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Full text of "Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie 17.1919"

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THE LIBRARY 



B6/6.8 

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MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND 

PSYCHIATRIE 

HKIAUSGEGEBEN VON 

M. LEWANDOWSKYf -BERLIN UND K. WILMANNS-HEIDELBERG 
/ HEFT 17 


DAS MANISCH-MELANCHOLISCHE 

IRRESEIN 

(MANISCH-DEPRESSIVES IRRESEIN KRAEPELIN) 


EINE MONOGRAPHISCHE STUDIE 

' VON 

D R - OTTO REHM 

OBERARZT DER BREMISCHEN ItAAT8IRRENANSTALT 


MIT 14 TEXTABBILDUNGEN UND 18 TAFELN 



BERLIN 

VERLAG VON JULIUS SPRINGER 
1919 








Alle Rechte, 

insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, Vorbehalten. 

Copyright 

by Julius Springer in Berlin 
1919. 








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Vorwort. 

Eb ist ©in gewagtes Unternehmen, der glänzenden Schilderung Kraepelins 
in der neuesten Auflage seines Lehrbuches eine Monographie des „manisch- 
melancholischen Irreseins“ folgen zu lassen. Doch habe ich geglaubt, auf diese 
Weise am besten eine Reihe meiner Arbeiten, die dieser Erkrankungsform 
gegolten haben, und die bisher nicht ausführlich veröffentlicht worden sind, 
im Zusammenhänge mit dem Gesamtbilde der Krankheit, wie es sich infolge 
dieser Untersuchungen ergibt, der wissenschaftlichen und praktischen Psych¬ 
iatrie übergeben zu können. 

Die Anregung zur Bearbeitung des manisch-melancholischen Irreseins 
verdanke ich Kraepelin und den Grundstock des Materials der Münchener 
Klinik. 

Die Anführung der ganzen einschlägigen Literatur habe ich unterlassen, 
und zwar in der Überzeugung, daß dies in bester Weise in der Monographie 
von Stransky vor kurzem geschehen ist. Nachsicht erfordert auch die etwas 
ungleichmäßig ausführliche Bearbeitung der einzelnen Kapitel. Es ist dies die 
Folge davon, daß nicht alle Seiten der Krankheit im Laufe der Jahre, die der 
Arbeit gewidmet wurden, gleichmäßig selbständig untersucht werden konnten; 
so sind die Gesichtspunkte, denen eigene Untersuchungen zugrunde gelegt 
wurden, besonders ausführlich erörtert worden. Möge den Lücken einige Nach¬ 
sicht zuteil werden und das Ganze der Psychiatrie nützen! 

§ Im Felde, Herbst 1918. 

^ Otto Rohm. 

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Inhalt. 

Seite 

A. Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung. 1 

B. Vorbemerkungen . . 4 

C. Ätiologie. 5 

I. Physiologische körperliche Einflüsse. 7 

a) Alter. 7 

b) Geschlecht. 12 

II. Pathologische körperliche Einflüsse. 16 

in. Psychische Einflüsse. 17 

D. Allgemeiner Teil. 24 

L Rasse, Geschlecht. 24 

IL Vererbung. 25 

HI. Konstitution. 29 

a) Körperlich. 29 

b) Psychisch. 30 

E. Symptome. . . 36 

I. Körperliche Symptome. 36 

a) Ernährungszustand. 36 

b) Schlaf. 38 

o) Haltung, Gesichtsausdruck (katatonische Symptome). 39 

d) Atmungsorgane. 41 

e) Blutkreislauf. 41 

f) Verdauungsorgane. 44 

g) Drüsen. 45 

h) Urogenitale. 45 

i) Nervensystem. 47 

k) Sinnesorgane. 49 

l) Sprache. 49 

II. Psychische Symptome. 50 

a) Affektstörung. 51 

1. Manischer Affekt. öl 

2. Depressiver Affekt. 52 

3. Mischaffekt. 52 

4. Affektsperrung. 54 

5. Affektwechsel. 54 

b) Willenstörung. 55 

c) Denkstörung. 56 

Ablenkbarkeit. 60 

d) Psychomotorisohe Störung. 64 

e) Störung der Vorstellung. 67 

1. Wahnvorstellungen. 67 

a) Versündigungsideen. 68 

ß) Selbstvorwürfe. 69 

y) Zukunftssorgen. 70 

S) Hypochondrischer Wahn. 72 

t) Verfolgungswahn (Beeinträchtigungswahn). 73 
















































Inhalt. 


J) Nihilistischer (Kleinheits-) Wahn. 

fj) Wahn der Persönlichkeitsveränderung. 

£) Allgemeiner Veränderungswahn. 

*) Zwangsvorstellungen. 

**) Größenwahn. 

2. Sinnestäuschungen. . 

a) Gesichtstäuschungen. 

ß) Gehörstäuschungen. 

y) Sonstige Sinnestäuschungen. 

£) Störung des Bewußtseins. 

Verwirrtheit. 

Störung der Erinnerung. 

g) Tagesschwankung. 

h) Periodizität und kurzdauernde Schwankungen. 

i) Schlafstörungen. 

Traumleben. 

k) Geistige Arbeit. 

l) Soziales Verhalten. 

1. Selbstvemichtungstrieb. 

2. Unsoziale Triebe. 

3. Alkoholismus. 

4. Sexualität. 

m) Krankheitsgefühl und -Verständnis. 

F. Gruppierung. 

I. Verlaufsformen. 

a) Ersterkrankungen. 

b) Einmalige Erkrankungen. 

c) Periodische Erkrankungen.. 

d) Subchronische und chronische Erkrankungen. 

II. Affektformen. 

a) Manie. 

b) Melancholie. 

o) Zirkuläres Irresein. 

d) Mischzustände. 

III. Klinische Gruppierung. . 

a) Konstitution. 

1. Manische Konstitution. 

2. Melancholische Konstitution. 

3. Zyklothyme Konstitution. 

b) Periodische Form. 

c) Subchronische und chronische Form.. 

d) Verschiedene Krankheitsformen. 

1. Katatonische Form. 

2. Delirante Form. 

3. HyBterieverwandte Form. 

4. Form mit Zwangsvorstellungen. 

6. Paranoische Form. 

e) Kombination mit körperlicher Erkrankung. 

1. Arteriosklerose und manisch-melancholisches Irrresein. 

2. Senile Demenz und manisch-melacholnisches Irresein . . . . 

3. Lues bzw. Metalues und manisch-melancholisches Irresein. . . 

4. Diabetes mellitus und mani&h-melancholisches Irresein . . . . 

5. Morbus Basedowi und manisch-melancholisches Irresein. . . . 

f) Affektverwandte Psychosen . 

1. Angstpsychose. 

2. Depressiver Wahnsinn. 

G. Todesursachen. 

Pathologische Anatomie. 

H. Diagnose. 


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VI 


Inhalt 


Seite 

I. Differentialdiagnose..127 

I. Imbezillität.127 

II. Dementia praecox..127 

III. Epilepsie.128 

IV. Lues bzw. Metalues.:.129 

V. Senile Demenz.129 

VI.- Himarteriosklerose.130 

VII. Infektiöses und postinfektiöses Delirium.130 

VD3. Chronische Vergiftungen.130 

IX. Psychopathie, Hysterie, Zwangsvorstellungen.131 

K. Prognose.132 

L. Therapie. 133 















A. Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung. 

Manie und Melancholie gehören zu den Krankheitebezeichnungen, 
die von Hippokrates und Galen im Altertum für Zustände von Erregung 
und Verstimmung gebraucht wurden. Die beiden Ausdrücke haben sich bis 
in die neueste Zeit erhalten; die Begriffe haben sich allerdings mannigfaltigen 
Änderungen unterwerfen müssen. Während als Melancholie das Bild der 
Schwermut galt, verstand man unter Manie ganz im allgemeinen die Tob¬ 
sucht; so kam es, daß manche Bilder von Melancholie, nämlich solche, die mit 
tobsüchtiger Erregung einhergingen, als Manie bezeichnet wurden. Es wurde 
also die Schwermut in manchen Zuständen der Manie untergeordnet. Manie 
und Melancholie wurden ab Bezeichnung eines Symptomenkomplexes 
bis in die neueste Zeit von einzelnen Psychiatern gebraucht, die sich nicht 
entschließen konnten, die beiden Begriffe bestimmten Krankheitsformen bei¬ 
zulegen. So sprechen heute noch Einzelne von manischen bzw. melancholischen 
Zuständen bei Epilepsie, Dementia praecox, Paralyse usw., Bezeichnungen, die 
man besser aufgeben würde im Interesse der Verständigung sowohl unter den 
Psychiatern, als auch der Psychiatrie mit der übrigen Medizin. Es empfiehlt 
sich, symptomatisch die Schwermut als „Depression“ zu bezeichnen; 
also von depressiven Zuständen (Affektveränderungen) bei den verschiedenen 
Erkrankungen, zu sprechen. 

Nachdem die Melancholie als eigenes Krankheitsbild, wie es Kraepelin 
aufgestellt hatte, durch die Arbeit von Dreyfus 1 ), welche die Unmöglichkeit 
der Trennung derselben vom manisch-depressiven Irresein nachgewiesen hat, 
aufgegeben ist, halte ich es für richtig, die klassische Bezeichnung Melancholie 
für die depressiven Zustände des manisch-depressiven Irreseins wieder einzu¬ 
führen. Nach, Dreyfus* 1 ) Vorschlag habe ich deshalb das manisch-depressive 
Irresein in manisch-melancholisches Irresein umgetauft, was der histori¬ 
schen Entwicklung der in Rede stehenden Krankheit entspricht. 

FalretpÄre 2 ) war es, der als erster auf den „zirkulären“ Verlauf einer 
psychischen Erkrankung hingewiesen hat, in der wir die Grundzüge des manisch¬ 
melancholischen Irreseins erkennen. Er stellte im Jahre 1851 die Krankheits¬ 
form der „folie circulaire“ auf, die sich zusammensetzt aus: manie, inter- 


x ) Dreyfus, Die Melancholie, ein Zustandsbild des manisch-depressiven Irreseins. 
Jena 1907. 

*) J. P. Fair et, Marche de la folie, gaz. des h6p. 1851 u. bull, acsad. de 
M6d. 1859. 

Beh m, Das manisch-melancholische Irresein. 


1 



2 


Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung. 


vaHe lucide, mölancolie, intervall© luoide. Mit einem weiteren Typus trat der¬ 
selbe Autor 1854 hervor, bei dem er drei Perioden unterschied: manie, mölancolie, 
intermittence. Daß Manie und Melancholie getrennt periodisch, d. h. mit Ein¬ 
schieben von mehr oder weniger langen freien Intervallen, wodurch zwei weitere 
Typen entstehen, verlaufen* können, war dem Autor bekannt. 

Diese vier Typen waren es, die in unveränderter Form bis zur Aufstellung 
des manisch-depressiven Irreseins durch Kraepelin im Jahre 1899 diese 
Psychose in ihren Grundrissen repräsentierten. Es war dem eben genannten 
Autor Vorbehalten, durch die Gemeinschaft von Symptomen der Manie und 
Melancholie den inneren Zusammenhang dieser Zustandsbilder, als die wir sie 
wohl bezeichnen können, zu ergründen. 

Es dürfte nicht uninteressant sein, bei dieser Gelegenheit darauf hinzu¬ 
weisen, daß schon 40 Jahre vorher ein deutscher Psychiater sich bemühte, 
über das Wesen der „Melancholie mit Aufregung“ Klarheit zu schaffen. 
Richarz x ) verglich im Jahre 1858 die Manie mit der Melanoholia agitans 
und kam zu dem Schlüsse, daß bei der Manie eine Überproduktion von Vor¬ 
stellungen vorhanden sei, während bei der agitierten Melancholie eine Armut 
an Vorstellungen bestehe. Er war der Meinung, daß Ideenflucht in beiden 
Zuständen vorhanden sei; doch sei bei der Melancholie die Reihenbildung ver¬ 
loren gegangen; es sei ein Umherspringen in engem Zirkel; Angst und Traurig¬ 
keit würden auch in der Exaltation beobachtet, zwar nicht in der einfachen, 
wohl aber in der mit Zorn verbundenen. 

Die Schwierigkeit, Krankheitsbilder zu erklären, die manische .und de¬ 
pressive Symptome enthalten, hat Kraepelin dazu geführt, neben der Ver¬ 
laufsform den Übergängen der Phasen ineinander eine besondere Aufmerk¬ 
samkeit zu widmen. Die Frucht dieser Betrachtungen war das manisch- 
depressive Irresein als ein innerlich fest zusammenhängendes Krankheitsbild, 
das in besonders auffallenden Formen, den sogenannten Mischzuständen, 
die Weygandt 2 ) beschrieben hat, zutage treten kann. 

Die von Falret pdre als folie circulaire beschriebenen Typen 
(Abb. 1): 1. Manie, intervalle lucide, mölancolie, intervalle lucide, 
ferner später 2. Manie, mölancolie, intermittence habe ich in folgendem 
Schema dargestellt: 


Abb. 1. (Schema-Erklärung s. S. &) 

Kirn 8 ) teilte im Jahre 1878 die „periodischen“ Psychosen und zwar die 
„echten, d. h. direkt zentral bedingten, periodischen Psychosen“ in periodische 
Manie, periodische Melancholie und periodische zyklische Psychose ein. Diese 


x ) Richarz, Über das Wesen und die Behandlung der Melancholie mit Aufregung 
(Melancholia agitans). Allg. Zeitschr. f. Psych. 16, 1858. 

*) Weygandt, Mischzustände, Habüit. Schrift, 1902. * 

*) Kirn, Die periodischen Psychosen, 1878. 



Grundziige der geschichtlichen Entwicklung. 


3 

Auffassung ist in vielen Lehrbüchern bis heute geblieben; so spricht Ziehen 
von periodischer Manie und Melancholie, von periodischer menstrualer Manie, 
ferner von zirkulärem Irresein. Sehr eingehend ist in der Arbeit von Ballet 1 ) 
1903 das manisch-depressive Irresein in einer etwas primitiven Auffassung 
behandelt. In einem schulgerechten Schema werden dort die Verlaufsformen 
in zwei Hauptgruppen untergebracht: psychoses intermittentes und psychoses 
alternantes. In diesen Hauptgruppen sind 7 Untergruppen untergebracht, 
wie es die folgende Darstellung zur Anschauung bringt. 

I. Psychoses intermittentes. 

1. Manie intermittente, type regulier. 

2. Manie intermittente, type irrögulier. 

3. Mölancolie intermittente, type regulier. 

4. Mdlancolie intermittente,type irr^gulier. 

II. Psychoses alternantes. 

6. Folie alterae typique. 

0. Folie k double forme. 

7. Folie circulaire continue. 

Die 7 Gruppen können durch folgende Schemata deutlich gemacht werden: 

mumzx zmLim. »-i 

W/A'WM—WM 

■ ■■■■.. 171 
m wm m tm m® i 

■ m ■ ■ ■ m 

mm mm. icmd 

| | Krankheitsfrei 

Manie 

j&&gl Melancholie 

Abb. 2. 

l ) Ballet, Traite de pathologie mentale, Paris 1903. 


1. Manie intermittente, 

type regulier. 

2. Manie intermittente, 

type irr6gulier. 

3. M61ancolie intermit¬ 

tente, type re¬ 
gulier. 

4. Melanoolie intermit¬ 

tente, type irr6- 
gulier. 

5. Folie alteme ty¬ 

pique. 

6. Folie k double 

forme. 

7. Folie ciroulaire con¬ 

tinue. 


1 


4 


- Vorbemerkungen. 


Kraepelin äußert sich zu dieser Einteilung frsCnzösisoher Autoren in seinem 
Lehrbuch: „Ich glaube mich überzeugt zu haben, daß derartige Bestrebungen 
zur Gruppierung an der Regellosigkeit der Krankheit notwendig scheitern 
müssen. Die Art und Länge der Anfälle und Zwischenzeiten bleibt im einzelnen 
Falle durchaus nicht die gleiche, sondern kann vielfach wechseln, so daß der¬ 
selben immer neue Formen zugerechnet werden müßten. Bis' jetzt sind auch 
alle Bemühungen vergeblich gewesen, aus den Eigentümlichkeiten eines An¬ 
falls einigermaßen zuverlässige Schlüsse für die weitere Gestaltung des Krank¬ 
heitsbildes zu gewinnen; vielleicht aber gelingt es bei sehr ausgedehntem Be¬ 
obachtungsstoffe doch einmal, gewisse prognostische Regeln abzuleiten.“ 


B. Vorbemerkungen 1 ). 

Um die Verlaufsformen des manisch-melancholisohen Irreseins zu 
studieren, habe ich eine Anzahl von über 400 Fällen gesammelt, bei denen die 
Diagnose „manisch-depressives Irresein Kraepelin“ nach dem Stande der 
wissenschaftlichen Anschauung gesichert erscheint. Die Fälle sind bis auf 
eine geringe Anzahl besonders gelagerter, hauptsächlich chronischer oder sonstwie 
klinisch bedeutungsvoller Kranker, von mir persönlich untersucht. 

Für die vorliegende Arbeit wurden folgende drei Voraussetzungen 
als notwendig erkannt. 

1. Eine genaue Vorgeschichte mit Berücksichtigung der familiären 
Belastung, der psychischen, insbesondere der affektiven Konstitution 
und der früheren manisch-melancholischen Phasen, auch leichter Art; 

2. eine detaillierte Beschreibung und persönliche Kenntnis mindestens 
eines typischen Krankheitsabschnitts; 

3. eine möglichst exakte Angabe über die Periodizität und die Art 
der krankhaften Perioden, sei es auf Grund einer vom Kranken 
gegebenen Vorgeschichte, oder auf Grund sonstiger Nachfragen. 

Es ist ohne weiteres einzusehen, daß im einzelnen Falle das Optimum 
der angeführten Forderungen nicht hat erreicht werden können. Jeder weiß, 
mit welchen Schwierigkeiten das Aufnehmen einer Anamnese sowohl bei 
den Angehörigen, als auch bei dem Kranken, selbst dem besonnenen, verbunden 
ist. Besonders schwierig wird die Aufgabe, die Affektkonstitution zu be¬ 
rücksichtigen. Ich will nicht darauf eingehen, in welchem Grade die Auf¬ 
schreibungen beeinflußt sind, einerseits durch die Subjektivität des aufnehmenden 
Arztes, andererseits durch die Anschauungen des Laien, auch des gebildeten. 

Der zweite Punkt ist als absolut notwendig nicht diskutabel. 

Bei der dritten Forderung treten Schwierigkeiten aller Art zutage, die sich 
großenteils mit den oben angeführten decken. Es ist oft im einzelnen Falle 
nachträglich nicht zu entscheiden, ob der Kranke in den freien Intervallen 
wirklich gesund gewesen ist oder nicht. Die Gesundheitsbreite ist durch feste 
Grenzen nicht zu bestimmen. 


x ) Ausführlicher Literaturausweis in der Monografie von E. Stransky: Das 
manisch-depressive Irresein. Leipzig u. Wien 1911. 



Ätiologie. 


5 


Ich habe die Pflicht, zu erwähnen, daß ich sämtliche Forderungen mit 
Genauigkeit und Objektivität habe erfüllen wollen. Aber es ist notwendig, 
immer darauf hinzuweisen, wie unendlich arm die Psychiatrie an objektiven 
Hilfsmitteln klinischer Art ist. Wir müssen uns mit Anspannung aller Kräfte 
bemühen, unser subjektives Urteil durch objektive Untersuchungsmethoden 
zu ersetzen oder doch wenigstens zu ergänzen. 

Es ist zuzugeben, daß die letzten Dezennien manches gebessert haben; 
wir haben uns die Blutdruckmessung, Blutuntersuchung und Unter¬ 
suchung der Zerebrospinalflüssigkeit dienstbar gemacht; wir versuchen, 
physiologisch-chemische und serologische Untersuchungen zu diffe- 
rentialdiagnostischen Hilfsmitteln heranzuziehen; wir stehen im Begriffe uns 
in der experimentellen Psychologie eine Hilfswissenschaft mit exakten 
Methoden nützlich zu machen; und doch, wieviel steht bisher der Psychiatrie 
als einwandfrei zu Diensten? 

Das manisch-melancholische Irresein gibt für künftige Forschung ein 
weites Feld der Betätigung in den verschiedenen Gebieten ab. Am besten 
schnitt bisher die psychologisch-experimentelle Untersuchung ab, der wir 
besonders durch Kraepelin und seine Schule wertvolle Aufschlüsse ver¬ 
danken, welche später des öfteren Erwähnung finden werden. 

Das Material, »dem ich die in den folgenden Abschnitten ausgeführten 
Ergebnisse verdanke, stammt großenteils aus der kgl. psychiatrischen 
Klinik in München, teilweise aus der Heilanstalt Dösen (Leipzig) 
und der Staatsirrenanstalt Bremen-Ellen. Es hat den Vorteil, daß 
es genau beobachtet und im weiteren Verlaufe verfolgt werden konnte, ferner 
daß es die Zusammensetzung bringt, wie sie sich wahllos nach der Zahl der 
Aufnahmen in einem gewissen Zeitabschnitt ergeben hat. Eine Auslese wurde 
nicht getroffen. Als Nachteil ist anzuftihren, daß eine große Anzahl von Fällen 
ganz frischer Natur in der ersten Krankheitsphase war, und so das Studium 
des Verlaufes im einzelnen Falle manchmal illusorisch machte. 

Einen Teil des Materials «verdanke ich den Anstalten Neufrieden¬ 
heim und Eglfing beiMünchen, in denen ich tätig war; die Fälle konnte ich 
dank der liebenswürdigen Unterstützung der Ärzte weiter verfolgen. Dieser Teil der 
Fälle ist aus gewählt, und zwar vor allem im Hinblick auf den lange Zeit hin¬ 
durch zu übersehenden Verlauf. Die große Zahl der gut beobachteten Fälle setzt 
mich instand, auf manche Fragen einzugehen, welche nur an der Hand eines großen 
Materials geprüft werden können. Ich habe mich bemüht, zur Beurteilung 
des Verlaufs alle Hilfsmittel heranzuziehen, die nur irgendwie erreichbar ge¬ 
wesen sind; vielfach sind es freilich leider nur anamnestische Notizen, die über 
einzelne Punkte Aufschluß zu geben imstande gewesen sind. 

C. Ätiologie. 

l>ie Frage der Ätiologie des manisch-melancholischen Irreseins ist bis 
heute nicht gelöst; wir haben noch nicht einmal Gesichtspunkte gewonnen, die 
uns der Klärung dieser Frage näher bringen könnten. Es ist überhaupt fraglich, 
ob es uns jemals gelingen wird, für diese Krankheitsformen eine andere ätio¬ 
logische Grundlage zu finden, als wir sie jetzt schon annehmen, nämlich die 



6 


Ätiologie. 


Degeneration. Das degenerative Moment wird zur Zeit von allen Seiten 
für die reinen Formen unserer Krankheit ohne weiteres anerkannt. 

Nun ist diese Annahme eine keineswegs befriedigende; sie sagt nicht 
viel mehr, als daß eine Disposition in der hereditär-degenerativen Basis zu 
finden ist. Eine Disposition wird heute bei einer großen Anzahl von Erkran¬ 
kungsformen angenommen, mögen dieselben der internen, der neurologischen 
oder psychiatrischen Seite der Medizin angehören. Die degenerative Dispo¬ 
sition bedeutet demnach für uns eigentlich nur soviel, daß wir die wirkliche 
Grundlage der Krankheit nicht kennen. 

Die klinische Betrachtungsweise hat uns bisher in dieser Frage nicht 
weitergebracht. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob vielleicht von anderen Unter¬ 
suchungsmethoden mehr geleistet worden ist oder die Aussicht besteht, daß 
diese uns fördern werden? Dabei kommen hauptsächlich psychologische und 
physiologisch-chemische Prinzipien in Betracht. Es unterhegt keinem 
Zweifel, daß die psychologische und insbesondere die experimentell-psycho¬ 
logische Untersuchungsmethode das Verständnis der psychischen Bestand¬ 
teile der Krankheit ganz wesentlich gefördert hat. Auf die Einzelheiten werde 
ich weiter unten zurückkommen. In der Erkenntnis des Ursprungs der Krank¬ 
heit haben aber auch diese Methoden versagt. Die chemisch-physiologische 
Untersuchung der manisch-melancholischen Kranken ist bisher nur in ganz 
geringem Maße und vor allem zu wenig systematisch betrieben worden. Es 
ist sehr wohl möglich, daß eine sorgfältige und detaillierte Untersuchung des 
Stoffwechsels brauchbare Resultate zeitigt. De Ätiologie hat bisher durch 
die dürftigen, nur Bruchstücke enthaltenden Resultate keine Klärung erfahren. 

Es möchte noch zu erwähnen sein, daß die moderne serologisch-bio¬ 
logische Betrachtungsweise, die augenblicklich das Interesse der Medizin 
sehr in Anspruch nimmt, möglicherweise auch in der Richtung der degene- 
rativen Psychosen pfadfindend vorangehen wird. In dieses Gebiet schlagen 
die neueren Untersuchungen nach Abderhalden ein. Nach dieser Richtung 
haben bisher umfangreiche Untersuchungen, auch meinerseits, für das manisch¬ 
melancholische Irresein nichts Neues gebracht; höchstens hat die Differen¬ 
tialdiagnose zwischen funktionell und organisch eine gewisse Festigung erhalten. 

Das Resultat der vorgehenden Zeilen ist demnach folgendes: Wir 
besitzen bisher keinerlei Kenntnisse über die Ätiologie des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins. De Annahme der degenerativen Basis ist nicht zufrieden¬ 
stellend. 

Ich will im folgenden an der Hand meiner Fälle untersuchen, ob sich 
aus einem nach dieser Richtung hin gleichmäßig untersuchten Material gewisse 
Gesichtspunkte schöpfen lassen. Anatomische Hirnbefunde stehen mir 
nicht zur Verfügung und sind auch bisher nicht von ausschlaggebender Be¬ 
deutung in dieser Frage gewesen. Wie schon angedeutet, habe ich mich mit der 
fragwürdigen Annahme einer hereditär-degenerativen Grundlage nicht begnügt, 
sondern habe versucht, nach .weiteren Ursachen zu forschen, wobei die bei 
ähnlichen Untersuchungen Geisteskranker gewonnenen Gesichtspunkte in 
Betracht gezogen worden sind. 

Es ist vor allem zu unterscheiden zwischen somatischen und psy¬ 
chischen ätiologischen Momenten. Auf diesem Unterschied beruht die 
von mir vorgenommene Einteilung. Im Ganzen wurden nur in 34 % der Fälle 



Physiologische körperliche Einflüsse 7 

Angaben gemacht, die zu ätiologischen Untersuchungen nach allen Richtungen 
hin brauchbar waren. 

I. Physiologische körperliche Einflüsse, 

a) Alter. 

Wenn ich hier von Alter spreche, so meine ich die Altersstufe, in der die 
Erkrankung ihren Anfang genommen hat, soweit eine psychotische Phase in 
Betracht kommt. Was die jüngste Altersstufe, die Zeit vom 1. bis 10. Lebens¬ 
jahr betrifft, so konnte ich in meinem ganzen Material nur 2 Fälle, das sind 0,5%, 
finden, in denen (melancholische) Phasen in ein so frühes Alter fielen. Die 
beiden Fälle blieben periodisch melancholisch bei einer konstitutionell depres¬ 
siven Grundlage. Ich bin übrigens überzeugt, daß solche kindliche Erkrankungen 
viel öfters Vorkommen; sie sind wohl meist leichter Art; sie werden aber häufig 
nicht als manisch-melancholisch erkannt; der Arzt, dem sie zugeführt zu werden 
pflegen, wird diese Erkrankungen meist als hysterische, vielleicht auch als 
epileptoide ansehen, oder er wird an angeborene geistige Schwäche denken. 
Die von mir angeführten Fälle sind auch nur katamnestisch festgestellt. Vor 
einiger Zeit habe ich im Kinderhause der Anstalt Dösen einen Fall zu be¬ 
obachten Gelegenheit gehabt; die Beschreibung seiner ersten Phase ist von 
Liebere 1 ) gegeben worden. 

Die Erkrankungen des kindlichen Alters geben oft ein sonderbares Bild, 
welches, abgesehen von den Krankheitserscheinungen, durch die geringe Ent¬ 
wicklung der Persönlichkeit charakterisiert ist; es fehlt das sonst den manisch¬ 
melancholischen Psychosen eigene subjektive Gepräge; das psychomotorische 
Verhalten erscheint etwas einförmig, wie ja überhaupt die Bewegungsformen 
der Kindheit etwas einförmig sind; der Intellekt ist noch nicht voll ent¬ 
wickelt, so daß die Kranken auf den ersten Blick schwachsinnig erscheinen 
können. Das ganze Bild ist etwas leer. Auffallend ist die Ablenkbarkeit, welche 
jedoch bei Kindern eine gewöhnliche Erscheinung in mehr oder weniger 
intensivem Maße ist. Selbstvorwürfe können recht ausgeprägt sein. Ganz 
den Erwachsenen konform ist die Gewichtsstörung, welche auch bei dem oben 
erwähnten Falle in exquisitem Maße vorhanden ist. 

Ich habe bei den folgenden Erhebungen und den erläuternden zahlreichen 
schematischen Darstellungen (Abb. 3—9) das Alter von 1 bis 20 Jahren als erste 
Altersstufe zusammengefaßt. In 20 % aller Fälle trat die erste Erkrankung 
vor dem 21. Jahre auf; ujid zwar gehörten davon 58 % den periodisch zirkulären 
Verlaufsformen an. Gegenüber dieser treten die anderen Formen weit zurück, 
so daß die periodisch melancholischen nur mit 13 % ebenso die chronisch 
zirkulären Fälle nur mit 13 % teilnehmen. Von letzteren zeigen 5 % im wesent¬ 
lichen „reine“ Formen, das sind solche, in denen regelmäßig, „schulgemäß“, 
manische und melancholische Zeiten abwechseln, aber chronisch, ohne freie 
Zwischenräume verlaufen. 

Weiterhin sind die periodisch manischen Fälle mit 11 % anzuführen. 
Dann folgen in großem Abstande die chronisch manischen Formen mit 4 % 
und die chronisch melancholischen Formen mit 1 %• 


l ) Liebers, Über Manie im Kindesalter, Zentralbl. f. Nervenheilk. 20, 1909. 




rein „zirkuläre“ Formen 

Abb. 5. Verteilung des Beginnes der Erkrankung auf Altersstufen (Einteilung nach den Formen der man.-mel. Trias). 
























































































































































































Physiologische körperliche Einflüsse. 


9 


Sehr instruktiv ißt die kurvenmäßige Darstellung (Abb. 6) der einzelnen 
Formen, wie sie dem Alter entsprechend Anteil nehmen. Wir sehen da, daß die 
periodisch zirkulären Formen nur im 3. Lebens Jahrzehnt höhere Zahlen er¬ 
reichen; die periodisch melancholischen Formen stehen in der ersten Alters¬ 
stufe am niedrigsten, sie nehmen im höheren Alter verhältnismäßig immer 
größeren Anteil. Die chronisch manischen und die periodisch, manischen Fälle 
zeigen in der Alterstufe von 1—20 Jahren ihre höchste Zahl. 

Was die Verteilung auf die Geschlechter betrifft, so steht das weibliche 
mit 70 % dem männlichen mit 33 % gegenüber. Derselbe sehr große Unter¬ 
schied wird noch in der Altersstufe von 41—50 Jahren erreicht. Man könnte 
daraus schließen, daß die Zeit der geschlechtlichen Reife und der geschlecht¬ 
lichen Inaktivität die Höchstzahl der weiblichen Ersterkrankungen ver¬ 
ursacht; das Alter von 51—60 steht diesem nur um ein geringes nach. 



1-20 21-30 31-W V-50 51-60 61-70 71-80 


psychom. 

Hemmung 

psychom 

Erregung 



1-20 21-30 31-00 01-50 51-60 61-70 


- period. man. - chron. man . Abb. 7. Beginn der Erkrankung und das 

- „ mel. „ mel. psychoraotor. Verhalten. 

- „ zirk „ zirk. 

Abb. 6. Beginn der Erkrankung. 


Es erübrigt, noch einiges über die klinischen Besonderheiten der Alters¬ 
stufe vom 1.—20. Jahre zu sagen. Psychomotorische Störungen (Abb. 7) 
ließen sich nur bei 51 % der Fälle dieses Alters nachweisen, also ein geringerer 
Prozentsatz wie in den folgenden Altersstufen; und zwar betrifft die psycho¬ 
motorische Hemmung 38 %, die psychomotorische Erregung 13 % der Fälle. 

Ich bin mir wohl bewußt, daß man fragen wird, wie es kommt, daß die 
psychomotorische Störung, ein hervorragendes Symptom des manisch-melan-' 
cholischen Irreseins, bei so wenig Fällen zum Ausdrucke kommt. Es mag diese 
Erfahrung einerseits darin begründet sein, daß es sich bei einer Anzahl der 
Fälle um katamnestische Erhebungen handelt und daher lückenhafte Angaben 
in Betracht kommen. Andererseits kommt das Resultat daher, daß die zirku¬ 
lären Fälle, welche die Hauptsache der Erkrankungen in diesem Lebensalter 
ausmachen, mit Phasen gehemmter Art zu beginnen pflegen. Die psychomotori¬ 
sche Hemmung gibt also diesem Alter das Gepräge; die Erregung ist verhältnis¬ 
mäßig wenig vertreten. Umgekehrt verhält es sich mit der Denkstörung. 
Die Erleichterung des Denkaktes finden wir in 36 %> die Erschwerung in 
18 °/ 0 . Die Denkhemmung ist sonst in keiner Altersstufe mit einem so hohen 
Prozentsätze beteiligt. 




10 


Ätiologie. 


Die Willen88törung derart zu berechnen, ißt unmöglich; es scheitert 
dies daran, daß diese Störung im allgemeinen mit der psychomotorischen 
Störung parallel geht und ihr Bestehen daher den Krankheitsgeschichten nicht 
entnommen werden kann. 

Was krankhafte Vorstellungen, bzw. Wahnvorstellungen betrifft, so 
fand ich solche in 69 % der Fälle; sie erscheinen weniger häufig wie in höheren 
Altersstufen. Sinnestäuschungen waren in 31 % der Fälle, also recht häufig 
vertreten. Der Alkoholismus spielte in 11 °/o der Fälle eine Rolle (Abb. 8). 

Fassen wir die einzelnen Erkrankungsformen, mehr dem affektiven 
Charakter entsprechend, in drei Gruppen zusammen, in die manischen, me¬ 
lancholischen und zirkulären Krankheitsformen, so finden wir für unsere Alters¬ 
stufe folgendes: Die manischen Erkrankungen kommen bei Männern und Frauen 
in gleicher Zahl (7 %) vor; die melancholischen Erkrankungen sind beim weib¬ 
lichen Geschlecht wesentlich häufiger (12:2 %), die zirkulären ebenfalls beim 
weiblichen Geschlechte ungleich häufiger (52: 19%). 

Wir sehen also, daß die mani¬ 
schen Erkrankungen verhältnismäßig 
am häufigsten in diesem Alter auf- 
treten, ebenso die zirkulären weib¬ 
lichen; am seltensten sind die de¬ 
pressiven Phasen. Dieses Verhältnis 
würde gut zu dem Verhältnisse der 
Psychomotilität passen, insofeme wir 
als typisch für Melancholien die 
Hemmung, für Manien die Erregung 
ansehen. 

Betrachten wir uns schließlich 
die absoluten Zahlen der Ersterkran¬ 
kungen nach Geschlechtern, so finden 
wir folgendes: wir haben 84 Fälle im 
1-20 21-30 31-W w-50 51-60 61-70 ganzen in dieser Altersstufe, wovon 

Abb. 8.Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen, 60 auf das weibliche, 28 auf das männ- 
ferner chron. AlkohoUsmu^bei beginnender Uche treffen Größer werden die Zahlen 

nur noch im folgenden Jahrzehnt. 

Zusammenfassung. Die Altersstufe von 1—20 Jahren enthält 84 
Fälle = 20 %. Davon gehören den periodisch zirkulär verlaufenden 58 % an. 
Die Altersstufe zeichnet sich aus durch starkes Hervortreten der psychomo¬ 
torischen Hemmung (38 %); Wahnvorstellungen treten zurück gegenüber den 
Sinnestäuschungen (2: 1); die zirkulären weiblichen Erkrankungen sind außer¬ 
ordentlich häufig (52 %); das Verhältnis der Männer zu den Frauen beträgt 
3:7; 71 % der Fälle gehören zirkulären Erkrankungen an. 

Es würde zu weit führen, jede einzelne der dargestellten Altersstufen 
im einzelnen zu besprechen. 

Zusammengefaßt zeigt sich folgendes bezüglich der Zeit des Kran£- 
heitsbeginnes. Die bei weitem größte Zahl der Fälle beginnt vor dem 41. Jahre; 
die größte Erkrankungszahl zeigt das dritte Dezennium. Die Beteiligung der 
Geschlechter bleibt bis zum Greisenalter ungefähr dieselbe, nämlich 60—70 % 



t 



Physiologische körperliche Einflüsse. 


11 


Frauen, 30—40 % Männer. Gegen das hohe Alter hin gleichen sich die Unter¬ 
schiede bezüglich der Zahl der Männer und Frauen^aus. 




Die periodisch zirkulären und periodisch melancholischen Fälle zeigen 
umgekehrtes Verhalten; die ersteren beginnen in mehr als der Hälfte der Fälle 
in dem Alter bis zu 30 Jahren, nehmen dann sehr stark ab, um dann auf einer 









12 


Ätiologie. 


immerhin bedeutenden Höhe stehen zu bleiben. Umgekehrt nehmen die peri¬ 
odisch melancholischen Fälle bezüglich des Alters ihrer Entstehung gegen das 
Alter zu sehr stark zu. Die periodisch manischen Fälle zeigen verhältnismäßig 
geringe Beteiligung; sie nehmen allmählich mit höherem Alter ab. 

Die Zahl der Fälle mit psychomotorischer Erregung nimmt mit 
dem Alter zu; immerhin überwiegen die 


Fälle mit psychomotorischer Hemmung 
stets erheblich. 

Während die Beteiligung von 
Wahnvorstellungen mit steigendem 
Alter zunimmt, nimmt die Beteiligung 
von Sinnestäuschungen ab. Der Al¬ 
koholismus zeigt seine Höchstbeteiligung 
im Alter von 41—50 Jahren. 




1-20 21-30 31-00 01-50 51-60 61-W 71-80 



Abb. 11. Beginn der Erkrankung und 
Beteiligung des Geschlechtes. 


Abb. 12. Häufung des Krankheits¬ 
beginns bei Männer und Frauen. 


Wir sehen also die Entstehung der Erkrankung mit Vorliebe in mehr 
jugendlichem Alter; in dieser Altersstufe finden sich viele zirkuläre Erkran¬ 
kungen mit überwiegender Beteiligung einer psychomotorischen Hemmung, 
sehr vielen Sinnestäuschungen und verhältnismäßig wenig Wahnvorstellungen. 
Im höheren Alter sind die periodischen Melancholien vorherrschend. Die Fälle 
mit psychomotorischer Erregung nehmen zu, weiterhin die Wahnvorstellungen. 
Die Männer beteiligen sich im Alter verhältnismäßig stärker wie in früheren 
Altersstufen. 

b) Geschlecht. 

Daß das Geschlecht auf das Zustandekommen des manisch-melancholi¬ 
schen Irreseins einen Einfluß ausübt, ergibt sich allein schon aus der Beteiligung 
der Männer und Frauen der Zahl nach. Es treffen nach meinem Material auf das 
weibliche Geschlecht 67 % der Erkrankungen, auf das männliche 33 % (Abb. 9). 



Physiologische körperliche Einflüsse. 


13 


Worauf nun dieser Unterschied zurückzuführen ist, erscheint vollkommen 
unklar. Selbstverständlich muß der Grund in primären Geschlechtsunter¬ 
schieden zu suchen sein, nicht etwa in der sekundären Charakterveranlagung 
des Weibes, von dem wir ja behaupten, es sei affektiv erregbarer wie der Mann. 
Es taucht die Frage auf, ob ätiologisch dieses Mehr an Erkrankungen des weib¬ 
lichen Geschlechtes dem Einflüsse des Fortpflanzungsgeschäftes zuzuschreiben 
ist. In meinem Material ist nur in 7 % der Fälle von manisch-melancholischem 
Irresein überhaupt (in 17 % der Fälle mit bekannter Ätiologie) das Fort¬ 
pflanzungsgeschäft als auslösendes Moment zu betrachten (Abb. 9). Das kann 
also nicht, oder wenigstens nicht allein, ausschlaggebend sein. Auffallend 
ist, daß körperliche Veränderungen pathologischer Art ebenfalls in 7 % ätio¬ 
logisch eruierbar sind, und daß hier das männliche und weibliche Geschlecht 


(a Frauen 



1-20 21-30 31-W M-50 




Abb. 13. Beginn der Erkrankung nach Krankheitsform und Geschlecht. 

in demselben Verhältnisse (36:64%) vertreten ist wie im manisch-melan¬ 
cholischen Irresein überhaupt. Man sieht, es müssen andere Gründe für die 
Verteilung auf die Geschlechter maßgebend sein, die wir eben nicht kennen. 

Tiefgehende Unterschiede in dem Symptomenbild sind nicht vorhanden. 
Zu erwähnen ist nur, daß die psychogenen Momente beim weiblichen Geschlecht 
erheblich überwiegen, sowohl was Konstitution (männlich 12 %, weiblich 
88 %), als auch was Auslösung der Psychose (26: 74 %) und das klinische Bild 
der Psychose selbst (18: 82 %) betrifft (Abb. 9 u. 10). 

Gewisse Unterschiede ergeben sich, wenn wir die Verlaufsformen be¬ 
trachten. So erkennen wir, daß die Beteiligung des weiblichen Geschlechts 
bezüglich der Zahl der Ersterkrankungen in den verschiedenen Altersstufen 
vom 50. Lebensjahr an zugunsten des männlichen Geschlechtes abnimmt, so daß 
in dem 7. Jahrzehnt männliche und weibliche Ersterkrankungen im Gleichgewicht 
stehen (Abb. 11 u. 12). Es könnte dies einen Fingerzeig geben für eine etwaige 


14 


Ätiologie. 


Beeinflussung der Ätiologie durch das sexuelle Verhalten. Von der Zeit der 
Sterilität an nähern sich die beiden Geschlechter der Zahl der Erkrankung nach. 

Die Zahl der manischen Ersterkrankungen nimmt beim weiblichen Ge¬ 
schlecht vom öl. Lebensjahr an einen auffallenden Aufschwung, während 
dieser beim männlichen Geschlechte fehlt; auffallend auch ist das sehr starke 
Überwiegen der Erkrankungen beim Weibe in den zirkulären und melancholi¬ 
schen Verlaufsformen unserer Erkrankung. Die absolute Zahl der manischen 
Erkrankungen verteilt sich ziemlich gleichmäßig auf Männer und Frauen. 
In gleicher Weise wie beim Manne nehmen bei der Frau die melancholischen 
Erkrankungen der Häufigkeit nach mit dem höheren Alter prozentual zu, die 
zirkulären ab. Die Zeit vor der Geschlechtsreife zeigt keine wesentlichen Unter¬ 
schiede (Abb. 13). 

Die große Mehrzahl der Fälle, deren Beginn in die Lebenszeit von 40 
und mehr Jahren fiel, entwickelte sich entweder im Anschluß an die Meno¬ 
pause oder an eine Unregelmäßigkeit der Menses. Letztere fiel in den betreffen¬ 
den Fällen zeitlich mit dem Klimakterium als dessen Beginn zusammen und es 
dürfte erlaubt sein, letztere Fälle mit denen der klimakteriellen Ätiologie zu 
vereinigen. Die große Mehrzahl der Fälle machte ihre erste Erkrankung im 
Anschluß an das Klimakterium durch. Besondere klinische Merkmale wiesen 
diese Fälle nicht auf. Zum Teil wurde die Krankheit periodisch; zum Teil handelte 
es sich um Fälle, deren Erkrankung sioh auf viele Jahre hinzog und in bezug 
auf Prognose einen ungünstigen Charakter annahm. Eine kleine Anzahl von 
Fällen hatte schon in den 20er Jahren eine mehr oder weniger lange Krank- 
heitsperiode durchgemacht und war dann von schweren Schwankungen des 
Affektzustandes verschont geblieben. Von den klimakteriellen Fällen mag ein 
Teil der alten Kraepelinschen Melancholie zuzuzählen sein. Melancholien 
sind bevorzugt, so daß auf 20 Fälle mit zirkulärem Gesamtverlaufe immerhin 
11 Fälle mit periodischen Melancholien kommen. Die Auslösung hatte in 
2ö Fällen eine anschließende Melancholie, 2 mal einen manischen und 4 mal 
einen zirkulären Zustand verursacht. Agitierte Melancholien sind besonders 
häufig. 

Eine Gruppe, deren Zahl 14 % der Fälle mit Ätiologie ausmacht, steht 
mit der Gebärtätigkeit (Gravidität, Geburt, Laktation) der Frauen in Zu¬ 
sammenhang. Diese Erkrankungen fallen natürlicherweise zum größten Teil 
in die Zeit vom 20.—30. Lebensjahr. Auffallen mag, daß sie durchweg günstigen 
Charakter tragen insofern, als es zu weitgehenden Intermissionen kommt. 
In einigen Fällen sind schon früher manisch-melancholische Krankheitsphasen 
vorhergegangen. Die Erkrankungen haben im ganzen meist zirkulären Cha¬ 
rakter mit Vorherrschen der Melancholie; sehr häufig sind agitierte Melancholien. 
Periodisch melancholische Fälle sind sehr selten. In vielen Fällen hat die Er¬ 
krankung überhaupt mit ihrer ersten Phase nach der Geburt eines Kindes den 
Anfang genommen. Ist einmal die Konstitution zu einer solchen Erkrankung 
deutlich zutage getreten, so bedürfen spätere Erkrankungen meist keiner be¬ 
sonderen Ursache mehr. Umgekehrt gibt die Geburt in manchen Fällen den 
Anlaß zu einer weiteren Krankheitsphase, nachdem schon früher welche vor¬ 
ausgegangen sind. Die meisten Phasen dauerten kürzer wie ein Jahr, die längBte 
war 6 Jahre lang. 



Pathologische körperliche Einflüsse. 


15 


Wir haben es, wie ans diesem Abschnitt hervorgeht, wenn wir die Fälle 
von Erkrankungen des Gesehlechtstraktus, die im folgenden erwähnt werden, 
hinzuzählen, in ca. 31 0 0 der Fälle körperlicher Ätiologie mit manisch-melan¬ 
cholischen Erkrankungen beim Weibe zu tun, welche in Zusammenhang mit 
physiologischen oder pathologischen Veränderungen der Genitalsphäre stehen. 

Die Menstruation kommt ätiologisch kaum in Betracht. Wohl aber 
gibt es einzelne Fälle, in denen sich an die Menses Erankheitsphasen anschließen, 
der sog. menstruelle Typus. Er ist zweifellos recht selten. Charakteristisch 
für die Beurteilung solcher Typen mag der auf Tafel I gezeigte Fall sein, bei 
dem Menses und schwere Verstimmung auf dem Boden einer chronischen leichten 
Melancholie eingezeichnet sind. Der Zusammenhang zwischen Menses und Ver¬ 
stimmung ist nur ein scheinbarer, durch das zufällige zeitliche Zusammen¬ 
treffen hervorgerufen. 

Zum allgemeinen Verständnisse und zum Vergleich mit späteren zahlen¬ 
mäßigen Angaben soll noch bemerkt werden, daß nach dem hier zu¬ 
grunde liegenden Material sich Manie und Melancholie in der Häufigkeit wie 
3:4 verhält; männliche und weibliche Erkrankungen verhalten sich wie 1:2; 
ferner: Manie: Melancholie beim Manne = 2:1 

„ „ „ Weibe =1:2,5. 


II. Pathologische körperliche Einflüsse. 

Pathologische körperliche Ursachen sind in 7 °/ 0 der Fälle des gesamten 
Materials bekannt. Mit einer kleinen zur Ätiologie auf somatischer Grundlage 
gehörenden Untergruppe, nämlioh den Fällen, als deren Ursache chronische 
Vergiftung anzunehmen ist, will ich beginnen. Es handelt sich zunächst 
um zwei Fälle chronischer Alkoholvergiftung. Beide Kranke waren durch 
Fälle von Trunksucht hereditär stark belastet; konstitutionell waren beide 
Kranke in bezug auf ihre Affekte leicht alteriert; dazu trat einige Jahre vor 
der im Alter von 38 bzw. 56 Jahren eintretenden Erkrankung chronischer 
starker Alkoholmißbrauch. In beiden Fällen bestand die Erkrankung in einer 
manischen Erregung, die in dem einen Falle für kurze Zeit mit depressiven 
Zügen gemischt war. Es ist in beiden Fällen nahehegend, neben der selbst¬ 
verständlich (s. unten!) vorhandenen leichten konstitutionellen Störung, den 
Alkohol für die Auslösung der Krankheit verantwortlich zu machen. In beiden 
angeführten Fällen ist von früheren Krankheitsphasen nichts bekannt. 

Weiterhin ist ein Fall zu erwähnen, bei welchem im 37. Lebensjahr eine 
melancholische Erkrankung typischer Art einsetzte, welche nach ca. 7 Monaten 
Krankheitsdauer in Gesundung überging. Bei dem Kranken bestand keine 
hereditäre Belastung; auch von konstitutionellen Störungen war nichts zu 
erfahren. Als auslösende Ursache muß chronischer Morphinismus und 
Kokainismus angesehen werden, der den Kranken im Verlauf von 4 Jahren 
körperlich und psychisch stark schwächte. Die psychische Erkrankung schloß 
sich unmittelbar an die Strapazen an, die dem Kranken der Versuch der selbst¬ 
ständigen Entziehung verursachte, ✓ 



10 


Ätiologie. 


Für die folgenden Fälle mit körperlicher Ätiologie habe ich nach¬ 
stehende Ein teilung getroffen: 

A. Akute Infektionskrankheiten. 

1. Verschiedene Infektionskrankheiten. 

2. Typhus. 

3. Influenza. 

B. Chronische Erkrankungen. 

C. Glykosurie. 

D. Organische Himerkrankungen. 

E. Erkrankungen des Genitaltraktus. 

Die Fälle von akuten Infektionskrankheiten nehmen der Zahl 
nach in dem ganzen Material ca. 0 %, in dem Material mit bekannter Ätiologie 
etwa 14 %, unter den Fällen mit körperlicher Ätiologie 00 °/ 0 in Anspruch. 
Die männlichen und weiblichen Kranken sind in der ganzen Anzahl der Fälle 
mit körperlicher Ätiologie ungefähr in demselben Verhältnis vertreten, wie 
im manisch-melancholischen Irresein überhaupt; es erscheinen demnach die 
Frauen verhältnismäßig stärker beteiligt. 

Die erste Erkrankung bzw. die erste zur Beobachtung gekommene 
Krankheitsphase trifft bei weitaus der überwiegenden Mehrzahl in das mittlere 
Alter von 20—45 Jahren. Auffallend ist, daß auf 0 der hierher gehörenden 
Fälle schon ein Fall trifft, dessen erste Erkrankung in die jugendliche Zeit 
zwischen 10. und 20. Lebensjahr trifft. Es hat demnach den Anschein, als 
ob körperliche Erkrankungen in der Jugend besonders den Ausbruch des manisch¬ 
melancholischen Irreseins bzw. einer Phase desselben begünstigen. Was die 
Form der Erkrankung anbetrifft, so ist zu erwähnen, daß die melancholi¬ 
schen Stadien nicht in dem Maße hervortreten, wie wir es sonst zu sehen ge¬ 
wohnt sind; ferner daß, obwohl die weiblichen Erkrankungen die Mehrzahl 
bilden, nicht wie sonst die melancholischen Formen die manischen verhältnis¬ 
mäßig an Zahl überragen. Im übrigen sind klinische Besonderheiten nicht 
hervorzuheben. Es finden sich alle Schattierungen der Erkrankungen. 

Von Wichtigkeit ist es, zu erwähnen, daß bei den in diese Rubrik fallenden 
Erkrankungen das psychogene Moment klinisch in den Hintergrund tritt und 
nur in ganz wenigen Fällen zur Beobachtung kommt, während wir es sonst, 
wie wir später noch sehen werden, in einer verhältnismäßig großen Zahl von 
Fällen vorfinden. Einmalige und periodische Erkrankungen finden wir neben¬ 
einander. Durch die Periodizität wird die ätiologische Betrachtung sehr er¬ 
schwert. Auf diesen Punkt ist oben schon hingewiesen. 

Unter den akuten Infektionskrankheiten, denen wir begegnen, finden 
sich Mandelentzündung, Lungenentzündung, Rippenfellentzündung, Bauch¬ 
fellentzündung und Hirnhautentzündung. Etwas mehr als die Hälfte der Fälle 
trifft auf Typhus und Influenza, die ungefähr in dem gleichen Verhältnis 
vorhanden sind. Die Zahl der männlichen und weibliohen Erkrankungen 
ist hier fast dieselbe. Nur um ein geringes überragen die weiblichen die männ¬ 
lichen, obwohl sonst, wie oben schon erwähnt, die weiblichen weitaus in der 
Mehrzahl sind. Manie und Melancholie sind in gleichem Maße vertreten; sonstige 
klinische Besonderheiten sind nicht zu erwähnen. Bei manchen Fällen traten 



Psyohißohe Einflüsse. 


17 


während der infektiösen Erkrankung schwere Delirien mit Bewußtlosigkeit auf. 
Diese Delirien zeigen häufig genau dasselbe Bild, Welches bei den betreffenden 
Kranken spätere Phasen deliranter Färbung tragen, ohne daß dabei eine körper¬ 
liche Erkrankung irgendwie in Betracht käme. Die jedem Kranken spezifische 
Konstitution kommt demnach in den einzelnen Phasen, welche sich genau 
gleichen können, zum Ausdruck. 

Den chronischen Erkrankungen (B.) kommt nach meiner Ansicht 
nur insofern eine ätiologische Bedeutung zu, als sie, besonders bei Tuberkulose, 
eine chronische Schwächung der Körperkräfte mit sich bringen. Für die Er¬ 
scheinungsform des manisch-melancholischen Irreseins haben sie keine Bedeutung. 

Von prinzipieller Wichtigkeit erscheint mir dagegen das Auftreten der 
Glykosurie für die psychische Erkrankung. Werden doch von manchen 
Autoren besondersartige Depressionen bei Diabetes beschrieben. Auch mir 
erscheint es unzweifelhaft, daß wir auf die genannte Störung des Stoffwechsels 
unser besonderes Augenmerk richten müssen. Es kommen zweierlei Gründe 
in Betracht. Erstens ist es denkbar, daß wir eine für Diabetes spezifische 
Psychose herausschälen können, die wir möglicherweise in manchen Fällen 
wegen ihrer wesentlichsten klinischen Merkmale dem manisch-melancholischen 
Irresein zuzählen können; zweitens besteht die Möglichkeit, daß eine unzweifel¬ 
haft manisch-melancholische Psychose durch den Diabetes verursacht werden 
kann. Zu erwähnen ist, daß Glykosurie zur Zeit der Psychose nicht selten 
beobaohtet wird, ohne daß die sonstigen Symptome eines Diabetes bestehen. 

Die Bedeutung der organischen Hirnerkrankungen (D.) für die 
Ätiologie wird später im einzelnen besprochen werden; sie sei hier nur der Voll¬ 
ständigkeit halber angeführt. 

Eine kleine Gruppe (E.) von Erkrankungen muß hier angereiht werden; 
es handelt sich um Krankheiten der Genitalsphäre des weiblichen Ge¬ 
schlechts. Bei einigen Fällen kam Uterusexstirpation, Operation von Ovarial- 
zysten, ferner Operation eines Myoms in Betracht. An diese Eingriffe schloß 
sich die manisch-melancholische Erkrankung, manchmal periodischer Art, an. 
Der Beginn der Erkrankung fiel in die Zeit von 40 und mehr Jahren. 

III. Psychische Einflüsse. 

Kraepelin sagt in seinem Lehrbuche, daß das manisch-melancholische 
Irresein in seiner Entwicklung im allgemeinen von äußeren Ursachen unab¬ 
hängig ist, wenn auch gewöhnlich vom Kranken und seiner Umgebung irgend¬ 
welche Zufälle zur Erklärung herbeigezogen werden; ferner: daß allerlei Schädi¬ 
gungen, eine heftige Gemütserschütterung, ein körperliches Unwohlsein, eine 
fieberhafte Krankheit auf vorbereitetem Boden den letzten Anstoß zum Aus¬ 
bruche der Störung geben können. In prognostischer Beziehung erwähnt der¬ 
selbe Autor, daß bei den sehr früh und ohne äußeren Anlaß einsetzenden Fällen 
auf vielfache Wiederkehr der Anfälle mit kurzen Pausen zu rechnen sei. Weiter¬ 
hin sagt Kraepelin, daß in einer Reihe von Fällen namentlich während 
der Anfälle, aber auch schon vorher, allerlei hysterische Züge hervortreten, 
wie Schreianfälle, Magenkrämpfe, Ohnmächten und große Anfälle** daß sich 
nicht selten an gemütliche Aufregungen anschließen; daß aber die klinische 
Färbung des Anfalls von derjenigen des auslösenden Affektes ganz unabhängig 
ist. Die große Häufigkeit des manisch-melancholischen Irreseins bei Frauen 
Re hm. Das manisoh-meUmchoUscfae Irresein. 2 



18 


Ätiologie. 


steht nach Kraepelin in Abhängigkeit von der sekundären Geschlechtseigen¬ 
schaft erhöhter gemütlicher Erregbarkeit. 

Gemütlichen Erschütterungen gibt Westphal 1 ) die Rolle häufiger 
Auslösung und Saiz 2 ), der die Fälle von Manie der Berliner Klinik auf Anregung 
Ziehens bearbeitet hat, ist der Ansicht, daß akuten Affektstößen; z. B. Schreck, 
eine ursächliche Bedeutung beizumessen ist. Saiz sowohl wie Li epschütz*), 
welche sich eingehend mit der Ätiologie der Melancholie beschäftigt haben, legen 
Trauer, Sorge und Gram als tiefen und nachhaltigen Affekten eine ursächliche 
Bedeutung bei. 

Daß zirkuläres Irresein mit hysterischen Zügen vermengt sein kann, 
davon berichtet Pi 1 c z 4 ) in seinem Buche über „die periodischen Geistesstörungen“; 
er referiert einen Fall von Kombination der Hysterie mit zirkulärem Irresein, 
welcher den Charakter einer folie morale angenommen habe mit Vorkehrung 
perverser, antisozialer und gemeingefährlicher Triebe. Binswanger 6 ) er¬ 
wähnt, daß die degenerativen Fälle der Hysterie Kombinationen und Misch¬ 
formen mit maniakalischen Exaltationen und Melancholien zeigen. Uber die 
Eigenart solcher Fälle spricht er sich nicht aus. Nißl 6 ) erklärte sioh mit Ent¬ 
schiedenheit gegen kombinierte Psychosen und meinte, daß sog. hysterische 
Erscheinungen im manisch-melancholisohen Irresein keine Symptome der 
Hysterie, sondern Krankheitszeichen der erstgenannten Psychose seien. Rai- 
mann 7 ) spricht von einer akuten hysterischen Geistesstörung manischer und 
melancholischer Form; um die Hysterie von reinen manischen und melancholi¬ 
schen Formen zu unterscheiden, hält er für wichtig, daß bei letzteren die Sinnes¬ 
täuschungen vollkommen fehlen, und keine Amnesie vorhanden ist. 

Eingehend mit der Frage der „Hysteromelancholie“ beschäftigte sich 
G. Specht 8 ). Aus einer unzweifelhaft hysterischen Konstitution hervorgehend 
stellt sich im Anschluß an eine der auch sonst bei Hysterie wirksamen Gelegen¬ 
heitsursachen eine geschlossene melancholische Psychose mit durchwegs hysteri¬ 
scher Prägung und mit einem Verlauf und Ausgang ein, wie solcher wiederum 
nur in der Hysterie seine befriedigende Lösung findet. Specht hebt die dele¬ 
täre Wirkung chronischer Sorgen und Beängstigungen hervor; er bestreitet 
das besonders häufige Vorkommen von Wahnideen, sexuell-religiösen Inhaltes, 
wie es Förstner hervorgehoben hat, ferner von Gesichtshalluzinationen, sowie 
das besonders häufige Vorkommen der Verwertung hysterischer Sensationen 
zu Wahnideen. Von Empfindungsstörungen sind solche Kranke oft ganz frei, 
auch die Anfälle treten häufig vollkommen zurück. 


*) Westphal, Melancholie, im Lehrbuch der Psychiatrie von Binswanger und 
Siemerling. Jena 1907. 

*) G. Saiz, Untersuchungen über Ätiologie der Manie und des zirkulären Irre¬ 
seins, nebst Besprechungen einzelner Krankheitssymptome. Berlin 1907. 

*) Liepschütz, Zur Ätiologie der Melancholie. Monatsschr. f. Psych. u. Neur. 
18, 1905. 

4 ) Pilcz, Die periodischen Geistesstörungen. Jena 1901. 

6 ) Binswanger, Die Hysterie. Wien 1904. 

•) Nißl, Hysterische Symptome bei einfachen Seelenstörungen. Zentral bl. f. 
Nervenheilk. u. Psychiatr. 1902. 

7 ) i Raimann, Die hysterischen Geistesstörungen. Leipzig u. Wien 1904. 

8 ) G. Specht, Über Hysteromelancholie. Zentralbl. f. Nervenheilk. u. Pfiych. 1906. 



Psychische Einflüsse. 


19 


Reiß 1 ) hat konstitutionelle Verstinmmng und manisch-melancholischen 
Irresein studiert. Von den hier interessierenden Gruppen hob er hervor: rein 
reaktive Depressionen auf konstitutionellem Boden, Depressionen nach An¬ 
laß mit protrahiertem Verlaufe, Depressionen mit ausgesprochenen endogenen 
Schwankungen, ferner Depressionszustände mit hysterischem Gepräge, schlie߬ 
lich hysteriforme Depressionen des Präseniums. Reiß trennt die konstitutionellen 
Zustände und die zirkulären Erkrankungen, gibt aber zu, daß eine große Zahl 
von Übergängen vorhanden ist, die die enge Verwandtschaft beider Formen 
nachweisen. Zum Beweise verwendet er die Annahme, daß die leichten Schwan¬ 
kungen der Veranlagung sehr häufig Reaktionen auf ungünstige äußere Ver¬ 
hältnisse sind. Er behauptet, daß bei einzelnen manisch-melancholiBchen 
Erkrankungen die anscheinend endogenen Schwankungen in ihrer Stärke 
und ihrer äußeren Form in so hohem Maße von den zufälligen Ereignissen ab¬ 
hängig sind, daß man in solchen Fällen den äußeren Momenten, wenigstens 
für das Symptomenbild, eine größere Bedeutung nicht abeprechen könne. 

Zur Übersicht des Materials (s. Abb. 10) wurde eine Dreiteilung vorge¬ 
nommen, insofeme daß als erster Punkt psychogene Störungen, soweit sie uns 
die Konstitution der Kranken erkennen läßt, besprochen werden. Weiter 
folgt die Auslösung der periodischen Phasen des manisch-melancholischen 
Irreseins durch psychogene Momente; die psychogenen Störungen während 
der Psychose werden unter der „hysterieverwandten Form des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins“ in einem späteren Kapitel besprochen werden. Bei der 
Auswahl der Fälle wurde so verfahren, daß aus einem großen Material manisch¬ 
melancholischer Kranker das Einschlägige herausgesucht wurde. Diese Art 
der Bearbeitung hat den Vorteil, daß die Übersicht über alle klinischen Vor¬ 
kommnisse gewahrt bleibt, während bei der zu dem bestimmten Zwecke auf 
einen einzelnen Punkt gerichteten Untersuchung die Gefahr der Überschätzung 
einzelner Symptome und der Selbsttäuschung sehr nahe liegt. 

