blut-,  ob  Gliedverrenkung : 

Bein  (-Knochen)  zu  Bein;    Blut  zu  Blute; 

Glied  zu  Glied,  als  ob  sie  (sose -though  they!)  geleimt  seien." 
Als  Beleg  fur  das  abhangige  Satzverhaltnis  weisen  wir  auf  Reihe  2: 
du  uuart  dem  Balderes  volon  sin  vuoz  birenkit,  sowie  auf  die  letzte  Reihe, 
worin  das  Verbum  finitum  ,,sin",  weil  im  Nebensatz,  an  das  Ende  der 
Konstruktion  tritt. 

Audi  im  Hildebrandslied,  das  jedenfalls  der  friihesten  Periode  deut- 
scher  Dichtung  angehort,  finden  wir  reichlich  Belege  fiir  die  deutsche 
Eigenart  des  Satzbaues. 

Garutun  se  iro  gudhamun,  gurtun  sih  iro  suert  ana, 
helidos,  ubar  hringa,  do  sie  to  dero  hiltiu  ritun. 

Zu  deutsch: 

Legten  an  ihre  Kampfgewander,  giirteten  sich  ihre  Schwerter  an, 
(die)  Heldei?,  uber  (die  Panzer-)  ringe,  da  sie  zum  Kampfe  ritten. 

Sowie: her  fragen  gistuont  fohem  uuortum,  hwer  sin  fater 

ztwi er  (zu)  fragen  anhub, 

(mit)   wenigen  Wort  en,  wer  sein  Vater  ware. 


104  P'ddagogischt  Monatsheftt. 

Erwahnenswert  ist  es  jedenfalls,  dass  auch  die  angelsachsische  Spra- 
che  etwa  bis  zur  Mitte  des  zwolften  Jahrhunderts  die  deutsche  Umstel- 
lung,  wie  uberhaupt  den  deutschen  Satzbau  befolgt. 

Aus  JEAi rics  Grammatik,  etwa  um  970,  zitieren  wir :  Tha  waes  Thridh- 

woed  sprecen. Da  wurde  (ein)  Machtwort  gesprochen. — Ferner  aus 

einer  Bibeliibersetzung,  etwa  um  das  Jahr  1000 :  Tha  se  Haelend  gefulbod 
waes,astah  he. Da  der  Heiland  getauft  war,  stieg  er  heraus. 

Aber  schon  zur  Zeit  Chaucers,  in  der  letzten  Halfte  des  vierzehnten 
Tahrhunderis,  hat  die  deutsche  Art  dem  franzosischen  Einfluss  weichen 
miissen. 

Hat  das  Englische  dadurch  eingebiisst?  Uns  will  es  so  erscheinen; 
denn  es  kann  von  der  vorurteilslosenKritik  nicht  geleugnet  werden,  dass 
dem  Deutschen  in  der  veranderten  Wortfolge  seines  Satzbaues  ein  Mittel 
gegeben  ist,  welches  die  Darstellungsweise  seiner  Gedanken  geschmeidi- 
ger,  gefiigiger,  abwechslungsreicher  und  rhythmischer  gestaltet. 

Es  darf  allerdings  nicht  unerwahnt  bleiben,  dass  sich  durch  die  gro- 
ssere  Mannigfaltigkeit  der  Gestaltung  auch  die  Moglichkeit  fehlerhafter 
Konstruktion  in  gleichem  Masse  steigert;  dass  fiiglich  dem  Lehrer  des 
Deutschen  wohl  eine  hochst  schwierige  aber  auch  ausserst  anregende  Auf- 
gabe  daraus  erwachst. 

Aus  dem  Tagebuch  eines  deutschamerikanischen 

Schulmeisters. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  C.  O.  Sehonrich,  Baltimore. 


5.     Allerlei  Zuschriften  vom  Elterhaus. 

Die  in  die  Schule  gelangenden  Zuschriften  verhelfen  uns  zu  einem 
weiteren  Verstandnis  fur  Jungamerika.  Tausende  derselben  habe  ich  in 
meiner  Berufstatigkeit  seit  1868  erhalten,  in  den  letzten  Jahren  kamen 
sie  in  verschiedenen  Sprachen,  da  meine  jetzige  Schule,  die  grosste  in 
Stadt  und  Staat,  aus  35  Klassen  mit  40  Lehrkraften  bestehend,  in  drei 
Gebauden  untergebracht,  von  Kindern  verschiedener  Nationalitaten  be- 
sucht  wird.  So  zeigte  ich  dieser  Tage  unserem  geschatzten  Direktor 
Dapprich,  als  er  mich  bei  seiner  Durchreise  nach  Europa  besuchte,  einen 
eben  eingegangenen  hebraischen  Brief.  Lesen  konnte  ihn  freilich  weder 
er  noch  ich. 

Wenn  nun  hier  zum  Anfang  eine  der  englischen  Zuschriften  wieder- 
gegeben  ist,  so  geschieht  dies  einerseits,  um  diese,  die  ja  doch  in  der  Mehr- 
zahl  vorkommen,  in  diesem  Kapitel  nicht  ganz  und  gar  zu  iibergehen,  an- 
derseits  aber,  um  damit  zu  zeigen,  dass  manche  der  in  nachfolgenden 
Noten  reprasentierten  deutschamerikanischen  Mutter  und  Vater  vor  man- 


Aus  dem  Tagebucb  eines  deutscbamerikaniscben  Scbulmeisters.      105 

chen  angloamerikanischen  beziiglich  Orthographic  und  Stil  in  ihrer  Weise 
keineswegs  zuruckstehen.     Die  Namen  sind  aus  naheliegenden  Griinden 

verandert. 

,,Please  kipe  Willie  in  at  reses  time  as  he  had  bin  sick 

Oplige  Mrs  Jones" 

Die  nachste  Zuschrift  ist  die  kiirzeste  in  meiner  Sammlung,  sie  bildet 
gewissermassen  den  Ubergang  vom  Englischen  ins  Deutsche : 

,,Bliss  Miss  Esskuss  die  Mehre." 

Das  Eis  ist  gebrochen,  in  den  folgenden  Zuschriften  gewinnt  das 
Deutsche  immer  mehr  Bahn: 

,,Miss  Lissi, 
Der  Lui  hat  sor  an  his  fit  und  ich  hab  ihn  von  der  Schul  heimbehalten. 

Mis  Schulz." 
,,Mis  Tille. 

Die  Meme  hat  die  ganze  woche  nicht  gut  gefielt  deswegen  hab  ich  Sie  zu  Haus 
behalten.  Mis  Maier." 

Mis  Line 
Der  Herre  hat  zehnewetag  ghabt  dan  kont  er  nicht  komen." 

,,Miss  Gusse  bliess  lass  mein  Jani  heim  mit  der  ersten  Bel," 
,,Die  Make  konnte  gestern  nachmittag  nicht  kommen,  sie  hatte  Klaftir- 
stunde." 

,,Da  Josie  Wurzburger 
Morgen  fort  Muft  mo'gte  ich  sie  um  eine  Karte  Bitten. 

Jackob  Wurzburger." 
,,Freulein  Emma. 

Entschultige  sie  den  Schanne  Miller  er  War  Nicht  Heute  morgen  in  der  Schulle 
den  er  War  Wiitr  Krank.  im  auf  drag 

for  Mis  J.  Miller." 
,,Mrs.  Eide 

sein  sie  so  gut  und  Lasen  sie  den  Karlchen  Lehman  Witter  in  die  Schulstube 
Komen  Wen  er  in  Bisas  ausgewesen  ist.     Weil  er  so  ein  Husten  hat 

agtunkzfoll  M.  Lehman." 

Ein  Schiller,  dessen  Namen  vom  Monitor  aufgeschrieben  worden  war, 
weil  er  sich  der  Regel  zuwider  vor  Offnen  der  Tiir  am  Schulhause  gezeigt 
hatte,  brachte  folgende  auf  ein  abgerissenes  Stuck  gelben  Einwickelpapie- 
res  gekritzelte  Note: 

ich  schicke  Luis  vor  der  Schulle  For  ein  Keckstenter  und  er  komt  zu  Haus  und 
Weint  das  ein  Bub  sein  Nam  genomen  hate  for  die  Schull." 
Eine  osterreichisch-ungarische  Mutter  sandte  folgenden  Zettel: 

,,Ms  tizern! 

die  ursache  was  mein  sohn  ist  zu  Haus  ferbliben  ist  er  hat  zahn  wehtig  also 
bitte  Ihm  zu  ferzeuen.  Mikrosch," 

Mit  den  folgenden  Zuschriften  gelangen  wir  allmahlich  in  ein  reineres 

Deutsch : 

,,Fraulein  Annabel  Johann  hat  eine  wehe  Fuss  gehabt." 
Freulein  Marie 

Enschulige  sie  die  Rickchen  den  sie  Glagte  zu  fill  iiber  iren  Gopf  We  Weshalb 
sie  Nicht  iren  auf  satz  Gont  aus  fiilen 

Achtungfoll 

Mis  Schulze." 


106  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Beim  Betrachten  vorstehender  Zuschriften  wird  sich  der  deutsche 
Lehrer  da  und  dort  Worterklarungen  gewunscht  haben.  Diesem  stillen 
Wunsche  soil  nun  entsprochen  warden,  ehe  wir  weiter  gehen.  Herre 
steht  fur  Harry,  Schanne  fur  Johnnie,  Mehre  fur  Mary,  Meme  fur  Mamie, 
Tille  fur  Tillie,  Ottilie,  Josie  fur  Joseph,  Make  fur  Maggie,  Eide  fur 
Ida,  Gusse  fur  Gussie,  Kek  fur  cake,  muft  fur  moved,  Risas  fur  recess 
(Freizeit,  Spielzeit),  bliss  fur  please,  esskuss  fiir  excuse,  tizern  fur 
teacher,  sor  an  his  fit  fiir  sore  on  his  feet  (wehe  Fiisse). 
Folgende  Zuschriften  geben  andere  Einblicke. 

,,Geehrter  Herr! 

Entschuldigen  Sie  giitigst  meine  Tochter  Gretchen  und  Blanche  fiir  Abwesen- 
heit  von  der  Schule,  und  fiir  ihre  Lektionen,  sie  waren  auf  dem  Ball. 

Hochachtungsvoll 

N.  N. 

,,Geehrte  Dame! 

Sie  mb'chten  so  gut  sein  und  entschuldigen  Friedrich  das  Er  nicht  in  der 
Schule  war  und  auch  zu  gleicher  Zeit  fiir  spat  kommen  heute  Morgen  und  ich 
wollte  sie  liessen  Ihn  einmal  ordentlich  durchhauen,  denn  wenn  Er  wieder  spat 
kommen  thut  wir  sein  immer  auf  der  Hut  das  schb'n  rein  aussieht  wenn  Er  nicht 
sich  rein  halt  so  geben  sie  Ihm  ordentliche  Tracht  Priigel  und  Ich  bleibe  Er- 
gebenst  Sein  Vater  N.  N. 

,,Sehr  geehrter  Herr! 

Sie  haben  meinen  Sohn  nach  Hause  geschickt  und  sagen  lassen,  wenn  ich  nicht 
nait  ihm  in  die  Schule  komme,  werde  er  suspendiert.  Und  das  Alles,  weil  seine 
Lehrerin  ihn  ungerecht  beschuldigt  hat,  wie  ich  von  meinem  Sohne  positiv  iceiss. 
Das  ist  gegen  alles  Recht  und  gegen  die  Constitution  der  Vereinigten  Staaten, 
und  als  freier  Burger  protestiere  ich  dagegen.  Ich  verstehe  es  wohl,  wenn  Sie 
Ihr  Lehrerpersonal  in  Schutz  nehmen,  aber  Alles  hat  seine  Grenze,  und  ich 
kann  nicht  einsehen,  wie  Sie  als  gebildeter  Mann  die  Seite  einer  ganzlich  un- 
fahigen  Lehrerin  nehmen  kb'nnen. 

Wenn  Sie  nun  darauf  beharren  und  meinem  Sohn  ohne  mein  Hinkommen  die 
Wiederaufnahme  verweigern,  dann  bin  ich  leider  gezwungen,  mich  an  die  Schul- 
behorde  zu  wenden. 

Mit  grosster  Hochachtung 

Dr.  X. 

Der  Brief  hatte  nicht  die  erwartete  Wirkung,  und  der  Herr  Vater 
fand  es  geraten,  andern  Tags  doch  in  die  Schule  zu  kommen  und  den 
Fall  erledigen  zu  helfen.  Was  den  Fall  hasslich  machte  ist  der  Umstand, 
dass  die  betreffende  Lehrerin  befahigt  und  pflichttreu  war  und  sich  gerade 
mit  jenem  verzogenen  Jungen  grosse  Muhe  gegeben  hatte.  Zum  Dank 
war  sie  noch  vom  Elternhaus  beschimpft  worden. 

Ja,  Dank  ist  fiir  den  Lehrer  eine  seltene  Bliite.  Mir  ist  er  von  mei- 
nen Privatschiilern  immer  reichlich  geworden,  die  andern  Schiiler  haben 
mich  dadurch  in  spateren  Jahren  auch  vielfach  erfreut  und  ermuntert,  aber 
von  Dankbarkeit  des  Elternhauses  finde  ich  in  meinen  Tagebuchblattern 
verhaltnismassig  nur  wenige  Falle  angegeben,  und  in  der  grossen  Mehr- 
zahl  gingen  sie  von  israelitischen  Eltern  aus. 


Aus  dem  Tagebuch  eines  deutscbamerikaniscben  Scbulmeisters.      107 

Dass  iibrigens  die  Dankbarkeit  schon  vor  Jahrtausenden  ein  Anstoss 
errengender  Gegenstand  gewesen  sein  mag,  kann  aus  dem  Umstand  er- 
sehen  werden,  dass,  als  Zeus  im  Olymp  ein  Gotterfest  gegeben,  nur  zwei 
der  geladenen  Gaste  einander  fremd  gegeniiber  standen,  und  erst  mit  ein- 
ander  bekannt  gemacht  werden  mussten :  die  Gottin  der  Wohltatigkeit 
und  jene  der  Dankbarkeit ;  sie  waren  einander  noch  nie  begegnet. 

Zum  Abschluss  dieses  Kapitels  noch  eine  Korrespondenz.  An  einem 
stiirmischen  Freitag  im  Marz  1892  sandte  der  Schreiber  den  Zoglingen 
seiner  Oberklasse  aus  dem  einsamen  Krankenzimmer,  wohin  ihn  ein  Hals- 
leiden  gefesselt  hatte,  nachfolgenden  Brief: 

,,Meine  lieben  Schiller! 

Das  rauhe  Wetter  halt  im  Haus 

Den  Korper  noch  gefangen, 
Den  Geist  jedoch  tragt  hin  zu  Euch 

Mein  sehnendes  Verlangen; 
Und  wenn  es  Gottes  Wille  1st, 

Bin  ich  in  Eurem  Kreise 
Am  nachsten  Montag  wiederum 
Ganz  in  der  alten  Weise. 

Um  nun  die  alte  Freundschaft  dann 

Werktatig  zu  erneuen, 
Sollt  Ihr  mit  einem  Aufsatz  mich 

An  jenem  Tag  erfreuen. 
Legt  ihn  erst  aus,  und  schreibt  ihn  schon 

Auf  lose,  weisse  Blatter, 
Braucht  sparsam  den  Superlativ, 

Das  Thema  sei  ,,Das  Wetter." 

Doch  nennet  nicht  das  Wetter  ,,schlecht," 

Denn  Gott  lasst's  so  geschehen, 
Und  was  Er  schickt,  ist  immer  gut, 

Wenn  wir's  auch  nicht  gleich  sehen.  — 
So  lebt  denn  wohl,  und  lasset  Euch 

Die  Milhe  nicht  gereuen, 
Dann  kann  ein  jedes  doppelt  sich 
Am  Montag  mit  mir  freuen. 

Euer  treuer  Lehrer  C.  0.  8." 

Der  Brief  war  aber  nicht  nur  in  die  Hande  der  Schiiler  geraten, 
sondern  auch  in  die  Spalten  einer  Lokalzeitung,  deren  argusaugigen  Be- 
richterstattern  er  nicht  hatte  entgehen  konnen,  und  der  Montag  brachte 
nicht  allein  die  Aufgaben  der  betreffenden  Schiiler,  sondern  auch  per 
Post  folgende  Epistel  von  ,,einem  Exschuler" : 

,,Das  Wetter. 
Das  Wetter,  das  in  diesen  Tagen 

Uns  Regen,  Wind  und  Schnee  beschert, 
Das  ist  fiirwahr  kaum  zu  ertragen, 
Indem  es  den  Verkehr  erschwert. 


108  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Es  hullten  Manner  sich  und  Frauen 
Gar  fest  in  ihre  Pelze  ein, 

Um  einigermassen  vor  dem  rauhen 
Und  ka It i'ii  Wind  geschiitzt  zu  sein. 

Der  Wettergott  vertibt  mitunter 
Aus  tibermut  die  tollsten  Streich; 

Er  treibt  es  taglich  immer  bunter, 
1st  rticksichtslos  und  keck  zugleich. 

Das  Wetter,  ja,  es  ist  verschieden 
Und  wird  es  immerwahrend  sein, 

Es  stellt  die  Menschen  nicht  zufrieden, 
Sei's  Regen  oder  Sonnenschein. 

Das  Wetter,  es  halt  auch  mich  heute 
In  warmer  Stube  festgebannt, 

Allwo  ich  jetzt  die  Zeit  vergeude 
Mit  dem  ob'gen  Gegenstand. 

Von  einem  Exschiiler.' 


Editorielles. 


German  in  public  schools. .  .  Unter  diesem  Titel  bringt  die  Februar- 
ntimmer  des  in  Milwaukee  erscheinenden  ,,Western  Teacher"  aus  der  Fe- 
der  des  Redakteurs  S.  Y.  Gillan  einen  Artikel,  auf  den  einzugehen  wir  uns 
gezwungen  sehen.  Herr  Gillan  glaubte  sich  zu  diesem  Artikel  veranlasst 
durch  einen  vom  hiesigen  Superintendenten  des  offentlichen  Schulwesens 
Herrn  H.  O.  R.  Siefert  gemachten  Vorschlag,  der  dahinging,  durch  all- 
mahliche  Heranbildung  von  englisch-deutschen  Lehrern  das  gegenwartige 
Fachlehrersystem  im  deutschen  Unterricht  durch  das  Klassenlehrersystem 
zu  ersetzen.  Nachdem  dieser  Vorschlag  in  der  hiesigen  Presse  bereits 
heftigen  Widerstand  gefunden  hatte,  greift  ihn  nun  auch  Herr  Gillan  an 
und  knupft  daran  Bemerkungen,  die  den  deutschen  Unterricht  im  allge- 
meinen  treffen  und  uns  darum  zwingen,  uns  mit  denselben  zu  beschaftigen. 

Herr  Gillan  fiihrt  aus,  dass  der  deutsche  Unterricht  in  den  offent- 
lichen Schulen  weder  eine  Notwendigkeit  ist,  noch  von  Dauer  sein  wird. 
Er  ist  ein  zeitweiliger  Notbehelf  gewesen  und  wird  nur  geduldet;  einen 
eigentlichen  Wert  besitzt  er  fur  den  Elementarunterricht  nicht.  Die  Un- 
terrichtszeit  ist  zu  kurz,  um  die  nicht  von  Hause  aus  deutschsprechenden 
Kinder  zum  Gebrauch  der  Sprache  zu  bringen,  und  fiir  die  Schiiler,  welche 
sich  nicht  am  deutschen  Unterricht  beteiligen,  ist  die  demselben  gewidmete 
Zeit  verloren. 

Das  Deutsche  erhielt  einen  Platz  in  unseren  offentlichen  Schulen  zu 
einer  Zeit,  als  die  deutsche  Einwanderung  eine  besonders  grosse  war. 


Editorielles.  109 

Um  namlich  die  neu  eingewanderten  Deutschen  schneller  zu  amerikani- 
sieren,  wollte  man  sie  in  die.offentlichen  Schulen  ziehen,  und  man  gab 
ihnen  den  deutschen  Unterricht  gleichsam  als  Lockspeise,  die  denn  auch 
den  gewiinschten  Erfolg  hatte.  Der  Gedanke  kam  aber  damals  nieman- 
dem,  dass  dieses  Interimistikum  einst  zur  standigen  Einrichtung  werden 
konnte.  Jeder  intelligente  Deutsche,  der  sich  in  Amerika  niederlasst, 
weiss,  dass  seine  Nachkommen  die  Sprache  seines  Vaterlandes  vergessen 
werden.  Dieser  Prozess  mag  in  einigen  abgelegenen  Gegenden  Wiscon- 
sins  oder  Pennsylvaniens  langsam  vor  sich  gehen,  aber  aufgehalten  kann 
er  nirgends  werden,  und  wo  es  geschieht,  geschieht  es  zum  Nachteil  der 
Beteiligten.  Gewohnlich  finden  wir  schon  die  zweite  Generation  sich  des 
fliessendsten  Englisch  bedienen,  das  kaum  noch  ihre  Abstammung  verrat. 
Daher  ist  Superintendent  Sieferts  Plan  reaktionar  und  findet  nicht  einmal 
die  Unterstiitzung  der  intelligenten  und  weitblickenden  Deutschen. 

In  den  Hochschulen  liegen  nach  Herrn  Gillan  die  Verhaltnisse  anders. 
Da  gebiihrt  dem  deutschen  Unterricht  seines  kulturellen  Wertes  halber 
der  gleiche  Platz  wie  andern  modernen  Sprachen,  wenn  vielleicht  auch 
die  politischen  Ereignisse  der  letzten  Jahre  dem  Spanischen  aus  prakti- 
schen  Griinden  mehr  Wert  beigelegt  haben  als  dem  Deutschen. 

Soweit  Herr  Gillan.  Es  ist  natiirlich  hier  nicht  am  Platze,  auf  den 
Siefertschen  Vorschlag  einzugehen,  den  iibrigens  Herr  Gillan  vollstandig 
entstellt  wiedergegeben  hat,  wenn  er  sagt,  dass  nach  demselben  jede  Lehr- 
kraft  Milwaukees  Deutsch  sprechen  und  unterrichten  miisste.  Auch  wir 
konnen  uns  nicht  mit  dem  Siefertschen  Plane  befreunden.  So  sehr  das 
Klassenlehrersystem  in  der  Volksschule  dem  Fachlehrersystem  aus  erzieh- 
lichen  Griinden  vorzuziehen  ist,  so  wird  sich  das  erstere  kaum  auf  den 
fremdsprachlichen  Unterricht  ausdehnen  lassen.  Dies  geschieht  nicht 
einmal  in  Europa,  wo  doch  fremde  Sprachen  seit  Jahrhunderten  einen 
wichtigen  Zweig  des  Lehrkursus  bilden.  Wenn  aber  Herr  Gillan  die 
Opposition  unserer  intelligenten  Deutschen  gegen  den  Siefertschen  Vor- 
schlag daraus  erklart,  dass  sie  die  Sache  des  deutschen  Unterrichtes  auf- 
geben  und  darum  den  Vorschlag  fur  unzeitgemass  halten,  so  irrt  er  sich. 
Gerade,  weil  unsere  Deutschen  eine  Verkummerung  des  deutschen  Unter- 
richts  furchten,  deshalb  sind  sie  Gegner  dieser  Neuerung. 

Im  iibrigen  miissen  wir  unsere  Verwunderung  dariiber  ausdrucken, 
dass  Herr  Gillan  solche  Ansichten  iiber  den  deutschen  Unterricht  aussert. 
Wir  halten  ihn  fur  einen  Mann  des  Fortschritts  auf  padagogischem  Ge- 
biete,  dass  wir  uns  seine  riickschrittliche  Stellung  auf  dem  Gebiete  des 
fremdsprachlichen  Unterrichts  kaum  zusammenreimen  konnen. 

Ein  jeder,  der  mit  der  Geschichte  des  deutschen  Unterrichts  vertraut 
ist,  weiss,  dass  die  Angaben  Herrn  Gillans  nicht  den  Tatsachen  entspre- 
chen.  Die  Deutschen  hatten  den  Unterricht  in  ihrer  Muttersprache  als 
Lockspeise  erhalten?  Ob  Herr  Gillan  wohl  je  von  den  Kampfen  gehort 


110  P'ddagogische  Monatsbefte. 

und  gelesen  hat,  die  die  deutsche  Bevolkerung  unserer  grossen  Stadte  zu 
bestehen  hatte,  ehe  man  sich  zu  Konzessioneij  beziiglich  des  deutschen  Un- 
terrichts  verstand.  Der  Geist,  der  damals  —  es  war  in  den  Zeiten  der  gro- 
ssen deutschen  Einwanderung  —  die  Kampfer  beseelte,  er  ist  auch  heute 
noch  bei  vielen  —  wenn  auch  leider  nicht  bei  alien  —  vorhanden;  auch 
heute  finden  wir  noch  zahlreiche  Deutsche,  die  mit  derselben  Zahigkeit  und 
Begeisterung  fiir  die  Erhaltung  des  kostbarsten  Gutes  in  der  neuen  Heimat 
zu  kampfen  willens  sein  werden  wie  ihre  Vorfahren. 

Doch  da  haben  wir  uns  auf  ein  Gebiet  begeben,  auf  das  zu  folgen  wir 
Herrn  Gillan  nicht  zumuten  werden.  Seine  Muttersprache  ist  ja  die  eng- 
lische  Sprache,  und  er  wird  kaum  verstehen,  welche  im  tiefsten  Innern 
schlummernden  Herzenstone  im  Deutschen  beim  Klange  deutscher  Laute 
geweckt  werden,  und  warum  daher  der  Deutschamerikaner  mit  aller  ihm 
innewohnenden  Energie  neben  dem  Englischen,  das  er  allerdings  zu  be- 
herrschen  trachtet  und  auch  schon  in  der  zweiten  Generation  vollstandig 
beherrscht,  wie  Herr  Gillan  gerechterweise  zugibt,  am  Deutschen  festhalt. 
Und  dies  macht  uns  sicherlich  nicht  zu  schlechtern  Burgern  dieses  Landes, 
was  uns  der  Gerechtigkeitssinn  Herrn  Gillans  hoffentlich  auch  zugestehen 
wird. 

Wir  gehen  also  auf  das  padagogische  Gebiet,  auf  dem  Herr  Gillan 
als  tiichtiger  Arbeiter  gilt.  Wird  er  als  Ersieher  den  grossen  Wert  des 
zweisprachigen  Unterrichts  verneinen  wollen?  Denselben  an  dieser  Stelle 
verteidigen  zu  wollen,  hiesse  Eulen  nach  Athen  tragen.  Nur  zu  seiner 
Information  mochten  wir  Herrn  Gillan  auf  die  Schriften  und  Ansichten 
von  Mannern  hinweisen  wie  Alexander  Bain,  Bayard  Taylor,  James  Mc- 
Alister,  J.  B.  Peaslee,  M.  D.  Learned,  D.  St.  Jordan,  Chas.  W.  Eliot,  D. 
C.  Gilman,  W.  H.  Maxwell  und  W.  T.  Harris,  dem  Erziehungskom- 
missar,  der  erst  in  seinem  letzten  Jahresbericht  eine  umfangreiche  Arbeit 
beziiglich  des  deutschen  Unterrichts  veroffentlicht  hat.  Wir  sind  der  fe- 
sten  t)berzeugung,  dass  der  zweisprachigeUnterricht  von  der  ersten  Klasse 
der  Volksschule  an  eine  padagogische  Notwendigkeit  ist,  und  sind  zu- 
gleich  anmassend  genug,  die  deutsche  Sprache  als  die  zweite  Sprache 
zu  bezeichnen,  nicht  deshalb,  weil  ein  grosser  Teil  unserer  Bevolkerung 
deutscher  Abstammung  ist,  sondern  weil  sie  vom  Standpunkte  ihrer  Lite- 
ratur  —  das  Wort  im  weitesten  Sinne  genommen  —  die  moderne  Kultur- 
sprache  ist.  Diesen  Platz  raumt  ihr  auch  Herr  Gillan,  soweit  die  Hoch- 
schule  in  Betracht  kommt,  ein,  und  nur  ein  Schnitzer  in  der  Logik  seiner 
Ausfiihrungen,  indem  er  den  kulturellen  Wert  mit  dem  praktischen  ver- 
mengt,  bringt  ihn  zu  dem  Schlusse,  dass  das  Spanische  dem  Deutschen 
den  Rang  streitig  mache.  Ubrigens  bezweifeln  wir,  dass  das  Spanische 
einen  grosseren  praktischen  Wert  als  das  Deutsche  habe ;  es  kame  darauf 
an,  die  Anzahl  derer,  die  sich  in  ihrem  Berufsleben  des  Spanischen,  be- 
ziehungsweise  des  Deutschen  zu  bedienen  haben,  statistisch  festzustellen. 


Inter esse  des  Volkesfur  Schulen  und  Lehrer.  Ill 

Die  zweisprachige  Volksschule  ist  die  Schule  der  Zukunft.  tlberall 
da,  wo  sie  eingefiihrt  ist,  zeitigt  sie  die  besten  Resultate,  und  das  Englische 
hat  nichts  weniger  als  Schaden  aus  ihr.  Wenn  Herr  Gillan  sagt,  dass 
gegenwartig  die  dem  deutschen  Unterricht  ausgeworfene  Zeit  zu  kurz  sei, 
so  mag  er  recht  haben.  Wenn  er  nun  dafiir  eintrate,  dass  die  Zeit  ver- 
langert  werde ;  vielleicht  wiirde  er  dann  andern  Sinnes  werden !  M.  Q. 


Das  wachsende  Interesse  des  Volkes  fur  Hebung  der 
Schulen  und  Besserstellung  der  Lehrer. 


(FOr  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  A..  WarnecJee,  Milwaukee. 

Es  ist  eine  erfreuliche  Tatsache  zu  bemerken,  dass  seit  einiger  Zeit  in  alien 
Schichten  der  Bevolkerung  unseres  Landes  eine  Bewegung  im  Gange  ist,  welche  ener- 
gisch  fur  Hebung  unserer  Volksschulen  eintritt,  und  dieses  einerseits  durch  Anstel- 
lung  tiichtiger  und  allseitig  ausgebildeter  Lehrkrafte,  und  andererseits  durch  Auf- 
besserung  des  Gehalta  und  Sicherstellung  derselben  im  Amte  anzustreben  sucht. 
Diese  Bewegung  findet  denn  auch  in  der  Presse,  als  dem  eigentlichen  Volksmunde, 
kraftigen  und  energischen  Ausdruck,  und  zwar  durchweg  in  geschickter  Weise  und 
mit  trefflichen  Argumenten.  Man  kann  das  wohl  als  ein  allmahliches  Erwachen  des 
Volksgewissens  bezeichnen;  denn  unter  alien  idealen  Giitern,  die  ein  Volk  unter 
kraftiger  Mithtilfe  des  Staates  und  der  Kegierung  anzustreben  hat,  steht  doch  wohl 
eine  gute  Erziehung  und  Ausbildung  der  Jugend  mit  obenan.  Wir  halten  uns  hier 
in  Amerika  fiir  das  gebildetste  Volk  der  Erde,  sind  es  auch  wohl  in  mancher  Be- 
ziehung,  jedenfalls  in  technischer  und  kommerzieller  Hinsicht;  aber  auf  dem  Gebiet 
der  Erziehung  und  des  Unterrichts  konnen  wir  den  Beweis  der  Superioritat  doch  noch 
nicht  durch  den  Nachweis  darbringen,  dass  wir  die  wenigsten  Illiteraten  haben. 
Darin  sind  uns  doch  Deutschland  und  die  Schweiz  noch  ziemlich  ,,uber",  auch  wenn 
wenn  wir  die  Indianer  und  Neger  nicht  mit  einzahlen. 

Wir  miissen  doch  wohl  zugeben,  dass  es  mit  der  Ausbildung  unserer  Jugend,  und 
zwar  besonders  auf  dem  Lande,  noch  recht  klaglich  aussieht.  Hier  ist  noch  viel, 
sehr  viel  zu  tun  und  eben  so  auch  noch  in  den  meisten  Stadten. 

Doch  was  sollen  wir  Lehrer  nun  dieser  Bewegung  gegeniiber  tun?  Miissig  zu- 
schauen  und  uns  das  Ding  gemiitlich  ansehen?  Auf  keinen  Fall.  Wir  sind  es  uns 
selbst,  unserer  Familie  und  auch  der  Schule  und  unserm  Amte  schuldig,  tatkraftig 
mit  in  die  Bewegung  einzugreifen,  Hand  ans  Werk  legen  und  die  Sache  in  jeder  Be- 
ziehung  mitfordern  zu  helfen.  Wie  riihrig  sind  nicht  die  Arbeiter,  ihre  Lage  zu 
verbessern.  Alle  Gewerkschaften  schliessen  sich  zusammen  zu  Vereinen  und  Ge- 
nossenschaften  zum  gemeinschaftlichen  Handeln,  und  wie  viel  haben  sie  nicht  schon 
erreicht  durch  tatkraftiges  Handeln  und  festes  Zusammenhalten  ?  Warum  sollen  wir 
Lehrer  nicht  dasselbe  tun?  Glauben  wir  etwa,  dass  uns  alles  Gewiinschte  und  Er- 
hoffte  wie  eine  reife  Frucht  in  den  Schoss  fallen  wird?  Darin  werden  wir  uns  sehr 
tauschen. 

Wir  Lehrer  hier  in  Milwaukee  haben  nun  auch  schon  seit  Monaten  kriiftig  fiir 
eine  bessere  Stellung  der  Lehrer,  als  Gehaltserhohung  ,permanente  Anstellung  und 
Pension  agitiert;  aber  dabei  wird  es  einem  so  recht  klar,  dass  wir  hier  in  Amerika 
doch  durchaus  keinen  Lehrerstand,  keine  Berufsklasse  haben.  Da  ist  kein  Standes- 
bewusstsein,  kein  solidarisches  Gefiihl  der  Zusammengehorigkeit,  keine  Kollegialitat. 


112  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Wie  kommt  das  und  welches  sind  die  Ursachen?  Einfach  daher,  well  hier  die  Lehrer 
ihre  Beschaftigung  nur  in  seltenen  Fallen  zum  Lebensberuf  machen.  Die  meisten 
sind  eigentlich  gar  keine  Lehrer,  sie  sind  nur  Schulhalter  und  haben  darum  auch  kein 
Standesbewusstsein.  Und  der  Grund  hiervon  ist  wieder,  weil  sie  zu  schlecht  bezahlt 
werden. 

Alles  bezahlt  sich  hier  in  Amerika,  nur  nicht  das  Schulehalten.  Warum  mel- 
den  sich  nicht  mehr  junge  Manner  zum  Lehrerberuf?  Nun,  sie  konnen  in  fast  jeder 
andern  Stellung  mehr  Geld  verdienen.  Darum  hat  ja  auch  das  weibliche  Geschlecht 
fast  ausschliesslich  das  Lehrergeschaft  monopolisiert,  und  die  Folge  davon  ist,  wie 
statistisch  nachgewiesen  wird,  dass  durchschnittlich  alle  4  Jahre  gewechselt  wird. 
Das  ist  gewiss  doch  nicht  zum  besten  der  Schule.  Lehrerinnen  miissen  und  sollen 
sein  (man  denke  sich  einmal  einen  Mann  als  Kindergartner ! )  aber  das  starke  Ge- 
schlecht konnte  ein  bisschen  mehr  vertreten  sein.  In  der  Familie  teilen  sich  Mann 
und  Frau  friedlich  in  das  Geschaft  der  Erziehung;  warum  kann  es  in  der  Schule 
nicht  eben  so  sein  ?  Ich  glaube,  es  ware  wohl  wiinschenswert,  wenn  in  den  Oberklassen, 
wo  die  Knaben  gewohnlich  anfangen,  sich  fur  das  Stadium  der  Flegeljahre  zu  ent- 
wickeln,  eine  feste  mannliche  Hand  die  Ziigel  ftihrte,  statt  der  sanften  weiblichen. 

Die  Friichte  der  allzugrossen  Freiheit  zeigen  sich  dann  oft  spater  in  widerlicher 
Art.  Was  soil  man  z.  B.  dazu  sagen,  wenn  an  einer  Universitat  die  Sophomores  den 
Freshmen  bei  einem  Tanzvergniigen  Stinkkatzen  in  die  Tanzhalle  warfen,  oder  an 
einer  anderen  Universitat  die  Studenten  ihren  weiblichen  Commilitonen  nachts  heim- 
lich  die  Unterwasche  aus  den  Waschraumen  holen  und  mit  Dinte  beschmieren.  Das 
ist  doch  sicher  nicht  gentleman-like  und  kann  nicht  als  harmloser  Studentenulk  be- 
zeichnet  werden.  Doch  dafiir  ist  gewiss  nicht  allein  die  Schule  verantwortlich  zu 
machen,  sondern  vorziiglich  das  Elternhaus,  wo  die  Erziehung  in  vielen  Fallen  sehr, 
sehr  vernachlassigt  wird,  weil  der  pater  familias  keine  Zeit  fur  solche  Kleinigkeiten 
hat. 

Es  ist  also  nicht  allein  die  tflberfiillung  des  Arbeitsmarktes  durch  das  weibliche 
Geschlecht  und  das  dadurch  herbeigefiihrte  Herabdriicken  der  Gehalter,  was  die 
Schule  schadigt,  sondern  vor  allem  auch  die  mangelhafte  Vorbildung  mancher  Be- 
werberinnen.  Unser  Staats-Hochschulinspektor,  Herr  W.  W.  Parker,  sagt  sehr 
richtig  in  einer  Zuschrift  an  eine  hiesige  Zeitung: 

"For  the  last  5  years  teachers  wages  in  Wisconsin  have  shown  a  slight  increase 
each  year.  This  may  be  encouraging  to  some,  yet  the  student  of  political  economy 
sees  in  it  only  the  natural  working  of  the  law  of  supply  and  demand.  The  greater 
the  call  for  laborers  in  other  fields,  the  fewer  there  are  to  teach  school,  hence  the 
higher  wages.  An  awakened  public  conscience  is  the  only  permanent  remedy  for  this 
evil.  A  conscience  which  will  recognize  the  value  of  the  teacher  to  the  world,  the 
sacrifice  he  must  make  to  become  a  teacher,  and  the  nerve-racking  work  he  must  do 
in  order  to  maintain  himself  in  the  teaching  profession."  Ja,  das  sind  wahre  Worte, 
aber  dem  grossen  Publikum  gegeniiber  sind  sie  meistens  in  den  Wind  gesprochen.  Die 
Menschen  sehen  die  Arbeit  des  Lehrers  meistens  als  eine  sehr  leichte  an.  Man  kann 
ja  auch  leider  den  Erfolg  seiner  miihevollen  Arbeit  nicht  mit  dem  Yardmass  oder 
mit  der  Masskette  messen  und  auch  nicht  mit  dem  Gewicht  wiegen.  Deswegen  sieht 
man  geringschatzig  auf  sie  herab.  Die  Lehrer  sind  die  Farias  der  Gesellschaf t ; 
,,the  school-ma'm  and  the  schoolsmaster"  sind  zwei  Ausdnicke,  bei  denen  man  ge- 
wohnlich mitleidig  mit  der  Achsel  zuckt.  Man  denkt  dabei  wohl  an  die  Worte 
im  Faust:  ,,Es  muss  auch  solche  Kauze  geben."  Also  da  heisst  es  fur  uns,  wie 
Parker  sagt,  das  Gewissen  des  Volkes  aufwecken,  fiir  unsere  Stellung  kampfen  und 
zwar  gemeinschaftlich  Schulter  an  Schulter. 


Correlation  of  German  with  Other  Studies.  113 

Das  haben  die  Lehrer  auch  in  Deutschland  tun  miissen  und  sie  tun  es  noch  dort, 
aber  sie  haben  auch  schon  manches  und  vieles  erreicht.  Professor  Dr.  Rein  in  Jena 
sagt  dariiber:  ,,Die  Geschichte  des  Lehrerstandes  ist  eine  Leidensgeschichte.  Mtih- 
sam  hat  der  Lehrerstand  sich  Ansehen  und  geniigendes  Einkommen  erk&mpfen  miis- 
sen.  Die  Gesellschaft  hat  sich  in  der  sozialen  Wiirdigung  und  der  finanziellen 
Sicherung  des  Lehrerstandes  schwerer  Versiiumnisse  schuldig  gemacht."  Passt  das 
nicht  auch  auf  unsere  Verhaltnisse  hier  in  jeder  Beziehung?  Lasst  uns  denn  auch 
versuchen,  uns  eine  bessere  soziale  Stellung,  Anerkennung  unserer  schwierigen  Arbeit 
durch  hohern  Gehalt,  eine  permanente  Anstellung  und  Pension  zu  erkampfen.  Bei 
fast  alien  Beamten  sind  die  Gehalter  in  den  letzten  Jahren  verbessert,  nur  nicht  bei 
den  Lehrern.  Aber  unsere  Gehalter  sind  trotzdem  nicht  dieslben  geblieben,  sondern 
sie  sind  herunter  gegangen,  denn  da  alle  Lebensbediirfnisse  in  den  letzten  Jahren 
um  25 — 35  Prozent  in  die  Hohe  gegangen  sind,  so  ist  die  Kaufkraft  des  Geldes  und 
unsers  Gehalts  folgerichtig  eben  so  viel  herunter  gegangen.  Die  Kosten  des  Lebens- 
unterhaltes  (cost  of  living)  wurde  namlich  in  unserer  Lehrerversammlung  fiir  einen 
verheirateten  Lehrer  mit  Familie  auf  $1800  angegeben.  Da  kommen  wir  also  um 
die  Hiilfte  ,,zu  kurz".  Was  wir  also  notig  haben,  ist  gemeinschaftliches  Handeln 
und  Zustammenstehen  und  Zusammenhalten,  dann  wird  auch  nach  und  nach  imnier 
mehr  erreicht  werden;  denn  gut  Ding  will  Weile  haben,  und  was  lange  wahrt,  wird 
endlich  gut. 


Correlation  of  German  with  Other  Studies. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


By  Betty  Silberberg,  New  York  City. 


(Concluded.) 

Some  of  the  prose-stories  in  the  readers  are  also  descriptions  of  industries;  or 
they  show  us  scenes  from  life;  bring  us  to  distant  countries  and  tell  us  about 
events  famous  in  history.  In  order  to  illustrate  these,  I  shall  mention  four  little 
stories,  one  from  the  first  Eclectic  Reader,  two  from  the  second,  and  the  fourth  from 
Maynard's  Easy  German  Readings. 

a.    Die  Miihle. 

We  are  going  to  read:  "Die  Muhle."  A  picture  in  the  reader  illustrates  it. 
We  see  it  is  a  water-mill.  The  content  is  the  following:  "The  children  had 
long  been  desirous  to  know  whence  the  flour  came,  out  of  which  the  mother  bakes 
the  bread  and  cake.  The  father  promises  to  show  it  to  them.  Merrily  they  walk 
through  the  forest,  over  the  meadow  down  to  the  brook.  Here  the  mill  stands. 
Already  in  the  distance  they  had  heard  the  clattering  of  the  millstones.  These 
are  in  the  mill-course  (Mahlkasten).  The  large  wheel  outside  the  mill  sets  the 
machinery  inside  in  motion.  The  children  see  how  the  grain  is  poured  from  the 
bags  into  the  mill-course,  how  from  here  it  runs  through  sieves  and  at  last  falls 
into  the  flour  box  (Mehlkasten)  as  the  nice,  white  flour  they  know.  Everything  is 
in  motion  in  the  mill  and  turns  around  continually.  The  white  flour  covers  every- 
thing, building  as  well  as  miller.  The  children  are  astonished  that  the  manufacture 
of  this  simple  article  causes  so  much  labor.  This  story  does  not  need  many  extra 
explanations.  After  the  children  know  how  to  read,  translate  and  tell  it  to  me  in 
German,  I  proceed  to  something  else. 


114  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

6.    Z)er  grosse  Hund. 

The  next  story,  "Der  grosse  Hund,"  calls  for  a  longer  treatment.  It  is  one  of 
Hans  Andersen's  charming  little  tales  from  his  Bilderbuch  ohne  Bilder.  The  riioon 
tells  the  following  story:  In  the  parlor  of  an  inn  the  bear-leader  is  waiting  for  his 
supper.  Bruin  the  bear  stands  outside  in  the  yard,  tied  to  a  post.  He  feels  lone- 
some and  has  found  the  way  to  the  stairs.  Heavily  he  mounts  them  and  comes  to 
the  door  of  a  room  which  he  opens.  Here  three  little  boys  are  playing  in  the  light 
of  the  moon.  Their  ages  vary  from  two  to  six  years.  They  have  never  seen  a 
bear  and  think  it  is  a  big  dog.  They  pat  him  and  the  bear  lays  down  on  the  floor. 
The  boys,  full  of  fun,  roll  over  him.  The  eldest  takes  his  drum  and  beats  it.  Now 
the  bear  rises  on  his  hind-legs.  Oh!  it  is  too  funny.  The  children  play  soldiers, 
every-one  has  a  gun,  the  bear  also,  and  he  knows  how  to  hold  it.  Then  they 
march  up  and  down.  At  this  moment  the  mother  enters;  she  nearly  faints  when 
she  sees  in  what  dreadful  company  her  darlings  are.  But  joyfully  these  exclaim: 
"We  are  playing  soldiers."  Now  the  bear-leader  comes  and  takes  his  runaway  bear 
down  stairs. 

This  story  introduces  us  into  the  life  of  one  of  these  wandering  mountaineers; 
generally  from  the  Pyrenees,  who  with  their  bear  wander  from  place  to  place, 
everywhere  amusing  the  children  by  the  awkward  dancing  of  the  bear,  his  climbing 
and  also  by  their  own  quaint,  outlandish  singing.  Such  a  man  with  his  bear  has 
wandered  through  France,  Germany  and  Denmark.  To-day  he  has  given  perform- 
ances in  a  little  place  in  the  north  of  Denmark.  But  why  do  we  conclude  that  the 
town  is  situated  in  Denmark?  We  look  for  the  author's  name  and  find  it  is 
"Hans  Andersen."  I  ask  the  children  what  they  know  about  him.  Some  have  read 
his  fairy-tales,  "Der  Tannenbaum,  Das  Miidchen  mit  den  Schwefelholzern,"  etc.  I 
tell  them  about  Andersen  and  induce  some  to  find  out  more  about  this  poet.  This 
they  do  with  pleasure.  Some  do  it  in  English,  some  in  German.  We  hear  about 
the  poor  boy  from  the  Island  of  Fiinen,  his  struggles  for  education,  his  success  in 
Kopenhagen,  his  stay  in  Rome,  etc.  How  he  became  famous  and  now  is  known 
all  over  the  world. 

A  scene  from  life,  geography  and  literature  form  the  correlation  of  this  lesson 
to  the  study  of  German. 

c.     Die  St.  Bernhardshunde. 

To  another  part  of  the  world  leads  us  the  well-known  story,  "Die  St.  Bernhards- 
hunde. The  dangers  of  the  snow-covered  Alps,  the  pious  devotion  of  the  monks  is 
unfolded  to  us.  We  see  them  roaming  over  the  Alps  during  a  snow-storm,  accom- 
panied by  their  faithful  dogs,  whom  they  also  send  out  alone  to  search  for  unfor- 
tunate travellers  buried  under  the  snow.  We  wonder  at  the  intelligence  of  these 
dogs  in  rescuing  people.  How  at  first  they  try  to  do  it  alone  and  when  they 
cannot  succeed  rush  back  to  the  Hospice  for  aid.  I  ask  my  pupils  why  the  monks 
and  dogs  had  been  such  benefactors  of  humanity?  Tell  them  that  before  building 
the  large  tunnel  through  the  St.  Gotthardt,  travellers  from  Germany  to  Italy  were 
obliged  to  follow  the  dangerous  Pass  over  the  St.  Bernhard.  In  order  to  impress 
this  more,  I  show  them  a  large  picture  representing  a  part  of  the  Alps,  The  Welland 
WTetterhorn.  They  see  the  snow-covered  pics  towering  up  in  the  background,  the 
glacier  flowing  down  at  the  side  of  them  ending  in  a  mountain  stream.  Below  that 
the  pine  forest  and  sheltered  by  this  the  "Aim"  ( (Alpine-meadow)  with  its  "Senn- 
hiitten"  and  herds  of  cattle.  One  of  the  chief  industries  of  Switzerland,  cheese 
making,  is  explained  by  that.  Through  this  picture  the  children's  interest  in  their 
German  lesson  is  intensified;  their  knowledge  in  geography  expanded. 


Correlation  of  German  with  Other  Studies.  115 

d.    Die  Geschichte  von  Wilhelm  Tell. 

But  let  us  stay  a  little  longer  in  Switzerland  and  visit  the  banks  of  the  Lake 
of  Luzern.  His  German  name,  "Der  Vierwaldstattersee,"  proves  that  four  cantons, 
Die  Waldstatte,  border  on  it.  Here  is  the  scene  of  William  Tell,  with  whose  story 
the  children  are  already  familiar  through  stories  from  their  English  reader. 
However,  they  have  no  idea  of  the  cause  of  the  Swiss  struggle  for  independence. 
So  I  tell  them  that  Switzerland  once  belonged  to  Germany,  but  was  an  independent 
state,  only  ruled  by  the  Emperor.  Once  Germany  had  no  emperor  for  a  long  time, 
the  great  princes  did  not  want  a  powerful  ruler  over  them.  Therefore  they  elected 
a  pious  Swiss  count  the  "Graf  von  Habsburg";  he  is  known  as  Emperor  Rudolph 
von  Habsburg  and  was  the  founder  of  the  still  ruling  Austrian  house.  He  began 
to  restore  order  in  Germany,  where  the  "robber  knights"  had  every  road  made 
unsafe,  and  also  to  conquer  many  princes  whose  domain  he  took,  thus  laying  the 
foundation  to  the  Austrian  power.  His  son  Albrecht  wanted  to  subdue  Switzerland 
too,  where  his  family  possessed  large  estates,  and  therefore  sent  cruel  governors. 
One  of  them  was  Gessler,  with  whom  the  story  of  William  Tell  deals.  Sometimes 
I  read  also  Schiller's  poem,  "Der  Graf  von  Habsburg,"  which  interests  the  pupils 
greatly.  This  winter  I  had  in  my  class  a  girl  of  Swiss  descent,  who  possessed  a 
beautiful,  illustrated  book,  "The  Legends  of  Switzerland,"  which  contained  all  these 
stories.  The  book  went  from  hand  to  hand  and  many  a  girl  read  the  stories  with 
growing  delight.  I  am  sorry  that  such  books  are  not  in  the  school-libraries.  A 
great  many  girls  knew  also  that  Schiller  had  written  the  wonderful  drama,  "William 
Tell."  Some  of  German  descent  had  already  seen  it  in  the  theatre.  We  then  spoke 
about  Schiller;  a  few  pupils  brought  in  an  account  of  his  life,  mentioning  his 
most  important  works. 

So  the  simple  story  of  William  Tell  called  for  geographical,  historical  and 
poetical  descriptions,  but  care  must  be  taken  that  the  study  of  the  German  language 
is  not  subordinated  to  these  comments. 

Just  as  manifold  correlations  to  other  studies  as  the  prose  selections  offer 
those  from  poetry.  Splendid  examples  for  nature-study  are  the  poems,  "Im  Friih- 
ling,"  by  Julius  Sturm,  and  the  well-known  "Die  Schwalben"  by  Chamisso.  In  the 
former  Spring  is  personified.  He  comes  and  calls  down  from  the  mountain: 
"Sleepy-heads  awake!  no  matter  how  deep  your  sleep  may  be!"  All  nature  has 
heard  his  call.  The  germs  begin  to  stir,  they  blast  their  little  prisons  and  begin 
to  sprout.  Then  the  leaves  step  out  of  their  brown  cradles  and  nestle  to  the 
swaying  twigs.  The  flowers  awake;  first  of  all  little  snowdrop,  who  was  afraid 
to  have  overslept  herself.  The  coffins  of  quiet  sleepers  open,  gnats  and  beetles  are 
again  playing  in  the  sunshine.  Other  flowers  awake  now  too,  especially  the  violets, 
deeply  hidden  in  the  grass,  the  white  anemones  and  the  colored  primroses.  The 
whole  awakening  of  nature  is  poetically  described.  The  children  led  by  a  few 
questions  understand  why  the  poet  makes  the  germs  blast  their  prisons.  They 
have  already  observed  germs  resting  in  a  cell,  bursting  open  the  outer  shell  and 
stretching  forth  their  tender  rootlets.  The  brown  cradles  of  the  leaves  are  under- 
stood as  the  buds,  covered  by  the  hard,  horny,  brown  leaves  to  protect  them  from 
winter's  frost.  The  coffins  of  quiet  sleepers  are  the  cocoons  of  insects  in  which 
they  await  the  vivifying  rays  of  the  sun. 

Animal  life  is  brought  near  to  us  by  Chamisso's  touching  poem.  The  child  for 
a  long  time  has  secretly  watched  the  swallows,  how  so  wonderfully  they  built  their 
nest.  Then  they  furnished  it  and  laid  their  eggs.  One  after  another  had  guarded 
their  little  house  like  a  jewel;  now  the  young  brood  stretches  forth  their  little 
heads  that  the  parents  may  feed  them  alternately.  At  this  moment  the  little  girl 


116  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

calls  her  mother  and  tells  her  all  about  the  swallows.  Charmingly  she  describes 
how  it  seemed  as  if  the  swallows  wanted  to  tell  her  something  and  how  sorry  they 
were  that  they  could  not  speak.  She  admires  much  the  parents'  love  for  their 
young  ones. 

Besides  speaking  about  the  swallows  as  clever  architects,  messengers  of  spring 
and  harbingers  of  good  fortune,  as  some  believe,  I  tell  the  pupils  something  about 
the  author.  As  the  son  of  a  French  nobleman,  he  was  driven  out,  during  the 
French  Revolution,  from  his  castle  Boncourt  in  the  Champagne.  How  with  his 
parents  he  emigrated  to  Germany,  came  to  the  court  of  Prussia,  later  entering  the 
army,  which  he  quitted  during  the  wars  of  Liberation  ( Bef reiungskriege ) .  His 
painful  position  during  these  times,  when  his  adopted  and  beloved  fatherland  was 
in  war  with  the  land  of  his  birth.  How  he  always  remembered  the  place  where 
he  was  born  as  shown  in  his  beautiful  poem,  "Das  Schloss  Boncourt."  But  this 
noble  character  had  forgiven  all  the  wrong  he  had  suffered  through  the  Revolution, 
blessing  the  soil  over  which  the  farmer  now  leads  his  plow  and  blessing  it  doubly 
whosoever  this  may  be,  wishing  the  soil  to  be  fertile  for  his  new  possessor.  Now 
Chamisso  has  become  one  of  our  best  and  dearest  poets,  demonstrating  by  his 
noble  example  how  it  is  possible  for  a  foreigner  to  become  identified  with  his 
adopted  country. 

The  pupils  are  introduced  by  this  to  the  times  of  the  French  revolution  and 
Napoleon  1,  besides  having  gained  an  acquaintance  with  German  literature. 

The  next  poem,  Ferdinand  Freilgrath's  "Die  Auswanderer,"  shows  the  correla- 
tion of  geography  to  the  study  of  German,  as  well  as  the  relations  between  Germany 
and  America.  The  poet  as  a  young  merchant  has  lived  in  Holland.  Here  he  has 
occasion  to  observe  the  life  in  the  harbor.  One  day  he  sees  German  emigrants 
going  to  America.  They  are  from  the  Black  Forest,  have  come  down  the  Rhine 
in  a  boat,  bringing  along  many  articles  from  their  old  home.  Mournfully  the  poet 
looks  at  them.  He  cannot  understand  why  the  slim  brown  maidens  from  the  Black 
Forest  and  the  strong  men  leave  their  home.  He  notices  how  carefully  they  place 
pots  and  jars  on  the  bench  of  the  sloop  which  will  transport  them  to  the  big  ship 
farther  out  in  the  ocean.  He  tells  them  how  on  the  banks  of  the  Missouri,  when 
every  other  remembrance  of  their  old  home  will  be  silent,  these  pots  and  jars 
would  remind  them  of  the  village-well  surrounded  by  stones,  the  familiar  hearth, 
the  mantel-piece  they  have  ornamented,  the  joyful  vintage.  Soon  they  will  decorate 
the  walls  of  their  light-built  house  in  the  West,  the  Indian  tired  from  hunting 
will  drink  out  of  them.  He  asks  them  why  they  emigrate?  The  valley  of  the 
Neckar  is  so  fertile,  the  Black  Forest  and  the  Spessart  so  beautiful.  He  feels 
how  in  the  distant  forests  they  will  long  for  their  old  home  with  its  golden  fields 
and  green  vineyards.  Like  a  golden  legend  this  will  forever  stand  before  their  soul. 
The  time  for  departure  has  arrived.  The  poet  wishes  them  God-speed  and  pros- 
perity in  their  new  fatherland. 

This  poem  is  a  reference  to  the  settling  and  civilization  of  the  West,  in  which 
German  immigrants  took  such  a  leading  part.  From  the  border  of  the  Rhine  they 
went  to  the  Missouri.  This  poem  was  composed  a  little  after  the  West  had  been 
opened  for  civilization.  Another  relation  with  America  exists  also  in  the  poet's 
friendship  with  Longfellow,  who  when  Freiligrath  afterwards  was  in  adversity 
wanted  him  to  come  to  America. 

With  quite  a  different  subject  deals  "Das  Erkennen,"  by  the  Austrian  poet, 
Nepomuk  Vogl,  the  most  touching  illustration  of  a  mother's  love  for  her  child. 
She  recognizes  her  son  for  whose  welfare  she  was  constantly  praying  in  spite  of 
all  the  changes  caused  by  time  and  the  burning  sun.  Her  son  is  a  travelling  jour- 


Correlation  of  German  with  Other  Studies.  117 

neyman  ( Handwerksbursche ) ,  who  for  years  has  been  in  foreign  countries.  Cheer- 
fully he  enters  the  old  town;  his  friend,  the  toll-keeper,  is  just  leaning  against  the 
old  gate.  He  thinks  how  often  they  have  sat  together  enjoying  a  glass  of  winej 
surely  the  friend  will  recognize  him.  But  he  is  sorely  disappointed;  the  sun  has 
burnt  his  face  too  much.  Entering  the  town  he  sees  his  sweetheart,  who  perhaps 
expects  him,  she  is  looking  out  of  the  window.  The  youth  greets  her  joyfully. 
Alas!  also  for  his  loved  one,  he  has  become  a  stranger.  His  face  is  tanned  too 
much.  Then  he  meets  his  mother  coming  from  church.  She  hardly  has  seen  him 
and  heard  his  voice,  when  sobbingly  she  embraces  him.  The  mother's  eye  sharpened 
by  love  knows  her  child  under  any  disguise.  The  poem  is  short,  but  full  of  pathos. 
It  introduces  us  into  the  life  of  a  tradesman  or  mechanic.  Formerly  all  the  trades 
formed  guilds,  which  were  strictly  regulated  corporations.  A  boy  who  wanted  to 
learn  a  trade  was  apprenticed  to  a  master,  who  taught  him  all  he  knew  about 
the  trade.  After  the  apprentice  had  stayed  three  or  four  years  with  the  master, 
he  became  a  journeyman  (Geselle).  Now  he  had  to  travel  from  place  to  place, 
in  order  to  perfect  himself  in  his  trade.  His  steed  was  a  good  pair  of  soles 
( Schusters  Happen ) ,  so  he  saw  the  world.  Into  whatever  place  he  came,  he 
went  to  the  lodging-house  of  his  guild  (Handwerkerherberge),  after  that  he  asked 
for  work  at  the  different  masters  of  his  trade.  His  education  was  not  finished 
unless  he  had  worked  for  a  great  many  masters  and  seen  many  cities,  also  in 
foreign  countries.  Then  the  youth  thought  of  returning  home  to  make  his  master- 
piece, a  kind  of  examination,  before  he  could  enter  the  guild,  and  then  settle  down 
as  a  master. 

Many  children  have  also  no  idea  of  a  toll-keeper;  this  has  to  be  explained. 
In  olden  times  every  city  had  gates,  which  were  closed  in  the  evening  and  opened 
in  the  morning.  By  the  gate  the  toll-man  lived,  who  collected  the  duties  on  all 
ar-ticles  which  passed  through  the  gates.  A  similar  tax  is  also  levied  on  some 
roads  in  this  country,  for  all  wagons  that  pass  over  them.  In  Europe  in  a  great 
many  cities  duties  are  yet  collected  on  goods  especially  eatables  that  are  brought 
in  through  the  gates. 

Different  phases  of  civilization  and  society  have  become  familiar  to  the  pupils 
through  the  study  of  this  poem;  also  the  last  one  which  I  shall  mention  leads  to 
this.  Hardly  anybody  who  studies  German  is  not  charmed  by  Goethe's  beautiful 
poem,  "Der  Sanger."  The  most  glorious  times  of  the  Middle  Ages  rise  before 
our  eyes.  We  see  the  song-loving  king  sitting  in  the  lofty  hall  of  his  castle  sur- 
rounded by  his  court.  Suddenly  he  hears  music  on  the  draw-bridge  before  the 
gate.  He  sends  out  his  page  to  bring  in  the  singer,  as  he  wants  to  hear  him  in  the 
hall.  It  is  a  noble  old  man,  full  of  dignity,  with  excellent  manners.  Respectfully 
he  greets  the  king,  his  courtiers  and  the  ladies-in-waiting,  but  he  does  not  spend 
his  time  in  idly  admiring  them.  He  closes  his  eyes  so  that  his  song  may  com<e 
more  from  his  innermost  heart  and  be  more  deeply  felt.  We  see  the  effects  of  it 
by  the  attitude  of  the  knights  and  the  ladies.  He  sings  of  war,  because  the  knights 
look  courageously,  and  of  love  the  ladies  lower  their  eyes.  The  king,  pleased  with 
the  song,  wants  to  reward  him  by  the  gift  of  a  golden  chain,  but  here  the  old 
singer  rises  to  his  full  dignity.  Not  for  outward  reward  does  he  sing,  but  for  his 
own  enjoyment  and  pleasure.  His  song  is  recompense  enough  for  him,  just  as  it 
is  for  the  bird  who  merrily  sings  in  the  branches  of  a  tree.  He  only  asks  for  a 
glass  of  pure  golden  wine  and  wishes  his  audience  may  always  thank  God  as  much 
for  their  welfare  as  he  does  for  this  little  gift. 

"Who  was  this  singer?"  the  pupils  will  ask.  Then  I  tell  them  that  he  was 
not  alone  a  singer,  but  also  a  God-inspired  poet,  who  lived  in  the  Middle  Ages. 


118  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

He  belonged  to  the  "Minnesanger"  who  flourished  mostly  in  the  twelfth  and  thir- 
teenth century.  They  were  knights  who  composed  short  love-songs  or  long  heroic 
stories.  These  they  recited  in  the  castles  of  famous  knights  or  at  the  courts  of 
princes.  Everywhere  they  were  welcome  guests.  A  great  many  princes  and  even 
emperors  were  "Minnesanger" ;  especially  the  noble  "Hohenstaufen,"  the  high- 
spirited  German  emperors  during  these  centuries.  I  have  a  picture  of  a  castle, 
"Ritterburg  aus  dem  dreizehnten  Jahrhundert,"  which  I  use  as  an  illustration  of 
the  life  during  these  times.  The  castle  stands  on  a  high  mountain.  The  draw- 
bridge is  lowered,  the  gate  opened,  through  it  passes  a  cavalcade  of  knights  and 
ladies  on  steeds  and  chargers.  They  are  going  hunting;  dogs  accompany  them.  The 
ladies  carry  on  their  hands  their  favorite  falcon;  they  are  going  therefore  hunting 
the  heron.  The  "Burg"  consists  of  different  buildings.  We  see  the  watch-towers, 
the  "Pallas"  where  the  ladies  live,  the  church,  gardens,  courts,  stables,  etc.,  the 
whole  surrounded  by  the  crenelated  wall  and  on  one  side  by  the  moat.  The  others 
are  built  up  on  a  precipitous  rock. 

Then  I  mention  some  of  the  most  famous  "Minnesanger":  Walther  von  der 
Vogelweide,  Wolfram  von  Eschenbach,  Gottfried  von  Strassburg,  etc.,  and  ask  if  they 
ever  had  heard  these  names  before?  Some  pupils  have  heard  "Tannhauser"  or  the 
"Singers'  War  on  the  Wartburg,"  and  these  persons  were  living  for  them.  Their 
interest  is  aroused,  they  want  to  find  out  more  about  the  "Minnesanger,"  and  bring 
in  short  accounts.  Others  have  prepared  an  outline  of  Goethe's  life  and  his  prin- 
cipal works.  All  have  learned  some  poems  of  Goethe  before,  like  "Gefunden," 
"Heidenroslein,"  "Mignon,"  "Erlkonig,"  etc. 

It  is  needless  to  dwell  longer  on  the  correlation  of  German  to  the  different 
branches  of  study.  We  see  by  the  foregoing  illustrations  what  an  aid  the  study 
of  German  is  to  the  pupil's  general  education,  how  his  mind  receives  nourishment 
through  it  in  various  ways,  how  his  views  are  broadened  and  deepened.  A  good 
teacher  of  German,  therefore,  must  be  highly  educated;  he  has  to  understand  the 
whole  extent  of  the  present  civilization.  It  is  not  necessary  that  he  be  an  expert  in 
every  branch,  yet  he  must  be  able  to  give  the  full  information  that  belongs  to  a 
thorough  and  all-sided  treatment  of  the  pieces  he  is  to  teach  his  pupils.  Such  a 
correlation  is  the  most  fruitful  when  it  follows  the  instruction  that  the  English 
teacher  gives,  when  it  intensifies  and  completes  her  teachings.  Therefore  it  is  a 
necessity  that  the  teachers  of  a  school  work  hand  in  hand,  that  they  know  what 
their  pupils  learn  from  other  teachers,  because  not  their  special  branch  is  the  aim 
of  the  pupil's  education,  but  the  harmonious  development  of  all  his  powers,  in  order 
to  fit  him  to  become  a  participant  in  all  that  makes  life  worth  living,  a  useful 
member  of  society,  who  will  further  the  welfare  and  happiness  of  his  fellow-men  as 
well  as  his  own. 


Berichte  und  Notizen. 


I.   Korrespondenzen. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Baltimore. 

Dircktor  Dapprich  besuclite  uns  in  der 
Schnle  auf  seiner  Durchreise  nach  Eu- 
ropa.  Leider  konnte  der  liebe  Freund 
nur  etwa  eine  halbe  Stunde  bei  uns  wei- 
len,  da  er  noch  am  selben  Vormittag  nach 
New  York  weiter  reisen  musste,  von  wo 
er  sich  tags  darauf  nach  Neapel  ein- 
schiffte.  So  kurz  auch  die  Zeit  war,  und 
so  viel  wir  uns  zu  sagen  hatten,  so  liess 
sich  doch  noch  schnell  eine  kleine  Ab- 
schiedsfeier  fiir  den  geschatzten  Gast  im- 
provisieren.  Achtzig  Schiller  und  Schii- 
lerinnen  der  siebten  und  achten  Klasse 
wurden  zusammen  in  ein  Zimmer  geru- 
fen,  und  dort  sangen  sie  ihm  deutsche 
Lieder  vor.  die  sie  aus  den  Rosenstengel- 
Dapprichschen  Lesebiichern  gelernt  hat- 
ten.  ,,Die  Wacht  am  Rhein"  gait  als 
Gruss  Jungamerikas  an  die  deutsehe 
Muttererde,  die  er  bald  wieder  betreten 
sollte,  ,,Ich  hatt'  einen  Kameraden"  wur- 
de  in  humoristischer  Auffassung  gesun- 
gen,  und  zum  Abschied  erklang  das  ein- 
zig'  schb'ne  Lied  ,,Es  1st  bestimmt  in 
Gottes  Rat." 

War    auch    die    Ausfiihrung   keine    so 
runde,  wie  wir  sie  gerne  gehabt  hatten, 
und  wie  sie  auch  wohl  geworden  ware, 
wenn  wir  uns  daftir  hatten  nur  einiger- 
massen  vorbereiten  kb'nnen,  so  fehlte  es 
hingegen  nicht   an   der   richtigen   Stim- 
mung,  und  der  Gesang  machte  einen  tie- 
fen  Eindruck  auf  den  lieben  Freund — wie 
auch  auf  den  Schreiber  — ,  seine  treuen 
Augen  feuchteten  sich  bei  den  Worten: 
Wenn  Menschen  auseinandergehn, 
So  sagen  sie:  ,,Auf  Wiedersehn! 
Ja,  Wiedersehn!" 

Dass  die  bewegten  Worte,  die  der  Ge- 
feierte  zum  Abschied  an  die  Zoglinge 
richtete,  wie  sie  vom  Herzen  kamen,  so 
auch  zum  Herzen  gingen,  durfte  Schrei- 
ber am  heutigen  Tage  bei  Durchsicht  von 
Aufsatzen  zu  seiner  Freude  wahrneh- 
men. — Auf  Wiedersehn,  ja,  Wiedersehn! 

S. 
Cincinnati. 

Wie  himmelweit  auch  die  Meinungen 
iiber  Wert  und  Opportunitat  der  jiingst 
hier  gehorten  padagogischen  Vortr'&ge 
auseinandergehen  mb'gen,  iiber  die  Ver- 
sammlungen,  vor  welchen  sie  gehalten 
wurden,  und  iiber  den  Gesamtverlauf  der 
Schulsuperintendenten  -  Konvention,  die 
vom  23.  bis  zum  26.  Februar  allhier  ab- 
gehalten  wurde,  herrscht  nur  eine  Stim- 
me.  Es  war  im  grossen  und  ganzen  eine 


sehr  wiirdige  Veranstaltung,  deren  Ein- 
druck und  Folgen  nicht  hoch  genug  ange- 
schlagen  werden  kb'nnen.  Befugtere  Fe- 
dern  werden  ja  wohl  in  den  P.  M.  dar- 
iiber  berichten,  so  dass  ich  mich  auf  ei- 
nige  Bemerkungen  lokaler  Natur  be- 
schranken  kann.  In  ttbereinstimmung 
mit  der  Ansicht  jener,  die  da  meinten, 
die  Konvention  sei  nicht  der  Stadt  und 
der  Schulen  Cincinnatis  wegen  da,  und 
der  Besuch  der  letzteren  seitens  Auswar- 
tiger  werde  wohl  kein  sehr  zahlreicher 
sein,  fanden  nur  wenige  Fremde  Zeit  und 
Musse  unsere  Anstalten  mit  ihrer  Gegen- 
wart  zu  beehren.  Eine  Ausnahme  mach- 
ten,  soweit  das  deutsche  Departement  in 
Betracht  kam,  der  Schulsuperintendent 
von  Baltimore  und  der  Assistenzsuperin- 
tendent  Herr  Straubenmiiller  von  New 
York.  Befand  sich  der  Erstgenannte 
auf  einer  Forschungstour  nach  Griinden, 
warum  und  wie  der  deutsche  Unterricht 
in  Baltimore  insofern  beschnitten  wer- 
den konnte,  als  man  den  Anfang  dessel- 
ben  um  einige  Jahre  hb'her  hinaufschrau- 
ben  durfte,  ohne  seinenErfolg  abzuschwa- 
chen,  und  sah  sich  Ihr  Korrespondent 
veranlasst,  dem  verehrten  Herrn  Besu- 
cher,  bescheiden  aber  entschieden,  zu  sa- 
gen, dass  eine  solche  Massregel  der  An- 
fang vom  Ende  des  deutschen  Unter- 
richts  in  Baltimore  sein  wiirde  —  so  ent- 
ledigte  sich  Herr  Straubenmiiller  in  sehr 
eingehender  Weise  eines  ihm  gewordenen 
offiziellen  Auftrags,  unsere  deutschen 
Klassen-Einrichtungen,  -Ziele  und  -Er- 
folge  so  genau  wie  mb'glich  zu  priifen  und 
iiber  die  gewonnenen  Eindriicke  Bericht 
zu  erstatten  behufs  eventueller  Beriick- 
sichtigung  und  Verwendung  bei  der  ge- 
planten  Reorganisation  des  deutschen 
Unterrichts  in  Gross-New  York.  Der 
ebenso  liebenswiirdige,  wie  gewisenhafte 
Besucher  iiberzeugte  sich  von  dem  Stand 
der  Dinge  in  alien  deutschen  Graden  vom 
ersten  bis  zum  achten  Schuljahre.  In 
der  Schule,  in  welcher  Ihr  Korrespon- 
dent beschaftigt  ist.  und  deren  deutscher 
Abteilung  Kollege  Von  Wahlde  vorsteht, 
brachte  er  zwei  voile  Stunden  zu  und 
iiberzeugte  sich  von  der  Sachlage  in  Klas- 
sen  der  6ten,  7ten  und  8ten  Schuljahre. 
Riickhaltslos  gestand  er  den  Hauptvor- 
teil  unserer  Einrichtungen  zu,  wonach 
der  deutsche  Unterricht  im  ersten  Schul- 
jahre beginnt  und  bis  zum  vierten  je 
fiinf  halbe  Schultage  wb'chentlich.  in  den 
vier  letzten  Graden  aber  je  fiinf  Stunden 


120 


P'ddagogiscbe  Monatsbejte. 


wb'chentlich  eingeriiumt  erhalt.  Die  auf 
den  verschiedenen  Stufen  erzielten  Er- 
folge  wusste  der  Herr  nicht  genug  zu 
riihmen  und  in  uns,  die  ihm  dieselben 
vorfiihren  konnten,  den  Wunseh  hervor- 
zurufen,  dass  es  ihm  gelingen  mb'ge,  in 
New  York  einen,  wenn  auch  vorliiufig 
nur  anniihrend  giinstigen,  iihnlichen  Zu- 
stand  ins  Leben  zu  rufen.  Besondere 
Vorbereitungen  fiir  den  Empfang  von 
Besuchern,  die  sich  einige  Schulleiter 
und  englische  Lehrgenossen  nicht  ver- 
kneifen  konnten,  waren  unter  den  Um- 
stiinden  mehr  oder  weniger  fiir  die  Katz' 
—  ,,und  mit  Recht,"  \vie  mein  Kollege 
A.  W.,  Milwaukee,  mit  mir  gerne  zu  sa- 
gen  scheint. 

Die  am  7ten  Februar  abgehaltene  Ver- 
sammlung  des  Deutschen  Lehrervereins 
von  Cincinnati  war  eine  der  bestbesuch- 
testen,  die  jemals  stattgefunden  haben, 
besonders  von  seiten  des  Ewigweiblichen. 
Die  Anwesenden  fanden  ihre  Rechnung 
voll  und  ganz.  Frau  Hermine  Hansen, 
die  Leiterin  des  deutschen  Unterrichts 
in  der  Clifton-Schule,  hielt  einen  vor- 
ziiglichen  Vortrag  iiber  ,,Die  Beteiligung 
der  Frau  an  der  deutschen  Literatur" 
und  wusste  dem  an  sich  schon  dankbaren 
Thema  in  der  Tat  die  interessanteste 
Seite  abzugewinnen.  Erhoht  wurde  der 
schone  Eindruck  durch  die  eingefloch- 
tene  Deklamation  des  Gedichtes  ,,Der 
Knabe  am  Moor"  von  Annette  von 
Droste-Hiilshoff.  Avelches  von  Frl.  Va- 
leska  Razall,  einer  noch  sehr  jugend- 
lichen  Schiilerin  der  Walnut  Hills-Hoch- 
schule,  in  wirklich  ergreifender  und  aus- 
gezeichneter  Weise  vorgetragen  wurde. 
Ein  Violinsolo  unseres  Kollegen  und  Vir- 
tuosen,  Herrn  Gesanglehrer  Josef  Surdo, 
sowie  ein  Sopransolo,  ,.Schlummerlied" 
mit  Manner-Chorbegleitung,  der  Kolle- 
gin  Lillie  Deremo  bildeten  den  musikali- 
schen  Teil  des  Programms  und  wurden 
beide  mit  ungeteiltem  Beifall  aufgenom- 
men. 

Die  Vcrsammlung  der  deutschen  Ober- 
lehrer,  die  am  26.  Februar  hatte  statt- 
finden  sollen,  musste  der  Superintenden- 
ten-Konvention  halber  ausfallen. 

Ich  konnte  Ihnen  noch  ein  Lied  vom 
chronischen  Geldmangel,  unter  dem  un- 
sere  Schulbehorden  gebiickt  gehen.  und 
von  den  oft  kuriosen  Rettungsmitteln, 
zu  denen  man  greifen  muss,  singen; 
konnte  Ihnen  auch  etwas  von  der  bb'sen 
Grippe  vorjammern,  von  welcher  die  Ge- 
nossen  fb'rmlich  der  Reihe  nach  heimge- 
sucht  werden  —  doch  wozu  alte  Wunden 
aufreissen?  ,,Es  muss  doch  Fruhling 
werden.  quidam. 

Milwaukee. 

Am  5.  Febr.  hatten  wir  hier  die  Freu- 
de,  Herrn  Professor  v.  Jagemann  von  der 


Harvard  Universitat  in  einem  Vortrage 
iiber  ,,Aus  dem  Leben  der  Sprache"  im 
,,Deutschen  Klub"  zu  hb'ren,  wozu  alle 
deutschen  Lehrer  eingeladen  waren.  Der 
Professor  zeigte  in  diesem  interessanten 
Vortrage,  wie  die  menschliche  Sprache 
so  recht  eigentlich  die  grosiartigste  Er- 
findung  der  Menschen  ist,  well  sie  die 
Grundlage  aller  Erfindungen  und  aller 
Erzeugnisse  des  menschlichen  Geistes  ist. 
Alle  Forschung  beruht  auf  Mitteilung 
friiherer  Forseher  durch  die  Sprache,  und 
darum  besitzt  sie  Leben  wie  jedes  andere 
organische  Wesen  dieser  Erde.  Das  Le- 
ben einer  feprache  besteht  nun  in  der 
Gesamtverbindung  der  Gedankenassozia- 
tionen  der  einzelnen  Menschen.  Daher 
ist  es  ein  grosser  Irrtuni,  wenn  sich 
manche  die  Sprache  als  etwas  Fertiges, 
Vollstiindiges  und  Abgeschlossenes  vor- 
stellen.  Ganz  im  Gegenteil;  sie  veran- 
dert  und  vervollkommnet  sich  fortwah- 
rend  wie  alles  Lebende  und  Organische, 
wie  man  das  am  besten  an  der  Lautver- 
iinderung  sehen  kann. 

In  iilterer  Zeit  hatte  man  z.  B.  in 
der  deutschen  Sprache  die  beiden  Dop- 
pellaute  ei  und  au  noch  nicht,  und  man 
hatte  dafiir  die  einfachen  Laute  i  und  u. 
Dies  sieht  man  an  den  altdeutschen  Wor- 
tern  ,,lieden"  und  Mus",  hochdeutsch 
leiden,  Maus.  Dann  hat  sich  auch  der 
Sinn  und  die  Bedeutung  mancher  Wor- 
ter  ganz  veriindert;  so  hatte  das  Wort 
,,Frauenzimmer"  friiher  eine  recht  vor- 
nehme  Bedeutung,  eine  fiirstliche  Frau, 
dagegen  ist  die  Bedeutung  jetzt  eine 
ganz  andere,  eine  ziemlich  zweideutige. 
Der  Professor  zeigte  dahn,  wie  das  Volk 
oft  in  deni  Irrtum  befangen  sei,  dass 
sieh  Wort  und  Begriff,  und  Name  und 
Sache  immer  vollsttindig  deckten,  und 
dass  sie  nicht  wussten,  wie  manchmal 
dasselbe  Wort  5  oder  6,  ja  noch  mehr 
verschiedene  BegrifFe  hatte. 

Als  drastisches  Beispiel  fiihrte  er  die 
Geschichte  von  den  drei  Soldaten  in  Wien 
an,  wo  sich  ein  dstreicher,  ein  Ungar  und 
ein  Italiener  um  das  Wort  ,,Wasser" 
stritten.  Der  6streicher  erhebt  ein  Glas 
mit  Wasser  und  fragt  den  Ungar:  Wie 
nennst  du  diesen  Stoff  in  dem  Glase  in 
deiner  Sprache?  er  antwortet  ,,teska". 
Dann  fragt  er  den  Italiener,  und  der 
sagt  ..aqua";  dann  spricht  der  6streicher 
wichtig  und  mit  Nachdruck:  ,,und  ich 
nenne  ihn  ,,Wasser"  und  er  heisst  nicht 
bloss  so,  sondern  er  ist  es  auch." 

Dann  kam  der  Professor  auf  die  Ety- 
mologie  zu  sprechen  und  erwahnte,  wie 
in  der  Zeit  der  Renaissance  Gelehrte  und 
auch  Geschliftsleute  ihre  Namen  so  gern 
laiinisiert  hatten,  und  wie  dabei  oft 
komische  Vervvechselungen  stattgefunden 
hiitten.  So  hjitte  einst  ein  Kaufmann 


Korresponden^en. 


121 


in  Hamburg  die  Gerichte  ersucht,  seinen 
Namen  ,,Plummbohm"  andern  zu  diirfen, 
und  zwar  wiinschte  er  den  Namen  ,,Blei" 
zu  haben.  Auf  die  Frage  warum  er  ge- 
rade  diesen  Namen  haben  wollte,  ant- 
wortete  er,  das  sei  sein  rechter  Name, 
und  sein  Vorfahr  babe  den  Namen  la- 
teinisch  iibersetzt  und  sich  ,,plumbum" 
genannt,  woraus  dann  im  guten  Ham- 
burger Plattdeutsch  ,,Pluminbohm"  ge- 
worden  sei. 

Der  Professor  schloss  mit  der  Ermah- 
nungjeder  solle  an  seinemTeil,  so  vielwie 
moglich,  und  vor  allem  dieGebildeten,sich 
bestreben,  unsre  schone  deutsche  Sprache, 
die  so  reich,  edel  und  vielseitig  im  Aus- 
drucke  sei,  mit  alien  Kraften  noch  zu 
veredeln  und  zu  vervollkommnen  suchen; 
denn  damit  wiirden  wir  auch  die  Mah- 
nung  unseres  grossen  Dichters  Goethe  er- 
fiillen :  J3Was  du  ererbt  von  deinen  Va- 
tern  hast,  erwirb  es,  um  es  zu  besitzen." 
Reicher  und  anhaltender  Beifall  lohnte 
den  Redner  fiir  seinen  interessanten  Vor- 
trag,  welcher  von  den  zahlreichen  Zu* 
horern  voll  und  ganz  gewiirdigt  wurde. 

Am  Abend  des  6.  Feb.  gaben  die  deut- 
schen  Lehrer  in  Gemeinschaft  mit  den 
Lehrern  des  Seminars  und  der  Akademie 
Herrn  Professor  v.  Jagemann  in  dem 
Seminargebaude  einen  Empfang,  welcher 
sich  zu  einer  sehr  gemiitlichen  Feier  ge- 
staltete.  Zugleich  bildete  sie  eine  Ab- 
schiedsfeier  fur  Direktor  Dapprich,  wel- 
cher zur  Starkung  seiner  angegriffenen 
Gesundheit  eine  auf  mehrere  Monate  be- 
rechnete  Europareise  unternommen  hat. 
Das  geraumige  Musikzimmer  war  in  eine 
schon  geschmiickte  und  mit  Blumen  de- 
korierte  Banketthalle  umgewandelt,  und 
die  zwei  langen  Reihen  Festtafeln  waren 
mit  etwa  150  Festgasten  besetzt.  Der 
Prasident  des  Lehrervereins,  Herr  Ph. 
Lucas,  diente  als  Festprlisident.  Nach 
einem  gut  vorgetragenen  Violinsolo  von 
Lehrer  H.  Mertens  stellte  der  Vorsitzer 
den  Ehrengast  in  einer  kurzen  Ansprache 
der  Versammlung  vor. 

Professor  Jagemann  hielt  dann  eine 
langere  Ansprache,  in  welcher  er  iiber  die 
schwere  und  oft  undankbare  Arbeit  des 
deutschen  Lehrers  hier  in  Amerika 
sprach.  Dann  bemerkte  er,  wie  so  oft, 
ja  meistens,  nach  Verlauf  von  mehreren 
Jahren  im  Amte  und  Dienst,  der  deut- 
sche Lehrer  in  die  gewohnliche  Routine 
und  schulmeisterliche  Pedanterie  ver- 
falle,  die  ihm  dann  oft  alle  Lust  zum 
Amte  raube  und  ihn  gramlich  und  ver- 
driesslich  mache.  Als  ein  gutes  Mittel 
dagegen  empfehle  er  alien  deutschen  Leh- 
rern die  fleissige  Beschaftigung  mit  gu- 
ten deutschen  Volksschriftstellern ;  und 
unter  den  vielen,  welche  die  deutsche 
Literatur  aufzuweisen  habe,  empfehle  er 


ganz  besonders  den  steirischen  Volks- 
dichter,  Peter  K.  Rosegger.  Er  Hess  als- 
dann  einen  Vortrag  iiber  diesen  Dichter 
folgen,  worin  der  eigentiimliche  Werde- 
gang  des  steirischen  Bauernjungen  und 
nachherigen  Schneiders  zu  einem  so  vor- 
ziiglichen  Dichter  in  drastischer,  an- 
schaulicher  und  recht  humoristischer 
Weise  geschidert  wurde. 

Nach  dem  Vortrage  des  Professors 
folgten  einige  gesangliche  Vortrage  von 
Frl.  Camille  Bickler,  ein  Damenchor  un- 
ter der  Leitung  des  Herrn  M.  Griebsch 
und  Soli  von  den  Herren  O.  Burckhardt 
und  C.  Bronson.  Dann  folgte  das  Ban- 
kett,  wobei  die  Kolleginneri  in  liebens- 
wiirdiger  Weise  die  Wirtinnen  machten. 
lleden  wurden  dabei  gehalten  von  Supt. 
H.  0.  R.  Siefert,  Asst.  Supt.  Abrams  und 
Herrn  J.  Eiselmeier.  Herrn  Dapprich 
wurde  zum  Abschied  ein  schones  Rosen- 
bouquet  iiberreicht,  und  er  hielt  dabei 
eine  begeisterte  Ansprache  iiber  die  wich- 
tige  Aufgabe  des  deutschen  Lehrers  an 
niedern  und  hohern  Schulen  hier  in  Ame- 
rika. 

So  verflossen  die  Stunden  schnell  bis 
nach  Mitternacht.  Wohl  alle  Teilneh- 
mer  werden  dieses  frohe  und  gemiitliche 
Fest  und  ebenso  unsern  geschatzten  Kol- 
legen  und  Ehrengast  in  freundlicher  Er- 
innerung  behalten.  Ja  lange  ist  es  her, 
dass  wir  im  Kreise  des  Vereins  deutscher 
Lehrer  ein  frohes  Fest  gefeiert  haben; 
keins  seit  dem  Silberjubilaum  vor  5  Jah- 
ren. Ach,  wie  manche  frohe  und  schone 
Feste  haben  wrir  friiher  gefeiert,  Pick- 
nicks  und  Abendunterhaltungen !  Doch  — 
,,es  war  einmal"!  Lang'  ist  es  her,  ja 
lang3  ist  es  her! 
O  deutsche  Lehrer-Gemiitlichkeit,  wo  bist 

du  nur  geblieben? 
Wer  hat  dich  schon  seit  langer  Zeit  so 

ganzlich  f ortgetrieben  ? 
Wo  blieb  Kollegialitat,  Gesang  und  frohe 

Lieder  ? 

Dahin  —  wie's  Blatt  im  Sturm  verweht, 
und   kehret   nimmer   wieder.. 
A.  W. 
New  York. 

Obwohl  der  Verein  deutscher  Lehrer 
von  Neic  York  und  Umgegend  in  den  letz- 
ten  Monaten  nichts  hat  von  sich  ho'ren 
lassen,  so  war  derselbe  doch  tatiger  als 
je.  Besonders  wrar  der  Besuch  der  am 
ersten  Samstag  im  Monate  stattfindenden 
Versammlungen  ein  ausserst  reger.  Al- 
lerdings  waren  die  Vortrage  und  die  Per- 
son der  Vortragenden  von  ganz  besonde- 
rer  Giite.  In  Dezember  gab  Herr  Di- 
rektor Konried  vom  deutschen  Theater 
einen  mit  grossem  Beifall  aufgenomme- 
nen  Vortrag  iiber  ,.Das  moderne  Drama." 
Herr  Direktor  Leopold  Bahlsen  aus  Ber- 
lin, der  zur  Zeit  am  Teachers  College 


122 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


tiitig  ist,  sprach  in  einem  wohldurch- 
daehten,  beredten  Vortrag  iiber  den  Dich- 
ter  der  ,,Vierzehn  Linden",  F.  Weber, 
wiihrend  in  der  ersten  Februarwoche 
der  vielseitige  Sekretar  des  Deutschen 
Gesellig-Wissenschaftlichen  Vereins,  Hr. 
Joseph  Winter,  in  einem  begeisterten  und 
begeisternden  Vortrage  das  deutsche 
Volkslied  behandelte.  Das  deutsche  Volk 
—  so  f iihrte  der  Redner  aus  —  ist  ein 
Volk  von  Dichtern  und  von  Sangern. 
Das  Lied  ist  zweifellos  die  alteste  Form 
der  Poesie,  sind  doch  die  alten  Volks- 
sagen  ein  Zyklus  von  Gesangen.  Von 
den  Hofen,  wo  der  Minnegesang  bltihte 
und  aus  den  Stiidten,  wo  das  Lied  ini 
Meistergesang  verkiimmerte,  fliichtete 
sich  das  Lied  in  die  Volksmassen,  wo  es 
schon  am  Ende  des  13ten  Jahrhunderts, 
herrliche  Bliiten  trieb.  Der  Hirte,  der 
Soldat,  der  Scholar,  der  Mo'nch,  der 
Hitter,  der  Schiffer,  der  Kaufmann  und 
der  Landmann,  alle  hatten  sie  ihre  Lie- 
der,  in  denen  ein  echt  germanischer  Zug 
sich  auspragte;  ihr  Inhalt  ist  das  Leben 
der  Natur  und  das  Menschenschicksal, 
vor  allem  das  Liebesleben.  Das  echte 
Volkslied  ist  der  Ausdruck  des  Gefiihls, 
der  momentanen  Empfindung,  kurz, 
scharf,  prazis,  einfach,  ungeziert;  nicht 
kunstmassig,  nicht  erkiinstelt,  und  vor 
allem:  singbar.  Die  Lieder  entstanden 
im  Volke,  mit  dem  Volke,  durch  das 
Volk  und  fiir  das  Volk:  an  den  Winter- 
abenden  in  der  Spinnstube ;  bei  der  Heim- 
kehr  vom  Felde;  auf  dem  Marsche;  auf 
den  Sonntagsspaziergangen  durch  Wald 
und  Feld.  Die  Versifikation  ist  die  deuk- 
bar  einfachste  und  ungekiinstelt ;  mei- 
stens  vierzeilige  Strophen  im  jambischen 
Masse,  in  denen  die  zweite  und  vierte 
Zeile  sich  reimen.  Die  reichhaltigste 
Fundgrube  von  Volksliedern  ist:  des 
Knaben  Wunderhorn.  Die  Lieder  lebten 
lange  nur  im  Munde  des  Volkes  und 
pflanzten  sich  durch  den  Gesang  fort; 
oft  werden  im  Volksmunde  mehrere  Lie- 
der vermischt  und  verschmolzen.  Wer 
das  Lied  zuerst  gesungen,  wer  es  gedich- 
tet,  das  weiss  das  Volk  nicht  und  darum 
kiimmert  es  sich  nicht.  Die  hb'chste  Ehre, 


die  einem  Kunstdichter  widerfahren 
konnte  und  kann,  ist  die,  dass  das  Volk 
sein  Lied  sich  zu  eigen  macht  und  den 
Dichter  vergisst. 

Das  lote  und  16te  Jahrhundert  sind 
die  Blutezeit  des  Volksliedes,  das  beson- 
ders  reich  ist  an  Trinkliedern  (,,den  lieb- 
sten  Buhlen,  den  ich  hab'" ) ,  Liebeslie- 
dern  (,,Es  steht  ein  Baum  im  Oden- 
wald")  und  Kinderliedern.  Von  unsern 
Klassikern  treffen  Goethe,  Uhland  und 
Heine  den  echten  Volksliederton,  wah- 
rend  Schiller  weniger  gliicklich  ist. 

In  interessanter  Weise  illustrierte  Herr 
Winter  die  Art  und  Weise,  in  der  das- 
selbe  Thema  von  drei  Dichtern  in  volks- 
tiimlicher  und  doch  nach  ihrer  Indivi- 
dualitat  verschiedener  Weise  behandelt 
wird  durch  ein  Analyse  der  bekannten 
Hirtenlieder  von  Goethe  (,,Ich  stand  auf 
einem  Berge"),  Heine  (,,Kb'nig  ist  der 
Hirtenknabe" ) ,  und  Uhland  (,,Ich  bin 
vom  Berg  der  Hirtenknab").  Nachdem 
der  Redner  alphabetisch  die  Dichter  ge- 
nannt,  die  das  Volkslied  dauernd  be- 
reichert  haben,  schloss  er  in  begeistern- 
der  Weise:  ,,Und  das  deutsche  Volks- 
lied, es  singt  von  Lenz  und  Liebe,  von 
sel'ger,  goldner  Zeit,  von  Freiheit,  Man- 
nerwiirde,  von  Treu  und  Heiligkeit;  es 
begleitet  uns  von  der  Wiege  zum  Grabe; 
es  zieht  mit  uns  in  die  Fremde  und  macht 
uns  die  Fremde  zur  Heimat;  das  Volks- 
lied, es  iiberlebt  alle  Wandlungen  poli- 
tischer  und  sozialer  Art,  und  so  lange  die 
Deutschen  das  deutsche  Volkslied  pfle- 
gen,  wird  lebendig  bleiben  der  deutsche 
Geist  und  die  deutsche  Art." 
In  der  Februarsitzung  wurden  die  bis- 
herigen  Beamten  des  Vereines  auf  ein 
weiteres  Jahr  erwahlt:  Dr.  H.  Zick,  Vor- 
sitzender;  Herr  von  der  Heyde  stell- 
vertretender  Vorsitzender ;  Herr  E.  Miil- 
ler,  Sekretar  und  Schatzmeister.  Auf 
Vorschlag  des  HerrnDoktorKaiser  wurde 
die  Biirde  des  Amtes  eines  berichterstat- 
tenden  Sekretars  mit  der  Wtirde  des  Vor- 
sitzers  verbunden,  da  der  Vorsitzende  ja 
derjenige  sei,  der  so  zienilich  am  regel- 
massigsten  erscheine,  oder  doch  zu  er- 
scheinen  verpflichtet  sei.  H.  Z. 


II.     Briefkasten. 


J.  8.  Es  freut  uns,  dass  Dr.  Lessings 
Artikel  iiber  ,,Neuere  Literaturgeschich- 
ten"  Ihren  Beifall  finden.  Hoffentlich 
konnen  wir  spaterhin  mit  mehr  aufwar- 
ten. — Wegen  eines  Probeheftes  von  Prof. 
Langhaus'  ,,Deutsche  Erde"  wenden  Sie 
sich  gefalligst  an  die  Verlagshandlung 
von  Justus  Perthes  in  Gotlia,  die  Ihnen 


ein  solches  unentgeltlich  zur  Verfiigung 
stellen  wird. 

B.  R.  Mansfield.  Die  P.  M.  haben  auf 
ihrem  Programm  vornehmlich  die  Ein- 
fiihrung  des  deutschen  Sprachunterrichts 
in  die  Klassen  der  Volksschule,  und  Sie 
werden  darum  dort  umfangreiches  Ma- 
terial finden,  das  sich  mit  den  Methoden, 


Umscbau. 


123 


dem  Wert  etc.  dieses  Unterrichts  befasst. 
Ausser  den  vor  dem  letzten  Lehrertage 
in  Detroit  gehaltenen  Vortriigen  mbchten 
wir  noch  namhaft  machen:  Cutting,  ei- 
nige  Prinzipien  des  Sprachunterrichts; 
Dapprich,  Methoden  des  modernen 
Sprachunterrichts;  Hepp,  iiber  natiirliche 
Methoden;  Kiefer,  sechsjahriger  deut- 
scher  Kursus;  Silberberg,  Schwierigkei- 
ten  der  deutschen  Aussprache  fiir  Aus- 
liinder;  Buehner,  wie  kann  man  den 


deutschen  Unterricht  lebendig  und  prak- 
tisch  machen. 

Z.  M.  Cleveland,  ttber  den  nachsten 
Lehrertag  konnen  wir  Ihnen  leider  bia 
jetzt  nichts  mitteilen.  Ausser  einem  per- 
sbnlichen  Schreiben  des  Bundessekretars, 
nacli  welchem  die  Aussichten  ftir  eine 
erfolgreiche  Tagung  gute  zu  sein  schei- 
nen,  ist  uns  keine  Nachricht  zugegangen. 
Wir  sind  also  beziiglich  des  Programms 
und  anderer  Arrangements  vb'llig  im 
Dunkeln. 


III.     Umschau. 


Die  Legislatur  des  Staates  Massachu- 
setts beschiiftigt  sich  gegenwlirtig  mit 
dem  Plane,  den  Musikunterricht  in  den 
b'ffentlichen  Schulen  des  Staates  ein- 
heitlich  zu  regeln,  wie  dies  bereits  mit 
dem  Zeichenunterricht  und  anderen  Spe- 
zialfachern  geschehen  ist.  Man  kommt 
zu  der  Erkenntnis,  dass  bei  den  grossen 
Kosten  und  der  Wichtigkeit  des  Musik- 
unterrichts  diesem  auch  bestimmte  Auf- 
gaben  gestellt  werden  sollten. 

Die  Durchschnittsschiilcrzahl  fiir  den 
einzelnen  Lehrer  in  den  offentlichen 
Schulen  unserer  grossen  Stadte,  ist  nach 
dem  ,,School  Journal"  folgende :  In  Chi- 
cago kommen  auf  jeden  Klassenlehrer 
43  Schiller,  in  New  York  deren  50,  in 
Philadelphia  53,  in  St.  Louis  58,  in  Bo- 
ston 50,  in  Baltimore  51,  in  Cleveland 
44,  in  Buffalo  51  und  in  Cincinnati  46. 
In  den  Hochschulen  ist  der  Unterschied 
nicht  so  gross;  die  Schiilerzahl  fur  jeden 
einzelnen  Lehrer  schwankt  dort  in  den 
genannten  Stadten  zwischen  29  und  33. 

Einen  weisen  Schritt  hat  Mrs.  Jane 
Stanford  vor  zu  tun.  Sie  beabsichtigt, 
sich  der  Kontrolle  iiber  die  ,,Leland 
Stanford  Jr."  Universitat  zu  Gunsten 
eines  Verwaltungsrates  zu  begeben.  Ein 
diesbeziiglicher  Gesetzesvorschlag  liegt 
gegenwiirtig  der  Legislatur  des  Staates 
Californien  vor.  Wer  sich  noch  der  KHm- 
pfe  erinnert,  die  die  Universitat  und  die 
Fakultat  gerade  durch  das  Eingreifen 
der  sonst  so  grossen  Wohltaterin  der 
Anstalt  vor  einigen  Jahren  zu  bestehen 
hatte,  wird  ihren  Entschluss  nur  mit 
Freuden  begriissen.  trbrigens  sollen  die 
Mitglieder  des  Verwaltungsrates  die  Ab- 
sicht  haben,  Mrs.  Stanford  zur  Priisiden- 
tin  der  Kb'rperschaft  zu  erwahlen. 

Dem  beriihmten  Meister  des  Schach- 
spiels,  Dr.  Emanuel  Lasker,  ist  eine  Pro- 
fessorenstelle  in  der  mathematischen 
Abteilung  der  Universitat  Chicago  an- 
getragen  worden. 


S chiiler streike.  An  der  Staatsuniver- 
sitat  zu  Utah  gingen  kiirzlich  300  Stu- 
denten  an  den  Streik,  weil  10  ihrer  Kom- 
militonen  wegen  ungehorigen  Betragens 
vom  Unterricht  suspendiert  worden  wa- 
ren. — Zwei  Knabenklassen  streikten  an 
den  offentlichen  Schulen  Philadelphias, 
weil  die  15  Minutenpause  am  Nachmit- 
tage  durch  Schulratsbeschluss  abge- 
schafft  worden  war. — An  der  ,,Purdue 
Universitat"  (Indiana)  wurden  zwei 
Studenten  wegen  Insubordination  aus- 
gewiesen,  was  50  ihrer  Mitschliler  zum 
Streik  veranlasste.  Der  Friede  wurde 
wiederhergestellt,  indem  die  Fakultat 
nach  einigem  Zogern  die  Strafe  zuriick- 
nahm  und  die  Wiederaufnahme  der  Aus- 
gewiesenen  beschloss. 

Das  Indianer-Institut  zu  Carlisle  fei- 
erte  am  12.  Februar  den  Jahrestag  seiner 
Griindung.  Wlihrend  der  15  Jahre  sei- 
nes Bestehens  hat  das  Institut  4587 
Schiiler  ausgebildet,  und  gegenwiirtig 
wird  es  von  mehr  als  1000  Schiilern  be- 
sucht.  Viel  hat  die  Anstalt  getan,  um 
unsere  Pflegebefohlenen  unserer  Zivili- 
sation  naher  zu  bringen.  200  friihere 
Zb'glinge  waren  bei  der  diesjahrigen 
Feier  zugegen  und  teilten  ihre  Erfahrun- 
gen  mit,  die  sie  nach  ihrem  Austritte 
aus  der  Anstalt  gemacht  hatten.  Viele 
derselben  haben  bedeutende  Stellungen 
inne  und  erfreuen  sich  der  Achtung  ihrer 
Mitbiirger. 

Die  Columbia-  Universitat  hat  in  Ver- 
bindung  mit  der  ,,Alliance  Franqaise" 
von  New  York  einen  freien  Kursus  zur 
Erlernung  der  franzb'sischen  Sprache  ein- 
gerichtet.  Mit  Anfang  dieses  Monates 
sind  zwei  solcher  Kurse  eroffnet  worden, 
welche  von  den  Herren  Stanislas  Le  Roy 
und  Coheleach  geleitet  werden.  Die 
Schiilerzahl  einer  jeden  Klasse  ist  auf 
50  beschrankt  worden. 

Um  die  Kinder  von  Matrosen  nicht 
ohne  Schulbildung  zu  lassen,  hat  die  Re- 


124 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


gierung  zu  Potsdam  verfiigt,  dass  diese 
iiberall  da,  \vo  sie  sich  lunger  als  8  Tage 
aufhalten,  Schulen  zu  besuchen  und,  dass 
sie  solches  getan  haben,  durch  Zeugnisse 
zu  bestatigen  haben.  Haben  die  Kinder 
wahrend  des  schulpflichtigen  Alters  nicht 
eine  hinreichende  Schulbildung  erhalten, 
so  kb'nnen  sie  zu  langerem  Schulbesuch 
gezwungen  werden. 

Weniger  Lehrerinnen!  Die  ,,Piid.  Re- 
form" schreibt:  Die  stadtischen  Behor- 
den  von  Berlin  haben  den  Beschluss  ge- 
fasst,  in  Zukunft  verhaltnisimissig  weni- 
ger  Lehrerinnen  anzustellen  als  bisher. 
Der  Prozentsatz,  der  urspriinglich  fest- 
gelegt  worden  war,  3:1,  hat  sich  langst 
zu  gunsten  der  weiblichen  Lehrkriifte 
verschoben.  So  betriigt  an  den  Madchen- 
schulen,  wo  die  Halfte  der  Stellen  mit 
Lehrern  besetzt  sein  soil,  deren  Zahl 
kaum  noch  ein  Drittel  der  Gesamtzahl 
der  Lehrkrafte,  und  an  den  Knabenschu- 
len  sind  fast  uberall  die  Unterklassen 
mit  Lehrerinnen  besetzt.  Ein  Grund  zu 
dieser  Verschiebung  lag  wohl  darin,  dass 
die  Lehrerinnen  trotz  geringerer  Stun- 
denzahl  viel  billiger  arbeiten  als  Lehrer; 
diese  beziehen  Gehalter  von  1848  bis  4248 
M.,  jene  steigen  nur  von  1432  bis  2731  M. 
Ferner  kommt  in  Betracht,  dass  bei  au- 
genblicklichem  Bedarf  wohl  Lehrerinnen, 
aber  keine  Lehrer  zur  Verfiigung  stehen. 
Jetzt  beginnt  man  aber  einzusehen,  dass 
die  Rechnung  doch  nicht  ganz  stimmt: 
nicht  nur  verbrauchen  sich  die  Lehrerin- 
nen rascher  und  treten  zeitiger  in  den 
Ruhestand,  auch  ihre  Beurlaubung 
krankheitshalber  ist  ganz  unverhiiltnis- 
massig  stark  und  kostet  jahrlich  recht 
bedeutencle  Summen.  Im  vorigen  Jahre 
kamen  auf  2881  Lehrer  der  Gemeinde- 
schulen  23,873  Urlaubstage,  das  ist 
durchschnittlich  8,29;  auf  die  1525  Leh- 
rerinnen dagegen  entfielen  nicht  weniger 
als  26,338  Tage,  im  Durchschnitt  also 
17,27.  Vom  1.  Januar  ab  sollen  daher 
die  Lehrer  in  grosserer  Zahl  als  bisher 
angestellt  werden,  damit  nach  und  nach 
jene  als  richtig  erkannte  Verhaltniszahl 
wieder  hergestellt  wird. 

ttber  Reform  des  Unterrichts  in  den 
weiblichen  Handarbeiien  hielt  die  Hand- 
arbeitslehrerin  Olga  Petersen  in  einer 
freien  Versammlung  zu  Hamburg  einen 
Vortrag.  Sie  forderte  u.  a.  den  Wegfall 
der  Handarbeitsstunden  in  der  unteren 
Klasse.  Sie  begriindet  diese  Forderung 
in  folgender  Weise:  ,,Die  Erlernung  des 
Strickens  ist  fur  Gjahrige  Kinder  so 
schwierig,  so  nervenanstrengend,  dass  sie 
nicht  gefordert  werden  darf;  dies  um  so 
weniger,  als  erfahrungsgemass  feststeht, 
dass  diese  Schwierigkeiten  in  einem  spii- 
teren  Lebensalter  viel  geringer  sind,  und 


dass  der  Beginn  des  Handarbeitsunter- 
richts  im  2.  Schuljahre  die  Erreichung 
der  Strickfertigkeit  nur  um  ein  geringes 
hinausschieben  aber  nicht  beeintrach- 
tigen  wiirde. 

Am  2.  Februar  fand  in  Wien  die  feier- 
liche  Eroffnung  des  osterreichischen 
Reichs-Schulmuseums  statt.  Ein  langge- 
hegter  Wunsch  der  Lehrerschaft  6ster- 
reichs,  dem  vaterlandischen  Schulwesen 
ein  Museum  zu  widmen,  ist  erfiillt  wor- 
den. Der  geistige  Urheber,  Landesschul- 
inspektor  Dr.  Steyskal,  hat  sich  das 
Schulmuseum  gedacht  als  ein  Zentrum 
aller  unterrichtlichen  Bestrebungen  6ster- 
reichs. 

Das  Lehrerblatt  ,,Freie  deutsche  Schu- 
le"  (Wicn)  hat  sich  infolge  der  unaus- 
gesetzten  Massregelungen  ihrer  Schrift- 
leiter  bemiissigt  gesehen,  das  Amt  eines 
Redakteurs  einem  jungen  Nichtlehrer  zu 
iibertragen.  Auf  diese  Weise  hofft  die 
Zeitung,  den  Kampf  gegen  die  Reaktion 
frisch  und  frei  fortfuhren  zu  kb'nnen, 
ohne  ihren  verantwortlichen  Sehriftleiter 
dem  Hasse  der  Christlichsozialen  preis- 
geben  zu  miissen.  Der  gewesene  Sehrift- 
leiter der  ,,Freien  deutschen  Schule", 
Lehrer  Eduard  Jordan,  der  im  Vorjahre 
gemassregelt  wurde,  indem  er  vom  Pada- 
gogium  an  eine  Biirgerschule  versetzt 
worden  ist,  hatte  hiegegen  Beschwerde 
eingebracht,  doch  fiihrte  dieselbe  zu  kei- 
nem  Erfolge. 

Frankreich.  Die  Reform  des  Gymna- 
sialuntcrrichts  ist  jetzt  in  Kraft  getre- 
ten,  die  grb'sste  auf  diesem  Gebiete,  die  in 
Frankreich  seit  einem  Jahrhundert  vor- 
genommen  worden  ist.  Der  griechische 
und  lateinische  Unterricht  hb'rt  auf,  das 
fast  alleinige  Bildungsmittel  der  fran- 
zosischen  Gymnasien  und  Lyceen  zu  sein. 
Die  Naturwissenschaften  und  die  leben- 
den  Sprachen  nehmen  einen  hervorragen- 
deren  Platz  ein.  Nunmehr  werden  die 
Schiller  der  hoheren  Bildungsanstalten 
in  Frankreich  auf  vier  verschiedenen 
Bildungswegen  das  Zeugnis  der  Reife 
(Baccalauretat)  erlangen. 

Russland.  Um  das  bevorstehende  zwei- 
h  under j  ah  rige  Bestehen  Petersburgs  zu 
feiern,  beschloss  die  Stadtverwaltung 
einmalig  sechs  Millionen  Rubel  bereit  zu 
stellen  zur  Vermehrung  der  Zahl  der 
Volksschulen  und  der  Einftihrung  des 
unentgeltlichen  Unterrichts  in  diesen. 
Dass  die  russische  Presse  diesen  treff- 
lichen  Entschluss  mit  Freuden  begrtisst, 
versteht  sich  von  selbst. 

Ein  Bericht  der  Kaiserl.  Hochschule  zu 
Moskau  sagt,  dass  die  Kenntnis  des  Deut- 
schen unbedingt  auf  alien  hoheren  Schu- 
len zu  fordern  ist,  vor  der  franzosischen 


Bucberbesprecbungen. 


125 


oder  englischen  Sprache.  Ferner  heisst 
es  in  demselben:  ,,Bei  jeder  wissenschaft- 
lichen  Arbeit  auf  jeglichem  Gebiete  ist 
die  Kenntnis  der  deutschen  Sprache  sehr 
wichtig,  da  einerseits  bei  der  hohen  Ent- 
wicklungsstufe  der  Wissenschaft  in 
Deutschland  die  deutsche  Literatur  sehr 
reichhaltig  ist  und  andererseits  jedes 
hervorragende  Buch,  in  welcher  Sprache 
es  auch  erschienen  sein  mag,  sofort  ins 
Deutsche  iibersetzt  wird."  Fiir  das  Lehr- 
jahr  1899|1900  empfehlen  etwa  200  Hoch- 
schiiler  im  ganzen  1548  Lehrbiicher.  Da- 
von  sind  nur  53  v.  H.  in  russischer  Spra- 


che, 46  v.  H.  sind  in  anderen  neuen 
Sprachen  und  1  v.  H.  in  den  alten 
Sprachen  abgefasst.  Die  Zahl  der  in  den 
neuen  Sprachen,  mit  Ausnahme  des  Rus- 
sischen,  verfassten  Biicher  betrat  703 ; 
davon  sind  66  v.  H.  deutsch,  27  v.  H. 
franzosisch  und  7  v.  H.  englisch.  Da- 
nach  erscheint  Deutsch  dreimal  wichtiger 
als  Franzosisch. 

Schiveiz.  Die  Schulbehb'rden  von 
Schaffhausen  haben  beschlossen,  es  sei 
den  Lehrern  in  Zukunft  verboten,  den 
Kindern  iiber  Sonntag  Hausaufgaben  zu 
geben. 


Bucherschau. 


I.     Bucherbesprechungen. 


Anno  1870.  Kriegsbilder  von  Detlev 
von  Liliencron.  Selected  and  edited  with 
introduction,  notes  and  vocabulary  by 
Dr.  Wilhelm  Bernhardt.  Boston,  D.  C. 
Heath  &  Co.,  1903.  VIII— 138  Ss. 

Geschichte  des  dreissigj&hrigen  Krie- 
ges  von  Friedrich  Schiller.  Drittes  Buch. 
Edited  with  introduction  and  notes  by 
C.  W.  Prettyman. . .  Boston,  D.  C.  Heath 
&  Co.,  1902.  XV— 170  Ss. 

Zu  der  unter  ( 1 )  genannten  Auswahl 
aus  von  Liliencrons  Kriegsnovellen  sind 
Herausgeber  und  Verleger  nur  zu  be- 
gluckwiinschen.  Das  war  wieder  einmal 
ein  Griff  ins  Voile  und  bietet  eine  ange- 
nehme  Abwechslung  in  der  Lektiire  fiir 
die  ersten  Jahre  des  deutschen  Lehrgan- 
ges.  Die  kurze,  aber  vollauf  geniigende 
Einleitung  entrollt  ein  in  grossen  Ziigen 
gehaltenes  Bild  des  unvergleichlichen 
Krieges  und  charakterisiert  den  Verfas- 
ser  der  Kriegsbilder  in  feiner  und  treff- 
sicherer  Weise.  Dem  Text  (56  Seiten) 
folgen  21  Seiten  Anmerkungen  und  ein 
ausfiihrliches  Worterverzeichnis  von  58 
Seiten.  Zu  S.  8  Anm.  3  ware  zu  bemer- 
ken,  dass  ,,Kommando"  aus  dem  Italieni- 
schen  oder  Spanischen,  nicht  aber  aus 
dem  Hollandischen  stammt.  S.  9.  Anm. 
1 :  die  iiblichere  Aussprache  von  Signal 
zeigt  doch  wohl  stimmhaftes  s  und  ein- 
faches  g  statt  des  nasalen  ng.  Seite  24 
Anm.  3:  Losung=pass-word  (wie  in  der 
tfbertragung  des  Zedlitzschen  Gedichtes; 
der  erste  Teil  der  Anmerkung  ist  irre- 
fuhrend).  S.  36  Anm.  7:  Nach  der 
ttberlieferung  ist  Michael  kein  Cherub, 
sondern  ein  Erzengel;  der  Hiiter  am 
Eingange  des  Paradieses  ist  Gabriel.  Der 
Drache  ist  hier  genauer  als  der  Hollen- 
drache  zu  kennzeichnen,  um  einer  Ver- 
wechslung  Michaels  mit  dem  heiligen 


Georg  vorzubeugen.  Erwiinscht  ware 
eine  Anmerkung  zu  S.  22  Z.  9  iiber  Her- 
kunft  und  Aussprache  des  Namens  Kjer- 
kewanden.  tfbungen  zum  Riickuberset- 
zen  aus  dem  Englischen  ins  Deutsche 
sind  dem  Buche  nicht  beigegeben;  der 
Herausgeber  hat  dies  wohl  unterlassen  in 
der  richtigen  Erkenntnis,  dass  sich  ein 
solcher  Text  wegen  der  Eigenart  des 
Wortschatzes  und  der  vielen  standes- 
sprachlichen  Ausdrucke  iiberhaupt  nicht 
sonderlich  zu  ttbungen  im  freien  Ge- 
brauch  des  Deutschen  eignen  diirfte. 

Das  dritte  Buch  von  Schillers  Ge- 
schichte des  dreissigj&hrigen  Krieges 
hat  der  Zwolferausschuss  als  geigneten 
Lesestoff  fiir  das  dritte  Jahr  des  deut- 
schen Unterrichts  an  Mittelschulen  em- 
pfohlen.  Eine  Auswahl  aus  Schillers 
Darstellung  mit  besonderer  Riicksicht  auf 
die  Geschichte  Gustav  Adolfs  und  Wal- 
lensteins  hat  schon  1899  Prof.  Palmer 
bei  H.  Holt  &  Co.  in  New  York  erschei- 
nen  lassen.  Dieser  vorziiglichen  Ausgabe 
gegeniiber  fallt  die  Prettymansche  (2), 
die  den  ganzen  Text  des  dritten  Buches 
bietet,  in  Einleitung,  Anmerkungen  und 
Ausstattung  stark  ab.  So  enthalt  die 
Einleitung  kein  Wort  iiber  den  offen- 
baren  Zwiespalt  in  Schillers  Darstellung 
des  Charakters  und  der  Motive  des 
Schwedenkb'nigs  am  Anfang  und  am  En- 
de  des  Buches;  keine  Anmerkung  spricht 
von  der  heute  unumstrittenen  Tatsache, 
dass  die  Zerstorung  Magdeburgs  nicht 
das  Werk  Tillys,  sondern  das  der  Vertei- 
diger  war ;  kleine  ttbersichtsplane  wie  die 
in  Palmers  Ausgabe  wiirden  das  Ver- 
stiindnis  der  Schlachtenschilderungen  we- 
sentlich  erleichtern;  und  ganz  ungenii- 
gend  ist  die  Karte  von  Deutschland  im 
17.  Jahrhundert  auf  S.  132, — eine  nicht 


126 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


in  Farben  gegebene  Karte  des  damaligen 
Deutschland  ist  und  bleibt  eben  ein  Un- 
ding,  dem  gegeniiber  die  buntscheckigste 
Ostereierfarbenmusterkarte  der  trber- 
sichtlichkeit  halber  vorzuziehen  ist. 
Einen  sinnstorenden  Fehler  enthalt  die 
Einleitung,  S.  IV  Z.  1,  wo  Schiller  1783 
als  Theaterdichter  in  Meiningen  (statt 
Mannheim)  angestellt  wird;  auch  konnte 
man  aus  der  Darstellung  einige  Zeilen 
spliter  die  Ansicht  gewinnen,  Schiller 
habe  von  1787  an  bis  1789  bestandig  in 
Weimar  gelebt.  S.  IV  Z.  4  v.  u.  lies 
Diintzer;  S.  35  Z.  2  lies  Alliierten.  Der 
Name  Donauworth,  in  welcher  Form  ihn 
das  ( unvollstandige )  Ortsverzeichnis  am 
Schlusse  gibt,  erscheint  im  Text  in 
Schillerscher  Schreibung  mit  e  statt  6. 
In  Schulausgaben  diirfte  es  wohl  ange- 
zeigt  sein,  solche  Namen  in  der  heutigen 
Fassung  zu  geben;  z.  B.  auch  Kastel  (S. 
25  Anm.  2)  statt  der  friiheren  Form 
Kassel,  besonders  wenn  das  einzige  auf 
der  Karte  erscheinende  Kassel  das  an 
der  Fulda  ist.  Zu  S.  1  Anm.  3  ist  hinzu- 
zufiigen,  dass  die  Form  ,,Europens"  heute 
nur  noch  im  hohe'ren  Stil  gestattet  ist. 
Anmerkungen  waren  erwiinscht  an  fol- 
genden  Stellen:  S.  2  Z.  6:  die  heute  ge- 
brauchliche  Form  fiir  das  Schillerschfe 
Ligue  ist  das  lateinische  Liga.  S.  4  Z. 
6:  Unmacht,  heute  Ohnmacht.  !S.  8  Z. 
32:  Reinigkeit,  heute  Reinheit.  S.  12  Z. 
23:  Upsal,  heute  allgemein  Upsala.  S. 
13  Z.  14  (und  S.  34  Z.  29)  :  Traktaten, 
heute  ganz  uniiblich  fiir  Verhandlungen. 
S.  20  Z.  13  (und  ofters)  :  wahrend  dass, 
heute  nur  wahrend.  S.  21  Z.  22 :  Pfaffen 
hier  nicht  im  verachtlichen  Sinne  ge- 
braucht.  S.  29  Z.  10:  Gymnasium  als 
allgemeiner  Name  der  deutschen  Mittel- 
schulen  ungeniigend  erklart.  S.  45  Z.  2: 
Magdeburg  nicht  von  Tilly  eingeaschert ; 
s.  o.  S.  46  Z.  22:  abgeschildert,  heute 
geschildert.  (Hier  ware  ein  Verweis  auf 
den  heute  noch  in  Franken  iiblichen  Kin- 
derreim  ,,Kindle,  Kindle,  bet'!  Jetzund 
kummt  der  Schwed'!"  nicht  unange- 
bracht.)  S.  52  Z.  3:  welche,  in  solcher 
Fiigung  heute  nur  die.  S.  95  Z.  27: 
Lagern,  heute  ohne  Umlaut.  S.  126  Z. 
24:  Warum  nicht  ruhig  ,nur*  statt  ,nun' 
einsetzen  und  die  Anmerkung  demgemass 
andern?  S.  129  Z.2:  inTrummern  (Dativ 
des  Plurals)  fallen  findet  sich  auch  heute 
noch,  ebenso  in  Stiicken  schlagen,  gehen, 
u.  s.  w.,  wenn  auch  selten.  S.  131  Z.  21 : 
mit  Unruh'  und  Neide,  heute  nur  Neid. 
Ein  genaueres  Nachprufen,  als  ich  mir 
gestatten  konnte,  wird  vielleicht  noch 
mehr  Punkte  entdecken,  die  einer  nahe- 
ren  Erklarung  bedurfen.  Zur  raschen 
Lektiire  mag  sich  die  Prettymansche 
Ausgabe  eignen;  zu  eingehenderer  Be- 


schiiftigung   jedoch    ist    die    Palmersche 
entschieden  vorzuziehen. 

Edwin  C.  Roedder. 
University    of    Wisconsin. 

German  Daily  Life.  A  reader  giving 
in  simple  Gernian  full  information  on  the 
various  topics  of  German  life,  manners, 
and  institutions.  By  R.  Kron,  Ph.  D. 
(Goettingen).  Newson  &  Company,  New 
York. 

One  of  the  most  fascinating  little 
books  that  I  have  ever  seen  in  many  a 
day  is  Kron's  "German  Daily  Life."  As 
Mr.  Buell  says  in  the  Introduction: 
"Such  a  book  as  this  will  be  a  valuable 
addition  as  a  reader  to  any  course.  The 
language  is  pure,  the  style  excellent,  the 
matter  interesting  and  valuable.  One 
hour  a  week  for  a  year  will  be  sufficient 
to  complete  it.  It  will  yield  rich  returns 
for  all  the  time  spent  in  the  light  which 
it  will  throw  upon  literature  and  hist- 
ory." It  can  well  be  taken  as  the  basis 
for  work  in  the  practical  use  of  the 
language.  All  the  subjects  treated  have 
a  human  interest,  and  there  is  hardly  a 
dry  page  among  the  nearly  three  hun- 
dred that  make  up  the  book. 

About  forty  pages  are  devoted  to 
Alltagsdeutsch.  This  part  is  a  mine 
of  information,  and  contains  much  that 
cannot  be  found  elsewhere,  and  that 
could  be  collected  only  after  long  resi- 
dence in  Germany.  It  comes  to  the  assis- 
tance of  students  where  dictionaries  fail. 
The  student  is  properly  warned  to  use 
with  caution  the  words  and  phrases  here 
gathered  together. 

The  work  can  be  recommended  for  use 
in  secondary  schools  or  college. 

Newson's  First  German  Book.  By  8. 
Alge,  8.  Hamburger,  Walter  Rippmann, 
and  Walter  H.  Buell.  Newson  &  Com- 
pany, New  York. 

Te  method  of  this  book  presupposes 
that  German  will  be  the  language  of  the 
class-room,  but  it  is  not  considered  an 
unpardonable  sin  by  the  authors  for  the 
teacher  to  use  an  English  word  when  it 
will  contribute  to  accuracy  of  thought 
and  economy  of  time.  The  book  is  in- 
tended for  the  use  of  children;  for  their 
private  study  are  appended  on  folded 
sheets  reduced  copies  of  four  Holzel  pict- 
ures representing  the  seasons.  The  value 
of  these  is  doubtful.  The  main  body  of 
the  work  does  not  differ  essentially  from 
other  publications  of  the  kind. 

The  vocabulary  gives  a  complete  sent- 
ence with  each  word,  the  principal  word 
being  indicated  by  black  type.  The  ad- 
vantage in  this  plan  is  that  the  student 
is  led  to  think  of  the  word  not  as  an  in- 


BUcberbesprecbungen . 


127 


dividual  but  as  belonging  in  a  group  with 
a  connected  meaning.  In  each  case  there 
is  a  reference  to  the  exercise  in  which  the 
word  occurred  for  the  first  time.  The 
choice  of  these  illustrative  sentences  is 
of  course  arbritrary.  Following  the 
vocabulary  are  poems  that  are  intended 
to  be  read  with  some  of  the  lessons  in  the 
earlier  part  of  the  book.  The  vocabulary 
of  each  poem  is  similar  to  that  of  the 
lesson  with  which  it  is  intended  to  be 
used.  For  instance,  lesson  seventeen  deals 
principally  with  birds,  and  the  compan- 
ion poem  is  Hoffmann  von  Fallersle- 
ben's  Das  Lied  der  Vogel.  Of  the  thirty- 
three  poems,  seventeen  are  by  this  poet. 
A  more  representative  selection  might 
have  been  made. 

At  the  end  of  the  book  a  few  pages  are 
devoted  to  phonetics,  that  is,  there  are 
ten  exercises  transcribed,  without  com- 
ment, into  phonetic  notation.  The  sys- 
tem of  the  Association  Phon6tique  Inter- 
nationale is  used. 

This  "First  German  Book"  will  attract 
young  pupils,  and  it  is  well  arranged  for 
use  in  the  secondary  schools  of  about  the 
grade  of  the  grammar-school. 

Newson's  German  Reader.  By  8.  Alge, 
Walter  Rippmann,  and  Walter  H.  Buell. 
Newson  &  Company,  New  York. 

The  authors  of  this  Reader  start  with 
the  conviction  that  the  problem  of  teach- 
ing pupils  to  think  and  to  express  them- 
selves in  a  foreign  language  has  found 
no  satisfactory  solution,  and  they  hold 
that  the  end  can  be  most  nearly  approxi- 
mated by  making  a  part  of  the  work  for 
every  recitation  consist  in  the  thorough 
mastery  of  short  selections,  which  are  in- 
teresting to  the  pupil  and  stimulating  to 
his  imagination.  And  so  the  book  they 
have  produced  concerns  itself  with  the 
home  and  familiar  objects  of  the  street, 
and  with  poems  and  stories  that  are 
within  the  grasp  and  the  experience  of 
every  pupil.  There  are  a  few  illustra- 
tions, designed  to  assist  the  pupil  by  pre- 
senting to  his  eye  the  objects  mentioned 
in  the  lessons.  For  instance,  the  picture 
entitled  Die  Wohnung  will  have  special 
interest  for  young  pupils  for  it  shows 
the  interior  of  a  German  home,  and  they 
will  thus  be  enabled  to  grasp  at  a  glance 
the  essential  characteristics  of  German 
style  of  household  furniture  and  domes- 
tic arrangement.  Nearly  all  the  lessons 
are  closed  with  three  topics:  Fragen, 
Grammatisches,  and  Aufgabe.  The  Fra- 
gen are  intended  to  stimulate  conversa- 
tion in  German;  the  names  of  the  other 
topics  indicate  their  character. 

The-  vocabulary,  which  is  an  interest- 
ing piece  of  work,  covers  more  pages  than 


the  main  part  of  the  book,  there  being 
116  pages  devoted  to  vocabulary  and  108 
pages  to  the  preceding  part.  The  whole 
vocabulary  is  in  German,  and  it  is  ele- 
mentary, clear,  and  rich  in  suggestion; 
it  contains  more  than  mere  definitions. 
Following  the  vocabulary  are  two  pages 
on  German  money,  weights,  etc.  The 
work  closes  with  a  short  collection  of 
Gedichte  and  Marchen. 

Charles  Bundy  Wilson. 

Choice  Songs.  Book  one.  Part  I,  con- 
taining one  and  two  part  songs.  Part 
II,  containing  two  and  three  part  songs. 
Selected  and  arranged  by  H.  0.  R.  Sie- 
fert,  Superintendent  of  Public  Schools, 
Milwaukee,  Wis.  Butler,  Sheldon  &  Co., 
Philadelphia,  New  York,  Chicago. 

Durch  die  vorliegende  Liedersammlung 
hat  der  Verfasser  sein  Material  von  fur 
die  Volksschule  passenden  Gesangen  ver- 
vollstandigt,  und  diese  bietet  nun  in 
Verbindung  mit  der  vor  drei  Jahren  er- 
schiedenen  Sammlung  fiir  Sopran,  Alt 
und  Bass  einen  liickenlosen  Liederkursus 
fiir  die  acht  Grade  der  Volksschulen. 
Was  wir  damals  an  der  ersten  Sammlung 
als  riihmenswert  hervorhoben,  gilt  auch 
von  der  vorliegenden,  deren  ganze  An- 
lage  den  praktischen  Schulmann  verrat. 
Nur  musikalisch  Wertvolles  ist  aufge- 
nommen,  und  der  Liederschatz  fast  aller 
Nationen  hat  Vertretung  gefunden,  aber 
die  uns  alien  so  lieben  deutschen  Volks- 
lieder  bilden  gleichsam  den  Grundstock 
der  Sammlung.  Auch  die  Texte  sind 
geschickt  gewahlt;  sie  sind  dem  Ver- 
standnis  der  Alterklassen,  fiir  die  die 
Lieder  bestimmt  sind,  angemessen  und 
ihrem  Inhalte  nach  dem  Charakter  der 
Melodie  angepasst.  Die  Sammlung  ent- 
halt  iiber  300  Gesange  und  wird  daher 
sowohl  dem  Geschmack  eines  jeden  Ge- 
sanglehrers,  als  auch  den  Bediirfnissen 
einer  jeden  Klasse  Rechnung  tragen  kon- 
nen. 

OrthographischesWorterbuch  der  deut- 
schen Sprache  von  Dr.  Konrad  Duden. 
Nach  den  fiir  Deutschland,  dsterreich 
und  die  Schweiz  giiltigen  amtlichen  Re- 
geln.  Siebente  Auflage.  Preis  1  M.  65 
Pf. — Von  dem  gleichen  Verfasser :  Ortho- 
graphisches  Worterverzeichnis  der  deut- 
schen Sprache.  Preis  geheftet  20  Pf.,  in 
Leinwand  gebunden  50  Pf.  Verlag  des 
Bibliographischen  Institutes  in  Leipzig 
und  Wien. 

Das  Dudensche  Worterbuch  oder  ,,der 
Duden",  wie  es  der  Volksmund  getauft 
hat,  erfreut  sich  seit  dem  Erscheinen  der 
ersten  Auflage  kurz  nach  dem  ersten  Er- 
lass  des  preussischen  Kultusininisters) 
beziiglich  der  Reform  der  deutschen  Or- 
thographie  einer  grossen  Popularitat,  so 


128 


P'ddagogische  Monatshefte. 


dass  es  gegenwiirtig  in  jeder  Frage  der 
deutschen  Orthographic  als  Autoritat  an- 
gesehen  wird.  Die  vorliegende  Auflage 
war  notwendig,  nachdem  im  letzten  Jah- 
re  weitere  Schritte  in  der  Orthographie- 
reform  getan  worden  sind,  auf  welche 
in  den  P.  M.  wiederholt  hingewiesen 
wurde.  Das  Worterbuch  hat  seit  seinem. 
ersten  Erscheinen  bedeutende  Erweite- 
rungen  erfahren.  Es  ist,  sowohlt  was 
die  auch  hier  nicht  fehlenden  Regeln  als 
was  den  auf  das  augenblickliche  Nach- 
schlagebediirfnis  berechneten  Wortschatz 
betrifft,  eine  volligeNeubearbeitung,  ohne 
dass  jedoch  an  den  altbewahrten  Grund- 
festen,  welche  das  Werk  jedem  Benutzer 
bisher  ebenso  wert  wie  unentbehrlich  ge- 
macht  haben,  geriittelt  worden  ware: 
VollstJindigkeit  der  zulassigen  Schrei- 
bungen  fiir  Worter  aller  erdenklichen 
Art,  wobei  insbesondere  auch  mundart- 
liche,  wissenschaftliche  und  technische 
Ausdriicke  beriicksichtigt  sind;  zahl- 
reiche  kurze  Wort-  und  Sacherklarungen, 
Verdeutschungen  von  Fremdwb'rtern, 
grammatische  Winke  u.  s.  w. ;  all  dies 
ist  geblieben,  nur  mit  Sorgfalt,  wie  es 
von  dem  auch  am  Zustandekomraen  der 
,,neuen  Rechtschreibung"  hervorragend 
beteiligten  Verfasser  nicht  anders  zu  er- 
warten  war,  auf  den  neuesten  Stand  und 
der  relativen  Vollstandigkeit  wieder  ei- 
nen  Schritt  naher  gebracht.  Alles  in 
allem,  das  alte  Buch  in  neuen  Formen, 
und  der  Empfehlung,  wenn  auch  nicht 
mehr  bediirftig,  so  doch  im  hb'chsten  Gra- 
de wert. 

Das  zweitgenannte  Worterverzeichnis 
ist  ein  Auszug  aus  dem  obengenannten 
Worterbuch  und  kann  als  der  im  Leben 
und  in  der  Schule  gleich  unentbehrliche 
orthographische  Hausrat  bezeichnet  wer- 
den. 


Zur  Jugcndschriftenfrage.  Eine  Samm- 
lung  von  Aufsatzen  und  Kritiken.  Mit 
dem  Anhang:  Empfehlenswerte  Biicher 
fiir  die  Jugend  mit  charakterisierenden 
Anmerkungen.  Herausgegeben  von  den 
vereinigten  deutschen  Prufungsausschiis- 
sen  fiir  Jugendschriften.  Leipzig,  Ernst 
Wunderlich,  1903.  Preis  M.  1.60;  geb. 
M.  2. 

Wer  je  einen  Einblick  in  die  ungeheure 
Menge  von  Jugendschriften  getan  hat, 
weiss,  wieviel  Wertloses,  ja  fiir  den  wer- 
denden  Charakter  des  Kindes  geradezu 
Gefiihrliches  sich  unter  denselben  be- 
findet.  Es  ist  das  Verdienst  der  deut- 
schen Jugendschriftenkommission,  das 
Material  zu  sichten  und  furchtlos  die 
Spreu  aus  dem  Weizen  zu  scheiden.  Hire 
monatliche  Veroffentlichung,  ,,die  Ju- 
gendschriftenwarte",  die,  nebenbei  ge- 
sagt,  kiirzlich  ihren  elften  Jahrgang  be- 
gann,  halt  den  deutschen  Lehrer  beziig- 
lich  aller  Neuerscheinungen  auf  dem  Ge- 
biete  der  Jugendliteratur  auf  dem  lau- 
fenden. 

Das  vorliegende  Buch  ist  gleichsam 
eine  Zusammenfassung  der  langjahrigen 
Arbeit  der  genannten  Kommission.  Auf 
den  143  Seiten  bringt  es  zunachst  einige 
Originalaufsiitze,  alsdann  eine  Auswahl 
von  Kritiken  zugleich  mit  einer  Inhalts- 
angabe  der  neueren  Jugendschriften,  end- 
lich  ein  Verzeichnis  empfehlenswerter 
Jugendlektiire.  Die  kurzen  Angaben  wer- 
den  geniigen,  um  die  Aufmerksamkeit 
unserer  Leser  auf  dieses  Werkchen  zu 
lenken.  Gerade  der  deutschamerikani- 
sche  Lehrer  kommt  sehr  haufig  in  die 
Lage,  Auskunft  oder  Ratschlage  beziig- 
lich  geeigneter  Jugendlektiire  fiir  unsere 
Jugend  erteilen  zu  miissen.  Da  wird  ihm 
dasselbe  als  wertvolles  Vademekum  die- 
nen  konnen.  M.  Q. 


II.      Eingesandte  Biicher. 


The  English  Language.  An  introduc- 
tion to  the  principles  which  govern  its 
right  use,  by  Frederick  Manley  and  W. 
~N.  Hailmann. ..  Boston,  C.  C.  Birchard 
&  Co.,  1903. 

The  Laurel  Readers,  a  Primer  by  W. 
N.  Hailmann,  illustrated  by  Marie  Estelle 
Tufts,  with  an  addition:  Suggestions  to 


Teachers.  C.  C.  Birchard  &  Co.,  1903. 
Der  Talisman,  dramatisches  Marchen 
in  vier  Aufziigen  von  Ludwig  Fulda. 
Edited  with  introduction  and  notes  by 
Edward  Stockton  Meyer,  Ph.  D.,  Asso- 
ciate Professor  of  German  in  the  Western 
Reserve  University.  New  York,  Henry 
Holt  &  Co.,  1903.  Price  35  cts. 


Padagogische  Monatshefte. : 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  April  1903.  Heft  5 

Nationaler  Deutschamerikanischer  Lehrerbund. 


Aufruf  zur  Beteiligung  an  der  33.  Jahresversammlung  in  Erie,  Pa., 
30.  Juni,  1.  2.  und  3.  Juli  1903. 


(Offiziell.) 

Zum  erstenmale  seit  dem  Bestehen  des  Lehrerbundes  findet  unsere 
Jahresversammlung  in  Erie  statt.  Fiir  die  Vortrage  sind  tuchtige 
Krafte  gewonnen,  und  der  Ortsausschuss  wird  alles  tun,  was  er  vermag, 
um  den  Besuchern  den  Aufenthalt  in  unserer  Stadt  zu  einem  angeneh- 
men  zu  machen. 

Erie  ist  fur  eine  Konvention  ausserordentlich  giinstig  gelegen ;  denn 
es  ist  vom  Osten  sowohl  als  auch  vom  Westen  leicht  zu  erreichen.  Die 
Stadt  bietet  mit  ihrer  ,,Presque  Isle  Bay"  mancherlei  Erinnerungen  an 
historische  Ereignisse.  Das  Klima  ist  daselbst  auch  im  Hochsommer 
ein  angenehmes,  und  fur  die  Bequemlichkeiten  der  Gaste  wird  in  Erie 
wohl  gesorgt  werden. 

Man  findet  hier  ein  kraftiges,  gesundes  Deutschtum,  und  die  Pflege 
der  deutschen  Sprache  in  der  Volksschule  erfreut  sich  eines  glucklichen 
Gedeihens. 

Wir  richten  an  alle  Lehrer  und  Freunde  der  deutschen  Sprache  und 
des  deutschen  Unterrichts  die  dringende  Bitte,  den  Lehrertag  recht  zahl- 
reich  zu  besuchen ;  nur  dann  konnen  wir  Erspriessliches  leisten.  Vieles  ist 
schon  geschehen,  aber  es  bleibt  noch  manches  zu  tun  iibrig. 

-  In  dem  Maihefte  der  P.  M.  wird  mit  dem  vollstandigen  Programme 


130  Padagogiscbe  Monatsbefte. 

auch  Auskunft  iiber  Wohnungsverhaltnisse,  sowie  iiber  Eisenbahn-  und 
Dampferverbindungen    gegeben  werden. 

Alle  Anfragen  bittet  man  an  den  Prasidenten  des  Lehrerbundes    zu 
richten. 

Der  Bundesvorstand. 
G.  G.  v.  d.  Groeben,  President,  Erie  High  School,    Erie,    Pa. 


Schiller,  Uhland  und  Hauff  in  ihrer  Bedeutung  fiir 

die  Gegenwart. 


Rede,  gehalten   bei   der  Jahresfeier    von    Schillers    Geburtstag  im 
Schiller- Verein  von  St.  Louis,  Nov.  1902. 


Yon  Dr.  Otto  Seller,  Washington  University,  St.  Louis,  Mo. 

Ein  Dreiklang  von  stolzen  Namen  ertont  am  Eingang  des  heutigen 
Festes.  Gehoren  sie  in  irgend  einem  tieferen  Sinne  zu  einander,  oder 
hat  sie  die  Willkiir  des  Vergniigungskommissars  bloss  verbunden,  um 
einen  bequemen  Festvorwand  zu  schaffen?  Welcher  Art  ist  das  Band,  das 
Schiller,  Uhland  und  Hauff  in  unserem  Geiste  umschlingt  ?  Hat  vielleicht 
nur  der  Zufall  sie  zeitlich  und  ortlich  verkniipft  ?  Denn  das  Schwabenland 
hat  alle  drei  geboren,  und  der  November  war  der  Schicksalsmonat,  der 
ihnen  das  Leben  oder  den  Tod  brachte. 

Dass  Schiller  und  Hauff  in  diesem  Monate  geboren  und  Uhland  und 
Hauff  in  demselben  gestorben  sind,  scheint  mir  an  sich  kein  ausreichender 
Grund  fiir  diese  Feier.  Denn  wollten  wir  die  Manner  der  Vergangenheit 
nach  dem  Hauskalender  gemeinsam  feiern,  so  gabe  es  oft  eine  wunder- 
liche  Zusammenstellung  unvertraglicher  Heiliger. 

Und  wenn  vollends  der  Schillerverein  mit  dem  heutigen  Feste  den 
Manen  der  drei  Dichter  eine  landsmannschaftliche  Huldigung  hatte  be- 
reiten  wollen,  so  ware  er  in  der  Wahl  des  Festredners  ebenso  ungliicklich 
wie  unvorsichtig  gewesen. 

Im  Namen  aller  nichtschwabischen  Teilnehmer  an  dieser  Feier  lege 
ich  Verfahrung  dagegen  ein,  dass  Schiller,  Uhland  und  Hauff  noch  fiirder 
nurals  Schwaben  betrachtet  werden.  Das  Schwabenland  hat  sie  uns  ge- 
schenkt,  heute  sind  sie  langst  alldeutsches  Eigentum,  und  wir  alle  erheben 
feierlich  Anspruch  auf  unseren  Anteil  an  dem  kostlichen  Besitze. 

Es  gibt  eine  ausgesprochen  bodenstandige  Heimatkunst,  und  wir  be- 
kommen  neuerdings  viel  von  ihr  zu  horen;  kein  Verstandiger  wird  die 
voile  Berechtigung  des  zum  enger  Volkstiimlichen  strebenden  Schrifttums 
in  Abrede  stellen,  dessen  Verdienste  schmalern  wollen.  Aber  es  gibt  denn 
doch  neben  dieser  regionalen  eine  in  die  hochsten  Spharen  des  Gedankens 


Schiller,  Ubland  und  Hauffin  ihrer  Bedeutung  ftir  die  Gegenwart.  131 

hinantragende  Menschheitkunst,  und  ihr  Gesichtsfeld  reicht  weit  iiber 
jene  Grenzen  hinaus,  die  auf  der  Landkarte  blau  und  rot  und  grim  ange- 
strichen  sind. 

Im  weiten  Reiche  dieser  Kunst  haben  sich  unsere  drei  Dichter  mit  Eh- 
ren  das  Burgerrecht  erworben.  Es  hangen  aber  ihre  Namen  in  der  Tat 
nicht  durch  Zufallslaune,  bloss  ausserlich,  sondern  durch  Faden  von  bin- 
dender  Kraft  auch  innerlich  zusammen.  Unsere  fortdauernde  Anhang- 
lichkeit  an  Schiller,  Uhland  und  Hauff  erklart  die  sie  einigende  Haupt- 
eigenschaft :  sie  waren  insgesamt  grosse  Volksdichter.  Auf  diesen  Ruhm 
haben  sie  das  gleiche  Anrecht,  so  ungleich  ihre  Grosse  sonst:  denn  wer 
erschiene  nicht  kleiner  neben  der  Erhabenheit  Schillers  ? 

Sie  waren  alle  aus  einer  grossen  ,,Kunstperiode"  hervorgegangen. 
Der  Romantik  wie  dem  Klassizismus  lag  als  Haupttendenz  dieselbe  Ent- 
schlossenheit  zu  Grunde,  sich  der  armseligen  deutschen  Umgebung,  mit 
deren  Erbarmlichkeit  die  Kunst  nichts  anzufangen  wusste,  durch  den 
Flug  in  eine  ideale  Welt  zu  entziehen.  Erst  die  Spatromantik  schlug  die 
verbindende  Briicke,  so  dass  die  Dichtung  wieder  den  Fuss  auf  deutsche 
Erde  setzen  konnte.  Es  ware  also  gar  nicht  zu  verwundern  gewesen, 
wenn  ein  Schiller  sich  in  vornehmer  Abgeschlossenheit  mit  seinen  Werken 
nur  an  die  kleine  Gemeinde  gewandt  hatte,  mit  deren  Beifall  sich  Goethe 
begniigte.  Statt  dessen  wirkte  er  mit  alien  Kraften  fur  den  weitesten 
Kreis.  Und  ebenso  standen  auch  Uhland  und  Hauff  nicht  als  Priester 
eines  Geheimkultus  an  der  Tempelpforte  und  wehrten  den  Profanen,  son- 
dern sie  schufen  ihrem  Worte  eine  breite  Resonanz  in  der  ganzen  bil- 
dungsfahigen  Masse  ihres  Volkes. 

Dass  der  kraftige  Schaffenstrieb  bei  jedem  der  drei  Volksmanner 
anders  durchschlug,  lag  in  ihrer  natiirlichen  Verschiedenheit.  Durch  spe- 
zifische  Beanlagung  wurden  sie  einzeln  auf  die  entsprechenden  Hauptge- 
biete  kiinstlerischer  Tatigkeit  geleitet,  und  es  durften  die  jiingeren  Dichter 
erganzend  in  die  Lucken  von  Schillers  kolossalem  Werke  treten. 

Schiller  war  vornehmlich  Dramatiker.  Fast  ist  man  versucht  zu  sa- 
gen  ausschliesslich,  so  sehr  wiegt  der  dramatische  Charakter  auch  in  je- 
nen  Schillerschen  Werken  vor,  die  ausser  den  Schauspielen  heiite  noch  ein 
lebendiger  Bestandteil  unseres  nationalen  Schrifttums  sind.  Das  trifft 
namentlich  auf  die  grossen  Balladen  zu,  mit  ihrem  belebten  Tempo,  ihrer 
szenischen  Ausstattung,  getragenen  Rhetorik,  plastischen  Gruppierung, 
kurz,  wenn  ich  den  Ausdruck  in  tiefster  Ehrerbietung  anwenden  darf, 
ihrer  Theatralik.  An  der  dramatischen  Technik  hat  gleichfalls  die  re- 
flektive  Dichtung  teil;  zumal  deren  vollendetste  Leistung,  das  Lied  von 
der  Glocke.  Rein  lyrische  Gedichte  finden  sich  bei  Schiller  so  gut  wie 
garnicht. 

Ja  sogar  seine  historiographischen  Werke  durchzieht  eine  machtige 
dramatische  Unterstromung.  Wahrend  der  Geschichtsphilosoph  Schiller 


132  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

schon  vorschauenden  Geistes  die  moderne  entwicklungsgeschichtliche  Er- 
kenntnis  teilt,  dass  es  die  sozialen  Krafte  sind,  die  den  Werdegang  der 
Menschheit  im  wesentiichen  bestimmen,  so  greift  er  doch  zur  Darstellung 
nur  die  konvulsivischen  Ereignisse  heraus,  die  den  stetigen  Gang  der  lang- 
sam  arbeitenden  aber  tmendlich  feinmahlenden  Gottermiihle  scheinbar  un- 
terbrechen ;  und  er  wahlt  mit  Vorliebe  historische  Handlungen,  auf  deren 
Verlauf  die  iiberragende  Einzelperson  ausschlagebend  wirkt.  Tritt  sodann 
der  Ausnahmsmensch  vom  Schauplatz,  so  nimmt  Schillers  Anteil  ersicht- 
lich  ab,  so  dass  er  beispielsweise  die  Geschichte  des  dreissigjahrigen  Krie- 
ges  nach  dem  Hingang  der  grossen  Gegenspieler  Gustav  Adolf  und  Wal- 
lenstein  nur  mit  erlahmtem  Interesse  zu  Ende  zu  fiihren  vermag. 

Wie  Schiller  zum  Dramatiker,  war  Uhland  zum  Lyriker  pradesti- 
niert ;  es  sind  darum  auch  unter  seinen  dichterischen  Erzeugnissen  einzig 
die  Gedichte,  denen  die  Gegenwart  ein  unaffektiertes  Verstandnis  entge- 
gentragt.  In  sehr  weiten  Kreisen  ist  der  Irrtum  zu  Hause,  dass  sich  das 
lyrisch  hochbegnadetelndividuum  nurdurch  rucksichtslose  poetischeSelbst- 
durchsetzung  bekunde,  wie  sie  zum  klassischen  Beispiel  Heinrich  Heine 
iibte.  Und  da  mag  es  zunachst  befremden,  wie  wenig  uns  Uhlands  Lyrik 
von  der  Eigenart  seiner  tiefen  Personlichkeit  verrat.  Nun  ist  es  unwider- 
ruflich  wahr,  dass  alle  echte  Lyrik  subjektiv  ist,  was  aber  nicht  bedeutet, 
dass  der  Dichter  eine  einzigartige  Personlichkeit  zu  besitzen  oder,  falls  er 
sie  hat,  ungemildert  hervorzustellen  braucht.  Wie  hatte  sonst  das  Volks- 
lied  entstehen  konnen  ? 

Gerade  mit  letzterem  nun  hat  Uhland  die  Quelle  der  Popularitat 
gemein :  das  Ich  verbleibt  allemal  innerhalb  einer  umfangreichen  Katego- 
rie,  und  statt  wie  etwa  Heine  im  Gedicht  vor  alien  Dingen  ein  eigenmensch- 
liches  Dokument  zu  liefern,  leiht  sich  der  Sanger  zum  naturgemassen  Or- 
gan einer  gleichgestimmten  Vielheit. 

Somit  erfiillt  Uhland  schwerlich  Emile  Zola's  bekannte  Forderung, 
die  Dichtung  solle  einen  durch  ein  Temperament  hindurch  betrachteten 
Weltausschnitt  zeigen.  Im  Gegenteil:  er  selbst  schaut  die  Aussenwelt 
durch  das  Medium  des  poetischen  Volksgemiits.  Kein  loderndes  Tem- 
perament setzt  hier  den  Hebel  an  zur  poetischen  Tat,  sondern  umgekehrt, 
der  Dichter  selbst  ist  Werkzeug  der  ihn  unwiderstehlich  zu  sich  hinziehen- 
den  Naturseele. 

Von  der  willensfreien,  herben  Energie  Schillers  steht  diese  Art  fernab. 
Was  Wunder,  dass  vor  Uhlands  Kunst  die  Dinge  sich  diskret  in  den  letzten 
Schleier  einhiillen  !  So  erscheinen  sie  niemals  scharf  profiliert ;  umsomehr 
verweilt  unsere  Aufmerksamkeit  bei  den  typischen  Reizen  von  Kontur 
und  Form :  die  edlen  Konige,  zarten  Burgfraulein,  zierlichen  Ritter,  from- 
men  Hirtenknaben,  blinden  Harfner  sind  alte  Hebe  Bekannte.  Und  auch 
Bach  und  Baum,  Blume  und  Stern  meinen  wir  von  jeher  ganz  so  geschaut 
zu  haben. 


