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Full text of "Die Mönche des Abendlandes vom H. Benedikt bis zum H. Bernard"

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Die 


Möndje des Abendlandes 
vom h. Benedikt bis zum h. Beruhard. 


Vom 


Grafen v. Montalembert, 


Einer der Bierzig der franzöſiſchen Afademie 


Bom BVerfaffer genehmigte dentfche Ausgabe 


Don 


35. Karl Brandes, 


Benediftiner in Einfiedeln. 


Fide et veritate. 


Erfter Band. 





Regensburg. 
Drud und Verlag von Georg Joſeph Manz. 
1860. 


I 


Hoiim: 





vDidwung 


Seine Heiligkeit 


Papſt Pius N 


Heiligjter Vater ! 


Ich Lege zu den Füßen Eurer Heiligfeit hiemit 
ein Buch nieder, defjen huldigende Verehrung Eurer 
Heiligkeit aus mehr als einem Grunde gebührt. 
Gefchrieben, um die Herrlichkeit einer der großartig- 
ften Imftitutionen des Chriftenthums wieder in ihre 
biftorifchen Nechte einzufegen, ſucht diefe Arbeit ganz 
infonderheit um den Segen des Statthalters Chrifti, 
des höchften Oberhauptes und natürlichen Befhügers 
des Mönchthums nah. Lange Zeit und oft, manch— 
mal im Dienfte der Kirche und demjenigen Eurer 
Heiligkeit unterbrochen, wurden diefe Studien in 


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einem Augenblicke der Crmattung und der Ent- 
muthigung, auf die Stimme Eurer Heiligfeit wieder 
aufgenommen, als Höchftdiefelben in Mitte jener 
unvergeßlichen Begeifterung, mit welcher Dero Thron— 
befteigung begrüßt wınde, in einer berühmten Ency- 
clifa, die Pflichten und die Nechte der veligiöfen 
Orden proffamirte, und in ihnen „die Kerntruppen 
des Streiterheeres Chrifti anerkannte, welche jederzeit 
Bollwerk und Schmuck der hriftlichen und der 


bürgerlichen Geſellſchaft“ geweſen find). 


Indem Eure Heiligkeit mir dieſe ganz unge— 
wöhnliche Vergünſtigung, mein Werk Eurer Heilig— 
keit widmen zu dürfen, zu gewähren geruhet haben, 
wiſſen Allerhöchſtdieſelben gar wohl, daß dies in 
keiner Weiſe zur Folge haben kann, der Kritik oder 
der Erörterung ein Werk zu entziehen, das allen 
menſchlichen Unvollkommenheiten und Unſicherheiten 
unterliegt, und das übrigens auch nur den Anſpruch 
macht, Fragen zu behandeln, welche der freien Wür— 
digung und Beurtheilung aller Gläubigen anheim— 
geſtellt ſind. 


') Lætissimas illas auxiliares Christi militum turmas, qua 
maximo tum christiane, tum eivili reipublie@ usui , ornamento 


atque presidio semper fuerunt. Eneyelica vom 17. Juni 1847. 


* 


Es war angefichts der ſchmerzlichen, ſo noch 
nie Dagewefenen Borgänge, beiligfter Bater, daß 
Eure Heiligkeit geruhet hat, die Ditte eines Ihrer 
ergebungsvollften Söhne genehm zu halten, und 
zu erhören, der den hoben Wunſch hegte, einer 
zwanzig Jahre langen Arbeit das Siegel feiner 
zarten Ehrfurcht gegen Eurer Heiligfeit Perfon und 
Autorität aufdrücken zu Dürfen. Welcher Katholik 
könnte ſich in dieſen Tagen dem friedlichen Studium 
der Vergangenheit hingeben, ohne von Bangigkeit 
ergriffen zu werden bei dem Gedanken an die Ge— 
fahren und Prüfungen, von denen der heilige Stuhl 
rings umwogt iſt; ohne vom Drange beherrſcht zu 
ſein, die Huldigung kindlicher Treue zu den Füßen 
. Desjenigen niederzulegen, der in den Tagen der 
Gegenwart nicht nur die unfehlbare Wahrheit, ſon— 
dern auch die in ſo ſchmählicher Weiſe mißachtete 
Gerechtigkeit, Treue und Glauben, Muth und Ehre 
in der Welt repräſentirt. 


Wolle demnach, Heiligſter Vater, Eure Heilig— 
keit gnädigſt geruhen, dieſe demüthige Gabe eines 
Herzens, das von aufrichtiger Bewunderung für 
Höchſtdero Tugenden entflammt, von glühender, ehr— 
furchtsvoller Theilnahme bei Dero Schmerzen er— 


füllt, und von umerfchiitterlicher Treue gegen Dero 
unveräußerliche echte befeelt ift, huldvollſt zu ge— 
nehmigen. 


IH bin in tieffter Ehrfurcht 
Eurer Heiligkeit 


demüthigfler und gehorſamſter Diener und Sohn 


Karl von Montalembert. 


Dorwoert, 


Wir übergeben bier der deutſchen Leſewelt ein 
in Frankreich längſt erwartetes, in diefen Tagen auch) 
dort erſt ausgegebenes Gefchichtswerf des franzöſiſchen 
Staatsmannes, den wir uns gewöhnlich nur auf dev 
Rednerbühne, als Vertheidiger der Freiheit der Kirche 
und der politifhen Freiheit zu denfen pflegen. Der 
Graf von Montalembert iſt allerdings einer der größ- 
ten politifchen, und für wahre Freiheit begeifterten 
Redner unferer Tage, aber er ift auch ein eben fo 
gründlicher Forſcher in den tiefen Schachten der Ver- 
gangenheit: er ift eben fo ausgezeichnet als Ge— 
ſchichtsforſcher und Gefchichtfehreiber, wie er als Red— 
ner und claffifcher Schriftiteller groß und bedeutend 
ift. Das umfangreiche Werf, deſſen zwei erfte Bände 
biev evfcheinen, wird fir das Gefagte vollgültigen 
Beweis leiften. 

Dem edlen Berfaffer kommen aber auch für 
Werke der Erudition neben feinen tüchtigen, gelehrten 
Studien und feiner hohen Stellung ganz außeror— 
dentlich reihe Sprachfenntniffe zu ftatten ; außer den 


IV 


Sprachen des claffischen Alterthums, ift er im Be— 
fie faft aller europäiſchen Sprachen und mit deren 
verfchiedenartigen Literaturen grimdlich vertraut. Bei 
alle dem ift er ein unermüdlicher Arbeiter, und hat 
fih nicht etwa nah Weife anderer großer Herren, 
welche gelehrte Werke jchreiben, die Arbeit dadurch Teicht 
gemacht, daß er fih das Material von Sefretären 
oder Amanuenſen hätte zuſammen tragen laſſen, ob- 
wohl auch dann noch das Werk den Meifter loben 
würde; es ift Alles eigenfte Forſchung in den Quel— 
fen jelbft; und auch beim Excerpiren hat er fih nur 
auf ſich felbjt verlaffen, nur den eigenen Augen 
trauen wollen. Darum ift bei ihm auch nirgends 
ein bloßes Scheinverdienft; überall ift feſte Gediegen- 
heit, veiner, metallifcher Klang, und was er fchreibt, 
fann die Probe der Zeit aushalten. 

Nur den Ernft den feine Mühe bleichet, 

Rauſcht der Wahrheit tief verjteckter Born. 

Nur des Meifjels jchwerem Schlag erweichet 

Sich des Marmors fprödes Korn. 

Sp wird aber auch unter feiner fleißigen Hand 

nicht nur die politifche Nede, fondern auch das bän— 
dereihe Gefchichtswerf zum Kunſtwerke. Jahrelang 
hat er den gefchichtlichen Stoff von wirklich unge- 
heuerm Umfange mit ſich berumgetragen, bis er ihn 
endlich bewältigt, und nun in die begrenzte, durch— 
fihtige Form gebracht hat, und derfelbe nun eine 


V 


wejentliche Ergänzung unferer Kichen- und Welt- 
gefchichten werden kann, in denen allen bisher wenig 
oder nichts von allen in den nachfolgenden Bänden 
befindlichen Thatſachen, und über deren Bedeutung 
für die Gefchichte enthalten ift. 

Sp ftehen dem Herrn Grafen von Montalen- 
bert bei hoher geiftiger Begabung, bei feltener per- 
ſönlicher Fähigkeit und Arbeitstüchtigfeit in jeder 
Beziehung großartige Hülfsmittel zu Gebote. Er 
könnte, wenn er fich ausschließlich oder auch nur vor- 
zugsweife dev Wiffenfchaft widmen wollte, in derfelben 
ganz Außerordentliches Leiften. Aber er ift zugleich 
auf's Tieffte von dem Gedanken durchdrungen, daß 
das öffentliche Leben gleichfalls geheifigte Anfprüche 
bat, und daß ein Mann die Dinge im Staate nicht 
gerade gehen laſſen müſſe wie fie eben gehen, fondern 
auch Verpflichtungen und Rechte babe, die vw, im 
perfönlichen wie im Gefammtintereffe Aller erfüllen 
und gebrauchen müffe. Wenn es in Deutfchland noch 
bi8 vor Kurzem hieß: „Ruhe ift des Bürgers erfte 
Pflicht,“ fo hat dagegen Graf von Meontalembert 
von jeher die Pflichten des öffentlichen Lebens ftets 
allen, auch den verdienftvollften Befchäftigungen des 
Privatlebens vorgezogen. Aber auch in der Politik 
find feine Ziele immer die höchften und großartigften. 
Das Sursum corda! das er noch umnlängft, als 
Präfident der vereinigten fünf Akademien, den Männern 


VI 


der Wiſſenſchaft zurief — es tönt uns in den tiefen 
Brufttönen feiner männlichen Beredtjamfeit, als Der 
Grundton feiner politiſchen Reden und Schriften, 
und feines ganzen öffentlichen wie privaten Lebens 
entgegen: durch Freiheit zur Wahrheit, oder Durch 
Wahrheit zur Freiheit! Beide find ihm zugleich Weg 
und Ziel. 

Graf von Meontalembert ift Staatsmann und 
Gelehrter in ſchönſter Harmonie, und Beide ftimmen 
im gläubigen Chriften, int treuen, begeifterten Sohne 
der heiligen Kirche vollftändig zufammen Er fieht 
in der Fatholifchen Kirche die gottgewollte, won Gott 
gegebene Stütze der Ordnung und Negierungsgewalt 
auf Erden. Er weiß, Daß Diefe Kirche von ihren 
göttlichen Gründer veich genug ausgeftattet ift, um 
allen Kegierungsmten, die ſich im fittlihen Formen 
bewegen, gerecht werden zu können; und daß fie 
darum die Freiheiten, welche die Krone der Bür— 
gerehre fir die Bölfer bilden, wenn fie nach den 
Prinzipien der Wahrheit und Gerechtigkeit geregelt 
find, auch gerne beſchützt und gewähren läßt. Eben 
deshalb ift er ein fo beharrlicher Verfechter dieſer 
Freiheiten im feinem Baterlande, und ein jo uner- 
Ihrodener Vertheidiger der katholiſchen Kirche überall, 
wo fie angegriffen, wo ihr Beftand gefährdet ift. 

Seine Handlungsweife ift in Allem durchaus 
grundjäglih, und wird ihn gewiffermaßen exleichtert 


VII 


durch Die glückliche Eigenheit ſeines Weſeus, in wel— 
chem ſich hohe Achtung vor jeder berechtigten Ver— 
gangenheit mit dem friſcheſten Streben nach Geſtalt— 
ung der Zukunft zuſammen findet: in ihm ſelbſt, in 
dem Einklange ſeines konſervativen Geiſtes mit dem 
Geiſte wahrer Freiheit erſcheint das ſchwierigſte Pro— 
blem unſerer ganzen Zeit glücklich gelöft. Auch das 
vorliegende Gefchichtswerf wird auf feine Weife für 
das Gefagte zeugen. Ueber das Werk an fih wird 
er felbjt fi in der Einleitung ausfprechen. 

Die Ueberfegung defjelben, die bier gleichzeitig 
mit dem franzöfifchen Originale erfcheint, ſoll einfach 
und treu das Driginal wiedergeben, fo weit es ohne 
Berletung des Geiftes der deutfchen Sprache gefchehen 
kann. Das franzöfische Werk ift, wie gejagt, nicht 
nur im Bezug auf gediegene Forſchung, fondern auch 
literariſch und fprachlih ein Meufter, und wid in 
Frankreich gewiß bald als muftergültig anerfannt 
werden, 

Freilich, ein ſprachlich klaſſiſches Werk, wie das 
Driginal in feiner Sprache es ift, kaun der Ueber— 
jeßer bier der deutjchen Lejewelt nicht bieten: nur zu 
ſehr fühlt er felbjt den ganzen Abftand zwischen dem 
Driginale und feiner Arbeit. Aber auch fo werden 
fih Die deutſchen Leſer an dem gediegenen Inhalte 
gern erfreuen, zumal fie derfelbe durch Borführung 
der alten Lebensformen des Mönchthums in jenen 


VII 


bedingenden politischen und gefellfchaftlihen Berhält- 
niffen der früheften Zeiten unferer europäifchen Ge— 
Ihichte, wohl größtentheils in eime ihnen bisher fo 
gut wie gänzlich unbekannte neue Welt bliden läßt. 

Biele einzelne Monographien und Lebensbefchrei- 
bungen bedeutender Klöfter und hervorragender Mönche 
jind allerdings in unferer Literatur vorhanden; immter 
aber fehlte es bisher gänzlich an einem Werke, wel- 
ches den Gegenftand in feiner Mitte faffend und 
ihn bis zum äußerſten Umkreiſe beherrfchend, in einem 
großartigen Gefammtbilde dargeftellt hätte. Die ver- 
dienftuollen Gelehrten in Norddeutfchland, die fo 
vieles fir Die Herausgabe der Gefchichtsquellen der 
deutſchen Vorzeit geleiftet haben und noch fortwährend 
feiften, wobei fie faſt bei einer jeden diefer Quellen— 
Ihriften unſerer Gefchichte den Namen eines Mönches 
oder eines Klofters zu nennen haben, dem fie das 
Dafein verdankt, konnten fich begreiflicherweife weniger 
angetrieben finden, auch das eigenthümliche Leben und 
eben in dieſen erften geiftigen Werfftätten des 
Kulturlebens unſers Bolfes wie aller nenern Völker 
in feinem Weſen zu erforfchen und im Zufammen- 
hange Darzuftellen. Keiner von ihnen könnte wohl 
auch Unbefangenheit genug mitbringen, um ein Infti- 
tut vorurtheilsfrei zu beintheilen, Das fo aus dem 
ganzen und vollen Evangelium hervorgegangen ift, 
und einzig nur in der Fatholifchen Kirche fich lebens— 


IX 


voll entwickeln Fonnte: ihr Standpunkt wäre dazu 
nicht geeignet, ihr Ausgangspunkt viel zu ſchief dazu. 
Das Mönchthum, Die vollefte Berwirflihung Des 
Evangeliums im Leben, kann gar nicht ge- 
würdigt werden, wo ein, bon der lebendigen Ueber— 
fieferung, vom continuirlichen Bewußtfein der Ehri- 
jtenheit abgetvenntes Evangelien buch den Ausgangs- 
punkt für die Beurtheilung bilden muß. Anderen, 
fonft wohl dazu befugten Fatholifchen Gelehrten, hat 
es bis jest an Anſtoß zu einer folchen umfaſſenden 
Arbeit gefehlt. Der Ueberjeger felbft bat mit einer 
jpeciell den Benediktiner-Orden betreffenden Gefchichte 
begonnen, die ev aber gerne bis nach Vollendung der 
gegenwärtigen Arbeit ruhen läßt. Der Vorgang 
unfers unvergeglihen Möhler, feine Geſchichte 
des Mönchthums, fo tief und geiftwoll angelegt, 
ift leider ein Fragment geblieben, das kaum über das 
IV. Jahrhundert hinausgeht; und fo kömmt die Auf- 
gabe eigentlich noch ganz unberührt, an den franzöfi- 
fchen Gelehrten und Staatsmann, der nun, feiner 
ganzen Art nach, neben allen andern Seiten an dem 
Gegenftande auch defjen politifche und geſellſchaftliche 
Bedeutung wie nicht leicht ein Anderer, ein Theologe, 
ein Geſchichtsforſcher von Fach oder ein bloßer Stu— 
bengelehrter es gethan haben würde, hervortreten läßt. 
Die Darſtellung gewinnt dadurch ſehr an Friſche und 
Lebendigkeit, und legt den Gegenſtand auch mehr 


X 


praftifch allen denjenigen nahe, Die fich überhaupt 
noch für gejchichtliche Wahrheit und rein  geiftiges 
Streben offenen Sinn bewahrt habeı. 

Der Ueberfeger, der bier nichts als ein treuer 
Dolmetfher des Herrn Verfaſſers fein will, bittet 
die deutſchen Lejer nochmals fir feine Arbeit, auf 
die er gerne mehr Sorgfalt verwendet hätte, um 
achficht, und läßt nun ohne weitere Bemerkung dem 
Grafen von Montalembert jelbit, dieſem Meiſter der 
Rede, das Wort, 


V. Karl Yramdes. 


Finleitung, 


Erjtes Kapitel. 
Enkſtehung diefes Werkes. 


Cxterum et mihi vetustas res sceri- 
benti, nescio quo pacto, antiquus si 
animus. 

Livius. 


Mics Werk verdankt einem weniger umfaffenden Ge— 
danfen, als der Titel ausprüct, jeine Entftehung. Nach— 
dem ich, vor mehr als zwanzig Jahren, in der Gefchichte 
der heiligen Elifabeth das Leben einer jungen Frau er- 
zählt hatte, in welcher fich die chriftliche ‘Poefie und An— 
ſchauungsweiſe des Leidens und Liebens ausprägte, und 
deren bejcheidenes, faſt vergeſſenes Dafein ſich nichtsdejto- 
weniger an die glänzendfte Epoche des Mittelalters fnüpfte, 
gedachte ich an ein Unternehmen von jchwierigerer Art zu 
gehen: ich wollte das Leben eines großen Mönches fchrei- 
ben und damit zu der Nehabilitirung der religiöfen Orden 
in neuefter Zeit beitragen. Erfreut, daß es mir gelungen, 
durch Verherrlichung des Einfluffes der fatholifchen Kirche 
auf die zarteften und erhabenjten Gefühle des menfchlichen 


XII 


Herzens die Aufmerkſamkeit nach einer Lange verdunkelten— 
und vergeffenen Seite der chriftlichen Gefchichte hinzulenfen, 
hoffte ich, auch mit einer, einem andern Lebenskreiſe ange- 
hörigen gefchichtlichen Darftellung den gleichen Beifalt zu 
erringen, nämlich dadurch, daß ich die fatholifche und hi- 
jtorifche Wahrheit auf eben dem Boden wieder in ihre 
Rechte einfette, wo dieſelbe am meijten mißfannt worden 
und wo fie noch gegenwärtig der meiften Abneigung und 
den meiften Vorurtheilen begegnet. 

Demjenigen, welcher nach dem Meufterbilde eines voll— 
endeten Ordensmannes forfcht, wird fich die hohe Perſön— 
Yichfeit des heiligen Bernhard zuvörderſt darbieten. Keiner 
bat auf das Gewand der Mönche helleren Glanz geworfen 
als er. Und doch feheint, feltfamer Weife, von feinen zahl- 
reichen Yebensbefchreibern fein Einziger, mit Ausnahme der 
alfererften Biographen, die noch bei feinen Lebzeiten ge— 
fchrieben haben, dasjenige in's Auge gefaßt zu haben, was 
fein Leben einzig erklären kann und es gänzlich beherricht, 
feinen Stand als Mönch. Alle anerfennen den heiligen 
Bernhard als einen großen Mann, als einen Mann von 
Genie: fein Einfluß auf fein Sahrhundert war ohne Glei— 
chen; er beherrſchte daſſelbe durch Beredtfamfeit, durch Tu- 
gend und durch Heldenmuth. Mechr als einmal entjchied 
er über das Schiefal von Völfern und Kronen ; e8 kam 
jogar ein Moment für ihn, wo er die Gefchiefe der Kirche 
in jeinen Händen hatte. Er bewegte ganz Europa und 
warf es auf das Morgenland ; er befämpfte und bejiegte 
in der Perfon Abailard's den Vorläufer des modernen Ra- 
tionalismus. Alle Welt weiß das und fagt es, und gerne 
jtellt ihn Jedermann einem Ximenes, einem Nichelien und 
Boſſuet als Politifer an die Seite. Das Alles ift wahr; 
aber e8 genügt nicht, Wenn er, was Niemand bezweifelt, 


XII 


ein großer Nedner, ein großer Schriftfteller, eine große Per- 
jönlichfeit war, jo war er es faft, ohne es felbft zu wiffen, 
und wider feinen Willen. Er war und er wollte etwas ganz 
anderes fein: er war ein Mönch umd ein Heiliger; er 
lebte in einer Klofterzelle und war ein Mann, ven Gott 
durch Wunder verherrlichte. 

Die Kirche hat die Heiligkeit Bernhards ausgefprochen 
und conftatirt; der Gefchichte bleibt noch die Aufgabe zu 
löfen, fein Leben zu erzählen und den wunderbaren Einfluß 
zu erflären, welchen er auf feine Zeitgenofjen übte. 

Wer aber das Leben und das Zeitalter diefes großen 
Mannes, diefes Mönches ftudiert, der findet, daß die Päpfte, 
die Bifchöfe, die Heiligen, welche damals die Vormauer 
und die Ehrenfrone der chriftlichen Gefellfchaft waren, alle 
oder faft alle gleich wie er, aus den Reihen des Meönch- 
thums hervorgingen. Und diefe Mönche, was waren fie 
denn eigentlih ?_ Woher famen fie? Was Hatten fie 
bis dahin gewirkt und gethan, daß fie in den Gefchiefen 
der Welt auf einer fo hohen Stufe jtanden? Auf dieſe 
Fragen mußte zunächſt geantwortet werden. 

Noch mehr. Beim Verfuche den Zeitraum, in welchem 
der heilige Bernhard lebte, zu beurtheilen, gewahrt man, 
daß fich derjelbe weder erklären noch begreifen läßt, wenn 
man nicht zuvor erkannt hat, daß derfelbe won dem gleichen 
Hauche belebt ift, den eine worhergehende Epoche, won wel- 
cher er nur die unmittelbare, genaue Fortſetzung bilvet, be- 
jeelt hatte, 

Wenn fi) das XH. Sahrhundert vor dem Genius 
und der Tugend des Mönches Bernhard neigte, jo ift Dies 
darum, weil das XI. von der Tugend und dem Genie des 
Mönches erneuert und durchdrungen worden war, der den 
Namen reger VII. führte, Weder der Zeitraum noch 


XIV 


die Wirkſamkeit Bernhards laſſen fich demnach aus fich 
allein und abgefehen von der heilfamen Krifis betrachten, 
die den einen vorbereitet und die andere möglich gemacht 
hatte; und nie hätte man einen einfachen Mönch angehört 
und ihm gehorcht, wie es bei Bernhard der Fall war, 
wenn feiner unbeftrittenen Größe nicht die Kämpfe, die 
Prüfungen und die endlichen Siege eines andern, ſechs 
Jahre vor feiner Geburt geftorbenen Mönches vorange- 
gangen wären. So erwuchs alfo die Nothwendigfeit, nicht 
nur das Pontififat des größten aller Päpſte, die aus den 
Reihen der Mönche hervorgegangen, mitteljt eines gewiſſen— 
haften Ueberblides zu charafterifiven, fondern auch die Pe- 
riode zu beleuchten, welche die letzten Kämpfe Gregor’s 
mit den erjten Beftrebungen Bernhard's verbindet, und da— 
mit die Schilderung eines Kampfes zu werfuchen, welcher 
der härtejte und der ruhmreichſte gewefen ift, den die Kirche 
jemals beftanden hat, und in welchem die Mönche woran 
in den Kampfesmühen und in der Ehre des Sieges waren. 

Doch auch dies genügte noch nicht. Weit entfernt, 
die Gründer des Mönchthums zu fein, waren Gregor VII. 
und Bernhard nur Sprößlinge davon, wie jo viele tau— 
jend Andere ihrer Zeitgenoffen. Das Inſtitut ſelbſt be- 
ſtand ſchon feit fünf Yahrhunderten, als -diefe großen Män— 
ner den ihm innewohnenden Geift jo vortrefflich zu be— 
nutzen verjtanden. Um feine Urfprünge fennen zu lernen, 
um fein Wefen und die Dienfte, welche es geleiftet, wir- 
digen zu fönnen, muß man in der Gefchichte bis zu einem 
andern Gregor, dem heiligen Gregor dem Großen, dem 
erjten aus der Klofterzelfe hervorgegangenen Papfte hinauf- 
gehen, und noch höher, bis zum heiligen Benevift, dem 
Geſetzgeber und Patriarchen der Mönche des Abendlandes. 
Man muß, während vdiefer fünf Jahrhunderte, die über- 


XV 


menschlichen Anftvengungen jener ſtets jich wieder erneu— 
ernden Legionen von Mönchen, die an der Bezähmung, der 
Friedigung, der Diseiplinivung und Sittigung der zwanzig 
verschiedenen barbarifchen Völker arbeiteten, welche nach— 
einander zu chriftlichen Nationen umgebildet wurden, 
wenigſtens durchblicken laffen, Es würde ungerecht, es 
würde eine empörende Undankbarkeit geweſen ſein, jene 
zwanzig Generationen unermüdlicher Anbauer, welche die 
Seelen unſerer Vorväter und zugleich mit denſelben den 
Boden des geſammten chriſtlichen Europa kultivirt haben, 
und die dem heiligen Bernhard und ſeinen Zeitgenoſſen 
nur die Mühe des Erndtens übrig ließen, ganz mit Still— 
ſchweigen zu übergehen. 

Die Bände, mit deren Veröffentlichung ich jetzt den 
Anfang mache, haben dieſe vorbereitende Aufgabe. 

Von dem Wunſche beſeelt, meinen Leſern den Weg zu 
zeigen, den ich mir ſelbſt gebahnt, habe ich dieſe lange Vor— 
arbeit unternommen, um zu zeigen, was das Mönchthum 
war und was es für die katholiſche Welt gethan hatte, 
bevor der heilige Bernhard in der Chriſtenheit ſeiner Zeit 
mittelſt deſſelben auf die höchſte Stufe der Verehrung und 
Bewunderung gelangte. Vom literariſchen Standpunkte, 
ich weiß es recht gut, iſt es nicht rathſam, das Intereſſe, 
das ſich hier ſo leicht auf einen einzigen leuchtenden Punkt, 
auf einen einzigen hohen Genius der Menſchheit zuſammen— 
drängen ließ, dergeſtalt auf eine lange Reihe von Jahren 
und eine ſo große Zahl von theilweiſe unbekannten oder 
vergeſſenen Namen zu zerſtreuen. Dies iſt allerdings eine 
Klippe, deren Gefährlichkeit ich kenne. Zudem ſchwäche 
ich freilich auch, indem ich ſo viele große Männer und ſo 
viele große Dinge vorführe, ehe ich zu demjenigen komme, 
der eigentlich der Held meines Werkes ſein ſollte, ſicherlich 


XVI 


den Eindruck ſeiner eigenen Größe, das Verdienſt ſeiner 
hingebenden Aufopferung, die Lebendigkeit der Darſtellung. 
Wenn ich nichts als den Erfolg im Auge hätte, ſo würde 
ich mich vor einer ſolchen Verfahrungsweiſe wohl hüten. 
Aber es gibt für jeden chriſtlichen Schriftſteller eine Schön— 
heit, die über die Kunſt der Darſtellung erhaben iſt, näm— 
lich diejenige der Wahrheit. Es gibt etwas, das ung näher 
am Herzen liegt als der Ruhm aller Helden, ja fogar aller 
Heiligen, das ift die Ehre der heiligen Kirche und ihr pro- 
pidentiellev Gang durch alle Stürme und Finfterniffe ver 
Gefchichte, und ich wollte den Ruhm eines erhabenen, all- 
zulange ſchon verläumdeten und verbannten Inftitutes nicht 
dem Ruhme eines einzigen Mannes opfern. Wenn ich 
demungeachtet verfucht gewejen wäre es zu thun, fo hätte 
ich e8 diefem hohen Helden felbft, dem heiligen Bernhard, 
dem großen VBerfünder der Gerechtigkeit und Wahrheit, 
jicherlih nicht zu Dank gethan. In feiner veinen Glorie 
würde er es mir nicht Dank wiſſen, ihn auf Unfoften feiner 
Vorgänger und feiner Meiſter erhöhet zu haben. 


Diejer dergeftalt erweiterte Gegenftand umfaßt einen 
nur allzuweiten Gefichtsfreis. Er berührt zugleich die Ge- 
genwart und die Vergangenheit. Die Bande, welche ihn 
mit unſerer ganzen Gefchichte verfnüpfen, find ebenfo man— 
nigfach als Handgreiflih. Betrachte man nur die Karte 
von Alt-Frankreich oder diejenige von was immer für einer 
unferer Provinzen, auf jedem Schritt und Tritt ſtößt man 
auf Namen von Abteien, Stiftsfirchen, Klöftern, Prioraten, 
Einfiedeleien, welche die Stelle von eben fo vielen klöſter— 
lihen Kolonien andeuten. Wo ift eine unferer Städte, die 
nicht durch irgend ein Klofter gegründet, zu Wohlſtand ge- 
bracht oder befchütt worden wäre? Wo eine Kirche, Die 


XV 


dem Mönchthume nicht einen Schußpatron, eine Reliquie, 
eine frommte, volfsthümliche Ueberlieferung verdanfte? Wo 
irgend ein dichter Hochwald fteht, wo ein klarer Duell 
bervorsprudelt, wo ein mächtiger Baum feinen Wipfel hoch 
in. den Lüften wiegt, findet man in der Negel auch, daß 
die Religion dafelbit, durch der Mönche Hand, thätig gewefen 
jei. Diefer Einfluß iſt aber noch viel allgemeiner, viel 
ungerftörbarer in den Geſetzen, in den Künften, im ven 
Sitten, in unferer gefammten alten Gefellfchaft zu erfennen, 
Ueberall ift diefe Gefellfcehaft in ihrer Jugendzeit durch den 
Geift, der dem Mönchthum innewohnt, frifch belebt, ge- 
leitet, conftituirt worden. Ueberall, wo immer man die 
Denkmäler der Vergangenheit erforjcht, nicht nur in Frank— 
reich, fondern in ganz Europa, von Spanien bis nach 
Schweden, in Schottland wie in Sicilien, überall wird dem 
Forſcher ein Mönch entgegen treten; er ftöht aller Orten 
auf die fchlecht verdeckte Spur feiner Thätigfeit, feiner Be— 
deutung, feiner Wohlthaten für die ganze Gegend, won der 
bejcheidenen Furche an, die er zuerſt im Heivelande der Bre- 
tagne oder Irland gezogen, bis zu den erlofchenen Herr; 
lichfeiten von Marmoutier und Cluny, von Melroſe und 
dem Escurial. 

eben diefem in der Vergangenheit wurzelnden In— 
terejje hat der Gegenftand aber auch ein Intereſſe für bie 
Gegenwart, Im XVII. Sahrhundert aller Orten vertrie- 
ben und mit Schmach überhäuft, haben die religiöfen Or— 
den ſich im XIX. überall wieder erhoben, jo dag wir zu 
gleicher Zeit ihre Beftattung und ihre Wiederauferftehung 
erleben. Hier ift man noch mit der Bertilgung der lebten 
Zrimmer derfelben befehäftigt, und dort find fie ſchon wieder 
friſch und fräftig nachgewachfen. Ueberall, wo die fatho- 
u Religion nicht gerade offen verfolgt wird, wie der— 

. Montalembert, d. Mönche d. W. J. b 


XVII 


malen noch in Schweden, überall wo diefelbe ihren gebüh- 
renden Antheil an den modernen Freiheiten erlangt hat, 
erfcheinen fie gleichfam ganz von felbjt wieder. Man mag 
jie beranben und verbannen wie man will, fie fehren überall 
zurück, manchmal unter anderen Namen, aber ftets mit 
ihrem ursprünglichen Geifte, Sie verlangen und bedauern von 
ihrer ehemaligen großartigen Exiſtenz ganz und gar nichts. 
Sie beftehen, fie predigen durch Wort und Beijpiel, fie 
find nicht reich, nicht angeſehen, manchmal nicht gefetlich 
anerfannt, aber es fehlt ihnen nicht an Fräftiger Lebens- 
fühigfeit, nicht an Prüfungen ; fie find nicht ohne Freunde, 
und vor Allem nicht ohne Feinde, 

Fur Freunde und Feinde iſt es von Intereffe, genau zu 
wiffen, woher fie fommen und wo fie das Geheimniß ihrer 
Lebenskraft und Fruchtbarfeit gefchöpft haben. Sch biete 
bier den Einen wie den Andern eine Erzählung davon, die 
feine Lobrede, auch feine Vertheidigungsſchrift fein ſoll; jon- 
dern einfach das aufrichtige Zeugniß eines Freundes, eines 
Bewunderers, der durchaus die unparteiifche Billigfeit, wie 
die Gefchichte diefelbe verlangt, walten läßt, und der feinen 
einzigen Flecken bemänteln wird, um fich das Necht zu 
wahren, feine einzige ihrer Glorien zu verhüllen. 


Zweites Kapitel. 
Grundcarakter der Klöfterlihen Iuflitute. 


Quest’ altri fuochi tutti contemplanti 
Uomini furo, accesi di quel caldo 
Che fa nascer i fiori e i frutti santi. 

Qui & Macario, qui Romoaldo: 
Qui son li frati miei, che dentro a’ chiostri 
Fermaro i piedi e tennero ’] cor saldo. 


Der heilige Benedift bei Dante, Parad. XXI. 


Es dürfte rathſam ſein, vor dem Beginne dieſer 
Darſtellung noch einige Andeutungen über den Grundcha— 
rakter des klöſterlichen Aufopferungsgeiſtes zu geben: über 
dasjenige, was vom Anfange an das Prinzip aller Dienſte 
geweſen iſt, die derſelbe geleiſtet hat, ſowie des Haſſes, 
den er einflößt. 

Wer unter uns wußte noch vor wenigen Jahren, was 
denn eigentlich ein Mönch ſei? Ich meinestheils hatte 
beim Beginne der Vorftudien zu diefem Werfe gar feinen 
Begriff davon. Ich dachte wohl ohngefähr zu willen, was 
ein Heiliger, was die Kirche ſei; aber ich hatte nicht die 
geringite Ahnung davon, was ein Mönch oder was das 
Mönchthum fei. Ich gehörte eben der Zeit an, in der ich 
lebte. Während des ganzen Berlaufes meiner häuslichen 
und öffentlichen Erziehung war es Niemand, auch feinen 
von denjenigen, welche im Beſondern beauftragt waren, 
mich in der Religion und in der Gefchichte zu unterrichten, 

b* 


XX 


auch nur eingefallen, mir irgendwie einen Begriff über die 
religiöfen Orden zu geben. Dreißig Jahre waren kaum 
feit ihrer Zerftörung in Frankreich vergangen, und ſchon be- 
handelte man fie wie jene ausgeftorbenen Species, deren 
foffile Knochen von Zeit zu Zeit zum VBorfchein kommen 
und Neugierde oder Widerwillen erregen, aber durchaus 
nicht mehr unter die Dinge einer lebendigen Welt gerechnet 
werden. Sch denfe mir, daß die meiften Männer meines 
Alters mit mir im gleichen Falle fein werden; haben wir 
nicht alle beim Austritte aus dem Kollegium genan ge 
wußt, wie viel Piebichaften Yupiter gehabt, und wußten wir 
dabei auch nur die Namen der Grimder jener veligiöfen 
Drvden anzugeben, denen Europa feine Bildung und die 
Kirche fo viele Dale ihre Nettung verdankt ? 

Das erjtemal, daß ich ein Mönchsgewand zu fehen 
befam, war, foll ich e8 befennen ? auf den Bretterir eines 
Theaters, in eimer jener unedlen Barodien, an welchen 
fih die moderne Zeit nur allzubäufig anftatt der erhabenen 
Pracht und Feier des katholiſchen Gottesdienjtes erfreut. 
Einige Jahre fpäter begegnete ich danır zum evjtenmale 
einem wirklichen Mönche, Es war im Thalgrunde unter 
der großen Karthaufe, am Eingange der wilden Bergſchlucht 
längs jenes ſchäumenden Gebirgswaffers, welches fich der 
Erinnerung aller Befucher jener berühmten Einöde fo tief 
einprägt. Ich wußte noch gar nichts, weder von den Ver— 
dienjten noch von dem Ruhme, welche der Anblick des ver— 
achteten Mönchsgewandes billig jedem, auch dem am we- 
nigſten umterrichteten Chriften in Erinnerung bringen follte; 
aber ich gedenke noch jett lebhaft der Ueberraſchung und 
des ergreifenden Eindrucdes, den dies Bild einer verſchwun— 
denen Weit in meinem Herzen hervorrief. Auch heute 
noch, nach jo vielen anderen Erlebniffen, nach jo verſchie— 


XXI 


denartigen Kämpfen, nach fo vielen Forſchungen und Ar- 
beiten, in welchen mir die unvergängliche Größe und Wich- 
tigfeit der religiöfen Orden in der Kirche klar geworben 
ift, bleibt jene Erinnerung in mir lebendig und erfüllt 
mich mit umendlicher Freude. Wie jehnlichht wünfchte 
ich, daß dies Werk auf diejenigen, welchen es auf 
ihrem Lebenswege in die Hände fümmt, einen ähnlichen 
Eindruck machen, und dem Cinen oder Andern, mit der 
Ehrfurcht vor Diefer vergangenen Größe, den Wunfc, 
das Inſtitut, grümdlicher fennen zu lernen, und das 
Bedürfniß, demſelben Gerechtigkeit angedeihen zu laſſen, 
einflögen möchte ! 

Es gehört übrigens auch gar nicht übermäßig viel dazu, 
um für den Mönch eine vollftändigere Gerechtigkeit anzır- 
jtreben, als ihm bisher von den meiften, auch chriftlichen, 
auch Firchlichen Apologeten der neuern Zeit zu Theil ge- 
worden iſt. Es hat bei der Vertheidigung der religiöfen 
Drven gefchienen, als bitte man hauptfächlich im Namen 
der Dienfte, welche diefe erlauchten Inſtitute den Wiffen- 
Ichaften, der Literatur, der Landwirthſchaft u. ſ. w. geleiftet 
haben, für diefelben um Gnade, Das hieß aber auf Un- 
foften des Wefentlichen das Zufällige und Ueberflüffige her- 
vorheben. Konftativen und bewundern wird man freilich 
auch die Urbarmachung fo vieler Wälder und wilden Ein- 
den, das DVervielfältigen und Bewahren fo vieler literari- 
chen und hifterifchen Denfmäler und die ftaunenswerthe 
Elöfterliche Gelehrfamfeit, die fich durch nichts anders er— 
jegen läßt; das find allerdings große, der Menfchheit ge- 
feiftete Dienfte, die, wenn bei den Menſchen Gerechtigkeit 
zu finden wäre, gemügt hätten, um die Mönche auf ewig 
mit ihrem Schilde zu deden. Was aber noch ganz anders 
Bewunderung und Danf verdient, das ift der ununterbro- 


XXI 


chene Kampf ver fittlichen Freiheit gegen die Knechtichaft 
des Fleifches; das beharrliche Streben des Willens nad) 
dem Erwerb und der Bewahrung chriftlicher Tugend; der 
jiegreiche Auffchwung ver Seele zu den höchſten Regionen, 
wo fie alfein ihre wahre, ihre ewige Größe findet. Mög— 
licherweife hätten wohl auch rein menjchliche Inftitutionen, 
blos zeitliche Mächte, ver menfchlichen Geſellſchaft die glei- 
chen materiellen Güter gewähren fünnen ; was aber menfch- 
liche Macht nie und nimmer im Stande ift, was fie nie auch 
nur verfucht hat, was fie niemals erreichen wird, ift die Dis- 
ciplinirung der Seele, die Umbildung ihrer Kräfte durch die 
Keufchheit, den Gehorfam, den Aufopferungsgeift, die De— 
muth; es ift die Erhebung und Stählung des durch die 
Sünde verfchlechterten Menfchen zu einer ſolchen Kraft und 
Tugenphöhe, daß die Wunder der evangelifchen Vollkom— 
menbeit, durch lange Jahrhunderte, die alltägliche Gefchichte 
der Kirche geworden waren. Das ift es, was die Mönche 
gewollt, was fie gethan haben. Von den zahlreichen Grün- 
dern und Gefeßgebern des Flöfterlichen Yebens ift e8 feinem 
Einzigen eingefallen, feinen Yüngern das Urbarmachen des 
Bodens, das Abjchreiben der Manuferipte, die Pflege der 
Künſte und Wiffenfchaften, die Gefchichtfchreibung und der— 
gleichen als Lebenszweck hinzuftellen ; alles Dies war für 
jie nur eine Nebenfache, es war eine häufig nur indirekte 
und gar nicht einmal beabjichtigte Folge bei einem Inſti— 
tute, das nichts als die Pflege und Ausbildung der Seele 
bezweckte, nur ihre Sleichförmigfeit mit dem Geſetze Chrifti, 
nur die Abbüßung der angebornen Verderbniß durch ein 
Leben in der Aufopferung und Abtödtung anftrebte. Darin 
lag für Alle der Zwed, der Grund, der höchſte Gegenftand 
ihres Dafeins, der alleinige Ehrgeiz, das einzige Verdienſt 
und der bauptfächlichite Sieg. 


"XXI 


Demjenigen, welcher den Sündenfall, die zweifache Noth— 
wendigfeit der göttlichen Gnadenwirfung und der menjch- 
lichen Mitthätigfeit zur Wievererhebung aus der Tiefe des 
Falles läugnet, muß leichtbegreiflicher Weife das Flöfterliche 
Leben nur als eine große, beflagenswerthe Verirrung er— 
Icheinen. Wer die Kämpfe der Seele, wenn fie in ihrer 
bis zum Heroismus gefteigerten Gottesliebe eine fiegreiche 
Waffe, ein unfehlbares Heilmittel gegen die ungeovonete 
Yiebe der Creatur fucht, nicht fennt und nicht begreift, dem 
bleibt die geheimnißvolle Verehrung der Yungfränlichkeit, , 
die eine wefentliche Bedingung des Klofterlebens ift, auf 
immer ein ungelöftes Räthſel. Aber auf diefem Stand- 
punkte find auch gleicherweife die hriftliche Offenbarung 
jelbft, und das von Chriftus eingefette Priefterthum nicht 
jtatthaft. Dagegen wird ein Jeder, der an die Menſch— 
werdung des Sohnes Gottes und an die Göttlichkeit des 
Evangeliums glaubt, im Elöfterlichen Yeben die edelſte An— 
jtvengung, die jemals gemacht worden, anerfennen, um gegen 
die verderbte Natur anzufümpfen und ver chriftlichen Voll— 
fommenheit nahe zu fommen; jeder Chrift, der an die 
Verheißung ewiger Dauer für die Kirche glaubt, muß in 
dieſem Inſtitute, aller Aergerniffe und aller Mißbräuche 
ungeachtet, die man aufzählen möchte, die unvergängliche 
Saat des priefterlihen Anfopferungsgeiftes ſehen und 
verehren. 

Bei dieſer Betrachtungsweiſe erklärt ſich einerſeits die 
unermeßliche Wichtigkeit der Dienſte, welche der Regular— 
Klerus der Religion geleiſtet, ſowie andererſeits die ganz 
beſondere, beharrliche Erbitterung, welche die Feinde der 
Kirche jederzeit gegen denſelben an den Tag gelegt haben. 
Ein Blick in die Geſchichte der katholiſchen Völker ſollte, 
ſo ſcheint es, genügen, um angeſichts dieſes doppelten 


XXIV. 


Schauſpiels frappirt zu werden. Seit dem Aufhören der 
Verfolgungen der heidniſchen Kaiſerzeit iſt die Größe, die 
Freiheit, die Blüthe der Kirche jederzeit im genaueſten 
Verhältniſſe zu der Macht, der Disciplin, der Heiligkeit 
der religiöfen Orden geweſen, welche in ihr beſtanden '). 
Man darf ohne Schen behaupten, daß fie überall und 
immer in demfelben Maaße blühender war, als die Flöfter- 
lichen Gemeinschaften zahlreicher, tiefer vom Geifte ihrer 
Gründer durchdrungen und freier gewejen find. 
Unmittelbar nach dem Frieden der Kirche bieten vie 
Mönche der Thebais, von Paläftina, von Yerin und von 
Marmoutier, dem wahren Glauben unzählige VBertheidiger 
und Borfämpfer gegen die arianifchen Tyrannen des byzan— 


') Die veligiöfen Orden im Allgemeinen können im vier große 
Kategorien eingetheilt werden: 1) die eigentlihen Mönche, als 
welche betrachtet werden die Orden des heil. Bafilius und derjenige 
des heil. Benedikt mit allen feinen werjchiedenen Zweigen: Cluny, 
die Kamaldulenjer, die Karthäufer, die Cifterzienjer, die Cöleftiner, 
nebft Fontevralt und Grandmont; alle noch wor dem XHI. Jahr— 
hundert geftiftet; 2) die vegulirten Chorherren, nach der Kegel 
des heil. Auguftin, deren Wirfungsfreis nie bejonders ausgedehnt 
war, aber mit welchen ſich zwei bochberühmte Orden, derjenige der 
Pramonftratenfer, und der won der Mercede, der Befreiung der 
Gefangenen, verbinden; 3) die Brüder (Frati) der Mendifanten- 
Drden, die aus den Dominifanern, den Franzisfanern (mit allen 
Unterabtheilungen in Konventualen, Objervanten, Mindern Brüder, 
Kapuziner), den Karmelitern, den Auguftinern, den Serviten, den 
Minoriten, und im Allgemeinen aus allen vom XII. bis XVI. 
Jahrhundert gegründeten Orden beftehen; 4) endlich die Negular- 
Klerifer, eine Form, welche ausschließlich den Orden, die im XV. 
Sahrhundert und jpäter gegründet find, eigen ift, und denen die 
Sefuiten, die Thentiner, die Barnabiten u. j. w. angehören. Die 
Lazariften, die Dratorianer, die Eudiſten find, wie auch die Sulpi- 
tianer, nur Weltpriefter, die in einer Art von Kongregation leben. 


XXV 


tiniſchen Kaiſerreiches. Nach Maaßgabe, wie die Franken 
in der Eroberung Galliens fortſchreiten und unter den 
anderen germanifchen Stämmen zum Uebergewichte gelangen, 
laffen fie fich fogleich von den Söhnen des heiligen Bene— 
dift und des heiligen Kolumban bewegen, belehren und 
lenfen. 

Vom VI. bis zum IX. Sahrhundert find es die Be— 
nediftiner, welche Belgien, England, Deutfchland und Skan— 
dinavien für die Kirche erobern, und den Gründern aller 
abendländifchen Neiche die umentbehrlichen Gehülfen für 
die Begründung der chriftlichen Civiliſation darbieten. 

Im X. und XT. Sahrhundert führen eben diefe unter 
der mächtigen Yeitung von Cluny concentrirten Benediftiner 
den fiegreichen Kampf gegen die Gefahren und Mißbräuche 
der Yehensherrfchaft, und liefern dem heiligen Greger VII. 
das Heer von Streitern, dejfen er bedurfte, um die Frei- 
heit und Unabhängigkeit dev Kivche zu retten, das Konku— 
binat der Weltpriefter wieder aufzuheben und die Simonie 
und die Paten = Inveftitur für Firchliche Pfründen zu ver- 
nichten. 

Im XI. wird der vom heiligen Bernhard zu einer 
Höhe ohne Gleichen erhobene Orden von Gifterz das Haupt- 
werkzeug für die wohlthätige Suprematie des heiligen Stuh— 
les, dient dem heiligen Thomas von Ganterburh zur Zus 
fluchtsftätte und der firchlichen Freiheit bis Bonifazius VIII. _ 
zum feften Bollwerk '). 


) Man erzählt, Diefer Papſt habe dem Abte won Eifterz das 
jonft nur den Päpften verliehene Vorrecht verlieben, ein Wappen zu 
führen, auf welchem der Prälat fitend dargejtellt war, indem er zu 
ihm gefprodhen habe: „Weil du allein zu mir geftanden, 
jollft du auch allein mit mir ſitzen.“ Quoniam tu mecum 
solus stetisti, solus mecum sedebis, 


XXVI 


Im XII. und XIV. erhalten und verbreiten die nenen, 
von den heiligen Franziskus und Dominifus und ihren 
Nacheiferern gegründeten Orden überall die Herrjchaft des 
Glaubens über die Seelen und die gefellfchaftlichen Zu— 
jtände ; erneuern die Kämpfe gegen das Gift der Irrlehre, 
jeten an die Stelle der Kreuzzüge das Werf der Befreiung 
gefangener Ehriftenfilaven und erzeugen im heiligen Thomas 
den größten chriftlichen Lehrer und Meoraliften, bei dem, 
als dem tremeften Dolmeticher ver Fatholifchen Ueberliefer- 
ung, der Glaube fih Raths erholt, und in welchen vie 
Vernunft den glorreichen Rival eines Arijtoteles und Car: 
tefius in Bezug auf. Gedanfenjchärfe erfennt. 

Im XV. wird die Kirche von dem großen Schisma 
und von allen daraus hevvorgehenden Aergerniſſen getroffen; 
e8 war dies die Zeit, in welcher die Älteren Orden den 
Geift ihres urfprünglichen Eifers verloren hatten, und wo 
fein neues veligiöfes Inſtitut entftand, um den chriftlichen 
Geiſt zu verjüngen. 

Bekannt find die ummwiderjtehlichen Fortichritte des 
Abfalles von der Kirche im XVI. Jahrhundert bis zum 
Tage, wo die Jeſuiten, vom letten allgemeinen Coneilium 
feierlich als neue veligisfe Genoſſenſchaft gutgeheißen, ſich 
mit ganzer Kraft ver Strömung entgegenwarfen, und jo 
der Kirche wenigjtens die Hälfte ihres europäischen Befit- 
jtandes rettete. 

Im XV. Jahrhundert ift der hohe Auffchwung ka— 
tholifcher Wiſſenſchaft und Beredtſamkeit gleichzeitig, mit 
den großen Reformen der Mauriner- und anderer Kongre- 
gationen, mit den Gründungen, die vom heil. Franzisfus 
Saleſius und vom heiligen VBincenz von Paul ausgingen, 
jowie mit der wunderjamen. Entfaltung der Nächjtenliebe in 
allen jenen Frauen- und Yungfrauen-Vereinen, welche alle 


XXVII 


Stürme der Zeit überdauert haben, und zum Glücke größ— 
tentheils noch jetzt beſtehen. 

Im XVIII. endlich unterlagen die gänzlich dem Com— 
mendenwefen anheimgefallenen, von der fittlihen Fäulniß, 
welche durch die beftändigen Eingriffe der weltlichen Ne: 
gierungen eindrang, felbft mit ergriffenen, durch offene over 
geheime Gewalt deeimirten Klöfter faft fümmtlich : dies 
war aber auch die Epoche, wo die Kirche ihre demüthi— 
gendften Prüfungen beftand; und zu Feiner Zeit ihrer Ges 
Schichte Fonnte die Welt zuwerfichtlicher der vermeintlichen 
Vernichtung derfelben entgegen fehen. 

Wo fände fih in der Gefchichte eine bündigere und 
unwiderfprechlichere Lehre, als dies beftändige Zuſammen— 
treffen? Und ift nicht aus dem mehr oder minder heftig 
entbrannten Kriege, der in allen Jahrhunderten gegen die 
Kirche geführt worden ift, die gleiche Schlußfolgerung zu 
ziehen ? Sind es nicht vor Allem die Mönche, die die 
Feinde und Unterdrücer der Kirche ftets am meiften mit 
ihrem Haffe verfolgt haben ? Ohne im geringjten die wirk- 
lihe Schuld und die betrübenden Vorwände zu verfennen, 
welche allzu lange ungeftraft gebliebene Mißſtände darge: 
boten haben, — muß nicht Jedermann geftehen, daß über- 
all, wo man darauf ausging, die Religion in ihrem inner— 
jten Herzpunfte zu treffen, die erften Streiche immer gegen 
die religiöfen Orden geführt worden find? Sind nicht den 
frevelhaften Attentaten gegen die Autorität des heiligen 
Stuhles, gegen die Unabhängigkeit ver Bifchöfe, gegen 
Berfaffung und Eigenthum der Weltgeiftlichfeit immer und 
überall die Aufhebung und Beraubung der Flöfterlichen 
Korporationen vorangegangen? Haben nicht die Nefor- 
miver de8 XVI. Yahrhunvderts in Deutfchland, Heinrich 
VII. und feine Helfershelfer in England und die Religiong- 


XXVII 


ſtürmer in Schweden und Dänemmf, in diefer Taktik, im 
XVII. Jahrhundert, ihre fnechtifchen Nachahmer an Jo— 
jeph IL. und den franzöfischen Nevolutionären gehabt? Und 
wenn wir Zeit oder Luft hätten, einen Blick in die Ge— 
fchichte des XIX, Sahrhunderts zu werfen, würden wir da 
nicht überall die Gegner der Fatholifchen Kirche mit dem 
Einmuthe der Verſchwörer darauf losgehen fehen, die noch 
übrigen Kloſter-Inſtitute völlig auszurotten, und, wo fie 
fünnen, die Keime jener Elöfterlichen Wiedergeburt zu er— 
ſticken, die von jeher überall mit dev Wiedergeburt des 
chriftlichen Glaubens und Yebens zufammentrifit ? 

Gott verhüte jedoch, daß wir aus dieſem bejtändigen, 
jo auffallenden Zufammentreffen auf eine völlige Identität 
zwifchen der Kirche und den religiöfen Orden ſchließen 
wollten! Wir verwechfeln die heiligen und heilfamen, aber 
immerhin dem Wechfel und Wandel ver menfchlichen 
Schwächen unterworfenen Fldfterlichen Inftitute keineswegs 
mit der alleinigen, von Gott felbft und zu ewiger Dauer 
gegründeten Heilsanftalt. Wir ftellen nicht in Abrede, daß 
die Kirche nicht auch ohne die Inftitute des Mönchthums 
beftehen und fiegreich ihr Ziel erreichen könne. Bis jett 
aber hat es Gott gefallen, zwifchen dem Blütheftande ver 
Kirche und dem der veligiöfen Orden, zwifchen ihrer und 
der Flöfterlichen Freiheit eine gewilfe ehrenvolfe Solidarität 
beftehen zu Taffen. Während zehn Sahrhunderten find dieſe 
Orden das feftefte Bollwerk der Kirche gewefen und haben 
ihr die erlauchteften ihrer Oberhirten gegeben. Während 
zehn Jahrhunderten ift ver Weltfferus, feiner Stellung 
halber jo begreiflicherweife den Einflüffen der Welt aus- 
geſetzt, an Anfopferungsgeift, Heiligfeit und Muth faft 
immer von den Ordensleuten, die in ihren Klöftern gleich- 
wie hinter Verfchanzungen, fich in der Buhftrenge, im der 


XXIX 


Kofterzucht und im Stillfchweigen beftändig erneuern und 
jtillen Frieden und neue Kräfte finden konnten, übertroffen 
worden. Während zehn Sahrhunderten waren die Mönche, 
was die Ordensleute in unferen Tagen noch find, die uner- 
ſchrockenſten Mifftonäre, die unermüdlichjten Verkünder des 
Evangeliums. Während zehn Sahrhunderten hat das Klo- 
jterthum ver Kirche nicht nur ein thatkräftiges, Tchlagfertig 
jtehendes Heer, fondern auch eine erprobte Neferve geliefert. 
Gleich den verfchiedenen Waffengattungen bei einem Kriegs— 
heere, haben auch die religiöjen Orden eben wegen der 
Berjchievenheit ihrer Regeln und ihrer Nichtungen die 
Mannigfaltigfeit in der Einheit entfaltet, in welcher auch 
die lebenswolle Schönheit, die hehre Majeſtät des Katholi- 
cismus felbjt beſteht; wobei fie dann noch, ſoweit menfch- 
fihe Schwäche es gejtattet, die ewangelifchen Räthe that- 
jächlich befolgten, deren Erfüllung zur chriftlichen Vollkom— 
menbeit führt. Vor Allem darnach trachtend, fich ven Weg 
zum Himmel frei zu halten, haben fie zugleich der Erde 
die größte, die wichtigjte und edelſte aller Lehren gegeben, 
indem jie durch die That zeigten, welch’ eine Höhe der 
Menſch auf den Flügeln einer durch Opfergeift geläuterten 
Liebe und einer durch den Glauben geregelten Begeifterung 
zu erreichen fühig ift. 


Drittes Kapitel. 


Ueber das eigentlihe Wefen der WVerufungen 
zum Rlöfterliden Leben. 


Confortare et esto vir. 
III. Reg. II, 2. 
... Se 1 mondo sapesse ’] cuor ch’egli 
ebbe... 
Assai lo loda, e piü lo loderebbe. 
Dante, Parad. VI. 


Kaum hat man jedoch den wunderſamen Einfluß, 
den die religiöſen Orden in der chriſtlichen Geſellſchaft geübt 
haben, mit einem erſten Blicke überſchaut, ſo iſt man auch 
zu fragen verſucht, woher denn dieſe große Menge von Men— 
ſchen, die ſo viele Jahrhunderte hindurch die Klöſter mit 
Bewohnern angefüllt haben, eigentlich kam, wo ſich dies 
ſtehende Heer für alle Gebets- und Liebeswerke rekrutirte. 

Allerdings iſt im tiefſten Grunde der menſchlichen 
Natur ein inſtinktartiger, obwohl unklarer und flüchtiger 
Zug nach Zurückgezogenheit und Einſamkeit vorhanden. 
Wir finden die Aeußerungen deſſelben in allen Epochen der 
Geſchichte, in allen Religionen, in allen geſellſchaftlichen 
Verbindungen, mit Ausnahme etwa der ganz wilden Völ— 
kerſchaften, bei denen das Geiſtesleben zu dumpf, und der in 
corrumpirte Bildungszuſtände verſunkenen Nationen, wo es zu 


XXXI- 


fraftlos dazu ift, und wo die Maaflofigfeit und die Ueber- 
feinerung die Menfchheit nur zu oft wieder in gänzliche 
Berwilderung ftürzt. Wer, den das Lafter nicht gänzlich 
verdorben oder Alter und Begierlichfeit nicht abgeftumpft 
hat, ift nicht ein oder das andere Mal in feinem Leben 
vom Zuge nach Ginfamfeit ergriffen worden? Wer hat 
nicht in ſich ven lebhaften Wunfch nach einer dauernden, 
ruhig geregelten Lebensweiſe geſpürt, in welcher Weisheit 
und Tugend dent Leben des Geiftes und des Herzens, dev 
Erfenntniß und der Yiebe ihre reine Nahrung bieten? Wo 
ift die chriftliche Seele, die, wie jehr fie auch vom Irdi— 
chen gefeffelt, wie tief fie in fündlichen Neigungen verftrickt 
und durch Berührung mit den Gemeinheiten der Welt be- 
fudelt worden fein möge, nicht dennoch manchmal feufzend 
und fehnfüchtig nach der Yieblichfeit des Kloſterlebens hin- 
gebliekt, und wenigſtens von ferne die Yebenspüfte eingeath- 
met hätte, welche eines diefer anmuthigen, ftillen Aſyle '), 
in denen Tugend und Aufopferungsgeift wohnen und Die 
der Betrachtung der ewigen Dinge geweiht find, rings um 
jich her verbreitet? Wer hat nicht einmal von einer Zus 
funft geträumt, wo er, wenn auch mur für furze Zeit, von 
ſich felbft die Worte des Propheten jagen möchte: „Sede- 
bit solitarius et tacebit ?* Wer hat nicht begriffen, 
daß doch wenigftens einzelne jtille Plätschen auf ver Erde 
dem Bereiche der Nevolutionen, der Aufregungen, der Be— 
gierlichfeiten der gemeinen Welt entrüct fein follten, auf 
daß jich dafelbft die Gefühle von Dank und Anbetung in 
der Menjchenbruft, in Harmonie auflöfen können mit allen 


) Habent montes castelli seereta suavia, ut velut anacho- 
ret@, prastante Domino, feliciter esse possitis. Cassiod., 
Divinar. literar., e. 29. 


XXXII 


Stimmen, mit allen Chören der Schöpfung, welche den 
Schöpfer lobpreifen und verehren ? 

Damit aber diefer Zug nach Einfamfeit nicht in Schwäche 
und Krankhaftigfeit des Geiftes, in feige Flucht vor den 
Pflichten und Prüfungen des Yebens ausarte, war e8 noth- 
wendig, daß die Neligion mit ihren veinften und kraftvoll 
jten Elementen denjelben vechtfertige und regele. „Sch 
billige, * fchreibt ein großer franzöfifcher Biſchof Des 
XI. Jahrhunderts,“ ich billige die Yebensweile diefer Männer, 
für welche die Stadt nur ein Gefängniß ift, die das Pa- 
vadies in der Einfamfeit finden, die dafelbjt won ihrer 
Hände Arbeit leben, oder darnach trachten, ſich in ver 
Yieblichfeit des beſchaulichen Yebens geijtig zu erneuern; 
die mit den Yippen ihres Herzens an den Quellen des 
Lebens trinfen und vergeffen was dahinten ift, und ihren 
Blick nah Vorwärts richten. Aber weder die geheimften 
Waldwüften, noch die höchſten Gipfel der Berge fünnen 
dem Menfchen das Glück geben, wenn er nicht die geiftige 
Einſamkeit, die heilige Sabbathruhe des Herzens, den Frie- 
den des Gewiſſens, die Erhebungen des Herzens, ascen- 
siones in corde, in ich ſelbſt hat; ift dies nicht der Fall, 
jo erzeugt jene Einfamfeit Trägheit, Neugierde, itelfeit 
und alle Stürme der gefährlichjten Berfuchungen '). 


) Anachoretarum vitam non improbo.... quibus est soli- 
tudo paradisus et eivitas carcer. . Non beatum faciunt hominem 
secreta sylvarım, cacumina montium, si secum non habet soli- 
tudinem mentis, sabbatum cordis, trangquillitatem conseienti®, 
ascensiones in corde, sine quibus omnem solitudinem comitan- 
tur mentis acedia, euriositas, vana gloria, perieulos® tentationum 
procelle. Yvo von Chartres, ep. 192. — Siehe auch die ſchöne 
Epiſtel 256 über die Vortheile des flöfterlichen Lebens im Vergleiche 
zum Leben der Anachoreten. 


XXXIII 


Für die Mönche war aber auch das einſame Leben 
keine geiſtige Krankhaftigkeit oder Laune, es war eine An— 
ſtalt, in welcher ſie, wie ſogar die Sprache die ſie redeten 
es bezeugt, Ordnung und Regel fanden. 

So war es denn auch, vorbehaltlich der Ausnahmen, 
wie ſie von jeder allgemeinen Erſcheinung unzertrennlich 
ſind, ganz und gar nicht ein bloßer unüberlegter Drang, 
eine vorübergehende oder oberflächliche Gemüthsbewegung, 
in Folge deren ſo Viele bereits in der Blüthe ihrer 
Jahre ſich unter die ſtrenge Disciplin des Kloſters be— 
gaben. Ganz im Gegentheil, wenn man in den Denk— 
mälern nach dem rein menſchlichen Urſprunge und der 
natürlichen Erklärung der Berufungen zum Kloſterleben 
forſcht, ſo findet man, daß dieſelben vorzugsweiſe aus einem 
oft frühzeitigen, aber immer tief liegenden und wohl über— 
dachten Bewußtſein von der Eitelkeit der menſchlichen Dinge, 
von dem beſtändigen Unterliegen des Guten und des Wahren 
auf Erden herrühren. 

Iſt nicht hienieden der Sieg des Böſen in ſeiner 
widerlichſten Form, der Lüge, dasjenige, was uns ſowohl die 
Geſchichte der geſammten Menſchheit, wie auch die des 
einzelnen, wenn auch noch ſo unbedeutenden Menſchenlebens 
fortwährend zeigt? Einem Jeden von uns wird dieſe bittere 
und ſchmerzliche Lehre gegeben: wir können Alle darüber 
aus eigener Erfahrung reden. Aber wir werden erſt ſpät 
und wenn ich ſo ſagen darf, von unten herauf dadurch 
belehrt. Sie geht für uns aus den getäuſchten Hoffnungen 
und den Mühen eines Lebens hervor, das nur zu oft in 
einem ſteten Kampfe des Böſen gegen die ſchwachen Ent— 
ſchlüſſe zum Guten verläuft. Sie kommt in einem Alter, 
wo wir, bereits gefchwächt durch unfere Fehler, gebeugt 


dureh die erfahrenen Tänfchungen und von Riückfällen 
v. Montalembert, d. Mönche d. W. J. e 


XXXIV 


beflecft, nicht mehr fühig find uns zu ändern und das Joch 
mit einem herzhaften Entſchluſſe abzufchütteln, 

Jenen dagegen, jenen Mönchen vergangener. Zeiten, 
welche die chriftliche Welt mit ihren Werfen und ihrem 
Rufe erfüllt haben, kam diefe Ueberzeugung von Oben, mit- 
ielft der Dffenbarungen des Glaubens, in der Betrachtung 
der Gerechtigkeit Gottes in feiner Ewigfeit. Sie wurden 
von derfelben ſchon feit ihrem Lebensmorgen ergriffen, in 
jenem entſcheidenden Augenblicke, wo jene wolle Seelen- 
freiheit, die das ſpätere Alter fejfelt und hemmt, noch in 
ihrer Fülle vorhanden iſt; wo die Seele zu Allem, was 
groß, was Schön, was Fraftvoll ift, hinan ftrebt ; wo fie 
ſich fähig fühlt für jede Anftrengung, für jede muthige 
That, für jede Aufopferung und Hingabe, für jeden fühnen 
und begeifterten Aufſchwung. Aus diefer fo bald entflohenen 
Sugendfülle heraus, und mit jener Xebenskräftigfeit und 
moralifchen Schnellfraft, deren Hinfchwinden jo häufig ver— 
ſpürt wird, noch ehe das volle Bewuptfein ihres Befites 
aufgegangen war, fchwangen fie ſich zu einer Region em: 
por, in welcher Tugend und Wahrheit feinen demüthigen- 
den Schwwanfen mehr ausgefegt find. 

Entſchloſſen, ih jo viel an ihnen war, der Herrjchaft 
der Füge und des Böſen, der Wandelbarfeit menjchlicher 
Dinge, dem beflagenswerth frühen Zufammenfinfen des 
Alters zu entziehen, juchten diefe jugendlichen Wettfämpfer 
vor Allem ihr Leben mit ihren Ueberzeugungen in Einklang 
zu bringen, und mit dem hoben, reinen Auffchwunge ihrer 
freien Willenskraft weiheten fie dem Dienfte des Nächiten, 
der Liebe Gottes, den alleinigen Gütern der Seele, eine 
jungfräuliche Vollfvaft, deren Neinheit noch durch nichts 
getrübt, und deren feſte Gediegenheit durch nichts geſchwächt 
worden war. 


XXXV 


Ein höchſt ſeltſamer Irrthum bei vielen neueren 
Lobrednern des klöſterlichen Lebens iſt der, daß ſie daſſelbe 
als eine Zuflucht für trübſinnige, abgemüdete, mit ihrem 
Lebenslooſe in der Welt unbefriedigte Seelen betrachten, 
oder für Solche, welche unfähig ſind, die ihnen zugetheilte 
geſellſchaftliche Stellung zu behaupten, die von getäuſchten 
Hoffnungen verzehrt, vom Schmerze gebrochen ſind. „Wenn 
es Zufluchtsſtätten für die Pflege der körperlichen Geſund— 
heit gibt,“ ſagt Chateaubriand, „o, ſo geſtattet doch der 
Religion, daß auch ſie dergleichen habe zur Geſundung der 
Seele, die noch viel ſchmerzlicheren, viel längeren und viel 
ſchwerer zu heilenden Krankheiten unterworfen iſt.“ Der 
Gedanke mag poetiſch, mag rührend ſein, aber er iſt un— 
wahr. Die Klöſter ſind, ihrer Beſtimmung gemäß, nichts 
weniger als die Invalidenhäuſer der Welt. Nicht kranke 
oder krankhafte Seelen, ſondern gerade die geſündeſten und 
kräftigſten die das Menſchengeſchlecht aufzuweiſen hat, ſind 
es von jeher geweſen, die die Klöſter mit Bewohnern an— 
gefüllt haben. Weit entfernt, eine Zuflucht für die Schwa— 
chen zu fein, waren die Klöſter im Gegentheil die wahre 
Kampfesfchule für die Starken )). 

) Wie der Kriegsdienft der Könige frifcher, rüſtiger umd ftarfer 
Sünglinge bedarf, und es ihm übel zuſagen würde, wenn zu dieſer 
Konfeription nur abgelebte, kampf- und lebensmüde Leute genommen 
werden wollten, jo bedarf auch das Klofterleben, dieſe geiitige Miliz, 
gefunder, Fräftiger, von der Welt und ihren Händeln unberührter 
Seelen. Wie möchte man ihm, fir Den auch das Beſte nicht wür- 
dig genug ift, nur darbringen wollen, was man jel6ft nicht mag oder 
gerne entbehrt? Und was würde wohl eine Geſellſchaft won Per— 
ſonen, welche die Welt verlaffen, nachdem fie ihr vergeblich nachge— 
jagt, dem göttlihen Heiland wohl geben können oder wollen? Nichts 
anderes, als was fie felbit nicht mehr brauchen fonnten, weil Die 
Welt es nicht mehr haben wollte, Cine foldhe Gefellihaft, deren 

e* 


. 


XXXVI 


In einzelnen Fällen kommt es allerdings als ein wun— 
derfamer Kontraft, wie er ſich in den von der Keligion 
eingegebenen Werfen öfter zeigt, ausnahmsweife vor, daR 
das Flöfterliche Leben, dies Leben voll übernatürlicher 
Kämpfe und Siege, we die Tugend, wo der hriftliche Stark— 
muth feinen Höhepunkt erreichte, gerade die Yanfbahn war, 
welche von Natur und von Haus aus Schwächlich angelegte 
Seelen, oder in den Kämpfen des Weltlebens verwundete 


Mitglieder Jugend, Kraft, Muth, Talent und jenen unerſchöpflichen 
Schat der Tiichtigfeit, dev allein aus gänzlicher Unberührtheit her- 
vorgeht, an die Welt verloren, oder auch nur vergeblich auf ihrem 
Markte ausgeftellt hätten, würde gar nie ein lebensfühiges Klojter 
bilden können; auch nicht mit dem allerbeften Willen won ihrer 
Seite. Wenn der Herr zu dem reichen Jünglinge im Evangelium 
fagt: „Gebe hin, verkaufe dein Habe, gib den Erlös den Armen 
und fomm und folge mir nach,“ fo ift darunter gewiß nicht werftan- 
dem: „Berzehre erjt Geſundheit, Lebensmuth und Hoffnung in der 
Welt, und bleibt div Damm nichts mehr zu erringen übrig, jo bringe 
dich mir.“ Nein, jenes an den reichen Jüngling gerichtete Wort des 
Herrn ijt vielmehr an ganz räftige, mit allen Gaben und Gütern 
geſchmückte, und der Welt auf feine Weife verfallene Wejen gerichtet. 
Jene ſchiffbrüchigen, mühſam geretteten und wieder zur Befinnung 
gebrachten Weſen, am welche eher das Wort fih richtet: „Kommet 
alle zu mr, die ihr mühſelig und beladen feid,“ find ſelbſt zu fehr 
Gegenſtand barmberziger Hülfeleiftung, find ſelbſt wiel zu hinfällig 
und gebrehlich, als daß fie je ein dauerndes, fich aus fich felbft er- 
gänzendes Ganze zu bilden vermöchten, das gleich einem lebendigen 
Damme den einbrehenden Fluthen der Noth entgegenwachjend, die 
Ufer bewahren könnte. Wie der Siracide fagt: „Gib Gott die Ehre 
mit röblichen Augen, und deine Erjtlinge jeien ohne Fehl; verſtümmle 
deine Gabe nicht, denn es ift nicht angenehm: fuche nicht Vortheil, wenn 
du opfern ſollſt,“ alſo gebühren auch dem König der Könige die Erft- 
linge und ganz mafellofe Opfer. Anmerkung des Ueberjeters. 
Siebe Clemens Brentano, die barmberzigen Schweftern, 
Seite 55 und folgende. 


XXXVII 


Herzen für ſich wählten. Und da die moderne Civiliſation 
neben ihren ganz unbeſtreitbaren Wohlthaten nur zu oft 
zur Folge hat, die Zahl und die Heftigkeit gewiſſer Seelen— 
krankheiten zu vermehren, ſo möchte es, die Sache aus rein 
ſocialem Geſichtspunkte angeſehen, nicht ohne Intereſſe ſein, 
für Solche ein ſchützendes Aſyl zu angemeſſener Behand— 
ung und Pflege zu bewahren. Möglich iſt es, daß ſogar auch 
aus dieſem Gefichtspunfte die mafjenhafte Zerftörung der 
religiöfen Orden ein focinles Unglück fei, und daß dieſelbe 
nicht ohne Einfluß auf die erfchreefende Zunahme der Selbjt- 
morde gewefen, welche die Criminal-Statiftif alljährlich zu 
conftativen hat!). 

Aber in der Wirklichkeit begegnet man folchen Voca— 
tionen, welche die Täuſchungen des Lebens, feinen Kummer 
und Verdruß oder Schwermüthigfeit zu ihrer Quelle haben, 
nur in Romanen. Ich wenigftens habe davon in der Ge— 
ſchichte gar Feine ernftliche oder tiefere Spuren gefunden, 
jo wenig in den Ueberlieferungen ausgearteter Klöfter der 
jpätern Zeit als in den Heldenzeiten ihrer Gefchichte. 
Wohl hat es Einzelne gegeben, die in Folge eines ſchweren 


') „Die Zahl der Selbftmorde hat, ſeitdem die Statiftif Diefelben 
verzeichnet, alljährlich zugenommen.“ BRapport de M. Odilon 
Barrot, garde des sceaux, au president de la Republique, won 
29, September 1849. — Diefe Zahl betrug im Jahre 1826 1739, im 
Sahre 1846 3102, im Jahre 1852 belief fich diefelbe auf 5674. Im 
Jahre 1856 ift fie auf 4189 gejtiegen. In den 27 Jahren von 1826 
bis 1853 haben ſich in Franfreich 71,418 Perſonen durch Selbftmord 
getödtet. — In England ift, ungeachtet des VBorurtheils im gegen- 
theiligen Sinne, die Zahl derfelben weniger groß: von 1852 big 
1856 find im vereinigten Königreiche von Großbritannien auf eine 
Einwohnerzahl von 24 Millionen 5415 Selbjtmorde vorgefommen, 
aljo jährlich gegen 1100. 


XXXVIU 


Schickſals, eines großen Unglücdes, des Verluſtes eines 
innig geliebten Weſens in's Kloſter gegangen find; ich 
werde felbft, im Verlaufe, einzelme interefiante und rührende 
Beifpiele der Art anführen; aber folche Fälle find äußerſt 
jelten. Und das SKlojterleben, im Allgemeinen genommen, 
als ein Aſyl für Schwäche, fir Kranfhaftigfeit und Trüb— 
jinn, als eine Zufluchtsftätte für die Schwermüthigfeit hin- 
jtellen wollen, welche gerade aus dem flöfterlichen Yeben 
unter dem Namen Acedia, als etwas durchaus Sünd— 
haftes verbannt und befümpft wird, das heißt doch wahr- 
ich gegen alle Vernunft und alle Evidenz der Thatjachen 
etwas behaupten wollen. 

Das charafteriftiiche Merkmal, das in der ganzen 
Reihe der großen Flöfterlichen Schöpfungen, der großen 
Kloftereriftenzen, die ich im Verlaufe meinen Yefern vor— 
führen möchte, jo leuchtend hevwortritt, ift die Kraft. Nicht 
die Kraft, welche der Menfch auch mit einem Thiere ge— 
mein haben fann ; nicht die materielle Kraft, deren erbärm— 
lihe Triumphe jo entjittlichend auf vie Welt einwirken ; 
nicht die Straft, welche darin bejteht, Anderen mit Gewalt 
jeine Ueberzeugungen und Intereffen aufzudringen ; fondern 
die Kraft, der Starfmuth, der darin befteht, fich ſelbſt in 
Zucht zu halten, fich zu regeln, ich zu befchränfen, vie 
eigene vebelliiche Natur in Unterwürfigfeit zu halten : die 
Stärfe, die eine Kardinaltugend ift, und die weltherrfchend 
wird durch Heldenmuth und durch Aufopferungsgeift. Sch 
nehme feinen Anftand zu behaupten, daß die Mönche, vie 
wahren Mönche der großen Jahrhunderte ver Kirche, vie 
Repräfentanten der Männlichkeit in ihrer veinften, Fräftig- 
jten Geftalt find, der intelleftuellen und fittlichen Männ- 
lichfeit, der Männlichkeit, die fich durch die Keufchheit fo 
zu jagen condenfirt, gegen alle Niedrigfeit und Gemeinheit 


. XXXIX 


Proteft einlegt'), ſich größere, anhaltendere, wefentlichere 
Anftrengungen auferlegt, wie fie in irgend einer weltlichen 
Yaufbahn gefordert werden, und auf diefe Weiſe die Erde 
für ſich zu einer Tempelftufe für ven Himmel macht, und 
das Leben zu einer langen Reihe von Siegen. Ya, Danf 
der Fräftigen Verfaffung, welche die Mönche von ihren 
Gründern erhalten, Danf ver umvergleichlichen Discipli- 
nirung der Seele, welche alle Gefetgeber des Mönchthums 
als Zucht und Bildungsmittel für diefelben vorgefchrieben 
haben, fcehöpfte der Mönch in feinem Leben in der Einfam- 
feit einen Schat von Seelenfraft und Charafterjtärfe, den 
die Welt nie übertroffen, nicht einmal erreicht hat. Die 
Sinfamfeit, fo fchreibt ein ehrwirdiger Ordensmann ums 
ſerer Tage, die Einfamfeit ift das Vaterland der 
Starfen, das Stillfcehweigen ift ihr Gebet?). Die 
gefammte Gefchichte des Mönchthums ift die Demonftra: 
tion hiewon. Und wie hätte es auch anders fein fünnen ? 
War ja doch ihr Leben eine fortwährende Proteftation ge- 
gen die menfchliche Schwäche; eine tagtäglich ernenerte 
Nüchwirfung gegen Alles, was den Menfchen herabwürdigt 
und entnervt; eine beſtändige Schufucht nach Allen, was 
jich über das Irdiſche und über die gefallene Natur erhebt. 
In den Klöftern, die dem Geifte ihrer urfprünglichen Ver— 
fafjung treu find, ift die Verachtung von Welt und Leben, 


') „II est certain qu'en perdant ces institutions de la vie 
monastique, l’esprit humain a perdu une grande Ecole d’origi- 
nalite... Or, tout ce qui a contribu& à maintenir dans l’huma- 
nit& une tradition de noblesse morale, est digne de respect, et, 
en un sens, de regret, lors même que ce r6sultat a dü £tre 
achete par beaucoup d’abus et de préjugés.“ Ernest Renan, 
Journal des Debats, vom 16. Yebruar 1855. 

?) Der P. v. Naviguan, De UlInstitut des Jesuites, p. 31. 


XL . 


dies große Geheimniß der Heroen, täglich gelehrt und geübt 
worden. Die Seele, die fich ſtets durch alle, auch die ge- 
vingfügigiten Gewohnheiten und Vorſchriften ver Klöfterlichen 
Tagesordnung zu Gott erhebt, bietet ihm auch ohne Unter— 
(af das Schaufpiel des Sieges der edeljten Kräfte, ver 
beften Triebe in der menfchlichen Natur über die Sinnlich- 
feit und über die Yeidenfchaften dar. 

Daher fommt es auch, daß das Stlofterleben ſtets 
einer Miliz verglichen worden ift. „Kommt und jehet,“ 
ruft der heilige Johannes Chryſoſtomus, „kommt und feht 
die Zelte diefer Krieger Chrifti, fommt und ſeht ihre 
Schlachtorduung. Sie ſtehen alle Tage im Kampfe, und 
alle Tage befiegen und tödten fie die Leidenſchaften, die ung 
umlagern !).“ Milites Christi werden die Mönche jchon 
vom heiligen Auguftin ”) und von Kaſſiodor ?) genaunt, 
Der Ausdruck miles, der für die bewaffneten Bürger der 
römischen Republik zuerjt gebraucht werden war, bezeichnet 
damals nur noch die Soldtruppen der faiferlichen Heere, 
als aber fpäter, und je nachdem die freien, jtolzen Inſti— 
tutionen der germanischen Völker ſich entwidelten, das Wort 
miles noch einmal die Bedeutung änderte und den Ritter 
der Pehenszeit bezeichnete, ward diefe nene Analogie mit 
Einjtimmigfeit von den neuen Bölfern in ihre Sprache 
aufgenommen. Karl der Große nennt die Aebte feines 
Neiches die Ritter der Kirche), und alle Biographen, 
alle Gefchichtfchreiber, alle Schriftfteller, die aus den Klö— 


) S. Joan. Chrysost., Homil. in Matth. 69—0, p. 
771-779 ed. Gaume. 

°) Ed. Gaume, t. II, 1237 et t. VIII, 336. 

) De divin. Instit., c. 30. 

) Optamus enim vos, sieut decet Ecelesiee milites, et in- 
terius devotos et exterius doctos esse. 


XLI 


jtern hervorgehen, fehen im Mönchthume die Ritterſchaft 
Gottes. Diefer Vergleich zwifchen den zwei Nitterthü- 
mern, der Laien- und Klofter-Nitterfchaft, wird ein durch— 
aus stehender in der Gefchichte der religiöfen Orden und 
in den Lebensbefchreibungen der Heiligen, welche diefe Or: 
den gegründet oder verberrlicht haben. Der heilige Anfelm 
und der heilige Bernhard gebrauchen den Ausdruck in ihren 
Schriften beftändig. Ein Sahrhundert fpäter fat ver hei— 
lige Franzisfus feine Sendung in feinem andern Simue. 
Bon feinen Pieblingsjüngern redend fagte er: „Das find 
meine Paladine von der Tafelrunde.“ In den Träumen 
jeiner Yinglingszeit ſah diefer Sohn des Wollenhänpdlers 
von Affifi den Kaufladen feines Baters voll von Schilven, 
Yanzen und Nitterrüftungen, gewiſſermaßen eine prophetifche 
Viſion, die den Kampf andeutete, den er unausgeſetzt gegen 
den Feind des Menfchengefchlechts beftehen follte: und am 
Abend jeines Lebens erfchienen die Wundmale des Yeidens 
Chrifti, deren er gewürdigt worden war, feinen Zeitgenofjen 
wie eine Art Wappenfchild Chrifti, deſſen tapferer, unbe- 
jiegtev Ritter er fein Yebenlang gewefen war!). 

Und gleichwie im Opfer feiner felbft der Grund der 
militärischen Tapferkeit und die Urfache der Art von Zau— 

') Nocte quadam... videbatur ei domum suam totam ha- 
bere plenam... sellis, elypeis, lanceis, et cætéris apparatibus. .. 
Non consueverat talia in domo sua videre, sed potius pannorum 
cumulos ad vendendum... Responsum est ei omnia hæc arma 
sua fore militumque suorum... Öpportune multum arma tra- 
duntur contra Fortem armatum militi pugnaturo. Thomas de 
Celano, Vita prima, ap. Bolland., t. U, Oct. p. 685. — Eia 
nune, strenuissime miles, ipsius fer arma invictissimi dueis... 
Fer vexillum... Fer sigillum... Dux in militia Christi futurus, 
armis deberes cclestibus signoque erucis insignibus decorari. 
S, Bonavent., Vita altera, ibid. p. 779. 


XLM 


ber zu ſuchen iſt, der ſich an die militäriſche Ehre glänzen— 
der als an jeden andern menſchlichen Ruhm zu heften 
pflegt, ſo erklärt und rechtfertigt auch in der rein geiſtlichen 
Ordnung der Dinge das tägliche Opfer ſeiner ſelbſt im 
klöſterlichen Gehorſam die hohe Achtung, in welcher die 
Kirche von jeher die religiöſen Orden gehalten hat. Daher 
rührt auch ferner die Nothwendigfeit der bejtändigen Unter- 
werfung unter taufenderlei kleinlich fcheinende Borfchriften 
in einer jeden Klofterregel, jowie im Heerwefen die Menge 
von Einzelnheiten in den Neglementen über die Disziplin, 
die dem Anfcheine nach oft kindiſch und unnöthig beläfti- 
gend find, deren geringite Uebertretung jedoch in Kriegs— 
zeiten mit dem Tode bejtraft wird. 

Jener ritterliche Muth, den fie täglich gegen die Sünde, 
fowie gegen ihre eigenen Schwächen an den Tag legten, 
bejeelte fie auch, wenn es galt, den Fürften und Mächti— 
gen, die ihre Autorität mißbrauchten, entgegen zu treten. 
Dei ihnen vorzugsweile findet fich jene moralifche Voll- 
kraft, durch welche der Menſch fich ftarf und in ver Stimm— 
ung fühlt, der Ungerechtigkeit entgegen zu treten, und der 
Gewalt auch da Einfprache zu thun, wo diefe Mifbräuche 
und Ungerechtigfeiten nicht zunächſt auf ihn felbjt fallen. 
Diefe Energie, ohne welche alle Bürgfchaften für Ordnung, 
Sicherheit und Unabhängigkeit, die die Politif ervenfen 
mag, nichts als Täuſchung find, lag ganz wejentlich von 
Anfang an im Charakter und im Stande der Mönche. 
Seit den erften Tagen ihrer Gefchichte und mitten in den 
verworfenen Niederträchtigfeiten des byzantinischen Hoflebens 
galten fie unter Männern des Heiches als Diejenigen, 
welche zu den Königen mit dev meiften Unabhängigkeit zu 
reden wagten 9. Von Gefchlecht zu Gefchleht, und fo 


) Hoc enim maxime genus hominum summa cum libertate 


XLIII 


lange ſie ſich ſelbſt vom Verderbniſſe der weltlichen Gewalt 
frei erhielten, bewahrten ſie dies ruhmvolle Vorrecht. Jedes 
Blatt der nachfolgenden Geſchichte wird davon Zeugniß 
geben: wir werden den Mönch mit unerfchrocdenem Freis 
muthe, mit unbefiegter Kraft gegen die Unterdrückung ge 
wappnet fehen, und es wird ung klar werden, welch) eine 
mächtige Hülfe die unterdrückte Unſchuld und das verfolgte 
Unglück bei den Mönchen in einer Zeit finden mußten, 
wo Feder fich für gefichert halten fonnte, wenn ev auf den 
Unterdrücfer ven Fluch Gottes oder eines Kaputzenträgers 
(Cueullati) herabrief . Man findet in taufendjähriger 
Entfernung von einander den gleichen ruhigen, ungebengten 
Muth in dem ernften Berweife, den der heilige Benebift 
dem Gothenfünig Totila gibt ?), und in der Antwort eines 
wenig befannten Priors von Solesmes an den Feudalherın 
von Sable , gegen welchen er die Vorrechte feines Klo— 
fters hatte vertheidigen müffen. Der Yehnsherr hatte, 
als er dem Prior einft auf der Brücke feiner Stadt begeg- 
nete, denfelben mit den Worten angefahren: „Mönch, wenn 
ich nicht Gott fürchtete, jo wiirde ich dich jett von der 
Brücke herab in die Sarthe werfen!" Worauf der Prior 
ihm ruhig erwiederte: „Herr, wenn ihr Gott fürchtet, ſo 
habe ich nichts zu fürchten ?). 


regibus colloeuti sunt. So überjett Montfaucon die Stelle des 
heiligen Johannes Chryjoftomus, Adv. oppugn. Vit. mon., p. 85, 
ed Gaume. 

') Cueullati, Anglo-Saxon Chroniecle, ed. Gibson. 

?) 8. Greg. Magn., Vit. S. Patr. Bened. e. 15. 

®) Ms. de la Bibl. royale, angeführt im Essai historique 
sur UP Abbaye de Solesmes, 1846, p. 46. — Diejer Prior bie 
Sohann Bougler; er war 1515 zu feinem Amte erwählt worden. 
Ihm verdauft die Klofterfiche von Solesmes die ausgezeichnet ſchö— 
nen Sceulpturen, die man noch jest im derjelben bewundert, 


XLIV 


Sp waren denn much die bürgerlichen und politifchen 
Bürgschaften gegen die Mißbräuche und Gewaltafte, welche 
die gegen ihre ungerechten Herren empörten Bevölkerungen 
diefen Tetsteren häufig abnöthigten, von den Mönchen diftirt. 
Den Mönchen wurden auch die Freiheitsurfunden zur Be— 
wahrung anvertraut, in welche die Bedingungen des Ge— 
horfams der Völker gegen ihre Herren verzeichnet waren). 
Bei den Mönden in ihren Klöſtern juchten nicht nur die 
Könige, die Großen diefer Welt und die Sieger in den 
Schlachten ihre legte Nuheftätte, ſondern auch die Befiegten 
und die Schwachen. Dafelbft fanden auch die Opfer ver 
Tyrannei, der Ungerechtigkeit und der Uebergriffe weltlicher 
Gewalt ihr letztes Ahyl?): daſelbſt ruheten in Frieden an 
einer Stätte, von welcher fich ein immerwährendes Gebet 
zum Himmel erhob, der Yandesverwiefene, der unfchuldig 
Hingerichtete, der Geächtete?) neben einander. Jene herr— 
lichen, von den Mönchen uns aufbehaltenen Verſe des 
Statins am Frontifpiz des Tempels der Barmherzigkeit in 
Athen, fanden in der That im fatholifchen Kloſterleben ihre 
Verwirklichung: 

Sie tutum sacrasse loco mortalibus ægris 


Confugium, unde procul starent ireque minæque 
Regnaque, et a justis Fortuna recederet aris... 


') Ein Beifpiel unter taujend ähnlichen ift die Charta De 
libertatibus comitatus Devonie, aufbewahrt im Klofter Taviftod. 
Digby. X, 167. 

?) Siehe in den Formules inedites de la Biblioth. de 8. 
Gall, herausgegeben von H. v. Roziere, diejenigen, mittelft deren 
die Aebte bei den Herren für Sclaven um Gnade zu bitten pflegten, 
die fih deren Zorn zugezogen batten. 

’) Siehe bei Ingulph von Croyland die fhöne Erzählung 
von dem Grafen Waltheof, der ein Opfer der Rache der Normannen 
geworden war, und won welchem fpäter die Rede fein wird, 


XLV 


Hue vieti bellis, patriaque e sede fugati... 
Conveniunt, pacemque rogant !)... 

Bon allen Menfchen find die Mönche diejenigen, 
welche im Yaufe ihrer Gefchichte am wenigften Furcht vor 
der Uebermacht und feige Nachgiebigfeit gegen die Gewalt 
gezeigt haben. Im tiefen Frieden des Klofters und im 
Gehorſam bildeten jich fortwährend fefte, zum Kampfe ge— 
gen die Ungerechtigkeit gejtählte Herzen und unbeugfame 
Kämpfer für Necht und Wahrheit. Große Charactere, be— 
herzte, unabhängige Männer für derartige Kämpfe fanden 
fih nirgends zahlreicher als im Mönchsgewande. Dort 
waren in Menge Charaktere, die zugleich ruhig und fraft- 
voll, gerade und hochjinnig und eben fo auch tief demüthig 
und voll frommen Eifers erfcheinen. Sole, die Pascal 
als durch und durch heroiſche Seelen bezeichnet. 

„Die Freiheit," fo jagt ein heldenmüthiger Mönch 
des VIII. Jahrhunderts, „die Freiheit wird mit nichten 
deshalb aufgegeben, weil die Demuth fich felbjt freis 
willig erniedrigt”). Und im vollen Mittelalter ſchrieb 
ein anderer Mönch, Petrus von Blois, die herrlichen 
Worte, die zugleich der Inbegriff der politischen Gefeß- 
gebung jener Epoche und der Gefchichte des Mönchthums 
find: „Zwei Dinge gibt es, für welche jeder Chrift 
bis auf's Blut einftehen muß: die Gerechtigkeit 
und die Freiheit "?). 


ı) Theb. XI, V. 481. 

?) Nee ideo libertas suceubuit, quia humilitas semetipsam 
libere prostravit:. Ambrosius Autpertus, Abb. S. Vincentii 
ad Vulturn., ann. 768. 

) Duo sunt, justitia et libertas, pro quibus quisque fidelis 
usque ad sanguinem stare debeat. Petr. Blesens., De Inst. 
Episcop. 


XLVI 


Sp zeigt fih denn, daß die Mönche nicht eben von 
dem politifchen Knechtsſinne ergriffen gewefen feien, der fo 
häufig und in fo beflagenswerther Weife die Annalen des 
Weltklerus entjtellt, der fich jeit den Zeiten Konftantins zu 
zeigen beginnt, und manchmal, in einzelnen großen Epochen, 
wo die menschliche Freiheit und Würde ihre Triumphe 
feiert, zurüchtritt, aber in den viel häufigeren und viel 
länger andauernden Perioden der Erniedrigung und Knecht— 
Ichaft, wie ein unheilbarer Ausfat wieder zum VBorfchein 
kömmt. Es ift fogar vorgefommen, dag Heilige fogar fich 
nicht genugſam vor dem Einfluffe jener Ichlimmen Täuſchung 
gehütet haben, welche viele Bifchöfe und gelehrte Männer 
verleitet bat, das Ideal der chriftlichen Geſellſchaft in einer 
Wiedergeburt des zu einer katholiſchen Weltinonarchie um— 
gebildeten römischen Neiches zu Juchen. Die Mönche haben 
jih, mehr als ſonſt ein anderer Theil der Chriftenbeit, 
mehr als irgend eine Firchliche Körperfchaft, wor diefer 
Täuſchung bewahrt. Es ijt felten, ſehr jelten, daß ſich 
unter ihnen Werkzeuge oder Yobpreifer des Abjolutisinus 
finden; und wo diefe Anomalie dennoch zu Tage tritt, da 
ericheint fie empörender als anderswo. Sch werde im 
Verlaufe einzelne derartige Züge fnechtifcher Gemeinheit 
anzuführen haben, deren Kontraſt um fo greller gegen die 
männliche, edle Unabhängigkeit abfticht, durch welche fich 
die Mönche in den vorzugsweile glaubenseifrigen Jahrhun— 
derten, in focialen und politiichen Dingen jederzeit ausge— 
zeichnet haben. 

In einzelnen Fällen, vielleicht mehr als ihnen zuträg— 
(ich war, im weltliche Angelegenheiten gemifcht, und durch 
eben das Vertrauen und die Zuneigung welche fie einflöß« 
ten, mitten in Sachen und Händel, die ihrem Stande fremd 
waren, hineingeriſſen, famen fie nicht immer aus denſelben 


XLVII 


unberührt wieder heraus; dafür jedoch brachten ſie Eigen— 
ſchaften hinein, welche der Welt immer ſehr noth thun, 
und wofür man ihnen hätte beſſer Dank wiſſen ſollen. 
Sie waren nicht der Meinung, daß Frömmigkeit, Recht— 
gläubigkeit, Heiligkeit von den Pflichten der Ehre und Red— 
lichkeit entbinden können. Wenn dergleichen Schwächen ſich 
zeigten, wenn Prälaten oder auch einzelne Mönche ſich 
gleichgültig oder untren gegenüber den Pflichten des öffent— 
lichen Lebens benahmen, wenn dieſelben ſich gegen Die 
Ehrenhaftigfeit, die Menfchlichfeit, die Dankbarkeit, die 
Freundſchaft etwas zu ſchulden fommen liegen, dann erho- 
ben fie fich mit ernfter Nüge dagegen, und ermangelten 
nicht, es im ihren Gefchichtswerfen zu verzeichnen und zu 
brandinarfen. Mean fieht fie beftändig die natürlichen Tu— 
genden, die dem Gemeinweſen oder der zeitlichen Gefellfchaft 
geleifteten Dienfte neben jene Wunder von Bußftrenge und 
von Gottesliebe hinftellen, die fie mit fo vieler Sorgfalt 
verzeichnen, und man blickt mit Freuden im Zeitenlaufe auf 
die lange Neihe von Mönchen, die fich eben fo thatfräftig 
als Fromm, ebenfo muthvoll als eifrig zeigen, und denen 
mit Recht jenes einfache und edle Yob beigelegt werden 
kann, welches die Angelfachjen-Chronif einem Abte ertbeilt, 
welcher fich während ver gewaltigen Bewegungen der nor= 
mannischen Eroberung ausgezeichnet hatte: „Er war ein 
guter Mönch und ein braver Mann, geliebt von 
Gott und allen Guten)“ 

Ich meinestheils, der ich feit mehr als zwanzig Jahren 
in dieſer guten, großen Gefellichaft der Mönche won ehe— 


) Fuit enim bonus monachus et bonus vir: proptereaque 
eum dilexerunt Deus et boni viri. Chron. Saxon., ad ann, 
1137, p. 240, ed. Gibson. 


XLVIII 


mals lebe, behaupte, daß ich hauptſächlich hier, vielleicht 
hier allein, die ächte Schule der wahren Freiheit, des wah— 
ren Muthes, der wahren Würde gefunden habe. Indem 
ich mich, oftmals nach langen Zwiſchenräumen und nach 
den peinlichen Erfahrungen des politiſchen Lebens, auf's 
Neue wieder in ihre Thaten und ihre Schriften vertieft 
habe, ſchulde ich dieſen alten Heiligen das Zeugniß, daß 
ich bei ihnen einen anderen Menſchenſchlag, andere Herzen, 
ginen anderen Muth gefunden habe. Ich ſchulde ihnen, 
aus rein menfchlichem Gefichtspunfte geiprochen, meinen 
Danf, dag fie mich mit den Menfchen wieder verfähnt 
haben, indem fie mir den Dli in eine Welt eröffneten, in 
welcher ſich nur hie und da einzelne Egoiſten und Lügner, 
fnechtifeh Gefinnte und Undankbare finden. Dort und nur 
dort habe ich jene edle Unabhängigkeit fennen gelernt und 
verfoftet, die den demüthigen und hochherzigen Seelen, 
eben fraft ihrer Demuth, eigenthümlich ift. Dort habe ich 
begriffen, wie und warum große Körperjchaften und ganze 
Sefchlechtsfolgen von Ehrenmännern nacheinander fich gleich 
frei und ferne halten fonnten von der frechen Zügellofigfeit 
und dem gemeinen Knechtsfinne, die abwechfelnd unſere 
modernen Geſellſchafts-Zuſtände charafterifiven; in welchen der 
Einzelne, im Gefühle feines Nichts, ohne Wurzeln in der 
Vergangenheit und ohne Einwirkung auf die Zufunft, ſich 
mit Peib und Seele vor dent Tagesgögen profternivt, mit 
dem Vorbehalte, ihn morgen wieder zur zerbrechen, zu ver— 
ratben und zu vergeſſen. 

Ich habe jedoch auch, ich darf es wohl befennen, mit- 
ten in ver jekigen Gefellfchaft, deren Armfeligfeiten und 
wiederholtes Fallen mir fo tief ſchmerzlich gewefen find, 
durch Gottes gütige Schickung feit meinen Jünglingsjahren 
das Abbild eines Mönches früherer Tage zu finden das 


XLIX 


Glück gehabt, einen Mann, deſſen Name und Ruhm ein 
Gemeingut unferer Zeit und ganz Franfreiche ift. Obwohl 
verjelbe in der Zeit, als unfere Seelen und unſere Yebens- 
fchieffale einander begegneten, dem Ordensſtande noch nicht 
angehörte, und dann fpäter in einen Orden eintrat, welcher 
derjenigen Familie des Mönchthums, deſſen Gefchichte ich 
jchreiben möchte, nicht angehört, fo hat mir derfelbe den- 
noch, befjer als Bücher und Studien e8 zu thun vermöch— 
ten, die großen und ftarfen Tugenden des wahren Mön— 
ches lebendig gezeigt: die Selbftverläugnung, den Muth, 
die Aufopferung, die Uneigennügigfeit, die geviegene, tiefe 
und innige Srömmigfeit, und jene wahrhafte Unabhängigkeit, 
die feineswegs unvereinbar ift mit dem einfach kindlichſten 
Gehorfam. Seine Beredtfamfeit hat ein Yand und eine Zeit, 
denen die Triumphe der öffentlichen Rede etwas alltägliches 
waren, in Staunen gefett; fein hoher Genius hat die 
widerfpenftigite Kritik zur Bewunderung gezwungen. Aber 
Gott und die chriftliche Nachwelt werden in ihm den 
jtrengen, aufrichtig bewährten Ordensmann noch viel höher 
jtellen, noch viel mehr ehren als den Schriftjteller und 
den Redner. 

Ich brauche denfelben nicht zu nennen: alle meine 
Leſer werden errathen haben, wen ich meine Y. Sie wer- 


') Für ſolche Lefer in Deutjchland, die etwa mit den im Terte 
berührten Perfönlichfeits-Berhältniffen weniger vertraut wären, wird 
bier bemerkt, daß damit der P. Lacordaire, der berühmte Konferenz- 
Redner in Notre-Dame in Paris, der Wiederherfteller des Domini- 
faner-Ordens in Franfreih, Provinzial des aufblühenden Ordens da- 
jelbft, der jüngft won der franzöfiihen Afademie der Bierzig als Mit» 
glied gewählt wurde, gemeint ift. Graf von Montalembert ftand von 
frühe an mit demfelben im innigften Freundfchaftsverhältniffe; mit 
ihm begann er dann auch den Kampf für die Lehrfreiheit in Franf- 

v. Montalembert, d. Mönde d. A. 1. d 


L 


den mir diefen Erguß eines Herzens, das noch jugendlicher 
ift als feine Sabre, und diefen Tribut der Anerkennung 
fir die Gemeinfamfeit der Kämpfe, dev Ideen, der gläubi- 
gen Ueberzeugungen, die uns feit dreißig Jahren verbindet 
und die allen Meinungsverichiedenheiten und der Berfchie- 
denheit unferer Yebensjtellung widerftanden bat, zu Gute 
halten. Unter den früheften Herzensergiegungen und ven 
lteblichen Zufunftsträumen der Yünglingszeit entjtanden, 
bat diefe höhere Gemeinschaft alle Unfälle, alle Bitterfeiten, 
allen Unbeftand und alle Gemeinheiten überlebt, die unfer 
veiferes Alter umdüftert haben, und ift mir beftändig ein 
Berbindungsmoment zwifchen der Kluft gewefen, welche vie 
Gegenwart von der Vergangenheit trennt. 

Dies Beifpiel erleichtert auch, bei aller Verfchiedenheit 
von Zeit und Berhältniffen, das Verſtändniß bezüglich des 
Einfluffes, den die großen Charaktere und die mächtigen 
Affoeintionen, mit denen das Mönchthum die Kirche und 
die Welt fo lange Zeit beveicherte, ausgeübt haben. Denn 
die Wirflichfeit diefes Einfluffes ift ganz unmwiderfprechlich. 
Es muß, wenn nicht alle hijtoriiche Glaubwürdigfeit, auch 
der am klarſten bewiejenen Thatſachen, zerjtört werden joll, 
zugegeben werden, daß die am jchwerjten zu erringenden 
Tugenden und die edelſten Triebe in der Meenjchenbruft, 
auch in zeitlicher Sinficht, ihre beiten Kräfte im Klofterfeben 
Ihöpften, als ganz Europa mit diefen heiligen, der Blüthe 
aller Männer von Herz und Geijt geöffneten Afylen noch 
dicht bedeckt war. 


veih duch den berühmten Prozeß über die freie Schule, indem beide 
geniale Männer in Paris im Jahre 1830 eine freie Volksſchule er- 
öffneten, die fogleich won der Regierung gefchloffen wurde, wodurch das 
Signal des Kampfes gegeben war. Anmerfung des Ueberjeters. 


LI 


Man ift mit Nothiwendigfeit gezwungen, den über— 
wiegenden Einfluß anzuerkennen, welchen eine derartig be- 
völferte Kloſtereinſamkeit damals auf die Welt ausübte. 
Das Eingeftändnig, daß die Welt wirklich unter dem be- 
herrſchenden Einfluffe derjenigen ftand, welche die Welt zu 
fliehen wermeinten, und daß ein einfacher Mönch in der 
Verborgenheit feiner Zelle, wie der heilige Hieronymus, 
wie der heilige Bernhard, der eigentliche Mittelpuntt und 
der Hebel der Bewegung feiner ganzen Zeit ward, ijt an— 
gefichts der gefchichtlichen Thatfachen gar nicht zu umgehen. 

Verweilen wir demnach die von einfältiger Yeichtgläu- 
bigfeit jo oft wiederholte Behauptung in das Neich der 
erbärmlichjten Yüge und Erfindung, die aus den Klöftern 
wie aus der Neligion ſelbſt eine Zufluchtsjtätte für Ver— 
weichlichung und Unbevdentenpheit, fir Menfchenfchen und 
Kleinmuth, für Schwache und ſchwermüthige Temperamente, 
furz für Solche machen möchte, die außer Stand find, der 
menfchlichen Gefellfchaft in der Welt zu dienen. Die nach- 
folgende, ſehr unvollftändige Darftellung wird, denke ich, 
nichtsdeftoweniger genügen, um Jedermann zu beweifen, 
daß es gar nirgends, im gar feiner Epoche der Gejchichte 
energijchere, thätigere, praftifchere Männer gegeben bat, als 
die Mönche im Mittelalter waren. 

Man wird in derfelben diefe Müffiggänger während 
zehn Jahrhunderten bei allen großen und wichtigen Bege— 
benheiten in Kirche und Staat betheiligt fehen; immer die 
Erften im Kampfe und an der Arbeit. Man wird fie aus 
ihren Zellen kommen, die Yehrjtühle einnehmen, die Syno— 
den, die Papftwahlen, die Reichstage, die Kreuzzüge als 
deren thätigfte Mitglieder leiten, und dann wieder in ihre 
Klöfter zurücfehren ſehen, um in venfelben Denfmäler von 
Kunſt und Wiffenfchaft zu errichten, um firchliche Bau— 

di” 


LI 


werfe und Schriftwerfe zu Schaffen, die allen Hochmuth 
moderner Meifter herausfordern und in Staunen fegen. 
Mean wird erkennen, daß diefe Träumer vor allem Männer 
waren, Männer im vollen Umfange des Wortes, viri; 
Männer von Herz und voll Willensfraft, bei denen die 
zartefte Nüchftenliebe und die glühendfte Demuth weder 
eiferne Beharrlichkeit noch feſte Entjchloffenheit, noch Fühne 
Berwegenheit ausfchloffen. Sie wußten zu wollen. Das 
Klofter war, während der ganzen Dauer der chriftlichen 
Jahrhunderte, die bejtändige Pflanzichule großer Charaftere: 
desjenigen, was der modernen Bildung am allermeijten 
mangelt. Und deshalb thut es Noth, immer aufs Neue zu 
wiederholen : der glänzendfte und dauerndſte Ruhm des 
Mönchthums beſteht darin, den chriftlichen Seelen eine fo 
gediegene Tüchtigfeit verliehen, jo viel Taufend heroifchen 
Herzen eine jo fruchtbringende, hochherzig erdachte und er- 
tragene Zucht auferlegt zu haben. 


Viertes Kapitel. 


Die von den Mönden der Ehriftenheit ge- 
feifteten Dienſte. 


Sine fietione didiei, et sine invidia 
communico, et honestatem (illorum) 
non abscondo. 

Sap. VII, 13. 


Es gibt Triumphe und Dienſte von ſo tiefgreifender 
Art, daß ihr ganzer und voller Werth nur erſt in der Ge— 
ſchichte, von den Augen der Nachwelt erkannt werden kann. 
Ein ſolcher iſt der ſo eben bezeichnete Dienſt. Aber es 
gibt auch andere augenfälligere, handgreiflichere, welche als— 
bald die Bewunderung und die Dankbarkeit der Zeitgenoſſen 
erregen. Wenn man nach den Gründen fragt, warum die 
religiöfen Orden von ihrem Urſprunge an und während 
der ganzen Dauer ihrer Blüthe und ihres Eifers in den 
Sefchiefen der Kirche eine fo hohe Bedeutung erlangt, und 
wodurch fie in den Herzen aller chriftlichen Völfer eine fo 
ſchöne Stelle verdient haben, fo erfennt man diefelben leicht 
in den beiden großen, allen Orden und allen ihren Zweigen 
gemeinfamen Funktionen: Gebet und Almofen. 


Der erſte aller Dienfte, die die Mönche ver chriftlichen 
Geſellſchaft leifteten, war demnach das Gebet, wiederholtes, 
immerwährendes Gebet, Gebet für jeden Einzelnen und für 


LIV 


Alle. Die Chriftenbeit verehrte und jchätte in ihnen über 
Alles dieſen heiligen Gebetsdienft, die unermeßliche Kraft 
ihres fürbittenden Gebets, ihr ununterbrochenes Bittgebet, 
diefen nie verfiegenden Gebetsquell, das heiße Flehen zu 
Sott, welcher will, daß wir Ihn anrufen. Sie verfühnten 
durch dieſe Gebetsthätigfeit den göttlichen Zorn, vermin- 
derten die Wucht der Miffethaten der Welt und brachten 
gewilfermaßen das Reich der Himmel mit dem Neiche auf 
Erden in Einflang. Was, in den Augen unferer Väter, 
die Welt in ihrem Beftande erhielt, war eben vie Gleich- 
gewichtswerhältnig zwilchen Gebet und Handeln, zwifchen 
den flehenden Stimmen der furchterfüllten oder danfbaren 
Menschheit und dem ſteten Geräufche und Getriebe der Lei— 
vdenfchaften, des Ringens und Arbeitens in ihrem Schoofe. 
Auf der Erhaltung dieſes Sleichgewichtes beruhte die Kraft 
und das Yeben des Mittelalters. Wenn es erfchüttert wird, 
jo wanft Alles in der einzelnen Meenfchenfeele wie in der 
geſammten Gefellichaft. 

Wir wollen nicht unterfuchen, bis zu welchem Grade 
diefe Erfchütterung, dies Wanfen und Schwanfen in un- 
jerev modernen Welt vorhanden ift. Die Aufzählung aller 
Punfte des Eroballs, wo das Gebet verftummt ift, und wo 
Gott die Stimme des Menfchen hört, ohne zu erhören, 
wäre allzu betrübend. Krinnern wir uns jedoch daran, 
dar dies allgemeine Bedürfniß des Gebete, das feſte Ver— 
trauen in feine Wirkfamfeit, wodurch das Mittelalter cha- 
rafteriftifch bezeichnet wird und das feine Verläumder als 
einen Beweis kindiſcher Einfalt anführen, demfelben von 
dem zweifachen Alterthume, deſſen Erbfchaft es übernommen 
hatte, hinterlaffen worden war. Der weife Siracide hatte 
gefagt: „Das Gebet des Demüthigen dringt durch 
die Wolfen; er ift nicht getröftet bis es oben ift, 


LV 


und er läßt nicht ab, bis der Allerhöchjte darauf 
Ihanet!). Homer, welcher ohngefähr gleichzeitig mit Sa— 
(omo lebte, hat jeine Mythologie mit einem faft göttlichen 
Yichte beleuchtet, da wo er in feiner berühmten Anrede des 
Phönix an Achilles, die in Aller Gedächtniffe haftet, die 
Gebete als die Töchter des höchiten Gottes perfonifizirt, 
welche forglich Hinter der Schuld nachwandeln umd fie zu 
heilen juchen; wobei er dem Phönix die Worte in den 
Mund legt: 
.... lenkſam find jelber die Götter... 

Diefe vermag duch Weihrauch und demuthsvolle Gelübve, 

Durch Weinguß und Gedüft, der Sterblihe umzulenfen, 

Bittend mit Flehn: wenn fi Einer verfündiget oder gefehlet; 

Denn die reuigen Bitten find Zeus, des Allmächtigen, Töchter, 

Lahm und runzelig fie, und ſeitwärts irrenden Auges, 

Die auch hinter der Schuld, ſich mit Sorge anſtrengen zu wandeln. 

Aber die Schuld iſt friſch und hurtig zu Fuß; denn vor allen 

Weithin läuft ſie voraus; und zuvor in jegliches Land auch 

Kommt ſie, ſchadend den Menſchen; doch Jen' als heilende Folgen. 

Wer nun mit Scheu aufnimmt die nahenden Töchter Kroneions, 

Dieſem frommen ſie ſehr, und hören auch ſeine Gebete; 

Doch, wenn Einer verſchmäht, und trotzigen Sinnes ſich weigert, 

Alsdann fleh'n die Bitten, dem Zeus Kroneion ſich nahend, 

Daß ihm folge die Schuld, bis er durch Schaden gebüßet ). 


') Oratio humiliantis se nubes penetrabit: et donee propin- 
quet non consolabitur ; et non discedet donee Altissimus aspieciat. 
Eceli. XXXV, 21. 

?) Ilias, Gef. IX, B. 497 —512. — Das Gebet nahm in der 
beften Zeit der Gejchichte unferer Elaffiihen Völker immer eine fehr 
hohe Stelle, ſowohl im öffentlichen wie im Privatleben derjelben ein. 
Denn nicht nur mit den religiöfen VBerrichtungen, jondern mit allen 
wichtigen Handlungen des Lebens, ja fat mit allen Momenten der 
täglichen Lebensgewohnbeiten der Griechen und Römer waren ebenfo 
wie bei unferen Vorfahren im Mittelalter Gebete verbunden. Wie 
fehr das Gebet in ihrem Kultus und in ihren Lebensgewohnheiten 


LVI 


Ich wüßte mir feinen ſchönern Gegenftand hiftorifcher 
Behandlung zu venfen, als die Gefchichte des Gebetes, das 


vorherrſchte, beweifen ſchon die zahlreichen Ausdrüde für die wer- 
ichiedenen Arten des Gebet8 bei ihnen. Bet den Griechen 3.8. find: 
apa, zaraya, EV/N, EV 70%, &uyua, zatsvyun, »atevzfn, roogevyN, 
hırn, dendes, iredın, altnuc, suyagıstia, Evrevkıs, TEOSWÖOS, 7T90S- 
zoory; bei den Römern: oratio, preces, precatio, comprecatio, 
carmen, salutatio, adoratio, invocatio, supplicatio, Benennungen 
dafür. Bei den Griehen wurden die VBerfammlungen des Volkes 
wie des Nathes (Aeschin. adv. Timarch., 23, Demosthen., Thuk. 
VII, 70), alle Rriegsunternehmungen (Thukyd. II, 74), jeder Kampf 
und alle Wettſpiele (Pausan. V, 9, 3, 14), fogar das Theater (De- 
mosthen. adv. Midiam 51, 52) mit Gebet eröffnet. Xenophanes 
jagt: Zuerft bei jedem Mahle zieme es wohlgefinnten Männern, Gott 
zu preifen, und mit heilbringender Rede und veinem Herzen den 
Weihejegen darzubringen und zu beten, daß er uns die Kraft gebe, 
das Rechte zu thun; „denn das,“ fagt er, „ift unfere erſte Pflicht.“ 
(Xenophanes, Fragm. 21, 13 bei Athenäus, Theopomp. Fragm. 343). 
In Rom eröffnete der präfidivende Magtjtrat alle Wahlcomitien mit 
einem solemne carmen precationis, ut ea res sibi magistratuique 
suo, populo plebique Roman® bene atque feliciter eveniret ; 
ebenfo alle Volfsmufterungen auf dem Marsfelde (Valerius Max., 
IV, 1, 10), und alle Senatsfitsungen (Varro, ap. Gellium, XIV, 7, 
9; Plin. Panegyr. 1); gleicherweife begannen die Magiftrate, na— 
mentlih die Konfuln, als die Häupter der Republik, ihr Amt mit 
einer solemnis votorum nuneupatio im Tempel des capitolinifchen 
Supiter (Liv. XXI, 63; Taeitus, Annal., XVI, 22) und ebenfo die 
Aedilen (Varro, de re rust. III, 17, 10). Bon Scipio dem Afri— 
faner wird erzählt, daß er niemals ein Gejchäft unternommen, weder 
ein privates noch ein öffentliches, bevor er in der Kapelle des Stator 
urbis et imperii einige Zeit im Gebete zugebracht habe. (Valer. 
Max., I, 3,2; II,.7, 7; Gellius, IV, 18435 Poly. 252) Me 
diefe Beifpiele find aus der bewunderten Zeit von Hellas und Rom; 
und genau von der Abnahme der Frömmigkeit und der Vernachläſſig— 
ung und dem Aufbören des Gebetes Datirt fi der ftaatliche und 
fittliche Zerfall beider Völker. Anmerkung des Ueberſetzers. Vrgl. 
Ernft dv. Lafaulr, Akademiſche Abhandlungen, ©. 139—158, 


LVU 


heißt, die Gefchichte von dem, was die Kreatur aus der 
Tiefe ihrer Empfindung vor ihren Schöpfer bringt, vie 
Erzählung, aus welcher wir lernen würden, wann und wes— 
halb und wie fie angefangen, Gott ihre Leiden und Freu— 
den, ihr Fürchten and ihr Hoffen und ihr Wünfchen aus- 
zudrücen. Wenn es einem menfchlichen Geifte gegeben 
wäre, dies Werf zu fchreiben, jo würde dies dann eben 
hauptfächlich eine Gefchichte der Mönche fein; denn Nie- 
mand hat fo wie fie die Waffe des Gebetes zu führen ver- 
ftanden, von welcher der erlauchtefte ver Biſchöfe unferer 
Tage jüngft noch fo herrlich geiprochen, indem er uns 
zeigte, „wie dies große Zeugniß unferer Schwäche im ar- 
men, fchwachen Herzen des Menfchen zu einer Macht wird, 
welche felbft für den Himmel unwiderftehlich und* furchtbar 
ift: Omnipotentia supplex.” „Gott wollte,“ fagt weiter- 
hin der beredte Prälat, „Gott wollte, indem er uns in diejes 
Thal der Thränen und des Elendes verfeßte, unferer 
Schwachheit, ja unferen Verbrechen fogar, gegen fich, gegen 
feine Gerechtigfeit, die Macht des Gebetes werleihen. Wenn 
der Mensch ich entfchließt zu beten, wenn er vecht betet, 
fo wird feine Schwachheit felbft zu einer Kraft. Das 
Gebet fommt manchmal der Allmacht Gottes gleich und 
überwindet fie ſogar: es befiegt feine Drohungen, feinen 
Zorn, ja felbft feine Gerechtigkeit !).“ 

Das Evangelium fpricht fich über diefe Allgewalt des 


') Der hochwürdigfte Herr Dupanloup, Biſchof von Orleans: Pre- 
mier sermon sur la priere. Car&me de 1858. — Das wahre Ge- 
bet, welches aus der Tiefe des creatürlichen Geiftes auffteigt, und 
einen herabfteigenden Gnadenakt Gottes vorausfett, hat feine durch— 
aus iibermenfchliche Gewalt nicht aus der Kraft des menſchlichen Geiftes, 
fondern aus der Kraft Gottes, Die den Menfchengeift erfüllt. 

Anmerfung des Ueberjeters. 


LVIII 


Gebetes mit der größten Beſtimmtheit aus: „Alles, was 
immer ihr gläubig in dem Gebete bitten werdet, 
werdet ihr erhalten... Ihr werdet Alles erlangen, 
und wenn ihr zu diefem Berge da fprechet: Hebe 
dich weg und wirf dich in's Meer, jo wird es ge— 
ihehen!).“ „Chriſtus,“ jagt Boffuet, „gebraucht abjichtlich 
vergleichen außerordentliche Bilder und Gleichniffe, um zu 
zeigen, daß demjenigen, welcher bittet, Alles möglich fei. 
Und ſeht da,“ fett er hinzu, „das Wunder aller Wunder: 
der Meenfch, befleivet mit der Allmacht Gottes?).“ 

Bon diefer Ueberzeugung durchdrungen, vernachläffigten 
die Völker von ehemals fein Meittel, liegen feine Gelegen- 
heit vworbeigehen, um die Kraft des Gebetes zur höchſten 
Potenz zu fteigern und auf diefer Höhe zu halten. Vor— 
mals mag e8, wie heut zu Tage, Manche gegeben haben, 
die wielleicht nicht beffer zu beten verſtanden, als Schreiber 
diefes. Aber Alle anerfannten doch die Kraft, die erhabene 
Größe, die Nothwendigfeit des Gebetes, und ſahen in ihm 
die bleibende Bedingung alles höheren Yebens*?). Alle 


') Matth.. XXI, 21—22; Marec.. XI, 23—24. — An anderen 
Orten beit e8: Voluntatem timentium se faciet. (Psalm. 
CXLIV, 19.) und bei Joan.. XV, 7: Quodeumque volueritis, 
petetis, et fiet. Das jchaffende Arat luæ tönt nicht bündiger und 
fräftiger als dieſe Ausſprüche. 

®) Meditations sur !’Evangile 1re p., 39e jour., 2e p., 21e jour. 

) Aus der bereits innerlich ſchon fo tief erfalteten Zeit, in wel- 
cher die heilige Roja von Lima lebte, möge bier in ein paar Worten 
angedeutet werden, wie fi) die Chriften früherer Tage dies beftändige 
Gebet, gewiffermaßen das Athembolen der Seele dachten, und wie 
es fih in der Wirklichkeit darftellte. Die beilige Roſa von Lima 
hatte eine jo außerordentliche Gabe des Gebetes, daß «8 hierin ganz 
gleihgüftig ſchien, welcher Art ihre äußeren Verrichtungen waren, 
denn nichts ftörte fie in ihrem Gebete, und immer waren die Augen 


LIX 


ftimmten darin überein, daß es für ein Bolf, für eine Fa— 
milie, für ein Herz feinen größern Himmelsfegen geben 
fünne, als denjenigen, den Gebetsgeijt darin zu verbreiten. 
Alle begriffen es, Alle fprachen e8 aus, daß dieſe heilige 
Herzensflamme won befonders zu diefem erhabenen Berufe 
geweiheten Händen zu Gott emporgetragen werden fünne. 
Alle bewarben ich in lebendigem Drange um diefe wahr- 
bafte Verbrüderung durch Gebet. Alle vürjteten nach die— 
ſem Almofen, und Alle wendeten ſich an die Mönche, um 
dafjelbe von ihnen zu empfangen. 

Und fo lange und wo die Mönche dem Geijte ihres 
Berufes in ver That treu geblieben, haben fie bejtändig 
das Gebet nicht nur für fich felbit, ſondern für Alle als 
ihren eigentlichen Beruf, als ihre erſte und hauptfächlichite 
Pflicht betrachtet. Sie waren die friegsgeübten, unermüd— 
lichen Vorkämpfer der Chriftenheit im heiligen und un- 
unterbrochenen Kampfe des Gebetes mit der gött- 
lihen Allmacht !). Eigends und geſetzmäßig für das ge- 


ihres Gemüthes auf Gott gerichtet. Wenn fie nähete, webte, ftidte, 
wenn fie mit Anderen ſprach, wenn fie aß, ging oder ftand, im ber 
Kirche, im Garten, zu Haufe, auf der Strafe, Überall und immer 
war fie in der Gegenwart Gottes. Während dieſe göttliche Nähe 
alle ihre inneren Kräfte und Vermögen in Anfprud nahm, blieben 
ihre äußeren Sinne völlig frei, jo daf nichts, während fie im Innern 
mit Gott vedete, fie nach Außen hinderte, im Haushalt und überall, 
wo e8 Noth that, Alles zu beforgen, und mit einer befonnenen Raſch— 
heit und regen Aufmerkfamfeit zu handeln, wie e8 Diejenigen zu thun 
pflegen, welche ganz ausjchließlich den äußeren Geſchäften mit Eifer 
obliegen. Für dieſe Heilige, und in allen von chriftlicher Wärme 
beffer als unfere Zeit durchglühten Jahrhunderten, galt das Gebet für 
die Seele als das, was die Speife für den Leib ift, als ihr tägliches 
Brod. Anmerfung des Leberjeters. 
') Dupanloup, loc. cit. 


LX 


meinfchaftliche Gebet verfammelt, und aus Beruf dazu be- 
jtimmt, wurden fie mit Grund vom gefunden Sinne des 
Hriftlihen Volkes als ein mächtiger, zum Seile der See- 
fen und der Nationen eingejetter fürbittender Sammelpunft 
des Gebets betrachtet. Durch fie ward das Gebet cin öf— 
fentliches Inftitut, eine permanente, öffentliche, allgemein 
anerfannte, von Gott und den Menschen gefegnete Kraft. 

„Wo willft du hin ?* fragte eines Tages der Kaijer 
Balens einen perfiichen Großen, Namens Aphraates, wel- 
cher Mönch und eifriger VBerbreiter des nicäifchen Glau— 
bensbefenntniffes geworden war. „Sch gehe, für dein Reich 
zu beten,“ erwiederte der Mönch ). Mitten in-aller Pracht 
des byzantinischen Kaiferhofes pries der erfte und berebtejte 
der Apologeten des Mönchthums in Worten, die ewig neu und 
wahr find, die mächtige Wirkfamfeit des Flöfterlichen Ge— 
betes: „Die Wohlthätigfeit der Mönche ift mehr als föniglich: 
der König, wenn er gut ift, kann die fürperlichen Yeiden 
lindern, aber der Mönch befreiet durch fein Gebet die Seele 
von der Gewalt des böfen Feindes. Derjenige, den ein 
moraliiches Yeiden drücdt, geht an einem Könige wie an 
einem leblofen Dinge vorbei und eilt zur Zelle des Mönches, 
gleichtwie ein Landmann, der beim Anblicfe eines Wolfes fich 
unter die Dbhut eines bewaffneten Jägers flüchtet. Was die 
Waffe dem Jäger, das ift das Gebet dem Mönche... Und nicht 
nur wir juchen in unferen Nöthen diefe Zuflucht, die Könige 
jelbjt rufen diefelbe an in ihren Gefahren, ven Bettlern gleich, 
die in der Hungersnoth im Haufe des Keichen Zuflucht 
juchen?).“ 

') Imperator ad illum: Die, inquit, quo vadis?... Pro tuo 
inquit, regno precaturus. Theodoret. Eeelesiast. hist., lib. IV, 


c. 26, tom. III, p. 284, ed. Cantabr. 
) S. Joan. Chrysost., Comparatio regis et monacht, 


LXI 


Die Worte des heiligen Johannes Chryſoſtomus wur- 
den zur Wirklichkeit, als das chriftliche Königthum an der 
Spite der neuen Völker, an die Stelle der entehrten Maje— 
jtät der Cäſaren trat. Während taufend Jahren und bei 
allen katholiſchen Völkern nahmen die Fürften zu den Ge— 
beten der Mönche ihre Zuflucht und rechneten fich das in 
diefelben gefette Vertrauen zur Ehre. Als, auf dem Höhe- 
punfte des Mittelalters und der Yehenszeit, die Flotte des 
Königs Philipp Auguft auf ihrer Fahrt nach dem heiligen 
Lande, auf der Höhe von Sieilien von einem furchtbaren 
Sturme überfallen wurde, erwecte der König den Muth 
und das Vertrauen in den Herzen der Matrofen dadurch, 
daß er diefelben an diejenigen erinnerte, welche zu eben der 
Zeit im Baterlande für fie beteten. „Es ift Mitternacht,“ ſprach 
der König, „es ift die Stunde, da fich die Mönche von Elair- 
vaux zum nächtlichen Gebete erheben. Diefe frommen Mönche 
vergefjen unfer nie; fie begütigen Chrijtus gegen ung; fie 
bitten für uns und ihre Ditten werden uns aus der Ge— 
fahr erretten Y.“ Ein ähnlicher Zug wird von SKaifer 
Karl V. erzählt, dieſem, troß aller Fehler und Mißgriffe 
die ihm zur Laſt fallen, noch immer großen Saifer, der, an 
der Neige der fatholifchen Jahrhunderte, von einem Tetten 


c. 4; Cfr. Homil. in Matth., 68—72; et in B. Philogonum, c. 3. 
ed. Gaume, I, 607. 
) Jam matutinas Claravallensis ad horas 
Concio surrexit: jam sancta oracula sancti, 
Nostri haud immemores, in Christi laude resolvunt; 
Quorum paeificat nobis oratio Christum, 
Quorum nos tanto prece liberat ecce periclo. 
Vix bene finierat, et jam fragor omnis et zstus, 
Ventorumque cadit rabies, pulsisque tenebris, 
Splendiflua radiant et luna et sidera luce. 
Guillelm. Bretonis Philippidos, IV, 4. 


LXII 


Wehen jener Begeiſterung angehaucht, welche ehemals die 
Kreuzzüge angeregt hatte, ſeine Flotten und ſeine Heere 
zweimal gegen die Ungläubigen führte, anfänglich ſiegreich, 
dann aber an der gleichen afrikaniſchen Küſte in ſeinem Un— 
ternehmen ſcheiternd, wo zuvor der heilige Ludwig den Tod 
gefunden hatte. 

Und gleichwie die Oberhäupter der chriſtlichen Geſell— 
ſchaft, ſo zeigte ſich auch dieſe ſelbſt insgeſammt während 
der ganzen Dauer des Mittelalters von dieſem Vertrauen 
in die höhere, ſiegreiche Kraft des Gebetes der Mönche 
durchdrungen, und ſorgte deshalb in zeitlicher Hinſicht auf's 
Beſte für diejenigen, welche am beſten für ſie beteten. 
Dieſe ganze Reihe der Geſchlechtsfolgen wiederholten in 
unerſchöpflicher Mannigfaltigkeit der Formen, aber in uner— 
ſchütterlicher Einmüthigkeit der Geſinnung, was der heilige 
Eligius in ſeiner Vergabungs-Urkunde von 631 zu den Mön— 
chen von Solignac geſagt hatte: „Ich, der ich als Bittender 
vor euch erjcheine, gebe euch, angefichts der Menge meiner 
Sünden, und in der Hoffnung von denſelben befreit zu 
werden, wenig für viel, Erde für den Himmel, Vergäng— 
liches für Ewiges !).“ 

In der That auch, indem die Mönche aus den Hän— 
den der Gläubigen vergängliche Güter empfingen, ward dem 
gefammten Volke dafür von ihnen das Gut ohne Gleichen, 
die unfchätbare Gabe des Gebetes zu Theil. Dur fie 
eriholl die Stimme der Kirche ohne Unterlag und erhob 
fih zum Himmel, um dann als ein Gnadenthau göttlichen 
Segens auf die Erde wieder herabzufommen. Weber alle 


) Ego supplex vester, considerans molem peccatorum meo- 
rum, ut merear ab ipsis erui et a Domino sublevari, cedo vobis 
parva pro magnis, terrena pro cœlestibus, temporalia pro æter- 
nis. Ap. Mabill., Acta SS. O. B. t. II, p. 1092. 


LXIII 


Länder der Chriſtenheit kam er im Ueberfluſſe, und bildete 
hier gewiſſermaßen eine Fruchterde, eine Schatzkammer un— 
erſchöpflicher Gnaden und Tröſtungen. Wenn es wahr iſt, 
was die menſchliche Weisheit im Volksmunde ſagt, daß Ar— 
beiten Beten iſt, warum ſollte dann nicht auch das Beten 
eine Arbeit ſein, und zwar die fruchtbringendſte und ver— 
dienſtvollſte aller Arbeiten? „Sich mit Gott beſchäftigen,“ 
ſagt der heilige Bernhard, „heißt nicht Müſſiggehen, ſon— 
dern iſt das größte und wichtigſte von allen Gefchäften .“ 
Hierin lag denn auch in den Augen des chriftlichen Volkes 
die Rechtfertigung und die Verherrlihung der Orden, und 
namentlich derjenigen, die die Welt am wenigsten begriffen 
hat, über deren müßiges Betrachten und zu langes 
Beten fie ihr tadelndes Urtheil fpricht. Wie dürften wir 
e8 vergeffen, daß gerade diefe Orden es find, welche in 
der Hochachtung und in der Danfbarfeit des chriftlichen 
Bolfes den erjten Platß verdient ımd erhalten haben ? Hat 
nicht der heilige Auguftin gefagt: „Se weniger ein Mönch 
an etwas andern als am Gebete arbeitet, deſto hülfreicher 
wird er den Menfchen?)?" Und dieß läugnen wollen, bieße 
e8 nicht auch das Evangelium verläugnen ? Hat nicht 
Chriſtus jelbft die Frage beurtheilt und entichieden, indem 
er jich für Maria gegen Martha ausfprach?) ?" 


) Otiosum non est vacare Deo, sed negotium negotiorum 
omnium. 

?) Monachi si non fidelium eleemosynis juventur, necesse 
est e08 opere terreno, quanto fidelium damno, plus solito oc- 
eupari. 8. Augustin.. t. V, p. 3192, ed. Gaume., 

*) Creator omnium Deus, per hoc quod Mariæ causam contra 
Martham assumpsit, evidentius patefeeit. Eugenii Papæ III. 
epist. ad. Wibald. Corberens., in Amplissima Collect., t. II, 
p. 233. — „Die Kirche hat jtets in Martha und in Maria von Be- 


LXIV 


Aber, haben die Mönche fich auf diefe einzige Ord— 
mung von Wohlthaten befchränft? War das Gebet ver 
einzige Beweis von Obforge, von Liebe, von Dankbarkeit, 
zu welchem fie fich gegen ihre Brüder in der Welt, gegen 
ihre Wohlthäter, gegen das gefammte chriftliche Gemein- 
wefen verpflichtet erachteten ? DVerftanden fie das Almofen- 
geben nur in viefer einen, blos geiftigen Form? Nein, 
wahrlich! und ihre Gefchichte ſammt und ſonders beweilt 
das Gegentheil davon. Aus allen ihren Denfmälern ergibt 
jich, daß die religiöfen Orden die Nächjtenliebe durch die 
äußeren Werfe verjelben umfafjender geübt haben, als es 
jemals wor ihnen gefchehen ift, noch auch jemals von Ans 
deren der Fall fein wird, In diefer Aufgabe haben fie 
Altes entfaltet, was im Verftand und Herzen des Menjchen 
von Aufopferungsgeift worhanden ift. Der ganzen großen 
Menge von Unglüclichen und Hülfsbedürftigen, welche in 
ſtrenger Arbeit und in Entbehrung aller Art lebend, die 
unermepliche Mehrheit des menschlichen Gefchlechtes bildet, 


tbanien die Borbilder zweier verjchiedener, einander libergeordneter, 
jedoch nicht ſchlechthin fich ausjchliegender, jondern gegenfeitig fich 
ergänzender Berufsarten des chriftlichen Lebens erfannt; in Martha 
das Außerlih (in Werfen der Barmherzigkeit zumal) gejchäftige Die- 
nen und Wirfen für Jeſus (das aktive), in Maria das innerlich ge> 
fammelte, dem Gebete, der Betrachtung und der Einſamkeit in Gott 
gewidmete (contemplatiwe) Leben. Beide Richtungen umjchließt, übt 
und pflegt, jede in ihrer Weife, die heilige Kirche. Keiner derjelben 
kann und will fie jemalsentbehren.“ Der Herr tröftet Martha und warnt 
fie zugleih wor dem Uebermaaße einer Gejchäftigfeit, deren fromme 
Abfiht er anerkennt, obne ihr den unermeßlichen Vorzug zu ver— 
beblen, welchen vollfommene Hingabe an das nur Geiftige und nur 
Ewige vor jedem, noch fo eifrigen äußern Wirken in Anjpruch neh— 
men darf. Siebe Dr. Wilhelm Reiſchl, die heiligen Schrifteu 
neuen Teftamentes, S. 268, Anmerkung des Ueberjegers. 


— 


LXV 


haben die Mönche nicht nur ſtets das leibliche Brod, ſon— 
dern zu demſelben nebſt einer wirkſamen, unermüdeten Theil— 
nahme auch die Nahrung der Seele geſpendet, die nicht 
weniger unbedingt nothwendig iſt, als die leibliche Speiſe!). 
Wieviel zarte Sorgfalt, wieviel liebevolle Zuvorkommenheit, 
wieviel erfinderiſche Veranſtaltungen erblicken wir nicht wäh— 
rend zwölf Jahrhunderten in dieſen Häuſern des Gebetes, 
in welchen häufig unter den Beamtungen des Kloſters förm— 
liche Ktankenwärter der Armen vorkommen“). Nach— 
dem ſie der hülfsbedürftigen Menge, über deren Zahl ſie 
ſich nie beflagten ?), eine beſtändige, großartige Gaſtfreund— 


) Um unter Taufenden hier nur ein Beispiel anzuführen, fo 
jab man ſchon im VI. Jahrhundert den heiligen Lätus, Abt von 
Mantenay in der Champagne, wenn ev binausging, um die Neb- 
güter des Kloſters zu bearbeiten, fih mit Brod werjehen, um es an 
die Armen auszutheilen, und während diefelben alsdaun afen, er- 
mahnte er fie zur Furcht und Liebe Gottes. Desguerrois, Hi- 
stoire du Diocese de Troyes, p. 110. 

?) Infirmarii pauperum. Es gab dergleihen in Clairvaux; 
diefen vermachte Thiemar von Juvencourt im Sabre 1244 eine Jah— 
rvesrente von 12 Denaren, zahlbar auf St. Martinstag,. Extraits 
Mss-, faits par D. Guitton, des Archives de Clairvaux, t. II, 
fol. 79. 

) Kaum erfteben fie aus der Verfolgung, Verbannung und Zer- 
ftörung wieder, fo erneuern fie mit großer Treue alle Ueberfieferun- 
gen ihrer Väter, Nachdem die Eifterzienfer oder englischen Trappi- 
jten von Melleray aus diefem Klofter im Sabre 1831 verbannt wor- 
den, begaben fich einige derſelben nach England zurück, wo fie kraft 
der dort herrſchenden Neligionsfreibeit durch Die Munificenz des 
Herrn Ambroſius Liste Philips in Stand geſetzt wurden, fich im ei- 
nem unbebauten Yandftrih, Charwood forest genannt, mitten in 
einer Provinz niederzufaffen, welche feit dreihundert Jahren feine 
Mönche mehr gejehen hatte. Sie haben in dieſem neuen Klofter die 
Ueberlieferungen ihrer Borwäter jo gut wieder aufgenommen, daß fie 
vom 1. Sanuar 1845 bi8 zum 12, April deffelben Jahres das Al— 


v, Montalembert, d. Mönche d. A. T. e 


LXVI 


Schaft erwiefen, nachdem fie diefelbe Durch das Schaufpiel 
ihres friedlichen, ruhigen Lebens erbaut und erfreut hatten, 
gewährten fie ihr auch noch im Kriegszeiten ein gefichertes 
Obdach, eine von den chriftlichen Siegern fat immer re— 
ſpektirte Zufluchtsftätte. Und nachdem fie Alles gegeben 
hatten, was fie für fich Felbft zu geben im Stande waren, 
flößten fie allen denjenigen, die mit ihnen in Berührung 
famen und die ihre Verehrer waren, Wunder von Edel— 
muth und Nächſtenliebe ein. Ihr bloßer Anblick fcheint 
eine fortwährende Aufforderung zum Almoſenſpenden ge— 
weſen zu ſein, und der vertraute Umgang, in welchem ſie 
mit den Großen dieſer Welt lebten, iſt immer für die Klei— 
nen und die Armen von Vortheil geweſen. Wenn ſie von 
den Reichen reichlich dotirt wurden, ſo geſchah dies, um 
nun ihrerſeits mit den in ihren Händen geläuterten Reich— 
thümern die Armen auszuſtatten, indem fie die zartfühlend— 
jten und unermüdlichſten Vermittler wurden, durch welche 
das von dem Neichen einmal Gegebene auf ewige Zeiten 
perennirend den Armen zu Gute fan '). 


moſen der Gaftfreundichaft bereits an 6327 Arme gefpendet hatten. 
Und, wohl gemerkt, fie felbft leben nur vom Almofen, 

') So gibt Elifabeth, Burgfrau von Chateam-Billain, im März 
1228 den Eifterzienfern won Clairvaux 620 Pfund prowinfer Währ- 
ung zu Almoſen. Diefe Fauften für diefe Summe den großen Zehn- 
ten von Morinvilliers und verwendeten den Ertrag, um jährlich am 
Feſte von Mariä Geburt an SO Arme Kleider und Schuhe auszu— 
theilen. Quod unusquisque pauper quinque alnas de burello 
novo et sotulares novos... percipiet. Wenn diefer Zehent mehr 
betrug, als für diefe beftimmte Anzahl erforderlich war, fo ward der 
Ueberſchuß ausſchließlich zu Schuben für andere Arme verwendet ; 
alles zu einem Seelgeräth für genannte Burgfrau. Mess. 
Guitton, p. 421 der Abjchrift von Langres. Es wäre ein Leichtes, 
zebntaufend andere Beifpiele diefer Art anzuführen, wir bejchränfen 


LXVII 


Sie haben dieſen Beruf mit Edelmuth und mit Treue 
erfüllt, und überall und bis in die Zeiten des Verfalles 
der modernen Zeiten haben ſie ſich insbeſondere durch dieſe 
hohe Tugend der Nächſtenliebe ausgezeichnet. In den letzten 
Jahrhunderten iſt der Geiſt der Welt häufig von allen 
Seiten in die Klöſter eingedrungen, hat aber nie in ihren 
Herzen die fromme, verſchwenderiſche Freigebigkeit ihrer 
Vorväter zu erſticken vermocht. Nie iſt es ihm gelungen, 
jene Thüre zu verſchließen, durch welche auf die ringsum— 
gebende Bevölkerung der unverſiegbare Strom ihrer Wohl— 
thaten überfloß, die in Clairvaux noch zur Zeit der letzten 
Mönche fo bezeichnend die Gebe-Pforte oder die Gebe 
(la Donne) genannt wınde') ; diefe Thür ift in Clairvaux 
noch jett vorhanden, aber, ebenfalls ſehr bezeichnend, von 
den modernen Profanatoren des Kloſters des heiligen Bern- 
hard vermauert worden. Nein, der bebarrlichite Forfcher, 
der böswilligfte Durchftöberer der Klofterannalen mag noch 


ung im Texte auf einige wenige, die auf das Kloſter des heiligen 
Bernhard Bezug haben. 

') Diefe Nachrichten wurden dem Berfaffer im Sabre 1839 von 
einem achtzigiührigen reife, Namens Poftel, gegeben, welcher Brun— 
nenmeifter im berühmten Klofter gewefen war, das jetst in ein Cen— 
tralgefängniß verwandelt worden ift. — Elifinde, Gräfin von Bar- 
ſur-Seine, ſchenkte 1224 der Abtei ein Landgut, im der Abficht, dei 
Ertrag vorzugsmeife zu Almoſen zu verwenden, welche an befagter 
Thür gefpendet wurde, — Eine ſolche Gebe-Thüre (la Donne) 
findet fich gleichfalls noch unter den tramrigen Ruinen von Echarlis, 
einem Ciſterzienſerkloſter zwiſchen Joigny und Courtenay. Wenig— 
ſtens war dieſelbe noch 1846 vorhanden. Zu Aubrac, Kloſterſpital 
der Rouergue, führte eine Thür den Namen die Laib-Pforte, 
weil man an derjelben einem Jeden, der fich zu diefem Ende dorthin 
begab, ein Laib Brod vwerabreichte. Bousquet, Ancien höpital 
d’ Aubraec, p. 150. 

e* 


LXVII 


fo angeftrengte Nachluchungen, wie wir ſelbſt es gethan 
haben, in den Trümmern md in den Flöfterlichen Ueber- 
(ieferungen anftellen — nirgends wird er auch nur ein ein- 
ziges Kloſter, wie ſehr es auch in den letzten Zeiten ent— 
artet fein mochte, auffinden können, das nicht noch die 
Tranerrede verdient hätte, welche wir felbjt bei einem Be— 
juche der Ruinen von Val-des-Chour in der Champagne 
von einer alten Frau, die die Zeiten dev Mönche noch er- 
(ebt hatte, vernommen haben: 

„Es war ein wahres Haus des Wohlthuns und der 

Barmherzigkeit.“ 

Es iſt allerdings leicht, mittelſt der Erfahrungen die 
wir gemacht haben, zweckmäßigere und wirkſamere Mittel 
ausfindig zu machen, um die Armen zu unterſtützen und 
beſonders um der Armuth vorzubeugen; aber ſollten wir 
nicht auch denjenigen, die während einer ſo langen Zeit 
und mit einer ſo unerſchöpflichen Freigebigkeit alle Pflichten 
der brüderlichen Nächſtenliebe, nach Maßgabe der in ihrer 
Zeit vorhandenen Erkenntniß, erfüllt haben, treue Dank— 
barkeit bewahren und öffentlich bekennen? Uebrigens war 
es nicht nur einzig durch direktes und materielles Almoſen, 
daß ſie der chriſtlichen Geſellſchaft dienten und ſittigenden, 
heilſamen Einfluß auf dieſelbe übten: es geſchah dies noch 
vielmehr durch die Ehre, die ſie den Armen und der Ar— 
muth erwieſen. Eben darin, wie es bereits einer der muth— 
vollſten Vertheidiger der religiöfen Orden unter ung!) ge 
zeigt hat, eben darin beſteht einer ver größten Vortheile, 
ven diefelben der Welt bieten, aber gerade das ift auch 
eine von den Seiten, wegen deren fie dem Geifte, welcher 


') Ch. Lenormant, Des associations religieuses dans le 
Catholicisme. Paris 1845, p. 182. 


LXIX 


Gott aus der modernen Geſellſchaft gänzlich verdrängen 
möchte, am meiften zuwider find. Der Gottlofe liebt die 
Armen nicht: fie rufen ihm viel zu fehr den Gedanken an 
eine lohnende und ftrafende Gerechtigkeit, den Gedanfen an 
eine Zufunft wach, im welcher ein Jeder, je nach feinen 
Werfen, feinen Plat für die ganze Ewigfeit angewiefen er— 
hält. Er hat es ungerne, daß man fich mit Yiebe und mit 
Wohlwollen, wie die Mönche es thaten, dev Armen an— 
nimmt. Er fühlt es wohl, daß die Macht des Priefters 
iiber die Gemüther tief im den Schmerzen umferer armen 
Irdiſchkeit wurzelt; und ift deshalb immer geneigt mit Bar- 
rère zu Sprechen: Das Almoſen ift eine Erfindung 
der priefterlichen Eitelfeit. Er wird nie auf die Dauer 
etwas gegen die Geſetze und die Bedirfniffe unferer ſchwer 
heimgefuchten Natur vermögen; aber es iſt ihn befanntlich 
nur zu oft gelungen, auf eine Zeitlang fein vwerverbliches 
Syſtem durchzufeßen, kraft welchem er die Barmherzigkeit 
zu einer Demüthigung!), das Almofen zu einer Steuer, 
das Betteln zu einem Verbrechen ftempeln möchte; wo der 
reiche Praffer, noch viel unbarmherziger als der des Evan: 
geliums, den Yazarus nicht einmal mehr an der Thüre 
jeines Palajtes dulden will. 

Das ift freilich gerade das Gegentheil von dem, was 
die veligiöfen Orden gewollt und gethban haben. Sie haben 
jich nicht damit begnügt, die Armuth zu lindern; fie haben 
piefelbe mit Ehren umfleivet, geheiligt, ſelbſt auf ſich ge- 


) „Die Barmberzigfeit entwürdigt und erniedrigt denjenigen, 
dem fie erwieſen wird; bei der Wohlthätigkeit ift Dies der Fall nicht.“ 
Auszug aus dem Berichte, in Folge deffen die Bureaux de cha- 
ritE in Fraukreich im Sabre 1831 fortan den Namen bureaux de 
bienfaisance führen jollten. Annales de la Charite, t. 1, p. 597, 
Oct. 1845, 


LXX 


nommen, ſich ihr angetvaut als wie dem Höchften, dem 
Königlichſten auf Erden. Die Freundſchaft der Armen, 
ſagt der heilige Bernhard, erwirbt uns die Freund— 
ſchaft der Könige, aber die Liebe zur Armuth 
macht uns zu Königen ). „Wir find die Armen 
Shrifti,“ Pauperes Christi, hieß es ftets bei den Mön— 
chen; und zu nachdrücklicherem Beweife hievon fahe man, 
beim Erxbleichen der großen Orden aus dem Benediftiner- 
ſtamme, eine ganze neue Ordensfamilie zur materiellen 
Grundlage ihrer Eriftenz eben die freiwillige Hebung der 
Armut) in Demjenigen machen, was am meijten abjtogend 
an ihr ift, das Betten, und bis in unfere Tage hinein 
unter dem Namen Bettel-Drden oder Menpdifan- 
ten=Drden fortvauern. Aber lange vorher fchon, und 
von jeher, Hutten die Mönche es verftanden, die Armuth 
zu deln. Denn zumächit öffneten ſie derſelben ihre 
Reihen, indem fie vom Beginne ihres Anftitutes an, 
Sklaven, Hirige, Dürftige aller Art, neben und manchmal 
über Finften und Edlen in ihren Klöftern hatten; und 
ganz insbejondere auf das Mönchthum hat das fchöne Wort, 
welches Graf von Maiſtre vom Klerus in der früheren 
Societät fagte, feine Anwendung: Er war nicht über 
dem Yeßten im Staate und nicht unter dem 
Erjten?). 

Denjenigen Armen, welche nicht in feine Reihen ein- 
traten, bot das Mönchthum ein Schaufpiel, das geeigneter 
als irgend ein anderes war, um ihnen Troft zu bieten und 


') Amieitia pauperum regum amicos constituit: amor pau- 
pertatis reges. S. Bern. ep. CI. 

°) Lettre inedite sur linstruction publique en Russie. 
Ami de la Religion, t. CXIX, p. 212. 


LXXI 


fie in ihren eigenen Augen zu erheben; nämlich dasjenige 
ver freiwilligen Armuth und Berdemüthigung der Großen 
diefer Welt, die im den Neihen dev Mönche das Ordens— 
Heid nahmen. Seit den früheften Tagen des Inſtitutes 
conſtatiren es die Kirchenwäter ) und die großen Lehrer 
der Kirche bereits, welchen Troſt e8 dem Armen brachte, 
die Söhne der erlauchteften Familien im den ärmlichen 
Gewändern der Mönche zu fehen, die die Dirftigften unter 
ihnen verſchmähet hätten, oder den geringften Tagelöhner 
auf der gleichen Strohmatte neben dem großen Herrn. oder 
dem Heerführer zu finden: die einen wie die anderen frei 
in der gleichen Freiheit, adelig von gleichen Adel, Knechte 
der gleichen Knechtſchaft?); alle unter einander im der 
heiligen Gleichheit freiwilliger Demuth ?). Während ver 
ganzen Dauer des Mittelalters ſah jedes Yahr, jedes Yand 
die ununterbrochene Wiederholung des erftaunenswirdigen 
Dpfers der foftbarften, von der Welt am meiften beneide- 
ten Güter, die won ihren Beſitzern, indem fich diefe felbft 
am Altare ivgend eines kaum befannten Klofters darbrach- 
ten, aufgeopfert wırden. Welch’ Tprechenveres Beifpiel von 
chriftlicher Ergebung und Demuth für die Armen wäre jemals 
denkbar, als der Anblick einer Königin, eines Königsſohnes, 
eines kaiſerlichen Neffen, aus fveiefter Wahl beſchäftigt mit 
SGefchirraufwafchen oder mit Schubfchmieren zur Bedienung 
des geringfien Bauers, der als Noviz in's Kloſter gefom- 
men ?)? um aber zählen fich die Souveräne, die Herzöge, 





) 8, Joan. Chrysost., in Matiheum Homil., 68 et 69. 
ed. Gaume, t. VII, p. 761 et 773. 

?) Advers. oppugnat. Vit. monast., lib. III, t. I, p. 115. 

3) Homil. in Matth., 62, p- 79. 

9) Nennen wir unter dein Vielen, won denen weiterhin die Rede 
fein wird, die heilige Nadegundis, Gemahlin Klotars I; Karmann, 


LXXII 


die Grafen, die Herren jeden Ranges und ebenſo die Frauen 
der gleichen Rangſtufen zu Tauſenden, die ſich alle den 
gleichen gemeinen Dienſtleiſtungen unterzogen, und eine 
Größe und eine Macht im Kloſter zum Opfer brachten, 
von welcher die jetzigen verringerten, herabgekommenen, ein— 
tägigen Größen unſerer modernen Geſellſchaft gar keinen 
Begriff mehr geben können Y. Und nichtsdeſtoweniger 
wiederholen ſich auch in unſeren Tagen überall, wo dem 
klöſterlichen Leben der Fortbeſtand oder das Wiedererſcheinen 
geſtattet wird, verhältnißmäßig zu der allgemeinen ſocialen 
Verringerung, die gleichen Opfer wieder, die Reichen in 
ihrer Freiheit bezeugen der Armuth die gleichen Ehrfurchts— 
erweiſe; ſo ſehr wird die Selbſtaufopferung dem von der 
Gnade beherrſchten und durchdrungenen Menſchen natürlich 
und leicht, ſo unerſchöpflich iſt der Schatz von Tröſtung 
und von Ehrfurcht, den die Kirche, die Mutter aller reli— 
giöſen Orden, für die allerärmſten und bedürftigſten ihrer 
Kinder jederzeit offen hält. 


Nachdem ſo die erſten Grundlagen gelegt, die erſten 
Grundbedingungen der wahren Größe und des höchſten 
Vortheils, die die Mönche der Menſchheit geleiſtet, genug— 
ſam angedeutet worden ſind, können wir nun auch an die— 


Sohn Pipins des Kleinen; den heiligen Friedrich, Vetter des heiligen 
Katjers Heinrich ; den heiligen Amadeus von Bonnevaur; Heinrich, 
den Bruder Ludwigs des Diden, Mönch in Clairvaux. 