Es ist nicht möglich auf den ersten Punkt der Betrachtungen, die Kon¬ 
stitution einzugehen, ohne sich eingehend mit der Theorie des Aufbaues 
manisch-melancholischer Psychosen zu beschäftigen. Die Periodizität 
des Verlaufes ist einer der Faktoren, auf deren Basis sich die Psychose auf baut. 
Vergleichen wir die Periodizität mit dem Gange einer Welle. Die Wellen, be¬ 
stehend aus Wellenberg und Wellental, haben verschiedene Höhe und Länge. 
Als eine Wellenbewegung, meist von geringem Umfange, stellen wir uns die 
Erscheinungsform der Zyklothymie vor; der Wellenberg mag die manische, 
das Wellental die depressive Komponente darstellen; es handelt sich demnach 
um ein fortwährendes Hin- und Herpendeln in mehr oder weniger langen Aus¬ 
schlägen. Bei sehr langen Wellen finden sich neben diesen primären kleinen 
sekundäre Ausschläge, welche die ersteren zur Basis haben. In gewissen Zwi¬ 
schenräumen gibt das Zusammentreffen eines primären und sekundären Wellen¬ 
berges einen größeren Ausschlag. Stellt man sich nun die Wellenbewegungen 
als Phasen des manisch-melancholischen Irreseins vor, nimmt man ferner an, 
daß in dem Moment des Zusammentreffens zweier Wellenberge irgend ein psychi- 


*) Reiß, Konstitutionelle Verstimmung und manisch-depressives Irresein. Zeitschr. 
f. ges. Neurol. u. Psych. 1910. 


2 * 



scher Schock eintritt, so wird sich der Ausschlag noch weiter erhöhen, es wird 
die Affektanhäufung eine Psychose auslösen. 

Die manisch-melancholische Konstitution stellt die allgemeine ätio¬ 
logische Grundlage des manisch-melancholischen Irreseins dar. Ich fasse 
darunter die konstitutionelle Erregung und Verstimmung, natürlich nur in¬ 
soweit dieselben manisch-melancholische Komponente besitzen, und die Zyklo¬ 
thymie, das abgeschwächte zirkuläre Irresein, zusammen. Bei ausgedehnten 
Untersuchungen in dieser Richtung zeigt es sich, daß mit wenigen Ausnahmen, 
und dann wohl bei mangelhafter Vorgeschichte, bei den manisch-melancholi¬ 
schen Kranken eine derartige spezifische Konstitution sich vorfindet. Selbst¬ 
verständlich ist diese Konstitution, welche dem Irresein zur Grundlage dient, 
in zahllosen Fällen vorhanden, ohne daß es zur Psychose kommt. Es handelt 
sich ja dabei durchaus nicht immer um pathologische Zustände, sondern um 
eine Art von Charakter, dem die Eigenschaften des Manisch-Melancholischen 
in abgeschwächtem Maße innewohnen. Für die konstitutionell Depressiven 
hat dies Reiß in seiner Arbeit ausführlich nachgewiesen; für die Zyklothynen 
hat Wilmanns 1 ) die enge Verwandtschaft mit den Manisch-Melancholischen 
betont. Nach meinen Erfahrungen findet sich in diesen psychopathischen und 
noch in die Breite der Gesundheit fallenden Zuständen dieselbe mannigfaltige 
Form von Symptomenkomplexen vor, wie in der Psychose selbst; auch Misch¬ 
zustände mit dem Affekt der Gereiztheit und Zustände mit paranoischer 
Färbung sind zu beobachten. 

So erkläre ich mir die chronische Manie und Melancholie als eine krank¬ 
hafte Steigerung einer bestehenden konstitutionellen Eigenschaft. 

Bei sehr langgezogenen Wellen ist es theoretisch erklärlich, daß ein Wellen¬ 
berg einen großen Teil des Lebens ausfüllen kann, so daß das Wellental, der 
entgegengesetzte Affektzustand, möglicherweise gar nicht zur Beobachtung 
kommt, bzw. daß das Leben vor Eintreten desselben abschließt. Diese Er¬ 
klärung macht auch das Vorkommen eines dem Schock konträren Affekt¬ 
zustandes verständlich. Wenn nämlich z. B. bei Beginn des manischen 
Wellenberges ein depressiver Schock eintritt, so wird derselbe den manischen 
Wellenberg erhöhen und natürlich keine Depression, sondern nur eine Manie 
auslösen können. 

Was nun die „hysterieähnlichen“ bzw. psychogenen Erscheinungen 
betrifft, so ist im folgenden das Hauptgewicht auf solche gelegt, welche man 
unter somatischen und Empfindungsstörungen zusammenfaßt. Der 
hysterische Charakter ist dabei vernachlässigt und zwar, wie ich glaube, mit 
Recht, weil dieser bei manisch-melancholischen Kranken unter dem Gewicht 
dauernder, primärer affektiver Störungen nur in seltenen Fällen durchsichtig 
in Erscheinung tritt; ist es doch bekannt, wie oft sich unter der Bezeichnung 
Hysterie, auch von seiten der Ärzte, Psychosen anderer Art finden. Man braucht 
nur die Beeinflußbarkeit durch äußere Momente anzuführen, welche wir 
bei den verschiedensten Psychosen zu beobachten täglich in der Lage sind. 

Psychogene Erscheinungen vor dem Eintritt einer Phase des manisch¬ 
melancholischen Irreseins bzw. in der Pause zwischen den einzelnen Phasen 
finden sich in 4 % des ganzen Materials. Bei 12 von den 18 Fällen, also in 


*) Wilmanns, Zyklothymie. Samml. klm. Vortr. v. Volkmann, 1906. 



Psychische Einflüsse. 


21 


V* der Fälle, waren hysterische Anfälle typischen Charakters leichterer oder 
schwererer Art vorhanden; mit Vorliebe setzten diese Anfälle in der Zeit der 
Pubertät ein; in anderen Fällen fand sich psychogener Singultus, Chorea major, 
Nachtwandeln usw. 

Zwei Fälle zeigten in der anfallsfreien Zeit öfters nach Erregung Er¬ 
scheinungen von Gefühlstäuschungen. Sehr bemerkenswert ist die Tatsache, 
daß nur bei einem der 18 Fälle hysterische Erscheinungen auch im Verlaufe der 
Psychose zu beobachten waren, während sich bei den anderen Fällen die Art der 
Psychose in symptomatischer Beziehung nicht von der gewöhnlichen Verlaufsart 
unterschied; eine auslösende Ursache psychischer Art trat bei keinem der Fälle 
in Erscheinung, wohl aber in 2 Fällen Auslösung durch körperliche Veränderungen. 
Der Beginn der Krankheitsphasen fiel in 3 Fällen vor das 30. Lebensjahr, in 4 
Fällen nach demselben, nur in einem Falle in der Zeit nach dem Eintritt der 
Menopause. Es •handelte sich demnach im wesentlichen um* jugendliche Per¬ 
sonen. Die manischen und nicht gehemmten Verlaufsarten überwogen, doch 
waren bei 3 Fällen im Verlaufe Stuporzustände zu konstatieren. 

Die Prognose des einzelnen Anfalles war günstig; nur 2 Fälle zeigten 
langdauemden Verlaufstypus, bei dem die Prognose zweifelhaft sein kann. 
Fast durchweg fanden sich manische und melancholische Zeiten in dem Ver¬ 
laufe. Auffallend erschien in einigen Fällen ein, was die Art des Affektes be¬ 
trifft, ganz besonders wechselvoller Verlauf. 

Vergleichen wir, wie sich diese Fälle der Zahl der Geschlechter nach zum 
manisch-melancholischen Irresein überhaupt verhalten, so finden wir, daß im 
manisch-melancholischen Irresein 07 % Frauen, 33 % Männer vorhanden sind, 
während hier die Frauen 88 % und die Männer 12 % ausmachen, also ein 
unverhältnismäßig starkes Überwiegen des weiblichen Geschlechtes, 
wie es der Psychogenie und der Hysterie an und für sich entspricht. 

Bei der Betrachtung des zweiten Punktes der Untersuchungen, der Aus¬ 
lösung der Psychose durch psychogene Momente, ist es notwendig, sich 
klar zu machen, inwieweit die Auslösung einzelner Phasen des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins überhaupt eine Rolle spielt. Zu diesem Zwecke wurde 
das Fortpflanzungsgeschäft und das auslösende Moment somatischer Erkran¬ 
kungen herangezogen. Im ganzen konnte in 31 % der Fälle ein auslösende« 
Moment festgestellt werden. Es ist das eine sehr hohe Zahl und es erscheint 
auffallend, welch geringe Würdigung dieser Punkt bisher gefunden hat. Von 
diesen 31 % faßen auf psychogene Auslösung 17, auf Auslösung im Ver¬ 
laufe der Generation 7 und ebensoviele auf die Fälle, welche durch somati¬ 
sche Erkrankungen ausgelöst wurden. -Ziehen wir zuerst die Auslösung 
durch das Generationsgeschäft heran, so sehen wir, daß die Hauptmasse der 
Fälle im Anschluß an eine Geburt und an die Menopause entsteht. Nur in 
2 Fällen trat die Psychose direkt bei Eintritt der Menstruation, bei 3 m der 
Gravidität, ferner bei 2 in der Laktation ein. Von diesen Formen ist oben 
schon ausführlicher die Rede gewesen. 

Wie schon erwähnt, gehören der Auslösung durch psychische Fak¬ 
toren 17 % der Fälle an; eine sehr erhebliche Zahl, wenn man bedenkt, daß die 
Auslösung durch Generations- und Krankheitsprozesse nur in zusammenge¬ 
nommen 12 % erfolgt; Als Ursache der Auslösung steht voran Todesfall unter 
den nächsten Angehörigen in mehr als der Hälfte der Fälle, nämlich in 37. In 



22 


Ätiologie. 


weitem Zwischenraum folgen die bekannten anderen Faktoren Streit, Ärger, 
Liebesaffären, Überanstrengung, Umzug usw. Verhältnismäßig häufig 
bleibt es bei einer Krankheitsphase (in 26 Fällen); 4 Fälle zeigen chroni¬ 
schen, 8 Fälle subchronischen Verlauf. In einigen Fällen kommen in späteren 
Phasen andere ätiologische Momente in Betracht. Die Mehrzahl der Fälle 
zeigt zirkulären Verlauf; dann folgen die mit depressivem und nur wenige mit 
rein manischem Verlaufe als der ersten und einzigen ausgelösten Phase. Die 
Auslösung erfolgt meist nach depressiven, oft recht lange wirkenden 
Eindrücken, wie Sorge und Überanstrengung. In % der Fälle besteht eine 
auslösende Ursache psychogener Art nur bei der ersten Phase. Die Kranken 
standen meist in jugendlichem bis mittlerem Alter; doch finden sich solche 
auslösenden Momente auch noch in höherem Alter, sp bei 4 Fällen zwischen 
60—70 und 2 Fällen zwischen 70—80 Jahren. 

Nicht uninteressant ist es, eine Reihe von Fällen zu * überblicken, die 
in ihrem Verlaufe periodisch sind, und deren Perioden verschiedene Ursachen 
aufweisen. Es wirft eine solche Übersicht ein merkwürdiges Licht auf den 
wirklichen Wert, den Studien über ätiologische Verhältnisse nach den be¬ 
stehenden systematischen Anschauungen haben. Der Wert ist ein sehr frag¬ 
würdiger. Ich habe eine Reihe von Fällen vor mir, die zweifache Ätiologie be¬ 
sitzen. So z. B. finden sich ,,Hochzeitssorgen und Entbindung“ als Ursachen 
für je eine Melancholie angeführt, „Sorgen und Zwist mit Mitschülern“, „Über¬ 
anstrengung und Liebesaffäre“, „Tod der Mutter und Hausverkauf“ — Haus¬ 
verkauf uüd -Kauf finden wir öfters angegeben —, „Typhus und Todesfälle 
in der Familie“, „Entbindung und Lungenentzündung“. Daran mögen sich 
einige Fälle anreihen mit dreifacher Ätiologie in den verschiedenen Phasen. 
Es wurde als Ursache angegeben: Schwere Entbindung, Krankenpflege und 
menstruelle Blutungen; seelische Aufregungen, dann zweimaliges Wochenbett, 
geistige Überanstrengung, unglückliche Liebe und Influenza. Zum Schlüsse 
sei ein Fall angeführt, bei dem in rein depressiven Erkrankungen wir folgende 
vier Ursachen angegeben finden: Umzug, Hochzeit der Tochter, Krankheit 
der Tochter, Lungenentzündung. So verschieden die Gründe, so gleichmäßig 
kann doch in solchen Fällen der Verlauf der Depressionen sein (Tafel 16 h, n). 

Einen den auslösenden Einwirkungen nicht entsprechenden (konträren) 
Affektzustand sehen wir sehr häufig; so findet sich des öfteren Manie nach 
Todesfällen und ebenso nach anderen deprimierenden Momenten. Über die Art 
der Psychosen, die durch solche Momente ausgelöst sind, ist wenig zu sagen. 
In bezug auf Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen, Bewußtsein usw. sind 
keine Störungen vorhanden, die irgendwie auf eine Besonderheit der Phasen 
schließen lassen; zu betonen ist, daß hysterische und psychogene Momente in 
der betreffenden Psychose keine Rolle spielen. In 10 Fällen findet sich in den 
verschiedenen Anfällen verschiedenartige Auslösung, bald psychischer, bald 
somatischer Art; in einigen sind verschiedene Generationsursachen vorhanden. 

Der Krieg hat unter seinen Teilnehmern nur eine sehr geringe Zahl von 
manisch-melancholischen Erkrankungen ausgelöst. Es sind im ganzen 6 % 
der Fälle, die bei einem großen Material zur Beobachtung gekommen sind. 
Es handelte sich meist um melancholische Erkrankungen, die vielfach speziell 
durch feindliches Feuer zum Ausbruch gekommen sind. Manische Erkrankungen 



Psyohische Einflüsse. 


23 


waren es wenige, meist Hypomanien, während mehrmals delirante Formen 
zur Behandlung kamen. Irgendwelche Besonderheiten wiesen die Fälle nicht 
auf. Sehr ungestüm war bei einem Teil der Fälle der Selbstmordtrieb. Vielfach 
wurden zyklothymische Anfälle, oft mit reichlich psychogenen Zutaten beobachtet. 
Warum bei diesem männlichen Material die Melancholien so auffallend über¬ 
wiegen, ist schwer zu beantworten. Wir wissen von Stammesunterschieden 
nach dieser Richtung; ob diese dafür bei dem untersuchten Material allein ver¬ 
antwortlich sind, oder ob nicht doch die schweren Schreck- und Angstein¬ 
wirkungen das depressive Moment in den Vordergrund schieben, kann ich 
nicht mit Sicherheit entscheiden; wahrscheinlicher ist das Letztere. 

Überblicken wir die Resultate obiger Ausführungen, so ist vorerst zu 
betonen, daß eine spezifische Konstitution, auf der das manisch-melancholische 
Irresein erwächst, anzunehmen ist. Dieser Konstitution können hysterische 
Faktoren beigegeben sein, wie es sich in einem Teil der Fälle ergeben hat. 
Reiß kann ich in der Abtrennung der konstitutionellen Verstimmung beistimmen, 
insofern dieselbe nicht die Symptome der manisch-melancholischen Kon - 
stitution trägt. Praktisch kann natürlich nicht jeder konstitutionell Ver¬ 
stimmte als manisch-melancholisch bezeichnet werden; biologisch sind es wohl 
die meisten. Ich kann aber Reiß darin nicht folgen, daß er den psychogenen 
Einflüssen auf die Gestaltung der Psychosen einzelner seiner kleinen Gruppen 
einen so großen Wert zumißt. Die Gestaltung von Psychosen, welche dem 
manisch-melancholischen Irresein zugehören, ist nicht durch psychogene 
Momente der Konstitution und der Auslösung wesentlich bedingt (s. später 
unter „hysterieverwandte Form“). Selbst die Beimengung hysterischer Er¬ 
scheinungen gibt der Psychose keinen besonderen Charakter, höchstens eine 
andere Färbung. Deshalb ist die Aufstellung von Hysteromelancholie oder 
hysterischen Psychosen, welche die Symptomatik des manisch-melancholi¬ 
schen Irreseins neben hysterischen Beimengungen auf weisen, abzulehnen. 
Die manisch-melancholische Konstitution möchte ich mit der konstitutionellen 
hereditären Lues vergleichen; auf letzterer Konstitution baut sich unter ge¬ 
wissen Umständen eine Paralyse auf. Bei der Katatonie wird niemand an der 
Diagnose zweifeln, wenn neben einwandfreien katatonischen bzw. Dementia 
praecox-Symptomen hysterische vorhanden sind, wie wir es bekanntlich oft 
antreffen. In dieser Beweisführung kann ich mich den entschiedenen Aus¬ 
führungen Nißls nur anschließen. 

Die Ergebnisse fasse ich folgendermaßen zusammen: Eine geringe An¬ 
zahl von Fällen des manisch-melancholischen Irreseins weist in der Konstitution 
und in der Erscheinungsform der Psychose psychogene bzw. hysterische Er¬ 
scheinungen auf. Die Konstitution mit psychogenen Beimengungen zeitigt keine 
dementsprechende Färbung der folgenden Psychose; das weibliche Geschlecht ist 
begünstigt; manische Zustände stehen im Vordergründe der Psychose. Eine 
große Anzahl von Fällen wird in einer oder mehreren Phasen durch schwere 
psychische gemütliche Erschütterungen gelöst. Die ersten Phasen der aus¬ 
gelösten Krankheit fallen in das frühe und mittlere Alter. Die Prognose ist in 
diesen Fällen günstiger wie im Durchschnitt beim manisch-melancholischen 
Irresein, was das Chronischwerden und überhaupt die Länge des ausgelösten 
Anfalles betrifft, öfters kommt es zur Auslösung kontrastierender Affektzu¬ 
stände. Melancholien, insbesondere agitierte, sind bevorzugt, entsprechend 



24 


Allgemeiner Teil. 


den die Depression auslösenden Einwirkungen. Die Auslösung erfolgt meist 
bei dem ersten Anfall; ob durch die Auslösung des ersten Anfalles die weitere 
Ausbildung der Psychose, bzw. das Auftreten weiterer Perioden begünstigt 
wird, ist fraglich, immerhin nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Psychose 
zeigt keine besondere mit der Auslösung in Zusammenhang stehende Färbung. 
In gleicher Weise wie durch psychische Einwirkungen wird die Psychose durch 
Generationsvorgänge, besonders Geburten, und durch körperliche Erkrankungen 
ausgelöst. 


D. Allgemeiner Teil. 

I. Rasse, Geschlecht. 

Zunächst mögen die Grundlagen besprochen werden, die Rasse, Geschlecht 
und familiäre Disposition geschaffen haben. Von der Melancholie schreibt 
Schott 1 ), sie sei bei der ländlichen Bevölkerung häufiger wie bei der städtischen. 
Gaupp 2 ) fand, daß in der Großstadtbevölkerung die Manischen und 
vielleicht überhaupt die Manisch-Depressiven in der ausgebildeten Form beim 
männlichen Geschlecht seltener sind; weiter gibt Gaupp an, daß die Juden 
atypische Bilder bieten. Gaupp glaubt ebenfalls, daß die Melancholie bei 
der ländlichen Bevölkerung häufiger ist als bei der städtischen. Piloz fand 
die Juden bei den periodischen Geistesstörungen besonders stark beteiligt. 
Ich führte im Jahresberichte der psychiatrischen Klinik in München für 1904 
und 1905 aus, daß die schwäbische Bevölkerung sich mit einem auffallend 
hohen Prozentsatz an der Gesamtzahl der manisch-depressiven Kranken der 
Stadt München beteiligte. Ein unverhältnismäßig starkes Überwiegen von 
Depressionen bei Schwaben gegenüber Angehörigen anderer Stämme konnte 
nicht konstatiert werden, obwohl erstere zur Melancholie neigen sollen. Das 
jüdische Element spielte in dem Material der Klinik keine besondere Rolle. 
Auffallend erschien, daß mindestens 24% der manisch-melancholischen Kranken 
den mittleren und wohlhabenden Ständen der Bevölkerung angehörten. 

Das Material konnte ich in den Jahren 1906 und 1907 noch weiter ergänzen, 
und darauf will ich im folgenden eingehen. Es fanden sich in dem Material der 
manisch-melancholischen Kranken 29 % Männer und 71 % Frauen. Es ist mit 
Bestimmtheit ein bedeutendes Übergewicht der Erkrankungen bei Personen 
weiblichen Geschlechts über die des männlichen Geschlechtes vor¬ 
handen. Was die soziale Stellung der Erkrankten betrifft, so gehören 40 % 
der Kranken den sozial besser Gestellten an, eine Tatsache, die nicht ohne 
weiteres erklärlich ist. Immerhin ist es naheliegend, auzunehmen, daß bei den 
sozial höher Stehenden infolge der Zuchtwahl die Degeneration eine bedeu¬ 
tendere ist wie bei den sozial auf einem niedrigeren Niveau Stehenden. Auf 
einige Punkte werde ich unten noch zurückkommen! 

Was die Zugehörigkeit zu einem der deutschen Stämme betrifft, so ge¬ 
hörten 55% des Münchener Materials dem bayerischen an. Eine unverhältnis- 

x ) Schott, Beitrag zur Lehre der Melancholie. Arch. f. Psych. 86, 1903. 

a ) Gaupp, Die.klinischen Besonderheiten der Seelenstörungen unserer Großstadt¬ 
bevölkerung. Münch, med. Wochensohr. 1906. 



Vererbung. 


25 


mäßig große Zahl (16 %) stellt der schwäbische Stamm, der in der Münchener 
Bevölkerung nicht in einem dieser Zahl entsprechenden Maße vertreten ist. 
Es ist anzunehmen, und es wird ja auch sonst behauptet, daß die Schwaben 
den Melancholien besonders zuneigen; wie aus der Zusammenstellung hervor¬ 
geht, sind überhaupt die Schwaben für das manisch-melancholische Irresein 
im Ganzen besonders disponiert. 

Von Bedeutung ist die Frage, ob das Geschlecht einen Einfluß auf die 
Entstehung der Erkrankung hat. Wir finden bei dem zur Verfügung stehenden 
Material, daß die Erkrankungen depressiver Art überhaupt um 26 % häufiger 
sind als die manischen; ferner, daß beim männlichen Geschlecht um 23 °/ 0 mehr 
manische, beim weiblichen um 41 °/ 0 mehr depressive Erkrankungen Vorkommen. 
Es verhält sich die Häufigkeit der manischen zu den depressiven Kranken 
beim männlichen Geschlecht wie 2: 1, beim weiblichen wie 1: 2,6. Nach brief¬ 
licher Mitteilung von Wil manns war in der Heidelberger Klinik im Jahre 1905 
das Verhältnis anders; es fanden sich dort um fast ein Drittel mehr manische 
Erkrankungen als depressive. Das Verhältnis der Geschlechter war dort fol¬ 
gendes: manisch : depressiv beim männlichen Geschlecht wie 3: 2, beim weib¬ 
lichen wie 4: 3. 

Es ist dem zu entnehmen, daß bei dem Material, das die Heidelberger 
Klinik enthält, wie beim Münchener, im männlichen Geschlecht die Manie 
überwiegt; daß aber in München beim Weibe die Depression, in Heidelberg 
die Manie das Übergewicht hat. Es sind interessante Fragen, die erst gelöst 
werden können, wenn nach einheitlichen klinischen Gesichtspunkten große 
geographische Gebiete durchforscht sind. Ich möchte hinzufügen, daß nach 
dem sächsischen Material, das die Anstalt Leipzig-Dösen beherbergt, die 
Depressionen bei weitem überwiegen; dasselbe Resultat gibt das Material 
der Bremer Staatsirrenanstalt. 

II. Vererbung. (Tafelt u. 3.) 

Im Folgenden will ich auf die Verhältnisse der Aszendenz und Des¬ 
zendenz eingehen, soweit sie mir für das manisch-melancholische Irresein 
von Belang zu sein scheinen. Es ist zu unterscheiden zwischen psychisch¬ 
krankhaften Zuständen im allgemeinen und Zuständen, die als manisch-melan¬ 
cholisch im speziellen anzusehen sind. Die letzteren können sich in einer ent¬ 
sprechenden ;,manisch-melancholischen“ Konstitution mit psychopathischen 
Symptomen oder auch in ausgesprochen manisch-melancholischen Phasen 
zeigen.] 

Was Eltern und Geschwister der Kranken betrifft, so haben sich 
in 61 % der Fälle krankhafte Zustände schwerer oder leichter Art ergeben. 
Von diesen fielen 26 °/o au f gleichartige Erkrankungsformen, 35 °/o au ^ anders¬ 
artige Formen. Abgesehen davon fanden sich in 10 °/o ^ der Familie ein oder das 
andere Glied mit hochgradigem Potatorium. Da bekannt ist, daß psychisch 
minderwertige Individuen in besonderer Zahl dem chronischen Alkoholismus 
verfallen, so könnte man mit Recht diese 10 °/o zur psychischen Belastung 
hinzuzählen. In ungefähr jedem sechsten belasteten Fall fand sich eine 
mehrfache Belastung. Die Deszendenz konnte in einer Anzahl von Fällen 



26 


Allgemeiner Teil. 


der Münchener Klinik von mir untersucht werden; es ist interessant, daß in 
kinderreichen Ehen manisch-melancholischer Kranker eine Anzahl von Kindern 
manisch-melancholische Züge in geringem Maße trägt ; ob es später bei 
diesen zu ausgeprägten Psychosen kommt, steht dahin; die Möglichkeit besteht 
bei der Art der Disposition jedenfalls; ja ich glaube, man kann von einer ge¬ 
wissen Wahrscheinlichkeit sprechen. Im Folgenden möchte ich die Untersuchung 
der Kinder manisch-melancholischer Kranker näher besprechen. 

1. Familie. Der Vater war ein reizbarer Potator; ein Bruder ist ver¬ 
kommen; Patientin ist manisch-melancholisch mit vielfachen leichten manisch¬ 
melancholischen Perioden; sie war als Kind schon stundenweise „melancholisch“ 
und weinte vor sich hin. Von ihren 4 Kindern ist eines ganz gesund, ein Sohn 
ist schwer erziehbar, ein Kind ist erregbar und hitzig, doch geistig sehr voran; 
ein Kind ist. eigensinnig, erregbar, hat schwere Träume und walzt sich nachts 
viel herum. Der Vater der Kinder ist gesund. 

2. Familie. Keine hereditäre Belastung. Ehemann gesund. Psycho¬ 
pathische Anlage der manisch-melancholischen Patientin; war immer „für sich“, 
leicht erregbar und nervös. Konstitutionelle Stimmungslage: leicht deprimiert. 
Während der melancholischen Erkrankung hysterischer Anfall. 5 Kinder; 
davon 3 klein gestorben. I Kind machte englische Krankheit durch und hatte 
mit 1 Jahr Zustände von Bewußtlosigkeit; es ist ängstlich, nervös, erregbar 
und kann keinen Widerspruch vertragen; 1 Kind hatte Zahnfraisen mit 1 Jahr, 
ist in der Stimmung häufig „grandig“, unzufrieden. 

3. Familie (Stammbaum Tafel 2, Fig. 4). Vater zeitweise schwermütig, 
Vatersbruder geisteskrank, Mutter aufgeregt, Patientin manisch-melancholisch; 
als Kind furchtsam, leicht erregt, ängstlich, später immer ernste Gemütsart; 
keine heiteren Verstimmungen. Ehemann gesund; 5 Kinder, davon 2 gesund. 
Von den übrigen Kindern ein Sohn zeitweise Kopfschmerzen, schreckhaft, 
erregbar, weinerlich, wie die Mutter in Kindesjahren war, sehr still; ein Mädchen 
schüchtern, schreckhaft, still, für sich; ein Mädchen sehr zum Weinen geneigt, 
durch Kleinigkeiten betrübt, ftoch aufgeweckt. 

A. Familie. Großvater Potator, Vater geisteskrank, Patient manisch¬ 
melancholisch. In der Jugend hatte Patient nach Rheumatismus Chorea 
(minor?). Bei jeder Erkrankung choreatische Unruhe. Konstitutionell erreg¬ 
bar. Ehefrau, sowie deren Familie, gesund. 6 Kinder, davon 4 ohne besondere 
krankhafte Eigenschaften, obwohl sie nach Aussage der Mutter auch nicht 
vollkommen gesund sind. 1 Tochter hat als Kind gestottert, ist leicht beleidigt, 
fühlt sich zurückgesetzt. 1 Tochter hat nervöses Augenleiden, ist launisch, 
erregbar, boshaft, „grandig“, streitlustig; diese Eigenschaften kehren von 
Zeit zu Zeit wieder. I Sohn sehr zerstreut, jähzornig, flatterhaft; intellektuell 
hochstehend. 

Ö. Familie, Patient manisch-melancholisch. Keine Belastung, Ehe¬ 
frau gesund. 4 Kinder; 1 Mädchen hat öfters Kopfweh, ist kurzsichtig, bleich¬ 
süchtig, zeigt läppisches Wesen, ist jedoch intellekteil gut; 1 Sohn hier und da 
verstimmt, kommt mit Anderen schlecht aus, „er ist manchmal für den ganzen 
Tag verloren“. 1 Sohn mit „unangenehmem Humor“, sehr zornig; 1 Sohn 
gesund. 

6. Familie. Vater Trinker. Patientin manisch-melancholisch. Ehe¬ 
mann tuberkulös, psychisch gesund. 1 Kind mit 1 / A Jahr gestorben; 3 lebende 



Vererbung. 


27 


Kinder. 1 Tochter gesund; 1 Sohn furchtsam, weinerlich, träumt sehr schwer; 
zornig. 1 Sohn gesund. 

Die Kinder, die in körperlicher und psychischer Beziehung genau unter¬ 
sucht wurden, wurden von den Angehörigen dem Arzte bei Aufnahme der Ana¬ 
mnese fast regelmäßig als gesund bezeichnet. Die pathologischen Eigenschaften 
sind auch meist keine so hervorstechenden, daß die Kinder, deren Intellekt 
ein recht guter zu sein pflegt, als krank im engeren Sinne zu bezeichnen sind. 

Das starke familiäre Auftreten psychischer Abnormitäten neben manisch- 
melancholischen Erkrankungen steht meiner Meinung nach im Ganzen im 
Gegensatz zu den hereditären Verhältnissen bei der Dementia praecox. 
Bei letzterer Erkrankung sehen wir nicht selten, daß ein Fall in eine gesunde 
Familie „hineinplatzt“, was beim manisch-melancholischen Irresein kaum 
vorkommt. 

Was die hereditäre Belastung betrifft, so gibt es Fälle, in denen man über 
Erkrankungen in der Familie nichts erfahren kann, sei es aus Unkenntnis, sei 
es aus Zurückhaltung; es ist nicht selten die Meinung verbreitet, daß die Be¬ 
lastung den Fall als einen besonders schweren in den Augen des Arztes darstellen 
könnte; und da die Angehörigen es oft vermeiden möchten, daß der Arzt ein 
solches ungünstiges Urteil gewinnt, werden nähere Angaben unterlassen. 

Bei Durchsicht meines Materials stellt sich heraus, daß in der bei weitem 
größten Zahl der Fälle Angaben über erbliche Belastung gemacht sind. Eine 
recht erhebliche Zahl (ca. 25 %) zeigt eine Belastung mit Geisteskrankheiten 
oder psychischen Abnormitäten, die von zwei Seiten der Aszendenz herrühren. 
Diese sehr häufige doppelseitige Belastung rührt entweder von den 
Eltern oder auch nicht selten schon von den höheren Generationen her. Die 
nähere Betrachtung derart belasteter Fälle läßt ersehen, daß in der Mehrzahl 
die Erkrankung selbst stetige, starke Schwankungen, die als ein Anzeichen 
einer schweren Form gelten können, zeigt. Die Kette der Erkrankten ist meist 
eine ununterbrochene; in seltenen Fällen kommt es vor, daß eine Generation 
übersprungen ist. Die von mütterlicher und väterlicher Seite stammende 
Degeneration hält sich im allgemeinen das Gleichgewicht. 

Ich habe weiterhin versucht, zu ersehen, ob eine verschiedenartige Be¬ 
lastung bei Zusammentreffen aus zwei Linien eine Besonderheit der Degene¬ 
ration hervorzurufen imstande ist. Zu bemerken ist, daß bei diesen Unter¬ 
suchungen leider eine Vollkommenheit nur in sehr wenigen Fällen zu erreichen 
ist. Es stellte sich heraus, daß bei den doppelseitig belasteten Fällen ungefähr 
in gleichviel Fällen neben manisch-melancholischer Degeneration Epilepsie, 
Hysterie, Alkoholismus chronicus und Arteriosclerosis cerebri sich findet. Bei 
den Fällen, in denen die Belastung in einer Linie der Aszendenz liegt, finden 
sich in vielleicht 70% rein manisch-melancholische Erkrankungen; in ca. 
15 % ungefähr findet sich neben den genannten noch Alkoholismus, in ca. je 
5 % Hysterie, Epilepsie und Himarteriosklerose. Die der Zahl nach verhäng¬ 
nisvollste Belastung scheint die aus manisch-melancholischem 
Irresein und Epilepsie bestehende zu sein. Die*mit Hysterie verbundene 
manisch-melancholische Heredität findet sich hauptsächlich bei Fällen, die 
viele verhältnismäßig kurze Anfälle mit guten Intermissionen zeigen. 



28 


Allgemeiner Teil. 


Was die Gesundung, wenn auch nur die zeitweilige, betrifft, so geben die 
Fälle, bei denen sich neben manisch-melancholischen Erkrankungen solche 
von Epilepsie und Arteriosklerosis cerebri finden, die weitaus trübsten Aus¬ 
sichten. Die sehr lange dauernden, chronischen Fälle gehören fast sämtlich 
zu den hereditär sehr schwer belasteten. Der Alkoholismus in der Aszendenz 
scheint keine Besonderheiten in der Degeneration der Deszendenz zu zeitigen; 
es wird das wohl mit der Mannigfaltigkeit der Momente, die den Alkoholismus 
zeitigen, Zusammenhängen. 

Aus der Zahl der Fälle, die ich für obige Untersuchungen benutzt habe, 
habe ich eine Anzahl ausgewählt, um zu zeigen, inwieweit die Familie in bezug 
auf Zahl der Individuen und in bezug auf die Art der Erkrankung und deren 
klinischen Verlauf degeneriert erscheint. 

1. Familiäre Erkrankungen in manisch-melancholischem Sinne. 

a) Familie S. (Tafel 2, Fig. 1). Eine enorme Zahl von Erkrankungs¬ 
fällen in einer sehr kinderreichen Familie. Von 31 hereditär in Betracht kommen¬ 
den sind 6 ausgesprochen geisteskrank; unter diesen findet sich Patientin, 
eine manisch-melancholische Verbrecherin. Weiterhin findet sich 3 mal Suicid, 
4 mal psychopathische Konstitution mit Reizbarkeit und Nervosität. 1 Familien¬ 
mitglied starb an Apoplexie. Die als geisteskrank bezeichneten Glieder werden 
als melancholisch geschildert; man wird in Anbetracht der vielen Suicide nicht 
mit Unrecht annehmen, daß es sich um manisch-melancholische Erkrankungen 
handelt. Das meiste Interesse erfordert die Familie der zweiten Tochter, in der 
unter 10 Gliedern in 6 Fällen Suicid oder Geisteskrankheit vermerkt ist. 

b) Familie B. (Tafel 2, Fig. 2, ferner Tafel 15, a u. b). Vaterschwester 
hysterisch, Mutter und zwei Kinder manisch-melancholisch. Israelitisch. Die 
Tafeln geben den Lebenslauf der Mutter und Tochter wieder. 

c) Familie G. (Tafel 2, Fig. 3, Tafel 16, c u. d). Ähnliche Verhältnisse 
wie bei b). Die Psychose der Tochter beginnt in der Jugend, während der Vater 
in höherem Lebensalter zum erstenmale erkrankt. Ungünstiger Verlauf bei 
Vater und Tochter wie bei b). 

d) Familie L. (Tafel 2, Fig. 4). Vielfache Degeneration in der Familie 
von zwei Seiten. Unter den 5 Kindern sind 3 psychopathisch (siehe 3. Familie 
bei Kinderuntersuchung). 

e) Familie W. (Tafel 2, Fig. 5, Tafel 15, e, f, g). Vater und zwei Kinder 
manisch-melancholisch. Der Typus der Erkrankung ist sehr ähnlich; wie oben 
Erkrankung der Kinder in jüngeren Jahren wie beim Vater; ungünstiger Ver¬ 
lauf. 

f) Familie St. (Tafel 2, Fig. 6, Tafel 15, h, i). 4 Mitglieder einer Familie, 
von gesunden Eltern abstammend, geistig nicht normal; davon 3 schwere 
Psychosen manisch-melancholischer Art. Die Tafeln zeigen den Lebenslauf 
von zwei Geschwistern. Der Typus ist nicht absolut ungünstig, subchronisch. 

2. Erkrankungen manisch-melancholischer Art in Familien, 
in denen eine — meist manisch-melancholische — Belastung von zwei Seiten 
besteht. Ungünstiger Verlauf der Psychose. 

a) Frida L. (Tafel 3, Fig. 7). Familie von 7 Köpfen psychisch krank; 
darunter 2mal Suicid. 



Körperliche Konstitution. 


29 


b) Klemens S. (Tafel 3, Fig. 8). Schwere, sehr wahrscheinlich manisch- 
melancholische, doppelseitige Degeneration. 

c) Julius K. (Tafel 3, Fig. 9). 

3. Erkrankungen manisch-melancholischer Art mit Belastung in einer 
Linie. Verlauf verschiedenartig. 

a) Ludwig K. und Julius E. (Tafel 3, Fig* 10) (Vettern). Blutsver¬ 

wandtschaft der Eltern; Degeneration spezifischer Art nur in der mütterlichen 
Linie nachweisbar. Es ist wieder die Häufung von Degeneration in einer Familie 
zu sehen (2 Suicide). * 

b) Georg W. (Tafel 3, Fig. 11); eine ununterbrochene Kette in der 
Belastung väterlicherseits. Psychose günstig. 

c) Theodor L.* (Tafel 3, Fig. 12). Ähnlich wie bei b) Psychose un¬ 
günstigen Charakters. 

d) Pauline L. (Tafel 3, Fig. 13). Schwere Belastung von einer Seite 
her. Ungünstige Prognose der Psychose, verhältnismäßig gute Intermissionen. 

4. Erkrankungen manisch-melancholischer Art; Belastung manisch¬ 
melancholisch und epileptisch. Sehr ungünstige Prognose. Schwere 
Degeneration. 

a) Fritz W. (Tafel 3, Fig. 14). Bruder epileptisch, Onkel Idiot. 

b) Johann H. (Tafel 2, Fig. 15). Großvater epileptisch. 


III. Konstitution, 

a) Körperliche Konstitution. 

Was die somatischen Verhältnisse beim manisch-melancholischen 
Irresein betrifft, so ist darüber zu bemerken, daß spezifische körperliche 
Konstitutionsanomalien nicht vorliegen. Im allgemeinen erfreuen sich die 
manisch-melancholischen Kranken einer erheblichen körperlichen Wider¬ 
standskraft, die sie die schweren Störungen, die in bezug auf Nahrungs¬ 
aufnahme, Verdauung usw. — von diesen Symptomen wird unten noch ein¬ 
gehender die Rede sein — stattfinden, ohne dauernde Schädigung ertragen 
'lassen. Selten finden sich schwere körperliche Degenerationen. Rachitis, 
Zwergwuchs, Tuberkulose sieht man sehr selten; ebenso sind Erkrankungen 
der Kropfdrüse nicht häufig, insbesondere erscheint ein Zusammenhang eines 
Morbus Basedowi mit der Erkrankung selten; doch sind Fälle von Schröder- 
Riga beschrieben, in denen bei manisch-melancholischen Krankheitsphasen 
eine Vergrößerung der Schilddrüse zustande kommt, die nach Ablauf der Er¬ 
krankung wieder zurückgeht. Auch »Untersuchungen nach Abderhalden 
haben weder in Hinsicht auf die Schilddrüse noch in Hinsicht auf andere für die 
innere Sekretion wesentliche Drüsen irgend einen Zusammenhang mit dem 
manisch-melancholischen Irresein bisher ergeben. Anders verhält es sich mit 
leichten degenerativen Störungen wie Ohranomalien, erblicher Haarausfall 
und ähnlichen weniger wichtigen Erscheinungen. Im allgemeinen ist demnach 
zu sagen, daß im Gegensatz zu anderen psychischen Erkrankungsformen wie 
Epilepsie und Dementia praecox die körperliche Degeneration eine recht 
geringe Rolle spielt. 



30 


Allgemeiner Teil. 


Doch möchte Einiges angeführt werden, was ätiologisch später noch be¬ 
sonders besprochen werden wird. Hier kommt in Betracht die Chlorose, die 
wir in einer auffallend großen Zahl von weiblichen Kranken in der Jugend 
finden; vielfach fällt in diese Zeit im Zusammenhang mit der Pubertät die erste 
Phase der Erkrankung in Form einer leichten Depression. Das Zessieren 
der Menses mag auch in diesem Zusammenhänge von besonderem Interesse 
sein. Manische Erkrankungen scheinen sich seltener mit Chlorose zu verbinden. 

Weiterhin ist als körperliche Disposition zu erwähnen die Arteriosklerose, 
ferner der Diabetes mellitus und die Glykssurie. Anschließend an akute 
Infektionskrankheiten in der Jugend finden wir recht häufig, ohne daß 
wir das Weiterbestehen einer Infektion konstatieren können, eine manisch¬ 
melancholische Phase. Hier ist vor allem der Typhus mit besonderer Be¬ 
teiligung des Sensoriums, und die Meningitis infectiosa zu erwähnen. 
Letztere ist in diesem Zusammenhänge nur als Sammelbegriff für eine Reihe 
von Infektionskrankheiten zu verstehen, die zuweilen mit Affektion der Hirn¬ 
häute einhergehen (Influenza, Pneumonie, Typhus, Erysipel). 

b) Psychische Konstitution. 

Die intellektuellen Eigenschaften stehen bei den manisch-melan¬ 
cholischen Kranken fast durchweg auf einer auffallend hohen Stufe. Nach meiner 
Statistik an dem Materiale der Münchener Klinik kann man bei 52 °/ 0 der Fälle 
von einer Verstandesanlage sprechen, die den Durchschnitt überragt. Im¬ 
bezillität findet sich nur in einer verschwindend kleinen Anzahl von Fällen. 

Es ist die Frage aufzuwerfen, ob nicht die spezifisch manisch-melancho¬ 
lische Konstitution die Entwicklung der Verstandesanlage besonders be¬ 
günstigt. Zweifellos erscheint mir, daß Fälle mit geringer Denkstörung, ins¬ 
besondere solche mit leichter Expansion, mit einer leichten psychomotorischen 
Erregung und einer leichten manischen Affektlage in bezug auf intelektuelle 
Ausbildung des Verstandes begünstigt sind. Solche Kranke, insbesondere 
die chronischen Fälle konstitutioneller Art, pflegen eine leichte Auffassungs¬ 
fähigkeit, große Schlagfertigkeit und große Anpassung zu zeigen. Allerdings 
besteht dabei nicht selten erhebliche Kritiklosigkeit in bezug auf die Grenzen, 
die ihre Leistungsfähigkeit hat, und in bezug auf das Verhalten zu ihrer Um¬ 
gebung. 

Zu erwähnen ist, daß in ca. 11 °/ 0 chronischer Alkoholismus beträcht¬ 
licher Art besteht. Wie oben erwähnt, ist derselbe der Ausfluß psychopathischer 
Eigenschaften, insbesondere einer eigentümlichen Willensschwäche. 

Wenn wir hier von Psychopathie sprechen, so bezieht sich dieselbe 
besonders auf Affektstörungen, die den Lebenslauf eines großen Teiles der Kran¬ 
ken verfolgen. Ich fand in 58 % der Fälle psychopathische Konstitution in 
erheblichem Maße; die Trinker sind in dieser Zahl nicht inbegriffen. 

Welcher Art sind diese psychopathischen Störungen? Finden wir 
in den verschiedenen Formen des manisch-melancholischen Irreseins ver¬ 
schiedene Arten der psychopathischen Konstitution ? Es sind dieselben psychi¬ 
schen Störungen, welchen wir in den ausgesprochen krankhaften Zuständen 
des manisch-melancholischen Irreseins begegnen, Störungen von Seiten des 
Affektes, verbunden mit Störungen psychomotorischer Art. Selbstver- 



Psychische Konstitution. 


31 


stündlich kann man nur bei sehr sorgfältiger und vorurteilsloser Erhebung der 
Anamnese den zu besprechenden konstitutionellen Störungen auf die Spur 
kommen. Es ist nicht nur nötig, nach Verstimmung und Erregung zu fragen; 
wir müssen uns die geistigen Eigenschaften der betreffenden Persönlichkeit 
genau schildern lassen; Temperament, Charakter, Schlaf, Tagesschwankungen, 
Kopfschmerzen usw. kommen in besonderem Maße in Betracht. Nach dem 
mir vorliegenden Material sind 5 Gruppen zu unterscheiden. 

1. Fälle mit ausgesprochenen, wenn auch nicht erheblichen Schwan¬ 
kungen nach der melancholischen und nach der manischen Seite zu. Es ist 
das eine sehr ausgedehnte Gruppe, die vielleicht noch reichlicher ausfallen 
würde, wenn wir bei den anderen Gruppen in jedem Falle eine ganz genaue 
Anamnese hätten. Wir hören, daß die Patienten wechselnd in ihrer Laune sind, 
daß das Gefühlsleben sich in Extremen bewegt, daß sie kurze Zeiten still und 
zurückgezogen sich verhalten, dann wieder expansiv in ihrer Lebensart werden. 
Schilderungen wie: „Nahm alles schwer, kam aber stets schnell darüber hinweg“, 
„Tränen, Zorn und Lachen wohnen nahe beisammen“ sind typisch. Zweifellos 
ist meist eine Stimmungslage die vorherrschende, sie kann mehr depressiv 
oder mehr manisch, zornig, gereizt usw. sein, und kann alle Nuancen der Affekt- 0 
mischung umfassen. 

2. Fälle, in denen eine psychomotorische Erregung konstitutionell 
vorgebildet ist. Es handelt sich um eine recht erhebliche Zahl; dazu gehören 
chronisch Manische, bei denen der Beginn der Erkrankung als Steigerung der 
konstitutionellen Anomalie zeitlich fixierbar ist; ferner sind bei dieser Gruppe 
eine Anzahl von Zirkulären mit vorherrschend manischen Zeiten, schließlich 
einige Depressive, bei denen die Depression mit psychomotorischer Erregung 
verbunden ist. Es finden sich also hier psychomotorisch erregte Fälle mit meist 
manischem Affektzustand. 

Wir hören von solchen Kranken, sie seien auch in gesunden Tagen leicht 
erregt, lebhaft, extravagant. Sie seien hitzig, fidel, immer bei gutem Humor. 
Bei männlichen Kranken finden wir öfters Alkoholexzesse, bei weiblichen 
sexuelle Ausschweifungen erwähnt. Es wird gesprochen von unbändigemCharakter, 
zwischendurch auch, doch wenig bei den Kranken dieser Form, von Reizbarkeit. 
Stets haben sie hochfliegende Pläne: sie schließen sich gerne an und sind ausge¬ 
sprochen gesellschaftig. Von einer Kranken wird erzählt, sie sei „wie der Teufel 
aus der Hölle“ in den guten Zeiten. Daß solche Charaktere zu Verbrechen und 
Vergehen aller Art neigen, ist erklärlich; sie zeigen auch den Hang zum Auf¬ 
schneiden und Prahlen, sie sind zerstreut. 

3. Fälle, die konstitutionell depressiv in Gestalt von leichter ängstlicher 
Erregung sind: eine psychomotorische Erregung gehört zu dem psychologischen 
Bilde der Angst ohne weiteres. Bei den in diesen Fällen zutage tretenden 
Psychosen spielen Depressionen die Hauptrolle; dieselben sind fast immer mit* 
psychomotorischer Erregung in Gestalt von Angstzuständen verbunden; neben 
den rein depressiven Fällen finden sich auch einige zirkuläre. Die Kranken 
gelten als aufgeregt und empfindlich von Jugend auf; sie haben immer krank¬ 
hafte „Einbildungen“ gehabt, waren immer ängstlichen Charakters. Sie 
können sich über jede Kleinigkeit alterieren, sind immer furchtsam; wir hören, 
daß sie erregbar sind und zu trauriger Gemütsstimmung von jeher neigen ; auch 
eine leichte Andeutung von Verfolgungsideen finden wir manchmal. 



32 


Allgemeiner Teil. 


4. Fälle, die in krankhaftem Zustande manische und melancholische Er¬ 
krankungen hervorbringen oder auch beides für sich, meist aber eine besondere 
Neigung zu manischen Erkrankungen zeigen, vielfach im Sinne des Unzu¬ 
friedenseins, Nörgelns oder des ausgeprägten Zornes. Die Konstitution 
dieser Kranken ist meist manisch-zornig und querulierend, in wenigen Fällen 
depressiv gereizt; immer sind die Hemmungen in Wegfall gekommen. Bei den 
Kranken, bei denen die manische Komponente in den „gesunden“ Zeiten über¬ 
wogen hat, hören wir, sie seien von jeher sehr jähzornig, gewalttätig, empfind¬ 
lich, reizbar, heftig; bei Frauen wird die Neigung zu Boshaftigkeit und Zänkerei 
hervorgehoben; es sind die Frauen, die als „bös“ gelten und immerfort mit ihrer 
Nachbarschaft in Konflikt leben. Von der Neigung zu Tierquälereien und der, 
die Leute zu ärgern, hört man nicht selten in der Anamnese; dabei haben diese 
Kranken eine hohe Meinung von sich. Es zeigt ein solcher Kranker häufig 
Neigung zu Trotz. Daß solche Charaktere vielfach mit dem Strafgesetz in Kon¬ 
flikt kommen, insbesondere wenn der Alkohol noch in Betracht kommt, liegt 
auf der Hand. In den Fällen, in denen die depressive Komponente im Vorder¬ 
gründe des Bildes steht, heißt es, die Kranken seien von jeher verstimmt, reizbar; 

.Pessimismus verbindet sich hier mit Zommütigkeit. 

6. Fälle, die eine depressive (melancholische) Qrundstimmung 
aufweisen, der eine psychomotorische Hemmung anhaftet. Die Psychosen 
sind meist typische Melancholien, öfters auch zirkulär; rein manische Perioden 
finden sich hier nicht; doch kommt in sehr wenigen Fällen in der Psychose eine 
psychomotorische Erregung zum Ausdruck. Das Gemüt dieser Kranken wird 
oft als „furchtbar weich“ geschildert; im späteren Leben erscheinen sie ab 
grüblerisch, pessimistisch, still, zurückgezogen und auch verschlossen. Auf¬ 
fallend ruhig, scheu und gedrückt sind diese Kranken, sie halten sich gerne 
für sich, schätzen die Einsamkeit, schließen sich schwer an und halten sich 
von Geselligkeit zurück. Sie machen sich leicht übertriebene Sorgen, sind 
häufig unentschlossen, schüchtern, schreckhaft und verlegen; sie haben die 
Neigung, alles recht schwer zu nehmen. Vielfach kommen bei solchen Kranken 
Selbstmordideen vor. Von einzelnen Kranken hört man, sie seien sehr empfind¬ 
lich gegen Musik; dieselbe rührt sie zu Tränen, und sie haben das Gefühl, daß sie 
dieselbe nicht vertragen können. Auch die ängstliche Gewissenhaftigkeit 
(Pedanterie) als leisester Ausdruck des typischen Symptoms der Selbstvorwürfe 
findet sich nicht selten. 

Aus dem Angeführten ist zu ersehen, daß wir es bei den Manisch-Melan¬ 
cholischen mit degenerierten, psychopathischen Persönlichkeiten zu tun haben, 
deren Degeneration sich vollkommen in der Richtung des Symptomenkomplexes 
des manisch-melancholischen Irreseins bewegt; wir sind so imstande, einen 
Ausschnitt aus der großen Gruppe der Psychopathie auszulösen und ab manisch¬ 
melancholische psychopathische Konstitution zu bezeichnen. Wir 
können demnach bei Personen, die bisher keine manisch-melancholische Psychose 
durchgemacht haben oder die eine solche Erkrankung, wie es häufig vorkommt, 
erst in der Involution bekommen, aus dem psychopathischen Status die spezifische 
Veranlagung diagnostizieren. Man muß bei solchen Persönlichkeiten offen 
lassen, ob später eine Erkrankung wirklich eintreten wird oder nicht. 

Die Übergänge zu chronischen psychopathischen Zuständen manisch- 
melancholischer Art sind häufig; nach meiner Ansicht stellt die konstitutionelle 



Psychische Konstitution. 


33 

Verstimmung und die konstitutionelle Erregung, systematisch betrachtet, den 
Übergang von Psychopathie zur Psychose dar, zu deren Charakter das Chronische 
gehört. Vielfach finden wir bei diesen Psychopathen tage- oder stundenweise 
leichte Steigerungen ihrer konstitutionellen psychopathischen Eigenschaften, 
bei denen man dann im Zweifel sein kann, ob diese Exazerbationen als psychotisch 
zu betrachten sind oder nicht. Psychiatrisch theoretisch ist diese Unterscheidung 
nicht sehr ins Gewicht fallend; sehr wichtig aber ist der Unterschied in praktischen, 
insbesondere in forensischen Fragen. Ehe die Experimentalpsychologie im¬ 
stande ist, uns Maße für die verschiedenen Reaktionsweisen anzugeben und da¬ 
durch eine Grenze zu bestimmen, bleibt nichts übrig, als nach subjektivem 
Urteil von Fall zu Fall die Entscheidung zu treffen. 

Ich möchte schließlich noch auf die Frage der Schwankungen bei den 
in Betracht gezogenen Psychopathen hinweisen. Wie bei den Kranken, so finden 
wir hier Schwankungen, Wellenbewegungen in dem Zustand nach den ver¬ 
schiedenen Richtungen hin, die sich auf Stunden, Tage, Wochen, Monate, ja 
Jahre hinziehen können. Es ist klar, daß sich diese Bewegungen in der gesunden 
und krankhaften Zeit in der gleichen Weise zeigen werden. Auffällig ist, wie 
verschieden die Länge der Wellenberge bei den verschiedenen Individuen sich 
darstellt. Wir können theoretisch annehmen, daß auf eine Zeit der Krankheit 
eine ebenso lange Zeit der Ruhe eintreten wird. Vielleicht kommen wir durch 
eine solche Betrachtungsweise dem Verständnis der Psychosen näher, die wir 
nur einmal im Leben finden. Es ist möglich^ das die Psychose so lange währt, 
daß das Wellental theoretisch den Tod überdauert, oder bei kurzen, daß äußere 
Momente zu einer Erhöhung des Wellenberges beitragen. Sicher ist, und darauf 
sind wir beim Abschnitt über psychogene Auslösung des näheren eingegangen, 
daß äußere Verhältnisse Psychosen auslösen können, wahrscheinlich eben dann, 
wenn eben der Anstieg zu einer Welle sich vorbereitet; der Wellenberg wird dann 
höher weiden, als wenn äußere Umstände nicht mitgewirkt hätten. Vielleicht 
ist bei zirkulären oder periodisch manischen Fällen so zu erklären, daß unter 
Umständen, die eigentlich den Affekt depressiv beeinflussen müßten, wie Todes¬ 
fälle usw., eine verkehrte „paradoxe“ Reaktion, nämlich manische, gehobene 
Stimmung eintritt. 

Anzuführen ist, daß man von Traumen, die etwa für den Ausbruch späterer 
Psychosen verantwortlich gemacht werden könnten, wie das gerne von Laien 
und Ärzten geschieht, selten hört. Onanie spielt, wie überhaupt bei Psycho¬ 
pathen, eine gewisse Rolle in der Jugendzeit. Die Onanio während der Psy¬ 
chose soll später besprochen werden. 

Ein Patient — den Fall entnehme ich meinem Material — hat in der Jugend 
im Anschluß an Rheumatismus Veitstanz durchgemacht. Es mag nicht un¬ 
interessant sein, daß in den manisch-melancholischen Psychogen dieses Kranken, 
die in Mischzuständen depressiver Art mit schwerer psychomotorischer Er r 
regung bestanden, jedesmal choreatische Zuckungen auftraten, die sich besonders 
auf den Facialis lokalisierten und als Tic imponierten. Veitstanz in Gestalt der 
Chorea maior (hysterica) findet sich nur sehr selten in der Vorgeschichte, e 

Auffallend ist, daß wir bei einigen der schwersten chronischen Fälle ana¬ 
mnestische Angaben über Fraisen („Zahnkrämpfe“) in der frühesten Kindheit 
finden. Diese Bemerkung gewinnt im Anschluß an folgende Beobachtung 
besonderen Wert. In einer recht erheblichen Zahl von Fällen erfahren wir, 

Reh ra, Das manisch -melancholische Irresein. 3 



34 


Allgemeiner TeiL 


daß die Patienten in der Kindheit schwere infektiöse Erkrankungen durchge¬ 
macht haben, so Erysipel, Scharlach und besonders Typhus. Diese Erkran¬ 
kungen sind meist mit besonders stark hervortretenden deliriösen Erscheinungen 
verlaufen. Es ist möglich, daß durch solche Erkrankungen der Grund einer 
Disposition für spätere Psychosen gelegt wird. Wir wissen ja, daß wir in den 
Hirnhäuten bei solchen Infektionskrankheiten die Erreger, vielfach in Menge, 
angehäuft finden. Es wird vielen Beobachtern auf gefallen sein, daß die rheu¬ 
matische Chorea bei den jugendlichen Erkrankungen eine gewisse Bolle 
spielt. Sehr häufig finden wir ferner, daß zu gleicher Zeit mit einer jugend¬ 
lichen Erkrankung in der Zeit der Pubertät eine mehr oder weniger erhebliche 
Bleichsucht besteht. Bei einer Reihe von Fällen findet sich Chorea ana¬ 
mnestisch vermerkt; es handelt sich durchweg um leichte oder günstig verlaufende 
periodische Fälle. Ob hier der Zufall bei dem immerhin ansehnlichen Material 
eine Rolle spielt, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich glaube, es ist wichtig, 
auf solche Merkmale hinzuweisen; nur ein ausgedehntes Material ist imstande, 
uns solche Gesichtspunkte überhaupt an die Hand zu geben. 

Was die Menstruationsverhältnisse betrifft, so haben vorübergehende 
Störungen derselben außerhalb der Zeit der Psychose keine besondere Be¬ 
deutung; zu erwähnen ist das oft sehr späte Eintreten der ersten Menstruation 
bei unseren Kranken. Daß während der Menses Steigerungen der konstitutio¬ 
nellen Erregbarkeit nach den verschiedenen Richtungen hin eintreten. ist eine 
bekannte Tatsache. Von der Bedeutung des Klimakteriums wird später die 
Rede sein. 

Die ebenfalls später noch zu besprechende Tagesschwankung finden 
wir nicht selten in den freien Zeiten ebenso wie in den kranken, wenn auch nicht 
in so auffälligem Grade. Doch sind diese Fälle bei weitem nicht so häufig 
wie die, bei denen die normale Ermüdung gegen Abend eintritt, während die 
Kranken morgens frisch erwachen. Die Frage der Schlaftiefe zu den verschiedenen 
Tageszeiten verhält sich dementsprechend, soweit die allerdings immer als 
oberflächlich zu bezeichnenden Erhebungen nach dieser Hinsicht ein Urteil 
fällen lassen. 

Eine sehr schwierige Frage ist die nach der Art und Intensität 
der Psychogenie der Kranken in den anfallsfreien Zeiten. Bei einer kleinen 
Zahl von weiblichen Kranken werden bei der Erhebung der Anamnese An¬ 
gaben gemacht und durch den Status psycliicus bestätigt, welche psycho¬ 
gene Paroxysmen bzw. hysterische Anfälle betreffen. Solche treten 
bei einigen in der gesunden Zeit zur Zeit der Menses gleichzeitig mit Chlorose 
oder verbunden mit Kopfschmerz und schweren Träumen auf. Manch¬ 
mal finden sich hysterische Sensationen und körperliche Stigmata. Bei einer 
Kranken traten neben hysterischen Anfällen anfallsweise singultusartige Er¬ 
scheinungen auf. Die betreffenden Psychosen erscheinen als rein manisch¬ 
melancholisch, zum Teil allerdings psychogen durch bestimmte Erlebnisse 
ausgelöst. Wie wir schon oben bei der hysterischen Belastung erfahren haben, 
so tritt auch hier wieder deutlich die günstige Prognose der einzelnen Anfälle 
bezüglich Heilung vor Augen; unter den hier in Betracht kommenden Fällen 
findet sich kein einziger ungünstiger. 

Was die Schlafstörungen bei unseren Kranken in den anfallsfreien 
Zeiten betrifft, so erfahren wir bei einigen, daß sie von jeher an schlechtem, 



Psychische Konstitution. 


36 


unruhigem Schlafe leiden; von anderen wird gesagt, sie haben nächtliche 
Angstzustände, glauben, es stehe jemand drohend am Bett, oder sie werden 
sehr erregt, schreien und weinen und suchen sich zu wehren, wobei sie sogar 
gewalttätig werden. Viele haben in der Kindheit an Nachtwandeln 
gelitten. Bei einer größeren Zahl von Fällen finden sich Angaben über schwere, 
meist ängstliche Träume, die besonders in der Kindheit hervortraten, dazu 
Unruhe im Schlaf und Aufschreien. Besondere klinische Eigenschaften kommen 
diesen Fällen nicht zu; höchstens finden wir den im übrigen typischen Psychosen 
viel Psychogenes beigemischt. Auch die Erkrankungen solcher Fälle pflegen 
eine für den Anfall günstige Prognose zu haben. Merkwürdigerweise findet sich 
auch hier wieder in der Belastung Hysterie des öfteren. 

Nicht selten erfahren wir von den Kranken oder deren Angehörigen, 
daß die Kranken in der Kindheit bis zum 9., 10., auch 12. Jahr an Bett¬ 
nässen gelitten haben. Es ist behauptet worden, daß Bettnässen auf eine 
epileptische Erkrankung zurückzuführen sei. Die Kranken, von denen hier die 
Rede ist, sind rein manisch-melancholische. Es ist zweifellos, daß eine Menge 
von Psychopathen an verlängertem Bettnässen leidet; daß die manisch-melan¬ 
cholische Konstitution hier besonders in Betracht kommt, ist klar, finden wir 
doch bei ihr besonders lebhaftes Traumleben und die mannigfaltigsten Schlaf¬ 
störungen. Da die Hemmungen, die die Erziehung mit sich bringt, bei den 
Kindern noch nicht fest gewurzelt sind, um solche spezifisch kindliche Störungen 
zu überwinden, so müssen wir annehmen, daß das krankhafte Traumleben 
der Erziehung entgegenarbeitet; wir sehen ja selbst bei Erwachsenen und 
in höherem Lebensalter stehenden manisch-melancholischen Kranken Ein¬ 
nässen in den Zuständen von „traumhafter“ Verwirrtheit, welches periodisch 
in den betreffenden Krankheitsphasen auftreten kann. Auch hier handelt es 
sich, wie bei den sonstigen psychogenen Manisch-Depressiven, um überwiegend 
günstige Fälle. 

Zum Schlüsse möchte ich noch den Kopfschmerzen einige Worte 
widmen. Bei unseren Kranken hören wir aus den gesunden Tagen nicht selten 
von Anfällen von Kopfschmerzen; die Dauer dieser Kopfschmerzperioden 
ist eine sehr ungleiche; vielfach sind diese Zeiten mit allgemeiner Nervosität, 
mit „Nervenschwäche“, mit Schwindelanfällen und allgemeinem Unbehagen 
verbunden; sie werden von den Kranken immer als „nervöse“ Kopfschmerzen 
aufgefaßt, d. h. sie begleiten nicht irgend eine körperliche Unpäßlichkeit. Es 
liegt nahe, daran zu denken, daß diese Perioden als leichteste manisch¬ 
melancholische Phasen aufzufassen sind. Bei näherem Befragen ist es 
möglich, in diesen Fällen verschiedene Anhaltspunkte für diese Annahme auf 
dem Gebiete der Affekte und Hemmungen zu gewinnen. In einem meiner 
Fälle wurden die Kopfschmerzen als einseitig geschildert; sonst wurden sie als 
allgemeiner, nicht lokalisierbarer Druck empfunden. Der klinische Charakter 
der Fälle weist, wie ja von vorne herein anzunehmen ist, keine Differen¬ 
zierung auf. 


