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Full text of "Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie 7.1913"

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Jlhara. Nero fork 


BOUGHT WITH THE INCOME OF THE 

SAGE ENDOWMENT FUND 

THE GIFT OF 

HENRY W. SAGE 


1891 








































MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND 

PSYCHIATRIE 

HERAUSGEGEBEN VON 

A. ALZHEIMER-BRESLAU UND M. LEWANDOWSKY-BERLIN 

HEFT 7 


DIE AGRAMMATISCHEN 
SPRACHSTÖRUNGEN 

STUDIEN ZUR PSYCHOLOGISCHEN GRUNDLEGUNG 

DER APHASIELEHRE 

VON 

De ARNOLD PICK 

PROFESSOR AN DER DEUTSCHEN UNIVERSITÄT IN PRAG 


I. TEIL 



BERLIN 

VERLAG VON JULIUS SPRINGER 



Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, Vorbehalten. 
Copyright 1913 by Julius Springer in Berlin. 


Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stiirtz A. G. f Würzburg. 



Dem Andenken 


an 


HUGHLINGS JACKSON, 

den tiefsten Denker in der Neuropathologie des letzten Jahrhunderts, 


gewidmet. 


Motto: „Die wichtigsten Wahrheiten 
in den Naturwissenschaften sind weder 
allein durch Zergliederung der Begriffe der 
Philosophie, noch allein durch bloßes Er¬ 
fahren gefunden worden, sondern durch 
eine denkende Erfahrung, welche das 
Wesentliche von dem Zufälligen in den 
Erfahrungen unterscheidet und dadurch 
Grundsätze findet, aus welchen viele Er¬ 
fahrungen abgeleitet werden. Dies ist mehr 
als bloßes Erfahren und wenn man will, eine 
philosophische Erfahrung.“ 

(Joh. Müller, Handb. der Physiologie 
des Menschen. 1840, 2. Bd., S. 522.) 




Inhalts -V erzeichnis. 


Seite 


Vorrede und Einleitung. 

Typischer Entwicklungsgang der Wissenschaft. 

Gegenwärtiger Stand der Aphasielehre. 

Ursachen ihres Stillstandes . 

Nichtberücksichtigung der Fortschritte der Psychologie und der Sprach¬ 
wissenschaften. Die bisher verwertete Psychologie vorwiegend eine 

logizistische und Vorstellungspsychologie. 

Ungenügende Berücksichtigung der nicht-intellektuellen Anteile der 

Sprache. 

Umwälzung in den Grundlagen der Sprachwissenschaften. 

Die moderne Denkpsychologie gegenüber der bisher im Kreise der Patho¬ 
logen fortgeerbten. 

Beziehungen zur Phonetik. 

Der Agrammatismus nur ein kleiner Ausschnitt der Aphasielehre . . . 

Seine zentrale Stellung in derselben. 

Wernieke8 Ansicht über Aphasie und Psychologie . 

Schematische Erstarrung der Lehre. 

Ursachen. 

Wert einer Funktionspsychologie. 

Zentrenlehre. 

„Psychische Analyse von Grund aus“. 

Psychologisches Verständnis und Lokalisation. 

Psychologische Lokalisation . 

Prinzip der Überdeckung. 

Biologische Betrachtung „Gesetz der Ökonomie“. 

Ablehnung der psychologischen Gesichtspunkte seitens mancher Kliniker 

Die „Erinnerungsbilder“. 

Erkenntnistheoretische Würdigung von Wernickes Aufstellung der sen¬ 
sorischen Aphasie. 

Abneigung gegen die linguistische Forschung. 

Naturwissenschaftliche Orientierung dieser. 

Notwendigkeit ihrer Berücksichtigung. 

Hauptzwecke der Schrift. 

Notwendigkeit theoretischer Grundlegung durch Sprachpsychologie . . 

Mitbenützung von Anatomie und Physiologie. 

Verhältnis derselben zu dem psychologisch Fest gestellten. 

Funktionell-genetische Psychologie versus Kästchentheorie des Gedächt¬ 
nisses . 

Pathologische Beweisstücke. 

Klinische und Funktionslokalisation. 

Bedeutung der Neuorientierung für die Deskription. 

Geeigneter Zeitpunkt für die Neuorientierung. 


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VI 


Inhalts-Verzeichnis. 


Seite 

Bedeutung der Studien .. 54 

Nichtbeschränkung auf ein psychologisches „System“. 57 

Umkreis des hier Verwerteten.61 

Begründung.62 

Ablehnung alles Metaphysischen.81 

Nutzanwendung für Psychopathologie und Neurologie.83 

Nutzanwendung für Psychologie und Linguistik ..91 

Begründung der Ausdehnung und Form der Schrift. 101 

I. Name, Geschichte,* Definition und Abgrenzung des Agrammatismus .... 113 

Kritik der Definitionen.114 

Intellektuelle und emotionelle Sprache.117 

Bedeutung der Syntax.119 

Agrammatismus mehr als Störung des Satzgefüges. 121 

Bedeutung der Abgrenzung für die Pathologie. 121 

Definition des Agrammatismus.125 

Stellung desselben unter den anderen Aphasieformen.126 

Anordnung des Stoffes.128 

II. Der Satz und seine Definition.130 

Natur des Satzes. 131 

Die Satzeinheit.132 

Primäre Natur des Satzes.134 

Wundts Satzdefinition.137 

Die „Stellungnahme“ (Stern) im Satze.138 

Grundlagen der „Stellungnahme“, ihre Psychologie.139 

Die Stellungnahme im Pathologischen.145 

Die Bedeutung der „Intention“.147 

Die Bedeutung des „Abschlusses“.148 

III. Die Ausdrucksmittel der Sprache.151 

Bisheriger Standpunkt der Pathologie.151 

Die Ausdrucksmittel im allgemeinen . 153 

Das „Vorausgesetzte“, die „Situation“.155 

Das „Vorausgesetzte“ im Pathologischen.157 

Beziehungen zu Jacksons Evolution und Dissolution.157 

und biologische Auffassung der Aphasien.158 

Lokalisationsfragen.158 

Das „Vorausgesetzte“, wichtiges Argument gegen den Parallelismus von 

Denken und Sprechen.159 

Wortstellung.161 

Die musischen Elemente.162 

und ihre pathologische Bedeutung.163 

Das Tempo und die Pausen.164 

Die Zentren .166 

Sprachliche Bedeutung von Gebärden. .167 

Differenzen der Aphasieformen in verschiedenen Sprachen, bedingt durch 
differente Bedeutung der einzelnen Sprachmittel in denselben . .167 

IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen.169 

Ablehnung der alten Lehre von der Identität von Denken und Sprechen 169 

Der Weg von einem zum anderen ein etappenförmiger.170 

Bedeutung seiner Aufklärung für die „psychologische Lokalisation“ . 172 

und die Klinik.173 

Gegensatz zur älteren Lehre von der Verbindung der Objekt- und Wort- 

Vorstellungen.174 

Vereinzelte Vertreter der Identitätslehre.175 

Historische Hinweise auf dieselbe.177 

Fehlschluß auf die mangelnde Intelligenz der Taubstummen.180 


















































Inhalts-Verzeichnis. 


VII 

Seit« 

Annahme eines scharfen Parallelismus zwischen Denken und Sprechen 181 

Argumente gegen einen solchen.182 

Pathologische Nutzanwendung.183 

Sprachpsychologische und linguistische Tatsachen gegen den Parallelismus 186 

Gesetz der Ökonomie.189 

Pathologische Ausblicke.192 

Kritische Würdigung von B. Erd man ns Darstellung .193 

Von Wundts Darstellung.197 

H. Gomperz’ Darstellung.198 

H. Maiers Darstellung.204 

Die Würzburger Schule. H.Bühler.207 

Differente Typen hinsichtlich des zeitlichen Verhältnisses von Gedanken 

und Worten.208 

Logisch-gedankliche Verarbeitung, Satzform, Wortwahl.209 

Das Denken begleitende Wortfragmente.210 

Einsetzen des „Sprachgefühls“.212 

Satzschema als „Aufgabe“.213 

Andere Feststellungen der „Würzburger Schule“: Das anschauungslose 

Denken.215 

Die „Aufgabe“ oder „Determinierende Tendenz“.216 

Die „Bewußtseinslage“ und „Bewußtheit“.217 

Verneinendes Urteil..218 

Differenter sprachlicher Ausdruck des Urteils, je nach dem Stadium in 

dem er erfolgt.219 

Interjektion oder interjektioneller Ausruf.219 

Das „Impersonale“.219 

Das demonstrative Urteil.220 

Das kategorische Urteil.220 

Bedeutung dieser Tatsachen für die psychologische Lokalisation . . . 220 

„Resultierende“ Bedeutung der Wörter und Sätze.221 

Wenig präzise Ansichten der Linguisten.222 

Formulierung Sechehayes ohne scharfe Trennung der sprachlichen 

Formulier ung.223 

E. T. Owens Gedankenstruktur.224 

Priorität von Satzform gegenüber Wortfindung und Wortfügung . . 225 
W. James’ Anschauung von der gedanklichen und sprachlichen Formu¬ 
lierung . ..226 

Des Verfassers Zusammenfassung . ..227 

„Gedankliche Formulierung“ und deren emotiver Einschlag.229 

Anhaltspunkte für eine solche.229 

Syntax der Taubstummen.229 

Die Kindersprache.230 

„Messers Sphärenbewußtsein“.231 

Entsprechende Anschauungen bei anderen.232 

Das zeitliche Moment der „Bewußtseinslage“ .232 

Pathologische Analogie, die „dreamy states“ von H. Jackson . . . 233 

„Bewußtheit“ als weitere Etappe der Vorgänge.234 

„Satzschema“.235 

Nachfolgende Grammatisierung der Worte.235 

Bedeutung der „determinierenden Tendenz“ dabei.236 

Die „Einstellung“ v. Kries’.236 

Beispiele auch aus dem Pathologischen.237 

Änderung der Einstellung je nach den Umständen.238 

Die verschiedenen Ausdrucksmittel und ihre psychischen Grundlagen bei 

der Formulierung.239 

insbesondere die Stellungnahme.240 

Spezielles über jene psychischen Grundlagen.240 

Das Denken in Sätzen, die „sentence-mindedness“.249 

















































VIII 


Inhalts-Verzeichnis. 


Seite 


Psychologische Beweise für ihr Vorhandensein.243 

Pathologische Tatsachen.244 

Bisherige Ansichten in der Pathologie.246 

Bedenken betr. die hier aufgestellte Reihe in der Formulierung . . • 247 

Abkürzung derselben .248 

Zeitliche Verschiebungen.248 

Einwände.249 

Auseinandersetzung mit denselben .250 

Nutzanwendungen im Pathologischen.254 

Kurze Andeutung des Weges vom Gesprochenen zum Verstehen . . . 257 
Bedeutung des bisher festgestellten für die anatomisch-physiologischen 

Deutungsversuche .258 


V. „GesamtVorstellung“ (Wundt).260 

Die psychologischen Grundlagen der Wundt sehen Gesamt Vorstellung 
schon bei Condillac und Deg^rando in voller Prägnanz nach¬ 
weisbar .263 

v. d. Gabelentz spricht als der erste von einer „Gesamtvorstellung“ 262 

Jas. Mills Darstellung (nach W. James).265 

W u n d t s Darstellung.266 

v. Ginnekens Erklärung des Gegensatzes zwischen Wundt und James 

in Rücksicht ihrer Sprache.266 

H. Gomperz’ „Totalimpression“.267 

0. Dittrichs „Tatbestand“.268 

Des Philologen Morris Darstellung.268 

Analogien in der Entwicklung der Bilderschrift.270 

Das Konstruieren der „GesamtVorstellung“ aus dem Gehörten . . .271 

Einwände gegen Wundts Lehre.273 

Nicht die einzige Form der gedanklichen Grundlage der Satzbildung 273 

Einwand von den Satzformen.274 

Nutzanwendung auf Pathologisches.275 

Störung der Zusammenfassung (Komprehension).276 

Herabsetzung des Bewußtseinsumfangs bei Aphasischen.277 


VI. „Innere Sprachform„ und „innere Sprache“.278 

Bedeutung der „inneren Sprachform“.278 

Geschichte derselben seit W. v. Humboldt.279 

Ihre Dichotomie: Wortbedeutung und Satzkonstruktion.281 

Martys „konstruktive innere Sprachform“, diejenige, die hier in Be¬ 
tracht kommt.282 

Wundts Auffassung der „inneren Sprachform“ als Ausdruck der Denk¬ 
formen .284 

Keine Aufklärung bezüglich der Vorgänge.285 

Pathologische Ausblicke.286 

Beurteilung der Intelligenz Aphasischcr.287 

„Innere Sprache“, Langage interieur“, „Parole intörieure“.288 

Endophasische Formel Saint - Pauls.289 

Abgrenzung gegen die „innere Sprachform“.290 

Nutzanwendung.290 







































Vorrede und Einleitung. 

„Es ist eine bei der Entstehung einzelner Wissenschaften ganz gewöhn¬ 
liche Erscheinung, daß der von dem ersten Bewußtsein des Gegenstandes er¬ 
griffene Geist sich eher in großartige luftige Konstruktionen verliere, als in 
die stille, bedachtsam zergliedernde Untersuchung und Erfahrung versenke. 
Gerade wie in der Jugend des Lebens der idealische Aufschwung und der nach 
dem Großen und Ganzen strebende, aber darum weniger einzelnes Tüchtige 
erstrebende Trieb herrscht, so scheint in der Jugend einer jeden Wissenschaft 
ein mehr verallgemeinender, aber schweifender Trieb zu sein, an desen Stelle 
erst allmählich das reichhaltige Sammeln der Erfahrungen tritt, das dann 
zuletzt entweder in überladener Fülle zerbricht und zerbröckelt, oder, von neuem 
Lebensatem durchdrungen, ein innerlich gereiftes, in sich gerundetes Dasein 
her vor bringt.“ (L. Lersch, Die Sprachphilosophie der Alten. 1840, S. I). 

In dieser etwas altmodischen, aber trotz der Dürftigkeit ihrer Erklärung 
doch zutreffenden Darstellung vom Werdegang einer Wissenschaft spiegelt 
sich auch die Geschichte der Aphasieiehre, wie sie im letzten Halbjahrhundert 
sich entwickelt hat; kaum ist noch die „Zeit der großartigen, luftigen Kon¬ 
struktionen“ abgeschlossen und die Gefahr „an der eigenen Fülle zu zerbrechen“ 
charakterisiert noch immer die momentane Situation. 

Mit Wernickes Wirken findet die erste Phase dieser Geschichte ihre 
klassische Vollendung; erst mit dem Einsetzen seines „aphasischen Symptomen- 
komplexes“ kann von einer umfassenden Lehre gesprochen werden, denn mehr 
als in der Aufstellung der sensorischen Aphasie liegt seine Bedeutung in dem 
Zuge zum Synthetischen, zum umfassenden System, der in naturgemäßem 
Ausgang von dem ebenso veranlagten Meynert zu der Synthese der Psychiatrie 
hinüberleitet, wie sie Wernickes „Grundriß“ darstellt. 

Diese Geistesrichtung mit ihrer Neigung zur Beiseitesetzung des Unvoll¬ 
ständigen und Trennenden und der so ermöglichten umfassenden Vereinheit¬ 
lichung der Lehre zu einem Großen und Ganzen ist ebenso sehr die psycho¬ 
logische Basis, wie die Krönung jener ersten Phase der Wissenschaft, deren all¬ 
gemeine, dem alten Sprachphilosophen entnommene Charakteristik wir auf 
die Aphasielehre übertragen konnten. Sie ist aber auch die Wurzel jener Übel¬ 
stände, die Dewey in einer tiefer gehenden Studie vom Gange der Wissen¬ 
schaft (Studies in logical Theories 1903, S. 11) einem besonderen Abschnitte 
desselben mit realistischer Prägnanz zuordnet: „Dann kommt das spekulative 
Stadium, eine Periode des Ratens, der Bildung und Deutung von Hypothesen, 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 1 



9 


Vorrede und Einleitung. 


die dann als bloße „Ideen“ durchschaut und verdammt werden; es ist die 
Zeit der Scheidungen und Klassifikationen, die später als reine Geistesgymnastik 
erkannt werden.“ 

Im Sinne dieser Auffassung vom naturnotwendigen Entwicklungsgänge 
der Wissenschaft will Verfasser auch die folgende, vielleicht zunächst etwas 
zu pessimistisch erscheinende Deutung der gegenwärtigen Lage der Aphasie- 
forschung ebenso als einen Abschluß wie als den Beginn einer neuen Phase 
derselben angesehen wissen; er möchte das noch darüber zu Sagende schon 
hier in dem Sinne zusammenfassen, daß er die Gesundung dieses Zustandes 
ebenso sehr von einer Vertiefung der analytischen, wie von ihrer Vereinigung 
mit der synthetischen Methode erhofft. 

Wie viel die Vereinigung der beiden für die Wissenschaft zu leisten ver¬ 
möchte, zeigt sich vorbildlich an dem Lebenswerke Hughlings-Jacksons, 
der ihre selten harmonische Verkörperung in fast unvergleichlicher Weise dem 
Betrachter vor Augen führt. Wenn trotzdem seine Arbeiten in der Aphasie- 
lehre bisher nicht jene Wirkung ausgeübt, die von ihnen zu erwarten war, so 
liegt dies nicht bloß an dem geringen Umfange und der leider vielfach nur 
aphoristisch gehaltenen Darstellung, die er ihr gegeben, sondern an dem un¬ 
fertigen Zustande der damaligen Pathologie; sie mußte erst ein Menschen¬ 
alter lang klinisch durchgearbeitet werden, um zu jener Reife zu gedeihen, 
die für eine gleichmäßig synthetische wie analytische Behandlung im Sinne 
der allgemeinen Lehren H. Jacksons die Basis abgeben kann. 

Daß die hier zum Ausdruck gebrachte Ansicht von dem kritischen Zu¬ 
stande der Aphasielehre nicht etwa bloß einseitig in den von einer Neuorien¬ 
tierung der Forschung geleiteten Bestrebungen des Verfassers begründet ist, 
zeigt ein auch nur flüchtiger Überblick über die Leistungen des letzten Jahr¬ 
zehntes; selbst unter dem Stimulans der von P. Marie geforderten Revision 
der Aphasielehre läßt sich ein wirklich durchgreifender, über lokalisatorische 
Fragen hinausgehender Fortschritt nicht konstatieren; besonders drastisch 
tritt das in der Äußerung eines Kritikers hervor, der anläßlich einer neuen 
Monographie für den Versuch einer tiefer gehenden Reform auch einen „neuen 
großen Gedanken“ fordert. 

Wir erleben jetzt das zweite Stadium der von Lersch charakterisierten 
Entwicklung. Kritisch, ja überkritisch steht man dem in kühnem Schwünge 
Erreichten gegenüber und von einer vielfach erst jetzt als notwendig erkannten 
psychologischen Vertiefung der klinischen Forschung erhofft man die Über¬ 
windung des eingetretenen Stillstandes. Da erscheint es nun gelegen, daran 
zu erinnern, daß solche Vertiefung nur dann recht wirksam sein kann, wenn 
sie endlich einmal sich von der Beschränktheit der von den Physiologen ge¬ 
schaffenen und von den Pathologen einseitig fortgebildeten, ein Gemisch von 
Sensationalismus und Assoziationslehre 1 ) darstellenden Psychologie befreit; 

*) Eben bei der Durchsicht dieser Einleitung erscheint eine von einem Fach¬ 
psychologen vertretene Verteidigung der Assoziationspsychologie (W. Poppel- 
reuter, Über die Ordnung des Vorstellungsablaufes 1913. S. A. a. Arch. f. d. ges. 
Psych.) Die dort vertretenen Anschauungen haben zum Teil mit denjenigen, wie sie 
in der Pathologie bisher verwertet worden, so wenig gemein, daß sich Verfasser 
trotz seines obigen Widerspruches nicht abhalten lassen wird, dort, wo es ihm ge¬ 
eignet erscheint, auch von den in der genannten Schrift dargelegten Tatsachen und 
Ansichten Gebrauch zu machen. 



Vorrede und Einleitung. 


3 


es muß die Ansicht zum Durchbruch kommen, daß die so eingeleitete Umge¬ 
staltung ihre Basis nicht bloß in einer umfassenden Sprachpsychologie, 
sondern ebenso in der reichen Fülle dessen zu suchen hat, was ihr eine nach 
neuen Gesichtspunkten orientierte Psychologie im allgemeinen, Sprachge¬ 
schichte, Linguistik und alle sonstigen Hilfswissenschaften als bisher noch gar 
nicht gewürdigten und stetig sich mehrenden Besitz seit langem schon be¬ 
reit halten 1 ). 

Auch gegenüber dem Sensationalismus wird sich Verfasser von seinem 
hier später verteidigten eklektischen Standpunkte aus nicht prinzipiell völlig 
ablehnend verhalten (vgl. dazu Bemerkungen von Titchener, Leet. on the 
exp. Psychol. of the thought proc. 1909, S. 279). Das wird umso berechtigter 
sein, wenn wir den neueren Sensationalismus mit Titchener (1. c. S. 34) im 
Gegensatz zu dem älteren nur als heuristisches Prinzip gelten lassen. 

Es liegt die Frage ähnlich wie auf dem Gebiete der Psychologie, wo jetzt 
das Verhältnis zwischen experimentellen und nichtexperimentellen Forschungs¬ 
methoden neuerlich abgewogen wird; auch im Bereiche der Sprachpathologie 
muß man sich klar machen, daß es nicht mehr angeht, einfach Beobachtung an 
Beobachtung, Zählung an Zählung zu reihen, ohne vorher die grundlegenden 
Begriffe, ebenso wie die Fragestellungen, die in Betracht kommen, zu ent¬ 
sprechender Klarheit gebracht zu haben. Das kann aber für die Sprachpatho¬ 
logie in befriedigender Weise nur auf der Basis alles dessen geschehen, was 
die Sprachpsychologie unter gleichzeitiger umfassender Berücksichtigung ihrer 
wissenschaftlichen Wurzeln dafür vorbereitet hat. Daß dies nie und nimmer 
einer noch so verfeinerten mikroskopischen Durchforschung der erkrankten 
Gehirne allein gelingen könne, wird noch später zu erörtern sein. 

Wenn zuvor der gegenwärtige Stand der pathologischen Psychologie als 
eines der Hindernisse für eine gedeihliche Fortbildung der Lehre hingestellt 
worden, so ist auch das leicht zu begründen. Vor allem haftet der in der 
Aphasielehre herrschenden Psychologie jene Verdinglichung der Vorstellungen 
an, die sie aus der Herbartschen Psychologie übernommen und deren schäd¬ 
liche Nachwirkungen (man sehe ,,die in den Zellen niedergelegten Erinnerungs¬ 
bilder“) sich noch bis in die neueste Zeit bemerkbar machen; es ist das umso 
auffälliger, als schon Wundt diese Verdinglichung so energisch bekämpft und 
seine Psychologie und neuerlich seine Sprachpsychologie vielfach den Ausgangs¬ 
punkt für die Pathologen bildeten. 