') Um den ungeheuren Abjtand zu bemefjen, der den modernen 
Rang und Titel von demjenigen fcheidet, die man im Mittelalter 
mit dem Eintritte ins Klofter aufopferte, nehme man z. B. was im 
Vergleiche zu einem Grafen des KU. Sabrhunderts, ein Graf heutiges 
Tages ift. Und, ift es nicht, mit einziger Ausnahme der Firchlichen 
Würden, ungefähr eben jo mit allen unferen jeßigen Titeln und 
allen Rang-Unterfchieden, welcher Art fie auch fein mögen ? 


LXXIII 


jenigen, weniger wichtigen und bedeutſamen, aber auch we— 
niger verkannten Dienſtleiſtungen derſelben erinnern, die 
hinſichtlich ihrer in Anfchlag gebracht zu werden pflegen. 

Wenn vor Allem von den Dienften geredet wird, 
welche fie ver Wilfenfchaft geleiftet haben, jo find wir es 
auch wohl zufrieden. Nie wird man es genugſam wieder— 
holen fünnen, wie ihre Lebensform fich dem Studium, der 
begeifterten, thätigen, beharrlichen Pflege dev Wiffenfchaften 
jo überaus günftig zeigt. Nie wird man ihre rührende, 
demüthige Bejcheivenheit, ihren unermüdeten Forfchergeift, 
ihren faſt übermenfchlichen Scharfſinn genugfam  preifen, 
nie ſchmerzlich genug die Hülfsquellen und die Birgfchaften 
vermiffen, welche jene großartigen literariſchen Meittelpunfte 
für die bedeutendften Werfe der gelehrten Forſchung, ver 
Sefchichte, der Kritik, durch jene Nachhaltigkeit, durch das 
beharrliche Ueberliefern eines moraliichen und geijtigen Erb— 
gutes darboten, wodurch die langwierigften und undankbar— 
jten Literarifchen Unternehmungen ermuythigt wurden. Wo 
fände jeßt ein den ernſteren Studien zugewendeter Leſer, 
insbeſondere aber ein Schriftiteller, auch nur jene geräumi- 
gen, zahlveichen und auserlefenen Bibliothefen wieder, 
immer fogleich mit den bejten und gediegenften Werfen wer- 
jehen und die eben deshalb diefer Art Werfen ftets einen 
Abſatz ficherten, ver ihnen gegenwärtig fehlt, und den man, 
wie alles andere auch, mit fnechtifcher Zudringlichkeit vom 
Staate verlangt! Und, fügen wir noch bei, daß wir jene 
uneigennützige Pflege ver Wilfenfchaft, wobei feinerlei Be— 
friedigung perfünlicher Eigenliebe, feinerlei materielle Vor— 
teile in Anschlag kamen, und die mit ihnen gänzlich abhanden 
gekommen zu fein fcheint, nie genug werden bedauern 
können "), 


') Erinnern wir bei dieſem Anlaffe an die Schöne und ehrenvolle 


LXXIV 


Aber das wolle man doch ja vor Allem nicht vergeffen, 
daß der Dienft, ven fie dem menfchlichen Geifte mit Jahr— 
hunderte langer Ausdauer und mit dem glänzendjten Er- 
folge geleiftet, der ift, ihn durch Menfchen- und Gotteslicbe 
geläntert, durch Demuth gebändigt zu haben. Sie haben 
noch mehr Gelehrte befehrt als gebildet, und diefer Art 
Befehrungen waren von allen anderen diejenigen, welche im 
Mittelalter am meiften die Bewunderung der Zeitgenoffen 
erregten, denn man wußte damals wie jeßt, daß unter allen 
Arten von Hochmuth der Hochmuth der Wilfenfchaft der 
gefährlichfte und unheilbarjte ift. Eben einem Mönche ver- 
danfen wir den fchönen Ausfpruch, der ewig das Ver— 
dammungsurtbeil des geiftigen Hochmuthes in ſich ſchließt: 
„Wiffen iſt Lieben ).“ 

Man mag ferner rühmen, was Alles ſie für die Kul— 
tur, für Anbau und Koloniſirung des geſammten Abend— 
landes gethan haben; man wird aber auch darin immer 
hinter der Wirklichkeit ihrer Leiſtungen zurückbleiben. Ueb— 
rigens iſt jeder, wenn auch noch ſo ſpäte, noch ſo mangel— 
hafte Verſuch, jede Anwandlung von Gerechtigkeit, immer— 
hin ein Anfang von Genugthuung und Ehrenrettung gegen 
jene ſogenannten Faullenzer, die ſo lange und ſo ungerechter 
Weiſe verläumdet worden, und eine pflichtmäßige Proteſta— 
tion gegen den ſchmählichen Undank, deren Opfer ſie geweſen 


Anerkennung, welche in unſern Tagen den Benediktinern von St. 
Germain-des-Prés ſeitens einer dev ausgezeichnetſten unſerer modernen 
Gelehrten zu Theil geworden iſt, ſeitens eines Mannes, von welchem 
man mit Wahrheit ſagen kann, daß er würdig geweſen wäre, Mit— 
glied einer Körperſchaft zu ſein, die er ſo gut gewürdigt und ſo an— 
gemeſſen und ſo geziemend gelobt hat; wir meinen Herrn Guérard 
in feinen Prolegomenen der Polyptique d’Irminon. 
) Trittenheim, Abt von Spanheim, 


LXXV 


find. Wer wird es in der Folge glauben Fünnen, daß das 
franzöſiſche Bolf, in feinem Namen, Männer und Iuftitute 
berauben und vom paterländifcehen Grund und Boden fehimpf- 
lich hat verjagen und verbannen laſſen, welchen die drei 
Achtel aller Städte und Burgflecken des Yandes ihr Dafein 
verdanfen 1)? Schlagen wir nochmals die Karte von Frank— 
veich) vor uns auf; was fagen uns die Namen der jelsigen 
Städte: St. Brieuc, St. Malo, St. Leonhard, St. Yrieir, 
St. Yunian, St. Calais, St. Maixent, St. Servan, St. 
Balery, St. Riquier, St. Omer, St. Pol, St. Amand, 
St. Quentin, St. Venant, Bergues-St. Vinox, St. Ger— 
main, St. Pourçain, St. Pardoux, St. Diey, St. Avold, 
St. Swer? Sie führen alle noch jett die Namen ihrer 
Sründer, die Namen von Heiligen, und mehr noch, die 
Kamen von Mönchen! Namen herrlicher Männer, die aber 
heut zu Tage völlig unbefannt, vergeffen, und fogar in Weitte 
piefer undanfbaren Städte felbft, die ihr Dafein der arbeit: 
vollen Aufopferung jener alten Fanatiker verdanfen, ver- 
üchtlich ignorivt find. Mean frage nur irgend einen, den 
eriten beften gegenwärtigen Bewohner einer dieſer Städte 
nach dem Gründer verfelben, man follte meinen, Name 
und Gedächtniß vefjelben müßten mit feinen allererften und 
dauerndſten Hugend - Erinnerungen verwebt fein, aber er 
wird feine Antwort auf die Frage geben können; er fennt 
den Gründer nicht und weiß von ihm nichts. Die Heiden 
hatten, fühlten und proflamirten doch wenigstens als etwas 
Seheiligtes diefe Liebliche, fo unfchädliche Ehrfurcht für ihre 
Stadt-Traditionen, für die Ortsentftehung und das gehei- 
ligte Alter ihrer Städte, das Plinius in einer herrlichen 


') Nach den Aufzählungen des P. Longueval, Histoire de 
! Eglise gallicane, 


LXXVI 


Stelle mit ihrer Winde und ihrer Freiheit ſelbſt iden⸗ 
tificirt "). 

Und neben den genannten Städten in Frankreich, und 
in allen den andern europäiſchen Ländern, wie viele andere 
verdanfen, ohne gerade ihren Urfprung im ihrem Namen 
zur Schau zu tragen, ihre Entftehung der ſchützenden Ob— 
but des Klofters, im deſſen Schatten fie ſich unter der 
patriarchalifchen Yeitung der Mönche nach und nach ent 
wicfelt haben! In Frankreich 5. B.: Gueret?), Pamiers?), 
Perpignan, Aurillac, Lugon, Tulle, St. Bons, St. Papoul, 
St. Girons, St. Yizier, Lescar, St. Denys, Redon, Ya 
Réole, Nantua, Sarlat, Abbeville, Domfront, Altkirch, Ne- 
miremont, Uzerches, Brives, St. Jean-d'Angély, Gaillae, 
Mauriac, Brioude, St, Amand in Berry ); und einzig in 

') Reverere conditores Deos, nomina Deorum; reverere glo- 
riam veterem et hane ipsam seneetutem qu& in homine vene- 
rabilis, in urbibus sacra est. Sit apud te honor antiquitati, sit 
ingentibus factis, sit fabulis quoque: nihil ex eujusquam digni- 
tate, nihil ex libertate, nihil etiam ex jactatione decerpseris. 
€. Plin. Sec., ad Maximum, ep. VII, 24. 

?) Gegründet im Jahre 720 vom heiligen Abt Pardour; Die 
Stadt bie anfünglich Bourg-aux-Moines. 

) Anfänglih eine Bırg, die dem Kloſter Fredelas gehörte, 
und demjelben von Roger II. Grafen von Foir, nebjt dem Dazu ge- 
börigen Dorfe ringsumber wieder zurückgegeben wurde, Aus Ddiefer 
Vereinigung von Burg, Klofter und Dorf ift die biſchöfliche Stadt 
Pamiers entjtanden. Man wird ums der Mühe entbeben, einem 
jeden der einzelnen im Texte genannten Namen, eine ähnliche An- 
merfung beizugeben, 

) Wir nennen bier nur die Hauptorte von Bisthum, Departe- 
ment und Dijtrikt, und laffen mehr oder minder untergeordnete oder 
wichtige Städte umd Ortfchaften, welche Klöftern ihren Urfprung ver— 
danfen, bei Seite, als z. B. Clüny, Tournus, Mouzon, Pareysle- 
Monial, Chaife-Dien, Aigues-Mortes u. ſ. w. Wir verweifen auf 


LXXVI 


der Freigraffchaft (Franchecomte): Pure, Yırrenil, die bei- 
den Baume, Faverney, Chateau-Chalon, Salins, Morten, 
Mouthe, Mont-Denoit, St. Claude, alle von den Mönchen 
gegründet, welche den Jura und feine Abhänge angebaut 
haben. In Belgien: Gent, Brügge, Mons, Maubeuge, 
Nivelle, Stablot, Malmedy, Meecheln, St. Trend, Dün— 
kirchen, Soignies, Ninove, Renaix, Lüttich. In Deutfch- 
(and: Fulda, Fritzlar, Wiſſemburg, St. Goar, Werden, 
Höxter, Gandersheim, Quedlinburg, Nordhauſen, Yindau, 
Kempten, Münſter. In England: Weftminfter, Bath, 
Neading, Dorchefter, Whitby, Beverly, Ripon, Boſton, 
Hexham, Evesham, St. Edmundsbury, St. Yves, St. 
Albans, St. Nevts. Im der Schweiz: Schaffhaufen, So— 
lothurn, St. Moritz, Appenzell, St. Gallen, Sedingen, 
Glarus, Lauſanne, Luzern, Zürich, Einſiedeln. 

Eine ermüdende Aufzählung, fürwahr! Aber die Män— 
ner, von denen wir hier reden, waren unermüdlich im 
Begründen, im Herſtellen, im Aufbauen, im Koloniſiren und 
im Urbarmachen. Ihnen war die Gabe, die Kunſt, der 
Sinn des Schaffens und des Erhaltens zugetheilt, wogegen 
der Geiſt der modernen Zeit allzu oft den Sinn des Zer— 
ſtörens an den Tag legt. Allerdings, es iſt wahr: man 
langweilt ſich, die Werke und das Lob derjenigen zu hören, 
welche aufbauen, wie man ſich langweilt, wenn man das 
Lob der Tugend anhören ſoll. Freilich diejenigen, welche 
die Geſchichte unſerer Tage ſchreiben und leſen, haben eine 
derartige Langweiligkeit wenig zu fürchten; man muß ſich 
dieſelbe aber gefallen laſſen, wenn man ſich von der Ge— 


das ausführliche Werk von Branche, ’Auvergne au Moyen-Age, 
t. I, p. 439, für die interefjante Aufzählung von ſechs und dreißig 
Städten, Fleden und Dörfern der Auvergne, die ihren Urſprung den 
Mönchen verdanfen. 


LXXVII 


ichichte des Mönchthums auch nur die mindejte Kenntniß 
verschaffen will. 

Und nicht nur ift im den Werfen der Mönche die un— 
glaubliche Fruchtbarfeit derfelben zu bewundern, ſondern 
eben fo ſehr auch die erſtaunenswerthe Dauer in allem 
was jie hervorgebracht haben. Wunderbare Größe des 
Shriftenthums, deſſen Herolde fie find, während fie die 
Hinfälligfeit der irdiſchen Dinge, das Nichts aller menfch- 
lichen Werfe predigten, ſchufen fie, indent ſie jene Hinfüllig- 
feit und jenes Nichts an ihrem Beifpiele, an der Trennung 
von der Welt, au ihrer beftändigen Aufopferung von Rang, 
Familie, Glücksgütern, Vaterland zeigten, die allerdauer- 
bafteften Denkmäler und Gefellfchaftsverfaffungen, die je 
auf Erden exiſtirt haben, und die dem Anfcheine nach aller 
Zeit und ihren Einflüffen trogen fonnten, wenn nicht die 
moderne Barbarei gefommen wäre und fich zevftörend an 
die Stelle des Zahnes der Zeit, ſowie an die Stelle der 
Gerechtigkeit und der Vernunft gefest hätte. Tauſende 
diefer Klöſter haben fiebenhundert, achthundert, taufend 
Jahre gedauert, einige jogar vierzehnhundert Jahre !), das 
heißt eben jo lange als das franzöfiiche Königthum und 
zweimal jo lange als die römiſche Nepublif. 

Wir bewundern die Werfe der Römer; Herren und 
Tyrannen der Welt, verfchwendeten fie die Lebenskraft von 
hundert verfchiedenen Völferfchaften, um jene Bauten zu 
Ichaffen, welche die Altertbumsfundigen und die Gelehrten 
ung über alle Dinge anpreifen. Was aber wäre alsdann, 
mit diefem Maaße gemeſſen, erſt von jenen geräufchlos 


) 3. B. Lerin, Marmontier, St. Claude, alle drei älter als die 
franzöfiihe Monarchie; Monte-Caffino, Luxeuil, Micv und fo viele 
andere, welche im Verlaufe unſerer Darftelung zur Sprache fommen 
werden, 


LXXIX 


wirfenden Mönchen zu fagen )? Diefe haben niemals 
Jemand etwas geraubt; aber fie haben ohne Waffen, ohne 
Schätze, mittelft freiwilligen Almofens und ihrer eigenen 
Mühen ımd Arbeiten ganz Europa mit den riefenhaften Ge— 
bäuden überdeckt, an welchen noch gegenwärtig die Demolir- 
baden der modernen Vandalen fich ftumpf arbeiten. Sie 
haben diefe Niefenwerfe in den tiefften Einöden aufgeführt, 
ohne Straßen, ohne Kanäle, ohne Mafchinen, ohne irgend 
eines der mächtigen Werkzeuge moderner Induſtrie; aber 
dafiir mit einer nicht zu erfchöpfenden Geduld und Beharr- 
lichkeit, und zugleich mit einem Gefchmade, mit einen 
Sinne für die Berhältniffe und Bedingungen der Kunſt, 
um welche alfe Afademien fie beneiden fünnten. Und, 
jagen wir es rund heraus: es giebt nirgends in der Welt 
eine Geſellſchaft, die nicht bei ihnen in die Schule gehen 
und dafelbft zu gleicher Zeit die Gefete der Kunft und der 
Dauer erlernen könnte. 


) „Dieſe langwierigen und koſtſpieligen Arbeiten,” jagt der Pater 
von Mirabean, „in welche Körperſchaften, die ſich als unfterblid) 
betrachten, immer minorenn zum Veräußern, immer volljährig zum 
Konſerviren, gewiffermaßen ihren Ruhm und ihre Freunde feßen, 
gehen durchaus tiber Die Kräfte von Privaten... . Ebenfo verhält e8 
ſich mit den Bauten; überall die gleiche Solidität, die gleiche Sorg- 
falt in der Unterhaltung. ine der Kirchen im unſerer Abtei, ift in 
der Kloftergefchichte durch fieben Jahrhunderte befaunt, fie ift jetzt 
noch im gleihen Zuftande, in welchen fie damals bei ihrer Erbauung 
war. Wo find Privatbäufer, welche noch einen Stein aus jo alter 
Zeit übrig haben ?“ L’ami des hommes, 1758, t. I, p. 2. 


Fünftes Kapitel, 
Das Schensalük im SKlofter. 


Ciö ch’io vedeva mi sembrava un riso 
Dell’ universo. .. 
Ö gioia! O ineffabile allegrezza ! 
O vita intera d’amore e di pace! 
O senza brama sieura richezza!.. 
Luce intellettual piena d’amore, 
Amor di vero ben pien di letizia, 
Letizia che trascende ogni dolcore. 


Dante, Paradiso, e. XXVII et XXX. 


Mist mir die Denfmäler, die materiellen und äußer— 
lichen Werfe, waren bei den Mönchen von Dauer, fondern 
auch der innere Bau, das moralifche Werk und vor Allen 
die Glückſeligkeit, in deren Genuffe fie lebten, das veine, 
ſtille Süd in ihnen und um fie ber '). 

Ja, ſogar auch in diefem Leben, das fie fo geringe 
achteten, das fie Gott aufgeopfert hatten, ließ ſie Gott 


) Mir ift fein Schriftfteller befannt, der das Glück des Klo- 
fterlebens, ſowie dasjelbe von den alten Schriftjtellern ſelbſt be- 
ſchrieben und conjtatirt worden ift, beffer aufgefaßt und ausgefprocen 
hätte, als H. Kenelm Digby, im X. Bande der fo befehrenden und 
intereffanten Sammlung unter dem Titel: Mores Catholiei, Lon— 
don 1840. Derſelbe bat mir in diefem fo ſchönen und anmuthigen 
Studium zum Führer gedient, und hat mir dabei ein hohes Ver— 
gnügen verſchafft, das ich gerne mit meinen Lejern theilen möchte, 
und jie deshalb auf dies wortreffliche Werk binweije, 


LXXXI 


durch ein permanentes Wunder feiner Erbarmung, fort- 


während die Freude und die Seligfeit in einem von den 
Menfchen nicht einmal geahnten Grade finden. Ya, Das 
Stück, diefe feltene, hienieden fo fehnfüchtig herbeigewünfchte 
Gabe, herrichte ungetheilt in den Klöftern, die der Regel 
ihrer heiligen Gründer, dem Gefete ihres Dafeins treu 
blieben. Es malte ſich Schon in den lieblichen Namen, die 
die Mönche fo häufig den Stätten ihrer Berborgenheit und 
ihrer Buße gaben: Gutjtatt ), Schönftatt *), Yichtftatt °), 
Luftftatt *), Yiebftatt ), Seligenftatt *), Gottsſtatt ”), Yiebe- 
Infel?), Mitothal?), Die Wonnen 0), Wonnenftein !'), 
Sutshafen 2), Guternbe '?), Guteberg 19, Engelberg *), 


) Bonlieu in der Provinz von Limoges, Kifterzienfer-Ordens, 
und noch mehrere andere Klöfter gleichen Namens, 

) Beaulieu, Benediftiner- Abtei in Lothringen, Kifterziener- 
Klofter in England, Nouergue und an andern Orten, 

3), Clair-Lieu, Cifterzienjer-Klofter in Lothringen, 

) Netley, Joyeux-Lieu, in England, won laeto loco. 

°) Cher-Lieu, Ciſterzienſer-Kloſter in der Freigrafichaft. 

9) Das von Einhard gegründete Klofter im Ardennerwalde. 

) Locus Dei, Prämonftratenfer - Abtei int Berner- Seelande, 
lieblih gelegen bei Megenvied. 

) Cara Insula, in Norwegen, 

>) Eifterzienfer-Klofter in der Champagne, franzöfiih Vaulx-la- 
Douce. 

10) Las Huelgas, bei Burgos in Caftilien. 

"m Sranzisfanerinnen-slofter im Kanton Appenzell in dev Schweiz. 

12) Bon-Port, Eifterzienfer in dev Champagne, 

'3) Bon-Repos, Cifterzienfer in dev Bretagne. 

4) Bon-Mont, Bonus-Mons, Cijterzienjer- Abtei am Fuße der 
Dule, am Jura, oberhalb Nyon. 

'5) Mons Angelorum, Benediktiner-Abtei im Kanton Unterwalden 
in der Schweiz. 

v. Montalembert, d. Monde d. A, J. f 


LXXXII 


Heiligenberg'), Heiligenthal?), Segensthal?), Friedensthal*), 
Hoffmungsthal?), Gutthal®), Rettungsthal?), wiele Lilienthal, 
Gnadenthal ꝰ), Schönthal ), Süßborn 10), Himmelsweg'!), 
Himmelsthor '?), Himmelsfrone'?), Gottesjoch '*), Gottes— 
theil'5), Friedgottes!®), Gottesflarheit!”), Gottesweisheit'*), 
Sottesfeld 1%), Gottesftatt ®), Hafen der Lieblichfeit *"), 


!) Sanetus-Mons, Negulirtes Chorherren-Stift, bei Winterthur, 
Kanton Zürich in der Schweiz. 

) Val-Sainte, eigentlih: Vallis Sanetorum omnium, Alfer- 
heitigenthal, Karthaufe im Kanton Freiburg in der Schweiz. 

®) Val-Benoite, Klofter des Cijterzienfer-Ordens bei Lyon. 

) Val-de-Paix, Karthauſe in der Schweiz. 

5) Val d’Esperance, Karthaufe in Burgımd. 

6) Valbonne, Karthauſe im Languedoc; ferner ein Cifterzienjer- 
Klofter in Rouffillon ; ferner eine Menge won Klöftern unter dem 
Namen von Bonneval und Bonnevaux. 

?) Val-Sauve, Eifterzienfer-Klofter in Pangıredoc. 

s) Klofter von Eifterzienferinnen im Kanton Aargau in der Schweiz. 

°), Benediftiner- und Benediktinerinnen-Klöfter, auf dem obern 
Hanenftein, im jetigen Kanton Bafelland, in dev Schweiz. 

10) Font-Douce, Benediktiner-Klofter in Saintonge in Frankreich). 

19 Voie-du-Ciel, Kartbaufe im Königreih Mureia in Spanien. 

'2) Porte-du-Ciel, Karthauſe im Königreich Valencia, 

) In Deutjchland. 

') Joug-Dieu, Benediktiner in Beaujolais in Frankreich. 

'5) La Part-Dieu, Pars Dei, Karthauſe bei Bülle, im Kanton 
Freiburg in der Schweiz. 

'*) La Paix-Dieu, Cifterzienjer-Klofter bei Lüttich. 

'?) Clarte-de-Dieu, Eifterzienjer-Klofter bei Toms in Franfreid). 

's) LaScience-de-Dieu, Theologium, Bened.-Klofter in Lothringen. 

19 Champ-de-Dieu, CulturaDei, Benedikt. in Maas in Franfreid. 

*®) Le Lieu-de-Dieu, Dilo für Dei locus, Prämonftratenfer bei 
Joigny; Loc-Dieu, Eifterzienfer, in Nouergue und an andern Orten. 

?') Le Port-Suave, Portus smavis, Poursas oder Poussay, 
adeliges Kapitel in Lothringen. 


LXXXIII 


Glücksaue ), Segensaue ?), Segenshain?), Ruheſtatt H, 
Paradies ?), Stärkung 8), Ueberfluß 7), Freude °). 

Und diefe lange, ungetrübte, lebhafte Freude herrfchte 
um jo völliger in ihren Herzen, als ihre Regel ftrenger, 
und ihre Treue in Beobachtung derfelben vollftändiger war”). 
Wir müffen ihnen, da ihr Zeugniß darüber einftimmig ift, 
hierin Glauben fchenfen, wenn wir nicht das Unmögliche 
annehmen wollen, daß fich das Edelſte, Neinfte und Hei- 
ligfte in der Kirche während zehn Jahrhunderten verabredet 
habe, um die Menſchheit ſyſtematiſch zu belügen; eine An— 
nahme, die um fo widerfinniger wäre, da ja die Klofter- 
GSefchichtfchreiber fortwährend auch die traurige Pflicht er- 
füllt haben, auch die Unordnungen und die Yeiden nambaft 
zu machen, welche eine Folge des Abirrens und der Hint- 
anſetzung der urjprünglichen Negel und Berfaffung waren. 

Unwiderfprechliche Zeugniffe von dieſem Yebensglüce 
der wahren Ordensperfonen finden fih auf jedem Blatte 


') Pre-Heureux, Felix-Pre& bei Givet. 

) Pre-Benit, Eifterzienferssllofter im der Mark. 

») Sylve-B£nite, Karthaufe in der Dauphine, 

*) Reposoir, Karthaufe in Savoyen. 

°) Klariffinen-Klofter bei Schaffhaufen in dev Schweiz. 

°%) Le Reconfort, Cifterzienferinnen im Nevernais in Frankreich. 

?) L’Abondance, Benediktiner in Savoyen, 

°®) La Joie, Zwei Eifterzienferinnen-slöfter, eines in der Cham— 
pagne und eim anderes in der Bretagne führten diefen Namen. 

) Dieſe Erſcheinung, die fich beftändig am Beginne aller veli- 
gidfen Orden gezeigt und während der ganzen Dauer der genauen Beob- 
achtung ihrer Regel betätigt hat, findet fich auch gegenwärtig wieder 
unter allen Schwierigfeiten unfers modernen Lebens, Die Trappiften- 
Klöfter find ftets mit Novizen überfüllt. Dagegen konnten im ver- 
gangenen Jahrhundert die vielen Klöfter, in welchen das Commenden— 
wejen alle Ordenszucht vernichtet hatte, und im denen es fich faft 
eben jo leicht wie in der Welt lebte, Feine Novizen fiir fich finden. 

I 


LXXXIV 


der Schriften, welche die Väter, die Lehrer ımd die Ge— 
Schichtfehreiber des Mönchthums uns hinterlaffen haben. 
Sie liebten die Klöſter, welche der Unverftand der Neuern 
als Gefängniſſe bezeichnet, mit einer wahren Leidenschaft, 
und fanden ihr Glück und ihre Wonne nur im Innern 
dieſer Klöfter : 

Toto corde meo te, Centula mater, amavi '). 

Mit diefem Ausrufe der Liebe ſchließt die Schöne und 
intereffante Chronif der großen Benediftiner-Abtei St. Ni- 
quier in Pontiva (Bonthien), und, fünf Sahrhundert nach- 
dem diefelbe gejchrieben worden, ruft einer der ausgezeich- 
netjten Gefchichtichreiber des Benediktinerordens, Abt Trit- 
tenbeim, am Schluffe des eriten Theiles der berühmten 
Annalen feines lieben Klojters, dem er feine Erziehung 
verdankte: 

Me sola Hirsaugia gaudet ?). 

Der Wiederhall diefer Frendenftimmen ertönt in langer 
Reihe von Jahrhundert zu Sahrhundert. Der vielftrenge 
heilige Petrus Damiani nannte Cluny einen Garten der 
Wonne?). Der heilige Bernhard, diefer Vater von hun- 
dert und fechzig Klöftern, im die er den Kern feiner Zeit- 
genoffen aufnahm, rief unaufhörlich: „Guter Gott! wie 
reichen Troſt giebft du Denen, die aus Liebe zu dir arm 


) Hariulfi, Chron. Centul. , diejelbe fchliegt mit dem Jahre 
1088, ap. D’Achery. Spieil. t. IL, p. 356. 

?) P. 616 der St. Galler Ausgabe von 1690 in fol. — Ebenſo 
fagt der Abt von Trittenheim in der Widmung feines Werkes: 
Nimia dileetione Hirsaugiensium devietus laborem hune magnum 
libens suscepi; und gegen Ende des I, Theiles: Quanto Hirsau- 
gianos amore diligam omnes, saltem laboribus meis communi- 
catis ad loci honorem ostendam. t. II, p. 692. 

) Hortus delieiarum, 


LXXXV 


geworden ſind')!“ Und als Petrus von Blois das Klofter 
Croyland verlief, um in fein Vaterland zurückzukehren, 
wandte er fich unterwegs noch fiebenmal um, um den Ort 
zu betrachten, der feine Seele mit fo viel Glück erfüllte ?). 

Sie liebten ihre geliebten Klöfter fo heiß und glühend, 
daß fie fich felbft dariiber Borwirfe machten, gleichwie man 
jich wegen zu großer Anhänglichkeit an die Welt und ihre 
Reize Vorwürfe machen joll, und wenn fie diefelben zu ver— 
laſſen genöthigt waren, mußten fie ſich, um jich in dieſe 
Nothiwendigfeit ergeben zu können, an die heilige Pflicht 
der chriftlichen Selbftverläugnmung erinnern. „O meine 
Zelle!" vief Alcuin aus, als er fein Klofter werlaffen und 
fih an den Kaiferhof Karls des Großen begeben mußte, 
„Füße und geliebte Wohnftätte, leb’ ewig wohl! Nie mehr 
werde ich die Wälder, die dir im Schatten ihrer erfriichenden 
Zweige Kühlung zuweheten, und ihr frifches Grin, nie 
deine mit balfamifchen Kräutern bewachfenen Wieſengründe, 
nie deine fifchreichen Bäche, deine Gärten, in denen Roſen 
und Lilien blüheten, wieder fehen! Ich foll nie mehr ven 
Geſang der Vögel, welche am früheften Morgen vie Meette 
fangen wie wir felbft, und fo im ihrer Weife ven Schöpfer 
(obten, und nicht mehr die Lehren einer milden, heiligen 
Weisheit vernehmen, welche mit ven Yobgefängen des Aller: 
höchſten von Yippen, die immer im Frieden waren wie 
auch die Herzen, in heiliger Freude ertönten. Geliebte 
Zelle! Um dich traure, nach div ſehne ich mich Zeit 
meines Lebens. Aber fo ift es in diefer vergänglichen 
Welt, in ihrem Wechfel und Wandel, wo die Nacht dem 


') Deus bone! quanta pauperibus procuras solatia ! 
) Petr. Blesensis Contin., Ing. Croyland, ap. Gale, 
rer. Angl. seript. t. 1, 


LXXXVI 


Tage folgt, der Winter dem Sommer, dev Sturm der 
Ruhe, das müde Alter der fenrig erglühenden Jugend. 
Warum hängen wir Armfelige uns auch an diefe verän- 
verliche, flüchtige Welt? Dich, der fie in Flucht fett, o 
Shriftus, dich allein follen wir lieben; deine Yiebe allein 
ſoll unfere Herzen erfüllen, du bift unfer Ruhm, unfer 
Leben, unfere Seligfeit ')!* 

Dies Glück der Mönche war natürlich, e8 war dau- 
ernd und tief und fejt begründet. Sie fanden dafjelbe zu— 
nächjt in der Arbeit, in einer geregelten, vom Gebete ge- 
tragenen und geheiligten Thätigfeit”), ſodann in allen Ein- 
zelnheiten ihres Yebens, das jo logiſch, Jo ruhig klar und 
jo frei war, frei in der ſouveränſten, höchſten Freiheit. 
Sie fanden es femer und ganz insbefondere in jener be- 
neidenswerthen Sorglofigfeit bezüglich der Bedürfniſſe des 
materiellen und häuslichen Lebens, von denen fie einerjeits 
durch die Einfachheit und Aermlichfeit ihrer Yebensart, und 
andererfeits durch die innere Organifation der Kloſterge— 
meinde befreit waren, welche alle derartigen Sorgen dem 
Haupte derfelben, dem Abte, überweift, welcher, won Celle 
rarius oder Vorrathsmeiſter dabei unterſtützt, fich dieſen 


') OÖ mea cella, mihi habitatio duleis amata, 
Semper in zternum, o mea cella, vale!... 
Omne genus voluerum matutinas personat odas, 
Atque Creatorem laudat in ore Deum. 
Aleuini Opera, t. II, p. 456, ed. Freben. 
2 Martyris Albani, sit tibi tuta quies! 
Hie locus »tatis nostre primordia novit, 
Annos felices, letitieque dies!... 
Militat hie Christo, noetuque diuque labori 
Indulget sancto religiosa cohors. 
Berje von Neckham, Abt von irencefter im Jahre 1217 auf 
das St. Albansklofter ap. Digby, X, 545. 


LXXXVI 


Pflichten aus Liebe Gottes und des Friedens feiner Brüder 
wegen unterziehen foll. 

Sp verlief, verlängerte und endete fich ihr Yeben in 
arbeitvoller Ruhe, in lieblicher Gleichförmigfeit. Es dehnte 
fich zu hohen Yahren aus ohne tramvige VBerddung. Das 
lange Yeben der Mönche hat von jeher und überall die 
Aufmerkfamfeit auf fich gezogen. Sie verftanden die Kunſt, 
das Alter, welches in der Welt, befonders aber in der 
modernen Geſellſchaft, in welcher eine Alles verjchlingende, 
ganz materielle Thätigfeit die Grundbedingung des Glückes 
zu werden fcheint, immer fo trübe und traurig ift, zu trö— 
ften und zu heiligen. Im Kloſter wird das Greifenalter 
nicht nur beftändig von den Yüngeren geliebt, beachtet und 
geehrt, fondern fo zu fagen fupprimirt und durch die Ju— 
gend des Herzens evfetst, die bei ihnen in dev Negel unter 
dem Wintereife des Alters fortdauert, gleichſam ein Prä— 
ludium der ewigen Jugend im feligen Leben. 

Sie hatten zudem einen tiefen Sinn für die Schön— 
heit der Äußeren Welt und der Natur; fie bewunderten in 
ihr den Tempel der Gottesgüte, des Gotteslichtes, und fa- 
ben in ihr einen Abglanz von Gottes Herrlichkeit. Die 
Beweiſe dafür haben fie uns zumächjt in der Auswahl der 
meiſten Stellen gegeben, an welchen fie ihre Klöfter errich- 
tet, und die gewöhnlich in Bezug auf innere Schieflichkeit 
und den unausfprechlichen Reiz der Yage fo bemerfenswerth 
find, und dann durch die Befchreibungen, die fie uns häufig 
von diefen bevorzugten Dertlichkeiten hinterlaffen Haben. Dean 
ſehe 3. B. die Darftellung des heiligen Bruno, da wo er 
feine Karthaufe in Kalabrien befchreibt '), oder diejenige des 


') In feinem Briefe an Naoul le Verd, Erzbifhof von Neims, 
ap. Mabillon, Annal. Bened. t. V, 1. 68, ad finem. 


LXXXVIII 


anonymen Mönches, der uns Clairvaux geſchildert hat!), 
und man wird ſich von demſelben zarten, tiefinnigen Ver— 
ſtändniſſe der ländlichen Natur ergriffen fühlen, welchem 
Virgil und Dante ſo viele unſterbliche Verſe verdanken. 
Gleich den Herren der Lehenszeit, und noch früher als ſie, 
hatten auch die Mönche jenen Sinn und Geſchmack des 
Maleriſchen, des Ueberraſchenden, Urſprünglichen und Man— 
nigfaltigen in der Natur, welcher das ganze Mittelalter 
beherrſcht, und den man wie eine Erſcheinung des erſehnten 
Ideals in ven Landſchaften Hemlings und Van Ehck's fin— 
det, obwohl dieſe großen Meiſter ſtets nur ihre einförmigen 
flandriſchen Gegenden bewohnt. Dieſer Geſchmack ging 
ſpäter mit ſo manchen anderen Formen des Schönen und 
Guten verloren; die Nachfolger der alten Mönche verließen, 
wie auch diejenigen der alten Rittergeſchlechter, ſobald ſie 
irgend konnten, die Waldſtätten und Berggipfel und gefielen 
ſich beſſer in der proſaiſchen Gleichförmigkeit der Ebenen 
und der Städte“). Aber die Mönche der erſten Jahrhun— 
verte wußten die volle Schönheit der Naturpoefie herans- 
zufinden, zu wirdigen und zu genießen. 

Wenn die leblofe Natur für fie eine fo reiche Quelle 

) Opp. S. Bernardi, t. II. — Hinzuweiſen ift bier auch auf 
die ſchönen Betrachtungen über die belebte und unbelebte Natur, die 
im XII. Jahrhundert Abt Frowin von Engelberg, in feinem „Bud 
der Welt,“ in feiner Explanatio Orationis dominicz, und in 
jeinem größern Werfe „Vom freien Willen“ niedergefchrieben hat. 
Die handſchriftlichen Werfe Frowin's befinden fih in der Manu- 
jeripten-Bibliothef von Einfiedeln. Siehe „Schweizer-Blätter 
für Wiſſenſchaft und Kunft,“ t. I, p. 52 u. flg. 

?) In ihrem Voyage litteraire de deux Benedietins zu 
Anfang des XVII. Jahrhunderts gejchrieben, bezeichnen Die gelehrten 
Reifenden beftändig mit site affreux die oftmals jo maleriſchen 
Stellen, an denen die Klöſter, welche ſie beſuchten, erbaut waren. 


LXXXIX 


von Genüffen war, fo fchöpften fie deren noch viel leben— 
digere und viel höhere aus dem Yeben des Herzens, aus 
der Doppelliebe die fie entflammte, der Bruderliebe, die 
von der Gottesliebe eingegeben und geheiligt war. Diefel- 
ben Kloſterfedern, welche Abhandlungen über die Schön- 
beit der Welt!) verfaßt haben, Haben auch noch andere 
viel fchönere und ausdrucksvollere über die chriftliche 
Freundſchaft gefchrieben?). Die Yiebe, heißt es bier 
unter andern, entfteht aus Erkenntniß und Grinnerung, 
welche beide in ihr ihre Pieblichfeit gewinnen ?). — Doch 
find ihre lebendigen Beifpiele hierüber noch viel fprechender 
als ihre Abhandlungen. Welch ein anmuthiges, mit Yuft 
zu bearbeitendes Werf Tiefe fich über die Freundschaft im 
Kloſter Schreiben? Wie viele rührende Züge, wie viele 
tiebliche Ausfprüche wären hier zu fammeln feit der Zeit 
jenes Abtes in Spanien im VII. Jahrhundert, welcher 
jagte: „Sch habe im der Welt nur Einen Bruder verlaffen, 
und habe dafür fo viele im Klofter wieder gefunden 9!“ bis 
zu jenen beiden Klofterfrauen von Fontevrault, von denen 
die eine, vor der andern geftorben, der Geführtin wieder 
erichien und auch ihr den Tod mit den Worten verkündete: 
„Wiſſe, Geltebte, daß ich bereits eines hohen Glückes ge- 
nieße, aber in's Paradies kann ich ohne dich nicht ein- 


) De venustate Mundi, won Dionys dem Karthänfer. 

?) De amieitia christiana und De charitate Dei et pro- 
xeimi, tractatus duplex, von Petrus von Blois, V. ed. in fol. 
von ‚1667, p. 497. 

») Ut amor ex scientia et memoria convalescat, et illa duo 
in amore dulcescant. Petr. Bles., Tract. I, ce. Xl. 

) Unum fratrem dimisimus in sæculo: ecce quanto inveni- 
mus in monasterio. Contr. Elipandum, 1. II, ap. Bulteau, 11, 265. 


XC 


gehen ; beveite dich alfo und komm' eitends, damit wir ver— 
eint zum Anjchauen Gottes gelangen .“ 

Es iſt Übrigens auch gar nicht zum Verwundern, daß 
jih im Kloſter diefe zarten Gefühle tugendhafter Seelen 
jo reich entfalteten. Die Mönche hatten bei ihrer jonjtigen 
Yebensftvenge nicht nur das Necht und das Bedürfniß in 
gegenfeitigen vertraulichen Ergiegungen und im Gedankenaus— 
taufche ein Schub und Yinderungsmittel gegen die unaus— 
weichlichen Verſtimmungen der Seele, eine Nahrung für 
die Ideale ihrer Jugend zu ſuchen; fie befolgten auch die 
göttlichen Vorſchriften und das Beifpiel des Gottmenfchen, 
indem fie unter dem gleichen Ordenskleide die brüderlich 
liebenden, uneigennüßigen, tvenen Herzen auffuchten. Die 
täglich betrachteten und die in der Flöfterlichen Liturgie geſun— 
genen und gebeteten Worte der heiligen Schriften boten 
ihnen ſtets unvergängliche Beifpiele von der Liebenden Zu: 
neigung, die unter den Auserwählten herrſchen kann. Aus 
ven Evangelien, aus demjenigen insbefondere, deſſen Ver— 
faffer jich nicht ſcheut, ſich den Jünger den Jeſus 
liebte, zu nennen, ftrahlt ihnen die zärtliche, innige und 
hohe Freundfchaft entgegen, die der göttliche Heiland aller 
Menfchen, während feines kurzen Yebens hienieden, einzel- 
nen bevorzugten Seelen erwieſen bat. Im alten Tejtamente 
findet fich das Urbild davon in der bezaubernd ſchön erzählten 
Sefchichte des Jonathas, welcher David liebte wie feine 
Seele, und Davids, welcher Jonathas mit einer Liebe 
liebte, größer als Frauenliebe und höher als Mutterliebe, 
und in den Schwüren ewiger Treue, den Piebfofungen, den 


') Notum tibi facio, dileeta... Pra&para ergo te et veni 
quantoeius, ut simul Domino presentemur. Herberti, de Mi- 
raculis, 1. U, c. 43; ap. Chifflet, Genus illustre S. Bernardi,. 


XOI 


Thränen, welche den Herzensbund des Königsſohnes mit 
dem Sohne des Hirten beſiegelten). Alles trieb und er— 
munterte jie zur Auserwählung einer oder mehrerer ver- 
wandter Seelen, zu innigerem Bunde für diefes Yeben, und 
ließ fie diefe Wahl mit einer Liebe, frei wie ihr Beruf, 
lauter wie ihr heiliger Stand, zart und hochfinnig wie ihre 
Jugend, fir das Yeben befräftigen. Auf folche Weife mit 
ven keuſchen Wonnen vereinigter Herzen innig vertraut, 
fonnten fie mit dem Siraciden in der Freundestreue dieſer 
freien Herzensverbindungen ein Heilmittel für Xeben 
und für Unfterblichfeit?) erblicken. 

Wo aber fünde fich unter uns eine Feder, welche zart 
und lauter genug wäre, um uns diefe Jahrbücher ächter 
und wahrer Yiebe wieder zu erzählen? Er feheint einen 
Blick in diefelben hineingeworfen zu haben, jener Dichter, 
der lieblichfte und durch eigene Schuld unglücklichſte un- 
jever Zeit, wenn er mitten inne zwifchen Gefängen won jo 
jeitfamer und jo geführlicher Schönheit Berfe niederfchreibt, 
die eine feltene Probe jener erhabenen und hochherzigen 
Eingebungen find, die er fo ſchön wieder zu geben ver- 
Itand und leider jo oft unterdrückte: 

„She Klofterhallen, ftille, dunkle Zellen, 

Im euch nur, was da lieben fei, man kannte, 

Nie küßt' den Fühlen Stein auf euren Schwellen 

Je ungerührt die Lipp’, die gluthentbrannte. 


') Anima Jonath® conglutinata est anim® David, et dilexit 
eum Jonathas quasi animam suam... Osculantes se alterutrum 
fleverunt pariter, David autem amplius... Quæcumque juravi- 
mus ambo in nomine Domini... Frater mi Jonatha, decore ni- 
mis et amabilis super amorem mulierum. Sieut mater unicum 
amat filium suum, ita ego te diligebam. 

?) Amicus fidelis, medicamentum vite et immortalitatis. 
kceli., VI, 16, 


XCH 


Saft fie die Stirne mit Taufwaſſer neben, 

Sagt ihnen, daß mit eignem Knie fie müßten 

Erft tüchtig von den Gräberfteinen weßen, 

Eh’ fie, gleich euch, zu lieben jemals wüßten. 

Ja, mächt'ge Liebe trankt, geheimnißvolle Mönche, 

Aus eures Kelches Tiefe ihr, entzücket! 

Ihr liebtet feurig; o! ihr wart beglüdet '). 

Sollte man nicht meinen, daß die Hand, welche dieſe 
Zeilen geſchrieben, zuvor in dem unvergänglichen Geſetzbuche 
geblättert habe, welches der heilige Bernhard uns in ſeinen 
Reden über das hohe Lied zurückgelaſſen, wo er die all— 
gemeine Sprache der Liebe, „welche nur von Liebenden 
verſtanden werden kann“),“ mit einer jo glühenden, tief 
innigen Kraft zu fprechen weiß; wo er die VBermählung 
der Seele mit Gott feiert und mit Flammenzügen die 
Sottesbraut jehildert, welche nur liebt, um zu lieben und 
geliebt zu werden, die einzig nur in der Viebe alles findet, 

') Cloitres sileneieux, voütes des monasteres, 

C'est vous, sombres eaveaux, vous qui savez aimer, 
Ce sont vos froides nefs, vos paves et vos pierres, 
Que jamais levre en feu n’a baises sans pämer. 


Trempez-leur done le front dans les eaux baptismales, 

Ditez-leur done un peu ce qu'avec leurs genoux 

Il leur faudrait user de pierres sepulerales, 

Avant de soupconner qu'on aime comme vous. 

Oui, e’est un vaste amour qu'au fond de vos ealices 

Vous buviez a plein cur, moines mysterieux!... 

Vous aimiez ardemment! oh! vous &tiez heureux ! 

Alfred de Musset. Rolla. 
) Amor ubique loquitur: et si quis horum quæ leguntur 

eupit adipisei notitiam, amet... Lingua amoris ei qui non amat, 
barbara erit. Serm. 79, in Cantie, 


XCIII 


was ſie ſucht, was ſie wünſcht, was ſie hofft; die nichts 
mehr fürchtet, und ſo wenig an der Liebe zweifelt, die ſie 
einflößt, als an derjenigen, die ſie ſelbſt fühlt‘). Niemals 
hat die doch fonft jo ausdrucksvolle irdiſche Liebe Worte 
von fo tiefer Gluth, von fo feuriger Begeifterung einge- 
geben. Was aber Kar beweift, wie wenig die fo aufge- 
faßte und geübte Gottesliebe die Yiebe des Menſchen zum 
Menfchen aus dem Herzen verbannen oder erfälten will, 
iſt dies, daß die menschliche Beredtfamfeit nirgends tiefere 
und wahrere Schmerzenslaute aufzuweiſen bat, als in jener 
unvergänglichen Todtenklage, mit welcher Bernhard plößlich 
die Reihe feiner Predigten über das hohe Lied unterbricht, 
um feinen letzten leiblichen Bruder zu beweinen, den der 
Tod im gleichen Klofter eveilt hatte, im welchem Beide fo 
einträchtig und fo innig beglückt mit einander gelebt hatten: 
„Fließet, fließt ihr Thränen, die ihr längſt hervorbrechen 
wolltet !" ruft er in jener befannten Stelle aus, „brecht 
hervor, denn derjenige, der euren Ausbruch hinderte, iſt 
dahin... Nicht er ift todt, ſondern ich bin es, der ich 
nur mehr lebe, um zu fterben... Warum mußten wir 
uns lieben, warum uns trennen?) ?" Dergeftalt verlangten 


') Quæ amat, amat, et aliud novit nihil.., Ipse (amor) me- 


ritum, ipse premium est sibi... Fruetus ejus, usus ejus. Amo, 
quia amo: amo ut amem,.. Sponsae res et spes unus est amor. 


Sermo 83. — Nihil dileete timendum. Paveant quæ non amant... 
Ego vero amans, amari me dubitare non possum, non plus quam 
amare. Sermo 34. 

) Exite, exite, lacrymæ jam pridem eupientes : exite quia 
is qui vobis meatum obstringerit, commeavit.,. Vivo ut vivens 


moriar, et hoc dixerim vitam!... Cur, quzxeso , aut amavimus, 
aut amisimus nos? Sermo 26. — Siebe auch die ſchöne Nede des 


heiligen Bernhard auf den Tod feines Freundes Humbert, Mönd in 
Clairvaux, t. I, p. 1066 ed. Mabillon, 


XCIV 


die natürliche Liebe und die berechtigte Zuneigung in den 
Herzen der Heiligen ihre Nechte, und durchdrangen, was 
Bernhard ſelbſt das breite und ſüße Wundmal der Liebe 
nennt!). So innig liebte diefer große Diener Jeſu Chrifti 
ſchon hienieden, und fo beweinte er, was er liebte, gleichwie 
auch Jeſus felbft in Lazarus einen fterblichen Freund liebte 
und beweinte: Ecece quomodo amabat eum?®)! 
Ohne fich immer zu diefer Höhe zu erheben, jtrömt 
dennoch diefe gegenfeitige Zuneigung, die unter den Mön— 
chen herrſchte, in breitem, tiefem Wellenfchlage durch die 
Sahrbücher des Klofterlebens. Spuren davon finden fich 
jogar in den von den neuern Gelehrten gefammelten For— 
meln, welche, in den verfchiedenen Klofterarchiven aufbe- 
wahrt, als Muſter des vertraulichen Briefjtyles zwiſchen 
den verſchiedenen Klöftern, oder den Oberen, oder auch den 
einzelnen Mönchen dienten. Man findet in venfelben bie 
und da, fowohl in den Auffchriften der Briefe als auch 
im Texte ſelbſt, Herzensergüffe, welche den geduldigen For— 
jeher wohlthuend erfreuen. „Ein Gewiſſer ſchreibt an einen 
Gewiſſen, der demüthige Yandsmann an denjenigen, den 
er mit den Flügeln einer aufrichtigen und unauflöslichen 
Liebe umfängt, Gruß in der Süßigfeit der Piebe?).” Und 
anderswo : „Sch beſchwöre deine freundliche Milde, befuchen 
wir einander öfter durch Briefe und Sendungen, und laffen 
wir die weite Entfernung, in der wir leben, über diejenigen 


') Grande et suave vulnus amoris. 

) Joan. XI, 36. 

*) Indissolubili vinceulo individue sincerrimæque charitatis 
alis amplectendo illi, ille humilis terrigena in dulecedine vers 
charitatis salutem. Zormules inedites, nad zwei Handſchriften 
von München und von Kopenhagen, veröffentliht von Eug. de Ro- 
ziere, 1559, Nr. 68. — Cfr. Nr. 34 et 71. 


XCV 


nicht triumphiren, welche die Liebe Chriſti vereinigt..." 
Dem treuen Freunde, fagt ein anderes diefer vergeffenen 
Schriftftücke, deren unflaffifches Yatein wohl ohne Zweifel 
mehr als Einer zartgefinnten, Tiebenden Seele zum Aus— 
drucke gedient hat; „streben wir darnach, geliebtefter Bru— 
der, daß wir gefättigt werden von den Früchten der Weis- 
heit, und benett vom Waffer aus göttlichem Brunnquell, 
damit uns dereinft ein umd dafjelbe Paradies aufnehme 
und ums der Freiheit des himmlischen Neiches theilhaftig 
mache... Mögen wir durch noch fo weite Yänderftrecden 
entfernt und einer vom andern durch ferne Himmelsftriche 
getrennt fein: wenn du es willft, jo leben wir im den 
gleichen Prüfungen und unſere Gebete ftärfen uns gegen- 
feitig durch die Vereinigung unferer Seelen." Manchmal 
find es kaum gebildete Verfe, welche fich mit der Profa 
vermengen, um das ewige Yied diefer ganzen Korrespondenz 
zu wiederholen : 

„Sedenfe mein, ich dent’ an dich beftindig, 

Ih Schuld’ und gebe dir des Herzens ganze Liebe ').“ 

Aber mit ungleich größerer Kraft als in dieſen ano- 
nymen Formeln, mit größter Beftändigfeit und mit unge— 
ſtümer Gewalt fieht man diefe unerfchöpfliche Fülle zärt- 
licher Piebe in den authentischen Brieffammlungen der großen 
Mönche hervorbrechen, welche ficherfich unter die Foftbarften 


) Non sejungant longa terrarum spaeia, quos Christi nectit 
amor... Age jam, o meus carissime frater... ut in regni cœ— 
lestis libertate.... gaudere valeamus... Si vis, terrarum spatio 
divisi sumus atque seqnestramur intervallo et eoeli inzquali cli— 
mate dirimemus, pari tamen tribulationum depremimnr (sie) face... 

Esto mei memores, sum vestri: debeo vobis 
Et voveo totum quiequid amore... 
E. de Roziere, Formules de 8. Gall., Nr. 39, 41, 58. 


XCVI 


Denfmäler für das Studium der Vergangenheit und für 
dasjenige des menschlichen Herzens gehören. Je berühmter 
und einflußreicher, je heiliger fie find, deſto mehr und deſto 
inniger lieben fie auch. Der Briefwechfel der hervorragend- 
jten unter ihnen, eines Gottfried von Vendome, eines Petrus 
des Ehrwürdigen, eines heiligen Bernhard, gibt auf jedem 
Dlatte davon umwiderfprechlich Zeugnig, und wir werden 
daffelbe mit Freuden hervorheben, wo wir feiner Zeit diefen 
erlauchten Mönchen auf unſerm Wege begegnen. 

Aber für den Augenblick müſſen wir wenigjtens einige 
Zeilen anführen, in denen fich das Herz des heiligen An- 
jelm malt, der bis in fein jechzigftes Jahr in feinem nor- 
manniſchen Kloſter Bec lebte, liebte und glücklich war, 
bevor er zu den rubmreichen Kämpfen feines Episfopats 
berufen ward, „Geliebteſte Seelen meiner Seele," ſchrieb 
er an zwei nahe Verwandte, die er für das Kloſter Bec 
gewinnen wollte, „meine Augen ſehnen ſich nach eurem An— 
blidfe, meine Arme find ausgebreitet, euch zu umfangen, 
meine Yippen jchmachten nach eurem Kuffe: alle meine 
Yebensfraft verzehrt fih in der Sehnſucht nach euch... 
Ich hoffe betend, und ich bete hoffend... O fommet und 
foftet wie ſüß der Herr ift: Ihr könnt es unmöglich wiſſen, 
jo lange ihr noch eure Freude an der Welt findet... Ic 
bin unfähig euch zu trügen, zunächſt, weil ich euch liebe, 
und dann, weil ich hierin aus Erfahrung rede. Laßt uns 
zufammen Mönche fein, damit wir jett und immer und 
ewig nur mehr ein Fleisch, ein Blut und eine Seele feien... 
Meine Seele ift euren beiden auf's Innigſte verwebt; ihr 
könnt fie zerreigen, aber losreißen und von euch trennen 
fünnt ihr fie nicht, und ebenfo wenig wermögt ihr es, fie 
in die Welt hineinzuziehen. So müßt ihr denn entweder 
bier mit ihr leben, oder machen, daß fie vor Herzeleid 


XCVII 


bricht; aber Gott bewahre euch, einer armen Seele, die 
euch kein Leid gethan und die euch liebt, ſo ſchweres Leid 
zuzufügen. O, wie meine Liebe mich verzehrt! wie ſie ge— 
waltig drängt, um ſich in Worten Luft zu machen! Aber 
keine Worte genügen ihr. Wie vieles möchte ich euch 
ſchreiben, aber weder Papier noch Zeit würde dazu hin— 
reichen. Rede du zu ihnen, o guter Jeſus! ſprich an ihr 
Herz, du, der allein machen kannſt, daß ſie es verſtehen. 
Sage ihnen, ſie ſollen Alles verlaſſen und dir nachfolgen. 
Trenne die nicht von mir, welche du durch alle Bande des 
Blutes und des Herzens an mich gebunden haſt. Sei du 
mein Zeuge, o Herr, du und dieſe Thränen, die ich ver— 
gieße, während ich ſchreibe ).“ 

Die gleiche Gluth der Liebe zeigt ſich in den Briefen 
an ſolche Freunde, die ihm das Kloſter geſchenkt hatte und 
die zeitweilig von ihm entfernt waren. So ſchreibt er an 
den jungen Lanfrank: „Das gemeine Sprichwort ſagt: 
Aus den Augen, aus dem Sinn; aber, glaube das nicht; 
wenn dem ſo wäre, ſo müßte ja in dem Maaße der Dauer 
deiner Entfernung von mir meine Liebe zu dir erkalten, wäh— 
rend doch gerade das Gegentheil ftattfindet, und wenn ich 
deiner perfünlichen Gegenwart mich nicht erfreue, der Wunſch 
nach dir um fo lebendiger in der Seele deines Freundes 
rege wird?).“ Gondulf, von der Vorſehung gleich ihm 
jelbft berufen, der Kirche in fchwerer Zeit zu dienen, war 
der vertrautefte feiner Freunde. Ihm ſchrieb er: „An Gon- 


') Animæ dileetissime anime mex;... concupiseunt oculi 
nei vultus vestros, extendunt se brachia mea ad amplexus ve- 
stros, anhelat ad oscula vestra 08 meum... Die tu, o bone Jesu, 
cordibus eorum ... Domine, tu testis es interius et lacrym& quæ 
me, hoc seribente, fluunt, testes sunt exterius. Epistol. lib. II, 28. 

°) Epistol. lib. I, 66. 

v. Montalembert, d. Mönche d. A. J. g 


XCVIII 


dulf, Anſelmus: Mit keiner andern Begrüßungsformel be— 
ginne ich mein Schreiben, denn ich kann demjenigen, den 
ich liebe, nichts Beſſeres ſagen. Wer Gondulf und An— 
ſelm fennt, der fennt auch, was Das fagen will, und weiß, 
wie viel Liebe im diefen beiden Namen ftillfchtweigend in- 
begriffen ift:" Und anderswo: „Wie fünnte ich dich ver— 
geffen! Vergißt man denjenigen, den man wie ein Siegel 
auf fein Herz gedrückt hat? Sm deinem Stillfchweigen 
leſe ih, daß du mich Tiebft: und jo auch dir, wenn ich 
chweige, jo weißt du, daß ich dich Liebe. Nicht nur zweifle 
ich nicht an div, fondern ich bürge dir auch, daß dır gleich- 
falls an mir nicht zweifelft. Was kann div mein Brief 
noch fagen, daß du nicht Schon wüßteſt, du meine andere 
Seele? Dringe ein in dein Innerſtes, betrachte in deinem 
Herzen deine Yiebe für mich, fo haft du das Maaß meiner 
Liebe zu dirY.“ Einem andern feiner Freunde, Gislebert, 
ſchrieb er: „Du wußteſt wie fehr ich dich liebte, aber ich ſelbſt 
wußte e8 nicht. Derjenige allein, der uns von einander 
getrennt hat, bat mir gezeigt, wie lieb du mir ſeieſt. .. 
ein, ich wußte es nicht, ehe ich durch die Trennung von 
div e8 erfahren, wie felig ich in deinem Beige war und 
wie bitter e8 mir jett ijt, dich nicht mehr zu haben. Du 
haft, um dich zu tröjten, einen andern Freund, den du fo 
jehr und noch mehr liebeft als mich ; aber ich habe dich 


') Quisquis enim bene novit Gondulfum et Anselmum, cum 
legit: Gondulfo Anselmus, non ignorat quid subaudiatur, vel 
quantus subintelligatur affeetus. Epist. 1. I, 7. — Qualiter nam- 
que obliviscar tu? Te silente ego novi quia diligis me, et me 
tacente scis quia amo te. Tu mihi conseius es, quia ego non 
dubito de te; et ego tibi testis sum quia tu certus es de me. 
Ep. 1.1, 4. — Sed quid te docebit epistola mea quod ignores, 0 
tu altera anima? Intra in eubieulum cordis tui... Epist. 1. I, 14. 


XOIX 


nicht mehr, dich, hörſt du es? Du biſt mir entriſſen, und 
Niemand iſt da, der dich mir erſetzte. Du haſt Tröſter, 
ich aber habe nichts als meine Wunde. Was ich da ſage, 
beleidigt ſie vielleicht, ſie, die ſich deines Beſitzes erfreuen. 
Mögen ſie ſich ihres Glückes freuen und mich trauern 
laſſen über die Entfernung von dem, den ich ewig liebe).“ 

Der Tod vermag je wenig als die Entfernung die 
Flamme diefer heiligen Yiebe im Herzen des Mönches aus- 
zulöfchen; und wenn derjelbe diefe ſüßen Bande zerriß, fo 
nahm der Sterbende die Gewißheit mit ſich ins Grab, daß 
er nicht vergeffen werde, und der Ueberlebende glaubte an 
die unjichtbare Dauer feines liebevollen Andenfens Fraft des 
Sebetes fir die Seele des Verjtorbenen, welches fort- 
dauernd, allgemein verbindlich und mit allen Gewohnheiten 
des SKlofterlebens wie verwachſen war, fraft des feierlichen 
Gedächtnißkultes fir die Verftorbenen, der in einem Klofter 
jeine endgültige und immmerwährende Weihe erhalten hat?). 
Dean begnügte fich auch nicht einmal mit dem gemeinfchaft- 
lichen und fortwährenden Gebete für die Berftorbenen jedes 
einzelnen Kloſters: mach und mach bildeten fich unter den 
Klöftern desfelben Ordens und Yandes Gebetsverbindungen 
zum Troſte der Berftorbenen jedes einzelnen Gotteshaufes. 
Auf Pergamentrollen, die durch befondere Boten von Klo— 
jter zu Kloſter gebracht wurden, wurden die Namen derje- 
nigen eingefchrieben, die nach der üblichen Nevdeweife, aus 
diefem irdifchen Yichte zu Chriftus hinübergewan- 


') Et quidem tu sciebas erga te dilectionem meam; sed 
utique ego ipse nesciebam eam. Qui nos seidit ab invicem, ille 
me docuit quantum te diligerem. Epist. 1. I, 75. 

2) Bekanntlich ift das Allerfeelenfeit won heiligen Odilo, 
Abt von Clüny, im Jahre 998 zuerft eingeflihrt worden, 


g* 


C 


dert waren, und diefe Nollen dienten als Kontrolle und 
Regifter zur Erhebung diefer freiwilligen Gebetsftener, um 
welche unfere eifrigen Kloſterleute für fich oder für ihre 
Freunde dringend nachjuchten 9. 

Auch hier finden wir Anfelm wieder. AS er zum 
Prior von Bee ernannt worden war, hatte ein junger Klo— 
fterbruder, Namens Osbern, eiferfüchtig über diefe Erheb- 
ung, ſich zum Haſſe gegen ihn hinreißen laffen, und äußerte 
wo er fonnte, diefe feine feindfelige Gefinnung. Anfelm 
näbert fich ihm, gewinnt ihn nach und nach durch liebevolle 
Nachficht, führt ihn zur Heiligung auf dem Wege der Flö- 
ſterlichen Bußübungen, pflegt ihn während feiner letzten 
Krankheit Nacht und Tag, und fteht ihm bei, bis der 
Kranke in feinen Armen den Geift aufgibt. Darauf Tiebt 
er auch noch die Seele deſſen, der jein Feind geweſen 
war; und nicht zufrieden, fir ihn ein ganzes Jahr lang 
täglich die heilige Meſſe zu leſen, bittet er auch von Klo— 
fter zu Klofter um den gleichen Yiebesdienft für den Ver- 
ftorbenen. „Ich bitte dich und alle meine Freunde,” fehrieb 
er am Gondulf, „für ihn zu beten. Seine Seele ift meine 
Seele, Altes, was ihr während meines Lebens fir ihn 
thun werdet, will ich betrachten als mir felbft nach meinem 
Tode erwiefen, und wen ich fterben werde, fo laffe mich 
und gedenfe feiner... Sch bitte, bitte, bitte dich, gedenke 


') De hae luce migravit, ut eredimus, ad Christum. Depre- 
cor vos omnes...ut me familiariter habeatis, maxime in sacris 
orationibus, et quando dies obitus mei vobis notus fuerit, mise- 
ricorditer de me facere dignemini... Nomina fratrum defune- 
torum , libenti animo suscipite et ad vieina monasteria dirigite. 
Formules de 8. Gall. E. de Roziere, Nr. 29 et 31. — Cfr. 
die vortreffliche Arbeit des H. Leopold Delisfe über diefen Gegen- 
ftand, in der Bibl. de Vecole des C'hartes, t. III, 2. serie. 


Cl 


mein und vergiß die Seele meines theuren Dsbern nicht. 
Und wenn es dir an Beiden zu viel ift, jo laß mich und 
gedenfe feiner... Alle, welche um mich find, und dich lie: 
ben wie ich felbft, wiünfchen ein Plätschen im geheimen 
Kümmerlein deines Herzens, wo ich immer wohne: reihe 
fie rings um mich her, wen du willſt; aber die Seele 
meines Dsbern, ob, ich bitte, ich beſchwöre Dich, gib ihr 
feinen andern Platz als die Herzensmitte, wo ich ſelbſt 
bin 

Es iſt um die Geſchichte der Völker etwas Großes: 
ihre Revolutionen, ihre Geſchicke, ihre Sendung, ihr Ruhm, 
ihre Strafen, ihre Helden, ihre Fürſtengeſchlechter, ihre 
Schlachten; alles dies iſt ſchön, iſt weit umfaſſend und 
reich an Belehrung. Aber wie ungleich ausgedehnter und 
belehrender iſt daneben die Geſchichte der Seelen! Und 
dann, von welchem Belange ſind denn dem Menſchen am 
Ende auch ſeine Ahnen und ſeine Nachkommen? Was 
liegt dem Sonnenſtäubchen an der Sternenbahn, in die es 
hineingezogen wird? Was dem Menſchen während dieſes 
kurzen Lebens wichtig iſt, iſt daß er liebe, daß er geliebt 
werde, und daß er wiſſe, daß er einem andern Weſen über 
Alles theuer ſei. „Es ſcheint ganz unzweifelhaft klar,“ 
ſagt Boſſuet mit ſeinem feierlichen Ernſte, „die Freude 
der Menſchen iſt der Menſch?). Im Grunde hat nur 


!) Anima ejus anima mea est. Accipiam igitur in illo vivus 
quiequid ab amieitia poteram sperare defunetus, ut sint otiosi, me 
defuncto ... Precor et precor et precor, memento mei et ne oblivis- 
caris anime Osberni dilecti mei. Quod si te nimis videar one- 
rare, mei oblivisceere et illius memorare. Ep. 1. I, 4. — Eos in- 
teriori eubieulo memoriæ tuæ ibi, ubi ego assiduus assideo ... 
eolloca meeum in eireuitu meo: sed animam Osberni mei, rogo, 
chare mi, illam non nisi in sinu meo. Epist. 1. I, 7. 

?) Sermon pour la Circoneision, 


CH 


die Liebe den Schlüffel zum Herzen und ift des Herzens 
Geſetz. Sie bewegt alle feine geheimften Triebfedern ).“ 
Das ftille Yeiven diefer Liebe, -ihre ſtets ernenerten Wall 
ungen, ihre Uebergänge, ihre Kämpfe, ihre Verlaffenheit, 
ihre Begeifterung, dieſe ganze unermepliche Welt, wie jich 
im engen Raume eines Meenfchenlebens, eines Liebenden 
Herzens bewegt, — das Alles ift ficherlich die ſchönſte, die 
inhaltvollſte allev Gefchichten ; das dauert, das bewegt, weit 
über alles Andere in ver Welt; und die geringe Anzahl 
unvergänglicher Blätter, die fih im Zeitenmeere der Welt- 
gefchichte oben zu halten vermögen, gehören fajt ſämmtlich 
in diefen Kreis. 

Aber nun eben zeigt fich die unvergleichliche Herrlich- 
feit und die Kraft der Neligion : denn indem jie überall 
die Yöfung der jocialen Probleme und das Verſtändniß 
aller gefchichtlichen Nevolutionen bietet, it fie auch ganz 
befonders, ganz allein und überall im Befite „des Schlüfjels 
unferer Herzen.“ Sie hat lindernden Balfam für alle 
Schmerzen, und zeigt all unferer Yiebe ihr letztes Ziel. 
Sie verfteht es, die Begeijterung zu regeln, ohne fie zu 
verringern: fie weiß Beſſeres zu thun, als unfere zu theuer 
bezahlten Thränen zu trodnen, fie macht fie fliegen, aber 
aus einer für immer geläuterten Quelle, für einen ewigen 
Gegenſtand. Sie fett an die Stelle des Ziwielichtes un- 
jerer flüchtigen Träume die ftrahlende, bezaubernde, ftille 
Klarheit des Yichtes, das nimmer exlifcht. Sie entflammt 
unfere Herzen mit der Flamme, deren ewiges Leuchten 
das Unenpdliche beftrahlt; fie erzeugt und heiligt den höch: 
ften Triumph der Liebe; fie befiegt die zarteften und un— 


') Sermon pour la Pentecöte. — Id. pour l’Annoneiation. 


CHI 


bezwinglichiten Yeidenfchaften durch etwas noch Stärferes 
und Süßeres: durch das Glück und die Wonne, jie Gott 
zum Opfer zu bringen. Und eben in den Klöftern ift dieſe 
Wiffenfchaft des wahren Glückes und der wahren Liebe am 
fängjten gelehrt und geübt worden. Wir haben gejehen, 
daß fie den in Gott geeinten Seelen weder den Aufſchwung 
hoher Begeifterung, noch die zarteften Aeußerungen tieffter 
Sympathie unterfagte. Treten wir demnach nur mit einer 
zarten Ehrfurcht ein in die Zellen, wo das Yeben des Her- 
zens des Yebens befter Theil war. Hören wir die vor— 
berrfehenden Stimmen in Mitte diefes heiligen Schweigens : 
jie offenbaren uns vielleicht irgend ein liebliches, vührendes 
Geheimniß der Gefchichte dev Seelen. Horchen wir dem 
fügen, fteten Gemurmel diefes Springquells, der ehemals 
in jedem Kloſter ven Strahl feines Lichtwaffers zur Höhe 
trieb; es iſt das Sinnbild und der Wiederhall des tiefen 
Lebensbornes, dem die unverjiegliche Liebe entquillt. 

Unfere Mönche waren denmach glücklich, glücklich durch 
die Yiebe. Sie liebten Gott, und fie liebten fich unterein- 
ander in ihm mit jener Liebe, die ftarf ift wie der Top. 
Fragen wir nach den natürlichen Folgen, der allgemeinen 
Grundbedingung und dem beften Beweife dieſes Glückes, 
fo erfennen wir diefelben leicht in dem äußern und Innern 
Frieden, den fie zum herrſchenden Kennzeichen ihres Dafeins 
und Berufslebens zu machen mußten. Lieblicher, heiliger 
Friede, der die leuchtende Eroberung, das unveräußerliche 
Erbe der Mönche bildet, die Diefes Namens würdig find, 
und dejjen Verftändnig und Geheimniß Niemand jemals, 
jo wie ſie, befejfen hat! 

Der heilige Benedikt, der größte aller Gefetgeber des 
Mönchthums, hat von der danfbaren Nachwelt feinen ſchö— 


CIV 


nern Ruhm erlangt als den Namen eines Gründers des 
Friedens 
Ipse fundator placidæ quietis '). 

Wir find, ſagte ver heilige Bernhard, der Orden der 
Friedfertigen?). Er hatte Hundertmal Recht: in ber 
friegerifchen Geſellſchaft des Mittelalters, welche durchge— 
hends für den Krieg organifint war, bildeten die Meönche 
eine zahlloſe Armee des Friedens, und es war auch der 
Titel, den fie fich felbft zu geben pflegten: Deo et paei 
militantibus?). 

Das ift der Grund, warum, gemäß ver göttlichen Ver— 
heißung, das Glück dieſe Diener des Friedens auf ihrem 
Lebenswege ftets begleitete. Qui autem pacis consi- 
lia ineunt, sequitur eos gaudium®). Es ift eigent- 
lich nicht einmal genug nur vom Glück zu reden: Heiter— 
feit, Fröhlichfeit, hilaritas, follte man fagen, jene Fröh— 
fichfeit, deren Bereinigung mit der Flöfterlichen Einfalt 
Fulbert von Chartres als eine engelgleiche bezeichnet?). 

Bon allen Irrtbümern über das Kloſterleben, welche 
in Umlauf geſetzt worden, und zu einer gewiſſen Geltung 


) Vers von Alſano, Mönch von Monte-Kaſſino und Erzbiichof 
von Salerno, citirt von Gieſebrecht, De Litterar. Stud. ap. 
Italos, p. 48. 

) De Conversione. 

) So lautet die Aufichrift eines Briefes von Wibald, Abt von 
Korvey, im XII. Jahrhundert an die Mönche won Haftieres in Bel- 
gien. — Sn den Grabſchriften dev Mönche ift dies Lob das am häu— 
figjten wiederholte: Pacifieus, tranquilla pace serenus... Ae- 
mulus hie pacis... Fraterne pacis amicus ete. Sieh zahl- 
reiche Beijpiele hieriiber bei Digby X, c. 1. 

9) Proverb. XII, 20. 

°) Angelica hilaritas eum monastiea simplieitate. Fulbert. 
Carnot., ep. 66. 


CV 


gelangt find, ift feiner ungereimter al8 derjenige, daß wir 
uns gewöhnt haben, daſſelbe als ein trübfeliges, melancho— 
lifches Leben zu betrachten. Die Gefchichte beweift uns 
gerade das Gegentheil. Die Welt follte doch einmal ſchwei— 
gen mit ihren Bemitleivungen über alle diefe fogenannten 
im Klofter begrabenen Opfer beiderfei Gefchlechts, die 
vein nichts find als bloße Hirngefpinnfte, gefchaffen von der 
falfchen Gefchichte und der falfchen Philofophie, um den 
Borurtheilen und Zwangsmaßregeln zum VBorwande zu die— 
nen, durch welche fo viele, für ein befjeres Leben berufene 
Seelen, fo viele wirflihe Dpfer der graufamften Be— 
drückung, in der Welt zurückgehalten werden. Schweige 
man doch endlich einmal ftille mit alle dem hohlen Phraſen— 
fram über das Unglück, zu einem Leben in ewiger Gleich- 
fürmigfeit, zur Erfüllung unverbrüchlicher Pflichten, zu un— 
verämderlichen Befchäftigungen verdammt zu fein. Es ift 
feiner von alle diefen Einwürfen gegen das Leben im Klo— 
fter, der fich nicht völlig eben jo gut auf das Leben im 
Eheftande anwenden ließe. Der Chrift, der wahre Weife, 
weiß wohl, daß freiwillig übernommene, ewige Verpflicht- 
ungen den Menſchen noch nie auf die Dauer unglücklich 
gemacht haben ;- er weis im Gegentheil, daß vdiefelben un- 
erläßlich find, damit Ordnung und Frieden in feiner Seele 
herrſchen könne. Was den Meenfchen quält, was ihn ver— 
zehrt, ift weder die Negel noch die Pflicht: es ift die Uns 
bejtändigfeit, e8 ift die Unruhe, der fieberhafte Drang nach 
Veränderung. Ach, allerdings! als der Geift ver Welt in 
die öfter eingedrungen war und den Geift Gottes in den— 
jelben werflüchtigt und erjtict hatte; als er den Unfug des 
Commendenweſens, das perfünliche Befisthum, die Träg- 
heit, die Lauigkeit und alle das Verderbniß in biefelben 
eingefchleppt hatte das die Yaienübergriffe überall aus— 


CVI 


fäeten, wo fie Konfiscirungen zu machen gedachten, da frei 
(ich ward, was bis dahin nur eine feltene, fträfliche Aus— 
nahme gewefen, etwas Stehendes und Uebliches. Alsdann 
gab es freilich eine Menge von falfchen, gezwungenen und 
gedrungenen Gelübden, von bitterer Traurigkeit, die unter 
der Kutte oder dem Schleier erftict wurde. Aber fo lange 
und überall, wo die religiöſen Orden unter der fchüßenden 
Obhut der Kirche in ihrer Freiheit blühen und unbeein- 
trächtigt won weltlichen Uebergriffen leben fonnten, war die 
Traurigkeit bei ihnen etwas Unbekanntes oder kommt we- 
nigftens nur in langen Zwifchenräumen einmal vor, wie 
eine Krankheit, welche die Seltenheit ihrer Erfcheinung nur 
noch erfchrediender macht. In ihrem Wefen ijt nichts 
Trauriges 9; dies Zeugniß gibt ihnen feit vem IV. Jahr: 
hundert der erjte ihrer großen Apologeten : fie befänpf- 
ten ven Satan wie fpielend?). 

Unter den Eigenjchaften der frömmſten Aebte, ver 
musterhaftejten Mönche wird jehr häufig ganz ausdrücklich 
hervorgehoben, daß fie heiter, fröhlich, Freunde des Froh— 
jinnes, Jueundus, facetus u. f. w. gewejen. Solche Aus- 
drücke finden fich 3. B. jehr häufig unter der Feder des 
tüchtigen Gefchichtichreiberg Orderic Vital, welcher in feiner 
ausführlichen und werthvollen Gefchichte von fich felbft jagt: 
„Seit zweinndvierzig Yahren trage ich mit Freuden das 
füge Boch des Heren?).“ Der heilige Anſelm, diefer große, 


') Ovdir yap !yovoe kvrmgov. 8. Joan. Chrysost., in 
Matth. Homil., 69 ed. Gaume, VII, p. 770. 

°) Buchjtäblich heißt e8 tanzend, woreg zogevurres, quasi 
choreas agentes. Ibid. 

) Sineero monachorum ceonventui feedere indissolubili so- 
eiatus, annos XLII jam leve jugum Domini gratanter bajulavi. 
Orderie. Vital., lib. V, p. 307. 


CVII 


tadelloſe Mönch, wußte doch ſicherlich, was er ſagte, indem 
er, zu dem Weltklerus ſeiner Zeit redend, ſprach: „Ihr, 
die ihr glaubt, es ſei leichter im Weltprieſtergewande ein 
frommes Leben zu führen, als die Bürde des klöſterlichen 
Lebens zu tragen, blicket doch her und ſehet, mit welcher 
Freudigkeit dieſe Bürde von Chriſten jeden Alters, jeden 
Standes und Geſchlechtes, die die ganze Welt mit ihren 
Freudengeſängen erfüllen, getragen wirdY.“ Und ſechs— 
hundert Jahre nach ihm hielt Abt Rancé, den man un— 
aufhörkich als ein Mufter mönchifchen Harmes und Trüb- 
jinnes jchildert, den Verläumdungen, welchen feine Neli- 
gioſen damals ſchon ausgeſetzt waren, ihre heitere Fröh— 
lichkeit und zu gleicher Zeit ihre erbanliche Nächjtenliebe 
entgegen ?). 

Aber fie behielten dieſen Frieden und dieſe Freude, 
die Das Erbgut ihres Lebens und Standes bildeten, nicht 
jelbftfüchtig für fich allein, ſondern theilten ihrer ganzen 
Umgebung und überall, wo man fie nicht darin verhinderte, 


') Consideret per totum mundum quanta hilaritate utrique 
sexui, omni ztate et omni genere hominum, sit pondus illud 
cantabile. S. Anselm., Epist. 1. Il, 12. 

) Vous auriez pu dire a cet ineredule que, outre 1500 à 
2000 pauvres, dans les anndes cheres, comme je les ici souvent 
comptes, que l’on nourrit dans les donnees publiques, on sou- 
tient encore en partieulier, par des pensions par mois, toutes 
les familles des environs qui sont hors d’etat de pouvoir tra- 
vailler; que l’on regoit quatre mille hötes, que l'on nourrit et 
entretient quatre-vingts religieux, et cela pour 8 ou 9000 livres 
au plus de rentes: et vous auriez pu lui dire qu'il vous montre 
dix menages, avec autant de rentes chacun, qui fassent quelque 
chose approchant de ce que ces faindants, comme il les appelle, 
font avec une gaiete et une edifieation dont vous voudriez qu'il 
fut le spectateur.“ Lettre de ! Abbe de Rance a l’ Abbe Nicaise, 


CVIII 


mit vollen Händen davon mit. Sie zeigten, ſie predigten, 
ſie gaben dieſelbe allen denjenigen, die in ihre Nähe ka— 
men. „Die Mönche,“ ſprach von ihnen der große Patriarch 
von Konſtantinopel, den wir bier noch einmal anführen 
wollen, „die Mönche find wie die Yeuchtthiirme auf Verges- 
höhen, welche die Seefahrer in den ruhigen, won ihnen be— 
leuchteten Hafen hereinziehen ; diejenigen, welche fich von 
ihnen leiten laſſen, haben weder Finfternijfe noh Schiff: 
bruch mehr zu fürchten ).“ 

Das Glück der Bevölferungen, die unter veligiöfen 
Orden oder in deren Nähe lebten, ift, fo lange diefe Klöfter 
ſelbſt frei und geregelt blieben, eine Thatfache, deren Evi: 
denz die Gefchichte bezeugt und die in der Erinnerung aller 
Bölfer haftet). Keine Imjtitution war in früheren Zeiten 
volfsthümlicher, nie waren Herren von ihren Untergebenen 
mehr geliebt. Allerdings hatten fie auch damals und jeder: 
zeit, wie die Kirche felbjt, wie die Tugend, Feinde und Ver: 
folger ; aber jo lange Europa noch im Glauben verharrte, 
war dies nur eine geringe, von der allgemeinen Meinung 
gejtrafte Meinderheit. Und felbjt, als diefe Minderheit 
aller Orten zur Herrfchaft gelangte, gelang ihr die Zer- 
jtörung der religiöfen Orden nur mittelft Gewalttbat und 
Aechtung. Ueberall, wo diefe Klöfter bei ihrer Zevftör- 
ung in Freiheit und von der weltlichen Verderbniß unbe: 


') S. Joan. Chrysost., Homil. 59 ad populum Antioche- 
num. Er fommt in feinen Schriften fehr häufig auf diefen Vergleich 
zurück. Cfr. Adv. oppugn. Vit. monast. II, t. I, p. 114: Ho- 
mil. in Epist. ad Timoth., 14, t. XI, p. 576, &d. Gaume. 

?) In diefer Beziehung ift das deutfche Sprüchwort: „Unterm 
Krummftab ift gut wohnen,“ ſchon zu hundert Malen ange- 
führt worden, 


CIX 


rührt beftanden ), gefchah deren Aufhebung nur zum 
Schmerz und unter dem nachhaltigen Bedauern der Be— 
völferungen, die von ihnen abhingen ; und wo fonft, wie 
3. B. in Franfreich, ihre Vernichtung mit dem Nuin des 
Glaubens in den Herzen gleichzeitig war, und deshalb gleich- 
giftig mit angefehen wurde, war fie doch nie von der Volfs- 
rache oder von Bolfsantipathien hervorgerufen. 

Die Attentate und die Beraubungen, deren Opfer fie 
wurden, find das Werf von Frften oder von Regierungs— 
behörvden gewefen, welche ihre Verachtung gegen den Glauben 
und wider die Gegenftände der Liebe und Verehrung des Volkes 
mit offenem Hohne zur Schau trugen, und haben den Yand- 
bevölferungen oder den unteren und dürftigen Volksklaſſen, 
deren Noth und deren aufgewühlte Yeidenfchaften gegen- 
wärtig. fo gerechte Beforgniffe erwedien, damals nur Be— 
dauern und Schreden eingeflößt. Dies ift das Zeugnif 
aller derjenigen, welche mit Aufvichtigfeit die Gefchichte 
ihrer Zerftörung ftudirt haben, und felbft auch das Einge— 
ſtändniß ihrer Gegner?). Es ift dasjenige, was ihnen 


) Es wird fich weiterhin zeigen, daß wir in obigem Urtheile 
nicht die vom Commendenweſen oder jo vielen anderen Mißbräuchen 
moraliſch ruinirten Klöfter mit begreifen, welche in Frankreich im 
Sahre 1790 zu Grunde gingen; fondern daß fich daffelbe auf die 
Zerftörung derjenigen Klöſter bezieht, die in England, in Deutſch— 
land, in Schweden und neuerdings in Spanien und in der Schweiz, 
wo fi) das Volk zu ihrer Bertheidigung erhoben, mitten in dev 
treuen Erfüllung ihrer Regel gewaltfam aufgehoben find. 

) Führen wir, unter taufenden, einen portugiefifhen Verfaſſer 
an, einen eifrigen Anhänger des Syſtemes, das die Kicche feines 
Baterlandes ruinirt und in Knechtichaft gebracht, und der, freilich 
zu fpät, die Uebelftände erfannt hat, welche die Aufhebung der Klöfter 
ohne Unterfchied, im Gefolge gehabt. — „Wir andern“, jagt er, 
„die wir bei der Aufhebung eines Theiles der ehemaligen Klöfter 


0X 


ganz insbefondere der Verfafjer diefes Werfes fchuldig ift, 
der in den verfehiedeniten Yändern die Stätten won mehr 
als zweihundert Klöftern befucht, wo noch Zeitgenoffen aus 
der Kloſterepoche übrig waren, bei denjelben den Ausdruck 
danfbarer und fehmerzlicher Erinnerung vorgefunden hat. 
Und wie wäre es auch denfbar gewefen, daß jie dieſe Herr- 
Schaft nicht geübt hätten, fie, deren Gefchäft und Beruf es 
war, das Gute zu thun ohne alle Hoffnung auf Wieder- 
vergeltung )? Wie hätten fie nicht auch Yiebe finden jol- 
fen, fie, welche die Yiebe des Nächiten jo gut übten? Nicht 
nur wegen ihrer Almofen, wegen ihrer Großmuth und 
ihrer materiellen Gaftfreundfchaft herrſchten fie vdergeftalt 
über die Herzen: fondern durch ihre wohlwollende und vä— 
terliche Theilnahme, durch ihr thätiges, herzliches Inter— 
effe für das Volf, und ganz vorzüglich durch ihre beharr- 
liche und lebendige Sorgfalt für das Heil und das Wohl 
aller trauernden Seelen ?). 

Weinet mit dem Unglüdlichen?), hatte einer der 


der Provinz Minho zugegen waren und die Thränen des Volfes ge- 
jehen haben, das dafelbjt in feinen Krankheiten immer Hülfe, und 
im Alter immer Brod fand, wir fünnen nicht jagen, ob Dies geheu— 
chelte Thränen waren ; aber das wiſſen wir, daß diefelben die Theo- 
rien der Politifer förmlich Lügen ftraften, welche fern vom Yande, 
im einjfamen Studirzimmer oder im Geräufh der großen Städte 
ſchreiben. O Panorama, jornal litterario, Nr. 27, Lisboa 1837. 

') Whose trade was doing disinterested good! Wordsworth. 

) Mitis erat eunctis, suavis, pius... 

Quem mestum vidit, quem tristem, quemque dolentem 
Affatu dulei moerentia pectora mulcens. 

Dies Fragment der Grabjehrift eines Abtes von Gemblour, Her- 
luins (ap. Dachery, Spieil. t. II), findet auf faft alle Mebte, deren 
Gejhichte uns befannt geworden ift, ihre Anwendung. 

°) Pro misero miserans laerymas effunde sodali. 

S. Columban, Carmen monastichon, ap. Canisius Thesaur., 


CXI 


Patriarchen des Mönchthums, der heilige Kolumban , ges 
fagt, und den Betrübten tröften und in der Trübſal 
zu Hülfe kommen, ift eine Vorſchrift, die ver heilige 
Benedikt den Seinen zur Berufspflicht gemacht bat, und 
diefer Vorſchrift find fie auch bejtändig nachgekommen. 
Nirgends hat die Menfchheit in ihren Freuden md in 
ihren Schmerzen lebendigere und wirkffamere Theilnahme 
gefunden, als unter dem Ordensgewande. Die Cinfamfeit, 
die Abtödtung, das ehelofe Yeben, weit entfernt, im Herzen 
des Mönches die Liebe des Nächjten auszulöfchen, fteigerte 
vielmehr die Kraft derſelben und verdoppelte fie durch Läu— 
tevung. Der Beweis dafür findet ſich in ihren zahlveichen 
Schriften, in den fo lebendigen Aufzeichnungen ihrer Chro- 
nifen, kurz in Allen, was wir von ihnen noch haben. Um 
diefe, ven Seelen in Mönchthume eigenthümliche Stimmung 
auszudrüden, hatten ihre Schriftfteller das Wort benig- 
nitas befonders angewendet in dem Sinne einer durch Fröm— 
migfeit gehöheten und geläuterten Güte und Wilde; benig- 
nitas iſt in diefem Sinne ein ganz chriftliches, ganz klö— 
jterliches Wort, und ebenfo ſchwer zu überſetzen als vie 
beiden anderen Bezeichnungen Flöfterlicher Tugend: sim- 
plieitas!) und hilaritas. 

Ihre Pforte war jederzeit nicht nur dem Hülfsbedürf— 
tigen und Berbannten offen, jondern auch Allen, die unter 
den Mühen des Yebens jeufzten, oder die gebeugt unter der 
Yaft ihrer Verivrungen herbeifamen, oder einfach auch vom 


t. U, p. 749. — In tribulatione subvenire — Dolentem consolari. 
Reg. S. Benedicti, c. IV. Que sint instrumenta bonorum 
operum. 
') Hie jacet in tumba simplex fidelisque columba. 
Epitapbium eines Abtes von St. Victor, vom Sabre 1383, ap. 
Digby, X, p. 441. 


CXI 


Studium und der ftillen Ruhe angezogen wurden. Allen 
diefen werfchiedenartigen Gäften bot der Mönch feinen Fries 
den und theilte ihn mit ihnen. 

Es gab demnach weder ein moralifches noch ein mas 
terielles Bedürfniß, welchem diefe Mönche, die jedenfalls 
von allen Wohlthätern der Menfchheit die evelmüthigften, 
die erfindungsreichſten, die liebenswürdigjten, die uneigen- 
nügigften und beharrlichften waren, nicht abzuhelfen gejucht 
hätten. Daher denn auch in den Annalen der Gefchichte 
jo viel unbeachtetes, aber reichlich in die Herzen der chrijt- 
lichen Völker eingeträufeltes ſtilles Glück während der 
ganzen Dauer der Blüthezeit des Mönchthums. Daher 
der unzerſtörbare Frieden, dieſe leuchtende Klarheit in ſo 
vielen Seelen, mitten in den allerſturmvollſten Zeiten des 
Mittelalters. 

Zudem iſt es ja auch allbekannt, wie hinreißend ihr 
Chordienſt, die erhebende Pracht und Feierlichkeit ihrer Kult— 
handlungen und heiligen Ceremonien, die Töne ihrer Ge— 
ſänge auf die umwohnenden Bevölkerungen wirkte. Dies 
waren Jahrhunderte lang die beliebteſten Schauſpiele, die 
am meiſten von den Armen und von den Bewohnern des 
Landes erſehnten und beſuchten Feſte, zu denen ſie in 
Menge herbeiſtrömten und wo fie immer ihren Platz fanden. 
Die Glücklichen diefer Welt, die Großen, die Neichen, die 
Fremdlinge fanden gleichfalls im Anblicke des friedlichen 
Berlaufes des Lebens im Klofter einen hohen Genuß, ob— 
wohl fie felbft jich auch ferner in den aufgeregten Wogen 
der Welt bewegten ; fie famen freudig von Zeit zu Zeit, 
um an diefem reinen, frifchen Wafferftrahle ihren Durft 
zu ftillen. Manchmal genügte der bloße Anblick diefer zu- 
gleich fo ernften und fo glücklichen Mönche, um merfwür- 


CXIII 


dige, Aufſehen erregende Bekehrungen zu wirken); ſtets 
aber erfriſchte und erneuerte er im Herzen die heilſamen 
Gedanken der Ewigkeit. Die edelſten Seelen, die erha— 
benſten Geiſter haben dieſen Zauber gefühlt und in bered— 
ten Worten geſchildert. Die gründliche Philoſophie hat 
durch den Mund des großen Leibnitz ein hochherziges Zeug— 
niß für denſelben abgelegt?). Die wahre Poeſie hat feinen 
tiefinnigen, unwiderftehlihen Neiz gefühlt. Zu einer Zeit, 
wo bereit8 mehr als ein Symptom des nahenden Zerfalles 
den Horizont umbüjterte, hat Petrarca?) von der flöfter- 
lihen Einfamfeit, wie einer der Väter von Vallumbrofa 
oder der Karthaufe geredet *); und Taffo ift nie glücklicher 


) Wie z.B. diejenige Guibert’3 von Nogent, jo anmuthig von 
ihm ſelbſt erzählt in feiner Vita propria. 

?) Leibniß jagt, von den Mönchen redend: „Derjenige, welcher 
die von ihnen geleifteten Dienfte nicht kennt oder fie werfennt und 
verachtet, hat von der Tugend nur einen beſchränkten und gemeinen 
Begriff, und meint thörichterweife, allen feinen Pflichten gegen Gott 
mit einigen berfömmlihen Uebungen ohne Eifer und Liebe Genüge 
zu thun.“ 

>) Siehe feine Abhandlung De vita solitaria, befonders das 
VII. Kapitel des II. Buches, welches beginnt: O vere vita pacifica, 
ecelestique simillima. O vita melior super vitas... Vita refor- 
matrix anim&... Vita philosophica, poetica, sancta, prophetica... 
p. 256, éd. 1581. 

) Geredet hat Petrarca allerdings jo; aber Gefinnung und 
Motive, aus welchen er die Einfamkeit auffuchte, waren doch allzu 
weit von dem Geifte entfernt, der die Flöfterlihen Eindden mit Ber 
wohnern erfüllt hat. Petrarca ift in dieſer Beziehung in früheren 
Zeiten viel über Gebühr gelobt, zum Theil auch wohl mißverftanden 
worden. Er erzählt uns zwar hundertmal, wie er gerne den Lärm 
der Städte und der Menfchen gemieden, fi in die Einfamfeit zurüd- 
gezogen, wie er durch Wald und Fluren wandelnd, den Vögeln oder 
dem murmelnden Duelle Iaufchend, allein und im fich vertieft, feinem 
Dichten und Denken nachgebangen babe. Auch won feinen Faften, 

v. Montalembert, d. Mönde d. A. I, h 


OXIV 


infpivivt gewefen, als in feinem, dent Orden des heiligen 
Benedikt gewidmeten Sonette, deſſen melodiiche Lieblichfeit 
an diefer Stelle unfere befcheidene Profa heilfam unter- 
brechen dürfte) : 


Nachtwachen, Entbehrungen, von feinem bejhaulichen Leben redet er 
gerne und ftellt es in Proja und in Berjen zur Schau. Aber jeine 
Borbilder jcheinen doch zunächſt die alten, römischen Dichter, die von 
idylliſcher Einſamkeit fangen und literariihe Muße liebten, gewejen 
zu fein. Er jtellt den einjam grübelnden Philofophen des Alterthums 
und den chriſtlichen Einfiedler doch gar zu fehr auf eine Stufe. Er 
predigt eigentlich nicht die Flöfterliche Einjfamfeit, fondern die bequeme 
Muße und die Unabhängigkeit von den Pflichten und Obliegenbeiten, 
die das Leben in der Welt auferlegt. Betrarca möchte eben an allen 
Tafeln jehwelgen. Ein Streben nah der tiefiten Wahrheit ift bei 
ibm wohl erkennbar, aber es ift ebenjo unverkennbar mit dem eitelften 
Hafen nah dem bloßen Scheine untermiſcht. Dies tritt nicht nur 
in jenem Werfe vom einfamen Leben, fondern auch noch in viel 
bedenklicherer Weife in feinem ehemals jo viel gelefenen Hauptwerfe 
von der Verachtung der Welt, oder, wie der Titel in dem mei- 
ften Handjchriften bezeichnender beißt: über den geheimen Kampf 
jeiner Herzensjorgen: De secreto conflictu curarum suarum, 
oder au: Liber maximus rerum mearum, entjhieden zu Tage. 
Auch diefes Werk ift eigentlih doch nur ein Denkmal feiner unbe- 
grenzten Ruhmſucht. Im der Vorrede dazır will er zwar das Bud) 
nicht, wie feine anderen Werke, um des Ruhmes willen fchreiben ; 
e8 ſoll nur für ihn jelbit eine Art von Beichtipiegel fein. Aber im 
Verlaufe jhwebt ihm doch immer wieder der bewundernde Leer vor. 
Mit Behagen ſchlürft er in feiner Einfamkeit zu Argqua den Becher 
des Ruhmes und der Bewunderung, und daß er bis an’s Ende der 
chriſtliche Philoſoph nicht geworden ift, zu welchem er in feinen 
Selbjtbefenntniffen fich weißimachte, fih binaufläutern zu wollen, be- 
weijen die Ruhmredigkeiten und die geſchwätzigen Eitelfeiten, die ſich 
bauptfächlich in feinen letten Schriften finden. Als Dichter und 
Schriftſteller freilich bleibt ihm fein Ruhm ungeſchmälert. 
Anmerfung des Ueberſetzers. 
') Unter den Dichtern neuerer Zeit bat Feiner mit mehr Ge- 


OXV 


Nobil porto del mondo e di fortuna, 
Di sacri e dolei stud) alta quiete, 
Silenzi amiei, e vaghe chiostre, e liete ! 
Laddove e l’ora, e l’ombra occulta, e bruna: 
Templi, ove a suon di squilla altri s’aduna, 
Degni viepiü d’archi, e teatri, e miete, 
In eui talor si sparge, e’'n cui si miete 
Quel che ne puo nudrir l’alma digiuna. 
Usei di voi chi, fra gli acuti scogli, 
Della nave di Pietro antica e carca, 
Tenne l’alto governo in gran tempesta. 

A voi, deposte l’arme e i feri orgogli, 

Venner gli Augusti: e’'n voi s’ha pace onesta, 
Non pur sieura: e quindi al ciel si varca'). 

Neben dieſem großen fatholifchen und italienifchen 
Dichter führen wir nun auch den Meifter der englifchen 
Profa, den Protejtanten Johnſon, an, deſſen männlicher, 
genialer Geift mitten im XVIII. Sahrhundert die heilige 
Schönheit der Hlöfterlichen Inftitute erfannt hatte. „Jedes— 
mal," fo fchreibt er, „fo oft mir beim Leſen ein Eremit 
vorkömmt, küſſe ich ihm ehrfurchtsuoll die Füße, und nie 
ftoffe ich auf ein Klofter, ohne auf meine Knie zu fallen 
und die Schwellen vefjelben zu küſſen?“).“ 

Sp hatten denmach diefe fo verfchrienen Mönche, nach 
der Anficht von Nichtern, deven Unparteilichfeit über jeden 
Zweifel erhaben ift, das Geheimmiß von zwei in der Welt 
jo feltenen Dingen, des Glückes und der Dauer, gefunden. 
Sie hatten die Kunft entdeckt, die Seelengröße mit der 


miüthstiefe und Wahrheit das Klofterinftitut gefeiert, fowie deffen Ver- 
nichtung mit wärmerer Beredtfamfeit beflagt, als der Engländer 
Wordsworth. 

') Tasso, rime sacre e moralt, Sonn. 5. 

?) I never read of a hermit but in imagination I kiss his feet; 


never ofa monastery, but I fall on my knees and kiss the pavement, 
h* 


CXVI 


Demuth, die Stillung des Herzens mit dem Glühen des 
Geiftes, die Freiheit und die lebenswolle Thätigfeit mit der 
allergenaueften, abjoluten Unterwerfung unter die Regel, 
die unvertilgbare Ueberlieferung mit dem Mangel jeder Art 
von Erblichfeit, die Bewegung mit dem Frieden, die Freu— 
digfeit mit der Arbeit, das Yeben in Gemeinfchaft mit der 
Einfamfeit, die größte fittliche Kraft mit der vollftändigiten 
materiellen Schwäche zu vereinigen. Und diefen wunder- 
ſamen Gegenfat, dieſe außerordentliche Vereinigung der 
verfchtedenartigften Eigenfchaften und Befchaffenheiten haben 
jie in einer Dauer von zehn Sahrhunderten, bei aller Ge- 
brechlichfeit der menschlichen Dinge und ungeachtet aller Ur— 
jachen des Verderbniſſes, des Zerfalles und des Unterganges 
zu behaupten wermocht, und fie würden fich in diefen Be— 
dingungen noch ferner behauptet haben, wenn nicht Ge- 
waltherrfceher, Sophiften und Schwäter den Kranken, den 
jie tödtlih haften und auf deſſen Nachlaß fie Tpeculixten, 
unter dem Borwande, ihn heilen zur wollen, erwürgt hätten, 

Jetzt ift alles fort; diefe, auf Erden reinſte, für Nie— 
mand anftögige Duelle des Glückes ift verfiegt. Der herr: 
lihe Strom, der die Wellen einer ununterbrochenen, wirf 
famen und fürbittenden Verwendung durch die Jahrhunderte 
wälzte, ijt vertrodnet!). Es fieht aus, als ob der Erd— 
freis mit einem über Alles ſich erftredenden Interdikte be— 
legt wäre. Sie ift verftummt unter uns, die melodiſche 


') It was as though the kaiser had stopped the fountains 
of one of the Lombard rivers... That Carthusian world of peace- 
ful sanetity, of king-protecting intercession,, of penitence and 
benediction, of Heaven realized below, was signed away, swept 
from the earth by a written name! Faber, Signs and thoughts 
in foreign Churches, p. 165, gelegentlich der Aufbebung der Kar- 
thauſe von Pavia dur Joſeph LI, 


OCXVII 


Stimme der Mönche, die ſich Nacht und Tag aus tauſend 
Heiligthümern zum Himmel erhob, um den göttlichen Zorn 
zu beſänftigen, und die die Herzen der Chriſten mit ſo 
tiefem Frieden, mit ſo hoher Freude erfüllte N). Sie find 
zerfallen, dieſe ſchönen, geliebten Kloſterkirchen, wo fo viele 
Generationen unferer Väter Tröftungen, Muth und Kraft 
zum Kampfe gegen die Uebel des Lebens fuchten und fan- 
den. Diefe Gotteshäufer, welche allen Künften und alfen 
Wiffenfchaften eine fo geficherte und fo würdevolle Zu- 
fluchtsftätte gewährten ; wo alles Ervenelend der armen 
Menschheit Troft und Linderung fand; wo der Hunger im- 
mer geſtillt, die Nacktheit ſtets befleivet, die Unwiffenheit 
fortwährend belehrt wurde; fie find weiter nichts mehr, als 
nur noch von taufend verfchiedenartig unedlen Profanationen 
gefhändete Auinen. Diefe ländlichen Höhen, diefe heiligen 
Berge, diefe hohen Gebetsftätten, wo der Gedanke an Gott 
Wohnung genommen hatte: ipse habitavit in excelsis 
(Is. XXX, 5), von wo noch unlängft ein fo veines Licht 
mit jo erfrifchenden heilfamen Schatten auf die Niederun- 
gen der Welt herab fiel, gleichen jett nur noch jenen ab: 
geholzten Berggipfeln, wie man fie hin und wieder antrifft, 
die durch die unverſtändig zeritörende Art aus frifchen 
grünen Höhen zu dürren und nadten Felswänden geworden 
find, wo in Ewigfeit fein Grashalm und fein grünes Blatt 
mehr wachlen wird. Umfonft vergoldet fie die Sonne mit 
ihren befruchtenden Strahlen, umſonſt benett fie der Thau 
des Himmels: die Hand eines Wahnfinnigen ift über fie 
hingefahren ; verbrannt, verdorrt, zu ewiger Verödung und 


') Duleis cantilena divini eultus quæ corda fidelium mitigat 
ac lzetificat, eontienit. Order. Vital., t. XII, lib. XIII, p. 908, 
ed. Duchesne. 


OCXVIII 


Unfruchtbarkeit verdammt, ragen ſie nur als Monumente 
des Zerfalles und des Wahnſinnes noch in die Lüfte empor. 
Manchmal jedoch hat ſich die Natur mitleidig gegen 
dieſe Ruinen gezeigt, die von der erbarmungsloſen Undank— 
barkeit der Menſchen zeugen; ſie hat die Denkmäler ihrer 
ertödtenden Raubgier mit einem immer neuen Frühlings— 
ſchmucke übergrünt, und ihre Schmach und Schande unter 
dem unerſchöpflichen Reichthume ihrer blühenden Frucht— 
barkeit verborgen. Wie mit einem Leichentuche hat ſie die— 
ſelben mit dem unvergänglichen Schmucke ihres Epheu und 
ihrer wilden Roſenſträuche, ihrer Schlingpflanzen und ihrer 
Feldblumen umhüllt, und gewinnt damit ſelbſt den Gleich— 
gültigſten noch einen Blick des Mitgefühles und der Auf— 
merkſamkeit ab. Und ſelbſt da, wo die Härte des Klima, 
oder die noch grauſamere Menſchenhand dies Ankämpfen 
der Natur gegen Verachtung und Vergeſſenheit nicht ge— 
duldet hat, überlebt und widerſteht manchmal noch eine rüh— 
rende Legende mit ihren Klagetönen als eine letzte Prote— 
ſtation gegen Entheiligung und Undank. So zeigen z. B. 
in den Ruinen der Abtei von Kilconnell am äußerſten Weſt— 
ende von Irland die iriſchen Landleute, welche ſelbſt ſeit ſo 
vielen Jahrhunderten beraubt und verhöhnt ſind, auf dem 
Steinpflaſter der demolirten Kloſterkirche mehrere lange 
Reihen kleiner Löcher im harten Steine, welche daſelbſt der 
Sage nach von den brennenden, wie Feuertropfen nieder— 
gefallenen Thränen der armen Mönche eingebrannt ſein 
ſollen, als fie für immer aus ihrem geliebten Heiligthume 
vertrieben wurden. 


Sechstes Kapitel. 


Beſchwerden gegen die Mönche. — Der Reich— 
tfhum der Klöſter. 


Quis plantat vineam et de fructu ejus non edit? 
Quis pascit gregem, et de lacte gregis non manducat? 
1. Cor. RX, 7. 


Aser während wir uns noch mit liebevoller Ehrfurcht 
. der Betrachtung diefer erlofchenen Größe hingeben, erjchallt 
es in der Welt noch laut von den Lärmftimmen, ‚die das 
Mönchthum drei Jahrhunderte lang verfolgt haben, und die 
noch jetzt nicht aufhören, über feinen Sturz zu jubiliven. 

„Mönch?“ Hatte Voltaire gefragt, „was ift denn das 
für eine Profeffion ? Es it die, gar feine zu haben, fich. 
durch unverbrüchlichen Eidſchwur zu verpflichten, vernunft-⸗ 
widrig und ein Sklave zu fein, und auf anderer Leute Un- 
foften zu lebenY.“ Diefe Begriffsbeftimmung war mit 
alfgenteinem Jubel begrüßt und im dem chriftlichen König— 
reiche, der Wiege des Ordens von Cluny und der Mau- 
viner-Rongregation, dem Vaterlande Benedifts von Aniane, 
des heiligen Bernhard, des heiligen Petrus des Ehrwür⸗ 
digen, Mabillon's und Rancé's ganz unbeſehen angenommen 
worden. Sie ward dann über den Rhein gebrächt -und der 


') Dialoques. 


OXX 


Kaifer des vom Mönche Bonifazius befehrten Deutjchlands, 
Seine Apoftolifche Majeftät Joſeph II., ſchrieb im Dftober 
1781: „Die Grundgevanfen des Mönchthums von Pacho- 
mius bis auf unfere Tage find dem Lichte der Vernunft 
durchaus zuwider. Die franzöſiſche Revolution und die 
von Bonaparte dem deutfchen Neiche aufgedrungene Sä— 
fularifation hatten dann diefen Orafeln der neuen Sefell- 
ichaft Hecht gegeben.” Die Inftruftionen der Fran Roland, 
welche fchrieb: „Machet, daß die Kirchengüter verkauft wer- 
den, denn nie fünnen wir von diefen wilden Beſtien be- 
freit werden, fo lange ihre Höhlen nicht zerftört find '),“ 
waren pünftlich vollzogen worden, und es ftand zu hoffen, 
daß ver Haß durch völlige Verbannung gefättigt fein werde. 

Aber dem ift nicht fo. Die unbarmherzigen Leiden- 
Ichaften, die diefe Jahrhunderte alte Inftitution unter den 
Trümmern der Vergangenheit begraben haben, find noch - 
lebendig. Stets auf der Hut und unerbittlih, halten jie 
strenge Wacht rings um Dasjenige her, was fie für ein 
Grab anfehen, damit ihr Opfer ja nicht vereint wieder 
auferftehe ; und beim geringſten Anfcheine eines wieder er— 
wachenden Lebens verfolgen fie fogar noch fein Andenfen 
mit ihren abgedrofchenen, gemeinen Befchimpfungen. 


') Eigenbändiger Brief an Lanthenas vom 30. Juni 1790. — 
Drei Jahre ſpäter fchreibt der Volfsdeputirte Andreas Dümont aus 
dem Somme-Departement, wohin er als Kommiffär der Konven- 
tion geſandt war, an diefelbe wie folgt: Citoyens collegues, nou- 
velles captures! d’infämes bigots de pretres vivaient dans un 
tas de foin, dans la ci-devant abbaye du Gard; leurs barbes 
longues semblaient annoncer combien leur aristocratie etait in- 
veteree. Ces trois betes noires, ces moines, ont éêté decouverts... 
Ces trois monstres sont alles au cachot attendre leur jugement.* 
— Die Abtei Gard war ein Eifterzienferflofter in der Picardie zwi— 
ihen Amtens und Abbeville, am Ufer der Somme gelegen. 


* 


CXXI 


Die bitteren Spottreden, zu denen jich in ſtrafwür— 
diger Willfährigfeit gegen herrfchende Vorurtheile Schrift: 
jteller von nur zu großer Berühmtheit herbeilaffen, werben 
von den literarifchen Troßbuben ohne Namen, in vem Dun— 
fel in welchem fie haufen, commentirt und überboten, und 
verftärfen damit den Wiederhall der taufend Stimmen ver 
Füge und des Haffes. Während der Eine feinen hundert- 
taufend Leſern die fcheinheiligen Verirrungen und 
Dummbheiten des möndifhen Ascetismus denun- 
zirt!), wiederholen Andere um die Wette, „die Mönche 
und die Nonnen feien nur Müffiggänger, die fi auf Un- 
foften des Volkes mäften?)," und dies wird immer und 
alfe Tage wiederholt, wiederholt Angeſichts fo vieler älteren 
und neueren Denfmäler der geichichtlihen Wiffenfchaft, 
welche ganz unmiderfprechlich darthun, daß fich im Allge— 
meinen die Völker auf Unfoften der Mönche bereichert 
haben. 

Diefe Gemeinpläte der ummiffenden und fiegreichen 
Ungerechtigfeit gelten bei dem großen Haufen als völlig 
unumftögliche Wahrheit. Wie abgedroſchen und auf's Tiefjte 
zuwider fie uns auch fein mögen, follen wir fie doch an— 


') Lamartine, Histoire de la Restauration, livre XV, 8. 8. 

?) Le Semeur, journal philosophique et litteraire, 13. Octobre 
1847. — Erinnern wir bei dieſem Anlaffe, daß Herr Düpin damals 
wie jet Generalprocurator des Kaffationshofes, in feinem Manuel 
du droit publie Ecclesiastique francais, im Jahre 1844 heraus: 
gegeben, Seite 209 gemeint hat, gegen die nicht von der modernen 
Gefegebung anerfannten religiöfen Korporationen und Geſellſchaften 
eine Waffe in dem Prozeffe zu finden, welcher im Jahre 186 vor 
Chrifti Geburt gegen die von ihm als veligidfe Genoſſenſchaft 
bezeichnete Gefellfchaft der Bachanalen zu Rom geführt wurde, welche 
zufolge des Epitome des 39ſten Buches von Livius, das der ges 
lehrte Juriſt anführt, ein scelerum omnium seminarium war, 


CXXII 


hören und uns daran erinnern; wäre es auch nur um uns 
ſelbſt in unſerm Abſcheu gegen die Lüge und die Unge— 
rechtigkeit zu beſtärken. 

Stellen wir an die Spitze dieſes Verzeichniſſes der 
Ungerechtigkeiten einer verirrten Vernunft den Hauptvor— 
wurf, deſſen man ſich jetzt zu ſchämen anfängt, den aber 
die Lügenſchmiede der beiden letzten Jahrhunderte mit ſo 
viel Erfolg bei den damaligen Staatsmännern anzubringen 
wußten, um die Mönche bei ihnen unpopulär zu machen. 
Die Mönche ſind zum eheloſen Leben verpflichtet, und dies 
Cölibat ſetzt der Vermehrung der Bevölkerung eine nach— 
theilige Grenze. Dies war das allgemeinſte und allerun— 
widerſprechlichſte Verbrechen, das man gegen fie vorbrachte!). 
Was diefer Vorwurf heute gilt, ift befannt. Gott hat die- 
jer Yüge faum Zeit gelaffen, ihren Sieg zu feiern, als er 
fie auch ſchon unter der Wucht ihrer eigenen Beſchämung 
zermalmt. Dieſe Bevölferungszahl, die die religiöſen Or: 
den, wie es hieß, auf einer zu niedrigen Stufe hielten, 
bildet jett oft genug die allergraufamfte der DBerlegen- 
heiten, und die Welt ift voll von Doktoren und patentir- 
ten Social» Defonomiften, welche nach den geeignetjten 
Mitten juchen, um die Vermehrung der Bevölkerung 
zu hindern. 

Wer fennt nicht die abfcheulichen Konſequenzen, bei welchen 
diefe Nachfolger jener Anfläger des Mönchthums heute ange: 


) Der Borwurf datirt Übrigens ſchon von länger ber. Kolbert 
jagt in einer Eingabe an Ludwig XIV, vom 15. Mai 1665 wie 
folgt: „Les moines et les religieuses, non seulement se soulagent 
du traveil qui irait au bien commun, mais meme privent le 
publie de tous les enfants qu’ils pourraient produire pour servir 
aux fonetions necessaires et utiles.“ Zevue Retrospective, 2me 
serie, t. IV, p: 257, 258; 


OCXXIII 


langt ſind? Hier iſt ein Abgrund von Irrthum und finſterer 
Unthat verborgen, deſſen Unterſuchung uns nicht zuſteht; 
weshalb wir lieber darüber die Worte des erlauchten Erz— 
biſchofs anführen, der die lebenslängliche Milde ſeiner 
Meinungen, und die edle Unabhängigkeit ſeines Lebens, mit 
ſeinen Blute beſiegelt hat. „Eine widerchriſtliche Wiſſen— 
ſchaft,“ ſagt der hochwürdigſte Herr Erzbiſchof Affre in 
einem Hirtenbriefe, „hatte zu einer unbeſchränkten Beför— 
derung der Bevölkerungszahl gedrängt; jetzt, in ihrem 
Schrecken, über die Vermehrung der Bevölkerung, ſtellt ſie 
Berechnungen und Unterſuchungen an über die Mittel von 
Druck und Elend, die ſie anwenden könnte, um die Ver— 
mehrung zu hemmen. Da ſich aber alle andern Hemmungs: 
mittel als unzulänglich erwiefen haben, ift die Wilfenfchaft 
auf das Mittel eines moralifchen Zwanges verfallen, wel: 
ches in eben dem Grade das Lafter begünftigt, als ihrer- 
jeit8 die chriftliche Enthaltfamfeit die Tugend befördert. 
Vernehmet darum nochmals, geliebte Diözefanen, welche 
traurige Irrthümer Gott zugelaffen hat, um euch euren 
heiligen Glauben noch theurer und ehrwürdiger zu machen. 
Der heilige Paulus hatte zu einer Heinen, auserwählten 
Verfammlung gefprohen: Bezüglich der Jungfrauen 
gebe ich euch nur einen Rath. Jene himmlifch gefinn- 
ten Seelen, die fich zur Nachfolge Ehrifti muthvoll genug 
zeigten, waren vom göttlichen Heiland gefegnet worden ; 
derjelbe hatte jedoch noch Hinzugefügt: Weit entfernt, 
daß Alle fih zu diefer Bollfommenheit erheben 
fönnten, find nicht einmal Alle im Stande, diefelbe 
zu begreifen. Die Kirche hatte den Eintritt in dieſen 
Beruf nur erft nach langer und ftrenger Prüfung geftattet. 
Es fam aber eine ganz materielle Wiffenfchaft, welche ver- 
fündete, diefe freiwillige Keufchheit fei ein Verbrechen gegen 


OXXIV 


die Gefellfchaft, denn fie entzöge dem Staate zu viele 
Dürger. Vergebens hatten zahllofe Jungfrauen, Engel von 
Unfchuld und aufopfernder Güte, ven Armen Troſt gefpen- 
det, die Kinder chriftlich erzogen, den Himmel durch ihr 
Gebet, durch rührende Werfe der Buße und Sühnung be— 
fänftigt, und Allen die erhabenften Beifpiele gegeben; ver- 
gebens hatten ganze Schaaren von jungfräulich Lebenden 
Berfündern des Evangeliums den chriftlichen Völkern die 
neuen Gefinnungen des Friedens und der Gottes- umd 
Nächitenliebe eingepflanzt: eine unreine Philofophie pro— 
flamirte, daß das geheiligte Band, Duelle jo vieler Wohl- 
thaten für die Welt, gebrochen, und andere, weniger voll 
fommene Bande gefnüpft werden müßten. Die Probe ift 
nun gemacht, aber übel ausgefallen, und nun verbietet eben 
diefe Wiffenfchaft denjenigen, welche fie von jeder Verpflicht- 
ung gegen die Gefete der Moral frei erklärt, in den gröb- 
ſten Sinnengenüffen trunfen gemacht, die fie in ihrer Ver— 
fegenheit ohne Unterfchied des Gefchlechts zufammengepfercht 
hat, fich zu verheirathen, und fpricht zu dem Armen: Dit 
darfit feine Fumilie gründen. Sp fagt fie zu denen, bei 
welchen ſie felbft die Leirenfchaften, noch vor der Reife, 
wach gerufen hatte, und denen eine geheiligte Berbindung 
um jo nothwendiger wäre, um den Berführungsfünften 
gegenüber, denen fogar Engel zu unterliegen im Stande 
wären, Widerſtand leiften zu fünnen. 

„Wir getrauen uns faum eine noch abfcheulichere Ma— 
rime bier zu bezeichnen. Andere diefer lügnerifchen Welt: 
weifen, haben die Unmöglichkeit eines derartigen Zwanges 
eingefehen ; aber indem fie venfelben aufgegeben, haben fie 
fich nicht geſchämt, chriftlichen Ehegatten den Rath zu ge- 
ben, eine Nachfommenfchaft, die Gott zum Dafein berufen 
hatte, in unnatürlicher Weife zur verhindern. 


OXXV 


„O göttlicher Heiland aller Menfchen! Der dur die 
Gattenliebe geheiligt haft, indem du ihr die urfprüngliche 
Unauflöslichfeit, Einheit und Neinheit wieder gegeben, fei 
gelobt und gebemedeiet! Sei abermals gebenedeiet, daß du 
die Gelübde der Yungfränlichfeit geheiligt, mit jo hohen 
Gnaden eine Lebensform ausgeftattet haft, die ſich nur 
deshalb jo hoch über die Erde erhebt, um die Segnungen 
des Himmels defto wirffamer auf fie herabflehen zu fünnen. 
Sei gefegnet, daß du fogar aus den Schmähungen und 
Läſterungen einer gottlofen Philofophie die Nechtfertigung 
deines heiligen Evangeliums haft hervorgehen laſſen. Seit- 
dem diefelbe ihre fchändlichen Lehren in Ausübung gebracht, 
bijt du Schwer genug wegen ihrer frevelhaften Läſterungen 
gegen die Näthe englifcher Reinheit, gerächt worden .“ 

Aber in den Augen der modernen Weifen waren die 
Mönche nicht nur des Bergehens fchuldig, fich der Pflicht 
der Fortpflanzung entzogen und einer möglichen Nach- 
fommenfchaft das Leben verwehrt zu haben: ihr eigenes 
Leben war felbjt etwas ganz Unnüßes für die Welt und 
ihre Nebenmenfchen, 

Freilich jeßt, und Angefichts der von Tag zu Tage 
überrajchender zu Tage tretenden Grgebniffe der neueren 
gefchichtlichen Forfchungen, ift vielleicht won allen denjeni- 
gen, die auf dem Gebiete der Wiffenfchaft irgendwie auf 
Bedeutung Anfpruch machen, fein Einziger, ver jest noch 
mit feinem Namen zu eimer folhen Behauptung ftehen 
würde, Aber fie wird befanntlih nur allzu häufig noch 
vom literariichen Troſſe wiederholt, fie gilt mit und neben 


') Instruction pastorale de Mgr. U’ Archeveque de Paris 
(Mgr. Denis Affre) sur les rapports de la charite avec la foi. 
Im März 1843. 


CXXVI 


der andern falfchen Münze der Wiffenfchaft, welche unter 
der unermeßlichen Mehrzahl der fogenannten Gebildeten 
unferer Tage curfirt. Verweiſen wir diefe Blinden ver- 
trauensvoll an das Studium der Denfmäler, die fie nicht 
fennen, der Bücher, von denen jie bisher nie eine Zeile 
gelefen haben. Fordern wir fie fühn heraus, irgend ein 
Land, ein Jahrhundert, eine Bevölkerung zu nennen, wo 
die praftiiche, wirkliche und unmittelbare Nütlichfeit der 
Mönche nicht in ganz umbeftreitbarer Weife zu Tage läge, 
jo lange fie ohne gebundene Hände eriftiren konnten, jo 
lange nicht das Commendenwefen (das nicht den Mönchen, 
fondern den Fürften und Negierungen zur Yaft fällt), vie 
Erſchlaffung und Unordnung in ihre Reihen brachte und in 
venfelben unterhielt. Verlieren wir bier fein Wort weiter 
über die in den Augen eines jeden mit jich felbjt nicht im 
Wivderfpruche ftehenden Chriften, jo hohe Nüßlichfeit und 
Wichtigkeit des Gebets, des in Gott verborgenen Lebens ; 
feines über die mächtige, gleichfam unaufhörlich zwiſchen 
Himmel und Erde jchwebenden Fürbitte für das Heil und 
den Frieden der Menfchen; jagen wir bier nichts mehr 
über den unermeßlichen, fo wohlthätigen Einfluß des klö— 
jterlihen Friedens auf die Männer des Krieges in der 
Gefchichte, der Tugend auf die Leidenfchaften, der Einſam— 
feit auf das Geräufh der Welt! Verlaſſen wir die 
Höhen einer viel zu erhabenen Wirflichfeit, um ung mit 
denjenigen auf gleichen Standpunkt zu ftellen, die ihre 
Blicke immer nur auf die Erde geheftet, immer am das 
Vergängliche oder an dasjenige gefefjelt halten, was hand— 
greiflichen Nuten gewährt. Erfuchen wir fie, uns in den 
Jahrbüchern der Weltgefchichte eine Körperichaft, eine In— 
jtitution, irgend einen fejten Verein aufzumweifen, der auch 
nur von ferne mit den Klöſtern zu rivalifiven im Stande 


OXXVU 


wäre, die während zehn Sahrhunderten und noch länger 
die Schulen, die Archive, die Bibliothefen, die Gafthäufer, 
die Werfftätten, die Büher-Anftalten und die Spitäler der 
chriftlichen Gefelffchaft gewefen find. Und wenn man uns 
diejenigen Zeiten ihrer Gefchichte worhalten will, wo die 
religiöfen Orden dem politifchen, dem Tliterarifchen, dem 
äußern Leben, der ganzen äußern Welt fait gänzlich ent- 
fremdet waren, und eben weil fie ſich mehr und mehr auf 
ſich felbft zurüczogen, um fo eher, die nachfichtige Duld— 
ung der Lenfer der neuen Zuftände in der Welt hätten 
finden follen, antworten wir ihnen mit den Worten des 
großen Schriftftellers, der uns in fo vielen Punkten die 
Pforten der hiftorifchen Wahrheit zuerft wieder erjchloffen 
hat: „Sp oft man Neigung und Willen ohne Herabwirdig- 
ung der Menfchen befriedigen kann, leiſtet man damit der 
Geſellſchaft einen wefentlichen, ganz unbezahlbaren Dienft, 
indem dadurch der Negierung die Sorge abgenommen ift, 
diefe in fich befriedigten Menfchen zu überwachen, für 
Stellen für diefelben zu forgen, und ganz befonders fie zu 
bezahlen. Und es hat im diefer Beziehung nie eine glüd- 
lichere Idee gegeben, als diejenige, in einem Vereine eine 
Anzahl friedlicher Bürger zu verſammeln, welche arbeiten, 
beten, ſtudiren, fchreiben, das Feld bebauen, und von der 
Regierung Nichts verlangen !).“ 

Die heutigen Regierungen müſſen dies begreifen, ob- 
gleich noch nicht alle e8 eingeftehen ; und Denjenigen, welche 
ihnen einreden wollen, daß diefe immer jeltener gefundene 
Zufriedenheit mit feinem Looſe, dieſe befcheidene, friedliche 
Unabhängigfeit des Mönches, eine Frucht des Aberglaubens 
und des Fanatismus ſei, mag mehr als ein Staatsmann 


') Le Comte du Maistre, Du Pape, p. 436. 


CXXVII 


zu antworten geneigt fein: „OD dag man ung den Baum 
wieder geben fünnte, der jolche Früchte einer abhanden ge- 
fommenen Art hervorbringt !” 

„Das ganze Ziel des Menſchen iſt feine Befeligung,“ 
bat Boſſuet gejagt; „fein Glüdf finden, wo man foll, ift 
die Quelle alles Guten, gleichwie die Quelle alles Böfen 
darin bejteht, es dahin zu ſetzen, wo man nicht fol." Nun 
aber haben wir bier Menfchen zu Taufenden, welche von 
Geſchlecht zu Gefchlecht auf einander folgen und erflären, 
daß fie glücklich und mit ihrem Lebensloofe zufrieden find, 
Und diefe will man unnüge Menfchen nennen! Als ob es 
auf der Welt etwas Nütlicheres geben könnte, als das 
Glück; als ob das allgemeine Glück und Wohlbefinden fich 
nicht nothwendig und ausfchlieglih aus dem Glücke der 
Einzelnen zufammenfegen müßte; als ob jeder Einzelne, 
der ſich glüdlich fühlt und nennt, und der es ift, ohne ir- 
gend Jemand auch nur im geringften zu beneiden, nicht an 
jih jelbft ein unfchätbares Element des gejellichaftlichen 
Wohlfeins und Wohlitandes wäre! Was thut das! Dies 
Glück muß und ſoll fort! Es muß geächtet und geopfert 
werden; e8 muß auf das Profuftesbette einer jogenannten 
öffentlihen Nüglichfeit geipannt werden, ein Ding, 
immer aufs Neue wieder definirt, umgeändert und um die 
Wette lächerlich verzerrt und umgejtaltet von Theovetifern, 
die ebenſo umerbittlich zufahrend, als ohnmächtig zu wirk- 
lichen Leiftungen, trogdem aber thöricht genug find, um zu 
wähnen, ſie feien im Befite des Nechtes, der Menjchen- 
natur Gewalt anzuthun, den Beruf der Einzelnen, ihre 
Neigungen und Dasjenige, dem jie den Vorzug geben jollen, 
eigenmächtig und unmiderruflich zu bejtimmen und zu regeln. 
Wohlverftanden, daß noch obenein diefer unerträgliche Zwang 
nur in Bezug auf das Gute und nie gegen das Böfe ftattfindet, 


OXXIX 


der Tugend, dem Gebetsdienfte, dem Leben in der Zurück— 
gezogenheit ein Joch auferlegt wird und Hemmniſſe bereitet 
werden, wie fie fein vernünftiger Geſetzgeber jemals gegen 
das Klofter, den Müffiggang, die Verfchleuderung hätte in 
Anwendung bringen dürfen. 

Aber, e8 wird infiftirt und gefagt: Die Mönche waren 
Faullenzer! Faullenzer? die Mönche? Num wahrhaftig ! 
Alſo die Faulheit ift das Yafter der Männer gewefen, welche 
nach einftimmigem Befenntniffe aller zum Mitreden Be— 
rechtigten eigenhändig halb Europa urbar gemacht haben, 
und deren mühevollen Nachtwachen wir die Erhaltung aller 
Werke der antifen Piteratur, die wir haben, und die tau- 
jendjährigen Denfmäler unferer eigenen Gefchichte ver- 
danfen? Die Trägheit ver Mönche! Wie das Flingt! 
Bon allen Mönchen die Älteften und die zahlreichjten waren 
ja die Benediftiner, diefelben Benediftiner, deren Name, fogar 
in der berfümmlichen Sprache des gemeinen Lebens, als 
Typus ımd als gleichbedeutend mit ernfter, befcheidener und 
unermüdlicher Arbeit gilt. Die Trägheit der Mönche ! 
Aber wer anders als fie hat denn des Tages Yaft und 
Hite getragen in allen Meiffionen des Drients und in 
Amerifa, bei dem Werfe der Erlöfung der gefangenen Chri- 
jten, im Kampfe gegen ven Irrglauben und die Sittenent- 
artung, und fogar in der geiftlichen Verwaltung und Re— 
gierung der bejten unter den Fatholifchen Völkern? Es 
dürfte ein feltfames Schaufpiel abgeben, wenn diejenigen, 
die den Mönchen diefen Vorwurf am unverfchämteften in’s 
Angeficht gejchlendert haben, nur für einen einzigen Tag 
ein folches Leben voll beftändiger Mühen und Befchwerden, 
voll Widerwärtigfeiten, Entbehrungen, Nachtwachen, weiten 
Berufsgängen mitzumachen gezwungen wären, wie e8 dag 
tägliche Brod des geringften der Miffionäre, oder des un- 


v. Montalembert, d. Mönde d. A. J. 1 


CXXX 


bekannteſten Beichtvaters iſt, den die religiöſen Orden der 
Kirche liefern! 

Die Trägheit der Mönche! Will man damit etwa 
von den übrigens nur wenig zahlreichen Mönchen reden, 
welche ſich ausschlieglich dem contemplativen Yeben widme— 
ten? Bon jenen Anachoreten, von jenen Nachfolgern der 
Väter der Wüſte, welche, indem fie fich mit einem Lebens— 
unterhalte für jich begnügten, der dem ärmſten Taglöhner 
zu geringe vorfommen würde, der Meinung waren, wohl 
berechtigt zu fein, der Pflege ihrer Seele die Zeit, die 
Kraft, die Sorge zuzumwenden, welche fie mit einem mehr 
als menschlichen Muthe ihrem Körper entzogen ? 

Wir haben bereits geantwortet, daß für jeden Ehriften 
das Gebet die Tegitimfte und nützlichſte Arbeit iſt; daß, 
diefe Wahrheit leugnen, fo viel heißt, als nicht nur die 
Grundſätze des Mönchthums, ſondern auch die Grundlagen 
der gefammten Neligion antaften. Wir wollen noch hinzu— 
fügen, daß überall und immer diejenigen Ordensmänner, 
welche am treuejten in der Abtödtung und in den Pflichten 
des geiftlichen Lebens find, auch zugleich im anderen Streifen 
der Thätigfeit die bewundernswürdigiten Erfolge erlangen, 
wie 3. B. in unferen Tagen die Trappiften in der Land- 
wirtbichaft, oder wie Jeſuiten und andere, welche die eif- 
rigften im Erziehungsfache, in den Wilfenfchaften, ſowie in 
allen Arten won geiſtiger Thätigkeit find. 

Der Borwinf der Trägheit könnte ſich demnach, mit 
einem Anscheine von Grund, nur am diejenigen unter den 
Mönchen richten, welche, ſeien es nun Benediftiner oder 
Andere, mittelft der Güter, welche fie von ihren Borgän- 
gern, die diefelben durch Arbeit und Induſtrie oder durch 
VBergabungen erworben haben, in Wohlftand und Muße 
leben. Wir geftehen, daß, befonders im den letten Zeiten, 


OXXXI 


wo fich die urfprüngliche Triebfraft durch den Mißbrauch 
der Commenden, von welchem weiterhin ohne Rückhalt die 
Rede fein wird, in Hläglicher Weife vermindert hatte, die 
Trägheit in mehr als ein Klofter eingedrungen war. Aber 
nur vor Gott und nicht vor den Menſchen follte man ihnen 
dies als einen Vorwurf anvechnen. Und überdies läßt fich 
auch diefer Vorwurf gar nicht machen, ohne daß derfelbe 
jogleich mit feiner ganzen Schwere auf die Urheber defjel- 
ben ſelbſt zurücfallen und fogar die ganze bürgerliche Ge— 
ſellſchaft erſchüttern müßte. Haben fich alle diefe fo ftren- 
gen Tadler auch felbft genugfam geprüft? Sind fie ficher, 
daß ſie nicht felbft unter die Anklage fallen, mit welcher fie 
gegen Andere fo verſchwenderiſch find? Diele Politiker, 
diefe Bhilofophen, diefe Schriftiteller, welche jo geräufchvoll 
gegen den Müffiggang der Mönche zu Felde ziehen, find 
fie denn wirklich immer fo avbeitfame und ſo nützliche 
Dürger? Haben fie nicht bereits ſchon in den unteren 
Schichten der Bevölferung eine habgierige Menge in Auf- 
ruhr geſehen, welche fie jetst ihrerjeits als Müſſiggänger 
bezeichnet ?_ Mit welchem echte könnte die Welt den 
Mönchen ihr Eigenthum und ihre Muße mehr als jedem 
andern begüterten und über feine Zeit frei verfügenden 
Weltmanne zum Borwurfe machen ? Was auch immer die 
Mißbräuche im Mönchthum fein mochten, und, wir wieder- 
holen es, wir werden feinen derjelben werfchweigen, — fie 
waren darüber hauptfächlich der Kirche zur Nechenfchaft 
verpflichtet. Gegenüber der Yaiengefellfchaft aller Zeiten 
fonnten fie diefelbe, ohne dabei zu wiel zu wagen, dreiſt 
herausfordern, viele Neiche aufzumweifen, welche thätiger und 
nüßlicher befchäftigt gewejen wären, als fie. Bis auf un- 


jere neneften TIhorheiten hatte die Welt noch nie daran 
ı* 


OXXXI 


gedacht, ſich das Necht beizumefjen, von demjenigen, welcher 
die Ernte eines feit lange Schon urbar gemachten und frucht- 
baren Ackerfeldes einfammelt, den gleichen Arbeitseifer zu 
verlangen, als von demjenigen, der e8 zuerft in Kultur fekt. 
Im Segentheil haben alle Geſellſchaften und alle Geſetzgeb— 
ungen die menschliche Thätigkeit dadurch anzufpornen ge- 
jucht, daß fie den Familienvätern und Gründern in Aus— 
jicht ftellen, ihre Smduftrie, ihre Mühe, ihr Schweiß werde 
die Muße, den Wohlftand und das Wohlbehagen ihrer 
Söhne und Nachfommen zur Folge haben. Bon diefer ein- 
zigen Seite allein fann der Wunſch und das Streben nach 
Beſitzthum, der Herrfchaft der Selbjtfucht entgehen. Meit 
welchen Rechte wollte man denn, den Mönchen gegenüber, 
einen andern Maaßſtab der Beurtheilung anlegen? Der 
Sriede und das Wohlfein, deſſen fie ſich erfreuten, blieb 
auch troß ihrer geiftigen Erſchlaffung das Produft der 
Mühen und des Schweißes ihrer Vorfahren, und das am 
beften berechtigte unangreifbarfte Erbgut, das ſich denfen 
läßt. Die Kirche allein fonnte und follte dabei auf das 
Hanptgebrechen, die Hauptfünde hinweifen, welche die Re— 
ligion immer verbannt wiffen will. Sagen wir e8 rund 
heran, daß dasjenige, was man bei den Mönchen Träg- 
beit nennt, nichts anderes ift, als was man bei begüterten 
Weltleuten Muße beißt: die Civilgeſellſchaft hat fein Necht, 
weder die eine noch die andere mit dem bürgerlichen Tode 
oder der VBermögensbefchlagnahme zu ftrafen. 

Die Mönche, fo wird man weiter fagen, waren aber 
nicht blos veich, fie waren zu reich! Es ift allerdings 
wahr, e8 hat einzelne Klöſter gegeben, die übermäßig reich 
waren, umd für welche diefer Neichthbum eine Urfache der 
Erſchlaffung umd des Ververbniffes geworben ift; ich werde 
fein Hehl daraus machen. Es Tag hierin für die Kirche, 


OXXXIII 


bei treuem Feſthalten an den Intentionen der Gründer, 
ein hinlänglicher Grund zu einer beſſern Vertheilung und 
nützlichern Verwendung dieſes klöſterlichen Reichthums. 
Aber fand ſich darin ein Grund zur Wegnahme zu Gunſten 
des Staates? Nein, tauſendmal nein! Und wie wagt 
man es nur, dieſen Vorwurf in einer Zeit und in geſell— 
ſchaftlichen Zuſtänden zu erheben, in welchen der Reichthum 
künftighin die einzige Unterſcheidung, das einzige Abzeichen 
des ſocialen Werthes, ganz natürlich der Gegenſtand einer 
ungezähmtern Begierde und eines unverſöhnlichern Neides 
geworden iſt, als zu irgend einer andern Zeit in der Ge— 
ſchichte? Zu reich! Aber wo in der Welt gibt es denn 
eine menſchliche Autorität, die das Recht hätte, die Grenze 
zu beſtimmen, wo das Zuviel des Reichthums anfinge, und 
dem rechtlich erworbenen Vermögen Schranken zu ziehen? 
Bis jetzt hat einzig nur die Religion zwiſchen dem Nöthi— 
gen und dem Ueberflüſſigen die Unterſcheidung machen und 
für dies Ueberflüſſige zu einer obligatoriſchen Verwendung 
verpflichten können; und gerade gegen ſie allein, gegen die 
geheiligte Schwäche der Kirche, hat man mit empörender 
Ungerechtigkeit die Verletzung des Eigenthumsrechtes zu 
einem Syſteme erhoben. Geſtatten wir demnach Niemand 
anders als der Kirche ſelbſt, zu ſagen, daß die Klöſter zu 
reich geweſen ſeien; ſagen wir, es hat reiche Klöſter ge— 
geben und rechtfertigen wir dieſen Reichthum in zwei Wor— 
ten: durch ſeinen Urſprung und durch ſeine Verwendung. 

In Bezug auf die Verwendung konnte man dieſelbe, 
ſelbſt in Zeiten der ſchreiendſten Mißbräuche und der äu— 
ßerſten Erſchlaffung, in ein einziges Wort zuſammenfaſſen: 
die Wohlthätigkeit! eine Wohlthätigkeit, welche nie beſtritten 
worden iſt, und die niemals von Andern erreicht werden 
wird. Ueber dieſen Punkt müſſen wir, bevor wir Gegner 


CXXXIV 


widerlegen können, abwarten, bis ſich folche finden, die 
Wivderfpruch gegen dieſe unwiderfprochene Behauptung 
erheben. 

Was den Beſitz des Vermögens ganz insbefondere zu 
einem gerechtfertigten macht, ift fein Urfprung. Nun aber 
darf man kühn behaupten, daß es nirgends Cigenthum gibt, 
deſſen Urfprung fo legitim, jo heilig und fo unverletlich 
wäre, als das Eigenthum der religiöfen Orden. Es ſtammte 
durchgängig von freien VBergabungen der Gläubigen, bejon- 
ders Yündereien ohne Ertrag, die Durch Die Arbeit ver 
Mönche in Kultur geſetzt und einträglich gemacht worden 
find. Es ift, in Maſſe genommen, das einzige, das aus 
dem edelften Afte ſtammt, deſſen der Menſch fähig ift: 
der Schenfung, der reinen und freien Gabe, belebt durch 
Yiebe, Dankbarkeit und Glauben). 

„Wolltet ihr etwa,“ fo fchreibt ein berühmter Staats- 
mann unferer Tage, der nicht eben fehr der Panrteilichkeit 
und der Vorliebe für die religtöfen Orden verdächtig ift, 
„wolltet ihr etwa die Berwendung meines Eigenthums der— 
gejtalt vegeln, daß ich daſſelbe nicht in der Weife gebrauchen 
dürfte, die miv die angenehmfte ift? Wolltet ihr, nachdem 
ihr miv den materiellen Genuß des Eigenthums gejtattet, 
die moralifchen Genüſſe, die edelſten, die lebendigjten von 
alten verweigern ? Was? anmaſſender Gefetgeber! du ges 
ftatkeft mir mein Bermögen zu verzehren, es dDurchzubringen, 


) Wenn manchmal ungerechte, mißbräuchliche oder abgedrungene 
Vergabungen vorgekommen ſind, ſo iſt doch nichts ſeltener als dies; 
man wird davon auf tauſend nicht Ein Beiſpiel anführen können. 
Mauchmal geſchah es, daß die Erben, deren Zuſtimmung im Mittel— 
alter jedesmal zur Gültigkeit der Bergabungen, welche den herrſchaft— 
lihen Grundbeſitz berübrten, erforderlich war, ihre Beipflichtung ver- 
weigerten, wo dann Diefer Widerfprud auch die Nullität des Ver— 
gabungsaltes zur Folge hatte, 





UXXXV 


es zu ruiniven, und willft miv verbieten, e8 zu werfchenfen! 
Das Ich, nur das Ich allein, dies follte das traurige End— 
ziel fein, welches du allen meinen mühſamen Anftrengungen 
anmeilen wollteft? Das hieße meine Arbeit herabwürdigen, 
mir die Yuft und die Frendigfeit dazu rauben... Die Gabe 
ift unter allen die edelſte Form des Gebrauches, der fich 
vom Eigenthum machen läßt. Yu ihr, ich wiederhole es, 
fommt der Seelengenuß zum phyſiſchen Genuffe hinzu ').“ 

Jedoch handelte es fich für die Beſitzenden früherer 
Zeiten dabei nicht blos um den Genuß: fie glaubten fich 
verpflichtet, ihre Neichthümer vor Gott und den Meenfchen 
dadurch zu legitimiven, daß fie diefelben durch das Opfer 
zu läutern juchten. Die Gläubigen aller Stände und aller 
Zeiten haben demnach den Mönchen viel, fehr viel gegeben; 
und wenn fie die Einen durch Vergabungen bereichert hat- 


') Er fügt dann hinzu: „Au reste, jugez du fait par les con- 
sequences. Je vous disais ailleurs que, si chaque homme pou- 
vait se jeter sur son voisin, pour lui enlever les aliments dont 
il va se nourrir, celui-ci en faisant de même à l’egard d’un 
autre, la soeiete ne serait bientöt plus qu’un theätre de pillage 
au lieu d’etre un theätre de travail. Supposez, au contraire, 
que chaque homme qui a trop donnät à celui qui n’a pas assez, 
le monde deviendrait un theätre de bienfaisance. Et ne eraignez 
pas toutefois que ’homme püt jamais aller trop loin dans cette 
voie et rendit son voisin oisif, en se chargeant de travailler pour 
lui. Ce qu'il y a de bienfaisance dans le c@ur de ’homme est 
tout juste au niveau des miseres humaines, et c’est tout au plus 
si les discours incessants de la morale et de la religion parvi- 
ennent à egaler le remöde au mal, le baume à la blessure.“ 
Thiers, De la Propriete, liv. I, ce. 8; Que le don est Tune 
des mamieres necessaires de la propriete, 1848. — Der Ver- 
faffer ift übrigens um fo unverdächtiger, als er ſelbſt im Mönchthum 
nur le suieide chretien substitud au swieide payen. fieht. 
Liv Ei e26, 


OXXXVI 


ten, ließen fie nicht ab, wieder Andere zu erwecen und auch 
diefe zu erhalten. Diefe große Freigebigfeit war weder 
umüberlegt noch blind: fie war im Gegentheil berechnet, aber 
im allergerechteften und evelften Kalcul. Zwölf Jahrhun— 
derte lang wiederholten die fatholifchen Völfer ven Mönchen 
im Wefentlichen jene einfach Schönen Worte, mit welchen mtit- 
ten im Bhzuntinerthum der heilige Johannes, der Almoſenſpen— 
der, die Mönche zweier Klöfter, die er in Alexandrien gegrimdet 
hatte, dotirte: „Sch werde, nächſt Gott, für eure förper- 
lichen Bedürfniſſe forgen, ſorgt ihr nun für die Bedürfniffe 
meiner Seele ')." Fünfhundert Jahre ſpäter fehen wir am 
entgegengefetten Ende der Welt und ver chritlichen Gefit- 
tung einen der großen Lehensfürften die Gründe der feu— 
dalen Freigebigfeit gegen die Klöfter in zwei Zeilen zuſam— 
menfaffen: „Ich, Wilhelm, Graf von Poitou und Herzog 
„don ganz Aquitanien, übergebe aus meiner Hand in die Hand 
„des heiligen Petrus von Cluny diefe Kirche, die ich, mit 
„Gottes Hilfe, von der Laienufurpation losgerijfen und frei— 
„gemacht habe, und ich mache diefe Vergabung, weil ich 
„meiner Sünden gevenfe, und weil ich winfche, daß Gott 
„fie bedecken möge ?). “ 

Inden die Gläubigen früherer Zeiten den Mönchen 
Vergabungen machten, ging ihre Abficht dabei zunächſt auf 
Gott, dem fie die Schenfung darbrachten, und dann auf 
die Armen, denn alle Welt wußte, daß die Mönche damals 
die Almofenfpender der Chriftenheit waren. Sie ent- 


') Ego post Deum utilitatem vestram corporalem procurabo, 
vos autem spiritualis habetote mex euram salutis, Apud Mabill., 
Pref. IV sec. Bened. Nr. 66. 

?) Peecatorum meorum memor, ut Deus fieri dignetur im- 
memor. Gallia Christiana, t. II, p. 1094, Urkunde vom Ja— 
nuar 1081. 


OXXXVI 


äußerten ſich ihres WUeberfluffes, manchmal jogar des Nö— 
thigen, um den beiden edelften Antrieben des Lebens zu 
genügen : dem Drange nach dem Heile der Seele und der 
Hülfe der Armen, der Gottesliebe und der Menfchenliebe. 

Wer die Gefchichte der evelften Triebe, der reinften 
Wallungen, die je das Menfchenherz bewegt haben, var: 
jtellen wollte, würde die Arbeit fchon halb gethan finden ; 
er dürfte einfach nur die motivirenden Cingänge der Stift- 
ungs> und Schenfungsurfunden ausheben, welche das Klo— 
jtereigenthum begründet haben '). Nach Heiligung, Sühne, 
Läuterung und immerwährenden Gedächtniß verlangend, fin: 
det fich in diefen Meotivirungen ver Reihe nach alles Yei- 
den und alles Lieben der Meenfchheit : die Verehrung gegen 
Gott, gegen die allerfeligfte Jungfrau, gegen die Heiligen ; 
die Anbetung und die Demuth, die Neue und die Dank: 
barfeit ; die Gattenliebe, die Kindesliebe, die Vater- und 
Mutterliebe, die Nächftenliebe in der unerfchöpflichen Man— 
nigfaltigfeit ihrer Antriebe und Eingebungen, und wor Allem 
und über Alles der Wunfch zum Seelenheile derjenigen, 
die auf Erden der Gegenjtand der Yiebe gewefen find, mit: 
zumirfen, und im Simmel mit ihnen vereinigt zu werben. 
In öffentlichen, feierlichen Urkunden, die jeden Verdacht 
betrüglicher, geheimer Erjchleichungen ferne halten mußten, 
haben diefe edeljinnigen, glaubenstreuen Chriften die Be— 
weggründe der Opfer, die fie brachten, aufgezählt: ſie er- 
flären, daß fie fich diefelben auferlegen, bald zur Buße 


) Im Berlaufe diefer Darftellung werden ſich Belege zu Tau— 
jenden für diefe Behauptung finden. Ach führe ſchon jetzt einige 
derjelben an, die zum Theil den vortrefflihen Forſchungen Hurters 
über den Gegenftand, in feiner Geſchichte Papſt Innozenz des 
Dritten, t. II, S. 430 der Driginal-Ausgabe entnommen find, 


OXXXVII 


wegen begangener Sünden !), oder. wegen eines unglücklichen 
Zufalles, dejjen unvorfägliche Urheber fie geworden waren; 
bald um ihre Entfagung unvecht erworbenen Gutes, unge— 
rechter Anfprüche oder verjährter Feindfchaften gerichtlich 
und öffentlich damit zu beurfunden; bald wieder um Gott 
für eine außerordentliche Gnade, fir eine überftandene Ge- 
fahr, für die glücliche Heimkehr von einer Wallfahrt oder 
einem Kreuzzuge zu danfen oder feinen Schuß in einer noch 
zu beftehenden Gefahr, 3. B. beim Eintritte in das abge: 
jteefte Kampffeld, herabzuflchen?) ; bald und ganz insbejfon- 
dere, um die irdischen Güter zu heiligen oder die Erſpar— 
niffe gut zu verwenden, indem fie zu Gunften der Armen 
und der Neifenden vergabt wurden). Andere wünfchten, 
dadurch vor Gott und der Welt ihre Ergebung in unheil- 
barer Krankheit), oder wegen vworhergefehenen Erlöfchens 
eines erlauchten und alten Gefchlechtes?), oder den Wunfch 
nach Ruhe am Ende eines zu bewegten Yebens, oder die 


') Peecatorum nostrorum vulneribus eujusdam medieaminis 
cauteriam adhibere pium statuimus. Bergabungsurfunde Leopolds 
von Deftreich, ap. Monum. Boie., IV, 314. 

?) Milo Balbus von Til-Chätel, ein Nitter, im Jahre 1060, 
Monomachia certaturus pugna, empfiehlt fi dem Gebete der 
Monde won Beza, und vergabt denjelben feine Burg unweit der 
Kirche von Yır. Dumay, Appendix won Courtepee, IV, 69. 

) In usum pauperum et peregrinorum, ap. Digby X, 636. — 
Centuplam mercedem a Deo expectantes. Vogt, /ned. monum. 
Verdens., II, 248. 

‘) Cum ex iniquitate mea devenerim ad morbum incurabi- 
lem, gratias ago Deo meo. Gall. Christ., Inst. eccles. Sene- 
cens., Nr. VII, ap. Hurter, III, 456. 

°) Cum Deus omnipotens fruetu ventris nescio quo suo 0C- 
eulto judieio me privasset, mei patrimonii heredem constituens 
Crueifixum. COhron. Zweltens., I, 245, 


OXXXIX 


Bewunderung eines malerifchen einfam gelegenen Ortes, 
die Wahl einer Familiengruft'), ganz befonders aber das 
Andenfen einer langen Ahnenreihe, einer treu geliebten Ge— 
mahlin?), eines früh verftorbenen Kindes oder jelbft auc) 
eines treuen Diener oder einer treuen Dienerin zu beur- 
funden?). Manchmal gefchah es auch, daß eine folche Ber: 
gabung für das Seelenheil eines ohne Maaß und unberech- 
tigt geliebten Wefens gemacht wurde, deſſen Yiebe, jenfeits 
des Grabes, die Kirche nicht mehr verbot. Aus einem 
jolchen Beweggrunde dotirte Philipp Auguft ein Kloſter für 
hundert und zwanzig Jungfrauen am Grabe der Agnes von 
Meran. 

Sp begegnet uns auf jedem Blatte diefer Jahrbücher 
(ehenszeitlichev Großmuth irgend ein Denkmal der Geheim- 
niſſe der göttlichen Barmherzigkeit oder menfchlichen Schmer- 
zes oder chriftlicher Tugend; und wir werden weiterhin 
jehen, wie diefe Schenfungsimotive fo häufig zu Bekehrungs— 
gründen wurden, und wie oftmals derjenige, der damit be- 
gonnen hatte, Gott fein Land und fein Gut zu weihen, 
am Ende auch noch jich felbjt ihm darbrachte. 


') Quomodo multi prineipum et nobilium tubam extremam 
hie pausando praelegerunt expectari. Zu Weingarten, fiebe 
Heß, Monum. Guelph., p. 197. 

?) Pro salute Mathilde, spons® mex ; Monast. Anglie., p. 
1034. — In refrigerium anime sux et suorum. Langebed, SS. 
IV, 355. — Dederunt pro anima matris sux bona memoria. In 
Gottesgnade, ap. Leukfeld. 

>) Im Jahre 1278 werden dem Abte und den ifterzienfern von 
Settimo, bei Florenz, von der Gräfin Beatrir, Tochter des Grafen 
Rudolph von Kapraja, Wittwe des Grafen Markwald, 30 Pfund 
vermacht per Fanıma di donna Giuliana, la quale fu mia ca- 
meriera (Lami, Monum. della Chiesa Fiorentina, 1, 75, ap. 
Cantü, Storia degli Italiani.) 


CXL 


Die Miunificenz ver Könige hatte den Beſtand jener 
großen und füniglichen Abteien fichern gewollt, wie 3. B. 
St. Sermain-des-Pres, St. Denys, Monte-Caffino, Eluny, 
Canterbury, Weftminfter, Hautecombe, welche zugleich Ar— 
chive, Sotteshäufer und Königsgrüfte der Dynaſtien waren; 
Andere waren jo zu jagen ein ganz befonderes Patrimonium 
gewiſſer edlen Gefchlechter, welche fih von Vater auf Sohn 
verpflichtet hielten, fie in glänzendem Beſtande zu erhalten, 
und in denfelben jede glänzende That, jedes Familienereig— 
niß, jede neue Verbindung, jeden Grad ihrer Stammtafel, 
jeden Berftorbenen des Gefchlechtes mit neuen Wohlthaten 
zu verewigen. Wir fehen den ganzen Beftand der Klojter- 
welt während der fatholifchen Sahrhunderte von einer ein- 
jigen Ueberzeugung wie von einer leuchtenden Furche durch- 
zogen und durchſtrahlt: „Gib mir," fprach der heilige Eli- 
gius zu feinem füniglichen Herrn, „gib mir diefe Stätte, 
damit ich an verfelben eine Leiter aufrichten könne, mittelft 
deren wir Beide zum himmlischen Neiche hinanfteigen kön— 
nen .“ Und ſechs Jahrhunderte fpäter wiederholt jich der- 
jelbe Gedanfe in den gleichen Worten : ein Graf von Or- 
lamünde fehreibt, indem er in Hamburg ein Klofter gründet, 
in feine Stiftungsurfunde das Ariom : „Derjenige, welcher 
„ein Klofter gründet und erneuert, macht fich damit eine 
„Leiter, um in den Himmel zu fteigen?)." Und zu der gleis 
chen Zeit erfchien einem der Häupter des normannifchen Adels 
im eroberten England, dem Grafen von Chefter im Traume 


') Hane mihi, Domine mi rex, serenitas tua concedat, quo 
possim ibi, et tibi et mihi scalam construere, per quam mere- 
amur ad ccelestia regna uterque conscendere. 8. Audeni, Vit. 
S. Eligüt, I, 15. 