E. Symptome. 

Da wir über das eigentliche Wesen der Krankheit so wenig wissen, sind wir 
genötigt, uns an die Äußerungen°der Krankheit zu halten. Die Regelmäßigkeit 

3 * 



36 


Symptome. 


der Symptome ist keine durchgreifende. Auf die Schwierigkeiten einer exakten 
Symptomatik möchte ich später bei Besprechung der psychischen Sym¬ 
ptome eingehen. Eine Einteilung in körperliche und psychische Symptome er¬ 
scheint praktisch. Neben den „regelmäßigen“ Symptomen werden wir eine 
Reihe von solchen zu besprechen haben, die uns nur als häufige Begleiterschei¬ 
nung auffallen, immerhin jedoch bei der Erscheinungsweise unserer Erkrankung 
beachtenswert sind. Die psychogenen bzw. hysterischen Erscheinungen in der 
engen Fassung Kraepelins, die wir uns angeeignet haben, werden zweckmäßiger¬ 
weise bei den körperlichen Symptomen besprochen; es sind eben körperliche 
Erscheinungen, die durch Vorstellungen bzw. psychische Reize und Einflüsse, 
d. h. „psychogen“, ausgelöst sind. 

I. Körperliche Symptome, 
a) Ernährungszustand. 

Der Ernährungszustand, gemessen am Körpergewicht, nimmt bei den 
manisch-melancholischen Kranken bei Beginn der Erkrankung stets ab. Je 
nach einem rascheren oder langsameren Einsetzen sinkt das Körpergewicht 
mehr oder weniger schnell. Das Körpergewicht ist der einzig zuverlässige und 
objektive Maßstab für den Ernährungszustand. Die Abmagerung ist häufig 
eine sehr deutliche, auch das Verschwinden des Turgors in vielen Fällen sehr 
auffallend, trotzdem aber können diese Beobachtungen, die subjektiv sind, 
die objektive Feststellung des Gewichtes, der Gewichtskurve, nicht ersetzen. 
Sehr wesentlich ist zur kritischen Betrachtung der Gewichtskurve die Fest¬ 
stellung des „Sollgewichtes“, das der Größe des Kranken durchschnittlich 
entspricht. Es ist bemerkenswert, wie außerordentlich uns die Abmagerung 
bei Melancholischen in die Augen fällt, bei denen auch der Turgor und die 
Blutversorgung der Hautdecken abgenommen hat, im Gegensatz zu Manischen, 
bei denen die Gewichtsabnahme rein äußerlich durch das Fortbestehen des 
Turgors oder gar durch eine Erhöhung der Blutversorgung der Haut nicht 
so in die Augen fällt. Trotzdem ist die Gewichtsabnahme bei beiden Er¬ 
krankungen in gleichem Maße vorhanden. 

Diese Gewichtsabnahme ist ein charakteristisches Symptom der Er¬ 
krankung. Freilich kann es nicht als pathognomisch gelten; denn wir finden 
eine Abnahme des Körpergewichts bei allen akut einsetzenden Psychosen. 
Das Chronischwerden einer Psychose zeigt sich sehr deutlich darin, daß das 
Körpergewicht „stehen“ bleibt {Tafel 4, Fall von chronisch-zirkulärem Irre¬ 
sein) ; es treten, abgesehen natürlich von kleinen Schwankungen, keine großen 
Wellenbewegungen mehr auf. Gewiß kommt es in manchen Fällen, z. B. bei 
Dementia praecox, ebenfalls zu raschem Gewichtsabfall, wenn Nahrungs¬ 
enthaltung eintritt, ebenso bei Paralyse. Bei unseren Kranken wird meist 
angegeben, daß sie schlecht essen, sie haben keinen Appetit; in einzelnen Fällen 
jedoch kommt es vor, daß trotz ausgezeichneter, ja vermehrter Nahrungs¬ 
aufnahme, vielfach bei Bettruhe, Abmagerung und Gewichtsverlust zustande 
kommt. Da muß man an primäre Störungen des Verdauungsapparates denken, 
von denen weiter unten noch die Rede sein wird. Die Nahrungsabstinierung 
bei den Kranken erreicht nicht selten eineif so hohen Grad, daß Sonden- 



Ernährungszustand. 37 

ernährung eintreten muß, um die Kranken vor dem Verhungern zu 
schützen. 

Vielfach essen die Kranken nach einigen solchen Emährungsversuchen wieder 
selbst; es ist aber keine Seltenheit, daß die Sondenemährung monatelang 
fortgesetzt werden muß. Ich erinnere mich einer Kranken, die von zu Hause 
in schwer melancholischem Zustande gebracht wurde. Die Krankheit hatte 
schon einige Monate gedauert, und der schlechte Ernährungszustand hat schlie߬ 
lich die Angehörigen auf Rat des Arztes veranlaßt, die Kranke der Klinik zu¬ 
zuführen. Sie starb nach 2 Tagen, Sondenemährung hatte keinen Erfolg mehr; 
die Sektion ergab keinen Befund als Unterernährung, d. h. Hungertod. Im 
allgemeinen erreichen wir durch die Sondenemährung keine Zunahme des 
Körpergewichts; wohl aber können wir doch öfters verhüten, daß der Ernährungs¬ 
zustand weiter zurückgeht, wie sich aus den Kurven deutlich ersehen läßt, indem 
durch das Eintreten der Sondenemährung ein weiteres Absinken der Kurve 
verhindert wird. 

Die Fälle von manisch-melancholischem Irresein, die mit starker Ab¬ 
magerung und Gewichtsabnahme einhergehen, gehören meist den melancholi¬ 
schen Formen an. Die Gewichtszunahme erfolgt in manchen Fällen, haupt¬ 
sächlich in prognostisch guten, sehr rasch. Umgekehrt läßt sich also bei 
Fällen, in denen das Körpergewicht rasch zunimmt, schließen, daß sie pro¬ 
gnostisch günstig verlaufen. Selbstverständlich gibt es hier auch wieder Aus¬ 
nahmen in Menge; es kommt vor, daß nach raschem Ansteigen des Körperge¬ 
wichtes ein neuer Abfall eintritt usw. Auffallend erscheint es, daß gerade die 
mehr chronisch verlaufenden Melancholien, wie sie besonders dem höheren 
Lebensalter eigen sind, bei sehr guter Nahrungsaufnahme eine oft enorme 
Reduzierung des Körpergewichts zeigen. Chronische Fälle von Dementia 
praecox zeigen dagegen immer ein Parallelgehen der Nahrungsaufnahme und 
des Körpergewichtes, schlechte Nahrungsaufnahme — geringes Körpergewicht, 
gute Nahrungsaufnahme — gutes Körpergewicht. 

Wie rapid die Abnahme des Körpergewichts sein kann,, zeigt ein Fall, in dein 
die Kranke innerhalb von 14 Tagen 7 kg abgenommen hat. Auffallend ist es, 
daß mit der Aufnahme in die Klinik in einer sehr großen Anzahl der Fälle eine 
Zunahme des Körpergewichtes, und zwar oft recht anhaltender Art, eingetreten 
ist. Diese Erfahrung mag ein Trost sein für die Ärzte und für die Anstalts¬ 
behandlung, welche eben doch in vielen Fällen von wesentlichem Einfluß auf 
die Krankheit ist. »Es kann durch die Behandlung die Krankheit rascher einer 
günstigen Wendung zugeführt und eventuell in ihrer zeitlichen Dauer abgekürzt 
weiden. 

1. Akute Fälle Tafel 5, Fig. 1. Fall von periodischer Melancholie mit 
psychomotorischer Erregung (Angstaffekt) bei 46 jährigem Manne mit sehr 
schwerer familiärer gemischter Belastung. Typische Kurve; schleichender 
Beginn der Erkrankung; rasche Erholung. 

Fig. 2. Periodische Manie; kolossale Gewichtsabnahme im Verlaufe 
von 3 Wochen während der Manie. . 

Fig. 3. Periodische Manie. Bei der Aufnahme schon 3 Monate krank. 
Im Verlaufe der Manie plötzliches starkes Absinken der Körpergewichtskurve 
parallel gehend mit einem intensiveren Krankheitsverlaufe. 



38 


Symptome. 


Fig. 4. Manie; vorher depressives Stadium. Mit Rekonvaleszenz rasches 
Emporschnellen der Kurve; also Zunehmen des Gewichts in der Manie als 
Zeichen der Genesung. 

Fig. 5. Melancholie. Allmähliche Besserung, langsames, stetiges Ansteigen 
des Körpergewichtes. 

2. Fälle mit Neigung zu schleppendem Verlaufe. 

Fig. 6. Melancholie bei 58jähriger Frau. Schleichender Beginn der 
Psychose im Verlaufe von einer Reihe von Jahren. — Ganz langsames gleich¬ 
mäßiges Absinken der Gewichtskurve. Kurz nach der Entlassung Tod durch 
Suicid. Die Kurve läßt auf eine lange Dauer der Erkrankung schließen. 

Fig. 7. Zirkulärer Fall; Beginn der Erkrankung mit 18 Jahren. Verlauf 
ohne Intervalle. Mischzustand (manischer Stupor). Eigentümlicher wellen¬ 
förmiger Verlauf der Gewichtskurve. Ungünstige Prognose. 

Fig. 8. Periodische Depression; Phasen immer länger werdend. Dies¬ 
malige Erkrankung mit ungünstiger Prognose. 

3. Fälle mit chronischem Verlaufe Tafel 6. 

Fig. 1. Zirkulärer Fall, ohne Intervalle seit 9 Jahren. Geringe Abnahme 
in der Depression, starke Abnahme in der Manie, Zunahme im manischen Stupor. 

Fig. 2. Zirkulärer Fall ohne Intervalle seit 10 Jahren. Wellenbewegungen 
ohne klinische Erklärung. In der Depression vorübergehend leichte Zunahme. 

Fig. 3. Zirkulärer Fall ohne Intervalle seit 13 Jahren; meist psycho¬ 
motorisch gehemmt, traumhaft verworren. Eine klinische Erklärung der 
Wellenbewegungen ist nicht möglich. Die Kranke ist ungeheilt verstorben. 

Diese Fälle sollen demonstrieren, wie bei chronisch zirkulären Fällen 
ein langsames Auf- und Abschwanken der Gewichtskurve vorkommt, während 
die Erkrankung in ihrem ganzen Verlaufe eine durchaus ungünstige Prognose 
wahrscheinlich macht. 

Zum Vergleiche Tafel 7, Fig. 1. Fall von Dementia praecox, der 
abwechselnd manisches und depressives Stadium bzw. Erregungs- und Stupor¬ 
phase zeigt. In der Erregung ziemlich regelmäßig Abnahme, im Stupor Zu¬ 
nahme des Körpergewichtes. 

Als weiteres Zeichen der Ernährungsstörungen möge die Abnahme des 
Nägel wachstu mö in der Psychose erwähnt sein, ferner das nicht ganz seltene 
Haarausfallen und Ergrauen. 


b) Schlaf. 

Der Schlaf ist ein ungemein feines Reagens bei psychischen Erkrankungen 
jeglicher Art. Beim gesunden Menschen verursachen Aufregungen ein schweres 
Einschlafen, einen unruhigen Schlaf, der vielfach in seiner Güte durch Träume 
beeinträchtigt ist. 

Die Schlaf kurve, wie sie Kraepelin bei Gesunden festzustellen ver¬ 
mochte, zeigt, daß ca. 3 Stunden nach dem* Einschlafen die größte Schlaftiefe 
erreicht wird, daß dann gegen Ende des Schlafes eine allmähliche Abnahme 
der Schlaftiefe erfolgt. Wie sich bei Kranken die Schlaftiefenkurve gestaltet, 
darüber fehlen die Erfahrungen. Demnach sind wir auch über die Schlaftiefen¬ 
kurve bei Manisch-Melancholischen vollkommen im unklaren. Einen Anhalts¬ 
punkt jedoch gewähren uns die psychologischen Versuche Kraepelins. Es 



Haltung, Gesicht sausdruck (katatonische Symptome). 


39 


gibt eine Gruppe von Gesunden, bei denen die Schlaftiefe einige Stunden später 
als gewöhnlich das Höchstmaß erreicht, um dann gegen Morgen ziemlich hoch 
zu bleiben. Nach klinischen Erfahrungen bin ich geneigt, unsere Kranken in 
ihrem Schlafe mit den Personen dieser zweiten Gruppe zu vergleichen. Wir wissen, 
daß die manisch-melancholischen Kranken — besonders für die Melancholischen 
gelten diese Ausführungen —■ schwer einschlafen; dem entsprechen die subjektiven 
Klagen der Kranken; am Morgen finden sie sich schwer aus dem „duseligen 
Zustande“ heraus, sie fühlen sich noch müde und matt. Auch tagsüber können 
sie nur sehr schwer einschlafen, Erscheinungen, die auch bei der besprochenen 
Gruppe bekannt seind. 

Die manischen Kranken leiden häufig unter einer so schweren Störung 
des Schlafes, daß sie tagelang nicht zur Ruhe kommen; nach kurzen Stunden 
des Schlafes geht die psychomotorische Unruhe wieder von neuem los. Sie 
bedürfen anscheinend wenig Schlaf, obwohl doch die „Ermüdungsstoffe“ bei 
diesen unruhigen Kranken in besonderem Maße sich anhäufen müssen; die 
psychomotorische und vor allem die psychische Erregung ist es, die die Ermüdung 
nicht auf kommen läßt; das Müdigkeitsgefühl fehlt bei solchen Kranken häufig 
überhaupt. Im Gegensätze hierzu ist es auffallend, daß mehr chronisch ver¬ 
laufende Fälle, besonders Depressionen, öfters keine wesentliche Schlafstörungen 
aufweisen. Es mag erlaubt sein, bei diesen Fällen an arteriosklerotische 
Zutaten zu denken; die Arteriosklerose ist bekanntlich ausgezeichnet durch ein 
sehr starkes Schlafbedürfnis, entsprechend der erhöhten Ermüdbarkeit. 

Ich habe oben kurz auf die Wichtigkeit des Traumlebens für die Güte 
des Schlafes hingewiesen. Auf diesen Punkt, der sehr wichtig und im allgemeinen 
zu wenig berücksichtigt erscheint, werde ich bei den psychischen Störungen, 
mit denen sie ja in direktem Zusammenhänge stehen, ausführlich zu sprechen 
kommen. 

Zu erwähnen sind nochZustände von „Schlafsucht“; eine überwältigende 
Müdigkeit beherrscht dabei die Kranken, sie können kaum die Augen offen 
halten, trotzdem kommt es durch die psychische Unruhe zu keinem Einschlafen; 
es sind Zustände, welche sich dem später zu besprechenden Stupor sehr nähern. 
Bei sehr vielen Fällen geht Schlaflosigkeit mit Nahrungsverweigerung einher, 
die erklärlich ist dadurch, daß die Bettruhe den Stoffwechselvorgang zu ver¬ 
langsamt und daher weniger Nahrungsbedürfnis aüfkommen läßt. 

c) Haltung, Gesichtsausdruck (katatonische Symptome). 

Im Gesichtsausdruck spiegeln sich beim gesunden Menschen je nach 
dem Temperament und je nach Eindrücken die Affekte wieder. Wir wissen, 
daß Erregungen den Gesichtsausdruck verändern und daß länger dauernde 
Gemütsbewegungen dem Gesichte einen bestimmten Ausdruck verleihen können. 
Bei den Erregungen krankhafter Art, welche besonders intensiv oder lange 
einwirken, wird der Gesichtsaüsdruck natürlich in besonderem Maße den 
Affekt zeigen. Während bei Verblödungsprozessen der Affekt nicht dauernd 
nach bestimmter Richtung verändert zu sein pflegt, sehen wir bei der Dementia 
praecox die Gemütsverblödung als etwas Charakteristisches an. Beim manisch¬ 
melancholischen Irresein handelt es sich um eine Affektsteigerung, und diese 
zeigt sich in besonderem Maße in den Gesichtszügen. Die manischen Zustände 



40 


Symptome. 


zeigen uns die heitere, lebensfreudige Miene, der zornige Affekt entsprechend 
zornigen Blick; melancholische Kranke haben vergrämten, unlustigen Ge¬ 
sicht sausdruck. Bei Stuporzuständen kann der Gesichtsausdruck oft geradezu 
den Eindruck der Stumpfheit, ähnlich wie bei der Dementia praecox, machen. 

Tritt die psychomotorische Erregung besonders hervor, wie bei stärkeren 
manischen Erregungen und bei Melancholien mit Angstaffekt, so findet sich eine 
Verstärkung der mimischen Äußerung nach der einen oder der anderen Riohtung. 
Diese mimischen Zeichen verstärken sich bis zu Grimassen, zu eigenartigen 
Bewegungen, die in einzelnen Fällen dem katatonischen Grimassieren ähnlich 
sein können. Als Unterscheidungsmerkmal möchte ich anführen, daß die 
katatonischen Grimassen in der Erregung häufig nicht zunehmen, während 
sie bei unseren Kranken während der größeren Erregung stärker hervortreten. 
Soweit ich meinem Materiale entnehmen kann, treten die Grimassen bei manisch¬ 
melancholischen Kranken vor allem bei jugendlichen Erkrankungen auf und 
zwar in den Stufen, in denen die Besonnenheit aufgehoben und Verwirrtheit 
eingetreten ist. Meist handelt es sich um manische Erkrankungen. 

In manchen Fällen nehmen die grimassierenden Bewegungen die Form 
von Zwangsbewegungen an. Die Patienten können nicht anders, sie müssen 
fort und fort die betreffenden Verzerrungen des Gesichtes vornehmen. Solche 
Kranke können bei vollem Bewußtsein und klar sein. So fand sich bei einer 
Patientin während jeder Erkrankung ein Tic des Facialis; bei einem männlichen 
Kranken stellten sich klonusartige Zustände in der Gesichtsmuskulatur bei 
jeder neuen Krankheitsphase ein. Ähnliche Bewegungen sah ich bei einer 
Kranken, die an periodischen Depressionen litt; das psychische Bild stand 
unter dem Zeichen einer starken motorischen Erregung verbunden mit Zwangs¬ 
vorstellungen; eine schwere Depression stand im Vordergründe. 

Weitere Krankheitserscheinungen, wie wir sie sonst bei katatonischen 
Kranken zu beobachten gewohnt sind, finden sich zuweilen bei manisch-me¬ 
lancholischen Kranken, das sind Echopraxie, Befehlsautomatie, Stereotypie. 
Die genannten Erscheinungen zusammen waren in sehr vereinzelten Fällen 
deliranter, teils depressiver, teils manischer Art vorhanden; immer waren sie 
mit Verwirrtheit und meist mit Bewegungsdrang verbunden. Die Zustände 
gingen in Gesundung über; es handelte sich jedesmal um jugendliche Kranke 
(20.—30. Lebensjahr), und zwar um Ersterkrankungen. 

Daß wir in manchen Fällen eine eigentümlich „starre“ Haltung finden, 
erklärt sich durch aktive Muskelspannungen bei Fällen, in denen delirante 
Erscheinungen im Vordergründe stehen. Solche Symptome sind wohl zu unter¬ 
scheiden von der Flexibilitas cerea, der echten Katalepsie, der wir in wenigen 
Fällen (ca. 4 %) begegnen. In den ersteren Fällen hören wir davon, daß die 
Kranken iü eigentümlicher steifer Haltung liegen oder sitzen. So lag ein Kranker 
mit Vorliebe in Kreuzesstellung am Boden, wahrscheinlich auf Grund von ent¬ 
sprechenden Wahnvorstellungen. Dies sind seltene Vorkommnisse, deren 
Erscheinen* wir früher als mit größter Wahrscheinlichkeit der Katatonie, der 
Dementia praecox, zugehörig gedeutet haben. Bei den Fällen von Katalepsie 
handelt es sich durchweg um Kranke im Alter von 20—46 Jahren; meist be¬ 
fanden sich die Kranken im Alter von 20—30 Jahren. Auch hier haben wir 
es wieder mit Fällen deliranter Natur zu tun; das Delirium war zum Teil ein ' 
erregtes, zum Teil war es zeitweise mit Stupor verbunden. Es handelte sich 



Respiration. Kreislauf. 


41 


ebenso häufig um melancholische wie manische Phasen; es ist im übrigen in 
einer ganzen Anzahl von Fällen nicht leicht, den Affekt in diesen deliranten 
Zuständen zu kennzeichnen; recht oft sind es Zustände, in denen das psycho¬ 
motorische Verhalten nicht typisch ist. Trotzdem sind diese FäUe, auf welche 
ich später noch eingehend zurückkommen werde, zweifellos den manisch - 
melancholischen zuzurechnen, was insbesondere deutliche, klinisch klare Vor¬ 
oder Nachstudien dartun. Die Fälle haben, — es sind fast durchweg erstmalige 
Erkrankungen —, eine günstige Prognose; zwei Fälle befinden sich in dieser 
Gruppe, die periodisch verlaufen; in dem einen Falle sehen sich die Krank¬ 
heitsphasen klinisch photographisch ähnlich. 

d) Respiration. 

Die Störungen von seiten der Respiration, die wir im Zusammenhänge 
mit dem manisch-melancholischen Irresein antreffen, sind sehr gering an Zahl. 
Im Angstaffekt besonders, bei psychomotorischer Erregung überhaupt, findet 
sich eine Erhöhung der Atmungsfrequenz, die in seltenen Fällen das Doppelte 
des Normalen betragen kann. Weiterhin kommt es in einzelnen Fällen zum 
Auftreten von Asthmaanfällen, vorwiegend in derZeit schwerster Erregung. 
Wertvoll mag die Beobachtung eines Falles sein, in dem während einer Melan¬ 
cholie andauerndes Gähnen vorhanden war, eine Störung, die wir in ausge¬ 
prägtem Maße öfters bei einfach Nervösen und Erschöpften vorfinden. 

e) Kreislauf. 

Als Störungen des Blutkreislaufsystems kommen in Betracht Störungen 
der Herzaktion, der Blutverteilung, der Blutzusammensetzung und des Ge¬ 
fäßsystems. 

Was die Störungen der Herzaktion betrifft, so finden wir in einer Anzahl 
von Fällen eine Beschleunigung der Herztätigkeit in Gestalt von erhöhten 
Pulszahlen. Stellt man über diesen Punkt an einer Anzahl von Fällen syste¬ 
matisch Untersuchungen an, so ergibt sich, daß eine Erhöhung der Pulsfrequenz 
recht häufig ist; auf der Höhe der Affektstörung schnellt, wie auch beim gesunden 
Menschen in der Erregung vorübergehend, die Pulszahl sehr erheblich in die 
Höhe; aber auch bei motorisch wenig oder nicht erregten Patienten, ja selbst 
im Stupor, findet man oft höhere Pulszahlen. Man könnte daran denken, dieses 
Moment differentialdiagnostisch gegenüber dor Dementia praecox auszubeuten. 

Die Beschleunigung der Herzaktion geht in einer Anzahl von Fällen 
mit einer Verstärkung der Herztätigkeit in qualitativer Beziehung einher; 
es kommt zur Palpitatio cordis; die Kranken klagen oft lebhaft darüber, 
und man ist durchaus nicht berechtigt, solche Beschwerden ohne weiteres 
als hypochondrisch zu betrachten. Daß sie ihren Ursprung in nervösen Störungen 
haben, ist wohl zweifellos; ob es sich um Reizstände von seiten der Herzganglien 
oder von seiten des Sympathicus im weiteren Sinne handelt, oder ob diese 
Erregung des Herzens auf Anordnung höherer Zentren im Zentralorgan erfolgt, 
wissen wir nicht. Jedenfalls möchte ich betonen, daß die genannten Störungen 
sich nicht etwa auf Fälle beziehen, bei denen das psychogene Moment in be¬ 
sonderem Maße in den Vordergrund des Krankheitsbildes gerückt ist. 



42 


Symptome. 


In manchen Fällen führt die Herzpalpitation, vielleicht vereint mit einer 
Sklerose der Gefäße, zu schwereren Störungen, zu Herzbeklemmungen, 
die sekundär zu Angst Vorstellungen Anlaß geben können. Über das Neben¬ 
einandergehen der Zirkulationsstörungen und Angst sind wir noch sehr im 
unklaren; immerhin ist es bei den Fällen manisch-melancholischen Irreseins 
wohl richtig, die Affektstörung bzw. Depression als primär, die Herzbeschwerden 
als sekundär anzusehpn; doch kann man auch den Standpunkt einnehmen, 
daß eine unbekannte primäre Störung die sekundären Störungen psychischer 
und körperlicher Art verursacht. Beide Erklärungen sind unbefriedigend, 
solange wir über die wahre Ätiologie ganz im unklaren sind. Jedenfalls ist 
sicher, daß Kreislaufstörungen bei der Erkrankung eine ganz hervorragende 
Bolle spielen. 

Ich habe oben schon erwähnt, daß der Turgor der Haut mit der Art des 
Affektes zusammenzuhängen scheint. Ähnlich verhält es sich mit der peripheren 
Blutverteilung überhaupt. Die depressiven Kranken zeigen ein blasses 
Aussehen, weil die Hautgefäße sich in einem Zustande der Kontraktion be¬ 
finden. Daher kommt es, daß wir in vielen Fällen kalte Extremitäten vor¬ 
finden, meist ohne die eigentümliche Cyanose, welche bei katatonischen und 
hysterischen Kranken so oft zu bemerken ist. Bei den manischen Kranken be¬ 
findet sich offenbar das Hautgefäßsystem im Zustande der Erweiterung; das 
Gesicht ist gerötet, die Augen sind glänzend, die Extremitäten warm; die Haut 
fühlt sich oft sehr heiß an, so daß man versucht ist, an Temperaturerhöhung 
zu denken; eine solche findet sich aber nicht. Die geschilderten Erscheinungen 
haben ihre Ursache in der Innervation der vom Sympathicus versorgten Ge¬ 
fäßnerven. 

Chlorotische Erscheinungen treten des öfteren, besonders bei jugend¬ 
lichen weiblichen Kranken, vielfach verbunden mit Mqnstruationsstörungen, 
auf; die Chlorose wird im übrigen durch die unregelmäßige, oft sehr geringe 
Nahrungsaufnahme, die Zimmerluft, die geringe Bewegung bei depressiven 
Kranken begünstigt; ob dabei anämische Zustände Vorkommen, ist nicht be¬ 
kannt. Eine spezifische Bedeutung haben diese Erscheinungen für die manisch¬ 
melancholische Psychose nicht. 

Von wesentlicher Bedeutung für die Untersuchung ist die Feststellung 
des Blutdrucks. Am gebräuchlichsten ist der Apparat nach Riva-Rocei 
mit der Recklinghausenschen Manschette. Früher hat man den Druck mit 
einem Manometer an der Temporalarterie untersucht; man ist von dieser 
Methode (mit dem Basch sehen Apparat) abgekommen, weil die Fehlerquellen 
bei der Untersuchung zu groß waren. Für die Untersuchung einer Himarterio- 
sklerose wäre eine Messung möglichst nahe dem erkrankten Organe wohl von 
Vorteil; die Messung des Blutdrucks an den oberen Extremitäten (A. radialis) 
ist sicherlich mit einer Reihe von Fehlerquellen verknüpft, besonders mit dem 
Fehler, daß die Arme bei schwerer Arbeitenden eine Abbrauchssklerose der 
Gefäße auf weisen können. 

Von der Bedeutung der Arteriosklerose wird unten die Rede sein. Hier 
interessiert der Blutdruck im manisch-melancholischen Irresein überhaupt. 
Unveröffentlichte Untersuchungen von Ltittge und Arbeiten von Weber u. a. 
haben dargetan, daß Manische und Melancholische erhöhten systolischen 
Blutdruck aufweisen, und zwar letztere in besonderem Maße. Diese Resultate 



Kreislauf. 


43 


passen zu den Untersuchungsergebnissen, nach denen der Blutdruck im Affekt 
überhaupt gesteigert wird. In besonders charakteristischem Maße sehen wir 
dies bei Hysterischen und Nervenschockkranken nach psychischem oder körper¬ 
lichem Trauma. 

Als wesentlichste Erkrankung des arteriellen Gefäßrohres kommt die 
Arteriosklerose in Betracht. 

In der letzten Zeit wird, von anatomischen Untersuchungen ausgehend, 
die uns mannigfaltige und sehr wertvolle Aufklärungen über die Himarterio- 
sklerose und rückschließend mancherlei Klarheit über den psychischen Zu¬ 
stand der Arteriosklerotischen gebracht haben, der Arteriosklerose in der 
Klinik der Psychosen mit Recht besonderes Augenmerk zugewendet. Gerade 
die präsenilen und senilen Erkrankungen sind außerordentlich häufig mit 
Arteriosklerose kompliziert. Das manisch-melancholische Irresein, das häufig 
in seinen Phasen, nicht selten in seiner einzigen Erkrankungsphase, im Prä¬ 
senium auftritt, ist, was nach dem Gesagten klar sein wird, recht häufig mit 
Arteriosklerose kompliziert. Es ist deshalb die Frage aufzuwerfen, ob zwischen 
den manisch-melancholischen Späterkrankungen und der Arteriosklerose ein 
ursächlicher Zusammenhang besteht. 

Unter den Fällen meines Materials finden sich 6 %, welche mit einer 
Arteriosklerose verbunden sind. Männliches und weibliches Geschlecht ver¬ 
teilen sich auf gleiche Hälften. Das ist auffallend; denn wir wissen, daß die 
weiblichen Fälle im manisch-melancholischen Irresein weitaus tiberwiegen. 
Die Erklärung wird darin zu suchen sein, daß die Arteriosklerose bei Männern 
überhaupt häufiger wie bei Frauen ist. Dieser Punkt wirft schon ein Licht 
auf die Frage des Zusammenhanges zwischen unserer Psychose und der Sklerose. 
Würde das manisch-melancholische Irresein die Arteriosklerose begünstigen, 
so müßte das Verhältnis der Geschlechter dasselbe sein, wie in der Erkrankung 
überhaupt; allerdings kommt hiezu, daß im höheren Alter die Zahl der Er¬ 
krankungen bei beiden Geschlechtern sich nähert. 

Das Lebensalter, in dem die Arteriosklerose klinisch zu konstatieren war, 
ist nur in einem Sechstel der Fälle unter 50, sonst immer darüber. Ungefähr 
die Hälfte der Fälle zeigt rein periodischen Verlauf der Psychose; dabei finden 
sich manische und depressive Erkrankungen ohne Unterschied. Bei diesen 
Fällen scheint die Arteriosklerose ohne allen Einfluß auf den Verlauf der Er¬ 
krankung gewesen zu sein; auch die klinischen Symptome der Erkrankung 
decken sich mit den gewohnten. Nur in 2 Fällen, welche periodischen Charakter 
trugen, nahm die Erkrankung einen nach der Dauer ungünstigen Verlauf an; 
bei diesen gibt der langjährige Verlauf im Präsenium keine Aussicht auf Ge¬ 
nesung; hier könnte man daran denken, daß die Arteriosklerose den Verlauf 
ungünstig beeinflußt. 

Eine kleine Anzahl von Fällen, der vierte Teil von den arteriosklerotischen, 
muß besonders betrachtet werden. Es handelt sich um Ersterkrankungen 
mit einem auf Jahre, sich erstreckepden chronischen Verlaufe. Bei Einigen 
hatte die Arteriosklerose klinisch deutliche Symptome während des Verlaufes — 
anfangs waren solche nicht zu konstatieren — gezeitigt: schwere Ermüdbarkeit, 
Einengung des Vorstellungskreises, egozentrisches W esen, Gedächtnisschwäche 
und Merkfähigkeitsstörungen, unzweifelhaft psychische arteriosklerotische 
Symptome. Einigemale traten Herderscheinungen encephalitischer bzw. apo- 



44 


Symptome. 


plektischer Art in leichterem oder schwererem Maße auf; Schwindelerscheinungen 
waren mehrfach zu konstatieren. Unter diesen Erkrankungen, von denen einige 
apoplektisch endigten, befanden sich 1 manische und 6 melancholische Er¬ 
krankungen. Letztere waren nach Art der alten Melancholie Kraepelins; 
es bestand keine psychomotorische Hemmung, sondern meist eine leichte Er¬ 
regung psychomotorischer Art. 

Im Verlaufe der einzigen Krankheitsphase, die diese Fälle auszeichnet, 
traten bei 2 Fällen kürzere manische Zeiten auf, so daß schließlich nur 3 Fälle 
übrig bleiben, die dem Bilde der alten Melancholie ohne Zwang eingereiht 
werden konnten. 'Der Habitus war bei vielen der Fälle schon im präsenilen 
Alter ausgesprochen senil, es waren Fälle, die meistens als „vorzeitig“ gealtert 
bezeichnet zu werden pflegen, präsenil im wahren Sinne des Wortes. 

Nach den Ausführungen ist klar ersichtlich, daß von einem bestimmten, 
unzweifelhaften Einfluß der Arteriosklerose auf das manisch-melancholische 
Irresein nicht gesprochen werden kann. Fälle von „Melancholie“ mit ähnlich 
ungünstigem Verlaufe gibt es unter den Fällen ohne Arteriosklerose eine sehr 
große Anzahl. Selbstverständlich lassen diese auch die psychischen Symptome 
der Arteriosklerose missen. 

Wir kommen also zu dem Schlüsse, daß keine Anhaltspunkte vorhanden 
sind, 1. daß die Arteriosklerose rein manisch-melancholische Krankheitsphasen 
erzeugen oder auslösen kann, 2. daß die Arteriosklerose an und für sich ungünstig 
auf die Psychose einwirkt. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß eine schwere 
Arteriosklerose eine manisch-melancholische Erkrankung zweifellos in die 
länge ziehen kann dadurch, daß schwere psychische Störungen spezifisch 
arteriosklerotischer Art hinzutreten. Aber an und f jir sich kann bei bestehender 
Arteriosklerose die Prognose für eine manisch-melancholische Erkrankung 
durchaus nicht ungünstig gestellt .werden; die Psychose kann, wie eine Anzahl 
von Fällen zeigt, trotz der Arteriosklerose ausheilen. Es handelt sich also bei 
diesen Späterkrankungen mit Arteriosklerose um eine Kombination beider 
Krankheiten, nicht aber um eine Psychose, die primär in ihrer Ätiologie der 
Sklerose zur Last fällt. 


f) Verdauungsorgane. 

Eine größere Bolle als bei den meisten psychischen Erkrankungen spielen 
Störungen von seiten der Verdauungsorgane bei dem manisch-melancholischen 
Irresein. Von Appetitlosigkeit, Abmagerung usw. will ich hier nicht sprechen. In 
manchen Fällen wird über Magendrücken geklagt; man kann im Zweifel sein, ob 
es sich hier wirklich um eine organische Störung des Magens handelt, oder ob 
nur hypochondrische Vorstellungen solche Beschwerden verursachen. Immerhin 
finden sich manchmal objektive Symptome einer Dyspepsie, wie sie W il manne 
bei Zyklothymischen feststellen konnte. 

Die Magen-Darmbeschwerden erwecken den Gedanken, es möchte sich 
auch bei diesen Störungen vor allem um Veränderungen der Gefäße, meist 
vorübergehender Art, handeln; hauptsächlich würden Kontraktionszustände in 
Betracht kommen. Solche könnten auch mit der chronischen Obstipation 
in Zusammenhang stehen, die so häufig eine sehr wesentliche körperliche 
Störung bei unseren Kranken ist. Dieselbe kommt vor allem bei depressiven 



Drüsen, Urogenitalsystem. 


45 


fallen zur Beobachtung. Es ist nicht etwa allein die mangelnde Bewegung, 
die die körperliche Hemmung den Kranken gebracht hat, sondern es ist eine 
tiefer liegende Störung. Sie findet sich bei den meisten Depressionen und ist 
als geradezu charakteristisch anzusehen. 

Manchmal findet sich Unreinlichkeit mit Stuhl und Urin als Folge 
der psychischen Alteration. Es wurde öfters behauptet, daß diese Erscheinung 
gegen manisch-depressives Irresein spräche gegenüber der Dementia praecox, 
bei der bekanntlich oft zuerst die anerzogenen Gefühle für Reinlichkeit und 
Anstand in Mitleidenschaft gezogen sind. Es findet sich die genannte Unrein¬ 
lichkeit nicht selten bei geordneten, aber gehemmten Melancholischen. Daß 
verwirrte Kranke öfters unrein werden, ist selbstverständlich. 

g) Drüsen. 

Auch der Drüsenapparat zeigt bei manisch-melancholischem Irresein 
zuweilen Störungen. Auffallend ist in manchen, nicht häufigen Fällen, be¬ 
sonders bei psychomotorischer Erregung, eine starke Schweißabsonderung. 
Diese kann zuweilen einen Grad erreichen, daß die Kranken in Schweiß gebadet 
sind. In einem Falle war bei einem unzweifelhaft manisch-melancholischen 
Kranken in einem depressiven Stuporzustand Speichelfluß vorhanden, ähnlich 
wie wir ihn bei katatonischen und idiotischen Kranken öfters sehen. 

Veränderungen der Thyreoidea sind- in meinem Materiale sehr selten 
gewesen. Das hängt damit zusammen, daß in München und Südbayem Störungen 
von seiten der Thyreoidea nicht häufig Vorkommen. Werden sie einmal in einem 
Falle beobachtet, so handelt es sich meist um Zugewanderte. In einem Falle 
konnte ich eine sehr große Struma fibröser Art bei einer manischen Kranken 
beobachten, ohne daß irgendwelcher Zusammenhang sowohl anamnestisch 
als auch im Verläufe der Psychose mit derselben zu konstatieren gewesen wäre. 

In einem Falle bestanden leichte Basedowsche Erscheinungen: Struma, 
Exophthalmus, Tremor und Pulsbeschleunigung. Ein zeitlicher Zusammen¬ 
hang mit der Depression war nicht zu konstatieren. Mit der Genesung blieben 
die Erscheinungen, die ja an und für sich leichter Art waren, unverändert be¬ 
stehen. 

Andere Beobachter machten auf weitere interessante Erscheinungen 
bei der Kombination der beiden Erkrankungen aufmerksam, worauf oben 
schon hingewiesen worden ist. 

h) Urogenitalsystem. 

In nicht ganz seltenen Fällen findet sich bei den manisch-melancholischen 
Kranken das Symptom der Glykosurie; es handelt sich dabei um vorüber¬ 
gehende Erscheinungen. Meist waren es Kranke in höherem Lebensalter; 
nur einmal fand sich Glykosurie bei der Depression einer weiblichen Kranken 
im 25. Lebensjahr. Der klinische Charakter der Erkrankungen wies keine 
Besonderheit auf. Da sich Zucker im Urin vorübergehend bei vielen Nervösen 
findet, so hat diese Erfahrung keine besondere Bedeutung. 

Zuweilen begegnen wir depressiven Psychosen, die einen mehr oder minder 
schweren Angstaffekt aufweisen, und bei denen jedesmal mit Beginn der Psychose 



46 


Symptome. 


Glykosurie in Erscheinung tritt. Es handelt sich immer um periodische Angst¬ 
zustände; manische Zustände kommen nicht vor. Ich werde später nochmals 
darauf zurückkommen. 

Geschlechtliche Erregung und in ihrer Folge Onanie ist eine recht 
häufige Erscheinung, vor allem in der Melancholie mit psychomotorischer Er- 
regung. Dabei finden wir oft, daß die Kranken sich nicht im geringsten 
genieren, vor den Augen der anderen Kranken und des Pflegepersonals zu 
masturbieren. • 

Ein weiterer Punkt betrifft das Zessieren der Menses, das sehr häufig 
bei Beginn der Erkrankung, auch bei anderen Psychosen, z. B. der Dementia 
praecox eintritt. Ich habe im Hinblick auf diese Frage 290 Fälle von chronischen 


90 
BO 

70 - 

60 - 

50 - 

W- 

30 - 

20 - 

10 - 

0 



iP 

MÜ 


vorhanden 

zeitweise 

fehlend 

dauernd 

fehlend 



Imbe- Psycho-Paranoia Dementia praecox Epilepsie Hysterie Man.-me/. Progr Paralyse 

zi/Htdl pathie Irresein 

Abb. 14. Menstruation und Psychose. 


Psychosen untersucht; demnach tritt Amennorrhöe bei manischen Erkrankungen 
nicht so häufig wie bei depressiven auf. Bei Genesung erscheinen die Menses 
wieder in normaler Weise, meist schon eine geraume Zeit vor der Gesundung 
als Botschaft der Genesung. Im ganzen setzen die Menses im manisch-melan¬ 
cholischen Irresein weniger häufiger aus wie bei Dementia praecox (Abb. 14). 
Beiden Psychosen ist die Amennorrhöe auf der Höhe der Krankheit im 
Wellental der Gewichtskurve gemeinsam (s. Tafel 7, Fig. 2 und 3). 

Von Schwangerschaft, Puerperium und künstlichem Abort ist an anderen 
Stellen ausführlicher die Rede; ebenso werden die Fälle, die eine eigenartige Kom¬ 
bination von manisch-melancholischen Symptomen mit solchen einer oft rudi¬ 
mentären Himlues bieten, später besprochen werden; auch werden bei der 
Differentialdiagnose Fälle zu erwähnen sein, die erst manisch-melancholisch 
waren und später paralytisch wurden. 


Nervensystem. 


47 


i) Nervensystem. 

In einzelnen Fällen waren leichte polyneuritische Erscheinungen 
vorhanden, entsprechend dem chronischen Alkoholismus, mit dem 
die Fälle kompliziert waren. 

Tre mor der Hände findet sich bei den manisch-melancholischen Kranken 
öfters; es handelt sich um einen unregelmäßigen, meist sehr grobschlägigen 
Tremor, dessen Ausschläge sich nach allen Dimensionen erstrecken, wie er bei 
psychogenen Erregungen und bei der Hysterie uns bekannt ist. Eine besondere 
Bedeutung kommt dem Zittern für unsere Fälle nicht zu. 

Ähnlich sind die Verhältnisse mit den Sehnen-, Haut- und Knochen¬ 
hautreflexen. Meist sind dieselben sehr lebhaft; die Sehnenreflexe können 
in manchen Fällen, wie bei der Hysterie, bis zu klonusartigen Zuckungen ge¬ 
steigert sein; ein echter Klonus ist nicht vorhanden. In einem Falle von Manie 
fehlten die Patellarreflexe; eine organische Ursache war bei der Kranken nicht 
zu finden; es ist nicht undenkbar, daß es sich um einen der seltenen Fälle mit 
physiologisch fehlenden Patellareehnenreflexen handelte; oder es fehlten die 
Reflexe aus psychogenen Gründen, wie uns von den Hysterischen nicht un¬ 
bekannt ist. 

Gelegentlich sehen wir bei Beginn der manisch-melancholischen Krank¬ 
heitsperiode das Auftreten von Urticaria, was wohl als psychogenes Symptom 
körperlicher Art zu deuten ist. 

Die Dermographle, die in vielen Fällen eine sehr ausgeprägte ist, 
findet sich ähnlich wie bei der Hysterie und ähnlich wie bei der Dementia prae¬ 
cox. In selteneren Fällen sind Parästhesien vorhanden. Der „Kloß im Hals“ 
ist eine der gewöhnlichsten Erscheinungen der Hysterie; auch bei unseren Kranken 
fehlen solche auf krankhaften Vorstellungen beruhende Erscheinungen nicht; 
selten findet man die Erscheinung des Kribbelns, des Ameisenlaufens; bei einem 
Melancholiker in höherem Lebensalter konnte ich dieses psychogene Symptom 
beobachten, ohne daß etwa organische Grundlagen dafür zu finden waren. 

Zu diesen rein psychogenen, auf körperliche Funktionen übertragenen 
Störungen gehören auch Gehstörungen mannigfaltiger Art, denen wir in seltenen 
Fällen begegnen. So hatte eine Patientin einen Sturz durch Hängenbleiben 
erlitten; diese Erinnerung dokumentierte sich im Verlaufe der rein melan¬ 
cholischen Psychose in einer eigenartigen Gangstörung, aus der die Angst 
vor neuem Sturz augenfällig hervorging. 

Die konzentrische Einschränkung des Gesichtsfeldes fand ich in einem 
Falle von Melancholie, bei dem hypochondrische Beschwerden im Vorder¬ 
gründe standen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man bei stetigem Unter¬ 
suchen solche Erscheinungen öftere finden wird, und es ist durchaus nicht 
ausgeschlossen, daß diese psychogenen Erscheinungen prognostisch nicht un¬ 
wichtig sind, worauf ich später zurückkommen werde. 

In einer nicht geringen Zahl von Fällen findet man bei den körperlichen 
Untersuchungen Hypalgesie bzw. Hypästhesie der Haut. Es handelt 
sich manchmal um totale, manchmal um halbseitige Störungen. Die Erschei¬ 
nungen wechseln und vergehen mit dem Zurückgehen der akuten psychischen 
Störungen. In einzelnen Fällen verbindet sich die Gefühlsstörung mit einem 
Stuporzustand und verschwindet nach Lösung desselben. Es handelte sich bei 



48 


Symptome. 


meinen Fällen durchweg um weibliche Kranke; der Charakter der Psychose 
war dem Affekt nach verschieden, die Prognose der Fälle günstig. Meist werden 
die melancholischen Erkrankungen, manchmal auch die manischen, von Kopf¬ 
schmerzen begleitet. Häufig werden sie als Druck, oft auch als Zerren im 
Kopfe bezeichnet. Eine Klopfempfindlichkeit des Schädels wie bei vielen, 
besonders traumatisch Hysterischen besteht nicht. 

In einem Falle von chronischer manischer Erregung von lOjähriger Dauer, 
die nur durch eine ca. 1 Jahr dauernde Melancholie unterbrochen war, traten 
bei der Kranken, welche bei Beginn der Psychose 60 Jahre alt war, sehr ver¬ 
einzelte, unzweifelhaft epileptische Anfälle auf. Solche Anfälle lassen zu¬ 
nächst vermuten, daß es sich überhaupt um eine psychische Erkrankung bei 
Epilepsie handelt. Diese Annahme war jedoch bei dem typischen manisch¬ 
melancholischen Typus dieses Falles nicht berechtigt. Wahrscheinlich beruhten 
die epileptischen Anfälle auf einer Arterienveränderung, möglicherweise auch 
auf einem älteren Herd im Gehirn, der erst im Alter die genannten Erschei¬ 
nungen provozierte. Bei einem Kranken, der an einer motorisch erregten 
Melancholie günstigen Charakters litt, traten einzelne Schwindelanfälle auf, 
die wahrscheinlich-psychogenen Charakters waren. Letztere Beobachtung ist 
keineswegs selten. 

Anfälle von Singultus sind als „hysterische" Erscheinungen bekannt. 
Sie kommen ausnahmsweise, wie ich an einem Fall beobachten konnte, bei 
manisch-melancholischen Kranken vor. Es handelte sich um eine manische 
Patientin, die in anfallsfreien Zeiten Zustände dieser Art, welche minutenlang 
dauerten, schon mehrmals, besonders nach Aufregungen, gehabt hatte. Sie 
sind demnach als eine psychogene Komponente anzusehen. 

Von „Ohnmächten" hören wir in manchen Fällen. Es handelt sich 
gleichfalls um psychogene Zufälle, die besonders bei Melancholien auf treten; 
in einem Falle waren diese Ohnmächten vereint mit Zuständen, in denen die 
Kranke wegen „plötzlicher Lähmungen" auf der Straße nicht weitergehen 
konnte. Auch hier handelte es sich um prognostisch günstige Fälle. 

Auffallend ungünstig in prognostischer Hinsicht schneiden die nun zu 
erwähnenden Fälle ab. Es handelt sich durchweg um zirkuläre Kranke, bei 
denen die freien Intervalle kurz und manchmal recht wenig ausgeprägt sind. 
Meist sind die Kranken, wie überhaupt die meisten mit den erwähnten stark 
hervortretenden körperlichen psychogenen Störungen, in jugendlichem Alter. 
Während bei den vorher genannten Gruppen weibliche Fälle vorherrschen, 
sind hier die männlichen in der Überzahl. Es handelt sich um echt hysterische 
Anfälle, meist kleine hysterische Paroxysmen oder auch große Krampfanfälle. 
Die Anfälle finden sich meist nur während der Psychose selbst; nur in einem 
Falle kamen solche mit kurz dauernden Erregungszuständen vereint, auch außer 
der Zeit einer Krankheitsphase vor. 

Im allgemeinen ist von den Krankheitsbildem, wie ich sie jetzt unter den 
körperlichen psychogenen Zuständen aufgeführt habe, die Prognose in bezug auf 
den einzelnen Anfall günstig. Sie gehören größtenteils dem jüngeren Lebensalter 
an und befallen vorzugsweise weibliche Individuen. Die Ätiologie betont meist 
das psychogene Moment nicht besonders. Der klinische Charakter an und für 
sich entspricht dem typisch manisch-melancholischen Krankheitsbild. 



Sinnewrgane, Sprache. 


4» 


k) Sinnesorgane. 

Außer Nebenbefunden, wie Schwerhörigkeit, Sehstörungen usw., ist zu 
erwähnen, daß in einzelnen Fällen die Kranken über „perversen“ Geschmack 
klagen. Was objektiv diesen Klagen zugrunde liegt, ist schwer festzustellen; 
es könnte sein, daß Verdauungsstörungen die Ursache sind. Ähnliche Ge¬ 
schmacksstörungen psychogener Art sind Jedoch auch bei Hysterischen be¬ 
kannt. 

Von größerem Interesse sind die Pupillenbefunde bei manisch¬ 
melancholischen Kranken. Zunächst ist auffällig, daß die Pupillen bei den 
akuten Erkrankungen fast durchweg sehr weit sind. Bei einer Anzahl 
von Pupillenuntersuchungen, die ich mit dem Pupillometer von Weiler vor¬ 
nahm, ergaben sich folgende Resultate. Die Pupillenweite bei schwacher Be¬ 
lichtung zeigte Differenzen in der Weite von 6,9 bis zu 3,3 mm. Die größte 
Weite fand sich bei einem Falle von Melancholie mit sehr ausgeprägter psycho¬ 
motorischer Hemmung. Die Durchschnittsweite betrug 5,3 mm. Klinische 
Unterschiede von Bedeutung ergaben sich bei der Messung der Pupillengröße 
nicht. 

Belichtete man ein Auge stark, so ergaben sich bei manischen und me¬ 
lancholischen Fällen mit psychomotorischer Erregung auf dem belichteten Auge 
Ausschläge von über 0,5 mm gegenüber der Belichtung beider Augen mit 
schwachem Licht; öfters betrug die Differenz über 1 mm; die leicht ge¬ 
hemmten zeigten einen geringeren Ausschlag (unter 0,5 mm). Wurden nun 
beide Augen stark belichtet, so zeigte sich, daß die psychomotorisch ge¬ 
hemmten Kranken wieder einen geringeren Ausschlag zeigten wie die erregten, 
nämlich unter 1 mm. 

Es geht daraus hervor, daß die manisch-melancholischen Kranken über 
verhältnismäßig weite Pupillen verfügen; ferner, daß die stärkere Belichtung 
bei den gehemmten Kranken eine geringere Wirkung ausübt wie bei den psycho¬ 
motorisch erregten. Es müssen also gewisse, wohl psychische, Hemmungen 
vorhanden sein, welche diese Störungen bewirken. Zu bemerken ist, daß das 
untersuchte Material durchweg aus akuten, meist sehr frischen Fällen be¬ 
stand. Es wäre interessant, ein mehr chronisches Material nach dieser Richtung 
zu untersuchen. 

Die Untersuchung der sogenannten psychischen Pupillenreflexe 
ließ bei der Mehrzahl der manisch-melancholischen Kranken eine nur geringe 
Reaktion erkennen, meist waren es Schwankungen in nicht großer Breite. Nur 
bei einigen Fällen, welche, wie auch manche von den anderen, psychomo¬ 
torische Erregung aufwiesen, zeigten sehr starke Schwankungen. Im allge¬ 
meinen war bei den gehemmten Fällen eine geringere psychische Reaktion wie 
bei den psychomotorisch Erregten zu erkennen. Es liegt nahe, dafür dieselbe 
Erklärung wie oben, nämlich eine Hemmung, anzunehmen. 

1) Sprache. 

Störungen der Sprache finden sich in manchen Fällen. Dieselben können 
darin bestehen, daß die Sprache tonlos wird, daß eine „hysterische“ Stimm¬ 
bandlähmung in Erscheinung tritt, wie in einem Falle bei einer Kranken, 

Be hm. Das manisch-melancholische Irresein. 4 



öö 


Symptome. 


die sich in einer subchronischen räsonierenden Manie befand, öfters finden 
wir eine klanglose, mehr flüsternde Sprache, meist aus psychischen Gründen 
der Angst und der Besorgnis; wir beobachten auch bei Gesunden, daß im depres¬ 
siven Affekt die Sprache leiser und zurückhaltender wird; es handelt sich bei 
solchen Fällen also um eine krankhafte Steigerung des Affektes. Bei einem 
Kranken mit hochgradigen Angstzuständen nahm die Sprache einen mehr 
skandierenden Charakter an, ohne daß etwa organische Störungen vor¬ 
handen gewesen wären. 

In einem Falle, dessen delirante Phasen mit Stupor und katatonischen 
Erscheinungen einhergingen, wurde die Sprechweise auffallend monoton, 
wie wir es bei Fällen von Dementia praecox als Manier häufig wahmehmen. 
Die Erscheinung ging mit Besserung des Krankheitszustandes sehr bald wieder 
zurück. Bei deüranten Phasen in manchen Fällen kann man beobachten, daß 
die Kranken, beeinflußt von wahnhaften Vorstellungen, längere oder kürzere 
Zeit überhaupt nicht sprechen oder nur unverständlich lispeln. 

Ein vollständiges Fehlen sprachlicher Äußerungen (Mutazismus) 
wird am häufigsten natürlicherweise in den Fällen von Stupor,‘sei derselbe 
melancholischer oder manischer Art, ganz ähnlich wie beim Stupor der Kata¬ 
tonischen wahrgenommen. Die Erscheinungsform des Stupor ist oft fast voll¬ 
kommen katatonisch, nur fehlt der Negativismus; ein Merkmal, das mir von 
besonderer Bedeutung zu sein scheint. 

II. Psychische Symptome. 

Nach dem Kraepelinschen Schema haben wir es beim manisch-melan¬ 
cholischen Irresein mit drei Hauptsymptomen zu tun. Es handelt sich um 
Störungen auf dem Gebiete des Affektes, des Willens und des Denkens. 
Diese Trias kann auch heute noch als maßgebend anerkannt werden; sie ist durch 
die Gemeinschaft der früher getrennten Affektzustände erwiesen worden. Freilich 
ist zuzugeben, daß es manchmal den Anschein hat, als genügen diese Symptome 
nicht, als müßten wir Hilfssymptome zur Diagnose heranziehen. Zur Unter¬ 
stützung der Diagnose hat Kraepelin schon eine Beihe von psychischen 
Momenten aufgeführt, die wir zur Untersuchung benützen dürfen und in 
manchen Fällen müssen. Doch hängen auch diese Hilfssymptome mit den 
Grundsymptomen mehr oder weniger innig zusammen; ich möchte nur die 
Wahnideen, insbesondere die hypochondrischen, die Besorgnisse vor dem 
Kommenden, die Selbstbeschuldigungen, ferner die Ablenkbarkeit und das 
psychomotorische Verhalten anführen. 

Man darf daraus, daß es praktisch in manchen Fällen sehr schwierig er¬ 
scheint, die Diagnose zu stellen, — ich denke besonders an Fälle, bei denen die 
Differentialdiagnose manisch-melancholisches Irresein und Dementia praecox 
in Frage kommt, — noch nicht schließen, daß die diagnostischen Grundlagen 
falsch oder ungenügend sind. Wichtig sind solche Fälle, die bei katamnesti- 
schen Studien ergeben, daß es sich um eine Fehldiagnose gehandelt hat. Man 
kann dann durch den Rückblick über den Krankheitsverlauf und dessen dia¬ 
gnostische Eigentümlichkeiten viel für die Diagnose überhaupt Wichtiges 
lernen. Natürlich darf die Prognose nicht allein für katamnestische Rück¬ 
schlüsse maßgebend sein. Im ganzen genügt die von Kraepelin zugrunde 



Affektstönmg. 


51 


gelegte Symptomatik, und wir tun gut, solange daran festzuhalten, bis Besseres 
etwa an die Stelle getreten sein sollte, wobei an neue ätiologische Gesichts¬ 
punkte gedacht wird. 

Es soll nicht geleugnet werden, daß die manisch-melancholischen Misch- 
zustande diagnostisch manche Schwierigkeiten bieten, und daß man in die¬ 
selben gar viel hineindiagnostizieren kann; es soll auch ohne weiteres zuge¬ 
geben werden, daß die deliranten Phasen des manisch-melancholischen 
Irreseins manche Rätsel zu lösen aufgeben; wir kommen auch hier wieder sehr 
leicht in Versuchung, aus dem schwer begreiflichen Zustandsbild neue diagnosti¬ 
sche Momente herauszugreifen. Diese Methode ist sehr gefährlich, und man 
lasse von ihr, so lange nicht eine wissenschaftliche Grundlage dazu gegeben 
ist. Ich werde im folgenden versuchen, einige Möglichkeiten der Lösung zu 
zeigen. 

Zum Schlüsse möchte ich nochmals darauf hinweisen, daß es gelingt, 
den manisch-melancholischen Symptomenkomplex in — wie der weitere Ver¬ 
lauf lehrt — andersartige Krankheitsbilder hineinzupressen, insbesondere in 
die Dementia praecox. Bei der Differentialdiagnose ist es oft notwendig, 
die Hilfssymptome heranzuziehen; wir werden später versuchen zu zeigen, 
daß eine Lösung der Schwierigkeit nicht unmöglich ist. 

• 

a) Affektstörung. 

Die Art der Schattierungen der Affekte ist außerordentlich reichhaltig. 
Es gibt keinen Affektzustand, der nicht bei den manisch-melancholischen 
Kranken zur Beobachtung kommt. Wir haben es ja scheinbar mit der „Affekt- 
psychose“ xav zu tun; wenigstens hat man den Eindruck, als ob die 

Affekte das Krankheitsbild vollkommen beherrschen, und doch ist es nicht so, 
wie ich später zeigen werde. Wie der Name der Psychose angibt, können wir in 
erster Linie manische und melancholische Affektzustände unterscheiden. Zu 
diesen gesellt sich eine Reihe von Affektzuständen, welche aus einer Mischung 
der oben bezeichneten „einfachen“ Affekte zusammengesetzt sind; ich 
will sie der Kürze halber als „Mischaffekte“ bezeichnen. Schließlich ist 
ein Affektzustand zu erwähnen, in welchem der Affekt der Denkstörung unter¬ 
legen ist und nicht nach außen projiziert wird; ich möchte den Zustand „Affekt - 
lähmung“ nennen. Von Zuständen rasch wechselnder Affekte wird später 
noch die Rede sein. 

1. Manischer Affekt. 

Der manische Affekt ist der Zustand der gehobenen Stimmung, der 
Heiterkeit, der Ausgelassenheit und des Übermuts. Er bringt in höheren Graden 
in seiner typischen Form durch die psychomotorische Erregung expansives 
Wesen mit sich, welches den manischen Kranken überall sich einmischen läßt 
und dadurch mancherlei Konflikten zuführt. Der Affekt erscheint in geringen 
Graden uns oft als Humor, auch als Hoffnungsfreudigkeit; häufig zeigt er die 
Eigenschaft der Selbstüberschätzung, der erhöhten Ansprüche, auch der Neu¬ 
gierde. Bei jungen Mädchen werden hypomanische Zustände geschildert, in 
denen der Affekt in der Form einer auffallenden Schnippigkeit, „Nasenweisheit“ 
zutage tritt. Zuweilen finden sich Zustände von Schalkhaftigkeit und Sar¬ 
kasmus. Letzterer birgt allerdings schon eine Beimischung depressiver Momente, 

4 * 



52 


Symptome. 


das Moment der Bitterkeit. Von der mit dem manischen Affekt der Regel 
nach einhergehenden psychomotorischen Erregung wird später die Rede sein. 
Schwierig ist die Affektlage in diagnostischer Beziehung häufig bei schwach¬ 
sinnigen Kranken zu beurteilen. Hier erscheint der Affekt nicht selten ver¬ 
waschen, * weniger frisch und leuchtend, wie er sonst bei Manischen zu sein 
pflegt; auch bei Melancholischen erhält bei solchen Zuständen der Affekt ana¬ 
logerweise ein eigentümlich farbloses, wenig charakteristisches Gepräge. 

2. Depressiver Affekt. 

Der depressive Affekt, der charakteristische Affekt der Melancholie, 
ist die Traurigkeit, der Kummer, die gedrückte Stimmung. In den geringsten 
Graden stellt sich der depressive Affekt uns vor als Scheu, Verzagtheit, Schüch¬ 
ternheit, welch letztere eine gewisse psychomotorische Hemmung voraussetzen, 
während der Angstaffekt, auch schon die Furcht, einen Grad von psyoho- 
motorischer Erregung zur Basis haben. In besonderem Maße bringt die Furcht 
eine verzweifelte Stimmung zum Ausdruck. In seltenen Fällen kommt im 
Heimweh ein verhaltener depressiver Affekt besonders bei jugendlichen In¬ 
dividuen zum Vorschein. Ähnlich wie durch Suggestion ein momentaner Wechsel 
in den entgegengesetzten Affekt stattfinden kann, so sehen wir auch die Er¬ 
scheinung, daß durch Suggestion der Affekt verstärkt werden kann. Auch 
Sinneseindrücke besonderer affektbetonter Art, wie Musik, rühren oft die 
Kranken zu Tränen. Diese Erscheinung finden wir auch bei den rührseligen 
Psychopathen. 

Bemerkenswert ist, daß die einfache Verstimmung den größten Teil der 
jugendlichen Melancholien ausmacht; Angstaffekte, Verzweiflung usw. 
wird in der Jugend verhältnismäßig recht wenig beobachtet. Der Angstaffekt 
kombiniert sich häufig entweder in der einzelnen Krankheitsphase oder in dem 
ganzen Krankheitsverlauf mit manischen Affektsymptomen. Wie schon erwähnt, 
geht derselbe meist mit psychomotorischer Erregung einher, und diese kann 
im Gegensatz zur Hemmung auch wieder als manisches Symptom angesehen 
werden. 

3. Mischaffekt. 

Unter Mischaffekt ist die Gemütslage zu verstehen, in der sich manischer 
und depressiver Affekt innig vermengt und in einer eigenartigen Form zum 
Vorschein kommt. Es ist kein „reiner“ Affekt, sondern einer, der manische und 
depressive Komponente enthält. Man wird zu untersuchen haben, ob wir in der 
zu besprechenden Affektlage einen besonderen Affektzustand sehen können 
und deshalb etwa von der Annahme einer Mischung, die natürlich theoretisch 
ist, absehen können. Ich glaube aber, daß das praktische Verständnis durch 
die Annahme einer Mischung gefördert wird; die so häufige Wahrnehmung 
dieses Affektes gerade bei Übergang von dem einen Affektzustand zu dem 
anderen, glaubeich, spricht dafür, daß es sich um keinen „reinen“ Affekt handelt. 

Die charakteristische Färbung dieses Mischaffektes ist die der Unzu¬ 
friedenheit und des Zornes. Die Unzufriedenheit stellt den geringen Grad", 
der Zorn den Höhegrad des Affektes vor; in die Mitte könnte die Gereiztheit 
gesetzt werden. Wir sehen in den Krankheitsbildem häufig mit diesem 
Affekt eine psychomotorische Störung verbunden; einerseits eine Hemmung 



Affektstörung. 


03 


in den nörgelnden, gereizten Zuständen, andererseits eine Erregung in den 
Zuständen von Zorn, vonWut, ferner in Phasen, die laienhaft als „Tobsucht“ 
bezeichnet werden. Die Zustände von Unzufriedenheit gehen sehr häufig in 
Querulieren, Nörgeln und Bäsonniersucht über. Der Rechthaberische neigt zu 
Trotz und ist unverträglich. Der Zorn leitet zu Streitsucht, Grobheit und 
Gereiztheit über. Ähnlich wie beim depressivqfl Affekt verbinden sich auch 
hier Wahnvorstellungen mit dem Affektzustande, Zustände, auf die ich später 
bei Besprechung derW ahn Vorstellungen noch ausführlicher zurückkommen werde. 

Während mit dem depressiven Affekt Besorgnis für die Zukunft, Selbst¬ 
vorwürfe und hypochondrischer Wahn oft vergemeinschaftet sind, steht hier 
der Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn im Vordergründe. Einen Affekt¬ 
zustand möchte ich hier noch erwähnen, das ist die Rührseligkeit, bei der 
besonders deutlich eiqp eigenartige Mischung manischer und depressiver 
Komplexe vorhanden ist. 