Schiller,  Uhland  und  Hauffin  ihrer  Bedeutung  fUr  die  Gegenwart.  133 

Dass  Hauff,  der  ausgezeichnete,  in  mehr  als  einer  Hinsicht  uniiber- 
troffene  Erzahler,  gleichfalls  seine  Kunstgattung  in  Gemassheit  seiner 
natiirlichen  Begabung  wahlte,  bedarf  keines  naheren  Nachweises. 

Nach  dem  Erscheinen  von  Scotts  "Waverley"  (1814)  wurde  auch  in 
Deutschland  die  vaterlandische  Geschichte  zu  einem  Lieblingsgegenstand 
zahlreicher  Nacheiferer  und  Nachahmer.  Aber  Wilhelm  Hauff  war  kein 
blosser  Epigone,  sonst  hatte  seine  ,,romantische  Sage  aus  der  wurttem- 
bergischen  Geschichte",  Lichtenstein,  nicht  im  Gegensatz  zu  den  ephe- 
meren  Biichern  der  Modeschriftsteller  vor  der  hochsten  Instanz  des  lite- 
rarischen  Urteils,  vor  der  unumstosslichen  Kritik  der  Zeiten,  bestanden 
und  nun  schon  beinahe  achtzig  Jahre  sich  unerschiittert  in  der  Gunst  eines 
ungeheueren  Leserkreises  erhalten.  Eine  nicht  minder  reiche  Lebensader 
schlagt  in  seinen  anmutigen,  ergreifenden  Novellen,  seinen  von  Trinker- 
weihe  durchwehten  ,,Phantasien  im  Bremer  Ratskeller"  und  in  den  zeit- 
satirischen  ,,Memoiren  des  Satan".  Sie  alle  haben  deshalb  ihre  wohlver- 
diente  Popularitat  in  unsere  fernliegende  Zeit  heriibergerettet. 

Jede  Zeit  muss  sich  ihre  eigenen  Wegweiser  erzeugen ;  aber  die  Rich- 
tung  geben  die  unverganglichen  Werke  der  Meister.  Um  die  Nachwir- 
kung  der  von  Schiller,  Uhland  und  Hauff  aufgestellten  Muster  zu  wiirdi- 
gen,  werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  ihr  Vollbrachtes. 

Den  Dichtern,  deren  Andenken  dieser  Tage  hier  und  anderorts  geehrt 
wird,  war  die  Zeit  karg  zugemessen.  Schiller  erlag  der  Krankheit  im 
sechsundvierzigsten  Jahre  seines  Lebens,  nachdem  er,  schon  lange  todes- 
wund,  seinem  gebrechlichen  Korper  vermoge  einer  unerhorten  Willens- 
kraft  die  grossartigsten  Leistungen  abgetrotzt  hatte.  Wenn  man  von 
Schiller  sagt,  er  habe  mit  seinem  Herzblut  geschrieben,  so  ist  das  nur  zum 
kleinsten  Teile  Phrase.  Denn  er  hatte  ungefahr  seit  1798  bei  klarer  Er- 
kenntnis  der  Gefahr  seine  Arbeitskraft  unausgesetzt  iiber  die  Grenze 
menschlicher  Leistungsfahigkeit  hinaus  angespannt  und  um  seine  gro- 
ssen  Dramen  den  teuren  Preis  der  besten  Mannesjahre  willig  hingegeben. 
Selten  ist  die  Macht  des  Geistes  so  vollig  des  physischen  Gebrechens  Herr 
geworden.  Keine  Spur  von  Krankheit  haftet  an  Schillers  Meisterwerken. 
Vom  Wallenstein  bis  zum  Demetrius,  welch  eine  Bergfahrt  im  Alpen- 
lande  der  Kunst !  Da  geht's  von  der  Hohe  der  Vollkommenheit  immer  noch 
aufwarts  zu  neuen  Hohen.  Und  wie  nahe  war  der  Demetrius,  in  welchem 
wohl  der  Aufstieg  gegipfelt  hatte,  seiner  Vollendung,  als  Schiller  mitten 
im  Arbeiten  und  Planen  dahingerafft  ward!  Kein  anderes  Schillersches 
Werk  vermag  uns  in  gleichem  Grade  in  personliche  Beziehung  zum  Dich- 
ter  zu  setzen,  wie  der  Demetrius.  Unter  den  nachgelassenen  Fapieren 
sind  die  Vorarbeiten  zu  diesem  Schauspiel  bis  auf  den  unbedeutendsten 
Zettel  erhalten.  Vom  formlosen  Rohstoff  konnen  wir  die  mahliche  Em- 
porbildung  des  Kunstwerks  bis  zur  edlen  Harmonic  der  zur  Vollendung 
gediehenen  Teile  in  der  Werkstatte  des  Meisters  beobachten. 


134  P'ddagogische  Monatsbeftt. 

Sei  es  mir  gestattet,  jede  iiberfliissige  Anpreisung  von  Schillers  allbe- 
kannten  Grosswerken  zu  unterdriicken,  und  im  Geiste  das  zu  uberfliegen, 
was  Schiller  noch  fur  die  Zukunft  gewollt  und  bedacht. 

Uberreichliches  Arbeitsmaterial  lag  in  seiner  unerschopflichen  Vor- 
ratskammer  aufgespeichert.  Auf  der  letzten  Seite  von  Schillers  Notiz- 
buch  sind  einunddreissig  Dramen  verzeichnet,  von  denen  sechs  als  fertig 
durchstrichen  sind.  Nicht  alle  Entwiirfe  waren  bis  zur  Niederschrift  ge- 
diehen ;  bei  mehreren  diirften  die  Aufzeichnungen  verloren  sein. 

Eine  ganze  Reihe  Helden  aus  der  deutschen  Geschichte  harrte  von 
fruherher  der  gestaltenden  Hand  desDramatikers :  ,,GustavAdolf,Friedrich 
der  Grosse,  Bernhard  von  Weimar,  Ludwig  von  Bayern,  Friedrich  von 
Osterreich.  Die  vorhandenen  sechzehn  schriftlichen  Entwurfe  gewahren 
Einblick  in  die  weltumfassenden  Aufgaben,  mit  denen  sich  Schillers  Rie- 
sengeist  trug.  In  den  ,,Maltesern"  sollte  gleichwie  in  der  griechischen 
Tragodie  ein  einheitlicher  Chor  die  Handlung  begleitend  durchschreiten. 
Ein  eigentliches  Charakterdrama  ware  hingegen  ,,Agrippina"  geworden, 
denn  nach  Schillers  Absicht  sollte  Neros  Mutter,  ohne  ihren  iiberlieferten 
abscheuerrengenden  Charakter  abzulegen,  dem  Horer  nichtsdestoweniger 
ein  reichliches  Teil  menschlichen  Mitleids  entlocken. 

Der  Romertragodie  hatte  der  ,,Tod  des  Themistokles"  gegeniiberge- 
standen,  ein  grossziigiges,  farbensattes  Abbild  griechischen  Lebens. 

In  anderen  Entwiirfen  steht  statt  des  historischen  Moments  ein  ethno- 
graphisches  in  der  Mitte.  Wir  konnen  uns  kaum  die  allerentfernteste 
Vorstellung  machen,  wie  Schiller  in  den  Schauspielen  ,,das  Schiff"  und 
,,die  Flibustiers"  den  zentralen  Gedanken  herausgearbeitet  hatte.  Enorme 
stoffliche  Schwierigkeiten  waren  da  zu  bewaltigen.  Die  Konzeption 
entsprang  der  Lektiire  von  Beschreibungen  des  Seelebens  und  uberseei- 
scher  Verhaltnisse.  In  lebensvollen  Bildern  sollten  geographische  Ent- 
deckungen,  die  buntesten  Episoden  und  krausesten  Abenteuer  des  See- 
mannsleben  zu  dem  Schicksale  der  Hauptpersonen  in  Wechselbeziehung 
gesetzt  werden.  Landen  und  Absegeln,  Sturm,  Scheitern  der  Schiffe, 
ausgesetzte  Mannschaft,  Leben  der  Kreolen,  Brand  im  Wasser,  verlo- 
rener  Anker,  Seebegrabnis ;  solche  und  mancherlei  ahnliche  Momente  ge- 
dachte  Schiller  in  diese  beiden  Stiicke  einzuflechten.  Er,  der  kein  grosse- 
res  Gewasser  als  die  Elbe  kaimte,  wollte  in  dem  einen  davon,  dessen  Hand- 
lung  sich  ganz  auf  See  abspielen  sollte,  das  ,,Schiff  als  eine  Heimat,  eine 
eigne  Welt"  darstellen. 

Ein  womoglich  noch  bunter  belebtes  Kulturbild  ware  das  Schauspiel 
,,die  Polizei"  geworden.  Urspriinglich  plante  der  Dichter  eine  zweiteilige 
Tragikomodie  uber  diesen  Stoff,  doch  gab  er  anscheinend  den  Gedanken 
an  das  Lustspiel  uber  den  Gegenstand  auf ;  hingegen  beschaftigen  sich  zwei 
Entwurfe:  ,,Narbonne,  oder  die  Kinder  des  Hauses"  und  ,,Die  Polizei", 


Schiller,  UHand  und  Hauffin  ihrer  Bedeutung  fttr  die  Gegenwart.  135 

ein  Schauspiel,  mit  dem  tragischen  Teile.  Den  Stoff  gab  das  gross- 
stadtische  Treiben  in  Paris  her,  das  Schiller  zwar  nicht  aus  der  Anschau- 
ung  kannte,  das  er  sich  jedoch  kraft  seiner  schopferischen  Phantasie  in 
greifbarer  Wirklichkeit  vorzustellen  imstande  war. 

Auch  auf  eine  Fortsetzung  der  Rauber  unter  dem  Titel  ,,die  Braut  in 
frailer"  hatte  Schiller  schon  seit  friiher  Zeit  seinen  Sinn  gerichtet.  Ferner 
hatte  er,  so  viel  uns  bekannt,  noch  folgende  Stiicke  vor:  ,,Elfriede",  aus 
der  Geschichte  der  Angelsachsen,  ,,Die  Grafin  von  Flandern"  und  ,,Der 
Graf  von  Konigsmark",  aus  anderen  historischen  Perioden  geschopft.  So- 
gar  einen  romantischen  Operntext :  ,,Rosamund  oder  die  Braut  der  Holle" 
nahm  der  Dichter  in  Arbeit. 

Von  all  diesen  Planen  sind  allerdings  nur  zwei  weit  genug  ausge- 
fiihrt,  um  dramaturgische  Beachtung  zu  verdienen :  Warbeck  und  Deme- 
trius. Aber  es  ist  leicht  zu  ersehen,  welch  eine  unermessliche  Fiille  von 
dichterischer  Tatkraft  noch  in  dem  rastlosen  Riesengeist  enthalten  war,  als 
die  gleichgiiltige  Hand  der  Natur  dazwischengriff  und  das  geweihte  Leben 
des  herrlichen  Mannes  unerbittlich  zerstorte.  Es  mutet  uns  an  wie  ein  bit- 
terer Hohn  des  Schicksals,  dass  nicht  lange  nach  Schillers  Hingang  sein 
wahlverwandter  Landsmann,  der  seelenvolle  Holderlin,  dreissigjahrig  in 
unheilbaren  Wahnsinn  verfiel,  und  dass  er,  fur  den  der  Tod  ein  wahrer  Er- 
loser  gewesen  ware,  noch  fast  vierzig  Jahre  hindurch  in  briitendem  Blod- 
sinn  fortvegetieren  musste. 

Ich  habe  auch  Ludwig  Uhland  zu  den  kurzlebigen  Dichtern  gezahlt; 
denn  obschon  er  ein  Alter  von  fiinfundsiebzig  Jahren  erreichte,  so  er- 
streckte  sich  seine  poetische  Fruchtbarkeit  iiber  wenig  mehr  als  acht  Jahre 
und  war  folglich  von  erheblich  kiirzerer  Dauer  als  diejenige  Schillers. 
Wahrend  dieser  kleinen  Spanne  hat  Uhland  seinem  vollen  Herzen  die 
quellenfrischesten  Tone  entstromen  lassen.  Bald,  und  fast  plotzlich,  ver- 
stummte  sein  Liedermund.  Das  seitherige  Streben  des  freisinnigen, 
opferwilligen  und  als  Politiker  wie  Gelehrter  hochbedeutenden  Mannes 
verfolgte  andere  Wege  als  die  blumigen  Pfade  im  Irrgarten  der  Poesie 
und  legte  dadurch  Zeugnis  ab  fur  eine  richtige  Selbstbewertung,  die  leider 
unter  den  Poeten  ebenso  selten  ist  wie  unter  den  Alltagsmenschen.  Als 
grazioser  Lebenskiinstler  sprach  Uhland  seiner  Muse  das  Goethesche  Ur- 
teil: 

Die  Jugend  ist  um  ihretwillen  hier, 
Es  ware  toricht,  zu  verlangen: 
Komm,  altle  du  mit  mir. 

Denn  das  tiefinnerste  Geheimnis  von  Uhlands  Wirkung  heisst :  Stim- 
mung,  und  der  Schliissel  dazu :  Jugend.  Die  liebliche  Romantik,  die  zarte 
Glut,  die  frauenhaft  keusche  Weltbetrachtung  und  der  erfrischende  Opti- 
mismus  seiner  Lieder,  das  ist  ein  Quickborn,  dessen  wir  nimmermehr  ent- 


136  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

behren  mochten.  Aber  er  sprudelt  nur  kurze  Zeit  in  einem  Herzen.  Kin 
Dichter  wie  Uhland  ist  zu  echt,  um  sich  wie  ein  ewiges  Paradigma  seiner 
Kunst  unaufhorlich  abzuwandeln.  Er  wird  nur  so  lange  singen,  bis  er 
seine  Welt  poetisch  ausgebeutet  hat.  Und  die  Grenze  ist  verhaltnis- 
massig  bald  erreicht. 

Dass  Schiller  sein  dichterisches  Lebenswerk  in  der  Vollreife  seines 
Konnens  abbrechen  musste,  war  ein  nationales  Ungliick.  Selbst  heute 
vermag  der  trostreiche  Gedanke  an  den  unverlierbaren  Besitz,  den  er  uns 
vollendet  hinterliess,  kaum  den  Schmerz  um  solch  jahen  Verlust  zu  sanf- 
tigen.  Von  einer  gewaltsamen  Beendigung  kann  bei  Uhlands  Dichtung 
nicht  die  Rede  sein.  Sein  poetisches  Vermachtnis  ist  in  keiner  Hinsicht 
stiickhaft;  sondern  es  ist  das  voile  Ertragnis  einer  echten  Dichterseele, 
die  sich  ausgelebt  hatte  und  von  der  Gunst  des  Tages  zu  unabhangig  war, 
als  dass  sie  sich  hatte  iiberleben  wollen. 

Mit  Hauff  verhielt  es  sich  anders.  Er  starb  fiinfundzwanzigjahrig, 
also  in  einem  Alter,  wo  Goethe  und  Schiller  keines  ihrer  reifen,  grosseren 
Werke  hervorgebracht  hatten.  ,,Dem  jungen,  frischen,  farbenhellen  Le- 
ben,  —  clem  reichen  Frtihling,  dem  kein  Herbst  gegeben" ....  —  zollte 
Uhland  in  den  Versen  ,,auf  Wilhelm  Hauffs  friihes  Hinscheiden"  das 
schonste  Totenopfer.  Und  ganz  Deutschland  betrauerte  mit  ihm  den 
hochbegabten  Jtingling,  der  in  seiner  zweijahrigen  schriftstellerischen 
Laufbahn  sich  aller  Herzen  erobert  hatte.  Wie  sich  sein  rasch  und  leicht 
produzierendes  Talent  weiterhin  entwickelt  hatte,  ob  Hauff  wirklich,  wie 
wohl  in  manch  einer  heftigen  Lobrede  verkiindet  wird/  in  raschem 
Siegeslauf  den  deutschen  Roman  zur  gleichen  Hohe  mit  dem  deutschen 
Schauspiel  und  dem  deutschen  Lied  emporgefiihrt  hatte,  dariiber  masse 
ich  mir  kein  Urteil  an.  Derlei  fein  abgewogene  Behauptungen  konnen 
nicht  bewiesen  und  brauchen  nicht  widerlegt  zu  werden. 

Wilhelm  Hauff  gebiihrt  das  unschatzbare  Verdienst,  den  deutschen 
Roman  in  gutem  Sinne  popularisiert  zu  haben,  indem  er  ihn,  ohne  seiner 
kiinstlerischen  Wiirde  etwas  zu  vergeben,  fur  das  Bedurfms  des  ausge- 
dehnten  Leserkreises  umschuf. 

Die  Klassiker  hatten  aus  naheliegenden  Griinden  das  Feld  des  histori- 
schen  Romans  und  der  unterhaltenden  Novelle  im  ganzen  ziemlich  brach 
liegen  lassen.  Wielands  ,,Agathon"  war  nach  Lessings  Meinung  ,,der 
erste  deutsche  Roman  fur  den  denkenden  Kopf  von  klassischem  Ge- 
schmack".  Ganz  zutreffend  bemerkt  Hauffs  Herausgeber  Felix  Bobertag 
(D.  N.  L.  Bd.  156,  9.)  :  ,,Wer  Romane  fur  Manner,  die  nach  Lessings 
Meinung  einen  denkenden  Kopf  und  klassischen  Geschmack  besitzen, 
schreibt,  bringt  die  Gattung  durch  die  Voraussetzung,  die  er  macht,  doch 
wohl  in  eine  Gefahr,  in  die  Gefahr,  fiir  ein  sehr  kleines  Publikum  ver- 
standlich  zu  sein.  Wer  wird  leugnen,  dass  Goethe  auf  diesem  Wege  wei- 


Schiller,  UUand  und  Hauff  in  ibrer  Bedeutung  fur  die  Gegemvart.  137 

tergegangen  ist  ?  Wer  sieht  nicht,  dass  Goethe  schon  mit  seinem  Werther, 
noch  viel  mehr  aber  mit  Wilhelm  Meister  und  den  Wahlverwandtschaften 
seiner  Nation  Offenbarungen  eines  Genies  vorlegte,  die  um  Offenbarun- 
gen  zu  sein  und  nicht  Geheimnisse  zu  bleiben,  eine  selbst  bei  den  ,,Gebilde- 
ten"  nur  selten  mogliche  Stufe  des  geistigen  Lebens  erforderten  ?"  Auch 
die  Romantiker  haben  das  Terrain  des  Romans  bepfliigt  —  ich  erinnere  an 
die  Novellensammlungen  Achims  von  Arnim  und  an  seinen  halbgeschicht- 
lichen  Roman  ,,Die  Kronenwachter"  —  aber  ihre  unverbesserliche  Sonder- 
art  zog  die  Furchen  zu  tief,  und  die  Saat  konnte  nicht  aufgehen.  Erst 
Hauff  hat  den  reichen  Acker  mit  dauerndem  Erfolg  angebaut.  Er  hat 
der  erzahlenden  Gattung,  ohne  ihren  asthetischen  Wert  herabzustimmen, 
einen  ausserordentlich  vermehrten  Anhang  verschafft,  den  Geschmack 
der  Leserwelt  fur  die  Folge  gehoben  und  dadurch  die  vaterlandische  Kul- 
tur  gefordert. 

Die  Namen  Schiller,  Uhland  und  Hauff  durfen  aber  insbesondere  in 
Anbetracht  der  Nachwirkung  ihrer  Trager  auf  das  geistige  Leben  der  Ge- 
genwart  fiiglich  zusammen  genannt  und  gefeiert  werden.  Es  gibt  keine  Er- 
scheinung  in  der  deutschen  Literatur,  die  sich  beziiglich  ihrer  praktischen 
Nachwirkung  auf  das  neunzehnte  Jahrhundert  mit  Schillers  Dramatik 
messen  kann ;  keinen  Sanger,  dessen  Lied  im  Volksherzen  lebendiger  nach- 
klingt,  als  Uhlands  Lied.  Und  auch  den  wohltatigen  Einfluss  Hauffs 
kann  man  kaum  zu  hoch  einschatzen :  seine  Schriften,  die  dem  Sehwinkel 
der  Vielen  nicht  entruckt  sind,  haben  durch  Stoff  und  Schreibweise  auf  die 
neuere  Erzahlkunst  unverloschlichen  Eindruck  gemacht.  Freilich,  Schil- 
lers Name  iibertont  mit  seinem  ehernen  Klange  die  beiden  anderen. 

Zweimal  hat  man  im  Verlaufe  des  neunzehnten  Jahrhunderts  den 
wahnwitzigen  Versuch  gemacht,  Schiller  seinem  Volke  zu  entfremden. 
Der  Versuch  ist  beide  Male  klaglich  gescheitert.  Der  Tag,  an  dem  das 
deutsche  Volk  Schiller  verleugnet,  ist  der  Tag  seines  hoffnungslosen  mo- 
ralischen  Bankerotts.  Moge  er  uns  nie  erscheinen !  Das  Verstandnis  fur 
Friedrich  Schiller  ist  am  modernen  Menschen  der  zuverlassigste  Grad- 
messer  ethischer  Kultur,  das  sympathische,  eindringende  Verstandnis,  das 
Schillers  Ideale  begreift  und  sie  gegebenen  Falles  in  Wirklichkeit  umzu- 
setzen  sich  nicht  scheut.  Des  hohlen  Lobes  ist  wahrhaftig  kein  Mangel. 
Und  wie  oft  ist  die  vorgebliche  Treue  gegen  sein  hehres  Werk  nichts  als 
eine  bequeme  Ausrede  fur  die  schnode  Ablehnung  alles  dessen,  was  in 
unserer  eigenen  bewegten  Zeit  nach  kunstlerischem  Ausdruck  ringt! 

Wir  haben  Goethe,  Schiller  ja,  wohl  sagt  ihr, 
Die  Klassiker!     Doch  ihrer  zu  gedenken, 
Wie  ihre  Namen  nur  zu  nennen  wagt  ihr? 
Sie  stehn  bestaubt  in  euren  Bucherschranken, 
Und  weislich  je  sie  aufzuschlagen  zagt  ihr. 


138  P'ddagogiscbe 

Lasst  euch  ein  Goldschnitt-Weihnachtsbuch  doch  schenken! 
Das  passt  fur  euch.     Allein  scheinheilig  preist 
Die  beiden  nicht,  und  Lessing  noch  und  Kleist. 

So  ruft  in  heller  Entriistung  derselbe  Paul  Heyse,  der  doch  wieder 
den  unvvandelbaren  deutschen  Glauben  an  Macht  und  Sieg  des  Ideals  mit 
folgenden  derben  Worten  bekennt :  ,,Man  mag  das  Ideal  mit  der  Mistgabel 
des  Naturalismus  hinauswerfen  so  oft  man  will,  es  kehrt  immer  wieder 
zuriick." 

Ein  jedes  Volk  bedarf  zu  seiner  vollstandigen  Bildung  zweier  Litera- 
turen.  Und  nun,  da  das  deutsche  Leben  genugsam  erstarkt  ist,  um  die 
schon  von  Lessing  herbeigesehnte  nationale  Realistik  zu  zeitigen,  diirfen 
wir  diese  mit  Freuden  als  eine  durchaus  rechtmassige  Kunstart  begriissen. 
Hochste  Poesie  ist  und  bleibt  dessenungeachtet  jene  beschwingtere  Kunst, 
die  ,,als  ein  weltliches  Evangelium  durch  innere  Heiterkeit  und  ausseres 
Behagen  uns  von  alien  irdischen  Lasten  zu  befreien  weiss." 

In  das  Gemeine  und  Traurigwahre 

Webt  sie  die  Bilder  des  goldenen  Traums. 

Die  an  leuchtenden  Vorbildern  wie  Schiller,  Uhland  und  Hauff  fest- 
haltende  Begeisterung  der  Deutschen  muss  auch  hiiben  in  Amerika  halb 
erloschene  Ideale  wieder  lebendig  werden  lassen. 

Das  ist  der  Sinn  dieser  Feier.  Sie  soil  dartun,  dass  wir  das  Beisam- 
menstehen  noch  nicht  verlernt  haben.  Und  beisammenstehen,  nicht  nur 
gelegentlich,  heisst  es,  wenn  wir  als  Burger  unsere  Pflicht  gegen  diese 
Republik,  die  uns  zum  Vaterlande  ward,  erfiillen  wollen.  Es  liegt  im 
vitalen  Interesse  der  Vereinigten  Staaten,  dass  wir  ihrer  werdenden  Kul- 
tur  die  besten  Faktoren  der  unsrigen  eingliedern.  Die  Zivilisierung  Ame- 
rikas  ist  erst  zur  Halfte  vollzogen.  Die  Signatur  seiner  bisherigen  Er- 
rungenschaft  auf  alien  Feldern  menschlichen  Tuns  ist  Geschicklichkeit. 
Das  amerikanische  Volk  bedarf  in  diesem  Zeitalter  mehr  als  jedes  andere 
der  Inspiration.  Wir  wollen  uns  nicht  umsonst  in  der  Riistkammer  un- 
serer  glorreichen  Vergangenheit  gewappnet  haben.  Namentlich  ist  es  die 
hochste  Zeit,  dass  in  der  Krise,  die  unser  materiell  voll  aufgebliihtes,  aber 
moralisch  und  asthetisch  versumpftes  Gemeinwesen  jezt  durchzumachen 
hat,  etliche  unserer  wohlbehiiteten  Ideale  in  den  politischen  Alltagsge- 
brauch  ubergehen. 

Die  Literaturwerke  hohen  Stils  gewinnen  ihre  eigentliche  Bedeutung 
fur  die  menschliche  Wohlfahrt  erst,  wenn  sie  in  werktatiges  Bemiihen 
iibersetzt  werden.  Sonst  bleiben  sie  in  alle  Ewigkeit  papierene  Erzeug- 
nisse. 


Allerlei  fiir  die  Schulpraxis. 

(Aus  nnsern  Tanschblattern.) 

Vom  Sitzenbleiben.  Durch  die  Arbeit  des  statistischen  Amtes*)  ist  die  Auf- 
merksamkeit  dem  Sitzenbleiben  in  erhohtem  Masse  zugewendet  worden.  Die  ausser- 
ordentlichen  Abweichungen,  die  sich  in  der  Statistik  zeigen,  lassen  sich  wohl  zum 
grossen  Teil  erklaren  durch  die  verschiedenartigen  Verhaltnisse  bei  einzelnen  Schul- 
gattungen  und  Schulen.  Zum  Teil  weisen  sie  aber  doch  auch  auf  eine  recht  ver- 
schiedenartige  Behandlung  der  Angelegenheit  durch  die  einzelnen  Kollegien  und  Kol- 
legen  bin.  Im  Interesse  einer  Kliirung  und  Vereinheitlichung  ist  es  deshalb  viel- 
leicht  am  Platze,  einmal  zusammenzustellen,  was  bei  der  Entscheidung  iiber  die  Ver- 
setzung  eines  Kindes  etwa  zu  beriiksichtigen  ist. 

Einig  ist  man  sich  wohl  dariiber,  dass  das  Sitzenbleiben  nicht  als  Strafe,  son- 
dern  als  Heilmittel  zu  betrachten  ist,  das  zum  Segen  des  betreffenden  Kindes  ange- 
wendet  wird.  Da  nun  aber  fast  von  alien  Betroffenen  und  namentlich  auch  meist 
von  den  Eltern  dasselbe  als  Strafe  und  oft  auch  als  Schande  empfunden  wird,  so  ist 
von  seiten  der  Schule  mit  alien  Mitteln  gegen  diese  falsche  Auffassung  anzukampfen. 
Vielleicht  wiirde  es  sich  empfehlen,  zur  geeigneten  Zeit,  vor  Schluss  des  Schuljah- 
res,  die  Tagespresse  dazu  zu  Hilfe  zu  nehmen.  Vor  allem  ist  natiirlich  ernste  Riick- 
sprache  mit  den  Eltern  notig.  In  der  Schule  sollte  man  sich  sehr  hiiten,  faulen  oder 
nachlassigen  Kindern  mit  dem  Sitzenbleiben  zu  drohen.  Bei  diesen  sind  andere 
Mittel  am  Platze. 

Ja,  miissen  denn  aber  iiberhaupt  die  Kinder  sitzen  bleiben?  Ist  nicht  gerade 
der  ein  besonders  fleissiger  und  geschickter  Lehrer,  dem  es  gelingt,  alle  seine  Kin- 
der ans  Ziel  zu  fiihren?  Wir  wollen  sehen.  Es  ist  unerlasslich,  dass  in  einer  ge- 
gliederten  Schule  fiir  jede  Klasse  ein  festbestimmtes  Ziel  gesetzt  wird.  Sehr  haufig 
ist  nun  leider  zur  wirklichen  Erreichung  desselben  ein  Idealschiiler  notig.  Aber 
nehmen  wir  an,  dass  man  bei  Festsetzung  des  Lehrplanes  einen  Durch schnittsschii- 
ler  im  Auge  gehabt  hat.  Was  wird  nun  aus  den  Kindern,  deren  Begabung  unter 
dem  Normalen  liegt?  Diejenigen,  die  dem  Durchschnitt  nahe  kommen,  werden  ja 
vielleicht  bei  besonderer  Anstrengung  noch  einigermassen  den  Anforderungen  genii- 
gen,  obwohl  auch  hier  schon  sich  Bedenken  regen.  Denn  es  ist  gerade  eine  Eigen- 
tiimlichkeit  schwacher  Begabung,  dass  die  Betreffenden  einer  dauernden  gesteigerten 
geistigen  Anstrengung  meist  unfahig  sind.  Alle  die  Schwachen  aber  in  der  Klasse, 
und  deren  gibt  es  stets  eine  erhebliche  Zahl,  werden  nicht  imstande  sein,  den  An- 
spriichen  zu  geniigen,  die  man  an  ihre  Kraft  stellen  muss.  Und  sich  mit  geringen 
Leistungen  begniigen,  das  heisst  hier  meist  gar  nichts  fordern.  Denn  wenn  ein  Kind 
eine  Aufgabe  nur  unter  Beihilfe  des  Lehrers  oder  erst  nach  andern  losen  kann,  dann 
hat  es  iiberhaupt  nichts  getan,  was  fiir  seine  geistige  Entwicklung  irgend  einen  Wert 
hat.  Daraus  ergibt  sich,  dass  unter  normalen  Verhiiltnissen  in  jeder  Klasse  eine 
ganze  Anzahl  Kinder  dem  Gange  des  Unterrichts  nicht  folgen  konnen. 

Was  wird  nun  mit  diesen?  Die  Allerschwachsten  pflegt  man  ja  zuriickzulas- 
sen,  aber  was  irgend  nur  notdiirftig  angeht,  wird  doch  oft  aus  den  verschiedensten 
Griinden  mit  fortgegeben.  Bald  genug  zeigen  sich  nun  aber  die  verderblichen  Fol- 
gen dieses  skrupellosen  Versetzens.  Ein  Kind,  das  die  Stoffe  der  niederen  Klasse 
nicht  sicher  beherrscht,  ist  natiirlich  unfahig,  das  in  der  hoheren  Klasse  Dargebo- 
tene  zu  erfassen  und  zu  verarbeiten.  Man  baut  nicht  ungestraft  auf  schwankendem 

*)  Leipziger  Schulstatistik  1901,  S.-A.  aus  dem  IQOOer  Verwaltungsbericht  der 
Stadt  Leipzig. 


140  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Grunde.  Die  Liicken  werden  grosser  und  grosser,  der  ganze  errichtete  Bau  immer 
lockerer  und  verworrener.  Das  verschlimmert  sich  von  Jahr  zu  Jahr,  und  das  Er- 
gebnis  sind  die  Kinder,  die  wir  mit  den  geringsten  Zensuren  aus  den  ersten  Klassen 
entlassen  miissen,  Kinder,  von  denen  wir  uns  zu  unserm  grossen  Schmerze  sagen, 
dass  alle  ihre  Miihe,  wie  alle  unsere  Arbeit  beinahe  vollig  vergeblich  war.  Diese 
Erfahrung  wird  jeder  machen,  der  mit  offenem  Auge  und  ohne  Selbsttauschung  hin- 
schaut.  So  gross  gewiss  auch  der  Segen  einer  abgeschlossenen  Ausbildung  ist,  so 
muss  man  angesichts  solcher  Kinder  doch  sagen,  dass  es  besser,  tausendmal  besser 
war,  wenn  sie  aus  der  zweiten,  ja  dritten  Klasse  entlassen  wurden,  wenn  ihnen  ein 
ganzes  Stuck  des  Baues  fehlte,  daftir  aber  der  Rest  ihr  selbsterworbener,  sicherer 
Besitz  war. 

Noch  viel  schwerer  ins  Gewicht  fallt  die  andere  Seite  der  Angelegenheit.  Wir 
betonen  sonst  so  sehr  unsere  Tatigkeit  als  Erzieher.  Ich  glaube,  dass  wir  doch 
zuweilen  unseren  Einfluss  in  dieser  Beziehung  etwas  iiberschatzen.  Allein  hier  wird 
durch  skrupellose  Versetzung  oft  so  direkt  schadigend  auf  den  Charakter  des  Kin- 
des  eingewirkt,  dass  der  Schaden  wohl  nie  wieder  gut  zu  machen  ist.  Wenn  Kinder 
den  Anforderungen  einer  Klasse  nicht  gewachsen  sind,  so  ist  es  ihnen  natiirlich  un- 
moglich,  dem  Unterrichte  zu  folgen.  Unaufmerksamkeit  und  Zerstreutheit  sind  die 
notwendige  Folge.  Strafen  hierftir  wurden  ungerecht  sein.  Welche  Naehteile  es 
aber  fiir  die  Willensentwicklung  eines  Kindes  haben  muss,  wenn  es  jahrelang  zer- 
streut  und  unaufmerksam  oder  doch  lediglich  zuschauend,  selbst  untatig  dasitzt, 
liegt  auf  der  Hand.  Dazu  kommt,  dass  solche  schwache  Kinder  sehr  bald  auch  von 
den  iibrigen  zuriickgesetzt  werden.  Die  Folgen  von  alledem  sind  aber  beinahe  vol- 
liger  Verlust  alles  Selbstvertrauens.  Auch  vor  angemessenen  und  leichten  Aufga- 
ben  schrecken  sie  zuriick,  und  es  halt  sehr  schwer,  sie  hier  und  da  doch  zur  eignen 
Arbeit  heranzuziehen.  Und  wie  leicht  erwacht  auch  im  Lehrer  eine  gewisse  Bitter- 
keit,  ein  Groll  gegen  Kinder,  die  immer  und  ewig  das  Hindernis  eines  frischen, 
frohlichen  Weiterstrebens  sind,  die  uns  so  manche  Stunde  der  kostbaren  Zeit  rau- 
ben.  Wie  leicht  trifft  ein  hartes  Wort  oder  herber  Tadel  das  Kind,  das  doch  im 
letzten  Grunde,  selbst  wenn  es  unaufmerksam  war,  unschuldig  ist.  Und  wie  wird 
einem  solchen  Kinde  die  goldne  Jugend  vergallt!  Wie  wird  das  Lernen  anstatt  zur 
Lust  zur  Qual!  Und  wie  bitter  ist  es  fiir  uns,  von  einem  solchen  Kinde  fordern 
zu  miissen,  was  es  nicht  leisten  kann.  Wie  gliicklich  ist  doch  dagegen  das  Kind, 
das  zur  rechten  Zeit  zuriickblieb,  das  eintrat  in  einen  neuen  Kreis  von  Mitschtilern, 
denen  es  gewachsen  ist  an  Leib  und  Geist.  Hier  kann  es  sich  frei  und  mit  Sicher- 
heit  bewegen.  Selbstvertrauen  und  Freude  an  eigner  Tatigkeit  kehren  zuriick.  Da- 
mit  wachsen  die  Krafte,  und  die  Schule  wird  zu  dem,  was  sie  sein  soil,  zur  Statte 
frohlichen  Lernens. 

Freilich  wird  man  sofort  einwenden,  dass  wohl  ein  Teil  der  Sitzengebliebenen 
dies  bestatige,  dass  dagegen  die  meisten  ein  ganz  anderes  Bild  darstellen.  Das  ist 
wahr.  Aber  der  Grund  daftir  ist  darin  zu  suchen,  dass  einmal  viele  der  Kinder, 
die  heute  aus  der  vierten  Klasse  entlassen  werden,  eigentlich  in  die  Hilfsschule  ge- 
horen,  dass  aber  vor  allem  die  Kinder  nicht  zur  rechten  Zeit  zuriickbehalten  wur- 
den. Wie  oft  werden  Kinder  versetzt  in  der  Hoffnung,  dass  spater  ,,der  Knoten 
reisst".  Das  geschieht  auch  gewiss  zuweilen.  Aber  ebenso  gewiss  ist  ein  solches 
Kind  dann  unfahig,  in  einer  hoheren  Klasse  bei  gelegentlichen  Repetitionen  aus 
eigner  Kraft  das  Wissen  und  Konnen  nachzuholen,  das  normale  Kinder  in  monate- 
und  jahrelanger  Arbeit  erworben  haben.  Ein  Erfolg  ist  nur  dann  moglich,  wenn 
das  Kind  auf  der  entspreehenden  Stufe  geblieben  ist.  Es  wiirde  naturgemass  der 
grosste  Prozentsatz  in  den  beiden  ersten  Schuljahren  zuruckbleiben  miissen,  und 
man  sollte  sich  hier  auch  vor  ziemlich  hohen  Zahlen  nicht  scheuen.  Solche  Kinder, 


Allerlei  ftir  die  Schulpraxis.  141 

die  dann  meist  im  nachsten  Jahre  zu  guten  Schiilern  werden,  sind  fur  den  Lehrer 
auch  keine  Last.  Ein  verspatetes  Sitzenlassen  in  hoheren  Klassen  ist  in  den  mei- 
sten  Fallen  vollig  nutzlos. 

Dies  fuhrt  zum  Schluss  zu  der  Frage:  Welches  ist  das  Mass,  das  wir  bei  der 
Beurteilung  der  Versetzungsfahigkeit  eines  Kindes  anlegen  miissen?  Es  besteht  in 
Leipzig  wohl  meist  die  Bestimmung,  dass  Kinder,  die  die  Hauptzensur  4,  aber  im 
Rechnen  und  Deutsch  Zensur  5  haben,  zuriickbleiben.  Das  heisst  also,  dass  Kin- 
der, welche  auch  nur  ganz  notdiirftig  das  Ziel  der  Klasse  erreicht  haben  —  und  sei 
es  auch  unter  Zuhilfenahme  von  Privatstunden  und  sonstiger  Druckmittel  —  doch 
mit  zu  versetzen  sind.  Ich  halte  das  nicht  fur  richtig.  Unter  dem  Drucke  der 
Verhaltnisse  gestaltet  sich  die  Sache  meist  noch  so,  dass  sich  der  Lehrer  die  Frage 
vorlegt :  Kann  ich  es  verantworten,  das  Kind  sitzen  zu  lassen  ?  d.  h. :  Werde  ich 
auch  bei  Beschwerden  seitens  der  Eltern  mit  meinem  Urteil  durchdringen,  oder 
kann  ich  in  die  fatale  Lage  kommen,  dass  nach  kurzer  Priifung  meine  Entscheidung 
umgestossen  wird?  Ich  meine,  die  Frage  muss  direkt  umgekehrt  werden  und  darf 
nur  heissen:  Kann  ich  es  verantworten,  das  Kind  den  Anforderungen  auszusetzen, 
die  die  nachste  Klasse  stellt?  Hat  das  Kind  die  nb'tige  geistige  Reife  erlangt,  die 
Aufgaben  aus  eigner  Kraft  zu  lo'sen,  die  das  nachste  Schuljahr  ihm  bringt?  Der 
Klassenlehrer  wird  dariiber  ein  ziemlich  sicheres  Urteil  haben,  und  in  Zweifelfal- 
len  wird  das  Kind  immer  den  geringeren  Schaden  erleiden,  wenn  es  zuriickbleibt. 

Alle  die  erwahnten  Schwierigkeiten  wurden  ja  besser  und  sicherer  behoben  wer- 
den durch  eine  Scheidung  der  Kinder  in  den  Parallelklassen  nach  ihrer  Befahigung, 
die  ja  von  verschiedenen  Seiten  vorgeschlagen  und  an  manchen  Orten  auch  schon 
durchgefiihrt  ist.  Aber  da  wohl  noch  manches  Jahr  vergehen  wird,  bis  wir  dieses 
Ziel  erreichen,  mussen  wir  versuchen,  durch  das  Sitzenbleiben  einen,  wenn  auch  not- 
durftigen,  Ausgleich  zu  schaffen. —  (Leipziger  Lehrerzeitung. ) 


den  Wert  der  Normalwortermethode.  Vor  wenigen  Tagen  fiihrte  mich  das 
Gesprach  mit  einem  Kollegen  auf  den  Wert  der  Normalwortermethode;  hierbei 
konnte  ich  die  Beobachtung  machen,  dass  jener  nur  geringe  Kenntnis  der  Bedeu- 
tung  dieser  Methode  besass.  Dieser  unerfreulichen  Beobachtung  steht  gliicklicher- 
weise  die  andere  gegenuber,  dass  einsichtsvolle  Schulmanner  entschieden  fiir  die 
Normalwortermethode  sich  aussprechen  und  ihre  Einfiihrung  in  die  Schule  fordern. 

In  der  Tat  ist  die  Normalwortermethode  in  ihrem  padagogischen  Werte  der 
synthetischen  Leselehrmethode  weit  uberlegen.  Es  handelt  sich  um  den  inneren  Zu- 
sammenhang  des  Lesens  und  Schreibens  mit  dem  gleichzeitigen  Anschauungsunter- 
richte.  In  dieser  Beziehung  wird  die  Normalwortermethode  ihre  Gegnerin  immer 
an  Wert  iiberragen.  Nehmen  wir  hierzu  ein  Beispiel  aus  der  Unterrichtspraxis ! 

Vor  kurzem  gelangte  in  unserer  Elementarklasse  der  Apfelbaum  zur  Bespre- 
chung.  In  der  Unterredung  mit  den  Kindern  wurden  etwa  folgende  Satze  gewon- 
nen :  Im  Garten  steht  der  Apfelbaum.  An  seinen  Zweigen  hangen  rotbackige  Apfel. 
Der  Vater  nimmt  die  Apfel  ab.  Die  Jtpfel  schmecken  stiss. 

Bis  zur  Entwicklung  und  Einpragung  dieser  vier  Satze  fiihrte  die  Besprechung 
des  Apfelbaumes  im  Anschauungsunterrichte.  An  diesen  reihte  sich  der  Unterricht 
im  Lesen  und  Schreiben.  Hierbei  wurden  die  folgenden  beiden  Satze — im  Anschluss 
an  den  vorausgegangenen  Anschauungsunterricht  —  an  die  Wandtafel  geschrieben : 
Im  Garten  ist  der  Apfelbaum.  Er  hat  schone  Jtpfel.  Nun  folgte  die  Zerlegung  die- 
ser Satze  in  Worte  und  Laute  und  die  Zusammenfassung  der  sprachlichen  Teile  zum 
Ganzen.  Hieran  schloss  sich  die  Niederschrift  der  beiden  Satze  durch  die  Kinder. 


142  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Danach  wurden  die  Satze  auch  in  Druckschrift  an  der  Lesemaschine  gezeigt,  gelesen 
und  lautiert,  nach  welcher  ttbung  das  Lesen  der  Druckschrift  in  der  Fibel  beim  Nor- 
malwort  Apfel  eintrat. 

Man  sieht  leicht  ein,  worin  der  padagogische  Wert  dieses  Unterrichtsganges 
liegt:  er  ruht  im  sachlichen  Zusammenhange  der  Schreibleseiibungen  mit  dem  Ge- 
genstande  des  Anschauungsunterrichtes.  Auf  diese  Weise  wird  das  Interesse  des 
Kindes  leicht  und  natiirlich  von  der  Sache  auf  die  Form,  also  auf  das  Wortbild  und 
den  Wortklang,  hiniibergeleitet.  Dass  die  Kinder  wirklich  mit  regem  Interesse  die- 
sem  Unterrichtsgange  folgen,  lehrt  die  Beobachtung. 

Deshalb  ist  es  mit  Freude  zu  begriissen,  dass  die  Normalwortermethode,  als 
das  interesseerweckende  Lehrverfahren,  in  neuerer  Zeit  energisch  sich  Bahn  bricht, 
also  die  synthetische  Methode  mit  ihrem  geistlosen  Wirrwarr  von  vielfach  abstrak- 
ten  Wortern  als  ein  iiberlebtes  Verfahren  aus  der  Schule  verdrangt. 

(Emil  Martin — Sachs.  Schulzeitung. ) 


Die  Pflege  der  guten  Aussprache  in  der  Schule.  Ernst  Liittge  erortert  in  einem 
gehaltvollen  Aufsatz  der  ,,Deutschen  Schulpraxis"  (Nr.  1  u.  f. )  iiber  den  gesamten 
Deutschunterricht  auf  einheitlicher  Grundlage  u.  a.  auch  die  Notwendigkeit,  der 
guten  Aussprache  in  der  Schule  alle  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Wer  mit  pho- 
netisch  gescharftem  Ohr  an  die  Aussprache  unserer  Schiller  herantritt,  findet  hier 
ein  weites  Arbeitsfeld,  \vo  das  Unkraut  in  urwtichsiger  Fiille  wuchert.  Ich  denke 
dabei  nicht  bloss  an  die  groben  Auswiichse  des  Dialekts;  auch  wo  diese  beseitigt 
sind,  bleibt  die  Lautbildung  in  vieler  Hinsicht  immer  noch  eine  ausserst  mangel- 
hafte.  Das  Sprechen  mit  zusammengepressten  Zilhnen  und  kaum  geoffneten  Lip- 
pen,  die  unreine  Vokalisation,  die  schlaffe  Artikulation  der  Konsonanten,  das  Ver- 
schlucken  einzelner  Laute  und  ganzer  Silben,  das  hastige  akzentlose  Herleiern  der 
Satze:  das  sind  Fehler,  die  der  Sprache  der  Kinder,  wie  ja  iiberhaupt  des  Unge- 
bildeten  das  charakteristische  Geprage  geben  und  die,  weil  niemals  planmassig  be- 
kampft,  gewissermassen  zu  chronischen  Sprachfehlern  werden.  Die  Lehrer  gewoh- 
nen  sich  allmahlich  so  an  diese  Mangel,  dass  sie  sie  gar  nicht  mehr  horen  oder  doch 
damit  wie  mit  einem  notwendigen  ttbel  rechnen,  zu  dessen  griindlicher  Beseitigung 
es  an  Zeit  fehlt.  Aber  doch  muss  man  sich  wundern,  dass  man  nicht  schon  mit 
Riicksicht  auf  die  Orthographic,  die  ja  sonst  so  sorgfaltig  gepflegt  wird,  der  guten 
Aussprache  mehr  Sorgfalt  zuwendet.  Denn  wiirde  man  die  Peinlichkeit  und  Kon- 
sequenz,  womit  beim  Schreiben  auf  genaue  Darstellung  aller  Buchstaben  gehalten 
wird,  auch  aufs  Sprechen  anwenden,  wiirde  man  ein  Wort,  statt  es  zehnmal  schrei- 
ben  zu  lassen,  ebenso  oft  mit  recht  scharfer  Artikulation  sprechen  lassen:  ich  bin 
tiberzeugt,  die  Rechtschreibung  wiirde  weniger,  als  es  jetzt  der  Fall  ist,  als  ein  Schul- 
kreuz  empfunden  werden.  Die  Pflege  einer  guten  Aussprache  ist  zunachst  Selbst- 
zweck.  Denn  wer  die  Sprache  als  Ganzes  beherrschen  will,  der  muss  sie  in  ihren 
Elementen  beherrschen.  Diese  Elemente  aber  sind  die  Laute,  und  ihre  richtige  Er- 
zeugung  ist  eine  Grundbedingung  jeder  gesunden  Sprachbildung.  Nur  wenn  der 
Schiller  angeleitet  wird,  jeden  Laut  in  seiner  eigentiimlichen  Gestalt  darzustellen, 
kann  er  zu  einer  vom  Buchstaben  unabhiingigen  Lautvorstellung  gelangen;  und  nur 
wenn  seine  Sprechtechnik  bis  ins  einzelnste  und  kleinste  ausgebildet  wird,  kann  er 
gut  und  fliessend  sprechen  lernen. 


Schulwanderungen.  Dieses  Thema  behandelt  ein  Artikel  von  Kienscherf 
inder  ,,NeuenPadagogischenZeitung".  Der  Nutzen  der  Schulwanderungen  wird  im 
folgenden  erschopfend  nachgewiesen :  Neben  andern  unterrichtlichen  Hilfsmitteln 


Allerlei  fUr  die  Schulpraxis.  143 

und  neben  der  Erfahrung  vor  alien  Dingen  haben  Schulwanderungen  den  Zweck, 
jeglichen  Unterricht  mit  zahlreichen  brauchbaren  Anschauungen  zu  versorgen.  Sie 
helfen  dadurch  eine  solide  Grundlage  zu  schaffen  ftir  die  geistige  Entwicklung  des 
Menschen,  die  naturgemass  von  Anschauungen  zu  Vorstellungen,  Begriffen  und  Ideen 
fiihrt,  und  damit  wieder  Grundlagen  des  Gefiihls  und  Impulse  des  Wollens  erhalt. 
Sie  entnehmen  diese  Anschauungen  der  Heimat.  Welche  grosse  Bedeutung  gerade 
die  heimatlichen  Vorstellungen  im  gesamten  Vorstellungsorganismus  haben,  ist 
eben  schon  nebenbei  hervorgetreten.  Es  handelt  sich  nur  noch  darum,  diese  Bedeu- 
tung psychologisch  zu  erkliiren,  um  sie  in  vollem  Lichte  zu  sehen  und  damit  zu- 
gleich  die  der  Schulwanderungen.  Die  Anschauungen  aus  der  Heimat  sind  einmal 
die  ersten,  zudem  werden  sie  in  einem  Alter  aufgenommen,  welche  sinnlichen  Ein- 
driicken  die  grosstmb'gliche  Empfanglichkeit  entgegenbringt  und  noch  nicht  unter 
einer  ttberfiille  der  verschiedensten  Eindriicke  leidet.  Beides  bewirkt,  dass  die  An- 
schauungen von  vornherein  einen  sicheren  Platz,  wenn  auch  noch  nicht  eine  sichere 
Gestaltung  im  Vorstellungsleben  gewinnen.  Beide  gewinnen  wieder  sehr  durch  die 
oftmalige  Wiederholung  der  Vorstellung,  die  sich  von  selbst  ergibt.  Die  Folgen  die- 
ser  giinstigen  Umstande  fiir  die  heimatlichen  Anschauungen  selbst  lassen  sich  kurz 
und  gut  so  ausdriicken:  Die  heimatlichen  Anschauungen  bezw.  Vorstellungen  ha- 
ben unter  alien  andern  Vorstellungen  die  grosste  Starke  und  infolgedessen  die 
grosste  Dauer.  Die  Folgen  davon  fur  ihre  Stellung  und  Bedeutung  im  Vorstellungs- 
leben iiberhaupt  aber  bestehen  darin,  dass  die  heimatlichen  Vorstellungen  keine 
neue,  fremde  Vorstellung  voriibergehen  lassen,  ohne  sich  zuvor  mit  ihr  ausgegli- 
chen  zu  haben,  dass  sie  die  Apperzeptionshilfen  nicht  bloss  fiir  alle  spater  auftre- 
tenden,  sondern  auch  fiir  alle  nicht  auftretenden,  oder  doch  nicht  erreichbaren  An- 
schauungen bilden.  Die  Anschauungen  der  Heimat  geben  also  nicht  nur  die  Grund- 
stoffe  fiir  das  geistige  Leben  ab,  sondern  auch  die  Grundkrafte.  Infolge  ihrer 
eigentiimlichen  Geburtsvorziige  sind  sie  aber  ferner  auch  die  gefiihlskraftigsten  und 
daher  wieder  die  den  Willen  am  meisten  beeinflussenden.  Infolgedessen  treten  sie  im 
geistigen  Leben  immer  besonders  hervor  und  geben  ihm  einen  Teil  seiner  Eigenart. 
Abschliessend  lasst  sich  deshalb  iiber  ihre  Bedeutung  sagen:  Sie  geben  der  geistigen 
Personlichkeit  nicht  nur  die  Grundlage,  sondern  auch  zum  Teil  die  Eigenart. — Liegt 
darin  der  fundamental  Nutzen  der  Schulwanderungen,  dass  sie  an  diesemWerke  mit- 
helfen,  so  haben  sie  daneben  oder  auch  darin  noch  manchen  Nutzen  ornamentalenCha- 
rakters.  Sie  gewahren  dem  Kb'rper  Kraftigung  und  Erholung;  sie  erheben  zu  fro- 
her  Stimmung,  zu  edlem  Vergniigtsein ;  sie  schiirfen  und  pflegen  das  Beobachtungs- 
vermogen  wie  die  Empfindungsgabe ;  sie  gewb'hnen  damit  an  eine  denkende  und 
empfindende  Naturbetrachtung ;  sie  schaffen  dem  Kinde  fur  spatere  Zeit  die  Nei- 
gung  und  Befahigung  zu  edlem  Vergniigen  und  wahrer  Erholung;  sie  fordern  die 
Sanges-  und  Wanderlust;  sie  wecken  und  pflegen  die  Liebe  zur  Heimat,  indem  sie 
letztere  kennen  lernen  und  zwar  in  einem  ergiebigen  und  heiteren  Lichte;  sie  hel- 
fen das  Verhaltnis  zwischen  Lehrer  und  Schiilern  wie  kaum  ein  anderes  Mittel  un- 
gezwungener  und  inniger,  dadurch  aber  wiederum  ergiebiger  gestalten;  sie  sind  end- 
lich  fiir  den  Lehrer  eine  vorziigliche  Quelle  und  ein  nicht  minder  gutes  Praktikum 
zugleich  jeglicher  padagogischen  Kunst  und  Wissenschaft. 


Ein  Beispiel    phonetischer  Schreibiceise.      Bekantlich    bricht    sich    immer    mer 
di  erkentnis*)   ban,    das    der    leseunterricht  in   unsern  schulen  zu  frii  erteilt  wird, 


*)   Di  grosbuchstaben  werden,    wi  in  alien  europaischen  sprachen,  nur  am  saz- 
anfang  und  bei  eigennamen  angewant.     Im  iibrigen  gelten  di  regeln:    fiir  jeden  laut 


144  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

zu  einer  zeit,  wo  beim  kind  noch  eine  ganze  reihe  fon  forbedingungen  felen. 
Der  hochdeutsche  wortschaz  des  kindes  ist  meist  noch  fil  zu  gering;  manche  kinder 
beherschen  in  irer  aussprache  noch  nicht  alle  laute  und  lautf erbindungen ;  dabei 
sind  si  auch  zu  unentwikkelt,  um  di  laute  aus  den  wortern  herauszuhoren  und  ab- 
zulosen;  die  zufallige  form  der  buchstaben,  di  mit  den  lauten  in  keinem  innern 
zusammenhang  stet,  bitet  irem  gedachtnis  grose  schwirigkeiten ;  dazu  ist  ire  hand 
noch  zu  ungeiibt,  um  die  formen  selbst  nachzubilden. 

Zu  disen  naturgemasen  schwirigkeiten  geselt  sich  noch  eine  kiinstliche,  di  un- 
sern  fibelferfassern  ire  arbeit  noch  weiter  erschwert,  das  ist  unsere  rechtschreibung. 
Der  fibelferfasser  braucht  fur  den  anfang  moglichst  kurze  worter,  di  dem  kind  be- 
kant  sind.  Di  deutsche  sprache  ist  aber  an  solchen,  besonders  an  zweilautigen,  ge- 
schweige  den  einlautigen,  wortern  auserordentlich  arm,  und  di  wenigen,  di  si  besizt, 
biten  meist  rechtschreibliche  schwirigkeiten,  so  das  si  fur  den  anfang  der  fibel  un- 
brauchbar  sind. 

Grosen  schaden  fiigt  dem  leseunterricht  auch  di  grosschreibung  der  dingworter 
zu,  fon  der  di  meisten  fibeln  nicht  abzuweichen  wagen.  Entweder  wird  dan  gerade 
auf  di  alleranschaulichsten  worter,  auf  die  namen  der  dinge,  di  das  kind  umgeben, 
ferzichtet,  oder  di  grosbuchstaben  werden  for  der  zeit  eingefiirt,  und  der  zeitpunkt, 
wo  das  kind  zu  freier  selbsttatiger  anwendung  des  mtisam  erlernten  komt  und  da- 
durch  seines  lesen-  und  schreibenkonnens  erst  fro  wird,  ungebiirlich  hinausgescho- 
ben.  (Aus:  Reform.) 


Dean  Briggs  on  "Discipline."  Dean  L.  B.  R.  Briggs,  of  Harvard  university, 
addressed  the  Schoolmasters'  Association  on  Discipline,  last  Saturday,  discussing 
the  topic  from  his  experience  at  Harvard.  He  concluded  that  "the  best  discipline 
is  that  which  relies  upon  the  understanding  between  pupil  and  teacher  that  the 
objects  of  both  are  the  same;  a  discipline  based  on  sympathy  thru  the  home  life 
with  the  interests  of  youth ;  a  discipline  which  allows  of  lasting  friendship  even  with 
pupils  who  must  be  disciplined  or  expelled;  a  discipline  which  relies  upon  co-opera- 
tion wherever  such  co-operation  is  reasonable,  with  the  leaders  among  the  pupils 
and  thru  the  leaders  with  the  great  body  of  the  pupils;  a  discipline  based  upon 
absolute  straightforwardness  and  perfect  courtesy;  a  discipline  which  does  not  call 
it  loss  of  dignity  for  an  instructor  or  a  master  to  explain  his  point  of  view;  a 
discipline  which  insists  that  there  is  no  training  without  work,  and  that  the  work 
must  not  be  done  for  training  only;  a  discipline  which  remembers  that  it  is  want 
of  training  which  temporarily  wrecks  many  pupils  and  makes  their  evolution  into 
energetic  manhood  discouragingly  slow." 

"I  believe  further,  that  in  every  school  there  should  be  an  effort  from  the  start 
to  make  a  youth  imbibe  that  wonderful  tonic  called  school  spirit,  to  make  him  feel 
that  from  the  moment  he  enters  a  school  he  has  become  forever  a  part  of  it,  one 
of  its  makers,  and  that  thruout  his  life,  wherever  he  goes,  he  takes  with  him,  drag- 
ging or  exalting  it,  as  the  case  may  be,  the  name  of  his  school.  Once  again  a  deep 
loyalty,  and  the  problem  of  discipline  is  gone."  (School  Journal.) 


nur  ein  buchstabe  —  wo  man  keinen  laut  hort,  wird  auch  kein  buchstabe  gesezt,  — 
und  di  offene  silbe  hat  stets  langen  vokal,  di  geschlossene  meist  kurzen. 


Die  Entwicklung  des  Schulwesens  im  Staate 
Massachusetts. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatsheftc.) 


Von  C.  B.  Straube,  Lehrer  des  Deutschen,  2O.  Distriktschule,  Milwaukee,  Wis. 

"By  common  consent  the  teachers  of  the  United  States  would  choose  Mas- 
sachusetts as  the  State  possessing  the  most  interesting  educational  history 

The  claims  of  the  history  of  education  in  Massachusets  to  pre-eminent  interest 
are  based  on  the  fact  that  it  offers  the  completed  exhibition  of  the  Puritan 
ideal  of  education  that  is  to  be  found.  It  shows  it  in  all  its  phases  and  makes 
evident  both  its  strength  and  its  weakness.  The  experience  of  Massachusetts 
has  aided  all  the  other  colonies  settled  by  Puritans  to  outgrow  the  earlier  and 
more  defective  stages  of  Puritan  development.  The  experience  of  the  'Bay 
State'  has  thus  been  vicarious,  serving  not  only  for  itself  but  in  a  measure  for 
all  the  other  New  England  States,  and  also  for  the  new  communities  in  the 
West,  settled  in  great  part  by  emigrants  from  New  England." 

(Dr.  Wm.  T.  Harris  in  der  Vorrede  zu  Martins  "Evolution  of  Mass.  School- 
system." 

"In  no  country  on  earth  could  the  progress  of  a  free  system  of  education 
be  so  well  studied  in  all  its  varieties  as  in  the  state  of  Massachusetts." 

(Horace  Mann.) 

Obige  Worte  weisen  zur  Geniige  auf  den  gewaltigen  Einfluss  hin,  den  der  kleine 
Staat  Massachusetts  auf  das  amerikanische  Erziehungswesen  ausgeiibt  hat,  und  eine 
weitere  Erklarung,  warum  als  Thema  zu  diesem  Artikel  gerade  die  Entwicklung  der 
Erziehung  in  dem  genannten  Staat  gewahlt  wurde,  diirfte  iiberfliissig  erscheinen. 

Schon  von  allem  Anfang  an  waren  die  nach  den  Neuenglandstaaten  iibersiedeln- 
den  Kolonisten  bestrebt,  ihren  Nachkommen  eine  ihren  beschrankten  Mitteln  ange- 
messene  Schulbildung  zu  teil  werden  zu  lassen.  Inmitten  der  miihsamen,  anstren- 
genden  Arbeit,  welche  die  Besiedlung  eines  neuen  Landes  bedingt,  haben  sie  die  fur 
ein  jedes  Volk  so  wichtige  Institution  —  die  Schule  —  nicht  ausser  acht  gelassen. 
Die  Grundlage  zu  der  jetzt  an  der  Spitze  aller  Erziehungsanstalten  des  Landes  ste- 
henden  Harvard-Universitat  wurde  schon  1636,  also  sechs  Jahre  nach  der  Landung 
der  Puritaner  an  der  Kiiste  der  Massachusetts-Bai,  gelegt.  Die  Summe  von  £400, 
welche  man  zu  diesem  Zwecke  bewilligte,  war,  den  damaligen  Verhiiltnissen  ange- 
messen,  eine  sehr  hohe,  indem  sie  einer  ganzen  Jahressteuer  der  Ansiedlung  gleich- 
kam. 

Im  Jahre  1642  erliess  die  gesetzgebende  Behorde  der  Kolonie  (General  Court) 
das  erste,  und  ftinf  Jahre  spiiter  das  zweite  Schulgesetz.  Letzteres  bestimmte,  dass 
jedes  Town  von  fiinfzig  Familien  eine  Elementarschule,  jeder  Ort  von  hundert  Fa- 
milien  eine  Sekundarschule  (Grammar  school)  unterhalten  miisse.  Die  Grundsatze, 
auf  welchen  diese  zwei  Gesetze  beruhen,  bilden  den  Kern  der  gesamten  Schulge- 
setzgebung  in  Massachusetts,  und  lauten  wie  folgt: 

1.  Die  allgemeine  Schulbildung  ist  fur  die  Wohlfahrt  des  Staates  von  wesent- 
licher  Bedeutung; 

2.  Die  Eltern  iibernehmen  die  Verpflichtung,  ihren  Kindern  diese  Schulbildung 
zu  verschaffen; 

3.  Der  Staat  hat  das  Recht,  die  Erfullung  dieser  Pflicht  zu  erzwingen; 


146  P'ddagogische  Monatsbefte. 

4.  Der  Staat  darf  iiber  die  Art  und  das  Minimalmass  der  Schulbildung  Bestim- 
mungen  treffen; 

5.  Die  durch  allgemeine  Besteuerung  erhobenen  Gelder  diirfen  fiir  Schulzwecke 
Verwendung  finden. 

Das  Bemerkenswerteste  an  dieser  Gesetzgebung  ist,  dass  hierdurch  zum  ersten- 
male  in  der  Weltgeschichte  ein  Volk  seine  eigene  Schule  griindete. 

,,Before  the  first  generation  had  passed  away  the  colony  of  Massachusetts 
Bay  virtually  had  on  the  ground,  for  the  first  time  in  human  history,  a  system 
of  public  education  over  which  neither  state  nor  church  nor  municipality  nor 
corporation  nor  the  despotic  personal  control  of  private  beneficence  had  full 
domination."  (A.  D.  Mayho,  Rep.  of  U.  S.  Bureau  of  Ed.  1893-94;  p.  651.) 

Bei  dem  ausgepragten  religiosen  Sinn  der  Puritaner  war  es  nicht  zu  verwun- 
dern,  dass  Schule  und  Kirche  lange  Zeit  eng  verkniipft  blieben.  Die  Elementarbil- 
dung  bestand  wahrend  der  ganzen  Kolonialzeit  nur  im  Schreib-  und  Leseunterricht, 
Religionslehre  und  einer  Kenntnis  der  Hauptstaatsgesetze.  Als  Lehrer  fungierte  in 
den  meisten  Fallen  der  Ortsgeistliche.  In  den  Sekundarschulen  bereiteten  sich  die 
Knaben  fiir  das  College  zu  Cambridge  (Harvard)  vor.  Auch  bei  der  Griindung  die- 
ser Lehranstalt  war  die  Ausbildung  der  Geistlichkeit  erster  und  einziger  Zweck. 

"The  first  object  sought  in  the  establishment  of  a  college  was  the  study  of 
theology."  "The  avowed  object  of  this  university  (Harvard)  was  the  training 
of  young  men  for  the  ministry."  (G.  C.  Bush,  "History  of  Higher  Ed.  in 
Mass."  p.  12—21.) 

Als  die  Ansiedlungen  noch  auf  Boston  und  Umgegend  beschrankt  waren  und 
eine  verhaltnismiissig  dichte  Bevolkerung  hatten,  konnte  sich  jeder  Ort  einer  oder 
mehrerer  Schulen  rtihmen,  in  welchen  der  Unterricht  regelmassig  und  von  m&nnli- 
chen  Lehrkriiften  erteilt  wurde.  ,,Ein  voiles  Jahrhundert  nach  der  Griindung  der 
Volksschule  finden  wir  in  den  Townurkunden  nur  die  Bezeichnung  'schoolmaster' ", 
sagt  Martin.  Ja,  es  bildete  sich  sogar  ein  Lehrerstand,  der  nach  A.  D.  Mayho  ,,viel 
grossere  Anerkennung  verdient,  als  man  ihm  selbst  heutigen  Tages  zu  zollen  geneigt 
ist.  Denn  diese  Manner  waren  es,  die  durch  ihre  lebenslange  Hingabe  zum  edlen 
Werke  der  Erziehung  erst  die  feste  Grundlage  zu  unserer  amerikanischen  Volks- 
schule legten. 

Als  indessen  nach  Beendigung  der  Kampfe  mit  den  Indianern  die  Ansiedler  in 
die  ,,Wildnis"  hinausdrangen  und  eine  Diinne  der  Bevolkerung  eintrat,  veranderten 
sich  die  Verhaltnisse  dermassen,  dass  die  Bestimmung  betreffs  der  Ortsschulen 
(town-schools)  hinfiillig  wurde.  Jedes  Town  wurde  je  nach  der  Grosse  seines  Ge- 
bietes  in  mehrere  Bezirke  ("districts",  "squadrons")  eingeteilt.  Eine  geraume  Zeit 
lang  gab  es  in  den  spiirlich  bevolkerten  Gegenden  iiberhaupt  keine  Schulhauser. 
Die  Kinder  gingen  nicht  mehr  zur  Schule;  die  Schule  kam  zu  ihnen  in  der  Gestalt 
eines  herumziehenden  Lehrers,  oder  vielmehr  einer  Lehrerin;  denn  um  diese  Zeit 
(Mitte  des  18.  Jahrhunderts)  erfolgte  die  Anstellung  der  school-dames.  Eine 
manche  fleissige  Hausfrau  hat  damals  neben  ihren  hauslichen  Pflichten  noch  die 
eines  Lehreramtes  versehen  und  wahrend  der  Schulzeit  noch  Hemden  fiir  die  India- 
ner  und  Hosen  fiir  ihren  Gatten  genaht.  Letztere  Beschaftigung  war  allerdings 
haufig  eintraglicher  als  ihre  Lehrerstelle,  fiir  deren  Verwaltung  sie  vielfach  nur 
einige  Pence  pro  Woche  erhielt. 

Aus  dieser  Einrichtung  der  "moving  school"  erwuchs  im  Laufe  der  Zeit  das 
in  vielen  Staaten  jetzt  noch  bestehende  ,,Distriktsystem".  Im  Jahre  1789  wurde 


Die  Entwicklung  des  Scbulwesens  im  Staate  Massachusetts.      147 

dieses  System  vom  Staate  Massachusetts  gesetzlich  anerkannt.  Horace  Mann  be- 
zeichnet  diese  Verordnung  als  ,,das  unglticklichste  Schulgesetz,  das  je  die  Legislatur 
des  Staates  erlassen  hat."  Jeder  Distrikt  baute  jetzt  sein  eigenes  Schulhaus  und 
wetteiferte  mit  dem  Nachbarbezirk,  fur  die  Bildung  seiner  Schuljugend  quantitativ 
das  meiste  zu  tun,  an  dem  Grundsatz  festhaltend:  Je  billiger  der  Lehrer,  desto 
langer  das  Schuljahr!  Die  Bewilligungen  fiir  Schulzwecke  waren  denn  auch  ausserst 
gering,  und  mancher  Distrikt  hat  damals  mit  einer  Bewilligung  von  weniger  als 
zehn  Dollars  pro  Jahr  seine  Schule  unterhalten  miissen.  Das  Schuljahr  wurde  na- 
tiirlich  dementsprechend  verkiirzt  und  in  manchen  Fallen  auf  nur  wenige  Wochen 
herabgesetzt.  Die  hochwichtige  Frage,  wo  man  das  zwanzig  Fuss  lange,  fiinfzehn 
Fuss  breite  Schulhaus  hinstellen  sollte,  wurde  damals  von  den  fiir  die  Jugenderzie- 
hung  begeisterten  Biirgern  eifriger  und  unter  grosserem  Aufwand  von  Beredtsamkeit 
erortert,  als  die  sonst  so  wichtige  Prasidentenwahl  oder  irgend  eine  das  nationale 
Wohl  betreffende  Frage.  Dieser  iibertriebene  Lokalgeist  war  der  starkste  Feind, 
den  spater  der  beriihmte  Schulmann  Horace  Mann  zu  bekampfen  hatte.  Ein  anderes 
ttbel,  das  dieses  die  Schulen  isolierende  ,,Distriktsystem"  im  Gefolge  hatte,  war  der 
allerorten  eintretende  Verfall  der  Sekundarschulen.  An  deren  Stelle  trat  die  durch 
Privatmittel  erhaltene  academy,  ,,das  Kind  der  Kirchen  und  des  Privatunterneh- 
mens".  Auch  Elementarschulen  wurden  von  den  bemittelten  Klassen  fiir  ihre  Kin- 
der gegriindet.  Den  Kindern  der  Armen  war  der  Zutritt  zu  diesen  Schulen  schon 
wegen  des  hohen  Schulgeldes  nicht  moglich.  Fiir  die  breiten  Schichten  des  Volkes 
fehlte  eine  auch  nur  einigermassen  gute  Schule.  Im  Jahre  1837  gab  es  42,000  schul- 
pflichtige  Kinder,  die  iiberhaupt  keine  Schule  besuchten,  und  die  durchschnittliche 
Dauer  des  Schuljahres  fiir  alle  iibrigen  Kinder  betrug  nicht  mehr  als  siebzehn  Wo- 
chcn.  Und  welcher  Art  war  die  von  der  Jugend  damals  erhaltene  Bildung?  Die 
begeisterten  Lobspriiche,  welche  man  heute  noch  so  oft  tiber  den  Weisheitstempel, 
"little  red  school-house"  genannt,  hort,  beruhen,  genau  betrachtet,  auf  dem  falschen 
Schluss  post  hoc,  ergo  propter  hoc.  Lassen  wir  den  Amerikaner  Martins  hieriiber 
das  Wort: 

"Whether  we  mean  by  education  the  acquisition  of  useful  knowledge  merely, 
or  the  culture  of  intellect  and  feeling  and  will  which  ultimate  in  thoughtful, 
skillful,  and  righteous  men  and  women,  we  must  answer  that  these  schools, 

even  the  best  of  them,  did  little The  knowledge  which  an  average  boy 

or  girl  could  acquire  or  retain  in  ten  or  twelve  weeks  study  for  each  of  ten  or 
twelve  years,  each  period  of  study  separated  from  the  next  by  forty  weeks  of 
something  else,  must  be  scanty  under  the  best  conditions;  and  the  training  of 
powers,  mental  or  moral,  could  at  best  only  be  intermittent  and  desultory.  But 
when  besides  the  meagerness  of  opportunity,  we  consider  the  unfavorable  phys- 
ical conditions,  the  crowded,  unhealthy,  uncomfortable  rooms,  the  inexperience 
and  ignorance  of  most  of  the  instructors,  the  mechanical  and  dreary,  often  mean- 
ingless task-work  which  went  by  the  name  of  study,  we  are  forced  to  conclude 
that  other  influences  must  have  been  at  work — that  we  may  have  over-estimated 
the  district-school."  (Evolution  of  the  Mass.  Public  School-system;  p.  112 — 14. 
Appleton  &  Co.,  New  York.) 

Auf  diese  niedrige  Stufe  war  die  Volksschule  in  Massachusetts  gesunken,  als 
im  Jahre  1837  Horace  Mann  zum  Sekretar  der  in  jenem  Jahre  von  der  Staatslegis- 
latur  geschaffenen  Erziehungsbehorde  (State  Board  of  Education)  berufen  wurde. 

Der  gewaltige  Umschwung  des  Erziehungswesens  in  Massuchusetts,  sowie  in 
alien  Nordstaaten  der  Union,  welchen  die  Geschichte  von  jener  Zeit  an  verzeichnet, 
ist  in  erster  Reihe  dem  unermiidlichen  Wirken  dieses  Mannes  zu  verdanken.  Wah- 


148  Pttdagogische  Monatsbefte. 

rend  seiner  elfjahrigen  Amtstatigkeit  war  er  ununterbrochen  an  der  Hebung  der 
Volksschule  tatig.  Er  brach  den  Grundsatzen  moderner  Padagogik  Bahn  und  schuf 
eine  feste  Basis  fiir  die  spatere  gesunde  Entwicklung  der  gesamten  Volkserziehung. 
Die  irrige  Ansicht,  dass  Horace  Mann  das  amerikanische  Schulsystem  geschaffen 
habe,  muss  hier  berichtigt  werden;  denn  dasselbe  bestand  schon  vor  seiner  Zeit,  und 
zwar  in  alien  damals  bestehenden  Staaten  der  Union.  Sein  Wirken  im  Interesse 
der  Erziehung  ist  aber  deswegen  nicht  minder  verdienstvoll.  Durch  seine  zahlrei- 
chen  Reden  und  Flugschriften  und  vor  allem  durch  die  jahrlich  veroffentlichten  Be- 
richte  hat  er  nicht  nur  die  Lehrerschaft  aufs  hochste  begeistert,  sondern  auch  unter 
dem  Volke  das  erloschende  Interesse  an  der  Jugenderziehung  wieder  entfacht,  den 
geschwundenen  Gemeinsinn  von  neuem  belebt.  Mit  beissender  Satire  legte  er  die 
tfbel  bloss,  die  durch  das  herrschende  ,,District"-Schulsystem  erzeugt  worden  waren. 
Seine  ganze  Kampfeslust  bezeichnen  so  recht  die  bei  seinem  Amtsantritt  gesproche- 
nen  Worte: 

"I  shall  avail  myself  of  the  opportunity  to  recommend  a  few  improvements 
and  generally  to  apply  a  flesh-brush  to  the  backs  of  the  people." 
Horace  Mann  war  kein  Padagoge  ,,von  Hause  aus".     Er  gehorte  dem  Advoka- 
tenstand  an  und  hat  als  Abgeordneter  im  Staatssenat  und  spater  im  Kongress  meh- 
rere  Jahre  gesessen.     Und  dennoch  sind  seine  jahrlichen  Berichte   (Annual  Reports, 
1837 — 48)   wahre  Fundgruben  padagogischen  Wissens,  die  uns  den  scharfen  durch- 
dringenden  Geist  zeigen,  der  auch  auf  dem  ihm  fremden  Gebiet  das  Richtige  zu  tref- 
fen  versteht. 

Sein  Hauptziel  war  es,  die  Bevolkerung  seines  Staates  fiber  den  schlechten  Zu- 
stand,  in  welchem  sich  die  Schulen  befanden,  aufzuklaren,  und  er  hat  es  bewirkt, 
dass  sich  unter  dem  apathischen  Volke  ein  neuer  Geist  Bahn  brach,  der  den  weiteren 
Fortschritt  der  Volkserziehung  verbiirgte.  Die  Statistik  lehrt  uns,  dass  wahrend 
seiner  Amtstatigkeit  folgende  Errungenschaften  gemacht  wurden:  eine  Verdoppe- 
lung  der  Bewilligungen  fiir  Schulzwecke;  eine  Ausgabe  von  zwei  Millionen  Dollars 
fiir  den  Bau  neuer,  besserer  Schulhauser;  eine  Steigerung  der  Lehrergehalter  von 
62  Prozent;  eine  durchschnittliche  Verlangerung  des  Schuljahres  um  einen  Monat; 
ein  Sinken  der  Ausgaben  fiir  Privatschulen ;  die  Besoldung  der  Ortsschulbehorden ; 
allgemeine  und  regelmassig  stattfindende  Aufsicht  liber  die  Schulen  seitens  der  Be- 
horden;  die  Griindung  dreier  Lehrerbildungsanstalten  (normal  schools) — die  ersten 
im  ganzen  Lande. 

Einer  Stelle  aus  Martins  Werk  iiber  diesen  mit  Recht  gefeierten  Schulreformator 
sei  hier  noch  Raum  gegonnt. 

"When  we  set  ourselves  to  measure  the  work  of  Horace  Mann  all  this  must 
be  taken  into  account.  He  fought  the  battle  of  educational  reform  through  to 
the  bitter  end  and  conquered.  Apathetic  indifference,  hide-bound  conservatism, 
niggardly  parsimony,  sectarian  bigotry,  and  political  animosity  surged  around 
him  as  the  enemies  of  France  surged  around  the  white  plume  of  Henry  of  Na- 
varre; but  he  left  the  field  so  clear  that  since  his  day  none  of  these  reactionary 
forces,  singly  or  combined,  have  made  any  successful  opposition  to  the  ongoing 
movements  of  popular  education. 

To  the  vigor,  the  skill,  the  self-sacrificing  ordor,  and  the  conscientious  rec- 
titude with  which  he  conducted  the  offensive  and  defensive  campaigns  of  his 
official  life,  is  due  the  fact  that  Massachusetts  has  suffered  none  of  those  educa- 
tional reverses  which  have  befallen  most  of  the  other  states.  The  school  chil- 
dren of  Massachusetts  made  no  mistake  when  they  placed  in  front  of  the  Capitol 
of  the  State  a  statue  of  Horace  Mann  as  of  their  benefactor  and  their  ideal." 
(Evolutions  of  the  Public  School-system  in  Mass.  p.  184 — 85.) 


Die  Entwicklung  des  Scbulwesens  im  Staate  Massachusetts.      149 

Der  Boden  war  bereitet,  der  Samen  gesaet;  aber  erst  die  folgenden  Generationen 
durften  die  Friichte  ernten.  Die  Entwicklung  der  Volksschule  in  Massachusetts  seit 
1850  ist  eine  stetig  fortschreitende,  dem  Ideal  wahrer  Volkserziehung  unaufhaltsam 
entgegengehende. 

Aus  einem  Ackerbau  treibendeh  Staat  war  jetzt  ein  Industriestaat  geworden. 
Durch  den  Zufluss  der  Einwanderung  nahm  seine  Bevb'lkerung  nicht  nur  bedeutend 
zu,  sondern  sie  wurde  auch  ungleichartig  und  verdichtete  sich,  besonders  in  den 
Fabrikorten.  Schon  im  Jahre  1850  finden  wir  nicht  weniger  als  200,000  ,,Ausian- 
der",  ein  Fiinftel  der  gesamten  Einwohnerzahl,  im  Staat  verstreut.  Es  waren  keine 
leichten  Aufgaben,  die  den  Erziehungsbehorden  hierdurch  gestellt  wurden.  Mit  wel- 
ch em  Erfolg  sie  dieselben  gelost  haben,  erhellt  aus  der  Schulstatistik  von  1890,  welche 
wie  folgt  dariiber  berichtet:  Die  Bevolkerung  hatte  sich  seit  1850  um  125  Prozent 
vermehrt,  der  Schulbesuch  um  96  Prozent  erhoht.  Das  besteuerte  Eigentum  war  um 
260  Prozent  vermehrt  worden;  die  Bewilligungen  fiir  Schulzwecke  aber  waren  um 
551  Prozent  gestiegen.  Das  Gesetz  verlangt,  dass  jedes  Town  die  Summe  von  drei 
Dollars  pro  Kind  fur  dessen  Schulung  erhebt;  die  Statistik  weist  nach,  dass  durch- 
schnittlich  $26.67  bewilligt  wird  und  die  Schulen  acht  und  einen  halben  Monat  offen 
gehalten  werden,  und  nicht  nur  sechs  Monate,  wie  das  Gesetz  bestimmt. 

Das  von  Horace  Mann  und  alien  fortschrittlich  gesinnten  Schulmannern  so  stark 
bekiimpfte  ,,District"-System  hielt  sich  zwar  in  den  kleineren  Orten  noch  bis  zum 
Jahre  1882,  dem  Jahre  seiner  endgiiltigen  Abschaffung  seitens  der  Legislatur;  in 
den  grb'sseren  Ortschaften  —  Stadten  und  Towns  —  wurde  jedoch  die  Klasseneintei- 
lung  (grading)  schon  etwa  um  die  Mitte  des  letzten  Jahrhunderts  vorgenommen 
und  die  Schulen  wieder  zentralisiert.  Die  Lehrerbildungsanstalten  vermehrten  sich; 
Hochschulen  entstanden  an  alien  grossren  Orten.  Schon  im  Jahre  1827  wurde  das 
Gesetz  angenommen,  welches  bestimmte,  dass  jeder  Ort  von  2500  Einwohnern  eine 
free  English  high  school,  jeder  Ort  mit  4000  Einwohnern  eine  classical  high  school 
haben  miisse.  Welche  Bedeutung  dieses  Gesetz  besitzt,  besagen  die  Worte  A.  D. 
Mayhos : 

"Massachusetts  is  still  the  only  American  commonwealth  that  in  this  way 
makes  the  secondary  education  now  compulsory  on  all  her  population."  ( Re- 
port U.  S.  Bureau  of  Ed.  1896 — 97,  p.  739.) 

Das  erste  in  Amerika  erlassene  Schulzwanggesetz  wurde  in  Massachusetts,  und 
zwar  schon  im  Jahre  1852  angenommen;  demnach  musste  jedes  in  dem  Alter  zwi- 
schen  acht  und  vierzehn  Jahren  stehende  Kind  mindestens  12  Wochen  pro  JahrSchule 
geniessen.  Spater  erhohte  man  die  zwangliche  Dauer  auf  zwanzig,  in  neuerer  Zeit 
sogar  auf  dreissig  Wochen  pro  Jahr.  Ein  weiterer  Schritt  in  der  Entwicklung  der 
freien  Volksschule  wurde  getan,  als  1884  der  Staat  die  freie,  unentgeltliche  Liefe- 
rung  der  Schulbiicher  an  alle  Schiller  in  den  offentlichen  Schulen  gesetzlich  be- 
stimmte. Eine  merkbare  Zunahme  der  die  Schulen  besuchenden  Kinder,  besonders 
an  den  Hochschulen,  war  die  sofortige  Folge. 

"So  popular  has  the  system  (free  text-books)  become  that  for  political  pur- 
poses men  have  contended  for  the  honor  of  its  paternity,  as  the  cities  of  Greece 
contended  for  the  honor  of  having  cradled  Homer,"  sagt  Martin;  und  im  63. 

Jahresbericht  (1898 — 99)   der  Staats-Erziehungsbehorde  steeht  dariiber  folgendes: 

"The  first  year  under  the  compulsory  law  was  naturally  an  expensive  year, 
the  cost  per  pupil  being  $2.08;  thereafter  the  cost  per  pupil  fell  off,  the  lowest 
point  since  reached  being  $1.42.  In  some  places  the  compulsory  law  has  at  times 
literally  cost  less  per  pupil  than  the  old  'indigent  pupil'  system,  the  reduced 


150  P'ddagogische  Monatshefte. 

cost  of  books  when  purchased  by  the  municipality  in  large  quantities  more  then 
offsetting  the  increased  number  of  pupils  supplied  and  the  more  liberal  supplies 
furnished." 

Der  deutsche  Sprachunterricht  wird  in  den  Elementarschulen  nicht  erteilt,  wohl 
aber  auf  den  Hochschulen  und  hoheren  Lehranstalten.  So  haben,  laut  Bericht  der 
Erziehungsbehorde  von  1901,  von  den  244  Hochschulen  im  Staate  105  den  Unterricht 
im  Deutschen,  teils  obligatorisch,  teils  als  Wahlstudium  eingefiihrt.  Die  deutsche 
Abteilung  der  Harvard-Universitat  ist  dem  neuesten  Bericht  des  Bundes-Erziehungs- 
kommissars  zufolge  (Report  of  1901,  Vol.  I.,  p.  660 — 61)  die  starkste  im  ganzen 
Lande.  Zwolfhundert  Studenten  geniessen  hier  gegenwartig  den  Unterricht  in  der 
deutschen  Sprache  unter  einem  Kollegium  von  sechzehn  Professoren.  In  den  vier 
anderen  hoheren  Lehranstalten  des  Staates,  welche  der  Bericht  anfiihrt,  beteiligen 
sich  insgesamt  eintausend  Schiller  am  deutschen  Unterricht. 

Hiermit  ist  in  kurzen  Umrissen  der  Ausbau  des  Schulwesens  in  dem  kleinen, 
fortschrittlichen  Staate  Massachusetts  skizziert. 

Mit  Recht  diirfen  seine  Burger  auf  ihr  Schulsystem,  wie  es  jetzt  besteht,  stolz 
sein. 

"No  other  State  is  giving  so  much  education  to  its    people    as    Massachu- 
setts," sagt  Dr.  Harris. 

Die  Volksschule  in  diesem  Staat  ist  des  Volkes  eigenes  Werk,  unter  grossen 
Opfern  und  mit  vieler  Miihe  aufgebaut. 

Alle  Verbesserungen,  alle  neuen  Einrichtungen,  aller  Fortschritt,  der  daran  ge- 
macht  worden  ist,  ging  jederzeit  vom  Volke  aus.  Erst  nachdem  einzelne  Ortschaf- 
ten  das  Neue  eingefiihrt  und  gepriift  hatten,  folgten  andere  nach,  bis  sich  die  Neu- 
erung  allgemein  Eingang  verschafft  hatte;  und  erst  dann  hat  die  gesetzgebende  Be- 
horde  ihr  voile  Gultigkeit  verliehen. 

Auf  diesem  festen  Boden  steht  das  herrliche  Gebaude  der  Volkserziehung  im 
Staate  Massachusetts,  zu  dem  die  aus  der  intelligenten  Mittelklasse  Englands  stam- 
menden  Puritaner  den  Grundstein  gelegt  haben  und  an  dem  manch  geschickter  Bau- 
meister  seine  Kunst  erprobt  hat.  Noch  ist  der  Bau  unvollendet,  noch  bedarf  er  man- 
cher  Verbesserung,  mancher  Verzierung;  aber  fest  und  unerschiitterlich  steht  er  da; 
und  das  amerikanische  Volk  wird  nicht  fehl  gehen,  wenn  es  in  der  Entwicklung  sei- 
nes Schulwesens  sich  den  ,,Bay  State"  zum  Vorbild  nimmt. 


Im  Eifer. 


(Aus  der  ,,  Neuen  Padagogischen  Zeitung.") 


Humoristische  Erzahlung  yon  Richard  Lcisslinff. 

Mitten  im  Winter  war's.  Auf  eine  Zeit  milden  Wetters  war  eine  Zeit  stren- 
ger  Kalte  gefolgt.  Das  Thermometer  zeigte  durchschnittlich  —  14°  R.  Wer  hin- 
aus  musste,  ging  nicht,  ohne  sich  gut  eingehiillt  zu  haben.  Sonst  aber  zog  es  jeder 
vor,  in  der  warmen  Stube  zu  bleiben.  Was  in  der  vorhergehenden  Zeit  an  Feuerung 
gespart  war,  das  musste  jetzt  doppelt  zugesetzt  werden. 

Der  alte  Kantor  hielt  es  heute  auch  fur  notig,  wahrend  der  Mittagspause  noch 
ein  paar  Scheit  Holz  zu  zerkleinern,  damit  am  Nachmittag  das  Feuer  im  Schul- 
zimmer  desto  lustiger  brennen  konnte.  Er  selbst  war  ja  schon  fast  in  die  Jahre 
gekommen,  wo  die  Leute  immer  fiber  kalte  Fiisse  klagen.  Er  tat's  also  schon  seiner 
selbst  wegen.  Trotz  seiner  sechzig  Jahre  war  er  aber  noch  ein  alter  Haudegen,  der 


Im  Eifer.  151 

sich  in  seiner  Schule  recht  wohl  ein  Ansehen  zu  verschaffien  wusste.  Und  dass 
er  auch  bei  den  Erwachsenen  geachtet  und  beliebt  war,  davon  zeugte  der  prachtige 
Lehnstuhl,  der  ihm  an  seinem  letzten  Geburtstage  von  der  Gemeinde  verehrt  war. 
Er  ging  also  iiber  den  Hof  seinem  Holzschuppen  zu,  und  wahrend  er  bestrebt 
war,  durch  fleissige  Arbeit  sich  warm  zu  erhalten,  da  betraten  auch  schon  die  ersten 
Kinder  den  Schulhof.  Freilich,  dort  mussten  sie  auch  verbleiben;  denn  der  Lehrer 
fiihrte  ein  gar  strenges  Regiment  und  liess  keinen  das  Zimmer  betreten,  solange 
noch  mehr  als  fiinf  Minuten  am  Glockenschlage  fehlten.  Was  sollten  sie  wahrend 
dieser  Zeit  anfangen?  Nun,  es  gab  ja  Schnee  genug.  Zwar  liess  er  sich  heute  nicht 
gut  zu  Kugeln  formen;  aber  das  schadete  auch  nichts,  denn  die  zerspriihenden  Balle 
gaben  ja  den  schonsten  Pulverdampf  ab.  Bald  waren  die  Knaben  auch  in  ein  regel- 
rechtes  Gefecht  verwickelt.  Und  wenn  auch  nur  die  Halfte  der  Geschosse  in  die 
Reihen  der  Feinde  gelangte,  so  fehlten  sie  doch  selten  das  Ziel,  da  der  Hof  keine 
grosse  Ausdehnung  hatte.  Aber  gefahrbringend  waren  die  Geschosse  heute  nicht. 

Immer  grosser  wurde  die  Zahl  der  Kampfenden;  iinmer  mehr  Kugeln  kreuzten 
sich  in  der  Luft;  immer  ausgelassener  wurden  die  Knaben,  immer  toller  ihr  Jubel 
iiber  einen  ,,sitzenden"  Ball.  Und  bei  allem  Eifer  merkten  sie  von  der  Kalte  nichts; 
denn  die  Bewegung  machte  sie  warm. 

Nur  einmal  trat  eine  ganz  kurze  Unterbrechung  ein,  an  der  jedoch  nicht  einmal 
samtliche  Knaben  teilnahmen.  Vom  Schuppen  her  ertonte  die  Stimme  des  Lehrers, 
der  einen  Knaben  zu  sich  rief,  um  einen  Arm  voll  des  gespaltenen  Holzes  in  die 
Klasse  zu  tragen. 

Bald  trabte  auch  der  Knabe  mit  bepacktem  Arm  iiber  den  Hof.  Wohlweislich 
vermied  er  dabei  das  offene  Schlaehtfeld.  Aber  kaum  hatte  er  einige  Schritte  ge- 
tan,  so  wurde  ihm  dennoch  durch  einen  Schneeball  ein  Teil  seiner  Btirde  abgenom- 
men  und  in  den  Schnee  versenkt.  Beabsichtigt  oder  nicht:  der  Ball  hatte  seine 
Wirkung  getan,  und  damit  war  zugleich  das  Zeichen  zu  einem  allgemeinen  Angriff 
gegeben;  denn  nun  regnete  es  formlich  Schneeballe  auf  den  Knaben  herab.  Wie 
geschwind  der  aber  seine  Holzstiicke  wieder  zusammenbrachte,  und  wie  er,  indem 
er  seine  Biirde  fester  umspannte,  seine  Beine  aufhob  und  eiligst  hinter  der  Haus- 
tiir  Schutz  suchte!  Denn  auch  bis  dahin  verfolgten  ihn  die  Balle  seiner  Kamera- 
den,  und  noch  mancher  von  ihnen  liess  seine  Photographie  auf  dem  Riicken  des 
Knaben  zuriick.  Selbst  die  Tiir  musste  noch  herhalten,  und  jetzt  machte  sich  bei 
dem  Schuss  auch  noch  der  Knall  bemerkbar,  wenn  auch  erst  im  Augenblick  des 
Treffens. 

Da  auf  einmal:     ,,Klirr  — !" 

Zwar  nicht  wie  ein  Blitz,  aber  doch  wie  ein  Donnerschlag  bei  heiterem  Himmel 
fuhr  das  zwischen  die  Knaben.  Verschwunden  war  das  Getose,  die  Schneeballe  wie 
weggefegt;  verlegene  Stille  uberspannte  den  Schulhof.  Selbst  der  alte  Kantor  liess 
bei  dieser  plotzlichen  Ruhe  eine  Pause  in  seiner  Arbeit  eintreten  und  spahte  in  den 
Hof  hinaus.  Meinte  er  doch,  Hochehrwiirden  ware  gekommen,  weil  bei  dessen  Er- 
scheinen  die  Kinder  jedesmal  verstummten.  Aber  weil  er  weder  einen  Gruss 
seitens  der  Kinder  vernahm,  noch  sonst  irgendwelches  Anzeichen  darauf  hindeutete, 
so  nahm  er  seine  Arbeit  bald  wieder  auf.  Die  Knaben  aber  traten  tuschelnd  zu- 
sammen  und  liessen  ihre  Augen  dabei  mehr  als  notig  nach  dem  Schulfenster  wan- 
dern. 

,,Wer  ist's  gewesen?" 

,,Ich  nicht.     Ich  machte  mir  gerade  einen  neuen  Ball." 

,,Ich  auch"  —  ,,Ich  auch." 

,,Meiner  war  noch  garnicht  bin." 

,,Meiner  auch  nicht." 


152  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

,,Du  bist's  gewesen!" 

,,Nein!  Da  liegt  mein  Ball  noch;  ich  habe  ihn  gleich  fallen  lassen,  als  ea 
klirrte." 

So  und  noch  mehr  klangen  die  erregten  Stimmen  durcheinander,  wenn  auch 
nicht  so  laut,  dass  der  Lehrer  etwas  hatte  verstehen  konnen.  — 

Der  Lehrer  hatte  seine  Arbeit  beendet.  Jetzt  trat  er  heraus,  und  wahrend  er 
einen  zweiten  Knaben  heranrief,  um  den  Rest  des  Holzes  in  die  Stube  befordern  zu 
lassen,  hiess  er  die  andern  sich  ordnen.  Ein  zweites  Klatschen  mit  den  Hiinden 
war  das  Zeichen,  dass  ihnen  der  Eintrit't  in  das  Schulzimmer  gestattet  sei.  Wah- 
rend er  selbst  in  seiner  Stube  verschwand,  um  sich  da  seiner  Mutze  zu  entledigen, 
wohl  auch  erst  noch  einmal  mit  der  Biirste  iiber  den  Rock  zu  fahren,  suchten  drin- 
nen  die  Schiller  ihre  Platze  auf.  Die  zerbrochene  Fensterscheibe  mochte  ihnen  wohl 
schwer  in  den  Gliedern  liegen.  Nur  ein  unruhiges  Fliistern  war  unter  den  Knaben 
zu  bemerken;  die  Madchen  aber  lachten  heimlich  und  ergotzten  sich  an  der  Angst 
der  Knaben. 

Da  trat  der  Gestrenge  herein,  von  der  Schar  durch  Aufstehen  begriisst.  Sein 
erster  Blick  fiel  auf  die  Glasscherben  und  von  da  auf  die  fiffnung  im  Fenster,  durch 
die  der  Winter  seine  Kalte  hereinschickte.  Wie  das  zugegangen  war,  danach 
brauchte  er  nicht  erst  zu  fragen.  Die  feuchten  Stellen  am  Fussboden  und  die  ttber- 
reste  des  Schneeballes  im  Fenster  redeten  eine  deutliche  Sprache.  Jetzt  aber 
schweifte  sein  unheilverkiindendes  Auge  iiber  die  Schar  der  Knaben,  ob  sich  der 
Titter  nicht  selbst  verraten  wiirde.  Aber,  obwohl  jeder  in  dem  Auge  des  Lehrers 
die  Frage  nach  dem  Tater  lesen  konnte,  keiner  riihrte  sich.  Auf  dem  Gesichte  eines 
jeden  lag  aber  etwas  wie  Schuldbewusstsein.  Noch  einmal  blickte  er  nach  dem  Fen- 
ster und  nach  den  Scherben.  Dann  aber,  wahrend  sein  Blick  sich  wieder  der  Klasse 
zuwandte,  kam  mit  unheimlicher  Ruhe  die  Frage  von  seinen  Lippen:  ,,Wer  hat 
das  getan?" 

So  wenig  aber  vorhin  auf  den  fragenden  Blick  sich  einer  gemeldet  hatte,  so 
wenig  bekam  er  jetzt  eine  Antwort.  Ebenso  blieb  auch  seine  zweite  Frage  unbe- 
antwortet.  Als  aber  auch  beim  drittenmale  jene  Stille  weiterdauerte,  da  schien 
ihn  seine  Ruhe  zu  verlassen.  Selbst  sein  gewohnlich  angewandtes  Mittel,  sich  selbst 
zu  beruhigen  —  von  eins  bis  zehn  und  wieder  zuriick  zu  zilhlen  —  unterliess  er. 
Mit  immer  mehr  wachsender  Erregung  begann  er  die  Reihen  jetzt  einzeln  durch- 
zuf  ragen : 

,,Bist  Du's  gewesen?" 

,,Nein."  —  ,,Du?"  —  ,,Nein."  —  ,,Du?  —  Du?  — " 

Aber  auf  jedes  ,,Du?"  folgte  ebenso  regelmassig  die  Antwort  ,,Nein".  Noch 
einmal  fragte  er  seine  zwanzig  Knaben  durch.  Keine  andere  Antwort. 

,,Nun  denn,  wenn's  keiner  war,  so  hat  eben  einer  soviel  Schuld  als  der  andere." 
Und  wahrend  er  sein  Haselnussstockchen  hervorholte,  das  ihm  ein  Knabe  vor 
zwei  Tagen  erst  besorgt  hatte,  gebot  er  ihnen,  sie  sollten  der  Reihe  nach  herantreten. 
Der  erste  kam.  Dreimal  pfiff  der  Stock  durch  die  Luft;  dreimal  sauste  er  nie- 
der  auf  den  Korperteil,  der  durch  seine  ,,hervorragende"  Lage  ganz  dazu  geeignet 
erscheint.  Dem  ersten  folgte  der  zweite  und  so  fort.  Wohl  rieb  jeder  die  bevor- 
zugte  Stelle,  als  er  auf  dem  Seitengange  wieder  seinem  Platze  zustrebte  und  so 
einen  Kreislauf  ausfiihrte.  Aber  schliesslich,  als  einer  nach  dem  andern  seine  drei 
Hiebe  empfing,  da  kam  ihnen  die  Sache  doch  ganz  spasshaft  vor.  Nahm  denn 
die  Reihe  noch  kein  Ende?  Der  Lehrer  war  dabei  warm  geworden.  Er  hielt  einen 
Augenblick  inne,  streifte  die  Rockarmel  in  die  Hohe  und  begann  seine  ,,Arbeit"  aufs 
neue. 

Doch  plotzlich  hielt  er  inne.  Den  erhobenen  Arm  Hess  er  langsam  wieder  her- 
absinken.  Sein  Auge  aber  heftete  sich  streng  auf  die  Stelle,  die  er  eben  auf  ihre 


Korresponden^en . 


153 


Empfindlichkeit  priifen  wollte.  Was  war  das?  Das  rot-  und  weissgestreifte  Zipfel- 
chen,  das  sich  da  einen  verbotenen  Ausweg  gesucht  hatte  und  ihm  nun  freundlich 
entgegenlachte,  hatte  das  nicht  schon  mit  seinem  Stocke  Bekanntschaft  gemacht? 
,,Junge!"  rief  er  ihm  zornig  zu,  ,,hast  Du  Deine  Priigel  nicht  schon  empfangen?" 

,,Ja!"  gestand  der  erschrockene  Knabe. 

,,Warum  kommst  Du  noch  einmal?     Willst  Du  mich  argern?" 

,,Die  andern  sind  auch  schon  wieder  vorn  gewesen." 

,,Sooo  —  ?"  rief  entsetzt  der  alte  Kantor,  und  als  er  sein  blitzendes  Auge  iiber 
die  ttbeltater  hingleiten  lasst,  erkennt  er  aus  der  heimlichen  Freude,  die  ihm  aus 
den  Augen  derselben  entgegenleuchtet,  dass  der  Knabe  die  Wahrheit  geredet  hat. 
Tatsiichlich  war  also  mit  dem  letzten  Knaben  die  Reihe  nicht  beendet,  sondern  durch 
die  ersten  wieder  eigenmachtig  verlangert. 

Schon  wollte  er  zu  den  Platzen  der  Schlingel  eilen,  um  noch  viel  ,,nachdriick- 
licher"  mit  ihnen  zu  reden.  Doch  da  besann  er  sich  eines  besseren:  ,,Eins,  zwei, 
drei  — "  und  so  weiter  bis  zehn,  dann  noch  einmal  riickwarts.  Er  hatte  seinen  Zorn 
unterdriickt. 

,,Jungens!     Von  heute  ab  gibt's  fiir  Euch  keine  Schneeballschlacht  mehr!" 

Er  warf  seinen  Stock  auf  den  Schrank,  stellte  eine  Lesetafel  vor  das  offene 
Fenster  und  trat  hinter  den  Tisch.  ,,Danket  dem  Herrn,  denn  er  ist  freundlich  — " 
klang  es  ihm  nun  aus  aller  Munde  entgegen.  Der  Unterricht  nahm  seinen  Anfang. 


Berichte  und  Notizen. 


I.    Korrespondenzen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Baltimore. 

Die  offentlichen  Schulen  haben  ihren 
sechsmonatlichen  Kursus  mit  dem  Mo- 
nat  Marz  gliicklich  beendet.  Es  waren 
deren  elf,  und  zwar  sechs  fiir  Weisse 
und  fiinf  fur  Neger.  Die  Unterrichts- 
zeit  war  Montag,  Mittwoch  und  Freitag 
Abend  von  7%  bis  9%  Uhr.  Wie  an 
den  iibrigen  stadtischen  Schulen  ist  auch 
an  diesen  der  Unterricht  frei,  und  Bii- 
cher,  sowie  Schreibmaterialien  werden 
unentgeltlich  verabfolgt.  Wahrend  frii- 
her  die  Lehrer  fiir  diese  Schulen  aus  de- 
nen  der  Tagschulen  gewahlt  worden  wa- 
ren, wurden  diesmal  letztere  nur  ganz 
ausnahmsweise  als  Klassenlehrer  zuge- 
lassen,  weil  die  verdoppelte  Berufstatig- 
keit  an  leitender  Stelle  als  zu  anstren- 
gend  erachtet  wurde.  Es  fand  daher  im 
Herbst  eine  entsprechende  Spezialprii- 
fung  statt,  woran  sich  tiber  hundert, 
darunter  Studenten,  junge  Advokaten 
und  Handelsbeflissene,  beteiligten.  Da- 
bei  ereignete  es  sich,  dass  u.  a.  einige 
Universitatsstudenten  durchfielen,  ein 
Beweis  fur  die  Unverlasslichkeit  schrift- 
licher  Priifungen.  Die  Leitung  dieser 
Schulen  war  nach  wie  vor  in  den  Han- 
den"  von  Oberlehrern  der  Tagschulen;  sie 


erhalten  drei  Dollars  den  Abend,  die 
Klassenlehrer  zwei  Dollars.  Den  Ober- 
lehrern steht  eine  weitgehende  Diskre- 
tion  zu,  sie  treffen  die  Auswahl  und  An- 
ordnung  der  UnterrichtsfJicher,  und  kb'n- 
nen  selbst  die  Schulabende  verlegen  und 
die  Unterrichtsstunden  andern,  wo  sie 
das  im  Interesse  ihrer  Schiller  finden. 

Die  grosste  der  Abendschulen,  welcher 
der  Schreiber  als  Prinzipal  vorstand, 
war  insofern  bemerkenswert,  als  an  ihr 
besondere  Klassen  fiir  Eingewanderte 
bestanden.  Es  waren  ihrer  vier;  fiinf 
weitere  Klassen  waren  fiir  Einheimische, 
zwei  davon  fiir  Anfanger,  die  iibrigen 
konnten  mehr  oder  weniger  nach  dem 
Vorbild  einer  deutschen  Fortbildungs- 
schule  eingerichtet  werden.  Die  Schule 
war  in  einem  Schulgebaude  nahe  dem 
Fusse  des  Broadway  untergebracht,  in- 
mitten  einer  Bevolkerung  aus  vieler  Her- 
ren  LSnder,  und  zahlte  unter  ihren  320 
Lernbegierigen  Vertreter  und  Vertrete- 
rinnen  von  vierzehn  Nationalitaten, 
namlich  Amerikaner,  Deutsche,  Bob- 
men,  Polen,  Russen,  Ungarn,  Italiener, 
fisterreicher,  Norweger,  Engliinder,  Ir- 
lander,  Schweizer,  Griechen  und  TUrken. 
Die  verschiedenen  Altersstufen  zwischen 


154 


P'ddagogiscbe  Monatsbejte. 


dem  13.  und  49.  Lebensjahre  waren  hier 
zu  finden. 

Jungamerika  war  daran,  sich  in  der 
ersten  Woche  unangenehm  zu  machen; 
es  war  die  ohnehin  schon  lebhafte  Wahl- 
woche,  da  drangten  nach  einander  zwei 
sich  befehdende  Rotten,  unter  den  omi- 
nosen  Namen  Market  Rats  und  Wharf 
Rats  bekannt,  von  der  Strasse  herauf 
ins  Amneldezimmer  —  die  eine  wie  die 
andere  liess  sich  aber  nach  einem  era- 
sten  Hinweis  zur  Ausgangstiire  geleiten, 
ohne  dass  auch  nur  ein  unfreundliches 
Wort  geaussert  worden  ware.  Ja,  einige 
der  jungen  Burschen  kamen  eine  Woche 
spater  zuriick  und  wurden  fleissige  Schii- 
ler.  Wahrend  des  ganzen  Kurses  herrsch- 
te  in  der  Schule  dieselbe  Ruhe  wie  in  ei- 
ner  Kirche,  wozu  das  gute  Vorbild  der 
Eingewanderten  wesentlich  beigetragen 
hat. 

Nach  dem  Vorbild  anderer  Stadte 
werden  unsere  offentlichen  Schulen  dem- 
nachst  durch  Namen  hervorragender 
Burger  bezeichnet  werden.  Ein  Histori- 
ker  an  der  Johns  Hopkins  Universitat 
hat  den  Auftrag  bekommen,  der  Schul- 
behorde  diesbeziigliche  Vorschlage  aus- 
zuarbeiten,  wofiir  ihm  einhundert  Dol- 
lars ausgesetzt  worden  sind.  Nur  sol- 
che  Burger,  die  sich  vor  der  Zeit  des 
Biirgerkrieges  ausgezeichnet  haben,  sol- 
len  beriicksichtigt  werden.  Bis  jetzt  sind 
die  Schulen  numeriert,  die  englisch-deut- 
schen  fiihren  die  Nummern  91  bis  99. 

S. 
Chicago. 

Chicago  ist  in  Gefahr,  das  herrliche 
TTiomas-Orchester  zu  verlieren!  Seit 
mehr  als  einem  Dutzend  Jahren  hat  es 
die  Musiklreunde  der  Stadt  und  Umge- 
bung  durch  die  Wiedergabe  klassischer 
Musikwerke  in  vollendeter  Form  gera- 
dezu  entziickt.  Es  steht  unstreitig  auf 
gleicher  Hohe  mit  den  allerersten  Verei- 
nigungen  dieser  Art  in  der  alten  Welt! 
Und  das  will  sehr  viel  sagen. 
Die  Defizite  sind  allerdings  von  Jahr  zu 
Jahr  geringer  worden,  allein  die  paar 
Leute,  die  seither  jahrlich  15 — 20  Tau- 
send  Dollars  zugelegt  haben,  sind  ea 
miide  geworden,  das  weiter  zu  tun.  Ein 
eigenes  Heim,  zu  dem  die  Plane  und 
Voranschlage  schon  gemacht  sind,  das 
aber  $7f>0,000  kosten  wiirde,  konnle  den 
Zusammenbrucii  verhindern.  Biah-^r  sind 
otwas  iiber  $200,000  gezeifhnet  worden. 
I)a  die  Kontrakte  der  Musiker  in  etwa 
vier  Woclien  ablaufen,  so  hat  die  Sadie 
grosse  Eile,  um  im  giinstigen  Sinne  ent- 
schieden  zu  werden. 

Hier  ware  eine  Gelegenheit  fur  unsere 
Millionare,  ihren  Gemeinsinn  zu  zeigen! 
Das  Thomas-Orchester  hat  in  der  Zeit 


seines  Bestehens  mehr  ftir  Erziehung 
des  Volkes  getan,  als  die  Universitiit  des 
Mr.  Rockefeller.  Ernes. 

Cincinnati. 

,,Wenn  Du  aber  gar  nichts  hast, 
Ach,  so  lasse  Dich  begraben — Lump!" 

Wenn  je  einmal  im  Leben,  so  war  Ihr 
Korrespondent  in  diesen  Tagen  recht 
ernstlich  gesonnen,  diesen  Rat  Heine's 
zu  befolgen.  Da  fiel  ihm  aber  noch  im 
letzten  Augenblicke  Goethes  Diktum 
ein:  ,,Nur  Lumpe  sind  bescheiden". 
Ergo:  Schreiben,  wenn  es  weniger  als 
blutwenig  zu  schreiben  gibt!  —  ,,Dieses 
vorausgeschickt",  ist  eine  weitere  Ent- 
schuldigung  ob  der  Magerkeit  dieser 
Korrespondenz  nicht  vonnoten.  Ich  geb's 
gern! 

Gliicklicherweise  batten  wir  gestern 
eine  Versammlung  des  Deutschen  Leh- 
rervereins,  bei  der  nicht  nur  vorziigliche 
Gesang-  und  Instrumentalpiegen  von 
Nicht-Berufsgenossen — Lehrer  und  Leh- 
rerinnen  haben  einstweilen  den  Sang 
,,sich  abgetan"  —  zu  Gehor  gebracht 
wurden,  sondern  auch  ein  langjahriger 
bewahrter  Freund  unserer  Gilde,  Herr 
Pastor  Eduard  Voss  (ein  Urenkel  von 
Johann  Heinrich  Voss)  einen  sehr  zeit- 
gemassen  und  packenden  Vortrag  hielt 
iiber  das  Thema  ,,Der  Deutsche  Michel 
in  Amerika".  Wohlverdientes  Lob,  aber 
auch  Tadel  und  ernste  bedeutsame  Mah- 
nungen  liess  der  gewandte  Redner  den 
Deutschamerikanern  in  begeisterten 
Worten  angedeihen.  Der  deutsche  Mi- 
chel, der  im  alten  Vaterlande  sich  auf 
immer  drunten  im  Kyffhauser  zur  ewi- 
gen  Ruhe  niedergelegt  hat,  so  meinte 
der  Redner,  schickte  vorher  einige  ge- 
sunde  Ableger  heriiber  zu  uns,  und  die 
sorgen  dafiir,  dass  er  hierzulande  iippig 
weiter  gedeiht,  so  iippig,  dass  er  seine 
Sprache,  seine  guten  Sitten  und  GebrSiu- 
che,  nur  zu  oft  wissentlich  und  geflis- 
sentlich,  schmahlich  vernachlassigt  und 
preisgibt.  Niemand  konne  mehr  dazu 
beitragen,  hierin  Xnderung  zu  schaffen, 
als  der  deutsche  Lehrerstand,  denn  die 
deutschamerikanische  Jugend  sei  es 
nunmehr  allein,  die  das  Deutschtum  in 
Amerika  vor  Versumpfung  und  endli- 
chem  Untergange  bewahren  kann.  Sie 
in  dieser  Hinsicht  auf  den  rechten  Weg 
zu  leiten  und  dafiir  zu  sorgen,  dass  sie 
ihn  wacker  auch  beschreite,  das  sei  un- 
sere, der  Lehrer  Sache,  da  leider  so  viele 
deutsche  Eltern  dieses  ihres  Amtes  nicht 
walten.  —  Der  prilchtige  Vortrag  ist  im 
Manuskript  nicht  vorhanden,  da  der 
Redner  keines  hat,  sonst  ware  eine  voll- 
inhaltliche  Wiedergabe  desselben  in  den 
P.  M.  gewiss  recht  sehr  am  Platze.  Wei- 
tere Satze  aber  herauszugreifen,  wiirde 


Korresponden^en. 


155 


die  gewiinschte  und  durch  den  Vortrag 
BO  weit  erreichte  Wirkung  abschwachen. 
Vielleicht  lasst  der  Redner  sich  herbei, 
seine  Ausfiihrungen  nachtraglich  doch 
noch  niederzuschreiben,  dann  seien  die- 
selben  unseren  Lesern  nicht  vorenthal- 
ten. 

In  unseren  Lehrerkreisen  im  allgemei- 
nen  geht's  hoch  her.  Nicht  nur  werden 
in  den  verschiedenen  Vereinen  die  Vor- 
standsneuwahlen  mit  wirklicher  In- 
brunst  vorgenommen,  bezw.  betrieben 
und  vorbereitet,  sondern  von  padagogi- 
scher  Weisheit  triefende  monatliche  of- 
fizielle  Schulbulletins  und  nichtoffizielle 
Lehrerzeitungen  lassen  es  an  Ratschla- 
gen  und  Mahnungen  unterschiedlicher 
Giite  nicht  fehlen.  Daneben  ist  j'eder 
Freitag  der  Woche  zu  einer  Muss-Ver- 
sammlung  samtlicher  Lehrer  —  aller 
Grade  der  Reihe  nach  —  bestimmt.  Im 
englischen  Departement  besteht  die  Sa- 
che  aus  Vortragen  der  verschiedenen  Su- 
perintendenten,  wahrend  im  deutschen 
Departement  Probelektionen  vorgefiihrt 
werden,  jedenfalls  eine  nicht  genug  zu 
lobende  Neuerung  unseres  Dr.  Fick,  an 
dem  es  —  ich  will's  offen  sagen  —  wahr- 
lich  nicht  liegt,  wenn  der  deutsche  Un- 
terricht  nicht  die  hochste,  unter  den 
Umstanden  mogliche,  Stufe  erreicht. 
Das  tut  uns  alien  ohne  Ausnahme  wohl, 
und  wir  diirfen  ohne  Scheu  sagen,  dass 
gar  manche  englische  Kollegen  uns  da- 
rum  beneiden.  ,,Wir  alle  wollen  Hiiter 
sein'!"  Das  haben  wir  in  Cincinnati  im- 
mer  bewahrheitet. 

Wir  stehen  vor  einer  neuen  Stadt- 
wahl,  bei  welcher  der  Schulrat  gleich- 
falls  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden 
wird.  Doch  sind  jetzt  schon  Zweifel  laut 
geworden,  ob  unter  der  neufabrizierten 
Gemeindeverwaltung  in  Ohio  eine  solche 
Wahl  im  jetzigen  Augenblicke  wohl  ge- 
boten  oder  statthaft  sei.  Da  steht  ja 
wohl  ein  Einhaltsbefehl,  oder  so  was 
Ahnliches,  post  festum  in  Aussicht.  Un- 
eingehalten  und  unangefochten  kann  ja 
heutzutage  nichts  mehr  existieren — also 
warn  in  nicht?  quidam. 

Milwaukee. 

Es  ist  in  diesen  Korrespondenzen 
schon  ofter  die  Rede  gewesen  von  der 
Notwendigkeit  eines  guten  Schulzwang- 
gesetzes.  Es  wurde  auch  mitgeteilt,  dass 
eine  Vorlage  ausgearbeitet  sei.  Diese  ist 
nun  der  Legislatur  unterbreitet  worden, 
und  soweit  man  bis  jetzt  die  Sachlage 
beurteilen  kann,  hat  die  Vorlage  die  be- 
ste  Aussicht  angenommen  zu  werden. 
Damit  wiirde  dann  einem  doppelten 
tibelstande  abgeholfen  werden,  namlich 
dem  des  Schulschwanzens  einerseits,  und 
sodann  dem  Arbeiten  in  den  Fabriken 


seitens  schulpflichtiger  Kinder.  Der  letz- 
tere  ttbelstand  besteht  besonders  in  Mil- 
waukee in  ganz  erschreckender  Weise. 
Tausende  von  Kindern  beiderlei  Ge- 
schlechts  unter  14  Jahren  sind  hier  in 
Fabriken  und  Kaufladen  beschaftigt. 
Traurig,  sehr  traurig  ist  es,  dass  wir  so 
gewissenlose  und  pflichtvergessene  El- 
tern  haben,  die  um  des  karglichen  Loh- 
nes  willen  ihren  Kindern  den  so  nb'tigen 
Schulunterricht  rauben  und  sie  geistig, 
korperlich  und  moralisch  verkiimmern 
und  verderben  lassen  in  den  Fabriken. 
Nun  haben  wir  ja  Fabrikinspektoren,  die 
dazu  sehen  sollen,  dass  keine  Kinder 
unter  14  Jahren  in  Fabriken  arbeiten; 
aber  wozu  ist  man  denn  in  Amerika  ?  Da 
muss  man  sich  zu  helfen  wissen;  denn 
augenscheinlich  werden  hier  die  meisten 
Gesetze  nur  zu  dem  Zwecke  gemacht, 
dass  sie  iibertreten  werden.  Da  gehen 
also  die  Eltern  einfach  zu  irgend  einem 
Friedensrichter,  Notar  oder  Winkeladvo- 
katen  und  schworen  frech  und  schamlos, 
dass  ihr  12-,  ja  11-  oder  lOjahriges  Kind 
14  Jahre  alt  ist,  und  fur  einige  Dollars 
stellt  dann  der  gefallige  Beamte  die  be- 
ziigliche  Bescheinigung  ausu  Doch 
hoffen  wir,  dass  dies  nur  Ausnahmen 
sind  und  nicht  die  Regel.  Aber  wie 
traurig  steht  es  doch  mit  unsern  sozia- 
len  Verhaltnissen,  dass  Kinder  und 
bleichsiichtige,  schwachliche  junge  Mad- 
chen  den  Platz  der  Miinner  in  den  Fabri- 
ken einnehmen.  Sind  die  letzteren  nicht 
oft  im  wahrhaften  Sinne  des  Wortes  ein 
Moloch,  dem  Ehre  und  Tugend  mancher 
junger  Madchen,  der  Wohlstand  der  Fa- 
milien  und  die  Wohlfahrt  des  Staates 
und  des  Landes  geopfert  werden? 

Dann  wird  hoffentlich  auch  das  ttbel 
des  Schulschwanzens  grilndlicher  ausge- 
rottet  werden.  Bis  jetzt  hatten  wir  hier 
in  Milwaukee  nur  einen  ,,Truant  officer", 
und  der  ist  sicherlich  nicht  geniigend 
fur  eine  solche  grosse  Stadt.  Leider  be- 
kiimmern  sich  manche  Eltern  nicht  ge- 
wissenhaft  genug  um  den  Schulbesuch 
ihrer  Kinder,  darum  kommt  es  oft  ge- 
nug vor,  dass  Kinder  die  Schule  schwan- 
zen,  ohne  dass  die  Eltern  nur  eine 
Ahnung  davon  haben.  Dann  ist  noch 
ein  grosser  ttbelstand  da,  aber  der  kann 
wohl  schwerlich  durch  Gesetze  abgestellt 
werden.  Ich  meine  namlich  den  so  sehr 
unregelmassigen  Schulbesuch  der  Kin- 
der. Wenn  die  Eltern  nur  eine  Idee  da- 
von hatten,  wie  sehr  sie  ihren  Kindern 
schaden  durch  das  viele  Zuhausebehalten 
derselben,  und  wie  sie  uns  Lehrern  un- 
ser  Amt  damit  erschweren,  so  wiirden 
sie  das  wohl  zu  vermeiden  suchen.  Wie 
kann  ein  Schiller  regelmassige  Fort- 
schritte  machen  im  Unterricht,  wenn  er 


156 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


von  5  Schultagen  fast  regelmassig  einen 
oder  zvvei  Tage  zuhause  bleibt,  und  zwar 
ohne  krank  zu  sein?  Wenn  dann  die 


Kinder  im  Unterricht  zuriick  bleiben, 
so  wird  oft  den  Lehrern  die  Schuld  da- 
von  gegeben.  A.  W. 


II.     Umschau. 


Dr.  M.  D.  Learned,  Professor  der  deut- 
schen  Sprache  und  Literatur  an  der 
Staatsuniversitat  von  Pennsylvanien, 
unser  friiherer  verdienstvoller  Bundes- 
prasident  und  Mitarbeiter  an  diesem 
Blatte,  tritt  am  18.  d.  M.  einen  lange- 
ren  Urlaub  an,  den  er  zu  einer  Reise 
nach  Europa  beniitzen  wird.  Soil  diese 
Reise  zunachst  auch  eine  nach  zehnjah- 
riger  angestrengtester  Tatigkeit  wohl- 
verdiente  Erholungsreise  sein,  so  wird 
der  rastlos  tatige  Mann  die  Zeit  doch 
zugleich  seinen  Privatstudien  widmen. 
Von  Liverpool,  dem  ersten  Ziel  seiner 
Reise,  beabsichtigt  Prof.  Learned  sich 
nach  Deutschland  zu  begeben,  um  vor- 
nehmlich  in  den  Rheinlanden  und  der 
Schweiz  literarischen  und  kulturge- 
schichtlichen  Studien  obzuliegen.  Dem 
Scheidenden  unsere  und  aller  seiner 
Freunde  besten  Wiinsche  fiir  eine  gliick- 
liche  Reise  und  frb'hliche  Wiederkehr! 

Aus  Veranlassung  der  Feier  des  Deut- 
schen  Tages,  die  am  9.  November  des  vo- 
rigen  Jahres  in  New  York  abgehalten 
wurde,  erschien  eine  Festschrift,  welche 
von  mehr  als  lokalem  Interesse  zu  sein 
verdient.  Sie  wurde  unter  der  fahigen 
Leitung  von  Kollegen  A.  J.  W.  Kern 
hergestellt  und  soil  nicht  nur  einen 
Denkstein  der  kulturellen  Tatigkeit  des 
Deutschtums  von  New  York,  sondern 
des  gesamten  Deutschamerikanertums 
bilden;  sie  bietet  ein  iiberaus  reichhalti- 
ges  Material  aus  diesem  Gebiete  und  ist 
daher  einem  jedem,  der  der  Entwicke- 
lung  des  Deutschtums  in  diesem  Lande 
Interesse  entgegenbringt,  aufs  angele- 
gentlichste  zu  empfehlen.  Die  Sehrift 
ist  gegen  Einsendung  von  ID  cts.  von 
Herrn  A.  J.  W.  Kern,  Jamaica,  N.  Y., 
zu  beziehen. 

In  Indiana  kam  kurzlich  die  Frage 
des  Impfzwanges  vor  dem  Staatsoberge- 
richt  zur  Entscheidung.  Es  waren  nam- 
lich  von  dem  Gesundheitsamt  verschie- 
dener  Stadte  alle  Kinder,  die  nicht  ge- 
impft  waren  und  sich  dem  Impfen  wi- 
dersetzten,  von  dem  Schulbesuch  ausge- 
schlossen  worden,  und  mancheSchulen,  so 
besonders  in  Terre  Haute,  mussten  aus 
diesem  Grunde  geschlossen  werden.  Auf 
Grund  einer  diesbeziiglichen  Berufung 
hat  das  Obergericht  nunmehr  entschie- 
den,  dass  es  unstatthaft  sei,  ungeimpf- 


ten  Kindern  den  Schulbesuch  zu  verwei- 
gern,  und  die  Schulen  konnten  daher 
wieder  geoffnet  werden. 

New  York.  Von  der  fiir  Verbesserun- 
gen  ausgeworfenen  Summe  von  $9,940,- 
000  sind  $3,500,000  fiir  Schulzwecke  be- 
stimmt.  —  Die  Kosten  fiir  die  Fuhrung 
der  Columbia-Universitat  belaufen  sich 
fiir  das  kommende  Schuljahr  1903 — 1904 
laut  soeben  verb'ffentlichten  Etats  ouf 
$1,703,994.80.  Ein  Defizit  von  $150,000 
wird  durch  freiwillige  Beitrage  gedeckt 
werden  miissen. 

Wahrend  des  Monats  April  werden 
voraussichtlich  alle  die  vom  deutschen 
Kaiser  dem  Germanischen  Museum  zu 
Harvard  zum  Geschenk  gemachten  Gips- 
abgiisse  zum  Versand  kommen. 

Schutzhallen  fur  Schulhofe  sind  in 
den  Kreisen  der  Schulhygieniker  lange 
schon  als  notwendig  bezeichnet  worden. 
Einen  Versuch  mit  einer  solchen  Schutz- 
halle  will  die  stiidtische  Schulverwal- 
tung  Berlins  bei  dem  neuen  Gemeinde- 
schulhause  machen,  das  in  der  Putbuser 
Strasse  errichtet  werden  soil.  Auf 
Wunsch  der  Schuldepudation  ist  von  der 
stadtischen  Bauverwaltung  in  dem  Bau- 
entwurf  ausser  der  iiblichen  Turnhalle 
noch  eine  besondere  offene  Halle  vorge- 
sehen  worden,  die  einen  Teil  des  Holes 
iiberdacht.  Es  wird  dadurch  mb'glich, 
die  Schulkinder  auch  bei  Regenwetter 
sich  wiihrend  der  Unterrichtspausen  im 
Freien  aufhalten  zu  lassen. 

Jena.  Die  diesjahrigen  Ferienkurse 
fiir  Lehrer  und  Lehrerinnen  dauern  vom 
3. — 15.  August  d.  J.  Das  Verzeichnis 
gibt  folgende  Vortrage  an:  I.  Naturwis- 
senschaftliche  Kurse:  1)  Botanik  (Prof. 
Dr.  Detmer)  ;  2)  Anleitung  zu  bota- 
nisch-mikroskopischen  Arbeiten  und 
pflanzenphysiologischen  Experimenten 
(Prof.  Dr.  Detmer)  ;  3)  Die  Tierwelt 
des  Meeres,  mit  Demonstrationen  (Prof. 
Dr.  Ziegler)  ;  4)  Praktischer  Kursus  der 
Zoologie  (Prof.  Dr.  Ziegler);  5)  Physi- 
ologic des  Gehirns,  mit  Demonstrationen 
(Privatdozent  Dr.  Noll)  ;  6)  Die  Geolo- 
gie  in  der  Schule  (Prof.  Dr.  Johannes 
Walther)  ;  7)  Anwendung  optischer  In- 
strumente  zum  Zwecke  chemischer  Un- 
tersuchungen :  Spektralanalyse,  Mikro- 
skopie,  Polarisation,  Refraktion  (Pri- 


Umscbau. 


157 


vatdozent  Dr.  Gange).  II.  Padagogische 
Kurse :  1 )  Allgerueine  Didaktik  ( Prof. 
Dr.  Rein);  2)  Spezielle  Didaktik,  mit 
praktischen  ttbungen  (die  Oberlehrer 
Fr.  Lehmensick  und  H.  Landmann)  ;  3) 
Abnorme  Erscheinungen  im  kindlichen 
Seelenleben,  mit  Demonstrationen  (Di- 
rektor  J.  Triiper)  ;  4)  Psychologic  des 
Kindes  (Dr.  A.  Spitzner- Leipzig).  Au- 
sserdem  werden  noch  gehalten:  padago- 
gische  Kurse,  geschichtliche,  theologi- 
sche,  philosophische  Kurse,  Kurse  aus 
dem  Gebiete  der  Kunst  und  Sprachkur- 
se.  Programme  stehen  auf  Wunsch  zur 
Verfiigung.  Anmeldungen  nimmt  entge- 
gen:  Das  Sekretariat  (Frau  Dr.  Schnet- 
ger,  Jena,  Gartenstrasse  2 ) . 

Ungeteilte  Schulzeit.  Bekanntlich  ist 
schon  in  einer  Reihe  reichsdeutscher 
Stadte  die  ungeteilte  Schulzeit  einge- 
ftihrt.  Kiirzlich  wurden  die  Schularzte 
von  Gottingen  zu  einem  Gutachten  in 
dieser  Angelegenheit  aufgefordert,  und 
sie  haben  sich  fiir  die  Aufhebung  des 
Nachmittagsunterrichtes  ausgesprochen. 
Biireaukratius  mit  dem  Rohrstock. 
Einem  Einwohner  Sommerfelds  gingvor 
einigen  Tagen  folgendes  Schreiben  zu: 

Auf  Veranlassung  der  Koniglichen 
Bezirksschulinspektion  Leipzig  II  hat 
der  hiesige  Schulvorstand  beschlossen, 
Ihren  Sohn,  den  Schulknaben  Hermann 
Sch.  aus  Klasse  II  hiesiger  Volksschule, 
wegen  Liigens  und  Weglaufens  aus  der 
Schule  zu  bestrafen,  und  zwar  gemass 
Ihres  vor  der  Koniglichen  Amtshaupt- 
mannschaft  zu  Leipzig  am  27.  November 
1902  zu  Protokoll  gegebenen  Wunsches 
durch  eine  korperliche  Ziichtigung.  Die- 
selbe  wird  im  Interesse  der  Gesundheit 
Ihres  Sohnes  unter  Zuziehung  eines  Arz- 
tes  vollzogen  werden  und  die  hiesige 
Schulkasse  die  dadurch  verursachten 
Unkosten  von  Ihnen  einziehen. 

Sollten  Sie  etwas  dagegen  geltend  ma- 
chen  wollen,  so  haben  Sie  dies  bis  Mitt- 
woch,  den  11.  Februar  d.  J.,  bei  dem 
unterzeichneten  Vorsitzenden  des  Schul- 
vorstandes  anzubringen,  wobei  Sie  da- 
rauf  aufmerksam  gemacht  werden,  dass 
die  hiesige  Schulkasse  alle  durch  Ihrer- 
seits  verursachte  Weiterungen  entste- 
henden  Kosten  ebenfalls  von  Ihnen  ein- 
ziehen wird. 

Sommerfeld  bei  Leipzig,  den  4.  Febr. 
1903. 

Der  Schulvorstand. 

Liz.  Dr.  Wirth,  Pfarrer,  I.  Vorsitzender. 
Ob  der  Junge  seine  Hiebe  wohl  end- 
lich  weghaben  mag? 

Zur  neuen  Rechtschreibung.  Die  Ver- 
einigungen  der  Buchdruckereibesitzer 
des  Deutschen  Reiches,  6sterreichs  und 
der  Schweiz  haben  beschlossen,  die  neue 


deutsche  Rechtschreibung  in  ihren  Ge- 
schaften  derart  zu  vereinheitlichen  und 
zur  Durchfiihrung  zu  bringen,  dass  zur 
moglichsten  Beseitigung  der  immer  noch 
zulassigen  vielfachen  Doppelschreibun- 
gen  die  in  den  Regeln  und  im  Worter- 
verzeichnisse  bevorzugte  Schreibung  als 
massgebend  erklart  wird.  Infolgedessen 
wird  Regierungsrat  Dr.  Duden  in  Leip- 
zig eine  ,,Rechtschreibung  der  Buch- 
druckereien  deutscher  Sprache"  bearbei- 
ten,  welche  sodann  von  den  Verlagsbuch- 
handlern,  Zeitungsverlegern  und  Zei- 
tungsredaktionen  in  Anwendung  ge- 
bracht  werden  soil. 

Steilschrift.  In  den  Schulen  des  Her- 
zogstums  Meiningen  wird  die  Steilschrift 
mit  einem  Richtungswinkel  von  65°  ein- 
gefiihrt. 

Jahresgehalt  fur  den  Lehrer  Classen. 
Zwei  Hamburger  Privatleute  haben  dem 
Verfasser  des  sozialen  Romans  ,,Kreuz 
und  Ambos",  Walter  Classen,  in  Aner- 
kennung  der  tiichtigen  schriftstelleri- 
schen  Leistung  und  der  in  dem  Roman 
niedergelegten  Bestrebungen  ein  Jahres- 
gehalt von  1500  Mark  ausgesetzt,  damit 
Classen  nicht  gezwungen  ist,  im  Volks- 
schuldienst  zu  bleiben. 

Deutschlands  Lehrerseminar  fur  Kna- 
benhandarbeit    in    Leipzig    erfreut    sich 
unter  der  trefflichen  Leitung  Dr.  Pabsts 
nach     wie     vor    der    allgemeinen  Wert- 
schatzung.       Wie  aus  dem  vorliegenden 
Bericht     iiber  die  Unterrichtskurse     im 
Sommer  v.  J.  hervorgeht,  batten  sich  76 
Kursisten    aus     den    deutschen    Bundes- 
staaten,   aus  Amerika,    Grossbritannien, 
Russland,      6sterreich-Ungarn    eingefun- 
den,  um  sich  in  den  verschiedenen    Fa- 
chern  ausbilden  zu  lassen.     Der   Erfolg 
entsprach  den  Bemiihungen  der  Teilneh- 
mer  sowohl  als  auch  der  Lehrenden,  und 
so  darf  das  Lehrerseminar  mit  Befriedi- 
gung  auf  die  verflossenen  Jahre  zurvick- 
blicken     und     getrost       in  die    Zukunft 
schauen!     Vom  8. — 10.  Juli  soil  an  die- 
ser Anstalt  ein  kostenfreier  Kursus    fiir 
Schulaufsichts-    und  Verwaltungsbeamte 
sowie  fiir  Schulleiter  abgehalten  werden. 
Programme  hierfiir  konnen  von  dem  Vor- 
sitzenden    des    Deutschen    Vereins     fur 
Knabenhandarbeit,     E.    von    Schencken- 
dorff,    in  Gorlitz,    bezogen    werden,     an 
welchen  auch,     spatestens  bis  zum    10. 
Juni,  die  Anmeldungen  zu  richten  sind. 
Die  gebildetste    Nation   der  Welt     ist 
nach  einer  englischen    statistischen    Ta- 
belle  die  deutsche.     In  Deutschland    be- 
sucht  ein  Mann  unter  213  die  Universi- 
tat,  in   Schottland  einer  unter   520,     in 
den  Ver.  Staaten  einer  unter  2000  und 
in  England  einer  unter  5000. 


III.     Vermischtes. 


Eine  ansehnliche  Reihe  bedeutender 
Manner  waren  in  der  Schule  durchaus 
keine  Musterknaben.  Karl  von  Linne, 
der  Vater  der  Naturgeschichte  und  Be- 
griinder  der  wissenschaftlichen  Botanik, 
musste  aus  der  Schule  genommen  wer- 
den  und  wurde  zu  einem  Schuster  in  die 
Lehre  getan.  Erst  spater  entdeckte  ihn 
ein  Arzt  in  der  Schusterstube.  Dem 
Bahnbrecher  auf  dem  Gebiete  der  Che- 
mie,  Justus  von  Liebig,  gehorte  stets  der 
letzte  Platz  in  der  Klasse  und  der  ,,dum- 
me  Justus"  war  zur  stehenden  Redens- 
art  bei  den  Kommilitonen  geworden. 
Alexander  von  Humboldt  war  als  Kind, 
im  Gegensatz  zu  seinem  Bruder,  so 
schwachsinnig,  dass  seine  Lehrer  und 
seine  Mutter  zu  der  tfberzeugung  kamen, 
er  eigne  sich  zum  Studieren  gar  nicht, 
und  Humboldt  sagte  selbst,  dass  es  ihm 
ganz  plotzlich  licht  im  Kopfe  geworden 
sei.  Burger,  der  Balladendichter,  qualte 
sich  als  Knabe  bei  den  lateinischen  Kon- 
jugationen  tagelang  ab,  ehe  er  nur  eine 
Form  in  den  Kopf  gebracht  hatte,  und 
Ernst  Schulze,  der  Dichter  der  ,,bezau- 
berten  Eose",  soil  ein  Muster  von  Schlaf- 
miitzentum  gewesen  sein.  Walter  Scott, 
der  beriihmte  englische  Romanschreiber, 
war  all  seiner  Lehrer  Schrecken.  Noch 
auf  der  Universitilt  zu  Edinburg  prophe- 
zeite  ihm  ein  Professor,  dass  er  es  zu 
nichts  bringen  werde.  Der  geistreiche 
englische  Kritiker  und  Politiker  Swift 
fiel  auf  der  Hochschule  zu  Dublin  so 
kraftig  durchs  Examen,  dass  man  ihm 
in  Oxford  nicht  die  Aufnahme  zur  Voll- 
endung  seiner  Studien  gewahren  wollte. 
Auch  Wellington  zeichnete  sich  in  sei- 
ner Kindheit  durch  Tragheit  und  Unge- 
schicklichkeit  aus,  und  der  grosse  Napo- 
leon war  als  Knabe  sehr  schwer  von  Be- 
griff  und  entwickelte  sich  erst  auf  der 
Kriegsschule  zu  Brienne.  Hogarth,  der 
grosse  Humorist  in  Bildern,  wurde  von 
seinen  Lehrern  fur  stumpfsinnig  erklart. 
Thorwaldsen,  der  geniale  danische  Bild- 
hauer,  musste  in  der  zweiten  Klasse  sei- 
ner heimatlichen  Schule  drei  voile  Jahre 
sitzen. 

Lehrer  und  Landstreicher.  Eine  merk- 
wiirdige  Erscheinung  des  russischen 
Landlebens  sind  die  Lehrer,  die  sich  als 
Landstreicher  herumtreiben,  weil  ihren 
Diensten  zu  wenig  nachgefragt  wird. 
Diese  landstreichenden  Lehrer  setzen 
sich  aus  den  verschiedenartigsten  Be- 
rufszweigen  zusammen.  Man  findet  un- 
ter  ihnen  gewesene  Studenten,  verab- 
schiedete  Soldaten,  entlassene  Geistliche 
und  Schreiber  aller  Art,  mit  einem  Wort 


gescheiterte  Existenzen    aller    Professio- 
nen.    Die  weitaus  grossere  Mehrzahl  die- 
ser  Leute  sind  starke  Saufer,  Leute,  die 
in     ihrem  Leben     alles    verloren  haben. 
Viele  haben    sogar    die     einst     besseren 
Kenntnisse   vergessen,     so  dass    es     mit 
ihrem  Wissen  recht  trostlos  bestellt  ist. 
Das  Friihjahr    und     den  Sommer     iiber 
treibt  sich  diese  Art  von  Lehrern  in  der 
Stadt  herum.     Der  vagierende  ,,Lehrer" 
bildet  hier  einen  standigen  Besucher  der 
verschiedenen    Kneipen    und  Theehallen, 
in  denen  er  Klagen  oder  Briefe  fiir    die 
iibrigen  Besucher  schreibt  und  dabei  ge- 
horig  trinkt.     Mit  Eintritt  des  Herbstes 
schniirt   der   ,,Lehrer"    sein   Biindel    und 
zieht  aufs  Land,     um  in  irgend    einem 
Dorfe   den  Bauernkindern  Weisheit  ein- 
zutrichtern.      Es     gibt    sehr  viele  land- 
streichende   Lehrer,    die   ihren   bestimm- 
ten  Ort  haben,  an  welchem  sie  sich  all- 
jahrlich  niederlassen.       Man  freut  sich, 
wenn  sie  kommen,  kennt  sie  genau    und 
iibersieht  ihre  Fehler  wregen  ihrer  guten 
Eigenschaften.     Aber  es  gibt  auch  Leh- 
rer, deren  Riickkehr  das  Dorf  nicht  ohne 
Grund  fiirchtet.  Erscheint  ein  landstrei- 
chender  Lehrer  in  einem  Dorf  und   wird 
das  Bediirfnis  fur  seine  Gegenwart  fest- 
gestellt,     so    beginnt  er  mit  dem  ,,Sam- 
meln"  von  Schiilern.     Diejenigen  Lehrer, 
die  wirklich  einige  Kenntnisse  besitzen, 
stellen    sich  meist  unter  die  Protektion 
des    Dorfgeistlichen,     um    ihrer    Person 
mehr  Gewicht  zu  verleihen.  Hat  sich  der 
Lehrer  niedergelassen,     so  vereinbart  er 
mit  den  Eltern  der  Schiller    die    Bedin- 
gungen,  unter  denen  er  ihre  Kinder  un- 
terrichten  wird,  sowie  den  Ort  und    die 
Zeit  des  Unterrichts.     Das  Honorar,  das 
diesen  Lehrern  zuerkannt  wird,    besteht 
aus  einer   Zahlung  von   50   Kop.   bis  zu 
einem  Rubel  monatlich  fiir  jedes  Kind. 
Zu    Unterrichtszwecken    wird     entweder 
eine  besondere  Hiitte  gemietet  oder  der 
Unterricht  findet  abwechselnd  in  der  ei- 
nen oder  anderen  Bauernhiitte  statt.  Im 
ersteren  Falle     bedingt  sich  der  Lehrer 
auch  ein  bestimmtes  Quantum  von  Nah- 
rungsmitteln  aus,  oder  aber  er  isst    bei 
den  Bauern,  in  deren  Hiitten  er  unter- 
richtet.      Der  Unterricht  beginnt  meist, 
sobald  es  hell  geworden    ist,     und  wird 
fortgesetzt,  bis  der  kurze  Wintertag  zur 
Neige  geht.      Von  einer  Einheitlichkeit 
des  Unterrichts  kann  bei  derartigen  Leh- 
rern natiirlich  nicht  die  Rede  sein.    Ein 
jeder  lehrt,  wie  es  ihm  gut  diinkt.     Er 
weiss,    dass   der  Bauer  geizig  ist,     und 
kommt  daher  nie  mit  irgendwelchen  For- 
derungen.     Alle  Misserfolge  werden  den 


Vermischtes. 


159 


Schiilern  zugute  geschrieben,  denn  der 
Lehrer,  der  sich  den  ganzen  Tag  mit  sei- 
nen  Zb'glingen  beschaftigt  und  die  Fau- 
len  dazwischen  gehorig  durchpriigelt, 
muss  gut  sein.  Man  muss  den  Unter- 
richt  eines  solchen  landstreichenden 
Lehrers  angehort  haben,  um  die 
Kinder  und  deren  Eltern  tief  zu  bemit- 
leiden.  Abgelumpt,  schmutzig,  brannt- 
weinduftend  herrscht  ein  solcher  Lehrer 
iiber  die  unschuldigen  Kinderseelen. 
Dabei  katzbuckelt  und  dienert  er  vor  je- 
dem  betrunkenen  Bauern  in  der  Hoff- 
nung,  vielleicht  ein  Glaschen  Brannt- 
wein  zu  erhalten;  jedem  Bauernwirt 
fiihrt  er  seine  Kunststiicke  vor,  um  seine 
Gunst  zu  erwerben.  Schlimmer  wird  die 
Sache  jedoch,  wenn  das  Dorf  einen  Win- 
keladvokaten,  der  in  den  Kneipen  der 
Stadt  gearbeitet  hat,  zum  Lehrer  erhalt. 
Dieser  begniigt  sich  nicht  daunt,  die 
Kinderherzen  zu  vergiften,  sondern  er 
drangt  sich  in  alle  Angelegenheiten  des 
Dorflebens,  bemtiht  sich,  Zwist  und  fal- 
sche  Ansichten  zu  verbreiten,  und  tritt 
als  Rechtsanwalt  derjenigen  Partei  auf, 
die  mehr  bezahlt.  Es  wird  wohl  noch 
lange  dauern,  ehe  diese  russische  Leh- 
rer-Spezialitat  verschwindet. 

Sind  wir  eine  zivilisierte  Nation?  Ein 
Kriegsschiff  erster  Klasse  kostet  soviel 
als  die  94  Gebaude  der  Harvard-Univer- 
sitat,  kann  jedoch  von  dem  neuen 
Sprengstoffe  ,,Maximite"  augenblicklich 
vernichtet  werden.  Wir  verausgaben 
fur  Schulzwecke  jahrlich  200  Millionen 
Dollars,  fur  Kriegszwecke  400  Millionen, 
und  doch  leben  wir  im  tiefsten  Frieden. 

Militar  und  Unterricht.  Der  ,,Pionier" 
in  Bern  bringt  bei  Gelegenheit  der  Be- 
sprechung  der  Unterstiitzung  der  Volks- 
schule  durch  den  Bund  folgende  Zusam- 
menstellung  der  Ausgaben  in  den  Lan- 
dern  Europas  fur  Militar  und  Unter- 
richt : 

Ausgaben  per  Einwohner : 
Grossbritannien  und  Irland,  fur  Militar, 
25  Fr.,  fur  Unterricht  6  Fr. ;  Frankreich, 
f iir  Militar,  24  Fr.,  fur  Unterricht,  5  Fr. ; 
Deutsches  Reich,  18  Fr.,  7  Fr;  Dane- 
mark,  11  Fr.,  3  Fr.;  Griechenland,  10, 
2;  Schweden,  9,  4;  fisterreich-Ungarn,  9, 
2;  Italien,  9,  1;  Rumanien,  9,  5;  Nor- 
wegen,  8,  4;  Belgien,  8,  5;  Schweiz,  8,  15. 

fiber  ,,Babel  und  Bibel"  hat  vor  lange- 
rer  Zeit  Prof.  Delitzsch  in  Gegenwart 
des  Kaisers  gesprocken  und  dabei 
den  Widerspruch  der  Theologen  beider 
christlicher  Konfessionen,  sowie  des  jiidi- 
schen  Rabbinen  erregt.  In  einem  neuen, 
wieder  in  Gegenwart  des  Kaiserpaares, 
des  Reichskanzlers,  des  Kultusministers, 
zahlreicher  hervorragender  Theologen  u. 
s.  w.  gehaltenen  Vortrage  iiber  dasselbe 


Thema  ist  Prof.  Delitzsch  noch  welter 
vorgegangen.  Auf  Grund  der  Ergebnisse 
der  Nachgrabungen  in  Babel  ist  Prof. 
Delitzsch  zu  der  tfberzeugung  gelangt, 
es  sei  ein  Irrtum,  wenn  man  annehme, 
dass  die  hebraische  Sittenlehre  mit  allem, 
was  zu  ihr  gehore,  aus  sich  selbst  ent- 
standen  sei;  sie  sei  vielmehr  aus  vor- 
handenem  geboren,  zum  grossen  Teil  aus 
der  Kultur  anderer  hochentwickelter 
Staaten  geschopft.  Die  in  den  Biichern 
Mosis  verzeichneten  Gesetze  seien  erst 
nach  der  Einwanderung  in  Kanaan,  erst 
nachdem  die  Juden  sesshaft  geworden, 
entstanden  und  auf  Moses  nur  zuriick- 
gefiihrt  worden,  um  ihnen  mehr  Ansehen 
und  Geltung  zu  verschaffen.  Die  mei- 
sten  Gesetze  der  Juden  seien  bereits  von 
den  Babyloniern  ebenso  heilig  gehalten 
worden  wie  von  den  Juden.  Lange  vor 
der  mosaischen  Zeit  bestand  in  Babylo- 
nien  ein  wohlgeordneter  Rechtsstaat,  mit 
Gesetzen,  in  denen  sich  die  von  Moses 
aufgestellten  Bestimmungen  befinden. 
Obenan  steht  darin  der  Schutz  der  Wai- 
sen,  der  Witwen  und  der  Schwachen.  So 
gut  wie  die  Gesetze  von  Babel  mensch- 
lichen  Ursprungs  seien,  seien  es  auch  die 
mosaischen.  Die  weitere  Forschung  miis- 
se  ermitteln,  was  an  den  mosaischen  Ge- 
setzen nur  israelitisch,  was  allgemein 
semitisch,  was  babylonischen  Ursprungs 
ist.  Viele  ttbereinstimrnungen  fallen  ins 
Auge,  wie  beispielsweise  der  Rechtssatz 
Auge  um  Auge,  der  Sabbat  und  vor  allem 
der  Gedanke  des  Einen  Gottes  (Jahwe). 
Delitzsch  bestreitet,  dass  die  Beschnei- 
dung  das  besondere  Bundeszeichen  zwi- 
schen  Jahwe  und  Israel  gewesen  sei.  Ge- 
meinsamen  Ursprungs  aus  der  babylo- 
nisch-assyrischen  Welt  sind  nach  De- 
litzsch auch  das  Wiedervergeltungsrecht, 
das  Neumondsfest,  das  Brustschild  des 
Hohenpriesters,  das  Schaubrot  u.  s.  w. 
Bei  den  zehn  Geboten  nimmt  Delitzsch 
das  fiinfte  und  siebente  von  der  babylo- 
nischen Abhangigkeit  aus.  Im  iibrigen 
sind  manche  babylonischen  Anschauun- 
gen  den  jiidischen  iiberlegen,  so  z.  B. 
in  betreff  der  Stellung  der  Frauen.  Selbst 
der  Monotheismus  ist  nicht  israelitischen 
Ursprungs.  Der  Gottesname  Jehu  ist 
aus  der  Urkunde  des  dritten  vorchristli- 
chen  Jahrtausends  erwiesen.  Vor  alien 
Dingen  nehmen  es  die  strengglaubigen 
Theologen  dem  ernsten  Forscher  De- 
litzsch iibel,  dass  er  es  fiir  Aberglauben 
erklart,  das  alte  Testament  sei  eine 
Offenbarung  Gottes. 