°) Qui elaustra construit vel delapsa reparat, calum ascen- 
surus scalam sibi facit. Ap. Surter, IV, p. 450, 


CXLI 


fein edler Ahnherr, der, einen feiner Yandfite bezeichnend, 
die Worte zu ihm Sprach: „Du mußt auf demfelben eine 
„Leiter aufrichten, welche die Engel täglich hinanfteigen, um 
„die Gebete der Menſchen vor Gott zu bringen, und auf 
„welcher fie mit feinen Gnaden wieder herabkommen H.“ 
Vom untrüglichen Lichte des Evangeliums erleuchtet, ſahen 
Alle es ein, daß der Theil ihres Erbgutes, deſſen fte ſich auf 
ſolche Weife um Gottes Willen entäufßerten, derjenige fei, der 
ihr Andenfen am beften in Ehren halten, und am längften 
dauern werde. Sie waren Alle von der gleichen Wahrheit 
durchorungen, die Kaiſer Friedrich IT. befeelte, als ev in 
den Eingangsworten einer feiner Urkunden den ſchönen Ge— 
danfen ausfprach : „In Mitte der allgemeinen Hinfälligfeit 
„der menfchlichen Dinge fann der Menfch nichts deſtowe— 
„Niger der Zeit etwas Dauerndes und Immerwährendes 
„abringen, dasjenige nämlich, was ev Gott darbringt : er 
„verknüpft dadurch fein irdiſches Erbtheil mit dem Erbe 
„Gottes ?).“ 

Die Könige und der Adel waren aber feineswegs im 
ausschließlichen Beſitze diefer unerfchöpflichen Freigebigfeit : 
das chriftliche Volf, sancta plebs Dei, beanspruchte und 
übte auch feinerfeits das Necht, Gott und feinen Heiligen 
zu Liebe etwas darzubringen und fein Opfer neben demje- 
nigen feiner Herren gewerthet zu jehen. Die unbedeutendite 





') Erigenda est scala per quam descendunt et ascendunt 
angelorum preces, et vota hominum Deo offerentur et referant 
gratiam. Monast. Anglican., t. 1, p. 890. 

2) Etsi omnia caduca sunt hominum et temporum diuturni- 
tate labuntur, sunt tamen ex hominibus aliqua perpetua stabili- 
tate connexa, illa videlicet, que divinis addita ceultibus, haeredi- 
tatis Dei funieulum inter homines amplectuntur. Pirro, Sleilia 
sacra, Priorat. Messan., p. 1096, ap. Surter, III, 455. 


CXLU 


Gabe von geringfter Hand verewigte die Wohlthat und ven 
Wohlthäter; das Opfer des Armen, des Hörigen, der 
Wittwe, der Bettlerin ward im täglichen Gebetsverzeichniffe 
der Mönche eingefchrieben, und in ihren Annalen neben den 
grogartigen Stiftungen der Fürften und Herren verewigt. 
„Mathilde hat uns ein Stück Nebland vergabt ; Barbara, 
„eine Weltliche, hat ein Altartuch gefchenft, Alheid hat 
„ihr Kalb gegeben );“ fo fteht im Nefrologium von Lorſch, 
mitten unter den Titeln der Munificenz und Größe der 
Karolinger zu lefen. Und als Croyland, das vorzüglichite 
Klofter Englands, im Jahre 1091 verbrannt, und Danf 
der Freigebigfeit des normannifchen Adels wieder aufge 
baut ward, fchrieb Abt Ingulph in feine Chrenif, die eines 
der wichtigsten Gefchichtsvdenfmäler diefer Epoche bilvet, 
mit frommer Sorgfalt die Worte ein: „Vergeſſen wir unter 
jo zahlreichen Wohlthätern das fromme Andenfen Julianens, 
der armen Frau von Weſton nicht, die uns, in ihrer Ar- 
muth, gegeben hat was fie fonnte und alles was fie hatte, 
nämlich viel gezwirntes Garn, um die Kleivungsjtüde un- 
jerer Mönche damit zu nähen ?).“ 

Alle, Groß und Klein, beftätigten demnach die Ge- 
nanigfeit der Definition, welche eine Synode von dem 
Kirchengute und im befonderen von dem Klojtergute ge— 


) Mathildis dedit nobis vineam; Barba, laica, dedit nobis 
mappam; Alheidis dedit vitulum. Neerol. Lauresh., in Schan- 
nat. Vindiet. tit. VII, Nr. 1 ap. Hurter, Ill, 477. 

?) Nee oblivionem patiatur, inter tot benefactores pauper- 
eulee Juliane de Westona saneta memoria, quæ dedit nobis de 
sua inopia totum vietum suum, seilicet, filum retortum in summa 
magna ad consuendum fratrum nostri monasterii vestimenta. 
Ingulph. Croyland.. ap. Gale Seript. rer. anglie., t. 1, p. 9. 


CXLII 


geben hat: „Es iſt die Opfergabe der Gläubigen, das Erb— 
gut der Armen, das Löſegeld der Seelen.“ 


Auf dieſe Weiſe alſo iſt der Schatz des Kloſterguts 
gebildet worden, und der Art ſind die Erwerbstitel dieſes 
Eigenthums. Keine Familie, kein Stand, kein Privatmann 
hat jemals rühmlichere und legitimere für ſein Vermögen 
gehabt. 

So groß jedoch iſt deſſenungeachtet die Ungerechtigkeit 
und die blinde Verkehrtheit der vom Geſetze des Heiles 
abgefallenen Menſchen, daß gerade das Kloſtergut von 
allem Eigenthum auf der Welt das einzige iſt, was überall 
angegriffen, überall werläumdet und in ımferer Zeit faft 
aller Orten aufgehoben wurde! Königthum und Nepub- 
liken, Autofraten und Demagogen, ihr habt ſämmtlich die 
Beraubungen durch Gewaltafte, die Triumphe des Spefu- 
lationsgeiſtes beſtehen laſſen und zu Necht anerfannt, aber 
die Früchte des DOpfergeiftes, die Gaben reuiger Buße, 
die Schenfungen, die zum Linderung des Schmerzes gemacht 
find, habt ihr confiseirt; damit habt ihr die Werfe vernichtet, 
die von den beiden fchänften Dingen auf diefer Welt, fo fern 
fie rein find, gefchaffen wurden: die Werfe der Freiheit 
und der Yiebe. 

Gebe Gott, daß dies Verbrechen nicht noch furcht- 
barer geftraft werde! Gebe Gott, daß die Yogif der Be— 
raubung nicht bis zu ihren Teßten Konſequenzen durchge- 
führt werde, und daß unerbittliche Rächer, eure gegebenen 
Beifpiele noch überbietend, nicht die Schuldigen und die 
Unfchuldigen im Namen der Grundſätze, die bei der Be— 
raubung der rveligisfen Orden zuerſt zum Siege gelangt 
find, in einer gemeinfamen Aechtung befaffen! Die Nach- 
folger derjenigen, welche die Klöſter zerſtört haben, lernten 


CXLIV 


bereits zum eigenen Schaden einfehen, daß von alfe den Ar- 
gumenten, welche gegen das Eigenthum der Klöfter gebraucht 
worden find, fein einziges ift, das fich nicht zur Wernicht- 
ung des Eigenthums im Allgemeinen mit Erfolg anwenden 
ließe. Man wird es nie eindringlich genug wiederholen 
fünnen : auch fie haben, beftürzt und zitternd, Leute drohend 
vor fich bintreten gefehen, welche von ihnen die Heraus- 
gabe ihres Vermögens verlangten, und ihnen dabei das 
gleiche Schimpfwort Müffiggänger in's Angeficht ſchleu— 
derten, mit dem zuvor die Mönche beraubt worden waren. 
Sind fie jett am Ende ihrer Erfahrungen und ihrer Strafe? 
Nückt nicht das drohende Ungewitter von Stunde zu Stumde 
näher, und werden wir nicht neuerdings an den Thoren 
der modernen Paläfte die branfenden Wogen der Volfs- 
menge fich aufthürmen fehen, die das alte und das nene 
Eigenthum in einer gemeinfamen Verdammniß begreift, und 
deren Sendlinge bereits erflärt haben, die Muße fer ein 
Frevel an der Gefellfchaft und das Eigenthum fei Diebjtahl? 


Stebentes Kapitel, 
Erſchlaffung und Zerfall. 


Le mura, che soleano esser badia, 

Fatte sono spelonche, e le cocolle 

Sacca son piene di farina ria. 
Paradiso, ec. XXII. 


Noch ein weiterer, ſchwererer Vorwurf wird erhoben, 
der auch ganz ohne Umſchweife beſprochen werden ſoll: 
das Verderbniß der religiöſen Orden. Es herrſchten, ſo 
heißt es, bei den Mönchen, insbeſondere in den letzten 
Zeiten, arge Unordnungen und große Mißbräuche. Aller: 
dings, ja! wir befennen e8. Sie waren der Erfchlaffung 
zur Beute geworden. Sa, nochmals, fie lebten nicht mehr 
nach den Vorſchriften des Eifers, dev Strenge, der Zucht, 
welche eine felbftverftändliche Bedingung der Freigebigfeit 
gewefen, mit welcher fie ehemals überhäuft worden waren; 
mit einem Worte, fie waren in vollem Berfalle. Ya, dem 
war jo, es ift mur alu wahr; vorbehältlich einzelner, 
ehrenvoller Ausnahmen, wie die Karthäufer, die Trappiften, 
die Jeſuiten und einzelne in befenderen Lofalverhältniffen 
gefchüttt gebliebene Klöfter, waren die Mönche, im Augen— 
bliefe als die verheerende Sichel fie im vergangenen und 
im Anfange diefes Jahrhunderts getroffen, im Zerfall. 

Ich verhehle ven Einwurf nicht, ich gebe ihn zu und 
beftätige ihn. Ich bin fogar der Meinung, daß fich unter 


v. Montalembert, d. Mönche d. A. 1. k 


CXLVI 


den Feinden der Mönche fein einziger finde, der diefe Mif- 
ftände und Mißbräuche gründlicher und genauer erfannt 
hätte, als ich; Niemand, der über diefe Nachtfeite einer 
glanzvollen Gefchichte beffer unterrichtet wäre. Ich Fenne 
demnach diefe Mißbräuche, ich geftehe fie offen ein, und 
noch mehr, ich werde dieſelben felbjt berichten. Ya, wenn 
Gott mir die Fortſetzung dieſes Werfes gejtattet, jo werde 
ich ſie mit ımerbittlicher Aufrichtigfeit erzählen, und bis 
dahin werde ich in den nachjtehenden Blättern, wo immer 
der Anlaß jich dazu bietet, das Böſe neben dem Guten, 
den Schatten neben dem Yichte zeigen: ich werde fagen, 
worin die Schuld dev Mönche, manchmal ihr Verbrechen 
beftanden hat; ſelbſt auf die Gefahr hin, verehrendes Wohl- 
wollen, das ich achte, zur befremden oder gar zu verlegen, 
oder einem Zartgefühle anſtößig zu werden, das mir thener 
it; denn der Wahrheit gebührt ihr Recht, und ich will 
nicht, dag man meiner nur allzu ungenügenden Apologie 
jo erlauchter Opfer, auch nur mit einem Anfchein von 
Grund, Berblendung, Parteilichfeit oder Unfenntnig irgend 
einer Art nachjagen könne. 

Sch ſelbſt werde alfo diefe Mißbräuche erzählen. Aber 
nach was für Quellen? Nach ven Schriften der Mönche 
jelbjt ; denn im den meisten Fällen haben wir nur durch 
fie, durch fie allein Kenntnig davon; durch ihre Ausfagen, 
ihre Klagen, ihre Erzählungen, durch die Chroniken ihrer 
Klöfter, die fie ſelbſt mit einer Dffenheit und fchlichten 
Einfalt geichrieben haben, die nicht weniger bewunderns— 
werth ift, als ihre arbeitfame, ausdauernde Geduld. Ihnen 
war die von den Großmeiſter ihrer Berfolger diktirte 
Regel: Nur frifch gelogen, nur immer gelogen, ganz 
unbefannt. Sie fagten die Wahrheit ganz und vollftändig, 
und zum eigenen Nachtheil; fie fagten diefelbe mit Trauer, 


CXLVII 


nach Umftänden mit Schamröthe auf den Wangen, aber 
in der vollberechtigten Weberzeugung, daß das Uebel, von 
welchen fie der Nachwelt Kenntnig gaben, weit entfernt, 
aus ihrem Imftitute naturgemäß hervorzugehen, vielmehr 
im direfteften Widerfpruche zu vdemfelben ftand, und daß 
daſſelbe einfach und vwollftändig durch eine jederzeit mögliche 
Rückkehr zu der urfprünglichen Negel befiegt und entfernt 
werden könne. Und auch ich will, nach ihrem WVorgange, 
die Wahrheit fagen, die ganze und volle Wahrheit, und 
nicht nur in Bezug auf die Mönche, fondern auch über die 
Kirche und über ihre Diener, und zwar jo oft und wo es 
nöthig tft. Sch werde jo wenig die Uebertretungen als die 
Schwachheiten derjenigen, die gegen ihren Stand und ihre 
Pflicht gefehlt haben, verfchweigen, damit ich denen, die den 
auten Kampf gut gekämpft haben, ein freies, reines Zeugniß 
geben kann, und zugleich, damit ich mir das Necht wahre, bei 
den Feinden der Wahrheit das Böſe zu brandmarken, das ich 
bei ihren Kindern und Dienern nicht gefchont habe, Denn, 
wie dürfte ich ftrenge gegen die Böſen fein, wenn ich nicht 
mit der Strenge des Urtheils gegen diejenigen begonnen 
hätte, die, von Gott felbft zur Bekämpfung des Böfen be- 
rufen, jelbft Werkzeuge und Mitſchuldige deſſelben gewor- 
den wären ? 

Wenn ich über das Verderbnig der religiöfen Orden 
während ver fetten Zeiten des vergangenen Jahrhunderts 
einen trügerifchen Schleter ausbreiten würde, wie vermöchte 
ich es alsdann, vor den glaubenstreuen Chriften und auch 
vor den Ungläubigen, das furchtbare Strafgericht des All- 
mächtigen zu erfläven, welcher zugelaffen bat, daß viele 
taufendjährigen Größen in einem Angenblide vom Erdboden 
weggefegt, und daß die Nachkommen fo vieler Heiligen und 
jo vieler Helden, völlig wehrlos dem tödtlichen Streiche 

. k* 


OXLVIII 


blosgeſtellt, faſt aller Orten ruhmlos und ohne Widerſtand 
unterlegen ſind. 

Noch einmal, ich ſchreibe keinen Panegyrikus, ſondern 
eine Geſchichte. Mir ſind die erbärmlichen, von einer 
falſchen, ohnmächtigen Klugheit gebotenen Verſtümmelungen 
der Geſchichte, die der guten Sache eben ſo nachtheilig ge— 
weſen ſind als die ſchändlichen Fälſchungen unſerer Gegner, 
im Innerſten zuwider. Wo ſie mir in den Büchern ge— 
wiſſer Apologeten vorgekommen, iſt es mir als hörte ich 
jene furchtbare Strafrede des Patriarchen: „Glaubt ihr 
„denn, daß Gott eurer Lüge bedürfe, daß ihr ſo mit par— 
teiiſcher Arglift für ihn redet )7“ 

Einzelne Furchtſame, darauf bin ich gefaßt, werden mich 
tadeln; aber ich ziehe ihrer Anſicht die Autorität des heili— 
gen Gregors des Großen vor, der gleich groß als Mönch 
wie als Papſt iſt, und der die Worte geſchrieben hat: 
„Lieber Aergerniß geſchehen laſſen, als gegen die 
Wahrheit fündigen?)." Ih ſtelle mich auf die Seite 
der beiden berühmteften und eifrigiten Wertheidiger der 
Rechte der Kirche, die ich Fenne; ich fage mit dem Kardi- 
nal Baronius: „Verhüte Gott, daß ich je, um die Schwä- 
chen einzelner jtrafbaren Diener der römifchen Kirche nicht 
zu verrathen, zum Verräther an der Wahrheit werde ?)“, 


') Numquid Deus indiget vestro mendacio, ut pro eo loqua- 
mini dolos? Job, XII, 7. 

?) Melius est ut scandalum oriatur, quam ut veritas relin- 
quatur. S. Greg., Homil. 7 in Ezechiel., vom beiligen Bern- 
bard angeführt. 

) Die Stelle ift zu ſchön, um fie bier nicht ganz mitzutbeilen : 
„Nos vero nec ejusmodi sumus ut proditione veritatis delin- 
quentem quemlibet Ecelesix Roman ministrum prodere noli- 
mus, cum nee ipsa sibi hoc vindicat Romana Eeclesia, ut membra 


OXLIX 


und mit dem Grafen Maiftre fete ich Hinzu: „Man ift 
den Päpſten nur die Wahrheit ſchuldig, und fie brauchen 
auch nur diefe ').“ 

Aber ganz insbefondere werde ich fie fagen, diefe hei- 
lige, tiefe nothwendige Wahrheit, wo es fich um die Mönche 
handelt, und um ihre Fehler und Gebrechen;. denn es ift, 
wie der heilige Bernhard, diefer große Anfläger der Un- 
ordnungen in den Klöftern jagt, „nicht gegen den Orden, 
jondern für denfelben, daß ich kämpfe wo ich die Fehler 
und Mängel feiner Mitglieder rüge; und ich fürchte nicht, 
denen dadurch mißfällig zu werden, die den Orden lieben, 
fondern ich bin, im Gegentheil, verfichert, ihnen angenehm 
zu fein, indem ich Kluge führe gegen das was fie haffen?).“ 

Aber fagen wir bier fogleich mit einem großen Mönche 
unferer Tage: „Kein Mißbrauch hat gegen irgend etwas 
Beweisfraft; wenn man entfernen oder vernichten müßte, 
was möglicherweife mißbraucht werden fann, nämlich was 
gut an ſich ift, und nur durch die menschliche Freiheit 
verderbt wird, fo wäre Gott felbit, auf feinem unnahbaren 
Throne nicht fiher, wo wir oftmals unfere Yeidenfchaften 
und unfere Irrthümer neben ihn hinfeßen möchten ?)." 
sua eta latere suo Legatos missos omni carere turpitudine asserat. 
Non enim Deum zmulatur ut fortior illo sit. Si enim ipse Deus, 
qui facit Angelos suos spiritus, et ministros suos ignem uren- 
tem, tamen in Angelis suis reperit pravitatem,, quid pra®sumet 
ipsa ... cum sciat ipsa non supernos Angelos mittere, sed 
homines.“ Annales, ad ann. 1125, c. 12. 

Du PapeL. II, e. 18. 

?) Non adversus ordinem, sed pro ordine disputandus ero... 
Quinimmo gratum procul dubio accepturi sunt, si persequimur 
quod et ipsi oderunt. Apologia ad Gurlielm., c. 7. 

) Lacordaire. Discours sur les etudes philosophiques, 
vom 10, Auguft 1859, 


CL 


Wer wollte übrigens behaupten, daß diefe Mißbräuche 
eine natürliche oder nothwendige Folge des Klofterinftitutes 
jelbft fein? Der geſunde Menfchenverjtand und die Ge- 
Ihichte zeugen vom Gegentheil ; aber die menfchliche Schwach- 
heit ift wenig mit einer nachhaltigen Vollkommenheit ver- 
träglih. Es gibt fein menschliches Suftitut, das immer 
und überall nur vollfommene Früchte brächte; feines jedoch 
hat zahlveichere gute, feines veinere Früchte getragen, als 
das Mönchthum; und diefe letteren find cs, die der Inſti— 
tution zugefchrieben werden müſſen; wogegen die Unord- 
nungen und Mißbräuche nur von der dem Menſchen an— 
gebornen, innewohnenvden Verderbniß herrühren, die ver 
Sohn des Staubes überall hin mit fich bringt. Unter 
allen Vorwürfen, die man den religiöfen Orden machen 
fönnte, ijt fein einziger, der nicht auch, mit ebenfo viel und 
noch mehr Grund, durchaus allen menfchlichen Inſtitu— 
tionen, auch den beiten und erhabenften, gemacht werden 
fünnte. Doch, was fage ih? Es ift fein einziger dabei, 
der nicht geradeswegs gegen die Kirche felbft und das ge- 
jammte Chriftenthum ginge. Ja, die Kirche, obwohl un— 
mittelbar göttlicher Einſetzung, hat nur zu oft bei ihren 
Kindern fowohl als bei ihren Oberhirten den Glanz ihrer 
ursprünglichen Reinheit durch fchreiende Mißbräuche und 
abſcheuliche Unordnungen getrübt gefehen. Chriftus hat 
feiner Kirche verheißen, daß die Pforten der Hölle fie nicht 
überwinden follten, nicht aber, daß er ihre Diener von 
allen menschlichen Schwachheiten befreien wolle. Gott be— 
raubt Niemand feiner fittlichen Freiheit, jelbjt den Engeln 
bat er die Wahl zwifchen Gut und Böſe gelaffen, um 
Allen die herrliche Freiheit des Guten zu wahren, und alle 
feine Gefchöpfe mit dem Nechte auszuftatten, das befeligende 
Glück, das er ihnen anbietet, felbft zu verdienen. Und 


CLI 


wenn man ven Mönchen den Vorwurf macht, fie feien von 
ihrem Gifer und ihrer urfprünglichen Yebensftrenge abge- 
wichen, und ihren Gründern nicht mehr ähnlich, jo bevenft 
man dabei nicht, daß die heutigen Chriften in ihrer großen 
Mehrzahl den Chriften der erjten Zeiten der Kirche noch) 
viel weniger ähnlich find. Schon vor dreihundert Yahren 
bat Erasmus diefe Bemerkung ‚gemacht ), und diefelbe ift 
auch heute noch eben fo wahr. Ausgemacht ift, daß zu 
allen Zeiten und jelbft in den für den Ruhm und die 
Würde der Kirche und der Klöfter troftlofeften Epochen, 
bie angeftammte Ehre diefer großen Anftalten unberührt 
geblieben, indem alle ihnen vorgeworfenen Aergernifje aus— 
Schließlich in dev Berlekung ihrer Ordensregeln und in der 
Erſchlaffung ihres urfprünglichen Geiftes ihren Grund 
hatten. Und eben jo unwiderfprechlich ift es auch, daß ſie 
bis zum fetten Tage ihres Dafeins fortwährend noch eine 
gewiffe Anzahl Heiliger Seelen und ausgezeichneter Geifter, 
die der ewigen Bewunderung und Dankbarkeit der Ehriften 
würdig find, in ihrer Mitte bargen. 

Sogar Boltaive ?) befennt dies vom XVIII. Yahrhun- 


') Quænam igitur est animi perversitas odisse monachum ob 
hoc ipsum quod monachus est? Profiteris te christianum et ad- 
versaris eis qui Christo simillimi sunt? Hie protinus oceinent, 
scio plerosque plurimum abesse ab hac imagine priscorum mo- 
nachorum. At quoties quisque est Christianorum, qui primitiv 
Ecelesix sanctimoniam hactenus retinuerit? Nullum igitur vit® 
genus probabimus, si propter malos oderimus et bonos . . . 
Erasm., Epist. ad Joan. Einstad. Carthustan. 

®2) Il n’est guere encore de monasteres qui ne renferment des 
ämes admirables qui font honneur & la nature humaine. Trop 
d’&erivains se sont plu à rechercher les desordres et les vices 
dont furent souill&s quelquefois ces asiles de piete. Jl est 


CLU 


dert: er kannte daffelbe; und wenn es ihm widerfährt, 
einmal gegen die Neligion gerecht zu fein, fo darf man 
ihm Glauben jchenfen. 

Nach diefen Bemerfungen, und weit entfernt, die ent- 
arteten Mönche, Zeitgenoffen des Erasmus und Voltaire, 
rechtfertigen oder auch nur entichuldigen zu wollen, treten 
wir nun ohne Weiteres an dieſe finftere Seite unferes 
Gegenſtandes heran, die uns übrigens während des ganzen 
Berlaufes unferev Forſchungen in verfchiedentlichem Grade 
vorfommen wird. 

‚Seit dem Urfprunge des Mönchthums von den Hei- 
ligen und den Kirchenlehrern, welche die feurigſten Lob— 
redner dejjelben waren, von Chryſoſtomus und von Augu— 
jtin bezeichnet und gebrandmarft; befümpft, denunzivt und 
abgewehrt won den Verfaffern aller Klofterregeln und aller 
Reformen, vom heiligen Benedikt bis zum heiligen Bern- 
hard, wuchſen diefe Mißbräuche und Aergerniffe, den Köpfen 
der Hydra vergleichbar, periodifch immer wieder nach, 
manchmal mit Umgeftaltungen in der äußern Erfcheinung, 
aber jtets dem alten Grundſtocke von Verderbniß und Vers 
fehrtheit aufgepfropft, der tief in eines Jeden Gewiffen, 
und in allen menſchlichen Geſellſchaften bewurzelt ift. Zehn 
Jahrhunderte vergingen, ehe die Ausdauer, der Muth, ver 
jtrenge, veinigende und belebende Genius. der Neformatoren 
der Klofterwelt, deſſen Thaten wir ung zu erzählen an- 


certain que la vie seculiere a toujours ete plus vicieuse; que 
les grand crimes n’ont pas &t& commis dans les monastöres ; 
mais il ont été plus remarques par leur eontraste avec la rögle; 
nul Etat n’a toujours ete pur. Essai sur les meurs, c. 139. 
— Siehe auch das bemerfenswerthe Geftändnif des Anglifaners 
Maitland, the Dark Ages, Einleitung, ©. 11. 


CLIII 


ſchicken, in ſeinem Werke der Erneuerung nachließ. Die 
beſcheidene, ſchweigende Demuth der großen Mehrzahl der 
Mönche hielt den ausnahmsweiſen Mißbräuchen das Gleich— 
gewicht, und verdiente fortwährend die Bewunderung der 
Menſchen und die Huld und Gnade Gottes. Aber es 
kam eine Zeit, wo der Mißbrauch über das Geſetz den 
Sieg davon trug, wo die Ausnahmen die Regel überwu— 
cherten, wo der Sieg des Böſen unwiederbringlich ſchien. 
Seit dem XIV. Jahrhundert, wo die Flamme erloſch, die 
der heilige Bernhard mittelſt des Ciſterzienſer-Ordens über— 
alt angefacht hatte, ſchien der Hauch von Oben, der echte 
Geiſt des Mönchthums die alten Orden zu verlaſſen, um 
zunächſt die Mendikanten-Orden, und als auch dieſe in 
Verfall geriethen, die vielen Kongregationen zu beleben, 
welche bis in unſere Tage die Ehre und der Troſt der 
Kirche find. 

Der große Benediftiner-Orden blieb nichtsdeftoweniger 
in jeinem unermeflichen Grundbeſitze, feiner ausgedehnten 
Glientel, feinen herrlichen Denfmälern, feiner dauernd er: 
worbenen Stellung in Mitte des gefammten Getriebes und 
aller Intereſſen des gefellfchaftlichen und politiichen Staa— 
tenlebens, eine der großen Inftitutionen der Chriftenheit. 
Zu wiederholten Malen ſahe er aus feiner Mitte theilweile 
örtliche, fogav nationale Reformen hervorgehen '), welche 
dem Umfichgreifen des Uebels Einhalt thaten und den Zer— 
fall aufhielten. Aber feine allumfaffende, durchgreifende, 


) 3.8. diejenigen von Bursfeld, von St. YJuftina in Pabdıra, 
die Mauriner-Kongregation, die Kongregation von St. Veit und 
Hidulph in Lothringen, die Trappiften-Kongregation, die Kongrega- 
tionen in Bayern, im Schwaben, in Deftreich, die Kongregation von 
Valladolid in Spanien, die helvetiſche Kongregation u. ſ. w, 


Es CLIV 


bebarrliche und ſouvräne Erneuerung ward verfucht: ein- 
zelne Zweige nur grünten friſch, und für eine Zeitlang 
wieder auf, und fehienen reiches und unfterblihes Wachs- 
thum zu verbeißen ; jedoch der alte Stamm blieb im Marfe 
jelbft verlegt und von einer innern Caries angefvefjen, bie 
bald immer fichtlicher zu Tage trat und ein fortwährender 
Gegenſtand des Aergernifjes und Vorwurfes fowohl für die 
Guten als für die Feinde und Gegner ward. 

Während die lautere und hochherzige Entrüftung Dan- 
te's fich in den berühmten Berfen ausſprach, die er dem 
heiligen Benedikt jelbft in ven Mund legt '), machten fich 
frivolere, auf beftimmter formulirte und gefährlichere An— 
flagen gegründete Iuveftiven in den Novellen Bocaccio’s 
und des Schwarmes feiner Nachahmer Yuft, welche nad 
ihm die italienische Literatur mit ihrer abgefchmacten Lie— 
verlichfeit verpefteten. Sie brachen in den Verſen der ges 
jammten böfiichen und Bolfspoejie im allen Ländern Euro: 
pa's hervor ?). Das Sittenverderbniß der Klöfter ward 

') Paradiso. c. XXI. Siehe das Epigrapho dieſes Kapitels. 

) Unter taufend Beifpielen, welche hier angeführt werden könn— 
ten, wähle ich das Charafterbild eines Priors, der auf die Wallfahrt 
nach St. Thomas von Canterbury ging, ſowie e8 Chaucer, der Vater 
der englijchen Poeſie im XIV. Jahrhundert gezeichnet hat. 

„Pour lui, les regles de S. Maur et de S. Benoit sentaient 
la deerepitude:: aussi, laissant au vieux temps les vieilles cou- 
tumes, il tenait à ne pas rester en arriere du siedle... 1 
aimait la venerie: jl avait de beaux chevaux plein son &curie, 
et quand il chevauchait, il aimait mieux entendre les grelots de 
sa bride, que le son des cloches de sa chapelle. Il n’estimait 
pas a l’egal d’une huitre le proverbe qui dit: Moine hors du 
cloitre, poisson hors de l’eau.... A quoi bon pätir au fond 
d’un monastere, les yeux cloués sur un livre, et se detraquer le 
cerveau? A quoi bon, travailler de ses mains, ereuser, becher 


CLV * 
der Gemeinplatz der Satyre, und zugleich der beſtändige 
Stoff ver allzu gerechten Klagen aller frommen Seelen 
und der höchſten Behörden in der Kirche. 

Seit mehreren Yahrhunderten, jagt Boffuet in einem 
der ſchönſten Werfe, das jemals gegen den Proteftantismus 
gefchrieben werden, — feit mehreren Jahrhunderten ſchon 
ward die Neformation der firchlichen Disciplin gewünfcht!). 
Nah der Meinung Aller hätte diefe von den Völkern, 
von ven Gelehrten, von den Prälaten ver fatholifchen 
Shriftenheit gewünfchte, aber unglüclicherweife unterblieb- 
ene Reform?), ganz befonders die religiöfen Orden be— 
treffen follen. 

Diele Klöfter erwecten den Neid und gaben Aerger: 
niß wegen des Ueberfluffes, in welchem fie lebten; dieſer 
Keichthum, entjtanden aus der ftrengen Thätigfeit und müh- 


comme le veut Augustin?.. Qu’Augustin prenne le hoyau, 
puisque tel est son bon plaisir; quant & lui, ardent piqueur, il 
avait des levriers prompts comme le vent; courir le lievre &tait 
son grand plaisir et sa grande depense. C’etait un beau prelat, 
gras et rond; ses gros yeux roulaient de tous les cötes: nul 
n’etait tente de le prendre pour un päle revenant.* Prologue 
des Canterbury Tales, von V. 165—208. 

') Histoire des Variations, liv. 1, c. 1. 

?) Ibid. — An einer andern Stelle fagt er mit der edlen und 
ihlichten Geradheit, die feinem Genie fo viel Reiz und fo große 
Autorität binzufügt: „La prodigieuse r&evolte du lutheranisme a 
ete une punition visible du relächement du clerge ..... Dieu a 
puni sur nos peres ce qu’il continue à punir sur nous, tous les 
relächements des siècles passés, à commencer par les premiers 
temps ou l’on a commence & laisser prevaloir les mauvaises 
coutumes contre la regle . .. Prenons garde, tout ce que nous 
sommes de superieurs . . . nous porterons la peine de tous les 
canons me£prises, de tous les abus autorises par notre exemple,“ 
Meditations sur l Evangile, 64me jour, 


CLVI 


jamen Arbeit ihrer erften Bewohner, vechtfertigte fich nicht 
mehr in den Augen des Volkes durch das Schaufpiel per- 
jönliher Bewirthſchaftung ihrer -Befitungen, welche jett 
den Bauern zur Beforgung übergeben war, oder durch 
fonftige Ihätigfeit im angemeffenen Umfange. Ohne den 
rechtmäßigen Befitern diefen Neichthum zu nehmen, hätte 
jetst feine Verwendung To geregelt werden follen, daß er der 
Kirche und den Armen bejfere Dienfte geleiftet hätte, ans 
jtatt geſchehen zu laffen, daß derſelbe im Innern Trägheit 
und andere noch ſchmachvollere Unordnungen, als die noth> 
wendige Folge eines folchen Zuftandes nach fich ziehe. 

Während die Grundgeſetze des Inſtitutes in diefer 
jittlichen Verfümmerung bet materieller Blüthe, vie be— 
danernswertheften Berletsungen erfuhren, Elagten die Bis 
ſchöfe, daß die Bande der Disciplin und firchlichen Auto- 
vität durch den Mißbrauch der Eremptionen gelodert und 
mißfannt würden. Dieſe Privilegien, gerechtfertigt und 
nöthig befonders am Beginne der großen Flöfterlichen Stift- 
ungen, waren im DBerlaufe der Zeit und wegen der blinden 
Hachgiebigfeit, mit welcher vdiefelben verfchwenderifcher 
Weife verliehen wurden, vielfach eine unnütze, gefährliche, 
manchmal fogar Lächerliche Anomalie geworden. Der hei— 
lige Bernhard hatte bereits fchon einige der gewaltigften 
Töne feiner hinreißenden Beredtfamfeit !) gegen dieſen 
Mißbrauch vernehmen laffen, welcher, in Folge der feier: 
then Mißbilligung des Konziliums von Trient nachliek, 
ohne jedoch gänzlich aufzuhören ?). 


) Non est bona arbor faciens fructus tales, insolentias, dis- 
solutiones, dilapidationes, scandala, odia ... De Consider., 
II, e. 4. — Cfr. Tract. de morib. et officio Espise., e. 9. 

°) Quonjam privilegia et exemptiones quæ variis titulis 
plerisque conceduntur, hodie perturbationem in Episeoporum 


OLVII 


Leider gelang es dieſer hohen und heiligen Verſamm— 
lung, ſchlecht unterſtützt und gehemmt ſeitens der Fürſten 
wie ſie es war, nicht, gegen den noch viel ſchlimmeren und 
empörendern Mißbrauch des Commendenweſens ein 
wirkſames oder nachhaltiges Heilmittel anzuwenden. Sie 
ſprach hierüber Wünſche aus, die ungehört blieben und er— 
ließ Verbote, die nicht ausgeführt wurden . 

Weiterhin wird über Ursprung und Weſen diefer 
Geißel der Klöfter geredet werden, die fich aus den erjten 
Zeiten herfchreibt, aber, während des eigentlichen Mittel— 
alters mehr oder minder unterdrückt?), erſt feit dem 


jurisdietione exeitare, et exemptis occasionem laxioris vite pr&- 
bere dignoseuntur. Sess. XXIV, De reformat., e. 11. Cfr. 
Sess. VI, e. 3. — Es ift hier nicht der Ort, über die Eremptionen, 
deren anfängliche Nothwendigfeit und das vielfach Heilfame derjelben, 
fowie über die jpäteren Mißbräuche dabei, und als Folge davon Das 
Streben nach Berminderung oder gänzlicher Abihaffung, das fich 
vielfah an böchften Stellen zeigte, einzutreten, Dieje Frage läßt 
ſich eben nicht, jo gelegentlich einer Anmerkung behandeln, Uebrigens 
find die Eremptionen jeßt nur noch feltene Ausnahmen, und nicht 
mehr wie früher die Kegel. Anmerkung des Ueberjeßers. 

1) Sess. XXI, De reformat., ce. 8. — Sess. XXV, De re- 
gul. et monial., ec. 20 et 21. — Führen wir den letztern Text 
hier an: „Saneta Synodus.. . Confidit SS. romanum pontificem 
pro sua pietate et prudentia curaturum, quantum hæc tempora 
ferre posse viderit, ut iis (monasteriis) qua nune commendata 
reperiuntur, et qu® suos conventus habent, regulares person®, 
ejusdem ordinis expresse profess®, et qu&® gregi pr&ire et 
pr&esse possunt, preeficiantur. Quæ vero in posterum vacabunt, 
non nisi regularibus speetate virtutis et sanetitatis conferantur. 

2) Clemens V, und Innocenz VI. haben fih unter allen Päpften 
duch Zurüdnahme aller Commenden ausgezeichnet, welche wor ihrem 
PBontificate verlieben worden waren. Aber das Uebel zeigte fih im— 
mer von Neuem wieder. Weder das Bafeler-Konzil, noch die Prag- 


CLVIII 


XVI. Jahrhundert jene ſchmachvolle, erſchreckende Ausdehn— 
ung gewann, die ſie zum Krebsübel des Mönchthums ge— 
macht hat, Es genüge bier zu ſagen, daß dieſe Commende 
zur Folge hatte, den äbtlichen Titel nebſt dem größten 
Theile der Einkünfte eines Kloſters an Weltgeiſtliche, die 
dem Kloſterleben völlig fremd waren, und nur all zu oft, 
ſogar auch an einfache Yaien, wenn fie unverheirathet wa— 
ren, zu verleihen. Diefelbe ſchlug den Klöftern eine tiefe, 
und ficher unter allen die tieffte Wunde, und faft überall, 
wo der Proteftantismus ſie nicht bereits gewaltfanm zer: 
jtört hatte, ward ihnen damit ein jchmähliches, todtbringen- 
des Gift eingeimpft. 

Das fatholifche -Deutfchland wußte ſich, ſeit Der 
Kirchenfpaltung des XVI. Jahrhunderts derfelben zu ent- 
ziehen. Belgien fonnte, Danf feiner alten politifchen Frei- 
beiten, feine Fürſten, auch die mächtigjten unter ihnen, wie 
Kaiſer Karl V. und Philipp II. zu der Verpflichtung nö— 
thigen, e8 von diefer Schmach frei zu halten ). Italien 
war weniger glücklich: man fieht daſelbſt zu Anfang des 
XVI. Sahrhunderts die Wiege und den Lebensherd des 
Benediftiner-Ordens, Monte-Caſſino, die Schande erleben, 
eine jener ſechzehn Abteien zu fein, won welchen der Sohn 
des Medizäers, der fpäter den Namen Leo X. führen follte, 


matifhe Sanetion baben ihre Aufmerffamfeit darauf gerichtet, 
Thomassin, Vetus et nova disciplina de Benefieiis, pars IT, 
lib. III, e. 19. et 20. 

') Der Artikel 57 der Joyeuse entree won Brabant, den Karl 
V. und Philipp II, beſchwören mußten, wie ihm zuvor die Herzoge 
von Burgund beijhworen hatten, und der erft durch Joſeph II. abo— 
lirt wurde, lautete: „Le souverain ne donnera en aucune maniere 
ou ne laissera donner en commende aucune abbaye, prelature 
ni dignites de Brabant.“ 


CLIX 


ſchon feit feinen Knabenjahren Commendatar-Abt war, und 
deren Einfünfte er bezog. Das uralte und berühmte Klo— 
fter Farfa fieht man dafelbit, gegen das Jahr 1530, einem 
Napoleon Orfini in die Hände geliefert werden, ver es 
zum Hauptquartier einer Räuberbande macht, am deren 
Spite er ganz Mittel-Italien vwerheert und brandfchatt, 
bis zum Tage wo er getödtet ward, indem er auszog um 
feine eigene Schwefter demjenigen zu entreißen, den fie 
heirathen follte!). Es thut mir weh, jagen zu müſſen, daß 
jih ähnliche Züge auf leider allzu vielen Blättern ver 
Gefchichte diefer drangvollen Zeiten finden. 

Ganz befonders aber war es in Frankreich, wo, feit dem 
Konfordate zwifchen Leo X. und Franz I. das Uebel die 
äußerften Grenzen erreichte. Dies Konkordat überließ 
nämlich dem Könige die Ernennung zu allen Abteien und zu 
allen Prioraten im ganzen Königreiche ; es fchrieb ihm aller- 
dings vor, diefe Stellen nur an Mönche zu verleiben, aber 
diefe Bedingung ward faſt immer umgangen oder geradezu 
verlegt. Die vom Könige ohne alle Betheiligung der Or— 
densconvente deren Einfünfte diefe Individuen zu ver— 
Ichlingen berufen wurden, mit diefen Pfründen Verſehenen 
hatten nur vom Papſte die Beftätigung zu erwirfen, ver 
ihnen die Bullen ihrer neuen Winde ausfertigen ließ, und 
jie damit an die Stelle der alten, vom Kapitel gewählten 
Regular: Aebte feste, wobei alsdann einem Klauſtral-Prior 
die geiftlihe Adminiftration des Klofters zugetheilt wurde, 
das man auf diefe Weife feines koſtbarſten Nechtes beraubte, 
Diefer abjcheuliche Zuftand danerte bis zur Zeit der Re— 
volution. An die Stelle der theilweifen Unordnungen, 
welche die Wahl des Abtes, befonders in den Klöftern, 


') Cantü, Storia degli Italiani, t. V. 


CLX 


welche zu unmittelbar unter dem Einfluffe der großen Adels— 
gefchlechter ftanden, im Gefolge gehabt hatte, Fam jet, 
durch jene direfte Ernennung feitens des Königs, welche 
das Konfordat von 1516 diefem verlieh, eine allgemeine 
wejenhafte und unbeilbare Unordnung. Der Abtstitel, den 
jo viele Heilige, fo viele Lehrer, jo viele erlauchte Ober» 
birten geführt und zu Glanz und Ehre erhoben hatten, fiel 
in den Roth. Derſelbe verpflichtete nicht mehr zum Auf- 
enthalte im Kloſter, noch auch zu irgend einer der Pflichten 
des Flöfterlichen Lebens; er war nichts anders mehr als 
eine gefchäftlofe Stelle, eine einträgliche Sinecura, über 
welche die Krone nach Wohlgefallen, oder nah Willfür 
ihrer Minifter, und nur allzu oft zu Gunften der Lei— 
denfchaften, zum Vortheil der allerummwirdigften Intereſſen 
verfügte. Vergebens erregte das fortwährende Aergerniß 
diefer ihrer natürlichen Oberen beraubten, von Fremdlingen, 
die nur zu neuen Erprejfungen famen, ausgebeuteten Klö— 
jtev allgemeine, häufig wiederholte Einfprachen; wergebens 
verlangten die Provincial-Staaten von Blois und Paris, 
ſowie die meisten politifchen und religiöfen Staatskörper 
des XVI. Yahrhugderts die Wiederherftellung der frühern 
Disciplin: alles war umfonft. Das Uebel fteigerte fich 
fortwährend ; ſogar der Begriff der frommen, wohlthätigen 
Beftimmung diefer herrlichen Stiftungen unferer VBorväter 
verlor ſich bald gänzlich bet denjenigen, welche nunmehr 
über die Schäte der Vergangenheit verfügten, jo wie bei 
denen, die jich damit füllten. Dies großartige Erbgut des 
Glaubens und der Yiebe, das die Jahrhunderte gefchaffen 
und gemehrt, das jeine Stifter ausdrücklich zur Erhaltung 
des Flöfterlichen und gemeinjchaftlichen Yebens und zum 
Beiftande der Armen beftimmt hatten, ward jett zu einer 
Fiskalkaſſe, zu einer Nebenkaſſe der Füniglichen Schatzkam— 


CLXI 


mer, aus der die Hand der Fürften nach Belieben jchöpfte, 
um, wo möglich, die Raubgier ihrer Höflinge daran zu 
jüttigen, und, wie gefagt worden ift, ihren Adel zu mäjten 
und zu knechten. 

Meine Leſer werden, ich darf es wohl behaupten, we- 
niger betrübt und fchmerzlich bewegt fein, als ich ſelbſt es 
bin, indem ich mich in die Nothwendigfeit verſetzt ſehe, 
erzählen zu müſſen, daß die ältejten, die herrlichiten Klöſter 
der Gefchichte des VBaterlandes und der Kirche, jebt zu 
Veibgedingen der Baftarde der Könige oder ihrer unwürdig— 
jten Günftlinge ) und manchmal fogar der Preis der 
ſchändlichſten Gunfterweife einer königlichen Buhlerin wur: 
den ?). Später, ımd im Verlaufe der Bürgerfriege, nach 
der Ligue und nach der Fronde, waren die Abteien Gegen- 
jtand eines eben fo offen getviebenen als empörenden Han— 
dels, und bildeten das Ausgleichungsmaterial aller Verträge 


) Karl von Valois, Herzog von Angonleme, Baftard Karls IX. 
und dev Marie Touchet, ward mit dreizehn Jahren Kommendatar- 
Abt von Chaiſe-Dieu, und bezog noch im Sabre 1599, wo er längſt 
vermählt war, die Einkünfte diefes Kloſters. Die Abtei von Bour— 
gueil im Bisthume Angers, war an Büffy von Amboiſe, Günſtling 
des Bruders Heinrichs IIE, das leichtfertigite Subjekt feiner Zeit, der 
vom Grafen von Montjoreau im Auguft 1579 ermordet wurde, ver- 
fiehen. Im Tagebuche des Peter de l'Etoile wird er beftändig Abt 
von Bourgueil genannt. 

2) Heinrich IV. wies im Jahre 1601 der Corifande von Andouin, 
Gräfin von Guiche, die Einkünfte der Abtei Chatillon zu, wo ebe- 
mals der heilige Bernhard erzogen worden war,  (Courtepee, 
Deseription historique de la Bourgogne, t. VI, p. 875). Es 
ift ein Brief in drei Zeilen von ihm worhanden, im welchem er 
Nosuy, dem Proteftanten Rosny, eine Abtei verleiht, und wen ibm 
zugleich 50,000 Thaler für feine Buhlin Fräulein won Entraigues ver- 
fangt, portion du prix de sa pretendue virginite, jagt Berger von 
Xivrey. Recueil des Lettres missives de Henri IV. t. V, p. 179. 

v. Montalembert, d. Mönche d. A. T. | 


OLXII 


in den Unterhandlungen damaliger Zeit‘). Als dann bie 
abſolute Monarchie jeden Widerſtand befiegt und befeitigt 
hatte, wurden diefe großen und berühmten Gotteshäufer 
gewöhnlich eine Beute von Miniftern, die nichts Firchliches 
oder geiftlihes an fich hatten, als das Kleid; nachdem fie 
den Ehrgeiz Richelieu's ) und die Habſucht Meazarins be- 
friedigt hatten, mußten fie den chnifch aufgehäuften Neich- 
thum des Abbe Dübois ?) und des Abbe Terray ) noch 
vermehren. 


) Im Sabre 1858 ward zu Paris ein Autographon der Herzogin 
von Montbazon verfauft, welche dem Kardinal Mazarin jchreibt um 
fih für ihre Tochter beim bevorftehenden Frieden eine Abtei auszu— 
bedingen. „Sy celle de Cen venait à vaquer ou tout octre 
(sie) bonne, je vous la demande.*“ 

2) Er hatte fih die Commende von Eifterz, von Cluny und faft 
von allen großen Abteien in Frankreich verleihen laffen, und zwar 
ungeachtet des ausdrücklichen Verbotes des Conciliums won Trient, 
welches unterfagte, daß Mutterhäufer von Orden in Kommende ge- 
geben würden. (Sess. XXIV, c. 21). Er befolgte damit nur das 
Beispiel des berühmten Kardinal von Lothringen im vorhergehenden 
Jahrhundert, und des Cardinals von Chätillen, Bruder Coligny's, 
der, bis zum Augenblide, wo er fich verbeiratbete und erklärte, er 
fei Protejtant, dreizehn Abteien in Commende hatte. 

3) Dubois hatte den Abtstitel der fieben Klöfter Nogent, St. 
Juſt, Airvaulx, Bourgueil, Bergues-St.-Vinor, St. Bertin und 
Cercamp, deren Einfünfte ſich insgefammt auf 204,000 Pfund be- 
liefen. St.-Simon, Memoires, ch. 608, &d. Dolloye. 

*) Diefer General-Kontroleur bezog die Einkünfte der Abteien 
Molesmes und Troarıız die erftere war die Wiege des Eifterzienjer- 
Drdens geweſen, die andere von den normannifchen Herzogen im 
XI. Sabrhundert gegründet worden. Die Einfünfte der einen belie- 
fen ſich auf 31,000 Livres, die der andern auf 80,000. — Man kann 
im Tagebuche des Advokaten Barbier nachlefen, welch’ Argerlichen 
Mißbrauch der letzte Commendatar-Abt von St. Germain des Pres, 
der Graf von Elermont, Prinz von Geblüt, im übrigen ein glänzen- 


OLXIII 


Vielleicht hatte der Engel der göttlichen Strafgerech— 
tigkeit wegen geringerer Uebertretungen gegen eine der Ge- 
meinden der kirchlichen Urzeit die furchtbare Sentenz ge— 
fällt: Nomen habes quod vivas, et mortuus es9! 

Man vdenfe fich, was in den meiften diefer Klöfter, 
die ihrer wefentlichjten Befugniffe, ihres wahren Xebens- 
und Dafeinsgrundes beranbt und zu Pächtereien herabge- 
würdigt worden waren, die Fremdlinge ſchamlos ausbeute- 
ten, aus den fünf oder fechs bevauernswirdigen Mönchen 
werden mußte, welche unter dev Wucht ihres ehemaligen Ruh— 
mes und ihrer nunmehrigen Erniedrigung erdrüct wurden ! 
Was Wunder, daß die Erfchlaffung und der geiftliche wie 
der geiftige Zerfall fo vafche Fortfchritte machte? Mean 
möchte jagen, es waren eben fo viele verlorne Wachtpoften, 
wo die Soldaten, vergeffen von der Armee und ohne Offi— 
ziere und Disciplin, natürlicher Weife allen Ausfchweif- 
ungen ausgefett, und fo zu fagen, dazu getrieben wurden ?). 

’ Das Peben erftarb in denfelben nach und nach, nicht 
nur das Hlöfterliche, fondern alles Yeben. Ungeachtet des 
Anziehenden, das ein weichliches, behagliches Dafein, frei 
von Paften und ohne Abtödtungen irgend welcher Art, ge- 
meinen Seelen bieten fonnte, fanden fich doch nicht mehr 
Mönche genug, mm diefe entehrten Heiligthümer auch nur 
nothoürftig zu beſetzen. Man beachte es wohl, die er- 


der und tapferer Kriegsheld, wie es fich fir einen Bourbon ziemte, 
von den Einkünften diejes jo ruhmreichen Klojters machte. 

') Apocal., II, 1. 

?) Bon jo vielen taufend, während dreizehnhundert Jahren in 
Franfreih gegründeten Mannsklöſtern, waren im Jahre 1789 nur 
noch hundert und zwanzig vegulirte übrig, das heißt ſolche, Die 
im Befitse der freien Abtwahl und der freien Verfügung liber ihre 
Einkünfte geblieben waren, 


1 * 


CLXIV 


ichlafften, ihrem Berufe untren gewordenen Orden find, 
zur Ehre der menfchlichen Natur, ſowie des Chriftenthums 
und des Flöfterlichen Lebens, zu allen Zeiten mit Unfrucht— 
barfeit gefchlagen. Die Welt will fie jo wenig als Gott!); 
und fo wie Er, fpricht auch fie zu ihnen: Utinam fri- 
gidus esses, aut calidus. Sed quia tepidus es, 
et nee frigidus nee calidus, ineipiam te evo- 
mere ex ore meo. 

Bergebens würde mar, um diefe Lücken auszufüllen, 
anf einen andern Mißbrauch era jein, welchen die 
Kirche nur zu oft ungerügt ließ. Die gezwungenen Voca— 
tionen, dieſe allzu gerechte Urfache des Rnins und der 
Unpopilarität für die Klöfter, zeigten ſich, gleichwie ber 
Unfug der Commende, ſchon in jehr früher Zeit. Unter 
den Merovingern und unter den Karolingern mußten die 
jelben, wie die allbefannten Beifpiele Klodoald's und Taſſilo's 
zeigen, als politifches Ausfunftsmittel dienen. Jedoch im 
Deittelalter, während der großen Jahrhunderte klöſterlichen 
Eifers findet man faum bie und da einige Spuren davon. 
Diefelben treten wieder häufiger hervor in jenen Epochen 
des Zerfalles und der Erfehlaffung, wo die Eigenliebe und 
die Habjucht der Familien bei Firchlichen Oberen mur zu leicht 
um fo gefülligere Mitſchuldige fand, als fie felbft ven 
wahren Yebensbedingungen des Mönchthums fremder waren. 
Die heutige, vom Nevolutionsgeifte eingegebene Iyrannet, 
weiche die Gelübde verbannt wiljen will, fand fich damals 
durch jene Art von Tyrannei vepräfentirt, welche mit Ge— 
walt zu den Gelübden zwang, und die eine wie die andere 
verfahren mit der gleichen Verachtung der Freiheit und der 


') Siehe weiter oben Seite LXXVI Anmerkung 1. die Aufzählung 
jo vieler Städte, welche Klöjtern ihren Urſprung verdanken. 


UCLXV 


Würde der nrenfchlichen Seele. „Die Zuftimmung,” fagt 
einer der alten und berühmten franzöfifchen Juriſten, „iſt 
das Siegel, die Quelle und die Seele des Gelübdes. Uns 
glückſelige Heuchelei, die ſich binter eimem Berufe birgt, 
der an fich heilig und lieblich für diejenigen ift, denen Gott 
den Willen, den Geift ımd die Yiebe dazu giebt, der aber 
jelbjt die unmenfchliche Strenge ftrenge verdammt, die gegen 
arıne Kinder angewendet wird, welchen Gott den Antrieb 
dazu nicht eingegeben, und welche dennoch von grauſamen 
Eltern gewaltfam hineingedrängt werden, die fie mit den 
Feſſeln der Furcht und der Einfchüichterung binden, und mit 
der gleichen Gewalt und Befürchtung, welche fie ihnen 
gegen Kerfer und Tod einflögten, darin fefthalten .“ 
Segen einen fo fündhaften Mißbrauch proteftirten be— 
jtändig und in Meaffe nicht nur völlig freie, ſondern auch 
folche Vocationen feitens zahllofer Spröflinge des höchſten 
Adels, welche ungeachtet aller Widerſprüche und alles Wi— 
verftrebens der Familien entjftanden waren, fortdanerten und 
fiegreich erkämpft wurden. Boſſuet hat in feiner Predigt 
bei der Einfleivung der Fräulein von Bonillon und anderer 
Töchter aus großen Häufern, diefe verwunderlichen Wider: 
ſprüche beleuchtet. „Was hat die Begierlichfeit nicht ver: 
dorben?“ jagt er an einem andern Orte, „ſogar die Vater- 
liebe bat fie verfehrt. Die Eltern nöthigen ihre Kinder 
zum Eintritte in die Klöfter ohne den Beruf dazu, umd 
gegen ihren Beruf verweigern fie ihnen den Eintritt ?)." 
Diefer lettere Unfug kommt auch noch jeßt unter ung 


') Siehe die ſchöne Vertheidigungsrede won Anton Le Maiftre, 
angeführt von Oskar von Ballee, De Feloquence judiciaire au 
XVII. siecle, 1856, p. 105 et 116. 

) Pensces chretiennes et morales, No. 42. 


CLXVI 


vor; der erftere verminderte ſich und verſchwand nach und 
nach von ſelbſt lange vor der großen Kataſtrophe, welche 
auf einmal alle Mißbräuche, ſowie alle Rechte des Ordens— 
lebens vernichtete. Er konnte ſich vor der unwiderſtehlichen 
Herrſchaft der Sitte und des öffentlichen Geiſtes auf die 
Dauer nicht halten. Wenn es in Italien und an andern 
Orten vielleicht noch vorkam, daß moraliſcher Zwang an— 
gewendet wurde, um Töchter des Adels und der höhern 
Bürgerſchaft zum Eintritte in die adeligen Damen-Kapitel 
und Frauenklöſter zu nöthigen '), fo kann man doch be— 
haupten, daß in den Klöftern in Frankreich in den letten 
Zeiten ihres Beftandes faum Jemand gefunden wurde, der 
nicht aus freien Stücen eingetreten wäre. Der fchlag- 
endfte Beweis hiefür Liegt in der glänzenden Widerlegung, 
welche die hohlen Deflamationen Diderot's, Ya Harpe’s 
und fo vieler Anderer über die in den Klöftern Geopf- 
erten (vietimes cloitrees) im Jahre 1791 erhielten. An 
einem und demfelben Tage wurden alle Kiaufuren geiprengt, 
alle Flöfterlichen Gelübde für nichtig erklärt. Wie viel 
Mönche, wie viel Nonnen haben fich, diefe ihnen gewalt- 
ſam aufgedrungene Befreiung benüßend, verheirathet ? 
Auf Taufend nicht Einer. Und der größte Theil der Frauen 
insbejondere find freiwillig, fo bald fie fonnten, in's Klofter 
zurückgekehrt. 

Man ſchien viel eher geneigt, den Religioſen den Aus— 
tritt aus ihren Klöſtern und ihrem Stande zu erleichtern, 
als dieſelben mit Gewalt darin zurückzuhalten. Geſuche 
von Einzelnen, um aus dem Kloſter auszutreten und völlig 


) Daher der in Italien im XVIII. Jahrhundert fo viel ver— 
breitete und nur zu wahre Ausſpruch: Ze Badie sono la preda 
degli uomini e la tomba delle donne. 


CLXVII 


unabhängig leben zu können, wie dasjenige, welches mehrere 
Benediktiner von St. Maur im Jahre 1770 beim Parla— 
mente eingaben, wurden allerdings abgewieſen; wenn aber 
ganze Konvente die Säkulariſation verlangten, wurde die— 
ſelbe leicht ertheilt; ſo kamen in der zweiten Hälfte des 
XVIII. Jahrhunderts nicht weniger als drei der älteſten 
Klöſter des Bisthums Lyon um dieſe traurige Begünſtigung 
ein und wurden erhört ). 

Unter dem Einfluſſe aller dieſer Urſachen zuſammen 
genommen, ging das Kloſter-Inſtitut immer mehr ſeinem 
gänzlichen Verfalle entgegen. Doch es wäre ungerecht, dies 
Urtheil zu allgemein faſſen und beſonders die hochherzigen 
Reform-Verſuche verkennen zu wollen, welche von Zeit zu 
Zeit gegen das Umfichgreifen des Uebels proteftivten und 
deſſen Fortſchritt hemmten. Noch viele herrliche Lichtpunfte 
fehen wir in Belgien und in Deutfchland wie in Italien, 
in Spanien und auch in Frankreich glänzen. Im XV. 
Jahrhundert war die Reform im Ciſterzienſer-Orden, die 
vom Abte von Feuillans geftiftete fullienfifsche Kongrega- 
tion), ein würdiges Vorfpiel zu derjenigen, die hundert 
Jahre darauf die Wunder dev Thebais in Ya Trappe wie- 
der erblühen ließ. Im XV. Jahrhundert waren noch 
manche Sprößlinge des großen Benediktinerſtammes, wie 


) Es waren die Abteien der Barbara-Inſel bei Won, von 
Ainay und Sabigny. A. Bernard, Cartulaire de Savigny, 
p- 114. 

2) Johann de la Barriere. Aus der von ihm geftifteten fullien— 
fiichen Kongregation, die fih in Frankreich und Italien ausbreitete, 
gingen mehrere ausgezeichnete, fromme und gelehrte Männer hervor, 
unter anderen der Kardinal Bona, Siehe ein äußerſt frappantes 
Gemälde der Perſon und der Erſcheinung Johann de la Barrieres in 
Paris vor Heinrich III. im Auguft 1583, in dem Begistre-Journal 
von Pierre de lV’Estoile. 


OLXVIII 


die Sfonprate"), die von Aiguirre?) würdige Nacheiferer der 
Bellarmin, der Baronius, was Eifer für die Wiffenfchaften ° 
und Vertheidigung der Freiheiten ver Kirche anbetrifft, wäh- 
rend die unfterbliche Plejade der Männer, vie fich in der 
Sefchichte um Menbillen und Meontfaucon gruppiren, über 
den Namen ver Manriner- Kongregation einen Ruhm ver- 
breitet haben, der faft ohne Rival geblieben ift. Mabillon 
insbefondere, der erinuchtefte dev modernen Mönche, ver: 
dient neben den beiligften und größten einen Platz, nicht 
nur wegen feiner coloffalen Selehrfamfeit und feiner un- 
ichätsbaren Werfe, ſondern hanptfächlich auch wegen der 
Reinheit feines Lebens, des Adels, der Geradheit und feu— 
vigen Nedlichfeit feines Charakters. 

Aber diefe glorreichen Perſönlichkeiten, dieſe theilweilen, 
lofalen und vorübergehenden Reformen Fonnten die immer 
mehr zunehmenden Gebrechen und krankhaften Auswichfe 
der Gefammtheit einer großen Inſtitution nicht aufwiegen, 


') Klein-Enfel Gregors XIV., Mönch und Abt von St. Gallen, 
ehe er von Innozenz XI. zum Cardinal ernannt wurde, 

2), Geboren 1630, geitorben 1699, General der Kongregation 
von St. Benedikt in Spanien: er ward von Innozenz XL, nachdem 
ev feine Defensio cathedre S. Petri gegen die Deflaration Des 
franzöfischen Klerus von 1682 geichrieben hatte, zum Cardinal ernannt. 
Boffuet, obwohl er ihn bekämpft, nennt ihn ein Licht der Kirche, 
ein Mufter ver Tugend, ein Beifpiel der Frömmigfeit. 
Als Cardinal behielt er beftändig zwei oder drei Mönche bei fich, 
mit denen er die Flöfterfichen Uebungen fortſetzte. Vor feinem Tode 
verordnete er, daß fein Herz, quod 8. Patris Benedicti ab ado- 
lescentia vestigris adheserat, nad) Monte -Kaffino gebracht wer- 
den fol. Er hatte auch fein Epitaphium zum Voraus verfaßt, wel- 
ches alfo lautet: 

Vita peecator, appellatione Monachus, 
S. Benedicti studio Theologus. 


CLXIX 


deren Rettung und Erneuerung das Aufgebot aller Kräfte 
und aller Sorgfalt der Kirche erfordert hätte. In Frank— 
reich befonders, das heift in demjenigen Yande der Chri- 
jtenheit, von wo aus die guten wie die böfen Einflüffe fo 
leicht in der ganzen übrigen Welt vorwiegend werden, war 
die Mehrzahl der Klöfter jedem wieder ernenernden Ein- 
fluſſe völlig entzogen, blieb eine Bente des Commenden- 
unfugs und verfanf immer tiefer in Unordnung und Miß— 
fredit. So war e8 während des ganzen XVII. Yahr- 
hunderts, und gegen Ende defjelben durfte ein gelehrter Be— 
nediftinev won St. Germain=des- Pres einem feiner Mit— 
brüder der Tothringifchen Kongregation ſchreiben: „Bon 
allen Neligiofen eurer Kongregation, welche hieher fommen 
und bei uns wohnen, habe ich faft gar feinen gefehen, der 
uns erbaut hätte. Wahrfcheinlic werdet ihr das gleiche 
von den unfrigen fagen, die zu euch kommen ).“ 

Ein Gefühl übertriebener, aber allgemeiner Verachtung 
war an die Stelle der tiefen Verehrung getreten, die die 
grogen Orden fo viele Jahrhunderte lang der Fatholifchen 
Welt eingeflößt hatten”). Wie groß wir ung auch damals 


') Ein Schreiben won Dom Clement, gegen 1780, angeführt 
von Dantier, Rapport sur la Correspondance inedite des 
Benedictins, p. 19. 

?) Man war darin jo weit gefommen, daß einer der frömmſten, 
erlauchteften und fiegreichften Fürften des XVII. Sahrhunderts, der 
Herzog Karl V. von Lothringen, Nacheiferer Sobieski's, Eroberer 
Ungarns, Schwager Kaifer Feopolds I. und Ahuherr des jeßt vegie- 
renden Bfterreichifchen Kaiferhaufes, in feinem politifhen Tejta- 
mente, das zur Belehrung der Prinzen des Faiferlichen Haufes auf- 
gefeßt worden war, die nachftehenden einjchneidenden Worte fchreiben 
fonnte: „Il n’est pas à propos d’introduire la moinerie dans les 
„eonseils; c’est un genre d’hommes qui n’a jamais fait bien à 
„souverain, et qui n’est desting qu'à leur faire du mal... Moins — 


CLXX 


den Antheil der Gottlofigfeit und des ungerechten Haffes 
gegen den chriftlichen Namen überhaupt denfen mögen, im- 
merhin ift es in diefem allgemeinen Gefühle unverkennbar, 
daß die religiöfen Orden, in ihrer Gefammtheit betrachtet, 
eine tief betrübende und jchmerzliche Alteration erfahren 
hatten. Die Rollen hatten jetst gewechjelt. Seit dem 
Frieden der Kirche unter Konftantin, und während des gan— 
zen Mittelalters, war der Kontraſt zwifchen dem Regular: 
Klerus und der Weltgeiftlichfeit hHandgreiflich und gänzlich 
zum Bortheil des erftern. Der Regular: Klerus hatte die 
Weltgeiftlichfeit nicht nur überftrahlt und in Schatten ge— 
jtelft, Sondern wirklich verkümmert und verringert erfcheinen 
laffen. Diseiplin, Eifer, Aufopferungsgeift und alle pries 
jterlichen Tugenden hatten ihren Herd fat ausfchlieglich nur 
noch in den Klöftern. In den fpäteren Jahrhunderten da— 
gegen war es umgekehrt, und als die Newolution fam und 
den Weizen fichtete und vom Unfraute veinigte, und die 
gallifanische Kirche triumphirend aus der glovreichiten aller 
Prüfungen, die jemals eine Kirche zu beftehen gehabt 
hatte, hervorgehen ließ, zeigten jich die Bifchöfe und die 
Pfarrer faft durchgängig den Mönchen in That und Tu— 
gend überlegen. 

Braucht es mehr, um die Tiefe ihres Falles zu con- 
jtativen und den wahren Grund ihres Ruins zu erklären? 
Wenn ein religiöfer Orden an Tugend oder an Glaubens— 
eifer und Kraft dem Übrigen Klerus nachjteht, jo verliert 
er damit den Grund feines Dafeins und unterzeichnet zum 








„il y a de prötres et de moines dans une famille, plus l’idee de 
„religion s’y conserve-t-elle; la paix y est plus assurde et le 
„seeret plus impenetrable.“ Testament politique de Charles V., 
angeführt vom Grafen von Haussonville, Histoire de la Reu- 
nion de la Lorraine, t. III, p. 380, 


CLXXI 


voraus fein eigenes Todesintheil. Er ift, um mit Bof- 
ſuet zu reden, weiter nichts mehr als ein geiftlicher Yeich- 
nam und fein eigenes lebendiges Grab, 

Denjenigen, welche mich einer allzu ftrengen Beur— 
theilung zu zeihen geneigt fein möchten, würde ich die ge- 
wichtige und unwiderfprechliche Autorität der beiden großen 
Lichter der neuern gallifanifchen Kirche entgegenhalten, aus 
einer Zeit, in welcher ver Flöfterliche Zerfall noch lange 
fein völliger war. Ihre beredten Klagen find, es ift wahr, 
unmittelbar gegen Klofterfranen gerichtet ; aber es ift außer 
Zweifel, daß die Mißbräuche und Aergerniffe — damals in 
den Franenflöftern nur allzu häufig — noch viel häufiger in 
den Mannsklöſtern vorfamen, in denen die Commende all- 
gemeines Gefet geworden war, wogegen fie in den Frauen— 
klöſtern nur ausnahmsweife vorkömmt. So hören wir denu 
die beventungswollen Worte Fenelon's aus einer Lobrede 
auf den heiligen Bernhard, vor Bernhardinerinnen gehal- 
ten, noch bevor er Bifchof wurde: „O Neform, o Reform! 
die du dem heiligen Bernhard fo viele Nachtwachen, Faften, 
Thränen, fo viel fauren Schweiß und heiße, glühende Ge— 
bete gefoftet haft, wäre es denkbar, daß du fallen würdeft? 
Nein, nein, nie möge diefer Gedanfe in mein Herz ein- 
dringen! Eher möge der Unglücstag vergehen, der über 
ſolchem Falle fein Licht feheinen liege! Wie! Bernhard 
jelbjt follte, vom Heiligthume her, wo er gekrönt ift, fein 
Haus verwüftet, fein Werf entftellt und feine Kinder ivdi- 
Ihen Wünfchen zur Beute fallen fehen? O möchten meine 
beiven Augen eher zu Thränenguellen werden ; lieber möge 
die ganze Kirche Nacht und Tag feufzen und weinen, um zu 
verhindern, daß zum Schandflecke werde, was ihren Ruhm 
bildet! D Töchter Bernhards! zeiget mir even Vater 
lebendig in euch. Er fachte, zu feiner Zeit, die faft er- 


CLXXTI 


lofhene Klojterdisciplin zu neuem Yeben wieder an: wolltet 
ihr fie, in der euren, zu Grunde gehen laſſen?“ 

Noch schärfer einfchneidende Worte finden fich in der 
berühmten Predigt über die Vortheile des Flöfterlichen Le— 
bens, welche bald Fenelon und bald Boffuet zugefchrieben 
wird, und die jedenfalls des einen wie des andern wilrdig 
it: „Dies Haus,“ fo lauten diefelben, „iſt nicht euer: es 
ijt nicht für euch gebaut und fundivt worden, fondern zum 
Zwede der Erziehung jener jungen Töchter... Wenn dem— 
nach es gefchähe, (voch, o Gott! dulde nicht, daß es ge: 
Ichieht, ſondern laß eher diefe Mauern zufammenftürzen !) 
wenn es je geſchähe, daß ihr eure welentlichen Pflichten 
hintanfeßtet, und uneingedenk, daß ihr in Jeſu Chriſto bier 
nur die Dienerinnen diefer jugendlichen Seelen feid, nur 
daran dächtet, im gemächlicher Ruhe die hieher gejtifteten 
Güter zu genießen; daß man in dieſer demüthigen Schule 
Jeſu Chriſti nur mehr eitle, prunkende, von ihrer hohen 
Geburt verblendete Damen anträfe, gewöhnt an den ver— 
ächtlich auf Andere herabblickenden Stolz, der den Geiſt 
Gottes aus den Seelen vertreibt und das Evangelium in den 
Herzen verwiſcht, — o dann, welch ein Aergerniß alsdann! 
Das lautere Gold wäre in Blei verwandelt, die Braut 
Chrifti, ohne Runzeln und Flecken, wäre fchwarz wie Kohle, 
und Er würde fie nicht mehr kennen!“ 

In der gleichen Predigt werden über die inneren Zu— 
jtände der großen Abteien im XVII. Jahrhundert traurige 
Enthüllungen gemacht. „Nicht nur wird die Armuth nicht 
beobachtet; fie ift gar nicht mehr gekaunt. Man weis gar 
nicht mehr, was es ift, arm fein im gemeiner Koft, arm 
jein aus Nothwendigkeit der Arbeit, arm fein in Einfach- 
beit und Beichränfung dev Wohnungen, arm fein in allen 
einzelnen Dingen des Lebens. . Und doch fünnen die Klö— 


OLXXIII 


ſter nur alsdann großmüthig, freigebig und uneigennützig ſein. 
Ehemals lebten die Mönche des Morgenlandes und Aegyp— 
tens nicht nur von ihrer Arbeit, ſondern gaben auch noch 
unermeßliche Almoſen: man ſah Schiffe auf der See, die 
mit ihren Liebesgaben beladen waren. Jetzt ſind unglaublich 
große Einkünfte nöthig, um ein Kloſter zu erhalten. In 
den Familien in der Welt, mit dem Elende vertraut, ſpart 
man an all und jedem, man braucht nur wenig; die Klöſter 
dagegen können des Ueberfluſſes nicht entbehren. Wie viel 
hunderte von Familien könnten anſtändig von dem leben, 
was kaum zum Unterhalte einer einzigen Kloſtergemeinde 
hinreicht die aus Beruf den Gütern der Welt entfagt hat, 
um im Armuth zu leben? Welche Berhöhnung, welche Ber- 
fehrung aller Begriffe!... Haft du mit armen Penten zu 
thun, die die Yaft einer großen Familie auf fich haben, fo 
findeft du fie oftmals vedlich, billig gefinnt, gemäßigt, fähig 
im Intereſſe des Friedens ein Opfer zu bringen, billig in 
Handel und Wandel; wogegen eine veligiöfe Genofjenfchaft 
ſich oftmals eine Sewifjenspflicht daraus macht, dich mit 
Härte zu behandeln, Ich ſchäme mich es zu ſagen; ich 
age e8 nur insgeheim und mit Seufzen; nur wie in’s 
Ohr fage ich es, um die Bräute Chrifti zu unterweifen ; 
aber gefagt werden muß es, denn es ift leider wahr: es 
gibt feine argwöhniſchere, fehwierigere, in Gefchäften zähere, 
in Prozeſſen hitigere Yente, als eben ſolche Perſonen, die 
gar nicht einmal mit Gefchäften zu thun haben foltten. 
Gemeine Seelen! eingefhrumpfte Herzen! Und ihr wolft 
in der Schule Chrifti gebilvet fein!) ?* 

) Die einfache Gerechtigfeit erfordert e8, dieſem betriibenden Ge- 
mälde ein anderes gegenüber zu balten, das Fenelon ſelbſt von dem 
Eifer und der genauen Beobachtung der-Negel entwirft, welche bei 
den Karmeliterinnen herrſchten: „Les voilä les filles de Theröse, 


CLXXIV 


Angefichts ſolcher Enthüllungen, wie fo wieler anderen 
unbeftreitbaren Zeugniſſe eines tiefen, lange verjährten 
Uebels wird man unwiderſtehlich dahin geführt, fich eine er- 
greifende Frage zu ftellen. Wie ging es zu, daß die Kirche 
einen jo beffagenswerthen Zerfall bis an's Ende fich er- 
füllen ließ? Warum ift fie mit ihrer göttlichen Autorität 
nicht in's Mittel getreten, um diefen jo foftbaren Theil 
ihres heiligen Erbes zu retten? Dies, ich wage es zu 
jagen, ift der trübfte, unerklärlichſte Theil ihrer Gefchichte. 
Nie wird man ihre verhängnißvolle Nachficht genugſam be- 
dauern fünnen. Die nachdrüdlichiten Heilmittel, die uner— 
bittlichfte Strenge hätten kaum genügen fünnen, um dem 
freffenden Krebsübel Einhalt zu thbun. Wohin fonnte dem 


elles gömissent pour tous les pécheurs qui ne gemissent pas, et 
ce sont elles qui arr&tent la vengeance prete à Eelater. Elles 
n’ont plus d’yeux pour le monde, et le monde n’en a plus pour 
elles. Leurs bouches ne s’ouvrent plus qu'aux sacres cantiques, 
et hors des heures des louanges, toute chair est iei en silence 
devant le Seigneur. Les corps tendres et delieats y portent 
jusque dans l’extr&me vieillesse, avec le eilice, le poids du 
travail.“ 

„lei ma foi est consol&e; iei on voit une noble simplieite, 
une pauvrete liberale, une pe@nitence gaie et adoucie par l’onc- 
tion de l’amour de Dien. Seigneur, qui avez assembl& vos &pou- 
ses sur Ja montagne, pour faire couler au milieu d’elles un fleuve 
de paix, tenez-les-y recueillies sous l’ombre de vos ailes; mon- 
trez au monde vaincu celles qui l’ont foul& aux pieds. Helas! 
ne frappez pas la terre, tandis que vous y trouverez encore ce 
precieux reste de votre &leetion.“ Sermon pour la fete de 
Sainte Therese, Oeuvres. t. XVII, p. 264, &d. Lebel. — An 
einem andern Orte jagt er: „Les imperfeetions du cloſtre, qu’on 
méprise tant, sont plus innocentes devant Dieu que les vertus 
les plus &clatantes dont le monde se fait honneur. Sermon 
pour la profession d’une religieuse. 


CLXXV 


nach ihre Schonung, ihr nachfichtiges Zufehen führen? Mit 
Eifen und Feuer hätte die Wunde behandelt werden müfjen; 
vor feinem Mittel hätte man zurückchreeden dürfen, um 
mittelft vadifaler mit ſchoönungsloſem Starfmuthe durchge- 
führter Neformen dem ſchmählichen, vwollftändigen, tiefem 
Falle vorzubeugen, der der chriftlichen Sache unwiederbring- 
lichen Schaden gethan hat: und in einer Durchgreifenden 
Weile ift nichts verfucht worden! Man ſchütze die unge- 
heuren Hinderniffe nicht wor, welche die Kirche gefunden 
hätte in der intereffirten Böswilligkeit der weltlichen Ge— 
walt, in der Habjucht des Adels und der Großen , in ver 
VBerweichlichung des Klerus und im feiner nur zu häufigen, 
tiefen Mitfchuld an den Uebel. Seit ihrer Gründung und 
zu allen Zeiten hat fie mit dergleichen Hinderniffen zu 
fümpfen gehabt, und jedesmal, wenn fie e8 newolft, ener- 
gifch gewollt hat, hat fie denfelben Fühn die Stivne geboten 
und hat fie überwunden. Alle wirklichen Reformen, auch 
die fchwierigiten, wie diejenigen der heiligen Thereſia und 
Rancé's, find am Ende geglücdt, und alle haben fich ven 
Beifall der öffentlichen Meinung, fogar den der weltlich 
Sefinnten erobert. Ihnen hat nichts gefehlt, als daß die 
Kirche, kraft ihrer höchſten Autorität, fie nachhaltig machte, 
weiter ausbreitete und verpflichtend erflärte, Allerdings 
hatten die Päpfte nicht mehr in ganz Europa die Macht 
und den Einfluß früherer Zeiten; demungeachtet ift es 
ſchwer zu glauben, daß es im XVI. und fogar noch im 
XV. Jahrhundert einer kräftigen, nachhaltigen Anftreng- 
ung des heiligen Stuhles, vom Episfopate gebührend unter- 
jtüßt, nicht hätte gelingen follen, die Wurzeln des Uebels, 
wenn auch nicht völlig auszurotten, doch wenigftens im 
ferneven Wachsthum zu hindern, den Exzeffen vorzubeugen 
und dor allem den Eifer der guten Ordensmänner ſowie 


CLXXVI 


die Sympathie der gläubigen Völfer und fatholifchen Für- 
jten zu beleben. Selbſt Ludwig XIV., ver für das indi- 
viduelle und örtlich befchränkte Unternehmen Rancé's fo 
viel perfönliche Theilnahme an den Tag legte, würde einer 
umfaffendern Reform, zu der das Signal von oben herab 
gegeben worden wäre, feine Unterjtüßung nicht verfagt 
haben. Vielleicht wäre noch im XVII. Yahrhundert ein 
jolcher VBerfuch gelungen ; jedenfalls aber wäre es eines 
Verſuches werth geweſen. 

Ich kenne und bewundere die edelmüthigen aber ver— 
einzelten Verſuche des heiligen Karl Borromäus, des hei— 
ligen Franz von Sales, des erſten Cardinals von La Roche— 
foucault; muß aber nichts deſto weniger behaupten, daß 
man ſich in den Annalen der Kirche ſeit dem Tridentinum 
vergebens nach einer großen und energiſchen Anſtrengung 
gegen das Uebel umſieht, oder auch nur nach einer kräf— 
tigen, laut hinſchallenden Klage, um die Herzen wachzurüt— 
teln, die Gefahr anzudeuten, den Abgrund zu bezeichnen, 
den Widerſtand herauszufordern. Daß die Biſchöfe, ſogar 
die größten unter ihnen, am Ende theilnahmsloſe Zuſchauer 
bei den Aergerniſſen waren, kann man, wo nicht entſchul— 
digen, ſo doch wenigſtens erklären durch den Mißbrauch 
der Exemptionen, in Folge deren ſie gewiſſermaſſen entwaff— 
net und in Bezug auf das Eingreifen in das innere Leben 
der Klöſter außer Theilnahme geſetzt waren. Aber wie 
läßt es ſich erklären, daß unter den vielen guten und hei— 
ligen Päpſten in der langen Reihe kein Einziger geweſen, 
welcher ſolchen notoriſch unwürdigen Menſchen, wie z. B. 
Buſſy d'Amboiſe und dem Abbé Dübois, die Bullen verwei— 
gerte, mittelſt deren ihnen die Ehre und die Güter der 
berühmteſten Klöſter preis gegeben wurden? Wie erklärt 
es ſich, daß alle dieſe eiternde Wunde veralten und brandig 


CLXXVI 


werden Tiegen bis zu dem Tage des umwiderbringlichen 
Berderbens ? 

Es gibt jedoch auf dieſe furchtbare Frage eine Ant- 
wort: die Neform der religiöfen Orden fteht wohl eben 
jo wenig in der Macht der Kirche, als die Gründung 
derfelben. Die Kirche unmittelbar hat niemals einen reli- 
giöfen Drden gegründet. Die Thatfache ift unbeftritten. 
Zur Gründung eines veligiöfen Ordens bedarf e8 Männer, 
die Gott eigends zu diefem Zwecke erweckt und beftimmt, 
wie DBenedift, Franzisfus, Dominifus, Ignatius. Die 
Kirche approbirt, ermuntert ſolche Männer; aber durch einen 
Aft ihrer Autorität Schaffen kann fie diefelben nicht. Könnte 
e8 anders fein mit dem Neformiven, das vielleicht noch 
ſchwieriger ift als das Begründen? 

Es waren demnach Männer nöthig. Diefe Männer 
haben gefehlt. Gott hat fie feiner Kirche nicht gegeben, 
und die Kirche konnte fie nicht Schaffen. Wohl find von Zeit 
zu Zeit Einzelne da gewefen, aber nicht genug für eine große, 
allgemeine und entjcheivende Reform. Das ift der Grund, 
warum die veligiöfen Orden nicht erneuert wurden. 

Es blieb allerdings unter folchen Umftänden noch ein 
Mittel: die Aufhebung der meiften diefer nicht mehr lebens- 
fähigen Inſtitute. Aber die Kirche ſcheut die Anwendung 
jolcher extremen Meittel. Das Aufbauen fagt ihrem Geifte 
zu; das Zerjtören ift ihrem innerſten Wefen zuwider. Iſt 
dies unrecht ? Sie ift langmüthig und duldſam; Einzelne 
meinen, fie ſei e8 allzufehr!). 


) Die Päpfte fonnten in den letsten Jahrhunderten wegen der 
bornirten Eiferfucht vieler Negierungen hierin gar nicht frei verfügen. 
Viele Päpfte haben jedoch in dem Maaße, wie die Umftände e8 zu- 
liegen, ihr Augenmerk auf die nöthigen Reformen in den Klöftern 
gerichtet. Ihre Erlaſſe und Verordnungen dariiber fallen aber den 

v, Montalembert, d. Mönche d. A. 1. m 


CLXXVII 


Wie dem auch fei, das Uebel blieb und wuchs be- 
ftändig, bis am Ende die Yangmuth Gottes felbft es nicht 
ferner ertrug. „Die göttliche Gerechtigfeit," jagt Boſſuet, 
„rächt die Exzeſſe durch andere Exzeſſe Y.“ Was die Kirche 


perfönlich Unbetheiligten weniger auf. Die Päpſte wirfen in dieſem 
Theile ihrer oberften Hirtenforgfalt ftill und geräuſchlos, wie die 
Sache es mit fih bringt. Wir erinnern bier, zum Beweije, wie 
auch Pius IX. gleih von Anfange feiner Negierung an und fort- 
während jeine Sorgfalt der Reform der Klöfter zumwendet, an feine 
Rundſchreiben aus den Jahren 1847, 1848 und zuleßt vom 19. März 
1857. In diefem leßtern verordnet der heilige Vater insbeſondere 
für die Mannsklöſter nach dem erjten, einfachen Gelöbniß noch eine 
dreijährige Prüfungszeit wor den feierlichen Geliibden, damit diefe 
mit möglichjt großer Neife der Kenntniß, der Elöfterlihen Bildung 
und des Alters abgelegt werden können. Damit bezwedt der heilige 
Vater, daß nur mit befonderer Sorgfalt ausgewählte, zum geiftigen 
Kampfe wahrhaft berufene Streiter in die Kampferreiben der Mönde, 
in diefe Hülfsmiliz der heiligen Kirche, wie Pius IX. fie 
nennt, aufgenommen werden. 

In dieſen ftillen Beftrebungen der Päpſte findet fi) aber auch 
etwas von der göttlichen Langmuth jelbft, die nicht den Tod des Sün— 
ders will, jondern daß er fich befehre und lebe, Wie denn der gött- 
liche Heiland jeinen Stellvertreter auf Erden nicht aus den feurigen 
Donnerjöhnen gewählt, ſondern dazu den Apoftel bezeichiret hat, der 
im dreimaligen Befenntniffe feiner Liebe den geforderten Beweis fiir 
feine Hirtentugend gegeben. 

Ihre Verordnungen find, meben dem, was fie unmittelbar be- 
zweden, gewiffermaßen auch ein umfichtiges Erforjchen, ob ihnen aus 
dem Innern der Klöfter ſelbſt ein von Gott erwecter Neformator 
antworte. Und vielleicht beten ſchon längft ihrer Viele in den Klö— 
ftern, daß Gott endlich einen neuen Benedikt, einen neuen Bernhard, 
Dominifus, Franzisfus erwede, der die Reform, die ohne Zweifel 
ichwieriger tft als die Gründung, im Sinn und Geifte der heiligen 
Gründer vollbringe. Diefe Reformatoren zu fhaffen hängt aber, wie 
der Herr Berfaffer im Texte jelbft ſehr richtig bemerkt, won den Päp- 
ften nicht ab. Anmerkung des Ueberſetzers. 

') Histoire des Variations, liv. VII, p. 469. 


CLXXIX 


nicht zu thun vermocht, that die Welt eines Tages durch 
Berbrechen. 

Niemals jedoch darf man fich beigehen laffen, das Ver— 
brechen gut zu heißen, unter dem Borwande, daß diejenigen, 
welche die Dpfer defjelben geworden, ihr Schieffal verdient 
haben. „Die Ungerechtigfeit der Menfchen dient der Ge— 
vechtigfeit Gottes, bleibt aber nichts deſtoweniger Unge— 
vechtigfeit )Y.“ 

„Die Welt," jagt Graf Maiftre ebenfo Fräftig als 
wahr, „die Welt ift voll fehr gerechter Straferefutionen, 
deren Urheber ſehr ftrafbar find?)." 

Daß die Mönche, nicht alle, aber in mur zu großer 
Anzahl, ihren Pflichten, ihrem Berufe, ihren beiligften Ge- 
(öbniffen untreu geweſen, ift nicht zu leugnen. Aber war 
e8 wohl Sache der weltlichen Gewalt, war e8 insbefondere 
Sache der fiegreichen Revolutionen, fie dafür zu ftrafen ? 
Waren denn die Unoronungen, die Mißbräuche, die Aerger— 
nijje, auf die man ſich berufen fann, eine Gefahr für die 
öffentliche, gejellichaftliche Ordnung, und fonnten fie das 
Recht der Beftrafung und infonderheit das Hecht der Auf- 
hebung der Klöfter, dag man fich angemaßt hat, begründen ? 
Sicherlich nein: der Kirche allein ftand das Necht zu, gegen 
jie ihre ſouveräne, unfehlbare Strafgerechtigfeit zu üben ; 
und die Chrijten allein find berechtigt zu bedauern und zu 
beflagen, daß diejelbe nicht zu rechter Zeit gelibt worden. 
Sie wiſſen übrigens, daß Gott won denjenigen, die diefe 
ihre unveräußerliche Pflicht werlett haben, ftrenge Nechen- 
Ichaft fordern wird, nicht minder aber wiffen fie auch, daß 


') Die Gräfin Swetſchin. (S. Sophie Swetſchin, Geſchichte ihres 
Lebens vom Grafen Fallour. A. d. Franzdf, von F. %. Hahn. 
Regensburg, 1860. Manz.) 

?) Lettre du 29. Mai 1819. 

m* 


CLXXX 


er ficher diejenigen noch Härter ftraft, die diefe ungeheure 
Hinopferung vollbracht haben, aber wahrlich nicht in ver 
Abficht, um dadurch an fich heilige Inſtitutionen zu vege- 
neriven, oder um den göttlichen Zorn zu befänftigen, fondern 
einzig und allein aus Drang nach Befriedigung der ge- 
meinjten Triebe menfchlicher Yeidenfchaft. 

Ja, Neformen waren nothwendig, und der Mangel 
oder das Ungenügende diefer Neformen hat die Kataftrophe 
möglich und begreiflich gemacht. Aber e8 folgt daraus 
nicht, dag das fchändliche Attentat, welches damals dem 
Dafein der Klöfter in fo vielen Ländern ein Ende machte, 
jemals gerechtfertigt oder entjchuldigt werden fönnte. Denn 
nie ift in der That ein Verbrechen niederträchtiger und un— 
jinniger gewefen. Montesquieu bat den Despotismus ver- 
dientermaßen gebrandmarft, und ihn, ich weiß nicht mit 
was für amerifanifchen Wilden, verglichen, die den Baum 
umbauen, um jeine Früchte zu pflücen. Was foll man 
aber von diefen modernen Wilden jagen, die den ehrwür— 
digen Baum, der fo viele Jahrhunderte lang unter feinen 
Zweigen die Arbeit, die Wiffenfchaft, das Gebet und das 
Lebensglück befchattet, unter dem Vorwande, ihn befchneiden 
und abranpen zu wollen, gefällt und entwurzelt haben ? 

Gott behüte uns demnach, uns je in irgend einem 
Grade mit der Mitſchuld derjenigen zu beladen, welche 
durch ihre Schmähungen und ihre Verläumdungen die Ka— 
taftvophe herbeigeführt, vorbereitet oder zu rechtfertigen ge- 
ſucht haben! Um uns auf ewig dagegen zu fichern, ge: 
nügt e8, ums daran zu erinnern, welches im Grunde die 
unreine Quelle diefer Anflagen gewefen ift, und welches 
noch gegenwärtig die Natur der Anflagen und der Werth 
der Anfläger ſei. Beurtheilen wir die Billigfeit der Tri- 
bunale, welche in der Vergangenheit die Mönche verurtheilt 


CLXXXI 


haben, nach derjenigen des Prozefjes, der in unferen Tagen 
in der Schweiz, in Spanien, in Piemont gegen fie erhoben 
worden, in diefen Yändern, two bdiefelben die furchtbare 
Prüfung der franzöfifchen Invaſion überlebt hatten und 
durch die Vorgänge der Revolutionszeit belehrt worden 
waren. Prüfen wir die widerfprechenden Vorwürfe, mit- 
telft deren man ihnen den Prozeg macht. Wenn fie ihre 
Hegel genau beobachten, jo heift e8: fie pafjen nicht mehr 
für die Zeit; befolgen fie diefelbe nicht, jo fehreien diefel- 
ben, welche fie eben verrottete Fanatifer gefcholten, über 
die fchlaffe Zucht und Disciplin. Wenn fie ihre Güter 
nicht Funftgerecht bewirtbichaften, jo nimmt man fie ihnen 
weg unter dem Vorwande, day fie diefelben nicht zu nutzen 
verstehen; und verwalten fie diefelben gut, jo nimmt man 
fie ihnen, damit fie nicht zu reich werden '). Sind fie 
zahlreich, jo wird ihnen die Novizen-Aufnahme verboten, 
und wenn fie durch diefe Bevogtung auf eine Fleine Zahl 
in Erfüllung ihrer Berufspflichten ergranter Männer zur 
fammengefhmoßen find, fo erklärt die Regierung: da feine 
Nachfolger vorhanden find, fo füllt das Vermögen dem 
Staate anheim So ift es gewefen won Heinrich VIII. 
und Guſtav Wafa an bis auf unfere zeitgenöffischen Lügen— 
fchmiede in der Schweiz und in Turin. Verderbniß und 
unnützes Dafein ift den religiöfen Orden hauptfächlich von 
den Regierungen vorgeworfen worden, welche ihr Ber: 
mögen zu Handen zu nehmen beabfichtigten, und ſelbſt 
die Urfache waren, daß die Klöfter Feinerlei Thätigfeit mehr 
entfalten konnten. Man hat ihnen nicht mehr gejtattet, 


) Was wir bier furz zufammengedrängt fehildern, ift ganz ge— 
nau das Berfahren dev Negierung gegen die Klöfter im Aargau won 
1835 bis 1841. 


CLXXXI 


etwas zu thun, und dann bat es geheißen: fie thun nichts, 
heben wir fie auf‘). 


) Lorrain, Histoire de Cluny, p. 14. — Das Klofter Muri 
hatte im Jahre 1837 der Regierung das Anerbieten gemacht, zum 
Nuten des Kantons Aargau ein vollftändiges Gymnaſium und eine 
Kealihule zu eröffnen; die Regierung antwortete durch ein Geſetz, 
welches allen Mönchen verbot, fih mit Unterricht zu befafjen; darauf 
ward das Klojter, als unnütz für den Staat, aufgehoben. — Aus 
allerneuejter Zeit haben wir das Beilpiel von Rheinau im Kanton 
Zürich. Das Klojter Aheinau befteht ſeit eilfhbundert Jahren. Seit 
etwa fünfzig Jahren erft bildet es mit feiner Pfarrgemeinde einen 
Theil des Kantons Zirih; und die Regierung nahm damals Die 
förmliche Verpflichtung auf fih, das Klofter in feinem Beftande zu 
hüten. Dasſelbe hat feither alle bürgerlichen Laften doppelt und 
dreifach getragen, und doch ift ihm durch Gejes vom 22. März 1836 
die Aufnahme von Novizen unterjagt, das freie Ber- 
waltungsreht des Vermögens beſchränkt, und demſelben 
eine erceptionelle Steuerlaft auferlegt. Seit fünf und 
zwanzig Jahren, Daß feine Mitglieder mehr aufgenommen werden 
durften, ift die Zahl der Mönche bedeutend verringert worden; nur 
noch eilf Mönche nebſt dem Abte Leben gegenwärtig in Aheinan. 
Deffenungeachtet erbieten fie fich, gegen freie Novizen-Aufnahme und 
Berwaltung ihres Vermögens, entweder ein unteres Gymnaſium oder 
eine Realſchule zu errichten und gleichzeitig 10 oder mehreren unbe- 
mittelten Zöglingen auch unentgeltlich Koft und Logis zu geben; 
oder ein Armeninjtitut für 25—30 Berfonen im Klofter unentgeltlid, 
zu unterhalten; oder eine landwirthichaftlihe Armenfchule zu gründen, 
worin verwaiste oder vernacläffigte Knaben zur Arbeitfamfeit ange- 
halten und zu einem tiichtigen ländlichen Berufe herangezogen wür— 
den ... Sollte aber, jo jagen Abt und Konvent weiter in ihrer 
Eingabe an die Regierung, unfere eigene Bethätigung mit Mißtrauen 
angejehen, und vorgezogen werden wollen, unfere Mitwirkung bei 
Erftelung und Unterhaltung irgend einer der genannten, oder ähn— 
licher, mit unferm Stiftscharafter zu vereinbarenden Anftalten — 
3. B. Hebung und befjere Dotirung der Pfarrei in Zürich — durch 
Entridtung beftimmter jährlicher Geldbeiträge in Anſpruch zu nehmen, 


CLXXXII 


Wir fagen noch mehr: alle Verfehrtheiten und Lafter, 
welche den Höfterlichen Geift anfangs abgefhwächt und am 
Ende das Klofterleben entehrt habe, find fast überall eine 
Folge der Eingriffe des Laienthums und der weltlichen Ge— 
walt in die Regierung und Yeitung der Flöfterlichen Dinge. 
Wenn in einer Menge von Klöftern Disziplin und Lebens— 
ftrenge ohne Rettung zu Grunde gingen, ift e8 nicht, wic 
gezeigt worden, in den meiften derfelben in Folge der Ein- 
führung der Kommende gefchehen? Und ijt diefe verhaßte 
und fchreiende Verlegung des Willens der Stifter nicht 
jtet8 durch die Fürften und Regierung gewaltthätig aufge- 
drungen worden? So ift demnach durch die Habſucht und 
den Trug der weltlichen Gewalt und die ftrafbare Schwäche 
von all zu gefügigen Kirchenoberen das Werf der chrift- 
lichen Liebe eine Beute der Selbjtfucht und der Sinnlic)- 
feit geworden. 

Wir werden fpäter fehen, durch welche Reihenfolge 
von Uebergriffen, Pflichtverleßungen und Hemmniſſen fo 
viele katholiſche Fürften mit dem Beiftande ihrer Hof- 
juriften fich angelegen fein liegen, den religtöfen Geift, ven 
Geiſt der Buße und der Yebensftrenge, der immer auch ein 
Geiſt der Kraft und der Freiheit ift, in den Klöftern zu 


oder vielleicht unſere theilweife perſönliche Mithilfe zu verbinden, fo 
wird man uns auch dazu bereit finden. „Memorial des Stiftes 
Rheinau an Regierungsrath und Großen Rath des Kan- 
tons Züri, vom 14. September 1857.“ Seit drei Jahren war- 
tet das Klofter auf offieiele Antwort; auch 1860 ift der Antrag 
wieder erneuert, ohne bis jet einer Antwort gewürdigt worden zu 
fein ; einzelne Regierungsmitglieder antworten vielleicht auf Befragen: 
„das Klofter paßt nun einmal nicht in das Syftem!” Dies 
Berfahren ift gewiß ein anfchaufiches Paradigma zur Bezeichnung des 
gewaltthätigen und intoferanten Geijtes diefer Zeit. 


CLXXXIV 


hemmen und zu befchränfen, die denn auch in Folge davon 
nur mehr dent weltlichen Yuftzuge und dem profanen Yeben 
offen zu ftehen ſchienen. 

Schon jett jedoch find wir den herfömmlichen Ver- 
läumdern der Mönche, die zugleich auch die ftändigen Yob- 
vedner der Aechtungsdefrete gegen diefelben find, zu jagen 
berechtigt: Wißt ihr, welches der einzige Vorwurf ift, den 
ihr Mönchen diefer Art mit Fug machen fünnt? Es ift 
der, daß fie euch ähnlich gewefen find. Was anders war 
es denn um die Entartung, die Sinnlichfeit, die Erfchlaff- 
ung, die ihr ihnen zum Verbrechen macht, als eine nur zu 
genaue Aehnlichfeit mit eurer eigenen Yebensweife ? 

Woher find denn eigentlich vdiefe ſeltſamen Sitten- 
richter ? Wie? Ihr habt in Mitte der Freunden und Frei— 
heiten des Weltlebens, in den Genüffen des Reichthums 
behaglicher Muße jo genau über die verfchiedenen Grade 
der Abtödtung und der Bußſtrenge, der Falten und Nacht- 
wachen urtheilen gelernt? Haben wir denn nicht in der 
Gefchichte an einem Heinrich VIII. genug, der die Klöfter 
jo vortrefflih unter Vorwand ihrer Unenthaltfamfeit und 
Ungeregeltheit zu ſtrafen, auszuplündern und zu ruiniren 
wußte, er der fo enthaltfane, fo gerechte, fo feufche König ? 
‚hr alfo, die ihr vielleicht von Kindsbeinen an nie mehr in 
einem chriftlichen Tempel die Knie gebeugt habt, ihr wollt 
euch zu Lehrern über Gebet und canonifchen Chordienft 
aufwerfen ? Und habt ihr denn im eurem eigenen Innern 
wirflich jo gewiſſenhaft alle fleifchlichen Wiünfche und 
Schwachheiten überwunden, daR es euch nun zuftinde, die 
mehr oder minder erwiefenen Unordnungen gewiffer Mönche 
mit dem Maße des Heiligthums zu meffen? Zeigt uns 
doch eure Anjtrengungen, ſagte Boſſuet zu gewilfen 
Kigoriften feiner Zeit. Ya, wenn ihr einmal mit einem 


CLXXXV 


Verfuche anfangen wolltet, auch nur die Teichtefte Negel 
zu beobachten, euch in die Uebungen der fchlaffeften Ordens— 
pisziplim zu fügen, dann Fünntet ihr allenfalls mit einiger 
Autorität zu Gericht fiten im ZTribunale der Gefchichte, 
und eure herbe Cenſur könnte einiges Vertrauen einflögen. 
Was! die Venediftiner aßen Fleifch; die Barfüßer trugen 
Schuhe; die Franzisfaner-Eoroeliers hatten Teinen Strid 
mehr zum Gürtel! Wahrhaftig! und ihr, ihre Anfläger, 
wie haltet ihr e8 denn mit alle dem? Sie gaben fich die 
Diseiplin nicht mehr fo oft als früher! Aber ihr, wie 
vielmal gebt ihr fie euch denn? Sie widmeten dem Ge- 
bete, der Arbeit nicht mehr fo viele Stunden als fie jollten! 
Nun denn, und ihr? Wo find denn die Felder, die ihr 
im Schweiße eures Angefichts bebaut, die Seelen, denen 
ihr mit eurem Gebete geholfen habt? Am Ende Tebten 
die ftrafbarften, die entartetften unter ihnen ohngeführ wie 
ihr lebt: darin befteht ihr Verbrechen. Wenn es eines ift, 
dann jteht es wenigftens euch übel an, es rügen und ftra- 
fen zu wollen. Wie? gerade ihr feid es, diejenigen, welche 
Alles aufbieten,, um die Kirche mit euren Yaftern anzu— 
jtefen, und dann werft ihr derfelben vor, daß fie davon 
berührt und befudelt fei! Ihr gebt eurem Opfer Gift ein, 
und rechnet es ihm als Verbrechen an, demfelben erlegen 
zu fein! Oh! Wahrlich, daß die Treuen, die Glaubens— 
eifrigen, die Reinen über die Klöfterliche Erfehlaffung ent- 
rüstet und untröſtlich bekümmert gewefen; daß ein Bern— 
hard, ein Petrus Damiani, ein Karl Borromäus, ein Franz 
Salefins, eine Katharina von Siena, eine Therefia vor 
Gott und vor der Nachwelt Inte lagen darüber erhoben, 
das ift begreiflich ; und unbegreiflich fein würde eben ihr 
Stilffehweigen. Aber ihr, die Erben oder die Lobredner der 
Urheber alles des Böſen das die Mönche verdorben hat, und 


CLXXXVI 


der Beraubung, die fie getroffen, ihr folltet die letten fein 
euch darüber zu verwundern und darüber, zu Flagen, denn 
ihr macht damit euren Vätern oder euch jelbft den Prozef. 

Es wäre demnach an der Zeit, das Gebiet der Ge— 
Ichichte den Scheingelehrten, dem Literatentroß, den nichts: 
würdigen Shfophanten der Beraubung zu fchliegen, die 
nicht zufrieden der Diebsführte vandalifcher Plünderer zu 
folgen, ſogar noch das Andenfen derer brandmarfen wollen, 
die von ihren Vorgängern noch unlängjt dem SHenferbeile 
und dem Demolirhammer überliefert worden find. 

Die moderne Staatsgefellfchaft, die fich vom Naube 
der Klöfter gemäftet, mag ſich damit begnügen: ſie ſoll 
nicht auch noch verlıngen wollen, daß man den Leichnam 
der Beraubten infultire. Sie mag den Chriften, den Apo- 
(ogeten des Mönchthums, und denen, die dafjelbe, von allen 
modernen Schlafen gereinigt, wieder herzuftellen bemüht 
find, die Sorge überlaffen, die Unordnungen derer, die aus 
der Art gefchlagen, in der Vergangenheit zu beleuchten, um 
dadurch für immer einer Wiederfehr derſelben vorzubeugen. 
Selbjt mitten in aller Entartung waren die Mönche nur 
ftrafbar in den Augen Gottes. Was auch immer ihre 
Berfündigung gegen ihre Regel, gegen ihren Stand und 
Beruf, gegen ihr Gewiffen gewefen fein mag, den Men— 
ichen gegenüber, gegenüber der Gejellichaft haftet auf ihnen 
feine Schuld. 

Bergebens wird man fich bemühen, den unterjcheiden- 
ven Charafter ihrer gefellfchaftlichen Aufgabe: mwohlthuend 
borübergegangen zu fein, zu werdrehen. Und, menfchlicher- 
weife zu reden, haben fie nur dies gethan: ihre ganze 
Yaufbahn bejtand darin, dag jie Wüften angebaut, die Ar- 
men beſchützt, den Bevölkerungen zu Wohlſtand verholfen 
haben. Gegen ihr Ende in betrübender Weiſe entartet, 


CLXXXVII: 


viel weniger thätig, viel weniger ftrebend und betriebfam, 
als in der Zeit ihres Urfprunges, waren fie nichtsdeſto— 
weniger an ihrem Ende noch eben fo wohlthätig. "Welchen 
Lande, welchem Einzelnen haben fie Böfes gethban? Wo 
find die Denfmäler ihrer Bedrüdung? die Beweiſe ihrer 
Raubgier? Mean gehe der breiten, tiefen Furche ihrer 
langen Gefchichte nach, man wird überall nur Spuren ihres 
Wohlthuns finden. 

Und jelbft auch, wenn in der Zeit ihres Zerfalles 
dem anders gewejen wäre, hätten fie nicht auch dann noch 
in ihrer ruhmvollen Vergangenheit überreiche Anfprüche an 
die Achtung und Schonung der Nachwelt machen Fünnen ? 
Durfte man fo des fchüßenden Obdaches vergeffen, das 
fie fo viele Jahrhunderte lang allen jugendlichen Kräften 
der hriftlichen Gefellfehaft gewährt haben? Durfte viefe 
zur Reife und Selbftftändigfeit gelangte Gefellfchaft ihre 
erlangte Kraft und ihre Freiheit migbrauchen, um die ge- 
heiligten Wiegen ihrer Kindheit zu vernichten und zu ver— 
unehren ? Hätte die reiche Webe ihrer Thaten von Men— 
Ichenliebe, von Heldenmuth, von Geduld, von hochherzigen 
und beharrlichen Anftvengungen gegen die verderbte und 
empörte Natur und die menfchliche Schwachheit, die jo 
überreich in die erjten Zeiten aller religiöfen Orden ein- 
gewebt jind, nicht auf ewige Zeiten die Ungerechtigfeit 
und den Undanf entwaffnen follen? Hätten nicht alle 
diefe gehäuften Mühen und Arbeiten, alle geleifteten Dienfte, 
alle von den geiftlichen Vorfahren auch des unbevdeutendften 
Klofters ganzen Gefchlechtsfolgen unferer Vorväter fo ver: 
Ichwenderifch ertheilten Wohlthaten genügen follen, um ihren 
Nachfolgern nun auch ihren Antheil an dem allgemeinen 
Rechte zu fichern, das ein Feder an Ruhe, an Freiheit und 
an's Dafein machen kann? 


Achtes Kapitel. 
Den KR nl 


Viderunt sanctificationem desertam, 
et altare profanatum, et portas exustas, 
et in atriis virgulta nata, sieut in saltu 
vel in montibus. 

I. Machab. IV, 38. 


Aber nein! weder Gerechtigkeit noch Pietät, weder 
Erinnerung noch Dankbarkeit, weder Achtung vor der Ver— 
gangenheit noch Sorge für die Zukunft iſt da. So hat 
ſich das Weſen des modernen Fortſchrittes beurkundet, wo 
es auf ſeinem Wege dieſen uralten und ehrwürdigen Trüm— 
mern begegnet iſt. Haß und Habgier haben nichts verſchont. 

Von allen menſchlichen Inſtitutionen, die von der Re— 
volution angegriffen und geſtürzt worden ſind, iſt doch im— 
mer noch etwas übrig geblieben. Die Monarchie, wie ſehr 
ſie auch verringert und erſchüttert ſein mag, hat dennoch 
gezeigt, daß ſie ihren Einfluß und ihre Gewalt wieder er— 
langen könne. Der Adel, obgleich überall, mit Ausnahme 
von England, annullirt und herabgewürdigt, iſt wenigſtens 
noch da. Der gewerbliche und kaufmänniſche Reichthum 
war nie mächtiger als jetzt. Nur die alten Orden ſollen 
ohne Wiederkehr verſchwunden ſein. Von allen Inſtitu— 
tionen der Vergangenheit die einzige gänzlich beraubte und 
gänzlich vernichtete iſt eben die nützlichſte und legitimſte von 


CLXXXIX 


allen ; die einzige, der in der ganzen Zeit ihres Beftandes 
nie ein Mißbrauch der Gewalt, eine gewaltfame Eroberung 
zur Yaft fällt, zu deren Vernichtung aber jede Art von Ge— 
waltthätigfeit und alle Tyranneien fich durch den nieder: 
trächtigften aller Angriffe werfchworen haben, durch den An— 
griff, welcher tödtet um zu rauben. 

Die Yavaftröme, welche der Veſuv und der Aetna 
ausfpeien, find immer noch erftarrt und abgelenft, bevor 
jie an die Gotteshäufer famen, welche jich die Kamaldu— 
(enfer und die Benediftiner an den Abhängen diefer furcht- 
baren Feuerfchlünde erbaut haben. Der moralische Bulfan, 
deſſen Ausbrüche die chriftliche Welt verwüftet haben, hat 
weniger Unterſcheidung gemacht: ev hat Alles mit fich fort- 
geriffen. Alles ift im gleichen Untergange verjchlungen. 
Nicht nur in den Städten, in den großen Meittelpunften 
der Bevölferung, in der Berührung mit allen großen Ström— 
ungen des modernen Lebens, hat die Zerjtörung völlig freien 
Lauf gehabt: fie hat auch die Wälder und Wüſten durch- 
wühlt, um in denfelben ihre Opfer zu holen. Keine Eins 
öde ift tief genug gewefen, fein Berg fo fteil, fein Thal 
jo entlegen, um vderfelben ihre Beute verbergen zu können. 
Sie hat weder Alter noch Gefchlecht verfchont. Sie hat 
das wehrloje Greifenalter des Mönches wie die fchuldlofe, 
rührende Schwachheit der gottgeweihten Jungfrau mit roher 
Hand angetaftet; den Einen wie die Andere hat fie ge- 
waltfam aus ihren Zellen geriffen, aus ihrem eigenen Haufe 
verjagt und ihres Eigenthums beraubt, um fie wie Hei- 
mathlofe und Geächtete ohne Aſyl und ohne Unterftügung 
hinauszumwerfen in die weite Welt. So haben viefelben — 
zwar oftmals wohl allzu unvollfommenen Jünger Chrifti wie 
jie waren, aber jeither durch die nichtswürdige Verfolgung, 
die jie erduldet, rehabilitirt und geheiligt, — mit ihrem gött- 


CXC 


lihen Meifter fprechen fünnen: „Die Füchfe haben ihre 
Höhlen und die Vögel des Himmels ihre Nejter, ver Sohn 
des Menschen aber hat nicht, wo er fein Haupt niederlege!).“ 

So erflärt man die Älteften und beharrlichiten Wohl- 
thäter der chriftlichen Geſellſchaft für gefeß- und rechtlos, 
und der menjchheitlichen Acht und Aberacht verfallen! Und 
noh dazu durch was für Organe? Durch die erbärm- 
liche Allgewalt einer Bande von Lügenfchmieden und Ver— 
läumdern, von Menfchen, die für die Menfchheit im Grunde 
gar nichts gethan, die ihr, in Form von Wohlthaten, ein 
Uebermaaß von Hochmuth, won Eiferfucht und von Zwie— 
jpalt zugebracht haben ; die damit angefangen, ihre Lehren 
mit dem Gifte der Yüge niederzufchreiben, und die dann 
die Folgerungen daraus mit Blut unterzeichnet haben; deren 
ſämmtliche Theorien bei Art und Beil anlangen. Die 
Strafe füllt auh am Ende auf fie ſelbſt. Die göttliche 
Gerechtigkeit hat ihrer ſchon Viele ereilt; manch Einer der— 
jelben bat bereits in diefer Welt fchon einfehen gelernt, 
daß unrecht Gut nicht gedeihet und nicht anfchlägt. Mehr 
als Einer hat noch bei feinen Lebzeiten veichlichen Anlaß 
gehabt, die Ruhe und ven Seelenfrieven derjenigen zu be— 
neiden, die er jo graufamer Weile ihres Vermögens be— 
raubt und deren äußern Frieden er getrübt hat. 

Und, als ob eine folche Ungerechtigkeit noch nicht ge- 
nuglam zu Gott um Rache fchreie, wollten fie ihre Frevel- 
that durch zahllofe Einzelmheiten, durch alle einzelnen Umſtände 
bei VBollführung derfelben noch ftrafbarer machen. Mean fucht 
vergebens in der Gefchichte nach einer Ähnlichen blinden, 
viehifch-rohen Verwüftung. Welcher Ehrliebende würde nicht 


) Vulpes foveas habent, et volueres cœli nidos; Filius autem 
hominis non habet ubi caput reclinet. Matth., VIII, 20. 


CXCI 


ſchaudern bei dem Anblicke oder bei dem bloßen Gedanfen 
diefer ungeheuren, unbarmherzigen Zerftörung, dieſer allge- 
meinen VBerwüftung, diefer Trümmern, die noch jett todten- 
ſtill, unförmlich und beſudelt um uns herumliegen? Bei 
welchem Barbareneinfalle iſt jemals mit einem Schlage 
eine ſolche Maſſe von wunderherrlichen Denkmälern, von 
volksthümlichen Ueberlieferungen, von Hülfsquellen für öf— 
fentliche Wohlthätigkeit oder für die dringendſten Bedürf— 
niſſe des Volkes zu Grunde gegangen und nutzlos vergeu— 
det? Welch ſchmählicher Abſtand zwiſchen jenen älteren 
Vorfahren unſerer Völkerſchaften, deren ganzes Beſtreben 
dahin ging, zu erbauen, zu fördern, zu erhalten ; und dieſen 
jüngften Gefchlechtern, die nur umzuftürzen, zu zerftören 
und zu confisziven verftehen ; zwifchen jenen Vätern mit 
jtet8 offener Hand zum Geben, und diefen Söhnen welche 
das Almofen ihrer Väter ftehlen ! 

Nichtsveftoweniger ift in unferm, durch die Reforma— 
tion und die franzöfifche Revolution längſt allzufehr mit 
Schande bevdedten Europa, das ſchmählich gemeine Werf 
noch jeit dem Anfange unſers Jahrhunderts fortgefegt und 
ausgedehnt worden. Gefrönte Nachahmer des revolutio- 
nären Raubſyſtems, und abgebleichte Bandalen, die aus Kraft- 
(ofigfeit ihrer räuberifch frevelhaften Barbarei nicht einmal 
den Anftrich der wilden Energie der franzöfifchen Republi— 
faner zu geben im Stande find, haben in Rußland, in 
Spanien, in der Schweiz, in Piemont das mörderiſche Werf 
Sojephs II. und der franzöfiichen Conftituante fortgefegt. 

Nicht nur in den Stürmen einer fiegreichen oder dis— 
putirten Revolution, wo die Völfer kaum das Bewußtſein 
von den Berbrechen, die fie begehen, zu haben. fcheinen, 
jind diefe Frevelthaten begangen. Im tiefften Frieden, in 
förmlichem Wiverfpruche gegen den erflärten Volkswillen, 


CXCU 


hat man geſehen, wie eine abgefeimte Bureaufratie, die den 
geringsten Irrthum in den Nechnungsbüchern aufzuftöbern 
und als ein Verbrechen zu bejtrafen verfteht, das Werk der 
Beraubung, die offene, beharrliche Verlegung des Eigen- 
thumsvechtes mit methodiſchem Ernſte betrieben hat. Nicht 
fremde Sieger find es, nicht einmal revolutionäre Horden, 
jondern nur zu oft die gefrönten Nachkommen der Gründer 
und der Wohlthäter von Ehemals; es find ordentliche, im 
Frieden beftehende, von Allen anerfannte Negierungen, welche 
das Demoliren zum Shitem erhoben, und ihm als Präam— 
bulum die Güterbefchlagnahme vorausgefchieft haben, 

Der Sohn Maria Therefiens hatte in feinen Staaten 
hundert und vierumdzwanzig Klöfter aufgehoben und deren 
Güter im Werthe von mehr als zweihundert Millionen 
Gulden confiscirt, was feinen Staat nicht gehindert hat, 
jeitdem dreimal Banferott zu machen. Aber feit Menfchen- 
gedenfen, im einem Zeitvaume von fünf Jahren — von 
1530 bis 1835 — verfchwanden, wie berechnet worden tft, 
vom europäiſchen Boden an dreitanfend Klöfter. Einzig 
im Königreich Portugal find unter der Negentfchaft won 
Don Pedro dreihundert zerjtört worden. Noch find, mei- 
nes Wiffens, Diejenigen nicht gezählt, welche die Königin 
Shriftine mit einem Federzuge in Spanien vernichtet hat!). 
Zweihundert andere find im Blute Polens?) durch jene 
mosfowitische Autofratie erſtickt worden, die fich jederzeit 
mit den Demokraten des Übrigen Europa zu vereinigen 
weiß, wo es fich um Knechtung und Beraubung der Kirche 
bandelt. 


) Im Jahre 1835, nachdem das aufgeflärte Volk von Ma- 
drid mebrere Jeſuiten in ihrem Haufe lebendig verbrannt hatte, 

2) Der Kaifer Nikolaus I. bat durch Ufas vom 31. Juli 1841 
nicht weniger als 187 aufgehoben, 


CXCIII 


Um dergeſtalt maſſenweiſe die ehrwürdigen Stätten 
vernichten zu können, die ſo viele Jahrhunderte lang den 
theuerſten Erinnerungen allen Nationen der Chriſtenheit als 
Heiligthum und ihren koſtbarſten Denkmälern als Afyl gedient 
hatten, mußte offen und unumwunden geſagt und gezeigt 
werden, daß man ungefcheut all denjenigen Hohn fpreche, was 
die Menſchen bis dahin geachtet und geliebt hatten. Und 
davan hat man es wahrlich nicht fehlen laffen. Um vie 
Gott geweiheten Perfonen und Sachen dejto ficherer zu 
treffen, nahmen die Klofter- und Kirchenfchänder feinen An- 
jtand, zugleich auch die Ehre, den Heldenmuth und die ge- 
heiligten Heberlieferungen zu verunehren, die das Leben und 
die Unabhängigkeit der Völker bewahren. Was die gottlos 
gewordene Republik in Franfreich unter der Schredens- 
berrfchaft zu thun wagte, hatte die proteftantifche Monarchie 
in England bereits worher gethan. Heinrich IV. und Lud— 
wig XIV. waren nicht die erjten Könige, deren iwdijche 
Ueberrefte von Klefterftirmern und Verwüſtern verunehrt 
und zerjtrent wurden, Lange vorher ſchon ward die Xeiche 
König Yafobs IV. von Schottland, welcher bei der Ver- 
theidigung jeines Vaterlandes in der Schlacht gefallen war!), 
bei Heinrichs VII. ſchändlicher Konfiscation des Klofters, 
wo die Hülle des tapfern Helden beigefegt worden war, 
ausgegraben und enthauptet?). Ebenſo wenig wurden die 
Gebeine Alfreds des Großen gefchont, als die letzten Ueber: 
vejte des Kloſters, das er an der Stätte, wo er zu ruhen 
gedachte, gegründet hatte?), weggefchafft wurden, um einem 
Gefängniſſe Plaß zu machen, Die ruhmreichſten Erinners 


) In der Schlaht von Flodden im Jahre 1513. 
2) In Sheen bei Windfor, 
) In Wejtminfter, 

v. Montalembert, d. Mönde d. A. I. n 


CXCIV 


ungen im Volfe haben fo wenig als der unbefanntefte Be- 
wohner einer Klofterzelle Gnade gefunden. Weder Richard 
Löwenherz noh Blanca von Kaftilien find im Stande ge- 
weſen, Fontevrauld oder Maubuiffon vor dem allgemeinen 
Schickſale zu retten. 

Die tapfern Helden, welche in ihren Gräbern unter 
der Hut der Mönche ruheten, traf das gleiche Schieffal wie 
die Könige. Die Afche des Eid ward aus dem eingezoge- 
nen St. Petersflofter von Cardennas weggenommen, wo 
er zum woraus feine Ruheſtätte gewählt, wo er, in die 
Berbannung gehend, ſeine Ximene gelaffen hatte, als fich 
Beide von einander trennten, wie Nagel und Fleifch fich 
trennen). Das prachtvolle Klofter, welches Gonfalvo 
von Cordova für Hieronymiter bei Granada gegründet hatte, 
ift in eine Kaſerne umgewandelt, die Kirche in ein Ma— 
gazin, und das Schwert des großen Feldherrn, das noch 
unlängst vor dem Hochaltare hing, ift von feiner Stelle 
berabgenommen und an den Meiftbietenden verkauft worden?). 


', Poema del Cid. Siebe das liebliche ſchriftſtelleriſche Kunſt— 
werf von Ozanam, unter dem Titel: Un pelerinage au pays 
du Oid. 

?) Im Sabre 1835 und für drei Franken, wie das jpanifche 
Zeitungsblatt /. Heraldo vom Januar 1844 jagt. Dies Klofter, 
eines der prachtvolliten Gebäude Granada’s, war anfänglich von Gon- 
ſalvo zu einem Palafte fir fich jelbit erbaut worden; der König Fer— 
dinand der Katbolifche, welcher ibn eines Tages daſelbſt bejuchte, 
fagte ihm mit einiger Bitterfeit: Diefer Palaft ift ſchöner als 
der meinige. — Es ift wahr, Sire, antwortete Gonfalvo, aber 
er tft auch fir einen Größern, als ihr feid, beftimmt, 
denn ih ſchenke ihn Gott. Ich führe diefe Ueberlieferung an, 
fo wie mir diefelbe im Jahre 1843 von einem Kavallerie -Obriften 
erzählt wurde, welcher in den wunderſchönen Kreuzgängen des großen 
Kapitäns die Abwartung der Pferde feines Negiments überwachte. 


OXCV 


Ebenfo wenig Ghaen die Elenden die Denfmäler der, 
von dem Frieden des Grabes und dem Gebete der Mönche 
geläuterten ivdifchen Liebe verschont; die aufgeflärte Bar— 
barei unferer Tage hat diefelben in ihrer rohen Blindheit 
mit den Ueberreften des Glaubens und der Buße zufammen 
geworfen. Das Grabmal Heloifens im Paraclet ift zer- 
trümmert gleichwie dasjenige Yaura’s in der Franzisfaner- 
firche zu Avignon; und der Leichnam der Inez de Caftro, 
den der umtröftliche Schmerz Peters des Graufamen den 
Söhnen des heiligen Bernhard übergeben hatte '), ift aus 
jeinem füniglichen Grabdenfmale beransgeriffen und von 
Keisläufern profanirt worden ?). 

Hätte man wenigftens noch, bei der Konfisfation 
diefer vielhumdertjährigen Klöſter, und indem ihre fried- 
lichen Bewohner in die Verbannung gefchiet, oder zum 
Tode verurtheilt wurden, die Auinen gefchont; fünnte man 
wenigftens, wie in England und in Deutfchland, noch die 
in ihrer trauernden Schönheit noch immer jo evhabenen 
Ueberbleibfel diefer Denfmäler won unnachahmlicher Schön- 
heit und vollendeter Architektur zeigen! Aber die moder- 
nen Vandalen haben das Beilpiel, das ihnen vor drei- 
hundert Jahren die fogenannten Neformatoren gegeben ha— 
ben, noch überboten. In Spanien, in Portugal, in Frank— 
reich insbefondere hat die Kunſt des Zerftörens Fortſchritte 
gemacht, welche ven roheſten unferer Vorväter unbekannt 
waren, 


) Zu Mcobaca. 

?) Fügen wir zu unferer no größern Schmach hinzu, daß dieſe 
Reisläufer Franzofen im Solde Dom Pedro's waren. Das Haupt- 
haar der Inez de Caſtro, das aus ihrem vermehrten Grabe her— 
ausgenommen, ift bei einem Amateur in Paris, Bei einem andern 
zeigt man die Gebeine der Kimene. 

n* 


OXCVI 


Bei ung hat man fich nicht begnügt mit Plündern, 
mit Profaniven und Wegnehmen ; alles hat umgeſtürzt, dem 
Erdboden gleichgemacht werden müffen, fein Stein hat auf 
dem andern bleiben dürfen; ja fogar das Innere der Erve 
ift noch durchwühlt worden, um ja auch den letten dieſer 
geweihten Steine herauszureißen. Mit vieler Wahrheit 
ift gejagt worden '), fein Wolf der Erde hat fich, jo wie 
wir, von feinen eigenen Nitbürgern der Denfmäler berauben 
laffen, welche am veutlichjten,, nicht nur die Pflege der 
Kinfte und Wilfenfchaften, jondern auch die edeljten An- 
jtrengungen des Gedanfens und die thatkräftigſte Aufopf- 
erung der Tugend bezeugten. Das morgenländifche Kaiſer— 
thum ift von den Türken nicht fo in Grund und Boden 
hinein ausgeraubt worden, wie e8 Frankreich noch fortwäh— 
rend von der imerfättlichen Demoliverbande ſich gefallen läßt, 
die, nachdem fie dieſe großartigen Gebäude, diefe ausge- 
dehnten Herrfchaften um einen Spottpreis an fich gebracht 
hat, viefelben als Steinbrüche ausbeutet, um frevelhaften 
Wucherzing daraus zu ziehen. Sch habe mit eigenen Augen 
die Säulenknäufe und die Zierfäulen von Kloſterkirchen, 
die ich nennen fünnte, als Pflafterfteine für die benach— 
barte Yandftraße verbrauchen fjehen. Das beißt eben fo 
viel, als wenn Farbenkrämer den Karmin oder das Ultra- 
marinblau von einem Gemälde von Ban Eye oder Peru- 
gino abſchaben würden, um ihr Waarenlager damit zu 
vermehren. 

In Kleinafien, in Aegypten, in Griechenland ftehen 
noch bie und da Ueberbleibjel alter Denkmäler, welche die 
Wuth der Ungläubigen verfchont ; einzelne bleibend be- 
rühmte Stätten, wo der fromme Eifer des Pilgers oder 


) De Guilhermy, Annal. Archeolog., I, 101. 


OXCVI 


die Neugierde des Forſchers Befriedigung finden Fünnen. 

Aber in Frankreich, und in den Ländern die es nachahmen, 
Tota teguntur 

Pergama dumetis: etiam periere ruin® ... 

Der Vandalismus hält nur ein, wenn nichts mehr da 
ift, was er zu Staub zerichlagen kann. So fieht man 
manchmal fogar den Namen, fogar die örtliche Erinnerung 
kon den Klöftern verfehwinden, welche die ganze Uimgegend 
zuerjt urbar gemacht und eine Bevölkerung dorthin gezogen 
haben. Während, noch ganz fürzlich, eine hochlöbliche, aus- 
gediente Erudition ſich abmühete, die etruskiſchen und pe- 
lasgifchen Ruinen Fritiich zu unterfuchen und beim fleinften 
Stückchen Römerſtraße, das fie fand, vor Entzücen außer 
fich gerieth, wußte fie nicht das mindefte von jenen großen 
Metropolen chriftlicher Tugend und Wiffenfchaft, genannt 
Cluny, Eijterz, Fleury, Marmontier, und natürlich auch 
von jo vielen anderen minder berühmten Klöftern, deren 
jedes jedoch eine Gefchichte woller Verdienſte und Dienft- 
leiftungen aufzuweifen Hatte, die eines ewigen Andenfens 
werth jind. 

Vix reliquias, vix nomina servans 
Obruitur, propriis non agnoscenda ruinis. 

In den Landkarten oder Werfen der alten Geographie 
muß man nachfchlagen, um die Stelle diefer wunderfamen 
Schöpfungen des Glaubens und der Liebe wieder aufzu— 
finden: allzu häufig würde man vergebens das verödete 
Gedächtniß eines durch Unglauben und ziigellofen Mate— 
rialismus verdummten Gefchlechtes darnach fragen. Sie 
würden euch anftieren wie der Beduine der Wüſte den 
KReifenden, der ihm über die Genealogie der Pharaonen 
oder über die Annalen der Thebais Fragen ftellen wollte, 

Anderswo find allerdings diefe hehren Heiligthümer 


CXCVIII 


ſtehen geblieben, ſind aber verſtümmelt und metamorphoſirt 
worden, um durch den Spoliator eine Beſtimmung zu er— 
halten, die wie ein Schandfleck an ihnen haften bleibt. 
Hier iſt es ein Pferdeſtall, dort ein Theater, anderswo 
eine Kaſerne oder eine Strafanſtalt, die man in dieſen 
Ueberreſten der berühmteſten Klöſter antrifft. An der 
Stelle des heiligen Bernhard und ſeiner fünfhundert Mönche 
ſind jetzt in Clairvaux fünfhundert Sträflinge. Dem hei— 
ligen Benedikt von Aniane, dem erlauchten Kloſtererneuerer 
aus den Tagen Karls des Großen, iſt es nicht beſſer ge— 
glückt, eine ähnliche Schmach von dem Kloſter abzuwenden, 
deſſen Namen er bis in den Himmel erhoben hatte. Fon— 
tevrault, Mont-St.Michel, hat das gleiche Loos getroffen. 
Diefe Häufer des Gebetes und des Friedens find geworden, 
was man in unfern Tagen Centralgefängniffe (maisons 
centrales de detention) nennt, zweifelsohne um das Wort 
des Grafen von Maiſtre in Erfüllung zu bringen, indem er 
jagte: Sie werden mit den Ruinen der Klöjter 
welche fie zerftört haben, Sflavenzwinger bauen 
müfjjen !). 


') Eyſſe, Beaulieu, Cadillac, Loos und andere Centralgefäng- 
niffe waren ebenfalls ehemalige Klöfter. Limoges ſcheint ganz befon- 
ders in dieſem ciwilifatorifchen Geſichtspunkte begünftigt zu fein: 
Das Centralgefängniß ift an der Stelle gebaut, wo die Abtei St.- 
Auguftin-les-Limoges geftanden hatte, und mit dem Baumaterial, 
das durch die Demolirung diefes ehrwürdigen Hauptkloſters des Or— 
dens bon Grandmont gewonnen worden; das Theater. der Stadt 
erhebt fih an der Stelle der Klofterfivhe von St. Martial, die ältefte 
Kirche der Provinz Limoufin. In Paris haben wir in unferen Ta- 
gen das Pantheon» Theater an die Stelle der kürzlich demofirten 
St. Benediktsfiche fommen jehen ; ein Kaffeehaus erhebt ſich an der 
Stelle, wo ehemals das Chor der prächtigen Kirche der Prämonſtra— 
tenjer ſtand. 


OXCIX 


Wir haben bei uns noch empörendere Profanationen 
als dieſe gefehen. In Cluny, dem erlauchtejten Klofter 
der Chriftenheit, iſt die Kirche, die größte in Franfreich und 
in Europa nach der St. Petersficche in Nom, nachdem fie 
zwanzig Jahre lang geplündert und demolirt worden, fo 
daß fein Stein auf dem audern blieb, zu einer Stuterei 
umgebaut !), und genau die Stelle, wo der Hochaltar ge— 
jtanden, diente noch im Jahre 1844 als Beſchälungslokal. 

Das Klofter Bec, diefe von Yanfranf und dem heili- 
gen Anſelm verewigte chriftliche Akademie, Wiege der fathr- 
lifchen Philofophie im XIJ. Jahrhundert, ift zu ganz ähn- 
lichem Zwecke eingerichtet worden. In der That auch, 
warum hätte der heilige Anfelm für fein Kloſter eher Gnade 
finden follen, als Petrus der Ehrwürdige für das feine? 
Und ift e8 nicht übrigens auch ganz jo die Art, wie die 
Söhne der Gewalt und des Glüces die großen Männer 
der Gegenwart zu ehren pflegen? Haben es vie Türfen 
anders gemacht mit den Stätten, an denen Ariftoteles und 
Plato gelehrt, und wo Demojthenes zum Volke von Athen 
geredet hat ? 


') Fügen wir noch hinzu, daß gleichfalls Cambron, eine der be- 
rühmteften Stiftungen des heiligen Bernhard in Belgien, eben fo 
lange eine dem Herrn Grafen Duval v. Beaulieu gehörige Stuterei 
gewefen, und daß im Jahre 1845 die Abtei Heiligenkreuz in St.-Lö 
abgebrochen und zu Stallungen von Hengften eingerichtet worden. 
Bulletin monumental, t. XI, p. 295. — Die Klöfter, deren Nas 
men bier folgen, find der landwirthichaftlichen Sektion des Staats- 
büdget zufolge, öffentliche Stutereien : Braisne, Langonnet, Moutier- 
en-Der, Nofieres, St.-Mairent, St.-Menehould, St. Pierre-fur-Dive, 
St. Niklaus in Caen. Die Klöfter, welche wie Notre-Dame von 
Saintes, oder St. Germain in Compiegne einfach zu Pferdeftällen 
eingerichtet find, find faft nicht zu zählen. 


cc 


Wenn fich der Bitterfeit diefer fchmerzlichen Erinner- 
ungen ein Gefühl der Entrüftung mit beimifcht, fo wolle man 
dies einem Manne zu Gute halten, der einen guten Theil 
feines Lebens dazu verwendet bat, in faft allen Ländern 
von Europa den Spuren monaftifher Wohlthaten und 
Größe nachzugehen, und der auf diefen mühevollen Wan- 
derungen überall an Trümmern ftraucheln mußte, welche 
von der modernen Barbarei aufgehäuft worden find. Er 
hat mit der gewifienhafteften Aufmerkfamfeit das Berfahren 
fennen gelernt, mittelft deffen die Hinterlagen der chriftlichen 
Nächitenliebe, wie man jagt, in Circulation gefekt werden, 
und um jene Güter der todten Hand dem, was man 
heutiges Tags Leben nennt, zu übergeben. Er hat vie 
Erinnerungen vieler, oftmals achtzinjähriger Greife gefam- 
melt, welche die Mönche im Glanze ihres Beftandes und 
ihrer Freiheit noch gefehen hatten. Manchmal ift er auf 
der Stätte der Heiligthümer im Augenblicke angelangt, wo 
die Demolirer ven letten Kreuzbogen der gothifchen Kirchen 
wegichafften. Die herrliche Karthauſe von Sevilla ift ihm 
von einem belgifchen Bandalen, der darin den Brennofen 
jeiner Fayance-Fabrik hatte, vor der Nafe zugefchloffen 
worden. Deutſche Yutheraner im Naſſauiſchen haben ihre 
Schweine in den Zellen von Nothgottes, und franzöfifche 
Katholifen unter den wunderlieblichen Skulpturen des Kreuz: 
ganges von adouin !) untergebracht. Dort hat er ges 
jehen, daß es Menſchen geben kann, deren gefräßige Hab- 
gier und rohe Gottlofigkeit fie noch unter das Vieh herab- 
würdigt. 

Es iſt nicht überall fo, ich weiß es. An vielen Drten 
hat die Induſtrie dem Demolivhammer die Frucht des 


') Eifterzienfer-Klofter in der Provinz Perigord. 


CCl 


Raubes zeitweilig entzogen, um ihren Speculationen und 
ihren Manufafturen darin Raum zu verfchaffen. Bei der- 
artigen Umgeftaltungen wäre num, fo follte man meinen, 
nichts natürlicher gewefen als das Beifpiel und die Ueber- 
lieferung, woran dieſe geheiligten Räume evinnerten, nicht 
ungenutt zu laffen. Es wäre bier eine neue, folgenreiche 
Anwendung des religiöfen Momentes in weife gewählten, 
nachhaltig angewandten Formen anf die großen Anhäufungen 
von Arbeiten zu machen gewefen, die an die Stelle der 
Mönche gefommen find, auf diefe gewaltigen Werf- und 
Arbeitsftätten, wo die Negelmäßigfeit der Bewegungen, 
vie Sittlichfeit der Penfer, ihre geiftige Zufriedenheit und 
ihre zeitlichen und ewigen Intereſſen, ficherlich noch ganz 
andere Bürgfchaften fordern würden als rein materielle 
Borschriften und Reglemente, Aber bis dahin hat man die 
Lehren der Vergangenheit noch nicht begreifen wollen. Es 
ift, mit fehr wenigen Ausnahmen '), der ungefchent zur 
Schau getragene Materialismus, welcher hier überall an 
die Stelle der Erinnerungen und der Yehren der Vergang- 
enheit getreten ift. 

Auf der Stätte diefer von ver Uneigennütigfeit und 
Nächjtenliebe gefchaffenen Denkmäler, oder neben ihren da- 
liegenden Trümmern, ſieht man jett irgend ein geiftlofes 


') Unter diefen gebietet die Pflicht, das Hüttenwerk, welches 
9. Peigne-Delacour in der ehemaligen Cifterzienfer- Abtei von Durs- 
comp bei Noyon, nambaft zu machen, fowie auch dasjenige der Herren 
Seguin und Montgolfier in den Kloftergebäuden won Fontenet bei 
Montbard: diefelben haben eine thätige Sorgfalt für das fittliche 
und phyſiſche Wohlbefinden ihrer Arbeiter mit der einfichtigften Acht- 
ung vor den wunderherrlichen Klofterruinen zu verbinden gewußt, 
deren Befiter fie geworden find. 


CCH 


und häfliches Gebäude jtehen, das zu dem Zwede errichtet 
ijt, den Kult der Gewinnfucht und die DVerthierung des 
innern Menſchen zu verbreiten. An die Stelle jener freien 
flöfterlichen Gemeinden, wo die Winde des Armen jo laut 
und ausdrucksvoll verfündet wurde, und wo feine Söhne 
auf gleichem Fuße ftanden mit den Söhnen ver Fürften 
und der Könige, hat der Geift der Habfucht eine Art von 
Kerker zu feten gewußt, in welchem er nur zu oft auf's 
Genaueſte Faleulivrt, bis zu welhem Punkte ev den armen 
Arbeiter ausnutzen darf, indem er durch die Konfurvenz den 
Taglohn möglichit herabvrüdt, und durch die Mafchinen- 
arbeit den Gebrauch feiner geiftigen Fähigkeit auf ein Ge— 
ringſtes einfchränft. Defter vaspelt und haspelt die Spin- 
nerei förmlich unter den Wölbungen des alten Heiligthums. 
Anftatt der früheren allnächtlihen und täglichen Lob- und 
Dankhymnen Gottes wiederhallen die verunehrten Gewölbe 
nur zu oft von den Gottesläfterungen, von wilden Ge— 
Ichrei und von Schmußreden, untermifcht vom widerlichen 
Getöfe der Mechanif, dem Geächze der Säge und dem 
eintönigen Gejeufze des Stampfjtodes. Bei diefer Um: 
wandlung jteht über den ehemals gaftfrei geöffneten Pfor- 
ten, an denen die unermüdetite Nächjtenliebe Wache hielt, 
mit großen Buchftaben zu lefen: der Eintritt ift ohne 
bejondere Erlaubniß verboten !); und dies aus dem 


) Wir wollen gewiffe ehemalige Kloftergebäude in Frankreich) 
nicht nambaft machen, an welden man jetzt diefe Inſchrift lieſt, da 
wir am Ende, ungeachtet des Verbotes, doch hineingefommen find. 
Mir weifen dagegen darauf hin, daß man zu Netley, ehemaliges 
Cifterzienferklofter in der Nähe von Southampton, defjen bewunderns— 
mwürdige Ruinen ſehr bejucht find, als erbauliche und ermuthigende 
Inſchrift die Worte gejchrieben findet: Those who do not follow 
the beaten path, will be prosecuted. 


CCIII 


Grunde, damit ja kein unbequemer Ausforſcher oder gieriger 
Konkurrent das Geheimniß der den heiligen Ort verun— 
ehrenden Fabrik ablauſche. 

Nicht ſo lautete es früher an den Eingängen der 
Klöſter, welche, als ſie noch als ſolche beſtanden, bis zu ihrem 
letzten Tage zugänglich für Jedermann waren, und weit 
entfernt, den Armen und den an das gaſtliche Thor an— 
klopfenden Wanderer auf die Seite zu ſchieben, keine un— 
beſcheidenen Blicke, keinen ungelegenen Beſuch zu ſcheuen 
brauchten, Dank jenem tiefen Gefühle frommen, brüderlichen 
Vertrauens, das überall herrſchend war, und das auch jene 
Inſchrift eingegeben hat, die wir vor einigen Jahren über 
dem Eingangsthore eines der landwirthſchaftlichen Gebäude 
ver Abtei Morimondo bei Mailand !) geleſen und abge— 
jhrieben haben: Entra, o passaggiere! e prega 
Maria madre di grazia. 

Selbjt da, wo es, wie es am häufigften vorfommt, 
das Yandvolf ift, welches mittelbar die Früchte der Be— 
raubung geerntet hat, bieten fich nicht auch da dem Beob— 
achter Erwägungen ſehr ernfter Natur dar? Wer möchte 
den umbejtreitbaren Fortichritt des Wohlftandes und der 
Unabhängigfeit unter unferm Bauernftande jeit 1789 läug— 
nen wollen? Wer freut fich nicht voll herzlicher Theil» 
nahme über ihre angenehmere, fveiere Yage? Wo fünde 
jih Einer, der fo entartet und fo verdorbenen Herzens 
wäre, um fich nicht doppelt feines freien Befitthums zu 
freuen, wenn er bevdenft, daß auf diefem Boden Frank: 
veichs, deſſen erſte Bebauer die Mönche waren, Alle, Dant 
der Früchte ihrer freien Arbeit, zu dem gleichen Wohl- 


?) Das Wirthihaftsgebäude Casina Cantaluca di Ozero ge- 
nannt, an der Landftrage von Abbiate Grasso nad) Pavia. 


CCIV 


jtande gelangen Fünnen und follen? Und wer rechnet nicht 
mit einer gewiffen beglücfenden Zuverficht auf noch fernere 
Vermehrung dieſes allgemeinen Wohljtandes, falls nicht 
neue Stürme oder öfonomifche Verirrungen den geregelten 
und natürlich gewiejenen Gang der Dinge hemmen? Aber 
wo iſt einer diefer modernen Kortichritte, der mit der Acht- 
ung des Kigenthumsrechtes der Mönche unvereinbar ge— 
wejen wäre ? 

Die Mönche waren überall durch die beziehungsweife 
Ueberlegenheit ihrer Bodenkultur, zugleich durch die Leich— 
tigfeit und insbefondere die Sicherheit der Bedingungen, 
welche fie den Acferbauern bieten fonnten, die Begründer, 
die Vorläufer des Fortichrittes und des Wohlftandes der 
Landbevölkerungen geweſen. Alle erleuchteten und compe— 
tenten Zeugniſſe ſtimmen darin überein, daß das Grund— 
eigenthum der Klöſter auf die davon abhängigen Bevölker— 
ungen von einem durchaus wohlthätigen Einfluſſe geweſen 
iſt. Der moraliſche Verfall, der Mangel an Disciplin im 
Innern hat nie auf dieſen Charakterzug ihres Beſtandes 
den mindeſten nachtheiligen Einfluß geübt, ſelbſt nicht an 
den Orten, wo ein bedauerliches Feithalten an veralteten 
Gebräuchen einzelne Ueberrefte von Hörigfeit bewahrte, die 
aber in der Wirklichkeit weniger drücdend und gehäffig 
ivaren, als fie e8 im Grundſatze find. Sogar unter jener 
vorgeblihen Dienftbarfeit, welche das XVII. Yahr- 
hundert, auf die Parole Boltaire's, den Nachfolgern der 
alten Mönche im Sura!), fo fehr zum VBorwurfe gemacht 


3) Siehe die Definition hierüber in den Memorres presentes 
au roi contre le Chapitre de St. Claude, p. 7, 21, 32, 148. 
Diefe vorgeblihen Leibeigenen waren nichts anders als die Nach— 
fommen der alten Kolonen, welche nur den theilweifen Genuß des 


CCV 


hat, vermehrte fich die in Hörigfeitsverhältniffen verbliebene 
Bevölkerung doch fortwährend, ungeachtet der Unfruchtbar- 
feit de8 Bodens und der Allen garantirten Befugniß, fich 
nach Belieben Dienftherren zu fuchen‘). „Die Erfahrung 
fehrt uns,” jagt ein alter Gefchichtfchreiber, „daß es in 
der Graffchaft Burgund die hörigen Bauern viel beffer 
haben, als diejenigen, welche in der Freigrafichaft wohnen, 
und daß es ihre Familien, je zahlreicher fie find, deſto 
leichter zu Wohlftand bringen?).“ „Im Allgemeinen,“ 
jagt ein gelehrter proteftantifcher Forſcher unferer Tage, 
„Fand fich bei ihnen größerer Wohlftand und bejjeres Aus- 
fommen, und ihre Familien vermehren fich ungehinderter, 
als bei der andern Klaſſe der Bauern?).” Die gleiche 


Grundſtückes hatten, das ihnen won den Mönchen überlaffen worden 
war. Sie waren durhaus nur den Beichränfungen unterworfen, 
welche überall in Bezug auf die Nubnießer und die Befitser eines 
Fideikommiß bejtanden. 

) Edouard Clere, Essat sur Vhistoire de la Franche- 
Comte (eouronn& par l’Institut), 1842, 1.212.307 

) Dunod, Traite de la main-morte, p. 15. 

) Duvernoy. (de Montbeliard) eitirt von Charriere, Re- 
cherches sur Romainmoutier: p. 296, Lausanne 1855. Der 
gleiche Verfaffer fchreibt ferner: „Uertainement, la main-morte, 
n’etait pas aussi hideuse que l’ont voulu depeindre quelques 
soit-disants philosophes du XVIN. siecle: et j’ai dit plusieurs 
fois que le sort de ceux de cette condition a dü 6tre envie 
par beaucoup des hommes simplement taillables et corve&ables 
de leur temps. Sous le rapport de leurs personnes, ils n’&taient 
pas moins sous l’egide des coutumes ayant force de lois qui 
regissaient les seconds, et leuvs charges et prestations générale— 
ment plus supportables.* — Er führt an einem andern Orte die 
berühmte Stelle aus den Briefen des heiligen Petrus des Ehrwür— 
digen an, in welcher diefer Lehrer des XII. Jahrhunderts den Un— 
terichied im Schidfale der Leibeigenen die unter den Mönchen und 


CCVI 


Beobachtung ift überall gemacht worden, in England ſo— 
gleich nach der Aufhebung im XVI. Jahrhundert!) wie in 
Belgien, wo noch während des XVII. Yahrhunderts die 
Brämonftratenfer die landwirthfchaftliche Blüthe der Cam— 
pina ſchufen, und aus ihren Klöſtern alle Gemeinden des 
Yandes mit Pfarrern verfahen, welche nach einem Berichter- 
jtatter, der im Fahre 1790 ſchrieb, ebenfoviele Lehrer der Yand- 
wirtbfchaft waren?). Im der Yombardei find e8 die Mönche, 
und insbefondere die Söhne des heiligen Bernhard, welche 
die dortigen Bauern die Bewäſſerung mitteljt künſtlich 
gezogener Kanäle gelehrt und dies Land zu dem fruchtbar- 
jten und rveichften Yande in Europa gemacht haben?). Im 


* 


derjenigen, welche unter Laien ſtanden, eonſtatirt. — Niemand wird 
wohl bei Herrn Düvernoy, und eben jo wenig bei mir die Abficht 
vorausfeßen, die Beibehaltung irgend eines Weberbleibfels der Yeib- 
eigenfchaft im XVII. Jahrhundert vectfertigen zu wollen. Aber war 
e8 denn zur Abftellung defjelben nothwendig, diejenigen zu berauben 
umd zu verbannen, welchen wir zuerft die Pflege der Landwirtbichaft 
in Frankreich werdanfen ? 

) Collier, t. I, p. 108, ap. Dublin-Review, t. XVI, 
p. 259. 

) Verheven, Memoire sur la Constitution de la nation 
Belgique, Liege, 1790, p. 79. Diejer Berfaffer fügt hinzu, er babe 
nach der Aufhebung dur Joſeph II, verſchiedene Klöfter, als Au- 
werghem, Granendael, Rouge-Oloitre und Sept-Fontaines 
buchftäblih wieder zu Räuberhöhlen, spelunce latronum, werden 
jeben, was fie au, nah den Stiftungs-Urfunden ihrer Gründer, 
gewefen waren, ebe fie zu Klöſtern wurden. Er jagt ferner, daß in 
Folge der Aufhebung des Fleinen Priorats von Corfjendonf, auf dem 
undanfbaren Boden der Campina gelegen, die armen Bauern der 
Umgebung die Gegend verlaffen haben, S. 102. 

) Lavezzari. Elementi d’agricoltura, Milano 1784. — 
Fumagalli, Antichitä Lombardo-Milanesi, Milano 1792, t. II, 
dist. 13. 


CCVII 


Spanien und in Portugal haben alle aufrichtigen Reiſenden, 
Engländer oder Franzoſen, Proteſtanten oder Freidenker, nicht 
nur in der klöſterlichen Landkultur den hauptſächlichſten Ur— 
ſprung der nationalen Landwirthſchaft anerkannt, ſondern 
haben auch die beſtändige Blüthe der Kloſterländereien, die 
Vortrefflichkeit der angewendeten Bewirthſchaftungsmetho— 
den, deren Ueberlegenheit gegenüber den Kron- oder Adels— 
Ländereien, und insbeſondere die Dienſte rühmend hervor— 
gehoben, die den Bauern von dieſen gewerbfleißigen, be— 
harrlichen, beſtändig reſidirenden Grundeigenthümern ge— 
leiſtet worden ſind, welche die Geſammtheit ihrer Einkünfte 
auf die Nutzbarmachung oder Hebung des Grundeigenthums 
verwendeten, und dabei, in Gegenden, wo ſonſt nirgends 
Kapitalien verfügbar waren, wie denn dieſelben für die 
Landwirtbichaft auch noch heutigen Tages in Frankreich 
fehlen, großmüthige Kapitaliften und nachjichtige Ausleiher 
fir die armen Bauern gewefen find). 

Beſonders bemerflich war überall bei den Klofterlän- 
dereien der niedrige Pachtzins, welcher um jedes Kloster 
her vermiögliche und wohlhabende Bauern fanmelte und 
forterbielt. Läßt ſich nicht mit einigem Grund bezweifeln, 
ob fich dieſe geringen Zinfen unter ihren Nachfolgern er- 
halten haben ? Fragen wir weiter, ob e8 denn wirklich im 
allgemeinen, nachhaltigen Intereſſe der Landbevölkerungen 


) Siehe Cavanillas, Observationes sobre la Historia na- 
tural del regno de Valencia, Madrid 1795, eitixt von Gre- 
goire, Essai sur l’etat d’agrieulture en Europe ; Burgoing, 
Tableau de ! Espagne, t. ll, aber ganz befonders das Werf unter 
dem Titel Portugal and Galicia vom Grafen von Caörnarvon, 
Peer von England, einer von den Männern, welche die iberiiche 
Halbinjel in den ftürmijchen Jahren von 1820 bis 1828 am gründ- 
lichften ftudirt haben. 


CCVIII 


geſchehen ſei, daß man überall an die Stelle des ſtets ſo 
ſichern, nur geringe Forderungen ſtellenden Grundbeſitzes 
der Klöſter, der allen Erſchütterungen widerſtand und überall 
um ſich her ſteigenden und ſoliden Wohlſtand verbreitete, 
den raubgierigen Individualismus, die Schwankungen der 
Induſtrie, den ſelbſtſüchtig ſpeculirenden Geiſt des modernen 
Grundbeſitzes, welcher durch das Geſetz ſeines Daſeins ohne 
alle Wurzeln in der Vergangenheit und ohne Verpflichtung 
gegen die Zukunft iſt, geſetzt hat? Wir wiederholen es 
noch einmal, es fällt Niemand ein, gegen die Grund-Inſti— 
tutionen der neuern Geſellſchaft anfümpfen, die allgemeine 
Wiederherſtellung des großen Grundbefites oder auch nur 
der großen Bewirtbichaftung verlangen, und fo eine Ord— 
nung der Dinge generalifiven zu wollen, die ihrer Natur 
nach nur eine ausnahmsweiſe fein fonnte und follte. Aber 
war es denn nothiwendig, dem Geijte des Bewahrens, der 
Wiffenfchaft, des Dauerns und Bestehens all und jede Zu- 
fluchtsſtätte zu rauben und alle diefe Dafen des Friedens 
und der Uneigennüsigfeit gänzlich zu verbannen ? War es 
nöthig, dieſe Beweglichkeit und dieſe Zerjtücelung des 
Grundbeſitzes überall obligatoriich zu machen, welche, wenn 
fie ohne Einfchränfung ausgedehnt wird, jogar den häus- 
lichen Herd eines Sefchlechtes, noch che es Zeit gehabt 
fich zur erneuern, vernichtet, und zudem allzu handgreiflich 
zeigt, wie die menschliche Gefellfchaft in Atome aufgelöft 
wird, und wie der Grundbejiß am Ende nur noch die Kunſt 
zum Zwede und zur Aufgabe haben könne, zu zeigen, wie 
man ohne Raſt und ohne Maaß Nuten daraus ziehen müſſe. 