Schließlich möchte ich auf eine Kombination, der wir oft begegnen, 
näher eingehen, weiche die Vereinigung von expansiven manischen Sym¬ 
ptomen mit Symptomen des Mischaffektes unter dem Ausdruck der Un¬ 
zufriedenheit, des Querulierens ist. Ich meine das Vorkommen dieser beiden 
Symptome in einer Krankheitsphase des manisch-melancholischen Irreseins. 
In meinem Material trifft das für ca. 11 % der Fälle zu, und zwar in der größeren 
Zahl (70 %) bei Fällen, die im jugendlichen Alter (bis zum 30. Lebensjahr) 
beginnen. Von den übrigen 30 % fallen nur 5 % auf das höhere Alter (nach 
dem 60. Lebensjahr). Es ist das eine sehr auffallende Erscheinung, insbesondere 
wenn man sie vergleicht mit der noch häufigeren Kombination von Expansion 
mit Zomaffekten. Bei der letzteren handelt es sich um ca. 26 % der Fälle des 
Gesamtmaterials; hierbei fallen 56 °/ 0 auf die Jugend, 40% auf die mittlere 
Lebenszeit (30.-r-50. Jahr) und 5 % auf das höhere Lebensalter. Es ergibt 
sich demnach bei der milderen Kombination von Expansion mit Unzufriedenheit 
ein Verhältnis der verschiedenen Lebensalter wie 18: 6: 1, bei der Kombination 
von Expansion mit Zorn 18: 14: 1. Daraus geht hervor, daß im mittleren 
Lebensalter der Zomaffekt auffallend häufig auftritt, während im jugend¬ 
lichen und späteren Alter die genannten Affektzustände sich das Gleichgewicht 
halten. Die große Mehrzahl der Mischaffekte überhaupt gehört aber dem 
jugendlichen Alter an. 

Man möchte daran denken, daß eben die Lebensfrische der Patienten 
bzw. das Bewußtsein der in den kommenden Lebensabschnitten verlangten 
Leistungen in den betreffenden Altersstufen sie zu diesen Zomsausbrüchen 
und zu den Zuständen des Querulierens prädisponiert. In den höheren Lebens¬ 
altern herrscht der Angstaffekt mit hypochondrischen Zutaten vor. Daraus 
können wir auch sofort den weiteren Sohluß ziehen, daß der psycho motorische 
Zustand die Mischaffekte nicht besonders begünstigt, denn das höhere Lebens¬ 
alter zeigt vor allem die psychomotorische Erregung, wie wir später noch sehen 
werden, und mit dem Zorn ist doch in derselben Weise häufig eine psycho¬ 
motorische Erregung verbunden, weniger natürlich mit dem Affekte der Un¬ 
zufriedenheit und des Querulierens. 

Weitere klinische, vor allem praktische Schlüsse aus diesen Ergebnissen 
zu ziehen, ist nicht möglich. Weder der Verlaufstypus noch die Prognose scheinen 
durch die genannten Umstände wesentlich beeinflußt zu sein. 



54 


Symptome. 


4. Affektsperrung. 

Als Affektsperrung kommt zunächst und vor allem der Zustand der 
Gleichgiltigkeit in Betracht. Die betreffenden Kranken sehen ihrer Zukunft 
vollkommen „apathisch“ entgegen, sie sind ihrer Situation gegenüber scheinbar 
völlig gleichgültig, — scheinbar, denn es empfängt der Beobachter doch den 
Eindruck, als ob sich „hinter.den Kulissen“ ein reiches Innenleben abspiele; 
die Patienten sind aufmerksam, sie verfolgen mit Augen und Miene alle Ge¬ 
schehnisse in der Umgebung und sind ablenkbar. Auf dies letzte Symptom 
der Ablenkbarkeit wird in der Kraepelinschen Schule in differential¬ 
diagnostischer Beziehung gegenüber der Dementia praecox mit Recht be¬ 
sonderes Gewicht gelegt. 

Es gibt Stuporzustände manisch-melancholischer Art, bei denen zeit¬ 
weise die Affektlage derartig verschleiert, oder eben der Affekt gestört, 
„gesperrt“ ist, daß man sie weder der manischen noch der depressiven Schat¬ 
tierung zuweisen kann. Neben den Stuporzuständen sind hier Zustände traum¬ 
hafter, deliranter Art zu erwähnen, bei denen es häufig nicht zur Ausbildung 
eines charakterisierten Affektes kommt. Diese Zustände entfernen sich von 
denen echter Sperrung schon wieder insofeme, als doch Andeutungen von 
Affekten vorhanden sind, nur sind sie oberflächlich, rasch wechselnd, inkonstant 
und daher kaum zu definieren. 

Schließlich ist noch der Affekt der Ratlosigkeit zu erwähnen, der eben¬ 
falls keine bestimmte Definition zuläßt, sondern wohl ebenso wie die vorher 
erwähnten Zustände Krankheitsphasen charakterisiert, welche eine primäre 
Denkhemmung und infolge deren in besonderer Intensität eine sekundäre 
Affektsperrung herbeiftihren. 

Klinische Besonderheiten bieten all die angeführten Symptome für unsere 
Krankheit nicht. Man kann nur im allgemeinen anführen, daß es sich dabei 
meist um Palle günstiger Prognose, soweit der einzelne Anfall in Betracht 
kommt, handelt. Sie bilden einen sehr geringen Bruchteil (ca. 4 %) der Fälle 
des Gesamtmaterials. 

5. Affektwechsel. 

Es ist jedermann bekannt, daß es seltene Fälle gibt, in denen der Krank¬ 
heitszustand ohne wesentliche Änderung und vor allem mit demselben Affekt¬ 
zustand j ahrelang unverändert bestehen bleibt. Das ist besonders der Fall 
bei gewissen Fällen in höherem Lebensalter. Von den konstitutionellen Fällen, 
bei denen ja während des ganzen Lebens ein und derselbe oft leicht pathologische 
Affektzustand besteht, soll hier nicht die Rede sein. 

Ich möchte weiterhin auf Fälle zurückkommen, bei denen der Affekt¬ 
zustand 8ehrhäufigwech8elt,so häufig, daß von einem konstanten Verhalten 
nicht gesprochen werden kann. Wie wir später noch sehen werden, finden 
wir bei manchen Fällen einen zeitlich genau abgegrenzten Verlauf, eine Peri¬ 
odizität, die beinahe kalendermäßig verläuft. Wir finden Schwankungen von 
Tag zu Tag, von Woche zu Woche usw., wir finden Fälle, in denen zu einer 
bestimmten Zeit fast nach der Uhr ein depressiver Zustand einem normalen 
Platz macht. 

Suchen wir nach sonstigen klinischen Eigentümlichkeiten dieser Fälle, 
die unter meinem Material nicht allzu häufig sind, die aber im Leben der Psycho- 



W illensstörung. 


55 

pathen, die für gewöhnlich die Anstalten nicht bevölkern, weit öfters angetroffen 
werden, so sehen wir, daß sie keinerlei Verlaufsformen besitzen, die abgesehen 
von dem Affektwechsel, charakteristisch wären, sie haben dieselbe Prognose 
wie andere Fälle; kurz sie zeigen keinerlei Besonderheiten. 

Es kommt vor, daß sich in längere Perioden gleichartigen Affektes Wochen 
rasch wechselnder Affekte einschieben; vor allem findet sich diese Erscheinung 
beim Übergang des lange konstanten Affektes der einen Richtung in den der 
anderen. Jedenfalls kommt diesem rasch wechselnden Affekt keine besondere 
Bedeutung dann zu, wenn die Krankheitsphase der gesunden Zeit zu weichen 
beginnt. 

Als ungünstiges Merkmal könnte man ansehen, daß solche Fälle, die dauernd 
raschen, kurzen Wechsel während der Krankheit zeigen, schon konstitutionell 
kurze Schwankungen leichtester Art in psychotischem Grade zu zeigen pflegen, 
so daß man sagen kann, daß solche Personen überhaupt nicht zur Ruhe kommen. 
Man muß vom praktischen Gesichtspunkt aus betonen, daß nur die Persön¬ 
lichkeiten im Leben wertvoll sind, die längere Phasen haben, die von Krank¬ 
heitssymptomen relativ frei sind. 

b) Willensstörung. 

Als ein weiteres Glied der Trias der von Kraepelin aufgestellten 
Symptome ist die Willensstörung anzuführen. Dieselbe ist eine besonders 
durch ihre Verflechtung mit anderen Symptomen für das manisch-depressive 
Irresein wichtige Erscheinung. In den verschiedensten Psychosen finden sich 
Störungen des Willens, am ausgeprägtesten vielleicht bei gewissen Formen 
der Dementia praecox. Während aber bei der Dementia praecox gerade in den 
Fällen mit ausgeprägter Willensstörung die Störung des Affekts, die gemütliche 
Abstumpfung vorhanden ist, geht bei unseren Kranken die Willenstörung 
mit einer Gefühlsbetonung, die einen «krankhaften Grad erreicht, einher. 
Zweifellos ist die Willensstörung hier und dort eine grundsätzlich verschiedene. 
Bei der Dementia praecox steht sie im Einklang mit der gesamten geistigen 
Verödung, mit dem Prozeß, der anatomisch-histologisch seiner Aufklärung 
entgegengeht; beim manisch-melancholischen Irresein erscheint sie abhängig 
von der Denkstörung; hier ist es, wie wenn die rasche Aneinanderreihung der 
Einfälle, der Gedanken dem Reiz gar keine Zeit ließe, auf die motorische Bahn 
überzuspringen und Willensimpulsen äußerlich wahrnehmbaren Antrieb zu 
geben oder bei geringerer Intensität einen ungeordneten, sprunghaften Ab¬ 
lauf des Antriebs verursacht. 

Die Willensstörung im manisch-melancholischen Irresein äußert sich in 
vermehrtem oder vermindertem Antrieb zu Handlungen, die dem jeweiligen 
Einfall, dem jeweiligen Gedankengang angepaßt sind. So finden wir, ganz 
verallgemeinert, bei manischen Kranken, bzw. bei Kranken mit psychomotori¬ 
scher Erregung, eine Vermehrung der Impulse, der Handlungen, bei melan¬ 
cholischen bzw. psychomotorisch gehemmten Kranken eine Verminderung 
derselben. Während bei ersteren die normalen Hemmungen als Überlegung 
in Wegfall gekommen sind, haben sie sich bei letzteren krankhaft angehäuft, 
so daß wir von einer „Willenshemmung“ sprechen können, welche den Be¬ 
troffenen als Mangel an Entschlußfähigkeit zum Bewußtsein kommt oder als 



56 


Symptome. 


solcher beobachtet wird. Wir finden häufig, daß allein diese eigenartige Willens¬ 
störung die Kranken quält; sie haben das Gefühl, ihren Pflichten nicht nach- 
kommen zu können. 

Man könnte hierin für eine ganze Reihe von Wahnideen, die von den 
Kranken geäußert werden, den Ursprung finden. Bei den Krankheitsprozessen, 
welche mit psychomotorischer Erregung einhergehen, kommt subjektiv das Ge¬ 
fühl der Willensstörung weniger prägnant zum Ausdruck als bei den gehemmten 
Kranken. Wir hören wohl zuweilen, daß die Kranken äußern, sie könnten 
alles unternehmen, sie fühlten sich allen Unternehmungen gewachsen; wir 
sehen auch, daß Kranke in psychomotorischer Erregung allen Antrieben nach¬ 
geben; doch pflegt ihnen dies nicht so ganz zum Bewußtsein zu kommen. 

Prüft man das ganze Krankheitsmaterial auf Störungen auf dem Gebiete 
des Willens, so finden sich Angaben über solche nur bei einer verhältnismäßig 
geringen Zahl von Fällen. Es ist selbstverständlich, daß bei psychomotorisch 
erregten Fällen vielfach die Willensstörung nicht in dem Maße in die Augen 
fällt wie bei den gehemmten Fällen; darum wird sie in den genannten Fällen 
auch weniger häufig auf gezeichnet. Ich fand eine Willensstörung in ca. 15 °/ 0 
aller Fälle; und zwar bestand dieselbe — den Grund habe ich eben schon be¬ 
rührt — fast immer in einer psychomotorischen Hemmung. Was das Lebens¬ 
alter der Kranken betrifft, so fand sich die Störung am häufigsten, nämlich 
in 70 °/ 0 , bei Erkrankungen, die vor dem 60. Lebensjahre einsetzten. Es spielen 
also WUlenshemmungen bei den Erkrankungen der Involution eine verhältnis¬ 
mäßig sehr geringe Rolle. Das größte Kontingent geben die rein zirkulären 
Formen ab (60 %); geringer an Zahl sind die periodischen Depressionen (30 %) 
vertreten. 

Ähnlich gestalten sich die Verhältnisse, wenn wir die übrigen Krankheits- 
erscheinungen berücksichtigen. Unter dem angeführten Material zeigen 65 °/ 0 
der Fälle gemischt manische bzw. depressive Symptome. Bei 20 °/ 0 finden 
sich reine Hemmungssymptome, während wir es bei 15 °/ 0 mit Ratlosigkeit 
und einer mehr oder weniger erheblichen deliranten Verwirrtheit zu tun haben. 

Was die Verteilung auf Geschlechter betrifft, so ist zu bemerken, daß 
auf das weibliche Geschlecht eine geringe Mehrheit der einschlägigen Fälle 
kommt, was wohl im wesentlichen mit der geringen Zahl der Involutionsde¬ 
pressionen zusammenhängt, welcher wir hier begegnen, während diese sonst 
ein sehr großes Kontingent bei den Erkrankungen des manisch-melancholischen 
Irreseins stellen. 

Suchen wir die Resultate zusammenzufassen, so ergibt sich, daß die 
Willenshemmung weitaus überwiegend Fälle zu betreffen pflegt, welche 
zirkulären Verlauf und eine Mischung zwischen Hemmungs- und Erregungs¬ 
symptomen zeigen. Auffallend häufig findet sie sich ferner in den Fällen von 
Ratlosigkeit und deliranter Verwirrtheit, bei denen wir häufig katatonische 
Erscheinungen ausgebildet finden. Der Willenserregung scheint eine dia¬ 
gnostische oder symptomatische Wichtigkeit nicht in dem Maße wie der Willens¬ 
hemmung zuzukommen. 

e) Denkstörung. 

Die Denkstörung ist der dritte Teil der Trias, der besprochen werden 
muß. Sie ist, wie ich glaube, als das wichtigste Symptom des manisch- 



Denkstörung. 


57 


melancholischen Irreseins zu bezeichnen. Die Affekt- und besonders die Wil¬ 
lensstörung sind differentialdiagnostisch nur mit Vorsicht zu verwenden. Die 
Denkstörung erscheint eindeutiger, vorausgesetzt daß die Kranken über ihren 
Zustand einige Auskunft zu geben imstande sind. 

Wir hören von den manisch-melancholischen Kranken, ihr Kopf sei so 
voll, v sie hätten einen furchtbaren Gedankenandrang, die Gedanken fliegen 
ihnen nur so durch das Gehirn, sie könnten sich gar nicht helfen, ein Gedanke 
jage den anderen. Die Art der Einfälle ist je nach dem Affektzustande eine 
sehr verschiedene; manchmal ist es nur Depressives, was in den Kopf kommt, 
alles durcheinander, aus der Blindheit, aus der Zukunft, ohne Ordnung; ähnlich 
werden manische Kranke mit heiteren usw. Einfällen versorgt. Es ist möglich, 
sich aus den Gedanken allein ein Bild von dem Affektzustand zu machen. Der 
Umstand, daß diese Gedanken im Höhestadium der Krankheit sich nicht zu 
Vorstellungen verdichten, daß es den Kranken nicht möglich ist, eine Aus¬ 
lese zu treffen und den Andrang in geregelte Bahnen zu leiten und zu ordnen, 
bringt die Kranken in eine Unruhe, aus der sie sich nicht heraushelfen können. 
Eine derartige Unruhe der Gedanken, ein derartiges Andrängen von Ideen 
aller Art finden wir bei allen manisch-melancholischen Kranken, sei es, daß 
sie uns während der Psychose Auskunft geben, sei es, daß wir katamnestisch 
nach Ablauf des betreffenden Stadiums darüber Auskunft erhalten. 

Die psychomotorisch gehemmten Kranken, also im wesentlichen die 
typisch Melancholischen, zeigen die Eigentümlichkeit, daß die Einfä'le sich 
in einem Zirkel bewegen. Dieser Zirkel bringt es mit sich, daß dieselben Ideen 
immer wiederkehren, was den Angstaffekt zu verstärken scheint und auch 
den Kranken zum Bewußtsein kommt. Bei Erregten, also im wesentlichen 
bei Manischen, ist der Zirkel entweder ein sehr großer, oder es geht, wie es meist 
der Fallist, die Reihenbildung vollkommen verloren, es tritt also unbegrenzte 
Ideenflucht ein. Das Symptom, wie es bei Gehemmten und Nichtgehemmten, 
bei Melancholischen und Manischen zu beobachten ist, wird am besten als 
innere Ideenflucht bezeichnet, im Gegensatz zu der Ideenflucht, bei welcher 
infolge der sprachlich motorischen Erregung die Einfälle sprachlich zum Aus¬ 
druck kommen. Leichtere Fälle von innerer Ideenflucht zeigen noch eine ge¬ 
wisse Ordnung in der Reihenbildung. Gewisse Obervorstellungen über¬ 
wiegen und drücken den andrängenden Einfällen ihren Stempel nach Affektart, 
nach der Art der Erinnerung, der sie entnommen sind, bzw. nach der Art früherer 
Erlebnisse auf. 

^Aschaffenburgs *) experimentelle Studien über die Assoziationen 
bzw. Ideenflucht haben ergeben, daß manische Kranke nicht wie es bei ober¬ 
flächlicher Betrachtung scheinen könnte, eine Erhöhung der Aufmerksamkeit 
zeigen, Bondern daß dieselbe gestört ist, insofeme als eine erhöhte Ablenk¬ 
barkeit nachzuweisen ist. Nach seinen Ergebnissen verändert die manische 
Erregung die Verbindung der Vorstellungen. Die engen begrifflichen Beziehungen 
zwischen Reizwert und Reaktion sind gelockert und durch solche Assoziationen 
ersetzt, die der langgewohnten Übung ihre Entstehung verdanken, bzw. durch 
sprachliche Reminiszenzen. Mit steigender Erregung treten an die Stelle der 

*) Asoh affen bürg. Experimentelle Studien über Assoziationen. Kraepelin, 
Psychol. Arb. 4. 




Symptome. 


58 

inhaltlichen Assoziationen solche nach dem Klange. Es besteht die Neigung 
zu rhythmischer Gliederung, ferner zur Bildung längerer Assoziationsreihen 
aus dem gleichen Gebiete, besonders in Aufzählung von Gegenständen. Während 
der depressiven Phase finden sich keine Abweichungen des Assoziationsinhaltes 
von der Norm. Die Dauer der Assoziationen ist während der Depression ver¬ 
längert, während der manischen Erregung in keinem Falle verkürzt. Die Ideen- 
flucht ist eine Teilerscheinung der allgemeinen Erleichterung der psychomotori¬ 
schen Vorgänge. Die Leistungsfähigkeit manischer Kranker ist nur 
eine quantitative. 

Liepmann 1 ) kommt auf Grund von Überlegungen zu dem Schlüsse, 
daß die Ideenflucht der Ausdruck großer Unbeständigkeit bei erheblicher 
Energie der Aufmerksamkeit ist. Im Aufmerksamkeitsfeld des Manischen 
findet ein besonders schneller Wechsel statt, jede Vorstellung wird schneller 
verdrängt. Die Ideenflucht ist dadurch charakterisiert, daß die Wirksamkeit 
der Obervorstellungen fortfällt oder stark abgeschwächt ist: daß immer ein dem 
letzten oder einem der letzten Glieder assoziativ innig verknüpftes oder durch 
einen Sinneseindruck erwecktes Glied folgt, so daß auf Schritt und Tritt jenes 
Abspringen erfolgt. Der Ideenflüchtige zeigt den höchsten Grad von Unbe¬ 
ständigkeit: Jedes Auftauchende bemächtigt sich der Aufmerksamkeit. Die 
Ideenflucht ist keine psychomotorische, sondern eine intrapsychische 
Störung. Die Selektion, die im geordneten Denken stattfindet, fällt weg. 

Eine Scheidung der Denkstörung nach Hemmung und Erregung ist 
meines Erachtens nicht durchführbar und wäre unrichtig. Die Denklähmung 
ist ein Kardinalsymptom des manisch-melancholischen Irreseins. Ich glaube, 
daß sie das wesentlichste Symptom der Krankheit ist, welche man danach 
als „Inkohärenzpsychose“ bezeichnen könnte. 

In nicht seltenen Fällen wird von den Kranken, besonders in Fällen mit 
psychomotorischer Hemmung, über „Leere“, „Verödung“ ihres Denkens ge¬ 
sprochen. Sucht man diesen Gefühlen näher nachzugehen, so erfährt man, 
daß das Gefühl der Leere dadurch zustande kommt, daß der Kranke es zu keiner¬ 
lei Vorstellung mehr bringt, die Einfälle gehen unüberdacht weiter, die Ein¬ 
wirkung auf den andrängenden Stoff und die Zergliederung oder Zusammen¬ 
fassung desselben ist verloren gegangen. Hauptsächlich begegnen wir diesem 
Symptom der Verödung, abgesehen von Fällen manischen Stupors, bei schwer 
gehemmten depressiven Kranken. 

Die Aufmerksamkeit, welche das zielbewußte Hinlenken . der 
Sinnesorgane auf äußere Eindrücke bedeutet, ist bei den manisch-melan¬ 
cholischen Kranken, wie Aschaffenburg im Gegensatz zu Liepmann 
sagt, zweifellos herabgesetzt. Es handelt sich bei unseren Kranken gerade 
darum, daß die Eindrücke wahllos aufgenommen und ganz oberflächlich ver¬ 
arbeitet werden, ohne daß das Bewußtsein wesentlichen Anteil hat. 

Was die Assoziationen der Manisch-Melancholischen betrifft, so hat 
sich damit insbesonders Asch aff enburg und Isserlin beschäftigt. Ersterer 
fand bei manischen Erregungen Klangassoziationen und Neigung zu rhyth¬ 
mischer Gliederung bei erhöhter Ablenkbarkeit. Die Depressiven zeigten in- 

') Liepmann, Über Ideenflucht. Begriffsbestimmung und psychologische Analyse. 
Zwangslose Abhandlungen von Ho che, 1904. 



Denkstörung. 


59 


haltlich keine Abweichungen der Assoziationen von der Norm. In der De¬ 
pression erschien die Assoziationszeit verlängert, in der Manie nicht verkürzt. 
Is Berlin 1 ) stellte bei Depressiven fest, daß der Vorstellungswechsel bei aus¬ 
geprägter Denkhemmung sehr eingeschränkt sein kann. Bei der Manie fanden 
sich viele Klangassoziationen und fast regelmäßig auffallendes Auftreten von 
Weiterschweifen. Oft hatten Manische sehr kurze Reaktionszeiten; sie produ¬ 
zierten in der Zeiteinheit mehr Einzel Vorstellungen als Gesunde. Leicht agi¬ 
tierte Depressionen zeigten starke Anhäufung egozentrischer Beziehungen. 

Eserscheint überaus wahrscheinlich, daß die Stuporformen, welchemit 
Verwirrtheit kombiniert sind, den höchsten Grad der Krankheit dar¬ 
stellen, einen wesentlich höheren Grad als die manischen Föhnen, in denen Ver¬ 
wirrtheit zutage tritt, bei denen es aber zu sprachlichen Äußerungen, meist ideen¬ 
flüchtiger Art, kommt. Hier sind die Kranken noch imstande, aus dem an¬ 
drängenden Gedankenmaterial unbewußt auszuwählen und das Aufgefaßte 
sprachlich motorisch in Äußerungen umzusetzen. Die geschilderten psychi¬ 
schen Äußerungen finden wir so ausgeprägt bei keinem anderen Krankheitsbild, 
auch nicht bei manischen und depressiven Zuständen, die in der Erscheinung 
von psychomotorischenStörungen an Manisch-Melancholische am meisten erinnern, 
wie bei Dementia praecox und Epilepsie. Am besten zu verwerten scheint 
mir dieses differentialdiagnostisch außerordentlich wichtige Symptom der 
inneren Ideenflucht gegenüber Fällen von arteriosklerotischer Depression, von 
Melancholie alten Stils und anderen präsenilen und senilen Psychosen. Bei 
Hysterischen und Psychopathen findet sich die genannte Erscheinung nicht 
selten andeutungsweise. 

In dem von mir verwerteten Material konnte ich in 52 % der Fälle für 
eine ausgesprochene Störung der Denktätigkeit Anhaltspunkte finden. Sie 
verteilen sich in entsprechender Weise auf weibliche und männliche Erkran¬ 
kungsfälle. Dem Alter nach fanden sich die meisten Fälle von Denkstörung 
zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr; sie werden in den nächsten Dezennien 
etwas weniger, um dann mit dem 60. Lebensjahr auf 10% herabzusinken. 

Weitaus die größte Zahl (61 %) betrifft Fälle mit zirkulärem Erkrankungs¬ 
typus; 18 % kommen auf periodisch melancholische, 8 % auf periodisch mani¬ 
sche Formen. Die Involution mit zirkulären und depressiven Formen ist 
nur mit 10 % beteiligt. 

Die Auffassungs- und Merkstörungen manischer Kranker hat Wolfskehl 2 ) 
experimentell geprüft. Nach seiner Ansicht zeigen manische Kranke eine deutliche 
Herabsetzung der Auffassungs- und Mejkleistung, wenn auch 
große persönliche Unterschiede bestehen. Ausgeprägte solche Störungen können 
bei manischen Kranken noch nachweisbar sein, wenn die klinischen Zeichen 
der Krankheit schon fast völlig geschwunden sind; umgekehrt können sie schon 
• in der Depression der Entwicklung manischer Erregung längere Zeit voran¬ 
gehen. 


*) Isserlin, Untersuchungen an Manisch-Depressiven. Monatssohr. f. Psych. u. 
Neurol. 22. 

*) Wolfskehl, Auffassungs- und Merkstörungen bei manischen Kranken. Kraepe- 
lin, Psyohol. Arb. 5. 



60 


Symptome. 


Ablenkbarkeit (Tafel 10 und 11). 

In organischem Zusammenhang© mit der Denkstörung steht die Erschei¬ 
nung der erhöhten Ablenkbarkeit, welcher wir bei manischen, aber auch 
bei depressiven Formen begegnen. Mir scheint sie eine unmittelbare Folge 
der bestehenden Denkstörung zu sein. Der Gedankenandrang ist nicht geordnet, 
er ist an keine Bahn gebunden. Wird nun von außen her plötzlich der Wirr¬ 
warr des Andranges durch einen bewußten oder unbewußten sinnlichen Ein - 
druck, er mag auf dem Gebiete des Gehörs, des Gesichts, des Geruchs usw. 
liegen, gestört, so wird die andrängende Masse plötzlich unterbrochen, die Auf¬ 
merksamkeit abgelenkt, es erfolgt dann", schon unbewußt, eine Reaktion, 
welche als Ablenkung zu bezeichnen ist. 

In den Fällen schwersten Stupors ist die Erscheinung der erhöhten 
Ablenkbarkeit nicht nachzuweisen; es ist aber wahrscheinlich, daß sie 
nur durch die schwere psychomotorische Hemmung nach außen hin nicht 
projiziert wird, so daß der Beobachter sie nicht wahmehmen kann. Sie fehlt 
bei Fällen von Dementia praecox, denen gegenüber dieses Symptom differential- 
diagnostisch zu verwerten ist. Die erhöhte Ablenkbarkeit ist bei meinem 
Material in ca. 20 % der Fälle von Denkstörung nachzuweisen, also in ca. 10 % 
des gesamten Materials. Sie ist fast durchweg an Fälle zirkulären Charakters 
gebunden, findet sich nur in wenig Fällen depressiver Färbung, in etwas mehr 
Fällen rein manischer Färbung. In der Involution scheint die erhöhte Ablenk¬ 
barkeit außerordentlich selten zu werden; meist fand sie sich bei Erkrankungen 
im Alter von 20—30 Jahren. Dabei ist zu erwähnen, daß früher auf diese 
Störung nicht oder nur sehr wenig geachtet ist, so daß es sicher ist, daß eine 
neuere Aufstellung ihr Vorhandensein in erheblich mehr Fällen zeigen würde. 

Der oben schon behandelte Affektzustand der Ratlosigkeit ist an 
die Störung der Denktätigkeit ziemlich häufig, nachweislich in 12 °/ 0 der Fälle, 
gebunden. Es ist das nicht zu verwundern, scheinen doch die Fälle von Rat¬ 
losigkeit mit tiefgehender Denkstörung, vielfach mit nicht unerheblicher Ver¬ 
wirrtheit verbunden zu sein. 

Der Nachweis der Ablenkbarkeit im psychologischen Experiment 
wurde schon vor geraumer Zeit versucht. Kraepelin sagt in seiner grund¬ 
legenden Arbeit über den psychologischen Versuch in der Psychiatrie x ): „Wenn 
wir die Fähigkeit, fremde Eindringlinge aus dem Ablaufe der inneren Tätigkeit 
femzuhalten, als unsere geistige Widerstandsfähigkeit bezeichnen, so wird 
diese wichtige Eigenschaft beim einzelnen Menschen offenbar in umgekehrtem 
Verhältnisse zu seiner Ablenkbarkeit stehen. Für die letztere können wir ein 
Maß finden in der Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit, welche durch bestimmte 
äußere störende Einwirkung herbeigeftihrt wird. Die geistige Ge¬ 

wöhnungsfähigkeit muß man ebenfalls als eine Grundeigenschaft der Per¬ 
sönlichkeit betrachten, welche* wahrscheinlich in sehr nahen Beziehungen zu 
der früher besprochenen Widerstandsfähigkeit steht. Als Maß dieser Gewöhnungs¬ 
fähigkeit würde die Steigerung der Arbeitsleistung nach längerer Einwirkung 
eines bestimmten störenden Reizes zu gelten haben, während die Widerstands¬ 
fähigkeit durch den umgekehrten Wert der Arbeitsverminderung gemessen 
würde, welche der störende Einfluß im Beginn seiner Wirksamkeit herbeiführt. 

A ) Psychologische Arbeiten von E. Kraepelin, 1. 




Denkatörung. 


61 


Im Anschluß an diese Ausführungen hat R&gnar Vogt 1 ) mit ver¬ 
schiedenen Versuchsanordnungen gearbeitet. Am brauchbarsten stellten sich 
Additionsversuche heraus, in denen ohne Niederschreiben der Summenzahl 
reihenweise bis zu 100 addiert wurde. Dabei wurde ein geläufiges Gedicht 
hergesagt. Vogt fand eine Herabsetzung der Arbeitsleistung um 68 °/ 0 . Außer¬ 
dem ließ er unter Einschiebung von Pausen fortlaufend addieren und durch 
Metronomschläge stören; schließlich stellte er die Aufgabe, beim Hören des 
Metronomschlages einen Punkt machen. Das bloße Anhören von Metronom- 
Schlägen war ohne nennenswerte Wirkung, während bei gleichzeitigem 
Niederschreiben eines Punktes eine Herabsetzung von ca. 16 % erfolgte. 

In der Überlegung, daß bei Kranken manisch-melancholischer Art Ver¬ 
suche möglichst einfach zu gestalten sind, weil sowohl gehemmten als auch 
erregten Kranken nur das Allereinfachste an Überlegung und Aufmerksamkeit 
zuzumuten ist, ferner weil ich Vergleiche mit früher durchgeführten und später 
zu besprechenden Versuchen zur Verfügung hatte, habe ich zur Untersuchung 
der Ablenkbarkeit das Additionsverfahren nach Kraepelin angewendet. 
Es wurden einstellige Zahlen fortlaufend addiert und die Summe je zweier 
Zahlen notiert. Während die Versuche an manisch-melancholischen Kranken 
10 Tage währten, begnügte ich mich hier mit 8, weil nur so eine gleichmäßige 
Versuchsanordnung gesichert war. Es wurde an jedem 2. Tage eine Pause 
von ö Minuten in die Arbeitszeit von 10 Minuten eingeschoben. Am 3. und 4., 
ferner am 7. und 8. Tag wurden die Ablenkungsversuche gemacht, indem in 
der 3. und 4., ferner in der 8. und 9. Minute das Metronom in einem Tempo 
in Bewegung gesetzt wurde, das rascher war, als erfahrungsgemäß das Rechen¬ 
tempo verlief, so daß die Glockenzeichen, wie angenommen wurde, störend 
auf die Arbeit wirken mußten. Die Versuchsanordnyng war also folgende: 


P. P. 

Tag: 1. 2. 3. 4. 

A. A. 


P. P. 

6. 7. 8. 

A. A. 


Ablenkung = A 
Pause — P 


Das untersuchte Material bestand mit einer Ausnahme aus Frauen 
verschiedener Bildungsstufe; es waren 6 psychomotorisch erregte Manische, 
5 z. T. leicht gehemmte Melancholische und zum Vergleiche 6 Gesunde (Kran¬ 
kenschwestern). Es wurde gemessen: 1. Antrieb vor der Pause, 2. Antrieb nach 
der Pause, 3. Unmittelbare Pausenwirkung, 4. Allgemeine Pausenwirkung, 
5. täglicher Übungsfortschritt, 6. Durchschnittsleistung in 5 Min. Die Tabellen 
zeigen a) die Resultate des ganzen Versuches, b) die Resultate für die Tage 
mit und ohne Ablenkung in je 2 nebeneinanderstehenden Säulen getrennt. 
Zum Vergleiche dienen die Tabellen der später zu erwähnenden Versuche. 

1. Antrieb vor der Pause. Der Antrieb bei Gesunden war etwas 
größer wie bei den Kranken, der Wille zur Arbeit war demnach ein besserer. 
Bei den Kranken war die Stärke des Antriebes ähnlich wie bei den erregten 
Manien und gehemmten Melancholien der folgenden Untersuchungen ohne 
Ablenkung. Der geringere Antrieb bei Manischen und Melancholischen, der 


% 


l ) R. Vogt in Kraepelins psychol. Arb. 3. 



62 


Symptome. 


insbesondere bei den letzteren nicht unbedeutend ist, beruht darauf, daß die 
Kranken, welche alle besonnen waren, sich sehr rasch auf die Reihenfolge der 
Versuchstage einstellten; so kann es nicht wundemehmen, daß besonders die 
Melancholischen angesichts der bevorstehenden, ihnen schwierig erscheinenden 
Aufgabe mit einem Antrieb antworteten, der sogar zu einem vollständigen 
Fehlen bis zu einem geringen Minus führte. Die Manischen und Melancholischen, 
besonders letztere, gingen also mit einer gewissen nicht unbedeutenden Willens¬ 
hemmung an die Aufgabe heran. 

2. Antrieb nach der Pause. Es sinkt der Antrieb sowohl bei 
Gesunden wie bei Manischen. Der steigende Widerwille an dem Versuch 
im ganzen zeigt sich bei Gesunden daran, daß der Nichtablenkungsversuch 
die Minusresultate ergibt, während der Ablenkungsversuch wohl mit Hilfe 
einer dem Einfluß des Willens entzogenen Anregung immerhin noch geringen 
Antrieb zeitigt. In höherem Grade wie bei Gesunden ist bei den Manischen 
eine Gleichgiltigkeit dem ganzen Versuch gegenüber zu konstatieren; die An¬ 
regung kommt nicht zum Ausdruck; während die Melancholischen als die Be¬ 
ständigeren im ganzen dieselben Verhältnisse zeigen wie beim Antrieb vor der 
Pause. 

3. Direkte Pausenwirkung. Sie besteht aus zwei Komponenten, 
nämlich der Erholungswirkung durch die Pause und dem erwähnten An¬ 
trieb nach der Pause. Dem entsprechen die Resultate. Die Gesunden und 
Melancholischen zeigen entsprechend höhere Werte; bei den Iranischen 
kommt sichtlich die starke allgemeine Pausenwirkung mit zum Ausdruck. 

4. Allgemeine Pausenwirkung. Die Pausenwirkung beruht auf 
der Erholung während der Pause, welche durch die Ermüdung infolge der 
Arbeit vor der Pause bewirkt wird. Je größer das Resultat der Erholung 
ist, desto größer war die Ermüdung, bzw. die geleistete Arbeit. Die Ge¬ 
sunden unserer Versuchsreihe zeigen eine geringere Pausenwirkung als sonst. 
Vergleichen wir die Versuche mit und ohne Ablenkung, so ergibt sich daraus, 
daß die geringere Pausenwirkung bei Gesunden auf das Minus in den Versuchen 
ohne Ablenkung zurückzuführen ist. Es scheint an der Art des Materials von 
Gesunden zu liegen, daß diese bei den hier zu besprechenden Versuchen nicht 
mit der Hingabe sich bemühten, wie bei den sonstigen. Dafür spricht auch die 
geringere Leistung. Außerdem liegt es nahe, anzunehmen, daß die Gesunden 
rasch die Versuchsanordnung übersehen; sie reagieren auf die Tage mit Ablenkung, 
als denen der größeren Anstrengung, mit größerer Ermüdung, d. h. die größere 
Arbeit strengt mehr an, und darauf haben sie sich von vornherein eingestellt. 

Die Manischen verhalten sich im ganzen wie' die erregten Manien auch 
sonst. Infolge des Versagens der Gesunden tritt bei ihnen die Pausenwirkung 
vergleichsweise besonders kräftig hervor. Die Melancholien haben eine 
geringe Pausenwirkung, die aus den sonstigen Versuchen bei gehemmten Me¬ 
lancholien schon bekannt ist. Die Hemmungen überdauern die Pause. Trotz 
aller Willensanstrengungen in den Antrieben werden sie nicht überwunden. 
Die Manischen sowohl wie die Melancholischen zeigen im Ablenkungsversuch 
bei Ablenkung geringere Pausenwirkung wie ohne dieselbe. Bei den 
Manischen ist die Differenz kleiner wie bei den Melancholischen; das Verhalten 
steht im scharfen Gegensatz zu den Gesunden. Wir sehen also hier im 



Denkstörung. 


63 


kleinen dasselbe Verhalten bei beiden Gruppen, das uns von Melancholischen 
bekannt ist, nämlich, daß Hemmungen eingetreten sind. Deutlich wird dies 
Verhalten durch die Betrachtung der Leistungen, die durchweg an den ab¬ 
gelenkten Tagen größer sind wie an den anderen, also kann nicht etwa eine 
verminderte Leistung verantwortlich gemacht werden. Die Ablenkung hat so 
wohl bei Manischen wie bei Melancholischen, bei letzteren allerdings in erheblich 
größerem Maße, Hemmungen mit sich gebracht, welche sich graphisch darstellen 
und ziffernmäßig berechnei* lassen. Das Verhalten ist genau umgekehrt wie bei 
Gesunden; letztere haben die geringe Pausenwirkung an den Tagen ohne Ab¬ 
lenkung, die Melancholischen fast durchweg an den Tagen mit Ablenkung. 
Bei ersteren ist es eine mehr oder weniger große aktive Unlust, welche durch 
die Anregung an den Ablenkungstagen überwogen wird, bei letzteren ist es 
eine Hemmung, welche die Anregung unterdrückt und besteht bei unge 
minderter Leistung. 

6. Täglicher Ubungszuwachs. Die Verhältnisse bei den gesunden 
Versuchspersonen entsprechen denen bei den sonst untersuchten Gesunden. 
Ebenso entsprechen die Manischen und Melancholischen den früher unter¬ 
suchten gleichzusetzenden Gruppen. Im ganzen ist der Fortschritt der 
Übung bei Manischen kleiner wie bei Gesunden und bei den Melancholischen 
kleiner wie bei den Manischen. Die Unterschiede sind nicht groß. Diese Tat¬ 
sache ist differentialdiagnostisch von großer Bedeutung, 'findet sich doch bei 
einer Gruppe von Nervenschookkranken ein negativer Übungszuwachs, 
d. h. derselbe fehlt vollständig und zeitigt eine absteigende Kurve der 
Leistungen. 

6. Die Durchschnittsleistung in .5 Minuten ist bei den Gesunden 
ein geringes unter dem Durchschnitt der früher untersuchten Gesunden, 
was ohne Bedeutung ist. Die Leistung der Manischen steht etwas höher wie 
die der Gesunden und um ein nicht geringes höher wie die der Melancholi¬ 
schen. Das erstere ist durch die außergewöhnlich hohe Leistung einer gebil¬ 
deten und intelligenten Kranken (letzte Säule der Manischen auf der Tafel 10 e) 
bedingt. Abgesehen von dieser Kranken würde die Leistung der Manischen 
wie bei früheren Versuchen etwas geringer sein als die der Gesunden. Daß sie 
größer ist wie die der Melancholischen entspricht ebenfalls früheren Ver¬ 
suchen. Zwischen dem Ablenkungsversuch und dem Versuch ohne Ablenkung 
bestehen keine allzugroßen Unterschiede. Daß die Leistungen bei letzterem 
größer sind beruht auf dem Übungszuwachs. Immerhin zeigen die Manischen 
einen größeren Unterschied wie die anderen, was aus den Einzeldarstellungen 
sehr deutlich hervorgeht. Diese Erscheinung spricht, da mit der größeren 
Leistung im Ablenkungsversuch keine größere Pausenwirkung verbunden ist, 
wieder für die Annahme einer Störung, welche die Leistung nicht beeinträchtigt, 
sondern nur in einer geringeren Pausenwirkung durch die Ablenkung zutage tritt. 

Zusammenfassung. Sowohl Gesunde wie Kranke gingen an den 
Versuch mit einem gewissen Widerwillen heran; besonders bestand bei den 
Melancholischen starke Abneigung gegen den Ablenkungsversuch an den 
entsprechenden Tagen. Während des Versuchs zeigen die Gesunden an den 
Ablenkungstagen einen, wenn auch geringen, Antrieb, der wohl anregenden 
Einflüssen zuzuschreiben ist. Die Ermüdbarkeit ist bei den Gesunden sehr 



64 Symptome. 

gering, besonders an den Tagen ohne Ablenkung; an den Tagen mit Ablenkung 
erscheint sie größer. 

Die Manischen sind ermüdbarer wie die Gesunden, die Melancholischen 
haben Hemmungen, welche die erholende Pausenwirkung aufheben. Die Ab¬ 
lenkung hat die Hemmungen bei den Melancholischen gesteigert, in geringem 
Maße bei Manischen herbeigeführt. Die Übungsfähigkeit ist bei allen Kranken 
erhalten. Die Leistungen der Manischen sind im Ablenkungsversuch verhält¬ 
nismäßig größer wie bei den anderen Gruppen; dabei besteht verringerte Er¬ 
müdbarkeit, welche also nur durch andersartige Störungen, der Ablenkung, 
verursacht sein kann. 

Demnach zeigt sich die Wirkung der Ablenkung bei Ge¬ 
sunden in erhöhter Ermüdbarkeit, bei Manischen und Melan¬ 
cholischen bei verhältnismäßig entsprechenden Leistungen 
in einer hemmenden Störung, welche als Ablenkbarkeit an¬ 
zusprechen ist und in ganz besonders starkem Maße die Me¬ 
lancholischen betrifft. 

Die Tafel 14b—d zeigt die kurvenförmige Darstellung der Leistungen. 
Besonders ins Auge fallend ist das Zurückbleiben der 3. Kurve bei den 
Gesunden und Manischen schon im Beginn. 

Im ganzen zeigen die Resultate, wenn man die Einwirkung der Ablenkung 
in Betracht zieht, ganz ähnliche Verhältnisse, wie sie die Versuche an Manisch- 
Melancholischen im ganzen ergeben, von denen später ausführlich die Rede 
sein wird. 

d) Störung der Psyehomotilität. 

Das psychisohe und motorische Verhalten der Kranken ist unter dem 
Begriffe der Psyehomotilität zusammengefaßt worden; es bezieht sich auf 
Äußerungen der Erregung und Hemmung. Kraepelin hat die Störung des 
psychomotorischen Verhaltens als ein wichtiges Symptom des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins auf gestellt. Selbstverständlich finden sich psychomotorische 
Störungen bei den meisten psychischen Erkrankungen; im allgemeinen ist 
jedoch bei diesen die psychomotorische Störung keine für längere Zeit ein¬ 
heitliche. Gerade dies aber scheint ein Haupterfordemis zu sein, um von 
der Störung im Sinne Kraepelins zu sprechen. Die Einheitlichkeit besteht 
in einem zeitlichen Parallelgehen psychischer und motorischer Störungen, 
welche sich auch in ihrer Stärke zu gleichen pflegen. Es ist also nicht anzunehmen, 
daß eine psychische Hemmung einem normalen motorischen Verhalten und 
umgekehrt entspricht. Dasselbe gilt für den Begriff der Erregung. Wohl aber 
finden wir das Bestehen einer psychischen Hemmung bei motorischer Erregung 
und entsprechende andere Variationen in selteneren Fällen. 

Wir unterscheiden demnach: 

1. Psychische Hemmung — motorische Hemmung; 

2. Psychische' Hemmung — motorische Erregung; 

3. Psychische Erregung — motorische Hemmung; 

4. Psychische Erregung — motorische Erregung. 

Zu dem Typus einer Depression im manisch-melancholischen Sinne gehört 
die psychomotorische Hemmung, zu dem einer Manie die psychomotorische 



Störung der Psychomotilität. 


06 


Erregung. Man kann sich nun aus dem Verhalten der Psychomotilität ohne 
weiteres eine große Zahl von „Mischformen“ konstruieren, deren Vorkommen 
tatsächlich zu beobachten ist. 

Die psychische Hemmung ist im wesentlichen eine Denkhemmung. 
Diese trägt, wie ich oben schon ausgeführt habe, fast immer nachweisbar im 
Grunde den Charakter einer außerordentlich gesteigerten inneren Ablenkbarkeit, 
so daß man besser von einer Denkstörung im allgemeinen sprechen wird. Kommt 
diese Denkstörung sprachlich motorisch oder sonst durch Ausdrucksbewegungen 
(Schrift) nicht zum Ausdruck, so erscheint sie uns als Hemmung. 

Eine zweite Art psychischer Hemmung, abhängig von der Denkstörung, 
besteht in der Willensstörung mit dem Charakter der Entschlußunfähigkeit. 
Man kann sich vorstellen, daß trotz des Bestehens der Entschlußunfähigkeit 
eine motorische Erregbarkeit vorhanden ist, welche sich eben in einfachsten 
zwecklosen und ungeordneten motorischen Äußerungen zu erkennen gibt. Solche 
Mischzustände spielen aber doch nicht die symptomatologische Rolle, die man 
ihnen theoretisch beimessen möchte. Ich glaube demnach, wir tun gut daran, 
die psychomotorische Erregung und Hemmung als je einen Gesamtzustand 
zu behandeln; es ist eben kaum möglich* von einer psychischen Hemmung zu 
sprechen, wenn motorische, besonders sprachlich motorische Hemmungs¬ 
erscheinungen vorhanden sind. 

Doch ist zu konstatieren, daß es Fälle gibt, in denen bei sonstiger motori¬ 
scher Hemmung eine sprachlich motorische Erregung besteht, durch welche 
ideenflüchtige Äußerungen produziert werden. Soll man nun solche Zustände 
als psychomotorische Hemmungs- oder Erregungszustände auffassen? Ich 
glaube, man kann sie keiner der beiden Rubriken einreihen; man wird sie 
eben als Zustände bezeichnen, in denen neben Erscheinungen psychomotorischer 
Hemmung sprachlich motorische Erregung besteht. 

Als Beweis der Richtigkeit der Aufstellung eines Kardinalsymptoms in 
der psychomotorischen Störung mag angeführt sein, daß von einem Ge¬ 
samtmaterial von 425 Fällen 368 Fälle, also 87 °/o der Fälle, ausgeprägte psycho¬ 
motorische Störungen auf weisen. In den übrig gebliebenen Fällen handelt es 
sich um chronisch leichte, depressive und mänische Zustände oder um Fälle, 
bei denen Beobachtungen bezüglich der Psychomotilität nicht aufgezeichnet 
worden sind, obwohl sie vielleicht in nicht sehr ausgeprägtem Maße vorhanden 
gewesen sind. 

Die folgenden Erörterungen ergeben sich aus dem beigegebenen Schema, 
das Prozentzahlen enthält. Die Symptome und Erscheinungsformen beziehen 
sich auf den ganzen Krankheitsverlauf mit all seinen Phasen, soweit sie bekannt 
sind, nicht etwa auf eine Krankheitsphase. Als Alter wurde das Jahr ange¬ 
nommen, in dem die letzte Krankheitsphase nach Ablauf eines krankheits¬ 
freien Stadiums begonnen hat. 

Es zeigt sich, daß die häufigste psychomotorische Störung die Er¬ 
regung ist, was um so deutlicher hervortritt, wenn wir von den Fällen, die 
Erregung und Hemmung zeigen, noch die Erregung als bei der Hälfte der 
Fälle bestehend herausheben. Diese Erfahrung steht in starkem Gegensätze 
dazu, daß bei Beginn der Krankheit, besonders im jugendlichen Alter die psycho¬ 
motorische Hemmung im Vordergründe steht (Abb. 7, S. 9). Auffallend ist das 
Übergewicht der weiblichen Fälle bei der psychomotorischen Hemmung; 

&ehm, Dm manisch-melancholische Irreselo. ^ 6 



66 


Symptome. 


sie übertreffen die männlichen um das Fünffache. Im Alter sind die Differenzen 
nicht sehr erheblich; es ist klar, daß im höheren Alter das Bestehen beider 
Arten psychomotorischer Störung nach Durchlaufen vielfacher Phasen eine 
größere Rolle spielt. Im Greisenalter besteht nach dieser Aufzeiclmung eine 
größere Neigung zu Erregung als zu Hemmung; eine Beobachtung, die mit 
der täglichen Erfahrung durchaus übereinstimmt. 


Ps ych omotilität 
(in % ausgedrückt). 


• 

t 

o 

O 

4 

• 

c3 

02 

Alter 


Affekt-Sympt. 

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34 

1 


24 

15 

26 

12 

3 


74 


14 

2 1 

9 

74 


13 

10 

Erregung .... 

3 _Z 

03 

45 

3 

20 

22 

22 

15 

E 

2 

1 

1_ 

55 

16 

14 

9 

4 

65 

20 

12 

3 

Hemmung .... 

17 

83 

21 

1 

20 

29 

20 

18 

» 



34 

1 

43 

8 

11 

43 

4 

42 

9 


*) In Prozent der Gesamtzahl der Fälle des manisch-melancholischen Irreseins. 

**) Neben anderen manisch-melancholischen Symptomen. 

Von Wichtigkeit ist der Nachweis, daß mit der Hemmung ebenso oft 
ein manischer und depressiver, wie ein nur depressiver Symptomenkomplex 
verbunden ist. 

Um den experimentellen Nachweis der psychomotorischen Störung 
bei manisch-melancholischen Kranken zu erbringen und die Art derselben 
zu ergründen, wurden von der Kraepelinsehen Schule eine Reihe von Arbeiten 
gemacht. 

So fand Lefmann 1 ) bei Ergographenversuchen, daß bei zirkulären 
Depressionszuständen sich im allgemeinen eine deutliche Verlangsamung der 
Hubbewegung, eine Verringerung ihrer Höhe und eine Zunahme der Ermüdungs¬ 
erscheinungen einstellt. Die Wahlreaktionen sind mehr oder weniger stark 
verlängert; in einzelnen Fällen, anscheinend in Verbindung mit manischen 
Zügen, finden sich dagegen verkürzte Wahlreaktionen mit Zunahme der Fehl¬ 
reaktionen. Derselbe Autor fand die Schriftzüge und Schreibgeschwindigkeit 
bei Depressionszuständen durchschnittlich vergrößert, die Pausendauer dagegen 
verlängert. Der Schreibdruck gab sehr verschiedene Resultate. Bei fortge¬ 
setztem Schreiben schienen Größe und Schnelligkeit der Schrift stärker zu 
wachsen als bei Gesunden. 

A. Groß 2 ) fand bei Kranken mit steigender Erregung psychomotorischer 
Art mangelhafte Korrektheit bei der Ausführung der Schriftzeichen. Der 
Ablauf der Schreibbewegung ist ein sehr unsteter. Die Schreibbewegungen 
beginnen brüsk und unvermittelt. 

x ) Lefmann, Über psychomotorische Störungen in Depressionszuständen. Kraepe- 
lin, Psychol. Arb. 4. 

2 ) A. Gro ß, Untersuchungen über die Schrift Gesunder und Geisteskranker. Kr aepe¬ 
lin, Psychol. Arb. 2. 












Störungen der Vorstellung. 


67 


e) Störungen der Vorstellung. 

Neben den krankhaften Störungen des Denkens, Willens, Affektes und 
der Psychomotilität sind Störungen des Vorstellungslebens im manisch-melan¬ 
cholischen Irresein wie bei fast allen Psychosen hervorragend an der Zusammen¬ 
setzung des gesamten Krankheitsbildes beteiligt. An erster Stelle sind die 
W ahnvorstellungen zu erwähnen. Dieselben stehen bei unserer Erkrankung 
in direktem Zusammenhänge mit der Affektstörung, sie pflegen dieser parallel 
zu gehen und ihr sekundär zu folgen, — ein wesentlicher Unterschied der De¬ 
mentia praecox gegenüber, in der die Wahnideen nicht in Zusammenhang 
mit dem Affekte zu bringen sind, bzw. bei der eine Differenz des Inhalts 
der Wahnideen und der Art des Affektes besteht. 


1. Wahnvorstellungen. 

Sie treten bei allen Fällen des manisch-melancholischen Irreseins mehr 
oder weniger deutlich hervor; vielfach werden sie von den Kranken nicht präzise 
bezeichnet und schlummern dann unter dem Gefühle der Insuffizienz, bzw. 
der gehobenen Stimmung; in ca. 78% der Fälle konnte ich sie nachweisen. 
Verhältnismäßig stark ist die Beteiligung des weiblichen Geschlechtes, 
so daß hier ein Verhältnis von männlich : weiblich wie 1: 3 besteht. Die Be¬ 
teiligung der einzelnen Arten von Wahnvorstellungen in bezug auf Zahl und 
Geschlecht gibt folgende Tabelle. 


7« 

Versündigungs¬ 

wahn 

Selbstvorwürfe 

Zukunftssorgen 

Hypochondrie 

s> 

r 

NihiL-Wahn- 

vorstellungen 

Persönlichk.- 

Veränderungs- 

w&hn 

Größenwahn 

Gesamtzahl der Fälle . . . 

15 

24 

1 

22 

* 

22 

5 

4 

17 

Fälle mit Wahnvorstellungen. 

20 

31 

28 ! 

12 

28 

6 

6 

22 

Verhältnis von männlich : 
weiblich. 

1 : 2 

1 : 2 

1 : 2 

1 : 2 

11:2 

1:2 

1:9 

8:2 


Auffallend ist die Verteilung auf das Lebensalter; während wir die 
meisten Fälle des manisch-melancholischen Irreseins überhaupt in dem Alter 
von 20—40 Jahren finden, sind die hier zu besprechenden Fälle in ungefähr gleichen 
Teilen auf das Alter vor und nach 45 Jahren verteilt: 17 % vom 21.—30. Jahre, 
22 % vom 31.-40., 21 % vom 41.-50., 21 % vom 51.-60., 14 % vom 60.-70. 
Im Beginn der Erkrankung sind die Wahnvorstellungen, verglichen mit der 
Häufigkeit der Sinnestäuschungen, immer im Übergewicht; dieses Überwiegen 
wird mit dem Alter stärker, so daß die Erkrankungen vom 50. Jahre ab bei¬ 
nahe vollständig unter dem Bilde von Wahnvorstellungen stehen, wobei die 
Sinnestäuschungen nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Im ganzen 
bieten die zirkulären Fälle die reichste Ausbeute auf dem Gebiete der W ahn¬ 
vorstellungen. 

p* 









08 


Symptome. 


Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, den Sammelbegriff 
der Wahnvorstellungen zu gliedern, und ich werde in erster Lini e solche 
erwähnen, welche depressiven Charakter tragen, in zweiter Linie, als weniger 
ausbeutereich, solche, welche manischen Charakter tragen. 

a) Versündigungsideen. Die Versündigungsideen stellen die de¬ 
pressiven Wahnvorstellungen des manisch-melancholischen Irreseins xaz' 
igoxev dar. Ich habe sie von der Gruppe der Selbstvorwürfe getrennt. Während 
die ersteren Vergangenes betreffen, die früheren Lebenszeiten aufrühren und 
an Erinnerungen und Erlebnisse anknüpfen oder auch wahnhaftes Erfundenes 
frei in die Vergangenheit zurückverlegen, gleichsam als reprospektive Be¬ 
gründung der den Kranken unbegreiflichen depressiven Verstimmung, suchen 
die letzteren mehr ihren Anhalt in der Gegenwart, in den gegenwärtigen Ver¬ 
hältnissen und in der augenblicklichen „unglücklichen“ Situation. 

Es ist zweifellos, daß die Versündigungsideen in manchen Fällen an wirk¬ 
liche Begebenheiten anknüpfen, welche in der vergangenen Zeit eine mehr 
oder weniger bedeutsame Rolle gespielt haben. Nicht selten sind es Vorkomm¬ 
nisse, bei denen die Kranken selbst in Erstaunen geraten, daß ihnen diese un¬ 
bedeutenden Tatsachen plötzlich mit erhöhter Affektbetonung wieder in Er¬ 
innerung kommen; sie gewinnen an affektiver Färbung und werden oft außer¬ 
ordentlich plastisch, daß die Kranken schwer darunter leiden. 

Unter dem ganzen Material an manisch-melancholischen Fällen finden 
sich Versündigungsideen bei 15 % der Kranken; unter dem Material von Fällen, 
bei denen die Wahnideen sich scharf ausprägten, in 20 %, also einem Fünftel 
der Fälle. Es möchte dies wenig erscheinen; man hat den Eindruck, daß die 
Versündigungsideen sehr viel häufiger sind; es mag sein, daß die Abtrennung 
der Selbstanklage diese Gruppe etwas verkleinert hat; eine scharfe Grenze 
läßt sich natürlich nicht ziehen. 

Betrachten wir in dieser Gruppe das Verhältnis des Geschlechtes, 
so zeigt es sich, daß dem männlichen 2Sf %, dem weiblichen 71 % angehören; 
war schon bei den Wahnideen insgesamt zu sehen, daß das weibliche Ge¬ 
schlecht im Vordergründe steht, so wird dies hier noch deutlicher. 

Unter den Verlaufsformen stehen in der vordersten Reihe an Zahl 
die reinen depressiven Formen, denen mit geringeren Zahlen zirkuläre und 
melancholische in der Involution folgen. 23 °/o der Fälle mit Versündigungs¬ 
ideen zeigen religiöse Wahnideen, und zwar sind es bis auf einen Fall 
nur Frauen. Zweifellos neigt das weibliche Geschlecht, wie überhaupt zur 
Religiosität im strengen Sinne, so auch zu krankhaften Übertreibungen 
derselben in besonderer Weise. Ein nicht uninteressantes Moment in bezug 
auf Rassenpsychologie ist der Umstand, daß diese Kranken ihrer Abstammung 
nach ausschließlich Bayern im engsten Sinne (Altbayem) angehören. Es ist 
ja bekannt, wie gerade dieser Landesteil in Psychosen jeglicher Art zu religiösen 
Vorstellungen oft abenteuerlichster Art, wobei der Teufel eine besondere Rolle 
spielt, neigt. Von „Gedanken über Sünden“ ausgehend finden wir alle Arten 
von religiösen Vorstellungen, natürlich oft neben anderen Versündigungsideen. 
Es wird geäußert, sie (die Kranke) habe unwürdig kommuniziert, gebeichtet, 
habe ihre Seele verkauft, habe durch Gedankensünden die Gnade Gottes ver¬ 
loren, habe die österliche Beichtpflicht nicht genügend erfüllt; sie habe in Ge¬ 
danken den Himmelvater ermordet, habe falsch gebeichtet, habe Gott verstoßen, 



Störungen der Vorstellung. 


«9 

habe sich seit der Kindheit gegen das 6. Gebot vergangen, sei die ärgste Sünderin, 
werde für ihre Sünden bestraft, weil sie öfters ihre Genitalien mit den Händen 
berührt habe. Es scheinen oft geradezu Reminiszenzen an die Ohrenbeichte 
der Kirche zu sein. 

Von den sonstigen Versündigungsideen mögen eine Anzahl Erwähnung 
finden, die nach der Kranken Meinung geeignet sind, sie als Verbrecher zu 
stempeln. Sie (die Kranke) habe ihre Schwester ermordet, habe Geld 
gestohlen, habe Unrechtes gesagt und einen Versuch der Abtreibung gemacht, 
habe sich gegen die Pflegetochter sittlich verfehlt, habe einmal den Anstalts¬ 
direktor beleidigt, habe einen Kindsmord begangen, habe falschen Eid geschworen, 
habe die Ihrigen umgebracht; er habe anonyme Briefe geschrieben, eine Zugs¬ 
entgleisung verursacht (Bahnarbeiter); sie habe den Haushalt schlecht ge¬ 
führt und den Ehemann beschwindelt, sei eine Mörderin, habe einige Semmeln 
nicht bezahlt; er habe ein Verbrechen im Amte begangen (Justizrat). 

Meist sehen wir das wahnhafte Reat in direktem Zusammenhänge mit 
der Beschäftigung und dem Amte. Anders erscheinen folgende Beschuldigungen: 
Er habe Kollegen beleidigt, habe sich verrechnet, habe seinen Sohn geschlechts¬ 
krank gemacht, das Geld der Kinder verputzt; sie habe die Wohnung nicht ordent¬ 
lich gehalten, habe zu heißen Tee getrunken, zu viel gekauft, habe eine geistige 
Erkrankung simuliert (ein zirkulärer Kranker), habe alle Sünden der Welt 
verschuldet, Geld „verpatzt“, Unglück über die Familie gebracht, die Kinder 
nicht richtig erzogen und ihren Mann nicht genug verpflegt. — Alle Situationen, 
alle Lebenslagen und unscheinbaren Erlebnisse werden benützt, um als Ver- 
süridigungsideen ausgebeutet zu werden. 

ß) Selbstvorwürfe. Ich habe schon betont, daß eine scharfe Trennung 
der Selbstanklagen von den Verstindigungsvorstellungen nicht möglich ist. 
So ist es bei einer Anzahl von Fällen zweifelhaft, ob man sie hierher oder dort¬ 
hin rechnen soll; jedenfalls bezieht sich die vermeintliche Basis für die Selbst¬ 
anklage auf die Gegenwart. Ich fand diese Fälle nur in 24 °/ 0 des gesamten 
und in 31 % des Materials, in dem Wahnideen Vorkommen. Die männlichen 
Fälle sind hier im ganzen etwas zahlreicher vertreten; wir finden 34 % männlich, 
06 % weiblich. Die größere Zahl gehört dem Alter nach dem 45. Lebensjahre 
an. Was die Verlaufsform betrifft, so gehören 50 °/o zu den zirkulären, 30 °/o 
zu'den rein depressiven Formen, während die große Zahl von 13 % den De¬ 
pressionen der Involution zugehört. Bei einer größeren Anzahl von Fällen 
beziehen sich die Selbstanklagen auf das religiöse Gebiet; meist handelt 
es sich um religiöse Skrupel im allgemeinen, vielfach werden die Wahnideen 
auch spezifiziert z. B.: sie (die Kranke) habe ungültig gebeichtet, böse Geister 
kommen, machen „Purzelbäume“; offenbar eine Kombination mit Gefühls¬ 
täuschungen. Fast durchweg handelt es sich bei den Trägem dieser Wahnvor¬ 
stellungen um weibliche Patienten. Eine andere Kranke äußerte: sie sei besessen; 
aller Glaube sei verloren gegangen; sie fürchte das Gericht Gottes, sei von 
Gott verlassen, sei verdammt, das höllische Feuer brenne unter ihrem Bett. 
Von anderen hören wir von Selbstquälereien, weil sie onaniert haben; er werde 
zur Verantwörtung gezogen, weil er seine Bücher nicht richtig geführt habe, 
habe die Tochter ins Unglück gestürzt (Äußerung nach der Hochzeit der Tochter); 
ein evangelischer Geistlicher macht sich Vorwürfe wegen eines verspäteten 
Koitusversuches (im 60. Lebensjahre). Manchmal werden die Selbstvorwürfe 



70 


Symptome. 


in die negative Form umgesetzt; so äußerte eine Kranke, sie habe nie schlecht 
sein wollen. Eine andere warf sich vor, sie sei durch Onanie schwanger geworden; 
ein Lehrer wünschte sich den Tod, weil er das Züchtigungsrecht überschritten 
habe; jeder Vogel, der singe, jeder Lichtstrahl sei für ihn ein Richter. Alles 
spreche: ,,Du bist verfallen!“, doch seien das nur Gedanken. Eine Kranke 
glaubte, schuld am Unglück der ganzen Welt zu sein, sie habe ihre Kinder 
nicht mehr gern, die Patienten seien durch ihre Schuld krank gemacht worden, 
sie sei ganz „tappig“; sie sei der Auswurf der Menschheit (Dienstmädchen); 
ein höherer juristischer Beamter hielt sich für einen nichts würdigen Elenden 
und Verbrecher. In einzelnen Fällen werden Selbstanklagen in Beobachtungen 
hineingelegt, welche an und für sich ganz harmlos und unbeabsichtigt sind, für 
den Kranken aber eine unermeßliche Bedeutung erhalten; so glauben manche, 
man sehe sie für schlecht an, halte sie nicht für ehrlich; ein alter Herr von 77 
Jahren machte sich Vorwürfe, daß er Jugendsünden begangen habe; eine Frau 
bemerkte, daß durch die Blume gesprochen werde, sie sei faul. Ein Beamter 
äußerte, er sei der verworfenste, niederträchtigste, gemeinste Mensch, den 
je die Erde getragen; ein anderer, er sei mit sich selbst zerfallen; eine Frau, 
sie sei keine tüchtige Hausfrau, die Liebe zu ihren Kindern sei geschwunden. 
Eine Bauersfrau äußerte in ihrer Depression, sie befinde sich zwischen Teufel 
und Engel. Eine Damenschneiderin hält sich für eine Staatsverbrecherin. 
Ein Lehrer schreibt in der Depression: „Mit mir wurde auch meine Frau und 
meine Kinder zu dem grausamen Tod des Totgeschlagenwerdens verurteilt. 
Die letzteren haben auch den Tod auf diese Weise erlitten. Ich bitte Sie, Herr 
Dr., zerschmettern Sie mich, ich bin nicht mehr wert. Ich habe einen Beruf 
erwählt, zu dem ich nicht tauge; doch hätte man mich rechtzeitig darauf auf¬ 
merksam machen müssen und nicht durch Erteilen guter Noten in mir den 
Glauben erwecken sollen, als sei ich ein guter Lehrer.“ Ein Hauptmann und 
Kriegsveteran beschuldigte sich, er sei schuld am Kriege 1870/71; ein anderer 
Kranker hielt sich für den Teufel und erklärte, ein Teufel dürfe nicht essen. 