Was  ein  Vogelnest  icert  ist.  Hieriiber 
finden  wif  Rechnung:  In  einem  Neste 
sind  fiinf  Junge.  Jedes  dieser  Jungen 
braucht  durchschnittlich  taglich  50Stiick 
Raupen  zur  Nahrung.  Aae  Jungen  zu- 


160                                  P'ddagogische  Monatshefte. 

sammen  brauchen  also  taglich  250  Rau-  ehrten   Erzieher,   in   dessen    Institut   zu 

pen.     Die   Atzung   dauert   durchschnitt-  Yverdon  sie  einige  Zeit  zugebracht  hatte. 

lich  dreissig  Tage.     Wa'hrend  dieser  Zeit  Dabei  konnte  sie  eine  Locke  des  Meisters 

werden    7500    Raupen    vernichtet.     Jede  vorweisen,     welche     sorgsam     in    einem 

Raupe  frisst  taglich  ihr  eigenes  Gewicht  Etui    verwab.pt    wurde.     Und    wenn    sie 

an  Slattern  und  Bliiten.     Angenommen,  dann  etwa  von  den  Eigentiimlichkeiten 

sie    brauche,    bis    sie    ausgefressen    hat,  Pestalozzis    erzahlt   hatte,    so   fiigte    sie 

auch    dreissig   Tage    und    fresse   taglich  bei:    ,,Aber   wir    batten   ihn    sehr,    sehr 

nur  eine  Bliite,  die  eine  Frucht  gegeben  lieb". 
hatte,    so   frisst   sie    in    dreissig    Tagen 

dreissig  Obstfruchte,  und  die  7,500  Rau-  Schuler-GrammaUk:     ,,Die    Tulpe    ist 

pen    fressen   zusammen   225,000    soldier  8ch6n'  aber  sle  lst  rucWos. 

Bliiten.  Aus  der  Schule.     Lehrer    (bei  Erkla- 

Die  letzte  Schiilerin  Pestalozzis,  Frau  rung    von    Uhlands    ,,Gliick    von    Eden- 

A.  M.   von  Wattenwil-Gormann,   ist  im  hall")  :    Hat   vielleicht   einer    von    euch 

Schlingmoos  bei  Gurzelen  im  hohen  Alter  etwas  von  einer  Fey  oder  Fee  gelesen? 

von    89    Jahren    gestorben.     Laut    ,,Ev.  Was  ist  eine  Fee?  Schiller:  Ein  hiibsches 

Schbl."  erzahlte  sie  gerne  von  ihrem  ver-  Weib,  \vo  einem  gern  etwas  schenkt. 


Bucherschau. 


Berichtigung. 

Erst  nach  Abfassung  meiner  Anzeige  der  Prettyman'schen  Ausgabe  von  Schil- 
lers  Dreissig jahrigem  Kriege,  Buch  III,  in  der  Marznummer  der  P.  M.  (S.  125  f.) 
bin  ich  mit  Dr.  Bernhardts  Bearbeitung  des  gleichen  Stoffes  bekannt  geworden,  der 
bereits  1894  —  also  geraume  Zeit  vor  den  beiden  andern  in  meiner  Besprechung  ge- 
nannten  Ausgaben  —  im  Verlage  der  American  Book  Company  erschienen  ist.  Ich 
bedaure  das  Versehen  um  so  mehr,  als,  wie  ich  nachtraglich  erfahren  habe,  gerade 
Dr.  Bernhardts  Buch  den  Zwb'lferausschuss  veranlasste,  den  betreffenden  Lesestoff 
in  seine  Liste  empfehlenswerter  Texte  aufzunehmen.  Eine  genaue  Priifung  der 
Ausgabe,  die  den  Titel  fiihrt  ,,Gustav  Adolf  in  Deutschland,  1630  — 1632.  From 
Schiller's  History  of  the  Thirty  Years'  War,"  tiberzeugt  mich,  dass  diese  ehrende 
Anerkennung  wohl  verdient  war.  Dr.  Bernhardts  Ausgabe  enthalt  etwa  vier  Seiten 
einfuhrender  Bemerkungen  und  ist  mit  neun  Illustrationen  —  vorwiegend  Portrats 
der  bertihmten  Feldherren  des  Krieges  —  sowie  einer  ttbersichtskarte  zur  Liitzener 
Schlacht  ausgestattet.  Wie  das  Vokabular  schon  andeutet,  ist  das  Buchlein  mehr 
fur  High  Schools  als  fur  Colleges  berechnet.  —  An  Einzelheiten  mochte  ich  folgendes 
bemerken:  Anm.  6  zu  S.  9  erweckt  eine  irrige  Vorstellung;  die  Schweden  sind  wohl 
mit  den  Goten  stammverwandt,  aber  doch  keineswegs  deren  Nachkommen.  Falsch 
ist  die  Ableitung  Welschland  =  Gallic  land,  Anm.  6  zu  S.  24 ;  siehe  Kluges  Etymo- 
logisches  Worterbuch  unter  welsch.  Angesichts  des  sonst  so  beliebten  Totschwei- 
gens  der  geschichtlichen  Wahrheit  hat  mich  auch  Anm.  4  zu  S.  24  angenehm  be- 
riihrt;  und  hierzu  sei  mir  gestattet,  aus  Prof.  Kochs  Besprechung  des  Trumpelmann- 
schen  Schauspiels  ,,Die  Zerstorung  Magdeburgs"  ( Literarisches  Centralblatt,  7. 
Marz  1903,  Beilage  Sp.  73)  folgendes  anzufuhren:  ,,Von  Triimpelmann  weiss  man 
von  seinem  Lutherfestspiel  her,  dass  er  die  Gegner  Luthers  scharf  anzugreifen  liebt. 
Um  so  mehr  ist  die  Macht  der  geschichtlichen  Wahrheit  anzuerkennen,  die  auch 
Trumpelmann  zwingt,  die  alte,  einstens  von  Schiller  so  schneidend  hervorgehobene 
Legende  von  Tillys  Mordbrennertum  beiseite  zu  lassen.  Die  Frage,  pb  ein  Verschul- 
den  Gustav  Adolf s  vorliegt,  hat  Trumpelmann  nicht  beruhrt;  den  Plan  zur  Zersto- 
rung Magdeburgs  lasst  er  aber  den  Vertreter  des  Schwedenk6nigs,  Oberst  Falken- 
berg,  fassen,"  —  was  dem  richtigen  Sachverhalt  am  nachsten  kommen  diirfte. 

Univ.  of  Wis.  Edwin  C.  Roedder. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  Mai  1903.  Heft  6 

Nationaler  Deutschamerikanischer  Lehrerbund. 


Aufruf  zur  Betei  ligung  an  der  33.  Jah  res  versa  mmlung  in  Erie,  Pa., 
30.  Juni,  1.  2,  und  3.  Juli  1903. 


(Offiziell.) 

Zum  erstenmale  seit  dem  Bestehen  des  Lehrerbundes  findet  unsere 
Jahresversammlung  in  Erie  statt.  Fiir  die  Vortrage  sind  tiichtige 
Krafte  gewonnen,  und  der  Ortsausschuss  wird  alles  tun,  was  er  vermag, 
um  den  Besuchern  den  Aufenthalt  in  unserer  Stadt  zu  einem  angeneh- 
men  zu  machen. 

Erie  ist  fiir  eine  Konvention  ausserordentlich  giinstig  gelegen; 
denn  es  ist  vom  Osten  sowohl  als  auch  vom  Westen  leicht  zu  erreichen. 
Die  Stadt  bietet  mit  ihrer  ,,Presque  Isle  Bay"  mancherlei  Erinnerun- 
gen  an  historische  Ereignisse.  Das  Klima  ist  daselbst  auch  im  Hoch- 
sommer  ein  angenehmes,  und  fiir  die  Bequemlichkeiten  der  Gaste  wird 
in  Erie  wohl  gesorgt  werden. 

Man  findet  hier  ein  kraftiges,  gesundes  Deutschtum,  und  die  Pflege 
der  deutschen  Sprache  in  der  Volkschule  erfreut  sich  eines  gliicklichen 
Gedeihens. 

Wir  richten  an  alle  Lehrer  und  Freunde  der  deutschen  Sprache 
und  des  deutschen  Unterrichts  die  dringende  Bitte,  den  Lehrertag  recht 
zahlreich  zu  besuchen;  nur  dann  konnen  wir  Erspriessliches  leisten. 
Vieles  ist  schon  geschehen,  aber  es  bleibt  noch  manches  zu  tun  iibrig. 

Alle  Anfragen  bittet  man  an  den  Prasidenten  des  Lehrerbundes  zu 
richten. 

Der  Bundesvorstand. 
G.  G.  v.  d.  Groeben,  President,  Erie  High  School,  Erie,  Pa. 


162  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Die  Deutschen  Eries  sehen  mit  Freuden  dem  Besuche  des  Lehrerbun- 
des  in  ihren  Mauern  entgegen. 

Die  deutsche  Sprache  imd  das  deutsche  Lied  haben  hier  eine  wahre 
Heimstatte  gefunden,  und  die  Anwesenheit  so  vieler  Mitkampfer  auf  die- 
sem  Gebiete  wird  uns  mit  neuem  Mut  und  neuer  Begeisterung  im  Kampfe 
fiir  die  Erhaltung  der  teuren  Muttersprache  erfiillen. 

Wir  Deutsche  hier  werden  tun,  was  in  unsern  Kraften  steht,  den  Be- 
suchern  den  Aufenthalt  so  angenehm  zu  machen,  daas  alle  sich  mit  Ver- 
gniigen  dieser  Stunden  erinnern  werden. 

Die  zentrale  Lage  Eries,  sein  schones  Klima  im  Sommer  machen  es 
zu  einer  ausserordentlich  giinstigen  Konventionsstadt,  und  wir  hoffen, 
recht  viele  Gaste  bei  uns  begriissen  zu  konnen. 

Der  Ortsausschuss. 

G.  Gorensto,  Vorsitzer. 
E.  Lohse,  Sekretar. 


Programm. 

Dienstag,  30.  Juni. 
Abends  8  Uhr — Eroffnungsfeier  in  der  Mannerchorhalle  (State  Str.) 

Begriissungsansprachen  des  Vorsitzenden  des  Ausschusses,  des  Biirgermeisters 
und  verschiedener  Mitglieder  der  Schulbehorde.  Gesang  des  Mannerchors. 
Eroffnung  des  Lehrertages  durch  den  Bundesprasidenten.  Gemfitliche 
Unterhaltung  in  den  Raumen  de  Mannerchorhalle. 

Mittwoch,  1.  Juli. 

Vormittags  9  Uhr.  —  Erste  Hauptversammlung.  Samtliche  Hauptversammlungen 
finden  im  Auditorium  der  Hochschule  (10.  und  Sassafrasstrasse,  Eingang 
von  der  10.  Strasse)  statt. 

1)  Geschaftliches.     (Berichte   der  Beamten.  Erneuerung  und  Erganzung    von 
Ausschiissen). 

2)  Vortrag:     Die  Realien  im  deutschen  Sprachunterrieht — Prof.  Ernst  Wolf, 
High  School,  Saginaw,  Mich. 

3)  Bericht  der  Seminar-Priifungskommission. 

4)  Vortrag:     Unsere  Nonnalschulen  und  einige  Vorschlage  zu  ihrer  Verbesse- 
rung — Prof.  J.  Barandun,  Pittsburg,  Pa. 

Nachmittags — Besuch  der  Bibliothek  des  Soldatenheims  und  einiger  anderer  Se- 

henswiirdigkeiten. 
Abends — Sommernachtsfest.     Grove  House  Park  am  Seeufer. 

Donnerstag,  2.  Juli. 
Vormittags  9  Uhr — Zweite  Hauptversammlung. 

1 )  Geschaftliches. 

2)  Vortrag:    Deutsche  Frauenschriftstellerei  von  gestern  und  heute  —  Prof. 
Otto  Heller,  Ph.  D.,  Washington  University,  St.  Louis,  Mo. 

3)  Etwaige  Komiteeberichte. 

4)  Vortrag:     Das    deutsche  Volkslied    in    der  Volksschule  —  Frau  Mathilde 
Grossart,  Case  School,  Cleveland,  O. 

Nachmittags :     Ausflug. 


Rationales  Deutschamerikaniscbes  Lebrer seminar.  163 

Abends  8  Uhr,  im  Auditorium  der  Hochschule:  Musikalisch-literarische  Abendun- 
terhaltung  unter  gUtiger  Mitwirkung  des  Mannerchors  und  des  ,,Glee  Clubs" 
und  ,,Girls'  Chorus"  der  Hochschule.  Festrede:  Die  deutschamerikanische 
Dichtung — Dr.  H.  H.  Fick,  Cincinnati. 

Freitag,  S.  Juli. 

Vormittags  9  Uhr — Schlussversammlung. 

1)  Geschaftlich.es. 

2)  Vortrag:     Ein  Bruch  mit  der  tfberlieferung — August  Prehn,  Ph.  D.,  Co- 
lumbia Grammar  School,  New  York. 

3)  Vortrag:     Noch  nicht  bestimmt. 

4)  Berichte  der  verschiedenen  Ausschusse. 

5 )  Vorstandswahl. 

6 )  Vertagung. 
Jfachmittags — Besichtigung  der  Stadt. 

Abends — Abschiedskommers  in  der  Mannerchorhalle. 

N.  B.  —  In  dem  Nachmittags-  und  Abendprogramm  konnen  eventuell  kleinere 
Veranderungen  eintreten. 

Einquartierung :  Die  beiden  grSsseren  Hotels  in  Erie  sind  das  ,,Reed  House" 
<$2 — $4)  und  ,,Libell  House"  ($2,  mit  Bad  $2.50).  Das  erstere  Hotel  ist  ganz  neu 
renoviert  und  kann  300  und  mehr  Gaste  unterbringen ;  das  letztere  100 — 150.  Von 
kleineren  Hotels  sind  zu  empfehlen:  Park  View  Hotel,  30 — 40  Personen  ($1.50)  ; 
Wilson  House,  National  Hotel  und  Moore  House  ($1.50 — $2). 

Alle  Anfragen  bitte  zu  richten  an: 

Gr.  G.  v.  d.  Groeben,  P.  O.  Box  35,  Erie,  Pa. 

Mit  den  Eisenbahnen  ist  kein  allgemein  giiltiges  Abkommen  getroffen  worden, 
da  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  die  einzelnen  Delegationen  von  ihren  Eisenbah- 
nen billigere  Fahrpreise  erhalten  konnen,  als  sie  der  Bundesvorstand  auszuwirken 
vermag. 


Nationales  Deutschamerikanesches  Lehrerseminar  zu 
Milwaukee,  Wis.,  558-568  Broadway. 


Das  Nationale  Deutschamerikanische  Lehrerseminar  eroffnet  am 
achten  September  dieses  Jahres  seinen  ftmfundzwanzigsten  Kursus. 
Seit  ihrer  Griindung  im  Jahre  1878  hat  diese  Pflegestatte  deutscher 
Sprache,  deutscher  Padagogik  und  deutscher  Sitten  Hunderten  von  jun- 
gen  Lehrern  und  Lehrerinnen  ihre  berufliche  Vorbildung  gegeben  und  sie 
instand  gesetzt,  an  offentlichen  und  privaten  Lehranstalten  mit  Begeiste- 
rung  und  treuer  Hingabe  an  dem  grossen  Erziehungswerke  mitzuhelfen. 

Das  Nationale  Deutschamerikanische  Lehrerseminar  bildet  seine 
Zoglinge  im  Sinne  der  modernen  Padagogik  fur  die  amerikanische  Volks- 
schule  aus  und  befahigt  sie,  sowohl  in  englischer  als  in  deutscher  Sprache 
zu  unterrichten.  Glaubensbekenntnis,  Religionsanschauung  und  Nationa- 
litat  kommen  bei  der  Aufnahme  der  Zoglinge  nicht  in  Betracht. 

Der  Seminarkursus  umfasst  drei  Jahre  bei  vollstandig  kostenfreiem 
Unterricht.  Die  Lehrbucher  stehen  den  Zoglingen  gegen  ein  sehr  gerin- 


164  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

ges  Entgelt  leihweise  zur  Verfiigung.  Mittellosen  Zoglingen  wird  auf 
Empfehlung  des  Direktors  der  Anstalt  aus  der  Seminarkasse  ein  in  Mo- 
natsraten  zur  Auszahlung  gelangender  Stipendienvorschuss  gewahrt. 

Das  Lehrerseminar  verfugt  iiber  tiichtige  und  erprobte  Lehrkrafte, 
die  Schulraume  sind  modern,  alien  sanitaren  Anforderungen  Rechnung 
tragend;  die  Klassenarbeit  wird  erganzt  und  unterstutzt  durch  reichhal- 
tige  Sammlungen  und  eine  gute  Biicherei ;  es  erfreut  sich  einer  Muster- 
schule, — der  Deutsch-Englischen  Akademie, — die  erfolgreich  die  hochste 
Stufe  der  Leistungsfahigkeit  anstrebt  und  den  Zoglingen  des  Seminars 
die  erwiinschte  Gelegenheit  gibt,  sich  fur  ihren  Beruf  als  Lehrer  prak- 
tisch  auszubilden. 

Durch  das  in  innigster  Verbindung  mit  dem  Lehrerseminar  und  des- 
sen  Musterschule  stehende  Turnlehrerseminar,  einer  Schopfung  des  Nord- 
amerikanischen  Turnerbundes,  wird  den  Seminaristen  eine  griindliche 
turnerische  Ausbildung  gewahrleistet.  Der  einjahrige  Kursus  fiir  Turn- 
lehrer  wird  im  September  gleichfalls  eroffnet. 

An  die  Freunde  unserer  Anstalt  und  an  Erziehungsfreunde  im  allge- 
meinen,  an  alle,  denen  die  Pflege  der  deutschen  Sprache  an  den  Lehran- 
stalten  dieses  Landes  und  die  Verbreitung  gesunder  Erziehungsgrundsatze 
und  Unterrichtsmethoden  am  Herzen  liegt,  richten  wir  die  dringende 
Bitte,  in  ihren  Kreisen  unsere  Bestrebungen  durch  die  Zuweisung  passen- 
der  Schiiler  zu  unterstiitzen. 

Strebsame  junge  Leute,  welche  die  Neigung  in  sich  fuhlen,  sich  dem 
schweren  aber  schonen  Lehrerberufe  zu  widmen  und  der  begriindeten 
Ansicht  sind,  dass  ihre  sprachliche  und  wissenschaftliche  Vorbildung  sie 
befahigt,  den  untenstehenden  Aufnahmebedingungen  zu  entsprechen,  wer- 
den  freundlichst  ersucht,  sich  mit  dem  unterzeichneten  Direktor  des  Leh- 
rerseminars  baldigst  schriftlich  oder  personlich  in  Verbindung  zu  setzen. 


Aufnahmebedingungen. 

A)  Deutsche  und  ettglische  Sprache.     1.     Mechanisch-gelaufiges    und    logisch- 
richtiges  Lesenj  2.     Kenntnis  der  Hauptregeln  der  Wort-  und  Satzlehre;  3.     Rich- 
tige  (miindliche  und  schrif tliche )  Wiedergabe  der  Gedanken  in  beiden  Sprachen. 

B)  Mathematik.     Sicherheit  und  Gewandtheit  in  ganzen  Zahlen,  in  gemeinen 
und  Dezimalbriichen,  in  benannten  und  unbenannten  Zahlen,  Zins-  und  Diskonto- 
Rechnung. 

C)  Geographic.     Bekanntschaft  mit  den  fiinf  Erdteilen  und  Weltmeeren,  der 
Geographic  Amerikas  und  den  Hauptbegriffen  der  mathematischen  Geographic. 

D)  Geschichte.     Kenntnis  der  Geschichte  der  Vereinigten  Staaten. 

E)  ~Naturgeschichte    und    Naturtehre.      Beschreibung    einheimischer    Pflanzen, 
Tiere  und  Steine;  die  einfachsten  Lehren  der  Chemie  und  Physikj  eine  elementare 
Kenntnis  des  menschlichen  Korpers. 

F )  Turnen.    Alle  korperlich  befahigten  Zoglinge  des  Lehrerseminars  sind  ver- 
pflichtet,  behufs  Ausbildung  als  Turnlehrer  am  Turnunterricht  der  Anstalt  teil  zu 
nehmen.     Zeitweilige  sowohl  als  permanent*  Entschuldigung  von  diesem  Fach  kann 
nur  durch  das  Zeugnis  des  von  der  Anstalt  angestellten  Arztes  erlangt  werden. 


Die  deutscbe  Lektiire  an  den  amerihaniscben  Scbulen.  165 

Kursus  fiir  Kindergartnerinnen. 

Da  der  Kindergarten  ein  wesentlicher  Teil  des  Volksschulsystems  1st,  so  1st  von 
der  Seminarbehorde  ein  Kursus  zur  Ausbildung  von  Lehrerinnen  fiir  seiche  Anstal- 
ten  eingerichtet  worden.  Die  Aufnahmebedingungen  fiir  diesen  Kursus  sind  die 

gleichen  wie  fur  die  anderen  Zoglinge  des  Seminars. 

Emil  Dapprich,  Direktor. 
Milwaukee,  Wis.,  5.  Mai  1903. 


Die  deutsche  Lektiire  an  den  amerikanischen  Schulen. 


Von  Dr.  Leopold  Jiahlsen  (aus  Berlin),  Teachers  College 
(Columbia  University),  New  York. 

Es  handelt  sich  bei  diesem  Thema  um  das,  was  wir  in  unseren  Schu- 
len in  Deutschland  den  Lektiirekanon  nennen.  Wir  verstehen  driiben 
unter  ,,Kanon"  eine  im  Lehrplan  jeder  hoheren  Schule  festgesetzte  Liste 
von  Werken,  die  in  den  verschiedenen  Klassen  gelesen  werden  miissen, 
oder  in  etwas  erweitertem  Sinne:  eine  Liste  von  Autoren,  aus  welcher 
die  betreffenden  Fachlehrer  vor  Beginn  jedes  Schulhalbjahres  den  Lese- 
stoff  fiir  die  Klassen-  resp.  Privatlektiire  auszuwahlen  haben.  Unsere 
vorgesetzte  Behorde,  das  Konigl.  Provinzialschulkollegium,  vor  allem  aber 
die  vom  Kultusministerium  herausgegebenen  Lehrplane  und  Lehraufga- 
ben  fur  ,,die  hoheren  Schulen  in  Preussen"  (die  neuesten  datieren  aus 
dem  Jahre  1901)  geben  fiir  solche  Auswahl  allgemeine  Direktiven,  wei- 
sen  auch  auf  gewisse  Autoren  hin,  die  unter  keinen  Umstanden  ausser 
Acht  gelassen  werden  diirfen,  kontrollieren  auch  etwaige  Neuvorschlage, 
aber  sie  gewahren  doch  innerhalb  bestimmter  Grenzen  dem  einzelnen  Leh- 
rer  noch  einige  Freiheit  in  der  Wahl.  Besonders  im  modern-fremdsprach- 
lichen  Unterricht  will  man  ,,driiben"  eine  gewisse  Mannigfaltigkeit  der 
Lektiire  zunachst  wenigstens  noch  nicht  zu  sehr  beschneiden.  In  der 
Praxis  ordnet  sich  die  Sache  gewohnlich  so,  dass  an  den  einzelnen  hohe- 
ren Schulen  von  Zeit  zu  Zeit  eine  Spezialkonferenz  der  in  den  verschie- 
denen Klassen  unterrichtenden  Fachlehrer  berufen  wird,  welche  sich  da- 
riiber  einigen,  inwieweit  der  Lektiirekanon  zu  modifizieren  oder  zu  ergan- 
zen  ist.  Ihre  Beschliisse  werden  im  Lehrplan  der  betr.  Anstalt  zu  Papier 
gebracht,  und  dieser  Lehrplan  wird  dem  zustandigen  Provinzialschulkol- 
legium zur  Genehmigung  vorgelegt,  welches  nun  seinerseits  priift,  ob  der 
beschlossene  Kanon  der  Eigenart  der  betr.  Schulgattung  entspricht  und 
mit  den  von  der  Regierung  gegebenen  Direktiven  im  Einklang  steht.  Im 
Lateinischen,  Griechischen  und  Deutschen  ist  in  dieser  Beziehung  auf 
preussischen  Schulen  eine  entschiedene  Stabilitat.  Das  ist  fiir  die  toten 
Sprachen  durchaus  und  furs  Deutsche  in  gewissem  Sinne  ganz  naturlich 
und  gerechtfertigt.  Wir  iiberschauen  schon  seit  Jahrhunderten  den  Ge- 
samtvorrat  dessen,  was  Griechenlands  Geistesheroen,  was  romische  klas- 


166  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

sische  Autoren  als  kostlichen  Besitz  von  unverganglichem  Werte  der  spa- 
teren  Zeit  hinterlassen  haben.  Homers  Ilias  und  Odyssee  und  Horazens 
Oden  sind  so  sehr  eiserner  Bestand  unseres  Lektiirekanons  geworden, 
dass  die  griechischen  und  lateinischen  Stunden,  in  denen  diese  Autoren 
interpretiert  werden,  im  Lektionsplan  der  Sekunda  und  Prima  geradezu 
die  Bezeichnung  Homerstunde,  Horazstunde  fiihren.  Uber  den  grosse- 
ren  oder  geringeren  Wert  der  anderen  antiken  Autoren  ist  man  sich  langst 
im  klaren,  und  nur  ganz  vereinzelt  kommt  es  da  im  Kanon  einmal  zu  einer 
zeitweiligen  unbedeutenden  Variation. 

Im  Deutschen  gelten  Lessing,  Goethe,  Schiller,  Uhland  als  unbestrit- 
tene  Schulklassiker,  aber  in  der  Auswahl  ihrer  Werke  herrscht  schon  mehr 
Freiheit.  Jedenfalls  ist  es  nach  unseren  preussischen  Lehrplanen  unmog- 
lich  und  undenkbar,  dass  ein  Schiiler  selbst  die  sechsklassige  lateinlose 
Realschule  durchmacht,  ohne  mindestens  je  ein  Meisterwerk  Lessings, 
Goethes,  Schillers  ,,mit  eingehendem  Verstandnis"  gelesen,  und  ohne  ei- 
nige  der  Uhlandschen  Balladen  und  Romanzen  auswendig  gelernt  zu  ha- 
ben. Aber  jenseit  dieses  Rahmens  liegen  noch  reiche  Schatze  besonders 
unserer  neueren  Literatur,  und  da,  muss  ich  sagen,  finde  ich  es  nicht  ganz 
gerechtfertigt,  dass  auch  hier  die  Tradition  und  der  amtliche  Wille  dem 
individuellen  Ermessen  der  Fachlehrer  nicht  viel  Spielraum  lassen. 

In  dieser  Beziehung  sind  die  Lehrer  der  modernen  Fremdsprachen  in 
Preussen  besser  daran,  und  da  mit  diesen  die  Deutsch  unterrichtenden 
Lehrer  in  Amerika  doch  eigentlich  analoge  Aufgabe  haben,  so  mochte  ich 
hierbei  ein  wenig  verweilen. 

Langst  voriiber  sind  die  Zeiten,  wo  im  modern  fremdsprachlichen 
Lektiirekanon  deutscher  Schulen  Racine,  Corneille,  Moliere,  Voltaire, 
Shakespeare,  Goldsmith's  Vicar  of  Wakefield,  Byron's  Childe  Harold, 
Dickens'  Christmas  Carol  und  Cricket  on  the  Hearth,  Washington  Ir- 
ving's  Sketch  Book  oder  Alhambra  Tales  allgemein  paradierten,  und  wo 
der  als  keeker  Griinschnabel  oder  banausischer  Revolutionar  gait,  der  es 
wagte,  den  ,,Charles  XII."  oder  den  ,,Vicar  of  Wakefield"  durch  ein  paar 
weniger  verstaubte,  sprachlich  und  inhaltlich  wertvollere,  neuere  Werke  zu 
ersetzen. 

Der  machtige  Aufschwung,  den  unser  modern-fremdsprachlicher  Un- 
terricht  in  Deutschland  in  den  letzten  fiinfzehn  Jahren  genommen  hat, 
brachte  es  mit  sich,  dass  auch  durch  den  uberlieferten  Lektiirekanon  ein 
frischer,  belebender,  reinigender  Hauch  strich,  der  manches  wurmstichige 
Inventarstiick  purzeln  machte  und  es  ermoglichte,  an  Stelle  iiberlebter 
Cotter  oder  Gotzen  moderne  Grossen,  wichtige  Faktoren  im  Geistesleben 
unserer  Tage  zu  setzen.  Unsere  Behorden  liessen  uns  auf  diesen  Gebie- 
ten  freie  Hand.  Sie  hatten  uns,  und  da  gebiihrt  unserm  Kaiser  fiir  die 
von  ihm  gegebenen  Anregungen  unser  besonderer  Dank,  neue  Ziele  ge- 
wiesen,  die  Pflege  der  heutigen  Literatur-  und  Umgangssprache  als  nicht 


Die  deutsche  Lektttre  an  den  amerikaniscben  Schulen.  167 

zu  vernachlassigenden  Faktor  bezeichnet  und  damit  eine  freie  Bahn,  ein 
weites  fruchtbares  Gebiet  der  Schule  gedffnet.  Auf  diesem  halten  wir 
Umschau,  und  da  gerade  in  den  letzten  Jahrzehnten  Hunderte  von  neuen 
Schulausgaben  auf  den  Markt  gebracht  wurden  und  der  Geschmack  der 
einzelnen  Fachlehrer  oft  nach  gar  verschiedenen  Richtungen  divergiert,  so 
kann  man  sich  ungefahr  einen  Begriff  machen,  wie  buntscheckig  der  Lek- 
tiirekanon,  wenn  auf  diesem  Gebiet  iiberhaupt  noch  von  einem  solchen  die 
Rede  sein  kann,  jetzt  ausschaut.  Zumeist  gestatten  unsere  Direktoren  den 
im  Franzosischen  und  Englischen  unterrichtenden  Lehrern,  furs  neue  Se- 
mester das  von  ihnen  neu  ausgewahlte  Buch  vorzuschlagen,  und  —  mag 
es  nun  sich  schon  sonstwo  als  Klassenlektiire  bewahrt  haben  oder  nicht,  — 
es  kommt  nur  ganz  vereinzelt  vor,  dass  die  nach  individuellem  Geschmack 
getroffene  Wahl  beanstandet  wird.  Der  betreffende  Lehrer  und  sein  Di- 
rektor  tragen  natiirlich  der  Behorde  gegeniiber  die  Verantwortung. 

Man  sieht,  auf  diesem  Gebiete  kann  man  den  preussischen  Behorden 
ganz  gewiss  nicht  den  Vorwurf  engherziger  Pedanterie,  zahen  Festhaltens 
an  iiberlebten  Prinzipien  machen.  Und  ein  preussischer  Provinzialschul- 
rat  war  es,  der  mir  vor  etwa  8  Jahren  in  bezug  auf  die  modern  fremd- 
sprachliche  Lektiire  an  deutschen  Schulen  die  Worte  schrieb : 

,,Wir  mussten  aus  dem  einseitig  asthetisch-literarisch-historischen 
Stoff  heraus  und  das  Leben  der  verwandten  Volker  in  seiner  modernen 
Erscheinung  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Arbeit  als  Lesestoff  zu 
verwenden  suchen." 

Und  ich  meine,  dieser  Gesichtspunkt  konnte  mit  Fug  und  Recht  auch 
fur  die  Auswahl  deutscher  Lektiire  an  amerikanischen  „  Secondary 
Schools"  geltend  gemacht  werden.  In  frischem,  frohlichem  Aufstreben, 
wie  es  sich  in  diesem  wunderbaren  Lande  auf  alien  Gebieten  zeigt,  ist  auch 
das  amerikanische  Schulwesen  und  last  not  least  der  deutsche  Unterricht 
hierselbst  begriffen. 

Zu  allermeist  sind  es  jugendfrische  Krafte,  die  ihm  dienen,  Lehrer 
und  Lehrerinnen,  die  entweder  aus  deutschen  Gauen  heruberkamen,  oder 
driiben  einen  wertvollen  Teil  ihrer  geistigen  Ausbildung  erhielten,  oder 
durch  gelegentliche  Reisen  nach  Deutschland  in  regem  Konnex  zu  bleiben 
suchen  mit  dem  Land  und  Volk,  dessen  Sprache  sie  berufen  sind,  Ame- 
rikas  Jugend  zu  lehren. 

Solche  Lehrkrafte,  glaube  ich,  sind  hiernach  vor  der  Gefahr  ge- 
schiitzt,  zu  lange  in  ausgefahrenen  Geleisen  stecken  zu  bleiben  und,  un- 
empfanglich  fiir  das,  was  das  frisch  pulsierende  geistige  Leben  der  Ge- 
genwart  an  Bliiten  und  Friichten  zeitigt,  immer  nur  das  verstaubte  Alte 
liebevoll  zu  betrachten  und  wertvollem  Neuen  den  Einzug  in  ihre  Klassen 
zu  versagen,  weil  dort  eine  erbeingesessene  Schullektiire,  welche  der  ver- 
bleichende  Schimmer  der  Klassizitat  umgibt,  dafiir  nicht  Raum  lasst. 


168  Padagogiscbe  Monatsbeftt. 

Aber  nach  welchen  Gesichtspunkten  soil  nun  solch  ein  deutscher  Lek- 
tiirekanon  fiir  ,,Secondary  Schools"  zusammengestellt  warden?  Wo  im- 
mer  im  Leben  wir  einen  Weg  suchen,  schauen  wir  zuvorderst  auf  das 
Ziel,  nach  welchem  jener  Weg  fiihren  soil.  Und  haben  wir  uns  fiir  einen 
entschieden,  so  richten  wir  bei  seiner  Verfolgung  den  Blick  immer  wieder 
auf  jenes  Ziel,  dem  wir  zustreben,  und  vergewissern  uns,  dass  wir  unter- 
wegs  nicht  abirren.  Dem  Lehrer  des  Deutschen  an  amerikanischen  Schu- 
len  sollte  als  leuchtendes  Endziel  vor  Augen  stehen,  was  ich  in  den  Leit- 
satz  zusammenfassen  mdchte :  Deutsch  lehren  und  lernen  heisst  Deutsch- 
land,  deutschen  Volkes  Art  und  Sitte,  Deutschlands  Kultur-  und  Geistes- 
leben  verstehen  lehren  und  kennen  lernen! 

Diesem  Zwecke  sollte  jede  deutsche  Klassen-  und  Privatlekture 
dienstbar  sein,  und  nach  diesem  eben  angedeuteten  Gesichtspunkt  ist  die 
Auswahl  zu  treffen,  auch  die  Auswahl  des  ersten  dem  deutschen  Anfangs- 
unterricht  zu  Grunde  liegenden  Buches !  Als  unbedingter  Anhanger  der 
analytisch-induktiven  Methode  befiirworte  ich  natiirlich  die  Form  des 
,,German  Reader",  einer  Art  Lesefibel,  in  welcher  an  der  Spitze  jeder  Lek- 
tion  oder  jedes  Kapitels  ein  kurzes,  sprachlich  und  inhaltlich  einf aches  Le- 
sestiick  steht,  welches  in  der  Klasse  zu  iiben,  zu  Hause  womoglich  zu  me- 
morieren  ist.  Mag  das  nun  eine  geschichtliche  oder  literarische  Anekdote, 
eine  kurze  Beschreibung  oder  eine  Fabel,  ein  winziger  Ausschnitt  aus  dem 
reichen  Schatz  deutscher  Marchen  oder  Sagen  sein,  —  jedes  einzelne 
Stiickchen  muss  seine  unverkennbare  Beziehung  haben  zu  jenem  idealen 
Endziel  des  deutschen  Unterrichtes  an  hiesigen  Schulen.  An  Stoff  kann 
es  da  wirklich  nicht  mangeln,  und  je  bunter  er  in  jenem  „ First  German 
Reader"  gemischt  ist,  um  so  niitzlicher  fiir  die  Aneignung  eines  moglichst 
reichhaltigen  Wortschatzes,  um  so  interessanter  fiir  die  Schiiler.  Histo- 
rische  und  zugleich  literarische  Bonmots  sollten  an  Stelle  des  nichtigen 
und  alltaglichen  Schnickschnacks  treten,  dem  man  so  haufig  in  den  Bii- 
chern  dieser  Art  begegnet.  Ich  uberschatze  den  ethischen  Wert  geschicht- 
licher  oder  literarischer  Anekdoten  wirklich  nicht;  aber  in  mancher  von 
ihnen  wird  durch  ein  Wort,  einen  Zug  eine  bedeutsame  Personlichkeit 
kurz  und  treffend  karakterisiert.  Und  schon  die  blosse  Erwahnung  solch 
einer  Personlichkeit  aus  Deutschlands  grossen  Zeiten  erscheint  mir  wert- 
voll.  Ich  schlage  aus  dem  grossen  Vorrat  beliebter  Lehrbiicher  dieser  Art 
ein  beliebiges  auf,  nebenbei  bemerkt  sogar  eines  der  besseren  seiner  Art, 
und  f rage  mich  beim  Anblick  der  ersten  Seite :  Was  in  aller  Welt  bedeu- 
tet  der  in  London  einem  Fussballspiel  zuschauende  turkische  Gesandte  fiir 
unsern  deutschen  Klassenunterricht  ?  Was  soil  in  einem  andern  deutschen 
Lesebuch  fiir  Anfanger  die  Beschreibung  eines  chinesischen  Gastmahls,  in 
einem  dritten  die  Fahrt  der  Argonauten,  Gesprache  zwischen  Jupiter  und 
Apollo,  u.  s.  w.,  u.  s.  w.  ?  Ins  rechte  deutsche  Milieu  miissen  von  vornher- 
ein  diejenigen  Schiiler  gefiihrt  werden,  die  Deutsch  und  durchs  Deutsche 


Die  deutsche  Lekture  an  den  amerihanischen  Scbulen.  169 

Deutschland  verstehen  lernen  wollen!  Und  in  diesem  Milieu  sie  festhal- 
ten,  sie  darin  fortdauernd  zu  interessieren  und  anzuregen,  dazu  muss 
ihnen  ihr  ,,German  Reader"  weiterhin  passend  gewahlte  Stoffe  vorsetzen, 
kleine  Stiicke,  in  denen  hier  etwa  der  Schuler  mit  Baldur  und  Loki,  dort 
mit  Siegfried  und  Kriemhilden,  hier  mit  Barbarossa,  dort  mit  Gutenberg, 
hier  mit  dem  alten  Fritz,  dort  mit  Bismarck  bekannt  gemacht  wird;  da- 
neben  kurze  Texte,  welche  vielleicht  von  Dornroschen  oder  Riibezahl,  von 
Doktor  Faust  oder  Tell  und  seinem  Apfelschuss,  von  der  Lorelei  oder 
Burg  Niedeck,  vom  Strassburger  Miinster  oder  dem  Brandenburger  Thor, 
von  einem  deutschen  Turnier  oder  vom  modernen  Manover  erzahlen. 

Freilich  offnet  ein  solches  kurzes  Lesestiick  nur  ein  winziges  Guck- 
fensterchen,  aber  es  schauen  dadurch  doch  in  unser  Schulzimmer  mancher 
Stern  und  manche  Zinnen  herein,  die  in  dem  Schuler  die  Ahnung  eines 
reichen,  schonen  Gebietes  entstehen  lassen,  mit  dem  sich  spater  naher  zu 
befassen,  sehr  wohl  der  Miihe  lohnt. 

Und  was  das  allererste  deutsche  Lese-  und  Lehrbuch  nur  gewisser- 
massen  in  mice  und  in  kleinen  blinkenden  Steinchen  bieten  konnte,  das 
baut  sich  in  dem  zweiten  deutschen  Buche  schon  planmassig  aus  und  zu 
vollstandigerem  Bilde  zusammen. 

Ich  rede  hier  der  Chrestomathie  das  Wort.  Wohl  weiss  ich,  dass 
manche  meiner  hiesigen  Kollegen  dafiir  nicht  viel  Meinung  haben,  aber 
denen  schwebt  wohl  eine  Chrestomathie  alten  Stiles  vor,  ein  dickleibiger 
Band,  worin  Leichtes  neben  Schwerem,  Altes  neben  Modernem,  Profanes 
neben  Klassischem  steht  und  ein  buntes  Gemisch  von  Stilarten  die  Schu- 
ler verwirren  muss.  Wer  die  alten  Anthologien  und  Chrestomathien  die- 
ser  Art  von  Plotz,  Burguy,  Herrig  u.  a.  noch  in  der  Erinnerung  hat,  wird 
es  verstehen,  dass  wir  auch  in  Deutschland  lange  Jahre  hindurch  der  Auto- 
fvnlektiire  den  Vorzug  gaben  vor  der  Chrestomathie.  Wir  sind  von  un- 
serm  zeitweiligen  Vorurteil  gegen  die  Chrestomathie  zunickgekommen, 
hauptsachlich  weil  diese  sich  heute  in  viel  annehmbarerer  Form  prasen- 
tiert  als  friiher.  Auch  aus  praktischen  Griinden.  Man  verlangt  vom  mo- 
dern fremdsprachlichen  Unterricht  so  vielerlei,  vom  Schuler  Vertrautheit 
mit  so  reichhaltigem  Wortschatz,  selbst  nach  der  Seite  des  Naturwissen- 
schaftlichen,  Technischen  und  Kommerziellen,  Kenntnis  der  Realien  u.  s. 
w.,  dass  es  schlechterdings  unmoglich  ist,  dies  Alles  durch  Autorenlektiire 
zu  erreichen.  Auch  haben  wir  uns  doch  schliesslich  uberzeugen  miissen, 
dass  der  Sprung  vom  Elementarbuch  znm  Autor  ein  zu  grosser,  der  Uber- 
gang  ein  zu  unvermittelter  ist.  Dazwischen  schieben  wir  nun  z.  B.  im 
franzosischen  Unterricht  an  deutschen  Schulen  leichte  Prosawerkchen  wie 
die  auch  hier  in  Amerika  erschienenen  und  fur  hiesige  Schulen  bearbeite- 
ten  von  G.  Bruno:  ,,Le  Tour  de  la  France  par  deux  Enfants"  und  ,,Fran- 
cinet".  Darin  wird  im  Rahmen  einer  anspruchslosen  Erzahlung  von  ei- 
nem Autor,  der  fur  die  Jugend  schrieb,  dem  lesenden  Schuler  eine  bunte 


170  P'ddagogische  Monatsbejtt. 

Fiille  von  allerhand  Wissenswertem  iiber  des  fremden  Landes  Geographic 
und  Volkskunde,  Kultur  und  Geschichte,  Literatur,  Kunst  und  Wissen- 
schaft  und  dergl.  geboten,  selbst  Gedichte  sind  eingestreut,  kurz :  eine  Art 
Chrestomathie,  freilich  ganz  anderer  Art  als  die  friiher  bearbeiteten,  und 
empfehlensivert  vor  allem  des  ausgeglichenen  Stils,  der  einheitlichen  Dar- 
stellung  wegen.  Ahnliches  ist  gewiss  auch  fur  den  dentschen  Unterricht 
in  amerikanischen  Schulen  schon  zusammengestellt  worden  oder  ist  bei  der 
regen  Publikationstatigkeit,  die  sich  auf  diesen  Gebieten  des  literarischen 
Marktes  beobachten  lasst,  in  nicht  ferner  Zeit  zu  erwarten. 

Mir  schwebt  hier  mehr  ein  deutsches  Lesebuch  etwa  der  Art  vor,  wie 
es  die  jiingst  verstorbene  Carla  Wenckebach  zusammen  mit  Margarethe 
Miiller  unter  dem  Titel  ,,Gluck  auf  \"  oder  wie  es  Dr.  Weineck  in  seinem 
,,Third  German  Reader"  uns  geboten  hat. 

In  ausfuhrlicherer  Darstellung  als  es  im  ersten  Elementarbuch  mog- 
lich  war,  wird  hier  den  Schiilern  ein  deutscher  Lesestoff  geboten,  durch 
dessen  Mannigfaltigkeit  doch  iiberall  das  goldene  Ziel,  dem  wir  zuzustre- 
ben  haben,  sichtlich  hindurchblinkt.  Durch  die  germanische  Cotter-  und 
Sagenwelt,  durch  wichtige  Abschnitte  deutscher  Geschichte,  durch  deut- 
sche  Kunststatten  und  den  deutschen  Dichterwald,  deutsche  Spruchweis- 
heit  und  deutsche  Volkslieder  wird  der  Schiller  hindurchgefiihrt,  und  die 
Art,  wie  z.  B.  in  dem  Miiller- Wenckebach'schen  Buche  das  Verstandnis 
Goethescher,  Heinescher,  Uhlandscher  und  Riickertscher  Dichtungen  vor- 
bereitet  wird  durch  sinnige  Prosaumschreibung,  die  dem  betr.  Gedicht  je- 
desmal  vorgestellt  ist,  verdient  alles  Lob. 

Dass  man  das  Wichtigste  iiber  Leben  und  Schaffen  unserer  Klassiker,, 
von  denen  die  Schiiler  spater  das  eine  oder  das  andre  Meisterwerk  lesen 
werden,  nicht  bis  zu  einer  kiinftigen  Literaturstunde  aufschiebt,  sondern 
ihnen  schon  im  zweiten  Jahr  der  High  School  als  Lesestoff  bietet  (vgl. 
Weineck-Bernstein),  finde  ich  ganz  in  der  Ordnuhg. 

Soil  unser  Weg  uns  wirklich  zu  jenem  Ziele  fiihren,  das  ich  vorhin 
als  fur  die  Auswahl  der  Lektiire  bestimmend  angegeben  habe,  so  wird  man 
bei  der  Vielseitigkeit  des  zu  Erstrebenden  auf  die  Dauer  ohne  ein  zweites 
chrestomathieartiges  Lesebuch  hoheren  Stils  wohl  doch  nicht  auskommen, 
welches  die  Autorenlektiire  im  dritten  und  vierten  Jahr  der  High  Schools 
begleitet  und  erganzt,  und  aus  dem  die  PnVaflekttire  mit  Nutzen  schopfen 
kann. 

Bedenken  wir :  selbst  bei  fleissiger  Lekture  kann  der  deutsche  Lehrer 
doch  nur  eine  sehr  begrenzte  Anzahl  von  literarisch  wertvollen  Werken  le- 
sen lassen,  will  oder  soil  aber  doch  dem  Schiiler  eine  dariiber  hinausgrei- 
fende  Vorstellung  von  den  herrlichen  Schatzen  geben,  die  im  Wunder- 
schacht  deutscher  Literatur  aufgeschichtet  sind. 

Da  gibt  es  meines  Erachtens  nur  eine  Moglichkeit:  ein  deutsches 
Lesebuch  auch  fur  die  oberen  Klassen  der  High  Schools.  Wenn  z.  B.  im 


Die  deutscht  Lektiire  an  den  amerikaniscben  Schulen.  171 

dritten  Jahr  mit  Recht  Schillers  Tell  und  sein  Lied  von  der  Glocke  in  der 
Klasse  gelesen  werden,  so  wird  das  Bild  seines  dichterischen  Schaffens 
im  Lesebuch  erganzt  werden  konnen  durch  eine  Darstellung  des  Inhalts 
seiner  iibrigen,  ich  meine  natiirlich  nur  der  wichtigsten,  Dramen  mit  ein- 
gestreuten  Proben. 

Wird  im  vierten  Jahr  Goethes  ,,Hermann  und  Dorothea"  gelesen,  so 
konnte  das  Lesebuch  erganzend  bringen  eine  (natiirlich  nicht  trockene) 
Analyse  von  Gotz,  Iphigenie,  Tasso,  Egmont  und  Faust,  sowie  als  Muster 
Goethescher  Prosa  einen  Abschnitt  aus  Dichtung  und  Wahrheit. 

Und  Lessing?  Ich  bin  Ketzer  genug,  ihn  ganz  und  gar  in  jenes  Le- 
sebuch zu  packen,  —  und  zwar  gerade  weil  ich  wiinschte,  dass  die  ameri- 
kanischen  Schiiler  ihn  genauer  kennen  lernten,  als  dies  der  Fall  ist,  wenn 
man  sie  monatelang  zur  Lektiire  von  ,,Minna  von  Barnhelm"  zwingt  und 
dann  natiirlich  keine  Zeit  hat,  sich  noch  mit  anderen  Werken  Lessings  zu 
befassen.  Ob  amerikanische  Schiiler  wirklich  durch  dieses  preussische 
Soldatenstiick  fur  Lessings  Grosse  Verstandnis  und  Begeisterung  gewin- 
nen  ?  Ganz  abgesehen  von  der  Sprache,  die  der  heutigen  Literatursprache 
doch  gewaltig  fern  steht,  bietet  der  Konflikt  dem  Verstandnis  selbst  deut- 
scher  Gymnasiasten  nicht  geringe  Schwierigkeit,  wievielmehr  amerikani- 
schen  Hochschiilern,  denen  man  den  preussischen  Major  mit  seinem  sub- 
tilen  Empfinden  und  seinen  nicht  leicht  zu  inpretierenden  Ehrbegriffen 
doch  nimmer  so  echt  vor  die  Seele  zaubern  kann. 

Wohl  aber  gibt  es  treffliche  Wiedergaben  des  Inhalts  jenes  besten 
deutschen  Lustspiels,  aus  denen  hiesige  Schiiler  wahrscheinlich  eine  kla- 
rere  Vorstellung  von  dem  gewinnen,  worauf  es  dem  Dichter  ankam. 
Zwei  oder  drei  karakteristische  Szenen  eingestreut,  zeigen  dem  Schiiler 
Lessings  Biihnensprache ;  —  das  ist  bald  durchgelesen,  und  man  hat  Zeit 
eriibrigt,  um  (gleichfalls  durch  Abschnitte  aus  dem  Lesebuch)  noch  dem 
Laokoon  und  dem  Nathan  gerecht  zu  werden,  vor  allem  fur  die  Ring-Pa- 
rabel  in  Lessings  unsterblichen  Versen  die  Schiiler  zu  begeistern.  Denn, 
und  auch  hier  wird  meine  Ansicht  manchem  recht  ketzerisch  erscheinen, 
den  Gesamt-Nathan  halte  ich  fur  Schullektiire  nicht  geeignet. 

Lessing  hat  darin  die  poetische  Gerechtigkeit  verletzt,  indem  er  nur 
fur  zwei  der  drei  Religionen  wirklich  edle  und  ideale  Reprasentanten  auf 
die  Biihne  stellt,  und  hat  der  eigentlichen  Fabel  des  Stiickes  einen  Ab- 
schluss  gegeben,  der  selbst  von  i/'jahrigen  Schiilerinnen  und  Schiilern 
wohl  schon  als  peinlich  oder  verletzend  empfunden  werden  diirfte:  zwei 
Menschenkinder,  in  deren  jugendlichen  Herzen  wir  in  den  ersten  Akten 
des  Stiickes  die  Liebe  (gewiss  nicht  die  geschwisterliche)  keimen  sehen, 
sinken  sich  schliesslich  als  Bruder  und  Schwester  geriihrt  in  die  Arme.  — 

Solch  ein  Klassikerlesebuch,  im  gewandten  Schriftdeutsch  von  heute 
und  mit  eingestreuten  Perlen  aus  den  Meisterwerken  einer  grossen  Zeit, 
konnte  meines  Erachtens  auch  noch  Klopstock,  Wieland,  Herder  und 


172  Padagogiscbe  Monatsnefte. 

Heinrich  von  Kleist  beriicksichtigen.  Wir  haben  etwas  Ahnliches  im  eng- 
lischen  Unterricht  deutscher  Schuler  in  einem  Shakespearelesebuch,  das 
es  uns  ermoglicht,  selbst  Schiilern  sechsklassiger  Berliner  Realschulen,  die 
nur  zwei  Jahre  dem  Englischen  widmen,  den  grossen  Briten  ein  wenig 
naher  zu  riicken. 

Sollte  meine  hier  gegebene  Anregung  fiir  amerikanische  Schulen  je 
Gestalt  gewinnen,  so  werden  die  Deutschlehrer  an  den  Secondary  Schools 
merken,  wie  viel  mehr  Zeit  sie  dann  der  heutigen  Literatursprache,  dem 
modernen  Kultur-  und  Geistesleben  Deutschlands  und  soldier  Lekture  zu- 
wenden  konnen,  aus  der  ihren  Klassen  die  heute  so  dringend  geforderte 
Kenntnis  der  Realien  zustromt. 

Wenn  ich  das  durchlese,  was  der  ,,College  Entrance  Examination 
Board  of  the  Middle  States  and  Maryland"  als  Zielforderung  im  Deut- 
schen  hingestellt  hat  und  an  Lekture  empfiehlt,  so  erkenne  ich  daraus  das 
sehr  gesunde  Bestreben,  in  den  Secondary  Schools  nicht  einseitigen  Klas- 
sikerkultus  aufkommen  zu  lassen  und  ihnen  die  Notwendigkeit  zu  zeigen, 
auch  mit  der  heutigen  Umgangssprache  die  Schuler  vertraut  zu  machen. 

Ob  sie  diese  moderne  Umgangssprache  aber  wirklich  aus  alien  dort 
vorgeschlagenen  Lustspielen  und  Possen  gewinnen  konnen,  will  mir  zwei- 
felhaft  erscheinen.  Sollen  Freytags  Journalisten  nur  diesem  Zwecke  die- 
nen,  so  liesse  sich  uber  die  Berechtigung,  dieses  vor  gerade  einem  halben 
Jahrhundert  erschienene  Stuck  in  den  Lektiirekanon  zu  setzen,  streiten. 
Und  aus  nichtigen  Einaktern,  wie  sie  schon  von  unsern  Vatern  und  Mtit- 
tern  in  geselligen  Zirkeln  auf  deutschen  Liebhaberbiihnen  dargestellt  wur- 
den,  ,,Er  ist  nicht  eifersiichtig",  ,,Einer  muss  heiraten"  u.  dergl.  klingt  uns 
einerseits  nicht  mehr  der  moderne  Konversationston  entgegen,  und  andrer- 
seits  ist  die  deutsche  Unterrichtsstunde  doch  eigentlich  zu  schade  fiir  sol- 
che  Ware.  Auch  des  guten  alten  Benedix  Kulissenerzeugnisse  bezeich- 
nen  einen  solchen  Tiefstand  des  deutschen  Dramas,  dass  es  mir  wirklich 
an  der  Zeit  scheint,  auf  neuere  Lustspiele  wirklicher  Dichter  hinzuweisen, 
die  turmhoch  iiber  den  Benedixiaden  und  Moserschwanken  stehen  und  in 
den  amerikanischen  Schulen  mit  grosstem  Interesse  und  wirklichem 
Nutzen  gelesen  werden  wiirden :  das  feinsinnige  Versspiel  ,,Durchs  Ohr" 
vom  trefflichen  Wilhelm  Jordan,  mehrere  graziose  Einakter  von  Ludwig 
Fulda,  und  —  sollen  im  2.  Jahr  die  Schuler  sich  an  einem  lustigen  Ein- 
akter wirklich  amiisieren  (ich  weiss  zwar  nicht,  ob  das  der  Zweck  einer 
Schullektiire  sein  kann),  so  bieten  sich  im  ,,Vetter  aus  Bremen"  oder  dem 
,,Nachtwachter"  von  Theodor  Korner  wenigstens  Erzeugnisse  eines  in  der 
deutschen  Literatur  mit  Achtung,  von  vielen  mit  Begeisterung  genannten 
Dichters. 

Von  der  dramatischen  Lekture  in  jenem  ,,second  year"  scheint  sich 
nach  dem  Wortlaut  seiner  Bestimmungen  der  „  College  Entrance  Exami- 
nation Board"  iiberhaupt  nicht  viel  zu  versprechen,  er  scheidet  fiinfaktige 


Die  deutsche  Lekture  an  den  amerikaniscben  Scbulen.  173 

Stiicke  als  zu  lang  aus  und  empfiehlt,  jedenfalls  nicht  mehr  als  einen  Ein- 
akter  mit  der  Klasse  zu  lesen.  Ich  meine,  auch  den  konnte  man  in  die  Pri- 
vatlektiire  verweisen.  Mit  Recht  wird  auf  jener  Stufe  der  erzdhlenden 
Prosa  vor  solchen  dramatischen  Nichtigkeiten  der  Vorzug  gegeben,  und 
ich  begriisse  Autoren  wie  Heyse,  Storm,  Baumbach,  Seidel,  Volkmann- 
Leander  mit  Freuden  in  der  vorgeschlagenen  Liste.  Freilich  Andersen 
gehort  meines  Erachtens  nach  nicht  dazwischen.  So  prachtig  er  auch  er- 
zahlt,  —  er  war  kein  deutscher  Autor;  und  sollen  Mdrchen  und  Sagen 
iiberhaupt  ausserhalb  des  Rahmens  jenes  von  mir  karakterisierten  deut- 
schen  Lesebuches  noch  im  Zusammenhang  traktiert  werden,  so  greife  man 
zu  den  klassischen  Volksmarchen  der  Gebriider  Grimm,  oder  besser  noch 
zu  den  so  schlicht  und  doch  so  wundervoll  erzahlten  Deutschen  Volks- 
und  Heldensagen  von  Gustav  Schwab. 

Die  Vorliebe  fur  Hillerns  ,,H6her  als  die  Kirche"  verstehe  ich  nicht, 
auch  sahe  ich  an  Gerstackers  Platz  lieber  einen  Grossern,  z.  B.  Hauff 
oder  Chamisso.  Dass  sich  Wilhelm  Hauff,einer  der  prachtigsten  Erzah- 
ler  in  der  deutschen  Literatur,  noch  nicht  die  Herzen  der  deutschschrei- 
benden  amerikanischen  Schiller  hat  erobern  konnen,  iiberrascht  mich. 
Seine  Marchen,  sein  Lichtenstein,  seine  meisterhaften  Novellen  gehoren 
ebenso  in  den  Kanon  der  Klassen-  und  der  Privatlektiire  wie  Chamissos 
,,Peter  Schlemihl"  und  Eichendorffs  „  Aus  dem  Leben  eines  Taugenichts". 
Zschokkes  ,,Zerbrochener  Krug"  ware  heute  langst  vergessen,  wenn  nicht 
ein  Grosserer  als  er  gleichzeitig  mit  ihm  zu  dramatischer  Bearbeitung  des 
Stoffes  angeregt  worden  ware.  Ich  empfehle  Heinrich  von  Kleists  gleich- 
betiteltes  Lustspiel  allerdings  auch  nicht  als  Schullektiire,  aber  wertvoller 
als  Zschokkes  Novelle  erscheint  mir  denn  doch  Kleists  „ Michael  Kohl- 
haas",  welche  Erzahlung  ein  bedeutsames  Kulturbild  aus  der  markischen 
Vergangenheit  entrollt  und  in  Berliner  Schulen  gern  gelesen  wird. 

Gegen  Wildenbruchs  ,,Edles  Blut"  konnte  man  ja  einwenden,  dass 
fur  deutsches  Kadettenleben  die  hiesige  Jugend  doch  wohl  nicht  das 
richtige  Verstandnis  mitbringt;  ein  Juwel  moderner  Erzahlungskunst  ist 
die  reizende  Novelle  darum  doch.  Wer  aus  dem  angedeuteten  Grunde 
einer  anderen  Novelle  Wildenbruchs  den  Vorzug  geben  mochte,  der  sei 
auf  ,,Neid"  besonders  hingewiesen,  wo  der  Autor  gleichfalls  eine  Jugend- 
geschichte  erzahlt,  aber  iiberall  das  allgemein  Menschliche  heraushebt,  das 
echte  Empfinden  des  Kinderherzens  betont,  wie  es  hier  sich  nicht  anders 
regen  mag  als  in  der  deutschen  Heimat. 

Im  ,,third  year"  soil  schwierigere  Prosa  gelesen  und  den  Klassikern 
gebiihrende  Aufmerksamkeit  geschenkt  werden.  Riehl  und  Freytag  sind 
trefflich  gewahlte  Autoren,  nur  wiirde  ich  vom  letzteren  lediglich  einige 
Abschnitte  aus  seinen  meisterhaften  Kulturbildern  mit  den  Schiilern  lesen, 
ihres  kerndeutschen  Inhalts,  aber  auch  ihrer  klassischen  Prosa  wegen. 
Wer  hier  noch  reichere  Auswahl  wiinscht,  dessen  Aufmerksamkeit  sei  auf 


174  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

zwei  neuere  Meister  deutscher  Prosa,  treffliche  Schilderer  deutschen  Lan- 
des  gelenkt,  auf  Theodore  Fontane,  den  Autor  der  Wanderungen  durch 
die  Mark  und  den  thuringischen  Wandersmann  August  Trinius.  Dass  im 
,,third  year"  Schillers  Glocke  und  Tell  den  Ehrenplatz  behalten  miissen, 
betonte  ich  schon  friiher.  Aber  im  ,,Neffen  als  Onkel"  und  im  ,,Geister- 
seher"  lernen  die  Schiiler  den  grossen  Dichter  gerade  von  seinen  schwach- 
sten  Seiten  kennen.  Da  Schillers  Prosa  ohnehin  im  ,,fourth  year" 
den  Schiilern  noch  vorgelegt  werden  soil,  so  halte  ich  es  fiir  keine  Ver- 
siindigung  an  Schillers  Manen,  wenn  ich  einen  kleinen  Teil  von  der  ihm 
bisher  gewidmeten  Zeit  dem  Dichterherold  des  neuen  deutschen  Reiches, 
Emanuel  Geibel,  und  der  Lektiire  seines  gewaltigen  Sophonisbe-Dramas 
oder  seines  „ Meister  Andrea"  gewidmet  sehen  mochte. 

Ganz  unerwahnt  unter  all  den  Vorschlagen,  die  von  berufener  und 
unberufener  Seite  fiir  die  Lektiire  an  den  Secondary  Schools  gemacht  wor- 
den  sind,  finde  ich  auffallenderweise  Theodor  Korners  Zriny.  Sollte  es 
Korner,  dessen  Familiengeschichte  mit  der  Schillers  so  innig  verwachsen 
ist,  Korner,  der  in  des  Vaterlandes  bewegtester  Zeit  ,,den  griinen  Kranz 
der  Dichtung  urns  blutige  deutsche  Racheschwert  geschlungen",  denn 
nicht  verdienen,  dass  sich  auch  deutsche  Lehrer  in  Amerika  zu  Interpre- 
ten  seiner  Muse  machen? 

Im  ,,fourth  year  course"  tritt  nun  Goethe  zunachst  in  den  Mittel- 
punkt,  und  dass  neben  ,,Hermann  und  Dorothea"  auch  ,,Dichtung  und 
Wahrheit"  teilweise  gelesen,  weiterhin  dieses  Dichterbild  noch  durch  Pri- 
vatlektiire  diesbeziiglicher  Abschnitte  aus  dem  Lesebuch  erganzt  werden 
moge,  wurde  schon  angedeutet.  Wenn  ich  recht  berichtet  bin,  empfangen 
hochstens  20  bis  30%  von  den  Schiilern  der  High  Schools  noch  eine  wei- 
tere  College- Ausbildung.  Sollten  nun  wirklich  jene  aus  den  obersten 
Klassen  der  Secondary  Schools  in  die  Prosa  des  Lebens  tretenden  Schii- 
ler entlassen  werden,  ohne  dass  ihr  deutscher  Lehrer  ihnen  wenigstens  an 
der  Hand  einer  passend  zusammengestellten  Chrestomathie  von  der  unver- 
ganglichen  Schonheit  des  „ Faust"  eine  Vorstellung  gegeben  hat?  Sollen 
sie  nicht  wenigstens  uber  Goethes  Gotz,  Iphigenie,  Tasso  und  Egmont  ei- 
niges  gelesen  haben? 

Noch  zwei  oder  drei  dieser  Werke  vollstandig  dem  Kanon  einzufu- 
gen,  widerrate  ich  geradezu  im  Interesse  soldier  klassischen  Lektiire,  die 
dann  ja  doch  nur  durchgehetzt  werden  konnte. 

Auch  Schiller  soil  ja  im  vierten  Jahre  wieder  traktiert  werden.  Ob 
aber  Maria  Stuart  mit  ihrer  katholisierenden  Schwarmerei  eine  dramati- 
sche  Heldin  ist,  fiir  die  man  die  amerikanische  Jugend  wird  begeistern 
konnen,  mochte  ich  fast  bezweifeln.  Sie  wird  sich  weit  mehr  angezogen 
fiihlen  durch  den  frischen  Ton  von  Wallensteins  Lager,  durch  die 
schwungvolle  Prosa  der  Geschichte  des  3ojahrigen  Krieges. 


Die  deutsche  Lekture  an  den  amerikadiscben  Scbulen.  175 

Fur  die  Streichung  von  Lessings  ,,Minna  von  Barnhelm"  habe  ich 
schon  vorhin  meine  Griinde  angegeben  und  gezeigt,  wie  sich  auf  andere 
Weise  dafiir  sorgen  lasst,  dass  auch  jener  Heros  unserer  Literatur  nicht 
zu  kurz  kommt,  „  der  uns  vom  falschen  Regelzwange  zur  Wahrheit  und 
Natur  zuruckgefuhrt".  Einige  wiirden  auch  um  des  spezifisch  preussi- 
schen  Inhalts  willen,  und  weil  der  Schiiler  daran  in  deutsche  Geschichte 
eingefiihrt  wird,  mit  edlen  Vertretern  des  preussischen  Soldatenstandes 
bekannt  gemacht  werden  kann,  nur  ungern  auf  Minna  von  Barnhelm  ver- 
zichten.  Nach  dieser  Richtung  hin  Hesse  sich  in  Paul  Heyses  ,,Colberg" 
oder  in  Wildenbruchs  ,,Mennoniten"  oder  ,,Vater  und  Sohne"  Ersatz 
schaffen,  denn  in  den  ,,Quitzows"  wiirde  der  Berlinische  Dialekt  hiesigen 
Schiilern  zu  viel  Schwierigkeiten  machen,  und  ,,Der  neue  Herr"  steht  li- 
terarisch  nicht  auf  der  Hohe  der  friiheren  historischen  Dramen  Wilden- 
bruchs. 

Um  aber  der  friiher  angedeuteten  Gefahr  zu  entgehen,  nicht  doch 
schliesslich  im  asthetisch-literarisch-historischen  Stoff  stecken  zu  bleiben, 
scheint  es  mir  im  letzten  Jahre  deutschen  Unterrichts  an  den  Secondary 
Schools  an  der  Zeit  zu  sein,  der  Klasse  auch  eine  moderne  Prosalektiire 
zu  bieten,  aus  welcher  deutsche  ,,Realien"  zu  lebendiger  Anschauung  kom- 
men.  In  manchen  hier  erschienenen  Biichern,  wie  z.  B.  in  Sterns  ,,Geschich- 
ten  vom  Rhein"  und  ,,Aus  deutschen  Stadten"  und  anderen,  ist  damit  ein 
mehr  oder  minder  gelungener  Anfang  gemacht  worden.  Die  Kenntnis  der 
,,Realien",  deutscher  Verfassung,  deutschen  Heenvesens,  deutschen  Han- 
dels,  deutscher  Industrie  u.  s.  w.  diirfte  gerade  fur  die  zahlreichen  Jiing- 
linge  von  Wert  und  Interesse  sein,  die  spater  durch  Reisen  hinuber  oder 
durch  Handelsbeziehungen  in  Konnex  kommen  mit  Deutschland  und  es 
dann  geradezu  als  eine  Liicke  in  ihrer  Ausbildung  empfinden  wiirden, 
wenn  ihnen  nach  diesen  Seiten  hin  die  Schule  das  richtige  Verstandnis 
noch  nicht  erschlossen  hatte.  Ich  verlange  ja  nicht,  dass  solche  Werke 
wie  ,,A  German  Science  Reader"  von  Gore,  ,,Course  in  Scientific  Ger- 
man" von  Hodges,  ,,Commercial  German"  von  Arnold  Kutner,  ,,Scientific 
German  Reader"  von  Vogel,  Krons  ,,German  Daily  Life",  Prehns  ,Jour- 
nalistic  German"  und  ahnliche,  'monatelang  die  Klassenlektiire  bilden ; 
aber  —  wie  manche  Schulen  im  allgemeinen  iiberhaupt  mehr  durch  das 
wirken,  was  sie  anregend  vorbereiten,  als  wirklich  abschliessend  schaffen, 
so  diirften  sie  auch  in  dieser  Beziehung  ihrer  Aufgabe  wohl  schon  hinrei- 
chend  entsprechen,  wenn  sie  die  16-  bis  i8-jahrigen  Schiiler  neben  litera- 
risch  wertvollerer  Lekture  auch  fur  solche  mehr  praktischen  Bediirfnissen 
dienende  zu  interessieren  beginnen. 

Auch  auf  deutschen  Realanstalten,  auch  auf  solchen,  die  ihre  Abitu- 
rienten  unmittelbar  zur  Universitat  entlassen,  gilt  es  nicht  mehr  fur  eine 
Blasphemie,  in  dem  einen  Semester  Shakespeares  Hamlet,  im  folgenden 
Tynda'lls  Fragments  of  Science  oder  ein  Werk  von  Stuart  Mill  zu  lesen. 


176  Pttdagogiscbe  Monatsbefte. 

Auffallend  wenig  Beachtung  scheint  hier  noch  die  deutsche  Brief- 
und  Memoirenliteratur  gefunden  zu  haben,  und  doch  brauche  ich  hier 
nur  die  Namen  Humboldt,  Bismarck,  Moltke  zu  nennen,  um  anzudeuten, 
wie  Wertvolles  aus  jenem  Schatze  noch  herausgehoben  und  auch  fur  die 
Schullektiire  nutzbar  gemacht  werden  konnte.  Deutschlands  grosster 
Stratege  z.  B.  war  auch  einer  der  grossten  Stilisten,  ist  doch  die  Darstel- 
lung  seiner  kleinasiatischen  Reisen  Xenophons  Anabasis  an  die  Seite  ge- 
stellt  worden ! 

Und  noch  auf  eine  andere  Liicke  im  Kanon  der  deutschen  Lektiire 
an  hiesigen  Schulen  mochte  ich  hinweisen.  Von  welchem  sprachlichen 
und  historischen  Wert  war  uns,  von  Demosthenes  und  Cicero  ganz  zu 
schweigen,  in  unserer  eigenen  Schulzeit  die  Lektiire  von  Mirabeaus  Re- 
den! 

Mag  sein,  dass  unser  Bismarck  nicht  iiber  den  leidenschaftlichen 
Schwung  des  Pariser  Tribunen  verfiigte,  aber  die  Lektiire  seiner  Reden 
verrat  doch,  dass  auch  er  der  Sprachgewaltigen  Einer  war,  und  —  was 
von  keiner  philippischen  und  keiner  catilinarischen  Rede  sich  sagen  lasst 
—  aus  seinem  kernigen,  wuchtigen  Deutsch  spricht  zu  uns  machtvoll  der 
grosse  Heros  seiner  Nation,  von  dessen  Geist  auch  dieses  Landes  Sohne 
einen  Hauch  verspiiren  sollten.  — 

Mit  fliichtigen  Strichen  und  hie  und  da  nur  andeutend  habe  ich  nun 
das  weite  Gebiet  umzogen,  auf  dem  der  hiesige  Deutschlehrer  die  Lektiire 
fur  seine  Klassen  wahlen  mag.  Alljahrlich  erweitert  sich  dieses  Gebiet, 
wie  die  Literatur  sich  stetig  verjiingt,  und  wer  kann  sagen,  ob  nicht  schon 
die  nachsten  Jahre  der  deutschen  Dichtung  einen  neuen  Klassiker  bringen, 
an  dem  man  nicht  voriibergehen  darf,  wo  irgend  in  der  Welt  Deutsch  un- 
terrichtet  wird.  Auch  der  Lehrer  der  modernen  Fremdsprachen,  er  viel- 
leicht  mehr  als  jeder  andere,  muss  auf  der  W art e  stehen,  auslugend  nach 
wertvollem  Neuen.  Stetig  erneut  sich  ja  auch  seines  Unterrichts  Aufgabe 
und  Ziel.  Er  muss  (wie  Stephan  Watzoldt  auf  dem  Berliner  Neuphilolo- 
gentage  ausrief)  im  Gegensatz  zum  klassischen  Philologen,  neben  liebe- 
vollem  Betrachten  der  dichterischen  Meisterwerke  friiherer  Zeit  auch  auf 
das  Lebendige,  das  der  Gegenwart  Entsprossene  und  sie  Kennzeichnende 
eingeben  und  durch  angemessene  Auswahl  des  Lesestoffes  fur  des  frem- 
den  Volkes  eigenartige  geistige  und  materielle  Kultur,  in  unserem  Falle 
also  fur  deutschen  Volkes  Art  und  Sitte  das  Verstandnis  zu  erschliessen 
trachten.  So  baut  er  mit  an  jener  Geistesbriicke,  die  —  ob  auch  Tausende 
von  Meilen  vom  alten  Vaterland  uns  trennen  —  aus  der  alten  Welt  zur 
machtig  aufstrebenden  neuen  heriiberfuhrt,  und  auf  welcher  auch  —  von 
driiben  und  hiiben  —  das  junge  Geschlecht,  an  dessen  Erziehung  wir  mit- 
arbeiten,  sich  dermaleinst  verst'dndnisvoll  die  Hand  reicht  zu  bruderlicher 
Mitarbeit  an  den  gemeinsamen  grossen  Aufgaben  der  Menschheit. 


Arno  Holz. 

(Fttr  die  Padagogischen  Monatshefte. ) 


Von  O.  E.  Leasing,  Ph.  J>.,  Smith  College. 

So  hart  und  stark  wie  der  Klang  seines  Namens  1st  der  Mann  selbst.  Echt  und 
wahr  bis  in  den  innersten  Kern  seines  Wesens;  unerschiitterlich  in  seiner  'ttberzeu- 
gung,  zielbewusst  in  seinem  Streben,  klar  und  scharf  in  seinem  Denken,  furchtlos  und 
unermiidlich  im  Kampf.  Ein  ganzer  Mann.  Darum  hat  er  wenige  Anhanger,  zahl- 
lose  Feinde. 

Arno  Holz  ist  ein  Dichter  von  tiefstem  Gefiihl,  feinstem  Empfinden;  von  uner- 
schopflicher  Kraft  der  Phantasie.  Sein  Wollen  kennt  keine  Grenzen.  An  Sprachge- 
walt  und  Ausdrucksvermogen,  an  sicherer  Beherrschung  der  technischen  Mittel  iiber- 
trifft  er  alle  Dichter  des  Jiingsten  Deutschland.  Er  beugt  sich  vor  keiner  Autori- 
tat;  aber  er  achtet  die  Grossen.  Er  verdankt  seinen  inneren  Reich  turn  niemand 
als  sich  selber.  Er  geht  Wege,  die  noch  keiner  vor  ihm  betreten.  Er  ist  ein  echter 
Kiinstler,  eine  Welt  fiir  sich.  Darum  scheint  diese  Welt  dem  Publikum  verschlos- 
sen.  Die  Kritiker-Menge  bemiiht  sich  nicht  hineinzudringen.  Sie  steht  aussen,  spot- 
tet  und  verleumdet,  was  sie  nicht  kennt.  Die  Literaturgeschichtsschreiber  haben 
einen  fliichtigen  Blick  hineingeworf  en ;  sie  haben  da  und  dort  in  seinem  Garten  einen 
Keim  bemerkt,  ein  Blattchen  abgezupft,  es  nach  hergebrachtem  Schema  ,,bestimmt", 
rubriziert,  prapariert.  Arno  Holz  ist  nun  fur  sie  tot.  Sein  Schatten  spukt  noch  als 
,,konsequenter  Naturalist"  in  den  dicken  Banden  ,,wissenschaftlicher"  Werke. 

Es  hilft  nichts,  dass  der  lebendige,  der  vierzigjahrige  Arno  Holz  sich  seines  Le- 
bens  wehrt,  seine  Stimme  erhebt:  ,,Das  grassliche  Praparat,  das  Ihr  aus  ein  paar 
Schnitzeln  meiner  Jugendwerke  gemacht  habt,  das  Ihr  in  Euren  Schubladen  als  Ku- 
riosum  aufbewahrt  —  das  ist  ja  gar  nicht  der  wirkliche,  der  leibhaftige  Arno  Holz! 
Hort  mich  doch  an!  Lest  meine  Schriften  ganz;  und  lest  sie  selbst!  Plappert  nicht 
einander  nach;  gebt  mir  Luft  und  Licht,  damit  ich  weiter  schaffen  kann.  In  ein 
paar  Jahrzehnten  sprechen  wir  uns  wieder.  Dann  verdammt  mich  —  wenn  Ihr  das 
Herz  habt!"  —  Umsonst;  Arno  Holz  ist  der  ,,konsequente  Naturalist";  er  ist  und 
bleibt  tot.  Tot  fiir  die  Herren  der  ,,Wissenschaft". 

So  ist  Grillparzer  einige  Menschenalter  lang  als  Schicksalstragodien-Schreiber 
durch  die  Liiteraturgeschichte  geschleppt,  so  ist  Hebbel  verkannt,  so  ist  Morike  und 
Hugo  Wolf  missachtet  worden.  So  hat  Deutschland  Otto  Ludwig  und  dutzend  an- 
dere,  die  nicht  waren  wie  alle,  verhungern  lassen.  So  hat  es  Arnold  Bocklin,  als 
dieser  schon  herrlichste  Werke  geschaffen  hatte,  verlacht,  verhohnt,  mit  Fiissen  ge- 
treten.  Und  so  kampft  heute  Arno  Holz,  einsam,  in  Not  und  Sorge,  fiir  seine  ttber- 
zeugung,  fiir  seine  kiinstlerischen  Ideale.  Unverstand  und  Bosheit  des  Kritikerhau- 
fens,  der  noch  stets  vom  Blute  seiner  Opfer  gelebt  hat;  Schwerfalligkeit  und  Pedan- 
terie  der  Zunftgelehrten,  denen  ,,Methode"  mehr  am  Herzen  liegt  als  die  Forderung 
der  Kunst  —  das  sind  die  Machte,  die  Arno  Holz  seit  nunmehr  zwolf  Jahren  zu  be- 
kampfen  gehabt  hat.  Das  sind  die  Machte,  die  einen  Kiinstler  gezwungen  haben, 
durch  Fabrikation  von  Kinderspielzeug  jahrelang  kiimmerlich  sein  Brot  zu  verdie- 
nen;  die  Machte,  die  denselben  Kiinstler  heute  wieder  dem  Abgrund  des  Hungerto- 
des  nahe  gebracht  haben.  Es  ist  hier  nicht  die  Frage,  ob  Arno  Holz  einst  neben 
jenen  Grossen  im  Andenken  der  Nachwelt  fortleben  wird:  das  bleibt  der  Nachwelt 
iiberlassen.  Fiir  die  Mitwelt  aber  handelt  es  sich  darum,  ob  sie  einem  Kiinstler, 
der  bereits  glanzende  Proben  seines  Konnens  gegeben  hat,  die  ihm  gebiihrende  Ach- 
tung  schenke,  oder  nicht;  es  handelt  sich  darum,  ob  sie  einem  Talente,  das  auch  die 
verbohrtesten  Gegner  nicht  wegzustreiten  wagen,  die  ausseren  Bedingungen  sich  ganz 


178  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

zu  entfalten,  gewahren  will,  oder  nicht.  Es  handelt  sich  darum,  ob  wir  uns  mit 
einer  eigenartigen  Personlichkeit  ehrlich  und  ohne  Vorurteile  auseinandersetzen, 
oder  ob  wir  gewissenlos  uns  dem  Haufen  der  Spotter  gesellen  wollen,  die  das  Wesen 
dieser  Personlichkeit  nicht  erfasst  haben. 

In  jeder  Literaturgeschichte  steht  zu  lesen,  dass  Arno  Holz  in  Gemeinschaft  mit 
seinem  Freunde  Johannes  Schlaf  die  Technik  des  modernen  Dramas  geschaffen  hat. 
Um  ein  ,,Dokument"  zu  haben,  muss  ich  zitieren,  und  zwar  den  gewiss  niichtern  ur- 
teilenden  Adolf  Bartels.  In  seiner  Geschichte  der  deutschen  Literatur,  II,  674  f., 
heisst  es:  ,,Seine  (des  konsequenten  Naturalismus )  Schopfer  sind  Arno  Holz  aus 
Rastenburg  in  Ostpreussen  (geb.  1863)  und  Johannes  Schlaf  aus  Querfurt  (geb. 
1862),  und  zwar  mit  den...  novellistischen  Skizzen  Papa  Hamlet  (1889)  und  dem 
Drama  Familie  Selicke.  Dem  Zola'schen  Reporter-Naturalismus  gegenuber,  der  an 
die  Objekte  herangeht  und  sie,  drastisch  gesagt,  beschnuppert,  predigten  Holz  und 
Schlaf  die  Notwendigkeit,  die  Dinge  an  sich  herankommen  zu  lassen,  sie  gewisser- 
massen  einzusaugen,  und  gelangten  so  zu  einem  intimen  Naturalismus,  der  Sinnen- 
und  dadurch  auch  Stimmungseindriicke  gleichsam  phonographisch  wiedergeben  will. 
Die  wichtigste  praktische  Folge  war  eine  vollige  Revolution  der  dramatischen  Rede, 
die  nun  im  Bunde  mit  der  schon  im  Ibsenschen  Drama  erreichten  tauschenden  (sach- 
lichen)  Wirklichkeitstreue,  volligen  Unabsichtlichkeit  und  exakten  Motivierung  das 
neue  deutsche  Milieudrama  ergab.  Holz,  der  sich  vorher  durch  sein  Buch  der  Zeit 
(1855)  als  das  grosste  Formtalent  unter  den  lyrischen  Stiirmern  und  Drangern  er- 
wiesen  und  spater  auch  noch  eine  Revolution  der  Lyrik  (Abschaffung  von  Reim  und 
Rhytmus  zugunsten  eines  natiirlichen  Sprach-  und  Sachrythmus)  ins  Werk  setzte, 
und  Schlaf . . .  pfllickten  trotz  einer  Reihe  dramatischer  Schopf ungen . . .  nicht  die 
Frtichte  ihrer  Neupflanzung,  die  fielen  einem  j  ungen  schlesischen  Poeten,  Gerhart 
Hauptmann,  zu,  der . . .  unter  Holzens  Einfluss  geraten  war."  Sonst  weiss  Adolf 
Bartels  iiber  den  ,,Schopfer  des  konsequenten  Naturalismus"  nichts  zu  sagen.  ttber 
die  Stellung,  die  Richard  M.  Meyer  gegen  Arno  Holz  einnimmt,  habe  ich  friiher  ein- 
mal  gesprochen;  s.  P.  M.  Ill,  p.  271.  Der  Dichter  selbst  sagt,  Die  Kunst,  ihr  Wesen 
und  ihre  Gesetze,  I,  p.  44:  ,,Als  Theoretiker  stehe  ich  weder  auf  dem  Boden  des 
„  ,,Realismus"  "  noch  des  „  ,,Naturalismus"  ",  noch  sonst  eines  Ismus.  Nur  als 
Praktiker  bin  ich  Parteimann" ;  und  Revolution  der  Lyrik,  p.  47 :  ,,Niemand  hat  das 
Recht,  unter  Naturalismus  literarisch  etwas  Beliebiges  zu  verstehen,  sondern  seine 
Anschauungen  sind  dokumentarisch  festgelegt  worden  durch  Zola.  Gegen  das  Prin- 
zip  dieser  Anschauungen  wandte  ich  mich . . .  und  fundamentierte  in  meiner  Schrift 
Die  Kunst  ein  neues".  Ebendort,  p.  64 :  ,,Wir  wehren  uns  gegen  jede  Schulbezeich- 
nung";  u.  s.  w. 

Mit  ,,phonographischer  Wiedergabe",  ,,konsequentem  Naturalismus",  etc.  muss 
es  also  eine  eigene  Bewandtnis  haben.  Sehen  wir  uns  den  Theoretiker  Arno  Holz 
einmal  genauer  an;  vielleicht  lernen  wir  den  Praktiker  dann  rascher  kennen;  denn 
der  Praktiker  hat  die  Theorie  geschaffen  oder  vielmehr  aus  seinen  eigenen  Werken 
gezogen,  nicht  umgekehrt,  und  das  ist  wiehtig  zu  wissen.  Verstehen  wir  das  Prin- 
zip  von  Holzens  Asthetik,  so  werden  wir  es  leicht  in  alien  seinen  Schopf  ungen  wieder- 
gespiegelt  finden.  Diese  werden  uns  von  vornherein  vertraulicher  ansprechen,  als 
wenn  wir  ihnen  zogernd,  von  den  Vorurteilen  der  alten  Jtsthetik  gehalten,  entgegen- 
treten. 

Noch  selten  ist  ein  Satz  so  oberfliichlich  gelesen,  so  toricht  gedeutet,  so  boshaft 
gegen  seinen  Urheber  ausgebeutet  worden,  als  die  Formel,  zu  welcher  Arno  Holz 
durch  seine  asthetischen  Untersuchungen  gelangte,  an  deren  Inhalt  er  zah  festhalt, 
deren  Form  er  preisgibt.  Dieser  Satz  heisst:  ,,Die  Kunst  hat  die  Tendenz,  wieder 
die  Natur  zu  sein;  sie  wird  sie  nach  Massgabe  ihrer  jeweiligen  Reproduktionsbe- 


Arm  Hol{.  179 

dingungen  und  deren  Handhabung."  Wie  ist  Arno  Holz  zu  diesem  Satz  gekommen? 
Was  ist  das  Neue,  das  Revolutionare  daran?  Was  ist  das  Element  darin,  das  den 
Jtsthetikern  und  Kritikern  aller  Gattungen  und  Schulen  so  unausstehlich,  so  lacher- 
lich  erschien? 

Was  ist  Kunst?  Seit  dem  Streit  Gottsoheds  mit  den  Schweizern  ist  diese  Frage 
nicht  zur  Ruhe  gekommen.  Unsere  grossten  Kiinstler  haben  eine  Antwort  darauf 
zu  geben  versucht.  Es  ist  klar:  Kann  die  Frage  annahernd  beantwortet,  kann  der 
Begriff  Kunst  iiberhaupt  definiert  werden,  so  kann  das  nur  durch  einen  echten  Kiinst- 
ler geschehen.  Alle  andern  Menschen,  mogen  sie  sich  auf  Wissen,  Scharfsinn, 
,,Kunstverstand"  noch  so  viel  einbilden,  von  dem  innersten  und  tiefsten  Wesen  der 
Kunst  haben  sie  hochstens  eine  entfernte  Ahnung.  Daran  muss  unbedingt  festgehal- 
ten  werden:  trotz  Hegel,  Fechner,  Volkelt,  Lipps,  etc.  Gehen  wir  also  zu  denen  von 
unsern  grossen  Kiinstlern,  die  sich  am  eifrigsten  bemttht  haben,  die  ihrem  eigenen 
und  dem  Schaffen  anderer  unterliegenden  Gesetze  zu  nnden  und  auszusprechen : 
Schiller  und  Goethe,  Grillparzer,  Hebbel  und  Otto  Ludwig.  Einen  tfberblick  zu  ge- 
winnen,  geniigt  es,  die  Kardinalsatze  anzufiihren. 

Schiller  und  Goethe  sprechen  ihre  Definitionen,  soweit  sie  klar  abgerissene  De- 
finitionen  zu  geben  versuchten,  fast  immer  als  Forderungen  aus;  das  ist  wohl  zu  be- 
achten.  Aus  den  von  Harnack  in  seinen  Biichern:  Die  Asthetik  der  Deutschen  und 
Goethe  in  der  Epoche  seiner  Vollendung  zusammengestellten  Ausserungen  der  Dich- 
ter  liber  das  Wesen  der  Kunst  geht  als  Quintessenz  hervor:  1)  Der  Massstab  des 
Urteils  ist  nicht  die  Natur  an  sich,  sondern  der  ,,schone  Mensch"  im  speziellen.  2) 
Die  Aufgabe  der  Kunst  ist  ,,durch  den  Schein  die  Tauschung  einer  hoheren  Wirk- 
lichkeit  zu  geben";  ,,des  Kunstlers  Schopfung  sei  soweit  real,  dass  sie  steta  wahr 
sei,  soweit  ideal,  dass  sie  niemals  tcirklich  sei".  Ganz  allgemein  ausgedriickt:  Die 
Kunst  stellt  die  Natur  in  schoner  Form  dar. 

Grillparzer  stimmt  darin  uberein,  wenn  er  sagt:  ,,Die  Kunst  beruht  auf  einer 
Steigerung  des  Wirklichen  und  unterscheidet  sich  eben  dadurch  von  der  Natur". 
Dabei  steht  er  aber  viel  fester  auf  dem  Boden  der  Natur  als  selbst  Goethe.  Alles 
Lehr-  und  Reflektionsmassige,  alles,  was  nicht  ,,durch  seine  blosse  Existenz  Glauben 
erzwingt",  weist  er  aus  dem  Bereich  der  Kunst.  Wohl  schatzt  er  die  Form  aufs 
hochste,  denn  ,,sie  schliesst  ab  wie  die  Natur";  aber  sie  ist  ihm  nicht  Selbstzweck. 
Leben  und  Form  will  er  vereinigen,  dass  ,,beiden  ihr  Recht  geschehe". 

Hebbel  und  Ludwig  gehen  noch  einen  Schritt  weiter.  Ihre  Definition  von  Kunst 
ist  im  wesentlichen  die:  1)  Die  Kunst  stellt  die  Natur  (,,das  Leben")  dar.  2) 
Die  Sehonheit  der  Form  ist  der  kiinstlerischen  Darstellung  immanent  und  wird  nicht 
vom  Kiinstler  gleichsam  ausserlich  hinzugetan.  3)  Die  Fixierung  des  Lebensge- 
halts  ist  wichtiger  als  die  Sehonheit  im  einzelnen.  Sehonheit  und  Wahrheit  sind 
dasselbe.  ,,Wahrheit  ist  ttbereinstimmung  eines  Reichtums  von  Zugen  fur  den  Ver- 
stand,  Sehonheit  die  ttbereinstimmung,  Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit  fiir  den  un- 
mittelbaren  Sinn".  Ahnliches  hatte  freilich  auch  schon  Goethe  ausgesprochen.  Aber 
wUhrend  er  und  Schiller  nie  ganz  von  dem  einseitigen  Schonheitsideal  des  Winckel- 
mann'schen  Klassizismus  loskamen  und  dieses  auch  noch  auf  Grillparzer  bis  zu  einem 
bedeutenden  Grade  fortwirkte,  haben  Ludwig  und  Hebbel  sich  davon  befreit.  Sie 
unternahmen  es,  sich  ohne  Vorurteile,  klassischer  oder  romantischer  Farbung,  mit 
den  Problemen  ihrer  eigenen  Zeit  kiinstlerisch  auseinander  zu  setzen,  sich  durch 
griindliches  Forschen  iiber  die  Ziele  ihrer  Kunst  klar  zu  werden.  So  wurden  sie  die 
Vorlaufer  einer  neuen  Kunst,  deren  technische  Mittel  sich  mehr  und  mehr  vervoll- 
kommneten,  deren  Gebiet  die  tiefsten  Abgriinde,  die  feinsten  Verzweigungen  des  viel- 
gestaltigen  modernen  Lebens  zu  umspannen  begann.  Aber  sie  drangen  nicht  ins 
Volk;  ihr  Werk  wurde  rasch  vergessen.  Das  literarische  Leben  Deutschlands  ver- 
sandete. 


180  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

Die  politischen  Ereignisse  nahmen  die  ganze  Energie  des  Volkes  in  Anspruch. 
Der  grosse  Krieg  brachte  keine  grosse  Dichtung  oder  Kunst  hervor.  Was  an  bedeu- 
tenden  Talenten  da  war,  wurde  nicht  gewtirdigt.  Menzel  und  Bocklin,  Keller  und 
Raabe  blieben  unbeachtet,  Anzengruber  bahnte  sich  langsam  seinen  Weg.  Ein  gut- 
gemeinter  Patriotismus  liess  sich  an  den  aufkostiimierten  Goten  Felix  Dahns,  an 
der  siisslichen  Minnesingerei  Julius  Wolffs  und  Baumbachs  geniigen.  Archaisieren- 
der  Dilettantismus  begeisterte  sich  fur  die  Mumienpoesie  des  Xgyptologen  Ebers. 
Aber  in  den  Goldschnittbandchen  dieser  Modeschriftsteller  pulsierte  kein  Leben.  Da 
halite  nichts  nach  von  dem  Larm  und  Gebraus  der  neuen  Zeit,  von  den  tausend  Fra- 
gen,  die  eine  rastlos  vorwarts  schreitende  Naturwissenschaft,  eine  machtig  wach- 
sende  Industrie,  Kapitalismus  und  Sozialismus  in  die  Gegenwart  hineinwarf. 

Die  neue  Zeit  gehorte  der  Jugend.  Sie  hatte  alle  diese  Fragen  zu  18sen.  Ihr 
konnten  die  Lieblingsautoren  der  alteren  Generation  nichts  bieten.  Im  Auslande 
aber  waren  Kiinstler,  die  mit  unerhorter  Kiihnheit  in  das  Leben  der  Gegenwart  grif- 
fen.  Zola,  Ibsen,  Tolstoi,  Dostojewskij  wurden  den  jungen  Talenten  Deutschlands 
zur  kiinstlerischen  Offenbarung.  Ein  neuer  Sturm  und  Drang  ging  durch  die  Litera- 
tur.  Zola  insbesondere  wurde  zum  Befreier  von  den  Fesseln  einer  erstarrten  Asthe- 
tik.  Sein  beriihmter  Satz:  ,,Ein  Kunstwerk  ist  ein  Stuck  Natur,  durch  ein  Tem- 
perament gesehen",  gait  als  das  Zauberwort,  vor  dem  alle  Schranken  der  Kunst  fie- 
len.  Der  Inhalt  dehnte  sich  ins  Unermessliche  aus  und  sprengte  die  alten  Formen, 
Auch  die  hasslichsten  Niederungen  des  Lebens  gehorten  in  den  Bereich  kiinstlerischer 
Darstellung.  Nicht  mehr  ,,Sohonheit",  eine  ,,hohere  Wirklichkeit"  war  das  Ziel  der 
Kunst,  sondern  Wahrheit;  Wahrheit  um  jeden  Preis.  Kein  Wunder,  dass  radikale 
Stunner  nun  iibers  Ziel  hinausschossen,  und,  in  verworrener  Auffassung  jenes  Satzes, 
die  Wahrheit  mit  der  virtuosen  Darstellung  des  Xusserlichen  verwechselten,  dass  sie 
mit  Vorliebe  das  Hassliche  und  Gemeine  zum  Gegenstand  ihrer  Kunst  machten.  We- 
der  sie,  noch  die  Alten,  denen  die  ,,Schmutzliteratur"  der  Jiingst-Deutschen  ein 
Greuel  war,  dachten  daran,  dass  Zolas  Satz  etwas  anderes  besagte,  als  der  Ausspruch 
Goethes:  ,,Im  Grunde  bleibt  kein  realer  Gegenstand  unpoetisch,  sobald  der  Dichter 
ihn  gehorig  zu  gebrauchen  weiss". 

Unter  den  Stimmfuhrern  der  Jiingst-Deutschen  war  einer,  der  sich  auf  die 
Dauer  von  dem  neuen  Kunstgesetz  nicht  blenden  liess :  Arno  Holz.  Nach  einer  Ge- 
dichtsammlung  Klinginsherz  und  einer  Schrift  tiber  Geibel  veroffentlichte  er  zwei- 
undzwanzigjahrig  sein  erstes  Werk,  —  denn  das  Friihere  ,,rechnete"  er  nicht  —  Das 
Buck  der  Zeit,  Lieder  eines  Narren,  Zurich  1885.  In  dem  500  Seiten  starken  Band 
steckte  mehr,  als  nur  die  glanzende  Leistung  eines  Formtalents.  Der  Geist  des  Bu- 
ches  war  in  der  Tat,  wie  der  Titel  sagte,  der  Geist  einer  neuen  Zeit.  Mit  dem  iiber- 
lieferten  BegrifT  von  ,,Poesie"  war  griindlich  gebrochen.  Nicht  nur  im  Walde,  im 
Wehen  des  Abendwindes,  in  zerbrockelten  Ruinen,  in  schilfumkranzten  Weihern  fand 
Arno  Holz  Poesie,  sondern  auch  im  Kohlendunst  von  Bergwerken  und  Fabriken,  im 
Pochen  und  Hammern  der  Maschinen,  im  Sausen  der  Eisenbahn,  im  Gefangnis,  im 
Spital.  Eine  unendliche  Mannigfaltigkeit,  die  feinste  Abstufung  von  Tonen,  Bil- 
dern  und  Stimmungen  zeichnen  dieses  wunderbare  Jugendwerk  aus.  Laurie  Magnus 
hat  einen  schonen  Aufsatz  dariiber  geschrieben,  Fortnightly  Review,  1897,  pp.  492  ff. 
Arno  Holz  wird  da  vorwiegend  als  revolutionarer  Dichter  geschildert.  Freilich,  der 
bittere  Hass  der  Sozialisten  gegen  die  Unterdruckung  durch  Kirche  und  Staat 
flammt  tiberall  auf  j  er  steigert  sich  sogar  zum  gotteslasterlichen  Fluch.  Der  eng- 
lische  Schriftsteller  findet  mit  Recht  eine  Entschuldigung  dafUr  in  der  Jugend  des 
Dichters  und  in  dem  jammervollen  Byzantinismus,  der  in  Deutschland  damals  wie 
heute  die  freiheitlichen  Regungen  des  Volkes  mit  seiner  muffigen  Schwiile  zu  er- 
sticken  drohte.  Wie  ein  Catullus,  ein  Burns,  ein  Shelly  sei  Arno  Holz  deswegen 


Arm  Hol.  181 


nicht  von  der  Unsterblichkeit  ausgeschlossen  :  ,,May  not  Germany  one  day  raise  to 
Arno  Holz  his  marble  tribute  of  a  dome?"  Der  Atheismus  des  jungen  Dichters  hat 
seinen  Grund  nicht  in  oberflachlicher  Negation  des  Bestehenden,  sondern  im  ehrli- 
chen  Ringen  nach  Wahrheit,  im  tiefen  Schmerz  iiber  die  triibe  Gegenwart.  So  er- 
schallt  neben  dem  hohnischen  Lachen  des  Skeptikers  auch  der  begeisterte  Ruf  des 
Idealisten,  der  an  eine  kvinftige  Trias  von  Wahrheit,  Freiheit  und  Recht  glaubt. 

Der  unbefangene  Leser  wird  sich  durch  den  sozialistischen  Radikalismus  des  Bu- 
ches  nicht  am  Genuss  des  Lieblichen  und  Zarten,  das  der  Dichter  in  reichlichem 
Masse  bietet,  storen  lassen.  Arno  Holz  hat  nicht  nur  ein  seltenes  Vermogen  der 
Nachempfindung  :  die  frische  Waldromantik  Eichendorflfs  trifft  er  im  Tone  ebenso 
gut,  wie  die  kraftige  Rhetorik  Emanuel  Geibels;  er  zeigt  vielmehr  auch  schon  in 
diesem  Erstlingswerk  seine  ganz  bestimmte  Eigenart.  Abgesehen  von  der  stofflichen 
Erweiterung  der  Lyrik,  und  abgesehen  von  der  sozialistischen  Tendenz,  die  den  An- 
fang  der  sog.  Grosstadtlyrik  bezeichnet,  hat  Arno  Holz  bereits  eine  Forderung  des 
Kritikers  Julius  Hart  zu  erfiillen  begonnen:  die  im  Gegensatz  zur  vorhergehenden 
Poesie  grossere  Objektivitat  der  modernen  Lyrik.  ,,Die  Lyrik,"  sagt  Hart,  ,,wird 
auch  aus  der  fremden  Seele  heraus  denken,  fiihlen  und  reden  lemen  und  nicht  immer 
das  Ich  zum  Wort  kommen  lassen.  Sie  wird  das  Landschaftliche  in  ganz  anderer 
Deutlichkeit  uns  malen,  das  Einzelbild  statt  eines  typischen  hinstellen,  die  Empfin- 
dungen  scharfer  begriinden,  ihre  Ursachen  darlegen  und  die  Gefiihle  selber  feiner 
zerlegen.  In  dieser  Kunst  hat  Goethe  zum  Teil  Grosses  geleistet.  .  .  Vorwiegend  ist 
aber  auch  die  Goethesche  Sprache  Gefiihlssprache  und  ihr  Wesen  musikalischer  Na- 
tur;  dem  gegeniiber  wird  die  Lyrik  des  Realismus  reichere  Elemente  der  Naturan- 
schauung  verarbeiten  und  einen  mehr  malerischen  und  plastischen  Karakter  anneh- 
men,  das  Bildliche,  das  bei  Goethe  zuriicktritt,  machtiger  in  den  Vordergrund  stel- 
len."*)  Die  Objektivitat  des  Dichters,  der  aus  der  fremden  Seele  heraus  denkt  und 
fiihlt,  kommt  zu  schonem  Ausdruck  in  dem  Zyklus:  Arme  Lieder,  ,,Mein  Fenster 
schaut  auf  einen  diistern  Hof",  ,,Een  Boot  Is  Noch  Buten!",  ,,So  Einer  War  Auch 
Er!",  ,,Nachtstiick".  Wie  alle  diese  Armen  Lieder  zugleich  auch  Beispiele  plasti- 
scher  Anschaulichkeit  sind,  so  erweist  sich  die  Fahigkeit,  die  innere  Stimmung  durch 
die  aussere  Umgebung  zu  verbildlichen,  in  noch  hoherem  Grade  in  einigen  Liedern 
aus  den  Tagebuchblattern  und  dem  Phantasus,  z.  B.  ,,Ihr  Dach  stiess  fast  bis  an  die 
Sterne",  ,,Die  Nacht  verrinnt,  der  Morgen  dammert,  vom  Hof  her  poltert  die  Fabrik". 

Kurz,  das  Buch  hatte  geniigt,  zehn  junge  Dichter  beriihmt  zu  machen.  Johan- 
nes Scherr  und  Graf  von  Schack  priesen  es;  ,,es  tropfelt  einige  wohlwollende  Kri- 
tiken";  die  Augsburger  Schillerstiftung  kronte  es  mit  einem  Preis:  aber  es  drang 
nicht  durch.  Der  enttauschte  Dichter  zergriibelte  sich  den  Kopf  fiber  seinen  Miss- 
erf  olg.  (Fortsetzung  folgt.) 

*)  Zitiert  aus  der  trefflichen  Broschure  Dr.  Strobls:  Arno  Holz  und  die  jiingst- 
deutsche  Bewegung,  Berlin  1902. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Bine  deutsche  Bildungsstatte  in  Neapel. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  SeminardlreMor  Emit  Dapprich. 

In  der  Villa  Nazionale,  dem  ewig  gninenden  und  bliihenden  Parke,  der  sich 
dicht  am  Meeresufer  im  nordlichen  Teil  der  schonen  Stadt  Neapel  hinzieht,  steht 
ein  prachtvolles,  palastahnlich.es  Gebaude,  das  die  Namen  Aquarium  Neapolitanum 
und  Stazione  Zoologica  fiihrt.  Es  ist  mit  deutschem  Gelde  auf  dem  von  der  Stadt 
zur  Verfiigung  gestellten  Bauplatze  aufgefiihrt  worden  und  enthalt  ausser  dem  reich- 
haltigen,  26  grosse  Becken  umfassenden  See- Aquarium  im  unteren  Stock  in  den  bei- 
den  oberen  Stockwerken  die  Arbeitsraume  der  seit  30  Jahren  bestehenden  marinen 
Station  des  genialen  und  unermiidlichen  Forschers,  Prof.  Heinrich  Dohrn. 

Er  kam  i.  J.  1870  als  Privatdozent  nach  Neapel,  um  dort  die  erste  und  fiir  lange 
Zeit  einzige  eoologische  Station  zu  errichten,  die  nach  der  Ansicht  der  bedeutendsten 
Naturforscher  schon  lange  ein  dringendes  Bediirfnis  war.  Er  verwandte  auf  die 
Griindung  dieser  Anstalt  aus  eigenen  Mitteln  mehr  als  300,000  Mark,  und  wusste 
durch  eine  geschickte  und  unermtidliche  Agitation  seiner  Sache  mit  dem  Beistand 
der  grossten  Zoologen,  das  deutsche  Reich  sowohl  als  auch  Privatleute  und  wissen- 
Bchaftliehe  Gesellschaften,zu  so  hohen  Beitragen  zu  bewegen,  dass  der  Bau  und  seine 
Einrichtungen  im  Betrage  von  einer  halben  Million  Mark  vollendet  werden  konnten 
und  ein  Betriebskapital  von  mehr  als  70,000  Mark  per  Jahr  ihm  zur  Verfiigung 
stand.  Mit  diesen  Mitteln  hat  Prof.  Dohrn  Erstaunliches  geleistet;  er  hat  die  Na- 
turforschung  so  machtig  gefordert,  dass  sein  Name  fiir  alle  Zeit  als  einer  der  besten 
seines  Berufes  leben  wird. 

Vier  Aufgaben  hat  sich  diese  zoologische  Station  gestellt:  1.  Sie  will  die 
Fauna  des  mittellandischen  Meeres,  soweit  dies  moglich  ist,  fiir  Laien  und  Gelehrte^ 
zur  Darstellung  bringen;  2.  die  Herstellung  zoologischer  Praparate  fiir  Museen  und 
Schulen  in  kiinstlerischer  Weise  zu  immer  grosserer  Vollkommenheit  bringen ;  3.  den 
Zoologen  aller  Nationen  Raume,  Apparate  und  Material  zur  Verfiigung  stellen,  und 
4.  durch  Veroffentlichung  der  Resultate  ihrer  Forschung  in  den  Jahrbiichern  der 
wissenschaftlichen  Welt  Kunde  geben  von  ihren  Leistungen.  Lassen  Sie  mich  in  we- 
nig  Worten  zeigen,  wie  vorziiglich  diese  Arbeiten  in  den  30  Jahren  geleistet  worden 
sind. 

Betreten  Sie  mit  mir  das  Museum ;  wir  kauf en  uns  fiir  einen  Lire  den  ,,Leitfaden 
fiir  das  Aquarium",  der  auf  iiber  100  Seiten  Illustrationen  und  Beschreibungen  fast 
aller  der  Seetiere  gibt,  die  in  diesen  Raumen  hausen,  und  wir  treten  vor  das  Basin 
No.  1.  Hier  haben.  die  Stachelhauter  ihr  Heim.  Da  kriechen  Seesterne  in  alien 
Farben,  vom  tiefsten  Rot  bis  zum  Violet,  auf  ihren  durchsichtigen,  fadeniihnlichen 
Fiisschen  umher,  steigen  bisweilen  an  der  glatten  Glaswand  empor,  oder  wandeln  an 
den  iiberhangenden  Felsen  mit  grosster  Sicherheit  dahin.  Dazwischen  liegen  trage 
Seeigel  von  meist  kugeliger  Form,  schon  gefarbt  und  mit  weissen,  roten  oder  brau- 
nen  Stacheln  iiber  und  iiber  bedeckt,  zwischen  denen  die  fast  unsichtbaren  Fiisschen 
wie  feine  Glasfaden  hervorragen.  Auf  dem  Grunde  liegen  zwischen  Steinen  die  See- 
walzen,  von  denen  einige  reifen  Gurken  sehr  ahnlich  sind,  da  sie  dieselbe  Form, 
Farbe,  Grosse  und  Rauhigkeit  besitzen.  Seeigel  und  Seewalzen  werden  von  gewis- 
sen  Volkern  als  Nahrungsmittel  benutzt,  ja  sogar  als  Delikatessen  sehr  geschatzt. 
Auch  Seelilien  und  Schlangensterne  ergotzen  das  Auge  durch  ihre  langen,  graziosen 
Anne,  die  sich  nach  alien  Richtungen  bin  beugen  und  verschlingen.  Wenn  sie  ein 


Eine  deutscbe  Bildungsstattt  in  Neapel.  183 

Korallenbaumchen  umklammern,  sehen  sie  fast  wie  Blumen  aus,  die  dort  hervorge- 
sprosst  erscheinen.  Die  gefiederten  Arme  der  Haarsterne,  von  denen  sich  hier  die 
bunten  Exemplare  von  Antedon  rosacea  befinden,  sind  in  bestandiger  Bewegung;  oft 
losen  sich  diese  Tiere  von  ihrem  Stiitzpunkte  los  und  gleiten,  mit  ihren  Armen  die 
Flut  peitschend,  schwimmend  von  Ort  zu  Ort.  Stundenlang  stehen  die  Besucher  vor 
diesem  Lebensbild,  ergotzen  sich  an  dem  bunten  Wechsel,  der  sich  ohne  Rast  und 
ohne  Ruh'  in  der  krystallenen  Flut  vollzieht;  zogernd  wendet  sich  der  Fuss  zum 
Weitergehen;  nichts  kennzeichnet  besser  das  Gefiihl  der  Zuschauer,  als  der  Ausruf 
eines  kleinen  deutschen  Madchens,  die  neben  mir  stand:  Ach,  Mutter,  wie  schon! 
Es  wiirde  meine  Leser  ermiiden,  wollte  ich  den  Reichtum  und  die  Pracht  der 
tausende  von  Lebewesen,  welche  sich  in  diesen  Raumen  befinden,  auch  nur  mit  der 
grosstmoglichen  Kiirze  darstellen;  ich  beschranke  mich  darauf,  den  Goethe'schen 
Satz  etwas  zu  erweitern,  indem  ich  ihn  so  fasse: 

,,Greif  nur  hinein  ins  voile  Leben; 
Wo  du  es  fasst,  da  ist  es  interessant." 

Fiir  die  Herstellung  zoologischer  Priiparate  hat  sich  Prof.  Dohrn  einen  Mitar- 
beiter  erzogen,  der  in  der  Welt  seinesgleichen  sucht:  es  ist  der  Konservator  der 
Anstalt,  Salvatore  Lo  Bianco.  In  Palermo  als  Kind  armer  Leute  geboren,  kam  er 
in  seinem  14.  Lebensjahre  zu  Dohrn  und  hat  sich  unter  dessen  Fiihrung  zu  einem 
ausgezeiehneten  Gelehrten  und  geschickten  Prakftker  emporgearbeitet.  Seine  Spezi- 
alitat  ist  das  Praparieren  seltener  und  schwierig  zu  konservierender  Seetiere.  Mil- 
waukee besitzt  in  seinem  Museum  eine  kleine  Sammlung  von  Exemplaren  aus  der 
Dohrn'schen  Anstalt,  von  denen  sich  die  meisten  20  Jahre  lang  gut  erhalten  haben; 
heute  aber  bietet  die  Station  Formen,  an  deren  Herstellung  man  vor  so  viel  Jahren 
kaum  denken  durfte.  Gibt  es  doch  Quallen,  die  so  unendlich  zart  sind,  dass  die  lei- 
seste  Bertihrung  des  Fingers  sie  sofort  zerstort,  indem  sie  wie  in  nichts  zerfliessen, 
oder  die  bei  der  Anwendung  der  friiher  gebrauchliehen  Konserviermittel  in  unfor- 
mige  Kliimpchen  zusammenschrumpfen.  Heute  werden  auch  diese  schonen  und  zar- 
ten  Gebilde  der  Ktinstlerin  Natur  durch  die  Hand  eines  Lo  Bianco  so  prapariert, 
dass  sie  fur  100  Jahre  Gestalt,  Farbe  und  Grosse  bewahren,  und  nur  die  Bewegung 
fehlt,  um  sie  fur  lebendig  zu  halten.  Wie  viele  tausend  Versuche  aber  notig  waren, 
diese  Methoden  zu  schaffen,  das  lasst  sich  leichter  ahnen,  als  sagen.  Bedeutende 
Zoologen  haben  unter  der  Schulung  dieses  Italieners  sich  das  notige  Geschick  erwor- 
ben,  bei  Expeditionen  die  reichen  Schatze  aus  der  Fauna  der  Meere  fiir  spatere  Be- 
arbeitung  in  den  Laboratorien  der  Naturforscher  aller  Lander  in  vorziiglicher  Weise 
zu  erhalten. 

Weit  iiber  1000  Gelehrte  aus  fast  alien  Kulturstaaten  haben  in  Neapel  langere 
oder  kiirzere  Zeit  gearbeitet,  um  unter  Dohrn  ihre  Vorbildung  zu  vollenden,  oder  ge- 
wisse  zoologische  Probleme  zu  losen.  Katheder  und  Horsale  gibt  es  dort  freilich 
nicht;  weder  der  Leiter  noch  seine  standigen  Mitarbeiter  unterrichten.  Sie  stellen 
den  Besuchern  alles  zur  Verfiigung,  was  zu  selbstandiger  Arbeit  notig  ist,  und  iiber- 
lassen  jedem  die  Auswahl  seines  Arbeitsfeldes,  seiner  Zeit,  Methode  etc.  Gesetzt 
es  wiirde  sich  einer  als  das  Ziel  seiner  Forschung  die  embryonale  Entwickelung  der 
Selachier  (Haie)  wahlen,  so  wiirden  ihm  Haifischeier  in  alien  Stufen  der  Entwicke- 
lung zur  Verfiigung  gestellt,  die  er  nun  von  Tag  zu  Tag,  von  Stunde  zu  Stunde  be- 
obachten  kann,  die  er  sezieren  darf,  die  er  in  bestandig  fliessendem  Meerwasser  ganz 
nach  seinem  Willen  behandeln  mag.  Enthalt  das  Resultat  seiner  Forschung  Neues 
und  Interessantes  zur  Geniige,  so  steht  ihm  der  Jahresbericht  zur  Veroffentlichung 
seiner  Monographic  zur  Verfiigung.  Wenn  einer  meiner  Leser  iiber  das  eigentiim- 
liche  Thema  lacheln  sollte,  das  ich  eben  anfiihrte,  so  gebe  ich  ihm  zu  bedenken,  dass 
durch  die  genaue  Erforschung  der  Entwicklungslehre  der  Haifische  die  Entwick- 


184 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


lungslehre  alles  Wirbeltiere  eine  machtige  Forderung  erfahren  hat,  die  bis  hinauf 
in  das  Gebiet  der  embryonalen  Entwieklung  des  Menschen  reicht.  Das  Haifischei 
ist  fiir  die  Beobachtung  um  so  passender,  da  sowohl  Schale  als  Kern  vollstandig 
durchsichtig  sind  und  es  bis  zur  vollendeten  Reife  bleiben. 

Das  Institut  gibt  drei  wissenschaftliche  Werke  heraus:  ,,Flora  und  Fauna,  des 
Golfs  von  Neapel"  (nahezu  30  Bande),  ,,Mitteilungen  der  Zoologischen  Station" 
(etwa  15  Bande)  und  ,,Zoologischer  Jahresbericht"  (an  die  20  Bande). 

Das  erste  dieser  Werke  ist  eine  wahre  Fundgrube  fiir  angehende  Zoologen,  dabei 
reich  illustriert  durch  die  Hand  eines  bedeutenden  Kiinstlers,  des  Malers  Merculi- 
ano,  der  seit  20  Jahren  nichts  anderes  malt,  als  die  Bewohner  des  Meeres. 

Mein  kurzer  Bericht  zeigt  den  Lesern  der  Padagogischen  Monatshefte  wohl  zur 
Geniige,  wie  gross  der  Wirkungskreis  der  beschriebenen  Anstalt  ist  und  wie  berech- 
tigt  der  Stolz  ist,  mit  dem  Deutsche  auf  dieses  grosse  Werk  eines  grossen  Mannes 
ihrer  Nation  blicken. 


II.   Korrespondenzen. 


(Fiir  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Baltimore. 

Mitte  April  batten  wir  das  Vergniigen, 
Professor  Dr.  Kuno  Francke  von  der 
Harvard  Universitat  hier  begriissen  zu 
dtirfen.  Er  hielt  drei  geistvolle  Vortra- 
ge  am  Woman's  College.  Der  erste  war 
in  englischer  Sprache  und  behandelte 
deutsche  Munizipalmethoden  im  Mittel- 
alter.  Im  zweiten,  deutschen  Vortrag 
beleuchtete  er  in  enthusiastischer  Weise 
Gerhart  Hauptmanns  eigentiimliches 
Drama  ,,Der  arme  Heinrich",  aus  dem 
er  wahrend  zweier  Stunden  die  leitenden 
Szenen  mit  grosser  Wirkung  vorlas.  Der 
dritte  Vortrag  war  wieder  ein  englischer ; 
der  gewandte  Redner  fiihrte  der  ausge- 
wahlten  Versammlung  das  Germanische 
Museum  der  Harvard  Universitat  in 
Wort  und  Bild  vor.  Im  Marz  des 
Jahres  1897  war  von  jener  altehrwiir- 
digen  Bildungsstatte  die  erste  Anregung 
zur  Schaffung  eines  solchen  Museums 
ausgegangen.  In  einem  damals  erlasse- 
nen  allgemeinen  Aufruf  war  die  hohe 
Zweckmassigkeit  dafiir  klar  gelegt  und 
ein  entsprechender  ausfiihrlicher  Plan 
mitgeteilt  worden.  Der  Aufruf  schloss 
mit  den  Worten: 

,,It  would  be  the  first  attempt  to  bring 
before  the  eyes  of  American  students  a 
picture  of  early  European  and  mediaeval 
civilization.  It  would,  at  the  same  time, 
be  a  worthy  monument  to  the  genius  of 
a  people  which  has  had  a  large  part  in 
shaping  the  ideals  of  modern  life  and 
which  has  given  to  this  country  millions 
of  devoted  citizens." 

Obgleich  10,000  Dollars  fiir  den  ersten 
Anfang  gewiinscht  wurden,  waren  bei  al- 
ler  Arbeit  nach  vier  Jahren  erst  4,000 


Dollars  eingegangen.  Erst  mit  der  ver- 
standnisinnigen  Mitwirkung  des  deut- 
schen Kaisers  gewann  das  Unternehmen 
einen  festen  Boden  und  eine  gliickver- 
heissende  Zukunft;  Wilhelm  der  Zweite 
kann,  wie  Professor  Francke  hervorhob, 
als  der  eigentliche  Begriinder  des  Ger- 
manischen  Museums  angesehen  werden. 
Dass  er  selbst  die  Seele  des  Ganzen  ist, 
wollte  der  bescheidene  Gelehrte  in  keiner 
Weise  gelten  lassen.  Die  iiber  alles  Er- 
warten  mannigfaltigen  und  reichen  kai- 
serlichen  Geschenke  werden  im  Lauf e  des 
Jahres  in  Cambridge  eintreffen  und  mit 
ihnen  weitere  reiche  Geschenke  von  an- 
dern  hochsinnigen  Deutschen.  Professor 
Francke  erwahnte  eine  Audienz,  die  er 
letztes  Friihjahr  im  Schlosse  zu  Berlin 
hatte;  er  sei  erstaunt  gewesen,  bei  dem 
genialen  Monarchen  ein  so  eingehendes 
Verstandnis  fiir  amerikanische  Universi- 
tatsverhaltnisse  zu  gewahren. 

Ein  Orientalistenkongress  fand  kurz 
nach  Ostern  in  der  Aula  der  Johns  Hop- 
kins Universitat  statt,  gut  besucht  sei- 
tens  der  hervorragenden  Hochschulen  des 
Ostens.  Ganz  besonders  interessant  er- 
wies  sich  ein  Vortrag  des  hiesigen  Pro- 
fessors Dr.  Paul  Haupt  iiber  ,,Babel  und 
Bibel".  Die  Landespresse  wird  bereits 
Ausziige  daraus  gebracht  haben. 

Die  deutsch  Sprak.  —  Die  im  Gange 
befindliche  Agitation  fiir  die  Munizipal- 
wahl  hat  u.  a.  eine  gar  erbauliche  Bliite 
hervorgebracht  in  Gestalt  eines  Zirku- 
lars,  worauf  ein  Bewerber  um  die  No- 
mination fiir  einen  Sitz  im  ersten  Zweig 
des  Stadtrats  den  Biirgern  seiner  Ward 
auf  einer  Seite  in  englischer,  und  auf  der 
andern  in  deutscher  Sprache  klar  zu  ma- 


Korresponden^en. 


185 


chen  sucht,  dass  er  der  rechte  Mann  fiir 
den  Platz  sei.  Der  englische  Teil  der 
Karte  ist  fehlerlos,  der  deutsche  Teil 
lautet  buchstablich,  wie  folgt: 
,,Candidat  fiir  den  Ersten  Abtheil  des 
Stadtrahts. 

Subject  der  Demokratischen  Primar 

Wahlen. 
Wehrte  Mitbiirger:  — 

Um  mit  der  Gegenwart  Schritt  zu  hal- 
ten,  werden  wir  es  nothwendig  finden  ei- 
nen  Augenblick  um  uns  zu  werfen.  Auf 
unsere  Strassen,  unsere  Halb  -  zerfallene 
Hauser  und  andere  Oeffentliche  Gebau- 
de,  etc.  Desshalb  sollten  bei  der  kom- 
menden  Primar  Wahlen  Sie  auch  nicht 
vergessen  ftir  einen  Mann  zustimmen 
dem  das  Wohl  unseres  Bezirks  im  Her- 
zen  liegt.  Ich  erinnere  Euch  hierdurch 
das  als  Candidat  f  iir  die  kommende  Pri- 
mar Wehlen,  verspreche  auf  die  Interes- 
sen  Eures  eigenthums  zu  sehen  wie  auf 
das  meine. 

Denn  ein  Steigen  des  Wehrtes  unseres 
Eigenthums,und  unsererHauser  geschieht 
nur  durch  Verbesserung  unsererStrassen. 

Was  wir  als  Steuerzahle  gerade  so  gut 
be-anspruchen  haben  als  Burger  anderer 
Bezirke. 

Darum  liebe  Mitbiirger  vergesset  nicht 
Euer  Wohl,  und  stimmt  fiir  mich,  einem 
Manne  der  fiir  Eure  Intressen  ebenso 
gut  zu  handeln  verspricht,  als  fiir  die 
Seinen. 

Euer  Mitbiirger, 


Da  mochte  man  auch  mit  Biccaut  de 
la  MarliniSre  ausrufen:  ,,O,  was  ist  die 
deutsch  Sprak  fiir  ein  arm  Sprak!  fiir 
ein  plump  Sprak!" 

Mit  dem  Monat  Juni  wird  filr  Balti- 
more eine  mehrmonatliche  Festperiode 
anfangen.  Den  Reigen  beginnt  das  von 
Sonntag,  den  14.  Juni,  bis  Freitag,  den 
19.  Juni,  dauernde  Sangerfest.  Grossar- 
tige  Vorbereitungen  werden  fiir  dieses 
Fest,  an  dem  sich  auch  President  Roose- 
velt beteiligen  wird,  getroffen.  Der  Stadt- 
rat  hat  allein  fiir  Illumination  25,000 
Dollars  bewilligt.  S. 

Californien. 

Am  vierten  April  hielt  der  Californi- 
sclie  Verein  von  Lehrern  der  deutschen 
Sprache  seine  regelmassige  Sitzung  in 
San  Francisco  ab.  Es  war  vorgeschla- 
gen  worden,  nur  zweimal  jahrlich  zu- 
sammenzukommen,  doch  wurde  diese  An- 
derung  abgelehnt,  und  es  wurde  beschlos- 
sen,  wie  bisher  sich  dreimal  das  Jahr  zu 
versammeln.  Den  Hauptvortrag  hielt 
Dr.  Julius  Goebel  iiber  das  Thema:  Der 
Kampf  urns  Deutsche  in  Amerika.  Da 
der  Redner  sich  eben  mit  der  Abfassung 


eines  griindlichen  Werkes  iiber  die  deut- 
sche Bewegung  in  Amerika  beschaftigt, 
so  war  besonders  der  historische  Ge- 
sichtspunkt  der  Frage  von  grossem  In- 
teresse.  Er  wies  nach,  wie  schon  den 
ersten  Versuchen  der  Deutschen,  sich 
ihre  Sprache  in  diesem  Lande  zu  erhal- 
ten,  englischerseits  entgegengearbeitet 
wurde.  Die  Einwanderung  von  hervor- 
ragenden  deutschen  Kampfern  nach  der 
Revolution  von  1848,  und  der  Sieg  der 
deutschen  Waffen  im  deutsch-franzosi- 
schen  Kriege  starkten  die  deutscheSaehe, 
so  dass  die  Deutschen  und  ihre  Sprache, 
besonders  in  Stadten  mit  starker  deut- 
seher  Einwohnerzahl,  grossere  Anerken- 
nung  erhielten.  Deutsche  Schulen  und 
deutsche  Vereine  wurden  zahlreich  ge- 
griindet.  Durch  die  politische  Starke 
der  deutschamerikanischen  Burger  wur- 
de diesen  in  vielen  Stadten  das  Zuge- 
standnis  gemacht,  dass  der  deutsche  Un- 
terricht  in  den  offentlichen  Schulen  ein- 
gefiihrt  wurde.  Doch  war  dieser  schein- 
bare  Triumph  der  deutschen  Sache  ei- 
gentlich  eine  Perfidie,  wie  der  Redner 
behauptete.  Das  Zugestandnis  wurde 
gemacht  mit  der  geheimen  Absicht, 
dadurch  die  deutschen  Privatschulen 
totzumachen,  und  in  der  Hoffnung,  dass 
sich  iiber  kurz  oder  lang  eine  Gelegen- 
heit  finden  wiirde,  den  deutschen  Unter- 
richt  wegen  mangelhaften  Resultaten 
oder  aus  anderen  Griinden  wieder  aus 
den  offentlichen  Schulen  herauszuwerfen. 
Dieser  Prozess  ist  bereits  vor  sich  ge- 
gangen  und  vollzieht  sich  noch  immer. 
Die  einzige  Hoffnung  fiir  die  Erhaltung 
der  deutschen  Sprache  liegt  in  den  High 
Schools.  Es  sollte  deshalb  unser  Bestre- 
ben  sein,  den  deutschen  Unterricht  in 
diesen  Anstalten  so  wirkungsvoll  und 
fruchtbringend  wie  mo'glich  zu  machen. 
Die  Ansichten  des  Redners  wurden  von 
den  Anwesenden  nicht  durchweg  indos- 
siert,  und  es  wurde  beschlossen,  die  Dis- 
kussion  des  Vortrags  auf  das  nachste 
Programm  zu  setzen.  —  Hierauf  folgte 
eine  sehr  nutzbringende  Besprechung  von 
empfehlenswerten  deutschenTextbiichern. 
Fraulein  Garretson  von  Alameda  verlas 
einen  kurzen  Vortrag,  worin  sie  allge- 
meine  Grundsatze  fiir  die  Auswahl  von 
Texten  niederlegte,  und  dann  folgende 
Texte  empfahl:  Immensee,  Hoher  als  die 
Kirche,  L'Arrabiata,  der  Schwiegersohn, 
die  Journalisten,  der  Bibliothekar,  Gu- 
stav  Adolf  in  Deutschland,  Wilhelm  Tell. 
Herr  Buehner  von  San  Jos6  ging  naher 
auf  den  Unterricht  im  ersten  Schuljahre 
in  den  High  Schools  ein  und  empfahl 
fiir  den  theoretischen  und  praktischen 
Teil  des  Unterrichts  Spanhoofds  Lehr- 
buch  der  deutschen  Sprache  als  das  be- 


186 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


friedigendste  ttbungsbuch.  Dieses  1st  mit 
passendem  Lesestotf  zu  erganzen.  Herr 
Zimmermann  von  San  Francisco  kriti- 
sierte  das  neue  Buch  fiir  Anfiinger, 
,,Gltlck  auf!"  und  empfahl,  ausser  schon 
genannten  Werken  Leanders  ,,Traume- 
reien",  ,,der  zerbrochene  Krug",  ,,die 
Freiherren  von  Gemperlein"  und  Riehls 
!Novellen.  Herr  Centner  von  der  Staats- 
universitat  beschrankte  sich  darauf,  ei- 
nige  der  genannten  Biicher  zu  indossie- 
ren.  —  Hierauf  vertagte  sich  die  Ver- 
sammlung  bis  zum  Herbst.  V.  B. 

Chicago. 

Diesmal  kann  ich  iiber  zwei  freudige 
Vorkommnisse  berichten,  die  allerdings 
negativer  Natur  sind,  uns  geniigsame 
Lehrer  aber  trotzdem  schon  gliicklich 
machen.  Unser  Thomas-Orchester  wird 
nicht  aufgelost  werden!  Die  fur  die  Er- 
richtung  eines  eigenen  Hauses  notwendi- 
gen  $750,000  sind  beinahe  ganz  gezeich- 
net,  und  der  Bau  wird  daher  demnachst 
in  Angriff  genommen  werden.  Bezeich- 
nend  ist  es,  dass  grossere  Zeichnungen 
(von  $1000  oder  dariiber)  selten  sind, 
dass  aber  mehrere  Tausende  willens  sind, 
von  $50  bis  $500  zu  dem  Unternehmen 
beizusteuern.  Daran  kann  man  sehen, 
wie  tief  das  Orchester  im  Volke  der 
Stadt  Wurzel  gefasst  hat  und  wie  viele 
doch  echte,  kilnstlerische  Musik  zu  wiir- 
digen  wissen!  Gentisse  der  herrlichsten 
Art  stehen  uns  also  wieder  in  Aussicht! 

Die  andere  Tatsache,  die  die  hiesige 
Lehrerschaft  mit  Genugtuung  erfiillen 
muss,  ist  die  Verwerfung  der  sog.  Marck- 
schen  Gesetzesvorlage  in  Springfield. 
Ware  sie  von  der  Legislator  angenom- 
men  worden,  so  ware  unser  Schul supe- 
rintendent mit  einer  Machtvollkommen- 
heit  ausgestattet  worden,  wie  sie  hierzu- 
lande  noch  nie  erhort  worden  ware.  Er 
ware  der  reinste  Zar  geworden.  ttber  An- 
stellung  der  Lehrer,  deren  Gehalter,  de- 
ren  Promotion,  tiber  Einfiihrung  von 
Schulbiichern,  iiber  Lehrmethode  und 
Examina  u.  s.  f.  hatte  nur  er  zu  ent- 
scheiden  gehabt!  Was  wir  Lehrer  von 
Herrn  Cooley  zu  erwarten  haben,  das  hat 
er  uns  schon  in  den  Regeln  gezeigt,  die 
auf  seine  Veranlassung  von  unserem 
Schulrate  angenommen  wurden.  Unter 
anderem  kann  kein  Lehrer  eine  Gehalts- 
erhohung  bekommen,  ohne  dass  er  eine 
Prilfung  in  Psychologic,  Padagogik,  Ge- 
schichte  der  Padagogik  und  school-man- 
agement, sowie  in  einem  sog.  akademi- 
schen  Fach  besteht.  Derselbe  Herr  hat 
sich  aber  sein  Gehalt  von  $7,-  auf  $10,- 
000  erhohen  lassen,  ohne  jemals  ein  Ex- 
amen  abgelegt  zu  haben! 

Und  diese  hubschen  Zustande  hatte 
man  gerne  durch  unsere  Gesetzgebung 


permanent  gemacht!  Wir  sind  der 
Teachers  Federation  zu  grossem  Dank 
verpflichtet,  dass  sie  dieses  unverschamte 
Machwerk  durch  eifrigen  Protest  zu  Fall 
gebracht  hat!  Ernes. 

Cincinnati. 

Superintendentenwvchsel.  Richard 

Wagner  wohnte  im  Jahre  1871  zu  Leip- 
zig  bei    dem    kunstsinnigen    Gasthofsbe- 
sitzer  Kraft,  Hotel  de  Prusse,  und  sang 
denselben  ob  liebevoller  Behandlung,  die 
ihm  wahrend  seines  Aufenthaltes  gewor- 
den, beim  Abschiede  mit  dem  selbst  ge- 
dichteten  und  komponierten  ,,Kraft-Lied- 
chen"  folgendermassen  an: 
,,Der  Worte  viele  sind  gemacht, 
Doch  selten  wird  die  Tat  vollbracht; 
Was  ein  Hotel  zum  Eden  schafft, 
Das  sind  nicht  Worte,  sondern  Kraft." 

Substituiert  man  in  diesem  Sang  sine 
ira  et  studio  fiir  ,,ein  Hotel"  die  Wort- 
lein  ,,eine  Schul'",  so  ist  ohne  weiteres 
die  Tat  unseres  neuen  Erziehungsrates 
erklart,  dessen  Erstes  die  Erwahlung  des 
fruheren  Assistenzsuperintendenten  und 
jetzigen  Direktors  des  Normal-Departe- 
ments  der  Staatsuniversitat  zu  Oxford, 
O.,  Herrn  F.  B.  Dyer,  zum  Superinten- 
denten  unserer  Schulen  war.  Bis  auf 
ein  einziges  sind  die  Mitglieder  des  Ra- 
tes der  Ansicht,  Dr.  Boone  sei  nicht  im- 
stande  gewesen,  die  Notwendigkeit,  bezw. 
Niitzlichkeit  der  von  ihm  wahrend  seiner 
dreijahrigen  Amtszeit  eingefiihrten  Re- 
formen  durch  praktische  und  iiberzeu- 
gende  Resultate  zu  beweisen,  und  der 
Wechsel  wurde  ohne  viel  Federlesens 
vollzogen.  Es  ist  ein  wirklicher  Wech- 
sel, da,  wie  es  heisst,  Dr.  Boone  derNach- 
folger  des  Herrn  Dyer  in  Oxford  sein 
wird. 

In  der  vor  einigen  Tagen  abgehaltenen 
Versammlung  des  Deutschen  Oberlehrer- 
vereins  hielt  Herr  Hermann  von  Wahlde 
einen  gediegenen  Vortrag  iiber  das  au- 
genblicklich  die  Bretter,  so  die  Welt  be- 
deuten,  beherrschende  Thema :  ,,Wie  man 
dem  Verfall  des  deutschen  Unterrichts 
steuert",  in  dem  es  nicht  nur  dem  un- 
umganglich  notwendigen  Gebrauche  der 
deutschen  als  einzige  Unterrichtssprache, 
und  der  Erweckung  des  deutschen 
Sprachgefiihls  und  damit  der  Liebe  zum 
Deutschen  das  Wort  redete,  sondern  auch 
verlangte,  man  mtisse  versuchen,  es  da- 
hin  zu  bringen,  dass  die  Schiller  stolz 
werden  auf  das  ihnen  gewahrte  Vor- 
recht,  Deutsch  in  den  offentlichen  Schu- 
len lernen  zu  dtirfen.  Ferner  mtisse  man 
sich  recht  sehr  hiiten,  in  der  Hitze  des 
Gefechtes  der  englischen  Sprache  irgend- 
wie  eins  zu  versetzen,  um  die  Vorziige 
des  deutschen  Sprachbaues  mehr  hervor- 
zuheben,  sondern  im  Gegenteil  die  gro- 


Korresponden^en . 


187 


ssere  Wichtigkeit  des  Englischen  ftir  das 
hiesige  praktische  Leben  recht  oft  und 
nachdriicklich  betonen,  auf  dass  die 
Schiller  begreifen  lernen,  dass  der  Haupt- 
zweck  des  deutschen  Unterrichts  vor  al- 
lem  die  Erschliessung  der  veredelnden 
Schatze  der  deutschen  Literatur  und  die 
Erkenntnis  des  moralischen  Wertes  vie- 
ler  Seiten  des  deutschen  Tuns  und  deut- 
scher  Sitte  durch  die  Sprache  ist.  Da 
die  Kollegen  ohne  Ausnahme  es  wissen 
und  zugeben,  dass,  ohne  seine  Unter- 
richtsmethode  iiber  Gebiihr  der  von  an- 
deren  angewandten  den  Vorrang  geben 
zu  wollen,  der  Vortragende  in  seinen 
Klassen  seine  Worte  zu  betatigen  ver- 
steht,  so  wurde  die  notgedrungen  kurze 
Arbeit  mit  aufrichtigem  Beifall  belohnt. 
Wir  leben  hier  im  Zeichen  der  turne- 
rischen,  erziehlich  wirken  sollenden  6f- 
ientlichen  Schaustellungen.  Nach  unpar- 
teiischer  Beobachtung  und  Wttrdigung 
dessen,  was  die  zwei  bedeutendsten  hie- 
sigen  deutschen  Turnvereine  in  dieser 
Hinsicht  neuerdings  geleistet  haben,  bin 
ich,  wie  sehr  viele  andere,  zu  der  An- 
sicht  gekommen,  dass  mit  den  betreffen- 
den  Vorfiihrungen  nicht  mehr  und  nicht 
minder  Propaganda  gemacht  wurde,  als 
wenn  z.  B.  eine  Young  Men's  Christian 
Association  sich  auf  Jthnliches  verlegt 
hatte.  ,,Deutsches  Turnen"  war  das 
nicht,  sondern  sehr  schon,  prazis  und  ele- 
gant ausgefiihrtes  Athletentum.  Bei  den 
Vorfiihrungen  des  der  Zahl  nach  gross- 
ten  deutschen  Turnvereins  waren  sogar 
die  Kommandoworte  samt  und  senders 
englisch.  Sonst  aber:  ,,Bene!  Optime!" 

quidam. 

Milwaukee. 

Schulratsernennung.  Im  Mai  jeden 
Jahres  reorganisiert  sich  der  hiesige 
Schulrat,  indem  ein  Drittel  seiner  Mit- 
glieder  (8,  reap.  7)  ausscheiden  und 
neue  an  deren  Stelle  von  der  dazu  vom 
Burgermeister  ernannten  Kommission, 
bestehend  aus  4  Mitgliedern,  ernannt 
werden.  Es  bestehen  23  Schuldistrikte 
in  der  Stadt,  welche  meist  parallel  mit 
den  Grenzen  der  Stadtbezirke  (Wards) 
laufen,  und  jeder  Distrikt  ist  im  Schul- 
rat durch  ein  Mitglied  vertreten.  Filr 
die  ersten  8  Distrikte  wurden  nun  die- 
ser Tage  neue  Mitglieder  ernannt,  mit 
Ausnahme  eines  Distrikts,  da  sich  die 
Kommission  nicht  einigen  konnte.  Man 
sieht  also,  dieses  System  ist  auch  nicht 
perfekt,  es  hat  seine  Mangel  und  Feh- 
ler,  wie  alles  Menschliche.  Friiher  wur- 
den die  Vertreter  des  Schulrats  durch  die 
beiden  Aldermen  der  Stadt  ernannt. 
Um  die  Politik  aus  der  Schule  oder  bes- 
ser,  aus  dem  Schulrat  fernzuhalten,  er- 


sann  man  dies  System.  Doch  die  Poli- 
tik spielt  auch  jetzt  wohl  noch  eine  Rol- 
le,  da  die  Kommissare  so  hartnackig  auf 
ihrem  Kopfe  bestehen  und  sich  nicht  ei- 
nigen  konnen,  weil  zwei  von  ihnen  das 
ttichtige,  seit  8  Jahren  im  Schulrat 
eitzende  Mitglied  nicht  wieder  ernennen 
wollen,  obgleich  es  seinen  Distrikt  in 
ausgezeichneter  Weise  vertreten  hat  und 
auch  Prasident  des  Schulrats  war.  Der 
betreffende  Schuldistrikt  wird  also  heute 
bei  der  Reorganisation  im  Schulrat  nicht 
vertreten  sein. 

Exit  Gehaltserhohung  und  Lehrerpen- 
sion.  Ach  ja!  Die  Berge  kreisten  und 
kreisten,  und  sie  gebaren  —  nicht  ein- 
mal  das  kleinste  Mauschen,  sondern  das 
reine  —  nihil  nihilum.  Doch  hoffenwir, 
die  Berge  werden  noch  einmal  kreisen 
und  dann  irgend  etwas  Greifbares,  Sub- 
stantielles  und  Wertvolles  produzieren. 
Die  Lehrer  haben  alle  ihre  voile  Schul- 
digkeit  getan,  haben  in  seltener  Einmii- 
tigkeit  und  Kollegialitat  gearbeitet,  die 
Sachen  vorbereitet,  dem  Schulrat  ihre 
Wtinsche,  Argumente,  Vorschlage  be- 
scheidentlich  unterbreitet ;  der  Schulrat 
hatte  nach  ernster  und  eingehender  Er- 
wagung  betreffs  der  Gehaltserhohung 
eine  solche  auch  in  Aussicht  gestellt,  wie 
an  dieser  Stelle  gemeldet  wurde  —  aber 
jetzt  die  Sache  endgiiltig  fallen  lassen — 
weil  —  kein  Geld  dazu  vorhanden  ist. 
Immer  die  alte  Geschichte;  fur  die  Schu- 
len  und  die  Lehrer  ist  niemals  Geld  da. 
Fur  alles  andere  hat  die  Stadt  heiden- 
massig  viel  Geld,  manchmal  fur  Dinge, 
die  gar  nicht  notig  sind.  Auch  das  Ge- 
halt  aller  stadtischen  Angestellten,  von 
unten  bis  oben,  ist  aufgebessert,  und 
zwar  meistens  nicht  mit  lumpigen  $5.00 
den  Monat,  sondern  mit  10,  15  und  20. 
Unser  Herr  Burgermeister  soil  gesagt 
haben,  die  Lehrer  batten  Gehalt  genug, 
sie  brauchten  keine  Erhohung.  Recht 
freundlich  von  Sr.  Ehren!  Ja,  was 
kann  er  auch  mit  den  Schulmeistern  ma- 
chen,  die  passen  nicht  in  seinen  politi- 
schen  Kuddelmuddel  und  konnen  und 
wollen  ihm  keine  politischen  Handlan- 
gerdienste  tun.  Und  noch  dazu  die  ar- 
men  ,,schoolmams",  die  haben  nicht  ein- 
mal eine  Stimme,  die  sie  fur  ihn  abge- 
ben  konnten!  You  see?!  Doch  Herr 
Rose,  die  Lehrer  konnen  warten.  Viel- 
leicht  bestatigt  sich  noch  hier  einmal 
das  Sprichwort:  All  things  come  to  him 
who  patiently  waits. 

Die  Pensionsbewegung  hat  ein  bisschen 
zu  spat  angefangen.  Schade  darum!  Es 
war  eine  vortreffliche  Vorlage,  welche  die 
Prinzipale  in  Gemeinschaft  mit  den  Leh- 
rern  ausgearbeitet  batten.  Aber  der 
Schulrat  hatte  nicht  Zeit  und  Gelegen- 


188 


Padagogiscbe  Monatshefte. 


heit  genug  gehabt,  die  Sache  zu  priifen 
und  ihr  geniigend  Aufmerksamkeit  zu 
widmen.  im  Prinzip  stimmten  die  Mit- 
giieder  des  Schulrats  und  der  Superin- 
tendent damit  iiberein.  Dann  war  auch 
die  Zeit  zu  kurz,  um  die  Vorlage  noch 
in  dieser  Session  vor  die  Staats-Legisla- 
tur  zu  bringen,  welche  sich  vielleicht 
schon  in  einigen  Wochen  vertagen  wird. 
Es  bleibt  also  nichts  anderes  iibrig,  als 
diese  Vorlage  in  zwei  Jahren  wieder  dem 
Schulrat  und  dann  der  Legislatur  zu  un- 
terbreiten,  und  hoffentlich  haben  wir 
dann  den  gewiinschten  Erfolg  damit. 
Aber  erfreulich  ist  es  doch,  dass  eine  so 
grosse  Majoritat  aller  Lehrer,  mehr  wie 
zwei  Drittel,  sich  mit  der  Sache  selbst 
einverstanden  erklart  hat.  Man  musa 
bedenken,  dass  bei  den  Damen  im  Lehr- 
fach,  und  besonders  bei  den  jiingern  und 
im  hoffnungsvollen  Alter  stehenden,  der 
Ausdruck  ,,Pension"  einen  schrecklichen 
Klang  hat;  und  so  hat  man  denn  einen 
etwas  milderen  Ausdruck:  ,,Retirement 
Fund"  dafiir  gesetzt,  ,,wat  de  siilwe  Ge- 
schichte  is",  wie  ,,der  alte  Brasig"  sa- 
gen  wiirde.  A.  W. 

New  York. 

Verein  deutscher  Lehrer  von  New  York 
und  Vmgegend.  Die  zwei  letzten  Sitzun- 
gen  unseres  Vereins  boten  den  Anwesen- 
den  eine  willkommene  Abwechselung. 
Statt  der  tiblichen  Themata  philologi- 
scher,  philosophischer  oder  padagogi- 
scher  Natur  schweifte  man  ins  Gebiet 
der  politischen  Geschichte  und  der  Tech- 
nik.  Am  7.  Marz  hielt  Herr  Professor 
Tombo,  senior,  von  der  Columbia  Uni- 
versitat,  einen  hochinteressanten  Vor- 


trag  liber  Bennigsen,  den  deutschen  Par- 
lamentarier  und  gab  seinen  Zuhorern  ei- 
nen belehrenden  Einblick  in  das  innere 
Parlamentsgetriebe  im  Beginne  des  neu- 
en  deutschen  Reiches.  Herr  Tombo  kam 
seiner  Zeit  als  Reichstagsstenograph  mit 
den  Koryphiien  der  verschiedenen  Par- 
teien  in  nahere  Beriihrung.  Daher  fehlte 
dem  Vortrag  auch  nicht  das  anziehende 
Element  der  personlichen  Erinnerungen. 
An  der  darauf  folgenden  Diskussion 
nahmen  die  Herren  Dr.  Bahlsen,  Herzog 
una  Dr.  Kern  lebhaften  Anteil. 

Am  4.  April  gab  der  gegenwartige 
Briickenkommissar,  Herr  Lindenthal,  un- 
serem  Vereine  in  einer  ungezwungenen 
Plauderei  ein  Bild  dessen,  was  deutsche 
Ingenieurkunst  und  deutsche  Ingenieure 
in  Amerika  geleistet  haben  und  noch  lei- 
sten.  Er  stellte  vor  allem  der  deutschen 
Griindlichkeit,  wie  sie  auf  den  techni- 
schen  Hochschulen  Deutschlands  gepflegt 
und  gelehrt  wird,  ein  gutes  Zeugnis  aus 
und  wies  auf  die  Eisenbahnen  und 
Briicken  bin,  bei  deren  Bau  Deutsche  in 
hervorragender  Weise  tatig  waren. 
Nach  dem  Vortrage  antwortete  der  Red- 
ner  auf  eine  Anzahl  von  Fragen,  die  sich 
auf  die  bestehende  und  die  im  Bau  be- 
griffene  Brooklyner  Briicke  bezogen. 
Besonders  interessierte  sich  Herr  Kall- 
witz  fiir  die  Haltbarkeit  der  Brooklyner 
Briicke,  da  er  dieselbe  taglich  zweimal 
zu  passieren  hat.  Der  Kommissar  ver- 
sicherte  ihm,  dass  bei  der  gegenwartigen 
Aufsichtsbehorde  er  nichts  zu  befiirch- 
ten  habe,  ebenso  wenig  wie  die  120  Mil- 
lionen,  die  alljahrlich  iiber  die  Brttcke 
gehen  oder  befordert  werden.  H.  Z. 


III.     Umschau. 


New  York.  Einen  gewaltigen  Schritt 
nach  vorwarts  hat  der  Schulrat  von  New 
York  durch  seinen  Beschluss  getan,  den 
aeutschen  Unterricht  in  dem  achten 
Grade  der  Volksschulen  obligatorisch  zu 
machen,  ihn  also  auf  gleiche  Stufe  mit 
den  anderen  Fachern  des  Lehrplanes  zu 
stellen.  Dass  dies  freilich  nicht  genii- 
gend ist,  wenn  der  deutsche  Unterricht 
den  Erfolg  haben  soil,  den  alle  sich  mit 
demselben  Befassenden  erwarten,  son- 
dern  dass  er  so  friih  als  moglich  —  im 
ersten  Grade,  ja  im  Kindergarten  —  zu 
beginnen  habe,  haben  die  P.  M.  sowohl, 
als  die  Lehrertage  als  Hauptforderung 
auf  ihrem  Programm.  Auch  die  Verei- 
nigung  der  deutschen  Lehrer  New  Yorks 
vertritt  einen  ahnlichen  Standpunkt,  da- 
von  zeugt  dieEingabe  an  denSchulratNew 


Yorks,  die  ein  bemerkenswertes  Doku- 
ment  in  dem  Kampfe  fiir  unsere  Sache 
ist,  und  welcher  wir  von  Herzen  alien 
Erfolg  wiinschen.  Die  Petition  des  Ver- 
eins hat  folgenden  Wortlaut: 

"We  are  reliably  informed  that  it  is 
your  plan  to  confine  the  study  of  Ger- 
man to  the  eighth  school  year  of  the 
new  curriculum.  Relying  upon  this  in- 
formation the  Association  of  the  Teach- 
ers of  German  has  decided  by  an  unani- 
mous vote  to  petition  your  honorable 
board  to  extend  the  instruction  of  Ger- 
man over  the  last  two  school  years  at 
least. 

We  highly  welcome  your  plan  of  mak- 
ing the  instruction  in  this  branch  of 
study  obligatory,  and  of  assigning  to  it 
a  daily  period  of  forty  minutes.  But  in 


Umscbau. 


189 


reference  to  the  proposed  restriction  of 
the  period  of  instruction  we  respectfully 
invite  your  attention  to  the  following 
points : 

First — A  one-year  plan  for  a  modern 
language  in  the  elementary  schools  can- 
not possibly  provide  for  a  course,  defi- 
nite, comprehensive  in  itself  and  fairly 
independent  of  the  high  school  curricu- 
lum; a  course  elementary  in  character 
and  at  the  same  time  a  hormonious  unit. 

Second — A  large  percentage  of  our 
pupils,  frequently  for  reasons  beyond 
their  control,  never  reach  grade  8  A, 
where  the  teaching  of  a  modern  language 
is  to  begin,  according  to  the  new  plan, 
and  hence,  say  seventy-five  per  cent,  of 
the  children  desirous  of  receiving  in- 
struction in  a  modern  language  will  be 
deprived  of  this  most  valuable  and  ef- 
fective means  of  mental  training. 

Third — It  is  the  aim  of  the  modern 
language  course  in  our  high  schools  not 
so  much  to  impart  a  practical  introduc- 
tion and  speaking  ability  of  the  new 
tongue,  as  to  acquaint  the  pupils  broad- 
ly with  the  grammatical  structure  and 
the  literary  treasures  of  the  foreign  idi- 
om. With  elementary  schools,  on  the 
other  hand,  it  is  the  admitted  object  to 
emphasize  the  very  element  eliminated 
from  the  secondary  school  course,  viz., 
the  practical  instruction.  Now  it  is 
clear  that  the  practical  knowledge  of  a 
foreign  tongue,  involving  as  it  does  a 
speaking  and  writing  ability,  cannot  be 
acquired  in  one  year,  and  can  surely 
never  be  gained  if  it  is  begun  at  the  ad- 
vanced age  contemplated. 