Aber, nehmen wir an, diefe Fragen ſeien ſämmtlich 
in einem unſerer Anficht entgegengefetten Sinne gelöft : 
ſage man uns num aber doch wenigftens, ob nicht der am vol- 
leſten Befriedigte und von diefem augenfcheinlichen Fort: 


COIX 


ſchritte Begeiſterte, nicht doch vor Beſorgniß nachdenklich 
inne hält, indem in der Sittlichkeit oder auch nur in der 
Fähigkeit der Erben jener Bevölkerungen, die ſich ehemals 
um die Klöſter herum angeſiedelt hatten, nach einem ent— 
ſprechenden Fortſchritte ſucht. Ausnahmen gibt es, Gott 
ſei Dank, überall; aber was würde man oftmals, ja die 
meiſte Zeit, finden, wenn man bei der Bevölkerung, die an 
die Stelle der Mönche gekommen iſt, nach dem Seelenzu— 
ſtande fragen, in die Gewiſſen hineinblicken, ihre geiſtigen 
Fähigkeiten unterſuchen wollte? Würde ſich nicht eine nur 
zu allgemeine, abſichtliche Unwiſſenheit über Gott, Seele, 
ein beſſeres Leben und die Ewigkeit zeigen? eine ganz aus— 
ſchließliche, alles übrige abſorbirende Thätigkeit der niedrig— 
ſten Lebensfunktionen der Menſchheit? eine erpichte Anſpan— 
nung aller Kräfte der Seele nach Geldgewinn, der aus— 
ſchließliche Kultus des Gewinnes und der materiellen In— 
tereſſen? Ueber dieſen Punkt würden, wie ich fürchte, die 
Ausſagen der kirchlichen Oberhirten und ihrer Geiſtlichkeit 
ebenſo einſtimmig als unwiderſprechlich lauten. Nein, die 
Landbevölkerung hat an Sittlichkeit nicht gewonnen, was 
ſie an arbeitſamem Wohlſtande, an berechtigter Unabhän— 
gigkeit errungen hat. O, nur zu oft ſind die Ruinen der 
verunehrten Denkmäler, die wir beklagen, das treue Abbild 
in den Gewiſſen und in der Seele! 

Man kann demnach ohne Furcht behaupten, daß 
die moderne Geſellſchaft bei der rohen, gänzlichen, allge— 
meinen Zerſtörung der klöſterlichen Inſtitute weder ſitt— 
lich noch materiell etwas gewonnen hat. Steht es nun 
aber günſtiger um die intellektuelle Bildung ? Hat 
nicht wenigſtens dieſe etwas dabei gewonnen? Erkun— 
dige man ſich nur, wie es ſteht um den Geſchmack an 


den Wiſſenſchaften und am Studium, um das Forſchen 
v. Montalembert, d. Mönche d. A. J. o 


CCX 


nah dem Schönen und Wahren, um das reine uneigen- 
nüßige Wiffen, um das wahre Licht des Geiftes an jenen 
ehemals von den Mönchen bewohnten Stätten allen, dort, 
wohin fie zuerjt die Leuchte des Studiums und der Wif- 
jenfchaft getragen, auf dem Yande, in der Tiefe der Wäl- 
der, auf den Gipfeln der Berge und felbft in fo vielen 
Städten, die ihnen durchaus Alles verdanften, was fie je 
von literariſchem und wiljenfchaftlihem Yeben fannten. 
Was ift noch übrig von den zahllofen Paläften, die im 
Stillfehweigen und in der Einöde für die Kunft, für die 
geiftigen Fortfchritte und Genüffe, für uneigennützige Arbeit 
erbaut worden find? Hie und da ein Stüc alten gebor- 
jtenen Gemäuers, in welchem Nachteulen und Feldratten 
ihr Wefen treiben; unförmliche Baurefte; Haufen von 
Steinen und verfumpfende Lachen; überall Berlaffenheit, 
Verödung, Schmuß oder Unordnung. Nirgends mehr eine 
jtilfe Stätte, die zum Studium einladet, feine Säle mit 
verfchiedenartig belehrenden Sammlungen, feine Gemälde, 
feine Glasfenfter, feine Orgel, fein Gefang mehr, am we- 
nigjten eine Bibliothet ; fo wenig ein Buch mehr als Gebete 
oder Almofen ! 

Und was haben die Armen damit gewonnen ? Die 
Antwort iſt Leicht, ift peinlich genug. Diefes Nichts an 
der Stelle der Klöfter tritt bejonders bei einzelnen in feiner 
ganzen Dede hervor, an den Stätten, wohin man die Zer- 
jtörer und die Verläumder der religiefen Orden laden 
folte, um mit ihnen auf diefen Trümmerhaufen den Werth 
ihres Werfes zu unterſuchen. Dort, wo noch unlängſt eine 
Zufluchtsftätte, ein freundliches Obvach, ein Haus frommer 
Pflege, ein gaftlicher, immer bereiter Herd ftand zu liebe— 
voller Yinderung aller Arten von Elend, zum Schuße der 
Armen und Schwachen ; dort, wo am Ende eines ftrengen 


CCXI 


Tagemarſches oder Tagewerkes der Ton der Abendglocke 
dem dürftigen, ermüdeten Wanderer eine ſichere und wohl- 
wollende Aufnahme verbieß '), was findet man nunmehr 
dafelbft? Bon dreien Eines: am gewöhnlichſten eine Ruine 
ohne Obdach und ohne Troft für irgend eine Meenfchen- 


) Sn Deutjchland, wo das Neifen mehr als in anderen Ge- 
genden landesüblich bei den unteren Volksklaſſen ift, hatten diefe in 
den Klöftern immer geficherte Herberge, Noch unlängft war in der 
profanirten Abtei Weffobrun in Oberbayern die Abtheilung des Hauſes 
zu jehen, wo zu Klofterszeiten wandernde Handwerksburſche eine gaft- 
lihe Aufnahme fanden. Die einzelnen Schlafjtätten "waren Durch 
Bretterverfchläge getrennt; e8 ſchien noch alles in dem Zuftande, wie 
e8 die Mönche verlaffen hatten. Sogar an den Thüren dieſer Ber- 
ſchläge hingen noch die alten, angeklebten Kupferftiche, Anfichten won 
Städten u. ſ. w. Jetzt find auch diefe Schlafjtätten fammt dem gan— 
zen Flügel verſchwunden, und die Handwerfsburfche können zuſehen, 
wo fie ein Unterfommen finden. Es gab für arme Studenten ge— 
veimte Wegmweifer, wo die Klöjter und Stifte Tag fiir Tag ver- 
zeichnet waren, und die reifenden Schüler am Abend einfehren und 
auf gaftlihe Aufnahme hoffen durften, So fonnte der Aermſte, be- 
fonders, wenn er gute Zeugniffe hatte, fich eine Erholung in den 
Ferien machen, und dabei hoffen, daß er mit mehr Geld heimkehren 
werde, als er beim Ausziehen gehabt; denn dieſe Gaftlichfeit der 
Klöfter beſchränkte ſich nicht blos auf eine Nachtherberge oder ein 
Mittagsmahl, jondern der Student erhielt aud noch einen Zehr— 
pfennig mit auf den Weg. Zudem war dies öfter die VBeranlaffung, 
daß ein verlaffener Schüler, der gutes Talent verrieth, von einem 
Klofter jpäter in feinen Studien unterhalten wurde, und viele Män- 
ner, die fpäter der Ruhm ihres VBaterlandes wurden, Zierden der 
Kirche und des Staates, der Künſte und der Wiſſenſchaften, ſolche, 
die große Gelehrte, Staatsmänner, Feldherın, Maler, Bildhauer, 
Mufifer geworden find, danken ihr ganzes fpäteres Glück einer jolden 
liebevollen Aufnahme und der daraus erfolgten Adoptirung irgend 
eines dentſchen Klofters. Siehe darüber: Hiftorifh-politifche 
Blätter, XXI, den Aufjas, Ein Sprung in den Frübling 
des Hochlandes, ©. 705. 

0* 


CCXU 


jeele; manchmal ein bürgerliches, wohl verriegeltes und 
verrammeltes Haus, wo nichts zu erhalten und nichts zu 
verlangen ift, oder höchjtens ein Wirtbshaus, wo der Arme 
alles bezahlen muß. 

Aber was hat insbejfondere der Staat dabei gewonnen, 
die üffentliche Gewalt, deren Name und unwiverftehlicher 
Arm überall das vom Privathaffe und der Habgier ange- 
fponnene Attentat ausgeführt hat? Angenommen, aber 
nicht zugegeben, der Staat habe das Recht, ich fremden 
Gutes, des geheiligtiten, unverletlichjten Eigenthbums zur be— 
mächtigen; angenommen, er jei möglicher Weife durch Ueber- 
einfunft mit der Kirche der legitime Eigenthümer diefer 
unermeßlichen Beute geworden; wie läßt jih, die Sache 
rein vom politiichen und materiellen Standpunfte betrachtet, 
der Gebrauch rechtfertigen, den er davon gemacht hat? Wie 
laffen fich diefe Parcellen-Veräugerungen um wahre Spott- 
preife, dieſe plößliche unfruchtbare Verlotterung einer fo 
joliden, jichern und einträglichen Kapitalmaffe anders er- 
flären, als durch die eingebildete Nothwendigfeit und den 
unmoralifchen Kalkül, die Sache ver Revolution dadurch 
mit neuen Intereſſen und mit der individuellen Habgier zu 
identificiven ? Ich frage alle Defonomiften die dieſen Na— 
men verdienen, alle welche je an der Berwaltung des Staats- 
vermögens Theil genommen oder dieje wichtigen focialen 
Fragen mit Ernſt und Gründlichkeit jtudirt haben: war 
das der Gebrauch, den man davon machen mußte ? Hätte 
man wicht bedacht fein follen, diefen augerordentlichen Gemein- 
Ihaftsfond für die öffentlichen Bedürfniſſe, für die allge- 
meinen Intereſſen auf die Seite zu legen? Die Waifen, 
die Hülflofen und Berlafjenen, die armen Irren, die Taub- 
ſtummen, die Blinden, die alten Seeleute, die alten Arbeiter 
aus dem Yandvolfe, die Veteranen der Arbeit und der In— 


CCXII 


duftrie, alles das verfchiedenartige Elend, das die moderne 
Civiliſation täglich erzeugt und entdeckt, und das fie, wie 
ſie es fich ſelbſt ſchuldig iſt, auf ihre Koſten Kindern folfte, 
da fie überall der Privatinitiative und Privatfreiheit den 
Lebensnerv unterbunden hat, — hatte nicht alles dies das 
nächſte Anrecht an diefe von der chriftlichen Yiebe vergan— 
gener Zeiten zufammengehäuften Schütze ? 

Aber nein: der Haß gegen diefe Vergangenheit, der 
blinde Haß gegen alles, was dauert, gegen Alles, was aus 
früheren Zeiten ftammt, gegen alles, was einen gebeiligten 
Urfprung hat, bat ven Sieg über alle vorfchauenden Be— 
rechnungen, über jedes wohlverftandene Intereſſe des Staa— 
te8 und dasjenige der Dirftigen Arbeiterınaffen davon ge— 
tragen. Lieber hat man das Huhn mit den goldenen Eiern 
tödten wollen. Man hat Das Kapital der Sahrhunderte, 
das unverletzliche Fideicommiß der chriftlichen Nationen, der 
wohlthätigen Familien, der Wilfenfchaft, der Arbeit, der 
Tugend vernichtet. Die Vergangenheit vwerläumdend, hat 
man die Zufunft geopfert, und man hält fich darüber für 
gerechtfertigt mittelft hohler Phrafen über die todte Hand, 
das heißt, die unſterbliche Hand, welche die danerhafteften, 
die einträglichiten Schöpfungen des chriftlichen Genius in's 
Yeben gerufen bat. 

Nehmen wir einmal an, es lafle fich für das Ver: 
brechen oder die Blindheit des XVI. oder des XVII. 
Jahrhunderts eine Entſchuldigung oder eine Erklärung fin- 
den, fo ift doch nichts Derartiges denkbar bei denjenigen, 
welche nach den jchmerzlichen Erfahrungen, die das zeitge- 
nöfjische Europa gemacht hat, und angefichts der drohenden 
Zufunft, auf den gleichen Wege verharren. 

Mit welhem Wahnfinne wollte man wohl die erneu— 
erte Verfolgung ‚und das Verbot gegen die wieder entjtehr 


CCXIV 


enden, noch jo ſpärlichen, fchwachen Keime des Klöfterlichen 
Lebens erklären? gegen die Einzigen, welche in unferer heu- 
tigen Gefellfchaft zufrieden mit ihrem Looſe find; die nur 
dazu won ihrer Freiheit Gebrauch machen wollen, um jeder 
Art von Ehrgeiz oder Gewinn zu entfagen, und die als 
den Gipfel all ihrer Wünfche die Enthaltfamfeit, die Ab- 
tödtung, die freiwillige Armuth evftveben, in einer Zeit, wo 
Alles um fie her von der Slorification des Fleifches und 
des Geldes wiederhallt ? 

Und doch, wie viele diefer Schwächlichen, mattherzigen 
Verfolger, die noch viel geiftesblöder und böswilliger find, 
als ihre Vorgänger, haben wir nicht in Franfreich, wie e8 
vor wenigen Jahren noch war, fowie überall um uns ber 
bis bin in das ſpaniſche Amerika gejehen, die ihre von Uns 
wiſſenheit ftroßende Feindfeligfeit, ihre veralteten Angeber- 
eien zu nenen VBerbannungen fehärfen! Wie viele diefer 
Politiker, diefer Gefetgeber, dieſer Magiſtrate fünnten wir 
nicht nennen, welche gewillt wären, gegen jeden Verſuch des 
chriftlichen Aufopferungsgeiftes zur Herftellung Föfterlichen 
Yebens mittelft Plackereien, die einerfeitS dem Fiscus der 
römischen Kaiferzeit und andererfeits der Spanischen Inqui— 
jition entlehnt ſcheinen, das jchreiend ungerechte Interdikt 
hartnädig aufrecht zu erhalten! Für ihre Perfon jedes, 
auch des geringjten Opfers für die Sache Gottes völlig 
unfähig, verfolgen fie mit einer Art von Wuth diejenigen, 
die durch ihr Beifpiel zeigen, daß diefe Opfer auch heute 
noch möglich find; fie möchten die Trene in Befolgung der 
evangelifchen Käthe auf immer wie einen Traum und eine 
Verirrung in die Vergangenheit zurücbannen. 

Was fie ganz befonders an ver fatholifchen Kirche 
haſſen und verfolgen, ift der Korporationsgeift, die Lebens— 
fraft durch Gemeinfchaftlichkeit, es ift Die durch das ge- 


CCXV 


meinfame Leben verzehnfachte Kraftfülle, welche die Kirche 
jtets aus fich erzeugt und im der fie ihre Jugend beftändig 
erneuert. Hauptfächlich durch diefe mit Hartnädigfeit fort- 
gefeßte Unterdrückung fuchen fie diefelbe nieverzuhalten und 
zu hemmen. Das Yeben wollen fie ihr laſſen, aber mur 
ein verſtümmeltes Yeben. Sie behandeln diefelbe wie eine 
Kriegsgefangene, wie die Beſatzung einer eroberten Feftung, 
der man bie Fahnen und die Waffen abnimmt, und fie mit 
Schmach durch die caudinifchen Gabeln abziehen läßt. 

Heuchlerifche Anwälte einer Freiheit, deren tiefjtes 
Weſen fie nie begriffen, nie geahnt haben, beftrafen fie Die 
erhabenfte That der Freiheit mit Verbannung. „Welcher 
Wahnfinn und welche Granfamfeit !* rief ſchon vor acht- 
hundert Jahren der heilige Petrus Damiani, „ver Meenfch 
hat die Befugniß, frei über fein Vermögen zu verfügen, 
und follte die Freiheit nicht haben, ich felbft Gott darzu— 
bringen! Er kann alle feine Güter anderen Menfchen 
überlaffen und man verweigert ihm die Freiheit, feine Seele 
Gott darzubringen, der fie ihm gegeben hat !).“ 

Ich befand mich vor Jahren in Granada und betrach- 
tete eines Tages im Albayein das Klofter Santa Iſabel 
la Real, von Sfabella der Katholifchen zum Gedächtniffe 


) Qu& est illa dementia, quæ vesania, quæ cerudelitas! 
Habet homo disponendarum rerum suarum liberam facultatem, 
ut semet ipsum Deo offerat potestatem non habet! Valet ho- 
minibus tradere substantiam suam, non habet libertatem Deo 
reddere animam suam! 8. Petr. Damian., Opusc. 15. — 
Diefer Heilige konnte wahrlich nicht worausfehen, daß dereinft in Fa- 
tholiſchen Ländern das Flöfterliche Leben verboten werden würde. Er 
richtete diefe Worte an Bischöfe, welche diejenigen vom Eintritte ins 
Klofter dispenfiren wollten, welche das Gelübde dazu gemacht, aber 
in einem Augenblide, wo fie ſich tödtlich frank glaubten, nachher je- 
doch wieder genefen würden, 


CCXVI 


ihres Sieges gegründet und das feine edlen Bewohnerinnen, 
die aber zum Aussterben verurtheilt waren, indem das dik— 
tatorifche Regiment Espartero’s ihnen gleichwie allen an- 
deren Klöftern Spaniens die Novizenanfnahme unterfagte, 
noch inne hatten. Eine Frau aus dem Volfe trat zu mir 
und äußerte fich über diefen brutalen Gewaltaft; dann, 
ſprach fie, die Hand nach dem Klofter ausgeſtreckt und mit 
einem jener glühenden Blicke, die man nie mehr vergißt, 
mit dem Kraftausdrude einer Nömerin und der Gluth einer 
Spanierin die zwei Worte: Summa tirania! Sie hatte 
vecht : die Tyrannei hat nichts erdacht, das gewaltthätiger 
wäre, als fo in der Menfchenfeele die Aufopferung, die 
Keufchheit und die Gottes- und Menfchenliebe in höchiter 
Potenz, zu erftiden. Die Nachwelt, zur Ehre der Menfchheit 
wollen wir es glauben, wird vdereinft dies Urtheil beftätigen 
und mit diefen beiden Worten der empörten, zürnenden 
Spanierin, die Art von Politif und Gerechtigfeitsfinn diefer 
Komödianten der Freiheit bezeichnen, die endlich * Maske 
vor ihr erſcheint. 

Uebrigens hat auch ſchon der Sohn re ihr Urtheil 
gefällt: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharifäer, 
Heuchler! weil ihr den Menfchen das Himmelreich 
verjchließet, denn ihr ſelbſt gehet nicht hinein, noch 
auch Laffet ihr die hinein, welche hineingehen 
wollen“), 


— — 

) Væ autem vobis, Scribæ et Pharisæi hypocritæ, quia 
clauditis regnum cœlorum ante homines. Vos enim non intratis, 
nee introeuntes sinitis intrare. Matth., ec. XXIII, 13. 


Neuntes Kapitel. 
- Das wahre und das fallhe Mittelalter. 


Primam esse historiae legem, ne quid 
falsi dicere audeat; deinde ne quid veri 
non audeat. 

Cicero, De Orat., III, 15. 


Loſſen wir jedoch für jetzt dieſe Erinnerungen an Zer— 
ſtörung und Unterdrückung. Wir haben jetzt weder den Zer— 
fall noch den Untergang, ſondern die Jugend, die blühende 
Kraft und Reife des Mönchthums zu ſchildern. Dieſe Er— 
zählung verſetzt uns und feſſelt uns für längere Zeit in die 
Mitte jener großen Epoche des Mittelalters, die fortwäh— 
rend Gegenſtand ſo leidenſchaftlicher und ſo verſchiedenartiger 
Urtheile iſt. Zur Zeit ſeines größten Glanzes war das 
Mönchthum nur ein Zweig jener großen, von der Kirche 
und vom Lehens- Inftitute regierten chriſtlichen Geſellſchaft, 
die in allen Neichen des Abendlandes vom heiligen Gregor 
dem Großen bis auf die Zeiten der Jungfrau von Orleans 
nacheinander herrſchend geweſen ift. 

Auch diefe großartige Geſammtheit von Inſtitutionen, 
von chriftlicher Xehre und chriftlichem Yeben muß man noth— 
wendigerweife verftehen und würdigen fünnen, bevor man 
ar die Gefchichte des Mönchthums herantritt. Aber hiebei 
wie überall foll die hohe, durchdachte und laut ausgefpro- 
chene Bewunderung mit der ftrengften Unparteilichfeit Hand 
in Hand gehen. Gott verhüte, dag wir unfere Gegner, 


CCOXVIH 


diejenigen, welche in diefer Epoche des Mittelalters dus 
Vorherrſchen des fatholifchen Glaubens und der fatholifchen 
Wahrheit haſſen und anfeinden, zum Mufter nehmen! Ber: 
hüte Gott, daß wir die Schattenfeiten und die Gebrechen 
diefes Zeitraumes unerwähnt laffen oder verdecken wollten, 
um nur den Glanz und die Tugenden von damals hervor- 
zuheben, denn das hieße, gegen feine Verläumder die gleiche 
unredliche, lügnerifche Methode, nur umgefehrter Weife, 
in’s Feld führen, welche diefe fo lange angewendet haben, 
indem fie Alles, was das Mittelalter Großes und Schönes 
hervorgebracht hat, verfchwiegen, um nur die Mifbräuche 
und Unordnungen deſſelben dem Abfchen der Nachwelt deſto 
nachorücflicher denunziven zu können. Zur Unparteilichfeit 
gehört die Vollftändigfeit. Es heißt fich der Yüge fchuldig 
machen, wenn man von einem Menſchen oder einer ge— 
Ichichtlichen Epoche nur das Böſe jagt und zeigt; aber an— 
dererfeits nur das Gute derjelben ſehen laſſen wollen, heißt 
auch lügen. 

Vor Allem muß bier forgfältig unterſchieden werden 
zwifchen dem Mittelalter und der unmittelbar darauf fol- 
genden Epoche, die man jett vielfach die Regierungs— 
form von ehemals, ancien regime, nennt; es muß ge- 
gen die Begriffsperwirrung proteftirt werden, welche einer- 
jeits von der Unwiffenheit, andererſeits von. der Politik des 
Abſolutismus veranlagt worden ift, um zwei gänzlich ver: 
Ichiedenartige und ſogar feindlich gegeneinander jtehende Ge— 
Ichichtsphafen mit. einander zu vermengen. So hieße es 
3. B., fih mit dem Rechte und mit allen hiftorifchen That: 
ſachen in Widerfpruch verfegen, wenn man annehmen wollte, 
die vierzehn hundert Jahre der franzöfifchen Gefchichte, welche 
der Revolution vorhergehen, feien einfach die Entwicelung 
der gleichen Inftitutionen und Ideen. Diefe fogenannte 


CCXIX 


Negierungsform von ehemals, lancien regime, hatte 
durch den Sieg der abfoluten Monarchie in allen Neichen 
des enropäifchen Feftlandes dem Mittelalter den Todesſtoß 
verſetzt; nur hatte fie fich, ftatt die Spolien verächtlich von 
fich zu werfen, mit denfelben geſchmückt, und war, als dann 
auch fie in der franzöſiſchen Revolution unterlag, noch da— 
mit ausftaffirt; Zeit und Raum fehlen uns bier zu einer 
einläßlichern Beranfchaufichung diefer Wahrheit, die fich 
von felbjt immer überzeugender Bahn brechen wird, jo wie 
die Zugänge der Gefchichte nach und nach von allen Irr— 
thiimern gefänbert werden, welche von oberflächlichen Schrift: 
jtellern an denſelben abgelagert worden find. Aber es ift 
wichtig, daß das wahre Mittelalter in feiner fatholifchen 
Größe und Herrlichkeit von jeder Solidarität mit der Theo- 
vie und der Praxis jenes veralteten, vom Heidenthume wie- 
der herübergenommenen Despotismus befreit werde, der noch 
hie und da gegen die moderne Freiheit im Kampfe liegt ; 
und man kann diefe Unterfcheidung nicht fcharf genug be= 
tonen, angefichts alles des hiftoriichen Blendwerfes, das erjt 
die Könige des Mittelalters den modernen Monarchen gleich 
jtellt, indem es uns Merwig und Dagobert als Fürften 
jchilvert, die Yudwig XIV. oder Yudwig XV. ähnlich geſehen 
hätten, dann aber plößlic das Ding umkehren und be— 
haupten, Yudwig XIV. und Philipp V. feien die natürlichen 
und legitimen KRepräfentanten des heiligen Yudwig und des 
heiligen Ferdinand. Ein aufmerkſames Studium der That- 
ſachen und der Inftitutionen wird jedem aufrichtigen Be— 
obachter zeigen, dag der Unterfchied zwifchen der im Jahre 
1789 zu Grabe getragenen Ordnung der Dinge und der 
modernen Gefellfchaft in der That ein viel Kleinerer ift, als 
derjenige zwifchen der Chriftenheit im Meittelalter und dem 
darauf folgenden ancien regime, 


CCXX 


Diefes lettere hatte alles, was es nicht geradezu ge= 
tödtet, gründlich corrumpirt, unterjocht und oftmals beraubt; 
und vie religiöfen Orden erfuhren dies Schieffal eben ſo— 
wohl und noch mehr, als irgend eine andere Inſtitution 
der Chriſtenheit. 

Es ift nicht nöthig, ſehr weit in die Vergangenheit 
hinaufzugehen, um zu einer Zeit zu gelangen, wo alle großen 
jocialen Kräfte, auch diejenigen, welche ihre Wurzeln am 
tiefften im katholiſchen Mittelalter hatten, und die jett ge- 
wehnfich als eines und dafjelbe mit ihm betrachtet werden, 
durchaus einſtimmig alle Sympathie und alle Soltvarität mit 
ihrer eigenen Vergangenheit verlängneten, wo fie, indem fich 
ihnen das Verſtändniß diefer Vergangenheit entzog, ihrer 
ichönften Zierde beraubt und wehrlos den Gefahren der Zu- 
funft anbeimfielen. Dies war die Zeit, wo das von fnechtifchen 
Hofjuriften und Gefchichtfchreibern ivregeführte Königthum, 
die chriftliche Demuth der Könige des Mittelalters verläug- 
tete; wo der den alferältejten und glünzendften Ueberliefer— 
ungen feiner Ahnen untreu gewordene Adel allen Ruhm 
und alles Yeben nur noch in der Gunft der Könige fuchte; 
wo fogar der Klerus fich ſchamroth abwandte von jenen 
Sahrhunderten, die feine eigenen Schriftiteller als barba— 
riſche bezeichneten, obwohl die Kirche gerade damals jo 
ftarf und blühend, fo frei und geehrt gewefen war, und fo 
gehorfame und liebende Kinder gehabt hatte. Ya, die hi- 
ftorifche Umwiffenheit, oder, wenn man will, die Gleichgil- 
tigfeit für die Gefchichte war dergeftalt ſogar in das Innere 
des Heiligthumes eingedrungen, daß der Klerus, einzig nur 
die Mifftände und Unordnungen jener Epoche gewahrend, 
feinen Anftand nahm, die fchönften Zierden, den ſchönſten 
Ruhm feines Standes dem veralteten Grolle oder den Vor- 
urtheilen der Welt zum Opfer zu bringen. Man muß es 


CCXXI 


ſagen, um daran bemeſſen zu können, was wir gewonnen 
haben: wir haben in Allem, was die heldenmüthigſten 
Kämpfe der Kirche während jener zwei Jahrhunderte berührt, 
unſeren Tyrannen bei ihren Lügen auf's Wort geglaubt und 
noch obenein uns ſelbſt zu Verbreitern derſelben gemacht. 
Es haben ſich Chriſten, Katholiken, Prieſter und katholiſche 
Lehrer in Menge gefunden, die ſich enthuſiaſtiſch auf die 
Seite des Stärkern geſtellt, für das Böſe gegen das Gute 
Partei genommen und die Tyrannei der Laien-Gewalt als 
das unſchuldige Schlachtopfer der Kirche dargeſtellt haben. 
Es ſind kaum hundert Jahre, daß franzöſiſche Biſchöfe in 
ihren Hirtenbriefen den Wunſch äußerten, die Uebergriffe 
Gregors VII. möchten in ewiger Vergeſſenheit be— 
graben werden 9. Fleury, der fo lange als das Ora— 
fel ver Sicchengefchichte galt, gebrauchte feine ausgedehnte 
Wifjenfchaft und fein unbeftreitbares Talent im Dienfte 
der Feinde Noms, und hatte die Stivne, feinen Weber- 
blief über vie Jahrhunderte vom heiligen Benedikt bis zum 
heiligen Bernhard mit den Worten anzufangen: Die ſchö— 
nen Zeiten der Kirche find vorbei?) Während Vol- 
taire derartigen Urtheilen den bedenklichen Tribut feines 
Lobes zollte?), wagte e8, wenigftens im Sranfreich, Nie- 

') Hirtenbriefe ber Bifchöfe von Verdun und von Troyes von 1728. 

) Discours sur l’etat de l’Eglise de 600 à 1100, 

°) Er fagt von Fleury: „Son histoire de l’Eglise est la meil- 
leure qu’on ait jamais faite, et les discours preliminaires, y sont 
fort au dessus de l’histoire.“ Es ift wahr, als Kicchengejchicht- 
jchreiber ijt ev bisher noch nicht übertroffen, aber ex bat durchaus 
gar feinen Begriff von der gejellfhaftlihen und moraliihen Berfaf- 
jung der riftlihen Völker im Mittelalter gehabt. Nichtsdeftomweniger 
ift fein Einfluß in Frankreich und außerhalb lange Zeit vorwiegend 
gewejen; und ich will bier dariiber nur ein merkwürdiges Beifpiel 


OCXXII 


mand dieſelben zu beſtreiten. Auch iſt es nicht der Klerus, 
von welchem der neue und heilſame Impuls des Studiums 
der Geſchichte ausgegangen, den wir ſeit vierzig Jahren 
erleben, und der der Sache der Kirche fo weſentliche Dienſte 
geleiftet hat. Die Nehabilitation des Mittelalters iſt ihm 
eher aufgedrungen, als von ihm ausgegangen. Dies für die 
Befreiung der Fatholifchen Kirche fo nothwendige Werk ha- 
ben Proteftanten ), Imdifferentiften, hie und da fogar er- 
flärte Gegner begonnen; und es find auch vworzugsweife 
Yaien, die es fortgefett haben ?). Bielleicht hat die aller- 
böchjte Wahrheit irgend eine geheimnißvolle und wohlthätige 
Abficht bei der Fügung, daß Profane, Männer außerhalb 
der Kirche und Fremdlinge des wahren Glaubens, die er- 


anführen, dasjenige eines engliichen Fathofifchen Priefters, des Dr. 
Berington, Berfaffer einer Literärgeſchichte im Mittelalter, 
neu herausgegeben im Jahre 18465 ev nennt in devjelben die Kreuz— 
züge eine anftedende Ungereimtbeit, une extravagance con- 
tagieuse, und erklärt, daß das einzige Reſultat, das fie gehabt bät- 
ten, darin beftebe, die morgenländifhen Erzählungen nach dem Abend- 
lande herübergebracht, und dadurch der Phantafie der Troubadours, 
Trouvéres und Minnefünger neue Nahrung gegeben zu haben. 

) In Franfreih Guizot, in Deutjhland Johannes v. Miller, 
Boigt, Leo, Hurter, Adolph und Wolfgang Menzel. 

) Das geeignetfte Bud, um das Mittelalter kennen und lieben 
zu lehren, ijt das Werk eines Laien, und noch dazu eines vom Angli 
fanismus zur Kirche zurücgefehrten Laien, e8 ift das ſchon angeführte 
Sammelwerf ımter dem Titel Mores catholici, oder die Jahr— 
hunderte des Glaubens, von Kenelm Digby, London 1831 bis 
1843, in 10 Bänden, Es muß jedoch biebei bemerft werden, daß 
die Mängel im Mittelalter, die Schattenjeiten defjelben , von Herrn 
Digby nicht genugjam hervorgehoben worden find. Mean jehe iiber 
diefen Fehler die guten Bemerkungen des trefflichen amerifanijchen 
Publiciften Brownfon in feiner Viertel-Jahresſchrift, Bofton, 
Juli 1849. 


CCXXII 


jten und die eifrigften gewejen find, welche jene großen, fo 
tief katholiſchen Jahrhunderte erforfcht und bewundert haben. 

Vielleicht muß aber eben diefer Abwefenheit und dem 
Stilffehweigen des Klerus zu Anfange diefer unerwarteten 
und glänzenden Rückkehr zur biftorifchen Wahrheit ein be- 
danerlicher Charakter der neuen Richtung zugefchrieben werden, 
welcher in den Augen mehr als eines frommen Katholifen 
ihren Werth verringert hat. Die Katholifen hatten, indem 
fie Dichtern, Nomantifern, Künſtlern, Romanfchreibern in 
oftmals wenig würdigen oder wenig bedeutenden Intereſſen 
das ausschliegliche Necht überliegen, die Schäte einer Epoche 
anszubeuten, im der die Kirche Alles beherrfcht hatte, wo 
Alles von ihr ausging, das Studium des Meittelalters zu 
einer Art von übertreibenden und flüchtig vorbeigehenden 
Modefucht ausarten laffen, die frivol und findifch fir Ge— 
räthe, geſchnitzte Bildchen, gemalte Slasfcheiben ſchwärmte, 
und das Aeußere, die Kleidung, die Sprache einer Zeit 
parodirte, deren Grundeharafter man nicht Fennen wollte, 
und insbefondere, deren Glauben zu befennen und zu üben 
man fich wohl hütete. Wie wenige von uns find es, die 
fi dem Mittelalter mit jener zarten, tiefen Ehrfurcht ge- 
nahet haben, mit der wir ftet8 nur an die Grabftätte un— 
jerer Ahnen, zu den Denkmälern ihres Ruhmes, zu der 
Wiege unfers eigenen, geiftigen und moralifchen Yebens hin- 
zutreten follten! Beſſer wäre e8 demnach gewefen, viefe 
ehrwürdige Vergangenheit unter dem Staube der Bergeffen- 
heit und der Geringfehätung, mit dem das moderne Hei- 
denthum diefelbe überdeckt hatte, ruhen zu laffen, als es 
nuv wieder zu erwecen, damit es uns als Ausftaffirung 
eines Mufeums diene. 

Wie dem auch fei, ein großer Fortfchritt ift gemacht 
und zeigt ſich fortwährend. Das Studium des Mittelalters 


CCEXXIV 


bat jich jeither immer mehr mit Ernſt und volksthümlich ver— 
breitet. Das Werf feiner hiftorifchen Wiedereinſetzung in fein 
Necht ſchreitet vorwärts und vollendet jich; und diejenigen 
unter den Kutholifen, welche vor zwanzig Jahren zuerft 
mit Hand an diefe Aufgabe gelegt haben, dürfen fich jett 
Glück wünſchen. Damals gehörte Muth dazu, um den 
allgemeinen, dem Anfcheine nach umüberwindlichen Vorur— 
theilen zu troßen; es brauchte eiferne Beharrlichfeit, um 
über das verächtliche Nafenrümpfen der Unwiffenheit und 
der trägen Routine zu triumphiven. Es brauchte einigen 
Scharfiinn, um herauszufühlen, daß der Wind umfchlagen, 
und dap an feinem Yuftzuge das wahre Licht heller leuchten 
werde. Sogar feindlih Gefinnte haben mächtig zu dem 
unverhofften Stege beigetragen. Berühmte Gegner der 
fatholifchen Kirche haben Epochen, Gefchlechter, Perfönlich- 
feiten wieder volfsthiimlich gemacht, welche, vom vergange- 
nen Jahrhundert, einer ewigen Vergeſſenheit und Verachtung 
anheimgegeben worden waren. In die tiefen Grabfammern 
der Geſchichte hinabjteigend, haben ſie dajelbjt längſt ver— 
ſchüttete, unbekannte oder vergeſſene Wege wieder gangbar 
gemacht und für das Erneuerungswerk ganz unſchätzbares 
Material mit heraufgebracht, während fie, im Eifer ihrer 
Beftrebungen vielleicht der Meinung waren, das Grab ihres 
Dpfers definitiv mit eben den Steinen zu befiegeln, die 
jetst täglich zum Neubaue des Heiligthbums der hiſtoriſchen 
Wahrheit dienen. 

Ihnen verdanfen wir es befonders, daß wir jett 
wiffen, was es für eine Bewandtnig habe um die Bar- 
barei des Mittelalters, um die Anarchie des Yehens- 
weſens, um alfe die Schmähreden, die gegen die chriftliche 
Geſellſchaft von Anflägern gefchleudert worden, welche vie 
einfachjten Begriffe darüber vergeffen hatten oder wifjentlich 


COXXV 


und abjichtlich mißfannten. Bei den Katholiken befon- 
ders ift der Umfchwung vollftändig, und findet unter 
ihnen kaum binveichenden Widerfpruch, um den Sieg zu 
conftatiren. Sie find wieder zum Bewußtfein ihrer Ehre 
und ihres hiftorifchen Erbgutes gefommen. Aber gegen die 
Fluth der gemeinen Vorurtheile, gegen den böſen Willen 
des Haffes und der vorfäßlichen Unwiffenheit, welcher An- 
jtrengungen, welcher Kämpfe wird es da noch bedürfen ! 
Im Klerus und unter den Paien arbeiten noch viele fach- 
fundige Schriftiteller an der Aufgabe, die bei weiten noch 
nicht vollendet ift. Die berechtigte, unverjährbare Erhebung 
der Wahrheit gegen den Irrthum ift nicht das Werf eines 
Tages, und ein jo fehnfüchtig herbeigewünfchter Erfolg 
läßt fich nicht fo fchnell und fo Teichten Kaufes erringen. 
Eine gründliche, vollwichtige Wiffenfchaft mug noch täglich 
unfere Waffenfäle mit bedeutenden Argumenten, mit unwider- 
leglichen Nachweifen bereichern, und fo uns behilflich fein, 
unfere vergeffene Herrlichkeit wieder zu erobern, indem das 
Erbtheil der gefchichtlichen Wahrheit fich erweitert und mehrt. 

Während aber noch fo viel zu thun war, um dieſe 
Eroberung zu befeftigen und ihren Beſitz zu ordnen, fieht 
man biefelbe bereits ſchon wieder gefährdet durch die un- 
glückſelige Flüchtigfeit, die dem franzöfifchen Charafter eigen: 
thümlich ift und die fich bis in das religiöſe Gebiet hinein 
erſtreckt. Mean ift von einem Ertrem in's andere gerathen, 
von einem Pole des Irrthums zum entgegengefegten Pole, 
von einer aus Unwiſſenheit erzeugten Geringfhätung zu 
einer blinden, ausjchlieglichen und nicht weniger von Un- 
wiffenheit zeugenden Bewunderung gefommen. Wan hat 
fih ein erphantafirtes Mittelalter zurechtgemacht, in welchem 
man das Ideal der gewagten Theorien und retrograden 


Leidenschaften aufjtellt, das aus den Umwälzungen und 
v. Montalembert, d. Mönde d. A. J. p 


CCXXVI 


Palinodien unferer jüngsten Zeiten entjtanden iſt. Die 
literäriſche Schule, welche die Meifterwerfe des claffifchen 
Alterthums verbannt wiffen will, hat die Neihen der poli- 
tiichen Schule verftärft, die fi mit einer Art von Frampf- 
baftem Bertrauen an die Gewalt als an die beite Ver— 
bündete des Glaubens anflammert, die Neligion und die 
Sefellfchaft unter deren demüthigenden Schuß ftellt, mit 
boshafter Freude die Würde des Gewilfens und die Men— 
Ichenwürde unter feltfamen und unerträglichen Zumuthungen 
erdrücken möchte. Aller Wirflichfeit der Thatfachen und 
allen beglaubigten Denfmälern der Bergangenheit zum Troß, 
gefallen fich beide darin, in dem won ihrer Cinbildung ge- 
fälfchten Mittelalter nach Waffen gegen die Rechte der 
Vernunft und die berechtigte Zufunft der Freiheit zu fuchen ; 
beide thun der Chriftenheit in den Tagen unferer VBorväter 
die Schmah an, fie als ein Mufter des focialen und gei- 
jtigen Bildungszuftandes aufzustellen, wie fie ihn erträumen 
und der modernen Welt vorpredigen. 

Alsbald haben num aber auch, in leicht begreiflicher 
Rückwirkung, Die alten Vorurtheile und das verftummte 
Phrafenthbum gegen das Zeitalter des Glaubens wieder 
Leben und Gunft gewonnen. Die fchlecht verdeckte, kaum ver: 
hüllte Erbitterung derjenigen, die fich mehr aus Rückſicht auf 
guten Ton, Taft und Gefchinad, als aus Ueberzeugung dem 
Sefete der noch ganz ungewohnten Unparteilichfeit gebeugt 
hatten, ift auf's Neue wieder entflammt. Dem Zorne derjeni- 
gen, welche das Erwachen der Heloten, die man refignirt und 
völlig daran gewöhnt glaubte ihren alten Ruhm und die 
Freiheit ihrer vergangenen Zeiten auf immer zu verläugnen, 
nur mit Ingrimm jahen, bat fich nun die natürliche Be— 
ſorgniß aller derjenigen binzugefellt, welchen die Tegitimen 
Errungenſchaften und Fortichritte des modernen Geiftes 


⁊ 


OCXXVII 


werth und theuer ſind. Dadurch, daß man das Lob des 
Mittelalters mit der Vergötterung moderner, knechtiſcher 
Unterwürfigkeit verbinden gewollt, iſt der Abſcheu vor der 
katholiſchen Vergangenheit wieder geweckt, vermehrt und 
anſcheinend gerechtfertigt worden. Die Sache, die bereits 
gewonnen war, iſt nochmals in Frage geſtellt, und läuft 
ernſtlich Gefahr, auf lange Zeit wieder verloren zu gehen. 
Die Leidenſchaften und der Haß haben wieder einen Vor— 
wand und einen Schlupfwinkel: ſie machen ſich zu Verbün— 
deten der verrathenen Freiheit, des bedrohten Gewiſſens, 
und der beleidigten und mit gerechter Befürchtung erfüllten 
Vernunft . 

Der thätige und gewiſſenhafte Arbeiter an dem großen, 
guten und gerechten Werke hat ſonach nur allzu oft Anlaß, 
traurig und entmuthigt inne zu halten, wenn er den Vulcan 
der erloſchen ſchien, ſich auf's Neue öffnen ſieht, um wie— 
derum, wie noch vor Kurzem, gegen die Gerechtigkeit und 
Wahrheit die unreinen Gluthen der Verläumdung und 
Schmähung auszufpeien ; trauriger noch ift eg für ihn, wenn 


') „Cet abominable moyen-äge, la honte de la Civilisation et 
le deshonneur de l’esprit humain.“ Journal des Debats, vom 
27. November 1854. — Quand nous voyons chaque jour ce qui 
se nourrit de fiel et de haine contre la liberte, contre le pro- 
gres, contre la tolerance chez certains gens dans un certain 
parti qui, eux aussi, s’abritent sous le couvert du bon vieux 
temps, nous nous demandons, s’il ne vaut pas mieux s’abstenir 
de toute demonstration sympathique pour des meurs, des usages, 
et des institutions qui sont condamnes, à subir un tel patronage 
et de tels amis.“ Kevue de UInstruction publique, wom 11. 
Dezember 1856. — Son ideal n’etait point dans ce demi-jour terne 
et grisätre de la legende oü se mouvent les maigres et bl&mes 
figures du moyen-äge.“ Revue chretienne, vom 15. November 
1859, 

p* 


CCXXVIII 


er dieſe Wahrheit von oberflächlichen und verwegenen Apo— 
logeten zu unwürdigen Allianzen mit der Gemeinheit, der 
Furcht oder der freiwilligen Blindheit verdammt ſieht. 
Durch dieſe wird das Werk des Mannes von Ehre, der 
die Wahrheit vertheidigen und ihre Rechte vindiciren 
möchte ohne der Mitſchuldige irgend einer Verfolgung, 
irgend einer Beknechtung zu werden, in ſehr empfindlicher 
Weiſe erſchwert. Es ſteht ihm vielleicht nicht zu, zu ihnen 
zu jagen: Neseitis cujus spiritus sitis; aber ſagen 
darf er, daR er im ihrem Yager weder iſt, noch gewefen 
iſt, das er mit ihnen nicht die gleichen Wege geht, umd 
nicht unter der gleichen Fahne kämpft. Gerne möchte er 
mit dem Propheten jagen: Murus erat inter me et 
eos'); denn es giebt Zeiten, wo man fich zur Trennung 
entjchliegen muß, wenn auch mit jener Trauer und jener 
Entichloffenheit des Patriarchen, mit der ev zu, feinem 
nächjten Blutsverwandten fprach: Eece universa terra 
coram te est: recede a me, obsecro: si ad si- 
nistram ieris, ego dexteram tenebo: si tu dex- 
teram elegeris, ego ad sinistram pergam ?), 
Das Mittelalter hat das unerfreuliche Geſchick zwi- 
Ichen zwei durchaus feindliche Lager geftellt zu fein, die 
nur in der Verfennung feines Wefens übereinſtimmen. 
Die Einen haſſen es, denn fie glauben, es fei aller Frei: 
beit feind; die Anderen rühmen es und fuchen bei ihm 
nah Argumenten und geeigneten Beilpielen zur Recht— 
fertigung der allgemeinen Knechtſchaft umd platten Unter- 
würfigfeit, der fie das Wort reden. Die Einen wie die 
Anderen find einträchtig in feiner Miffennung und Schmäh- 


ı) Ezech., XLIIL,, 8. 
?) Genes., XII, 9, 


CCXXIX 


ung, diefe durch ihre erbitterten Invektiven, wie jene durch 
ihr Lob. 

Ich behaupte, daß die Einen wie die Anderen im 
Irrthum feten, und daß fie gleicherweile das Wefen des 
Mittelalters mißfennen, das eine Epoche des Glaubens 
war, aber auch eine Zeit des Kampfes, der freien Erörter- 
ung, dev Würde, und vor Allem der Freiheit. 

Der gemeinfchaftliche Yrrthum der Bewunderer und 
der Verläumder des Mittelalters befteht darin, daß Beide 
in demfelben den Triumph der Theofratie fehen wollen. 
Es war, jo wird ung gefagt, eine ewig berühmte Zeit durch 
das Dffenbarwerden der menschlichen Ohnmacht und durch 
die ruhmreiche Diktatur der Kirche '). 

Ich leugne die Diktatur, ich leugne noch beftimmter und 
nachdrüclicher die menschliche Ohnmacht. 

Die Menfchheit war zu feiner Zeit Tebensfräftiger, 
männlicher, mächtiger; und in Bezug auf die Kirche, fo 
war damals ihre Autorität thatfächlich häufiger eben von 
denen hintangefekt, die fie in der Theorie am unbejtrit- 
tenften anerfannten. 

Was damals herrfchte, war die Einheit des Glaubens, 
gleichwie man heutigen Tages unter allen neueren Völkern 
die Einheit des bürgerlichen Gefetes, der nationalen Ver— 
faffung, herrſchen ſieht. Aber bei den freien Völfern, wie 
in England oder in den Vereinigten Staaten, wo fieht man 
da, daß diefe bürgerliche und gefellfchaftliche Einheit, ver 
freien Yebensentfaltung, der Thatkraft, der perſönlichen und 
corporativen Unabhängigkeit Eintrag thue? Ebenfo verhielt 
e8 fich mit der Fatholifchen Einheit des Meittelalters; nir— 


') Donoso Cortes Reponse a M. Albert de Broglie, in der 
ſpaniſchen Ausgabe feiner Were, 


CCXXX 


gends erſtickte dieſelbe weder das politiſche noch das gei— 
ſtige Leben. Die Gleichförmigkeit eines allgemeinen volks— 
thümlichen Kultus, die innige und aufrichtige Unterwerfung 
der Herzen und der Geiſter unter die geoffenbarten Wahr— 
heiten und die Lehren der Kivche, ſchloſſen Feinerlei thättge 
Beſchäftigung des VBerftandes, Feinerlei Erörterung der höch— 
jten und fehwierigften Fragen der Philofophie und der Moral 
aus, Das Prineip der Autorität verlangte feinen Bruch 
weder mit dem freien Genius des Alterthums, der, wie wir 
zeigen werden, in den Benedictiner-Zellen jo treue, jo be> 
geifterte Pflege fand, noch mit der natürlichen und fortichrei> 
tenden Entwicfelung des menschlichen Geiftes. Iſt es nöthig, 
bier an die unbegrenzte Entfaltung der Scholaftif zu erin- 
nern, diefer zugleich fo derben und jo fcharfen geiftigen 
Gymnaſtik, welche ungeachtet ihrer unbeftreitbaren Lücken, 
dennoch für die Kraftentwicklung und die Gewandtheit einer 
Erörterung fo zweckmäßig ift? Iſt es nöthig, jene großen, 
jene zahlreichen, jene mächtigen Univerfitäten aufzuzählen, 
die fo voll Leben, fo frei und fo groß, manchmal fogar rebel- 
lich erfcheinen, und wo die Yehrer, deren Unabhängigkeit 
nur diejenige der feurigen, ungeſtümen Univerfitätsjugend 
gleichfommt, beftändig taufend Fragen behandelten, vor deren 
Kühnheit die überängftliche Orthodorie unferer Tage erjchre- 
fen würde? Oder follen wir an die Freiheit, an die Zü— 
gelfofigkeit der damaligen Satirifer erinnern, die in ber 
Volks- und KRitterpvefie in den poetifchen Erzählungen und 
Liedern und fogar auch in den Bildwerfen des Kultus das 
Recht der Kritif und der Erörterung bis zum Aeußerſten 
benutzten !)? 


) Man jehe hierüber das jehr intereffante Werf von Lentent: 
La satire en France au moyen-äge, Paris, 1859; ferner l’histoire 


COXXXI 


In jenen, ſo einfältiger- und lächerlicher Weife ver: 
läumbdeten Zeiten, waren die Seelen von einem verzehren- 
den Drange zum Handeln und zum Wiſſen entflammt. Der 
gleiche heroifche und beharrliche Eifer, welcher die Marco 
Polo und die Plancarpin bis an die äußerſten Enden der 
befannten Welt, durch Räume und durch Gefahren hinführte, 
bon denen unfere Zeitgenofjen feinen Begriff mehr haben, 
belebte auch die nicht minder unerichrodenen Forfcher im 
Reiche der Gedanfen, Der menfchliche Geift übte fich mit 
Gerbert, mit Scotus Erigena, an den fchwierigften und fein- 
jten Problemen; und fchredte auch bei den Orthodoxeſten, 
beim beil. Anfelm und Thomas von Aquin, vor feiner der 
Schwierigkeiten der Pſychologie oder dev Metaphyſik zurück. 
Bei Einzelnen verirrte er fich zu den verwegenften, mit 
dem Geifte der Kirche und des Evangeliums unverträglich- 
ſten Theſen; bei Niemand aber, man darf es fühn behaup- 
ten, fügte ex jich der Entfagung der Bernunft, oder wäre 
mit dem Schlafe derjelben befriedigt gewejen. 

Gehen wir weiter und fragen wir, ob e8 denn heutigen 
Tages, ungeachtet dev Buchdruderkunft, ungeachtet der glück— 
lichen, aber ungenügenden Fortjchritte der Volkserziehung, 
ungeachtet der anfcheinenden Volksthümlichkeit der Wiſſen— 
ſchaften und Künfte, wirklich To ausgemacht jei, daß es 
um das nothwendige Gleichgewicht zwifchen ven mate- 
riellen Präoccupationen und dem moralifchen Leben der Welt 
ebenfo gut ftehe, als damals. Fragen wir ung, ob das 
geiftige Element der Menfchennatur, der Kult des Gedan- 
kens, die fittliche Begeifterung, ob alles Dasjenige, worin 


de la fable Esopique, won Edelestand du Meril, welche zur Ein- 
feitung in feine Poesies inedites du moyen-äge, Paris, 1851, 
dienen; und ferner alle jüngft evjchienenen Bände der Histoire lit- 
teraire de France, fortgeſetzt won der Akademie der Inſchriften. 


CCXXXII 


das edlere Leben in der Gedankenwelt beſteht, jetzt bei uns 
ſo gut repräſentirt, ſo kraftvoll entwickelt, ſo überreich vor— 
handen iſt, als es bei unſern Vorvätern der Fall war. Ich 
meinestheils erlaube mir daran zu zweifeln; und ich glaube, 
daß, alles wohl erwogen, alles gehörig verglichen, das Ge— 
biet des Seelen- und Geiſteslebens niemals reichlicher aus— 
geſtattet, niemals mit mehr Begeiſterung cultivirt worden 
ſei, als im Mittelalter. 

Die Religion beherrſchte Alles, allerdings, aber nichts 
ward von ihr erſtickt. Sie war nicht in irgend einen Win— 
kel der Geſellſchaft verwieſen, oder eingemauert in das In— 
nere der Tempel oder das Bewußtſein des Einzelnen. Sie 
ward im Gegentheil herbeigezogen, um alles zu beleben, 
alles zu beleuchten, alles mit dem Geiſte des Lebens zu 
durchdringen; und wenn ſie die Fundamente des Baues auf 
unerſchütterlichem Grunde gelegt hatte, ſo ſchmückte als— 
dann ihre mütterliche Hand noch ſeine Giebel mit dem Kranze 
ihres Lichtes und ihrer Schönheit. Niemand ſtand zu hoch 
für den Gehorſam, und Niemand ſank ſo tief, daß er außer 
den Bereich ihrer Tröſtungen und ihres Schußes” gekommen 
wäre. Vom Könige herab bis zum einfamen Walobruder 
fühlten Alle zu Zeiten die Herrichaft ihrer reinen, edelmü— 
thigen Eingebungen. Der Gedanke an die Erlöfung, an die 
Schuld, die der auf Golgotha erlöfte Menfch gegen Gott 
contrahirt, war Allem beigemifcht, er fand fich in allen Ins 
ftitutionen, in allen Denfmälern, und, zu gewiffen Zeiten, 
in allen Seelen. Der Sieg der Nächjtenliebe über die Selbſt— 
jucht, der Demuth über den Hochmuth, des Geiftes iiber 
die Materie, von alle Dem, was es Höheres in unferer Na- 
tur gibt, über alles Das, was Unedles und Unveines in ihr 
ift, war damals jo häufig, als es bei der menfchlichen 
Schwachheit möglich ift. Nie ift diefer Sieg hienieden voll- 


OCCXXXIII 


ſtändig geweſen; aber, man darf es kühn behaupten, nie iſt 
er der Vollſtändigkeit näher geweſen. Seit jener großen 
Herausforderung zu Anfang des Chriſtenthums gegen die ſieg— 
reiche Gewalt des Böſen auf Erden, iſt vielleicht das Reich des 
Satans zu keiner Zeit ſtärker erſchüttert und bekämpft worden. 
Iſt nun aus dem Allen zu ſchließen, das Mittelalter 
ſei das Ideal einer chriſtlichen Geſellſchaft? Soll man in 
demſelben den normalen Zuſtand der Welt ſehen? Gott 
bewahre! Zunächſt darum nicht, weil es nie einen ſolchen 
normalen Zuftand oder eine tadellofe Epoche auf Erden ge- 
geben hat und nie eine folche geben wird; und dann, wenn 
dies Ideal hienieden verwirklicht werden könnte, fo wäre es 
doch ficherlich im Mittelalter nicht erreicht worden. Man 
hat diefe Zeiten die Jahrhunderte des Glaubens ges 
nannt, und mit echt, denn der Glaube hat damals allge- 
meiner geherrfcht, als zu irgend einer andern Zeit der Ge— 
Ichichte. Aber weiter gehen darf man nicht. Es ift fo ſchon 
viel, und für die Wahrheit ift es genug. Man muß nicht 
den gewagten Sat ausfprechen wollen, Tugend und Glück— 
jeligfeit jeien damals auf gleicher Höhe mit dem Glauben 
geweſen: taufend unmwiverlegliche Zeugniffe würden wider 
eine jo verwegene Behauptung Tprechen, und auf die allge— 
meine Unficherheit, die häufigen Triumphe der Gewalt der 
Sünde, der Granfamfeit, der Arglift, oftmals auch der ab- 
gefeimteften Verderbtheit hinweijen; fie würden zeigen, daß 
das menschliche Element, manchmal auch das fatanifche, 
feinen Einfluß auf die Welt zu behaupten wußte. Neben 
dent offenen Himmel war auch die Hölle, und neben jenen 
Wundern von Heiligkeit, wie man fie faum anderswo fin: 
det, fah man vuchlofe Verbrecher faum weniger abfcheulich 
als jene römischen Imperatoren, welche Boffuet die Un: 
gehener des menfchlichen Gefchlechtes nennt, 


COXXXIV 


Die Kirche, welche immer, mehr oder minder die Ein- 
wirfung der jevesmaligen Bildungszuftände empfindet, ſah 
damals in ihrem Schooße Mißbräuche und Aergerniffe, 
deren bloßer Gedanfe heute ihren Kindern wie ihren Geg— 
nern Abſcheu einflögen würden. Diefelben entjtanden bald 
aus der Verderbniß, die von der Hebung jeder ausgedehnten 
Gewalt und vom Befite großer Reichthümer unzertrennlich 
iſt; und entjtanden am häufigiten gerade aus den Eingriffen 
der Paienwelt und der zeitlichen Gewalt. Ja, die Habgier, 
die Gewaltthätigfeit, die Ausfchweifung empörten fich häufig 
und mit Erfolg gegen die Kirche, ſogar bei ihren eigenen 
Dienern; fie vergifteten ſelbſt die Organe des Gefetes, 
das, um ihnen zu ftenern, verkündet war. Dean kann 
und darf dieß ohne Furcht befennen, da das Böſe falt immer 
vom Guten befiegt wurde, da alle diefe Exceſſe durch Wun— 
der von Selbjtverläugnung, von Bußgeiſt und Nächjten- 
liebe aufgewwogen wurden, da man neben jedem Falle eine 
Abbüßung, bei jedem Elend eine Zufluchtsftätte, neben jedem 
Unrecht den Wivderftand fand. Bald in den Klojterzellen, 
bald in Felsflüften, hier unter der Tiare und der Infel, 
dort unter dem Helm und dem Waffenrode, kämpften tau- 
jende von Seelen ruhmvoll und beharrlich die Kämpfe des 
Herin, beftärften die Schwachen durch ihre Beifpiele, fachten 
Begeifterung fogar bei denjenigen an, die fie entweder nicht 
nachahmen fonnten oder wollten, und überfchwebten die 
Pafter und die Unordnungen der Menge mit dem glänzen- 
den Lichte ihrer wunderbaren Bußftrenge, ihrer verfchwen- 
derifchen Liebesgaben, ihrer durch Nichts zu befiegenden Got- 
tesliebe. Aber all vdiefer herrliche Glanz von Tugend und 
Heiligkeit darf uns über den Grund der Dinge nicht blenden, 
Es gab mehr Heilige, mehr Mönche und befonders mehr 
Gläubige als gegenwärtig; es gab jedoch, ich darf es be— 


COXXXV 


haupten, weniger Priejter, ich will jagen, weniger gute 
Priefter. Ya, der Weltflerus des Mittelalters war weniger 
untadelig, weniger mufterhaft als der unjere, der Episfopat 
weniger achtunggebietend, und die geiftliche Autorität des 
heiligen Stuhles viel weniger unumſchränkt als jest. Diefe 
Behauptung mag vielleicht einzelne unfundige Bewunderer 
befremden, ift aber nichtsveftoweniger leicht zu beweifen. 
Die päpftliche Gewalt hat gegenwärtig weniger Untergebene 
als damals, aber vdiefelben find ungleich folglamer als jene. 
Was fie an Umfang verloren, hat fie an Tiefe gewonnen. 

Zudem war die Herrfchaft der Kirche, oftmals ufurpirt 
wie fie war von den Einen, ftreitig gemacht von den An— 
deren, und bei dem Gegengewichte einer Menge von vivali- 
jivenden oder vafallenartigen Autoritäten , niemals weder 
allgewaltig noch unbeftritten. Sie fah ihre Geſetze be— 
jtändig verlett, ihre Disciplin üibertreten, ihre Nechte miß— 
achtet, nicht nur im zeitlicher Hinficht, fondern auch in 
geiftlichen Dingen; nicht jo wie heutigen Tages, von er- 
flärten Feinden, ſondern von folchen, die ſich Gläubige 
nannten; die aber, wo verlegter Stolz, oder irgend ein 
Intereſſe im Spiele war, ihren Blitzen eben fo faltblütig 
Trotz boten, als die ftarfen Geifter unferer Tage. Die 
wahre Größe, die wahre Kraft, der wahre Triumph der 
Kirche im Mittelalter beftand nicht darin, daß fie mächtig 
und reich, daß fie geliebt, daß fie von den Fürften unter- 
ſtützt und befchütt, fondern darin, daß fie frei war. Sie war 
frei in der allgemeinen Freiheit, jo wie man diefelbe damals 
verftand und übte, in dev Freiheit, wie jede Korporation, jeder 
Beſitzende fie hatte; fie hatte ein größeres Maaf davon, denn 
jie war zu gleicher Zeit die größte Korporation und die größte 
Eigenthümerin in Europa. Diefe Freiheit, welche jederzeit 
die hauptſächlichſte Bürgfchaft ihrer Majeftät, ihrer Frucht 


CCXXXVI 


barfeit, ihrer Dauer, überhaupt die erjte Yebensbedingung für 
fie geweſen ift, beſaß fie damals wollftändiger als im irgend 
einer früheren Zeit; und nie, (mit Ausnahme der wenigen 
Länder, wo fich die moderne Freiheit von allen veralteten 
Feffeln befreien gefonnt), hat fie diefelbe in einer fpäteren 
Zeit im gleichen Grade wie damals befeffen. Und gleich- 
wie die Gejchiefe und vie Rechte der Kirche und der chrift- 
lihen Seele iventifch find, jo war auch die Seele niemals 
freier, freier für alles Gute, freier ji Gott und dem 
Nächten zu opfern. Daher denn auch jene Wunder von 
Anfopferung, von Nächitenliebe, von Heiligfeit, die uns jo 
hoch erfreuen und. deren Glanz ıms noch heute blendet. 

Es würde jedoch ein großer, nicht zu entjchuldigenvder 
Irrthum fein, zu meinen, diefe Freiheit ſei allgemein aner— 
fannt und unbeftritten gewefen. Im Gegentheil, fie lebte 
und triumphirte nur in bejtändigem Sturm und Drang. 
Sie mußte unaufhörlich dem Eingriffe der Laien-Anfprüche 
und Nivalitäten und der Herrichaft zeitlicher Intereſſen 
wieder abgerungen werden. Ste war zudem, glücklicher: 
weile und zu ihrem Vortheil, durch die bürgerliche Freiheit 
in ihren Gränzen gehalten und gehindert, in eine Alles 
beherrichende Theofratie auszuarten '). Es muß demnach 
anerfannt werden, daß die Kirche mie umd nirgends eine 
abfolute und dauernde Oberherrichaft hatte; daß fie nie 
und nirgends alle ihre Gegner überwunden und gede— 
müthigt ſah. Auch hierin lag ein Unterpfand ihres lange 
behaupteten und glerreichen Einfluffes, ihrer dauernden 
Macht, ihrer gefegneten Einwirkung auf die Seelen und 
auf die Gefete. Sie hatte überall Widerftand zu leiften 
und mußte fich ftets in neuer Kraftanftrengung verjüngen. 

) Lacordaire, Dergleihung zwiſchen den Flaviern und den 
Kapetingern im Correspondant, Juni 1859, 


COXXXVII 


So lange das wirkliche Mittelalter dauerte, ruhte der Kampf 
ihrerſeits keinen Tag; ſo war es der Kirche gegeben, öfter 
zu ſiegen als zurückweichen zu müſſen; ſie erlitt nie eine 
völlige Niederlage, aber auch nie durfte ſie in der Genug— 
thuung des Sieges oder im ermattenden Frieden einer Dik— 
tatur, ſich behaglicher Ruhe überlaſſen. 

Nichts iſt alſo unrichtiger und kindiſcher, als das ſelt— 
ſame Gebahren gewiſſer Spätlinge der katholiſchen Erneuer— 
ung, ung das Mittelalter als eine Epoche darſtellen zu wol— 
(en, wo die Kirche immer jiegreich, immer mächtig befchütst 
gewefen wäre; als ein gelobtes Yand, in welchem Weich 
und Honig fließt, von Königen und Herren regiert, die 
immer fvomm vor den Prieftern fnieen, mit einem nur 
jhweigenden und willig gehorchenden Volke, das folgfam 
unter dem Stabe feiner Hirten, im Schatten der zweifachen 
unverbrüchlich vejpeftivten Autorität von Thron und Altar 
friedlich vuhet. Weit entfernt davon, find in feiner Zeit 
mehr Yeidenfchaften, mehr Unordnungen, mehr Kriege und 
Empörungen gewejen, aber zu feiner Zeit auch gab es 
höhere Tugenden in größerer Zahl, großmüthigere Anftren- 
gungen im Dienfte des Guten, Ueberall Krieg, Gefahr, 
Sturmesdrang in der Kirche wie im Staate; aber Alles 
war auch ſtark, Fräftig, lebensvoll: Alles trug das Gepräge 
von Leben und Kampf. Auf der einen Seite der Glaube, 
ein aufrichtiger, Findlicher, ftarfer Glaube voll Einfalt, un- 
geheuchelt und ohne Anmaßung, ohne Engherzigfeit wie ohne 
Knechtsjinn, der täglich den impofanten Anblid der Kraft 
in der Demuth bot; auf der andern ftreitbare, männliche 
Inftitutionen, die neben ihren mannigfachen Fehlern und 
Mängeln, doch alle die herrliche Eigenfchaft hatten, daß fie 
Männer bildeten, nicht Bedientenfeelen oder frommthuende 
Eumuchen, und deren jede alle diefe Männer zum Handeln, 


CCXXXVII 


zum Aufopfern,, zu unaufhörlicher Anftrengung nöthigten, 
Die ftarfen Naturen, überall kräftig genährt, nirgends er- 
jtieft oder gedämpft, oder verſchmäht, fanden tiberalf Teicht 
und von felbft ihre Stelle. Schwache Naturen mit fchlaf- 
fer Fiber dagegen, fanden den geeignetjten Anlaß im kräfti— 
genden Regime felbft, zu Kraft und Ton zu gelangen. Dan 
jieht da nicht, daß die Ehrenmänner fich, für die Vertheidig- 
ung von All und Jedem, auf einen Gebieter verlaffen, der 
ihren Gegnern den Knebel in den Mund ftecft oder dieſel— 
ben fejjelt. Man fieht da feine Chriften nach Art auter, 
frommer Lämmer, um Schut blöcdend unter den Wölfen, 
oder wieder Muth fafjend zwifchen den Füßen des Schäfers. 
Sie erfcheinen ums int Gegentbeil wie Kraftmenfchen, wie 
Krieger, die täglich für die heiligften Güter im Kampfe 
ſtehen; mit einem Worte wie Männer, ausgerüftet mit einer 
derben, kräftigen Perfänlichfeit und einer eigenen Energie 
ohne Hemmniß wie ohne Nachlaffen der Kraft. 

Wenn demnach das Mittelalter Bewunderung verdient, 
jo ift dies gerade wegen derjenigen Gründe, welche ihm eigents 
lich die feindliche Kritik feiner jüngsten Yobredner zuziehen 
müßten, wenn fie genouere Kenntnig von dem hätten, was 
ihr Enthuſiasmus wider Sinn und Verftand ohne Unter- 
lag rühmt. 

Ich gebe im Gegentheil zu, daß tiefe Zeit für Solche, 
die vor Allen und über Alles auf Ordnung und Diseiplin 
halten, ganz abjcheulich erfcheinen müfje, wenn man mir 
nur zugefteht, daß die Tugenden und der Muth damals 
heroiſch waren. Sch gebe zu, daß die Gewaltthätigfeit et- 
was Alltägliches, der Aberglaube manchmal lächerlich, die 
Unwiſſenheit allzumweit verbreitet, Ungerechtigfeit und Frevel 
allzuoft ungeftraft waren, wenn man mir dagegen nur das 
Zugeftändnig macht, daß man zır feiner andern Zeit das 


COXXXIX 


Bewußtſein von der Würde des Menſchen lebendiger im 
Grunde der Herzen eingegraben, und die höchſte aller Kräfte, 
die einzige durchaus achtungswürdige, die Seelenkraft, un— 
beſtritten herrſchen ſah. 

Was diejenigen unter ſeinen Verläumdern betrifft, 
welche die katholiſche Vergangenheit der Völker des Abend— 
landes unter dem Vorwande verdammen, dieſelbe ſei un— 
verträglich mit der Freiheit geweſen, ſo kann man dieſen 
das einſtimmige Zeugniß nicht nur aller Denkmäler der 
Geſchichte, ſondern auch aller derjenigen demokratiſchen 
Schriftſteller unſerer Tage entgegenhalten, welche tiefer in 
das Studium der Vergangenheit eingedrungen ſind, Auguſtin 
Thierry insbeſondere, der ſo gut gezeigt hat, wie viele 
Schranken und Bürgſchaften die königliche Gewalt zuvor 
hatte einreißen und vernichten müſſen, bevor ſie Alles unter 
das gleiche Niveau gebracht. Man wird es erkennen müſ— 
ſen, daß die Geſellſchaft zu unſerer Vorväter Zeiten durch 
und durch voller Freiheiten war. Der Geiſt des Wider— 
ſtandes, das Gefühl perſönlichen Rechtes durchdrang ſie 
durch und durch: und darin beſteht immer und überall das 
Weſen der Freiheit. Dieſe Freiheiten hatten überall ein 
Syſtem von Gegengewichten und Zügeln feftgeftellt, die 
jeden Despotismus auf die Dauer unmöglich machten. Vor: 
züiglich aber hatten fie zwei Prinzipien zur Bürgschaft, welche 
die moderne Gefellfchaft werläugnet hat: Erblichfeit und 
Körperschaften. Diefelben erfcheinen uns heute als Privi- 
legien, was genügend ift, um bei Vielen das DVerftändniß 
desfelben umd ihre Anerkennung ganz und gar unmöglich 
zu machen, 

Wahrlih, die Unfälle, die Täuſchungen, der Schmutz, 
mit dem fich die moderne Freiheit befudelt hat, find nicht 
im Stande, die treue Liebe zu Schwächen, welche hochherzige 


CCXL 


Seelen ihr geweihet haben. Kein Fehler, fein Unglüc darf 
diejenigen davon lostrennen, die einmal won ihrer Liebe 
entflammt jind. Aber dieſe Fehler, dies Unglück jollte uns 
zur Bejcheidenheit und Nachjicht mahnen gegen die unvoll- 
fommenen oder befchränften Formen, in denen unfere Väter 
fie fannten, Die Freiheit war damals nicht als Theorie, 
als abjtraftes Prinzip vorhanden, anwendbar auf die ganze 
Menjchheit in Maffe, auf alle Völker, ſelbſt diejenigen, 
welche diefelbe weder jemals gebrauchen können noch wollen. 
Aber fie war eine Thatfache und ein Necht für Viele, für 
eine größere Anzahl von Menſchen als gegenwärtig. Sie 
war infonderheit viel leichter zu erobern und zu bewah- 
ren für alle Diejenigen, welche fie zu ſchätzen wußten und 
ſie wollten. 

Wem, vor Allem, ift die Freiheit nothwendig? Den 
Einzelnen und den Minoritäten. Die Einen wie die An— 
deren fanden fie damals innerhalb der Gränzen, welche die 
gegenfeitige Kontrolivung der natürlichen oder überlieferten 
Kräfte, jeder Autorität und jeder ſouveränen Gewalt jegen 
muß. Sie fanden fie ferner und ganz befonders in der 
glücklichen Vielheit jener Fleinen Staaten, jener unabhängi- 
gen Herrſchaften, jener Provinzial und Municipal - Repu- 
blifen, welche von jeher das Bollwerk ver Würde des Men— 
Ihen und der Schauplat feiner heilfamjten Ihätigfeit ge- 
wejen jind; wo der muthvolle, fähige Bürger für feinen 
berechtigten Ehrgeiz die meisten Ausfichten hat; wo er jeder- 
zeit weniger verfchwindet, weniger unter ein allgemeines Ni- 
veau gebracht werden fann, als in den großen Staaten. 

Zudem war unferen kraftvollen Borfahren nicht einmal 
der Begriff einer unbefchränften Staatsgewalt befannt, die 
heutigen Tages fo fehnlichft gewünfcht oder jo leicht und 
gleihmüthig angenommen wird. Niemand unter ihnen hätte 


CCXLI 


ſich gefallen laſſen, was man „die nothwendigen Uebel der 
unumſchränkten Monarchie genannt hat!).“ Seitdem iſt in 
der Welt die Einheit und abſolute Unabhängigkeit der ſou— 
veränen Gewalt an die Stelle des Bewußtſeins und der 
Bürgschaften der perfönlichen Unabhängigkeit getreten. Um 
die Gleichheit beffer erftreben und erreichen zu fünnen, ift 
man daranf ausgegangen, alle Kleinen Staaten und alle ört- 
liche Selbitjtändigfeit aufzuheben, und jedes Band zu zer— 
reißen, das noch an die alte Freiheit anfnüpfen fonnte. 
Dan hat jede Solidarität mit den Weberlieferungen des 
Rechts und der Würde, die fie gefchaffen hatte, verläugnet. 
Das allgemeine Niveau gilt als ein Fortfchritt, und die 
Gleichheit des Joches wird als eine Bürgfchaft betrachtet. 
Es iſt mit ausdrücklichen Worten gejagt worden, der Sieg 
des Despotismus eines Einzigen fei der Bewahrung der 
Freiheiten Vieler vorzuziehen. Man hat einen Herrn ge- 
wollt, um feine Häupter zu Haben; man hat fir Bernicht- 
ung des Nechtes geftimmt, aus Furcht, das Wiedererftehen 
des Privilegiums erleben zu müſſen. Es ift gelungen: 
man bat fich die Gleichheit wie in China erobert;  be- 
fannt ift aber auch, um welchen Preis diefe Eroberung er: 
fauft worden, und was fie den Nationen, die fich ihr ge- 
fügt haben, noch von Ehre und von Freiheit übrig gelaffen 
hat. Receperunt mercedem suam, vani vanam. 
Gott behüte, ungeachtet alles Anfcheines und der tran- 
rigen Yehren der gegenwärtizen Zeit, Gott behüte uns wor 
der Behauptung, daß die Gleichheit unverträglich fei mit 
der Freiheit; aber bis jett ift noch in feinem der größeren 
Länder des europäifchen Kontinents das Mittel aufgefunden 


') Augustin Thierry, Introduction aux monuments de 
P’histoire du Tiers- Etat, p. 244, in 4°. 
dv. Montalembert, d. Mönche d. A. T. q 


CCXLH 


worden, beide auf die Dauer neben einander zu behaupten. 
Zeigen wir deshalb wenigftens einige Nachficht gegen die 
Epoche, im welcher, ohne auf die Gleichheit Nückficht zu 
nehmen an die Niemand dachte und Die Niemand verlangte, 
das Bewußtſein und der Gebrauch der Freiheit lebendig 
war, in welcher man fie mehr oder minder mit der Auto— 
rität zu vereinbaren verftanden hatte, eben wie die Man— 
nigfaltigfeit mit der Einheit, wie die tiefe Achtung des per- 
Jünlichen Nechtes, mit der Kraft und mit der Lebensfülle 
des Korporationsgeiftes. 

Was übrigens die Herrſchaft der Freiheit im Meittel- 
alter ficherte, war eben der energifche, männliche Charakter 
der Inftitutionen und der Einzelnen. Es ift ſchon bemerft 
worden, doch kann man es nie genug vor Augen ftellen: 
Alles athmet Dffenbeit, Gefundheit und Leben; Alles ift 
mit Triebfraft ımd Jugendmuth erfüllt. Man möchte fagen, 
der erjte Auffchwung einer Natur, deren Urfprünglichfeit 
noch nichts von ihrer Yieblichfeit und won ihrem Reize ver— 
loren bat. Ueberall quellen frifche, klare Wafferjtrahlen 
empor und rinnen als Büchlein dahin; fie ftogen in ihrem 
Laufe auf taufend Hinderniffe, auf tauſend Schwierigfeiten; 
aber fast immer gelingt es ihnen, diefelben zu überwinden 
und zu befeitigen, und die befruchtende Kraft ihrer Waffer 
in weite Fernen zu tragen. 

Ein fräftiger Gährungsftoff bewegt diefe anfcheinende 
Berwirrung. Das Gute gewinnt die Oberhand durch die 
beharrlichen Anftrengungen, durch die immer erneuerten 
Dpfer einer Menge bewunvernswirdiger Seelen. Man fin- 
det fie überall und betrachtet fie mit Wonne, diefe Seelen, 
die jich dem Kampfe gegen das Böſe, gegen alle Bedrück— 
ungen und Ungerechtigfeiten immer auf's Neue wieder weihen; 
unter Mühe und Arbeit werden fie befannt mit den Tri» 


CCXLIII 


umphen der ſittlichen Kraft, und beharren mit helvenbafter 
Trene in dem Glauben an die Gerechtigkeit Gottes, ver 
oftmals fo ſchwer zu bewahren, und doch jo durchaus notl- 
wendig ift, wenn man allzır jeltenen und allzır ungewiffen Be— 
zeugungen diefer Gerechtigfeit in dev Sefchichte zu warten hat. 

In unferen Tagen hat man freilich alle Inftitntionen, 
alle Arten von Ueberlegenheit zerftört, deren Dauer und 
Größe oft mit einer allzu fehweren Wucht auf der Meaffe 
der Menfchen Laftete. Aber welche unfchätbare Hülfsquellen 
für die Kraft und das Glück der Völker find nicht damit 
zu nichte gemacht worden! Wie oft ift man nicht verfahren 
twie jene Thoren, welche unter dem Borwand, die Raubvögel 
auszurotten, die Wälder aller ihrer gefiederten Bewohner, 
ihres Gefanges, ihres Lebens beraubt und die Harmonie 
der Natur geftört haben! Ihr meint, ihr feid von den 
Adlern befreit: es mag fein! aber wer befreit euch jett 
von den giftigen Infeften, dem Gewürm und dem Schlan- 
gengezlicht ? 

Noch einmal, ich leugne in jener verfannten Bergan- 
genheit weder die Gewaltthätigfeiten, noch die Mißbräuche, 
noch die Verbrechen ; man wird es im Verlaufe meiner Er- 
zählung genugfam erfahren. Sch beftreite feinen einzigen 
der wirklichen Vortheile, der Fortichritte und Wohlthaten, 
welche aus der Umbildung der Sitten und Ideen in der 
modernen Gefellfchaft hervorgegangen find. Es gibt deren 
unbeftreitbare und wahrhaft jegenbringende im Wohlftande 
der niederen Klaſſen, in der Milderung der Sitten, in der 
Verwaltung der Gerechtigkeit, in der allgemeinen Sicherheit, 
in der Abſchaffung fo vieler fchanderhafter Strafgefege ge- 
gen geiftliche oder zeitliche Vergehen, in der erwinfchten 
Ohnmacht des Fanatismus und der religiöfen Verfolgung, 
in den Kriegen, die menschlicher und von kürzerer Dauer 

q* 


CCXLIV 


geworden find, in der allgemeinern Achtung der Menfchen- 
rechte. Nur fürchte ich eine verhältnigmägige Einbuße an 
Sharafterftärfe, an Liebe zur Freiheit und an bewußtem, 
wachen Ehrgefühl. Ich glaube, weder die Nechte noch die 
Bevirfniffe meiner Zeit zu verfennen. Ich acceptive ohne 
Vorbehalt und ohne bevanernden Nücblie den gefellfchaft- 
lichen Zuftand, wie er aus unſeren Umwälzungen hervor- 
ging, und der als Demofratie immer mehr in der mo— 
dernen Welt zur Herrfchaft "gelangen wird. Ich begrüße 
mit Freuden die unfchätbare Errungenfchaft der Gleichheit 
Aller vor dem Geſetze, als bundertmal Foftbarer für die 
Befiegten als für die Sieger, wenn diefelbe nicht won der 
Heuchelei zu Gunften des Stürferen confiscirt wird. Als 
die politifche Freiheit in unjerem Yande herrſchte, und e8 
den Anschein hatte, fie werde fich über ganz Europa ver- 
breiten, habe ich ihr offen und ehrlich gedient, und fie eben 
jo geübt, und habe fie, gottlob! für die Wahrheit niemals 
gefürchtet. Wenn fie je wieder erfcheint, fo werde ich, weit 
entfernt, etwas von ihr zu fürchten, ihre Rückkehr vielmehr 
jegnen. Die Gewaltigen des Tages belehren uns, jie fei 
unverträglih mit der Demokratie, dem unausweichlichen 
Geſetze in der neuern Zeit, die nur mit der Gleichheit und 
Autorität leben und blühen könne. Hoffen wir, dag fie fich 
irren. Aber auch wenn jie recht hätten, wenn dem jo wäre, 
fordern wir von der Demokratie, daß fie die demofvatifchen 
Völker nicht erichlaffe und abjtumpfe, daß fie diefelben nicht 
unfähig mache, ſich ſelbſt zu regieren, zu vertheidigen, ihre 
Ehre zu wahren; und wünfchen wir, daß fie, nachdem jie 
alle Häupter gleichmäßig erniedrigt, e8 werftehen möge, nicht 
auch alle Herzen in knechtiſche Unterjochung verjinfen zu laſſen. 

Aber während die Stimme der maßlofen Schmeichelei 
der herabgewürdigten Meenfchheit, die das unterjcheidende 


CCXLV 


Merkmal einer nur zu großen Anzahl moderner Schrift- 
ftelfer geworden ift, mein Ohr trifft, während fie fich in 
den Staub niederwerfen vor dem Götzen, in welchem ihre 
Eitelfeit fo wie diejenigen ihrer Leſer fich perfonifizirt, und 
alfe Hilfsmittel eines Leichtfinnigen Enthuſiasmus erjchöpfen, 
um ihre Zeitgenoffen mit einem unveinen Weihrauch zu be— 
täuben, fühle ich mich von dem Anblicfe der Erniedrigung, 
der Schwäche, der wachlenden Ohnmacht eines jeden Ein— 
zelnen fir fich in der modernen Gefellfchaft traurig ergriffen. 
Diefe blödfinnige und knechtiſche Vergötterung der Weisheit 
und der Macht der Maffen, droht fie nicht, alle perfünliche 
Initiative und alle Fräftige Urfprünglichfeit zugleich zu er— 
jtiefen, und damit alle edle Empfindlichkeit der Seele allen 
Sinn und Geift für das üffentliche Yeben zu vernichten ? 
Werden wir nicht verurtheilt werden, alle Auszeichnung wie 
alle Abftufung, allen Adel wie alle Unabhängigfeit in der 
alles überfluthenden und alles corrumpivenden Knechtichaft 
verſchlingen zu fehen, die im Namen der Allgewalt ver 
Volfszahl auftritt, und welche die Menſchen bis zu 
dem Grade erniedrigt, daß fie diefelbe lieben !)? 
Gehen nicht Freiheit und Würde des Einzelnen durch die 
abfolute Gewalt des Staates, dieſes Despoten, ver nie 
jtirbt, und der bereits überall mit feinem unwiderſtehlichen, 
rücfichtslofen Nivellivungs = Nichtfeheit auf der geebneten 
Fläche über zerftänbten Individuen hinfährt, ohne Rettung 
zu Grunde ? 

Und auch außerhalb ver politifchen Kreife, wer fühlt 
jih da nicht betroffen, wenn er die jekige Welt mit auf- 
merkſamem Tiebendem Blicfe betrachtet, und mitten in der 
impojanten Größe ihrer Errungenfchaften und ihrer mate- 


') Vauvenargues. 


CCXLVI 


viellen Befriedigungen die geiftige und fittliche Verarmung 
ſehen muß? Wer bebt da nicht zurüd vor der vernichten- 
den Monotenie, vor der unbegränzten Yangweiligfeit, welche 
jich drohend als der unterfcheidende Charakter des kommen— 
den Bildungszuftandes anmeldet? Wer fühlt nicht, wie die 
moraliiche Spannkraft der. Seelen unter der Herrichaft der 
materiellen Intereffen täglich mehr erfchlafft? Wen bangt 
es nicht bei der immer fteigenden Zunahme der Meittel- 
mäßigfeit in den Ideen wie in den Werfen, bei Menfchen 
und bei Dingen? Wer fieht nicht voraus, daß hiemit eine 
Epoche der Gemeinheit, der allgemeinen Schwäche einge- 
leitet wird, die um fo unheilbarer fein muß, als dieſe trau— 
vige Kranthaftigfeit, das matürliche und logiſche Ergebniß 
der Grundſätze und der Inftitutionen ift, im welche unwiſ— 
jende Doftoren die Gefete des Fortfchrittes einfchliegen wol- 
fen, wo der Werth beftändig von der Zahl erdrückt und 
das Necht ftetS der Uebermacht geopfert wird. 

Schwäche und Gemeinheit ! das it gerade dasjenige, 
was im Mittelalter am allerunbefannteften war. Es hat 
jeine Laster und Verbrechen gehabt, fie waren zahlreich und 
ſchauderhaft, aber Kraft und edler Stolz haben ihm niemals 
gefehlt. Im öffentlichen wie im Privatleben, in der Welt 
wie in der Klofterzelle ift Kraft und Seelengröße dasjenige, 
was durch Alles ducchbricht, und veichlich und im Webers 
fluffe vorhanden find große Charaftere, große Menfchen. 

Und darin, man beachte es wohl, darin bejteht der 
wahre, unbeftreitbare Borzug des Mittelalters. Es war 
eine Zeit veih an Männern: 

Magna parens virüim ... 

Was ift von jeher das Haupthinderniß des Sieges 
des Guten und Wahren auf Erden gewefen ? Sicher liegt 
es nicht in den Gefeßen, ven Dogmen, den Opfern, welche 


CCXLVII 


der Beſitz der Wahrheit fordert over auferlegt. Suchen 
wir e8 vielmehr in denjenigen, welche berufen find, bie 
Wahrheit zu verkünden, die Tugend lebendig darzuftellen, 
die Gerechtigfeit zu vertheidigen, und die allzu oft hinter 
ihrer Aufgabe zurüc bleiben und ihrer Sendung untreu, 
die Generationen, deren Führer und verantwortliche Vor— 
münder fie find, auf die Wege des Irrthums oder des 
Böſen ablenfen. Nein, weder der Glaube noch das Gefet 
gebrechen den Meenfchen : immer find es die Meenfchen, 
welche ver Yehre, dem Glauben, ven Pflichten mangeln. 
Gebt der Welt Iautere, opfewwillige, energifche, im Glauben 
demüthige, pflichtgetvene aber unverzagte, der Verweich— 
lichung und dev Gemeinheit unzugängliche Männer, wahre 
Männer zu Herren und zu Vorbildern, und die Welt wird, 
wenn fie diefelbe auch nicht immer vetten können, doch im- 
mer auf ihre Stimme hören, von ihren Yehren entflammt, 
und von ihrem Beifpiele bald hingeriffen, bald gehalten 
werden. Faſt immer werden fie über das Böſe fiegen, 
jedenfalls aber Allen Achtung abnöthigen und ſich von 
Vielen gefolgt jehen. 

Das Mittelalter hat Männer viefes Schlages in 
Menge erzeugt; freilich gab es auch Andere: die Ruch— 
ofen, die Elenden waren auch damals, Wie immer, wie 
überall, zahlveich, aber ihre Anzahl ward aufgewogen und 
ſogar übertroffen von. dev Zahl der Heiligen, der wadern 
Männer, der Männer von Herz und Ehre. Nach Maß— 
gabe, wie die Waffer der Yüge fich verlaufen und fallen, 
erfcheinen fie Einer um den Andern vor unfern erjtaunten 
Blicken wieder, jenen Bergipigen bei Ablauf der Sindfluth 
vergleichbar, und werden täglich größer und größer. Mean 
durchforfche diefe Männer, man prüfe Herzen und Nieren 
in ihnen, man zergliedere ihre Schriften und ihre Hand— 


CCXLVII 


(ungen : wir haben von diefer Unterfuchung, auch wenn fie 
von Feindeshand vorgenommen wird, nicht das mindefte zu 
fürchten. Man wird alsdann fehen, ob, nach der Behaupt- 
ung einer unbelehrbaren Unwiffenheit die Fatholifche Reli— 
gion den Menfchen entfräftet, ob der Glaube und die De— 
muth die Intelligenz und den Muth entnerven, und ob je— 
mals mehr Energie und Größe dagewefen fei, als in den 
Seelen, die ein vulgäres Vorurtheil uns als Gefchöpfe des 
Fanatismus und des Aberglaubens fchilvert. 

„Es ſcheint,“ fagt einer der hervorragendſten und auf- 
richtigften Schriftfteller unfers Jahrhunderts, „es jcheint 
bei Leſung der Gefchichtichreiber der ariftofratifchen Zeiten, 
daß der Menfch, um Herr feiner Gefchiefe zu werden und 
Seinesgleichen zu beherrichen, nur jich jelbjt zu überwinden 
und zu beherrfchen brauche. Und beim Durchgehen der in 
unferex Zeit gefchriebenen Gefchichten möchte man fagen, 
daß der Menfch nichts kann, weder über fich ſelbſt, noch 
um jich hev').“ 

Woher dies Elend ? Seitdem dem Menfchen der Zü— 
gel abhanden gefommen, der ihn anhielt und leitete, ſeitdem 
unfluge, gottlofe Hände jene Zucht und Disciplin des Ka— 
tholieismus verbannt haben, die für die menfchliche Freis 
beit fo gebieterifch nmothiwendig war, find die Seelen auf 
fich ſelbſt zurückgefallen und in fich zufammengebrochen ; 
ſtatt der chriftlichen Freiheit haben ſie die Knechtſchaft ges 
funden und aus der Empörung find fie in die Ohnmacht 
gerathen. 

Herr von Toqueville hat es gefagt: die Selbjtbe- 
herrſchung ift das Geheimniß der Kraft. Zunächit fich 
jelbft zu beherrichen und dann fich aufzuopfern, das war 


') Toqueville, de la Democratie en Amerique, t. III, p. 173. 


CCXLIR 


der Yebensgrund der Inftitute des Mönchthums, aber es 
war auch im bürgerlichen und im politifchen Leben ver tiefe 
Grund der großen Charaktere, wie ver feften Anftitutionen 
und der robuſten und ftarfen Freiheiten unferer fatholifchen 
Vorfahren. 

Wenn man ſie lange Zeit mit Bewunderung betrach— 
tet und durch gründliches Studium kennen gelernt hat, ſo 
müßte man, wenn uns Gott nicht aus der Hoffnung eine 
Tugend und eine Pflicht gemacht hätte, an der Zukunft 
faſt verzweifeln, indem man in die traurige Gegenwart 
zurückkehrend, jene abgeſchmackten, matten Temperamente, 
jene verzagten Herzen, jene verringerten Charaktere, jene 
markloſen Willen ſieht, mit denen die moderne Geſellſchaft 
bis oben hinaus angefüllt iſt. 

Denn es iſt nicht das Böſe, es ſind nicht die mehr 
oder minder unbeſtreitbaren Fortſchritte deſſelben, was uns 
beunruhigen darf. Ich weiß nicht, ob das Uebel nicht in 
anderen Epochen flagranter, tiefer, allgemeiner verbreitet 
geweſen iſt, als gegenwärtig; aber was ich weiß, wofern 
man nicht die Geſchichte von einem Ende bis zum andern 
für eine ungeheure Lüge anſehen ſoll, iſt die Thatſache, 
daß das Gute zu keiner Zeit ſo unkräftig, ſo furchtſam ge— 
weſen iſt, als jetzt. Ich rede hier beſonders vom öffent— 
lichen Leben. Ich kenne und bewundere die Schätze von 
Glauben und Liebe, die die heutige Welt in ihrem Schooße 
birgt. Aber kann denn das Privatleben den Völkern ge— 
nügen, die durch Chriſti Blut erlöſt worden ſind? Und 
iſt daſſelbe nicht zudem früh oder ſpät von der bürgerlichen 
Entartung mit angegriffen und angeſteckt? Gegenwärtig 
ſcheint das Gute im öffentlichen Leben, in den geſellſchaft— 
lichen Rreifen, nur noch vorhanden zu fein in den Ge— 
wiffen, um beim erften Anfchein von Gefahr, beim geringften 


CCL 


Anfluge von ermüdender Anftrengung geopfert zu werden. 
Und wenn ein Kampf unansweichlich ift, jo will man wohl 
einen halben Tag lang ausharren, aber mit dev Beding— 
ung, am Abend noch den Siegerfranz zu erhalten, denn 
fonft wird am andern Morgen Fapitulirt. 

Nur der Erfolg gilt etwas, der gemeine, wohlfeile Er— 
folg eines Tages, eines Augenblides. Die beten, ehrlich- 
jten Yente haben umwvillfürlich Nefpeft vor ihm. Yange 
und mit Nachdruck widerftehen, erfcheint ihnen als Thorheit 
und Unmöglichkeit. Die Geheimniſſe des beharrlichen Mu— 
thes, die heiligen Freuden der Selbftaufopferung, ein edles 
Trotzen der Gefahr für eine edle Suche gehört nicht mehr 
unter die uns befannten Dinge. Deshalb fteht auch eine 
allgemeine Herrfchaft der Feiglinge viel ficherer in Ausficht, 
als eine Herrfchaft der Gottlofen. So fteht e8 leider! 
Unfere eigene Schwäche ift eben unfere gefährlichjte Fein- 
bin: durch fie wird der gute, ehrliche Mann nicht nur der 
unwillfürliche Sklave des Böſen, fondern auch deſſen ge— 
lehriger Handlanger, fein Werkzeug und fein Neitfchuldiger. 
Was bei uns jetzt am meijten geübt und vervollkommnet 
wird, ift die Runft, die Waffen zu ſtrecken und den Hals 
in das Zoch zu fteefen. Wir leben in dem Jahrhunderte 
der Zugeftändniffe, der Ohnmachten, der gemeinen Willfäh- 
vigfeiten gegen All und Jedes, was ung mit dem Anfcheine 
von Kraft gegenüber tritt; die Furcht ift unfere Königin, 
und wie Ejther vor Affuerus, alfo haben auch wir nur den 
einen Wunfch, die Spite des Scepters küſſen zu dürfen. 

Unter ſolchen Umftänden follten wir, umgeben von 
Genüſſen und in unferer modernen Sicherheit, doch wenig» 
jtens im Stande fein, den großen Männern der Jahrhun— 
derte des Glaubens Gerechtigkeit angedeihen zu laſſen. 
Segnen und Tobpreifen wir wenigftens im ruhigen Genuffe 


CCLI 


ver Güter, die uns der Fatholifche Glaube noch werbürgt, 
der häuslichen Tugenden, der ehelichen Treue, der Sicher: 
heit des häuslichen Herdes und alles dejfen, was uns der 
hartnäcige Heldenfinn der Gefchlechter, die uns vorange— 
gangen find, jene edlen Kerntruppen der Wahrheit und reis 
heit, die auf ven Bruftwehren, die uns noch jett ſchirmen, den 
Tod im Kampfe erduldet haben, um uns treulich den Schab 
der Wahrheiten und Tugenden überliefern zu können, welche 
das gemeinfchaftliche Erbgut der chriftlichen Völker bilden. 

Was uns betrifft, fo verlangen wir für jene Männer 
und für jene Zeiten nicht Gnade, fondern Gerechtigkeit. 
Unfer Ehrgeiz bejteht darin, jenen vergeffenen alten Hei— 
ligen, welche die Helden unferer Glanzepochen, die himm— 
fischen Ahnen aller chriftlichen Völker, die Urväter alfer 
gläubigen Gefchlechter, die unfterblichen Vorbilder des Ye- 
bens der Seele, die treuen Zeugen und Meartyrer ver 
Wahrheit gewefen find, ihren Heiligenfchein wieder zu geben. 
Unfere Pflicht ift es, in ihrem Yeben das Ideal der chrift- 
lichen Menschheit anzuerfennen, ein Ideal, dem Alle zu 
allen Zeiten nahen können, und das ohne Unterbrechung 
in Mitte der fatholifchen Einheit in verfchiedentlichem Grade 
realifivt worden ift. 

Durch den Wolkenſchleier hindurch, der ſich uns vor 
ihren Andenken aufgejchichtet hat, bieten fie uns ein großes, 
ein ermuthigendes Schaufpiel: dasjenige einer fiegreichen 
Kämpferſchaar im Dienfte einer guten Sache. Die Zeit, 
in welcher fie gelebt und geftritten haben, hat ihre Un— 
ordnungen, ihre Exzeife, ihre Mißbräuche und ihre Auinen 
gehabt, wie alle Zeiten fie haben. Die Sache, für die fie 
kämpften, iſt und bleibt wnichtsdeftoweniger eine gute, und 
die Kämpfer find und bleiben Helden. 

3a, thue und fage man, was man will, das Mittel- 


CCLU 


alter iſt und bleibt die Heldenzeit der hriftlichen Geſell— 
ſchaft. Aber, habt nur feine Furcht, es Fehrt nicht wieder. 
Ihr, feine blinden Yobredner, würdet euch vergebens darum 
bemühen, und ihr, feine ebenso blinden Verläumder, ihr fürchtet 
euch Findifcherweife vor einer eingebildeten Gefahr. Der 
Menſch läßt fich weder in feine Wiege einbannen, noch 
fann man ihn in diefelbe wieder zurücbringen. Die Ju— 
gend wird fein zweitesmal begonnen. Weder ihr Weiz noch) 
ihre Stürme lafjen fich wieder erweden. Wir find Söhne 
des Mittelalters, nicht aber feine Fortfeßer. Von der Ber: 
gangenheit emanzipivt, find wir allein für die Gegenwart 
und für die Zufunft verantwortlich. Aber unferer Wiege 
haben wir ung, gottlob ! nicht zu ſchämen. 

Es handelt fich alfo nicht im mindejten darum, das 
Verſchwundene wiederherzuftellen, oder dasjenige zu vetten, 
was Gott hat vergehen laffen; einzig davon ift die Rede, 
die Rechte der Wahrheit und der Gerechtigkeit zurückzu— 
fordern, und den guten Klang und Auf der Fatholifchen 
Männer und Zeiten für ung wieder zu gewinnen, der unjer 
unveränßerliches Erbgut ift. Dies kann das einzige Ziel 
der Wiederernenerung der Fatholifchen Gefchichte fein, welche 
einige Männer, öfter angefpornt als aufgehalten durch die 
Angriffe der Gegner, noch öfter aber in ihren aufvichtigen 
Beftrebungen von den Thorheiten und Elendigfeiten für 
welche fie verantwortlich fcheinen könnten, verwirrt und be— 
trübt, unter taufend Hinderniffen und taufend Berrechnungen 
fih zur Aufgabe gemacht haben. Aber fie wilfen, daß oft- 
mals nach langer Berfinfterung die Wahrheit geheimnißvolle 
Zugänge findet, und unerwartet aufleuchtend, wunderſamen 
Glanz ausjtrahlt, den Feine menfchliche Macht hindern kann. 

Wenn, wie Montaigne fagt, der Zwed der hiftorifchen 
Studien der ift, „mit den großen Seelen der bejten Zeiten 


CCLII 


Umgang zu pflegen!)," fo ift derfelbe nirgends befjer zu 
erreichen, als durch die Befanntfchaft mit diefen allzu lange 
aufgeopferten Epochen. Der beredtefte Priefter unferer Zeit 
verläumdet die Gefchichte nicht, wenn er von ihr fagt, fie 
jet „ein gefüllter Schatz menfchlicher Schmach ?);" denn wir 
jehen in ihr am häufigſten die Triumphe der Ungerechtig- 
feit, und was noch fchlimmer ift, die feige Mitfchuld der 
Nachwelt bei diefer Art von Siegen, und ihr nichtswür- 
diges Schmeicheln des erfolgreichen Verbrechens. Aber dem 
Sefchichtfchreiber bleibt nichtsdeftoweniger eine hohe und 
troftreiche Aufgabe: Cinfprache zu erheben gegen die verfehrten 
‚mftinfte der großen Menge, die gerechten, aber verloren 
gegebenen Sachen in den Herzen wieder heben, den berech- 
tigten Widerftand, die befcheidenen und geprüften Tugenden, 
die erfolglofe, aber hartnäcdige Ausdauer im Guten veba- 
bilitiven ; das Licht in alle vergeffenen Winfel tragen, in 
welchen das verrathene Andenfen wacderer, aber befiegter 
Männer fchmachtet ; die ufurpirten Größen, den unverdien- 
ten und den das Volf corrumpivenden Nachruhm ftürzen 
oder wenigjtens erfchüttern; vor allem aber den Meenfchen, 
die einzelne Seele, ihre Kraft, ihre Tugend, ihren Werth 
hervorheben, in's Licht feren und zu Ehren ziehen, und 
dadurch gegen den nichtswürdigen Druck jener allgemeinen 
Geſetze Proteft einlegen, welche fo vielen Verbrechen und 
Schändlichfeiten zum Deckmantel dienen müffen, alles dies 
gehört zu feiner Sendung. Wo fände fich für Jeden, der 
nicht im Dienfte des Kultus, der Gewalt und des Erfolges 
knechtiſch ſchmachtet, eine ehrenvollere und Schöner Aufgabe? 


') Montaigne, Essais, I, 25. 
») Der P. Lacordaire, Panegyrique du Bienheureux 
Fourier. 


CCLIV 


Und wo ließe ſich diejelbe beifer erfüllen, als gevade in 
den unerjchöpflichen Fundgruben und in den weiten, noch 
undurchforichten Räumen der fatholifchen Jahrhunderte? 
Und zudem übt das Studium der Gefchichte, insbefon- 
dere in jenen Tiefen, die noch fo dunfel und unmittelbar 
mit unſern Urfprüngen verfnüpft find, ganz abgefeben von 
allen Shitemen und von allen polemifchen Zweden, auf 
jeden zarter geſtimmten Geift eine innig ergreifende Anzieh- 
ung, die nicht ohne eine gewiſſe wonnige Schwermuth ift. 
Es fejjelt, es erleuchtet und erweckt ihn, wie das Echo der 
Lieder feiner Yugend. Wenn es dem gealterten Manne 
gefchieht, daß er an der Neige feiner Lebenstage plötzlich 
eine Melodie wieder hört, die ihn im Frühling feines Pe- 
bens ergötzt hat, fo erregt e8 ihn freudig, und trägt ihn, 
wohl nicht chne Vortheil für feine Seele, mitten in die 
Träume und die Hoffnungen feiner Jugend zurück. Sie 
gibt ihm allerdings weder feine frifche Kraft, noch feine 
junge Tugend wieder, aber doch läßt fie ihn noch einmal 
die Lebenspüfte feines Frühlings athmen. Er lebt wieder 
auf, ermuntert und Fräftigt fich in feinem urſprünglichen 
Feuer, und iſt er glücklich inſpirirt, jo läßt er an feinem 
Geifte worübergehen, was er gelernt, gelitten, gethan hat ; 
er erblickt feinen bejcheidenen, arbeitwollen Pla in der 
langen Aufeinanderfolge der Väter feines Gefchlechtes, ev 
knüpft die Kette der Zeiten wieder an, er begreift jest ſein 
Leben und faßt fih in Ergebung. Bor diefer Vergangen- 
heit, welche ihm die Fernficht in die Zufunft erſchließt, neigt 
er jich Tiebend und voll Ehrfurcht, ohne jedoch die Seele 
und die unvergängliche Tugend derjelben mit dem zu vwer- 
wechfeln, was nur ihre junge, vergängliche Schönheit war. 


Zehntes Kapitel, 
Ueber das Hhikfal diefes Werkes. 


Vagliami ’l lungo studio e il grand amore. 
Dante. 


Uesrigens ift der Augenbli da, wo der Genuß, den 
diefe umfangreiche Arbeit mir gewährt hat, feinen Ende 
nahe ift. „Wenn ein Buch in die Deffentlichfeit eintritt,“ 
jagt eine hervorragende Frau, „wie viele glückliche Augen— 
blife hat es alsdann nicht demjenigen verschafft, ver es 
nach feinem Herzen, gleichfam wie einen Aft feiner Ver- 
ehrumg geichrieben hat! Wie viele Nührungen immiger 
Freunde haben ihm nicht in feiner Einfamfeit durchbebt bei 
den Wumderdingen, die er erzähle)!" Sie hat recht: ohne 
nach der Höhe zu trachten, die fie erreicht hat, und ohne 
jich, wie fie, auf das Gebiet der Phantafie zu wagen, kann 
man auch im einem ernſtern und weniger fchimmernden 
Gegenftande ımerfchöpflihe Neize finden. Diefe langen 
umd unermüdeten Forfchungen in den Geifteswerfen An— 
derer, nach Auffchlug über ein Datum, eine Thatfache, 
einen Namen, über irgend eine marfante und fprechende 
Einzelnheit; die Entdeckungen, die man fich Tchmeichelt ge- 
macht oder in's Yicht gefett zu haben; die Wahrheit, die 
in der Ferne auflenchtet, die man erfaßt, die wieder ent- 


') Madame de Stael, de !’ Allemagne. 


CCLVI 


Ichwindet, wiederfehrt und bleibt, und dem Forfcher Teuch- 
tender und jiegreicher als je vor das geiftige Auge tritt; 
der innige, jfich immer länger ausdehnende geijtige Verkehr 
mit fo viel großen, jo vielen heiligen Seelen, die aus dem 
Dunfel der Vergangenheit hervortreten und fich in ihren 
Handlungen und in ihren Schriften offenbaren, alle dieſe 
reinen, tiefinnigen Freuden des gewiſſenhaften Gefchicht- 
Schreibers, fie find zu Ende! 

Things won are done: joy’s soul lies in the doing. 

An ihre Stelle treten die Prüfungen, die Verrech— 
nungen, Täuſchungen und Gefahren der Deffentlichfeit ; die 
zahlloſen Wechjelfälle der Böswilligfeit, dev Gleichgültigfeit, 
der Vergeſſenheit. Alsdann erwacht der trübende Gedanfe 
an die Klippen, denen man entgegen ftenert, an die Trauer, 
die man jich freiwillig bereitet hat. Alsdann erfcheint Ei- 
nem die fehwierige, undanfbare Sendung des Schriftftellers, 
der feine Seele und die Seele feines Nächiten lieben will, 
in ihrer ganzen Bitterfeit: man erfennt alsdann, aber zu 
jpät, die guten Gründe, die man zum Muthloswerden, zum 
Aufgeben feines Borhabens, zum Schweigen gehabt hätte. 

Unter den vielen Klippen ift eine, welche auch die am 
wenigjten jtrenge Kritif wird bezeichnen müſſen, und die, 
wie ich mir vollfommen bewußt bin, ich nicht zu vermeiden 
gewußt habe: die Klippe der Eintönigfeit. Yınmer die glei- 
hen Begebenheiten und immer die gleichen Beweggründe 
dazu! Immer von Buße, Zurücdgezogenheit, vom Kampfe 
des Guten gegen das Böſe, des Geiftes gegen die Materie, 
der Einfamfeit gegen die Welt; immer Stiftungen, Ver— 
gabungen, VBocationen; immer Hingabe, Aufopferung, Groß— 
muth, Heldenmuth, Geduld! Das wird am Ende ermü- 
dend fogar für die Feder des Schreibenden und um fo mehr 
für die Aufmerffamfeit des Lefers. Man wolle jedoch be 


CCLVI 


achten, daß alle diefe Tugenden, die in den nachfolgenden 
Darftellungen jo haufig zum VBorfchein kommen, in der 
Welt etwas ziemlich Seltenes find, und viel weniger oft, als 
man es wohl wünfchen dürfte, in den gewöhnlichen Dar- 
jtellungen der Gefchichte vorfommen. Hier werden wir fie 
anf jedem Dlatte finden. Wahr ift es, fie werden ung in 
der umansweichlichen Begleitung der Inkonſequenzen, der 
Schwachheiten, der menfchlichen Erbärmlichfeiten erfeheinen: 
aber von diefen allen wird man bier vielleicht weniger fin- 
den, als im jeder andern Gefchichte. Ich wage fogar die 
Behauptung, daß man bier weniger als fonft irgendwo den 
Sieg der Gewalt und der Lift, der Ungerechtigkeit und der 
Füge finden wird, wodurch die Jahrbücher der Menfchheit 
oftmals jo abſtoßend find, und die Gefchichte im Allgemei— 
nen jo unmoralifche Lehren gibt. Vielleicht ift einige Täu- 
Ihung der Selbftliebe dabei im Spiele, aber ich hege den 
Gedanken, dag die Seele des Yefers, welcher Geduld genug 
hat, mir bis an's Ende zu folgen, aus diefen Studien zu- 
gleich ausgeheiterter durch den wohlthuenden Einfluß der 
lauterften Tugenden, und begeiftert von Liebe fir alles, was 
die menschliche Natur Fräftigt und erhebt, ſowie voll Ab- 
ſcheu gegen Alles, was jie —— und erniedrigt, hervor— 
gehen werde. 

Und doch, ich muß es we einmal ſagen, habe ich nie 
das Böſe, das ich auf meinem Wege fand, verkleinert oder 
das Gute ausgeſchmückt. Mein Beſtreben war, die religiöſen 
Orden und die Geſellſchaft, in welcher ſie eine ſo bedeutende 
Stelle einnahmen, ſo darzuſtellen, daß ich getreulich alle 
Züge und alle Farben wieder gab, die ich bei den gleich— 
zeitigen Schriftſtellern fand. 

Es ſei mir zu behaupten geſtattet, daß man unmöglich 
die Strenge in Bezug auf Genauigkeit der Forſchung weiter 


v. Montalembert, d. Mönche d. A. J. T 


CCLVII 


treiben kann, als ich es gethan habe. Jedes Wort, das 
ich gefchrieben, ift aus den Quellen gefchöpft, und wenn es 
vorkommt, daß ich eine TIhatfache oder einen Ausdruck aus 
abgeleiteter Duelle anführe, habe ich ſtets auf's Genaueſte 
den Text in der Quellenſchrift ſelbſt aufgefucht oder nach 
derfelben ergänzt. Manches Datum, manche Anmerkung, 
dem Anfcheine nach ohne großen Belang, bat mir ftun- 
den-, ja manchmal tagelange Arbeit gefoftet. Nie habe ich 
mich entjchliegen Fünnen, mich mit einem Ohngefähr zu be- 
gnügen, oder im Zweifel über etwas zu bleiben, fo lange 
noch die kleinſte Ausficht vorhanden war, darüber zur Ge- 
wißheit kommen zu können. Es iſt ein undanfbares, höchſt 
mühſames Geſchäft, das aber zu einer Gewohnheit wird, 
die man nicht mehr laſſen kann. „Die Wahrheit,“ ſagt ein 
berühmter Geſchichtſchreiber unſerer Tage, derjenige, der 
ſich mit Recht rühmen darf, daß ſein Jahrhundert ihn 
geleſen, „die Wahrheit, ſie iſt der Zweck, die Pflicht, die 
Wonne des wahren Geſchichtſchreibers; wenn man erkannt 
hat, wie ſchön ſie iſt, wie bequem ſogar, denn ſie allein er— 
klärt alles, — wenn man dies weiß, ſo will, ſo ſucht, ſo liebt 
man nur ſie, ſtellt nur ſie dar, oder doch dasjenige, was 
man dafür hält Y.“ 

Ich habe mich, auf die Gefahr hin den Umfang dieſer 
Bände bedeutend zu vergrößern und das Leſen derſelben 
weniger bequem zu machen, für verpflichtet erachtet in An— 
merkungen den Originaltext der bedeutenderen Stellen der 
Autoren, die ich anführe, und namentlich der Korrespon— 
denzen mitzutheilen, die in den Text aufgenommen find. 
Ich habe es wahrlich nicht aus Prahlerei und des An— 
ſcheines einer wohlfeilen Gelehrſamkeit wegen gethan, ſon— 


') Thiers, Histoire du Consulat et de l’Empire, t. XVI, p. 418. 


CCLIX 


dern ans einem angebornen Sinne dafür, aus einem, 
gewwiffermaßen übertriebenen Drange nach Auf—richtigkeit. 
Die bändereichen, vor furzer Zeit noch fo ſchwer zugäng- 
lichen Werfe, aus denen ich eigenhändig alle diefe Excerpte 
gemacht habe, find feither viel weniger Foftipielig und viel 
weniger felten geworden Y). Nichtspeftoweniger habe ich 
doch von dem Latein des Mittelalters einige Proben bieten 
wollen, von diefer Sprache, die gewilfermaßen ganz in’s 
Shriftenthum eingetaucht und von demfelben umgebilvet ift, 
und die, neben der unnachahmlichen Schönheit der Hlaffi- 
ſchen Meufter, ihre eigenthümliche Schönheit hat. Aber 
ganz befonders dazu habe ich mich nicht entjchliegen können, 
diefe herrliche Sprache umferer katholiſchen Borfahren nur 
in das enge Maaß meiner eigenen Schwäche einzufchliegen, 
faft immer habe ich meine Ueberſetzung, wie wortgetren fie 
auch fein mochte, fo unvollfommen und fo untren gefunden, 
daß ich fie deshalb nur als eine Art Fingerzeig geben 
wollte, um auf die Schönheit und Wahrheit der Originale 
hinzuweisen. Ich jchmeichle miv mit der Hoffnung, daß 
diejenigen unter meinen Lefern, welche die hifterifche Auf- 
vichtigfeit zu würdigen wilfen, miv in der Folge einigen 
Dank wiljen werden für diefe vergrößerte Mühe und für 
diefes Opfer von Eigenliebe. 

Die jo gefaßte Aufgabe des Gefchichtfchreibers gleicht 


') Danf der PBatrologie des Herrn Abbe Migne, der in 
einem bequemen ökonomiſchen Format nicht nur die Mehrzahl der 
alten Sammelwerke, Sondern auch eine Menge von Dokumenten und 
Schriften alter Autoren, Die fonft jo gut wie gar nicht zu haben find, 
herausgegeben bat. Leider war der größte Theil meiner Forſchungen 
vor diefen Publicationen Migne’s ſchon gemacht; daher denn aud) 
die zahlreichen Sinweifungen auf Ausgaben, die heutiges Tags jo 
zur jagen entwertbet find, 

r* 


CCLX 


derjenigen des Kupferftechers, der feine Arbeit, feine Zeit, 
jein Augenlicht verfchwendet, der manchmal zehn und zwan— 
zig Jahre feines Yebens daran fest, um mit der gewiffen- 
bafteften Genauigkeit auch die Heinften Züge des Gemäldes 
des großen Meifters wiederzugeben, das er in liebevoller 
Bewunderung für feinen Grabftichel gewählt hat. Mit raſt— 
(08 thätiger Pietät arbeitet ev, um in weite Fernen die 
trenen Abbilder feines Muſters zu verbreiten, das er kaum 
zu erreichen hoffen darf, und macht fo aus diefem nur von 
einigen Wenigen gefannten Schate ein Gemeingut für die 
große Menge. Wie oft auch jeine Arbeit unterbrochen wird, 
immer fehrt ev wieder zu ihr zurück, bis daß fein beharr- 
liher Griffel das geliebte Werk vollendet hat. So habe 
ich, ein bejcheidener und emjiger Wirfer eines Ruhmes, 
der nicht der meine ijt, gearbeitet. Ich habe verfucht, ein 
Denkmal, wahrlich nicht zu meines Namens Ehre! fondern 
der Tugend, der Wahrheit, der Heiligfeit zu Ehren, de— 
ven ferneftehender unwiürdiger Bewunderer ich bin, auf— 
zurichten ; ich hege die Hoffnung, nicht etwa, daß ich jelbjt 
ein Meifterwerf Schaffen, fondern daß ich das alfo verviel- 
jültigte Gemälde der großen Thaten unferer Väter treu 
wiedergebend, ihr Studium und ihre Verehrung verbrei- 
ten werde, 

Ereigniffe, in denen Pflicht und Ehre mir einen Platz 
angewiefen, haben öftere und lange Unterbrechungen dieſer 
Arbeit herbeigeführt. Indem ich fie wieder aufgenommen, 
und mich in die Zeit zurüchverjett, in welcher ich fie be— 
gonnen hatte, war e8 unſchwer zu evfennen, daß um mich 
her Veränderungen vorgegangen, die wohl geeignet waren, 
die Ausfichten auf Erfolg noch zu verringern und alle Auto: 
ren-Eitelkeit gründlich zu vernichten. 

Wenn das Werk früher erjchienen wäre, jo hätte es 


CCLXI 


vielleicht, fo wie es vor fünfundzwanzig Jahren das Yeben 
der heiligen Elifabeth that, durch die weiten Gefilde 
der fatholifchen Gefchichtfcehreibung einen neuen Fußweg er— 
öffnet; jet Fann es, in der Neihe der zeitgenöffifchen Ge— 
ſchichtsſtudien, nur mehr irgend einen Platz in Mitte an- 
derer beanfpruchen. An den Gegenftand, der damals völlig 
mißfannt und vergeffen war, ift jeither verfchiedentlich Sand 
angelegt worden. Obwohl allerdings nichts Bedeutendes 
über das Gefammte der Gefchichte des Mönchthums unter- 
nommen ift, jo ift doch diefer Boden von fo vielen zahl- 
reichen und in's Einzelne eingehenden Monographien durch— 
furcht worden, daß die öffentliche Aufmerkſamkeit gewiſſer— 
maßen ſchon müde davon iſt, und daß der Leſer ſich weg— 
wendet von dem, was er ſchon als ein bekanntes Gebiet 
mit ausgefahrenen Straßen betrachten kann. Aus dieſem 
Grunde werden viele meiner durch mühevolle Forſchungen 
erlangten Reſultate nicht mehr als Entdeckungen betrachtet 
werden, und kaum mehr den Blick der Neugierigen feſſeln. 

Zudem, was ernſter und betrübender iſt, der Geiſt iſt 
bei vielen Katholiken ſeither ein anderer geworden. Es hat 
den Anſchein, als ſei das religiöſe Publikum der Herrſchaft 
einer Schule anheimgefallen, deren Möglichkeit zur Zeit, 
als ich dies Werk begann, ein Traum geſchienen haben 
würde, deren Herrſchaft ſich nichtsdeſtoweniger ſeither genug— 
ſam feſtgeſetzt hat, ſo daß ſie ſich berechtigt glauben kann, 
eine Art von Oſtracismus über Alles zu verhängen, was 
ſich, in den religiöſen Kreiſen, ihren Geſetzen nicht beugt. 

Andererſeits verſteht es ſich von ſelbſt, daß ein Buch, 
welches die Göttlichkeit des Evangeliums und die unfehlbare 
Autorität der Kirche anerfennt, feinen Anfpruch darauf ma- 
chen darf vor dem Tribunale der volfsmäßigen Gebieter 
des Geſchmackes und vor den Austheilern zeitgenöfjifcher 


CCLXII 


Glorie, für ein Werk von einiger Bedeutung zu gelten. 
Unter diejenigen relegirt, die man die Sklaven der Ortho— 
doxie nennt, bat der Verfaſſer in den Augen der nachſich— 
tigften unter ihnen höchſtens Anspruch auf mitleiviges Still- 
ſchweigen. 

Daneben muß ein Buch, das auch der Vernunft ihre 
Berechtigung zuerkennt, und das eifrig in der Vergangen— 
heit nach den erloſchenen Spuren der Freiheit und der Ehre 
ſucht, um beide den modernen Geſchlechtern als einen Ge— 
genſtand der Liebe und der Sehnſucht hinzuſtellen, durchaus 
auf Anklang bei einer großen Anzahl ſolcher verzichten, 
welche ſich als die vorzugsweiſe Orthodoxen betrachten. 

Vor zwanzig Jahren ward jedes, der Wiedererhebung 
der katholiſchen Wahrheit, beſonders im Gebiete der Ge— 
ſchichte günſtige Buch, von den Gläubigen und vom Klerus 
mit einer nachſichtsvollen Theilnahme aufgenommen. In 
ihren Reihen, in ihren Herzen fand man ein geſichertes 
Aſyl gegen die Geringſchätzung und den Spott unſerer na— 
türlichen Gegner, gegen die mangelnde Oeffentlichkeit der 
großen Leſewelt, die ſeit langer Zeit nur für kirchenfeind— 
liche, und der Religion gänzlich fremde Werke da iſt. Auch 
dies hat ſich jetzt geändert: das Verdienſt der Vertheidiger 
der katholiſchen Sache iſt allzuoft nach Orakeln unter uns 
gewerthet, welche Allem, was ihre Autorität nicht anerkennt, 
die infamirende Note des Liberalismus, des Rationalismus 
und des Naturalismus aufprägt. 

Dieſe dreifache Note gebührt mir von rechtswegen. 
Es würde mich wundern und mir leid ſein, wenn ich der— 
ſelben nicht würdig gefunden würde, denn ich verehre feurig 
die Freiheit, welche, meiner Anſicht nach, allein der Wahr— 
heit würdige Triumphe bereiten kann; ich halte die Ver— 
nunft für die dankbare Verbündete des Glaubens, und 


OCLXIII 


durchaus nicht für ihr gedemüthigtes und geknechtetes Opfer; 
und endlich, im Gebiete des Uebernatürlichen voll lebendi— 
gen, kindlichen Glaubens, ſetze ich denſelben nur dahin, 
wohin die Kirche es verlangt, oder wo eine natürliche Er— 
klärung unbeftreitbarer Thatfachen nicht vorhanden ift. Dies 
wird genug fein, um Acht und Bann feitens unſerer mo- 
dernen Inguifitoren zu verdienen, deren Blißen man jedoch 
wird trotzen müfjen, wenn man nicht, wie Mabillon ge- 
wiffen Elöfterlichen Anklägern feiner Zeit gegenüber ſagte, 
„aller Anfrichtigfeit, Treu und Glauben und aller Ehre bau 
und ledig werden will” '). 

Demnach wird alfo dies Buch, ſelbſtverſtändlich von 
ven Einen als des Aberglaubens und der Yeichtgläubigfeit 
verdächtig und überführt, auch won den Anden als ein 
folches bezeichnet werden müffen, „das in einer Geſinnung 


1) Er fagte ferner: „Je sais que c’est le sort de tout ceux 
qui donnent quelque chose au publie, et prineipalement de ceux 
qui traitent de T’histoire, d’estre exposes à la censure des hom- 
mes, et de s’attirer la passion de beaucoup de gens.. En eftet, 
quelque parti que l'on prenne et quelques mesures que l’on garde 
dans ce dessin, il est impossible de contenter tout le monde. 
Car, si l’on recoit tout sans discussion, on passe dans l'esprit 
des personnes judicieuses pour ridieule; si l’on apporte de l'exa— 
etitude et du discernement, on passe chez les autres pour teme- 
raire et presomptueux: ST quid simplieiter edamus, insant; 
si quid exacte, vocamur presumptuosi. De ces deux partis 
jay choisi le second, comme estant le plus conforme à l’amour 
de la verite, que doit avoir un chretien, un religieux et un pre- 
tre, comme le plus avantageux à l’honneur de l’ordre, et enfin, 
comme estant absolument necessaire dans un siècle aussi éclairé 
que le nostre, auquel il n’est plus permis d’eerire des fables, ni 
de rien avancer sans de bonnes preuves.* Reponse au Pere 
Bastide: eitivt von Dantier, Rapports sur la Correspondance 
inedite des Benedictins de Saint- Maur, 1857. 


CCLXIV 


von Gefälligfeit gegen unſere Zeit” gefchrieben ift; denn ſo 
lautet diefe allerneuefte Berdammungsnote. Es wird alfo miß— 
fannt werden, oder noch gewilfer, es bleibt unbefannt zwijchen 
diefen beiden Kategorien von Feindfchaft. Dies fann mich 
betrüben, aber nicht erfchreden. Sch mag es wohl leiden, 
zu gleicher Zeit von diefen als verdächtig und von jenen 
als fanatifch bezeichnet zu werden. Es ift das Schieffal 
deſſen, ver feiner Partei angehört; und feine Partei hat 
etwas an mich zu fordern. Sch fchulde Niemand etwas, 
und will nichts mehr, und fehne mich nach nichts anderem, 
als nach der unaussprechlich hohen Wonne, für das gute Necht 
zu zeugen und den wibrig efelhaften Triumphen der Lüge 
und der Gemeinheit Trot zu bieten. Sch trage mit Stolz 
das Joch der Wahrheit; ein anderes Joch getragen habe 
ich nie. 

Diefe Wahrheit, ich möchte fie nicht nur befennen, 
jondern ihr auch dienen, und nun muß ich fürchten, daß 
ich fie verrathen habe. 

Indem ich diefe erjte Grundfchichte eines Baues voll- 
ende, der jo viele Jahre angeftrengter Arbeit erfordert hat, 
fühle ich mich befchämt und gedemüthigt über die Gering- 
fügigfeit meines Werfes, verglichen mit der Mühe, die es 
mich gefoftet, und vorzüglich mit dem Ideale, das mir vor- 
geihwebt. Das Bewußtfein einer doppelten Schwäche er- 
faßt und beherrfcht mich: und fowohl der Seele als dem 
Talente nach fühle ich mich unter meiner Aufgabe. Von 
diejen beiden Inferioritäten ift die erftere ohne Zweifel die 
ſchmerzlichſte und erfchrecfendfte. Andere, weniger unwürdig 
als ich, haben es mit Zittern befannt, indem fie die Jahr— 
bücher dev Mönche und der Heiligen entrollten. Der große 
Mabillon fagte es von fih am Schluffe eines feiner un— 
vergleichlich Tchönen Bände, mit Worten, die ich zu meiner 


CCLXV 


eigenen Beſchämung anführe: „Gebe Gott, daß es mir nicht 
„zum Borwurfe gereiche, mich fo viele Jahre lang mit dem 
„Studium der Thaten feiner Heiligen befchäftigt zu haben, 
„und ihnen doch fo wenig ähnlich geworden zu fein .“ 
Der Weltapoftel hatte bereits dies demüthige Mißtrauen in 
einer berühmten Stelle ausgefprochen: Ne forte, cum 
aliis praedicaverim, ipse reprobus efficiar ?). 
Und der Pfalmift fcheint uns ganz befonders jene furchtbare 
Warnung zuzurufen: Peceatori dieit Deus: Quare 
tu enarras justitias meas, et assumis testamen- 
tum meum per os tuum?)? „Jedweder,“ fagt der hei— 
(ige Chryfoftomus, „der mit Liebe die Verdienfte ver Heiligen 
bewundert und den Ruhm der Gerechten erhöhet, muß ihre 
GSerechtigfeit und Heiligkeit auch nachahmen. Er muß fie 
nachahmen, wenn er fie rühmt, oder aufhören fie zu rüh- 
men, wenn er fie nicht nachahmen will .“ 

Es genügt, diefe furchtbaren, auch gegen mich zeugen- 
den Worte anzuführen, um zır zeigen, daß mir das tiefe 
Bewußtſein meiner Unzulänglichfeit nicht mangelt. Doch 
gibt es zum Glück auch Autoritäten, deren Nachjichtigkeit 
wieder ermuntert. „Es liegt eine Art Eindlichen und zagen- 
ven Befenntniffes darin,” jagt der heilige Hieronymus, 
„wenn man an Anderen rühmt, was einem felbft mangelt ꝰ).“ 


') Utinam et mihi non in eulpam vertat, quod per tot annos 
in actis Sanctorum oceupatus, tam longe absim ab eorum exem- 
plis. Praef. in V. Sec. Bened., Nr. 138. 

) J. Cor. IX, 27. 

) Psalm. XLIX, 16. 

) S. Joan. Chrysost., Sermo de Martyribus, quod aut 
imitandi sunt aut non laudandi. 

°) Ingenua et verecunda confessio est quo ipse careas id in 
aliis praedicare. Hieron. epp. t. II, p. 108, ed. Collombet. 


CCLXVI 


Es wird übrigens kaum nöthig fein, mich dagegen zu ver— 
wahren, daß ich in feiner Weile ein Erbauungsbuch ſchrei— 
ben, noch Anderen über Bußgeiſt und Aufopferung Lehren 
habe geben wollen, die mir felbft nothwendig genug find. 
Ein fo anmaßender Gedanke ift nie in meine Seele gefom- 
men: die nur zu gerechte Würdigung meiner Inferiorität 
hätte genügt, mich daran zu gemahnen, daß ich dazu weder 
ein Necht noch eine Befugniß habe. 

Einfach ein Kind der heiligen Kirche, maße ich mir 
weder an, ihr Organ noch ihr berufener Diener fein zu 
wollen: noch bei weiten mehr als Mabillon, ziemt es mir 
jelbjt, bei Erzählung der Wunderwerfe chriftlicher Tugend, 
mir den Vorwurf zu machen, daß ich diefelben wohl bewun— 
dere, aber jo wenig nachahıne. 

Jedoch unterhalb dieſer geiftigen Höhen, und ohne 
anderes Recht als dasjenige eines fündigen Menfchen, ver 
jeinen Glauben nie verläugnet hat,. und ohne andern An— 
ſpruch als den, der Wahrheit meine ſchwache Huldigung 
darzubringen, follte e8 mir da nicht geftattet fein, auch mit 
einer fchiwachen Hand und mit Farben, die der Geift der 
Welt angehaucht hat, das Bild von dem, was ich verehre 
und liebe, zu zeichnen? Der Künftler, der es verfucht, 
das Ideal des Schönen darzuftellen, kann es fich felbjt 
nicht geben feinem Borbilde auch zu gleichen, und doch 
macht ihm Niemand feine Ohnmacht zum Vorwurfe. Die 
Kirche nimmt es gütig an und duldet e8 fogar, dag man 
den Gläubigen in ihrem Namen, und ohne vom Arbeiter 
zu viel zu verlangen, Bilder darbietet, die manchmal grob 
und unbehülflich genug gemacht find, wenn nur das Werf 
die Majeſtät des Symbols nicht verlett; und fie gejtattet 
ihm jo, fich auch des Segens theilhaftig zu machen, der 
auf alle Akte des guten Willens herabkömmt; ebenfo ge— 


CCLXVU 


ftattet fie dem einfachen Gläubigen, der fich in ihren feier- 
lichen Umgängen unter der Menge birgt und, weder Bifchof 
noch Briefter, noch auch der befcheidene Afolyt mit Rauch— 
faß oder Leuchter ift, mit feiner Stimme in die Chöre 
der geheiligten Diener mit einzuftimmen, und jo ohne 
Stolz, aber auch ohne Furcht das Yob des Allerhöchten 
zu fingen. 

Soll ich endlich noch, angefichts der viefenhaften Auf— 
gabe, an welche ich mich verwegen gewagt habe, von mei— 
ner Literarifchen Unzulänglichfeit reden? Niemand Tann 
von derfelben tiefer als ich ſelbſt überzeugt ſein. Nächſt 
der Gefchichte der Kirche felbft gibt es feinen umfaſſendern 
und fehönern Gegenftand, als die Gefchichte des Mönch— 
thums. Ich habe die fehmerzliche Gewißheit, demfelben 
nicht gerecht geworden zu fein. Mögen alfo Andere kom— 
men und mein Werk vergeffen machen! Mögen ihre beffer 
infpivivten Arbeiten diefen unvollfommenen VBerfuch völlig 
verwiſchen! 

Ich könnte es alſo nicht wagen, mit dem Propheten 
zu ſprechen: Quis mihi tribuat ut seribantur ser- 
mones mei? Quis mihi det ut exarenturinlibro 
stylo ferreo . . vel celte seulpantur in siliece ? 
Nur allzu wohl fühle ich es, daß fie mir nicht verlichen 
ift, die herrliche Gabe des Genius, Die diamantene Feder, 
welche das unvertilgbare Gepräge der Wahrheit, nicht etwa 
auf Felfengrund, ſondern tief in die verhärtetften Herzen 
einfchreibt. Mein einziges VBerdienft wird das Sammel, 
das Ueberfegen, das Abfchreiben von Dem fein, was fo 
viele Heilige und tapfere chriftliche Streiter angeregt oder 
vollbracht haben. 

Es iſt jevoch ein Gedanfe, der auch im geringsten 


CCLXVII 


Soldaten des Glaubens ven Muth zu bewaffnen und die 
Kraft zu erhöhen geeignet iſt; ver Gedanfe nämlich an das 
unermeßlich viele Böfe, das der Menfchheit zugefügt worden, 
nicht nur von dem Genie der hervorragenden Feinde Got- 
te8, fondern auch von der ganzen Wolfe der talentlofen 
Piteraten, der gemeinen und fnechtifchen Abfchreiber, welche 
das Gift ihrer Meifter, tropfenweife veftillivt, in die ver- 
borgenften Adern des gefellfchaftlichen Körpers geleitet ha- 
ben. Angefichts dieſer ihrer täglich ernenerten Verwüſt— 
ungen, begreift man, daß es als ein wohlberechtigter Ehr— 
geiz, und eine tadellos lautere Ehre gelten fünne, ein Schrei- 
ber der Gerechtigkeit und ein Abfchreiber der Wahrheit 
zu werden. 

Aber wie oft habe ich mir nicht, ſelbſt in diefen be- 
ſcheidenen Grenzen, wiederholt, daß ich ein Werk begonnen, 
das meine Kräfte überfteigt! Wie oft war ich nicht ver: 
ſucht von diefer Arbeit abzuftehen, mich won dem Abgrunde 
zu entfernen, welcher, nebjt ven flüchtigen Yebensjahren, 
eine erichöpfte Geduld umd ein ohnmächtiges Bemühen zu 
verfchlingen ſchien! 

Wie oft aber auch wiederum ift es mir nicht, in der Stille 
der Nächte, unter den Wölbungen der alten Burg, wo ich den 
größten Theil diefer Blätter gefchrieben habe, hinter den 
diefen Folianten, in welche eine arbeitfame Nachwelt die 
großen Werfe und Thaten der Vorzeit eingetragen, gewefen, 
als fähe ich rings um mich her den impofanten Feierzug 
der Heiligen, der Kirchenhirten, Bifchöfe und Doftoren, 
der Senpboten des Glaubens, der Künftler, der Meeijter 
der Rede und der That, wie fie won Jahrhundert zu Jahr— 
hundert in dichten Neihen aus dem Mönchthum hevvorges 
gangen find! Mit Zagen ſchaute ich dann dieje erhabenen 


CCLXIX 


MWiedererftandenen einer Vergangenheit, ganz erfüllt von 
mißfannter, nicht mehr geahnter Herrlichkeit. Ihre ernften 
und doch wohlwollenden Blicke, Schienen von ihren entweih— 
ten Gräbern, von ihren vergefjenen Werfen, won den ver— 
Ihmähten Denfmälern ihres unermüdeten Fleißes, von den 
nicht mehr erfennbaren Stätten ihrer heiligen Gotteshäufer 
zu mir, zu ihrem unwürdigen Annaliften her zu ivren, und 
verwirrt und erdrückt wie ich war unter der Wucht des 
Gefühles meiner Unzulänglichkeit, auf mir zu haften. Aus 
ihrer männlichen keuſchen Bruft tönten mir dann mit edler 
Klageftimme die Worte entgegen: So viele angeftrengte 
Arbeiten, fo viele erduldete Mühen, jo viele geleiftete 
Dienfte, fo viele zur Ehre Gottes und zum Wohle des 
Nächften wollendete Meenfchenleben! und zum Yohne dafür 
Berläumdung, Undanf, Verbannung und Verachtung! Iſt 
denn Niemand unter diefen modernen, im Genuſſe unferer 
Wohlthaten und in der Vergeſſenheit derſelben Lebenden 
Gejchlechtern, der fich erhebt um unfer Andenken zu Ehren 
zu bringen ? 
Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor! 

Keine Schukfchrift, Feine Yobrede wollen wir; eine 
einfache, genaue Erzählung, weiter nichts; die Wahrheit, 
nichts als die Wahrheit; Gerechtigkeit, nichts als Gerech- 
tigfeit: das ſei unfere einzige Wache! 

Dann fühlte ich mein Inneres von einer glühenden 
Ihmerzlichen Bewegung durchbebt und erjchüttert. Ich 
bin nur, jo Sprach ich, ein arımfeliger Staub, aber diefer 
Staub belebt fich vielleicht bei der Berührung eurer ge— 
beiligten Ueberreſte. Vielleicht fommt ein Funfen von 
eurem Licht» und Liebesherde und entflammt meine Seele, 
Ich habe nur eine armſelige, Falt und fahl gewordene Feder 


CCLXX 


als Waffe, und bin der erjte meines Stammes der nur 
mit der Feder gekämpft hat. Aber möge fie doch wenig- 
jtens dienen mit Ehren; möge fie fcharf wie ein Schwert 
werden in dent ſchweren und harten Kampfe des Gewiffens, 
der unbewehrten Majeſtät des Nechtes, gegen die fieqreiche 
Unterdrückung durch die Lüge und das Böſe! 


La Roche-en-Breny, im Januar 1860. 


Erſtes Bud, 


Das römische Reich nach dem Frieden’ 
der Kirche, 


Sahne Et. 


Das riftlich gewordene römiſche Neich bietet ein noch traurige- 
res und auffallenderes Schaufpiel dar als zuwor unter den heidnischen 
Cäſarn. — Das Bündniß zwifchen der Geiftlichfeit und dem Reiche 
verhindert weder den Ruin des Staates noch die Knechtſchaft der 
Kirche. — Die Kirchenväter erfennen einftimmig den frühen Zerfall 
der chriſtlichen Welt. — Einfluß der fatjerlihen Gewalt auf Die 
Kirche. — Perſönliches Eingreifen der Kaifer in theologijche Dinge; 
jedweder Irrlehrer findet einen Helfer und Beiltand auf dem 
Throne; die Berfolgungen und Pladereien find empfindlicher als vor 
Konftantin. — Noch unter Theodofius wird die Gottheit des Fürften 
proffamirt. — Die bürgerliche Geſellſchaft, Kriftlih dem Namen 
mach, bleibt in der That dem Heidenthume in feiner entartetften Ge— 
ftalt unterworfen. — Zügellofer Despotismus der Kaiſer; Torturen 
des Fiskalſyſtems. — Alles erftirbt im Driente; das ganze Abend- 
land fällt duch Bernachläffiguug auseinander. — Entwürdigung des 
Militärs; moraliſche Niederträchtigkeitz; illuforifche Gleichheit der rö- 
mifhen Bürger; fociale Ohnmacht des römiſchen Rechts. — 
Tugend uud Freibeit finden fih einzig und allein in der Kirche 
wieder; diefe kann fich nicht ſchicken im dieſes Nichts dev bürgerlichen 
Geſellſchaft, und doch gelingt es ihr nicht, die alte Welt der Kaiſer 
umzubilden, — Um die Chrijtenheit insgefanmt wor dem Schickſale des 
byzantinifchen Kaijerreiches zu bewahren, bedarf e8 einer doppelten 
Invafion, derjenigen der Barbaren und derjenigen der Mönche, 


v, Nontalembert, d. Mönche d. A. J. 1 





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Erſtes Buch. 
Das römiſche Reich nach dem Frieden der Kirche. 


Ea nobis erepta sunt quae hominibus 
non minus quam liberi cara sunt, li- 
bertas, honestas, dignitas. 

Cicer., Epist. ad Fam. IV, 5. 
Adhaesit in terra venter noster: ex- 
surge Domine, adjuva nos, et libera 
nos. Psal. XLIII, 


Mas römische Volk, Befteger aller Völker und Gebieter 
der Welt, gleichwohl felber drei Jahrhunderte lang einer, 
faum durch etliche erträgliche Fürſten unterbrochenen, Reihe 
von Ungeheuern oder Aberwitigen dienjtbar, bietet in der 
Gefchichte das unerhörteſte Beifpiel der Erniedrigung und 
des DVerfalles der Menschheit. Hinwieder ift ein ebenfo 
unvergleichliches Wunder der Macht und der Güte Gottes, 
der Friede der Kirche, welchen Konftantin im Jahre 312 
verfündete. Das Kaiferreich ftredite, befiegt von waffen- 
loſem Bolfe, vor dem Galiläer die Waffen. Nach einem 
fetten und graufamften Blutbade follte der faiferlihe Schut 
an die Stelle der Berfolgung treten; die Menſchheit ath- 
mete wieder auf und die Wahrheit, nach dem DVBorgange 
des Gottmenfchen felbjt mit dem Blute fo vieler taufend 
Martyrer befiegelt, Konnte fih nunmehr frei und im 
Triumphzuge bis an die Enden der Erde verbreiten. 

1 * 


Wachſender 
Zerfall des 
Reiches nach 
Konſtantin. 


4 


Und doch giebt es noch etwas Beiſpielloſeres. Es iſt 
der raſche und unaufhaltſame Zerfall der römiſchen Welt 
nach dem Frieden der Kirche! Wahrlich, wenn es in den 
Jahrbüchern der Graufamfeit und fittlichen Fäulniß nichts 
Berworfeneres giebt als das römische Neich von Auguftus 
bis Diofletian, jo findet fich doch noch etwas Unglaubliche- 
res und aufs Tieffte Betrübendes, und das ift das römifche 
Reich, nachdem e8 chriftlich geworden. 

Warum vermochte es das aus den Ratafomben auf 
den Kaiferthron erhobene Chriftenthbum nicht, die Seelen 
auch fir das Zeitliche ebenfo wie für das Geiftige zu er- 
neuern, der Staatsgewalt ihr Anfehen, dem Bürger feine 
Würde, Nom feine Größe und dem gebildeten Europa die 
Kraft zur VBertheidigung und zum Fortbeftande wieder zu 
geben? Wie gefchah es, daß die mit der Kirche verfähnte 
faiferliche Macht immer mehr in Verachtung und Ohnmacht 
janf? Warum bat jener denfwürdige Bund zwifchen geijt- 
licher und weltlichev Gewalt weder den Staat vor der Zer- 
ſtörung noch die Kirche vor Knechtſchaft und Spaltung zu 
bewahren vermocht ? 

Niemals war ein Umfchwung der Dinge vollftändiger 
geweſen; denn nicht nur feierte die Kirche, als Konftantin 
das Yabarum zu feinem Feldzeichen erhob, ihre Befreiung, 
jondern e8 fand auch eine innige und durchgängige Vereini- 
gung zwifchen dem Kreuze und dem Faiferlichen Scepter 
jtatt. Die Aechtung der chriftlichen Neligion hatte kaum 
aufgehört, jo ward fie plößlich, erjt bevorzugt und dann 
herrfihend im Reiche. Der Nachfolger Nero's und des 
Decius nahm Sit unter den Bifchöfen der erjten allge- 
meinen Sirchenverfammlung und erhielt den Titel eines 
Bertheidigers der heiligen Satungen. Sp gaben fich die 
römische Nepublif und die chriftliche Republif die Hände 


5 


in der Hand Konſtantins; und er, das alleinige Haupt, der 
einzige Richter, der einzige Geſetzgeber des Erdkreiſes ließ 
ſich herbei, die Biſchöfe in feinen Rath zu berufen, und 
den bifchöflichen Defveten Gefetesfraft im Neiche zu ver- 
leihen. Die Welt hatte einen Herrfcher, dieſer Herrfcher 
war abfoluter Monarch. Niemand fiel e8 ein, in ihren Be— 
fugniffen eine Gewalt erörtern oder befchränfen zu wollen, 
der die Kirche ihren Segen ertheilte und die fich vühmte, 
eine Beſchützerin ver Kirche zu fein. 

Dies von Vielen fo bewunderte Ideal eines Einzigen, 
vor dem alle Menſchen ſich beugen, und der, abfoluter Herr 
aller diefer Sclaven, fich feinerfeits vor Gott beugt, fah 
man damals verwirklicht. Das dauerte zwei oder drei 
Jahrhunderte, während denen Alles im Reiche ſich auflöfte 
und verfanf; und die Kirche fennt feine peinlichere, auf- 
geregtere Epoche, feinen Zeitraum ihrer Gefchichte, wo fie 
jelbjt ärger als damals bloßgeſtellt gewefen wäre. 

Früher, während das Fatjerliche Rom im Kothe wer- 
janf!), hatte die Kirche in großartigem und würdevollem 
Beſtande gelebt; fie war feineswegs nur in den Katafont- 
ben verborgen gewefen, wie man oftmals fich einbilvet; 
offen und hefvenmüthig wagte fie es, das Feld zu halten, 
jie fämpfte durch Meartern und Dialeftif, durch Beredt— 


') „Der vor den Beftien feines Nils kniende Aegypter ſchändet 
bie Menjchheit weniger als Dies das Zeitalter der Antonine mit feinen 
Philoſophen und Nechtsgelehrten that, welche dem Kaifer Kommo- 
dus göttliche Ehren erwiefen.“ Ozanam, La Otvilisation chre- 
tienne au Vme siecle, t. I. pag. 113. Man wird uns die häuft- 
gen Citate aus den herrlichen Werfen diejes jungen Gelehrten zu 
Gute halten, der zugleich ein jo vollkommener Chrift, ein jo wortreff- 
licher Schriftfteller und beredter fympathiewoller Redner gewefen ift, 
und defjen alzırfrüher Tod einer der härteften Schläge war, von de— 
nen Wiffenjchaft und Religion in unfern Tagen getroffen worden, 


Schwierige 
Lage der 
Kirche, 


6 


jamfeit und Helvenmuth, durch ihre Concilien !) und ihre 
Schulen, allerdings durch ihre Martyrer zunächjt und vor 
Allem, aber auch durch jene großen Apologeten mit Namen 
Irenäus, Juſtin, Cyprian, Athenagoras, Clemens von Aleran- 
drien, Tertullian, Origenes, Laktantius — Männer, welche 
zugleich der Aufgabe gewachfen waren, die griechiche und 
(ateinifche Beredtſamkeit durch Yäuterung zu verjüngen. 
Der Kampf war ihr jo. zuträglich) gewejen, daß fie, als 
man ihr endlich den Frieden bot, fich bereitS weit über 
den Erdkreis verbreitet hatte ?). 

Wie wird fie es aber nach einer breihundertjährigen 
glorreich beftandenen Felpfchlacht angehen, um dem Siege 
Wivderftand zu leiften? Wie wird fie im Siege ihren 
Triumph auf ver Höhe ihrer früheren Kämpfe halten, ohne 
zu unterliegen, wie irdiſche Sieger zu unterliegen pflegen 
durch Leberhebung und Siegestrunfenheit? An die Stelle 
jener immer wachen und lebenswollen Erziehung des Kampf« 
plates, der heiligen Frenden ver Verfolgung, der würde— 
vollen Haltung in ununterbrochener, ſtets Kar bewußter 
Gefahr, Hat fie nunmehr ein ganz neues Benehmen, auf 
einem neuen mit ganz anderen Schwierigfeiten überfüeten 
Boden zu begründen. Von jekt an verbindet mit eben jener 
faijerlichen Gewalt, die fich vergebens abgemühet hatte, fie 
zu vernichten, wird fie gewiffermaßen verantwortlich für 
einen gejelffchaftlichen Zuftand, der ſich durch eine dreihun— 
vertjährige Knechtſchaft entnervt, durch alle Künfte einer 
iiberfeinerten Korruption zerfreffen zeigte. Es kann ihr 


') Die Sammlung des P. Labbe zählt zweiundfechzig vor dem 
Frieden der Kirche gehaltene Synoden. 

?) „In jener Zeit erfüllte bereits die erft im Entjtehen begriffene 
Kirche den Erdfreis.” Bossuet, Discours sur Ühistoire univer- 
selle. 


7 


nicht genügen, die alte Welt zu beherrichen; jie muß bie- 
jelbe umbilden und, aus fich ein Neues jchaffend, ganz an 
ihre Stelle treten. 

Die Aufgabe war gewaltig, aber doch nicht durchaus 
über ihre Kräfte. Gott gab feiner Kirche in eben dieſer 
Zeit eine reiche Zahl von Heiligen, von Biſchöfen, Kirchen— 
lehrern, Rednern und großen Schriftitellern, die unter dem 
Namen „Kirchenväter“ am geiftigen Himmel der Menſchheit 
glänzen, im ehrfurchtsvollen Andenfen der Nachwelt ven 
eriten Plat behaupten und durch ihr geiftiges Webergewicht 
auch den ungläubigften Gegnern Achtung abnöthigen. Durch) 
fie erglänzte der Orient und das Abendland im Sonnen- 
lichte der Wahrheit und Schönheit. Sie verwendeten in 
reicher Kraftfülle im Dienfte der Wahrheit einen Eifer, 
eine Beredtfamfeit, ein jo mannigfaltiges Wiſſen, daß fie 
darin ewig umübertroffen bleiben werden. Hundert Jahre 
nach dem Frieden Hatten fie die Welt bereits wie amgefüllt 
mit den Wundern ihrer Liebeswerfe und ihrer ſchönen 
Schriften, hatten jedem Schmerze der Mienfchheit eine 
Zufluchtstätte, für alle Schwachen eine Schutwehr, fir 
jedes Elend einen Hülfsfond gefchaffen, und Lehren und 
Beifpiele für jede Wahrheit und jede Tugend gegeben. 

Und dennoch gelang es ihnen nicht, eine neue bürger- 
liche Gefeltfchaft zu begründen, vie heidnifche Welt umzu- 
bilden. Sie blieben nach ihrem eigenen Geſtändniſſe hinter 
ihrer Aufgabe zurück. 

Der lange, tiefe Schmerzensruf, der uns aus allen 
Blättern der Schriften entgegentönt, welche dieſe heiligen 
und großen chriftlichen Schriftiteller uns hinterlaffen haben, 
bricht gleich Anfangs mit einer Gewalt hervor, Die in fei- 
ner Zeit größer gewejen ift. Sie fühlen fich wie über- 
wältigt und verfchlungen vom Abgrunde ver heibnifchen 


Verderbniß 
des hriftlichen 
Boltes. 


8 


Ververbnif. Hören wir die heiligen Hieronymus, Chry- 
joftomus, Auguftin, hören wir Salvian insbefondere und 
alle übrigen! Sie erheben laute Klagen über das frühe 
Berjinfen, den jchmählichen Fall des chriftlichen Volkes, 
das wie ein Yafterpfuhl geworden ift '). Mit verzweiflungs- 
vollem Schmerze müfjen wir fehen, wie fich die Mehrzahl 
der Chriften in ſchmachvoller Haft in die Wollüfte des 
Heidenthumes ftürzt. Die zügellofe Leidenfchaft für die 
blutigen oder ſchmutzigen Schaufpiele, die Gladiatoren- 
fümpfe, die circenſiſchen Spiele, alle ſchändlichen Nichts- 
wirrdigfeiten, alle Exceffe, alle unfittlichen Gräuel des alten 
chriftenverfolgenden Noms beftürmen und unterjochen die 
Neubefehrten, die Söhne der Martyrer. Nur noch eine 
kleine Weile, und ein neuer Juvenal kann die fchmachvolfe 
Niederlage derjenigen in Gefängen feiern, welche vie Welt 
wiederum Gott gewonnen hatten, und die Rache, die der 
böje Feind dafür an feinen Siegern genommen : 
Vietumque uleiseitur orbem. 

Nehmen wir bei diefen einftimmigen Klagen die Ueber- 
treibung auch für noch fo groß an, fo conftativen dieſelben 
doch nichtsdeftoweniger unwiderleglich, daß ver politische 
Sieg des ChriftenthHums, weit entfernt den Triumph der 
chriſtlichen Prineipien in der Welt herbeigeführt zu haben, 
vielmehr ein neues Aufflammen aller der Yajter hervorge- 
rufen hatte, die der chriftliche Glaube vernichten joll. 

Aber noch viel mächtiger als im Haus- und Privat- 
leben behauptete und gewann das Heidenthum nenerdings 
feine Herrſchaft durch die Art und Weife, wie fich dev welt- 


) Quam dissimilis est nune a seipso populus christianus, 
id est, ab eo quod fuit quondam!... Quid est aliud pene omnis 
coetus Christianorum, quam sentina vitiorum ? Salvian., De 
Gubernatione Dei. 


9 


liche Staat angefichts der Kirche verhielt. Bet ihm zeigt 
jich feine Spur der Umbildung, welche ebenfowohl der Be— 
griff als die Ausübung der Staatsgewalt dereinjt unter 
den chriftlichen Völkern erfahren follte: Konftantin und feine 
Nachfolger wurden getauft, das Neich, die faiferliche Ge— 
walt, ward nicht getauft. Diefelbe Hand, welche ven Chri- 
jten den Zutritt zu den Staatsämtern nnd der Hofgunft 
öffnete, legte ihnen Schlingen, in denen jede andere Kirche, 
nur nicht die unfterbliche Braut Chrifti, vettungslos und in 
Unehre zu Grunde gegangen wäre. Das Beftreben vieler 
Kaiſer ging dahin, Gebieter und Ausleger der Religion zu 
werden, deren Söhne oder höchftens deren dienende Voll— 
Itreefer fie doch nur. hätten fein dürfen. Kaum Hatten fie 
der Kirche das Necht ihres Beftandes zuerkannt, als jie 
ſich auch fehon befugt wähnten, viefelbe zu vegieren. “Die 
Neulinge von geftern wollten fogleich die Biſchöfe und 
Lehrer der Kirche fein; und da ihnen dies nicht gelang, 
jo verfolgten fie diefelbe jett zu Gunften des Arius, wie 
ihre Vorgänger fie zu Gunften des Iupiters und der Ve— 
nus verfolgt hatten. 

Sogar Konftantin felbft, ver Befreier der Kirche, der 
auf der Synode von Nicäa in weltlichen Dingen den Vor— 
ji gehabt, befam an der Freiheit und dem wachjenden An- 
ſehen der neuen Freigelaffenen bald genug. Bon Hofbilchöfen 
gewonnen, die alsbald um feinen Thron her jich einfanden, 
verbannte er den heil. Athanafius, den veinften, beiten und 
edelften Ghriften feiner Zeit. Biel jchlimmer geftalteten 
ſich vie Dinge unter feinen Nachfolgern. Boſſuet jagt: 
„Der Kaifer Konftantius ftellte ſich an die Spite der 
Arianer und verfolgte die Katholiken in fo grauſamer Weife, 
daß dieſe Verfolgung als viel fchredlicher betrachtet 
wird als diejenige des Decius und des Maximin; mit 


Einwirkung 
ber kaiſerl. 
Gewalt auf 
die Kirche. 


Die Kaifer 
werben Ver— 
folger. 