.y) Zukunftssorgen. Besorgnisse für die kommende Zeit, sei es eine 
kürzere Zeitperiode, sei es das ganze künftige Leben, sind eine bekannte Er¬ 
scheinung bei Deprimierten überhaupt, ganz besonders aber bei den manisch¬ 
melancholischen Kranken. Wir finden sie bei diesen Kranken in ca. 22 % der 
Fälle, bei 28 % der Fälle, in welchen ausgesprochene Wahnideen nachweisbar 
sind. Dem Geschlechte nach gehören 32 % dem männlichen, 68 % dem weib¬ 
lichen Geschlecht© an; wir sehen demnach eine gleichmäßige Beteiligung der 
Geschlechter, da das weibliche Geschlecht an und für sich überwiegt. Ungefähr 
die Hälfte der Kranken steht im höheren Lebensalter, 15% sogar in einem 
Alter von 51—70 Jahren. Das hohe Alter bringt also keine Abnahme der Soxgen 
für künftige Zeiten, die doch bei 60 Jährigen nicht mehr allzu reichlich bemessen 
zu sein pflegen. Daß eine große Zahl der Fälle in ihrer Verlaufsart den Melan¬ 
cholien angehört, ist selbstverständlich; die Hälfte ungefähr ist von zirkulärem 
Typus. Aüffallend ist die hohe Zahl (12 %) von Melancholien in der Involutions¬ 
zeit, also nach dem 50. Lebensjahr. 

Sehen wir uns mm die hierher gehörenden Wahnvorstellungen näher an, 
so finden wir, daß die Besorgnisse sich nicht selten zu Angst und Furoht 
vor dem Kommenden auswachsen; es wird alles, was in der Zukunft liegt, 
hineinbezogen, und nach Ansicht der Melancholischen kann ja nur Unglück 



Störungen der Vorstellung. 


71 


und Schreckliches erfolgen. So sehen wir bei einem Teile der Kranken diese 
Sorgen für die Zukunft ganz verallgemeinert, sie werden vielfach erst auf dahin¬ 
gehendes Befragen überhaupt genauer bezeichnet. Es handelt sich nicht allein 
um die eigene Person, sondern es wird oft die Familie, der Wohnort usw., ja die 
ganze Welt einbezogen in dem Sinne, daß die Welt zugrunde gehen werde. 
In einzelnen Fällen mischen sich Andeutungen von Verfolgungsideen dazu; 
so äußerte ein Kranker, es werde eine Bombe geworfen werden, das Haus werde 
in die Luft gesprengt. 

Manchmal sind es in Aussicht stehende Veränderungen im Wohnplatz 
und in der Wohnung, welche zu den krankhaft gesteigerten Besorgnissen 
führen, oft auch eine ganz allgemeine „Angst vor Veränderung“, es möchte 
sich irgend etwas Unvorhergesehenes zutragen, was eine schreckliche Änderung her¬ 
beiführen könnte. Weiterhin beziehen sich die Sorgen und Befürchtungen auf die 
Gesundheit und auf das Leben. Die Furcht vor dem Tod ist eine sehr häufige 
Erscheinung, ebenso wie die Furcht vor körperlicher oder geistiger Erkrankung 
und entsprechendem Siechtum. Einige derartige Äußerungen mögen im folgenden 
angeführt sein: Der Kranke glaubt, er bekomme Gehirnerweichung; bittet um 
Verzeihung, sein letzter Tag sei gekommen; er richtet sich sein Grab her aus der 
bestimmten Überzeugung, er werde jetzt bald sterben; die Isar sei der beste 
Platz (für ihn); sie solle auf den Friedhof kommen, fürchtet sich vor neuer Er¬ 
krankung, werde in der Nacht umgebracht werden; die Geschlechtsteile werden 
verfaulen; müsse verhungern; das Leben sei verspielt, sie müsse ersticken; 
sie komme nicht mehr oder nur als Trottel aus der Anstedt. 

Diese auf Gesundheit und Leben bezüglichen, wie auch die im folgenden 
zu beschreibenden Befürchtungen bezüglich der Ehre usw. sind diejenigen Wahn¬ 
ideen, welche am meisten geeignet sind, den Kranken zum Suicid zu führen, und 
wir finden auch tatsächlich bei solchen Kranken die meisten Suicidversuche 
und Selbstmorde. Es ist also in praktischer Hinsicht darauf ein besonderes 
Gewicht zu legen. Hier ist auch die Syphilidophobie zu nennen, welche wir 
bei männlichen Kranken nicht selten treffen; sie pflegen in dieser Beziehung 
selbst nach genauester Untersuchung gänzlich unbekehrbar zu sein. 

Eine Wahnidee möchte ich hier einflechten — um eine solohe handelt 
es sich — wie sie oft in erheblichem Maße bei Deprimierten sich vorfindet, 
das ist das Heimweh; es ist eine Vorstellung, der wir besonders bei weiblichen 
Personen, ferner bei Jugendlichen oder Schwachsinnigen und bei Epilep¬ 
tikern begegnen. Auch im Heimweh zeigt sich eine gewisse Angst, die Be¬ 
sorgnis, der gegenwärtigen oder kommenden Lage nicht vollkommen gewachsen 
zu sein. 

Sehr häufig sind Wahnideen zu beobachten, welche sich auf das Ehrgefühl 
beziehen; die Kranken wähnen eingesperrt, geköpft, gemartert zu weiden 
deswegen, weil sie entweder schlecht gehandelt haben und deshalb die gerechte 
Strafe erleiden müssen (Schuldbewußtsein) oder deswegen, weil man sie wegen 
ihrer Schuld über das Maß verfolge (Verfolgungswahn). So kommen folgende 
Äußerungen bei meinen Kranken charakteristisch zum Ausdruck: der Kopf 
komme herunter; er (der Kranke) werde verhaftet; das Zuchthaus stehe ihm und 
den Seinigen bevor; er werde wegen Hochverrats verurteilt und umgebracht 
werden; solle hingerichtet weiden; werde von Ratten bei lebendigem Leibe 
aufgefressen werden; werde wegen Majestätsbeleidigung und Kindsmord ver- 



72 


Symptome. 


urteilt; werde hingerichtet, die Henkersknechte und -Werkzeuge seien schon da; 
werde 3mal enthauptet; eine Kranke hatte die deutliche Vorstellung, wie sie 
zum Richtplatz geführt würde. 

Weiterhin kommen auch religiöse Befürchtungen, wie früher schon erwähnt, 
meist bei Frauen, zum Ausdrucke, so z. B.: Werde ewig verdammt, der Teufel hole 
sie, komme in die Hölle; sie werde verdammt, ein Weltkrieg werde durch sie; 
alles sei in Aufruhr und Verwirrung; sie werde langsam absterben und mit dem 
ewigen Tode bestraft werden. 

Außerordentlich häufig ist die Vorstellung, zu verarmen, selbst zu ver¬ 
hungern, oder daß die Familie aus pekuniären Gründen umkommen müsse. Äuße¬ 
rungen, wie folgt, sind charakteristisch: Sorgen, ob sie (die Kranke) ihrer Tochter 
Mitgift geben könne, sie verarme, alle Kinder verfaulen bei lebendigem Leibe und 
werden blind; die Enkelkinder werden Kretins, sie selbst verfaule jetzt, das 
einzige Mittel sei ein schneller Tod durch Gift; die ganze Welt mache Pleite; 
sie werde als Bettelweib hinausgeworfen werden. 

<J) Hypochondrische Wahnvorstellungen. Die Hypochondrie als 
Symptom einer Wahnbildung ist im manisch-melancholischen Irresein nicht 
allzu häufig. Wir finden sie in 9 % des gesamten Materials und unter den Fällen, 
welche Wahnvorstellungen zeigen, in 12 °/ 0 . Davon treffen 30 % auf das männ¬ 
liche, 70 °/ 0 auf das weibliche Geschlecht, ungefähr entsprechend der Ver¬ 
teilung der Fälle auf die Geschlechter überhaupt. Den Altersstufen nach ist 
auch hier das Hervortreten der Altersklasse vom 51.—60. Lebensjahr hervor¬ 
zuheben, der die höchste Zahl, nämlich 30 % zukommt. Dieselbe Erscheinung 
spricht sich in der Verlaufsform aus, indem 15 °/ 0 der Fälle der depressiven 
Verlaufsform der Involution angehören. 

Es ist zu erwähnen, daß der hypochondrische Wahn in der Gestalt der 
nihilistischen Form abgesondert ist und besonders betrachtet werden soll. 
Es handelt sich also hier um hypochondrische Ideen im engeren Sinne, um 
Vorstellungen, die sich auf bestimmte Körperteile beziehen, für deren richtiges 
Funktionieren der Kranke besorgt ist. 

Eine Kranke sprach die hypochondrische Befürchtung aus, daß das Herz 
stillstehe, die Blutzirkulation fehle, sie trockne überhaupt aus; eine andere 
äußerte: der Kopf sei mit einem eisernen Reifen umgeben, ein Knödel sei im 
Hals, sie schrumpfe ganz zusammen; der Kopf sei dick; im Leibe bestehe eine 
abnorme Spannung, sie verspüre ein Krabbeln im Leib; im Ohr seien Würmer, 
sie habe eine Schlange im Schlunde; der Körper sei aus Gummi; sie sei schwanger; 
habe Fliegen im Leib; habe ein Hämmern und Säuseln im Kopf wie ein 
Wirbelwind; die Brust sei ganz leer; das Herz sei erweitert; das Blut sei wässerig 
und schlecht, sie habe Bulbärparalyse; habe kein Blut mehr, die Verdauung 
sei abgestorben; der Körper sei ihr zugeschnürt, der Kot gehe nicht aus dem 
Darm; der Kopf werde dicker; das Gesicht schwelle an; die Nahrung falle in 
den Leib Imd steige als Hitze in den Kopf; sie sei ein anatomisches Rätsel; 
das Essen gehe nur bis zur Brust, der Körper schwelle an, die Kleider wachsen 
an der Haut an; habe ein lahmes Gefühl in der Brust; habe ein eigentümliches 
Klopfen im Leib, müsse ein Wanderherz haben. Eine Kranke äußerte, die 
Gedärme seien ganz und gar ausgetrocknet; sie habe keinen natürlichen Stuhl¬ 
gang mehr; Schmutz sei in den Gedärmen; es bestehe Gedärmlähmung; die 



Störungen der Vorstellung. 


73 


Hautaußtrocknung komme von der Darmaustrocknung; der Schmutz dringe 
nach unten und könne nicht hinaus. 

Es ist noch zu erwähnen, daß in manchen Fällen die Wahnideen wohl 
auf Qefühlstäuschungen, wenn auch recht geringen Grades, zurückzuführen 
sein dürften. 

s) Verfolgungswahn (Beeinträchtigungsvorstellungen). Der Ver¬ 
folgungswahn stellt einen Sammelbegriff dar, in dem sich Verfolgungsideen 
in engstem Sinne, Vergiftungswahn und religiöser Verfolgungswahn vereinigen. 
Dazu kommen dann Beeinträchtigungsvorstellungen bzw. das krankhafte 
Gefühl des Zurückgesetztseins und der Eifersuchtswahn. Selbstverständlich 
sind allerhand Übergänge zu den besprochenen und folgenden Gruppen von 
Wahnvorstellungen vorhanden, in manchen Fällen ist auch die Grenze zu 
Illusionen und Halluzinationen nicht scharf zu ziehen. Es gibt Fälle, in denen 
man nicht bestimmt sagen kann, ob nicht die Verfolgungsideen die direkte 
Abstraktion von Sinnestäuschungen oder umgekehrt sind. Noch viel mehr 
drängt sich diese Ansicht auf bei den körperlichen Beeinflussungsideen, welche 
von Gefühlstäuschungen ebensowenig wie die hypochondrischen Wahnideen, 
zu trennen sind. • 

Verfolgungswahnvorstellungen im allgemeinen treffen wir bei dem ganzen 
manisch-melancholischen Eirankenmaterial in 22 °/ 0 der Fälle, bei den Fällen 
mit Wahnvorstellungen überhaupt in 29 %; davon treffen 36 °/ 0 auf das männ¬ 
liche, 64 °/ 0 auf das weibliche Geschlecht, fast ebenso wie bei den Fällen mit 
Wahnideen überhaupt. Eine geringe Begünstigung der höheren Altersklassen 
sehen wir auch hier, wie bei allen Wahnvorstellungen, die sich auf im wesent¬ 
lichen depressiven Affekt stützen. Allerdings ist der depressive Affekt gerade 
bei den Fällen mit Verfolgungswahnideen außerordentlich häufig in inniger 
Mischung mit einem manischen expansiven Affekt, so daß wir oft das Bild 
der gereizten Manie mit psychomotorischer Erregung vor uns sehen. So kommt 
es, daß in 67 °/o der Fälle ein zirkulärer Verlauf stattfindet, wovon 10 % auf 
Fälle der Involution treffen. 

Bei der Betrachtung unserer Fälle in Hinsicht auf das psychomotorische 
Verhalten stellt sich heraus, daß bei 8 % eine solche Störung nicht nachzuweisen 
war, daß bei 15 °/ 0 eine psychomotorische Hemmung, bei 77 % der Fälle aber 
eine psychomotorische Erregung vorhanden war. Demnach scheinen bei Ge¬ 
hemmten Versündigungsideen und Selbstvorwürfe im Vordergrund zu stehen, 
bei Erregten Verfolgungsideen und, wie wir später sehen werden, Größen¬ 
wahnvorstellungen. 

Bei der Mehrzahl der Fälle mit Verfolgungsideen ist das Objekt der Ver¬ 
folgung die Person des Kranken selbst; oft handelt es sich um unsichtbare, 
geheimnisvolle Verfolger, manchmal um konkrete Persönlichkeiten oder auch 
um Komplotte. Ein Kranker äußerte, er werde von einem Medium verfolgt; 
andere Äußerungen besagen: Sie (die Kranke) sei genotzüchtigt worden; die 
Bauern des Wohnortes seien vom Ortspfarrer aufgeboten, ihn totzuschlagen 
(Lehrer); ihr Mann habe ihr ein „Ripperl“ (Fleischstück) durchs Gehirn geworfen 
(Anklang an hypochondrische Vorstellungen und Gefühlstäuschungen); der 
Knopf des Hemdes sei elektrisch geladen, er werde damit totgesohossen werden; 
sei ein preußischer Schuft, werde enthauptet; der Metzger habe ihre Kinder 
umbringen wollen; das Essen sei Menschenfleisch und das Fleisch ihrer eigenen 



74 


Symptome. 


Kinder; Bleche werden heiß gemacht, am ihre Kinder zu rosten; der Ehemann 
werde lebendig eingemauert und zum Tode verdammt; sie sei mit einer silbernen 
Kugel durchs Herz geschossen; werde suggeriert, werde mit Böntgenstrahlen 
gekocht, mathematisch gebraten; sei magnetisiert, elektrisch beeinflußt; mit 
Fingern werde auf ihn gedeutet; Hundshaare und Nadeln seien im Essen; man 
wolle ihn durch schlechte hygienische Verhältnisse ums Leben bringen; die 
Anstalt sei ein Asyl für den aufgodrungenen Selbstmord; durch einen Apparat 
werden sukzessive alle Glieder festgelegt, so daß er sie nieht rühren könne. 

Dem Charakter der Bevölkerung oder der Denkweise der Persönlichkeit 
entsprechend sind die Verfolgungsideen häufig religiösen Gebieten entnommen. 
So äußerte sich eine Kranke: Ihr seien alle Sünden der Welt aufgeladen, der 
Professor sei der Oberbonze, sie sei der unfreiwillige Erlöser der Welt. Andere 
Kranke glauben, daß feindliche Mächte gegen sie wirken, sie werden vom bösen 
Feind verfolgt; eine Kranke äußerte, man halte sie für eine Prostituierte; sie 
müsse als Rosenkönigin zur Hölle fahren; Teufel treten nachts ans Bett; der 
Teufel sitze in ihr. 

Sehr häufig finden sich Vergiftungsvorstellungen; eine Kranke, 
welche als Schwester in einem Krankenhause angestellt war, glaubte, die Blinder 
würden nachts mit Gas betäubt. Meist richten sich die Besorgnisse gegen die 
eigene Person; eine Kranke äußerte, sie sei an Diphtherie angesteckt; andere 
Äußerungen: sie (die Kranke) bekomme Sublimat im Essen; werde zu Tod 
gequält; es sei ihr Fuchsleber in den Wein hineingetan worden; edles sei voll 
Chloroform, der Hauch des Ehemannes sei giftig. 

Eine besondere Nuance der Furcht vor Verfolgung stellen Vorstellungen 
dar, deren Inhalt ein vermeintliches, besonderes Beobachtetwerden von 
seiten der Personen in der Umgebung ist. So glaubte eine Kranke, man habe 
Schutzleute aufgestellt, um sie zu beobachten; andere äußerten; die Leute 
sprechen über sie, sehen sie eigentümlich an, lachen über sie; die Zeitungen 
werden ihretwegen gedruckt. 

Wie oben schon erwähnt, stellen eine Schattierung des Verfolgungswahns 
die Beeinträchtigungsideen dar. So fühlte sich eine Köchin von den anderen 
Mädchen krankhaft beeinträchtigt und zurückgesetzt; eine Kranke sprach 
von einem Haberfeldtreiben (früher in Südbayem übliches Volksgericht), das 
man gegen sie vorhabe, die Leute mögen sie nicht, ihre Kinder habe man ver¬ 
wechselt. 

In innigem Zusammenhänge damit, als Beeinträchtigungsideen gefühlt, 
aber gegen den Ehemann gerichtet, treten Eifersuchtsideen auf. So hielt 
eine Kranke eine andere für die Geliebte ihres Mannes und schlug dieselbe; 
eine Kranke äußerte (ohne Grund), ihr Mann habe es hinter ihrem Rücken mit 
anderen Frauenspersonen. 

f) Nihilistische (Kleinheits-)Wahnvorstellungen. Eine verhält¬ 
nismäßig recht geringe Rolle im Rahmen der Wahnideen des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins spielen die Vorstellungen nihilistischer Art. Sie sind nahe 
verwandt den hypochondrischen Wahnvorstellungen, von denen sie sich nicht 
scharf trennen lassen. Wir finden sie in 5 % der Fälle des gesamten Materials 
und in 6 % der Fälle mit Wahnvorstellungen überhaupt. Das Verhältnis des 
Geschlechtes entspricht dem in den Wahnvorstellungen überhaupt gegebenen, 
d. h. der Verteilung, die das manisch-melancholische Irresein überhaupt zeigt. 



Störungen der Vorstellung. 


76 


Auffallend ist die Alters Verteilung. Während wir sonst die Fälle ungefähr 
zu gleichen Teilen auf die Altersstufen unter und über 45 Jahren verteilt sehen, 
überwiegen hier die Altersstufen von über 45 Jähren. Wir finden nur 9% der Fälle 
in einem Alter von 21—30 Jahren, während 23 °/o zwischen das 41. und 50. 
Lebensjahr fallen, und demnach 68 % der Fälle ein Alter von über 50 Jahren 
zeigen. Bemerkenswert ist, daß 38 % der Fälle dem hohen Alter von 61—70 Jähren 
angehören. Es ist das kein Zufall; wenn wir die sonstige klinische Erfahrung 
zuziehen, so wird es uns noch klarer, daß der Nihilismus und der Kleinheitswahn 
Erscheinungen des höheren Alters sind. Zum großen Teile gehören die Fälle 
(28 °/ 0 ) Melancholien an, die erstmalig in der Involution aufgetreten sind, zum 
größten Teile (in 33 °/o) gehören sie aber zu den zirkulären Formen, welche 
in früherem Alter ihren Anfang genommen haben. 

Es ist nun von Interesse, zu erfahren, in welchem Verhältnis die Psycho- 
motilität zu den Fällen mit Kleinheitswahn steht. Hier tritt uns die auffallende 
Tatsache entgegen, daß 71 °/ 0 der Fälle eine psychomotorische Erregung 
aufweisen. Wir können demnach behaupten, daß die Kleinheitswahnideen 
bei ungefähr dem manisch-melancholischen Irresein entsprechender Verteilung 
auf die Geschlechter den Involutionsjahren angehören, und meist mit einer 
psychomotorischen Erregung verbunden sind 

Im folgenden soll eine Blütenlese einschlägiger Wahnvorstellungen wieder¬ 
gegeben sein. Ein Kirchenrat behauptete, er sei kein Kirchenrat mehr; eine 
Frau erklärte, sie habe Sand im Mund, der Leib sei leer; im Hirn sei Wasser, das 
durch die Nase abfließen könne. Andere Äußerungen: Kopf und Nase seien nicht 
zu klein; er habe keinen Magen, keinen After mehr; seine Brust sei nur ein „Nein“, 
die Lungen seien so groß wie eine Birne; er sei eine lebende Mumie; das Gehirn 
sei ganz geschwunden, das Herz klopfe am Rücken; er habe ganz kleine Extremi¬ 
täten; er könne nicht essen, habe keinen Kopf mehr; er gehöre zu den Nattern 
und Kröten; der Puls gehe nicht mehr; er sei gar nicht geboren; der Arzt sei 
um die Hälfte kleiner geworden; er (der Kranke) sei lebendig tot; der Kopf sei 
bald so groß wie ein Wasserschaff, bald so groß wie eine Nuß; der Kopf sei so 
groß wie ein Fingerglied; sie habe einen Katzen-, einen Pferdekopf auf; sie habe 
keine Seele mehr, sei zu Wasser geworden. 

Auffallend war in einzelnen Fällen das Verlangen der Kranken, man solle 
ihnen einzelne Körperteile zerstören; so bat eine Kranke*, die früher versucht 
hatte, sich die, Augen auszubohren und die Finger abzubeißen, den Arzt, er 
solle ihr eine Fingerkuppe wegschneiden. Die Fälle befanden sich in einer schweren 
Verwirrtheit und waren offenbar von Wahnideen beeinflußt, welche ihnen den 
Wert ihrer Glieder gleich Null machten. Es ist im einzelnen Falle erklärlicher¬ 
weise sehr schwer, die wirklichen Motive für einen solchen Selbstverstümmelungs¬ 
trieb zu finden, insbesondere, da bei solch schweren Verwirrtheitszuständen 
die Erinnerung an diese Zeiten auch in der Genesung eine summarische und 
unvollständige zu sein pflegt. Bei vielen der Fälle dieser Gruppe werden wohl 
Gefühlstäuschungen und körperliche Sensationen eine Rolle spielen. 

17 ) Wahn der Persönlichkeitsveränderung. Es handelt sich hier 
um Wahnvorstellungen, bei denen die Beurteilung der eigenen Persönlichkeit 
wahnhaft verändert ist; die Veränderung ist geschehen, mit dieser Tatsache wird 
von den Kranken gerechnet. Im wesentlichen sind es Vorstellungen, die einem 
depressiven Affektzustand entsprechen. Sie zeigen eine nahe Verwandtschaft 



76 


Symptome. 


einerseits zum Verfolgungs- bzw. Beeinträchtigungs wahn, andererseits zu dem 
Wahne der Situationsveränderung. Von der Hypochondrie unterscheiden sie sich 
durch die Präzision, mit der eine bestimmte Veränderung beschrieben wird. 
Es sind ausgesprochen somatopsychische Vorstellungen. 

Bemerkenswert ist, daß von der verhältnismäßig geringen Anzahl von 
solchen Fällen (4 °/ 0 der Gesamtzahl, 6 % der Fälle mit Wahnvorstellungen) 
der weitaus überwiegende Teil (90 °/o) dem weiblichen Geschlechte angehört; 
Ferner ist zu beachten, daß das jugendliche Alter (20—30 Jahre) sehr stark 
vertreten ist (32 %), im Gegensätze zu dem sonstigen Verhältnisse der Be¬ 
teiligung dieser Altersstufe an Wahnvorstellungen mit 17 °/ 0 . Die Verteilung 
der hierher gehörigen Fälle auf Verlaufsformen und Symptome weist keine 
Besonderheit auf. 

Sehen wir uns die Wahnvorstellungen im einzelnen an, so erfahren wir 
von einer Kranken, daß sie das Gefühl habe, als sei der Kopf angebohrt worden, 
eine Kranke gab an, sie werde in der Hölle ein Gockel (d.i. Hahn), sie spüre schon, 
daß der eine Fuß zu einer Kralle werde. Eine Kranke äußerte, der Kopf sei 
auseinanderge&ägt und Blei hineingegossen; weiter: das Blut sei vergiftet; 
im Stuhle seien ihr 10 Kinder und 12 Apostel abgegangen. 

Eine auffallend große Rolle spielt die Veränderung der genossenen Speisen; 
die Vorstellung, daß das Fleisch der Nahrung Menschenfleisch sei, hört man 
sehr häufig; so ist auch bei manchen Kranken der große Abscheu vor Fleisch¬ 
nahrung psychisch zu erklären. Eine zirkuläre Kranke bat händeringend den 
Arzt, er solle ihr die Fingerkuppe abschneiden, was wahrscheinlich so zu erklären 
ist, daß sie glaubte, es sei ihr der Finger abgestorben. Dieselbe Kranke äußerte 
die Vorstellung, sie sei lebendig begraben. Sie versuchte, den Finger am Licht 
zu verbrennen, sich den Finger abzubeißen und die Augen auszubohren. 

Manche Kranke halten sich für in andere Personen verwandelt; so 
behauptete ein Kranker, er sei König Ludwig II.; eine Kranke glaubte, sie sei 
mit dem Totenhemde bekleidet. Infolge von Veränderungsvorstellungen aß 
eine Kranke die Erde aus den Blumentöpfen und verschluckte Spielsteine. 
Weitere Äußerungen einer Kranken mögen folgen: Teufelchen seien um sie herum; 
Totenkäfer kriechen auf der Brust; sie sei hypnotisiert, magnetisiert, verhext, 
der Teufel sei in ihr; sie stehe unter magischem Einflüsse; sie wisse nicht, ob 
sie ein Teufel, eine Hexe oder ein Drache sei; der Teufel sei in ihr, sie spüre ihn 
ganz deutlich, man solle ihr nur in den Mund hineinsehen. Eine andere Kranke 
fühlte, daß man ihren Körper in den Abtritt hinunterziehe. 

In sehr vielen dieser Fälle handelt es sich um Wahnideen, welche in einem 
Zustande von Verwirrtheit hauptsächlich im deliranten Stadium der Er¬ 
krankung aufgetreten sind. 

Allgemeiner (Situations-)Veränderungswahn. Das wesentliche 
Unterscheidungsmerkmal des allgemeinen (Situations-) Veränderung s- 
wahnes vom vorigen ist der, daß hier die ganze Situation eine Veränderung 
zeigt, und die Persönlichkeit selbst nur eine der agierenden Personen ist; sehr 
häufig ist die märchenhafte, sonderbare Verwandlung der Umgebung be¬ 
merkenswert. Das weibliche Geschlecht herrscht bei den Fällen dieser Gruppe 
nicht in dem Maße vor wie bei den vorhergehenden: die Verteilung der Fälle 
auf das Lebensalter gleicht derjenigen der Fälle von Wahnvorstellungen über¬ 
haupt. Auffallend ist die geringe Beteiligung von depressiven Verlaufsformen; 



Störungen der Vorstellung. 


77 


die zirkulären herrschen bei weitem vor. Meist sind die Wahnvorstellungen 
bei diesen Fällen in einem Zustande von Verwirrtheit geäußert, zum Teil auch 
nachträglich zur Erklärung des Zustandes angegeben; im wesentlichen handelt 
es sich wie bei der letzten Gruppe um ein delirantes Stadium der Krankheit. 

Merkwürdig sind bei einem zirkulären Kranken die Seelenwanderungs¬ 
vorstellungen; er will die Seele seines Hundes Luchs besitzen; in jedem Menschen 
stecken zwei Teile, ein männlicher und ein weiblicher; seine Frau sei sein weib¬ 
licher Teil, also seine Schwester, und mit dieser dürfe er nicht verheiratet sein. 
Eine Kranke gab an, eine Mitkranke habe ihr die Brust weggenommen und trinke 
daraus; eine andere Kranke hielt die Guttapercha-Unterlage in ihrem Bett für 
eine Tigerhaut. 

Ein sehr häufiges Vorkommnis sind Personenverkennungen, so daß den 
Kranken manchmal ihre ganze Umgebung fremd und verzaubert vorkommt; 
z. B. die Kinder des Arztes seien die eigenen; die Kinder seien anders geworden; 
ein Kranker hält die Nachtwache für den Bürgermeister seines Heimatsortes; 
die Kinder seien verwechselt. 

Sehr häufig sind die Veränderungsideen delirant, sie sind verflochten 
mit illusionären Sinnestäuschungen und von solchen gar nicht ganz zu trennen, 
öfters hört man die Vorstellung, die ganze Stadt brenne oder es sei ein großer 
Krieg. Ein Kranker glaubte in einem Röntgenkabinett zu sein; überall brenne 
eJ*; Tote seien auf erstanden, eine große Schlacht müsse in der Nähe gewesen 
sein; alles dränge sich herum; die Verwandten seien da und schreien. Eine 
künstlerisch angelegte Kranke gab nachträglich an, es sei ihr gewesen wie die 
phantastische Symphonie von Berlioz; sie habe die Zeichnungen zu Dante 
einzeln durchgeträumt; andere glauben, Eisenbahnzüge seien Leichenzüge; 
ein Zug Freimaurer sei vorübergegangen. 

f Im engen Anschluß daran steht der Situationsveränderungswahn. Die 
Kranken glauben im Gefängnis zu sein; ein Galgen sei im Nebenzimmer an 
der Decke angebracht; Äußerung einer Kranken: sie schmachte in einem Tonnen¬ 
ge wölbe; alles sei eingemauert; einer Manischen: sie sei in einer Äußerung eines 
manischen Kranken: falschen Wohnung; das Zimmer sei aus Marzipan. 

i) Zwangsvorstellungen. Unter Zwangsvorstellungen ist eine Art 
von Wahnideen zu verstehen, welche gegen den Willen des Kranken und bei 
nicht erheblich gestörtem •Bewußtsein in gleichartiger Weise und in längerem 
Zeitraum sich in den Vorstellungskreis drängt. Es kann sich um Vorstellungen 
handeln, die das Handeln und Denken für eine gewisse Zeit zwangsmäßig lenken 
und den Willen zurückdrängen; der Kranke hat Einsicht in das Verkehrte 
dieser Vorstellungen, steht aber unter ihrem Zwange; er empfindet sie als etwas 
Fremdartiges und Unbegreifliches, weil er sie mit seinen Gefühlen und seiner 
Erfahrung nicht in Einklang zu bringen vermag. 

Es mag zunächst auffallend erscheinen, daß wir Zwangsvorstellungen 
im manisch-melancholischen Irresein begegnen; vergegenwärtigen wir uns aber, 
daß wir es in der genannten Krankheit mit einer Psychose ausgeprägt degenera- 
tiven Charakters zu tun haben, und daß wir gerade dem Zwangsirresein bei 
schwer degenerierten Leuten begegnen, so verliert diese Tatsache ihre Be¬ 
sonderheit. 

Immerhin handelt es sioh um eine Erscheinung, welche im manisch¬ 
melancholischen Irresein ungewöhnlich ist und in meinem Material nur 1,5 % 



78 


Symptome. 


der Fälle umfaßt. — Differentialdiagnostisch ist, abgesehen von der Periodi¬ 
zität, das Auftreten spezifisch manisch-melancholischer Symptome von Wichtig¬ 
keit. Die Periodizität ist natürlich durchaus nicht maßgebend; ist doch be¬ 
kannt, daß eine große Zahl der Erkrankungen an Zwangsvorstellungen peri¬ 
odisch verläuft, ohne deshalb in das Gebiet des manisch-melancholischen Irre¬ 
seins zu gehören. Von den mir zur Verfügung stehenden 6 Fällen gehören 
zwei den zirkulären Formen, drei den periodisch melancholischen und einer 
der melancholischen Form in der Involution an. Zirkuläre und depressive 
Krankheitsbilder teilen sich in die Fälle in gleicher Weise. Fälle rein manischen 
Charakters finden sich nicht. Dem Lebensalter nach fällt die Mehrzahl in das 
vierte Jahrzehnt. Zweifellos gehören überhaupt sehr viele Erkrankungen mit 
Zwangsvorstellungen zu den manisch-melancholischen; es zeigen sich bei genauer 
Aufnahme der Anamnese und bei Verfolgen des Falles die Periodizität, die typi¬ 
sche Denkhemmung und andere Symptome. 

Bei zwei Kranken betrafen die Zwangsvorstellungen Platzangst und 
eigenartige motorische Störungen; die eine Kranke mußte mit dem Kopfe und 
mit den Armen sonderbare verschrobene Bewegungen ausführen und dazu 
bestimmte Worte sagen: „Laissez-moi, laissez-moi travailler.“ Bei einer weiteren 
Eiranken, deren interessante Krankheitsgeschichte von Groß veröffentlicht 
ist, und welche trotz einer starken Denkhemmung eingehend Auskunft geben 
konnte, da sie über eine geradezu vorzügliche Selbstbeobachtungsgabe verfügte, 
obwohl sie den ungebildeten Ständen angehörte, ging der Mechanismus der 
Zwangsvorstellungen folgendermaßen vor sich: „wenn sie etwas sagen wolle, 
sei der Gedanke schon wieder fort; beim Essen denke sie, das könnte Gras sein; 
sie denke, das ist ein Bock, zu gleicher Zeit komme der Gedanke, der Bock sei 
ein Strumpf.“ Hier führen die Beobachtungen ohne weiteres zu der Ansicht, 
es müsse die Denkhemmung zu einer inneren Ideenflucht geführt haben, welch 
letztere zweifellos den Charakter des Zwangsmäßigen hat. Auffallend ist auch, 
daß diese Vorstellungen der Kranken sich vorzüglich ins Gedächtnis einprägten, 
so daß sie die Reihe ganz gut zu reproduzieren imstande war. 

Die Art der Zwangsvorstellungen pflegt die gewöhnliche zu sein, Platz¬ 
angst, Schmutzangst, Syßhilidophobie usw. 

Die Krankheitsgeschichte einer Eiranken sei ausführlich angeführt 
(Tafel 16i); Marie B., geb. 1854. Heredität: Eine Cousine väterlicherseits leidet 
an Epilepsie, eine andere hat sich erschossen. Intellektuell sehr gut veranlagt. 
Stets verliebt; bei Ereignissen irgendwelcher Art erregt, ja sogar exaltiert; 
war ein „düsteres“ Kind, immer anders als die Geschwister. Verheiratet, keine 
Eiinder. Kein Potus. 1874 wegen Verstimmung mit Nervenzucken einige 
Wochen in einer Heilanstalt; 1883 2—3 Monate schwermütig, unbestimmte 
Angstgefühle; 1887 2—3 Monate deprimiert; während einer Predigt war bei 
Beginn der Erkrankung plötzlich folgende Zwangsvorstellung aufgetaucht 
und blieb während der Depression bestehen: „Das war recht ungeschickt von 
Christus, daß er sich hat alles von den Juden gefallen lassen.“ Im Gebet kam 
ihr immer anstatt „gesegnet“ die Vorstellung „verhext“. 1890 ein Jahr lang 
deprimiert. Die Periode sistierte; die Eiranke masturbierte sehr stark, geriet 
dabei in Schweiß; dazu eigenartige zwangsmäßige Grimassen, zuckungsartiges 
Verziehen der Mundwinkel. Sie befand sich 3 Monate in der Irrenanstalt. Sie 
glaubte verhext zu sein; es kam der Gedanke: sie müsse das deutsche Reich 



Störungen der Vorstellung. 


79 


aufrichten, sie werde die Frau des deutschen Kaisers. Bei einer Reise nach Mün¬ 
chen meinte sie, es gehe jetzt zu ihrer Krönung als Königin von Bayern. Sie 
jammerte viel und war teilweise unruhig. Die Vorstellungen erkannte sie als 
wahnhaft und konnte mitten drin über sie laut auflachen. Der Wechsel zwischen 
den ruhigen Zeiten und dem erregten Verbigerieren war ein sprunghafter. Ihre 
Qualen wußte sie gewandt zu schildern. Sie hatte die Vorstellung: „Der 
Hofzug wartet, steig* ein nach Berlin, du bist die deutsche Kaiserin, dein Hof¬ 
staat besteht aus Hunden und Katzen.“ „Du mußt nach Spanien und re¬ 
gieren.“ Selbstmordversuche. Hört sich einflüstem: „Verstanden, Kaiserin.“ 
Schlechter Schlaf, Selbstvorwürfe. 1904, 5. Depression. Grimassen, Zwangs¬ 
bewegungen, Masturbation, Schweißausbrüche, verbigerieren bei den Grimassen, 
immer dasselbe wiederholend. Spricht alles in singendem Tone und Rhythmus. 
Zwangsvorstellung: das Wort „Kaiserin“. 1906 Genesung. 

Es handelt sich demnach um eine fünfmal wiederholte Depression mit 
den charakteristischen Erscheinungen des manisch-melancholischen Irreseins. 
Die Depression war meist mit einer psychomotorischen Erregung, oft recht 
erheblichen Grades, verbunden. Schon in der zweiten Depression traten Zwangs¬ 
vorstellungen ein, welche sich dann in ähnlicher Weise immer wiederholten. 
Auffallenderweise handelt es sich dabei um Größenvorstellungen mitten in der 
schwersten ängstlichen Erregung. Einsicht für den krankhaften Charakter 
der Vorstellungen war mindestens in den letzten zwei Depressionen vorhanden. 
Zu den Zwangsvorstellungen gesellten sich eigenartige Formen von Zwangs¬ 
bewegungen, Grimassieren und Masturbieren. 

x) Größenwahnvorstellungen. Größenwahnvorstellungen sind eine 
recht häufige Erscheinung im manisch-melancholischen Irresein. Wir finden 
sie in 17 °/ 0 der Fälle des gesamten Krankenmaterials, in 22 °/o der Fälle mit 
Wahnvorstellungen.. Ganz auffallend ist das Verhältnis zwischen der Zahl 
männlicher und weiblicher Erkrankungen. Während bei dem ganzen Material 
mit Wahnvorstellungen das Verhältnis wie 1: 2 ist, besteht bei den Größenwahn¬ 
vorstellungen ein solches von 3: 2, also beinahe umgekehrt. Die Formen, welche 
Größenwahnvorstellungen zeigen, gehören in 84 °/ 0 den zirkulären, in 18 °/o 
den manischen Erscheinungsformen an, es ist demnach der Größenwahn durch¬ 
weg als ein manisches Symptom anzusehen. Da manische Formen verhältnis¬ 
mäßig häufiger bei Männern wie bei Frauen beobachtet werden, so ist demnach 
wohl erklärlich, daß die Männer sehr stark beteiligt sind. Aber die überragende 
Mehrheit männlicher Beteiligung an den Größenideen ist dadurch noch nicht 
erklärt; und es fällt auch schwer sie zu begründen. Man wird wohl annehmen 
müssen, daß die männlichen manischen Erkrankungen ausdrucksvoller ver¬ 
laufen; der Mann hat eben mehr Ideen, mehr Vorstellungen und bringt die¬ 
selben mehr zum Ausdruck. Es ist ja doch überhaupt eine allgemeine Erfahrung, 
daß die weiblichen Psychosen weniger produzieren; die Frauen sind motorisch 
beweglicher, die Männer intellektuell produktiver. 

Betrachten wir uns nun die Größenwahnvorstellungen genauer, so müssen 
wir zunächst unterscheiden solche, welche die gegenwärtige Situation als ver¬ 
ändert hinstellen und solche, bei denen sich die Größenideen mehr als Wünsche, 
als „Zukunftsmusik“, als das Gegenstück zu den Befürchtungen für die Zu¬ 
kunft darstellen. Die erateren herrschen bei den Formen vor, welche Verwirrt¬ 
heit und deürante Erscheinungsweise zeigen, die letzteren bei den mehr be- 



80 


Symptome. 


sonnenen Kranken. Ein weiteres Unterschiedsmerkmal ist, daß die eine Gruppe 
glaubt, die Persönlichkeit habe sich im Sinne der Größenidee umgewandelt, 
während die zweite Gruppe die Umgebung in diesem Sinne für umgewandelt hält. 

Die populärste Größenwahnvorstellung ist zweifellos diejenige, welche 
sich auf die materielle Lage bezieht, und welche die Kranken mit Millionen 
um sich werfen und Schecks auf Milliarden besitzen läßt. Im allgemeinen kann 
man konstatieren, daß die „Millionenidee“ bei den manisch-melancholischen 
Kranken bei weitem nicht die Rolle spielt, wie wir sie bei Paralytikern wahr¬ 
nehmen. Viel häufiger ist die Umwandlung der Person und der Situation in 
Hinsicht auf die soziale Stellung und in Hinsicht auf Geistesgaben und deren 
Ausnützung. 

Recht oft erscheint die Vorstellung, daß die Kranken selbst Gott seien. So 
äußerte ein Kranker, er sei der Herrgott, sei der größte Prophet des Jahrhunderts, 
er sei berufen, die Welt fertig zu erlösen; eine Orange gab er als Weltkugel 
aus; er meinte, er sei der Christus, der vor und nach Christus vor 2 und 3000 
Jahren gekreuzigt worden sei; er komme gleich nach Christus, habe Moses 
und verschiedene Personen gefangen, welche er in einem Netz habe. 

Weitere Vorstellungen: sei Märtyrerin, sei der Mutter Gottes Kind, habe 
übernatürliche Gottesgaben; sei Luzifer, der eine von 3 Teufeln, sehe aus wie 
eine Riesendame; sei eine Art von Messias; sei rex Judaeorum in bona parte 

Neapolis. Ein Kranker unterschrieb sich als der „Tröster J. Christ. H.“ 

und hielt sich für Christus, den Direktor der Anstalt für den Antichrist. Er¬ 
löserideen und religiöse Aufgaben werden öfters genannt, so hielt sich ein Kranker 
für einen Prediger, der Blitz und Donner mit sich führt, der noch den hl. Paulus 
heruntersteche. Eine Kranke, im Berufe Damenschneiderin, wollte Missionarin 
in Afrika werden, eine Kunstmalerin eine neue Religion stiften. 

Die häufigsten Wahnideen im Sinne der Größenwahnvorstellung sind die¬ 
jenigen, welche sich auf die soziale Stellung beziehen. Die Kranken fühlen sich 
als Kaiser, König, Prinz; sie glauben, sie seien gräflicher Abstammung usw. Eine 
Kranke, eine 60jährige Dame, wollte die Maitresse des Königs werden; ein 
Kranker erklärte, er hätte eine Prinzessin heiraten sollen; ein junges Mädchen 
sagte, es sei Königin und hätte Prinzen im Leib, die Anstalt sei die Residenz; 
ein Dienstmädchen erklärte, ein Prinz komme zu ihm, es sei das Dornröschen, 
es sei ihr wie Schuppen von den Augen gefallen. Überhaupt spielt das erwartete 
Kommen hoher Persönlichkeiten eine große Rolle. Ein Kranker meinte, er habe 
schon vor 6656 Jahren in einem goldenen Zeitalter gelebt; er könne mittels 
seines Gesanges Tote erwecken; sei ein Prinz. Eine kranke Dame verlangte 
goldenes Geschirr, wie es der Königin von Samos gebührt. Ein Kranker be¬ 
hauptete, er sei ein Prinz und bei seiner Geburt vertauscht worden. 

Ihre Geistesgaben erscheinen den Kranken oft in eine große Höhe gerückt. 
So glaubte ein Schneider, er werde als Bassist im Hoftheater auftreten; weitere 
Äußerungen: werde einen Menschen mit fünf Köpfen erschaffen, der fliegen 
und schwimmen könne; die Kleider böten eine willkommene Handhabe zur 
Lösung mathematischer Probleme; habe mit Bismarck „gesoffen“, wolle den 
Weltkrieg erklären; müsse das deutsche Reich mitverwalten (Schneider); wolle 
eine Reise um die Welt machen (Taglöhnerin); werde der erste Geheimdetektiv 
Deutschlands (Uhrmacher); werde das soziale Elend beseitigen; habe in der 
deutschen Sprachforschung einen goldenen Schlüssel gefunden; verstehe geheim- 




Störungen der Vorstellung. 


81 


nisvolle Künste; sei Kapellmeister (Dorfmusiker); habe das Perpetuum mobile 
erfunden; sei die Vertreterin süddeutschen Humors (Arztwitwe); habe eine 
elektrische Quelle entdeckt; sei die Jungfrau von Orleans (Dienstmädchen); 
wisse mehr als alle Professoren, verlangt eine goldene Leier, ein Szepter, ein 
weißes Pferd (Geistlicher). 

Die Beispiele mögen zeigen, wie verfehlt es ist, „schwachsinnige“ Größen¬ 
ideen als ein Spezifikum der Paralyse anzusehen; gewiß sind solche beim manisch¬ 
melancholischen Irresein weniger häufig, aber es ist nicht möglich, daraus 
„Schwachsinn“ ableiten zu wollen. 

2 . Sinnestäuschungen. 

Während sich Wahnvorstellungen in mindestens 78°/ 0 der Fälle von manisch¬ 
melancholischem Irresein vorfinden, begegnen wir Sinnestäuschungen in einer 
erheblich geringeren Zahl, bei 31 % der Fälle. Die Verteilung auf die Geschlechter 
ist genau dieselbe wie bei den Wahnideen (34 °/ 0 männliche, 66 % weibliche 
Fälle). Auch die Verteilung auf die verschiedenen Altersstufen entspricht 
so ziemlich dem bei den Wahnideen Gesagten. Was die Erscheinungsform 
der betreffenden Fälle betrifft, so sind die zirkulären Fälle etwas mehr be¬ 
teiligt wie bei den Wahnvorstellungen. 

Im folgenden sollen die Illusionen und Halluzinationen, welche nach den 
Sinnesarten eingeteilt sind, gemeinsam besprochen werden. Im allgemeinen läßt 
sich sagen, daß die Halluzinationen gegenüber den Illusionen in bezug auf die 
Häufigkeit ihres Vorkommens bedeutend zurücktreten. Die Sinnestäuschungen 
haben bei manisch-melancholischen Kranken im Ganzen den Charakter des 
Traumhaften; sie machen sehr häufig einen recht verschwommenen, wenig 
plastischen Eindruck. 

a) Gesichtstäuschungen. Gesichtstäuschungen sind bei 11 % des 
Gesamtmaterials, bei 34 °/ 0 des Materials, bei dem Sinnestäuschungen über¬ 
haupt zu beobachten waren, beteiligt; die Zahlenverhältnisse der Geschlechter 
entsprechen im wesentlichen denen bei den Fällen mit Sinnestäuschungen 
überhaupt. Was die Beteiligung der einzelnen Altersstufen betrifft, so ist auf¬ 
fallend, daß die Neigung der Begünstigung höherer Altersstufen nicht zu ver¬ 
kennen ist. Die zirkulären Verlaufsformen sind mit verhältnismäßig sehr großen 
Zahlen beteiligt. Mit Vorliebe treten die Sinnestäuschungen in deliranten 
Phasen der Erkrankung auf, und das gilt vor allem auch für die Gesichtstäu¬ 
schungen. Die Verwirrtheit kann recht gering und vorübergehend sein, es handelt 
sich oft nur um kurze traumhafte Zustände. Dem Charakter nach sind die 
Gesichtstäuschungen mehr illusionärer Art; sehr deutliche und plastische 
Täuschungen treten nur vereinzelt auf. 

Bei Bewertung späterer Angaben der Kranken über Gesichtstäuschungen 
ist große Vorsicht am Platze; die Kranken haben nicht selten die Neigung, 
die Gedächtnislücken, welche nur verschwommene Erinnerungsbilder ent¬ 
halten, auszugestalten und die Erlebnisse plastischer herausarbeiten, als sie 
wirklich gewesen sind. 

In manchen Fällen erfahren wir, daß die Kranken „blitzen“ sahen, sie 
sahen Blitze einschlagen, „aufflammen“. Solche Wahrnehmungen sind nicht 
selten kombiniert mit Wahnvorstellungen einer Schlacht, die in der Nähe ist, 
mit der Idee des Weltuntergangs usw.; so äußern, wie oben schon angeführt, 
Behm, Dm maDifloh-melaaoboUsche Irresein. 6 



82 


Symptome. 


Kranke die Wahnvorstellung, daß die Stadt in Flammen stehe; dazu treten 
dann die dazu gehörigen Sinnestäuschungen, welche das delirante Bild ver¬ 
vollständigen. In den meisten Fällen beziehen sich die Gesichtstäuschungen 
auf das Sehen bekannter Personen oder Gestalten, welche dem religiösen Ge¬ 
biete entnommen sind. Vielfach mögen einfache Personenverkennungen ab 
Sinnestäuschung imponieren. So sah eine Kranke alle möglichen Bekannten; 
eine Kranke nahm Geistererscheinungen wahr; eine Patientin sah einen schwarzen 
Mann, dann eine weiße Dame, welche wie ein Engel durchs Zimmer flog; eine 
Kranke sah einen Mann mit einem Revolver im Zimmer, eine andere die Ge¬ 
sichter des Arztes und ihres Mannes, ferner Mäuse im Zimmer und im Essen; 
„die Luft ist voll von ungarischen Reitern und von Lämmergeiern; Teufel, 
Gestalten aus dem Jenseits“. Nicht selten sind die Gestalten auch in Bewegung; 
so sah ein Kranker, wie in den Figuren in der Kirche die Augen sich bewegten; 
auf den Häusern bewegen sich vier schwarze Männer, die aussehen wie Schorn¬ 
steinfeger; Gespenster, Engel; die Kinder kommen zur Türe herein; wenn sie 
beten wolle, sehe sie lauter kleine Teufel um sich, die sie davon abhalten; nackte 
Personen an der Wand, Teufel in Gestalt eines Eichkätzchens. 

In einem Falle von chronischem Verlaufe der Psychose waren die Gesichts¬ 
täuschungen so plastisch, daß die Kranke mit den halluzinierten Personen 
sprach, mit ihnen spielte und nach ihnen mit Nennung der Rufnummer tele¬ 
phonierter Doch scheinen solche Fälle Seltenheiten zu sein. Die geringe Plastik 
kann geradezu diagnostisch zu verwerten sein gegenüber der außerordentlichen 
Deutlichkeit des Auftretens der Sinnestäuschungen bei Dementia praecox- 
Kranken. Am meisten Ähnlichkeit haben die Sinnestäuschungen deliranter 
Att mit denen, welche in den leichten Verwirrtheitszuständen im postapo- 
plektischen Irresein Vorkommen, und mit denen, welchen wir bei hysterischen 
Dämmerzuständen bzw. Delirien begegnen. 

Die im folgenden angeführten Täuschungen weisen durch ihre verblüffende 
Ähnlichkeit mit den hysterischen auf diese Verwandtschaft ganz besonders 
hin; sie sind nicht allzu häufig. Die Kranken sehen Totenköpfe an sich vorbei¬ 
schweben, auf dem Bette Köpfe, Augen, Schlangen, furchtbar blickende Augen, 
gläserne Augen, Tiergestalten; eine Kranke sah in einem verworrenen Zustand 
die gequollenen, abgeschnittenen Köpfe ihrer Töchter. 

Es möchte noch darauf hingewiesen sein, daß dieselben Sinnestäuschungen 
immer wieder in der gleichen Weise auftreten können und so eine schwere Angst 
hervorzurufen imstande sind. Auffallend ist, daß die Gesichtstäuschungen 
in der überwiegenden Zahl nachts auftreten, nicht im Schlafe, sondern offenbar 
in dem Zustande von Überreiztheit, den der Affekt, verbunden mit der Schlaf¬ 
losigkeit bei den Kranken hervorgerufen hat; auch hier ist eine Parallele mit den 
Sinnestäuschungen der Apoplektiker und der Hysterischen zu ziehen. 

ß) Gehörstäuschungen. Die Gehörstäuschungen kommen in 19 °/ 0 
der Fälle des Gesamtmaterials an manisch-melancholischen Fällen und in 60 °/ 0 
des Materials an Fällen, in denen Sinnestäuschungen nachzuweisen sind, vor. 
In bezug auf die Verteilung der Geschlechter ist bemerkenswert, daß die Ge¬ 
hörstäuschungen bei Frauen verhältnismäßig sehr häufig sind, häufiger als die 
Gesichtstäuschungen. Die Altersstufen zeigen auch einen Unterschied gegen¬ 
über denen bei den Gesichtstäuschungen; wir sehen eine wesentlich stärkere 
Beteiligung des jugendlichen Alters. Am auffallendsten ist das erheblich häufigere 



Störungen der Vorstellung. 


83 


Vorkommen von Gehörstäuschungen bei rein depressiv verlaufenden Fällen, 
im Gegensatz zu den Fällen mit Gesichtstäuschungen. Man könnte demnach 
daran denken, daß Frauen in ähnlicher Weise die Gehörstäuschungen bevor¬ 
zugen, wie sie zu Depressionen in besonderem Maße neigen. Am häufigsten 
finden wir die Gehörstäuschungen in der Form von Illusionen; in deliranten 
Formen sehen wir sie recht häufig; sehr oft erscheint es uns, als ob der depressive 
Affekt zu Erinnerungsfälschungen nach dieser Richtung geneigt mache, es ist 
wohl eine erhöhte Empfänglichkeit in bezug auf Gehörseindrücke vorhanden. 

In vielen Fällen handelt es sich um Gehörstäuschungen nicht präziser, 
illusionärer Art. Die Kranken hören Schießen, ein Zirpen wie auf der Wiese, 
Glockenläuten, das Ticken der Totenuhr, eigenartige, wunderschöne, melodische 
Stimmen und Akkorde, das Läuten des Armensünderglöckleins, die Posaunen 
des Himmels, Kanonenschläge, Trommeln, Wagenrasseln, Knallen und Schreien, 
Musik; ein Kranker hörte nachts Nachtigallen, Spatzen und Finken durchein¬ 
ander singen. Es kommt nicht selten vor, daß Kranke aus dem Vogelgeschrei 
„Stimmen“ heraushören, welche sie ihrem Affektzustande gemäß deuten, 
oder in denen sie einen diesem Zustand entsprechenden Inhalt zu vernehmen 
glauben. 

Bei einer zweiten Gruppe werden die Gehörstäuschungen präziser, sie 
nehmen mehr die Gestalt von Halluzinationen an; sie sind zwar in bezug 
auf den Wortlaut undeutlich, werden aber häufig schon auf ganz bestimmte 
Personen zurückgeführt. Die Kranken hören Hilfegeschrei von seiten ihrer 
Kinder und Angehörigen, warnende Zurufe, ein Raunen, wie wenn gebetet 
würde, Stimmen aus der Feme, sie seien in Mörderhänden; telephonische Rufe; 
sie hören den Teufel schreien, den Namen rufen, beängstigende Stimmen über 
Mord und Hinrichtung; ins Herz werde etwas gesagt, hören sich Vorwürfe 
machen, Stimmen von abgeschiedenen Geistern; ein Kranker behauptete, 
er habe eine helle Männerstimme aus dem Bettpolster gehört; was gesagt worden 
sei, habe er nicht verstanden; eine Kranke hörte aus dem Summen und Surren 
Worte heraus; dieselben seien aber nicht so wie mit den Ohren gehört, sondern 
in ihren Gedanken. Auch Befehlshalluzinationen kommen vor; so behauptete 
eine stuporöse Kranke nach Auflösen des Stupors, sie habe deswegen auf keine 
äußerlichen Reize reagiert, weil es ihr von der Stimme Gottes so befohlen 
worden sei. 

In der dritten Gruppe treten die Gehörshalluzinationen noch präziser 
henvor; doch sind sie von den Eiranken nachträglich referiert, so daß immerhin 
Umdeutungen und Konfabulation, immer im Sinne des Affektes, in Betracht 
kommen können. So hörte eine Kranke, es sei Geistesironie; eine andere Kranke 
hörte aus dem Eisen, das sie vom Trinken des Eisenwassers in sich zu haben 
glaubte, sie sei eine Schneppe, sie werde umgebracht; (ein Kranker:) die Frau 
sei ihm untreu, sei hingerichtet worden; (eine suicidale Kranke:) sie solle hinunter¬ 
kommen ins Wasser hinein; der Bruder sei gestorben, sei ein Lump; sie solle 
ins Wasser springen, werde eingesperrt. Eine Kranke gab an, sie höre beständig 
durch ihr Herz telephonieren, sie bekomme auf diesem Wege Depeschen. Eine 
andere Kranke äußerte sich dahin, daß sie böse und gute Stimmen in ihrer 
Brust habe * die bösen geben zu, daß sie krank sei, die guten stellen das rechte 
Gewissen dar. Recht häufig stellen sich nach den Angaben der Kranken die 
Gehörstäuschungen ursprünglich nur als Illusionen dar; sie werden allmählich 
/ 0 * 



84 


Symptome. 


aus dem Sprechen der Umgebung, aus Geräuschen usw. herausmodelliert und 
dann von den sehr aufmerksamen Kranken in verfolgendem, depressivem, 
manischem usw. Sinne weiter verarbeitet. 

Die vierte Gruppe wird von Fällen gebildet, in denen an der Präzision 
des Gehörten nicht zu zweifeln ist. Meist stellen diese Gehörshalluzinationen 
einzelne zugerufene Worte dar; es sind verhältnismäßig recht wenige Fälle. 
„Der ist es“, „jetzt kommt der W. (Patient selbst) dran“, „Wildschwein“, „ver¬ 
standen“, „Kaiserin“, „warte, ich lasse dich doch hinrichten, wenn du nicht 
ruhig bist“, „Jesus“, „Herrgott“, „du mußt es tun“ (nämlich sich umbringen). 
Solche Kranke geben Antwort auf das Gehörte und führen laute Gespräche 
mit den „Stimmen“. Es handelt sich dabei durchaus nicht immer um schwer 
verwirrte Kranke, sondern meist befinden sie sich nur in einem verträumten 
Zustande. In einzelnen Fällen kommt es auch zum Hören der eigenen Ge¬ 
danken; die Kranken geben an, die Gedanken würden vorgesprochen. 

y) Sonstige Sinnestäuschungen. In manchen Fällen (2 % des 
Gesamtmaterials, 6 % des Materials an Fällen, in denen Sinnestäuschungen 
nachzuweisen sind) kommen Geruchstäuschungen vor. Die Eiranken riechen 
etwas Sonderbares, z. B. Chloroform, das Essen riecht nach Menschenfleisch, 
stinkende Gase, Pulver sind in der Luft. Sehr wenige Fälle bieten Geschmacks¬ 
täuschungen. Es handelt sich dabei um 1 % des gesamten und um 3 °/o des 
Sinnestäuschungsmaterials. Die Kranken meinen, sie schmecken Chloroform 
im Essen, die Suppe sei eine Sodalösung, Alkohol und Schwefel sei im Essen. 

Von den Gefühlstäuschungen war oben schon bei Besprechung, der 
hypochondrischen Wahnvorstellungen die Rede. 

t) Störungen des Bewußtseins. 

Verwirrtheit. 

Wir treffen im manisch-melancholischen Irresein alle Übergänge von 
leichtester Bewußtseinstrübung bis zu vollkommener Verwirrtheit. Es kann 
bei den Kranken Unklarheit vornehmlich in bezug auf die zeitlichen bzw. 
örtlichen Verhältnisse bestehen, es kann sich um Erlebnisse, die der Wirklichkeit 
nicht entsprechen, handeln, also um eine Situationstäuschung in delirantem 
Sinne; weiterhin kann eine Situation in Betracht kommen, die früher wirklich 
durchlebt, nun krankhaft von neuem in die Erinnerung tritt, oder es sind mehr 
oder minder phantastische, wahnhafte Erlebnisse, die in die Zukunft vedegt 
werden. 

Wir treffen also eine Verwirrtheit häufig nur in zeitlicher Beziehung, 
in Beziehung auf die Umgebung usw. an. Was ich im folgenden Kapitel unter 
Verwirrtheitszuständen zusammenfasse, sind Fälle, welche „vollkommen“ 
verwirrt sind, d. h. bei welchen sich die Situation vollkommen verändert und 
wahnhaft umgestaltet hat. 

Solche Zustände finden sich in mindestens 26 % der Fälle des gesamten 
Materials, und zwar fallen auf das männliche 32%» auf das weibliche 68 % 
der Fälle, wie es dem zahlenmäßigen Verhältnisse des männlichen und weiblichen 
Geschlechts im manisch-melancholischen Irresein ungefähr entspricht. Was 
das Alter betrifft, so scheint die Zeit vor dem 45. Jahre bevorzugt, d. h. es tritt 
die Zeit der Involution an Bedeutung zurück. In bezug auf die Erscheinungen 



Störungen de« Bewußtsein«. 


Sß 

form ist zu bemerken, daß die zirkulären Fälle 73 °/o ausmachen, periodisch 
manische bilden 5, periodisch melancholische 13 %-der Fälle; die übrigen Pro¬ 
zentzahlen stammen von Fällen, die erstmals in der Zeit der Involution er¬ 
krankt sind. 

Es sind die Fälle besonders zu erwähnen, bei denen im Verlaufe des 
ganzen Lebens, soweit es klinischen Beobachtungen zugänglich war, mehrmals 
Zustände von Verwirrtheit beobachtet werden konnten; diese Fälle machen 
21 % des Materials, das ich unter der Verwirrtheit zusammengefaßt habe, 
aus. Die Unterschiede im Alter werden hier, wie es die ausgedehntere zeitliche 
Verteilung begreiflicherweise mit sich bringt, ganz verschwommen. Es handelt 
sich lediglich um zirkulär verlaufende Fälle und zwar fast ausschließlich um 
chronische, d. h. solche, deren Verlauf keine längeren gesunden Perioden zeigt, 
und die anscheinend nicht wieder in gesunde Breiten zurückgeführt wurden, 
also fast nur um sogenannte schwere Fälle. Die Involutionsmelanoholien kommen 
hier nicht in Betracht. Auffallend ist, daß die schweren Bewußtseinsstörungen 
vorzugsweise nach einem Affektwechsel in Erscheinung treten, überhaupt 
gerne bei solchen Fällen, welche regen Wechsel des affektiven Bildes zeigen. 
Wir finden also, daß Fälle mit schwerer Verwirrtheit zu den prognostisch un¬ 
günstigeren gehören, insbesondere dann, wenn mehrfach, in getrennten Perioden, 
solche Zustände aufgetreten sind. 

Störung der Erinnerungsfähigkeit. 