Fast noch mehr Schaden aber brachte der Umstand, daß die bis in die 
neueste Zeit im Kreise der Pathologen verwertete Psychologie einer psycho- 

*) Unmittelbar nach Absendung des Manuskriptes erscheint Isserlins 
,, Psychologische Einleitung“ im Handb. der Psychiatrie von Asch aff enburg. Es 
ist der erste Versuch, in wirklich umfassender Weise den Pathologen die reichen 
Schätze der modernen Psychologie nahe zu bringen; man darf von ihrer Ver¬ 
wertung einen entscheidenden Fortschritt auf dem Gebiete der Pathologie er¬ 
warten. Doch will Verfasser annehmen, daß daneben noch Raum für seine mehr 
ins Detail gehende, vorwiegend der Sprachpsychologie gewidmete Einzeldarstellung 
bleibt. Wenn übrigens eben jetzt eine allgemeine Psychopathologie aus der Feder 
Jaspers’ angekündigt wird, des Autors, auf dessen mit den seinen g eichgeartete 
Bestrebungen Verfasser in dieser Einleitung Bezug nehmen konnte,, so sprechen 
alle diese Momente gewiß für die Berechtigung der hier zum Ausdruck gebrachten 
Anschauungen. (Bemerkung bei der Korrektur,) 

1* 



4 


Vorrede und Einleitung. 


logisch vollständig unzureichenden Logik nachempfunden ist. Wenn wir von 
B. Erdmann (Psychol. Grundbegr. d. Sprachphilos. S. A. aus Apophoreton 
1903, S. 117) hören, daß der an J. St. Mi 11 anknüpfenden Logik das Verständnis 
für die Sprache als Funktion des Denkens verloren gegangen war, dann wird 
daraus verständlich, wie imgünstig es auf die Sprach pathologie, aber auch 
auf die Psychopathologie wirken mußte, daß ihre Führer gerade an jene Logik 
ihre „Psychologien“ anknüpften 1 ). Wie schädlich das im einzelnen gewesen, 
werden wir in der Darstellung der Lehre vom begrifflichen Denken sehen; 
es wird sich zeigen, wie diese logisch orientierte Psychologie einen ganz falschen 
Wertmesser an das Denken heran bringt, indem sie den logischen Begriff 
dazu wählt an Stelle des psychologischen. 

Dazu kommt noch ein anderes; von Kant ausgehend — es tritt dies 
ausgesprochenermaßen in den Schriften Meynerts hervor, an den ja Wer- 
nicke angeknüpft — hatten die deutschen Aphasieforscher anscheinend auch 
die Ansicht Kants akzeptiert, daß die Logik als Wissenschaft zu einem als 
definitiv angesehenen Abschlüsse gelangt sei; ihre Ansichten vom Begriff und 
vom begrifflichen Denken hatten sie der Logik entnommen und, unbekümmert 
um den Fortgang der Entwicklung, den die Logik gerade in den letzten Jahr¬ 
zehnten genommen, kaum wesentlich verändert bis in die letzte Zeit festge¬ 
halten. Der bedeutendste Fortschritt im Gebiete der Logik betraf aber die 
Lehre von der Begriffsbildung, und gerade an ihr, die durch die zentrale Stel¬ 
lung charakterisiert ist, welche die Aphasielehre dem begrifflichen Denken 
eingeräumt, werden wir sehen, wie die Verdrängung des für die Pathologie 
einzig brauchbaren psychologischen Begriffs durch den logischen wie ein Erb¬ 
übel noch auf die neueste Generation der Sprachpathologen fortwirkt. 

Man hat mit Recht als charakteristisch für die ungenügende Berück¬ 
sichtigung der Fortschritte der Psychologie seitens der Sprachwissenschaft be¬ 
mängelt, daß Delbrück in seiner Polemik gegen W 7 undt es als gleichgültig 
erklärt, welches System der Psychologie, ob das von Herbart oder Wundt 
für die Praxis der Sprachforschung verwertet werde; um so mehr hat natür¬ 
lich die Sprach pathologie Veranlassung, an den tiefgehenden Wandlungen der 
Psychologie nicht achtlos vorüberzugehen; und es ist sicher ein noch größerer 
Mangel der Sprachpathologie, als die zuvor erwähnten, wenn sie noch bis in 
die letzte Zeit auf Steinthal und die in seiner Sprachpsychologie maßgebende 
Herbart sehe Psychologie zurückgeht, bestenfalls an die Assoziationspsycho¬ 
logie an knüpft und die reichen Schätze der neuen Denkpsychologie unge¬ 
nützt läßt. 

Die vorstehenden Zeilen waren lange niedergeschrieben, als H. Liep- 
mann, herausgefordert durch die auch hier gelegentlich später gestreiften 
Vorträge Külpes und Marbes, die Stellung der Pathologen zu den Erfah¬ 
rungen dieser neuen Psychologie, z. B. im Sinne einer Verteidigung zu prä- 

1 ) Es war dieser eigentümliche methodisch von so bedenklichen Wirkungen 
gefolgte Umstand allerdings nicht bloß auf die Pathologie beschränkt. Nachträglich 
sehe ich, daß W T undt (Logik u. Psychologie Sep.-Abdr. S. 14) darauf hinweist, daß 
„der Physiologe Helmholtz das verbreitetste Lehrbuch der Logik (J. St. Mills) 
zu Hilfe nimmt, um sich über die Psychologie zu orientieren!“ Vgl. hierher eine 
gegensätzliche Beurteilung Mills (Titchener. Lect. on the exper. Psychol. of 
Thonght-Proc. 1909, p. 212). 



Vorrede und Einleitung. 


5 


zisieren suchte. Da Verfasser, wie eben dargelegt, in dieser Frage einen viel 
schrofferen Standpunkt vertritt, nimmt er Veranlassung, diesen den Aufstel¬ 
lungen Liepmanns gegenüber etwas ausführlicher zu rechtfertigen. Zunächst 
durch den prinzipiell und wie er glaubt, besonders methodologisch wichtigen 
Hinweis, daß nirgends im Bereiche der psychiatrischen Disziplinen und ebenso 
wenig im Gebiete der Aphasielehre bisher von den Tatsachen der neueren Denk¬ 
psychologie trotz ihres jetzt ein Jahrzehnt überschreitenden Alters irgendwie 
Kenntnis genommen worden; die Stellungnahme Liepmanns, provoziert 
durch den direkten Hinweis der Vertreter jener Psychologie auf die nicht mehr 
zu umgehenden Nutzanwendungen im Bereiche der Medizin, ist die erste an¬ 
erkennende Äußerung, der weit mehr Zeichen der Nichtbeachtung (wenn nicht 
Mißachtung) angereiht werden könnten *). 

Aber noch ein zweites allgemeines Argument ist für die schroffere Stel¬ 
lungnahme des Verfassers maßgebend. Liepmann geht in Begründung seines 
Standpunktes von der bewußten Vernachlässigung des höchsten und feinsten 
am Psychischen aus, wie sie sich bei der Erforschung gröberer Dinge, ein¬ 
facherer Tatbestände, nicht selten als heuristisch erforderlich erweist. Gewiß ist 
es da berechtigt, und wird insbesondere in allen deskriptiven Wissenschaften 
so geübt; aber überall, wo wir von der einfach deskriptiven Darstellung zur 
Klarlegung der Folge und Entstehung der Erscheinungen vorwärts schreiten und 
die Aphasielehre hat ja diesen Weg zum Teil mit Erfolg zu beschreiten versucht, 
wird die Heranziehung des dort bew r ußt bei Seite gelassenen nicht zu umgehen 
sein. Solche Beiseitesetzung muß wohl eine bewußte sein, sie darf aber nicht, 
wie Verfasser an dem Stande der ganzen Lehre zeigt, in Nichtbeachtung oder 
gar prinzipieller Ablehnung begründet sein. Der Aphasieforscher muß sich 
der vernachlässigten Tatsachen doch immer bewußt bleiben, soll die absicht¬ 
liche Beschränkung nicht zur Fessel für den Fortschritt werden; wohl stimmen 
wir dem Satze Liepmanns zu, daß wir als Mediziner nicht immer Phänome¬ 
nologie des Bewußtseins 2 ) treiben und dies den Psychologen, als den Vituosen 
darin, überlassen; aber die Kenntnis dieser Phänomenologie darf nicht, wie 
bisher, auf den kleinen Kreis der ,,Wissenden“ beschränkt bleiben, vielmehr 
muß einmal den breiteren Kreisen der Mitarbeiter an den Problemen der patho¬ 
logischen Psychologie der ganze Bestand jener Kenntnisse und der Nutzen, 
der aus ihrer Verwertung erwächst, vor Augen geführt werden. Denn selbst 
die Deskription der Erscheinungen wird nur in voller Kenntnis jenes Wissens 
die Höhe erreichen, die sie allein zum Studium des Feinsten am Psychischen 
geeignet macht; die Phänomenologie des pathologischen Bewußtseins bleibt 
aber und damit kommen wir auf den Satz Liepmanns zurück, die Sache 
der Psychopathologen, die Virtuosität auf diesem Gebiete muß als ihr Ziel 
hingestellt werden. Wenn in dieser Einleitung später auseinandergesetzt wird, 

1 ) Daß gelegentliche in die letzte Zeit fallende Hinweise (Jaspers, Iserlin) im 
allgemeinen an dem Stande dieser Angelegenheit nichts ändern, ist für jeden Kenner 
der Situation ohne weiteres klar. 

a ) Wenn wir von dieser Phänomenologie übrigens hören, daß sie die Bewußt¬ 
seinstatsachen aufstellt, ohne vorerst an ihre Erklärbarkeit zu denken und dem¬ 
entsprechend als eine Art propädeutischer Disziplin für die speziellere psychologische 
Forschung hingestellt wird (Anschütz, Arch. f. d. ges. Psych. 20. 1911, S. 443), 
dann wird man vielleicht sogar Bedenken tragen, das „nicht immer“ Liepmanns 
zu unterschreiben. 



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Vorrede und Einleitung. 


daß die hier auf zu weisenden Grundlagen der Aphasielehre nicht dem zu¬ 
fälligen Eingreifen eines noch so bedeutenden Sprachforschers überlassen 
bleiben können, so gilt das hier, wo die Pathologie im allgemeinen in Betracht 
kommt, in analoger Modifikation hinsichtlich der Mitarbeit der Psychologen. 

Ein weiterer Grund für die Stellung des Verfassers in dieser Frage ist 
darin gegeben, daß er in der neueren Denkpsychologie nicht einen bloßen Zu¬ 
wachs zu unseren bisherigen Kenntnissen und Anschauungen sehen kann, 
vielmehr der Ansicht ist, daß sie revolutionierend auf unsere ganze Auffassung 
von den Erscheinungen, auch den pathologischen, wirken muß; und diese Wir¬ 
kung muß sich in nicht geringerem Maße auch auf die Auffassung imd Deutung 
der ihnen parallel gehenden anatomisch-physiologischen Vorgänge erstrecken; 
daraus folgt aber die nicht mehr aufzuschiebende Nötigung des „Umlernens“ 
für diejenigen, die entsprechend vorbereitet an die Erforschung des Patho¬ 
logischen herantreten wollen. 

Noch durch einen speziellen Gesichtspunkt mnß Verfasser seine Kritik 
ergänzen: Die den Pathologen bis jetzt einzig geläufige Psychologie steht noch 
immer auf dem Standpunkte, daß das, was im Sprecher wie im Hörer beim 
Reden und Verstehen vorgeht, restlos in einem äußerst einfach gedachten 
System von Sach- und Wort Vorstellungen aufgeht; weder hat sie von dem seit 
mehr als einem Dezennium sich vollziehenden Umschwung der Anschauungen 
bei den Psychologen Kenntnis genommen, noch beachtet, daß auch die Lin¬ 
guisten selbst von dieser Ansicht abzurücken beginnen. Dieser Mangel der 
pathologischen Forschung geht zum Teil auf den verfehlten, aber noch immer 
festgehaltenen prinzipiellen Standpunkt vom Parallelismus zwischen Denken 
und Sprechen zurück; der Korrektur dieser allerdings auch von einem Teile 
der Sprachpsychologen noch vertretenen Anschauung, der Darstellung der in 
dieser grundlegenden Frage sich vollziehenden Wandlung wird denn auch hier 
genügend Raum zu geben sein. 

Die Rückständigkeit der den Pathologen geläufigen Psychologie drängt 
sich auf Schritt und Tritt auf; es sei gestattet, das an einigen Beispielen des 
näheren zu erläutern mid an einzelnen zu zeigen, wie sich die Erscheinungen 
an der Hand einer umfassenden Berücksichtigung neuerer Auffassungen deuten 
lassen. Eben bei der Niederschrift dieser Zeilen liest Verfasser in einer Arbeit 
über sensorische Aphasie, daß das Erkennen eines Wortes voraussetzt, „daß 
in uns infolge der Wahrnehmung die akustische Vorstellung des gehörten W T ortes 
gleichzeitig reproduziert, in der Erinnerung wachgerufen werde.“ 

Demgegenüber sei daran erinnert, wie scharf sich schon W. James 
(Princ. of Psych. I. 1891, S. 480 f.) gegen die gewöhnliche „Vorstellungs¬ 
psychologie“ gekehrt, „as if the vehicle of the same thing-knowTi must be the 
same recurrent state of mind“. Bagley schreibt 1900 in einer großen experi¬ 
mentell-psychologischen Arbeit über die Apperception des gesprochenen Satzes 
(Amer. Journ. of Psych. S. 126): „Es ist jetzt allgemein zugestanden, daß 
das direkte Wieder er kennen nicht notwendig die bewußte Vergleichung des 
Eindruckes mit dem Erinnerungsbilde und das anschließende Urteil .gleich 
oder verschieden 4 bedinge 44 . Vier Jahre vorher aber hatte schon Bergson 
in seiner damals freilich in Deutschland nicht beachteten, aber vom Verfasser 
schon 1898 in den Gesichtskreis der Pathologen gerückten Schrift ..Matiere et 
Memoire“ die deutschen Theorien persifliert , ..die den Vorgang so darstellen. 



Vorrede und Einleitung. 


7 


wie wenn ein Satz sich aus Namen zusammensetzen würde, die die Erinne¬ 
rungsbilder der Dinge hervorrufen“ (1. c. S. 132). Bühler hat 1908 (s. Ber. 
über d. III. Kongr. f. exp. Psych. 1909, S. 105 f.) in seinem Referate über 
das Sprachverständnis das Unzureichende jener Lehre genügend auseinander¬ 
gesetzt. In der neuen Auflage der Ebbinghausschen Grundzüge der Psycho¬ 
logie (II. 3. Buch, 1911, S. 232) spricht Dürr, nachdem er auseinandergesetzt, 
daß die alte Vorstellungspsychologie den wichtigsten Erkenntnisfunktionen 
nicht gerecht geworden, sein verwerfendes Urteil über die Erinnerungstheorie 
des ,,gesunden Menschenverstandes“ aus, derzufolge ,,es sich bei allem Erinnern 
um ein Vergleichen zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem handelt“. 
Und ebenso schroff lautet das der neuesten monographischen Bearbeitung 
(Koffka, Z. Anal. d. Vorst. 1912, S. 279) zu entnehmende Urteil über die 
Vorstellungspsychologie: ,,Die Anschauung, daß es sich bei den Vorstellungen 
um Abbilder der Wahrnehmungen handelt, muß bei der weitaus größten Zahl 
der Fälle aufgegeben werden. Die Wahrnehmung liefert nur das Material, 
aus dem dann in bestimmter, den Gesetzen der Determination und Assozia¬ 
tion unterliegender Weise die Vorstellung jeweils entsteht. Die Eindeutigkeit 
der Beziehung aber ist ein Wahn, der aus philosophischem Vorurteil entsprungen, 
philosophische Vorurteile genährt hat*)“. 

Aber auch auf anderen Gebieten der Sprachpsychologie fehlt es nicht 
an Tatsachen, deren Nichtbeachtung der Pathologie deshalb zur Last fällt, 
weil dadurch ebenso sehr prinzipielle wie im Detail bedeutsame Gesichts¬ 
punkte ihrer Nutzanwendung entzogen erscheinen. 

Schon Delbrück hat in der noch mehrfach zu zitierenden Arbeit (Jenai- 
sehe Zeitschr. f. Naturw. Bd. 20. 1887, S. 92) darauf aufmerksam gemacht, 
daß wichtige Teile des Satzes, u. a. die Pausen etwas Negatives sind, in den 
Lauten nicht zum Ausdruck kommen; trotzdem dieser Vortrag unmittelbar 
an die Adresse der Pathologen gerichtet war, hat dieser Gesichtspunkt keine 
Beachtung gefunden; und doch ist er so außerordentlich beachtenswert, nicht 
zum wenigstens deshalb, weil die Pausen nicht auch Ruhepausen für die Sprach- 
Werkzeuge sind, sondern offenbar durch das Überwiegen gewisser Hemmungs¬ 
vorgänge zustande kommen. Das ist aber für die Sprachpathologie aus ver¬ 
schiedenen Gründen bedeutsam; zunächst erscheinen damit Fragen der Pho¬ 
netik angeschnitten, die deshalb bei den Pathologen bisher wenig Beachtung 
gefunden, weil dieses Gebiet im allgemeinen mit Aphasiefragen in keiner Be¬ 
ziehung zu stehen schien 2 ); damit fällt aber eine der bisher als prinzipiell an- 

*) Selbst Wundt, der noch am meisten in der Pathologie beachtet worden, 
lehnt die alte Vorstellung ab, ,,daß sich die ,,Ideen“ wie selbständige, im ganzen 
unverändert bleibende Objekte durch das Bewußtsein bewegten, oder daß sie wie 
Dominosteine aneinandergefügt, auseinandergenommen und gelegentlich wohl auch 
durcheinander gerüttelt werden könnten; diese ganze Vorstelhmgsweise hat Schiff¬ 
bruch gelitten“. (In ,,Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts“ v. W. 
Windelband.) Th. V. Moore (Univ. Calif. Publ. Psychol. I, p. 173) beschreibt 
die Theorie „that recognition is brought about by the comparison of the present 
Sensation with a revived mental image“ als allgemein von den Psychologen verlassen. 

2 ) An der zitierten Stelle (S. 93) geht Delbrück auf die Laut Verwechslung 
Aphasischer ein, die zum Teil wenigstens gleichfalls in das Gebiet der Phonetik 
gehört; auch diese Anregung hat bei den Pathologen keinen Erfolg gehabt; gewiß 
hat dabei die an wenig zugänglicher Stelle erfolgte Publikation der Arbeit mit Anteil. 



8 


Vorrede und Einleitung. 


gesehenen Abgrenzungen der Aphasielehre. Wir werden dann im Kapitel 
über die Definition des Agr. sehen, daß gewisse syntaktische Fragen mit ety¬ 
mologischen Tatsachen in Beziehungen stehen, die gleichfalls bisher im Rahmen 
der Aphasielehre keine Beachtung gefunden hatten. Aus beiden diesen Fest¬ 
stellungen ergibt sich demnach die wichtige Konsequenz, daß scharfe Grenzen 
zwischen den verschiedenen für Aphasiefragen in Betracht kommenden oder 
den dafür ausgeschalteten Kapiteln der Sprachwissenschaft überall nicht ge¬ 
zogen werden können. 

Ein zweiter Gesichtspunkt, von dem aus die Pausen als Hemmungsvor¬ 
gänge pathologisch bedeutsam werden können, ist der, daß wir wissen, wie inner¬ 
halb der integrierenden Funktionen des Nervensystems solche Vorgänge eine 
ebenso wichtige Rolle wie die aktiven spielen und uns auch schon Erschei¬ 
nungen im Bereiche der Aphasie geläufig sind, die aus der Pathologie der Hem¬ 
mungen erklärt werden. 

Mit der Psychologie des Tempo, der Pausen und ihnen analoger Sprach- 
mittel berührt Delbrück Erscheinungen, die trotz dieses Hinweises von den 
Pathologen kaum gewürdigt worden sind; ihre Bedeutung wird in dem Kapitel 
von den Ausdrucksmitteln der Sprache einer einleitenden Erörterung unter¬ 
zogen. Die prinzipielle Tragweite ihrer Beachtung im Rahmen der Aphasie¬ 
lehre wird aber ins richtige Licht gestellt, wenn wir uns klar machen, daß die 
Lehre von den „Erinnerungsbildern 4 in dem bisher gebräuchlichen Sinne als 
den Trägem positiver Erscheinungen mit den Tatsachen des Tempo, der 
Pausen, insbesondere der letzteren als negativen Erscheinungen überhaupt 
nicht in Einklang gebracht w r erden kann. Schon dieser Gesichtspunkt böte 
Veranlassung zu einer Revision der bisherigen Anschauungen. 

Ein nicht minder bedeutsamer Mangel der von den Pathologen benützten 
Psychologie ist ihre ausschließlich intellektualistische Richtung 1 ), der ja auch 
die eben erwähnte Vernachlässigung der musischen Elemente zur Last fällt 
und die sich z. B. auf dem Gebiete des Agrammatismus durch ihr vollständiges 
Übersehen der ebenso primären affektuösen Beziehungselemente als schädlich 
erwies. Aber auch auf allen anderen Gebieten der Sprachpathologie ergibt 
sich die vollständige Unmöglichkeit, an der Hand einer rein intellektuellen 
Auffassung der dem Sprechen zugrunde liegenden Denkvorgänge die sprach¬ 
lichen Erscheinungen entsprechend zu erfassen und ihre Deutung zu ver¬ 
tiefen; nur dem sachgemäßen Eingreifen H. Jacksons war es zu danken, 
daß das emotionale Denken in der Sprachpathologie überall nicht ganz über¬ 
sehen w r orden 2 ). 

Wenn zuvor der Logizismus der von den Pathologen benutzten Psychologie 
insbesondere auf deren Abhängigkeit von J. St. Mi 11 zurückgeführt w r urde, so läßt, 
sich ihre ausschließlich intellektualistische Richtung auf den älteren Mi 11 zurück¬ 
leiten (s. dessen „Analyse I, S. 179 ff.“). . 

2 ) Verfasser kann nicht umhin, in steter Würdigung desjenigen Mannes, 
dessen Namen in der Widmung dieses Buch ziert, hier zu zeigen, welchen tiefen 
Blick er bei der Behandlung allgemein pathologischer Probleme des Nervensystems 
in die psychologischen Begleitthemata getan. Einem Sonderabdrucke „Remarks 
on Evolution and Dissolution of the nerv, syst.“, die auf mehrere Jahrzehnte zurück¬ 
gehen, deren Publikationsstelle wir nicht mit Sicherheit feststellen konnten (J. of 
ment. sc. T) ist mit aller Deutlichkeit zu entnehmen, daß H. Jackson die Trennung 
der verschiedenen Bewußtseinserscheinungen nur als eine künstliche zuläßt. 



Vorrede und Einleitung. 


9 


Noch eines kritischen Momentes ist zu gedenken, das sich aus der An¬ 
wendung eines Analogieschlusses auf die den Pathologen geläufige Psychologie 
ergibt. Wenn neuerlich als einer der Vorzüge des denkpsychologischen Ex¬ 
perimentes gegenüber der Selbstbeobachtung des Einzelnen die Reichhaltig¬ 
keit der Resultate und die dadurch korrigierte Neigung der Forscher betont 
wird, das, was sie an sich selbst zu finden glaubten, für allgemeine Wahrheiten 
zu halten, so sind in diese Kritik auch die Pathologen einzubeziehen, deren 
Vulgärpsychologie nicht selten auf solchen individuellen Beobachtungen auf¬ 
gebaut ist. Als eines dieser pathologischen Psychologie zukommenden Cha¬ 
rakteristikums ist der Sicherheit, ja Sorglosigkeit zu gedenken, mit der die 
ihr eigenen Anschauungen ausgesprochen werden und die nicht selten im um¬ 
gekehrten Verhältnis zu dem steht, was wir als sicheren Erwerb davon tat¬ 
sächlich besitzen. Es ist erstaunlich, mit welcher Sicherheit Theorien vorge¬ 
tragen, Ansichten hingestellt werden, deren Inhalt von der neueren Psycho¬ 
logie als der Aufklärung erst bedürftig bezeichnet wird. Die Konsequenz, die 
daraus zu ziehen, ist klar; das ganze Gebiet ist neuerlich auf die Tragfähig¬ 
keit seiner psychologischen Grundlagen zu prüfen, die Mängel und Schwächen 
müssen festgestellt und bei der Verarbeitung des ganzen Stoffes auch gebührend 
beachtet werden. 