Fourth — The  great  importance  justly 
attached  to  the  commercial  department 
of  our  high  schools  has  found  no  better 
expression  than  that  their  whole  curri- 
culum is  so  shaped  as  to  equip  young 
men  and  women  for  the  higher  practical 
pursuits  of  modern  life  and  civilization. 
In  modern  languages,  too,  the  aim  has 
been  rather  to  make  it  possible  for  the 
students  to  speak  and  write,  than  to 
merely  convey  to  them  a  theoretical 
Knowledge.  No  student  of  languages  will 
hold  that  this  great  aim  of  the  commer- 
cial departments  can  ever  be  attained 
unless  the  foreign  idiom  is  taught  far 
below  the  high  school  course  and  high 
school  age. 

We  feel  that  our  petition  to  your  hon- 
orable board  would  be  incomplete  if  it 
did  not  contain  our  most  earnest  request 
to  place  us  on  the  same  footing  as  the 
other  .special  branches,  such  as  manual 
training,  music,  etc.,  by  giving  us  a  di- 
rector for  our  special  branch." 


Der  Schulrat  von  New  York  hat  fur 
die  Wintersaison  1903 — 4  einen  Vorle- 
sungskursus  in  deutscher  Sprache  be- 
schlossen,  der  vornehmlich  fur  Erwach- 
sene  bestimmt  sein  soil. 

In  West-Virginien  ist  ein  Gesetz,  wel- 
ches den  Schulzwang  fordert,  mit  der 
Begriindung  verworfen  worden,  dass  es 
die  Industrien  Wheelings  schadigen 
wiirde,  wenn  diese  auf  die  Kinderarbeit 
in  ihren  Fabriken  verzichten  miissten. 

Prof.  Ernst  A.  Eggers,  Vorsteher  dea 
deutschen  Departements  an  der  Staats- 
universitat  zu  Columbus,  O.,  beging  am. 
10.  vorigen  Monats  Selbstmord.  Er  war 
seit  1882  an  der  gen.  Anstalt  tatig. 

Chicago.  Unter  vorziiglicher  Begriin- 
dung hat  die  Vereinigung  der  Schulprin- 
zipale  Chicagos  um  die  Abschaffung  aller 
Schiilerpreise  ersucht.  Die  Griinde  deftir 
sind  folgende: 

"While  the  prospect  of  a  prize  has  no 
effect  upon  the  class  as  a  whole,  it  acts 
as  a  spur  to  the  few  who  need  rather  a 
curb. 

The  prospect  of  a  prize  at  the  end  of 
the  year  makes  necessary  the  keeping  of 
very  minute  records,  thus  taking  the 
time  and  strength  of  the  teacher  from 
tne  work  she  is  engaged  to  do,  namely, 
teaching. 

It  tends  to  awaken  the  spirit  of  envy 
and  jealousy  among  those  near  the  head 
of  the  class,  making  what  snould  be  their 
happiest  days  filled  with  bitterness  and 
spite." 

Saginaw.  Philipp  Huber,  Superinten- 
dent des  deutschen  Unterrichts  und  Pro- 
fessor des  Deutschen  an  der  Hochschule 
zu  Saginaw,  ist  vom  Schulrate  fiir  das 
Amt  des  Siiperintendenten  der  offentli- 
chen  Schule  Saginaw  (W.  S.)  auserse- 
hen  worden.  Diese  Stelle  wird  mit  dem 
1.  Juli  durch  die  Resignation  des  bishe- 
rigen  Inhabers  vakant.  Wir  gratulieren 
herzlich  und  wiinschen  vielen  Erfolg!  — 
D.  R. 

Preussen.  Im  Staatsvoranschlage  fiir 
1903  fordert  die  preussische  Regierung 
120,000  M,  als  erste  Rate  fiir  die  Welt- 
ausstellung  in  St.  Louis  und  begriindet 
diese  Forderung  wie  folgt:  ,,Fiir  die  im 
Jahre  1904  stattfindende  Weltausstel- 
lung  in  St.  Louis  ist  eine,  das  Unter- 
richtswesen  aller  ausstellenden  Kultur- 
nationen  zusammenfassende  Ausstellung 
in  besonders  grossartigem  Massstabe  und 
in  einem  eigenen  Gebaude  in  Aussicht 
genommen.  Nachdem  die  Reichsregie- 
rung  die  Einladung  der  Regierung  der 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika  zur 
Teilnahme  an  der  Weltausstellung  ange- 
nommen  hat,  wird  angesichts  des  beson- 


190 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


deren  \Vertes,  der  von  den  massgebenden 
Stellen  auf  die  Beteiligung  Deutschlands 
an  dieser  Ausstellung  gelegt  wird,  beab- 
sichtigt,  neben  der  Veranstaltung  einer 
Kunst  und  Gewerbeausstellung,  die  Lei- 
stungen  auf  dem  Gebiete  unseres  gesam- 
ten  Unterrichts-  und  Erziehungswesens 
in  geeigneter  Auswahl  und  nach  ihrem 
neuesten  Stande  zur  Veranschaulichung 
zu  bringen.  Vorzugsweise  wird  es  sich 
darum  handeln,  das  Werden  und  Wirken 
der  Universitaten  und  sonstiger  Hoch- 
schulen,  sowie  der  damit  im  Zusammen- 
hange  stehenden  wissenschaftlichen  An- 
stalten,  einschliesslich  der  Bibliotheken, 
in  umfassender  Weise  vorzuffihren.  Au- 
sserdem  wird  aber  in  beschrankterem 
Umfange  auch  das  hohere  und  niedere 
Unterrichtswesen  durch  geeignete  und 
mustergiiltige  Darbietungen  fiber  die 
Entwickelung  und  den  gegenwartigen 
Stand  zu  beriicksichtigen  sein.  Nach  den 
Erfahrungen  der  Unterrichtsausstellung 
in  Chicago  1893  wird  es  bei  geeigneter 
Heranziehung  der  gewerblichen  Interes- 
senkreise  zur  wirksamen  und  erfolgrei- 
chen  Durchf  iihrung  des  Unternehmens  — 
Beschaffung  von  Ausstellungsgegenstan- 
den,  Transport  und  Versicherung  der- 
selben,  Einrichtung  der  Ausstellung,  Lei- 
tung  derselben  etc.  —  eines  Kostenauf- 
wandes  von  rund  300,000  M.  bedttrfen, 
wovon  fur  das  Rechnungsjahr  1903  als 
erste  Rate  120,000  M.  bereit  zu  stellen 
sind." 

Die  kleinste  offentliche  Schule  im 
Deutschen  Reich  wurde  zu  Ostern  auf 
der  Hallig  Nordstrandisch  Moor  im 
schleswig-holsteinischen  Wattenmeer  er- 
b'ffnet.  Das  Eiland,  das  die  Staatsregie- 
rung  durch  Dammbauten  vor  dem  Unter- 
gang  zu  bewahren  sucht,  hat  im  letzten 
Jahrhundert  stetig  abgenommen.  Dem- 
entsprechend  sank  auch  die  Zahl  der  In- 
selbewohner,  und  vor  einigen  Jahren 
ging  die  Schule  ein,  da  keine  schulpflich- 
tigen  Kinder  mehr  vorhanden  waren. 
Der  FOrsorge  der  Regierung  ist  inzwi- 
schen  die  Landfestmachung  der  Insel 
durch  einen  Verbindungsdamm  gelungen. 


Die  Warf,  auf  der  das  Schulhaus  steht, 
wird  wieder  bewohnt,  und  ein  geprilfter 
Lehrer  und  zwei  Schiller  ziehen  Ostern 
ein. 

Philipp  Reis,  der  Erfinder  des  Tele- 
phons,  war  bekanntlich  ein  Lehrer.  Der 
Frankfurter  physikalische  Verein,  dem 
Reis  seinerzeit  als  Mitglied  angehorte, 
setzt  ihm  in  Frankfurt  ein  Denkmal. 
i>asselbe  besteht  aus  einem  Steinsockel, 
auf  dem  sich  die  Biiste  des  genialen  Er- 
finders  erhebt.  Zu  beiden  Seiten  des 
Sockels  sind  zwei  Knabenfiguren  ange- 
bracht,  welche  in  telephonischer  Unter- 
haltung  begriffen  sind.  Die  Gartenlaube 
bringt  in  ihrer  Nr.  9  eine  Abbildung  des 
Denkmals. 

Die  Zahl  der  Deutschen  in  Europa 
wird  im  Lehrbiichlein  der  vergleichenden 
Zahlenkunde  von  Beringer  in  Berlin  auf 
68  Millionen  geschatzt.  Die  Zahl  erreicht 
76,536,000,  wenn  man  die  Hollander  und 
die  Vlamen  hinzuftigt.  Davon  kommeu 
auf  Deutschland  52,113,000,  Osetrreich 
8,662,000,Ungarn  2,133,000  (eher  mehr), 
Bosnien  80,000,  Schweiz  2,083,000,  Russ- 
land  2,000,000,Holland  5,094,000,  Belgien 
3,420,000,  Frankreich  500,000,  England 
100,000. 

Greifswalder  Ferienkurs.  (X.  Jahr- 
gang. )  Der  heurige  Kurs  findet  an  der 
Universitat  Greifswald  vom  13.  Juli  bis 
1.  August  statt  und  zwar  ffir  Lehrer  und 
Lehrerinnen.  Die  Vorlesungen  werden 
an  den  Wochentagen  ausser  Donnerstag 
(mit  wenigen  Ausnahmen)  nur  vormit- 
tags  gehalten.  Am  Schlusse  des  Kurses 
werden  itesuchsbescheinigungen  ausge- 
stellt.  Die  Begrussung  fallt  auf  Sonn- 
tag,  den  12.  Juli,  halb  9  Uhr  abends 
(Aula  des  Gymnasiums).  Gemeinschaft- 
hche  Ausfliige  an  die  Ostseekiiste  und 
nach  der  Insel  Riigen.  Fur  Wohnungen 
findet  sich  eine  Auskunftsstelle  auf  dem 
Bahnhofe.  (1  Zimmer  18—25  M.  wo- 
chentlich  —  bei  voller  Pension,  ohne 
Pension  5 — 10  M.  Auskunfte  erteilt  un- 
ter  der  Adresse  ,,FerienkurseGreifswald" 
Prof.  Dr.  Bernheim  in  Greifswald, 
Brinkstr  71,  I. 


Bucherschau. 


I.     Biicherbesprechungen. 


Ludwig  Fulda.  Der  Talisman.  Dra- 
matisches  Marchen  in  vier  Aufzttgen. 
Edited  with  introduction  and  notes  by 
Edward  Stockton  Meyer,  Ph.  D.  New 
York,  Henry  Holt  and  Co.,  1902.  XLI+ 
171  Ss. 

Fuldas  Talisman  erschien  in  der  Buch- 


ausgabe  zuerst  1892  und  ging  im  Febr. 
1893  zum  erstenmale  fiber  die  Bretter. 
Welche  Buhnenerfolge  das  Stfick  in  den 
ersten  Jahren  seines  Daseins  erzielt  hat, 
ist  mir  unbekannt;  angesichts  des  Um- 
standes  jedoch,  dass  es  nach  Breitkopf 
und  Hartels  deutschem  Spielplan  inner- 


Bttcberbesprecbungen . 


iialb  der  letzten  drei  Jahre  insgesamt 
nur  fiinfzig  Auffiihrungen  erlebt  hat  und 
ebenda  unter  des  Verfassers  Dramen  je- 
weils  erst  an  vierter  bis  neunter  Stelle 
genannt  wird,  erscheint  mir  die  sowohl 
in  Meyers  als  auch  in  Prettymans  (vgl. 
P.  M.  Ill,  S.  360)  Ausgabe  enthaltene 
Darstellung,  der  Talisman  sei  Fuldas  be- 
deutendsterBiihnenerfolg,  recht  befremd- 
lich.  Desgleichen  mochte  ich  Prof.  Mey- 
ers Angabe  iiber  den  Einfluss  des  Stiik- 
kes  auf  Hauptmann  und  Sudermann 
ernstlich  in  Zweifel  ziehen;  mir  wenig- 
stens  will  die  Annahme,  die  Versunkene 
Glocke  sei  mit  dem  Talisman  geistesver- 
wandt  und  direkt  unter  dessen  Einfluss 
entstanden,  ganz  und  gar  nicht  einleuch- 
ten;  das  Marchenspiel  lag  damals  sozu- 
sagen  in  der  Luft  und  war  der  naturge- 
masse  Riickschlag  gen  den  (ibertriebenen 
Wirklichkeitskult.  Zudem  ist  der  Talis- 
man gar  kein  Marchendrama  im  Sinne 
der  Versunkenen  Glocke;  und  die  Be- 
zeichnung  ,,Dramatisches  Marchen"  ist 
iiberhaupt  kaum  angebracht  fur  ein 
Stiick,  das  abgesehen  von  dem  Glauben 
eines  ganzen  Volkes  an  die  Moglichkeit 
der  Herstellung  eines  unsichtbaren  Ge- 
wandes  keinerlei  Marchenelemente  ent- 
halt.  Der  zugrundegelegte  Stoff  ist  eine 
in  den  Motiven  vertiefte  Eulenspiegelei, 
ein  Schwank;  zum  Marchen  konnte  ihn 
erst  die  wirkliche  Herstellung  des  Klei- 
des  mit  den  wunderbaren  Eigenschaften 
machen. 

Ein  kostliches  Stiick  aber  ist  der  Ta- 
lisman, und  die  ihm  auf  der  Textliste 
aes  Zwolferausschusses  zugewiesene  Stel- 
le verdient  er.  Nur  will  es  mir  scheinen, 
als  ob  Prof.  Meyer  in  der  an  und  f iir  sich 
Ib'blichen  Herausgeberbegeisterung  die 
Bedeutung  des  Stiickes  und  damit  auch 
die  Stellung  seines  Verfassers  weit  iiber- 
schatzt  hatte.  Und  eine  Einleitung  von 
42  Seiten  —  da  wir  ihres  Inhaltes  wegen 
billigerweise  auch  Vorwort  und  Anhang 
dazu  zahlen  milssen  —  ist,  selbst  mehr- 
fache  wortliche  Wiederholungen  abge- 
rechnet,  fiir  den  Talisman  zu  umfang- 
reich. 

Gar  nicht  befriedigt  hat  mich  die  Dar- 
stellung der  politischen  Satire  im  Talis- 
man, tfberhaupt  diinkt  es  mich  zweifel- 
haft,  ob  in  einer  amerikanischen  Schul- 
ausgabe  bei  der  hierzulande  mannigfach 
verbreiteten  irrigen  Ansichten  iiber  den 
Karakter  KaiserWilhelms  II.  diese  ganze 
Darstellung  nicht  besser  unterlassen  oder 
wenigstens  mit  ein  paar  Worten  abgefer- 
tigt  worden  ware.  Dass  das  Stiick,  das 
ich  ohne  Kenntnis  der  Zeit  und  Geschich- 
te  seiner  Entstehung  gelesen  hatte,  eine 
Satire  fcuf  Kaiser  Wilhelm  sein  sollte, 
-erfuhr  ich  erst  aus  Prof.  Meyers  schnei- 
diger  Verurteilung  der  Prettyman'schen 


Ausgabe  (Modern  Language  Notes  1902, 
col.  436  ff. )  und  der  Einleitung  zu  seiner 
eigenen.  Ich  kann  nicht  laugnen,  dass 
mir  diese  Auffassung,  deren  Richtigkeit 
ich  ja  keineswegs  bestreite,  bei  wieder- 
holtem  Lesen  den  Genuss  griindlich  ge- 
stort  hat.  Nicht  etwa,  als  ob  ich  als 
besonderer  Verehrer  Sr.  Majestiit  dem 
Dichter  das  Vergniigen  missgonnte,  die 
Person  des  Monarchen  in  die  Diskussion 
zu  ziehen,  ohne  mit  dein  Staatsanwalt 
in  Konflikt  zu  kommen.  Aber  ich  kann 
den  Gedanken  nicht  los  werden,  mit 
Omar  sei  am  Ende  gar  Herbert  Bismarck 
gemeint  —  und  Omar  passt  auf  Herbert 
und  Gandolin  auf  den  grollenden  Ein- 
siedler  im  Sachsenwalde  wie  die  Faust 
aufs  Auge.  Und  so  iiberhebend  wie  die- 
ser  Astolf  der  ersten  drei  Aufziige  war 
der  Kaiser  nicht  einmal  in  dem  Augen- 
blicke,  da  er  das  bekannte  Lex  suprema 
regis  voluntas  ins  Goldene  Buch  eintrug. 
Sollte  iibrigens  die  Karakterentwicklung 
Kaiser  Wilhelms  an  dem  abnehmenden 
Biihnenerfolge  des  Talisman  schuld  sein, 
so  ware  das  ein  vorziigliches  Beispiel 
dichterischer  oder  vielmehr  geschichtli- 
cher  Gerechtigkeit.  —  Was  mir  an  Mey- 
ers Darstellung  unverzeihlich  vorkommt, 
ist  ein  Ausdruck  wie,,the  stolid  stubborn- 
ness of  brutal  violence"  mit  bezug  auf 
den  eisernen  Kanzler;  das  klange  schon 
in  einer  politischen  Brandrede  anstossig 
und  gehort  nicht  in  ein  Schulbuch.  Dass 
vers  239 — 41  (,,Und  Gandolin,  der  nie 
geschont  sein  Blut,  der  in  dem  Kampfe 
mit  den  Heiden  einst  uniiberwindlich  war 
geblieben")  fiir  den  deutschen  ,,Hass" 
gegen  die  Franzosen  karakteristisch  sei, 
kommt  mir  auch  merkwiirdig  vor;  si- 
cherlich  wird  kein  unbefangener  Zu- 
schauer  oder  Leser  aus  dem  Worte  ,,Hei- 
den"  eine  Schmahung  der  Gegner  von 
1870  heraushoren;  so  etwas  heisst  den 
Bogen  allzu  straff  spannen.  Und  denkt 
sich  Prof.  Meyer  die  nachste  Umgebung 
des  deutschen  Kaisers  im  Ernste  aus  sol- 
chen  Schurken  und  Speichelleckern  zu- 
sammengesetzt,  wie  S.  XXXII  es  vermu- 
ten  lasst?  —  Die  Behauptung,  seit  den 
Tagen  des  Aristophanes  habe  die  Biihne 
nie  wieder  solch  eine  scharfe  politische 
Satire  gesehen  als  der  Talisman,  ist  zum 
mindesten  iibertrieben;  gegeniiber  Beau- 
marchais'  Figaro  und  Augiers  Le  Fils  de 
Giboyer  ist  FuldasDrama  ausserst  zahm, 
und  an  tiefliegendem  Einfluss  kann  es 
sich  mit  beiden  entfernt  nicht  messen. 

In  noch  einem  Punkte  kann  ich  mich 
mit  Prof.  Meyers  Behandlung  des  Stoffes 
nicht  befreunden,  und  das  ist  die  Art, 
wie  er  iiberall  im  Drama  Beziehungen  zu 
anderen  Literaturwerken  aufzudecken 
sucht.  Derartige  Einfliisse,  offenkundig 
oder  versteckt,  zu  verfolgen  scheint  nach- 


192 


P'ddagogiscbe  Monatshefte. 


gerade  zum  guten  Ton  in  literarischen 
Arbeiten  aller  Art  zu  gehb'ren,  kann  aber 
doch  nur  in  den  Handen  wenig  Berufe- 
ner  fruchtbar  und  segensreich  werden. 
In  Meyers  Ausgabe  mochte  ich  den  gan- 
zen  langen  Paragraphen  auf  S.  XXXV  f. 
gestrichen  sehen.  Zum  grossten  Teile 
sind  die  daselbst  angezogenen  Parellelen 
(aus  Grillparzer,  Leasing,  Schiller,  Goe- 
the, Sudermann,  Shakespeare,  Kleistund 
Richard  Wagner)  ohnenin  In  den  Anmer- 
kungen  fast  wortlich  wiederholt;  und 
einige  derselben  sind  mit  Gewalt  in  das 
System  eingepresst.  Wozu  soil  man  zur 
Erklarung  der  Worte  des  alten  Habakuk 
Z.  194:  ,,Die  Sorge?  Nein,  die  kommt 
ihm  nicht  heran"  (als  Antwort  auf 
Omars  ,,Meinst  du,  der  Konig  kennt  die 
Sorge  nicht?")  die  vier  grauen  Weiber 
aus  Faust  il,  11,384  ff.,  beschwb'ren  und 
budermanns  ,,Frau  Sorge,  die  graue,  ver- 
schleierte  Frau"  an  den  Haaren  herbei- 
schleppen?  Wer  da  litterarische  Ein- 
fliisse  wittert,  konnte  ebensogut  einem 
deutschen  Bauer,  in  dessen  Mund  Haba- 
kuks  Rede  Wort  fur  Wort  keineswegs 
auffiele,  eine  intime  Bekanntschaft  mit 
dem  zweiten  Teil  des  Faust  zutrauen. 
Geradezu  geschmacklos  aber  ist  es,  bei 
Habakuks  Flehen  um  Schonung  Ritas 
auch  nur  entfernt  an  Tells  ohnmachtig 
flehend  Ringen  vor  Gessler  erinnern  zu 
wollen;  die  beiden  Szenen  haben  nicht 
das  Geringste  gemeinsam.  Dadurch  wird 
ein  an  sich  wertvoller  und  fruchtbarer 
Gedanke  zu  Tode  gehetzt  und  eine  be- 
rechtigte,  massvolle  Vergleichung  in  Ver- 
ruf  gebracht. 

Zu  den  Anmerkungen  hatte  ich  nur  we- 
nig zu  sagen.  Im  Personenverzeichnis 
sind  die  Namen  Berengar  (deutsch)  und 
Diomed  (griechisch)  als  orientalisch  (d. 
h.  doch  wohl  arabisch,  persisch  oder  in- 
disch)  angegeben;  auch  Astolf  scheint 
germanischen  Ursprungs  zu  sein.  Z.  165: 
Die  aus  Grillparzer  angefuhrte  Stelle 
steht  daselbst  in  ganz  anderm  Zusam- 
menhang;  Beeinflussung  scheint  ausge- 
schlossen.  —  Z.  555  und  1801 :  Die  bos- 
hafte  Anspielung  auf  die  vielen  hundert 
Kleider  passt  ebensogut  auf  einen  andern 
europaischen  Monarchen,  den  Abgott  der 
amerikanischen  Stutzer. — Z.  639:  Wenn 
schon  verwandte  Dichterstellen  beigezo- 
gen  werden  mussten  (was  hier  wieder 
ganz  unnb'tig  war),  so  war  auch  einVer- 
weis  auf  Lessings  Nathan,  Z.  1889  f., 


angebracht.  —  Z.  912.  Sprach  man  von 
der  Ahnlichkeit  zwischen  Gretchen  und 
Rita  (beilaufig,  ist  Rita  nicht  die  Abkiir- 
zung  von  italienisch  Margherita  ? ) ,  so 
musste  man  auch  mit  einem  Worte  die 
grundverschiedene  Karakteranlage  der 
beiden  beruhren. — Z.  1069  ff.:  Die  Stelle 
aus  Grillparzer,  Der  Traum  ein  Leben, 
Z.  1629  (1639  ist  Druckf ehler ) ,  ist  wie- 
der aus  dem  Zusammenhang  gerissen. 
Eher  scheint  mir  eine  Erinnerung  an  das 
altbekannte  Marchen  vom  falschen  Prin- 
zen  vorzuliegen,  wo  der  Betriiger  sich  ge- 
rade dadurch  entlarvt,  dass  er  mit  Na- 
del  und  Schere  umzugehen  versteht.  — 
Z.  1080:  Schwerenot  ist  grundfalsch  er- 
kliirt;  siehe  Pauls  deutsches  Worterbuch. 
—  Z.  1275:  Der  hier  gegebene  Ausspruch 
Ludwigs  XIV.  ist  mir  unbekannt  (le  in 
diesem  Zitat  ist  Druckfehler  f iir  la) ; 
meint  der  Herausgeber  nicht  das  beruhm- 
te  ,,L'Etat  c'est  moi"?  —  Z.  1597:  Die 
betreffenden  Parteien  kennt  man  als  die 
Rechte  und  Linke  (nicht:  Rechts  und 
Links ) .  Mit  der  Linken  sind  aber  ge- 
wiss  nicht  die  Liberalen,  sondern  die  frei- 
sinnige,  die  Fortschritts-  und  die  sozial- 
demokratische  Partei  gemeint.  —  Z. 
1894:  stiirbe,  wiirbe,  wtirfe  u.  s.  w.  sind 
keineswegs  am  Aussterben,  sondern  die 
Regel.  —  Z.  1915:  Das  Morgen  ist  na- 
tiirlich  kein  ,,angenommener  aber  nicht 
existierender  Infinitiv",  sondern  das  sub- 
stantivierte  Zeitadverb,  wie  schon  ein 
Blick  auf  das  ewige  Gestern  in  Z.  1917 
zeigt;  iibersetze:  the  morrow. — Fiir  un- 
notig halte  ich  die  weitschweifigen  Eror- 
terungen  in  den  Anmerkungen  zu  Z.  420, 
806  und  1437.  —  Der  S.  VIII,  Z.  4  be- 
ginnende  Satz  ist  ohne  Anpassung  an 
das  neue  Jahrhundert  unverandert  aus 
einem  friiheren  Aufsatze  des  Herausge- 
bers  heriibergenommen  worden. 

Druckfehler  habe  ich  ausser  den  schon 
bezeichneten  an  folgenden  Stellen  ver- 
merkt:  S.  XVI,  Z.  13  lies  Nietzsche; 
XXIX,  19  1.  deceive;  XXXVII, 8  1.  impos- 
sibilities; XXXIX,  10  v.  u.,  1.  exhilarate; 
Z.  39,  1.  wir;  Z.  1903,  Punkt  nach  ver- 
lassen;  S.  149,  Z.  14,  1.  wiirde;  153,  10 
v.  u.,  1.  villain;  157,  9  v.  u.,  1.  neidge- 
sch  well  ten;  160,  12  v.  u.,  1.  geliebet. 

Die     Ausstattung    des    Buches     lasst 
nichts  zu  wiinschen  ubrig. 

University  of  Wisconsin. 

Edwin  C.  Roedder. 


II.      Eingesandte  Biicher. 


An  Introduction  to  the  History  of 
Western  Europe  by  James  Harvey  Rob- 
inson, Professor  of  History  in  Columbia 
University.  Ginn  &  Co.,  Boston.  1903. 

Chemical   Exercises    for    Class   Room 


and  Home  Study.  By  Rufus  P.  Willi- 
ams, Teacher  of  Chemistry  in  the  Eng- 
lish High  School,  Boston,  and  Author  of 
Elements  of  Chemistry,  Chemical  Expe- 
riments, etc.  Boston,  Ginn  &  Co.  1903. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  detitschamerikanische  Schulwesen. 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Jahrgang  IV.  Junl  1903.  Heft  7 

Ferienzauber-Wandergliick. 


,,Hurrah,  die  Schule  ist  nun  aus", 
Ruft  laut  die  Kinderschar. 
Nun  wandern  in  das  Land  hinaus 
Magister  und  Scholar. 

Die  liebe  Sonne  scheint  so  hell, 
Der  Vogel  singt  sein  Lied, 
Es  murmelt  traulich  jeder  Quell, 
Und  alles  grunt  und  bliiht. 

Und  alles  scherzt  und  singt  und  lacht 
Und  jauchzt  aus  voller  Brust, 
Und  ehe  Du  es  Dir  gedacht, 
Erfasst  Dich  gleiche  Lust. 

Du  schwingest  jubelnd  Deinen  Hut 
Hoch  in  die  blaue  Luf t : 
,,O  Gott,  wie  tut  das  Wandern  gut 
Bei  Sang  und  Bliitenduft." 

Drum  wandre,  wer  nur  wandern  kann, 
Ins  grime  Land  hinaus  : 
Du  kehrst,  o  lieber  Wandersmann, 
Als  neuer  Mensch  nach  Haus. 

Edward  Muellr-Langfuhr. 


Nationaler  Deutschamerikanischer  Lehrerbund. 


Aufruf  zur  Beteiligung  an  der  33.  Jahresversammlung  in  Erie,  Pa., 
30.  Juni,  1.  2,  und  3.  Juli  1903. 


(Offiziell.) 

Zum  erstenmale  seit  dem  Bestehen  des  Lehrerbundes  findet  unsere 
Jahresversammlung  in  Erie  statt.  Fur  die  Vortrage  sind  tuchtige 
Krafte  gewonnen,  und  der  Ortsausschuss  wird  alles  tun,  was  er  vermag, 
um  den  Besuchern  den  Aufenthalt  in  unserer  Stadt  zu  einem  angeneh- 
men  zu  machen. 

Erie  ist  fur  eine  Konvention  ausserordentlich  giinstig  gelegen; 
denn  es  ist  vom  Osten  sowohl  als  auch  vom  Westen  leicht  zu  erreichen. 
Die  Stadt  bietet  mit  ihrer  ,,Presque  Isle  Bay"  mancherlei  Erinnerun- 
gen  an  historische  Ereignisse.  Das  Klima  ist  daselbst  auch  im  Hoch- 
sommer  ein  angenehmes,  und  fur  die  Bequemlichkeiten  der  Gaste  wird 
in  Erie  wohl  gesorgt  werden. 

Man  findet  hier  ein  kraftiges,  gesundes  Deutschtum,  und  die  Pflege 
der  deutschen  Sprache  in  der  Volkschule  erfreut  sich  eines  gliicklichen 
Gedeihens. 

Wir  richten  an  alle  Lehrer  und  Freunde  der  deutschen  Sprache 
und  des  deutschen  Unterrichts  die  dringende  Bitte,  den  Lehrertag  recht 
zahlreich  zu  besuchen;  nur  dann  konnen  wir  Erspriessliches  leisten. 
Vieles  ist  schon  geschehen,  aber  es  bleibt  noch  manches  zu  tun  iibrig. 

Alle  Anfragen  bittet  man  an  den  Prasidenten  des  Lehrerbundes  zu 

richten. 

Der  Bundesvorstand. 
G.  G.  v.  d.  Groeben,  President,  Erie  High  School,  Erie,  Pa. 


Die  Deutschen  Eries  sehen  mit  Freuden  dem  Besuche  des  Lehrerbun- 
des in  ihren  Mauern  entgegen. 

Die  deutsche  Sprache  und  das  deutsche  Lied  haben  hier  eine  wahre 
Heimstatte  gefunden,  und  die  Anwesenheit  so  vieler  Mitkampfer  auf  die- 
sem  Gebiete  wird  uns  mit  neuem  Mut  und  neuer  Begeisterung  im  Kampfe 
fur  die  Erhaltung  der  teuren  Muttersprache  erfiillen. 

Wir  Deutsche  hier  werden  tun,  was  in  unsern  Kraft  en  steht,  den  Be- 
suchern den  Aufenthalt  so  angenehm  zu  machen,  dags  alle  sich  mit  Ver- 
gniigen  dieser  Stunden  erinnern  werden. 

Die  zentrale  Lage  Eries,  sein  schones  Klima  im  Sommer  machen  es 
zu  einer  ausserordentlich  giinstigen  Konventionsstadt,  und  wir  hoffen, 
recht  viele  Gaste  bei  uns  begriissen  zu  konnen. 

Der  Ortsausschuss. 

G.  Gorensto,  Vorsitzer. 
E.  Lohse,  Sekretar. 


Nationaler  Deutscbamerikanischer  Lebrerbund.  195 

Program  m. 

Dienstag,  30.  Juni. 
Abends  8  Vhr — Eroffnungsfeier  in  der  Mannerchorhalle   (State  Str.) 

Begriissungsansprachen  des  Vorsit/enden  des  Ausschusses,  des  Biirgermeistera 
und  verschiedener  Mitglieder  der  Schulbehorde.  Gesang  des  Mannerchors. 
Eroffnung  des  Lehrertages  durch  den  Bundesprasidenten.  Gemtttliche 
Unterhaltung  in  den  Raumen  de  Mannerchorhalle. 

Mittwoch,  1.  Juli. 

Vormittags  9  Uhr.  —  Erste  Hauptversammlung.  Samtliche  Hauptversammlungen 
linden  im  Auditorium  der  Hochschule  (10.  und  Sassafrasstrasse,  Eingang 
von  der  10.  Strasse)  statt. 

1)  Geschaftliches.     (Berichte   der  Beamten.  Erneuerung  und  Erganzung    von 
Ausschiissen) . 

2)  Vortrag:     Die  Realien  im  deutschen  Sprachunterricht — Prof.  Ernst  Wolf, 
High  School,  Saginaw,  Mich. 

3)  Bericht  der  Seminar-Priifungskommission. 

4)  Vortrag:     Unsere  Normalschulen  und  einige  Vorschlage .  zu  ihrer  Verbesse- 
rung — Prof.  J.  Barandun,  Pittsburg,  Pa. 

Nachmittags — Besuch  der  Bibliothek  des  Soldatenheims  und  einiger  anderer  Se- 

henswiirdigkeiten. 
Abends — Sommernachtsfest.     Grove  House  Park  am  Seeufer. 

Donnerstag,  2.  Juli. 
Vormittags  9  Uhr — Zweite  Hauptversammlung. 

1 )  Geschaftliches. 

2)  Vortrag:    Deutsche  Frauenschriftstellerei  von  gestern  und  heute  —  Prof. 
Otto  Heller,  Ph.  D.,  Washington  University,  St.  Louis,  Mo. 

3)  Etwaige  Komiteeberichte. 

4)  Vortrag:     Das    deutsche  Volkslied    in    der  Volksschule  —  Frau  Mathilde 
Grossart,  Case  School,  Cleveland,  O. 

Nachmittags :     Ausflug. 

Abends  8  Vhr,  im  Auditorium  der  Hochschule:  Musikalisch-literarische  Abendun- 
terhaltung  unter  giitiger  Mitwirkung  des  Mannerchors  und  des  ,,Glee  Clubs" 
und  ,,Girls'  Chorus"  der  Hochschule.  Festrede:  Die  deutschamerikanische 
Dichtung — Dr.  H.  H.  Fick,  Cincinnati. 

Freitag,  3.  Juli. 
Vormittags  9  Uhr — Schlussversammlung . 

1 )  Geschaftliches. 

2)  Vortrag:     Ein  Bruch  mit  der  tfberlieferung — August  Prehn,  Ph.  D.,  Co- 
lumbia Grammar  School,  New  York. 

3)  Vortrag  :     The  Direct  Method  as  a  Basis  for  Literary  Interpretation.— Prof. 
W.  W.  Florer,  Ph.  D.,  University  of  Michigan. 

4)  Berichte  der  verschiedenen  Ausschiisse. 

5)  Vorstandswahl. 

6)  Vertagung. 
Nachmittags — Besichtigung  der  Stadt. 

Abends — Abschiedskommers  in  der  Mannerchorhalle. 

N.  B.  —  In  dem  Nachmittags-  und  Abendprogramm  konnen  eventuell  kleinere 
Veranderungen  eintreten. 


196  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

Einquartierung :  Die  beiden  gr5sseren  Hotels  in  Erie  sind  das  ,,Reed  House" 
($2 — $4)  und  ,,Libell  House"  ($2,  mitBad  $2.50).  Das  erstere  Hotel  ist  ganz  neu 
renoviert  und  kann  300  und  mehr  Gaste  unterbringen ;  das  letztere  100 — 150.  Von 
kleineren  Hotels  sind  zu  empfehlen:  Park  View  Hotel,  30 — 40  Personen  ($1.50)  ; 
Wilson  House,  National  Hotel  und  Moore  House  ($1.50 — $2). 

Alle  Anfragen  bitte  zu  richten  an: 

G.  G.  v.  d.  Groeben,  P.  O.  Box  35,  Erie,  Pa. 


Mit  den  Eisenbahnen  ist  kein  allgeraein  giiltiges  Abkommen  getroffen  worden, 
da  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  die  einzelnen  Delegationen  von  ihren  Eisenbah- 
nen billigere  Fahrpreise  erhalten  konnen,  als  sie  der  Bundesvorstand  auszuwirken 
vermag.  Doch  ist  anzuraten,  sich  von  ihren  Eisenbahnen  ein  Zertifikat  ausstellen 
den  Besuchern  lassen,  um  wenn  moglich,  doch  noch  eine  Reduktion  des  Fahrpreiseg 
auswirken  zu  konnen,  wenn  100  solcher  Zertifikate  zusammenkommen. 


Am  vierten  Juli  gehen  von  Erie  aus  nach  den  Niagaraf alien  Extraziige,  auf  welchen 
die  Fahrkarte  fiir  Hin-  und  Riickfahrt  $1.75  kostet. 


An  die  Chicagoer  Kollegen  und  Kolleginnen,  die  sich  an  dem  Lehertage  beteiligen 
wollen,  richtet  Herr  M.  Schmidhofer  (601  Newport  Ave.,  Chicago,  111.,)  die  Bitte,  mit 
ihm  sich  beziiglich  der  Aufstellung  eines  gemeinsamen  Reiseplanes  in  Verbindung 
zu  setzen. 


An  die  Mitglieder  des 

Nationalen  Deutsch  amerikanischen 
Lehrerseminar  -  Vereins. 

Die  regelmassige  Generalversammlung  des  ,,  Nationalen  Deutsch- 
amerikanischen  Lehrerseminar- Vereins"  findet  am 

Freitag,  den  26.  Juni  1903,  vormittags  9  Uhr, 

im  Seminargebdude  (558-568  Broadway)  statt. 

Ausser  den  gewohnlichen  Routinegeschaften  liegt  die  Erwdhlung 
•von  5  Verwaltungsrdten  auf  3  Jahre  an  die  Stelle  von  C.  C.  Baumann, 
Davenport, — C.  O.  Schonrich,  Baltimore, — Hermann  Lieber,  Indian- 
apolis,— Albert  O.  Trostel  und  Albert  Wallber,  Milwaukee,  vor,  deren 
Amtszeit  mit  dem  Schluss  der  Generalversammlung  zu  Ende  geht, 
sowie  die  Wahl  eines  Verwaltungsratsmitgliedes  auf  2  Jahre  an  Stelle 
von  Henry  Mann,  welcher  resignierte. 

Die  regelmassige  Versammlung  des  Verwaltungsrats  findet  am  25. 
Juni  d.  J.,  nachmittags  um  4-  Uhr,  in  Seminargebdude  statt. 

Milwaukee,  Wis.,  4  Mai  1903. 

Der  Vollzugsausschuss  des  N.  D.-A.  Lehrerseminar- Vereins  : 

Louis  F.  Frank,  Prdsident, 
Albert  Wallber,  Sekretdr. 


The  Educational  Value  of  Modern  Languages. 


A  Paper  Written  for  the  California  High  School  Association. 


By  Valentin  Buehner,  Teacher  of  Modern  Languages, 
High  School,  San  Jose,  Cal. 


In  his  lecture  on  the  study  of  modern  languages  before  the  Modern 
Language  Association  in  1889,  James  Russell  Lowell  says  that  before 
1808  there  was  at  Harvard  University  no  regularly  appointed  tutor  in 
French,  but  a  stray  Frenchman  was  caught  now  and  then,  and  kept  as 
long  as  he  could  endure  the  baiting  of  his  pupils.  If  he  failed  as  a 
teacher,  he  commonly  turned  dancing  master.  By  hook  or  by  crook  some 
enthusiasts  managed  to  learn  German,  but  there  was  no  official  teacher 
until  about  1825,  when  Dr.  Follen  was  appointed.  Another  old  Harvard 
student  relates  that  it  was  with  no  little  difficulty  that  a  volunteer  class 
of  eight  was  formed.  They  were  looked  upon  with  very  much  the  amaze- 
ment with  which  a  class  in  some  obscure  dialect  of  the  remotest  Orient 
would  now  be  regarded.  But  to-day,  all  this  has  changed.  There  are 
now  at  Harvard  University  more  professors  and  assistants  employed  in 
teaching  modern  languages  than  there  were  students  of  them  when  these 
men  attended  college. 

Many  causes  have  worked  together  to  bring  about  this  change.  Mod- 
ern inventions,  such  as  the  railroads,  steamships  and  the  telegraph  have 
annihilated  distance.  The  immense  progress  in  the  manufacturing  indus- 
tries has  made  it  desirable  to  enter  the  markets  of  the  world.  The  unusual 
activity  in  all  departments  of  science  and  learning  has  made  it  necessary 
to  knew  the  chief  European  languages,  so  as  to  be  in  closer  touch  with 
the  new  discoveries  and  theories  that  are  continually  advanced  by  the 
scholars  of  the  various  nations.  Not  the  least  cause,  however,  of  the 
greater  esteem  in  which  the  modern  languages  are  held,  has  been  their 
being  themselves  raised  to  a  higher  level  through  the  investigations  and 
achievements  of  modern  philology.  While  before  the  great  labors  of 
Grimm  and  others,  only  the  classical  languages  were  considered  worthy 
of  the  attention  of  scholars,  it  has  since  then  been  found  that  in  the 
modern  languages,  philology  first  gathers  its  real  blossoms  and  fruits. 
The  growth  of  the  languages  could  only  then  be  traced  to  its  ultimate 
conclusions,  when  the  modern  languages  were  made  the  starting  point  as 
well  as  the  culminating  point  of  philological  investigations. 

The  question  immediately  before  us  to-day  is,  what  claim  have  the 
modern  languages  to  be  made  an  integral  part  of  the  secondary  school 


198  P'ddagogische  Monatshefte. 

course?  Our  commercial  age  clamors  for  a  practical  education,  an  edu- 
cation that  will  assist  the  student  to  enter  the  race  in  the  struggle  for 
existence  with  a  chance  to  compete  successfully  with  his  fellow-compet- 
itors. In  my  opinion,  the  schools  should  not  too  readily  yield  to  this 
clamor,  but  should  rather  assume  a  conservative  attitude;  for  it  is  they 
that  link  the  present  to  the  past  as  well  as  to  the  future.  They  should, 
therefore,  look  farther  than  the  immediate  demands  of  the  present  time. 
They  cannot  make  it  their  object  primarily  to  turn  out  artisans,  or 
artists,  or  scholars,  or  professional  men,  but  they  must  direct  their  efforts 
toward  producing  all  round  human  beings,  educated  up  to  the  culture  of 
the  present  day.  The  education  for  special  callings  must  follow  the 
general  training. 

It  is  remarkable,  however,  how  few  of  the  patrons  of  our  schools  look 
at  education  in  this  way.  With  them,  the  "bread  and  butter"  question  is 
the  most  important  and  demands  recognition.  The  interest  which  the 
common  man  takes  in  education,  especially  in  this  country  with  its 
democratic  institutions,  has  gradually  caused  the  schools  to  come  in 
closer  touch  with  actual  life.  It  is,  therefore,  desirable  that  the  subjects 
taught  at  school  should  have  a  practical  as  well  as  an  educational  value. 

The  modern  languages  answer  these  requirements  in  an  eminent  de- 
gree. They  give  the  student  a  valuable  linguistic  discipline  by  making  him 
compare  the  idioms  and  constructions  of  his  own  language  with  those  of 
the  foreign  tongue.  They  open  up  to  him  a  beautiful  literature  and  the 
thoughts  and  sentiments  of  another  race,  and  thus  enrich  his  own  soul 
and  intellect.  They  make  him  more  broad  minded  by  teaching  him  that 
there  are  other  races  who  have  fought  the  battle  of  existence  and  of 
civilization  outside  of  his  own,  and  that  there  are  other  nations  beyond  the 
confines  of  his  own  who  have  written  pages  of  history. 

Of  the  practical  side  we  need  say  little  here.  The  commercial  spirit 
which  has  entered  the  lists  of  the  world  in  the  conquest  of  new  markets 
takes  care  of  that.  We  will  only  say  that  the  professors  in  our  univer- 
sities find  it  necessary  to  direct  their  students  to  study  the  modern 
languages,  if  they  would  do  the  best  work  in  their  different  depart- 
ments. 

With  the  growing  importance  of  the  modern  languages,  there  has 
taken  place  a  corresponding  development  in  the  methods  of  teaching 
them.  At  first  they  were  taught  either  without  any  system  whatever, 
merely  with  the  object  of  learning  to  speak  them,  or  they  were  taught  in 
the  same  manner  as  the  dead  languages.  Then  there  were  the  adherents 
of  the  "natural  method,"  who  promised  to  make  the  learning  of  the  lan- 
guage as  pleasant  and  as  facile  as  the  child  learns  its  mother  tongue.  But 
by  this  method,  only  superficial  results  were  produced. 


The  Educational  Value  of  Modern  Languages.  199 

In  Europe,  the  advocates  of  the  phonetic  method  have  found  many 
followers  within  the  last  few  decades. 

But  of  late  there  has  been  a  revulsion  from  all  of  these  special  meth- 
ods. It  is  now  recognized  by  the  most  advanced  educators,  that  the 
study  of  a  foreign  language  must  at  the  same  time  furnish  linguistic 
discipline,  i.  e.,  it  must  give  the  student  a  better  command  of  his  own 
mother  tongue.  The  severe  drill  of  the  ancient  languages  must  be  com- 
bined with  the  advantages  which  the  modern  languages  offer  as  such. 
To  this  end,  the  grammatical  laws  of  the  language  are  made  the  basis 
of  instruction;  with  this  is  combined  drill  in  the  spoken  language;  the 
student  is  introduced  into  the  foreign  literature  as  early  as  possible,  and 
his  literary  taste  is  appealed  to  and  developed ;  he  is  made  acquainted  with 
the  manners  and  customs  of  the  people  whose  language  he  studies  by  being 
brought  in  direct  contact  with  their  modes  of  feeling  and  thinking;  all 
kinds  of  helps,  such  as  illustrations,  maps,  etc.,  are  used  to  enliven  the 
instruction;  in  short,  "Let  there  be  Life!"  is  made  the  watchword,  in 
order  that  the  student's  interest  may  be  aroused  to  the  highest  pitch ;  for 
it  is  recognized  that  interest  is  the  soul  of  pedagogy,  but  not  the  least 
important  of  all,  his  conception  of  the  human  race  is  broadened  by  making 
use  of  the  achievements  of  modern  philology;  the  history  of  words  and 
their  changes  in  form  and  meaning  are  occasionally  brought  to  his  atten- 
tion, the  close  relation  existing  between  English  and  other  European 
tongues  is  made  clear,  and  he  learns  the  important  fact  that  language  is 
not  something  dead  and  petrified,  but  that  it  is  a  living  and  ever  growing 
organism. 

These  are,  in  brief,  some  of  the  aims  of  modern  language  teaching, 
and  it  is  apparent  that  such  teaching  and  such  learning  possess  a  high 
disciplinary  value.  But  to  teach  the  languages  with  such  results,  we  need 
competent  teachers.  It  is  only  too  true  that  in  the  past  the  modern  lan- 
guages have  too  often  occupied  the  position  of  a  step-child  in  the  school 
course.  Any  one  that  could  speak  a  few  words  in  the  foreign  tongue,  or 
had  acquired  it  by  some  lightning  process,  perhaps  in  a  six  weeks'  course, 
or  had  taken  it  a  year  or  two  at  the  university,  was  considered  good 
enough  to  teach  the  class.  On  the  other  hand,  no  other  teacher  is  so 
readily  criticized  as  the  teacher  of  modern  languages.  Anybody  that  has 
a  smattering  of  the  language  or  knows  some  dialect  of  it,  considers  him- 
self called  upon  to  find  fault  with  the  teacher's  accent,  and  everybody 
claims  to  know  much  better  than  the  teacher  by  what  method  he  should 
teach.  What  we  need,  then,  is  teachers  who  are  masters  of  their  subject, 
who  have  a  thorough  knowledge  not  only  of  the  grammar  of  the  lan- 
guage, and  who  can  speak  it,  but  who  also  have  a  good  literary  and 
philological  training,  as  well  as  a  liberal  education  in  other  branches.  Such 
teachers  will  not  be  easily  swayed  by  criticism,  for  they  know  what  they 


200  P'ddagogiscbe  Monatshefte.. 

want,  and  they  are  confident  that  the  results  of  their  teaching  will  be 
generally  satisfactory  in  the  end. 

Some  of  the  arguments  advanced  in  favor  of  the  study  of  foreign  lan- 
guages apply  as  well  to  the  study  of  the  ancient  languages.  But  we 
think  that  the  modern  languages  have  a  few  advantages  over  the  ancient 
languages,  from  an  educational  as  well  as  from  a  practical  standpoint. 
They  come  nearer  home;  we  find  in  them  modern  life  and  modern  ideas 
brought  down  to  the  present  day  and  not  a  life  and  ideas  removed  from  us 
by  thousands  of  years ;  they  are  more  or  less  similar  in  construction,  and 
very  much  simplified  as  compared  with  the  ancient  languages,  and  for 
that  reason,  because  we  proceed  from  the  nearer  to  the  more  remote,  the 
student  makes  better  progress  in  them  and  sooner  obtains  actual  results. 
The  argument  that  Latin  should  be  studied  before  the  modern  lan- 
guages because  it  makes  the  acquisition  of  the  latter  easier,  is  unpedagog- 
ical,  for  it  causes  the  pupil  to  proceed  from  the  more  complex  to  the 
simpler.  It  often  happens  that,  on  account  of  the  wide  gap  existing  be- 
tween English  and  Latin,  the  student  is  discouraged  and  abandons  all 
language  study  forever.  A  modern  language  is  a  much  better  and  more 
reasonable  introduction  to  Latin  than  vice  versa.  This  is  recognized  in 
the  secondary  schools  of  Europe,  where  the  tendency  is  to  begin  with 
a  modern  language,  and  it  has  been  found  that,  under  those  circum- 
stances, as  much  is  now  accomplished  in  Latin  in  six  years  as  formerly 
in  eight. 

It  is  to  be  regretted  that  the  study  of  modern  languages  is  not  more 
encouraged  by  our  State  University,  but  on  the  contrary  is  discouraged 
by  discriminating  in  favor  of  the  ancient  languages.  The  present  en- 
trance requirements  compel  smaller  high  schools  who  can  afford 
to  teach  but  one  foreign  language,  to  decide  upon  Latin,  in  order  to  enable 
their  graduates  to  enter  the  chief  departments  of  the  university,  when 
a  modern  language  would  be  of  much  greater  benefit  to  the  majority  of 
the  students,  and  much  more  acceptable  to  the  community.  Some  of 
the  eastern  universities  have  for  these  and  other  reasons  removed  Latin 
from  the  list  of  subjects  prescribed  for  admission.  We  representatives 
of  modern  culture  ask  nothing  unreasonable ;  all  we  ask  is,  that  the  mod- 
ern languages  be  given  a  fair  chance,  and  that  they  be  placed  on  an 
equal  footing  with  the  ancient  languages,  and  we  are  confident  that  the 
relation  between  them  will  in  time  adjust  itself. 

In  conclusion  I  wish  to  refer  to  a  conference  of  principals  and  teachers 
of  secondary  schools  which  has  recently  been  held  in  Cleveland,  Ohio, 
and  which  has  adopted  the  following  recommendations:  The  triennium 
should  be  made  the  basis  of  the  school  system ;  the  primary  and  grammar 
schools  should  consist  of  three  years  each;  then  there  should  be  a  lower 
and  an  upper  high  school  of  three  years  each;  the  college  course  giving 


Arno  Hol{.  201 

the  degree  of  A.  B.  should  be  three  years ;  special  studies  and  post-gradu- 
ate work  should  then  be  pursued  for  three  years  more,  leading  up  to 
the  degree  of  Ph.  D.  (The  secondary  schools  of  France  have  recently 
been  re-organized  on  the  same  basis.)  The  conference  further  recom- 
mends that  a  modern  language  should  be  begun  in  the  first  year  of  the 
lower  high  school,  and  Latin  in  the  third ;  Greek  should  be  taught  at  the 
college.  These  seem  to  be  very  good  suggestions,  and  it  seems  desirable 
that  we  should  work  toward  the  end  of  obtaining  such  a  well  organized 
educational  system. 

I  close  with  a  plea  that  the  modern  languages  be  given  a  proper 
place  in  the  school  course,  and  that  they  be  put  in  the  hands  of  teachers 
who  are  well  prepared  for  their  work,  and  we  are  confident  that  they  will 
win  for  themselves  the  position  which  they  by  rights  ought  to  occupy. 


Arno  Holz*. 


(Fttr  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  O.  E.  Leasing,  Ph.  D.,  Smith  College. 


(Fortsetzung  und  Schluss.) 

War  Arno  Holz  bis  dahin  ein  ,,naiv  schaffender"  Ktinstler  gewesen,  so  schien 
er  sich  jetzt  in  theoretischen  Spekulationen  verlieren  zu  wollen.  Er  ging  daran, 
sich  durch  den  Berg  der  bestehenden  Asthetik  durchzuarbeiten,  um  in  das  gelobte 
Land  der  wahren  Kunst  zu  gelangen.  Er  wurde  Stammgast  in  der  Bibliothek.  Er 
studierte  sowohl  Aristoteles,  Leasing  und  Winkelmann,  als  Mill,  Comte,  Spencer, 
Taine  und  Zola.  Man  hat  in  diesem  seinem  Theoretisieren  eine  Schwache  ktinstleri- 
acher  Veranlagung  sehen  wollen.  Sehr  mit  Unrecht.  Gerade  die  bedeutendsten 
Klinstler  sind  in  ihrer  Entwicklung  immer  an  einen  Punkt  gekommen,  wo  sie  sich 
tiber  ihr  Schaffen  Rechenschaft  gaben,  wo  sie  sich  durch  theoretische  Studien  die 
Grundlagen  zu  reicherer  Tatigkeit  zu  bauen  suchten:  Lionardo  da  Vinci,  Albrecht 
Dtirer,  Schiller,  Goethe,  Hebbel,  Ludwig,  um  nur  einige  zu  nennen. 

In  einem  ausserordentlich  anschaulich  geschriebenen  Buch  —  Die  Kunst,  Ihr 
Wissen  und  Ihre  Gesetze,  Berlin  1891,  II.  Heft  1892  —  hat  Arno  Holz  erzahlt,  wie 
er  die  Wahrheit  suchte,  und  wie  er  endlich  sein  neues  Kunstgesetz  fand.  Im  Wi- 
derspruch  gegen  Zola  erreichte  er  nach  heissem  Bemiihen  das  Ziel.  Hatten  die  Ge- 
briider  Hart  in  ihren  Kritischen  Waffengangen  den  Versuch  Zolas,  den  Roman  ,,wis- 
Benschaftlich"  zu  machen,  angegriffen  und  erklart,  der  Romandichter  Zola  sei  immer- 
hin  ein  Stern,  der  Theoretiker  hochstens  ein  Nebelstern,  so  drang  Arno  Holz  tiefer. 
Er  wies  nach,  dass  von  Zolas  Theorie  das  Richtige  Taine  angehore,  und  nur  das  Ver- 
kehre  Zolas  alleiniges  Eigentum  sei.  Nicht,  die  Kunst  zur  Wissenschaft  zu  machen, 
gait  es,  sondern  die  Wissenschaft  der  Kunst  zu  finden.  Taine  hatte  mit  der  Er- 

* )  In  dem  ersten  Teile  dieses  Artikels,  der  im  Maihef  te  der  P.M.  erschien,  ist  ein 
sinnentstellender  Druckfehler  stehen  geblieben.  Auf  Seite  180  muss  es  in  der  ftinf- 
ten  Linie  des  dritten  Abschnittes  statt  ,,Lieder  eines  Narren"  —  Lieder  eines  Moder- 
nen  heissen. 


202  P'ddagogiscbe  MonatsbeJU. 

kenntnis,  dass  jedes  Kunstwerk  aus  seinem  Milieu  resultiere,  die  Kunst  in  die  Ge- 
samtentwicklung  der  menschlichen  Kultur  hineingestellt.  Damit  liess  sich  die  be- 
reits  vorhandene  Kunst  erklaren,  aber  nichts  iiber  ihre  kiinftige  Entwicklung  vor- 
hersagen.  Es  handelte  sich  also  einfach  darum,  das  Naturgesetz  zu  finden,  dem  die 
Kunst  als  eine  existierende  Tatsache,  als  eine  Erscheinung  im  Universum,  wie  jede 
andere  Erscheinung,  unterworfen  war.  Statt  an  die  Kunst  kategorische  Forderun- 
gen  zu  stellen:  so  und  so  muss  und  soil  es  sein,  suchte  Arno  Holz  nach  der  Formel, 
die  alle  bisherige  Kunstausiibung  in  sich  schloss,  und  die  alle  kiinftige  mit  anna- 
hernder  Genauigkeit  voraus  bestimmen  liess,  wie  den  Lauf  eines  Planeten. 

Eine  Betrachtung  seiner  eigenen  Schb'pfungen,  wie  der  anerkannten  Kunst- 
werke,  ergab  nun  den  Schluss,  dass  stets  eine  Lucke  klaffe  zwischen  dem  von  dem 
Kiinstler  Gewollten,  d.  h.  seinem  Vorstellungsbild  von  der  Natur,  und  dem  wirklich 
Erreichten.  Andererseits  war  immer  das  Streben  des  Klinstlers  sichtbar,  seinen  Ge- 
bilden  die  ttberzeugungskraft,  die  Wahrheit  alien  organischen  Lebens  zu  geben.  An- 
ders ausgedriickt:  die  Kunst  hatte  die  Tendenz  wie  die  Natur  zu  wirken,  Natur 
zu  sein.  Ferner  ergab  die  Betrachtung  der  kompliziertesten  und  der  primitivsten 
Kunstwerke,  dass  jene  Lucke  umsoviel  kleiner  wurde,  je  vollkommener  die  Reproduk- 
tionsbedingungen,  die  technischen  Mittel  war  en,  und  je  vollkommener  sie  gehand- 
habt  wurden.  Arno  Holz  stellte  also  den  bereits  angefiihrten  Satz  auf,  der  hier  in 
der  spateren  und  pragnanteren  Fassung  wiederholt  wird:  ,,Die  Kunst  hat  die  Ten- 
denz, die  Natur  EU  sein;  sie  wird  sie  nach  Massgabe  ihrer  Mittel  und  deren  Hand- 
habung."  — 

Dieser  Satz  scheint  so  selbstverstandlich  und  klar,  dass  wir  heute  kaura  mehr 
begreifen  konnen,  wie  man  ihn  je  falsch  auslegen  konnte.  Wer  zweifelt  daran,  dass 
Homer,  Shakespeare  und  Goethe  deswegen  als  die  grossten  Dichter  der  Menschheit 
anerkannt  sind,  weil  ihre  Werke  mehr,  als  die  aller  andern  Dichter,  die  iiberwal- 
tigende  Kraft  von  Naturgebilden  haben?  Weil  sie,  die  grossten  aller  Menschen,  am 
tiefsten  und  reinsten  das  Wesen,  die  Bedeutung  alles  Seins  erschaut  und  das  Er- 
schaute  ihren  Nebenmenschen  vermittelt  haben?  —  Wer  will  behaupten,  Goethe  habe 
in  seinem  Lebenswerk  eine  hb'here  Wirklichkeit  dargestellt?  Hat  er  die  ,,Wirk- 
lichkeit"  auch  nur  erreicht?  Wird  er  nicht  in  dem  demiitigen  Bewusstsein  aus  dem 
Leben  geschieden  sein,  dass  er  zwar  im  Faust  der  Menschheit  einen  unerschopflichen 
Schatz  hinterlasse,  aber  nur  ein  schwaches  Abbild  dessen,  was  er  selbst  in  sich  ge- 
fuhlt,  gedacht,  erlebt  hatte?  Miissen  wir  nicht  gestehen,  dass  gerade  die  Stellen 
im  Faust,  wo  des  Dichters  individuelle  Befangenheit  und  Begrenztheit,  sein  Tempe- 
rament, am  wenigsten  hervortritt,  wo  wir  keinerlei  Kenntnisse  von  seinem  Leben, 
keinerlei  Kommentar  brauchen,  am  gewaltigsten  auf  uns  wirken?  Was  kommt  der 
Kerkerszene  am  Schluss  des  Ersten  Teils  gleich?  —  Miissige  Fragen!  So  mtissig 
diese  Fragen  sind,  so  unsinnig  war  die  Behauptung  der  Kritiker,  Arno  Holz  verlange 
eine  ,,exakte  Reproduktion  der  Natur".  Niemals  hat  er  das  getan.  NiemtQs  hat 
er  unter  Wahrheit,  Wirklichkeit,  Natur  den  b'den  Abklatsch  irgend  eines  Stiicks 
Oberflache  verstanden.  Im  Gegenteil  sah  er  von  jeher  die  Aufgabe  des  Kiinstlers 
darin,  die  Natur  zu  sehen,  d.  h.  ihr  Wesen,  ihre  Seele  zu  erfassen  und  den  Mitmen- 
schen  zu  erschliessen.  Wie  hatte  es  bei  ihm,  dem  Kiinstler,  auch  anders  sein  kon- 
nen! Statt  im  Sinne  des  Schlagwortes  ein  ,,konsequenter  Naturalist"  zu  sein,  der 
iiber  Einzelheiten  das  Ganze  vergessen  hatte,  war  Arno  Holz  konsequent  vielmehr 
in  dem  Streben  nach  absoluter  Stileinheit. 

Diese  konnte  aber  nur  dadurch  erzielt  werden,  wenn  die  technischen  Mittel  der 
Dichtkunst  in  ahnlicher  Weise  vervollkommnet  wurden,  wie  die  Technik  der  Malerei 
und  Musik.  Daher  die  miihseligen  Experimente  und  Studien,  die  er  gemeinsam  mit 
Johannes  Schlaf  anstellte,  um  der  konventionell  erstarrten  Sprache  neues  Lebens- 


Arno  Hol^.  203 

blut  zurufiihren.  Daher  die  peinlich  gewissenhafte  Beobachtung  und  Darstellung  des 
Kleinen  und  Kleinsten  in  den  Skizzen  des  Papa  Hamlet  und  dem  Drama  Familie 
Selicke.  Es  fiel  Arno  Holz  niemals  ein,  diese  Skizzen  fur  ausgefiihrte  Kunstwerkc 
auszugeben;  es  waren  Vorbereitungen  auf  kiinftige  Schopfungen  und  nicht  mehr. 
Die  Kritiker  aber  fielen  fiber  diese  Versuche  als  Illustrationen  des  neuen  Kunstge- 
setzes  her,  als  ob  Arno  Holz  ewig  dabei  hatte  stehen  bleiben  wollen  —  daher  die  un- 
verstandige  und  verfrtihte  Verurteilung  und  Rubrizierung  des  Dichters  als  ,,konse- 
quenten  Naturalisten". 

Konsequent  war  er  allerdings  auch  darin,  dass  er  aus  seinem  Gesetz  nicht  nur 
das  Zolasche  Temperament  ausschloss,  sondern  auch  jegliche  Forderung  von  ,,Schon- 
heit",  Wahrheit",  oder  ,,hoherer  Wirklichkeit".  Er  wagte  es,  im  Gegensatz  zur 
Schulfisthetik  auszusprechen,  was  noch  jeder  echte  Kiinstler  gefiihlt  hat,  was  Nicht- 
Kiinstler  immer  wieder  missachten  oder  missverstehen,  was  in  den  asthetishen  The- 
orien  unserer  Klasiker  nie  recht  deutlich  geworden  war:  dass  der  Kiinstler  nicht 
iiber  der  Natur  steht,  sondern  innerhalb,  und  als  Individuum  stets  unter  dem  Natur- 
ganzen* ) .  Es  liegt  auf  der  Hand,  wie  wertvoll  diese  Erkenntnis  f iir  den  werdenden 
Kiinstler  sein  muss:  sie  scharft  sein  Auge,  sie  halt  seine  Sinne  frisch,  sie  bewahrt 
ihn  vor  tandelndem  Spiel  mit  den  Erscheinungen  des  Lebens  und  der  Natur,  sie 
zwingt  ihn  zu  unablassiger  Arbeit.  Wertvoll  ist  aber  das  Neue  Kunstgesetz  vor 
allem  auch  fur  die  Betrachtung  und  Beurteilung  der  Kunstwerke.  Schielen  wir 
nicht  mehr  nach  dem  sogenannten  Schonen,  gewohnen  wir  uns  daran,  im  Kiinstwerk 
den  Lebenswert  zu  sehen,  den  es  uns  erschliessen  soil,  dann  werden  wir  weder  aussere 
Formglatte  suchen,  noch  moralische  Tendenzen,  sondern  wir  werden  als  selbstver- 
stiindlich  voraussetzen,  dass  Form  und  Gehalt  dasselbe  sein  miissen,  weil  sie  einan- 
der  bedingen,  wie  Seele  und  Korper.  Das  ist  der  Sinn  von  dem  Kunstgesetz,  das 
Arno  Holz  aufstellte;  so  hat  er  es  im  zweiten  Heft  seines  Buches  Die  Kunst  erklart. 
Wer  dieses  Heft  nicht  gelesen  hat,  darf  iiber  Arno  Holz  iiberhaupt  kein  Urteil  fallen. 

Die  Tragweite  dieser  neuen  Xsthetik  wird  so  recht  klar,  wenn  man  z.  B.  Stucks 
Krieg  mit  alteren  Darstellungen  vergleicht.  Auf  dem  bekannten  Holzschnitt  Diirers 
und  dem  Gemalde  Cornelius'  Die  apokalyptischen  Reiter,  da  jagen  Reiter  durch  die 
Luft  mit  geschwungenen  Schwertern  und  Sensen,  vom  Bogen  schnellt  der  Pfeil,  die 
Wage  des  Gerichtes  wird  emporgehalten,  auf  dem  Boden  kriimmen  sich  in  Verzweif- 
lung  die  Leiber  der  dem  Verderben  Geweihten.  Aber  der  Beschauer  ahnt  die  Schrek- 
ken  der  Zerstorung  mehr,  als  dass  er  sie  mitempfande.  Denn  Diirer  und  Cornelius 
binden  sich  an  traditionelle  Ideen  und  Allegorien,  und  in  ihrem  technischen  Konnen 
sind  sie  nicht  weit  genug  vorgeschritten,  um  durch  straffste  Konzentration  der  vor- 
handenen  ausseren  Mittel  ihren  Darstellungen  die  tiberzeugungskraft  wirklichen  Ge- 
schehens  zu  geben.  Sie  bleiben  abstrakt.  Anders  der  moderne  Kiinstler.  Krieg  war 
ihm  Vernichtung,  Grausamkeit,  Unerbittlichkeit,  Entsetzen,  Tod.  Auf  der  Erde  lie- 
gen  Tote  und  Sterbende  in  grausem  Gemisch,  in  erstarrendem  Blut.  Blut  trauft 
von  dem  breiten  Schlachtschwert  des  Reiters,  dessen  Ziige  kein  Erbarmen  kennen. 
Mit  eherner  Ruhe,  mit  einer  gleichgiltigen  Sicherheit,  vor  der  es  kein  Ausweichen 
gibt,  treibt  er  sein  dunkles  Ross  iiber  die  fahlen  Leichen.  Ein  Bild  so  grauenhaft 
und  kalt,  so  unerbittlich  furchtbar  —  wie  der  Krieg.  Aber  —  ,,schon"  ist  es  nicht! 
Wer  zweifelt  jedoch  daran,  dass  Stuck  das  kiinstlerische  Problem  gelost,  dass  er  das 
wirklich  dargestellt  hat,  was  die  anderen  nur  andeuteten?  Wer  leugnet,  dass  in  sei- 
nem Werke  Idee  und  Form  in  unerhorter  Weise  eins  geworden  sind,  dass  es  uns  mit 
elementarer  Naturgewalt  packt  und  erschiittert,  wahrend  die  Bilder  Diirers  und  sei- 
nes Nachahmers  uns  nur  zu  denken  geben?  —  Wer  allerdings  vor  Stucks  Krieg  hin- 

f)  In  diesem  Sinn  gibt  es  keinen  Unterschied  zwischen  ,,Realismus"  und  ,,Ide- 
alismus". 


204  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

tritt,  um  ,,Sch6nheit"  zu  suchen,  der  wird  bitter  enttauscht  sein.*)  Hier  gilt  e« 
unbefangen  und  kiihn,  und,  im  Sinne  unseres  Dichters,  modern  zu  sein. 

Und  nun  kehre  man  zuriick  zu  des  Dichters  eigenen  Schopfungen,  zu  Papa  Ham- 
let und  Familie  Belicke.  Da  ist  das  Prinzip  absoluter  Stileinheit,  welches  uns  in 
dem  Stuckschen  Gemalde  an  einem  erhabenen  Gegenstand  angewandt  erschien,  in 
einem  kleinen  verkorpert.  Wollen  wir  Arno  Holz  deswegen  fiir  den  kleineren  Kiinst- 
ler  erklaren,  weil  er,  der  sich  das  Werkzeug  seiner  Sprache  erst  schmieden  musste, 
dieses  Werkzeug  nicht  gleich  am  Grossen  tibte  ?  Man  lese  einmal  eine  Jener  Skizzen, 
Den  Ersten  Schultag.  Wie  ist  das  Bangen  des  kleinen  Kinderherzens,  die  pedanti- 
sche  Strenge  des  Schulmeisters,  die  muffige  Atmosphare  des  Klassenzimmers,  das 
Harren  auf  den  Schulschluss,  das  larmende  Treiben  draussen  wiedergegeben !  Mit 
solcher  Virtuositat  war  die  deutsche  Sprache  seit  den  Tagen  der  Klassiker  nicht 
mehr  gebraucht  worden.  Arno  Holz  hatte  sie  tatsiichlich  von  dem  Staub  und 
Schwulst  der  Epigonenzeit  befreit.  Die  segensreichen  Folgen  dieser  neuen  Reform 
haben  sich  nicht  nur  im  modernen  Drama,  sondern  auch  im  modernen  Epos  gezeigt. 
Wenn  unsere  Schriftsteller  heute  durchweg  ein  besseres,  klareres  Deutsch  schreiben, 
als  vor  dreissig  Jahren,  so  ist  das  zum  grossen  Teil  Arno  Holz  zu  verdanken. 

Doch  der  Schopfer  des  modernen  Dramas,  der  Begriinder  des  deutschen  Realis- 
mus,  wie  er  genannt  wurde,  hatte  keinen  weiteren  Lohn  fiir  seine  Verdienste,  al« 
sein  eigenes  Kiinstlerbewusstsein  und  die  Anerkennung  von  Mannern,  wie  Theodor 
Fontane.  Wahrend  sein  Schiller  Gerhard  Hauptmann  schnell  beruhmt  wurde  und 
auch  die  materiellen  Friichte  der  neuen  Technik  ernten  durfte,  war  Arno  Holz  dem 
bitteren  Kampf  ums  tagliche  Brot  ausgesetzt.  In  sieben  langen  Jahren  versuchte 
er,  sich  durch  Verfertigung  von  Spielwaren  die  finanzielle  Grundlage  zur  Ausfiih- 
rung  seiner  kiinstlerischen  Plane  zu  schaffen.  Es  gelang  ihm  nicht.  Wer  will  ihn 
darum  tadeln,  dass  sich  sein  Herz  verhartete,  dass  er  in  bitterem  Unmut  die  Satire 
Sozialaristokraten  den  Literaten  Berlins  ins  Gesicht  warf?  So  frostig  uns  dieses 
unsympathische  Werk  des  Dichters  anweht,  so  sehr  mtissen  wir  die  Treue  und  An- 
schaulichkeit  der  Darstellung,  die  feine  Abstufung  der  Sprache,  den  Fleiss  der  tech- 
nischen  Ausarbeitung  bewundern.  Und  ein  unbefangener  Kritiker,  selbst  ein  b«- 
gabter  und  feinsinniger  Dichter,  Richard  Schaukal,  sagt  von  dem  Werk:  ,,Ein  sou- 
veraner  Witz,  eine  quellende  Laune  verbindet  sich  mit  der  eindringlichen  Detailbe- 
obachtung  zu  einem  Kabinettsttick  der  Grossstadt-Satire.  Schade,  dass  das  Buch  — 
Buch  geblieben  ist.  Unsere  Pseudomodernen,  die  Sudermann,  Otto  Ernst  und  Ge- 
nossen  lagen  platt  gedriickt,  wenn  es  seine  Sohlen  hobe  zum  Brettergang"  (Das  lit- 
terarische  Echo,  V,  13,  p.  884). 

Durch  Vermittlung  Maximilian  Hardens  kam  dem  bedrangten  Dichter  Hilfe. 
Freundesgaben  befreiten  ihn  von  den  driickendsten  Sorgen,  und  so  entstanden  in  ra- 
scher  Folge  die  Werke,  die  Arno  Holz  eine  so  merkwiirdige  Stellung  in  der  deutschen 
Lyrik  gaben:  Die  Gedichtsammlungen  des  Phantasus,  I  und  II,  und  die  theoretische 
Schrift  Revolution  der  Lyrik  (1898  und  1899).  Wie  Arno  Holz  die  neue  Technik 
des  Dramas  begriindet  hatte,  so  schuf  er  damit  eine  neue  Form  fiir  die  Lyrik.  In 
folgerechter  Weiterentwicklung  seiner  asthetischen  Grundsatze  kam  er  dazu,  auch 
die  Lyrik  auf  die  Basis  absoluter  Stileinheit  und  Notwendigkeit  zu  stellen.  Er  war 
der  ttberzeugung,  dass  sich  Reim  und  Strophe  als  Ausdrucksmittel  iiberlebt  hatten. 
Waren  sie  fiir  die  Ideenfiille  echter  Kiinstler  zu  lastigen  Fesseln  geworden,  so  dien- 
ten  sie  Halbdichtern  nur  zu  oft  als  rein  ausserliches  Schmuckmittel,  hinter  dem  sich 


* )  Damit  soli  nicht  etwa  Franz  Stuck  iiber  Albrecht  Diirer  gestellt  werden,  son- 
dern  nur  gesagt  sein,  dass  gerade  in  diesem  Werk  die  brutale  Kraft  und  Riicksichts- 
losigkeit  des  modernen  Kiinstlers,  im  Bund  mit  einer  raffinierten  Technik,  die 
Leistung  des  alteren  weit  ubertraf . 


Arno  Hol.  205 


die  Hohlheit  des  Inhalts  verbarg.  So  forderte  Arno  Holz  ,,eine  Lyrik,  die  auf  jede 
Musik  durch  Worte  als  Selbstzweck  verzichtet,  und  die,  rein  formal,  lediglich  durch 
einen  Rhythmus  getragen  wird,  der  nur  noch  durch  das  lebt,  was  durch  ihn  zum 
Ausdruck  ringt".  Die  Kritiker  regten  sich  naturlich  wieder  unnotigerweise  auf. 
Man  machte  gel  tend,  dass  Rhythmus  (hn  traditionellen  Sinn),  Versmass,  und  Stro- 
phenbau  und  Reim  die  Grundpfeiler  der  Lyrik  seien,  ja  dieselbe  iiberhaupt  erst  er- 
schaffen  hatten;  so  auch  der  sonst  klarsehende  Franz  Servaes  in  Praludien,  p.  95. 
Man  beachtete  kaum,  dass  es  immer  grosse  Dichter  gegeben  hat,  die  sich  in  die 
Schranken  der  konventionellen  Strophen-  und  Reimform  nicht  bannen  lassen  wollten, 
z.  B.  Klopstock,  Holderlin,  Carducci,  Walt  Whitman,  nicht  zu  reden  von  den  ,,freien 
Rhythmen"  Goethes  und  Heines.  Man  beachtet  heute  noch  nicht  die  Untersuchun- 
gen  Prof.  Erich  Schmidts  ,,iiber  die  verschiedenen  Arten  von  Zwang  und  Beschran- 
kung,  durch  welche  die  Reimnot  den  deutschen  Dichter  angstigt",  in  seiner  Schrift 
Deutsche  Reimstudien,  woriiber  Prof.  Anton  Schonbach  in  einem  Artikel  Der  Tod 
des  Reimes,  ,,Die  Zeit",  Wien,  4.  Okt.  1902,  berichtet.  Wer  die  Zeichen  zu  deuten 
versteht,  wird  sich  der  Einsicht  nicht  verschliessen,  dass  die  tausend  jahrige  Herr- 
schaft  des  Reimes,  und  damit  auch  der  gegenwartigen  Strophenform,  ihrem  Ende  nahe 
gekommen  ist.  Man  wird  also  der  Theorie  Holzens  immerhin  wissenschaftliche  Neu- 
gierde  schuldig  sein.  Und  man  wird  nicht  ohne  weiteres  den  Stab  brechen  wollen 
iiber  die  ersten  praktischen  Versuche  mit  der  vollstandig  neuen  Technik.  Denn  nach 
des  Dichters  ausdriicklicher  Erklarung  handelt  es  sich  in  den  Phantasusgedichten, 
ebenso  wie  in  den  Papa  Hamlet-Skizzen,  nur  um  erste  tastende  Versuche.  Er  spricht 
sich  fiber  den  Plan  des  Werkes  in  der  Revolution  der  Lyrik  (p.  48),  so  aus:  ,,Das 
erste  Heft  gab  funfzig,  das  zweite  Heft  gab  wieder  funfzig  (Gedichte)  und  das  voll- 
endete  Werk,  falls  es  mir  glucken  sollte,  wird  tausend  geben.  Und  ich  fiige  hinzu, 
es  wird  mir  nur  dann  glucken,  falls  es  mir  gelingen  sollte,  mich  in  keiner  dieser 
,,Stimmungen"  zu  wiederholen.  Dass  ich  einen  ziemlichen  Prozentsatz  der  bereits 
fertigen  Stiicke  zu  diesem  Zwecke  hochst  wahrscheinlich  wieder  werde  ausscheiden 
miissen,  um  sie  durch  geeignetere  zu  ersetzen,  tut  nichts.  Bei  einer  Komposition, 
die  aus  so  vielen  Farbenbrechungen  zum  erstenmal  mit  den  Mitteln  der  Lyrik  ein 
Weltbild  versucht,  kann  unmoglich  alles  gleich  ,,auf  den  ersten  Hieb"  sitzen.  Das 
kommt  erst  allmahlich.  Auswahl  und  Ordnung  lasse  ieh  daher  ruhig  fur  spater", 
Trotzdem,  fahrt  er  fort,  ,,habe  ich  schon  mit  diesem  Anfang  den  Wahrscheinlichkeits- 
beweis  angetreten,  den  starksten,  den  es  im  Augenblick  gibt,  dass  kein  Stoff  und  keine 
Stimmung  sein  wird,  die  sich  dieser  Technik  entziehen  dttrfte;  entgegen  wohlverstan- 
den  der  bisherigen  Technik,  die  alle  drei  Schritte  iiber  ihre  Nase  stolperte". 

Also  wie  seinerzeit  im  ,,Buch  der  Zeit"  strebt  der  Dichter  wieder  nach  einer  Er- 
weiterung  des  Stoffgebietes  und  zwar  diesmal,  mit  besseren  Mitteln  als  im  Jugend- 
werk,  nach  einer  ganz  unbegrenzten  ;  und  damit  erfullt  er  jene  Forderung  Julius 
Harts.  Wie  nun  die  Darstellung  des  Weltbilds  gemeint  ist,  geht  aus  einem  Briefe 
an  Dr.  Strobl  hervor:  ,,Das  letzte  Geheimnis"  der  von  mir  in  ihrem  untersten 
Fundament  bereits  angedeuteten  Phantasuskomposition  besteht  im  wesentlichen  da- 
rin,  dass  ich  mich  unaufhorlich  in  die  heterogensten  Dinge  und  Gestalten  zerlege. 
Wie  ich  vor  meiner  Geburt  die  ganze  physische  Entwicklung  meiner  Spezies  durch- 
gemacht  habe,  wenigstens  in  ihren  Hauptstadien,  so  seit  meiner  Geburt  ihre  psychi- 
sche.  Ich  war  ,,Alles"  und  die  Relikte  davon  liegen  ebenso  zahlreich  wie  kunter- 
bunt  in  mir  aufgespeichert.  Ein  Zufall,  und  ich  bin  nicht  mehr  Arno  Holz,  sondern 
ein  beliebiges  Etwas  aus  jenem  Komplex.  Das  mag  meinetwegen  wunderlich  aus- 
gedruckt  sein,  aber  was  dahinter  steckt,  wird  mir  ermoglichen,  aus  tausend  Einzel- 
organismen  nach  und  nach  einen  riesigen  Gesamtorganismus  zu  bilden,  der  lebendig 
aus  ein  und  derselben  Wurzel  wachst".  —  Die  innere  Verwandtschaft  dieses  kiinst- 


206  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

lerischen  Erlebens  der  gesamten  Kulturentwicklung  mit  dem  kosmischen  Gefiihl  Walt 
Whitmans  darf  nicht  iibersehen  werden. 

Was  aber  die  aussere  Form  anbelangt,  so  hat  Arno  Holz  das  wirklich  erreicht, 
was  Whitman  nur  geahnt  hat.  Nicht  einen  freien  Rhythmus  wollte  Arno  Holz,  son- 
dern  einen  nattirlichen,  d.  h.  notwendigen;  eine  Form,  die  nicht  den  Inhalt  ein- 
schniirt,  sondern  aus  diesem  jedesmal  neu  herauswachst,  und  die,  eben  weil  sie  keine 
durch  musikalische  Nebenabsichten  erzeugte  Sonderexistenz  fiihrt,  nur  durch  den 
pragnantesten,  den  einzig  moglichen,  den  immanenten,  natiirlichen  Rhythmus  be- 
steht:  oder  vielmehr,  alles  das  ist.  Da  der  Inhalt  sich  seine  Form  immer  neu  schafft, 
da  prinzipiell  der  Unterschied  zwischen  der  sogenannten  ,,inneren"  und  ,,ausseren" 
Form  aufgehoben  ist,  so  kann  sich  kein  Stoff,  weder  der  erhabenste  noch  der  kleinste 
der  lyrischen  Darstellung  entziehen.  Weder  Reimgeklingel  noch  kiinstlich  gesuchte 
musikalische  Wirkungen  konnen  tiber  das  Wesen  und  den  Wert  eines  Gedichtes  tau- 
schen;  ,,der  geheime  Leierkasten"  ist  aus  der  Lyrik  verbannt.  Der  Gehalt  wirkt 
nur  noch  durch  sich  selbst.  Und  darin  liegt  das  Revolutionise  von  Holzens  lyri- 
scher  Form. 

Wie  weit  diese  vom  freien  Rhythmus,  wie  von  platter  Prosa  verschieden  ist, 
geht  aus  folgenden  Andeutungen  des  Dichters  hervor:  ,,Lese  ich  z.  B.  bei  Heine: 
,,Gl(icklich  ist  der  Mann,  der  den  Hafen  erreicht  hat  und  hinter  sich  liess  das  Meer 
und  die  Stiirme",  so  habe  ich  die  Empfindung,  als  ob  die  Steine  auf  diesem  Kntip- 
peldamm  auch  beliebig  anders  liegen  konnten.  Der  Rhythmus  ist  hier  bei  Licht  be- 
sehen  nichts  weiter  als  ein  Konglomerat  von  metrischen  Reminiszenzen.  Er  hat 
mit  der  Sache,  die  er  eigentlich  ausdriicken  sollte,  nichts  zu  tun.  Seine  ausschliess- 
liche  Sorge,  der  alles  ttbrige  sich  unterordnen  muss,  ist,  dass  er  klingt".  ,,Der  fa- 
mose  freie  Rhythmus  ftihrt  seinen  Namen  mit  Recht.  Er  ist  in  der  Tat  so  frei,  als 
dies  der  Dichter  ftis  seine  Bequemlichkeit  —  wtinscht.  Der  notwendige  Rhythmus, 
den  ich  will,  darf  sich  solche,  oder  auch  nur  ahnliche  Scherze  (Abkiirzung  und  Ver- 
stiimmelung  von  Wortbildern)  nicht  mehr  erlauben.  Er  wachst,  als  ware  vor  ihm 
irgend  etwas  anders  noch  nie  geschrieben  worden,  jedesmal  neu  aus  dem  Inhalt.  Er 
unterscheiden  sich  dadurch  genau  so  auch  von  der  Prosa.  Ich  schreibe  als  Prosaiker 
einen  ausgezeichneten  Satz  nieder,  wenn  ich  schreibe:  ,,Der  Mond  steigt  hinter  blti- 
henden  Apfelbaumzweigen  auf."  Aber  ich  wiirde  tiber  ihn  stolpern,  wenn  man  ihn 
mir  fiir  den  Anfang  eines  Gedichts  ausgabe.  Er  wird  zu  einem  solchen  erst,  wenn 
ich  ihn  forme.  ,,Hinter  bltihenden  Apfelbaumzweigen  steigt  der  Mond  auf."  Der 
erste  Satz  referiert  nur,  der  zweite  stellt  dar.  Erst  jetzt,  ftihle  ich,  ist  der  Klang 
eins  mit  dem  Inhalt.  Und  um  diese  Einheit  bereits  deutlich  auch  nach  aussen  zu 

geben,  schreibe  ich : 

,,Hinter  bltihenden  Apfelbaumzweigen 

steigt  der  Mond  auf." 

Das  ist  meine  ganze  ,,Revolution  der"  Lyrik". 

Diese  Probe  aus  der  Theorie  des  Dichters  mag  geniigen,  um  zu  zeigen,  dass  es 
sich  nirgends  um  willktirliche  und  dilettantische  Umsttirzung  traditioneller  Formen 
handelt,  sondern  um  die  ernste  Arbeit  eines  fein  empfindenden  Ktinstlers.  Wenn 
Arno  Holz  an  anderer  Stelle  ausftihrt,  dass  eine  gegebene  Strophe  wohl  der  entspre- 
chende  Ausdruck  eines  gewissen  Gedankens  sein  konne,  aber  schon  aufhore  ihren 
Zweck  zu  erfttllen,  wenn  der  nachste  Gedanke  des  betreffenden  Gedichtes  in  dieselbe 
Strophe  gepresst  werde  —  so  mag  das  manchem  als  pedantische  Dtif telei  erscheinen. 
Aber  konnen  wir  es  heute  noch  ertragen,  wenn  uns  ein  Komponist  zumutet,  durch 
mehrere  Strophen  eines  Kunstliedes  die  gleiche  Melodie,  wie  in  der  ersten,  durchzu- 
horen?  Wenn  die  ganze  Theorie  Holzens  keinen  weiteren  Wert  hatte,  als  das  Nach- 
denken  des  Lesers  zu  erzwingen,  sein  Gehor  zu  scharfen,  seine  asthetischen  Ansprti- 


Arm  Hol.  207 


che  zu  verfeinern  und  zu  steigern,  dann  hatte  der  Verfasser  der  Revolution  der  Lyrik 
sich  um  die  Kunst  grossere  Verdienste  erworben,  als  das  ganze  Heer  seiner  Kritiker. 

Welche  Schatze  miissen  noch  in  dem  Kiinstler  liegen,  der  die  Phantasusgedichte 
bescheiden  als  einen  Anfang  bezeichnet!  Die  besten  Stiicke  der  Sammlung  erreichen 
eine  plastische  Gegenstandlichkeit,  eine  reiche  Klangfiille,  eine  Gedrungenheit  und 
Geschlossenheit  des  Aufbaus,  wie  sie  der  hergebrachten  Form,  selbst  unter  den  Han- 
den  eines  Goethe  und  Morike,  nur  in  einzelnen  kurzen  Gedichten  moglich  gewesen 
war.  Da  sind  keine  Fiillworte,  keine  indifferenten  ttbergange,  keine  toten  Stellen, 
sondern  jedes  Wort  lebt  in  und  durch  sich  selbst,  leuchtet  und  funkelt  in  frischer 
Pracht.  —  Und  welche  Fillle  der  Anschauung!  Dem  Dichter  sind  die  Hohen  des 
Olymp  so  vertraut  wie  die  Tiefen  des  Meeres.  Das  Plaudern  des  Kindes  klingt  aus 
seinen  Rhythmen  so  natiirlich  wie  der  Titanentrotz  des  gottverlassenen  Mannes. 
Der  indische  Gotze  sitzt  in  seinem  Tempel,  von  siebzig  Bronzekiihen  bewacht;  wiirde 
er  aufstehen,  so  zerbrachen  seine  Schultern  das  Dach,  der  Diamant  auf  seiner  Stirne 
stiesse  den  Mond  ein,  aber  er  steht  nicht  auf,  die  Priester  diirfen  ruhig  welter  schnar- 
chen.  Die  Sichel  des  Bauers  zischt  durchs  Korn,  sein  Weib  sammelt  die  Jthren; 
hinter  ihnen,  mit  nackten  Beinchen,  kleinen,  braunen  Fausten,  die  Blumen  halten, 
liegt,  lacht  und  strampelt  ihr  Gliick.  —  In  den  Grunewald  speit  Berlin  seine  Extra- 
ziige.  ttber  die  Briicke  im  Tiergarten  reitet  der  Leutnant,  unter  ihm,  pfropfenzieher- 
artig  ins  Wasser  gedreht,  den  Kragen  siegellackrot,  sein  Spiegelbild.  Durch  die 
Friihlingsnacht  duftet  der  Flieder,  blinkt  der  Goldregen.  Die  Marmorstatue,  die  tau- 
send  Jahre  begraben  lag,  ist  zu  neuem  Leben  auferstanden,  ihre  Augen,  weit  ge- 
offnet,  starren  auf  das  griine  Wasser  des  Parkteiches.  — 

Es  gibt  ein  jetzt  beriihmtes  Gemalde  von  Arnold  BQcklin:  Schweigen  im  Walde. 
Auf  einem  seltsamen  Tier,  teils  Einhorn,  teils  Pferd,  niemand  kann  es  genau  sagen, 
sitzt  ein  Weib.  Ihre  Augen  sind  weit  off  en;  sie  starrt  in  den  Wald  hinein,  lau- 
schend,  traumend.  Kein  Liiftchen  regt  sich.  Am  Boden  kriecht  das  Gewiirm.  Das 
Laub  wird  rascheln.  Plotzlich  werden  Tier  und  Weib  verschwunden  sein.  Es  war 
ein  Nichts.  Der  Wald  liegt  stumm  und  schweigend  wie  zuvor.  —  Wie  hat  man 
noch  vor  wenigen  Jahren  iiber  den  Maler  und  sein  Bild  gespottet!  Heute  ist  es 
Tausenden  zu  einer  Offenbarung  geworden.  Wird  es  mit  dem  folgenden  Gedicht  von 

Arno  Holz  nicht  auch  so  gehen? 

In  graues  Grim 
verdammern  Riesenstamme. 
Von  greisen  Asten 

hangt 

in  langen  Barten  Moos. 

Irgendwo  —  hammernd   .  .  ein  Specht. 

Kommt  der  Wolf?    Wilchst  das  Wunschkraut  hier? 

Wird  auf  ihrem  weissen  Zelter, 

liichelnd, 

auf  mein  klopfendes  Herz  zu, 
die  Prinzessin  reiten? 

Nichts. 
Wie  schwarze  Urweltkroten, 

regungslos, 

hockt  am  Weg  der  Wachholder. 
Zwischendurch 

giftrot 

leuchten  Fliegenpilze. 

Die  Farbenpracht,  der  drohnende  Wohllaut,  die  edle  Einfachheit  der  Sprache, 
die  greifbare  Verkorperung  des  Stimmungsgehaltes,  stellen  dieses  Gedicht  dem  Be- 


P'ddagogische  Monatsbefte. 

sten,  was  unsere  Lyrik  besitzt,  ebenbtirtig  an  die  Seite.  Wer  die  gezierte  Haufung 
klingender  Worte  in  dem  bekannten  Gedicht  Stefan  Georges:  ,,Hinaus  zum  Strom! 
wo  stolz  die  hohen  Rohre",  dariiber  zu  stellen  geneigt  ist,  der  vergisst  die  alte  Tat- 
sache,  dass  kiinstlerische  Vollendung  und  Einfachheit  dasselbe  sind. 

In  echter  Kiinstlerweise  hat  sich  Arno  Holz  der  Angriffe  seiner  Gegner  auf  die 
Phantasusgedichte  nicht  nur  durch  schneidige  Polemik,  sondern  auch  durch  dich- 
terische  Schb'pfungen  zu  erwehren  gesucht.  In  den  parodistisch-satirischen  Werken 
Die  Blechschmiede  und  Lieder  auf  einer  alien  Laute  zeigt  er  noch  einmal  seine  ganze 
Virtuositat  in  der  Handhabung  der  (iberlieferten  Formen.  In  der  Blechschmiede 
halt  er  den  hypermodernen  Symbolisten,  Mystikern  und  Dekadenten  ihhr  Spiegel- 
bild  vor.  In  den  Liedern  auf  einer  alien  Laute  erneuert  er  mit  tollem  Humor  die 
Schaferpoesie  des  alten  Opitz,  als  wollte  er  an  einem  konkreten  Beispiel  zeigen,  wie 
rasch  die  Entwicklung  der  lyrischen  Formen  vorwarts  schreiten  muss.  Auch  mit 
diesen  Intermezzi  stiess  Arno  Holz  wieder  auf  die  Verstandnislosigkeit  der  professi- 
onellen  Kritik.  Sogar  geschulte  Philologen  liessen  sich  durch  die  gelungene  Parodie 
mystifizieren  und  schleppten  den  ausgelassenen  Scherz  einer  iibermiitigen  Dichter- 
laune  auf  den  Seziertisch  des  philologischen  Laboratoriums.  Der  Dichter  aber  wird 
sich  nicht  irre  machen  lassen.  Er  fiihlt  sich  heute  erst  recht  am  Amfange  aller  sei- 
ner Krafte.  Seine  Bahn  ist  f rei.  Nur  ein  Feind  droht  noch :  die  Sorge.* )  Es  steht 
zu  hoffen,  dass  auch  diesen  Erbfeind  der  Kiinstler  bald  besiegen  wird.  Dann  darf 
der  Welt  noch  vieles  von  ihm  erwarten. 

Eine  schluchzende  Sehnsucht  mein  Friihling, 

ein  heisses  Ringen  mein  Sommer  — 

wie  wird  mein  Herbst  sein  ? 

Ein  spates  Garbengold? 

Ein  Nebelsee? 


*)  Um  dem  Dichter  den  Kampf  urns  Dasein  zu  erleichtern  und  damit  seine 
Schaffensfreudigkeit  zu  erhohen,  hat  Dr.  O.  E.  Lessing  in  selbstloser  Hingabe  neue 
Freunde  fiir  ihn  zu  gewinnen  gesucht.  Arno  Holz  befindet  sich  in  Nahrungssor- 
gen,  und  rasche  Hilfe  ist  notig,  wenn  er  nicht  dem  bittersten  Elend  preisgegeben 
werden  soil.  Das  Deutschamerikanertum,  das  so  oft  seine  Liberalitat  bewiesen  hat, 
sollte  diese  auch  hier,  dem  Dichter  gegeniiber  kund  tun.  Dank  dem  unermiidlichen 
Eifer  Dr.  Lessings  haben  Aufrufe  den  Weg  in  die  bedeutenderen  Tageszeitungen  des 
Landes  gefunden,  und  namhafte  Betrage  sind  bereits  zur  Unterstiitzung  des  Dich- 
ters  eingegangen.  Doch  mehr  muss  und  kann  noch  getan  werden!  Mochte  der  vor- 
stehende  Artikel  das  Interesse  fur  den  Dichter  in  weitere  Kreise  tragen  und  unjsere 
Leser  bestimmen,  zu  seiner  Unterstiitzung  mitzuwirken.  Die  Redaktion  dieses  Blat- 
tes,  sowie  Dr.  O.  E.  Lessing,  Smith  College,  Northampton,  Mass.,  sind  gem  erbotig 
Beitrage  zu  einem  Unterstiitzungsfonds  entgegenzunehmen.  D.  R. 


Disziplin. 

Eine  Plauderei. 


(Fur  die  Padagogischen  Monatshefte.) 


Von  Arthur  Kiefer,  Instructor  in  German. 

Jedem  besuchenden  Auslander  fallt  zweifelsohne  die  grosse  Anzahl  von  ,,law- 
yers"  hierzulande  auf:  ,,Lawyers,  lawyers,  lawyers  an  alien  Ecken  und  Enden"; 
,,the  law"  scheint  in  keinem  Lande  eine  wichtigere  Rolle  zu  spielen  wie  gerade  hier. 
Wer  zum  erstenmal  aus  dem  Munde  des  ,,law  abiding  citizen"  den  ehrfurchtsvollen 
Satz  hort :  ,,It  is  against  the  law",  denkt  sich :  ,,Hut  ab  vor  diesem  tief en  Respekt 
vor  dem  Gesetz!"  Aber  wovon  leben  diese  Unmassen  von  Advokaten?  Von  dem  tie- 
fen  Respekt,  den  man  den  Gesetzen  gegeniiber  zeigt,  oder  vielmehr  von  dem  geraden 
Gegenteil  —  dem  Nichtrespekt  vor  denselben  ?  Es  hindert  den  ,,law  abiding  citizen" 
nicht,  auf  der  einen  Seite  dem  Gesetze  mitunter  ein  gehoriges  Schnippchen  zu  schla- 
gen,  und  auf  der  andern  die  Achtung  vor  demselben  als  eine  echte  republikanische 
Biirgertugend  hinzustellen  und  oft  prahlerisch  im  Munde  zu  fuhren. 

Eine  iihnliche  Gedankenreihe,  wie  dieses  Wort  ,,law",  erregten  mir,  als  ich  mich 
mit  dem  Schulwesen  hier  vertrauter  machte,  der  haufige  Gebrauch  des  Wortes:  Dis- 
ziplin —  ein  Ausdruck,  der  mit  einer  Art  scheuen  Ehrf urcht  ausgesprochen  zu  wer- 
den  scheint.  Von  einer  Lehrerin  zu  sagen:  ,,She  keeps  discipline,"  ist  der  hochste 
Tribut,  dem  man  der  Fahigkeit  in  ihrem  Berufe  zollen  kann.  — 

Haben  wir  denn  nun  in  unseren  Schulen,  wo  das  Wort  Disziplin  oft  geradezu 
mit  einem  Nimbus  umgeben  ist,  wirklich  bessere  Schuldisziplin  als  anderswo?  Ich 
glaube  kaum.  Was  ist  Schuldisziplin?  Die  Unterordnung  der  Schiiler  unter  be- 
stimmte  vemunftige  Anordnungen,  die  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  im  all- 
gemeinen  und  zur  Erteilung  eines  erfolgreichen  Unterrichtes  im  speziellen  notwendig 
sind.  Wer  sich  gegen  die  Anordnungen  vergeht,  sollte  die  Folgen  tragen,  gerade 
wie  das  Kind,  das  trotz  der  Warnung  die  Hand  dem  heissen  Ofen  zu  nahe  bringt, 
die  Strafe  fiihlen  muss.  Die  Person  des  Lehrers  sollte  bei  diesen  Disziplinarstrafen 
soviel  als  moglich  aus  dem  Spiele  bleiben;  seine  personliche  Energie  sollte  nicht 
jahraus  jahrein  in  der  Aufrechterhaltung  einer  Art  ,,Fad-Disziplin"  aufgebraucht 
werden.  Wenn  die  Kinder,  von  unten  herauf,  entsprechend  ihrer  Auffassungskraft  und 
ihrem  Alter  zur  Einsicht  gebracht  werden,  dass  die  Schulgesetze  etwas  ganz  Objek- 
tives  sind,  getrennt  von  der  Personlichkeit  des  Lehrers,  dann  werden  in  den  hoheren 
Klassen  wenig  und  als  Regel  nur  kleine  Vergehen  gegen  die  Disziplin  vorkommen. 
Aber,  wenn  sie  vorkommen,  was  soil  die  Strafe  sein,  die  dem  Vergehen  mit  dersel- 
ben  Sicherheit  folgen  soil,  wie  der  Donner  dem  Blitzstrahl  ?  Da  sitzt  der  Has'  im 
Pfeffer  —  ich  weiss  keine,  bei  der  sich  der  Lehrer  nicht  selber  mitbestraft,  und  mit 
einer  Art  Wemut  gedenke  ich  des  Pedells  im  deutschen  Pennal,  der  sich  nach  der 
Schulstunde  unserer  mitunter  so  teilnahmsvoll  annahm.  — 

Ich  bin  grundsatzlich  gegen  korperliche  Ziichtigung  in  alien  Graden,  da  gerade 
bei  dieser  Art  der  Straferteilung  die  Personlichkeit  des  Lehrers  zu  sehr  in  den  Vor- 
dergrund  tritt,  er  buchstablich  zu  ,,ausschlaggebend"  wird.  Solche  Falle  mogen 
notwendig  werden;  aber  sie  bleiben  seltene  Ausnahmen.  Auf  der  andern  Seite  hiesse 
es,  Eulen  nach  Athen  tragen,  wollte  ich  die  allgemein  anerkannte  Wahrheit  wieder- 
holen,  dass  die  Disziplin  einer  Schule  zu  90%  durch  die  Personlichkeit  und  den  Ka- 


210  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

rakter  des  Lehrers  im  voraus  bestimmt  1st,  dass  in  seinen  Eigenschaften  oft  die  un- 
scheinbaren  Anfange  fiir  die  Vergehen  der  Disziplin  zu  suchen  sind.  Menschen- 
kenntnis  ist  neben  der  Padagogik  ein  schatzenswertes  Besitztum  ftir  den  Lehrer. 

Gerade  das  Gegenteil  von  wirklicher  Disziplin  ist  da  erreicht,  wo  man  sich  der- 
selben  gleichsam  aus  personlicher  Gefalligkeit  gegen  den  Lehrer  unterordnet,  ,,be- 
cause  they  like  the  teacher".  Wieviel  Zeit  und  Energie  wird  oft  nicht,  besonders 
von  Lehrerinnen,  darauf  verschwendet,  die  Schiller  mit  alien  moglichen  Arten  ver- 
zuckerter  Worte  dazu  zu  bringen,  ,,gut  zu  sein"  —  ein  kolossaler  Irrtum,  der  die 
schlechtesten  Frtichte  zeitigt.  Ein  freundliches,  ja  f reundschaftliches  Verhaltnis  zwi- 
schen  Schiller  und  Lehrer  soil  bestehen;  aber  dieses  darf  nicht  in  Giinstlingswirt- 
schaft  ausarten.  Wo  man  den  Lehrer,  haufiger  noch  die  Lehrerin,  bestandig  von 
ihren  sogenannten  ,,Pets"  umgeben  sieht,  die  als  Zeichen  ihrer  Anhanglichkeit  w5- 
chentlich  ein  paarmal  Blumen,  Zuckerwerk,  und  wer  weiss  was  alles,  auf  ihrem 
Pulte  opf ern  —  da  kann  von  wahrer  Disziplin  keine  Rede  sein. 

Ich  gebrauchte  oben  das  Eigenschaftswort  verniinftige  Anordnungen;  das  ist 
nun  allerdings  ein  sehr  disputierbarer  Begriff.  Was  dem  einen  das  sine  qua  non 
fiir  die  Erhaltung  der  Disziplin  erscheint,  ist  dem  andern  eine  einfaltige  Lappalie, 
erfunden  zur  Tortur  des  Lehrers  und  doch  tausendmal  umgangen  von  seiten  der 
Schiller.  Die  Anschauungen  sind  eben  hierin  verschieden,  wofiir  ich  zur  Illustration 
zwei  Beispiele  anfiihren  mochte.  In  dem  Gymnasium  in  der  alten  Heimat  verfiig- 
ten  wir  Schiller  uns  vor  dem  Beginn  des  Unterrichts  in  die  Klassenzimmer,  worin 
kein  Lehrer  anwesend  war;  letztere  waren  in  dem  sogenannten  Konferenzzimmer, 
und  wir  waren  uns  allein  iiberlassen;  ich  kann  mich  aber  nicht  erinnern,  dass  je 
grobe  Vergehen  gegen  die  Disziplin  vorgekommen  waren.  Mit  dem  Zeichen  der 
Glocke  nahmen  wir  unsere  Platze  ein.  In  jeder  Pause  war  die  Klasse  wieder  allein. 
Im  Gegensatz  zu  dieser  Anordnung  miissen  in  vielen  Schulen  hierzulande  die  Lehrer 
mindestens  *4  Stunde  vor  dem  Beginn  des  Unterrichts  im  Klassenzimmer  sein;  in 
manchen  Schulen  miissen  die  Schiller  sofort  auf  ihre  Platze  gehen,  sobald  sie  das 
Zimmer  betreten,  diirfen  dieselben  nicht  mehr  verlassen,  noch  mit  einander  plaudern. 
In  andern  sind  sie  ebenfalls  auf  die  Platze  gebannt,  aber  diirfen  im  Fliisterton  sich 
mit  einander  unterhalten,  u.  s.  w.  So  gibt  es  noch  Dutzende  von  Variationen.  Und 
was  meint  das  alles  fiir  den  im  Klassenzimmer  anwesenden  Lehrer?  Es  meint  eine 
ungeheure  Inanspruchnahme  seiner  Energie,  noch  bevor  der  eigentliche  Unterricht 
beginnt,  da  er  auch  das  freiere  Benehmen  der  Schiller  fortwahrend  zu  iiberwachen 
hat.  Die  Klasse  aber,  die  sich  aber  ausserhalb  der  eigentlichen  Unterrichtsstunde 
nicht  allein  iiberlassen  werden  kann,  fiillt  selbst  das  abfalligste  Urteil  iiber  das  in 
der  Schule  gehandhabte  System  der  Disziplin. 

Bei  der  Anerziehung  der  Disziplin  kommen  zwei  sich  bekampfende  Momente  in 
Betracht:  Der  Individualismus  des  Schiilers  und  die  Notwendigkeit,  sich  Anordnun- 
gen anderer  zu  fiigen.  Von  dem  ersteren  hat  die  amerikanische  Jugend  ein  hinrei- 
chendes  Mass,  und  ich  weiss  wirklich  nicht,  ob  man  ihr  dazu  nicht  gratulieren  soil; 
ebenso  wie  der  Karakterzug  bei  uns  Deutschen,  sich  alien  Anordnungen  zu  leicht  zu 
fiigen,  besonders  wenn  sie  nach  Obrigkeit  schmecken,  sich  mitunter  von  zweifelhaf- 
tem  Werte  erweisen  kann.  Der  Individualismus  soil  durch  die  Disziplin  nicht  ge- 
brochen,  sondern  zum  freiwilligen  Fiigen  in  Anordnungen  gebracht  werden,  die  von 
ihm  als  notwendig  und  berechtigt  anerkannt  worden  sind. 

Die  Mischung  dieser  beiden  Elemente,  wie  wir  sie  in  den  Schulen  unseres  Landes 
finden,  diirfen  den  Satz  berechtigt  erscheinen  lassen,  dass  die  Disziplin  nicht  den 
Grad  erreicht  hat,  welchen  man  nach  der  Bedeutung,  die  man  ihr  beimisst,  und  der 
Zeit,  die  man  zu  ihrer  Anerziehung  verwendet,  oftmals  auch  verschwendet,  erwarten 
diirfte. 


Fur  die  Schulpraxis. 


1st   es    nicht   erspries slicker   statt  spezieller  Literaturgeschichte    im   3.    und   4. 

Jahre  unserer  Hochschulen  die  dadurch  gewonnene  Zeit  auf  Vertiefung 

der  Klassiker  zu  verwenden? 

Wenn  es  der  Zweck  dieses  Unterrichtszweiges  1st,  den  Schiller  mit  dem  Ent- 
wickelungsgange  der  geistigen  Bildung  des  deutschen  Volkes,  wie  sich  diese  aus  den 
poetischen  Werken  desselben  erkennen  lasst,  im  allgemeinen  vertraut  zu  machen,  so 
sind  von  der  Literaturgeschichte  wohl  die  folgenden  Hauptaufgaben  zu  erfilllen: 

1)  Die  wichtigen  Einzelwerke  der  Dichtkunst  nach  Entstehung  und  Wir- 
kung,  nach  Inhalt  und  Form  zu  kennzeichnen ; 

2)  Den  Zusammenhang,  in  dem  diese  Einzelerscheinungen  des  Geisteslebens 
zu  einander  stehen,  nachzuweisen ; 

3)  Die  ausseren  Lebensumstande  der  Schriftsteller,  insofern  sie  fur  ihre 
Werke  von  Bedeutung  sind,  darzulegen. 

An  welchen  Schulen  ist  nun  dieser  Unterrichtszweig  am  Platze  und  von  dem 
davon  erwarteten  Nutzen  begleitet?  —  natiirlich  auch  nur  dann,  wenn  derselbe  nicht 
zu  wissenschaftlich  und  ausf  iihrlich  betrieben  wird.  —  Wohl  nur  in  den  oberen  Klas- 
sen  deutscher  ho'herer  Lehranstalten,  wie  Gymnasien,  Realgymnasien  und  Realschu- 
len,  wo  die  Schiller  einmal  sprachlich  reif  genug  dazu,  und  dann  durch  ausgiebige 
Lekture,  Auswendiglernen  u.  s.  w.  hinlanglich  mit  den  wichtigeren  Erzeugnissen  der 
deutschen  Literatur  bekannt  sind,  und  in  ihrer  Eigenschaft  als  Deutsche  ein  natio- 
nales  Interesse  daran  haben.  Treffen  nun  bei  den  Schiilern  unserer  Hochschulen  die 
obigen  Voraussetzungen  zu?  —  Deren  Muttersprache  ist  mit  wenigen  Ausnahmen  ja 
doch  nicht  die  deutsche;  deshalb  kann  bei  ihnen  naturgemass  kein  allzu  grosses 
Interesse  fiir  tiefer  gehende  Kenntnisse  der  deutschen  Literatur  erwartet  werden. 
Und  mit  der  sprachlichen  Vorbereitung  und  Reife  unserer  Schiller  ist  es  im  Laufe 
der  Jahre  aus  verschiedenen  Griinden  eben  auch  nicht  besser  geworden.  So  bereitet 
der  Text  der  Leitfaden,  die  wir  beim  Unterricht  der  Literaturgeschichte  gebrauchen, 
den  Schiilern  oft  genug  gewaltige  Schwierigkeiten ;  und  hat  man  sich  dann  endlich 
zur  Sache  durchgearbeitet,  dann  ist  die  Lust  und  das  Interesse  des  Schiilers  haufig 
ganz  bedenklich  gesunken,  so  dass  der  Lehrer  am  liebsten  in  leicht  fasslicher  Form 
vortragen  mb'chte,  um  so  dem  Schiller  die  Haupthindernisse  aus  dem  Wege  zu  rau- 
men  und  ihm  die  Lust  nicht  ganz  zu  benehmen.  Doch  das  geht  ja  nicht  an.  Nur 
passives  Anhoren  von  Seiten  der  Schiller,  fast  ohne  jeglichen  Anspruch  an  deren 
Selbstandigkeit?  — 

Eine  andere  Frage  ist  die,  ob  iiberhaupt  der  Unterricht  in  spezieller  Literatur- 
geschichte dem  vorbereitenden  und  elementaren  Karakter  unserer  Hochschulen  so 
ganz  entspricht,  oder  ob  derselbe  nicht  richtiger  der  Universitat  oder  den  Lehrer- 
seminarien  zu  iiberlassen  ist.  Die  Hochschule  soil  doch  wohl  nur  den  Zweck  haben, 
den  Schiller  in  die  deutsche  Literatur  auf  dem  Wege  der  Lekture  einzufiihren.  Und 
dabei  ist  es  ja  nur  auf  eine  Kenntnis  der  Hauptmeisterwerke,  nicht  auf  Vollstan- 
digkeit  abgesehen.  Das  eingehende,  vertiefende  Studium  von  solchen  ausgezeichne- 
ten  Dichtungen  wird  nicht  nur  die  sprachliche  Entwickelung  des  Schiilers,  sondern 
auch  die  asthetische  und  sittliche  Bildung  desselben  fordern,  also  von  wirklich  bil- 
dendem  Einflusse  sein.  Unter  Vertiefung  ist,  abgesehen  von  Wort-  und  Sinnver- 
standnis,  doch  wohl  an  richtiges  Auffassen  der  Anlage,  der  Karaktere  und  desGrund- 


212  P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 

gedankens  zu  denken.  Dadurch  erkennt  und  empfindet  der  Schiller  das  Schone  in 
Inhalt  und  Form  der  Dichtungen  und  bildet  sein  asthetisches  Gefiihl,  er  wird  durch 
das  Ideale  in  der  Idee  und  in  den  Karakteren  der  Dichtungen  seinen  Willen  lautern 
und  seinen  eigenen  Karakter  starken. 

Vielleicht  Hesse  es  sich  bei  unsern  Schiilern  ganz  gut  so  machen,  dass  wir  ihnen 
im  dritten  Jahre  in  grossen  Ziigen  den  Gang  der  deutschen  Literatur,  den  Karakter 
der  wichtigsten  Perioden  andeuten  und  die  hervorragendsten  Vertreter  nebst  ihren 
Haupterzeugnissen  anfiihrten,  ahnlich  wie  wir  ihnen  in  der  sog.  Tell-Klasse  eine 
kurze  tfbersicht  iiber  das  Wesen  und  die  verschiedenen  Gattungen  der  Poesie  nach 
Inhalt  und  Form  geben.  — 

Ich  schliesse  meine  kurzen  Ausflihrungen  mit  Lessings  Ausspruch: 

Wer  wird  nicht  einen  Klopstock  loben? 

Doch  wird  ihn  jeder  lesen?  —  Nein. 

Wir  wollen  weniger  erhoben 

Und  fleissiger  gelesen  sein. 

(Carl  Engelmann,  West  Division  High  School,  Milwaukee,  Wis.) 


Die  hochste  Aufgabe  eines  deutschen  Lehrers  in  der  amerikanischen  Schule. — 
Ich  erachte  es  als  die  hochste  Aufgabe  eines  deutschen  Lehrers  in  der  amerikani- 
achen  Schule,  die  Hochachtung  vor  dem  deutschen  Wort  und  die  Liebe  zum  deut- 
schen Unterricht  in  den  Herzen  der  Schiller  immer  neu  zu  schiiren  und  zu  festi- 
gen;  denn  nur  im  Lichte  dieser  Hochachtung  und  Liebe  wird  das  Kind  die  Ge- 
neigtheit  zum  oftmaligen  Verwerten  der  deutschen  Sprache  bekunden  und  die  Klinge 
finden,  mittels  der  es  in  seinem  spatern  Leben,  in  unseren  Reihen  stehend,  den 
deutschen  Unterricht,  wenn  notig,  verteidigen  helfen  soil.  Ja,  wie  die  Klarheit 
des  Geistes  und  der  aus  innerer  Zufriedenheit  emporsteigende  Frohsinn  die  zwei 
besten  Saulen  sind,  auf  die  sich  das  Lebensgliick  eines  Menschen  stiitzt.  so  sind 
die  Hochachtung  vor  dem  deutschen  Wort  und  die  Liebe  zu  demselben  die  zwei  ein- 
zigen  Grundpfeiler,  die  der  Bereitwilligkeit  zur  Verteidigung  des  deutschen  Unter- 
richts  und  zur  Verwendung  deutscher  Worte  in  geselligem  und  geschaftlichem  Ver- 
kehr  als  Stiitze  dienen  konnen.  Wie  steht  es  nun  in  dieser  Hinsicht  mit  unseren 
jetzigen  und  friiheren  Schiilern?  Ehren  sie  die  deutsche  Sprache?  Ehren  sie  un- 
sern Unterricht?  Ehren  sie  uns  selbst?  1st  es  der  Fall,  dann  brauchen  wir  uns 
in  der  Tat  beziiglich  des  Fortbestands  unseres  deutschen  Departements  vorlaufig 
keiner  Sorgen  hinzugeben  und  diirfen  uns  gratulieren  zu  einem  solchen  Erfolg.  1st 
es  aber  nicht  der  Fall :  betrat  die  iiberwiegende  Mehrzahl  nur  mit  Widerwillen  un- 
ser  Schulzimmer  und  blickt  sie  mit  beleidigender  Geringschatzung  oder  gar  mit 
Verachtung  auf  unser  Wirken,  dann  allerdings  haben  wir  wohlbegriindete  Ursache, 
die  Moglichkeit  ins  Auge  zu  fassen,  dass  iiber  kurz  oder  lang  der  Baum  des  deut- 
schen Unterrichts,  umtobt  vom  Sturm  des  Nativismus,  sein  Haupt  neigen  und  so- 
dann  sterbend  seinen  Gegnern  vor  die  Fiisse  fallen  wird. 

Der  Prozentsatz  der  eingewanderten  hiesigen  Deutschen  verringert  sich  eben 
von  Jahr  zu  Jahr.  Je  weiter  deshalb  die  Zeit  vorwarts  schreitet,  in  desto  hoherem 
Masse  sind  wir,  wenn  der  deutsche  Unterricht  nicht  mit  der  Zeit  in  sich  selbst  zer- 
fallen  soil,  der  Unterstiitzung  der  Hiergeborenen  bediirftig.  —  Die  Mittel,  die  uns 
zum  Ziehle  fiihren,  sind  folgende:  ein  interessanter,  schoner  Unterricht,  ein  mit 
Festigkeit  und  Entschiedenheit  gepaartes  giitiges  Walten,  sowie  gelegentliche  Be- 
tonung  des  hohen  Werts  der  Kenntnis  der  deutschen  Sprache.  Nur  sollte  man  bei 
Anwendung  des  letztgenannten  Mittels  mit  Vorsicht  zu  Werke  gehen;  keine  Be- 
hauptungen  aufstellen,  die  das  Kind  entweder  sofort  oder  in  spaterer  Zeit,  als 


Fur  die  Scbulpraxts.  213 

nicht  mit  der  Wirklichkeit  im  Einklang  stehend,  verwerfen  wvirde.  Es  1st  dies  z. 
B.  der  Fall,  wenn  man  dem  Kinde  sagt,  dass  die  Kenntnis  der  deutschen  Sprache 
in  unserem  Lande  absolut  notwendig  sei,  oder  wenn  man  in  irgend  einer  Weise  ver- 
sucht,  das  Englische  in  den  Augen  der  Schiller  zu  erniedrigen.  Durch  ein  derar- 
tiges  Vorgehen  streut  man  Misstrauen  in  die  Herzen  mancher  Kinder  und  bewirkt 
infolge  dessen  nur  zu  leicht  gerade  das  Gegenteil  von  dem,  was  man  bewirken  will. 
Etwas  anderes  ist  es  allerdings,  wenn  man  bei  vergleichendem  Sprachunterricht 
klarstellt,  dass  unsere  Muttersprache  der  andern  in  mehr  als  einer  Beziehung  iiber- 
legen  ist,  im  iibrigen  aber  diirfen,  ja  sollen  unsere  Schiller  wissen,  dass  wir  auch 
die  englische  Sprache  hochschatzen  und  dass  wir  einzig  und  allein  deshalb  von 
ihnen  erwarten,  sich  vor  uns  ausschliesslich  der  deutschen  Sprache  zu  bedienen, 
weil  wir  wiinschen,  dass  ihnen  auch  der  Gebrauch  dieser  Sprache  gelaufig  werden 
soil. 

Das  Antlitz  unserer  herrlichen  Muttersprache  braucht  iiberhaupt  nicht  mit  be- 
trilgerischer  Schminke  iiberzogen  zu  werden;  es  darf  sich  zeigen,  wie  es  ist,  in  sei- 
ner natiirlichen  Farbe.  Und  die  der  Kenntnis  derselben  entspringenden  Friichte 
und  Vorteile  sind  gliicklicherweise  auch  hier  von  solch  hervorragender  Art,  dass 
sie  ebensowenig  einer  kiinstlichen  Verzierung  bediirfen,  wenn  man  sie  den  Schiilern 
zur  Besichtigung  vorlegen  will;  denn  es  ist  Tatsache,  dass  das  Studium  der  deut- 
schen Sprache  nicht  nur  der  geistigen  Kraftentwickelung  und  der  Verschonerung 
des  Herzens,  sondern  auch  dem  Fortschritt  im  Englischen  und  der  Erzielung  ge- 
schaftlicher  Erfolge  Vorschub  leistet,  sowie  auch,  dass  das  Deutsch  von  alien  hier 
vertretenen  Volkerschaften  respektiert,  von  alien  treugesinnten  Deutschamerikanern 
hochverehrt  und  in  hoheren  Lehranstalten  aller  zivilisierten  Lander  der  Erde  ge- 
lehrt  wird.  Das  also  ist  es,  worauf  wir  hinzuweisen  haben.  Desgleichen  sollten 
unsere  grosseren  Schiller  wissen,  in  welch  herrlicher  Weise  die  friiheren  Prasiden- 
ten  des  Landes,  Cleveland  und  Harrison,  ihre  hohe  Achtung  vor  dem  deutschen  Wort 
bekundet,  und  dass  unser  jetziger  Superintendent,  sowie  auch  seine  Vorganger  die 
Erlernung  einer  zweiten  Sprache  in  Elementarschulen  wiederholt  dringend  empfoh- 
len  haben. 

Es  bietet  sich  uns  in  der  Tat  haufig  Gelegenheit,  hier  auf  den  einen,  dort  auf 
den  andern  obiger  Punkte  mit  wenigen  aber  packenden  Worten  die  besondere  Auf- 
merksamkeit  der  Schiller  zu  lenken,  u.  a.  auch  dann,  wenn  wir  in  Erfahrung  brin- 
gen,  dass  einer  unserer  friiheren  Schiller  eine  Anstellung  erhielt,  die  er  ohne  Kennt- 
nis des  Deutschen  nicht  hatte  erhalten  konnen.  (Aus  einem  Vortrag,  gehalten  vor 
dem  Oberlehrerverein  zu  Cincinnati,  von  H.  von  Wahlde. ) 


Fur  schicachbefahigte  Schulkinder  legt  in  der  Sachsischen  Schulzeitung  Schul- 
direktor  Hildner  in  Treuen  ein  gutes  Wort  ein.  Er  nennt  sie  geradezu  einen  Segen 
fiir  die  Schule,  weil  sie  die  Lehrer  notigen,  den  Lehr-  und  Lernstoff  so  geschickt 
als  moglich  zu  behandeln.  Indem  die  Lehrer  der  Schwachen  wegen  nach  den  besten 
Methoden,  den  geeignetsten  Lehrmitteln,  der  zweckdienlichsten  Zeitausniitzung  su- 
chen  miissen,  haben  auch  die  begabten  Schiller  derselben  Schule  mannigfachen  Ge- 
winn.  '(Jbrigens  sind  gerade  die  schwachbefahigten  Kinder  oft  recht  dankbare  Schil- 
ler und  werden  haufig  sehr  brauchbare  Menschen.  Es  liegt  viel  Wahres  in  den  von 
Menschenliebe  und  Hingabe  an  den  Lehrerberuf  getragenen  Ausfiihrungen  des  Herrn 
Direktor  Hildner.  Weiteste  Verbreitung  ist  ihnen  zu  wiinschen.  Zustimmung  wird 
auch  folgende  Bemerkung  in  seinem  Aufsatze  finden:  Man  erkenne  irgendwelche 
gute  Leistungen  bei  Schwachen  erst  recht  durch  gute  Zensuren  an.  Das  hebt,  das 
erfreut!  Man  gebe  iiberhaupt  nicht  zu  schlechte  Zensuren  und  wolle  bedenken, 


214  P'ddagogiscbe  Monatshefte. 

welch  tiefe  Wunden  wir  dadurch  oft  den  Kinder-  und  Elternherzen  schlagen.  Nur 
bei  Faulheit  und  bSsem  Willen  sollte  die  4  und  5  gegeben  werden,  wahrend  bei 
Fleiss  und  gutem  Willen  die  3  die  schlechteste  Zensur  sein  mochte. 

Die  Xmter  der  Pultabwischer,  Papieraufleser,  Tinteneingiesser,  Kreideholer, 
Tilraufschliesser,  Thermometerableser,  Blumenpfleger  u.  dgl.  vertraue  man  braven, 
schwachbefahigten  Schulern,  die  unter  die  Leitung  einiger  anderer  gestellt  werden, 
damit  alle  an  prazise  Pflichterfilllung,  an  Ehrlichkeit,  Hoflichkeit  und  Wohlanstan- 
digkeit,  an  Freundlichkeit  und  Gefalligkeit,  an  Fleiss,  Piinktlichkeit,  Ordnung  und 
Sorgf alt  gewohnt  werden.  In  alien  solchen  Dingen,  die  im  Leben  gar  viel  wert  sind, 
kann  und  soil  selbst  der  schwachste  Schiller  dem  gescheitesten  keinen  Vorsprung 
lassen.  Und  wie  gut  warten  viele  ihres  anvertrauten  Arates. 


Das  Freihandzeichnen.  Nach  langen  und  heftigen  Redekampfen  hat  die  Ham- 
burger Schulsynode  am  20.  Februar  in  einer  sehr  gut  besuchten  Versammlung  die 
Antrage  Gotze  und  Genossen  betreffend  Freihandzeichnen  angenommen.  Die  Ab- 
stimmung  liber  das  Linearzeichnen  wird  hinausgeschoben.  Der  Antrag  Gotze  und 
Genossen  hat  folgenden  Wortlaut:  Die  Schulsynode  ersucht  die  Oberschulbehorde, 
dem  Lehrplan  fiir  Zeichnen  folgende  Fassung  zu  geben:  1)  Freihandzeichnen:  Auf- 
gabe:  Der  Zeichenunterricht  soil  die  Schiller  befahigen,  die  Natur  und  die  Gegen- 
stiinde  ihrer  Umgebung  nach  Form  und  Farbe  zu  beobachten  und  das  Beobachtete 
einfach  und  klar  darzustellen.  —  Unterstufe:  1. — 3.  Schuljahr.  Klasse  7 — 5.  Im 
1.  und  2.  Schuljahr  wird  das  Zeichnen  mit  dem  Anschauungsunterrichte  verbunden. 
Einfache  Gegenstande  aus  dem  Gesichtskreise  des  Schiilers  werden  nach  der  Beob- 
achtung  und  aus  dem  Gedachtnis  dargestellt.  Der  Unterricht  ist  Klassenunterricht. 
Vorlagen  jedweder  Art  sind  ausgeschlossen.  —  Mittelstufe:  4.  und  5.  Schuljahr. 
Klasse  4  und  3.  Aufgaben:  Das  Zeichnen  nach  dem  Gegenstande  tritt  in  den  Vor- 
dergrund.  Das  Zeichnen  aus  dem  Gedachtnis  wird  fortgesetzt.  Als  Vorbilder  die- 
nen  flache  Gegenstande,  drehrunde  Korper,  insbesondere  Naturformen.  Nach  den- 
selben  Gegenstiinden  werden  tibungen  im  Treffen  von  Farben  und  in  der  freien  Wie- 
dergabe  der  Form  mit  dem  Pinsel  ohne  Vorzeichnung  vorgenommen.  —  Oberstufe: 
6. — 8.  Schuljahr.  Klasse  2,  1,  Selekta.  Aufgabe:  Das  Zeichnen  nach  dem  Gegen- 
stande wird  auf  die  Wiedergabe  der  perspektivischen  und  Beleuchtungserscheinun- 
gen  ausgedehnt.  Die  ttbungen  im  Treffen  von  Farben  und  im  Zeichnen  aus  dem 
Gedachtnis  werden  fortgesetzt.  '(Jbungen  im  Skizzieren  mit  dem  Stift  oder  mit  dem 
Pinsel  werden  gelegentlich  vorgenommen.  Vorbilder:  Geriite,  Gefasse,  Teile  des 
Schulgebaudes,  Naturgegenstande  (Friichte,  Bliiten,  Muscheln,  ausgestopfte  Vogel). 


Ein  Lehrplan  fiir  einen  Hochschullcursus  im  Deutschen.  Der  diesjahrige  Be- 
richt  des  Prinzipals  der  High  School  zu  San  Jose,  Californien,  enthalt  folgendes 
flber  den  Unterricht  in  den  modernen  Sprachen: 

In  the  study  of  modern  languages,  the  aims  and  methods  pursued  are  as  fol- 
lows: The  grammar  is  made  the  basis  of  instruction;  it  is  supplemented  by  ap- 
propriate reading  matter;  with  this  is  combined  practice  in  oral  expression,  so  as 
to  give  the  student  a  speaking  knowledge  of  the  language  as  far  as  circumstances 
will  permit;  the  student  is  made  acquainted  with  the  foreign  country  and  the  man- 
ners and  customs  of  its  people;  specimens  of  representative  works  of  literature  are 
read,  proceeding  from  simple  to  more  advanced  texts;  these  are  translated  into 
idiomatic  English,  with  a  view  of  leading  the  student  to  observe  shades  and  dif- 
ferences in  the  meaning  of  words,  and  to  increase  his  own  vocabulary;  the  im- 


Der  deutscbe  Unterricht  in  Erie.  215 

portance  of  accurate  construction  in  English  as  well  as  in  the  foreign  language  is 
insisted  upon;  the  relationship  of  English  to  other  languages,  especially  to  German 
and  French,  is  brought  to  the  student's  attention,  and  the  historical  development 
of  words  and  their  changes  in  form  and  meaning  are  occasionally -indicated. 

The  following  textbooks  are  used  in  the  German  department:  First  year — 
Spanhoofd's  Lehrbuch  der  deutschen  Sprache  —  Heath.  Huss's  German  Reader  — 
Heath.  Benedix's  Der  Prozess  —  Am.  Book  Co.  Storm's  Immense  e  —  Heath. 
Second  year  —  Bernhardt's  German  Composition  —  Ginn.  Moser's  Der  Bibliothe- 
kar  —  Am.  Book  Co.  Wildenbruch's  Das  edle  Blut  —  Heath.  Schiller's  Der  Neffe 
als  Onkel  —  Heath.  Ebner-Escheribach's  Die  Freiherren  von  Gemperlein  —  Heath. 
Third  year  —  Jagemann's  German  Composition  —  Holt.  Scheffel's  Trompeter  von 
Sakkingen  —  Am.  Book  Co.  Helbig's  Komodie  auf  der  Hochschule — Heath.  Schil- 
ler's Die  Jungfrau  von  Orleans  —  Appleton. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Entwickelung   und    Stand    des    deutschen    Unterrichts    in    den 

Schulen  von  Erie,  Pa. 


Vortrag,  gehalten  vor  dem  32.  Lehrertage  zu  Detroit,  Mich. 

Von  G.  G.  von  der  Groben,  High  School.  Erie.  Pa. 

Meine  Damen  und  Herren! 

Ich  bitte,  es  mir  nicht  als  trberhebung  und  Eitelkeit  auszulegen,  wenn  ich  fur 
meinen  Vortrag  einen  Gegenstand  gewahlt  habe,  in  dessen  Verlauf  ich  notgedrun- 
gen  von  mir  selbst  und  von  meinen  Arbeiten  und  Bestrebungen  sprechen  muss.  Er- 
stens  geschah  es  auf  den  ausdriicklichen  Wunsch  unseres  verehrten  Herrn  Prasiden- 
ten,  und  dann  war  es  meine  Absicht,  Sie  nicht  nur  mit  der  Entwickelung  und  dem 
gegenwartigen  Stand  des  deutschen  Unterrichts  in  Erie  bekannt  zu  machen,  sondern 
auch  Ihre  Kritik  herauszufordern  und  Ihre  Ansichten  iiber  die  Richtigkeit  und 
etwaige  Mangel  unserer  Methoden  zu  horen.  Wahrend  die  Verhaltnisse  in  den 
grosseren  Stadten  wie  Milwaukee,  Cincinnati,  Detroit  u.  s.  w.  allgemeiner  bekannt 
sind,  weiss  man  wenig  oder  gar  nichts  von  uns,  und  wir  kb'nnen  uns  doch  recht  gut 
mit  unserem  deutschen  Departement  sehen  lassen. 

Ich  kann  wohl  annehmen,  dass  es  von  Interesse  fiir  Sie  sein  wird,  nicht  nur 
etwas  vom  deutschen  Unterricht  zu  horen,  sondern  von  der  Entwickelung  des  Schu- 
wesens  in  Erie  iiberhaupt,  die  natiirlich  mit  dem  Deutschen  aufs  engste  verknupft 
ist.  Im  Jahre  1806  wurde  in  dem  nur  etwa  10  Jahren  alten  Stildtchen  das  erste 
Schulhaus  gebaut.  Es  war  ein  rohes  Blockhaus,  22  Fuss  lang  und  18  Fuss  breit. 
Die  Kosten  beliefen  sich  auf  30  Dollar,  und  wurde  dieser  Betrag  von  den  Biirgern  ge- 
sammelt.  Die  Kosten  des  Unterrichts  wurden  ebenfalls  von  den  Leuten  bestritten, 
die  ihre  Kinder  zur  Schule  schickten.  Im  Jahre  1834  wurde  das  gegenwartige 
Schulsystem  eingefiihrt.  Freie  Schule  fiir  alle  Kinder  und  Aufbringung  des  notigen 
Geldes  durch  Auferlegung  von  Steuern.  Anfangs  regte  sich  heftiger  Widerstand 
gegen  diese  Massregel,  aber  er  wurde  durch  die  Bemiihungen  einzelner  einflussreicher 
Burger  besiegt.  Im  Jahre  1860  besass  die  Stadt  3  Schulen,  und  1866  wurden  in 
diesen  Schulen  hohere  Klassen  eingerichtet,  die  unter  dem  Namen  High-School- 
Department  den  Grundstein  der  heutigen  Hochschule  bildeten.  Schon  im  folgenden 
Jahre  wurde  die  Hochschule  als  solche  etabliert.  Ein  fiir  damalige  Zeiten  stattlichea 


216  P'ddagogische  Monatsbejte. 

Gebaude  stand  an  Stelle  des  kleinen  Blockhauses.  Aber  auch  diese  Schule  1st  ver- 
schwunden  und  hat  einem  priichtigen  Neubau  Platz  machen  miissen,  der  offentlichen 
Schule  No.  2.  Die  Stadt  wuchs  und  besitzt  heute  bei  einer  Bevolkerung  von  etwa 
56,000  Seelen  eine  Hochschule  und  17  offentliche  Schulen  mit  iiber  6000  Schiilern  und 
200  Lehrern,  darunter  nur  6  Manner.  Ausserdem  bestehen  auch  einige  katholische 
Parochialschulen,  darunter  mehrere  deutsche. 

In  einer  Stadt  wie  Erie  mit  einer  starken  deutschen  Bevolkerung,  fast  die  Halfte 
der  Einwohner  ist  deutsch,  hat  sich  naturgemass  schon  friih  der  Wunsch  geregt, 
deutschen  Unterricht  in  den  b'ffentlichen  Schulen  einzufuhren.  Die  verschiedenen 
deutschen  Kirchen  hatten  wohl  ihre  kleinen  Gemeindeschulen,  aber  das  wurde  doch 
nicht  als  geniigend  anerkannt. 

Die  ersten  Anfange  eines  geregelten  deutschen  Unterrichts  datieren  bis  zum 
Jahre  '64  zuriick,  als  eine  Anzahl  der  prominenten  Deutschen  der  Stadt  zusammen- 
trat  und  einen  Schulverein  griindete.  Dieser  Verein  wurde  am  9.  Februar  '65  in- 
korporiert  unter  dem  Namen  ,,The  German  Free-School  Association  of  the  City  of 
Erie.  Paragraph  2  der  Inkorporationsurkunde  lautet  ,,The  object  of  the  association 
is  to  provide  for  means  to  buy  a  suitable  lot  for  the  erection  of  a  school-house 
thereon,  which,  when  finished,  shall  be  tendered  to  the  school-directors  of  the  city 
for  the  instruction  of  German  classes  free  of  any  charge  if  necessary."  Der  Plan 
kam  zur  Ausfiihrung,  und  eine  Reihe  von  Jahren  wurde  hier  deutscher  Unterricht  er- 
teilt.  Der  Verein  hatte  mit  mancherlei  Schwierigkeiten  zu  klimpfen,  und  nicht  die  ge- 
ringste  war  die  Beschaffung  von  geeigneten  Lehrkraften.  Man  musste  eben  nehmen, 
was  kam,  und  machte  dabei  manche  triibe  Erfahrungen,  die  anderen  Stadten  auch 
wohl  nicht  erspart  geblieben  sind.  Leute,  die  sonst  nichts  anderes  zu  tun  fanden, 
wurden  deutsche  Lehrer,  und  selbst  wenn  sie  die  nb'tigen  Kenntnisse  besassen,  ent- 
wickelten  sich  in  ihrem  sonstigen  Lebenswandel  Schwachen,  die  sie  nicht  zu  Erzie- 
hern  der  Jugend  geeignet  machten. 

Nach  einer  Reihe  von  Jahren  setzte  es  der  Verein  durch,  dass  Deutsch  als  U» 
terrichtsgegenstand  in  alle  offentlichen  Schulen  aufgenommen  wurde.  Die  Ver- 
haltnisse  wurden  nun  geregelter  und  die  Lehrkriifte  wurden  aus  dem  vorhandenen 
Material  von  Lehrerinnen  beschafft.  Es  wurde  nun  regelmlissig  Unterricht  erteilt, 
aber  es  war  kein  System  in  dem  Unterricht,  die  Lehrerinnen  war  en  auch  nicht  immer 
geeignet  und  von  einer  eigentlichen  Methode  war  auch  kaum  die  Rede.  Es  erhoben 
sich  mehr  und  mehr  Stimmen  gegen  die  Fortsetzung  des  deutschen  Unterrichts  in 
den  Schulen  unterhalb  der  Hochschule.  Die  Verhaltnisse  spitzten  sich  mehr  und 
mehr  zu,  und  eine  Krisis  war  unvermeidlich.  So  beschlossen  dann  die  deutsch- 
freundlichen  Mitglieder  des  School-Boards,  die  Angelegenheit  zu  einer  Entscheidung 
zu  bringen  und  die  Aufhebung  oder  Beibehaltung  des  deutschen  Unterrichts  dem 
Volkswillen  zu  iiberlassen.  Eine  Anzahl  offentlicher  Versammlungen  fanden  statt, 
und  viel  wurde  daflir  und  dawider  geredet.  Zwei  Komitees  von  Schulratsmitgliedern 
wurden  ernannt,  um  die  Frage  eingehend  zu  studieren  und  dann  dem  Plenum  ihre 
Berichte  vorzulegen.  Es  war  das  im  Februar  1900. 

In  der  Versammlung  der  Schuldirektoren  wurde  der  folgende  Bericht  zu  Gunsten 
des  deutschen  Unterrichts  eingereicht: 
Gentlemen ! 

After  due  and  careful  consideration,  the  majority  of  your  committee  believes 
it  to  be  to  the  best  interest  of  our  schools  to  continue  the  teaching  of  German.  Tne 
teaching  of  a  foreign  language  is  sanctioned  by  the  leading  authorities  on  public- 
school  instruction  as  an  important  and  valuable  aid  in  the  elementary  training  of 
children,  also  meets  the  social  conditions  and  wants  of  our  community.  German  in 
Erie  is  a  necessity,  it  is  not  a  theory.  Your  committee  therefore  recommends  that  the 
teaching  of  German  be  continued;  that  on  the  opening  of  schools  in  September  each 


Der  deutsche  Unterricbt  in  Erie.  217 

pupil  shall  be  required  as  a  condition  of  admission  to  file  with  the  principal  a 
written  request  from  the  parent  or  guardian,  whether  he  desires  such  pupil  to  study 
German  or  not:  that  pupils  commencing  the  study  of  German  shall  be  required  to 
continue  it  to  the  close  of  the  school  year  unless  excused  by  the  superintendent;  that 
it  shall  be  rated  in  the  promotion  of  pupils  the  same  as  other  studies;  that  it 
shall  be  under  the  special  supervision  at  a  suitable  compensation  of  Mr.  v.  d. 
Gr.  of  the  High-School  who  shall  prepare  a  course  of  study  in  German  for  all 
grades  including  the  High  School;  and  that  the  German  teachers  and  all  candidates 
for  the  teaching  of  German,  be  organized  by  him  into  a  training  class  to  receive 
instruction  in  methods  not  less  than  twice  each  month  during  the  year. 

Die  Gegner  wandten  ein,  dass  die  Kosten  des  Unterrichts  in  keinem  Verhaltnis 
zu  den  erlangten  Resultaten  standen,  dass  der  deutsche  Unterricht  nur  ein  den 
Deutschen  der  Stadt  gezolltea  Kompliment  sei,  dass  derselbe  zwecklos  und  unver- 
standlich  sei  fur  Kinder,  die  ihrer  eigenen  Sprache  nicht  machtig  seien,  und  dass 
mit  demselben  Rechte  die  anderen  Nationalitaten  wie  Polen,  Russen,  Italiener  die 
Einfiihrung  ihrer  Sprachen  in  den  offentlichen  Unterricht  beanspruclien  konnten. 
Die  endliche  Abstimmung  ergab  eine  Majoritat  von  16  gegen  4  zu  Gunsten  der  Bei- 
behaltung,  und  als  im  Herbst  die  Karten  mit  der  Unterschrift  der  Eltern  zuriick- 
kamen,  erklarten  sich  80  Prozent  der  Eltern  zu  Gunsten  des  deutschen  Unterrichts. 
Das  war  wohl  der  schlagendste  Beweis,  dass  die  Niitzlichkeit  auch  von  vielen  nicht- 
deutschen  Eltern  anerkannt  wurde. 

Wie  schon  oben  erwiihnt,  besitzt  die  Stadt  Erie  bei  einer  Bevolkerung  von  etwa 
56,000  Seelen  1  Hochschule  und  17  Volksschulen.  Nach  einem  von  den  deutschen 
J^ehrerinnen  am  loten  April  aufgenommenen  Zensus  war  die  Hochschule  von  500,  die 
17  offentlichen  Schulen  von  5927  Schiilern  besucht.  Von  diesen  letzteren  beteiligten 
sich  am  deutschen  Unterricht  4775  oder  83.9  Prozent;  Kinder  deutscher  Eltern  wa- 
ren  2201  oder  47.6  Prozent.  Die  Teilnahme  am  deutschen  Unterricht  richtet  sich 
hauptsachlich  nach  der  Bevolkerung  des  Distriktes,  in  dem  die  Schule  gelegen  ist, 
jedoch  hat  auch  die  Personlichkeit  der  Lehrerin  grossen  Einfluss.  Der  Prozentsatz 
der  Teilnahme  am  deutschen  Unterricht  schwankt  zwischen  95.4  Prozent  in  einer 
Schule,  in  der  37.3  Prozent  deutsche  Kinder  sind,  und  71  Prozent  mit  63  Prozent 
deutschen  Kindern.  Man  sieht  aus  diesen  Zahlen,  dass  er  ganz  und  gar  nicht  ein 
Privileg  der  Deutschen  ist.  Noch  auffallender  stellen  sich  die  Zahlen  in  einer  klei- 
nen  hauptsachlich  von  Slaven  und  Irlandern  besuchten  Schule.  Von  199  Kindern 
nahmen  179  am  deutschen  Unterricht  teil,  und  15  davon  sind  von  deutschen  Elfern. 
Deutlicher  kb'nnen  wohl  Zahlen  kaum  reden.  Die  Gesamtkosten  belaufen  sich  auf 
$6920  oder  $1.40  pro  Kopf  der  deutschlernenden  Kinder.  Die  Hochschule  ist  in 
diese  Zahlen  nicht  eingeschlossen.  Hier  stellt  sich  der  Prozentsatz  der  deutsch- 
studierenden  Schiller  naturlich  nicht  so  hoch.  Etwa  180  von  den  500  Schiilern  der 
Hochschule  beteiligten  sich  am  deutschen  Unterricht.  Latein  iibt  stets  eine  grosse 
Anziehungskraft  aus,  und  auch  die  Klassen  in  Griechisch  und  Franzosisch  sind 
meist  gut  besucht.  An  Lehrerinnen  fur  den  deutschen  Unterricht  besitzen  wir  eine 
ftir  jede  Schule  unterhalb  der  Hochschule,  in  letzterer  zwei.  Die  Lehrerinnen  sind 
samtlich  von  deutscher  Herkunft  und  beherrschen  dieSprache,  die  sie  lehren,  voll- 
standig. 

Bei  der  Aufstellung  eines  Lehrplanes  fur  den  deutschen  Unterricht  vom  ersten 
Schultage  bis  zum  4ten  Jahre  in  der  Hochschule  musste  naturlich  in  erster  Linie 
den  Wiinschen  des  Publikums  Rechnung  getragen  werden.  Warum  lernen  unsere 
Schfiler  Deutsch?  Die  Deutschen,  um  sich  ihre  Muttersprache  zu  erhalten  und  mit 
ihr  mancherlei  gute  Sitten  und  Gebrauche.  Der  Zweck  ist  hier  ein  mehr  idealer,  aber 
er  soil  auch  ein  praktischer  sein,  und  die  Kinder  sollen  lernen,  die  Sprache  im  tag- 
lichen  Leben,  besonders  im  Geschaftsleben  zu  gebrauchen,  und  es  ist  eine  unbe- 


218  P'ddagogische  Monatsbefte. 

atrittene  Tatsache,  dass  ein  junger  Mann  oder  ein  junges  Madchen  mit  der  Kenntnis 
von  zwei  modernen  Sprachen,  und  bier  ist  doch  in  erster  Ldnie  an  Deutsch  zu  den- 
ken  ,weiter  kommen  und  bessere  Aussichten  haben  als  diejenigen,  die  nur  ihre 
Muttersprache  verstehen.  Dazu  gehort  aber,  dass  sie  die  Spraehe  sprechen  lernen 
und  nicht  nur  lesen  und  verstehen,  und  darauf  ist  unser  ganzer  Lehrplan  basiert. 
Der  Kursus  in  den  Volksschulen  ist  siebenjahrig.  Der  Unterricht  im  Deutschen  be- 
ginnt  mit  dem  ersten  Schultage.  In  den  ersten  beiden  Jahren  ist  der  Unterricht  nur 
miindlich,  d.  h.  Textbiicher  werden  nicht  benutzt  aus  dem  sehr  triftigem  Grunde, 
weil  wir  keine  haben  und  ich  eine  so  bedeutende  Auslage  augenblicklich  nicht  von 
dem  School-Board  verlangen  kann.  Wie  es  Ihnen  wohl  bekannt  ist,  haben  wir  in 
Pennsylvanien  freie  Biicher.  Ich  wiirde  sehr  gerne  wenigstens  im  zweiten  Jahre  ein 
passendes  Lesebuch  einfiihren,  aber  wir  haben  uns  noch  zu  gedulden.  Ablesen  von 
Wortern  und  Satzen  von  der  Wandtafel  wird  fleissig  geiibt  und  wir  besitzen  auch 
gedruckte  Buchstaben,  die  in  Worter  und  kleine  Satze  zusammengestellt  werden. 
Schreibunterricht  beginnt  im  zweiten  Jahre.  Als  Material  fttr  den  Anschauungsun- 
terricht  benutzen  wir  die  ,,Strassburger  Bilder,  Holtzels  Wandbilder  und  Wilkes 
Bildertafeln."  Diese  Bilder  stellen  die  4  Jahreszeiten,  Stadt,  Bauernhof,  Wald,  Ge- 
birge  und  Hafen  u.  s.  w.  dar.  Wir  haben  mit  diesen  Bildern  ausserordentliche  Er- 
folge  erzielt,  und  ich  kann  sie  alien  Kolleginnen  und  Kollegen  aufs  warmste  em- 
pfehlen.  Sie  iiben  auf  die  Kinder  grosse  Anziehungskraft  aus,  und  wir  haben  mit 
denselben  erreicht,  dass  die  Schiller  selbstandig  sprechen  lernen,in  dem  sie  auf  das, 
was  sie  sehen,  hinweisen  und  die  Handlung  und  Situation  beschreiben.  Die  Bilder 
sind  fur  wenig  Geld  von  der  Leipziger  Lehrmittelanstalt  zu  beziehen.  Als  Material 
fiir  die  Konversation  dient  natiirlich  alles,  was  den  Kindern  nahe  liegt  und  ver- 
standlich  ist,  besonders  die  Klasse  und  das  Heim,  die  Korperteile,  Kleidung,  einige 
Blumen  und  Friichte.  Die  Arbeiten  der  Mutter,  wie  Waschen,  Kochen,  Einkaufen 
werden  besprochen  und  kleine  Satze  gebildet  mit  den  Zeitwb'rtern  gehen,  kommen, 
legen  ,stellen,  tragen,  werfen.  Der  Gebrauch  einiger  Prapositionen,  wie  an,  auf,  in, 
neben,  unter,  wird  geiibt  und  eine  Anzahl  von  kleinen  Liedern  und  Reimen  werden 
gelernt  und  gesungen.  Der  Anschauungsunterricht  im  zweiten  Jahre  ist  ahnlich 
wie  im  ersten,  nur  dem  Begriffsvermogen  der  Kinder  angepasst,  vorgeschrittener. 
Die  Namen  der  Tage,  Monate,  Jahreszeiten  werden  gelernt,  ebenso  die  Namen  und 
der  Gebrauch  von  einigen  Werkzeugen  und  Gegenstanden  des  taglichen  Gebrauches. 
Zeitworter  wie  ,,haben,  sitzen,  stehen,  liegen,  hangen  und  die  Frage  wo?"  werden 
geiibt,  ebenso  die  Eigenshaftsworter,  die  Farben  und  Dimensionen  ausdriicken.  In 
dieser  Klasse  beginnt  der  Schreibunterricht  und  das  Ablesen  von  Wortern  und  Satzen 
von  der  Wandtafel. 

Im  dritten  Jahre  beginnen  wir  mit  Weick  und  Grebners  erstem  Lesebuch.  Die 
Lektionen  werden  nicht  nach  der  Reihenfolge  durchgenommen,  sondern  hier  ist  die 
grossere  oder  geringere  Schwierigkeit,  die  sie  bieten,  massgebend  gewesen.  So  be- 
ginnen wir  nicht  mit  der  ersten  Lektion,  sondern  mit  der  7ten,  dann  folgt  29,  50, 
1  u.  s.  w.  Die  Lektionen  werden  gelesen,  erklart,  wohl  auch  ins  Englische  iibersetzt 
und  dann  iiberzeugt  sich  die  Lehrerin  durch  viele  Fragen,  ob  die  Schiller  das  Gele- 
sene  verstanden.  Konversation  und  gutes  Lesen,  gute  Aussprache  und  Gelaufigkeit 
sind  die  massgebenden  Punkte.  Auch  in  dieser  Klasse  werden,  wie  iiberhaupt  in 
alien  die  Bilder  benutzt  und  Sprechunterricht  fleissig  geiibt,  ebenso  Schreiben  und 
Diktat.  Spriichworter,  kleine  Lieder  und  Gedichte  werden  gelernt.  Miindliche 
Steigerung  von  Beiwortern  bildet  hauptsachlich  die  Grammatik  dieser  Klasse.  Im 
4ten  Jahre  beginnen  wir  mit  der  Konjugation  von  Zeitwortern  im  Prasens.  Solche 
werden  gewahlt,  die  im  Text  der  Lesestiicke  vorkommen  und  in  den  friiheren  Klassen 
fiir  Konversationszwecke  benutzt  werden.  Als  Lesebuch  dient  ebenfalls  Weick  und 
Grebners  erstes  Buch.  Im  fiinften  Jahre  wird  das  erste  Lesebuch  beendigt.  Die 


Der  deutscbe  Unterricbt  in  Erie.  219 

Hauptformen  der  in  friiheren  Lektionen  gelernten  Zeitworter  werden  geiibt  und  die 
Konjugation  des  Imperfekt,  ferner  die  erste  Deklination  mit  dem  bestimmten  Artikel 
und  der  (rebranch  des  ersten,  zweiten  und  4ten  Falles  in  Satzen.  Im  6ten  Jahre 
beginnen  wir  das  zwelte  Lesebuch.  Hauptworter  der  dritten  und  vierten  Deklination 
werden  dekliniert,  ferner  Worter  wie  dieser,  jener,  jeder,  welcher,  wer  und  was. 
Konjugiert  werden  das  Prasens,  das  Perfekt  und  das  Futurum.  Die  Prapositionen, 
welche  den  Dativ  regieren  werden  gelernt  und  in  Satzen  geiibt.  Im  siebenten  Jahre 
wird  das  zweite  Lesebuch  beendigt.  Dekliniert  werden  der  unbestimmte  Artikel,  die 
besitzanzeigenden  Fiirworter  und  die  zweite  Deklination;  ferner  die  personlichen 
Fiirworter;  konjugiert  bekannte  Verben  in  den  schon  friiher  gelernten  Formen  und 
im  Plusquamperfektum.  Die  Prapositionen,  die  den  Akkusativ  regieren,  werden  ge- 
lernt. In  alien  diesen  Klassen  nehmen  Sprachiibungen  die  Hauptzeit  ein,  aber  auch 
Schreiben  und  Diktat  werden  hier  nicht  vernachlassigt.  Zum  Anschauungsunterricht 
gebrauchen  wir  in  den  hoheren  Klassen  auch  ,,Monsteitte  Pictorial  Chart  of  Geog- 
raphy." 