Die Erinnerungsfähigkeit nach ihrer negativen und positiven Richtung 
ist klinisch bzw. differentialdiagnostisch sehr wichtig. Finden wir doch bei 
organischen Erkrankungen nach Verwirrtheitszuständen meist vollkommene 
Erinnerungslosigkeit. Die epileptischen, paralytischen Verwirrtheitszustände 
treten auch später in der Erinnerung nicht oder mindestens nicht deutlich hervor. 
Es ist nur die Erinnerung an eine zeitliche Lücke vorhanden, welche nachher 
zuweilen durch Konfabulationen ausgeftillt wird. Anders ist es bei den funk¬ 
tioneilen Geisteskrankheiten. Bei der Diagnose Hysterie wird mit Recht großes 
Gewicht auf die im wesentlichen erhaltene bzw. wiederhergestellte Erinnerung 
gelegt, und ganz ähnlich sind die“ Verhältnisse beim manisoh-melancholischen 
Irresein gelagert. # 

Wir erfahren in den Fällen, in denen schwere Verwirrtheitszustände vor¬ 
gekommen und abgelaufen sind, daß die Erinnerung erhalten ist, bzw. wieder¬ 
gekehrt ist; meist ist sie später in allen Details vorhanden, in manchen Fällen 
allerdings auch nur summarisch. Praktisch pflegt die Gesundung sehr oft 
schon eingetreten zu sein, ohne daß volle Erinnerung wiedergekehrt ist, doch 
stellt sie sich meist mit der Zeit noch ein. 

Wir bekommen so katamnestisch die anschaulichen Beschreibungen 
der an Erlebnissen reichen deliranten Phasen; wir hören auch, daß die Erlebnisse 
während des Ablaufs der Erkrankung bis ins Detail ausgemalt und mit einer 
Spannung erlebt waren, welche die kleinsten Züge ins Gedächtnis eingraviert hat. 
Die erhaltene bzw. wiedergewonnene Erinnerung gehört zu den wich¬ 
tigen differentialdiagnostischen Gesichtspunkten. Es ist von großer Bedeutung, 
darauf zu achten, besonders dann, wenn es sich um die Entscheidung handelt, 
ob die abgelaufene Psychose bzw. Krankheitsphase der Ausdruck einer funktio- 



86 


Symptome. 


nellen Erkrankung des Gehirns gewesen ist oder nicht. Jedenfalls ist die Wieder¬ 
herstellung der Erinnerung ein Zeichen der Genesung. 

g) Tagesschwankungen. 

Schon der gesunde Mensch weist gewisse Schwankungen der Leistungs¬ 
fähigkeit während des Verlaufes eines Tages auf. Er erwacht morgens frisch 
und am leistungsfähigsten; gegen Abend läßt die Arbeitsfähigkeit nach; 
es macht sich infolge der Tagesarbeit die Ermüdung geltend, welche Schlaf¬ 
bedürfnis und Schlaf herbeiführt. Nun gibt es, noch in gesunden Breiten 
liegend, Persönlichkeiten, welche morgens nach dem Schlafe müde sind und 
erst im Laufe des Tages — die Erfahrung bezieht sich im wesentlichen auf die 
geistige Arbeit — vor allem gegen Abend, leistungsfähiger werden. Es wird 
angenommen, daß diese Personen auch eine veränderte Schlafkurve haben; 
die größte Tiefe des Schlafes soll bei solchen gegen den Morgen zu liegen, während 
normalerweise die Schlaftiefe nicht lange Zeit nach dem Einschlafen das Maxi¬ 
mum erreicht (siehe oben). Weit mehr als unter Gesunden finden wir diese 
abweichende Kurve der Tagesleistung unter Psychopathen und angeboren 
geistig abormen Persönlichkeiten. Da nun, wie früher schon ausgeführt, unter 
den: manisch-melancholischen Kranken, wenn nicht alle, so doch eine außer¬ 
ordentlich große Zahl von Haus aus als psychopathisch zu bezeichnen sind, 
so ist es verständlich, daß wir bei diesen schon in den krankheitsfreien Zeiten, 
ausgesprochen aber in den Krankheitsphasen, eine Tagesschwankung sehen, 
welche wir als „typisch“ bezeichnen. Zweifellos tritt durchaus nicht bei allen 
Manisch-Melancholischen auch in den freien Zeiten diese Tagesschwankung 
deutlich hervor; wir hören einerseits recht häufig, daß den Kranken diese Er¬ 
scheinung etwas Neues ist, während wir andererseits aber auch oft erfahren, 
daß sie solche Schwankungen schon in gesunden Tagen, wenn auch weniger 
ausgeprägt, gehabt haben. 

Diese typische Tagesschwankung besteht also darin, daß die Eiranken 
schwer aus dem Zustande des Schlafes kommen, bzw. daß sie sich an einem 
Zeitpunkt, in welchem der Mensch normalerweise am frischesten ist, noch müde 
und abgespannt fühlen und nicht leistungsfähig erscheinen. Im Laufe des Tages 
tritt dann, entweder allmählich oder auch ganz plötzlich wie eine Erleichterung 
die Besserung meist im späten Nachmittag ein. In den frühen Abendstunden 
verschlimmert sich in manchen Fällen schon wieder der Zustand. So sehen 
wir am deutlichsten bei den Melancholischen, daß sie in den Nachmittags¬ 
stunden lebhafter, gesprächiger und weniger verstimmt sind, und daß bestehende 
Hemmungen in ihrer Spannung nachlassen; man könnte an eine Besserung 
der Psychose glauben. 

Was die klinischen Formen betrifft, so handelt es sich, wie gesagt, 
fast durchweg um depressive Zustände, mit oder ohne psychomotorische Er¬ 
regung bzw. Hemmung. Psychomotorische Erregung und Hemmung ist in 
den Fällen meines Materials ungefähr in gleichem Maße beteiligt. In einzelnen 
Fällen sehen wir abendliches Schlechterwerden und morgendliche Erleichterung. 
Über Tagesschwankungen in den freien Zeiten ist bei diesen Kranken nichts 
bekannt geworden. Es handelt sich um jugendliche Kranke ohne sonstige 
klinische Besonderheiten. 



Periodizität und kurzdauernde Schwankungen. 


87 


Man könnte daran denken, daß bei den meisten Fällen die typische Tages¬ 
schwankung vereint mit der manisch-depressiven Disposition angelegt ist 
und bei Eintreten der Psychose entsprechend zum Ausdruck kommt; bei einer 
kleinen Minderheit würde es sich um entgegengesetzt angelegte, in bezug auf 
die Tagesleistung normal disponierte Persönlichkeiten handeln. 

In dem ganzen Material waren bei ca. 10 % der Fälle ausgeprägte Tages¬ 
schwankungen zu konstatieren, und zwar verteilten sich diese Fälle mit 41 % 
auf das männliche, mit 59 % auf das weibliche Geschlecht. Die Männer er¬ 
scheinen demnach verhältnismäßig bevorzugt. 

Was die Altersstufen betrifft, so ist das höhere Alter (nach 45 Jahren) 
im Vorzug, was aus der Beteiligung von 19 °/o Erkrankungen in der Involution 
noch besonders deutlich hervorgeht. Rein manische Fälle mit Tagesschwan¬ 
kungen sind nicht beobachtet. Es ist das auffallend; man kann nicht annehmen, 
daß bei manischen Erkrankungen die Tagesschwankung in Fortfall kommt, 
vielmehr ist wahrscheinlich, daß sie durch die manische Erregung verdeckt 
wird; immerhin erscheint dieser Erklärungsversuch für diese sonderbare Be¬ 
obachtung nicht hinreichend, es ist wünschenswert, daß nach dieser Richtung 
hin Untersuchungen angestellt werden. 

h) Periodizität und kurzdauernde Schwankungen. 

Die Periodizität gilt als ein charakteristisches Merkmal der Erkrankung. 
Wir finden periodische Erscheinungen allenthalben in dem physiologischen 
Ablauf der Vorgänge in der Natur, auch bei einer Anzahl von psychischen 
Erkrankungen, insbesondere bei der Epilepsie. Beim manisch-melancholischen 
Irresein ist die Periodizität eigentlich nur in wenigen Fällen eine einigermaßen 
deutliche, aber fast allen Fällen sind periodische Schwankungen nach Intensität, 
Affekt usw. eigen. Immerhin wird das ganze periodische Verhalten mit dem 
längeren Andauem der Krankheit verwaschener, wie es bei einem Krankheits¬ 
prozeß nicht zu verwundern ist. 

Die kurzdauernden Schwankungen des Affektzustandes sind von 
besonderer Wichtigkeit. Unter kurz dauernd verstehe ich dabei Schwankungen, 
bei denen ein Affektzustand einen Zeitraum von einigen Tagen oder weniger 
einnimmt. Solches Hin- und Herpendeln des Gemütszustandes sehen wir, abge¬ 
sehen vom manisch-melancholischen Irresein, besondere häufig bei Psycho¬ 
pathen und bei Hysterischen; sie passen bei den degenerativen Zuständen 
sich der Persönlichkeit ohne weiteres an und erscheinen nicht als etwas Fremd¬ 
artiges, wie ähnliche Vorkommnisse bei Epileptikern. Im manisch-melancholi¬ 
schen Irresein ist charakteristisch, daß bei sehr vielen Kranken, welche sich 
nicht in einem Verwirrtheitszustände befinden und also über ihre Besonnenheit 
verfügen, durch Suggestion und Zureden ein entgegengesetzter Affekt für 
Augenblicke hervorgebracht werden kann. Diese Erfahrung erleichtert das 
Verständnis für die zu besprechenden Vorgänge. 

Über eine ganze Reihe von Personen, welche im* Verlaufe ihres Lebens 
an manisch-melancholischen Psychosen erkrankt sind, haben wir Kenntnis, 
daß sie von jeher launisch sind und unmotivierten Stimmungswechsel zeigen, 
und daß von Zeit zu Zeit tagelange depressive oder manische Verstimmungen 
eintreten. Ähnliche Schwankungen treten recht häufig in den krankheits¬ 
freien Intervallen auf. So erklärte eine Kranke, daß sie in der freien Zeit manch- 



88 


Symptome. 


mal Tage mit gedrückter Stimmung habe ; an denen sie nichts arbeiten könnte. 
Die Zeit der Menses ist bei den Frauen überhaupt besonders zu Stimmungs¬ 
schwankungen disponiert, die sich dann bei manisch-melancholischen Per¬ 
sönlichkeiten oft besonders scharf ausprägen. 

Unter meinem Material finden sich in 15 % kurzdauernde Schwankungen 
des Krankheitszustandes, und zwar sind es 23 % Männer und 77 % Frauen. 
Im ganzen haben wir im manisch-melancholischen Irresein ein Verhältnis der 
Männer zu Frauen wie 1: 2, hier von ungefähr 1: 3. Vielleicht ist dieses Mi߬ 
verhältnis dadurch zu erklären, daß, wie auch auf anderen Gebieten, die 
Periodizität, die steten Wellenbewegungen bei der Frau größeren Einfluß haben 
wie beim Manne: Der Einfluß der Menses allein kann nach früheren Erfahrungen 
die Ursache kaum sein. 

In bezug auf die Altersstufen sehen wir das jüngere Geschlecht in ganz 
besonderem Maße bevorzugt; so steht die Altersstufe vom 31.—40. Jahre mit 
26% der Fälle voran. Was die klinische Erscheinungsform betrifft, 
sind verständlicherweise die zirkulären Formen mit 80 % der Fälle weitaus 
im Vordergründe. 

In bezug auf die Art des Wechsels ist zu betonen, daß hier alle mög¬ 
lichen Nuancen Vorkommen; wir finden einen Wechsel zwischen anscheinend 
normalen und depressiven bzw. manischen Zeiten, am häufigsten einen Wechsel 
zwischen manischer und depressiver Stimmung, doch auch zwischen zorniger 
und deprimierter, ratlos-verlegener und deprimierter Stimmungslage, zwischen 
Angst und Heiterkeit, zwischen Verworrenheit und Besonnenheit. Es kommt 
auch vor, daß auf eine leicht depressive Grundstimmung stärker deprimierte 
Stunden und Tage aufgepfropft werden, ebenso wie bei hypomanischer Grund¬ 
stimmung Tage stärkerer manischer Erregung beobachtet werden. Auf Tafel 1 
und 16 t ist die melancholische Phase einer Kranken schematisch dargestellt, bei 
der bei depressiver Grundstimmung ohne sichtliche Beeinflussung durch 
die Menses Tage schwerer Verstimmung periodisch auf treten. Tafel 16 a zeigt 
einen chronisch zirkulären, fast dauernd verwirrten Kranken; von Zeit zu Zeit 
schieben sich in die tobsüchtige Manie Tage von Melancholie mit klarem Be¬ 
wußtsein ein. 

Wir sehen die Kranken aus heiterster Stimmung in wütende Erregung 
umschlagen; wir hören, daß ein Kranker in kurzen Perioden lacht, singt, 
und weint. Besonders stark erscheint dieser groteske Wechsel oft bei Ver¬ 
wirrtheitszuständen, am meisten bei deliranten Phasen. Die Kranken werden 
geschildert als bald vertraulich, verliebt, bald finster, verschlossen; teilweise 
glückselig, teilweise traumverloren; mitten im Schimpfen bricht lautes Ge¬ 
lächter hervor. Von einer Kranken wird berichtet, daß sie oft ganz vergnügt sei, 
dann aber hinterher jammere, sie hätte nicht lustig sein sollen; sie lacht oft mitten 
in den hypochondrischen Jeremiaden. Folgende Schilderung ist besonders 
anschaulich: Schwanken zwischen Zeiten, in denen sie (die Kranke) unter 
einem Zwange handelt,' und klareren Zeiten mit Krankheitseinsicht; die Ge¬ 
mütsverfassung schwankt in allen Nuancen von leichter ängstlicher Erregtheit 
bis zu starken ängstlichen Affekten, von stumpfem, apathischen Vorsichhin- 
brüten bis zu lebhaften Zornesausbrüchen. 

Die kurzdauernden Schwankungen treten zum Teil bei Beginn der Krank¬ 
heitsphase nach krankheitsfreiem Intervall auf; sie machen den Eindruck, als 



Schlafstörung. 


89 


ob der Kranke erst Zeit brauche, sieb auf einen bestimmten Zustand einzu¬ 
stellen; dasselbe gilt bei Abklingen der Krankheitsphase und allmählichem 
Übergang in Gesundheit; auch hier sehen wir in einer großen Anzahl von 
Fällen das eigenartige Hin- und Herpendeln des Stimmungszustandes. Ferner 
finden wir gelegentlich Stimmungsschwankungen mitten in einer länger dauern¬ 
den Phase, ohne daß eine besondere Änderung des Zustandes ersichtlich würde. 
Aber in dem größten Teil der Fälle treten die kurzdauernden Schwan¬ 
kungen dann auf, wenn während einer Krankheitsphase ein Wechsel des Zu¬ 
standsbildes sich vorbereitet und sich mit Hilfe dieser Schwankungen langsam 
vollzieht. Sie scheinen da oft die Rolle der Mischzustände zu vertreten oder 
mit denselben gemeinsam aufzutreten. Man kann sie vergleichen mit dem 
Flackern des Lichtes, wenn es allmählich durch Mangel an Nahrung erlischt. 

Prognostisch scheinen die kurzdauernden Schwankungen günstig zu 
liegen. Unter den einschlägigen Fällen finden sich keine chronischen, wohl aber 
subchronische und solche, welche nach mehr oder weniger langen Remissionen 
wieder neue Schübe zeitigen. Erstmalige Erkrankungen sind selten. Mir 
scheinen die kurzdauernden Schwankungen charakteristisch für prognostisch 
günstige Anfälle zirkulären Charakters mit der Neigung zu weiterer Periodizität 
zu sein. Das männliche Geschlecht und das jüngere Alter sind besonders 
bevorzugt. 

t i) Schlafstörung. 

Die Schlafstörungen bei manisch-melancholischen Kranken bestehen 
in zwei Arten. Bei der weniger häufigen Gruppe, den Fällen von „Schlaf¬ 
sucht“, haben die Kranken — wohl immer depressive — das Bedürfnis, die 
Schlafzeit auszudehnen; da aber der feste gesunde Schlaf fehlt, so „duseln“ 
sie im Halbschlaf lange Zeit dahin. Eine Abart dieses erhöhten Schlafbedürf¬ 
nisses ist die Bettsucht, eine Form psychomotorischer Hemmung. 

Die gewöhnliche Schlafstörung ist die primäre Schlaflosigkeit, d. h. die 
Unmöglichkeit, einen tiefen, zur Erholung führenden Schlaf zu gewinnen. 
Es handelt sich im wesentlichen um die Schwierigkeit, einzuschlafen. Man 
macht die Erfahrung, daß Kranke, sobald sie eingeschlafen sind, gegen Morgen 
noch lange „hinduseln“ und sich in einem Halbschlaf befinden, der freilich 
durchaus nicht voll erquickend und außerdem noch sehr häufig durch Träume 
gestört ist. Ausgedehnte Schlaftiefenversuche fehlen bei manisch-melancholi¬ 
schen Kranken; es scheint mir aber wahrscheinlich, daß die Kurve erst sehr 
spät gegen Morgen (ähnlich wie bei den Morgenschläfem) ihr Optimum erreicht. 
Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich in therapeutischer Beziehung, 
daß zur Besserung des Schlafes rasch wirkende kleine Dosen, soweit es sich 
um Medikamente handelt, das Entsprechende sein dürften; doch davon später. „ 
Zu bemerken ist* daß in einzelnen Fällen von Depressionen auf guten Schlaf 
bei starker Müdigkeit hingewiesen wird; zweifellos sind diese Fälle Ausnahmen. 

Bei 32 °/o der Fälle meines gesamten Materials bestanden erhebliche 
Schlafstörungen, und zwar in einem Verhältnisse von 38 °/o Männern und 62 % 
Frauen. Bei der Gruppierung nach Altersklassen ergibt sich, daß das mittlere 
und höhere Alter bei den Schlafstörungen bevorzugt ist. Dem entspricht die 
Erfahrung des täglichen Lebens, daß nämlich mit dem höheren Lebensalter 
die Güte des Schlafes abnimmt. 



Symptomer. 


90 


Was die klinischen Formen betrifft, so sind über die Hälfte zirkuläre 
Fälle; 20 °/ 0 der Fälle gehören der Involution als erstmalige Erkrankungen an. 
Im allgemeinen handelt es sich ebenso häufig um manische, wie um melancholi¬ 
sche Phasen; doch ist zu bemerken, daß die Fälle, welche eine psychomotorische 
Erregung zeigen, in der Mehrzahl sich befinden, und zwar sind sie fast doppelt 
so zahlreich vertreten, wie die mit Hemmung. 

Die erste Ursache der Schlaflosigkeit mag die erwähnte psychomotorische 
Störung sein; außerordentlich häufig geben uns die Kranken an, sie könnten wegen 
der Angst nicht einschlafen, Angst vor dem Kommenden stört sie. „Konge¬ 
stionen zum Kopfe“ stören andere Kranke; trotz Müdigkeitsgefühls kein oder 
schlechter Schlaf, das ist das Charakteristikum der manisch-melancholischen 
Schlafstörung. Im allgemeinen legt man bezüglich der Zeiten gesunder Breite 
mehr Gewicht auf Stimmungsschwankungen als auf Schlafstörungen. Um so 
interessanter ist es, in manchen Fällen zu hören, daß auch in derZeit der gesunden 
Breite hier und da Perioden von längeren Zeiten mit Schlaflosigkeit auftreten. 
Es ist sehr wahrscheinlich, daß der sachverständige Beobachter in solchen Zeiten 
auch noch andere manisch-melancholische Symptome hätte finden können. 

<Wie oben schon erwähnt, ist fehlender bzw. schlechter Schlaf bei Kranken 
in manischer Erregung besonders häufig; man ist geradezu verwundert, wie 
lange Zeit solche Kranke fast ohne Schlaf in steter Erregung ohne Zeichen 
körperlicher und geistiger Erschöpfung aushalten können, offenbar dank der 
Unterstützung durch eine überwiegende ausgeprägte psychomotorische Er¬ 
regung, aber auf Kosten des Ernährungszustandes. 

Bei psychomotorisch erregten manisch-melancholischen Kranken pflegt, 
wie oben erwähnt, die Unruhe Tag und Nacht anzuhalten, im Gegensatz zu den 
meisten Fällen von Dementia praecox, die über guten Nachtschlaf verfügen, und 
im Gegensatz zu den erregten Hysterischen, bei denen gerade die Schlafstörung 
mit reichlichen Delirien und Unruhe recht oft charakteristisch ist. Auch die 
senile Demenz zeichnet sich durch Schlaflosigkeit und nächtliche, oft delirante 
Unruhe aus. Im Zusammenhänge mit diesen Erfahrungen mögen zwei Fälle 
meiner Beobachtung, Ersterkrankungen im 53. bzw. 70. Lebensjahr, angeführt 
sein, bei denen die Unrhhe fast nur nachts bestand, während sie sich tagsüber 
verhältnismäßig ruhig verhielten. In den beiden Fällen fanden sich keine Sym¬ 
ptome von seniler Demenz, auch nicht von hochgradiger Arteriosklerose; immerhin 
wird man sich diese Erscheinungen nur mit dem Beginn eines Seniums, das 
freilich in dem einem Falle sehr früh eingesetzt hätte, erklären können. 

Träume. 

Man kann das Traumleben als pathologische Schlafstörung auffassen. 
Je lebhafter und je eindringlicher ein Traumvorgang ist, je weniger tief der 
Schlaf ist und je mehr er sich der normalen Bewußtseinshöhe nähert, desto mehr 
ist def Vorgang geeignet, den Schlaf zu stören und das Erwachen hervorzurufen. 
Da allerdings die Träume nur im leichten Schlafe auftreten, ist dem Gesunden 
mit seinem tiefen Schlafe ein gewisser Schutz gegen die Träume gewährleistet. 

Bei Gesunden spielen die Träume eine geringe Bolle; sie prägen sich 
wegen ihrer Oberflächlichkeit nicht ein, beim Erwachen sind sie meist vollkommen 
vergessen; es besteht höchstens noch eine allgemeine Erinnerung, daß ein Traum 
bestanden hat; sie treten beim Gesunden auf, wenn das Erwachen vorbereitet 



Geistige Arbeit. 


91 


wird, oder wenn durch irgend eine Schlafstörung äußerer Art der Schlaf an 
Tiefe vorübergehend einbüßt. 

Anders sind die Verhältnisse bei Psychopathen und Hysterischen, 
bei welchen die Träume konkrete Gestalt annehmen, häufig zu jähem Aufwachen 
führen und sich dem Gedächtnisse einprägen. Es besteht daher bei solchen 
Personen die Fähigkeit, den Inhalt der Träume festzuhalten und nach Er¬ 
wachen zu reproduzieren. Bei Hysterischen finden wir dementsprechend recht 
häufig Sinnestäuschungen, die durchaus den Eindruck des Verschwommenen 
und Traumhaften machen; es besteht oft keine scharfe Grenze zwischen Il¬ 
lusion und Traum, wobei noch eine gewisse Kritikschwäche dem eigenen Zu¬ 
stande gegenüber bzw. ein erhöhtes Krankheitsgefühl von Einfluß ist. 

Im allgemeinen pflegt der Inhalt des Traumes der zur Zeit vorherrschenden 
Stimmung, d. h. allem dem zu entsprechen, was eben das Gemüt in besonderem 
Maße in Anspruch nimmt. So ist es erklärlich, daß manisch-melancholische 
Kranke im Sinne ihres Affektzustandes träumen. Wir wissen im ganzen wenig 
von dem Inhalt ihrer Träume, immerhin prägen sie sich, besonders bei ängst¬ 
lich Melancholischen sehr stark aus; man trifft solche Kranke beim Erwachen 
aus dem Schlaf in Schweiß gebadet, man hört sie gelegentlich aufschreien 
und im Schlafe reden. 

Es wäre sehr wünschenswert, über die Art der Träume manisch-melan¬ 
cholischer Kranker durch eingehendere Studien Näheres zu erfahren. Frauen 
und Männer scheinen nach meinen Erfahrungen in gleichem Maße zu träumen; 
wesentliche Unterschiede nach klinischen Forfhen bestehen wohl nicht. 

k) Geistige Arbeit. 

Kraepelins Verdienst ist es, mit einer anerkannt brauchbaren Methode 
die geistige Arbeit experimentell geprüft und in ihre Bestandteile zerlegt zu 
haben. Dadurch haben wir von verschiedenen Erkrankungen Kenntnis über 
die geistige Arbeit und ihre Komponenten erhalten. Ich führe die Unter¬ 
suchungen von W. Specht 1 ) bei traumatischer Neurose, von Plaut 2 ) bei 
Unfallskranken, von Hutt*) bei manisch-depressivem Irresein an. 

Die Methodik obiger und folgender Versuche war ähnlich wie die, Welche 
ich bei der Untersuchung der Ablenkbarkeit angewendet habe. Weil bei letzterer 
eine-gewisse Änderung der Versuchsanordnung vorgenommen werden mußte, 
so soll hier der Plan, wie er von mir bei den folgenden Versuchen verwendet 
wurde, ausführlich angeführt werden. 

Es werden Reihen untereinanderstehender einstelliger Zahlen fortlaufend 
zu je zweien addiert, und das Resultat wird mit Bleistift daneben ge¬ 
schrieben. Nach jeder Minute erfolgt ein Zeichen, das in der Zahlenreihe 
vom Kranken vermerkt wird. Im ganzen wird 10 Tage hintereinander, 
möglichst zur selben Tageszeit und unter denselben Bedingungen, ge¬ 
rechnet. 10 Minuten beträgt die ganze Arbeitszeit. An jedem 2. Tag wird 
nach 5 Minuten Arbeit eine Pause von 5 Minuten eingeschoben. Die täglichen 

- i- 

*) W. Specht, Einige Bemerkungen zur Lehre von den traumatischen Neurosen. 
Zentralbl. f. Nervenheilk. u. Psychiatr. 1906. 

*) Plaüt, Psychologische Untersuchungen an Unfallskranken. Ref.: Zentralbl. f. 
Nervenheilk. u. Psychiatr. 1906. 

a ) Hutt, Rechenversuche bei Manisch-depressiven. Kra epelins psyohol. Arbeiten 
6, Heft 3. 



92 


Symptome. 


Leistungen können graphisch in Gestalt einer Kurve dargestellt werden. Von 
den Kranken befanden sich 11 in der manischen, 20 in der depressiven Phase der 
Erkrankung. Bei zwei Kranken schlug während des Versuches der Zustand um. 

Zum Vergleiche dienen 24 gesunde Pflegepersonen. Die Melancholien 
schied ich in gehemmte und psychomotorisch erregte. Die gehemmten Depres¬ 
sionen teilte ich in 2 Formen, solche mit schwerer und solche mit leichter psycho¬ 
motorischer Hemmung. Bei den Manischen unterschied ich typische manische 
Erregung und Manie mit psychomotorischer Hemmung. 

Die schematischen Darstellungen (Tafel 8, 9, 12, 13) mögen mit denen ver¬ 
glichen werden, welche sich bei den Resultaten des Ablenkungsversuches er¬ 
gaben. Am Schlüsse dieses Abschnittes finden sich die Zahlen in einem Schema. 
Zu bemerken ist, daß die Darstellung des Antriebes absoluten Zahlen entnommen 
ist, dabei also das Verhältnis zur Leistung nicht in Betracht gezogen ist; da¬ 
durch erklären sich die sehr differierenden Zahlen in dem Prozentverhältnisse 
der schematischen Darstellung dieser und der Ablenkungsversuche. 

1. Antrieb vor der Pause. Derselbe ist berechnet aus der Differenz 
der 1. und 3. Minute. Der Antrieb ist der Willensfaktor im Versuche. Derselbe 
ist bei den Gesunden kleiner wie bei den gehemmten Melancholischen. Auf¬ 
fallend gering ist der Antrieb bei den gehemmten Manischen; diese sind die¬ 
jenigen Versuchspersonen, welche dem Versuch mit verhältnismäßig wenig 
Interesse entgegengetreten sind; sie haben auch eine geringe allgemeine Pausen¬ 
wirkung und eine recht geringe Leistung. 

2. Antrieb nach der Panse. Bei den Gesunden und bei einem Teil der 
Kranken (den erregten Melancholischen) verliert der Versuch während seines 
Verlaufes an Interesse. Bei den Gesunden zeigt sich dies sehr deutlich als 
Minus an den Tagen mit Ablenkung. Die gehemmten Melancholischen ver¬ 
fügen auch hier über die größte Leistung. 

3. Unmittelbare Pausenwirkung. Sie ist aufzufassen als Resultat 
der Einwirkung des Antriebs nach der Pause und einer Anregung durch den 
Versuch selbst. Diese letztere hat bei Gesunden, ferner bei den psychomotorisch 
gehemmten Manien und Melancholien erheblichen Grad erreicht, während die 
psychomotorisch erregten Manien und Melancholien keine Anregung durch 
den Versuch erfahren haben. 

4. Allgemeine Pausen Wirkung. Die Einwirkungen sind bei den 
verschiedenen Krankheitskategorien ähnlich wie beim Ablenkungsversuch. 
Die Gesunden haben etwas größere Pausenwirkung, welche sehr wahrscheinlich 
dadurch hervorgerufen ist, daß die Spannung bezüglich der täglich sich ändernden 
Versuchsanordnung im Ablenkungsversuch ein vorsichtiges Arbeiten ohne große 
Kraftanstrengung und deshalb die Minus-Pausenwirkung hervorgerufen hat. 
Bei den hier zu besprechenden Versuchen fiel diese Anspannung weg. Die 
gehemmten Manischen sind sehr ermüdbar, daher die starke Pausenwirkung; 
bei den erregten Manien fehlt ebenso wie bei den erregten Depressionen eine 
stärkere Anstrengung (wie auch stärkerer Antrieb), daher ist eine geringere 
Ermüdbarkeit vorhanden. Die gehemmten Depressionen überwinden ihre Hem¬ 
mung nicht, deshalb kommt die Pausenwirkung als erholendes Moment nicht 
in Betracht. Wie der Antrieb bei dieser Gruppe zeigt, haben sie eine starke 
Willensanspannung; diese genügt aber nicht, die Hemmungen zu überwinden. 
Demnach müssen die Hemmungen bei den gehemmten Manischen und Me- 



Geistige Arbeit. 


93 


lancholischen verschiedener Art sein. Sehr wahrscheinlich kommt hier der 
Affektzustand zum Ausdruck; die Hemmung der Melancholischen macht sie 
ängstlich, unzuversichtlich und zögernd, während die Manischen über eine Hem¬ 
mung verfügen, bei der die Expansion des Affektes nicht zurückgedrängt ist. 

5. Täglicher Übungszuwachs inöMinuten. Die erregten Manien und 
Melancholien zeigen einen sehr deutlich stärkeren Ubungszuwachs als die gehemm¬ 
ten Fälle. Ihre Übungsfähigkeit übertriff* sogar die der Gesunden nicht unerheblich. 

6. Durchschnittsleistung in 5 Minuten. Hier stehen die psychomoto¬ 
risch erregten Fälle im Vordergründe und haben neben den Gesunden die besten 
Leistungen; in deutlichem Abstand folgen die gehemmten Fälle. Männliche 
Gesunde haben im allgemeinen größere Leistungen wie weibliche, während 
bei den Kranken, die sich aus Personen der verschiedensten Bildungsstufen 
zusammensetzten, die Männer keine größeren Leistungen zeigten. 

Zusammenfassung. Die Gesunden verlieren während des Ver¬ 
suches einen Teil ihres Interesses am Versuch, der Willensantrieb läßt nach. 
Die Manischen und Depressiven ergeben durchaus widersprechende Re¬ 
sultate, soweit sie nach ihrem Affektzustand betrachtet werden. Trennt man 
sie nach ihrem psychomotorischen Verhalten in je 2 Gruppen, so er¬ 
scheinen gewisse Regelmäßigkeiten. Die Gehemmten haben gemeinsam 
starke Anregung, geringen täglichen Ubungszuwachs und geringe Leistung. 
Die gehemmten Manischen verfügen über geringeren Willensantrieb als die 
gehemmten Melancholischen. Die gehemmte Manie zeigt sehr starke Pausen¬ 
wirkung, die gehemmte Melancholie sehr geringe. 

Die Fälle mit psychomotorischer Erregung zeigen bei Berücksichtigung 
ihres Affektzustandes nur geringe (Jegensätze. Ihr Willensantrieb ist gering, ihre 
Anregbarkeit sehr gering; die Ermüdbarkeit erscheint gemäß des geringen 
eingesetzten Willens gering. Der Übungszuwachs und die Leistung überragt 
die anderen Gruppen. 

Aus den Ausführungen geht mit großer Deutlichkeit hervor, daß 
das psychomotorische Verhalten erheblich charakteristischer ist als 
das affektive. Wesentliche Unterschiede ergeben sich nur in der Stärke der 
Willensanspannung und in der Pausenwirkung bei Gehemmten. Die Willens¬ 
anspannung ist in der gehemmten Manie gering bei sehr starker Pausenwirkung, 
in der gehemmten Melancholie groß bei sehr geringer Pausenwirkung. Es handelt 
sich hier um Widersprüche, die schwer lösbar erscheinen; es handelt sich offenbar 
um fundamentale Gegensätze. Gehemmte Manische sind trotz geringer Leistungs¬ 
fähigkeit sehr ermüdbar; ihr Interesse und ihr Willenseinsatz ist bei dem traum¬ 
haften Vorbeidenken an dem Zwecke der Arbeit sehr gering. Umgekehrt ver¬ 
halten sich die gehemmten Melancholischen, ihre Hemmung ist so schwer ver¬ 
ankert, daß sie trotz guten Willenseinsatzes und starker Anregbarkeit während 
der Arbeit, welche nur geringe Leistungen zuwege bringt, versagt. Wir sehen, 
daß die Probleme bei weiterem Eindringen in die Grundlagen, wie es der natur¬ 
wissenschaftlichen Erfahrung entspricht, verwickelter statt einfacher werden. 

Anknüpfend an die Wichtigkeit des psychomotorischen Verhaltens soll 
die geistige Arbeit der Manisch-Melancholischen geprüft werden in einer Ein¬ 
teilung nach der Art und Stärke dieser Störung. 

Psychomotilität und geistige Arbeit. Es sind hier 4 große Gruppen 
zu unterscheiden: 1. Gesunde, 2. Gehemmte, 3. Personen, bei denen weder Hem- 



94 


Symptome. 


mung noch Erregung nachweisbar ist, 4. Erregte. Die Gruppen der Gehemmten 
und Erregten zerfallen je in 2 Untergruppen leichterer und schwererer Fälle. 
Der Antrieb vor der Pause steigt mit der Stärke der psychomotorischen 
Störung; der Antrieb nach der Pause zeigt sehr verschiedenartige Verhältnisse; 
bei den Gesunden ist er am geringsten. Die unmittelbare Pausenwirkung ist 
bei den schwer Gehemmten, offenbar der Anregbarkeit entsprechend, am 
stärksten. Die allgemeine Pausenwirkuag ist bei den Gehemmten etwas größer 
wie bei den Erregten; das Resultat ist zu erwarten, nachdem wir gesehen haben, 
daß hier der Affekt wesentlichen Einfluß ausübt; bei der Vermengung der 
Gruppen affektiver Störung wird dies rechnerisch ausgeglichen. Der täg¬ 
liche Übungszuwachs ist bei den leicht Erregten am größten, überhaupt bei 
Erregten größer wie bei den Gehemmten. Die Leistung der Erregten ist er¬ 
heblich größer wie die der Gehemmten; die geringste Leistung zeigen die 
schwer Gehemmten. Die Nichtgehemmten und Nichterregten nähern sich 
in ihrer geistigen Arbeit den Gesunden, nur in bezug auf die Pausenwirkung 
lassen sie einen sehr deutlich in die Augen fallenden Unterschied erkennen; 
ihre Pausenwirkung ist sehr gering, geringer wie die anderer Kranker. 

Fassen wir die Resultate zusammen, so ergibt sich: die psychomotori¬ 
schen Störungen sind einheitlicher und erscheinen demnach, was die geistige 
Arbeit betrifft, wichtiger wie die Affektstörungen. Die gehemmten Kranken 
sind die anregbarsten im Verlaufe der Arbeit; ihre Leistungen sind entsprechend 
der Schwere der Hemmung die geringsten. Der Willensantrieb ist am geringsten 
bei den leicht Gehemmten. Der Antrieb nach der Pause ist bei den Kranken 
stärker wie bei Gesunden. Besteht keine erkennbare psychomotorische Störung, 
so ist die Pausenwirkung am geringsten. Gehemmte Manische haben bei ge¬ 
ringen Leistungen und geringem Antrieb die stärkste Pausenwirkung; die 
gehemmten Melancholischen haben die geringste Pausenwirkung bei geringen 
Leistungen und starkem Antrieb. Sowohl allgemeine Pausenwirkung wie 
Leistung sind bei Gesunden stärker wie bei Kranken; der Antrieb Gesunder 
nach der Pause ist geringer wie bei Kranken. 

Wenn wir versuchen, die gewonnenen Resultate mit den klinischen 
Erfahrungen in Einklang zu bringen, so ist es uns einleuchtend, daß im 
ganzen die Leistungen der Kranken geringer sind als bei Gesunden, selbst die 
Leistungen der Manischen kommen nicht an die der Gesunden heran. Ebenso¬ 
wenig Widerspruch findet die Tatsache, daß die gehemmten Kranken am 
wenigsten leisten. Daß gehemmte Kranke, insbesondere Melancholische, anregbar 
sind und während der Arbeit gewisse Hemmungen überwinden können, ist eine 
gewöhnliche klinische Erfahrung. Ebenso ist bekannt, daß gehemmte Melan¬ 
cholische im ganzen einer gesetzten Aufgabe gegenüber mit starker Einsetzung 
des Willens gegenübertreten, soweit die Hemmung nicht sehr tiefgehender 
Art ist. Daß die Hemmungen dieser Kranken sehr schwer zu durchbrechen 
sind, ist unzweifelhaft. Anders ist es mit unserer experimentellen Erfahrung, 
daß der Willensantrieb bei den leicht Gehemmten am geringsten ist; man sollte 
eher denken, daß gerade die schwer Gehemmten den geringsten Willensantrieb 
zeigen. Es zeigt sich also, daß der Willensantrieb um so stärker ist, je höheren 
Grad die Hemmung erreicht. 

Die schwierigste Frage ist die Deutung der Pausenwirkung. Es geht 
aus den Versuchen unzweifelhaft hervor, daß man die Pausenwirkung nur bei 



Geistige Arbeit. 


95 


Gesunden und bei einem Teil der Kranken, im wesentlichen den gehemmten 
Manischen, als Ermüdbarkeit auffassen kann. Bei den psychomotorisch Erregten 
sprechen die großen Leistungen gegen und der verhältnismäßig geringe Willens¬ 
antrieb für eine geringe Ermüdbarkeit. Man könnte sich vorstellen, daß diese 
Kranken bei stärkerem Willensantrieb mehr geleistet und ermüdbarer geworden 
wären. Es würde demnach bei diesen Kranken der geringe Willensantrieb ur¬ 
sächlich das wichtigere Moment sein. Bei den gehemmten Melancholischen 
handelt es sich offenbar um eine Hemmung, welche den gehemmten Manischen 
fehlt, und welche den ganzen Versuch über dauert. Die Versuchspersonen, 
bei denen weder Hemmung noch Erregung klinisch in Erscheinung tritt, nähern 
sich in ihrer geistigen Arbeit sichtlich den Gesunden und den leicht Erregten; 
letzteren stehen sie in ihrer Pausenwirkung besonders nahe. Es wäre also das 
Problem zu lösen, ob im manisch-melancholischen Irresein bei Übergang von einer 
Phase zur anderen oder zur Gesundung die geringe Pausenwirkung und ver¬ 
änderte Antriebsstärke charakteristisch sind. Bezüglich der Resultate bei ge¬ 
hemmten Manischen und Melancholischen steht uns ein Vergleich mit dem 
klinischen Verhalten nioht zur Verfügung. 

Von besonderer Bedeutung bei Beurteilung der Bewertung unserer Re¬ 
sultate sind Versuche, welche bei 3 Kranken unternommen worden sind (Tafel 12 d). 
Die Kranke J. hatte eine erregte Melancholie (erste Säule jeder Gruppe) durch¬ 
gemacht und zeigte zur Zeit der 2. Untersuchung (zweite Säule jeder Gruppe) 
einen Zustand, der als Übergang zur Gesundung betrachtet wurde; es waren 
weder psychomotorische Erregung noch psychomotorische Hemmung vor¬ 
handen. Die Kranke zeigt Abnahme des Antriebs, Zunahme der Pausenwirkung, 
welche minus gewesen war, Abnahme des Ubungszuwachses und Erhöhung 
der Leistung. Im ganzen nähern sich also ihre Leistungen dem Normalen und 
insbesondere der Gruppe ohne psychomotorische Störungen, nur die Abnahme 
des Übungszuwachses entspricht nicht. Ähnlich sind die Resultate bei den 
2 folgenden Kranken Br. und Ba.; die erster© war von einer schweren gehemmten 
Melancholie, die letztere von einer melancholischen Erregung genesen. Der 
Antrieb nahm bei beiden ab, die Leistung schnellte in die Höhe. Die Pausen¬ 
wirkung zeigte verschiedenes Verhalten, der Übungszuwachs war ein beträcht¬ 
licher. 

Wenn wir einzelne Fälle betrachten, können wir nicht erwarten, 
daß sie uns das Typische bieten, das wir bei einem Durchschnitt der Fälle er¬ 
kennen. Gemeinsam ist sämtlichen Fällen bei der Besserung bzw. Genesung 
einer Verminderung des Antriebs, eine sehr geringe Pausenwirkung, ferner 
eine Zunahme der Leistungen. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, daß 
die Besserung zunächst mit einer größeren Leistungsfähigkeit beginnt, der 
das Normalwerden des Antriebs und der Pausenwirkung folgt. Sehr wahr¬ 
scheinlich werden die manisch-melancholisch Kranken auch in der Zeit relativer 
Gesundheit gewisse Störungen bieten, die wir ausgesprochen in den Krankheits¬ 
phasen vorfinden. 

Die Tafel 12 e gibt die Verschiebung der Faktoren geistiger Arbeit bei den 
drei angeführten Kranken. 

Tafel 13 zeigt die Verschiebung, wenn wir einen aus der Depression 
in Manie übergehenden Fall uns aus dem Durchschnitte der Resultate konstruieren; 
Tafel 12a, b, c bezeichnen dasselbe nach dem psychomotorischen Verhalten. 



96 


Symptome. 


Ergebnis der Versuche 


a) geschieden nach Affektzustand 


— * 

gehemmte 

erregte jgehemmte 

erregte 

Gesunde 


Melanch. 

Melanch. 

Manie 

Manie 

Täglicher Übungszuwachs in 5' . . . 

5,8 

11,2 

3,8 

14 

i 

8,3 

Allgemeine Pausenwirkung . . in % 

2,2 

1.9 

8,6 

1,6 

7,2 

Unmittelbare Pausenwirkung . „ 

13 

2,7 

11.3 ! 

5,2 

9 

Antrieb vor der Pause. ... „ 

8,8 | 

6,3 

1 

4,7 

6,5 

Antrieb nach der Pause ... „ 

9,6 

2 

5.8 

5.1 

1,3 

Durchschnittsleistung in 5'. 

98,3 

141.8 

113,9 

171 

181,1 


b) geschieden nach psychomotorischem Verfallen. 



schwere 

Hemmung 

keine 

leichte Hemmung 
Hemmung keine 

| Errr gung 

leichte 

1 Erregung 

schwere 

Erregung 

Gesunde 

Tgl. Übungszuwachs in 5' . 

3,9 

9 10,6 

14,1 

7,3 

8,3 

Allgem. Pausenwirkung in % 

4,5 

4,8 3,0 

3,3 

4,1 

7,2 

Unmittelb. Pausenwirkg. ,, 

13,8 

5,6 8,9 

9,1 

7 

9 

Antrieb vor der Pause . „ 

9,1 

1,5 5,3 

5,0 

7,9 

6,5 

Antrieb nach der Pause „ 

10,7 

3,9 5,7 

11,4 

2,6 

1,3 

Durchschnittsleistung in 5' 

87,6 

148 151,7 

! 167,6 

1 

139,5 j 

181,1 


Die angefügten Kurven (Tafel 14e—f), deren Vergleich mit denen beim 
Ablenkungsversuch (Tafel 14a—d) nicht ohne Interesse ist, zeigen den Verlauf 
der täglichen Arbeitsleistung in jeder Minute; die Pausenlosen- und Pausen¬ 
tage sind getrennt dargestellt. 


1) Soziales Verhalten. 

1. Selbstvernichtungstrieb. 

Die depressive Stimmung zeitigt bei allen Arten von Psychosen in mehr 
oder minder bedeutendem Maße den Wunsch, sich einer als unerträglich emp¬ 
fundenen Situation zu entziehen. Mißlich ist die Situation entweder durch 
die Gemütsverstiramung selbst oder durch die daran anknüpfenden Wahnvorstel¬ 
lungen und Sinnestäuschungen. Es tauchen bei den Kranken Gedanken auf, nicht 
mehr leben zu können und zu wollen, weil die Situation ihrer Meinung nach 
das Leben nicht mehr schätzenswert macht, weil sie die Zukunft als eine un¬ 
glückliche ansehen, oder weil sie in der vergangenen Zeit Fehler begangen zu 
haben glauben, welche nicht mehr gut zu machen sind. An solche Vorstellungen 
schließen sich bei den willenskräftigeren Persönlichkeiten Versuche an, sich 
ernstlich zu beschädigen, bzw. sich das Leben zu nehmen. Ob der Versuch 
gelingt, das hängt oft von Zufälligkeiten, von der Aufsicht usw. ab. 

Den Typus dieser Verstimmung stellt die Melancholie im manisch-melan¬ 
cholischen Irresein dar; in diesen Depressionen und in den Verstimmungen 








Soziale« Verhalten. 


07 


der Epileptiker ist der Selbstvemichtungstrieb am meisten vorhanden. In 
meinem Materiale finden sich in 45 % der Fälle Willensantriebe zur Selbst- 
vemiehtung, und zwar bei 31 % Männern und 69 % Frauen. Die Geschlechter 
stehen in den dem manisch-melancholischen Irresein entsprechenden Zahlen¬ 
verhältnissen zueinander. Die Frau ist nicht in größerem Maße beteiligt, obwohl 
ja behauptet wird, daß das Gemüt der Frau eindrucksfähiger sei, und daß sie 
infolge mangelnder Willenserziehung geneigt sei, Gemütseindrücken rasch durch 
Willensimpulse die Handlung folgen zu lassen. 

Was die Altersstufen betrifft, so sind die Jahre bis zur Involution sehr 
bevorzugt; die größte Zahl trifft auf die Zeit vom 31.—40. Lebensjahr. Ver¬ 
gleichen wir die klinischen Formen, so finden wir mit 53 °/ 0 die zirkulären und 
mit 38 °/ 0 die rein depressiven Erscheinungsformen vertreten. In bei weitem 
den meisten Fällen ist eine Willenserregung vorhanden, nur ca. 1 / 6 der Fälle 
weist eine Hemmung der Willenstätigkeit auf. Wenig ausgeprägt verhält sich 
die Pöychomotilität, immerhin überwiegt auch hier die Erregung über die 
Hemmung. 

In nicht ganz der Hälfte der Fälle kam es zu Selbstmordversuchen. 
Dabei ist das höhere Alter auffallend bevorzugt. Während auf die Altersstufe 
von 21—40 Jahren 38 Fälle mit Selbstmordversuchen fallen, kommen auf das 
40.—60. Jahr 48 Fälle, und selbst das siebente Jahrzehnt weist noch 12 Fälle 
auf. Die Willenstätigkeit erscheint durch das Alter nach dieser Richtung hin 
begünstigt zu werden. Das psychomotorische Verhalten weist keine besonderen 
Differenzen auf; die rein depressiven Formen treten stark hervor. 

In einer Reihe von Fällen ist es zu verschiedenen Zeiten zu wieder¬ 
holten Suicidversuchen gekommen. In meinem Materiale finden sich 
15 solche Fälle, darunter 14 Frauen und 1 Mann. Die starke Differenz in der 
Beteiligung der Geschlechter ist nicht ohne weiteres erklärbar, und es ist möglich, 
daß es sich dabei um Zufälligkeiten im Material handelt. Meist sind es zirkuläre 
Fälle, welche bei Wiedereintreten der Depression Suicidversuche machen. 
Die Internierung in der Anstalt verhinderte dann meist weitere solche Versuche, 
so daß wir die Selbstmordversuche meist bei Eintritt der Depression vor der 
Anstaltsbehandlung finden. Ein typischer Fall mit zirkulärem Verlaufe soll 
in seinem Lebenslauf angeführt sein (Tafel 16y). • 

Es erscheint nicht uninteressant, nachzuforschen, ob in den Fällen mit 
vollführtem und versuchtem Selbstmord in der Familie Selbstmordversuche 
häufiger vorgekommen sind. Dabei zeigt sich, daß dies in ca. jedem 8. Falle, 
also bei recht wenigen Kranken der Fall ist. In 4 Fällen vom ganzen Material 
wurde Selbstmord verübt (ca. 1 °/ 0 ); diese Zahl beweist an sich sehr wenig, 
weil die meisten Selbstmordfälle bei nicht erkannten oder nicht behandelten 
Fällen Vorkommen. Bekannt istj daß manche Stämme besonders leicht zu 
Selbstmordversuchen neigen und diese auch ausführen. Die Angehörigen des 
sächsischen Volksstammes schreiten besonders häufig zu Suicid, allerdings ohne 
daß diese Lebensüberdrüssigen alle oder auch nur zum größeren Teil manisch¬ 
melancholisch wären. 

Weiterhin sei noch darauf hingewiesen, daß das Bestehen einer psychomo¬ 
torischen Hemmung, sogar schwerer Art, nicht davor sichert, daß der Kranke 
plötzlich im Affekte die Hemmung durchbricht (Raptus melancholicus) und an 
den Selbstmord herangeht. Die tägliche Erfahrung zeigt, daß selbst bei geordneten 

fiehm, Das manisch-ruelanchollBche Irresein. 7 



98 


Symptome. 


gehemmten Kranken diese Hemmung für kürzere oder längere Zeit durchbroohei 
werden kann. Wir haben ja oben schon von Fällen gesprochen, die außer 
ordentlich kurze Schwankungen in der Affektlage aufweisen. loh glaube, daJ 
bei verwirrten gehemmten Kranken, also bei schweren allgemeinen Zu 
ständen, die Gefahr eines Suicids am geringsten ist. So ist es auch ver 
ständlich, daß von den meisten Kranken die kürzeste und einfachst 
Methode vorgezogen wird. Am häufigsten versuchen die Kranken, siel 
aus dem Fenster zu stürzen, sie springen in einen Fluß oder See, si 
versuchen, sich zu erhängen und überfahren zu lassen. Erschießen un< 
Vergiften, als Handlungen, welche einer gewissen Vorbereitung bedürfen 
kommen verhältnismäßig selten vor. Bei ungeordneten und verwirrten Krank e i 
treffen wir kompliziertere Methoden. So versuchte eine Kranke, sich zu er 
drosseln, eine andere sich auszuhungem. Eine delirante Kranke versuchte siel 
die Augen auszubohren und die Finger abzubeißen. 

Nicht unerwähnt möge bleiben, daß manche Kranke ein unbestimmte 
Gefühl für die Gefahr, welche ihnen aus sich selbst heraus droht, haben; si< 
suchen, ihren Selbstmordtrieb mit aller Willenskraft zu unterdrücken; es is 
ein Kampf zwischen gesundem Willen und pathologischem Selbstvemichtungs 
trieb. So erzählte eine Kranke, sie habe fortwährend den Drang, sich wa 
anzutun; sie habe sich mit aller Mühe davon zurückgehalten und habe jeglich 
Gelegenheit, z. B. Bootfahren, vermieden; sie habe schließlich selbst gebeten 
sie unter Aufsicht zu stellen. 

2. Unsoziale Triebe. 

Etwa 3 % der Kranken des Gesamtmaterials zeigen verbrecherisch« 
Neigungen und haben im Laufe des Lebens Strafen für gesetzwidrige Hand 
lungen erhalten. Natürlicherweise handelt es sich größtenteils um Männei 
und zwar sind es durchweg chronisch verlaufende Fälle, d. h. Fälle, in denei 
es sehr selten zu freien Zwischenräumen in dem jahrelang andauernden Ver 
laufe kommt. Meist ist es ein zirkulärer Verlauf, in einzelnen handelt es sic] 
um chronisch hypomanische Zustände. Als Straftaten kommen vor allen 
Widerstand gegen die Staatsgewalt, Angriff gegen Vorgesetzte, Beleidigung 
Diebstahl, Unterschlagung und Landstreicherei in Betracht. Trunksucht is 
in solchen Fällen öfters mit der Psychose vereinigt. 

Während die genannten Reate bei Männern vorherrschen, stehen be 
Frauen Landstreicherei, Unzucht und Betrug im Vordergründe. Roheits 
delikte scheinen bei den manisch-melancholischen Kranken seltener zu sein 

Diesen Kranken, welche am besten als Verbrecher mit manisch-melancholi 
sehen Zuständen bezeichnet werden, möchte ich einige zufügen, in denen di« 
Absicht zu einer Straftat unmittelbar krankhaften Vorstellungen entsprungei 
ist. Es handelt sich um akute, schwere Affektzustände, welche die Willens 
beherrschung beeinträchtigt haben, — auch hier wieder der Kampf zwischei 
Wille, der durch den Affekt regiert wird und der Psyehomotilität. So versucht 
ein kranker Lehrer, welcher sich in einer Melancholie mit psychomotorische 
Erregung befand, seinem Sohne den Hals abzuschneiden und seine Tochte 
zu erdrosseln. Das Motiv war, er werde verachtet, seine Frau vergifte ihn un< 
seine Kinder seien falsch gegen ihn. Eine 36jährige Kranke, welche an de: 
chronischen zirkulären Form der manisch-melancholischen Psychose litt, äußert 



Soziales Verhalten. 


99 


in einer Phase von ängstlicher Depression mit psychomotorischer Erregung, 
sie könne ihren Brüder nicht mehr leiden, sie müsse ihn umbringen. Eine andere 
Kranke in einer erregten Depression verlangte, man solle ihrem Kinde den 
Kopf abschneiden; eine weitere Kranke äußerte, sie wolle den Sohn aus dem 
Fenster werfen, und sprach davön, sich selbst zu töten. 

Auf diese Weise sind die nicht ganz seltenen Fälle zu erklären, in denen - 
depressive Kranke mit ihren Kindern zusammen freiwillig in den Tod gehen. 
Meist sind es Zukunftssorgen krankhafter Art, die diese Handlungen verur¬ 
sachen; so war eine Kranke, welche schon verschiedene Male Selbstmordversuche 
gemacht hatte, mit ihrem Kinde in den Fluß gesprungen, um sich zu ertränken; 
auch hier bestand eine ängstliche depressive Phase des manisch-melancholischen 
Irreseins. 

Die gerichtliche Begutachtung der Fälle kann recht schwierig werden. 
Selbstverständlich ist die Annahme einer geistigen Störung im Sinne des § ßl 
Str.G.B. bei Handlungen, die krankhaften Trieben entspringen. Erschwert 
wird die Beurteilung bei chronischen Fällen leichter Art, insbesondere chroni¬ 
schen Manischen oder konstitutionellen Fällen. Im allgemeinen fallen diese 
Persönlichkeiten unter die künftige Klasse der „vermindert“ Zurechnungs¬ 
fähigen, soweit sie leichter Art sind, bzw. insofeme sie den Psychopathen 
näher stehen als manisch-melancholischen Geisteskranken, deren klinische 
Form sie nur in abgeschwächtem Maße tragen. 

3. Alkoholismus. 

Bei allen Psychosen findet sich als Komplikation von geringerem und 
größerem Einfluß auf das Bild der Erkrankung der akute und chronische 
Alkoholismus. Im allgemeinen kann man die Tatsache als feststehend erachten, 
daß im manisch-melancholischen Irresein der Alkoholismus eine geringe Rolle 
spielt. Freilich darf man nicht übersehen, daß unter den chronischen Alkoho- 
listen eine Anzahl von Persönlichkeiten sich befindet, welche unter dem Ein¬ 
flüsse leichter zyklothymischer Erscheinungen sich dem Alkohol ergeben haben 
und die eine dementsprechende Charakterveränderung im Laufe der Zeit er¬ 
fahren. Weiterhin ist sehr stark zu betonen, daß sich unter den Fällen, welche 
wir als typische Alkoholhalluzinosen bzw. als Alkoholwahnsinn zu bezeichnen 
pflegen, eine Anzahl befindet, welche sich im Verlaufe der Psychose als manisch¬ 
melancholische Fälle, meist Mischzustände, entpuppen. Es ist oft sehr schwierig, 
solche Fälle bei Beginn der Beobachtung richtig zu deuten, und wir müssen 
uns bemühen, die Vorgeschichte solcher Kranker nach zyklothymischen und 
leichten manisch-melancholischen Symptomen zu durchforschen. In dem 
bearbeiteten Material finden sich 13 °/o Fälle, in denen Alkoholismus von Be- . 
deutung ist. Darunter sind 42 Männer und 15 Frauen. Dieser starke Anteil des 
weiblichen Geschlechtes ist auffallend und nur durch die überwiegende Be¬ 
teiligung des Weibes am manisch-melancholischen Irresein überhaupt erklärlich. 

Im folgenden wird zwischen Kranken unterschieden, welche chronische 
Alkoholisten sind, ohne aber erhebliche Schwächezustände davongetragen 
zu haben, und solchen, welche infolge der Erkrankung an manisch-melancholi¬ 
schem Irresein zeitweise trinken. Diese Trunksuchtsperioden können aller¬ 
dings sehr lange sein, je nach der Länge des Krankheitsanfalles. Im allgemeinen 
betrifft es manische Perioden, ausnahmsweise auch psychomotorisch erregte 

7* 



100 


Symptome. 


Melancholien. Hierher gehört auch ein Teil der „Quartalssäufer“, welche ir 
übrigen meist epileptisch sind. 

Für beide Gattungen gilt, daß die Fälle klinisch im allgemeinen nicb 
ungünstig zu verlaufen pflegen, doch sind auch einzelne chronische Fälle, un« 
zwar chronisch zirkuläre, chronisch manische und chronisch depressive, daruntei 

Dem Umfange nach halten sich beide Gruppen ungefähr das Gleichge 
wicht, auch in bezug auf die Beteiligung der beiden Geschlechter. Auffallen« 
ist, daß weitaus die meisten der in Betracht kommenden Fälle eine Erregun, 
der Psychomotilität auf weisen; psychomotorisch gehemmte Fälle finden sic' 
nur ganz vereinzelt darunter. Sehr häufig bestanden Wahnideen und ebenfall 
recht oft Sinnestäuschungen. Dieselben zeigen meist den hysteriforme: 
Charakter verwaschener Gesichtstäuschungen in Gestalt von Gespensterr 
Totenköpfen usw. Gehörstäuschungen, welche den alkoholischen Psychosei 
vor allem eigen sind, finden sich nicht darunter. In einem Falle war das de 
pressive Stadium mit alkoholdeliranten Zügen vermengt ; es handelte sich ur 
einen Fall, in dem schon im früheren Leben leichte Schwankungen im manisch 
melancholischen Sinne nachzuweisen waren. In einer ängstlichen Depressio: 
mit psychomotorischer Erregung, bei welcher Selbstvorwürfe und Verarmungs 
wahn bestanden, trank der Kranke 10—12 Liter Bier täglich, die Angst steigert 
sich und der Kranke machte einen unbeholfenen Selbstmordversuch. Bei de 
Aufnahme zeigten sich grober Tremor, Unruhe, Suggestibilität und Tiervisione: 
neben typisch depressiven Symptomen. Nach einigen Tagen klangen die deli 
ranten Symptome ab und eine schwere Depression mit mehr und mehr deutlic] 
werdenden Hemmungssymptomen lag klar zutage. 

4. Sexualität. 

Das sexuelle Verhalten der manisch-melancholischen Kranken ist naci 
verschiedenen Richtungen hin von Wichtigkeit. In der Mehrzahl der Fäll 
handelt es sioh um eine allgemeine sexuelle Erregbarkeit, meist im manische] 
Stadium, seltener in der depressiven Zeit. Dann* kommen Fälle vor, bei dene] 
nach Art einer Zyklothymie, zu deren Gebiet man solche Zustände meine 
Meinung nach rechnen kann, von Jugend, ja sogar von Kindheit an, zuweile] 
Aufregungszustände auftreten, die besonders mit geschlechtlicher Erregun,« 
verbunden sind. Daß die geschlechtliche Erregung bei manischen Kranke] 
in Verbindung mit sexuellen Exzessen in der Erregung zu Infektionen, be 
sonders auch zu Syphilis führen kann, ist bekannt. Mir scheint es aber vo] 
Wichtigkeit zu sein, noch besonders darauf hinzuweisen, weil es nicht gan 
selten vorkommt, daß periodische Fälle manisch-melancholischer Art in de 
Anamnese Syphilis vermerkt haben. Es ist dadurch nun durchaus nicht ge 
sagt, daß die Syphilis ätiologisch für derartige spätere Erkrankungen haftba 
gemacht werden muß, sondern es kann sich im Gegenteil so verhalten, daß de 
Kranke in einer manischen bzw. hypomanischen, vielleicht auch nur zyklo 
thymisohen Erregung sioh die Geschlechtskrankheit zugezogen hat. Dies« 
Auffassung hat auch für Fälle von Himlues und Metalues Geltung, bei denei 
derartige Psychosen zur Beobachtung kommen. Das ätiologische Momen 
der Syphilis als Ursache von Erkrankungen, welche dem manisch-melancholi 
sehen Formenkreise angehören, ist nicht sichergestellt. Ich glaube, man tu 
gut, nicht von manisch-melancholischen Erkrankungen bei Hirnlues zu sprechen 



Soziales Verhalten. 


101 


sondern von einem manisch-melancholischen Irresein, das — zufällig — mit 
Himlues kombiniert ist. Ähnlich sind die Verhältnisse Beim Alkoholismus 
und Morphinismus usw. gelagert. 

Daß es bei solchen sexuell erregten Kranken gelegentlich zu Verbrechen 
deren Ursache der geschlechtlichen Sphäre entstammt, kommen kann, ist 
verständlich. So verübte ein manischer, 19 Jahre alter, manisch-melancho¬ 
lisch belasteter Kranker, der sexuell außerordentlich erregt war, an einem 
Kinde ein Sittlichkeitsverbrechen, welches schließlich die Ursache seiner Auf¬ 
nahme in einer Anstalt wurde. In einem anderen Falle artete der Geschlechts¬ 
trieb bei einem degenerierten, chronisch manischen, verbrecherischen Kranken 
in Masochismus und Sadismus aus. 

Das Eintreten der Pubertät und der Menstruation, ferner der Einfluß 
der Menopause auf das manisch-melancholische Irresein ist sin anderen Stellen 
besprochen. 

Zu erwähnen ist noch der Einfluß von Entbindung während der Psychose 
auf den Verlauf derselben. In den meisten Fällen geht die Entbindung, ohne 
den geringsten Einfluß auf die Psychose auszuüben, von statten. Die Kranken 
pflegen sich nach Ablauf der Geburt zunächst oft um ihre Kinder kaum zu 
kümmern. Zweifellos ist das Verhalten der Kranken von der Intensität der 
Erkrankung abhängig. Bei einer 25jährigen Kranken, welche früher einen 
Abort durchgemacht hatte, vollzog sich die Geburt mitten in einem schweren 
manischen Stupor, der dadurch keinerlei Änderung erlitt. Ähnlich war das 
Verhalten bei einer periodisch manischen Kranken, welche in den anfallsfreien 
Zeiten gebar, ohne daß sich daran Anfälle geschlossen hätten. Bei einer weiteren 
Kranken schloß sich eine Melancholie an einen spontanen Abort an, während 
ein früherer Abort während einer Depression keinerlei Einfluß auf das psychische 
Befinden ausgeübt hatte. Wir sehen, daß eine Entbindung meist ohne irgend¬ 
welchen Einfluß auf die Erkrankung vonstatten geht. Man hat deshalb auch 
keine Ursache, bei manisch-melancholischen Kranken einen künstlichen Abort 
wegen bestehender oder drohender Erkrankung zu unternehmen. Ähnlich 
scheinen die Verhältnisse für die Gravidität und Laktation zu liegen. Mir ist 
kein Fall bekannt, wo diese Zustände von Einfluß auf die Psychose gewesen sind. 