Mit dem eben Erörterten steht noch ein weiterer Umstand in engem 
Zusammenhang; ebenso wie die Sicherheit der Darstellung gab erst recht das 
Schema zu der Anschauung Anlaß, daß nun alles recht schön fertig oder we¬ 
nigstens die Grundzüge des Ganzen über alle Zweifel erledigt seien, daß es 
sich höchstens um eine Ergänzung und Ausfüllung des fertigen Rahmens handeln 
könne. Dem gegenüber ist dem Verfasser es nicht zum wenigsten auch darum 
zu tun, daß einem jeden, der sich mit einschlägigen Fragen befaßt, der Blick 
für das, was noch an den Problemen nicht abgetan ist, offen bleibe und nicht 
durch Konstruktionen der Schein der Lösung vorgetäuscht werde. 

Aber nicht bloß die Rückständigkeit der in der Aphasielehre noch immer 
maßgebenden Psychologie verlangt dringend eine Revision, sondern auch der 
gewaltige Fortschritt, den die Psychologie selbst gemacht, seitdem sich jene 
von ihr zu einer, damals vielleicht in den Umständen gerechtfertigten, jetzt 
aber nicht mehr befriedigenden Selbständigkeit entwickelt; wenn dieser Zug 
der Abkehr damals in dem metaphysischen Charakter der Mutterpsychologie 
begründet gewesen sein mochte, so ist seither darin ein derartiger Wandel 
eingetreten, daß auch schon deshalb die Aufrechterhaltung dieser Sezession 
nicht mehr als gerechtfertigt anzusehen ist. 

Und ähnlich wie in der Psychologie stellt sich die Situation bezüglich 
der Sprachwissenschaft dar; auch im Gebiete dieser hat sich in den letzten 
Jahrzehnten eine vollständige Umwälzung vollzogen, von der selbst neueste 
Darstellungen der Aphasielehre keine Kenntnis genommen und wenn es früher 
die Methoden und der philosophierende Standpunkt der Sprachwissenschaft 
erklären konnten, daß die naturwissenschaftlich orientierte Aphasielehre den 
Anschluß an diese mied, so hat sich auch darin eine eingreifende Wendung 
vollzogen. 

Es soll mit diesen Ausführungen natürlich nicht gesagt sein, daß alles, 
was bisher einzelne Pathologen in Fragen der Sprachpsychologie produziert, 
unzutreffend oder ungenügend sei; werden wir doch selbst vielfach an solche 



10 


Vorrede und Einleitung, 


Darstellungen anknüpfen; aber es entspricht doch gewiß das bisher im all¬ 
gemeinen geübte Verfahren der Nichtbeachtung des von den Hilfswissenschaften 
Geleisteten nicht den Regeln der Wissenschaftslehre, wie sie sonst auf allen 
Gebieten, auch auf dem der Pathologie, geübt werden. Es ist gewiß richtig, 
wenn z. B. H. Sachs (Gehirn und Sprache 1903, S. 63) in seiner allgemeinen 
Darstellung im Hinblick auf die Präpositionen und Bindewörter sagt, daß 
hier besondere Eigentümlichkeiten der Sprache vorzuliegen scheinen, welche be¬ 
stimmte geistige Beziehungen der Begriffe darstellen. Man hätte nun erwarten 
müssen, daß in speziellen, diese Dinge tangierenden pathologischen Fragen 
der ganze Umkreis der darüber Aufschluß versprechenden Wissenschaften 
durchforscht worden wäre; das ist aber nicht geschehen, trotzdem Sachs 
selbst (1. c. 64) in äußerst scharfsinniger Weise die Schwierigkeiten erfaßt 
hat, die der Assoziationspsvchologie gerade aus der hier berührten Frage er¬ 
wachsen müssen. 

Das gleiche ließe sich noch an mancher feinsinnigen Bemerkung auch 
anderer Sprachpathologen erweisen und wird im speziellen Teil darauf zurück¬ 
zukommen sein; an der eben dargelegten Situation der Aphasielehre hat das 
aber nichts geändert, da es zu einer Ausarbeitung solcher oft aussichtsreicher 
Ansätze nicht gekommen *). 

Sich selbständig, wie das in der letzten Generation der Pathologen so 
beliebt war 2 ), ein System der psychischen Vorgänge zum Zwecke anatomisch- 
physiologischen Verständnisses derselben beiläufig zu zimmern — auch jetzt 
noch bringt fast jedes Jahr einen solchen Versuch — mag ja bequemer er¬ 
scheinen, als sich alles dazu Gehörige erst umständlich aus den Grenzgebieten 
herauszuholen; welches Verfahren das richtige, der Wissenschaftslehre und 
dem Entwicklungsgänge der Wissenschaft entsprechendere ist, darüber kann 
aber kein Zweifel obwalten; auch das Unökonomische eines solchen Wissen¬ 
schaftsbetriebes braucht nicht erwiesen zu werden. Noch ein neuester Autor 
auf unserem Gebiete, der selbst in schärfster Weise die Unzulänglichkeit der 
in der Aphasielehre zu Worte kommenden Psychologie geißelt, Pelz (Z. f. 
d. ges. Neur. u. Psych. XI. S. 110 ff.) macht abermals einen fast als selb¬ 
ständig zu bezeichnenden, vielfach recht gelungenen Versuch — nur an der 
Lippsschen Psychologie sucht er Anknüpfung — Licht in die für die Aphasie¬ 
lehre grundlegenden Beziehungen zwischen Denken und Sprechen zu bringen, 

*) Es klingt wie eine dem Verfasser allerdings erst nachträglich bekannt 
gewordene Bestätigung des hier von einem Pathologen für die Pathologen dargelegten 
Standpunktes, wenn Lieb mann (Z. Anal. d. Wirkl. Aufl. 1911,1. c. S. 463), nachdem 
er die Ungeheuerlichkeit der ,,Kästchentheorie“ gegeißelt, die Pathologen apostro¬ 
phiert: ,,Darum muß ich im Voraus künftigen Ausarbeitern ähnlicher Hypothesen 
die meinige zurufen, daß sie doch ja dem Studium der Psychologie und den unerbitt¬ 
lichen Anforderungen der Logik denjenigen Grad von Aufmerksamkeit widmen 
möchten, ohne den auf diesem Gebiete etwas einigermaßen Zulängliches niemals 
zustande gebracht werden kann“. 

2 ) Nur selten freilich finden wir das Zugeständnis ausgesprochen wie bei 
v. Monakow (Ergehn, d. Phys. VI, 1907, *S. 3S4) ,.daß w T ir uns auf die üblichen, 
vorwiegend durch die .Selbstbeobachtung gewonnenen psychologischen Begriffe, 
die mehr oder weniger konventionelle sind, stützen“. Diese letzte Bezeichnung setzt 
das, was zuvor von der notwendigen Korrektur der Selbstbeobachtung durch das 
denkpsyohologische Experiment gesagt worden, ins richtige Licht. 



Vorrede und Einleitung. 


11 


ohne auch nur halbwegs zureichend Umschau in jenen Gebieten zu halten, 
deren reichliche Resultate gewiß auch dabei sich hilfreich erwiesen hätten. 

Die vorliegende Schrift stellt den Versuch des Verfassers dar, von einem 
kleinen Kapitel der Aphasielehre aus zu zeigen, welcher Nutzen für die gesamte 
Sprachpathologie aus den Hilfswissenschaften zu schöpfen ist, welche Fülle 
von Licht sich über eines der dunkelsten Gebiete derselben verbreitet, wenn 
alles das, was jene bereit halten, endlich einmal auch in entsprechendem Um¬ 
fange ausgenützt wird. 

Daß dieser Versuch dem kürzlich erfolgten Hinweise Heilbronners 
(Handb. d. Neurol. I. 1910, S. 1006) auf die Notwendigkeit der Heranziehung 
von Sprachphilosophie und vergleichender Sprachforschung nicht etwa nach¬ 
hinkt, erhellt aus der ganzen Forschungsrichtung des Autors, die sich seit vielen 
Jahren in den hier zu breiterer Entfaltung gekommenen Bahnen bewegt; 
es bedarf dazu außerdem wohl nur des Hinweises auf die Fülle des mehr oder 
weniger ausführlich zur Darstellung Gebrachten, das ersichtlich langjährige 
Sammelarbeit erforderte. 

Wenn in dieser Schrift anscheinend im Gegensätze zu der von Heil- 
bronner gebrauchten Bezeichnung meist die der Sprachpsychologie benutzt 
wird, so sei zur Vermeidung von Mißverständnissen dem gleich hier die ent¬ 
sprechende Erklärung beigegeben. Marty (Unters, z. Grundlegung etc. 1908, 
S. 21) umgrenzt die Sprachphilosophie als ,,die theoretische Erforschung der 
Funktion oder Bedeutung der Sprachmittel, sowie des Psychischen, das, ohne 
selbst zur Bedeutung zu gehören, bei der Erweckung derselben und beim Zu¬ 
standekommen der Verständigung beteiligt ist“; in diesem Rahmen ist all 
das umschrieben, was auf pathologischem Gebiete die Lehre von den Aphasien 
darstellt, und was dementsprechend die Basis für eine sachlich begründete 
Sprachpathologie bilden muß; wenn Verfasser trotzdem meist die Bezeich¬ 
nung Sprachpsychologie gebraucht, so geschieht es in besonderer Hervor¬ 
hebung des psychologischen Standpunktes, den übrigens Marty selbst (1. c. 
S. 6) ja teilt; vielleicht daß auch die Rücksicht auf die alteingewmrzelte Ab¬ 
neigung der Pathologen gegen alles Philosophische dabei eine Rolle gespielt. 

Man wird es auch ohne besondere Erklärung seitens des Verfassers ver¬ 
stehen, wie sich aus seinen älteren Bestrebungen, die Pathologen durch das 
in klinischer Einzeldarstellung gegebene Beispiel für die psychologische Ver¬ 
tiefung der Aphasielehre zu gewinnen, allmählich der Versuch herauskristalli- 
sierte, ihnen die theoretischen Grundlagen für eine auf solche Weise zu er¬ 
zielende Neugestaltung der ganzen Lehre in umfassenderem Maße vor Augen 
zu führen. 

Er legt auch Gewicht auf den Hinweis, daß die vorliegende Einleitung 
lange vor dem Erscheinen der Arbeit von Külpe (Zeitschr. f. d. Pathopsych. I. 
1912, S. 187) in ihren prinzipiellen wesentlichen Teilen niedergeschrieben war, 
und die da und dort auf diese Arbeit bezüglichen Bemerkungen bei nachträg¬ 
licher Umarbeitung eingeschaltet sind; man kann mit Sicherheit von Külpes 
Schrift und ebenso von dem seither erschienenen, ähnliche Zwecke verfolgenden 
Referate Marbes (Fortschr. d. Psych. I) einen entscheidenden Impuls zu einer 
Reform der pathologischen Psychologie erhoffen x ) und Verfasser darf es mit 

*) Einer ersten,, Reaktion“ in dieser Richtung ist ja schon zuvor gedacht worden. 



12 


Vorrede und Einleitung. 


Befriedigung hervorheben, das ein Gutteil seiner Bestrebungen, mehr Psychologie 
und zwar modernste, gerade in die Grenzgebiete der Psychiatrie und Neuro¬ 
logie hineinzutragen, jetzt eine Würdigung von so autoritativer Seite erfährt. 
Trotzdem hält er die vorliegende Arbeit für durchaus am Platze, weil sie für 
das engere Gebiet der Sprachpsychologie den ganzen Umkreis des für die Patho¬ 
logen Wissenswerten durchmessen und auf seine Verwertbarkeit für Fragen 
der Pathologie selbst prüfen oder zur Prüfung empfehlen will. 

Aber noch ein zweiter Gesichtspunkt schließt sich unmittelbar an das 
eben Gesagte. Immer und immer wieder hat man die Tatsache zu verzeichnen, 
daß ein Pathologe in Fortbildung der ihm geläufigen Psychologie einzelne 
Erscheinungen oder Teilgebiete der Aphasielehre weiter ausarbeitet und mit 
bestimmten, gelegentlich sogar nicht ganz neuen Namen belegt, und diese 
wieder von anderen, ohne genügende Bedachtnahme auf schon in der neueren 
Psychologie Vorhandenes aufgenommen und selbständig weiter entwickelt 
werden. Diese Inzucht tritt zuweilen in so im verhüllter Form auf, daß man 
sich billig dabei fragen muß, ob denn wirklich eine andere Psychologie als die¬ 
jenige, welche sich in den Generationen der Neurologen fortgeerbt (natürlich 
verbessert), überall nicht existiert. So, wenn neuerlich ein Autor in der Er¬ 
örterung der „psychischen Elemente“ bei Gail beginnend, die Reihenfolge 
über W T ernicke, Storch und Kleist zu seinen eigenen Ansichten w r eiter- 
führt. Das muß aber umso mehr überraschen, als die Arbeiten des Autors auf 
anderen Gebieten von eingehender Beschäftigung mit Psychologie Zeugnis geben. 

Es widerspricht jedem geregelten Wissenschaftsbetriebe, sich blind für 
die Fülle dessen, was die Hilfswissenschaften Jahr für Jahr und im'letzten 
Jahrzehnt in kaum mehr zu verfolgendem Umfange erarbeitet, in einseitiger 
Betrachtung auf das im eigenen Gebiete zutage Geförderte zu beschränken; 
durch die Eröffnung dieses Bannkreises wird erst die Fülle der Probleme offen¬ 
bar, die die bisher in der Pathologie verwertete Psychologie überhaupt nicht 
als vorhanden erkennen ließ 1 ). 

Tritt man von einer so einseitig fortgebildeten Forschung an den breiten 
Strom der zeitgenössischen Psychologie, so überzeugt man sich oft, daß es 
entweder schon bekannte Dinge sind, die da geboten werden, oder solche, die 
sich leicht in das schon Bekannte hätten eingliedern lassen. Daß mit dem 
Nachw eis solcher Verhältnisse für das Ganze viel gewonnen, auch schon die 
Zersplitterung, die notwendig mit einer solchen Arbeitsweise verbunden ist, 
verhütet wird, ist leicht ersichtlich und soll auch zur Rechtfertigung des vor¬ 
liegenden Versuches dienen; Verfasser legt gerade auf die Korrektur solcher 
Zusammenhanglosigkeit, des „Aneinander vorbeiphilosophierens“ auf den zu ge¬ 
meinsamer Arbeit angewiesenen Gebieten nicht geringes Gewicht für den Fort¬ 
gang der Forschung. 

Benno Erd mann erklärt es 1896 aus dem ungenügenden Stand der 
Sprachpsychologie, „daß selbst hervorragende Psychiater Belehrung für die 

l ) Die vorangehenden polemischen Erörterungen haben vorwiegend den Stand 
der deutschen Aphasielehre zur Grundlage genommen; es war das auch natürlich, 
weil insbesondere ihre psychologische Vertiefung ganz vorwiegend in Deutschland 
gepflegt worden; aber das, was diesbezüglich hier gesagt ist, gilt im wesentlichen 
auch für die anderssprachige Literatur soweit sie sich mit ähnlichen Fragen be¬ 
faßt hat. 



Vorrede und Einleitung. 


13 


Deutung der aphasischen Störungen auch da nicht gesucht haben, wo solche 
Belehrung fördernd gewesen wäre“. Seither ist das in Deutschland etwas besser 
geworden; wenn jedoch neuerlich von französischer Seite nicht bloß den sche¬ 
matischen Darstellungen der Kampf erklärt worden, sondern auch wieder 
alles in Frage gestellt werden soll, was auf dem der Pathologie mit der Sprach¬ 
psychologie gemeinsamen Boden erreicht worden, so hofft Verfasser, daß diese 
Wellenbewegung nach der entgegengesetzten Seite recht bald ihre Korrektur 
finden wird. 

Sieht man übrigens näher zu, dann zeigt sich leicht, daß der Abschluß 
der Sprachpathologie nicht bloß in der Abneigung gegen die Philosophie be¬ 
gründet ist; denn auch durchaus naturwissenschaftlich und experimentell 
orientierte Hilfswissenschaften sind der gleichen Nichtbeachtung verfallen; 
nirgends z. B. erscheint auch nur ein Ansatz zur Berücksichtigung dessen, 
was die Phonologie oder experimentelle Phonetik bezüglich der „Phoneme“ 
als der letzten phonetischen Einheiten festgestellt und dem gegenüber ein 
starres Festhalten an der alten auch von den Linguisten verlassenen Lehre 
von der Zusammensetzung der Worte aus Buchstaben 1 ). Dasselbe gilt z. T. 
auch von der Annahme, daß der Satz aus Worten zusammengesetzt ist, während 
ganz abgesehen von den für die Einheit des Satzes nachweisbaren sprach- 
psychologischen Tatsachen, gerade die Phonetik für die letztere Ansicht spricht, 
so daß einzelne Phonetiker die Realität des Wortes überall anzweifeln. 

Nach all dem Gesagten fällt ein nicht geringer Teil dessen, was die vor¬ 
liegende Schrift leisten soll, mit der Kritik der in der Aphasielehre bisher ver¬ 
werteten psychologischen Begriffe zusammen; wenn Verfasser der Einseitig¬ 
keit dieser einen nicht geringen Anteil an der Stockung der Aphasielehre zu¬ 
mißt, so glaubt er durch solche Kritik ihrer Fortentwicklung einen besseren 
Dienst erwiesen zu haben, als mit dem unmöglichen Versuche mancher anderer 
Neurologen, aus der Lehre von der Aphasie die Psychologie ganz auszu¬ 
merzen. 

Doch muß Verfasser gleich hier eines Umstandes gedenken, den er bei 
der Würdigung des vorliegenden Versuches, einen Überblick über den gegen¬ 
wärtigen Stand der für Zwecke der Pathologie verwertbaren Sprachpsycho¬ 
logie zu bieten, nicht unbeachtet sehen möchte. Analog einer von O. Ditt- 
rich für seine „Grundzüge der Sprachpsychologie“ gegebenen Motivierung 
soll durch die vorliegende Schrift bei den Sprachpathologen „die nachhaltende 
Überzeugung erweckt werden, daß für eine möglichst gründliche Behandlung 
der speziellen sprachpathologischen Probleme ein nicht unbedeutendes Maß 
von Wissen um Dinge nötig ist, die oft gerade den einsichtigsten unter ihnen 
heute noch ziemlich oder sehr fernab vom Objekte ihrer Wissenschaft zu liegen 

*) Nur als Gegenstück zu der bisher in der Pathologie ausschließlich maßgeben¬ 
den synthetischen Auffassung dieser Fragen sei hier die Ansicht eines Linguisten 
modernster Richtung hierher gesetzt, soweit sie sich auf die Zusammensetzung 
des Wortes bezieht. Über die Zerlegung des Satzes in Worte und die angebliche 
Selbständigkeit der Wörter siehe bei ihm (1. c. p. 27 ff.) „It must, however, be remem- 
bered that the single sound as such has no independent existence, that it never 
enters into the consciousness of the Speaker, but that it exists only as a part of a 

sound complex which conveys a definite meaning“.»that the single pho- 

netic elements become conscious to us only as a result of analvsis“. (Fr. Boas, 
Handb. of Am. Ind. Lang. 1911, p. 23). 




14 


Vorrede und Einleitung. 


scheinen.“ Wenn aber derselbe Autor davon die Notwendigkeit ableitet, diesem 
Teile seines Werkes den Charakter eines Handbuches zu geben, so wollte Ver¬ 
fasser schon in dem Titel der Schrift angedeutet haben, daß ihm diese Form 
widerstrebt; ebensosehr des unfertigen Zustandes der herangezogenen Dis¬ 
ziplinen wegen, die einer den vorliegenden Zwecken entsprechenden Synthese 
noch ganz unzugänglich erscheinen *), wie seiner ganzen Arbeitsmethode nach; 
nicht ein Handbuch sollte geschaffen werden, wo jeder für jedes sich Rats er¬ 
holen könnte, sondern eine in ihrem ersten Teile aufklärende und hinweisende 
Darstellung dessen, was bisher in der Sprachpathologie nicht verwertet worden, 
und dessen Verwertung durch den zweiten Teil als auch praktisch erfolgreich 
erwiesen werden soll. Noch weniger ist es natürlich der Zweck der vorliegenden 
Arbeit, eine irgendwie zusammenfassende Darstellung der bisherigen Bestre¬ 
bungen zu einem Verständnis der aphasischen Erscheinungen zu geben; überall, 
wo darauf eingegangen wird, handelt es sich nur darum, das neue der Sprach¬ 
psychologie zu Entnehmende, dem alten Bestände einzufügen und kritisch bei 
der Verwertung des Letzteren auszunützen. — 

Die monographische Darstellung eines Themas wie der Agrammatismus, 
dem unser bestes Lehrbuch der Neurologie nicht viel mehr als drei Zeilen 
widmet, das auch sonst selbst in umfassenden Darstellungen der Aphasie 
nur gelegentlich gestreift wird, bedarf, auch wenn sie nur zum Ausgangspunkt 
einer weiter ausgreifenden Darstellung gewählt ist, der Rechtfertigung; eine 
solche wird die ganze Schrift bilden, aber es sollen doch schon hier einige zu¬ 
sammenfassende Bemerkungen darüber vorgebracht werden. 

Die geringe Wertschätzung des Agrammatismus stützt sich auf anschei¬ 
nend gewichtige Argumente: auf die Seltenheit der Erscheinung, die geringe 
Bedeutung, die ihr als Krankheit zukommt und endlich die behauptetermaßen 
noch immer kontroverse Lokalisation desselben; das letztere Moment wiegt 
um so schwerer, als daran die Konsequenz geknüpft wurde, daß demnach dem 
Agrammatismus eine lokalisatorische Bedeutung überall nicht zukomme. 

Durch diese scheinbar zutreffenden Momente wird die Frage des Agram¬ 
matismus zu einer rein akademischen gestempelt, für die man jetzt umso weniger 
übrig hat, als bisher auch jede Erörterung darüber aussteht, daß sie selbst 
innerhalb des Rahmens rein theoretischer Fragen irgendwelche Bedeutung, 
sei es auf ärztlichem, sei es auf irgend einem anderen Gebiete, habe. Der Nach¬ 
weis für die Berechtigung der vorliegenden Schrift wird sich im speziellen dem¬ 
nach zunächst mit der Widerlegung dieser anscheinend recht schwerwiegenden 
Beweise zu befassen haben, welcher Widerlegung gegebenen Falles noch alles 
das anzuschließen wäre, was an positiven Tatsachen für eine größere Wertung 
des Agrammatismus angeführt werden könnte. 

Was die Häufigkeit betrifft, so scheint dem flüchtigen Überblick der 
Agrammatismus als Krankheitserscheinung und namentlich abgetrennt von 
den anderen aphasischen Erscheinungen allerdings recht selten zur Beobach¬ 
tung zu kommen; aber diese relative Seltenheit ist doch keine derartige, wie 
es zunächst den Anschein hat, vielmehr kann auf Grund der Kasuistik mit 
Sicherheit vorausgesagt werden, daß, wenn die Aufmerksamkeit einmal darauf 

1 ) Diesem Umstande dürfte es auch zuzuschreiben sein, daß dem 1. Bande 
der Dittriehschen Grundzüge ein zweiter, der den Pathologen aufs Höchste er¬ 
wünscht sein müßte, bisher nicht gefolgt ist. 



Vorrede und Einleitung. 


15 


gelenkt, sich die Zahl der hierher gehörigen Beobachtungen gewiß noch be¬ 
trächtlich erweitern wird. 