Wenn  wir  uns  nun  die  Frage  stellen:  sind  die  erreichten  Resultate  zufrieden- 
etellend  und  dem  Aufwande  an  Arbeit,  Zeit  und  Geld  entsprechen,  so  glaube  ich 
die  Frage  ehrlich  mit  ,,ja"  beantworten  zu  konnen.  Was  unter  den  bestehenden 
Verhaltnissen  moglich  ist,  wird  in  reichem  Masse  geleistet.  Wir  haben  mit  man- 
cherlei  Schwierigkeiten  zu  kampfen,  wie  es  wohl  auch  anderswo  sein  wird.  Unsere 
Klassen,  namentlich  in  den  ersten  Jahren  sind  gross  und  die  Zeit  ist  sehr  kurz,  von 
20  bis  30  Minuten  taglich;  ferner  hat  die  Lehrerin  in  nur  wenigen  Schulen  ein  ei- 
genes  Zimmer  und  Storungen  sind  unvermeidlich.  In  den  hoheren  Klassen  ist  die 
Schiileranzahl  geringer  und  veranlassen  die  am  Ende  des  Terrains  stattfindenden 
Priifungen  manche  Schiller  Deutsch  aufzugeben.  Infolgedessen  konnen  diese  Klassen 
auch  Besseres  leisten  und  kommen  die  wenigen,  die  iibrig  bleiben,  gut  vorbereitet  in 
die  Hochschule.  Manche  Verbesserungen  haben  wir  schon  durchgesetzt,  und  mit  der 
Zeit  wird  es  ja  auch  noch  besser  werden.  Wir  haben  im  School-Board  stets  eine 
Anzahl  dem  Deutschen  wohlgesinnte  Mitglieder.  Wenn  nur  die  leidige  Geldfrage 
nicht  bei  alien  eine  so  grosse  Rolle  spielte. 

Ich  komme  nunmehr  zu  der  Hochschule  und  mochte  hier  etwas  genauer  auf 
die  Art  und  Weise  des  Unterrichts  eingehen.  Der  Kursus  ist  hier  vierjahrig.  Wir 
teilen  die  Anfangerklassen  in  Schiller  mit  und  ohne  Vorkenntnisse.  Ich  iibernehme 
eine  Klasse,  die  aus  Schiilern  besteht,  die  absolute  Anfanger  sind  oder  kaum  nennens- 
werten  Unterricht  gehabt  haben,  meine  Kollegin  den  Rest.  Meine  Klasse  besteht 
durchschnittlich  aus  25  bis  30  Schiilern,  wahrend  die  andere  weit  grosser  ist  und 
in  verschiedenen  Unterabteilungen  geteilt  wird.  Als  Textbuch  benutze  ich  Prof. 
Bernhardts  deutsch'es  Sprach-  und  Lesebuch,  und  ich  gebrauche  die  deutsche  Sprache 
vom  ersten  Unterrichtstage  an  und  habe  ich  in  achtjahriger  Praxis  nur  gute  Re- 
sultate mit  diesem  Buche  erreicht.  Das  Buch  ist  deutsch  vom  Anfang  bis  zum  Ende. 
Die  Lektionen  sind  so  leicht  verstandlich,  dass  auch  ein  mittelmassiger  Schiller 
keine  besonderen  Schwierigkeiten  finden  wird,  aber  er  muss  seine  ganze  Aufmerksam- 
keit  konzentrieren,  um  folgen  zu  konnen.  Es  wiirde  hier  zu  weit  fiihren,  wollte  ich 
den  ganzen  Gang  des  Unterrichts  beschreiben,  aber  einige  Bemerkungen  mochte  ich 
mir  doch  erlauben.  Das  Buch  ist  in  erster  Reihe  eine  Konversationsmethode,  ent- 
halt  aber  auch  alle  fur  ein  erstes  Schuljahr  notwendige  Grammatik  in  leicht  fass- 
licher  Darstellung.  Die  Lesestiicke  sind  vorziiglich  gewahlt,  ebenso  die  Gedichte. 
Jede  Lektion  enthalt  auch  einen  englichen  Text  fiir  Komposition.  Um  diese  Methode 
gebrauchen  zu  konnen,  ist  conditio  sine  qua  non  vollstandige  Kenntnis  und  Be- 
herrschung  der  Sprache,  auch  ein  wenig  Zeichentalent  ist  von  grossem  Nutzen. 
Sie  erfordert  iibrigens  auch  bedeutendes  Material,  und  das  ist  vielleicht  fiir  manche 
Lehrer  schwierig  zu  beschaffen  und  mit  Kosten  verbunden.  Dank  der  Gute  meines 


220  P'ddagogische  Monatsbefte. 

Freundes  Bernhardt  bin  ich  aufs  reichste  mit  dem  versehen.  Ich  kann  die  Methode 
jedem  Lehrer  dringend  empfehlen,  der  ohne  zu  erroten,  mit  dem  Bewusstsein  vor 
seine  Klasse  treten  kann  ,,Ich  kann  Deutsch."  Das  Buch  fiillt  ein  Jahr  reichlich  aus 
und  benutze  ich  nur  dieses  eine. 

Ausser  Sprachunterricht  spielen  ttbersetzungen  ins  Deutsche  und  Diktat  eine 
grosse  Rolle.  Etwa  8  Gedichte  werden  wahrend  des  Schuljahres  gelernt  wie  die 
Engel,  Lorelei,  Erlkonig,  Was  ich  Hebe,  Kapelle,  Wanderers  Nachtlied  u.  andere. 
Meine  Kollegin  benutzt  in  ihren  Klassen  Joynes  Meissners  Grammatik  und  Jones 
Reader.  Auch  sie  benutzt  Deutsch  als  Sprache  in  der  Klasse,  das  hat  aber  natiirlich 
nicht  fur  die  Schiller  die  Schwierigkeiten  wie  in  einer  Anfangerklasse.  Im  zweiten 
Jahre  benutzen  wir  A  Course  in  German  Conversation,  Composition  and  Grammar 
Review  von  Prof.  Bernhardt,  ebenfalls  ein  vortreffliches  Buch  besonders  fur  daa 
zweite  Jahr  geeignet.  Jede  der  32  Lektionen  enthalt  einen  Text,  Composition,  Con- 
versation und  Grammatik.  Als  Lektiire  benutzen  wir  die  bekannten  Biicher,  wie 
Immensee,  Hoher  als  die  Kirche,  Traumereien  und  ahnliche.  Die  besten  sind  die, 
die  am  meisten  Handlung  und  deshalb  Material  fur  Konversation  enthalten. 

Im  dritten  Jahre  habe  ich  bis  jetzt  ,,Unter  dem  Christbaum"  von  Helene  Stb'ckel 
gelesen,  doch  werde  fch  im  kommenden  Schuljahre  Sterns  ,,Sagen  vom  Rhein"  be- 
nutzen. Das  letztere  Buch  bietet  ein  unerschopfliches  Material  fiir  Konversation, 
und  die  Schiiler  lernen  auch  mancherlei,  das  nicht  gerade  zum  deutschen  Unterricht 
gehort,  wie  Geschichte,  Geographic,  u.  s.  w.  Ich  verlange  von  meinen  Klassen  eine 
gute  Vorbereitung  der  gebenenen  Aufgabe.  Alle  unbekannten  Worter  miissen  mit 
der  englischen  Bedeutung  in  ein  besonderes  Heft  geschrieben  werden.  Dadurch  wer- 
den die  Schiiler  mit  dem  Inhalt  des  Lesestiickes  vertraut  und  die  Arbeit  in  der  Klasse 
sehr  erleichtert.  Ich  lasse  nicht  regelmlissig  ins  Englische  iibersetzen,  besonders 
nicht,  bevor  ich  das  Gelesene  griindlich  durchgenommen  und  besprochen  habe,  und  ich 
iiberzeuge  mich  durch  viele  Fragen,  ob  die  Schiiler  das  Gelesene  verstanden.  Ich 
habe  stets  gefunden,  dass  ich  die  angespannte  Aufmerksamkeit  der  Klasse  habe,  so- 
lange  ich  nur  Deutsch  spreche.  Die  Schiiler  miissen  aufpassen,  um  folgen  zu  kon- 
nen,  und  sind  auch  viel  mehr  interessiert,  da  sie  sprechen  lernen  wollen.  Ich  gehe 
nur  langsam  vorwiirts.  Ich  bin  der  Ansicht,  dass  es  wertvoller  fiir  die  Schiiler  ist, 
20  Seiten  griindlich  zu  lernen  als  40  nur  halb.  Im  zweiten  Term  lesen  wir  Tell.  Tell 
ist  seiner  lebhaften  Handlung  wegen  von  alien  klassischen  Dramen  wohl  das  geeig- 
netste  fiir  Klassengebrauch  und  auch  das  leichteste.  Die  mancherlei  Personen  und 
Szenen  geben  reichen  Unterhaltungsstoff.  Zum  'tfbersetzen  ins  Deutsche  benutze  ich 
Harris  Composition.  Die  Schiiler  miissen  ein  bestimmtes  Pensum  zu  Hause  iiber- 
setzen  und  in  ihr  Aufgabeheft  schreiben.  Dann  schicke  ich  8  bis  10  von  ihnen  an 
die  Tafel  und  lasse  jeden  einen  oder  mehrere  Siitze  anschreiben.  Der  Rest  der  Klasse 
muss  nun  die  gemachten  Fehler  herausfinden.  Es  bildet  sich  hier  bald  ein  gewisser 
Wetteifer  heraus,  Fehler  zu  finden,  und  ihnen  entgeht  auch  nicht  der  kleinste  ortho- 
graphische  Fehler,  den  ich  selbst  vielleicht  iibersehen  habe.  Das  an  die  Tafel  Ge- 
schriebene  wird  korrigiert  und  besprochen  und  an  die  gemachten  Fehler  Grammatik 
angekniipft.  Die  eigenen  Arbeiten  werden  verbessert  und  am  Ende  der  Stunde  sehe 
ich  eine  Anzahl  Hefte  nach,  um  mich  davon  zu  iiberzeugen,  ob  das  auch  geschehen. 
Ich  lasse  8  bis  zehn  Gedichte  lernen  und  zwar  solche  wie  Belsazar,  Abseits  vom 
Strom,  Konig  in  Thule,  Madchen  aus  der  Fremde  und  andere.  Ich  gebe  die  Ge- 
dichte als  Diktat  und  lasse  sie  dann  ebenfalls  strophenweise  an  die  Tafel  schreiben 
und  verbessern  und  kniipfe  'Obungen  in  Orthographie  daran  an.  Im  vierten  Jahre 
lesen  wir  Hermann  und  Dorothea  und  die  Jungfrau  in  ahnlicher  Weise  wie  in  den 
andern  Klassen.  Zum  tfbersetzen  ins  Deutsche  benutze  ich  v.  Jagemanns  ,,Materials 
for  Composition"  und  zum  Grammatikunterricht  v.  Jagemanns  ,,Syntax".  Eimnal 


Der  deutscbe  Unterricbt  in  Erie.  221 

wochentlich  habe  ich  eine  Literaturstunde  und  gebrauche  ich  als  Textbuch  Bernhardts 
Hauptfakta  der  deutschen  Literatur. 

Selbstverstftndlich  1st  es  nicht  moglich,  in  so  wenigen  Stunden  von  den  Schulern 
ein  griindliches  Studium  der  gesamten  Literatur  zu  erwarten.  Es  ist  das  auch 
durchaus  nicht  meine  Absicht.  Was  ich  bezwecke  und  auch  erreiche,  ist  die  deutsch- 
lernenden  Schiller  mit  dem  Wichtigsten,  besonders  auch  mit  der  Entwickelung  der 
Sprache  bekannt  zu  machen,  ferner  mit  den  verschiedenen  Perioden  und  den  wichtig- 
sten  Werken  von  Ulfilas  Bibeliibersetzung  bis  zur  neuesten  Zeit.  Ich  diktiere  fur 
jede  Periode  eine  bestimmte  Anzahl  Fragen,  welche  die  Schiller  schriftlich  zu  beant- 
worten  und  nach  Durchnahme  und  Verbesserung  auswendig  zu  lernen  haben.  Da- 
bei  wird  natiirlich  auf  einzelne  Schriftsteller  und  deren  Werke  genauer  eingegangen, 
besonders  auf  Schiller  und  Goethe.  Am  Schluss  des  Schuljahres  kniipfte  ich  einige 
Worte  iiber  die  Schriftsteller  an,  deren  Werke  wir  in  unserer  offentlichen  Bibliothek 
finden,  und  die  viel  von  den  hiesigen  Deutschen  und  auch  von  Schulern  gelesen  wer- 
den.  Vorbereitung  filr  diese  Stunde  verlange  ich  nicht.  Ich  gebe  in  diesen  Litera- 
turstunden  auch  die  Gedichte.  Als  Parallelklasse  zum  4ten  Jahre  haben  wir  noch 
eine  sogenannte  German-German  Klasse  fiir  Schiller,  die  zu  Hause  deutsch  sprechen. 
Diese  Klasse  ist  ausserordentlich  interessant,  da  ich  mit  den  Schulern  wie  mit  gebore- 
nen  Deutschen  reden  kann.  Die  meisten  sprechen  recht  gut  Deutsch,  wenn  auch  oft 
stark  im  siiddeutsehen  Dialekt  oder  in  Pennsylvania  Dutch.  Unter  diesen  Schulern 
findet  man  viele,  die  aus  den  deutschkatholischen  Parochialschulen  kommen.  In 
diesen  wird  ein  halber  Tag  englisch  und  ein  halber  Tag  deutsch  gelehrt.  Ich  lese 
in  dieser  Klasse  Maria  Stuart  und  die  Journalisten  mit  verteilten  Rollen.  In  Litera- 
tur Schillers  und  Goethes  Leben  und  Werke  und  Gedichte  verschiedener  anderer 
Dichter,  die  in  Prosa  schriftlich  oder  miindlich  wiedergegeben  werden.  Zu  ttber- 
setzungen  ins  Deutsche  benutze  ich  v.  Jagemanns  oder  Polls  Biicher  fiir  Komposi- 
tion,  als  Grammatik  und  Prosalesebuch  Bernhardts  Sprach-  und  Lesebuch  II.  Teil. 
Ich  nehme  hier  besonders  das  Zeitwort  und  den  Gebrauch  der  Konjunktionen  durch. 
Das  Buch  eignet  sich  vorziiglich  fiir  Schiller  im  4ten  Jahre  einer  Hochschule  und 
auch  fiir  Kolleggebrauch. 

In  vorliegenden  Blattern  habe  ich  versucht,  Ihnen  zu  schildern,  was  wir  in  unse- 
rem  deutschen  Departement  tun.  Vielleicht  eignet  sich  der  Kursus  nicht  fiir  andere 
Orte  so  gut  wie  fiir  Erie;  aber  fiir  unsere  Verhaltnisse  mit  einem  so  starken  deut- 
schen Element  ist  er  durchaus  geeignet,  nicht  nur  fiir  Schiiler,  deren  geistige  Erzie- 
hung  mit  der  Hochschule  aufhort,  sondern  auch  fiir  die,  die  ein  Kolleg  oder  eine 
Universitat  besuchen.  Wir  haben  die  praktischen  Beweise  dafiir.  Die  Verhaltnisse 
in  unseren  Schulen  sind  die  besten,  es  herrscht  eine  vollstandige  Harmonie.  Das 
Deutsche  ist  in  den  Schulen  von  den  Vorsteherinnen  und  anderen  Lehrerinnen  gern 
gesehen  und  begiinstigt.  So  hoffe  ich,  dass  die  Zukunft  auch  hier  die  besten  Friichte 
bringen  wird.  Ich  bin  der  ftberzeugung,  dass  das  Deutsche  in  den  Schulen  unserer 
Stadt  fiir  absehbare  Zeit  gesichert  ist.  Die  Lehrerinnen  des  Deutschen  gehoren 
siimtlich  als  Zweigverein  dem  Lehrerbunde  an.  Unsere  Versammlungen  finden  alle 
14  Tage  statt  und  werden  Angelegenheiten  des  Unterrichts  besprochen.  So  leben 
wir  hier  im  besten  Einverstandnis  in  fleissiger  Arbeit  fiir  unsere  Sache,  das  Deutsche, 
fern  vom  Gerausch  der  Welt.  Vieles  haben  wir  schon  erreicht,  aber  wir  gedenken 
nicht  dabei  stehen  zu  bleiben.  Worauf  wir  hinarbeiten,  ist  vollstandige  Gleichstel- 
lung  des  deutschen  Unterrichts  mit  den  anderen  Fachern.  Ob  wir  es  erreichen  wer- 
den, liegt  im  Schosse  der  Zukunft. 


II.    Korrespondenzen. 


Baltimore. 

Ein  deutschamerikanisches  Dichter- 
tournier  fand  irn  wonnigen  Maimonat 
hier  statt,  gewissermassen  ein  Vorliiufer 
zu  dem  fiir  die  mittlere  Juniwoche  ge- 
planten  Sangertournier,  dem  20.  Natio- 
nalen  Sangerfest  des  Nordbstlichen  San- 
gerbundes  von  Amerika,  dessen  in  der 
jiingsten  Korrespondenz  bereits  Erwah- 
nung  geworden.  Das  benachbarte  Wa- 
shington hatte  zu  dem  interessanten 
Verstournier  drei  wackere  Ritter  ent- 
sandt:  Frank  Claudy,  den  tremichen 
ftbersetzer  des  Goetheschen  ,,Faust",  den 
Journalisten  Dr.  Straib  und  Hugo 
Schulze.  Von  Baltimore  traten  vier  mu- 
tige  Kampen  in  die  Schranken:  Dr.  E. 
Henrici,  Prof.  Otto  Fuchs,  Dr.  M. 
Schapiro  und  Louis  Illmer.  Ein  eigenes 
Zusamrnentreffen,  dass  am  selben  Tag 
auch  in  Koln  die  Preise  fiir  die  diesjah- 
rigen  Blumenspiele  zur  Verteilung  ka- 
men,  bei  denen  unser  Dr.  Henrici  als  ei- 
ner  der  Sieger  hervorgegangen  war. 
Sein  Dichterpreis,  eine  goldene  Nadel 
mit  dein  Kb'lner  Wappen,  ist  bereits 
hier  eingetroffen. 

Diese  Kolner  Blumenspiele  sind  eine 
Neubelebung  der  alten  provengalischen 
,,Jeux  floraux",  deren  Entstehung  in  das 
vierzehnte  Jahrhundert  zuriickreicht,  die 
neuerdirigs  in  siidfranzosischen  Stadten 
und  in  Spanien  wieder  aufgebliiht  sind. 
Hof  rat  Dr.  Johannes  Fastenrath  hat  die 
Blumenspiele  vor  filnf  Jahren  auch  in 
Deutschland  eingebiirgert,  und  mit  gro- 
ssem  Erfolge.  Blumenspiele  werden  die- 
se  dichterischen  Wettbewerbe  genannt, 
weil  die  Preise  fiir  die  besten  Dichtun- 
gen  in  Blumen  bestehen;  eine  goldene 
Kornblume  fiir  das  beste  patriotische 
Gedicht,  ein  goldenes  Veilchen  fiir  das 
beste  religiose  Gedicht,  lebende  Blumen 
mit  Schleife  fiir  das  beste  Liebesgedicht 
und  das  Recht,  die  Blumenkonigin  zu  er- 
nennen,  eine  goldene  Rose  oder  eine  Re- 
benbliite  fiir  die  beste  Novellette  oder 
Humoreske.  Neben  diesen  von  Dr.  Fa- 
stenrath gestifteten  Preisen  sind  in  den 
vier  letzten  Jahren  zahlreiche  ausseror- 
dentliche  Preise  von  anderen  Seiten  ge- 
stiftet  worden,  sogar  aus  Spanien.  Von 
Jahr  zu  Jahr  wachst  das  Interesse  an 
diesen  Spielen. 

So  ernst  wie  in  Koln  war  der  Dichter- 
wettstreit  in  der  ,,Vorwartshalle"  nicht 
gemeint;  und  doch  mag  er  der  Anfang 
werden,  dass  unsere  deutschamerikani- 
sche  Dichtung,  die  bisher  zum  grossen 
Teil  in  den  Zeitungen  Unterschlupf  su- 
chen  musste  und  iiber  eng  begrenzten 


Leserkreis  nicht  hinaus  kam,  sich  wei- 
tere  Gebiete  erobert,  dass  unsere  deutsch- 
amerikanischen  Dichter,  und  ihre  Zahl 
ist  recht  gross,  mehr  bekannt  und  ge- 
wiirdigt  werden. 

Die  bei  diesem  Tournier  in  Wettbe- 
werb  getretenen  Dichtungen  fanden  rei- 
chen  Anklang,  und  der  unermiidlich 
strebsame  Turnverein  ,,Vorwarts"  hat 
mit  dieser  Veranstaltung  nicht  allein  ei- 
nem  grossen  Publikum  von  geladenen 
Gasten  einen  schb'nen  und  genussreichen 
Abend  bereitet,  sondern  auch,  unbeab- 
sichtigt  vielleicht,  den  Anfang  gemacht, 
deutschamerikanische  Dichter  einander 
naher  zu  bringen.  Unser  ehemaliger 
Kollege  Richard  Ortmann,  der  wiirdige 
Nachfolger  Leyhs  in  der  Schriftleitung 
des  ,,Deutschen  Correspondenten", 
schreibt  hieriiber  folgende  beherzigungs- 
werte  Worte:  ,,Warum  jetzt  nicht  wei- 
ter  bauen?  Warum  den  kleinen  Kreis 
vom  letzten  Sonntag  nicht  erweitern?  Zu 
welch  grossen  musikalischen  Festen  ha- 
ben  sich  die  Siingerfeste  dieses  Landes 
aus  den  kleinsten  Anfangen  entwickelt! 
Im  Mai  des  Jahres  1844  machte  der 
Baltimorer  ,,Liederkranz"  eine  Fahrt 
nach  Philadelphia,  um  dem  dortigen 
Mannerchor  einen  Besuch  abzustatten  — 
das  erste  Sangerfest  in  den  Ver.  Staa- 
ten;  und  wie  sind  dieselben  riesig  ange- 
wachsen!  So  reich  an  Zahl  wie  deutsch- 
amerikanische Sangerkehlen  sind  die  ja 
nicht,  in  deren  Adern  echtes  Poetenblut 
rollt;  aber  was  tut  das?  Die  Menge 
tut's  in  der  Dichtkunst  nicht,  sondern 
die  Qualitat.  Wir  mochten  hier  eine 
Anregung  geben,  solchen  Dichterwettbe- 
werben,  wie  sie  in  Siidfrankreich,  in 
Spanien,  in  Koln  stattfinden,  auch  zum 
Biirgerrecht  zu  verhelfen.  Unsere 
deutschamerikanischen  Dichter  wiirden 
damit  mehr  Fiihlung  unter  einander  ge- 
winnen,  was  aber  viel  hb'her  zu  werten 
ist,  unsere  Dichter  wiirden  aus  dem  be- 
scheidenen,  veilchenartigen  Dasein  her- 
austreten;  ein  frischer,  frohlicher  Zug 
wiirde  einsetzen."  S. 

Cincinnati. 

Ganz  unerwartet  nicht,  aber  doch  sehr 
plotzlich  und  jedenfalls  zu  friihe,  iiber- 
raschte  uns  am  14.  Mai  die  Kunde  von 
dem  Ableben  des  Kollegen  Dr.  Wilhelm 
Jager,  des  deutschen  Oberlehrers  der  6. 
und  8.  Distriktschulen.  Der  erst  im  43. 
Lebensjahre  stehende,  seit  etwa  zwei 
Jahren  an  den  hiesigen  offentlichen 
Schulen  tatig  gewesene,  hochgebildete 
und  allgemein  beliebte  Kollege,  ein 


Korresponden^en . 


223 


Braunschweiger  von  Geburt,  war  friiher 
in  verschiedenen  Stadten  unseres  Landes 
als  Vorsteher  von  Berlitz-Schulen  sehr 
giinstig  bekannt;  hatte  zu  verschiedenen 
Malen  die  alte  Heimat  besucht  und  dort 
immer  wieder  an  seiner  fachlichen  Aus- 
bildung  weiter  gearbeitet,  in  der  er  sich 
in  jeder  Hinsicht  auszeichnete.  Es  war 
ihm  in  hohem  Grade  die  Gabe  verliehen, 
sein  VVissen  in  logisch-gediegene  Gedan- 
ken  zu  kleiden  und  diese  in  tadelloser 
Form  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Zeuge 
davon  ist  der  vor  nicht  langer  Zeit  in 
den  ,,P.  M."  erschienene  Aufsatz  aus 
seiner  Feder.  Er  litt  augenscheinlich  an 
einem  Herzfehler  und  war  dabei  nicht 
frei  von  Leber-  und  Nierenbeschwerden. 
Das  hinderte  ihn  in  den  letzten  Monaten 
b'fters  an  der  Ausiibung  seiner  Dienst- 
pflichten;  und  als  er  vor  etwa  zwei  Mo- 
naten sich  in  der  frohen  Hoffnung  wieg- 
te,  wenigstens  annahernd  genesen  zu 
sein,  da  war  es  nur  das  letzte  Aufflak- 
kern  eines  dem  baldigen  Tode  unwider- 
ruflich  Verfallenen.  Ein  Lungenleiden 
kam  dazu  und  machte  dem  Leben  des 
Mannes,  der  ein  besseres  Los  verdient 
hatte,  ein  schnelles  Ende. — Seine  Stelle 
ist  noch  unbesetzt;  der  Aspiranten  sol- 
len  viele  sein.  — 

Wie  vieler  Hoffnungen  der  bevorste- 
hende  Abgang  des  Superintendenten  Dr. 
Boone  erfiillt,  wie  vielen  er  solche  zer- 
stort  haben  mag,  davon  merkt  man 
nichts.  Alles  ist  ruhig,  um  so  mehr  als 
der  Schulschluss  vor  der  Tiire  steht  und 
kein  Zweifel  dariiber  zu  herrschen 
scheint,  dass  ein  Systemwechsel  im  all- 
gemeinen  zu  den  beschlossenen  Dingen 
gehort.  Personenwechsel  werden  allem 
Anscheine  nach  keine,  oder  nur  sehr  we- 
nige  eintreten.  Ob  nun  alle  diejenigen 
im  Rechte  sind,  die  mit  Stauffacher  sa- 
gen:  ,,von  einer  grossen  Furcht  sind  wir 
befreit",  das  wird  sich  ja  wohl  zeigen, 
wenn  wir  im  Herbst  wieder  gesund  zu- 
sammenkommen. 

Die  am  28.  Mai  im  deutschen  Oberleh- 
rerverein  stattgefundene  Vorstandsneu- 
wahl  ergab:  Prasident,  F.  W.  Strubbe; 
Vizeprasident,  Erich  Bergmann;  Sekre- 
tar,  F.  J.  Keller;  Schatzmeister,  Max 
Reszke.  In  derselben  Versammlung  wur- 
de  bschlossen,  die  neueste  deutsche 
Rechtschreibung  allmiihlich  einzufuhren, 
sowie  in  alien  Schulen,  wo  Zeit  und  Um- 
stande  es  gestatten,  besondere  Sprech- 
und  Sprachiibungsstunden  zu  veranstal- 
ten,  eine  Massregel,  die  hier  und  dort 
bekanntermassen  nicht  vom  tfbel  sein 
diirfte,  teils  dieser-  und  teils  jenerhalb. 

quidam. 


Milwaukee. 

Sollst  mir  nicirt  lange  klagen, 

Was  alles  dir  wehe  tut; 

Nur  frisch,  nur  frisch  gesungen! 

Und  alles  wird  wieder  gut. 

Unarnisso. 

Der  Gesangunterricht  in  der  Volks- 
schule.  Die  Wichtigkeit,  ja  Notwendig- 
keit  dieses  Unterrichtsfaches  wird  im- 
mer noch  nicht  geniigend  anerkannt,  und 
daruni  schenkt  man  ihm  oft  nicht  die  ge- 
niigende  Aufmerksamkeit,  raumt  ihm 
nicht  die  notige  Zeit  ein  oder  erteilt  ihn 
in  ganz  verkehrter  Weise.  Der  Gesang- 
unterricht wird  ja  leider  auch  zu  den 
,,ornamental  studies"  gerechnet  und  so- 
mit  vielfach  als  ganz  entbehrlich  ange- 
sehen;  doch  wie  wichtig  und  wie  frucht- 
bringend  ist  dieser  Unterricht,  wenn  er 
recht  erteilt  wird.  Palmer  sagt  in  sei- 
nem  Werke  iiber  Erziehung:  ,,Die  Mu- 
sik  ist  schon  an  sich  ein  edler  Genuss, 
ein  reicher  Schmuck  des  armen  Lebens, 
und  darum  muss  die  Tonkunst  hoch  an- 
geschlagen  werden.  Welch  unerschopfli- 
che  Quelle  von  Freude,  von  reiner  nie 
versiegender  Lust  ist  demjenigen  ver- 
schlossen,  der  fiir  die  Musik  kein  Ohr 
hat.  Gewiss,  wenn  es  Sache  vaterlicher 
Liebe  ist,  den  Kindern,  wie  die  Schrift 
sagt,  gute  Gaben  zu  geben,  so  ist  die  mu- 
sikalische  Bildung  der  Kinder  in  der 
Schule  gewiss  unsere  Pflicht,  und  wahr- 
lich  nicht  die  geringste."  Und  unser  ge- 
schatzter  Landsmann  Carl  Schurz  sagt: 
,,Die  Musik  hat  viele  erhoben;  aber  sie 
hat  noch  niemand  erniedrigt;  durch  sie 
ist  noch  niemand  zum  Schlechten  ver- 
fiihrt  worden.  Sie  mag  Gefiihle  erre- 
gen,  ja  Leidenschaften  entflammen,  aber 
immer  nur  die  edlen.  Die  Musik  ist  die 
reinste,  die  tugendhafteste  aller  Kiinste. 
Sie  erhebt  uns  von  dem  Gemeinen  hin- 
auf  zu  dem,  was  iiber  uns  schwebt.  Sie 
ist  die  Stimme  des  Unaussprechlichen, 
die  Farbe  des  Unfehlbaren.  Ihr  Gruss 
lasst  keinen  Flecken,  keine  Reue  zuruck. 
In  ihr  finden  sich  die  Menschen  in  ihren 
reinsten  Empfindungen  vereinigt."  Ist 
das  nicht  ein  schones  und  zugleich  wah- 
res  Loblied,  das  der  edlen  Musika,  wie 
Luther  sie  nannte,  gesungen  wird?  Na- 
tiirlich  kommt  fiir  die  Schule  zunachst 
nur  die  Vokalmusik  in  Betracht. 

Auch  hier  in  Milwaukee  wird  der  Ge- 
sangunterricht noch  nicht  so  betrieben. 
wie  er  sollte;  da  ist  zu  viel  Theorie  und 
zu  wenig  wirklicher  Gesang;  da  ist 
chart  reading,  music  reading,  exercises, 
cultivation  of  voice  und  was  noch  alles 
mehr  an  hochtonenden  Phrasen;  da  ist 
do,  re,  me,  fa,  sol,  —  und  solcher  Hum- 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


bug  mehr,  als  ob  man  die  Kinder  zu 
Opernsangern  ausbilden  wollte.  Da  mils- 
sen  einem  die  armen  Kinder  dauern,  de- 
nen  man  statt  des  Brotes  einen  Stein 
reicht.  Der  Schulrat  hat  sich  schon  den 
ganzen  Winter  herumgezankt  und  dispu- 
tiert  und  debattiert  tiber  ein  passendes 
Liederbuch  ( music  reader ) ,  als  wenn 
das  die  Hauptsache  beim  Singen  ware. 
Irgend  ein  Buch  ist  gut,  wenn  es  nur 
recht  viele  gute,  patriotische  Volkslieder 
hat,  und  daran  ist  ja  wahrlich  kein 
Mangel.  Die  meisten  davon  sind  ja 
deutschen  Ursprungs,  sowohl  Text  wie 
Melodie,  wenn  sie  auch  ein  englisches 
Kleid  angezogen  haben.  Ein  rechter  Ge- 
sanglebrer  weiss  sich  bald  zu  helfen,  die 
Me!odie  wird  vorgespielt  oder  vorgesun- 
gen  und  die  Kinder  haben  sie  bald  im 
Ohr,  und  gut  ist's,  wenn  sie  den  Text 
auch  im  Gedachtnis  haben.  Aber  singen 
wollen  sie,  nur  qualt  sie  nicht  mit  ex- 
ercises. ,,Ich  singe,  wie  der  Vogel  singt, 
der  in  den  Zweigen  wohnet."  So  sangen 
die  alten  Siinger.  Arion,  der  ,,Tone  Mei- 
ster"  und  alle  die  fahrenden  Sanger  im 
Altertum  haben  weder  Noten  noch  Text 
gehabt.  Darum  gebt  den  Kindern  Lie- 
der,  lasst  sie  singen.  Singe,  wem  Ge- 
sang  gegeben!  Lasst  uns  den  Kindern 
etwas  geben  fiir  Herz  und  Gemiit;  sie 
bekommen  ohnehin  genug  fiir  Kopf  und 
Verstand.  Nur  frisch,  nur  frisch  gesun- 
gen,  und  alles  wird  wieder  gut,  sagt 
Chamisso.  Wie  wahr  sagt  er!  Wenn 
der  Lehrer  unter  seiner  Last  fast  zusam- 
men  brechen  will,  wenn  er  den  Himmel 
pechschwarz  ansieht  und  er  fast  verzwei- 
feln  mochte  bei  seiner  Arbeit  —  schnell 
ein  Lied  frisch  und  frohlich  mit  der 
Klasse  gesungen,  und  alles  ist  wieder 
gut!  Ja  die  Musik  ist  eine  edle,  hehre 
und  kostliche  Gottesgabe.  Wer  nicht 
singen  kann,  ist  fast  so  schlimm  daran 
wie  der  Stumme.  Musik  und  Gesang 
verschonern  das  Leben,  sie  lassen  den 
Armen,  den  Arbeiter,  den  Elenden  seine 
Mtihe,  Plage  und  Elend  vergessen  und  er- 
heben  ihn  von  der  Erde  zu  den  Hb'hen 
des  Himmels.  Sollte  also  nicht  die 
Volksschule  die  dringende  und  zwingen- 
de  Pflicht  haben,  die  Kinder  des  Volks, 
die  Kinder  der  Arbeiter  mit  der  edlen 
Gabe  des  Gesanges  auszuriisten  fiir  ihr 
spateres  Leben?  Die  Volksschule  soil 
doch  der  Masse  des  Volks  dienen,  sie  soil 
das  grdsste  Gut  der  grossten  Masse  ge- 
ben, das  ist  echt  demokratisch.  Die  Rei- 
chen  konnen  ihre  Kinder  privatim  in 
Musik  und  Gesang  ausbilden  lassen; 
nicht  so  die  Armen.  Aber  leider  werden 
die  Volksschulen  oft  den  Bediirfnissen 
der  Reichen  und  nicht  der  Armen  ange- 
passt;  man  sieht  sie  als  Vorbereitungs- 
anstalten  fiir  Hochschulen,  Colleges  und 
Universitiiten  an,  was  sie  aber  nicht  sind 
und  nicht  sein  sollen.  A.  W. 


New  York. 

Der  Aufforderung,  uber  den  gegenicdr- 
tigen  Stand  oder  die  Aussichten  fur  den 
deutschen  Unterricht  in  New  York  zu 
berichten,  ware  ich  langst  zuvorgekom- 
men,  wenn  nur  etwas  zu  berichten  ware. 
Wir  stehen  heute  noch  auf  demselben 
Standpunkte  wie  vor  f iinfMonaten,  nam- 
lich  auf  dem  des  ,,Nichts  Gewisses  weiss 
man  nicht".  Unter  dem  ,,man"  bitte  ich 
aber  nicht  nur  die  deutschen  Lehrer  zu 
verstehen,  denn  auch  die  Behorden  wis- 
sen  Bestimmtes  immer  nur  fiir  einen  ge- 
wissen  Tag  oder  hb'chstens  eine  Woche. 
In  der  nachsten  Woche  ist  wieder  alles 
iiber  den  Haufen  geworfen  und  neue 
ttberraschungen  stehen  in  Aussicht.  Zur 
Zeit  meines  letzten  Berichtes  war  im 
Rate  der  Superintendenten  beschlossen, 
den  deutschen  Unterricht  im  neu  zu  be- 
griindenden  8.  Jahre  des  Kursus  obliga- 
torisch  zu  machen  und  taglich  40  Minu- 
ten  darauf  zu  verwenden.  Es  wurde  uns 
aber  auch  in  Aussicht  gestellt,  dass  der- 
selbe  fakultativ  auch  im  7.  Jahre  erteilt 
werden  wiirde.  Vor  zwei  Monaten  wur- 
de uns  mitgeteilt,  nur  das  8.  Schuljahr 
?ei'verfiigbar,  da  aber  obligatorisch,  aus- 
genommen  in  den  wenigen  (ca.  19) 
Schulen,  wo  jetzt  franzosischer  Unter- 
richt erteilt  wird.  Der  Verein  deutscher 
Lehrer  antwortete  darauf  damit,  dass  er 
1 )  eine  Petition  einschickte,  in  der  er  ge- 
gen  die  beabsichtigte  Beschriinkung  pro- 
testierte,  und  2)  dass  er  eine  Agitation 
ins  Werk  setzte,  um  das  in  den  Verei- 
nen  reprasentierte  Deutschtum  zu  veran- 
lassen,  sich  dem  Proteste  der  deutschen 
Lehrer  anzuschliessen.  ftber  350  Vereine, 
eine  Mitgliederzahl  von  beinahe  80,000 
Biirgern  reprasentierend,  haben  sich 
jetzt  schon  dem  Proteste  angeschlossen, 
und  noch  immer  laufen  taglich  zahlrei- 
che  Petitionen  um  Ausdehnung  auf  das 
7.  Schuljahr  bei  dem  Schulrate  ein.  Su- 
perintendent W.  H.  Maxwell  erkennt 
,,the  wide  public  demand"  an,  und  trotz- 
dem  hat  der  Rat  der  Superintendenten 
in  der  letzten  Woche  den  friiheren  Be- 
schluss  riickgangig  gemacht  und  em- 
pfiehlt  dem  Schulrate,  es  den  Schiilern 
des  8.  Jahres  zu  iiberlassen,  ob  sie 
Deutsch,  Franzosisch,  Lateinisch  oder 
Stenographic  nehmen  wollen.  Sup.  Max- 
well ernannte  ein  Komitee,  bestehend  aus 
Frl.  Constantini  und  den  Herren  Bau- 
meister,  Herzog,  Kutner,  Ohmstede  und 
Scholl,  um  einen  ,,Syllabus" .  f  iir  das  8. 
Schuljahr  auszuarbeiten.  Das  Komitee 
beendigte  seine  Arbeiten  und  reichte  sei- 
nen  Bericht  am  14.  Mai  ein.  Nach  die- 
sem  Syllabus  sollte  vom  September  an 
unterrichtet  werden.  Gestern  aber  sagte 
mir  ein  Superintendent,  dass  in  bezug 
auf  das  8.  Jahr  alles  noch  im  unklaren 
sei,  der  deutsche  Unterricht  also  auch  im 


Umscbau. 


225 


nachsten  Jahre  im     bisherigen  Umfange 
welter  werde  gegeben  werden. 

Auch  die  Frage  desDirektors  des  deut- 
schen Unterrichtes  ist  in  den  letzten  3 
Wochen  auf  dreierlei  Weise  behandelt 
worden.  In  der  ersten  ,,dachte  man" 
gar  nicht  an  einen  solchen;  in  der  zwei- 
ten  wurden  Verhandlungen  mit  einer 
ganz  bestimmten  Person  gepfiogen  und 
in  der  dritten  wartet  man  wieder  auf 
die  weitere  Entwickelung.  Das  Amt  ei- 
nes  Berichterstatters  ist  demnach  ein 
sehr  schwieriges.  Schwieriger  aber  noch 
ist  die  Lage  der  deutschen  Lehrer  an 
den  Elementarschulen,  wegen  der  so 
lange  andauernden  Unsicherheit.  Zu  be- 
dauern  sind  sie  um  so  mehr,  als  sie  wah- 
rend  des  ganzen  Jahres  weder  Zeit  noch 
Miihe,  nochKosten  gescheut  haben,  ihren 
gewiss  bescheidenen  Forderungen  Gel- 
tung  zu  verschaffen.  Schon  vor  einem 


Jahre  wiesen  sie  in  einem  vom  damali- 
gen  Prasidenten  L.  B.  Bernstein  verfass- 
ten  Pamphlet*)  die  Berechtigung  des 
deutschen  Unterrichtes  in  den  Elemen- 
tarschulen nach.  In  den  letzten  beiden 
Monaten  aber  haben  sie  die  ganzen 
recht  betrachtlichen  Kosten  der  Agita- 
tion allein  getragen  und  haben  sie  gern 
getragen.  Ihr  Lohn  sollte  in  der  Ge- 
wahrung  ihrer  Forderungen  bestehen. 
Noch  ist  nicht  alle  Hoffnung  auf  Erfolg 
geschwunden.  Hoffen  wir,  dass  wir  den 
Teilnehmern  am  Lehrertage  in  Erie 
f reudigen  Herzens  zurufen  konnen :  ,,Der 
Max  bringt  gute  Zeichen  mit." 

C.  Herzog. 


*)  Die  P.  M.  wiesen  seinerzeit  auf 
dies  hochbedeutende  Schriftstuck  hin.  — 
D.  R. 


III.     Umschau. 


Vom  Lehrertage.  Die  Vorbereitungen 
fiir  den  diesjahrigen  Lehrertag  schreiten 
rtistig  vorwarts,  und  eine  erfolgreiche 
Tagung  scheint  gesichert.  Das  Pro- 
gramm  ist  vielseitig  und  wird  darum 
f  ilr  alle  Besucher  gleich  interessant  sein. 
In  Erie  selbst  ist  man  emsig  an  der  Ar- 
beit, die  Gaste  wiirdig  zu  empfangen  und 
zu  unterhalten,  da  von  gibt  folgender 
Ausschnitt  aus  einem  dortigen  Blatte 
geniigend  Zeugnis: 

,,Wenn  die  Deutschen  zusammenhal- 
ten,  konnen  sie  irgend  etwas  fertig  brin- 
gen.  Vor  drei  Jahren  haben  sie  hier  ein 
Gesangfest  gehabt,  dessen  sie  sich  gewiss 
nicht  zu  schamen  brauchten.  Zwei  Wo- 
chen nach  dem  Fest  waren  alle  Rechnun- 
gen,  welche  durch  dasselbe  kontrahiert 
wurden,  bezahlt,  und  obschon  einzelne 
Personen  grosse  Opfer  bringen  mussten, 
sind  sie  doch  mit  seltener  Bereitwillig- 
keit  ihren  Verpflichtungen  gerecht  ge- 
worden,  und  haben  gewissen  Grosstadten 
ein  glanzendes  Beispiel  gegeben,  wie  es 
bei  solchen  Veranstaltungen  gemacht 
werden  sollte.  Nun  ist  unserer  Stadt 
die  ehrenvolle  Aufgabe  zugefallen,  die 
deutschamerikanischen  Lehrer  im  kom- 
menden  Sommer  wahrend  ihrer  Jahres- 
konvention  zu  unterhalten,  und  auch 
diese  Aufgabe  ist  mit  Freudigkeit  und 
seltener  Opferwilligkeit  aufgenommen 
worden.  Mit  fester  Zuversicht  ging  das 
betreffende  Komitee  an  die  Arbeit,  und 
schon  nach  wenigen  Tagen  hatte  es  mehr 
Geld,  als  Herr  G.  G.  v.  d.  Groben  im 
ersten  Voranschlag  fur  notwendig  Melt. 


Aber  es  soil  noch  mehr  gesammelt  wer- 
den, gerade  genug,  damit  das  Komitee 
nicht  geizig  zu  sein  braucht,  wenn  es 
sich  darum  handelt,  den  Giisten  dieStadt 
von  der  besten  Seite  zu  zeigen.  Bei  die- 
ser  Angelegenheit  darf  nicht  vergessen 
werden,  dass  auch  unsere  amerikani- 
schen  Mitbiirger  sich  von  der  besten 
Seite  zeigten,  wofiir  ihnen  Dank  ge- 
biihrt." 

New  York.  In  einem  Artikel  mit  der 
Oberschrift:  ,,Ein  Sieg  der  Luge"  stellt 
die  ,,New  Yorker  Staatszeitung"  den 
dortigen  Schulsuperintendenten  Maxwell 
an  den  Pranger  als  einen  intriguanten 
Heuchler,  dessen  Wort  keinen  Glauben 
mehr  verdiene.  Seit  einem  Jahre  habe 
HerrMaxwell  fortwahrend  beteuert,  dass 
er  ein  Freund  des  deutschen  Unterrichts 
sei  und  dass  er  wunsche,  dass  er  fiir 
das  achte,  also  das  letzte  Schuljahr,  ob- 
ligatorisch  gemacht  werde.  Zehn  Tage 
vor  der  jiingsten  Stadtwahl  sei  er  sogar 
ungefragt  und  ungebeten  in  der  Redak- 
tion  der  ,,Staatszeitung"  erschienen,  um 
ihr  zu  versichern,  dass  er  stets  fiir  den 
deutschen  Unterricht  eintreten  werde. 
Die  letzte  Schulratssitzung  aber,  welche 
am  vorigen  Mittwoch  stattfand,  habe  den 
Beweis  geliefert,  dass  die  Freunde  des 
deutschen  Unterrichts  systematisch  und 
absichtlich  belogen  worden  seien.  Es  ha- 
be sich  dabei  herausgestellt,  dass  Su- 
perintendent Maxwell  und  seine  Assis- 
tenten  bereits  am  4.  Mai  beschlossen 
hatten,  den  deutschen  Unterricht  nur 
fakultativ  zu  machen.  Man  habe  ferner 


226 


P'ddagogische  Monatsbefte. 


in  jener  Sitzung  den  Eindruck  zu  ereek- 
ken  versucht,  als  ob  nur  ein  paar  deut- 
sche  Gesang-  und  Schiitzenvereirie  dafiir 
eingetreten  seien,  dass  der  deutsche  Un- 
terricht  im  achten  Schuljahr  obligato- 
risch  gemacht  werde,  wahrend  tatsach- 
lich  320  Petitionen,  welche  das  anstreb- 
ten  und  verlangten,  eingelaufen  seien, 
darunter  solche  von  der  Universitat  Co- 
lumbia, der  Universitat  von  New  York 
und  anderen  hervorragenden  Kb'rper- 
schaften.  Maxwell  habe  jenes  Verspre- 
chen  nur  gegeben,  um  eine  starkere  Agi- 
tation zu  Gunsten  des  Projektes  zu  ver- 
hiiten.* 

Den  Roman  ,,0nkel  Toms  Hiitte"  ist 
von  dem  Katalog  der  New  Yorker  Schul- 
bibliotheken  gestrichen  worden  unter  der 
Begriindung,  dass  das  Buch,  dem  jeder 
geschichtliche  Wert  abgeht,  seinenZweck 
erfiillt  hat  und  jetzt  nur  geeignet  ist, 
den  Parteihader  zu  schiiren. 

Madison.  Der  Verwaltungsrat  der 
Staatsuniversitat  von  Wisconsin  er- 
wahlte  nach  langen  Beratungen  Prof. 
Charles  R.  Van  Rise  zum  Prasidenten 
der  Universitat.  Derselbe  ist  an  der  An- 
stalt  seit  dem  Jahre  1892  tatig;  er  ist 
Professor  der  Geologie  und  hat  sich 
durch  seine  Forschungen  in  der  Gelehr- 
tenwelt  einen  grossen  Namen  erworben. 

Welche  Schreibweise  der  Kaiser  will. 
In  einem  Erlass  der  Kolonialabteilung 
des  Auswartigen  Amtes  an  das  Gouver- 
nement  von  Deutsch-Ostafrika  werden 
bestimmte  Wiinsche  des  Kaisers  mit  Be- 
/ug  auf  die  Schreibweise  in  amtlichen 
Berichten  in  folgender  Form  zur  Kennt- 
nis  gebracht:  ,,Seine  Majestat  der  Kai- 
ser und  Konig  haben  anlasslich  eines 
Spezialfalles  zu  befehlen  geruht,  dass 
die  Berichterstatter  sich  einer  kurzen 
und  klaren  Schreibweise  befleissigen  sol- 
len.  Seine  Majestat  wiinschen  insbe- 
sondere  lange,  schleppende  Siitze  und 
Einschachtelungen,  sowie  das  Stellen  des 
Zeitwortes  am  Ende  des  Satzes  vermie- 
den  zu  sehen."  Der  Erlass  verweist 
dann  als  auch  fiir  die  koloniale  Korre- 
spondenz  geltend  auf  das,  was  v.  Konig 
in  seinem  Handbuch  des  Deutschen  Kon- 
sularwesens  sagt:  ,,Demgemass  soil  der 
Ausdruck  in  der  konsularischen  Korre- 
spondenz  klar  und  einfach,  gemessen 
und  ernst  sein,  sich  von  jed&m  Niedrigen 
wie  von  rhetorischem  Pathos  fern  hal- 
ten.  Unniltze  Umschreibungen  und  Bei- 
wb'rter,  gesuchte  Ausdriicke  und  Fremd- 
worter  einerseits,  Gemeinplatze  ander- 
seits  sind  fernzuhalten.  Lange  Perioden 

*)  Siehe  auch  Korrespondenz  aus 
New  York. 


erschweren  oft  das  Verstandnis  und  sind 
daher  zu  vermeiden." 

Die  preussische  Lehrerschaft  betrauert 
den  Hinschied  desAbgeordneten  Knorcke 
(t  31,  III.)*  der  im  Landtag  die  Inter- 
essen  der  Lehrerschaft  so  oft  und  warm 
(s.  Z.  gegen  Treitschke)  verteidigte. 

Schweiz.  Am  Schlusse  des  Sommerse- 
mesters  findet  in  Zurich  (erste  Halite 
des  August)  ein  Ferienkursiis  fiir  Leh- 
rer  statt.  Folgende  Fachergruppen  sind 
in  Aussicht  genommen:  1.  Biologische 
Gruppe:  Botanik  und  Zoologie  (Vorle- 
sungen  und  ttbungen).  2.  Chemie  und 
Physik  (id.).  3.  Sprachliche  Gruppe: 
a)  fiir  deutschsprechende  Kandidaten: 
Ausgewahlte  Kapitel  aus  der  deutschen, 
franzb'sischen  und  englischen  Literatur. 
Im  Franzb'sischen  Phonetik  und  Dikti- 
on.  b)  fiir  fremdsprachliche  Kandida- 
ten: Vorlesungen  und  (Jbungen  (Phone- 
tik, Diktion)  in  der  deutschen  Sprache 
und  Literatur.  4.  Allgemeine  Kurse  fiir 
Teilnehmer  aller  Gruppen:  Vorlesungen 
aus  dem  Gebiete  der  experimentellen  Pa- 
dagogik,  Schweizerische  Politik  im  19. 
Jahrhundert. 

Danemark.  Der  Folkething  (Landtag) 
hat  nunmehr  das  neue  Schulgesetz  ange- 
nommen.  Nach  diesem  Gesetz  wird  das 
gesamte  offentliche  Bildungswesen  neu 
organisiert  und  zwar  in  der  Weise,  dass 
die  Volksschule  die  Grundlage  bildet, 
auf  dieselbe  sich  die  sog.  Jugendschule 
(Mittelschule)  aufbaut  und  an  diese  sich 
die  Hochschule  anschliesst.  Wer  die 
Volksschule  durchgemacht  hat  und  nicht 
in  die  Mittelschule  eintreten  will,  kann 
noch  eine  einjahrige  Fortbildungsklasse 
besuchen,  in  welcher  besonders  in  sol- 
chen  Fachern,  die  fiir  die  praktische 
Ausbildung  der  Schiiler  Bedeutung  ha- 
ben, unterrichtet  wird.  Durch  dieses  Ge- 
setz hat  die  Volksschule  eine  weit  ho- 
here  Bedeutung  erhalten,  als  bisher,  und 
es  marschiert  nun  Diinemark  hinsicht- 
lich  einer  zeitgemassen  Schulorganisa- 
tion  an  der  Spitze  der  Kulturlander. 

England.  Am  26.  Marz  trat  offiziell, 
1.  April  tatsiichlich  die  Education  Bill 
von  1902  in  Kraft,  deren  Tragweite  da- 
rin  besteht,  dass  alle  Schulen,  Elemen- 
tar-  und  Mittelschulen,  Gemeinde-  oder 
freiwillige  Schulen  in  jeder  Grafschaft 
und  in  jeder  Stadt  (county  boroughs) 
einer  und  derselben  Behorde  der  Graf- 
schaft oder  der  Stadt  unterstellt  und  der 
Staatshilfe  teilhaftig  werden.  Die  kiirz- 
lich  zur  Leitung  der  Schulen  eingesetz- 
ten  Educational  Committees  (61  in  den 
Counties;  68  in  County  Boroughs)  be- 
stehen  aus  17  bis  56  Mitgliedern.  In 
den  meisten  derselben  ist  der  Lehrer- 


Umschau. 


227 


schaft  eine  Vertretung  mit  voller  Stim- 
me  zugestanden  worden.  Der  ganze 
Lehrkorper  der  Elementarschule,  die  un- 
ter  die  Leitung  der  neuen  Behorden 
tritt,  umfasst  in  England  und  Wales 
153,696  Personen:  37,052  Manner  und 
Knaben,  116,644  Frauen  und  Madchen. 
Patentiert  sind  65,401  erwachsene  Lehr- 
kriifte;  daneben  wirken  35,714  Lehrschii- 
ler,  34,625  ehemalige  Lehrschiiler  und 
17,956  Madchen  oder  Frauen,  die  keinen 
andern  Ausweis  fur  die  Lehrbefahigung 
haben,  als  dass  sie  nach  dem  Urteil  des 
Inspectors  ,,presentable"  Personen  und 
mit  Erfolg  geimpft  sind.  Diese  nicht 
vorbereiteten  Lehrkrafte  durch  ausgebil- 
dete  Lehrkrafte  zu  ersetzen,  wird  eine 
der  ersten  Aufgaben  sein,  deren  Erfiil- 
lung  das  (jesetz  von  1902  den  neuen 
Schulbehorden  iiberbindet. 

England.  34-  Jahresversammlung  der 
National  Union  of  Teachers.  Das  wich- 
tigste  Ereignis  auf  dem  Gebiete  der 
Schule  in  England  war  die  34.  Jahres- 
versammlung der  englischen  Lehrer 
wahrend  der  Osterwoche  in  Buxton.  Die- 
selbe  war  durch  iiber  2000  Delegierte  be- 
schickt,  darunter  600  Damen  und  130 
Vertreter  Londons.  Die  Vereinigung 
zahlt  47,326  Mitglieder.  Es  war  ein 
gliicklicher  Umstand  zu  nennen,  dass 
diese  grosse,  angesehene  Korperschaft  so 
unmittelbar  nach  Einbringung  der  neuen 
Vorlage  im  Parlament  vor  dem  ganzen 
Lande  Stellung  dazu  nehmen  konnte. 
Mr.  H.  Coward  ( Bristol ) ,  der  neue  Pra- 
sident,  wies  in  seiner  Eroffnungsrede  auf 
die  Bedeutung  dieser  Tatsache  hin  und 
°agte,  dass  das  offentliche  Interesse  nie- 
mals  wahrend  der  Geschichte  ihrer  Ver- 
einigung so  auf  die  Erziehungsfrage  ge- 
richtet  gewesen  sei  als  jetzt.  Wahrend 
der  Redner  auch  das  Gute  an  dem  Ge- 
setz  vom  vorigen  Jahre  anerkannte,  ver- 
urteilte  er  die  neue  Vorlage  ganz  und 
gar.  Ganz  besonders  ging  er  dagegen 
vor,  dass  den  Borough  Councils  die  Ver- 
waltung  der  Schule  iibertragen  werde. 
Dieselben  seien  dafiir  nicht  geeignet. 
tteberdies  seien  sie  schon  mit  anderen 
Geschaften  uberlastet.  Die  Anstellung 
der  Lehrer  wiirde  nicht  auf  Grund  er- 
ziehlicher  Erwagungen,  sondern  lokaler 
Einfliisse  geschehen.  Das  Gesetz  miisse 
zur  Apathie  gegen  Londons  Erziehung 
fiihren.  Was  immer  fur  eine  Ansicht  die 
Konferenz  auch  gewinne,  kein  System 
konne  gutgeheissen  werden,  welches 
nicht  eine  direkt  gewahlte  Autoritat  fur 
ganz  London  schaffe,  die  sich  aus- 
schliesslich  der  Verwaltung  eines  ganzen 
einheitlichen  Erziehungssystems  widme. 
Hierauf  ging  der  Redner  zu  der  Frage 
der  Vorbildung  des  Lehrers  iiber.  Zu- 
nachst  bemerkte  er,  dass  man  an  Stelle 


des  getadelten  Systems,Praparanden  mit 
dem  Unterricht  der  Kinder  zu  betrauen, 
bisher  noch  nichts  besseres  gefunden  ha- 
be.  Dann  riigte  der  Redner  die  Unzu- 
langlichkeit  der  Seminarien  (Training 
Colleges).  Gegenwartig  seien  nur  2221 
Platze  fur  mannliche  und  3669  fur  weib- 
liche  angehende  Lehrer  vorhanden.  In- 
folgedessen  seien  von  den  in  diesem 
Jahre  mit  Erfolg  Gepriiften  von  den 
ersteren  1202  und  von  den  letzteren  6038 
von  der  Seminarbildung  ausgeschlossen. 
Von  den  45  bestehenden  Internaten  seien 
35  ausschliesslich  anglikanisch  oder  ro- 
misch-katholisch,  was  dem  System  der 
nationalen  Erziehung  entgegen  wirke. 
Die  Aussichten  fur  das  Aufsteigen  im 
Amte  milssten  besser  sein,  und  es  diirfe 
den  Lehrer  keine  kiinstliche  Barri&re 
hindern,  zu  einer  andern  Form  von  Schu- 
le iiberzugehen,  fiir  welche  er  sich  eigne. 

Une  id&e  vraiment  franqaise.  In  Nr. 
12  (21.  Marz  1903)  des  ,,Manuel  ggnGral 
de  1'instruction  primaire"  macht  ein 
Schulinspektor  Mitteilung  von  einer  selt- 
samen  Einrichtung,  die  er  getroffen  hat, 
um  den  Moralunterricht,  dieses  Schmer- 
zenskind  der  franzosischen  Volksschule, 
zu  heben  und  zu  beleben.  Er  hat  nam- 
lich  ein  ,,goldenes  Buch"  gegriindet,  in 
das  alle  von  einem  Kind  ausgefiihrten 
schb'nen  Taten  eingetragen  werden  sol- 
len.  Jeder  Lehrer  und  jede  Lehrerin 
seines  Inspektionskreises,  die  Kenntnis 
von  einer  solchen  Tat  erhalt,  1st  ver- 
pflichtet,  ihm  dariiber  einen  kurzen  Be- 
richt  einzusenden,  in  dem  das  Ereignis 
selbst  und  die  naheren  Umstande  seines 
Verlaufs  geschildert,  sowie  Name  und 
Alter  des  Kindes  angegeben  sind.  Die- 
ser Bericht  wird  vervielfaltigt  und  an 
alle  Schulen  seines  Bezirks  geschickt. 
Die  Lehrer  und  Lehrerinnen  bezw.  der 
E,ektor  lesen  ihn  darauf  der  versammel- 
ten  Schule  vor  und  tragen  ihn  in  das 
,,goldene  Buch"  ein,  das  jede  Schule  er- 
halt und  das  Eigentum  derSchule  bleibt. 
Es  soil  dadurch  zweierlei  erreicht  wer- 
den: 1.  wie  oben  angegeben,  eine  Bele- 
bung  des  Moralunterrichts  durch  Heran- 
ziehung  von  Beispielen  aus  dem  Leben, 
und  2.  die  Nacheiferung,  die  emulation 
der  Schiller,  die  in  den  franzosischen 
Schulen  eine  so  grosse  Rolle  spielt.  — 

Russland.  Jedes  Jahr  wird  eine  ganze 
Anzahl  Bticher  von  der  Zensur  ver- 
brannt,  in  denen  sie  noch  nachtraglich 
Gedanken  aufspiirt,  die  ihrer  Meinung 
nach  sich  nicht  ganz  mit  den  Ansichten 
und  Bestrebungen  der  Regierung  in  Ein- 
klang  befinden.  Der  Scheiterhaufen  der 
Hauptpressverwaltung  hat  dieses  Jahr 
mehr  als  je  Nahrung  gehabt,  denn  wie 
die  Beamten  der  Verwaltung  selbst  zu- 
geben,  erreichte  die  Anzahl  der  noch 


228 


P'ddagogische  Monatsbefte.. 


nachtriiglich  als  schadlich  anerkannten 
Schriften,  die  dem  Feuer  uberliefert  wer- 
den,  einen  noch  kaum  dagewesenen  Um- 
fang.  Als  staatsgefahrlich  sind  unter 
anderem  auch  eine  Biographie  Viktor 
Hugos  und  der  erste  Band  der  Geschicbte 
der  franzosischen  Revolution  von  Louis 


Blanc  befunden  worden,  der  schon  vor 
dreissig  Jahren  in  russischer  Sprache  er- 
schienen  ist.  Aus  einem  grosseren  Wer- 
ke  iiber  die  Kooperationsbewegung  in 
Kussland  von  Prokopowitsch  hat  die 
Zensur  noch  nachtrJiglich  die  letzten 
sechs  Seiten  herausgeschnitten. 


IV.     Vermischtes. 


Kur  Beseitigung  der  Staubplage  in  den 
hbheren  LehranstaltenDeutschlands  sind 
jetzt  langere  Versuche  mit  sog.  Staubbl 
abgeschlossen  worden.  Der  Erfolg  ist  so 
gut,  dass  es  bei  der  wb'chentlich  zweima- 
ligen  griindlichen  Reinigung  der  Schulen 
bleiben  wird.  Wahrend  beim  Ausfegen 
der  Klassenraume  friiher  trotz  reichli- 
cher  Verwendung  von  nassen  Sagespanen 
grosse  Staubmassen  aufwirbelten  und 
Tische  und  Banke  mit  einer  dicken 
Staubschicht  bedeckten,  wird  der  Staub 
jetzt  durch  das  Staubol  gebunden  und 
am  Boden  f estgehalten ;  auch  sonst  wird 
die  Staubentwicklung  fast  vollstandig 
verhindert  und  die  Klassen  bieten  einen 
reinlicheren  und  angenehmeren  Anblick 
als  friiher.  Samtliche  Klassenfussbbden 
werden  kiinftig  viermal  im  Jahre  mit 
Staubol  geschmiert  werden.  Die  61ung 
der  Korridore  und  Treppen,  sowie  der 
Aulafussbbden  soil  nach  Bediirfnis  vor- 
genommen  werden. 

Geringe  Wider  stands  fahigkeit  der 
Lehrerinnen.  In  der  grossen  Debatte 
iiber  die  Madchengymnasien  fiihrte  Kul- 
tusminister  Dr.  Studt  iiber  die  Wider- 
standsfahigkeit  der  Lehrerinnen  gegen 
die  gesundheitsschadlichen  Einfliisse  des 
Schulamtes  folgendes  aus:  ,,Die  ttbel- 
stande,  die  mit  dem  Lehrerinnenberuf 
fiir  die  kb'rperliche  Verfassung  der  Leh- 
rerinnen verbunden  sind,  sind  bekannt; 
sie  geben  sich  in  der  Statistik  deutlich 
kund,  die  zahlenmassig  nachweist,  dass 
der  weibliche  Kbrper  den  Anstrengungen 
des  Lehrerberufes  weniger  gewachsen 
ist  als  der  mannliche.  Gegeniiber  den 
zum  Teil  auch  kb'rperlichen  Anstrengun- 
gen scheint  in  dem  weiblichen  Korper 
eine  geringere  Widerstandsfahigkeit  vor- 
handen  zu  sein.  Die  Lehrerinnen  sind 
anscheinend  namentlich  auch  weniger 
widerstandsfahig  gegen  die  schlechte 
Luft,  die  sich  in  den  Klassenzimmern 
entwickelt.  Wie  die  Arzte  Ihnen  besta- 
tigen  konnen,  ertragt  der  mannliche 
Korper  die  schlechte  Luftbeschaffenheit 
viel  besser  als  der  weibliche.  Da  helfend 
einzugreifen,  ist  Sache  der  Schulverwal- 
tung." 


Wann  werden  die  Steinkohlen  ausge- 
henf  Dass  es  hiezu  kommen  muss,  geht 
aus  dem  jahrlichen  Verbrauch  dieses 
Heizmaterials  hervor.  Nach  der  Gaa  be- 
trug  die  Jahresfb'rderung  an  Steinkohle 
im  Jahre  1900  700  Millionen  Tonnen.  Das 
wiirde  in  Doppelwagen  zu  10  Tonnen  auf 
ein  Eisenbahngeleise  gestellt  eine  Lange 
von  630,000  km.  oder  16  mal  den  Erdum- 
f  ang  geben.  So  enorm  ist  heute  die  Jah- 
resproduktion  an  Steinkohle.  Daran  be- 
teiligen  sich  hauptsachlich  folgendeStaa- 
ten  mit  den  beigesetzten  Betragen  in 
MillionenTonnen :  England  225,Deutsch- 
land  109,  Frankreich  33,  Belgien  23, 
Nordamerika  245. 

fiber  die  Zugehorigkeit  der  Bewohner 
unserer  Erde  zu  den  einzelnen  Religions- 
genossenschaften.  Zeller,  der  Vorstand 
des  statist.  Amtes  in  Stuttgart,  schatzt 
die  Zahl  samtlicher  Bewohner  unserer 
Mutter  Erde  auf  1,544,510,000.  Davon 
sind  Christen:  534,940,000,  Israeliten 
10,860,000,  Muhamedaner  175,290,000, 
anderen  religiosen  Bekenntnisses :  823,- 
420,000  und  zwar  scheiden  sich  dieselben 
in  300  Mill.  Anhanger  des  Konfutsius, 
214  Brahmanen  und  121  Mill.  Budd- 
histen.  Demnach  treffen  auf  1000  Men- 
schen  durchschnittlich  346  Christen,  7 
Israeliten,  114  Muhamedaner  und  533 
Angehb'rige  anderer  Religionen. 

Sie  hawwe  zu  hawwe.  Ein  Schiiler 
einer  hessischen  hoheren  Schule  brachte 
einst  einen  Thukydides  in  einer  anderen 
als  der  vorgeschriebenen  Ausgabe  mit. 
Als  der  Lehrer  ihn  darob  zur  Rede  stell- 
te,  entschuldigte  sich  der  Getadelte  mit 
der  Bemerkung,  er  habe  das  Buch  noch 
von  seinem  alteren  Bruder.  Wiitend 
schnaubte  ihn  da  der  gestrenge  Profes- 
sor an:  ,,Sie  hawwe  net  zu  hawwe,  was 
Se  hawwe,  Sie  hawwe  zu  hawwe,  was 
Se  zu  hawwe  hawwe!" 

Aus  dem  Anschauungsunterricht.  Leh- 
rer: ,,Wozu  habt  ihr  zu  Hause  einen 
Hund?"  Schiiler:  ,,Zum  Ziehen."  Leh- 
rer: ,,Wozu  noch?"  Schiiler:  ,,Er  spielt 
abends  den  Nachtwachter." 


BUcberbesprecbungen. 


229 


Derpddagogische  Spatz. 

Von  den  Examen. 

Pi-pip!    Nun  hab'  ich  sie  wieder  geseh'n, 
Die  Buben  all  und  die  Miidchen, 
Im  Sonntagsstaate  und  weisheitsschwer ! 
Und  alles  ging,  \vie  am  Riidchen, 
Scharf    blitzte    des    Lehrers    Auge    im 

Kreis, 

Die  Eltern  nickten  und  flusterten  leis, 
Es  giihnte  der  Herr  Visitator. 


Pi-pip!    Nicht  alles,   was   aufmarschiert, 
Schien  mir  nach  Echtheit  zu  schmecken; 
Oft  musste  der  Schein  den  wahrenStand, 
Das  Wort  die  Sache  verdecken! 
Mich  wundert,  dass  auf  so  leichte  Art, 
Man  Eltern  und  Schulbehorden  n . . .   — 
Ein  Spatz  sogar  konnte  es  merken — Pi- 
pip! 
( Schweizerische   Schulzeitung. ) 


Bucherschau. 


I.     Blicherbesprechungen. 


The  English  language.  An  Introduc- 
tion to  the  Principles  which  Govern  its 
Right  Use  by  Frederick  Manley  and  W. 
N.  Hailmann.  Boston,  C.  C.  Birchard  & 
Co.,  1903. 

Considering  the  hundreds  of  gram- 
mars, that  have  been  and  are  being 
thrown  upon  the  educational  market, 
one  is  apt  to  look  with  suspicion  on  the 
author  who  launches  the,  latest  and  best, 
language  book  upon  the  sea  of  text 
books  for  our  common  schools. 

The  authors  of  the  "English  Lan- 
guage" need  make  no  apology  for  their 
appearance  in  the  world  of  "Gram- 
mars"; their  faculty  of  inserting  the 
worn-out,  dry-as-dust  "grammar"  of  the 
old  school-master,  with  new  life  und  re- 
freshing interest  will  make  their  publi- 
cation welcome  to  the  teachers  as  well 
as  to  the  student. 

Technical  grammar  has  wisely  been 
introduced  rather  sparingly  and  inci- 
dentally, but,  instead  the  authors  have 
seen  fit  to  introduce  a  larere  number  of 
practical  exercise  tending  to  stimulate 
the  student  to  thought  and  awaken  in 
him  a  feeling  for  the  beautiful  in  our 
language. 

One  may  take  issue  with  the  authors 
regarding  the  emphasis  placed  upon  the 
philosophy  of  language  and  the  psycho- 
logy of  thought  expression  in  a  text 
book  intended  for  the  use  of  pupils  in 
grammar  grades,  but  the  manner  in 
which  their  intentions  have  been  carried 
out  is  surprisingly  interesting  and  lucid. 

Another  very  strong  feature  of  the 
book  is  its  refined  literary  and  poetic 
tone.  At  every  turn  the  learner  meets 
with  extracts  from  standard  authors, 
making  the  exercises  inspiring  and  sti- 
mulating and  adding  unto  its  value  as 
an  introduction  to  the  study  of  the  best 
in  English  literature. 


The  closing  pages  are  devoted  to 
"Composition";  a  most  excellent  treatise 
on  this  most  important,  and  at  the  same 
time  most  difficult  part  of  the  work  of 
the  practical  teacher  of  English. 

The  book  presents  many  new  ideas  both 
as  to  matter  and  method;  it  is  distinct- 
ively poetical,  it  has  a  lofty  purpose  and 
its  authors  have  not  once  swerved  from 
the  course  in  the  accomplishment  of 
their  aim. 

The  Laurel  Primer.  By  Wm.  N.  Hail- 
man.  Published  by  C.  C.  Birchard  &  Co. 

The  first  thing  that  strikes  the  reader 
of  ,,The  Laurel  Primer"  is  the  unusual 
torm  of  the  book,  it  being  much  larger 
and  more  elaborately  gotten  up  than  the 
ordinary  school-book.  A  wealth  of  il- 
lustrations, —  pictures  descriptive  of 
the  life  of  children,  is  a  strong  feature 
of  the  new  primer.  The  illustrations  by 
Marie  Estelle  Tufts  emphasize  the 
thought  contained  in  the  text,  and  in 
many  cases  the  printed  and  written  texts 
are  inserted  by  the  picture  thus  bringing 
the  word  and  the  thing  it  stands  for  into 
close  and  proper  proximity.  Mr.  Hail- 
man  is  to  be  congratulated  on  the  clever 
manner  in  which  he  combines  the  best 
elements  of  various  methods  of  teaching 
reading  —  the  "sentence  method,  word 
method",  and  the  old,  old  spelling  met- 
hods are  brought  into  service  in  this  new 
book.  "Alliteration",  a  prominent  char- 
acteristic of  the  earliest  literature  of  our 
race  is  a  strong  feature  of  Mr.  Hailman's 
text.  Possibly  to  much  stress  has  been 
laid  upon  "alliterativ  phrases"  as  to  sac- 
rifice an  easy  and  natural  flow  of  words 
in  the  first  lessons.  Choice  bits  of  chil- 
dren's literature,  jingles  from  Mother 
Goose  and  other  "rhymes"  lend  an  extra 
charm  to  this  altogether  novel  publica- 
tion. 


230 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


The  words  arranged  in  a  progressive  m 
manner  according  to  their  difficulty  have  «F 
been  chosen  from  the  actual  vocabulary  • 
of  the  child,  and  the  stories  will  be  found 
intensity  interesting  to  the  little  ones. 

The  ,,suggestions  to  teachers"  which 
accompany  the  book  contain  much  that 
will  benefit  the  practical  teacher".  The 
many  exercises  indicated  in  its  pages  are 
the  result  of  actual  experience  in  the 
class  room. 

We  are  confident  that  the  many  new 
and  fascinating  features  of  the  primer 
will  gain  for  it  a  large  circle  of  admirers. 

H.D.  H. 

Commercial  German.  A  complete 
course  for  use  in  Commercial  Schools 
and  in  the  Commercial  Courses  of  High 
Schools.  By  Arnold  Kutner,  High  School 
of  Commerce,  New  York.  New  York,  Cin- 
cinnati, Chicago,  American  Book  Co. 

A  growing  importance  is  attached  to 
commercial  education,  undoubtedly  due 
in  part  to  the  Spanish- American  War; 
high  schools  are  establishing  commercial 
courses,  universities  are  foundingSchools 
of  Commerce  (possibly  only  re-grouping 
subjects  long  since  taught) ,  the  National 
Government  has  heard  the  commercial 
cry  and  has  wisely  added  to  the  Cabinet 
a  portfolio  of  Commerce  and  Labor,  and 
not  to  be  outdone,  Professor  Kutner  has 
caught  the  spirit  of  the  age  and  has  pro- 
duced a  book  called  "Commercial  Ger- 
man". 

The  author's  plan  is  to  introduce  the 
student  to  the  foreign  language  by  means 
of  its  commercial  vocabulary,  presuppos- 
ing no  knowledge  of  German  beyond  an 
acquaintance  with  its  language-signs  and 
speech-sounds.  This  is,  1  fear,  some- 
thing that  cannot  be  easily  accomplished. 
Unless  the  teacher  is  very  alert,  the  re- 
sult might  be  a  swarm  of  "counter-jump- 
ers" who  could, with  little  self-confidence, 
talk  nothing  but  wool,  reciprocity,  and 
pork.  The  author  wisely  attempts  to 
combine  the  practical  features  with 
thoroughness  of  grammatical  discipline. 
In  Part  I  are  to  be  found  the  elements 
of  "commercial  German",  covering  about 
eighty  pages,  and  "grammar  tables", 
covering  something  over  thirty  pages, 
while  Part  II  consists  of  reading-selec- 
tions that  deal  with  German  business 
customs  and  institutions,  commercial 
correspondence,  documents,  advertise- 
ments, etc.,  and  of  an  ample  vocabulary. 
The  advertisements,  printed  in  the  Ger- 
man style,  will  have  a  curious  interest 
for  students.  The  commercial  corre- 
spondence partakes  very  much  of  the 
character  of  "ready -reckoners"  and  "let- 


tter-writers".  The  clerk,  when  about  to 
place  an  order  for  goods  or  to  acknowl- 
edge the  receipt  of  a  check,  can  turn  to 
the  proper  page  and  ptck  out  his  ready- 
made  form.  On  the  whole,  however, 
there  is  much  in  the  book  to  commend 
it.  The  author's  purpose  is  praiseworthy, 
and  the  material  he  has  compiled  is  in- 
structive and  interesting.  I  doubt,  how- 
ever, the  feasibility  of  the  plan.  The 
weak  point,  in  my  opinion,  lies  in  the 
attempt  to  start  with  commercial  Ger- 
man. If  students  could  have  one  or  two 
years  of  general  training  in  the  language 
before  taking  up  work  of  this  kind,  the 
result  would  be  far  more  satisfactory. 

How  to  Study  Literature.  A  guide  to 
the  intensive  study  of  literary  master- 
pieces. By  Benjamin  A.  Heydrick,  A.  B. 
(Harv.),  Professor  of  English  Litera- 
ture, State  Normal  School,  Millersville, 
Pa.  Hinds  &  Noble,  New  York. 

The  fundamental  principle  of  the  au- 
thor is  sound,  namely,  that  the  aim  of 
literary  study  is  the  appreciation  and  en- 
joyment of  a  literary  masterpiece,  and  he 
states  that  the  purpose  of  his  manual  is 
to  facilitate  the  systematic,  careful  and 
appreciative  study  of  literature  as  liter- 
ature. The  essence  of  the  method  is  that 
it  endeavors  to  concentrate  the  attention 
upon  the  text  itself,  not  upon  editorial 
explanation  or  comment,  and  that  it  fur- 
nishes means  by  which  the  student  may 
ascertain  for  himself  the  'chief  character- 
istics of  any  piece  of  literature.  Out- 
lines are  presented  for  the  study  of  six 
literary  types:  in  poetry,  the  epic,  the 
lyric,  and  the  drama;  in  prose,  fiction, 
the  essay,  and  the  oration.  Lists  of  crit- 
ical terms  are  given  which  will  aid  the 
student  to  say  exactly  what  he  feels  and 
means.  Of  course  these  outlines  are  only 
suggestive,  but  they  furnish  the  student 
something  definite  and  tangible  to  work 
upon.  Any  live  teacher  can  modify  or 
enlarge  them  to  suit  his  own  individual 
taste  or  the  scope  of  his  work. 

Part  II  consists  of  six  specimen  stud- 
ies which  illustrate  the  principles  and 
methods  set  forth  in  Part  I.  There  is  a 
brief  appendix  on  figures  of  speech,  and 
a  longer  one  on  versification.  The  treat- 
ment of  these  two  subjects,  figures  of 
speech  and  versification,  appears  rather 
elementary,  and  is  undoubtedly  intended 
to  be  merely  suggestive.  It  should  be 
supplemented  by  consulting  larger  works 
on  the  subjects. 

The  book  can  easily  be  adapted  for  use 
in  the  study  of  literature  in  any  lan- 
guage; it  will  certainly  be  found  to  be 
a  valuable  little  aid. 


BUcberbesprecbungen . 


231 


An  Italian  and  English  Dictionary. 
With  pronunciation  and  brief  etymolo- 
gies. By  Hjalmar  Edgren,  Ph.  D.,  recent 
Professor  of  Romance  Languages  in  the 
University  of  Nebraska;  member  of  the 
Nobel  Institute  of  the  Swedish  Academy 
in  Stockholm,  etc.  etc.,  assisted  by 
Giuseppe  Bico,  D.  G.  L.,  University  of 
Rome,  and  John  L.  Gerig,  A.  M.,  In- 
structor, University  of  Nebraska.  New 
York,  Henry  Holt  &  Co.,  1902. 

Scholars  will  readily  admit  that  there 
has  been  great  need  of  a  good  Italian  and 
English  dictionary;  this  field  has  been 
practically  unoccupied.  Persons  fam- 
iliar with  German  have,  however,  been 
able  to  make  use  ofMichaelis's  ,,Taschen- 
worterbuch  der  italienischen  und  deut- 
schen  Sprache".  Dr.  Edgren's  work 
seems  likely  to  receive  a  warm  welcome, 
and  while  it  will  not  supplant  Michaelis, 
it  will  supplement  this  German  work;  for 
it  is  fresner  and  contains  some  excellent 
features  lacking  in  the  Michaelis. 

The  main  characteristics  of  Edgren's 
book,  as  outlined  in  the  Preface  and  as 
shown  in  the  general  plan,  are  as  fol- 
lows: The  vocabulary  embraces  a  larger 
number  of  Italian  words  than  ordinary 
dictionaries  of  similar  size;  almost  every 
modern  word  in  Petrocchi's  scholastic 
dictionary,  the  chief  authority,  is  quoted, 
and  such  rare  and  obsolete  words  as  are 
indispensable  in  reading  Italian  classics 
are  included;  irregular  forms  of  inflec- 
tions are  noted  not  only  with  their  words 
but  also  as  separate  titles  in  their  alpha- 
betical order;  the  pronunciation  is  mark- 
ed principally  by  subscript  signs;  etymo- 
logically  related  words  are  grouped  to- 
gether; the  derivation  of  Italian  words 
is  indicated;  and  English  cognates  are 
shown.  The  English-Italian  part  is  not 
quite  so  complete  as  the  Italian-English 
part. 

Fullness  in  the  matter  of  idiomatic 
phrases  has  suffered  through  a  desire  to 
economize  space  in  favor  of  a  large  voc- 
abulary. This  is  noticeably  apparent  in 
the  treatment  of  prepositions.  For  inst., 
Edgren  gives  less  than  an  inch  to  the 
preposition  a,  while  Michaelis  devotes  a 
column  and  a  half  to  it;  Edgren  allows 
di  about  an  inch,  and  Michaelis  allows 
three-fourths  of  a  column. 

The  book  is  well  printed,  and  the  typo- 
graphical arrangement  is  pleasing  to  the 
eye.  The  work  should  commend  itself 
to  students. 

Charles  Bundy  Wilson, 

The  State  University  of  Iowa. 

Beginning  German,  a  Series  of  Lessons 
with  an  Abstract  of  Grammar  by  H.  C. 
Biertoirth,  Ph.  D.,  Instructor  in  German 


in  Harvard  College.  Henry  Holt  and 
Co.,  1903. 

We  thank  the  author  of  the  excellent 
book  Elements  of  German  for  a  very 
practical  and  accurate  elementary  book 
entitled  Beginning  German.  The  book 
consists  of  a  series  of  thirty  lessons  and 
an  abstract  of  grammar.  A  short  re- 
sume of  the  first  eight  lessons  will  suf- 
ficiently demonstrate  the  method  of  the 
author. 

With  eminent  common  sense  the  author 
begins  with  verbs,  that  most  essential 
thing  for  the  American  student.  The  first 
lesson  treats  the  present  and  past  indi- 
cative of  the  weak  verbs.  The  second 
lesson  contains  the  regular  strong  verbs 
which  do  not  differ  from  the  weak  in  the 
inflection  of  the  present.  (At  the  bot- 
tom of  page  15  the  type  failed  to  catch 
the  paper  in  the  book  I  have.)  Lesson 
three  introduces  the  beginner  to  haben, 
sein  and  werden.  In  lesson  four  the  de- 
finite article  and  Class  I  of  the  nouns  are 
treated.  In  lesson  five  words  which  are 
declined  like  der  are  introduced.  (This 
is  practically  the  same  system  I  have 
been  using  in  my  beginning  classes.) 
Class  II  is  treated  here.  Lesson  six  con- 
tains ein  and  kein  and  the  possessive  ad- 
jectives. In  seven  we  find  Class  III  and 
prepositions  with  the  dative  or  accusa- 
tive. Lesson  eight  treats  Class  IV  and 
the  personal  pronouns.  Under  Class  IV 
the  author  includes  the  weak  nouns.  In 
this  lesson  is  found  a  practical  table  il- 
lustrating the  four  declensions.  In  this 
connection  I  have  found  that  a  different 
order  is  perhaps  more  practical — I,  III, 
IV.  It  is  easy  for  the  student  to  learn 
the  general  membership  of  I,  III,  IV, 
and  II  includes  the  rest.  Of  course  the 
order  of  the  plural  endings  ( - ) ,  -er,  -en 
seems  more  simple  offhand,  but  when 
brought  into  application  the  proposed 
order  is  more  easily  learned.  The  re- 
maining lessons  show  the  same  general 
pedagogical  insight. 

Early  in  the  book  a  table  of  the  con- 
jugations of  the  weak  and  strong  verbs 
in  parallel  columns  would  give  the  stu- 
dent a  clear  conception  of  the  differences 
in  the  conjugations.  One  may  differ  in 
regard  to  the  nature  of  the  reading  les- 
sons without  criticising  the  opinion  of 
the  author.  I  prefer  continuous  narra- 
tive to  disconnected  sentences.  The  same, 
or  practically  the  same  vocabulary  could 
be  introduced  without  affecting  the  order 
of  the  grammatical  treatment.  Dr.  Bier- 
wirth's  selection  of  vocabulary  is  evi- 
dently based  upon  his  systematic  collec- 
tion of  material.  Compare  Elements  of 
German,  p.  124. 


232 


P'ddagogiscbe  Monatsbefte. 


The  abstract  of  German  grammar  will 
meet  the  approval  of  all  teachers  who  do 
not  make  the  study  of  German  a  purely 
mechanical  drill  of  syntactical  excep- 
tions, thereby  retarding  the  progress  and 
deadening  the  interest  of  the  students. 
This  abstract  seems  to  find  the  middle- 
way  between  no  Grammar  at  all  and 
lists  of  things,  the  ways  of  which  are 
wonderful  to  behold.  A  separate  pub- 
lication will  be  welcomed  by  many  teach- 
ers who  are  not  in  the  position,  or  of  the 
conviction,  to  select  the  reading  material 
as  given  in  this  edition.  It  would  be  a 
practical  little  reference  book  for  more 


advanced  classes.  The  references  in  the 
vocabulary  to  the  lessons  are  a  fitting 
close  to  this  valuable  book. 

It  is  to  be  regretted,  however,  that 
Dr.  Bierwirth  seemed  best  to  retain  the 
traditional  terminology  of  verb  order  — 
normal,  inverted  and  transposed.  The 
treatment  in  Wesselhoeft's  German  Com- 
position is  more  clear.  Some  of  the 
points  suggested  I  will  discuss  later  in 
a  pamphlet  on  ,,The  Direct  Method."*) 
Warren  W.  Florer. 

* )  Compare  my  edition  ofHeyse's  L'Ar- 
rabbiata,  George  Wahr,  Ann  Arbor, 
Mich.,  1902.  General  Rules,  p.  57 — 68. 


II.      Eingesandte  Biicher. 


Wood  Folk  at  School  by  William  J. 
Long.  Wood  Folk  Series,  Book  Four. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1903. 

Discourses  on  War  by  William  Ellcry 
Channing.  With  an  introduction  by  Ed- 
win D.  Mead.  Ginn  &  Co.,  Boston,  1903. 

Die  Harzreise.  With  some  of  Heine's 
best-  known  short  poems.  Edited  for 
schools  and  colleges  by  Leigh  R.  Gregor, 
B.  A.,  Ph.  D.,  Lecturer  on  Modern  Lang- 


uages  in  McGill   University,     Montreal, 
Canada.     Ginn  &  Co.,  1903. 

Teacher's  Manual.  A  handbook  for 
teachers  prepared  for  use  with  Account- 
ing and  Business  Practice  by  John  H. 
Moore,  Commercial  Department,  Boston 
High  Schools,  and  George  W.  Miner, 
Commercial  Department,  Westfield 
(Mass.)  High  School.  Ginn  &  Co.,  Bos- 
ton, 1903. 


Padagogische  Monatshefte 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 
Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 

• 

Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

3ahfujang  IV.          Scptcmbcn-Oktobcn  1903.          Heft  8-9. 

Protokoll 

der33.  Jahresversammlung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen 

Lehrerbundes. 


Erie,  Pa.,  30.  Juni  —  3.  Juli  19O3. 


(Offiziell.) 

Eroffnungfeier.  —  Am  Dienstag  Abend  des  30.  Juni  wurde  in 
der  Mannerchorhalle  der  33.  Lehrertag  eroffnet.  Durch  ein  Missverstandnis 
wegen  der  Zeit  —  die  meisten  Delegaten  batten  \vestliche  Zeit  —  konnte 
die  Feier  erst  eine  voile  Stunde  spater  beginnen.  Es  war  bereits  9  Uhr,  als 
die  Sanger  des  Erie  Mannerchors  die  Anwesenden  mit  einem  frisch  vorge- 
tragenen  Liede  erfreuten.  Es  erfolgten  alsdann  die  iiblichen  Begriissungs- 
ansprachcn,  und  zvvar  von  Biirgermeister  Harwick,  vom  Prasidenten  der 
Schulbehorde,  C.  L.  Baker,  Prof.  Missimer  und  Prof.  Burns.  Nach  einem 
weiteren  Gesang  des  Mannerchors  hielt  der  President  des  Lehrerbundes, 
Prof.  v.  d.  Groeben,  in  englischer  Sprache  eine  kurze  Rede,  worin  er,  in 
Riicksicht  auf  die  anwesenden  Englisehamerikaner  die  Geschichte,  Zweck 
und  Zielc  des  Bundes  klarlegte.  Aus  demselben  Grunde  hatte  auch  der 
folgende  Redner,  Herr  H.  Woldmann  von  Cleveland,  seiiien  Vortrag  in  eng- 
lischer Sprache  abgefasst.  Er  betonte  dabei,  \vie  notwendig  es  sei,  minde- 
stens  eine  fremde  Sprache  ausser  der  eigenen  zu  lernen,  denn  nur  dadurch 
lerne  man  die  eigene  besser  kennen.  Er  beriihrtc  dann  die  einzelnen 
Punkte  'les  Fortschrittes  im  amerikanischen  Schulwesen,  wie  sich  dasselbe 
nach  und  nach  hier  entwickelt,  Hess  jedoch  durchblicken,  dass  noch  man- 
ches  notwe«dig  sei,  um  unser  Erziehungssystem  dahin  zu  bringen,  dass  es 
Anspruch  auf  das  Pradikat  ,,vollkommen"  machen  konne.  Sein  Hauptar- 
gument  besland  darin,  dass  Kinder,  die  ngben  dem  englischen  auch  deut- 
schen  Unterricht  nehmen,  die  englische  Sprache  griindlicher  bemeisterten 
als  solche,  die  sich  bloss  mit  dieser  befassten.  Man  habe  nie  bemerkt,  dass 
ein  Schiiler,  welcher  deutschen  Unterricht  nahm,  seine  anderen  Studien 


234  Padagogische  Monatshefte. 

vernachlassigte.  Xachdem  der  Mannerchor  noch  ein  Lied  vorgetragen,  er- 
klarte  Herr  v.  d.  Groeben  den  Lehrertag  offiziell  fiir  ero^Cnet.  Im  Speisesaal 
der  Halle  fand  hierauf  bei  Sang  und  Bgcherklang  eine  gemiitliche  Nach- 
sitzung  statt,  die  freilich  nur  von  kurzer  Dauer  war,  da  die  Empfangsfeier, 
v\ie  oben  bemerkt,  sehr  verspiitet  begonnen  hatte. 

Erste  Hauptversammlung.  —  Der  Prasident  eroffnete  dieselbe 
am  %10  Uhr  in  der  Aula  der  Hochschule.  Die  Biihne  war  sehr  geschmack- 
voll  mit  Blattpflanzen  und  'Flaggen  dekoriert.  Der  Sekretar  verlas  zunachst 
seinen  Jahresbericht,  der  wie  folgt  lautete:  . 

Werte  Kolleginnen  und  K  o  1  1  e  g  e  n: 

Auch  hier  in  Erie  ware  ich,  wie  bei  der  letzten  Tagung  in  Detroit,  bei- 
nahe  wieder  genotigt,  vor  Sie  hinzutreten  mit  der  kurzen  Meldung  ,,Nichts 
zu  berichten  iiber  das  verflossene  Vereinsjahr."  Doch  muss  ich  heuer  zu- 
T.-achst  dreier  Mitglieder  gedenken,  die  wir  seit  der  letzten  Jahresversamm- 
lung  durch  den  unerbittlichen  Tod  verloren,  namlich  des  biederen,  pflicht- 
getreuen  W.  H.  Weick  von  Cincinnati,  des  wackeren,  tiichtigen  Henry 
Bamberger  von  Chicago  und  des  so  vielseitig  tatigen  G.  A.  Zimmermann 
ebenfalls  von  Chicago.  In  unserem  Bundesorgan  den  ,,Padagogischen  Mo- 
natsheften",  wurde  s.  Z.  des  schweren  Verlustes,  den  der  I.ehrerbtind  durch 
das  plotzliche  Hinscheiden  dieser  hervorragenden  und  zielbewussten  Pa- 
dagogen  erlitten,  gebiihrend  gedacht.  Es  eriibrigt  hier  nur  nochmals  ins 
Gediichtnis  zu  rufen,  dass  Weick,  der  am  14.  Oktober  1902  am  Herzschlag  ge- 
storben,  eiuer  der  Griinder  des  Lehrerbundes  war,  im  Jahre  1893  als  dessen 
Prasident  fimgierte,  und  dass  er  Jahre  lang  ein  regelmassiger  Besucher  der 
Lehrertage  war,  auf  welchen  er  wiederholt  Vortrage  gehalten  hat.  G. 
Kamberger,  Vorsteher  und  Leiter  der  jiidischen  Handfertigkeitsschule  von 
Chicago,  G.  A.  Zimmermann,  Superintendent  des  deutschen  Unterrichts 
von  Chicago,  wurden  beide  anfangs  Januar  unerwartct  vom  Felde  ihrer 
TJitigkeit  abberufen.  Wenn  Bamberger  und  Zimmermann  auch  in  den 
letzten  Jahren  nicht  mehr  aktiv  an  unseren  Bestrebungen  teilnahmen  und 
den  Lehrortagen  fernblieben,  so  waren  sie  doch  friiher  einmal  eifrige  Mit- 
glieder und  diirfen  wir  sie  deshalb  mit  Eecht  unser  nennen.  Ehrc  ihrem 
Andenken! 

Dass  Ihr  Vorstand,  besonders  Ihr  Prasident,  wahrend  des  letzten  Ver- 
einsjahres  nicht  miissig  war,  im  Interesse  des  Lehrerbundes  zu  wirken,  be- 
weist  das  Programm  fiir  die  gegenwartige  Tagung,  wofiir  iibrigens  Herrn 
v.  d.  Groeben  in  erster  Linie  Anerkennung  und  Dank  gebiihrt. 

Die  Aufstellung  eines  Lehrertagprogrammes,  besonders  die  Gewinnung 
von  Vortragenden,  ist  sicherlich  keine  leichte  Arbeit,  wie  friihere  Vor- 
fctandsmitgleider  gerne  zugestehen  werden.  Trotzdem  bin  ich  der  Ansicht, 
dass  sich  das  Wirken  und  die  Aufgabe  des  jeweiligen  Bundesvorstandes 
nicht  lediglich  darauf,  namlich  auf  die  Aufstellung  des  Lehrertagpro- 
jrramms  beschranken  sollte.  Der  Lehrerbund  konnte  vielleicht  durch  seinen 
A'orstand  —  nach  dem  Vorbilde  des  N.  A.  Turnerbundes  —  in  engere  Be- 
xiehung  zu  seinen  Zweigvereinen  treten,  ihnen  durch  Rat  und  Tat  beistehen. 
Die  Griindung  von  neuen  Zweigvereinen  anregen,  schon  bestehende,  aber 
schlafrige  Vereine  aufriitteln  und  ermutigen.  Die  Tatsache,  dass  unser 
Bund  von  den  ungefiihr  3000  deutschamerikanischen  Lehrern  kaum  den 
zehnten  Teil  zu  seinen  Mitgliedern  zahlt,  ist  wahrlich  kern  Grund  zur 
Selbstzufriedenheit,  und  die  von  Jahr  zu  Jahr  abfallende  Beteiligung  an 
den  Lehrertagen  ebenfalls  nicht.  Hier  muss  Wandel  geschaffen  werden, 


Protokcll  des  33.  Lehrertages.  235 

wenn  der  deutschamerikanische  Lehrerbund  nicht  seiner  baldigen  Auf- 
losung  entgegengehen  soil.  Freilich  gehoren  bekanntlich  zu  einer  enolg- 
reichen  Propaganda  —  oder  wie  mein  Vorgiinger,  Professor  Ferren  sagte, 
zu  einem  intellektuellen  Kriege  —  die  unentbehrliehen  Propaganda-  oder 
Kriegsmittel.  Es  diirfte  deshalb  ratsam  sein,  die  Jahresbeitriige  wieder 
auf  $2.00  zu  erhohen.  Welche  Schritte  alsdann  zur  Stiirkung  und  Hebung- 
unseres  Bundes  zu  tun  sind,  das  stelle  ich  dem  naehsten  Vorstande  und  zu- 
nachst  der  Tagsatzung  zur  Erwagung  anheim. 

Zum  Schluss  empfehle  ich,  unsere  Konventionen  in  Zukunft  nur  alle 
zwei  Jahre  abzuhalten.  Dadureh  wiirden  die  Lehrertage  mit  ihren  bedeu- 
tenden  Geldopfern  nicht  in  allzukurzen  Zeitabstiinden  auf  gewisse  Stiidte 
fallen,  und  die  Staatsverbande  konnten  alsdann  ihre  Konventionen  in  die 
Zwischenjahre  verlegen.  Diese  Anderung  wiirde  nach  meinem  Dafiirhalten 
beiden  Seiten  nur  zum  Vorteil  gereichen.  Achtungsvoll, 

E.    Kramer,  Bchriftf iihrer. 

Die  im  Sekretiirsbericht  enthaltenen  Empfehlungen  warden  auf  An- 
trag  von  Herrn  Abranis  an  den  Vorstand  verwiesen,  um  in  der  zweiten 
Hauptversammlung  dariiber  zu  berichten.  Der  Aufforderung  des  iPrasi- 
denten,  sich  zu  Ehren  der  im  letzten  Vereinsjahre  verstorbeiien  Mitglieder 
von  den  Sitzen  zu  erheben,  wiirde  Folge  geleistet. 

Bei  der  Ergiinzung  des  Vorstandes  wurde  Herr  Avoldinann  als  Vize- 
Priisident  und  Herr  Paul  Gerisch  von  Milwaukee  sowie  Frl.  Brinker  von 
Cleveland  als  stellvertretende  Schriftfxihrer  ernannt.  Der  Sekretar  verlas 
hierauf  ein  Schreiben  von  Dr.  Hexamer  von  Philadelphia,  President  des  D. 
A.  Nationalbundes,  worin  er  mitteilte,  dass  er  die  Erwiihlung  als  Ehren- 
mitglied  des  Lehrerbundes  mit  Dank  annehme.  Auf  Antrag  von  Herrn 
Schmidhofer  soil  Herrn  Seminardirektor  Dapprich,  der  zu  seiner  Herstel- 
lung  seiner  Gesundheit  in  Deutschland  weilt,  Gruss  und  Gliickwunsch  des 
Lehrerbundes  per  Kabel  entsandt  werden.  Da  Herr  Wolf  von  Saginaw, 

Mich.,  nicht  anwesend  sein  Konnte,  verlas  der  Priisident  dessen  eingeschick- 
ten  Vortrag  "Eealien  im  deutschen  Sprachunterricht".*) 

Nach  der  Lunchpause  verlas  Herr  Schmidhofer  nachstehenden  Bericht 
der  Seminar-Priifungskommission: 

Milwaukee,  den  24.  Juni  1903. 
Ihre  Priifungskommission  erlaubt  sich  hiermit,  Ihnen  de'n  Bericnt 

iiber  die  diesjahrige  Priifung  der  Zogiinge  des  Seminars  vorzulegen. 
Nach  einem  gemeinschaftlich  mit  der  Fakultat  des  'Lehrerseminars 

festgesetzten  Programme  fand  vom  22. — 24.  Juni  die  miindliche  Priifung- 

der    Zogiinge    statt.      Dieselbe    umfasste   'die    folgenden    Facher:      Ge- 

schichte     der     Padagogik,     Deutsche     Literaturgeschichte,     Englische 

Grammatik. 

Diesa   miindlichen   Priifungen   zeugten   von    gewissenhafter   Arbeit 

seitens  der  Lehrer  und  der  Zogiinge.  Das  gleiche  Lob  konnen  wir  den 

schriftlichen   Arbeiten    in    der   Padagfogik,    dem   Aufsatz,   deutsch    und 

englisch,  der  deutschen  Gramraatik  und  der  englischen  Literatur  er- 

teilen. 

Gleichmassigkeit  der  Giite,  Sauberkeit  und  Sorgfalt  der  Anfertigung 

verdienen  riickhaltslose  Anerkennung.  Jedes  der  zwolf  Mitglieder  der 

*)  Samtliche  Vcrtrage  dieses  Lehrertages  —  auch  oie  ungelesenen  — 
gelangen,  laut  Beschluss  der  2.  Hauptversammlung,  in  dieser  Nummer  der 
P.  M.  zum  Abdruck. 


236  Padagogische  Monatshefte. 

Abgangsklasse,  \voruiiter  sich  diesmal  auch  zwei  junge  Manner  befan- 
den,  gab  niit  den  Schiilern  der  Musterschule  eine  Probe  seines  didak- 
tischen  Konnens,  welche  bewies,  dass  die  jungen  Lehrer  auch  in  prak- 
tischer  Beziehung  wohl  vorbereitet  fiir  ihren  Beruf  die  Anstalt  verlas- 
sen.  Samtlichen  Zciglingen  dieser  Klasse  wurde  einstimmig  das  Zeng- 
nis  der  Eeife  zuerteilt. 

Auch  die  Leistungen  der  ersten  und  zyeiten  Seminarklasse  waren 
derartig,  dass  die  Mitglieder  derselben  zur  Beforderung  empfohlen 
werden  konnten. 

Den  Lehrern  des  Seminars,  die  sich  mit  so  freudiger  Opferwillig- 
keit  in  die  Pflichten  des  leider  krankheitshalber  abwesenden  Seminar- 
direktors  teilten,  sprechen  wir  hiernut  die  warmste  Anerkennung  aus. 
Wahrend  wir  den  Leistungen  der  Lehrer  und  Schiiler  des  Seminars 
voiles  Lob  zollen,  konnen  wir  uns  nicht  enthalten  zu  bemerken,  dass 
dieselben  nach  unserer  Ansicht  durch  iibergrosse  korperliche  An- 
strengung  erkauft  \vurden.  Das  Aussehen  mehrerer  der  Schiiler  deutete 
auf  tieberanstrengung  hin.  Das  Lehrerseminar  muss  in  seiner  jetzigen 
Verfassung  in  drei  Jahren  ein  Arbeitspensum  bewaltigen,  wozu  in  an- 
deren  Bildungsanstalten  mindestens  vier  Jahre  zur  Verfiigung  stehen. 
Diesem  ubelstande  kann  nur  durch  eine  Verlangerung  des  Seminarkur- 
sus  oder  durch  eine  entsprechende  rationelle  Abiinderung  des  Lehr- 
plans  abgeholfen  werden.  | 

Achtungsvoll  unterbreitet: 

Hermann  Woldmann,   Cleveland. 
Bernard  A.  Abrams,  Milwaukee. 
M.  Schmidhofer,  Chicago. 
John   Eiselmeier,   Milwaukee. 

Dieser  Bericht  wurde  gutgeheissen  und  angenommen.  An  Stelle  von 
Prof.  Barandun  von  Pittsburg,  der  ebenfalls  nicht  erschienen  war,  hielt 
Prof.  H.  M.  Ferren  von  Allegheny,  Pa.,  einen  Vortrag  in  englischer  8prache 
iiber  ,,Die  Notwendigkeit  der  Erlernung  einer  zweiten  Sprache  in  diesem 
Lande'",  oder  wie  das  Thema  in  Englisch  lautete  "Monolinguism,  the  bane 
of  our  country".  JDieser  Vortrag  wurde  mit  grossem  Enthusiasmus  auf- 
genommen. 

Herr  Schoenrich  von  Baltimore  machte  zum  Schluss  auf  die  Jahres- 
versammlung  des  D.  A.  Nationalbundes  aufmerksam,  worauf  die  Herren 
Ferren  und  Schoenrich  als  Delegaten  des  Lehrerbundes  beim  Nationalbund 
erwahlt  wurden. 

Zweite  Hauptversammlung.  —  Das  Protokoll  der  ersten 
Hauptversammlung  ^vurde  vom  Sekretar  verlesen  und  nach  einigen  Be- 
richtigungen  angenommen.  Hierauf  gab  der  President  folgenden  Nomi- 
nationsausschuss  belcaiint : 

John  Eiselmeier,  Milwaukee,  Wis.;  Wm.  Schiifer,  Cincinnati,  O.;  C.  O. 
Schonrich,  Baltimore,  Md.;  J.  G.  Rossler,  Chicago,  111.;  Albert  Diirr,  Cleve- 
land, O.;  Frl.  Emma  Siegel,  Erie,  Pa.;  Alexis  Miiller,  Lockport,  N.  Y. 

Von  den  Herren  Theo.  Meyder  und  Albert  Mayer  von  Cincinnati  lief 
nachstehende  Depesche  ein:  ,,\Viinschen  dem  Bunde  besten  Erfolg!  Die 
Kollegen  auf  dem  Dampfer  Bliicher."  Herr  v.  d.  Groeben  empfahl  alsdann, 
die  im  Jahresberichte  des  Sekretars  enthaltenen  Vorsciiiiige  —  Erhohung 
der  Beitriige  und  zweijahrliche  Konvention  —  zur  Annahme.  Auf  Antrag 
von  Herrn  Griebsch  von  Milwaukee  wurde  darauf  hin  beschlossen,  den 


Protokoll  des  33.  LeJirertages.  237 

Lehrertag  wenigsteus  niichstes  Jahr  ausfallen  zu  lassen,  da  wegen  der 
\Yeltaustellung  in  St.  Louis  keine  nennenswerte  Beteiligung  an  den  Ver- 
handlungen  zu  erwarten  sei.  Die  Debatte  iiber  die  Empfehlung,  den  Jah- 
resbeitrag1  auf  $2.00  zu  erhohen,  wurde  auf  die  Schlussversammlung  ver- 
fachoben,  da  sie  eine  Veranderung  der  Statuten  in  sich  schliesst.  Ein  An- 
Irag  von  Abrams,  die  Gesamtprotokolle  der  Lehrertage 
nebst  den  dabei  gehaltenen  Vortragen  jeweilig  in  einer 
Doppelnummer  der  Padagogischen  Monatshefte,  und  zwar  im  Sep- 
tember zu  veroffentlichen  nnd  alien  Mitgliedern  des  Lehrerbundes  frei  zu- 
zustellen,  wurde  einstimmig  angenommen.  Die  daraus  entstehenden  Ex- 
trakosten  fiir  die  Herausgeber  sollen  axis  der  Bundeskasse  gedeckt  werden. 

Da  keine  weiteren  Komiteeberichte  vorlagen,  erfolgte  nun  der  Vortrag 
von  Prof.  Otto  Heller  von  der  Washington  Universitat,  St.  Louis,  iiber 
,,Deutsche  Frauenschriftstellerei  von  gestern  und  heute".  Dem  Hedner 
wurde  nach  Schluss  seines  Vortrages  der  Dank  der  Versammlung  ausge- 
sprochen. 

Nach  der  Pause  ernannte  der  President  folgende  Ausschiisse: 

Komitee  fiir  Revision  der  Schatzmeistersbiicher:  Paul  Gerisch,  Mil- 
waukee; Frank  Keller,  Cincinnati;  Frl.  Lina  Ziechmann,  Cleveland. 

Komitee  fiir  Dankesbeschliisse:  Max  Griebsch,  Milwaukee;  H.  M.  Fer- 
ren,  Allegheny,  Pa.;  Frl.  Lydia  Hanke,  Philadelphia. 

Frau  Mathilda  Grossart  von  Cleveland,  die  niit  dem  Vortrag  ,,Das  deut- 
sche  Volkslied  in  der  Volksschule"  auf  dem  Programm  stand,  konnte  nicht 
anwesend  sein,  da  ihr  Sohn  schwer  erkrankt  darniederliegt.  Dieser  Vor- 
trag fiel  deshalb  aus. 

Zum  Schluss  hielt  Herr  Albert  Gehring,  President  der  Clevelander 
Schulbehorde,  einen  Vortrag  iiber  das  Thema:  ,,Der  Garten  der  Mensch- 
heit'.  Auch  dieser  Vortrag  erntete  reichen  Beifall;  dem  Verfaser  wurde 
ebenfalls  der  Dank  der  Versammlung  ausgesprochen. 

Musikalisch  -  literarische  Abendunterhaltung.  — • 
Zu  Ehren  der  Gaste  hatte  die  Biirgerschaft  Eries,  die  iiberhaupt  an  der 
Tagung  des  Lehrerbundes  grosses  und  herzliches  Interesse  genommen,  fur 
denselben  Abend  eine  musikalisch-literarische  Unterhaltung  veranstaltet. 
Der  Besuch  war  trotz  der  hohen  Temperatur  ein  sehr  guter,  so  dass  das 
Auditorium  der  Hochschule,  das  tausend  Sitzplatze  hat,  nahezu  ganz  ge- 
fiillt  war.  Als  Hauptnummer  des  Programms,  das  in  seinem  musikalischen 
Teil  recht  abwechslungsreich  imd  gut  gewahlt,  wenn  auch  etwas  zu  breit 
angelegt  war,  gait  ein  Vortrag  von  Dr.  H.  H.  Fick,  Superintendent  des 
deutschen  Unterrichts  von  Cincinnati.  Der  gewandte  Eedner  hatte  sich  das 
Thema  gewahlt  ,,Die  deutschamerikanische  Dichtung".  Durch  seinen  wohl- 
durchdachten,  in  elegantem  Stile  abgefassten  Vortrag,,  der  von  griind- 
licher  Kenntnis  des  Themas  zeugte,  verstand  es  Herr  Fick,  die  Zuhorer  in 
den  deutschamerikanischen  Dichterwald  einzufiihren  und  mit  den  schiin- 
sten  Bliiten  darin  bekannt  zu  machen.  Langanhaltender  Beifall  wurde  dem 
Kedner  am  Schluss  seiner  Ausfiihrungen  zu  teil. 

Schlussversammlung.  —  Da  fiir  die  Schlussversammlung  nur 
ein  "Vortrag  in  Aussicht  stand,  so  beeilte  man  sich  nicht  sehr  mit  der  Er- 
nft'nung  der  Sitzung.  Es  war  nahezu  10  Lhr,  als  der  President  die  Anwesen- 
dea  zur  Ordnung  rief,  worauf  der  Sekretiir  das  Protokoll  der  gestrigen 
bitzung  verlas,  das  unvertindert  angenommen  wurde.  Der  von  Herrn  Wold- 
mann  schriftlich  eingebrachte  Antrag,  Erhohung  des  Jahresbeitrages  auf 


238  Padagogische  Monatshefte. 

$2.00,  gab  Anlass  zu  einer  lebhaften  Debatte,  da  derselbe  eine  Anderung  der 
Ktatuten  in  sich  schloss.  Es  stellte  sich  dabei  heraus,  dass  der  neue  Sta- 
tutenentwurf  vom  Jahre  1900  bis  heute  noch  nicht  angenommen  ist. 
bchliesslich  wurde  der  Antrag  angenommen  und  voin  Jahre  1904  an  beliiuft 
sich  der  Mitgliederbeitrag  auf  $2.00. 

Der  Revisionsausschuss  berichtete  alsdann,  dass  er  die  Biicher  des 
Schatzmeisters  gepriift,  und  in  bester  Ordnung  gefunden  habe.  Danach  be- 
trugen  die  Einnahmen  $208.16;  Ausgaben  $130..79;  Kassenbestand  $77.37. 

Es  folgte  nun  ein  hochinteressanter  Vortrag  von  Prof.  August  Prehn 
von  New  York  ,,Ein  Bruch  mit  der  uberlief erung,,*) .  Dem  Kedner  wurde  der 
Dank  der  Versammlung  fiir  seine  gediegene  Arbeit  ausgesprochen. 

Von  Prof.  W.  W.  Florer  von  der  Universitat  Michigan  in  Ann  Arbor  lief 
eine  Depesche  ein,  worin  er  mitteilte,  dass  er  leider  verhindert  sei,  recht- 
zeitig  fiir  seinen  Vortrag  in  Erie  einzutreft'en. 

Das  Nominationskomitee  unterbreitete  hierauf  folgenden  Bericht: 

Vorgeschlagen  fiir  den  Bundesvorstand: 
C.  O.  Schonrieh,  Baltimore.  Alexis  Miiller,  Lockport,  N  Y. 

G.  G.  von  der  Groben,  Erie.  Louis  Hahn,  Cincinnati. 

B.  A.  Abrams,  Milwaukee.  Frl.  Marie  Diirst,  Dayton,  O. 

Wm.  Schiifer,  Cincinnati.  Frl.  Anna  Hohgrefe,  Chicago. 

H.  M.  Ferren,  Allegheny,  Pa. 

Komitee    zur    Pflege    des    Deutsche  n. 
Herrmann  Woldmann,  Cleveland.        Carl  Herzog,  New  York.  - 
Albert  Gehring,  Cleveland.  Emil  Kramer,  Cincinnati. 

H.  J.  Martens,  Milwaukee. 

Priifungskommission  fiir  das   deutschamerikanische   Lehrer- 
seminar  in  Milwaukee: 

Dr.  H.  H.  Fick,  Cincinnati.  Martin  Schmidhofer,  Chicago. 

John  Eiselmeier,  Milwaukee. 

Diese  Priifungskommission  soil  fiir  zwei  Jahre  bestehen.  Als  nachster 
Konventionsort  wurde  Chicago  oder  Baltimore  in  \orschlag  gebracht. 
Samtliche  Vorschlage  wurden  einstimmig  angenommen. 

Wiihrend  der  nun  eintretenden  Pause  organisierte  sich  der  neugewahlte 
Bundesvorstand  wie  folgt: 

President:  B.  A.  Abrams,  Milwaukee. 

1.  Schriftfiihrer:  Alexis  Miiller,  Lockport,  N  Y. 

'2.  Schriftt'iihrerin:  Anna  Hohgrefe,  Milwaukee,  Wis. 

Schatzmeister:   Louis  Hahn,  Cincinnati. 

;^f  ,  .Ausschuss. 

C.  O.  Schonrich,  Baltimore.  Wm.  Schiifer,  Cincinnati. 

G.  G.  von  der  Groben,  Erie,  Pa.  Frl.  Marie  Durst,  Dayton,  O. 

H.  M.  Ferren,  Allegheny,  Pa. 

Als  Ort  fiir  die  niichste  Tagung,  die  im  Jahre  1905  stattfindet,  wurde  de- 
finitiv  Chicago  gewiihlt. 

Zum  Schluss  wurden  folgende  Dankesbeschliisse  angenommen: 

An  die  33.  Jahresversammlung  des  Nationalen  Deutschamerikanischen 

Lehrerbundes. 
Das  in  der  gestrigen  Versammlung  ernannte  Komitee  erlaubt  sich 

*)  Das  Manuskript  dieses  Vortrages  ist  leider  verloren  gegangen.  Prof. 
Prehn  hat  uns  jedoch  fiir  eins  der  nachsten  Hefte  der  P.  M.  einen  Auszug 
seiner  Arbeit  zugesagt.  D.  K. 


Protokoll  des  33.  Lehrertages.  239 

hierdurch,  folgende  Beschliisse  zur  gefiilligen  Begutachtung  zu  unter- 
breiten : 

Am  Schlusse  dhrer  Tagung  stattet  die  33.  Jahresversammlung  des  N. 
D.  A.  Lehrerbundes  ihren  herzlichsten  Dank  ab: 

1.  Dem  Lokalkomitee  der  Stadt  Erie  f iir  seine  aufopferndeTatigkeit, 
mit  welcher  die  Vorbereitungen  fiir  die  diesjahrige  Tagung  getroffen 
wurden  und  so  den  Besuchern  der  Aufenthalt  zu  einem  hochst  ange- 
nehmen  gemacht  wurde; 

2.  Dem  Biirgermeister  der  Stadt,    Herrn  Hardwick,  deni  Prasidenten 
der  Schulbehorde,  Herrn  C.  L.  Baker,  dem  Superintendenten  des  offent- 
lichen   Schulwesens,  Herrn  Prof.   C.   H.   Missimer,     Herrn   Prof.   J.   R. 
Burns,  dem  Vorsitzenden  des  Lokalkomitees,  Herrn  Gorenflo,  den  Her- 
ren  F.  Brevillier  und  Paul  Miiller  fiir  ihre  herzlichen  Worte  des  Will- 
kommens  an  dem  Eroffnungsabende  der  Tagung; 

3.  Dem  Mannerchor"  der  Stadt  Erie  und  seinem  wackeren  Dirigen- 
ten  Prof.  Oswald  fiir  die  herrlichen  Gesiinge  am  Eroffnungsabende  und 
an  dem  am  gestrigen  Abend  stattgefundenen  Konzerte; 

4.  Den   Damen  und  Herren,   die   dureh  ihre  Teilnahme  bei  diesem 
Konzerte  den  Zuhorern  so  herrliche  Geniisse   bereiteten,  insbesondere 
Frl.  Irene  Noonan,  Frl.  Mildred  Watson,  Frl.  Nettie  Hulburd,  und  den 
Herren  Prof.  J.  C.  Diehl,  Edwin  Bell  und  Prof.  Kowalski; 

5.  Den  Rednern,  welche  das  Programm  unserer  Tagung  zu  einem 
besonders  interessanten  und  lehrreichen  machten; 

6.  Dem  Vorstande,  in  dessen  Handen  die  Verantwortlichkeit  fiir  die 
Vorbereitungen  unserer  Tagung  und  die  Leitung  der  Versammlungen 
lagen,  besonders  Herrn  Prof.  G.  G.  von  der  Groben,  der  mit  Begeisterung 
und  Hingabe  seinen  vielseitigen  Pflichten  oblag. 

7.  Der  Presse  der  Stadt  Erie,  der  deutschen,  sowie  der  englischen, 
die  durch  ihre  flihige  Berichterstattung  liber  unsere  Verhandlungen  ihr 
Interesse  an  denselben  bekundete,  und 

8.  Der  gesamten  Bevolkerung  der  Stadt,  die  durch  ihre  tatkraftige 
Teilnahme  die  Vorbereitungen  fiir  den  Empfang  der  Besucher  wesent- 
lich  orleichterte, 

Wir  empfehlen,  dass  diese  Beschliisse  in  der  deutschen  imd  eng- 
lischen Presse  zur  Veroffentlichung  gelangen. 

Weiterhin  diene  zur  Mitteilung,  dass  der  in  der  ersten  Versammlung 
gefasste  Beschluss,  Herrn  Direktor  Dapprich  einen  telegraphischen 
Gruss  zu  ubermitteln,  durch  die  Absendung  folgender  Kabeldepesche 
ausgefiihrt  wurde: 

Herrn  Direktor  Dapprich,  Emmerichenhain,  Nassau. 
Gruss  Idem  treuen  Freunde  vom  Lehrertag. 
Achtungsvoll 

Lydia  S.  Hanke, 
H.  M.  F  e  r  r  e  n, 
Max  Griebsch. 

Hierauf  erkliirte  President  Von  der  Groben  die  33.  Jahresversammlung 
mit  einigen  wohlgesetzten  Worten  fiir  vertagt. 

Am  Vorabend  des  4.  Juli  kam  der  Lehrertag  mit  einem  solennen  Bankett 
in  der  Mannerchorhalle  zum  Abschluss. 

Emil  Kramer,  Schrif tf iihrer. 


Die  Realien  im  deutschen  Sprachunterricht. 


Vcn  Ernst  Wolf,  High  School,  Saginaw,  Mich. 


Untor  den  vielen  Fragen,  die  fiir  uns  deutsche  Lehrer  von  Interesse 
imd  Wichtigkeit  sind,  gibt  es  gliicklicherweise  wohl  keine  einzige,  iiber 
die  wir  nicht  geteilter  Meinung  sind.  Die  Anschauungs-  oder  Konversa- 
tions-Methode  wird  von  den  Verfechtern  der  alleinseligmachenden 
Grammatik-  oder  Ubersetzungsmethode  mit  kraftigen  Schlagwortern  wie 
"Papageien-Methode",  "Kellner-Deutsch",  "Bonnen-Franzb'sisch"  lacher- 
lich  gemacht,  und  die  Reformer  zahlen  prompt  und  schlagfertig  diese 
Liebenswiirdigkeiten  zuriick  mit  dem  nicht  minder  eleganten,  aber  den 
Nagel  auf  den  Kopf  treffenden  Schlagwort  "Kochbuch-Methode'',  denn 
in  der  Tat  beschrankt  sich  ja  die  unverfalschte  Grammatik-Methode 
darauf,  dem  Schiller  Rezepte  zur  Anfertigung  sprachlicher  Gerichte  dar- 
zubieten.  Dass  diese  dann  so  unverdaulich  sind  wie  andere  nach  dem 
Kochbuch  angefertigte  Speisen,  ist  fiir  den  seines  Triumphes  im  voraus 
eicheren  Reformer  die  natiirliche  Folge. 

Ich  halte  diesen  Zustand  keineswegs  fiir  beklagenswert;  wenn  auch 
manchmal  ein  wenig  mehr  Toleranz  auf  beiden  Seiten  am  Platze  und  der 
guten  Sache  fordernder  ware,  so  begriisse  ich  ihn  nichtsdestoweniger. 
Wo  Kampfe  wiiten,  da  herrscht  intensives  Leben,  wo  gebildete  Menschen 
aus  Liebe  zu  tiberzeugimgen  und  Grundsatzen,  errungen  beim  Scheine 
der  mitternachtlichen  Lampe,  aus  innerem  Drang  nach  Wahrheit  und 
Klarheit  mit  Berserkerwut  iiber  einander  herfallen,  alte  Freundschaft 
in  die  Briiche  gehen  lassen  in  der  Verteidigung  dessen,  was  sie  fiir  recht 
erkannt  haben  oder  doch  vermeinen  erkannt  zu  haben  —  da  herrscht 
Fortschritt,  da  ist  Aussicht,  dass  aus  den  Reibungen  sohliesslich  doch  ein 
Licht  entstehen  wird. 

Gliicklicherweise  lebt  in  unserem  Stande  im  grossen  und  ganzen  des 
kriegerischen  Geistes  die  Fiille,  er  macht  es  undenkbar,  dass  unsere  Ver- 
eammlungen  als  solche  eines  gegenseitigen  Bewunderungs-Vereins  ver- 
kannt  werden. 

Mit  der  Absicht,  ich  darf  wohl  sagen,  in  der  frohen  Hoffnung,  an 
dem  Kampfe  der  Meinungen  teil  nehmen  zu  diirfen,  bin  ich  hierher  ge- 
kommen  in  die  freundliche  Seestadt,  deren  gastfreie  Bewohner  uns 
einen  so  herzlichen  Empfang  bereitet  haben. 

Ich  habe  mir  sogar  die  Gunst  erwirkt,  den  Reigen  eroffnen  zu  diir- 
fen, nicht  eigentlich  deshalb,  weil  mein  Thema  der  am  heftigsten  um- 
strittene  Punkt  unserer  Meinungsverschiedenheiten  ist,  sondern  weil  die 
Fragc  des  Realienunterrichts  fiir  den  Grammatiker  wie  fiir  den  radikal- 
sten  Reformer  gleiche  Wichtigkeit  und  gleiches  Interesse  hat,  und  wir 
uns  deshalb  bei  ihrer  Besprechung  auf  neutralem  Boden  bewegen. 


Die  Realien  im  dentschen  Sprachwitenicht.  241 

Wer  auch.  nnr  einigermassen  mit  der  wahrend  der  letzten  15  Jahre 
erschienenen  Literatur  iiber  den  Unterricht  in  den  modernen  Sprachen 
Tertraut  ist,  weiss  sogar,  dass  die  Realienfrage  kaum  mehr  unter  die 
schwebenden  zu  rechnen  ist;  auch  die  reaktionarsten  Elemente  erkennen 
an,  dass  sieh  der  deutsche  Unterricht  mit  dem  deutschen  Volke,  dem 
deutschen  Lande,  der  deutschen  Geschichte,  mit  deutschen  Einrichtun- 
gen,  vor  allcm  aber  mit  der  deutschen  Kultur  zu  bschaftigen  hat. 

Hiermit  ware  bereits  der  Begriif  "Realien"  definiert.  Wenn  auch  die 
prinzipielle  und  theoretische  Erorterung  dieser  Frage  als  abgeschlossen 
angesehen  werden  darf,  so  hat  doch  leider  dieser  Zweig  des  Unterrichts 
noch  iiber  arge  Vernachlassigung  in  den  Schulen  zu  klagen:  Noch  immer 
sind  unsero  Lehrbiicher  angefiillt  mit  Asopischen  Fabeln,  hebraischen, 
agyptischen,  babylonischen,  griechischen  und  romischen  Mythen,  die, 
eo  wertvoll,  interessant  und  lehrreich  sie  auch  nach  Form,  Inhalt  und 
ethischem  Gehalt  sein  mogen,  doch  in  keiner  Weise  dem  Ziele  des  deut- 
Bchen  Unterrichts  dienen,  namlich  dem  Schiller  Verstandnis  fur  die  ei- 
genartige  geistige  und  materielle  Kultur,  fiir  Leben  und  Sitten  des 
deutschen  Volkes  zu  erschliessen. 

In  einem  weitverbreiteten  Lehrbuche,  das  bereits  33  Auflagen  erlebt 
hat,  und  dessen  Verfasser  hinsichtlich  der  Methodik  der  Radikalsten  einer 
ist,  sind  folgende  Lesestiicke  enthalten:  Die  griechischen  Spiele.  Perikles 
und  die  Bliite  Athens.  Hannibals  Ubergang  iiber  die  Alpen.  Der  Tod1  des 
Tiberius.  England  unter  Elisabeth.  Shakespeare.  Frankreich  und  Ludwig 
XIV.  Das  Ende  Ludwigs  XVI.  Napoleon  in  Russland.  Die  wissenschaft- 
liche  Prosa  Nord-Amerikas. 

Ich  enthalte  mich  eines  Kommentars;  aber  das  Wort  Juvenals  — 
Difficile  est  satiram  non  dicere  —  das  kommt  mir  nicht  aus  dem  Sinn. 

Dass  der  Lesestoff  deutsch  ist,  d.  h.  sich  mit  deutscher  Geschichte 
und  deutscher  Kultur  beschaftigt,  ist  beinahe  noch  wichtiger  als  dass  — 
es  mag  dies  paradox  klingen  und  ist  auch  nicht  wortlich  zu  verstehen  — 
als  dass  die  Unterrichtssprache  deutsch  ist,  denn  "deutsch"  in  dem  Sinne, 
wie  ich  es  Jctzt  verstehe,  kann  man  auch  in  englischer  Sprache  lehren. 

"Deutscher  Stoff  fiir  den  deutschen  Unterricht"  ist  meine  erste 
Forderung.  Viel  schwieriger  ist  es,  genau  festzustellen,  was  aus  der  ge- 
radezu  verwirrendcm  Fiille  der  Erscheinunge  auf  dem  Gebiete  der  Realien 
in  den  Unterricht  aufgenommen  werden  kann.  Gliicklicherweise  ist  es 
aber  nicht  meine  Aufgabe,  fiir  jede  Schulklasse  einen  Lehrplan  aufzu- 
stellen,  was  schon  um  des  willen  eine  Unmoglichkeit  ware,  dass  unsere 
Schulen  sich  durch  die  weitest  gehende  Unabhangigkeit,  um  nicht  zu 
sagen  "Regellosigkeit",  auszeichnen. 

Der  Griinde  fiir  die  Betonung  der  Realien  sind  viele:  im  weitesten 
Sinne  des  Wortes  soil  dem  Schiller  durch  die  bewusste  Erkenntnis  der 
fremden  Nationalitat  zum  besseren  Verstandnis  der  eiffenen  verholfen 


242  Padagogische  Monatshefte. 

werden;  jeder  klare  Einblick  in  die  Sitten,  Gewohnheiten,  Eeclite  und 
Gesetze  des  fremden  Volkes  weckt  das  Verstandnis  und  scharft  den  Blick 
fiir  die  Gepflogenheiten  des  eigenen  Volkes.  Es  ist  meiner  Ansicht  nach 
eine  imbestrittene  Wahrheit,  dass  es  weit  besser  ist,  die  Vorziige  auswarts 
und  die  Fehler  daheim  zu  erkennen,  als  umgekehrt,  mag  es  auch  einem 
gedankenlosen  Chauvinismus  als  Vaterlandsverrat  erscheinen,  solche 
Ketzereien  zu  aussern. 

Dass  die  Kenntnisse  unserer  Schuler  iiber  die  auf  dem  europaischen 
Kontinent  lebenden  Nationen  minimal  sind,  ist  eine  beschamende  Wahr- 
heit. "Wenn  unsere  Schuler  glauben,  dass  die  Geschichte  Europas  iden-. 
tisch  ist  mit  der  Geschichte  Englands,  so  ist  dies  eben  dem  Umstand  zu- 
zuschreiben,  dass  der  Geschichte  Englands  im  Verhaltnis  zur  Geschichte 
des  europaischen  Kontinents  eine  Bedeutung  eingeraumt  wird,  die  ihr 
nicht  gebiihrt.  Der  deutsche  Lehrer  sollte  nicht  versaumen,  seinen 
Kollegen,  der  Geschichte  rortragt,  auf  diesen  Missstand  aufmerksam  zu 
machen. 

Aber  die  planmassige  deutsche  Landeskunde  und  Geschichte  — 
dem  Durchschnittsschulmeister  ist  zwar  alles  ein  Greuel,  was  nicht  in  ein 
System  gebracht  werden  kann  —  wiirde  schliesslich  doch  nur  in  einem 
diirren,  mit  Zahlen  und  Namen  iiberhauften  Abriss  gegeben  werden  kon- 
nen,  mit  dem  wir  der  Jugend  nur  geringe  Freude  bereiten  wiirden.  In 
der  -Hauptsache  werden  wir  uns  damit  begniigen  miissen,  bei  der  Auswahl 
der  Lekture  solchen  Werken  hervorragender  Schriftsteller  den  Vorzug  zu 
geben,  in  denen  gewaltige  Ereignisse  oder  das  Leben  hervorragender 
Manner  bedeutend  und  fesselnd  geschildert  werden.  Auch  wohlgerun- 
dete  und  kunstlerisch  befriedigende  Landschilderungen  sollen  willkom- 
men  sein. 

In  Fontanes  Geschiehte  des  deutsch-franzosischen  Krieges  bin  ich 
einem  solchen  Abschnitt  begegnet,  den  ich  als  ein  Muster  betrachte,  und 
den  ich  deshalb  an  dieser  Stelle  anfiihren  will.  Er  lautet: 

"Der  Ehein  war  das  Objekt  wie  mutmasslicher  Schauplatz  des  Krie- 
ges, der  Khein,  der  vielleicht  kostbarste  und  heiterste  Streifen  Landes, 
den  die  heutige  Erde  aufzuweisen  hat.  Hier  verwirklicht  sich  seit  einem 
Menschenalter  und  langer,  was  die  Philanthropen  des  vorigen  Jahr- 
hunderts  "die  Gliickseligkeit  des  Menschengeschlechts"  nannten,  schoner, 
reicher  und  voller,  als  es  jene  Menschenfreunde  in  ihrer  traurigen  Zeit 
jemals  zu  ahnen  und  zu  prophezeien  wagten.  Der  Fleiss  der  Einwohner, 
ihr  lebhaftes  Naturell,  ihr  unternehmender  Geist  in  Verbindung  mit  ei- 
ner,  wie  im  Bewusstsein  ihrer  ausgestreuten  Wohltaten,  lachenden  Natur 
haben  eine  Welt  geschaffen,  die  kaum  ihresgleichen  hat,  selbst  nicht  in 
den  begiinstigsten  Zonen,  eine  Welt,  die  der  Hypochonder  der  entfernte- 
sten  Gegenden  aufsucht,  um  sein  verfinstertes  Gemiit  aufzuheitern.  Er 
badet  seine  Seele  in  dieser  Atmosphare  der  Schonheit  und  des  Gliicks, 


Die  Realien  im  deutschen  Sprachunterricht.  243 

wie  seinen  kranken  Leib  in  den  Heilquellen,  die  hier  uberall  aus  dem 
Boden  springen.  Es  ist  das  Land,  das  keinen  Bettler  kennt  und  keine 
triibseligen  Gesichter.  Die  lustige  Pfalz,  "Gott  erhalt's",  die  lieblichen 
Saume  des  badischen  Schwarzwaldes,  der  langgestreckteGarten  der  Berg- 
strasse  —  das  Ganze  eine  ununterbrochene  Perlenschnur  von  Schonheiten 
und  von  Wohmmgen  des  Gliicks. 

ITnd  mitten  durch  diese  Welt  wandelt  der  gewaltige  Strom,  wie  einer 
der  vier  Hauptstrome  des  Gartens  Eden,  Wohltaten  an  beiden  Ufern 
ausstreuend,  die  mehr  wert  sind  als  alle  Nibelungenschatze,  die  in  seinern 
Schosse  geborgen  liegen.  Auf  keinem  Strome  der  Welt,  einige  Miindun- 
sen  englischer  Fliisse  ausgenommen,  findet  sich  ein  solcher  munterer  und 
lebhafter  Verkehr,  wie  auf  dem  gesegneten  Ehein;  seine  unzahligen 
Boote  und  Dampfschiffe,  die  Schienenwege  rechts  und  links  reichen  kaum 
aus,  die  Volker,  die  sich  an  seinen  Ufern  drangen,  und  die  Erzeugnisse 
menschlichen  Fleisses  ihren  Zielen  entgegenzutragen. 

Soweit  er  seine  Windungen  erstreckt,  wachsen  die  alten  Stadte,  die 
noch  der  Romerzeit  ihre  Entstehung  verdanken,  Ja  entstehen  neue  auf 
beinahe  amerikanische  Weise,  und  selbst  die  Dorfer  sind  Statten  der 
Bildung,  des  Genusses,  der  Wohlhabenheit  geworden. 

Und  da?  Alles  rein  aus  dem  gliicklichen  Boden  dieser  warmen  Erde 
und  des  tatigen  Biirgertums  erwachsen  und  erbliiht  und  zu  Friichten  ge- 
worden, an  deren  Anblick  sich  das  ganze  deutsche  Vatorland  erf  rent! 

Da  ist  kein  Fuss  breit  Erde,  der  nicht  kostbar,  kein  Menschenherz, 
das  nicht  vom  Geiste  der  Gesittung  angeweht  ware. 

Was  wir  seit  einem  Jahrhundert  singen:  "Gesegnet  sei  der  Ehein!" 
—  es  ist  an  seinen  Ufern  aufs  herrlichste  in  Erfiillung  gegangen." 

Welch'  eine  Fiille  von  Realien  ist  hier  in  stylistisch  vollendeter,  ja 
poetischer  Form  geboten.  Man  zeige  dem  Schiiler  bei  der  Lektiire  dieses 
Abschnitts  noch  einige  Bilder,  z.  B.  "der  Rhein  bei  St.  Goar"  von  Holzel, 
in  prachtigen  Farben  ausgefiihrt,  und  man  wird  sich  wenigstens  einem 
Ziele  des  deutschen  Unterrichts,  der  Erweckung  des  Interesses  fur  das 
deutsche  Land  und  das  deutsche  Volk,  bedeutend  naher  befinden,  als 
wenn  man  sich  durch  den  oft  sinnlosen  und  wertlosen  Schund  durch- 
qualt,  den  noch  manche  unserer  Lehrbiicher  enthalten. 

Nichtsdestoweniger  ist  es  wohl  moglich,  unter  der  Unmasse  von 
brauchbaren  und  unbrauchbaren  Schultexten,  die  uns  heute  von  den 
Verlagsbuchhandlungen  geboten  werden,  eine  Auswahl  zu  treffen,  die 
auch  den  Anforderungen  eines  Realienfanatikers  entsprechen  diirfte. 
Denn  es  muss  immer  wieder  betont  werden,  dass  die  Lektiire  als  Haupt- 
quelle  fur  den  Realienunterricht  anzusehen  ist,  da  die  Literatur  eines 
Yolkes  stets  unzertrennbar  mit  seinem  Volkstum  verkniipft  ist. 

Ich  habe  mich  im  Laufe  des  letzten  Winters  der  Miihe  unterzogen, 
die  Kataloge  unserer  Yerleger  daraufhin  zu  untersuchen  und  gefunden, 


244  Padagogische  Monatskefte. 

dass  fast  alle  Stoffe  angeboten  werden,  deren  wir  bediirfen.  In  der  von 
mir  zusammengestellten  Liste  sind  alle  bedeutenden  Perioden  der  deut- 
schen  Geschichte  behandelt;  alle  Formen  der  Literatur-  historische  Prosa, 
das  klassische  Trauerspiel  und  das  klassische  Lustspiel,  das  moderne 
Lustspiel,  die  Lyrik,  die  epische  Poesie  und  Xovellistik  sind  darin  ver- 
treten;  Werke  der  Klassiker  nehmen  an  Zahl  den  ihnen  gebiihrenden 
Platz  ein.  Diese  Liste  lautet  wie  folgt: 

Schrakamp,  Sagen  und  Mythen.  Goebel,  Hermann  der  Cherusker. 
Freytag,  Ingo.  Dahn,  Ein  Kompf  um  Rom.  Freytag,  Karl  der  Grosse. 
Aus  dem  Klosterleben.  Scheffel,  Ekkehard.  Freytag,  Aus  den  Kreuz- 
ziigen.  Riehl,  Kulturgeschichtliche  Novellen.  Ebner,  Walther  von  der 
Vogelweide.  Hillern,  Hoher  als  die  Kirche.  Schiller,  Tell.  Hauff, 
Liechtenstein.  Freytag,  Dr.  Luther.  Schiller,  Wallenstein.  Goethe,  Eg- 
mont.  Scheffel,  Der  Trompeter.  Gutzkow,  Zopf  und  Schwert.  Schrader, 
Friedrich  der  Grosse,  Lessing,  Minna  von  Barnhelm,  Goethe,  Wahrheit 
und  Dichtung.  Kohlrausch,  Das  Jahr  1813.  Freytag,  Soil  und  Haben. 
Die  Journalisten.  Zastrow,  Wilhelm  der  Siegreiche.  Bismarcks  Ausge- 
wahlte  Brief e  und  Heden.  Wachsenhusen,  "Vom  ersten  bis  zum  Letzten 
Schuss.  Elster,  Zwischen  den  Schlachten.  Lodemann,  Germany  and  the 
Germans.  Kron,  German  Daily  Life.  Prehn,  Journalistic  German. 
Schrakamp,  Erzahlungen  aus  der  deutschen  Geschichte.  Beriihmte 
Deutsche.  Hoffmanns  Historische  Erzahlungen.  Wagners  Ballads  on 
German  History. 

Ich  halte  dafiir,  dass  der  Vorwurf,  die  Freunde  des  Realien-TJnter- 
richts  vernachlassigten  die  Herz  und  Gemiit  bildende  Seite  der  deutschen 
Literatur  durch  diese  Liste  aufs  wirksamste  zuruckgewiesen  wird;  es  ist 
fiir  den  ernsten  Lehrer,  dem  der  Glaube  an  Ideale  ja  nicht  verloren  ge- 
gangen  sein  darf,  selbstverstandlich,  dass  die  von  ihm  gewahlten  Texte 
den  allgemeinen  Forderungen  des  erziehlichen  Unterrichts  entsprechen 
miissen. 

Die  geographischen  Kenntnisse  unserer  Schiller  mogen  sich  auf  ein 
Minimum  beschranken;  eine  gute  Karte  von  Deutschland,  wie  etwa  die 
von  Kiepert  oder  von  Sydow-Habenicht,  die  nicht  des  Guten  zu  viel  ent- 
halt,  die  gelegentlich  auch  zu  Sprechiibungen  Verwendung  finden 
kann,  geniigt  in  einfachen  Schulverhaltnissen;  in  langeren  Kursen  sollte 
auch  des  Naheren  eingegangen  werden  auf  Deutschlands  Lage  im  Kon- 
tinent,  seine  politischen  und  natiirlichen  Grenzen,  Bodenerhebungen, 
Bodenart,  unterirdischen  Schatze,  Gewasser,  sein  Klima,  den  durch  das- 
selbe  bedingten  Pflanzenbau,  den  deutschenMenschen,  seineGewerbe  und 
Industrieen,  die  in  Deutschland  vertretenen  Konfessionen,  seine  Verwal- 
tungsbezirke,  die  wichtigsten  Stadte,  Festungen,  Seehafen,  seine  Verfas- 
sung,  die  deutschen  Kolonieen  und  einige  wichtige  Daten  aus  der  Ge- 
schichte der  deutschen  Sprache. 


Die  Realien  im  deutschen  Sprachunterricht.  245 

In  imserem  12Jahrigen  Kursus  in  Saginaw  benutzen  wir  in  den  drei 
obersten  Klassen  die  fur  die  Untertertia,  Obertertia  und  Untersekunda 
deutscher  Gymnasien  bei  Teubner  in  Leipzig  erschienenen  Lehrbiicher 
der  deutschen  Geschichte  von  Schenk. 

Da  Professor  Schenk  nicht  in  koniglich  preussischen  Diensten  steht, 
sind  seine  Biicher  frei  von  jenem  ekelhaften,  liebedienerischen  Byzantis- 
nius,  der  die  Mehrzahl  in  Deutschland  erschienener  Geschichtsbiicher  fur 
amerikanische  Schulen  vollstandig  unbrauchbar  macht,  denn  die  von  Sr. 
Kaiserlichen  und  Koniglichen  Majestat  anbefohlene  "dynastische  Ge- 
sinnung"  muss  der  amerikanischen  Schule  feme  bleiben,  wennschon  sich 
durch  den  erfahrenen  Lehrer  auch  an  solche  Erscheinungen  lehrreiche 
Yergleiche  ankniipfen  liessen. 

"\Venn  ich,  wie  oben  bemerkt,  auch  die  planmassige  Erteilung  des 
Bealien  -  Unterrichts  in  den  kiirzeren  Lehrgangen  nicht  befiirworten 
kann,  so  bleibt  es  doch  wiinschenswert,  dass  in  zwb'lfjahrigen  Kursen  der 
Stoff  in  systematischer  Anordnung  an  der  Hand  eines  vorlaufig  noch 
nicht  vorhandenen  Realienlesebuch.es  geboten  werde. 

Als  die  Hauptmittel  zur  Einfiihrung  in  die  Realien  betrachte  ich: 

1.  die  Lektiire, 

2.  die   Sprechiibungen   im   Anschluss   an  historische   und   geogra- 
phische  Anschauungsbilder, 

3.  den  internationalen  Briefwechsel, 

4.  ein  Realienlesebuch, 

5.  das  Memorieren  von  Gedichten  geschichtlichen  Inhaltes.     Wo 
imnier  die  Kenntnisse  der  Klasse  zum  ausschliesslichen  Gebrauch  der 
Fremdsprache  berechtigen,  sollte  diese  auch  natiirlich  angewandt  werden. 
In     zweijahrigen     Kursen     wird  dies     nicht    moglich     sein,     in    vier- 
jahrigen  nur  ausnahmsweise  unter  sehr  giinstigen  Bedingungen.     Aber 
selbst  in  zwolfjahrigen  Kursen  darf  und  soil  die  englische  Sprache  mit- 
herangezogen  werden;  manchmal  sogar  will  es  mir  scheinen,  als  ob  ein 
sachkundiges  Urteil  iiber  deutsche  Zustande  aus  berufener  englischer 
Feder  —  und  deren  gibt  es  ja  gliicklicherweise  die  Fiille  —  von  ungleich 
^tarkerer  Wirkung  begleitet  sei  als  das  Wort  eines  in  Deutschland  ge- 
borenen  und  dort  erzogenen  Lehrers,  selbst  wenn  er  sonst  das  voile  Ver- 
trauen  seiner  Schiiler  besitzt.     Jmmerhin  sollte     jedoch     die  deutsche 
Sprache  als  das  naturgemasse  Mittel  zur  Mitteilung  dieser  Kenntnisse  an- 
gesehen  werden. 

Wenn  der  in  Deutschland  geborene  Lehrer  vor  dem  Fehler  gewarnt 
werden  muss,  dass  er  seine  Verehrung  fur  alles  Deutsche  nicht  in  allzu 
gliihenden  Farben  male,  so  muss  auf  der  anderet  Seite  der  deutsche  Re- 
negat  und  der  mit  deutschen  Zustanden  nur  oberflachlich  bekannte  Leh- 
rer von  amerikanischer  Geburt  vor  einer  ebenso  grossen  Gefahr  gewarnt 
werden:  kein  Lehrer  sollte  sich  so  weit  vergessen,  dass  er  die  fremde  Na- 


246  PMagoghcbe  Monatshefte. 

lion  der  Lacherlichkeit  preisgibt,  um  nach  Art  des  Demagogen  sich  Po- 
pularitat  zu  verschaffen.  Ohhe  der  geschichtlichen  "Wahrheit  eine  Blosse 
zu  geben,  muss  jener  sich  wohl  in  acht  nehmen,  dass  er  das  wohlberech- 
tigte,  vielleicht  etwas  zu  reizbare  nationale  Selbstgefiihl  unserer  ameri- 
kanischen  Jugend  nicht  verletze,  dieser,  dass  er  sich  nicht  scheue,  der 
alteren  Kultur  die  ihr  gebiihrende  Ehre  zu  geben. 

Es  steckt  ja  so  wie  so  schon  ein  gut  Teil  oppositionellen  Geistes  in 
a  Her  Jugend;  in  der  amerikanischen  gewiss  noch  mehr  als  in  der  europa- 
ischen.  Ich  sage  dies  gewiss  nicht  in  tadelndem  Sinne,  im  Gegenteil,  ich 
behaupte:  wohl  der  Jugend,  dass  dem  so  ist.  Ich  habe  schon  Unterrichts- 
stunden  beigewohnt,  wo  ich  mich  innerlich  gefreut  habe,  dass  ich  mir 
sagen  konnte,  nicht  alles,  was  vom  Katheder  verkiindet  wird,  wird  glau- 
bigen  und  gedankenlosen  Sinnes  verschlungen,  ohne  gepriift  zu  werden 
von  einer  skeptischen  Jugend;  ist  es  ja  doch  unsere  vornehmste  Aufgabe, 
die  Jugend  zu  denkenden  Menschen  heranzubilden,  zu  Mannern  tmd 
Weibern,  in  denen  sklavischer  Autoritatsglaube  nicht  jede  Selbstandig- 
keit  im  Denken  erstickt  hat.  Ich  fiir  mein  Teil  begriisse  den  oppositio- 
nellen Geist  der  Jugend  ials  fast  die  einzige  Garantie  fiir  die  freiheitliche 
EntwicKelung  un  seres  Landes. 

Fiir  unsere  Schiller  wiirde  die  Beruecksichtigung  der  Realien  keine 
neue  Biirde  bedeuten;  sie  heisst  Ja  eigentlich  nichts  anderes  als  die  Wah- 
rung  neuer  Gesichtspunkte  und  neuer  Grundsatze  bei  der  Auswahl  der 
Lekture,  wenn  iiberhaupt  bislang  bei  deren  Auswahl  von  Grundsatzen 
geredet  werden  konnte.  Der  zu  erhoffende  Gewinn  wiirde  aber  selbst 
cine  neue  Biirde  rechtfertigen.  Vor  allem  verspreche  ich  mir  davon  dies: 

An  der  Stelle  des  sentimentalen  Liebesgegirres,  .das  jetzt  so  haufi|} 
tmserer  Jngend  als  geistige  Nahrung  geboten  wird,  tritt  eine  kraftige 
Speise,  die  vielleicht  momentan  den  Gaumen  nicht  in  demselben  Masse 
kitzcln  wird,  die  aber  dafiir  umso  nahrhafter  sein  wird.  Die  Jahre  der 
Schulzeit  sind  zu  kurz,  um  mit  Trivialitaten  vergeudet  zu  werden,  der 
Blick  unserer  Jugend  muss  auf  Grosses,  Ernstes  und  Bedeutendes  ge- 
richtet  werden;  in  einer  Republik,  wo  Mann  und  Weib  dazu  berufen  sind, 
ihr  Teil  zur  Losung  der  grossen  Fragen  der  Gegenwart  beizutragen,  ist 
dies  noch  viel  notwendiger  als  in  einem  patriarchalisch  regierten  Lande. 
Diesen  Fragen  werden  sie  mehr  Verstandnis  entgegenbringen,  wenn  sie 
aus  der  Geschichte  eines  der  machtigsten  Volker,  das  an  Kultur  und  Ge- 
sittung  hinter  keinem  anderen  zuriicksteht,  erfahren  werden,  wie  um  je- 
den  Fussbreit  Fortschritt  gekampft  und  gerungen  wiirde,  wie  oft  die 
Besten  und  die  Edelsten  mit  TJndank  belohnt  wurden,  die  Brutalitat  und 
der  Unsinn  im  fleckenlosen  Gewande  der  Unschuld  umherwandelten,  ihr 
geschichtliches  Verstandnis  wird  erweitert  werden,  sie  werden  den  tiefen 
Sinn  im  Schillerschen  Worte  ,,Die  Weltgeschichte  ist  das  Weltgericht" 
wiirdigen  lernen. 