Daß bei geschlechtlich erregten Kranken Onanie vorkommt, und zwar 
sowohl bei Melancholischen wie bei Manischen, ist allgemein bekannt. In un¬ 
gewöhnlich starkem und ungeniertem Maße onanierte eine 51 jährige melancholi¬ 
sche Kranke, die gleichzeitig an Zwangsvorstellungen, welche mit den ge¬ 
schlechtlichen Vorgängen keinerlei Zusammenhang hatten, litt. Ein Kranker 
onanierte in der gereizt manischen Stimmung ungeniert vor der Kranken¬ 
schwester. Bei ca. 3 °/ 0 der manisch-melancholischen Kranken handelte es 
sich mit geringen Ausnahmen um geschlechtliche Erregung in der manischen 
Phase. Meist waren es Kranke weiblichen Geschlechts. Eine 58jährige 
Dame sprach in der manischen Erregung davon, Mätresse des Königs werden 
zu wollen. 


m) Krankheitsgefühl und -Verständnis« 

Das Krankheitsgefühl ist als ein geringer Grad von Krankheitsver- 
Mtändnis angesehen. Es tritt bei Ablauf der Erkrankung früher als das letztere 



102 


Symptome. 


ein und pflegt das letztere vorzubereiten. Dabei handelt es sich um der 
bestimmten Eindruck der Krankheit auf die erkrankten Personen. Das 
Krankheitsgefühl ist bei den meisten Kranken, die an manisch-melan¬ 
cholischem Irresein leiden, vorhanden. Nur bei den schwersten Verwirrt¬ 
heitszuständen gelingt es uns nicht, von den Kranken das Zugeständnis 
des Krankseins zu erhalten. Bei den depressiven Kranken wird es durch 
das vorhandene Insuffizienzgefühl häufig sehr verstärkt, ohno daß es 
deshalb zur Krankheitseinsicht käme. Nicht selten dissimulieren die 
depressiven Kranken aus wahnhaften Vorstellungen, insbesondere Unwürdig¬ 
keitsgefühlen, heraus. Die Krankheitseinsicht gehört zu den Kriterien, 
die wir bei der Annahme der Gesundung verlangen. Sie pflegt in Fällen, in 
denen schwere Verwirrtheitszustände vorhergegangen waren, vor der Erinnerung 
an diese Zustände einzutreten. Im allgemeinen tritt sie mit Gesundung ein, 
recht oft aber auch schon vorher, wenn die schweren Symptome langsam ab- 
klingen und leichter werden. Doch kommt es vor, daß ganz ruhige und geordnete 
Kranke keine Einsicht für ihren gegenwärtigen oder zurückliegenden Zustand 
haben. Die Einsicht pflegt sich im allgemeinen an die Affektveränderung als 
den eindrucksfähigsten Teil der Erkrankung und an deren zeitlichen Ablauf 
zu halten. Klingt z. B. eine manische Erregung allmählich ab, und schickt 
sie sich an, in einen Depressionszustand überzugehen, so pflegt schon während 
des Abklingens der Manie Einsicht für die Manie zu dämmern und umgekehrt. 

Nun kommt es aber vor, daß Manie und Depression brüsk, ohne langsamen 
Übergang mit dazwischenliegender Remission nach dem Typus Manie — Hypo¬ 
manie — Mischzustand — leichte Melancholie — Melancholie abwechseln; dann 
besteht für das vergangene Stadium keine Einsicht, sondern es tritt das Krank¬ 
heitsverständnis erst nach Abklingen des Doppelstadiums ein. Bei den chronisch 
verlaufenden Fällen kommt es vereinzelt vor, daß die Einsicht für den zurück¬ 
liegenden Zustand nur eine teilweise ist. Ich habe dabei im wesentlichen para¬ 
noisch geartete Fälle von manisch-melancholischem Irresein im Auge. So 
kenne ich einen Fall, bei dem systematisierte Verfolgungs- und Größenideen 
in dem schweren manischen Stadium bestanden, dann in hypomanische und 
leicht depressive Zeiten, ohne korrigiert zu werden, mit hinübergenommen 
wurden. Für den krankhaften Affektzustand bestand Einsicht, nicht aber 
für die Wahnvorstellungen. Bei einem zweiten Fall besteht die Krankheit 
seit 12 Jahren; sie begann mit einer 7jährigen Manie mit Gereiztheit, Zom- 
mütigkeit und Größenideen; der Kranke behauptete, er sei Antichrist, ein 
gottähnliches Wesen usw. Die Melancholie trat nach einem dazwischenliegenden 
Mischstadium mit vorwiegend hypochondrischen Vorstellungen ein. Die Wahn¬ 
stellungen traten nun wohl in den Hintergrund, wurden aber nicht korrigiert 
und selbst in der Depression mit leichtem Sarkasmus abgetan. Nach einer nun 
11 Jahre anhaltenden Melancholie bereitet sich bei dem jetzt 69 jährigen Kranken 
der Umschwung zu einer neuen Manie vor; die paranoischen Vorstellungen 
treten wieder in den Vordergrund. Bei diesen Fällen scheint es sich nun um 
einen paranoischen Symptomenkomplex zu handeln, dessen Verankerung 
eine besonders feste ist, und der mit der Affektstörung primär nur lose zusammen¬ 
hängt, aber meiner Ansicht nach wohl in dem Krankheitsprozeß als solchem 
begründet ist. 



Krankheitsgefühl und -Verständnis. 


103 


Die Einsicht bzw. das Verständnis für die Krankheit tritt in manchen 
Fällen ebenso plötzlich ein, wie die gesamte psychische Störung zurückgeht. 
So äußerte ein Kranker, es sei so eigentümlich, daß man zur Zeit der Erregung 
sich absolut nicht überzeugen könne, daß man krank sei; plötzlich, wenn die 
Erregung vorüber sei, komme die Einsicht über einen. 

Eine Kranke, die seit 15 Jahren fast ununterbrochen krank war, äußerte 
sich, nachdem Einsicht und Erinnerung eingetreten war, folgendermaßen über 
den kurz vorher durchgemachten schweren deliranten Zustand: sie habe einen 
bösen Traum, ein schweres Unglück überstanden. Sie habe sich für tot ge¬ 
halten; sie habe geglaubt, sie sei in der Unterwelt, in der sie von bösen und guten 
Seelen (nämlich den Kranken) umgeben sei; sie habe sich in einer entsetzlichen 
Hemmung befunden, habe keine Auskunft geben, keinen Gruß erwidern dürfen 
und habe manchmal stundenlang nicht die geringste Bewegung machen können. 
Die Gesichter und Gestalten ihrer Angehörigen habe sie in den Ecken und durch 
die Fenster mit leidendem Gesichtsausdruck und vorwurfsvollen Gebärden 
gesehen. Ihr Mann sei beständig als Geist durch das Gebäude geschwebt. Für 
ihn und für ihre Tochter habe sie Leiden ertragen, sich selbst quälen und die 
Nahrungsaufnahme verweigern müssen. Die ihr gereichten Speisen habe sie 
öfters für ihren Mann an das offene Fenster gestellt. (Dazu kamen Gesichts-, 
Gehörs- und Geschmackstäuschungen.) 


F. Gruppierung. 

I. Verlaufsformell, 

a) Ersterkrankungen. 

Die Verhältnisse der Ersterkrankungen sind, soweit sie die Altersstufe 
und das Geschlecht betreffen, oben schon besprochen worden. Wir müssen 
bei Betrachtung dieses Kapitels die einmaligen Erkrankungen, welche nach 
gewisser Richtung hin zu den Ersterkrankungen zu zählen sind, von den peri¬ 
odischen Erkrankungsfällen trennen. 

Unter den Erst- bzw. einmaligen Erkrankungen finden sich 
73 °/ 0 Fälle, welche entweder dauernd oder einige Zeit während des Verlaufes 
der Krankheitsperiode Mischzustände aufweisen. Diese Zahl ist ganz auf¬ 
fallend hoch; dabei ist in Betracht zu ziehen, daß es sich hier nur um selbst 
beobachtete Fälle handelt, während bei den periodischen Fällen natürlicher¬ 
weise eine große Anzahl katamnestisch ergänzt werden mußte; immerhin ist 
der Unterschied so bedeutend, daß er auf dieses Moment allein nicht zurück¬ 
zuführen sein dürfte. Ich kann keine ausreichende Erklärung geben. 

Bei den Fällen periodischer Art beträgt der Prozentsatz der Mischzu¬ 
stände in Bezug auf Ersterkrankungen nur 22. Und zwar unterscheiden sich 
hier die einzelnen Arten peripdischer Erkrankungen, wie folgt: Die periodisch 
zirkulären Fälle, welche bei weitem in der Überzahl sind, haben 23 %, die 
periodisch manischen 12 °/ 0 , die periodisch depressiven 19 % Mischzustände 
in den Ersterkrankungen. 

Die meisten der periodisch zirkulären Fälle beginnen mit zirkulären 
Phasen (39 %), dann folgen der Zahl nach die mit depressiven Phasen be¬ 
ginnenden (33 °/o) un d die mit manischen Phasen beginnenden (28 °/ 0 ). 



104 


Gruppierung. 


Was die Prognose der Ersterkrankungen betrifft, so ist dieselbe außei 
ordentlich günstig; nur 5% der Fälle nehmen in der ersten Phase chronischer 
d. h. ungünstigen Charakter an; doch ist die Dauer häufig keine kurze; sie kan: 
sich schon auf Jahre hinaus erstrecken. Diese günstige Prognose erschein 
mir von großer Wichtigkeit. 

b) Einmalige Erkrankungen. 

Ein großer Teil der Erkrankungen manisch-melancholischer Art kommt 
wie bekannt ist, nur einmal während des Lebens zur Erscheinung. Es handel 
sich dabei um kurzfristige und lange dauernde Anfälle, welche alle Formel 
des Irreseins umfassen. 

Es ist von jeher der Einwand gemacht worden, daß dieses häufige ein 
malige Auftreten dagegen spreche, daß die Periodizität der Erscheinungsforn 
diagnostisch wichtig sei und daß deswegen Grund bestehe, grundsätzlich di< 
„einfachen“ Erkrankungen von den „periodischen“ zu trennen. Zweifellos ha* 
dieser Einwand eine gewisse Berechtigung. Aber, wie oben erwähnt, sehen wi: 
bei diesen einmaligen Erkrankungen genau dieselben klinischen- Erscheinungs 
formen, die wir in den einzelnen Phasen bei periodischem Verlaufe wahmehmen 
ferner besteht ein, allerdings kleiner Teil, aus Fällen, in denen die Verlaufsfom 
eine chronische ist; d. h. es kommt bei viele Jahre dauernden, ja das ganz* 
Leben hindurch währenden Erkrankungen zu keinen freien Intervallen 
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß bei einem Teil der hier in Betrachl 
kommenden Fälle das Leben auf einer noch nicht weit vorgeschrittener 
Altersstufe steht. Es ist deshalb zweifellos, daß es bei einer Anzahl vor 
Fällen noch zu weiteren Erkrankungsphasen kommen wird, vielleicht erst 
in der Involution, vielleicht auch erst im hohen Alter. Endlich kommt 
noch der Umstand in Betracht, daß bei vielen Fällen, wie ich in einem früherer 
Kapitel schon ausgeführt habe, nach der „Heilung“ mehr oder minder schwere 
Zustände Vorkommen, bei deren Beurteilung Zweifel obliegen können, ob sie 
noch als physiologisch oder schon als pathologisch anzusehen sind. Dafür 
daß den bisher einmaligen Erkrankungen noch Anfälle folgen können, spricht 
daß ein großer Teil (36%) der Fälle bei der Erkrankung in dem Alter stand 
in welchem die meisten Ersterkrankungen Vorkommen. 

Es handelt sich bei den Fällen von einmaliger Erkrankung um 39 % des Ge 
samtmaterials. 27 % gehören dem männlichen,.73 % dem weiblichen Geschlechts 
an. Das weibliche Geschlecht erscheint demnach begünstigt. Von der ganzen Zah 
gehören 22 % der Involution und einem höheren Alter an. Außer 50 % melancho 
lischer Fälle sind die zirkulären mit 39 %, die rein manischen mit 11 % vertreten 
Demnach neigen die depressiven vor allen anderen zu einmaliger Erkrankung, 
wobei zu berücksichtigen ist, daß die zirkulären Fälle überhaupt bei weitem 
die Mehrzahl der Fälle darstellen. Die chronischen und konstitutionellen Fälle 
welche in diesem Materiale eine kleine und für jede Affektart gleichbleibende 
Zahl ausmachen, und hier nicht eingerechnet sind, würden das Resultat nicht 
wesentlich verändern. 


c) Periodische Erkrankungen. 

Wie es nach der Definition des manisch-melancholischen Irreseins ah 
einer periodisch verlaufenden Psychose selbstverständlich ist, gehört die Mehr 



Periodische Erkrankungen. 


105 


zahl der Fälle (60 %) zu den rein periodischen, während die übrigen den (bisher) 
einmaligen Erkrankungen angehören, von welchen manche später noch Perioden 
zeigen mögen. Von dem Gesamtmaterial sind 37 % männlich und 63 % weiblich. 
Die Vermengung von zeitlich begrenzten manischen und melancholischen 
Abschnitten ist eine außerordentlich starke. So finden wir in dem hier in Be¬ 
tracht kommenden Material 75 % Fälle, welche periodisch zirkulär sind, 19 °/ 0 
mit periodisch melancholisch und nur 6 °/ 0 mit periodisch manischem Verlaufe. 

Die Periodizität habe ich im folgenden unter verschiedenen klinischen 
Gesichtspunkten gesichtet; sie soll an der Hand einer tabellarischen Zusammen¬ 
stellung Punkt für Punkt besprochen werden. 


1. Beginn der periodischen Erkrankungen. 


Beginn 

Periodisch 

manisch 

% 

Periodisch 
melancholisch i 

% 

Periodisch j 
zirkulär 

% 

Gesamt¬ 

zahl 

°/o 

vor dem 30. Lebensjahr 

80 

50 

1 ! 

64 

63 

»> tj 50. m 

13 

48 

28 

31 

nach „ 50. „ 

7 

2 

i 7 

1 ! 

6 


Es ergibt sich, daß die manischen Fälle viel häufiger in jungen Jahren 
beginnen wie die depressiven und auch die zirkulären. Die Melancholien treten 
in ungefähr gleich großer Zahl vor wie nach dem 30. Lebensjahre zum ersten 
Male auf; ein Beweis, daß die Melancholien überhaupt das mittlere Alter ver¬ 
hältnismäßig bevorzugen. Im allgemeinen beginnen die periodischen Erkran¬ 
kungen schon vor dem 30. Lebensjahre; sehr wenige Fälle nehmen nach dem 
50. Jahre ihren Anfang, es sind vor ajlem periodisch manische und zirkuläre 
Formen. 

2. Dauer. 


Dauer von 

Periodisch 

manisch 

% 

Periodisch 

melancholisch 

% 

Periodisch 
zirkulär 1 

% ; 

Gesamt¬ 

zahl 

% 

1 Jahrzehnt und weniger 

53 

35 

30 ! 

33 

2 

13 

33 

31 ; 

30 

3 

13 

21 

24 

22 

4 

7 

6 

9 

8 

5 M 

13 

2 

5 

5 

6 

— 

3 

2 1 

2 


Die Dauer der Psychose hängt zunächst vom Alter der erkrankten Person, 
ferner von der Zeit des Beginnes der Erkrankung ab. Die Zusammenstellung 
ergibt, daß die periodisch manischen Fälle die kürzeste Gesamtdauer zu 
haben pflegen, obwohl sie in der Mehrzahl schon vor dem 30. Lebensjahr er¬ 
kranken. Es liegt nahe, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Prognose dieser 
Fälle verhältnismäßig günstig ist. Die periodisch depressiven und zirkulären 
Fälle zeigen, was die Dauer betrifft, ein allmähliches Absinken, wie es nach 
der Häufigkeit der entsprechenden Altersstufen zu erwarten ist. 














106 Gruppierung. 


3. Zahl der Perioden. 


Zahl 

Periodisch 

manisch 

% 

! Periodisch 
| melancholisch 

; % 

Periodisch 

zirkulär 

% 

Gesamt¬ 

zahl 

% 


2 

60 

50 

| 

33 

38 


3 

7 

15 

1 17 

1 16 


4 

20 

15 

- 10 

! 12 


5 

7 

6 

: s 

7 


6-10 

— 

6 

19 

16 


mehr als 10 

7 

8 

i 11 

11 


Diese Zusammenstellung zeigt das merkwürdige Resultat, daß die pe] 
odisch manischen Fälle die geringste Neigung zu mehrfachen Phasen aufweise: 
die periodisch zirkulären Fälle dagegen haben das Bestreben zur Periodizit 
in ganz erheblichem Maße, indem 30 % der Fälle in 6 und mehr Phasen ar 
treten. Diese Einzelresultate beeinflussen die Gesamtzahl so sehr, daß d 
Zahl der Fälle mit vielfachen gegenüber der mit wenigen Perioden erhe 
lieh ansteigt. 


4. Länge der Perioden. . 


Länge. 

Periodisch 

manisch 

0/ 

/o 

Periodisch 1 
melancholisch 

! % 

Periodisch 
zirkulär 1 

% 

Gesamt¬ 

zahl 

% 

Längerwerden. 

47 

68 

! 

50 

1 53 

Gleichbleiben. 

40 

25 

41 

38 

Kürzerwerden. 

13 

8 

9 

9 


Wir sehen, daß die periodisch melancholischen Fälle am meisten d 
Neigung haben, ihre Perioden zu verlängern. Ein Kürzerwerden ist am häufigste 
bei den periodisch manischen Fällen zu beobachten. Im ganzen ist ein Länge 
werden zu konstatieren, eine Tatsache, welche uns ja längst geläufig ist. 


5. Chronischwerden. 


Chronischwerden 

Periodisch 

manisch 

0/ 

/o 

| Periodisch 
j melancholisch 

i % 

Periodisch 

zirkulär 

% 

Gesamt¬ 

zahl 

% 

bei dem 2. Anfall .... 

7 

; _ 

2 

2 

i» »> 3. ,, .... 

- 

- 

2 

2 

9t tt 4. ,, .... 

— 


— 

i 

99 99 5. ,, .... 

— 

| — 

1 

1 

99 »»6. ,, .... 

— 

] — 

20 

— 

„ „ 7. „ usw. . . 

— 


; 4 

3 



























Periodische Erkrankungen. 


107 


Während wir bisher gesehen haben, daß die periodisch manischen Fälle 
im allgemeinen prognostisch günstig abschneiden, so fällt es sehr auf, daß 
immerhin ca. 7 °/o der Fälle schon im 2. Anfalle chronisch werden; bei den 
Melancholischen fehlen solche Fälle ganz, bei den Zirkulären sind es im 
ganzen 9 %, wovon eine große Zahl erst nach dem 7. Anfalle chronisch wird. 


6. Verteilung der Mischzustände auf Krankheitsperioden. 


Mischzustände in 

Periodisch 

manisch 

Periodisch 

melancholisch 

Periodisch 

zirkulär 

Gesamt¬ 

zahl 

der 1. Periode. 

13 

17 

24 

22 

»> 2. ,, . 

40 

42 

41 

41 

»* 3. M . 

20 

20 

29 

27 

*.4. „ . 

20 

15 

19 

18 

„ 5. „ . 

7 

6 

16 

14 

ft 6. „ . 


2 

14 

11 

„ 7. u. weiteren Perioden . 

7 

2 

20 

16 

sämtlichen Perioden. ... 

— 

12 

2 

4 


Da die einmaligen Erkrankungen nicht berücksichtigt sind, so ist das 
gegenüber der ersten Periode fast in doppelt großer Zahl erfolgende Auftreten 
von Mischzuständen in der 2. Krankheitsperiode auffallend. Wir können daraus 
schließen, daß die ersten Anfälle in der weitaus überwiegenden Zahl das Krank¬ 
heitsbild rein vor Augen bringen. Daß in den weiteren Perioden die Zahl der 
Mischzuständc abnimmt, ist bei der geringeren Zahl an Erkrankungsfällen mit 
vielfachen Perioden erklärlich. Die meisten Perioden mit Mischzuständen 
weisen die periodisch melancholischen Erkrankungen auf, bei denen sie in 
12 der Fälle in sämtlichen Phasen zur Beobachtung kommen: Wir sehen 
also, daß bei einem Teil der periodisch Melancholischen die Mischzustände 
nicht mehr aufhören, während bei den anderen Kategorien sich immer wieder 
reine Phasen einzumischen pflegen. 


7. Krankheitsfreie Intervalle. 


Krankheitsfreie 

Periodisch 

Periodisch 

Periodisch 

Gesamt¬ 

Intervalle, 

manisch 

melancholisch 

zirkulär 

zahl 

durchschnittlich 

% 

% 

% 

% 

1 Jahr dauernd. 

53 

29 

26 

28 

2 9 f yt . 

13 

8 

10 

10 

3 „ ,, . 

7 

4 

14 


4 „ „ . 

7 

8 

9 

9 

5 ,, ft . 

— 

8 

11 

10 

mehr als 5 Jahre dauernd 

7 

8 

9 

9 

»» ft 19 »» rt 


17 

11 

12 

2 Jahrzehnte dauernd. . . 

— 

15 

7 

8 

3 ,, ,, . . . 

13 

2 

l 

2 





















108 


Gruppierung. 


Aus der vorstehenden Tabelle ist zu ersehen, daß die periodisch manischen 
Fälle die meisten kürzesten freien Intervalle haben, aber auch in einer verhältnis¬ 
mäßig sehr großen Zahl die meisten längsten. Die periodisch melancholischen 
Fälle zeigen die freisten sehr lange dauernden Intervalle, während bei den 
periodisch zirkulären Fällen die Intervalle ziemlich gleichmäßig verteilt sind. 

Im allgemeinen sind die Intervalle länger wie die Krankheitsphasen; 
wenn auch das Verhalten verschieden ist, und sie bei den einen Fällen länger 
wie die Krankheitsperioden, in den anderen kürzer sind, so überwiegen doch 
zweifellos die Intervalle, welche von längerer Dauer als die Phasen der Er¬ 
krankung sind. Bei vielen zirkulären Fällen geht die kranke in die gesunde Zeit 
fließend über, so daß keine scharfe zeitliche Grenze zu ziehen ist. Bei einzelnen 
Fällen war in früherer Lebenszeit eine Krankheitsperiode vorhanden, dann kommt 
eine sehr lange freie Zeit, welche schließlich durch einen Schwarm neuer Anfälle 
mit kurzen freien Zeiten begrenzt wird. Wie schon erwähnt, sind bei den meisten 
Fällen die Krankheitsperioden und die Intervalle in späteren Zeiten länger; 
es besteht nach dieser Richtung eine gewisse Proportion. Es kommt aber auch 
vor, daß die Intervalle fortschreitend kürzer werden, und zwar habe ich das 
bei 4 % der gesamten Fälle gefunden (7 % der periodisch manischen, 17 °/ 0 
der periodisch melancholischen und 10°/o der periodisch zirkulären Fälle). 

Übersehen wir die Resultate dieses Kapitels, so ergibt sich daraus fol¬ 
gendes. Die periodisch manischen Fälle beginnen in jüngeren Jahren, sie 
zeigen, den ganzen Krankheits verlauf betreffend, die kürzeste Krankheits¬ 
dauer; sie haben eine sehr geringe Neigung zu mehrfachen Phasen; die Perioden 
werden später sehr oft kürzer. Eine verhältnismäßig große Zahl der Fälle wird 
schon im Anschluß an die 2. Krankheitsphase chronisch. Die Fälle haben ver¬ 
hältnismäßig sehr häufig sehr kurze freie Intervalle. 

Die periodisch melancholischen Fälle gehören in ihrem Beginne ebenso 
oft den jungen wie mittleren Jahren an. Sie zeigen vor allem die Neigung, 
ihre Perioden zu verlängern und in Mischzuständen aufzutreten. Es finden sich 
sehr lange dauernde freie Intervalle. 

Die zirkulären Fälle verlaufen oft bei spätem Beginne noch periodisch; 
sie neigen in ganz besonderem Maße zur Periodizität. Das Chronischwerden 
tritt verhältnismäßig nicht sehr häufig ein. 

d) Subchronische und chronische Erkrankungen. 

Zwischen die periodischen und chronischen Fälle schiebt sich gleichsam 
als Übergang eine Anzahl von Pallen ein, welche ich in der Kategorie der sub- 
chronischen Verlaufsform zusammenfassen will. Die Fälle betragen einen 
kleinen Bruchteil des Gesamtmaterials, etwa 7 %• Sie verteilen sich auf das 
männliche und weibliche Geschlecht in ungefähr gleichen Teilen. Die Ver- 
laufsformen sind mannigfaltigster Art; bald handelt es sich um rein depressive 
Fälle, bald um rein manische, bald um zirkuläre. Gelegentlich schieben sich 
krankheitsfreie Intervalle ein, welche aber eine verhältnismäßig kurze Dauer 
zu haben pflegen. Diese sog. freien Intervalle weisen mehr oder minder starke 
affektive Veränderungen auf, welche aber in so geringem Grade auftreten, daß sie 
praktisch nicht als krankhaft bezeichnet werden können. Die Dauer dieser sub- 
chronischen Phasen ist nicht exakt abzumessen; es handelt sich um Fälle, 



Subchronische und chronische Erkrankungen. 


109 


welche die Neigung zu sehr langwierigem, sich auf eine größere Anzahl von Jahren 
erstreckenden Verlauf haben. Es ist mit dieser Bezeichnung eine Prognose 
nicht gegeben; es gibt subchronische Fälle, welche (Tafel 16 w) in Genesung über¬ 
gegangen sind, solche, bei denen die Genesung nur eine Anzahl von Jahren 
standgehalten hat, dann trat eine Fortsetzung der Erkrankung auf, und bei 
welchen schließlich ein chronischer Verlauf in Frage kommt (Tafel 16 x), endlich 
kommen Fälle vor, die an und für sich eine ungünstige Prognose bieten, in denen 
die Krankheit in der Jugend eingesetzt hat und unter Einschiebung verhält¬ 
nismäßig kurzer Intervalle weiterläuft (Tafel 16 y). Da sich die Länge der Anfälle 
gerade im höheren Alter zu vergrößern pflegt, so ist es klar, daß die meisten 
subchronischen Fälle dem höheren Lebensalter angehören und dement¬ 
sprechend vielfach unter dem Bilde von Melancholien auftreten. 

Die chronischen Fälle des manisch-melancholischen Irreseins sind 
solche, bei denen die Erkrankung eine sehr große Anzahl von Jahren ohne 
nennenswerte Unterbrechung durch freie Intervalle dauert. Die Intensität 
des Krankheitsprozesses bleibt von Anfang bis zu Ende dieselbe. Äußerlich 
wird dies durch die Gewichts kurve bewiesen, welche im allgemeinen keine 
Schwankungen zeigt; bei einzelnen Fällen kann man ein Ansteigen und Ab¬ 
sinken des Körpergewichtes in periodischen Schwankungen, welche auch sonst 
im Verlauf der Erkrankung auftreten, wahmehmen. 

Von den hier in Betracht kommenden Fällen gehören 8 °/ 0 in das Gebiet 
der chronischen Erkrankungen; diese verteilen sich ähnlich wie die subchroni¬ 
schen Fälle zu ungefähr gleichen Teilen auf das männliche und weibliche Ge¬ 
schlecht (43 bzw. 57 %). Es ist bemerkenswert, daß wir hier die uns sonst immer 
wieder begegnende Bevorzugung des weiblichen Geschlechtes nicht finden; 
der Grund ist wohl in der höheren Altersstufe zu suchen, in denen die Kranken 
zur Zeit der Beobachtung stehen. Im höheren Alter gleicht sich bekanntlich 
der Unterschied in der Beteiligung der Geschlechter aus. 

Welche Ursache hat das Chronischwerden in diesen Fällen? Man könnte 
daran denken, daß eine besonders schwere auslösende Ursache vorhanden ist. 
Das trifft nicht zu; wir finden nur in 2 Fällen unmittelbar wirkende Ursachen, 
Tod des Ehemannes und Operation eines Ovarialtumors. In 2 Fällen schließt 
sich die Erkrankung an die Menopause an, was wir ja in einer großen Anzahl 
anderer Fälle auch finden. 

Weiterhin taucht die Frage auf, ob diese Fälle besonders stark gleichartig 
hereditär belastet «ind. Bei der Untersuchung dieser Frage läßt sich erkennen, 
daß die Zahl der Belasteten tatsächlich größer ist wie sonst, sie beträgt 66 %; 
immerhin mag es sehr zweifelhaft erscheinen, ob diese Grundlage allein genügt, 
um die Erscheinung des Chronischwerdens zu erklären. Am einfachsten gestaltet 
sich die Ergründung, wenn wir theoretische Erwägungen spielen lassen. Man 
könnte annehmen, daß es sich bei den chronischen Fällen um solche mit sehr 
langgedehnten Schwankungen handelt; es wäre damit gesagt, daß die Prognose, 
auf welche wrir später noch zu sprechen kommen werden, theoretisch im ganzen 
der Periodizität entsprechend günstig ist, wenn nicht der Abschluß des Lebens 
störend in den gesetzmäßigen Ablauf eingreift. Bei dieser Überlegung Stört 
nur das Vorangehen kurzer Krankheitsperioden bei fast der Hälfte der Fälle, 
und zwar nicht nur bei den zirkulär verlaufenden, sondern auch bei den einfach 
melancholischen und manischen Formen. Nim ist bekannt, daß in einer länger- 



110 


Gruppierung. 


dauernden Schwankung eine gewisse Zeitstrecke stärker hervorgehoben i 
kann, sei es durch affektbetonende äußere Einflüsse, sei es durch endog 
sekundäre Schwankungen. 

Anders verhält sich die Sache natürlich bei den Fällen, bei welchen sek 
däre Erkrankungen anderer Art, wie Arteriosklerose und Dementia senilis 
Anfälle verlängern helfen und das klinische Bild schließlich verwaschen. 1 
finden wir in einigen Fällen; in einem Falle chronischer Manie wurden äußere 
einzelne epileptische Anfälle beobachtet, in einem chronisch zirkulären F 
Diabetes mellitus, der zum Siechtum beitrug. 

Sehen wir uns die zur Verfügung stehenden Fälle weiter an, so ergibt s 
daß die Fälle mit vorhergehenden Phasen fast ausschließlich zirkulär si 
was für die oben gegebene Theorie sprechen würde. Die Zeit des Ghronn 
Werdens beginnt bei einzelnen Fällen schon im 2. Jahrzehnt; die größte 
teiligung zeigen die Altersstufen zwischen 30 und 60 Jahren. Einige manis 
Fälle werden noch sehr spät, z. B. im 6. Jahrzehnt, chronisch. 

Was die Dauer betrifft, so währt die Erkrankung in 60 % 10—20 Jal 
in 23 % ca. 20 und in 11 % über 20 Jahre. 

Die meisten Fälle waren bei Abschluß der Beobachtung noch mitten 
der Psychose. Einzelne waren in Tod übergegangen. 2 Fälle waren gehe 
nämlich ein Fall nach 13jähriger schwerer Manie im 48. Lebensjahr und 
Fall nach 14jähriger Depression im 55. Lebensjahr. Man kann natürlich ni 
sagen, ob die Zukunft diesen Kranken nicht noch eine neue Phase besehe 
wird; es erscheint dies nicht unwahrscheinlich, wenn ihr Leben von entspreche 
langer Dauer ist. Es handelt sich bei diesen „Geheilten“ um Fälle, bei de] 
die Erkrankung im 37. bzw. 40. Lebensjahr, also verhältnismäßig früh begom 
hat. Spätheilungen solcher chronischer Fälle habe ich nicht erlebt. Me 
gehen die Fälle an senilen oder arteriosklerotischen Erscheinungen zugrun 

Nachdem der Ausgang dieser Fälle vorweggenommen ist, erübrigt 
sich noch einiges über das klinische Symptomenbild zu sagen. 

Bei der Mehrzahl der Fälle ist eine deutliche Erleichterung der De: 
fähigkeit zu konstatieren. In einer noch größeren Anzahl von Fällen best 
eine Erregung der Psychomotilität. Nur meinem Falle fand sich dauernde p 
chomotorische Hemmung. So sind auch die melancholischen Fälle, in denen 
sonst typischerweise Hemmung zu finden pflegen, psychomotorisch erregt. Wal 
Vorstellungen sind fast in jedem Falle im Verlaufe der chronischen Erkrankung 
konstatieren, ferner, was erheblicher erscheint, Sinnestäuschungen des i 
sichts und des Gehörs. Die zirkulären Fälle verlaufen in ca. 1 / i der Fälle t 
weise in Verwirrtheitszuständen, im wesentlichen deliranter Art. 

Eine auffallend große Rolle spielt Alkoholabusus in der Vorgeschic! 
der in Betracht kommenden Fälle, nämlich bei ca. 30 % der Kranken. 

IL Affektformeln 
a) Manie. 

Wir haben gesehen, daß uns die Manie als Erscheinungsform des manis 
melancholischen Irreseins bald als einfache Manie, bald in ihrer periodiscl 
Form vor Augen tritt. Die einfache Manie ist ein Ausdruck, der in den Le 
btichem der Psychiatrie noch viel gebräuchlich ist; er bezeichnet einen maniscl 



Melancholie. 


111 


Zustand, der einmal während des Lebens auftritt. Treten später noch psychoti¬ 
sche Erscheinungen anderer affektiver Färbung auf, so werden dieselben nicht 
mit der verflossenen Manie in Zusammenhang gebracht. Nach unserer Auf¬ 
fassung ist die Manie eine Teilerscheinung des manisch-melancholischen Irre¬ 
seins, ohne Rücksicht darauf, ob sie einmal im Leben in Erscheinung tritt 
oder öfters. 

Von der einfachen Manie ist die periodische zu unterscheiden; bei ihr 
tritt in mehr oder minder großen zeitlichen Zwischenräumen mehrmals ein 
manischer Zustand auf. Die einzelnen Phasen dieser Erscheinungsform ähneln 
sich nicht selten „photographisch“, was bei dem endogenen Charakter der 
Krankheit nicht auffallen kann. Haben es wir doch, wie oben ausgeführt ist, 
mit Erscheinungen zu tun, welche in den Krankheitsphasen pathologisch ge¬ 
steigert sind, während sie für gewöhnlich, d. h. in den freien Intervallen, schlum¬ 
mern und in dem Charakter der betreffenden Persönlichkeit in abgeschwächtem 
Maße zum Ausdruck kommen. 

Neben den genannten Gruppen kommen subchronische und chronische 
Fälle vor. Die beiden unterscheiden sich im wesentlichen durch ihre zeitliche 
Ausdehnung. Es ist darauf hinzuweisen, daß hier die rein manischen Formen 
nicht häufig sind, und daß es außerordentlich häufig zu Mischzuständen und zur 
Einschiebung depressiver Phasen, zu der sogenannten zirkulären Verlaufsform 
kommt. 

Das männliche Geschlecht ist etwas bevorzugt, ebenso das jugendliche 
Alter. Die Prognose entspricht dd* im allgemeinen günstigen des manisch¬ 
melancholischen Irreseins überhaupt. 

Die Symptome der Manie bestehen aus der Trias: Erleichterung der 
Denktätigkeit, Willenstätigkeit und der gehobenen Stimmung; dazu tritt die 
psychomotorische Erregung. Die Denkstörung kann zur Ideenflucht und Ver¬ 
worrenheit werden, die Willenserleichterung zur Tobsucht, die gehobene Stim¬ 
mung zur Exaltation. Tobsuchtszustände mit deliranten Erscheinungen be¬ 
deuten den Höhepunkt der Krankheit. Von der Mischung mit depressiven 
Symptomen wird später die Rede sein. Die Form der Manie, welche unter 
leichten Krankheitserscheinungen verläuft, die Hypomanie, unterschiedet 
sich symptomatisch in keiner Weise von der Manie ; schwerere manische Er¬ 
krankungen werden häufig mit einem hypomänischen Stadium, das den Über¬ 
gang zur Gesundheitsbreite vermittelt. 

Die manischen Bilder des manisch-melancholischen Irreseins sind wohl 
zu unterscheiden von den Exaltationen bei Epilepsie, Hysterie und anderen 
Psychosen, insbesondere solchen mit organischer Grundlage. 

b) Melancholie. 

Die Verlaufsformen der Melancholie sind denen der Manie durchaus ähnlich. 
Die einfache Melancholie ist nicht allzu häufig; eine Periodizität besteht in 
den meisten Fällen, sei es, daß periodische Melancholien auftreten, oder daß 
später Zustände von Manie oder zirkuläre Phasen kommen. Bekannt ist, daß 
Melancholien mit Vorliebe im höheren Alter auftreten, ferner, daß das weibliche 
Geschlecht besonders zu solchen Erkrankungen neigt. Ähnlich wie bei der Manie 
die Hypomanie, bereitet öfters eine leichte Melancholie die Gesundung vor. 



112 Gruppierung. 

Subchronische Depressionen sind recht häufig, chronische Fälle erheb 
seltener. 

Uber die Prognose gilt das über manische Zustände Gesagte. 

Die Symptomatologie setzt sich aus der Trias zusammen; es besi 
in typischen Fällen Denkhemmung, Willenshemmung und depressive Stimmt 
Dazu kommen psychomotorische Hemmung, innere Ideenflucht, Insuffizi< 
gefühl mit Selbstvorwtirfen, Schlaflosigkeit, typische Tagesschwankungen t 

c) Zirkuläres Irresein. 

Die Erkrankungen an zirkulären Phasen sind beim manisch-melancl 
sehen Irresein die häufigsten. Wir haben einfache zirkuläre Erkrankung 
periodische, subchronische und chronische Verlaufsformen zu unterschek 
Der Wechsel zwischen Manie und Depression, die Grundlage des zirkuls 
Typus, kann sehr verschiedenartige Gestalt annchmcn. Der reguläre 
kuläre Typus ist der gleichmäßige in gleichen Zeiten erfolgende Wecl 
zwischen Manie und Depression mit oder ohne Pause nach dem zirkulä 
Krankheitsanfall. 

Gewöhnlich ist aber der Krankheitsverlauf durchaus unregelmä£ 
die regelmäßigen Formen sind sehr selten. Es mischt sich in den Anfä 
häufig Depression und Manie unregelmäßig und in allen ihren Mischfon 
ineinander. Besonders gilt das für die subchronische und chronische Verla 
form. Unter den chronischen Verlaufsformen haben die zirkulären den Hat 
anteil; nur wenige andere finden sich darunter. Verhältnismäßig häufig se 
wir eine längere manische bzw. melancholische Phase mit einem kurzem Äff 
entgegengesetzten Stadiums beginnen (Tafel 15 h, 16d, r). Andererseits endig 
die Phasen nicht selten mit einem affektentgegengesetzten Stadium. Bei j 
lancholien wurde die oft sich anschließende Manie als ein Zeichen der 
holung, als reaktive Manie bezeichnet. Diese Auffassung ist zweifellos - 
tümlich (Tafel 16 x). 

Die Symptomatik ist durch die der manischen und zirkulären Zustäi 
gegeben. 

Prognostisch sind die zirkulösen Fälle ungünstiger wie die manisc] 
und melancholischen; die Periodizität ist stärker ausgeprägt. 

d) Mischzustände *)• 

Unter Mischzustand versteht man ein psychisches Zustandsbild, welc 
aus Symptomen zusammengesetzt ist, die einerseits dem typischen Bilde 
Manie, andererseits dem der Melancholie entnommen sind. Es können 8 
also nach Kraepelin, theoretisch gedacht, Denk-, Willens- und Affektstön 
mischen, so daß sich nach vorstehendem Schema.eine 6fache Mischung ergel 
- würde. 

a b ö 
ABC 

Wenn a b c und ABC die' typische Manie und Melancholie in ih 
Trias darstellen, so ergeben sich folgende Zusammenstellungen: 

1 ) Weygandt, Über die Misohzustände des manisch-depressiven Irreseins. Hat 
tationsschrift. 1899. 



Mischzustände. 


113 


aBC abC aBc 

Abc ABo AbC 

Nach unserer oben auseinandergesetzten Auffassung ist bei den manisch- 
melancholischen Kranken die Denkstörung regelmäßig eine Denkhemmung. 
Die Ideenflucht beruht auf einer Denkhemmung, nicht Erleichterung, wie es 
bei flüchtiger Beobachtung scheinen könnte. Demnach kann bei der Mischung 
der Symptome die einheitliche, symptomatisch sehr wichtige Denkstörung 
nicht in Betracht kommen. Das zweite Symptom der Trias ist die Affe kt - 
störung, welche mit grundlegend in den Mischzuständen des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins ist. Die Willensstörung, das dritte Glied der Trias, 
steht der Psychomotilität sehr nahe, die Störung beruht darauf, daß es ent¬ 
weder nicht zum Entschluß kommt, den Willen in Handlungen umzusetzen, 
oder daß die Umsetzung erleichtert wird. Die Psychomotilität stellt nun nach 
meiner Erfahrung zwar in der Regel, jedoch nicht immer eine Einheit vor. Wir 
müssen unterscheiden zwischen sprachlicher Motilität und der sonstigen all¬ 
gemeinen Motilität. Beide Teile erscheinen der Psychomotilität im ganzen 
untergeordnet. 

Folgen wir diesen Grundsätzen, so gelingt es uns, restlos und ohne Zwang 
sämtliche Mischzustände einem Schema einzuordnen und unserem Verständnisse, 
vielleicht auch weiteren Studien, nähe? zu bringen. Nur auf eine Mischform 
ist noch zurückzukommen; sie ist eine Vermengung der gehobenen und ge¬ 
drückten Stimmung in Gestalt des Zornes und der Unzufriedenheit. Es kann 
sich demnach ein Mischzustand, bestehend aus Affekthemmung mit Willens- 
bzw.psychomotorischerErregung zu einer Mischung, bestehend aus Mischaffekt 
und psychomotorischer Erregung, also zu einer zweifachen Vermengung um¬ 
gestalten. Ähnliche eigenartige Mischaffekt-Erscheinungen finden wir auch 
bei zirkulären Formen im Übergang des einen Affektzustandes in den anderen, 
z. B. die läppische, die ratlose Stimmung. Zum Verständnis des Gesagten 
möchte ich folgendes Schema anführen. Dabei ist zur Vereinfachung Willens¬ 
störung gleich psychomotorischer Störung gesetzt. 

Manie Melancholie 

1. Denkstörung a = a = A Denkstörung 

2. Gehobene Stimmung b B deprimierte Stimmung 

b B 



3. Psychomotorische Erregung Psychomotorische Hemmung 

Sprache c C Sprache 

Übrige Motilität d D übrige Motilität 

Mischformen: 

(a wird vernachlässigt als gleiche Grundbedingung bei jeder Mischform.) 

1. b c D la. B c D 

2. b C D 2a. B c d 

3. b C d 3a. B C d 

4. b B = ß 

Die Übersetzung der Formeln in die klinische Erfahrung ergibt folgende 
Mischformen: 

Behtn, Dm muitecb-meUuichoUaohe Irresein. 


8 



114 


Gruppierung. 


1. Eine Art des manischen Stupors, bei der der sprachliche Ausdruck 
erheblich vermehrt, die übrige Psychomotilität gehemmt ist, eine Form, welche 
ziemlich selten in Erscheinung tritt. Pfersdorff 1 ) hat ähnliche Fälle ver¬ 
öffentlicht. 

2. Der typische manische Stupor. Gehobene Stimmung und psychomotori¬ 
sche Hemmung. 

3. Eine Schattierung von manischem Stupor, welche zweifellos selten ist; 
der Kranke ist gehobener Stimmung, zeigt motorische Erregung, spricht aber 
nicht oder nur mit großen Hemmungen. 

la. Wohl die seltenste Form. Der Kranke ist verstimmt, spricht viel, 
ist im übrigen psychomotorisch gehemmt. 

2a. Deprimierte Stimmung verbunden mit psychomotorischer Erregung; 
sie findet sich sehr häufig in den agitierten Melancholien, besonders in denen, 
welche mit Angst einhergehen. 

3a. Der Kranke ist traurig verstimmt; er spricht wenig, ist aber im übrigen 
in psychomotorischer Erregung. Eine nicht ganz seltene Mischform, besonders 
für manche Zustände der Ratlosigkeit charakteristisch. 

4. Wie erwähnt, die Mischform des Zornes, der Unzufriedenheit. 

Die häufigsten Mischformen sind 2a, die agitierte Depression; 2, der mani¬ 
sche Stupor; 3, auch manischer Stupor. Die übrigen kommen selten oder sehr 
selten vor, meist in Fällen, welche wechselnde delirante Bilder zeigen. 

Die Mischzustände können nicht als ungünstiges Prognostikum aufgefaßt 
werden; wir finden sie recht häufig in akut auf tretenden deliranten Phasen, 
ferner beim Übergang der Affektzustände im zirkulären Irresein. Alle an Häufig¬ 
keit überragt die agitierte Depression, welche mehr dem reiferen und höheren 
Alter angehört. 


III. Klinische Gruppierung. 

Die Gruppierung hat einesteils die Verlaufsform, andererseits die Affekt¬ 
form und schließlich eigenartige Erscheinungsformen charakteristischer Art 
zu berücksichtigen. Es ist sehr wohl möglich, daß weitere Untersuchungen 
eine Gruppierung nach der Art der psychomotorischen Störung, vielleicht 
auch der Denkstörung, künftig günstiger und richtiger gestalten werden. 


a) Konstitution. 

Die Konstitution ist die Grundlage für die affektverwandten Psychosen, 
die sich auf ihr aufbauen. Wenn auch im allgemeinen der psychotische Zustand 
der Konstitution qualitativ gleicht und nur quantitativ abweicht, so ergibt sich 
doch schon aus der Häufigkeit des Umschlags des Affektzustandes während 
der Psychose, daß als große gemeinschaftliche Basis die manisch-melancholische 
Konstitution zu gelten hat. 

l ) Pfersdorff, Über Rededrang bei Denkhemmung. Vortrag. Ref.: Zentralbl. f. 
Psych. u. Neurol. 29. Jahrgang 1906. Ferner: Die motorische Erregung im manisch-de¬ 
pressiven Mischzustand. Zentralbl. f. Psych. u. Neurol. 1905. Über Rededrang bei Denk¬ 
hemmung. Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. 1906. 



Konstitution. 


110 


1. Manische Konstitution. 

Eine Gruppe der Fälle von manisch-melancholischem Irresein zeigt die 
sogenannte manische Konstitution. Dieselbe kann in der Form der chro¬ 
nischen Manie psychotisch als Steigerung der konstitutionellen krankhaften 
Faktoren in Erscheinung treten. Die leichteren Formen werden zweckmäßiger¬ 
weise zu den affektiven Formen der Psychopathie gerechnet. 

Bei einer großen Zahl der später periodisch manisch verlaufenden Fälle 
besteht eine manische Konstitution, die früher schon besprochen ist. 

Die chronische Manie besteht entweder von Jugend an und hat sich manch¬ 
mal schon in der Kindheit als Psychose entpuppt, oder die Psychose entsteht 
zü irgend einem Zeitpunkt während des späteren Lebens auf der Grundlage 
der zugehörigen Konstitution. Der Beginn kann allmählich oder akut eintreten. 
Die Konstitution ist die Grundlage. Die Prognose erscheint ungünstig; der 
Verlauf der Psychose ist ein gleichmäßiger; erhebliche Remissionen pflegen 
nicht einzutreten; depressive Zeiten fehlen, wohl aber kann es zu ausgeprägten 
Mischzuständen, besonders zu Zuständen von Reizbarkeit kommen. 

2. Melancholische Konstitution. 

Für diese Gruppe gilt im ganzen das oben für die manische Konstitution 
Gesagte. Auf der Konstitution können sich periodische oder chronisch melancho¬ 
lische Psychosen aufbauen. Die Konstitution weist dieselben Mischzustände auf, 
die wir bei den ausgesprochen psychotischen Zuständen zu beobachten Ge¬ 
legenheit haben. 

3. Zyklothyme Konstitution. 

Diese Art der Konstitution zeigt in mehr oder weniger großen Zwischen¬ 
zeiten einen Wechsel zwischen manischem und depressivem Affektzustand. 
Freie Zeiten sind nicht ausgeschlossen. Es bauen sich auf der Konstitution 
die periodisch zirkulären, ferner die subchronisch und die chronisch zirkulären 
Psychosen auf. Wilmanns 1 ) hat diese Form ausführlich beschrieben. 

b) Periodische Form. 

Ebenso wie die Konstitution teilen wir die periodischen Formen in manische, 
melancholische und zirkuläre. Wie oben auseinandergesetzt, gehören diesen 
Gruppen die Mehrzahl der Fälle des manisch-melancholischen Irreseins an, so 
daß die Ansicht berechtigt erscheint, daß die Periodizität eines der wichtigsten 
Symptome der Krankheit ist. Eine Form der periodischen Melancholie zeitigt 
verhältnismäßig regelmäßig in jedem Frühjahr eine depressive Phase (Tafel 16e). 
Sehr vielfach gehen unter dieser Krankheitsform sogenannte Heufieber¬ 
erkrankungen, welche bei näherer klinischer Betrachtung und im weiteren 
Verlauf sich als regelrechte Melancholien entpuppen (Tafel 16 a—o). 

e) Subchronische und chronische Form» 

Auch hier hat die überall durchgeführte Dreiteilung nach Affektzuständen 
einzutreten. Wie wir oben gesehen haben, ist eine Konstitution spezifischer 

1 ) Wilmanns, Zyklothymie. Samml. klin. Vortr. v. Volk mann. 1906. 



116 


Gruppierung. 


Art auch bei diesen Pallen gegeben. Wir wissen, daß bei diesen Formen die 
zirkuläre Gruppe im Vordergründe steht (Tafel 16 c, f, g, r—t, w, x sub¬ 
chronisch; Tafel 16 e, h, q, u, v, y, z, a—y chronisch). 

d) Besondere Krankheitsformen. 

Im folgenden sind eine Anzahl von Krankheitsformen zusammengefaßt, 
welche mit der Erscheinungs- und mit der Affektform in weniger innigem Zu¬ 
sammenhänge stehen, welche abej* klinisch wohl charakterisierte Krankheits¬ 
bilder von mehr oder .weniger langer Dauer bieten. Sie besitzen offenbar 
konstitutionell eine gewisse Affinität zu den charakteristischen Sym¬ 
ptomen, welche in den verschiedenen Perioden gleichartig wiederzukehren 
pflegen. Daran, daß diese Formen zum manisch-melancholischen Irresein ge¬ 
hören, ist bei der Konstantheit der übrigen Symptome nicht zu zweifeln. 

1. Katatonische Form. 

Wir wissen, daß in einer nicht kleinen Anzahl von Fällen Erscheinungen 
auftreten, welche wir als katatonische zu bezeichnen pflegen. Eine kleine Gruppe 
des manisch-melancholischen Irreseins zeigt solche katatonische Symptome 
während der Höhe der Psychose in besonders ausgeprägtem Maße. Es handelt 
sich um ca. 3 % der Fälle. In bezug auf die Heredität zeigen diese Fälle keine 
anderen Verhältnisse wie die übrigen manisch-melancholischen Kranken. Ver¬ 
hältnismäßig häufig ist eine psychogeneAuslösung der Psychose. Männli che 
und weibliche Fälle stellen der Zahl nach dasselbe Verhältnis wie sonst im manisch¬ 
melancholischen Irresein dar. Im allgemeinen gehören die Erkrankungen dem 
jugendlichen Alter an; nur einzelne fallen in das mittlere Lebensalter. Es 
handelt sich um ausgeprägt zirkuläre Krankheitsbilder; die einzelnen Affekt¬ 
zustände pflegen rasch zu wechseln; insbesondere finden sich fast regelmäßig 
in dem Verlaufe der betreffenden Phase stuporöse Zustände. Mischzustände 
sind sehr häufig, besonders gereizte manische Zeiten; die depressiven Zeiten 
sind sehr oft von psychomotorischer Erregung begleitet. In jedem Falle besteht 
tiefgehende Verworrenheit zur Zeit des katatonischen Zustandes. Der 
Affekt pflegt nicht deutlich zum Ausdruck zu kommen; er ist unter der schweren 
Denkhemmung vollkommen verborgen. Meist geben die Kranken später an, 
daß sie die schwersten Phantasien in diesen Zeiten durchgemacht haben; so 
erzählte eine Kranke, es sei ihr gewesen, wie die phantastische Symphonie 
von Berlioz. Die Kranken nehmen sonderbare, oft phantastische Stellungen 
ein, man hat den Eindruck „lebender Bilder“. Ein Kranker pflegte in Fechter¬ 
stellung dazustehen, eine Kranke lächelte stereotyp vor sich hin, andere 
Elranke nehmen ihre Arme in gekreuzte Stellung, wieder andere stehen un¬ 
beweglich da und strecken die Zunge heraus. Die sprachlichen Äußerungen sind 
gering; einzelne Worte, welche auf delirante Erlebnisse schließen lassen, werden 
geäußert. Die Muskulatur ist kontrahiert; sehr bemerkenswert ist das Fehlen 
des Negativismus; Katalepsie besteht meist. Bei einer Kranken bestanden 
Sensibilitätsstörungen der Haut. Wahnhafte Sinnestäuschungen, besonders 
des Gehörs und des Gesichtes bestehen regelmäßig. Gelegentlich werden die 
Kranken unrein mit Stuhl und Urin. 



Besondere Krankheiteformen. 


117 


Nach Abklingen des Verworrenheitszustandes pflegt baldige Genesung 
nach kurzem hypomanischem Stadium zu erfolgen; es tritt dann fast vollkommene 
Erinnerung an die Erlebnisse ein. Der zeitliche Verlauf der Phasen pflegt ein 
verhältnismäßig kurzer zu sein, 1—2 Jahre im Durchschnitt. Bei einem Falle 
kam es zu mehreren Phasen mit solchen katatonischen Stadien, welche sich 
photographisch ähnlich waren. 

Diese Fälle, welche akut zu entstehen pflegen, sind der Typus der Kata¬ 
tonie. Von der Dementia praecox unterscheidet sie, abgesehen von dem Ver¬ 
laufe, die vollkommene Verworrenheit während dieses Stadiums. Allerdings 
ist dieselbe oft wegen der mangelhaften oder fehlenden sprachlichen Äußerungen 
infolge des Stupors schwer zu konstatieren. Von der Amentia unterscheiden 
sie sich vor allem durch die in den Vordergrund tretenden katatonischen Er¬ 
scheinungen und durch die fehlende ätiologische Basis. Man könnte noch an 
hysterische Dämmerzustände, und hysterischen Stupor denken. Abgesehen von 
der oft fehlenden affektiven Entstehungsursache sind die Kranken nicht lenk¬ 
bar, nicht suggestibel; dies könnte dazu verführen, sie als widerstrebend zu 
bezeichnen, was sie aber im Sinne der Dementia praecox nicht sind. 


2. Delirante Form. 

(Amentia.) 

Diese Gruppe ist keine geschlossene. Wir finden delirante Zustände 
leichter und kurz andauernder Art sehr häufig im manisch-melancholischen 
Irresein. Es handelt sich um wenige Fälle (ca. 2 °/ 0 ), bei denen die delirante 
Form längere Zeit das Krankheitsbild beherrscht. Die hereditäre Belastung 
ist in diesen Fällen eine sehr starke. Die Krankheitsphasen treten häufig auf, 
es sind fast durchweg periodisch zirkuläre Fälle mit Vorwiegen des manischen 
Momentes. Das Lebensalter, in dem diese deliranten Zustände auftreten, ist 
das mittlere und höhere. Eine Anzahl von den Fällen gehört zu der Gruppe 
der subchronischen und chronischen. Psychogene Auslösung ist nicht selten. 
Das delirante Stadium tritt im Verlaufe der Erkrankung ein; es bildet nur sehr 
selten den Beginn der Krankheitsperiode; die Besserung tritt allmählich ein. 
Es besteht vollkommene Verwirrtheit mit Vorherrschen von Sinnestäuschungen 
auf dem Gebiete des Gehörs, ferner motorische Erregung und Verkennung der 
Umgebung. Bald nimmt der delirante Zustand mehr pathetische Formen, 
bald mehr traumhafte Verworrenheit an. Nicht selten finden sich auch taktile 
Halluzinationen, Tiervisionen usw., so daß das Bild des Delirium alcoholicum 
ohne Tremor vorgetäuscht werden kann. 

Die Formen, bei denen solche delirante Stadien auftreten, gehören den 
prognostisch ungünstigeren Erkrankungen an. Ich habe oben schon hervor¬ 
gehoben, daß chronische delirante Verworrenheit ein Siechtum einleiten kann, 
welches mit einer gewissen dauernden affektiven Schwäche einhergeht. Nicht 
selten tritt nämlich als ungünstiges Moment eine Arteriosklerose im höheren 
Alter hinz u. Manche Ähnlichkeit haben die genannten Formen mit dem klini¬ 
schen Bilde der Amentia, besonders wenn erschöpfende Momente die Auslösung 
der Psychose begünstigt haben. Der allmähliche Beginn, die manischen und 
melancholischen Phasen reiner Art, die uns die Betrachtung des Verlaufes vor 
Augen führt, werden die Diagnose klar stellen lassen. Zu erwähnen ist, daß der 



118 


Gruppierung. 


Affekt während der delirante Phasen deutlich zu erkennen zu sein pflegt; 
erst das Chronischwerden des Zustandes verwischt das affektive Bild. 

3. Hysterieverwandte Form. 

Es handelt sich hier um Krankheitsphasen des manisch-melancholischen 
Irreseins, bei denen psychogene bzw. hysteriforme Erscheinungen dem Krank¬ 
heitsbilde eine besondere Färbung verleihen. Nachdem in der Konstitution 
unserer Kranken sich nur in 4 °/ 0 der Fälle solche Erscheinungen vorfinden, 
ist es naheliegend anzunehmen, daß auch die Psychose selbst nicht viel mehr 
Fälle mit derartigen Symptomen umfassen wird; und das hat sich als richtig 
herausgestellt; nur 5 °/ 0 der Fälle lassen psychogene Erscheinungen erkennen; 
dabei tritt wieder eine sehr starke Bevorzugung des weiblichen Geschlechtes, 
ähnlich wie bei der Konstitution, hervor (82°/ 0 : 18 %). Von den 22 Fällen zeigen 
bemerkenswerfcerweise nur 2 eine Auslösung der Krankheitsphase durch psycho¬ 
gene Momente, und nur 1 Fall zeigt hysterische Erscheinungen in der Kon¬ 
stitution. Es zeigt sich also eine fast vollkommene Unabhängigkeit der drei 
Etappen, der Konstitution, der Auslösung und der Psychose untereinander 
in bezug auf psychogene Erscheinungen. 

Meist kommen hysterische Anfälle in Betracht, welche regellos und in ge¬ 
ringer Zahl in die Psychose eingestreut sind. Man findet außerdem Sensibili¬ 
tätsstörungen, Tics, Abasie und Astasie, Aphonie, Gesichtsfeldeinschränkung, 
vasomotorische Störungen (Quaddelbildung in der Haut), Druckpunkte usw. 

Sämtliche Fälle stehen in jugendlichem und mittlerem Alter; klimak¬ 
terische Zustände kommen nicht, in Betracht. Zirkuläre Verlaufsformen 
stehen im Vordergründe; die Prognose ist durchaus günstig, wenn sich auch 
der Verlauf in einzelnen Fällen auf lange Jahre und in manchmal etwas ver¬ 
waschenen Erscheinungsformen hinzieht. In einer nicht unbeträchtlichen 
Zahl von Fällen fällt die Häufigkeit von Mischzuständen auf. Die psychogenen 
Erscheinungen gehören den ersten Phasen der Krankheit an, die späteren 
Phasen verlaufen ohne solche Beigaben. Psychomotorische Erregung zeigen 
die Fälle sehr häufig. 

Die Symptomatik der Krankheitsbilder ist eigenartig durch sehr häufige 
raptusartige Erregungszustände ängstlicher Art, welche kurz andauem 
und mit sehr starkem Selbstbeschädigungstrieb einhergehen. Recht oft bestehen 
phantastische Sensationen, wie Totenköpfe auf dem Bett, das Hören der Toten¬ 
uhr usw. Solchen Sensationen begegnen wir aber auch sonst im manisch¬ 
melancholischen Irresein, besonders bei weiblichen Kranken, recht häufig. 
Eine besondere Beeinflußbarkeit besteht nicht. Der Schlaf, das Körpergewicht, 
die Tagesschwankungen zeigen dieselben Störungen wie im manisch-melancholi¬ 
schen Irresein überhaupt. Es kommt nicht zu einer dauernden Amnesie, sondern 
es stellt sich allmählich die Erinnerung an die Zustände mehr oder weniger 
starker Verwirrtheit wieder ein; eine Neigung zu besonders starker Prägung 
deliranter Zustände besteht nicht. In manchen Fällen kommt es, wie auch 
sonst im manisch-melancholischen Irresein, zur Ausbildung katatonischer 
Symptome, denen der Negativismus regelmäßig fehlt. 

Die Phasen mit hysterischen Zutaten zeichnen sich nach den gemachten 
Ausführungen im allgemeinen durch einen günstigen Verlauf aus. Kurze Er- 



Besondere Krankheitsformen. 


119 


regungen schieben sich mit Vorliebe ein und geben dem Eirankheitsbild einen 
wechselvollen Charakter. 

4. Form mit Zwangsvorstellungen. 

Es sind sehr wenige Fälle von manisch-melancholischem Irresein, bei 
welchen man von echten Zwangsvorstellungen sprechen kann. Bei den (6) 
Fällen meines Materials handelt es sich mit einer Ausnahme um weibliche 
Kranke mittleren Alters. Der Verlaufsform nach sind es 2 Fälle von zirkulärem 
Typus und 4 von melancholischem mit teilweise periodischem Verlaufe. Gerne 
ist mit dem Symptom der Zwangsvorstellung eine mehr oder minder erhebliche 
psychomotorische Erregung verbunden. Zur Zeit des Auftretens des in Frage 
stehenden Symptomes bestand regelmäßig depressive Verstimmung. 

Was die Art der Zwangsvorstellungen betrifft, so finden sich die ver¬ 
schiedenen Arten. Eine Kranke, welche hypochondrisch war und sich selbst 
aufs eingehendste beobachtete, litt an Platzangst: sie fürchtete, über Plätze und 
Straßenkreuzungen zu gehen. Eine andere Kranke hatte Angst vor dem Allein¬ 
sein. Einige Kranke zeigten Zwangsvorstellungen, welche in ihrer sinnlichen 
Deutlichkeit schon Annäherungen an Illusionen hatten, die aber den Kranken 
als etwas durchaus Fremdartiges und Unbegreifliches sich auf drängten. Eine 
periodisch depressive Kranke hatte folgende Vorstellung, welche plötzlich bei 
einer Predigt aufgetaucht war: „Das war recht ungeschickt von Christus, daß 
er sich das hat alles gefallen lassen von den Juden.“ In einer späteren De¬ 
pression mußte dieselbe Kranke jedesmal anstatt des „gesegnet“ im Gebet 
„verhext“ für sich sagen. Dabei zeigte die Kranke wiegende Bewegungen, 
welche sie als Zwangsbewegungen empfand, und lebhafte Grimassen; sie ona¬ 
nierte, daß sie in Schweiß gebadet war. Eine andere depressive Kranke gab 
an, sie müsse mit den Armen und mit dem Kopfe eigentümliche zuckende 
Bewegungen ausführen und dazu bestimmte Worte; „Laissez moi, laissez moi 
travailler“ sagen. Bei einer anderen depressiven, wenig gehemmten Kranken 
endlich verbanden sich die Zwangsvostellungen eigenartig mit einer inneren 
Ideenflucht. Sie gab an, sie sei wie gehemmt. Wenn sie etwas sagen wolle, sei 
der Gedanke schon wieder fort. Beim Essen denke sie, das könnte Gras sein; 
„das ist ein Rock“, denke sie, zu gleicher Zeit komme der Gedanke, „der Rock 
ist ein Strumpf“. Auch diese Kranke hatte für das Zwangsmäßige dieses Denkens 
volles Verständnis. 

6. Paranoische Form. 

G. Specht 1 ) hat das Verdienst, darauf hingewiesen zu haben, daß es chro¬ 
nisch paranoische Formen gibt, welche der Dementia praecox nicht zugehören, 
dem Querulantenwahnsinn nahestehen, aber infolge der Symptome dem manisch¬ 
melancholischen Irresein zuzuzählen sind. Zweifellos sind solche besonnene 
paranoische Kranke selten. Sie sind wohl zu unterscheiden von solchen manisch 
melancholischen Kranken, welohe an periodischen Zuständen leiden, in welchen 
es zur Ausbildung paranoischer Komplexe kommen kann. Es handelt sich bei 
der hier erwähnten Form um quantitativ leichte Zustände, welche sehr lange 
dauern können oder auch konstitutionell sind. Vielfach sind die Zustände sehr 

1 ) G. Speoht, Chronische Manie und Paranoia. Zentralbl. f. Nervenheilk. u. Psyoh. 
16, 1905. » 



120 


Gruppierung. 


leicht und keiner Abgrenzung zugänglich, so daß sie der Psychopathie zuge¬ 
rechnet werden müssen, besonders dann, wenn manisch-melancholische Sym¬ 
ptome nicht mit Sicherheit herauszuschälen sind. 

e) Kombination mit körperlicher Erkrankung. 