Es würde auch dem tieferen Zusammenhänge der Tatsachen nicht ent¬ 
sprechen, wollte man das Studium des Agrammatismus auf die durch grobe 
Hirnerkrankung zustande gekommenen Formen beschränken. Den Leitfaden 
zur Beseitigung einer solchen Anschauung bietet der vom Verfasser seit jeher 
verfochtene Satz, daß jeder durch organische Veränderung bedingten Funk¬ 
tionsstörung auch eine gleichgestaltete besondere funktionelle, also in ihrer 
anatomischen Grundlage nicht nachweisbare Störung entsprechen müsse; gilt 
das natürlich von vorneherein für die im Rahmen der funktionellen aphasi- 
schen Störungen zur Beobachtung kommenden Erscheinungen von Agramma¬ 
tismus, so erweitert sich das Gebiet dieser Formen, wenn wir das breite Feld 
der psychischen Störungen heranziehen. Die große Rolle, weiche die beglei¬ 
tenden Änderungen der Sprache bei diesen spielen, lassen es als nicht unwahr¬ 
scheinlich vermuten, daß auch hier Erscheinungen von Agrammatismus nicht 
fehlen dürften und bei näherem Zusehen überzeugt man sich bald nicht bloß 
von der Häufigkeit solcher, sondern vor allem davon, daß gerade diese Fälle 
uns den Wegweiser zur Aufhellung mancher über diesem Gebiete schwebenden 
Dunkelheit bieten werden. 

Der Kreis der dazu gehörigen Tatsachen wächst aber noch mehr, wenn 
wir die geistigen Defektzustände in Betracht ziehen; größer noch als auf allen 
anderen Gebieten der Psychopathologie ist bei diesen die Bedeutung der 
Sprache, deren Wertung sich schon darin ausprägt, daß man, irregeführt durch 
die Ansicht von der vermeintlichen Identität von Sprache und Denken, eine 
Zeitlang die Sprachentwicklung als Maß'der geistigen Entwicklung ansehen 
wollte. Es wird sich zeigen, daß die jetzt wohl als verlassen zu bezeichnende 
Identitätslehre auch in ihrer modifizierten Form als Parallelismus des Denkens 
und Sprechens nicht als zutreffend erachtet werden kann; aber das nimmt 
natürlich der Bewertung der durch Hemmung der geistigen Entwicklung oder 
parallel mit ihr zustande gekommenen Sprachdefekte nichts von ihrer Bedeu¬ 
tung. Innerhalb dieser letzteren nimmt nun auch der Agrammatismus seinen 
Platz ein, dessen theoretische Bedeutung dadurch ins volle Licht gerückt 
wird, daß er direkt zu dem im w r ahren Sinne des Worte« nativen Agrammatismus 
hinüberleitet, der als normal ein besonderes Stadium in der Sprachentwick¬ 
lung des Kindes darstellt. 

Wenn Wernicke seinerzeit die Vernachlässigung der „Merkwürdig¬ 
keiten“ im Gebiete der Aphasie nicht nur für zulässig, sondern direkt für ge¬ 
boten erachtete, so konnte das im Sinne seiner synthetischen Forschungs¬ 
methode für jene erste Phase der Aphasielehre sehr wohl gebilligt werden; 
man wird sich aber niemals verhehlen dürfen, daß gerade in den Merkwürdig¬ 
keiten der Grenzgebiete, und der Agrammatismus stellt vorläufig für viele 
eine solche dar, auch die Ansätze zu weiter fortschreitender Forschung gegeben 
sind, die Fortschritte der Wissenschaften sich gerade in diesen Grenzgebieten 
vollziehen. An Parallelen dazu in anderen Gebieten der Neurologie fehlt es 
nicht; sie wären leichtlich noch im Gesichtskreise der jetzt lebenden Genera¬ 
tion nachzuweisen. 

Scheint uns durch die vorstehenden Ausführungen das auf zahlenmäßige 
Erwägungen gestützte Motiv für die geringe Würdigung des Agrammatismus 



16 


Vorrede und Einleitung. 


als Objekt sprachpathologischen Studiums widerlegt, so wird sich auch gegen 
das zweite, in der gleichen Richtung verwertete Argument, die geringe Be¬ 
deutung der Erscheinungen des Agrammatismus als Krankheit, leicht manches 
Stichhaltige ein wenden lassen. Zunächst der allgemeine Erfahrungssatz, daß 
es kaum ein Symptom auch im Gebiete somatischer Störungen gibt, das bei 
fortgesetzter Beachtung und so vertiefter Betrachtung sich nicht diagnostisch 
und insbesondere prognostisch als bedeutsam erweisen würde. In viel höherem 
Maße gilt das für die Symptomatologie der Zerebralerkrankungen; hier die 
ganze Verfeinerung der Diagnostik der letzten Jahrzehnte nach der Seite zu¬ 
nehmend größerer Würdigung feinerer und feinster Symptome gegenüber den 
zunächst ins Auge fallenden groben Störungen darzulegen, hieße die Geschichte 
wichtiger Kapitel der Neurologie wiedergeben zu wollen; daß das gleiche auch 
für den Agrammatismus erweislich, bildet einen der Hauptgesichtspunkte der 
vorliegenden Schrift. 

Gewiß tritt die Frage des Agrammatismus an klinischer Bedeutung hinter 
vielen anderen Punkten der Aphasielehre zurück; wenn ihr trotzdem eine so 
ausführliche Darstellung gewidmet wird, so rechtfertigt sich dies durch die 
Darlegungen der vorliegenden Schrift, die alle darauf hinauslaufen, daß der 
Agrammatismus eben nicht bloß eine „Merkwürdigkeit“ im Bereiche der Aphasie¬ 
lehre darstellt; es wird sich vielmehr zeigen, daß der Prozeß der grammatisch- 
syntaktischen Formulierung, als dessen Störung sich der Agrammatismus dar¬ 
stellt, die Brücke oder, schärfer formuliert, ein ganz bestimmtes Stück einer 
solchen zwischen psychischer Konzeption und sprachlicher Entäußerung der 
Rede bildet; damit tritt aber der Agrammatismus gleichsam in den Mittelpunkt 
der Aphasielehre. So wird es sich dann auch nicht als Zufall darstellen, wenn 
Verfasser in der Weiterführung des Wernickeschen Versuches, von der 
Aphasie her tiefer in das Dunkel der psychischen Vorgänge einzudringen, ge¬ 
rade den Agrammatismus als die dazu geeignetste Einfallspforte zum Gegen¬ 
stand einer darauf bezüglichen Studie gemacht hat; es wird sich dann auch 
zeigen, wie von diesem Zentralpunkte aus eine organische Verbindung mit 
und zwischen den übrigen Aphasieformen sich leicht wird herstellen lassen. 

Was endlich das dritte Argument, die Widersprüche bezüglich der Lokali¬ 
sation des Agrammatismus und die daraus gezogene Konsequenz von seiner 
lokalisatorischen Bedeutungslosigkeit betrifft, so werden sich auch diese als 
nicht zutreffend erweisen. Vorerst wird sioh zeigen lassen, daß jene Wider¬ 
sprüche nicht auf grundsätzlichen Differenzen beruhen und die einander als 
gleichartig gegenübergestellten Formen des Agrammatismus sich als klinisch 
differente darstellen, zu einem Nebeneinander sich vereinigen lassen und einer 
einheitlichen Lokalisation des echten Agrammatismus nicht widerstreben. 

Man hat, um das hier kurz zu skizzieren, der vom Verfasser festgehal¬ 
tenen Lokalisation des Agrammatismus im Schläfelappen ähnliche Erschei¬ 
nungen entgegengestellt, die für dessen Lokalisation in Stirnlappen sprechen. 
Verfasser wird in dieser Schrift den Nachweis führen, daß es sich in diesen 
letzteren Fällen nicht um einen primären, echten Agrammatismus handelt, 
daß vielmehr durch andere primäre Störungen sekundär Erscheinungen zu¬ 
stande kommen, die mit den echten agrammatischen eine weitgehende Ähn¬ 
lichkeit aufweisen; es wird sich zeigen, daß die angenommene vollständige 
Gleichheit nur eine scheinbare ist, die durch Außerachtlassung insbesondere 



Vorrede und Einleitung. 


17- 


des Tempos der Rede vorgetäuscht wird, und daß diese Differenz auf dem 
Papiere natürlich überhaupt nicht zum Ausdruck kommt, wenn, wie so häufig, 
jenes Moment nicht besonders hervorgehoben wird. Damit ist natürlich auch 
die aus der scheinbaren Mehrörtlichkeit des Sitzes der Läsion für den Agramma¬ 
tismus gezogene Konsequenz von seiner lokalisatorischen Bedeutungslosigkeit 
grundsätzlich beseitigt. 

Gleichzeitig erscheint aber im allgemeinen den gegen die Wichtigkeit 
des Agrammatismus gerichteten Ein wänden der Boden entzogen, denn nicht 
die praktischen Gesichtspunkte der Lokalisation werden in erster Linie seine 
Bedeutung ausmachen, sondern das, was sich ihr vor allem theoretisch ent¬ 
nehmen läßt; welche zentrale Stellung aber dem Agrammatismus gerade in 
dieser Richtung zukommt, ist zuvor schon kurz angedeutet worden. Wenn 
neuestens Pelz (Z. f. d. ges. Neur. u. Phych. XI, S. 134) als Maßstab für 
die Intaktheit des Spontansprechens die Intaktheit der für die Rede gesetz¬ 
mäßigen und notwendigen formalen Ordnung in erste Linie stellt, so rückt 
auch damit der Agrammatismus, den Pelz als Störung eben dieser Ordnung 
definiert, in die erste Linie unter den aphasischen Sprachstörungen. 

Gewiß ist es richtig, daß der Agrammatismus vorläufig wenigstens in 
der Klinik der Aphasie keine wesentliche Rolle spielt; aber das schließt nicht 
aus, daß, wie der Verfasser zu zeigen versuchen wird, diesem scheinbar so un¬ 
bedeutenden Kapitel jener Lehre nicht nur für eine Reihe der wichtigsten 
Fragen der Sprachpsychologie und -Pathologie eine alles übrige weit überragende 
Bedeutung zukommt, sondern auch wichtige Fortschritte der Aphasielehre im 
allgemeinen sich an eine Fortbildung im Studium der als Agrammatismus 
zusammengefaßten Störungen knüpfen lassen. 

Wir werden hören, wie in der Sprachpsychologie der Satz erst das den 
Zwecken sprachlicher Mitteilung entsprechende Produkt darstellt, und dem¬ 
nach wie in der Norm, ebenso natürlich auch im Pathologischen, alles, was 
im Sprechakt mitwirkt, sich als zweckförderndes Glied bei der Bildung des 
Satzes darstellt; und daraus ergibt sich, daß es wenige Fragen der Aphasielehre 
gibt, zu denen infolgedessen von diesem zentralen Elemente, dem Satze, und 
seiner Pathologie, dem Agrammatismus, aus nicht Stellung genommen werden 
könnte, ja müßte. 

Man hat es immer als einen genialen Gedanken angesehen, daß Wer- 
nicke dachte, durch das Verständnis der aphasischen Sprachstörungen Licht 
auf die damit verbundenen geistigen Vorgänge und dadurch auch auf die übrige 
Psyche geworfen zu sehen; der Gedanke lag allerdings damals in der Luft 1 ), 
aber es war Wer nicke und seiner Schule Vorbehalten, auch die daran ge¬ 
knüpften Hoffnungen in reichem Maße selbst zu erfüllen. Das wird auch von 
den Psychologen willig anerkannt und der Amerikaner Woodworth (Journ. 
of Phil., Psych. etc. 1907, S. 175) sagt noch kürzlich, daß, was wir an prä¬ 
zisem Wissen vom Zusammenhänge zwischen Hirnfunktion und psychischen 
Vorgängen unser nennen, vorwiegend dem Studium der Aphasie und ähnlicher 
Funktionsdefekte zu verdanken ist. 

Heilbronner freilich spricht sich neuerlich (Münch, med. Wochen- 

x ) Fourni 6 (Essai de Psychol. 1877, p. 293): „La parole est la seule ouverture, 
qui laisse p6n6trer lVil du physiologiste dans la vie c6r6brale“. 

Piek, Sprachstörungen. I. Teil. 2 



18 


Vorrede und Einleitung. 


sehr. 1911, Nr. 16, S. 133 S. A.) und auch seither noch in seinen zusammen¬ 
fassenden Darstellungen der Aphasielehre über Wernickes Gedanken wesent¬ 
lich skeptischer aus und sagt, ,,daß uns die Beschäftigung mit den aphasischen 
Erscheinungen wirkliche Einsicht in das Verhältnis zwischen Physischem und 
Psychischem verschaffen werde, läßt sich nicht aufrecht erhalten“. Sollte das 
tatsächlich Wernickes Gedanke gewesen sein, dann hat freilich schon Claude 
Bernard die Widerlegung vorweg genommen und der Kampf, den Mach 
gegen die Metaphysik in der Physik vorbildlich für die übrigen Erfahrungs¬ 
wissenschaften geführt, das Problem ins richtige Licht gestellt. Aber selbst 
wenn man der Ansicht Machs von der Nichtigkeit des Problems nicht ganz 
zustimmen sollte, ist es dem Erachten des Verfassers nach mehr eine Frage 
des Temperaments, ob man sich mit dem Erreichten zufrieden gibt oder aus 
dem langsamen Gange des Fortschrittes etwa für die Zukunft die Aussichts¬ 
losigkeit des Strebens ableitet; die Enttäuschung in Rücksicht der erhofften 
Erfolge des Wernickesehen Versuches ist nicht zum wenigsten in einer be¬ 
greiflichen, aber nicht gerechtfertigten Ungeduld begründet. Man betrachte 
doch die Langsamkeit und Geringfügigkeit der Erfolge analoger Bestrebungen 
auf dem Gebiete der Sinnespsychologie, das im Hinblick auf den hohen Stand 
seiner Methoden doch gewiß ein rascheres Vorschreiten unserer Erkenntnis 
hätte erw r arten lassen; man sehe zu, wie bescheiden ein Astronom von den 
bisherigen, doch sonst als vorbildlich angesehenen Erfolgen seiner Wissen¬ 
schaft gegenüber der Fülle des bis jetzt Unbekannten spricht 1 ); man messe 
endlich an den exakten Methoden der Astronomie die Schwierigkeiten des 
Einblickes in die Zusammenhänge psychischer und Himfunktionen und man 
wird zugeben müssen, daß die skeptische Beurteilung der Gegenwart, wie die 
schier verzweifelte Prognose bezüglich der Zukunft durch nichts gerecht¬ 
fertigt sind. 

Aber bei aller Würdigung der Fortschritte auf dem von Wernicke vor¬ 
gezeichneten Wege kann man sich dem Eindrücke nicht entziehen, daß die 
bisher geübte Methode, sich aus einer Kombination von Hirnpathologie und 
notdürftig selbst zurecht gezimmerter Psychologie ein anfänglich noch zu¬ 
reichendes 2 ) hypothetisches Gerüste für einschlägige Forschungen zu bauen, 
sehr bald zu schematischer Erstarrung führen mußte und tatsächlich ge¬ 
führt hat. 

Die Aphasielehre war später in den gleichen Fehler verfallen, der auch 
die Vermögenspsychologie als Wissenschaft schließlich unbrauchbar gemacht 
hat 3 ); sie unterließ eine Analyse der Tatsachen und indem sie dadurch die Auf- 

J ) „Science has only dealt so far with the easy records and that the genuine 
hard work is to come“; „the vast hordes of dusky possibilities of which we are be- 
ginning to catch glimpses must yield. The fight may seem and no doubt is, without 
end“. (H. H. Turner, Address to the math. and phys. section. Brit. Ass. f. Adv. 
of Sc. Porthmouth 1911, Rep. p. 8 et 15.) 

2 ) Mit dieser für einen bestimmten Zeitpunkt der Forschung ausgesprochenen 
Anerkennung der Berechtigung einer solchen Psychologie will Verfasser vorwiegend 
die ihr zugrunde gelegte Selbstbeobachtung als Hilfsmittel der Forschung aner¬ 
kennen; er will keinen Zweifel an seiner Ansicht bestehen lassen, daß er in dieser 
bei allem Fortschritt der übrigen Forschungsmethoden doch die Grundlagen unserer 
Einsichten zu sehen glaubt. 

3 ) Gerade im Hinblick darauf muß es als ein auch durch sein Datum historisch 
bedeutsames Faktum hervorgehoben werden, daß II. Jackson in seinem berühmten 



Vorrede und Einleitung. 


19 


gaben einer solchen in das Sprachvermögen zurückschob, kam es zu jener Er¬ 
starrung der Zentrenlehre, die jetzt noch gelegentlich zu dem sonderbaren 
Resultate führt, daß nicht zu leugnende klinische Tatsachen nicht gesehen, 
oder wenn gesehen, deshalb nicht anerkannt werden wollen, weil sie mit der 
trotz allem noch immer für sacrosanct gehaltenen Lehre von den Zentren nicht 
in Einklang zu bringen sind. Man hatte eben schließlich ganz übersehen, was 
selbst den Psychologen nicht entgehen konnte, „daß die Darstellung des 
Zusammenwirkens solcher Zentren durch Verbindungsbahnen ein reines „Sym¬ 
bol“ ist und mußte sich von ihnen sagen lassen, daß es kein wissenschaftlich 
korrektes Verfahren ist, aus solchen Schemata psychologische Behauptungen 
abzuleiten. (Meumann, Vorlesungen z. Einf. in d. exp. Pädagogik II, S. 267.) 
Man hatte in letzter Linie den wichtigsten Gesichtspunkt der neuen Wissen¬ 
schaftslehre außer acht gelassen, daß die von den Tatsachen abgezogenen 
Gesetze nicht die Tatsachen selbst meistern können. # 

Gewiß hat es nicht an Warnungsrufen aus dem eigenen Lager gefehlt; 
so bei H. Sachs (Gehirn und Sprache 1905, S. 21), der die psychologischen 
Gründe für das Festhalten am Schema sehr fein dargelegt hat; aber man kann 
nicht sagen, daß es seither besser geworden; das erklärt sich vor allem daraus, 
weil an der dürftigen Psychologie, die eben in dem Schema verkörpert war, 
immer noch festgehalten worden. Es kann bei der Dauer der Ausarbeitung 
der vorliegenden Schrift und im Hinblick auf ihre speziellen Gesichtspunkte 
natürlich nicht wundernehmen, w r enn die Kritik des Verfassers und sein Ein¬ 
treten für eine Verwertung moderner Psychologie im Rahmen der Pathologie 
durch einzelne Tatsachen in der neuesten Literatur etw r as überholt scheint; 
man wird aber bei aller Anerkennung solcher doch vereinzelter Anknüpfungs¬ 
versuche dem hier dargelegten prinzipiellen Standpunkte seine Berechtigung 
nicht absprechen können. 

Dazu kommt auch noch ein zweites Moment. Die Aphasielehre teilte 
das Schicksal der Erstarrung l ) in und durch eine bestimmte Richtung der 
Forschung bemerkenswerterweise nicht bloß mit der ihr zunächst stehenden 

Aufsatze im ersten Bande des „Brain“ ausdrücklich jede Anwendung einer Ver¬ 
mögenstheorie auf Probleme der Aphasie direkt als unrichtig ablehnt (1. c. p. 312): 
„We do not mean by using the populär word power that the speechless man has 
lost any „faculty“ of Speech or propositionising; he has lost those words which 
serve in Speech the nervous arrangements for tliem being destroyed. There is no 
„faculty“ or power of speech apart from words revived or revivable in propositions“. 
(Wir werden später sehen, inwieweit im Lichte einer funktionellen Psychologie diese 
Umgrenzung doch als zu eng sich darstellt). 

l ) Man wird freilich auch nicht übersehen dürfen, daß ein äußerliches Moment 
für den Stillstand der Aphasieforschung in der Wendung gelegen ist, welche sich in 
der Entwicklung der Neurologie als Ganzes vollzogen. Man hat mit Recht gesagt, 
daß die Aera der Lokalisation vorüber, andere, vor allem praktisch verwertbare 
Gesichtspunkte für die Erforschung neurologischer Probleme in den Vordergrund 
getreten sind; es wäre aber bedauerlich, wenn diese vor allem die praktische Verwer¬ 
tung betreffende Wendung doch auch auf die wissenschaftliche Erforschung der 
Aphasie von dauerndem Einflüsse bleiben sollte. Denn Jeder, der die praktischen 
Gesichtspunkte etwas tiefer zu ergründen versucht, muß sich alsbald darüber klar 
werden, daß, um nur einen zu erwähnen, nur ein noch immer weiter getriebenes 
Studium der Aphasie diese erst zu jenem Stadium verfeinerter Diagnostik gelangen 
lassen wird, von dem aus sie mehr wird sein können als ein interessantes Kapitel der 
Neurologie. 



20 


Vorrede und Einleitung. 


Psychiatrie, sondern auch mit der Psychologie selbst. In der Psychiatrie 
setzte die neue Bewegung damit ein, daß an Stelle der festgeprägten und eben¬ 
falls in einem gewissen Schematismus erstarrten Zustandsbilder nach Ver¬ 
laufsformen gesucht, das schon teilweise geübte Studium des Längsschnittes 
prinzipiell an die Stelle desjenigen des Querschnittes gesetzt wurde. Gewiß 
ist auch die Lehre von den Aphasien vom Studium des Verlaufes ausgegangen, 
aber z. T. äußere Momente, wie die Chronizität der Fälle, führten immer wieder 
den Querschnitt des Zustandsbildes, das im Schema festgelegt worden, in den 
Vordergrund der Betrachtung. Eine Änderung vollzog sich erst in den letzten 
zwei Dezennien durch die Einführung des funktionellen Standpunktes, als 
sich zeigte, daß die verschiedenen fest geprägten Formen vielfach nur verschie¬ 
dene Stadien derselben Verlaufsform darstellen. Und etwas Ähnliches voll¬ 
zieht sich jetzt auf dem Gebiete der Psychologie. Bawden (The psych. Bull. 
July 1910, % S. 222) sagt von ihrer Darstellung in Prozessen, daß sie bestimmt 
ist, ,,to smooth out irritating contrasts of content which appear when static 
cross-sections are substituted for the enlightning longitudinality“; und von der 
neueren Denkpsychologie rühmt einer ihrer Vertreter (Koffka) ,,wie sie die 
Psychologie rettete aus einer Mechanisierung des Geistigen, wie sie hinauswies 
auf Gebiete, die sich nicht dem Schematismus der Assoziation fügen“. 

Dafür, daß der Verfasser schon vor Jahren einen funktionellen Stand¬ 
punkt, wie in der Aphasie, so auch in der Frage des Agrammatismus einge¬ 
nommen und als Ausdruck seiner damaligen Ansicht bezüglich seiner Lokali¬ 
sation x ) sei nachstehender Passus (aus „Beiträge zur Pathologie und patho¬ 
logischen Anatomie des zentralen Nervensystems“, 1898, S. 128) zitiert: „Es 
wird allerdings durch solche Fälle (sc. von Agrammatismus) erwiesen, daß 
eine bestimmte Phase im Prozesse des Sprechens durch die syntaktische Zu¬ 
sammenfassung der Worte dargestellt wird, und daß die Störung der Sprache 
gelegentlich so gestaltet sein kann, daß gerade diese Phase besonders geschädigt 
erscheint.“ Verfasser wüßte übrigens für die Aufstellung einer auf funktio¬ 
neller Psychologie basierten Aphasielehre kein besseres Argument als den 
Hinweis, wie einfach sich die Einreihung der amnestischen Aphasie dadurch 
gestaltet im Gegensätze zu den Schwierigkeiten, die noch immer die Zentren¬ 
lehre in ihren verschiedenartigsten Ausarbeitungen mit dieser Aphasieform hat, 
die Verfasser immer als eine der klinisch reinsten angesehen. 