Die  Realien  im  deutschen  Sprachuntenicht.  247 

Das  ist  aber  noch  nicht  alles:  Unsere  Jugend  wird  auch  lernen,  sich 
von  der  Vcrmundschaft  einer  chauvinistischen  Presse  freizumachen,  in 
deren  Spa  Hen  die  Fremdenhetze  sich  immer  mehr  in  der  ekelhaftesten 
Weise  breit  macht.  In  Europa  ist  es  in  dieser  Hinsicht  ja  nicht  viel  bes- 
ser.  So  schreibt  Professor  Hartmann  in  einem  Artikel  im  Organ  fur  den 
internationalen  Briefwechsel  Folgendes:  "Die  Presse  ist  eine  Schule  des 
gegenseitigen  Basses  geworden,  wie  zwischen  Parteien  und  Konfessionen, 
so  zwischen  verschiedenen  Volkern.  Nichts  kann  den  Zeitungsschreiber 
daran  hindern,  ein  fremdes  Volk  so  boshaft  und  gehassig  in  den  Staub  zu 
ziehen,  als  sein  Temperament  ihm  eingibt." 

Wir  veiiangen  von  unseren  Schiilern  gewiss  nicht,  dass  sie  sich  bei 
Betrachtung  fremdlandischer  Erscheinungen  auf  eine  fremdlandische 
Gefuhlsbasis  versetzen  sollen.  Wir  sind  zu  alien  Zeiten  bereit,  von  frem- 
den  Nationen  das  anzunehmen,  was  brauchbar,  gut  und  schon  ist,  miissen 
uns  aber  ganz  entschieden  das  Kecht  vorbehalten,  mit  unserer  eigenen 
Elle  zu  messen. 

Der  Realien  -  Unterricht,  wenn  in  diesem  Sinne  erteilt,  wird  ein  gut 
Teil  dazu  beitragen,  ein  besseres  Verstandnis  zwischen  den  beiden  in 
Frage  kommenden  Nationen  herbeiziifiihren,  und  dann  das  werden,  was 
er  sein  sollte,  ein  im  edelsten  Sinne  des  Wortes  patriotisches  AYerk. 


Monolingualism,  the  Bane  of  This  Country. 


By  H.  M.  Ferren,  High  School,  Allegheny,  Pa. 


Most  of  the  opposition  in  this  country  to  a  thorough  and  extensive 
study  of  modern  foreign  languages  emanates  from  a  misconception  of  the 
word,  Americanize.  To  the  average  Anglo-American  it  is  synonymous 
with  a  Circean  form  of  Anglicizing  or  Hibernicizing  foreigners  coming 
to  our  shores.  Let  us  attempt  a  broader  definition:  Americaniza- 
tion  is  agradual  assimilating  process  allowing  each 
constituent  part  of  our  heterogene  ous  population 
ample  time  and  opportunity  to  contribute  its  share 
ofwhat  is  typically  strong  and  good.  In  no  other  manner 
can  our  social  life  receive  that  versatility  and  richness  of  content  so  indis- 
pensable to  a  nation's  happiness. 

The  coming  of  the  Germans  to  America,  to  cite  the  most  represen- 
tative case,  has  much  in  common  with  the  transplanting  of  a  tree.  II 
it  is  to  flourish  in  other  environments,  its  primary  root  must  remain  in- 
tact, the  contiguous  earth  should  be  retained,  nor  should  the  new  soil 
differ  much  from  the  old.  Their  language  is  to  the  Germans,  what  the 
primary  root  is  to  the  tree.  Sever  it,  and  they  are  permaturely  blighted. 
Whatever  vegetation  remains,  is  as  the  mistletoe  to  the  oak  or  as  the 
sucker  to  the  fruit-tree.  Their  time-honored  customs  and  traditions  are 
to  them  as  the  original  earth  which  has  been  left  adhering  to  the  roots  of 
the  newly  transplanted  tree  and  through  which  alone  its  sustenance  can  be 
properly  conveyed.  Lastly,  they  thrive  best  in  a  rather  meagre  soil. 
When  placed  in  too  fertile  a  loam,  they  develop  luxuriant  foliage,  but 
cease  to  bear  fruit.  The  criminal  indifference  with  which  our  wealthy 
Germans  look  upon  the  sublime  mission  of  their  countrymen  in  our 
republic  is  a  heartrending  illustration  of  this  fact. 

To  foster  his  language  and  song,  to  cling  to  his  national  customs 
and  traditions  with  every  tendril  of  his  soul,  is  the  most  sacred  duty 
devolving  upon  the  German-American.  In  performing  it,  he  will  not 
only  transmit  to  the  American  nation  its  legitimate  inheritance  from 
the  fatherland,  but  will  also  develop  his  own  faculties  to  their  fullest 
extent,  thereby  becoming  a  more  versatile  and  more  useful  member  of 
society. 

By  breaking  with  his  own  past,  in  order  to  become  Anglecized,  he 
would  lose  his  ethnical  characteristics,  without,  however  assuming  another 
nationality.  For  civilizations,  such  as  the  English  and  the  German,  are 
the  products  of  centuries,  and  it  is  a  fatal  error  to  imagine  that  they  can 
be  exchanged  at  will  like  articles  of  wearing  apparel. 


Monolingualism,  the  Bane  of  This  Country.  249 

The  scarcely  landed  foreigner  who  shouts  himself  hoarse  in  praise 
of  the  American  flag  and  maligns  his  native  land  is  a  superficial,  fickle- 
minded  person,  upon  whom  we  could  place  no  reliance  in  time  of  national 
peril.  The  German  by  birth  or  descent  who  has  cast  aside  the  precious 
heritage  of  his  great  language  and  literature  is  a  rudderless  ship  on  an 
unknown  sea.  He  is  left  without  a  past  and  without  a  people.  He  is 
neither  English  nor  German,  but  only  a  hideous  mixture  of  the  baser 
elements  of  both.  Though  he  be  self-sustaining,  though  he  may  add  to 
our  material  prosperity,  he  is  nevertheless  a  pauper  and  a  parasite  feeding 
upon  the  very  heart-blood  of  our  nation.  Were  it  not  for  his  deplorable 
ignorance,  he  would  have  to  be  branded  as  a  traitor  even  more  culpable 
than  Benedict  Arnold. 

I  am  far  from  underrating  the  invaluable  benefits  which  we  have 
derived  from  England.  No  blame  attaches  to  her,  for  she  has  done  more 
than  her  duty  by  us.  But  the  composite  nature  of  the  American  people 
makes  it  imperative  that  other  forces  beside  those  of  English  origin 
should  become  more  than  nominally  operative  in  our  national  organism. 

While  the  Eevolutionary  War  gave  this  coutry  its  political  auton- 
omy, the  overwhelming  predominance  of  the  English  language  caused  it 
to  remain  a  British  dependency  from  a  social  and  intellectual  point  of 
view.  With  the  increasing  immigration  from  Europe  this  state  of  de- 
pendence became  ever  more  incongruous  and  detrimental.  What  a  mag- 
nificent legacy  was  never  claimed  by  us,  because  our  English  eyes  could 
not  behold  it!  What  a  Gospel  of  European  culture  was  preached  in  vain 
to  us,  because  our  English  ears  were  deaf  to  it!  Myriads  of  seeds  fraught 
with  untold  blessings,  pregnant  with  the  possibilities  of  a  rich  and  re- 
plendent  vegetation,  are  being  wafted  to  us  year  after  year  across  the 
Atlantic;  yet  they  cannot  take  root  in  our  shallow  monolingual  soil. 

Monolingualism  has  been  our  greatest  curse!  By  suppressing  our 
latent  powers,  it  has  retarded  our  intellectual  growth  and  has  im- 
poverished our  social  life.  It  has  made  a  desert  of  what  might  have  been 
a  paradise.  It  has  robbed  this  nation  of  its  soul! 

Nor  will  the  dawn  of  a  brighter  era  appear,  until  Americans  learn 
to  comprehend  and  to  put  in  practice  the  message  which  the  non- 
English  literatures  contain  for  them. 

The  first  step  in  this  direction  will  consist  in  enabling  our  youth, 
not  merely  in  a  few  large  cities,  but  all  over  the  land,  to  begin  a  second 
representative  modern  language  at  such  an  early  age  that  they  may  be- 
come imbued  with  its  literary  spirit  and  may  make  its  masterpieces  part 
of  their  own  flesh  and  blood.  The  prevailing  custom  of  beginning  all 
foreign  languages  in  our  secondary  schools  is  based  upon  the  irrational 
assumption  that  knowledge  can  be  compressed  and  cut  and  piled  up  in- 
discrimately  like  so  many  bales  of  hay.  Under  this  arrangement  the  time 


250  PSdagogiscbe  Monatshefte. 

devoted  to  modern  language  study  is  so  short  and  the  number  of 
participants  so  limited  that  it  can  be  nothing  else  than  an  imaginary 
quantity  in  our  public  education. 

The  more  languages  we  master,  the  broader  our  horizon,  the  keener 
our  vision  becomes.  It  is  a  fallacy  to  suppose,  that  we  can  absorb  the 
European  literatures  through  English  translations,  lectures  and  book  — 
reviews.  No  more  than  all  the  waters  of  the  Baltic  and  the  German 
Ocean  can  enter  the  Atlantic  through  the  English  Channel,  no  more 
does  the  English  language  suffice  to  convey  to  the  American  people  their 
intellectual  and  social  heritage  from  the  continent  of  Europe.  Moreover, 
Anglo- American  literary  criticism  of  to-day  resembles  a  river  with  count- 
less shoals  and  gorges,  where  many  a  vessel  bearing  a  cargo  of  inestimable 
value  is  stranded  on  the  sand-banks  of  dilettanteism  or  is  dashed  to 
pieces  in  the  narrows  of  frenzied  racial  prejudice,  erroneously  called 
patriotism.  The  English  language  is  too  weak  a  glass  for  the  American; 
it  cannot  reveal  to  him  the  civilization  of  the  world.  Only  when  he 
learns  to  look  through  the  compound  lens  of  more  than  one  great 
literature,  will  he  discern  in  distinct  outlines  and  in  symmetrical  form, 
what  now  appears  blurred  or  distorted  to  him.  Then  he  will  perceive  the 
real  purport  of  Schiller's  criticism  addressed  to  the  English:  "Sluggishly 
the  thick  blood  flows  in  your  veins.  Pleasure  is  foreign  to  you,  who 
know  but  frenzy."  Then  he  will  glean  a  profounder  meaning  from  that 
beautiful  inscription  above  the  portal  of  the  famous  music  hall  in 
Leipzig:  "True  enjoyment  is  a  matter  of  grave  importance."  Then  the 
truth  will  dawn  upon  him  that  theGermans,  in  promoting  music  and 
song  in  this  country,  contributed  infinitely  more  toward  the  suppression 
of  vice  than  all  our  law  and  order  societies  ever  did  or  ever  will  do. 
Brutality  and  excess  of  every  kind  come  rushing  in,  like  a  replenishing 
ether,  wherever  a  social  vacuum  occurs.  To  displace  them  effectively, 
we  must  secure  a  richer  content  for  our  inner  national  life.  Our  tempe- 
rance and  Sunday  questions,  along  with  many  others  of  a  similar  nature, 
will  sink  into  insignificance,  the  moment  we  learn  to  provide  for  the 
masses  the  proper  forms  of  enjoyment,  because  a  heart  overflowing  with 
genuine  joy  has  no  room  for  wickedness. 

Let  us  hope  that,  that  this  nation  may  soon  proclaim  a  second  de- 
claration of  independence,  that  it  may  bid  a  friendly  but  final  farewell  to 
British  insularity.  Long  enough  we  have  tarried  in  the  narrow  English 
Channel.  Let  us  lift  our  anchors  and  hoist  our  sail!  'Tis  time  to  put 
to  sea  —  in  quest  of  our  lost  birthright,  the  golden  fleece  of  the  world's 
best  thought. 

the  p.. 

be  exchan6. 


Die  deutsche  Schriftstellerin  von  gestern 
und  heute. 


Von  Dr.  Otto  Heller,  Professor  an  der  Washinyton-Universitcet,  St.  Louis,  Mo. 

Das  in  der  deutschen  Literaturgeschichte  eingebiirgerte  Verfahren, 
die  Frauenschriftstellerei  als  ein  besonderes  Untersuchungsgebiet  fur  sich 
zu  behandein,  wurde,  obschon  es  prinzipiell  durchaus  nicht  einwandfrei 
erscheint,  auch  fiir  die  vorliegende  Arbeit  eingeschlagen.  ZweiErwagungen 
waren  bestimmend.  Einmal  drangte  die  Keichhaltigkeit  der  Materie  zu 
einer  orientierenden  tibersicht;  sodann  lockte  die  Aufgabe,  den  immerhin 
erkennbaren  entwickelungsgeschichtlichen  Verlauf  der  Frauenschriftstel- 
lerei  des  vergangenen  Jahrhunderts  darzustellen.  Das  fast  allgemeine 
Urteil  iiber  die  literarische  Produktion  der  Frauen  kiindigt  sich  schon  in 
der  herkommlichen  Methode  an,  den  einzelnen  Abschnitten  der  Literatur- 
geschichte kurze,  oft  fliichtige  und  unzuverlassige  Kapitel  iiber  die  "ein- 
schliigigen"  Autoren  weiblichen  Geschlechts  anzuhiingen.  Und  im  gros- 
sen  und  ganzen  betrachtet,  ist  das  entschuldbar.  In  Sachen  der  Kunst 
sind  die  Frauen  die  Nachziigler  der  Weltgeschichte.  Es  gebricht  ihnen  in 
peinlichom  Grade  die  Kraft  zur  kiinstlerischen  Selbstbestimmung.  Dafiir 
besitzen  sie  allerdings  ein  grosses  Nachahmungs-  und  Anempfindungs- 
talent.  Soil  man  die  Schuld  fiir  ihr  scheinbares  Unvermogen  zu 
,,potenziertem"  Pesrsonlichkeitsausdruck  der  jahrhundertelangen  haus- 
lichen  Eingezogenheit  der  Frau,  ihrer  Ausschliessimg  von  hoheren  In- 
teressenspharen  zur  Last  legen?  Lassen  wir  das  von  der  Deutschen  im- 
rnerhin  gelten.  Wie  steht  es  urn  die  Frauenliteratur  galanterer  Volker? 
Man  gehe  bin  und  priife.  \\ro  bleiben  die  Nachfolgerinnen  einer  George 
Eliot,  einer  George  Sand?  Stehen  nicht  beide  vereinsamt  in  ihrer  Grosse? 
Noch  viel  trauriger  sieht  es  mit  dem  weiblichen  Kunstschaffen  bei  uns 
in  Amerika  aus,  wo  doch  weissgott  die  Frauen  nicht  iiber  Unterdriickung 
zu  klagen  haben.  Ungepanzert,  wie  ich  bin,  gebe  ich  kiihn  der  Wahrheit 
die  Ehre:  aus  der  amerikanischen  Frauen  welt  ist  bisher  keine  einzige 
grosse  Kunstleistung  hervorgegangen. 

Man  halte  mit  Kntrustungsausbriichen  nachsichtigst  zuriick. 
Es  fiiilt  mir  nicht  im  Traume  ein,  die  hohe  literarische  Kul- 
tnr  der  Frau  abzuleugnen.  Ich  kenne  ihre  wohltatige  Ein- 
wirkung  auf  das  Schrifttum  der  Vergangenheit.  Ich  glaube  etwas 
von  ihrem  Einfluss  auf  die  mittelalterliche  Lyrik  und  Epik  zu  wissen; 
auch  von  der  weit  gesiinderen,  gleichfalls  massigenden  und  verfeinernden 
Einwirkung  gebildeter  Frauen  auf  Goethe  und  Schiller.  Iphigenie,  Leo- 
nore,  Dorothea,  Johanna,  das  sind  unwiderlegliche  Zeugnisse.  Vollends 
die  Briefwechsel  jener  geistig  regen  Zeit  beseitigen  den  letzten  Zweifel. 
Aber  was  haben  die  Frauen  von  Weimar  und  Jena  aus  dem  eigenen  Kon- 


252  Padagogische  Monatshefte. 

nen  zu  unserem  litcrarischen  Besitz  beigesteucrt ?  Und  die  weiblichen 
Nachklassiker  der  nachstfolgenden  Generation,  sind  nicht  die  Spuren 
ihrer  Tatigkeit  so  gut  wie  venveht?  Hochstens,  dass  wir  uns  vom  Pennal 
her  an  den  prachtigen  ,,Colural)ns"  der  Luise  Brachmann  erinnern,  die 
c;ich  so  effektvoll  an  Schillers  mannliche  Schulter  zu  lehnen  weiss. 

Die  sogenannte  Frauenschriftstellerei  kam  erst  im  neunzehnten  Jahr- 
himdert  in  Schwang.  Man  kann  sie  zur  systematischen  tibersiclit  etwas 
grobschlachtig  in  Kunst-,  Tendenz-  imd  blosse  Unterhaltimgsliteratur 
zerlegen.  Ganz  achtlos  konnen  wir  an  der  letzteren  nicht  vorbeigehen, 
gerade  wir  deutschen  Lehrer  in  den  Vereinigten  Staaten  nicht;  denn  aus 
den  Biichern  dieser  Sorte  sind  zum  grossen  Teil  die  hierzulande  verbreite- 
ten  unerfreulichen  Ansichten  iiber  deutsche  Wesensart,  zumal  iiber  den 
Charakter  des  deutschen  Weibes  unter  die  Amerikaner  gedrungen. 

Von  den  schablonenliaften  Typen  dieser  Leihbibliotheksschmb'ker 
sei  es  deshalb  verstattet,  einen  einzigen  leiclit  hervorzuheben:  die  welt- 
beriihmte  deutsche  Jungfrau  mit  den  blonden  Zb'pfen,  dem  veil- 
chenblauen  Auge  und  ditto  Gemiit.  Zart  und  ziichtig  bewegt  sie  sich  ewig 
lachelnden  Mundes  in  dem  mit  Eecht  so  beliebten  hauslichen  Kreise. 
Ihre  geistige  Ausbildung  hat  sie  hauptsachlich  durch  Lekture  fiir  die  rei- 
fere  weibliche  Jugend  erlangt,  doch  liest  sie  daneben  auch  Schiller  und 
tlhland,  auch  dieses  und  jenes  von  Goethe;  sogar  den  expurgierten  Heine 
lispelt  sie  iiber  ihrem  Stickrahmen.  In  alien  iibrigen  Dingen  sanft  und 
versohnlich,  kennt  sie  in  ihrem  musikalischen  Eifer  weder  Ziigel  noch 
Scheming.  Das  ^Yenige,  was  sie  zu  sagen  hat,  kann  sie  auf  deutsch,  eng- 
lisch  und  franzosisch  von  sich  geben.  Fiir  Blumen  und  Kanarienvogel 
echwarmt  sie  vorschriftsmassig.  Als  wirbelloses  Geschopfchen  wandelt 
sie — durch  das  Leben?  Nein,  durch  den  Roman,  um  im  letzten  Kapitel  ir- 
gend  einen  uniformierten  Schmachtlappen  mit  Herz  und  Hand  zu  be- 
gliicken.  AYas  AYunder,  wenn  Amerikaner,  die  sich  aus  derlei  Scharteken 
vertrauensvoll  ihre  ethnologische  Belehrung  holen,  die  ganze  deutsche 
Itomanliteratur  fiir  sentimental  erklaren! 

Doch  betrachten  wir  bis  auf  weiteres  die  beiden  anderen  ernst  zu  neh- 
menden  Art  en  der  Frauenschriftstellerei.  Nur  in  ganz  vereinzelten  Fal- 
len haben  sich  unsere  Autorinnen  in  kiistlerischem  Sinne,  d.  h.  durch 
sichere  Formbeherrsc-hung  und  die  Gabe,  intensiv  zu  erleben  und  das  Er- 
lebnis  gekliirt,  doch  ungeschmalert  ins  Werk  heriiberzuretten,  ausge- 
zeichnet.  Hingegen,  eine  aussergewohnliche  Intelligenz  und  eine  mutig 
zupackende  Energie  wird  man  fraglos  vielen  unter  ihnen  zuerkennen.  Mit 
ausgesprochenem  Eeformatoreneifer  ziehen  sie  vorzugsweise  fiir  die  sog. 
Frauenemanzipation  zu  Felde.  Und  mehr  als  einen  Sieg  haben  sie  fur  ihre 
Sache  mittels  ihrer  literarischen  Arbeit  erkampft.  Zwar  weitaus  nicht  alle 
•^chriftstellerinnen  schlagen  sich  zur  liberalen  Partei;  doch  die  vornehm- 
sten  kampfen  mit  wenigen  Ausnahmen  fiir  Fortschritt  und  Freiheit.  So 


Die  deutsche  Schriftstellerin  -von  gestern  und  heute.  253 

finden  wir  zum  Beispiel,  dass  sogar  die  durch  ihr  Temperament  nnd  durch 
enge  personliche  Bande  mit  der  romantischen  Schule  verstrickte  Bettina 
von  Arnim,  statt  die  reaktionaren  Bestrebungen  der  Spatromantik  zu 
teilen,  ahnlich  wie  Heine  von  dieser  znr  jungdeutschen  Zeitliteratur  iiber- 
geht. 

Fur  die  tendenziose  Frauenliteratur  wurde  ,,das  Junge  Deutsehland" 
die  bedeutungsvollste  Episode.  Von  Frankreich  her  war  zusammen  mit 
mit  den  iibrigen  revolutionaren  Ideen  eine  neuartige  Auffassung  der  Ehe 
eingedrungen.  Als  Nachhall  der  von  St.Simon,  George  Sand  und  anderen 
erhobenen  Forderungen  erklang  in  dem  weiblichen  Anhang  Jungdeutsch- 
lands  der  Ruf  nacli  einer  neuen,  vernunftmassigeren  Hegelung  des  ehe- 
lichen  Verhaltnisses  in  alien  Tonarten  wieder:  von  der  Verstaatlichimg 
der  Familie  durch  die  Civilehe  bis  zu  ihrer  praktischen  Abschaffung  durch 
die  ,,freie  Liebe"  variierten  die  verschiedenartigsten  Vorschlage; 
und  sie  alle  musste  der  dehnbare  Ausdruck  ,,Emanzipation"  decken.  Das 
Auftauchen  unverfalscht  anarchistischer  Maximen  mitten  unter  den  Vor- 
arbeiten  fur  einen  sozialistischen  Umbau  der  Gesellschaft  lasst  die  be- 
rechtigte  Frage  aufsteigen,  ob  nicht  Sozialismus  und  Individualismus  am 
Ende  doch  nur  divergierende  Ausfliisse  derselben  Triebquelle  seien. 

Auch  diesmal  stiess  die  fanatische  Fraktion  der  Frauenrechtlerinnen 
die  offentliche  Sympathie  ab,  und  man  blieb  infolgedessen  in  weitesten 
Kreisen  blind  gegen  die  Berechtigung  der  Bewegung.  Uaher  riihrt  auch 
die  allgemeine  Unwissenheit  iiber  die  damaligen  Frauenbestrebungen. 
Unser  "neues  AVeib"  wiirde  sich  liber  die  Modernitat  seiner  Grossmiitter 
nicht  iibel  verwundern,  wenn  es  z.  B.  wiisste,  wie  kraftig  eine  gewisse  Julie 
Burow  fur  berufliche  Frauenerziehung  pladierte  oder  die  Urheberin  des 
1855  gegriindeten  "Allgemeinen  Deutschen  Frauenvereins",  Luise  Otto, 
fur  die  Organisierung  weiblicher  Gewerkschaften  eintrat. 

Die  gegensatzlichen  Standpunkte  innerhalb  der  jungdeutsch  gefarb- 
ten  Frauenliteratur,  den  kollektivistischen  und  den  individualistischen, 
bezeichnen  am  deutlichsten  die  Werke  zweier  in  jeder  Hinsicht  grundver- 
schiedener  Frauen:  Ida  Hahn-Hahn  und  Fanny  Lewald.  Ihr  Leben  um- 
tpannt  fast  das  ganze  Jahrhundert  und  reicht  bis  zu  den  Anfangen  der 
literarischen  Gegenwart  herauf.  Literarisch  genommen  sind  sie  aber 
schon  lange  tot,  und  die  neuerdings  von  Eichard  Meyer  an  der  Grafin 
Hahn-Hahn  vorgenommenen  Wiederbelebungsversuche  werden  verlorene 
Liebesmiih'  bleiben.  Ida  Hahn-Hahn  gehort  in  ihre,  nicht  in  unsere  Zeit; 
oder  besser,  sie  gehort  mit  ihrer  kapriziosen  tiberspanntheit  selber  in  die 
von  ihr  erschlossene  Romanwelt.  In  der  Tat  bilden  ihre  Heldinnen  eine 
Galerie  von  Selbstportrats;  in  hellen  Lichtern  gemalt,  in  reichstes  ver- 
goldetes  Schnitzwerk  eingerahmt.  "Aus  der  Gesellschaft"  erschien  1838. 
Der  Titel  klang  wie  eine  Anpreisung,  schien  ein  Versprechen  zu  enthal- 
teh.  Die  Grafin  hielt  Wort.  Sie  hat  das  staunende 'biirgerliche  Publikum 


254  Padagogische  Monatsbefte. 

in  die  mit  glitzernden  Uniformen  und  fabelhaft  dekolletierten  Toiletten 
erfiillten  Sale  der  vornehmen  Welt  eingefiihrt.  Doch  nein;  nicht  einge- 
fiihrt.  Dazu  1st  sie  zu  sehr  Standesdame.  Nur  zur  Galerie  hat  sie  den  Soh- 
nen  und  Tochtern  der  misera  plebs  den  Eintritt  vergonnt.  Und  \vie 
so  ganz  fiihlt  man  sich  Canaille,  wenn  man  in  das  Gewiihl  der  waschech- 
ten  Herrschaften  drunten  hineinblickt!  An  der  Saaltiir  steht  die  wach- 
same  Grafin;  Fiirsten,  Graf  en,  Freiherren,  zur  Not  noch  einfache  Vons 
diirfen  nach  Belieben  ein  und  aus.  Fiir  Biirgerliche  bedarf  es  einer  beson- 
dern  Legitimation,  die  niclit  viele  aufbringen  konnen:  Genialitat,  oder 
doch  das  Surrogat,  das  die  Grafin  dafiir  nimmt,  namlich  ein  luftballon- 
artiges  Expansions vermogen,  eine  stets  in  Gefahr  des  Piatzens  schwe- 
bende,  hochstrebende,  unbefriedigte,  immer  etwas-aber-ich-weiss-nicht- 
\\ras  wollcnde  Kiinstlerseele.  Yor  alien  Dingen  muss  man  eine  komplexe 
Natur  sein,  um  vor  der  hohen  Frau  zu  bestehen.  Denn  gegen  alles  Ein- 
fache, vom  ausserlichsten  Kleidungsstiick  bis  zum  innersten  Charakter- 
zug,  hat  sie  eine  uniiberwindliche  Abneigung. 

Die  Milieuschilderung  der  Hahn-Hahnschen  Eomane  erhebt  keinen 
Anspruch  auf  Lebenstreue.  Was  sie  an  wirklichem  Wahrheitsgehalt  be- 
sitzen,  ist  bereits  konstatiert.  Sie  reihen  sich  zu  einer  Universalbeichte 
zusammen.  Eine  iiberschwengliche  Enthusiastin,  stiirmische,  lodernde 
und  dennoch  kapriziose  Liebhaberin,  eine  fanatische  Glaubensbekennerin, 
go  stellt  sich  die  Verfasserin  in  diesem  vielfaltigen  Selbstbildnis  dar. 
Was  Ida  Halm-Halms  Ethik  betrifft,  so  steckt  in  ihr  schon  ein  entschie- 
den  herrcnmoralischer  Keim:  Befreiung  von  der  konventionellen  Moral 
wird  lautgef  order  t.  Doch  nicht  fur  die  Herde  der  Vielzuvielen;  nur  der 
das  Durchschnittsmass  iiberragenden  Personlichkeit  wird  sie  als  Vorrecht 
zuerkannt. 

Dieser  riicksichtslosen  aristokratischen  Selbstiiberhebung  steht  der 
demokratische  Altruismus  Fanny  Lewalds  gegeniiber.  Was  die  kiinstle- 
rischc  Darstellung  angeht,  ragen  ihre  Werke  nicht  entfernt  an  die  der 
Grafin  Hahn-Hahn  heran.  Unromantisch  bis  zur  Niichternheit,  beredt 
nicht  durch  hinreissenden  Schwung  der  Sprache  oder  die  Macht  der  Lei- 
denschaft,  sondern  lediglich  durch  unerschutterliche,  mit  festgefiigter  Lo- 
pik  vorgetragene  tiberzeugung,  war  sie  ein  bedeutsamerer  Faktor  in  de^ 
Frauenbewegung  als  in  der  Literatur.  Auch  sie  giebt  in  ihren  Schriften 
den  auf  die  Ehe  beziiglichen  Fragen  einen  breiten  Raunij  und  /war  be- 
liandelt  sie  dieselben  mit  einer  solchen  dialektischen  Schlagfertigkeit  und 
ruhigen  Positiviiat,  dass  z.  B.  ihr  Buch  ,,Eine  Lebensfrage",  worin  sie 
der  Zulassigkeit  der  Ehescheidung  energisch  das  Wort  redet,  nicht  ver- 
fehlte  einen  allgemeinen  tiefen  Eindruck  zu  iiben. 

Nicht  wenige  Schriftstellerinnen  verbleiben  jedoch  trotz  des  herr- 
schenden  Zeitgeists  ausserhalb  des  Eadikalismus  oder  fassen  gar  in  der 
Eeaktion  festen  Fuss,  weil  die  sozialpolitischen  Verbesserungsvorschlage 


Die  deutsche  Schriftstellerin  von  gestern  und  heute.  255 

nnd  -versuche,  welche  dieGestaltung  dieserWelt  der  gottlichenVorsehung 
entwinden  mochten,  ihren  frommen  Seelen  Besorgnis  und  Grauen  ein- 
flb'ssen.  Weit  iiber  die  gottergebene  Protestantin  Marie  Nathusius,  die 
Verfasserin  des  "Tagebuchs  eines  armen  Frauleins"  erhebt  sich  die  katho- 
lische  Dichterin  Annette  von  Droste-Hiilshoff.  Lage  nicht  iiber  ihren 
Gedichten  und  Novellen  eine  schattenhafte  mystische  Verziickung,  ware 
ihr  sonst  so  hellblickendes  Auge  nicht  von  religib'ser  Bigotterie  ver- 
schleiert,  man  miisste  ohne  weiteres  der  Kritik  beipflichten,  die  Annette 
von  Droste  fiir  Deutschlands  vornehmste  Dichterin  erklart.  Auch  so 
wird  man  die  loyale  Tochter  der  roten  Erde  ohne  tibertreibung  als  die 
erste  grosse  Heimatkiinstlerin  Deutschlands,  als  einen  der  grossten  im- 
pressionistischen  Naturdichter  anerkennen  miissen. 

Wie  sich  trotz  der  resignierten  Grundstimmung  bei  Droste-Hiilshoff 
nicht  selten  das  eigenste  Personlichkeitsbewusstsein  gegen  das  Joch  der 
Satzung  baumt,  so  auch  bei  der  gleich  ihr  nachdenklichen,  aber  weit  lei- 
denschaftlicheren  Wienerin  Betty  Paoli.  Gegen  die  Emanzipationsbe- 
gtrebungen  ist  sie  gleichgiiltig.  Das  Weib  darf  nur  einen  Ehrgeiz  kennen: 
die  Erfiillung  ihres  Berufes,  durch  unbedingte  Selbsthin^abe  zu  beseligen 
nnd  selbst  also  selig  zu  werden. 

Wir  miissen  nun  auf  kurze  Zeit  von  der  Frauenliteratur  ernsten  Ge- 
halts  abschweifen  und  uns  den  beiden  popularsten  Schriftstellerinnen 
ihrer  Zeit  zuwenden,  die  mit  bewunderungswertem  Gleichmut  die  Stiirme 
des  offentlichen  Lebens  von  sich  f ernzuhalten  verstanden.  Es  wiirde 
schwer  halten,  in  der  Literaturgeschichte  analoge  Beispiele  fiir  das 
schreiende  Missverhaltnis  zwischen  offenlicher  Be\rertung  und  wirk- 
lichem  Wert  anzufiihren,  das  uns  in  der  Popularitat  der  Luise  Miihlbach 
und  Charlotte  Birch-Pfeiffer  entgegentritt. 

Miihlbachs  Ungliick  war  die  spielende  Leichtigkeit,  mit  der  sie  pso- 
duzierte.  Ihre  Laufbahn  fiel  in  eine  Epoche,  in  welcher  der  "gebildete" 
Leser  dem  Romanschriftsteller  in  Bezug  auf  historische  Treue 
nicht  sehr  auf  die  Finger  sah;  wo  dem  letzteren  folglich  nicht  sehr  viel  da- 
ran  lag,  die  Weltgeschichte  und  ihren  Treppenwitz  streng  auseinanderzu- 
halten.  Mit  ihrem  dreizehn  Ba'nde  dicken  Friedrich  dem  Grossen  machte 
die  Miihlbach  ihren  ersten  Schlager.  Fortan  klapperte  sie  ihre  Dutzend 
Bande  pro  Jahr  ab.  Von  Friedrich  dem  Grossen  bis  auf  den  Vater 
des  jetzt  regierenden  deutschen  Kaisers  entging  kein  Held  der 
europaischen  Geschichte  ihrem  scharfen  Kiichenmesser;  und  alle 
wurden  sie  lecker  zubereitet  und  appetitlich  garniert.  Doch  ob- 
gleich  die  vortreffliche  Kochin  und  Wirtin  mit  ihren  Opfern 
aufs  sparsamste  verfuhr  und  die  Gerichte  ausserst  diinn  aufs 
Brot  strich,  brauchte  sie  bei  ihrer  grossartigen  Betriebsamkeit  den- 
noch  den  ganzen  historischen  Proviant  auf  und  war  genotigt,  an  ihrem 
Lebensabend  dem  ungestillten  Hunger  ihrer  zahllosen  Leserschar  ihre  al- 
ten  Lieblinge  nochmals  aufzuwiirmen. 


256  Padagogische  Monatshefte. 

Es  ist  ein  Sprichwort,  das  lautet:  Ein  Ungliick  kommt  sel- 
ten  allein.  Charlotte  Birch-Pfeiffer  ist  die  Luise  Miihlbach  des 
deutschen  Dramas.  Von  dramatischem  Erfassen  und  Gestalten 
eines  lebendigen  Charakters  hatte  sie  keine  Ahnung;  doch  wusste 
sie  als  routinierte  Schauspielerin,  wie  man  dankbare  Rollen  verfertigt. 
Was  Handlung  und  Komposition  betrilu,  lassen  ihre  Theaterstiicke  fur 
den  besseren  Geschmack  fast  alles  zu  wiinschen  iibrig.  Dafiir  verstand 
sie  banale  Szenen  zu  einer  geschickten  Augenblickswirkung  zusammen- 
suzimmern  und  verfiigte  iiber  eine  nie  versagendeMacht  auf  die  Lachmus- 
keln  und  Tranendriisen  des  spiessbiirgerlichen  Parterres.  Und  ihre  Un- 
ternehmungslust!  Dickens,  Bronte,  Victor  Hugo,  George  Sand,  Bulwer, 
George  Eliot,  Auerbach,  Spindler,  Schiicking,  alle  wurden  sie  wie  podo- 
lische  Mastochsen  zur  dramatischen  Schlachtbank  gefiihrt;  der  beste  Ro- 
man wurde  fix  in  ein  von  klebriger  Sentimentalitat  triefendes  Schauspiel 
umgewandelt.  Wie  schade  fiir  die  genialen  Schopfer  des  "Theatrical 
Trust",  dieser  unserer  unvergleichlichen  demokratischen  Einrichtung, 
dass  Charlotte  um  ein  halbes  Jahrhundert  zu  friih  auf  die  Welt  kommen 
musste! 

Und  hinter  Miihlbach  und  Birch-Pfeiffer  gahnt  die  unendliche  Ode 
der  vom  Weibe  geborenen  Unterhaltungsbiicher.  Um  die  Mitte  des  ver- 
flossenen  Jahrhunderts  war  das  Romanschreiben  eben  die  einzige  ver- 
meintlich  geistige  Tatigkeit,  die  dem  Weibe  offen  stand.  Dazu  erleich- 
terte  die  Stabilitat  des  b'ffentlichen  Geschmacks  den  Schriftstellerinnen 
ihren  Beruf.  Eine  Definition  des  Familienromans  kann  ich  mir  gliick- 
licher  Weise  erlassen.  Unter  dem  Protektorat  der  Familienblatter,  unter 
denen  etwa  die  Gartenlaube  das  hochste  Niveau  bezeichnete,  das  vom 
Bildungsphilister  geduldet  ward,  bemachtigten  sich  unsere  Schriftstelle- 
rinnen dieses  Genres.  Seine  Zeit  ist  noch  immer  nicht  voriiber.  Auch 
liier  in  Amerika  nicht.  Das  beweist  der  eben  erst  in  der  Abkiihlung  be- 
griffene  Triumph  von  Winston  Churchills  zwar  garantiert  unschadlichem, 
aber  von  Apollo  und  alien  Musen  verlassenem  Geschreibsel. 

Wer  kennt  nicht  das  ausgepragteste  Muster  aller  Romanfabrikantin- 
nen  dieses  Schlages,  die  liebenswiirdige,  riihrselige,  betriebsame  E.  Mar- 
litt?  Wer  erinnert  sich  nicht  dankbewegten  Herzens  an  "Goldelse", 
"Reichsgrafin  Gisela",  "Im  Hause  des  Kommerzienrats",  "Das  Geheim- 
nis  der  alten  Mamsell",  "Die  zweite  Frau",  "Das  Heideprizesschen"  und 
die  sonstigen  spannenden  Geschichten,  die  man  in  friihlingsgriinen  Jah- 
ren  auf  der  Schulbank  unter  den  Augen  des  ahnungslosen  Lehrers  dreist 
verschlang?  Freilich,  priift  man  sie  nach,  so  stellt  sich  unsere  Marlittbe- 
geisterung  von  damals  als  eine  der  naturnotwendigen  Jugendeseleien  her- 
aus,  die  jeder  halbwegs  verniinftige  Mensch — tantum  mutatus  ab  illo — 
durchgemacht  haben  muss.  Gewisse  Vorziige  findet  man  allerdings  in 
den  Marlitt'schen  Romanen  -zu  seinem  grossen  Vergniigen  wieder:  die 


Die  deutsche  Schriftstellerin  von  gestern  und  heute.  257 

gcwandte  Schreibart,  die  Anmut  der  Schilderung,  das  —  wenn  ich  es  so 
ausdriicken  darf  —  angenehme  Exterieur  mit  den  gefalligen  Mauieren. 
Aber  man  ist  leider  ein  alter  Knabe  geworden,  hat  zugelernt  und  legt  die 
niichternen  Tatsachen  des  Lebens  als  Massstab  an  die  Lekture  an;  das 
etwas  verhartete  Gemiit  reagiert  nicht  mehr  so  leicht  auf  romanhafte 
Schonfarbereien.  Nicht  ohne  einen  gewissen  neidischen  Verdruss  nimmt 
man  jetzt  wahr,  wie  es  die  Marlittschen  Menschen  mit  ihrem  vortreffli- 
chen  Herzen  und  massigen  Verstand  alle  so  herrlich  weit  bringen,  durch 
Xacht  zum  Licht,  durch  Kampf  zum  Sieg,  Ende  gut  alles  gut.  Denn  das 
erste  Gebot,  oder  besser  gesagt  Verbot  aller  echten  Familienromane  lau- 
tet:  Ein  schlimmes  Ende  ist  strengstens  untersagt. 

Unter  den  Jiingerinnen  der  Marlitt,  die  man  gemeinhin  abschatzig 
bloss  als  ihre  mechanischen  Nachtreterinnen  beurteilt,  sind  ganz  be- 
trachtliche  Talente,  die,  wenn  sie  auch  in  der  Fiihrung  der  Handlung  an 
der  Methode  der  Meisterin  festhalten,  doch  in  der  Auslegung  des  mensch- 
iichen  Charakters  und  Schicksals  eine  grossere  Selbstandigkeit  an  den 
Tag  legen;  wie  E.  Werner,  Golo  Raimund,  Egon  Fels,  Emmy  von  Dinck- 
lage  und  Claire  von  Gliimer.  Noch  unabhangiger  erweisen  sich  die  etwas 
jiingeren  Sophie  Junghans  und  E.  Junker.  Mit  diesen  sind  wir  bereits  an 
der  Schwelle  der  neuen  Zeit  angelangt.  Der  Euhm,  das  erste  Frauenwerk 
von  bleibendem  Werte  im  neuen  deutschen  Eeiche  geschaffen  zu  haben, 
gebiihrt  unstreitig  Luise  von  Frangois.  Das  Buch  fiihrt  den  Titel  "die 
letzte  Reckenburgerin"  und  gewahrt  mit  seiner  realistischen  Spiegelung 
patriarchalischer  Lebensformen  eine  weit  ernstere  Auffassung  der  Kunst 
und  einen  entschieden  solideren  Idealismus  als  bei  Marlitt  und  ihrem  Ge- 
folge  zu  verspiiren  ist. 

Eine  gleich  vornehme  Erscheinung  wie  Luise  von  Frangois  war  die 
vor  wenigen  Monaten  dahingegangene  Malwida  von  Meysenbug.  Ihre 
dreibandigen  Memoiren  buchen  die  Geschichte  eines  seelisch  erlebnis- 
reichen,  von  der  Freundschaft  der  Besten  ihrer  Zeit  erleuchteten  Wan- 
dels.  Der  direkten  Beteiligung  an  der  Frauenbewegung  enthalten  sich 
die  letztgenannten  geistvollen  Frauen,  weil  sie  vorerst  die  Kraftigung 
der  idealistischen  Triebe  aller  Menschen  ohne  Unterschied  des  Ge- 
schlechts  nottuend  diinkt. 

In  dies.er  Anschauung  begegnet  ihnen  eine  weit  beriihmtere  Genos- 
sin,  die  nun  vierundsiebzigjahrige  Marie  von  Ebner-Eschenbach,  die  mit 
vollem  Eecht  als  eine  der  grossten  Novellistinnen  der  Gegenwart,  ja  vie- 
len  Kritikern  geradezu  als  der  hervorragendste  deutsche  Prosadichter  gilt. 
Man  mag  mit  solch  uneingeschranktem  Lobe  einverstanden  sein  oder 
nicht,  Ebner-Eschenbach  zwingt  auch  dem  borniertesten  Gegner  der 
Frauenschriftstellerei  hochste  Achtung  ab.  An  ihr  imponiert  vor  allem 
die  Geschlossenheit  der  Weltanschauung.  Im  Grunde  mit  der  bestehen- 
den  Ordnung  der  Dinge  nicht  unzufrieden,  sagt  sie  auch-zu  der  herr- 


258  Padagogische  Monatshefte. 

schenden  Moral  im  ganzen  ja.  Aber  ihre  Menschen  brauchen  sich  darum 
doch  nicht  den  Satzungen  der  Gesellschaft  zu  fiigen.  Gewohnlich  aller- 
dings  miissen  sie  in  diesem  Kampfe  unterliegen,  denn  in  der  Fiihrung  der 
Handlung  lasst  sich  die  Dichterin  durch  keine  albernen  Bedenken  vor 
einem  tragischen  Abschluss  die  Hande  binden.  Trotz  ihrer  Vertrautheit 
mit  den  Schwachen  und  Lastern  der  Menschen  setzt  sie  eine  feste  Zuver- 
sicht  auf  die  Besserungsfahigkeit  der  Menschen.  Derselbe  Glaube  an  die 
Menschheit  durchtrankt  die  reflektiven  Dichtungen  Carmen  Sylva's,  der 
Konigin  von  Eumanien.  Der  Grundpfeiler  ihrer  optimistischen  Philo- 
pophie  ist  die  von  Darwin  und  seinen  Schiilern  ausgebaute  evolutionisti- 
sche  Erkenntnislehre. 

Auf  den  Werken  der  soeben  besprochenen  Schriftstellerinnen  liegt 
ein  starker,  wiewohl  spater  Abglanz  der  grossen  Zeit  Goethe's  und  Schil- 
lers.  Urn  ohne  Umschweife  von  diesen  Schriftstellerinnen  zur  sogenann- 
ten  "Moderne"  zu  gelangen,  miissen  wir  zunachst  den  Sprung  zu  einer 
kleinen  Gruppe  von  tibergangstypen  wagen.  Es  sind  Osterreicherinnen, 
aber  das  saftige,  fidele  Temperament  des  ostmarkischen  Phaaken  eignet 
keiner  unter  ihnen.  Hochstens  findet  Ada  Christen  ab  und  zu  den  Ton 
des  leichtbliitigen  ,,Weaner  Hamurs".  Sonst  huldigt  gerade  sie  einem 
tiefdunklen  Pessimismus.  Ihr  spezifisch  moderner  Zug  beruht  in  der 
mutvollen  Blosslegung  ihres  weiblichen  Gefiihlslebens.  Einer  ahnlichen 
TJnverhohlenheit  begegnet  man  bisweilen  bei  Ossip  Schubin,  sie  beriihrt 
aber  bei  ihr  peinlicher,  weil  sie  nicht  den  Eindruck  der  Echtheit  macht. 
Die  auf  sie  gesetzten  grossen  Hoffnungen  hat  Schubins  sensationsliister- 
nes,  unstat  hin  und  her  flackerndes  Wesen  zu  nichte  gemacht.  Fiir  hyste- 
risch  mochte  man  auch  die  streckenweise  wie  eine  schwiile  Atmosphare 
auf  ihren  Erzahlungen  lagernde  Erotik  ansehen.  Gerade  in  diesem  Zu- 
sammenhang,  an  der  Schwelle  der  ,,Moderne",  wird  die  Erorterung  eines 
etwas  heiklen  Themas  unvermeidlich.  Ein  unterscheidendes  Kennzeichen 
der  heutigen  Frauenschriftstellerei  ist  eine  hart  an  Schamlosigkeit  strei- 
fende  Offenheit.  Hatten  friiherhin  unsere  Damen  von  der  Feder  in 
heiliger  Scheu  vor  der  keuschen  Madchenseele  auch  die  leiseste  unzarte 
Andeutung  zimperlich  vermieden  —  Namen  wie  Ottilie  Wildermuth  und 
Elise  Polko  sind  noch  heutigen  Tages  ein  Geleitbrief  zum  Weihnachts- 
und  Geburtstagstisch  der  hoheren  Tochter  —  so  gefallen  sich  viele  unse- 
rer  beliebtesten  modernen  Schriftstellerinnen  in  der  Erorterung  von  Din- 
gen  aus  der  geschlechtspsychologischen  Sphare.  Indem  sie  stolz  die 
einnliche  Seite  der  Weibsnatur  offenbaren,  nehmen  sie  oft  eine  feierliche, 
weihevolle  Miene  an.  Das  ist  bei  Maria  Janitschek  der  Fall,  die,  gleich- 
falls  zur  Gruppe  der  Vorlauferinnen  gehorig,  als  die  erste  riickhaltlos  zur 
Moderne  iiberging.  So  fand  auch  Nietzsche's  tibermenschevangelium  an 
ihr  eine  verziickte  Priesterin.  Liegt  doch  in  dem  durch  Nietzsche  ent- 
brannten  Kampf  um  eine  kiinstlerisch  freie,  ganz  individuell  zu  nor- 


Die  dentsche  Schriftstellerin  von  gestern  und  heute.  259 

mierende  Lebensform  die  machtigste  Triebfeder  der  jiingstdeutschen  lit- 
terarischen  Bewegung.  In  den  Werken  der  Frauen  hat  die  Saat  des  gros- 
sen  Rebellen  zweierlei  Frucht  getragen:  einen  bis  dahin  unerhorten 
Kunst-  imd  Kiinstlerkultus  und,  was  in  seinen  ethischen  Folgen  schwe- 
rer  ins  Gewicht  fallt,  die  Entschlossenheit  zu  riicksichtsloser  Selbstdurch- 
setzung.  Einst  waren  es  die  Frauen,  die  in  erster  Linie  ihre  Personlich- 
keit  dem  allgemeinen  Wohl  unterzuordnen  bereit  waren.  Heute  verkiin- 
den  sie  mit  erhobener  Stimme  den  fundamentalen  Lehrsatz  der  Stirner- 
Nietzsche'schen  Wahnlehre,  der  Gesellschaft  gegeniiber  habe  derEinzelne 
immer  recht;  wer  das  Gliick  eines  schb'pferisch  tatigen  Daseins  begehre, 
der  dtirfe,  ja  miisse  den  formelhaften  Moralkodex  der  Herde,  der  Vielzu- 
vielen  von  sich  schleudern.  Man  kann  sich  leicht  denken,  in  welcher 
Weise  dieses  grundlegende  Element  eines  fragmentarischen  Anschauungs- 
komplexes  die  Frauenemanzipation  beeinflusst.  Nicht  ausschliesslicli 
gegen  die  mannliehen  Unterdriicker,  sondern  auch  gegen  die  uner- 
schb'pfliche  Geduld  des  Weibes,  gegen  seine  haustierahnliche  Zahraheit 
richten  sich  hinfort  die  heftigsten  Angriffe.  Ein  Tier,  so  ungefahr  driickt 
sich  Helene  Bb'hlan  einmal  aus,  ein  Tier,  hatte  man  es  gehetzt,  wie  man 
das  Weib  gehetzt,  hatte  irgend  eine  Waffe  an  sich  entwickelt,  ein  Horn 
etwa  oder  einen  Giftzahn.  Das  Weib  hingegen  wurde  zahmer  und  zah- 
mer,  zahm  bis  zur  Widerlichkeit,  ein  Lasttier  im  wahrsten  Sinne  des 
Wortes. 

Jetzt  soil  es  sein  Joch  abwerfen.  Dazu  bedarf  es  vor  alien  Dingen 
einer  ganz  eigenpersbnlichen  Moral,  die  natiirlich  auch  unter  den  Wei- 
bern  nur  den  eigentlichen  Herrenmenschen  zukommt.  Dass  es  gefahrlich 
ist,  jeden  selbst  dariiber  bestimmen  zu  lassen,  ob  er  ein  ,,Vielzuvieler" 
oder  ein  ,,Einziger"  sei,  dariiber  scheint  sich  Nietzsche  keine  Gedanken 
gemacht  zu  haben.  Ubrigens  ist  aus  seinem  anregungsreichen,  wenn  auch 
nicht  ganz  gesunden  Individualismus  dem  deutschen  Schrifttum  kein 
Schaden  erwachsen.  Und  auch  das  deutsche  Gemeinwohl  hat  Nietzsche's 
Anarchismus  meines  Erachtens  nicht  gefahrdet.  Ist  doch  sein  tJber- 
menschentum  nur  ein  hb'chstens  im  Kunstberuf  durchfiihrbares,  dazu 
recht  vages,  Eeservatrecht.  Hier  in  Amerika,  wo  unser  aller  Zwing- 
herrin,  die  offentliche  Meinung,  mit  dem  Nietzsche'schen  Ubermenschen 
kurzen  Prozess  machen  wiirde,  wird  das  Gemeinwohl  durch  zwei  bei  wei- 
tem  gefahrlich  ere  Spezies  des  Ubermenschen  untergraben:  den  politi- 
?chen  Pantata  und  den  Syndikatsmacher. 

Den  eigentlichen  Fortschritt  der  neuesten  Frauenschriftstellerei  er- 
blicke  ich  in  ihrer  Technik.  Kein  Unparteiischer  wird  das  in  Abrede 
stellen.  Vergleicht  man  die  Marlitts  von  heute,  W.  Heimburg,  St.  Key- 
ser  e  tutte  quante  mit  ihren  asthetisch  ausgereifteren  Kolleginnen,  so 
sieht  man  auch  ohne  kritische  Lupe,  dass  inbezug  auf  Beobachtungs-  und 
Darstellungsvermogen,  auf  psychologischen  Tiefblick  und  auf  Umfang 


260  Padagogische  Monatshefte. 

des  Ideen-  und  Empfindungskreises  die  letzteren  turmhoch  iiberragen. 
Der  praktische  Wert  alles  dessen  fur  die  von  den  Frauen  verfochtene 
Sache  aber  ist  der,  dass  eine  litterarische  Tatigkeit,  welche  nicht  ver- 
fehlt,  dem  Manne  eine  bessere  Meinung  von  den  geistigenFahigkeiten  der 
Fran  beizubringen,  ihrer  angestrebten  Zulassung  zu  einer  grosseren 
Wirkungssphare  Vorschub  leistet. 

Unter  den  Romanschriftstellerinnen,  die  fiir  die  Aufklarung  ihres 
Geschlechts  weiterkampfen,  stehen  in  der  vordersten  Reihe  Gabriele  Ren- 
ter nnd  Helene  Bb'hlau.  Beide  spornen  ihre  Schwestern  zur  Geltend- 
machung  ihrer  natiirlichen  Rechte  an,  suchen  aber  zugleich  ihr  Verant- 
wortlichkeitsgef  iihl  zu  kraftigen  und  zu  vertiefen. 

Gabriele  Reuters  Buch  ,,Aus  guter  Familie"  ist  ein  fulminanter 
Protest  sowolil  gegen  die  unfreiwillige  Ehe  wie  gegen  die  elterliche  Ver- 
hinderung  einer  gewollten  Eheschliessung.  Es  behandelt  den  typischen 
Fall  einer  Beamtentochter,  die  sorgfaltig  zum  Geheiratetwerden  erzogen 
wird  und,  da  sie  doch  nicht  unter  die  Haube  kommt,  kb'rperlich  und  gei- 
stig  zugrunde  geht.  Als  Kunstwerk  betrachtet,  verdient  der  Roman  sei- 
nen  grossen  Ruf  keineswegs;  dazu  ist  er  schon  zu  grell  und  zu  gerausch- 
voll.  Aber  es  ist  leider  eine  Tatsache,  dass  man  als  Agitator  mit  lantern 
Organ  und  heftiger  Gebarde  mehr  ausrichtet  als  mit  wohlabgewogenem, 
kiinstlerisch  gemassigtem  "Worte. 

Diesem  Umstande  verdankt  teilweise  auch  Helene  Bohlau  ihre  Er- 
folge,  wiewohl  sie  als  Kiinstlerin  der  Renter  iiberlegen  ist.  Hier  ist  nicht 
von  ihren  behaglichen  ,,Ratsmadel-"  und  anderen  Weimarer  Geschichten 
die  Rede,  sondern  von  ihren  Tendenzromanen.  Es  sind  Variationen  iiber 
das  Thema  ,,der  Frauen  Zustand  ist  beklagenswert."  Fiir  Bohlau  desto 
beklagenswerter  als  nach  ihrer  iibertreibenden  Erklarung  das  Weib  es 
noch  gar  nicht  bis  zum  menschlichen  Zustand  gebracht  hat.  Von  diesem 
Standpunkt  aus  durfte  sie  ihren  sensationellen  Roman  ,,Adam  und  Eva" 
in  der  Buchausgabe  ,,Halbtier"  umtaufen.  In  diesem  Werke  wird,  nicht 
gerade  iiberzeugend,  dargelegt,  wie  geistberaubt  das  Weib  sich  durchs 
Lcben  schleppe;  unfahig,  in  sich  selbst  einen  Halt  zu  finden,  sinke  sie 
vor  jedem  Streich,  der  sie  trifft,  rettungslos  darnieder.  Und  dennoch 
werde  das  Geschlecht  falschlich  das  "schwachere"  genannt.  In  Wahrheit 
sei  es  das  robustere,  zu  grobem  Materialismus  verurteilte,  den  feinen 
Regungen  unzugangliche,  jedem  Aufschwung  sich  widersetzende.  In 
solcher  dogmatischen  Entstellung  wirklicher  Verhaltnisse  durch  einen 
sich  iiber  soine  Ziele  nicht  vollig  klaren  Idealismus  liegt  Helene  Bb'hlau's 
Hauptschwache.  Jene  seichte  Zufriedenheit  mit  dem  Leben,  wie  sie  sich 
bei  Frauen  so  haufig  einstellt,  ist  ihr  ein  Greuel.  Ganz  leben  oder  im  ho- 
hen  Wellenschlag  untergehen,  nur  das  ist  menschlich.  Alles  iibrige  ist 
verachtliches,  bettelhaftes  Sichbescheiden. 


Die  deutsche  Schrtftstellerin  von  gestern  und  heute.  261 

Dem  Herrlichsten,  was  auch  der  Geist  empfangen, 

Drangt  immer  fremd  und  fremder  Stoff  sich  an. 

Wenn  wir  zum  Guten  dieser  Welt  gelangen, 

Dann  heisst  das  Bess're  Trug  und  Wahn. 

Anch  fiir  Helene  Bohlau  sind,  wie  fiir  Faust,  nur  die  hoheren  Ge- 
ftihle  lebengebend,  und  die  erstarren  bald  im  irdischen  Gewiihle.  All- 
mahlich  verkummern,  das  ist  keine  menschenwiirdige  Tragodie,  son- 
dern  das  Los  des  "Halbtiers".  Zur  Not  entgeht  solch  traurigem  Schick- 
sal  die  Heldin  von  Bohlau's  bestem  Buche:  ,,der  Rangierbahnhof".  Von 
den  verstandnislosen  Ihrigen  unwissentlich  zu  Tode  genorgelt,  stirbt  sie, 
die  Hohergeartete,  auf  ihrem  Isolierschemel  langsam  ab,  una  erst  ganz 
am  Ende  erwarmt  sie  an  einer  grossen  Freundschaft  wieder  zum  wahren 
Leben,  um  resigniert  in  den  Tod  zu  gehen.  Die  Miinchener  Kiinstler- 
atmosphare  ist  ausserst  lebensvoll  wiedergegeben.  Doch  Bohlau's  rea- 
iistische  Walirheitsliebe  stort  der  die  Einzelerscheinung  hastig  verallge- 
meinernde  Symbolismus,  dem  sie  mit  manch  anderenRealistikern  huldigt, 
und  ihre  streitbare  Erregtheit  tut  ihrer  Vertrauenswiirdigkeit  Abbruch. 
So  kommt  es,  dass  mit  Ausnahme  von  ein  paar  nicht  gerade  glaubhaften 
Exemplaren  des  Genus  tTbermensch  die  Manner  in  ihren  Eomanen  ent- 
weder  ganz  unverbesserliche  Halunken  oder  riickgratlose  Ziehpuppen 
sind. 

Nicht  so  ungerecht  gegen  die  Mannerwelt  ist  die  selbst  in  manchem 
Betracht  mannlich  fiihlende  Clara  Viebig.  Sie  hat  neuerdings  durch  ih- 
ren ausgezeichneten  Vaterlandsroman  "Die  Wacht  am  Rhein"  das  offent- 
liche  Interesse  ganz  ungemein  gefesselt,  doch  steht  sie  schon  seit  Jahren 
an  einem  hochgeachteten  Platz  im  modernen  Schrifttum.  Am  tiichtig- 
sten  und  gliicklichsten  ist  sie  in  der  Schilderung  der  heimatlichen  Eifel 
mit  ihrem  leidenschaftlichen  Menschenschlag.  Mit  fester  Hand,  ohne 
Schminke  und  Aufputz  wird  da  die  Wahrheit  aufgetragen.  Auf  moderne 
Fraueiiemanzipation  ist  sie  nicht  sehr  erpieht.  Yielmehr  neigt  sie,  zum 
wenigsten  ir  dem  fast  cynischen  "Weiberdorf",  zu  der  Laura  Marholm'- 
schen  Doktrin,  dass  ,,des  Weibes  Inhalt  der  Mann",  demnach  das  ehelose 
jungfrauliche  Weib  nur  ein  stiickhaftes  Geschdpf  sei.  Mit  einem  prakti- 
schen  Problem  der  Frauenfrage  befasst  sie  sich  in  vollig  humanitarem 
Sinne  in  dem  Dienstbotenroman  "Das  tagliche  Brot". 

Es  konnen  selbstverstandlich  im  Rahmen  einer  knappen  und  not- 
vvendiger  Weise  fliichtigen  Skizze  wie  der  vorliegenden  nur  die  allerwenig- 
ften  Erscheinungen  der  Frauenliteratur  Beriicksichtigung  finden.  Und  es 
konnen  nieht  einmal  bei  weitem  alle  beachtenswerten  Sshriftstellerinnen 
der  Gegenwart  verzeichnet  werden.  Aus  der  langen  Reihe  seien  immerhin 
einige  Namen  hervorgehoben  wie  Anselm  Heine,  Anna  Croissant-Rust, 
die  ungliickliche  Juliane  Dery,  die  gleich  der  letztgenannten  aus  Oster- 
reich  stammenden  Emil  Marriot  und  Marie  Eugenie  delle  Grazie;  ferner 


262  Padagogische  Monatshefte. 

Leo  Hildeck.  in  technischem  Sinne  eine  der  Berufensten;  Lou  Andreas- 
Salome,  dmch  ihr  Verhaltnis  zu  Nietzsche  bekannt.  Wie  die  genannten 
pamtlich,  stehen  auch  die  talentreichsten  Vertreterinnen  der  allerjiing- 
sten  Generation,  Sophie  Hoechstetter  und  die  grb'sste  Milieukiinstlerin 
nnter  den  Frauen,  Hans  von  Kahlenberg,  stark  unter  dem  Einfluss 
Nietzsche's,  der,  wie  aus  den  vorausgegangenen  Ausfiihrungen  erhellt, 
in  der  Frauenschriftstellerei  von  heute  zu  einer  dominierenden  Macht 
gediehen  ist. 

Ich  kbnnte  diese  anspruchslose  und  in  der  vorliegenden  Fassung 
ausserst  unvollstandige  Arbeit  kaum  passender  beschliessen  als  mit  eini- 
gen  Worter*  iiber  zwei  Dichterinnen,  die  nach  meinem  LTrteil  die  vollste 
Hohe  der  bisher  von  der  Frau  erreichten  kiinstlerischen  Entwickelung 
bezeichnen:  Isolde  Kurz  und  Ricarda  Huch.  Auch  sie  haben  sich  dem 
Einfluss  Nietzsche's  nicht  entzogen,  aber  man  kann  sie  nicht  ohne  weite- 
res  zu  dessen  Sekte  zahlen.  Ebenso  haben  sie  von  der  naturalistischen 
Technik  sehr  viel  gelernt,  ohne  dass  man  sie  schlechthin  als  Realistinnen 
klassifizieren  diirfte.  Auch  von  der  symbolischen  Methode  machen  sie 
unbedenklich  ausgiebigen  Gebrauch.  Kurz,  sie  bedienen  sich  aller  tech- 
nischen  Fortschritte  der  verschiedenen  Schulen,  sind  namentlieh  auch 
willige  und  gelehrige  Schiilerinnen  alterer  Meister,  bewahren  jedoch 
trotzdem  eine  ungebrochene  Eigenart  und  erbringen  dadurch  den  giiltig- 
sten  Beweis  ihrer  Kiinstlerschaft.  Geschautes  und  Durchlebtes  lebendig 
und  doch  sinnbildlich,  sub  specie  aeterni  nachzuschaffen,  ist  Zweck  und 
Ziel  ihrer  Kunst. 

Isolde  Kurz  ist  die  vielseitigere.  Bald  entziickt  sie  den  Leser  durch 
die  keusche  doch  warme  Plastik  ihrer  wunderbaren  Sprache,  bald  durch 
den  hohen  Ernst  ihrer  reifen  Philosophic,  dann  wieder  reisst  sie  ihn  mit 
ihrem  unwiderstehlichen,  satirisch  zugespitzten  Humor  hin.  Eine  aus- 
serordentliehe  Gabe,  sich  in  das  Sein  anderer  Menschen  hineinzufiihlen, 
befahigt  sie,  die  substilsten  seelischen  Vorgange  ans  Licht  zu  ziehen  und 
mit  erstaunlicher  Anschaulichkeit  darzustellen.  Auch  ganz  Visionares 
weiss  sie  glaubwiirdig  zu  gestalten,  wie  beispielsweise  im  ,,Mittagsge- 
spenst"  ein  Stiick  mittelalterlichen  Stadtelebens  unter  der  Traumform. 
Die  Eenaissancewelt  ist  vielleicht,  wie  bei  ihrem  grossen  Lehiineister 
Conrad  Ferdinand  Meyer,  die  Hauptquelle  ihrer  Inspiration. 

Das  Schaffen  Ricarda  Huchs  beseelt  der  gleiche  antik-moderne  Geist, 
er  ist  auch  ihr  zum  nicht  geringen  Teil  durch  Conrad  Ferdinand  Meyers 
Kunst  vermittelt;  gleich  stark  haben  ausserdem  unter  den  Modernen 
Gottfried  Keller  und  wiederum  Friedrich  Nietzsche  auf  sie  eingewirkt. 

Im  Alter  von  neununddreissig  Jahren  hat  Ricarda  Huch  bereits  eine 
stattliche  Reihe  durchaus  bedeutender  Werke  aufzuweisen;  indes  beruht 
ihr  wohlverdienter  Ruhm  hauptsachlich  auf  den  "Erinnerungen  von  Lu- 
dolf  Ursleu  dem  Jiingeren."  Dies  wundervolle  Buch  ist  eine  echte 


Die  deutsche  Schriftstellerin  von  gestern  und  heute.  263 

"Oeuvre  de  longue  haleine",  d.  h.  eines  jener  seltenen  Werke  grossen 
Stiles,  welche  die  Stimmung,  in  der  sie  konzipiert  wurden,  in  alien  ihren 
Nuancen  bis  ans  Ende  festhalten  und  sie  wie  hypnotisierend  ira  Leser 
wiedererzeugen;  wahrend  doch  fiir  gewohnlich  unter  der  Arbeit  gar  viel 
von  der  unwiederbringlichen  Intimitat  jener  Empfangnisstimmung  ver- 
loren  geht.  Ich  glaube  besser  verstanden  zu  werden,  wenn  ich  diese  un- 
zulangliche  Definition  mit  dem  Namen  Thackeray  erlautere.  Er  steht  in 
dieser  Kunst  zu  oberst,  und  ,,Pendennis",  ,,Henry  Esmond",  ,,The  New- 
comes",  sind  uniibertroffene  Muster  von  Konsistenz  und  Zwingkraft  der 
Stimmung.  Du  Mauri er's  "Trilby"  zeigt,  was  von  einem  solchen  Meister 
sogar  ein  Mittelmasstalent  zu  lernen  imstande  ist.  Unter  den  lebenden 
Dichtern  kommen  nach  meinem  Empfinden  dem  englischen  Meister  in 
Stimmungszauber  am  nachsten  Pierre  Loti,  Gabriele  D'Annunzio,  und — 
Eicarda  Huch.  Ich  muss  es  mir  leider  versagen,  auf  die  ausserordent- 
lichen  Vorziige  ihrer  Biicher  hinzuweisen.  Die  moderne  Literatur  be- 
sitzt  nicht  viele  Werke,  die  in  gleichem  Grade  gelesen  zu  werden  verdie- 
nen  wie  Huchs  ,,Ludolf  Ursleu." 

Wenn  ich  mit  Isolde  Kurz  und  Kicarda  Huch  die  Besprechung  der 
modernen  Frauenschriftstellerei  etwas  jah  zum  Abschluss  bringe,  so  bin 
ich  mir  natiirlich  wohl  bewusst,  dass  ich  da  einen  nicht  ganz  objektiven 
Standpunkt  einnehme.  Das  ist  nun  einmal  bei  der  Kritik  der  zeitgenos- 
sischen  Literatur  nicht  anders  moglich.  Es  gibt  gewiss  zahlreiche  an- 
dere  Schriftstellerinnen,  die  sich  um  die  Hebung  des  litterarischen  Ge- 
schmacks  verdient  machen.  Ich  nenne  nur  Klaus  Kittland,  Hermine 
Villinger,  Charlotte  Niese,  Elsbeth  Meyer-Forster,  Hermione  von  Preu- 
schen,  Richard  Nordmann,  Use  Frapan.  Doch  wiirde  eine  Besprechung  al- 
ler  dieser  dem  Bilde,  das  wir  von  der  Frauenliteratur  von  heute  gewon- 
nen  haben,  keine  wesentlichen  neuen  Ziige  hinzufiigen.  Die  grossen  Er- 
folge  gewisser  beriihmter  Frauenromane  hinwiederum,  wie  namentlich 
von  Frau  v.  Suttners  ,,Die  Waffen  nieder",  haben  mit  ihren  literarischen 
Werte  wenig  oder  nichts  zu  schaffen.  Und  vollends  die  ffanz  ephemere 
Schriftstellerei,  wie  sie  in  der  ganzen  sogenannten  Vera-Litteratur  und 
in  der  billigen  Komik  der  "Berliner  Range"  vorliegt,  fallt  nicht  in  den 
Bereich  unserer  Betrachtungen. 

Dass  es  mit  wenigen  Ausnahmen  Romanschriftstellerinnen  waren, 
die  hier  besprochen  worden  sind,  hat  einen  natiirlichen  Grund.  Hat  doch 
bis  gegen  die  Mitte  der  achtziger  Jahre  der  Roman  im  neunzehnten  Jahr- 
hundert  nicht  nur  in  der  Frauenschriftstellei  die  Suprematie  iiber  die  an- 
deren  Dichtungsarten  behauptet. 

Auf  den  anderen  Gebieten  haben  sich  die  Frauen  mit  weit  weniger 
Gliick  betatigt.  Zwar  Lyrikerinnen  gibt  es  in  Hiille  und  Fiille.  Recht  an- 
erkennenswerte  Talente  sind  unter  ihnen:  Anna  Ritler,  Agnes  Miegel, 
Mia  Holm,  Alberta  v.  Puttkamer,  Thekla  Lingen  u.  a.  m.  Doch  ausser 


264  Padagogische  Monatshefte. 

den  an  friiherer  Stelle  genannten  erhebt  sicli  meines  Wissens  keine  ein- 
zige  zu  dem  Yollrang  einer  echten  Dichterin. 

Vielleicht  hatte  eine  solche  innerhalb  eines  engumfriedeten  Gebiets 
aus  Johanna  Ambrosius  werden  konnen,  ware  dies  tiichtige  \Veib  aus  dem 
Volke  nicht  friihzeitig  in  den  Bannkreis  der  Lekture  "fur  Geist  und  Ge- 
miit"  geraten.  So  ist  sie  zwischen  Volks-  und  Kunstdichtung  mitten  drin 
stecken  geblieben. 

Reiches  lyrisches  Leben  pulsiert  in  den  glutvollen  Versen  der  ratsel- 
haften  "Marie  Madeleine";  doch  schlagt  ihre  mass-  und  ziigellose  Erotik 
schon  in  das  Kapitel  der  Pathologic. 

Auch  im  Drama  sind  den  Nachfolgerinnen  der  Birch-Pfeiffer  keine 
grossen  Eroberungen  beschieden  gewesen.  Unter  den  lebenden  Dramati- 
kerinnen  ist  Ernst  Kosmer  mit  ihren  Marchenstiicken  die  einzige  erfolg- 
gekronte. 

Im  ganzen  betrachtet,  legen  die  Frauen  eine  gewisse  Scheu  vor  den 
rigorosen  Anforderungen  der  formbestimmten  Kunstiibung  an  den  Tag 
nnd  entscheiden  sich  viel  leichter  fiir  die  immerhin  zwanglosere  erzah- 
lende  Prosa  Ihre  Schwachen  verleugnen  sie  auch  auf  diesem  vorzugs- 
weise  kultivierten  Felde  nicht.  Es  fehlt  ihnen  die  ruhig  abwagende  Ob- 
jektivitat,  die  nur  ein  hochentwickelter  historischer  Sinn  reifen  lasst;  und 
es  fehlt  ihnen  weiter  der  Segen  eines  wohlequilibrierten  Personlichkeits- 
bewusstseins  und  einer  ordnenden  philosophischen  Einsicht. 

Wie  aus  guten,  doch  ohne  verbindenden  Mortel  aufgeschichteten 
Bausteinen  nur  ein  baufalliges  Haus  wird,  so  errichten  sich  oft  unsere 
Frauen  aus  leicht  und  richtig  erkannten  Einzelheiten  eine  inkonsequente 
und  unhaltbare  Weltanschauung. 

Aus  diesen  und  anderen  Griinden  ist  es  mit  dem  kritischen  Gewis- 
sen  unvereinbar,  fiir  die  Frauenliteratur  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
mit  vollen  Backen  in  die  Lobesposaune  zu  stossen.  Doch  mochte  ich 
unter  keiner  Umstanden  fiir  einen  Gegner  der  Frauenschriftstellerei  ge- 
halten  merden.  Es  war  meine  Absicht  Sie  von  der  energisch  aufwarts- 
strebenden  Tendenz  in  der  Entwickelung  derselben  iiberzeugen  zu  helfen. 
Schon  was  heute  erreicht  ist,  geniigt  zur  Entwaffnung  des  Pessimisten. 
Gilt  es,  die  vornehmsten  Namen  in  den  literarischen  Bewegungen  der  Ge- 
genwart  anzufiihren,  so  miissen  mehrere  Frauen  mitgenannt  werden.  Das 
ist  ein  erfreulicher  Beweis  des  Fortschritts.  Im  iibrigen  schwebte  mir 
nicht  die  Aufgabe  ror,  in  der  Frauenfrage  irgend  einen  Standpunkt  dog- 
matisch  zu  verfechten,  sondern  die  bescheidenere,  ein  Stuck  Entwicke- 
lungsgeschichte  nachzuerzahlen  und  auf  den  aus  ihr  resultierenden  heu- 
tigen  Zustand  hinzuweisen. 


Ueber  den  Garten  der  Menschheit. 


Von  Albert  Qehring,   President  des  Schulrats,  Cleveland,  O. 


Die  Menschheit  1st  mit  einera  grossen  Garten  vergleichbar,  worm  die 
Menschen  die  Pflanzen  und  die  Erzieher  und  Lehrer  die  Gartner  sind. 

Zu  einem  guten  Garten  gehoren  fruchtbare  Erde,  Diinger,  sonnige 
Lage,  Spaten,  Hacke,  Rechen,  Giesskanne  und  auch — Blumen;  und  zu 
einer  schonen  Menschenpflanze  bedarf  es  des  Unterhalts:  der  Nahrung, 
Kleidung  und  Wohnung,  —  aber  auch  einer  schonen,  edlen  Seele. 

Sonderbar,  Jedoch,  —  im  Garten  verkennt  niemand  den  Zweck,  im 
Leben  tun  es  die  meisten  Menschen.  Man  schaufelt  und  hackt  und  recht, 
man  schafft  frische  Erde  herbei,  man  besorgt  die  Bewasserung,  man  ver- 
bessert  die  beschadigten  Geratschaften,  —  und  iiber  allem  vergisst  man 
der  Blumen,  um  die  es  sich  eigentlich  handelt. 

Das  Leben  des  Menschen  beruht  auf  zwei  Faktoren:  einem  objektiven 
oder  ausserlichen,  und  einem  subjektiven  oder  innerlichen.  An  den  Korper 
gebunden,  bediirfen  wir  der  Nahrung  und  des  Schutzes  vor  den  feind- 
lichen  Einwirkungen  der  Elemente;  und  um  uns  diese  zu  sichern,  bedie- 
nen  wir  uns  der  zahlreichen  mechanischen  Hilfsmittel,  die  der  Mensch  im 
Laufe  seiner  Entwicklung  ersonnen  und  denen  er  seine  Herrschaft  iiber 
die  materielle  Natur  verdankt.  Die  Geratschaften  der  Kiiche,  des  Acker- 
baues  und  der  Handwerke,  die  Eisenbahnen  und  Dampfschiffe,  der  Tele- 
graph, das  kiinstliche  Licht  und  die  vielen  iibrigen  Mechanismen  der  mo- 
dernen  Kulturwelt  sind  mehr  oder  minder  notwendige  Bedingungen  un- 
seres  Daseins.  Dennoch  bilden  sie  stets  nur  Mittel  zum  Zweck.  Sie  sind 
vergleichbar  mit  dem  fruchtbaren  Boden  und  den  Geriitschaften  des 
Gartners,  die  wohl  der  Pflanzenzucht  forderlich  und  teilweise  auch  unum- 
ganglich  notwendig  sind,  in  denen  jedoch  der  eigentliche  Zweck  des  Gar- 
tens noch  keineswegs  liegt.  Wie  es  sich  im  Garten  vornehmlich  um  die 
Blumen,  so  handelt  es  sich  im  Leben  einzig  und  allein  um  die  inneren  Ee- 
sultate,  um  das  Gliick,  das  Wohl  und  die  Schb'nheit  der  Seele.  Geistige 
Gesundheit,  frischer  Humor,  Freude  an  der  Arbeit  und  der  Gesellschaft 
seiner  Mitmenschen,  Begeisterung  fiir  das  Schone  und  Wahre,  fiir  Kunst, 
Natur  und  "Wissenschaft,  frohe  Zuversicht  auf  das  eigene  sowie  all- 
gemeine  Wohl,  und  der  Glaube  an  einen  giitigen  Lenker  des  Weltalls, — 
diese  bilden  den  kostlichen  Inhalt,  den  wiirzigen  Kern  des  Lebens. 

Diese  Wahrheit  wird  leider  nicht  von  alien  Menschen  anerkannt.  sie 
trachten  nach  Eeichtumern,  schonen  Hausern,  kostbaren  Equipagen,  nach 
Ehre,  Ruhm,  geschaftlichem  und  politischem  Erfolg,  und  erblicken  in 
ihnen  die  hochsten  Ziele,  deren  ErringiTng  endgiiltige  Zufriedenheit  und 
dauerndes  Wohl  herbeifiihren  miisse.  Sie  gleichen  dabei  denjenigen,  die 


266  Padagogische  Monatshefte. 

ewig  Diinger  fahren  lassen,  bestandig  hacken,  graben  und  rechen,  unauf- 
horlich  an  ihren  Geratschaften  ausbessern,  sich  aber  nicht  im  geringsten 
um  die  Blumen  kiimmern,  denen  all  diese  Arbeit  dienstbar  sein  soil.  Ja, 
es  gibt  sogar  manche,  die  vor  lauter  Schaufeln  und  Pfliigen  die  Bliimchen, 
die  wirklich  schon  hervorgesprossen,  wieder  riicksiclitslos  zerstoren.  Wie 
Behr  sich  diese  der  Fata  Morgana  der  ausseren  Welt  Nachjagenden  tau- 
schen,  weiss  wohl  derjenige  am  best  en  zu  beurteilen,  der  sich  selbst  im 
Besitze  der  erstrebten  Dinge  befindet.  Doch  auch  Jeder  andere  beobach- 
tende  und  denkende  Mensch  kann  leicht  zu  derselben  Schlussfolgerung 
gelangen.  Werf en  wir  nur  einen  Blick  um  uns,  auf  arm  und  reich,  vor- 
nehm  und  niedrig,  so  werden  wir  erkennen,  wie  das  Gliick  und  die  Zu- 
friedenheit,  der  wahre  innere  Wert  und  die  Charaktergrosse  sich  keines- 
wegs  nach  solch  ausseren  Dingen  abmessen  lassen.  Der  Reichste  mag  der 
Unzufriedenste  unter  den  Menschen,  der  Armste  der  Gliicklichste  sein. 
Der  ruhmreiche  Fiirst  mag  ein  erbarmungswurdiges,  von  Krankheiten  und 
Charakterschwachen  zernagtes  Geschopf,  der  unbekannte  Schneider  von 
einer  seltenen  Seelengrosse  sein. 

Die  Eikenntnis  der  Souveranitat  des  subjektiven  Faktors  haben  wir 
Gartner  der  Menschheit  ganz  besonders  zu  beherzigen.  Sie  ist  gleichsam 
das  Band,  das  die  hoheren  Geister  und  Erzieher  aller  Zeitalter  und  Zonen 
aneinanderkniipft.  Was  auch  ihre  sonstigen  Unterschiede  sein  mogen,  in 
diesem  Punke  stimmen  sie  iiberein.  Alle  grossen  Keligionen,  alle  her- 
vorragenden  geistigen  Fiihrer  der  Menschheit  predigen  dieselbe  Wahr- 
heit.  ,,Kehre  der  Welt  den  Eiicken,  gewiniie  dir  innere  Schatze!"  das  ist 
die  Lehre  der  orientalischen  sowie  auch  der  christlichen  Eeligionen.  In 
veranderter  Form  rufen  es  uns  wieder  die  Stoiker  des  Altertums  entgegen: 
Marc  Aurel,  Epiktet,  Seneca,  —  alle  stimmen  denselben  Grundton  an. 
,,In  dir  selbst",  verklindigte  Luther,  ,,liegt  das  Heil!"  und  die  Mystiker 
des  Mittelalters  hallen  in  verschwommenem,  iiberirdischemAkkorde  nach: 
,,Amen!"  ,,Bilde  dich!"  ist  die  Mahnung  Goethes,  die  Losung,  die  zur 
Ileligion  einer  ganzen  Reihe  machtiger  Geister  geworden.  In  seinem  ei- 
genen  Innern  findet  Spinoza  das  hochste  Gut,  und  aus  demselben  unver- 
siegbaren  Quell  schopft  auch  der  unvergessliche  Fichte.  Emerson,  Tho- 
reau  und  Whitman  besingen  diesseits  des  Meeres  in  dithyrambischen  Ver- 
sen  den  Wert  und  die  Herrlichkeit  der  Menschenseele,  wahrend  Tolstoi 
sich  im  verschneiten  Russland  aus  der  kalten,  erstarrten  Welt  des  Mam- 
mon an  den  leuchtenden  Herd  seines  eigenen  Busens  fliichtet.  Ja,  sogar 
Schopenhauer,  der  verbitterste  und  schwarzsehendste  aller  Propheten, 
kennt  doch  noch  ein  einziges  Gut,  den  inneren,  freien  Akt  der  Entsagung, 
die  Verneinung  der  Welt  und  des  Lebens.  Von  den  altesten  Zivilisations- 
anfangen  an  vernehmen  wir  schon  diesen  in  das  Innere  dringenden  Ton, 
und  es  breitet  sich  im  machtigen  Chore  iiber  die  Zeitalter  aus,  alle  hervor- 
ragenden  Geister  mit  sich  dahinreissend. 


Ueber  den  Garten  der  Menscbheit.  267 

Diesem  Chore  haben  sich,  wie  gesagt,  aueh  die  Erzieher  und  Lehrer 
tinzuschliessen.  Ja,  die  Betonung  des  Inneren,  ira  Gegensatz  zu  dem 
Ausseren,  bildet  gleichsam  den  Kern  und  die  Essenz  aller  Bildung  und 
Erziehung,  wie  auch  aller  waliren  Eeligion.  Der  naive,  natiirliehe  Menseh. 
trachtet,  wie  schon  betont,  nur  nach  den  ausseren  Giitern  des  Lebens;  die 
echte  Bildung,  jedoch,  soil  ihn  auf  die  Samnilung  innerer  Reichtumer 
lenken. 

In  der  Verfolgung  dieses  Ziels  herrschen  jedoch  so  manche  falsehe 
Auffassungen.  Der  innere  Wert  des  Menschen  wird  vielfach  gar  zu  ein- 
peitig  betont.  Man  botanisiert  zu  sehr  und  kiimmert  sich  zu  wenig  um  die 
Schbnheit  der  Blumen.  Man  belastet  sie  mit  bandwurnilangen  lateini- 
schen  Xamen,  um  sich  schliesslich  ein  Herbarium  voll  getrockneter,  Ge- 
lehrsamkeit  ausstromender  Exemplare  gesammelt  zu  haben,  die  aller 
Frische  und  alien  Duftes  ermangeln.  Man  behandelt  das  Kind  als  reines 
Gehirn,  das  mit  so  und  so  viel  Daten  und  Namen  pro  Tag  und  Stunde 
ausgestattet  werden  soil:  als  Tatsachen-Automaten  oder  Phonographen,  in 
den  man  Konjugation,  Deklination  und  Versifikation  hineinsingt,  um  ihn 
gelegentlich,  bei  richtigem  Aufziehen  des  Apparats  dasselbe  wieder  her- 
unterleiern  zu  lassen;  als  Lexikon,  oder  Portfolio  fur  allerlei  vergilbte 
Zettel,  dessen  Wert  man  nach  der  Zahl  der  gesammelten  Etiketten  schatzt. 

Xein,  botanische  Exemplare  sind  noch  lange  keine  Blumen,  und  rein 
intellektuelles  Leben  ist  noch  lange  kein  Leben.     Lessing  hatte  Eecht, 
als  er  das  Suchen  nach  der  Wahrheit  —  die  Arbeit,  Begeisterung,  Erwar- 
tung  und  Befriedigung  —  der  fertigen  Wahrheit  vorzog.     Faust  und 
Manfred  beweisen  uns  die  Leere  und  Hohlheit  des  reinen  Gehimlebens. 
Der  Schmerz  macht  weise,  und  wer's  Meiste  weiss, 
Den  schmerzt  am  meisten  auch  die  bittre  Wahrheit: 
Dass  der  Erkenntnisbaum  kein  Baum  des  Lebens! 

In  der  Tat,  die  Blume  muss  mehr  sein,  als  eine  Zusammensetzung 
von  Kelchblattern,  Staubfadchen  und  Pistillen:  sie  muss  Farbe,  Duft, 
Frische  und  Schonheit  ausstromen.  Und  der  Menseh  muss  neben  der 
Geistesbildung  auch  Gemiit  und  Liebe,  Offenheit,  Redlichkeit,  Mut,  Be- 
geisterung und  Grazie  besitzen.  Dem  Dufte  und  der  Farbenschonheit  der 
Blumen  entsprechend,  verleihen  diese  ihm  Frische  und  Leben;  und  ihre 
Ausbildung  muss  sich  der  Lehrer  und  Erzieher  zur  Hauptaufgabe  machen. 

Eine  schwierige  Aufgabe  zwar,  zu  deren  Losung  —  bekennen  wir  es 
offen  —  wir  nur  wenige  Schritte  gemacht  haben.  Von  diesem  Stand- 
punkte  aus  stehen  wir  erst  auf  den  Anfangsstufen  der  wahren  Lehr-  und 
Bildungskunst:  wir  befinden  uns  noch  im  dunklen  Mittelalter  der  Pada- 
gogik  und  die  Sonne  der  Aufklarung  schimmert  noch  kaum  am  Horizonte. 
Freilich,  unser  Ziel  mag  vielleicht  der  ganzen  Natur  der  Sache  gemass  un 
erreichbar  sein.  Namen,  Daten,  Tatsachen  lassen  sich  schon  noch  syste- 
matisieren  und  mitteilen,  wie  soil  man  aber  dem  Schiller  Gemiitseigen- 


268  Padagogiscbe  Monatsbefte. 

schaften,  Herzensveranderungen  beibringen?  Wie  soil  man  dem  Zaghaften 
Mut  einflossen,  dem  Apathischen  Begeisterung,  dem  Neidischen  Liebe, 
dem  Griesgrame  sonnige  Zufriedenheit?  Wie  im  Blumenbeete,  so  scheint 
es  auch  im  Menschengarten  gewisse  Arten  zu  geben,  die  ewig  gesondert 
bleiben  miissen  imd  sich  nicht  in  einander  iiberfiihren  lassen.  Die  Rose 
bleibt  Rose,  die  Lilie  Lilie,  aiis  einer  Distel  wird  nie  ein  Maiglockchen 
werden,  mid  die  Sonnenblume  wird  sich  vergeblich  bemiihen,  den  Duft 
des  Veilchens  zu  gewinnen.  Im  Menschengarten  sind  eben  die  Samen  alle 
schon  ausgestreut,  und  der  Gartner  kann  nur  ziehen,  was  schon  da,  nicht 
bestimmen,  was  noch  werden  soil.  Und  dennoch  braucht  er  deshalb  nicht 
zu  verzagen.  Eine  gewisse  Entwickhmgs-  und  Verfeinerungsfahigkeit 
mag  doch  noch  existieren;  und  ist  es  auch  unmoglich,  die  Arten  ganz  und 
gar  umzubilden,  bleibt  auch  die  Rose  ewig  eine  Rose  und  die  Lilie  immer 
eine  Lilie,  so  mag  doch  jede  Art  die  Anlage  zu  einer  besonderen,  ihr  allein 
eigenen  Schonheit  in  sich  bergen,  die  durch  die  richtige  Zucht  zur  volle- 
ren  Entwicklung  gebracht  werden  kann.  Das  Veilchen  wird  sich  wohl 
rde  die  stolze  Pracht  der  Rose  aneignen  konnen;  dennoch  mag  es  als  be- 
scheidenes  Veilchen  eigene  Reize  entfalten,  die  sogar  diejenigen  der  Rose 
iiberwiegen 

Hier  wird  nun  wiederum  vielfach  gesiindigt.  Man  wiirdigt  die  Un- 
terschiede  in  der  mensch  lichen  Natur  nicht  geniigend  und  mochte  alle  In- 
dividuen  nach  einem  und  demselben  Muster  zuschneiden.  Man  will  nur 
Rosen  oder  Maiglockchen  haben  und  versucht,  alle  Arten  in  diese  iiber- 
zufiihren.  Dabei  lauft  man  Gefahr,  die  natiirlichen  Reize  zu  verlieren, 
ohne  die  angestrebten  zu  gewinnen.  Man  raubt  dem  Veilchen  seinen 
Duft,  erzielt  aber  doch  nicht  die  prachtvolle  Farbe  der  Konigin  der 
Blumen.  Die  Entwicklung  muss  sich  der  Natur  des  Menschen  anpassen. 
Wir  konnen  nur  ziehen,  nicht  erzeugen,  wie  ja  auch  der  Gartner  den  Duft 
und  die  Farbenpracht  der  Blumen  nicht  selbst  erschafft,  sondern  sie  nur 
der  Natur  entnimmt,  um  sie  zur  volleren  Entfaltung  zu  bringen.  Beson- 
ders  aber  muss  man  beim  weiblichen  Geschlecht  in  dieser  Hinsicht  Vor- 
sicht  iiben.  So  lange  der  Jungfrau  das  hohere  Studium  nicht  deren  Ge- 
sundheit  und  spontanen  Weiblichkeit  schadigt,  ist  nichts  gegen  dasselbe 
einzuwenden ;  sobald  dies  jedoch  der  Fall,  begeht  man  einen  zweif elhaf ten 
Tausch.  Wie  es  in  einem  Verse  heisst: 

Sie  hat  nun  studieret  viele  Jahre  lang, 

Hat  die  Schatze  des  Wissens  erkoren, 

Ich  zweifle  jedoch,  ob  sie  mehr  von  Belang 

Als  die  Anmut,  die  sie  verloren. 

Die  grosste  Gefahr  des  Studiums  und  der  Bildung  jedoch  liegt  in  der 
Versuchung,  echte  mit  kiinstlichen,  falschen  Blumen  zu  ersetzen.  Man 
will  den  Geist  sozusagen  nur  iibertiinchen  und  polieren,  lasst  aber  den 
Kern  unberiihrt:  man  verziert  das  Aussere,  um  bildlich  zu  reden,  kammt 


Ueber  den  Garten  der  Menschbeit.  269 

die  Haare,  putzt  die  Fingernagel,  wichst  die  Schuhe  und  kiimmert  sich 
nicht  um  das  innere  Leiden,  das  an  dem  Kinde  zehrt.  Die  Welt  betrach- 
tet  die  Sclmlung  und  Bildung  nur  allzusehr  als  Mittel  zur  gesellschaftli- 
chen  Auszeichnung  und  zur  Uberhebung  iiber  die  ungeschulteren  Mit- 
menschen.  In  der  Tat,  dies  ist  so  vielfach  die  Art  und  Weise,  wie  man 
Schule  und  Bildung  nicht  nur  unter  Laien,  sondern  leider  auch  unter 
Lehrern,  betrachtet,  dass  das  Wort  ,,Bildung",  ,,C  u  1 1  u  r  e",  einen  An- 
strich  des  Yerachtlichen,  dumm  Vornehmen  angenommen  hat.  Unter 
einem  gebildeten  ,,G  e  n  1 1  e  m  a  n"  oder  einer  ,,c  u  1 1  u  r  e  d  Lady" 
versteht  man  vielfach  nur  eine  Person,  die  sieh  einen  gewissen  ausseren 
Glanz,  einen  Schein  der  Gelehrsamkeit  angeeignet  hat.  Dass  jedoch  das 
Wesen  der  Bildung  keineswegs  in  solchen  Ausserlichkeiten  beruht,  son- 
dern sich  bis  tief  in  die  Wurzeln  der  Personlichkeit  erstreckt,  braucht 
wohl  kaum  noch  betont  zu  werden. 

Machen  wir  nun  zum  Schluss  noch  einmal  die  Runde  durch  unseren 
Garten  und  wiederholen  wir  die  Grundregeln  der  menschlichen  Pflanzen- 
zucht.  Endzweck  alles  Menschenlebens,  und  somit  auch  aller  Schule  und 
Erziehung  ist  die  Entwicklung  einer  schb'nen  Seele,  eines  reinen  Herzens, 
eines  gliicklichen  Gemiits.  Geld,  Nahrung,  Behausung,  sowie  alle  die  me- 
chanischen  Hilfsmittel  des  Unterhaltes,  haben  nur  Wert  als  Mittel  zu 
diesem  Zweck.  Sie  entsprechen  der  Erde,  dem  Regen  und  den  zahlreichen 
Geratschaften  des  Gartners,  die  wohl  notwendig  sind,  die  aber  nie  die 
Farbenpracht  und  den  Duft  der  Blumen  ersetzen  kb'nnen.  In  den  Blu- 
men  allein  und  nicht  in  ihren  materiellen  Bedingungen  liegt  der  Wert 
des  Gartens.  Die  Blumen  jedoch  sind  weit  mehr  als  botanische  Exem- 
plare.  Der  Mensch  ist  nicht  bloss  als  Gehirn  zu  betrachten,  dessen  Auf- 
gabe  es  ist,  die  grosstmogliche  Zahl  von  Daten  und  sonstigen  Tatsachen 
in  sich  aufzunehmen.  In  seinem  Herzen  und  seinem  Gemiit  ruht  sein 
wirkliches  Wesen,  entfaltet  sich  die  wahre  Schb'nheit  der  Bliite.  Wie  es 
jedoch  unzahlige  Blumenarten  gibt,  so  auch  unzahlige  Geistes-  und 
Gemiitsanlagen,  die  der  Gartner  anzuerkennen  und  auf  denen  er  weiterzu- 
bauen  hat.  Schliesslich  sollen  die  Blumen  nicht  verfalscht,  nicht  durch 
kiinstliche  ersetzt  werden.  Der  Schein  und  das  angenehme  Aussere  sind 
wohl  von  Wert,  treten  sie  Jedoch  als  Verdeckung  eines  unedlen  Inneren 
auf,  so  sind  sie  verwerflich. 

Hoffen  wir  nun,  dass  die  Zukunft  uns  gute,  fruchtbare  Jahre  gonne; 
moge  es  den  Gartnern  gelingen,  die  Gesetze  der  menschlichen  Blumen- 
zucht  allmjjihlich  zu  begeistern;  mogen  sie  das  Unkraut,  das  gar  zu  iippig 
emporschiesst,  immer  mehr  und  mehr  ersticken  und  vertilgen,  und  mogen 
die  Blumen  gedeihen,  wie  noch  nie  zuvor. 


Die  deutschamerikanische  Dichtung. 


Von  Dr.  H.  H.  Pick,  Cincinnati,  O. 


Die  Neigung  zur  Pocsie  1st  ein  Grundzug  der  Menschennatur.  Sie 
1st  weder  an  Ort  noch  an  Zeit,  weder  an  Stand  noch  an  Geschlecht  ge- 
bunden,  sondern  ira  vollen  Sinne  des  Wortes  irdisches  Gemeingut.  Auf 
die  Dichtung  passt  voll  und  ganz  der  Vers  Schillers  in  seiner  reizenden 
Allegoric  ,,Das  Madchen  aus  der  Fremde": 

,,Sie  teilte  Jedem  eine  Gabe, 

Dem  Friichte,  jenem  Blumen  aus!" 

Beeinflusst  vom  Singen  und  Sagen  werden  aller  Herzen  weit,  die 
Augen  leuehten  und  die  Pulse  schlagen  hoher  in  edler  Begeisterung.  Ein 
trefflicher  deutsclier  Schriftsteller  schreibt,  dass  unser  Leben  ein  ewiges 
Arerbluten  sein  wiirde,  vvenn  nicht  die  Dichtkunst  ware.  ,,Sie  gewahrt 
uns,  heisst  es,  was  uns  die  Natur  versagt;  eine  goldene  Zeit,  die  nicht 
rostet,  einen  Friihling,  der  nicht  abbliiht,  wolkenloses  Gliick,  und  ewige 
Jugend."  Fiirwahr,  machtiger  ist  das  Ideale  als  die  niichterne  Alltag- 
lichkeit. 

Der  echte  wahre  Dichter  gehorcht  einem  machtigen  inneren  Drange 
und  verleiht  sein  em  Empfinden  und  Sehnen,  seiner  Uberzeugung  und 
feeinem  Hoffen  Worte  und  Reime,  weil  er  nicht  anders  kann.  An  ihn 
treten  die  alten  und  stets  neuen  Probleme  des  Daseins  zur  Erwagung 
heran;  es  bieten  sich  ihm  die  ewig  unergriindliehen,  aber  immer  reiz vol- 
len Ratsel  des  Lebens.  Ihn  freuen  und  erheben  die  Wunder  der  Natur, 
die  Schb'nheiten  der  Kunst,  die  Meisterwerke  menschlicher  Erfindungs- 
gabe.  Er  erhebt  begeistert  den  schaumenden  Krug  oder  das  lichtfun- 
kelndc  Glas  und  kiisst  in  seligem  Wonnegefiihl  die  schwellenden  Purpur- 
lippeu  der  Geliebten.  Sein  Lied  preist  in  stolzem  Schwunge  die  Gross- 
taten  des  Edelmutes  und  der  Opferfreudigkeit,  der  Barmherzigkeit  und 
der  Nachstenliebe,  wettert  und  weint  iiber  das  Ungliick,  die  Schmach 
des  Yaterlandes,  das  Elend  der  Menschen,  unh  schmiickt  mit  dauerndem 
Kranze  den  Sarg  des  Helden. 

Der  Dichter  wagt  auf  der  schwa nken  Wage  seines  Empfindens  die 
Urteile  der'  Menge  und  verkiindigt  seine  Meiniing,  gleichgiltig  ob  ihm 
uun  ein  ,,Hosianna"  oder  das  ,,Kreuziget  ihn"  entgegen  schalle.  Zwar 
wird  ihm  fiir  seine  mit  Herzblut  und  Geistessaft  geschriebenea,  aus  tief- 
eigenstem  Wesen  hervorgegangenen  Worte  und  Verse  und  Strophen  sel- 
ten  irdisches  Gut  zuteil,  aber  als  Entschadigung  fiir  Gold  und  Silber 
fallt  auf  ihn  ein  Abglanz  iiberirdischer  Hoheit  und  stempelt  ihn  zu  dem 
Auserwahlten.  Ob  seine  Euhestatte  spater  keine  Marmorbiiste  schmiicke, 
keine  Erztafel  seinen  Namen  verewige  oder  von  seinen  Werken  rede,  seine 


ie  deutscbamerikaniscbe  Dichtung.  271 

Gedanken,  seine  Mahnungen,  sein  Lob  und  sein  Tadel  barren  aus  und 
werden  welter  getragen  auf  den  Fliigeln  der  Jab  re.  1st  auch  der  musen- 
gekiisste  Mund  verstummt,  das  in  dichterischer  Verziickung  erstrahlende 
Auge  des  Poeten  im  Tode  gebrochen,  seine  Stimme  verhallt,  so  redet  er 
dennoch  in  eindringlicher  Sprache  zur  Mitwelt  und  nicbt  minder  zu 
kommenden  Geschlechtern. 

Nach  dem  schonen  \Vrorte  Follens: 

,,Wenn  die  Saiten  langst  zersprungen, 
Lebt  das  Lied  auf  alien  Zungen, 
Lebt  unsterblich  im  Gemiit. 
Nur  des  Lebens  Licbt  verdimkelt, 
Doch  der  Stern  der  Liebe  funkelt, 
Bis  im  Lichtmeer  er  vergliiht." 

Bis  in  die  neuere  Zeit  hinein  aber  hat  man  sich  darin  gefallen,  Ame- 
rika  als  unfruchtbaren  Boden  fiir  poetische  Bestrebungen  zu  schildern, 
als  ein  Land  gleichsam,  dessen  Luft  sich  wie  Mehltau  auf  dichterisches 
Empfinden  und  kiinstlerisches  Schaffen  lege.  Selbst  nachdem  die  Dich- 
tungen  eines  Bryant,  eines  Poe,  eines  Whittier,  eines  Longfellow,  eines 
Holmes  Zeugnis  ablegten  von  der  Schaffensfreudigkeit  und  Schaffens- 
tiichtigkeit  angloamerikanischer  Poeten,  blieb  eine  Geringschatzung  der 
Versuche  von  Deutschamerikanern  auf  dichterischem  Gebiete  vorherr- 
schend.  Wiederholt  bezeugen  das  die  literarischen  Besprechungen  und 
ITrteile  aus  deutsehlandischen  Kreisen.  Noch  immer  werden  die  Verse 
Geroks  augefiihrt: 

^Amerika,  dich  konnt'  ich  nie  recht  lieben, 
So  prahlend  sich  dein  Sternenbanner  blaht, 
Darunter  meist  ein  Kratnervolk  sich  dreht 
Urns  gold'ne  Kalb,  dem  Mammon  ganz  verschrieben. 
Der  Urwald  sank  vor  seiner  Axte  Hieben, 
Mit  stolzen  Stadten  ward  dein  Strand  besa't, 
Doch  ward  die  Poesie  erst  weggemaht 
Dnd  herzlos  erst  des  Urwalds  Sohn  vertrieben." 
1st  das  durchaus  \\rahr  und  gerechtfertigt?  Nein  und  abermals  nein! 
Freilich  hatte  der  Pionier,  abgesehen  von  Ausnahme  fallen,  Anspriichen 
zu  geniigen,  die  ihm  Musse  karg  zumassen.     Sein  war  das  Los  schwieli- 
ger  Hande  und  korperlicher  Abspannung.     Im   Schweisse  des  Ange- 
sichtes  musste  er  frohnen,  um  den  jungfraulichen  Boden  dieses  Landes 
arbar  zu  machen,  und  sich  die  Statte  zur  Erbauung  der  Blockhiitte  zu 
sichern.     Da  von  singt  Freiligrath: 

,,Mit  nerv'ger  Faust  und  weh'nden  Haaren, 
Mit  Hacke,  Spaten  und  Gewehr, 
So  ist  sie  kiihn  hinausgezogen, 
Die  deutsche  Arbeit,  iibers  Meer. 


272  Padagogische  Monatshefte. 

Sie  hat  ihr  Werkzeug  wohl  geschwimgen, 
Kein  Hemmnis  schreckte  sie  zuriick, 
Froh  schaffend  hat  sie  sich  errungen 
Das  Biirgerrecht  der  Republik." 

Ebenso  wahr  1st  auch  die  Schlussstrophe: 

,,Wer  aber,  als  sie  zog  ins  Weite, 
Zog  mit  ihr  iibers  Meer  hinaus, 
Wer  gab  ihr  frohlich  das  Geleite? 
Wer  half  ihr  bau'n  das  neue  Haus? 
"Wer  stand  ihr  bei  in  Lieb  imd  Treue, 
Dass,  was  sie  schaffte,  wohl  geriet? 
Wer  gab  der  deutschen  Kraft  die  Weihe 
Jenseits  des  Meers?    Das  deutsche  Lied." 

Die  verschiedenartigen  Ausserungen  deutschen  Gemiitslebens  ver- 
siissten  und  adelten  die  Miihen  und  Sorgen  des  Aufenthaltes  imd  der 
Sesshaftmachung  im  neuerworbenen  Heim,  das  Mitgebrachte  fiihrte  na- 
turgemass  zu  Neuschb'pfungen  und  so  entstand  eine  deutschamerika- 
nische  Dichtung. 

Freilich  hat  das  Deutsehtmn  Amerikas  weder  einen  Schiller,  noch 
einen  Goethe,  weder  einen  Lessing  noch  einen  Heine  zu  eigen,  ebenso- 
wenig  wie  sich  die  angloamerikanische  Poesie  schon  eines  Shakespeare, 
eines  Milton,  eines  Byron  riihmen  kann.  Es  ist  leicht  genug  zu  behaup- 
ten,  dass  aus  deutschamerikanischen  Kreisen  nichts  Hervorragendes  vor- 
handen  sei  und  diese  Behauptung  durch  Anfiihrung  einiger  Proben  zu 
belegen:  der  Sache  wird  dadurch  ein  schlechter  Dienst  geleistet.  Das 
nicht  wegzuleugnende  ehrliche  dichterische  Streben  deutscher  Manner 
und  Frauen  in  Amerika  verdient  weit  eher  Aufmunterung  und  Aner- 
kennung,  als  Spott  und  Achselzucken.  Einer  der  Unsrigen,  Max  Hem- 
pel,  sprach  in  einem  Toast  zur  Schillerfeier: 

,,Es  ist  nicht  alles  Wein  vom  Ehein, 

Den  die  durstige  Kehle  hinunterschlingt, 

Es  kann  nicht  jeder  ein  Schiller  sein, 

In  dem  der  Quell  der  Dichtung  springt. 

Nicht  jeder  Glanz  ist  Sonnenschein, 

Es  gibt  auch  kleinere  Lichter, 

In  unser  Herz  leuchten  sie  alle  hinein, 

Des  deutschen  Volkes  Dichter. 

I 

Auch  hier  in  diesem  Lande  gedeiht 
Das  Singen  und  Sagen  aus  Dichtermund, 
Es  weckt  ein  Echo  von  Gliick  und  Leid 
Und  gibt  uns  von  Liebe  und  Heimat  Kund', 


e  dentschamerikanische  Dichtung.  273 

Drum  werd'  auch  ihm  der  Ehre  Preis! 
Es  trotze  noch  lang  der  Vernichtung 
Und  bliihe  —  das  amerikanische  Reis 
Am  Baume  der  deutschen  Dichtung." 

Des  ofteren  1st  der  deutschamerikanischen  Poesie  der  Vorwurf  ge- 
macht  word  en,  es  fehle  ihr  jeglicher  unterscheidende  Charakter.  Es  ist 
schwer  zu  begreifen,  welche  Eigenartigkeit  die  also  urteilenden  Kritiker 
erwarten. 

Die  verschiedensten  Gattungen  der  gebundenen  Eede  sind  vertreten, 
lyrisch,  episch,  dramatisch  und  didaktisch.  Es  findet  sich  das  schlichte 
Lied  und  die  schwungvolle  Ode,  die  Ballade,  wie  das  Sonett,  die  Tenzone 
und  das  Madrigal,  Glosse  und  Spruchdichtung,  neben  dem  Ernste  der 
Humor  und  die  Mundart.  Und  was  die  Themata  anbetrifft,  lasst  dieses 
grosse  Land,  welches  sich  von  den  Kiisten  Maines  bis  zum  ,,Goldenen 
Tore"  Calif orniens,  von  den  Orangenhainen  Floridas  bis  zur  majestati- 
schen  Kette  der  nordlichen  Seen  erstreckt,  welches  einzig  in  der  Art  da- 
stehende  Wunder  der  Natur  und  unvergleichliche  Denkmaler  menschli- 
cher  Ausdauer  und  menschlichen  Tuns  besitzt,  welches  gleich  eigenartig 
und  merkwiirdig  in  historischer,  in  geographischer,  in  politischer,  in  so- 
zialer  Beziehung  ist,  den  Dichter  nicht  um  Stoffe  und  Bilder  verlegen 
sein.  Alles  was  Menschenherz  durchbebt  und  erhebt,  die  geheimsten 
Eegungen  der  menschlichen  Psyche,  das  was 

,,Durch  das  Labyrinth  der  Brust 
Wandelt  bei  der  Nacht" 

weckt  des  Sanges  Lust  hier  wie  driiben.  Aber  welche  Fiille  von  An- 
regungen!  Die  majestatische  Bucht  von  New  York  mit  der  weitaus- 
schauenden  Statue  der  welterleuchtenden  Freiheit,  der  stattliche  Hud- 
son und  der  scheme  Ohiofluss,  die  Magnolienhaine  des  Siidens,  der  Golf 
mit  dem  sich  ihm  vermischenden  Riesenstrome,  dessen  Bett  eine  Wasser- 
wiiste  anderer  Strome  mit  sich  fiihrt,  die  Hohlenwimder  Virginiens  und 
Kentucky s,  der  unvergleichliche  Niagarafall,  die  endlos  sich  dehnenden 
Prarien,  die  mannigfaltigen  tiberraschungen  der  Felsengebirge  und  der 
Kiiste  des  stillen  Meeres,  alles  das  kann  sich  in  den  Schopfungen  unserer 
Dichter  wiederspiegeln  und  ist  von  ihnen  zum  Vorwurf  genommen  wor- 
den. 

,,Es  ist  dir  viel  zu  teil  geworden, 

Mein  herrlich  Land  Amerika, 

Dein  Adler  zieht  vom  eis'gen  Norden 

Zum  sonnbeglanzten  Florida, 

Dein  sternbesii'tes  Banner  wehet 

Von  Maine  bis  fern  am  ,,goldnen  Tor," 

\Vo  duster  noch  der  Urwald  stehet 

Und  wo  die  Palme  ragt  empor." 


274  Padagogische  Monatsbefte. 

So  klingt  es  von  der  Pracht  und  der  Macht  des  ganzen  Landes.  Die 
Eigenart  einzelner  Gegenden  ist  oft  genug  das  Thema  des  ansassigen 
oder  auf  Besuch  weilenden  Dichters  gewesen.  Theodor  Kirchhoff  schil- 
dert  den  Staat,  der  ihm  die  neue  Heimat  wurde,  in  begeisterten  Worten 
wie  folgt: 

„  Welch  e  zaubervollen  Bilder 

Hat  geschaut  mein  trunk'nes  Auge, 

California,  du  Schonste 

In  Columbias  stolzem  Bunde, 

Wenn,  dein  weites  Reich  durchwandernd, 

Zogernd  oft  am  Pfad  ich  weilte! 

Deine  koniglichen  Taler, 

Mit  den  Eichen  drin  zerstreut, 

Wie  ein  Parkland  anzusehen; 

Deine  iipp'gen  Felder,  endlos, 

Mit  der  Halme  gelben  Wogen; 

Deine  sonn'gen  Weingelande, 

Mit  der  Traube  siissem  Segen; 

Deine  dunkelgriinen  Haine, 

Wo  die  Goldorangen  leuchten. 

Uns'rer  Erde  hehres  Wunder 

Xennt  man  in  entleg'nen  Zonen 

Jene  felsumbaute  Talschlucht, 

Wo  die  donnernden  Kaskaden 

Wie  vom  Himmel  niederstiirmen; 

Jene  ernsten  Mammutbaume, 

Biesensaulen  in  dem  Urwald, 

Die  der  Menschheit  Wiege  schauten. 

Herrlich  dehnt  sich  deines  Himmels 

Blaue  Wolbung  iiber  Taler, 

Hochgebirge,  Wald  und  Seen, 

Drauf  Italias  Sonne  leuchtet. 

Wahrlich!  Wie  kein  Land  der  Erde 

Schmiickte  dich  die  Hand  des  Schopfers." 

Unter  dem  Tafelfelsen,  angesichts  des  liberwaltigend-gossartigen 
Niagara  schrieb  vor  mehr  als  fiinfzig  Jahren  Kaspar  Butz: 

,,Yom  Felsen  sickert  es  tropfenweis 

In  langsam  einformigem  Takt, 

Nun  vor  mir  schaumt  er,  wie  siedendheiss, 

Der  tobende  Katarakt  — 

Hoch  oben  die  ragende  Felsenwand 

Ein  Baldachin  fiir  das  Haupt." 


*Die  dentschametikanische  Dichtung.  275 

Neuerer  Zeit  entstammt  eine  gedankenvolle  Schilderimg  desselben 
Naturwunders.  Otto  Wichers  von  Gogh  besingt  den  Pfingsten  am  Nia- 
gara folgendermassen: 

,,Brausend  walzt  die  "\Vogenmasse  sich  von  einem  See  zum  andern. 
Grollend  muss  der  Strom  in  Fesseln  seine  Schicksalsbahn  durchwandern. 

lTnheil  kiindend  flatternMoven;  gurgelnd  tont's  vom  Grimd  wie  Stohnen; 
Angstgepeitscht  die  Wellen  rollen,  dass  die  Ufer  rings  erdrohnen. 

Hastlos  treibt  es  den  Giganten  seinem  jahen  Fall  entgegen; 
Tropfen  spriih'n  um  seine  Schlafen  funkelnd  wie  Demantenregen. 

Wie  im  letzten  Krampfe  wolbt  sich  hoch  die  Brust  des  Todgeweihten; 
Schaumend  stiirzt  der  Fluss  hinunter  in  den  Schlund  der  Ewigkeiten. 

Ein  Koloss  wird  hier  zerschmettert,  doch  der  Riese  trotzt  Gewalten, 
Welche  wirbelnd,  sturmend  jagen  iiber  ihm  wie  Spukgestalten. 

Schnaubend,  brodelnd,  zischend  hallt  es  dumpf  herauf  axis  dunklem 

Kessel, 
Gellend  donnert's  durch  die  Brandling:  ,,Frei  bin  ich  der  Sklavenfessel!" 

Siegreich  steigt  er  aus  dem  Grabe,  schiittelt  seine  nassen  Locken; 
Zu  den  Wolken  fliegt  die  Lohe,  hoch  anf  stieben  Wasserflocken. 

Jubilierend  durch  den  Ather  die  krystall'nen  Tropfen  dringen, 
Die  in  jauchzenden  Akkorden:  ,,Heil  dir,  Niagara!"  singen. 

tiber  Felsgeroll  und  Schluchten  schallt  die  Botschaft  ew'gen  Lebens: 
Dass  im  Angesicht  des  Todes  Heldenmut  ringt  nicht  vergebens. 

iJnaufhaltsam  und  gewaltig  ist  der  Strom  zum  Meer  geflossen. 
Auf  der  Niagara-Landschaft  liegt  der  Pfmgstgeist  ausgegossen. 

Den,  der  Sage  nach  unermesslich  tiefen,  geheimnisvollen  ,,Devils 
Lake"  Wisconsins  beschreibt  Otto  Soubron  in  anschaulicher  Weise  in  den 
Strophen: 

,,Starre  Felsen  ragen  trotzig 

Um  den  See,  den  schwarzen,  stillen, 

Der  wie  ein  gebroch'nes  Auge  — 

Leblos,  kalt  und  unergriindlich  — 

Blickt  verglast  empor  zum  Himmel. 

Still,  verodet  ist  die  Gegend, 
Nur  mit  tragem  Fliigelschlage 
tiber'm  Abgrund  kreist  der  Adler, 
Und  die  Brut  der  Schlange  nistet 
Unten  in  den  Felsenspalten." 


276  P&Jagogische  Monatshefte. 

Die  Sclionheit  Floridas,  ,,in  dem  sonnenwarmen  Klima,  in  der  mil- 
den,  lauen  Luft,  hochgewiirzt  mit  Fb'hrenbalsam  und  Orangenbliiten- 
duft",  begeistert  Frank  Siller,  und  der  gefeierte  Konrad  Krez  schildert 
,,Little  Rock": 

,,Wo,  wie  aus  einem  Tore  von  Smaragd 

Ein  Strom  von  Silber,  der  Arkansas,  aus 

Waldreichen  Hiigeln  in  das  nache  Land 

Hinunterstromt,  kronst  du  den  Schieferstein, 

Der  von  den  Felsen  seines  langen  Laufs 

Der  letzte  ist,  den  seine  Flut  bespiilt." 

Gewiss,  offenes  Auge  und  warmes  Empfinden  haben  die  deutschen 
Dichter  dieses  Landes  fiir  seine  Eigenart,  seine  Grossartigkeit  und  seine 
Schonheiten  gehabt.  Nicht  minder  ist  dieses  der  Fall  in  bezug  auf 
Amerikas  Gestalten  in  Sage  und  Geschichte.  Die  tiberlieferungen  der 
verschiedenen  Indianerstamme,  die  Sagen  und  Legenden  der  Pottowato- 
mies,  der  Irokesen,  der  Delawares,  der  Chippewas,  der  Wyandots,  der 
Dacotas,  der  Ottawas  und  anderer,  die  teils  riihrenden,  teils  grauenerre- 
genden  Erzahlungen  vom  weissen  Nachen  des  Niagarastromes,  von  der 
Maid  der  Mississippifalle,  vom  Kampfe  der  Halbgotter  im  Oregontale, 
vom  Maiden  Rock,  sind  in  englischer  wie  nicht  minder  in  deutsclier  Fas- 
sung  nacherzahlt  worden,  ohne  den  urspriinglichen  Reiz  zu  verlieren. 

Genau  so  verhalt  es  sich  mit  historisclien  Personen  und  geschichtli- 
chen  Ereignissen.  Der  Vikingerzug  iiber  das  atlantische  Meer  ist  von 
dem  Englander  Montgomery  und  dem  Angloamerikaner  Lowell  diclite- 
risch  verwertet  worden,  aber  auch  die  deutschamerikanische  Poesie  feiert 
die  Nordlandsrecken  und  kiindet  den  Ruhm  des  Schmieds  vom  Rheine, 
der  am  diesseitigen  Gestade  Trauben  entdeckte.  Das  Marchen  vom  Jung- 
brunnen,  der  Zauberquelle,  die  dem  Alternden  die  Jugend  wiedergeben 
konne,  sehr  ansprechend  von  Butterworth  in  englischen  Versen  bearbei- 
tet,  hat  die  denkbar  beste  Verkorperung  in  dem  gedankenreichen,  sprach- 
und  formvollendeten  Gedichte  ,,Ponce  de  Leon'  von  Kara  Giorg  gefun- 
den. 

Dieser  hat  auch  den  Heldenmut  einer  Deutschamerikanerin,  der 
Frau  eines  Kanoniers,  welche  in  der  Schlacht  bei  Monmouth  nach  der 
Verwundung  ihres  Mannes  dessen  Posten  am  Geschiitze  einnahm  und  die 
zagenden  Mitkampfer  durch  ihr  Beispiel  anfeuerte  in  der  Ballade  "Moll 
Pitcher"  wirksamer  geschildert,  als  es  Collins  in  dem  englischen  Gedichte 
"Mollie  Maguire  at  Monmouth"  vermochte,  wie  auch  Charltons  "The 
Death  of  Jasper"  weit  hinter  des  deutschamerikanischen  Dichters  Ver- 
herrlichung  des  Helden  von  Fort  Moultrie  zuriicksteht.  Der  amerika- 
nische  Maler  und  Dichter  Thomas  Buchanan  Read  verdient  hohes  Lob 
fiir  sein  packendes  Gedicht  ,.,The  Revolutionary  Rising",  in  dem  er  er- 
zahlt,  wie  der  deutsche  Prediger  der  Gemeinde  in  Woodstock  auf  der 


'Die  deutschamerikanische  Dicbtung.  277 

Kanzel  den  Talar  mit  dem  Waffenrock  vertauschte  und  seine  Zuhorer  zur 
Teilnahme  an  dem  Befreiungskampfe  einlud.  Wilhelm  Miillers  deutsche 
Ballade  ,,Miihlenberg"  ist  der  englischen  vollkommen  ebenbiirtig.  Nur 
eine  Voreingenommenheit  kann  absprechend  iiber  die  Dichtungen  in 
deutscher  Sprache,  welche  das  blutige  Kingen  der  Bauern  ira  Mohowk- 
tale  und  den  Siegertod  Herkheimers  besingen,  urteilen  und  der,  diesel- 
ben  Begebenheiten  feiernden  englischen  Strophen  Helmers  riihmend  ge- 
denken. 

Die  wiirdige  Gestalt  des  Patriarchen  von  Germantown,  Pastorius, 
von  Whittier  im  Gegensatz  zu  den  Pilgervatern  des  Nordens  als  ,,Pilger 
einer  mildern  Flur  und  sanftern  Sinns"  in  englischen  Dreizeilern  geprie- 
sen,  tritt  nicht  minder  sympathisch  beriihrend  in  den  Vordergrund, 
wenn  Miiller  ausruft: 

,,Das  war  ein  Mann  von  echtem  Schlage, 
Voll  Mut  sprach  er  ein  hohes  Wort, 
Es  klingt  bis  in  die  spatsten  Tage 
In  alien  edlen  Herzen  fort. 
Die  neue  Welt  schloss  ihre  Pforten 
Den  Armen  und  Bedriickten  auf, 
Da  zogen  bald  von  alien  Orten 
Die  Pilger  iibers  Meer  zuhauf, 
Die  finstrer  Glaubenshass  vertrieben 
Vom  trauten  Herd  am  Heimatland, 
Die  aus  dem  Kreise  ihrer  Lieben 
Der  Herrscher  Machtgebot  verbannt; 
Sie  lenkten  durch  die  Wasserwiiste 
Voll  Sehnsucht  ihrer  Schiffe  Kiel 
Und  fanden  an  Columbiens  Kiiste 
Im  fernen  Westen  ein  Asyl. 
Und  jedem  freien  Siedler  lohnte 
Der  reiche  Boden  seinen  Fleiss. 
Im  neuen  Heim,  das  er  bewohnte, 
Gen oss  er  seiner  Arbeit  Preis. 
Nur  einem  der  geladnen  Gaste, 
Der  Wiistensonne  dunklem  Sohn, 
Dem  gonnt  man  keinen  Eaum  beim  Feste, 
Dem  winkt  fiir  schweres  Miih'n  kein  Lohn. 
*         *         * 

Da  ruft  der  Mann  vom  deutschen  Maine: 
,,Ihr  Freunde,  das  flihrt  nicht  zum  Heil! 
Wo  jeder  froh  geniesst  das  Seine, 
Gebiihrt  dem  Schwarzen  auch  sein  Teil." 


278  Padagogiscbe  Monatshefte. 

,,Der  Himmel  schuf  ihn  nicht  zum  Knechte, 

Noch  ward  euch  Herrschermacht  verliehn. 

Der  Menschheit  heil'ge,  ew'ge  Rechte, 

Vernehmt's  —  ich  fordere  sie  fur  ihn!" 

Es  sollte  noch  anderthalb  Jahrhunderte  dauern,  elie  die  Sklavenket- 
ten  fielen.  Noch  bedurfte  es  der  Opfer,  die  ihr  Mene  Tekel  mit  dem  Le- 
ben  bezahlen  mnssten.  ,,Einem  Toten  zum  Gedachtnis"  schrieb  am  1. 
Dezember  1861  Eduard  Dorsch: 

,,Wenn  auf  der  Alpen  iiberschneiten  Hoh'n 
Der  Wand'rer  schreitet  mit  bestiirzter  Miene, 
Da  braucht  es  nicht  das  Donnerwort  des  Flohn', 
Vom  leisen  Schlaf  zu  wecken  die  La  wine; 
Das  Glb'ckchen  eines  Saumtiers  ist  genug, 
Der  Hungerschrei  des  Geiers  oder  Raben,  — 
Die  erste  Flocke  reisst  sich  los  im  Plug, 
Schneemassen  folgen,  Stadte  sind  begraben. 

1 

Der  Becher  ist  gefiillt;  ein  Tropfen  mehr, 
Und  ungeduldig  wird  er  iiberschaumen; 
Ein  Rosenblatt  ist  eine  Last  zu  schwer 
Furs  Volk,  das  mild',  und  es  vergisst  zu  traumen. 
Nur  einen  Anstoss  braucht's,  um  tausend  Weh'n 
Der  Opfer  ihren  Henkern  zu  vtrgelten,  — 
Nur  eine  Scholle,  um  darauf  zu  stelrn, 
Und  aus  den  Angeln  hebt  der  Weise  Welten. 

John  Brown,  Du  warst  das  Glockchen,  das  erklang, 
Du  warst  der  Rabe,  der  verscheidend  hauchte, 
Du  warst  die  Flocke,  welche  los  sich  rang, 
Du  warst  die  Scholle,  die  das  Schicksal  brauchte. 
Hernieder  auf  das  Haupt  der  Sklaverei, 
Yon  dir  geweckt,  jetzt  donnert  die  Lawine, 
Zermalmend  stiirmet  sie  zum  Tal  und  frei, 
Schwirrt  auf  der  Drohnen  Grab  die  Arbeitsbiene." 
Brown  von  Ossowattomie,  der  tollkiihne  Held  von  Harpers  Ferry, 
verdient  das  Lob  des  Dichters,  in  welcher  Zunge  es  auch  erklinge,  aber 
auch  die  kleine  Schar,  welche  im  ungleichen  Kampfe  gegen  die  Uber- 
macht  des  Kapitals  unterlag  und  den  Versuch  einer  Befreiung  aus  so- 
zialer   Sklaverei   am   Galgen  biisste,   gebiihrt   neben   der  Ehrung,  wel- 
che ihr  Tucker  angedeihen  lasst  in  den  Worten: 

"They  never  fail  who  die 

In  a  great  cause:  the  block  may  soak  their  gore; 
Their  heads  may  sodden  in  the  sun;  their  limbs 


deutschamerikanische  Dichtung.  279 

Be  strung  to  city  gates  and  castle  walls  — 
But  still  their  spirit  walks  abroad." 

voll  und  ganz  die  Strophe  Bechtolds: 

,,So  werden  auch  noch  viele  Helden  fallen, 
Die  sich  gewagt  aus  schiitzendem  Asyl, 
Und  unentwegt  der  Wahrheit  Bahnen  wallen 
Zum  Blutgeriist  statt  zum  ersehnten  Ziel." 

Was  ware  die  Poesie  ohne  ein  verstandnisvolles,  liebendes  Erfassen 
der  durch  die  Vorgange  und  Erscheinungen  im  All  bedingten  Stimmun- 
gen.  Englander  wie  Amerikaner  haben  dem  lebendigen  ^aturgefiihl  be- 
redten  und  deutereichen  Ausdruck  in  gebundener  und  ungebundener 
Sprache  gegeben,  selbstverstandlich  ist  auch  der  Deutsche  nicht  zuriick- 
geblieben.  Der  Wechsel  der  Jahreszeiten,  das  Kommen  und  Gehen  der 
Monate,  das  Erwachen  und  Absterben  in  der  Schopfung,  die  Tage  der 
Aussaat  und  die  der  Ernte,  ihre  Schonheiten,  ihre  Eigenart,  ihre  Lehren 
spiegeln  sich  in  deutschamerikanischen  Dichtungen.  Emerson  beschreibt 
die  unbegreiflich  klaren,  milden  letzten  Sommertage,  ,,wo  in  der  Welt 
eine  Heiligkeit  ist,  die  unsere  Religionen  iiberstrahlt  und  eine  Kraft  der 
Wirklichkeit,  vor  der  das  Heldentum  zusammenschwindet."  Yon  ahn- 
licher  Auffassung  zeugen  die  Verse  ,,Indianersommer"  von  Schmitt: 

,,Der  Sonnenball,  der  dort  im  Westen  flammt, 

Beschliesst  des  Tages  Hohepriesteramt, 

Als  Opferwolke  gliiht  die  Abendrote; 

Wie  segnend  breitet  iiber  das  Gefild 

Ein  goldner  Schein  die  Hande  ernst  und  mild. 

Noch  einmal  wirft  das  rote  Sonnenherz 

Den  Liebeskuss  zur  Erde  niederwarts. 

Es  ist,  ols  ob  es  in  des  Scheidens  Schmerz 

Den  letzten  Abschiedskuss  den  Fluren  bote." 

Ein  anderer  Dichter,  Gieseler,  schlagt  mehr  den  Ton  der  Wehmut 
an  und  gedenkt  des  Scheidens,  von  dem  Oktobertage  kiinden.  Seine 
Zeilen  lauten: 

,,Alluberall  in  der  Katur 

Ein  traumumfangnes  Trauern; 

Zuweilen  durch  die  Wipfel  nur 

Zieht's  wie  ein  frostelnd  Schauern; 

Dann  rieselt  leise  es  herab 

Gleich  wie  ein  linder  Regen: 

Das  sind  die  Blatter,  die  ins  Grab 

Sich  sommermude  legen. 

Ob  heut  noch  einmal  Sommerpracht 
Den  stillen  Wald  durch  zittert  — 


280  PMagogische  Monatshefte. 

Schon  morgen  wird  von  Sturmes  Macht 

Yernichtend  er  umwittert." 

Dass  das  Fest  der  Liebe,  das  Weihnachtsfest  mit  dem  schimmern- 
den  Lichterbaume  und  den  Gaben,  welche  die  Zweige  niederziehen,  die 
hohe  Zeit,  welche  die  grossen  und  kleinen  Freuden  bringt,  ohne  die  kein 
Menschenleben  verlauft,  immer  und  immer  wiederkehrt  in  der  deutsch- 
amerikanisehen  Poe&ie,  1st  leicht  begreiflich.  Der  Winter  mit  seinen 
Flocken  urd  seinem  Eiseshauche  mahnt  aber  schon  wieder  an  Aufer- 
stehung,  an  Erlosung,  an  neues  Leben.  So  heisst  es  bei  Hempel  in  dem 
Gedichte  ,,In  Eisesnoten": 

,,Alte  Linde,  du  mein  Better 
Von  des  Sommers  Feuersluft, 
Langst  verweht  sind  deine  Blatter 
Und  dein  siisser  Bliitenduft. 
Eegenschauer,  Froste  sandte 
Tins  der  Norden  iiber  Nacht, 
Konig  Winter  herrscht  im  Lande 
Und  du  prangst  in  fremder  Pracht. 

Dein  Gezweig,  das  blatterleere, 
Selbst  das  allerkleinste  Eeis, 
Halt  umsponnen  eine  schwere 
Diamantne  Kruste  Eis. 
Deine  Glieder,  unter  Qualen 
Stohnen,  von  der  Last  gepresst, 
Tausend  Sonnenfunken  strahlen 
In  dem  glasernen  Geast. 

Traget  furchtlos  das  krystallen 

Winterliche  Prachtgewand, 

Herz  und  Linde,  es  muss  fallen, 

Zieht  der  Fruhling  in  das  Land. 

Neue  Knospen,  alte  Linde, 

Sprossen  dir  im  Marzenhauch, 

Armes  Menschenherz,  o  finde 

Der  Erlosung  Friihling  auch!" 

Und  es  schmilzt  das  Eis,  es  schwindet  der  Schnee,  der  Winter  ver- 
geht,  es  hebt  sich  die  Scholle,  an  Zweigen  und  Aesten  brechen  Knospen 
Jiervor,  ans  Licht  kriecht  der  Kafer,  der  Wurm  empfindet  von  neuem  sein 
Dasein,  im  lauen  Sonnenstrahle  zittert  und  blitzt  es  von  metallisch- 
flimmernden  Lebewesen.  Da  erwacht  auch  die  Schopferlust  und  die  Muse 
weiht  die  empfindsame  Dichterseele.  In  einem  solchen  Augenblick  hat 
Hedwig  Yogel  in  Calif ornien  ein  Gedicht  ,,0stern"  in  Worte  geklcidet: 


deutschamerikaniscJie  Dichtung.  281 

,,Die  wilden  Tauben  hor'  ich  wieder  girren, 
TJnd  blau  verschleiert  traumt  das  stille  Meer, 
Ich  sah  die  Kolibris  um  Blumen  schwirren, 
Der  alte  Pfirsichbaum  ist  bliitenschwer. 

Zum  Neste  tra'gt  die  Schwalbe  weisse  Flocken, 
Der  Fliederbaum  steht  wieder  griin  belaubt, 
Den  Elfen  lauten  wilder  Blumen  Glocken, 
Die  Mandelbaume  sind  mit  Gold  bestaubt. 

In  alien  Landen  will  der  Lenz  erwachen, 
Und  auf  dem  stillen,  waldumsaumten  See 
Schwankt  keck  bewimpelt  schon  ein  leichter  Nachen, 
Erklingt  ein  Lied  von  Liebeslust  und  Weh. 

Im  Flur  und  Hain  ein  selig  Auferstehen, 
Yom  Bann  erlost,  wird  auch  das  Herze  frei; 
Lass  mich  den  Friihling  dir  im  Auge  sehen, 
Und  herrlich  wieder  bliiht  auch  mir  der  Mai." 

Auch  die  amerikanische  Flora  und  Fauna  hat  die  Aufmerksamkeit 
hiesiger  dentscher  Dichter  erregt  und  sie  zu  poetischem  Schaffen  getrie- 
ben.  Der  Kolibri,  der  Leuchtkafer,  die  Rotbrust,  die  Hiittensanger,  die 
Schwarzamsel,  die  Spottdrossel,  der  Mais,  die  Baumwollstaude,  'die  Hebe, 
alien  zum  Lobe  ist  hier  schon  deutsches  Wort  im  Verse  erklungen.  Eine 
Perle  ist  Thomanns  ,,Gutedel"  zu  nennen,  im  Weinlande  der  pazifischen 
Kiiste  entstanden.  Der  Dichter  fragt: 

,,Wie  nennt  ihr  die  liebliche  Traube  hier? 
Wie  nennt  ihr  den  "\Vein,  den  wilden?" 
Ihm  wird  die  Antwort: 

,,Gutedel;  aus  Deutschland  holten  wir 
Ilm  einst  nach  Sonomas  Gefilden." 

LTnd  dem  von  Longfellow  besungenen  Ohiowein  spendete  Dr.  Bauer 
gleich  feurige  Anerkennung  in  dem  ,,Herbstlied  1853": 
,,Wie  der  Wein  so  reich  und  siiss 
Heuer  ist  geraten! 
Will  er  uns  das  Paradies 
Auf  die  Erde  laden? 
Des  Ohio  Hiigelwand 
Speiet  siisse  Lava; 
Bist  du  dem  Vulkan  verwandt, 
Funkelnder  Catawba?" 

Die  Fiille  des  hiesigen  Traubensaftes  zeitigte  und  zeitigt  noch  jetzt 
zahllose  begeisterte  Dithyramben.  Eines  der  besten  Trinklieder  Ratter- 
manns  schliesst  mit  den  Zeilen: 


282  Padagogische  Monatshefte. 

,,Drum  muss  der  letzte  Tropfen  auch 
Verschwinden  aus  dem  Glas! 
Stosst  an,  trinkt  aus,  nach  altem  Brauch, 
Das  gottbeseherte  Nass! 
So  lange  noch  die  Rebe  bliiht, 
Soil  unser  Wahlspruch  sein: 
Die  Liebe  hold,  das  frohe  Lied, 
Der  gold'ne,  siisse  \Vein, 
Sie  leben  im  Verein!" 

Der  Dreiklang  Lieb',  Lied  und  Labe;  in  immer  neuen  Wendungen  ist 
ihm  gehuldigt,  seine  Allmacht  zugestanden,  sein  "\Valten  erfleht  worden. 
Die  selbstlose,  reine  Liebe  zur  unschuldsvollen  Madchenschonheit  veran- 
lasst  Robert  Reitzel  zu  den  riihrenden  Versen,  welche  das  tragische  Ge- 
schick  der  von  ihm  Besungenen  andeuten: 

,,Ich  denke  dein  wie  einer  Blume, 
Die  in  der  Knospe  ich  belausehte, 
Wie  eines  hohen  Himmelsliedes, 
Das  sanft  durch  meine  Seele  rauschte. 
Ich  denke  dein,  wie  eines  Sternes, 
Des  Strahlen  ich  in  mich  gezogen, 
-  Es  kam  der  Sturm,  —  ein  letztes  Leuchten  — 

Und  dann  verschlangen  ihn  die  Wogen." 

Die  Erfiillung  des  Liebeswerbens,  das  Gliick  eines  kosigen  Heims 
und  eines  innigen  Familienlebens,  dann  aber  auch  das  herzzerreissende 
,,Scheiden  vom  Liebsten,  was  man  hat",  ist  Mittelpunkt  des  folgenden 
Gedichtes  von  Bernhard  Bettmann: 

,,Es  war  ein  Traum:  Die  Ros'  in  deinem  Haar 

Ergliihte,  als  ich  selig  bei  dir  stand; 

Du  reichtest  lachelnd  mir  die  Blume  dar, 

Ich  kiisste  sie,  ich  kiisste  deine  Hand 

Und  riss  dich  an  mein  Herz;  o  Augenblick, 

So  reich  an  reinem,  siissem,  vollem  Gliick. 

Es  war  ein  Traum,  ich  weiss  es  wohl,  und  doch, 

Es  war  so  schb'n,  ich  wollt',  ich  traumte  noch. 

Es  war  ein  Traum:  ich  sah  ein  kleines  Haus, 
Versteckt  im  Grim  in  friedlich  stiller  Ruh, 
Das  Kind  auf  deinem  Arm  tratst  du  heraus 
Und  winktest  mir  von  fern  schon  Griisse  zu 
Und  Jauchzend  hangt  der  Knabe  sich  an  mich; 
Ich  hob  ihn  auf  und  herzte  ihn  und  dich. 
Es  war  ein  Traum,  ich  weiss  es  wohl,  und  doch, 
Es  war  so  schb'n,  ich  wollt',  ich  traumte  noch. 


*Die  deutschamerikanische  Dichtung.  283 

Auf  stillem  Friedhof  steh'  ich  nun  allein, 
Das  Herz  so  schwer,  das  einst  so  froh  und  leicht, 
Und  deinen  Namen  les'  ich  auf  dem  Stein. 
Ich  ruf  ihn  laut,  doch  selbst  das  Echo  schweigt. 
Da  berg5  am  Stein  ich  weinend  mein  Gesicht 
Und  ruf  dich  wieder,  doch  du  horst  mich  nicht. 
Vereinsamt  steh'  ich  hier  im  Weltenraum, 
Allein,  allein,  o  war'  es  nur  ein  Traum." 

Dass  nur  zu  oft,  wie  das  alte  Epos  schon  kiindet,  Liebe  Leid  bringt, 
deutet  Franz  Pauly  in  dem  Vierzeiler  an: 

,,Eine  Rose  tmg  sie  in  bliihender  Pracht 
An  ihrer  Brust  in  jener  Nacht; 
Auf  ihrem  Lager  im  Morgenrot, 
Da  lag  die  Hose  welk  und  tot." 

Deutsche  Spraehe,  deutsches  Lied!  Wo  waren  Deutsche  zusammen- 
gekommen  in  triiber  und  heiterer  Zeit,  im  festlichen  Prunksaale  und  iin 
traulichsten  Vereinszimmer,  zu  zweien  und  dreien  oder  in  aehtunggebie- 
tender  Volksversammlung,  dass  sich  die  Anhanglichkeit  an  die  Mutter- 
sprache  nicht  bemerkbar  gemacht  hatte.  Die  Achtung  und  Wertschatzung 
des  Guten,  die  tiberzeugung,  dass  die  deutschen  Laute  ein  Hort  und  ein 
Heiligtum,  ein  Schutz  und  ein  Schild  fiir  das  Beste  und  Bedeutungsvolle 
ties  germanischen  Wesens  und  Wollens  sein  miissen,  fordernd  das  un- 
umstossliche  Recht,  empfehlend  das  Edle  und  das  Hehre,  solcher  Art  ist 
der  Grundton  von  tausenden  von  Zeilen,  teils  kurz,  schlicht  und  biindig, 
teils  gewaltig,  volltb'nend  und  zur  Abwehr  bereit.  Die  Vorziige  der 
deutschen  Sprache  kennzeichnet  Grebners  Gedicht: 

Schon  seist  du  nicht? 

Er  hat  wohl  nie  gesungen,  nie  zu  Orgelklang 
1m  deutschen  Dom  gehort  den  hehren  Festgesang, 

Der  sagt,  du  seist  nicht  schon. 

Mild  seist  du  nicht? 

Der  Liebe  Sprache  kennt  er  nicht,  Gekose  leis 
Ist  fremd  ihm;  er  sass  nie  in  deutscher  Freunde  Kreis, 

Der  sagt,  du  seist  nicht  mild. 

Stark  seist  du  nicht? 

Nie  hort'  er  Manneswort,  hat  nie  in  wilder  Schlacht 
Gekampft  in  deutschen  Reih'n,  kennt  nicht  des  Kampfrufs  Macht, 

Der  sagt,  du  seist  nicht  stark. 

Gross  seist  du  nicht? 
Er  weiss  nicht,  wie  im  fernen  Land  das  helle  Licht 


284  Padagogische  MonatsJiefte. 

Des  Geistes  mit  der  deutschen  Spracli'  durchs  Dunkel  bricht, 

Der  sagt,  du  seist  nicht  gross. 

Bist  alles  ja! 

Des  Mamies  Wort,  der  Liebe  Fliistern,  Schlachtenruf, 
Gesang  und  Rede  —  wo  die  Sprach',  die  solches  schuf  ? 

Es  ist  die  deutsche  nur." 

Von  der  Allmacht  des  deutschen  Liedes  aber  heisst  es  in  eiuem 
Sangergrusse  von  Nies: 

,,Durch  des  Unvalds  Nacht,  durch  der  Prairie  Eied 
Erklingt  es  aus  tausend  Kehlen  — 
Sei  gegriisst  unser  Lied,  unser  deutsches  Lied, 
Du  Gluthauch  lichtspendender  Seelen!"  — 

Es  wird  nicht  selten  mit  einem  gewissen  Stolze  darauf  hingewiesen, 
wie  viele  Namen  sich  auf  einer  Liste  deutschamerikanischer  Dichter  be- 
finden.  ,,Deutsch  in  Amerika",  eine  Anthologie,  vor  einem  Jahrzehnt 
in  Chicago  herausgegeben,  envahnt  iiber  300  Manner  und  Frauen  als 
mehr  oder  weniger  erfolgreich  im  Dienste  der  Muse.  Leider  fehlt  es 
immer  noch  an  einer  kritischen  Zusammenstelhmg  des  Besseren,  was  hier 
geschaffen  worden  ist,  und  dessen  ist  iiberreichlich  vorhanden.  Freilich 
sehr  zerstreut  neben  dem,  was  das  vorher  erwahnte  Buch,  der  1856  er- 
schienene  ,,Deutschamerikanische  Dichterwald",  die  beiden  von  Steiger 
publizierten  Biichelchen  ,,Heimatgrusse"  und  ,,Dornrosen",  vornehmlich 
aber  die  Bande  des  als  Fnndgrube  deutschamerikanischer  Literatur  nicht 
hoch  genug  zu  schatzenden  ,,Deutscher  Pionier",  und  ,,Deutschamerika- 
nisches  Magazin'',  sowie  die  leider  viel  zu  friih  eingegangene  ,,Deutsch- 
amerikanische  Dichtung"  bringen.  Es  ware  verdienstvoll,  ein  Bild  des  in 
der  Poesie  sich  wiederspiegelnden  Geisteslebens  der  Deutschen  auf  der 
wcstlichen  Halbscheid  zu  entrollen.  Pastorius,  der  Mann,  welcher  die 
erste  Niederlassung  der  Deutschen  auf  diesseitigem  Boden  bewerkstel- 
ligte,  wiirde  uns  als  Bahnbrecher  entgegentreten.  Freilich  mag  die  Jetzt- 
zeit  wenig  Geschmack  an  den  Versen  finden,  in  denen  er  die  schmack- 
haften  Friichte  seines  Gartens,  die  duftenden  Blumen  und  die  niitzlichen 
Kiichen-  oder  Arzneigewachse  besingt.  Dennoch  konnen  sie  mit  Ehren 
neben  dem  Schwulst  eines  Lohenstein,  der  Kiinstelei  eines  Hoffmanns- 
waldau  und  der  Niichternheit  eines  Brockes,  alle  in  jener  Periode  hoch- 
geehrte  Poeten  Deutschlands,  bestehen.  Auch  die  Dichtungen  der  Sie- 
bentager  in  Ephrata,  iiberschwanglich  und  masslos  in  frommelndem  Pa- 
thos und  in  gesuchter  Sentimentalitat,  und  spiiter  die  Gedichte  einiger 
gelehrter  Seelsorger  sind  nicht  schlechter  als  manches  gepriesene  Er- 
zeugnis  des  Mutterlandes.  Kurz  vor  den  zwanziger  Jahren  des  letzten 
Sakulums  begann  der  Strom  der  Auswanderung  hierher  abermals  Man- 
ner zu  tragen,  deren  Namen  Glanz  verbreiten.  Als  Eepositorium  der  bald 


e  deutschamerikanische  Dichtung.  285. 

r-ich  mehrenden  poetischen  Arbeiten  diente  die  im  Jahre  1834  in  Phila-- 
delphia  ins  Leben  gcrufene  nnd  lange  unter  gediegener  Leitung  fortge- 
setzte  ,,Alte  und  neue  Welt".  ,,Die  meisten  der  poetischen  Ergiisse, 
sagt  Kattermann,  gehb'ren  der  patriotischen  Gattimg  an,  das  Streben 
nach  Freiheit  ist  das  Ideal  derselben.  Sie  behandeln  die  nnwiirdigen 
Zustande  im  alten  Vaterlande,  denen  die  meisten  der  Dichter  znm  Opfer 
Helen."  Aber,  fiigen  wir  hinzu,  es  klingt  aus  ihnen  atich  die  Sehnsucht, 
das  Heimwch  und  nicht  selten  bittere  Anklagen  des  Schicksals.  Bei  aller 
Wertschiitzung  der  Vorziige  dieses  Landes  vermag  der  Eingewanderte 
doch  nicht  das  Land  der  Jugend,  den  Ort,  wo  seine  Wiege  stand,  wo  die 
Muttersprache  suss  ihm  ans  Ohr  tonte,  zu  vergessen.  Wilhehn  Wagner 
verleiht  dem  Wunsche  des  Wiedersehens  Ausdrtick,  wenn  er  dichtet: 

,,0  heiliger  Boden,  sei  mir  stets  gegriisst, 
Du  Heimat,  die  mein  Paradies  umschliesst! 
Auch  in  der  fremden  Welt  denk  ich  an  dich; 
Und  neigt  dereinst  des  Lebens  Sonne  sich, 
Dann  Vater,  lass  dahin,  dahin 
JSToch  einmal  mich  diesseits  der  Urne  ziehn." 

Noch  ergreifender  heisst  es  in  dem  viel  und  mit  Eecht  bewunderten 
Gedichte  von  Krez:  ,,An  mein  Vaterland '  zum  Schlusse: 

,,Land  meiner  Vater,  langer  nicht  das  meine, 
So  heilig  ist  kein  Boden,  wie  der  deine, 
Nie  wird  dein  Bild  aus  meiner  Seele  schwinden, 
Und  kniipfte  dich  an  mich  kein  lebend  Band, 
So  wiirden  mich  die  Toten  an  dich  binden, 
Die  deine  Erde  deckt,  mein  Vaterland! 

0  wiirden  jene,  die  zu  Hause  blieben, 
Wie  deine  Fortgewanderten  dich  lieben, 
Bald  wiirdest  du  zu  einem  Eeiche  werden, 
Und  deine  Kinder  gingen  Hand  in  Hand 
Und  machten  dich  zum  grossten  Land  auf  Erden, 
Wie  du  das  beste  hist,  o  Vaterland." 

Der  Deutsche  ist  ein  Vorkampfer  gewesen  fur  echte  Humanitat,  fill 
das  wahrhaft  Grosse  und  Schone,  fur  die  Loslosung  von  den  Fesseln 
nativistischer  und  sektiererischerUnduldsamkeit,  fiir  dieHochhaltung  rei- 
ner  Lebensfreude  und  massvollen  Lebensgenusses.  Fiir  ein  ,,Grossameri- 
ka"  hat  er  Gut  und  Blut  eingesetzt,  die  Freiheit  hat  er  im  Liede  verherr- 
licht,  mit  dem  Schwerte  verteidigt.  Eines  der  schwungvollsten  Lieder, 
die  diesseits  des  Ozeans  gesungen  wiirden,  ist  Schmitts  „  Sterne  und 
Streifen": 


Padagogisclie  Monatshefte. 

,,Im  Morgenwind  in  der  Sonne  Gold 
Der  Freiheit  heiliges  Banner  rollt; 
Sein  Eauschen  tont  wie  Adlerflug 
Um  Alpenhaupter  im  Siegeszug. 
Es  klingt  wie  Rauschen  im  Urwaldsdom, 
Es  klingt  wie  das  Brausen  im  Felsenstrom, 
Es  klingt  wie  die  Brandung  am  Klippenstrand 
Von  See  zu  See  und  von  Land  zu  Land: 
Freiheit,  Freiheit! 

Wie  die  ewigen  Sterne  vom  Himmelszelt 
Herniedergriissen  zur  traumenden  Welt, 
Wie  im  blauen  Ather  ihr  Lied  ergliiht, 
Erfreuend,  erhebend  das  Menschengemiit, 
So  griissen  die  Sterne  des  Banners,  wenn  hold 
Es  den  staimenden  Blicken  der  Volker  entrollt, 
So  kiindet  ihr  Anblick  vom  heiligen  Hort 
Dem  Lande  der  Freien  das  herrliche  Wort: 
Freiheit,  Freiheit! 

So  zogen  es  voran  einst  der  Yater  Heer, 
Als  die  Knechtschaft  draute  und  Fesseln  schwer, 
So  hat  es  ermutigt  die  Kampfer  im  Streit, 
So  hat  es  die  Waffen  der  Krieger  gefeit, 
So  hat  es  die  heilige  Lohe  geschiirt, 
So  hat  es  zum  herrlichen  Siege  gefiihrt, 
So  hat  es  gewahrt  ihnen  kostlichen  Lohn, 
So  hat  es  geheiligt  die  Union: 
Freiheit,  Freiheit! 

Und  auch  die  Ereignisse  im  Mutterlande,  seine  Schicksale  und  seine 
Emmgenschaften  haben  in  der  deutschamerikanischen  Sphare  stets  einen 
Nachhall  gefunden  und  als  Tribut  der  Anhanglichkeit  Freudenklange 
oder  Trauerweisen  geweckt.  ,,Deutschland  erwacht"  singt  1870  Ernst 
Anton  ZUndt: 

Blitze  zucken,  Funken  spriihen, 
Und  es  bebt  die  trunk'ne  Luft; 
Ein  gewalt'ger  Donner  sprenget 
Des  Kyffhausers  dunkle  Gruft. 

Und  der  alte  Barbarossa 
Fahrt  vom  langen  Schlaf  empor, 
Blickt  um  sich,  es  strahlt  die  Sonne 
Hell  durchs  offne  Felsentor. 


'Die  deutschamerikaniscbe  Dichtung.  287 

Millionen  Stimmen  rufen: 
Tritt  hervor  ans  Licht,  o  Held! 
Sieh  dein  Volk,  es  steht  vereinigt, 
Stark  wie  keines  in  der  Welt!" 