10 


einem Worte als ein Vorkote derjenigen des Antichriſts. ... 
Balens, der morgenländifche Kaifer, gleichfalls ein Arianer, 
war im Verfolgen noch viel graufamer; von ihm heikt es, 
daß er als gnädig galt, da er die Katholifen anftatt in 
den Tod, nur im Die Verbannung fchiekte" '), 

Aber noch viel gefährlicher als die Verfolgung ſelbſt, 
war das Eindringen der Politif in die Kirche. As nach 
pierzigjährigem Disputiven Konftantius dem Driente und dem 
Abendlande die zweivdeutige Formel des Concils von Ri— 
mini aufgedrungen hatte, ſah die Welt, nach dem berühmt 
gewordenen Ausdrucke des heil. Hieronymus, mit Staunen 
und Schmerz, wie fie plößlich, durch die ſchuldvolle Nach— 
giebigfeit eines Episfopats, welcher ſich durch Faiferliche 
Palaſt-Eunuchen leiten und einfchüichtern ließ, arianiſch 
geworden fei?). 

Die Prüfung muß wohl eine ſehr graufame gewefen 
fein, denn. das bisher Unerhörte, das ſeitdem faum wieder 
Erhörte geſchah: ein Papſt zeigte fich ſchwach. Liberius 
wird, nach einem anfangs helvenmüthigen Wiverftande, zu— 
letst durch Die Leiden der Verbannung befiegt; er bringt, 
allerdings nicht die wahre Lehre, aber doch den heldenmü— 
thigften Bekenner dev Wahrheit, ven heil. Athanafius zum 
Opfer. Er ermannt fich jedoch alsbald; er vergibt nicht 
das Mindeſte von der unfehlbaren Autorität feines Stuh- 
les; nur der Nuf feiner Verfolger wird compromittirt ?). 





') Bossuet, Cinquieme avertissement aus Protestants, 
c. 18 

®) Ingemuit totus orbis, et arianum miratus est se esse. 
Dial. adv. Luc., e. 19. 

°®) Fleury Kirchengeſchichte, XVI. Bud, c. 46. — Vergl. 
Graf v. Maiftre (Du Pape, liv. 1, ec. 15.), welcher an das ſchöne 
Wort des heiligen Athanafius erinnert, der fich felbft über bie 


11 


Und doch zieht bei Nennung feines Namens g’eichlam ein 
Schatten, ein Gewölk hin über die Lichtfäule, die dem Blicke 
eines jeden Katholifen voranleuchtet auf dem weiten Ge— 
biete der Gefchichte. 

Die Gewaltthätigfeiten, die Berbannungen, die Blut- 
bäder fangen im V. Jahrhundert von Neuem an, und ver- 
längern fi von Meenfchenalter zu Meenfchenalter. Jeder 
neue Irrlehrer findet auf dem Kaiferthrone einen Gehülfen : 
nach Arius Neftorius; nach Neftorius Eutyches; jo geht 
es von Berfolgung zu Verfolgung bis zur blutigen Unter— 
drückung durch die faiferlichen Bilderftürmer ; hierauf kömmt 
das große Schiema, welches das befreite und vechtglänbige 
Abendland auf immer vom ſklaviſch darniederliegenden, un— 
ter dem doppelten Joche des Irrthums und des Staats— 
despotismus ſeufzenden Morgenlande trennt. 

Aber wer befchreibt das Uebermaaß ver Leiden und 
Bitterfeiten während viefer langen, trüben Yahrhunderte, 
und bevor e8 zu diefem Bruche fam! Es waren jett nicht 
mehr Heiden, e8 waren Chriften, die das Chriftenthum ver— 
folgten. Zum Unterfchiede ver frühern Zeit, da die Chri- 
jten vor den Tribunalen oder im Amphitheater von ven 
Kaifern, in denen das alte umerbittlihe Nom perſonifizirt 
war, verdammt wurden den wilden Thieren vorgeworfen 
zu werden, wurden jett die Urtheile auf Kirchenverſamm— 
lungen, Namens einer erlogenen Nechtgläubigfeit gefüllt, 
und trugen das dreifache Gepräge der Rünfefucht, der arg- 


Schwachheit des Papites, deren Opfer er war, äußert: „Die Ge— 
waltthätigfeit zeugt allerdings von dem Willen desje- 
nigen, der Andere zittern macht, aber nidt von dem 
Willen dejfen, welder zittert. Hist. arian. ad Monachos, 
er Al, 


Irrgläubige 
Theologen. 


12 
fiftigen Tüde und ver Graufamfeit. Bevor es zur Ber- 
bannung und zur Hinrichtung fam, mußten Vernunft und 
Gewiſſen durch hinterliftig gewundene Glaubensbefenntniffe 
und Definitionen die fchredlichite Tortur erdulden. 

Die veichbegabteften Geifter und die evelften Charaf- 
tere diefer an großen Männern fo veichen Epoche, erichöpf- 
ten jich vergebens in ihren Erörterungen mit den gefrönten 
Kafuiften, welche, anftatt zu vegieren, neue Dogmen mach— 
ten, und über elende Spitfindigfeiten jtreitend, die Hoheit 
und Majeſtät der Kirche und vie Sicherheit des Staates 
opferten. Die Berbannung mußte jenen heil. Befennern, 
die gezwungen wurden, mit jolchen Gegnern ehrfurchtswoll 
zu Disfutiven, noch als Erleichterung erjcheinen. Während 
das Neich zufammenbrach, und die zur Rache auserfehenen 
Bölfer bereits von allen Seiten durch die Brefche einrüd- 
ten, ſchrieben dieſe jämmerlichen Autofraten, denen ein 
Klerus zu Gebote jtand, der mit den werjchnittenen Palaft- 
wächtern in feilem Knechtsjinne um den Rang ftritt, theo- 
(ogifche Werke, fetten Glaubensformeln auf, und erfanden 
und verdammten in häretiichen Glaubensbefenntniffen neue 
Sırlehren Y. Und als ob es an viefen gefrönten Theolo- 
gen noch nicht genug gewefen wäre, famen nun auch bie 
Kaiferinnen, die ſich beigehen liegen, die Gewiſſen zu vegie- 
ren, neue Glaubensſätze zu machen, und Bifchöfen Befehle 
zu geben. Wir jehen einen Ambroſius von einer Yuftina 
behelligt, und einen Chryjoftomus- das Opfer einer Eudoxia 
werden. Nichts war dieſem erbärmlichen gewaltherrfcher- 
iſchen Staatsthume zu unfinnig, nichts zu gemein. 


') Diefer Art waren das Henotifon des Kaiſers Zeno von 
482, das Papſt Felix II. vwerdammen mußte; die Efthejis des 
Heraflius, verdammt von Papjt Johann IV. und der Typus Kon- 
ftanz II, den der heil, Papſt Martin verdammte, 


15 


Man fünnte Theodofius dagegen anführen : aber jelbft 
jener berühmte Bußakt, der dem großen Theodofins und 
dem heil. Ambrofius fo fehr zur Ehre gereicht, welch einen 
trüben, blutigen Schein wirft er nicht auf den Zuſtand 
diefes chriftlich fein follenden Neiches! Was find das für 
gefelffchaftliche Verhältniffe, in welchen es möglich war, 
falten Blutes wegen einer gegen ein Saiferbild begangenen 
Beleidigung das Blutbad und die Vertilgung einer ganzen 
Stadt befehlen zu können! Welch eine gräßliche Erzählung 
von Martern und Hinrichtungen in Antiochia, ehe die Da— 
zwifchenfunft des Biſchofs Flavian ven Faiferlichen Zorn 
befänftigte. Der Gräuel einer folchen, im Nanten des 
Chriſtenthums geführten Herrfchaft hätte Dies am Ende 
ſelbſt aufs Tiefſte herabwürdigen müſſen, wenn fie von 
längerer Dauer gewejen wäre. Zudem gab es fir Einen 
Theodofins eine Menge von Valens, Honorius und Copro- 
nymus. Die Schauderhafte Verfuchung, in die fie durch ihre 
Allmacht geführt wurden, machte alle diefe arımjeligen Köpfe 
Ihwindeln. Die chriftlichen Kaifer erlagen dieſer Berfu- 
hung wie ihr die heidnifchen erlegen waren. Auf Unge 
heuer von Graufamfeit und wollüftiger Ueppigkeit folgten 
jett Ungeheuerlichfeiten von Stumpffinn und rückſichtsloſer 
Willkür. 

Was hiebei für die Kirche das Allerbitterſte ſein mußte, 
war der Anſpruch, den dieſe armſeligen Herren der Welt 
an ſie machten, ihre Einmiſchungen als Gnadenerweiſe zu 
betrachten und ſich ihnen dafür als verpflichtet zu bekennen. 
Sehr theuer kam ihr die materielle Unterſtützung einer 
kaiſerlichen Gewalt zu ſtehen, durch die ſie nicht geehrt, von 
der fie nicht verſtanden werden konnte. Jedes Dekret, das 
über Begünſtigung des Chriſtenthums, Schließung der heid— 
niſchen Tempel, Verbot der Opfer des alten Kultus, oder 


Die bürger— 
liche Geſell— 
ſchaft, dem 
Namen nach 
chriſtlich, 
bleibt dem 
Heidenthume 
in ſeiner 
ſchlimmſten 
Geſtalt un— 
terworfen. 


14 


Ansrottung der legten Nefte des Heidenthums erlaffen wurde, 
hatte ein anderes im Geleite, das über eine Frage des 
Dogma, der Disciplin und der Kirchenregierung entjcheiden 
wollte. Ein Geſetz Theodofius II. vom Fahre 428 verur- 
theilte die Irrgläubigen zu Zwangsarbeiten in den Metall— 
gruben, und der Kaifer ſelbſt war ein Eutychianer. So 
Ichaltete die Irrlehre, die fich für rechtgläubig genug hielt, 
um einen Jeden zu verbannen, der nicht dachte wie fie, 
auf dem Throne, der ihr die Allmacht verlieh. ben dieſer 
Kaifer und mit ihm fein Kollege VBalentinian ILL. defretirten 
Todesſtrafe für die Götendiener; aber das Götzenthum 
herrjchte in ihren eigenen Herzen umd in ihrer ganzen Um— 
gebung. Die heidnifche Leberlieferung von der Gottheit 
des Kaifers durchdrang das ganze Hofceremoniell und alle 
Regierungsakte aus diefer Zeit '). Auch die Beten, der 
große Theodoſius ſogar, reden beftändig von ihren gehei- 
ligten Paläften, won ihrem göttlichen Haufe, fie geftat- 
ten dieſem oder jenem Beamten, daß er 3%. Ewigfei- 
ten feine Chrenbezeugungen darbringe. Und eben diejer 
Balentinian, der die Abgötterei mit dem Tode bejtrafte, 
rief einft die Römer durch eine Proflamation gegen einen 
Banpdaleneinfall zu den Waffen, die, wie er felbjt offiziell 
verfünden ließ, von der göttlichen Hand, das heikt von 
jeiner eigenen, unterzeichnet war ?). 

So dauerte diefe Vergötterung des Fürften, eine Erfin— 
dung der Cäfaren, die das Siegel auf die Entwürdigung 
Roms gedrückt und die Knechtung unter den Schuß der 
Abgötterei geftellt hatte, — dies efelhafte Trugbild, das den 


') Franz de Champagny, De la Charite chretienne au 
IVme siecle, p. 358. 
?) Et manu divina: Proponatur, &e. (Novell. tit. XX). 


15 


hauptfächlichften Borwand der Chriftenverfolgung hatte her- 
geben müffen, und fih im Blute fo vieler taufend Men— 
chen gebadet, die ihm zum Dpfer gefallen waren, noch 
jest, ein Jahrhundert nach dem Frieden der Kirche fort. 
Man brachte den Cäſaren nach ihrem Tode feine Opfer 
mehr dar; aber während ihres Yebens wurden fie als gött- 
lich und ewig gepriefen ! Es war allerdings nur ein leeres 
Wort, aber ein Wort, das die feige Nievdertracht der Cha- 
raftere und die augenfcheinliche Befnechtung der chriftlichen 
Idee fennzeichnete. 

Die Kirche hat ſchwere Prüfungen bejtanden, fie ift 
oft genug verfolgt, oft genug durch unwürdige Diener com— 
promittivt, verrathen und verunehrt worden; ich weiß nicht, 
ob fie jemals dem Abgrunde fo nahe gewefen, in welchen 
fie der göttlichen Verheißung gemäß niemals jtürzen wird; 
ih) weiß nicht, ob fie je ein traurigeres Schickſal gehabt 
als damals, unter der langen Reihe von Fürften, die fich 
ihre Wohlthäter und Beſchützer wähnten, und fie um Frei- 
heit, Frieden und Ehre brachten. 

Waren aber in der noch jugendlichen, kaum aus der 
Bluttaufe hervorgegangenen Kirche die Schäden jo groß, 
wie mußte e8 dann erſt um diejenigen im Staate, in der 
politifchen Gefellfchaft ftehen ? Ein einziges Wort genügt, 
um e8 deutlich zu machen: das Heidenthum beftand hier 
noch unverfehrt. Einer der vortrefflichjten Gefchichtfchrei- 
ber unferes Jahrhunderts hat es nachgewiefen: „Die welt- 
liche Geſellſchaft ſchien chriftlich, gleich der kirchlichen. 
Die Fürſten und die Völker hatten in großer Mehrheit 
das Chriſtenthum angenommen, aber ſie ſelbſt waren im 
Grunde heidniſch geblieben; ihre Inſtitutionen, ihre Ge— 
ſetze, ihre Sitten kamen aus dem Heidenthume. Es war 


16 


der politifche Zuftand wie ihn das Heidenthbum und Feines- 
wegs das Chriftenthum gefchaffen hatte“ Y. 

Und dies Heidenthum, man vergejje es nicht, iſt das 
Heidenthum in feiner entartetften Geftalt. Die Politif der 
Staatsmänner bejtand damals noch darin, fich die Kaifer, 
wie fie eben nacheinander famen, gefallen zu lajfen, ganz 
wie zu Tacitus Zeiten ?), wo alle Hoheit und Größe von 
Nom, nach einem Fräftigen Ausfpruche Montesquieu's nur 
dazu da war, dag ein halbes Dutzend von Ungeheuern in 
Genüffen fchwelgen fonnte. Die auf Konftantin folgenden 
Kaifer waren befjfer als jene Ungeheuer, aber das elende 
Staatswefen verjcehlimmerte fich noch beftändig. Noch im— 
mer haben Hundert und zwanzig Millionen Menfchen fein 
anderes Necht als dasjenige, einem Einzigen, dem erſten 
beften Gelegenheitsherrn anzugehören, wie eine Soldaten— 
laune oder eine Hofintrigue ihn an's Stantsruder gerufen 
bat. Der Despotismus wird, indem er altert, ftets ohn— 
mächtiger und launenhafter. Auf Allen drückt er, Schuß 
gewährt er Niemand. Er faugt eine Welt aus, die er 
nicht einmal zu jchügen im Stande ift. Die Allgewalt 


) Guizot, Histoire de la Civilisation en France, lee. II. Er 
fügt hinzu: Der hriftlich joctale Verband bat fich erft jpäter nad 
der Völferwanderung entwicelt; derſelbe ift Sache der neuern Ge— 
ſchichte. Wir zollen hier dem ausgezeichneten Mann unſere Vereh— 
rung, der, vor nahe dreißig Sahren, und ehe noch Fatholifcherfeits 
etwas für Negeneration der Gefchichte geſchehen war, der focialen 
Bedeutung der Kirche, deren Sohn zu fein er nicht das Glück hatte, 
Gerechtigkeit hat widerfahren laffen, allerdings noch eine ungenügende, 
aber doch eine unpartbeiiiche und glänzende, die noch nicht binläng- 
lid gewürdigt worden it, feloft von denen, die am meiften babei 
intereffirt waren. 

) Bonos Imperatores voto expetere, qualeseumque tolerare, 
Tac. Histor. IV, 8. 


17 
eines Einzigen, fagt Salvian, ift der Ruin der Welt: 
unius honor, orbis exeidium !). Ueberall verfchwinden 
Friede, Wohlftand, Sicherheit *). Sowohl nach als vor 
der Befehrung Konftantins zieht je die folgende Regierung 
das Netz einer durchftudirten Fisfalität enger zufammen, 
die am Ende allen Erwerb und alles Eigenthum in der rö- 
mifchen Welt völlig ruinirt. Mit Hülfe der Nechtswilfen- 
Ihaft macht fie den Kaiſer, als alleinigen Nepräfentanten 
des fonveränen Bolfes, zum Obereigenthümer aller Güter 
im Reiche. Die Abgaben verfchlingen, was Angeberei und 
Süterbefchlagnahme bisher noch vom Befitthume der Freien 
übrig gelaffen. Sogar die Freiheit zu athmen muß, wie 
Lactantius fagt, bezahlt werden. Nach Zofimus ?) brachten 
die Väter ihre Töchter in das Yupanar, um vom Erlöfe 
den Fisfus bezahlen zu können. Der Grumdbefiger iſt 
weiter nichts mehr als ein Staatsfchuloner, gegen den mit 
der ganzen Graufamfeit der alten Römer gegen ihre Schuld- 
ner, verfahren wird. Er wird in den Schuldferfer gewor- 
fen, gegeißgelt, man geigelt feine Frau, man verfauft feine 
Kinder). Die Folter wird allgemein als ein Mittel zur 


) De Gubernat. Dei, IV, 4. 

>, In omni ferme orbe Romano pax et securitas non sunt. 
Salvian., De Gubernat. Dei, VII, 1. 

®, Histor., II, 38. 

+) Hier möge ein Zug Raum finden, der auch fonft noch in 
Beziehung zu unferm Gegenftande fteht, und au welchem man jehen 
kann, wie es im IV. Jahrhundert im vömifch-riftlichen Aegypten 
ausfah. Ein Räuber, der ſich fpäter bei den Mönchen der Thebais 
befehrte, erzählte dem berühmten Abte Paphnutius: Inveni aliquam 
formosam mulierem in solitudine, fugatam ab apparitoribus et 
curialibus praesidis et senatorum, propter publicum mariti de- 
bitum. Seiseitatus sum ex ea causam fletus. Illa dixit... 
„Cum maritus tempore biennii ob debitum publicum trecentorum 

v. Montalembert, d. Mönde d. A. 1. > 


18 


Erhebung der Abgaben angewendet: ehemals nur gegen 
Sflaven gebraucht, wird fie jett auf alle Bürger ausge- 
dehnt ). Alſo verjteht und übt die abjolute Gewalt die 
allgemeine Gleichheit. 

Die römische Nepublif, jagt Salvian, ftirbt fogar 
dort ab, wo fie noch lebenswoll zu fein jcheint, fie wird 
erdrofjelt von der Steuerlajt, dem Wanderer gleich, der 
unter der Hand von Raubmördern den Geift aushaucht. 
Das Kaiſerreich, deſſen Geburtsftunde in die. Zeit der 
Proferiptionen des Triumvirates fiel, vollendete würdig fein 
Werk mittelft einer Fisfalität, welche von ihren zur Ber- 
zweiflung gebrachten Opfern als die allgemeinjte Proferip- 
tion betrachtet wurde ?). 

Das Verwaltungsſyſtem, von Diofletian entworfen, 


aureorum saepe fuerit flagellatus, et in carcere inclusus, et tres 
mihi carissimi filii venditi fuerint, ego recedo fugitiva... etiam 
errans per solitudinem saepe inventa et assidue flagellata, jam 
tres dies permansi jejuna.* Der Räuber bat Erbarmen mit dem 
armen Opfer der Magiftratur: ev giebt ihr fein zuſammengeraubtes 
Gold und bringt fie und die ihrigen in Sicherheit: ertra probrum 
et contumeliam. Diejer Zug von Menfchenliebe erwirkte ihm von 
Gott die Gnade der Barmberzigfeit und die Gnade der Befehrung. 
Palladius, Historia Lausiaca. ce. 63. 

) Die Befreiung von der Folter ward das Privilegium derer, 
die den Titel „Erfaucht“ (Olustris) führten, dev Magijtrate der Mu- 
nieipien und der Unmündigen; aber dies Privilegium ward, wo es 
fih um Majeftätsverbredden handelte, aufgehoben. 

) Extremum spiritum agens, in ea parte qua adhuc vivere 
videtur, tributorum vineulis quasi praedonum manibus strangu- 
lata. De Gubern. Dei, IV, 6. Iam vero illud quam saevum, quam 
alienum a Barbaris, quam familiare Romanis, quod se invicem 
exactione proseribunt. Zbrid. V, 5. Bgl. alle Bücher des genann- 
ten Werkes iiber die fisfalifshen Bedrückungen, deren Opfer die 
Untertbanen des Neiches waren. 


19 


von den chrijtlichen Kaiſern noch drückender ausgebildet 
und von Yuftinian zum Abjchluffe gebracht, wird eine all- 
gemeine Weltplage, Man muß bei Eumenes, bei Laftan- 
tins, bei Salvian, welche mehr als ein Bahrhundert nach) 
Konftantin gefcehrieben haben, das Gemälde diefer Bedrück— 
ung nachlefen, die raffinivtefte und graufamfte, welche 
jemals auf civiliſirten VBölfern gelaftet hat. Es ift aber 
nicht bei den Kirchenvätern oder bei den Gefchichtichreibern, 
jondern im Texte der Neichsgefete felbft, wo fich die be- 
zeichnendfte Darftellung der ſchmählichſten Wunden der rö- 
mischen Weltverhältnilfe findet. Die Heuchelei der Sprache 
bemäntelt nur ſchwach die nadte Nohheit der Thatfachen 
und die Abfcheulichkeit der allgemeinen Kuechtichaft '). 

Der Adel, das erfte Opfer des Despotismus, zugleich 
jeden Einfluffes und feiner Unabhängigkeit beraubt, und 
durch das Staatsbeamtentbum aus allen bisher von ihm 
befleiveten Stehen verdrängt, wird unter pomphaft lächer- 
lihen Titeln: Ercellenz, Eminenz, Durchlaucht, Ho- 
heit, Klariffimus, Berfeftiffimus u. f. w., die Nie- 
mand über ihre innere Wejenlofigfeit täufchen, deren Uſur— 
pation jedoch, gleichviel ob mit Abficht oder aus Irrthum 
und Unwifjenheit, wie ein Meajeftätsverbrechen beftraft 
wird, gänzlich befeitigt. 

Die ftädtifche Bürgerfchaft, in Maſſe verantwortlich 
erflärt für das Steuerguantum, und durch Amtszwang zu 
den verhaßten Meagiftraturen wie zur Galeere verdammt, 
jeufzt unter dem Namen Kurialen unter einem Syfteme 


) Bgl. insbefondere das ſchöne Kapitel der Histoire des ori- 
gines Merovingiennes von Le Huerou unter dem Titel: Des 
veritables causes de la dissolution de l’Empire romain, t. ler, 
p. 120-153, 

2% 


Allgemeine 
Erniedrigung 
und Ver 
zweiflung. 
, 


20 


von Bedrückung, das auf ebenfo durchdachte Art organifirt, 
als auf unbarmberzige Weife angewendet wird. Ein von 
den beiden Söhnen des Kaifers Theodofins erlaffenes Ge- 
jet beftraft mit Einziehung aller Güter die Gottlofigfeit 
des hartgeplagten Gutsbefigers, der aus diefen in Zucht- 
häufer verwandelten Städten entfloh, um auf dem Yande 
freier athmen zu können '). 

Die Kolonen auf dem Lande find in nichts mehr von den 
Sklaven unterfchieden; darum ift auch das Landvolf durch 
die abjchenlichen Erprefjungen des Fisfus völlig ruinirt; 
und ohne Schuß und jegliche Anfmunterung wird ihm die 
Bejtellung der Felder verleidet, und es entflieht in die Wäl- 
der. Die Einen empören ſich auf die Gefahr hin, als Bagauden 
gleich wilden Thieren verfolgt und hingewürgt zu werden. 
Die Andern winfchen die Herrfchaft der Barbaren herbei, 
und fommen verjelben zuvor, indem fie fich Tandflüchtig 
jelbft zu ihnen hinbegeben. Diefe Gefangenfchaft unter den 
Barbaren feheint ihnen viel weniger ımerträglich als die 
faiferliche Knechtſchaft, der fie entflohen, und ihr einziger 
Wunſch ift der, nie wieder Römer werden zu müſſen *). 


) Curiales: ... jubemur moneri ne eivitates fugiant aut de- 
serant, rus habitandi causa; fundum quem civitati praetulerint 
scientes fisco esse sociandum, eoque rure esse carituros, cujus 
causa impios se, vitando patriam, demonstrarint. L. curiales, 
2. Cod. Theod. lib. 12, tit. 18: ‚Sc curiales. 

?) Malunt sub specie captivitatis vivere liberi, quam sub 


speeie libertatis esse captivi... Unum illic omnium Romanorum 
votum est, ne unquam eos necesse sit in jus transire Romanum. 
Salvian., op. cit. V, 5, 8. — Interdum vi nimjae amaritudinis 


etiam adventum hostium postulantes. Zbxd. VII, 16. — Jam in- 
veniuntur inter eos Romani qui malint inter Barbaros pauperem 
libertatem, quam inter Romanos tributariam sollicitudinem susti- 
nere. Oros.. Zist. VII, 41. 


21 


Es iſt nichts Seltenes, jagt Drofius, Römer anzutreffen, 
welche eine freie Armuth bei den Barbaren den Folter- 
qualen eines Lebens unter römischer Herrfchaft vorziehen. 
Boſſuet drückt die damalige Weltlage in ein paar Worten 
aus: „Im Meorgenlande," fo fagt er, „erjtirbt Alles; im 
Abendlande ift Alles im Zerfall"). Die Arbeit ftockt, der 
Boden bleibt unbebaut, die Bevölkerung fchwindet ein; 
Ohnmacht, Zerfall und Tod werden herrfchend. Die Pro- 
vinzen, heute von den Barbaren, morgen von den faiferli- 
chen Beamten geplündert und ausgeraubt, haben nicht fo 
piel Kraft mehr, um dies Joch abzufchütteln. „Die Welt 
ftirbt in Rom," jagen die Großen Galliens zu Kaifer 
Avitus); und Rom felbjt, von den Kaifern verlajfen und 
von den Gothen geplündert, fcheint dem Untergange ge— 
weiht. Nichts ift ihm mehr geblieben aus jener fchönen Zeit, 
während welcher die römifche Freiheit und Bürgerhoheit ein 
fo herrliches Licht auf die Gefchichte werfen, daß deſſen Er- 
innerung, Gott fer Danf, nie erlöfchen kann. 

Das ift, von dieſen beiden großen Dingen, vielleicht Der Senat. 
den größten in der Profangefchichte, dem Senat und dem 
”olfe, senatus populusque Romanus, aus dem Einen, 
aus dem Volfe, geworden! Was den Senat betrifft, der 
wo möglich noch tiefer als diefes Volf entwürdigt war, fo be— 
theiligte vexjelbe jich an der Negierung allein noch zu ber 
Gutheißung aller Verbrechen und bei der Belohnung aller 
tiederträchtigfeiten. Während ver fünf Jahrhunderte von 
Auguſtus bis Auguſtulus, in diefem langen Bejtande, haben 
wir von ihm feinen Act oder auch nur eine Discufjion, 
die des Andenfens werth wäre. Dagegen vegiftriren feine 


') Diseours sur l’histoire universelle, I, XT; III, 7. 
) Sidonius Apollinaris, Paneg. des Avitus, 


Sociale 
Ohnmacht 
des römischen 
Reiches. 


22 


Situngs: Protofolle jorgfältig die Zahl der Acclamationen, 
mit denen er die neuen Kaiſer begrüßte, fowie die ver 
Fluchworte gegen die entthronten Fürften, auch gegen die— 
jenigen, denen er zuvor am meiſten gejchmeichelt hatte. Seit 
Diofletian von aller politiichen Thätigfeit ausgefchloffen, 
befteht er nur mehr als eine Art von großem Municipal— 
rath, mit der Aufgabe, in der Gefchichte ven Namen und 
den Titel der erhabenften Berfammlung zu entehren, welche 
jemals die Menſchen regiert hat. 

Ganz ohne Beifpiel ift die Verächtlichfeit dieſer Rö— 
mer der Kaiferzeit. Als fie frei waren, eroberten und 
regierten fie den Erdkreis, jett als Sklaven, fünnen fie 
nicht einmal mehr fich ſelbſt wertheidigen. Sie mögen 
noch fo oft ihre Herren wechjeln, jich deren zwei, jogar 
vier auf einmal geben, den Despotismus auf alle mögliche 
Art theilen und vwerfegen: es ift umfonft. Mit ver alten 
Freiheit ift alle Tugend, alle Mannhaftigkeit hin. Was 
itbrig bleibt im Civilftaate, iſt nichts als ein Beamtenvolk 
ohne Lebenskraft, ohne Ehre und ohne Rechte, 

Ich fage, ohne Nechte; denn in der ganzen faiferlichen 
Welt beſaß Niemand auch nur den Schatten eines ernft- 
lichen, geheiligten Nechtes. Sch behaupte es Fühn gegen 
alle gelehrten Yobredner dieſes Negiments. Das römiſche 
Reich, Urbild und Duelle aller modernen Knechtfchaftsfor- 
men, bat in unfern Tagen, wo man das Bedürfniß fühlt, 
die Gegenwart mit den aus der Vergangenheit entlehnten 
Theorien zu rechtfertigen, zahlreiche Lobredner und Bewun— 
derer gefunden. Sie rühmen uns ganz befonders dasjenige, 
was fie als den lebendigften Ausdruck der römischen Bil- 
dungsepoche betrachten, den Fortichritt des Civilvechtes und 
der demokratischen Gleichheit. 

Aber das römische Necht, welches den Patriziern un- 


25 


ter der Republik behilflich gewejen war, die ſtärkſte und 
freiefte Negierung zu organifiven, welche die Gefchichte 
fennt, hatte unter den Kaiſern feine Beveutung und feine 
Natur völlig verfehrt. 

Welche Berhöhnung und welch wefenlofes Trugbild 
waren. Yehrinftitute und Praxis des Civilrechtes in einem 
Staate, wo Perfon ımd Eigenthum eines jeden Bürgers 
ohne Verhandlung, ohne jedes Rekursrecht, der Willfür der 
Schlechteften aller Nichtswürdigen preisgegeben waren. Das 
Criminalrecht bis auf die Zeit der Proferiptionen fo menfch- 
lich, fo ſchützend, fo freifinnig in feinem Wefen, war unter 
den Händen der Sailer zu einem Shfteme geworben, wo 
man nach eimem Kraftausdrucke Baco’s, die Geſetze auf Die 
Folter fpannte, um die Menfchen foltern zu Können !). 
Was das öffentliche Necht betrifft, fo war dies derge— 
ſtalt ver Anarchie verfallen, daß won vierunddreißig Kai— 
fern, die von Commodus bis Diofletian vegierten, mitten 
im goldenen Zeitalter der römischen Yurisprudenz, dreißig 
von ihren Nachfolgern ermordet wurden. Ich befenne, daß 
mir in der Gefchichte nichts fo Wiverliches und fo Unnatür— 
liches vorgefommen ift, al8 der Anblick diefer Nechtsgelehr- 
ten, die mit haarfpaltender Subtilität alle Fragen über 
Nutznießung, Verjährung, Vormundſchaft und Nechtsinter- 
dift erörtern konnten, ohne in fünfhundert Jahren gegen 
die blutigen Gewaltthätigfeiten einer Prätorianerhorve, oder 
gegen die ungehenerlichen phantaftiichen Ausgeburten eines 
Heliogabal oder Commodus auch nur das kleinſte Rechts— 
hemmniß aufſtellen zu können. 


) VBgl. den gelehrten „Verſuch über die Criminalgeſetze 
der Römer“ von Eduard La Boulaye, eine vom Inſtitute ge— 
krönte Preisſchrift; 1845. 


Täuſchung 
bezüglich der 
Gleichheit. 


24 


Was die Gleichheit angeht, ſo hatte dieſe keine andere 
Bürgſchaft als den von Commodus Angeſichts der ganzen 
Welt entwürdigten römiſchen Bürgertitel. Dieſer würdige 
Nachfolger des Cäſar, der ſein Pferd zum römiſchen Konſul 
machen wollte, wußte vollkommen was er that, indem er 
allen Provinzialen, die von gewiſſen Steuern frei waren, die 
Fülle des römiſchen Bürgerrechtes zuerkannte, nämlich an den 
Fiskus zu zahlen, was der Fiskus verlangte. Die Völker, die 
mit dieſem Titel beſchenkt wurden, wußten auch ganz gut, 
was er werth war. Dieſer Name „römiſcher Bürger“, 
ſagt Salvian, ehemals ſo hoch geſchätzt und ſo theuer er— 
kauft, ward jetzt von Jedermann nicht nur als eine eitle, 
ſchmachvolle Auszeichnung angeſehen, ſondern galt geradezu 
als ein Gräuel!). 

Uebergehen wir den Zerfall der Künfte, die Gemein- 
heit der Literatur, Die gänzliche Nichtigkeit der Wifjenfchaft; 
aber erfennen müſſen wir, daß in diefer chrijtlich jeinfollen- 
den Gefellfchaft das moralifche Elend noch viel größer ijt 
als das materielle, und daß die Kuechtichaft noch viel mehr 
die Seelen als die Körper erdrückt hat: Alles iſt entnerot, 
krankhaft verfümmtert und hinfällig. Nicht Ein großer Mann, 
nicht Ein Charakter taucht auf in diefem bodenlofen Schlamme. 
Berfchnittene Palaftwächter und Hoflophiften regieren das 
Reich ohne Gegenbeaufjichtigung, und ſtoßen auf einigen 
Widerftand nur von Seiten der Kirche. Nah Theodoſius 
mußte eine wahrhaft chriftliche Frau, eine Heilige, Pulcheria 
nämlich, dem Throne Konftantins auf kurze Zeit wieder 
einige Achtung vwerfchaffen. Wenn fich hie und da ein Feld— 
herr, ein beherzter, höher begabter Mann zeigt, jo muß er, 
wie Stilicho, wie Aetius, wie Belifar der tödtlichen Eifer 


) De Gubernat. Dei, V, 


25 


fucht des Herrn erliegen, ver neben feiner Allgewalt weder 
einen Namen noch eine Kraft duldet. Bei ihren Lebzeiten 
ift der Ruf ihres Namens für fie ein Grund der Verban- 
nung, und nicht einmal ihr Tod vermag bemfelben den 
Glanz wieder zu geben. Es hat den Anfchein, als habe 
die verpeftete Yuft, die fie im Yeben eingeathmet, auch noch 
ihren Nachruhm angehaucht, der in der Gefchichte glanzlos 
bleibt und ohne Zauber verflingt. 

Man muß, um im diefer jammervollen Zeit die Spuren Tugend und 
jener Größe und jener Kraft, die ein unveräußerfiches Erbtheil —— 
der edelſten Kreatur Gottes ſind, wieder zu finden, den Blick noch in der 
auf die Kirche richten. Nur in ihr, in den verſchie- HP 
denen Ordnungen der Firchlichen Hierarchie war e8, der 
despotifchen Willkür jener kaiſerlichen Theologen ungeachtet, 
noch möglich zu athmen, zu kämpfen und fogar noch Glanz 
zu verbreiten. 

Alle, Hoch und niedrig, die letten Sprößlinge des rö— 
mischen Patriziats, die alten Stämme der unterworfenen 
Länder, die Plebejer aller Provinzen, die maljenhaft mit 
dem werachteten Namen römische Bürger decorixt wurden, 
feitdem diefer Name feine Ehre mehr war und allen Werth 
verloren hatte, fie Alle konnten in der Stadt Gottes ihre 
verlorene Würde und ihre verkümmerte Freiheit wiederfinden. 

Die Kirche allein bot ihrer noch übrigen Kraft, ihrem Thä- 
tigfeitsdrange, ihrer geiftigen Fähigkeit und ihrem Aufopfers 
ungseifer noch ein hinlängliches Feld, denn fie lud Alle zu 
immer neuen Opfern und Kämpfen. Talent, Ruhm, Ju— 
gend, Heldenmuth, Freiheit, alles dasjenige, was das Leben, 
auch blos vom menfchlichen Standpunkte, ehrenvoll zu 
machen im Stande ift, fand ſich nur noch in der Kirche, 
bei jenen großen Streitfragen, mitten in jenem ſtets erneu- 
erten Ningen und Kämpfen für das Heil der Seelen und 


26 


für ven Sieg der Wahrheit, bei welchem Recht, Vernunft, 
Genie ſtets auf ihrer Seite waren, ohne daß dies alles 
jemals am Throne ihrer Befchüter ihrer Sache zu Necht 
verholfen hätte. 

Gott hat jedoch neben der Firchlichen Geſellſchaft, die 
er felbft eingefett und geordnet hat, auch eine zeitliche ge- 
Ichaffen, und obgleich ev fich in diefer wie überall im Gan— 
zen und Großen der Weltgefchichte die innere Lenkung der 
Ereigniffe und die beveutendern Erweife feiner unfehlbaren 
Strafgerechtigfeit ſelbſt vorbehalten hat, jo hat ex deren ge- 
wöhnliche Yenfung doch der freien Einficht und Thätigfeit 
des Menfchen anheimgegeben. Diefer zeitlichen Gefellfchaft 
das Leben, oder was dem Leben feinen Werth gibt, ent- 
ziehen, fie der geiftigen Verſumpfung, der Kuechtichaft, der 
Gleichgültigfeit und dem moralifchen Elende preisgeben, 
und allein nur ver Firchlichen Gefellichaft Berechtigung zu 
lebendiger Entwickelung und Größe, den religiöſen Fragen 
allein die Aufgabe zutheilen wollen, die Geijter zu bewegen, 
das hieße die Menfchheit an den Abgrund bringen. Zwar 
ift dies einigemal in der Gefchichte worgefommen, gleichwie 
auch das entgegengefette Extrem vorgefommen iſt; aber ein 
ſolcher Zuftand ift gegen die Geſetze des Dafeins. Eine 
jolhe Nichtigkeit der bürgerlichen Geſellſchaft ift weder den 
Abfichten Gottes noch den Intereſſen der Kirche gemäß. 
Der Menſch hat noch andere Nechte, als allein die Wahl 
zwijchen der Freiheit im Priefterthume und der Knechtſchaft 
im weltlichen Stande. Es gibt nichts auf Erden, was dem 
Leben im Himmel fo nahe käme als ein Klofter das von 
Drvensmännern bewohnt ift, welche freiwillig der Erde ent— 
jagen ; aber bie Welt a einem —— machen mit Mön—⸗ 





27 


würdigung der Welt zu einer Bedingung ver Freiheit feiner 
Kirche gemacht. Wir fehen glücklicherweife andere Zeiten 
fommen, wo neben der ihren Sieg feiernden, freien, ſchö— 
pferifchthätigen Kirche, eine weltliche Geſellſchaft entiteht, 
in ihrem Glauben feurig und voll Demuth, dabei aber fraft- 
voll, Friegerifch, hochherzig und männlich auch noch in ihren 
Berivrungen; Zeiten, wo die Autorität zugleich geheiligt 
und gemäßigt, die Freiheit durch Opferwilligfeit und Näch— 
jtenliebe geadelt war; wo Helden und Heilige neben ein- 
andergehen, wo die Klöfter, obwohl zahlreicher als in irgend 
einer andern Zeit, doch nicht mehr die einzige Zufluchtsjtätte 
für aufrichtige, hochfühlende Seelen find ; wo Viele, nicht Alle, 
aber Viele, wieder zum freien Beſitze ihrer felbft gelangen, 
wo die Fürften ihren Völkern, die Starken den Schwachen 
Rede zu ftehen haben, Alle insgefammt aber Gott. 

Sm IV. und V. Sahrhundert jedoch ſah man noch) 
nicht einmal die Morgendämmerung diefer unumgänglich 
nothwendigen Erneuerung am Horizonte dämmern. Noch) 
jtand die ganze alte Welt ver Kaiferzeit. Das Chrijten- 
thum war auf diefen fchinachvollen Zuftand eingegangen, 
wie e8 auf alle Zuftände eingeht, mit der übernatürlichen 
Hoffnung, zur Entwicelung der Keime des Guten beitragen und 
„bie Maſſe des Böſen vermindern zu können. Dennoch ge— 
lang e8 dem Chriſtenthume troß feiner höhern Kraft und 
göttlichen Abfunft, troß der demuthsvollen und eiferwilligen 
Aufopferung der Väter und oberften Bifchöfe für die alters- 
ſchwache Majeſtät ver Cäſaren, troß feiner Geiftesriefen 
und feiner Heiligen nicht, die alte Geſellſchaft zu verjüngen 
und umzubilden. Und wäre es ihm auch geglückt, fich der- 
rdbeyı gänzlich mit allen Elementen, die fie damals confti- 
tuirten, zu bemächtigen, fo hätte es Doch nur eine Art von 
chriſtlichem China daraus machen fünnen. Gott hat es 


Es gelingt 
der Kirche 
nicht, das 
Reich zu re— 
generiren. 


Sie bedarf 
ver®arbaren. 


28 


vor einer folhen Mißgeburt bewahrt; aber in den Vor— 
gängen von damals haben wir die ewig denfwürdige That- 
ſache vor Augen, daß weder Genie noch Heiligfeit etwas 
vermögen gegen die Fäulniß, die aus dem Despotismus 
entjteht. 

Demgemäß alfo lag die alte Welt in den letzten Zügen. 
Das Reih, in Folge jener jümmerlichen Schwäche, die 
nicht einmal mehr Mitleid erwect, dahinfchwindend, ver— 
ſank allmälig in Schande und Verachtung. Nafchen Schrit- 
tes geht Alles feinem unabwendbaren Zerfalle entgegen. 
Sp fah es aus im römischen Neiche, zweihundert Jahre, 
nachdem es chriftlich geworden. In der geiftlichen Ord— 
nung ging es unter den Kaifern von Konftantinopel dem 
Schisma entgegen, welches mehr als die Hälfte der von 
den Apofteln befehrten Welt von der Einheit und Wahr: 
beit losriß. Im Zeitlichen gejtaltete es fich zu dent elenden 
byzantinischen Kaiſerthume, deſſen bloße Nennung wie ein 
Schimpfname tönt. 

Damit es der Kirche möglich werde, die Gefellichaft 
zu vetten, bedurfte es in der Gefellfchaft eines neuen Ele— 
mentes und in der Kirche einer neuen Kraft. Es bedurfte 
einer doppelten Einwanderung : derjenigen der Barbaren von 
Norden ber und derjenigen der Mönche von Süden. 

Beide kommen: die Barbaren zuerft. Wir jehen fie 
im Kampfe mit den durch die Knechtſchaft entnervten Rö— 
mern, mit den in ihrer Allmacht ohnmächtigen Kaifern. 

Anfänglich eine faft ruhmlofe Beute, von den erjten 
Cäſaren als Gefangene verächtlich behandelt, dann als 
Hülfsvölker derſelben bald gefucht und bald gefürchtet, dann 
unmiderjtehliche Gegner, endlich Bejieger und Herren des 
gebemüthigten Neiches, kommen fie heran, nicht wie ein 
plötlich daherbraufender, leicht wieder verjiegter Bergſtrom, 


29 


fondern wie die Meeresfluth, worfchreitend, zurückweichend, 
wiederum anfchwellend und dann dauernden Beſitz vom ges 
wonnenen Boden ergreifend. So kommen fie, dringen vor, 
weichen zurück, fommen wieder, fiegen und bleiben. Wo 
Einzelne Luft zeigen einzuhalten und ſich mit den evjchro- 
ckenen Römern abzufinden, werden auch fie gedrängt, über— 
holt und bewältigt von nachfolgenden Fluthen. Sie er- 
ſcheinen. Dem Yaufe der Donau folgend finden fie den 
Weg nach Byzanz und Kleinaſien. Sie wenden fich wieder 
landaufwärts bis zu den Alpen, von denen herab fie in 
‚Italien einfallen. Sie feten über den Rhein, überfteigen 
die Vogefen, die Cevennen, die Pyrenäen, überfluthen Gal- 
lien und Spanien. Der Drient bildet ſich ein, ev werde 
verfchont bleiben ; eitle Hoffnung! Vom Kaufafus zieht der 
Wetterfturm herab und überſchwemmt auch ihn. Die Wölfe 
des Nordens (wie der heilige Hieronymus fie nennt) trin- 
fen, nachdem fie Alles verwüftet und aufgezehrt, aus den 
Fluthen des Euphrat. Aegypten, Phönizien, Paläftina, alle 
Yänder, in welche fie auf ihrem erften Berheerungszuge noch 
nicht hinfamen, ſchmachten bereits in den Banden der Furcht. 
Es ift feine Geſammtmaſſe wie das Volk der Römer; es 
find zwanzig verfchiedenartige, einer vom andern unabhän— 
gige Völferftämme. Seit Jahren, fagt des Weitern ber 
heilige Hieronymus, fließt täglich das römische Blut unter 
den Streichen des Gothen, des Sarmaten, Quaden, Alanen, 
Hunnen, Bandalen, Marfomannen ). Es ift nicht Das 
Heer eines einzigen Eroberers, eines Alerander oder Cäfar, 


) Quotidie Romanus sanguis effunditur... Eece tibi ex ul- 
timis Caucasi rupibus immissi in nos... Septemtrionis lupi... 
S. Hieron., De Laude Nepotiani, e. II. Cf. Ep. ad Ocean. de 
Vita S. Fabiole. 


Was wir 
ihnen ver— 
danfeıt. 


30 


e8 find zwanzig Könige, unbefannt aber tapfer, mit freien 
Gefolgſchaften, nicht mit Unterthanen. Für day Gebrauch 
der ihnen zuerfannten Gewalt find fie ihren Prieftern und 
Kriegern verantwortlich, und müſſen für diefelbe ftets durch 
zähe Ausdauer und verwegene Unternehmungen um Nach- 
ficht einfommen. Alle insgefammt gehorchen einem unwider— 
jtehlihen Drange ; noch verfchlojfen ruhen in ihnen die 
Schickſale und Intitutionen der dereinftigen Chriftenbeit. 
Ohne noch etwas zu ahnen von ihrer höhern Send- 
ung, fommen fie als fichtbare Werkzeuge der göttlichen Straf- 
gerechtigfeit, als Rächer der unterdrüdten Bölfer und der 
erwürgten Blutzengen Gottes. Sie zerftören, aber fie ſetzen 
ein Neues an die Stelle des Zeritörten ; zudem vernichten 
jie nichtS von dem, was noch lebenswerth und lebensfähig 
ist. Blut in Strömen wird von ihnen vergoffen; aber mit 
ihrem eigenen Blute erneuern fie das Lebensmark des er- 
ihöpften Europa. Kraft und Leben bringen fie mit Feuer 
und Schwert. Neben taufendfachen Frevelthaten und uns 
zähligen Uebeln fommt mit ihnen zweierlei, das die römifche 
Welt nicht mehr kannte, wieder zum Vorfchein: die Würde 
des Mannes und die Achtung vor dem weiblichen Gejchlechte. 
Beides war in ihnen mehr inftinftartig als grundjätlich ; 
aber wenn diefe Naturgaben dereinft vom chriftlichen Geijte 
befruchtet und geläutert fein werden, geht aus ihnen das 
fatholifche Nitter- und Königthum hervor. Es bildet fich 
ferner daraus ein neues, im vömifchen Neiche ganz un- 
befanntes Gefühl, das wohl auch den edeljten und bepten 
Männern des heidnifchen Alterthums fremd gewefen fein 
dürfte, das jedenfalls immer mit dem Despotismus unver- 
träglich ift: das Gefühl der Ehre, diefe inmerfte, tiefe 
Schwungfraft in der neuern Gefelffchaft, die im Grunde 
nichts Anderes ift, als das Bewußtſein der Unabhängigkeit 


31 


und Unverletzlichkeit des menſchlichen Gewiſſens, eine Macht, 
die hoch über allen Gewalten, über jeder Art von Tyrannei, 
über allen vein äußerlichen Kräften ſteht ). 

Sie bringen ferner die Freiheit, allerdings nicht Die 
Freiheit, wie wir diefelbe in der Folge in unfer Bewußt— 
fein aufgenommen umd beſeſſen haben, aber doch die Keime 
und die Bedingungen aller Freiheit, das heißt den Geift 
des Widerftandes gegen eine  ausfchreitende Gewalt, eine 
männliche Ungeduld des Joches, das tiefe Bewußtfein des 
perfönlichen Nechtes, des individuellen Werthes einer jeden 
Seele, fowohl vor den anderen Menfchen als vor Gott?). 

Freiheit und Ehre! das ift es, was Nom und der 
Welt feit Auguftus Zeiten fehlte, und was wir unferen ger- 
manifchen Vorfahren, den Barbaren verdanken. 

Dom einfach religiöſen Standpunkte erkannten gleich 
anfangs einzelne hervorragende Männer unter den Chriften 
den tiefen geheimmißwollen Charakter, welchen Gott dieſen 
Stämmen aufgeprägt hatte, welche dem großen Haufen nur 
als Strafruthen göttlichen Zornes erfchienen. Sie Sprachen 
e8 mit einer Zuverficht aus, die durch Die wüthendſten 
Stürme in ihrem Gefolge, welche zwei Sahrhunderte an— 
dauerten, nicht erſchüttert wurde. Mitten unter den un- 
endlichen Drangfalen der erften Gothenwanderung hob der 


) Ozanam, La ceivilisation chretienne au Ve- siecle. 

) Les Germains nous ont donn& Fesprit de liberte, de la 
libert& telle, que nous la concevons et la connaissons aujourd- 
hui, comme le droit et le bien de chaque individu, maitre de 
lui-m&me et de ses actions et de son sort, tant qwil ne nuit & 
aucun autre... C’est aux ma@urs germaines que remonte ce ca- 
ractere distincetif de notre eivilisation. L'idé fondamentale de 
la liberte, dans l’Europe moderne, lui vient de ses conquerants.“ 
Guizot, Histoire de la Ciwvilisation en France, lec. VII. 


Ihre Lafter 
und Ver— 
brechen, 


32 

heilige Auguftin die bewunderungswirdige Chrerbietung und 
Mäßigung hervor, welche die Krieger Alarichs im Angefichte 
der Martyrergräber an den Tag legten, umd geht joweit, 
von der Barmherzigkeit und Meenfchlichkeit diefer furchtbaren 
Sieger zu fprechen ). Salvian nimmt feinen Anftand zu 
behaupten, daß die Barbaren, auch die Irrgläubigen, beſſer 
feien als die rechtgläubigen Römer. An einer andern Stelle 
jagt er: „Ihre Schamhaftigfeit reinigt die vom Schmutze 
römischer Unzucht befudelte Erde?).“ Paul Drofius, ein 
Zögling des heiligen Auguftin, vergleicht fie mit Alerander 
und den Römern aus den Zeiten der Nepublif, und fügt 
hinzu: „Die Germanen verwüften jett die Welt, aber wenn 
fie (was Gott verhüten wolle) dieſelbe dereinſt beherrfchen 
und fie ihren Sitten gemäß regieren, jo begrüßt die Nach- 
welt vielleicht diejenigen mit dem Ehrennamen großer Kö— 
nige, in denen wir jett nur Feinde zu fehen wiljen.“ 

Wir wollen jedoch nichts übertreiben und nicht über 
die Wahrheit hinausgehen. Diefe großen Eroberungen der 
Zufunft waren nur erſt im Keime, in der Gährung diefer 
verwirrten, ſchäumenden Maffen vorhanden. Auf den erjten 
Anbli zeigen ſich Grauſamkeit, Leidenfchaft, Blutdurſt und 
Zerſtörungsluſt als die Triebfevern ihres Handelns, und 
diefe Ausbrüche thierifcher Nohheit gehen mit der ven Wilden 
eigenthümlichen raffinirten Schlauheit Hand in Hand. 

Diefe unbändigen Barbaren, die ihren Fürften gegen- 
über die Menfchenwürde fo gut geltend zu machen wiljen, 
achten diefelbe doch jo wenig, daß fie wie fpielend ganze 
Völkerſchaften Faltblütig erwürgten. Diefe Männer des 
Schwertes, die in ehrfurchtsuoller Haltung den Worten 

) Misericordia et humilitas etiam immanium Barbarorum. 


De civit. Dei, I, 4. — Cf. C. 1 et 7. 
?) De Gubernat. Dei, V. 2, VI, 6. 


39 


ihrer Prophetinnen laufchten und im Weibe etwas Gehei- 
ligtes jahen!), verfuhren allzuoft gegen gefangene Frauen 
mit Abfcheulichfeiten jeglicher Art?), und wenigftens bei 
ihren Fürften beftand die Vielweiberet. 

Bei ihrer erften Berührung mit dem Chriftenthume 
war ihr Verhalten unfchlüffig, ihre Annahme desſelben zwei- 
deutig und zögernd. Wenn es unter den Gothenftämmen 
frühzeitig Chriften gab; wenn fchon in den erften Tagen 
nach dem Frieden der Kirche germanifche Bifchöfe auf den 
Synoden von Arles, Nicäa, Sardica erfchienen; wenn 
Alarih bei der Plünderung von Nom im Jahre 410 die 
Kirchen, die heiligen Gefäße und die chriftlichen Frauen zu 
Ichonen gebot; wenn das geſammte Barbarenthum in feinen 
beiden furchtbarften Häuptlingen fich, wie nicht zu zweifeln, 
Einhalt thun ließ durch den heiligen Papſt Yeo, welcher allein 
im Stande war Geiferich zurückzubalten und Attila zur Umfehr 
zu bewegen, jo ift e8 doch auch nicht minder wahr, daß dieſe 
zwei Jahrhunderte ver Wanderungen mitten in der chriftlichen 
Welt nicht im Stande gewefen waren, die Sieger für vie 
Religion der Befiegten zu gewinnen. Die Sachfen, die 
Franken, die Gepiden, die Alanen blieben heidnifch ; und 
was noch jchlimmer war, diefe Völker fielen, fowie fie am 
Ende hriftlih wurden, einer elenden Irrlehre zur Beute, 
Die Wahrheit war ihnen, fo zu jagen, nur eine Brüde von 
einem Abgrunde in den andern. Cine furze Zeit lang von 
Theodofius im Reiche in Schranken gehalten, begann ver 
Arianismus alsbald, der dereinftigen Bejieger des Kaiſer— 
reiches fich zu bemächtigen und fie zu beherrſchen. Die 


') Inesse quin etiam Sanetum aliquid. Taeit., De More Germ. 
)) Wir erinnern unter anderen Beifpielen an die graufenerre- 
gende Todesart jener dreihundert fränkiſchen Jungfrauen, die den 
Thüringern als Geißeln überliefert worden wareıt. 
v. Montalembert, d. Mönde d. A. I. 3 


34 


Weſtgothen, die Oftgothen, die Heruler, die Burgundionen wur— 
den Arianer; Erich und die Sueven in Spanien, Geiferich 
und die Vandalen in Afrika fchlachteten Taufende von Opfern 
auf den Altäven dieſer Irrlehre, die für alle Tyrannen das 
Lieblingsſyſtem war, denn es begünftigte zu gleicher Zeit 
die Emperumg des Verftandes gegen den Glauben und die 
Uebergriffe der weltlichen Gewalt gegen die Kirche. 

Bald find, unter ſolchen Umständen, die jungen, in 
Yeidenfchaften glühenden Barbarenſtämme vom Verderbniß 
der römischen Zuftände ergriffen und angejtect. Ihre kräf— 
tige Yebensfülle erliegt den unveinen Lockungen einer hinfäl- 
ligen Civilifation als Teichte Beute. Die Eroberung ift 
auf dem Punfte, ein großer Yafterpfuhl zu werden, und die 
Welt läuft Gefahr, wohl den Herrn gewechjelt, nisht aber 
ein bejjeres Loos gewonnen zu haben. 

Wer wird nun diefe ungebändigten Völfer in Zucht 
nehmen? Wer lehrt fie die große Kunſt, gefittet zu leben 
und die eroberte Welt zu regieren? Wer zeigt ihnen, wie 
neue Reiche und eine neue Geſellſchaft gebildet werden 
müffen? Wer verjteht es, fie zu fehmeidigen ohne fie zu 
entnerven? Wer bewahrt fie vor der Anjtefung? Wer 
verhindert fie, ſich im die Pafter zu jtürzen und eher zur 
Fäulniß als zur Neife zu kommen ? 

3: Mönde Die Kirche, die Kirche durch das Mönchthum. Fern— 
org En ber aus den Wüfteneien des Morgenlandes und Afrifa’s 
den Barbaren beruft Gott ganze Schaaren von Männern in dunklen Ge- 
find fie ber & . . * 
irge gen, wande, noch viel unverzagter und geduldiger, viel unermüd— 
lich bei der licher und ſtrenger gegen ſich ſelbſt, als es jemals ein Rö— 
ae mer oder ein Barbar gegen fich gewefen war. Sie ver- 
ftenbeit, breiten fich geräufchlos im ganzen Reiche, und als feine 
Stunde gefchlagen, ſtehen fie da unter feinen Trümmern im 
Abendlande wie im Oriente. Die Barbaren fommen, und 


35 

jo wie fie vorſchreiten, kommen neben ihnen, vor ihnen, 
ihnen zur Seite, hinter ihnen, überall, wo fie mit Mord 
und Brand verwüftend haufen, andere friedliche Heermaffen 
und lagern ftillfehweigend in Mitte der Verwüſtung; neue 
Kolonien bilden fich, gruppiven fich, opfern fich felbft auf, 
um an den Heerftraßen der Vilferzüge das Elend zu lin— 
dern und die Früchte des Sieges zu ſammeln. Darauf, 
als die Bertilger Alles überfluthet, Alles verwüftet, Alles 
erobert haben, erfcheint der große Mann vdiefer Zeit. Der 
heilige Benedikt fommt. Er wird der Gefeßgeber der Ar- 
beit, der Keufchheit, der freiwilligen Armuth. Er zählt 
jeine Söhne, die feine Kriegsfchaaren bilden, zu Taufenden; 
auch von den Barbaren her kommen fie zu ihm: das Haupt 
derjelben fogar kömmt und wirft fich vor ihm nieder. Er 
hebt ihn auf und macht ihn zu feinem Dienftmann und 
Bundesgenoffen. Er fchreibt eine Kegel, die während der 
nächjtfolgenden ſechs Jahrhunderte wie ein Yeuchtthurm des 
Heiles über Europa leuchtet; die das Gefek, die Kraft und 
das Leben jener friedlichen Legionen fein wird, denen die 
Beſtimmung geworden, nun ihrerfeits Europa zu überfluthen, 
aber, dem Welttheile zum Segen, um ihn aus feinen Rui— 
nen zu erheben, feine verheerten Felder wieder anzubauen, 
jeine Einöden zu bevölfern und feine Eroberer zu erobern. 

Das römische Reich ohne die Barbaren war ein Ab- 
grumd von Snechtfchaft und Fäulniß. Die Barbaren ohne 
Mönche find das Chaos. Aber beide vereint, die germa- 
nifchen Völker und die Mönche, gejtalten dereinft eine neue 
Welt: fie heißt die Chriftenheit. 


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Bweites Bud. 


Die Vorläufer des Mönchthums im 
Morgenlande. 


Inhalt. 


Urſprünge des Kloſterlebens im Alterthume, im alten 
Bunde und im Evangelium. — Chriſtus iſt der Schöpfer deſſelben. 
— Die Mönche erſcheinen, um an die Stelle der Martyrer zur treten 
und die Barbaren zur zügeln. — Martyrthum der heiligen Febronia, 
Klofteriungfran in Nifibis. — Die Väter der Wüſte. — Die 
Thebais. — Der heilige Antonius, erfter der Aebte; fein be> 
deutender firhlicher Einfluß; Menge feiner Jünger; fein Kampf gegen 
den Arianismus. — Der heilige Paulus, erjter Einfiedler. — 
Der heilige Pahomius, Berfaffer der erften chriftlichen Negel, Gründer 
von Tabenna. — Die beiden Ammon, — Die beiden Macare. — 
Begegniß eines Tribunen am Nile. — Ungeheure Zahl dev Mönche 
in der Thebais. — Das Paradies in der Wüſte. — Klöfter für 
Zungfranen in Aegypten: Alerandra, Euphrofina; die befehrten 
Sünderinnen; Pelagia, — Die heilige Euphraſia. — Die Mönde 
vom Berge Sinai, — Hilarion führt das Klofterleben in Paläftina 
ein. — Hilarion und Epiphanius auf Cypern. — Der heilige Ephräm 
in Mefopotamien. — Der heilige Simeon Stylites in Syrien. — 
Perfiihe Mönche als Martyrer, — Der heilige Bafiltus und 
der heilige Gregor von Nazianz in Cappabocien; ihre Freund- 
haft, ihr Elöfterliches Leben, ihre Bedeutung in der Kirche. — Hef— 
tiger Widerfpruch gegen das Mönchthum bei den Heiden und Aria- 


38 


nern, bei den Rhetoren und Sophiften, bei wielen Ehriften. — Der 
heilige Johannes Chryfoftomms wird der Lobredner der Mönde: 
jeine Abhandlung gegen die Verächter des Flöfterlichen Lebens. — 
Sein Benehmen gegen fie als Patriarh von Conftantinopel. — Er 
wird von den Mönchen von Cäſarea mißhandelt. — Die Mönche zu 
Antiohien unter Theodofius, — Telemac fett den Gladtatoren- 
fampfen ein Ziel. — Berfall des Mönchthums im Morgen 
lande; die Mönche werden Sklaven des Islam und Mitjchuldige 
des orientaliihen Schisma. 


Zweites Bud). 
Die Vorläufer des Mönchthumes im Morgenlande. 


Lo maggior don che Dio per sue larghezze 

Fesse creando, ed alla sua bontate 
Più confirmato, e quel ch’ei piü apprezza, 
Fu della volontä la libertate, 

Di che le ereature intelligenti 

E tutte, e sole furo e son dotate. 

Or ti parrä, se tu quinei argomenti 

L’alto valor del voto, s’® si fatto, 

Che Dio ceonsenta, quando tu consenti. 
Che nel fermar tra Dio e l!’uomo il patto 
Vittima fassi di questo tesoro. 

Dante, Parad. c. V. 


Mi. ſehen alfo die Mönche im Kampfe mit den 
Barbaren. Sie beginnen im IV. Jahrhundert einen Kampf 
und ein Apoftolat, welche bis zum XII. fortdauern und 
erft nach der definitiven Konftitwirung des Fatholifchen Eu— 
vopa ihr Ende erreichen. 

Aber woher fommen diefe Mönche? Und was ift denn Definition 
ein Mönh? Das müfjen wir in Kürze erft fagen. Ein er 
Mönch ift ein Chrift, der fich von der Welt abfondert, um 
mit größerer Sicherheit fein ewiges Heil wirken zu können; 

Einer, der fih vom Umgang mit andern Menfchen losfagt, 
nicht aus Haß oder Verachtung gegen diefelben, ſondern 
aus Liebe zu Gott und dem Nächten und um ihnen deſto 


40 


jo beſſer dienen zu können, jemehr vie eigene Seele geregelt 
und lauter gehalten wird. 

Diefe Idee der Abgefchloffenheit und Einſamkeit Tiegt 
auch in der Wurzel des Namens Mönch felbit, ver vom 
griechifchen Worte uovos, einfam, abſtammt. Da es aber 
jederzeit Chriften gegeben hat, welche vem gleichen Drange 
gefolgt find, jo find fich diefe Einfamen begegnet; fie haben 
das gemeinfchaftliche Leben, das fie zu fliehen fehienen, 
wieder begründet, und dieſe Yebensform, die fich auf eine 
völlige Gemeinschaft des Denfens und Handelns ftütt, ift 
die Grundlage und die Kraft des Flöfterlichen Standes ge- 
worden. 

Es genügt aber für den Mönch nicht, fich won ver 
Welt zu trennen, ev muß fich auch font won Manchem 
enthalten, was in der Welt erlaubt if. Der Mönch ift 
alfo wefentlih ein Solcher, der ſich desjenigen enthält, 
was er fonft vorwurfsfrei gebrauchen dürfte. Er entnimmt 
dem Evangelium nicht nur das Gebotene, fondern auch den 
bloßen Rath. Um deſto ficherer das Verbotene zu meiden, 
begiebt ev fich freiwillig des Erlaubten. Um feines Seelen- 
heiles deſto geficherter fein zu dürfen, will er dafür mehr 
als das ftreng Vorgeſchriebene thun. Zu dem Ende ver— 
pflichtet er fich zu einer Art von Keufchheit, won Unter: 
werfung und Armuth, die nicht von einem jeden Chriften 
gefordert wird. Mit einem berzhaften Aufſchwunge feines 
freien Willens entfagt er dem ehelichen Yeben und der Fa— 
milte, dem perfönlichen Eigenthbum und dem eigenen Willen, 
und ftellt dies dreifuche Opfer unter den Schuß eines 
feierlichen, unwiderruflichen Verfprechens, eines Gelübdes. 
Indem er alfo Sieger geworden, über feinen Yeib durch 
jeine Keufchheit, über feine Seele durch den Gehorfam und 
über die Welt durch Freiwillige Armuth, giebt er fich in 


41 


diefem dreifachen Stege gänzlich Gott zu eigen, und nimmt 
feinen Plab als Kämpfer in der Kernfchaar des Kriegs— 
heeres ein, Das wir die Kirche nennen. 

Diefe Pebensform ift alt wie die Welt. Sie hat einen Urfprlingebes 
zweifachen Urfprung, einen natürlichen und einen übern ne 
türlichen. 

In der That, dies Leben der Einſamkeit und der Ent- 
behrumgen, dem Anfcheine nach allen Neigungen des Men- 
ſchen fo durchaus widerftrebend, hat nichts deſtoweniger 
feine Wurzeln im der menfchlichen Natur. Ein Feder hat 
wohl, in einem bejtimmten Momente feines Lebens diefen 
geheimnißvollen und mächtigen Zug der Seele zur Einfam- 
feit in ich gefühlt. Im der That haben ihn auch alle 
Völker anerfannt und in Ehren gehalten; alle Religionen 
haben ihn in ihren Bereich gezogen und gebetligt. Die 
PBhilofophen, die Moraliſten des Heidenthums haben viefen 
tief innerlichen Drang der Natur um die Wette erhoben 
und verherrlicht. Das Meorgenland hat fich demſelben 
leidenschaftlich hingegeben:: Indien hat feit dreitaufend Jah— 
ren feine Asceten, welche die Abtödtung und die Uebung 
freiwilliger Bußwerfe bis zum Delirium treiben. Noch 
jet findet man fie im Lande umher ivrend, oder in groß: 
artigen Gemeinwefen zufammenlebend, unter allen Völkern, 
welche das Geſetz Buddha's anerfennen. Dieſe haben 
nichts hervorgebracht, nichts gerettet; Hochmuth des Irr— 
thums und Verderbniß, wie fie ver Müßiggang in feinem 
Gefolge hat, haben fie für das geiftige Weſen des Men- 
ſchen und für die Gefellfchaft gleicherweife unnütz gemacht. 
Aber fie geben noch mitten in ihrer Entwirdigung ein un— 
vergängliches Zeugniß von dem tiefen Bedürfniß der Seele, 
welches einzig nur die wahre Neligion vecht befriedigen und 


Im heidniſch⸗ 
klaſſiſchen 
Alterthume. 


Im alten 
Bunde. 


42 
zu einer unverſieglichen Quelle von Tugenden und Wohl— 
thaten umbilden kann. 

Auf dem Höhepunkte der antiken Bildung rathen Py— 
thagoras und ſeine Jünger, die man bereits Cönobiten 
nannte 9, Plato in feiner Republik, Epiktet in feinem 
Gemälde von Cebes, und ſo viele andere, dieſe Lebens— 
form als die höchſte Stufe der Weisheit an. Allein, nur 
das Chriſtenthum hat es, durch das Inſtitut des Mönch— 
thums, verſtanden, jene flüchtigen Eindrücke zu zügeln und 
zu ordnen und ihnen eine höhere, wirkſame Tragweite und 
nachhaltige Kraft zu geben. Denn es allein hat das Recht, 
dieſer natürlichen Neigung im Menſchen, die Alle anerken— 
nen, eine göttliche Sanction zu ertheilen und ein unfehl— 
bares Ziel zu zeigen. 

Neben dieſem vein menschlichen und natürlichen Ur— 
fprunge des veligiöfen Yebens hat daſſelbe auch noch einen 
übernatürlichen und himmlischen Urſprung. Im alten Bunde, 
wo Alles Figur oder Symbol des neuen, ewangelifchen 
Geſetzes ift, finden fich Schon Vorbilder eines einjamen, 
ruhigen Lebens, welches gänzlich der Pflege der Seelen: 
fräfte gewidmet ift. Sammel, mit welchem eigentlich vie 
Keihe ver Propheten, durch Prophetenjchulen, beginnt, Elias 
ganz befonders, dann der heilige Johannes der Täufer ?), 
find von Vielen, nicht ohne Grund, als die Urbilder und 
erften Meeifter des flöfterlichen Lebens betrachtet. 

Der Apoftel jelbft zeichnet uns die Propheten, mit 
Ziegenfellen befleivet, in den Wüſten, auf den Bergen, in 


) Jamblie.. De vit. Pythag., 5. 
?) Die griehifchen Väter bezeichnen ihn als den Fürften der 
Einfiedler und den Fürften der Mönde. 


45 


Klüften und Höhlen der Erde umherivrend'). Der heilige 
Auguſtin befchreibt fie, wie fie von der Gemeinfchaft des 
Volkes abgefondert leben, in tiefer Einfamfeit, ferne von 
ven Städten, Gemeinfchaften und Schulen bilvdend, dem 
Gebete, der Handarbeit und dem Studium geweiht ?). 
Ihre Kleidung befteht in einem Sacke oder auch aus Thier- 
fellen ?), und ihr ganzes Dafein zeugt von ihrer Armuth. 
Das ganze Hausgeräthe des Elifäus befteht in einer La— 
gerftätte, einem Tifche, einem Stuhle und einem Leuchter ?). 
Als Gefchent nimmt er nur Gerftenbrod und ein wenig 
Woizen an, wie man es den Armen zu geben pflegte ?). 
Ebenfo befannt ift die Mäfigfeit des Propheten. Der 
Engel giebt dem Propheten Elias nichts als Brod und 
Waſſer auf feinen weiten Weg. Der Hofbeamte des Königs 
Achab, ein gottesfürchtiger Mann, wie die Schrift fagt, er- 
nährt hundert Propheten in den Gebirgshöhlen mit Brod 
und Waffer. Eliſäus kocht wilde Kräuter ab, um fich und 
jeinen Brüdern, den Prophetenfindern, ein Mahl zu be— 
reiten ®). 

Ein anderes, weniger befanntes Beifpiel ift dasjenige 
per NRechabiten ?). Neunhundert Jahre vor Chrifto, zur 


') In melotis, in pellibus caprinis... in solitudinibus erran- 
tes, in montibus, in speluneis et cavermis terrae. Hebr., XI, 
37, 38. 


?) De civit. Dei, XVII, 41. 

3) Isai. XX, 2. — Daniel, IX, 3. — Zachar. XII, 4. — 
Cfr. Apoc. XI, 3. et IV. Reg. I, 8. 

SALVSs2reg. IV, 10. 

>) Ibid. 42. 

®) Ibid. 39. 

?) Bofjuet bringt fie in feinen „Erhebungen“, tm folgender 
Stelle mit den Mönchen im Beziehung : „Wenn die Hechabiten, 


4 


Zeit Jehu's, Königs in Iſrael, unterfagt ein Gerechter, 
Namens Ionadab, Sohn Rechab's, feinen Söhnen und 
Nachfommen in Häufern zu wohnen, Wein zu trinfen, 
Grundſtücke zu befiten, und befiehlt ihnen, getrennt von 
Anderen, unter Zelten zu wohnen, ihr eben lang. Drei 
Jahrhunderte darauf findet fie der Prophet Jeremias noch) 
treu bis zur Aengftlichfeit an den Vorfchriften ihres Va— 
ter8 bangen, und fagt ihnen im Namen Gottes: „Weil 
„ihr gehorht habt dem Gebote Jonadabs, eures Vaters, 


wenn die Mönche fih, mit Grund, ein Gewiſſen daraus maden, in 
etwas gegen ihre Kegel zu fehlen, um wie viel mehr müfjen wir 
zittern, uns gegen das Gejets Gottes zu verfehlen?“ (XVe Sem., Te 
Elevat.) — Sehr oft haben fi chriſtliche Schriftfteller auf obiges 
Kapitel des Propheten Seremias bezogen, um aus dem Borbilde der 
Rechabiten, welche fo vieles, dem Ernte und der Enthaltfamfeit des 
Mönchthums Berwandte beobachteten, nachzumeifen, wie im Chriften- 
tbum noch ungleich höherer Segen auf Beharrlichkeit im Gehorfame 
gegen den Ordensftifter und feine Satungen ruhe, und lange Dauer 
eines Inftitutes auf Treue und Folgfamkeit gegründet ſei. — Die 
Nechabiten bildeten eine nomadifivende Völferfamilie, urſprünglich 
aus dem Stamme der Kinäer, zu denen auch Hobab, der Schwager 
Mofis, gehört hatte. Sie befolgten die Ueberlieferung der Patriar- 
hen; und um die Lebensweiſe der Väter, das einfache Hirtenleben 
in feiner Familie zu erhalten, hatte Jonadab den Seinigen unterjagt, 
Aderbau zu treiben, fete Niederlaffungen zu begründen und Wein 
zu trinken. Als die Chaldäer in Paläftina einftelen, flüchtete Das 
Hirtenvolf fich in die fefte Stadt, blieb aber auch hier der wäterlichen 
Sitte in Verfhmähung verfeinerter Lebensgenüffe, wejentlih aus 
Achtung wor dem Gebote des Stammherrn getreu. Darum ftellt 
Jeremias diefe Rechabiten den Jfraeliten gegenüber als ein Beifpiel 
auf, das dieſe befhämen follte. Deshalb auch werden, während iiber 
Juda das Unheil fommt, die Rechabiten erhalten. (Anmerkung bes 
Ueberjeters, — Siehe Dr. W. Reifchl, Ueberfegung und Anmerfun- 
gen der heil. Schriften II, ©. 221.) 


45 


„und gewahrt habt alle feine Gebote und alles thatet, wie 
„er e8 euch geboten hat, darum, fo fpricht der Herr: es 
„lol nicht fehlen einer vom Stamme Yonadabs, des 
„Sohnes Rechab's, der ftehe vor meinem Angefichte alle 
„zage 1), 

In ihnen haben wir vielleicht, wenn nicht die Stammt- 
väter, jo doch die Vorbilder der Ejjener und der Thera- 
peuten, diefer Mönche des Judenthums, welche, die Erjte- 
ven zur Zeit der Machabäer, an ven Ufern des todten 
Meeres, die Andern zweihundert Jahre fpäter, in Klein— 
afien und Aegypten Tebten. Die Einen wie die Andern 
wohnten in der Wiüfte in Zellen, lebten ehelos, entjfagten 
allem Eigenthume, jedem Vergnügen, jeder velifaten Nah— 
rung, und widmeten fich der Handarbeit oder dem Studium 
der heiligen Schriften. Porphyrius und Plinius reden mit 
Bewunderung von den Ejjenern ?); Philo, der geiftreichite 
jüdische Schriftfteller?), befchreibt das reine und abgetsdtete 
Leben der Therapeuten. Er fehildert fie uns, wie fie in 
Zellen auf einer Anhöhe jenfeits des Mörisſees wohnen, 
genau an der Stelle des nitrifchen Gebirges, welches ſpäter 
in der Gefchichte ver Väter der Wüfte zu fo großer Be— 
rühmtheit gelangte. Cufebius fieht bekanntlich Chriften in 
ihnen, und von Einigen wird der heilige Eyangelift Marcus 
als der Begrimder ihrer Yebensforn genannt *). Wenn 


) Jerem. XXXV, 1—10. 

) Porphyr., De Abstinentia, IV, 11. — Plin., Hist. na- 
tur, V. — Thonissen, Eneyelop. current t. I, p. 86, 

) Philo, De vita contemplativa 1.1. — Cfr. Pallad., Hist. 
Lausiaca, e. 7, 

) S.Hieronym., De Seript. Eccles., in Marco. — Euseb., 
Hist. Eeclesiast., 17. — Der heil. Epiphanius, Sozomenos, Kaſſian, 
jagen das nämliche. Cf. D. Calmet, Dict. de la Bible, V. 


Im Evange- 
lium. 


46 


ſich dieſe Meinung auch nicht als genugſam begründet aus— 
weiſt, ſo wird man doch jedenfalls in dieſen einſam leben— 
den ascetiſch ſtrengen Männern die unmittelbaren Vorläufer 
des Mönchthums erkennen können. 

Dem Evangelium aber kam es zu, dieſe Beiſpiele frucht— 
bar, vollkommen und dauernd zu machen. Die Worte des 
Welterlöſers, des Sohnes Gottes, waren klar und deutlich. 
Er hatte dem reichen Jünglinge, zu welchem ein einziger 
Blick ihn in Liebe hingezogen, auf jeine Frage nach dem 
Wege zum ewigen Leben gefagt: „Noch Eines bleibt dir zu 
„thun übrig: Gehe hin, verfaufe dein Erbe, gib den Erlös 
„den Armen, und du wirft einen Schat im Himmel haben; 
„alsdann fomm und folge Mir nah .“ Und ferner: 
„Keiner ift, fo da verlaffen hat Haus oder Brüder oder 
„Schweitern, oder Vater oder Mutter, oder Kinder, oder 
„Aecker um Meinetwillen und wegen des Evangeliums, wel- 
„Ser nicht hundertfach ſoviel empfinge jest in diefer Zeit: 
„Häuſer und Brüder und Schwejtern und Mütter und 
„Söhne und Aeder in Mitte von Verfolgungen, und 
„in der zufünftigen Welt ewiges Leben?)." Bon Stund 
an, da diefer göttliche Ausfpruch in der Welt verbreitet 


Therapeutes. — MHenrie. Valesii, Annot. in Euseb. p. 35. — 
Of. Döllinger, Heidenthbum und Judenthum ©. 759, 

', Quidam princeps; Luc. XVII. 18... Jesus autem intuitus 
eum, dilexit eum, et dixit ei: Unum tibi deest: vade, vende quae 
habes, et da pauperibus, et habebis thesaurum in c@lo: et veni, 
sequere me. Mare. X, 21. — Cfr. Matth. XIX, 21; Luc. XVII, 22. 

) Nemo est, qui reliquerit domum, aut fratres, aut sorores, 
aut patrem, aut matrem, aut filios, aut agros propter me et prop- 
ter Evangelium, qui non aceipiat centies tantum nune in tempore 
hoc: domos, fratres et sorores, et matres, et filios et agros, cum 
persecutionibus, et in s&culo futuro vitam ztemam. Mare. 
X, 29, 30. 


47 


worden, fanden ſich Männer, die weit entfernt von ber 
Härte diefer Worte abgeftogen und darüber betrübt zu 
werden, wie jener Erfte, dem fie gejagt wurden !), in den— 
felben im Gegentheil eine Süßigfeit und eine Anziehungs- 
fraft fühlten, welche ftärfer war als alle Verführungen der 
Welt, und die, den engen Pfad mafjenhaft betretend, den 
Deweis geliefert haben, daß fich in den Räthen der evan— 
gelifchen Vollkommenheit nichts findet, das für die menfch- 
lihe Schwachheit unmöglich wäre.  Achtzehn Jahrhun— 
derte lang haben fich Solche gefunden, und noch heute fin- 
den fich Viele ungeachtet aller Abneigung und aller Ver- 
bote einer falfchen morernen Weisheit. Unter dem Ein- 
fluße dieſes evangelifhen Wortes haben die erlauchteften 
Väter, die Kirchenlehrer, die Synoden feierlich erklärt, daß 
das religiöfe Yeben Chriftus jelbft zum Gründer habe und 
von feinen Apofteln zuerjt geübt worden ſei. Alle beveutend- 
jten Autoritäten anerkennen einmüthig, daß es mit der Kirche 
zugleich entjtanden ift und fortwährend mit ihr fortbeteht?). 

Dean kann won ihm, wie von der Kirche jelbft jagen : 
es beſteht fraft göttlichen Rechts ?). 


') Durus est hie sermo. Joan. VI, 61. Qui contristatus in 
verbo, abiit marens; erat enim habens multas possessiones. 
Mare. X. 22. 

) Philosophiam a Christo introduetam. S. Joan. Chrysost., 
Hom. 17, ad Popul. Antioch. — 8. Hieron. Ep. 120 (alias 
150), 118, 130. — Primum in Ecclesia, imo a quo cœpit Ecele- 
sia... cujus Apostoli institutores... exstiterunt. 8. Bernard.. 
Apolog. ad Guill. Abbat. e. 19. — Coenobitarum disciplina a 
tempore pr&dicationis apostoliex sumpsit exordium. Cassian., 
Collat. 18, e. 5. Sacrum quoque monasticum ordinem a Deo 
inspiratum, et ab ipsis Apostolis fundatum. Concil. ad Theod. 
villam ; anno 814, c. 3. > 

?) Status religiosus secundum se et quoad substantiam suam 


Das klöfter— 

licheLeben von 

Chriftus jelbft 
begründet. 


48 


Wir wilfen mit Beftimmtheit aus der Darjtellung in 
der Apoftelgeichichte, daß die erjten Chriften Tebten, wie 
nachmals die Mönche gelebt haben. Seit dem Cönaculum 
bildeten alle diejenigen, welchen das Glück zu Theil gewor- 
den war, unfern Herrn Jeſus Ehriftus ſelbſt zu jehen, alle, 
welche täglich die Predigten der Apojtel hörten, nur Ein 
Herz und Eine Seele. Sie hatten Alles gemeinfchaftlich : 
Glücksgüter, Gebet, Arbeit; fie verfauften ihre ſämmtlichen 
Befitungen, deren Erlös der Gefammtheit zu Gute kam. 
Damit verfhwand auf Einmal Reichthum wie Armuth unter 
den Gläubigen, von denen es ausprüdlich und zu wieder- 
holten Malen heißt, daß Alle in befagter Weiſe lebten '). 
Geſchichtliche Thatfachen, welche uns nachwiefen, wie dieſe 
früheste chriftliche Yebensgemeinfchaft gelockert und aufgelöft 
worden fei, fehlen uns, aber leichtbegreiflicher Weife mußte 
diefelbe in dem Berhältniffe ſchwieriger und unmöglich wer- 
den, als die Zahl der Gläubigen fich mehrte, und man fich 
den Rechten und Intereffen der Familie gegenüber befand. 
Sie hatte jedoch lange genug gedauert, um Euſebius und 
den heiligen Hieronymus zu dem Ausfpruche zu berechtigen, 
die erften befannten Mönche feien die erften Jünger Chrifti 
gewefen ?). 


ab ipso Christo immediate traditus et institutus fuit, atque ita 
diei potest, esse de jure divino, non pr&cipiente sed consulente. 
Suarez., Tract. VIL. lib. IIT. c. 2. 

') Omnes etiam, qui credebant, erant pariter et habebant om- 
nia communia. Possessiones et substantias vendebant, et divi- 
debant illas omnibus, prout euique opus erat... Multitudinis 
autem ceredentium erat cor unum et anima una: ne quisquam 
eorum, quæ possidebat, aliquid suum esse dieebat... Neque 
enim quisquam egens erat inter illos. Act. II. 44, 45; IV. 32, 
34, 35, 37. 

) Ex quo apparet talem primum Christo eredentium fuisse 


49 


Es ließe fich fogar behaupten, daß die Gläubigen ins- 
gefammt während ver drei erften Yahrhunderte gewiſſer— 
maffen etwas Meonaftiiches am fich gehabt. Ste waren 
jtveng und von einer gewilfen Schärfe, felbft in der hohen 
Heiterfeit des Glaubens und im jugendlichen Feuer ihrer 
Begeifterung. Sie bewahrten fich rein in Mitte der allges 
meinen Verderbniß; ihr Leben war mehr oder minder ver- 
borgen in der heidnifchen Geſellſchaft. Sie waren von je— 
ner alten Welt, als wären fie nicht von ihr. Dann famen 
die VBerfolgungen, die den Weg zum Himmel abfürzten, und 
die ihmen jtatt Bußübung und Prüfungen galten, Der 
Kerfer des Martyrers, fagt Tertullian, war wohl foviel 
werth als die Zelle des Propheten‘). In der Zwiſchenzeit 
des Friedens, welche ihnen die VBerfolgungen ließen, legten 
fie ſich Uebungen und Bußwerke auf, wor welchen unfere 
Schwäche jeither zurückbebt. Und im Uebrigen befand fich 
unter ihnen immer eine große Zahl Solcher, die in ihrem 
Eifer für die Vollfommenheit auf die Selbftverläugnung der 
früheften Tage zurücdgingen. Dieſe lebten in der Hebung 
der evangelifchen Näthe und entfagten der Che und dem 
Eigenthume; fie fafteten, übten das Stilffehweigen und jede 
Art von Bußſtrenge. Solche Chriften, fagt Boffuet, waren 
Mönche, durch fie wurden die Städte zu Flöfterlichen Ein- 
öden?). Wirklich werfuchten fie es manchmal, in Mitte der 
hrijtlihen Gemeinde Hlöfterlich zu (eben ; aber gewöhnlich 
mieden fie die Städte, das Geräufch und die nur dem Ge- 
winne nachgehenden oder im Staatsdienfte befchäftigten 


Ececlesiam, quales hune Monachi esse nituntur et cupiunt. De 
vir. Ülustr. c. 8. 
') Hoc pr&stat carcer Christiano, quod eremus prophetis. 
Tertull. ad Martyres. 
?) Sermon sur les obligations de la vie religieuse. 
v. Montalembert, d. Mönde d. A, I. 4 


Entfaltung 
des klöſterlich. 
Lebens vor d. 

Frieden der 

Kirche. 


50 


Menfchen. Fern von aller Berührung mit der Stadt und 
jogar mit der Familie, nahten fie ſich Gott und dem gött- 
lichen Mittler, der erſt jeit fo kurzer Zeit fein Blut auf 
Golgatha vergoffen hatte. Ihr Beiſpiel weckte jederzeit 
Nacheiferung, und vdiefe Tradition ward nie unterbrochen : 
jede neue Generation von Chriften lieferte diefem Gefchlechte 
ihr Contingent, das ſich nur geiftiger Weiſe forterzeugte. 
Dean gab ihnen den Namen Asceten!), Anachoreten?), 
und bereits nannte man fie auch Schon Mönche?) over Ein— 
ſame, und wenn jie in Gemeinschaft lebten, Jo hieß ihre gemein- 
Tchaftliche Wohnung Monafterium?), Clauftrum, Kloſter; 
fie bildeten einen eigenen von der Kirche anerfannten Stand?). 
Jungfrauen und Wittwen, von Gottesliebe entflammt, wett- 
eiferten in Muth, Yebensfirenge und Bußeifer mit jenen 
ehrwürdigen Männern und bildeten gleich ihnen jolche klö— 
jterlihe Gemeinden. Ueberall aber wurden die Einen wie 
die Anderen als die Blüthenfrone jener Erndte betrachtet, 
die des Menſchen Sohn auf Erden einfammeln wollte. 
Die Zeit fam, wo diefer Keim ſich mit einer wunder- 
baren Fruchtbarfeit entfaltet. Es war in der Epoche der 
letzten Chriftenverfolgungen und der erſten Völkerwander— 


) Bon @62n0cs, Uebung. 

?) Bon avayngeo, fih abjondern, ſich zurüdziehen. 

3) Siehe oben Seite 40, 

) Movaörngeov, Ort, wo man allein lebt; Döllinger bezeugt, 
daß ſchon die Bethäufer der Therapeuten jo genannt wurden. 

5) Bülteau bat im erften Buche feines Essai de Fhistoire 
monastique d’Orient, Paris 1680, eine Menge won Zeugniffen aus 
den griehiihen Vätern und Chronologien angeführt, welche den un— 
unterbrochenen Beſtand des Ascetenlebens in den erften Jahrhun— 
derten der Kirche conjtatiren. Bülteau bemerkt jedoch jelbft, daß 
nicht alle die von ihm biefür beigebrachten Autoritäten won dem glei- 
ben wiſſenſchaftlichen Wertbe find. 


51 


ung, zwifchen der Negierung des Decius und derjenigen 
Diofletians. Plötzlich erfüllten fih die Wüften mit Mön— 
chen, welche in denſelben Zuflucht gegen das römische Ver— 
derbniß, gegen die Graufamfeit der Cäſaren, gegen die Bar- 
barei der fünftigen Steger Noms gefucht hatten. Und das 
Reich ward gewahr, dag außer den Chriften, welche mit den 
Heiden untermifcht, Thon die Hälfte jeiner Einwohner. bil- 
deten, noch unermepliche Neferven von Männern vorhanden 
waren, die fich noch viel eifriger und mit gänzlicher Hin— 
gabe dem neuen Gefeke widmeten. Die Mönche erfchienen. 
Sie fommen eben recht, um an die Stelle der Martyrer 
zu treten und auf die Barbaren einzuwirken. 

Uebrigens fand mehr als Einer diefer Mönche feinen 
Pat unter den Martyrern ). Sogar Klofterjungfrauen 
jind unter der Zahl jener in ewigem Andenfen fortlebenden 
Jungfrauen, deren Marterqualen und unbefiegbarer Wider- 
ſtand gegen heidnifche Wolluft und Graufamfeit eines der 
heroiſchſten Blätter dev Gefchichte der Kirche bilden. Wir 
müfjen wenigjtens eines der vielen herrlichen Beifpiele da- 
von anführen. 

Während der diofletianifchen Verfolgung befand fich zu 
Nifibis in Mejfopotamien?) ein Klofter, in welchem fünfzig 
Jungfrauen lebten. Eine derfelben, Febronia mit Namen, 
fünfundzwanzig Yahre alt, war zugleich wegen ihrer un- 
vergleichlichen Schönheit?), ihrer auferorventlichen Buß— 


') Bülteau führt (op. eit.) unter den gegründeten Vorbehalten 
bezüglich des beftrittenen Werthes der griechischen Menologien, eine 
große Menge von Beifpielen davon an. 

) Nah Anderen zu Sibabte im palmyrenfiichen Syrien. 

°) Quas diligenter in ascetica erudiebat palestra... Haee 
formosa admodum et corporis proceritate speetabilis, tanta ex- 
cellebat venustate vultus, ut floridam speciei talis elegantiam 


4* 


Marterthum 
der heiligen 
Klofterjung- 
frau 
Yebronia. 


52 
jtrenge'), ihrer tiefen ascetifchen Wiffenfchaft und ihrer 
glänzenden Yehrworträge berühmt, die fie an allen Freitagen 
für die edlen Matronen der Stadt zu halten pflegte. Um 
jedoch dem jungfräulichen Zartgefühle und der Schüchternheit 
ihrer geiftlihen Tochter dabei Rechnung zu tragen, ließ die 
Aebtiffin, während Febronia zu den Frauen redete, einen Vor— 
hang vor der jungfränlichen Rednerin ausfpannen; und diefe 
war in der That feit ihrer zartejten Kindheit niemals, nicht 
nur von feinem Manne, ſondern auch von feiner weltlichen 
Frau gefehen worden?). Die junge, noch heidnifche Wittwe 
eines Senators, deren Familie bereits auf eine zweite Hei- 
vath für Diefelbe bedacht war, wollte um jeden Preis die 
gelehrte und Fromme DOrdensjungfrau jehen und prechen, 
und ließ ſich unter der Verkleidung einer fremden Klojter- 
frau bei ihr einführen. Beide brachten die ganze Nacht zu 
mit Leſen des Evangeliums, mit Beiprechungen über die 
chriſtliche Neligion, fie umarmten ſich und weinten mitein- 
ander, und als die Senatorin das Kloſter verließ, war fie 
zum chriftlichen Glauben und zum feufchen Yeben im Witt- 
wenjtande befehrt. „Wer mag wohl," fragte Febronia die 
Hebtiffin, „wer mag wohl die fremde Klofterfrau fein, die 


nullus oculus satis possit exprimere... Fama excellentia doc- 
trin®, celebrem tota urbe Febroniam redderet. Vita et Marty- 
rium 8. Febronie, auct. Thomaide ... teste oculato, griechiſch 
und lateiniſch, apud Act. SS. Bolland., t. V. Junii, p. 19—25. 

) Sie aß alle zwei Tage nur einmal, und fohlief auf einem 
Brette von anderthalb Palmen Breite. „Sesquipalmum.* Ibid. 

?) Adolescentula admodum studiosa, facta est multiscia... 
Sextis feriis, cum in oratorio convenissent sorores, jubebat Bry- 
ena ut illis Febronia legeret; quoniam autem matron® nobiles 
tali die ad orationem idem confluebant spiritualis doctrinæ gra- 
tia, jubebat Bryena velum tendi, post quod lectionem perageret 
illa. Idid. p: 19. Ck. p. 3. 


55 


fo zu Thränen gerührt wird, als hätte fie noch niemals die 
heiligen Evangelien erflären gehört?" „Es ift Hierin,“ 
war die Antwort, „Hierin, die Wittwe des Senators.“ 
„Ah!“ Sprach Febronia, „warum habe ich das nicht ge- 
wußt, ich habe mit ihr geredet, wie mit einer einfachen 
Schweſter)!“ Die edle Wittwe ward in der That vie 
Schweiter und Freundin der Klofterfran; fie verließ die- 
jelbe nicht mehr feit einer fchweren Kranfheit, von der Fe— 
bronia befallen wurde und die fie an ihr hartes, ſchmales 
Bette fejjelte und fie auch verhinderte, mit dem Bifchof, 
der Geiftlichfeit und dem größeren Theile ihrer Mitjchwe- 
jtern zu fliehen, als Selenus, der Vollſtrecker der faifer- 
lichen Graufamfeiten, nach Nifibis gefommen war, um das 
Berfolgungsedift gegen die Chriften dafelbft auszuführen. 
Wegen ihrer feltenen Schönheit denunzirt, ward Febronia 
bor den Nichterftuhl des Verfolgers gefchleppt. Auf vie 
Frage, ob fie eine Freigeborne oder eine Sflavin ſei, ant- 
wortete fie: „Ich bin eine Sklavin Chrifti?)." Sie wird 
ihrer Kleider beraubt und allen möglichen Folterqualen aus- 
gefett, wie fie die ohnmächtige Wuth des untergehenven 
Heidenthums gegen die chrijtliche Schambaftigfeit und 
Schwachheit nur zu erdenken vermochte; aber mit der hel- 
denmüthigften Ruhe ertrug fie alle ihr angethanen Befchimpf- 


') Post mutua iterum oseula et reeiprocas lacrymas.... Obsecro 
te, mater, quænam fuit illa peregrina Monacha? cui Thomais: 
Ipsa est Hieria senatrix... Ecce enim tamquam sorori locuta 
sum ei. Vita et Martyrium S. Febronie. 

?) Quidam pessimorum militum cursim accessit ad Selenum, 
nuntiavitque ei quod inventa sit in monasterio puella formosis- 
sima... Die mihi adolescentula, eujus conditionis es, serva an 
libera? Serva, inquit Febronia. Cujusnam vero? inquit ille; 
hæc vero: Christi. Idid. p. 24 et 26, 


54 
ungen und Qualen. Der Richter warf ihr wor, wie fie 
wegen ihrer Nacdtheit nicht einmal erröthe. „Mein. Chris 
jtus“, antwortete fie, „weiß wohl, daß ich bis dieſen Augen- 
bfief nie einen Mann gefehen hatte. Aber fag du mir, thörichter 
Richter,“ fuhr fie mit jener Kühnheit ver Rede, welche wir 
in den Martyreraften der heiligen Agatha, Agnes, Cäctlia 
wiederfinden, fort, „welcher Kämpfer erſcheint befleidet bei 
ven olympischen Spielen? Bleibt er nicht nact, bis er 
gefiegt hat? Zum Werfe alfo, daß ich kämpfen kann gegen 
deinen Vater, den Tenfel, ungeachtet aller deiner Folter: 
peinen ').“ Man rif ihr darauf nach und nach die Zähne 
und Die Zunge aus, md fehnitt ihr die einzelnen Glieder, 
die Füße, die Hände ab. Die alte Nebtiffin, welche won 
ferne dieſem grauſamen Kampfe zuſah, fchluchzte und betete 
laut im ſyriſcher Sprache, daß ihre theure Febronia aus— 
harren möge bis ans Ende; das Volk fluchte dem Diofle- 
tian und feinen Götzen. Hierin richtete öffentliche Ver— 
wünfchungen an Selenus*), bis endlich der helvdenmüthigen 
Jungfrau das Haupt abgefchlagen wurde. Ihr Blut aber 
war eine Saat, nicht nur von Martyrern, jondern auch von 
Mönchen. Die beiden Neffen des Selenus legten ihr 


) Impudens... scio quod gloriaris ea, qua polles, pulchri- 
tudine et ideo nee ignominiam reputas nuditatem corporis tui... 
sed decorum reputas ita te nıdam conspiei. Novit Christus meus 


quod usque modo nunquam viri faciem cognoverim... Die 
mihi, stulte et insensate judex, quis in Olympiaco decertaturus 
agone, luetus aggressus est unquam vestimentis indutus?... Eia! 


quandonam congrediar cum patre tuo diabolo, tua contemnens 
tormenta? Ibid. p. 27. 

®) Diu sie orans prostravit se humi atque elamabat: Dra, 
Bra, Bra... dialeeto syriaca,... Non pauei abibant clamantes 
anathema Dioeletiano et diis ejus. Vet. et Martyr. S. Fe- 
bron. 29, 32. 


55 


Glaubensbekenntniß als Chriften ab und traten in ein Klo— 
jter, und die edle Hieria Fam, _ indem fie fich felbft dem 
Kloster darbrachte, und legte ihre Perlen und ihren ganzen 
Schmuck auf das Grab ihrer Freundin nieder; danı warf 
fie fi) vor der Nebtiffin Hin mit den Worten: „Nimm 
mich, ich bitte dich, o meine Mutter, an Febronias Statt 
als deine Dienerin an !).“ 

Hinfort ward Febronia von den Bilchöfen Meſopota— 
miens als das Vorbild der Ordensjungfrauen gepriefen, 
Der Jahrestag ihres leidenvollen Hinganges ward zum 
Hanptfefte fir die Klöfter jener Gegenden. Ihr Yeben ift 
von. einer Klofterfrau befchrieben worden, welche Augenzeuge 
ihres Martertodes gewefen, und die ſpätere Legende berich- 
tete, daß allmächtlich beim Chordienſt dev Schatten der hei— 
ligen Martyrin an ihrem Plate im Chore erfchienen fei, 
gleichfam um mit den Schweftern das Yob Gottes zu fingen ?). 

Aber auf Diofletian folgt Konftantin. Der Friede der 
Kirche wird verkündet. Die Himrichtungen der Chriften 
gefchehen jett nur mehr ausnahmsweife: Die Meartyrer 
haben ihre Sendung erfüllt, die Mönche erheben ſich, um 
ihr Werf weiter zu führen. Es war in der That unter 
verschiedenen Formen derſelbe Kampf, es galt die Beftegung 
deffelben Yeindes. Die Berfolgung hatte nicht jo Viele 
zur Flucht in die Einöde und zum intritte in die Klöfter 
veranlaßt, als nunmehr der Sieg der Kirche. Die Ehriften 
fürchteten in ihrer jo einfachen, allev Weichlichkeit fo abge- 
fagten Yebensweife vielmehr einen den Sinnen jchmeicheln- 


') Obseero te, mater mea, suscipe me famulam tuam in locum 
Febronie. Ibid. 

?) Tales oportet esse monasteriorum prfeetas... Apparet 
S. Febronia in loco suo . . psallentem cum sororibus, Ibrd, 
P. 33, 35. 


56 


den Frieden, als die Graufamfeit ver Tyrannen. Die Wü— 
jten erfüllten fich mit zahllofen Engeln, die im fterblichen 
Fleiſche ein überirdiſches Yeben führten. 

Die Mönde Die am beten begründete Anficht bezeichnet vemgemäß 

— das Ende des dritten Jahrhunderts als die Epoche der regel— 
mäßigen Konſtituirung des klöſterlichen Lebens. Aegypten, 
dieſe antike und geheimnißvolle Sphinx der Geſchichte, dieſes 
Land, welches in der chriſtlichen Ueberlieferung als das Ge— 
fängniß des Volkes Gottes, als die Zufluchtsſtätte des Jeſus— 
kindes und ſeiner heiligen Mutter bekannt war, ward nun 
auch die Wiege dieſer neuen Geſchichtswelt, die chriſtlicher 
Glaube und Tugend zum Heile der Menſchen erſchaffen. 
Das Mönchthum bildet ſich jetzt in dieſen Wüſten aus durch 
Paulus, Antonius, Pachomius und ihre zahlreichen Jünger. 
Dies ſind die wahren Begründer jenes großen Reiches, 
deſſen Dauer bis in unſere Tage hineinreicht, die großen 
Feldherren in dem beſtändigen Kampfe der Seele gegen das 
Fleiſch, die heroiſchen und unſterblichen Vorbilder der 
Mönche aller nachfolgenden Jahrhunderte. Ihre wunder— 
baren Bekehrungen, ihre ganz buchſtäblich evangeliſche Ar— 
muth, ihre Arbeiten, ihre Bußſtrenge, ihre Wunder ſind 
der Nachwelt in unvergänglichen Zügen durch die beredten 
Schriften des heiligen Athanaſius, des heiligen Hieronymus, 
des heiligen Ephräm überliefert worden. 

In einem Werke, welches ausſchließlich von den Mön— 
chen des Abendlandes handeln ſoll, darf man auch nicht 
einmal eine Skizze des morgenländiſchen Mönchthums er— 
warten. Zudem, wer kennt nicht das: „Leben der Väter 
der Wüfte!)?" Wer hätte nicht mit Begeiſterung dieſe 

) Die letzte Bearbeitung der werthvollen Sammlung, die unter 
dem Titel: Vite Patrum, sive Historie Eremitice, libri X, 
vom P. Herbert Rosweyde, einem Jeſuiten, zu Antwerpen im Jahre 


57 


Erzählungen aus dem Hervenalter des Mönchthums ge- 
lefen ? Nicht mit Liebe den Wohlgeruch diefer Blüthen 
der Einöde eingeathmet? Wer hat, wenn nicht mit ven 
Augen des Glaubens, fo doch mit ver Bewunderung, welche 
die unbeftreitbare Seelengröße immer einflößt, die Kämpfe 


1628 herausgegeben worden, ift ficherlich eines der ſchönſten vorhan— 
denen Werke, und des ausgezeichneten Neligiofen vollkommen wür— 
dig, der zuerft den Plau der Acta Sanetorum gefaßt, den feine 
Mitbrüder, die Bollandiften, ausgeführt haben. Er hat im jenem 
Foliobande alle authentiſchen Kebensnachrichten über die Väter der 
Wüſte gefammelt und in zehn Bücher eingetheilt. Das erfte enthält 
die Lebensbefchreibungen der worzüglichiten Patriarchen der Thebais, 
niedergefchrieben von dem heiligen Hieronymus, Athanafius, Ephräm 
und Anderen, dann diejenigen der heiligen Frauen jener Zeit, Eu- 
genia, Euphraſia, Thais, Pelagia u. |. w.; das zweite und dritte 
Bud find das Werf des Rufinus, Priefters von Aquilefa und Be— 
gleiters der heiligen Melania auf ihren Pilgerreifen im Driente ; fie 
enthalten kürzere aber zahlreichere biographiſche Nachrichten als Die 
des erften Buches. Das vierte enthält Anekdoten aus den Dialo- 
gen des Sulpitins Severus, und aus den Inftitutionen und Col- 
lationen Caffians. Das fünfte, fechste und fiebente, durch Die rö— 
miſchen Diafone Pelagius und Johann Pashafius aus dem Griechi— 
ſchen überfetst, enthalten aus dem Leben der Väter gezogene Marimen 
und Beifpiele, nach Gegenftänden und unter dem Titel verjchtedener 
Tugenden geordnet. Das achte, welches den beiondern Titel Histo- 
ra Lausiaca führt, hat Palladius, nahmaligen Bifchof von Helles 
nopolis, zum DVerfaffer, der gegen das Jahr 390 in Aegypten war 
und drei Jahre lang bei den verfchtedenen Mönchen des Landes zu— 
gebracht hat. Was er felbft gefehen oder aus lebendiger Erzählung 
fennt, bildet den wertbwollften Theil diefer Sammlung, die dem Prä— 
feften Laufus gewidmet ift. Das neunte von Theodoret, Bifchof 
von Tyrus, handelt won den heiligen Mönchen in Aſien. Ebenſo 
verhält e8 fich mit dem zehnten Buche, Das einen Griechen des VI. 
Sahrhunderts, Johannes Moſchus, zum Berfaffer hat: es führt den 
bejondern Titel: Pratum spirituale oder auch: Paradisus novus. 


58 


diefer gewaltigen Büßer, und jelbjt die wunderbaren Ge— 
Schichten jener verirrten Frauen betrachtet, welche jene Hei- 
ligen mit ihren Berführungsfünten vergeblich zu umſtricken 
verſucht; die daun aber zur Tugend befehrt, fich würdig zeigten, 
fie nachzuahmen und öfter fogar im Stande waren, fie durch 
die Allgewalt ihrer Neue und die Größe ihrer Heiligkeit 
noch zu übertreffen? Man fann fich nicht losreißen ven 
diefen Erzählungen '). Diefelben enthalten Alles: die Man— 
nigfaltigfeit, Das Pathetiſche, das Erhabene, die epifche Ein- 
falt einer Menfchengattung, naiv wie Kinder und ſtark wie 
Kiefen. Sie haben der Thebais einen volksthümlichen und 
unfterblichen Namen gemacht, fie haben den Feinden ver 
Wahrheit ein achtungsvolles Stillfchweigen abgenöthigt, und 
jogar in unferm baltungslofen und Fchwächlichen Jahrhun— 
dert haben ſie beredte Yobredner unter den namhafteſten und 
aufrichtigften Schriftjtellern unferer Tage gefunden ?). 


') Zur der Zeit der tiefften Entwürdigung der Literatur in un— 
ſerm Jahrhundert, unter dem erjten Katjerreiche, test man mit freu— 
diger Ueberrafhung in einem Briefe des ehrlichen und muthoollen 
Ducis diefe Worte: „Mein lieber Freund, ich lefe das Leben der 
Bäter der Wüſte. Ich lebe mit dem heiligen Pachomius, dem 
Gründer des Kloiters Tabenna. Es liegt ein hoher Neiz darin, fich 
im Geifte in dies Land der Engel zu werjeßen: man möchte es nie 
wieder verlaffen.“ 

2) Die Herren von Chatenubriand, PVillemain, St.» Marc Gi- 
vardin, Franz von Champagny, Albert von Broglie. Diefen Namen 
müffen wir denjenigen des allzufriih verftorbenen Möhler hinzufügen, 
des bedeutendften unter den neueren Theologen in Deutjchland. Im 
zweiten Bande feiner gefammelten Schriften und Auffäte 
findet fich eine Gejhihte des Mönchthums in der Zeit feiner 
Entftebung und erften Ausbildung, gejchrieben im Jahre 1836. 
Hätte-Möhler dieſe Arbeit, die nur etwa hundert Seiten ftark ift und 
mit dem V. Jahrhundert abſchließt, weiter fortgeführt, jo wiirde die 


59 


Es ift uns faum vergönnt, einen Blick auf jene glor- ne 
reiche Schaar werfen zu fünnen, doch erhebt ich mitten im zur sust. 
derfelben hehr und groß vor allen, eine erhabene Geftalt, 250-356. 
bei der wir einen Augenblic verweilen müſſen: es ift An— 
tonius. Yung, veich und edel, hört er, zwanzig Jahre alt, 
in der Kirche die Worte des Evangeliums lefen: Si vis 
perfecetus esse &e., und wendet fie unverweilt auf fich 
an. Er verfauft dreihundert Jucharten quten Yandes H, giebt 
den Preis dafür den Armen, begiebt fich in eine entlegene 
Wüſte und fucht dafelbft Gott und fein Seelenheil. Zuerſt 
lebt er dort allein in unausgefestem, furchtbaren Kampfe 
gegen die granfamen Verfuchungen des Teufels und des 
Sleifches. Er evtict am Ende die finnliche Gluth feines 
jugendlichen Feuers durch Faften, durch Kafteiungen, ins- 
befondere durch Gebet, durch ein Gebet, das fo lange 
dauert als die Nacht, das feine Nächte vergeftalt in An— 

Spruch nimmt, daß ihm ver Tag immer zu früh anbricht: 
„D Sonne," ruft er einftmals aus, als ihn das Yichtge- 
jtirn, während ev noch betete, mit feinen Strahlen über- 
goß, „warum erfcheinft du fo früh, und warum hinderſt 
du mich an der Betrachtung des Glanzes des wahren Lich- 
tes?" Mit fünfunddreifig Jahren war er Sieger und er 
hat num durch Bezähmung feines Yeibes die wahre Freiheit 
der Seele errungen ?). Er geht über ven Nil und begiebt 


katholiſche Literatur um ein Meifterwerf reicher fein, und ung bliebe 
alsdann nichts Befjeres zu thun, als es einfach zu überſetzen. 

') Arurae autem erant ei trecentae uberes, et valde optimae. 
S. Athanas.. Vit. 8. Anton. e. 2. — Die Arura war ein in 
Aegypten gebräuchliches Flächenmaaß. — Vgl. Rosweyde. Ono- 
masticon, p. 1014. 

?) Tantam animae libertatem... S. Athanas.. Vit. $. Anton., 
C. 22. 


Erfter Be- 

gründer bes 

Sönobiten- 
lebens. 


310. 


60 


jih Höher hinauf in die umbefannteften Wüften. Dort 
bringt er zwanzig andere Jahre in einem alten, verfallenen 
Schloſſe zu. Darauf aber wird diefe lange und glückliche 
Einfamfeit von Schülern gejtört, die fih um ihn ſammeln, 
jowie durch die benachbarten Einfiedler, welche zu ihm 
fommen, ihn über die Geheimniſſe der Gotteswiffenfchaft 
zu befragen. Pilger aus allen Ländern bringen ihm ihre 
Kranken zur Heilung, ihre Herzen zur Yäuterung. Neu— 
platonifche Philofophen Legen ihm ihre Zweifel und Schwie- 
rigfeiten vor, und finden an ihm einen jcharfen und ge- 
waltigen, feinen und beredten Apologeten der Erlöfung "). 
Man fammelt fih um ihn und fievelt ſich in feiner Nähe 
an, man bleibt, und in feinem Gehorſam bildet man fich 
nach ihm: fo wird er zum Vater und Haupte aller Ana— 
choreten der Thebais, die er nunmehr zu Cönobiten um— 
bildet ?). Indem er fie durch Lehre und Beifpiel leitet, 
fett ex bei ihnen an die Stelle des einfamen Yebens das 
gemeinfchaftliche, fo ganz vorzugsweiſe geeignete Yeben, um den 
Hohmuth nieder zu halten, den Eifer zu fräftigen, zu er- 
leuchten und zu beleben. Er leitet fie gleichzeitig in Aus— 
bildung ihrer Seelenfräfte und in der Handarbeit, bei bie- 
fer doppelten, unumterbrochenen Thätigfeit, von welcher 
nunmehr ihr ganzes Leben erfüllt ift. So wird Antonius 
der erfte der Aebte, und, wie Abraham, der Vater eines 
großen Volfes, das nicht wieder aus der Gefchichte ver- 
Ichwindet. ! 

Seine Einöde verläßt er einzig nur zur Bekämpfung 
des Heidenthums und der Irrlehre. Er geht nach Aleran- 
drien, das erſtemal während der Verfolgung Marimins, 


') Ibid. ec. 44—49. 
) Bon zowos, gemeinschaftlich, und Brom, leben. 


61 


um die Chriften zu ermuthigen und ſelbſt den Martyrertod 
dort zu fuchen; fpäter fehrt er wieder, an der Spike 
einer ganzen Schaar von Mönchen dorthin zurüd, um auf 
öffentlichem Plate gegen die Arianer zu predigen und Zeug- 
niß über die Göttlichfeit Chrifti zu geben. Sp nimmt er 
den Kampf zugleich gegen zwei Feinde, das heidnifche Sit- 
tenverderbnig und die Srrlehre, auf. Nachdem er den kai— 
ſerlichen Beamten getroßt, ihren Soldaten entgegengetreten, 
ihre Gründe fiegreich widerlegt hatte, ward ihm im feiner 
Zelle die Ehre zu Theil, den unfterblichen Athanafius, den 
großen Bifchof, den beredten Kirchenlehrer, als Gaft, als 
Freund, als Jünger, als feinen Gefchichtfchreiber bei fich zu 
beherbergen; venfelben, der als Lohn fo vieler Leiden und 
Mühſale den wahren Glauben endlich rettete, und die De- 
frete des Concils von Nicäa fiegreich aufrecht erhielt. Der 
Kaiſer Konftantin und feine Söhne fchreiben demüthig wie 
an ihren Vater an den heiligen Antonius, und empfehlen 
jeinem Gebete die Schieffale der neuen Roma am Bospho- 
rus. Man nennt ihn das Bollwerk des wahren Glaubens, 
das Licht der Welt. Die Begeifterung der Benölferungen 
macht ſich überall Luft, wo er erfcheint; die Heiden und 
fogar die Götzenprieſter eilen herbei, wo er fich nahet, und 
rufen: „Laſſet uns den Mann Gottes fehen .“ Er aber 
beeilte fich, wieder nach feiner Thebais zu kommen, denn, 
fagt er: „die Fiſche fterben, wenn man fie ans Land zieht, 
„und die Mönche werden fraftlos in den Städten; laßt 
„uns daher zu unferen Bergen zurideilen, wie die Fiſche 
„zum Waller ?)." Unter immer fteigendem Zudrange von 


') Precamur ut videamus hominem Dei: quia hoc apud 
universos conspieuum erat nomen Antonii. S. Athanas., Vit. 
S. Anton., e. 2. 


) Ut pisces ad mare, ita nos ad montem festinemus. Ibid. c.53. 


62 


Jüngern und Pilgern, die feine in ägyptiſcher Sprache 
vorgetragenen Lehren begierig erfakten, und die feine ganze 
Erſcheinung und auch die unzerſtörbare Schönheit feiner 
Züge, die das Alter nicht hatte verwifchen können , ins— 
befondere feine Heiterfeit, feine freundliche, zuworfommende 
Liebenswürdigfeit bewunderten, welche bei ihn das gewilfe 
Zeichen einer in den reineren Regionen lebenden Seele 
war, vollendete er daſelbſt fein irdiſches Leben. Seinen 
Brüdern hinterließ er in einer denfwürdigen Nede die Er- 
zählung feiner langen Kämpfe mit dem Dämon, und zu- 
gleich das Gejetbuch der Tugenden und Gnaden, welche 
zum Elöfterlichen Yeben erforderlich find *). Er ftirbt als- 
dann, über hundert Jahre alt, nachdem er durch fein Bei— 
jpiel und durch feine unermeßliche Popularität den Einfluß 
und die Größe des Mönchthums begründet hat. 
Der heilige Neben ihm betrachten wir den heiligen Paulus, welcher 
zwanzig Jahre vor ihm in die Wüfte gegangen war; Pau- 
(us, den berühmteften und beharrlichiten aller Anachoreten, 
welcher für den Begründer jenes Gremitenlebeng gilt, das 
der heilige Antonius felbft durchleben, umbilden und durch 
das Cönobitenleben erſetzen follte. In feiner Höhle von 
heiligen Antonius, im Schatten des Palnbaumes, der ihn 
Nahrung und Kleidung gab, entvedt, bietet er demſelben 
jene Gaftfreundfchaft, von welcher uns Gefchichte und Poeſie 
erzählen?), und jtirbt, indem ev ihm feine Tunica von 


356. 


') Obstupuerunt universi eleri gratiam.... quasi nihil tem- 
poris exegisset, antiquus membrorum decor perseveravit. Nihil 
asperum quotidiana cum hostibus bella eontulant... Semper 
hilarem faciem gerens.,. jucundus atque affabilis. /bid. e. 13. 40. 

2) Ibid., e. 15—20. 

3) $S. Hieron.. Vita 8. Pauli. — Chateaubriand, Les 
Martyrs, liv. XI. 


63 


Palmblättern vermacht, die Antonius an den hohen Seiten, 


Oſtern und Pfingften anzieht, wie die Waffenrüftung eines 
jiegreichen Helden, der auf dem Schlachtfelve jeinen Tod 
gefunden hat. 

Nach ihnen fommt Pachomius, vierzig Jahre jünger 
als der heilige Antonius, aber ſchon vor ihm gejtorben ; 
von heidnifchen Eltern geboren, Soldat unter Konftantin, 
ehe ev Mönch wurde, unterzieht er fich in der Einöde einer 
Diseiplin, welche hundertmal ftrenger als die des Feldlagers 
ift. Fünfzehn Jahre lang legt er fich nie zur Ruhe nie- 
der, jondern fchläft ftehend an eine Wand angelehnt, oder 
halb fitend auf einer fteinernen Banf, nach einem Tage— 
werfe ftrengfter Arbeit als Zimmermann, als Maurer, als 
Brunnengräber oder Brunnenreiniger u. |. w. Er giebt 
den Cönobiten eine wollftändige, ins Einzelnfte eingehende, 
gejchriebene Kegel, die ihm, wie berichtet wird, ein Engel vom 
Himmel gebracht), während Antonius die Seinen durd) 
mündliche Belehrung und Beifpiel geleitet hatte. Er grün- 
det am Nile, zu Zabenna in der obern Thebais, das erte 
eigentliche Klofter, oder richtiger gejagt, eine Kongregation 
von acht Klöftern, jedes unter einem befondern Abte, aber 
alle ftreng unter einander verbunden und einem General- 
Dbern unterworfen ?). In denfelben lebten mehrere Tau- 


') Vita 8. Pachomüt, e. 21. — Der Tert diefer Regel findet 
fih in der werthwollen Collection, die den Titel führt: Lucae 
Holstenii, Vatic. bibl. praefect., Codex regularum monasti- 
carum et canonicarum &e. Aug. Vindel. 1769, in fol. 

2) Jedes der tabennitifchen Klöfter war in mehrere Ordnungen 
oder Familien eingetheilt, je nach den im Kloſter nöthigen Handwer— 
fen oder Verrichtungen. Jede Ordnung hatte ihren Prior und theilte 
fich wieder im verſchiedene Cellen, deren jede drei Mönche enthielt. 
Diehrere dieſer Klöfter hatten dreißig bis vierzig folder Ordnungen, 


Der heilige 
Pachomius 
Verfaſſer der 
erſten ſchrift— 
lichen Regel. 
292- 348. 


. 64 


jende von Mönchen. Als Athanafius, damals fchon wegen feines 
Eifers gegen die arianifche Irrlehre, und wegen feiner glorrei- 
chen Kämpfe mit dem Kaifer Konftantius hochberühmt, Ale- 
randrien verließ und nilaufwärts ziehend, nach Ober-Aegyp— 
ten fam, um die zahlreichen Klöfter ver Thebais zu befuchen, 
deren Glaubenstreue ihm als das Fräftigfte Bollwerk der 
DOrthodorie erichien, ging ihm Pachomius mit einer großen 
Schaar von Mönchen, unter denen er fih aus Demuth 
verborgen hielt, Hymnen fingend, entgegen; alle erglühten 
von dem Geifte, der alle Irrlehren befiegen und- vernichten 
jollte. Dies war gewiffermaßen die erſte Heerfchau der 
neuen Miliz der heiligen Kirche '). 

Denn eben Kerntruppen, oder beſſer gelagt, vielgeprüfte, 
unbefiegbare Helden wollte Bachomins bilden. Hören wir, 
welche Rede ein jeder feiner Mönche, nach feiner Anwei— 
fung des Abends vor dem Schlafengehen Namens feiner 
Seele an alle Glieder feines Leibes richten ſoll, indem er 
eines nach dem andern anredet, um jie alle zu Unterpfän- 
dern des Gehorfams gegen das göttliche Gefet und zu 
Kampfeswerkzeugen im göttlichen Kriegsdienſte zu machen, 

„Während wir noch beieinander find, gehorchet mir, 
„und dienet mit miv dem Herrn, denn die Zeit nahet her- 
„an, wo ihr, meine Hände, euch nicht mehr ausſtrecken fün- 
„net, um fremdes Gut zu ftehlen, oder die Fauſt nicht 
„mehr ballen, um das Dpfer eures Zornes zu fehlagen. 
„Die Zeit wird fommen, wo ihr, meine Füße, nicht mehr 


deren jede aus vierzig Mönchen beſtand; dies machte alfo zwölfhun- 
dert Mönche für jedes Kloſter. Andere Klöfter jedoch waren nur 
von zwei- bis dreihundert Mönchen bewohnt. Möhler, loc. cit. 

') Ingens multitudo fratrum.... In monachorum turmis... 
inter monachorum agmina. YVit. $, Pachomüi, e. 27. 


65 


„die Wege ver Bosheit gehen fünnet. Che der Tod ums 
„don einander ablöft und diefe Trennung eintritt, welche 
„eine Folge der Sünde der erften Menfchen ift, Fämpfen 
„wir, harren wir aus, ftreiten wir männlich, dienen wir 
„dem Herrn ohne Schläfrigfeit und ohne Trägheit, bis der 
„Tag anbricht, wo ev unfere Mühen belohnt und uns in 
„das Neich der Unfterblichfeit einführt. Weinet, meine 
„Augen, und du, mein Fleisch, verſieh deinen edlen Dienft : 
„arbeite mit mir durch das Gebet, damit nicht die Yuft 
„an Ruhe und Schlaf mit den Qualen der Ewigfeit ende; 
„ſei wachſam, mäßig, thätig, damit du die Fülle der Güter 
„dir verdienft, welche für dich beſtimmt find, widrigenfalls 
„in der Ewigfeit ohne Ende der Klageruf der Seele wider 
„pen Leib ertünen wird: O weh! o weh! warum bin ich 
„mit div vereinigt worden, warım muß ich um deinetwegen 
„mit der ewigen Verdammmig büßen I)!" 

Nach Pahomius, in welchem übereinftinmend der erfte 
Ordner des flöfterlichen Lebens erfannt wird, folgt Ammon, 
der Jugendfreund des Antonius, begütert wie er, aber ver— 
mählt. Er lebt achtzehn Jahre lang mit feiner Frau wie 
mit einer Schweiter; darauf zieht er fich in die Wüfte zu- 
rück, und gründet zuerft auf dem berühmten Gebirge von 
Nitrien, an der Grenze Libyens, eine Flöfterliche Gemeinde, 
in welcher bald nachher über fünftaufend Mönche eine Art 


') Cum vespere pervenitur ad stratum, singulis membris 
corporis sui dicat.. manibus,.... veniet tempus... quando pu- 
gillus administrator iracundiae non erit,... pedibus, ... certe- 
mus fortiter, stemus perseveranter, viriliter dimicemus... Fun- 
dite lacrymas oculi, demonstra caro nobilem tuam servitutem... 
Et tune audietur ululatus animae deflentis ad corpus: Heu me! 
quia colligata sum tibi, et propter te poenam perpetuae con- 
demnationis exeipio. Vit. S. Pachomii, c. 46. 

dv. Montalembert, d. Mönche d. U. 1. 5 


Die beiden 
Amuon, 


66 


von religiöfer Republik bildeten, in welcher fie gemeinfchaft- 
lich arbeitend, in der Freiheit lebten 'y. Unter ihnen war 
ein anderer Ammon, welcher, da er von einer benachbarten 
Stadt zum Bifchofe erwählt worden war, ſich das rechte 
Ohr abfehnitt, um wegen diefer Verſtümmelung dem Epis— 
fopate, das man ihm mit Gewalt aufzwingen wollte, zu 
entgehen ?). 

Sleichwie fich zwei berühmte Ammon fanden, jo haben 
wir auch zwei Makare; der eine der Aegypter over der ältere 
genannt, der fich zuerft in dem ausgedehnten Wüftenftriche 
zwifchen dem nitrifchen Gebirge und dem Nil, die Wüſte 
Scete genannt, anfievelte ; der andere, der Nlerandriner, 
welcher jich in Mitte jo vieler Büßer noch durch die un- 
glaubliche Strenge feiner Bußübungen bemerkbar machte, 
Um die Regungen des Fleifches zu bändigen, blieb er ein- 
mal ſechs Monate in einem Sumpfe, wo er feinen Leib 
den Stichen jener afrifanifchen Stechfliegen ausfeßte, deren 
Stachel fo ſcharf ift, daß er durch dickes Schweinsleder zu 
dringen vermag ?). Auch er fchreibt eine Regel für die 
Mönche, die in feiner Nähe lebten, und deren Abtödtungs- 


) In eo habitant ad quinque millia virorum, qui utuntur 
vario vitae genere, unusquisque ut potest et vult, adeo ut liceat 
et solum manere, et cum duobus aut tribus et cum quo velit 
numero. Feist. Lausiac. e. T. — Jedoch ward dem Mißbrauche 
dieſer Freiheit mitteljt einer ftrengen Disciplin entgegen getreten. In 
der Hauptkirche des nitriſchen Gebirges waren drei Geißeln aufge 
hängt, um damit diejenigen zu. ftrafen, Die fich eines Vergehens 
ihuldig machten. Adeo ut quieumque delinquant, et convincun- 
tur... palmam amplectantur et ergo plagas praefinitas aceipiant 
et sie dimittantur. Ibid. 

2) Ibid. e. 12. 

) In palude Scetes... in qua possunt culices vel sauciare 
pelles aprorum,. Hist. Lausiaca, c. 20. 


67 

geift fih am Gefchiefe einer Weintranbe fund gab, vie ein 
Fremder dem heil. Macarius gebracht hatte). Ungeachtet 
feines Appetites, daven zu foften, giebt er fie unberührt 
einem feiner Mitbrüder, der in der Nähe arbeitete und eben 
jo große Luſt fie zu eſſen verfpürte, fie aber dennoch einent 
Andern gab, diefer wieder einem Dritien. Auf diefe Weile 
ging die werführerifche Traube von Hand zu Hand und 
machte die Runde in der ganzen Kloftergemeinde, big fie 
wieder in die Hände des Mafarius kam, welcher Gott für 
diefen allgemeinen Geift der Abtödtung dankte, und die 
Traube wegwarf. 

Dieje beiden Altwäter der Wüſten des weftlichen Ae— 
guptens lebten häufig mitfammen ; fie wurden Beide insge- 
ſammt von den Ariimern, die deren Eifer für die fatholi- 
Ihe Wahrheit fürchteten, in die Verbannung gefchieft. Beim 
Uebergange über den Nil waren fie Beide auf einer Fähre, 
wo fie zwer Militärtribune antrafen, welche mit einem gro— 
gen Gefolge von Pferden mit vergoldeten Sätteln und 
Zaumzeng, mit glänzenden Wagen, mit Soldaten und Pa- 
gen in reichem Schmucke reiten. Die zwei Offiziere be- 
trachteten lange diefe beiden Mönche in Ärmlicher Kleidung, 
die demüthig in einer Ecke des Schiffes fahren. Anlaß zu 
Betrachtungen war in der That vorhanden, denn in dem 
Fahrzeuge befanden fich zwei ganz werfchiedene Welten neben- 
einander: das antife, von den Kaiſern entwürdigte Nom, 
und die neue chriftliche Republik, deren Vorläufer die Mönche 
waren. Nahe am Ufer angekommen fprach einer der Tri- 
bune zu den Cönobiten: „Ihr ſeid glüclich, die ihr ver 
Welt fpottet." „Es ift wahr,“ entgegnete der Alerandriner, 
„wir fpotten über die Welt, während fie über euch fpottet, 


') Uvis .recentibus perbellisgue ad se missis.... 


5* 


Die Thebais 
und ihre zabl; 
loſe Hefterli- 
de Bevölfer- 
ung. 


68 


und ihr habt wahrer geiprochen, als ihr felbjt meinet; wir 
find glücklich in der That, wie dem Namen nach, denn 
wir heigen Makarius, das heißt glüdjelig (uaxapıos)." 
Der Tribun entgegnete nichts; aber nach feiner Heimfehr 
entjagte ex feinen Neichthümern, jeinem Stande, und ging 
in die Einöde, um daſelbſt die Glückſeligkeit zu ſuchen '). 

So bevölferten ſich nach und nach die obere und un— 
tere Thebais, und alle Wüften Neghptens. Seit dem Ende 
des IV. Jahrhunderts jehen wir diefelben ganz angefüllt 
mit Mönchen und Klöftern, die fehon damals unter fich, 
ganz wie unfere neueren Orden und Kongregationen durch 
eine gemeinfchaftliche Disciplin, durch Vifitationen und Ge- 
neral-Berfammlungen verbunden waren. 

Nichts in der erftaunlich wunderfamen Gefchichte der 
ägbptifchen Mönche ift jo unglaublich, als die ungeheure 
Zahl derſelben; aber die gewichtigften Autoritäten find in 
dieſer Thatfache durchaus übereinstimmend ?). Es war eine 
Art von Auswanderung aus den Städten in die Wüſte, aus 
der Civilifation in die Einfachheit, aus dem Geräufche in 
die Stille, aus der Verderbniß in die Reinheit und Un- 
fchuld des Lebens. Nachdem die Strömung einmal begon- 
nen, jo ftinzen fih Männer, Weiber, Kinder in vdiefelbe ; 
und ein Jahrhundert lang geht diefer Zug mit unwiderfteh- 
licher Gewalt fo fort. Wir wollen einige Zahlen anfüh- 
ven. Bachomius, bei feinem Tode 56 Jahre alt, hat drei— 
taufend Mönche unter feiner Leitung; bald finden wir 


) Accidit ut maximum pontonem ingrederentur... Duo 
tribuni cum magno fastu et apparatu... Rhedam totam aene- 
am... pueros torquibus et aureis zonis ornatos... Beati estis 
vos, qui mundum illuditis... Nos autem mundum illusimus, 
vos autem illusit mundus. Hist. Lausiaca, loc. cit. 

) S. Augustin.. De morib. Eccles. I, 31. 


69 


jiebentaufend in den Klöftern von Tabenna, und ver heil. 
Hieronymus verfichert, daß fich bei dem jährlichen Zufam- 
mentritte dev General-Berfammlung aller Klöfter, die die 
Kegel des heil. Pachomius befolgten, fünfzigtaufend Mönche 
einfanden '). 

Auf dem Gebirge von Nitrien befanden fich, wie wir ge- 
jagt haben, fünf taufend. Es war etwas ganz Alltägliches, 
zweihundert, dreihundert, fünfhundert Mönche unter einem 
Abte zu fehen. Bei Arfinoe, dem heutigen Suez, ftanden 
unter Yeitung des Abtes Serapion zehntaufend Mönche, 
die fich während der Erntezeit, um ihren Lebensunterhalt 
zu verdienen und Almofen geben zu fünnen, als Schnitter 
in die Getreidefelder begaben ?). Es wird fogar behauptet, 
daß es in Aegypten ebenfo wiel Mönche in den Wüften, 
als Einwohner in den Städten gegeben habe ?); und auch 
die Städte felbft waren dicht bewohnt von Mönchen; fand 
doh ein Reiſender im Jahre 356 allein in der Stadt 
Oxyrynchus ) am Nile zehntaufend Mönche und fünftanfend 
gottgeweihte Yungfrauen ?). 

Die unermepliche Mehrzahl vdiefer Neligiofen waren 
Gönobiten, das heißt, fie lebten in dem gleichen Haufe, 
verbunden durch gemeinfchaftliche Kegeln und Uebungen, 
unter einem erwählten Vorjtande, der überall ven Namen 
Abt führte, vom ſyriſchen Abba, welches Vater heißt. 
Das Cönobitenleben trat demnach bald und vwollftändig an 
die Stelle des Anachoretenthums. Viele Eremiten traten 
auch, um in größerer Sicherheit ihr Heil wirken zu fünnen, 


') Praef. in Regul. S. Pachom. ap. Holstein, I, 25. 

) Ruffin., De vit. Patr. II, c. 18. 

) Ibid., 1, 7. 

) Heutiges Tages Abu-Girge, nach der Karte des P. Sicard, 
°) Ruffin., II, 5. 


70 


in das gemeinfchaftliche Yeben zurück. Es pflegte jett nur 
mehr vorzufommen, daß Jemand Anachoret wurde, nachdem 
er zuvor im gemeinfchaftlichen Cönobitenleben geprüft wor- 
den, ımd um feine letten Yebensjahre in größerer Samm— 
fung vor Gott zuzubringen‘). So hat denn auch der Ge- 
brauch nur den Cönobiten den Namen Mönche vorbehalten. 

In dem Streben zugleich die empörte Sinnlichkeit zu 
beherrfchen, und in die Geheimniſſe des göttlichen Yichtes 
einzudringen, vereinigten diefe Cönobiten jchen damals das 
thätige Yeben mit der contemplativen Lebensform. Die 
verfchiedenartigen, unumnterbrochenen Arbeiten ihres ſchweren 
Tagewerfes find allbefannt. Auf den großen Frescogemäl- 
ven des Campo-Santo in Pifa, wo einige Väter der chrift- 
fihen Malerei, Orcagna, Laurati, Benozzo Gozzoli, das 
Leben der Väter der Wüſte in ſo großartigen, reinen Zügen 
dargeſtellt haben, ſieht man dieſelben in ihrer groben ſchwar— 
zen oder braunen Kleidung, die Kaputze auf dem Kopfe, 
manchmal den Mantel von Ziegenfellen über der Schulter, 
beſchäftigt mit Graben, mit Holzfällen, mit Fiſchfang im 
Nile, mit dem Melken der Ziegen, mit dem Einſammeln 
der Datteln, von denen ſie lebten, und mit Flechten von 
Matten, auf denen fie ſtarben. Andere find vertieft in 
das Lefen oder Betrachten der heil. Schriften. So gli- 
chen, nach dem Ausdrucke eines Heiligen, diefe nachbarlichen 
Zellen in der Wüfte einem Bienenſtocke. Ein ‚Jever hatte 
in Händen das Wachs der Arbeit, und im Munde den 


Als fih einit ein Neubefehrter jogleih nach feiner Einflei- 
dung in eine gänzliche Einfamkeit zurücgezogen hatte, nöthigten ihn 
die benachbarten Altwäter (vieini seniores) aus feiner Abgeſchloſſen— 
beit wieder herauszufommen, und zur Buße fchidten fie ihn im alle 
Zellen in der ganzen Gegend, damit er im jeder derſelben erft das 
Leben in Gemeinjchaft üben lerne. De vit. Patr. V, c.10. No. 110, 


71 


Honig der Pſalmen und Gebete '). Das Tagewerk war in 
Gebet und Arbeit getheilt. Die Arbeit vertheilte fich im 
Feldbau und Handwerfe; befonders getrieben ward die Fa— 
brifation von Matten, deren Gebrauch in mittäglichen Län— 
dern noch jett fo allgemein ift. Es gab auch bei Ddiefen 
Mönchen ganze Ordnungen von Webern, von Zimmerlen- 
ten, von Gerbern, von Schneivern, von Walfern ?); bei 
Allen war die Anftrengung der Arbeit durch die Strenge 
eines faft unausgeſetzten Faſtens verdoppelt und verdreifacht. 
Alle Regeln der Patriarchen ver Wüfte fchreiben die Ver— 
pflichtung zur Arbeit vor, und noch mehr als durch die 
Vorschriften ihrer Negel, zeigte ihr heiliges Yeben und Bei- 
ſpiel felbft diefe ftrenge Nothwendigfeit. Mean fennt, man 
findet von diefer Verpflichtung feine Ausnahme; die Obern 
waren die Erften, wo es Mühe und Anftrengung galt. 
As Miafarius der Aeltere den großen Antonius befuchte, 
fingen Beide fogleich an, Matten zu flechten, indem fie fich 
von Heilsangelegenheiten und göttlichen Dingen unterhielten, 
und Antonius war fo fehr erbaut von dem Eifer, den fein 
Saft bei diefer Arbeit zeigte, daß er vdemfelben mit den 
Worten die Hände küßte: „Wie viel Tugend fommt aus 
diefen Händen 9!“ 

Jedes Kloſter war demnach eine große Schule ver 
Arbeit, aber ebenjo jehr auch eine große Schule ver Näch- 


') Epiphan., lin. III, Haer., 80, contra Massalianos, ap. 
Rosweyd. 

2) 8. Hieron. Praef. in Reg. S. Pachomii, 8. 6. — Cfr. 
Histor. Lausiaca, ce. 39. 

9) Sedentes a sero et colloquentes de utilitate animarum.., 
Multa virtus in istis egreditur. Rosweyd., De vıt. Patrum, 
p- 585. — Cfr. Hieron.. In vit. S, Helarion. 


12 


Ihre Näch- ſtenliebe Y. Diefe Liebe des Nächften übten ſie nicht nur 


ftenliebe. 


Einer gegen den Andern, und gegen die ärmere Bevölke— 
rung der Gegend, jondern auch insbeſondere gegenüber ven 
Reiſenden, welche dev Handel oder der Staatsdienft an vie 
Ufer des Nil führte, ſowie gegen die zahlreichen Pilger, 
die durch ihren immer wachjenden Ruf in die Wüſte ge- 
(ot wurden. Noch nie war eine edlere, hochherzigere 
Sajtfreundfchaft gefehen worden, noch nie hatte die allge 
meine erbarmende Liebe, die das Chriftenthum in die Welt 
gebracht, herrlicher geblüht *). Züge zu Taufenden in ihrer 
Geſchichte bezeugen die allerzartefte Sorgfalt für das Elend 
der Armen. Ihre unerhörten Faſten, ihre fchredlichen Ka— 
ſteiungen, die heroiſchen Bußwerke, welche fo zu jagen ihren 
Yebensgrund bildeten, nichts von alle dem erjtickte in ihnen 
das Zartgefühl für die Schwachheit und die Bedürfniſſe 
des Nächten. Im Gegentheil hatten fie in den täglichen 
Kämpfen gegen die finnliche Gluth ihres Jugendfeuers, 
gegen die erneuerten Empörungen des Fleifches, gegen bie 
Erinnerungen und die Verfuchungen der Welt erſt recht 
die Geheimniffe der Nächftenliebe gelernt. Das Xenodo— 
chium, d. h. die Zufluchtsftätte der Armen und der Frem— 
ven, bildete Schon damals ein wefentliches Beiwerk bei 
jedem Kloſterbaue. Man findet in ihrer Gefchichte die er— 
findungsreichjten Veranftaltungen und die lieblichjten Ein- 
gebungen der Nächitenliebe. So enthielt ein Klofter eine 
Anftalt für Eranfe Kinder, und kam damit einer der rüh— 
rvendften Einrichtungen der modernen Wohlthätigfeit zuvor ?); 


) Champagny. loc. cit. 

) Nusquam sie vidimus florere charitatem, nusquam sie opus 
servare misericordiae et studium hospitalitis impleri. Ruffin.. 
De Vit. Patrum, I, ce. 21. 

) Rosweyd.. p. 357. 


73 

ein anderes, deſſen Gründer im feiner Jugend ein Juwelier 
gewefen war, der fein Haus zu einem Hospital für Aus- 
fäßige und Verfrüppelte beiverlei Gefchlechts gemacht hatte, 
beforgte ein ähnliches Krankenhaus. „Sehet da!" fagte 
der Gründer eines Tages zu einigen alerandrinifchen Damen, 
die ev im das obere für die Frauen reſervirte Stockwerk 
führte, „jehet da, meine Saphire;" dann, als er mit ihnen 
in den Saal des untern Stocwerfes, wo die Männer wa- 
ven, eintrat : „fehet da meine Smaragde !)." 

Hart waren fie nur gegen fich felbft. Sie waren es 
mit jenem nicht zu trübenden Vertrauen, das den Sieg in 
feinem Gefolge hat; und diefen Sieg errangen fie voll- 
ftändig und unentreißbar in den allerungünftigften Beding— 
ungen. Unter einem Himmel, in einem Klima, welches 
jtets als eine Urfache oder eine Entfchuldigung des Laſters 
gegolten hat, in einem Lande, das zu allen Zeiten der Ver— 
weichlichung, dem Sittenververbnig hingegeben war, fanden 
fich jett Männer zu Taufenden, während zwei Jahrhun— 
verten, die fich felbjt jeden Schein einer finnlichen Genug— 
thuung verfagten, und fich die alferftrengfte Abtödtung zur 
allgemeinen Negel und gewiffermaßen zur andern Natur 
machten ?). 

Mit der rein materiellen Handarbeit, mit den Uebun— 
gen des ftrengften Buflebens, mit der Sorge für Gajt- 
freundfchaft und Nächftenliebe wußten fie auch die Geiftes- 
fultur, das Studium der heiligen Schriften und Wiffen- 
Ichaften zu verbinden. In Zabenna gab e8 eine befondere 


') Erat autem is a juventute lapidarius... quid vis primum 
videre, hyacinthos an smaragdos?.... Ecce hyaeinthi... Ecce 
smaragdi... Hist. Lausiaca. ce. 6. 

) Balmes, Du Protestantisme compare au Catholieisme, 
t. I, ©; 39. 


74 


Ordnung von Gelehrten, deren Mitglieder griechifch ver— 
ftanden. Die Regel des heiligen Pachomius verpflichtete 
jtrenge zur Leſung gewilfer Bücher der heiligen Schrift. 
Ein Jeder mußte übrigens leſen und fchreiben können. 
Sih in Stand ſetzen, die heilige Schrift leſen zu fünnen, 
war bie erjte Pflicht, die dem Novizen auferlegt wurde '). 
Unter ihnen befanden fich viele Gelehrte, Philoſophen, 
die mit der antifen Wiſſenſchaft in den Schulen von Ale- 
randrien vertraut geworden waren, und die alfo einen 
reihen Schat von verfchiedenartigen Kenntniffen in die 
Wüfte mitbrachten. In der Einfamfeit lernten fie diefelben 
im Schmelztiegel des Glaubens läutern; fie verdoppelte ihre 
geiftige Kraft. Nirgends fand die neue Wifjenichaft, vie 
Theologie, tiefjinnigere, überzeugungswollere, beredtere An— 
bänger ?). Darum fürchteten fie auch feinerlei Streitfragen | 
mit ihren ehemaligen Studienfrennden und Vergnügensge— 
noffen, und wenn fie die ivrgläubigen Sophiften widerlegt 
und zum Schweigen gebracht hatten, öffneten fie mit Freu— 
den den Bifchöfen und vechtgläubigen Befennern, die bei 
ihnen Zuflucht fuchten, ihre Arme und ihre Herzen. 
Athanafins in Es iſt alfo nicht zu werwundern, wenn der Held jener 
— gewaltigen Kämpfe des Glaubens gegen die Thrannei und 
die Srrlehre, wenn der große Athanafius, von Prüfung zu 
Prüfung, von Eril zu Exil umbergeworfen, jo gerne in 
den Zellen der Cönobiten der Thebais eine Zufluchtsftätte 
fuchte, an ihren Studien und ihrer Bußftrenge Theil nahm, 


) Omnino nullus erat in monasterio qui non discat litteras, 
et de seripturis aliquid teneat. 

) Seripturarum vero divinarum meditationis »et intelleetus 
atque seientiae divinae nusquam tanta vidimus exereitia, ut sin- 
gulos pene eorum oratores credas in divina esse sapientia. 
Ruffin., ubi supra. 


75 


die Erzählungen ihrer Kämpfe gegen das Fleiſch und den 
Teufel zu ſammeln liebte, ſeinen Muth und ſeine Seelen— 
kräfte in den erfriſchenden Wogen des Gebetes und der klö— 
ſterlichen Bußwerke wieder ſtählte. Er hatte ſtets auf die 
Sympathie der Mönche gerechnet, und immer mit allen 
Mitteln und Kräften den Aufſchwung ihres Ordens beför— 
dert. Er konnte ſich alſo als daheim betrachten in jenen 
„dem Gebete und dem Stillſchweigen geweihten Häuſern, 
die den Nil entlang von Station zu Station ſtufenartig 
angelegt waren, und von denen die lekten, gleich den Quel— 
len diefes Fluffes, fich in der Einöde verloren“ '), Seine 
Berfolger durchſuchten fie vergebens. Beim erjten Zeichen 
ihrer Annäherung begab er fich ungefehen von einem Klo— 
jter in das andere, und ſchloß fich fogleich allen herkömm— 
lichen Uebungen dev Mönche mit an, und war fo eifrig im 
Shore und bei der regulären Handarbeit als kaum einer 
von ihnen. Jedoch zog er ſich am Ende in eine ganz uns 
befannte Höhle zurück, zu welcher nur ein einziger Getrener 
den Weg fannte. Sechs Jahre dauerte fein verborgener 
Aufenthalt in dev Wüſte. Seine geiftige Kraft tiefte und 
weitete fich während dem noch mehr aus, gewann an Männ— 
lichkeit und einfchneidender Schärfe. Von hier aus fchreibt 


') Albert de Broglie. L’Eglise et ! Empire romain au 
IVme siecle, t. II, p. 331. — Wenn es in unfern Plan gehört 
hätte, bier dieje Epifode des heiligen Athanafius in der Wüſte dar- 
zuftellen, jo hätten wir diefe Darftellung doc in der Vorausjetung 
unterfaffen können, daß alle diejenigen, welche diejfes Tefen, ficherlich 
die vwortreffliche Erzählung des Prinzen von Broglie dariiber, der 
alles, was das Leben des heiligen Athanafius betrifft, mit Meiſter— 
hand behandelt hat, gelefen haben werden. Und während des Lejens 
haben fie vemjelben gewiß die wolle Gerechtigkeit widerfahren laſſen, 
die ihm jeder aufrichtige Lofer, angefichts der erbitterten Kritik, welche 
Dies herrliche Werk erfahren hat, gerne zollt. 


76 


er an die Bifchöfe, um fie über die objchwebenden Fragen 
zu verftändigen, an feine Kirche von Alerandrien, um fie 
zu tröſten, an feine Verfolger und an die Häretifer, um fie 
zu Schanden zu machen. Diefen feinen Gaftfreumden in der 
Thebais, als den Zeugen und Kämpfern für den wahren 
Glauben widmet er jenes berühmte Sendjchreiben an 
die Mönche, welches die ebenfo dramatifche als vollſtän— 
dige Erzählung der arianifchen Verfolgung unter Konftans 
tins enthält. Er gibt ihm die Auffchrift: „An alle diejeni- 
gen, welche überall, wo es fei, das flöfterliche Yeben füh- 
ren, und die im Glauben befeftigt, gefprochen haben: Siehe 
wir haben Alles verlaffen und find dir nachge- 
folgt"). In demfelben gibt er eine apolegetiiche Dar- 
ftellung feines Lebens und feiner Lehre, er erzählt feine 
Leiden und diejenigen der Gläubigen, er befennt und vecht- 
fertigt die Yehre von der Göttlichfeit des Wortes, er fenn- 
zeichnet die feigen Hofbifchöfe des Kaifers, diefe dienſtbaren 
Werkzeuge jener gemeinen verfchnittenen Palaftwächter, wel- 
che damals als Herren in Kicche und Reich fchalteten; er 
klagt den Kaifer Konftantius an, alle Kirchen ihrer Freiheit 
beraubt, überall Heuchelei und Gottlofigfeit hervorgerufen 
zu haben; er nimmt für die Wahrheit das edle Vorrecht 
in Anfpruch, durch die Freiheit fiegen zu fünnen, und über- 
läßt es dem Irrthum und der Lüge, ihre gewohnten Waf- 
fen der Zwangsgewalt und der Verfolgung zu gebrauchen. 
Führen wir Einiges von diefen fehönen, ewig wahren, über- 
all an ihrem Plate ftehenden Worten an: „Wenn es für 
„einige Biſchöfe Fchimpflich ift, ans Furcht abgefallen zu 


') Omnibus ubique monasticam vitam agentibus, et fide 
firmatis et dieentibus: Eece nos religuimus omnia, et secuti 
sumus te, 


77 


„Tein, fo war e8 noch viel fcehimpflicher, ihnen Gewalt an- 
„zuthun, und nichts befundet mehr als dieß die Schwäche 
„einer fchlechten Sache. Der Dämon kommt, da an ihm 
„nichts Wahres ift, mit Gewalt, und zerfchlägt mit Aexten 
„und Beilen die Thüren derjenigen, die ihn bei fich auf- 
„nehmen; aber der Erlöfer ift jo milde, daß er nur beleh- 
„rend fich nahet, ... . und wo er zu uns kömmt, braucht 
„er feine Gewalt, ſondern Flopft an die Thüre und ſpricht: 
„Deffne mir, meine Schwefter, meine Braut. Wird ihm 
„geöffnet, fo tritt ev ein, will man ihn nicht aufnehmen, 
„jo entfernt er fich, denn die Wahrheit wird nicht mit 
„Schwert und Speer, nicht mit Soldaten, fondern mittelft 
„Belehrung und Ueberzeugung gepredigt.... Es ift das 
„Eigenthümliche der wahren Religion, daß fie nicht zwin- 
„gen, fondern überzeugen will” ). 

Hochbegeiftert durch folche Kehren und ein folches Bei— 
jpiel, würdigten die Mönche, wenn die Henfersfnechte der 
Berfolger und Eindringlinge den Fatholifchen Befennern bis 
in die Wüfte hinein nachfetten, viefelben feiner Antwort ; 
fie boten den Schwertern ihr Haupt, duldeten freudig Fol- 
terqualen und Tod, in der Ueberzeugung, daß es verbienft- 


) Hominum suae sententiae diffidentium est, vim inferre 
ac invitos cogere. Sie diabolus, cum nihil veri habeat, in securi 
et ascia irruens confringit portas eorum qui se recipiunt: Salva- 
tor autem ea est mansuetudine, ut his verbis doceat quidem: 
„Si quis vult post me venire“ &e., et: „Qui vult meus esse dis- 
eipulus“ &e. Sed ubi quempiam aderit, nullam inferat vim, sed 
potius pulsando haee loquatur: „Aperi mihi, soror mea, sponsa.“ 
Tune, si aperiant, ingreditur, sin negligant abnuantque, secedit. 
Non enim gladiis aut telis, non militum manu veritas praedica- 
tur, sed suasione et consilio. Religionis proprium est, non cogere 
sed persuadere. S. Athanas., Ad Solitarios, ed. Bened. p. 
363, 368. 


Das Abend- 
gebet in der 
Wüfte. 


18 


licher fei, für Vertheidigung der rechten Oberhirten zu lei- 
den, als zu faften oder jedwede andere Art von Bußjtrenge 
gegen jich zu üben '). Sie jelbft verließen, wo es nöthig 
war, ihre TIhebais, um in Alerandrien den legten Verfol- 
gern ihre letzten Dpfer zu entreißen, und durch ihren Hel- 
denmuth, durch ihr kurzes, einfchneidendes Wort, durch ihre 
bloße Gegenwart die weitverzweigtefte und furchtbarfte aller 
Irrlehren zum Schweigen zu bringen. 

Aber wie groß und gewaltig auch ihr Einfluß im der 
Polemik und in Mitte der von diefen Kämpfen bewegten 
Bevölferungen fein mochte, jo war derjelbe doch noch viel 
gewaltiger in dem ihnen eigenthümlichen Yebensfreife, in 
der Einöde, wohin fie immer, gleich Antonius, ihrem Vor- 
bilde und ihrem Meiſter, jo freudig und voll Eifer wieder 
zurückkehrten. 

So war es denn insbeſondere die Wüſte, wo ſie ihren 
Triumph feierten, und wo die kaum erſt chriſtlich gewor— 
dene Welt ſie als Boten des Himmels, als Sieger über 
das Fleiſch verehrte. Wenn gegen Abend, um die Zeit der 
Non, nach einem ſchwülen Tage alle Arbeiten plötzlich ru— 
heten, wenn in Mitte des Wüſtenſandes, aus allen Höhlen 
und Klüften, aus den Hypogeen, aus den ihrer Götzen 
baar daſtehenden heidniſchen Tempeln, und aus allen jenen 
weiten Grabhöhlen eines todten Volkes der Gebetsſchrei 
eines lebendigen Volkes ſich zum Himmel erhob; wenn 
überall und urplötzlich die Lüfte von Hymnen, Gebeten, von 
frommen und ernften, tief innigen und jubelnden Sanges- 
weifen jener Kämpfer des geiftlichen Kampfes, jener Erobe- 
rer der Wüftenregionen ertönten, die hier in der Sprache 
des Sängerfönigs David das Lob des Tebendigen Gottes 





) 8. Athanas.. Ep. 2, ap. oper. Luciferi Cagliar. 


79 

fangen, fich im Danfesergüffen der zur Freiheit durchge: 
drungenen Seele und der befiegten Natur erhoben, — dann 
ftand der Neifende, der Pilger, der erft chriftlich Gewor- 
dene insbefondere, in Staunen verfenft, und in der Ent- 
zückung bei den Stimmen diefes erhabenen Concertes rief 
er aus: „Bin ich im Paradiefe” 1)? 

„Gebet hin,“ fprach fehon damals der bevedtefte unter 
den Kirchenlehrern, „gehet hin in die Thebais, ihr findet 
dafelbjt eine Einöde, ſchöner noch als das Paradies, tau- 
fend Engelchöre in menfchlicher Geftalt, ganze Völker von 
Martyrern, ganze Schaaren von Jungfrauen, ihr fehet ven 
hölliſchen Tyrannen gefejjelt, und Chriftus fiegend und glor- 
reich verherrlicht“ ?). 

Der heilige Kirchenlehrer redet von Schaaren von 
Jungfrauen, weil die chriftlichen Frauen zu allen Zeiten 
durch Zahl wie durch Eifer in Hebung der Flöfterlichen Tu— 
genden und Bußwerke den Männern nachgeeifert haben. 
Die Jungfräulichkeit war in der Kirche jeit ihrem Urfprunge 
geübt und geehrt ?). Neben den hohen jungfräulichen Hel- 
dinnen, die mitten unter Martern triumphirten, gab es 
eine große Zahl von folchen, die in der Welt in Jung— 
fräulichfeit lebten. So gab e8 alfo ſchon zahlreiche Klo— 
jteriungfrauen, gleichwie es Asceten und Einſamlebende ge- 
geben hatte, lange vor der regelmäßigen und volfsthünli- 


') Circa horam itidem nonam licet stare et audire in uno- 
quoque monasterio hymnos et psalmos Christo canentes; . . adeo 
ut existimet quispiam se sublime elatum transmigrasse in para- 
disum delieiarum. Pallad., Hist. Lausiaca, c. 7. 