Verfasser möchte aber noch an einem speziellen Falle hier zeigen, wie 
mit den einer Funktionspsychologie entnommenen Deutungen der Vorgänge 
sich doch viel besser in der Pathologie arbeiten läßt, als mit der alten Lehre 
von dem Wirksamwerden der Erinnerungsbilder. Em Kranker mit sensori¬ 
scher Aphasie, bei dem die amnestische Komponente im Sprechen sehr stark 
hervortritt, zeigt folgende Erscheinung. Er weiß fast kein Objekt zu bezeichnen, 
aber fast jedesmal, wenn demselben ein Plurale tantum im Tschechischen 

*) Verfasser darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß sich hier schon 
die psychologische Lokalisation vorgebildet findet, die in der vorliegenden Schrift 
eine breitere Darstellung erfährt. Auch Ileilbronner spricht an einer mir zu¬ 
fällig jetzt nachträglich zu Gesicht gekommenen Stelle (Zentralbl. f. Nervenheilk. 
1908, p. 900) von einer psychologischen Lokalisation; aber den Fortschritt in 
der hier später davon gegebenen Darstellung wüßte Verfasser nicht besser zu 
illustrieren als durch den Umstand, daß Ileilbronner seiner Bezeichnung ein 
s. v. v. vorsetzt. 



Vorrede und Einleitung. 


21 


entspricht (er ist Tscheche) sagt er: „Das sind.“ Das tritt aber nicht 

ein, wenn es sich um etwas im Plural zu Bezeichnendes handelt, z. B. bei 
Streichhölzern. 

Man wird annehmen dürfen, daß dieser Gegensatz der Erscheinungen sich 
aus der Differenz zwischen mehr und weniger automatisch gewordener Funk¬ 
tion erklärt; mit dem Plurale tan tum ist die Pluralfunktion des Verbs regel¬ 
mäßig verbunden und deshalb zeigt sich die Störung dieser Funktion vor¬ 
wiegend (oder vielleicht ausschließlich) dort, wo die Funktion weniger auto¬ 
matisiert ist, erst mit einer gewissen Willkür in Aktion gesetzt werden muß. 
Unterstützt wird diese Deutung durch die Annahme einer der sprachlichen 
vorangehenden Formulierung; anderenfalls wäre es nicht gut erklärlich, wie 
ein späteres, überhaupt nicht auf tauchendes Wort die Form des vorangehenden 
beeinflussen könnte. Verfasser vermag sich die Erscheinung an der Hand der 
Lehre von den Erinnerungsbildern und der synthetischen Betrachtung des 
Satzes nicht zu deuten. Daß mit der billigen, von Bastian zur Erklärung 
einer anderen Erscheinung der amnestischen Aphasie herangezogenen Hypo¬ 
these vom Auf tauchen des optischen Erinnerungsbildes nichts getan, ist wohl 
offenbar J ). 

Im Gegensatz zu den Erfolgen einer Funktionspsychologie kann Verfasser 
die Wirkung des alten, zur Erstarrung gekommenen Schematismus nicht besser 
exemplifizieren, als durch folgende Tatsache: einer mißverständlich auf ge¬ 
faßten Lex parsimoniae zu Liebe glaubte man den Sprach Vorgang, in dessen 
tiefere Analyse man sich nicht weiter einließ, auf wenige Zentren und Bahnen 
reduzieren zu können; dabei übersah man, daß die scheinbar einfachen Vor¬ 
gänge in eine ganze Reihe von Funktionen zerfallen, denen natürlich, wie man 
jetzt sagt, ebenso vielfache „Funktionsherde“ entsprechen müssen (Verfasser 
vermeidet hier absichtlich den Namen „Zentren“, obzwar er selbst diese Be¬ 
zeichnung immer nur im Sinne der jetzt beliebten neuen Bezeichnung gebraucht 
hat); dadurch wurden aber in erster Linie auch wieder die Erklärungen, die 
man den klinischen Erscheinungen gab, auf das schwerste verfälscht; sie 
mußten natürlich der geringen Zahl der Zentren angepaßt werden und dem 
ist vor allem zuzuschreiben, daß die meisten etwas Schematisches, Gezw ungenes 
an sich trugen. Dadurch wurden aber ihrerseits wieder die anatomisch-physio¬ 
logischen Deutungen auf das ungünstigste beeinflußt; indem man, wie schon 
erwähnt, übersah, daß die „Verbindungen“ doch nur symbolisch gemeint sein 
konnten, ließ man sich verleiten, so hochkomplizierte Prozesse tatsächlich in 
einfache Faserzüge zu verlegen. Man mag noch so fest an der Idee festhalten, 
daß wir in der Anatomie des Gehirns den Wegweiser für das Verständnis der 
aphasischen Störungen zu finden haben, das scheint doch ganz unvereinbar mit 
den Anschauungen über die Kompliziertheit der bei der Grammatisierung der 
Rede sich abspielenden Vorgänge, daß durch eine umschriebene grobe, 
also ein oder wenige Faserbündel betreffende Läsion (z. B. im Stirnlappen, 
wie das neuestens ein Autor darstellt) der agrammatische Zustand erklärt 
werden könnte. 

*) In solchen Fällen spielen offenbar Momente musischer Art, Intonation, 
Rhythmus, die entscheidende Rolle; so wenn Bailey (J. of Philos. and Psychol. etc. 
1907, p. 339) bei der Suche nach einem Worte, zu einer Zeit, w’o er es noch nicht 
kennt, doch herausfindet, daß es aus drei Silben besteht. 




22 


Vorrede und Einleitung. 


Und ähnlich geht es mit den Zentren selbst; als eine unabweisliche Folge¬ 
rung aus den klinisch-anatomischen Tatsachen ergab sich z. B. die Ansicht, 
daß, wie die anderen Zentren, so auch A, das akustische Wortzentrum eine 
wesentlich größere Ausdehnung besitze, als man früher angenommen; trotz¬ 
dem konnte man sich bisher nicht entschließen, neue Zentren oder Funktions¬ 
herde im Bereiche dieses temporalen Anteils des Sprachfeldes anzunehmen. 
Wenn wir dem gegenüber A entsprechend seiner zyto-architektonisch und 
pathologisch-anatomisch begründeten Verbreiterung als eine Summe von 
Zentren deuten, dann sind damit die großen Schwierigkeiten beseitigt, die sich 
ergeben, wenn man das Sprechen über A sich vollziehen läßt und die daran 
beteiligten Funktionen alle aus der Wirksamkeit des dabei als eine Art Regu¬ 
lator fungierenden einheitlichen A zu erklären versucht; insbesondere die 
Schwierigkeit, die sich daraus ergab, daß auch ohne direkte Läsion dieses 
Zentrums der Sprechakt paraphasisch oder agrammatisch gestört sein kann, 
erscheint beseitigt, wenn man annimmt, daß beim Sprechen andere Teile des 
umfassender gedachten A mitwirken, als die beim Verstehen des Gehörten 
beteiligten 1 ). 

Manche Autoren haben bekanntlich angenommen, daß das Fehlen des 
Sichselbsthörens für die Paraphasie verantwortlich zu machen ist; wir werden 
sehen, daß das ein Irrtum ist; das Sichselbsthören spielt überhaupt auch beim 
Verständnis des eigenen Defektes eine ganz geringfügige Rolle und das gleiche 
ist der Fall hinsichtlich seines Einflusses auf das richtige Sprechen; daraus 
erhellt, daß auch auf die Richtigkeit des Sprechens die Beschaffenheit des 
akustischen Wortzentrums im engeren Sinne (also das A von Wernicke) 
ohne direkten Einfluß ist. 

Wenn man noch bis vor kurzem vor einer Häufung der Zentren als etwas 
scheinbar Unmethodischem zurückgeschreckt ist, so scheinen die neueren 
Feststellungen hinsichtlich der Myelo- und Cytoarchitektonik der Hirnrinde 
in ganz entgegengesetzter Richtung zu deuten; w enn wir nach den neuen Unter¬ 
suchungen von Vogt im Stirnlappen allein über 50 myelo-architektonische 
Rindenfelder nachgewiesen sehen und wenn nach weiteren Untersuchungen 
desselben Autors die Zahl solcher Felder für das ganze Gehirn etwa 120 be¬ 
trägt, also etwa doppelt soviel als die cytoarchitektonische Gliederung der 
Rinde vorläufig hat feststellen lassen, dann wird man sagen müssen, daß diese 
Vielfältigkeit, der ja, wenn man sich einmal von der Annahme der Einheitlich¬ 
keit der ganzen Rinde frei gemacht, eine noch viel weitergehende Scheidung 
von Zentren entsprechen muß, gerade den Erwartungen entspricht, die man 
bei der weitgehenden Differenzierung der Funktionen darüber hegen mußte. 

Lugaro (Modern Problems in Psychiatry, English Transl. 1909, p. 29) 
meint, daß hauptsächlich die Einseitigkeit, mit der das Wernicke sehe Schema 
wahllos auf alle psychischen Funktionen angew endet w orden, an dem Scheitern 
des Versuches schuld sei, von der Aphasie aus einen tieferen Einblick in die 
psychischen Vorgänge zu gewinnen. Verfasser kann dem nicht zustimmen, 
sieht vielmehr den Hauptgrund dafür, daß die Lehre strenger Observanz in 

x ) Vgl. dazu die Theorie des Agrammatismus von Kleist (Mon. Sehr. f. 
Psych. u. Xeurol. 17, S. 518). derzufolge mit dem Agrammatismus notwendig auch 
eine gewisse Störung der Wortfindung, des Sprachverständnisses verbunden ist, 
was mit den Tatsachen der Klinik in vollem Widerspruch steht. 



Vorrede und Einleitung. 


23 


eine Sackgasse geraten, darin, daß man es an der nötigen psychologischen 
Durcharbeitung und Fortbildung des primitiven Schemas vielfach fehlen ließ. 
Wenn Isserlin anläßlich einer anderen Frage der Wernickeschen Schule 
zum Vorwurf gemacht hat, daß ihre Auffassung zu „neurologisierend“ gewesen, 
(siehe den Bericht über den IV. Kongr. f. experimentelle Psychologie in Inns¬ 
bruck, 1910, S. 67), so kann das auch für ihre Aphasielehre im Sinne eines 
Gegensatzes zu dem Standpunkte gelten, den Verfasser als den psychologi- 
sierenden hier prinzipiell vertritt; kann man doch auch in Hinsicht der voll¬ 
ständigen Vernachlässigung des „Gefühlsmäßigen“, wie sie sich in der Aphasie¬ 
lehre allmählich geltend macht, die Lehre Wernickes als zu „neurologisierend“ 
bezeichnen. 

Den besten Bew eis gegen Luga ros Ansicht und für die Richtigkeit des 
hier Ausgesprochenen bietet die Geschichte der Apraxie; zweifellos ist die Lehre 
von derselben eine der schönsten Früchte, die wir der Fortbildung der Wer¬ 
nickeschen Schule verdanken, aber man darf w r ohl hinzufügen, daß auch ihre 
Entwicklung erst durch die vom Verfasser in diese Frage hineingetragene 
psychologische Vertiefung zu voller Reifung angeregt worden ist; und ebenso 
gewiß ist es, daß auf dem von Külpe (Psych. u. Med. 1912, Sep.-Abdr.) ihr 
gewiesenen Wege weiterer psychologischer Vertiefung die Grundlagen für eine 
Fortbildung auch dieses Zweiges der Hirnforschung zu suchen sind. 

Die Abkehr von der psychologischen Forschungsrichtung hatte auch 
einen scheinbar nur äußerlichen weiteren Umstand im Gefolge, der der Aus¬ 
beutung des Wernickeschen Gedankens doch hinderlich im Wege stand. 
Da zur Erforschung dessen, was in dem bekannten Schema auf dem Wege von 
und nach B, dem sogenannten Begriffszentrum liegt, die zuvor charakteri¬ 
sierte Psychologie der Pathologen absolut nicht imstande ist, w r urde die Aphasie¬ 
lehre naturgemäß mehr auf das Studium der peripheriewärts gelegenen Stö¬ 
rungen gewiesen und dieses bewegt sich seit langem auch ganz vorwiegend 
in dieser jenem Zwecke w'enig entsprechenden Richtung. Ein von B. Erd- 
man mit einem entgegengesetzt orientierten Verfahren gemachter Versuch 
mißlang aus verschiedenen Gründen, unter denen die allzu schematisierende 
Verwertung der inneren Sprache wohl die Hauptrolle gespielt; sie blieb auch 
wegen des fehlenden Konnexes mit klinischen Tatsachen ohne jeden Widerhall 
im Lager der Pathologen. 

Wenn jetzt neuerlich zur Behebung solcher Mißstände in Wiederholung 
eines alten Steinthalschen Gedankens als Postulat für die weitere Entwick¬ 
lung der Aphasielehre „in jedem Falle eine psychische Analyse von Grund aus“ 
verlangt wird*), so darf Verfasser wohl darauf hin weisen, daß er in allen 
seinen Aphasiearbeiten seit dem Jahre 1879 (damals zuerst mit Kahler) diesem 
Postulat in systematisch progressiver Vertiefung Rechnung getragen. Wer- 
nicke selbst hat sich der Bedeutung des durch den Verfasser angebahnten 
Fortschrittes nicht verschlossen (siehe „Der aphasische Symptomenkomplex“. 

*) Die historische Gerechtigkeit verlangt es, darauf hinzuweisen, daß einer 
der Erzväter der Aphasielehre Broadbent, das schon 1872 ganz präzis formuliert 
hat. (Med. chir. transact. Vol. 55, 1872, p. 183): „There are two distinct aspects in 
which words be considered: 1. as motor process; 2. as intellectual Symbols. A 
theory or hypothesis of language must trace their origin or mode of 
production from both points of view and show their meeting point“. 



24 


Vorrede und Einleitung. 


Abdr. a. Deutsche Klinik am Eingänge des 20. Jahrh. 1903, S. 555) und seine 
Zustimmung ist hier deswegen bemerkenswert, weil er durch den beifälligen 
Wortlaut sich auch zu einer durch solche Vertiefung angebahnten, über die 
bisherigen Feststellungen hinausgehenden Verfeinerung der Lokalisation be¬ 
kennt. 

Den Psychologen, die von den Bestrebungen der Pathologie Kenntnis 
nahmen, ist natürlich das Unzulängliche dieser „pathologischen“ Psychologie 
niemals entgangen und St out (Anal. Psych. I. S. 33) spricht es direkt aus, 
daß die älteren Beobachtungen durch das Fehlen genauerer psychologischer 
Analysen wertlos sind und daß in dieser Richtung viel zu tun wäre. 

Das Postulat selbst ist natürlich immer wieder auch im Kreise der Patho¬ 
logen laut geworden. Aber jene psychologische Analyse „von Grund aus“ 
erfordert — und darin scheiden sich die Wege des Verfassers von denen der 
anderen Pathologen, die prinzipiell das gleiche anstreben — nicht bloß eine 
Weiterbildung der altüberkommenen, in der Reihe der Pathologen fortgeerbten 
Psychologie, sondern eine tiefgründige Durchdringung der Aphasielehre mit 
den so erfolgreichen Bestrebungen der bisher nicht beachteten Denkpsychologie; 
erst mit der so gegebenen Befreiung von den Schematen, sei es den in Lüiien 
ausgedrückten, sei es den unausgesprochen benützten, ist Raum für jene Ana¬ 
lyse ,,von Grund aus“ geschaffen; dann kann die Aphasielehre auch hoffen, 
sich wirklich zu jenem Instrument auszubilden, das Wer nicke in ihr sah; 
erst dann w r erden die nicht unberechtigten Zweifel zum Schweigen gebracht 
sein, die ebensowohl diesem Prinzipe und noch mehr den vermeintlichen Er¬ 
folgen desselben seitens der Psychologen, ja der Pathologen selbst, entgegen- 
gehalten werden. 

Zu jenen neueren Aphasieforschern, die für eine psychologische Vertiefung 
unseres Arbeitsgebietes ein treten, gehört auch K. Goldstein; aber eine Ein¬ 
schränkung, die er den so zu gewinnenden Einsichten setzt, zwängt uns hier, 
auf eine Frage einzugehen, die in das Gebiet der Methodenlehre hinüberführt. 
In einer zusammenfassenden Darstellung der Aphasielehre (Beihefte z. med. 
Klinik 1910, S. 32) macht er den Vorbehalt: „Erst nachdem wir eine Störung 
psychologisch verstanden haben, dürfen wir an anatomische Fragen der 
Lokalisation herantreten“. Demgegenüber vertritt Verfasser den Standpunkt, 
daß wir uns durch das mangelhafte psychologische Verständnis nicht abhalten 
lassen w r erden, in vorsichtig induktiver Weise zu lokalisieren, zumal wir von 
jenem Ziele noch recht weit entfernt sind. Der hier zum Ausdruck gebrachte 
Gegensatz ist ein derartiger, daß eine wenigstens flüchtige Beleuchtung seiner 
methodologischen Grundlagen hier, wo ja die Prinzipien, von denen Verfasser 
sich leiten läßt, zur Darstellung kommen sollen, nicht wohl umgangen werden 
kann. 

Das von Goldstein aufgestellte Prinzip fällt im wesentlichen mit der 
jetzt ziemlich allgemein akzeptierten Ansicht zusammen, daß eine Theorie 
dem Fortschritte der Wissenschaft nötig sei; „eine einfache Aufzählung von 
Tatsachen, so wohlgeordnet sie auch sein mag, hat niemals zu irgend einer 
wichtigen wissenschaftlichen Verallgemeinerung geführt“ (G. H. Darwin, 
Address to the mathem. and phvsic. section. Brit. Assoc. J. Adv. of Sc. 1886). 
Demgegenüber vertritt nun der Astronom Turner (Address ibid 1911), ge¬ 
stützt auf eine Fülle neuerer Tatsachen, die er namentlich seinem Spezial- 



Vorrede und Einleitung. 


25 

gebiete entnimmt, die gegenteilige Ansicht; er zeigt, wie in der Geschichte 
dieser Disziplin jetzt die vielgeschmähte Bacon sehe Theorie der Induktion 
wieder zu Ehren kommt und die Wiege mancher, wichtige Seiten der Wissen¬ 
schaft umwälzenden Feststellungen gewesen. Verfasser kann natürlich hier 
auf diese Dinge nicht näher eingehen; nur darauf möchte er hin weisen, daß 
die Rehabilitierung der alten Methode des ,,Forschens ohne Theorie 4 *, wie 
Turner zeigt, gerade in den beobachtenden Wissenschaften (gegenüber den 
experimentellen) für uns so belehrend sich erweist, weil ja auch wir es mit Be¬ 
obachtungen zu tun haben, die einfach der Natur abgelauscht werden müssen. 
Im übrigen liegt aber auch hier der richtige Weg in der Mitte zwischen den 
beiden Extremen und es ist verschiedentlich, früher schon von CI. Bernard 
(Introd. k l’et. de la möd. exp. 1865, S. 63 ff.) 2 ), neuerlich von Titchener 
(Amer. Joum. of Psych. XXIII. July 1912, p. 438) u.a. hervorgehoben worden, 
daß auch bei dem von jeder Theorie unbeeinflußten Beobachten doch schon 
gewisse Direktiven, selbst gefühlsmäßiger Art, wirksam sind 2 ). 

Als zweiten hier in den Vordergrund gerückten Gesichtspunkt möchte 
Verfasser die von ihm sogenannte psychologische Lokalisation her¬ 
vorheben; sie stellt sich bei näherem Zusehen als eine, wie Verfasser glaubt, 
namentlich methodologisch äußerst wertvolle Konsequenz der von ihm für die 
Zw ecke der Aphasielehre ins Auge gefaßten Reform der pathologischen Psycho¬ 
logie dar. Wir werden auf dem ,,Wege vom Denken zum Sprechen“ eine Zahl 
von Etappen im Vorgänge der sprachlichen Formulierung feststellen können, 
die in einem bestimmten zeitlichen Verhältnis zu einander stehen; ihre 
Reihenfolge gibt uns natürlich die Möglichkeit an die Hand, die bisher davon 
bekannten Tatsachen räumlicher Art, also auch die klinische Lokalisation, 
auf ihre Richtigkeit zu prüfen, Korrekturen an dieser vorzunehmen; sie gibt 
uns endlich Gesichtspunkte für den Fortschritt von der Lokalisation der 
Störungen zu der der Funktionen. Daß uns diese psychologische Lokalisation 
auch bezüglich der Zusammenhänge der einzelnen Funktionen untereinander 
und ihrer Störungen besser belehrt als die bisher geübte Methode, bedarf 
wohl keiner besonderen Ausführung. 

Einen weiteren Gesichtspunkt für die Überwindung eines solchen Still¬ 
standes, wie ihn die Aphasielehre jetzt durchlebt, glaubt Verfasser gefunden 
zu haben in dem schon in früheren Arbeiten gemachten Hinweise, daß gerade 
die leichteren und leichtesten, sonst von den massiven Störungen der zunächst 
fast ausschließlich studierten Aphasieformen überdeckten Stadien sich als die 


J ) Verfasser kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auf diese Schrift Claude 
Bernards aufmerksam zu machen; es ist ganz auffällig, daß dieses freilich selbst 
von Erkenntnistheoretikern bis in die neueste Zeit kaum beachtete Buch auch in 
den Kreisen der Mediziner, denen es ja seines Autors w r egen näher stehen sollte, 
gleichfalls kaum Beachtung, jedenfalls nicht die Würdigung gefimden, die es von 
jedem Arzt, der sich Gedanken über seine Wissenschaft macht, beanspruchen darf. 

2 ) Es ist hier nicht der Platz, auf diese Dinge näher einzugehen; Ver¬ 
fasser möchte aber doch, mit dem Vorbehalt bei anderer Gelegenheit darauf zurück¬ 
zukommen, bemerken, daß es sich bei den hier erörterten psychologischen Vorgängen 
um Tatsachen handelt, die man in Analogie zu Machs Gedankenexperimenten als 
Gedankenbeobachtungen bezeichnen kann; ihre Beziehungen zu anderen erkenntnis- 
theoretischen Tatsachen liegt wohl auf der Hand. 



26 


Vorrede und Einleitung. 


für das Studium der psychologischen Sprach Vorgänge günstigsten darbieten *); 
auch als Fortführung dieses Gesichtspunktes stellt sich die vorliegende Studie 
dar; sie will dadurch mehr noch als dies schon früher geschehen, den genetischen 
Standpunkt, da« Studium sowohl der Dissolution, wie sie die Krankheit setzt, 
als das der Reevolution durch den Rückgang der Krankheit in den Vordergrund 
gerückt sehen. 

Die Bedeutung des hier erwähnten Prinzips ist eben viel ausgreifender 
als es zunächst scheint. In der bisherigen Verwertung desselben traten nur 
die der deskriptiven Betrachtung sich daraus ergebenden Schwierigkeiten her¬ 
vor; eine einfache Erwägung zeigt aber, daß auch nach der Seite der Er¬ 
klärung und den daraus zu ziehenden Schlüssen in Rücksicht lokalisatorischer 
Fragen die Überdeckung der Erscheinungen große Schwierigkeiten im Ge¬ 
folge hat, deren Klarlegung durch entsprechende Beachtung der dabei in Frage 
kommenden Momente erfolgen kann. 

Es kann als sicher hingestellt werden, daß z. B. die Fülle der der Ent¬ 
äußerung des Gedachten dienenden Vorgänge im Fortgange dieser Funktion 
einem Prozesse zunehmender Verdichtung und Zusammenfassung unterliegen 
(daß das auch anatomisch zutrifft, sei nebenbei erwähnt); eine in einem solchen 
tieferen Niveau (sit venia verbo) einsetzende Läsion wird, wie schon bisher 
beachtet, die etwa noch vorhandenen, höher gelegenen Läsionen nicht deut¬ 
lich erkennen lassen, weil die jener entsprechende umfassendere gröbere Stö¬ 
rung die Störung der ihr funktionell vorangehenden, sozusagen höher ge¬ 
legenen Funktionen überdeckt und deshalb auch verdeckt. Das muß aber 
zu dem irrtümlichen Schlüsse führen, daß alle Störungen auf die grobe, tiefere 
Läsion zurückgehen, während vielleicht ein Teil auf jene andere höher gelegene 
Läsion zu beziehen ist. Erst die etwa später eintretende Rückbildung der 
Erscheinungen wird dieses Verhältnis zu deutlicher Anschauung bringen. 