Hit  Stolz  vermag  der  Solin  Germaniens  seiner  alten,  nun  so  mach- 
tig  entwickelten  Heimat  zu  gedenken:  stolz  aber  kann  Deutschland  auch 
sein  auf  seine  Kinder,  die  in  der  Feme  mit  Liebe  der  Statte  ihrer  Ge- 
burt  sich  erinnern.  Den  Ruhm  des  alten  Vaterlandes  hat  der  Ausgewan- 
derte  in  jeder  Weise  hochgehalten,  den  seines  Adoptivlandes  der  einge- 
wanderte  Deutsche  gewahrt.  Es  ist,  als  seien  die  Worte  des  Perikles  fiir 
die  Deutschen  geschrieben:  ,,Wir  haben  von  unserer  Tatkraft  grosse  Be- 
weise  gegeben  und  sie  wahrlich  nicht  unbezeugt  gelassen.  Freunde  und 
Feinde,  die  wir  gezwungen  haben,  unsere  Verdienste  anzuerkennen,  und 
die  ewigen  Denkmale  unserer  Anwesenheit,  die  wir  gestiftet,  werden  fiir 
und  von  uns  zeugen  immerdar".  In  diesem  Sinne  mag  die  Strophe  eines 
nach  draussen  zuriickgekehrten  Padagogen  und  Literaten,  der  hier  ver- 
geblich  um  den  Erfolg  warb,  welcher  driiben  ihm  wurde,  dessen  Kritik 
leider  aber  deutschamerikanischen  Dichtern  wenig  Wohlwollen  zeigte, 
diese  Arbeit  beschliessen: 

,,N"icht  fremd  mehr  sind  uns  diese  Auen, 
Drauf  wie  im  alten  Yaterland 
Die  Sterne  trostend  niederschauen, 
Denn  Heimat  ward  uns  dieser  Strand; 
Wir  haben  Schweiss  und  Blut  gegeben 
Als  Zeugen  unsrer  Lieb'  und  Treu,  . 
Es  kiindet  unser  bess'res  Streben: 
Der  Kern  blieb  alt,  das  Kleid  ward  neu." 


Einiges  uber  die  Berufsbildung  des  Lehrers. 


Von  Prof.  Jno.  Barandun,  Pittsburg,  Pa. 

,,Sie  sagen,  das  mutet  mich  nicht  an, 

Und    meinen,    sie    hiitten's   abgetan". 

Goethe. 

,,Xicht  dem  Prunk,  sondern  dem  Ge- 
brauch".  Herbart. 

Wenn  der  Laie  oder  der  Fremde  die  Schulen  eines  Landes  beurtei- 
len  will,  wendet  er  sich  gewb'hnlich  an  die  Berichte  der  Statistik.  Das 
Land,  welches  das  meiste  Geld  fiir  Schulhauser,  Seminare  oder  Normal- 
schulen,  Hochschulen,  Laboratorien  und  neue,  kostspielige  Erziehungs- 
Experimente  ausgibt,  hat  nach  seiner  Ansicht  auch  immer  die  besten 
Ijchulen.  Dies  ist  ungefahr  so  logisch,  als  wenn  man  behaupten  wollte, 
die  Fran,  die  das  meiste  Geld  auf  ihre  Ausstattung  verwendet,  miisse  auch 
immer  die  beste  Fran  sein.  Es  mag  hie  und  da  einmal  zufalligerweise  zu- 
treifen.  Dass  eine  Stadt  oder  ein  Land  irgend  einem  Fachgelehrten  eine 
enorme  Besoldung  zukommen  lasst,  oder  gewisse  Erziehungsanstalten 
mit  stolzen,  ehrwiirdigen  Namen  schmiickt,  ist  ebenfalls  noch  lange  kein 
richtiger  Wertmesser  fiir  den  Unterricht,  der  seiner  jungen  Generation 
erteilt  wird.  Imgrunde  sind  dies,  wie  jeder  wirkliche  Erzieher  wohl  weiss, 
Ausserlichkeiten,  die  mit  dem  Kern  der  Sache  wenig  oder  nichts  zu 
schaffen  haben.  Wie  man  den  Karakter  eines  Menschen  am  sichersten 
nach  den  Zielen  beurteilen  kann,  die  dieser  im  Leben  verfolgt,  so  lassen 
sich  auch  die  Schulen  eines  Landes  am  besten  nach  ihrem  Ziele  beurtei- 
len, und  nach  den  Mitteln,  die  zur  Erreichung  desselben  dienen  sollen. 

In  der  nachfolgenden  kurzen  Besprechung  muss  ich  von  den  Fach- 
schulen  ganzlich  absehen,  obschon  ich  wohl  weiss,  dass  auch  in  denselben 
ein  tiichtiger  Lehrer  erzieherisch  und  wahrhaft  bildend  wirken  kann.  So 
niitzlich  und  notwendig  dieselben  auch  an  und  fiir  sich  sind,  so  haben  sie 
doch  mit  der  eigentlichen  Erziehung  unmittelbar  nichts  zu  tun.  Ihr 
Ziel  besteht  bloss  darin,  ihren  Schiilern  auf  leichte,  sichere,  vielleicht  gar 
spielende  Art  die  Kenntnisse  beizubringen,  die  einem  bestimmten,  prak- 
tischen  Zwecke  dienen  sollen.  Die  Schiller  solcher  Schulen  bereiten  sich 
auf  irgend  ein  Examen  vor,  das  fiir  ihr  spateres  Fortkommen  wichtig 
ist,  oder  sie  betreiben  ein  bestimmtes  Brotstudium:  sie  wollen  Handels- 
gehiilfen,  Mechaniker,  Chemiker,  Aerzte,  Advokaten,  Prediger,  Priester, 
Apotheker  u.  s.  w.  werden.  Die  zweckmassige,  vielseitige  Ausbildung  ihres 
geistigen  Lebens,  ihr  innerster,  wahrer  Charakter,  kommt  dabei  direkt 
nicht  in  Betracht.  Fiir  den  eigentlichen  Piidagogen  haben  daher  solche 
TJnterrichtsanstalten  nicht  mehr  und  nicht  weniger  Interesse  als  die  Fa- 
briken,  die  gewisse  Waaren  oder  phonographische  Apparate  herstellen. 


Einiges  iiber  die  Berufsbildung  des  Lehrers.  289 

Er  weiss,  dass  Kenntnisse,  die  bloss  und  ausschliesslich  dazu  dienen  sollen, 
ihrem  Besitzer  Geld  oder  Ansehen  zu  verschaffen,  so  niitzlich  sie  auch 
zum  Fortkommen  im  Leben  sind,  doch  mit  achter  Bildung  und  Erziehung 
unmittelbar  nichts  zu  tun  haben. 

Wir  miissen  uns  also  auf  die  Erziehungsschulen  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes  und  deren  Lehrer  beschranken,  um  von  denselben  aus  zum 
Gegenstand  unserer  Besprechung  zu  gelangen.  Bevor  wir  aber  wissen, 
welche  wir  dazu  zu  rechnen  haben  und  welcbe  Lehrer  an  ihnen  wirken 
sollten,  wird  es  notwendig  sein,  die  Ziele  einer  solchen  Schule  zu  kennen. 
Wie  wir  schliesslich  sehen  werden,  ist  das,  was  ich  hier  vorausschicken 
muss,  um  moglichst  richtig  verstanden  zu  werden,  nur  eine  scheinbare 
Abschweifung  von  unserm  Thema,  welches  ich  dabei  keineswegs  aus  dem 
Auge  lasse. 

Die  verschiedenen  padagogisehen  Kichtungen  alter  und  neuerer  Zeit 
stellen,  wenigstens  dem  Wortlaut  nach,  verschiedene  Erziehungsziele  auf. 
Die  korperliche  Erziehung,  die  ebenfalls,  und  natiirlich  mit  Recht,  betont 
wird,  konnen  wir  hier  ruhig  iibergehen,  da  sie  ihre  Prinzipien  von  der 
Physiologic  entlehnt,  und  ihr  Wert  oder  Unwert  von  der  seelischen 
Ausbildung  abhangt.  Sie  gehb'rt  dem  Prinzip  nach  in  das  Gebiet  des  Arz- 
tes.  Kehren  wir  also  nach  dieser  Nebenbemerkung  zum  eigentlichen  Ge- 
biete  der  Erziehung  zuriick.  Trotz  ihrer  abweichenden  Ansichten  in  Ein- 
zelheiten  stimmen  doch  alle  bedeutenderen  Padagogen  darin  iiberein,  dass 
es  sich  dabei  um  geistige  Zustande,  —  gleichviel,  was  man  unter  dem 
Worte  ,,geistig"  verstehen  mag,  —  um  ein  geistiges  Leben  handelt,  das 
der  Erzieher  bei  seinen  Zoglingen  anbahnen,  befordern  oder  ausbilden 
poll.  Auch  diirften  die  meisten  damit  einverstanden  sein,  dass  dieses  gei- 
stige Leben  den  Gesetzen  der  Ethik  und  der  Natur  entsprechen  soil.  Wie 
die  Uebertretung  ethischer  Gebote  gleichbedeutend  ist  mit  der  Verletzung 
von  Naturgesetzen  hat  meines  Wissens  der  geniale  Philosoph,  oder  richti- 
ger  Naturphilosoph,  Herbert  Spencer  am  klarsten  gezeigt.  Ein  sittlicher, 
der  Vernunft  entsprechender  Karakter,  ein  gesunder,  idealistisch  gesinn- 
ter  und  doch  zugleich  praktischer  Geist  sollte  auch  nacli  dem  sehr  kiihl 
denkenden  und  besonnenen  Herbert  Spencer  das  Ideal  der  Erziehung 
bilden,  wenn  er  dies  auch  in  seinem  klassischen  Werke  u'ber  die  Erziehung 
nicht  gerade  mit  den  gleichen  Worten  ausspricht.  Leider  hat  bei  ihm 
der  Einzelne  nur  als  Mitglied  der  Herde  einen  Wert,  was  den  indivi- 
dualistisch  gesinnten  Deutschen  wenig  anmutet.  Es  ist  daher  ein  unsterb- 
liches  Verdienst  Herberts,  Max  Stirners  und  vor  allem  Xietzsches,  dass 
sie  das  Vorrecht  der  Individuality,  die  Wahrheit,  dass  der  Einzelne  zu- 
nachst  fiir  sich  selber  da  ist  und  einen  von  der  Gesamtheit  unabhangigen 
Wert,  eine  individuelle  Bestimmung  hat,  zu  verschiedenen  Zeiten  und 
auf  verschiedene  Weise  aufs  entschiedenste  betont  haben.  Worin  der  un- 
abhangige,  ethisch  gebildete  Karakter  besteht  und  wie  er  zu  verwirk- 


290  Padagogische  Monatshefte. 

lichen  ware,  dariiber  kann  natiirlieh  nur  die  Psychologic  genauern  Auf- 
schluss  geben.  Damit  meine  Bemerkungen  alien  verstandlicher  werden, 
scheint  es  mir  also  unbedingt  notwendig,  einen  Augenblick  bei  derselben 
zu  verweilen.  Natiirlieh  kann  ich  hier  bloss  iiber  die  notwendigsten 
Punkte  einige  knrze  Andeutungen  geben.  Diese  werden  aber  das  Nach- 
folgende  vielleicht  einleuchtender  erscheinen  lassen  und  auch  manchen 
zum  tiefern  Studium  dieser  Fragen  anregen. 

Das  gesamte  Seelenleben  beruht  auf  den  Vorstellungen,  wie  sich 
die  Bevolkerung  eines  Staates  aus  den  einzelnen  Individuen  zusammen- 
setzt.  Wie  das  Volk  im  Staat,  so  bilden  auch  die  Vorstellungen  gleichsam 
Gesellschaften,  Klassen,  Gruppen  oder  Kreise.  Auch  die  Vorstellungen 
haben  ihren  "Kampf  urns  Dasein";  die  weniger  starken,  die,  welche  ge- 
ringere  Kraft  und  Klarheit  besitzen,  werden  von  den  andern,  starkeren, 
verdunkelt,  aber  niemals  vernichtet.  Sie  konnen  spater  wieder  ans  Licht 
des  Bewusstseins  kommen,  wie  auch  unterdriickte  Individuen  nicht  selten 
sich  wieder  emporarbeiten.  Aus  der  Wechselwirkung  zwischen  den  Vor- 
stellungen entsteht  nach  und  nach  das  gesamte  geistige  Leben,  von  dem 
im  letzten  Grunde  unser  Wert,  unser  "VVohl  und  Wehe  abhangt.  Alles, 
was  wir  mit  den  Sammelnamen  Verstand,  Vernunft,  Gefiihl  und  Wille 
bezeichnen,  1st  aus  dieser  Wechselwirkung  entstanden.  Selbst  das 
unbewusste  Seelenleben  —  woriiber,  nebenbei  bemerkt,  ein  gewisser 
Waldstein  in  New  York  ein  treffliches  Biichlein  veroffentlicht  hat  und 
welches  auch  der  Philosoph  John  Fiske  ausfiihrlicher  beleuchtet  —  das 
mit  unsern  natiirlichen  Trieben  und  Anlagen  eng  verbunden  1st,  kann 
nur  dann  Einfluss  auf  uns  gewinnen,  wenn  unsere  Vorstellungen,  die 
schon  einmal  im  Bewusstsein  waren,  ihm  keinen  geniigenden  Widerstand 
zu  leisten  imstande  sind,  also  wenn  die  innere  Einheit  oder  die  geistige 
Gesundheit  fehlt.  Die  einzigen  Seelenkrafte  sind  daher  die  Vorstellungen 
selber,  sobald  sie  mit  einander  zusammentreffen  und  sich  gegenseitig 
hemmen,  f  ordern,  verschmelzen  oder  verbinden.  Es  ist  leicht  einzusehen, 
dass  kein  Lehrer  oder  Erzieher  eine  bestimmte,  zielbewusste  Wirkung  auf 
das  Seelenleben  seines  Zoglings  ausiiben  kann,  der  nicht  mit  der  Natur, 
den  Gesetzen  desselben,  genau  vertraut  ist.  Er  muss  wissen,  wie  klare 
Vorstellungen  erzeugt  werden;  wie  sie  mit  einander  zu  verbinden  sind; 
wie  Urteile  und  Schliisse  entstehen;  er  muss  das  Kind  anleiten  konnen, 
Begriffe  aus  den  Anschauungen  selber  zu  abstrahieren;  er  soil  mit  den 
verschiedenen  Arten  der  Gefiihle  vertraut  sein,  um  solche  durch  den  Un- 
terricht  erzeugen  zu  konnen;  er  soil  wissen,  wie  ethische  Gefiihle,  Urteile, 
Schliisse  entstehen;  wie  der  Wille  entsteht  und  durch  den  Unterricht  ge- 
bildet  werden  kann;  den  Unterschied  zwischen  dem  bios  mittelbaren  und 
dem  achten,  unmittelbaren  Interesse  muss  er  kennen,  und  das  letzere  nach 
und  nach  in  des  Zoglings  Seele  erzeugen  und  starken,  denn  das  selbstlose, 
freudige  Interesse  an  allem,  was  Menschen  getan  und  gelitten,  an  der 


Einiges  uber  die  Berufsbildimg  des  Lehrers.  291 

Xattir  und  ihrem  Studium,  ist  das  einzige  sichere  Gegengift  gegen  den 
natiirlichen  Egoismus  und  lehrt  den  Menschen  edlere  Freuden  und 
Ziele  kennen;  zu  diesem  Zwecke  muss  er  wissen,  wie  sich  die  verschiede- 
nen  Lehrfacher  ura  den  Gesinnungsstoff,  der  mit  Willensverhaltnissen  zu 
tun  hat,  konzentrieren  lassen,  und  sollte  genau  vertraut  sein  mit  den  oft 
komplizierten  Erscheinungen  der  Apperzeption,  Abstraktion  und  der 
frei  steigenden  Vorstellungen,  die  sich  besonders  in  den  Spielen  der 
Kinder  kundgeben.  Denn  was  der  Erzieher  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
im  Zogling  erzeugen  soil,  ist  an  und  fiir  sich  ein  geistiges  Kunstwerk,  ein 
inneres  Leben,  das  am  Wohl  und  Wehe  der  Menschheit  und  des  Einzel- 
nen,  an  den  Fortschritten  der  Kultur,  am  Wohlergehen  des  Vater- 
landes,  an  allem  Schonen,  Wahren  und  Guten  regen,  selbstlosen  Anteil 
nehmen  und  dabei  den  Gesetzen  der  Natur  und  der  Vernunft  willig  ge- 
horchen  soil.  Die  Vorstellungen  miissen  zu  diesem  Zwecke  so  geordnet 
n  nd  verbunden  sein,  dass  im  Notfall  alle  einander  zu  Hilfe  kommen  oder 
reproduziert  werden,  so  dass,  wie  Gothe  sagt,  "ein  Schlag  tausend  Ver- 
bindnngen  sehlagt".  Dies  ist  die  geistige  Regsamkeit,  die  die  Natur  den 
schopferischen  Geistern,  den  "Genies"  verliehen.  Durch  Erziehung  kann 
sie  bis  zu  cinem  gewissen  Grade  alien  Zoglingen  zu  Teil  werden,  die  nicht 
geborene  geistige  Kriippel  sind.  Lessing  sagte  daher  mit  vielleicht  mehr 
itecht,  als  er  selber  ahnte:  "Der  Knabe  muss  ein  Genie  werden,  oder  es 
kann  nichts  aus  ihm  werden."  Doch  wiirde  uns  dies  Thema  zu  weit  fuh- 
len,  Auch  das  "Wohlgefiihl  des  Gelingens",  das  auf  diese  Art  im  Zogling 
entsteht,  ist  vom  hb'chsten  padagogischen  Wert.  Bei  einem  solchen  Un- 
terricht  wird  die  Disziplin  natiirlich  auch  sehr  erleichtert,  und  die  Exa- 
mina  und  Schaustellungen  werden  uberfliissig,  sie  dienen  sowieso  nur 
der  Eitelkeit  und  damit  dem  Egoismus.  Der  Lehrer,  der  psychologisch 
richtig  unterrichtet,  wird  bald  finden,  dass  er  vor  den  andern  grosse  Vor- 
teile  voraus  hat;  er  erfahrt  bald,  dass  nur  im  tiichtigen  Idealen  das  wahr- 
liaft  Reale  und  Praktische  liegt.  Der  Weg  ist  anfangs  etwas  miihsam,  be- 
lohnt  aber  nach  und  nach  durch  die  herrlichsten  Aussichten  und  Erfolge 
in  jeder  Hinsicht. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  eine  Erziehung  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes,  bei  der  es  vor  allem  auf  die  Ausgestaltung  eines  zweck- 
niassig  geordneten  Vorstellungsschatzes  ankommt,  friih  anfangen  musa 
Abgesehen  von  den  Privatschulen,  fiir  welche  natiirlich  die  gleichen 
Grundsatze  gelten,  ist  die  V  o  1  k  s  s  c  h  u  1  e  ihr  Fundament,  ihr  Haupt- 
gebiet,  oder  sollte  es  sein.  Von  derselben  aus  kann  sie  in  den  hohern 
Schulen,  die  eine  allgemeine,  achte  Bildung  bezwecken,  fortgesetzt  wer- 
den, bis  endlich  das  Leben  an  die  Stelle  der  Schulen  tritt.  Es  wird  auch 
klar  sein,  dass  es  bei  der  wirklichen  Erziehung  und  Bildung  der  Jugend 
in  erster  Linie  nicht  auf  kostbare  Schulgebaude,  Laboratorien  u.  dgl.  an- 
kommt, sondern  auf  den  Erzieher,  denLehrer,  selbst.  Von  seiner 


292  Padagogische  Monatshefte. 

Ausbildung,  seiner  Berufstreue,  seinem  Enthusiasmus,  hangt  der  Erfolg 
der  Schule  ab.  Der  wirkliche  Lehrer  1st,  wie  der  Dichter,  im  gewissen 
Sinne  als  soldier  geboren.  Er  muss  ein  Seelen-Bildner  sein,  mit  kiinstle- 
lischen  Anlagen  begabt,  der,  wie  Lessing  sagt,  ,,im"rohen  Marmorblock 
die  gottliche  Gestalt  sich  denkt",  die  er  formen  will:  Begeisterung  fiir 
eeinen  hohen  Beruf,  ein  poetischesGemiit,  damit  er  sich  leicht  auf  den 
geistigen  Standpimkt  des  Kindes  stellen  kann,  geistige  Regsamkeit,  die 
im  Unterrieht  alles  zu  verwerten  versteht  und  sich  keiner  Schablone  fii- 
gen  mag,  Menschenliebe  und  ein  gesunder  Idealismus  sind  ihm  unent- 
behrlich,  wenn  er  niclit  zum  blossen  Handworker  und  Taglohner  herab- 
sinken  soil.  Aber  wie  bei  jedem  von  der  Natur  reichlich  begabten  Men- 
schen,  so  miissen  auch  bei  ihm  diese  Anlagen  entfaltet  und  richtig  aus- 
gebildet  werden,  wenn  sie  zum  Besten  seiner  Zbglinge  und  der  Mensch- 
heit  wirken  sollen,  sonst  niitzen  sie  wenig  oder  nichts.  Der  Lehrer  muss 
einsehen  lernen,  dass  sein  Beruf  der  hochste  und  wichtigste  ist,  den  es 
geben  kann;  er  soil  wissen,  dass  von  seiner  YTirksamkeit  die  Zukunft  der 
Nation  abhangt,  die  sich  ja  aus  den  einzelnen  Individuen  zusammensetzt. 
Keine  staatliche  oder  kirchliche  Partei,  kein  Staatsmann,  Fiirst  oder  po- 
litischer  ,,Keformer"  kann  dauernde  Resultate  erzielen,  wo  die  Menschen 
fiir  den  Fortschritt,  fiir  ein  hoheres  Ideal,  kein  Verstandnis  haben.  Er- 
zieher,  d.  h.  Kiinstler  im  wahren  Sinne  des  Wortes,  sind  auch  die  Dich- 
ter  und  Schriftsteller;  aber  sie  werden  kein  Gehdr  finden,  wo  ihnen  nicht 
ihr  wichtigster  Bahnbrecher  und  Kollege,  der  Lehrer,  vorgearbeitet  hat. 

Es  hangt  somit  ausserordentlich  viel  davon  ab,  dass  der  Staat,  die 
Menschheit,  gute  Erzieher  oder  Lehrer  haben.  Aber  ohne  griindliche 
berufliche  Ausbildung  ist  dies  nicht  moglich.  Der  Lehrer  braucht  die- 
selbe  mindestens  ebenso  sehr,  wie  der  Arzt,  der  Chemiker,  der  Astro- 
nom,  u.  s.  w.  Sie  alle  miissen  das  Feld  ihrer  Tatigkeit  griindlich  kennen, 
sonst  leisten  sie  nichts  oder  richten  bloss  Unheil  an.  Das  sollte  doch 
selbstverstandlich  sein;  dennoch  gibt  es  Leute,  die  dies  nicht  zu  begreifen 
scheinen.  Mit  solchen  zu  streiten,  ware  nicht  der  Miihe  Avert.  Diese  Aus- 
bildung sollten  die  padagogischen  Seminare  oder  Normalschulen  besorgen. 
Wir  wollen  zuniichst  untersuchen,  ob  dieselben  dies  bei  uns  in  Pennsyl- 
vanien  auch  wirklich  tun.  Ich  hatte  weder  Zeit  noch  Gelegenheit,  un- 
sere  Normalschulen  alle  eingehend  zu  studieren.  Es  war  dies  fiir  den 
Zweck  dieser  Besprechung,  die  hauptsachlich  mit  positiven  Vorschlagen 
zu  tun  hat,  auch  gar  nicht  notig.  Die  an  und  fiir  sich  freilich  kurzen 
Berichte  der  meisten  hiesigen  Normalschulen  zeigen  nur  zu  klar,  wie 
wenig  dieselben  ihrem  Zwecke  entsprechen. 

Schon  die  Anordnung  eines  solchen  Berichtes  kommt  dem  kritischen 
Auge  etwas  verdachtig  vor,  insofern  sie  einen  Schluss  auf  das  erlaubt,  was 
den  Leitern  einer  solchen  Schule  von  der  grossten  Wichtigkeit  zu  sein 
scheint.  Da  werden  z.  B.  die  Gebaude  und  Einrichtungen  besehrieben  und 


Einiges  iiber  die  Berufsbildung  des  Lehrers.  293 

photographiert,  natiirlich  mit  einigen  hiibschen  Madchen  im  Vorder- 
grunde,  die  ausserst  zufriedene  Gesichter  zeigen,  um  zu  beweisen,  dass 
ihnen  nichts  abgeht.  Die  schone  Umgebimg,  die  Aussichtspunkte,  wer- 
den  ebenfalls  im  Bilde  vorgefuhrt.  Auf  Laboratorien,  wo  ja  so  viel  Zeit 
vertrodelt  werden  kann,  wird  mit  Stolz  hingewiesen;  ebenso  auf  Bibliothe- 
ken,  deren  Inhalt,  nach  dem  Katalog  zu  schliessen,  offenbar 
mehr  auf  Zeitvertreib  imd  oberflachliche  Schongeisterei,  als  auf 
ernste  Sludien  berecbnet  ist;  Kirchen,  Eisbahnen  und  dgl. 
werden  ebenfalls  sorgfaltig  aufgezahlt.  Wo  der  Handfertigkeits- 
unterricht  eingefiihrt  ist,  geht  er  weit  iiber  das  Bediirfnis  hinaus,  denn 
der  Erzieher  soil  vor  allem  Menschen,  nicht  blosse  Handwerker  heranzie- 
hen.  Die  Ausbildung  in  gewissen  Fertigkeiten,  Luxusfachern,  alten  und 
ncuen  Sprachen,  die  fiir  den  Lehrer  zwecklos  sind,  und  die  er  doch  selten 
oder  nie  bemeistern  wird,  in  Kiinsten,  die  hauptsachlich  als  Lockmittel 
dienen,  um  Schiller  anzuziehen,  und  manchem  anderen  unpraktischen 
Zeug  wird  ganz  besonders  betont.  In  mehreren  Anstalten  kommen  noch 
allerlei  Allotria  hinzu,  wie  Kochkurse  fur  beide  Geschlechter,  Gesellschaf- 
ten,  um  auf  die  Umgebung  ,,erziehend  einzuwirken",  zeitraubende  sog. 
wissenschaftliche  Experimente,  u.  s.  w.  Aber  das  alles  konnten  wir  hin- 
gehen  lassen,  vorausgesetzt,  dass  die  Hauptsache,  die  eigentliche 
Berufsbildung,  dabei  nicht  zu  kurg  kame. 

"Welchen  Aufschluss  erhalten  wir  nun  dariiber?  Mit  Stolz  weist  der 
Berichterstatter  darauf  hin,  dass  die  Anstalt  eine  "Musterschule"  besitzt. 
Das  ist  ja  ganz  prachtig!  denken  wir  zuerst.  Aber  fragen  wir  weiter,  wie 
die  angehenden  Padagogen  daselbst  den  Unterricht  erteilen;  ob  sie  sich 
darauf  vorbereiten;  ob  sie  dort  wohlverstandene  Theorien  praktisch  an- 
wenden  lernen;  ob  sie  wirklich  ein  klares  Bewusstsein  dessen  haben,  was 
sie  in  der  Musterschule  tun,  oder  bloss  dem  gedankenlosen  Schlendrian 
iolgen,  so  erhalten  wir  dariiber  zunachst  keinen  Aufschluss.  Um  solche 
Kleinigkeiten  kiimmert  man  sich  offenbar  nicht  im  mindesten.  Das  sind 
ja  nach  Ansicht  der  Berichterstatter  Nebensachen,  nicht  der  Kede  wert. 
Aber  wenn  wir  recht  fleissig  suchen,  finden  wir  irgendwo  in  einem  be- 
scheidenen  Winkel  des  Buches  die  ganz  beilaufige  Bemerkung,  dass  in  der 
Anstalt  auch  Psychologic,  besonders  experimentelle,  zu  den  Lehrfachern 
gehore,  und  sogar  Padagogik,  wenn  es  hoch  kommt.  Selbst  Geschichte 
der  Padagogik  wird  mitunter  genannt,  und  die  Namen  von  zwei  oder  drei 
ziemlich  bedeutungslosen  "Padagogen",  die  einmal  ein  Textbuch  —  ver- 
brochen  haben,  werden  dabei  angefiihrt.  Das  ist  so  ziemlich  alles.  Von 
der  Wichtigkeit  der  eigentlichen  Berufsbildung  fiir  den  angehenden  Leh- 
rer, und  wie  die  letatere  am  besten  angebahnt  werden  kann,  scheinen  die 
meisten  Leiter  solcher  angehender  "Lehrerbildungsanstalten"  auch  keine 
blasse  Ahming  zu  haben.  Ihnen  ist  das  rein  Ausserliche,  Zufallige,  was 
irgendwie  der  augenblicklichen  Mode  dient,  die  Hauptsache.  Reklame 


294  Padagogische  Monatshefte. 

zu  machen,  recht  viele  Studierende  anzulocken,  von  denen  ein  Teil  gauz 
andere  Ziele  verfolgt,  als  den  Lehrerberuf,  nur  darauf  geht  ihr  wirkliches 
Sinnen  und  Trachten.  Aber  ich  will'hier  nicht  welter  darauf  eingehen, 
denn  das  blosse  Kritisieren  an  und  fur  sich  hilft  nichts,  oder  selten  etwas. 
Es  wiirde,  wie  schon  Pestallozzi  bemerkte,  umsonst  sein,  denjenigen,  die 
nie  .ein  Licht  gesehen,  begreiflich  zu  machen,  dass  sie  ira  Dunkeln  woh- 
nen;  aber  zeigt  ihnen  das  Licht,  und  sie  werden  von  selber  herausfinden, 
dass  sie  vorher  im  Finstern  waren,  ohne  dass  es  notig  ware,  es  ihnen  di- 
rekt  zu  sagen.  An  der  Negation  und  Kritik  des  Bestehenden  fehlt  es 
unsrer  Zeit  wahrlieh  nicht;  was  uns  am  meisten  fehlt,  ist  dagegen  das  Po- 
sitive, welches  an  die  Stelle  des  Unhaltbaren  oder  Fehlerhaften  treten 
soil.  Wir  sind  zu  kritisch,  zu  wenig  produktiv.  Aber  mit  dem  blossen 
Niederreissen  ist's  nicht  getan;  das  Aufbauen  ist  noch  wichtiger. 

Ich  habe  es  deshalb  fur  das  Beste  gehalten,  das  Hauptgewicht  auf 
positive  Vorschlage  zu  legen.  An  neuen  Ideen  fehlt  es  ja  am  meisten, 
d.  h.  an  solchen,  die  sich  wissenschaftlich  begriinden  lassen;  an  blossen 
Utopien  haben  wir  allerdings  Ueberfluss.  Sie  schiessen  wie  Pilze  empor 
und  vergehen  ebenso  schnell.  Die  Vorschlage,  die  ich  Ihrer  Beachtung 
empfehlen  mochte,  und  die  sich  teilweise  schon  aus  dem  ersten  Teil  dieses 
Vortrags  von  selbst  ergeben,  sind  iibrigens  keineswegs  neu  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes,  sondern  griinden  sich  auf  die  Psychologic  und  wissen- 
schaftliche  Padagogik  der  Herbart'schen  Schule.  Natiirlich  musste  ich 
auf  die  hiesigen  Verhaltnisse  Riicksicht  nehmen.  Bemerken  mochte  ich 
noch,  dass  ich  bloss  die  Absicht  hatte,  einige  Anregungen  zu  geben,  die 
zu  weiterem  Nachdenken  iiber  die  Sache  veranlassen  sollen;  ich  musste 
sonst  ein  ganzes  Buch  schreiben.  Wenn  es  mir  gelingt,  das  Bewusstsein 
eines  grossen  Mangels  in  unserer  Lehrerbildung  wachzurufen  und  den 
Weg  anzudeuten,  auf  dem  Abhiilfe  moglich  ware,  so  ist  der  Zweck  dieser 
anspruchslosen  Besprechung  erreicht. 

Der  Zweck  der  Normalschulen  oder  Lehrerseminare  sollte  a  u  s- 
schliesslich  darin  bestehen,  tiichtige  Lehrer  und  Lehrerinnen  her- 
anzubilden.  Ist  dies  bei  uns  der  Fall?  Verfolgt  wenigstens  ein  Teil  un- 
serer Normalschulen  nieht  ganz  andere  Ziele?  Nehmen  sie  nur  solche 
Zoglinge  auf,  die  sich  dem  Lehrerberuf e  widmen  wollen?  Diese  Fragen 
mag  sich  jeder  selber  beantwoften,  der  unsere  Verhaltnisse  kennt.  Fragen 
wir  lieber  weiter,  welcheKenntnisse  und  Eigenschaften  ein  tiichtigerLeh- 
rer,  der  nicht  bios  abrichten,  sondern  wirklich  erziehen  will,  haben  muss. 
Dariiber  habe  ich  in  meinen  kurzen  Andeutungen  iiber  des  Lehrers  Ein- 
wirkung  auf  das  Seelenleben  des  Zoglings  und  iiber  die  Wichtigkeit  des 
Erzieherberufes  gesprochen.  Dem  dort  Gesagten  mochte  ich  noch  hinzu- 
fiigen,  dass  die  sprachlich-historische  Veranlagung,  die  humanistische 
Bichtung,  die  besonders  menschliche  Verhaltnisse  im  Auge  hat,  also  Ge- 
schichte,  Sprachen,  Literatur,  Philosophic  im  deutschen  Sinne  des  Wor- 


Einiges  fiber  die  Berufsbildung  des  Lehrers.  295 

tes,  Padagogik  und  Poesie  umfasst,  ihren  Besitzer  zimi  eigentlichen  Er- 
zieher  besonders  qualifiziert;  dies  sollte  bei  der  Auswahl  von  Aspiranten 
fiir  den  Lehrerberuf  in  Erziehungsschulen  besonders  beachtet  werden. 
Die  mathematisch  -  naturwissenschaftliche  oder  realist  ische  Anlage  gibt 
Macht  iiber  die  Natur  und  ihre  Krafte;  sie  ist  fiir  den  Fortschritt  der 
Menschheit  von  der  grossten  Wichtigkeit;  aber  die  Tiefen  des  menschli- 
chen  Gemiites  und  Gedankenlebens  sind  ihr  fremd.  Sie  wird  die  besten 
Fachlehrer  auf  ihrem  eigenen,  grossartigen  Gebiete  liefern  konnen.  Diese 
Andeutungen  erlauben  auch  einen  Schluss  auf  die  leitenden  Geister,  die 
in  den  Normalschulen  wirken  sollten.  Handelte  es  sich  in  denselben  um 
ein  blosses  Brotstudium,  so  konnte  die  Auswahl  der  Lehrkrafte  gleich- 
giiltig  sein,  vorausgesetzt,  dass  dieselben  in  ihrem  eigenen  Fach  gut  be- 
schlagen  waren.  Aber  wo  es  sich  um  hb'here  Ziele  handelt,  ist  es  nicht  so 
leicht,  passende  Lehrkrafte  zu  finden.  Der  Leiter  einer  Normalschule 
muss  die  gleichen  Kenntnisse  und  Eigenschaften  besitzen,  die  dem  Lehrer 
an  einer  Erziehungsschule  unentbehrlich  sind,  aber  seine  padagogische 
und  philosophische  Bildung  sollte  noch  griindlicher  und  umfassender 
sein.  Er  sollte  es  auch  verstehen,  mit  den  andern  Lehrkraften  harmo- 
nisch  und  zielbewusst  zusammenzuwirken. 

Die  Auswahl  des  Unterrichtsstoffes,  die  Gestaltung  des  Lehrplanes, 
die  Unterrichtsmethode,  erfordern  fiir  die  Normalschule  ganz  besondere 
Sorgfalt,  wenn  nicht  viele  kostbare  Zeit  verloren  gehen  soil.  Auch  hier 
ware  eine  Konzentration  der  einzelnen  Facher  um  einen  Mittelpunkt  sehr 
am  Platze,  sowie  die  fortgesetzte  Anwendung  der  formalen  Unterrichts- 
stufen,  damit  der  junge  Erzieher  sich  durch  die  lebendige  Anschauung 
und  praktische,  personliche  Erfahrung  daran  gewohnen  konnte,  und  sein 
Takt  und  das  "padagogische  Gewissen"  griindlich  ausgebildet  wiirden. 
Natiirlich  miisste  in  der  Normalschule  statt  des  Gesinnungsstoffs  der 
Volksschule  die  Padagogik  in  alien  ihren  Verzweigungen  in  den  Mittel- 
punkt gestellt  werden.  Psychologic  und  Ethik  wiirden  auch  in  andern 
Fachern,  wie  Geschichte,  Literatur,  Kunst,  Aesthetik,  und  sogar  in  der 
Geographic,  Physiologie,  ja  selbst  an  den  Handarbeiten  und  Leibesiibun- 
gen  Beziehungs-  oder  Verbindungspunkte  genug  finden.  Der  kiinftige 
Erzieher  wiirde  so  einen  einheitlich  geordneten  Gedankenkreis  in  sich 
ausbilden,  in  dem  alles  am  richtigen  Platze  ware  und  zu  einander  in  Be- 
ziehung  stiinde,  wie  beim  Genie,  von  dem  ich  oben  sprach.  Aber  solch 
ein  ideales  Seminar  wird  noch  lange  ein  frommer  Wunsch  bleiben,  und 
ich  will  daher  nicht  naher  darauf  eintreten.  Kehren  wir  also  zur  Wirk- 
Jichkeit  zuriick  und  sprechen  wir  von  dem,  was  mehr  Aussicht  auf  Ver- 
wirklichung  haben  diirfte,  also  von  dem  ersten  Schritt  in  der  rechten 
Eichtung. 

Es  versteht  sich,  dass  auch  unter  den  hiesigen  Verhaltnissen  eine 
moglichst  griindliche  Ausbildung  des  kiinftigen  Erziehers  in  den  ver- 


296  PMagogiscbe  Monatshefte. 

schiedenen  Zweigen  der  Erziehungswissenschaft  angestrebt  werden  must. 
Psychologie,  Methodik,  Ethik  und  wenigstens  die  wichtigsten  Forderun- 
gen  der  Padagogik  im  engeren  Sinne  sollten  von  ihm  moglichst  griindlich 
studiert  werden.  Darauf  werde  ich  nachher  zuriickkommen.  Den  pa- 
dagogischen  Fachern  kommen  die  Gesinnimgsfacher  am  nachsten,  d.  h. 
sie  sind  fur  den  Erzieher  die  wichtigsten  naeh  der  Padagogik,  denn  ihr 
Gegenstand  1st  der  Mensch  selber  mit  seinem  Wirken  und  Leiden,  Fiililen 
und  Wollen.  Sie  haben  daher  den  grossten  erzielierischen  Wert.  Die  ver- 
schiedenen  Zweige  der  Geschichte,  die  Literatur,  und  in  gewissem  Sinne 
die  Sprache,  —  insofern  dieselbe  als  die  Schatzkammer  oder  die  silberne 
Schale  angesehen  wird,  die  die  kostbarsten  Schiitze  des  Menschengeistes 
enthalt,  oder  als  der  goldene  Schliissel  zu  den  unerschopflichen  Perlen 
des  menschlichen  Herzens, — sie  alle  wirken,  im  Unterrieht  richtig  ver- 
wertet,  unmittelbar  auf  die  Gesinnung,  das  Fiihlen  und  Wollen,  und  so- 
mit  auf  den  Charakter  ein,  wesshalb  eine  griindliche  Vertrautheit  mit 
ihnen  fiir  den  Erzieher  von  der  grossten  Wichtigkeit  ist.  Der  Anwen- 
dung  der  Ps}rehologie  und  Ethik  in  der  Beurteilung  historischer  Perso- 
nen  oder  literarischer  Charaktere  haben  wir  schon  oben  gedacht.  Zwischen 
den  padagogischen  und  den  Gesinnungsfachern  bestehen  so  viele  direkte 
und  innige  Beziehungen,  dass  sich  daraus  ganz  von  selbst  eine  Haupt- 
gruppe  bildet.  Mit  der  Geschichte  steht  atich  die  Kenntnis  der  Erde  im 
innigsten  Zusammenhang,  und  von  den  padagogischen  und  den  Gesin- 
nungsfachern fiihren  zahlreiche  Faden  zu  den  Naturwissenschaften  im 
weitern  Sinne,  Zoologie,  Botanik,  Chemie,  Physik,  Physiologic  und  Bio- 
logic hiniiber  und  von  dort  zuriick,  so  dass  die  beiden  Gruppen  einan- 
der  erganzen  und  beleuchten.  Gesang  und  Musik  stehen  mit  den  Ge- 
sinnungsfachern in  Zusammenhang,  Eechnen  und  Mathematik  mit  der 
naturwissenschaftlichen  Gruppe.  Der  Handfertigkeitsunterricht  findet 
Ankniipfungspunkte  an  der  Padagogik  und  Methodik,  wenn  er  im  Semi- 
nar erteilt  wird,  und  die  Leibesiibungen  an  der  Physiologic.  Auf  die  an- 
gedeutete  Art  Hesse  sich  in  unsern  Normalschulen  unmerklich,  gleichsam 
als  ungezwungene,  naturliche  Folge  eines  psychologisch  begriindeten 
Unterrichts,  eine  Art  Conzentration  herstellen,  die  den  giinstigsten  Ein- 
fluss  auf  die  spatere  Tatigkeit  des  Erziehers  oder  Lehrers  haben  mtisste, 
dem  die  richtige  Erteilung  des  Unterrichts  sowohl  durch  sein  Fach- 
studium,  als  auch  durch  personliche  Erfahrung  an  sich  selber,  schon  im 
Seminar  gleichsam  zur  zweiten  Natur  geworden  ware.  Ueber  die  philo- 
sophische  Ausbildung  des  Lehrers  im  engeren  Sinne  des  Wortes  liesse 
sich  vieles  hinzufiigen,  aber  dies  wiirde  uns  zu  weit  fiihren.  Keligiose 
Fragen  miissen  wir  in  Amerika  ganz  iibergehen,  obschon  eine  Volkser- 
ziehung  ohne  die  Hilfsmittel,  die  die  lleligion  darzubieten  vermochte, 
ein  Problem  ist,  dessen  Lb'sung  man  nicht  leicht  finden  dtirfte.  Wir 
liatten  also,  um  zu  rekapitulieren,  in  der  Normalschule  drei  Haupt- 


Einiges  uber  die  Berujsbildung  des  Lebrers.  297 

gruppen:  die  padagogischen  Facher:  Psychologie,  Methodik, 
Ethik,  Padagogik  im  engern  Sinne,  und  giinstigenfalls  eine  Exkursion  in 
das  Gebiet  der  eigentlichen  Philosophic,  um  die  geistige  Einheit,  soweit 
dies  der  Schule  moglich  ist,  anzubahnen;  zweitens  und  in  enger  Beziehung 
damit  stehend,  dieGesinnungsfacher:  Geschichte  in  alien 
ihren  Zweigen,  Literatur  und  Poesie;  drittens  tritt  die  Gruppe  der 
naturwissenschaftlichen  Facher  im  weiteren  Sinne  des 
Wortes  hinzu,  wie  Geographie,  Zoologie,  Botanik,  Physik,  Cheinie,  An- 
thropologie,  Geologic,  u.  s.  w.  Die  formalen  Facher  haben  ohne  die  an- 
dern  keine  selbstandige  Bedeutung,  aber  an  der  richtigen  Stelle  sind  sie 
von  der  grossten  Wichtigkeit.  Von  letztern  schliessen  sich  die  Sprachen — 
besonders  die  Muttersprache — direkt  an  die  Gesinnungsfacher  an,  Rech- 
nen  und  Mathematik  an  die  naturwissenschaftlichen.  Andere,  etwa  hin- 
zukonimende  Unterrichtsgegenstande  lassen  sich  leicht  an  die  oben  ge- 
nannten  Gruppen  ankniipfen.  Es  wird  also  leicht  sein,  auch  in  der  Nor- 
malschule  die  Konzentration  des  Unterrichts  durchzufiihren,  und  ebenso 
leicht  wiirde  es  sein,  die  formalen  Unterrichtsstufen  in  ihren  Haupt- 
ziigen  —  Apperception,  Abstraktion  und  Anwendung  auf  wirkliche  oder 
fmgierte  Falle  —  fortwahrend  anzuwenden.  Auf  diese  Weise  wiirde  der 
kiinftige  Lehrer  zu  einer  geistig  regsamen,  wahrhaft  gebildeten  Person 
werden,  die  sich  leicht  in  jeder  Lage  zurechtfinden  kb'nnte  und  den 
Trieb  und  die  Fahigkeit  besasse,  sich  selbstandig  weiter  zu  bilden. 

Hier  ist  wohl  auch  der  geeignete  Ort,  um  der  Fremdsprachen 
zu  gedenken.  die  in  der  iNTormalschule  betrieben  werden.  Dass  der  Unter- 
richt  in  den  sogenannten  klassischen  Sprachen  bei  einer  zwei-  oder  drei- 
lahrigen  Studienzeit  zu  keiner  griindlichen  Kenntnis  derselben 
fiihren  kann,  sollte  die  Erfahrung  oft  genug  be wiesen  haben;  dieses  Stu- 
dium  ware  also  die  reine  Zeitverschwendung.  Es  raubt  dem  Zb'gling  die 
Kraft  und  Zeit,  die  es  fur  wichtigere  Studien  so  notig  hatte,  und  fiihrt  zu 
keinem  wertvollen,  gediegenen  Wissen.  Die  alten  Sprachen  sind  auch 
an  unc!  fur  sich,  besonders  fur  den  amerikanischen  Lehrer,  iiberfliissig, 
denn  unsere  lebenden  Sprachen  enthalten  weit  wertvollere  Wissens- 
schatze  fiir  Geist  und  Herz,  als  jene  alten  Pergamente  der  Griechen  und 
Eomer,  und  was  sie  uns  mitzuteilen  haben,  steht  dem  modernen  Bewusst- 
sein  viel  naher,  als  die  gallischen  Metzeleien  eines  Casars  oder  die  Helden 
Homers,  die  man  heutzutage  ins  Irrenhaus  schicken  wiirde.  Von  den 
modernen  Sprachen  sollte  aber  diejenige  gewahlt  werden,  die  den  Lehrei 
in  seiner  Fortbildung  am  meisten  fordern  kann;  die  zugleich  eine  reiche 
Literatur  aufweist,  welche  die  Kultur-  und  Geistesrichtung  der  teuto- 
nischen  Eassen  am  reinsten  darstellt  und  vom  idealistischen  Geiste  des 
Fortschritts,  des  Strebens  nach  hoheren  Zieleh  beseelt  ist.  Von  diesem 
gewiss  berechtigten  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  kann  dabei  nur  das 
Deutsche  in  Betracht  kommen.  Die  slavischen  Sprachen  mit  ihrer  ver- 


298  Padagogische  Monatshefte. 

wickelten  Grammatik,  ihrer  pessimistischen  und  im  Vergleich  zum 
Deutsclien  recht  armseligen  Literatur  sind  von  vornherein  ausgeschlos- 
sen.  Von  den  neulateinischen  oder  romanischenldiomen  wiirde  in  er- 
zieherischem  Sinne  nur  das  Italienische  mit  seiner  herrlichen,  gediegenen 
Literatur  von  grossem  Werte  sein.  Doch  reicht  es  nicht  an 
das  Deutsche  heran.  Die  spanische  Sprache  hatte  fiir  uns  einen  bedeu- 
tenden  praktischen  Wert;  aber  sie  atmet  einen  Geist,  der  uns  anmutet 
wie  der  Wind,  der  aus  alten  Griiften  kommt.  Das  Franzosische  ist  im 
ganzen  steif  oder  frivol;  und  wo  er  moralisiert,  da  wird  derGallier  schreck- 
lich  langweilig  und  unausstehlich.  Man  denke  an  die  Plattheiten  von 
La  Fontaine  oder  an  den  haufig  hohlen  Pathos  von  Viktor  Hugo. 
Das  Deutsche  aber,  abgesehen  davon,  dass  es  eine  grosse  Zukunft  vor  sich 
hat,  steht  schon  wegen  seines  praktischen  Wertes  und  seiner  Verwandt- 
schaft  mit  der  hiesigen  Landessprache  im  Vordergrunde  des  Interesses. 
Wenigstens  ebenso  wichtig  aber  sollte  fiir  die  angehenden  Lehrer  der 
bekannte  TJmstand  sein,  dass  sie  unbestritten  die  besten  und  zahlreichsten 
padagogischen  Klassiker  enthalt,  und  dass  es  deutsche  Manner  waren, 
denen  die  modernen  Volksschulen  und  die  besten  hohern  Schulen  ihr 
Dasein  verdanken.  So  bietet  die  deutsche  Sprache  gerade  auf  dem  Ge- 
biete,  das  fiir  die  Lehrer  das  wichtigste  ist,  die  wertvollsten  Schatze  dar. 
Aber  auch  auf  andern  Gebieten  des  Wissens  und  der  schonen  Literatur 
linden  wir  im  Deutschen  einen  Eeichtum,  eine  Mannigfaltigkeit,  Gedaii- 
kentiefe  und  Innigkeit,  die  man  in  andern  alten  oder  modernen  Spra- 
chen  vergebens  suchen  wiirde.  Zudem  ist  das  Deutsche  auch  sehr  pas- 
send,  um  das  Studium  einer  alten  oder  "toten"  Sprache  zu  ersetzen,  da 
es  selbst  noch  teilweise  den  Charakter  einer  solchen  bewahrt  hat  und 
auch  durch  seine  Kraft  und  Wiirde  an  die  Sprache  der  alten  Bomer  er- 
innert.  Zudem  wird  hierzulande  neben  dem  Englischen  keine  andere 
Sprache  mehr  gebraucht,  als  die  Deutsche. 

Was  die  dem  Erzieher  unentbehrliche  padagogische  Ausbildung 
anbelangt,  so  sollte  sie  vor  allem  recht  praktisch  sein.  Wir  haben  Lehrer 
genug  uberall,  die  in  allgemeinen  Phrasen  gar  schon  liber  die  Ziele  der 
Erziehung,  die  Wichtigkeit  dieses  oder  jenes  Faches,  die  Pflichten  des 
Lehrers  und  der  Schule  sprechen  und  deklamieren  konnen.  Aber  wenn 
wir  ins  Einzelne  gehen,  so  vermogen  sie  iiber  keinen  Schritt,  den  sie  tun, 
begriindete  und  genaue  Rechenschaft  abzulegen.  Sie  sind  nicht  einmal 
imstande,  die  verschiedenen  Arten  der  Vorstellungen  von  einander  zu  un- 
terscheiden,  oder  Eeproduktionshilfen  zweckmassig  zu  gebrauchen;  sie 
wissen  nicht,  wie  die  Begriffe  aus  den  konkreten  Vorstellungen  abgelei- 
tet  werden,  wie  ein  Gefiihl  oder  ein  Entschluss  entsteht,  wie  das  Wollen 
durch  den  Unterricht  gebildet  werden  kann,  wie  das  selbstlose,  unmittel- 
bare  Interesse  hervorgerufen  und  angebahnt,  wie  die  Disziplin  durch  ei- 


Einiges  fiber  die  Benifsbilditng  des  Lehrers.  299 

nen  zweckmassigen  Unterricht  erleichtert  wird,  sie  wissen  niclit  im  ge- 
ringsten,  wie  eine  Lektion  richtig  bearbeitet,  oder  wie  die  verschiede- 
nen  Vorstellungsgruppen  mit  einander  verbunden,  das  ethische  Ilrteil 
gewonnen,  die  sittlichen  Ideen  zur  herrschenden  Macht  in  des  Zoglings 
Seele  erhoben  werden.  Ihr  Wissen  ist  blosses  Wortgeklingel  ohne  prak- 
tischen  Wert.  Die  meisten  englischen  padagogischen  Lehrbiicher  be- 
giinstigen  diese  Oberflachlichkeit.  Da  miissen  in  den  englisch-amerika- 
nischen  Normalschulen  vor  allem  neue  Bahnen  betreten  werden,  wenn  sie 
wirklich  etwas  niitzen  sollen  Theorie  und  Praxis  sollten  auch  daselbst 
stets  Hand  in  Hand  gehen.  Jedes  neue  theoretische  Wissen  sollte  sofort 
erprobt  und  angewendet  werden,  wenn  es  nicht  toter  Ballast  bleiben  soil. 
Nehnien  wir  z.  B.  an,  der  padagogische  Lehrer  hatte  mit  seinen  Studen- 
ten  wahrend  des  Unterrichts  durch  konkrete  Beispiele  und  Abstraktion 
das  psychische  Gesetz  von  der  ,,Enge  des  Bewusstseins"  gefunden,  so 
sollten  die  daraus  entstehenden  Folgerungen  in  ihren  so  unendlich  zahl- 
reichen  Anwendungen  auf  das  praktische  Scliulleben  fiir  den  Unter- 
richt verwertet  werden.  Der  Normalschuler  wird  dann 
bald  einseben,  wie  wicbtig  und  niitzlich  jede  neue  Erkenntnis  fiir  ihn 
ist,  und  nachdem  auf  diese  Art  nach  und  nach  sein  unmittelbares  In- 
teresse  geweckt  worden,  wird  ihm  das  Studium  zur  Lust,  und  sein  einmal 
angeregter  ForschuDgseifer  wird  nie  wieder  erlahmen.  Das  beste  Hilfs— 
mittel  fiir  den  theoretischen  Unterricht,  um  dessen  Resultate  gleich  prak- 
tisch  verwerten  zu  lernen,  ware  natiirlich  eine  Musterschule.  Wo  eine  sol- 
ohe  besteht,  muss  sich  der  Seminarist  oder  Normalschiiler  auf  jede  neue 
Lektion,  die  er  daselbst  erteilen  soil,  schriftlich  vorbereiten,  und  alles,  was 
er  dabei  tut  oder  spricht,  jeden  seiner  Schritte,  psychologisch  genau  be- 
griinden.  Das  ist  bei  der  Herbart'schen  Psychologic,  die  mit  den  einzel- 
nen  Yorstellungen  und  Vorstellungsgruppen  wie  mit  Individuen  und 
Klassen  im  Staate  rechnet,  sehr  leicht,  nachdem  einmal  deren  Anfangs- 
griinde  bemeistert  wurden.  Die  Kritik,  der  die  Seminaristen  von  Seite 
ihrer  Lehrer  oder  Mitstudierenden  unterworfen  werden,  bildet  ihren  Takt 
und  scharft  ihr  "padagogisches  Gewissen",  wie  es  Ziller  treffend  nennt. 
Wo  aber  eine  Musterschule  nicht  vorhanden  ist,  liisst  sich  dem  Mangel 
durch  das  fingierteHandeln,  dasHerbart  so  kurz  und  klar  charak- 
terisiert  hat^  bis  zu  einem  gewissen  Grade  abhelfen.  Die  theoretische 
Erkenntnis  wird  nach  jeder  padagogischen  Lektion  sofort  und  auf  die 
mannigfaltigsteArt  auf  fingierte  ,,konkrete"  Falle  angewendet,  wozu  eben- 
falls  Praparationen  anleiten  miissen.  Auch  bei  diesen  Anlassen  kann  die 
Kritik  ihre  heilsame  Tatigkeit  ausiiben.  Wenn  ich  von  Kritik  spreche, 
meine  ich  natiirlich  sachlich  begriindete  Kritik,  nicht  wertloses  Ge- 
schwatz,  wie  es  so  oft  bei  unsern  modernen  ,,Schongeistern"  vorkommt, 
also  keine  fade  Geistreichelei.  Auch  dieses  fingierte  Handeln  kann  prak- 
tisch  tiichtige  Lehrer  bilden,  die  sich  dann,  wenn  sie  eine  wirkliche 


300  Padagogische  Monatshefte. 

•Schule  iibernehmen,  sehr  bald  zurechtfinden.  Die  Hauptsache  bleibt  im- 
mer,  dass  der  angehende  Lehrer  sich  seine  Kenntnisse,  so  weit  sie  reichen, 
moglichst  griindlich  angeeignet  hat.  Dann  wird  er  bald  auch  praktische 
Tiichtigkeit  zeigen,  wenn  er  korperlich  und  geistig  gesund  ist.  Wie  vie] 
aus  dem  fast  unerschopflichen  Schatz  padagogischen  Wissens  dem  Nor* 
malschiiler  mitgeteilt  werden  soil,  hangt  von  der  Studierzeit  und  andern 
Umstanden  ab.  Vor  allem  sorge  man  dafiir,  dass  eine  moglichst  griind- 
liche  Kenntnis  der  verschiedenen  Yorstellungsarten,  ihrer  Yerbindung, 
sowie  der  Eeproduktionsgesetze,  der  Begriffs-  und  womoglich  der  Wil- 
lensbildung,  sowie  die  praktische  Verwertung  dieser  Kenntnis  nicht 
fehle.  Schon  die  Fahigkeit,  die  verschiedenen  Vorstellungsarten  in  kon- 
kreten  Fallen  schnell  von  einander  zu  unterscheiden,  findet  sich  ziemlich 
selten.  Aehnlich  steht  es  mit  den  andern  erforderlichen  Kenntnissen, 
sobald  man  die  Seminaristen  auf  die  Probe  stellt.  Fleissiges  Ueben  ist 
unerlasslich.  Griindlichkeit  ist  der  Yollstandigkeit 
weit  vorzuziehen.  War  der  Normalunterricht  praktisch  und 
griindlich,  so  wird  das  spatere  Selbstudium  sehr  vieles  erganzen.  War 
aber  der  Unterricht  oberflachlich,  so  wird  das  Selbstudium  nur  in  sehr 
seltenen  Fallen  im  Ernst  betrieben  werden  und  auch  hochst  selten  etwas 
niitzen. 

Ueber  das  blosse  Spielen  mit  Worten  gilt  auch  noch  heutzutage  die 
geheimnisvolle  Drohung: 

,,Weh'  dem,  der  zu  der  Wahrheit  geht  durch  Schuld, 
Sie  wird  ihm  nimmermehr  erfreulich  sein." 

So  weit  der  Unterricht  in  den  padagogischen  Fachern  in  Betracht 
kommt,  sollte  sich  also  die  Normalschule  zimachst  auf  das  Einfachste 
und  Not  wend  igste  beschranken,  um  es  desto  sicherer  und  griindlicher 
rlurchfiihren  zu  konnen.  Aber  auch  in  Bezug  auf  die  andern  Facher 
sollten  daselbst  die  gleichen  Grundsatze  gelten.  G'eschichte  z.  B.  sollte 
nur  in  ihren  fiir  die  Entwickelung  der  Menschheit  wichtigsten  Perioden 
behandelt  werden,  und  das  Kulturgeschichtliche  in  den  Yordergrund  tre- 
ten.  Die  Poesie,  besonders  die  epische  und  dramatische,  wird  das  Yer- 
standnis  historischer  Ereignisse,  Zustande  und  Personen  erleichtern.  ,,Ge- 
schichtsperioden,  die  kein  Meister  beschrieb,  deren  Geist  kein  Dichter 
atmet,  haben  fiir  die  Erziehung  wenig  Wert",  sagt  Herbart  in  seinen 
klassischen  padagogischen  Aphorismen.  Ebenso  sollte  die  Naturerkennt- 
nis  in  alien  ihren  Zweigen  mehr  dazu  dienen,  das  gesetzmassige,  einheit- 
liche  Leben  in  der  Natur  und  dessen  wichtigsten  Erscheinungen  dem  Ver- 
standnis  des  Studenten  niiher  zu  bringen,  als  letzterem  ausfiihrliche,  oft 
unzusammenhangende  Detailkenntnisse  aufzubiirden.  Eechnen  und  Ma- 
thematik  konnten  ohne  Schaden  zugunsten  realer  Facher  beschnitten 
werden.  Alle  Unterrichtsfacher  sollten  in  der  Normalschule  vor  allem 
dazu  beitragen,  den  Lehrer  fiir  seinen  Beruf  moglichst  tiichtig  zu  machen 


Einiges  tiber  die  TSerufsbildung  des  Lebrers.  301 

und  ilin  zugleich  so  weit  als  tunlich  in  das  Verstandnis  des  Menschen- 
und  Naturlebens  einzufiihren.  Nur  so  weit  sie  dies  tun,  haben  sie  fur 
ihn  wirklichen  Wert.  Ein  zweckmassiger,  einfacher  Unterricht  im  Se- 
minar, der  nicht  auf  blosse  Schaustellung  und  Effekt  bereclmet  ist,  muss 
angestrebt  werden.  Hier  musste  ich  mich  natiirlich  auf  einige  kurze  An- 
deutungen  beschranken  und  mit  absichtlicher  Vermeidung  jedes  hierzu- 
lande  so  beliebten  rhetorischen  Schmuckes  streng  bei  der  Saebe  bleiben, 
wesshalb  mein  Vortrag  etwas  trocken  erscbeinen  diirfte.  Aber  wer  beim 
Lesen  desselben  durstig  geworden  ist,  wird  wobl  keine  Scliwierigkeit  ha- . 
ben,  etwas  Nasses  zu  finden. 

Erlauben  Sie  mir  zum  Schlusse  noch  ein  paar  allgemeinere  Be- 
merkungen.  Die  bessere  Normalschulbilduug  hat  f iir  uns 
Deutsche  noch  eine  besondere  Bedeutung.  Erstens  wird  kein 
Lehrer  imstande  sein,  einen  gedeihlichen  deutschen  Unterricht  zu  cr- 
teilen,  falls  das  Deutsche  in  unsre  Volksschulen  eingefiihrt  wird,  der 
nicht  selber  eine  tiichtige  praktische  Ausbildung  erhalten  hat.  Darin  liegt 
fiir  uns  eine  grosse  Gefahr.  Wenn  das  Volk  sieht,  dass  beim  deutschen 
Unterricht  nichts  herauskommt,  wird  es  ihn  wieder,  als  nutzlosen  Ballast, 
iiber  Bord  werfen.  Je  besser  der  Unterricht  im  Deutschen  hierzulande 
erteilt  wird,  desto  hoffnungsvoller  diirfen  wir  in  die  Zukunft  schauen. — 
Zweitens  wiirde  bei  Einfiihrung  der  vorgeschlagenen  ,oder  ahnlicher  Ee- 
formen  das  amerikanische  Volk  mit  deutscher  Bildung  und  deutschen 
Bestrebungen  besser  bekannt.  Es  wiirde  unsere  Kultur  holier  achten, 
in  das  Geistesleben  unsrer  Dichter  und  grossen  Denker  tiefer  eindringen, 
und  dies  wiirde  sowohl  dem  Anglo- Amerikaner  als  dem  Deutschen  zum 
grossten  Yorteil  gereichen.  Der  gesunde  deutsche  Idealismus  wiirde  ein 
hoheres  geistiges  Leben  anbahnen. 

Wir  diirfen  bei  unsern  Bestrebungen  nicht  vergessen,  dass  im  tiich- 
tigen  Idealen  auch  das  wahrhaft  Eeale  und  Praktische  liegt  und  umge- 
kehrt.  Ohne  Idealismus  ist  keine  wirklich  praktische  Arbeit  oder  Wirk- 
samkeit,  kein  edleres  Geistesleben  moglich;  und  ohne  praktischen  Sinn, 
ohne  "gesunden  Menschenverstand",  wiirde  der  Idealismus  in  blosse 
Utopien  ausarten,  woran  es  uns  heutzutage  wahrlich  nicht  fehlt.  Beide 
gehoren  unzertrennlich  zusammen,  und  nur  wer  b  e  i  d  e  s,  ideale  Ge- 
sinnung  und  praktischen  Verstand,  in  sich  vereinigt,  ist  geistig  gesund. 
Wenn  wir  dies  im  Auge  behalten,  so  werden  wir  nicht  erwar- 
ten,  dass  unsere  Bestrebungen  so  fort  Friichte  tragen.  Ein 
falscher  Optimismus  ist  ebenso  verderblich,  wie  der  iibertriebene 
Pessimismus.  Auch  der  erstere  kommt  schliesslich  dahin,  alles 
aufzugeben  und  sich  vom  Jvampfe  zuriickzuziehen.  Nur  der 
achte,  praktische  Idealismus  lasst  sich  nicht  entmutigen,  weil  er  nichts 
fiir  sich  von  der  Aussenwelt  envartet.  Er  weiss:  nur  Schritt  fiir  Schritt, 
indem  ein  praktisches,  erreichbarcs  Ziel  nach  dem  andern  verfolgt  und 


302  Padagogische  Monatshefte. 

schliesslich  erreicht  wird,  1st  ein  gesunder,  dauernder  Fortschritt  moglich. 
Auch  die  Natur  hat  ja  Millionen  von  Jahren  gebraucht,  um  den  gegen- 
wartigen  Standpunkt  der  Entvvickelung  zu  erreichen,  und  was  die 
Menschheit  im  besonderen  anbelangt,  so  steht  sie  trotz  ihrer  altklugen 
Miene  wolil  erst  am  Anfang  ihrer  hoheren  geistigen  Kulturmission,  wenn 
wir  wenige  bevorzugteGeister  davon  ausnehmen,  die  den  andern  vielleicht 
um  Jahrhunderte  voraus  sind.  Wir  sind  noch  weit  entfernt  von  den  Leit- 
bildern,  die  unsern  grossten  Denkern  und  Dichtern  vorschwebten.  Da 
aber  die  Zeit  unendlich  ist,  diirfen  wir  die  weitere  Entwickehmg  ruhig 
ubwarten.  Die  Yolker  miissen  vorwarts  schreiten,  selbst  wenn  sie  nicht 
wollten,  oder  sie  gehen  zu  grunde.  Da  gibt  es  fur  jeden  Arbeit  genug, 
der  sein  ,,Sandkornchen  zum  grossen  Bau  der  Zeiten"  beitragen  will.  Wer 
indessen  am  "Werke  des  Fortschritts  aus  Eigennutz  oder  Ehrgeiz  mitarbei- 
tet,  zeigt  dadurch,  dass  er  nichts  ist,  als  ein  grosses  Kind:  Bitterkeit, 
Schmerz,  Enttauschung  und  ein  verlorenes  Leben  werden  in  der  Kegel 
sein  Loos  sein.  Wer  dagegen  ohne  an  sich  selbst  zu  denken,  ohne  auf 
baldigen  aussern  Erfolg  zu  rechnen,  aus  innerem  Triebe  und  Pfiichtge- 
f  iihl  sich  der  grossen  Sache  des  Fortschritts  widmet,  der  wird  in  der  Regel 
zwar  auch  nicht  viel  Anerkennung  ernten,  aber  er  findet  den  reichsten 
Lohn  in  dem  begliickenden  Bewusstsein,  sein  Bestes  getan  zu  haben.  Der 
a  u  s  s  e  r  e  Misserf olg  ist  oft  ein  i  n  n  e  r  e  r  Erfolg.  Das  Wohl  und  Wehe 
des  Menschen  hangt  ja  imgrunde  von  seinem  eigenen  Gemiite  ab,  wie  wir 
schon  oben  gesehen.  Diese  Wahrheit  wird  sich  dem  Einzelnen  und  der 
Menschheit  immer  wieder  aufdrangen,  so  oft  noch  Perioden  eintreten 
mogen,  wo  der  Utilitarismus  das  Scepter  halt.  Da  aber  die  Erziehung 
unmittelbar  auf  den  Geist  einwirkt,  von  dessen  Zustand  des  Menschen 
Lust  und  Leid  in  erster  Linie  abhangt,  so  ist  sie  wohl  die  wichtigste 
Frage,  die  wir  kennen,  und  die  Losung  dieser  Frage  wiirde  fiir  die 
Menschheit  eine  neue,  gliickliche  Zukunft  bedeuten.  Wer  fiir  eine  bessere 
Erziehung  und  Volksbildung  wirkt,  steht  daher  im  Dienste  des  hochsten 
uns  bekannten  Ideals;  aber  nur  Geduld,  Liebe  zur  Sache  und  selbstlose 
Hingebung  fiihren  die  Kampfer  fiir  dieses  Ziel  einst  zum  Siege. 


Remarks  on  the  Direct  Method  of  Teaching 
German.* 


By  Prof.  Warren  W.  Florer,  Fh.  D.,  Univers  ty  of  Michigan, 
Ann  Arbor,  Mich. 


"Ich  .weiss  es,  der  Mensch  soil 

Immer  streben  zum  Bessern;  und,  \vie  wir  sehen,  er  strebt  auch 
Immer  dem  Hoheren  nach,  zuni  wenigsten  sucht  er  das  Neue. 
Aber  gent  nicht  zu  weit!     Denn  neben  diesen  Gefiihlen 
Gab  die  Natur  uns  auch  die  Lust  zu  verharren  im  Alten, 
Und  sich  dessen  zu  freun,  was  jeder  lange  gewohnt  ist." 

One  of  the  most  interesting  tendencies  of  recent  years  is  the  forced 
Recognition  of  contemporary  thought,  and  especially  in  College  circles. 
"Why  the  men  at  the  head  of  many  of  the  departments  in  the  lines  of 
literature  persist  in  remaining  years  behind  the  times  seems  almost 
unexplainable.  Instead  of  opening  the  eyes  of  their  students  to  the  truths 
which  fill  the  very  atmosphere  they  inhale,  they  are  busy  as  beavers  in 
endeavoring  to  dam  the  irresistible  current  of  developement.  This  is 
especially  true  in  the  field  of  modern  language,  and  we  of  the  Germanic 
faith  are  not  without  sins  of  commission  and  omission. 

Under  the  present  condition  it  is  impossible  to  have  any  definite 
goal  towards  which  we  should  labor.  The  German  born  and  educated 
will  of  necessity  be  imbued  with  ideals  which  the  average  American  can 
not  understand  and  which  sometimes  are  in  direct  opposition  to  the 
customs  of  certain  communities.  These  ideals  meet  a  stubborn  resist- 
ance, for  nothing  is  so  obstinate  as  prejudice  based  on  ignorance.  The 
natural  result  is  that  the  community  goes  to  the  opposite  extreme  and 
endeavors  to  block  every  thing  that  might  savor  of  German  ideals.  And 
this  is  fatal  to  the  development  of  the  community.  Either  German  is 
not  taught  at  all  or  taught  in  order  to  fill  the  paper  requirements  of 
the  colleges  by  a  teacher  who  is  absolutely  ignorant  of  any  phase  of  her 
subject,  or  by  a  teacher  who  can  do  nothing  more  than  drill  set  para- 
digms and  listen  patiently  to  a  so-called  translation. 

And  here  is  the  point  where  many  College  teachers  are  fault.  Be- 
cause th^y,  under  the  pretence  of  conservation  or  for  the  sake  of  self- 
preservation,  foster  the  petrified  traditions  and  continue  to  bring  forth 
generation  after  generation  of  fossilized  teachers.  No  wonder  that  a 
Tolstoi  has  stated  that  the  primary  fault  of  our  education  is  that  the 
teachers  are  dead  before  they  begin  to  teach.  On  the  other  side  we 
have  a  diversified  confusion  of  natural  methods  which  are  intended  to 

*)  This  paper,  which  might  be  entitled  ,,Eine  Kombination  der  tfber- 
lieferung",  is  merely  an  abstract  of  a  plan,  the  execution  of  which  is  being 
rendered  difficult  by  the  accumulation  of  material. 


304  Padagogiscbe  Monatshefte. 

bring  forth  immediate  results,  a  condition  of  affairs  Just  as  deplorable 
as  the  first  mentioned.  The  entire  object  of  these  methods  is  a  super- 
ficial smattering  of  a  few  daily  phrases. 

Such  are  the  two  extremes  which  you  will  meet  in  visiting  our 
schools.  And  between  these  extremes  you  will  find  various  phases.  The 
great  problem  is  where  should  the  center  of  gravity  be.  First  of  all  we 
must  catch  the  main  current  of  education. 

N"o  one  can  deny  that  the  primary  object  of  education  is  to  develop 
the  power  of  thinking.  Accordingly  our  entire  forces  should  be  directed 
to  give  to  the  youth  that  equipment  which  will  best  prepare  him  for  in- 
dependent development  in  after  life.  In  our  field  the  ultimate  end 
should  be  broad  humanistic  literary  interpretation,  and  all  our  endeavors 
should  center  upon  this  goal. 

The  problem  then  is  how  can  we  lay  the  strongest  foundation  for 
literary  interpretation?  What  are  the  most  certain  methods?  And  here 
we  are  divided.  However  all  agree  that  we  must  awaken  feeling  for  the 
language  before  the  literature  can  be  understood.  In  recent  years,  as 
you  have  heard  and  read,  a  great  reaction  has  taken  place  in  the  teaching 
of  modern  languages,  due  mostly  to  the  commercial  demands  of  the 
times,  and  we  see  a  tendency  which  is  a  great  progress  in 
the  methods  of  instruction.  The  instructing  must  be  done  in 
German  to  accomplish  the  crying  needs.  It  is  not  my  purpose  to  repeat 
the  advantages  of  this  method  in  giving  the  student  the  best  working 
vocabulary  and  a  practical  control  of  the  essentials  of  the  grammar. 

I  wish  to  go  one  step  farther  in  the  carrying  out  of  this  method  of 
instruction  and  emphasize  the  importance  of  the  direct  method  in  literary 
instruction.  I  do  not  pretend  to  give  you  any  fixed  results. 
That  would  mean  that  the  method  had  become  wooden.  Nor  do  I  claim 
to  bring  any  definite  original  method,  as  that  would  be  dishonest 
and  would  indicate  an  ignorance  of  the  history  of  pedagogy  and  of  the 
tendencies  in  Germany  and  America.  I  desire  to  give  a  few  of  my  sources 
before  mentioning  my  plan. 

In  Luther's  pamphlet  "von  Schulen"  we  find  the  following:  When 

the  scholars  have  learned  to  read  certain  beginning  material "So  sie 

dis  kiinnen,  sol  man  jnen  den  Donat  vnd  Cato  zusammen  fiirgeben. 
Den  Donat  zu  lesen.  Den  Cato  zu  exponiren.  Also,  das  der  Schulmeister 
einen  vers  odder  zween  exponire,  Welche  die  kinder  darnach  zu  einer 
andern  stunde  auff  sagen,  das  sie  dadurch  eynen  hauffen  Lateinischer  wort 
lernen  vnd  einen  vorrat  schaffen  zu  reden.  Darinnen  sollen  sie  geiibet 
werden  so  lange,  bis  sie  wol  lesen  kiinnen. — Daneben  sol  man  sie  leren 
schreiben  vnd  treiben,  das  sie  teglich  jre  schrifft  dem  Schulmeister  zei- 
gen.  —  Damit  sie  auch  viel  Lateinischer  wort  lernen,  sol  man  jnen  teg- 
lichs  am  abent  etliche  wb'rter  zu  lernen  fiirgeben,  wie  vor  alter  diese  weise 


Remarks  on  the  Direct  Method  of  Teaching  German.  305 

Jnn  der  Schnlen  gewest  ist."  They  progress  from  book  to  book.  The 
daily  home  work  is  increased  to  "einen  Sentenz  ans  einem  Poeten  odder 
andern  (Meister),  den  sie  morgens  wider  auffsagen".  Along  with  the 
reading  "sol  der  Preceptor  etliche  nomina  vnd  verba  decliniren  —  vnd 
fragen  auch  die  kinder  die  regel  vnd  vrsach  soldier  declination. — Wenn 
auch  die  kinder  haben  regulas  constructionum  gelernet,  sol  man  auff 
diese  stunde  fodern,  das  sie,  wie  mans  nennet,  Construirn,  Welchs  seer 
fruchtbar  ist  vnd  doch  von  wenigen  geiibet  wird."  As  they  proceed  from 
text  to  text  Luther  insists  on  grammar  drill  "Denn  wo  solchs  nicht  ge- 
schicht,  ist  alles  lernen  verloren  vnd  vergeblich."  —  ,,Es  sollen  auch  die 
kinder  solche  regulas  Grammatice  auswendig  auffsagen,  das  sie  gedrun- 
gen  vnd  getrieben  werden,  die  Grammatica  wol  zu  lernen."  Luther  would 
dismiss  all  teachers  who  neglect  this  work.  As  the  scholar  progresses 
he  increases  the  outside  work  and  assigns  psalms  to  be  learned,  as  many 
of  us  assign  poems.  Finally  Luther  requires  the  scholars  to  prepare 
original  work,  as  letters  or  verses  —  "Denn  die  selb  vbung  ist  seer 
fruchtbar,  anderer  schrifft  zuuerstehen.  Machet  auch  die  knaben  reich 

an  worten  vnd  zu  vielen  sachen  geschickt."  He  closes  by  saying 

"Es  sollen  auch  die  knaben  dazu  gehalten  werden,  das  sie  Latinisch  reden. 
Vnd  die  Schulmeister  sollen  selbs,  so  viel  miiglich,  nichts  denn  Latinisch 
mit  den  knaben  reden,  dadurch  sie  auch  zu  solcher  vbung  gewonet  vnd 
gereitzt  werden." 

Such  are  the  principles  which  the  great  linguistic  master  has  esta- 
blished. But  in  spite  of  these  truths  proclaimed  centuries  ago,  the 
modern  language  teachers  have  too  often  travelled  in  the  olden  rut.  One 
may  say  even  in  this  connection  —  "Luther,  du  grosser  verkannter 
Mann!" 

L  e  s  s  i  n  g,  in  various  letters,  has  mentioned  the  impossibility  of 
translating  until  one  has  acquired  the  power  "dem  Originale  nachzuden- 
ken".  But  in  spite  of  this  impossibility  one  sees  High  School  teachers 
encouraging  their  scholars  to  translate  "Hermann  und  Dorothea"  and 
College  professors  listening  to  an  "aufsagen"  of  miserable  attempts. 
Schiller  has  given  us  an  insight  into  his  method  of  work  when 
speaking  of  his  translation  of  Virgil  in  a  letter  to  Kb'rner,  April  10, 
1791.  —  "Es  ist  aber  beinahe  Originalarbeit,  weil  man  nicht  nur  den  la- 
teinischen  Text  neu  eintheilen  muss,  um  fur  jede  Stanze  ein  kleines 
Ganze  daraus  zu  erhalten,  sondern  weil  es  durchaus  nothig  ist  dem 
Dichter  im  Deutschen  von  einer  andern  Seite  wiederzugeben,  was  von 
der  einen  unvermeidlich  verloren  geht."  Goethe  has  in  numerous 
places  expressed  his  method  of  studying  literature  and  languages:  "Lesen, 
Exponiren,  Grammatik,  Aufsagen,  Hersagen  von  Wb'rtern  dauerten  sel- 
ten  eine  vollige  halbe  Stunde;  denn  ich  fing  sogleich  an,  auf  den  Sinn  der 
Sache  loszugehen." — He  sought  for  "den  Zusammenhang,  denn  darauf 


306  Padagogische  Monatsbefte. 

kommt  doch  eigentlich  alles  an." — "Wie  das  zugehe:  war  jetzt  mein  An- 
liegen." — "Ich  studirete  das  Stuck  ganz  in  mich  hinein,  ergriff  alle  Eol- 
len  und  lernte  sie  auswendig "  etc.,  etc. 

The  more  I  began  to  investigate  the  more  I  discovered  that  all 
the  great  poets  and  thinkers  cherished  the  same  thoughts.  If  then  this 
is  the  process  of  the  leaders  of  literature,  why  should  not  the  teachers 
of  literature  profit  by  their  example?  This  was  the  question  which 
naturally  asserted  itself. 

I  started  to  combine  the  fundamental  thoughts  of  the  modern 
methods  with  the  processes  of  our  great  teachers  and  poets.  This  com- 
bination of  the  Uberlieferung  with  the  present  tendencies  has  no  limit 
but  grows  and  grows.  It  involves  unceasing  labor,  but  so  does  everything 
which  bears  results.  "Wo  auch  den  Schulmeister  solcher  arbeit  verdreus- 
set,  wie  man  viel  findet,  sol  man  dieselbigen  lassen  lauffen  vnd  einen  an- 
dern  suchen  der  sich  dieser  arbeit  anneme." 

The  problem  of  material  is  a  very  difficult  one.  Material  must  be  se- 
lected which  will  give  the  best  foundation  for  all  possible  demands, 
whether  they  be  commercial  or  literary.  At  the  same  time  this  material 
must  at  least  correspond  to  the  development  of  the  scholar's  mind  and 
not  be  too  difficult  to  grasp  in  a  foreign  language.  And  here  again  I  fol- 
lowed the  private  examples  of  our  best  scholars  of  German  literature  and 
introduced  the  German  Bible.  No  one  can  deny  that  the  German 
Bible  is  the  font  from  which  all  German  poets  from  Luther  to  Gustav 
Frenssen  have  drawn  inspiration.  Luther's  greatest  work  is  more  potent 
today  in  Germany  than  ever  before.  In  a  short  time  the  scholars  can  ac- 
quire a  large  vocabulary  and  a  fund  of  the  greatest  thoughts  which  man 
has  ever  received.  On  this  foundation  they  can  base  their  future  work. 
The  scholars  can  begin  to  read  at  the  very  first,  or  as  soon  as  they  have 
studied  the  verbs.  I  know  that  we  must  overcome  a  mountain  of  prejudice, 
but  the  tendency  towards  a  broader  conception  is  evident,  and  it  is  our 
duty  to  assist  in  this  great  work.  Our  country  is  beginning  to  realize  that 
moral  strength  depends  upon  broad  education.  Therefore  to  deprive  the 
youth  of  the  country  of  his  educational  right  is  to  undermine  his  moral 
development. 

With  this  equipment  the  scholar  can  enter  the  study  of  literature 
corresponding  to  his  age  and  tastes.  The  problem  of  material  again 
asserts  itself.  I  would  select  modern  literature,  which  to  a  certain  extent 
reflects  the  German  customs.  Upon  this  one  can  base  the  conversation 
exercises.  In  this  way  neither  side  of  the  present  demands  would  be 
neglected. 

Then  I  would  select  texts  which  gradually  lead  up  to  the  Classics, 
as  1'Arrabbiata,  Riehl's  Kulturgeschichtliche  Novellen,  Burg  Neideck, 
for  example.  By  the  time  the  student  has  reached  the  classics  he  has 


Remarks  on  the  Direct  Method  of  Teaching  German.  307 

obtained  a  fair  working  vocabulary,  provided  tbe  teacher  has  insisted 
upon  the  use-  of  German  from  the  very  beginning.  Of  course  his  German 
is  not  without  mistakes  in  the  very  essentials,  but  infinitely  better  than 
according  to  the  old  ways  of  instruction. 

Then  I  would  take  up  the  Classics,  but  along  with  the  Classics  I 
would  have  the  scholars  read  some  of  the  modern  dramas  so  that  they 
could  notice  the  trend  of  the  development  in  this  line,  laying  especial 
stress  upon  the  social  condition  as  reflected  in  the  literature.  This  gives 
an  excellent  opportunity  for  talks  in  simple  German  on  German  life  and 
thought. 

The  problem  of  the  application  of  the  direct  method  to  literature  is 
a  most  difficult  one,  and  each  teacher  will  have  his  own  particular  so- 
lution. However,  if  one  follows  the  methods  of  Luther,  Lessing,  and 
Goethe  he  must  obtain  results.  The  students  should  prepare 
the  lessons,  even  from  the  very  beginning,  so  as  to  be  able  to  re- 
cite without  the  books.  This  plan  at  once  offsets  the  objection  which 
may  truthfully  be  made  to  the  usual  application  of  the  direct  method  — 
loose  preparation.  This  plan  requires  the  most  accurate  preparation  and 
is  not  easy,  but  the  German  language  is  not  a  simple  one 
and  can  not  be  learned  by  dwelling  on  kindergarten  or  nursery  methods. 
Two  objections  have  been  raised  to  this  plan  —  First,  a  student  is  not 
able  to  read  so  many  pages  as  according  to  the  translation  method.  Let 
Luther  answer  "dann  viel  biicher  machen  nit  geleret,  vil  lesen  auch  nit, 
sondern  gut  ding  und  oft  lesen,  wie  wenig  sein  ist,  das  machet  geleret  in 
der  schrift".  Second  it  is  mechanical:  this  objection  is  more  apparent 
than  real.  It  is  true,  that  the  learning  of  any  language  is  mechanical 
and  slow  at  first,  but  all  accurate  foundation  is  of  slow  growth.  I  always 
feel  tempted  to  ask  a  translation  man  —  "why  beholdest  thou  the  mote 
that  is  in  thy  brother's  eye  but  considerest  not  the  beam  that  is  in  thine 
own  eye?" 

I  will  outline  in  short  the  general  plan  used  with  the  last  book  we 
read  in  the  first  year  class — 1'Arrabbiata — First  the  scholars  read  the  book 
to  obtain  the  outline — then  they  read  the  book  again  with  more  accurate 
study.  —  Then  we  took  each  character  separately  (in  the  first  readings 
the  scholars  checked  in  the  margin  of  the  book  the  passages  referring  to 
the  different  characters,  so  that  when  they  glanced  through  the  book  it 
was  easy  to  collect  the  material  for  study).  They  began  to  see  the  re- 
lations. They  next  took  up  general  episodes  and  topics.  We  reviewed 
the  book  again,  but  this  time  the  scholars  conducted  the  recitations  by 
asking  questions  to  bring  out  the  story — this  was  repeated.  (In  order  to 
further  this  study  a  guide  was  published  which  was  later  included  in  an 
edition  of  this  book.  A  similar  guide  to  Burg  Neideck  is  published  by 
Wahr  of  Ann  Arbor.)  Along  with  this  they  had  a  rigid  grammar  drill. 


308  PMdagogiscbe  Monatshefte. 

I  may  add  that  a  few  of  the  weak  students  could  not  entirely  grasp  the 
plan,  due  mostly  to  the  fact  that  they  had  never  tried  to  remember  the 
contents  of  a  book,  but  the  work  of  the  class  as  a  whole  was  a  valuable 
lesson  to  them. 

The  principal  advantages  of  this  plan  are:  the  scholar  has  acquired 
a  working  vocabulary  of  words,  idioms  and  phrases;  has  become  freed 
from  incessant  use  of  the  ^dictionary;  has  started  to  ascertain  the  mean- 
ing of  words  from  the  context,  and  has  been  compelled  to  remember  the 
thoughts  of  the  book  —  in  short  has  learned  to  read  a  book  directly. 

The  work  on  the  dramas  is  along  the  same  general  lines,  only  more 
stress  is  put  on  the  development.  Take  Egmont  for  example.  The 
students  learn  the  exposition  nearly  by  heart,  as  they  should  in  studying 
any  drama.  It  is  absolutely  necessary  to  master  the  exposition  before 
one  can  appreciate  the  work  of  the  poet.  However  commonplace  such  a 
remark  may  sound,  this  factor  is  almost  always  neglected,  judging  from 
the  preparation  of  the  students.  Doubtless  some  teachers  have  told  their 
students  this  a  dozen  times,  and  they  may  have  written  learned  lectures 
on  the  nature  of  the  drama,  according  to  out-of-date  theories,  but  they 
have  never  taken  their  students  to  the  sources  for  independent  study. 
Perhaps  they  have  led  them  like  horses  to  water  and  have  tried  to  make 
them  drink,  but  either  the  students  were  not  thirsty,  or  the  water  had 
lost  its  savor  by  standing  in  the  old  trough,  or  was  made  roily  by  for- 
eign substances. 

The  fact  remains  that  the  students  must  learn  the  exposition  and 
they  must  learn  it  directly.  First  of  all  we  must  remember  what  Goethe 
paid  of  the  teacher  "his  only  task  is  to  awaken  feeling".  This  can  not  be 
done  by  translation  or  by  explanation.  The  student  must  first  learn  what 
is  contained  in  the  exposition  before  any  explanation  will  be  understood. 
Or  the  most  he  can  possibly  do  is'  to  accept  what  the  teacher  dictates  — 
"friss  Vogel,  oder  stirb!" 

The  entire  first  scene  should  be  read,  then  re-read  so  as  to  obtain  the 
"Zusammenhang".  Then  each  character  should  be  studied.  The  surest 
plan  is  to  have  the  students  copy  the  speeches  of  each  character  so  as  to 
have  the  material  all  together.  Then  they  can  obtain  a  clearer  conception 
of  the  characters.  If  they  once  understand  the  characters  they  can  re- 
member better  what  each  one  will  say  under  the  circumstances  which 
may  arise.  They  will  also  catch  the  "Stimmung,,  of  the  scene.  Then 
topics  should  be  assigned,  as  Regierung,  Religion,  Krieg;  these  may  be 
subdivided,  e.  g.  under  Religion  —  Bischofe,  Psalmen,  Inquisition,  die 
neuen  Prediger.  Then  have  the  students  collect  what  is  said  about 
Margarete,  Oranien,  and  finally  Egmont.  By  this  time  they  have  learned 
the  scene  without  committing  it.  The  students  are  prepared  to  proceed 
to  the  next  scene.  (In  the  meantime  have  the  class  read  ahead  as  far  as 


Remarks  on  the  Direct  Method  of  Teaching  German.  309 

possible).  The  second  scene  is  studied  in  the  same  manner.  Material 
for  the  different  topics  is  continually  added,  and  especially  material  on 
the  characters,  above  all  on  Egmont.  Then  the  connecting  threads  of 
the  scene  are  studied,  e.  g.  in  the  first  scene  Soest  mentions  the  kind  of 
rulers  the  people  wish  —  Machiavell  does  the  same  thing.  The  Bischofe 
are  referred  to  in  both  scenes.  In  the  first  scene  Oranien  and  Egmont 
are  mentioned  separately,  in  the  second  they  are  brought  together.  The 
opinion  of  the  people  in  regard  to  Egmont  is  repeated,  etc.  etc.  And  so 
they  proceed  in  the  study  of  the  drama. 

When  they  have  finished  the  drama  they  study  different  groups  of 
scenes,  as  the  burger-scenes,  the  regent-scenes  etc.  Gradually  the  student 
begins  to  see  "dass  es  ist  mit  der  Gedankenfabrik,  wie  mit  einem  Weber- 
meisterstiick,  wo  ein  Tritt  tausend  Faden  regt,  die  Schifflein  heriiber, 
hiniiber  schiessen,  die  Faden  ungesehen  fliessen,  ein  Schlag  tausend  Ver- 
bindungen  schlagt."  Er  hat  nicht  nur  die  Teile  in  seiner  Hand  sondern 
auch  sogar  das  geistige  Band.  And  Egmont  is  to  him  not  a  series  of 
disconnected  scenes,  but  a  living  drama  which  knows  but  one  funda- 
mental law  —  the  unity  of  the  development  of  human 
life. 

But  such  interpretation  must  rest  upon  a  living  basis,  and  this  basis 
is  the  direct  method  in  the  broadest  meaning  of  the  word.  The  students 
slowly  but  surely  gain  an  appreciation  of  the  German  language  and 
literature.  As  they  proceed  from  play  to  play,  from  author  to  author, 
from  period  to  period  they  can  review  the  "zuriiekgelegten  Weg",  and 
if  they  turn  around  they  have  an  "Aussicht".  They  have  been  initiated 
into  the  most  essential  of  all,  namely  into  the  evolution  of 
thought. 

At  first  the  teacher  may  make  mistakes.  But  every  successful  man 
learns  more  from  his  mistakes  than  from  his  passive  virtues,  more  from 
practice  than  from  theoretical  study.  That  which  in  the  distance  seemed 
to  be  a  steep  road  is  but  an  interesting  slope.  If  you  become  discouraged, 
the  pleasure  of  climbing  higher  will  refreshen  you.  Back  of  all  you  have 
a  living  growing  method  which  enlivens  the  man  and  thus  the  teacher 
and  then  the  class.  The  life  of  the  class  will  reflect.  Along  with  practical 
drill  in  paradigm-  «ud  syntax  with  live  composition  you  have  awakened 
the  students  to  search  directly  for  the  thoughts  underlying  the  words, 
and  that  is  the  ultimate  aim  of  all  instruction.  Von  dem  Erziehungsrecht, 
das  mit  den  Schiilern  geboren,  ist  die  Eede. 


Umschau. 


Vom  Lehrerseminar.  Am  7. 
Sept.  d.J.  fand  die  Aufnahmepriifung 
zum  Eintritt  in  das  Nat.  Deutscham. 
Lehrerseminar  statt,  und  am  darauf- 
folgenden  Tage  wurde  der  neue 
Kursus  mit  6  Schiilern  in  der  Unter- 
klasse,  12  in  der  Mittel-  und  14  in  der 
Oberklasse  eroffnet. 

Herr  Seminardirektor  Emil  Dapp- 
rich,  der  bereits  Ende  Juli  von  seiner 
Urlaubsreise  zuriickkehrte,  ist  leider 
noch  nicht  gekraftigt  genug,  um  die 
Arbeit  an  der  Anstalt  aufnehmen  zu 
konnen,  und  erhielt  deshalb  eine  Ver- 
langerung  des  Urlaubs.  Die  Herren 
Oscar  Burckhardt  und  Max  Griebsch 
sind  bis  zu  seiner  vollstandigen  Ge- 
nesung  mit  seiner  Vertretung  be- 
traut  worden. 

Das  Seminar  schloss  seinen  letzt- 
jahrigen  Kursus  am  24.  Juni,  nach- 
dem  an  den  drei  vorhergehenden  Ta- 

fen  das  miindliche  Abgangsexamen 
er  Abiturienten  abgehalten  worden 
war.  Die  schriftliche  Priifung  hatte 
bereits  Mitte  Mai  stattgefunden,  und 
die  Arbeiten  der  Schiiler  waren  den 
Mitgliedern  der  Examinationsbe- 
horde  zur  Durchsicht  zugesandt 
worden.  Auf  Grund  der  bestande- 
nen  Priifung  wurden  folgenden  Abi- 
turienten gelegentlich  der  Schluss- 
feier  vom  Prasidenten  des  Seminars, 
Herrn  Dr.  Louis  Frank,  die  Abgangs- 
djplome  terteilt:  John  Andressohn, 
Eugenia  Bechtner,  Wanda  Buetow, 
Alma  Frahm,  Gertrude  M.  Fuhr- 
mann,  Else  Grebner,  Paula  Grebner, 
Lilla  Krull,  Emma  Loos,  Victoria 
Lueders,  Doris  Rose  und  John 
Stuckert.*) 

Aus  den  Verhandlungen  der  am 
26.  Juni  im  Seminargebaude  stattge- 
habten  Generalversammlung  des  Se- 
minarvereins  ist  hervorzuheben,  dass 
fast  alle  Berichte  der  Beamten*) 
eine  Beschrankung  des  Stundenpla- 
nes  und  des  Lehrstoffes  des  Seminars 
forderten,  um  der  gegenwartig  be- 
fctehenden  Uberbiirdung  zu  steuern. 


*)  Der  ausfiihrliche  Bericht  der 
Seminarpriifungskommission  befin- 
det  sich  im  Protokoll  iiber  die 
Verhandlungen  des  Lehrertages  zu 
Erie,  Pa. 


*)  Siimtliche  Berichte  der  Beamten 
befinden  sich  im  Wortlaut  in  deui 
vor  kurzem  zur  Veroffentlichung  ge- 
laneten  Jahresbericht  des  Seminars. 
Derselbe  steht  auf  Wunsch  unent- 
geltlich  zur  Verfiigung. 


Es  gelangte  ein  Beschluss  zur  An- 
nahme,  nach  welchem  der  Ortsaus- 
schuss  des  Lehrerseminars  beauf- 
tragt  wurde,  im  Verein  mit  der  Fa- 
kultiit  des  Lehrerseminars  und  dem 
Vorort  des  Turnerbundes  die  Lehr- 
pliine  der  beiden  Anstalten,  des  Leh- 
rer-  und  des  Turnlehrerseminars, 
einer  griindlichen  Priifung  zu  unter- 
ziehen  und  eine  rationelle  Kiirzung 
derselben,  ohne  Beeintrachtigung 
der  Leistungsfahigkeit  vorzimehmen. 

Auf  Empfehlung  des  Nominations- 
ausschusses  warden  die  folgenden 
Mitglieder  des  Verwaltungsrates  auf 
die  Dauer  von  drei  Jahren  gewahlt: 
C.  C.  Baumann,  Davenport;  C.  O. 
Schonrich,  Baltimore;  Hermann  Lie- 
ber,  Indianapolis;  Albert  O.  Trostel, 
Milwaukee,  und  Albert  Wallber,  Mil- 
waukee. Als  Nachfolger  von  Henry 
Mann  wurde  Carl  Penshorn  von  Mil- 
waukee auf  die  Dauer  von  zwei  Jah- 
ren gewahlt. 

Der  Verwaltungsrat  wahlte  die 
nachstehenden  Beamten  fiir  das 
kommende  Jahr: 

Dr.  Louis   F,   Frank,   President. 

Fred.   Vogel,   Vize-Prasident. 

Albert  Wallber,  Sekretar. 

Albert    Trostel,    Schatzmeister. 

Finanzkomitee:  Fred.  Vogel,  jr., 
Carl  Penshorn. 

Lehrerausschuss:  B.  A.  Abrams 
und  Louis  Schutt,  Chicago. 

Herr  C.  O.  Schonrich,  Baltimore, 
wurde  zum  Delegaten  fiir  die  iin  Mo- 
nat  September  in  Baltimore  statt- 
findende  Konvention  des  Deutscham. 
Nationalbundes  ernannt. 

New  York.  Der  deutsche 
Unterricht  in  den  offent- 
lichen  Schulen  New  Yorks  ist 
nun  doch  trotz  aller  energischen 
Proteste  seitens  seiner  Freunde,  die 
sich  bei  Aveitem  nicht  bloss  aus  den 
deutschen  Kreisen,  sondern  zum 
grossen  Teile  aus  den  gebildeten 
angloamerikanischen  Kreisen  der 
htadt  rekrutierten,  vom  Schulrate 
auf  das  8.  Schuljahr  beschrankt  wor- 
den, wo  er  als  fakultatives  Studium 
mit  Franzosisch  und  Stenographic 
in  Konkurrenz  treten  muss.  Das 
,,School  Journal"  benutzt  den  Kampf 
in  New  York  zu  einem  allgemeinen 
Kreuzzuge  gegen  den  deutschen 
6prachunterricht  in  den  offentlichen 
Schulen.  Die  Griinde,  die  es  gegen 
denselben  ins  Feld  fiihrt,  sind  un- 
gefahr  dieselben,  wie  wir  sie  aus  den 
Kreisen  der  ,,Know-nothings"  zu  ho- 


Umschau. 


311 


ren  gewohnt  sind;  auf  die  von  uns 
inainer  und  imrner  wieder  hervorge- 
hobenen  allgemein  padagogischen 
Griinde  fiir  die  Notwendigkeit  der 
Aufnahme  einer  zweiten  Sprache  in 
unser  offentliches  Schulwesen — gane 
abgesehen  von  derZusammensetzung 
der  Bevolkerung  beziiglich  ihrer  Na- 
tionalitiit  —  geht  das  , , School  Jour- 
nal" nicht  ein,  oder  ferligt  sie  als 
von  einseitig  interessierten  Personen 
ausgehend  kurzerhand  ab.  Es  ver- 
lohnt  sich  daher  fiir  uns  nicht,  noch 
einmal  den  Kampf  aufzunehmen;  wer 
sich  nicht  bekehren  lassen  will  und 
starr  bei  seiner  vorgefassten  Ansicht 
beharrt,  dem  kann  man  die  besten 
Argumente  bis  in  a  lie  Ewigkeit  vor- 
predigen,  ohne  dass  sie  irgend  einen 
Eindruck  hinterlassen  \verden.  Wenn 
aber  ein  Herr  P.  Kreuzpointer 
in  Altoona,  Penn.,  dessen  Wiege  in 
Deutschland  gestanden  und  der  dort 
auch  seine  Erziehung  genossen  hat, 
sich  berufen  fiihlt,  in  den  Spalten 
des  ,,School  Journal"  seiner  Befrie- 
digung  iiber  die  Handlungsweise  des 
New  Yorker  Schulrates  Ausdruck  zu 
geben,  so  kann  uns  der  Mann  nur  leid 
tun;  er  mag  sich  ,,eine  ehrenhafte 
Stellung  in  wissenschaftlichen  Krei- 
isen  erworben"  haben,  von  erzieh- 
lichen  Fragen  aber  soil  er  seine 
Hande  ablassen,  denn  da  hat  er  noch 
manches  zu  lernen. 

Indianapolis.  Herr  Carl  E. 
Emmerich,  Prinzipal  der  ,,  Manual 
Training  High  School"  von  Indiana- 
polis, beging  am  25.  August  sein  30- 
jahriges  Lehrerjubilaum.  Seine  zahl- 
reichen  Freunde  und  Schiiler  veran- 
stalteten  zur  Feier  des  Tages  eine 
solenne  Festlichkeit,  die  ausseror- 
dentlich  harmonisch  verlief  und  kund 
tat,  wie  grosser  Liebe,  Achtung  und 
Verehrung  sich  der  Jubilar  in  seiner 
zweiten  Heimatsstadt  erfreut.  (Auch 
wir  schliessen  uns  den  Gratulanten 
an  und  wiinschen  dem  verehrten  Ju- 
bilar Wohlergehen  und  weiteren  Er- 
folg  in  seinem  Berufe.  D.  R.) 

Urteil  iiber  Amerika.  Im 
,,Deutschen  Reichsanzeiger"  ist  fol- 
gendes  zu  lesen:  Im  Gegensatz  zu 
den  europaischen  Kulturstaaten,  in 
deren  Budgets  dieAufwendungen  fiir 
Schulen  hinter  den  fiir  die  Landes- 
verteidigung  erforderlichen  hohen 
Ausgaben  naturgemass  \veit  zuriick- 
treten,  betragen  in  der  nordamerika- 
nischen  Union  die  staatlichen  Aus- 
gaben ftir  Bildungszwecke  ein  Viel- 
faches  derjenigen  fiir  Heer  und 
Flotte.  Die  Vereinigten  Staaten  ge- 


ben fiir  ihre  Schulen  jetzt  jahrlich 
so  viel  aus  wie  Deutschland, England 
und  Frankreich  zusammen  fur  ihre 
Kriegsmarinen.  Das  Volksschulbud- 
get  hat  sich  seit  1870  verdreifacht. 
Dazu  kommen  bekanntlich  riesige 
Privatspenden  fiir  Uiiterrichts- 
zwecke:  in  den  letzten  10  Jahren  115 
— 120  Millionen  Dollars!  —  Die  Ame- 
rikaner  sind  als  ,,praktische  Leute" 
bekannt.  Sie  werden  also  ganz  sicher 
wissen,  warum  sie  ihr  Geld  ,,in  Schu- 
len anlegen".  (Wenn  nur  auch  das 
Geld  immer  an  dem  richtigen  Platze 
verwendet  werden  mochte  und  haupt- 
sachlich  auch  die  Volksschule  etwas 
von  dem  Segen  erhielte!  D.  R.) 

Roseggers  Dank.  Peter  Ro- 
segger  veroffentlicht  fiir  die  vielen 
Gliickwiinsche  und  Widmungen  zu 
seinem  60.  Geburtstage  (u.  a.  ist  er 
anlasslich  des  Jubilaums  der  Heidel- 
berger  Universitat  zum  Ehrendoktor 
in  der  philosophischen  Fakultat  er- 
nannt  worden)  eine  Danksagung,  in 
welcher  es  heisst:  ,,In  jungen  Jahren 
habe  ich  mir  gedacht,  welch  ein  ko- 
nigliches  Gefiihl  das  sein  miisste,  auf 
aieser  Welt  mehr  zu  geben  als  zu 
empfangen,  der  Menschheit  Schuld- 
herr  zu  sein.  Zeitweilig  schien  es, 
als  ware  diese  stolze  Wiirde  mir  be- 
schieden.  Und  nun,  in  meinen  alten 
Tagen  bin  ich  so  tief  in  Schulden  ge- 
raten!  Das,  was  ich  jetzt  empfangen, 

kann  ich  nimmermehr  bezahlen 

Der  Geburtstagsgruss  ist  ein  brau- 
sendes  Lied  geworden,  wohl  ein  Jahr 
lang  werde  ich  zu  lesen  haben 
daran,  was  in  diesen  marchenhaften 
Tagen  freundlich,  liebreich  und 
schon  an  und  iiber  mich  geschrieben 
worden  ist.  Anzengruber  hat  ein- 
mal seinen  Geburtstagsgratulanten 
versprochen,  er  wolle  fleissig  dafiir 
dichten.  Sollte  der  Dank  von  unser- 
einem  nicht  besser  darin  bestehen, 
das  Dichten  endlich  sein  zu  lassen? 
lea  kann  nichts  versprechen.  Lasset 
tmich  jetzt  nur  innig  danken,  von 
dieser  Stelle  aus  und  nach  alien  Sei- 
ten  hin,  jeder  Korperschaft  und  je- 
dem  Einzelnen  danken  fiir  alle  Grii- 
sse,  fiir -alle  Spenden,  fiir  alle  Ehr- 
ungen  —  fur  alle  Liebe.  Und  dann 
lasset  mich  wieder  zuriickkehren  zu 
mir  selbst!  Krieglach,  6.  August 
1903.  Peter  Rosegger." 

Berlin  zahlt  z.  Z.  264  Gemein- 
deschulen  mit  4052  ordentlichenLehr- 
kraften,  wovon  400  katholisch  und 
51  jiidisch  sind.  Die  durchschnitt- 
liche  Besetzung  einer  Klasse  betragt 
47,88. 


Briefkasten. 


K.  St.,  M  a  n  i  t  o  w  o  c,  W  i  s.  Sie 
fragen,  ob  wir  den  Gillanschen  An- 
griff  auf  den  deutschen  Unterricht 
in  unseren  offentlichen  Schulen 
(Western  Teacher,  May  1903)  erwi- 
dern  werden.  Wir  halten  solches 
nicht  fiir  notwendig  und  auch  fiir 
unerspriesslich.  Prof.  Gillan  steht 
auf  der  Seite  derer,  die  die  Ent- 
wickelung  unseres  Landes  als  abge- 
schlossen  betrachten  und  daher 
glauben,  alles  Neue  und  Fremde  bis 
auf  die  letzte  Spur  absorbieren  zu 
konnen.  Wir  dagegen  erblicken  ei- 
nen  grossen  Segen  in  der  Tatsache, 
dass  unsere  Nation  noch  im  Werden 
begriffen  ist,  und  versuchen  deshalb, 
auch  unsererseits  Bausteine  zu  dem 


grossen  Ban  —  dena  amerikanischen 
Volkscharakter  —  herbeizutragen, 
weigern  uns  jedenfalls,  uns  so  ohne 
weiteres  absorbieren  zu  lassen.  So 
lange  Prof.  Gillan  der  sogenannten 
,,angelsiichsischen"  Kultur  das  Wort 
redet,  ist  jede  weitere  Diskussion 
verlorene  Liebesmuhe.  Wir  empfeh- 
len  ihm  aber,  die  goldenen  Worte 
unseres  lieben  Ferren  in  diesem 
Hefte  zu  lesen.  Vielleicht  ware  es 
ihm  moglich,  sich  in  unseren  Gedan- 
kenkreis  hineinzudenken;  dann  wiir- 
den  wir  auch  iiber  die  padagogische 
Beite  der  Erteilung  des  deutschen 
Bprachunterrichts  mit  ihm  ins  Reine 
kommen. 


Eingesandte  Biicher. 


Essentials  of  German  by 
B.  J.  V  o  s,  Associate  Professor  of 
German  in  The  Johns  Hopkins  Uni- 
versity. New  York,  Henry  Holt  &  Co., 
1903.  Price  80  cts. 

Goethes  Egmont.  Edited 
with  introduction  and  notes  by 
Robert  Walter  Deering, 
P  h.  D.,  Professor  of  Germanic  Lang- 
uages in  Western  ReserveUniversity. 
New  York,  Henry  Holt  &  Co.,  1903. 
Price  60  cts. 

Allerhand  Sprachdumm- 
h  e  i  t  e  n.  Kleine  deutsche  Gramma- 
tik  des  Zweifelhaften,  des  Falschen 
und  des  Hjisslichen.  Ein  Hilfsbuch 
fiir  alle,  die  sich  offentlich  der  deut- 
schen Sprache  bedienen,  von  G  u  - 
s  t  a  v  W  u  s  t  m  a  n  n.  Dritte  ver- 


mehrte     und     verbesserte     Ausgabe. 
Leipzig,  F.  Wilh.  Grunow,  1903. 

Agriculture  for  Begin- 
ners by  Charles  William 
B  u  r  k  e  1 1,  Professor  of  Agricult- 
ure, and  Frank  Lincoln  Ste- 
vens, Professor  of  Biology,  and 
Daniel  Harvey  Hill,  Professor 
of  English  in  the  North  Carolina 
College  of  Agriculture  and  Mechanic 
Arts.  Boston,  Ginn  and  Co.  Price 
85  cts. 

The  Jones  Readers  by  L. 
H.  Jones,  A.  M.,  President  of  the 
Michigan  State  Normal  College, 
formerly  Superintendent  of  Schools 
of  Indianapolis,  Ind.,  and  Cleveland, 
Ohio.  6  Vol.  Boston,  Ginn  and  Co. 


Padagogische  Monatshefte. 

PEDAGOGICAL  MONTHLY. 

Zeitschrift  fur  das  deutschamerikanische  Schulwesen. 
Organ  des 

Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerbundes. 

Dahnyany  IV.  Hovcmbcr  1903.  Heft  10. 

Eine  englische  Geschichte  der  deutschen  Literatur. 


(FOr  die  Piidagogischen  Honatshefte.l 


Von  Prof.  A.  R.  Hohlfeld,   University  of  Wisconsin,  Madison,  Wis. 


Von  englischen  Gesamtdarstellungen  der  deutschen  Literaturge- 
schichte  besassen  wir  bis  vor  kurzem  nur  zwei,  die  streng  wissenschaftli- 
chen  Anspriiehen  zu  geniigen  vermochten:  die  tibertragung  von  Scherers 
,,Geschichte  der  deutschen  Literatur"  durch  Max  Miillers  Tochter,  Mrs. 
Conybeare,  (1886)  und  Kuno  Franckes  "Social  Forces  in  German  Litera- 
ture", wie  das  eigenartige  Werk  in  der  ersten  Auflage  von  ]  896  wohl  be- 
zeichnender  hiess  als  jetzt,  da  es  den  landlaufigen  Titel  einer  einfachen 
,,Literaturgeschichte"  angenommen  hat.  Der  grossen  Zahl  weiterer  eng- 
iisch  gesciiriebener  Werke  —  ich  nenne  aus  dem  Gedachtnis  Bayard 
Taylor,  Japp,  Lublin,  Gostwick  and  Harrison,  Hosmer,  Wells,  Moore 
—  soil  durch  ihre  Ausschliessung  an  dieser  Stelle  gewiss  nicht  eo  ipso 
ihre  Daseinsberechtigung  abgesprochen  werden.  Nur  dienen  sie  ent- 
weder  rein  popularen  und  elementarpadagogischen  Zwecken,  oder  sie 
bieten  nur  eine  Reihe  mehr  oder  weniger  selbstandiger  Essays,  die  keine 
eigentliche  zusammenhangende  Literaturgeschichte  bilden.  Die  alteren 
Werke,  wie  William  Taylors  "Historic  Survey  of  German  Poetry"  aus 
dem  Jahre  1830  und  die  englische  tibersetzung  von  Menzels  verschrobe- 

*)  John  G.  Robertson,  A  History  of  German  Literature.  New  York, 
G.  P.  Putnam's  Sons,  1902,  635  pp.  8vo,  geb.  $3.50. 


314  Pddagogische  Monatshefte. 

ner  nnd  kurzsichtiger  Literaturgeschichte  (London  1840)  konnen  hier 
natiirlich  noch  weniger  in  Betracht  kommen.  Dieselben  haben  nur  noch 
historisehen  Wert,  insofern  als  sie  uns  interessante  Einblicke  gestatten 
in  die  damalige  Haltung  der  englischen  Kritik  gegeniiber  der  deutschen 
Literatur.  Sonst  sind  sie  wohl  in  jeder  Hinsicht  veraltet. 

Neben  die  beiden  erstgenannten  Werke  ist  nun  in  letzter  Zeit  die 
Arbeit  Robertsons  *)  getreten,  eines  wohlbekannten  englischen  Gelehr- 
ten,  der  ganz  vor  kurzem  seine  Lektorenstells  an  der  Universitat  Strass- 
burg  aufgegeben  hat,  urn  die  neugeschaffene  Professur  fur  deutsche 
Sprache  und  Literatur  an  der  Londoner  Universitat  anzutreten.  Zweifel- 
los  hat  Robertson  durch  dieses  neue  Werk  dera  Studium  der  deutschen 
Literatur  in  englisch  sprechenden  Kreisen  einen  wichtigen  Dienst  er- 
wiesen,  der  ruckhaltlose  Anerkennung  verdient.  Denn  nicht  nur  ist  das 
stattliche  Buch  das  Ergebnis  umfassender  Quellenstudien  und  griind- 
licher,  wissenschaftlicher  Verarbeitung  derselben,  sondern  es  behandelt 
auch  seinen  Gegenstand  in  einer  Ausdehnung  und  Art  und  Weise,  die 
ihm  neben  seinen  beiden  alteren  Rivalen  einen  durchaus  selbstandigen 
Platz  sichern.  Von  den  drei  etwa  gleich  umfangreichen  Werken  schliesst 
bekanntlich  das  Scherersche  ungefahr  mit  dem  Tode  Goethes  ab,  wah- 
rend  die  Darstellung  Franckes  im  Grande  nicht  weit  liber  dieses  Datum 
hinauskommt,  insofern  als  die  Behandlung  der  letzten  zwei  Drittel  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  selbst  in  der  in  dieser  Hinsicht  erweiterten 
vierten  Auflage  nur  eine  kurz  andeutende  geblieben  ist.  Ganz  anders 
verfahrt  in  dieser  Hinsicht  Robertson.  Bei  eingehender  Darstellung  der 
alteren  Perioden  und  der  sogenannten  klassischen  Zeit  widmet  er  doch 
der  naehklassischen  Entwicklung  des  19.  Jahrhunderts  voile  200  Seiten, 
wovon  etwa  80  auf  die  zweite  Halfte  des  Jahrhunderts  entfallen.  Robert- 
son ist  also  der  erste,  der  die  Entwicklung  der  deutschen  Literatur  des  19. 
Jahrhunderts  in  ihrem  Zusammenhang  einigermassen  eingehend  in  eng- 
lischer  Sprache  dargestellt  hat.  Wie  weit  in  dieser  Hinsicht  Robertson 
iiber  Francke  hinausgeht,  erharte  folgender  kurze  statistische  Vergleich: 
Beide  Werke  widmen  Wagner  je  etwa  sechs  Seiten.  Doch  wahrend  sich 
bei  Francke  z.  B.  Eichendorff  mit  einer  halben  Zeile  begniigen  muss, 
Morike  mit  einer  Fussnote  und  Hebbel,  Ludwig,  Storm  und  Keller  sogar 
mit  blosser  Erwahnung  ihrer  Namen,  so  verwendet  Robertson  auf  Ei- 
chendorff drei  Seiten,  auf  Morike  zwei,  Hebbel  sechs,  Ludwig  drei,  Storm 
cine  und  Keller  vier.  Jeder  also,  der  sich  vom  Entwicklungsgang  der 
deutschen  Literatur  in  der  zweiten  Halfte  des  19.  Jahrhunderts  ein  zu- 
sammenhangendes  Bild  zu  machen  wiinscht  und  dazu  ein  englisches 
Buch  benutzen  will,  wird  zu  Robertson  greifen  mlissen  und  bei  ihm  in 
den  allermeisten  Fallen  bis  herab  auf  die  letzten  Werke  eines  Schnitzler 
oder  Hofmannsthal  auch  nicht  vergeblich  suchen. 


Eine  englische  Geschichte  der  deutschen  Literal ur.  315 

Dieser  Umstand  1st  von  nicht  geringem  Wert;  denn  es  lasst  si  eh  nun 
doch  hoffen,  dass  englische  und  amerikanische  Freunde  deutscher  Lite- 
ratur  allmahlJch  in  weiteren  Kreisen  erkennen  werden,  dass  zwischen 
Heine  einerseits  und  Hauptmann  nnd  Sudermann  andrerseits  eine  ge- 
stalten-  und  farbenprachtige  Entwicklimg  urdeutschen  dichterischen 
Schaffens  liegt,  die  selbst  dureh  bedeutende  Schriftsteller  wie  die  leid- 
lich  bekannten  Freytag,  Scheffel  und  Heyse  in  keiner  Weise  erschopfend 
charakterisiert  ist.  Hoffentlich  wird  Eobertsons  Vorgang  seine  Sprach- 
genossen  zum  mindesten  auf  Hebbel,  Ludwig  und  Keller  fiihren.  Dafiir 
allein  waren  wir  alle  ihm  grossen  Dank  schuldig. 

Fassen  wir  nun  das  Werk  als  Ganzes  ins  Auge,  so  freut  es  uns,  dem 
Verfasser  wohlverdientes  Lob  zollen  zu  diirfen  fiii*  den  eisernen  Fleiss, 
die  weitschauende  Umsicht,  die  geradezu  wohltuende  Zuverlassigkeit  in 
Angaben  und  Urteilen,  die  seine  Arbeit  charakterisieren.  Das  Werk 
ruht  auf  der  sichern  Grundlage  tiefdringender,  selbstandiger  Studien, 
und  mit  anerkennenswerter  Gewissenhaftigkeit  hat  der  Verfasser  ver- 
fcucht,  in  der  Verteilung  von  Raum  und  Licht  und  Schatten  eine  mog- 
lichst  vorurteilsfreie  Objektivitat  zu  wahren  und  den  verschiedensten 
Zeiten  und  Stromungen  gleichenveise  gerecht  zu  werden.  Besonders  in 
der  Darstellung  der  mittelhochdeutschen  Bliitezeit,  so  wie  der  klassischen 
und  romantischen  Periode  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  ist  ihm  in  die- 
ser  Hinsicht  Vorziigliches  gelungen.  Kurz,  in  dem  TJrnfang,  in  dem  der 
Verfasser  sich  seine  Aufgabe  gestellt  hat,  hat  er  sie  in  tiichtigster  Weise 
gelost  und  ein  Werk  von  dauerndem  Wert  geschaffen. 

Dies  soil  urn  so  nachdriicklicher  anerkannt  werden,  als  es  in  der 
Natur  wissenschaftlicher  Kritik  liegt,  wenn  im  weiteren  Verlauf  dieser 
Besprechung  besonders  die  Seiten  des  Werkes  zur  Sprache  kommen,  die 
unerfiillt  bleibende  Wiinsche  erwecken  oder  der  nachbessernden  Hand 
spaterer  Uberarbeitung  zu  bediirfen  scheinen. 

Es  sind  vor  allein  zwei  Gesichtspunkte,  in  Bezug  auf  die  das  Ro- 
bertsonsche  Werk  bei  all  seinen  ausgezeichneten  Eigenschaften  uns  etwas 
enttauscht,  jedenfalls  nicht  voll  befriedigt  hat. 

Erstens  fehlen  dieser  neuen  Literaturgeschichte,  und  das  in  geradem 
Gegensatz  zu  Scherer  und  Francke,  die  wuchtige  Eigenart  in  Auffassung 
und  Auslegung  der  Tatsachen,  die  temperamentvolle  Belebtheit  des 
Tons  der  Darstellung  und  die  Vorzuge  eines  hoher  entwickelten  Stils, 
die  wir  in  einer  gross  angelegten  geschichtlichen  Darstellung  neben  wis- 
senschaftlicher Zuverlassigkeit  zu  suchen  geneigt  sind.  Der  Stil  des  vor- 
liegenden  Werkes  ist  gewiss  klar,  gewandt  und  in  Jeder  Hinsicht  tadellos. 
Nur  sehr  selten  aber  erhebt  er  sich  zu  der  belebten  Warme  und  plasti- 
schen  Greifbarkeit,  durch  die  allein  es  moglich  ist,  kiinstlerischen  Wer- 
ken  nahe  zu  kommen  und  etwas  von  ihrer  geheimnisvollen  Wirkung  wie- 
derzugeben.  Er  bleibt  im  Ganzen  ziemlich  monoton  und  farblos.  Schon 


316  Pddagogische  Monatshefte. 

die  iiberhaufige  Unterbrechung  des  Textes  durch  Schragdruck  und  Pa- 
renthesen  fiir  Titel  und  Zahlen  wirkt  beim  Lesen  hochst  nnangenehm 
und  be  \reist,  dass  der  Verfasser  dem,  was  wir  die  kiinstlerische  Seite  sei- 
ner Darstellung  nennen  diirfen,  nur  untergeordnete  Aufmerksamkeit 
geschenkt  hat. 

Noch  bedenklicher  aber  wird  der  Genuss  des  Gebotenen  und  die 
Lebendigkeit  des  Eindrucks  dadurch  gestort,  dass  auch  dieses  Werk  die 
gefahrlichen  Klippen  der  Kapitelbildung  und  Stoffverteilung  nicht  im- 
mer  erfolgreich  vermieden  hat.  Die  Art  und  Weise,  wie  die  Darstellung 
des  Lebens  und  der  Arbeit  einzelner  Dichter  in  Stucke  zerrissen  worden 
ist,  geht  sicher  weit  iiber  das  hinaus,  was  sich  bei  der  Behandhmg  viel- 
eeitiger  und  langlebiger  Dichter,  wie  z.  B.  Goethes,  nie  ganz  vermeiden 
lasst.  Die  einheitliche  dichterische  Persb'nlichkeit,  die  trotz  aller  ausse- 
ren  Widerspriiche  sich  meistens  nachweisen  lasst,  geht  bei  solcher  Dar- 
stellung  allzusehr  verloren,  und  aus  diesem  Grunde  konnen  wir  uns,  von 
Goethe  einmal  ganz  abgesehen,  mit  Robertsons  Darstellung  von  Schillers 
Schaffen  kaum  befreunden,  das  auf  fiinf  verschiedene  Kapitel  verteilt 
ist  und  immer  wieder  durch  die  Einschiebung  andrer  Entwicklungsgange 
Tinterbrochen  wird.  Doch  auch  Gerstenberg,  Tieck,  Geibel,  Fontane  und 
andre  Dichter,  deren  Einfluss  in  mchr  nls  einer  Richtung  massgebend  ge- 
wesen  1st,  miissen  sich  diesen  Trennungsprozess  gef alien  lassen,  ohne  an 
der  «inen  oder  anderen'-Stelle  in  ihrex  Totalitat  vorgefiihrt  zu  werden. 
So  wird  Tieck  z.  -B.  in  zwei  getrennten  Kapiteln  besprochen,  was  ja  er- 
klarlich  genug  ist.  Aber  weder  an  der  einen,  noch  anderen  Stelle  wird 
uns  ein  zusaramenhangendes  Bild  seines  Lebens  und  Schaffen s  geboten, 
und  auf  seine  wieder  an  dritter  Stelle  erwahnten  Schicksalstragodien 
wird  dabei  nicht  einmal  verwiesen. 

Nun  diirfte  man  erwarten,  dass  bei  dieser  Hintansetzung  der  Dich- 
ter-Personlichkeit  die  organischen  Zusammenhange  und  zeitlichen  Ent- 
wicklungsprozesse  sich  um  so  scharfer  und  ungezwungener  darstellen 
sollten.  So  erregt  es  denn  um  so  melir  unsere  Vernrunderung,  wenn  z.  B. 
TJhland,  dessen  dichterische  Tatigkeit  gegen  das  Jahr  1820  beinahe  ihr 
Ende  erreicht  hatte,  wenn  die  iibrigen  schwabischen  Dichter  uud  Grill- 
parzer  erst  nach  dem  jungen  Deutschland  behandelt  werden,  wenn  die 
Heidelberger  Romantik  auf  Goethes  Alter  folgt,  wenn  E.  T.  A.  Hoff- 
mann unter  der  Berliner  Romantik  fehlt.  tiberhaupt  ist  der  Inhalt  man- 
cher  Kapitel  im  19.  Jahrhundert  recht  eigentiimlich  zusammengestellt, 
was  um  so  mehr  auffallt,  als  der  Verfasser  kein  einheitliches  Einteilungs- 
prinzip  befolgt,  sondern  augenscheinlich  reine  Opportunitatspolitik 
treibt.  Warum  gehoren  denn  gerade  Riickert,  Wilhelm  Miiller  und 
Tiecks  spatere  Novellen  zum  ,,Verfall"  der  Romantik?  Wie  kommt 
Annette  von  Droste  unter  die  politischen  Lyriker?  Was  soil  Hebbel  im 
gleichen  Kapitel  neben  der  Heimatskunst  ("literature  of  the  province") 


Eine  engliscbe  Geschicbte  tier  detttschen  Literatur.  317 

eines  Gotthelf,  Auerbacli  und  Reuter?  Und  gehort  denn  endlich  Wagner 
eigentlich  in  die  Zeit  von  1870—1890? 

Auch  scheint  uns  die  Lesbarkeit  des  Werkes  durch  eine  gewisse 
tiberfiille  von  Material  geschadigt  zu  werden.  Das  Streben  nach  relati- 
ver  Vollstandigkeit  ist  in  einer  einbandigen  Literaturgeschichte  stets 
eine  missliche  Sache,  besonders  aber  in  einera  f  iir  Auslander  geschriebe- 
nen  Buche.  Statt  Namen  dritten  oder  vierten  Ranges,  die  das  Ent- 
wicklungsbild  nicht  wesentlich  beeinflussen,  ware  vor  allem  in  einem 
solchen  Werke  energische  Konzentration  auf  das  Wichtigste  und  Typi- 
sche  geboten.  Fur  Spezialforscher  im  engeren  Sinne  des  Wortes  schreibt 
Robertson  wohl  kaum.  Denn  viel  erorterte  Streitfragen,  selbst  wo  sie  die 
hervorragendsten  Werke  und  Dichter  betreffen,  erortert  er  nicht.  Hoch- 
stens  streift  er  sie  leicht,  wie  z.  B.  die  Frage  nach  Sprache  und  Yerfasser 
des  Heliand,  nach  der  Chronologie  der  Hartmannsehen  Werke,  nach 
dem  Ursprung  der  Tristansage,  nach  der  Art  der  Heihmg  des  Orest  in 
Goethes  Iphigenie,  oder  nach  dem  Grade,  bis  zu  dem  in  Grillparzer  ein 
quietistischer  Zug  herrsche.  Oder  aber  er  lasst  sie  ganz  unberiihrt,  wie  z. 
B.  die  Frage  nach  dem  Abstammungsverhaltnis  zwischen  der  deutsehen 
und  nordischen  Form  der  Nibelungensage  oder  nach  dem  Ausgang  des 
Goetheschen  Tasso.  Im  Gegenteil,  Robertson  setzt  wenig  voraus  und 
gibt  in  den  meisten  Fallen  kurze  Inhaltsangaben  der  Hauptwerke,  die 
allerdings  bei  der  notwendigen  Kiirze  in  manchen  Fallen  recht  unwirk- 
sam  bleiben  miissen.  (Man  vergleiche  z.  B.  die  Angaben  iiber  Ludwigs 
Erbforster  und  Zwischen  Himmel  und  Erde).  Der  Fachmann  aber,  der 
sich  neben  Hartmann  von  Aue  und  Friedrich  von  Hausen  auch  fiir 
den  Pleier,  Albrecht  von  Johannsdorf  oder  Rudolf  von  Fenis  interessiert, 
den  neben  Giinther  und  Haller  auch  Wernisrke  und  Drollinger  anziehen, 
der  neben  Fran  von  Stein  auch  ibre  dichtende  Nichte  Amalie  von  Hel- 
vig-Imhoff,  neben  Uhland  und  Kenier  auch  Pfizer  und  Waiblinger  k^n- 
nen  lernen  will,  wird  wissen,  wo  er  in  deutsehen  Werken  leicht  und  be- 
quem  iiber  diese  Dichter  nachschlagen  kann.  Jedem  andern  aber,  fiirchte 
ich,  bleiben  sie  ,,Schall  und  Rauch,  umnebelnd  Ilimmelslicht."  Dieses 
Einfiigen  von  durchaus  Nebensachlichem  ist  um  so  bedenklicher,  als  ea 
dem  Werke,  abgesehen  von  der  ausgezeichneten  Einleitung,  an  zusam- 
menfassenden  Uberblicken  fehlt,  in  denen  fiir  grossere  Perioden  die  Fa- 
den  nach  riickwarts  und  vorwarts  zusammengezogen  werden.  In  dieser 
Hinsicht  Hesse  sich  in  einer  spateren  tiberarbeitung  leicht  noch  zu  Gun- 
sten  des  Werkes  nachhelfen. 

Am  schmerzlichsten  aber  —  und  dies  bringt  uns  zum  zweiten  der 
oben  erwahnten  Gesichtspunkte  —  hat  der  Berichterstatter  in  Robert- 
sons Werk  das  vermisst,  was  sich  vielleicht  als  die  berechtigte  Eigenart 
des  Englanders  bezeichnen  Hesse.  Wahrend  sich  namlich  Robertsons 
Buch  in  Darstellung  und  Beurteihmg  der  literarischen  Tatsachen  in  kei- 


318  Padagogische  Monatshefte. 

ner  Weise  von  einera  von  Grund  aus  deutschen  Werke  unterscheidet,  so 
dass  es  meineni  Empfinden  nach  recht  gut  die  tJbertragung  eines  solchen 
sein  konnte,  so  hatte  der  Berichterstatter  bei  der  Ankiindigung  des  Wer- 
kes  vor  allem  auf  ein  Buch  gehofft,  das  uns  die  deutsche  Literatur  von 
eiuem  mehr  oder  weniger  eigenartigen  Standpunkt  darstellen  wiirde. 
Liebevolle  Behandlung.  der  zahlreichen  Zusammenhange  mit  dem  eng- 
lischen  Schrifttum,  anregende  Bezugnahme  auf  eigentumliche  englische 
Beurteilungen  deutscher  Dichter  und  ihrer  Werke,  Literaturangaben,  die 
neben  den  deutschen  Schriften  auch  moglichst  englische  Arbeiten  be- 
riicksiehtigen  sollten,  fesselnde  Vergleiche  zwischen  wesenverwandten 
Erscheinungen  beider  Literaturen,  und  wie  die  Wiinsche  alle  lauten 
mogen,  die  ich  vor  einiger  Zeit  in  diesen  Blattern  (Januar-Februar-Heft 
1902)  fur  eine  zu  erhoffende  englisch-deutsche  Literaturgeschiehte  ge- 
aussert  habe  —  das  waren  die  besonderen  Eigenschaften,  die  wir  neben 
allgemeiner  wissenschaftlicher  Tiichtigkeit  bei  Robertson  zu  finden  hoff- 
ten,  und  die  das  Werk  leider  ganz  verniissen  lasst.  Es  ware  nun  ge- 
wiss  ungerecht,  den  gelehrten  Yerfasser  zu  tadeln,  weil  er  seine  Aufgabe 
in  an  derm  Lichte  gesehen  hat.  Bedauern  aber  diirfen  und  miissen  wir 
es,  dass  diese  schone  Aufgabe,  fur  die  er  so  besonders  befahigt  und  be- 
stimmt  schien,  ihn  nicht  hat  locken  kb'nnen. 

Selbst  was  seine  eignen  Urteile  betrifft,  so  verrat  Robertson,  als 
hatte  er  ganz  gelernt,  durch  die  deutsche  Brille  zu  sehen,  kaum  in  irgend 
welcher  Weise  einen  spezifisch  englischen  Gesichtspunkt.  Er  bereitet 
uns  fast  nie  die  angenehme  tiberraschung,  Sachen  ganz  anders  aufge- 
fasst  zu  sehen,  als  man  es  bei  seinen  eignen  Landsleuten  gewohnt  ist, 
und  dadurch  zum  Nachdenken  und  zu  scharferer  Begriindung  des  eig- 
nen TJrteils  genotigt  zu  werden.  Allerdigs  ist  das  Werk  nicht  fur  Deut- 
sche geschrieben,  aber  gerade  des  Verfassers  Sprachgenossen  konnten 
erwarten,  dass  er  das  Fremde  ihnen  durchBezugnahme  aufBekanntes  und 
Vertrautes  naher  bringen  wiirde.  Auf  diese  Weise  wiirde  das  Werk  so- 
wohl  fur  Deutsche  als  auch  fur  englisch  sprechende  Leser  eine  eigenar- 
tige  Bedeutimg  gewonnen  haben,  die  es  so  kaum  beanspruchen  darf. 
Denn  jeder  Englander,  der  sich  bis  zu  dem  Grade  fiir  deutsche  Literatur 
interessiert,  als  das  die  ausfuhrliche  Darstellung  und  die  Literaturanga- 
ben Robertsons  voraussetzen,  muss  im  Deutschen  geniigend  zu  Hause 
sein,  sich  Scherer  oder  Vogt  und  Koch,  Meyer  oder  Bartels  zu  seinem 
Fiihrer  zu  wahlen. 

Das  Inhaltsverzeichnis  Robertsons,  das  an  die  1200  Namen  auffiihrt, 
enthalt  —  es  scheint  kaum  glaublich  —  nicht  mehr  als  etwa  fiinf  eng- 
lische Namen!  Vergebens  sucht  man  selbst  Fielding,  Sterne,  Marlowe, 
Addison,  Pope,  Carlyle,  Whitman,  Byron,  Scott,  Percy,  Longfellow  u. 
s.  w.  Im  Text  selber  werden  wohl  manche  von  diesen  das  eine  oder  an- 
dere  Mai  genannt;  doch  aber  eben  nur  so  voriibergehend,  dass  sie  sich 


Eine  englische  Geschichte  der  deutschen  Literatur.  319 

nicht  einmal  in  das  sehr  sorgfiiltig  gearbeitete  Register  verirrt  haben. 
Fiir  Goethe  \vird  dem  englischen  Leser  keine  einzige  englische  Biogra- 
phic genannt,  weder  empfehlend,  noch  vielleicht  warnend;  und  fur  Les- 
sing,  Schiller  u.  a.  ist  das  Gleiche  der  Fall.  Fur  Hartmanns  von  Aue 
Armen  Heinrich  erwahnt  der  Verfasser  nicht  einmal  seine  eigene  hand- 
liche  Ausgabe.  Selbst  von  den  hervorragendsten  englischen  tibersetz- 
ungen  deutscher  Dichterwerke  wird  nichts  gesagt,  weder  fur  die  mittel- 
hochdeutschen  Epen,  noch  fiir  Gotz,  Iphigenie,  Faust,  Wilhelm  Meister, 
Wallenstein,  Kleist  oder  Heine.  Die  Einwirkungen  Shakespeares  auf  die 
Entwickhmg  der  deutschen  Literatur  ist  in  keiner  Weise  ausfiihrlicher 
dargestellt  als  in  anderen  deutschen  Literaturgeschichten.  Nirgends  wird 
endlich  der  Versuch  gemacht,  tiefgewurzelte  englische  Vorurteile,  die 
immer  noch  ziemlich  weit  verbreitet  sind,  und  die  der  feinsinnige  Verfas- 
ser jedenfalls  nicht  teilt,  anzugreifen  und  als  nichtig  zu  erweisen.  Kurz, 
es  fehlt  dem  Buch  jeder  Anklang  an  die  spezifisch  englischen  Verhalt- 
nisse,  unter  denen  es  doch  seine  Wirksamkeit  entfalten  soil.  Es  fehlt 
ihm  vielleicht  im  Interesse  irrtiimlich  aufgefasster  Wissenschaftlichkeit, 
jeder  Zusammenhang  mit  dem  Leben  und  Empfinden  der  Nation,  fur 
die  es  geschrieben  worden  ist.  Manche  mogen  eine  solche  Kluft  zwischen 
akademischer  Gelehrsamkeit  und  wirklichem  Leben  sogar  loben.  Wir 
konnen  iins  zu  diesem  Standpunkt  nicht  bekennen,  wenigstens  nicht  fur 
ein  Werk  dieser  Art. 

Auch  in  anderer  Hinsicht  geht  der  Verfasser  fast  jeder  vergleichen- 
den  Darstellung  aus  dem  Wege,  und  die  Zusammenhange  der  Literatur 
mit  den  bildenden  Kiinsten,  der  Musik,  der  Religion,  dem  sozialen  und 
politischen  Leben,  kurz  der  Entwicklung  der  Kultur  im  Allgemeinen, 
sind  meistens  unberiihrt  geblieben  oder  doch  nur  ganz  fliichtig  ange- 
deutet  worden. 

\VTir  konnten  nicht  umhin,  diesem  aufrichtigen  Bedauern  im  Interes- 
se dessen,  was  vielleicht  noch  ,,in  der  Zukunft  Schosse"  ruht,  Ausdruck 
zu  verleihen.  Trotzdem  sind  wir  uns  vollauf  bewusst,  dass  es  hochst  unge- 
recht  ware,  eine  ernste  wissenschaftliche  Arbeit  aus  einem  Gesichtspunkt 
beurteilen  zu  wollen,  den  sie  sich  eben  nicht  zur  Richtschnur  genom- 
men  hat. 

Zum  Schlusse  seien  einige  Einzelheiten  erwahnt,  die  bei  einer  wei- 
teren  Auflage  vielleicht  umgeandert  werden  konnten. 

In  der  Besprechung  des  Nibelungenlieds  ist  der  doppelte  Kultur- 
boden,  auf  dem  die  mittelhochdeutsche  Dichtung  beruht  —  die  Zeit  der 
Volkerwanderung  und  des  Ritterwesens  des  12.  Jahrhunderts — wohl  an- 
gedeutet,  nicht  aber  klar  und  scharf  herausgearbeitet;  und  iiber  das 
Fortleben  des  Stoffes  in  der  deutschen  Literatur  erfahren  wir  im  Zusam- 
menhang gar  nichts.  —  Letzeres  trifft  auch  fiir  die  Tristansage  zu,  deren 
Weiterentwicklung  im  Volksbuch,  bei  Hans  Sachs  und  in  der  neueren 


320  Pddagogische  Monatshefte. 

Literatur  nicht  erwahnt  wird.     Auch  glauben  wir  kaum,  dass  neuere 
Untersuchungen  es  erlauben,  der  Tristansage  einen  besonders  primitiven 
Charakter  oder  die  grossartige  Einfachheit  der  altgermanischen  Sagen 
zuzuschreiben. — Mit  der  Zartheit  der  Nachtszene  zwischen  Walther  und 
Hildegund  (S.  30)  liesse  sich  doch  allenfalls  das  Verhaltnis  Volkers  und 
Hagens  im  Nibelungenlied  und  die  selbstlose  Liebe  der  Pachterstochter 
im  Armen  Heinrich  vergleichen.  —  Das  altere  religiose  Drama,  wie  es 
sich  zwischen  den  ersten  liturgischen  Anfangen  und  dem  Scbauspiel  der 
Keformationszeit  entwickelte,  wird  allzu  kurz  auf  zwei  Seiten  abgethan, 
die  nur  den  Schluss  der  althochdeutschen  Zeit  bilden.  —  Die  iibertrieben 
hohe  Einschatzung  der  Verdienste  Opitzens  ("he  inaugurated  a  literary 
revolution  such  as  no  German  before  or  after  him  achieved;  he  was  the 
greatest  innovator  in  the  history  of  German  lettres")  steht  kaum  im  Ein- 
klang  mit  dem  auf  Seite  205  iiber  Weckherlin  Gesagten.  Auch  befremdet 
es,  dass  unter  diesen  Umstanden  Kobertson  die  Umsetzung  einer  beson- 
deren  Epoche  fiir  das  17.  Jahrhundert  (etwa  von  1624 — 1748)  hat  fallen 
lassen  und  die  ganze  Zeit  von  1350  bis  1700  einer  Periode  zuweist.  — 
Die  Bemerkung,  dass  Klopstock  an  dem  Zerwiirfnis    mit  Bodmer  die 
Hauptschuld  trage  (S.  261)  entspricht  nicht  der  Darstellung  Munckers 
in  seiner  Klopstock-Biographie  (S.  235  ff.).  —  Wenn  Gotz  "enemy  of 
prince  and  priest  alike"  genannt  wird,    der    dem  Wahlspruch    folgte 
"might  is  right",  so  trifft  das  fiir  den  Goetheschen  Gotz,  um  den  allein  es 
sich  hier  handelt,  so  schlankweg  durchaus  nicht  zu,  da  derselbe  dem 
Recht  gegen  die  Macht  beisteht  und  die  edelsten  Anschauungen  vom 
Berufe  eines  Fiirsten  hat.  —  Wenn  der  Verfasser  auf  S.  351  sagt,  Goethes 
Harzreise  im  Winter  "fills  a  volume  of  his  works",  so  liegt  wohl 
eine  Verwechslung  mit  den  zwei  Schweizerreisen  vor,  da  die  Harzreise 
meines  Wissens  nur  als  Episode  von  einigen  Seiten  in  der  Campagne 
inFrankreich  dargestellt  wird. — Auf  S.  532  wird  trotz  Sauers  Aus- 
fuhrungen  (Anz.  f.  dtsch.  Altert.  19,  323:  ,,Ich  glaube  nach  dem  Gesag- 
ten nicht,  dass  Grillparzer  Kleists  Drama  gekannt  hat")  ein  Einfluss  von 
Franz  von  Kleists  Sappho  auf  Grillparzers  Drama  angenommen.  — 
Von  Wagners  Nibelungen  heisst  es  S.  600:    "here  he  united  the 
Scandinavian  Volsungasaga  to  that  of  the  Ehinelander  Siegfried."  Ohne 
nahere  Angaben  erscheint  diese  gewiss    nicht    unrichtige  Behauptung 
doch  wohl  eher  irrefiihrend  als  aufklarend,  wenn  man  bedenkt,  dass  die 
ersten  drei  Dramen  des  Wagnerschen  Zyklus  dem  Stoff  des  Nibelungen- 
liedes  ganz  fern  stehen,  und  dass  selbst  in  der  Gotterdammerung 
Wagner  eigentlich  nur  in  Bezug  auf  den  Mord  Siegfrieds  von  der  Dar- 
Btelhmg     der    Volsungasage     zu    Gunsten     des    Nibelungen  liedes     ab- 
gewichen    ist.     Denn    wenn  es  auch  auf  S.  601  von  der  Werbung  um 
Briinnhilde  heisst:  "Siegfried,  disguised  in  the  Tarnhelm,  once  more 
braves  the  fire  and,  as  in  the  German     Nibelungenlied,     wins 


f    DIREKTOR  EMIL  DAPPRICH.     f 


Soeben,  kurz  vor  Versendung  dieses  Heftes,  erreicht 
uns  die  Trauerbotschaft  von  dem  heute  morgen,  wenige 
Minuten  nach  Mitternacht,  erfolgten  Ableben  unseres 
allverehrten,  lieben  Freundes  und  Kollegen,  des  Direktors 
des  Nationalen  Deutschamerikanischen  Lehrerseminars  zu 
Milwaukee,  Emil  Dapprich.  Ein  schweres  und  tueckisches 
Leiden  hielt  seinen  Koerper  in  ehernen  Fesseln,  so  dass 
weder  die  im  Fruehjahr  unternommene  Urlaubsreise  in 
seine  alte  Heimat,  noch  die  sorgsamste  Pflege  seiner  treuen 
Gattin  imstande  waren,  ihn  von  demselben  zu  befreien  und 
ihm  seine  verlorenen  Kraefte  wiederzuersetzen.  Langsam, 
aber  unerbittlich  wurden  diese  aufgezehrt,  bis  seinLebens- 
licht  erlosch. 

Was  Dapprich  uns  alien,  was  er  seinen  Freunden,  der 
Anstalt,  an  der  er  wirkte  und  fuer  deren  Wohlergehen  er 
alle  seine  Kraefte  einsetzte,  was  er  der  deutschen  Sache, 
ja  dem  ganzen  Schulwesen  unseres  Landes  gewesen  ist  — 
das  jetzt  zu  schildern,  fehlt  uns  Raum  und  Zeit.  Er  war 
der  Besten  einer,  zu  dem  alle  mit  Verehrung  emporblicken 
konnten.  Treu  seinen  Freunden,  aufopfernd  und  hilfs- 
bereit,  wo  seine  Dienste  verlangt  wurden,  oder  wo  er  sah, 
dass  sie  notwendig  waren,  edel  und  uneigennuetzig  in  all 
seinem  Denken  und  Tun,  eine  Pestalozzinatur,  dabei  ein 
Schulmann,  der  Kopf  und  Herz  auf  dem  rechten  Flecke 
hatte,  —  das  war  der  Verstorbene.  Sein  Andenken  wird 
unausloeschlich  in  den  Herzen  aller,  die  ihn  kannten,  be- 
wahrt  bleiben. 

Das  Leichenbegaengnis  findet  am  Samstag,  28.  d.  M., 
nachmittags,  vom  Anstaltsgebaeude  aus  statt,  und  zwar 
soil  die  Leiche  nach  dem  Wunsche  des  Hingeschiedenen  in 
dem  Krematorium  auf  dem  hiesigen  ,, Forest  Home"-Fried- 
hofe  zu  Asche  verwandelt  werden. 

MILWAUKEE,  26.  Nov.  1903. 


Eine  englische  Geschichte  der  deutschen  Liter atur.  321 

Briinnhilde  for  Gunther",  so  folgt  in  dieser  Szene  Wagner  doch  durch- 
aus  der nordischen  Sagenform.  —  Von  den  Gesammelten  Schrif- 
t  e  n  der  Ebner-Sschenbach  waren  1902  doch  sicher  schon  mehr  als  sechs 
Bande  erschienen.  —  Auf  S.  616  heisst  es  beziiglich  der  Sudermannschen 
H  e  i  m  a  t,  dass  die  Eeihe  der  biirgerlichen  Trauerspiele,  zu  der  sie  ge- 
hore,  mit  Iffland  begonnen  habe,  wahrend  doch  Gemmingen  (Vgl.  S. 
342),  aber  auch  Lessing  imd  einige  der  Stunner  und  Dranger,  auf  diesem 
Gebiet  Ifflands  Vorlaufer  waren. 

Das  in  jeder  Hinsicht  iiberaus  sorgfaltig  gearbeitete  Buch  zeichnet 
sich  durch  fast  vollstandige  Freiheit  von  Druckfehlern  aus.  Nur  die  fol- 
genden  Versehen  sind  uns  aufgestossen:  S.  343  (lies  Wiener),  S.  344 
(lies  S  child dekopf),  S.  348  (lies  poetry),  S.  429  (lies  Mono- 
logen),  S.  525  (lies  Maync),  S.  531  (lies  Schicksals- 
t  r  ag  6  d  i  e),  S.  534  (lies  B  a  n  c  b  a  n),  S.  625  (lies  D  r  e  i  k  6- 
n  i  g  s  s  p  i  e  1),  S.  628,  Zeile  1  (lies  325  ff.  statt  375  ff.) 

Nach  diesen  freimiitigen  Auseinandersetzungen  mit  dem  Verfasser, 
die  jedenfalls  beweisen,  wie  sehr  uns  sein  Werk  interessiert  hat,  mochten 
wir  nochmals  auf  das  Nachdriicklichste  betonen,  dass  Kobertson  in  sei- 
ner Literaturgeschichte  uns  eine  gediegene,  auf  der  Hohe  wissenschaft- 
licher  Forschung  stehende  Leistung  geboten  hat,  die  ihn  als  einen  er- 
staunlich  genauen  Kenner  der  deutschen  Literatur  erweist,  auf  die  die 
Vertreter  grmanischer  Studien  in  England  mit  Eecht  stolz  sein  diirfen, 
und  die  ihrerseits  sicher  viel  dazu  beitragen  wird,  eben  diese  Studien 
unter  englischen  Fachleuten  sowohl,  als  auch  in  weiteren  Kreisen  zu 
fordern  und  zu  vertiefen. 


Ueber  die  naturliche  Methode  im  deutschen 
Unterricht. 


Vortrag,  gehalten  im  Californischen  Verein  von  Lehrern  der  deutschen  Sprache. 


Von  Dr.  Arthur  Altschul,  San  Francisco. 


Der  Ansdruck  ,,N"atiirliche  Methode"  1st  im  folgenden  nieht  —  wie 
im  amerikanischen  Sprachgebrauch  sehr  iiblich  —  gleichbedeutend  mit 
,,Konversationsmethode",  sondern  er  bezeichnet  cine  der  grossen  Haupt- 
methoden  des  Sprachunterrichts,  von  der  die  Konversationsmethode  nur 
eine  speziolle  Foim,  eine  Unterart  ist.  Solcher  Hauptmethoden  gibt  es 
nur  zwei:  ausser  der  natiirlichen  nur  noch  die  grammatiscbe.  Die  letz- 
tere  koni'te  man  auch  die  formale,  abstrakte  oder  analystische  nennen, 
und  die  erstere  auch  die  direkte,  imitative,  konkrete,  oder  synthetische. 
Die  Ausdriicke  abstrakt  und  konkret  driicken  den  Unterschied  wohl  am 
deiTtlichsten  aus.  Abstrakt  ist  diejenige  Art  des  Sprachunterrichts,  die 
Paradigmen  und  Eegeln  als  Lehrmittel  verwendet,  und  die  infolgedessen 
vom  Schiller  Verstandestatigkeit,  Denkarbeit,  logische  tiberlegung  ver- 
langt.  Konkret  dagegen  ist  dasjenige  Lehrverfahren,  das  dem  Schiller 
einfach  die  fremden  Sprachformen  an  sich,  ohne  Analyse  und  theore- 
tische  Erklarung,  bietet  und  ihm  daher,  freilich  dnrchaus  nicht  das 
Denken  iiberhaupt,  wohl  aber  die  strenge  logische  Verstandesarbeit  er- 
spart.  Dieses  letztere  Verfahren,  das  konkrete  oder  natiirliche,  bildet 
den  Gegenstand  meines  Vortrages;  und  ich  will  gleich  bemerken,  dass 
ich  fiir  das  naturliche  Verfahren  sehr  eingenommen  bin  und  es  in  durch- 
aus  giinstigem  Sinn  zu  besprechen  beabsichtige.  Ich  bitte  mich  nicht 
misszuverstehen.  Sie  fassen  vielleicht  das  eben  Gesagte  so  auf,  als  ob  ich 
alle  Grammatik  aus  dem  deutschen  Unterricht  verbannt  zu  sehen 
wiinschte.  Das  ist  aber  keineswegs  der  Fall.  Erstens  —  dies  ist  ein  wich- 
tiger  Punkt  und  wohl  nicht  allgemein  bekannt  —  ist  in  der  natiirlichen 
Methode  selbst  Platz  fur  die  Grammatik;  die  Grammatik,  das  heisst  die 
system atische  Behandlung  der  Sprachformen  und  Spracherschei- 
nungen,  lasst  sich  konkret,  ohne  Analyse  und  Theorie,  darstellen,  nam- 
lich  durch  sorgfaltig  gewahlte  und  angeordnete,  nach  einem  wohlerwo- 
genen  Plan  einzuiibende  Beispiele.  In  Deutschland  wird  diese  naturliche 
Grammatik  im  englischen  und  franzosischen  Unterricht  tatsachlich  in 
weitem  Uinfang  angewendet.  Zweitens:  Wenn  jemand  fur  die  naturliche 
Methode  eintritt,  so  ist  damit  keineswegs  gesagt,  dass  er  das  abstrakte 
Lehrverfahren  ganz  und  gar  verwirft.  Es  mag  Anhanger  der  naturlichen 
Methode  geben,  die  nicht  das  mindeste  abstrakte  Element  im  Sprachun- 
terricht  dulden  wollen;  aber  bei  weitem  die  meisten  opponieren  wohl  nur 
der  zu  ai'.sgedehnten  oder  zu  friihzeitigen  Einfiihrung  des  abstrakten 
Element?. 