?) S. Joan. Chrysost., in Matth., hom. 8. 

>, Siehe außer anderen Terten in den Quellen: S. Cyprian. 
Martyr., Tract. de habitu virginum, wo er won Denjenigen 
redet, qui se Christo dicaverunt, se Deo voverunt. 


80 

hen Einrichtung des eigentlichen Klojterlebens. Um fo mehr 
alfo Fam, als die Städte und die Wüften Aegyptens ſich 
mit Klöftern bewölferten, das Gefchlecht, deſſen Schwäche 
das Chrijtenthum gendelt und geläutert Hatte, um nun 
auch feinen Antheil daran geltend zu machen. Die be- 
rühmteften unter den Vätern der Wüfte fanden, ein jeder 
in feiner Familie, eine Frau oder Jungfrau bereit und fü- 
big, fie zu verjtehen und nachzuahmen, Die Schwejtern 
des heiligen Antonius und Pachomius, die Mutter Theo: 
dors, die Gemahlin des heiligen Ammon, folgten ihnen in 
die Wüfte, um ihnen beizuftehen und ihnen zu dienen. 
Und als num dieſe von der ewigen Liebe felſenfeſt geworde- 
nen Herzen die Frauen beharrlich abwiefen, da rächten 
diefe dariiber betrübten Chriftinnen fich, indem fie nun felbjt 
die gleiche Lebensweiſe ergriffen, welche fie für ihre Brü— 
der fo eben noch fo ſehr mit Befürchtungen erfüllt hatte, 
Sie ſiedelten jih in bejonderen Kloftergebäuden im einiger 
Entfernung an, manchmal durch einen Fluß oder eine Berg- 
Ihlucht von denen abgejondert, deren Lebensweiſe fie nach- 
ahmten, und diefe fonnten ihnen nunmehr ihren Rath, 
die Kegeln und Borfehriften nicht verweigern, nach denen 
fie alsdann mit jo bewundernswürdiger Treue lebten. Bald 
füllten fich auch diefe Heiligthümer mit Gleichgefinnten an, 
um in denjelben das Faſten, das Stillfehweigen, die Buß— 
jtrenge und die Werfe der Nächitenliebe zu üben. 

Zuerſt und ganz bejonders famen in dieſe neuen Aſhle 
jene heldenmüthigen Jungfrauen, die in denfelben ihre Un- 
Schuld, ihre Neize, ihre himmlifche Liebe bergen wollten. 
Alle Stände, alle Linder ftellten dabei zu Laufenden ihr 
heiliges Contingent. Vor feinem Opfer fehreden fie zurück, 
um in denfelben aufgenommen zu werden, vor feiner Prü— 
fung, um in ihnen auszuharren und zu bleiben. 


si 


Hier ift e8 die Sclavin Merandra, die ſich, aus Furcht 
vor ihrer eigenen Schönheit und aus Mitleid fiir die Seele 
desjenigen, der von derſelben gefefjelt worden war, leben- 
dig in eine leere Grabhöhle vwergrub, wo fie zehn Jahre 
blieb, ohne irgend Jemand ihr Geficht fehen zu laſſen '). 

Dort ift e8 die ſchöne und gelehrte Euphrofpna, welche 
mit achtzehn Fahren Bater und Gemahl verläßt, und, um ihren 
Nahferfhungen um fo ficherer zu entgehen, als Mann ver- 
fleidet und unerfannt in einem Mönchsflofter um Aufnahme 
bittet und wirklich aufgenommen wird, worauf fie achtund- 
dreißig Jahre lang ihre Zelle nicht verläßt. Nach langen, 
fruchtlofen Nachforfehungen zu Land und Meer, fommt ihr 
verzweifelnder Vater zu eben dieſem Klofter, wo er für 
jeinen immer mehr gefteigerten Schmerz über den Verluſt 
ſeiner Tochter einige Linderung fucht. „Mein Vater,“ 
Ipricht er zu einem ihm aus feiner Zelle entgegen fommen- 
den Mönche, „betet für mich, denn ich halte e8 vor Schmerz 
über den Berluft meiner Tochter nicht mehr aus.” Und 
gerade fie war es, zu der er ſprach, und die er unter 
ihrem Meönchsgewande nicht wieder erkannte. Beim An— 
blicke des Vaters, den fie verlaffen, der, ohne fie zu kennen, 
jo plößlich wor ihr fteht, den fie aber fogleich wieder er— 
fennt, erblaßt fie und weint. Doc alsbald wieder gefaßt 
und ihre Thränen zurückorängend, tröftet fie denfelben Tieb- 
reich, ermuntert ihn zum ernften Kampfe des Lebens und 
verheißt ihn, daß er noch in diefem Leben feine Tochter wie- 
derfehen werde. Als fie bald darauf felbft tödtlich erfrankt, 


) Quidam insano mei amore tenebatur, et, ne eum viderer 
molestia affıcere... malui me vivam in hoc monumentum in- 
ferre, quam offendere animam quae facta est ad Dei imaginem. 
De vit. Patrum, VII, e. 5. 

dv. Montalembert, d. Mönche d. A. I. 6 


Alexandra. 


Euphroſyna. 


Bekehrte 


Sünderinnen. 


82 
läßt ſie ihn an ihr Sterbelager rufen, und nun enthüllt 
ſie ihm das Geheimniß ihres Opfers, und vermacht ihm 
ihr Beiſpiel nebſt ihrer Zelle, wo dieſer ſo lange Zeit troſt— 
loſe Vater nun ſeine letzten Lebensjahre unter reichlichen 
Tröſtungen bis an ſeinen Tod zubringt . 

Aber bei den Heiligthümern jungfränlicher Reinheit 
und Tugend finden ſich auch noch andere höchſt jeltfame 
Säfte ein. Es find die berühmten Sünderinnen, jene fäuf- 
lichen, auforinglichen Schönen, die in Aegypten, in Alexan— 
drien ganz befonders, in großer Menge und gefährlicher 
als irgendwo damals vorfamen; gleichfam als jollte die 
Tugend der Chriften daſelbſt einen noch geführlichern Kampf 
als die fo eben beendigte blutige Verfolgung beftehen. Bon 
Menſchen und von Teufeln angereist, richten fie ihre Ver— 
führungsfünfte mit leivenfchaftlicher Erpichtheit gegen die 
Diener Gottes in der Wüſte. Es genügt diefen gefährlichen 
Siegerinnen nicht, die Waffe der Weltlichen jeden Alters 
und Standes zu verführen, zu verblenden und zu beherr- 
fchen ; fie fuchen ganz insbefondere die ftarfen, in Neinheit 
des Lebens Gott dienenden Männer, die ſich in ihren Ein- 
öden jicher glauben konnten, zu bejiegen und zu feſſeln; 
denn ohne diefen Sieg bleibt ihr teuflifcher Stolz unbe- 
friedigt. Sie begeben fich in die Wüfte, fommen an die 


) Ora pro me, Pater, quia non possum sufferre dolorem de 
filia mea, sed magis ac magis de die in diem ... ereseit vulnus 
meum... Ut autem non agnosceretur per multa colloquia, dixit 
ad Paphnutium: Vale, Domine mi;.. et anima illius compatie- 
batur illi, facies ejus pallebat et replebatur lacrymis. Rosweyde, 
p- 366. — Die Gejhichte der heiligen Eugenie, welche derjenigen 
der heiligen Euphroſyna unmittelbar -vorangeht, enthält Züge von 
außerordentliher Schönheit, zugleich aber auch fo große chronologiſche 
Schwierigkeiten, daß ich Deshalb unterlaffen babe, bier davon Ge- 
brauch zu machen. 


85 


Zellen dev Mönche, wo fie vor den Augen der Ueberrajch- 
ten jene fo oft unwiderftehlichen Neize, jenen pomphaft ver— 
führerifchen Schmud entfalten, mit welchen fich im Oriente 
die Wolluft zu umgeben pflegt. Sie entfalten dabei Alles, 
was ihnen an Frechheit, an Künften, an Reizen zu Gebote 
jteht, und dennoch find faft jedesmal fie ſelbſt die Befieg- 
ten; bei ihrer Rückkehr nach Mlerandrien verbergen fich 
diefe Befehrten in ein Klofter von Büßerinnen; Andere 
juchen die einfamften Müftengegenden auf, wo fie fich, nach 
dem Beifpiele ihrer Befehrer, in die Abgründe tieffter Neue 
und lauterer Gottesliebe verſenken. 

Die erſte Stelle unter diefen feheint jenen Martyrinnen der 
Buße zu gebühren, jenen Nacheiferern der heiligen Magda- 
lena, diefer nächjten Freundin Chrifti : einer äghptifchen Ma— 
via, einer Thais, einer Pelagia, der berühmten antiochent- 
Ihen Schaufpielerin, allen jenen heiligen Büßerinnen, vie 
in der Chriftenheit eine jo nachhaltige Berehrung gefunden 
haben. Die -Heiligen, welche das Leben der Väter bejchrei- 
ben, erzählen auch die Gefchichte diefer Sünderinnen, die 
fie mit einer kühnen Unbefangenheit ganz einfach mit einem 
Worte benennen, deſſen wir ung hier nicht bedienen dürften. 
Man fühlt durch ihre Darftellungen einen Gluthauch wehen, 
der einen Augenbli an ihre Phantaſie anftreift; dann aber 
fogleich in der reinen, ruhig Karen Atmofphäre der chrift- 
lihen Keufchheit erlifcht. „Wir ſaßen,“ fo erzählt Einer 
von ihnen, „zu den Füßen unfers Bifchofs, des überftrengen, 
gewaltigen Mönches aus Tabenna. Wir waren hingeriffen 
von den heiligen und heiligenden Lehren, die er und vor— 
trug. Plötzlich kam die erfte Schaufpielerin und ſchönſte 
Tänzerin am Theater zu Antiochien die Straße daher, fie 
war über und über mit Diamanten und andern edlen Stei- 
nen geſchmückt, ihre bloßen Beine waren mit Perlenfchnüren 

6* 


84 


und Goldtrejjen dicht ummwunden, Kopf und Schultern un- 
bedeckt. Ein großes Gefolge umgab fie und die Weltleute 
fonnten fich an ihren Reizen nicht fatt fehen. Ihre ganze 
Perſon duftete in köſtlichem Wohlgeruche, der weitumher 
2 — die Luft erfüllte... . Als fie vorüber war, fagte unſer Vater 
zu ums: „Hat eine jo hohe Schönheit euch nicht Freude 
gemacht?" Wir alle aber fchwiegen. „Sch meinestheils," 
fuhr der Bifchof fort, „habe fie mit Freuden gefehen, denn 
Gott hat fie bejtimmt, ung dereinſt zu richten... Sie er— 
fcheint mir jetzt,“ Sprach er dann weiter, „wie eine ſchmutzige, 
über und über bejudelte Taube, aber diefe Taube wird im 
Waſſer der heiligen Taufe gewafchen werden, und rein und 
weiß wie der Schnee fih zum Himmel erheben.“ Bald 
darauf erfchien fie in der That und bat um die Gnade der 
heiligen Taufe. Bei der Frage um ihren Namen jagte fie: 
„Ich heiße Pelagia mit dem Namen, mit dem meine El— 
tern mich benannt haben, den Antiochenern aber bin ic) 
unter dem Namen Perle befannt, weil ich. ven Perlen- 
ſchmuck jo ſehr liebte, und man meine elende Schönheit, 
diefen Fallftrie des. Satans, mit der Schönheit der Perlen 
verglih." Am dritten Tage nach ihrer Taufe ließ fie alle 
ihre Reichthümer an die Armen austheilen, hüllte fich in 
ein härenes Bußgewand, begab fich nach Jeruſalem, wo fie 
ſich am Delberge in eine enge Klausnerzelle einfchliegen ließ. 
Sie that dies, befeelt won dem lebhafteſten Drange, der 
heiligen Büßerin Magdalena nachzufolgen, im Einverftänd- 
niſſe mit dem heiligen Bifchof, der fie getauft hatte, und 
warf fich fo aus einem Abgrunde der Sünde in den Ab- 
grumd der Neue, Bier Jahre fpäter erfannte der Diakon 
Jakobus von Edeſſa, der dies erzählt, fie nicht wieder, als 
er ihr feitens feines Bifchofs einen Auftrag ausrichten ſollte; 
jo ſehr batten Faften und Bußftrenge fie entftellt. Ihr 


85 


Geſicht war todtenbleich, ihre verweinten Augen lagen tief 
in ihren Höhlen. Sie ftarb um eben dieſe Zeit. Das ift, 
jo fchließt der Erzähler, das Leben diefer Sünderin, die 
uns fo hoffnungslos vorgefommen war: möge uns Gott 
am Tage des Gerichtes Erbarmung finden laffen, wie er 
jih ihrer erbarmt hat!). 

Doch entnehmen wir diefen herrlichen Jahrbüchern hei- 
liger Wüftenbewohner Tieber eine Erzählung anderer Art, 
als das Urbild rein und unfchuldig berufener Seelen, als 
das erjte authentifche und ausführlich befchriebene Beiſpiel 
jenes Kampfes zwifchen Klofterberuf und Familie, der jich 
ſeitdem durch fo viele Sahrhunderte zur Ehre Gottes und 
zum Heile der Seelen hinzieht. 

Euphrafia war die einzige Tochter eines Senators, 
eines nahen Verwandten des Kaifers Theodofins. Nachdent 
fie in ihrer früheften Jugend den Vater verloren hatte, 
ward fie einem jehr reichen Hofherrn verlobt, und bis jie 
zu den Jahren gefommen fein würde, führte fie ihre Mutter 
von Konftantinopel nach Aegypten, um ihre dortigen Fehr 
ausgedehnten Befitungen zu befuchen, die fich dem Nile 
entlang bis in die obere Thebais erjtredten. Mutter und 
Tochter hielten ſich hier öfter in einem Frauenflofter auf, 
in welchem ein außerordentlich ftrenges Leben geführt wurde, 


) Yir mirifieus et efficaeissimus Monachus... Eece subito 
transiit per nos prima mimarum Antiochi®... prima cehoreutri- 
arım pantomimarum... Pulchritudinis autem decoris ejus non 
erat satietas omnibus secularibus hominibus... Non delectati 
estis tanta pulchritudine ejus?... Naturali nomine Pelagia vo- 
cata sum... cives vero Antiochiae Margaritam me vocant, prop- 
ter pondus ornamentorum, quibus me adornaverunt peccata mea... 
Ego vero non cognovi eam... quam antea videram inzsstima- 
bili pulchritudine... Oeuli ejus sieut fossae... Jac. Diacon., 
vit. 8, Pelag. ce. 2, 8, 14. 


Euphraſia. 


86 


und beide gewannen viel Gejhmad am Verkehr mit ven 
frommen Jungfrauen, welche die Mutter fehr oft um ihre 
Gebete für das Seelenheil ihres verjtorbenen Gatten und 
für das Glück ihrer Tochter anging. Eines Tages fragte 
die Aebtifjin die Eleine Euphrafia: „Daft du auch unfer Klo— 
jter und unfere Schweftern recht lieb?" „Jawohl liebe ich 
euch,“ antwortete das Kind. „Aber, wer ift dir lieber, dein 
Berlobter oder wir?" „Ich kenne denjelben fo wenig als 
er mich fennt; euch aber, euch fenne und liebe ich. Aber 
ihr, wen liebt ihr mehr, euren Bräutigam oder mich?" 
Die Aebtiſſin und die anwefenden Schweitern antworteten: 
„Wir lieben did und unfern Herrn Chriſtus.“ „Recht 
wohl!" fprach das Kind, „auch ich Liebe euch und euren 
Herrn Chriftus." Die Mutter, welche bei dem Gefpräche 
gegenwärtig war, war Außerjt gerührt, und als fie aufjtand 
und ſich mit ihrer Tochter empfahl, fagte die Aebtiffin zu 
diefer: „Du mußt nun gehen, liebes Kind, denn hier bleiben 
fann nur, wer fich ganz Chrifto weiht.“ Das Kind fragte 
jie: „Wo ift denn diefer Chriftus, won welchem ihr redet?“ 
Darauf zeigte ihr die Aebtiffin ein Bildnig unſers Herrn 
und erflärte ihr dafjelbe; das Kind ergriff es, bevedte es 
mit heißen Küffen und fprach ohne fich zu befinnen: „Nun, 
fo weihe ich mich wahrhaftig und ganz und gar meinem 
Herrn Chriftusg ich will nicht mit meiner Mutter gehen, 
ich bleibe bei euch.“ Die Mutter erfchöpfte fich nun ver- 
gebens in Liebfofungen und Zufprüchen, um die Kleine mit 
ſich fortzubringen. Die Aebtiffin vereinigte ihre Vorſtell— 
ungen mit denen der Mutter, und fagte dann, um das 
Kind zu erfchreden: „Wenn du bleibjt, jo mußt dur viel 
lernen, du mußt die heiligen Schriften leſen und die Pſal— 
men auswendig lernen, und mußt alle Tage bis zum Abend 
faften, wie die anderen Schweftern thun.“ „Ich lerne das 


87 


Alles Schon,“ erwiderte das Kind, „laßt mich nur bier 
bleiben.“ Endlich ſprach die Aebtiffin zur Mutter: „Laßt 
uns das Kind, edle Frau, die Gnade Gottes leuchtet im 
ihm, und die Tugend feines Vaters und euer beider Gebet 
werden ihm behilflich fein, die Krone ves ewigen Yebens 
zu erwerben.“ Die Mutter führte nun ihre Tochter wor 
das Bild des göttlichen Erlöfers und vief mit Schluchzen 
aus: „Herr Jeſus Chriftus, nimm in deine Obhut dies 
liebe Kind, deſſen Herz dir angehören will und das fich Dir 
gegeben hat.“ So ward es denn mit dem flöfterlichen Ge— 
wande befleidet, worauf feine Mutter es fragte: „Yiebft vu 
dies Kleid?" „O gewiß, liebe Mutter, denn ich habe ge- 
hört, dies fei das Brautkleid, das der Herr denjenigen 
gibt, die ihn lieben.“ „So möge denn,” fprach die Mutter, 
„pein Bräutigam dich Seiner würdig machen.” 

Dies war das letzte Wort der tiefergriffenen Meutter, 
die ihre Tochter umarmte und im Hinausgehen jeufzend an 
ihre Bruft ſchlug!). Sie ftarb bald nachher und hinterließ 
die junge Euphraſia als alleinige Erbin eines doppelten, 
unermeßlichen Vermögens. Auf Betreiben jenes Herrn, 
der mit ihr verlobt war, ließ der Kaifer ihr fchreiben , fie 
jolle nach Ronftantinopel zurücfommen. Sie aber antwor— 
tete dem Kaifer, fie habe fchon einen Bräutigam, und bat 


') Filla mea, habemus in Aegypto copiosam magnamque 
substantiam... Neque illum novi, neque ille me... vos autem 
novi et vos amo... Ego vero et vos diligo et Christum meum,.. 
Vere et ego me voveo Christo meo, et ulterius cum Domina 
mea matre non vado... Ubi vos manetis et ego maneo... Lit- 
teras habes discere et psalterium... sieut universae sorores..: 
Ego et jejunium et omnia disco... Cui desponsata es, ipse faciat 
te thalamo suo dignam. Et deflens pecetusque suum tundens.. 
De vitis Patrum, I, 352. 


88 


ihn bei der Freundſchaft, die zwifchen ihm und ihrem Vater 
beftanden, über ihr ganzes Vermögen zu Gunften der Armen, 
der Waifen und der Kirchen zu verfügen, allen ihren Sfla- 
ven die Freiheit zu ſchenken und fie auszuftatten, ven Ko— 
(onen auf ihren väterlichen Gütern den ganzen Pachtzins 
zu exrlaffen, und endlich, vereint mit der Kaiſerin, für fie 
zu beten. Diefe lettere fprach, indem fie diefen Brief Tas, 
zu ihrem Gemahle: „Wahrlich, dies Kind ift von kaiſer— 
Yichem Adel!" So wurden denn bie Willensmeinungen der 
jungen Erbin volführt. Sie felbft blieb, von Allem ent- 
blößt, im ihrem ägyptiſchen SKlofter, wo fie von ihrem 
zwölften bis zum dreißigſten Jahre lebte und gerne die här— 
teften und niebrigften Dienftverrichtungen auf ſich nahm, 
die Zellen der Schweſtern veinigte, Wafjer und Holz in die 
Küche trug, fogar ‚Steine für die nöthigen Bauten herbei- 
fchleppte, im großen Ofen das Brod baden half, kranke und 
irrfinnige arme Kinder, die man zu den Klofterfrauen als 
zu einer Quelle aller Heilmittel brachte, liebreich werpflegte. 
Und alle diefe Arbeiten und Verdienſte ſchützten fie nicht 
vor den Prüfungen, den VBerfuchungen, den Verläumdungen, 
die zum Erbtheil der Heiligen gehören, und denen fie aus— 
gefekt war bis zu dem Tage, wo fie in der Gruft neben 
ihrer Mutter begraben ward). 


) Quapropter, Imperator Domine, non ulterius vos ille vir 
fatiget; novi quia recordaberis parentum meorum, maxime patris 
mei. Audivi enim quia in palatio nunquam a te dividebatur, 
Omnes constitutos sub jugo servitutis manumitte, et eis legitima 
eoncede. Manda actoribus patris mei, ut omne debitum dimittant 
agricolis quod a die patris mei usque ad hanc diem reddebant... 
Vere, Domine imperator, filia est Antigoni et Euphrasi@, genus 
tuum, et ex sanguine ejus est hæc puella. De vitis Patrum, 
1..P::355; 


89 


Aber ſchließen wir das Buch, in welchem diefe fo höchſt 
anziehenden Erzählungen enthalten find, und durcheilen wir 
rafhen Ganges diefe erften Jahrhunderte Flöfterlichen Ruh— 
mes, den die nachfolgenden nur noch mehr vergrößern und 
erhöhen werben. 

Aegypten war unterdeß ganz angefüllt und der Strom 
des Mönchthums tritt nun aus feinen Ufern und überflit- 
thet die nahe gelegenen Länder. Die Mönche ziehen ein 
in die heigdurchglühten Wüſten Arabiens, Syriens und Pa— 
Yäftinas. Den Sinai hatten fie bereitS ebenſo frühzeitig 
als die Thebais in DBefiß genommen. Am Beginne des 
IV. Jahrhunderts, während die Letten heidnifchen Kaifer in 
ihrem ohnmächtigen Grimme gegen die Chriften im ganzen 
Keiche wütheten, tödteten auch die Araber, die nicht unter 
ihren Gefeten Lebten, aber dennoch fich mit ihnen in ihrem 
Haffe und ihrem Kampfe gegen Chriftus verbanden, vierzig 
Mönche, die fich auf dem heiligen Berge eine Wohnung ge- 
jucht hatten, wo Gott dem Moſes fein Gefeß gegeben. An— 
dere famen, die an ihre Stelle traten, und andere Araber 
oder Saracenen famen auch wieder, um fie hinzufchlachten; 
und dieſer Wechfel zwifchen der friedlichen Anfiedelung der 
Mönche und den blutigen Einfällen der Saracenen dauert 
den ganzen noch übrigen Theil dieſes Jahrhunderts. Aber 
die Würger erfchöpften fich eher, als die Mönche es müde 
wurden fich erwürgen zu laffen, und am Ende liegen fie jich 
fogar, wenigftens theilweife, won den Mönchen befehren. 
Der heilige Nilus der ältere ward der hauptfächlichite Apo— 
jtel diefer wilden Stämme und der große Flöfterliche An— 
jiedler des Berges Sinai. 

In Paläſtina ward das Klofterleben durch Hilarion 
eingeführt. Diefer heidnifche Jüngling, aus Gaza gebürtig, 
begab ſich an die Schule nach Alexandrien, wo er Chrift 


Die Mönde 
am Sinai und 
in Palaftina. 


Der heilige 
Hilarion. 
292—-372. 


90 


wurde; darauf führte ihn ver Ruf des heiligen Antonius 
zu demfelben in die Wüfte. „Sei willkommen,“ ruft ihm 
Antonius zu, als er ihn von der Höhe feines: Berges er— 
blickt, „fei willfommen du, der du jo frühe fchon leuchteft 
wie der Morgenftern.“ Der junge Shrier gibt ihm zur 
Antwort: „Der Friede ſei mit dir, du Säule von Licht, 
die den Erdkreis hältY.“ Er bleibt zwei Monate bei dem 
Patriarchen des Mönchthums, und entjchliegt fich darauf 
jelbft, wie er, ein Mönch zu werden, und um ihn nachzus 
ahmen begibt er fich in feine Heimath, wo man bis dahin 
noch nichts derartiges fannte. Nachdem er alle feine Güter 
an die Armen wertheilt hat, jievelt er ſich, erſt jechzehn 
Jahre alt, an einer Berahalde an, wo er ſich aus Schilf- 
rohr neben- einer Cijterne, die er jelbjt ausgegraben und 
deren Waffer das Fleine Stück Sumpfland bewällert, das 
er urbar gemacht hat, um ihm die dürftige Nahrung bieten 
zu fönnen, feine Hütte baut. Hier gräbt, fingt, betet, fajtet 
er, fertigt Körbe aus Schilfrohr und fümpft gegen die Ver— 
fuchungen des Teufels. DBergeblich jteigen verlodende Bil- 
der von glänzenden Gaftmählern u. ſ. w. vor feiner Erin- 
nerung auf, um die Sinnlichkeit in ihm wachzurufen; er 
arbeitet nur um jo eifriger, feinen Yeib wie ein Laſtthier 
durch Hunger und Durft zu unterwerfen, und damit gelingt 
es ihm denn auch, jeine Yeidenfchaften in völliger Unter> 
würfigfeit zu balten?). Zweiundzwanzig Jahre lebt er fo 


') Bene venisti, Lueifer, qui mane oriris... Pax tibi, co- 
lumna lueis, qu& sustines orbem universum. Vitæ Patrum IV. 
$. XVII, c. 4. 

) Nee quisquam Monachum ante S. Hilarionem in Syria no- 
verat. Orans et psallens, et rostro humum fodiens, ut jejuniorum 
laborem labor operis duplicaret simulque fiscellas junco texens. 
S. Hieron., wit. S. Hilar. c. 9, 3. — Quoties illi nude muli- 


91 


in diefer Einöde; aber eine fo außerordentliche Bußſtrenge 
in fo jugendlichem Alter, und wunderbare, durch fein Gebet 
erwirfte Heilungen verbreiten nach und nach feinen Ruf in 
ganz Syrien; diefer Auf lockt die Menge herbei, unter der— 
jelben findet er Jünger und Nacheiferer feiner Tugend und 
feiner Lebensweiſe; ev muß fich entfchliegen, Elöfterliche Ge— 
meinden zu bilden, und wahrfcheinlich ift er der Gründer 
der Klöfter, welche fchon damals in Yerufalem und Beth— 
(ehem?!) erbaut wurden, um gewiffermaßen diefe neue Yebens- 
form in die Nähe ver heiligen Stätten zu bringen, die durch 
die Geburt und das Leiden feines göttlichen Vorbildes auf 
immer geheiligt worden find. Auch die Ehre ward ihm zu 
Theil, unter Julian dem Abtrünnigen verfolgt und auf Be— 
treiben feiner eigenen Mitbürger von Gaza verbannt zu 
werden. Diefe Prüfung war jedoch nur von furzer Dauer, 
und e8 war weit weniger diefe Verbannung als der Wunſch, 
jeinem immer größer werdenden Nufe zu entfliehen, was 
ihn nach den Inſeln des mittelländifchen Meeres, nach Si— 
cilien, auf die Cheladen und bis nach Cypern führte. Er 
flieht von Yand zu Land und bis jenfeits der Meere vor 
dem Auffehen, das feine Tugenden und feine Wunder ma- 
chen und das ihn dennoch überall verfolgt?). 
Die Infel Eypern, befannt wegen des Venuskultes, Die Mönde 


2 ’ ‚ . d J ſel 
und die deshalb verdient hatte, ein Centralpunkt des heid— san 


eres eubitanti, quoties esurienti largissimæ apparuere dapes!.. 
Ego te, aselle, faciam ut non caleitres, nec te hordeo alam, 
sed paleis, fame te conficiam et siti, gravi onerabo pondere, per 
aestus indagabo et frigora, ut cibum potius quam lasciviam co- 
gites. Ibid. 

) Bulteau, Histoire monastique d’Orient, p. 239, 268, 270. 

?) Fenelon, — Albert de Broglie, L’Eglise et l’Empire, 
IV, 273. 


92 

niſchen Sinnendienftes zu fein, jollte nun auch durch einen 
Fichtftrahl von der Flamme des Mönchthums gereinigt 
werden, ehe fie in fpäterer Zeit das letzte Aſyl des katho— 
liſchen Königthums wurde, das die Kreuzzüge am Grabe 
des Erlöfers eingefett hatten. Nichts ftellt den Sieg des 
göttlichen Sohnes der Jungfrau über die Mutter des heid- 
nifchen Liebesgottes treffender dar, als der Aufenthalt Hi— 
larions zu Paphos. Der ftrenge Mönch, deſſen ganze 
Jugendzeit ein langer, fiegreicher Kampf gegen die Wolluft 
gewefen war, wohnte zwei Jahre lang an den Thoren der 
Stadt, die in der erotiſchen Poeſie eine jo große Rolle 
fpielt, und die Bewohner der Infel verfammeln fich mafjen- 
haft um ihn und bringen ihm ihre Kranfen und Befejjerien 
zur Heilung. Darauf fuchte er fi eine einſamere Stelle 
bei den Auinen eines alten Tempels, der wahrfcheinlich ver 
Aphrodite geweiht gewefen war, wo er Tag und Nacht die 
Stimmen ganzer Schaaren von Dämonen brüllen hörte, die 
zürnend das Joch trugen, das der tapfere Held der Keufch- 
heit und des Gebetes ihren ehemaligen Unterthanen aufer- 
legte. Dies nächtliche Gejchrei und Stimmengewirr ergötte 
ihn, denn er hatte es gerne, wenn er, wie er zu jagen 
pflegte, feinen Feinden ins Angeficht blicken fonnte'). 

An diefem Orte ftarb er als ein Greis von achtzig 
Sahren, und jterbend fahte er feinen ganzen Lebenslauf in 
die befannten Worte zufammen: „Zieh’ aus, meine Seele, 


') Ingressus Paphum, urbem Cypri nobilem carminibus poe- 
tarum... Antiquissimi templi ruina, ex quo (ut ipse referebat et 
ejus diseipuli testantur) tam innumerabilium per noctes et dies 
dæmonum voces resonabant, ut exereitum crederes, Quo ille 
'valde deleetatus, quod seilicet antagonistas haberet in proximo. 
S. Hieron., vit. S. Hilarion., I. ce. 35, 36. 


95 


„zieh aus! Was fürchteft du? Beinahe fiebenzig Jahre 
„Haft du Chrifto gedient, und du follteft ven Tod fürchten)?" 
Noch heute gibt das Volk der Chprioten, in feinen Erin» 
nerungen die Ueberlieferungen des Guten und des Böfen, die 
fiegreichen Kämpfe der Seele und die Triumphe der Sinn- 
lichkeit vermifchend, den Ruinen eines der von den Lufignans 
erbauten Bergfchlöffer, das die Inſel beherricht, den Dop- 
pelten Namen Hilarionsburg und Schloß des Liebesgottes. 

Bei feinem Tode hinterließ Hilarion auf dem erzbi— 
ſchöflichen Stuhle der Infel, die nunmehr durch feine Ges 
genwart und fein Gedächtnig geheiligt war, einen berühmten 
Mönch, den heiligen Epiphanius, der fein Schüler gewefen 
und ihm nach Paphos nachgefolgt war. Im Yudenthume 
geboren und durch die Nächjtenliebe eines Meönches, der 
fein Kleid auszog, um einen Armen damit zu befleiven, 
zum Chriftenthume befehrt, war Epiphanius Mönch ge— 
worden und hatte zunächft in Paläſtina, wo er unter Hi— 
larion herangebildet worden, dann in Aegypten, wo er fich 
während der julianifchen Verfolgung aufhielt und wo das 
Chriſtenthum, Danf der Autorität des heiligen Athanafius 
und dem Einfluße der Thebais, fefter bejtand als font 
irgendwo im Driente, den Ruf einer großen Bußſtrenge er- 
worben. Ungeachtet feines Widerftrebens zur bifchöflichen 
Würde erhoben, trug er auch als Biſchof fortwährend das 
Mönchsgewand ; die Gefchichte und Widerlegung der achtzig 
Irrlehren, die fich bis auf feine Zeit gegen die Fatholifche 
Wahrheit erhoben hatten, jchrieb er auf Bitten der Oberen 
zweier fhrifcher Klöſter. Er ftand in innigen Freundſchafts— 
verhältniffen mit dem heiligen Bafılius, dem heiligen Hie- 

') Egredere: quid times? Egredere, anima mea, quid du- 
bitas? Septuaginta prope annis servisti Christo, et mortem 
times? Ibid. 


Der heilige 
Epiphanius, 


365. 


94 


ronymus, dem heiligen Johannes Chryſoſtomus. Als einer 
der tüchtigſten Gelehrten waren ihm die griechiſche, die he— 
bräiſche, die ſyriſche und lateiniſche Sprache geläufig, und 
er wandte ſeine reiche Wiſſenſchaft ſtets zur Vertheidigung 
der wahren Lehre und des kirchlichen Lebens an, welchen er 
nicht nur durch ſeine Schriften, ſondern auch durch ſeine 
Reiſen nach Rom, Jeruſalem, Konſtantinopel große Dienſte 
leiſtete. Epiphanius war in dem friſchen Berggelände in 
einem Thale am Fuße des Olymp geboren, in geringer 
Entfernung des ſpäter ſogenannten Vorgebirges Pifani, 
in welchem ſich noch heute die Spur ſeines Namens wieder— 
findet, und das von europäiſchen Seeleuten und Küſten— 
fahrern durch eine Verſtümmelung des Namens Epipha— 
nios alſo genannt worden tft). 

Der Kaifer Julian, welcher mehr Verſtand als Herz 
hatte, mißfannte die Größe und eigenthümliche Hoheit des 
Mönchthums nicht, obwohl wir ihn ftets als Verfolger der 
Mönche fehen; er ging mit dem Gedanfen um, auch für 
feine. vegenerivten Heiden Manns» und Frauenklöfter zu 
Ichaffen; das hieß freilich einen Yeichnam wieder beleben 
wollen. Dagegen hatte das Werf Gottes ven Schuß feines 
Kaifers nöthig, um zu entjtehen und zu beftehen: die Hei— 
ligen, die es begründeten und aus ihm hervorgingen, ge- 
nügten ihm. Das Mönchthum, das ihnen ihr Dafein ver- 
dankte und in Mitte deſſen fie jelbft mehr und mehr dem 
Himmel entgegen reiften, verbreitete fich mit großer Schnel- 
ligfeit, und mit feiner Hülfe ging die Befehrung des Drients 


) Die Heiligen Hilarion und Epiphanius find beide der Gegen- 
ftand volksthümlicher Verehrung noch unter den modernen Cyprioten, 
wie dies vom Herrn- von Mas-Latrie nachgewiejen worden, demje— 
nigen unjerer Zeitgenoffen, der die Gejhichte und die Denkmäler 
diejer intereffanten Inſel am tüchtigften ſtudirt bat. 


95 


zum Chriftenthume immer beſſer won ftatten. In Edeſſa, Der beitige 
im Mittelpunfte von Mefopotamien, ward der heilige Ephram ar 
mit der Autorität feines langen, heiligen Lebens, feiner poe- 
tifchen und volfsthümlichen Beredtſamkeit, feinem hoben, 
ftrengen Genius, feinen heldenmüthigen Kämpfen gegen das 
freche Sittenverderbniß, welches an der orientalifchen Civi— 
liſation haftete!), und vor welchen es galt, die Wahrheit 
und die Zukunft zu ſchützen, eine der Fräftigften Stützen 
dejjelben. 

Edeffa war damals die Metropolis jener ſyriſchen 
Bevölferungen, die ihre Sprache und ihren Nationalgeift 
vor den griechifchen Einflüffen gejchütt hatten. Ephräm 
ward zugleich ihr Apojtel, ihr Lehrer, ihr Redner und 
Dichter. Er brachte die in Nicäa feitgefeßten Glaubens— 
lehren und die einzelnen Züge aus der heiligen Gejchichte 
in volfsthümliche VBerfe, die noch mehrere Yahrhunderte 
fpäter vom Yandvolfe in Syrien gefungen wurden. Er 
war Chrift und Mönch zugleich geworden, und fuhr bis zu +38. 
dem letten Tage feines Lebens fort, die Mönche, feine 
Brüder, und das Volk von Edeſſa zu unterrichten. Seine 
Beredtfamfeit war ſchwunghaft, Fräftig und falbungsvoll. 
Er hatte, wie der heilige Gregor von Nyſſa fagt, vom 
heiligen Geifte eine jo wunderbare Fülle von Wilfenfchaft 
erhalten, daß die Worte, obwohl fie in Strömen herrlicher 
Rede von feinen Lippen floſſen, dennoch für feinen Gedan— 
fenreichthum nicht genügten. .. Er mußte Gott bitten, den 
unerfchöpflichen Strom feiner Gedanken zu mäßigen, indem 
er ausrief: „Halt an, o Herr, halt an die Fluthen deiner 
Gnade." Denn ver tiefe Ocean des Wilfens, der fich im 


') Rosweyde, p. 268. 


36 


Reden unwiderſtehlich zu entladen trachtete, laſtete auf ihm 
mit dem Drude feiner Wogen ?). 

Diefer große Mann des Wortes war zugleich auch 
ein Mann der That. Als Sapor, König von Perfien, da— 
mals der gefürchtetfte Feind der Römer, die Stadt Nifibis, 
diefen Gränzwall des Glaubens und des Neiches, zum 
dritten Male belagerte, eilte Ephräm an die Seite des 
heiligen Biſchofs Jacob, welcher ihn getauft hatte; Beide, 
immer die erften auf der Breſche, leiteten die Vertheidi— 
gungsarbeiten, bis die Belagerung mit der Flucht der Perfer 
endete, Einige Jahre darauf, als Kaiſer Julian auf feinen 
Zuge gegen Perfien während der von ihm wieder ernener- 
ten Chriftenverfolgung Edeſſa, die fih rühmte, die zuerſt 
im Orient befehrte Stadt zu fein, zu bedrohen fchien, 
feuerte Ephräm den Muth der Einwohner durch feine Re— 
den an; im diefe gefahrvolle Zeit wird eine unter dem Titel 
die Perle berühmte Rede verjett, in welcher unter dem 
gedachten Symbole die Menfchwerdung Chrifti, die foftbare 
Perle des Evangeliums gepriefen wird, und in der fich „ver 
glühende, myſtiſche Schwung des einfamen Gottesfreundes 
und der feurige Eifer eines chriftlichen Striegers, der dem 
Meartertode entgegeneilt, zufammenfinden.“ Don feiner 
treuen Beobachtung der Flöfterlichen Armuth zeugt auch das 
ZTeftament, welches ev feinen Jüngern diftirte, und in wel- 
chem er fih mit dem Landmanne, der fein Tagewerf voll- 
bracht hat, mit dem reifenden Handelsmanne, der in die 
Heimath zurückkehrt, vergleicht; das Dofument beweist, daß 
„er nichts als Nathichläge und Gebete zu vermachen habe;“ 
„denn Ephräm,“ jagt er, „hat nicht einmal einen Stab oder 


?) S. Greg. Nyss., Encomium Ephrem. Syr., p. 11, 
angeführt von Herrn v. Broglie, dem wir mehrere Züge von dem 
Nachfolgenden entlehnt haben, 


97 


Bettelfad. Sein lettes Wort war eine Protejtation zu 
Gunften der Würde des Menfchen, den der Sohn Gottes 
mit feinem heiligen und theuern Blute erlöft hat. Die 
junge und fromme Tochter des Statthalters von Edeſſa 
war nämlich, in Thränen gebavdet, an feinem Sterbebette 
erfchienen; er ließ diefelbe, ehe er feinen Geift aushauchte, 
ſchwören, fich niemals wieder in einer Sänfte auf den Kö— 
pfen von Sklaven tragen laſſen zu wollen, indem ja der 
Apoftel jage: „Das Haupt des Mannes foll fein anderes 
Joch als das Icch Ehrifti tragen ).“ 

In feinen Neden ftrafte der heilige —— mit großer 
Schärfe die Laſter und die Leidenſchaften des Weltſinnes, 
wo ſich dieſelben unter dem Mönchsgewande zu verbergen 
ſuchten: er brandmarkt den ſchon damals vorkommenden 
Widerſpruch zwiſchen dem Aeußern und Innern des Mön— 
ches, zwiſchen Schein und Weſen. Er klagt ſchon über 
das Nachlaſſen in der urſprünglichen Strenge?). Und 
dennoch hatte ev mehrere Jahre unter jenen Mönchen in 
Mefopotamien zugebracht, die gewiffermaßen wie Wilde, 
nur von rohen Kräutern lebten, und deshalb Weidende 
(300n0i) zubenannt wurden ?). Noch bei Ephrem’s Lebzeiten 
ward in eim fhrifches Klofter Simeon Stylites aufgenom- 
men ?), der nachmals auf feiner Säule, auf welcher er acht- 





') Man jehe im Tableau de leloquence chretienne au IVme 
siecle, von VBillemain, deutfch unter dem Titel: Geift der Krift- 
lien Literatur, bei Manz in Regensburg, den vortrefflichen 
Abſchnitt Über den heiligen Ephräm. — Cfr. Albert de Broglie, 
III, 191; IV, 356. 

?®) Ephr&em. Syr., tom. III, p. 539; ap. Möhler, loc. eit. 
p. 378. 

) Sozomenus, VI, 33. 

) Rosweyde, Vit. Patr. p. 176. 

v. Montalembert, d. Mönche d. A. I. 


I 


Simeon 
Stylites, 


98 


undvierzig Jahre aufrecht ftand, der Welt das Schaufpiel 
des auferordentlichften und ftrengften Bußwerfes gab, das 
bis dahin vorgefommen war. Cs bedurfte wohl jolcher 
außerordentlicher Erfceheinungen, um auf die Einbildungs— 
fraft und die Ueberzeugung der rohen und unabhängigen 
Nomadenvölfer jener Wüften zu wirken. Denn, man darf 
nicht vergeffen, daß unter Konftantin und feinen nächiten 
Nachfolgern die römische Welt noch zur Hälfte heidnifch 
war. Die Landichaften blieben insbefondere dem Heiden- 
thume anhänglich, und erſt den Mönchen gelang es, auch) 
fie zu erfcehüttern und zu befehren. Wir fehen Dorfichaf- 
ten, ja ganze Stämme durch die Predigten des Hilarion in 
Syrien, des heiligen Mofes bei den Saracenen, des heili- 
gen Simeon Sthlites, zum Glauben an Chriftus geführt. 
Anderen Mönchen gelang die Befehrung der Phönizier '). 

Der heilige Simeon Stylites ſah um feine Säule 
ber nicht nur feine fprifchen Yandsleute, jondern auch Per- 
fer, Araber, Armenier und fogar Leute, die aus Spanien, 
aus der Bretagne und aus Gallien gefommen waren, um 
dies Wunder der Bußftrenge zu ſehen. Er aber belohnte 
ihre Neugierde und die Bewunderung, die fie ihm zollten, 
damit, daß er ihnen die chriftlichen Wahrheiten wortrug. 
Sp geſchah es oftmals, daß Solche, die aus bloßer Neu- 
gierde als Heiden gefommen waren, als Chriften wieder 
von dannen gingen. Die Araber famen in Truppen von 
zwei- oder dreihundert; und Taufende von ihnen wurden, 
wie Theodoret als Augenzeuge berichtet, von dem Lichte er- 
leuchtet, das von der Säule des Styliten herniederfam; 
fie entfagten vor derſelben ihren Gößen und ihren Laftern, 
und fehrten als Chriften in ihre Wüften wieder zurüd ?). 

) Möhler, p. 220. 

) Theodoret.. Philotheus, c. 26. — Siehe auch: Leben 


99 


Mit folhen Männern zu Häuptern und Meiftern, 
gelang e8 den Mönchen bald, ihre neue Yebensforn zu- 
gleich mit den Lehren des heiligen Glaubens in ganz Me— 
fopotamien, in Armenien und jenfeitS des Euphrat, in 
Perfien und Indien zu verbreiten ); und man fah in der 
That ganze Züge won Mönchen aus den genannten Gegen: 
den, untermifcht mit den Pilgern aus dem Abendlande, aus 
Afrika und Kleinafien, die nach Jeruſalem kamen, um da— 
felbft die heiligen Stätten und Spuren des Yeidens unfers 
göttlichen Erlöſers zu verehren ?). 


Sie waren unter diefen noch in den Finfternijfen des Mönde als 


Götendienftes lebenden Völkern nicht nur die Glaubensbo- 
ten, fondern häufig auch die Martyrer für den heil. Glau— 
ben. As fih die Söhne des Königs von Perfien eines 
Tages auf der Jagd befanden, brachte man drei Mönche 
vor jie, welche von den ungeheuren Neben eingejchloifen 
worden waren, die bei folchen Anläffen von den könig— 
lichen Jägern über ein ganzes Yand ausgefpannt wurden. 
Beim Anblid diefer ganz behaart und wild ausfehenden 
Männer fragten die Prinzen einen von ihnen, ob er ein 
Menſch oder ein Geift fei?). Der Mönch antwortete: 


und Wirken des heiligen Simeon Stylites, von P. Pius 
Zingerle, Innsbruck, 1855. 

) Ili enim Syros fere omines, et ex Persis ae Saracenis 
quamplurimos ad religionem suam traduxerunt. Theodoret., Rel. 
Hist.V],.0;34. 

?) De India, Perside, Aethiopia monachorum quotidie turmas 
suseipimus. S. Hieronym., Ep. 7. ad Letam, ce. 2. 

) Miserunt retia in longum per millia quadraginta. ... In- 
ventus est autem senex cum duobus discipulis intra retia, Et 
eum vidisset eum pilosum et terribilem aspectu... Vit. Patr. 
W627: 

7* 


Martyrer in 


Perſien. 


25. Januar 
628, 


100 


„Ih bin ein Menſch und ein Sünder, ich bin hieher ges 
„fommen, um meine Sünden zu beweinen und den Sohn 
„des Tebendigen Gottes anzubeten.“ Die Prinzen entgeg- 
neten ihm, daß es feinen andern Gott als die Sonne gebe, 
Darauf entipann ſich num eine Erörterung, die mit der 
Hinrichtung der drei Mönche endete, welche die jungen 
Fürsten zu ihrer Beluftigung zu Scheiben für ihre Pfeile 
machten. Der lette und berühmteste diefer Meartyrer war 
Anaftafius, Soldat des Chosroes zu der Zeit, als das 
wahre Kreuz diefem Fürften zur Beute anheim fiel. Beim 
Anblicke diefes geheiligten Holzes war er Chrift geworden, 
und ging dann nach Serufalem, wo wir ihn als Mönch 
wieder finden. Von den Perfern zum Gefangenen gemacht, 
erduldete er im Mönchskleide, das er das Kleid feines 
Ruhmes nannte, die graufamften Qualen und den Tod 9. 

Bis dahin Tebten alle diefe Heiligen und Mönche 
gruppenweife umter der Herrfchaft einer beweglichen, ob— 
wohl jederzeit ftrengen und je nach Klima und perfönlichem 
Dafürhalten wechlelnden Disciplin. Diefelbe jchütte jedoch 
weder vor dem Uebermaafe des Eifers, noch vor ärgerli- 
hen NRücfällen der Natur. Wohl waren gewifje urfprüng- 
lihe Regeln vorhanden, die unter dem Namen des Anto- 
nins, des Mafarius, befonders des Pachomius und feines 


) Hxe vestis est gloriatio mea. Act. 88. Bolland. t. II, 
Jan. p. 433. — Sein Haupt ward nah Nom übertragen und in der 
Klofterficche der heil. Vincenz und Anaftafius ad aquas Salvias, 
nahe bei der Stelle beigejeßt, wo der heilige Paulus enthauptet 
worden war, Daffelbe wird noch jetst dafelbft verehrt, und man fieht 
dort ein Gemälde, auf welchem er dargeftellt ift, und das, mie 
behauptet wird, mit feinen Neliguien aus Perfien hergebradjt wor— 
den ; daſſelbe ift jedenfalls eines der älteſten Denfmäler der chrift- 
lihen Kunft. 


101 


Nachfolgers Orfifius im Umlauf waren; aber fie hatten 
weder die nöthige Autorität noch die Geltung, um eine 
dauerhafte Flöfterliche Gefetgebung bilden zu fünnen. Nun 
aber erwecte Gott einen großen Mann, ven heiligen Ba- 
filius. Sein Ruhm ift nicht nur, daß er die Irrlehre 
befiegt und den irrgläubigen, despotiſchen Kaifern erfolg- 
reichen Widerſtand entgegen geſetzt hat, fondern auch, daß 
er dem Mönchthum eine Verfaſſung gegeben, die in Furzer 
Frift von allen Mönchen des Morgenlandes angenommen 
wurde, 

In Rappadocien geboren, Sohn reicher und edler 
Eltern, mit Sorgfalt erzogen und gebildet an den Schulen 
zu Cäſarea, zu Konftantinopel, befonders zu Athen, Hatte 
er hier mit feinem jungen Yandsmanne, Gregor von Nazianz 
jenen ımanflöslichen, heiligen und glühenden Freundſchafts— 
bund gefchloffen, der in der Gefchichte der chriftlichen Ver: 
bindungen und Studien einen jo wohlthuenden Eindruck 
macht. „Es war," fagt Gregor felbft davon, „wie eine 
einzige Seele in zwei Körpern. Die Beredtfamfeit, das fonft 
am meiften Neid Ervegende, befeelte ung mit dem gleichen 
Eifer, ohne je eine Spur von Eiferfucht unter uns zu er— 


regen: wir lebten Einer im Andern... nur zwei Wege 


fannten wir: den einen, der uns ber liebfte war und ung 
zu der Kirche und ihren Lehrern hinführte; den andern, 
weniger erhabenen, auf dem wir zur Schule und zu unferen 
Lehrern gingen Y.“ Im Feuer der Nacheiferung, das dieſe 
innige Freundfchaft anfachte, tranf Baſilius in vollen Zü— 
gen an den Quellen der antifen Wiffenfchaft und Philo- 
fophie. Er hatte in denfelben edlen Stolz genug geichöpft, 
um alle ihm angetragenen Würden aus Unabhängigfeitsliebe 


') S. Greg. Nazianz.. Orat. 43. — Cf. A, de Broglie, 
III, 288, 


Der heilige 
Bafilius. 
329—379. 


102 


abzulehnen. Bald darauf führte ihn feine Schweiter Ma— 
crina, die bei feltener Schönheit in jungfräulichem Stande 
verblieb, in eine noch höhere und uneigennütigere Philo- 
jophie ein. Er verließ die Schulen und begab fih auf 
Keifen, um Heilige und Mönche aufzufuchen; er lebte mit 
ihnen in Aegypten, in Paläftina, in Syrien. In diefen 
Männern, die ihm als Pilger und Fremdlinge hienieden 
und als Bürger des Himmels erfchienen, erfannte er das 
Ideal feiner für Licht und Frömmigfeit erglühenden Seele. 
Er entſchloß ſich, jo wie fie zu leben, und in fein Vater— 
land zurücgefehrt zog er fich, exit ſechsundzwanzig Jahre 
alt, auf feine wäterlichen Beſitzungen in Pontus zurück. 
Es ijt eine rauhe, wilde Gegend, vor dem Zugange 
von Menfchen durch dichte Waldungen gefchütt, am Fuße 
eines veich bewaldeten Berges, rings von tiefen Schluchten 
und von einem reigenden Fluſſe umgeben, der fich fchäu- 
mend und tofend im einen Abgrund Hinabjtürzt. Hier, in 
diefer ihm fo lieben Einöde, die feine mit claſſiſchen Erin- 
nerungen genährte Phantafie mit der Inſel der Calhpſo 
verglich, Konnte er fich nach Wunfch feiner Neigung zum 
Erforfchen der Größe und der Vollfommenheiten Gottes in 
den Werfen der Schöpfung hingeben, die ihm auch feine 
berühmten Reden über das Sechstagewerf der Schöpfung, 
die unter dem Titel Hexaömeron befannt find, eingegeben 
hat. Hier, vor feinen Blicken in der Ferne den Pontus- 
Euxinus, ward er leicht und natürlich zur Zufammenftellung 
verfchiedenartiger Afpefte geftimmt: ev verglich das taufend- 
jtimmige Geräufch der Meereswogen mit dem Geräufche 
großer Menfchenmafjen, dem er fich damals für immer ent- 
gangen wähnte, und im diefer Betrachtung jchrieb er die 
nachfolgende herrliche Stelle nieder: „Ein liebliches Schau 
jpiel bietet uns der Anblick des Meeres, wenn es, fich jelbft 


105 


in ruhigem Gleichgewichte haltend, an feiner ſtillen Dber- 
fläche fcehimmernd weiß erglänzt, oder wenn es, vom Winde 
ſanft bewegt und leicht gefräufelt, purpurn oder ſmaragd— 
grün leuchtet; wenn es nicht mit Heftigfeit an feine Ufer 
anfchlägt, fondern fchmeichelnd und koſend das Yand zu 
umfangen feheint. Nicht dies ift e8 aber, was in den Au— 
gen Gottes das Meer ſchön und Tieblih macht, jondern 
Ihön ift e8 durch das, was es bewirkt, indem es die Ur— 
fache alles Flüffigen auf Erden ift; feine Schönheit ift in 
der Weisheit des Schöpfers. Ihr jeht ihn wohl, den uns 
ermeßlichen Behälter ver Gewäſſer, die das Land beneten 
und fruchtbar machen, die in die Meeresfluth eindringen 
und dann als Flüffe, als Seen, als erfrifchende Quellen 
wiederum aus demjelben hervorkommen; denn Durch Die 
Erde hindurch, laufend, haben fie alles Bittere, was fie an 
jich hatten, verloren, jo dag der Weg, den fie zurückgelegt 
haben, fie gewijjermaßen auf eine höhere Stufe creatürli— 
hen Dafeins erhoben hat. Du bift ſchön, o Meer! weil 
du alle Flüffe in dich aufnimmſt und dich innerhalb deiner 
Ufer hältſt, ohne fie je zu überfchreiten. Du bijt Schön, 
denn aus dir entwickeln fi) die Wolfen, Du biſt ſchön 
mit deinen Infeln, die aus deinen Wogen emportauchen. 
Du bift Schön, denn du verbindet durch den Handel vie 
entfernteften Yänder mit einander; du trennft nicht die Völ— 
fer, ſondern verbindeft fie wielmehr, und bringft dem Kauf: 
manne feine Reichthümer und dem Yeben feine Hülfsquellen. 
Aber wenn das Meer vor den Augen des Menfchen und 
vor Gott ſchön ift, um wieviel ſchöner ift nicht alsdann 
diefe große, hier verfanmelte Menge, dies Meer von Men- 
ſchenwogen mit feinem Braufen, mit feinem Gemurmel 
von Männer, Frauen- und Kinderftinmten, die laut erfchalfen 
und fich bis zum Throne Gottes erheben!“ 


104 


Am andern Ufer des Fluſſes Iris bereiteten ſich die 
Mutter und die Schwefter des heiligen Bafılius, ihren 
hohen Rang und ihre Neichthiimer wergeffend, auf den 
Himmel wor, indem fie mit ihrem Dienerinnen und andern 
frommen Jungfrauen in der volfitändigften Gemeinfchaft 
lebten. Ihm ſelbſt folgen in feine Zurücgezogenheit der 
Freund feiner Iugend, feine beiden Brüder!) und eine 
immer mehr fich wergrößernde Anzahl von Jüngern. Da— 
felbft ergiebt er fich ohne Vorbehalt dem Leben in dev Buß- 
jtrenge, dem Studium der theologischen Wiffenfchaften, der 
Feldarbeit; dabei iffet ev nur hartes Brod, zündet nie 
Feuer an, fondern nährt und erwärmt fich durch die Gluth 
feines Eifers für den Dienft Gottes und für das Heil der 
Seelen. Gerade während diefer ftrengen Lehrjahre ftählt 
er feine Seele für die gewaltigen Kämpfe, die er in der 
Folge zu beftehen Hatte, und durch die er in der Reihe der 
Kirchenlehrer und der heiligen Bifchöfe den erjten Rang 
erworben hat. Als Sultan der Abtrünnige die Welt mit 
einer Ernenerung des kaum befiegten und noch lange nicht 
ausgerotteten Heidenthums bedrohte, ward Baſilius mit 
Gewalt aus feiner Einfamfeit herausgeriffen und zum Prie— 
jter geweiht, und einige Jahre fpäter auf den bifchöflichen 
Stuhl von Cäfaren erhoben. Es ift befannt, wie er durch 
die Ueberlegenheit feines Geiftes und die Erhabenheit feiner 
Tugend die Welt in Staunen feste. Es giebt in der Kir- 
hengefchichte feine glorreichere Epifode als die Erzählung 
feines unerfchrodenen, ruhigen, gelaffenen Widerſtandes ge- 
gen die Eingriffe des Kaifers Valens bezüglich des nicäi- 
ſchen Glaubensbefenntniffes, und jener berühmten Unterre- 





') Der heilige Gregor von Nyſſa und der heilige Petrus von 
Sebafte, 


105 


dung mit Modeſtus, dem Präfeftus Prätorio. „Niemals, 
ſpricht der vienjtbare Vollftreder des Faiferlichen Willens 
zu ihm, „niemals ift mir eine folche Kühnheit begegnet.“ 
„Ohne Zweifel," antwortet der Heilige, „bift dur noch nie 
„einem Bifchofe begegnet." — Nach beendigter Beſprech— 
ung begab fich der Minifter zum Kaiſer und fprach : „Herr, 
„wir find bejiegt: dieſer Bifhof ift über Drohungen er— 
„Haben; man wird nur mit Gewalt etwas gegen ihn aus- 
„richten können Y.“ Der Kaiſer ftand von feinem Begin- 
nen ab; die Kirche aber begrüßte in Bafilius den Helden 
diefer Zeit. Und dabei war feine große Seele nicht min— 
der zart als ftarf. Sein unerfchütterlich fefter Glaube war 
immer bedacht auf Wiedergewinnung der verirrten Chriften. 
Tief betrübt über die Spaltungen in der morgenländifchen 
Kirche, erflehte er in den beweglichiten Worten den Bei— 
ftand der Abendländer, des Papſtes Damafus und insbes 
fondere feines erlauchten Rivalen an Ruhm und Helden- 
muth, des heiligen Athanafius. Er verftand es fo wohl, 
Ihwach zu jein mit den Schwachen, daß man ihm eine 
gewiſſe Anbegquemung an den Irrthum zur Laſt legte, wes— 
halb ihn der heilige Athanafius in zwei venfwürdigen 
‚Sendichreiben gegen die Anflagen Solcher, die Alles über- 
treiben, vertheidigte, wie es deren zu allen Zeiten giebt, 
die verzagt find im Augenblicke der Gefahr, und ungeftün 
und unerbittlich vor und nach dem Sturme. 

Die Mönche, die er in feiner Schule bildete, waren 
die nüßlichjten Hülfstruppen der Orthodorie in ihrem 
Kampfe gegen die Arianer und Halb-Arianer, diefe Feinde 
der Gottheit Chrifti und des heiligen Geiftes. Sie übten 
einen jehr heilfamen Einfluß auf die gefammte Geiftlichfeit. 


') S. Greg. Nazianz.. p. 350—351. 


Die Regel des 
beiligen Ba- 
filius, 


106 


Aus diefem Grunde fuhr auch ver heilige Bafilius, nachdem 
er Priefter und Bifchof geworden war, nocd immer fort, 
jie zu leiten und für ihre Verbreitung Sorge zu tragen. 
Er betrachtete fie als den koſtbarſten Schat in feinem Bis— 
thume und berief ſie in jeine bifchöfliche Stadt; darauf er- - 
nenerte er bei einer Rundreiſe durch die Städte und Dörfer 
in Pontus den chriftlichen Geift in diefer ganzen Provinz, 
indem ev überall die vereinzelt lebenden Mönche in Klöftern 
verſammelte, wo er felbjt die Uebungen des Gebetes, des 
Chordientes, der Armenpflege, der Handarbeit regelte, und 
auch im gleichen Sinne zahlreiche Klöfter für Jungfrauen 
eröffnete"). Sp ward er das Urbild jener Mönch-Biſchöfe, 
welche ſpäter die Bejchüßer, die Wohlthäter von ganz Eu— 
ropa und die Begründer der chriftlichen Givilifation im 
Abendlande wurden. Sein Hauptzwed dabei fcheint gewefen 
zu fein, das thätige Leben mit dem befchaulichen zu ver— 
binden und die Mönche dem Klerus und dem chriftlichen 
Bolfe nahe zu bringen, um dem Einen wie dem Andern 
Erleuchtung und Kräftigung mitzutheilen?). Dies bezweckt 
er mit feinen zahlreichen ascetiſch-klöſterlichen Schriften, 
welche nicht minder von feiner geiftigen Größe und Ge— 
diegenheit zeugen, als feine Sendſchreiben und feine dogma— 
tiichen Werfe, die ihm den Beinamen des chrijtlichen Plato 
erworben haben. Diefe Abficht tritt insbefondere in feiner 
berühmten Regel zu Tage, welche in furzer Zeit das Ge— 
ſetzbuch des Flöfterlichen Lebens, und am Ende die einzige 
im Morgenlande anerkannte Negel ward. In der Form 
von Antworten auf zweihundert und drei verfchiedene Fra— 


", Ruffinus, Hist. Ecel. II, c. 9. 

) Monasteriis extructis, ita monachorum institutum tempe- 
ravit, ut solitarie atque actuos® vitæ utilitates praeclare simul 
conjungeret. Brev. Rom. die XIV. Junii. 


107 

gen über die Pflichten des Klofterlebens und den Sinn der 
wichtigften Texte der heiligen Schriften niedergefchrieben, 
und theilweife auch den Frauenklöſtern angepaßt, zeugt jte 
durchgängig von der großen praftifchen Tüchtigfeit und Ge— 
mejjenheit, die das charafteriftifche Kennzeichen ihres Ver: 
faffers feldft find"). Vorzüglich warnt fie vor den Gefahren 
der gänzlichen Einfamfeit für die Demuth und die Nächitens 
liebe, dringt auf die Nothwendigfeit eines auf die allerein- 
zelnſten Dinge fich erſtreckenden Gehorfams, auf Entfagung 
‚ jedes perfönlichen Eigenthums wie aller Privatneigungen, und 
insbefondere auf die Vflicht beftändiger Arbeit. Nicht ein- 
mal das Falten ſoll der Arbeit hinderlich fein: „Wenn euch 
das Faſten am Arbeiten hindert“, jagt er, „jo tft e8 ange— 
meſſener, daß ihr eſſet wie Arbeiter Chrifti, was ihr ja ſeid.“ 
Gerade das ift, diefem Patriarchen des Kloſterlebens zufolge, 
der Angelpunft eines Inftitutes, das fo viele Generationen 
von Unwiſſenden und Müffiggängern ſchamloſer Weife des 
Müffiggangs angeklagt haben. „Ihr tapferen Streiter, Ar- 
„beiter Jeſu Chriſti,“ vuft diefer große Biſchof, „ihr Habt 
„euch ihm verpflichtet, um den ganzen Tag zu fümpfen, des 
„Zages Yaft und Hite zu tragen. So fuchet denn die 
„Ruhe nicht vor dem Abend; erwartet denfelben, nämlich 
„das Ende des Lebens, die Stunde, wo der Familienvater 
„fommen wird, mit euch zu rechnen und euch den Lohn zu 
„geben. | 

Ein Name ift von demjenigen des großen heiligen Ba— 


) „Wenn der heilige Antonius der Reſtaurator des Klofterlebens 
ift; wenn der heilige Pahomius demfelben eine feſtere Form gegeben, 
jo ift es der heilige Bafilius, durch welchen es feine Vollendung da- 
durch erhalten hat, daß er für daſſelbe die fürmlichen Gelübde ein- 
geführt hat.“ Helyot, Hist. des ordres monastiques. 1° partie, 
c, 13, — Cf, Bulteau, ist, des moines d’Orient, p. 305, 402, 


Der heilige 
Gregor von 
Nazianz. 


108 


ſilius ungzertrennlich : es ift der eines andern Kirchenlehrers, 
Gregors von Nazianz, diefer innigjte Herzens- und Jugend— 
freund Baſils, der Genofje feiner Studien und feiner Ein- 
famfeit, der beharrliche Geführte bei feinen Kämpfen und 
Siegen für den wahren Glauben und zulett, nach feinem 
frühzeitigen Tode, der Sänger feines Ruhmes. Ebenſo wie 
er, obwohl nicht ohne einigen Widerftand, hatte Gregor der 
Welt entfagt und fich von allen zeitlichen Dingen nichts 
vorbehalten, al8 die Beredtfamfeit, um diefelbe im Dienfte 
Gottes zu verwenden. „Alles Uebrige laſſe ich euch,“ ſpricht 
er im Augenblide, wo Kaifer Julian den Chriften das Stu- 
dium der claffiichen Schriften verbot, zu den Heiden, „Reich— 
thümer, Geburt, Ruhm, Anfehen und alle Güter dieſer 
Welt, deren Reiz wie ein Traum verfchwindet: die Beredt- 
famfeit dagegen nehme ich in Befchlag und ich laſſe mir 
die Mühen und Arbeiten, die Reifen zu Land und Meer, 
um fie zu erwerben, nicht leid fein!).“ Und fpäter fügte 
er hinzu: „Nur Ein Gegenftand in der Welt hat mein Herz 
eingenommen: der Ruhm der Beredtfanfeit. Ueberall habe 
ich nach ihr geforfcht im Abendlande, im Morgenlande zu; 
Athen, diefer Zierde Griechenlands, ganz befonders. Yange 
Jahre habe ich gearbeitet, um fie zu erwerben: aber auch 
diefen Ruhm lege ich Chrifto zu Füßen, unter die Herrichaft 
des göttlichen Wortes, welches jede endliche und vergäng— 
lihe Form des menfchlichen Gedanfens verwifcht und in 
Schatten ſtellt?)“. Er hatte übrigens mit Bafilins das 
einfame, arbeitsfeligeteben verfoftet; und als Beide ſpäter 
demfelben wieder entriffen waren, um die noch viel mühe— 


') S. Greg. Nazianz., Oper. t. I, p. 132 nad) dev Ueberfet- 
ung des Herrn Billemain. 
) Carmina, p. 636, Ueberfeßung des Herrn von Broglie, 


109 


volleren Arbeiten des Episfopats auf fich zu nehmen, gefiel 
fih Gregor darin, feinen Freund am die glücliche Zeit zu 
erinnern, wo fie Beide ihren Kloftergarten bebauten. „Wer 
gibt ung,” fo fehrieb er ihm, „jene Tage wieder zurück, mo 
wir vom Morgen bis zum Abend zufammen arbeiteten, wo 
wir bald Holz fpalteten, bald Steine behaueten, wo wir 
unfere Bäume pflanzten und begoffen, wo wir zuſammen 
den ſchweren Karren zogen, wovon uns noch jo lange nach— 
her die Schwielen in den Händen geblieben waren!) ?“ 
Es ift befannt, wie er nach Konftantinopel berufen wurde, 
um die Irrgläubigen dafelbft zum Schweigen zu bringen, 
welchen Ruhm er fich dort durch feinen Muth und durch 
die Berebtfamfeit erwarb, die fich erſt jet in ihrem wahren 
Elemente befand, und wie der Wille des Kaifers Theodoſius 
und der allgemeine Beifall der Väter des zweiten ökume— 
nifchen Concils ihn, feines Stränbens ungeachtet, auf den 
Patriarhalftuhl erhob, wo er gegen die Arianer nur die 
Waffen ver Ueberzeugung gebrauchen wollte. „Gebrauchen 
wir nicht," hatte er zu den von der julianifchen Verfolgung 
freigewordenen NRechtgläubigen gefagt, „die uns gefchenfte 
günftige Zeit mit Unbefcheidenheit und Uebermuth, zeigen 
wir uns nicht hart gegen diejenigen, die fich gegen und ver— 
gangen haben, ahmen wir nicht felbft Handlungen nach, 
die wir getadelt. Freuen wir ung, daß wir der Gefahr 
entgangen find, verabfcheuen wir Alles, was den Anjchein 
haben. fünnte, als wollten wir Böfes mit Böſem vergel- 
ten... Denfen wir nicht an Verbannungen und Proferip- 
tionen, ziehen wir Niemand vor den Nichter, Feine Geißel 
werde von unferer Hand gegen Beleidiger gefehwungen, mit 
einem Worte, thun wir jelbft nichts von dem, was wir er- 


) S. Greg. Nazianz., Ep. 9. et 13. 


391. 


110 


duldet haben, was man ung gethan hat!)." Er ftieg von 
dem Batriarchenftuhle wieder herunter, jobald er konnte, 
und war froh, dem Herde der theologifchen Zänfereien und 
des Sittenverderbnifjes zu entkommen, deſſen Exzeſſe er mit 
jo viel Kühnheit und Schmerz gejchildert hat. Aufs Neue 
fehrte er in eine ländliche Einöde feiner Heimath zurück. 
Dafelbft vollendete er feinen Lebenslauf nach zwei Jahren, 
die er in der größten Bußſtrenge Flöfterlichen Lebens und 
unter fortwährender Bejchäftigung mit der Poefie zubrachte, 
um nicht, wie er fagte, den Heiden allein die Palnte der 
Schönen Wilfenjchaften zu überlaffen, und auch um feiner 
tiefinnigen und zarten Seelentrauer freien Lauf zu laſſen?). 
Seine lieblihen, ſchwermüthig trauernden, manchmal er- 
habenen Berfe, haben ihm einen fait ebenjo hohen Rang 
erworben, als feine tiefgründliche theologische Wiſſenſchaft, 
und das Mönchthum darf fich des Ruhmes freuen, in ihm 
den Begründer der chriftlichen Dichtfunft und zugleich den 
Kicchenlehrer hervorgebracht zu haben, der unter allen die 
hohe Ehre verdient hat, ver Theologe des Morgenlandes 
genannt zu werden. 

Zudem hatte noch Niemand das Klofterleben mit einer 
jo glühenden Bewunderung gezeichnet, als e8 vom erlauch- 
ten Freunde des heiligen Bafılius in feiner Rede über den 


') Orat. V, 36, 37. — Auch die folgende Stelle ift der Beacht— 
ung wertb: Non odium significando et conviciando sollieite et 
anxie verba faciebam, dolens, non plagas infigens... Leniter 
verbis et convenienter ecompellabam, ut verbi defensor miseri- 
cordis et mansueti, ac neminem conterentis... Hæc meis in- 
scripta erant tabulis. Oper., ed, Caillau., t. II, p. 737, 

2) Siehe darüber, was Villemain über die Poeſien des heiligen 
Gregors von Nazianz in feinem ſchon angeführten: Tableau de 
V’eloquence chretienne au IVme siecle jo ſchön gejagt hat. 


111 


Tod Julians gefchieht, da wo er fich unmittelbar an dieſen 
Feind der Kirche wendet, dem er dann jene Männer ent- 
gegenftellte, die auf der Erde find und über der Erde... 
zugleich gebunden und frei, unterworfen und unbefiegbar... 
die ein Doppelleben haben: eines, das fie verachten, ein 
anderes, das all ihr Dichten und Trachten erfüllt; durch 
Abtödtung unfterblich ; aller Wünfche baar und in der tiefen 
Ruhe der göttlichen Liebe; die fich ſatt trinfen an der 
Duelle ihres Lichtes und fehon jett den Widerſchein deſſel— 
ben von fich ausjtrahlen ; deren engelgleiche Pſalmodien zu 
alfen Stunden der Nacht erfchallen, und deren außer fich 
weilende Seele jchon dem Himmel entgegen wandert... 
einfam und im lebendigften Berfehr harmonifchen Zufam- 
menlebens, alle Wollüfte, auf's ftrengfte abweifend und in 
einem Meere von unausfprechlichen Wonnen lebend; deren 
Thränen die Sünden ertödten und den Erdfreis wieder reini- 
gen, deren ausgeſtreckter Arm die Flamme löfcht, die wilden 
Thiere bändigt, die Schwerter ftumpf macht, die Kriegs- 
fchaaren zum Wanken bringt, und der jett, glaube es nur, 
auch deiner Gottlofigfeit Einhalt thun wird, und follteft du 
auch für kurze Zeit dein Spiel mit den Teufeln noch 
fortipielen Y. 

Alſo ift das Mönchthum, ein Jahrhundert nachdem Die Mönde 
der heilige Antonius dajjelbe in den ägyptiſchen Wüſten be- a 
gründet hatte, ſchon in ganz Kleinafien conftitwirt und Durch Oriente. 
Baſilius und feinen berühmten Freund bis an die Ufer des 
Pontus-Eurinus verbreitet. Bon diefer Zeit an ift feine 
Provinz der morgenländifchen Kirche ohne Mönche. Kon- 
ftantinopel, diefer hauptfächlichite Herd der Irrlehren welche 
im IV. Jahrhundert die Kirche zerrütten, fieht fie im In— 


" Orat. IV. 


Heftige Op— 
pofition gegen 
die Mönche, 


112 
nern der Stadt und an ihren Thoren wie eine Befakung 
vechtgläubiger Kriegsfchanren. In der Einfamfeit und in 
ſtrenger Thätigfeit die Kraft fchöpfend, welche die won ver 
Kaiferherrfchaft unterjochte und herabgewürdigte damalige 
Geſellſchaft eingebüßt hatte, bildeten die Mönche fehon ein 
wirkliches Volk, mit der Negel des heiligen Bafılius als 
Geſetzbuch; ein Volt, das ſich zu gleicher Zeit vom Klerus 
und von den einfachen Gläubigen unterfchied; ein neues, 
unerichrodenes, überall werbreitetes Volk, das fich beftändig 
vergrößerte und in welchem fowohl die Freunde als die 
Feinde der Wahrheit die hauptfächlichfte Stütze und Kraft 
der Kirche anerfennen mußten. 

Die Feinde insbefondere wurden bald inne, daß fie ſich 
über die Mönche nicht täufchten, und daher denn ihre be- 
jtandige, wüthende Oppofition gegen das neue Inſtitut. 
Die Beweggründe zu derfelben waren verjchiedenartig '), 
aber Angriffe und Ziel waren die gleichen. Die Heiden 
und die Arianer, die zufammen die fehr große Mehrheit ver 
Benölferung des Reiches bildeten, legten die gleiche leiden- 
fchaftliche Heftigfeit zu Tage. Unter den Heiden erhoben fich 
alfe Gelehrten, alle Philofophen, alle Schriftfteller mit Ein- 
muth dagegen. Die eifervolle Thätigfeit der Mönche gegen 
das Heidenthum, ihre mehr und mehr mit Erfolg gefrönten 
Bemühungen, daſſelbe im Herzen der Landbevölferungen 
auszurotten, veizten natürlich diefe legten Sachwalter dej- 
felben erft vecht zu ihren Ausfällen. Dazu war das frei 
willige Dulden und Entbehren, welches die Mönche pre- 
digten und übten, die Dienftbarfeit, in welcher fie ihren 
Leib hielten, der offene Kampf gegen das Irdiſche ihrer 
Natur, in allzu ſchroffem Widerfpruche gegen die ganze hel— 


) Möhler, op. cit. S. 201. 


113 


leniſche Weltanficht. Was darum noch von Schöngeiftern 
in der hinfälligen Gefellfehaft war, übte feinen Wit an den 
Mönchen. Yibanius!) verfolgt fie mit feinem Spotte, in- 
dem er fie als Solche bezeichnet, welche ihre Tugend darein 
fegen, fih in Trauer zu kleiden, und meint ihnen einen 
Schimpf anzuthun, indem er fie „die ſchwarz Gefleis 
deten“ nennt?). Der Sophift Eunapius klagt feinerfeits, 
es jei genug, dag Einer fich öffentlich in fchwarzer Kleid— 
ung zeige, um alsbald ungeftraft tyrannifche Gewalt aus- 
üben zu können: er befchreibt die Mönche als Solche, deren 
Leben nicht nur gemein, fondern verbrecherifch fei?). Mean 
begreift ven Wiederhall, ven derlei bifjige Spottreden in Mitte 
des gräulichen Berderbniffes in dem Rom am Bosphorus und 
in dem Nom an der ZTiber finden mußten. Im Ganzen 
jedoh verflangen Widerfprüche diefer Art, die aus einer 
bereitS zur äußerſten Ohnmacht herabgefunfenen Welt famen, 
und waren beveutungslos. Nur im Einzelnen regten fie 
oft bittere Schmerzen an und reisten zu lauten Ausbrüchen 
des Zornes und Haffes gegen die Mönche häufig ſolche Fa— 
miltenväter, die ihre Söhne und Töchter, die Erben ihres 
Namens und Keichthums, vom religiöfen Eifer ergriffen, in 
die Eindden und in das Leben der Buße gehen fahen. Es 
fam auch damals häufig genug vor, was fich fpäter und 
zu allen Zeiten gezeigt hat, daß Sprößlinge der reichten 
und mächtigjten Familien fich auf diefe Weife ganz Gott 
zum Opfer darbrachten. 


') Oratio pro templis, p. 10, 13, 28, 30, 49; ed. von 1639. 
?) Die ſchwarze Farbe war jedoch zur Zeit, da Libanius fchrieb, 
von den Mönchen noch nicht ausschließlich angenommen; es fcheint, 
daß der heilige Antonius und mehrere Mönchsvereine feiner Zeit 
weiß gefleidet waren, 
) Eunap., in Adesio, Vit. Philos, c. 4. 
v. Diontalembert, d, Mönche d. A. I. 8 


Arianiſche u, 
fisfalifche 
Verfolgungen 
gegen fie. 


114 


Die Arianer waren gegen das Mönchthum noch viel 
unerbittlicher als die Heiden. Dieje Feinde der Gottheit 
Chrifti gingen darauf aus, den Geiſt des Chriftenthums in 
Allem in’s Gemeine herabzuziehen, ihn feiner Würde zu 
berauben und in enge Gränzen zu bannen. Wie hätte dem— 
nach das Mönchthum, diefe herrlichite Entfaltung defjelben, 
nicht ihren Zorn entflammen jollen? Und jo war denn in 
der That der Kampf zwifchen ihnen und den Mönchen lange 
dauernd und furchtbar. Zu Helfershelfern in demſelben 
hatten fie die Raifer. Die Verfolgung, welche das Heiden- 
thum unter Sultan gegen fie entflammt hatte, brach viel 
heftiger und umerbittlicher gegen fie los unter dem Arianer 
Konftantius, und war viel ſchlauer berechnet, obwohl nicht 
erfolgreicher, unter dem Arianer Valens. Unter Konſtan— 
tius wurden in Aegypten die Klöfter ſammt den darin bes 
findlichen Mönchen verbrannt, und nach dem Tode des hei- 
ligen Athanafius, zur Zeit der furchtbaren Verfolgung, die 
der von Valens aufgenöthigte Eindringling Lucius in Mle- 
randrien angefacht hatte, z0g ein Solvatenhaufe werheerend 
in die Wüfte von Nitrien und tödtete deren Bewohner !). 
Dreiundzwanzig Mönche und eilf Bifchöfe, die gleichfalls 
aus der Wüfte hervorgegangen waren, befanden fich unter 
den Befennern des Fatholifchen Glaubens, welche damals 


zu den Bergwerfen und zur Deportation verdammt wurden”). 


Es iſt befannt, in welcher gedrücten Lage fich in jener Zeit 
die wenigen noch wohlhabenden Bürger der Städte be- 
fanden, welche durch die Gefetgebung des Kaiferreiches ge- 
zwungen wurden, als Curialen oder Decurionen die 
Gemeindeverwaltungen zu verfehen und die dabei für alle 


) Ruffin., 1. II, ce. 3, 4. 
) Theodoret., IV, 22, 


115 


Borfommniffe gegen den Faiferlichen Fisfus haftbar blieben. 
In diefem Zeitalter ver Befnechtungen ſchien diefe Art von 
Beknechtung die allerhärtefte!). Viele fuchten deshalb dieje 
Feffeln dadurch zu zerbrechen, daß fie fich aus diefer ge- 
zwungenen Knechtfchaft in die freiwillige Dienjtbarfeit des 
Klofterftandes begaben. Diefen Vorwand bemutten dann 
die Arianer, um dem Kaifer Balens ein Geſetz abzundthigen, 
kraft welchem dem Präfeften oder Grafen des Mlorgen- 
landes befohlen wurde, alle Wüften der Thebais zu durch» 
ſuchen, um alle Solche, die als feige Ausreißer bezeichnet 
waren, wieder zu ihrem bürgerlichen Frohndienſte zuriidzu- 
führen”). Ein anderes, von gleichem Geifte eingegebenes 
Geſetz defjelben Kaifers wollte die Mönche zum Meilitär- 
dienste herbeizwingen, und die, welche fich weigerten Kriegs— 
dienste zu thun, wurden zu Tode geprügelt. In Nitrien 
erlitten viele den Tod aus diefem Grunde’). Die Beamten 
vollzogen in ihrer Mehrheit derartige Faiferliche Befehle mit 
Freuden, und fo wurden überall Mönche aus ihren Einöden 
herausgeriffen, gleich wilden Thieren verfolgt, eingeferfert, 
gefchlagen, und waren den gewaltthätigften Pladereien aus— 


) Champagny, op. cit. 

?) Dies Geſetz ift von 373. — Quidam ignavie sectatores, 
desertis eivitatum muneribus, captant solitudines ac secreta, et 
specie religionis cum cetibus monazontum eongregantur. Hos 
igitur atque hujusmodi intra Aegyptum deprehensos, per Co— 
mitem Orientis erui e latebris consulta pr&ceptione mandavimus, 
atque ad munia patriarum subeunda revocari. Leg. Quidam, 
63; Cod. Theod. lib. 12, tit. I, de Decur. — Cfr. Raynouard, 
Histoire du droit munieipal, t. I, e. 11. 

3) Multi monachorum Nitrie per tribunos et milites c&si... 
Valens, lege data ut monachi militarent, nolentes fustibus inter- 
fiei jussit. S. Hieronym. 


8* 


116 


gefetst "). Derartige geſetzliche Graufamfeiten jchienen 
dann auch für die vielen Einzelnen, die vom Haſſe gegen 
den zu Nicäa feftgeftellten Glauben oder die chriftlihe Tu— 
gend erfüllt waren, eine Ermuthigung zur Privatrache und 
zur Beleidigungen aller Art. Unter dem Vorwande, in den 
Klöftern nach jüngeren Mönchen Nachfuchung zu thun, die 
für den Militärdienst geeignet wären, ftürmten ganze Haus 
fen von Taugenichtfen zu den Klöftern, ſchlugen die Thüren 
ein, drangen in die Zellen, riffen die Mönche gewaltfam 
aus denjelben heraus und warfen fie auf die Straße; man 
rühmte fich, der Erfte gewefen zu fein, der einen Mönch 
denunzirt, gefchlagen, in's Gefängniß gebracht habe. „Es 
ift nicht auszuſtehen,“ fagten derartige Freunde der Menſch— 
beit, „es ijt umleidlich zur fehen, wie freie, adelige, gefunde 
und rüftige Männer, denen alle Freuden und Genüffe diefer 
Welt zu Gebote ftünden, ſich zu einer fo harten und em— 
pörenden Yebensweile verurtbeilen können.” 

Sp waren die Weltweifen und die Kaifer, die Irrgläu— 
bigen und die Wüftlinge miteinander gegen die Mönche ver- 
Ihworen, und die Schmähungen der Einen wurden zu 
Thätlichfeiten bei den Anderen. Selbft unter den recht- 
gläubigen Chriften gab es ſolche gut Fatholifch gefinnte 
Kritler, die dem neuen Inſtitute vorwarfen, dasfelbe ent- 
ferne feine Anhänger vom öffentlichen Yeben, entziehe der 
Geſellſchaft ven wohlthätigen Einfluß derer, die am geeig- 
netjten feien, ihr dienen zu fünnen; halte Männer, die ge- 
boren feien zum Wohle ihrer Nebenmenfchen, von der Erfül- 
ung ihrer Pflichten ab; es öffne endlich der Trägheit, der 
Unmwürbdigfeit, ver Heuchelei allzu ehrenhafte Zufluchtsſtätten. 


') Cum Monachi publica magistratuum auctoritate extrema 
paterentur. Montfaucon, in edit. S. Joan. Chrysost. 


117 


Damals war es, daß Gott zur Vertheidigung feiner 
Diener einen andern großen Mann eriwecte, den durch Be— 
redtfamfeit größten von Allen, die bisher in der Kirche er: 
Schienen waren: den heiligen Johannes Chryſoſtomus, den 
hriftlihen Cicero. Zu Antiochien geboren, hatte er einen 
jungen Mann zum Freunde und Studiengenofjen, der mit 
dem Gedanken umging, ins Klofter zu treten, und ihm den 
Vorſchlag machte durch gemeinfchaftliches Leben unter fich 
fich darauf vorzubereiten. Er ſelbſt jedoch dachte fich der 
Surisprudenz und dem öffentlichen Xeben zu widmen ; zubem 
bieft ihn die Liebe feiner Mutter in der Welt zurück, vie 
ihn dringend bat, ev möge fie nicht durch fein Verlaſſen 
noch ein zweitesmal zur Wittwe machen. Da wurden gleich- 
zeitig beide Freunde zum Episfopate ernannt, und nun ver 
Tieß Sohannes, vom Gedanfen an feine Unmwürdigfeit er: 
griffen, zugleich Welt, Freund und Mutter, und entzog fich 
der bifchöflichen Weihe durch die Flucht in die Cinöde'). 
Aber in diefer Einöde öffnete fih vor ihm eine neue Welt. 
Er hatte in den Gebirgen in der Nähe von Antiochien einen 
Verſteck gefucht, und diefe Gebirge waren bereits dicht bes 
wohnt von Mönchen, welche Nacheiferer der Jünger des 
Antonins und des heiligen Baſilius waren. Der feurige 
junge Mann wählt fich einen diefer Mönche, einen alten 


') Er ſelbſt erzählt diefe rührende Begebenheit im erften Buche 
feiner Schönen Abhandlung de Sacerdotio. Im ſechsten und Yetten 
Buche diefes Traftats beweift er feinem Freund Bafilius, daß das 
Leben des Priefters und des Biſchofs noch viel verdienſtlicher und 
viel ſchwerer fet als dasjenige des Mönches. — Diefer heilige Ba— 
filius, Freund des Chryfoftomus und Bifhof von Raphanea, darf 
nicht mit dem großen heiligen Baſilius, Biſchof von Cäſarea, ver 
wechjelt werden, welcher zwanzig Jahre älter als der heilige Jo— 
bannes Chrpfoftomus war, 


Der heilige 
Johannes 
Chryſoſto mus 


wird der Lob⸗ 


redner der 
Mönde. 
347—407. 


118 


Shrier von erfchredend jtrenger Yebensweile'), zum Lehrer 
und Führer des religiöfen Lebens, und widmet hier feiner 
geiftlichen Durchbildung vier Jahre. Darauf bringt er zwei 
andere Jahre ganz einfam in einer abgejchloffenen Höhle 
zu, und ift einzig mit der Bemeifterung feiner Leidenfchaf- 
ten, die er mit wilden Thieren vergleicht, beichäftigt. So 
bereitet er in der Stille, ohne e8 zu ahnen, die fiegende 
Gewalt einer Beredtjamfeit, die feine Zeitgenoſſen hinreißen, 
fogar die Kirchen von Beifallsrufen erichallen machen, vie 
Bevölferungen der Städte vor die Thore ins Freie hinaus— 
locken follte, wo fie, faum einigermaßen wor der Gluth der 
Sonnenjtrahlen durch ausgefpannte, ungeheure Zelttücher 
gefchütt, ihm mit Bewunderung zuhörten. Aber vor Allem 
lernte er hier in dieſem ftrengen Noviziate die Kämpfe 
und die Siege der Mönche fennen. In demfelben gewinnt 
er das Necht und die Kraft, über ihre Lebensform vie 
Wahrheit auszufprechen, und im Jahre 376, während ver 
beftigften Verfolgung unter Kaiſer Valens, fchrieb er feine 
drei Bücher: Gegen die Widerfacher des Klofterle- 
bens?), welche feinen Auf weithin verbreiteten, und vie 
mit der unvergleichlichen Eloquenz, von der fein Name das 
Symbol geworden ift, die Gerechtigkeit und Unfchuld in 
Schuß nehmen. 

Er zeigt zuerſt am Beifpiele der Juden und der heib- 
niſchen Kaifer, welchen furchtbaren Strafgerichten die Ver— 
folger der Heiligen und der Gottesfreunde anheim fallen. 
Er wendet ſich dann an jene Familienväter, welche wegen 
der Defehrung ihrer Söhne vor Wuth außer fich geriethen 
und in wilden Zorne fchrieen: „Ich brenne, ich vergehe, 


') Pallad., Dial. de vit. 8. Joan. Chrysost. c. 5. 
?) Adversus oppugnatores vite monastice. 


239 


ich berfte vor Wuth“). An Beifpielen, die er auch aus 
der Profangefchichte entlehnt, zeigt er ihnen die fittliche 
Erhabenheit des Opfers, der Arbeit, der Einfamfeit. Er 
führt uns einen jener glänzenden jungen Herren vor, wie 
man deren fehon damals fand, und die munmehr viel elen- 
der gekleidet erfchienen als der geringite ihrer Sklaven, 
mit bloßen Füßen im Felde arbeitend, auf hartem Lager 
eine fpärliche Nuhe fuchend und abgemagert wom ftrengen 
Faften, und fragt dann mit triumphirender Miene, ob es 
jemals einen größern und würbigern Sieg menfchlichen Hel- 
denmuthes gegeben habe, als eine folche gänzliche Hingabe 
und Aufopferung aller ivdifchen Güter, um dafür die vein 
geiftigen Güter der Seele einzutaufchen. Dann wendet er 
fih am jene chriftlichen Väter, die ſich hinreigen liegen 
mit ihren eigenen Klagen in die Zornesausbrüche heidniſcher 
Bäter mit einzuftimmen, und zermalmt fie unter der Wucht 
der göttlichen Autorität und einer durch den Glauben er- 
leuchteten Vernunft. Man müßte die ganze herrliche In— 
veftive anführen gegen folche Eltern, die dem Berufe ihrer 
Kinder fich widerfegend, damit deren Seelen Gewalt an- 
thun und fie tödten, und die deshalb Hundertmal graufamer 
find als Diejenigen, welche ihre Kinder umbringen, oder 
fie ven Barbaren als Sklaven verfaufen. Er räth ihnen 
dringend an, ihre Söhne den Mönchen, „denen auf dem 
Gebirge," die auch feine Meeifter gewefen waren, zur Er— 
ziehung zu übergeben ; er läßt e8 gelten, daß man dieſelben 
nachher wieder in die Welt eintreten laſſe, aber zuvor 
müßten fie in den Klöftern in der chriftlichen Tugend wohl 
begründet fein, denn diefe boten damals in Mitte jenes all» 
gemeinen, jchauerlichen Sittenverderbniſſes noch allein ges 


*) Uror, laceror, disrumpor, Chrys., Adv. opp. vit,mon., II, 8. 


120 


heifigte Zufluchtsftätten jittlichev Reinheit. Diejelben, jagt 
er, find Afyle zur Ausfüllung der Kluft zwifchen dem Ideale 
des Geſetzes Chriftt und der Wirflichfeit des Lebens der 
Shriften. Sicherlich dürfte man Niemand vom öffentlichen 
Leben und den focialen Pflichten abwendig machen, wenn 
die Geſellſchaft ihren Pflichten treu bliebe; aber in biefem 
Falle, und wenn die Städte wahrhaft chriftlich wären, 
würden auch die Klöſter überflüffig fein. Leider ift dem 
nicht alfo, und um diefe feine Behauptung zu beweiſen, 
entwirft der heilige Kirchenlehrer das Bild der Sittenlofig- 
feit, wie er es in Antiochten und an anderen Orten jelbjt 
gefehen hatte. 

Nichts iſt widerlicher als jene abſcheulichen Sitten, 
in welchen fich die Exceſſe antifer Ausfchweifung mit den 
empörenpften Zuſätzen überfeinerter Lüderlichkeit wiederfin— 
den. Man ſieht daraus, wie durch und durch vergiftet 
das Reich, das noch fo blendend an Kraft und unermeß— 
licher Größe ſchien, damals ſchon war; wie wenig durch 
die Befehrung der Kaifer die Welt befehrt worden, und 
wie unfäglich elend der Zuftand der Gewilfen und ber 
Seelen unter der ſoviel gerühmten Allianz zwifchen ver 
Kirche und dem Kaiferreiche war. Mean war nur dem Na- 
men nach Chrift; Geift und Herz waren heidnifch geblie— 
ben. Im Driente ganz vorzüglich, wo Episfopat und Kle— 
rus jo oft von hartnädigen, immer wieder erneiterten Irr— 
(ehren angefteet waren, und wo in den Kämpfen und 
Gefahren, welche die Orthodorie zu beftehen hatte, die 
Seelenleitung erichwert oder unmöglich gemacht wurde, 
boten die Mönche allein der chriftlichen Tugend noch Rück— 
halt und Hoffnung. Darum nennt ihr unerjchrodener Lob- 
redner auch das Klofterleben nie anders als die wahre 
Weltweisheit, Es war in ver That die Weisheit, welche 


121 


die einfachen Shriften mächtiger machte, als e8 bie Raifer 
waren, denn fie erhob viefelben über das Lafter, die das 
Reich zerfraßen. Und diefen Gedanfen entwidelt er noch 
weiter in einem meilterhaft gefchriebenen Anhange zu den 
drei Büchern feiner Schutzſchrift, worin er den Vergleich 
zieht zwifchen dev Macht, dem Neichthume und der Vor— 
trefflichfeit eines Königs, und derjenigen eines Mönches, 
der in feinem Leben die wahre, chriftliche Weisheit darftellt. 
Er vergleicht fie im Kriege wie im Frieden, in ihren Vers 
richtungen bet Tag und Nacht, im Glücke wie in der Noth, 
im Leben wie im Tode, und ertheilt dem Allgewaltigen, 
dem der Vorzug gebührt durch vie Kraft feiner Gebete 
die Seelen aus der tyranniſchen Gewalt des Satans zu 
befreien, die Palme einer unbeftreitbaren Ueberlegenheit '). 

Diefe glanzvollen Vertheidigungen falfen alle Argu- 
mente zu Gunften des Mönchthums mit einer ewig wahren 
Beredtfamfeit zufammen. Niemals ift Befferes in ſchönerer 
Form zur DBertheidigung der Klöfter gefagt worden; und es 
genügt, den heil. Chryfoftomus wieder zu lefen, und gegen bie 
ewig nen wieder vorgebrachten gleichen Einwürfe, gleichen 
Sophismen, gleichen Lügen, nur zu wiederholen was er 
gefagt hat. Nach Ablauf von fünfzehn Sahrhunderten bleibt 
fein gewichtiges Wort immer am Plate, behält immer die 
gleiche Biindigfeit; denn im Grunde handelt es fih in 
dieſem jtet8 erneuerten Kampfe zwifchen den Freunden und 
den Feinden des Mönchthums um die unveränderlihe Na— 
tur des Menfchen; es handelt fich um die Seele und um 
ihr Leben aus Glauben und Liebe; e8 handelt fih um 
bie ewige Empörung des Bifen gegen den einzigen Geift, 


') Comparatio potentiae, divitiarum et excellentiz regis cum 
monacho in verissima et christiana philosophia vivente. 


122 


der den Sieg und das Gedeihen des Guten fichert, pen 
Geiſt der Aufopferung. 

Der große, allberühmte Kirchenvater begnügte ſich 
nicht mit diefem Hauptftreiche gegen die Wiverfacher. Sein 
ganzes Leben lang fuhr er fort, das Mönchthum zu ver: 
theidigen und hochzupreifen, und nicht nur, wie er es in 
der Thebais bewunderte, wo, wie er fagt, die Zelte der 
Mönche in reinerem Glanze leuchteten, als des Himmels 
Sterne !), jondern ſelbſt fo, wie es fich mit feinen menſch— 
lihen Schwächen und bereits hervortretenden Uneinigfeiten 
im ganzen Driente fand. Faft alle feine Schriften bezeu- 
gen diefe Vorliebe, die jedoch nirgends fo fichtbar hervor— 
tritt, al8 in feinen 90 Homilien über Matthäus *), die er 
während feines Aufenthaltes in Antiochien gehalten hat 
und denen wir eine merkwürdige Stelle entnehmen, die bis 
in unfere Tage hinein eine auffalfende und betrübende 
Zeitgemäßheit behalten hat. 

Er will die Wirkung zeigen, welche der Abjtand zwi- 
chen dem Kloiterleben einerjeits, und den Feſten, der Pracht- 
entfaltung, den Ausfchweifungen und der Verfchwendungss 
jucht der Reichen andererfeits, in der Seele der Armen 
hervorrufen müffe. Er nimmt an, ein Mann aus dem 
Bolfe fehe ſich plötlich mitten in den Glanz der Theater 
von Konftantinopel verſetzt, wo Wolluft und Ueppigfeit alle 
ihre Reizmittel aufbieten, um die abgeftumpften Gelüfte 
der reichen Herren damaliger Zeit aufzuftacheln, und jagt 
dann: „Diefer arme Mann wird von dem Anblide empört 


') Homil. in Matth., 8, p. 147, ed. Gaume. 

?) Wir weiſen auch auf eine jchöne Darftellung über das Innere 
ber Klöfter und eine Vergleichung des Klofterlebens mit dem Welt- 
leben hin, die fih in den Homilien über J. Timotheus, XI Bd., 
©. 476—479, ed. Gaume, findet, 


123 


werden und zur jich ſelbſt fprechen: „„da ift jenes lüder— 
liche Weib, jener Lüftling, vielleicht von armen Leuten 
oder gar von Sklaven abftammend, und num entfalten fie 
da den himmelfchreienden Luxus, während ich, ein Freige— 
borner, von freien Eitern, der ich mein Brod ehrlich ver- 
diene, mir nicht einmal im Traum etwas Aehnliches ver- 
ſchaffen kann;““ und alfo fprechend wird er von Schmerz 
und von Zorn erfüllt feines Weges gehen. Aber bei ven 
Mönchen, zu denen er fümmt, empfängt er Eindrücke ganz 
anderer Art. Da fieht er die Söhne reicher und vorneh- 
mer Eltern, die Sprößlinge der evelften Gefchlechter in fo 
ärmlicher Kleidung, daß fie der ärmite Bettler nicht als 
ein Almofen annehmen würde, und bei dieſer Abtödtung 
dennoch heitern, freudigen Sinnes. Ihr könnt euch den— 
fen, wie ihm nun feine Armuth unendlich leichter vorkom— 
men mag! Wenn im Theater die Yuhlerin in Gold und 
Seide glänzend erfcheint, fo Xnivfcht der Arme vor Wuth 
beim Gedanfen, daß fein Weib nichts dergleichen hat, und 
der Neiche geht mit glühend erhitter Einbildung und be— 
reit8 von den Banden feiner fündhaften Begierden um— 
jtrict, nach Haufe, wo er feiner Frau verächtlich begegnet 
und jie mißhandelt. Diejenigen dagegen, welche von einem 
Beſuche bei den Mönchen nach Haufe kommen, bringen 
nur innern Frieden und Freudigfeit mit; die Frau findet 
ihren Dann frei von ungerechten Wünfchen und Begier- 
den, er ift fanfter, umgänglicher, zärtlicher als zuvor. Der 
Arme tröftet fich bei den Mönchen über feine Armuth, 
und der Reiche lernt dafelbft die Tugend und die Ent- 
haltfamfeit .“ 


) Intra se dieet: Meretrix illa et scortator lanionum vel 
sutorum, nonnunguam seryorum filii,.. Ego vero liber et ex li- 


398. 


124 

Allerdings fette die obige Bertheidigungsfchrift Fein 
Ziel den Verfolgungen, deren Opfer die Mönche waren. 
Dean fuhr fort fie zu ſchmähen, ihnen Pladereien zu be- 
reiten, fie zu mißhandeln, fo oft die faiferliche Gewalt, wie 
es meiftentheils der Fall war, eine Beute oder ein Werk- 
zeug der Härefie wurde. Ein Geſetz Valentinians I. 
vom Jahre 390. befiehlt allen Mönchen, ſich aus ben 
Städten, wo fie feit ven Tagen des heiligen Bafılius jehr 
zahlreich geworden waren, zu entfernen, und ſich in bie 
Wüfte zurüczuziehen Y. Es ward jedoch von Theodoſius 
zurüdgenommen. 

Später ward der heilige Johannes Chryfojtomus, 
deffen Leben wir hier nicht erzählen fünnen, auf ven Stuhl 
von Ronftantinopel erhoben. Er erwarb fich dafelbft durch 
den Heldenmuth in feinem langen Meartyrerleben die Be— 
wunderung der gefammten Kirche; er befchütte die dortigen 
Mönche mit feinem ganzen Anfehen und war beftrebt, die- 
felben in der Ordnung und Regularität ihres Standes zu 
bewahren. Einerſeits tadelte er mit Strenge die herum— 
Schweifenden Mönche, die fi der Disciplin unter dem 
Borwande entzogen, daß fie demungeachtet durch ihre Hal- 
tung die Achtung für ihren Stand zu bewahren müßten; 
andererfeitS trat er in Verbindung mit Mönchen, die fich 
damals bereitS unter den Gothen befanden ?), die das Neich 
ſchon zu überſchwemmen anfingen; und fandte fogar Mönche 


beris ortus. . Pauper ejulabit et deplorabit uxorem suam, videns 
nihil istiusmodi habentem. S. Joan. Chrysost., in Matth., 
homil. 68, ed Gaume, t. VII, p. 761. 

') Quieumque sub professione monachi reperiuntur, deserta 
loca et vastas solitudines sequi atque habitare jubeantur. Cod. 
Theod. 1. XVI, tit. 3. 

?) Ep. 14. et 207. 


125 


bis nach Phönizien, um an der Ausrottung des Heidenthums 
in jenen Gegenden zu arbeiten, 

Und veffenungeachtet fand diefer hohe Verfechter der 
Ehre und Freiheit der Mönche nicht bei Allen die Dank— 
barfeit, die er verdiente. Während jener heftigen Kämpfe 
gegen die Mifbräuche und die Ungerechtigfeiten des Faijer- 
lich byzantiniſchen Negimentes im Zeitlichen und Geiftlichen 
zugleich (der Gefchichtfchreiber Zofimus nennt ihn derent- 
willen einen Demagogen), die den eiferfüchtigen Stumpf- 
jinn des Kaifers Arcadius, den verlegten Hochmuth der 
Raiferin Eudoria, das eigennügige Wüthen der Reichen und 
der Höflinge entflammten, und die ihn zweimal won jeinem 
Patriarchalftuhle vertrieben, hatte Chryſoſtomus die Sym— 
pathien des Volkes gewonnen, das mehrere Male für ihn 
aufitand. Aber er hatte unausgejett zu kämpfen, nicht nur 
gegen die fimoniftiichen Bifchöfe, gegen eine im Knechts— 
ſinne erjtarrende Geiftlichkeit, fondern auch gegen die Mönche, 
die nur zu oft bei den Iutriguen und Gewaltthätigfeiten, 
deren Opfer er war, die Hand mit im Spiele hatten. Er 
jelbit hat uns erzählt, wie die furze gaftfreundliche Ruhe, 
die er während der jchmerzlichen Leiden feiner Verbannung 
in Cäfaren zu genießen gehofft hatte, won einer Horde von 
Mönchen, oder richtiger, von wilden Beftien getrübt wurde, 
die ein höfiſcher Biſchof aufgeftiftet, die dem Klerus und 
fogar den Soldaten der Garnifon Furcht einjagten, und 
denen es gelang, ihn im beftigjten Fieber das ihn ver: 
zehrte, aus der Stadt zu vertreiben, wobei er noch obendrein 
Gefahr lief, iſauriſchen Näubern, die die Gegend verheer- 
ten, in die Hände zu fallen). Aber vie Gewaltthätigfei- 


') Agovyyos yovasovrwr.... Toy Ingiww tovrw... Epist. ad 
Olympiad. 14, II. 717. Ed. Gaume. 


Chryſoſtomus 
und die 
Mönche von 
Gäfarea. 


126 


ten diefer Bedauernswürdigen, die ihres Namens und ihres 
Kleides unwürdig waren, entriffen ihm feine Gegenflage, 
und insbefondere feinen Widerruf des Lobes, das er bis 
dahin den wahren Mönchen gefpendet hatte. Er war viel 
zu billig, feine Seele war zu erhaben, als daß er wegen 
diefer perfönlichen Beleidigung, die vielen DBeifpiele von 
Heldenmuth und Flöfterlicher Tugend, die fein Gedächtniß 
erfüllten, hätte vergeſſen können. Er erinnerte fich befon- 
ders gerne daran, wie er die Mönche von Antiochien, deren 
Schüler und Vertheidiger er geweſen, von ihren Bergen, 
aus ihren Höhlen hatte fommen ſehen, um die durch die 
biutige Rache des Theodofins bedrohten Einwohner Ans 
tiochiens zu tröften und aufzurichten. Während die Philo- 
ſophen der Stadt ſich in der Wüfte verſteckten, kamen bie 
Bewohner der Wüfte aus ihrer Verborgenheit hervor, um 
der gemeinfchaftlichen Gefahr zu trogen oder fie zu theilen. 
In Mitte der allgemeinen Beftürzung traten fie, wie Chry— 
ſoſtomus fagt, löwengleich hin wor die Diener des Faiferli- 
chen Zornes, und bewirkten die Verſchiebung der erbarmungs- 
Iofen Blutfentenz. 

„Gebet,“ fprach einer diefer Mönche, ein fchlichter, 
ungelehrter Mann, zu den Abgeordneten des Kaifers Theo- 
dofins, „gehet und faget meinerfeits dem Kaifer: Du bift 
„Kaifer, aber du biſt Menſch, und du herricheft über Men— 
„Shen, die Deinesgleichen und nach Gottes Ebenbilde ge- 
„Ihaffen find. Fürchte den Zorn des Schöpfers, wenn 
„du fein Ebenbild zerftörft. Du bift fo fehr darüber er- 
„zürnt, daß deine Bildniffe zerbrochen find. Wird Gott 
„es weniger fein, wenn du die feinigen zerſtörſt? Deine 
„bronzenen Standbilder find wieder gemacht und aufgejtellt; 
„aber wenn du Menjchen, Gottes Ebenbilder tödteft, wie 
„wirſt du es anfangen, um die Todten wieder zu be— 


127 


„leben oder auch nur ein einziges Haar ihres Hauptes ?“ 
Nachdem er fo gefprochen und die Nichter erweicht worden 
waren, verließen die Mönche die Stadt und ftiegen wieder 
hinauf zu ihren Einöden. 

Das gleiche Jahr, in welchem der heilige Johannes 
Chryſoſtomus eine fo üble Behandlung von den Mönchen 
von Cäſarea erfuhr, ift in den Sahrbüchern ver Menfchheit 
ewig denfwürdig durch die heldenmüthige Selbftaufopferung 
eines orientalifchen Mönches. In feinem verzweifelten 
Kampfe gegen die Religion, welche das Menfchengefchlecht 
tröften und aus dem langen Zerfalle des Heidenthums er- 
heben und erretten jollte, hatte das Lebtere in den öffent- 
fihen Schaufpielen ein faſt unangreifbares, volfsthümliches 
Bollwerk zu finden gewußt. Dieſe Spiele des Circus, das 
Löſegeld, mit dem die Kaifer die Knechtfchaft der Römer 
bezahlten, das fie dem herabgemwürdigten Volke getreulich 
entrichteten und das immer noch ein blutiges war, wie in 
den Kämpfen feiner kriegeriſchen Gefchichte, übten ihren 
ganzen verderblichen Einfluß auf die Herzen, die Phan— 
tafie, die Gewohnheiten der Römer auch noch damals aus. 
Vergebens hatten die Kivchenlehrer und die Apologeten des 
hriftlichen Glaubens ſeit Tertullian gegen die Ueberbleibfel 
der bejiegten heidnifchen Givilifation ihre hochherzigften Be- 
mühungen, ihre unermüdliche Beredtfamfeit aufgeboten; 
vergebens jtellten fie den Süngern des Evangeliums das 
Schauderhafte diefer blutigen Spiele vor, in welchen noch 
unlängft jo viele Zaufende von Meartyrern jeden Alters, 
jeden Standes und Gefchlechts, aus allen Kindern des Rei— 
es umgefommen waren, und für die der Satan noch jebt 


) S. Joan. Chrys., hom. 17. et 18. ad Popul. Antioch. 
— Theodoret., Hist., V, c. 19. 


128 


zur Beluftigung zahlloſer Zufchauer, unaufhörlih neue 
Opfer, die freiwillig der Unzucht und Graufamfeit dienten, 
berbeizufchaffen wußte; vergebens unterjtütte die höchite 
Reichsgewalt die Verbote der Kirche dawider; die Volfs- 
leidenfchaft hatte ihre Xieblingsbeluftigung noch während 
des ganzen vierten Jahrhunderts gegen Kirche und Kaiſer 
bartnädig behauptet. Die Gladiatorenkämpfe waren noch) 
im zerfallenden Rom das Hauptvergnügen der Teidenjchafte 
lihen Schauluft. Der heilige Auguftin befchreibt in er- 
greifenden Zügen das Hinreigende eines jolchen, der ganzen 
Seele fich bemächtigenden Schaufpiels, wenn diejelbe fich, wie 
Alypius es that, von dem im Amphitheater vergofjenen Blute 
beraufchen ließ, deſſen ins Gehirn fteigende Dünfte vie 
beften und verftändigften Zufchauer zu Heiden und Wilden 
ummandelte, , Unter der Negierung des Honorius verlangte 
der chriftliche Dichter Prudentius in eindringlich beredten 
Berfen die Abftellung diefes graufamen Skandals. „Keiner 
„Toll mehr fterben, um Andere zu beluftigen! Der abfcheu- 
„liche Kampfplat des Circus, von feinen reißenden Thie— 
„ren fatt, fol nie mehr den Menfchen zumrblutigen Schau- 
„Ipiele machen! Möge hinfort Nom, das Gott geweihete, 
„Teines Fürften wirdige, das mächtig durch feinen Muth 
„it, es nicht weniger durch feine Unſchuld fein 9.“ 

Weit entfernt, ihn zu hören, hatte der ſchwache Ho- 
norius anläßlich feiner ſechſten Konfulatsfeier eine völlig 
heidnifche Inſtitution, die Feier der Säcularjpiele wieder 
in Uebung gebracht, und in fein Feitprogramm auch aus— 
drücklich Gladiatorenkämpfe mit aufgenommen. Als die 
Ankündigung diefer Spiele im ganzen Reiche veröffentlicht 
wurde, fonach die Kunde davon auch in die Wüſten gekommen 


% 


') Contra Symm., Il, 114. 


129 


war, faßte ein bis dahin unbefannt gebliebener Mönch, 
Namens Telemach aus Nitrien, Andern zufolge aus Phry- 
gien, einen jener Entfehlüffe, deren einfache Großartigkeit 
und unermeßliche Folgen erft nach der Ausführung klar 
werden. Er verläßt feine Zelle, begiebt fich aus dem fer- 
nen Oriente nach Nom, langt dort noch früh genug an, 
um den faiferlichen Feftlichfeiten mit beiwohnen zu können, 
tritt ins Golifeum ein, drängt fich durch die vor blutgieriger 
Erwartung bebende Menge, und wirft fich zwifchen die Gla— 
diatoren, die eben den Kampf begannen. Die entrüfteten 
Zufhauer verfolgen diefen ungelegenen Ruheſtörer, den 
Thoren, den ſchwarzen Fanatifer, wie fie ihn nennen, 
erjt mit wüthendem Gefchrei und dann mit Steinwürfen 
und Prügeln. Gefteinigt wie ver erfte Marthrer des 
Shriftenthbums, jinft Telemach in der Arena zu Boden, 
und die Sladiatoren, die er hatte auseinanderhalten wol- 
len, tödten ihn noch vollends mit den Schwertern. Aber 
fein Blut war das letzte, das auf diefer Arena, auf wel- 
her jo viel Blut gefloffen war, vergoffen wurde. Die 
Seelengröße des Opfers, das fo eben gefallen war, ge= 
währte erjt die volle Einficht in die Abfcheulichfeit des 
Mipbrauches, ven der Mönch abftellen gewollt. Ein Edift des 
Kaifers Honorius verbot für immer die Gladiatorenfpiele, und 
von diefem Tage an ift in der Gefchichte Feine Rede mehr 
davon. Die Mifjethat fo vieler Sahrhunderte war im Blute 
eines Mönches, dem eine Helvenfeele innewohnte, ausgelöicht. 

Wir müſſen hier fchliegen mit dem was wir über bie 
Mönche des Morgenlandes fagen wollten. Es follte von 
ihnen nur al von DVorläufern und Vorbildern der 
Mönche des Abenplandes die Rede fein. Wir 
haben die oftmals hochherzigen Kämpfe, die fie im fünften 
und fechjten Sahrhundert gegen die neftorianifche und euth- 

v. Montalembert, d. Mönde d. 4. I. 9 


Zerfall des 
Mönchthums 
im Morgen— 

lande. 


150 


chianiſche Irrlehre bejtanden, nicht mehr zu berichten, 
deren eine die Einheit der Perſon Chrifti, die andere 
feine zweifache Natur läugnete, und die Beide nacheinander 
die morgenländifche Kirche verheerten, und faft von allen 
Kaifern und faft von allen Patriarchen von Konftantinopel 
mit leidenſchaftlicher Hartnädigfeit vertheidigt wurden. 
Dafür wird uns aber auch der betrübende Anblid ver 
Abſchwächung ihrer Kraft und Tugend, der Verfnöcher- 
ung und des endlichen Verfalles eripart, welche nach und nach 
das Mönchthum im Driente worherrfchend charafterifiven. 
Allerdings gab es auch noch nach den glänzenden 
Namen, die wir bisher genannt haben, Männer, die von 
der Kirche hochgeehrt werden, und die ihr theuer find. 
Der heilige Dalmatius, der heilige Euthymius, der hei- 
lige Sabbas, der heilige Theodoſius, der heilige Johannes 
Climacus und Andere, erfüllten mit dem Wohlgeruche 
ihrer Tugenden die Klöfter in Konftantinopel, die Ein- 
öden der Thebais, die Lauren!) der Umgegend won Jeru— 
jalem, und die Gipfel und die Schluchten des Sinai. In 
jenen Kämpfen, wo es für fie einer jo heroiſchen Geduld, 
einer jo ftanphaften Wachſamkeit, einer jo ruhigen Kraft 
und eines jo umerjchütterlichen Deuthes gegen die Anmaßung 
und Verblendung der Kaifer, gegen die übermüthig-leiden- 
Ichaftliche Frechheit der Kaifernmen, gegen den Neid und 


) Lauren nannte man eine Geſammtheit won Einfiedler- 
laufen in gemwiffer Entfernung von einander, deren Bewohner je- 
doch alle unter dem gleichen Obern lebten. Eine Laure war ohn- 
gefähr, was heut zu Tage eine Karthaufe ift. Diejelben waren in 
der Umgebung von Serufalem ſehr zahlreih, Die ausgedehntefte 
war die des heiligen Sabbas, zwijchen Serufalem und Bethlehem, wo 
diefer Heilige an fiebenzig Einfiedler leitete. Gewöhnlich wurden 
dieje Lauren nad mehr oder minder längerem Beftande zu eigent- 
lihen Klöftern eingerichtet. 


151 


die Falfchheit der Patriarchen von Konftantinopel bedurfte, 
fanden die Päpfte und die fatholifchen Bifchöfe unter den 
morgenländifchen Mönchen eifrige und treue Gehülfen. 
Biele derfelben erduldeten den Martyrertod fir die Ver— 
theidigung der Dogmen, ſowie dieſelben von den allge 
meinen Concilien von Chalcedo und Konjtantinopel waren 
feftgefetst worden '). Erinnern wir nur vorübergehend an 
jenen Mönch des Studitenklofters an der goldenen Pforte 
von Byzanz, der im Streite zwifchen Papſt Felix II. 
und dem Patriarchen Acacius allein den Muth hatte, das 
vom Bapfte und fiebenumdfechzig italifchen Biſchöfen er- 
laffene &reommmmifations= Defret zu veröffentlichen. Im 
Augenblide, als der Patriarch fich zum Pontifical-Amte 
in die Kirche begab, beftete ihm der Mönch das Verdam— 
mungs-Defret hinten auf feinen Mantel, jo. daß er nun 
jelbjt feine Verurtheilung öffentlich vor allem Volke zur 
Schau trug?). Diefe That koſtete dem Mönche das Ye- 
ben. Die Gejchichte hat feinen Namen nicht aufbewahrt, 
hat aber jeinen Muth, der im Oriente nicht viele Nach- 
ahmer mehr fand, rühmlichſt anerkannt. 

Im Gefolge der ewigen Zünfereien und theologifchen 
Spitfindigfeiten, drang auch der Geift der Nänfefucht und 
der Empörung in die Klöfter ein. Euthches felbft war 
Minh und Abt in Konftantinopel; und nach feinem Vor— 
gange fanden die Eutychianer und die Drigeniften in ven 
Klöftern zahlreihe Anhänger, die unter dem Mönchsge- 
wande wie unter der bifchöflichen Infel auf den Syno— 
den und auf den Goncilien erfchienen, Faſt überall 
Ihlichen fich unter die ächten Diener Gottes falſche Brü- 


') Unter Kaifer Anaftafins wurden über dreihundert und fünfzig 
Mönde zu Antiochien von den bäretiihen Eutychianern ermordet. 
) Fleury, liv. XXX, c. 16. 
9* 


484. 


132 


der ein, die mit großer Leivenfchaftlichkeit ihre irrthüm— 
lichen oder thörichten Meinungen behaupteten. Andere, in 
noch größerer Anzahl, fchweiften won Stadt zu Stadt, 
von Haus zu Haus umher, und entzogen fich fo aller 
Kegel und Zucht, wodurch fie zugleich die Heiligkeit des 
Inftitutes und die Ehre ihres Kleides in Mifachtung 
brachten. Die geiftlichen ımd weltlichen Oberen fchritten 
vergebens mit ihrem Anfehen gegen diefen argen Mißbrauch 
ein, der fich immer von Neuem wieder zeigte, 
Detrete des Um gegen diefe ANergerniffe und gegen diefe Gefahren 
— Abhülfe zu treffen, und in der ausdrücklich hervorgehobe— 
gegen die nen Abſicht dieſe unruhigen und vagabundirenden Mönche 
— Zaume zu halten, erließ das allgemeine Concil von 
Chalcedo auf Vorſchlag des Kaiſers Marcian ein Dekret, 
kraft welchem in Zukunft ohne Zuſtimmung des Biſchofs 
kein Kloſter mehr errichtet werden dürfe, und daß alle 
Mönche, ſowohl in den Städten als auf dem Lande, bei 
Strafe der Excommunication, der biſchöflichen Autorität 
unterworfen ſein ſollten. Es verbot ihnen des Weiteren 
ausdrücklich, das Kloſter, welches ſie zuerſt aufgenommen 
hatte, wieder zu verlaſſen, und ſich mit kirchlichen oder 
weltlichen Angelegenheiten zu befaſſen ). Nachdem es 
dann ein ſchon altes Verbot gegen die Ehe der Mönche 
wieder erneuert, verordnete das Concil ferner, daß ein 
jedes Klofter, das einmal vom Bifchof anerkannt und 
geweihet worden, diefe feine Beitimmung auf ewige Zei— 
ten behalten, und niemals wieder eine weltliche Wohnung 
werden folle ?). 
Diefe Borfhriften fanden feit jener Zeit Aufnahme 


2) Siehe die Rede des Kaifers in der 6, Aktion oder Situng 
des Concils, und die Canones 4, 6, 7, 8 und 23, 
2) Die Canones 16 und 4. 


155 


in das öffentliche Necht ver Chriftenheit; wir notiren 
diefelben hier, da wir fpäter die mannigfachen Abweich- 
ungen davon zu conjtativen haben werden. Uebrigens war 
ihr Einfluß auf die Mönche des Drients nicht wirffam 
genug, um diefelben auf der Höhe früherer Zeiten zu hal- 
ten. Nach einem Jahrhundert von unvergleichlicher Tu— 
gend amd fruchtbarfter Thätigfeit, nachdem das Mönch— 
thum der Flöfterlichen Lebensform aller nachfolgenden Jahr— 
hunderte nicht nur unfterbliche Vorbilder, fondern auch 
das faſt umerreichbare Ideal dargeboten hatte, verfiel es 
im ganzen bhzantinifchen Neiche in die gleiche Abnahme der 
Lebenskraft und Unfruchtbarkeit, denen auch das ganze orien- 
talifche Chriftenthum zur Beute ward. Man fieht die glor- 
reichen Meittelpunfte won Licht, von Wiffenfchaft und Leben, 
welche die Antonius, die Hilarion, die Bafilius, die Chryſo— 
ftomus mit ihrer himmlischen Flamme belebt hatten, einen 
um den andern aus den Blättern der Gefchichte ver— 
Ihwinden. Während die Mönche des Abendlandes unter 
dem belebenden Einfluffe des römischen Stuhles gegen den 
Zerfall der alten Welt fiegreich anfämpften, die barbari- 
Ihen Völker befehrten und zur Bildung führten, die neuen 
Elemente der Bildung umfchufen und läuterten, die Schäße 
der alten Literatur aufbewahrten und über die Erhaltung 
allev alten Ueberlieferungen wachten, jinfen die Mönche 
des Orients von Stufe zu Stufe in das Nichts. Vom 
doppelten Einfluffe der Hofluft und der theologifchen Un— 
einigfeiten beranfcht, waren fie allen zerſetzenden Einflüffen 
jener abgelebten Societät zugänglich, deren Hinfälligfeit 
den Despotismus zur Folge und zur Strafe hatte, wo 
die Verweichlichung allen Yaunen der Gewalt eine unwi— 
derſtehliche Herrfchaft, und allen ihren Exceſſen eine be- 
ſtändige Straflofigfeit ficherte. Sie wußten weder die fie 


154 


umgebende alte Gefellfchaft zu verfüngen, noch auch fich 
der heidnifchen Nationen zu bemächtigen, die Tag für 
Tag einen Theil um den andern vom Reiche losriſſen. 
Ebenfo wenig verftanden fie e8, die zerfekenden Einflüffe 
des byzantiniſchen Geiftes von der Kirche abzuwehren. 
Sogar die Hinterlage des antifen Wiſſens entfiel ihren 
Ihwächlichen Händen. Und fo ift e8 gefommen, daß fie 
nichts gerettet, nichts erneuert, nichts aufgerichtet haben. 

Sie find am Ende, wie der geſammte vovientalifche 
Klerus, Sklaven des Islam und Mitjchuldige am Kirchen- 
jchisma geworden. Seitdem find fünfzehn Jahrhunderte 
über ihre Häupter Hingegangen, ohne daR je eine Stunde 
gefchlagen, die ihrem Berfalle Einhalt gethan, oder einen 
Ernenerer ihrer Zufunft vorbereitet hätte, 

Es iſt mit der Neligion wie mit dem Waffenruhme, 
iwie mit dem Glanze der geiftigen Erzeugniffe der Wiſſen— 
ſchaft. Zufolge eines geheimmißvollen, aber unbejtreit- 
baren Weltgefetes, haben ſich der Fortſchritt, das Licht 
und die Kraft immer von Oſten nach Weften bewegt. 
Sie entjtehen gleich dem Tageslichte, im Oſten, aber um 
im gleichen VBerhältnijfe höher zu fteigen und heller zu 
leuchten, als fie weiter nach Weften vorjchreiten. 

Wie die Herrfchaft ver Welt von den Aſiaten an die 
Griechen, und von den Griechen an die Römer gefommten 
war, fo kömmt aud die Wahrheit von Jeruſalem nach 
Nom. Das Mönchthum begründet ſich im Driente, gleich- 
wie die Kirche: aber es gewinnt auch, gleichwie die Kirche, 
feine volle Kraft nur im Abendlande. Dahin müfjen wir 
ihm nunmehr folgen, daſelbſt es fennen lernen, um es in 
jener vollen und dauernden Größe zu bewundern. 


Mrittes Bud. 


Die Borläufer des Mönchthums im 
Abendlande, 


Setahgur.t 


Der heilige Athanafius, in der Verbannung, verbreitet 
das Mönchthum im Abendlande und in Nom, wo jedoeh während 
der lebten großen Chriftenverfolgung das veligiöje Leben bereits be- 
kannt war: Aglad und Bonifacius, — Entfaltung in Italien: Eur 
ſebius von Vercelli. — Begeifterung der römiſchen Patrizier- 
geihlecdhter für das Mönchthum. Die fetten Strahlen des rö— 
mifchen Batriziats leuchten im Klofter. — Die Gens Anicia. — Die 
heiligen und klöſterlichen Patrizierinnen: Marcella. — Furia. — 
Paula und ihre Töchter, — Paulina und ihr Gemahl Pammachius: 
Fabiofa. — Der heilige Hieronymus, Führer und Gefchicht- 
jchreiber diefer heiligen Frauen. — Sein Klofterleben in Chaleis und 
Bethlehem: er fehreibt das Leben der Bäter der Wüſte und be- 
zeichnet die Irrwege der falfhen Mönche feiner Zeit. — Römische 
Auswanderung nah Paläſtina. — Hieronymus zieht die hei- 
fige Paula und ihre Tochter Euftochia nach Jeruſalem: Tod der hei— 
ligen Paula. — Die beiden Melanien zu SJerufalem, zu Nom und 
in Afrika. — Der heilige Paulin von Nola und feine Gemahlin Te- 
rafia. — Oppofition gegen die Mönche: volfsthiimliche Invec— 
tiven: der Dichter Rutilins. — Der heilige Ambrofius, ihr Verthei— 
diger. — Seine Schrift über die Jungfrauen Bemerkung über 
den Gebrauch des Nonnenfchleiers, — Der heilige Auguftin: 


136 


Einfluß der Lebensbejhreibung des heiligen Antonius von 
Athanafius und des Beifpiels der Mönde auf feine Befehrung: er 
Yebt als Mind. — Regel des heiligen Auguftin. — Seine Abhand- 
(ung: De opere Monachorum gegen die unthätigen Mönche. — Der 
heilige Fulgentius. — Die Mönche in Gallien. — Der heilige 
Athanafius, — Der heilige Martinus, Soldat, Mönd und 
Biſchof. — Seine Verbindung mit dem heiligen Hilarius. — Er 
gründet zu Lirieur das erfte Klofter in Gallien. — Seine erhabene 
Stellung als Bifhof von Tours: er proteftirt gegen die religiöſe 
Berfolgung. — Er gründet Marmoutier und bewohnt eine der Zellen 
dajelbft. — Sulpitins Sever: die galliihen Mönche fträuben ſich 
gegen das Faften. — Das Klofter Lerin: jeine Gelehrten und 
feine Heiligen: Honorat, Hilarius von Arles, Vinzenz von Lerin, 
Salvian, Euer, Lupus won Troyes. — Der heilige Cäjarius und 
feine Regel. — Johannes Kafjian und St. Viktor von Marfeille. — 
Der Pelagianismus fälfhlih den Lerinenfern zugeſchrieben. — An— 
dere gallifche Klöfter: Reome in Burgund. — Stiftungen in der Au— 
vergne: Auftrimonius, Urbicus, die Styliten. — Condatim Jura: 
die beiden Brüder Roman und Lupicin: Eugendius und Biventiolus. 
— Einfluß der Mönche auf die Burgundionen. — Der König Sigismund 
gründet Aganım in Wallis; daffelbe wird die Metropolis der Klöfter 
im Königreich) Burgund. — An den Ufern der Donau übt der heilige 
Severin ähnlichen Einfluß auf andere Barbaren: Begegnung Odo- 
afers mit dem heiligen Severin. — Zufammenfaffung: 
Lage des Klofterinftitutes am Ende des V. Jahrhunderts; Dienfte, 
die es bereits der hriftlichen Welt geleiftet; Rolle dev Mönche in der 
Kirche ; fie werden noch nicht zum Klerus gerechnet und doch find be- 
reits alle Väter und alle großen Kirchenlehrer Mönche. — Mif- 
bräuhe und Unordnungen: Gyrovagen und Sarabaiten. — 
Bielheit und Verfchtedenheit der Regeln. — Das Mönchthum ift noch 
nicht geordnet. — Es bedarf einer ſouveränen Gejeßgebung und eines 
neuen Anftoßes: der heilige Benedikt gibt ihm Beides. 


Drittes Buch. 
Die Vorläufer des Mönchthumes im Abendlande. 


Lztamini cum Jerusalem, et 
exultate in ea omnes qui diligitis 
eam... Quia hæc dieit Dominus: 
Ecce ego declinabo super eam quasi 
fluvium paeis et quasi torrentem in- 
undantem gloriam gentium. 

Is. LXVI. 


Mer Strom des Mönchthums, deſſen Quellen fich in 
den äghptifchen Wüften finden, theilt fich im zwei große 
Arme. Der eine fließt nach Morgen, überfluthet anfänglich 
den ganzen Orient, verengt fich dann immer mehr und ver— 
ftert fich dafelbft. Der andere entjendet feine Wellen nach 
dem Abendlande und ergießt fich hier in taufend Kanälen 
über eine Welt, die der Bewäfferung und Befreiung harıt. 
Kehren wir, um dem ganzen Paufe diefes Stromarmes zu 
folgen, zu feinem Urfprunge zurüc. Seine Anfänge find viel 
minder alt, viel weniger glänzend; aber das Flußbette, das 
er fich gräbt, ift von ganz anderer Tiefe, fein Yauf von 
ganz anderer Dauer, 

Zu allernächit treffen wir wieder auf Athanafins, den 
wir in der Gefelffchaft der großen Patriarchen ver Mönche 
gejehen haben, ven Gaft, den Yünger und Klienten des 


Athanafius 
verbreitet das 
Mönchthum 
im Abend⸗ 
lande. 


138 


Antonius, den Vertheidiger Baſils. Sein Leben ift befannt, 
Die Verbannung war damals das Yoos der Befenner des 
Glaubens, fie war aber auch das von Gott auserwählte 
Mittel, um die heilige Saat der Tugend und der Wahr- 
heit auszuſtreuen. Konftantin, der die Kirche verwirrte, 
nachdem er fie zuvor befreit hatte, werurtheilte zuerjt den 
heiligen Athanafius zu diefer Strafe; Konftantius und die 
Arianer bejtraften ihn damit fo oft, daß man fagen fann, 
er habe faſt eben jo lange in der Verbannung zugebracht 
als an feinem bifchöflichen Site. Jedesmal fehrte er ruhig 
und unverzagt im diefelbe zurück und fchätte ſich glücklich, 
das Opfer und nicht der Urheber won Gewaltthätigfeiten 
zu fein, die immer Beweife der Schwäche einer fchlechten 
Sade find. Zweimal nöthigte ihn die Verfolgung, in der 
Thebais eine Zufluchtsjtätte zu Juchen, und dreimal verbannte 
ihn ein faiferlicher Befehl zum Erile im Abendlande. Er ward 
dadurch das natürliche Band zwifchen den Bätern der Wüſte 
und jenen weiten Yänvdergebieten, die deren Nachfolger einft er— 
obern und erneuern ſollten. Ihm, dem Beſieger des Arianismus 
durch die einfache Kraft des Glaubens, den Glaubensmuth und 
die Geduld, ihm, welchen die Päpfte gegen die Kaifer und die 
Biſchöfe, die der Göttlichfeit Chrifti untreu waren, jtütten, 
fam es mehr als irgend fonft Semand zu, das Mönchthum in 
Rom, dem Haupt und Mittelpunfte der Kicche, das nicht 
länger mehr diefer neuen und wunderbaren Entfaltung des 
hrijtlichen Yebens fremd bleiben durfte, einzuführen. Er kam 
Sr macht es im Jahre 340 das erjtemal nach Nom, um der Gewaltthätig- 
” — feit der Arianer auszuweichen und ven Schutz des Papſtes 
‚Julius anzurufen. Diefer berief die Widerfacher des Bi- 
ſchofs von Mlerandrien zu einem Concile, wor welchem die— 
jelben aber nicht erfcheinen wollten, da fie ſahen, daß daſ— 
jelbe ein wahrhaft Ficchliches Tribunal, ohne Grafen in 


159 


feiner Mitte, ohne Wachtpoften an den Thüren und ohne 
faiferliche Verhaltungsbefehle fein werde"). 

Während der Papſt und das Coneil dem glovreichen 
Vertheidiger der Gottheit Chrifti Gerechtigkeit angedeihen 
liegen, verbreitete diefer in Nom die erſte Kunde von dem 
?eben, das die Mönche in der Thebais führten, won den 
wundervollen Ihaten des heiligen Antonius, der noch am 
Leben war, von den außerordentlichen Stiftungen, die Pa— 
homius eben damals an den Ufern des oberen Nils in's 
Werk fette. Er hatte bei fich als Gefellfchafter zwei der 
jtrengften won diefen Mönchen. Der eine war Ammonius, 
beftändig fo vertieft in die Betrachtung der göttlichen Dinge, 
daß er, mit Ausnahme der Gräber der Apoftel Petrus und 
Paulus, feine der vielen Merfwürdigfeiten und feines der 
Wunderdinge in Nom jemals eines Befuches würdigte. Der 
andere, Iſidor, gewann aller Herzen durch die liebenswür— 
dige Einfalt feines Wefens. Beide waren Bürgen für die 
Wahrhaftigkeit feiner Erzählungen und konnten für dieje- 
nigen Römer, die verfucht fein möchten, ihr Beiſpiel nach- 
zuahmen, als Vorbilder dienen. Nicht jedoch, daß das klö— 
jterliche Leben in Rom gänzlich unbekannt geweſen wäre. 
Es finden fich vielmehr Spuren davon vor in den Mar— 
tyrevaften aus den Zeiten der letzten VBerfolgungen. Die- 
jelben erzählen die Gefchichte der heiligen Aglas, einer reichen 
römischen Batrizierin, welche mit Bonifazius, dem Erften 
unter den dreiundſiebenzig Hausbeamten, die ihr in der Ver— 
waltung ihrer ausgedehnten Befitungen behüflich waren, in 
Luxus und Ausfchweifungen lebte. Nachdem diefe fündhafte 
Verbindung mehrere Jahre gedauert hatte, ſandte Aglae, 
welche von Chriften jagen gehört hatte, daß diejenigen, 


') Fleury, Hist. eceles. liv. XII, e. 20. 


341. 


Aglas und 
Bonifazius. 
299 oder 305. 


140 


welche die heiligen Mlartyrer verehrten, wor dem Richter: 
jtuhle Gottes Fürfprecher an ihnen hätten, von tiefer Neue 
über ihr Leben ergriffen, ihren oberjten Hausmeifter in den 
Orient, mit dem Auftrage, dafelbft Reliquien eines Mar- 
tyrers zu holen, die fie in einem Oratorium, das fie er— 
bauen lajjen wollte, ehrenvoll beizufegen gedachte. „Hohe 
Frau,” Sprach der Haushofmeijter beim Abſchiede zu feiner 
Herrin, „würdet ihr, wenn euch meine Reliquien unter dem 
Namen eines Martyrers überbracht würden, diefelben auf- 
nehmen ?" Sie machte ihm Vorwürfe über diefen Scherz; 
derfelbe war aber eine Verheißung. Bonifazius ſtarb wirk— 
lich nach furchtbaren, freiwillig erduldeten Qualen zu Tarfus 
als Martyrer. Man brachte Ayla feinen Leichnam zurüc; 
diefe empfing die Ueberrejte mit großer Ehrfurcht, und nach- 
dem fie diejelben in einer Kapelle beigefekt, die fie fünfzig 
Stadien weit von Rom hatte erbauen laſſen, vertheilte fie 
alfe ihre großen Güter an die Armen, was ihr die Gnade 
einer volljtändigen Befehrung erwarb, und nahm mit ei— 
nigen Dienerinnen, die fich gleichfalls einem Leben der Buße 
widmen wollten, den Flöfterlichen Schleier. Dreizehn Jahre 
lebte fie in Flöfterlicher Einfamfeit, und nachdem Gott ihre 
volfftändige Bekehrung und Heiligkeit durch viele Wunder 
bezeugt hatte, ftarb fie, und ward in der Kapelle des Mar— 
tyrers Bonifazius begraben !). 

Seit dem Frieden der Kirche hatte eine Tochter Kon- 
jtantins ein erſtes Frauenflofter über dem Grabe der hei— 
ligen Agnes errichtet, an der Stelle, wo diefe jugendliche Sie- 
gerin, nachdem jie im Andenfen der Menfchen unjterblich 


') Domina mea... sin vero meum corpus redierit in nomine 
Martyris, suseipies illud?... Supervixit in habitu sanetimoniali... 
Act. SS. Bolland., d. 14. Maii, p. 281—283. — Cfr. Bulteau, 
Hist. Monast. d’Orient. addit. p. 910. 


141 


geworden, weil fie den Richtern und Henfern des Neiches 
jo heldenmüthig entgegengetreten, umgeben von einer zahl- 
reichen Schaar glänzend weiß gefchmückter Jungfrauen, ihren 
trauernden- Eltern erfchienen war, um ihnen die Gewißheit 
ihrer nunmehrigen ewigen Glückſeligkeit zu geben). 

Dennoch hatten die Erzählungen des heiligen Athana— 
ſius völlig die Wirfung einer neuen Offenbarung. Sie ent- 
zimdeten die Herzen und die Phantaſie der Römer und ins- 
befondere der Römerinnen. Der Name Mönch, an den fich 
damals in den Borurtheilen des großen Haufens gewifjermafjen 
etwas Schimpfliches zu heften fchien?), ward nun plößlich ein 
vielbeneideter Ehrenname, Der Eindruck, den die Ermahnungen 
des erlauchten Berbannten machten, verbreitete und verftärfte 
ſich während des fpätern, noch zweimaligen Aufenthaltes 
deffelben in der ewigen Stadt noch mehr. Als dann, etwas 343 und 319. 
jpäter, der heilige Antonius ftarb, ſchrieb Athanafius auf 
Bitten feiner Schüler das Yeben des Patriarchen ver Thebais, Atbanaſius 
und diefe vafch im ganzen Abendlande verbreitete Lebens— — 
beſchreibung erhielt hier ſogleich die Volksthümlichkeit einer ligen Anto— 
Legende und das Anſehen eines Glaubensbekenntniſſes. Atha- uius. 
naſius war in den Augen aller abendländifchen Chrijten 
der Held des Jahrhunderts und das Drafel der Kirche: er 


') Vident in medio noctis silentio vigilantes exerceitum vir- 
ginum... Agnetem simili veste fulgentem, et ad dexteram ejus 
agnum nive candidiorem... Perseveravit autem Constantia Au- 
gusta in virginitate, per quam multæ virgines nobiles et illustres 
et mediocres sacra velamina susceperunt. S. Ambros., Act. 
S. Agnet. 

2) Nulla eo tempore nobilium feminarum noverat Rom& pro- 
positum Monachorum, nee audebat, propter rei novitatem, igno- 
miniosum (ut tunc putabatur) et vile in populis nomen assumere, 
S. Hieronym., Vit. S. Marcelle, e, 4. 


142 


jtand eben jett auf dem Gipfel des Ruhmes, auf welchen 
fein Geift und fein Heldenmuth ihn erhoben hatten. Be— 
greiflicherweife vermehrte diefer Ruhm noch bedeutend das 
Gewicht feiner Erzählung und der Delehrungen, welche dar- 
aus flogen. Er verfimpdete, fagt der heilige Gregor von 
Nazianz, unter diefer erzählenden Form die Gefete des 
Mönchthums '). 

Bald entftanden in der Stadt und Umgegend von 
Kom zahlreiche Klöfter, die ſich raſch mit Männern füllten, 
welche fich gleicherweife durch Geburt, Neichthum und Ge- 
lehrfamfeit auszeichneten, und die in venfelben in Yiebe, 
Heiligkeit und Freiheit lebten?). Bon Rom verbreitete fich 
das Inſtitut, das man ſchon als Religion oder als re— 
ligiöfes Yeben vorzugsweife bezeichnete ?), über ganz 
Stalien. Es verpflanzte fich an den Fuß der Alpen durch 

Euſebius von den Einfluß eines großen Biſchofs, des heiligen Eufebins 
— von Vercelli, der wie Athanaſius glorreich den Glauben 
gegen die Arianer bekannt hatte und wie er in die Ver— 

bannung geſchickt worden war, und in der Thebais ſelbſt 

die Vorbilder aufgeſucht hatte, die der Biſchof von Alexan— 

drien ſo begeiſternd ſchilderte. So brachte die arianiſche 
Verfolgung und die Verbannung der katholiſchen Bekenner 


) 8. Greg. Nazianz., Orat. 27. in Laud. S. Athan. — 
Cfr. Nicephor., VII, ce. 40. 

) Romæ plura monasteria cognovi, in quibus singuli... cæ— 
teris secum viventibus praerant christiana charitate, sanetitate 
et libertate viventibus. S. August., De Moribus Eeclesie, 
ec. 33. — Multi monachi sapientes, potentes, nobiles. S, Hie- 
ron., Ep. 26. ad Pammach. 

3) Seit jener Zeit jhon hieß das Klofter- Inftitut Religion, 
und die Mönche biegen Religiofen. — Unus in religionis, alius 
in sacerdotii nomen ascendit. Eucher., ad Valerian., ap. Bul- 
teau, Histoire de lordre de 8. Benoit, I, 46. 


143 


die Suat des Mönchthums weithin zur Verbreitung und 
machte fie fruchtbar, und man Fünnte die Gefchichte dieſer 
Zeiten kurz in den alfo abgeänderten Ausfpruch Tertullians 
zufammtenfaffen : Exilium confessorum semen monacho- 
rum. Euſebius gab bei feiner Rückkehr nach Italien das 
jpäter fo oft und immer mit Erfolg nachgeahmte Beifpiel, 
die Sorge fir ven heiligen Dienft in feiner bifchöflichen 
Kathedrale Mönchen anzuvertrauen '). Vom Feſtlande ge- 
(angte das neue Inftitut bald nach den Infeln des Neittel- 
meeres und bis hin zu den Felfenneftern der Gorgona und 
Gapraja, wo die Mönche, als freiwillig aus der Welt Ver 
bannte, an die Stelle dev Berbrecher umd ver politijchen 
Dpfer traten, die bis dahim von den Kaifern gewöhnlich 
dorthin verbannt worden waren. Es gefchah einſt, daß die 
Mönche der Infel Gorgona auf einem feinen Fahrzeuge 
ſich einfchifften, um die Reliquien der heiligen Julia, einer 
edlen Jungfrau aus Karthago, abzuholen, die von den Van— 
dalen Geiferich8 in die Sklaverei geführt und darauf von 
den Heiden am corjifanifchen Vorgebirge, wo ihr Herr, ein 
forifcher Kaufmann, um den Göten zur opfern ſich verweilt 
hatte, gemartert worden war. In den Defit ihres fojt- 
baren Schates gelangt, brachten fie denfelben, mit allen 
Segeln in ihrem gebrechlichen Fahrzeuge Seevögeln gleich 
dahineilend, nach ihrem Felfennefte?). Yand und Meer 
fahen damals neue Bewohner und Herren, die fie aner- 
fennen mußten, 


') Primus in Oceidentis partibus, in eadem ecclesia eosdem 
monachos instituit esse, quos clericos, ut esset in ipsis viris con- 
temptus rerum et aceuratio Levitarum. Brev. Roman. die 16. 
Decemb. 

2) In modum voluerum... vela plenis iter suum agerent. 
Ruinart, Hist. persec. Vandal., p. 221. 


354, 


Die Mönde 
der Infeln. 


144 


Es fand fonach ſchon damals und während der ganzen 
zweiten Hälfte des IV. Jahrhunderts in Nom und in Ita— 
lien eine großartige Bewegung, ein herrliches Streben nad) 
dem geiftlichen Leben und dem Leben der Buße ftatt. Der 
Geiſt Gottes wehete die Seelen an. Beſonders unter dem 
römischen Adel ſchlug das Wort des heiligen Athanafius 
wie ein Blitz in die Seelen und entflanmte die Herzen. 

— Dieſe antiken Patriziergeſchlechter, die Nom gegründet und 

Adels zum 08 während feiner ganzen Epoche von Glanz und Freiheit 

Eintritte in yegiert, die die Welt beſiegt und unterjocht hatten, fie büßten 

m feit vierhundert Jahren unter dem abfcheulichen Joche 
der Cäſaren, was die Väter ihrem Ruhme Hartes und 
Selbftfüchtiges beigemifcht hatten. Während dieſer langen 
Knechtſchaft aufs Aeußerſte gedemüthigt, bejudelt, decimirt 
von den Herren, die das entartete Rom ſich gegeben hatte, 
konnten ſie endlich im chriſtlichen Leben, in der Form, wie 
die Mönche es faßten und darſtellten, die Würde der Auf— 
opferung und die Befreiung der Seele wiederfinden. Und 
dieſe ächten Söhne der alten Römer betraten dieſe Bahn 
mit dem gleichen hochherzigen Schwunge, mit der gleichen 
beharrlichen Thatkraft, mit welcher ihre Vorväter die Herr— 
ſchaft der Welt gewonnen hatten. „In den erſten Tagen des 
Chriſtenthums,“ ſagt der heilige Hieronymus, „gab es nach 
dem Zeugniſſe des Apoſtels unter den Chriſten nur wenige 
Reiche, wenige Adeliche, wenige Mächtige. Jetzt iſt dem 
nieht mehr alfo!), und nicht nur unter den Chriſten, ſon— 
dern unter den Mönchen finden fich mafjenweife die Ade— 
lichen, die Reichen und die Weifen. “ 


') Tune rari sapientes, potentes, nobiles christiani : nune 
multi monachi sapientes, potentes, nobiles. S. Hieron., ep. 24, 
de obit. Pauline. 


145 


Sp läuterten und veinigten fie ſich von Allem allzu 
Menfchlichen, das fich in ihren verbitterten Gemüthern fin- 
den mochte, durch Tugenden, die ihren Vätern unbefannt 
gewefen waren: durch Demuth, Keufchheit, Nächitenliebe, 
Selbftverachtung, Zartgefühl gegen fremdes Elend, Yiebe 
zum gefveuzigten, göttlichen Heilande, deſſen Abbild, vejjen 
echte jeder Arme, jeder Kranfe, jeder Sflave in fih trägt. 
Alles dies göttlich Neue belebte in diefen hochherzigen Rö— 
mern die männlichen Ueberlieferungen hoher Strenge, Selbft- 
verläugnung, Meäßigfeit und Uneigennützigkeit, welche die 
Ursprünge ihrer alten Hevrlichfeit umftrahlt hatten. Das 
Kofterinftitut bot ihnen ein Schlachtfeld, wo die Kämpfe 
und die Siege ihrer Vorväter — aber für eine höhere 
Sache und gegen furchtbarere Feinde — fich wieder er- 
neuern und jelbft noch übertroffen werden konnten. “Die großen 
Männer, deren Andenken über dem entarteten Nom fchwebte, 
hatten einft nur gegen Denfchen gefümpft, nur Yeiber unter- 
jocht : ihre Abkömmlinge unternahmen jegt den Kampf gegen 
die Dämonen und für die Gewinnung von Seelen '). 

Was hätte auch, die Sache auch nur vom Stundpunfte 
rein zeitlicher Ehre und der großen Namen betrachtet, deren 
Wucht fie erdrücdte, was hätte der eifrigjte und abergläu- 
bigjte Berehrer der Ahnen Beſſeres erdenfen fünnen? Die 
politiiche Macht, die zeitliche Größe, der arijtofratifche Ein- 
fluß waren, in Mitte der allgemeinen Erniedrigung, auf 
immer dahin. Nun beruft fie Gott zu Ahnherren eines 
neuen Volkes, läßt fie ein neues Reich gründen, und fügt 
e8, daß fie ven Ruhm ihrer Vorfahren in der geiftigen Er- 


) li vieerunt corpora. . hee subjugavit animas. S. Hie- 
ron., Ep. 30. 
v. Montalembert, d. Münde d. A. 1. 10 


146 


neuerung der alten Welt ehrenvoll bejtatten und ihn ver- 
flären können. 

Diefe ruhmbeglänzten Namen, die in der Kloafe des 
Cäſarenthums aus der Gefchichte verſchwunden waren, er— 
jcheinen demnach wieder, um nochmals in einem Abendglühen 
anfzuleuchten, das nicht erlifcht; denn es mifcht fich mit der 
nie erlöfchenden Herrlichkeit des neuen Bundes. 

Sp verfetst der römische Adel durch fein lebendiges Er- 
greifen der Ideen des Mönchthums eine ſchöne Probe von 
den Wundern der Thebais nach Nom berüber. Die ausge- 
dehnten und prachtvollen Yandhäufer der Senatoren und der 
conſulariſchen Gefchlechter wurden Häufer geiftiger Samm— 
(ung und fat in Allem den Klöftern ähnlich ; und die Nach- 
fommen der Scipionen, der Gracchen, der Marcellen, ver 
Camillus, der Anicier führen in der Cinfamfeit ein ganz 
der Aufopferung und der Nächitenliebe geweihtes Yeben. 
Nicht immer zogen ſich die Träger diefer großen Namen 
fürmlih in die Abgejchloffenheit zurück; aber fie nahmen 
gerne den Namen Mönche an, hüllten fich in die rauhe 
Kleidung derſelben, verfauften ihre Güter oder gaben fie 
den Armen, fehliefen auf, hartem Yager, beobachteten ein 
ununterbrochenes Faſten, und lebten in ihrer ausgedehnten 
Thätigkeit chriftlicher Yiebeswerte fo ftrenge wie die Anz 
deren im Kloſter!). 

zu ihrem Senatorenpurpur gejellten fie den Mantel von 
grauem groben Zeug, und wurden in der Kleidung Plebejer, 
und zwar mit gänzlicher Hintanfeßung aller Meenfchenfurcht, 
was damals als eine der größten Siege geachtet wurde ; 
denn, jagt der heilige Hieronymus, „man fennt Solche, die 
den Foltergualen muthvoll widerjtanden, aber einer faljchen 


') Champagny. Op. eit. 8. 5, p. 336. 


147 


Scham nachgeben. Es ift demnach für einen adeligen, hoch- 
gebildeten reichen Mann nichts Geringes, auf öffentlichen 
Plätzen die Gemeinfchaft feiner Standesgenofjen zu meiden, 
fi) unter die Menge zu mifchen, mit den Armen umzu— 
gehen, mit Landleuten zu verfehren und aus Fürſten Bolf 
zu werden). 

Noch mehr aber ward die Umwandlung bewundert, die 
mit gewiffen großen Damen des römischen Patriziats vor- 
gegangen war. Diefe Frauen, vor furzem noch fo hoch— 
fahrend in ihrem Adelsftolze, fo raffinirt wählerifch in zier— 
licher Weichlichfeit, die nach der Ausfage des heiligen Hie- 
ronymus Keinen Schritt thun fonnten ohne von Sklaven in 
der Sänfte getragen zur werden, und felbft dann noch den 
unebenen Boden, über den fie getragen wurden, nicht er- 
tragen Fonnten, denen das Gewicht eines Kleides von Seide 
zu fchwer dünkte und die wor den leichteften Sonnenstrahlen 
wie vor einem Gluthfeuer flohen, diefe fehe man jetst ſich 
den härteften Arbeiten unterziehen, den widrigften Verrich— 
tungen fich hingeben ?). 

Unter den großen Häufern, die das Beiſpiel dieſer 
hriftlichen Umbildung des römischen PBatriziats gaben, ift 
insbefondere die Gens Anicia, das Gefchlecht der Anicier 
zu nennen, welches in die fehönften Zeiten der Republik 
hinaufreichte und die reichte und mächtigfte Familie Noms 


') Inter purpuras senatorum fulva tunica pullatus incederet... 
quare non est parvum virum nobilem, virum disertum, virum 
locupletem potentium in plateis vitare comitatum, miscere se tur- 
bis, adharere pauperibus, rustieis copulare, de prineipe vulgum 
fieri! S. Hieron., ep. 26, ad Pammach. 

?) Qux eunuchorum manibus portabantur, et inæquale solum 
molestius transcendebant ; quibus seriea vestis oneri erat et solis 


calor incendium. S. Hieronym.. epist. 26, ad Pammach. 
10, 


Die Ratrizie- 
rinnen im 
Klofter. 


Die Gens 
Anicia. 


148 


gegen Ende des IV. Yahrhunderts geweſen zu fein jcheint. 
Damals war unter den Mitgliedern des Haufes obenan 
der berühmte Anicius Petronius Probus, als Präfeftus 
Prätorio die erſte Perfünlichfeit im Reiche nach dem Kaifer, 
und deſſen Sohn Petronius, welcher, wie Einige behaupten, 
zuvor Mönch gewelen, ehe er Bifchof von Bologna wurde)). 
Aus dieſem Gefchlechte gehen jpäter die zwei größten Per- 
Jönlichfeiten in der Gefchichte des Mönchthums, der heilige 
Benedift und der heilige Gregor der Große hervor; und 
damals jchon feierten die beiden erlauchteften Kirchenlehrer 
des Abendlandes, der heilige Hieronymus und der heilige 
Auguftin, den Ruhm eines Gefchlechtes, deſſen Söhne ge- 
borne Confuln zu jein fchienen, das aber Chrifto noch viel 
mehr Jungfrauen, als der Republif Confuln gegeben hatte?). 


. 

) Möhler, op. eit. p. 194. — Die Bollandiften jagen darüber 
nidts. S. Tom. II, 4. Oct. p. 424 u. ff. 