Als einen letzten Gesichtspunkt, mit dessen Ausführungen Verfasser 
seine Schrift durchdringen möchte, ist der biologische 2 ); er hat in der Aphasie- 
lehre auch bisher schon Vertretung gefunden, insofern die Aphasien in das 
System von Orientierung und Adaptierung eingeordnet werden. Verfasser 
möchte ihn nun noch in der Richtung vertiefen, daß auch die Einzelheiten des 
Sprachvorganges unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, und ebenso ihre 
Störungen, ihr Verhältnis zueinander (Gesetz der Ökonomie 3 ), Ersatzfunk- 

x ) In gewissem Sinne etwas zu dem oben Gesagten Analoges hat neuerlich 
O. Külpe (Über die moderne Psychologie des Denkens. S. A. d. internat. Monats- 
schr. f. Wiss. etc. Juni 1912, S. 7) im Entwicklungsgänge der Psychologie hervor¬ 
gehoben; er zeigt, wie die „robusten Sinnesinhalte“ zuerst im Bewußtsein auffielen, 
weil sie sich am leichtesten wahrnehmen ließen und erst später dem Auge der Forscher 
die unanschaulichen Gebilde im Denken sich darstellten. 

2 ) Dementsprechend ist es auch kein Zufall, daß gerade derjenige Sprach - 
philosoph, dessen Ansichten wir besonders häufig folgen konnten, Marty, die Sprache 
als ein Organ aus seinem Zwecke und seiner Aufgabe zu begreifen versucht. (S. seine 
„Unters. I. 1908, S. 53) und vor allem die Funktion der Sprachmittel in Betracht 
zieht. Daß auch Linguisten, z. B. Xoreen, alles dem Zweckgedanken unterordnen, 
sei nur nebenbei erwähnt. 

3 ) Es ist gewiß bedeutsam für die Richtigkeit des hier angedeuteten Gesichts¬ 
punktes. daß auch Autoren, die sich von der philosophischen Seite her mit Ökonomie 
des Denkens befassen, das biologische Prinzip darin erkannt haben (S. W. Frankl 
in Meinung: Unters, z. Gegenstandstheorie 1904, S. 279). 



Vorrede und Einleitung. 


27 


tionen) vom Standpunkte biologischer Auffassung gewertet würden. Daß die 
hier präkonisierte Funktionspsychologie einer solchen Betrachtung sich besser 
anbequemt als die Erscheinungspsychologie, bedarf wohl keiner besonderen 
Darstellung. 

Welche Bedeutung von solchen Gesichtspunkten aus genauer beobachtete 
Fälle von Aphasie und im speziellen von Agrammatismus für die Pathologie 
und damit indirekt auch für die Sprachpsychologie haben können, läßt sich 
leider nur in negativer Weise an einem von Skwortzoff (De la cecitö et de la 
surdite des mots dans l’aphasie. 1881, S. 71) berichteten Falle exemplifizieren, 
der. mit leichter Wortamnesie einsetzend, bis zu Worttaubheit und Agramma¬ 
tismus sich entwickelt. Es läßt sich eben ermessen, welche Fülle von Kennt¬ 
nissen diesem Falle hätte entnommen werden können, w r enn wir hören, daß 
die Erscheinungen ganz schleichend etwa über 1% Jahre hin sich entwickelt 
haben; es läßt auch erkennen, wie gerade die langsam ansteigend sich ent¬ 
wickelnden, noch mehr als die häufiger sich bietenden Fälle in der Reevolution 
zu unserer Belehrung w r erden dienen können, weil in den letzteren u. a. das 
Moment automatisch gewordener falscher Sprachformen die Beobachtung trübt. 

Auch v. Monakow hat (in seinem Referate auf dem Budapester intern, 
med. Kongr. 1909, S. 58) von einem Stillstand in der Aphasielehre gesprochen; 
wenn er aber wesentliche Erfolge von einem Zurückgehen zu den Quellen der 
Anatomie und Physiologie erhofft, so glaubt sie Verfasser in erster Linie auf 
dem seit langem vorbereiteten Pfade einer psychologischen Vertiefung der 
klinisch-anatomischen Forschung in den eben erörterten Richtungen zu finden. 
Wenn man von den Fortschritten der anatomischen, wie von denen der klini¬ 
schen Untersuchungstechnik und der dadurch ermöglichten Betrachtung der 
feineren und feinsten klinischen Details einen entscheidenden Fortschritt über 
die im letzten Jahrzehnt eingetretene Stockung mit Recht erwartet, so muß 
einer derart zu verfeinernden Betrachtung endlich einmal die ebenso ver¬ 
feinerte Kenntnis derjenigen Parallel Vorgänge vorangeschickt werden, die als 
Leitfaden dazu dienen müssen, um die Krankheitserscheinungen wirklich im 
Sinne der allgemeinen Pathologie als ein Funktionieren unter abnormen Be¬ 
dingungen deuten zu können. Es läßt sich der hier versuchte Weg, das Pro¬ 
blem von der Seite der psychologischen Parallel Vorgänge anzupacken, vor 
allem rechtfertigen durch den Hinweis darauf, daß die dazu verwertbaren 
psychologischen Tatsachen an Präzision alles das weit hinter sich zurücklassen, 
was Anatomie und Physiologie an wirklich Brauchbarem für eine über das 
Schema und grob Lokalisatorische hinausgehende Durchdringung der Erschei¬ 
nungen aufw r eisen. 

Auch Liepmann (Neurol. Zentralbl. 1909. Nr. 9. S. A. S. 36) gibt zu, 
daß der nähere Ausbau der Lehre sich nicht an die anfänglichen konstruktiven 
Aufstellungen binden könne; aber wenn auch er den Fortschritt auf die vor¬ 
schreitende Kenntnis der Gehirnanatomie und Physiologie basiert wissen will, 
so sei auch ihm das hier bezüglich der psychologischen Lokalisation Gesagte 
entgegengehalten. Es kann natürlich nicht des Verfassers Ansicht sein, daß 
v. Monakow und Liepmann die Psychologie der Sprache nicht ebenso sehr 
würdigten, wie er selbst, aber die Auffassung von der allseitig als dringlich 
angesehenen Revision der Aphasielehre muß sich doch wesentlich different 
gestalten, je nach dem Ausgangspunkte, der dafür als in erster Linie maßgebend 



28 


Vorrede und Einleitung. 


erachtet wird. Die Differenz der Anschauungen tritt auch schon deutlich in 
der Kritik hervor, die Liepmann an Pierre Maries Versuch einer solchen 
Revision übt, indem er einleitend (1. c. S. 3) die klinische Auffassung der 
Sprachstörungen und die Psychologie der Sprache auseinander hält und als 
gleichwertig nebeneinander stellt, dann später aber auf die letzere nicht mehr 
zurückkommt. Die Ansicht von der in erste Linie zu stellenden psychologi¬ 
schen Vertiefung der Aphasielehre wird sich übrigens bei näherem Zusehen als 
die Brücke zu der physiologischen Vertiefung ihres Studiums erkennen lassen; 
daß die noch so weit gehende Vertiefung unserer anatomischen Kenntnisse 
allein nicht zu dem erhofften Ziele führen kann, hat Verfasser schon in 
seinem Amsterdamer Vortrage (wieder abgedruckt in ,,Studien zur Hirn¬ 
pathologie und Psychologie“ 1908) eingehend dargelegt. — 

Im Kreise der Pathologen sind Studien, wie die hier vorgelegten, nicht 
beliebt; Verfasser kann diesen Standpunkt nicht anders denn als veraltet und 
dem Fortschritte direkt hinderlich bezeichnen. Man muß die Beharrlichkeit 
anstaunen, mit der sich bis in die neueste Zeit die Sprachpathologie gegen 
all das abgeschlossen hält, was Sprachpsychologie und die übrigen Hilfswissen¬ 
schaften geleistet. Es erscheint umso weniger gerechtfertigt, als jetzt neuer¬ 
lich der Boden, auf dem sich auch diese bewegen, doch nicht mehr der ge¬ 
fürchtete ,,philosophische“ ist, sondern derselbe naturwissenschaftliche, den 
auch die Sprachpathologie seit jeher als den ihr einzig konformen aner¬ 
kannt hat. 

Wenn erst vor wenigen Jahren P. Marie in der großen Aphasiedebatto 
der Pariser Societö de Neurologie den Standpunkt schroffer Ablehnung gegen 
alles auch nur annähernd an Psychologie Streifende einnahm und die Übrigen, 
die an der Debatte teilnahmen, wenig Neigung zeigten, über den Rahmen des 
Klinischen hinauszugehen, so kann Verfasser diesen Standpunkt nicht teilen; 
nicht bloß deshalb, weil er seit Jahrzehnten im entgegengesetzten Sinne tätig 
ist und auf diesem Wege auch klinisch Brauchbares geschaffen zu haben glaubt, 
sondern vor allem, weil er der Ansicht ist, daß die so abgelehnten Probleme 
doch eben im Interesse der Pathologie gelöst werden müssen und gerade die 
Pathologen nicht bloß verpflichtet, sondern auch imstande sind, sie mit Hilfe 
der Normalpsychologie der Lösung entgegenzuführen; so, um nur eine zu nennen, 
gerade die Frage nach der Eigenart der der sensorischen Aphasie zukommen¬ 
den Demenz *), auf die P. Marie bei der Abwehr der Angriffe auf seine Lehre 
die Erscheinungen derselben reduzieren will, drängt doch zu psychologischer 
Vertiefung, will man nicht mit Worten sich begnügen; und wer anders als der 

*) Gerade dieses Moment gibt Anlaß zu zeigen, wie hier trotz aller Gegensätze 
P. Marie und Wernicke Zusammentreffen. Der Gedanke, durch das Studium 
der Aphasie einen tieferen Einblick in das psychologische Geschehen zu gewinnen, 
erscheint bei Wernicke auch in der Richtung wohl fundiert, daß er sichtlich darüber 
sich klar war, daß die psychischen Alienationcn, und wären es die einfachsten Stö¬ 
rungen allerintensivster und weit verbreitetster Art im Gehirn darstellen. Von dieser 
Erwägung ausgehend, prägte er für die aphasischen Erscheinungen das Wort der 
„psychischen Herdaffektion“. Wie zutreffend dieser Gesichtspunkt war, ist am besten 
daraus zu ersehen, daß Pierre Marie trotz aller Gegensätze zu Wernickes An¬ 
schauungen mit seiner Deutung der Worttaubheit als einer besonderen Form intel¬ 
lektueller »Störung wieder ganz auf den Standpunkt der psychischen Herdaffektion 
zurückkommt. 



Vorrede und Einleitung. 


20 


Pathologe wäre imstande, das zu gedeihlichem Ende zu führen? Daß aber 
diese Vertiefung auf dem wohl fundierten Untergründe von Tatsachen, die 
die Psychologie an die Hand gibt, geschehen kann, sei den Pathologen gegen¬ 
über noch besonders betont. 

Gelegentlich wird die auch in dem neuen Namen der Pathopsychologie 
zum Ausdruck gebrachte Vertiefung der Psychopathologie als „Mode“ angesehen 
und auf eine Linie mit „abstrakten Spekulationen“ gestellt 1 ); wie irrig das 
ist, wie vielmehr die ganze Bewegung sich als ein notwendiger Fortschritt von 
den ihr (ebendort) gegenüber gestellten „geradlinigen“ psychologischen An¬ 
schauungen einer älteren, am besten mit dem französischen Worte „trop sim- 
pliste“ zu quaüfizierenden Schule sich darstellt, ist in diesen Blättern vor 
Augen geführt; wenn gerade Verfasser diesen Vorwurf pariert, so glaubt er 
sich durch sein Lebenswerk dazu berechtigt, von dem ein gut Teil gerade auf 
jener Bahn gelegen. Wenn irgend etwas, so mußte schon die zunehmende 
Kenntnis von der jeder „Geradlinigkeit“ spottenden anatomischen Kompli¬ 
ziertheit de3 Rindenbaues zum Aufgeben der älteren Anschauungen Veran¬ 
lassung geben; wenn diese trotzdem bis in die letzte Zeit auch im Gebiete der 
Aphasielehre maßgebend geblieben, so war in der Nichtbeachtung dieses rein 
sachlichen Widerspruchs, ganz abgesehen von der Nichtberücksichtigung der 
fortgeschrittenen Psychologie, schon an sich einer der Gründe für den Still¬ 
stand jener Lehre gegeben. 

Die Ablehnung einer psychologischen Vertiefung der Aphasielehre von 
seiten der französischen Forscher muß auch noch deshalb besonders auf fallen, 
weil der Kommentator der Marieschen Lehre, Moutier, Sprechen und Denken 
identifiziert; wollte man dieser irrtümlichen Ansicht beistimmen, dann wäre 
erst recht nicht einzusehen, wie man dabei ohne eine Psychologie des Denkens 
auskommen will. 

Wenn Pierre Marie gewisse Erscheinungen an Aphasischen auf In¬ 
telligenzdefekte bezieht, andererseits die Psychologie ablehnt, so beraubt er 
sich des vornehmsten Werkzeuges für die Begründung und Weiterführung 
seiner These; kehrt sich aber seine Abneigung etwa bloß gegen die alte philo¬ 
sophisch orientierte Psychologie, dann müssen wir an jene neuere Psychologie 
appellieren, die sich uns als eine ErfahrungsWissenschaft im strengsten Sinne 
dar bietet. 

In der bei jener Pariser Debatte in den Vordergrund gestellten Bekämp¬ 
fung der Lehre von den in den Zentren „niedergelegten Erinnerungsbildern“ 
freilich weiß sich Verfasser mit P. Marie eins 2 ); man kann auch den Kampf 
gegen die „images“ nur billigen, wenn man noch in dem im Erscheinen be¬ 
griffenen Nouveau Dict. de Phys. von Ri che t geschrieben findet: „Dans nos 
cellules cerebrales s’accumulent les impressions du passe comme des cliches 
photographiques superposes, ranges en bon ordre etc.“, also die alte „Kästchen- 

x ) S. Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. XIII, S. 285. 

2 ) Wenn Verfasser von Saint-Paul (L’Aphasie de Broca. Tribüne m£d. 
1909, p. 245) als Anhänger der Ansicht von der Existenz der „centres d’images 
verbales“ angeführt w r ird, so möchte er das nur im Sinne der hier und an anderen 
Stellen dieser Schrift dargetanen Einschränkung aufgefaßt wissen; w r ie ja auch 
H. Sachs die „Erinnerungsbilder“ als einen der Kürze wegen benützten Notbehelf 
bezeichnet. 



30 


Vorrede und Einleitung. 


theorie“ in kaum verbesserter neuer Auflage! Noch neuestens spricht v. Bech¬ 
terew (Die Funktionen der Nervenzentren. III. deutsche Übersetzung, 1911, 
S. 1975) von der Ablagerung der konkreten Abdrücke in der Nachbarschaft 
der perzipierenden Centra und weiters (ibid S. 1976) führt er aus, wie die 
Bildung eines Abdruckes konsekutiv zum Erwachen aller mit ihm zunächst 
verbundenen „Abdrücke“ führt; S. 1981 spricht er von Orten „zur Aufbe¬ 
wahrung von Wortsymbolen“. Zur Polemik hinsichtlich der „Erinnerungs¬ 
bilder“ ist übrigens anzuführen, daß Ballet, der ja die Charcotsche Leine 
von den „images“ besonders ausführlich und dogmatisch für die Pathologie 
ausgearbeitet hat, jetzt neuerlich erklärt: „le terme image doit etre pris dans 
l’acception tres large de Souvenirs.“ 

Daß übrigens ohne eine kurze Bezeichnung für die Vorstellung, die man 
mit den Erinnerungsbildern verbindet, nicht gut auszukommen ist, zeigt eine 
Arbeit von P. Marie selbst und Vaschide (Rev. neur. 1903, S. 723), die be¬ 
weist, daß auch derjenige, der auf dem Boden der neuen Theorie von P. Marie 
steht, nicht gut ohne irgendwelche derartige Formel auskommen kann, wenn 
er in eine psychologische Erörterung der Beziehungen zwischen Sprechen und 
Denken eingehen will 2 ). Wenn dem durch die Gegenüberstellung der Jahres¬ 
zahlen widersprochen werden sollte, dann müßte wohl angeführt werden, daß 
der Ausbau der P. Mari eschen Theorie durch Moutier (L’Aphasie de Broca. 
1908, p. 2) selbst als über ein Jahrzehnt ausgedehnt bezeichnet wird („Cette 
doctrine synthetise, 10 annees de recherches“) 2 ). 

Wenn P. Marie an anderer Stelle (Extr. Revue de Phil. 1907, p. 1) sich 
als Nichtpsychologen bezeichnet und versichert, er spreche als Arzt, der medi¬ 
zinische Tatsachen medizinisch beobachtet hat, so hält ihm Verfasser einfach 
entgegen, daß, wenn wir in der Aphasielehre vorwärts kommen wollen, wir 
der Sprachpsychologie nicht entbehren können. Im übrigen hat sich P. Marie 
unterschätzt und kann er durch jene Äußerung seinen schönen Aufsatz über 
die Entwicklung der Sprache in der Semaine med. nicht vergessen machen. 

Wenn Verfasser sich in gleicher Schärfe wie P. Marie gegen die Lehre 
von den „Erinnerungsbildern“ gekehrt hat, so muß er doch hier Stellung nehmen 
gegen Konsequenzen, die aus ihrer Ablehnung gezogen werden. Zunächst ist 
er nicht der Ansicht, daß der berechtigte Widerspruch gegen eine grob schema¬ 
tische Verwertung der Erinnerungsbilder die Ablehnung der modernen Psycho¬ 
logie irgendwie motivieren kann; hat doch diese die Überbleibsel emer 
materialistischen Naturauffassung schon lange fallen gelassen. Die zweite 
vom Verfasser als irrtümlich angesehene Konsequenz aus dem Fallenlassen 
der Erinnerungsbilder bew r egt sich auf pathologischem Gebiete. Es wird (siehe 
z. B. Colliers Ref. Brain XXXI. P. 1. S. 542) vielfach angenommen, daß 
mit dem Nachweise von der Nichtigkeit der Erinnerungsbildertheorie auch 
die Lehre von den isolierten Zentren oder Funktionsherden innerhalb des gegen- 

r ) Daß an der zitierten Stelle die „images“ sich „nicht polarisieren und auch 
nicht mobil sind“, dürfte wohl mehr auf die Rechnung des seither verstorbenen 
phantasiebegabten, zu weitgehenden und wenig fundierten Theorien geneigten 
Vaschide zu setzen sein. 

2 ) Verfasser hält es für eine Pflicht historisch richtiger Darstellung jetzt 
darauf hinzuweisen, daß neuestens auch Saint-Paul den antipsychologischen 
Standpunkt P. Maries und Moutiers bekämpft (s. dessen L’Art de parier en 
public 1912, p. 370). 



Vorrede und Einleitung. 


31 


teilig als einheitlich angesehenen Sprachfeldes zu Fall gebracht sei 1 ); es ist 
da« ein Fehlschuß, der alsbald auch beseitigt erscheint, wenn man an die 
Stelle der Lehre von den Erinnerungsbildern eine andere, z. B. eine Funk¬ 
tionshypothese, setzt 2 ). 

Verfasser kann auch nicht umhin, bei dieser Gelegenheit einen in die 
Methodenlehre fallenden Irrtum hinsichtlich der Geschichte der sensorischen 
Aphasie klarzulegen; den hier zu besprechen ist dadurch Veranlassung gegeben, 
weil die ihm zugrunde liegenden Tatsachen ebenfalls als ein Argument gegen 
eine psychologisierende Behandlung der Aphasielehre verwertet werden. Die 
Frage hier zu behandeln, erscheint auch dadurch motiviert, weil sich Verfasser 
gleich eingangs zu einer Kombination von Induktion und Deduktion als der 
besten Arbeitsmethode bekannt hat, diese aber im Zuge der hier darzulegenden 
Anschauungen anderer Autoren abgelehnt wird. Moutier (siehe dessen 
,,L’Aphasie de Broca“) stellt, anscheinend wenigstens, die Methode, die Wer- 
nicke zur Aufstellung seiner sensorischen Aphasie geführt, als eine nicht den 
Naturwissenschaften adäquate hin; („une interpretation fausse avait devancö 
l’observation des faits et par un singulier hasard, il se trouvait que ceux-ci 
en apparence, concordaient admirablement avec la theorie“). Es 
ist dieser Vorwurf nicht ganz neu; er ist nur eine, freilich wesentlich gemilderte, 
Wiederholung der „aventures theoriques“, die Mathieu (Arch. gen. de m6d. 
1879) der ,,Science allemande“ anläßlich der Aufstellung der sensorischen 
Aphasie durch Wernicke zum Vorwurf gemacht hatte und die damals Kahler 
und Pick (Zeitschr. f. Heilk. I. 1. 1880) energisch abwehrten. Die Richtig¬ 
keit der Methode und ihre Berechtigung auch im Gebiete der Naturwissen¬ 
schaften zu erweisen, müßte die ganze Geschichte der Methodenlehre seit New¬ 
ton bis auf Stuart Mi 11 und die Jetztzeit aufgerollt werden; es wird gerade 
im Hinblick auf den zitierten Passus Moutiers genügen, den Satz von Jevons 
(Leitf. d. Logik. Aus dem Englischen übersetzt von Kleinpeter. 1906, 
S. 276) zu zitieren: „Der beste Jünger der Wissenschaft ist aber der, welcher 
mit einer reichen Fülle von Theorien und Phantasien die größte Voraussicht 
ihrer Konsequenzen, die größte Emsigkeit in der Vergleichung derselben mit 
den gesicherten Tatsachen und die größte Aufrichtigkeit im Bekennen von 
hundert Irrtümern verbindet, die er bei Verfolgung einer Wahrheit begangen 
hat.“ Dem französischen Kollegen sei übrigens die Ansicht seines Lands¬ 
mannes Comte entgegengehalten, mit der wir uns freilich nicht vollständig 
identifizieren wollen 3 ): ,.En quelque ordre des ph Gnomen es que ce puisse etre, 
meme envers les plus simples, aucime veritable observation n’est possible 
qu’autant qu’elle est primitivement dirigee et finalement interpretee par une 
theorie quelconque.“ Daß auch der Naturforscher Chevreuil sich ähnlich 
ausgesprochen, sei nur nebenbei erwähnt. Wenn Heilbronner neuestens 
(1912) in seiner Darstellung des „gegenwärtigen Standes der Aphasiefrage“, 

x ) Daß Collier (1. c. S. 544) gegenüber der „loi globale“ von P. Marie, die 
er für das Sprachfeld als richtig erklärt, doch Dejerine für andere Himabschnitte 
Recht geben muß, zeigt übrigens das Unzutreffende dieser ganzen Position. 

2 ) Deshalb ist Verfasser auch nicht mehr geneigt, den Erinnerungsbildern 
den Wert einer praktisch-heuristisch wertvollen Fiktion (Vaihinger) zuzuerkennen. 

3 ) Vergl. die früher hier im Anschluß an G. Darwin und Turner gemachten 
methodischen Bemerkungen. 



32 


Vorrede und Einleitung. 


S. 200 Wernickes Methode ähnlich klassifiziert wie Moutier, so sei Vor¬ 
stehendes auch ihm gegenüber betont. 

Die Abneigung der natürlich auf wissenschaftlichem Boden stehenden 
Sprachpathologen gegen die Resultate der Psychologie und insbesondere der 
Sprachpsychologie und Linguistik, deren Verwertung hier im breiteren Maße 
versucht wird, beruht zum Teil auch auf einer, wohl jetzt als Mißverständnis 
zu bezeichnenden Ansicht von der Differenz zwischen Experiment und Beob¬ 
achtung und der Methode, wie sie in den meisten Wissenschaften geübt wird; 
in zweiter Linie beruht jene Abneigung auf einer Unkenntnis der Methoden 
und Resultate der modernen Sprachwissenschaft, die darin z. B. offensicht¬ 
lich wird, daß auch hervorragendste Sprachpathologen noch jetzt mit den 
längst verlassenen Anschauungen Max Müllers als mit etwas Brauchbarem 
arbeiten, während mit vielen Anderen der Linguist Meillet (Introd. k Tet. 
comp, des lang, indo-europ. 1903, p. 415) die Schriften Müllers nur noch für 
historisch erklärt. 