1. Arteriosklerose und manisch-melancholisches Irresein. 

Daß das manisch-melancholische Irresein eine Hirnarteriosklerose zu 
begünstigen scheint, habe ich früher ausgeführt. Wir sehen dies nicht nur bei 
den periodisch verlaufenden Fällen, sondern auch, und zwar in ganz besonderem 
Maße bei chronisch Manisch-Melancholischen. Es ist sehr wohl möglich, daß 
die beschriebenen eigenartigen, traumhaften End- bzw. Defektzustände zum 
wesentlichen Teil der Arteriosklerose ihr Dasein verdanken. 

Man kann in einer nicht geringen Zahl von Fällen von einer Kombination 
von manisch-melancholischem Irresein mit Arteriosklerose sprechen. Ein 
Beweis für diese meine Ansicht ist die Erfahrung, daß sehr viele Manisch- 
Melancholische an Himarteriosklerose bzw. und ihren Folgen, Apoplexie bzw. 
Encephalomalazie zugrunde gehen. Schwierig ist es jedoch oft, im Leben die 
Diagnose Himarteriosklerose in ihren ersten Anfängen exakt zu stellen. 
Die allgemeinen körperlichen Symptome der- Arteriosklerose sind kein be¬ 
stimmtes Zeichen dafür, daß eine Hirnarteriosklerose in Entwicklung ist; 
wissen wir doch, daß eine Gefäßsklerose ganz lokal bestehen kann, ohne 
eine allgemeine Arterienerkrankung zur Voraussetzung zu haben. Die Him¬ 
arteriosklerose sehen wir bei manischen und melancholischen Kranken, wenn 
auch bei dem allgemeinen Überwiegen depressiver Erkrankungen bei Melan¬ 
cholie häufiger. 

Bekanntlich hat sich bei den Katamnesen, welche Dreyfus über die 
Fälle Kraepelinscher Melancholie aufgenommen hat, ergeben, daß ein Rest, 
welcher nicht als manisch-melancholisch diagnostiziert war, eine Kombination 
von Arteriosklerose und manisch-melancholischem Irresein aufwies. 

Es steht mir aber außer Zweifel und dürfte Grund zu weiterer Bearbeitung 
des präsenilen Materials der Irrenanstalten sein, daß wir eö in der Involution 
außerdem mit einem Krankheitsbilde depressiver Art zu tun haben, das einen Teil * 
der alten Kraepe^inschen Melancholie umfaßt, und welches sich von der oben 
beschriebenen Kombination unterscheidet. Es fehlt diesen Fällen die gleich¬ 
artige Belastung und die spezifische Konstitution. Der Psychose sind keine 
Krankheitsphasen vorhergegangen. Die depressive Stimmung ist kombiniert mit 
Versündigungsideen und mit Wahnvorstellungen, deren Ziel sich auf die Zukunft 
projiziert; außerdem bestehen hypochondrische Wahnvorstellungen schwach¬ 
sinniger Art. Die Sinnestäuschungen, welche oft eine sehr erhebliche Rolle 
spielen, erscheinen ganz verwaschen und illusionär. Der Beginn ist ein schleichen¬ 
der. Es besteht eine Arteriosklerose des Gehirns mit ihren typischen Ausfall¬ 
erscheinungen. Eine einheitliche psychomotorische Störung ist nicht yorhanden. 
Von Wichtigkeit erscheint gegenüber den Manisch-Melancholischen die erhöhte 
Ermüdbarkeit und das ausgesprochen egozentrische Verhalten. 

Es ist zweifellos, daß die Differentialdiagnose bei diesen Fällen oft zu 
großen, zur ZcjJ noch unlösbaren Schwierigkeiten führt. 



. Kombination mit körperlicher Erkrankung. 


121 


Schematische Schwierigkeiten, welche den eben geschilderten nahekommen, 
entstehen, wenn im Gefolge einer Gehimarteriosklerose fortgeschrittener Art 
manische und melancholische Zustände zur Auslösung gelangen. Wir müssen an¬ 
nehmen, daß es sich hier, ähnlich wie im Senium, tatsächlich manchmal um eine 
verborgene manisch-melancholische Anlage handelt; hierbei ist ein entscheidendes 
Gewicht auf Heredität und Konstitution zu legen. Daß die Manien und Melan¬ 
cholien bei dieser Kombination ihren farbenprächtigen, symptomenreichen 
und frischen Charakter verloren haben, ist naheliegend. 

Diese Fragen harren, wie gesagt, der Lösung, zu welcher vor allem die 
pathologische Anatomie wird mithelfen müssen. Im allgemeinen müssen wir 
aber betonen, daß wir infolge der Subjektivität der Deutung psychischer Sym¬ 
ptome bei bestehenden somatischen Symptomen bis zu weiterer Klärung letzteren 
den Vortritt in der Bewertung des Gesamtbildes lassen müssen. 

2. Senium und manisch-melancholisches Irresein. 

Manisch-melancholische Zustände im Senium sind, wie oben erwähnt, 
nicht selten. Wir sehen gelegentlich, daß solche Erkrankungen im Senium 
restlos ausheilen. Anders steht es mit der Beurteilung von Affektveränderungen 
bei seniler Demenz. Wir sind wohl im Rechte, wenn wir hier ebenso wie bei 
der Arteriosklerose der schweren somatischen Veränderung den Vortritt in der 
Bewertung überlassen. Wir werden also von manischen und depressiven Zu¬ 
ständen bei seniler Demenz sprechen; die sog. „senile Manie“ bzw. „Depression“ 
würden wir als manisch-melancholische Zustände spezifischen Charakters im 
Senium bezeichnen. 

3. Lues bzw. Metalues und manisch-melancholis y ches Irresein. 

Bei der Frage der Abgrenzung des manisch-melancholischen Irreseins 
gegenüber anderen Erkrankungen kommt in manchen Fällen Lues cerebro¬ 
spinalis und progressive Paralyse bzw. Tabes dorsalis in Betracht. Ich habe 
in einer früheren Arbeit eine Anzahl einschlägiger Fälle veröffentlicht; ein 
besonderes Verdienst um das Studium dieser merkwürdigen Formen gebührt 
Westphal. 

Es handelt sich um periodische Melancholien, manische Erregungen 
und zirkuläre Formen, welche mit Erscheinungen einer Lues bzw. Metalues 
cerebrospinalis einhergehen. Die psychischen Zustände gleichen vollkommen 
Phasen des manisch-melancholischen Irreseins und lassen sich in ihrem Sym- 
ptomenbild nicht von 'solchen unterscheiden. 

Es steht nun die Frage offen, ob wir es ätiologisch mit Fällen zu tun 
haben, in denen die Syphilis infolge einer uns nicht näher bekannten Lokalisation 
im Zentralnervensystem das manisch-melancholische Irresein verursacht, oder 
ob es sich um eine mehr zufällige Kombination handelt, wobei wir der Syphilis 
vielleicht eine auslösende Ursache zusprechen können, wie wir sohon früher eine 
Anzahl von auslösenden Ursachen somatischer Art kennen gelernt haben, welche 
aber nichts Spezifisches an sich haben. Im letzteren Falle müßten wir von 
einer kombinierten Krankheit sprechen, bei welcher die beiden Prozesse in losem 
Zusammenhänge nebeneinander einherlaufen. Da wir für eine anatomische 
Lösung des manisch-melancholischen Irreseins bis jetzt keine Unterlage haben, 
so bin ich geneigt, die erstgenannte Hypothese zugunsten der zweiten fallen 



122 


Gruppierung. 


£ 


zu lassen. Wir werden also bis zu einer weiteren Lösung der zunächst noch 
strittigen Frage annehmen, daß es sich um eine Kombination handelt. Sehen 
wir uns die Lebensläufe solcher Kranken an, so finden wir zur Unterstützung 
unserer Annahme recht häufig die konstitutionelle manisch-melancholische 
Anlage. Vielfach gehen den späteren schweren Attacken leichtere frühere 
voraus. Daß die Prognose der Erkrankung im ganzen von dem Fortschreiten 
der organischen Störungen abhängig ist, bedarf nicht der Erwähnung. 

4. Diabetes mellitus und das manisch-melancholische Irresein. 

Es findet sich eine nicht geringe Anzahl von Fällen, in welchen sich Er¬ 
scheinungen von Zuckerhamruhr vorfinden. Diese Symptome körperlicher 
Art stehen vielfach, ähnlich den früher erwähnten Basedow-Symptomen, 
weder ätiologisch noch im Verlaufe, in einem ersichtlichen Zusammenhänge 
mit der Psychose. Weiterhin gibt es Fälle, in denen im späteren Verlaufe bei 
schwereren Erscheinungen der Arteriosklerose sich der Diabetes dem manisch¬ 
melancholischen Irresein zugesellt; auch dann ist ein innerer Zusammenhang 
kaum anzunehmen. 

Anders verhält es sich mit Kranken, bei denen während jeder Exazerbation 
der Psychose gleichzeitig Diabetes in Erscheinung tritt. Gehen in der Heilung 
der betreffenden Krankheitsphase die psychischen Erscheinungen zurück, 
so verschwindet auch der Zucker im Urin. Hauptsächlich handelt es sich um 
Fälle im mittleren und höheren Alter, und ganz besonders um solche, welche 
eine mehr oder minder hochgradige psychomotorische Erregung zeigen. Es 
ist nicht abzuleugnen, daß hier die Wahrscheinlichkeit sehr nahe tritt, es komme 
dem Diabetes eine ätiologische Bedeutung zu. Das Umgekehrte, daß etwa das 
manisch-melancholische Irresein den Diabetes auslösen könnte, ist nach dem 
Stande unserer Kenntnisse unwahrscheinlich. Wie allerdings die Auslösung durch 
den Diabetes zustande kommt, steht dahin. Vielleicht ist es gerade diese Gruppe 
von Krankheitsfällen, welche geeignet ist uns am allerersten einen Blick in die 
gestörte innere Sekretion beim manisch-melancholischen Irresein zu gestatten. 
Für eine solche Störung der inneren Sekretion sprechen verschiedene Punkte, 
die hervorragende Bedeutung der Arteriosklerose, manche körperliche Er¬ 
scheinungen, z. B. die Ermüdbarkeit, Blutdruckerhöhung, Gewichtsabnahme, 
Aussetzen der Menses, Wachstumsstörung, plötzliches Ergrauen usw. 

6. Morbus Basedowi und das manisch-melancholische Irresein. 

Es wird von manchen Seiten, insbesondere von Schröder-Riga, ange¬ 
geben, daß zu gleicher Zeit mit einer Anschwellung des Halses durch Vergrößerung 
der Schilddrüse manisch-melancholische Psychosen beginnen und mit der 
Abschwellung der Drüse abheilen. Schröder hat mehrere derartige Fälle 
beobachtet und beschrieben. Zweifellos sind solche Fälle selten. Sie könnten 
beweisen, daß ein Zusammenhang zwischen innerer Sekretion, in diesen Fällen 
der Schilddrüse, und dem manisch-melancholischen Irresein besteht, was ja 
nach oben ausgeführten Gründen naheliegt. Ob sich dabei Basedow-Symptome, 
wie in Schröders. Fällen, entwickeln oder nicht, ist nebensächlich. 

Bei meinem Material sind Basedow-Symptome sehr selten, Schild¬ 
drüsenvergrößerungen nicht häufig. 



Affektverwandte Psychosen. 


123 


f) Affektverwandte Psychosen. 

1. Angstpsychose. 

Unter Angstpsychose versteht man nach Wernicke agitierte Depressionen 
mit Angstaffekt und vielfachen hypochondrischen Wahnvorstellungen. Es 
ist im folgenden eine eigenartige Angstpsychose zu erwähnen, welche erstmals 
von Nitsche beschrieben und demonstriert ist. Dieselbe zeichnet sich durch 
eine ratlose Unruhe aus, welcher der Angstaffekt den Grundton verliehen hat. 
Ihre Dauer ist verschieden; es kann zu Remissionen kommen; jedoch scheint 
der endliche Ausgang perniziös. Alzheimer hat einen typischen anatomischen 
Befund in einigen derartigen Fällen erhoben. In dem Falle Nitsches hatte 
sich im Klimakterium nach mehrmonatiger Depression und Schlaflosigkeit 
ziemlich plötzlich eine Psychose mit heftigster Angst, Selbstmordversuchen, 
Versündigungsideen und der Wahnvorstellung, schwanger zu sein, entwickelt; 
die Besonnenheit war erhalten. Nach einem Anfalle von Tetanie trat Verworren¬ 
heit mit Angst und sinnloser Erregung auf, welche bis zum Exitus andauerte. 
Die Kranke war tief verworren, ratlos und zeigte schweren Affekt. Sie redete 
unzusammenhängend und beziehungslos; dabei bestand zielloser Bewegungs¬ 
drang. Der Puls war sehr frequent und klein, das Körpergewicht sank rapid. 
Möglicherweise handelt es sich bei derartigen Krankheitsbildem um einen Ver¬ 
giftungsprozeß infolge Störung der inneren Sekretion. 

2. Depressiver Wahnsinn. 

Ich habe vor einiger Zeit eine Gruppe von Krankheitsfällen abzugrenzen 
gesucht, welche bei naher Verwandtschaft mit der Arteriosklerose des Gehirns 
einen Zusammenhang mit dem manisch-melancholischen Irresein nicht er¬ 
kennen lassen. 

Die Erkrankung setzt im Präsenium ein; hereditäre Belastung und frühere 
Krankheitsphasen bestehen nicht. Der Beginn der Krankheit erfolgt akut. 
Körperlich bestehen die Zeichen einer allgemeinen Arteriosklerose. Der Er¬ 
nährungszustand ist schlecht, die Pupillen erscheinen eng und verzogen. Eine 
psychische Verstimmung steht im Vordergründe des Krankheitsbildes; gelegent¬ 
lich treten Schwankungen des Affektes bis zur Euphorie auf. Es bestehen 
massenhaft Gehörstäuschungen ängstlicher verfolgender Art. Die depressiven 
Wahnvorstellungen gehen den vorherrschenden Sinnestäuschungen parallel. 
Den deliranten Vorstellungen entspricht das wechselvolle motorische Verhalten; 
Agitation wechselt mit eigentümlich manirierten, katatonisch aussehenden 
Haltungsstereotypien, denen der Negativismus fehlt. Eine einheitliche psycho¬ 
motorische Störung 'fehlt. Die Umgebung wird häufig wahnhaft verkannt, 
so daß die Orientierung wechselnd mehr oder weniger gestört ist. 

Wegen des Fehlens einer einheitlichen psychomotorischen Störung und 
der geringen Prägnanz der Triassymptome ist die Diagnose des manisch-melan¬ 
cholischen Irreseins auszuschließen. Am meisten passen die Fälle zu denen, 
welche Kraepelin früher als depressiven Wahnsinn beschrieben hat, von denen 
sie aber die nahe Verwandtschaft zur Gehirnarteriosklerose und das Vorherrschen 
der Sinnestäuschungen unterscheidet. 



124 


Todesursachen, pathol. Anatomie. 


G. Todesursachen, pathol. Anatomie. 

Es ist natürlich, daß bei den manisch-melancholischen Kranken die 
Todesursachen vielfach in interkurrenten akuten Krankheiten liegen. Lungen- 
Phtlnse ist im Gegensätze zum Vorkommen bei der Dementia praecox nicht 
allzu häufig. Es kommen als Ausnahmen plötzliche Todesfälle bei schweren 
Aufregungszuständen vor. • So starb eine 22 jährige manische Kranke in der 
Erregung ohne körperliche Vorboten. Eine Todesursache wurde bei der Ob¬ 
duktion nicht gefunden. 

Die chronischen Kranken mit manisch-melancholischem Irrsein leiden, wie 
wir oben schon gesehen haben, außerordentlich oft an einer Arteriosklerose des 
Gehirns. Diese ist auch bei unseren Kranken die häufigste Todesursache. Entweder 
kommt es zu Erweichungsherden oder zu Apoplexien, öfters auch zu duralen 
Hämatomen. Lange vorher werden diese Kranken immerhinfälliger; die krank¬ 
haften Vorstellungen treten wegen des körperlichen Marasmus, der Schwäche 
und starken Ermüdbarkeit mehr zurück. Bei der Obduktion finden sich besonders 
häufig arteriosklerotische Nieren und Herzklappenfehler neben einer Sklerose der 
Arterien, besonders der Himarterien, ferner der Aorta und der Arteria coronaria. 

Die pathologische Anatomie, insbesondere des Gehirnes, hat bisher 
bei dem manisch-melancholischem Irresein keine greifbaren Resultate gezeitigt. 
Es ist auch sehr fraglich, ob jemals nach dieser Richtung etwas erreicht werden 
wird. Immerhin ist die Untersuchung der Involutions- und senilen Zustände 
von größtem Werte auch für unsere Psychose, da hierdurch allmählich eine 
genauere Abgrenzung gegen die genannten Erkrankungen möglich werden wird. 

Von manchen Seiten (Pilcz) sind bei zirkulären Erkrankungen, welche 
wohl dem manisch-melancholischen Irresein zuzuweisen sind, Gehirnnarben 
festgestellt worden. Genauere Befunde darüber, wie auch über sonstige Ver¬ 
änderungen der Hirnrinde liegen nicht vor. 

H. Diagnose. 

Früher wurde bei der Diagnose der Manie und Melancholie fast nur auf 
die Störung des Affekts Rücksicht genommen, und es wurden Verstimmungen 
expansiven Charakters Manie, solche depressiven Charakters Melancholie ge¬ 
nannt. Die natürliche Folge dieser Diagnostik war die, daß wir Manie und 
Melancholie im Verlaufe von psychischen Erkrankungen fanden, die wegen 
ihrer Ätiologie, Symptome und ihres Verlaufes seit langer Zeit als selbständige 
Krankheitsbilder richtig auf gef aßt wurden, so bei Epilepsie, progressiver Paralyse 
usw. Wie am Anfänge ausgeftihrt, haben französische Autoren den zirkulären 
und periodischen Typus der Manie bzw. Melancholie als eigene Krankheits¬ 
form auf gef aßt. 

Auf diesem Standpunkte blieb die diagnostische Kunst stehen, bis Kraepe- 
lin nachwies, daß Manie und Melancholie Symptome gemeinsam haben, die 
darauf hinweisen, daß ohne Berücksichtigung des periodischen Verlaufes Manie 
und Melancholie Zustandsbilder einer und derselben Krankheit sind. Diese 
Krankheit nannte Kraepelin manisch-depressives Irresein. Er gründete 
die bekannte Symptomen-Trias, der Störung des Affekts, des Willens und des 
Denkens. 



Diagnose. 


126 


Selbstverständlich ist mit dieser Trias und ihrer Mischung, welche die 
Theorie der Mischzustände aufbaut, noch keine Erklärung des Symptomen- 
komplexes des einzelnen Falles eines Mischzustandes gegeben. Die Theorie 
ist der Praxis nicht gewachsen; es ist nicht möglich, sämtliche Fälle, deren 
klinische Zugehörigkeit zum manisch-melancholischen Irresein wir annehmen, 
durch die Trias restlos aufzukären. Vor allem ist es zweifellos, daß wir zu er¬ 
gründen suchen müssen, ob die Krankheit nicht auf eine Fundamentalstörung 
zurückzuführen sein könnte. 

Eine grundlegende somatische Störung, die zu finden unser ernstes Be¬ 
streben vor allem sein muß, ist bisher nicht aufzudeoken gewesen. Wir wissen, 
daß schwere körperliche Störungen vorhanden sind, die die Ernährung und 
den Kreislauf erheblich beeinflussen; doch haben wir noch nicht die Möglichkeit, 
entweder ein bestimmtes Organ für die grundlegende Schädigung verantwortlich 
zu machen oder sekundär Körpergifte irgendwelcher Art als Ursache heran¬ 
zuziehen. Die pathologische Anatomie hat bisher in der Ergründung versagt. 

So sind wir auch fernerhin darauf angewiesen, uns an die psychologische 
Symptomatik zu halten, die hier in der-bekannten Trias gegeben ist. Die 
Meinung über die grundlegende Störung ist sehr verschieden. Ziehen nimmt als 
das Wesentlichste die Störung des Affektes an; Kraepelin konnte sich nicht 
zu einem Moment entschließen; andere Autoren halten neuerdings, wie es 
Wernicke schon früher getan hat, die Denkstörung bzw. Denkhemmung 
für das wesentlichste Moment. Ich habe schon in einem Vortrage 1907 in 
Frankfurt meine Ansicht dahin ausgesprochen, daß die Denkstörung als die 
Fundamentalstörung anzusehen ist. Diese Ansicht wurde dadurch gewonnen, 
daß im Verlaufe einer manisch-melancholischen Psychose Zustände Vorkommen, 
in denen von einer Störung des Affekts nichts zu beobachten ist, in denen aber 
eine Störung des Denkens im Vordergründe steht; besonders ist das zu 
sehen in den Bildern, die früher als der Amentia Meynert zugehörig betrachtet 
worden sind. Ist ein solcher Zustand gewichen, und befragen wir den Eiranken, 
wie er sich in diesem Zustand gefühlt habe, so erfahren wir regelmäßig, er habe 
nicht denken können. Ähnlich sind die Äußerungen der Kranken aber auch 
nach Ablauf manischer und melancholischer Zustände, sowie auch während 
derselben. Wir erfahren von den Kranken, sie können nicht denken, sie haben 
so viele oberflächliche Gedanken, daß das Verfolgen eines Gedankens in ge¬ 
ordneter Weise nicht möglich sei; dadurch komme Angst, dadurch auch je nach 
der Art der Vorstellungen Glücksideen, oder auch, bei Vorherrschen von Sinnes¬ 
täuschungen oder gleichgültigen Vorstellungen, Gleichgültigkeit, anscheinend 
affektloser Stupor, Amentia, Zustand von Ratlosigkeit zum Ausdruck. 

So wird auch die Störung erklärt, die die Willenstätigkeit erleidet; 
der Kranke ist nicht imstande, normale Assoziationsreihen zu bilden, die die 
Anknüpfung der sehr komplizierten Vorgänge der Handlung ermöglichen lassen. 
Wir verstehen die Ideenf luoht als einen sehr hohen Grad einer Denkhemmung; 
jeder Eindruck der Sinnesorgane gleitet oberflächlich ab; es ist dem Kranken 
nicht möglich, Hemmungen dem weiteren Herandrängen von Eindrücken 
entgegenzusetzen; einer folgt dem andern, kunterbunt und um so ungeregelter, 
je weniger logische Assoziationen die Kranken zu leisten vermögen. Die Ideen¬ 
flucht braucht nicht mit der Erleichterung der sprachlichen Motilität verbunden 
zu sein. Wir finden im Gegenteil die stärksten Grade der Ideenflucht bei den 



126 


Diagnose. 


Stuporzuständen, als welche wir solche bezeichnen, bei denen neben der psychi¬ 
schen eine schwere motorische Hemmung vorliegt. Selten haben wir Gelegenheit 
zu erfahren, mit welcher Unsumme von Eindrücken der Eiranke zu arbeiten 
hatte. 

Nach meiner Ansicht ist die Denkhemmung das wichtigste Symptom 
des manisch-melancholischen Irreseins, das man also besser Hemmungs- bzw. 
Inkohärenzpsychose nennen würde, auch im Hinblick darauf, daß eine 
Menge von Zuständen leichter Art in den Eireis hineingehören, denen wir das 
Wort „Irresein“ beizulegen kein Recht haben, und die deshalb bisher aushilfs¬ 
weise anders bezeichnet wurden. Die Denkhemmung wird auch am besten die 
Schwere der jeweiligen Erkrankung kennzeichnen. Finden wir keine Merkmale 
für die Denkhemmung, so werden wir mit der Diagnose einer „Hemmungs¬ 
psychose“ vorsichtig sein. Es ist dann notwendig, die übrigen Symptome, 
Affekt- und Willenstörung, zur Hilfe heranzuziehen, wenn dieselben auch weniger 
beweisend erscheinen. Gestützt ist meine Annahme durch psychologische 
Versuche, die oben ausführlich dargelegt worden sind, insbesondere durch 
das Symptom der Ablenkbarkeit, das erhebliche klinische Bedeutuxig be¬ 
ansprucht. 

In zweiter Linie kommt die Affektstörung; sie ist in den meisten Fällen 
das am meisten in das Auge fallende Krankheitszeichen. Sie ist fast in allen 
Fällen vorhanden, nicht selten aber durch die Denkstörung verdeckt, was 
insbesondere von den Stuporformen gilt. Eine nicht geringe Schwierigkeit 
machen in manchen Fällen die Mischaffekte, besonders in den leichteren Krank¬ 
heitsformen. 

Als sehr wichtig ist weiterhin die psychomotorische Störung zu 
erwähnen. Hier steht die Einheitlichkeit der Störung auf eine verhältnismäßig 
lange Zeitperiode im Vordergründe; ferner ist zu achten auf die Einheitlichkeit 
der Störung in ihrer psychologischen Zusammensetzung. Erheblich schwieriger 
diagnostisch sind die psychomotorischen und affektiven Mischzustände, 
wenn nicht andere Symptome die Diagnose zu stützen imstande sind, zu ver¬ 
werten. 

Von den Wahnvorstellungen sind charakteristisch die Vereündigungs-, 
und Selbstbezichtigungswahnvorstellungen, ferner die krankhaften Zukunfts¬ 
sorgen. Die Sinnestäuschungen bieten wenig, was an und für sich für das 
manisch-melancholische Irresein charakteristisch wäre. 

Als wichtig dagegen müssen die Schlafstörungen und Tagesschwankungen, 
wie auch die kurzen Affektschwankungen, schon suggestiver Art, betont werden. 
Große Bedeutung ist dem Nachweis einer spezifischen Konstitution, welche 
die Symptome der Krankheit in leichtester Form zeigt, beizumessen. Damit ver¬ 
bunden ist die Beurteilung der Verlaufsform; am meisten wird die Diagnose 
erleichtert durch den Nachweis der Periodizität, welcher aber, wie wir wissen, 
nur in einem Teil der Fälle zu führen ist. 

An körperlichen Symptomen stehen Veränderungen im Körpergewicht, 
Amenorrhoe, Verdauungsträgheit und Appetitlosigkeit im Vordergründe des 
diagnostischen Interesses. 

Die hereditären Verhältnisse können die Diagnose stützen, soweit 
sie gleichartige Erkrankungen betreffen. Im übrigen können sie, auch wenn 
starke psychische Belastung nachzuweisen ist, , bis jetzt nicht verwendet werden. 



Dementia praeoox. 


127 


I. Differentialdiagnose. 

Die Differentialdiagnose wie die Diagnose muß sich beim Fehlen einer 
bestimmten Ätiologie auf die Unterschiede in den Symptomen und auf die Art 
des Ausgangs der Krankheit beschränken. 

I. Imbezillität. 

Von den angeborenen Schwächezuständen kommt differentialdiagnostisch 
nicht ganz selten die Imbezillität in Betracht. Die leichten Formen des an¬ 
geborenen Schwachsinns sind deswegen hier nicht so wichtig, weil bei 
ihnen die psychischen Hemmungen, die die schwereren Formen oft zeigen, 
weniger deutlich sind. Diese Hemmungen verbunden mit Affekstörung können 
in der Beurteilung recht schwierig werden; sie machen in ihrer Gesamtheit 
nicht selten den Eindruck eines läppisch-manischen Zustandes, mitunter auch 
den einer gehemmten Verstimmung. Abgesehen von der Anamnese, welche 
meist über die Konstitution der Kranken Aufschluß geben wird, zeichnen 
sich manische Zustände bei Imbezillen durch geringe Produktivität und kind¬ 
liche Beeinflußbarkeit aus. Sehr schwer ist es, eine gehemmte Depression 
zu unterscheiden, besonders wenn die Kranken über ihre psychischen Vorgänge 
keinen Bescheid geben. Der Verlauf stellt die Diagnose in der Regel bald klar; 
Erregungen oder Hemmungszustände bei Imbezillität pflegen kurzen Verlauf zu 
haben, ferner führt der Habitualzustand zu rascher Aufklärung. Natürlich gibt 
es Fälle von echtem manisch-melancholischen Irresein bei Imbezillen, im all¬ 
gemeinen sind sie aber selten. Sehr wahrscheinlich ist, daß psychologische 
Versuche während des krankhaften Zustandes viel Wichtiges in differential¬ 
diagnostischer Beziehung zutage fördern würden. 

II. Dementia praecox. 

Sehr bedeutend sind die Schwierigkeiten, welche bei der Differential¬ 
diagnose zwischen dem manisch-melancholischen Irresein und der Dementia 
praecox entstehen. Das Hauptsymptom der Dementia praecox ist die gemüt¬ 
liche Verblödung, die Verödung und Verflachung der Affekte-. In vielen Fällen 
ist sicher der Unterschied einleuchtend. In einer nicht geringen Anzahl von 
Fällen aber, in denen Stupor oder ein „läppischer“ Affekt vorhanden ist, ist 
mit dieser Hauptunterscheidung nicht auszukommen. Es kommen dann die 
Hilfssymptome in Betracht: Autismus, Befehlsautomatie, Katalepsie, Stereo¬ 
typie usw., sie alle versagen gar häufig. Wir finden im manisch-melancholischen 
Stupor auch Katalepsie und Stereotypie; selbst Anklänge von Befehlsautomatie 
begegnen uns. Es bleibt also der Negativisjnus übrig und tatsächlich zeigt 
sich dieses Symptom als ein zuverlässiges. Gerade bei Zuständen, die ausge¬ 
sprochen katatonisch sind, und die wir als der Dementia praecox zugehörig 
zu betrachten gewohnt sind, erscheint der Negativismus manchmal zu fehlen, 
und erfahrungsgemäß sind solche Zustände dem manisch-melancholischen Irre¬ 
sein zugehörig. Bei manchen Stupor-Zuständen leistet die Prüfung der Ablenk¬ 
barkeit wertvolle Dienste. Finden wir erhöhte Ablenkbarkeit, so können 
wir mit größter Wahrscheinlichkeit eine manisch-melancholische Psychose dia¬ 
gnostizieren. Dieses diagnostische Hilfsmittel kommt insbesondere noch in 
Betracht bei den Zuständen, die früher der Amentia zugerechnet wurden, und die 



128 


Differentialdiagnose. 


jetzt als teilweise der Dementia preacox und teilweise dem manisch-melancholi 
sehen Irresein zugehörig erkannt worden sind. Bezüglich der Erregungszustände 
ist die Einheitlichkeit der psychomotorischen Störung, welche den Dementia 
praecox-Rranken fehlt von Wichtigkeit. Die Affektzustände, wenn solche 
ausnahmsweise in der Form erhöhter affektiver Ansprechbarkeit vorhanden 
sind, pflegen an Intensität nicht gleichmäßig und von kürzerer Dauer zu 
sein; die Denkstörung der Manisch-Melancholischen fehlt. 

Einiges weitere, was differentialdiagnostisch wichtig ist, möchte ich hier 
noch anführen. Das ist zunächst die Gewichtsabnahme, die wir bei dem 
manisch-melancholischen Irresein im akuten Stadium finden, auch während 
Stuporzuständen; bei dem Stupor der Dementia praecox finden wir sehr häufig 
eine bedeutende Gewichtszunahme. Weiterhin kommt in Betracht die 
Schlaflosigkeit der Manisch-Melancholischen im Gegensatz zu den Dementia 
praecox- Kranken, die nach der Erregung des Tages meist eine auffallend gute 
Nachtruhe genießen können. Endlich möchte ich noch erwähnen die Differenz 
in der Affektlage, die wir als Tagesschwankung zu ‘bezeichnen pflegen. Solchen 
Schwankungen begegnen wir bei den Dementia praecox-Kranken nicht. Zu¬ 
zufügen ist noch, daß man versucht hat, die Blutdruckmessung als exakte 
Methode in den Dienst der Differentialdiagnose zu stellen. Es hat sich gezeigt, 
daß im allgemeinen der Blutdruck bei manischen und depressiven Kranken 
gesteigert ist, während bei der Dementia praecox der Blutdruck ein normaler 
zu sein pflegt. Dieses Hilfsmittel versagt natürlich in Erregungszuständen von 
vornherein wegen der technischen Schwierigkeiten. Es ist aber überhaupt 
nur mit Vorsicht zu verwerten, da im einzelnen Falle beim manisch-melancho¬ 
lischen Irresein eine Erhöhung des Blutdrucks fehlen kann, während manche Fälle 
von Dementia praecox erhöhten Blutdruck haben. Ähnlich verhält es sich mit 
der Pulsfrequenz; dieselbe ist im allgemeinen im manisch-melancholischen 
Irresein über die Norm gesteigert, während sie bei Dementia praecox normal 
zu sein pflegt. Auf die Versuche, die im Gebiet des psychologischen Experi¬ 
mentes vorgenommen wurden, und deren Resultate will ich nicht näher ein- 
gehen. Sie sind bisher nicht imstande gewesen, uns differentialdiagnostisch 
einwandfreie Fortschritte zu bieten. 

Zu erwähnen ist schließlich noch das Fehlen der spezifischen manisch¬ 
melancholischen Konstitution. 

Der Ausgang beider Krankheiten ist ein prinzipiell verschiedener. Bei 
der Dementia praecox bleibt eine geistige Schwäche, besonders auf dem Gebiete 
des Affektes und des Willens, zurück. Die Manisch-Melancholischen sind bei 
Abheilung eines Anfalles freilich auch nur relativ gesund; auch hier können 
Affekt- und Willensstörungen bestehen bleiben, oft in einer Vermengung, welche 
zur Abtrennung der beiden Erkrankungen kaum brauchbar ist; wesentlich 
aber ist bei letzteren die eigenartige Denkhemmung, welche den Dementia 
praecox-Kranken fehlt. 

III. Epilepsie. 

Epilepsie und manisch-melancholisches Irresein haben nicht viele Be¬ 
rührungspunkte. Die seltenen Fälle, in denen bei letzterem epileptische An¬ 
fälle zur Beobachtung kommen, können außer Betracht bleiben. Wichtiger ist es, 
die Verstimmungen der Epileptiker von denen der Melancholischen zu trennen; 



Lues bzw. Metalues. Senile Demenz. 


129 


die epileptischen Verstimmungen sind etwas Fremdartiges, plötzlich über den 
Kranken Kommendes, während die melancholischen Verstimmungen aus der 
psychischen Verfassung der Persönlichkeit heraus erwachsen. Erster© dauern 
meist nur Stunden, höchstens Tage, letztere nur ganz ausnahmsweise so kurze 
Zeit. 

Schwierig kann die Differentialdiagnose bei einem epileptischen Dämmer¬ 
zustand mit der Form eines Stupors werden. Hier ist wohl ähnlich wie beim 
katatonischen Stupor der Dementia praecox die Ablenkbarkeit ein wichtiges 
Symptom neben dem Fehlen eines ausgeprägten Affektzustandes. 

IV. Lues bzw. Metalues. 

Psychosen bei Lues und Metalues sind bis zu einem gewissen Grade durch 
die körperlichen Erscheinungen der Lues bzw. Metalues diagnostisch gesichert. 
Die Symptome der Lues brauchen hier nicht im einzelnen angeführt zu werden. 
Luische Psychosen kommen differentialdiagnostisch kaum in Betracht, weil 
sie schon durch ihr halluzinatorisches Gepräge besonders charakterisiert sind. 

Die Affektzustände der Paralyse waren früher, hauptsächlich bei be¬ 
ginnenden Fällen, diagnostisch oft sehr schwierig zu deuten. Die neuen 
Untersuchungsmethoden des Blutes und Liquors haben die Differentialdiagnose 
im ganzen gesichert. 

Schwierig in der Beurteilung bleiben Psychosen bei Lues cerebros pinalis, 
welche nicht eigentlich luetischen Charakter haben, gegenüber der Paralyse; 
dasselbe gilt von Psychosen bei Tabes dorsalis. Hier versagen auch die körper¬ 
lichen Symptome aller Art fast vollständig, soweit nicht schwerere Lähmungs¬ 
symptome vorhanden sind, weil sie beiden Ghippen gemeinsam sind. Eine 
erregte Manie und eine gehemmte Melancholie bei Lues bzw. Tabes kann klinisch, 
wenn die Kranken über ihren Zustand nicht eingehender Auskunft geben können, 
sehr sohwer von der progr. Paralyse zu trennen sein. Vielfach wird hier nur die 
Anamnese und der Verlauf die Diagnose sichern. Die manisch-melancholischen 
Kranken mit lichtstarren Pupillen und Blut- bzw. Liquorveränderungen sind 
keine seltene Erscheinung; sie bedürfen zur Beurteilung genauester klinischer 
Untersuchung und Beobachtung. 

V. Senile Demenz. 

Die senile Demenz zeitigt Zustände,die vor allem in Gestalt von Erregungs¬ 
zuständen, oft tobsüchtiger Art, manischen und melancholischen Krankheits¬ 
phasen sehr ähnlich sehen können. In solchen Zuständen versagen die sonst 
typischen Symptome der Gedächtnis- und Merkfähigkeitsschwäche, sowie 
der Einschränkung des geistigen Gesichtsfeldes. Die Zustände bei den Senilen 
sind im allgemeinen sehr stereotyp, der Inhalt der sprachlichen Äußerungen 
monoton und entbehrt bei manie-ähnlichen Psychosen der Ideenflucht, bei 
melancholischen der Äußerungen, die Interesse an Familie und Umgebung 
bezeugen; sie sind egozentrisch, ja vielfach gegen die Umgebung vollständig 
gleichgültig, wie in sich abgeschlossen. Die Ablenkbarkeit fehlt. 

Die Schwierigkeiten der Differentialdiagnose sind besonders deswegen 
oft sehr große, weil es nicht gerade zu den Seltenheiten gehört, daß im Senium 
das manisch-melancholische Irresein zum erstenmal in Erscheinung tritt, offen- 
&ehm. Das manlach-melancholische Irresein. 9 



130 


Differentialdiagnose. 


bar begünstigt durch die senile Involution, ähnlich wie die Involution überhaupt 
ein begünstigender Faktor ist. Vielleicht ist gerade in diesen schwierigen Fällen 
das Abderhaldensche Verfahren geeignet, differentialdiagnostisch Brauch* 
bares zu liefern. 

VI. Hirnarteriosklerose. 

Die Diagnose Himarteriosklerose ist gesichert, wenn neben den bekannten 
körperlichen allgemeinen Veränderungen lokalisierte Herdsymptome von seiten 
des Gehirnes bestehen. Schwieriger wird die Diagnose, wenn die Himarterio¬ 
sklerose erst in Entwicklung begriffen ist. Hier ist von besonderer Wichtigkeit 
das Vorkommen von organischen Schwindeieracheinungen, Gedächtnisstörungen, 
Ermüdbarkeit und Egozentrizität. Es handelt sich im allgemeinen um De¬ 
pressionen, deren klinische Zugehörigkeit Schwierigkeiten in der Beurteilung 
macht. Über die Frage ist oben schon ausführlich gesprochen, so daß sich 
hier nochmalige Betrachtungen erübrigen. 

Wie bei der senilen Demenz sind auch hier Kombinationen möglich, deren 
klinische Deutung sehr häufig unüberbrückbaren Schwierigkeiten begegnet. 
Die arteriosklerotische Depression leitet über zu der Gruppe der Involutions¬ 
psychosen, hauptsächlich der Depressionen, von denen oben zwei Arten, die 
Angstpsychose und der depressive Wahnsinn besprochen sind. Die klinische 
Differenzierung der verschiedenen Gruppen ist bisher noch nicht genügend. 
Es ist zu hoffen, daß weitere anatomische und biologische Methoden uns nach 
dieser Richtung weiter fördern werden. 

VII. Infektiöses und postinfektiöses Dilir. 

Das infektiöse Delir ist insoferae wichtig, als wir beobachten, daß 
manisch-melancholische Kranke in demselben ähnliche Zustände, vor allem 
mit demselben Inhalte der wahnhaften Erlebnisse, durchmachen wie zu einer 
anderen Zeit ihres Lebens in einer einwandfreien manisch-melancholischen 
Periode. Offenbar ist es die Anlage, die durch die Infektion zur Erscheinung 
gebracht wird, und die bei der betreffenden Persönlichkeit eine Neigung zu 
Delirien in sich birgt. Die Differentialdiagnose ist durch die fieberhafte Er¬ 
krankung, welcher eine Infektion zugrunde liegt, dann gesichert, wenn der 
Zustand sich während der körperlichen Erkrankung entwickelt und mit ihrer 
Heilung wieder verschwindet. Liegt eine manisch-melancholische Erkrankung 
vor, wird diese die infektiöse Erkrankung in der Regel überdauern. 

Schwieriger in der Beurteilung ist das postinfektiöse Delir. Hier 
ist ätiologisch die Erschöpfung das wesentliche Moment. Bekannt ist die Amentia 
Kraepelins. Sie könnte symptomatisch zur Verwechslung mit einem läppisch 
manischen Erregungszustand führen. Hier ist von Wichtigkeit, daß die sprach¬ 
lichen Äußerungen nicht ideenflüchtiger Art zu sein pflegen, sondern eher 
dem Wortsalat der Dementia praecox-Kranken sich nähern, ferner daß di© 
psychomotorische Störung keine einheitliche ist. Der Verlauf und die Art der 
Entstehung sichert die Diagnose. 

VIII. Chronische Vergiftungen. 

Chronischer Morphium mißbrauch beruht, abgesehen von den 
nicht allzu häufigen Fällen, in denen ein schweres schmerzhaftes Leiden Mor- 



Psychopathie, Hysterie, Zwangsvorstellungen. 


131 


phiumgebrauch dauernd mehr oder weniger bedingt, fast immer auf der Grund¬ 
lage einer psychopathischen Veranlagung. Diese hat gerade bei den Morphi¬ 
nisten in sehr vielen Fällen zyklothymischen Charakter. So erklärt es sich, 
daß Morphinisten längere Zeit des Giftes entraten, sich selbst davon befreien 
und sich in diesen, den manischen Zeiten, besten Wohlbefindens erfreuen, bis 
die Depression mit der Arbeitserschwerung, Schlaflosigkeit und Entschlu߬ 
unfähigkeit kommt und eine neue Phase des Morphinismus hervorruft. Es 
gibt nun Fälle, die während der Abstinenzbehandlung sehr schwierig und aus¬ 
fallend werden, wobei sogar Gewalttätigkeiten zum Ausdrucke kommen. Ein 
Kranker fing während der Kur zu halluzinieren an, er hörte pfeifen vor dem 
Hause und kam in eine manische Erregung längerer Dauer, welche die Symptome 
des manisch-melancholischen Irreseins trug. 

Es ist wichtig, an dieso häufige zyklothyme Basis der Morphinisten zu 
denken und diese diagnostisch von den Äußerungen der erzwungenen Ab¬ 
stinenz zu unterscheiden. 

Der chronische Alkoholismus zeigt in seinen Folgezuständen, dem 
alkoholischen Delir und dem Alkoholwahnsinn Formen, die der diffe¬ 
rentialdiagnostischen Besprechung wert sind. 

Es gibt Fälle von manisch-melancholischem Irresein, die bei starkem 
Alkoholgenuß vor der Psychose eine Art von Delir bieten mit starkem Tremor, 
Andeutung von Beschäftigungsdrang, großer Unruhe und einzelnen Visionen, 
auch Druckvisionen. Dabei entbehrt die Stimmung der euphorischen Färbung; 
sie ist depressiv, Naoh Ablauf des Deliriums tritt die Melancholie mit all ihren 
charakteristischen Erscheinungen, vereinigt mit psychomotorischer Unruhe, 
klar zutage. Es handelt sich hier um seltene Fälle. 

Viel wichtiger ist die Differentialdiagnose von Alkoholwahnsinn und 
manisch-melancholischem Irresein. Die Vorbedingung ist der chronische Al¬ 
koholismus, der hier offenbar seine Neigung zu Gehörstäuschungen mit den 
Symptomen unserer Psychose vermengt. Nach einiger Zeit treten die Gehörs¬ 
täuschungen in den Hintergrund und es bleibt der Zustand der manisch-melan¬ 
cholischen Psychose zurück. Es handelt sich im wesentlichen um ängstliche 
melancholische Phasen der Erkrankung. Während des ersten Stadiums ist die 
Diagnose des manisch-melancholischen Irreseins zweifellos sehr schwierig, 
insbesondere, als es sich um eine Vermengung von Angstaffekt mit psycho¬ 
motorischer. Erregung handelt. Das Symptom der inneren Ideenfluoht könnte 
hier verwertet werden. 

IX. Psychopathie, Hysterie, Zwangsvorstellungen. 

Praktisch von nicht sehr einschneidender Bedeutung erscheint mir die Diffe¬ 
rentialdiagnose des manisch-melancholischen Irreseins gegenüber der psychopa¬ 
thischen Konstitution und der Hysterie. Wirfinden hier alle möglichen Übergänge. 
Das Wesentlichste ist die innerlich begründete Periodizität im manisch-melan¬ 
cholischen Irresein gegenüber diesen Formen, die in ihrer Auslösung an äußere 
Umstände anknüpfen. Wir finden schon in den leichtesten Fällen von manisch¬ 
melancholischem Irresein Andeutungen der typischen Symptome, ferner die 
Konstitution mit ihren leichten Symptomen der Affekt-, Willens- und Denk¬ 
störung. Die Auslösung eines in Betracht kommenden Zustandes durch äußere 

9* 



132 


Prognose. 


Umstände spricht im allgemeinen für Psychogenie; doch finden wir bei der 
manisch-melancholischen Konstitution, je mehr sie gepaart ist mit psychogenen 
Momenten, desto häufiger eine „Auslösung“; und ebenso verhält es sich mit 
der Hysterie; wir finden Anfälle hysterischen Charakters und Stigmata bei 
Manisch-M' lancholischen um so mehr, je mehr hysterische Züge bc igemengt sind. 

Die konstitutionelle Verstimmung und Erregung sind biologisch zum 
manisch-melancholischen Irresein und seinem erweiterten Formenkreise zu 
rechnen. Wir finden hier die Symptome wieder, die wir in prägnantester Weise 
im manisch-melancholischen Irresein zu finden gewohnt sind. Ferner sehen 
wir in diesen Fällen fast immer Anklänge der typischen Stimmungsschwan¬ 
kung nach der entgegengesetzten Seite hin. 

Was das Gebiet der Zwangsvorstellungen betrifft, so ist hier die Dif¬ 
ferentialdiagnose nicht schwierig. Es ist wichtig, darauf zu achten, daß melan¬ 
cholische Zustände nicht selten mit Zwangsvorstellungen einhergehen, ohne 
im übrigen irgendwie atypisch zu sein. Prognostisch sind solche Fälle natürlich 
ganz anders zu beurteilen wie die prognostisch so ungünstigen eigentlichen 
Zustände von Zwangsvorstellungen. 

K. Prognose. 

Im allgemeinen ist die Prognose des manisch-melancholischen Irreseins 
als günstig zu bezeichnen. Die einmaligen und die periodischen Erkran¬ 
kungen schließen die günstige Prognose im allgemeinen in sich. Die sub- * 
chronischen Fälle erscheinen zweifc lhaft; ein Teil derselben geht in Chronizität 
über und wird dadurch ungünstig. Wenn auch einzelne der sehr lange dauernden 
Fälle, besonders solche der früheren Altersstufen, heilen, so muß man diese 
doch als Ausnahmen betrachten; im allgemeinen sind daher die chronischen 
Fälle als ungünstig (Kreuser 1 ) anzusehen. Die Psychose hört nicht auf, sie 
hat keinen anderen symptomatologischen Charakter angenommen, aber ihr 
Verlauf ist ohne Ende. Interkurrente Krankheiten werden durch die schließ- 
liche körperliche Erschöpfung begünstigt. 

Wie wir bei der Betrachtung der chronischen Fälle gesehen haben, gehen 
einige in zerebrale Arteriosklerose über, andere in senile Demenz. In diesen 
Fällen kann man den endlichen ungünstigen Ausgang nicht mit dem manisch¬ 
melancholischen Irresein in unmittelbaren Zusammenhang bringen. 

Die Frage des Zusammenhanges von Arteriosklerose mit dem manisch¬ 
melancholischen Irresein ist noch ganz ungeklärt; immerhin ist der Eindruck 
vorhanden, als ob das manisch-melancholische Irresein die zerebrale Arterioskle¬ 
rose begünstigen könnte. Die umgekehrte Annahme, daß Gefäß Veränderungen 
die Psychose verursachen, ist wohl unberechtigt, wenn auch der Gefäßinner¬ 
vation möglicherweise ein gewisser Einfluß einzuräumen ist; man könnte an 
einem Verbrauch nach Edinger denken. 

Es gibt nun eine ganze Anzahl von Fällen, welche lange dauern und in 
steigendem Maße Arteriosklerose zeigen. Wir finden solche Symptome besonders 
bei zirkulären Fällen. Die einzelnen Phasen werden verwaschen, es tritt eine 
traumhafte, unklare Stimmung ein, eine gewisse Schwerbesinnlichkeit, welche 
bei Wechsel der Phasen stabil bleibt. Die Körpergewichtsschwankungen bleiben 

l ) Kreuser, Spätgenesungen bei Geisteskranken. Zeitschr. f. Psych. 67, 1900. 



Therapie. 


138 


dabei bestehen. Die Kranken vernachlässigen sioh mehr, sie werden gegenüber 
ihrem Äußeren gleichgültig und schon in leichteren Erregungen unreinlich 
bis zur Verunreinigung mit Kot. Es scheint, als ob bei solchen Kranken eine 
bleibende Schwäche des Willens und der Besonnenheit vorhanden ist. Solche 
Fälle bieten nach meiner Ansicht einen Schwächezustand, welcher mög¬ 
licherweise dem manisch-melancholischen Irresein zuzuschreiben ist; nicht 
ausgeschlossen ist, daß die Gefäßsklerose dabei eine Bolle spielt. Mit Be¬ 
stimmtheit läßt sich das nicht sagen; fehlen uns doch die Mittel, eine nicht 
vorgeschrittene Sklerose der Gehimarterien im Leben objektiv nachzu¬ 
weisen. Ich brauche nicht zu betonen, daß der Nachweis einer peripheren 
Sklerose oder auch einer Aortenstenose noch keinen Schluß auf eine krank¬ 
hafte Beschaffenheit der Himgefäße zuläßt; finden wir doch nicht selten 
bei peripherer Arteriosklerose die Gehimgefäße bei der Obduktion zart, und 
umgekehrt bei geringer oder fehlender peripherer Arteriosklerose die Him¬ 
gefäße sklerotisch. 

Nach dem Gesagten haben wir es beim manisch-melancholischen Irresein 
mit einem Krankheitsprozeß zu tun; dies wird nicht nur durch die Annahme 
von Schwächezuständen wahrscheinlich gemacht, sondern gesichert durch 
die im allgemeinen mit dem Alter steigende Periodizität, die Verlängerung der 
Krankheitsperioden bis zu subchronischem und chronischem Verlaufe. 

Im folgenden werden über die Prognose noch einige Einzelheiten zusammen¬ 
gefaßt angeführt. 

Die Ersterkrankungen verlaufen, was die Phase betrifft, günstig. 

An den einmaligen Erkrankungen ist die Melancholie verhältnismäßig 
sehr stark beteiligt (50 %). Die periodisch manischen Erkrankungen 
beginnen frühzeitig im Leben, sind aber, was die ganze Dauer betrifft, günstiger 
wie die anderen Gruppen; sie zeigen die geringste Periodizität und verkürzen 
die späteren Phasen am häufigsten; doch werden sie verhältnismäßig rasch 
chronisch und haben verhältnismäßig die meisten kurze Intervalle. 

Die periodisch melancholischen Fälle verlängern ihre Phasen gegen¬ 
über den manischen und zirkulären Erkrankungen am meisten, andererseits 
zeigen sie die meisten Mischzustände und die meisten langen Intervalle; sie ver¬ 
kürzen aber dieselben im Verlaufe der Psychose am stärksten. Die periodisch 
zirkulären Erkrankungen bilden die große Mehrzahl der periodischen Fälle 
überhaupt (75 %); sie zeigen die stärkste Periodizität, werden aber verhältnis¬ 
mäßig spät chronisch. 

Im ganzen kann man damit rechnen, daß das freie Intervall von längerer 
Dauer ist, wie die Krankheitsperiode. 

Mit zunehmendem Lebensalter werden sowohl Krankheitsphasen 
wie Intervalle länger. 

L. Therapie. 

Da eine ätiologische Behandlung nicht möglich ist, nachdem die Ursachen 
des manisch-melancholischen Irreseins nicht bekannt sind, so muß man sich 
darauf beschränken, die einzelnen Erscheinungen je nach ihrer schädigenden 
Bedeutung zu behandeln. 

Die Rassenhygiene könnte theoretisch bezüglich der Entstehung der 
Erkrankung durch Femhaltung insbesondere stark manisch-melancholisch 


i 



134 


Therapie. 


belasteter Stämme auf eine weitere Ausbreitung günstig wirken. Sehr wahr¬ 
scheinlich würde aber durch eine solche Maßnahme die Züchtung hochbegabter 
und talentierter Nachkommen Schaden leiden; ist es doch zweifellos, daß die 
Manisch-Melancholischen intellektuell hoch zu stehen pflegen. Praktisch sind 
wir noch nicht soweit in der Einsicht in diese verwickelten Probleme einge¬ 
drungen, daß in absehbarer Zeit nach dieser Richtung Schritte unternommen 
werden könnten. 

Im ganzen ist der Verlauf des Irreseins ärztlicher Beeinflussung nicht zu¬ 
gänglich. Immerhin erscheint es wesentlich, schwere äußere Einflüsse, be¬ 
sonders affektiver Art, von den Eiranken femzuhalten. Kann es doch kein 
Zufall sein, daß die Auslösung insbesondere durch psychogene Momente einen 
nicht zu unterschätzenden Faktor bildet. 

Der suggestive Einfluß des verständigen Arztes wird in leicht ver¬ 
laufenden Fällen sehr wesentlichen Nutzen bezüglich der Milderung nach 
außen projizierter Krankheitsäußerungen bringen können. Bei schwerer ver¬ 
laufenden Fällen ist die Behandlung in einer Krankenanstalt für Geisteskranke 
notwendig. Einerseits wird hierdurch die Umgebung des Kranken nicht nur 
bei gewalttätigen Kranken geschützt, sondern auch bei ruhigen geschont. 
Andererseits wird der Kranke davor gesohützt, unüberlegte, ihn schädigende 
Handlungen in der Öffentlichkeit zu begehen, und er wird vor allem entsprechen¬ 
der Behandlung zugeführt. 

Daß man bei der eigenartigen Erscheinungsweise mit im allgemeinen 
günstiger Prognose mit Entmündigung vorsichtig verfahren*muß, ist selbst¬ 
verständlich; solche Prozesse haben oft, wenigstens vorübergehend, schädigende 
Folgen für den Kranken. In sehr vielen Fällen wird die schonendere Schutz¬ 
maßregel, die Pflegschaft, genügen. Ähnlich verhält es sich mit der Ehescheidung 
nach längerem Verlaufe der Krankheit. Die Prognose ist nur in ganz seltenen 
Fällen mit Sicherheit ungünstig zu stellen; daraus ergibt sich, daß man mit 
allergrößter Vorsicht verfahren muß, soll nicht der Kranke geschädigt werden. 

In der Krankenanstalt tritt die notwendige individuelle Behandlung 
ein. Im allgemeinen ist der manische Kranke nach Möglichkeit frei zu behandeln, 
der melancholische nach der Art seiner* depressiven Äußerungen. Isolierung 
tobsüchtiger und sehr unruhiger Kranker ist seit langem als schädlich aufge¬ 
geben. Dagegen wirkt eine Separierung bei vielen Kranken sehr günstig. Ist 
es doch Erfahrungstatsache, daß unruhige Umgebung die Unruhe des Kranken 
vermehrt. Die psychomotorische Unruhe wird am besten bekämpft durch 
Dauerbäder, eventuell im Wechsel mit feuchten möglichst zwanglosen Ganz¬ 
einpackungen. Die hydrotherapeutischen Maßnahmen haben den Nach¬ 
teil, daß sie erstens die Atmungsorgane ungünstig beeinflussen und zweitens 
die Haut Infektionen zugänglich machen. So sehen wir nicht selten bei schweren 
erregten Verwirrtheitszuständen schon bald Furunkel, Phlegmonen, Abszesse 
auftreten, welche in nicht ganz wenigen schwersten Fällen zu Sepsis und Tod 
führen. Es ist in solchen Fällen wichtig, mit den therapeutischen Maßnahmen 
abzuwechseln und alle paar Tage stundenweise Bettbehandlung durchzuführen. 
Dies wird sehr oft nur durch Hilfe medikamentöser Beeinflussung mög¬ 
lich sein. 

Als Narkotika stehen uns vor allem Morphium und Skopolamin zur 
Verfügung. Ersteres kommt wegen der Gewöhnung für längere Zeit nicht 



Therapie. 


135 

in Betracht; wichtig ist das Skopolamin als schnell und stark wirkendes Mittel. 
JEs hat jedoch die unangenehme Nebenwirkung, Sensationen im Schlund her¬ 
vorzurufen und die Nahrungsaufnahme für einige Zeit zu erschweren. Bei be¬ 
sonnenen Kranken muß man damit vorsichtig sein, weil es von diesen als Zwangs¬ 
mittel betrachtet wird. Gelegentlich wirken öftere kleine Dosen Skopolamin 
günstig. Neben beiden genannten Mitteln leistet das Opium, am besten als 
Tinct. op. spl, sehr gute Dienste bei schwer erregten Melancholischen. Man 
wendet es am besten planmäßig in einer Kur an, etwa so, daß man von 3 X 10 
Tropfen anfangend, täglich 3 Tropfen mehr gibt; bei 90Tropfen, also täglich 3 x 
30 hört man auf und geht im selben Tempo wieder zurück. Selbstverständlich 
ist auf Verdauung peinlich zu achten. Eine Kombination von Opium und 
Brom hat sich weniger gut bewährt. Überhaupt ist vor kombinierten Arznei¬ 
mitteln als zu unübersichtlich zu warnen, ebenso vor stetem Wechsel derselben. 

Als teilweisen Ersatz der Narkotika sind die Hypnotika zu verwenden; 
vor allem das harmloseste Schlafmittel, das Paraldehyd, das man in sehr großen 
Mengen geben kann, dann Chloralhydrat, dessen schädigende Wirkung auf das 
Herz sehr übertrieben wird, und Veronal. Letzteres muß mit Vorsicht dosiert 
werden, da Kumulierung eintritt, welche bei kleinen Dosen jedoch erwünscht 
sein kann. 

Das beste Schlafmittel ist das verlängerte Bad, bis zu 2 Stunden Dauer; 
dies wirkt bei längerer Anwendung, wenn sich die Kranken angepaßt haben, 
sehr günstig. Da das Einschlafen am meisten gestört ist, so braucht man 
keinesfalls große Dosen von Schlafmitteln; 2 g Paraldehyd oder 0,5 g Veronal, 
letzteres 3 Stunden vor dem erwünschten Schlaf, sind im ganzen bei mittel¬ 
schwerer Schlafstörung ausreichend. 

Die Regelung der Ernährung ist sehr wichtig; vielfach ist fleischlose 
Kost wegen des krankhaften Widerwillens gegen Fleisch angezeigt. Diese 
vegetarische Kost ist auch gleichzeitig ein Mittel gegen die Obstipation, unter der 
die Kranken vielfach zu leiden haben. Das Körpergewicht ist regelmäßig zu 
kontrollieren, und an der Hand desselben ist die Kost zu regulieren. Gerade 
die Gewichtskurve zeigt oft, daß mit dem Zeitpunkt der Aufnahme in eine 
Anstalt das Gewicht wieder zunimmt, ein Beweis, daß ärztliche Einwirkung 
nicht vergebens ist, vielleicht sogar den Anfall verkürzen kann. Allerdings 
machen wir sehr oft auch die entgegengesetzte Erfahrung, daß die Gewichts¬ 
kurve durch die selbst sehr reichliche Nahrungsaufnahme nicht gebessert wird, 
offenbar weil die Assimilierung der Nahrungsstoffe nicht in genügendem Maße 
von statten geht. 

Die künstliche Ernährung mit der Schlundsonde soll nur im äußersten 
Falle angewendet werden, und dann darf die jeweils gegebene Menge von Nahrung 
keine sehr große sein. Bei der Emährungsfrage hängt der Erfolg von der Sorg¬ 
falt des Arztes und des pflegenden Personals ab; allgemeine Anordnungen 
genügen bei diesen oft sehr schwierigen Verhältnissen nicht. 

Daß die Suioidneigung, besonders bei den nicht gehemmten Melancho¬ 
lischen, auch noch in der Zeit der Rekonvaleszenz^ größte Vorsicht erheischt, 
bedarf kaum besonderer Betonung. 

Sehr wichtig ist die Beschäftigung; für Manische zur Mechanisierung 
ihres Betätigungsdranges, für leichter Melancholische zur Befriedigung und 
Stärkung des Selbstvertrauens; Ablenkung ist bei allen Manisch-Melancholischen 



136 


Therapie. 


verkehrt; man hört ja vielfach von Ärzten die Notwendigkeit, von Eiranken 
selbst den Wunsch nach Zerstreuung und Ablenkung geäußert. Langeweile 
und Ruhe ist im ganzen besser wie Ablenkung; Zerstreuung ist schädlich. 

Bei der Frage des Zeitpunktes der Heilung ist der psychische Zustand, 
daneben aber als objektiv der Gewichtszustand, ferner bei Frauen die Menstrua¬ 
tion in Betracht zu ziehen. Das Gewicht muß das der Größe entsprechende 
Maß im allgemeinen überschritten haben, die Menses müssen wieder eingetreten 
sein und der psychische Zustand muß dem konstitutionellen entsprechen. 

Einige Worte mögen noch zür Frage der Schwangerschaftsunter¬ 
brechung aus therapeutischen Gründen bei manisch-melancholischen Frauen 
angeführt werden. Alzheimer 1 ) hat früher schon darauf hingewiesen, 
daß bei diesen Kranken keine Indikation besteht, weil das Leben der Mutter 
durch die Geburt nicht gefährdet ist. Dieser Standpunkt ist zweifellos richtig. 
Gewiß sehen wir nach Geburten verhältnismäßig oft Krankheitsphasen ein- 
treten; wir sehen aber auch, daß an Aborte, die ohne Eingriff erfolgt sind, sich 
Erkrankungen anschließen. Schließlich ist es bekannt, daß die Geburten im 
Verlaufe des manisch-melancholischen Irreseins fast immer normal verlaufen 
und keinen wesentlichen Einfluß auf den weiteren Krankheitsverlauf ausüben. 
Eine Rücksicht auf eventuell belastete Nachkommen darf nach dem Gesetz 
nicht in Betracht kommen; ganz abgesehen davon, daß diese Fragen noch 
nicht spruchreif sind. 

l ) Alzheimer, Die Notwendigkeit der Abortherbeiführung usw. Münch, med. 
Wochenschr. 1907. 



Re hm, Irresein. 


Tafel 3. 


Heredität. 




Suistd Suizid man.-depr. Hjiterie man.-depr. 




geisteakr. ge(at«akr. nerröa nuuL-dapr. 

Suizid Suizid 


Verlag von Julius Springer in Berlin. 


Techn.-art. Anstalt von Alfred MQDer in Leipzig. 






Rehm, Irresein. 


Körpergewichtskurven. 


Tafel 5 



Verlag von Julius Springer in Berlin. 


Teehn.-art. Anstalt von Alfred MADer in Leipsig. 


















































Verlag von Joiii; 


D u rchschn i ttsl ei stu ng. 

Gesund. Manie. Melancholie 


Tafel 10. 



Teohn.-art. Anstalt von Alfred Müller in Leipzig. 










Ablenkungsversuch. 



Re hm, Irresein. 


Tafel 11. 


Vorlag von Julius Springer in Berlin. 


Teohn.-art. Ansult von Alfred Möller in Leipzig. 





































































































































d der Erkrankung. 
n Besserung. 







Reh m, Irresein 


200 

10 



180 

9 





160 

8 





140 

7 





120 

6 

30 



100 


26 


5 


80 


20 


4 


60 


16 


3 


40 




2 

10 



20 i 
0 0 



Verlag von Julias Sprii 



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mte Manie (5). 



Leichte Ei