) Quis verbis explicet... quam incomparabiliter gloriosas 
atque fructuosas habeat ex vestro sanguine feminas virgines 
Christus, quam viros consules mundus? S. Augustin., ep. 
179 de Convers. Demetriadis. — Ilustris Anicii sanguinis ge- 
nus, in quo aut nullus, aut rarus est qui non meruerit eonsula- 
tum. 8. Hieron., ep. ad Demetriadem, ce. 2. 

Das gleihe Gejchleht hat dem Dichter Claudian folgende Verſe 
eingegeben : 

Quemeumque requires 
Hoc de stirpe virum, certum est de Consule nasci. 
Per fasces numerantur avi semperque renata 
Nobilitate virent, et prolem fata sequuntur, 
Continuum simili servantia lege tenorem: 
Nee quisquam procerum tentas, licet zre vetusto 
Floreat, et claro eingatur Roma senatu, 
Se jactare parem, sed prima sede relieta 
Aucheniis, de jure licet certare secundo. 

Paneg. de Prob. et Olybr. Consul. 


149 


Die Begeifterung Beider hatte eine jugendliche Klo» Demetrias. 
fterjungfran aus dieſem Gefchlechte zu ihrem Gegenſtande, 
nämlich die Demetrias, deren Großvater, Bruder und zwei 
Dheime von 371 bis 406 Conſuln waren. Nach ver Ein- 
nahme Noms durch die Gothen flüchtete fie fich mit ihrer 
Mutter Iuliana und der Großmutter Proba nach Afrika, 
Während Proba bemüht war, fie einem der jungen römi— 
ſchen Herren, die ihre Verbannungsgeführten waren, zu 
vermählen, legte die Jungfrau Demetrias, won der Erinner- 
ung an die heilige Agnes begeiftert, ihren foftbaren Schmud 
ab, z0g ein grobes Kleid an und hüffte fich in einen noch) 
gröbern Schleier, der ihr über das ganze Geficht ging, 
und begab fich in diefem Aufzuge zu ihrer Großmutter, der 
fie fich Fchluchzend, ohne andere Erklärung als ihre Thrä— 
nen, zu Füßen warf. Nach einem erften Augenblicke von 
Ueberrafehung gaben Mutter und Großmutter ihre Zuftim- 
mung. Die ganze afrifanifche Kirche bezeigte fich theil- 
nahmsvoll dabei; und die beiden größten damaligen Schrift- 
ftelferv haben fie in ihren Briefen verewigt. Der heilige 
Auguftin beglückwünſcht Mutter und Großmutter darüber 
in einem feiner fchönften Briefe '); und der heilige Hiero- 
nymus vergleicht, das freiwillige Opfer fegnend, den Ein- 
druck, den die Nachricht davon machte, demjenigen eines 
jener Tage, wo ein fiegreicher Conſul die Hoffnungen der 
durch Unglücsfälle niedergebeugten Republik wieder erhob. 

Es war eine junge Wittwe, deren Name nur genannt Marcel. 
zu werden braucht, um die jchönften Tage dev Republit 
in's Andenfen zu rufen, deren feltene Schönheit durch die 
lange Reihe erlauchter Ahnen noch bemerkbarer gemacht, 


) Epist. 150, 


150 


zahlreiche Bewerber in Bewegung ſetzte !); es war Mars 
cella, welche zuerft von allen, die Erzählungen des heiligen 
Athanafins in fih aufgenemmen, und feine Belchrungen in 
Ausübung gebracht hatte. AS darauf der heilige Hierony- 
mus in Nom diefe Belehrungen und Erzählungen wieder 
auffrifcht, und venfelben das Beifpiel feines eigenen Yebens 
binzufügt, ftellt ſich Marcella nebſt ihrer Mutter Albina 
und ihrer Schwefter Ajella an die Spite jener auserwähl- 
ten Schaar edler Matronen, die ihn zu ihrem Seelenführer 
und Nathgeber wählen. Sie fett den heiligen Kirchenleh- 
ver Durch ihre Kenntniß der heiligen Schriften in Staunen, 
fie ermüdet ihn fast durch ihren Durft, immer mehr wiſſen 
zu wollen als er ihr davon erklären kann; und er fürchtet bei- 
nahe, an ihr eine Meifterin ftatt einer Schülerin zu haben?). 
In ihren Palaſte auf dem Aventinifchen Hügel verfammelt 
jie unter dem Vorſitze dieſes gewaltigen Controverfijten die 
gelehrtejten unter den Chriften in Rom und die frömmſten 
unter den Patrizierinnen, um ſich einander gegenfeitig zu 
bejtärfen und zu erleuchten. Nachdem fie jo zuerjt in 
Kom das wahre Miufter einer chrijtlichen Wittwe darge— 


') Ilustrem familiam, alti sanguinis decus, et stemmata per 
proconsules et praefectos prætorio decurrentia.... Propter aeta- 
tem et antiquitatem familie, et insignem, quod maxime viris 
placere consuevit, decorem corporis. S. Hieron., ep. 16, ad 
Prineipiam. 

?) Cum Rom& essem, nunquam tam festina me vidit, ut 
non de seripturis aliquid interrogaret.... Sagaci mente universa 
pensabat, ut me sentirem non tam diseipulam habere quam ju- 
dieem. S. Hieron.,. Pref. in Epist. Pauli ad Gealatas. 
Ita ut post perfeetionem nostram, si de aliquo testimonio Serip- 
turarum esset oborta contentio, ad illam judicem pergeretur. 
Ibid. ep. 16, ad Prineipiam, ce. 7. . 


151 


jtellt hat, verlebt fie ihre dreißig leiten Jahre auf ihrem 
Yandfite bei der Stadt, den fie fürmlich zu einem Kloſter 
einrichtet, und wird dort, in Abwefenheit des heiligen Hie— 
ronymus, und während der verdrieglichen Streitigkeiten 
zwifcehen ihm und Rufinus über die Yehren des Drigenes, 
in Rom eine Stüte der Nechtgläubigfeit, und ihre Beihülfe 
und ihr Rath Kommt ſelbſt dem Papſt Anaftafiıs zu 
jtatten ). 

Um eben diefe Zeit wandte fich eine römifche Dame Furia. 

des höchften Adels, Furia, deren Name ſchon ihre Abjtam- er 
mung vom großen Camillus anzeigt, nachdem fie jung und 
finderlos Wittwe geworden war, an Hieronymus, umd ev- 
bat bei ihm fich Anleitung für ihren Stand, in welchen fie, 
ungeachtet ihr Vater und ihre Verwandten in fie drangen ſich 
wieder zu verheirathen, für immer verbleiben wollte. Er giebt 
ihr eine Yebensvegel, die geeignet war, aus ihrem Wittwen- 
ftande eine Vorſchule des Elöfterlichen Yebens zu machen ?). 
Und bald darauf, im Jahre 400, muß ev auf dem gleichen 
Wege die junge Salvina, Tochter des Königs von Mau— 
vitanien und Wittwe des Hebridins, Neffen des Kaifers 
Theodofius, eines großen Freundes der Mönche und der 
Armen, zur Vollfommenheit führen °). Sie ward in Nom 
und in Konftantinopel das Weufter chriftlicher Wittwen. 

Unter allen die berühmtefte ift aber jene Baula, deren Die Heitige 
Mutter in gerader Linie von Paullus Aemilius und dem a 
jüngern Scipto abſtammt, deren Vater feine Abftammung sır—ior. 
bis auf Agamemnon zurüdführen zu können meinte, und 
deren Gemahl aus dem Gefchlechte der Julier war und 


) Ibid. Cfr. Baronius, Ann. ad an. 397. 
) Fleury, liv. XIX, c. 56. 
3) Hieronym., ep. ad Salvinam, 


152 
folglich zur Descendenz des Aeneas gehörte). So floß 
alfo das evelfte Blut in ganz Rom in den Adern jener 
frommen Frauen, die das hohe Talent des heiligen Hiero- 
nymus im der Gefchichte der Kirche auf immer berühmt 
gemacht hat. Wer hat nicht mit Freuden in der Gefchichte 
vie Töchter ver heiligen Paula fennen gelernt, die Wittwe 
Blefilla, welche fo jung, fo liebenswiürdig, jo gelehrt, fo bußfertig 
geftorben, nachdem fie mit einem Abkömmling des Camillus 
vermählt geweſen, und Euftochta, die Jungfrau, welcher 
Hieronymus die Ehre erwies, ihr das Gefetbuch der chrift- 
lichen Iungfränlichkeit zu widmen ?)? Befanntlich jchrieb 
er fpäter an Läta, die Schwiegertochter Paula's, den erſten 
Traltat über Töchtererziehung im chriftlichen Geifte, mittelft 
welchem auch die junge Paula, ſchon jeit dev Wiege Gott 
geweihet, für das flöfterliche Yeben vorbereitet wurde, in 
welchem fie, fo wie ihre Großmutter und ihre Tante, gelebt 
hat. Er erbot fih, in der Unbefangenheit feiner Geiftes- 
größe, das Kind felbft zu erziehen: „Alt, wie ich bin,“ 
jagt er, „werde ich mich dennoch an das findliche Stam- 
„meln gewöhnen, und mich dabei geehrter fühlen, als einft 
„Ariftoteles ; denn ich unterrichte, nicht einen König von 
„Macedonien, der durch das Gift Babylons umkömmt, 
„jondern eine Dienerin und Braut Chrifti, die ihm in dem 
Himmel dargeftellt werden ſoll.“ Paulina, die dritte der 


"% 


Töchter Paula's, ward an Pammachius vwerheirathet, der 


) Gracchorum stirps, soboles Seipionum, Pauli hæres, eujus 
vocabulum trahit, Marei® Papirie matris Afrieani vera et ger- 
mana progenies. .. Per omnes fere Græcias usque hodie stem- 
matibus et divitiis ac nobilitate Agamemnonis ferunt sanguinem 
trahere. .. Toxotio, qui Aene» et Juliorum altissimum sanguinem 
trahit. J. Hieron., Ep. 27, ad Eustoch. 

?) Epist. 22, ad Eustochiam, de Custodia virginitatis. 


153 


ſelbſt durch feine conſulariſche Geburt eben fo hochadelig 
als feine Gemahlin war. Nach Paulinens Tode Wittwer 
und Erbe ihrer großen Befitungen geworden, widmete auch 
er fich dem Flöfterlichen Leben und verdiente den Kuhn, 
von Hieronymus der Ober-General aller römischen Mönche, 
der erfte ver Mönche in der erften der Städte genannt zu 
werden '). „Wenn er fich öffentlich auf der Straße zeigt," 
fügt der heilige Yehrer hinzu, „jo begleiten ihn die Dürfti- 
gen, tie Paulina ausgeftattet und denen fie in ihrem Pa- 
lafte eine Wohnung gegeben hat. In der Berührung mit 
ihren ſchmutzigen Pumpen läutert ev feine Seele... Wer 
hätte gedacht, daß ein Urenfel der Conſuln, eine der Zier- 
ven des Camillifchen Gefchlechts, fich würde entfchliegen 
fönnen, im fchwarzen Mönchsgewwande durch die Stadt zu 
gehen, und fich nicht zu fchenen alfo gefleivet unter ven 
Senatoren zu erjfcheinen ? Und viefer nach dem Ruhme 
des himmlischen Gonfulats Ehrfüchtige, gewinnt fich die 
Stimmen der Armen durch wirffamere Spenden, als Spiele 
und Schauftücde es find. Erlaucht, beredt, reich und mächtig, 
jteigt er von feiner hohen Staatesftelle herab und wird 
wie Einer aus dem gemeinen römischen Volke. Aber ehe 
er ſich Chrifto gänzlich ergab, war fein Name nur im Se: 
nate berühmt; unbekannt, da er reich war, ift er jeßt ge— 
jegnet in alfen Kirchen des Erdkreiſes.“ 

Pammachius, der fein Vermögen und fein ganzes Yeben 
in befagter Weife den Armen weihete, ward in feinen 


) Primus inter monachos in prima urbe. .. Consulum pro- 
nepos et Furiani germinis decus. . . Et patris et conjugis nobi- 
litate patritium, . Nune multi monachi sapientes, potentes, no- 
biles quibus eunetis Pammachius meus sapientior, potentior, no- 
bilior; magnus in magnis: primus in primis; archistrategos 
Monachorum. 8. Hieron., epist. ad Pammach. 


Fabiola. 


154 


Werken der Nächſtenliebe unterſtützt und noch übertroffen 
von einer Wittwe, deren Herz noch viel größer als ihr 
großer Name war: von Fabiola !), aus jenem außerordent— 
lichen Gefchlechte der Fabier, aus welchem fich dreihundert 
auf einmal für Nom dem Tode weiheten, und das in der That 
Nom dadurch gerettet hat, dag es ihm den großen Mann ges 
ichenft, vor dem der Arm Hannibals nicht zu bejtehen ver— 
mochte. Einem abjchenlichen Wüftlinge vermählt, hatte 
Fabiola von dem römischen Geſetze Gebrauch gemacht, um 
jich won ihm zu ſcheiden und ihre Hand einem wiürdigern 
Gemahle zu geben; dann aber, über das Gefets ihres 
Glaubens unterrichtet, büßte fie dies Vergehen durch öffent: 
liche Kirchenbuße in der lateranenfifchen Baſilika, und fortan 
war ihr Wittwenftand nur eine lange thatenvolle Sühne. 
Sie verwendete ihre ungeheuern Neichthümer zur Grün 
dung des erjten Hospitals, das in Nom entjtand; in dem— 
jelben nahm fie die Kranfen der ärmeren Bolfsklaffen auf, 
die fie auf den Plätzen der Stadt zufammenfuchen ließ, 
bediente und fpeifte fie eigenhändig, wufch deren Wunden 
und Geſchwüre, von deren Anblid Andere fi mit Ekel 
wegiwendeten, wartete und pflegte jie liebevoll und ſtand 
ihnen im Augenblicke des Sterbens wie ein tröftender Engel 
zur Seite ?). Sie zeigte dabei fo viel Zartheit, ein fo 
mütterliches Herz, daß die Gefunden unter den Armen 


) Siehe ihr Leben, vom heiligen Hieronymus gejchrieben, 
Epist. 30, ad Oceanum. 

?) Prima omnium »0o60z0usiov instituit, in quo »grotantes 
colligeret de plateis, et consumpta languoribus atque inedia mi- 
serorum membra foveret... Quoties morbo regio et paedore 
confectos humeris suis ipsa portavit! quoties lavit purulentam 
vulnerum saniem, quam alius aspicere non valebat!.. Spirans 
cadaver sorbitiuneulis irrigabat. Hieron., loc. eit. 


155 


frank zu werden wünfchten, um unter die Zahl ihrer Pfleg- 
linge aufgenommen zu werden. Bon den Dürftigen dehnte 
jie ihre mütterliche Fürforge auf die Mönche aus. Sie 
begnügte fich nicht, für die Bedürfniſſe aller Klofterleute 
beiderlei Gefchlechts in Nom und in Latium Sorge zu 
tragen; fie wollte auch fo viel als möglich der Armuth 
jener in den Buchten des Meittelmeeres verftecten, und ſo— 
gar der auf den Infeln erbauten Klöſter, zu Hiülfe fom- 
men, kurz überall da, wo die Chöre der Mönche ihre 
reine und Elagende Stimme zum Himmel erfchallen Liegen. 

Den Borgang bildend für eines der dauerndſten und 
allgemeinften Werfe der Wohlthätigfeit, welche die Welt 
den Mönchen verdankt, ließ fie, vereint mit Pammachius, an 
der Mündung der Tiber !) ein Hospital für die Pilger 
erbauen, welche ſchon damals zahlreich nach Nom ftröms 
ten; fie empfing viefelben bei ihrer Anfunft und verab- 
ſchiedete fie bei ihrer Abreife, fo viel fie konnte, perſönlich, 
und ließ e8 an Sorge für fie und an Almofen nie fehlen. 
Der Ruf ihrer großartigen Freigebigfeit verbreitete fich in 
furzer Zeit über die ganze römische Welt: man fprach da- 
von bei den DBretonen, fie erhielt Dankbezengungen aus 
Aegypten und Berfien *). Bei der Annäherung ihres To- 
des lud fie fchriftlich eine große Zahl von Mönchen zu 
jih ein, denen fie austheilte, was ihr von ihrem Vermögen 
noch übrig war. Und als diefe Frau, die man die Trö— 
jterin der Mönche ?) nannte, im Herrn entfchlafen war, 


) In Portu romano, das heutige Borto, zerftörte bifchöfliche 
Stadt, jehs Millien von Oftia, 

) Xenodochium imperio Romano suum totus pariter mun- 
dus audivit: sub una »state didieit Britannia quod Aegyptus et 
Parthus noverant vere. S. Hieron., loc. cit, 

3) Solatium monachorum, Zbid. 


156 


betheiligte jich ganz Rom an ihrem Begräbniſſe; Pfalmen- 
gefang und Halleluja ertönten überall: die öffentlichen 
Pläte, die Säulenhallen, die Dächer der Häufer Fonnten 
die Menge ver Zufchauer nicht faffen, die fich von allen 
Seiten herbeidrängten. „Es ift mir als höre ich hier,“ 
ichrieb der heilige Hieronymus zu Bethlehem, „vie eilenden 
Schritte derer, die vor ihrem Sarge hergeben und die 
dichten Schaaren des Volkes, das ihn begleitet. Nein, 
weder Camillus triumphirte jo glorreich über die Gallier, 
noch PBapirius über die Samniter, noch Scipio über Nu- 
mantia, noch Pompejus über Mithrivates; aller Pomp all 
diefer Sieger ift ven Ruhm diefer unerfchrocdenen Büßerin 
nicht werth“). Und ihr gebührte dieſer höhere Ruhm 
mit Recht; denn fie hatte, zwilchen der Schmach des römi— 
chen Kaiferreiches, und dem Elend, das die Barbaren der 
Völferwanderung brachten, in die Welt ein neues ruhm— 
und preiswiürdiges Clement eingeführt, von dem die Ver- 
gangenheit nichts wußte: fie ward die perfongeiwordene 
Nächitenliebe, die mehr giebt als nur Brod, mehr ale 
nur Gold: die Liebe, die fich felbft hingiebt, die Nächften- 
liebe des Mönches, die Nächitenliebe der Kloſterfrau. 

Im Baterlande der Yucrezia und der Porzia, das all- 
zulange von den Livien, den Mejjalinen bejudelt worden 
war, vollenden dieſe chriftlichen Heldinnen vie römiſche 
Geſchichte, fie eröffnen die Annalen des Mönchthums ; fie 
vermachen demfelben die Urbilder der Keufchheit, der Näch- 
ftenliebe, der hohen Bußſtrenge, die bisher noch nicht er- 
reicht, die nachher nicht übertroffen worden find. Um fie 


) Audio pr&cedentium turmas... Non sie Furius de Gallis, 
non Papirius de Samnitibus.... Favebant sibi omnes in gloria 
poenitentis. Ibid. — Fabiola ftarb im Jahre 39. 


157 


ber vervielfältigten fih in Nom die Manns und Frauen- 
flöfter, in welchen Jedermann durch Gebet, Faften, Ent- 
haltſamkeit fich auf die furchtbaren Entſcheidungskämpfe 
der Zufunft vorbereitete, und wo die lebten Sprößlinge 
der alten und ımüberwindlichen Nömer der Anfunft der 
Barbaren harrten. As Rom im Jahre 410 zum erten 
Male von den Gothen erobert und geplündert wurde, finden 
die Krieger Alarichs beim Eindringen in die ewige Stadt, 
die ehrwürdige Marcella gefaßt und furchtlos ruhig in 
ihrem klöſterlichen Palafte auf dem Aventinifchen Hügel, 
wie die Gallier des Brennus achthundert Jahre zuvor die 
römischen Senatoren auf ihren curulifchen Stühlen von 
Elfenbein, göttergleich dafitend, wie Livius jagt, und ſchwei— 
gend den Tod erwartend, gefunden hatten. Sie verlangen 
Gold von der ehrwürdigen Mutter der römischen Klöfter; 
fie wollen nicht an die durch ihr grobes Kleid bezeugte 
freiwillige Armuth derjelben glauben, und mißhandeln fie 
mit Schlägen . Marcella bleibt unempfindlich bei dieſer 
rohen Mißhandlung, aber fie wirft fich vor den Barbaren 
nieder und flehet um Gnade für die zarte, gottgeweihete 
Jungfrau, die ihr als Begleiterin diente *). Das hieß, 
gewiffermaaßen, das Unmögliche fordern : diefe wilden Be— 
ftien, wie der heilige Hieronymus fich ausdrückt, die perio- 
diſch in das Neich einfielen, gingen vecht eigentlich darauf 
aus, zarte, edle römische Damen, freigeborne Frauen, gott- 


') Marcelle quoque domum cruentus vietor ingreditur, .. 
Intrepido vultu excepisse dieitur introgressos. . . cæsam fustibus 
flagellisque. S. Hieron., ep. 16, ad Prineipiam. 

?) Ne sustineret adolescentia quod senilis ætas timere non 
poterat. S. Hieron., loc. cit. — Quot matron®, quot virgines 
Dei et ingenua nobiliaque corpora his belluis fuere ludibrio! 
Id. ep. 35. 


Marcella bei 

der Plünder—⸗ 
ung Roms 
durch bie 
Sothen. 


158 


geweihete Jungfrauen zum Spiele ihrer wilden Lüſte zu 
machen. Und dennoch wird diesmal ihr unzüchtiges Ge- 
lüften durch Gebet und Thränen befiegt. Diefe unbefannten 
Barbaren ernenen, die Jungfrau verichonend, die That, 
durch die fich der jüngere Scipto unfterblichen Ruhm er- 
worben; und Marcella flieht mit ihrem geretteten Schüt- 
linge zum Grabe des heiligen Paulus, wo fie, in dieſe 
ihre letzte Siegestrophäe, fo zu fagen, eingehüllt, bald dar- 
auf ſtirbt. 
Der heilige Alte dieſe heiligen hochherzigen Frauen kennen wir 
— durch den Geiſtesrieſen, der ihr Zeitgenoſſe, ihr Geſchicht— 
Führer und ſchreiber, ihr Rathgeber war. Vierzig Jahre hindurch iſt 
Geſchicht. der heilige Hieronymus erſt in Nom, dann in Bethlehem, 
fchreiber der , a = * — 
enaen ihr Lehrer, ihr Führer, der fie entflammt und für die 
Patrizie- höchften Güter begeiftert. Er bewunderte fie vielleicht 
0, Noch mehr, als er von ihnen bewundert wurde, und 
winfchte, daß die Nachwelt diefe Bewunderung heilen 
möge: e8 ift ihm gelungen, indem er ihr jene, mit feiner 
ftürmifchen Beredtfamfeit ausgeprägten, won feiner 'glühen- 
den Bewegung durchdrungenen Erzählungen hinterlafjen hat, 
welche von der Kirche adoptirt wurden, und die eines der 
ſchönſten Blätter ihrer Gefchichte bilden. 

Die Gefchichte des Mönchthums fordert, als ihr an- 
gehörig, den Ruhm des heiligen Hieronymus, diefes Löwen 
der chriftlichen Polemik, eines Löwen, der zugleich heiß erglüh— 
end und gebändigt erfcheint, erglühend durch Eifer, gebändigt 
durch Buße. Wir haben hier nicht in das ganze Leben diejes 
großen Kirchenlehrers einzugehen, der, in Dalmatien ge- 
boren '), nach einander nad) Nom, nach Gallien, nach Kon— 


) Den Einen zufolge im Jahre 331, nad) Anderen 340 oder 
346. Diefe letztere Annahme jcheint die vichtigere zu fein. Siebe, 


159 


ftantinopel den herben Ungeftüm feines Charafters, die heiße 
Glut feines Glaubens, die unermüdliche Thätigfeit feines 
Geiftes, die unermeßlichen Hülfsquellen feines reichen Wif- 
ſens und jenen nicht zu erfchöpfenden Strom der Begei— 
fterung brachte, die manchmal in Schwulft und Gezwungen- 
heit ausartete, meiftens aber ſich zur Höhe Achter Eloquenz 
erhob. Was uns hier vorzugsweife am ihm intereffirt, ift 
der Mönch, der Einfiedler, der aus dem Abendlande fom- 
mend die Strömung des Mönchthums auf feine Duelle im 
Driente zurückzuführen verfucht, und dem es vielleicht ge— 
(ungen wäre, die Mönche des Drients auf Jahrhunderte 
zu vegeneriren, wenn Gott es ihm gegeben hätte, denfelben 
den frifchen Muth und die Thatkraft einzuflößen, die er 
aus den Bergen jeiner fernen Heimath mitbrachte. Bon 
einem leivenfchaftlichen Drange und dem lebendigen Gedan— 
fen an fein Seelenheil in die Einfamfeit geführt, flieht er 
die Pafter und die Wollüfte Noms; er fucht in Shrien 
unter den zahlreichen Mönchen, welche viefe Gegend zu 
einem lebendigen Seitenſtücke des Hlöfterlichen Aegyptens 
machten, eine Zufluchtsftätte. In der heigen Wüfte von 
Chaleis, an der Grenzſcheide Arabiens, fehliegt er fich wie 
in einer einfamen Burg ab, und hier, ganz im Studium 
des Hebräifchen und des Chaldäifchen vertieft, bereitet er fich 
zu einem gediegenen Erflärer und Ueberſetzer der heiligen 
Schriften vor. Damit verbindet er das Studium der Pro- 
fan-Schriftfteller, befonders feines Yieblings-Autors, Cice— 
ro's; diefen ſtudirt er mit folcher Yeidenfchaftlichfeit, daß er 
jelbft davor erſchrickt und fich davon abzuftehen gelobt, in 
Folge jener befannten Traumgefchichte, die er ſelbſt jpäter, 


eine qute Gefhichte des heiligen Hieronymus von Kollom- 
bet, Bon 1844. 


160 


zum großen DVortheil feiner eigenen Geiftesbildung und un— 
ferer Erbauung, nebſt feinem übereilten Gelöbniß wieder 
vergaß; denn nie hat Jemand zeitgemäßer und mit mehr 
Erhabenheit als er, die großen Thatſachen des Klaffischen 
Alterthums in Erinnerung gebracht‘). Andere bedrohlichere 
Geſichte beumruhigten ihn in feinen Gebeten und Bußüb— 
ungen, bei den überjtrengen Fajten, die er fich, feinem 
Seelenheil zu lieb, auferlegte; Erinnerungen an die Genüffe 
Noms, die fich feiner glühenden Phantafie in ven lebhaf- 
teften Bildern darftellten, verfolgen ihn in feiner Einöde?). 
Bald aber triumphirt er durch den gefegneten Einfluß, den 
eine Einfamfeit, in der man Gott zu Yiebe lebt, immer aus- 
übt, über diefe Phantasmen der Vergangenheit. Er fühlt 
fih ſtark umd gefichert gemug, um gegen das Ende diejer 
der Einfamfeit gewidmeten Epoche feines Yebens einen 
Jugendfreund, deſſen Seelenheil ihm wie das eigene theuer 
ift, zu fich zu rufen ; über die Meere hinüber vuft er demſelben 

') Bekanntlich hat er felbft die Erzählung dieſes Traumes ges 
fhrieben, unter dem Titel? Geſchichte meines Mißgeſchickes. 
— Siehe Collombet I, ec. 7, und II, e. 1, über die klaſſiſchen Stu- 
dien des heiligen Hieronymus, die ex ungeachtet jenes Denfzettels 
doch wieder aufnahm, was ihm mit fo vieler Härte von feinem Geg- 
ner Rufin vorgeworfen wird. Er denft fo wenig an jenen Traum 
und fein Berjprechen, daß er die Dialoge Eicero’8 von Mönchen ab- 
jchreiben läßt, felbft in Bethlehem Virgil erklärt und auf die An— 
Hagen Rufins antwortet, es handle fih nur um einen Traum. 
„Denjenigen, der mir einen Traum zur Laft legt, ver- 
weife ih an die Propheten, welche lehren, daß die Träu— 
me eitel find und feinen Glauben verdienen.“ Contra 
Ruffin. I, 30. — Ozanam, Civilisation au Vme siecle, I. 301, 
hat diefe ganze Frage ausdrücklich behandelt. 

?) Ipsam quoque eellulam meam, quasi cogitationum mearum 
consciam, pertimescebam. Ep. 22, ad Eustochiam. 


161 


zu: „O Wüfte, dicht befüet mit den Blumen Chrifti! O 
„Einöde, wo die Steine wachfen, mit welchen die Stadt 
„des großen Königs in der Offenbarung erbaut ift! O 
„Einfamfeit, vie fich des vertrauten Umganges mit Gott 
„erfreut! Was machft du, mein Bruder, was macht du 
„noch in der Welt mit deiner Seele, die größer ift als bie 
„Welt? Wie lange wirft du noch unter den finjteren 
„Dächern in den rauchigen Gefängnijjen ver Städte bleiben ? 
„Slaube mir, ich habe bier mehr Licht ')." 

Nachdem er fich fünf Jahre lang an diefem Lichtquell 
gefättigt, ward er durch verläumderifche Anflagen, die feine 
Eigenfchaft als Abendländer in den Geiftern hervorgerufen 
hatte, aus feiner geliebten Einöde vertrieben. Er begab fich 
nacheinander nach Jeruſalem, nach Antiochien, wo er zum 
Priefter geweihet wird, jedoch mit der von ihm gemachten 
Bedingung, an feiner befondern Kirche Dienfte werfehen zu 
müffen, fondern fortwährend als Mönch leben zu können; 
nach Konftantinopel, wohin der Auf des heiligen Gregor 
von Nazianz ihn führt; nah Rom, wo er Sefretär des 
großen Papites Damafus wird; nach Alerandrien, von wo 
aus er die Mönche der Thebais befucht. Endlich, im Jahre 
385, fehrt er wieder nach dem heiligen Yande zurück, um 
es hinfort nicht wieder zu verlaffen, und jievelt fich in 
Bethlehem an, wo er fich ein Kleines Klofter nebſt einer 
Herberge für die Pilger erbaut?). Hier, im einer engen 


') O desertum floribus Christi vernans!... O domus, fami- 
liarius Deo gaudens!... Ep. I, ad Heliod. 

) Apud Bethleem degens, ubi et monasterium sibi condidit. 
Marcellini Chronic., an. 392. Nos in ista provincia ædificato 
monasterio et diversorio propter exstructo. Ep. 26 ad Pammach. 
— Später bewohfte und leitete er das Klofter, welches die heilige 
Paula zu Bethlehem hatte erbauen laffen. 

v. Montalembert, d. Mönde d, A. 1. 11 


162 


und ärmlichen Zelle, voll Begierde, die Eingebungen des 
Glaubens, die Werfe, zu welchen die Gegenwart der Krippe 
des Erlöfers antvieb, aufzuzeichnen, und treu dem Gefete 
der Arbeit, die er als ven Lebensgrund des Mönchthums 
betrachtet, vollendet der ruhmmwindige Mönch feine Ueber- 
ſetzung und Erklärung der Bibel. Sp entjteht denn hier 
die Vulgata, „durch welche er zu einem Meifter der chrift- 
lichen Profa für die nachfolgenden Jahrhunderte geworden 
iſt).“ Mit dieſer hochwichtigen Arbeit verbindet er die 
Erziehung einiger Kleinen Kinder, denen er in den Grund- 
zügen der profanen Wiffenfchaften Unterricht gibt. Er gibt 
den zahlreichen Mönchen, welche fein Ruf aus allen Theilen 
der Welt herbeizog und die ihn mit ihren Befuchen in nicht 
geringem Grade beläftigten, Wohnung in feinem Klofter?); 
dann nimmt er auch die Trümmer des römifchen Adels bei 
ſich auf, die durch die Plünderung Roms rumirt waren 
und nun zu ihm nach Bethlehen famen und bei ihm Unter- 
funft fuchten. Er fett hier auch feine Bekämpfung der Un- 
ordnungen und Irrthümer fort, die er in der Kirche wahr- 
nahm, was ihm viele und heftige Feindfchaften zuzog. Ei- 
nigemal, namentlich gegen Ende feines Lebens, erhielt er 
davon handgreifliche Proben; als nämlich die Pelagianer, 
um ſich wegen der Angriffe gegen den Stifter ihrer Sefte, 
welcher zu Jeruſalem feine Irrlehren vwortrug, zu rächen, 
nach Bethlehem kamen, jein Klofter fürmlich belagerten, 
plünderten und verbrannten, jo daß Hieronymus felbjt nur 


) Ozanam, Civilisation au Ve sitcle, tom. II, p. 100. 
Siebe auch insbejondere den herrlichen Löten Vortrag unter dem Titel: 
„Wie die lateinifhe Sprade briftlih geworden iſt, einer 
der ſchönſten dieſes Meiſterwerkes unfers katholiſchen Geſchichtſchreibers. 

?) Tantis de toto orbe eonfluentibus obruimur turbis Mona- 
chorum. Ep. 26, ad Pammach. 


163 


der Gefahr entrann, indem er fich noch rechtzeitig in einen 
befeftigten Thurm retten fonnte'). 

- Während feines Aufenthaltes zu Nom hatte er die 
Liebe zum Flöfterlichen Leben mit eben fo viel Eifer als 
Erfolg dafelbft verbreitet. In Bethlehem fette er dies Apo- 
jtolat fort, und warb für dafjelbe mitten in Italien zahle 
reiche Refruten, die ihr ganzes Befitsthum für die Armen 
Shrifti hingegeben hatten, und die er nun in die Kämpfer— 
Ichaaren des Mönchthums einreiht. Ohne Raſt und Ruhe 
drängt er Solche, die widerjtreben oder im letzten Augen— 
blicke fich nicht entfchliegen können. So fehreibt ev an Ju— 
lian: „Du haft vielen Armen gegeben, aber einer noch viel 
größeren Zahl haft du nicht gegeben. Die Neichthümer 
des Kröſus wären nicht hinreichend zur Unterftütung aller 
Yeidenden. Du unterftüßejt die Mönche, du machjt den 
Kirchen Vergabungen, du dieneft den Heiligen, nun aber 
thue noch Eines: Ändere deinen Stand und fei fortan ein 
Heiliger unter den Heiligen ?). 

Aber feine Bewunderung für das Flöfterliche Yeben 
machte ihn fFeineswegs blind gegen die Lafter und Miß— 
bräuche, die ſich ſchon damals unter den Mönchen ein- 
jchlichen. Keiner hat emergifcher die falfchen Mönche, die 
falfehen Büßer, die falfchen Wittwen und die falfchen Jung— 
frauen gerügt und gebrandmarft als er. Feſt und fühn 
bezeichnet ev alle Fehler und alle Gefahren des Inſtituts: 
bald weift ev hin auf den Trübfinn, der in Folge ungeord- 
neter Leſung oder ungemefjenen Faftens in Schwermuth 
ausartet und geeigneter ift für die Hülfe ärztlicher Kunſt 


) S. Augustin., De Gestis Pelagian. 


?) Epist. 34, ad Julian. 
1 


Er rügt die 

Verirrungen 
der falſchen 
Mönche. 


164 


als für die Belehrungen des Bußlebens ); bald auf das 
Gepränge umd den Luxus, die fich unter dem Mönchsge- 
wande bergen, ohne auf die Genüffe der Tafel, auf golve- 
nes und feines Frhftallenes Tafelgefhirr, auf die Menge 
von Tifchgenoffen und Dienern verzichten zu wollen); bald 
auf die Heuchelei, welche die leichtgläubige Frömmigfeit der 
Adeligen oder der Frauen mißbrauchte?) ; aber ganz bejon- 
ders auf den Hochmuth, der fogenannte Befehrte veranlaßte, 
über ihre in der Welt zurücfgebliebenen Brüder zu urthei- 
len, fogar Biichöfe zu verachten, aus ihren Zellen zu gehen, 
um ſich in den Städten herumzutreiben und unter dem 
falſchen Scheine fittfamen Niederfchlagens der Augen auf 
öffentlicher Straße an die Vorübergehenden anzurennen ?). 
——— Dieſe vollkommen berechtigte Strenge gegen den Miß— 
der eben brauch entflammte ihn aber zu einer um jo lebendigeren 
ver Begeiſterung für die großen Begründer des Mönchthums, 
über welche er an Ort und Stelle die Ueberlieferungen ge— 
ſammelt und deren Geiſt ihn in Aegypten angewehet hatte. 
Er unternahm es, das Leben einiger der berühmteſten unter 
ihnen zu beſchreiben, das Leben des Paulus, des Hilarion, des 
Einſiedlers Malchus, den er ſelbſt in Syrien gekannt und ge— 
hört hatte; denſelben fügte er die. Lebensbeſchreibungen er— 
lauchter Römerinnen bei, die ein Jahrhundert ſpäter mitten 
in Rom Beifpiele gaben, die den Wundern der Thebais 


) Vertuntur in melancholiam, et Hippocratis magis fomen- 
tis quam nostris monitis indigent. Ep. 225 (al. 7) ad Rusticum. 
— 130 (al. 8), ad Demetriadem. 

) Ex vitro et patella fietili aurum eomeditur, et inter turbas 
examina ministrorum nomen sibi vindicant solitarii, Ep 225 (al. 
4), ad Rusticum. 

®) Ep. 18 (al. 22), ad Eustochiam. 

) Ep. 15 (al. 77), ad Marcum; 95 (al. 4), ad Rusticum. 


165 


würdig zur Seite ftehen fünnen. „Das find,” jagt er mit 
einem gewiffen Stolze, durch den eine Art von friegerifch- 
fiterarifchem Ehrgeize durchblickt, „das find unfere Vorbilder 
„und unfere Häupter. Jedes Handwerk hat feine Meufter. 
„Den vömifchen Feldherren fommt e8 zu, die Regulus und 
„die Scipionen nachzuahmen; den Philofophen ihrem Py— 
„thagoras und Plato zu folgen; die Dichter haben Homer; 
„die Redner Lyſias und die Gracchen: was uns betrifft, 
„To find unfere Heerführer die Paulus, die Antonius, die 
„Hilarion, die Mafare!).” Dann in großartiger Weife auf 
ſich ſelbſt zurückkommend, ſchließt er eine feiner ſchönſten 
Darſtellungen mit den Worten: „Ich bitte dich dringend, 
„wer du auch ſeieſt, der dieſes lieſt, gedenke des Sünders 
„Hieronymus, der, wo Gott ihm die Wahl ließe, ſicherlich 
„die Tunica Pauls mit ſeinen Verdienſten dem Purpur und 
„den Fürſtenthümern der Könige mit ihren Plagen vor— 
„ziehen würde?).“ 

Solche von ſeinem leuchtenden Beiſpiele unterſtützten 
Lehren waren mehr als genügend, um dieſen abend— 
ländiſchen, nach dem Oriente gewanderten Vater des Mönch— 
thums zum Haupt und Orakel aller Mönche feiner Zeit zu 
machen. Und in der That jammelten fie fih aus allen 
Fändern, aus allen Ständen fchaarenweife um ihn, und als 
er, ein achtzigjüähriger Greis, im Jahre 420 ftarb, konnte 


') Habet unumquodque propositum prineipes suos. Romani 
duces imitentur Camillos, Fabrieios, Regulos, Seipiones ; Philo- 
sophi proponant sibi Pythagoram, Socratem, Platonem, Aristo- 
telem; po&et® Homerum ete., oratores Lysiam , Gracchos ete. 
Nos autem habeamus propositi nostri prineipes Paulos et Anto- 
nios, Julianos, Hilariones, Macarios. 

?) Tunicam Pauli cum meritis ejus, quam regum purpuram 
cum pœnis suis (al. cum regnis suis). 


166 


er jich neben ver edlen Paula!) und ihrer Tochter Eujto- 
chin?) beifegen laſſen, welche nebjt alle den vielen Anderen 
in feine Nähe und zu dem unfcheinbaren Heiligthume ge- 
fommen waren, in welchem der Welterlöfer geboren ift. 
Hieronymus war das eigentliche Haupt dieſer unun— 
terbrochenen Auswanderung, die während der erjten Jahre 
des IV. Jahrhunderts eine jo große Zahl edler Römerinnen 
und Chriften aus dem Abendlande nach Paläftina und Ae- 
gypten fortriß. In dem Maaße, als die Seelen tiefer von 
den Wahrheiten des Glaubens durchdrungen wurden und 
ſich vollftändiger den Uebungen ver chriftlichen Tugenden 
ergaben, fühlten fie einen immer unwiderftehlicheren Zug 
nach jenen Gegenden, welche zugleich vie Wiege der chrift- 
lichen Religion und des Mönchthums gewefen waren. Da- 
mals begannen jene Pilgerfahrten, die zu den Kreuzzügen 
führten, die erft mit der Abfchwächung des Glaubens auf- 
hörten und an deren Stelle feither andere Entdeckungs— 
fahrten getreten find, vie allzuwoft nur aus Gewinnfucht oder 
aus frivoler Neugierde unternommen werden. In jener 
zeit aber war das Herz der Chriften von zwei mächtigen 
Beweggründen getrieben, die fie von ihrem heimathlichen 
Herde losriſſen und wegen welcher fie ſich allen Schwierig: 
feiten, allen Gefahren und ver heute fast unbegreiflich 
langen Dauer einer Reife in den Drient ausfegten. Man 
wollte die Spuren der Füße unjers Herrn Jeſu Chrifti 
auf jenem geheiligten Boden ſelbſt werehren, wo er zu un— 
jerer Erlöfung durch das Leben und den Tod hindurch ge- 
gangen war; man wollte ferner jene Wüften, jene Gebirgs- 
höhlen, jene Felfen befuchen- und mit eigenen Augen jehen, 


) r 404. 
°’) r 419. 


167 


wo damals Diejenigen lebten, die durch ihre auperorvent- 
liche Bufftrenge und durch ihren wor nichts zurückſchrecken— 
ven Gehorfam gegen die fchwierigften VBorfchriften des gütt- 
lichen Erlöfers Chrifto näher zu fein fehienen. 

Die vielgepriefene Paula begab fich, noch jung und 
durch die zarteften und legitimften Bande an Italien ge- 
fnüpft, nach dem Vorgange des heiligen Hieronymus, in's 
Morgenland!), um dort die von den Paulus und den Anz 
tonius geheiligten Wüften zu befuchen?). Sie verläßt ihr 
Baterland, ihre Familie, ihre Kinder fogar?), und nur bes 
gleitet von ihrer Tochter Euftochia durchſchifft fie das mit- 
telländifche Meer, landet in Syrien, befucht das heilige 
Land und alle im der heiligen Schrift genannten Stätten 
mit unermüdetem Eifer; geht nach Aegypten hinab, dringt 
in die Wüſte von Nitrien, in die Zellen der frommen 
Mönche ein, bezeugt denjelben ihre Verehrung, fragt fie um 
Kath, bewundert fie und reißt fich dann nur mit Mühe 
wieder [08 von diefen gefegneten Stätten, um fich nach Pa- 
läſtina zurückzubegeben. In Bethlehem wählt fie ihren blei- 
benden Aufenthalt; dafelbft gründet fie zwei Klöfter, eines 
für Männer, welches ver heilige Hieronymus geleitet zu 
haben fcheint; das andere jehr zahlveiche für Frauen, in 
das fie felbft nebft ihrer Tochter und einer Menge Jung— 
frauen aus verfchiedenen Kindern und verfchiedenen Standes 
eintritt. Beide ftarben daſelbſt, ſowie auch die jüngere 
Paula, die ebenfalls zu ihrer Großmutter und Tante her- 


') Melania war ihr feit 372 darin ſchon zuworgefommen; Doch 
ift nicht nachgewiesen, daß dieſelbe durch die Ermunterungen des hei- 
ligen Hieronymus dazu veranlaßt worbeit fei. 

?) Ad eremum Paulorum atque Antoniorum pergere gestie- 
bat, Ep. 27, ad Eustochiam. 

3) Nesciebat se matrem, ut Christi probaret ancillam. Zdrd. 


Die heilige 


Paula, ihre 


Tochter und 
ihre Enkelin 
zu Bethlehem. 


168 


übergefommen war, um im der Nähe des Grabes Chrifti 
zu leben und zu fterben, wodurch fie zeigte, daß die zarte 
Sorgfalt, die der heilige Hieronymus feit ihren Kindestagen 
für fie gezeigt hatte, von gutem Erfolge gefrönt worden ſei. 
Die Großmutter fowie auch- ihre Tochter verfahen im Klo— 
jter den Dienft als Stubenmädchen, Köchinnen, Lampen- 
pußerinnen!), was Alles fie nicht hinderte, ihre friiheren 
griechifchen und hebräifchen Studien mit Beharrlichfeit fort— 
zufeßen. Die Vulgata ward vom heiligen Hieronymus be— 
gonnen, um dem Wiſſensdrange diefer beiden Frauen ent- 
gegen zu fommen, um ihre Zweifel zu löfen und ihre Forfch- 
ungen zu leiten. Ihnen widmete ev fein Werf und unter- 
jtelft es ihrer Beurtheilung %). In diefem Klofter waren 
alle Klofterfrauen zum Studium verpflichtet, täglich mußte 
eine jede etwas aus der heiligen Schrift auswendig lernten. 
Aber über allem Studium, fogar über dem Leben der Buße 
jtand dieſer hochherzigen Römerin die Yiebe, die alle ihre 
Gedanken, alle ihre Handlungen durchdrang. Ihr ganzes 
Erbtheil verwendete fie zu Almofen, und nie weigerte fie 
einem Armen eine Gabe. Sogar Hieronymus felbft hielt 
ſich verpflichtet, ihr über ihre VBerfchwendung Vorftellung 
zu machen und fie zur einer gewilfen Klugheit zu mahnen ?). 
„Ich habe nur Einen Wunſch,“ antwortete fie ihm mit der 
gleichen Gluth der Nächitenliebe, von der fich ſpäter die 
heilige Elifabeth entflammt zeigte, „nämlich den, als Bett- 


') Vel lucernas coneinnant, vel suecendunt focum, pavimenta 
verrunt, mundant legumina... apponunt mensas, calices porri- 
gunt, effundunt eibos... Ep. 26, ad Pammach. 

?) Ep. 92, ad Paul. et Rust. Cfr. Ozanam I, 101. 

) Fateor errorem meum; cum in largiendo esset propitior, 
arguebam... Hoc habere voti ut mendicans ipsa moreretur, ut 
unum nummum filie non dimitteret... JIdid. 


169 


ferin zu fterben, meiner Tochter nicht einen Helfer zu hinter- 
faffen und in einem Leichentuche begraben zıt werden, das 
man mir als Almofen gegeben hat." „Wenn ich betteln 
muß," ſetzte fie Hinzu, „So finde ich vielleicht Viele, die mir 
etwas geben, wenn aber diefer Bettler, der mich um ein 
Almofen bittet, nichts von mir bekömmt und vor Elend ver- 
Ichmachtet, von wem anders als von mir wird alsdann 
feine Seele gefordert werden ?" Wirklich hinterließ fie, als 
jie ftarb, ihrer Tochter feinen Heller, fagt Hieronymus, 
wohl aber Schulden zu tilgen, und eine große Anzahl von 
Brüdern und Schwetern, deren Erhaltung allerdings fehr 
ſchwer wird, aber deren Entlaffung gottlos fein würde !). 
Indem fie aber die Ermahnungen und den Tadel über ihre 
übermäßigen Spenden danfbar annahm, wußte fie im Grunde 
recht gut, daß derjenige fie völlig verftehe, ver fich felbit 
von Allen entäußert, und noch Fürzlich erſt feinen Bruder 
Paulinian in die Heimath nach Dalmatien entfandt hatte, 
um daſelbſt alle Güter der Familie zu Gelde zu machen, 
um der Armuth zu Hülfe zu fommen, in der fich die Klö— 
jter in Bethlehem befanden. 

Uebrigens ift e8 wohlthuend zu fehen, daß diefe fo 
außerordentlich ftrengen Frauen, dieſe gegen fich felbft fo 
harten und muthvollen Römerinnen in ihrem Herzen eine 
überreich fliegende Ader innigfter Zärtlichkeit bewahrten, 
und glühend feſt an den Banden hielten, die fie gemeint 
hatten, nicht zerreißen zu müffen, indem fie fich Gott hin- 
gaben. Mütterliche und kindliche Liebe durchglühte dieſe 
unerſchrockenen Herzen auf's Tiefſte. Beim Begräbniß der 


€ 


') Ne unum quidem nummum... sed... fratrum et sororum 
immensam multitudinem, quos sustentare arduum, et abjicere 
impium est... 


170 
Bleſilla, ihrer älteften Tochter, fonnte Paula ihren Schmerz 
nicht bemeiftern und ſank ohmmächtig zu Boden, fo daß 
man für ihr Yeben fürchtete. Hieronymus mußte in einem 
jehr Schönen Sendfchreiben an fie fein ganzes Anjehen ge- 
brauchen, um fie zur Ergebung in den Willen Gottes zu 
bringen, indem er ihr begreiflich machte, daß das Weber: 
maaß ihres Schmerzes in den Augen der Heiden ein Aer- 
gerniß und für die Kirche und den Ordensſtand eine Uns 
ehre fei. Als zwanzig Jahre ſpäter Paula in ihrem Klojter 
zu Bethlehem jtarb, eilte Euftochta, die ihr während ihrer 
Krankheit die zartefte und unermüdlichjte Sorgfalt gewidinet 
hatte, ganz außer fi vor Schmerz, von der Bahre der 
Mutter zu der Grotte, in welcher der Erlöfer geboren ward, 
und flehete zu Gott mit inftändigem Gebet und mit Thrä- 
nen, er möge auch fie jest jterben und mit der Mutter be- 
graben werden laſſen. Dann, als die Leiche der frommen 
Frau zu Grabe getragen wurde, warf fi Euftochia über 
den entjeelten Yeichnam der Mutter, küßte deren geſchloſſene 
Augen, ſchloß fie in ihre Arme und wollte mit ihr in’s 
Grab geben). Auch diefe Schwäche mußte der heilige 
Hieronymus rügen ; ex entfernte die nun zur Waiſe gewor- 
dene Klofterjungfrau von der fterblichen Hülle, und dieſe 
ließ ev dann in einem Felſengrabe bejtatten, das er felbjt 
neben der Geburtsftätte des Erlöſers ausgegraben hatte, 
und auf welches er die Worte fchrieb: „Hier ruhet bie 


Ne 


') Ipsa flabellum tenere,... pulvillum supponere, frieare pedes, 
aquam calidam temperare,... omnium aneillarum pravenire of- 
fieia,.... quibus preeibus,. .. inter jacentem matrem et specum Do- 
mini diseurrit,... ut eodem feretro portaretur... Quasi ablactata 
super matrem suam, abstrahi a parente non potuit; deoseulari 
oculos... et se cum matre velle sepeliri. Hieron,, Ep. 27, ad 
Eustoch. 


171 


„Zochter der Scipionen und des Paulus Aemilins, die En- 
„felin ver Gracchen und des Agamenmons, Paula, die Erſte 
„im vömifchen Senate; fie verlief Familie und Vaterſtadt, 
„Slücsgüter und Kinder, um arm in Bethlehem, bei vei- 
„ner Krippe, o Chriftus, wo die Weifen aus Meorgenland 
„in Div den Menfchen und Gott geehrt haben, zu leben). 

Auch die edle Fabiola, von deren reichen Almoſen— 
Ipenden an die Armen Roms ſchon die Nede war, kam nach 
Jeruſalem und Bethlehem, two fie mit dem heiligen Hiero- 
nymus und der heiligen Paula zufammentraf. Aber fie 
war nicht dort geblieben: die drohende Gefahr beim Ein- 
fall der Hunnen in Italien hatte fie nach Nom zurück— 
gerufen. Marcella, obwohl dem Alter und der Befehrung 
nach die ältefte won allen diefen frommen Frauen, war dem 
dringenden Nufe des heiligen Hieronymus?), ver fie im 
Namen der heiligen Paula und ihrer Tochter zu einem 
Wiederfehen in PBaläftina aufforderte, gar nicht gefolgt. 
„Verlaſſe,“ riefen fie ihr zu, „verlaffe das Nom, in wel- 
„chem dich Alles von deinem Berufe und dem religiöfen 
„Frieden ablenft. Hier dagegen, in dieſer Ländlichkeit Chrifti, 
„ist Alles Einfalt, Alles Schweigen. Wo du geheft im 
„Felde, ſummt der Landmann an feinem Pfluge Lobliever 
„zur Ehre Gottes; der Schnitter erquict fich mit Pfalmen- 
„gelang, und der Winzer wiederholt, indem er feine Neb- 
„Stöcke befchneidet, Davidifche Accorde. Das find, hier Yan- 


') Seipio quam genuit, Pauli fudere parentes, 
Gracchorum soboles... 
...Romani prima Senatus 
Pauperiem Christi et Bethlemica rura secuta est. 
Hieron., ep. 27, ad Eustoch. 
) Nach dem Tode ihrer Mutter Albina, gegen 388, 


Die beiden 
Melanien. 
Melania bie 
Aeltere. 
347—409. 


Ihre Reife 
nach der The⸗ 
bais, 


172 
„Des, die Liebesltever, die fchäferlichen Sangesweifen, bie 
„Begleitjtimmen des Ackersmannes.“ 

Um eben diefe Zeit aber ward eine andere erlauchte 
und heilige Frau, aus einem Nebenzweige der Familie ver Mar— 
cellen, Melania die Aeltere, Tochter eines Conſuls, Mut- 
ter eines Prätors und in der ganzen Kirche durch ihre her- 
vorragende Tugend und ihre Ergebenheit für die Mönche 
danfbar genannt, die Stammmutter einer veichen geiftigen 
Nachfommenfchaft geheiligter Seelen, die zugleich dem klö— 
jterlichen Yeben und dem höchiten Adel Roms angehörten !). 
Unter ihrer Leitung entjtand in Jeruſalem eine neue klö— 
jterlihe Kolonie, die in Frömmigkeit und Liebe mit derje- 
nigen wetteiferte, welche Hieronymus ımd Paula in Beth- 
(ehem leiteten. 

Mit zweiundzwanzig Jahren Wittwe, im Laufe Eines 
Jahres ihres Gatten und zweier Söhne beraubt und ihr 
einzig noch übriges ganz Fleines Kind in ficheren Händen 
zurüclaffend, verließ Meelania Nom und fchiffte ſich nach 
Aegypten ein, um für ihren Schmerz Linderung zu fuchen 
und ihren Slaubenseifer an dem wunderfamen Schaufpiele 
der dortigen Mönche, die bereits mit den Engeln im Him- 
mel zu leben fchienen, neu wieder anzufachen. Es war im 
Sahre 372, dem letten Lebensjahre des heiligen Athana- 
ſius?). Melania ſah noch kurz nach ihrer Ausfchiffung den 


) Melania nobilissima Romanorum mulier. 8. Hieron., 
Chron. Cfr. Rosweyde, Not. in prelud. lib. II, Vit. Pa- 
trum. — Melania, früheftens 347 geboren (Rosweyde, p. 441), 
war, dem beiligen Baulin zufolge, Enfelin des Marcellinus, Confuls 
im Jahre 341; nach dem heiligen Hieronymus wäre fie die Tochter 
defjelben. 

?) In demfelben Jahre war auch der heilige Hieronymus auf 
feiner erften Bilgerreife in Xegypten. Rosweyde, Prelud. in lib. IL. 


173 


großen alerandrinifchen, Bifchof und empfing aus feinen 
Händen eine Reliquie aus der Thebais, nämlich eine Me— 
Iote, die er felbft vom heiligen Abte Macarius erhalten 
hatte. Sie begab ſich dann in die Wüſten von Nitrien 
und Scete, und fammelte während ihres jechsmonatlichen 
Aufenthaltes dafelbft die Lehren und erlernte die Uebungen 
der Bußftrenge der Mönche, die dieſe Einöden bewohnten. 
Der Bifchof Palladius und der Priefter Rufin, welche dort 
mit ihr zufammentrafen, haben uns in äußerſt anziehenden 
Erzählungen die Befchreibung diefer Pilgerfahrten nach je- 
nen heiligen Einöden hinterlaffen‘). Beim Tode des hei- 
ligen Athanafius brachen die Arianer, der Unterftütung des 
Kaiſers Valens verfichert, mit einer der graufamften Ver— 
folgungen gegen die Katholiken (08, die die Gefchichte Fennt. 
Die Mönche waren, wie fehon früher gefagt, die haupt- 
jächlichften Opfer verfelben, und Melania, die bereits dem 
Verbote des Kaifers Troß bietend nach Aegypten gegangen 
war?), weihete nun Güter und Leben dem Dienfte der Be- 
fenner des wahren Glaubens. Sie entzog die Einen den 
Nachforſchungen ter Henker, ermuthigte die Andern zum 
furchtlofen Auftreten vor dem Tribunale der verfolgungs- 
füchtigen Beamten, wohin fie diefelben begleitete, und vor 
welches fie jelbft wegen vebellifchen Auflehnens gegen den 
göttlichjten Kaifer citirt war, aber durch ihre Unerfchroden- 
heit über die beſchämten Kichter triumphirte?). Als dar- 
auf eine große Zahl von Fatholifchen Bifchöfen und Mön— 


) De Vitis Patrum, lib, I, auct. Rufin. Aquileiensi pres- 
byt., et lib. VIII, auet. Pallad., Helenopol. Epise. 

) Palladius, op. eit. p. 772. 

°) Tempore Valentis, quando Ecclesiam Dei vivi furor Aria- 
norum, rege ipso impietatis satellite... S. Paulin., ep. 10; 
Rossweyde, p. 427, 442, 


Cie fiedelt 
fih in Jeru 
ſalem an. 


174 


chen nach Paläſtina deportivt ward, folgte jie denfelben dort— 
hin. Man ſah nun, gegen Abend, die edle Frau im gro- 
ben Mantel einer Dienftmagd!) den Gefangenen das zu 
ihrem Unterhalte Nothwendige felbft bringen. Der Con- 
jularbeamte von Paläſtina, der fie nicht fannte, Tief fie, 
in Hoffnung eines hohen Bußgeldes, fejtnehmen. Sett aber 
erhob fie fich im angebornen Stolze ihres alten Adels, um, 
wie ehemals ver heilige Paulus, ſich auf ihre Nechte als 
Römerin zu berufen. „Ich bin,“ ließ fie ihm jagen, „die 
„Zochter eines Confuls, ich war die Gemahlin eines Er- 
„tauchten diefer Welt, nunmehr bin ich eine Dienerin Chrifti. 
„Hüte dich, mich meiner Armlichen Kleidung wegen zu ver- 
„achten, denn e8 wäre mir ein Yeichtes, mich, wenn ich 
„wollte, zu erhöhen. Ich befite Einfluß genug, um dich 
„zu hindern, mein Vermögen anzurühren. Sch habe dir 
„Sagen wollen, wer ich bin, damit dur nicht aus Unwiſſen— 
„beit einen Fehler begeheſt.“ Sie fagte dann: „Man muß 
„gegen ſolche Dummföpfe entjchieden auftreten und gegen 
„ihre Unverfchämtheit feinen Stolz loslaſſen, wie man einen 
„Jagdhund oder einen Falfen gegen ein wildes Thier los— 
„läßt *).“ Der erfchrodene Beamte verfügte fich fogleich 
zu ihr, um ihr feine Entfcehuldigungen zu machen und feine 
Ehrfurcht zu bezeugen ?), und ließ hinfort ihren Verkehr 
mit den Verbannten ungehindert. 

Zarte Frömmigkeit hielt fie feſt im heiligen Lande, 
wohin ihre hochherzige Theilnahme für die Befenner des 
Glaubens fie geführt hatte. Sie ging nach Jeruſalem und 


) Induta servili caracalla, Pallad., loc. eit. 773. 

) Quenam sim, tibi deelaravi. Oportet enim adversus sto- 
lidös, tanquam cane et aceipitre uti animi elatione. /bid. 

®) Adoravit eam. /bid. 


175 


baute hier ein Klofter, in welchem fie fünfzig Jungfrauen 
um fich fammelte. Fünf und zwanzig Jahre lang!) ver- 
wendete jie hier ihre Sorgfalt und die Einfünfte, die ihr 
von ihrem Sohne aus Nom überfandt wurden, zur Linde— 
rung der Noth der Armen und zur Unterftütung der Bi- 
Ihöfe, der Mönche und der Pilger aller Stände, welche 
zahlreich zu den heiligen Orten herbeiftrömten. Sie ftand 
unter der Leitung des berühmten Rufin, Priefters aus 
Aquileja, welcher eine Zelle auf dem Delberge bewohnte, 
und damals noch der alte und innige Freund des heiligen 
Hieronymus war. Später zerfielen Nufin und Hierony- 
mus aus Anlap der origeniftifchen Yehren miteinander; die— 
ſer Bruch beider Männer hielt die Kirche Yängere Zeit in 
Bewegung, und riß fie beide zu bedauernswürdigen Invec- 
tiven gegen einander hin. Meelanien gelang es endlich, 
eine öffentliche und feierliche Verfühnung zwifchen ihnen 
zu Stande zu bringen, die jedoch nicht von langer Dauer 
war ?). 

Unterdeß Hatte der einzige Sohn, den Melania zu 
Nom gelaffen hatte, und welcher Prätor der Stadt gewor- 


) Palladius nimmt fieben und dreißig Jahre an, aber dieje 
Annahme jheint fih ſchwer mit den nachfolgenden Ereigniffen in 
Melaniens Leben in Einklang bringen zu laffen, wenn man nicht 
einen nochmaligen Aufenthalt in Jeruſalem zwiſchen ihrer Reife nach 
Rom mit Rufin im Sabre 397 und ihrer legten Abreife aus Diefer 
Stadt mit der jungen Melania 409, annimmt. 

?) Man wird uns bier das Eingehen in die Prüfung der An— 
lage gegen Rufin wegen bävetifcher Lehren, und in Folge davon 
auch gegen die erlauchte Melania gerne erlaffen. P. Rosweyde bat 
insbefondere diefe Anflagen mit einer Heftigfeit gegen fie erhoben, 
die, wie e8 scheint, von den bedentendjten Geſchichtſchreibern wicht 
gebilligt wird. 


Melania, bie 
Jüngere. 
380 —439. 


176 


den war, ſich mit Albina, der Schweiter Volufians, des 
Präfeften von Rom ımd eines der hervorragendften Män- 
ner der Zeit, vermählt. Aus dieſer Che hatte er eine 
Tochter, gleichfalls nach ihrer Großmutter Melania ge: 
nannt, die fehen in zartem Alter an Pinian, Sohn eines 
Statthalters von Italien und Afrika verheivathet worden 
war, einen Nachfommen des Balerius Publicola, des gro— 
gen Confuls im erften Jahre der römischen Republif. Aber 
diefe junge Dame fühlte ſich, obwohl fie in ſehr glücklicher 
Ehe mit ihrem jungen Gemahle lebte, dennoch weit mehr 
zu einem Yeben in der Buße und Einfamfeit, als zu der 
üppigen Pracht, wie fie in der römifchen Verfallszeit 
herrſchte, hingezogen. Melania, die Aeltere, wollte ihr 
behülftich fein, auf dem Wege des Heils mit feſtem Muthe 
voranzufchreiten, und verließ deshalb Serufalem, um in 
Kom in ihrer Nähe fein zu können. Gegen Ende des 
Sahres 398 ftieg fie zu Neapel an's Yand, und bei ver 
Kunde davon famen ihr aus Rom, nebjt ihren Kindern, 
zahlreiche Senatoren und römische Patrizier entgegen, welche 
die ganze appifche Straße dicht bedeckten mit ihren präch- 
tigen, weich fich wiegenden Staatsfaroffen, mit den ftolzen 
Pferden in glänzend reichem Gefchirr, und den vwergoldeten 
Wagen. Sie aber ritt in Mitte diefes prachtwollen Zuges 
anf einem geringen Pferde, das faum fo viel werth war 
als ein Ejel!), und war mit einer groben Tunica von 
Binjengeflecht befleivet. Dieje ihre demüthige Erfeheinung 


) Macro et viliore asellis burrico... eircumflui senatores... 
carrucis nutantibus, phaleratis equis, auratis pilentis et car- 
pentis pluribus, gemente Appia atque fulgente. .. Crassam 
illam veluti spartei staminis tunicam... S. Paulin., Ep. 29 
(al. 10). 


177 


vermehrte noch beveutend den glänzenden Auf, der ihr 
überall voranging. 

Sie machte in Nolan Halt, um dort einen Heiligen, 
der ihr Verwandter und Nacheiferer war, zu befuchen. 
Paulin, aus Bordeaur gebürtig!), wo fein Vater Präfeft 
von Gallien war, zählte unter feinen Vorfahren eine lange 
Reihe von Senatoren ; ev felbft war unter Gratian Konful 
gewefen ; er befaß ein unermeßliches Vermögen, war ein 
Zögling und Freund des Dichters Aufonius, und jelbjt ein 
Dichter; er war mit einer ungemein reichen Spanierin 
vermählt, welche, ſoviel befannt ift, zuerſt den glücklichen 
Namen Therefia führte. Beide Gatten hatten fich gegen- 
feitig zu einem Leben der Zurücigezogenheit und Abtödtung 
ermuntert. Aufonius mochte noch jo viel abrathen, feinen 
Freund noch fo dringend in der Welt zurücdzuhalten, ihm 
fogar gegen feine Gemahlin Mißtrauen einzuflößen fuchen, 
ihre Lebensweife ward von Yahr zu Yahr ernfter; fie 30- 
gen fih auf ein Kleines Landgut bei Barcellona zurüd; 
dafelbft verloren fie ihren einzigen Sohn; und von nun 
an lebte Paulin mit feiner Gemahlin nur mehr als wie 
mit einer Schwefter; er verließ den Senat und die Welt, 
nahm feierlich die ernfte Mönchsfleidung in der Kirche von 
Barcellona, vertheilte alle feine Güter an die Armen umd 
309 fih auf ein fleines Yandgut zu Nola in Campanien, 
in der Nähe des Grabes des heiligen Felix zurüd, und 
ward fortan der Hüter deſſelben. Dieſer römische Konful, 


') Geboren im Jahre 353, Konjul 378, Biſchof von Nola 409, 
geftorben 431, Ueber ihn nachzulefen die anmuthige Darftellung 
über Leben und Schriften Paulins bei Ozanam: Oivilisation au 
Vme siecle, XVII. Borlefung. Im Deutſchen das vortreffliche 
Werk von Adolph Bufe: Paulin, Bifhof von Nola und 
feine Zeit. Regensburg 1856, 

v. Montalembert, d. Mönde d. A. J. > 


178 

der nunmehrige Hüter der Reliquien eines Martyrers, lebte 
mit feiner Thereſia jo ärmlich wie die Ärmften und ftreng- 
ften Mönche ; aber fuhr, nach dem Nathe des heiligen 
Hieronymus, fort in der Pflege der Poefie und Beredfam- 
feit, die er heiligen Gegenftänden, und auch wohl feinen 
ehemaligen Freundfchaften widmete. „Jener lette Augen- 
blick,“ fchrieb er an Auſonius, „der mich von der Erde ab- 
löſt, wird mir doch die Freundschaft zu div nicht zu nehmen 
vermögen, denn dieſe Seele, die unfere zerjtörten Organe 
überlebt, muß wohl mit Nothwendigfeit ihre Yiebe bewah- 
ren, ebenjo wie fie jelbjt Leben und Beſtand bewahrt. 
Ganz Leben und Erinnerung, kann fie fo wenig vergeffen 
als fie ſterben kann Y.“ Bald famen Mehrere, die fich 
ihm anfchloffen, und in Zellen neben der feinigen wohnten, 
jo daß fie eine Flöfterliche Gemeinde bildeten, die nach einer 
von ihnen felbft gemachten Regel lebte. 

Melania ſchenkte Paulin und Therefia ein Stückchen 
vom Holze des wahren Kreuzes, das fie vom Biſchof von 
Serufalem erhalten hatte, und fette dann ihre Reife nach 
Kom fort, wo fie mit Ehrfurcht und allgemeiner Bewun- 
derung empfangen wurde. Sie blieb daſelbſt mehrere Jahre 
und war fortwährend bedacht, unter den ihrigen und um 
fie her die Liebe für das Flöfterliche Leben zu verbreiten: 
Alle die zu ihr famen, ermahnte fie, fich loszureißen von 
der Welt, ihre Güter zu verfaufen und ihr in die Einfam- 
feit zu folgen. Ihre erſte Eroberung in diefem Sinne war 
der Gemahl ihrer Nichte, Apronianus, ein Patrizier vom 
Range der Erlauchten, der noch dem Heidenthume ange- 
hörte ; fie befehrte ihm nicht nur zum chriftlichen Glauben, 
fondern auch zum Flöfterlichen Leben, zugleich mit feiner 


) 8. Paulin., Carmina, X, 18. 


179 


Gemahlin Anita. Sie beftärfte ihre Enkelin, Melania die 
Süngere, bereit8 Mutter von zwei Kindern, die der Top 
ihr wieder entriffen hatte, obwohl dieſelbe erſt zwanzig 
und ihr Gemahl fünfundzwanzig Jahre alt war, in dem 
Entfehluffe, in Enthaltfamfeit zu leben. 

Dan hörte von ferne das Geräufch der herannahen- 
den Barbaren, die Nom von Jahr zu Jahr in engerem 
Kreife von Eifen und Feuer umzogen hatten, und nun be- 
reit ftanden, die geheiligten Mauern der Stadt zu über- 
ſchreiten. Dies Vorgefübl des nahen Unterganges des 
Neiches war dem Befehrungsgefchäfte der erlauchten Klo— 
jterfrau jehr förderlich. Mit unermüdetem Eifer drang fie 
in ihre Berwandten und ihre Mitbürger, ihre Schäte und 
Reichthümer lieber in den Schooß Gottes und der Armen 
auszufchütten, anftatt fie eine Beute der Raubgier ver Bar- 
baren werden zu lafjen. Endlich, im Jahre 409, ein Fahr Abreiſe der 
vor der Einnahme Rom's durch Alarich, fette ſich die ganze "nur 
fromme und edle Kolonie nach der Wiüfte in Bewegung. Zuvor ihrer ganzen 
aber gab die jüngere Meelania, die Erbin fo überaus reicher en 
Gefchlechter, ihren achttaufend Sklaven die Freiheit, und Wäüſte. 
vertheilte an die Kirchen, die Hospitäler, die Klöfter und 0. 
die Armen die unermeßlichen Herrichaften, vie fie in Spa— 
nien und Aquitanien, in der Tarraconefifchen Provinz und 
in beiden Gallien befaß; diejenigen in Kampanien, in Sieilien 
und Afrifa bewahrte fie nur für zufünftige Spenden. Sie 
ſandte ſchon jeßt durch einen dalmatifchen Priefter bis in 
die Thebais und nach Paläftina großartige Summen, Es 
war wenigjtens jo viel dem Feinde abgewonnen, wenigftens 
jo viel den Klauen des barbarifchen Löwen entriffen !). 


') Ex ore leonis Alariei eripiens fide sua. Pallad., Hist. 
Lausiac. c. 19. 


12* 


150 


Man fchiffte fih ein. Melania die Meltere, die dieſen 
Triumphzug des neuen Glaubens anführte im Augenblicke, 
wo das alte Nom zufammenbrechen follte, zog ihre ganze 
Nachfommenfchaft mit fich fort: ihren Sohn Publicola, 
dejjen Tochter Albina, ihre Enkelin Melania die Jüngere, 
Pinian, den Gemahl viefer Lettern und noch eine Menge 
Anderer. Sie fuhren zunächſt nach Sieilien hinüber und 
von dort nach Afrifa, wo der heilige Auguftin fie er- 
wartete, 

Die ältere Melania trennte fich, nachdem fie bald 
darauf ihren Sohn durch den Tod verloren und ihn be- 
weint hatte, wie eine chriftliche Mutter weinen joll '), von 
ihrer übrigen Familie, und begab fich in ihr Klofter nach 
Jeruſalem zurück, wo fie vierzig Tage nach ihrer Rück— 
kehr ftarb. 

Nun ward Melania die Jüngere gewijfermagen Das 
Haupt des Flöfterlihen Wanderzuges. Von Karthago, wo 
fie gelandet hatten, ging es nach Tagafte, wo damals Aly- 
pius, der berühmte Freund des heiligen Auguftinus, Bifchof 
war, und von Tagafte nach Hippo, wo Auguftin ſelbſt fie 
mit inmiger und ehrfurchtsvoller Herzlichfeit empfing. Das 
Bolf diefer Stadt, gewohnt die Vocationen zu erzwingen, 
und das fich auf diefe Weife Auguftin ſelbſt erworben hatte, 
wollte fich des Gemahls der Melania bemächtigen, um ihn 
mit Gewalt zum Priefter weihen zu laffen, in der Hoff- 
nung, dadurch ihn und die Schäße, von denen beide Gatten 
jo reichlich fpendeten, für ihre Kirche und die Armen zu 
erwerben. Es entjtand bei diefem Anlaſſe ein eigentlicher 
Zumult, dejjen Hergang uns der heilige Auguftin erzählt, 





) Taeitumo quidem luctu, non tamen sicco a maternis 
Jacrymis dolore. S. Paulin., Ap. August., ep. 249. 


181 


und den er nicht zu jtillen vermochte, obwohl er den Tu— 
multuwanten mit der Drohung zu Yeibe ging, daß er nicht 
länger ihr Bifchof bleiben werde, wenn fie fortführen, die: 
ſem Fremden Gewalt anzuthun. Die Menge lieg fich nur 
durch das Verſprechen Pinian’s befchwichtigen, ev werde, 
wenn er-fich jemals in den Klerus aufnehmen laſſe, es nur 
in der Kirche von Hippo thun '). Nach Tagaſte zurückge- 
fehrt, gründeten Melania und Pinian zwei Klöfter, eines 
für achtzig Mönche, das Andere für Hundert und dreißig 
Klofterfrauen; Beide lebten hier fieben Jahre in äußerſter 
Armuth. Melania wollte ihr Brod durch Abfchreiben won 
Handfehriften verdienen, eine Kunft, die fie mit eben fo 
viel Geſchick als Schnelligfeit übte ?), während ihr Gemahl 
einen kleinen Garten bebante. Darauf gingen fie nach 
Aegypten, um dafelbjt die Mönche von Nitrien und ver 
Umgegend zu vwerehren, und denfelben mit ihren Almofen 
beizuftehen. Endlich famen fie nach Jeruſalem, und bier 
trennten fie fich. Pinian, der ehemalige Präfekt von Rom, 
verſah, im Gefellfehaft von dreißig anderen Mönchen, fein 
Gewerbe als Gärtner ?). Melania lieg jich, erjt dreißig 
Jahre alt, in eine enge Zelle auf dem Delberge einjchlie> 
gen, in welcher fie vierzehn Jahre zubrachte ; ſpäter erbaute 
jie über einer der Stätten, wo unfer Herr, fein ſchweres 
Kreuz tragend, ftehen geblieben war, eine Kirche und ein 
Klofter für neunzig Büßerinnen. 

Diefe frommen Ehegatten fanden, indem fie ihren 
?ebenslauf beim heiligen Grabe in Sernfalent befchloffen ?), 


) 8. August., Ep. 225. 

2) Seribebat et celeriter et pulchre, eitra errorem. 

3) Pallad., Hist. Lausiac., e. 121. 

) Sie kamen nad Jerufalem im Jahre 417. Albina ftarb 
daſelbſt 433, Pinian 435, Melania die Jüngere 439 oder 440, Sn 


182 


an der geweiheten Stätte die lebendigen Erinnerungen an 
ihre Großmutter, die Ältere Melania, nebjt dem ftets zum 
Rampfe gerüfteten Eifer, und dem unermeßlichen Ruhme 
des heiligen Hieronymus. Sie fonnten ſich noch in den 
fetten Strahlen viefes großen Lichtes fonnen. Im letten 
Briefe, den derfelbe geichrieben hat, und der an den heilt- 
gen Auguftin gerichtet ift, Tpricht Hieronymus von ihnen 
und nennt fie feine Kinder, die ihm und dem Biſchof von 
Hippo gemeinfchaftlich gehörten '). 

Solchergeftalt übergiebt der Chor diefer heiligen Frauen, 
diefer edlen Wittwen, dieſer hochherzigen Batrizierinnen, 
von welchen Marcella, Baula und Melania die Chorführer- 
innen find?), den Faden des Gewebes der Flöfterlichen 
Tugenden und Leberlieferungen, der von dem heiligen Atha— 
nafins ausgeht, und den heiligen Hieronymus berührt, an 
den heiligen Auguftin. So find die größten Namen in der 
Kirche, im Driente wie im Abendlande, mit der Entfaltung 
des Mönchthums verwebt. Mean möchte bei ihnen wer: 
weilen, ausführlich und im Einzelnen fih an ihrem Ruhme 
erfreuen; doch wir haben Eile, um zu weniger glanzvollen 
Perfönlichkeiten und Epochen zu gelangen, die viel mehr 
als die hier berührten verfannt werden; da werden wir die 
Größe wiederfinden, welche der Wahrheit und der Tugend 
ganz eigenthümlich ijt. 
ihren letzten Lebensjahren unternahm fie noch eine Reife nad) Con— 
ftantinopel, um daſelbſt ihren Obeim Bolufian zu befehren. Sie 
trat dort entjchieden gegen die Neftorianer auf, und beftimmte die 
Kaiſerin Eudoria zu einer Wallfahrt nah Ferufalen. 

') Saneti filii communes.... plurimum vos salutant. 8. 
Hieron.. Ep. 79. 

?) Neben ihnen ift auch noch jene Demetrias, Enkelin des Pe- 
tronius, aus dem Gefchlechte der Anicier zu nennen, won welcher 
oben jchon die Rede war. 


183 


Man wirde fich aber ſehr täufchen, wenn man meinte, Oproftion 
diefe heldenſtarken Frauen hätten bei ihren Yebzeiten die te — 
gleiche Bewunderung und das gleiche theilnahmsvolle Ent- Kloſterleben. 
gegenfommen gefunden, welche die Nachwelt ihnen widmet, 
und fo viel Hingebung, jo viel herrlicher Aufopferungsgeift 
hätten offen zu Tage treten fünnen, ohne den Tebhafteften 
MWiderftand aller noch vorhandenen heidniſchen Elemente zu 
wecken, die jich gerade in der römischen Geſellſchaft damals 
noch mit jo vieler Zähigfeit feftzufegen trachteten '). Und 
auch bei vielen Chriften verband ſich das Widerjtreben un— 
ferer entarteten, und deshalb immer Schwachen und gegen 
jede höhere und reinere Kraft mißtrauiſchen Natur, mit der 
beharrlichen Feindfchaft des heidniſchen Inftinftes. Unauf— 
börlich mußten unfere frommen Heldinnen fampfbereit fein 
gegen die Bitten, die Zudringlichfeiten, fogar die Schmä- 

Hungen ihrer Verwandten und aller Derer im römiſchen 
Adel, denen folche fchwere Opfer zuwider waren. Man 
warf ihnen vor, fie beraubten ihre Kinder ihres Erbtheils, 
oder verließen fie in einem Alter, wo die mütterliche Pflege 
eine heilige Pflicht fei. Ganz befonders aber zürnte man 
ihnen wegen der erhabenen Beilpiele von Selbjtverläug- 
nung, von Armuth, von Demuth, die fie allen Klaffen ihrer 
Mitbürger gaben. Und nicht nur waren es, wie ein Ges 
Ichichtfchreiber jagt, „die männlichen und weiblichen Bejtien 


) Um diefe Zeit wurden noch in allen Tempeln und Kapellen 
des heidnifchen Kultus, deren in Nom damals nod über drei— 
hundert waren, Opfer dargebracht; alle Bäder, Säulenhallen und 
Straßen, waren noch mit Odtterbifdern angefüllt. Non illis satis 
sunt, ruft der heilige Ambrofius aus, non illis satis sunt lavacra, 
non porticus, non platex occupatae simulacris? S. Ambros., 
Ep. 18, 31. (Anmerkung des Leberjeters.) 


Zu Karthago. 


184 


von Senatorenrang“”'), welche brüllten und mütheten gegen 
diefe iibermenfchlichen Tugenden : Auch die Volfsmaffen er: 
hoben lauten Widerfpruch dagegen. Dies zeigte fich na- 
mentlich beim Begräbniſſe der Blefilla, ver ältern Tochter 
Paula’s, im Jahre 385, als chriftliche Volkshaufen durch 
die Stadt liefen mit dem Rufe: „Die junge Frau ift durch 
das Faften getödtet . . . Wird man nicht bald viefe ab— 
„ſcheulichen Mönche aus der Stadt jagen? Warum fteinigt 
„man fie nicht? Im die Fiber follte man fie werfen!" 
Darauf, ſich ſogar den mütterlichen Schmerz zu einer Waffe 
machend gegen alles Dasjenige, was Mutter und Tochter 
anf Erden am meisten geliebt hatten, wiefen fie auf vie 
in Thränen gebadete, unter der Wucht ihres Schmerzes 
niedergebeugte Paula felbft bin: „Sehet,“ riefen fie aus, 
„wie fie diefe arme Matrone verführt haben; denn was 
genugfam beweilt, wie wenig diefelbe Luft hatte, Mönchin 
zu werden, fann man daraus abnehmen, daß niemals Eine 
unter den heidnifchen Frauen ihre Kinder fo fehmerzlich 
beweint hat, als fie es thut“?). 

Die gleichen Gefinnungen wie bei diefen gemeinen 
Volfshaufen in Rom, finden wir auch in Karthago wieder, 
das damals römiſch und chriftlich geworden, aber jedem 
Unmaafe und allen Ueberfeinerungen des Sittenverderb- 
nijfes anheim gefallen war. Wir hören bei Salvian, daß 
wenn fich in den afrikanischen Städten, und bejonders in 


) Spoliabat filios et inter objurgantes propinquos... 8. 
Hieron.. Vit. S. Paule. — Sie depugnavit adversus bestias, 
nempe eos, qui erant ordinis senatorii et eorum uxores, prohi- 
bentes eam renuntiare reliquis suis sdibus. Vit. Melanie in 
Hist. Lausiaca, e. 118. 

) S, Hieron.. Ep. 22, (al. 25) ad Paulam. 


185 


Karthage, Männer im Mönchsgewande, mit blajjem Ge- 
fichte und mit gefchornem Haupte, Die aus den ägyptiſchen 
Wüſten oder von den heiligen Orten in Jeruſalem herka— 
men, öffentlich bliefen Tiefen, das Volk fie mit Flüchen, 
mit Gefchrei und Auszifchen geißelte '), und fie wie ge— 
fährliche Thiere durch die Straßen der Stadt verfolgte. 
Und auch, nachdem am Ende die Maſſen des Volfes 
vom bewältigenden Eindrucke der großen Beifpiele, die die 
Mönche gaben, beherrfcht waren, blieb der Haß und die 
Verachtung, die fie einflößten, noch bei Vielen zurück, na— 
mentlich bei den Literaten, und man findet in den Poefien 
des Rutilius Numatian die tiefen Eindrücke davon. Diefer 
aus Poiton in Gallien gebürtige Dichter hatte lange in 
Kom gelebt. Er fehrte im Jahre 416, einige Jahre nuch 
den vielbefprochenen Befehrungen, welche die Melanien, 
die Paula, die Marcellen unter dem römiſchen Adel ge- 
wirft hatten, in jein Vaterland zurück, und hat in einem 
uns noch erhaltenen Gedichte feine Eindrüce und Ge— 
müthsbewegungen auf diefer Neife befchrieben. Im mittel- 
ländifchen Meere kommt fein Schiff an den Felſeninſeln 
vorbei, welche feit kurzem erſt befehrte römische Patrizier 
als Mönche bewohnten: „Sehet dort Caprarin vor uns,“ 
jagt ev; „tiefe Inſel iſt vwollgepfropft won Elenden, von 
lauter Feinden des Lichtes; fie haben aus dem Griechischen 
ihren Namen Mönche, weil fie allein umd ohne Zeugen 
leben wollen. Die Furcht vor der Wandelbarfeit des Glü— 
ckes macht, daß fie feine Gaben fliehen. Aus Furcht, der- 
einft elend werden zu können, machen fie fich freiwillig 
elend. Hat man jemals abjchenlichere Thorheit gejehen ? 
') Palliatum et pallidum et... usque ad cutem tonsum... 


Improbissimis cachinnis et detestantibus videntium sibilis quasi 
taureis exdebatur, De Gubernat. Dei, VII. 


Bei den Ge— 
lehrten. 


Der Dichter 
Rutilius. 


186 


— Und weiterhin: „Ich ſehe die Gorgona, die fich dort, 
gegen Pija zu, aus den Fluthen erhebt; diefe Felfen, Schau- 
plat eines neulichen Schiffbruches, find mir verhaßt. Dort 
ging nämlich einer meiner Yandsleute zu Grunde, Tebendig 
jtieg er in’s Grab. Noch unlängſt war er Einer der unfe- 
ren; er war jung, von hoher Geburt, veich, gut verhei— 
rathet; aber von den Furien getrieben, hat ev die Menſchen 
und die Götter geflohen, und jest verfümmert er, ein leicht- 
gläubiger Verbannter, in einer fchmutigen Bereinfamung. 
Der Berauernswindige! Er glaubt in feinem Schmuße 
der Güter des Himmels jich zu erfreuen, und ift graufanter 
gegen ſich, als die Götter, die er beleidigt, es fein fünnten. 
Sit dieſe böſe Secte nicht ſchädlicher als das Gift der 
Circe? Circe verwandelte nur die Leiber, und jett verwan— 
delt man die Seelen“ '). 


') Processu pelagi jam se Capraria tollit. 
Squalet lueifugis insula plena viris. 
Ipsi se Monachos Graio cognomine dieunt, 
Quod soli nullo vivere teste volunt. 
Munera fortun& metuunt dum damna verentur. 
Quisquam sponte miser, ne miser esse queat ? 


Quænam perversi rabies tam stulta cerebri, 
Dum mala formides, nec bona posse pati? 

Sive suas repetunt ex fato ergastula ponas; 
Tristitia seu nigro viscera felle tument... 

Aversor scopulos damni monumenta recentis: 
Perditus hie vivo funere eivis erat. 

Noster enim nuper, juvenis majoribus amplis, 
Nec censeo inferior conjugiove minor. 

Impulsus furiis homines divosque reliquit 
Et turpem latebram eredulus exsul agit... 

Num rogo deterior Circaeis secta venenis ? 
Tune mutabantur corpora, nunc animi. 

Rutilius Numatianus, lib. I, V, 439, 515. 


187 


Diefer Spätling des Heiventhums ſahe in der That 
ganz recht: eben die Seelen waren es, die verwandelt wur— 
ven. Daher denn auch ver unheilbare Ruin feiner Götter, 
und der Sieg der Ideen und Inftitute, die er mit feinem 
ohnmächtigen Ingrimm verfolgte. 

Die Klagelieder und die Schmähungen der Dichter 
und Deflamatoren kamen zu fpät: die Mönche, welche die 
größten Kirchenlehrer des Meorgenlandes, Athanafins, Ba— 
ſilius, Chryſoſtomus zu Lobrednern und Vorbildern hatten, 
fanden feine geringeren Stüten im Abendlande, wo ſie 
das Beifpiel des Hieronymus für fich hatten, und wo ihnen 
ver alles beherrfchende Einfluß des Ambroſius und Augu— 
jtinus zur Seite ftand. 

Diefe von Mönchen bewohnten Infeln des Mittel- 
meeres, von denen der Blick des Dichters Rutilius fich 
mit Efel abwendet, wurden vom Bifchof Ambrofins mit 
liebevoller Begeifterung gefeiert. „Dorthin,“ rief er aus, 
„auf jene Infeln, die Gott wie eine Perlenfchnur um das 
Meer gelegt hat, ziehen ſich Diejenigen zurüc, welche jich 
dem Zauber ungeoroneter Vergnügungen entziehen wollen ; 
dorthin entfliehen fie aus der Welt und leben vafelbft in 
jtrenger Mäßigkeit und vermeiden die Gefahren diefes Le- 
bene. Das Meer bietet ihren Abtödtungen gewiffermaßen 
einen Schleier und eine gefchirmte, verborgene Stätte. Es 
begünftigt ihnen den Erwerb der vollfommenen Enthaltfam- 
feit und bewahrt ihnen viefelbe. Alles fordert dort zu 
ernften Gedanken auf; fie genießen ungeftörten Frieden, 
und den wilden Yeidenfchaften dev Welt ift jeder Zutritt 
verfagt. Das wundervoll geheimmißreiche Naufchen ver 
Meereswogen mifcht ſich dort mit ven Sangeswellen heili- 
ger Yieder, denn während dus Meer mit lieblichem Mur— 
meln jich bricht am Strande diefer glücklichen Infeln, er: 


Der heilige 
Ambrojius 
vertheibigt die 
Mönde. 
340—397. 


188 


ichallen aus dem Innern derfelben vie friedlichen Stim- 
men der Chöre der Auserwählten und erheben jich him- 
melan" 9. 

Ambrofius ift der gefeierte, große Mann voll Bered— 
ſamkeit und Heldenmuth, deſſen Wiege, wie diejenige Pla- 
to’8 von Bienen umfpielt war, die ihren Honig auf des 
Kindes Lippen anjetten zu einem Wahrzeichen feiner der— 
einstigen überzeugenden und unwiderjtehlichen Beredſamkeit. 
Er war der fiegreiche Anwalt des Chriftenthbums gewefen 
gegen die wehmüthige Vertheivigungsrede des Symmachus 
zu Gunſten des Altars der Siegesgöttin, dieſes letzten, 
officiellen Anlaufes, den das Heidenthum wagte?) Er 


) Quid enumerem insulas, quos velut monilia plerumque 
prtexit.... ut cum undarum leniter alluentium sono certent 
cantus psallentium, plaudant insulae tranquillo sanctorum choro 
hymnis sanetorum personent. S. Ambros., Hexaemeron, I, 5. 

?) Dies war im Jahre 3854. Zwei Jahre vorher hatte nämlich 
der Kaifer Gratian den Altar der Victoria, der Custos imperii virgo, 
bei welcher die Senatoren zu ſchwören und die üblichen Libationen 
darzubringen pflegten, aus der Curie in Rom entfernen laffen, ob— 
wohl damals, wie es jcheint, der Senat ziemlich gleichmäßig zwischen 
heidniſchen und chriftlichen Senatoren getheilt war. Die heidnifchen 
Senatoren wählten, als die Frage unter VBalentintan II. öffentlich 
behandelt werden follte, zu ihrem Nepräfentanten den Präfeften der 
Stadt, Syummachus, die hriftlihen wendeten fih an den Papſt Da— 
maſus, der die Sache dem heiligen Ambrofius übergab. Die Rede 
des Symmachus ift ganz im elegiſch Flagenden Tone gehalten. Unter 
Anderm jagt ev: „Denfet euch, daß Noma felbjt bier ftehe und 
fpreche : Beſte Fürften, ehret meine Jahre, zu denen ich ohne Schande 
in Beobachtung der alten Gebräuche gelangt bin u. ſ. w.“ Nicht jo 
forreft in Sprache und rhetoriſchen Regeln als dieje Standrede des 
heidniſchen Symmachus, aber ungleich friiher, feuriger und viel ver- 
trauensvoller auf die Kraft der Wahrheit, won der er fich gehoben 
fühlte, ift die Nede des heiligen Ambroſius, die aud in der Sadıe 


189 


hatte die Nechte ver Wahrheit gegen die Gewaltthätigfeiten 

der arianifchen Kaiferin Iuftina, und die der Meenfchlich- 

feit und Gerechtigkeit gegen ven Kaifer Theodoſius bei An- 

laß feines Blutbades von Theffalonich vwertheidigt. Kin 
derartiger Bischof Konnte unmöglich die lebensvolle Be— 
deutung des Mönchthums fir den Glauben, deſſen une 
erfchütterlicher und beredter Vorkämpfer er war, verfennen. 

Und fo fehen wir denn auch, daß er in der Nähe feiner 
bifchöflichen Stadt ein won vortrefflichen Mönchen bewohn- 

tes Kloſter Hatte, für deſſen Unterhalt er Sorge trug . 

Er wollte nicht, daß man den Neubefehrten Zumuthungen 

über ihre Kräfte mache: „Laſſen wir," fagt er, „laſſen wir 
„diejenigen flattern wie Sperlinge, die nicht mit Adler— 
„ſchwingen zur Höhe fliegen Finnen *).“ Ganz befonders 

Icheint ev dem Flöfterlichen Berufe der Frauen feine Sorg— 

falt zugewendet zu haben. Auf Bitten feiner Schwejter 
Marcellina, die in Rom in einem Klofter lebte, ſammelte 

er im drei Büchern unter dem Titel von den Jung— 
frauen, die Predigten, die er zu Ehren der Flöfterlichen 
Sungfränlichkeit gehalten hatte. Wahrhaft hinveigend ift 
befonders der Anfang des dritten Buches, wo Ambroſius Seine Ab- 
ſich in der Erinnerung den Tag der Einfleivung feiner ger zur uunen, 
liebten Schwefter in der Kirche der heiligen Apoftel zu Jungfräulich— 
Nom, den heiligen Weihnachtstag vergegenwärtigend, Die Er 
Anfprache des Papftes Yiberius an die junge Novizin ans 


entfcheidend war; denn der Altar blieb fortan entfernt aus der 
Curie. Anmerkung des Ueberjegers, Vgl. Ernft v, Lafaulr, 
Der Untergang des Hellenismus, 

) Erat monasterium plenum bonis fratribus extra urbis 
moenia, Ambrosio nutritore. S. Augustin., Conf., VIII, 6. 

?) Qui non potest volitare ut aquila, volitet ut passer. De 
Fuga seculi, e. 5. 


190 


hört und wiedergiebt. Er unterließ nicht, die Klippen zu 
bezeichnen, die in Mitte des Glanzes des römischen Patri- 
ziats das Flöfterliche Yeben ringsum bedrohen, und dennoch 
war feine Rede von jo eindringender Begeifterung, daß die 
mailändifchen Damen ihre Töchter zu Haufe einjchloffen 
und fie nicht mit in die Predigten des Ambrofius nahmen, 
aus Furcht, fie möchten unter den Eindrücken derjelben all- 
zufrüh zum Slofterleben verleitet werden. Später ſchrieb 
er eine Abhandlung über die Jungfräulichfeit, welche 
ihm den Vorwurf zuzog, er habe die Heiligkeit der Ehe 
mißfannt und Yehren gepredigt, welche in der Anwendung 
das Menfchengefchlecht zeritören müßten. Auf vdiefe An- 
flagen, die fich übrigens von Epoche zu Epoche wiederho- 
len, antwortet der Biſchof von Mailand, wie die Verthei- 
diger des chriftlichen Aufopferungsgeiftes jederzeit geant- 
wortet haben: „Wie!“ ruft er aus, „dieſen Jungfrauen 
jteht e8 frei, fich einen Bräutigam zu wählen, und fie joll- 
ten nicht die Freiheit haben, ihre Wahl auf Gott richten 
zu können? ... Dean flagt, das menfchliche Gefchlecht müſſe 
vergehen. Ich frage aber, ift es vorgefommen, daß Einer 
ſich verbeirathen gewollt und feine Frau mehr gefunden 
hätte? Die Bevölkerung ift aber, wie wir fehen, gerade 
da am zahlreichjten, wo die Sungfräulichfeit am höchſten in 
Ehren iſt. Erfundigt euch, wieviel Jungfrauen die Kirche 
von Merandrien, die Kirchen im ganzen Ovriente, diejenige 
von ganz Afrifa alfjährlih Gott zu weihen pflegen. Cs 
find mehr als in Mailand Kinder geboren werden“ )). 

An einer andern Stelle, in jeiner fiegreichen Erwie— 
derung auf die Rede des Symmachus, in welcher das Feuer 
und die Kraft einer Ueberzeugung wehen, die ſich durch 


') De Virginitate, ce. 5, 6, 7. 


191 


eigenes inneres Xebensbewußtfein des Sieges ficher weiß, 
jtellt ev, nachdem er die pomphafte Nhetorif diefer Söhne 
der Chriftenverfolger, welche die Wiederherftellung des Al- 
tars der Siegesgöttin im Senate verlangten und zugleich 
auch das Necht in Anfpruch nahmen, daß Jedermann für 
die Veftalinnen Privatvermächtniffe machen dürfe, niederge- 
ſchmettert hat, den Anblick, den die chriftlichen Klöfter be— 
reit8 darboten, demjenigen der Veſtalinnen gegenüber, vie 
ungeachtet aller Ehren und Vorzüge, mit denen dieſe über: 
häuft und der leichten Verpflichtung eines blos zeitweiligen 
Gelübdes, zu dem fie verbunden waren, dennoch nur mehr 
ganz wenige find. „Ihr vermögt dazu nicht mehr als 
fieben, und diefe nur mit Noth, aufzubringen ; ja, ungeach- 
tet der Stirnbinden, der Diademe, des Purpurs, mit dem 
ihr fie ſchmücket; ungeachtet der Prachtfänften, des zahlrei- 
chen Gefolges von Dienern, womit fie öffentlich erfcheinen ; 
ungeachtet der Privilegien und der ungeheuren Vortheile, 
die ihr ihnen anbietet, finden fich faum einige wenige, die 
ihr in den Dienft der Keufchheit einveihen könntet. Da— 
gegen num erhebt eure Augen und eure Seelen; fehet da 
ein ganzes Volk, das in Unſchuld lebt, fehet die große 
Menge reiner Seelen, diefe große Berfammlung von Jung— 
frauen: ihr Haupt ift nicht mit Stirnbinden geſchmückt, fie 
haben nur einen groben Schleier, der feinen Adel und Werth 
nur von dem Gebrauche entlehnt, zu welchem er dient. Sie 
ſuchen nicht, fie vermeiden im Gegentheil, was die Schönheit 
erhöhet; fie erfcheinen nicht in Purpur und reicher Kleidung, 
fie haben Feine Vortheile wie jene, fie haben nur Pflichten, 
die in ihnen die Tugend beleben; . . fie haben feine Pri- 
vilegien und verlangen feine außer dem einzigen, in völliger 
Armuth ihrem Gott zu dienen 9.“ 


') Vix septem vestales capiuntur puelle. Est totus numerus.. 


Der beilige 
Augustin. 
354—430. 


192 


Ambrofius, deſſen Ruf bis zu den Barbaren gedrungen 
war, wo er die Königin der Marfomannen befehrte, und 
zu welchen, weither aus Mauritanien, Yungfrauen nad 
Mailand famen, um aus feiner Hand den Schleier zu em- 
pfangen!), Ambrofius galt im der lateiniſchen Kirche als 
der hervorragendſte Yehrer bis zu der Zeit, wo ver heilige 
Auguftin erjchien. 

Es war zu Mailand und im Jahre 385, das gleiche 
Jahr, in welchen der heilige Hieronymus Nom zum zweiten- 
und lettenmale verließ, um fich in feiner Einöde zu Beth— 
(ehem für immer zu bergen, daß das begeifterte Wort des 
heiligen Ambrofius und das Schaufpiel dieſes jo gänzlich 
im Dienjte Gottes und des Nächjten aufgeopferten Lebens, 


videant plebem pudoris, populum integritatis, coneilium virgini- 
tatis. Non vitte capiti decus, sed ignobile velamen. Ep. Cl. 
1, 18; tom. II, p. 836, ed. Bened. 

') Der Schleier war damals jhon das unterjcheidende Abzeichen 
fir gottgeweibte Jungfrauen. Der heilige Ambrofius erflärt den 
Sinn diefes Gebrauches ausführlich. (De Virginit., II, 1.) Der hei— 
lige Hieronymus jagt ausdrüdlih, daß in den Klöftern Syriens und 
Aegyptens allen denjenigen, welche fich Gott weiheten, von den Ober- 
innen die Haare abgejchnitten und der Kopf ihnen mit einem Schleier 
von dunffer Farbe bededt wurde; der heilige Auguftin verbietet den 
Klofterfrauen in der Kegel, die er für fie geſchrieben hat, die Schleier 
jo loje zu tragen, daß man darımter die Haare oder die Kopfbeded- 
ung bervorjcheinen fieht. Uebrigens ward der Schleier von vielen 
Vätern als etwas Unerläßliches für jede Jungfrau, ja ſogar für die 
Frauen, die etwas auf fich hielten, betrachtet. Tertullian führt dar- 
über den Chriftinnen feiner Zeit das Beifpiel der arabifchen Frauen 
an, die, wie noch heute alle Morgenländerinnen, fih das ganze Ge- 
fiht bededten und nur ein Auge frei ließen: Judieabunt vos Ara- 
bie femine ethnice, qu& non caput sed faciem quoque ita to- 


w 


tam tegunt, ut uno oculo liberato, eontent® sint dimidiam frui 
lucem, quam totam faciem prostituere. De virgin. veland., e.16. 


193 


zuerjt anfing, dem jungen Auguftin die Augen zu öffnen. 
Hier auch war e8, wo das Yahr darauf die Offenbarung 
von den Vorgängen in folchen Seelen, die der Geift Got— 
tes zum Mönchsftande beruft, ihn in ein Meer inneren 
Lichtes eintauchte, dem er hinfort nicht widerjtehen wollte, 
Er war neunzehn Jahre alt, als die Lektüre des Horten- 
ſius von Cicero ihn mit einer tiefen Verachtung der Welt, 
wie fie damals war, erfüllte, und ihn zu einer edlen Be— 
geifterung für das Gute, für das Schöne, fir die Thaten 
des Geiftes, für die Erwerbung der Weisheit entflammte. 
Aber es kam ein Tag, wo er lernte, daß es noch Größeres 
gibt, als die Wiffenfchaft, und eine veinere DBegeifterung, 
al8 diejenige für die Beredſamkeit oder die Philofophie. 
Was der Genius Ciceros feinem Geifte gewelen war, Das 
ward das von Athanafius erzählte Leben des Antonius für 
jeine Seele. Daſſelbe enthielt, wie ſchon gejagt worden, 
die Wunder der Thebais in einen furzen Abriffe zuſammen— 
gefaßt, und war in furzer Zeit fowie auch der Ruhm des 
großen Verbannten, der e8 verfaßt hatte, im ganzen Abend- 
lande verbreitet worden. Laſſen wir Auguſtin ſelbſt er— 
zählen, ,. wie diefe Lebensbefchreibung bis nach Trier fan, 
wo fie ſelbſt am Faiferlichen Hofe dem Flöfterlichen Berufe 
nene Jünger gewann und darauf noch andere Eroberungen 
der Gnade machte. Diefes herrliche Blatt der Befennt- 
nisse gehört der Gefchichte des Mönchthums wefentlich an: 
es weift durch das Zeugniß des größten damaligen Zeitge— 
noffen die Einwirkung der Thebais auf das Abendland nach, 
von welcher der nach Gallien und Italien verbannte heilige 
Patriarch von Alerandrien, das proviventielle Werkzeug ge 
weſen war. Es ift zudem das fprechendfte und lebendigſte 
unter allen jemals über die Seelenfämpfe entworfenen Bil- 
2 dern, aus denen alle Befehrungen wor und nach dem hei— 
v. Montalembert, d. Mönche d. A. T. 15 


Erzäblung 
des heiligen 
Auguftin über 
den Anlaß zu 
feiner Befebr- 

ung. 


194 


ligen Auguftin, welche ven Klöftern und dem Himmel fo 
zahlreiche Bewohner gebracht haben, hervorgegangen find. 

Augustin befand fich alfo mit feinem Freunde Alypius 
zu Mailand, wo er die Beredſamkeit lehrte, als ihn eines 
Tages einer feiner Yandslente aus Afrifa, Pontitian, be— 
juchte, der Schon Chrift war und eine der beveutenditen 
Drilitärjtellen bei Hofe befleivete: „Wir festen ung zur Un— 
terhaltung, “ jo erzählt Auguftin, „als er von ungefähr auf 
dem Spieltifche wor uns ein Buch bemerfte. Er öffnete e8 
und fand zu feinem Erſtaunen, daß e8 die Sendfchreiben 
des Apojtels Paulus waren... Sch fagte ihm, daß ich mich 
jetst mit diefer Lektüre hauptfächlich bejchäftige. Er kam 
dann im Gefpräche auf Antonius, den Mönch aus Aegyp— 
ten, deſſen Name bei deinen Dienern, o Herr, in jo großer 
Berehrung fteht, von dem wir aber damals nichts wußten. 
Er bemerkte es und blieb bei diefem Gegenftande. Er machte 
uns mit diefem großen Manne befannt und wir waren außer 
ung vor Staumen und Bewunderung bei der Erzählung 
diefer fo umbeftreitbar wunderbaren Begebenheiten, die jich 
erit jo Fürzlich, faſt noch gleichzeitig, zugetragen und im 
wahren Glauben, in der fatholifchen Kirche, gewirkt werden 
waren. Wir waren erjtaunt, fo außerordentliche Thatfachen 
zu vernehmen, und er war es varüber, daß uns diefelben 
unbefannt feien. Weiter verbreitete fih nun feine Rede 
über die Menge der Klöfter und den Wohlgeruch der Tu— 
genden, der aus denfelben zu dir, o Herr, emporjtieg, über 
diefe mit Früchten prangende Dede im Wüftenlande, alles 
Dinge, von denen uns nichts befannt war. Und felbft zu 
Mailand, dicht an der Stadt, war ein folches Klojter mit 
frommen Brüdern unter der fürforgenden Obhut des Am— 
brofius, und wir wußten es nicht.“ m 

„VBontitian fuhr zu reden fort und wir hörten ihm 


195 


ſchweigend zu. Er erzählte, daß eines Tages in Trier, als 
der Kaifer ven Nachmittag im Circus zubrachte, drei Ge— 
fährten ımd er in den Gärten nahe bei der Stadt fpazieren 
gegangen waren, und da fie felbander gingen, Giner mit 
ihm und die beiden Andern auch zuſammen, fo famen die 
Paare im Gefpräche auseinander. Jene Beiden trafen auf 
ihrem Wege ein. einfam ftehendes Haus, in welchem einige 
jener freiwilligen Armen, deine Diener, wohnten, folche 
Arme im Geifte, deren das Himmelreich ift, und dort fan- 
den fie eine Schrift, die das Leben des Antonius enthielt. 
Der Eine von ihnen las darin, ftaunte, ward im Innerſten 
bewegt und fam im Weiterlefen auf den Gedanfen, gleich- 
falls ein folches Leben zu ergreifen, ven weltlichen Dienft 
mit deinem Dienfte zu wertaufchen: Beide nämlich waren 
faiferlihe Sachwalter. Plößlich erfüllt von göttlicher Yiebe, 
und in heiliger Scham fich felber zürnend, wandte er fich 
an den Freund und ſprach zu ihm: „Sage mir, ich bitte 
„dich, wohin gelangen wir mit allen unſeren Anftrengungen? 
„Was fuchen wir? Weshalb dienen wir? Welch größere 
„Hoffnung könnten wir haben, als näher in die Freund- 
„Schaft des Kaifers zu gelangen ? Und auch dann welche 
„zerbrechlichfeit diefes Glückes? Durch wie viel Gefahren 
„Streben wir nach größeren Gefahren ? Und, warn werden 
„wir dies Ziel erreichen? Will ich dagegen Gottes Freund 
„fein, fo bin ich e8, bin es im Augenblicke.“ 

So ſprach er im Innerſten erfchüttert von den Geburts- 
wehen feines neuen Lebens; dann beftete er die Augen wie- 
der auf das Buch und las weiter, bis fein Herz, in das 
du blickſt, gänzlich umgewandelt war, und fein Geift fich 
von der Welt losmachte, wie fich bald ergab. Er las, und 
in feinem Iunern wogte umd ſtürmte e8, er lebt auf und 
fiegt, und immer nach Bejjerem vingend und fchon wirklich 

13° 


196 


Dein Spricht er zu feinem Freunde: „Es ift gefchehen, ich 
„babe mich Losgefagt von all unferm Hoffen; ich will mei- 
„nem Gott dienen, und beginnen will ich's jett an diefem 
„Drte, zu diefer Stunde. Wenn du mir nicht nachahmen 
willſt, fo fei mir nicht entgegen." Der aber antwortete 
ihm, ev wolle ungzertvennlich der Geführte feines Lebens 
bleiben in- folchem Dienfte, um folchen Preis. Und Beide, 
nun deine Diener, erbauen ihren Thurm mit guten Mit- 
ten, und Alles verlaffend, folgen fie dir nach. 

Pontitian und fein Begleiter fanden fie an diefem Orte 
nach langem Suchen und ermahnten fie zur Niückfehr nach 
der Stadt, weil der Tag fich geneigt habe." Sie aber er- 
flirten ihnen ihren Entſchluß und die Weife, wie derfelbe 
entjtanden fer und fich befeftigt habe, und baten die Freunde 
jie nicht zu beirren, wenn ſie ſelbſt fich nicht anfchliegen 
wollten. Dieſe aber, die fich nicht umgewandelt fühlten, 
weinten über fich felbft und blieben in ihrem alten Stande, 
wünſchten ihren Gefährten alles Heil und empfahlen fich 
ihrem Gebete; ımd ihr Herz zur Erde lenkend, kehrten fie 
in den Palaſt zurlic, die Andern aber, das Herz zum Him— 
mel emporgerichtet, blieben in der Hütte. Beide waren 
verlobt, und ihre Bräute widmeten div, o Gott, bei diefer 
Nachricht ihre Jungfräulichkeit. 

Auguſtin erzählt weiter, und mit Freuden folgt man 
ſeinen Worten: „So wurde von Pontitians Erzählung mein 
Innerſtes zerriſſen und von glühender Scham erfüllt. Er 
ging, und was dachte, was ſprach ich nicht zu mir ſelbſt? ... 
In dieſem wüthenden Kampfe, in welchem ich meine Seele 
verfolgte bis tief in's Innerfte meines Herzens, heftige Be— 
wegungen in den Mienen und in den Tiefen des Herzens, 
breche ich los gegen Alypius und rufe aus: „Wie gefchieht 
„uns? Was ift daS? Was haft du gehirt? Die Uns 


197 


„gelehrten erheben fich und reifen das Himmelveich an fich, 
„und wir, mit unferer berzlofen Gelehrfamfeit, fiehe, wir 
„wühlen im Fleifh und im Blut? Schämen wir uns 
„etwa, ihnen zu folgen, weil fie vorangegangen find, und 
„Tollten wir nicht vielmehr ung ſchämen, ihnen nicht einmal 
„zu folgen?" Sp ungefähr waren meine Worte; dann 
riß ich mich im meiner Aufregung los von ihm, der fehwei- 
gend und tiefergriffen mich anſah; denn ich ſprach nicht 
wie gewöhnlich, und noch vielmehr als meine Worte Fprachen 
die glühende Stirne, die Wangen und Augen, das Beben 
meiner Stimme, die tiefe Bewegung meiner Seele aus. Es 
war ein Gärtchen an unferer Wohnung, dahin trieb mich 
der Aufruhr meiner Bruft... Alypius folgte miv auf dem 
Fuße, denn vor ihm hatte ich nichts geheim... Wir festen 
ung jo entfernt vom Haufe als möglich nieder. Sch er- 
grimmte im Geifte voll ftürmifchen Unwillens, daß ich noch 
nicht in den vereinenden Bund mit div, mein Gott, einge- 
gangen, und alle meine Gebeine fchrien: Du mußt hin!... 
Und der Augenblick, in dem ich ein Anderer werden follte, 
je näher ich ihm entgegentrat, defto mehr ſchreckte ex mich, 
er zog mich, ich konnte weder nahen noch zurückweichen. 
Zurück viefen mich die nichtigen Spielereien und die Eitel- 
feiten der eitlen Welt, meine alten Freundinnen zerrten 
mich an meinem Kleide won Fleiſch und Lispelten leife mix 
zu: Uns willft du von dir laſſen? Und von jest an wer- 
den wir ewig nicht mehr bei div fein? Und nun wird es 
div nicht mehr erlaubt, dieſes da oder jenes dort zu thun oder 
zu wollen, und zwar ewig nie?... Schon fprachen fie 
weniger unmittelbar zu mir, jie murrten hinter meinen 
Rüden, und zupften heimlich den Fliehenden, daß er jich 
umfehe und fie anblicke. Sie verzögerten meinen Gang zu 
Dem, der mich rief; denn die verderbliche Gewohnheit ſprach: 


198 


Glaubſt du leben zu können ohne fie? Aber auch biefe 
Iprach Schon läſſiger; denn von dorther, wohin ich mein 
Antliß wandte und doch noch bebte hinzugehen, von dorther 
enthülfte ſich mir die feufche Majeſtät der Enthaltfamfeit, 
heiter und jo voll Frieden und froh, mit fo liebreichem 
Worte mich ladend, dar ich doch kommen möge und nicht 
mehr zage, breitete fie die jegnenden Hände, und zugleich 
damit die Arme aller der Heiligen aus, die von ihr umfan— 
gen und umfchlungen waren, wie ich e8 werden follte: 
Kinder, Knaben und Mägdlein, Jünglinge und Sungfrauen, 
eine große Zahl, ach! jedes Alter, vielgeprüfte, ehrwürdige 
Wittwen, Alternde im immer jungfräulichen Neize, der nim- 
mer welft. Und in allen diefen heiligen Seelen die Keuſch— 
heit, die ewig fruchtbar ift, fruchtbar an himmlischen Freu: 
den, aus div, o Herr, empfangen ‚in deinem Umfaffen. Und 
in ihr Mahnen legte fie eine liebreich milde Jronie, als 
wolle fie fagen: Was? dur vermöchteft nicht, was dieſe 
vermochten, diefe Kinder, diefe Frauen und Jungfrauen? ... 

Als fich nun aus ihrer geheimnigvollen Tiefe die ernſte 
Betrachtung ſammelte, und mein Herz mich mein ganzes 
Elend ſchauen ließ, da brach es los in mir wie ein nie er- 
fahrner Stimm und löſte ſich auf in einem langen Thrä— 
nenftrom. Ihn freier zu ergießen mit allen feinen Schmer- 
zenslauten, ſtand ich auf von Alypius Seite, denn gänzliche 
Einfamfeit fchien mir paffender für folhe Thränen... Ich 
warf mich unter einem Feigenbaume nieder und ließ den 
Thränen freien Yauf... Und Bieles vief ich zu dir, nicht 
mit diefen Worten, doch aber diefes Sinnes: „D Herr, 
„wie fo lange! Wie lange, Herr, willſt du zürnen! Sei 
„micht eingedenk meiner vergangenen Miffethaten!” Denn 
von ihren fühlte ich mich gehalten und erhob meinen Klage- 
laut: „Wie lange? An welchem Tage? Morgen? Ad) 


199 


„Morgen? Warum nicht jeßt? Warum in diefer Stunde 
nicht das Ende meiner Schmach?“ So rief ich und weinte 
bitterlich. in der Zerknirſchung meines Herzens. Da plöß- 
lich höre ich eine Stimme vom benachbarten Haufe, fie Hang 
wie die Stimme eines fingenden Kindes oder Mägdleins, 
und wiederholte oft die Worte: „Nimm und lies! Nimm 
und lies!" Nun drängte ich meine Thränen zurück und 
jahe darin nur ein Geheiß von Gott, das Buch des Apo- 
jtels zu öffnen, und zu lefen, auf was ich zuerft träfe. Ich 
hatte von Antonius gehört, er fei einft in eine Kirche ge- 
treten, als eben das evangelifche Wort gelefen wurde: 
„Gehe hin, verkaufe Alles, was du haft, gib es den Ar- 
„men, jo wirft du einen Schat im Himmel haben, und 
„komm' und folge mir nach;" und ex habe fogleich dies 
Wort auf fich angewendet, als habe eine Gottesftinme es 
ihm gejagt. Eilig ging ich nun hin, wo Alypius ſaß und 
wo ich des Paulus Sendbriefe zurücgelaffen hatte. Ich 
nahm das Buch, öffnete es und las ftill den Abjchnitt, der 
mir zuerst vorfam. Sch las aber: „Wandelt ehrbar und 
nicht in Schmaufereien und Trinfgelagen, nicht in Schlaf- 
fammern und Unzucht, nicht in Zank und Neid, fondern 
ziehet den Herrn Jeſum Chriftum an, und pflegt der Sinn- 
lichfeit nicht zur Erregung der Lüfte.” Ich las nicht wei- 
ter; mehr bedurfte ich nicht. Sch Hatte gelefen, und Das 
Licht des Friedens Fam über mein Herz und alle Finſter— 
niffe des Zweifels entflohen !).“ 

Man fennt das Uebrige; man weiß, wie der große 
Sohn der heiligen Monica Chrift, dann Priefter, dann Bi- 
Ihof wurde, und wie er emdlich der größte Kirchenlehrer 
feiner Zeit und vielleicht aller Yahrhunderte geworden tft. 


) 8. August., Confession. lib. VIII, ce. 6—12. 


Das Klofter- 

leben des hei= 

ligen Augu— 
fin, 


200 


Was man aber nicht genugfam kennt und weiß, ift 
dies, daß er von feiner Rückkehr nach Afrifa an, wenn er 
auch nicht förmlich Mönch ward), ein Flöfterliches Leben 
geführt bat. 

Noch als einfacher Priefter gründete er zu Hippo ein 
Kloſter, in welchem er in der ewangelifchen Armuth lebte ?). 
zur bifchöflichen Würde erhoben, wollte er nichts defto weni— 
ger das gemeinfchaftliche Yeben, das er feit feiner Befehr- 
ung mit den Dienern Gottes geführt hatte, fortſetzen, und 
gründete ein zweites Klofter, aus welchem ev den Klerus 
feiner bifchöflichen Stadt nahm), in welchem er fein Leben 
befhlog und das eine Pflanzfchule won Bifchöfen ward. 
Von dem Donatiften PBetilian angeklagt, ev habe durch Er- 


) Die Frage, ob der heilige Auguftin Mönch gewefen fei oder 
nicht, it lang und breit und ſehr unnützer Weife verhandelt worden. 
Er iſt es augenscheinlich mit demſelben Nechte wie der heilige Ba— 
filius, dev heilige Hieronymus, dev heilige Sohannes Chryſoſtomus 
und alle anderen Väter gewejen, denen Niemand dieje Eigenjchaft 
ftreitig macht. Thomaſſin (pars I, lib. III, c. 3, 8. 9) behauptet, der 
heilige Augustin fei nie Mönch gewefen, fondern nur Gründer einer 
Berfammlung von Klerikern, Die fich durch Gelübde zur Armuth und 
Keuſchheit verpflichteten. Man fiebt nicht recht, worin denn der Unter- 
ſchied eigentlich befteben fol, in Betracht der Epoche, in der der Hei- 
lige lebte, welche der eigentlichen genauen und fürmlichen Regelung 
des Kloſterthums lange worherging. Andererjeits citirt Collombet 
eine Schrift von Ferrand, Parlaments-Advokat, unter dem Titel: 
Discours ou lon fait voir que Saint Augustin a et Moine. 
Paris 1689. 

) Quia hoc disponebam in monasterio esse cum fratribus... 
cœpi boni propositi fratres colligere, compares meos, nihil ha- 
bentes, sicut nihil habebam, et imitantes me, Sermo 355, edit. 
Gaume, t. I. 

°) Et ideo volui habere in ista domo episcopii meum mona- 
sterium clerieorum. JIbid, 


201 


findung des Kloſterlebens in der Kirche eine Neuerung auf 
gebracht, antwortete ev, daß, wenn auch der Name Kloſter 
etwas Neues wäre, Doch die Lebensform der Mönche auf 
das Beifpiel der Apostel und erſten Chriften gegründet, und 
fo alt ſei als die Kirche ſelbſt ). 

Die Klöfterliche Lebensform kann demnach denjenigen 
als einen der ihrigen beanfpruchen, welcher, gewiß mit 
Hecht, der berühmtefte und der größte aller Theologen), 
der Vater und Meifter aller Prediger des Evangeliums?) 
genannt worden ift, umd der zwifchen Plato und Boſſuet, 
zwifchen Cicero und dem heiligen Thomas von Aquin fich 
am erften Plate unter den Geiftern erften Nanges findet 
deren Blick die Jahrhunderte beherrſcht. Und eben in den 
Uebungen und in der Lebensjtrenge des Klofters bildete fich 
beftimmend und entjcheidend in ihm ein Mann, ebenfo groß 
durch die Kraft des Gedanfens als durch die Tiefe und In— 
nigfeit feines Glaubens, durch erhabenes Talent als durch) 
Tugend; ein Mann von der göttlichen Vorfehung beſtimmt, 
auf feine Zeit und auf alle Zeiten einen vollgültig bevech- 
tigten Einfluß auszuüben. Alles iſt allerdings nicht voll— 
fommen in den Werfen, die wir von ihm haben: Spitfins 
digkeit, Unflarheit, die Geſchmackloſigkeit einer in Verfall 
befindlichen Titerarifchen Epoche haben ihren Theil daran. 
Aber wer hat ihn jemals an unermeßlihem Umfang, an 
Mannigfaltigkeit, an unerfchöpfter Fruchtbarkeit feines Wil- 
jens, an tiefem Zartgefühl, an liebenswürdiger, Findlicher 
Unbefangenheit feiner Seele, an feurigem Wiffenspurfte, an 
Erhabenheit und an Tragweite feines Geiftes übertroffen ? 


'\ Contra litt. Pet., lib. III, ce. 40. 
?) Bossuet, Brief von DOftober 169, 
) /d., Sermon pour une Veture. 


202 


Unter feinen zahllofen Schriften treten zwei Meiſterwerke 
ganz befonders hervor, welche dauern werden jo lange als 
die katholiſche Wahrheit dauert: die Bekenntniſſe, in 
welchen Reue und Demuth, ohne e8 zu wiſſen und zu wol 
(en, mit der erhabenen Herrlichkeit des Genie's gefchmückt 
erfcheinen, und Urfache find, daß die geheimjten Zuftände 
des Seelenlebens Auguftin’s ein Gemeingut aller Chriften 
geworden find; und die Gottesſtadt, welche zugleich eine 
fiegreiche Vertheidigung des Chriftenthums und ein erfter Ver— 
fuch einer wirklichen Philofophie der Gefchichte ift, den bis jetzt 
nur Boſſuet übertroffen hat. Sein Yeben, von einer un— 
auslöfchlichen Gluth für das Gute entflammt und verzehrt, 
ift nur ein einziger langer Kampf, erſt gegen die gelehrten 
Thorheiten und die fchändlichen Yafter ver Manichäer, dann 
gegen die fündhaften Lebertreibungen der Donatiften, bie 
ihre verfolgungsfüchtige Härte cher bis zur Trennung von 
der Kirche brachte, als zur Anerfennung der weisheitsnollen 
Nachficht Noms; dann weiter gegen die Pelagianer, die für 
die menschliche Freiheit die Berechtigung verlangten, ohne 
Gott fein zu Dürfen; und endlich und immer gegen die Reſte 
des Heidenthums, die in Afrifa mit der alten Zähigfeit 
Karthagos gegen die neue und fiegreiche Religion Rom's 
430. ankämpften. Er ftirbt im jechsundfiebenzigften Jahre feines 
Lebens, an den Wällen feiner von ven Vandalen belagerten 
bifchöflichen Stadt, lebend und im Tode ein lebendiges 
Bild der Kirche, die zwiichen dem römiſchen Keiche und 
der Welt ver Barbaren fich erhob, um den Verfall zu be— 
hüten und die Eroberung zu läutern. 
a Eine ungemein zarte Nächitenliebe mäßigte jederzeit in 
ung. Diefer heiligen Seele die Hite des Streites, wo er ih in 
denfelben verwidelt fand. „Tödtet die Irrthümer,“ pflegte 


203 


er zu fagen, „aber liebet die Irrenden Y.“ Führen wir 
von ihm noch eine fehr fchöne Stelle gegen die Manichäer 
an; ein herrlicher Erguß Fatholifchen Glaubens und zugleich 
eine nie genug zu beherzigende Erinnerung für folche ver» 
gepliche Neophhten, die fich allein zu Vorkämpfern der 
fatholifchen Wahrheit aufwerfen möchten: 

„Mögen diejenigen mit Strenge gegen euch verfahren, 
welche von der Mühfal nichts wilfen, mittelft deren man 
zur Wahrheit durchdringt, nicht wiſſen, wie fchwierig es ift, 
den Irrthum zu vermeiden. Mögen diejenigen es thun, 
die nicht wiſſen, wie felten und ſchwer ſelbſt eine in ruhi- 
ger Klarheit fich haltende Fromme Seele die Neizungen der 
Sinnlichfeit befiegt; Diejenigen, die nicht wilfen, was es 
foftet, daS innere Auge des Menfchen zu heilen, damit er 
jeine Sonne betrachten fann. .. . Mögen Solche gegen euch 
ftrenge fein, denen es unbekannt ift, mittelft wie vielen 
Zugens und Klagens man zur Erfenntniß Gottes, wie uns 
volffommen diefelbe auch fei, gelangt. Mögen fie ftrenge 
fein, diejenigen, welche nie in ven Irrthum gefallen find, 
in welchem fie euch verftridt jehen. Was mich betrifft, 
der ich erjt nach Tangem und fchmerzlichen Hin- und Her- 
Ihwanfen endlich jehe und weiß, was diefe reine Wahrheit 
ist... ich, der ich, um die Finfterniffe meines Geiftes zu 
zerſtreuen, mich jo ſpät dem erbarmungsvollen Arzte unter— 
worfen habe, der mich rief und mich liebend an ſich zog; 
der ich ſo lange geweint, damit Gott ſich herablaſſe, meiner 
Seele ſich zu offenbaren; ich, der ich ehemals ſo begierig 
geſucht, ſo aufmerkſam gehorcht, ſo verwegen geglaubt habe, 
mich beſtrebt habe, Anderen eben dieſe Träumereien einzu— 
reden und dieſelben hartnäckig zu vertheidigen, in welche 


) Interfieite errores, diligite homines. 


204 


euch eine lange Gewohnheit verftridt hat; was mich be— 
trifft, fo kann ich nicht hart fein, gegen euch, die ich jett 
ertragen muß, wie ich zu einer andern Zeit mich jelbjt er- 
trug, die ich mit der gleichen Geduld zu behandeln habe, 
die mein Nächiter miv erwiefen, da ich, wüthend und blind, 
mich im eurem Irrthume zerfämpfte 9).“ 

Später meinte er allerdings, einer irrigen Anficht ges 
weſen zu fein, da er fich geweigert, gegen die Irrgläubigen 
andere Waffen als Diejenigen der Ueberzeugung anzuwen— 
den). Er ließ fih, wo er ihn nicht felbft anrief, doch 
den Beiftand jenes Schwertes der Cäſarn gefallen, das 
noch vom Blute der Ehriften, die man den falfchen Göten, 
oder der Katholifen, die man dem Artanismus geopfert 
hatte, geröthet war. Immer jedoch nur, indem er gegen 
Hinrichtung und andere harte Strafen wegen Härefie pro— 
teftivte. Er fand diefelben mit der fatholifchen Sanftmuth 
unverträglich, und beſchwor die faiferliche Milde, doch ja 
das Anvdenfen des Yeidens der Diener Gottes, die von der 
Kirche verherrlicht find, nicht mit dem Blute ihrer Feinde 
zu beflefen ?). Zudem fteht es uns ja frei, um ihn zu 


) Ili in vos ssviant qui neseiunt cum quo labore verum 
inveniatur. Ego autem qui diu multumque jactatus tandem re- 
sipiscere potui. . . sevire in vos omnino non possum, &e. (on- 
tra Epistolam Manicheei, e. 2 et 3. t. VII, ed. Gaume. — Es 
jei uns geftattet, neben diefer Schönen Stelle ein Wort des bevedteften 
DOrdensmannes unferer Tage anzuführen: „Ein Befehrter, der Fein 
Mitleiven fühlt, it in meinen Augen ein gemeiner Menſch; es ift 
der Centurio, der, anftatt an feine Bruft zu Elopfen, da er Chriftus 
erkennt, -fich zum Henker aufwirft.“ P. Lacordaire. 

2) Epist. 93 et 185 t. I. 343 et 965. 

3) Pœna sane illorum, quamvis de tantis sceleribus confes- 
sorum, rogo te ut preter supplieium mortis sit, et propter con- 
scientiam nostram et propter catholicam mansuetudinem commen- 


205 


bewundern und nachzuahmen, zwifchen dieſen beiden ent- 
gegenftehenden Meinungen diejenige zu wählen, bei welcher 
er fich fo völlig in Uebereinftinmung mit feiner ganzen 
Geiftesrichtung und feinem Herzen, fowie mit dem wahren 
Ruhme und dev wahren Kraft der Kirche zeigt. 

Aber wir dürfen uns nicht beigehen Inffen, hier vom 
heiligen Auguftin nach Luft und Verlangen reden zu wol- 
fen. Wir müffen ung an dasjenige halten, was bei ihm 
ausschlieglih auf das Mönchthbum Bezug Hat. Daffelbe 
hatte an ihm zunächſt fein großes Beifpiel, da er, wie wir 
ſahen, feit feiner DBefehrung als Mönch mit andern Mön— 
chen nach Art derjenigen Ordensleute gelebt hat, deren 
Gebräuche er in Rom kennen gelernt hatte). Vorzüglich 
wachte er, in Bezug auf fich felbft und auf die Brüder 
feines bifchöflichen Weonafteriums auf genaue Beobachtung 
der Hlöfterlichen Armuth. Dies auf völlige Gütergemein- 
ſchaft gegründete Geſetz perfünlicher Uneigennüsigfeit, war 
befonders in einem. Lande wie Afrifa eine dringende Noth- 
wendigfeit, wo Golddurſt und Luxus fo allgemein Hand in 
Hand gingen, und wo Fremde und Feinde eiferfüchtigen 
Dlifes den wachſenden Reichthum des Klerus beobachteten. 
Deshalb gibt auch Auguftin feinem Volke fehr genaue Ne- 
chenfchaft über die Verwendung des geringen Vermögens, 
das zum Unterhalte feiner flöfterlichen Gemeinde diente; 
wie er auch beharrlich folche Gaben und Vermächtniſſe, die 
das Fleine Grundvermögen bedeutend vermehren fonnte, von 
der Hand wies, wenn ihm die Quellen davon nicht tadel- 


dandam...ne passiones servorum Dei, qu& debent esse in 
Eeclesia glorios®, inimicorum sanguine dehonestentur. Ep. 139, 
t., II, P:625. 

) De moribus Eceles. cathol.-e. 33. 


Die Regel 
des beiligen 
Auguftin, 


206 


(08 rein fehienen. „Derjenige,” jagt er, „ver feinen Sohn 
„enterben will, um die Kirche zu bereichern, möge anders- 
„wo mit feinem Teſtamente hingehen, zu Auguftin fol er 
„nicht fommen. Aber, jo Gott will, wird er Niemand 
„finden, der es unter folchen Umftänden annimmt.” 

Ein jolches Beispiel von Uneigennüsigfeit, von fo hoher 
geiftiger Begabung unterjtüßt, mußte feine Früchte bringen; 
und fo wird denn auch der heilige Anguftin mit Recht als 
Derjenige betrachtet, ver das Mönchthum fir beide Ge- 
Ihlechter in die Kirche von Afrika eingeführt hat, mitten 
in jenes fchauderhafte Verderbniß, das alles Andere im rö— 
miſchen Neiche überbot, und von dem uns Salvian das 
erichrediende Gemälde hinterlaffen hat). Nicht nur erblü- 
beten zahlreiche Klöfter auf diefem afrikanischen Boden, auf 
den Yandgütern und in den Gärten, welche die großen 
Grumdbejiger, auf einen Wunſch Auguftins, zu diefem Ende 
abgetreten hatten ?); fondern auch der Weltflerus jcheint 
an vielen Orten das Mufter befolgt zu haben, das ihm 
der Bifchof von Hippo mit feinen Brüdern, fowie auch 
dejfen Freund Alypius, der unterdeg Biſchof von Tagafte 
geworden war, darboten ?). Auguftin hatte außerdem zu 
Hippo ein Frauenflofter gegründet und demjelben feine eigene 
Schwefter als Oberin vorgefett. Um Uneinigfeiten, die 
in demfelben vorgefallen waren, beizulegen, und um in Zus 
funft allen Unordnungen vorzubeugen, verfaßte er damals 
jene berühmte Regel, die feinen Namen trägt. Gefchrie- 
ben im Jahre 423 in vwierundzwanzig Abjchnitten, und ur- 


') De Gubernat. Dei. VII et VII. 

?) Propositum tam bonum, tam sanetum, quod in Christi 
nomine cupimus, sicut per alias terras sie per totam Africam 
pullulare. De opere monachorum. ce. 28. 

°») Epist. Paulin. ad Alyp. in Op. August. t. II, p. 51. 


207 


fprünglih nur für dieſe einfachen Kloſterfrauen in Afrika 
beftimmt, ward diefelbe jedoh unter Karl dem Großen, 
wie e8 fpäter gefagt werben wird, wieder hervorgezogen und 
zum Gefetbuche eines ausgedehnten Zweiges des abendlän- 
diſchen Mönchthums. Sie ward den Conftitutionen einer 
Menge von Hlöfterlichen Vereinen zu Grunde gelegt, insbes 
fondere denjenigen der rvegulivten Chorherren, die fich des— 
halb bis zur Stunde noch nach dem heiligen Auguftin nen— 
nen. Und als achthundert Jahre nach dem Untergange 
des alten Roms und der Völkerwanderung der heilige Do— 
minicus in Mitte der überalf herrfchend gewordenen Kirche, 
einer neu entjtehenden Gefahr eine neue Miliz zur Abwehr 
entgegen zu ftellen dachte, nahm er dazır unbevenflich die 
Berfaffung, welche der größte der Kirchenväter einft für 
das bejcheidene Klöfterlein feiner Schwefter gefchrieben 
hatte '). 

So gefhah es, daß er, ohne e8 zu ahnen, nicht nur 
auf feine Zeitgenoffen und die Nachwelt durch die hohe 
Kraft feines Geiftes und durch feine Lehre mächtigen Eins 
fluß ausübte, jondern auch in der Kirche ein Imftitut her— 
vorrief, das noch, nachdem vierzehn Sahrhunderte vergangen 
find, in vielen feiner Zweige fruchtbar und ruhmwürdig 
geblieben ift. 

Noch während feines Lebens Teiftete er aber der Kirche Seine Ab— 

« x bandlung über 

und dem Flöfterlichen Leben einen andern, nicht geringern yie Yrbeits- 
und direftern Dienft. Die beflagenswerthe Schwäche aller pflt ver 
menschlichen Dinge ift der Art, daß jede nene Entfaltung — 


) Man ſehe bei P. Helyot, in feiner Histoire des Ordres 
religieux, die Aufzählung der vielen Congregationen und Nitter- 
orden, nad der Regel des heiligen Auguftin. Diejelbe nimmt den 
ganzen II. und II. Band dieſes umfangreichen Werfes ein, in ber 
Ausgabe won 1714—1715. 


208 


des Guten, gewöhnlich auch ein Wieverausbrechen der an— 
gebornen Verderbniß im Gefolge hat. Dafjelbe birgt fich 
unter taufenderlei werfchiedenen Formen und Geftalten, aber 
es findet ich immer, und läßt dadurch das Verdienſt und 
die Freiwilligkeit der chriftlichen Aufopferung nur um fo 
ſchärfer und ſchöner hervortreten. Mißbräuche im Mönch— 
thum waren in ſeinem Innern ſelbſt mitten in dem anfäng— 
lichen Eifer des Inſtituts zu Tage getreten. Zu heftigen 
Ausbrüchen kamen ſie in der Umgebung jenes allgemeinen 
Sittenverderbniſſes in Afrika, und noch zu der Zeit, wo 
Auguſtin dem Inſtitute ſeinen Eifer und ſeine Lebensſtrenge 
zubrachte. Eine Menge Menſchen drängten ſich jetzt zu den 
Klöſtern, die den ſchweren Frohndienſten des Land- oder 
Stadtlebens in Municipalämtern, wie ſie in der Zeit der 
fetten abendländifchen Kaiſer verlangt wurden, auszuweichen 
fuchten, und nun in den Klöſtern Raum zum Müßiggange 
zu finden hofften. Es bildete fich fogar eine fürmliche 
Sefte won heichlerifchen, arbeitsfchenen Mönchen, die unter 
dem Namen Maffalianer auf dem Lande oder in den 
Städten herumfchweiften und Neliquien und Amulette feil 
boten . Sie predigten gegen das Arbeiten, indem fie fich 
auf ven ewangelifchen Text beriefen: „Sehet die Vögel 
des Himmels, wie jie nicht ſäen und nicht ernten und 
nicht ſammeln in die Schemen, und euer himmliſcher 
Bater ernähret fie doch; ſeid ihr nicht mehr, viel mehr 
als fie?" Und damit fie den Vögeln, die ihr Ge— 
fieder nicht ablegen, um fo beſſer glichen, ließen fie auch 
ihr Haar lang wachfen, im Gegenfate zu den nach einer 


') Alii membra martyrum , si tamen martyrum , venditant; 
alii fimbrias et phylacteria sua magnificant. De opere mona- 
chorum. ce. 28. 


209 


Negel lebenden Mönchen, bei welchen die gänzliche Tonfur 
bereits ein fejtjtehender Brauch war. Daraus entftanden 
num Nergerniffe und Zwiftigfeiten. Der Bifchof von Kar- 
thago, deſſen Diözefe dadurch befonders beunruhigt ward, 
bat feinen Kollegen von Hippo, diefe Betrüger zu entlarven. 
Auguftin that e8 im einer berühmt gewordenen Schrift unter 
dem Titel De opere monachorum, welche gewilfermaffen 
die Begründung des Gefetes der Arbeit ift, das den Ruhm 
und die Kraft der Mönche bildet, und zugleich ein unwider— 
rufliches Urtheil, das zum voraus gegen die Erichlaffungen 
in nachfolgenden Jahrhunderten gefprochen worden ift. 

In dieſem Werfe finden fich werthvolle Einzelnheiten 
über die Art und Weile, wie fich ſchon damals die Klöfter 
zu ergänzen pflegten: „Es kommen,“ fagt er, „um fich 
dem Kloſterleben zu widmen, bald Yeute aus dem Sflaven- 
ftande, bald Freigelaffene älteren Datums, oder Solche, 
denen ihre Herren die Freiheit gefchenft haben, damit fie 
Mönche werden können; diefe Landleute, diefe Handwerfer, 
diefe gemeinen Leute haben im Allgemeinen eine genugfam 
jtrenge Lehrzeit durchgemacht, um fie für ihren neuen Stand 
geeignet zu machen. Ihnen die Aufnahme verweigern, 
wäre ein ſchweres Unrecht, denn viele aus ihnen haben 
bereits große Beifpiele von Tugend gegeben). Er fors 
dert alfo, daß man diefe aufnehme, ſelbſt für den Fall 
zweifelhafter Beweggründe, ob fie rein um Gott zu dienen 
fih meldeten, oder vielleicht nur um ein hartes, elendes 


') Nune veniunt plerique ... ex professione servili, vel 
etiam liberti, vel propter hoe a Dominis liberati seu liberandi, 
et a vita rusticana et ab opifieum exereitatione et plebeio la- 
bore....qui si non admittantur, grave delictum est. De opere 
Monachorum, c. 22. 

v. Montalembert, d. Mönde d. A. I. 14 


210 


Leben, das in der Welt ihr Loos ift, zu fliehen, und Nahr- 
ung und Kleidung zu finden, und zugleich, um von Den- 
jenigen geehrt zu werden, die bis dahin gewohnt waren 
fie zu verachten umd zu bevrüden ). Mean foll diefelben 
aber durchaus und ftrenge zur Arbeit anhalten. Er hält 
diefen Leuten aus dem gemeinen Volke das Beiſpiel der 
Herren des Adels entgegen, deren Befchrungen eben damals 
die ganze Kirche erbauten, und die vie Kloftergärten mit 
dem Schweiße ihres Angefichts benetten. „Einfache Ar- 
man Senatoren arbeiten fieht, noch dürfen fie die Beque— 
men fpielen, wo die Herren jo großer Neichthümer und fo 
ausgedehnter Befitungen diefelben zum Opfer bringen ).“ 
Er befämpft dann die Lobredner des Flöfterlichen Müffig- 
gehens mit dem Beifpiele und den Worten des heiligen 
Paulus, der fein Leben lang mit Handarbeit zubrachte und 
Zelte verfertigte. Denjenigen, "welche ſich unter Vorwand, 
das Lob Gottes fingen zu müfjen, von der Arbeit entjchul- 
digt hielten, antwortet er mit Hinweiſung auf die Schiffer 
und Handwerfer, die es auch verftünden, bei ihrer Arbeit 
zu fingen ?). Er fchliegt mit einem jehnfüchtigen Hinblick 
auf die geregelte und gemäßigte Arbeit dev Mönche, welche 
ihr Tagewerf zwifchen Handarbeit, Studium und Gebet 
theilten, anftatt daß er fich in den befchwerlichen und ge— 
räuſchvollen VBerlegenheiten des bifchäflichen Amtes abmühen 





!) Neque apparet utrum . . an pasei atque vestiri volue- 
rint, et insuper honorari ab eis a quibus eontemni conterique 
consueverant. . . Zbid. 

2) Nullo modo decet in hae vita, ubi sunt Senatores labori- 
osi, sint artifices otiosi, et quo veniunt relietis divitiis qui 
fuerunt prediorum domini, ibi sint rustiei delicati. Ibid. c. 25, 

); Zordec. 17. 


211 


müffe, welches befanntlich damals, durch DBeurtheilung und 
Schlichtung einer Menge von weltlichen Dingen und Hän— 
deln, ganz befonders mühevoll und werwidelt war. 

Sp ward denn den Mönchen, nachdem fie den größe 
ten unter den Vätern des Morgenlandes, den heiligen Jo— 
hannes Chryfoftomus zu ihrem Lobredner gehabt, nunmehr 
die Ehre zu Theil, den ausgezeichnetften und bevedteften 
der Väter des Abendlandes zu ihrem Gefetgeber und Res 
formator zu haben. Ste weiheten Beide ihr hohes Talent 
der Vertheidigung und Negelung eines Inftitufes, das mehr 
und mehr für die Kirche und für die gefammte chriftliche 
Geſellſchaft als nothwendig erjchien. 

Ehe wir Afrika verlaffen, weifen wir hier wenigftens 
noch auf einen andern heiligen Mönch hin, der, berühmt durch 
jeine Beredfamfeit und feine Schriften, Biſchof wie Augu— 
jtin, und für den Glauben verbannt wie Athanafius, war. 
Der heilige Fulgentins, Abt eines afrifanifchen Kloſters, 
durch Leſung des Lebens der Väter der Wüſte hochbegei— 
jtert, fchiffte fich nach Aegypten ein, um als Mönch in ver 
TIhebais zu leben. Aegypten aber, von Spaltungen und 
Irrlehren zerriffen und bereits dem Geifte des Todes ver- 
fallen, bot, gegen Ende des V. Jahrhunderts, nur noch 
ſehr fpärliche Sammelpunfte von Licht und religisfem Eifer. 
Fulgentius mußte ſich alfo begnügen, das Mönchthum in 
Sardinien auszubreiten, wohin ev von einem arianischen 
Vandalen-König verbannt war; und es fo gut als möglich in 
Afrika zu jtügen, wo die Kirche, mit ihren fiebenhundert 
Bisthimern eine Zeit Yang fo blühend, mitten in dem 
Kampfe zu Grunde ging, den eine abgelebte und corrum- 
pirte Civilifation gegen das Wüthen der Vandalen, dieſes 
blut- und beutegierigen Bolfes, zu beftehen hatte, das dafelbft 
der furchtbare Vorläufer des furchtbareren Islam ward. 

14* 


Der heilige 
Fulgentius. 


455—533. 


Klöfterliche 
Ursprünge in 
Gallien, 


Einfluß des 
Atbanafius. 


212 


Aus Afrika trieb die VBandalifche Verfolgung das In— 
jtitut der Mönche nach Spanien hinüber; und wir werden 
weiterhin. die dunklen und ungewiljen Anfänge deſſelben in 
der iberifchen Halbinjel erzählen. 

Kommen wir nun an Gallien, das fchon allzulange in 
diefem vafchen Ueberblide der Urfprünge des Mönchthums 
im Abendlande unberüchichtigt geblieben ift, und das der— 
einft das gelobte Yand des Drvenslebens wird. Auch das 
jelbjt finden wir Athanafius und die fruchtbare Saat wieder, 
die diefer außerordentlihe Mann in drei Welttheilen aus— 
geftreut hatte. Von Konftantin im Jahre 356 nad Trier 
verbannt, begeifterte er den ganzen gallifchen Klerus ) für 
den Glauben von Nicäa und für das wundervolle Leben 
der Mönche in der Thebais. Wir haben bei der Erzäh— 
lung der Bekehrung Auguftins gefehen, welchen Eindrud 
die von Athanafius gejchriebene, von faiferlichen Hofbeant- 
ten in Trier gefundene Gejchichte des heiligen Antonius 
auf diefelben gemacht hatte. Aus diefem Zuge leuchtet e8 
ein, mit welcher Allgewalt die Begeifterung für das Klofter- 
leben jich mitten im ausjchweifenden, innerlich verarmten 
trübjeligen Weltleben im römifchen Neiche verbreitete, au 
dejfen Thore die Barbaren bereits mit wiederholten Schlä- 
gen anflopften ?). Von Trier, das feine Wiege im Abend- 
lande war, breitete fich das neue Inftitut mit Beihülfe des 
Einfluffes der Schriften des heiligen Athanafius raſch in 
Gallien aus, wofelbft es mit ganz außerordentlichem 
Glücke durch ven größten, und lange Zeit volksthümlich— 
jten Mann ver gallifchen Kirche in's Leben eingeführt 


) Athanafius Fam dreimal nah Gallien, in den Jahren 336, 


341 und 356. 
?) Ozanam. De la Civilisation chretienne au Vme Steele. 


213 


wurde. Diefer Mann war der heilige Martin, Bifchof 
bon Tours. 

In Pannonien geboren, Sohn eines heidnifchen Va— Der Heilige 
ters, welcher Tribun im faiferlichen Heere war, hatte fich ng 
der junge Martinus, erft zehn Jahre alt, heimlich aus dem Zours. 
elterlichen Haufe entfernt, um fich Chrifto zu weihen und 31639. 
von einem Geiftlichen erzogen zu werden, worauf er dann 
beabfichtigte, wie die Mönche in Aegypten und im Driente, 
deren Ruf bereits in die Donangegenden gedrungen war, 
jelbft auch ein ganz gottgeweihtes Flöfterliches Leben zu 
führen. Aber feine Flucht ſchützte ihm nicht vor feinem 
Geſchicke als Sohn eines Veteranen, denn als folcher mufte 
er, den Geſetzen des Reiches zufolge, in Kriegsdienfte tre- 
ten. Die Knechtichaft war eben überall in diefer faiferlichen 
Welt. Sein eigener Vater war es, ver ihn angab. Er 
war fünfzehn Jahr alt, als er ergriffen, in Feſſeln gelegt 
und dann gewaltfam im die Kavallerie eingereiht wurde, 
ein Dienst, von welchem er erjt nach zwanzig Feldzügen befreit 
wurde. Beſtändig hielt er fich in ver Mäßigfeit und Le- 
bensftrenge eines Mönches, obwohl er nur erft Katechumen 
war!); und während dieſes langen und fchmerzlichen No- 
piziatS war es, daß er, zu Amiens, das wunderbare Be— 
gegnig mit jenem Armen hatte, dem er die Hälfte feines 
Mantels gab, ein Zug, der ihm einen fo ganz befonders popu— 
lären Ruf erworben hat. Endlich frei geworden, fucht diefer 
Veteran des römischen Heeres, im Feldlager für die Kirche 
erzogen, unter den Chrijten einen Bifchof, unter deſſen 
Schute er feine übrige Lebenszeit zubringen könnte. Seine 


') Animus tamen aut eirca monasteria aut eirca Ecelesiam 
semper intentus... Raptus et catenatus... ita ut non miles, 
sed monachus putaretur, Sulp. Sever., Hist, S. Mart., c. 1. 


Zögling des 
beiligen Hi— 
larius von 
Poitiers. 


214 


Wahl fällt auf den heiligen Hilarius, Biſchof von Poi— 
tiers Y. Es gab in der Kirche keinen berühmtern. Ver— 
eint mit dem heiligen Athanaſius in Vertheidigung der 
Göttlichkeit Chriſti; wie dieſer, den Verführungskünſten und 
der Gewaltthätigkeit gleich unzugänglich, widerſtand er ſieg— 
reich ebenſo allen Anſtrengungen der kaiſerlichen Macht 
zu Gunſten der Irrlehre. Beide traf das gleiche Schickſal. 
Der Patriarch von Alexandrien war kaum wieder zurück 
aus der Verbannung, die ihn von den Ufern des Nil an 
den Rhein geführt hatte, ſo ward der große Kirchenlehrer 
von Poitiers für die gleiche Sache tief nach Klein-Aſien 
deportirt. Bei der unermeßlichen Ausdehnung des Reiches 
war es für den Despotismus ein Spiel, die Bekenner des 
Glaubens von einem Ende der Welt an das andere zu 
ſchaffen; aber dieſe Launen einer blinden Gewalt waren 
ohnmächtig; der Arm des Verfolgers diente nur dazu, die 
Saat der Wahrheit und die Beiſpiele edelſten Heldenmuthes 
weiterhin zu verbreiten. 

Mit Freuden nahm Hilarius den gedienten Krieger 
auf, und ertheilte ihm bald ungeachtet ſeines Widerſtrebens 
die niederen Weihen, worauf er ihn zur Bekehrung ſeiner 
Mutter nach Pannonien zurückſandte. Die Arianer, da— 
mals überall unerbittlich und allgewaltig, vertrieben ihn 
bald wieder aus ſeinem Vaterlande, während gleichzeitig 
ver heilige Hilarius ſeinerſeits den Weg in die Verbannung 
antreten mußte. Meartinus wollte ohne feinen Freund 
nicht in Gallien leben, und blieb deshalb zu Mailand in 
einem Klofter ?), dann begab er fich nach der faft ganz 


') Geboren im Jahre 300, gejtorben 367 oder 368. 
?) Mediolani sibi monasterium constituit. Sulp. Sever., 
Vit. 8. Martins, ce. 4. 


215 


wüſt gelegenen Inſel Gallinava, der Küfte von Genua 
gegenüber, wo er fich nur von rohen Wurzeln nährte, um 
fich dadurch auf die Strenge des Flöfterlichen Lebens, dem 
er fich zu widmen gedachte, vorzubereiten. 

Die triumphirende Rückkehr des heiligen Hilarius im 
Jahre 360, brachte auch Martin wieder nach Poitiers zu— 
rüc, der alsdann mit dem Beiltande des Bilchofs, in der 
Nähe dieſer Stadt das Klofter Yiguge gründete, welches 
von den Gefchichtfehreibern als das ältefte in Gallien be- 
trachtet wird). Jetzt find die Winfche, die ihn als Jüng— 
ling befeelt hatten, erfüllt; alle Prüfungen, alle widrigen 
Gefchicke find überwunden: ex ift Mönch! Aber eine Fromme 
Lift entreigt ihn bald wieder feinem jo lange erfehnten Klo— 
fter, um ihn auf den Metropolitanjtuhl von Tours zu er— 
heben. Vergebens will er die Hand Gottes, die ihm Ruhe 
und Dumfelheit verfagte, abwehren ; von diefem Augenblicke 
an erfüllt er, während feines Lebens und nach feinem Tode, 
die ganze chriftliche Welt mit dem Rufe von feiner Heiligfeit 
und von feinen Wundern ?). 

Er war alsbald der gewaltigjte Gegner der noch übri- 
gen Nefte des Heidenthums in Gallien. In Begleitung 
feiner Mönche zog er im Lande umber, um überall bie 
Druivdenfteine und die im -gallifchen National-Cultus gehei- 
ligten Eichen, fowie auch die römischen Tempel und Göten- 


)) Es werden jedoch einige frühere Beifpiele angeführt, 3. B. 
dasjenige des Klofters der Barbarainjel, in welchem die Chriften 
in der Verfolgung unter Sever eine Zufluchtsjtätte gefunden haben 
follen; aber diefer Vorfall ift nichts weniger als authentiſch erhärtet. 
— (fr. Mabillon, Pref. in Sec. III. Benedict., und die ge- 
lehrte Notiz des hocdhw. Herrn Cousseau, Biſchof von Angouleme, 
in den Memoires de la Societe des Antiquaires de l’Ouest. 

?) Bossuet, Hist. universelle, 


zu Figuge 
gründet er das 
erfte Klofter 
in Gallien. 


Episfopat des 
heil. Martin. 


216 


bilder umzuftürzen und zu zerſtören, jo daß jett, vor bie 
jem neuen Eroberer, die alten Sieger und die Befiegten 
zugleich unterlagen. Die Landbewohner vertheidigten aber 
ihre Altäre und ihre hundertjährigen Bäume mit einer Er- 
bitterung, die das Leben Martins öfter in Gefahr brachte; 
er jedoch troste ihrem Grimme mit der gleichen Entfchlof- 
jenheit, die er den Dämonen felbjt entgegen fette; denn der 
große Bijchof fahe ſich auf feinen apoftolifchen Aundreifen 
gleichwie Antonius in feiner Thebais, oftmals von fürchter- 
lihen Phantomen angefallen, welche die Geftalt der Göten 
annahmen, deren Altäre ev zerjtört hatte, und ihm nun als 
‚Jupiter oder Merkur, oder als Benus und Minerva erichie- 
nen, und die Luft ringsum mit ihrem Geheul und Gefchrei 
und ihren Schmähungen erfüllten ). 
Seine wollede- Gott hatte jedoch ihn ſowohl, als auch den heiligen 
volle Haltung ., R * 
am taifertig. Hilarius ganz beſonders dazu auserwählt, Gallien vor der 
Hofe. Anſteckung des Arianismus zu retten, mit dem ſowohl Rö— 
mer als Barbaren behaftet waren. Beide eröffnen die 
ruhmvollen Annalen der gallifchen Kirche, indem fie als vie 
perfoniftcirte Würde und Meenfchenliebe erfcheinen. Marti— 
nus ward nach Trier berufen, wo er noch die lebendigen 
Erinnerungen an Athanafius fand, und wo er auch den 
heiligen Ambroſius antvaf. Der Kaiſer Marimus hielt 
dafelbft Hof, umgeben von den nichtswirdigen Schmeiche: 
leiten feiler Hofbiichöfe, welche fich nicht ſchämten, die Würde 
des Priejterthums an die faiferliche Gunft zu wervathen ; 


') Diabolus... interdum in Jovis personam, plerumque 
Mereurii, pers&pe etiam se Veneris ac Minerv& transfiguratum 
vultibus offerebat. . . Audiebantur etiam plerumque convicia, 
quibus illum turba demonum protervis vocibus increpabat. 
Sulp. Sever., c. 23. 