Es ist jetzt bei den Linguisten ausgemacht, „daß die Wurzeln einfach 
wissenschaftliche Abstraktionen sind, von denen allein der Philologe als von 
einem Werkzeug Gebrauch machen kann“, nicht aber, wie noch Max Müller 
lehrte, daß die Wurzeln „Wurzehvörter“, also die einfachsten Bestandteile 
einer in solchen Wurzel Wörtern gesprochenen Sprache sind 1 ). Auch die Ein¬ 
teilung der Sprachen in Wurzel-, agglutinierende und flektierende Sprachen, 
ist jetzt allgemein verlassen und doch hat Wyllie in seiner Monographie (The 
disorders of speech 1895, p. 161 f.) beide Lehren einfach reproduziert. Wenn 
dann v. Monakow in Anlehnung an Max Müller von der „Werkstätte für 
die Wortw r urzeln“ 2 ) spricht, so zeigen schon diese Beispiele, wie zeitgemäß 
eine Revision des noch immer die Pathologie wie ein, übrigens unverwerteter, 
Ballast beschwerenden veralteten sprachwissenschaftlichen Materiales sein 
wird. Und wie nützlich eine Umschau auf diesem Gebiete auch in Rücksicht 
der Kritik sein kann, mag folgender Hinweis illustrieren. Den wichtigsten Teil 
seiner zur Stütze der Marieschen Lehre den Sprachwissenschaften entnom¬ 
menen Ausführungen über die Identität von Sprechen und Denken stützt 
Moutier auf die Arbeiten des Linguisten Regnaud; da ist es nun am Platze, 
darauf hinzuweisen, daß Meillet, der anerkannte Führer der französischen 
Linguistik, von seinem Standpunkte aus Regnaud als der Kritik entbehrend 
bezeichnet. 

Es ist jetzt neuerlich im Kreise der Naturwissenschaftler zur Mode ge¬ 
worden, den philologischen Wissenschaften mit einer Mißachtung entgegen¬ 
zutreten, die Verfasser durchaus nicht teilen kann. Es wird dabei vollständig 
übersehen, daß man auch als Naturwissenschafter den Resultaten dieser Wissen¬ 
schaften den richtigen Nutzen abgewinnen kann, wenn man nur den zutreffen- 

D Neuestens erklärt Sütterlin in seinem populären Buche (Werden und 
Wesen der Sprache 1913, S. 20) den Begriff der Wurzeln für „abgetan, verstaut in 
der Rumpelkammer“! 

2 ) Die Grundlagen dieser Anschauung gehen weit zurück; daß es aber nicht 
gleichgültig ist, ob man die richtige Ansicht von den Wurzeln akzeptiert oder der 
alten anhängt, zeigt sich deutlich bei Kuß maul, der sichtlich im Anschluß an 
Steinthal die Wurzeln als die begrifflichen Elemente der »Sprache ansieht, sie als 
die „Gedankenkerne“ bezeichnet. 



Vorrede und Einleitung. 


33 


den Standpunkt ihrem Stoffe gegenüber gewinnt; und der kann doch nur 
der sein, daß wir es auch dabei mit Produkten zu tun haben, die ihrer Entstehung 
und Funktion nach sich als natürliche dar stellen, wie jede andere Funktion des 
Gehirns. Wenn neuestens ein Naturforscher ersten Ranges die Versuche der 
Philologen, die Frage nach den Übereinstimmungen indogermanischer Sprachen 
zu lösen, für ,,leere Neugierde“ erklärt, so ist nicht einzusehen, warum, da 
es sich in letzter Linie doch auch bei den Sprachen um Naturprodukte handelt, 
das mehr Neugierde sein sollte, als z. B. das Studium des ,,Sandalion“. Von 
diesem Standpunkte aus kann man es nur richtig finden, daß Tucker, ein 
Philologe (Introd. to the natural history of language. 1908, p. 1), seine auch 
im Titel des Buches ausgedrückte Ansicht dahin präzisiert, daß er die Wissen¬ 
schaft der Sprache der Biologie an die Seite setzt, und auch deren Methoden 
in der Sprachwissenschaft wiederfindet; andererseits hat schon vor langer 
Zeit ein Naturforscher wie Romanes von der ,,Palaeontologie“ des Denkens 
gesprochen, die sich aus der Sprache ergibt (R. Die geistige Entwicklung beim 
Menschen. Deutsch 1893, S. 349.) 

Weiterblickende Philologen sind sich der naturwissenschaftlichen Be¬ 
ziehungen ihrer Wissenschaft immer klar bewußt; vgl. Loge man (Biologie 
und Philologie. Germ.-rom. Monatsschr. 1911, S. 272) und einen von diesem 
zitierten Aufsatz von Pie ree, der die Mutationstheorie des Botanikers de 
Vries versuchsweise zur Erklärung der Gesten heranzog; wie ja auch die Lin¬ 
guisten, z. B. Gaston Paris (zit. nach A. Dauzat, La pliil. du lang. 1912, 
p. 158 f.) immer mehr die naturwissenschaftliche Betrachtung und Forschungs¬ 
methode auf ihrem Gebiete betonen, ja, was ganz besonders bedeutsam, die 
Grenzen ihrer Wissenschaft, wie die Physiker seit Mach, in anti¬ 
metaphysischem Sinne setzen. 

Mit Rücksicht auf die hier besprochenen Gegensätze ist es andererseits 
vie’leicht nicht unangebracht, darauf hinzuweisen, daß der Linguist Schlei¬ 
cher, dessen Wirken historisch bedeutsam gerade durch die Aneignung Dar¬ 
winscher Lehren für die Sprachwissenschaft geworden, geradezu von mate¬ 
rialistischen Gesichtspunkten aus für die Identität von Sprechen und Denken 
eintrat, eine Ansicht, deren Haltlosigkeit später hier zu besprechen sein wird. 

Wie auch philologische Kleinarbeit, selbst wenn sie sich mit der Durch¬ 
forschung für den Pathologen scheinbar ganz belangloser Mikrologien be¬ 
faßt, doch wichtige Tatsachen auch für ihn zutage fördern möchte, zeigt eine 
einfache Erwägung. Wir werden im Laufe unserer Studien z. B. auch der 
Frage nach der Psychologie der Partikeln näher zu treten haben und davon 
für das Verständnis des Ausfalles derselben im Agrammatismus Aufschlüsse 
erwarten; erscheint es von diesem Gesichtspunkte aus nicht höchst dankens¬ 
wert, wenn ein Philologe dieser Psychologie sprachvergleichend nachgeht, ja 
muß man nicht zugestehen, daß diese Methode die wichtigste ist, diejenige, 
die in solchen Fragen überhaupt zum Ziele führen kann? 

Die Notwendigkeit und Nützlichkeit, zur Lösung gerade der hier zu dis¬ 
kutierenden Fragen sich bei der Psychologie und den ihr dabei dienstbaren 
Hilfswissenschaften Rats zu erholen, wurde übrigens vor kurzem an einem 
der Pathologie mit ihr gemeinsamen Gebiete deutlich vor Augen geführt. In 
der Lehre vom Sprachverständnis w r ar es der Pathologie durch die Eigentüm¬ 
lichkeit der durch die Krankheit zustande gebrachten Analysen ermöglicht, 
Piek, Sprachstörungen. 1. Teil. 3 



34 


Vorrede und Einleitung. 


Feinheiten im Aufbau des Wort Verständnisses zu enthüllen, von denen man 
es bezweifeln durfte, ob die Normalpsychologie so bald hinter dieselben ge¬ 
kommen wäre; die letztere dagegen blieb fast unbeschränkte Herrin, sobald 
die höheren psychologischen Vorgänge des Satzsinn Verständnisses in Betracht 
kamen 1 ). Ähnlich, nur entgegengesetzt, verhält es sich hier, wo besonders 
die den expressiven Teil der Sprache darstellenden Prozesse einem vertieften 
Studium unterzogen w r erden. Über die der erfolgten sprachlichen Formulie¬ 
rung vorangehenden Prozesse weiß uns die Pathologie, zum Teil allerdings 
wegen der sachlichen Schwierigkeiten, vorläufig noch recht wenig zu sagen; 
umso näher liegt es, bei der Psychologie nach dem Fehlenden zu sehen. 

Noch letztlich hat K. Gold stein es ausgesprochen (Über Aphasie. Bei¬ 
hefte z. med. Klinik. 1910. 1, S. 24), daß die transkortikalen Aphasien (und 
diese kommen für unsere Fragen besonders in Betracht) das Produkt mehr 
oder weniger hochgradiger Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen den 
beiden komplizierten Assoziationsfeldern der Sprache und der Begriffe oder 
der Schädigung des Begriffes sind. Es erscheint Verfasser richtiger und auch 
besser, als immer wieder mit solchen allgemeinen Sätzen, die überdies an einer 
bedenklichen Vermischung von Anatomie und Psychologie laborieren, sich 
zu begnügen, doch einmal nachzusehen, was uns die verschiedenen dabei in 
Betracht kommenden Hilfswissenschaften über die psychologischen Grund¬ 
lagen der Begriffe und jener Beziehungen zu sagen wissen; wir werden sehen, 
daß das in der Tat nicht wenig und geeignet ist, endlich mehr Licht in dieses 
dunkle Gebiet zu bringen. Noch mehr dürfte ein solches Nachsehen am Platze 
sein, wenn wir bei Knauer lesen (Sommers Klinik, IV, 2, S. 63): „Viele 
grammatische Wortverbindungen dürften vom Lokalisationsstandpunkte die 
psycho-physiologische Dignität einfacher Worte haben, nur für einen Teil 
dürfte es berechtigt sein, als Erinnerungsstätte eine weitere „Etage“ von Kom¬ 
plikationen von Klangzentren anzunehmen.“ Wenn irgendwo, dann ist hier 
das, w T as Verfasser als psychologische Lokalisation bezeichnet, an seinem 
Platze. 

Immer und immer wieder, auf Schritt und Tritt ist bei der Beurteilung 
pathologischer Besonderheiten auf Tatsachen der Sprachpsychologie zu rekur¬ 
rieren; so w r enn es von motorisch Aphasischen heißt, daß einzelne nur Sub- 
stantiva oder nur Verba zur Verfügung haben; da wohl kaum jemand noch 
annehmen dürfte, daß in einem solchen Falle nur die die Verba auf speichern¬ 
den Ganglienzellen intakt geblieben, wird die Aufklärung über diesen Sach¬ 
verhalt doch nur in Tatsachen und Deutungen zu suchen sein, die einzig und 
allein der Sprachpsychologie in weiterem Sinne entnommen werden können. 
Es mag ja dahingestellt bleiben, ob die Sprachpsychologie schon so weit vor¬ 
geschritten ist, um in solchen Fragen brauchbare Aufklärung bieten zu können, 
aber ein demselben Gebiete entnommenes Beispiel mag zeigen, wde etwa solche 
Aufklärungen sich darstellen könnten. 

Wir hören von Marty (Ber. üb. d. IV. Kongr. f. exp. Psychol. 1911, 
S. 271), daß der Vokativ und der sogenannte Dativus ethicus den Ausdruck 
und die Beeinflussung des Gemüts- und Willenlebens bezwecken, während der 
Nominativ als „Vorstellungssuggestiv“ dient, die Funktionen der genannten 

2 ) Vgl. Ber. über d. III. Kongr. f. experiin. Psychol. 1909, S. 59. 



Vorrede und Einleitung. 


35 


Casus demnach wesentlich differente sind. Es ergibt sich daraus, daß der Fort¬ 
fall der verschiedenen Deklinationsendungen in einem bestimmten Falle von 
Aggrammatismus nicht ohne weiteres promiscue als miteinander gleichartig 
zu beurteilen ist; es wird vielmehr nachzusehen sein, ob sich bei entsprechender, 
bisher noch gar nicht geübter Beachtung dieses und ähnlicher Gesichtspunkte 
nicht auch im Pathologischen entsprechende kasuistische Differenzen ergeben, 
die natürlich ihrerseits zur Unterstützung und Aufklärung der sprachpsycho- 
logischen Aufstellungen werden dienen können. Worauf Verfasser bei diesem 
Exempel das Hauptgewicht legt, das ist die darin hervortretende Tatsache, 
daß wir der Sprachpsychologie Belehrung entnehmen, die dem gesuchten Ver¬ 
ständnis gestörter Funktionen seitens der Pathologie in auch theoretisch 
befriedigender Weise entgegenkommt*). — 

Den Ausgangspunkt der vorliegenden Studien bildeten zunächst rein klini¬ 
sche und topisch-diagnostische Erwägungen; es galt dem Verfasser vor allem 
zu zeigen, daß die von ihm vor mehr als 15 Jahren aufgestellte, mehrfach von 
anderer Seite bekämpfte Ansicht von der Bedeutung des Schläfelappens für 
das Zustandekommen des Agrammatismus die richtige ist. Nur die Notwendig¬ 
keit, diesen Streit vereinzelter kasuistischer Beweisführung zu entziehen und 
auf eine neue, breitere und gesicherte Basis zu stellen, konnte die Abneigung 
des Verfassers gegen eigene monographische Darstellung überwinden helfen. 
Eine solche schien im vorliegenden Falle dadurch motiviert, daß es nur auf 
dem Wege einer umfassenden Heranziehung des ganzen literarischen Materials 
möglich ist, die bisher nicht entschiedene, aber irrtümlich als entschieden 
angesehene Kontroverse hinsichtlich der lokalisatorischen Wertung des Agram¬ 
matismus, die auch praktische Bedeutung, z. B. für die Himchirurgie, erlangen 
könnte, zur Entscheidung zu bringen 2 ). 

Neben diesen klinischen Fragen sollte durch die vorliegende Schrift dem 
Verfasser Gelegenheit geboten werden, seine prinzipiellen Standpunkte in 
diesen und anderen einschlägigen Fragen etwas breiter als dies in seinen Spezial- 

x ) Man prüfe doch, ob die dieser Erörterung zugrunde gelegte Tatsache 
irgendwie anatomisch-physiologisch oder an der Hand der „Erinnerungsbilder“ zum 
Verständnis gebracht werden kann, um das Aussichtsvolle des hier angegebenen 
Weges zu einer Erklärung ganz zu würdigen. 

*) Eben nachdem die vorstehende Bemerkung niedergeschrieben, kommt 
Verfasser folgender Fall zur Beobachtung: 40jähr. Mann, vom Theater, sehr sprach¬ 
gewandt, früher immer gesund; im Mai erster epileptischer Anfall, eingeleitet durch 
Sprachlosigkeit; darnach dauernd amnestische Aphasie und Paraphasie, leichte 
Perseveration und endlich eine vom Patienten spontan angegebene „Unsicherheit 
in schwierigen Konstruktionen“, „Vergreifen in der Konstruktion der Pronomina, 
in der Konjugation, schwache K. statt der starken und ebenso gelegentlich der Dekli* 
nation“; einen Monat später neuerlich epileptischer Anfall, Hirndruckerscheinungen 
(fast permanente Kopfschmerzen), Puls zwischen 54—78, gelegentlich Brechreiz 
oder Erbrechen, keine Stauungspapille. Verfasser glaubt nicht, daß die agramma- 
tische Störung hier in ihrer lokalisatorischen Bedeutung hinter den anderen aphasi- 
schen zurücksteht. Die vom Verfasser gestellte Tumordiagnose ist seither durch die 
Operation und den späteren Tod des Patienten bestätigt worden; leider war der Be¬ 
fund bei der erst einige Zeit nach der ersten Operation erfolgten Sektion nicht ganz 
eindeutig, so daß es zweifelhaft bleiben muß, ob die vom Verfasser erwähnten auf den 
Schläfelappen bezogenen agrammatischen Erscheinungen tatsächlich durch die 
in der linken mittleren Schädelgrube gefundenen offenbar wieder gewucherten Sar¬ 
kommassen veranlaßt waren. (Gefällige Mitteüung von H. Prof. F. Krause). 

3* 



36 


Vorrede und Einleitung. 


arbeiten bisher möglich war, zum Ausdruck zu bringen; so wird z. B. Verfasser 
jetzt auch Gelegenheit nehmen, seine Ansicht von der Hemmungsfunktion des 
akustischen Sprachfeldes für das motorische zu verteidigen gegenüber der 
jetzt gelegentlich Sogar als ,,natürlich“ hingestellten Ansicht, daß diese Funk¬ 
tion nicht als ausschließliche einem Hirnteile zukommt. Hier sei angedeutet, 
daß die Deutung des Verfassers sehr gut in Einklang zu bringen ist mit den 
allgemeinen Anschauungen von den RegulierungsVorgängen im Zentralnerven¬ 
system (Sherrington), daß sie als Resultat einer genauen vorgängigen klini¬ 
schen Erprobung auch seither ständiger Prüfung an dem ganzen Material (auch 
dem in der Literatur aufgehäuften) standgehalten hat; es ist endlich zu sagen, 
daß sie zur Aufklärung anderer, sonst einer derartigen Erklärung nicht zu¬ 
gänglichen Erscheinungen die günstigsten Handhaben bietet; so für die Ent¬ 
wicklung der Kindersprache, für das Verständnis der Trennung zwischen Ideen¬ 
flucht und Redeflucht, insbesondere des Vorkommens von Redeflucht neben 
Denkhemmung und schließlich auch der Verbigeration. Wir haben schon ge¬ 
sehen, welche sprachliche Bedeutung das Tempo der Rede hat, und wenn 
wir annehmen dürfen, daß dieses musische Element der Sprache mit den übrigen 
im Schläfelappen zu lokalisieren ist, dann wird schon dadurch die weitere An¬ 
nahme nahe gelegt, daß auch die zuvor erwähnte Hemmungsfunktion dem 
Schläfelappen mit Recht zugesprochen wird. 

Als in engem Zusammenhänge mit dem Hauptthema dieser Schrift stehend 
wird auch der amnestischen Aphasie ausführlicher zu gedenken sein. Colli ns 
(Joum. of. nerv, and ment. dis. 1899, Nr. 4) äußert die Ansicht, daß die Argu¬ 
mente für ein selbständiges Zentrum im Schläfenlappen für die Benennung 
oder Wortfindung der psychologischen Begründung entbehren; soll damit 
mehr gesagt sein als der prinzipielle Einwand gegen die Annahme eines um¬ 
schriebenen „Zentrums“ im alten Sinne, in welchem die Erinnerungsbilder 
der Namen niedergelegt sind, dann wird man dem als gegenwärtig nicht mehr 
zutreffend widersprechen müssen. Es wird sich vielmehr zeigen, daß die 
psychologischen Grundlagen für eine solche Ansicht doch viel reichlicher smd, 
als es vielfach im Kreise der Pathologen geglaubt wird. Dies schon hier zum Aus¬ 
druck zu bringen, ist deshalb Veranlassung, weil eine der prinzipiellen Grund¬ 
lagen der vorliegenden Schrift, der Parallelismus von Leib und Seele, in weiterer 
Konsequenz auch die Annahme einer Lokalisation aller jener Vorgänge, die 
wie Grammatisierung und Wortfindung Etappen in der Formulierung der 
Gedanken darstellen, nach sich zieht ; daß aber die psychologischen Grundlagen 
jetzt durchaus im Sinne eines „Funktionsherdes“, also für das „naming centre“ 
sprechen, bildet einen bedeutsamen Teil der psychologischen Ausführungen 
dieser Schrift. — 

Wenn Heilbronner (Handbuch d. Neurologie I, S. 1066) zu dem Schlüsse 
kommt, daß nach dem gegenwärtigen Stande jeder Versuch einer speziellen 
Lokalisation der aphasischen Symptome nur entweder eine Theorie oder ein 
Programm für die weitere Arbeit sein kann, so glaubt die vorliegende Arbeit 
beides für sich in Anspruch nehmen zu dürfen; sie soll Theorie vorbereiten 
helfen in einem keiner Verteidigung bedürfenden Sinne; ihr Programm, aucli 
hinsichtlich der allgemeinen Fragen der Lokalisation ist schon in diesen ein¬ 
leitenden Zeilen mit genügender Schärfe zum Ausdruck gekommen. 

Neuestens freilich beklagt ein Autor, daß in Aphasiefragen noch immer 



Vorrede und Einleitung. 


37 


zu viel theoretisiert werde; es hat den Anschein, als ob Verfasser dieser be¬ 
klagten Erscheinung durch seine Schrift erst recht Vorschub leisten will; er 
kann zu seiner Entschuldigung nichts anderes anführen, als den alten Satz 
von der praktischen Natur einer guten Theorie *) und seine Ansicht von dem 
Unzureichenden und teilweise Unzutreffenden der bisher in der Pathologie 
verwerteten Theorien. 

Es ist allerdings bisher in zweierlei Weise überflüssig viel theoretisiert 
worden; einmal, weil Manche glaubten, das auf eigene Faust ohne genügende 
Beachtung des Klinischen und von Anderen theoretisch Gefestigten tun zu 
können; die Anderen glaubten sich nicht genug tun zu können in der theoreti¬ 
schen Vertiefung der Zentrenlehre und deren ,,Bestätigung durch die Ana¬ 
tomie“. Daß man aber doch über die Theorie nicht hinauskommt, hat ein so 
abgesagter Feind der neuerlich wieder zu Ehren kommenden introspektiven 
Psychologie wie Maudsley schon 1868 ausgesprochen; er weist (Lancet) 
darauf hin, daß eine Erklärung der Aphasie nur auf dem Boden der Einsicht 
in die die Sprache vermittelnden Vorgänge zu geben sei. Daß dieser Boden 
in der Sprachpsychologie gegeben, bedarf wohl nicht des Beweises, und daß 
diese Wissenschaft, ebenso wie die in ihr zusammengefaßten anderen, über 
das „Theoretisieren“ in einem den Naturwissenschaftern bedenklich erschei¬ 
nenden Sinne schon lange hinaus ist, ist schon gesagt worden und wird sich 
hier noch oft erweisen. 

Daß die Schrift vielfach freilich nicht mehr als ein Programm sein kann, 
liegt nicht zum wenigsten an dem Zustande derjenigen Wissenschaften, die 
sie als ihre Basis zu wählen hat; wenn wir sehen werden, daß diese selbst, so 
z. B. die Semantik, über schöne Programme nicht wesentlich hinausgekommen, 
dann wird man einem pathologisch orientierten Versuche auf diesem Gebiete 
den programmartigen Charakter erst recht nicht verübeln können. 

Verfasser beabsichtigt aber durchaus nicht, den vielen Versuchen, die 
alte Wernicke-Lichthei msche Synthese der Aphasieformen den neuen Er¬ 
fahrungen anzupassen, einen weiteren anzureihen und noch weniger ein eigenes 
,,System“ der Aphasien aufzustellen; er hält vielmehr die Zeit der umfassen¬ 
den, synthetisch aufgebauten Systeme in der Aphasielehre überhaupt für vor¬ 
über und glaubt den Zeitpunkt gekommen für fleißige und umfassende Detail¬ 
arbeit, allerdings insoweit die Klinik in Betracht kommt geleitet von einheit¬ 
lichen psychologischen Gesichtspunkten, als deren Resultat eine wirklich er¬ 
fahrungsmäßig gewonnene Sprachpathologie erstehen kann. 