Ueber  die  natiirliche  Methode  im  deutschen  Unterricht. 

Dass  das  iiberwiegend  abstrakte  Verfahren  im  allgemeinen  den 
Schiller  zu  sehr  anstrengt  und  nicht  geniigend  interessiert,  dabei  nicht 
c-inmal  zu  befriedigenden  Kesultaten  fiihrt,  dauber  ist  in  den  letzten 
dreissig  Jahren  sehr  viel  gesprochen  und  geschrieben  worden.  Ich 
mochte  aber  besonders  auf  ein  Schriftchen  verweisen,  das  freilich  kaum 
a  Is  ein  Beitrag  zur  padagogisehen  Fachliteratur  betrachtet  werden  kann: 
ich  meine  Mark  Twains  Aufsatz  iiber  ,,The  Dreadful  Gennan  Language", 
im  Anhang  zu  ,,A  Tramp  Abroad".  Dieses  Opusculum  ist  jedem  Lehrer 
des  Deutschen  zu  empfehlen,  denn  es  ist  nicht  nur  ausserst  amiisant, 
sondem  enthiilt  auch  unter  alien  seinen  tollen  Sehnorkeln  und  phanta- 
stischen  tlbertreibungen  einen  soliden  und  beherzigenswerten  Kern. 
All  die  schnurrigen  Bemerkungen  iiber  die  entsetzlichen  deutschen  Pe- 
rioden,  die  man  am  leichtesten  A'erstehen  kann,  wenn  man  das  Buch  vor 
den  Spiegel  halt  oder  sich  auf  den  Kopf  stellt,  ,,so  as  to  reverse  the 
construction";  iiber  das  als  blosse  Yerzierung  am  Ende  des  Satzes  an- 
gebrachte  ,,haben  sind  gewesen  gehabt  haben  geworden  sein"  u.  s.  w., 
u.  s.  w.  —  alle  diese  barocken  Auslassungen  beschreiben  doch  in  hochst 
anschaulicher  und  lehrreicher  Weise  den  Geisteszustand  des  Anfangers, 
dem  eine  schwierige  Sprache  in  trockener,  abstrakter  Methode  einge- 
trichtert  \vird,  der  mit  den  mannigfachsten  Schwierigkeiten  iiberhauft 
vird,  ohne  eine  einzige  wirklich  bewaltigen  zu  konnen,  der  mit  Gramma- 
tik  gestopft  wird  wie  die  Gans  mit  Welschkorn.  Mark  Twains  moralische 
Entriistung  iiber  die  Unvemunft  und  Abgeschmacktheit  der  fremden 
Sprache,  seine  Verwirrung  inmitten  all  der  kaleidoskopisch  wechselnden 
3»egeln  imd  Erscheinungen,  sein  Unbehagen,  da  er  keinen  festen  Boden 
unter  seinon  Fiissen  verspiirt,  alles  dies  ist  auf  die  Wirklichkeit  begriin- 
det  und  kann  uns  als  Mahnung  dienen,  unser  Unterrichtsverfahren  den 
"Bed  iirf nissen  des  Schiilers  und  insbesondere  des  Anfangers  anzupassen. 

Das  Nachteilige  der  iiberwiegenl  grammatischen  Methode  (wenn  sie 
angewendet  wird,  wo  die  Umstande  dies  nicht  rechtfertigen,  d.  h.  bei 
weniger  fortgeschrittenen  Schiilern)  liegt  in  folgenden  Punkten.  Erstens: 
Die  strenge  Verstandestatigkeit,  die  sie  vom  Schiller  bestandig  verlangt, 
ist  ungebiihrlich  anstrengend.  Zweitens:  Die  abstrakte  Grammatik  ist 
trocken  und  fiir  die  meisten  Schiller  interesselos.  Drittens:  Da,  soweit 
Arie  moglich,  keine  andern  Sprachformen  verwendet  werden  als  solche, 
die  der  Schiller  grammatisch  zu  beherrschen  gelernt  hat,  so  ist  der  Lese- 
stoff  an  einen  beschriinkten  Wortschatz  gebunden  und  besteht  meistens 
aus  isolierten  Satzen,  die,  selbst  wcnn  sie  nicht  von  dem  Hund  des  Bru- 
ders,  des  Spaniers  und  dem  Tintenfass  der  Tante,  des  Gartners  handeln, 
doch  ohne  wirklichen  Inhalt  und  ohne  alles  Interesse  sind.  Viertens: 
Der  dem  Schiller  in  abstrakter  Form  gebotene  grammatische  Stoff  wird 
von  ihm  oft  nur  ausserlich  angeeignet,  geht  ihm  nicht  in  Fleisch  und 
Blut  iiber  und  ist  ihm  daher  eine  nur  sehr  ungeniigende  Hiilfe  zum  wirk- 
Lchen  Eriassen  und  Beherrschen  der  fremden  Sprache. 


324  Padagogische  Monatshefte. 

In  eben  diesen  Punkten  zeigt  sich  mm  die  IJberlegenheit  der  na- 
tiirlichen  Methode,  die  denn  auch,  in  ihren  modernen  Formen,  aus  dem 
bewussten  Bestreben,  jene  Mangel  der  abstrakten  Methode  zu  vermeiden, 
hervorgegangen  ist.  Die  natiirliche  Methode  macht  dem  Schiller  die 
Arbeit  imgleich  leichter  und  ungleich  angenehmer  und  interessanter, 
imd  sie  bietet  ihm  den  Lernstoff  in  einer  solchen  Form,  dass  er  sich  ihn 
vollstandig  zu  eigen  machen  kann,  und  dass  jeder  Schritt,  den  er  in  sei- 
nem  Studium  macht,  ihn  in  der  wirklichen,  praktischcn  Kenntnis  der 
fremden  Sprache  vorwarts  bringt. 

Es  gibt  wohl  auch  heute  noch  nicht  wenige  Sprachlehrer,  die  die  na- 
tiirliche Methode  als  eine  moderne  Neuerung  mit  Misstrauen  betrachten. 
Tatsachlich  aber  ist  die  natiirliche  Methode  gar  nicht  modern  und  nichts 
weniger  als  eine  Neuerung;  vielmehr  ist  sie  ohne  Zweifel  zu  alien  Zeiten 
und  uborall  angewendet  worden,  wahrend  die  grammatische  Methode 
erst  verhaltnismassig  spat  und  nur  in  beschranktem  Umfang  neben  der 
natiirlichen  aufgekommen  ist:  fiirs  Lateinische  und  Griechische  seit  un- 
gefahr  2000  Jahren,  fiir  die  modernen  Sprachen  sogar  eret  seit  dem  36. 
Jahrhundert.  Ganz  verdrangt  ist  das  natiirliche  Verfahren  nie  worden. 
Zum  Beispiel  wird  es  Sie  vielleicht  interessieren,  dass  Goethe  in  einem 
Brief  vom  20.  November  1774  eine  Art  von  natiirlicher  Methode,  um  den 
Homer  lesen  zu  lernen,  beschreibt  und  auf  Grund  eigener  Erfahrung 
empfiehlt. 

Ich  gohe  nun  dazu  iiber,  die  natiirliche  Unterrichtsweise  in  ihren 
Umrissen  ?-u  beschreiben.  Hicrbei  will  ich  die  verschiedenen  ihr  zuge- 
horigen  Lehrverfahren  gesondert  behandeln.  Ich  muss  bemerken,  dass 
ich  im  folgenden  die  Ausdriicke  ,,Methodew  und  ,,Arerfahren?J  wie  folgt 
unterscheide:  AVenn  ein  Lehrer  einen  Schiller  ausschliesslich  oder  haupt- 
fcachlich  inittels  Konversation  unterrichtet,  so  sage  ich,  er  wendet  die 
Konversationsm  e  t  h  o  d  e  an.  Spreche  ich  dagegen  vom  Konversations- 
\erfahren,  so  meine  ich  die  auf  der  Konversation  beruhende  Art  des 
Unterrichts  iiberhaupt,  gleichviel  ob  sie  ausschliesslich  oder  iiberwiegend 
gebraucht  wird  oder  nicht,  mit  andern  Worten,  ob  sie  allein  den  Charak- 
ter  einer  Methode  bestimmt,  oder  nur  ein  Element  derselben  bildet. 

Die  natiirliche  Unterrichtsweise  verfiigt  vor  allem  iiber  drei  Haupt- 
und  Grundverfahren:  das  Sprechverfahren,  das  Leseverfahren  und  das 
Memoriervc-rfahren. 

Zuerst  und  vor  allem  das  Sprechverfahren.  In  der  Hauptsache  ist 
es  natiirlich  Konversationsverf ahren ;  doch  ist  ausserdem  eine  andere 
Varietat  moglich:  ein  monologisches  A7erf ahren,  wobei  der  Lehrer  deutsch 
spricht  und  die  Schiller  das  gesprochene  verstehen  lernen,  aber  nicht 
selbst  deutsch  sprechen.  Das  mag  unter  Umstanden  ganz  zweckmassig 
sein.  Ungleich  wichtiger  ist  aber  natiirlich  das  Konversationsverfahren. 
Dies,  das  natiirlichste  unter  alien  Verfahren,  ist  zugleich  das  leistungs- 


Ueber  die  natilrliche  Methode  im  deutschen  Unterricbt.  325 

fahigste  und  umfassendste  von  alien;  es  lasst  sich  namlich  damit  alles 
lehren;  und  wenn  der  Schiller  die  fremde  Sprache  hinreichend  zu  ver- 
stehen  und  zu  sprechen  gelernt  hat,  so  folgt  dann  das  Lesen-  und  Schrei- 
benkonnen  ganz  von  selbst,  wenn  er  nur  noch  das  Alphabet  und  die  Or- 
thographic dazulernt.  Damit  will  ich  nicht  gesagt  haben,  dass  das  Kon- 
versationsverfahren  immer  und  iiberall  im  Vordergrund  des  Unterrichta 
stehen  soil,  wohl  aber  bin  ich  der  Ansicht,  dass  es  mehr  verwendet  wer- 
den  sollte,  als  jetzt  wohl  iiblich. 

Das  Konversationsverfahren  lasst  sich  zu  zwei  verschiedenen 
Zwecken  anwenden:  Erstens,  um  dem  Schiller  neue  Kenntnis  beizubrin- 
gen;  zweitens  um  Dinge,  die  ihm  schon  von  friiher  her  bekannt  sind, 
einzupragen  und  seinem  Ohr  und  seiner  Zunge  tibung  zu  geben.  Die 
letztere  Anwendung  —  meiner  Ansicht  nach  die  wichtigere  —  bedarf 
keiner  besonderen  Erlauterung;  dagegen  iiber  die  Konversation  als  Mit- 
iel  zur  Aneignung  ganz  neuer  Kenntnis  mogen  einige  Worte  der  Er- 
klarung  nicht  iiberfliissig  sein.  Es  gibt  vielleicht  unter  meinen  Zuhorern 
einige,  die  wohl  gehort  haben,  aber  es  nicht  glauben,  dass  es  moglich  sein 
soil,  eine  fremde  Sprache  ganz  von  Anfang  zu  erlernen  durch  eine  Art 
des  Unterrichts,  wobei  sowohl  der  Lehrer  wie  der  Schiller  ausschliesslich 
die  fremde  Sprache  gebrauchen,  Die  Sache  verhalt  sich  aber  wirklich  so 
und  bietet  nicht  einmal  besondere  Schwierigkeit.  Wer  sich  iiber  die 
Sache  zu  informieren  wiinscht,  dem  empfehle  ich  vor  allem  den  ersten 
Teil  von  Sterns  ,,Studien  und  Plaudereien"  (Henry  Holt),  und  ,,Le  pre- 
mier livre  de  Franeais"  von  Louise  Hotchkiss  (Heath  &  Co.);  zwei  hochst 
lebensvolle  und  interessante  "Werkchen,  die  man  mit  wirklichem  Vergnii- 
gen  lesen  kann;  in  beiden  sind  die  Vorreden  sehr  zu  beachten.  —  Darii- 
ber,  ob  es  wiinschenswert  ist,  beim  Konversationsverfahren  den  Gebrauch 
der  Muttersprache  ganz  und  gar  auszuschliessen,  dariiber  sind  die  Mei- 
nungen  geteilt.  Manehe  Lehrer  sind  darin  sehr  strikt  und  geben  sich 
lieber  die  Millie,  einen  schwierigen  neuen  Ausdruek  auf  allerhand  Um- 
wegen  und  mit  allerlei  Kunstgriffen  auf  Deutsch  dem  Schiller  begreiflich 
zu  machen,  als  dass  sie  sich  entschliessen  wiirden,  ihn  zu  iibersetzen.  Ich 
halte  es  nicht  fiir  notig,  so  rigorb's  zu  sein,  und  wurde  in  solchein  Falle 
ofters  vorziehen,  das  englische  Wort  zu  nennen,  um  Zeit  und  Miihe  zu 
sparen.  Doch  darf  man  nicht  iibersehen,  das  jenem  extremen  Verhalten 
ein  sehr  gutes  und  wichtiges  Prinzip  zu  Gnmde  liegt.  Die  Absicht  ist 
namlich,  den  Schiller  bestandig  zu  geistiger  Tatigkeit,  zu  scharfem  Auf- 
passen,  Kombinieren  und  Erraten  anzuhalten,  und  durch  die  entschie- 
dene  Konzentration  auf  die  fremde  Sprache  ihn  dahin  zu  bringen, 
dass  er  in  der  fremden  Sprache  zu  denken  sich  gewohnt.  tibrigens  sind 
die  verschiedenen  Kunstgriffe,  die  der  Lehrer  anwendet,  um  tiberset- 
zung  zu  vermeiden,  ofters  ganz  amiisant  fiir  die  Schiller  und  tragen  viel 
2,ur  Belebung  des  Unterrichts  bei. 


326  Padagogische  Monatshefte. 

Soviel  iiber  das  Konversationsverfahren  als  Mittel  zur  Erwerbung 
neuer  Kenntnis.  Die  Anwendung  des  Verfahrens,  urn  das  Gelernte  ein- 
zuiiben  und  durch  haufige  und  mannigfach  kombinierte  Wiederholung 
znm  wirklichen  geistigen  Eigentum  des  Schiilers  zu  machen,  diese  An- 
wendimg  balte  ich,  wie  schon  gesagt,  fur  die  wichtigere;  diese  ist  ee,  die 
meines  Erachtens  in  jeder  Methode  des  deutschen  Unterrichts  einen  Platz 
finden  sollte.  Es  ist  namlich  ein  grosser  Irrtum.  wenn  man  bedenkt,  dass 
das  Konversationsverfahren  nur  da  am  Platze  ist,  wo  die  Fahigkeit,  die 
fremde  Sprache  zu  sprechen,  ein  Hauptziel  des  Unterrichts  bildet.  Es 
ist  ein  grosser  Irrtum;  denn  das  miindlicheVerfahren  ist  ein  vortreffliches 
Hulfsmittel  zum  Erlernen  der  Sprache  iiberhaupt;  der  Gebrauch  der 
fremden  Sprache  sollte  stets  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gepflegt  wer- 
den, wenn  nicht  als  Zweck,  dann  als  Mittel  zum  Zweck.  Konversation 
ist  das  beste  Mittel  zur  Einiibung  des  Gelernten;  sie  bringt  ein  beleben- 
des  und  anregendes  Element  in  den  Unterricht,  erweckt  das  Interesse  des 
Schiilers  und  macht  aus  dem  Lernen  eine  lebendige  Tatigkeit;  sie  er- 
laubt  eine  muntere,  ungezwungene,  natiirliche  Art  der  Behandlung,  so- 
dass  unter  einigermassen  giinstigen  Umstanden  die  Schuler  an  solchem 
Unterricht  richt  selten  soviel  Vergniigen  finden  werden,  wie  an  einem 
amiisanten  Gesellschaftsspiel.  Und  schliesslich  ist  es  ein  grosser  Vorteil, 
dass  der  Lehrer  beim  mundlichen  Verfahren  mit  dem  Unterrichtsstoff 
ganz  frei  schalten  und  walten  und  ihn  je  nach  dem  besonderen  Fall  und 
Bediirfnis  bilden,  erweitem,  variieren  kann. 

Wir  kommen  zunachst  zum  Leseverfahren.  Die  Lektiire  zusammen- 
hangenden  Lesestoffes,  scfern  sie  direkt  und  konkret  ist,  nicht  miihsam 
und  analystisch  mit  Hiilfe  der  Grammatik  und  des  Worterbuches  be- 
trieben  \vlrd,  ist  entschieden  ein  naturliches  Verfahren.  Das  natiirliche 
Leseverfahren  kann  in  ebenderselben  doppelten  Weise,  wie  das  Konver- 
sationsverfahren, angewendet  werden.  In  der  kursorischen  Lektiire  und 
im  ,,sight  reading  in  class"  dient  es  hauptsachlich  dazu,  das  schon  ge- 
lernte  dem  Schuler  einzupragen,  ihn  in  der  prompten  und  augenblick- 
lichen  Anwendung  des  Gelernten  zu  iiben,  ihn  an  rasches  Auffassen  des 
Zusammenhanges  zu  gewohnen  und  sein  Sprachgefiihl  zu  kultivieren. 
Ausserdem  kann  aber  das  Verfahren  auch  zur  Aneignung  neuer  Kennt- 
nisse  gebraucht  werden,  namlich  als  langsamesDurchnehmen  neuenLese- 
stoffes  in  der  Klasse,  wobei  die  Interpretation  des  Lehrers  die  Haupt- 
sache  ist.  In  dieser  Form  kann  das  Verfahren  sehr  wohl  im  ersten  An- 
fang  des  Unteirichts  verwendet  werden.  Ich  selbst  wiirde  in  jeder  mo- 
dernen  Sprache,  ja  auch  im  Lateinischen,  den  ersten  Anfang,  wenn  nicht 
mit  Konversation,  dann  gewiss  mit  solchem  Lesen  machen.  Sicher  ist 
diese  Art  des  Sprachunterrichts  eine  durchaus  uaturliche  und  organische 
imd  lasst  sich  sehr  anregend  und  fruchtbar  gestalten.  Es  versteht  sich, 
dass  beim  Fortschreiten  des  Unterrichts  die  Interpretation  des  Lehrers 
eine  immer  zunehmende  Prazision  und  Vollstandigkeit  zeigen  muss. 


Ueber  die  naturlicbe  Methode  im  deutscben  Untenicht.  327 

Neben  dem  Sprech-  und  dem  Leseverfahren  finden  wir  schliesslich 
noch  das  Memorierverfahren,  worin  das  Auswendiglernen  als  Lehrmittel 
verwendet  wird.  Es  1st  moglich,  dieses  Verfahren  ganz  allein  anzu- 
wenden,  also  eine  Methode  darauf  zu  begriinden.  So  verlangt  das  Mei- 
sterschaft-System  vora  Schiller  ausschliesslich  das  Auswendiglernen  einer 
grossen  Zahl  von  Satzen,  die  er  so  beherrschen  soil,  dass,  wenn  einer  der 
gelernten  Satze  ihm  in  seiner  Muttersprache  gegeben  wird,  er  augenblick- 
lich  den  entsprechenden  Satz  der  fremden  Sprache  vollkommen  korrekt 
von  sich  geben  kann.  Das  Verfahren  ist  nicht  so  imsinnig,  wie  es  auf 
den  ersten  Blick  scheinen  konnte;  empfehlen  mb'ehte  ich  es  allerdings 
niemand.  Das  Gouin- Verfahren  beriiht  zum  grossen  Teil  (namlieh  in  der 
,,Assimilation  der  objektiven  Serie")  auf  einem  —  allerdings  nicht  me- 
chanischen  —  Auswendiglernen.  Meist  wird  das  Memorieren  aber  als 
cin  mehr  untergeordnetes  Element  in  beschranktem  Umfang  verwendet, 
und  in  dipser  Form  ist  es  ohne  Zweifel  eine  iiberaus  niitzliche  und  sehr 
zu  empfeblende  tibung.  Der  Anf anger  sollte  eine  grosse  Menge  kurzer 
idiomatischer  und  der  Alltagssprache  entnommener  Satze  auswendig 
lernen;  spater  sind  auch  langere  zusammenhangende  Stiicke  zum  Memo- 
rieren geeignet. 

Soviol  iiber  die  drei  Grundverfahren  der  natiirlichen  Methode,  die 
primiiren  und  selbstandigen.  Zu  diesen  kommen  ferner  zwei  sekundare 
oder  Hiilfs verfahren;  sie  beruhen  auf  der  Anwendung  eines  natiirlichen 
Verfahrens  im  grammatischen  Unterricht  und  im  ,,composition  work". 
In  der  Grammatik  handelt  es  sich,  wie  schon  gesagt,  hauptsachlich.  urns 
Lehren  durch  Beispiele  allein;  im  ,,composition  work"  hauptsachlich 
darum,  clas  tlbersetzen  aus  der  Muttersprache  in  die  fremde  Sprache 
iiberfliissig  zu  machen.  Um  Zeit  zu  sparen,  will  ich  auf  diese  beiden  sehr 
interessanten  und  wichtigen  Verfahren  heute  nicht  naher  eingehen. 

Die  obigen  Ausfiihrungen  haben  die  natiirlichc  Lehrweise  nach 
ihrer  formalen  Seite  zum  Gegenstand  gehabt.  Ich  wende  mich  nun 
znnachst  zu  gewissen  inhaltlichen  Eigentiimlichkeiten  des  Lehr- 
verfahrens,  die  sehr  haufig  in  Verbindung  mit  dem  formal-natiirlichen 
Verfahren  erscheinen,  eich  in  innerer  Ubereinstimmung  mit  ihm  befin- 
den,  eben  falls  den  Charakter  des  natiirlichen  an  sich  haben,  und  in  der 
modernen  Eeformbewegung  im  Sprachunterricht  ebenfalls  ein  Hauptmo- 
ment  bildeii.  Ich  meine  diejenige  Art  der  Lehrbehandlung,  die  man  in 
Ennangelung  eines  passenden  Ausdrucks  allenfalls  mit  dem  Wort  ,,Ak- 
tualitat"  bezeichnen  konnte;  diejenige  namlieh,  die  das  Sprachlernen  fur 
die  Auffassung  des  Schiilers  mit  der  Welt  der  Wirklichkeit  in  Verbin- 
dung bringt.  Ich  unterscheide  drei  Arten  dieser  Behandlung:  Aktuali- 
tat  durch  das  personliche  Element,  durch  Anschauungsunterricht  und 
durch  die  sogenannten  Kealien. 

Aktualitat  durchs  personliche  Element  nenne  ich  es,  wenn  die  Per- 


328  Pddzgogische  Monatshefte. 

sonlichkeit  des  Lehrers  und-  Schiilers  selbst  zum  Substrat  des  Unter- 
richtsprozesses  genommen  wird.  Dies  1st  vor  allem  beim  Konversations- 
vcrfahren  natiirlich  ausserst  naheliegend.  Hierhin  gehort  z.  B.,  wenn 
der  Lehrcr  zum  Schiller  sagt:  ,,Ich  bin  ein  Lehrer,  du  bist  ein  Schiller" 
oder  ,,Kannst  du  singen?"  oder  ,,Zeige  mir  deine  rechte  Hand!"  oder 
,,Hast  du  das  geschrieben?"  u.  s.  w.,  u.  s.  w.  Sehr  anregend  wirkt  es, 
wenn  einzclnen  Schiilern  aufgegeben  wird,  selbst  Fragen  an  andere 
Schiller  zu  richten.  Eine  besonders  wichtige  Art  dieser  personlichen 
Aktualitat  ist  das  dramatische  Element.  Dahin  gehort  es,  wenn  der  Leh- 
rer einem  Schiller  ein  Wort  der  fremden  Sprache  durch  eine  von  ihm 
eclbst  oder  von  einem  andern  Schiller  ausgefiihrte  Handlung  begreinich 
macht.  Z.  B.  wenn  ein  Schiller  das  Wort  ,,aufmachen"  nicht  versteht, 
so  wiirde  ich,  falls  ein  anderer  Schiller  das  Wort  kennt,  zu  diesem  sagen: 
,,Mache  dein  Buch  auf  —  mache  es  zu  —  mache  deine  Augen  zu  — 
mache  sie  auf,"  u.  s.  w.  Dahin  gehort  es  ferner,  wenn  der  Schiller  ir- 
grend  eine  Handlung  ausfiihrt  und  sie  gleichzeitig  in  Worten  ausdriickt, 
oder  auch  wenn  er  eine  von  jemand  anders  in  seiner  Gegenwart  ausge- 
fiihrte Handlung  beschreibt.  In  Gouins  Methode  spielt  diese  Ubung 
eine  grosse  Rolle.  Offenbar  nach  seinem  Vorgange  wird  sie  auch  in 
manchen  deutschen  Schulen  angewandt.  So  beschreibt  Mary  Brebner  in 
ihrem  vorziiglichen  Biichlein  ,,The  Methods  of  Teaching  Modern 
Languages  in  Germany"  (Macmillan)  auf  Seite  8  ff.  den  englischen  Un- 
tericht  in  einer  deutschen  Klasse,  wo  dieses  Verfahren  zu  einer  festen 
Koutine  ausgebildet  war.  Z.  B.  als  der  Lehrer  ins  Zimmer  kam  und 
v/ahrend  er  seinen  Platz  am  Pult  einnahm,  gab  er  verschiedenen  Schii- 
lern, einfach  indem  er  sie  einen  nach  dem  andern  ansah,  das  Signal  zu 
folgenden  Bemerkungen:  ,,You  are  going  to  your  desk.  You  are  sitting 
down.  You  are  taking  your  pen.  You  are  writing  your  name.  You  are 
putting  the  pen  on  the  table"  u.  s.  w.  Als  der  Lehrer  einem  Schiller 
sagte,  er  solle  auf  die  Tiir  zugehn,  tat  er  dies  mit  den  Worten  ,,I  am 
going  to  the  door,"  und  von  den  iibrigen  Schiilern  sagten  die  einen  ,,You 
are  going  to  the  door"  und  die  andern  ,,He  is  going  to  the  door."  Das 
Verfahren  ist  entschieden  sehr  sinnreich,  und  die  haufig  wiederholte  Ver- 
bindung  des  Ausdrucks  mit  der  Handlung  ist  gewiss  ein  sehr  wirksames 
Mittel,  den  ersteren  dem  Gedachtnis  fest  einzupragen.  Auch  Dramati- 
sches  im  eigenthchen  Sinn  lasst  sich  mit  dem  grossten  Nutzen  verwen- 
den,  indem  namlich  Lesestiicke,  die  in  Gesprachsform  abgefasst  sind,  mit 
verteilten  Bollen  vorgelesen  oder  auswendig  hergesagt  werden. 

Zweitens,  Aktualitat  mittels  Besprechung  von  Dingen,  die  der  Schil- 
ler vor  Augen  hat.  Ausser  wirklichen  im  Klassenzimmer  befindlichen 
oder  von  dort  sichtbaren  Gegenstanden  sind  Bilder  zu  verwenden.  In 
Deutschland  werden  Bildertafeln  viel  gebraucht,  worauf  die  vier  Jahres- 
zeiten,  die  Stadt,  das  Land,  der  Wald  u.  s.  w.  dargestellt  sind.  Fur  noch 


Ueber  die  naturliche  CMethode  im  dentschen  Unterricht.         329 

niitzlicher  halte  ich  Bilder,  die  der  Lehrer  an  die  "Wandtafel  zeichnet, 
vor  den  Augen  der  Schiller  entstehen  lasst,  indem  er  sie  gleichzeitig  auf 
Deutsch  bespricht.  Wenn  der  Lehrer  ordentlich  zeichneji  kann,  urn  so 
besser;  aber  selbst  wenn  seine  kiinstlerischen  Leistungen  denen  des  klei- 
nen  Moritz  in  den  Fliegenden  Blattern  ahneln  sollten,  wird  er  auch 
daran  ein  treffliches  Hiilfsmittel  zum  Sprachunterricht  haben.  Mir  ist 
es  selbst  schon  gehmgen,  schlafrige  und  teilnahmslose  Schiller,  nachdem 
alles  andore  fehlgeschlagen,  auf  diese  Weise  aus  ihrer  Lethargic  zu  er- 
wecken  und  zu  lebendiger  Anteilnahme  am  Unterricht  zu  bringen. 

Schliesslich,  Aktualitat  durch  Realien,  d.  h.  durch  Mitteilungen 
iiber  das  Volk  und  Land,  dessen  Sprache  gelernt  wird.  Man  sieht,  der 
Begriff  der  Eealien  ist  ein  ausserst  umfassender.  Die  gesamte  Existenz 
pines  Volkes  in  Gegenwart  und  Vergangenheit,  sein  Charakter,  seine 
Lebensgewohnheiten,  seine  Institutionen,  seine  ganze  Kultur,  seine  Ge- 
schichte,  die  Geographic  und  Topographic  seines  Landes,  dies  alles  bil- 
det  die  unendliche  Stoffmasse,  aus  der  der  Lehrer  beim  Realienunter- 
richt  schopfen  kann.  Realien  konnen  auf  verschiedene  Art  dem  Schiller 
iibermittelt  werden:  sie  konnen  im  Lesestoff  enthalten  sein,  oder  der 
Lehrer  kann  davon  erzahlen;  zum  Teil  konnen  sie  auch  durch  Anschau- 
img  gelehrt  werden,  durch  Vorzeigen  von  wirklichen  Gegenstanden  und 
besonders  von  Bildern;  letztere  konnen  auch  als  Illustration  dem  Lese- 
buch  einverleibt  werden.  Der  Nutzen  der  Realien  ist  ein  doppelter:  Er- 
stens  konnen  so  bei  Gelegenheit  des  Sprachunterrichts  eine  Menge  wis- 
senswerter  Tatsachen  beigebracht,  der  geistige  Gesichtskreis  des  Schii- 
iers  erweitert  und  er  selbst  zu  sympathischem  Verstandnis  des  fremden 
Volkes,  also  zu  internationaler  Toleranz  angeleitet  werden.  Zweitens  aber 
haben  die  Realien  auch  als  rein  technisches  Mittel  zum  Sprachlernen 
grossen  "VVert,  indem  sie,  ebenso  wie  die  andern  Formen  des  Aktuellen, 
durch  Ideenassoziation  das  aufmerksame  Arbeiten  und  das  dauernde  Er- 
fassen  der  Sprachfakten  wesentlich  erleichtern. 

Dass  die  aktuelle  Unterrichtsweise  iiberhaupt  eines  der  allerwichtig- 
sten  Mittel  ist,  die  Arbeit  des  Sprachlernens  angenehm  sowohl  wie  ge- 
deihlich  zu  machen,  ist  wohl  unzweifelhaft.  Was  ich  an  ihr  besonders 
riihmenswert  finde,  ist  der  humane  Grundzug  an  ihr;  human  nenne  ich 
sie,  insofern  sie  den  Schiller  als  ein  menschliches  Wesen,  nicht  als  eine 
blosse  Arbeitsmaschine  behandelt.  Mir  fiel  neulich  eine  Stelle  in  ,,Na- 
than  der  Weise"  auf,  die  ich  auf  unsern  Gegenstand  anwenden  mochte. 
Recha  versi  chert  Sittah,  die  es  nicht  glauben  will,  dass  sie  im  Lesen  von 
Biichern  schr  wenig  tibung  habe.  ,.Mein  Vater,"  sagt  sie,  ,,liebt  Die 
kalte  Buchgelehrsamkeit,  die  sich  Mit  toten  Zeichen  ins  Gehirn  nur 
driickt.  Zu  wenig.  Sittah.  ,,Ei,  was  sagst  du!  Hat  indes  Wohl  nicht  sehr 
Uijrecht!  Und  so  manches,  was  Du  weisst?"  Recha.  „ Weiss  ich  allein  aus 
seinem  Munde,  und  konnte  bei  dem  meisten  dir  noch  sagen,  wie,  wo, 


330  Padagogische  Monatshefte. 

warum  er's  mich  gelehrt."  Sittah.  ,,So  hangt  sich  alles  freilich  bessor 
an.  So  lernt  mit  eins  die  gauze  Seele."  Diese  letzten  Worte  mochte  ich 
mir  mit  einer  leichten  Anderung  aneignen  und  mit  Hinblick  auf  die 
aktuelle  Lehrweise  sagen:  ,,So  hangt  sich  alles  freilich  besser  an.  So  lemt 
init  eins  der  ganze  Mensch"  —  nicht  bloss  der  kalte  Verstand  und  das 
trockene  Gedachtnis. 

Ich  komme  jetzt  auf  die  verschiedenen  Formen  der  natiirlichen  Me- 
thode  zu  sprechen.  Unter  einer  natiirlichen  Methode  verstehe  ich  einen 
Unterrichtsplan,  worin  die  natiirliche  Lehrweise,  in  einer  oder  mehreren 
ihrer  Forrnen,  entweder  ansschliesslich  oder  iiberwiegend  angewendet  ist. 
Ich  will  mich  hieriiber  sehr  kurz  fassen  und  nur  einige  der  Hauptrich- 
tungen  mit  wenigen  Worten  kennzeichnen.  Ich  beginne  mit  der  natiir- 
lichen Lesemethode.  Sie  beruht  auf  dem  natiirlichen  Leseverfahren, 
neben  welch  em  Sprechen,  Schreiben  und  Grammatik,  aber  nur  in  gerin- 
gem  Umfang,  auftreten  konnen.  Von  der  gewohnlichen  Form  der  Le- 
semethode unterscheidet  sie  sich  zu  ihrem  Vortheil  durch  ihren  konkre- 
ten,  wenig  analysierenden  Charakter;  gemeinsam  mit  jener  aber  hat  sie 
den  Mangel,  dass  sie,  wenigstens  fur  den  Schulunterricht,  nicht  genug 
Lebhaftigkeit  besitzt  und  daher,  wie  der  ,,Report  of  the  Committee  of 
Twelve"  treffend  hervorhebt,  nur  die  gesetzteren  Schiller  zu  interessie- 
ren  geeiguet  ist. 

Die  auf  dem  Auswendiglernea  beruhende  Methode  mag  im  Privat- 
unterricht  unter  Umstanden  bfauchbar  sein,  kann  aber  fur  den  Schul- 
unterricht kaum  in  Betracht  kommen. 

Ferner  die  Konversationsmethode.  Konversation  wird  ausschliess- 
lich  gepflegt  oder  ist  wenigstens  das  Hauptunterrichtsmittel,  neben  wel- 
chem  Lesen  und  Schreiben  in  ziemlichem  Umfange  geiibt  werden  kon- 
nen, wogcgen  die  Grammatik  nur  stiefmiitterlich  behandelt  wird.  Der 
jetzt  in  Amerika  bliihende  Betrieb  der  Konversationsmethode  scheint  auf 
Gottlieb  Heness  zuriick/ugehen,  der  sie  seit  dem  Jahr  1866  anwendete. 
Der  Hauptmangel  der  Methode  ist  natiirlich,  dass  sie,  ebenso  wie  die  vor- 
her  besprochenen,  in  der  Kegel  nicht  imstande  sein  wird,  dem  Schiiler 
Prazision  im  Gebrauch  der  Sprache  beizubringen. 

Schliesslich  kommen  wir  zu  den  modernen  vervollkommneten  For- 
men  der  natiirlichen  Methode,  d.  h.  denjenigen,  die  zwar  das  Sprechen 
als  Gnmdelement  des  Unterrichts  verwenden,  dabei  aber  ohne  Einseitig- 
keit  auch  die  iibrigen  Seiten  des  Sprachstudiums  sorgfaltig  pflegen,  und, 
ohne  ihren  iiberwiegend  konkreten  Charakter  aufzugeben,  durch  syste- 
inatische  und  exakte  Einubung  der  Sprache  die  sonst  der  natiirlichen 
Methode  anhaftende  Unvollkommenheit  iiberwinden.  Diese  Methoden 
fiind  seit  ungefahr  1875  ausgebildet  worden.  Zwei  davon  sind  besonders 
wichtig.  Die  eine  wurde  von  dem  Franzosen  Goiiin  erfunden  und  dann 
in  England  von  Swan  und  Betis  unter  dem  Namen  der  psychologischen 


Ueber  die  natilrliche  Metbode  im  deutscben  Unterricht.  331 

Methode  weiter  ausgebildet  und  verandert.  Zu  einer  Beschreibung  der 
Methode  fehlt  mir  die  Zeit,  ich  verweise  daher  auf  die-im  ,,Report  of  the 
Committee  of  Twelve"  (Heath&Co.,  Preis  15  Cents),  Seite  20,  angefiihrte 
Literatur  und  bemerke  nur,  dass  an  dem  System  manches  Gute  und  man- 
ches  sehr  Geistreiche  ist,  dass  es  als  Ganzes  mir  aber  nicht  einleuchtet, 
und  dass  die  anseheinend  damit  erzielten  bedeutenden  Erfolge  wohl 
hauptsachlich  von  dem  herriihren,  was  dem  System  mit  andern  natiirli- 
chen  Methoden  gemeinsam,  nicht  von  dem,  was  ihm  eigentiimlich  ist. 
Die  andere  vervollkommnete  Methode  ist  die  in  den  letzten  zwanzig  Jah- 
ren  in  Deutschland  aitfgekommene  und  jetzt  dort  entschieden  vorherr- 
schende.  Sie  wird  in  Deutschland  selbst  meist  einfach  ,,die  neue"  ge- 
nannt;  ich  mochte  sie  ,,die  deutsche"  nennen;  sehr  ungeeignet  erscheint 
mir  dagegen  die  ebenfalls  gebrauchliche  Bezeichnung  als  ,,phonetische 
Methode",  ungeeignet,  weil  der  phonetische  Unterricht,  obwohl  eine  sehr 
verniinftige  ISTeuerung,  durchaus  nicht  das  hauptsachlich  Charakteristi- 
sche  der  Methode  ist,  und  weil  der  Ausdruck  den  ganz  falschen  Eindruck 
erweckt,  als  hatten  wir  es  hier  mit  einer  sehr  speziellen  Technik  zu  tun. 
1m  Gegensatz  namlich  zu  Gouins  System,  worin  Lesestoff,  Lehrgang, 
Lehrverfahren  bis  ins  einzelne  festgestellt  und  vorgeschrieben  sind,  ist 
die  deutsche  Methode  vielmehr  eine  allgemeine,  freie,  elastische, 
die  sich  in  hundertfal  tiger  Verschiedenheit  gestalten  und  anwenden 
lasst.  Sie  beruht  erstens  auf  Venvendung  aller  in  den  friiheren  natiir- 
hchen  Methoden  enthaltenen  wertvollen  Elemente;  zweitens  auf  Ver- 
bindung  der  konkreten  Unterrichtsweise  mit  griindlicher  systematischer 
Durcharbeitung  und  Einiibung;  drittens  auf  eifriger  Pflege  des  aktuellen 
Elements  mittels  Anschauung  und  mittels  Realien.  Die  deutsche  Methode 
ist  meines  Erachtens  entschieden  die  vollkommenste  Form,  die  der  Un- 
terricht in  den  modernen  Sprachen  bisher  angenommen  hat.  Hinreichend 
eingehende  Belehrung  iiber  sie  findet  man  in  dem  schon  erwahnten 
Biichlein  von  Mary  Brebner;  und  wie  die  Methode  (die  in  Deutschland 
natiirlich  hauptsachlich  im  englischen  und  franzb'sischen  Unterricht  ge- 
braucht  wird)  auf  den  Unterricht  im  Deutschen  anzuwenden  ist,  ist  sehr 
gut  gezeigt  im  Abschnitt  iiber  die  neueren  Sprachen  in  ,,The  Aims  and 
Practice  cf  Teaching"  von  Frederic  Spencer  (1897). 

Soviel  iiber  die  verschiedenen  naturlichen  Methoden.  Ich  habe  den 
Gegenstand  meines  Vortrages  noch  lange  nicht  erschopft,  verschiedene 
\vichtige  Punkte  sind  noch  unberiihrt;  doch  will  ich  Ihre  Geduld  nur 
noch  fiir  einen  davon  in  Anspruch  nehmen.  Es  fragt  sich  namlich 
schliesslich,  wie  und  in  welchem  Umfange  es  fur  uns  amerikanische  Leh- 
rer  des  Deutschen  ratlich  ist,  die  natiirliche  Methode  in  unserer  eige- 
nen  Praxis  anzuwenden.  Meines  Erachtens  hatte  es  wenig  Sinn,  Ihnen 
irgend  eine  der  besprochenen  Einzelmethoden  zur  Aneignung  in  toto  zu 
empfehlen.  In  mannigfacher  Beziehung  sind  die  Verhaltnisse  von  Fall 


332  Pddagogiscbe  Monatshefte. 

zu  Fall  so  \erschieden,  dass  eine  jede  spezifische  Empfehlung  derart  fiir 
sehr  viele  Falle  das  Angeraessene  verfehlen  wurde.  Hit  aller  Entschie- 
denheit  mochte  ich  dagegen  die  naturliche  Methode  im  allgemeinen  als 
Gregenstand  aufmerksamer  Priifung  und  eklektischer,  auswahlender  Be- 
nutzung  jedem  Lehrer  des  Deutschen  empfehlen.  Wem  die  naturliche 
Methode  in  ihrer  radikalsten  Form,  mit  volliger  Ausschliessung  der  ab- 
strakten  Grammatik,  des  tibersetzens  u.  s.  w.  nicht  passt,  braucht  ja  nur 
dieee  radikalen  Ziige  wegzulassen,  und  60  kann  man  iiberhaupt  von  der 
natiirlichen  Methode,  soviel  man  fiir  gut  halt,  annehmen  und  im  iibrigen 
dem  traditionellen  Verfahren  treu  bleiben.  Und  ich  mochte  besonders 
darauf  hinweisen,  dass  auch  schon  eine  quantitativ  geringe  Beimischung 
von  natiirlichen  Elementen  als  ein  wohltatiger  Sauerteig  zur  Belebung 
des  ganzen  Unterrichts  wirken  kann;  und  ferner,  dass  Bekanntschaft 
mit  der  naturlichen  Methode  den  Lehrer,  auch  wenn  er  die  bisher  von 
ihm  angewandte  Lehrmethode  in  ihrer  aussern  Form  nicht  wesentlich 
andert,  doch  zu  verbesserter,  anregender  und  gedeihlicherer  Behandlung 
der  alten  Methode  befahigen  diirfte. 


Berichte  und  Notizen. 


I.     Der  43.  Nationale  Lehrertag  zu  Boston. 


(FUr  die  Patlagofrischen  Monatshefte.) 


Von  B.  A.  Abrants,  Milwaukee,  Wis. 


Von  dem  kleinen,  g-emiitlichen  und  gastfreien  Erie  und  dem  kleinen, 
gremiitlichen  deutschamerikanischen  Lehrertage  trug  mich  das  Dampfross 
uach  der  an  miichtigen  geschichtlichen  Erinnerungen  reichen  Metropole 
der  Neu-Englandstaaten,  Boston,  ,,an  island  of  intellect  surrounded  by  the 
world."  Erie  und  Boston!  Welch  gewaltiger  Gegensatz!  Dort  ein  kleines 
Hauflein  deutschamerikanischer  Lehrer,  das  in  einem  Dutzend  Sitzreihen 
in  einem  massig  grossen  Versammlungssaale  bequem  untergebracht 
werden  konnte,  hier  ein  Heer  von  xiber  dreiunddreissig  Tausend  Lehrern 
xind  Erziehern  aus  alien  Teilen  unserer  grossen  Republik,  —  dort  ein  ziem- 
lich  magerer  Kiichenzettel,  der  noch  dadurch  geschmalert  wurde,  dass  ein 
Teil  der  versprochenen  geistigen  Gerichte  gar  nicht  aufgetragen  wurde, 
hier  Fiille  und  uberfiille  von  Vortriigen,  Berichten  und  Debatten. 

Von  den  meisten  seiner  Vorganger  unterscheidet  sich  der  Bostoner  Leh- 
rertag  in  einem  wichtigen  Punkte.  Fast  alle  amerikanischen  Stadte,  die 
sich  um  die  Ehre  bewerben,  den  Nationalen  Amerikanischen  Lehrerbund 
beherbergen  zu  diirfen,  denken  nicht  ausschliesslich  an  den  mit  grossen 
Zusammenkiinften  verbundenen  Gewinn  an  Geld  und  Ansehen,  sie  hegen 
auch  die  Hoffnung,  dass  Tagungen  dieser  einflussreichen  Korperschaft  be- 
fruchtend,  belebend  und  anregend  auf  ihr  eigenes  Schulwesen  wirke.  In 
Boston  ist  der  Lehrertag  nicht  der  gebende,  sondern  der  empfangende 
Teil.  In  alien  Strassen,  Gassen  und  Winkeln  der  alten  Baystadt,  in  Con- 


Der  43.  Nationale  Lehrertag  %u  Boston.  333 

cord,  Lexington,  Cambridge,  Plymouth  und  liberal!,  wo  ein  Monument,  ein 
Grab,  ein  Hiiuschen  oder  ein  Name  Erinnerungen  wachruft  an  die  jungen 
Tage  der  ersten  Ansiedlungen,  an  die  ruhmvollen  Kiimpfe  des  Befreiungs- 
krieges,  im  stillen  Hause  Longfellows,  in  den  weiten  Salen  der  Harvard- 
Universitat,  in  Museen  und  Gallerien,  Bibliotheken  und  Schulen  —  iiberall 
sah  man  Dutzende,  Hunderte,  oft  Tausende  von  gelben,  roten,  blauen  und 
weissen  Abzeichen,  deren  Trager  oder  Tragerinnen  mit  Notizbuch  und 
Bleistift  be  waff  net,  die  Spuren  vergangener  Tage,  Taten  und  Ereignisse 
mit  beharrlichem  Fleisse  verfolgten.  So  ist  es  diesesmal  der  Tagungsort, 
der  anregend  und  befruchtend  auf  den  Besucher  wirkt. 

So  oft  ich  nach  Chicago  komme,  gibt  mir  ein  wohlmeinender  Freund 
den  Rat:  Vergessen  Sie  ja  nicht,  unsere  Viehhofe  und  Schlachthauser  zu 
besuchen.  In  Boston  ist  die  erste  Frage:  ,,Wie  gefallt  Ihnen  unsere  Stadt?" 
Die  zweite  ganz  bestimrat:  ,,Haben  Sie  schon  Harvard  und  die  neue  Biblio- 
thek  besucht?"  Der  Bostoner  ist  stolz  auf  seiii  Gemeinwesen  und  freut 
sich  herzlich,  wenn  der  fremde  Besucher  sich  lobend  iiber  die  Stadt,  die 
Bildung  seiner  Bewohner  und  die  Schonheit  der  offentlichen  Gebaude  aus- 
spricht.  ,,Ich  danke  Ihnen  im  Namen  meiner  Heimatstadt,"  entgegnete 
mir  mit  einer  wiirdevollen  Verbeugung  ein  Mitglied  der  Bostoner  Feuer- 
wehr,  dessen  Frage:  ,,Welchen  Eindruck  hat  Boston  auf  Sie  gemacht?"  ich 
in  passender  Weise  beanwortet  hatte.  ,,Unsere  Waschfrau  und  unser 
Dienstmadchen  sind  Abiturienten  der  Hochschule,"  sagte  mir  eine  in  Cam- 
bridge wohnende  Dame.  Doch  ich  wollte  ja  iiber  den  Lehrertag  berichten. 
Als  Augenzeuge  kann  ich  es  vielleicht;  als  Ohrenzeuge,  kaum.  Wenn  ich 
den  Lesern  der  ,,P.  M."  sage,  dass  taglich  elf  Versamnilungen  an  verschie- 
denen  Orten  abgehalten  und  durchschnittlich  75  Vortrage  gehalten  wurden, 
bei  Temperaturverhiiltnissen,  die  den  Aufenthalt  im  geschlossenen  Raume 
fast  unertraglich  machten,  werden  sie  wohl  begreifen,  dass  ein  sich  auf 
eigenes  Horen  stiitzender  ausfiihrlicher  Bericht  nicht  erwartet  werden 
kann.  Lebhaft  im  Gediichtnisse  ist  mir  die  erste  Hauptversammlung  am 
Abende  des  sechsten  Juli  in  dem  machtigen  Saale  des  ,,Mechanic"  Gebaudes 
geblieben.  tiber  90  Grad  Hitze;  4500  Sitzplatze  st&nden  zur  Verfiigung  und 
waren  schon  um  halb  acht  Uhr  besetzt.  uber  dreitausend  Giiste  mussten 
sich  mit  Stehpliitzen  begniigen,  darunter  war  ich,  und  iiber  dreitausend 
machten  heldenhafte,  aber  vergebliche  Anstrenguogen  in  den  Saal  zu  ge- 
langen,  den  grossten  .geschlossenen  Versammlungsort  in  den  Neuengland- 
staaten.  Der  prangte  im  herrlichsten  Festschmuck.  Auf  der  Biihne  sassen 
die  hervorragendsten  Erzieher  der  Vereinigten  Staaten.  tiber  ein  Dutzend 
Universitatspriisidenten,  Staatsschulsuperintendenten  xind  andere  hohe 
Wurdentrager  vom  Reiche  des  Erziehungswesens  umringten  als  glanzende 
Sterne  den  hochsten  Beamt^n  des  Lehrerbundes,  den  Prasidenten  Eliot  von 
der  Harvard  Universitat;  und  den  bedeutenden  Schriftsteller  und  Kanzel- 
redner  Edward  Everett  Hale;  der  das  Eroffnungsgebet  pprach.  Im  Hin- 
tergrunde  ein  Chor  von  hundert  Stimmen  und  ein  grosses,  fiinfzig  Instru- 
mente  umfassendes  Orchester.  Mit  einer  eindrucksvollen  Ansprache,  deren 
Wirkung  keine  Einbusse  erlitt  durch  den  Umstand,  dass  sie  nur  drei  Mi- 
nuten  in  Anspruch  nahm,  begriisste  Gouverneur  Bates  von  Massachusetts 
die  versammelten  Erzieher  Amerikas,  ,,welche  die  dunkelsten  Orte  mit 
Licht  erfiillen,  die  das  Schwert  fiihren,  um  den  Aberglauben  zu  bekampfen, 
und  Speere  zur  Vernichtung  der  Feinde  der  Republik".  Er  begi-iisste  die 
Lehrer  im  Namen  des  Staates,  ,,vor  dessen  vornehmstem  Amtsgebaude  das 
Denkmal  von  Horace  Mann  als  leuchtendes,  bedeutsames  Sinnbild  prangt." 


334  Pddagogische  Monatshefte. 

Gleich  kurze  und  packende  Ansprachen  hielten  noch  der  Biirgermeister  der 
Stadt  Boston  und  der  President,  der  sich  eines  hohen  Rufes  erfreuenden 
technischen  Hochschule.  ,,Im  Namen  der  Nation,  in  deren  Schulen  im 
laufenden  Jahre  siebzehn  Millionen  Lernbeflissene  \mterrichtet  wurden," 
dankte  der  Nestor  der  amerikanischen  Lehrerschaft,  Dr.  W.  T.  Harris  von 
Washing-ton.  Der  Lehrerbund  ist  hierhergekommen,  sagte  er,  um  die  von 
der  edlen  Phantasie  der  hier  geborenen  Dichter  vergoldeten  Statten  ehr- 
furehtsvoll  zu  betrachten.  Andere  Reden  folgten.  President  Eliot  behan- 
delte  in  eineni  langeren,  gediegenen  Vortrag  das  Thema:  ,,The  New  Defini- 
tion of  the  Cultivated  Man",  und  mit  einer  prachtigen  Wiedergabe  der 
Weberschen  Jubelouverture,  deren  Schlussakkorde  von  dem  miichtigen 
Stimmenchor  der  zehntausend  Zuhorer,  die  stehend  die  erste  Strophe  von 
,,My  country  'tis  of  thee"  sangen,  iibertont  wurde,  schloss  die  Eroffnungs- 
feier.  Die  wirkliche  Arbeit  begann  am  zweiten  Tage.  Nur  die  Vormittage 
und  die  Abende  waren  den  Geschaften  und  Vortrjigen  gewidmet,  iiber  die 
Nachmittage  konnte  man  frei  verfiigen.  Mein  erster  Besuch  gait  dem 
Germanischen  Museum,  dessen  geistige  Urheber  die  Leiter  der  deutschen 
Abteilung  an  der  Harvard  Universitat  sind,  und  dessen  vornehmster 
Schmuck  die  Gaben  des  deutschen  Kaisers,  herrliche  Abgiisse  der  edelsten 
Erzeugnisse  der  deutschen  plastischen  Kunst  aus  dem  Mittelalter  und  dem 
letzten  Jahrhundert  bilden.  Das  Museum  befand  sich  zur  Zeit  meines  Be- 
suches  in  einem  unfertigen  Ztistande.  Man  war  gerade  beim  Aufstellen  der 
Kunstwerke,  ein  Katalog  war  noch  nicht  zu  haben,  die  deutschen  Profes- 
soren  weilten  ausserhalb  der  Stadt;  ein  eingehender  Bericht  iiber  diese 
Schopfung,  der  die  hohe  Bestimmung  zufallt,  ein  geistiges  Band  um  die  Ab- 
kommlinge  der  germanischen  Stilmme  zu  schlingen,  muss  deshalb  axif  einen 
spateren  Zeitpunkt  verschoben  werden. 

Wenn  ich  von  den  vielen  Abteilungsversammlungen  des  ersten  Ge- 
schaf  tstages  die  Sitzutig  der  Abteilung  f iir  Handf ertigkeitsunterricht  be- 
snchte,  so  ist  diese  Bevorzugung  lediglich  auf  den  Umstand  zuriickzufiih- 
ren,  dass  in  dem  betreffenden  Saale  eine  Sitzgelegenheit  frei  war.  Die  her- 
vorragendsten  der  an\vesenden  Vertreter  des  Handfertigkeitsunterrichtes 
waren  die  bekanhten  Herren  Calvin  D.  Woodward  von  St.  Louis  und  der 
schoii  frtiher  erwahnte  Leiter  der  Bostoner  technisehen  Hochschule,  Henry 
S.  Pritchett.  Dr.  Woodward  verlangt  eine  Ausdehnung  des  Lehrplanes  der 
Sekunrlarschulen,  \im  die  Forderung  zu  befriedigen,  die  Schule  in  Einklang 
zu  bringen  mit  dem  modernen  Leben,  modernen  Bedingungen  und  moder- 
ner  Verantwortlichkeit.  ,,Wenn  ein  Knabe  weiss,"  meint  er,  ,,dass  das 
Wesen  der  Elektrizitat,  des  Danripfes  und  der  Warme,  die  Kunst  der  Zeich- 
nungsentwiirfe  ohne  grossere  Anstrengung  und  in  kiirzerer  Zeit  verstan- 
den  werden  konnen,  als  notig  ist,  eine  Grammatik  dem  Gedachtnisse  ein- 
zuverleiben,  oder  Demosthenes  ohne  Worterbuch  lesen  zu  konnen,  und 
wenn  er  weiss,  dass  die  ersteren  Gegenstande  ihm  in  seiner  spateren  Lauf- 
bahn  von  Nutzen  seih  konnen,  wird  er  sie  wahlen,  wrenn  er  die  Gelegenheit 
dazu  hat,  und  unsere  Aufgabe  ist  es,  ihm  diese  Gelegenheit  zu  verschaffen. 
Es  ist  erstaunlich,  vine  eng  die  Fessel  der  iiberlieferung  uns  noch  gefangen 
halt.  Wir  halten  es  fur  wertvoller,  mit  der  Mythologie  Griechenlands  ver- 
traut  zu  sein,  als  mit  der  Tatsache,  dass  Edison  das  Gliihlicht  erfunden 
und  uns  in  den  Stand  gesetzt  hat,  eine  Stadt  aus  einer  Entfernung  von 
zwanzig  Meilen  zu  beleuchten;  und  doch  ist  es  uns  bekannt,  dass  die  My- 
then  ein  schones  Lligeiigewebe  bilden,  wahrend  das  Letztere  auf  Wahrheit 
beruht. 


Korresponden^en. 


335 


Eine  hochst  interessante  Sitzung  fand  am  Abend  des  zweiten  Tages 
in  der  ,,Chickering  Hall"  statt.  Klassenlehrer  der  Volksschulen  bildeten  die 
Versammlung,  und  die  materielle  Lage  der  V7olksschnllehrer  war  das  wich- 
tige  Thema.  Der  Nationale  Lehrerbund,  dessen  Leiter  und  einflussreiche 
Wortfiihrer  der  diinnen  Eeihe  hochsalarierter  Schulmanner  angehoren, 
hatte  sich  bis  zur  Bostoner  Tagung  stets  geweigert,  fiir  die  Aufbesserung 
der  niedrigen  Ge halter  der  Volksschullehrer  einzutreten.  Unter  der  Fiih- 
rung  tat  kraf  tiger  Vertreterinnen  der  Klassenlehrerinnen  ist  ein  Nationaler 
Vereinsverband  ins  Leben  getreten,  dem  es  in  Boston  gelang,  den  Lehrer- 
bund zu  verpflichten,  sich  mit  der  Gehaltsfrage  zu  beschiiftigen.  Aus  man- 
ehen  Reden,  die  ich  in  ,,Chickering  Hall"  horte,  klangen  Tone  des  Kampfes 
tmd  der  Emporung  gegen  die  aristokratische  Leitung  des  Lehrerbundes, 
dessen  Ziele  und  Bestrebungen.  Ein  Redner  entfesselte  einen  wahren  Bei- 
fallssturm  durch  die  Erklarung,  es  sei  eine  Schande  fiir  das  amerikanische 
Volk,  dass  es  dulde,  dass  man  den  Volksschullehrern  Hungerlohne  zahle. 
Der  Korper  konne  nicht  gekleidet  und  geniihrt  werden,  der  Geist  miisse 
hungern  bei  einem  Durchschnittslohn  von$270  fiir  die  weiblichen  Lehr- 
krafte.  In  seiner  Schlusssitzung  beschloss  der  Lehrerbund  eine  Summe 
von  $1500  fiir  Sammlung  statistischen  Materials  iiber  Lohnverhaltnisse 
auszuwerfen  und  der  Gehaltsfrage  —  zum  ersten  male  in  seiner  Geschichte 
—  einen  hervorragenden  Platz  auf  dem  Programm  der  nachstjahrigen 
Tagung  anzuweisen.  (Fortsetzung  folgt.) 


II.     Korrespondenzen.* 

(Fiir  die  Padagogischen  Honatshefte. ) 


Ba  timore  und  Ocean  City. 

Mit  der  Mitte  September 
wurden  die  Tiiren  uud  Toren  unse- 
rer  offentlichen  Tagschulen  fiir  das 
neue  Schuljahr  geoffnet  —  die 
Abendschulen  beginnen  einen  Monat 
spater  — ,  der  Schiilerandrang  war 
aber  nicht  so  gross,  als  erwartet 
werden  durfte.  Am  Ende  der  ersten 
Woche  hatten  zwar  die  Hochschulen 
2,820  Zoglinge  uufzuweisen,  gegen 
2,523  zur  selben  Zeit  des  vorherge- 
henclen  Jahres,  dagegen  blieb  die 
Schiilerzahl  an  den  Elementarschu- 
len  hinter  der  des  Vorjahres  zuriick, 
dieselbe  betrug  damals  65,138,  dies- 
mal  aber  nur  61,518.  Man  kann  in- 
dessen  erwarten,  dass  sie  iin  Okto- 
ber  auf  70,000  steigen  wird.  Die  zehn 
englisch-deutschen  Schulen  haben 
keine  Schulerverminderung  aufzu- 
weisen,  so  zahlte  die  des  Schreibers, 
die  grosste  aller  hiesigen  Schulen, 
am  Ende  der  ersten  Woche  schon 
1,550  Zoglinge.  Die  Arbeit  ist  nun 


*  Einige  dieser  Korrespondenzen 
befanden  sich  bereits  seit  Anfang 
September  im  Satz,  konnten  jedoch 
wegen  Mangel  an  Raum  nicht  in  dem 
vorigen  Hefte  zur  Aufnahme  ge- 
langen.  D.  R. 


in  vollem  Gang,  ihm  wird  sie  erleich- 
tert  durch  die  Erinnerung  an  die 
vergangene  Ferienzeit. 

Und  schon  war  sie,  diese 
Ferienzeit.  —  Am  Beginn  der- 
selben  hatte  Schreiber  den  Genuss, 
auf  dem  Lehrertag  zu  Erie  mit 
strebsamen  Kollegen  und  Kollegin- 
nen  zusammen  zu  sein  und  durch 
'sie  neue  Anregungen  und  neuen 
Schaffensmut  zu  gewinnen,  dann 
reiste  er  iiber  Pittsburg,  woselbst 
einen  kostlichen  Tag  im  trauten  El- 
ternhause  unseres  gemiit-  und  geist- 
vollen  Kollegen  Ferren  eingekehrt 
wurde,  nach  Ocean  City,  Maryland, 
132  Meilen  ostlich  von  Baltimore, 
und  dort  bewohnte  er  mit  seiner 
Familie  iiber  zwei  Monate  ein  Som- 
merhaus,  80  Schritte  vor  sich  den 
brandenden  Ozean,  und  300  Schritte 
hinter  sich  die  stille  Sinepuxent  Bai. 
Obgleich  fiir  diese  schmale  Insel, 
eine  et-wa  60  Meilen  lange  Sand- 
dune,  in  die  der  Ort  eingepfahlt  ist, 
die  Uhlandschen  Worte  gelten: 
Kein  Baum  verstreuet  Schatten, 
Eein  Quell  durchdringt  den  Sand, 
so  bot  doch  der  Aufenthalt  daselbst 
gar  seltene  Reize.  Vor  allem  konnte 
man  sich  ganz  und  gar  dem  Genuss 
der  wunderbaren  Ozeannatur  hinge- 


336 


Pddagogische  Monatshefte. 


ben,  ungestort  durch  Frivolitaten 
oder  Modervicksichten.  Der  Ort  hat 
in  der  Hohe  der  Saison  kaum  1800 
Gaste,  und  ausserhalb  dieser  1st  er 
ein  einfaches  Fischerdorf.  Jeden 
Tag  der  Woche  fahren  die  Fischer 
bei  Sonnenaufgang  in  ihren  offenen 
Boten  hinaus  auf  die  See,  manche  15 
Meilen  \veit,  ausser  Sicht  des  Lan- 
des,  und  ein  Gast  1st  ihnen  dabei 
stcts  willkommen.  Freilich  mxiss 
man  bei  der  Fahrt  durch  die  unver- 
meidliche  Brandung  gewartig  sein, 
gehorig  iiberschiittet  zu  werden,  und 
auf  dem  Ozean  darf  man  auch 
manch  derben  Puff  erwarten,  doch 
trifft  man  dort  draussen  so  manches 
Neue  und  Wunderbare,  und  beina 
Heimkommen  schmeckt  dann  auch 
das  Essen  um  so  besser.  Am  Harpu- 
nieren  liistiger  Storenfriede,  wie 
Hammerhaie,  Hundehaie  und  Men- 
schenbaie,  die  alle  sehr  zahlreich 
vorkoik»»«ien,  liessen  die  Bootfiihrer 
ihren  fast  taglichen  Gast  gerne  teil- 
nehnwn,  so  ungeschickt  er  sich  auch 
dabei  oft  zeigte;  er  bewahrt  jetzt 
den  ScUwanz  eines  zwolf  Fuss  Ian- 
gen  Menschenhaies,  welch  letzterer 
ihm  bedeutende  Aufmerksamkeit  ge- 
zeigt  hatte.  Einen  weiteren  Genuss 
verschaffte  er  sich  durch  Fusstou- 
ren  im  Badeanzug,  barfuss  und  ohne 
Kopfbedeckung,  langs  des  einsamen 
Strandes,  eine  davon  debute  sich 
euf  zwolf  Meilen  aus.  Unterwegs 
wurde  gelegentlich  ein  Erfrisch- 
ungsbad  genommen,  ohne  Badean- 
zug. 

Die  an  dieser  ausgesetzten  Kiiste 
ohnehin  hohe  Brandung  nahm  bei 
der  diesen  Sommer  ungewohnlich 
stiirmischen  Witterung  oft  gewal- 
tige  Dimensionen  an,  ein  die 
Seele  iiberwaltigender  Anblick  — 
das  regelmassige  Bad  wurde  darum 
aber  immerhin  nicht  unversucht  ge- 
lassen,  fein  fiirsichtiglich  natiirlich, 
der  Genuss  wurde  aber  beeintrach- 
tigt,  als  bei  einer  Gelegenheit  die 
lAusliiufer  der  Ozeanwellen  an  eini- 
gen  Stellen  iiber  die  flache  Insel  weg 
in  die  Bai  dahinter  getrieben  wur- 
den.  So  wurde  im  steten,  innigen 
Verkehr  mit  der  Xatur  an,  auf  und 
in  dem  Ozean  der  Schulstaub  griind- 
lich  weggeblasen  und  abgespiilt,  die 
Erinnerung  an  die  Freunde  blieb 
aber  frisch,  oft  gedachte  Schreiber 
derer,  mit  denen  er  auf  dem  Lehrer- 
tag  verkehrt  hatte,  und  vergass 
auch  die  nicht,  die  er  auf  demselben 
gern  gesehen  hatte. 

Wie  die  Ferien  durch  den  Lehrer- 
tag  einen  so  schonen  Anfang  gehabt 
hatten,  so  gewannen  sie  durch  den 


Konvent  des  Deutschame- 
rikanischen  National- 

bun  d  e  s  einen  gleich  wiirdigen  Ab- 
schluss.  Es  waren  gesinnungstreue 
Manner  deutschen  Stammes  aus  den 
verschiedensten  Teilen  des  weiten 
Landes,  Manner  aus  den  verschie- 
densten Lebensstellungeu  und  Be- 
rufen,  unter  ihnen  auch  Vertreter 
unseres  Lehrerbundes  xind  Lehrer- 
seminars,  die  sich  in  Baltimore  vom 
12.  bis  15.  September  zu  ernster,  ziel- 
bewusster  Arbeit  vereinigt  hatten. 
iiber  diese,  sowie  iiber  die  bereits 
errungenen  Erfolge  der  vor  erst 
zwei  Jahren  begonnen  deutschameri- 
kanischen  Bewegung,  werden  die 
Monatshefte  einen  Bericht  bringen. 
Endlich  ist  auch  der  deutsche  Michel 
in  Amerika  aus  dem  Schlaf  geriittelt 
worden. 

Die  Nationalkonvention  hat  die 
Veranlassung  zur  Bildung  eines  Ver- 
eins  in  hiesiger  Stadt  gegeben,  der 
sich  aie  schone  Aufgabe  gestellt  hat, 
durch  Pnege  deutscher  Literatur 
und  Kunst  anregend  und  befruch- 
tend  zu  wirken.  Zweck  und  Ziele  der 
Gesellschaft  sind  in  folgendem  Pa- 
ragraphen  der  Statuten  klargelegt: 

,,Tn  Erwagung,  dass  das  Deutsch- 
tum  eine  bestimmte  Kulturaufgabe 
zu  erfiillen  berufen  und  gewillt  isi, 
und  dass  diese  in  erster  Linie  auf 
peistigem  Gebiete  stets  gelegen  hat 
und  weiter  liegen  wird,  dass  aber  im 
Deutschtum  der  Vereinigten  Staaten 
dies  hohere  Streben,  um  dessentwil- 
len  allein  es  fiiglich  berechtigt 
ist,  die  deutsche  Sprache  im  Lande 
zu  erhalten,  bisher  nicht  geniigend 
zrm  Aur>druck  gekommen  ist,  hat 
sich  in  Baltimore,  Md.,  die  ,,Gesell- 
schaft  fiir  deutsche  Literatur  und 
Kunst"  hegriindet.  Sie  verfolgt  den 
Zweck,  dem  Deutschtum  in  AmeriKa 
einen  tieferen,  dauernd  lebensfahi- 
gen  Inhalt  zu  geben  durch  die  Pflege 
deutscher  Literatur  und  Kunst  und 
das  Deutschtum  zu  einer  geistigen 
Macht  zu  bringen,  welche  richtung- 
gebend  auf  die  Kultur  des  Landes 
einwirken  kann  und  will.,, 

Gliickauf!  S. 

Boston. 

,,Harvard  University",  die  alteste, 
gri'sste  und  beriihmteste  Universi- 
tat  Amerikas,  woselbst  deutsche 
Wissenschaft  und  deutsche  Geistes- 
kultur  mehr  wie  sonst  wo  in  diesem 
Lande  gehegt  und  gepflegt  werden, 
hat  einen  neuen  Fortschritt  aufzu- 
weisen,  indem  nun  auch  ein  Kursus 


Korresponden^en. 


337 


fur  technische  Forstkultur  nnter 
Leitung  beriihmter  Fachmanner  ein- 
gefiihrt  worden  ist.  Derselbe  um- 
fasst  ausser  dem  Elementarunter- 
richt  in  Botanik,  Geologie  und  Zoo- 
logie,  auch  Physik,  Chemie,  Trigono- 
metrie,  Deutsch  und  Franzosisch. 

Zum  Anschauungsunterricht  in 
diesen  Wissenschaften  enthalt  das 
Universitatsmuseum  Gegenstande 
von  enormem  Werte.  Erwahnt  sei 
nur  die  Sammlune1  kunstvoller  Glas- 
nachahmungen  einheimischer  Pflan- 
zen,  Blumen,  Friichte,  Getreide  u.  s. 
w.,  die  von  einem  Bohmen  namens 
Leopold  Blaschka,  und  dessen  Sohn 
Rudolph  hergestellt  wurden. 

Es  ist  erstaimlich,  init  welcher 
Genauigkeit  die  Erzeugnisse  der 
Mutter  Erde  in  Farbe,  Grosse  und 
alien  Bestandteilen,  bis  zum  winzig- 
jsten  Staubfadchen  getreu  nachge- 
bildet  sind.  Man  meint,  die  Zweige 
mit  Knospen,  Bliiten,  Friichten  und 
Blatterschmuck  waren  erst  soeben 
von  den  Stauden  im  Freien  geschnit- 
ten.  Als  eine  Sendung  ,,Golden  Rod" 
ausgepackt  wurde,  glaubte  man,  es 
ware  auf  irgend  eine  Weise  Staub 
hineingeraten  und  beim  Versuch, 
denselben  zu  entfernen,  stellte  sich 
tjeraus,  dass  der  geniale  Kiinstler 
die  stolze  Feldblume  gerade  so  an- 
gefertigt  hatte,  wie  er  sie  in  Ameri- 
ka  fand,  mitsamt  dem  Staub  am 
unteren  Teil  des  Stengels!  ^ 

Die  Sachen  sind  nicht  etwa  ange- 
strichen,  oder  bemalt,  sondern  die 
Farbe  ist  im  Glase  selbst  enthalten 
und  die  Zubereitung  dieser  Masse  ist 
Geheimnis  des  noch  lebenden  Soh- 
nes.  Der  altere  Hr.  Blaschka,  1822 
in  Aicha,  Bohmen,  geboren  und  1895 
gestorben,  war  der  Erfinder  dieser 
Mischung,  imd  da  sein  gegenwartig 
zu  Holsterwitz  im  Konigreich  Saeh- 
sen  \vohnender  Sohn  kinderlos  ist, 
wird  die  schone  Kunst  mit  ihm  wohl 
aussterben,  denn  er  hat  noch  nie- 
manden  dariiber  belehrt.  Seit  vie- 
len  Jahren  waren  Vater  und  Sohn 
ausschliesslich  fiir  das  Harvard- 
Museum  tiitig,  und  jetzt  sind  etwa 
3000  Exemplare  ihres  Fleisses  in  700 
Sehaukasten  ausgestellt.  Wie  miih- 
sam  die  Arbeit  ist,  mag  der  Leser 
daraus  schliessen,  dass  in  den  letz- 
ten  zwei  Jahren  nur  26  Stiick  anka- 
men.  Herr  R.udolph  Blaschka  kommt 
fast  jedes  Jahr  nach  Amerika,  er- 
halt  seine  Auf  trage  und  reist  dann 
nach  Deutschland  zuriick.  Die  von 
ihm  verlangten  Preise  werden  nie 


beanstandet.  Er  besorgt  auch  die 
Verpackung  der  zerbrechlichen 
Waren  selbst,  und  sie  kommen  ge- 
wohnlich  unversehrt  an.  A. 

Chicago. 

Wir  stehen  immer  noch  im  Z  e  i- 
chen  der  Examina.  Unser 
Schulsuperintendent  Herr  Cooley, 
von  dem  es  heisst,  dass  er  selbst 
nicht  eininal  ein  Prinzipals-Examen 
abgelegt  hat,  verlangt  von  alien  Leh- 
rern,  die  in  hohere  Gehaltsklassen 
aufriicken  wollen,  dass  sie  eine 
schwere  Priifung  bestehen.  Ferner 
verlangt  er  von  alien  Kandidaten  fiir 
Spezial-Lehrerstellen  im  Zeichnen, 
jSingen,  Tujrnen,  Kochkunst,  Hand- 
fertigkeitsunterricht,  dass  sie  eine 
umfassende  Fachpriifung  und  dann 
noch  ein  allgemeines  Lehrerexamen 
bestehen. 

Die  Friichte  zeigen  sich  schon.  Im 
Haiidfertigkeitsdepartement  werden 
iiber  ein  Dutzend  Lehrer  notwendig 
sein,  kein  Mensch  weiss,  woher  ^sie 
bekommen.  Wenn  einer  nicht  weiss, 
wann  die  Schlacht  bei  Marathon 
war,  kann  er  doch  den  Jungen  das 
Sagen  und  Hobeln  nicht  lehren.  Herr 
Cooley  gibt  schon  zu,  dass  er  ,,man- 
ual  training  teachers"  wird  anstellen 
miissen,  die  die  vorgeschriebene  Prii- 
fung nicht  abgelegt  haben.  —  Von 
den  Kandidaten,  die  die  Priifung  fur 
Turnlehrer  versucht  haben,  ist  kein 
Einziger  durchgekommen.  In  der 
Xormalschule  sieht  es  auch  traurig 
aus.  .  Nicht  mehr  die  Halfte  der  frii- 
heren  Anzahl  bereiten  sich  auf  den 
Lehrerberuf  vor,  da  die  Anforderun- 
gen  immer  hoher  wurden,  die  Be- 
zahlung  dagegen  eine  sehr  geringe 
geblieben  ist.  Im  Laufe  dieses 
Schuljahres,  oder  ganz  gewiss  im 
nachsten  tritt  in  Chicago  Lehrer- 
inangel  ein,  dann  \vird  man  hoffent- 
lich  wieder  zu  einem  verniinftigen 
System  der  Beforderung  zuriickkom- 
Imen,  das  meiner  Ansicht  nach  ohne 
die  Chikanen  einer  Priifung  durch- 
gefiihrt  werden  kann.  Wozu  sind 
a  lie  die  hochbezahlten  Prinzipale, 
Hilfssuperintendenten  u.  s.  w.  da, 
wenn  sie  nicht  bestimmen  konnen, 
welcher  Lehrer  tiichtig  ist  und  wel- 
cher nicht.  Eine  Priifung  ist  na- 
mentlich  den  alteren  Kriiften  gegen- 
iiber  eine  Ungerechtigkeit.  Und  wenn 
man  von  unseren  Lehrern  ver- 
langt, dass  sie  eine  Universitats- 
bildung  haben  sollen,  dann  soil  man 
sie  auch  dementsprechend  bezah- 
len. 

Mit  derSache  des  deut- 
sehen  Unterrichts  geht  es  bei 


338 


Pddagogische  Monatskefte. 


uns  riesig  schnell  bergab.  Vor  etwa 
15  Jahren  hat  der  damalige  deutsche 
Schulverein  an  Wells  Strasse  ein 
hiibsches  Gebaude  errichtet,  das 
heute  noch  den  stolzen  Titel 
"Deutsch-Englische  Schule  und  Aka- 
demie  fiihrt.  Bei  der  Einweihung 
desselben  wurden  herrliche  Reden 
gehalten,  die  von  Schlagwortern,  wie 
,,Pflege  desDeutschtums",  ,,Bildungs- 
Statte  dgutschen  Geistes",  ,,Hort  der 
Muttersprache"  u.  s.  f.  voll  waren. 
Ein  •  Dutzend  Jahre  hat  sich  die 
Schule  hingeschleppt,  die  Deutschen 
haben  sie  immer  mehr  im  Stich  ge- 
lassen,  bis  das  Gebaude  von  einem 
reichen  Backermeister  gekauft  und 
in  einen  Rossstall  umgewandelt 
\vurde!  Und  oben  steht  noch  in  Ter- 
rakottoschrift  ,,Deutsch  -  Englische 
Schule  und  Akademie"  wie  zum  Hohn 
auf  die  deutschen  Bestrebungen. 

Und  \vie  steht  es  mit  dem  deut- 
schen Unterricht  in  den 
offentlichen  Schulen?  Be- 
kanntlich  hat  unser  Superintendent 
voriges  Jahr  iiberall  zu  reformieren 
angefangen.  Unter  anderem  muss- 
ten  sich  die  deutschen  LehrKrafte 
einer  englischen  Priifung  unterzie- 
*nen,  die  die  meisten  von  ihnen  nicht 
bestehen  konnten.  Um  Lehrer  der 
deutschen  Sprache  zu  bekommen,  hat 
man  dann  deutsche  Priifungen  fiir 
englische  Lehrer  ausgeschrieben,  die 
durchaus  nicht  schwierig  waren. 
Aber  wie  es  mit  dem  Deutsch  man- 
cher  derselben  bestellt  ist,  kann  man 
Sich  denken. — Zudem  hat  die  dgut- 
sche  Lehrerin  auch'ihr  eigenes  (eng- 
lisches)  Zimmer  und  erteilt  nur 
deutsch  in  Form  von  Abteilungunter- 
richt. — Im  grossen  und  ganzen  kann 
man  heute  nach  einjahrigem  Experi- 
ment Ischon  mit  Bestimmtheit  sagen, 
dass  das  neue  System  sich  nicht  be- 
wahrt  hat  und  sich  wohl  anch  nicht 
bewahren  wird,  (und  dass  es  den  An- 
fang  vom  Ende  des  deutschen  Unter- 
richts  in  den  offentlichen  Schulen 
bedeutet. 

I  n  u  n  serer  Normalschule 
scheint  auch  vieles  faul  zu  sein.  Dem 
Leiter  wird  Parteilichkeit  vorgewor- 
fen  und  eine  Untersuchung  ist  ein- 
geleitet,  die  ihm  und,  wie  neulich 
eine  englische  Zeitung  meinte,  dem 
Herrn  Cooley  die  'Sttellung  kosten 
kann. 

Am  1.  ,T u  1  i  trat  im  Staate  Illi- 
nois ein  Gesetz  in  Kraft,  nach  wel- 
chem  alle  Kinder  im  Alter  von  6  bis 
14  Jahren  angehalten  sind,  40  Wo- 
chen  per  Jahr  die  Schule  zu  besu- 
chen.  Fiir  unentschuldigte  Versaum- 


nisse  trifft  den  Vater  oder  Vormund 
eine  Strafe  von  5  bis  20  Dollars  fiir 
jeden  Fall.  Wvinscht  ein  Kind  mit 
14  Jahren  zur  Arbeit  zu  gehen,  so 
muss  es  vom  Prinzipal  seiner  Schule 
ein  Zeugnis  beibringen,  dass  es  min- 
destens  fliessend  lesen  und  schreiben 
kann.  Ist  es  nicht  imstande,  diese 
Befahigung  aufzuweisen,  so  muss  es 
bis  zum  16.  Lebensjahre  in  die 
Schule  gehen.  —  Dasselbe  Gesetz 
verfiigt,  dass  junge  Leute  unter  16 
Jahren  nicht  an  gefahrlichen  Ma- 
schinen  und  nicht  langer  als  8 
Stunden  per  Tag  arbeiten  diirfen. 
Die  einfache  Anwesenheit  in  einer 
Fabrik  oder  einem  ,,shop"  wird  als 
Beweis  angesehen,  dass  das  Kind 
daselbst  arbeitet. 

Unser  Thomas-Orchester 
nahm  am  23.  und  24.  Okt.  seine  re- 
gelmassigen  Konzerte  wieder  auf. 
Auf  dem  ersten  Programm  standen: 

Huldigungsmarsch,  Wagner;  Vor- 
spiel,  Lohengrin,  Wagner;  Siebente 
Symphonic,  Beethoven;  Entr'  Acte — 
Symphonic,  Bruneau;  Sechs  Varia- 
tionen  iiber  ein  russisches  Thema, 
und  Ouverture  Le  carnival  Remain, 
Berlioz.  Wenigstens  5000  Personen 
wohnten  beidemale  dem  herrlichen 
Konzert  bei.  Leider  hat  das  Or- 
chester  noch  nicht  seine  eigene 
Halle.  Zum  Fonds  zur  Erbauung  ei- 
ner solchen  haben  beigesteuert: 

33  von  $5,000 — $10,000  —  $255,000.00 

44  von     1,000—     2,500  —       46,500.00 

201  von        100—     1,000  —       44,300.00 

2081  von  $100  oder  weniger     20,254.50 

5708    Clubs,   Vereine    etc   —   42,672.61 

Zusammen  8065  Verspre- 

chungen  in  der  Hohe  von  $408,727.11 
Die  Voranschlage  der  Kosten  der 
eigenen  Halle  sind  $725,000.  Hof- 
fen  wir,  dass  der  ,,schabige  Rest" 
cald  gezeichnet  sein  wird,  sonst  ver- 
lieren  wir  unser  herrlichstes  Or- 
chester,  das  je  in  Amerika  spielte. 

Ernes. 

Cincinnati. 

Frisch  geolt  und  neu  be- 
schlagen  hat  unser,  inf  olge 
weiterer  Annexionen  von  umliegen- 
den  Dorfern  wiederum  vergrossertes 
Schulfuhrwerk  seine  Zehnmonats- 
fahrt  in  der  ersten  Septemberwoche 
angetreten.  Das  unter  der  verflos- 
senen  Administration  als  veraltet 
und  zwecklos  in  die  Rumpelkammer 
geworfene  ,,Teachers  Institute" 


Kor t  esponden^en. 


339 


wurde  wieder  hervorgeholt  und,  wie 
friiher,  in  Betrieb  gesetzt,  so  dass 
wir  auf  ein  Jahr  mit  padagogischem 
Proviant  versehen,  frisch-fromm  ins 
Geschirr  gehen  konnten.  Die  Haupt- 
sache  ist  dabei,  dass  der  neue  Rosse- 
lenker  ohne  viel  Larmen  angesetzt 
und  in  seinem  Gespann  nur  gering- 
fiigige  Stellungsveranderungen  vor- 
genommen  hat.  Die  beiden  Hiilfs- 
lenker-Stellen  sind  eingegangen:  Der 
Schulsuperintendent  hat  keine  As- 
sistenzsuperintendenten  mehr;  er 
will,  unterstiitzt  von  den  Schulprin- 
zipalen,  die  Ziigel  ganz  allein  halten. 
Fiir  den  deutschen  Unterricht  aber 
haben  wir  in  der  Person  des  Herrn 
Dr.  H.  H.  Fick  einen  Spezialsuperin- 
tendenten  bekommen  und  wir  sind, 
so  viel  ich  bis  heute  habe  ermitteln 
konnen,  mit  der  Steuerung  samt 
und.  senders  einverstanden,  beson- 
ders  beziiglich  des  mit  deni  neuge- 
schaffenen  Amte  betrauten  Herrn. 
Ob  im  englischen  Unterrichtssysteme 
Anderungen  eingetreten  sind,  ist  mir 
nicht  bekannt.  Die  halbjahrigen 
Versetzungen  sind  aber  abgeschafft, 
und  das  Zwei-Klassenwesen,  die 
Gruppenteilung  u.  s.  w.  sind,  wie  ich 
vernehme,  nicht  mehr  notwendig.  Ich 
wage  zu  behaupten,  dass  ob  dem  all- 
ihahlichen  Dahinschwinden  dieser 
Siichelchen,  denen  gewiss  langsam 
sich  noch  andere  ,,fads"  anschliessen 
werden,  wenig  oder  keine  Tranen 
vergposen  werden. 

Der  deutsche  Karren  wird 
unbedingt  gut  fahren,  und  das  ist 
tins  furs  erste  noch  die  Hauptsache. 

Gestern  (27.  Sept.)  wurden  im  hie- 
sigen  Krematorium  die  irdischen 
tiberreste  von  Frau  JennyJones, 
einer  im  ganzen  Lande  langst  giin- 
stig  bekannten  und  unter  Kellers 
Direktion  am  Seminar  zu  Milwaukee 
tatig  gewesenen  Lehrerin,  zu  Asche 
verwandelt.  Die  Verstorbene  hatte 
sich  erst  vor  einem  Jahre  vom  Lehr- 
rimt  uriickgezogen,  war  aber  bis  zu 
ihrem  Tode  schriftstellerisch  fiir 
das  Erziehungswesen  tatig  gewesen. 

An  \inserer  stadtischen 
(McMicken-)  Universitat  ist 
nunmehr  ein  padagogischer  Kursus 
mit  einem  regelrechten  Zweitausend- 
fiinfhundert  Dollarigen  Professor 
eingerichtet  worden,  und  wir  konnen 
uns  demnach  auch  hier  gelegentlich 
auf  einen  Magister  oder  Doktor  der 
Padagogik,  a  la  Columbia,  New  York, 
p-efasst  machen.  Nicht  besonders  gut 
diirften,  dabei,  im  englischen  Departe- 
ment  wenigstens,  die  noch  vorhan- 
denen  150 — 200  gepriiften  Lehramts- 


kandidatinnen  fahren,  da  der  Schul- 
rat  bereits  beschlossen  hat,  den  Abi- 
turienten  der  Universitat  in  alien 
Fallen  den  Vorzug  bei  der  Besetzung 
von  Lehrstellen  zu  geben.  Da  wird 
leider  gar  oft  das  Krautlein  Geduld 
Trumpf  sein  miissen,  um  so  weniger 
angenehm  fiir  die  Betreffenden,  als 
von  ihnen  noch  axisserdem  verlangt 
wird,  dass  sie  dreihundert  Schultage 
als  soffenannte  ,,Kadetten"  in  Schul- 
hausern  herumpraktizieren,  auch 
wenn  sie  nicht  Stellen  erkrankter 
oder  sonstwie  abwesender  Lehrkrafte 
gegen  Bezahlung  versehen.  Fiir  man- 
che  unbemittelte  Kandidaten  ist  daa 
eine  ziemlich  harte  Nuss,  und  Zahne 
wirds  hie  und  da  wohl  kosten.  Zieht 
man  noch  die  Tatsache  in  Betracht, 
dass  die  Lehrergehiilter  an  Land- 
^chulen  inOhio  nachgerade  unerhort 
klein  geworden  sind,  so  dass  es  sich 
kaum  noch  lohnt,  sich  darum  zu  be- 
werben,  so  liegt  der  Gedanke  recht 
nahe,  es  sei  besser  fiir  junge  Mzid- 
chen,  Stellen  in  anstandigen  Haxishal- 
tungen  anztmehmen,  als  hoheren  Stu- 
dien  obzuliegen.  Doch  das  diirfte 
wohl  tauben  Ohren  gepredigt  sein. 

MM 

Milwaukee. 

Am  19.  Sept.  versammelte  sich  der 
Milw.  Lehrerverein  (Milw. 
Teachers  Association)  zum  erstenmal 
wieder  im  neuen  Schuljahr.  Wohl 
alle  waren  iiberrasqht,  eine  so  grosse 
Anzahl  Kollegen  zu  finden,  da  ge- 
wohnlich  die  erste  Versammlung  nur 
schwach  besiicht  wird.  Es  waren 
wohl  an  130  Personen  anwesend,  und 
alle  schienen  frisch,  gesund  und  en- 
thusiastisch  zu  sein,  und  so  also  mit 
neuem  Mut  und  neuer  Hoffnung  ihre 
lArbeit  wieder  begonnen  zu  haben. 
'So  ists  recht!  Ein  Lehrer  soil  ein: 
Optimist  sein,  voll  Freudigkeit,  Hei- 
terkeit  und  Lebensmut;  denn  nur 
dann  kann  er  auch  seinen  Schiilern 
Begeisterung,  Lust  und  Liebe,  zum 
Stiidium  einflossen.  Auf  der  Tages- 
ordnung  standen  nebst  den  Routine- 
geschaften  zwei  Vortriige  iiber  die  im 
Juli  in  Boston  stattgefundene  Allge- 
meine  Lehrerversammlung.  Der  erste 
Referent  war  unser  1.  Ass.  Supt. 
Her  W.  Allen,  der  auf  Ersuchen  sich 
freundlichst  bereit  gefunden  hatte, 
seine  Eindriicke  und  Anschauungen 
von  der  Versammlung  und  der  an  hi- 
storischen  Erscheinungen  so  reichen 
Stadt  Boston  samt  der  ganzen  Um- 
geoung,  als  Plymouth  Rock,  Concord 
und  Lexington  u.  a.  m.  der  Versamm- 
lung mitzuteilen.  In  meisterhafter, 
freier  Rede  schilderte  er  den  Ver- 


340 


Pddagogisclje  Monatshefte. 


lauf  der  Verhandlungen  und  zeich- 
nete  gleichsam  in  grossen  Umrissen 
die  Hauptpunkte  und  Ergebnisse. 
Dass  bei  der  riesigen  Menge  der  Be- 
sucher  (an  30,000)  bei  den  Hauptver- 
^ammJungen  kein  besonderes  Ergeb- 
nis  zu  verzeichnen  ist,  erscheine  nur 
natiirlieh,  denn  kein  Redner  hatte 
sich  der  riesigen  Masse  verstandlich 
tnachen  konnen.  Auch  habe  die 
schreckliche  Hitze  den  Versammlun- 
gen  grossen  Abtrag  getan.  Die  Sek- 
tions-Versammlungen  seien  darum 
auch  nur  recht  schwach  besucht  ge- 
wesen,  in  einer  hatte  er  z.  B.  nur  19 
Personen  anwesend  gefunden.  Doch 
sehr  viel  Interesse  batten  die  Lehrer 
fiir  die  historischen  Orter  und  Platze 
in  der  Stadt  und  in  der  Umgebung 
ron  Boston  gezeigt,  z.  B.  am  ineisten 
fur  Plymouth  Rock.  Wohl  die  mei- 
sten  hatte n  die  felsigen  Ufer  am 
Meere  besucht,  wo  einst  die  Pilgrim- 
vater  gelandet  seien.  Er  glaube 
auch,  dass  spater  der  Geschichtsun- 
terrieht  in  den  Klassen  eben  dadurch 
recht  fruchtbringend  und  interes- 
sant  gemacht  werden  konnte,  wenn 
die  Lehrer  den  Schiilern  von  diesen 
Orten  erziihlen  wiirden,  und  beider 
Interesse  wiirde  dadurch  am  Unter- 
richt  geweckt.  Dann  hielt  noch  Frl. 
Slawson  einen  Vortrag,  und  zwar 
auch  iiber  alle  die  historischen  Orte 
und  Punkte  in  der  Umgebung  Bo- 
stons, vorziiglich  iiber  Concord.  Der 
Vortrag  fand  ebenso  viel  Interesse. 

In  meiner  letzten  Korrespondenz 
vom  letzten  Juni  berichtete  ich  vom 
Gesangunterrichte  in  u  n- 
'sernSchulen  und  ausserte  zu- 
gleich  meine  Befiirchtung,  dass  wir 
anscheinend  wieder  dem  Gesangssy- 
stem  des  ,,do — re — mi — fa — sol — la — 
si"  rait  seinem  unsinnigen  ,,tiffee — 
taffee"  und  ,,tee — ta"  zuzutreiben 
^chienen.  Der  Schulrat  hat  sich 
namlich  veranlasst  gesehen,  eine  Ge- 
sangslehrerin,  oder  besser,  eine  Auf- 
seherin  iiber  den  Gesangsunterricht, 
anzustellen.  Bei  dem  letzten  Gesang- 
lehrer,  vor  6 — 7  Jahren,  konnte  man 
15  Minute  n  lang  die  armen  Schiiler 
tiffee-taffee,  tiffee-taffee  sinp-en  ho- 
ren;  aber  sie  konnten  nicht  3  oder  4 
Lieder  ordenlich  mehr  singen.  Hof- 
fentlich  kehren  die  Zeiten  nicht  wie- 
der.— Der  Nordwestliche  Siingerbund 
wird  im  nachsten  Sommer  in  Milwau- 
kee ein  grosses  Sangerfest  abhalten. 
Da  hat  er  beschlossen,  einen  grossen 
Kinderchor  von  2000  Stimmen  zu  bil- 
den,  der  mehrere  Gesange  und  Volks- 
lieder  bei  dem  Sangerfest  singen  soil. 
Herr  M.  Griebsch  ist  mit  der  Bildung 


und  Einiibung  dieses  Chors  betraut. 
Ich  glaube  und  bin  gewiss,  dass  wir 
einen  ausgezeichneten  Kinderchor 
horen  werden;  aber  ich  glaube  auch, 
dass  HerrGriebsch  das  Einiiben  ohne 
do-re-mi,  und  tiffee-taffee,  und  teeta, 
fertig  bringen  wird.  Nichts  klingt 
schoner,  wie  ein  gut  eingeiibter, 
zweistimmiger  Kinderchor  mit  fri- 
schen,  reinen  Stimraeii.  ubungen 
miissen  seiu,  aber  ich  glaube,  daiss 
die  Hauptiibungen  bei  den  Liedern 
und  Chciren  selbst  stattfinden.  Die 
alte  Methode  mit  den  Notennamen  c, 
d,  e,  f  etc.  sind  in  Deutschland  noch 
immer  gebrauchlich  und  werden  es 
auch  wohl  bleiben,  und  so  auch  hier 
bei  uns  in  den  meisten  Schulen  und 
Gesangvereinen,  und  ebenso  beim 
Gesangunterricht.  England,  von  wo 
diese  famose  Methode  herkam,  mag 
sie  behalten,  wir  gonnen  sie  ihnen 
gern.  Die  Lehrmethoden,  die  von 
dort  her  kommen,  sind  meistens 
nicht  viel  wert. 

Vom  21.— 23.  Juli  tagte  hier  in  Mil- 
waukee die  jiihrliche  Nordwest- 
liche L  e  h  r  e  r  k  o  n  f  e  r  e  n  z.  Das 
ist  eine  Vereinigung  lutherischer 
Lehrer,  die  sich  aus  den  Lokalkon- 
ferenzen  der  Lehrer  von  Chicago, 
Milwaukee,  Addison,  111.,  und  Win-, 
nebago  Co.,  Wis.,  zusammen  setzt. 
Die  Versammlung  Avar  recht  zahl- 
reich  besucht;  es  waren  an  150 — 175 
Lehrer,  Professoren  und  Pastoren 
anwesend  und  zwar  ausschliess- 
1  i  c  h  Manner.  Das  ist  hier  in 
Amerika  gewiss  eine  sehr  seltene  Er- 
scheinung.  Auf  der  Tagesordnung 
stand  eine  Reihe  recht  interessan- 
ter  Vortrage  und  zwei  praktische 
Lehrproben,  namlich:  die  5  Formal- 
stufen  der  Herbartschen  Methode. 
Wie  hat  der  Lehrer  die  Individuali- 
tat  seiner  Schiiler  zu  beobachten? 
Wie  kann  der  Lehrer  sich  vor  Zer- 
splitterung  seiner  Krafte  im  Unter- 
richt  hiiten?  uber  Inspektion  in  den 
Schulen.  Die  Respektlosigkeit  der 
heutigen  lJugend.  Passendes  und 
Aviirdiges  Orgelspiel  beim  Gottes- 
dienst.  Der  Humor  in  der  Schule, 
und  als  praktische  Lehrproben  eine 
Katechese  iiber  /Christ!  Axifer- 
stehung,  und  —  Anschauungsunter- 
richt  iiber  das  Ei.  Natiirlieh  kamen 
nicht  alle  Themata  zur  Verhandlung, 
aber  diejenigen  Arbeiten,  die  ver- 
lesen  wurden,  kamen  zu  ciner  griind- 
lichen  Besprechung  und  Debatte. 
Recht  erfreulich  war  es  zu  beobach- 
ten, wie  jeder  seine  Meinung  frei  und 
offen  aussprach  ohne  Scheu  und 
Riickhalt  /vor  den  anwesenden  Pro- 
fessoren und  Pastoren.  Ebenso 


Korresponden^en. 


341 


wurden  aueh  die  beiden  praktischen 
Lehrproben,  welche  mit  Schulklassen 
abgehalten  wurden,  kritisch  bespro- 
chen  in  methodischer  und  sachlicher 
Hinsicht.  Die  zweite  Arbeit  war  be- 
sonders  gut,  namlich  eine  Probe  im 
Anschauungsunterricht,  es  war  eine 
wirkliche  Miisterlektion.  Es  liegt  auf 
der  Hand,  dass  durch  solche  griind- 
liehe  Besprechungen  und  Debatten 
die  gehorten  Vortrtige  oder  Referate 
erst  fruchtbar  gemacht  werden,  so 
dass  jedes  Mitglied  auch  etwas  mit 
nach  Hause  tragen  kann.  Wie  er- 
frischend  und  anregend  ist  es  fiir 
den  Lehrer,  eine  Anzahl  tiichtiger 
Schulmanner  zu  sehen  und  zu  horen, 
die  es  ernst  mit  fihrem  Beruf  nehmen 
und  von  denen  inanche  im  Schulamt 
echon  ergraut  sind.  Diese  haben 
dann  auch  den  Mut,  ihre  Meinung 
offen  und  frei  auszusprechen,  und 
dadurch  kann  ja  auch  nur  etwas  Er- 
spriessliches  in  Lehrerkonferenzen 
erzielt  werden.  Wie  verschijden  da- 
von  ist  es  oft  in  anderen  Versamm- 
lungen,  wo  Lehrer  und  Lehrinnen  in 
den  Debatten  oft  angstlich  nach 
,,oben  schielen,  um  zu  lernen,  woher 
dort  der  Wind  weht,  (wahrschein- 
lich  jist  das  eine  neue  Art  Meteorolo- 
gie)  und  darauf  dann  ihre  Meinung 
formeln,  weil  sie  entweder  selbst 
keine  Meinung  haben,  oder  auch  zu 
feige  sind,  dieselbe  auszusprechen. 

A.  W. 

Washington. 

Die  Ferienklassen  waren  diesen 
bommer  wieder  ganz  und  gar  iiber- 
fiillt,  die  darin  gebotene  Abwechs- 
lung  war  aber  auch  eine  reichhal- 
tige.  Da  horte  man  den  schrillen 
Ton  von  Hobel  und  Sage,  das  Ticken 
aer  Schreibmaschine,  das  Surren  der 
Nahmaschine,  Stiihle  wurden  ge- 
flochten,  Drahtarbeiten  verfertigt, 
im  ,,Kiichengarten"  kochte  und  bro- 
delte  es,  und  im  Kindergarten  er- 
klangen  die  munteren  Gesange  der 
Kleinen  beim  frohen  Spiele.  Gross- 
herzige  Burger  hatten  nicht  nur  das 
notige  Arbeitsmaterial  beigesteuert 
(die  vom  Kongress  ausgesetzte 
S'lmme  war  nicht  hinreichend),  son- 
dern  auch  verschiedene  Ausfliige 
mit  der  elektrischen  Bahn  fiir  die 
Zoglinge  veranstaltet.  In  den  jetzt 
begonnenen  Abendschulen,  die  in 
gewissem  Sinne  das  Gegenstiick  zu 
den  Ferienschulen  bilden,  soil  nun 
auch  der  Handfertigkeitsunterricht 
eingefiihrt,  resp.  erweitert  werden. 
Der  sclion  friiher  an  denselben  ein- 
gefiihrte  Kochunterricht  scheint  be- 


sonders  begehrt  zu  sein,  es  hatten 
sich  auch  miinnliche  Zoglinge  daran 
beteiligt,  und  zwar  mit  gutem  Er- 
folg. 

Die  Schulen  sind  alle  in  vollem 
Gange,  offentliche  wie  private.  Die 
Zahl  der  Zoglinge  an  den  offentlichen 
Schulen  belauft  sich  rund  auf  50,000, 
wo  von  17,000  Farbige  sind.  Die  etwa 
1350  Personen  betragende  Lehrer- 
schaft  weist  folgenden  Prozentsatz 
auf:  weisse  Lehrer  7  Prozent,  weisse 
Lehrerinnen  60  Prozent;  farbige 
Lehrer  6  Prozent,  farbige  Lehrerin- 
nen 27  Prozent.  Die  offentlichen 
Schulen  begannen  ihren  Kursus 
Ende  September,  die  Mehrzahl  der 
Privatschulen  fingen  aber  mit  vor- 
nehmer  Gemutlichkeit  erst  im  Ok- 
tober  an;  dafiir  scheint  an  densel- 
ben indessen  auch  mehr  eingetrich- 
tert  zu  werden,  wenn  man  nach  den 
hohen  Schulgeldern  schliessen  kann, 
an  einigen  betragt  allein  das  Schul- 
geld  fiir  jiingere  Madchen  iiber  fiinf- 
zig  Dollars  den  Monat.  Was  sollte 
nach  diesem  Massstab  wohl  das  mo- 
natliche  Schulgeld  an  der  Muster- 
schule  unseres  Lehrerseminars  in 
Milwaukee  sein,  an  der,  wie  Schrei- 
ber  weiss,  so  viel  mehr  geleistet 
wird? 

Die  deutschamerikanische  Natio- 
nalbewegung  hat  in  der  Bundes- 
hauptstadt  bereits  gute  Frtichte  ge- 
zeitigt.  Mit  Ausnahme  des  altesten 
Gesangvereins  haben  sich  alle  deut- 
sche  Vereine  und  Logen  hierselbst 
dem  Zentralverband  des  Distrikts 
Columbia  angeschlossen,  und  der- 
selbe  zeigt  ein  reges  Leben.  An  der 
Spitze  desselben  stehen  die  Herren 
Kurt  Volckner,  von  der  Kongress- 
Bibliothek,  Gustav  Bende,  vom 
Kriegsministerium,  und  der  friiher 
im  Finanzministerium  angestellte 
^xrchitekt  Pohl.  Unter  Leitung  die- 
ser  hochbefahigten  und  enthusiasti- 
schen  Manner  wird  die  220.  Jahres- 
f eier  der  ersten  deutschen  Einwan- 
derung  in  grossartiger  Weise  im 
November  stattfinden.  Eine  Darstel- 
lung  von  ,,Alt-Deutschland"  wird 
vorbereitet. 

Die  Konventionshalle,  ein  wirklich 
riesiges  GebJiuae,  welches  bequem 
10,000  Menschen  fassen  kann,  ist  ge- 
mietet  und  deutschen  Architekten 
iibergeben  worden.  Sie  werden  im 
Innern  ein  ,,Alt  Niirnberg"  erbauen. 
Auf  einer  Vogelwiese  werden  sich 
Zelte  fiir  allerlei  Belustigungen  er- 


342 


Pddagogische  Monatshefte. 


heben,  \md  an  alien  Ecken  tmd  En- 
den  soil  deutsches  Wesen  veran- 
schaulicht  werden.  Die  Feier  wird 
eine  ganze  Woche  dauern  und  der 
Reinertrag  fallt  zum  grossten  Teil 
uen  einzelnen  Vereinen  wieder  zu. 
President  Roosevelt  hat  fiir  einen 
Abend  sein  Erscheinen  in  Begleitung 
des  deutschen  Botschafters  zuge- 
sagt,  und  er  wird  sehr  wahrschein- 
i*ch  eine  Ansprache  in  deutscher 
Sprache  halten. 

Eine  schone  Vorfeier  des  deut- 
schen Tages  hat  bereits  im  Oktober 
stattgefunden,  und  bei  dieser  \varen 
samtliche  deutsche  Vereinigungen 
Washingtons  vertreten,  also  auch 
der  bereits  erwahnte  alteste  Gesang- 
verein  des  Distrikts,  der  sich  bis 
jetzt  noch  nicht  angeschlossen  hat, 
aber  augenscheinlich  auch  bald  da- 
zu  gehoren  wird.  Bei  dieser  Gele- 
genheit  hiel  President  Volckner  eine 
von  Begeisterung  getragene  Rede, 
worin  er  nach  einer  kurzen  Einlei- 
tung,  in  der  er  an  die  Grundung  von 


Germantowii  erinnerte,  zunachst  die 
Frage  beantwortete:  ,,Haben  wir  ein 
Recht,  einen  ,,Deutschen  Tag"  zu 
feiern?"  Herr  Volckner  sagte:  ,,Die 
Irliinder  haben  ihren  St.  Patricks- 
tag,  die  Franzosen  ihren  14.  Juli,  die 
Norweger  ihren  17.  Mai.  Wenn  die 
Amerikaner  deutscher  Abkunft  auch 
ihren  Festtag  haben  wollten,  so 
waren  sie  dazu  vollstiindig  berech- 
tigt,  und  sie  haben  weise  gehandelt, 
wenn  sie  nicht  etwa  den  2.  Septem- 
ber, sondern  den  6.  Oktober  als  sol- 
chen  auswiihlten,  denn  der  St. 
Patrickstag  basiert  auf  der  griinen 
Insel,  der  14.  Juli  der  Franzosen  hat 
seinen  Ursprung  in  Frankreich,  der 
17.  Mai  der  Norweger  in  Norwegen, 
aber  der  ,,Deutsche  Tag"  ist  ein 
amerikanischer  Tag,  und  wir  kon- 
nen  stolz  darauf  sein,  dass  unser 
Festtag  nicht  begriindet  ist  in  frem- 
der  Geschichte,  sondern  trotz  seines 
Namens  ,,Deutscher  Tag"  in  der 
Kulturentwickelungs  -  Geschicbte 
Amerikas."  O. 


III.     Umschau. 


Chicago  ist  das  moderne 
Babel.  Es  werden  insgesamt  40 
Sprachen  in  der  Stadt  gesprochen, 
davon  14  von  mehr  als  10,000  Men- 
schen.  Chicago  ist  die  zweitgrosste 
bohmische  Stadt  der  Welt,  die  dritt- 
grosste  schwedische  und  die  fiinft- 
grosste  deutsche.  Zeitungen  erschei- 
nen  in  zehn  verschiedenen  Sprachen 
und  Gottesdienst  wird  in  20  Sprachen 
abgehalten.  Unter  den  fremden  Ko- 
lonien  in  Chicago  besteht  eine  aus 
Islandern,  eine  andere  aus  Basken 
und  eine  dritte  aus  Bretonen. 

S  c  h  u  Isuperintendent 
C  o  o  1  e  y  von  Chicago  huldigt  der 
sehr  verniinftigen  Ansicht,  dass  in 
keiner  Klasse  mehr  als  30  Schiiler 
sein  sollten.  Vorlaufig  wird  es  wohl 
mit  der  Ausfiihrung  dieses  Planes 
noch  gute  Wege  haben;  denn 
das  Chicagoer  Budget  fiir  die  Schul- 
verwaltung  wiirde  dadurch  um  die 
Kleinigkeit  von  einer  Million  Dollars 
mehr  belastet  w^erden.  Ja,  wenn  es 
sich  um  irgend  welche  anderen  Ver- 
besserungen,  oder  wenigstens  um 
eine  Dotation  fiir  die  Universitat 
handelte  —  aber  fur  die  Volks- 
schule !  ? 


In  der  S t a  a t s 1 e gi s 1  a t u r 
von  Georgia  lag  ein  Gesetzent- 
wurf  vor,  nach  welchem  der  Schul- 
fonds  zwischen  Weissen  und  Schwar- 
zen  geteilt  werden  sollte  im  Verhalt- 
nis  zu  ihren  Beitragen  zu  demselben. 
Der  Entwurf  wurde  niedergestimmt 
—  ein  Beschluss,  der  aller  Ehren 
wert  ist. 

Das  Kultus  (Unterrichts) 
Ministerium  Baierns  dringt 
auf  Verwendung  gleicher  Lehrmittel 
in  den  Schulen.  ,,Einmal  eingefiihrte 
kostspieligere  Lehrbiicher  diirfen 
zehn  Jahre  lang  nicht  gewechselt 
werden,"  bei  kleineren  Lehrmitteln 
darf  ein  Wechsel  nicht  vor  fiinf  Jah- 
ren  vorgenommen  werden.  Ein 
Wechsel  der  Lehrbucher  ist  von  der 
Kreisregierung  den  Gewerbetrei- 
benden  rechtzeitig  bekannt  zu 
geben. 

Uns  ging  der  Jahresbericht 
iiber  den  Stand  der  dem 
Volksschulrektorate  unter- 
stellten  stadtischen  Schulen  in 
Mannheim  zu.  Der  Lehrkorper 
ziihlte  am  Schlusse  des  Schuljahres 
ssul  Hauptschullehrer,  24  Hauptleh- 
rerinnen,  97  Unterlehrer,  26  Unter- 


Umschau. 


343 


lehrerinnen,  5  Hilfslehrer,  6  Hilfs- 
lehrerinnen,  47  Industrielehrerinnen 
und  6  Haushaltungslehrerinnen.  Die 
Schiilerzahl  betrug  19,610  gegen  18,- 
589  iin  Vorjahre.  An  der  erweiter- 
ten  Volksschule  wird  in  3  Wochen- 
stunden  fakultativ  franzosischer  Un- 
terricht  erteilt,  die  Zahl  der  Teil- 
nehmer  betrug  571,  die  sich  auf  26 
Kurse  verteilten.  Die  Knabenarbeits- 
schule  hatte  einen  bedeutenuen  Zu- 
wachs  an  Teilnehmern,  von  860  Neu- 
angemeldeten  konnten  781  Auf- 
.nahme  finden.  Die  Knabenfortbil- 
dungsschule  ziihlte  604,  die  haus- 
wirtschaftliche  Madchenfortbil- 

dungsschule  793  Teilnehmer.  Zur 
praktischen  Erprobung  wurde  auf 
Veranlassung  der  Grossherzogin  die 
aus  Schweden  stammende  ,,Koch- 
kiste"  eingefiihrt.  Zu  dem  fur  frei- 
willige  Teilnehmerinnen  eingerich- 
teten  Flickkurs  batten  sich  128  Fort- 
bildimgsschtilerinnen  gemeldet.  Kna- 
ben-  und  Madchenhorte  waren  stark 
besxicht.  Die  Schuiorausebader  wur- 
den  im  ganzen  von  3586  Kindern  be- 
nutzt.  Friihstiick,  bestehend  aus 
Milch  und  Brotchen,  erhielten  2996 
Kinder.  In  Ferienkolonien  wurden 
435  ausgeschickt.  96  Schiilerinnen 
erhielten  Pramien  wegen  besonders 
giinstiger  Aufzucht  von  Stecklings- 
pflanzen  (Blumenpflege). 

Prof.  Dr.  Wilhelm  Rein  in 
Jena  hat  einen  Euf  an  die  Univer- 
sitat  Prag  erhalten,  wo  er  zum 
Nachfolger  des  in  den  Euhestand 
tretenden  Professors  Dr.  Willmann 
ausersehen  ist.  Wie  verlautet,  wird 
Rein  die  Wahl  annehmen. 

jKonigliche  Jahresgabe 
fiir  Detlev  v.  Liliencron. 
Dem  Dichter  Detlev  v.  Liliencron  ist 
—  wie  gemeldet  wird  —  vom  Konig 
von  Preussen  neben  seiner  Offiziers- 
pension  noch  eine  konigliche  Gna- 
dengabe  von  jahrlich  2000  M.  iiber- 
wiesen  \vorden,  wodurch  es  dem 
Dichter  jedenfalls  ermoglicht  wird, 
sich  die  fiir  seine  geistige  Arbeit  er- 
forderliche,  aber  leider  lang  ent- 
behrte  materielle  Basis  zu  schaffen. 

Urteile  iiber  ungeteilte 
Schulzeit.  1.  Kaiser  Wilhelm 
II.:  ,,Was  den  Korper  betrifft,  so  bin 
ich  auch  der  bestimmten  Ansicht, 
dass  die  Nachmittage  frei  sein  muss- 
ten,  ein  fur  allemal." 

2.  Der  Magistrat  der  Stadt  Konigs- 
be'rg:  ,,Der  Schulbesuch  ist  regel- 


massiger  geworden,  der  Gesund- 
heitszustand  unter  den  Kindern  ist 
infolge  der  neuen  Einrichtung  bes- 
ser  geworden,  die  hauslichen  Arbei- 
ten  haben  sich  gebessert,  die  Kinder 
sind  in  der  fiinften  Morgenstunde 
noch  munterer,  als  friiher  am  Nach- 
mittage, von  den  Ortsschulinspekto- 
ren  und  Rektoren  hat  sich  niemand 
gegen  die  Aufhebung  des  Nachmit- 
tagsunterrichts  ausgesprochen." 

3.  Geh.    Ober-Medizinalrat   Dr.   Eu- 
lenberg:    ,,Der   ausschliessliche   Vor- 
mittagsunterricht   hat   sich  in   alien 
grosseren    Stadten    bewahrt,    beson- 
ders    wenn     auf     grossere     Pausen 
Riicksicht  genommen  wird." 

4.  Dr.  Wagner-Darmstadt:   ,,84  Pro- 
zent  der  Schuler  sind  nach  dreistiin- 
diger   Mittagspause   noch   nicht   wie- 
der    erholt.    Der    Nachmittagsunter- 
richt    ist   padagogisch    fast    wertlos, 
da  er  mit  ermiideten  Kindern  arbei- 
tet,    und    hygienisch    bedenklich,    da 
er  eine  zu  starke  Inanspruchnahme 
des  Gehirns  verlangt." 

5.  Dr.   Schmid-Monnard    in    Halle: 
,,Bei    Schiilern   der    Volksschule,    die 
bis  zum  11.  Jahre  gleiche,  von  da  ab 
verschiedene   Unterrichtszeit  hatten, 
finden  sich  folgende  Verschiebungen 
der   Kranklichkeitsziffern:        a)    nur 
Vormittagsunterricht:     Knaben    13 — 
25    Proz.,    Madchen   21—40   Proz.;    b) 
Vor-     und      Nachmittagsunterricht: 
Knaben    26 — 37   Proz.,   Madchen   30 — 
45  Proz." 

Gemeindliche  Dankbar- 
k  e  i  t  oder  zwei  Tragikomodien  aiis 
dem  Lehrerleben,  die  es  verdienen, 
der  Vergessenheit  entrissen  zu  wer- 
den.  Die  erste  spielte  vor  etwa  25 
Jahren.  In  der  Gemeinde  X.  hatte 
der  Lehrer  sein  halbes  Leben  lang 
mit  Treue  und  Liebe  dem  schweren 
Werke  der  Jugenderziehung  gearbei- 
tet  und  sich  dabei  nicht  nur  der  An- 
erkennung  seiner  Behorden,  sondern 
auch  der  Liebe  seiner  Gemeinde  er- 
freuen  konnen.  Als  er  starb,  erhielt 
seine  Witwe,  wie  ublich,  die  damals 
recht  schmale  Pension.  Die  Not  der 
armen  Frau  ging  den  Gemeindeglie- 
dern  zu  Herzen;  man  beschloss,  ihr 
einen  Zoll  der  Dankbarkeit  fiir  das 
treue  Wirken  ihres  Mannes  zu  ent- 
richten.  So  wurde  denn  in  der  Ge- 
meindesitzung  feierlichst  folgender 
Beschluss  gefasst:  ,,In  Anerkennung 
der  langjahrigen,  treuen  Dienste,  die 
der  verstorbene  Lehrer  unsrer  Ge- 
meinde geleistet  hat,  wird  seiner 
Witwe  fiir  ihre  fernere  Lebenszeit 
ein  —  freier  Sitz  im  hintern  Teil  des 
Kirchschiffes  (unter  dem  Turm)  ge- 


344 


Padagogische  Monatshefte. 


wahrt!"  —  Es  gibt  doch  noch  Dank- 
barkeit  auf  Erden!!  —  Die  zweite 
Geschichte  ereignete  sich  vor  weni- 
gen  Wochen.  Der  Inhaber  einer 
Lehrerstelle  in  einem  Filialkirchdorf 
hatte  bisher  die  Vervvaltung  des 
Friedhofs,  speziell  das  Anweisen  der 
Grabstellen,  unentgeltlich  zu  besor- 
gen.  Da  aber  bekanntlich  jeder  Ar- 
beiter  seines  Lohnes  wert  ist,  stellte 
er  jiingst  den  Antrag  auf  Gewahrung 
einer  Vergiitnng  fiir  diese  Dienste. 
Als  diese  unbescheidene  Forderung 
des  Lehrers  im  Kirchenrat  zur  Be- 
sprechung  kani,  wurde  auf  Antrag 
des  Geistlichen  und  Ortsschulinspek- 
tors  folgender  Beschluss  gefasst: 
,,Fiir  die  Verwaltung  des  Friedhofs 
und  speziell  fiir  das  Anweisen  der 
Grabstellen  erhalt  der  Lehrer  als 
Entschadigung  fiir  sich  und  seine 
Frau  je  eine  —  freie  Grabstelle  auf 
dem  Kirchhof  der  Gemeinde  ange- 
wiesen!"  —  So  geschehen  im  20. 
Jahrhundert! ! 

P  a  u  s  e  n.  Die  Schulverwaltung 
zu  Minden  hat  folgende  Verfiigung 
erlassen:  In  einzelnen  Schulen  des 
diesseitigen  Bezirks  ist  es  iiblich, 
dass  der  Unterricht  in  den  ersten 
beiden  Vormittagsstunden  ohne  Un- 
terbrechung  .erteilt  wird  und  die 
erste  Pause  erst  nach  Ablauf  der  2. 
Unterrichtsstimde  eintritt.  Das  ist 
mit  Riicksicht  auf  die  Gesundheit 
der  Kinder  nicht  zu  billigen.  Wir 
ordnen  daher  an,  dass  fortan  nach 
jeder  Unterrichtsstunde  eine  Pause 
von  10  Minuten  gemacht  wird.  Die 
schon  jetzt  allgemein  bestehende 
grosser  e  Pause,  die  bis  zu  20  Minu- 
ten ausgedehnt  werden  kann,  ist 
nach  der  2.  oder  3.  Unterrichtsstunde 
zu  legen.  Sie  ist  mir  dann  zu  ma- 
chen,  wenn  der  zusammenhangende 
Unterricht  iiber  3  Stunden  dauert. 

Aus  dem  S  t  a  t  i  s  t  i  s  c  h  e  n 
Jahrbuch  fiir  das  Deutsche 
Reich.  Der  X.  Jahrgang  des  sta- 
tistischen  Jahrbuches  deutscher 
Stadte  gibt  folgende  Zahlen  beziig- 
lich  der  Anzahl  der  weiblichen 
IL  e  h  r  kr  a  f  vt  e  in  den  deutschen 
Grossstadten.  (N.  B.  Die  technischen 
undFachlehrerinnen,  sowie  die  nicht 
vollbeschaftigten  Lehrkrafte  sind 
eingerechnet) :  Es  kommen  in  Ber- 
lin auf  je  100  Lehrkrafte  44,02  Leh- 
rerinnen.  Diese  Zahl  wird  nur  in 
Aachen  (49,50),  Altona  (44,51),  Dan- 
zig (44,72),  Erfurt  (44,72),  Liibeck 
((44,69),  Miinchen  (47,85)  und  Strass- 
burg  (46,50)  iiberschritten.  In  den 


sachsischen  Stlidten  Chemnitz  (4,02), 
Plauen  i.  V.  (5,81),  Zwickau  (5,17), 
Leipzig  (10,92)  bleiben  die  Zahlen 
weit  hinter  denen  Berlins  zuriick, 
ebenso  in  Duisburg  (7,65),  Niirnberg 
(15,98),  Wiesbaden  (19,85).  Der  An- 
teil  der  Lehrerinnen  betriigt  zwi- 
schen  20  und  30  vom  Hundert  in  12 
Stiidten,  in  den  iibrigen  14  Stadten 
zwischen  30  und  40  vom  Hundert. 
Durchschnittlich  ist  in  den  42  Gross- 
stadten der  Anteil  der  Lehrerinnen 
30  auf  je  100  Lehrpersonen. 

Schweden.  Deutschun- 
terricht.  Da  die  schwedische 
Ijnterrichtsverwaltung  den  Unter- 
richtsplan  der  hoheren  Lehranstal- 
ten  zu  iindern  wiinscht,  wandte  sie 
sich  an  die  Lehrkorper  der  einzelnen 
Anstalten  und  holte  ihre  Ansicht 
iiber  den  Unterricht  in  den  neueren 
Sprachen  ein.  Fast  allgemein  Melt 
man  fiir  notig,  Deutsch  an  die  erste 
(Stelle  zu  setzen  und  ihm  den  Vor- 
rang  vor  Englisch  und  Franzosisch 
einzuriiumen.  Die  Begriindung  die- 
ser  Ansicht  gibt  einLehrerkollegium 
in  folgender  Weise:  ,,Die  deutsche 
Kultur  mit  ihren  reichen  Wissens- 
schiitzen,  ihren  dichterischen  Er- 
zeugnissen  und  der  Vielseitigkeit 
des  sprachlichenAusdruckes  rangiert 
ganz  unbestritten  in  unsern  Tagen 
an  der  vornehmsten  Stelle.  Hinzu- 
konimt,  dass  die  neuzeitlichen  Schul- 
bestrebungen  mehr  und  mehr  einer 
positiven  Beriicksichtigung  jener  be- 
sonderen  Aufgabe  zuneigen,  durch 
\Velche  die  Befahigung  der  heran- 
wachsenden  Jugend  zur  spiiteren 
Teilnahme  am  wirtschaftlichen  Le- 
ben  erhoht  und  die  Aussichten  auf 
eine  gesicherte  Lebensstellung  ver- 
bessert  werden  konnen.  In  diesen 
beiden  grundlegenden  Beziehungen 
bietet  weder  das  Franzosische  mit 
seinem  geringen  kommerziellen 
Werte  noch  das  Englische  mit  seiner 
geringen  Bedeutung  auf  rein  kul- 
Jturellem  Gebiete  die  gleichen  Bil- 
dungsmoglichkeiten  wie  das  Deut- 
sche." Dass  die  Reform  durchsre- 
fiihrt  wird,  geht  daraus  hervor,  dass 
in  Upsala  und  Lund  zwei  neue  Pro- 
fessuren  fiir  germanische  Sprachen 
eingerichtet  werden  sollen,  damit  es 
nicht  an  gut  vorgebildeten  Lehrera 
fehlt. 

tJber  Deutschtum  und 
deutsche  Schulen  in  Au- 
stralien  finden  sich  in  der  ,,Tagl. 
Rundschau"  folgende  Angaben:  Zur 
Zeit  stellen  die  Deutschen  etwa  2,3 
vom  Hundert  der  Bevolkerung  Au- 
straliens.  Es  sind  rund  107,000,  von 


Vermischtes. 


345 


denen  ziemlich  47,000  noch  in 
Deutschland  geboren  sind.  Das 
Hauptmittel,  ihre  Kinder  deutsch  zu 
erhalten,  ist  die  Schule.  West- 
australien  und  Tasmanien  (500  und 
1000  Deutsche)  haben  keine 
deutschen  Schulen.  Neu-Seeland  hat 
bei  12,000  Deutschen  nur  7,  Neu-Siid- 
Wales  fiir  10,000  Deutsche  nur  3 
Schulen  zur  Verfiigung.  Die  15,000 
Deutschen  in  Viktoria  unterhalten 
11  deutsche  Schulen.  Am  schlimm- 
sten  sieht  es  in  Queensland  aus,  wo 


auf  38,000  Deutsche,  von  denen  15,- 
000  im  Mutterlande  geboren  sind, 
nur  zwei  deutsche  Schulen  kommen, 
wenn  man  davon  absieht,  dass  in  den 
deutschevangelischen  Kirchenge- 

meinden  wiichentlich  cinnial  deut- 
scher  Unterricht  iui  Lesen  und 
Schreiben  und  deutscher  Konfirman- 
denunterricht  erteilt  wird.  Am  be- 
sten  liegen  die  Verhaltnisse  in  Sud- 
australien.  Dort  unterhalten  30,000 
Deutsche  rund  53  deutsche  Schulen 
mit  18,000  Schiilern. 


IV.     Vermischtes. 


Erziehungsgrunds  a  t  z  e 
eines  alten  Lehrers.  Man 
erzahlt  von  einem  alten  Lehrer,  dass 
er  Eltern,  die  ein  Kind  in  die  Schule 
brachten,  zwei  Spriiche  sagte.  Er- 
stens:  ,,Allein  kann  ich  nicht  ziehen, 
Ihr  miisst  mitziehen."  Zweitens: 
,,Und  wenn  Ihr  mitzieht,  so  miisst 
Ihr  nicht  riickwarts  wollen,  wenn 
ich  vorwarts  will."  Wenn  aber  ein 
Vater  ein  Sohnchen  oder  eine  Mutter 
ihr  Tochterchen  recht  herausstrich, 
pflegte  er  einen  dritten  Spruch  bei- 
zufiigen:  ,,Lieber  ungezogen  Kind, 
als  verzogen  Kind"  —  und  erzahlte 
folgendes  Exempel:  Ich  kannte  einen 
Lautenschlager,  der  oftmals  sagte: 
,,Wenn  ich  einen  Schiiler  bekomme, 
der  nichts  auf  der  Laute  kainn,  so 
fordere  ich  5  n.  Lehrgeld;  bekommf 
ich  aber  einen,  der  schon  etwas 
kann,  so  verlange  ich  10  fl."  Wenn 
man  ihn  fragte,  warum  er  das  tue, 
sprach  er:  ,,Fiinf  verlange  ich  fur 
das,  was  ich  lehre,  und  fiinf  fiir  das, 
was  ich  ihm  abgewohnen  muss." 

Konig  Ahmed  hatte  zwei  wiss- 
begierige  Sohne:  Behmed  und  Ceh- 
med. 

Und  der  Konig  schenkte  seinem 
Erstgeborenen,  Behmed,  tausend 
gute  Biicher,  und  seinem  Zweitge- 
borenen  Cehmed,  ein  gutes  Buch. 

Und  die  wissbegierigen  Sohne  la- 
sen  in  einem  fort. 

Und  Cehmed  wurde  weise,  und 
Behmed  wurde  dumm. 

Eine  Mahnung,  die  auch  wir 
unserenLesern  ans  Herz  legen  moch- 
ten,  richtet  eine  Redaktion  in  eigen- 
artiger  Form  an  denLeserkreis  ihrer 
Zeitung;  sie  ersucht  namlich  um 
standige,  tatige  Mitarbeit  in  folgen- 
dem  Wortspiel:  ,,Wenn  Sie  etwas 
wissen,  was  zu  wissen  interessant 
ist,  und  was  wir  eigentlich  wissen 


sollten,  und  von  dem  Sie  wissen,  dass 
wir  es  nicht  wissen  —  bitte,  lassen 
Sie  es  tins  auch  wissen,  damit  wir  es 
auch  andere  wissen  lassen  konnen." 

Der     padagogische    Spatz. 
Von  den  Schulbiichern. 

Pi-pip!      Mich  jammern     die   Kinder 

fast, 

Die  fiir  ihr  bisschen  Wissen 
Der  diinnen  und  dicken  Biicher 

Last 

Alltaglich  schleppen  miissen! 
Ich  hege  fiir  mich  den  leisen 

Verdacht, 
Dass    sie    viel    Unheil    schon    ge- 

bracht, 

Die  Schiiler-Folianten! 
Pi-pip!   Wohl  sind  sie  aufge'baut 
Nach  Regeln  und  Systemen; 
Doch  konnen  sie  dem  Jugendgeist 
Sich  selten  anbequemen. 
Auf  alien  Stufen  weit  und  breit 
Vermisse   ich   die    Freudigkeit, 
Die  Liebe  zu  den  Buchern  — 

Pi-pip! 

Von  der  Disziplin. 
Pi-pip!  Im  ganzen  Schulbetrieb, 
Auf  alien  Altersstufen 
Wird  stets  nach  Ordnung  und  Gesetz 
Nach  Disziplin  gerufen; 
Mit  Blick  und  Wort,  mit  Hand  und 

Stab 

Miiht  sich  die  Padagogik  ab, 
Ihr  Volk  im  Zaum  zu  halten. 

Pi-pip!  Es  ist  ein  leer'  Bemiihn 
Und  fiihrt  zu  keinem  Ende, 
Reicht  hierin  nicht  das  Elternhaus 
Der  Schule  fest  die  Hande! 
Was  dort  gefehlt  bei  Tag  und  Nacht, 
Das  wird  so  leicht  nicht  gutgemacht 
Mit  Wort  und  Reglementen  — 

Pi-pip! 
(Schweiz.  Lelirerzeitung.) 


346 


Padagogische  Monatshefte. 


Eingesandte  Bucher. 


Mechanics  Molecular 
Physics  and  Heat,  a  twelve 
•weeks'  college  course  by  R,o  b  e  r  t 
Andrews  Millikan,  Ph.  D., 
Assistant  Professor  of  Physics  in  the 
University  of  Chicago.  Boston,  Ginn 
&  Co.,  1903.  Price  $1.60. 

Questions  on  Thoina  s's 
Grammar  with  Essential  of 
Grammar  in  German  by 
Warren  W.  Florer,  University 
of  Michigan.  George  Wahr,  Ann 
Arbor,  Mich.,  1903. 

Lessons  in  Physics  by 
Lothrop  D.  Higgins,  Ph.  B., 
Instructor  in  Natural  Science  in  the 
Morgan  School,  Clinton,  Conn. 
Boston,  Ginn  &  Co.,  1903.  Price  90  cts. 

Kinder-  und  Hausmarchen 
der  Briider  Grimm.  Selected 
and  edited  with  an  introduction, 
notes  and  a  vocabulary  by  B.  J. 
V  o  s,  Associate  Professor  of  Ger- 
man in  the  John  Hopkins  University. 
American  Book  Co. 

The  Corona  Song  Book.  A 
choice  collection  of  choruses  desig- 
ned for  the  use  of  high  schools, 
grammar  schools,  academies,  and 
seminaries,  composing  part  songs 
and  choruses,  oratorio  selections, 
selected  hymns  and  tunes,  national 
and  patriotic  songs.  Selected  and 
compiled,  and  arranged  by 
William  C.  H  o  f  f ,  Director  of 
Music  in  the  Public  Schools  of  Yon- 
kers,  N.  Y.  Ginn  &  Co.,  Boston,  1903. 
Price  $1.20. 

Die  Unterrichtslektion 
als  didaktische  Kunst- 
f  o  r  m.  Praktische  Ratschliige  und 
Proben  fur  die  Alltagsarbeit  fur 
Lehrproben  von  Dr.  Richard 
S  e  y  f  e  r  t,  Seminaroberlehrer.  Leip- 
zig, Ernst  Wunderlich,  1904.  Preis 
M.  2.40. 

JJiktatstoffe  zur  Einubung 
und  Befestigung  der  deutschen  Satz- 
lehre.  Im  Anschlusse  an  die  einzel- 
nen  Unterrichtsfacher  als  Sprach- 
ganze  bearbeitet  von  Paul  T  h. 
Hermann.  Vierte  vermehrte  und 


verbesserte  Auflage.  Leipzig,  Ernst 
Wunderlich,  1904.  Preis  M.  1.60. 

Geographic  Influences  in 
American  History  by  Al- 
bert Perry  Brigham,  A.  M., 
F.  G.  S.  A.,  Professor  of  Geology  in 
Colgate  University.  Boston,  Ginn  & 
Co.,  1903.  Price  $1.40. 

Questions  set  at  the 
Examinations  held  by  the  College 
Entrance  Examination 
Board,  June  15. — 20.,  1903,  Boston, 
Ginn  &  Co.,  1903.  Price  60  cts. 

C  o  m  i  h  g's  Complete  Record 
for  Attendance  and  Scholarship. 
High  School  Edition.  Boston,  Ginn 
&  Co.,  1903. 

TheMedialWritingBooks 
by  H.  W.  Shay  lor  and  G.  H. 
Shattuck.  Shorter  Course,  Books 
A,  B,  C.  By  the  same  authors  M  e- 
dial  Spelling  Blanks,  Nos.  1, 
2,  3.  Ginn  &  Co.,  Boston,  1903. 

Die  allgemeine  obligato- 
rische  Madchen  -  Fortbild- 
ungssc  h  u  1  e.  Vortrag  von 
Jo  h.  H  o  f  m  a  n  n,  Rektor.  Leipzig, 
Ernst  Wunderlich,  1903.  Preis  50  Pf. 

Padagogische  Briefe  von 
Prof.  Dr.  M.  Lazarus.  Mit 
einem  Vorwort  herausgegeben  ron 
Dr.  Alfred  Leicht.  Breslau, 
Schlesische  Verlagsanstalt  von  S. 
Schottlaender,  1903.  Preis  M.  1.50. 

TheShipofState  by  Those 
at  the  Helm.  The  Youths  Com- 
panion Series.  Boston,  Ginn  &  Co., 
1903. 

Mediaeval  and  Moderjn 
History.  Part  II,  The  Modern 
Age  by  Philip  Van  Ness 
M  y  e  r  s,  formerly  Professor  of 
History  and  Political  Economy  in 
the  University  of  Cincinnati.  Boston, 
Ginn  &  Co.,  1903.  Price  $1.25 

Poems  of  Tennyson.  Edited 
by  Henry  Van  Dyke  and  D. 
L  a  u  r  a  n  c  e  Chambers,  A.  M., 
Assistant  in  English,  Princeton  Uni- 
versity. Boston,  Ginn  &  Co. 


Berichtigung. 

Auf  Wunsch  bringen  wir  folgende  Mitteilung    zur    Kenntnis    unserer 
Leser: 
To  the  Editor: 

Due  to  a  misunderstanding  the  title  of  Professor  was  placed  before  my 
name  in  the  last  number  of  the  P.  M.  W.  W.  Florer. 


Inhaltsverzeichnis. 


Offizielles.  Warnecke,   das   wachsende   Inter- 

Aufruf   zum   33.   Lehrertag  |s?e  ,des  Volkcs  fur  Hebung  der 

129     161     194        Schulen  und  Besserstellung  der 

Lehrer    ............  .111 

Generalversammlung    des   Lehrer-         Weiser,  Idealismus,  Gedanken  und 
semmar-Verems    ..............    196        Beobachtungen  ................      65 

N.    D.    A.    Lehrerseminar    zu    Mil-         Woldmann,  der  Leseunterricht  in 
waukee     .......................     163        der  Volksschule    ..............    133 

Protokoll   des   33.   Lehrertages.  .    233    Wolf,   die   Kealien    im    deutschen 

Sprachunterricht     ,  240 

Aufsatze. 

Altschul,   natiirnche   Methods   im  Fiir  dle  Schulpraxls. 

deutschen  Unterricht    ........    322  Brtegs,  on  ,,Disciplin"   ..........   144 

Bahlsen,  deutsche  Lektiire  an  den  Engelmann,     Literaturgeschichte 

amerikanischen    Schulen  ......     165  in  der  Hochschule   .  .,  ..........   211 

Barandun,    eiiiiges    'iiber    die  Be-  Erfahrungen   und    Gedanken....      11 

rufsbildung   des   Lehrers  ......    288  Freihandzeichnen    ..............    214 

Buehner,    Educational    Value    of  Grebner,      Helden      und      Helden- 

Modern    Languages    ..........    197  biicher   ................  ........     47 

Editorielles,  an  der  Jahreswende     44  Griebel,     Lehrbeispiel     aus     dem 

Dr.     G.     A.     Zimmer-  Kechtsschreiben    ..............       9 

mann    gest.    ..................      45  Hildner,    ein    Wort    fiir    schwach- 

Editorielles,     German     in     public  befahigte    Kinder    .  .  .  .,  ........    213 

schools  ........................  108  Kienscherf  ,      iiber      Schulwander- 

Ferren,  Monolingualism,  the  Bane  ungen    ..........  ..............    142 

of  this  Country    ..............    248  Lehrplan    fiir    den   Hochschuikur- 

Fick,     die     deutschamerikanische  sus  im  Deutschen  in  San  Jose, 

Dichtung     ....................     270  Cal   ............................   214 

Florer,    Remarks     on     the    Direct  Liittge,     Pflege     der    guten    Aus- 

Method  of  Teaching  German..   303  .  sprache  in  der  Schule   ........   142 

Gehring,     iiber     den     Garten     der  Martin,   iiber  den  Wert  der  Nor- 

Menschheit  ....................     265  malwortermethode     ..........     141 

Heller,  die  deutsche  Schrif  tstelle-  Phantasieliigner    ................      48 

rin  von  gestern  und  heute  ....   251  Stief  el,    wie    man    Gedichte    lesen 

Heller,  Schiller,  Uhland  und  Haufl  und  erklaren   soil    ............      48 

in  ihrer  Bedeutung  fiir  die  Ge-  Vom  Sitzenbleiben  ..............   139 

genwart    ......................    130  Wahlde,    hochste     Aufgabe     eines 

Hohlfeld,  eine  englische  Gesehich-  deutschen  Lehrers  in  der  ame- 

te    der    deutschen    Literatur.  .    313  rikanischen  Schule  ............  212 

Huber,    miindliche    Erteilung    des 

deutschen  Unterrichts  ........     75  Sprachliches. 

Jaeger,    Abhangigkeitsverhaltnis  Beispiel       phonetischer      Schreib- 

in  der  deutschen  Satzbildung.  .     97  weise                                                     144 

Kief  er,  Disziplin   ................   209  Etymologic  des  Wortes  ',,Eieme'nt"  26 

Lessing,  Arno  Holz   ........   177,  201  Nassauern    ......................      96 

Lessing,  neuere  Literaturgeschich-  Sachsischer   Genitiv    ............      25 

ten  .............................      40  Verlurst    ....................  ....     25 

Munch,     was     ist     deutsche     Er-  Qedichte. 

ziehung     ......................      49 

Schonrich,     aus     dem     Tagebuch  Erpffnungsgedicht     fur     Schuler- 

eines    deutschamerikanischen  darbietungen 

.  104 


.  MUller,     Ferienzauber  -  Wander-^ 

Straube,     die     Entwickelung     des  "^'i  .......  i.'  *  V  " 

-  Schulwesens    im    Staate    Massa-  Nies,  zum  Jahreswechsel  ........ 

chusetts    .  ____    145  Wechsler,    das    Marchen  ........      96 


IV 


Pddagogische  Monatsbefte. 


Berichte. 

Abrams,  der  Lehrertag  zu  Min- 
neapolis    14 

Abrams,   der   43.   Nationale   Leh- 
rertag1 zu  Boston 832 

Dapprich,  eine  deutsche  Bildungs- 
statte  in  Neapel 182 

Groben,  Entwickelung  und  Stand 
des  deutschen  Uterrichts  in  den 
Schulen  von  Erie,  Pa 215 

Bemy,  Jahresversammlung  der 
M.  L.  A.  (Eastern  Division) 54 

Roedder,  Versammlung  der  ,,Cen- 
tral  Division  of  the  M.  L.  A."  53 

Korrespondenzen. 

Baltimore    (S)    

16,  88,  119,  Io3,  184,  222,  385 

Boston  336 

Briefkasten  60,  122,  312 

Calif ornien  (V.  B.) 17,  88,  185 

Chicago  (Ernes)  

17,  55,  89,  154,  186,  327 

Cincinnati  (quidam)  

18,  56,  90,  119,  154,  186,  222,  338 

Milwaukee  (A.  W.)  

20,  58,  91,  120,  155,  187,  223,  339 

New  York  (P.  S.)  20,  (C.  H.)  21,  224 

(H.  Z.)  121,  188 

Washington,  D.  C. 341 

Umschau. 
A  m  e  r  i  k  a. 
Abschaffung  des  Griechischen. .     23 

Boston,    Kohlenmangel 61 

Boston,  kiirperliche  Ziichtigung  93 
Californien,  Schulbesuch  der 

chinesischen    Kinder. ., 93 

Chicago,        Abschaffung        der 

Biicherpreise      189 

Chicago,  das  moderne  Babel. .  342 
Chicago,  Sup't  Cooley  iiber 

Schiilerzahl    342 

Chicago,  Teachers'  Federation  23 
Chinesen  an  unseren  Universi- 

tiiten  23 

Columbus,  Prof.  E.  A.  Eggers 

gestorben    189 

Durchschnittsschiilerzahl  in  un- 
seren  grossen    Stadten 123 

Ehrung    Pras.    Eliots 93 

Erie,  vom  Lehrertage 225 

Franzosisch     an    der   Columbia- 

Universitat      123 

Gegen    das     Zigaretten-Rauchen     60 
Georgia,  Beschluss  der  Staats- 

legislatur    342 

Germanisches   Museum....    92,    156 

Indiana,  Impf/wang   156 

Indianapolis,  Lehrerjubilauin. .  311 
Indianer-Institut  zu  Carlisle..  123 
John  L.  Sullivan..  93 


Lasker  in  Chicago 123 

Lehrererfahrungen  auf  den  Phi- 

lippinen  93 

Madison,  Prof.  Von  Hise  Pra- 

sident  der  Universitat 226 

Massachusetts,  Musikunterricht 

in  den  Schulen 123 

Milwaukee,  Lear  -  Auffiihrung  60 
Milwaukee,  Seminardirektor 

Dapprich  92 

Milwaukee,  vom  Lehrerseminar  310 
Milwaukee,  Vortrag  Prof,  von 

Jagemann  92 

New  York,  ausgeworfene  Be- 

trage  fiir  Schulzwecke 156 

New  York,  deutscher  Unterricht 

22,  188,  225,  310 

New  York,  deutsche  Theater- 

vorstellung  ,. .  93 

New  York,  Festschrift  zum 

Deutschen  Tage  156 

New  York,  Schulhausbauten. .  60 
N.  .ew  York,  Vorlesungskursus 

in  deutscher  Sprache 189 

Onkel  Toms  Hiitte 226 

Pensionierung  der  Professoren 

in  Cornell  22 

Philadelphia,  Dr.  Learned....  156 
Saginaw,  Philipp  Huber  befor- 

dert  189 

Stanford,  Mrs.  Stanford's  Ent- 

schluss  123 

Schiilerstreike  123 

Schutzhallen  fiir  Schulhofe 156 

St.  Louis,  Fuchsprellerei 93 

St.  Louis,  Erziehung  und  Unter- 
richt auf  der  Ausstellung. ...  60 
Ungliicksfalle  beim  Fussball- 

spiel  61 

Wenckebach,  Cara  gest 61 

West-Virginien,  Schulzwang. .  189 

Deutschland. 

Amerikanische      Studenten      an 

deutschen    Universitaten 93 

Baiern,     Wechsel     von     Lehr- 

biichern    342 

Bartels  gestorben    24 

Berlin,  Eisf erien  93 

Berlin,    Anzahl    der     Gemeinde- 

schulen     311 

Berlin,  Besuch  der  Universitat  93 
Bewilligungen  fiir  die  Weltaus- 

stellung    189 

Biireaukratius   mit   dem   Eohr- 

stock  157 

Denkmal  fiir  Philipp  Reis 190 

Deutsch       als       Vermittlungs- 

sprache     24 

Deutscher    Doktorgrad 23 

Ernst's     ,,Gerechtigkeit" 61 

Gemeindliche  Dankbarkeit. . . .  343 
Greifswald  Ferienkursus. ..  .  190 


Inhaltsver^eichnis. 


Hochscliulwesen  61 

Jahresgehalt  fur  Lelirer 

Classen  . 157 

Jahresgehalt  fur  Liliencron..  343 

Jena,  Ferienkurse  156 

Jena,  Prof.  Rein  343 

Kleinste  offentliche  Schule 190 

Leipzig,  Lehrerseminar  fur 

Kuabeiihaudarbeit  157 

Lenau,  der  unsittliche 93 

Mannheim,  Stand  der  Volks- 

schule  343 

Pausen  wain-end  des  Unter- 

richts  344 

Redaktionswechsel  an  der  Allg. 

D.  Lehrerzeitung  93 

Reform  des  Unterrichts  in 

weiblichen  Handarbeiten 124 

Rheinische  Blatter 93 

Schulbesuch  der  Matrosenkin- 

der  124 

Statistisches  aus  dem  Jahr- 

buch  des  Deutschen  Reichs  344 

Steilschrif  t  157 

Ungeteilte  Schulzeit  157 

Urteil  iiber  Amerika 311 

Welche  Schreibweise  der  Kaiser 

will  226 

Weniger  Lehrerinnen 124 

Zahl  der  Deutschen  in  Europa  190 
Zur  neuen  Rechtschreibung. .  157 

Danemark. 

Bjornson-Fonds     95 

Neues  Schulgesetz   226 

Reform  des  Schulwesens 95 

England. 

Jahresbericht  des  Schulamtes 
in  London  94 

Jahresversammlung  der  ,,Na- 
tional  Union  of  Teachers". .  227 

Tragweite  der  Educational  Bill  226 

Frankreich. 

Erbschaftsgeschichte     24 

Reform     des     Gymnasialunter- 

richts 124 

Une  idee  vraiment  franchise. .    227 


1 1  a  1  i  e  n. 
Friihreif  e    Knaben . 


94 


5  s  t  e  r  r  eic  h-Ungarn. 

Freie   deutsche   Schule 124 

Reichs   -   Schulmuseum 124 

Roseggers  Dank   311 

R  u  m  a  n  i  e  n. 

Tracht   der   Lehrerinnen . .  61 


Russian  d. 

Deutsch,   oder  Franzosisch.  .. .      95 

Kenntnis   des   Deutschen 124 

Zensur 227 

Zentennialfeier    in    Petersburg   124 

S  c  h  w  e  d  e  n. 
Deutschunterricht   344 

S  c  h  w  e  i  z. 

Ferienkursus  in  Zurich 226 

Hausaufgaben    125 

Schulunterhaltung   61 

S  e  r  b  i  e  n. 
Russischer   Sprachunterricht. .      61 

Siidafrika. 
Folgen  des  Burenkrieges 95 

Australien. 

Deutsche    Schulen    344 

Vermischtes. 

Alteste  Handschrift  derMenschen    61 

Babel— Bibel    159 

Bedeutende  Maner  als  Schiiler  in 

ihrer  Jugend  158 

Beseitigung    der    Staubplage. . . .    228 

Bibel   im   Kanzleideutsch 25 

Chinas   Kohlenlager    60 

Erziehiingsgrundsiitze     eines     al- 

ten  Lehrers    345 

Gemeinsamer       Unterricht      von 

Knaben    und    Madchen 52 

Geringe         Widerstandsfahigkeit 

der  Lehrerinnen   228 

Goethe    oder    Gothe? 25 

Lehrer  als  Nachtwachter 95 

Lehrer  und  Landstreicher   158 

Mahnung  an  die  Leser 345 

Militar   und   Unterricht    159 

O,  diese  Fremdworter   95 

Pestalozzis    letzte    Schxilerin 160 

Schlaf  der   Schulkinder    51 

Sic  transit  gloria  mundi 96 

Sind  wir  eine  zivilisierte  Nation?  159 

Spielzeugteufel     52 

Statistisches   iiber  den   Universi- 

tatsbesuch    93 

Untersuchen    iiber    das    Gedacht- 

nis  der  Schulkinder   93 

Edgren,   an   Italien   and   English 

Dictionary  (Chas.  B.  Wilson)..  231 
Edgren  und  Fossler,  a  Brief  Ger- 
man Grammar  (W.  Bernhardt)     29 


VI 


Pddagogische  Monatshefte. 


Ferrell,  Erwiderung  62 

Florer,  biblische  Geschichten  (W. 
Bernhardt)  30 

Florer,  Heyses  1'Arrabiata  (W. 
Bernhardt)  30 

Heydrich,  how  to  Study  Litera- 
ture (Chas.  B.  Wilson)  230 

Hail  ma  nn,  the  Laural  Primer 
(H.  D.  H.) 229 

Kron,  German  Daily  Life  (Chas. 
B.  Wilson)  126 

Kutner,  Commercial  German 
(Chas.  B.  Wilson) 230 

Kriiger,  English  German  Conver- 
sation Book  (Chas.  B.  Wilson)  31 

Wann  werden  die  Steinkohlen 
ausgehen  228 

Wert  eines  Vogelnestes  *. 159 

Wiederholung  des  Foucault- 
schen  Pendelversuchs  62 

Zugehorigkeit  zu  den  Religions- 
gemeinschaf  ten  228 

Humoristisches  aus  Schule  und 
Leben. 

Aus  dem  Anschauungsunterricht  228 

Gute    Entschuldigung    96 

Konig   Ahmed    345 

Leissling  im  Eif er   150 

Schulgrammatik    160 

Sie  hawwe  zu  hawwe    228 

Was  ist  eine  Fee?   .                        .  160 


Biich  er  besprech  u  ngen . 

Alge,  Hamburger,  Rippmann, 
Buell  —  Newson's  First  Ger- 
man Book  (Chas.  B.  Wilson) .  .  126 

Alge,  Rippmann,  Buell  -  -  New- 
son's  German  Reader  (Chas.  B. 
Wilson)  127 

Bernhardt,  Liliencrons  Anno  1870 
(E.  C.  Roedder) 125 

Bierwirth,  Beginning  German 
(W.  W.  Florer)  231 

Duden,  orthographisches  WSrter- 
buch  (M.  G.)  127 

Lessing,  Rritik  und  Antikritik. .     26 

Manley  and  Heilmann,  the 
English  Language  (H.  D.  H.) . .  229 

Meyer,  Fuldas  Talisman  (E.  C. 
Roedder)  190 

Prettyman,  Schillers  Geschichte 
des  SOjahrigen  Krieges  (E.  C. 
Roedder)  125 

Roedder,    Berichtigung    160 

Seyfert,  Menschenkunde    (E.  D.)     32 

Siefert,  Choice  Songs  (M.  G.) 127 

Thomas  and  Herwey,  German 
Reader  and  Theme  Book 
(Chas.  B.  Wilson)  31 

Viereck,  cleutscher  Unterricht  in 
am.  Schulen  (Rep.  of  Com.  of 
Ed.  (E.  Dapprich)  4 

Wesselhoeft,  German  Composi- 
tion (Chas.  B.  Wilson)  30 

Zur   Jugendschriftfrage    (M.   G.)    128 


c  r 


PF 

3003 

M6 


Monatshefte 


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