217 


„und ganz allein von allen bewahrte Meartinus feine apo- 
ftoliihe Würde,“ fagt uns fein Biograph '). Er that noch 
mehr für die Ehre feines Namens und feines Glaubens, 
indem er gegen die Einmifchung der weltlichen Gewalt in 
geiftliche Angelegenheiten, und gegen die Hinrichtung des 
Irrlehrers Priscillian feierliche Verwahrung einlegte. Kaifer er 
Marimus hatte den Zudringlichfeiten der fpanifchen Bifchöfe ——— 
nachgegeben, die kaum dem Schwerte der heidniſchen Henker tigenViſchöfe. 
entronnen, das Blut der Yırgläubigen von ihm forderten. 
Meartinus überhäufte die Anfläger mit feinen Vorwürfen 
und bejtürmte den Kaifer mit feinen Bitten. Er behaup- 
tete, die Erfommunication durch bifchöfliche Sentenz gegen 
die Häretifer ausgefprochen, fei zu ihrer Beftrafung mehr 
als genügend ?). Als er glaubte, feine Vorftellungen hätten 
gewirkt, verließ er Trier mit dem faiferlichen Verfprechen, 
dag den Schuldigen das Leben gefchenft werden ſolle. 

Aber nach feiner Abreife drangen die unwürdigen Bi— 
Ihöfe aufs Neue in den Kaifer und entriffen ihm den Be— 
fehl zur Hinrichtung Priscilfians und feiner. vornehmften 
Schüler). Von dieſem verabſcheuungswürdigen Urtheile 


) Cum ad Imperatorem ... plures ... Episcopi conve- 
nissent, et feda circa principem omnium adulatio notaretur, 
seque degeneri inconstantia regi® clientele sacerdotalis dignitas 
subdidisset, in solo Martino apostolica auctoritas permanebat, 
Sulp. Sever., c. 23. 

?) Satis superque sufficere, ut episcopali sententia haeretiei 
judieati ecclesiis pellerentur. Sulp. Sever., Hist. saer. lib. II, 

) Imperator per Magnum et Rufum episcopos depravatus... 
Hoc modo homines luce indignissimi, pessimo exemplo necati. 
Ibid. Depravatus consiliis sacerdotum. Dial. 4, De vit. S. 
Martini, 


218 


unterrichtet, fehrte Martinus fogleih von Tours nach 
Trier zurüd, um wenigftens fo viel zu erlangen, daß vie 
noch übrigen Anhänger der Secte vwerfchent blieben. Mit 
ven verfolgungsfüchtigen Biſchöfen brach er offen und feiers 
ich allen Berfehr ab !), und verftand fich erſt dazu, wieder 
mit ihnen in Communion zu treten und die Schmach von 
ihnen zu nehmen, die wegen feiner gewichtvollen und öffent- 
lichen Meigbilfigung der Handlungsweife feiner Kollegen auf 
diefen haftete, als er jah, daß dies das einzige Mittel fein 
würde, um das Leben der Priscilfianiften zu retten?) ; wo 
übrigens die Hinrichtung ihres Hauptes, der ihnen jett als 
ein Martyrer galt, anſtatt feine Irrlehre zu vernichten, 
viefelbe nur fefter bewurzelt und ausgebreitet hatte?). Doch 
auch dieſe Nachgiebigfeit machte ex fich bitterlich zum Vor— 
wurfe, und erklärte mit Thränen in den Augen, daß er fich 
wegen vderfelben in feiner höhern Kraft geichwächt fühle. 
Während der fechzehn Jahre, die er nach diefem Vorfalle 
noch lebte, hielt er ſich von allen biichöflichen Verſamm— 
lungen ferne, aus Furcht, auf denfelben etiva einen jener 
Bifhöfe anzutreffen, die nach feinem Dafürhalten fich eines 
Verbrechens und einer in der Kirche unerhörten Neuerung 


') Au der heilige Ambrofius befand fich im jener Zeit zu 
Trier, und auch er enthielt fi) der Communion mit den Bijchöfen, 
welche den Tod der Priseillianiften verlangten. 

) Illa preeipua cura, ne tribuni cum jure gladiorum ad 
Hispanias mitterentur: pia enim erat sollieitudo Martino, ut non 
solum Christianos qui sub illa erant occasione vexandi, sed ipsos 
etiam hzereticos liberaret. Sulp. Sever., Dialog. loc. cit. 

°) Priseilliano occiso, non solum non repressa est haere- 
Sis;... sed confirmata latius propagata est. Sulp. Sever., 
loc. cit. 


219 


ſchuldig gemacht hatten ). So befolgte er, was auch fein 
Lehrer, der heilige Hilarius, als Grundſatz aufgeftelft Hatte, 
als er dem Kaifer Konftantius die bfutigen Granfamfeiten 
der Arianer gegen die Katholifen vorgehalten und beigefügt 
hatte: „Wenn man folche Gewaltthätigfeiten zu Gunſten 
der Fatholifhen Wahrheit anzuwenden werfucht wäre, fo 
würde die Weisheit der Biſchöfe fich dawider erheben ; fie 
würden dir jagen: Gott will feine erzwungene Verehrung. 
Was bedarf er eines Glaubensbefenntniffes, das mit Ge— 
walt abgedrungen ift? Mean darf ihn nicht befügen wollen, 
jondern muß ihn mit Einfalt fuchen, ihm mit Liebe dienen 
und ihn durch Nechtichaffenheit und freiwillige Hingabe 
verehren und fich geneigt machen ).“ Und ver glorreiche 
Bekenner fette weiterhin hinzu: „Wehe ven Zeiten, wo der 
göttliche Glauben die irdiſche Gewalt nöthig hat; wo Chrifti 
Name, feiner Kraft beraubt, Vorwand und Borwurf des 
Ehrgeizes wird; wo die Kirche ihre Wiverfacher mit Ver: 
bannung und Gefängniß bedroht, wo fie diefelben zum 
Glauben zwingen will, fie, die jo viele Berbannte und Ein- 
geferferte unter ihren Befennern zählt; wo fie ſich an vie 
Größe und Macht ihrer Beichüter hängt, fie, die ihre 
Weihe durch die Grauſamkeit ihrer Verfolger erhalten hat?).“ 


) Novum et inauditum facinus. Sulp. Sever., Hist. sacr. 
Subinde nobiscum lacrymis fatebatur, et propter communionis 
illius malum ..... detrimentum sentire virtutis. Dial. 

?) Si ad fidem veram istius modi vis adhiberetur, episcopa- 
lis doctrina obviam pergeret, dieeretque:: Deus... non requirit 
coactam confessionem. Simplieitate quærendus est;.. volunta- 
tis probitate retinendus. S. Hilar., ad Constant. lib, I, c. 6. 

®) At nune, proh dolor! divinam fidem suffragia terrena 
commendant, inopsque virtutis suæ Christus, dum ambitio no- 
mini suo conciliatur, arguitur, Terret exsiliis et carceribus 


Gründung 
von Marmou⸗ 
tier. 


220 

Nach der Rückkehr in fein Bisthum hatte der heilige Mar— 
tinus Übrigens viel Neid und ärgerliche Feindfchaft von Seiten 
mancher Bifchöfe und folcher gallifchen Priefter zu ertragen, 
die fih Schnell vom römischen Luxus und der Verweichlich- 
ung hatten gewinnen laffen, und die fich an der Pracht ihrer 
Eyquipagen, ihrer Kleidung, ihrer Wohnung u. f. w. fennt- 
{ich machten‘). Im mitten der Sorgen feines bifchöflichen 
Amtes jehnte er fich dringender als je nach dem ftillen 
Frieden des Klofterlebens. Um fich defjelben erfreuen zu 
fönnen, jtiftete er bei Tours das berühmte Klofter, das 
jeinen Namen vierzehn Yahrhunderte lang verherrlicht hat. 
Marmontier ?) war damals eine wüfte Gegend zwifchen 
dem rechten Loireufer und den fchroffen Felfen, die ven 
Lauf diefes Fluffes beherrfchen; nur ein ſchmaler Fußſteig 
führte dorthin. Der heilige Bifchof bewohnte daſelbſt eine 
Zelle aus Baumzweigen zufammengeflochten, ähnlich der— 
jenigen, die ihn in Liguge nur auf all zu kurze Zeit be- 
herbergt hatte. Die achtzig Mönche, die er dort verſam— 


Ecclesia: eredique sibi eogit, qu& exsiliis et carceribus est cre— 
dita. Pendet ad dignationem eommuniecantium, quæ persequen- 
tium est consecrata terrore. S. Hilar., contr. Au:cent. II, 4. 

') Qui ante pedibus aut asello ire consueverat, spumante 
equo superbus invehitur... Inter Episcopos s&vientes cum fere, 
quotidianis scandalis hine atque inde premeretur... non illi ego 
quemquam audebo Monachorum, certe nec Episcoporum quem- 
piam comparare... Nec tamen huie erimini miscebo populares: 
soli illum cleriei, soli nesciunt sacerdotes... Sulp. Sever., 
Dial., ce. 14, 17, 18. 

?) Martini monasterium oder Majus monasterium. Es ift 
jest won diefem prachtvollen Klofter, einem der großartigiten und veich- 
jten in Franfreih, nichts mehr übrig, als ein Portal, das zu den 
äußeren Kloftergebäuden gehört hat. Alles Uebrige tft demolirt und 
zerſtückelt. 


221 


melte, hatten ihre Wohnungen meiftentheils in ausgehöhlten 
Selfenlöchern und ihre Kleidung beftand in Thierfelfen. 
Unter ihnen befanden fich viele edle Gallier, die in ver Folge 
gleich ihm ſelbſt ihrer Alöfterlichen Einfamfeit entriffen und 
auf die bifchöflichen Stühle erhoben wurden. 

Am Ziele feiner Laufbahn angelangt, ein achtzigjähriger 
Greis und fehnfüchtig feines himmlifchen Lohnes harrend, 
gibt er nichtspeftoweniger den Thränen und Flehen feiner 
Jünger nach, die in ihn dringen, von Gott noch eine Ver— 
fängerung feiner Tage zu erbitten. „Herr,“ fpricht er, 
„wenn ich deinem Volke noch nothiwendig, fo weigere ich 
mich der verlängerten Mühfal nicht." Non recuso labo- 
rem! Ein herrliches Wort, das der Denkſpruch eines jeden 
Shriften fein follte, fir die Mönche aber es durch zehn 
Sahrhunderte wirklich gewefen ift. 

Der Einfluß ift begreiflih, den die Empfehlung und 
das Beifpiel eines folchen Mannes zu Gunften der Ver- 
breitung des Mönchthbums ausüben mußte. Gott aber er- 
achtet ihm jett veif für den Himmel: er ftirbt, und als fein 
Leichnam zur feiner Nuheftätte gebracht wird, welche von da 
an das verehrteſte Heiligthum Galliens ward, bildeten zwei- 
taufend Mönche feinen Leichenzug. Sulpitius Sever, fein 
begeifterter Schüler, befchreibt fein Leben, und diefe Schrift 
erlangt bald im ganzen Abendlande, im Driente und big 
in die Thebais eine Beliebtheit und Volfsthümlichfeit, die 
derjenigen des Lebens des heiligen Antonius von Athanafius 
gleich füntmt, und verbreitet überall mit dem Ruhme des 
Heiligen den Ruhm des neuen Standes, den er fo jehr 
geliebt hatte. 

Diefer Sulpitius, ein vornehmer und reicher Aquita- Sulpiz Se- 
nier, ein beredter Anwalt, ehe er fich dem heiligen Martin," oper 
anfchloß, war einer der Freunde des heiligen Paulin von ass. 


222 


Nola gewefen. Gleich diefen hatte er der Welt, feinen 
Gütern, feiner glänzenden Yaufbahn entfagt, hatte feine Bes 
fittungen verkauft und ſich mit feinen Sklaven, die durch 
die Religion feine Brüder geworden waren, auf eines feiner 
Landgüter in Aquitanien zurückgezogen. Sie führten hier 
ſämmtlich ein gemeinfchaftliches Yeben, beteten und arbeiteten 
miteinander, jchliefen auf Stroh und Tebten von hartem 

Brod und abgefochten Gartenfräutern. 
Klagen ber Es muß aber bier, zur Ehre diefer erften Anfänger 
— des Mönchthums in Gallien, bemerkt werden, daß es ihnen, 
die ſtrengen um ſich der Strenge ihrer neuen Lebensform in allen ihren 
Faſten. Anforderungen zu fügen, ungleich ſchwerer ankommen mußte, 
als denjenigen Mönchen, die den von Natur ſehr mäßig 
lebenden Bevölkerungen Afrika's oder der Levante angehörten. 
Dieſe wackern Gallier, an die reichliche und kräftige Nahr— 
ung der Nordländer gewöhnt, fanden freilich, indem ſie ſich 
der ſtrengen Enthaltſamkeit im Eſſen und Trinken, wie die 
Kloſterregeln dieſelbe vorſchrieben, unterwarfen, daß die 
Portion der äghptiſchen und paläſtinenſiſchen Mönche etwas 
fnapp ſei: die halben Gerftenbrööchen und die Handvoll 
Kraut, die in der Thebais zu einer Mahlzeit genügten, em— 
pörten ihre vebellifchen Magen. Allerdings hörten fie öfter 
das Schöne Wort des heiligen Athanafius wiederholen: Das 
Faſten ift die Speife der Engel!); aber fie wurden 
davon nicht fatt. „Mean klagt uns der Unmäßigfeit an,“ 
jagten fie zu Sulpiz Sever, „aber wir find Gallier, es ift 
läherlih und graufam, von ums verlangen zu wollen daß 
wir wie Engel leben follten; wir find feine Engel; noch 
einmal, wir find nur Gallier?).“ Diefe Murrer erman— 
') Jejunium enim Angelorum eibus est: qui eo utitur, ordi- 


nis angeliei censendus est. S. Athanas., de Virginit. 1. II. 
?) Prandium sane locupletissimum, dimidium panem horde- 


223 


gelten jedoch nicht, won dem was fie erarbeiteten, immer 
noch etwas für die Armen zurüczulegen, die fie in einem 
Hospitium aufnahmen und denen fie in großer Freundlich- 
feit die niedrigſten Dienfte leiſteten. In diefer ftrengen 
Zurücigezogenheit fehried Sulpiz Sever fein Leben des hei- 
ligen Martin und feine heilige Gefchichte, die von An— 
fang der Welt bis zum Jahre 400 geht, und die der erfte 
im Abendlande gemachte Berfuch einer Kirchengefchichte ift '). 

Die Nächftenliebe war die Seele der Beftrebungen des 
heiligen Martin und feiner Jünger bei der Verbreitung des 
Klofterinftituts an den Ufern der Yoire gewefen, was weder 
das Studium noch den Geſchmack an den heiligen Wiffen- 
Ihaften ausfchlog. Ohne daß die Sorge fir die Armen 
oder die Hebung irgend einer andern Flöfterlichen Tugend 
im mindeften darunter litten, fieht man num aber vorzugs- 
weife die Pflege ver geiftigen Ihätigfeiten, und insbefon- 
jondere die chriftliche Apologetif in einem großen und be- 
rühmten Klofter blühen, welches während des ganzen V. 
Jahrhunderts der Mittelpunkt des Flöfterlichen Lebens im 
ſüdlichen Gallien gewejen ift, und das allein ſchon eine 
ausführliche Darftellung feiner Gefchichte verdient hätte. 

Der Seemann, der Soldat, der Neijende, der fich auf 


aceum... fasciculum etiam herbæ intulit... Qui nos edaeitatis 
fatiges: sed facis inhumane, qui nos, Gallos homines, cogis exem- 
plo Angelorum vivere... quod, ut s&pe testatus sum, Galli 
sumus. Sulp. Sever., Dial. I, ce. 3. 

ı) Ein anderer Freund Paulins und Sulpiz Severs, Aper, vor- 
nehm, veich, beredt wie fie, zog fich mit feiner Gemahlin in eine Ein- 
öde zurück, wo beide in wollfommener Enthaltfamfeit lebten. Er 
wird fiir denfelben gehalten, der in der Folge der erfte Bijchof von 
Toul ward, und der unter dem Namen St. Ever noch heute in Lo— 
thringen in volksthümlicher Verehrung ift. 


Lerin: Klö— 
fterliche Me— 
tropolis im 
Abendlande 
im V. Jahr— 
hundert, 


Der beilige 
Honorat. 


224 

der Rhede von Toulon einfchifft, um Italien oder dem 
Driente zuzuftenern, kömmt zwifchen zwei oder drei felfigten, 
öde daliegenden, hie und da won einer Gruppe fchmächtig 
aufgewachfener Fichten überragten Injeln vorbei. Er wirft 
einen gleichgültigen Blick auf viefelben und fett feine Fahrt 
weiter fort. Und doch ift eines diefer Eilande für die Seele, 
für den Geift, für den fittlichen Fortfchritt der Menfchheit ein 
Lichtherd geweſen, der vier fruchtbarer ift und viel reiner 
leuchtet, als jemals irgend eine der berühmten Injeln des 
griechifchen Archipels. Es ift die Inſel Yerin, auf der in 
alten Zeiten eine Stadt ſtand, die aber bereits, als Plinius 
Ichrieb, Schon in Trümmern lag, und wo man am Anfange des 
V. Jahrhunderts nichts als eine fahle, verlaffene Einöde 
antraf, die noch dazu, wegen der großen Menge von Schlan- 
gen, die daſelbſt hausten, ganz unzugänglich war). 

Auf ihr landet im Jahre 410 ein Mann und bleibt 
dafeldft. Er heißt Honorat. Aus confularifchem Gefchlechte, 
äußerſt unterrichtet und beredt, dabei feit feinen Jünglings— 
jahren der Frömmigkeit ſehr zugethan und won einem tiefen 
Zuge zum religiöfen Yeben ergriffen. Sein Vater gibt 
feinem Altern Bruder, einem beitern, lebensluftigen Jüng— 
linge, den Auftrag, ihn von feinen ascetifchen Gedanken ab- 
zubringen, ftatt dejfen aber wird er felbft won feinem front 
men Bruder dafür gewonnen. Nach mancherlei Hinder- 
niffen findet Honorat endlich feine Nuhe zu Yerin. Die 
Schlangen müſſen ihm weichen. Schüler in Menge fchlieen 
jih ihm an; es bildet fich dafelbft eine Gemeinde von ftren- 
gen Mönchen und unermüpdlichen Arbeitern; die Inſel ift 


) Vacuam insulam ob nimietatem squaloris, et inaccessam 
venenatorum animalium metu. 8. Hilarii. Vit. S. Honorati, 
p-. 15, ap. Bolland., t. II, Januar. 


225 


umgewandelt, die Wüfte wird zum Paradiefe. Fruchtfelver 
von fchattigen Bäumen umpflanzt, von erfrifchenden Waf- 
fern durchriefelt, herrlicher Wiefengrund mit Blumen beſäet, 
deren Wohlgerüche die Luft erfüllen), offenbaren- dafelbft 
die belebende Gegenwart eines neuen Gefchlechts. Hono— 
rat, deſſen Schönes Antlit von einer milden, gewinnenden 
Hoheit ftrahlte *), öffnete dafelbft die Arme feiner Liebe ven 
Söhnen aller Pänder, die aus Liebe zu Chrifto zur ihm ka— 
men; Zünger aus allen Nationen langen ſchaarenweiſe bei 
ihm an?). Das Abendland braucht jetst ven Orient um nichts 
mehr zu beneiden, und bald wird diefe einfame Stätte im 
Gedanken des Gründers dazu beftimmt, an den Küſten der 
Provence das ftrenge Büßerleben der Thebais im Nachbilve 
darzuftellen, eine berühmte Schule der Theologie und chrift- 
lichen Bhilofophie, eine unzugängliche Felfenburg in den 
verheerenden Stürmen der Völkerwanderung, eine geficherte 
Zufluchtsftätte fir Literatur und Wiffenfchaften, welche aus 
dem von den Gothen überſchwemmten Italien flohen, eine 
Pflanzichule von Bifchöfen und Heiligen, die Über ganz 
Gallien die Wiffenfchaft des Evangeliums und den Ruhm 
von Yerin verbreiteten. Bald werden wir von dieſem 
Fichtherde bis nach Irland und England Funfen hinüber- 


') Aquis scatens... floribus renitens... odoribus jucunda, 
paradisum possidentibus se exhibet. KEucher., De Laude 
Eremi, p. 312. 

2) Ibid. 

9) Velut ulnis effusis protensisque brachiis in amplexum 
suum omnes, hoc est in amorem Christi invitabat, omnes undi- 
que ad illum eonfluebant. Etenim qu& adhue terra, quæe natio 
in monasterio illius eives non habet? Hilar., rn Vit. S. Ho- 
noratı, e. 17. 

v. Montalembert, d. Mönche d. A. J. 15 


226 


ſprühen und durch die gefegneten Hände der heiligen Patri- 
zius und Auguftin dorthin verbreitet fehen. 

Es dürfte in den Annalen des Mönchthums kaum 
etwas Nührenderes geben, als das von einem der ausge- 
zeichnetften Söhne Lerin's entworfene Gemälde der väter— 
lichen Zärtlichkeit Honorat’s für die zahlreiche Familie der 
um ihn verfammelten Mönche. Er wußte im Grunde ihrer 
Seelen zu leſen und all ihren Kummer in ihren Herzen 
zu erfennen. Er jparte feine Mühe, um jeden Anflug von 
Traurigkeit, jedes Jchmerzliche Zurückdenken an die Welt 
daraus zu verfcheuchen. Er wachte über ihren Schlaf, ihre 
Gefundheit, ihre Nahrung, ihre Arbeiten, auf daß ein Jeder 
Gott dienen könne nach dem Maaße feiner Kräfte. Sie 
waren deshalb aber auch von einer mehr als findlichen 
Liebe für ihn erfüllt: „In ihm,“ fo ſagten fie untereinan- 
der, „finden wir nicht blos einen Bater wieder, Jondern die 
ganze Familie, ein Vaterland, eine Welt." Schrieb er an 
den einen oder andern der abwejenden Brüder, fo hieß es beim 
Empfange feiner nach damaliger Sitte auf Wachstäfelchen 
gejchriebenen Briefe: „Es ift lauter Honig, den er wieder in 
dies Wachs eingegoffen hat, Honig aus feiner unerfchöpflichen 
Herzensgüte.“ Im diefem infularifchen Paradiefe, unter 
dem Stabe eines folchen Hirten athmete man Föftlichen 
Lebensbalſam. Diefe Mönche, die dem Weltleben entfagend 
ausgegangen waren, um das Glück zu fuchen, fühlten und 
jagten es aut, daß fie e8 gefunden hatten. Beim Anblie 
ihrer heitern, ftilfen Freude, ihrer Eintracht, ihrer Milde 
und ihrer fejten Hoffnung war es als ſähe man eine Heer- 
ſchaar von ruhenden Engeln !). 


') ...Hie alget, hie »grotat; illi hie labor gravis est, huie 
hæc esca non congruit... Tabulis, ut assolet, cera illitis... lit- 


227 


Die Kirchen von Arles, Avignon, Lyon, Vienne, Troyes, 
Niez, Frejus, Valence, Met, Nizza, Bence, Apt, Carpen- 
tras, Saintes erhielten von diefer glüdfeligen Inſel, 
wie man Yerin überall nannte '), ihre ausgezeichnetften Bi- 
ſchöfe. Honorat, feinem Klofter entriffen, um auf den Me- 
tropolitanftuhl von Arles erhoben zu werden, hatte zum 
Nachfolger als Abt von Lerin?) und fpäter als Erzbifchof 
von Arles feinen Schüler und jungen Berwanhten Hilarius?), 
welchen wir die herrliche Yebensbefchreibung feines Mei— 
jtevs verdanfen. Hilarius, den der milde und liebende Ho- 
norat dem Weltleben, obwohl erſt nach hartnäcdigem Wider- 
ftande, durch eindringliches Zureden, durch Bitten und 
Thränen?) entriffen hatte, behielt auch im bifchöflichen Amte 


teris... Mel, inguit, suum ceris reddidit. S. Hilar., op. eit. n. 
18, 22. Spirabat passim odor vit®... Angelicae quietis agmen 
ostendunt... Dum beatam quaerunt vitam, beatam agunt... 8. 
Eueher., loc. eit. 

') Beata illa insula. 

?) Jedoch erft nach dem heiligen Marimus, welcher der unmit— 
telbare Nachfolger Honorats in Lerin und fpäter Bifchof von Kiez ward. 

) Der heilige Honorat ftarb im Jahre 428 und der heilige Hi- 
larius (nicht zu verwechfeln mit Hilarius von Poitiers) ſtarb 449. — 
Die lange andauernde Bolfsthümlichkeit des Andenfens des heiligen 
Honorat im firdlichen Frankreich beweist unter Anderm ein dem XII. 
Sahrhundert angehöriges epiiches Gedicht in provenzalifcher Mund- 
art, unter dem Titel: Vie de Saint Honorat ; es ift von einem 
Mönch von Lerin, Namens Namond Feraud, verfaßt; der Dichter 
hat die Lebensumftände des Heiligen in der wunderlichften Weife mit 
den romanbaften Ueberlieferungen des Sagenfreifes von Karl dem 
Großen und Gerard von Rouffillon untermifht. Val. Histoire lit- 
teraire de la F'rance, t. XXII, q. 237. 

*) Quamdiu mollire duritiam meam nisus est imbre laery- 
marum ; quam piis mecum pro salute mea amplexibus, oculisque 


15* 


228 

die Bufftrenge und das arbeitvolle Leben, wie es im Klo: 
jter Lerin geführt wurde, fortwährend bei; ev durchwanderte 
fein Bisthum und die angränzenden Gegenden beftändig zu 
Fuß und ohne Schuhe; felbft auf dem Schnee ging ev mit 
bloßen Füffen. Er war berühmt durch fliegende Bered— 
famfeit, durch unermüdlichen Eifer, durch Beherrfchung gro- 
ger Volfsmaffen und durch die zahlreichen Befehrungen, die 
er bewirkte; doch gerieth er einen Augenblick in Konflikt 
mit dem heiligen Leo dem Großen, der ihn wegen gewilfer 
uncanonifcher Uebergriffe feines Metropolitantitels beraubte. 
Doch Hilmius unterwarf fich, und nach feinem Tode ließ 
der große Papſt ihm Gerechtigfeit angedeihen, indem er 
von ihm vedend ihn Hilarius, heiligen Angedenfens 

nannte). 
Die Gelehrten Unter der reichen Zahl von Heiligen, won Prälaten 
—— und Doktoren, die Lerin Gallien und der ganzen Kirche ge— 
rerin. ſchenkt hat?), find einige, die wir noch näher bezeichnen 
müffen, da fie unter die Kirchenlehrer gezählt werden und 
das ganze V. Jahrhundert mit ihrem Rufe erfüllt haben. 
RN, Dbenan unter diefen fteht der große, befcheidene Vin- 
+ vor so, zenz don Perin, welcher der erſte Controverfift feiner Zeit 
war, und dem die Nachwelt den Namen der Inſel, die 


certavit!... Quoties sibi in animo meo velle et nolle successit! 
S. Hilar., op. eit. n. 23. 

) Ep. 37: 

?) Siehe das intereffante Werk unter dem Titel: Chronologia 
Sanctorum et aliorum vwirorum illustrium, ac Abbatum saer«e 
insule Lerinensis, « D. Vince. Barrali Salerno compilata. 
Lugduni 1613, in folio. — Außer den im Texte Genannten- find 
noch anzudeuten: der heilige Abt Caprais, Agricol, Biſchof von Avig— 
non, und Virgilius von Arles, von welchem weiterhin noch die Rede 
jein wird. 


229 


die Wiege feines Talentes gewefen ift, noch fortwährend 
beilegt. 

Die fleine, fo berühmte Schrift, die ihm ein ewiges 
Andenken fichert, verfaßte er im Jahre 434, drei Jahre 
nach der Synode von Ephefus und auf Anlaß der neftori- 
anifchen Irrlehre, welche auf diefer Synode verdammt wurde. 
Er wollte derjelben feinen Namen nicht voranftelfen und 
gab ihr ven befcheidenen Titel: „Rath des Pilgers,“ 
Commonitorium Peregrini. In demfelben ftellt er 
mit bindiger Klarheit in ebenfo fefter als einfacher und 
reiner Sprache die Fatholifche Slaubensregel auf, die ex 
auf Schrift und Ueberlieferung ſtützt, und gibt die berühmte 
Definition der orthodoren Auslegung: Quod semper, 
quod ubique, quod ab omnibus creditum est. 
Nachdem er jo die Unwanvelbarfeit des fatholifchen Dogma 
dargethan hat, wirft er die Frage auf: „Gibt es denn gar 
feinen Fortfchritt in der Kirche Chriſti?“ „Doch,“ ante 
wortete ev darauf, „es gibt einen, und zwar einen jehr be- 
trächtlichen. Deun wer wäre wohl jo mißgünftig gegen die 
Menjchen oder jo gottverhaßt, um diefen Fortjchritt zu 
hindern ?_ Freilich muß e8 Fortfchritt fein und nicht Ver- 
änderung... Es muß eine Entfaltung der Intelligenz, der 
Weisheit, dev Wiffenfchaft fowohl für den Einzelnen als 
für die gefammte Kirche mit dev Zeit und mit den Jahr— 
hunderten jtattfinden. Aber die Neligion, die Sache der 
Seele ift, muß in ihrer Entfaltung ähnlich) wie der natür— 
liche Entwiclungsgang des Körpers fortſchreiten: derſelbe 
entwicfelt fich und wächſt, bleibt jedoch dabei in der Reife 
des Alters gleichwie in der Blüthe der Jugend ftets ein 
und derjelbe !).“ 


') Sed forsitan dieit aliquis: Nullusne ergo in Ecelesia Christi 


Salvian. 
390—484. 


230 


Binzenz hat an der Spike feines Meifterwerfes einen 
Beweis feiner Dankbarkeit für das Liebliche Heiligthum ver- 
zeichnet, das für ihn, wie er fagt, der fichere Hafen der, 
Religion geworden tft, nachdem er lange Zeit auf dem 
Deere ver Welt hin- und hergefchleudert worden; hierhin 
hat er fich gerettet, um den Frieden und vie ftille Muße 
zum Studium zu finden, um fo nicht nur den Klippen des 
gegenwärtigen Yebens, jondern auch dem Feuer des zufünf- 
tigen ficher zu entrinnen '). 

An Lerin knüpft fich auch der Name und die Berühmt- 
heit Salvians, nächft dem heiligen Auguftin vielleicht der 
beredtejte Schriftiteller des V. Jahrhunderts, und der, ob— 
wohl nur ein einfacher Priefter, dennoch der Yehrmeifter 
der Bifchöfe genannt wurde. Er brachte, nachdem er zu 
Marſeille die Priefterweihe empfangen hatte, noch. viele 
Jahre in Yerin zu?); bier genog er das Glück des Frie- 
dens und der ungeftörten Einfamfeit während der Schreckens— 
zeit der Völkerwanderung und der entjeßlichen Korruption, 
welche die römische Welt zerfrak und wovon er im feiner 


profectus habebitur religionis? Habeatur plane, et maximus... 
Commonit. c. 28. 

) Remotioris villule, et in ea secretum monasterii incola- 
mus habitaculum... Quippe qui cum aliquamdiu variis ac tristi- 
bus sscularis militie turbinibus volveremur, tandem nos in por- 
tum religionis cunctis semper fidissimum, Christo aspirante con- 
didimus. Pref. in Commonit. 

?) Wir fehen Salvian in Lerin nicht blos mit ascetiſchen Ueb— 
ungen und im jchriftftellerifcher Thätigkeit bejchäftigt, fondern auch 
mit Unterricht und Erziehung. Unter Anderen bildet und erzieht er 
die Söhne des heiligen Eucherius, Salonius und Veranius, Hilarius 
von Arles u. f. w. Wir ſehen ihn auch in vielfachen brieflichen 
Berfehr mit den bedeutendften Biſchöfen Galliens. Stehe unter An— 
deren feine Briefe 2, 3, 8 und 9. (Anmerkung des Weberjeters.) 


231 
Schrift von der göttlichen Weltregierung eine jo er— 
greifende Schilderung gemacht hat. 

Nach dieſen hervorragenden Prieftern kommen nicht Der beilige 
weniger berühmte und nicht weniger fromme umd. heilige — 
Biſchöfe. Zunächſt St. Eucher. Boſſuet nennt ihm den gegen 450. 
großen Eucherius; er war Senator, Vater von zwei Söh— 
nen und noch in der Blüthe des Mannesalters, als er ſich 
mit denſelben nach Lerin zurückzog. In der Welt durch 
fortwährendes Studium der Klaſſiker innig mit denſelben 
vertraut und in alle Geheimniſſe der Kunſt zu ſchreiben 
eingeweihet, lernte er jetzt dazu die Geheimniſſe des reli— 
giöſen Lebens. Dies neue Studium gab ihm ſeine ſchöne 
Lobrede auf die Einſamkeit, ſeine Abhandlung über die 
Verachtung der Welt und der weltlichen Weisheit 
und ſeinen im innigſten und heiterſten Tone geführten Brief— 
wechſel mit dem heiligen Honorat ein. Kaſſian widmete 
Eucherius und mit ihm zugleich dem heiligen Honorat meh— 
rere von ſeinen Collationes oder Konferenzen über das 
veligiöfe Yeben, die in der Kirche von jo nachhaltigem 
Einfluffe gewejen find; die beiden Freunde jtanden gleich 
hoch in feiner Verehrung. „O fromme Brüder,” Tpricht 
er zu ihnen, „enere Tugenden jtrahlen wie hevrliche Yichter 
in das Dunkel dev Welt: euer Beifpiel wird viele Heilige 
bilden; aber faum wird es ihnen möglich werden, eure 
Bollfommenheit zu evreichen').“ Gleichwie Honorat, jo 
ward auch Eucherius aus der Stille des Klojters zur bi- 
Ihöflichen Würde erhoben und ftarb auf dem Metropolitan- 

Stuhle von Lyon. 
Der Einfluß der gelehrten und heiligen Infel der Pro— 


') Bgl. Collationes XI—-XVIl. — Vos, sancti fratres... ve- 
lut magna luminaria in hoc mundo admirabili claritate fulgetis... 


Der heilige 
Lupus von 
Troyes. 
383— 479. 


232 

vence ftrahlte noch weiter als nach yon. Auch Troyes 
holte fich dort feinen Bifchof, den großen heiligen Lupus, 
der dem furchtbaren Attila an den Thoren von Troyhes ent> 
gegentrat, noch bevor der heilige Leo denfelben von Nom 
ferne hielt. Er war es, der auf feine Frage: „Wer bift 
du?” vom Hunnenfönige die berühmte Antwort erhielt: 
„Ich bin Attila, die Geißel Gottes." Die unerfchro- 
ckene hohe Milde des Mönch-Bifchofes entwaffnete ven 
wilden Sinn des Verwüſters. Er verließ die Gegend von 
Troyes, ohne das Yand zu befchädigen und zog fich zum 
Rheine hin, nahm aber den Bifchof mit fich, modem ex 
dachte, die Gegenwert eines jo heiligen Mannes werde fei- 
nem Heere zu einem fichern Geleite dienen. 

Der heilige Lupus unternahm eine Jchwierige und ficher 
nicht minder verdienftwolle Keife, als er im Jahre 429 
wegen feiner Heiligkeit und überzeugenden Beredſamkeit 
von der Synode auserjehen ward, mit dem heiligen Ger— 
manus von Aurerre nach Großbritanien zu gehen, um dort 
die pelagianifche Irrlehre zu befümpfen. Während der zweis 
undfünfzig Jahre feiner bifchöflichen Amtsdauer beobachtete 
er ſtets mit großer Genanigfeit alle Uebungen eines eifrigen 
Ordensmannes, wie er e8 in Yerin gewohnt gewejen war, 
und ebenſo eifrig lagen ihm die wiljenfchaftlichen Studien 
der Theologie am Herzen; auch der fehönen Piteratur ward 
ev nie fremd und bis in fein hohes Alter ftand er in diefer 
Beziehung in brieflihem Verkehre mit Sidonius Apollinaris. 
Diefer Schöngeift, damals Bifchof von Clermont, bezeugt, 
daß fich in Allem, was fein ehrwürdiger Amtsbruder von 
Troyes fchrieb, niemals Barbarismen oder Interpunftions- 
fehler fünden. Seine Tugenden und feine reichen Kennt— 
niffe erwarben ihm das im emphatifchen aber aufrichtigen 
Style der Zeit gefpendete Lob „eines Vaters der Väter, 


239 
des Bifchofs der Bifchöfe, des Erſten unter den Prälaten 
Galliens, der Säule der Wahrheit, des Freundes Gottes, 
des Bermittlers bei Gott ').“ 

Einige Jahre vor dem Tode des heiligen Yupus ward 
in Burgund ein anderer Heiliger, Gäfarius?), Sohn des 
Grafen von Chalons, geboren, ver ebenfalls feine Jugend 
in der ſchützenden Arche des Klofters Lerin barg, che er 
den erften Vätern ver heiligen Infel, Honorat und Hilarius, 
auf dem erzbifchöflichen Stuhle in Arles nachfolgte. Wäh- 
rend eines halben Jahrhunderts war er der bedeutendſte 
und einflußreichjte der Bifchöfe im ſüdlichen Gallien; auf 
vier Synoden führte er den VBorfiß und war der Yenfer 
aller wichtigen Gontroversfragen jener Zeit. Mit Kraft 
und Hoheit wußte er die unabhängige und fehütende Au— 
torität des Episcopats gegen die Barbarenfönige zu wahren, 
die nacheinander in der Provence zur Herrfchaft gelangten, 
und die eiferfüchtig feinen großen Einfluß auf die Bevöl— 
ferungen betrachteten. Er ward von Nlarich, König der 
Wejtgothen, verbannt, und von Theodorich, dem Dftgothen 
Könige, eingeferfert; aber der Eine wie der Andere lie ihm 
am Ende Gerechtigkeit angedeihen und Beide bezeugten ihm 
ihre Ehrfurcht. Seine Bisthums- Angehörigen liebten ihn 
über Alles, und wie er durch feine liebeathmende Bered— 
jamfeit fich ihrer Herzen zu bemächtigen wuhte, zeigen die 
hundertundfünfzig Predigten, die ev hinterlaffen hat?). 


) Sp wird er von Sidonius Apollinaris in einem Briefe (Ep. 
VI, 1.) genannt, in welchem derjelbe am feine, im Lerin verfebte Ju— 
gend erinnert: „Post desudatas militie Lerinensis excubias.“ An 
einem andern Orte nennt er ihn: „Facile prineipem pontificum 
Gallicanorum.“ (Ep. VII, 13.) 

?) Geboren 470, Mönch in Lerin 490, Biſchof 501, geftorben 
den 27. Auguft 542. 

°) Guizot hat ſchöne und intereffante Auszüge aus diefen Pre— 


Der heilige 
Cäſarius von 

Arles. 
470—542. 


Seine Negel 


für 


Klofter= 
frauen, 


234 


Dis an fein Ende blieb er Mönch dem Herzen, dem 
Leben und der Bußſtrenge nah). Er fchrieb felbft für 
verſchiedene Mannsflöfter eine Art von Negel in fechsund- 
zwanzig Abfchnitten, die aber weniger berühmt, weniger aus— 
führlich und verbreitet wird, als diejenige, die er für das 
große Frauenkloſter gefchrieben hat, das er in feiner bifchäf- 
lichen Stadt gründete, Er arbeitete ſelbſt eigenhändig am 
Baue diefes Heiligthums, als Arles im Jahre 508 von 
den Franken und Burgundionen belagert ward, vie Alles, 
was er aufgerichtet hatte, wieder zerftörten und die herbei— 
geichafften Materialien zu ihren Befeftigungswerfen ver- 
brauchten. Kaum war jedoch die Belagerung wieder auf- 
gehoben, jo begann Cäfarius fein Werk aufs Neue und 
führte es glücdlih zu Ende. Um für die Zufunft diefer 
gebeiligten Zufluchtsftätte, die ev mitten in den ſchäumen— 
ven Fluthen der Völkerwanderung wie eine Arche in Mitte 
der Sündfluth?) erbaut, gefichertere Fürforge zu treffen, 
lieg ev feine Stiftung vom Papfte Hormisdas beftätigen, 
welcher das Kloſter, auf feinen ausdrücklichen Wunfch, von 
der biſchöflichen Jurisdiction befreite. Er hatte demſelben 
jeine Schwefter Cäfaria als Abtiffin vorgefett, die es auch 
dreißig Jahre leitete und in furzer Zeit zweihundert Kloſter— 
Digten in feiner Zrstorre de la Civilisation en France, legon 16, 
mitgetheilt. — Eine neue, auf gründlichen Nachferfchungen und Stu- 
dien beruhende Ausgabe der Schriften des heiligen Cäſarius, jtellt 
der gelehrte und unermüdlich thätige Herr Dr. Joſ. Feßler in Wien 
in baldige Ausficht. (Anmerkung des Ueberjeters.) 

') Nunquam Lerinensium fratrum instituta reliquit: ordine 
et officio elerieus: humilitate, charitate, obedientia, eruce Mo- 
nachus permanet. Cyprianus, De Vit. S. Czsarii, 1, 4. 

?) Quasi recentior temporis nostri Noe, propter turbines et 
procellas, sodalibus vel sororibus in latere Ecelesix monasterii 
fabricabat arcam. Act, SS, Bolland., t. VI. Aug. p. 70. 


239 


frauen um fich verfammelte. Diefe ftarfe Seele hatte fir 
jih und für eine jede ihrer Schwestern die fteinernen Särge 
bereiten und in ſymmetriſcher Ordnung rings um die Klofter- 
firche her einfegen laſſen. Bei viefen ihren offenen Grä— 
bern, welche auf ihre Aufnahme warteten, lebten fie und 
fangen bei Tag und Nacht das göttliche Lob. 

In diefe Kirche lie Cäſarius, als er fein Ende her- 
annahen fühlte, ſich bringen, um feine Töchter noch einmal 
zu fegnen umd fie zu tröften. Auch in diefen Testen Stun— 
den vergaß er fein liebes lerinenfiiches Eiland nicht, dieſe 
mufterhafte Metropolis des Flöfterlichen Eifers; in Worten 
glühender Begeifterung feierte ev nochmals ihren Ruhm: 
„> glücjelige Inſel, o gefegnete Einöde, wo die Majeftät 
unfers Erlöfers täglich neue Eroberungen macht und wo 
dem Satan fortwährend fo empfindliche Niederlagen be— 
reitet werden... Dreimal glückliche Infel, die, ihrer Kleins 
beit ungeachtet, für den Himmel fo zahlreiche Eroberungen 
macht! Sie it e8, die alle dieſe erlauchten Mönche in 
ihrem Schooße nährt, welche fie als Bifchöfe nach allen 
Provinzen ausſendet. Bei ihrem Betreten der Infel find 
es Kinder; wenn fie von derfelben herkommen, find es Vä— 
ter; fie nimmt fie auf als Yehrlinge und entläßt fie als 
Könige. Allen ihren glückjeligen Bewohnern lehrt fie vie 
Kunft, auf ven Flügeln der Demuth und der Yiebe bis zu 
den erhabenen Höhen Chrifti hinanzufliegen. Auch mir hat 
jie ihre Arme geöffnet, dieſe zärtliche, edle Mutter, dieſe 
Bildnerin würdiger Männer; aber, während fo viele Anz 
dere e8 ihr verbanfen, daß fie die himmlische Siegespalme 
erworben, hat meine Herzenshärtigfeit mich gehindert, in 
mir ihre Aufgabe zu Löfen ).“ 


') Beata et felix insula Lyrinensis... quos accipit filios red- 


Das Et. 
Biktorsflofter 
zn Marfeilfe. 

415. 


Kaſſian. 
330 - 447. 


236 


Lerin hatte an der gleichen provenzalifchen Seeküſte 
eine andere Flöfterliche Metropolis zur Rivalin, nämlich die 
Abtei Set. Viktor bei Marſeille. Dies Klofter ward in 
den großen Waldungen erbaut, aus denen bereits die Pho- 
füer ſich ihr Schiffsbauholz geholt hatten, die zu Cäfars 
Zeiten noch bis an's Geftade des Meeres reichten, und 
deren geheimmißvolles Dunfel die römischen Soldaten der: 
maßen in Schreden fette, daß der Eroberer, um ihnen 
Muth einzuflögen, ſelbſt die Art ergreifen und mit eigener 
Hand eine alte Eiche Fällen mußte). Es erhob fich über 
der Höbhlengruft, im welcher ver Leib des heiligen Marth— 
vers Viktor, Offiziers einer römischen Legion, am Ende des 
II. Jahrhunderts beigefett worden war. So fnüpfte es 
an die heiligen Erinnerungen der Epoche der Martyver 
jeine eigene Gegenwart, und die friedlichen, aber ftrengen 
und unausgeſetzten Arbeiten feiner neuen Befenner dejjelben 
Glaubens an. Zu feinem Gründer hatte es einen der be: 
deutendjten Männer jener Zeit, Johannes Kaffian. Nach 
gewähnlicher Annahme ein Skythe von Geburt, nach Ande— 
ven zu Athen geboren, oder auch in Gallien?), ward er erjt 
Mönch in Bethlehem, dann in Aegypten, wo er jieben 
Sahre unter den Mönchen von Nitrien und der Thebais 
zubrachte. Er bat uns von der Yebensweife vderjelben eine 
genaue und fehr anziehende Schilderung gemacht ?). Er 
dit Patres,... quos velut tirones (aliter : tyrannos) exeipit, 
reges facit... Voluit præclara mater et unica et singularis bo- 
norum nutrix. 8. Cesarii, N. 25, ap. Bibl. maxim. patr. VI, 845. 

) Ruffi, Histoire de Marseille, 1696, t. I, p. 26. — De 
Ribbe, La Provence au point de vue des bois &e. 1857, p. 23. 

2) Es ift dies die Meinung des Holftenius, die auh Mabillon 
zu theilen ſcheint. Cfr. J. B. Quesnay, Cassianus tllustratus. 

3) Als Auszug aus den Collationes, bildet fie das vierte 
Bud der Sammlung des P. Rosweyde. 


237 


begab fich darauf nach Konftantinopel zum heiligen Johan- 
nes Chryſoſtomus, der ihn zum Diakon weihete und ihn 
nach Rom fandte, um ihn dort feine Sache vor Papft Inno- 
zenz I. führen zu laſſen. In Nom gewann er die Freund- 
Ichaft des heiligen Leo des Großen wor deffen Erhebung auf 
den päüpftlichen Stuhl, und auf die Bitten vefjelben fehrieb 
er eine Widerlegung der Irrlehre des Neftorius über die 
Menfchwerdung Jeſu Ehrifti. 

Nachdem er fo alle heiligen Orte befucht und die 
Heiligen felbft fennen gelernt hatte, fam ev nach Mearfeille 
und gründete hier das große Kloſter von St, Viktor '), in 
welchem ſowohl innerhalb des Klofters felbft, als in den 
andern in der Gegend, durch dies neue Heiligthum geftifte« 
ten Gotteshäufern und unter feinem Einfluffe, in Kurzem 
fünftanfend Mönche lebten. 

Zur Belehrung und Disciplinivung dieſer zahlreichen 
Schaar von Mönchen fchrieb Kaffian die vier Bücher der 
Inftitutionen?) und die vierundzwanzig Konferenzen 


') Dies Klofter hatte zwei Kirchen, die eine über der andern; 
die untere oder unterirdische foll der heilige Leo der Große auf Bit- 
ten feines Freundes Kaffian eingeweiht haben. Bon den Saracenen 
im IX. Jahrhundert zerftört, von Wilhelm, Graf von Marfeille wie- 
der aufgebaut, war die Abteifirche neuerdings von Papſt Benedikt 
IX. im Jahre 1043 , der eigens deshalb von Nom nad Marfeille 
fan, in Gegenwart von 23 Biſchöfen und mehr als zehntaufend 
Laien feierlich eingeweiht. 

2) Der eigentliche Titel diefes Werkes ift: De Institutis Ce- 
nobiorum libri XI. Die vier erften Bücher, die auch am häufig— 
ften angeführt werden, haben den im Terte bezeichneten Inhalt. 
Die acht folgenden handeln von eben fo wielen Hauptlaftern, deren 
befonderer Charakter und Grund im Menſchen, nebjt den Heilmitteln 
dagegen, angegeben werden: V. Gastrimargia, seu gulæ concupis- 
centia, Vf. fornieatio, VII. philargyria seu avaritia vel proprius 


238 


oder Gollationes. Diefe beiden Schriften haben feinem 
kamen eine große Berühmtheit verichafft und bis auf uns 
ſere Tage unter den Gefeßbüchern des Klofterlebens den 
höchſten Werth behalten. In den Einen bejchreibt er bis 
in die genaueften Einzelnbeiten die Yebensweife, die Art zu 
beten, ich abzutödten, wie er es bei den Mönchen der 
Thebais und in Paläſtina gefehen hatte; die Anderen ent» 
wiceln das innere Yeben derfelben, und handeln von ihrem 
geiftigen Verhalten und von ihrer übernatürlichen Weisheit. 

Kafjian wollte nicht, daß nach dem Beifpiele von 
Lerin, fein Klojter eine Art von Pflanzfcehule für Priefter 
und Biſchöfe des Landes werde. Obwohl er felbjt vom 
heiligen Johannes Chryſoſtomus zum Diakon, und vom 
Papſt Innozenz I. zum Priefter geweihet worden war, hätte 
er nichtsdejtoweniger gewünfcht, die alten Schranfen, welche 
die Mönche vom Weltflerus trennten, beizubehalten, und 
eher noch zu erhöhen. Er empfiehlt feinen München, das 
Zufammentreffen mit Biſchöfen zu meiden, da diefe jede 
Gelegenheit ergreifen würden, um ihnen in der Welt irgend 
einen firchlichen Dienft aufzubürden. „Es ift ein altbe- 
währter Nath der Väter,“ fagt er, „eine Warnung, deren 
Gründe noch gelten, daß ein Mönch um jeven Preis die 
Biſchöfe und die Frauen vermeiden müfje; denn weder die 
Frauen noch die Bifchöfe geftatten dem in ihrem vertrau— 
lihen Umgange lebenden Mönche, fich fortan im Frieden 
der Ruhe feiner Zelle zur frenen, und fein Auge, in unge- 
trübter Betrachtung des Heiligen, auf die reine, himmliſche 
Wahrheit gerichtet zu halten 9.“ 


pecunie amor, VIII. ira, IX. tristitia, X. acedia, i. e. anxietas, 
sive tedium animi, XI. Cenodoxia, i. e. vana seu inanis gloria, 
XII. superbia. (Anmerkung des Ueberſetzers.) 

') Neuter enim sinit eum quem semel suæ familiaritati 


239 


Aber die chriftlichen Völker wirkten dieſen Verboten 
des primitiven Eifers erfolgreich entgegen. Mit beharrlicher 
Liebe fuchten fie zu Prieftern und Bifchöfen folche Männer 
zu erhalten, die in den Flöfterlichen Heiligthümern gebildet 
worden waren; und es waren gerade die aus den Klöſtern 
von St. Viktor und Lerin hervorgegangenen Bifchöfe und 
Priefter, die dem gallifchen Klerus des V. Jahrhunderts 
die theologische Wilfenfchaft und die moralifche Achtung er: 
hielten, welche allzu oft denjenigen Prälaten mangelten, 
die aus der gallo-römiſchen Ariftofratie genommen wurden, 
ohne vorher die läuternde Schule des Flöfterlichen Lebens 
durchgemacht zu haben. 

Unterdeß entjtand für die Kirche, die während des 
ganzen IV. Sahrhunderts gegen den Arianismus zu käm— 
pfen gehabt hatte, im V. eine nicht minder große Gefahr 
im PBelagianismus. Nachdem zuerft die Göttlichfeit des 
Erlöſers geläugnet worden war, ward nunmehr der chriſt— 
lichen Lehre und Tugend dadurch ein empfindlicher Schlag 
verfeßt, daß die Nothwendigfeit der Gnade geläugnet wurde. 
Der Urheber diefer Irrlehre, Pelagius, war ein Mönch 
aus Dritanien; zu feinem vornehmften Schüler hatte er 
den Cöleftius!), einen Yandsmann und Mönch wie er jelbft. 


devinxerit, vel quieti cellule ulterius operam dare &e. Insti- 
tutiones, XI, c. 17. — Kaffian ift in Bezug auf die Lehre im 
einige Irrthümer gefallen; da er jedoch wor der Berdammung feiner 
iwrtbiimlichen Meinungen ftarb, die er gewiß gegen die Autorität 
der Kirche nicht hartnädig behauptet haben wide, fo ward er nichts 
deftoweniger von Vielen als ein Heiliger betrachtet. 

) Sie predigten ihre Lehre in Nom gegen 405, in Afrifa gegen 
411. Auf der Synode von Serufalem im Jahre 415 für rechtgläu- 
big erklärt, wurden fie zu Karthago und Mileve verdammt 416 und 
418. Nach dem Jahre 419 ift von Pelagius nicht mehr Die Rede, 


Der Pelagia- 


nismus wird 


240 


Ihr verderblicher Irrthum war längere Zeit anftecfend ; 
aber der heilige Augujtin bot alle feine Wiffenfchaft und 
jein ganzes Talent zu feiner Bekämpfung auf, worauf er 
bald nachher auch von der Kirche verdammt wurde 

Es iſt behauptet worden, diefer Irrthum habe einige 


Fätfetich dom Anterftügung in den großen Klöftern des füdlichen Gallien 


Klofter Yerin 
zur Laſt ge- 
legt. 


gefunden, deren große Yeiftungen und Verdienſte jo eben 
angedeutet find. Mean hat fogar nachweifen wollen, daß 
die pelagianifchen Yehrmeinungen ihren hauptfächlichen Herd 
in Yerin gehabt hätten, und daß Kaſſian nach der Verur— 
theilung des Pelagius der Erfinder des Semi-Pelagianis- 
mus geworden jei. Zum Glück ift nichts weniger bewie- 
jen als diefe Behauptung, und das Stillfchweigen ver rö- 
mifchen Kirche, damals wie immer jo wachſam in Verthei- 
digung der wahren Lehre, bat diejenigen hinlänglich frei 
gefprochen, deren moderne Gefchichtfchreiber ihre Helden 
vielfeicht noch durch eine Unterftellung zu ehren vermeinen, 
die diefe Letzteren felbft mit Abjfchen von ſich gewiefen 
haben würden. Aus Lerin ift ein einziger VBertheidiger des 
Semi-Pelagianismus hervorgegangen, es ift der eben fo 
berühmte als tugendhafte Fauftus, Biſchof von Niez, der 
allerdings in Behandlung theologifcher Fragen nicht immer 
glücklich war, deſſen Meinung übrigens ebenfalls evft nach 
feinem Tode verdammt worden ift. Aus Lerin fommt aber 
auch der heilige Cäfarius, der auf der Synode von Orange 
im Jahre 529 viefen Irrthum fiegreich überwand !). Ge» 
wiß ift, daß im diefen berühmten Klöftern von Lerin und 
St. Viktor alle großen Fragen über die Willensfreiheit, die 
Prädeftination, die Gnade, die Erbfünde mit der Aufmerf- 
jamfeit und Gründlichkeit ftudirt und erörtert wurden, wie 


') Gorini, Defense de l’Eglise contre les erreurs histori- 
ques &e, t. I, p. 76. 


241 


es dem heiligen Leben dieſer Drdensmänner zufam ; und 
daß diefe ganze herrliche Schule von Lerin, indem fie fich, 
je nach perfönlicher Neigung des einzelnen Schriftitellers 
aus ihrer Mitte, zwifchen Anhängern und Gegnern Kaffians 
und des heiligen Auguftin theilte, nach Möglichkeit Ver- 
nunft und Freiheit mit der Gnade und dem Glauben in 
Einflang zu bringen fuchte, Sie war übrigens mit Be— 
geifterung der katholiſchen Einheit und der Autorität der 
Kirche zugethan. Alle ihre Lehrer und Doktoren haben da- 
von in ihren Schriften Proben hinterlaffen, und einer der 
berühmteften unter ihnen, der heilige Hilarius von Arles, 
auch noch, wie gezeigt wurde, durch feine willige Unter- 
werfung unter das Urtheil, das ihn traf. 

Dergeftalt von dem Doppellichte erleuchtet, welches 
der heilige Martin im Weften, und die Schule von Yerin 
im Süden angeziindet hatte, Jah Gallien nach und nach in 
allen feinen Provinzen Klöfter, welche die in ven unauf- 
hörlichen Streifziigen der Gothen, der Burgundionen, der 
Sranfen, gewaltfam überfallenen Städte und die verwüſte— 
ten Yandfchaften wieder tröfteten. Gerne fnüpft man an 
den großen Bischof von Auxerre, den heiligen German !), 
deſſen Volksthümlichkeit in Gallien und Italien faft verje- 
nigen des heiligen Martin gleichfam, den Urfprung eines 
Klofters, das feinen Namen in feiner bifchöflichen Stadt 
geführt hat, und das eines der berühmteften in Franfreich 
während des Mittelalters geweſen ift ?). 


) In Aurerre, im Jahre 350 geboren, Bifchof geworden im 
Jahre 418, zu Navenna geftorben 448. Den Bollandiften zufolge 
giebt es faft eben fo viele Kirchen, die ihm als Schutspatron ge- 
weihet find, als es St. Martinsfirchen giebt. 

?) Vgl. Histoire de !abbaye de Saint-Germain d’Auxerre, 
par abbé Henry, cur& de Quarre-les-Tombes, 1853. 

v. Montalembert, d. Mönche d. U. I. 16 


Andere galli— 
ſche Klöſter. 


St. German 
von Auxerre. 


Reomaus— 
Kloſter oder 
Moutier-St.= 

Sean in 

Burgund. 
Gegen 450. 


242 


Unfern von Auxerre, auf der Grenzfcheide der Aeduer 
und der Lingonen, in dem Landftriche, den die Burgun- 
dionen ſchon einmal innegehabt, und ven fie bald nachher 
nach ihrem Namen benannten, fand fich, zwilchen vem Seran 
und dem Armangon, einer jener wüſten Landſtriche, wie fie 
unter der römischen Verwaltung häufig entjtanden. Dort 
erhob fich das Klofter Neome, welches als das Ältefte in Bur— 
gund gilt, und feitvem, und bis auf unfere Tage, von 
jeinem Stifter, Moutier-St.-Sean, St. Johannes-Kloſter 
genannt wird '). An die Perfon diefes Stifters, den Sohn 
eines Senators von Dijon, knüpft fich eine der vielen an- 
muthigen Erzählungen, wie fie damals in Gallien entjtan- 
den und fchnelle Verbreitung fanden, und die mitten im 
Kampfe der Barbarei gegen die abgelebte Hinfälligfeit ver 


) Von der großen und jchönen Kirche von Moutier St. Johann, 
die im Jahre 1790 von einem der letzten feiner Mönde, Namens 
Grouyn gefauft und abgebrochen worden, war vorzehn Jahren einzig nur 
noch ein jehr ſchönes Seiten-Portal übrig, das zufällig ftehen geblie> 
ben war, und fich als einfame Auine in einem Garten befand; es 
ift eine ſchöne Probe der Architektur des XIV. Jahrhunderts. Es ift 
übrigens nicht das große und ſchöne Portal der Weftjeite (bei Dom 
Plander, Histoire de Bourgogne, t. I, p. 516 abgebildet); won 
diejem ijt feine Spur mehr übrig. Mean wolle diefe furze Abjchwei- 
fung über ein Klofter, das, wie jo viele andere, der Vergeſſenheit 
anheimgefallen ift, demjenigen zu Gute halten, der dieſe Zeilen in der 
Nähe eben diefer Auinen ſchreibt und öfter die Waldungen durd- 
ftreift, auf die duch Inftrument von 1239 von Johann, Herrn von 
la Roche en Breny an die Mönche von Keomaus eine jährliche Ab- 
gabe entrichtet werden mußte, Cfr. P. Roverius, (P. Rover) 
Reomaus, seu historia monasterii S. Joannis Reomeensis, 
Paris 1637, in 4. p. 265. — Der Herr Berfaffer hat feine burgun— 
difchen Befitungen, wo er häufig die Sommermonate zubringt, in 
und um La Roche en Breny. (Anmerkung des Ueberjegers.) 


245 


heidnifch-römifchen Civilifation, den ftufenweifen Sieg chrift- 
licher Gefittung und Anfchauungsweife über die Herzen 
und die Einbildungsfraft beurfunden. Sein Bater bie 
Hilar oder der Luftige, und deffen Gemahlin Quieta oder 
die Stille; die eheliche Liebe beider Gatten und die mu— 
jterhafte Ordnung, die in ihrem Haufe herrichte, hatte die 
Bewohner von Dijon mit Bewunderung erfüllt. Als der 
Senator ftarb, ward er im einem marmornen Grabmale, 
das er fir fich und für feine Gemahlin hatte bereiten laſſen 
und deffen Schönheit noch ein Jahrhundert fpäter Gregor 
von Tours, der uns diefe Erzählung überliefert, nicht ge- 
nug bewundern kann, beigefett. Nach Verfluß eines Jahres 
folgte ihm Quieta im Tode, und als man den Dedel des 
Sarges aufhob, um den Leichnam der Wittwe hineinzulegen, 
riefen alle Umftehenden ganz erſtaunt aus, fie ſähen vie 
Arıne des Gemahls fich ganz zärtlich feiner Frau entgegen- 
jtredfen; und alle Zufchauer waren won diefem Wunder 
ehelicher Liebe und Zärtlichkeit bis ins Grab, von Be— 
wunderung hingeriffen ). Der Sohn diefes mufterhaften 
Chepaares, Johannes, ward der Stifter des Kloſterlebens 
in Burgund und zugleich der Begründer der Bodenkultur 
in den feitdem fo fruchtbaren und abgeholzten Auxenſiſchen 
Landſchaften, die damals von undurchdringlichem Walde 
überdeckt waren. Johannes ging mit einigen Gefährten, 
die er ſich zugeſellt hatte, muthig an's Werk. Anfangs 
wurden ihnen die Aexte geſtohlen, die ſie beim Umhauen 


') Sepulerum ejus quod hodie patefecit... marmore pario 
seulptum. .. Subito elevata vir dextra conjugis cervicem amplec- 
titur... Quod admirans populus... cognovit quæ .. . inter 
ipsos dilectio fuisset in seculo, qui se ita amplexi sunt in se- 
pulero. Greg. Turon., De Gloria Confess. e. 42. 

16* 


244 


der Bäume in der Nähe ihrer Hütten gebrauchten !) ; es 
ift dies freilich etwas Geringfügiges, das auf den erften 
Blick nicht der Mühe werth jcheint in der Gefchichte ge- 
meldet zu werden, und doch gewinnt auch dies feine Wich- 
tigfeit, wenn man bevenft, daß das vielfach gehinderte Werf 
einzig durch die Kraft ver Beharrlichfeit im Guten zu 
Stande gefommen iſt und dreizehn Jahrhunderte gedauert 
hat ?). 

— Schon früher als Burgund, lenkte die Auvergne die 
Aufmerkſamkeit auf ihre Landſchaften wegen der Heiligkeit 
der Mönche, die ſie bewohnten. Auvergne bildete das 
Herz von Gallien; hier war das Vaterland jenes jungen 
Vercingetorix, des erjten Helden der franzöfifchen Urzeit ; 
untadelhaft, beredt, tapfer und edelmüthig im Unglück, ein 
Held, dejfen Ruhm won Allen die das Herz auf dem rech— 
ten Fle haben, um fo werther und vollfommener geachtet 
wird, da er nur durch feinen umerbittlichen Beſieger auf 
uns gefommen ift. Die jchöne Yimagne-Cbene, von jenem 
Gergover Bergplateau beherrfcht, wo Cäfar das einzige Mal 
eine Schlappe erlitten, erregte noch häufig die Bewunderung 
und die Begierlichfeit der verwüftenden Völkerhorden. Eben 
jene Gallier, welche Rom erobert hatten, bevor fie felbft 
von ihm erobert wurden, die den Legionen Cäſars einen 
jo heldenmüthigen Wiverftand entgegengefett hatten, fie 
wußten fich jett, entnevot wie fie waren durch den Drud 
des imperialiftiichen Despotismus, nur mehr widerſtandslos 


— Act. SS. O0. S-Biik Lıp:i6l& 

2) Johannes ging, ſchon hoch betagt, noch nach Lerin, um ſich 
dort über das flöfterliche Leben zu unterrichten ; jeine Mönche be- 
folgten die Instituta SS. Patrum Aegyptorum. Er ftarb mehr als 
bundertjährig im Jahre 539. 2 


245 


unter das Joch der barbarifchen Eroberer zu beugen. Die 
Bandalen hatten auch die Auvergne in jenem furchtbaren Ueber— 
falle während der erften Jahre jenes V. Jahrhunderts nicht 
verfchont, won welchem der heilige Prosper jagt, daß, wenn 
der ganze Deean feine Fluthen über die gallifchen Fluren 
ergoffen hätte, alle feine Waffer nicht fo arge Berwüftungen 
angerichtet haben würden). Darauf famen die Weftgothen, 
die den Arianismus und die Verfolgung mitbrachten, Bi— 
Ihöfen oder Prieftern nur zwifchen Verläugnung des Glau— 
bens oder dem Martertode die Wahl ließen, alle Heiligthü— 
mer unter entjeßlichen Freveln verwüſteten, jo daß nach 
ihrem Abzuge, wie Sivonius Apollinaris berichtet, das Vieh 
neben den Altären weiden und in den offenen Kirchenhallen 
lagern fonnte”). Aber mitten unter diefen jammervollen 
Befnechtungen keimte ein neues Leben und eine neue Frei— 
heit. Der lebendige chriftliche Eifer hatte Wurzeln ge— 
Schlagen und begann mit der vömifchen Korruption den 
Kampf um die Herrfchaft der Seelen; und in feinem Ge— 
folge fehen wir alfe die Wunder von Tugend, von Hel- 
denmuth, von Selbftverläugnung, die in den Erzählungen 
des Sidonius Apollinaris und Gregor von Tours berich- 
tet werden. 

Noch ehe ver Orient das Abendland mit dem Klofter- 


Gegen 260. 


(eben befannt gemacht, vor dem heiligen, Martin, ja noch _ 


vor dem Frieden der Kirche, hatte der Römer Auftrimon, 


') Si totus Gallos sese effudisset in agros 
Oceanus, vastis plus superesset aquis... 
Omnes ultima pertulimus, 
S. Prosper Aquit.. De Provid. divin. p. 618 ed. Migne. 
) Ipsa, proh dolor ! videas armenta non modo semipatenti- 
bus jacere vestibulis, sed etiam herbosa viridentium altarium 
latera depasci. Sidon. Apollin., Ep. VII, 6, 


312. 


246 


einer der fieben Bilchöfe, die von Papſt Fabian gefendet, 
nach Gallien famen, in den dichten Wäldern, die das Drui— 
denthum im Intereſſe jeines Aberglaubens forgfältig hütete 
und als geheiligt erflärte, am Fuße der ausgebrannten 
Bulfane von Arvernum zahlreiche chriftliche Gemeinwefen 
gebildet. Iſſoire, die nachmalige Benediftiner-Abtei, war 
die erjte diefer Anfiedelungen, und der Ort, wohin diefer 
erite heilige Bischof von Clermont fich-zurüczuziehen pflegte, 
und wo er ven Tod fand... Die Gefchichte feines Nachfol- 
gers Urbicus ift befannt. Derfelbe, ein Neubefehrter aus 
dem hohen römischen Adel, war vermählt als er Bifchof 
ward, lebte aber von da an, nach Brauch und Sitte,. feufch 
und ohne Umgang mit feiner Frau, die auch ihverfeits in 
Gebet, Almoſen und guten Werfen Gott diente, fpäter 
aber doch dieſen Umgang wieder gejucht hatte, worauf der 
Gemahl, wegen der der bifchöflichen Würde dadurch zuge- 
fügten Schmach, nicht auf feinem bifchöflichen Stuhle blei— 
ben fonnte, und er nun in einer jener flöjterlichen Gemein- 
den eine Stätte zur Buße und ein Grab fand. Dafelbjt 
wurden dann fpäter auch feine Frau und. feine Tochter, 
welche letztere in beftändiger Sungfräulichfeit gelebt hatte, 
beigeſetzt '). | 

Die Mehrzahl ver heutigen Städte und Dörfer ver 
Auvergne verdanfen klöſterlichen Gemeinden ihren Urfprung?), 
die fih während ver Barbaren-Einfälle des V. und VI. 


') Greg. Turon., Hist. Franc., lib. I, e. 44. 

?) Unter anderen Iffoire, Nandan, Brioude, Thiers, Com- 
bronda, Mauriac, Menat, Ebrenil u. j. w. Ueber die Anfänge des 
Mönchthums in der Auvergne kann man fi in einem guten Buche 
von Branche, Z’Auvergne au moyen-age, unterrichten, von wel- 
chem nur der erfte Band erfchienen ift, welcher 19 ausjchlieglih mit - 
den Klöftern diefer Provinz befchäftigt. 


247 


Sahrhunderts gebildet hatten, und wo die Arverner Katho— 
lifen, deren etwas verweichlichte Civilifation uns Sidonius 
Apollinaris befchreibt, gegen die arianifche Verfolgung und 
gegen verheerende Streifzüge, die fie fich allzu gutmüthig ge- 
fallen liegen, gejicherte Zufluchtsftätten fuchten. Eines die— 
jer Klöfter, das im Jahre 525 gegründet wurde, erhielt 
den Namen Arverner Klofter, gleichfam als ob der 
ganze Volksſtamm dafelbft feinen Mittelpunkt gehabt hätte, 
Bald fommen dann auch die Weftgothen hinzu, die, wenn 
fie einmal befehrt waren, fich gerne den Gallo-Nömern an- 
jchloffen, um vereint mit ihnen dem Gott des Evange— 
ums, dem Sohne, der wefensgleich ift mit Gott dem 
Bater, zu dienen. Auch noch weiter her fommen Mönche; 
jo fieht man z. B. einen. aus der Thebais, einen gebor- 
nen Shrier, der von den Perfern verfolgt wurde, nach Gal- 
lien fommen, und feine letten Tage in einer Zelle bei 
Clermont zubringen 9. 

Die Anachoreten, die Styliten ſogar kommen hier 
vor wie in den Wüſten von Meſopotamien, wie im Trier— 
ſchen, wo Gregor von Tours einen longobardiſchen Mönch 
angetroffen, der lange Zeit auf einer hohen Säule geftan- 
ven hatte, wo er dem Volk predigte und den Wetterftürmen 
unter einem Klima trogte, das gar viel weniger milde 
war als das morgenländifche °), Im Klofter Nandan 
lernte. derſelbe Gregor einen Mönch fennen, einen Priefter 
mit Namen Sulian,. welchem eine feltene Wunderfraft ver- 
liehen war, weshalb man ihn aus nahe und fern bejuchte. 


') Siden.. Apollin.,. Epist. VII, 17. 

) Siehe die Geſchichte Wulflaihs, erzählt won Gregor von 
Tours, Hist. Franc. VIII, 15, überjett von Guizot, Histoire de 
la Civilisation en France, leg. 14. 


248 


Derfelbe hielt jih immer aufrecht ftehend, wovon er ganz 
franfe Füge befommen hatte. Wenn man ihn fragte, was 
rum er denn bei feinen Schmerzen doch immer auf ven 
Beinen wäre, pflegte er mit einem geiftreichen Scherze zu 
jagen, er erfreue fich ihrer Unterftüßung '). Bon Ran— 
dan begab fich Gregor in die Nachbarfchaft, wo er einem 
Mönche, Namens Caluppa, von ferne feine Ehrerbietung 
bezeigen wollte. Diefer lebte nämlich in einer Höhle auf 
einer der teilen Bergſpitzen des Cantal-Gebirges und hatte 
vielerlei ecjtatifche Zuftände und außerordentliche dämoniſche 
Berfuchungen. Aus weiter Ferne hatten einjt Hirten ven 
Greis entdeckt, wie er auf der Spike des Berges fnieend, 
mit zum Himmel emporgehobenen Armen betete. Sie gaben 
Kunde von ihm, hatten aber nicht in feine Nähe fommen 
dürfen; und auch die Bifchöfe, die ihn befuchten, ließ ver 
jtrenge Einſiedler nur bis an den Fur feines Felſens 
fommen, wobei er dann vor die Deffnung feiner Höhle 
trat, und fniend ihre Worte anhörte und ihren Segen em— 
pfing”). 
Lange vor diefem jungen Wachsthume des großen 
(nasmarszı, Föfterlihen Stammbaumes und. während feiner Dauer durch 
Claudius) am die Fahrhunderte, war, am äußerſten Oft-Ende Galliens, 
uragebitge. quf den juraſſiſchen Bergen, die es von Helvetien feheiden, 
und im Innerjten des Sequanerlandes, welches, nachdem 
e8 der erfte Schauplat der Kriege Cäfars auf diefer Seite 
dev Alpen gewefen war, nun aber die Thebais Galliens 
werden follte, ein neuer, großer Lichtherd des Flöfterlichen 
Lebens entjtanden. Ein Seguanier, Namens Roman, im 
Klofter Ainay bei yon erzogen, verläßt mit fünfundpreißig 


') Histor. Franc. IV, 32. 
“vo, Pa). ce IE. 


249 


Jahren fein väterliches Haus, nimmt ein Buch, das Le— 
ben der Väter der Wüſte, einige Sämereien von Gar: 
tengewächfen und Werkzeuge mit fich, dringt in die hohe 
Dergregion und die Wälder, die fein Heimathland beherr- 
Ihen, ein, gelangt am Ende zu einer zwifchen drei fteile 
BDerghäupter eingeengten Stelle am Zufammenfluffe zweier 
Gebirgsbäche, und gründet dafelbit, unter dem Namen Con— 
dat, ein Klofter, welches in der Folge eines der berühmte: 
jten im Abendlande geworden iſt. Den Boden dafelbit 
findet er wenig für Kultur geeignet, aber die Stelle ift 
wegen ihrer Entlegenheit herrenlofes Gut, das dem Erften 
gehört, der davon Befit ergreift). Er findet anfänglich 
ein Obdach unter einer. viefengroßen Tanne, deren dichtes 
Gezweige ihm jenen Palmbaum vdarftellt, welcher dem Ere- 
miten Paulus in feiner äghptifchen Wüſte zum Zelte diente; 
hier betet und lieſt er, und zieht feine Sämereien im 
vollen Gefühle der Sicherheit, daß er bier von der Neugier 
und der Zudringlichkeit, wegen der äußerſt Fchwierigen und 
durch Abgründe führenden Zugänge geſchützt ift, die zum 
Theil noh durch Windbrüche, durch ummgeftürzte, mit 
ihren Zweigen in einandergeflochtene Bäume, wie fich die— 
jelben in Tannenwäldern zu finden pflegen, in welchen 
noch feine geregelte Abholzung jtattfindet, veriperrt find. 
Seine tiefe Einfamfeit wird nur von wilden Thieren 


) Dies Net, das ſich auf das Befitiergreifen gründet, kommt 
noch während des ganzen Mittelalters in den Juragebirgen wor; im. 
einer Urfunde won 1126 wird daffelbe als ein altes Gewohnheits- 
recht anerfannt. Guillaume, Hist. de Salıns, I, Beweisftellen 
p- 36. Die Reimchronik bei Mabillon (Annal. I, append. M. 3), 
in der fich ſchon modernere Anſchauungsweiſen finden, fagt, Die Jura- 
waldungen zwifchen Ahone und Ain feten veihsunmittelbar, und kei— 
ner fonftigen Landeshoheit angehörig. 


250 

geftört und bie und da von einem fühnen Yäger!). Der 

wilden Gegend ungeachtet fommen aber dennoch bald fein 

Bruder Yupiein und Andere, und dann eine fo große An- 

zahl Sleichgefinnter, daß fie fich weiter verbreiten und in 

der Umgegend neue Kolonien gründen müffen?). Die bei- 

Die beiten den Brüder leiteten dieſe Mlöfter gemeinschaftlich und er— 
ne hielten, nicht ohne Mühe, Ordnung und Diseiplin unter 
picin. der immer zahlreicher anwachjenden Schaar von Neulingen 
aufrecht, über die ein "alter Mönch fich Hagend äußerte, 

man laſſe ihm nicht einmal mehr einen Pla, wo er fich 
niederlegen könne. Die Frauen wollten, wie überall, ſo 

auch hier nicht zurück ſtehen, und ſo erhob ſich auf einem 
benachbarten Felſengipfel, wie ein, Taubenneſt über einem 

tiefen Abgrunde jchwebend?), ein Klojter, in welchem die 
Schwefter unferer beiven Aebte hundert und fünf Jungfranen 

leitete, die dafelbft in fo ftrenger Klaufur lebten, daß, ein- 

mal im Klofter, Niemand fie wieder zu fehen befam, als 


) Porrectis in orbitam ramis densissimam abietem, qu&... 
velut quondam palma Paulum, texit ista diseipulum. Congeries 
arborum caducarum... Nullo nisi ferarum et raro venantium 
frueretur aspeetu. Vet. S. Romani ap. A. SS. Bolland., d. 
28. Febr. p. 741. — Cfr. Vie des Saints Francs-Oomtors, par 
les Professeurs du College Saint-Frangojs-Xavier, Besangon 1855; 
eine vwortreffliche biftoriihe Sammlung, die unter den neuern Fatho- 
liſchen Forihungen zu den beten diefer Art gehört. 

?) Die erjte diefer Klofter-Kolonien war Lauconne, eine Stunde 
von Condat entfernt, woraus das jetige Dorf St. Lupiein geworden 
ift. Aus einer andern ging nad der wahrjcheinlicheren Meinung, 
jenfeits des Jurarüdens dem Lemanfee zu, das Klofter Romain-Mou- 
tier hervor, von welchem jpäter die Nede jein wird. 

>) An diefer Stelle jteht gegenwärtig die Kirde St. Romain 
de Roche, wo die Reliquien des heiligen Gründer von Condat 
beigeſetzt find. 


251 


nur im Augenblicke der Uebertragung ihrer fterblichen Hülle 
in die Nuheftätte auf dem Kirchhofe. 

Bei den Mönchen hatte jeder eine eigene Zelle, nur Strenge Le— 
das Nefektorium war gemeinfchaftlih. Im Sommer hiel- en 
ten fie ihren Mittagsfchlaf unter ven großen Tannen, die  Condat. 
im Winter ihre Wohnung gegen Schnee und Eiswind ſchütz— 
ten. Sie fuchten das orientalifche Einfiedlerleben nachzu- 
ahmen und Iafen täglich in den verfchievenen Regeln, vie 
ihnen darüber zu Handen waren, die fie jedoch in der An— 
wendung in fo weit milderten, als Klima, tägliche Befchäf- 
tigung und auch die Körperbefchaffenheit des gallifchen Stam— 
mes es nothwendig machten. Sie gingen in Holzſchuhen, 
ihre Kleidung beftand aus fchlecht genäheten Stücken von 
Fellen, die fie vor dem Negen fehütten, nicht aber wor der 
ſtrengen Kälte auf diefen rauhen Gebirgshöhen, wo man, 
wie ihr Biograph jagt, im Winter unter dem Schnee er- 
drückt und begraben ift, im Sommer dagegen von der Hite, 
die durch das Abprallen der Sonnenftrahlen von den Felfen 
ringsumher in's Unerträgliche gefteigert wird, viel zu leiden 
hat. Lupicin überbot an Strenge alle anderen: er jchlief 
in einem muldenförmig ausgehöhlten Baumſtamme; feine 
Nahrung bejtand aus Brühe von Gerftenmehl mit ven 
Kleien, ohne Salz, ohne Del und fogar ohne Milh. Er war 
eines Tages gewaltig empört über die VBerweichlichung der 
Brüder, und warf Fifche, Kraut, Gemüſe und was diefel- 
ben fich befonders und mit einer gewifjen Gefuchtheit zube- 
reitet hatten, in Einen Keffel zufammen. Die Klofterge- 
meinde zeigte fich darüber ungehalten, und ihrer zwölf, 
deren Geduld zu Ende war, verließen das Kloſter. Dar- 
auf erhob fich zwifchen ven beiden Brüdern ein Streit, und 
Roman ſprach zu Yupiein: „Es wäre beſſer gewefen, du 
„wäreft gar nicht gefommen, als herzufommen, um unfere 


252 


„Brüder zu vertreiben.“ Yupiein entgegnete ihm: „Laß es 
„gut fein, es ift mar Spreu, die ſich vom Waizen abſon— 
„dert; es find zwölf Hochmüthige, die auf zu hohen Ko— 
„thurnen gehen und in denen der Geift Gottes nicht wohnt.“ 
Aber Roman dachte nicht fo, und es gelang ihm, die Flücht- 
finge wieder zurüczuführen, die in der Folge alle zu Obe- 
ren verichiedener neugegründeter Klöfter wurden !). 

Die Fruchtbarkeit an Kolonien ward nämlich bald ein 
augenfcheinliches Merkmal viefes neuen klöſterlichen Ge— 
meinwejens im Jura, und irren wir nicht, jo geſchieht es 
bei Anlap von Condat und feinen Söhnen, daß die klöſter— 
lichen Annalijten zum erjtenmale das jo allgemein üblich 
geiwordene, aber jo durchaus pajjende Bild eines DBienen- 
ſchwarmes gebrauchen, der, feinen Stock verlaffend, fich an- 
derswo anfest, um diefe Kolonien von Mönchen zur be— 
zeichnen, die von Condat ausgingen und ganz Sequanien 
und die benachbarten Provinzen mit Kirchen und Klöftern 
anfüllten?). Alle diefe Stiftungen anerkannten fortwährend 


') Non solum nivibus obruta sed sepulta... ita »stuantia 
alterno vieinoque saxorum vapore conflagrant. Vit. $S. Rom., 
P. 742; Ibid. p. 743. — Frustra enormitate convertentium delec- 
taris... Diebus sstivis sub arbore solito quiescenti. Veit. 8. 
Eugendi c. 14 ap. Bolland. — Lignea tantum sola, que vulgo 
soccos vocitant monasteria Gallicana. Vit. 8. Lupieini, ap. 
Bolland., d. 21. Mart. p. 263. Hordeaceas incretasque pultes, 
absque sale vel oleo... Vit. S. Rom. loc. eit. — Si sic futurum 
erat... utinam nec accessisses. .. Duodeeim viri cothurnati atque 
elati... Greg. Turon., Vit. Patrum, I, 7, 8. — Dieje letztere 
Scene fand in Romain-Moutier ftatt, in vllis Alemanmie regio- 
nibus, jagt Gregor von Tours. 

) Ceperunt exinde venerabilia Patrum examina, velut ex 
refecto apum alveario, Spiritu sancto ructante, diffundi... ita ut 
non solum Sequanorum provineie loca secretiora... Vit. S. 
Rom. loc. eit. ' 


253 


die Autorität der beiden Brüder, ımd alle erregten bereits 
die Bewunderung der Fatholifchen Gläubigen. Sidonius 
Apollinaris, der, allfeitig gebildet wie er war, ſich gerne 
von allen Borgängen in feiner Zeit und in feiner Nähe unter- 
richtete, fannte und rühmte dieſe Einöde des Jura, und 
beglücfwinfchte deren Bewohner, weil fie dafelbft einen 
Vorgeſchmack der Freuden des PBaradiefes fanden). 
Während der letten Lebensjahre Nomans ward dem— 
jelben eines Tages ein fiebenjähriger Knabe worgeftellt, der 
ihm dereinſt nachfolgen und dem Kloſter Condat durch meh- 
rere Jahrhunderte feinen Namen geben follte?). Cugendus, 
vierter Abt, traf die Einrichtung, daß alle Brüder und auch 
er jelbjt in einem gemeinfchaftlichen Dormitorium, anftatt 
der früheren einzelnen Zellen, fchlafen mußten. Er hatte 
jehr grimdliche Studien gemacht, war in der griechifchen 
und lateinischen Sprache bewandert und befaß eine gründliche 
Kenntnig der heiligen Schrift. So ausgerüftet ließ er es 
fich jehr angelegen fein, das Studium im Kloſter in Auf- 
nahme zu bringen. Griechiſch und Latein lernten nicht nur 
die zum Klofterleben beftimmten Sünglinge, fondern auch 
jolche, die die Beftimmung hatten, wieder in die Welt zurück— 
zufehren, und Condat ward die erfte Schule in Sequanien, 
und eine der berühmteften in ganz Gallien. Das Studium 


') Nune ergo Jurensia si te remittunt jam monasteria, in 
quæ libenter solitus ascendere, jam ecelestibus præludis habita- 
eulis, Sidon. Appollin., 1. IV, ep. 25. 

2) Condat hieß St. Eugendius oder St. Oyand bis ins XU. 
Jahrhundert, und in einzelnen öffentlichen Aftenftücen ſogar bis 
in’s XIV. Es wird unter diefem Namen vom heiligen Bernhard 
Papſt Eugen IH. empfohlen (ep. 291). Das Klofter erhielt den Na- 
men St. Claude von einem andern Abte, von welchem feines Orts 
die Rede fein wird, ; 


450—460, 


Der heilige 
Eugendus, 
496—510, 


Viventiolus. 


254 


der claſſiſchen Redner!) ward mit dem Abſchreiben von 
Handichriften unter der Anleitung des Viventiolus verbun- 
den, eines Freundes des-heiligen Avitus, Biſchof von Vienne, 
dem er Unterricht in der Beredfamfeit gab und deſſen Styl 
und Barbarismen er corrigirte, wie es in der interefjanten 
Korrefpondenz zu jehen ift, die fich bei allen Yiterär=Hifto- 
rifern findet. 

Diefe geijtige Thätigkeit verhinderte aber keineswegs 
die Uebung der Handarbeit, und Viventiolus felbft fandte 
feinem bifhöflichen Freunde einen won ihm eigenhändig aus 
Burbaum gefertigten Stuhl, wodurch gefchichtlich die An— 
fänge diefer für das Land fo wichtigen Induſtrie bezeichnet 
werden, die jich noch jest nach vwierzehnhundert Jahren in 
den jurafjifchen Bergdörfern und Hütten vorfindet?). Avpi— 
tus antwortete mit geiftreicher Artigfeit: „Sch wünſche Dir 
für den mir überfchieften Sefjel einen Schönen Kathedral- 
ſtuhl;“ und diefer Wunfch erfüllte ſich, denn Viventiolus 
ward in dem erjten Jahren des VI. Jahrhunderts Metro- 
polit von Lyon, und zwar auf den Vorſchlag des heiligen 
Avitus. 

Alle dieſe vom Jura und den Alpen beherrſchten Län— 
derſtriche zwiſchen Rhone und Rhein waren damals im Be— 
ſitze der Burgundionen, demjenigen unter den barbariſchen 
Völkern, deſſen Sitten milder und reiner waren als die 
der anderen, und das, zum Chriſtenthum bekehrt und im 


') Preeter latinis voluminibus etiam græca facunda. Vit. 
S. Eugend., 1. 3. De priseis oratoribus quos disceipulis merito 
traditis. S. Avit., ep. 71. 

?) Der Burbaum wuchs damals auf allen Bergen um Condat 
ber im Ueberfluffe. Jetzt ift dies wertboolle Holz ganz aus der Ge- 
gend verfhwunden, und man läßt daffelbe aus der Schweiz und fo» 
gar aus Nufland für die Werkftätten im Jura fommen, 


255 


rechten Glauben bleibend bis gegen das Jahr 500, bie 
Gallier nicht fo faft als eroberte Unterthanen, fondern viel- 
mehr als Brüder im Glauben behandelte‘). Nichts war 
natürlicher, als daß die Mönche von Condat bei ihnen zu 
Einfluß gelangten, und diefer Einfluß machte fich hier wie 
überall zu Gunften der Unterdrücten geltend. Lupicin be— 
gab jich, bereits vom Alter gebrochen, zum YBurgundionen- 
König Chilperich*), der in Genf Hof bielt, um die Sache 
einiger armen Sequanier vor ihn zu bringen, die ein unter— 
geordneter Machthaber in Sklaverei gebracht hatte). Diefer 
Heine Herrichling war einer jener entarteten Römer, die, 
Höflinge und Unterdrücker zugleich, bald im Namen einer 
hinfälligen imperialiftifchen Gewalt und bald ver emporfom- 
menden Autorität der Barbarenfönige jchmeichelnd, in dem 
einen wie im dem andern Falle Mittel fanden, ihre Untergebenen 
auszuplündern und zu bevrüden. Vielleicht war er einer 
von jenen gallifchen Senatoren, welche die Burgundionen im 
Jahre 456 zur Theilung des eroberten Landes mit zuge— 


Paul. Orosius, Aest., VII, 32. — Sie wurden erft unter 
Gundebald im Jahre 490 arianifch, und wieder Fatholifch unter Si- 
gismund um 515. Die alte Wortform Burgundionen wird bier 
feineswegs aus Vorliebe zum Arhäismus gebraucht; diefelbe vechtfer- 
tigt fich und ift nothwendig, um dieſe erfte Anfiedelung des Stam- 
mes in den Gegenden, die nad ihm benannt find, md dies erfte 
Königreich von den fpäteren gleichen Namens unter den Merowin- 
gern und nach den Karolingern zu unterfcheiden. Zwiſchen Burgun- 
dionen und Burgundern beteht etwa der gleiche Unterſchied wie zwi⸗ 
ſchen Franken und Franzoſen. 

?) Chilperih J., Oheim Chilperichs II., des Vaters dev heiligen 
Clotilde. 

°) Pro afflietione pauperum quos persona quædam honore 
dignitatis auliee tumens.,. illieite servitutis jugo subdiderat, 
Vit. S. Lupieini, loe. eit., p. 265. 


256 


laſſen Hatten‘); und Lupiein, obwohl ein Gallo-Römer, 
ſcheint doch weniger für die römische Herrfchaft als für die- 
jenige der neuen, obwohl barbarifchen Völker gewefen zu 
jein. Gregor von Tours hat eine Ueberlieferung aufbe- 
wahrt, die recht gut den Eindrud zeigt, den die Erfcheinung 
der Mönche auf die fiegreichen Barbaren machte. Er er: 
zählt nämlich, daß im Augenblice, als Lupiein die Schwelle 
des Palaftes des Königs Chilperich überfchritt, der Thron, 
auf welchen der König ſaß, gleichwie bei einem Erobeben 
gewanft habe?). Aber beim Anblide des in Felle gehüllten _ 
Greiſes beruhigt?) ſaß der Burgunderfürſt über dem Nechts- 
ſtreit zwifchen dem Unterdrücer und dem Anwalt der Un- 
terdrückten zu Gericht. „Biſt du es," fuhr der Höfling 
den Abt an, „bift du es, alter Betrüger, der du fchon zehn 
Jahre hindurch die römische Gewalt befehimpfeft und überall 
verfündeft, dies ganze Land und*feine Negenten eilten ihrem 
Untergange entgegen?" „a, der bin ich," erwiderte der 
Mönch, und auf den König hindentend, der ihn anhörte, 
Iprach er weiter: „Sa, du treulofer Böfewicht, der Unter: 
gang, den ich div und deinesgleichen prophezeiet, er iſt da. 
Siehft du denn nicht, du entarteter Menſch, daß dein Recht, 
deiner Sünden wegen, verfallen ift und nun das Gebet der 
Unſchuld erhört werden wird? Sieht du nicht, daß die 
Meachtzeichen und der Purpur Noms vor einem fremden 
Richter fich beugen müſſen? Gib acht, ob nicht bald ein 
unerwarteter Gaſt bei dir anflopft und vor einem neuen 


') Eo anno Burgundiones partem Gallie occupaverunt, ter- 
rasque cum Gallis senatoribus diviserunt, Marii, Chronic. 

) Tremuit cathedra regis, exterritusque ait suis : Terremo- 
tus faetus est. De vit. Patr., ce. I, Nr. 10. 

°) Senem in veste pellicea. IBid. 


257 


Tribunale deine Felder und Befitungen reclamirt)!“ Der 
König der Burgimdionen gab nicht nur dem Abte vecht, 
indem er deſſen Schüßlinge in Freiheit ſetzen ließ, fondern 
überhäufte ihn auch noch mit Gefchenfen, und bot ihm 
Heer und Weinberge für fein Kloſter an. Lupicin wollte 
jedoch nur einen Theil der Früchte der angebotenen Län— 
dereien annehmen, damit nicht ein allzu ausgedehnter 
Grundbeſitz in feinen Mönchen eine Anwandlung von Hoch- 
muth errege. Darauf erließ der König den Befehl, daß 
den Mönchen jährlich 300 Maaß Getreide, 300 Maaß 
Wein und 100 Goldgulden zur Anschaffung neuer Kleidungs— 
jtücfe entrichtet werden follten; und noch lange nach dem 
Sturze des burgundionifchen Königthums entrichtete der 
Fiscus der merowingifchen Könige diefe jährliche Abgabe?). 

Sp gelangten’ die Mönche bereits in der Zeit ihrer 
Anfänge zu einer gejellichaftlichen Bedeutung Die fociale 
und politifche Stelle des Abtes Yupiein zeigt fih auch in 
der merfwürdigen Erzählung von feiner perfönlichen Be— 
theiligung in einem Procefje, welchen Aegidius, ver faifer- 
liche Statthalter in Gallien, gegen den Grafen Agrippin 
erhoben hatte, den er wor dem Kaiſer Majorian wegen ge- 


) Tu es ille dudum noster impostor ... cum eivilitatis 
Roman apieis arrogans derogares ... Ecce perfide et perverse... 
Nonne cernis .... nutare muriceos pellito sub judice fasces ? 
Respice paulisper et vide utrum rura et jugera tua novus ho- 
spes inexpectata jurisdietione. Vit. S. Lupieini p. 265. — Die 
Berfaffer ver Vie des saints de Franche-Comte haben, der An- 
ficht Perreciors entgegen (De letat civil des personnes t. II, 
p- 34) nachgewiefen, daß es fih hier von einem Gallo-römijchen 
Beamten und nicht von einem Burgundionifhen handelt. 

?) Agros et vineas non aceipiemus... Quod usque nıme a 


fiseiditionibus eapere referuntur. Greg. Turon., loc. eit. 
dv. Montalembert, d. Mönde d, A. I. 17 


Der König 
Sigismund 
gründet Agau—⸗ 
num, klöſterl. 
Metropolis 
des Rönigrei- 
es Burgund. 
515—522. 


258 


jetwidriger Verbindung mit den Barbaren anflagte. Der 
Abt von Condat, der ein Freund des Grafen und gleich 
diefem den neuen Völkerſtämmen günftig war, ftellte fich 
fir ihn als Fidejuffor oder Bürge, und ward als folcher 
von Aegivins angenommen, der ihm die Hand fühte, als 
er diefelbe zum Zeichen der Annahme in die des Grafen 
legte N). 

Fünfzig Jahre fpäter wollte ein anderer Burgundione, 
Sigismund, nachdem er dem Arianismns entjagt und der 
Kirche in feinem Neiche die Freiheit gegeben hatte, das 
Kloster Agaunum aus feinen Ruinen wieder erheben, und 
wandte fich, um Mönche für daffelbe zu erhalten, zugleich 
an Condat und an Perin. Dies neue Heiligthum erhob 
fich am Eingange des Hauptpaffes der Alpen, in einer der 
Ihönften Yandfchaften der Welt, an ver Stelle, wo die 
Rhone, nachdem fie die erfte Station ihres Laufes zurück— 
gelegt, aus den Schluchten von Wallis hervorbricht, und 
nach Kurzem Laufe ihre fchlammigten Waffer in ven fanften, 
azurblauen Spiegel des Genfer-See's ergießt. 8 follte 
an diefer Stelle das Andenken verherrlichen des heiligen 
Mauritius und der thebätfchen Legion, welche hier Halt 
gemacht und fich cher alle hatten umbringen laffen, als 
fih zu der Niedermekelung jener Chriſten herzugeben, welche 
in die große Nationalerhebung der Bagauden gegen die 
entfeßliche Bedrückung der römischen Fisfalität und Con— 
feription verwidelt waren ?). Ihre Reliquien wurden ges 
ſammelt und in einer Slirche beigefett, die zu wiederholten 


') Vita $. Lupieini, p. 266—267. 

) Cfr. Act. SS. Bolland., d. 22. Sept. p. 336, 342, 347. 
Kettberg, Kirbengefhihte Deutſchlands I, p. %. Diefer 
Letztere bat dieſen Aufftand fehr gut charafterifirt, 


259 


Malen begraben worden war unter dem Schutte der ein- 
jtürzenden Felfen, die eben noch hier Raum genug geben, um 
den reißenden Alpenftrom durchzulaffen Agaunum erhielt 
und bewahrte bis auf unfere Tage ven Namen St. Moritz!). 
Bon da an ward e8 die vielfach zerftörte und immer wie— 
der hergejtellte Metropolis der Köfter im Königreih Bur— 
gund. Hundert Mönche famen von Condat herab und 
bezogen ihr neues Klofter an der Rhone; ihr ehemaliger 
Abt Viventiolus, bereits Erzbifchof von Lyon, hielt, von 
jeinem bifchöflichen Freunde Avitus begleitet, die Eröffnungs- 
feierlichfeit, und ſprach in der ung noch erhalten gebliebenen 
Anrede dabei die Hauptgrundfäte für die Lebensweiſe aus, 
welche die Brüder an diefem Orte führen follten. Die 
Mönche von Condat und Agaunum lebten geraume Zeit 
nach derfelben Negel?); und der gleiche Geift und vie 
gleiche Klofterzucht herrſchten fomit im Norden und im 
Süden des burgumdionifchen Neiches. Sigismund wollte 
aber feiner neuen Stiftung einen noch größern Glanz ver— 
leihen. So reichlich hatte er diefelbe bedacht, daß fie neun— 
hundert Mönche aufnehmen fonnte, die nun, in neun Chöre 
getheilt, nacheinander und ohne Unterbrechung das Lob 
Gottes und der heiligen Martyrer fangen. Es ift dies, 
was man Laus perennis nannte, und wir werden fehen, 
daß dies große burgundionifche Kloiter nicht das einzige 


') Dies Klofter, das feit 1128 den regulirten Chorherren ge- 
hört, befteht noch gegenwärtig. 

2) Es ift diejenige, welde unter dem Namen Regel von 
Tarnat bekannt if. Tarnat ift der urfprüngliche Name von 
Agaunum, deffen erfte Gründung einige Gefchichtsforicher ſchon zwei— 
hundert Jahre vor Sigismund ſetzen, oder doc fpäteftens im das 
Fahr 478. Es herrſcht übrigens in Bezug auf alle diefe Regeln aus 
der Zeit vor dem heiligen Benedikt eine große Ungewißheit. 

JR 


260 


war, wo diefer unumnterbrochene Gebetsquell Tag und Nacht 
feine Strahlen himmelwärts jandte. König Sigismund 
fam ſelbſt, um im diefem ununterbrochenen Gebetsdienfte 
feine Stelle einzunehmen, nachdem ev Mönch geworden, 
um das Verbrechen abzubüßen, das er, gleich Kaifer 
Konftantin, begangen hatte, indem er feinen Sohn erfter 
Ehe der treulofen Falfchheit feiner zweiten Frau zum Opfer 
529-523. brachte. Es ift befannt, wie Sigismund fpäter nebft feiner 
ganzen Familie, vom Sohne Klodwigs ermordet wurde. 
Der Mind Wenn wir von der Rhone bis an die Donau, von 
eo Savoyen bis Bannenien, die überall durchbrochene, verletzte 
naugegenden römiſche Grenzlinie überblieen, jo finden wir ihrer ganzen 
— Länge nach immer und überall die Mönche auf dem Poſten 
der Ehre und der Gefahr, der Aufopferung und der Ret— 
tung. Wir haben ſie bereits unter den Gothen, den Franken 
und den Burgundionen geſehen. Sehen wir uns nun auch 
nach ihnen auf der Heerſtraße der einen Augenblick von Attila 
aus ihrem natürlichen Geleiſe gedrängten germaniſchen Wan— 
derſtämme, der Thüringer, der Alemannen, der Rugier und der 
Heruler um, welche jetzt im Begriff ſtehen, die letzten Hin— 
derniſſe zu überſteigen und dem weſenloſen Reiche ein Ende zu 
machen. Ihr Einfluß ſcheint beſonders vergegenwärtigt in dem 
Leben Severins, das von einem Jünger deſſelben beſchrieben, 
in unſern Tagen von Ozanam, welcher überall, wo er 
Hand angelegt hat, kaum noch eine dürftige Nachleſe ge— 
ſtattet, mit Anmuth und Autorität in's gehörige Licht geſetzt 
1202-as2. worden!). Severin nahm in Ufer-Noricum, in den Gegenden, 


) In Deutjchland bat in neuerer Zeit der verdienftvolle regu— 
lirte Chorherr von St. Florian, Karl Ritter, eine Ueberſetzung 
des Eugippius mit einer fubftanziellen Borrede und einem Anhange 
erläuternder Anmerkungen herausgegeben. 

(Anmerfung des Weberjeters.) 


261 


die nachmals Bayern und Deftreich geworden find, feinen 
Aufenthalt, und bewohnte anfangs ein Klofter bei Favianis, 
dem heutigen Wien. Nie Hat er feine Abfunft entdecken 
wollen ; feine Sprache jedoch wies auf das römische Afrika hin, 
vielleicht war ev aus der Schule des heiligen Auguftin herz 
vorgegangen; fein Yeben zeugte von einem längeren Aufent 
halte in den Flöfterlichen Wüften des Orients '), ehe er in 
die Donaugegenden fam, um bier das flöfterliche Leben ein- 
zuführen, Mehrere Sahrhunderte follten übrigens noch 
vergehen, bevor daſſelbe in dieſen Gegenden feine wollen 
Früchte brachte; aber Severin gilt, in der danfbaren Er- 
innerung des Volkes und der Kirche, als fein erfter und 
wirklicher Begründer in diefen Donaugegenden. 

Als ein wahrer Arzt und Hirte der Seelen zeigte ex 
eine wunderbare Thätigfeit und entfaltete eine veiche Fülle 
von Helvenfraft, von Geduld und Gefchieflichfeit, um unter 
den bereits ganz chriftlichen Bevölkerungen dieſer Provinzen 
ven Glauben zu befeftigen, Leben und Güter ihrer den 
Plünderungen fo jehr ausgefesten Bewohner zu ſchützen, 
und die erobernden Völkerhorden, deren arianiſche Irrlehre 
ihre Grauſamkeit noch erhöhte, zu bekehren. Mehr als 
einmal leitete er mit Erfolg die militäriſche Vertheidigung 
der römiſchen Städte, die von den Barbaren belagert wur— 
den. Und wenn ſich das Kriegsglück, wie es gewöhnlich 
der Fall war, für die Letzteren erklärte, fo zeigte ev ſich 
unermüdlich beforgt, das Schieffal dev Gefangenen zu mil 
dern, Nahrung und Kleidung für fie herbeizufchaffen. Von 
Faften und Abtödtung für fich ſelbſt durch und durch ab- 


) Vit. $. Severin., auect. Eugippio, ap. Bolland, d. 8, 
‚Jan. pag. 485. 


262 
gehärtet, fühlt er dennoch den Hunger mit ihnen, wenn fie 
hungern, und zittert mit ihnen vor Kälte, wenn fie aus 
Mangel an Kleidung im harten Winter vom Frojte leiden‘). 
Er Scheint ven Barbaren und den Römern, zu beiden Sei- 
ten des großen Stromes, den Feine Neichsgrenzen mehr 
ſchützten, die gleiche Ehrfurcht eingeflößt zu haben: ver 
König der Alemannen, vom Anblicke folcher unerjchrodenen 
Nächitenliebe tief ergriffen, hatte ihm die Gewährung einer 
beliebigen Gunft zugefagt; Severin bat ihn nun, vie Yän- 
dereien dev Römer zu verfchonen, und den Gefangenen bie 
Freiheit wieder zu geben. Die gleiche Herrfchaft übte er 
über den König der Rugier, eines anderen Volfsjtammes, der 
vom Geftade des baltifchen Meeres donanabwärts fich 
bis nach Pannonien hin feftgefett hatte. Aber die Ge— 
mahlin dieſes Königs, graufamer als er, und zudem eine 
erbitterte Arianerin, fuchte ihren Dann zu verhindern, den 
Eingebungen des Abtes Folge zu leiften, und eines Tages, 
als er fir arme Römer Fürbitte einlegte, welche fe jen- 
jeit8 der Donau in die Sklaverei Tchleppen ließ, Tprach fie 
zu ihm: „Höre, Mann Gottes, halt dich ruhig in deiner 
„Zelle und bete, und laß uns mit unfern Sklaven machen, 
„was uns gut dünft?).“ Er aber ließ nicht nach, und faft 
immter glücte e8 ihm, dieſe Seelen, die roh aber noch nicht 
verdorben waren, zu gewinnen. Sein Ende nahe fühlenp, 
ließ er den König und die Königin bitten, an fein Sterbe- 


') Studiosius insistebat Barbarorum ditione vexatos genuin& 
restituere libertati.. Esurie miserorum se credebat afflietum ... 
Frigus quoque vir Dei tantum in nuditate pauperum sentiebat. 
p- 488, 491. 

°) Conjux ferialis et noxia, nomine Gisa... Oro tibi, serve 
Dei, in cellula tua deliteseens, et liceat nobis de servis nostris 
ordinare quod volumus. p. 488. 


263 


bette zu fommen. Nachdem ev den König ermahnt, ver 
Nechenfchaft eingedenk zu fein, die er Gott werde ablegen 
müſſen, legte er die Hand auf das Herz des Barbaren, 
und Sprach zur Königin gewendet: „Giſa, liebft du dieſe 
Seele mehr als Gold und Silber?" Und als Gifa ver: 
fiherte, daß fie ihren Gemahl mehr liebe als alle Schäße 
der Welt, erwieverte er: „Wohlan denn, fo höre auf, die 
Gerechten zu verfolgen, damit ihre Unterdrücdung nicht 
euer Untergang ſei. Demüthig bitte ich euch Beide, in 
diefem Augenblide, wo ich zu meinem Herrn und Meiſter 
zurücfehre, euch vom Böſen zu enthalten und euch jelbft 
durch eure guten Handlungen zu ehren." Es giebt, fügt 
Ozanam hinzu, in der Gefchichte der Völkerwanderung er: 
greifende Scenen, aber mir ift feine lehrreichere worgefom- 
men als das Sterbelager diejes alten Römers, der zwifchen 
zwei Barbaren feinen Geiſt aufgiebt, und weniger an den 
Untergang des Reiches denft als an die Gefahr ihrer 
Seelen 9.“ 

Was aber ganz befonders beigetragen hat, das An— 
denfen Severins vor der Vergeffenheit zu bewahren, ift 
jeine Zufammenfunft mit dem germanifchen Häuptlinge, 
welcher die Beftimmung hatte, den entehrten Thron ver 
römischen Kaifer umzuftürzen. Unter den Barbaren, welche 
auf ihren Zügen nach Stalten gerne anbielten, um mit 
auf den Weg den Segen eines Heiligen zu nehmen, in 
welchem fie inftinftartig eine Größe verehrten, die alles 
dasjenige weit überdauern follte, was jene zu zevftören 
im Begriff jtanden, befand fich eines Tages ein junger 
Heruler, in ärmlicher Kleidung, aber aus edlem Gefchlechte 
und von fo hohem Wuchfe, daß er im der niedrigen Zelle 


') Etudes germauiques, t. Il, p. 42, ed. von 1849, 


Begegnung 
Severing und 
Odoakers. 


Yage des 
Mönchthums 
am Ende des 
V. Jahrhund. 


264 


des Mönches gebückt ſtehen mußte. „Ziehe hin,“ ſprach 
Severin zu ihm, „zieh hin nach Italien, du trägſt jetzt 
einen ſchlechten Pelzrock, aber bald wirſt du Vielen große 
Reichthümer verleihen können.“ Dieſer Jüngling war 
Odoaker ). An der Spitze der Thurilinger und Heruler 
eroberte er Rom und die italiſchen Hauptſtädte Pavia und 
Ravenna, ſchickte den letzten Kaiſer Romulus Auguſtulus 
in's Exil, und ohne es dev Mühe werth zu halten Titel 


und Abzeichen der Kaiſerwürde für fich jelbjt zu nehmen, - 


ward er ver wirkliche Herrfcher in Italien. In feiner 
neuen Gewaltfülle erinnerte er fich der Weiffagung des rö— 
mischen Mönches an der Donau, und bat ihn demüthig 
und liebevoll, ev möge was er wolle von ihm verlangen, 
mit Freuden werde er alles gewähren. Severin benußte 
diefe Gelegenheit, um die Begnadigung eines Verbannten 
zu erhalten. ?) 


So hat, feit dev Mitte des V. Yahrhunderts, das 


Mönchthum, aus ver Thebais hervorgehend, alle Provinzen 


des römischen Neiches eine um die andere in Befit genont- 
men, und hat feine Vorpoften an alle feine Grenzen vor- 


) Ddvaler war der Sohn des Schyren-Fürften Edico. Der 
fühne Süngling zog nach feines Vaters Tode, zwifchen 465 und 470 
nach Stalien, im welche Jahre alfo die Begegnung mit dem heiligen 
Severin fällt. (Anmerkung des Ueberjeßers). 

?), Dum se, ne humile tectum cellule suo vertice contingeret, 
inclinaret . . . Vade ad Italiam, vilissimis nune pellibus cooper- 
tus, sed multis eito plurima largiturus ... Familiares litteras 
dirigens ... memor illius presagii ... Ambrogium quemdam 
exulantem rogat absolvi. Vit. 8. Severini, p. 494. Cfr. eo, 
Ursprung und Werden des deutſchen Volkes und Reiches, 
I, p. 320. 


> 


269 


gefhoben um dafelbft die Barbaren zu erwarten und zu 
gewinnen. 

Man kann ſchon jet ermeffen, welch unberechenbare 
Dienfte das Inſtitut der Kirche geleiftet, welch eine neue 
und nothwendige Kraft es der hinfülligen Geſellſchaft, zwi— 
chen der rächenden eiſernen Umarmung der Germanen und 
dem vwerächtlichen Dahinfiechen des abfterbenden Cäfarisinus, 
geliehen hat. 

Die Mönche waren feitdem, nächft dem Papſtthum, 
das unmittelbare Werkzeug des Heiles und der Ehre der 
Kirche. Sie ermöglichten ihr die Entwicelung dev über- 
natürlichen Niefenkraft gegen das eingewurzelte Heidenthum 
der alten Welt, und gegen die reißende Strömung der nor— 
difchen Verwüfter. Sogar die Zeitgenoffen hatten davon — 
Ihon eine Ahnung. Niemand beftreitet das gewichtige 
Zeugniß des Priefters Rufinus, der nicht ſelbſt Mönch 
war, aber die Mönche im mehrjährigen Umgange genau 
fennen gelernt hatte, wenn er jagt: „Es iſt unzweifelhaft, 
dag die Welt, ohne diefe demüthigen Büßer, nicht bejtehen 
würde 9.“ 

Kings um fie her war Alles darauf bevechnet, Schres Dienite, von 
den und Verzweiflung zu verbreiten. Einerſeits erfüllten d — 
die wilden Horden aus hundert verſchiedenen feindlichen Geſellſchaft 
Völkerſchaften ganz Gallien, Italien, Spanien, Illhrien, a 
Afrifa, alle Provinzen des Neiches der Neihe nach, Mit rung gereiftet. 
Blut und Entjegen, und nach Alarich, nach Geiferich, nach 
Attila, ward das gegründete VBorgefühl eines nahen Falles 
von Kom und einer unwiderbringlichen Auflöfung des Rei— 
ches von Tag zu Tag in aller Herzen ftärfer. Anderer 


') Ut dubitari non debeat ipsorum meritis adhue stare mun- 
dum, Ruffini, Prolog. in Vit. Patr. lib. 1. 


266 


ſeits zerriffen der Arianismus mit feiner umerbittlichen und 
folgenfchweren Hartnäcigfeit, und viele andere Yrrlehren 
neben ihm, die vaftlos eine auf die andere folgten, die 
Kirche immer mehr, verwirrten die Gewiſſen und fteigerten 
ven Glauben an einen allgemeinen Zufammenfturz. Als 
die Gerichte Gottes, in den erjten Jahren des V. Jahr— 
hunderts hereinbrachen, verliert alle Welt den Kopf. Die 
Einen ftürzen ſich befinnungslos in alle Lafter und Wollüſte 
um viehifcherweife die letten Genüffe bis auf die Hefen zu 
erfchöpfen; die Anderen fallen in unheilbare Schwermuth. 

Einzig nur die ernften Yiebhaber der Einöde, die Män- 
ner der Buße, der Selbftaufopferung, der freiwilligen Ab- 
tödtung erhalten in fich den Lebensmuth, die Hoffnung, bie 
Widerftandsfraft, und wiſſen fich aufrecht zu halten. Die- 
jenigen, welche dem Sloftergeifte den Vorwurf machen, 
derſelbe entnerve ven Menfchen, erniedrige ihn und fchlä- 
fere ihn ein, braucht man einfach auf das zu verweilen, 
was die Mönche in dieſen Sahrhunderten der Troftlofigfeit 
und Verzweiflung gewefen find. Sie allein zeigten fich auf 
der Höhe aller Anforderungen der Zeit, und erhaben über 
alle ihre Schreden. Niemals ift der menfchliche Muth 
durchgreifender erprobt worden, als bei den Mönchen, nie 
mals hat verfelbe mehr Hilfsmittel entwicelt und größere 
Ausdauer gezeigt, als bei ihnen, niemals ift er männlicher 
und umerjchütterlich fefter gefehen worden. 

Sie fetten den auf einander folgenden Fluthen bar- 
barischer Völferwogen einen unüberfteiglihen Damm von 
Tugend, von Mannesmuth, von Geduld und Genie ent- 
gegen; und als jeder materielle Widerftand unmöglich und 
unnütz geworden war, fand fich, daß fie unterdeß für alle 
Keime der Bildung und der Zufunft ſchützende Stätten ge- 
Ihaffen hatten, in denen diejelben geborgen waren, jelbjt dann, 


a. 


267 


als die Völferfluth über fie hinging. Im diefer Sündfluth, 
in der das römische Europa und die alte Welt vernichtet 
ward, wußten fie ſich auf der reinen, geiftigen Yebenshöhe 
zu halten, wo fie die höchſte Fluth überragten und das 
Chaos beherrfehten, und von wo durch fie neues Leben auf 
eine neue Welt herabkam. 

Diefer hohe Muth war bei ihnen nur von einer noch 
höheren Liebe übertroffen, durch ein zartes und unerfchöpftes 
Mitleiven bei aller Art von Elend, das fich über ihrer 
Gegenwart zufammenhänfte. Sie liebten mit Yeivenfchaft den 
Nächiten, weil fie iiber alles Andere und mehr als fich felbft 
Gott liebten. Das Geheimniß diefer Liebe und dieſer über- 
natürlichen Kraft fchöpften fie im chriftlichen Aufopferungs- 
geifte, in der freiwilligen Buße für eigene und fremde Ver— 
Ihuldung. Sie fchufen, indem fie die Armuth, die Keufch- 
heit, den Gehorfam, diefe drei ewigen Grundpfeiler des 
Mönchthums, den Schwelgereien des Reichthums, der Lüfte 
und des Hochmuths entgegenfetten, zu gleicher Zeit einen 
wirffamen Contraft und ein Heilmittel. Sie wurden, in- 
dem fie aus Abtödtungsgeift allem fonft Erlaubten, dem 
ehelichen Yeben, dem Eigenthume, der freien Verfügung über 
Zeit und Yeben entfagten, die Vormünder, die Erretter aller 
Derjenigen, die mit Necht am Befite diefer legitimen Le— 
bensgüter fejthielten, die fie in einer im fich ſelbſt zufam- 
menbrechenden Gefellfchaft unausweichlichen Inſulten aus— 
geſetzt fahen. 

Man darf fich aber feine irrige Meinung über fie 
bilden. Nie haben fie fich beigehen laſſen, zu verlangen, 
daß Diefe ausnahmsweife Lebensform allgemeine Negel 
werden folle. Sie wußten, viefelbe fünne nur das Vor— 
recht einzelner, befonders berufener, tiefer in das göttliche 
Erlöfungswerf eingetauchter Seelen fein. Mit nichten 


268 


wollten fie Allen die ewangelifchen Räthe als VBorfchriften 
aufbürden. Sie blieben jener Auslegung der heiligen Tex— 
tesworte getreu, die in ver Kirche, ſeit den Zeiten ver 
erſten Päpfte bis auf unfere Tage unwandelbar viefelbe 
geblieben ift. Ihre Oberen und Führer wußten immer 
den Uebertreibungen des ungeregelten Eifers der Gnojtifer 
und Anderer, welche Alle zu dem hätten verpflichten wollen, 
was mr Einzelnen gegeben ift, fejten Wiverftand entgegen 
zu ſetzen. Einzelne Züge, Yebenserfcheinungen einzelner 
Perfönlichkeiten, laſſen fich allerdings anführen, welche wie 
Uebertreibung ausſehen; aber es giebt eine Art won Ueber: 
treibung, die unzertrennlich ift won der, Kraft, von der Yes 
bensfülle, von allen tiefen Seelenbewegungen, und die nur 
das Vorhandenfein einer lebensvollen und lebenbringenden 
Strömung andentet. Im Grunde, im Großen und Ganzen 
blieben fie, vor aller ungeregelten Eraltation gefchüßt, feſt 
und innig mit der apoftolifchen Weberlieferung und ver 
unfehlbaren Weisheit der Kirche verbunden. Ihre Richt: 
ung ging nie, wie man fie deſſen wohl bezüchtigt hat, das 
bin, die ganze Welt zur einem Klofter zu machen: fie wollten 
nur außerhalb des Bereiches der Stürme, die die Welt 
bewegen, und neben der zeitweiligen Unkraft verfelben, 
einen über die Welt erhabenen, geficherten Yebensherd, eine 
Zufluchtsftätte und eine Schule des Friedens und der Kraft 
begründen und bewahren. 

Daher kam es, daß ihr Einwirken auf die Welt gleich 
von Anfang an jo mächtig war. Meochten fie die Menfchen 
noch jo ſehr fliehen, die Menfchen wußten fie in ihren 
Zufluchtsftätten doch zu finden. Alles, was in der damali- 
gen entarteten Gefellfchaft noch Herz, noch Seelenadel, 
noch vorſchauenden Geiſtesblick hatte, ſchloß fich feſt rings 
um die Mönche an, als fünnten fie nur fo dem allgemeinen 


269 


Verderben entrinnen. Ihr Geiſt wehete aus den fernen 
Wiften her, über die Städte, die Schulen, die Paläfte 
hin, um darin einige Funfen von Kraft und Geift anzu— 
fachen. Die beftürzten Völker fuchten fie auf, hörten fie 
an, bewunderten fie, obwohl fie diefelben wenig begriffen 
und noch viel weniger nachahmten. Aber fchon ihr bloßes 
Dafein war die fräftigfte Proteftation gegen den heidniſchen 
Meaterialismus, der ſich am Ende aller Seelen bemächtigt, 
und die ganze gefellfchaftliche Berfaffung der alten Welt in 
ihren Grundlagen unterwühlt und zerfveffen hatte. Sie 
riefen im Menſchen alle geiftigen und fittlichen Kräfte wie- 
der wach, die ihm in feinem Kampfe gegen den unerhörten 
Sammer der Zeit helfen fonnten. Sie lehrten ihn eine 
heilfame Rückwirkung üben gegen jene Herrfchaft des Flei— 
ſches, die jett, unter dem Joche der Barbaren fo fchwer 
gebüßt werden follte. Ste zeigten ihm zu gleicher Zeit 
den Weg zum Himmel und den Weg für feine möifche Zu- 
funft, den einzig möglichen Weg für Völker, die feit Yangem 
ein in Sraftlofigfeit hinfiechendes Dafein geführt haben : 
die Wiedergeburt durch freiwillig angenommtenes und muthig 
ertragenes Yeiden. 

Sie befchränften fich nicht auf Gebet und Bußübung, 
fie vedeten, fie fehrieben, fie handelten auch, und ihre männ- 
liche Geiftesfraft, ihre junge und frifche Begeifterung be- 
wahrte die neue chriftliche Gefellfchaft vor der Gefahr, bei 
ihren erften Schritten durch die traditionelle Literatur und 
Politif wieder ımter das Hoch des erfchöpften Heidenthums 
zurüczufallen, Die Väter, die in der Schule des Flöfter- 
lichen Lebens gebildet worden waren, verhinderten die öffent- 
liche Geiftesrichtung in dieſen Uebergangszeiten, fich neuer— 
dings von den zierlichen aber Inabenhaften und werfpäteten 
Schöngeiftern beherrfchen und ausbenten zu lafjen, die von 


270 


dem Wiederaufbaue einer Societät träumten, die zu Vor- 
bildern heidnifche Literaten, wie Aufonius oder Symmachus, 
und zu Häuptern abtrünnige oder artanifche Kaifer, wie 
Sultan und Valens, gehabt hätte. 

In Mitten der vom imperaliftifchen Joche herabge- 
rückten, entarteten Bevölkerung waren die Mönche die Re- 
präfentanten der Freiheit und der Würde, der Thätigfeit 
und der Arbeit. Es waren vor Allem freie Männer, welche, 
nachdem fie fich ihrer Güter entäußert, nicht jo faft von 
Almofen als von ihrer Hände Arbeit lebten, und jo die 
härteften Feldarbeiten in den Augen der jo gänzlich aus 
der Art geichlagenen Nömerwelt wiederum adelten, wo der 
Ackerbau faſt ausschlieglich das Loos der Sklaven geworden 
wart). Einzig fie erinnerten die Welt noch an die jchönen 
Tage eines Lincinnatus, des vom Pfluge hergeholten 
Diftators. | 

Es ift gezeigt, wie Auguftin die verwerfliche Thorheit 
Derjenigen ftrafte, welche ein frommes Nichtsthun an die 
Stelle der Thätigfeit jegen gewollt, von der die erjten Vä— 
ter der Wüſte fo hohe Beifpiele gegeben hatten, und vie 
von allen Mönchen mit eimem nicht zu ermüdenden Eifer 
fortgefetst wınde. Danf ihrer Thätigfeit und troß der Ver- 
wüftungen der Barbaren und der Sorglofigfeit der Römer 
bewahrten die bis dahin fruchtbarften und am früheſten Ful- 
tivirten Yänder der Welt, wie Aegypten, Italien, Afrika noch 
einige Nefte ihrer alten Produftionskraft, bis die Mönche 
hingehen fünnen, um ganz neue Gegenden für die Kultur 
zu gewinnen, die bis dahin völlig unzugänglich für diefelbe 
gewefen waren. 

Aber die Kirche verlangte fie noch dringender als die 


') Cfr. Michelet, ist. de France, t. I, liv. I, e. 3. 


271 
Welt, Urfprünglich und ungeachtet der Tonfur, die fie von Sie find noch 


den Paten unterfchied, gehörten die Mönche nicht zum Kle— en 
rus, wurden in feinerlet Weife zur Geiftlichfeit gerechnet. rus gehörig 
Der heilige Hieronhmus zeigt in vielen Stellen feiner Schrif- ketradhtet— 
ten, daß die Mönche, gleich den anderen Laien, nicht nur 
gegen die Priefter, fondern auch gegen einfache Klerifer un— 
terwürfig und ehrerbietig fein follen. Sie bildeten dem— 
nach eine Art Mittelftufe zwifchen dem Klerus und den 
Gläubigen, eine gewaltige Reſerve Friegsgeübter Chriften '). 
Der Weltflerus mußte in ihnen ein Ideal erbliden, das 
nicht einem Jeden felbft zu verwirklichen gegeben ift, aber 
dejjen bloße Gegenwart fehon ein Zügel war gegen die Er- 
ſchlaffung der Diener des Altars?). Deshalb fehen wir 


) In einer Stelle in der Lebenshefchreibung des heiligen Ba- 
ſilius tritt diefe Unterfcheidung zwifchen Klerus und Mönchen fcharf 
berwor: Mane facto, convocato tam venerabili elero, guam mo- 
nasteriis et omni Christo amabili populo, dixit eis ete. Am- 
philochii Epise. Iconii, Vit. S. Basilüt, ce. 8 ap. Rosweyde. 

) Möhler, Gefhichte des Mönchthums u, f. w. ©. 217: 
„Der Sinn des mitten in die Welt hineingeworfenen Geijtlichen wird 
auf eine leicht begreifliche Weife leicht abgeftumpft; er ift in beſtim— 
mende Verhältniffe verſetzt, die, weil fie Vieles wirklich entfehuldigen, 
nicht jelten Alles entſchuldigen ſollen, fo daß die Schwierigfeit, fei- 
nem Amte in gegebenen Fällen zu genügen, in die Borftellung der 
Unmodglichfeit übergeht und alle Begeifterung verfchwindet, an dere 
Stelle ſodann Gleichgültigkeit, Kälte und Lähmung aller Kräfte tritt, 
Männer, die dem Klerus einerſeits angehören, aber doch nicht in der 
Welt wirfen und darımı als feine ideelle Seite zu betrachten find, er- 
ſcheinen daher wünſchenswerth. Männer, die felbft unbeſchädigt von 
den Einflüffen der Welt, leicht von den vorhandenen Mißftänden in 
tiefiter Bruft ergriffen und bei der Erwägung der gemeinen Wirklich- 
feit im Innerften beunruhigt werden, die Alles rein und rückſichtslos 
aus dem Standpunkte der Idee betrachten und unaufhörlich die Ver— 
wirklichung derfelben fordern, Hiebei ift noch gar nicht beachtet, daß 


er 


fie auch in der Abgefchloffeneit ihrer Einöden, in Nitrien 
wie in Lerin, ſich thätig an allen großen Controversfragen 
betheiligen, die in die Gefchichte des IV. und V. Jahrhun— 
dertS joviel Yeben und Bewegung bringen. Sie ftehen in 
den Kämpferreihen der Nechtgläubigen immer voran, Ver— 
geblich hatten ihre erſten Gründer zu verhindern gefucht, 
daß fie zu den Firchlichen Aemtern !) oder auch nur einfach 
zur priefterlichen Würde befördert würden. Sie werden 
Ihon in den erjten Zeiten mit Gewalt aus ihrer VBerbor- 
genheit hervorgeholt, um durch allgemeinen Volkswunſch 
oder wohlbegründete Wahl Ffirchlicher Oberhirten, wie Atha- 
naſius, zu Prieftern und Bifchöfen geweiht zu werden. 
Bald wächſt die Zahl der Priefter in ihren Reihen, aus 
denen die größten Biſchöfe der Chriftenheit, Baſilius, Chry- 
— ſoſtomus, Auguſtin, Martin von Tours hervorgehen. Es 
henväter und It bisher nicht genugſam beachtet worden, daß die Väter 
Doltoren aus der Kirche, die großen Kirchenlehrer dieſer erſten Zeit alle 


ihren Reiben 


hervor, oder fast alle dem Mönchthum angehören. Mit Ausnahme 


ſchwere Uebel, die nicht blos in der Schwäche des Menfchen, fondern 
in der Verkehrtheit defjelben ihren Grund haben, jelbft in den hö— 
heren Kreis der Hierarchie eindringen fünnen, und darum feine Be- 
gegnung aus feiner Mitte herausfinden, weil fie in demfelben viel— 
leicht Viele oder die Meiften ergriffen haben. Die Sittenrichter müſ— 
jen in dieſem Falle nicht blos mächtig jein durch eine verehrte Per- 
jönfichkeit, fondern durch ihren Stand, von deffen Anjehen und Be- 
deutung fie unverletlich getragen werden. Dieje fittenrichtende Stel- 
lung in der Kirche nahın nun das Mönchthbum ein. Schon in dem 
Dajein der Mönche an fih war dem unwinrdigern Theile des Klerus 
ein Gerichtshof aufgeftellt, deffen Urtbeile, wenn auch ftumm, be- 
ftändig gegen ihn gefällt wırden ; denn die eine Geſellſchaft Regier— 
enden dürfen fich von feinem andern Theile derjelben, wer e8 auch 
fei, an Tugenden übertreffen laſſen.“ 

') Der heilige Pachomius verbietet e8 in feiner Regel fürmlich, 


273 


des heiligen Hilarins von Poitiers, des heiligen Ambrofius 
und des heiligen Yeo des Großen waren alle anderen Vä— 
tev und alle anderen Kirchenlehrer Mönche oder in Klöftern 
gebildet. Wir haben bereits die vier großen Väter und 
Lehrer der morgenländifchen Kirche, Athanafius, Baſilius, 
Chryſoſtomus und Gregor von Nazianz genannt; umd in 
der Kirche des Abendlandes den heiligen Hieronymus, den 
heiligen Auguſtin, ven heiligen Fulgentius, Sulpiz Sever, 
Vinzenz von Perin, Johann Kaffian, Salvian, den heiligen 
Cäſarius von Arles, und werden bald den heiligen Gregor 
den Großen zu nennen haben. Keine Piteratur der Welt 
bietet dev Bewunderung der Menfchen größere Namen als 
diefe. Ihre Werfe find und bleiben die Nüftfammer ver 
Theologie; fie haben auf die Entwicelung des Dogma, auf 
die ganze Urgefchichte unfers heiligen Glaubens einen be- 
jtimmenden Einfluß ausgeübt. Dies allein wirde genügen, 
um dem Mönchthun, das fie hervorgebracht hat, eine glor— 
reiche Stelle in den Yahrbüchern der Kirche und der Welt 
zu ſichern. Aber es follte dabei nicht bleiben. Seine Auf- 
gabe begann jett erſt vecht, und während der nächjtfolgenden 
taufend Jahre bleibt ihm feiner der großen Namen fremd, 
welche die Kirche vwerberrlichen; während taufend Jahren 
jteht e8 obenan auf allen großen Blättern der Gefchichte. 

In der Zeit jedoch, won der hier die Nede ift, find fie 
nicht etwa nur die Erften unter den Großen, fie find allein 
die Großen, allein die Starken. Kurz, unter einer Negierung, 
die das Uebermaaß ver Unfittlichfeit mit dem Uebermaaße 
von Knechtſchaft verbindet, in der politifchen Nichtswürdig- 
feit und focialen Abgelebtheit von damals erjcheinen nur fie 
würdevoll, nur jie vein, nur fie unerfchrocen, nur fie find 
Redner, nur fie find Schriftfteller, nur fie find Männer: 


fie allein ftehen aufrecht da, während alles Andere im 
dv. Montalembert, d. Mönde d. A. T. 18 


274 


Staube liegt. So fchreiten fie zwifchen dieſen unermeßlich 
großen Ueberreften gefnechteter Bölfer hin und gehen ruhigen 
fihern Schrittes vorwärts in der Eroberung der Zufunft. 

. In diefer neuen Welt, die jet zu tagen begann, er— 

Stelle der Seßen fie zwei merkwürdige Phänomene der alten, nämlich 

a die Sklaven und die Martyrer: die Sklaven durch ihre un- 
ermüpdliche Thätigfeit und ihre umbegreifliche Geduld ; vie 
Martyrer durch die lebendige Ueberlieferung gänzlicher Hin- 
gabe und des Geiftes der Aufopferung. Der lange Kampf, 
in welchen das römische Neich befiegt worden war, ohne 
erneuert und umgebildet werden zu können, ſetzt jich alſo 
fort unter anderen Namen und unter anderen Formen, aber 
mit dem gleichen Heldenmuthe und mit dem gleichen Er- 
folge. Jener unbefannte Gefchichtichreiber fühlte die glor- 
reiche Fortfeßung dieſes Geiftes inftinftartig, wenn er die 
Biographie eines gallo-römiſchen Mönches des VI. Yahr- 
hunderts mit den Worten beginnt: „Nah den ruhmvollen 
Kämpfen der Marthrer preifen wir nunmehr die Verdienfte 
der Befenner; denn auch fie haben gejiegt, auch fie haben 
einzig für Chriftus gelebt, und Sterben war ihnen Gewinn; 
auch fie find die Erben des himmliſchen Jeruſalems ge— 
worden... . Und fiehe, aller Orten erglänzen die Heerlager 
der Streiter Chriſti; überall erhöhet der König der Ehren 
die Namen und verfündet ven Ruhm jener jtarfen und zahl- 
reichen Kämpfer, deren Staub noch im Tode über den Feind 
des Meenfchengefchlechtes triumphirt” '). 


') Post gloriosos igitur agones martyrum, præclara recoli- 
mus confessorum merita... Ecce autem undique resplendens 
castra militum Christi: ubique rex ille singulares titulos marty- 
rum et confessorum suorum defixit, per quorum etiam exani- 
matos cineres de hoste humani generis triamphat... inter nu- 


275 


Hüten wir uns jedoch vor einer blinden Begeifterung, 
vor einer partheiifchen Bewunderung ; weder die Schatten 
fehlten in diefem Gemälde, noch die Flecken in diefem Lichte. 
Weder aller Orten noch jeder Zeit waren die Mönche un- 
tadelig. Aus allen gleichzeitigen fchriftlichen Denfmälern 
geht hervor, daß fich eine beträchtliche Anzahl won Solchen 
unter fie mifchte, die nichts weniger als vom Geifte und ver 
reinen Idee des Mönchthums dazu beftimmt wurde ; von 
Jenen gar nicht zu reden, welche ſich aus Beweggründen, 
die dieſer Idee völlig fremd find: um der Sflaverei, der 
Noth und Armuth zu entgehen, over durch andere Äußere 
Berhältniffe getrieben, vein äußerlich dem Inſtitute an- 
Ichloffen. Es muß alfo zugegeben werden, daß felbft in 
diefem Zeitraume feiner fraftvollen und herrlichen Jugend— 
zeit, Unordnungen und Mißbräuche in ven Klöftern vorhan— 
den waren. Aber auch ſchon damals wurden vdiefelben von 
ven beventendften Mönchen oder Yobrednern des Inftitutes 
jelbft, vom heiligen Hieronymus, vom heiligen Sohannes 
Chryſoſtomus, vom heiligen Auguftin ſchonungslos enthüllt, 
befeitigt und gebrandmarkt. Der größte und bevenflichite 
dieſer Mißbräuche, ver zugleich der Grundidee des Inſti— 
tutes am meiften wiverftrebte, der aber dennoch, ungeachtet 
der ftvengen Dekrete des Concils von Chalcedo !), fich am 
rafcheften zu verbreiten drohte, war der Drang nach Ber- 
änderung und Bewegung, der die Mönche haufenweife auf 
die Heerſtraßen des Yandes und die öffentlichen Pläte der 
Städte hinaustrieb, wo fie mit Geräufch allerhand unge- 
wohnte, Auffehen erregende Dinge trieben. Unter dem Na- 


merosa agmina athletarum. . Prolog. Vit. S. Launomart, ap. 
Act. SS. 0. 8. B. t. C., p. 339. 
') Siehe weiter oben Seite 132, 
19° 


Mißbräuche 
und Unord— 
nungen. 


Eyrovagen. 


* 


Sarabaiten. 


276 


men Meſſalianer oder Gyrovagen brachten ſie ihr Leben 
hin mit Umherziehen von Provinz zu Provinz, von Zelle 
zu Zelle, höchſtens drei oder vier Tage am gleichen Orte 
verweilend, von Almoſen lebend, die ſie den Gläubigen, 
welchen ſie öfter noch durch ſchlechte Aufführung Aergerniß ga— 
ben, abgenöthigt hatten, immer unſtät, nie beharrlich, den ei— 
genen Gelüſten und dem Gaumen fröhnend; kurz, die nach 
dem Zeugniſſe des größten aller Mönche, eine ſo elende Le— 
bensweiſe führten, daß es beſſer war von ihnen zu ſchwei— 
gen als zu reden !). 

Anderswo zeigten fich Solche, die man in ägyptiſcher 
Sprache Sarabaiten nannte, und welche nach eben dem 
Zeugniſſe defjelben DOrdenspatriarchen, deſſen Fräftige Gefete 
fie für immer vertreiben follten, die Weltförmigfeit wieder 
in die Kloſterzelle einfchleppten, in ihrem Weſen „weich wie 
Blei und nicht wie Gold im Glühofen bewährt." Sie 
lebten ihrer zwei oder drei beiſammen oder auch einzeln, 
hirtenlos, nicht in des Herrn Hürde, ſondern in ihren ei- 
genen Ställen; als Gefet galt ihnen die Wolluſt ihrer Be— 
gierden, indem fie, was Laune oder Willfür ihnen eingab, 
heilig nannten, und was fie nicht wollten, für unerlaubt 
ausgaben ?). 


') Tota vita sua per diversas provincias ternis aut quaternis 
diebus per diversorum cellas hospitantur, semper vagi, nunquam 
stabiles, et propriis voluptatibus et gulæ illecebris servientes, et 
per omnia deteriores Sarabaitis: de quorum omnium miserrima 
conversatione melius est silere quam loqui. Key. 8. Bene- 
dieti, e. 1. 

2) Monachorum deterrimum genus est Sarabaitarum, qui nulla 
regula approbati, experientia magistra, sieut aurum fornaeis, sed 
in plumbi natura molliti, adhue operibus servantes seculo fidem... 
non Dominieis, sed suis inclusi ovilibus, pro lege eis est desi- 
deriorum voluptas. Jbid. 


277 

Alte dieſe unwürdigen Mönche, „die Gott mit ihrer Sielheit und 
Zonfur belügen wollten )Y,“ fanden in dem Mangel einer ——— 
gemeingültigen Regel, einer won der Kirche anbefohlenen gen. 
oder gutgeheigenen Geſetzgebung einen Anlaß zu ihrem her— 
umfchweifenden oder vegellofen Yeben, 

Die meiften unter den hervorragenden Vätern des klö— 
jterlichen Lebens hatten, feit des heiligen Pachomius Zeiten, 
unter dem Namen Negel, Vorfchriften und Konftitutionen 
zum Gebrauche ihrer unmittelbaren Schüler niedergefchrie- 
ben ; aber feines von allen diefen Werfen hatte ein ausge: 
dehntes und dauerhaftes Anfehen erlangt?). Im Oriente 
hatte wohl die Negel des heiligen Bafilius in einer Menge 
von Klöſtern Aufnahme gefunden, dennoch aber fand Kaf- 
jan, als er Aegypten, Paläſtina und Meefopotamien be— 
juchte, in jenen Yändern fat eben fo viele Kegeln als Klö— 
jter?). Im Abendlande war die Verfehiedenheit noch viel 
jeltfjamer ; Jeder machte fich feine Kegel und feine Dis— 
ciplin jelbjt, wobei man fich auf die Autorität der Schriften 
und Beifpiele der Väter des Morgenlandes berieft). Die 
Gallier infonderheit fträubten fich gegen die allzu große 
Strenge des Faftens und Abbruches an Speife und Tran, 
was, wie jie fagten, dem heißen Klima Aegyptens und Sy— 
riens angemefjen fein mochte, aber für die gallifanifche 


') Mentiri Deo per tonsuram noscuntur. Reg. S. Dene- 
dieti, e. I. 

?) Wer über diefe verfrüheten und örtlich beſchränkten Anftvengun- 
gen Belehrungen jucht, findet diejelben tn den Disquisitiones monastic® 
des P. Haeften, lib. I, tract. 3, 4 et 5. Antwerpen 1655 in fol. 

°») Tot propemodum typos ac regulas usurpatas vidimus, 
quot monasteria cellasque conspeximus. Cassian., Institut. 
Ic. 

) Siehe oben das Beifpiel des heiligen Johann, Gründers von 
Reome, Seite 242, Anmerkung 2. 


Tas Kloſter— 
Inftitut war 
nicht geregelt. 


278 


Schwachheit!), wie man es damals fchon nannte, uner= 
träglich ſei; und felbft in der Frifche des urſprünglichen 
Eifers der Klöfter im Jura hatten diefe doch ihren Oberen 
nothwendige Meilderungen abgedrungen. Hiev war e8 der 
unbeftändige Wille des Abtes, dort eine fchriftliche Anleit- 
ung, andermwärts die Ueberlieferungen dev Väter, wonach 
die Flöfterliche Yebensordnung beftimmt wurde. Im einigen 
Klöftern waren zu gleicher Zeit werfchievdene Regeln in Anz 
wendung, je nach Luft und Neigung des Bewohners einer 
jeden Zelle, und man wechjelte damit nach Zeit und Um: 
jtänden. Es ward, nach eines Jeden Belieben, von äu— 
ßerſter Strenge zur Schlaffheit dev Diseiplin, und umge 
fehrt, willkürlich übergegangen?). Unficherheit und Unbe- 
ſtand war überall. 

Es war ſonach eigentlich auch eine Verwechſelung der 
Zeiten, ein Anachronismus, wenn wir im Bisherigen, in 
Anbequemung an den Sprachgebrauch der damaligen Schrift- 
jtellev, von dem veligiöfen Orden, vom Mönchthum 
als Gefammtbegriff gefprochen haben. Eine geregelte Co— 
ordinirung war gerade dasjenige, was dem flöfterlichen Le— 
ben damaliger Zeit am meiften fehlte. Mönche gab es 
ohne Zahl, und unter ihnen der Heiligen und Ansgezeich- 
neten viele; aber in Wirflichfeit war das Mönchthum 


') Ista pro qualitate loei et instantia laboris invieta, potius 
quam Orientalium perficere affeetamus, quia procul dubio effi- 
cacius he faciliusque natura vel infirmitas exequitur infirmitas 
gallicana. Vit. S. Eugend., n. 24. Bgl. das oben Seite 222 
Erzählte, iiber die Einreden, welche die gallifhen Mönche des Sulpiz 
Sever gegen die von ihm eingeführten Faften erhoben. 

?) Mabillon, Pref. in sec. I. Benediet. Haeften, loc. 
eit.; Dom Pitra, Histoire de S.-Leger, introduct. p. LV. 


279 


als Einheit, der Ordo monastieus, noch gar nicht vor— 
handen !). 

Selbft dort, wo die Negel des heiligen Bafılius den 
nöthigen Beſtand und genugfame Autorität erlangt hatte, 
nämlich in einem bedeutenden Theile des Morgenlandes, 
fehlte ihr die Gabe der Fruchtbarkeit. Schon damals 
fonnte man den eigenthümlichen Charafter der morgenlän— 
diſchen Inftitute und Kirchen erfennen, die nach einem evften 
Aufſchwunge bleiben, ohne Früchte zu bringen, und Jahr— 
hunderte lang fo fortdauern; folchen im Schatten ftehenven 
Bäumen vergleichbar, die Wurzeln haben, aber feine Früchte 
tragen und in's Unbeftimmte fo fortvegetiven, ohne zu 
wachjen und fich auszubreiten. 

Auch im Abendlande fchien das Kloſter-Inſtitut gegen 
Ende des V. Jahrhunderts von der Erftarrung und Un- 
fruchtbarfeit des Drients befallen. Nach dent heiligen Hie- 
ronymus, gejtorben im Jahre 420, und dem heiligen Au— 
guſtin, 430, nach den Vätern von Yerin, deren Glanz gegen 
450 erbleicht, tritt wie eine Art von BVBerfinfterung eit. 
Nur Condat glänzt noch won der Höhe feines Jura bis in 
die erjten Jahre des VI. Jahrhunderts; aber man fieht 
nicht mehr, wie ehemals, hervorragende Mönche in den 
erſten Neihen der Polemik und bei der Entfaltung chrijt- 
licher Yebensverhältniffe in eminenter Weife betheiligt. Meit 
Ausnahme von Irland und in Gallien, wo in den meiften 
Provinzen fich einige nene Klöfter erheben, fieht man einen 
allgemeinen Stillfftand im der Berbreitung des Inſtitutes, 
ſei es nun, daß der endliche Sieg der germanifchen Ein- 
wanderungen eine Zeit lang die Bemühungen des Eifers 
erſtickk und vie Yebensquelle getrübt hatte, aus der biefe 


) Cfr. Dom Pitra, loc. eit. p. LIII. 


280 


jtegreichen Stämme bald darauf reichlich tranfen ; over fei 
es, daß fir die Schöpfungen des chriftlichen Geiftes, gleich- 
wie für die Kräfte der Natur Zwifchenräume von anfchei- 
nender Unthätigfeit nothwendig find, um fich auf die ent- 
cheidenden Wendungen ihrer Gefchiefe vorzubereiten, 

Wenn diefe VBerfinfterung fortgedauert hätte, fo wäre 
die Gefchichte dev Mönche des Abendlandes, wie diejenige 
der Mönche des Drients, ftatt des längſten und angefüll- 
tejten, nur ein fublimes aber abgefürztes Blatt in "den 
Jahrbüchern der Kirche gewefen. 

Den ſollte nicht fo fein: aber es mangelte dem Mönch— 
thume, um erfüllen zu Finnen, was es der Kirche und der 
jungen chriftlichen Gefellfchaft werheigen hatte, zu Anfang 
des VI. Jahrhunderts ein neuer fräftiger Impuls, der die 
vielen vorhandenen, aber zerftreuten, unregelmäßigen und 
intermittivenden Kräfte in einen fejten Punkt zufammenge- 
faßt und disciplinivt hätte; es fehlte an einer einheitlichen 
und allgemeingültigen Kegel; es bedurfte eines Geſetzge— 
bers, der aus der ſchönen, frucht- und ruhmreichen Bergan- 
genheit jchöpfte, und von ihr begeiftert, die Zufunft in’s 
Auge faßte und fie beherrfchend bejtimmte. Gott forgte für 
das was Noth that, und erwecte ven heiligen Benedikt. 


Ende des erſten Bandes. 


Inhalts-Perzeichniß, 


Widmung. 
Vorwort. 


Einleitung. 


Erftes Kapitel. — Entftehung diefes Werkes 

Zweites Kapitel. — Grundcharakter der Föfterlichen 
Inſtitute 

Drittes Kapitel. — Weber das eraenftihe Weſen 
der Berufungen zum klöſterlichen Leben 

Viertes Kapitel. — Die von den Mönchen der Chri— 
ſtenheit geleiſteten Dienſte 

Fünftes Kapitel. — Das Lebenoglück im ofter 

Sechſtes Kapitel. — Beſchwerden gegen die Mönche. 
— Der Keichthum der Klöfter 

Stiebentes Kapitel. — Erſchlaffung und Zerfall. 

Achtes Kapitel, — Der Ruin 

Neuntes Kapitel, — Das wahre und bas falſche 
Mittelalter — 

Zehntes Kapitel. — Ueber das Schidſal bieſes 
Werkes 


Seite 


III 


XI 


XIX 


XXX 


LIII 
LXXX 


CXXIX 
CXLV 
CXXXVII 
CCXVII 


CCLV 


282 


Erſtes Bud. 
Das römische Neih nach dem Frieden der Kirche. 


Wachſender Zerfall des Reiches nah Konjtantin S. 1. — Schwierige 
Lage der Kirche 6. — Verderbniß des hriftlihen Volkes 7. — Einwirkung 
der Faijerlichen Gewalt auf die Kirche 9. — Die Kaijer werden Verfolger 
9. — Irrgläubige Theologen 12. — Die bürgerliche Gejellichaft, dem 
Namen nach chriftlich, bleibt dem Heidenthume in feiner ſchlimmſten 


Gejtalt unterworfen 13. — Allgemeine Erniedrigung und Verzweif- 
fung 19. — Der Senat 21. — Sociale Ohnmacht des römiſchen 


Neiches 22. — Täuſchung bezüglih der Gleichheit 24. — Tugend 
und Freiheit finden fih nur noch in der Kirche 25. — Es gelingt 
der Kirche nicht, Das Reich zu regeneriren 27. — Sie bedarf der 
Barbaren 28. — Was wir den Barbaren verdanken 30. — Ihre 
Laſter und Verkehrtheiten 32. — Die Mönche erſcheinen, und vereint 
mit den Barbaren ſind ſie der Kirche behülflich bei der Konſtituirung 
der Chriſtenheit 34. 


Zweites Bud. 
Die Vorläufer des Mönchthums im Morgenlande. 


Definition des Flöfterlihen Standes S. 39. — Urjprünge des 
flöjterlichen Lebens im der alten Welt und im Evangelium 41. — 
Entfaltung des flöfterlihen Lebens vor dem Frieden der Kirche. 
Martertbum der heil. Klofteriungfrau Febronia 51. — Die Mönde 
in Aegypten. Der heilige Antonius erfter Abt 59. — Der heilige 
Paulus, erfter Eremit 62. — Der heilige Pahomius, Berfaffer der 
erjten jchriftlichen Negel 63. — Die beiden Ammon 65. — Die 
Thebais und ihre zahllofe Elöfterliche Bevölkerung 68. — Die Näch— 
ftenliebe der Mönche 72. — Athanafius in der Wüfte 74. — Das 
Abendgebet in der Wüſte 78. — Mlerandra, Euphroſyna 81. — Be- 


fehrte Siünderinnen 32. — Die Tänzerin Pelagia 84. — Euphrafia 
35. — Die Mönde am Sinai und in Paläftina 89. — Der 


heilige Hilarion 89, — Die Mönche auf der Inſel Cypern 91. — 
Der heilige Epipbanius 93. — Der heilige Ephraim 95. — Simeon 
Stylites 97. — Mönde als Martyrer in Perfien 99. — Der hei— 
lige Baftlius 101. — Der heilige Gregor von Nazianz 108. — 


285 


Die Mönde in Byzanz und im ganzen Oriente 111. — Heftige 
DOppofition gegen die Mönche 112. — Arianiſche und fiskaliſche 
Berfolgungen gegen fie 114. — Der heilige Johannes Chryfoftomus, 
Lobredner der Mönche 117. — Chryfoftomus und die Mönche in 
Cäſarea 125. — Der Zerfall des Mönchthums im Morgenlande 
130. — Defrete des Conzils von Chalcedo gegen die Mönche 132. 


Drittes Buch. 
Die Vorläufer des Mönchthums im Abendlande. 


Athanaſius verbreitet das Mönchthum im Abendlande ©. 137. 
— Aglae und Bonifazius 139. — Athanaſius ſchreibt das Yeben des 
heiligen Antonius 141. — Eufebins von Vercelli 142. — Die 
Mönche der Inſeln 143. — Eintreten des römiſchen Adels in Die 
Klöfter 144. — Die Patrizierinnen im Klofter 147. — Die Gens 
Anicia. Demetrias 149. — Marcella 149. — Furia 151. — Die 
heilige Paula und ihre Familie 151. — Fabiola 154. — Marcella 
bet der Pliinderung Noms dur) die Gothen 157. — Der heilige 
Hieronymus, der geiftlihe Führer und Gejchichtichreiber der klöſterlichen 
Patrizierinnen 158. — Er rügt die Verivrungen der falfhen Mönche 
163. — Er beginnt die Sammlung der Leben der Väter der Willte 
164. — Die heilige Paula und ihre Tochter und Enkelin zu Beth- 
lehem 167. — Die beiden Melanien 172. — Oppofition in Nom 
gegen das Klofterleben 185. — Zu Karthago 184. — Bei den Ge— 
fehrten und Dichtern 185. — Der heilige Ambrofius wertheidigt die 
Mönche 187. — Seine Abhandlungen iiber die klöſterliche Jungfräu- 
lichfeit 189. — Der heilige Auguftin und feine Regel 192. — Seine 
Abhandlung Über die Arbeitspflicht dev Mönche 207. Der heilige 
Fulgentius 211. — Klöfterliche Ursprünge in Gallien 212. — Der 
heilige Martin, Bifhof von Tours 213. — Er gründet zu Liguge 
das erjte Klofter in Gallien 215. — Seine wiürdevolle Haltung am 
faiferfihen Hofe 216. — Sein Eifer gegen die werfolgungsfüchtigen 
Biſchöfe 217. — Gründung von Marmoutier 220. — Sulpiz Sever 
221. Klagen der galliichen Mönche über die ftrengen Faften 222. — 
Lerin, flöfterlihe Metropolis im Abendlande im V. Jahrhundert 
223. — Der heilige Honorat 224. — Die Gelehrten und die Heili- 
gen von Lerin 228. — Bincenz von Lerin 228. — Salvian 230. — 


284 

Der heilige Eucherius von yon 231. — Der heilige Lupus von 
Troyes 232. Der heilige Cäſarius von Arles 233. — Seine Negel 
für Kloſterfrauen 234. — Das St. BViftorsflofter zu Marſeille 236. 
— Andere galliſche Klöſter. St. German von Auxerre 241. — Reo— 
mauskloſter oder Moutier St. Jean 242. — Klöſter in der Auvergne 
244. — Gründung von Condat, nachmals St. Claudius im Jura 
248. — Die beiden Brüder Roman und Lupiein 250. — Strenge 
Lebensweife der Mönche von Condat 251. — Der heilige Eugendus 
253. — PViventiolus 254. — Agaunum 258. — Der Mönch Severin 
in den Donaugegenden 260. — Begegnung Severins mit Odoafer 
263. — Lage des Mönchthums am Ende des V. Jahrhunderts 264. 
— Dienfte, die die Mönche der chriftlichen Geſellſchaft während der 
Völkerwanderung geleiftet 265. — Sie find noch als Laien und nicht 
zum Klerus gehörig betrachtet Dr. — Dennoch geben faft alle Kir— 
chenväter und Lehrer aus ihren Reihen hervor 272. — Die Mönche 
treten an die Stelle der Sklaven und Martyrer 274. — Mißbräuche 
und Unordnungen 275. — Gyrovagen, Sarabaiten 276. — Bielbeit 
und PVerjchiedenheit der Regeln 277. — Das Klofter-Inftitut war 
nicht geregelt 278. 


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