Es läge ja nahe, die hier zu machenden Feststellungen in irgend ein 
System zu bringen oder mit einem der bisher aufgebauten Systeme sprach- 
psychologischen Inhaltes in organischen Zusammenhang zu bringen; gewiß 
ließe sich auch auf diesem Wege nach dem Vor bilde synthetischer Köpfe mancher 
bedeutende Fortschritt anbahnen. Aber wenn wir an dem Versuche Knauers 
(Sommers Klinik IV, S. 2, 39) bezüglich der Funktion des Schläfelappens 
sehen, wie er selbst von vorneherein einen derartigen, fast möchte man sagen, 
himmelstürmenden Plan als in wirklich befriedigender Weise heute gar nicht 
durchführbar bezeichnet und zu recht anfechtbaren Hypothesen greifen zu 

*) „Eine richtige Theorie kann nicht unpraktisch sein, denn richtig ist nur die, 
welche den Erscheinungen entspricht“. (Aus der Einleitung zum Arch. f. physiol. 
Heük. 1841.) Wir wissen jetzt auch warum es so ist. 



38 


Vorrede und Einleitung. 


müssen erklärt, dann glaubt Verfasser mit Recht wieder auf seinen alten, frei¬ 
lich viel langsameren Weg der analytischen Behandlung zurückkehren zu sollen, 
auf dem ihn ja besondere individuelle Anlage seit jeher festgehalten. 

Es lag Verfasser im Verfolge eines schon zu Beginn seiner wissenschaft¬ 
lichen Tätigkeit ausgesprochenen Leitgedankens weiter daran, zu zeigen, daß 
der Agrammatismus, wie schon aus der festgestellten Möglichkeit seiner Loka¬ 
lisation folgt, ebenso wie alle anderen zerebralen Affektionen — zunächst natür¬ 
lich nur für die lokalisierbaren erweisbar, aber auch für die funktionellen 
anzunehmen — durchaus in den Rahmen erforschbarer Gesetzmäßigkeiten sich 
einfügt und nicht bloß, wie Kuß maul in seiner Monographie (1877) schreibt, 
neben Folge psychischer Schwäche Ausdruck ,,wahnsinniger Schrullenhaftig¬ 
keit“ sein könne. P. J. Moebius (Diag. d. Nervenkr. S. 46) druckt das 1894 
einfach noch nach; es war an ihm die auch damals schon in den Fortschritten 
der Aphasielehre zutage getretene Tatsache unbeachtet vorübergezogen, daß, 
wie in allen anderen Gebieten der Zerebralpathologie, so auch in dem der Aphasie 
alles nach ganz bestimmten, aus Bau und Funktion sich ergebenden Regeln 
sich vollzieht, die aufzudecken eben Sache der Forschung ist; auch die ,»wahn¬ 
sinnige Schrullenhaftigkeit“ kann sich diesen Regeln nicht entziehen. Die 
sichere Überzeugung von dem Bestände solcher Regeln auch auf dem Gebiete 
der Hirnpathologie und dem ihr parallelen der Psychologie bildet einen der 
schon in seinen ersten Arbeiten festgehaltenen Leitgedanken des Verfassers, 
die Übertragung desselben auf die Aphasielehre nur die selbstverständliche 
Konsequenz seines Festhaltens; es ist dem Verfasser ein erfreuliches Moment, 
daß A. Marty (Unters, z. Grundl. etc. 1908, S. VIII) von der entgegen¬ 
gesetzten Seite des Sprachproblems herkommend, den gleichen Gedanken 
ausspricht. — 

Je mehr sich Verfasser aber in den Stoff vertiefte, um so mehr traten die 
anfänglich wirksamen Gesichtspunkte hinter jenen zurück, die sich jetzt in 
der Schrift als die grundlegenden darstellen. Zunächst liegt ihm jetzt daran, 
die reiche Fülle der Belehrung, die er selbst aus dem Studium der Sprach¬ 
psychologie (im weitesten Sinne des Wortes) geschöpft, in gleicher Weise auch 
den daran interessierten Fachkollegen zugänglich und damit für die Pathologie 
verwertbar zu machen; dabei ist es ihm aber nicht bloß um die Hervorhebung 
der jenen Wissenschaften entnommenen Tatsachen zu tun. Fast noch größeres 
Gewicht legt Verfasser auf die ihnen entnommenen Gesichtspunkte und den 
Nachweis der Möglichkeit, sie auch wieder zum Verständnis des Pathologischen 
in breitem Maße an wenden zu können. Nur die sichere Erwartung, damit 
wirklich Nützliches zu schaffen, konnte ihm über die Mühen und Schwierig¬ 
keiten, die das Arbeiten auf so femliegenden und zum Teile noch so wenig 
geklärten Gebieten mit sich brachte, hinweghelfen. 

Das Hauptgewicht legt dementsprechend Verfasser jetzt auf den mit 
Hilfe der herangezogenen anderen Wissenschaften zu gewinnenden Einblick in 
die komplizierten Beziehungen zwischen Sprechen und Denken und die daraus 
sich ergebende Folgerung, daß die Sprache nicht ein Haufen von Worten 
ist, die etwa analog wie die Buchstaben zum Wort im Satze aneinander ge¬ 
reiht werden, sondern ein zusammenhängendes System verschieden¬ 
artiger Ausdrucks mittel, unter denen die Worte durchaus nicht immer 
den hervorragendsten Teil darstellen. 



Vorrede und Einleitung. 


39 


Wie schwer sich eine Außerachtlassung dieser zum Gemeingut der Sprach¬ 
psychologie gewordenen Anschauungen an den Sprachpathologen gerächt, 
könnte nichts besser exemplifizieren, als der von ihrer Seite gemachte Ver¬ 
such einer einheitlichen Basis bezüglich des Agrammatismus und der Para¬ 
phasie; der erstere soll bezüglich des Satzbaues eine ähnliche Störung dar¬ 
stellen, wie innerhalb de3 Wortgefüges die letztere; daß der Berechtigung solcher 
Aufstellungen doch erst eine Klarlegung darüber, w r ie sich der Satzbau voll¬ 
zieht und was ihn charakterisiert, wie man sich den angenommenen Aufbau 
des Wortgefüges zu denken habe, vorangehen und dazu die einzig kompetente 
Sprachpsychologie helfen muß, bedarf doch wohl nicht erst des Beweises; eine 
derartige Außerachtlassung der primitivsten Regeln der Methodenlehre würde, 
von einem Gebiete der Medizin einem zweiten derselben Disziplin gegenüber 
gehandhabt, die schärfte Zurückweisung erfahren. 

Wie aber die Linguistik jetzt über diese Fragen denkt, mag der Hinw eis 
exemplifizieren, daß die Zerlegung der Wörter in Silben nur Sache der For¬ 
schung ist, und daß man dem einzelnen Buchstaben erst recht die Selbständig¬ 
keit absprechen könne; dementsprechend erscheint jede auch entfernte Ana¬ 
logie zwischen den Worten als Satzteilen und den Silben oder Buchstaben als 
Teilen des Wortes vollständig ausgeschlossen; daraus erhellt ohne weiteres, 
was man von der Nahestellung von Agrammatismus und Paraphasie zu halten 
hat x ); wir werden sehen, daß es sich bei den beiden um Störung zweier diffe¬ 
renter Vorgänge auf dem Wege der sprachlichen Formulierung des Denkens 
handelt. Indem man sich den Satz ebenso aus Wörtern zusammengesetzt 
dachte 8 ), wie diese aus den einzelnen Lauten, beraubte man sich des Ver¬ 
ständnisses, ja der richtigen Erfassung verschiedener Sprachmittel, die die 
Sprache erst aus dem Satze heraus entwickelt; das gilt insbesondere von der 
„Situation“, die ebenso wüe die von ihr abhängige Betonung, den einzelnen, 
an sich sinnlosen und der Ergänzung bedürfenden Wörtern diese und damit 
auch erst den Sinn gibt. — 

Verfasser war natürlich bemüht, auch Alles das, was die Pathologie dar- 
Tx)t, nicht minder, was Anatomie und Physiologie unmittelbar oder auf dem 
Wege der Analogisierung zum Verständnis des Pathologischen nützlich er¬ 
scheinen ließen, in enger Durchdringung mit Sprachpsychologischem für seine 
Arbeit zu verwerten. Eines aber hat er sich prinzipiell versagt, so nahe auch 
der Anreiz dazu lag; nirgends hat sich Verfasser in anatomischen Spekulationen 
und psychologischer Nutzwendung solcher auf sein Thema selbst versucht 
oder an solche anderer Autoren, mochten sie noch so schön sich darstellen, 
angeknüpft, wie er auch sonst im Laufe dieser Arbeit Spekulationen aus dem 
Wege gegangen und sich soviel als möglich an Tatsachen und deren Deutungen 

x ) Nur für eine Art von Störung im Gefüge von Sätzen geht es an, die Be¬ 
zeichnung Paraphasie anzuwenden; nämlich für die von Heilbronner (Arch. f. 
Psychiatrie 33, 2. H., S. 24 ds. S. A.) so bezeichnete Form, wo die Kranken einen Satz 
korrekt beginnen und mit einer Phrase enden, die den korrekten Schluß eines anderen 
Satzes bilden könnte; aber es ist klar, daß es sich dabei nicht um Agr. in dem hier 
erörterten Sinne handelt. 

*) Dieses hartnäckige Festhalten an dem alten Irrtum ist umso befremdlicher, 
als auch Wundt, dessen Monographie seit mehr als einem Dezennium den Patho¬ 
logen als Vorlage zur Verfügung steht, ganz schroff den entgegengesetzten Stand¬ 
punkt vertritt. 



40 


Vorrede und Einleitung. 


gehalten hat. Auf den zunächst vielleicht faszinierenden Schmuck anatomi¬ 
scher imd physiologischer Spekulationen glaubte er selbst auf die Gefahr hin, 
nicht für exakt zu gelten, im Interesse der Dauerhaftigkeit seiner Arbeit ver¬ 
zichten zu sollen 1 ); denn er steht auf dem Standpunkte, den schon Lewes 
vor einem halben Jahrhundert dahin charakterisierte, daß vieles von dem, 
was sich als physiologische Erklärung von psychischen Funktionen ausgibt, 
nur die Übertragung dieser in die Termini einer recht hypothetischen Physio¬ 
logie darstellt; seitdem ist das noch oft genug wiederholt worden; am schärfsten 
hat es der Pathologe A. Mayer gegenüber ähnlichen Versuchen in dem hier 
behandelten Gebiete noch kürzlich formuliert; er spricht von dem „Jargon 
einer ganz unkontrollierbaren Hirnmythologie, die mit der Prätension auftiitt, 
der einzig zulässige und wissenschaftliche Weg zu sein“ (Psych. Bull. IV. 1907, 
S. 171). 

Wenn wir, vorläufig wenigstens, „die Anordnung und Gruppierung der 
einzelnen Neurone und besonders die Art und Weise ihrer gegenseitigen Ver¬ 
knüpfungen, ihre „Artikulation“ als das einzig verwertbare Substrat für eine 
Analyse der Verrichtungen 2 ) der Nervenelemente ansehen dürfen“ (v. Len¬ 
ti ossek), so wäre nichts leichter, als etwa nach Analogie einer bekannten Theorie 
des Schlafes sich über jene Verrichtungen irgendwelche Hypothesen für Zwecke 
der Aphasielehre aufzubauen; wir sehen davon ab, hauptsächlich deshalb, 
weil von solchen hypothetischen Substruktionen zunächst ein wirklicher Fort¬ 
schritt im Verständnis der eigentlichen Vorgänge doch nicht zu erwarten ist. 
Obwohl jetzt wichtige Momente aus der Physiologie des vegetativen Nerven¬ 
systems, nämlich das, was sie uns von der isolierten Einwirkung auf die Syn¬ 
apsen gelehrt hat, die erwähnte Lehre vom Schlafe in etwas milderem Lichte 
erscheinen läßt, wird man doch kaum behaupten wollen, daß alles, was 
wir davon wissen, schon genügen würde, um ein auch nur halbwegs zu¬ 
reichendes wirkliches Verständnis für die hier in Betracht kommenden Tat¬ 
sachen zu eröffnen. 

Ein Standpunkt freilich, wie derjenige Försters (Monatsschr. f. Psych. 
N. Sept. 1912, S. 189), der in Fragen der Psychologie sich deshalb nur auf Hirn¬ 
pathologie und Tierexperimente stützen will, „weil wir uns naturwissenschaft¬ 
lich und nicht philosophisch verständigen wollen“ 3 ), scheidet von vorneherein 
hier aus der Diskussion aus, weil die hier herangezogene Psychologie weder 
als philosophisch in dem gemeinten Sinne bezeichnet werden kann, noch des 
naturwissenschaftlichen Titels entbehrt. 

*) Wenn ein namhafter Neurologe die Brocasche Stelle als ein sprachliches 
„Konstruktionszentrum“ bezeichnet, „in welchem die Worte in die bestimmten 
gegenseitigen Beziehungen gebracht werden“, so kann Verfasser, ganz abgesehen 
von der Unmöglichkeit einer solchen Deutung, darin keinen prinzipiellen Fort¬ 
schritt gegenüber der Hypothese von Descartes sehen, der die Seele von der Zirbel¬ 
drüse aus die Aufmerksamkeit mittels der Habenulae da- oder dorthin lenken ließ. 

2 ) Bezüglich der Frage, inwieweit unsere physiologischen Vorstellungen von 
den zentralen Vorgängen der psychologischen Erkenntnis adäquat sind, vgl. die 
Kritik die v. Kries (Über d. materiellen Grundl. d. Bewuißtseinserschein. 1898) an 
der Leitungslehre oder dem Leitungsprinzip übt. 

3 ) Es ist der Kückschlag auf die alte „Psychologie ohne Seele“ von Lange 
(1866); inwieweit dessen vor fast 50 Jahren aufgestelltes Programm „Die Zurück¬ 
führung alles Psychischen auf Hirn- und Xervenmechanismus“ (Gesell, d. Mater. II., 
S. 392 ff.) sich erfüllt hat, darüber ist hier einiges gesagt worden. 



Vorrede und Einleitung. 


41 


Die Tatsache, daß immer wieder solche, mit dem Schein eunehmender wissen¬ 
schaftlicher Exaktheit umgebene Versuche auftauchen und nicht bloß deren 
Autoren, sondern gelegentlich selbst ganze Generationen von Lesern sich dem 
Reize solcher „Erklärungen“ widerstandslos gefangen geben, zeigt, daß sie 
einem tiefen Bedürfnis der menschlichen Natur entgegenkommen 1 ), dem auch 
die hervorragendsten Geister nicht selten erliegen. 

Bei aller durch persönliche Beziehungen nur noch gefestigten Hoch¬ 
schätzung Wernickes kann doch nicht verschwiegen werden, daß auch er¬ 
sieh gelegentlich dieser den Regeln der Wissenschaft durchaus widersprechen¬ 
den Methode bedient hat; so z. B. wenn er (Grundr. d. Psych. 1900, S. 29) 
ein so feines Problem wie das der individuellen Differenzen im Denken in 
Begriffen oder Worten an unseren groben, mit jenem Problem gar nicht kommen¬ 
surablen Kenntnissen von den Funktionen des linken Schläfelappens abmißt. 

Es ist aber nicht bloß die Unzulänglichkeit solcher anatomisch begrün¬ 
deter Spekulationen, die von ihrer Verwertung abhalten muß, sondern vor 
allem der Schaden, der dadurch angerichtet wird, daß die anscheinend durch 
die Übereinstimmung der psjxhologischen Erscheinungen mit den anatomischen 
Erklärungen gegebene Bestätigung die Richtigkeit derselben zu gewährleisten 
scheint; auch das läßt sich an einem Wernicke entnommenen Beispiele be¬ 
sonders prägnant erweisen. In demselben Grundriß bezeichnet er als das ana¬ 
tomische Substrat der „Begriffe“ die feste Assoziation der Erinnerungsbilder; 
selbst vom Standpunkte des glattesten Sensualismus erscheint diese Deutung 
nur als eine unzureichende Erklärung der gemeinten Vorgänge; wenn w-ir aber 
später hören werden, daß das der Logik entnommene begriffliche Denken, wie 
es in der Pathologie bisher verw ertet würd, überhaupt nicht dem naiven Denken 
entspricht, das ja der einzige Maßstab für die Pathologie sein kann, dann w r ird 
damit erst recht das nicht Ungefährliche solcher zu weiterer anatomischer 
Verwertung einladenden Spekulationen gekennzeichnet. Inwieweit auch das 
„Begriffsfeld“ der Neuesten hier in Betracht kommt, sei den eigenen Er¬ 
wägungen des Lesers überlassen. 

Selbst ein sonst so ganz auf dem Boden der Himanatomie stehender 
Forscher wie S. Ramon-Cajal anerkennt, daß die psychischen Formen uns 
besser bekannt sind als die Architektonik des Gehirns und daß die Psychologie 
eher zum Verständnis der letzteren beitragen könne, als die Lehre vom Hirn¬ 
bau zur Kenntnis der psychischen Erscheinungen (Histol. du syst. nerv. II. 
1910, p. 869). Man kann es trotzdem verstehen und bis zu einem gewissen 
Grade billigen, wenn immer w-ieder (von Cajal selbst und auch von anderen) 
der reizvolle Versuch gemacht wird, die Architektur des Gehirns und die psy¬ 
chischen Vorgänge durch ein künstliches Gebäude von Hypothesen zur gegen¬ 
seitigen Durchdringung zu bringen. Eine solche, bloß in den Grundzügen ge- 
gegebene Zusammenfassung hat gewiß ihre Berechtigung und ihr Nutzen läßt 
sich aus der Geschichte der Neurologie leicht erw eisen; aber man kann sich bei der 
von den Autoren oft selbst anerkannten Schwäche des von ihnen aufgeführten 
Gebäudes dem Schlüsse nicht entziehen, daß jede Nutzanwendung auf irgend¬ 
welche spezielle Fragen ganz ausgeschlossen erscheint, will man nicht wieder 

*) Neuerlich ist Winch (Physiological and Psychologien!; Mind 1910, p. 207) 
dieser Erscheinung psychologisch nachgegangen. 



42 


Vorrede und Einleitung. 


auf die „Mythologie“ früherer Schulen zurückkommen, die zum mindesten 
die Folge hatte, die Schwierigkeiten der Probleme zu verhüllen. 

v. Monakow namentlich hat in neuerer Zeit versucht, die anatomisch¬ 
physiologischen Sprachvorgänge im Sinne einer in zahlreichen Stufen sich 
vollziehenden Reihenfolge zu differenzieren; wenn er das aber dann selbst 
unter Anerkennung des hypothetischen Charakters solcher Versuche mangels 
genügender klinischer Anhaltspunkte auf gibt, dann ist es die der Sprachpsycho¬ 
logie entnommene psychologische Lokalisation, die berufen ist, da helfend ein¬ 
zugreifen; wir werden in dem Kapitel vom Wege vom Denken zum Sprechen 
sehen, daß das, was die Sprachpsychologie zu bieten vermag, in hohem Maße 
dem entgegenkommt, was die anatomische Betrachtungsweise zur eigenen 
Stütze bedarf. 

Wie weit unsere Kenntnis des Physiologischen für die uns funktionell 
schon durchaus geläufigen Tatsachen hinter dem zurücksteht, was uns deren 
deskriptive Betrachtung an die Hand gibt, mag nur ein Beispiel erweisen; 
die Kenntnis der bekanntlich zuerst im Gebiete der Pathologie geschaffenen 
Perseverationstendenzen (Neißer) hat sich durch das psychologische Ex¬ 
periment in einer Weise vertieft, „daß es nicht eine einzige physiologische 
Theorie gibt, die auch nur annähernd alle Tatsachen umfaßt.“ (Vgl. bei 
Koffka, Z. Anal. d. Vorstell. 1912, S. 14, dem des letzte Satz entnommen, 
Erörterungen über den Funktionsbegriff in seiner Bedeutung für die Psycho¬ 
logie trotz des Fehlens oder der hypothetischen Natur unserer Kenntnisse 
der entsprechenden physiologischen Vorgänge.) 

Wenn v. Monakow noch neuerlich (in der zweiten Auflage seiner Ge¬ 
hirnpathologie, S. 823) über das Fehlen aller Anhaltspunkte klagt, „um die 
Wege von den Werkstätten für die Begriffe zu den sogenannten Wortzentren 
auch nur in rohen Umrissen uns anatomisch befriedigend vorzustellen“, so 
erscheint auch da der gesuchte Ausgangspunkt ein verfehlter; zuerst müssen 
wir uns klar darüber sein, was wir psychologisch unter diesen Begriffen zu 
verstehen, wie wir uns die psychologischen Vorgänge in diesen „Werkstätten 
für die Begriffe“ und die „Wege von ihnen zu den Wortzentren“, also all das 
zu denken haben, was Verfasser hier an der Hand der Hilfswissenschaften 
in den Kapiteln vom „Weg vom Denken zum Sprechen“, vom „Begriff“ und 
vom „begrifflichen Denken“ zu skizzieren versucht hat; erst dann wären wir 
berechtigt, solche Anatomie, aber auch nur schematisch (nach darauf basierter 
vollständiger Rekonstruktion der alten Schemata) zu versuchen. Sollte man 
aber im Verfolge einer diesem Gedankengange widersprechenden Beweisführung 
sich etwa darauf stützen w r ollen, daß die Basis für die in der Pathologie ver¬ 
wertete Lehre vom Begriffe doch die allgemein anerkannte ist, so wäre auf 
das betreffende Kapitel zu verweisen, in dem das Ungenügende einer nicht 
von der Psychologie, sondern von der Logik ausgegangenen Bestimmung dessen 
aufgezeigt werden wird, was bisher als „Begriff“ in der Pathologie verwertet 
worden. 

Man hat gesagt, daß die Wissenschaft aus mehr oder weniger eng zu¬ 
sammenhängenden Abnahmen besteht, die in immer nähere Übereinstimmung 
mit den beobachteten Tatsachen zu bringen sind. Die Mehrzahl der als grund¬ 
legend und in breiterem Maße als wirksam anzusehenden Hypothesen, von 
denen in der Aphasielehre bisher Gebrauch gemacht worden, entstammen der 



Vorrede und Einleitung. 


43 


Hirnpathologie; der Stillstand, in den sie trotzdem geraten, läßt es ratsam 
erscheinen, den Ausgangspunkt für neue Hypothesenbildungen in jenem 
anderen Teile zu wählen, in dem die Lehre ihr funktionelles Wurzelgebiet hat, 
in der Psychologie. 

Natürlich soll dieser Versuch nicht etwa eine Abkehr von der physio¬ 
logisch-anatomischen Fundierung, wie sie bisher vorwiegend geübt werden, 
bedeuten; eine Berücksichtigung insbesondere der neueren physiologischen 
Anschauungen von den Hirnfunktionen ist im Rahmen der Aphasielehre umso 
leichter, als die Grundlagen, die Huglings Jackson wie für die Nerven patho¬ 
logie im allgemeinen, so im besonderen für die Sprachpathologie gelegt, ihre 
volle Bestätigung durch die neuere Hirnphysiologie und dementsprechend 
auch nur einen weiteren Ausbau erfahren haben. Aber immer mußte man 
sich als obersten Grundsatz vor Augen halten, daß nur von einer nicht mehr 
einseitigen, sondern mit allen Hilfsmitteln der Methodik gewonnenen Basis 
aus ein wirklich vollständig befriedigendes Resultat gewonnen werden könne. 
Die gelegentliche prinzipielle Vernachlässigung einzelner Seiten derselben führt, 
wie in anderen Wissenschaften, so auch natürlich hier als eine Art Reaktion 
eine zeitweise stärkere Betonung anderer nach sich und kann es nicht über¬ 
raschen, wenn jetzt der psychologische Standpunkt in den Vordergrund ge¬ 
stellt erscheint. Es wäre gewiß verfehlt, deshalb nun auch jede Folgerung aus 
anatomischen und physiologischen Befunden abzulehnen; aber Verfasser ist 
nicht geneigt, unsichere Deutungen klinischer Tatsachen durch wenig gesicherte 
anatomische Tatsachen für gesichert anzusehen; immerhin können Überein¬ 
stimmungen zweier Tatsachenreihen, selbst wenn diese an sich nicht gesichert 
sind, wenn auch nicht gegenseitige Sicherung bieten, so doch die Möglichkeit 
eines gewissen Verständnisses für die eine oder andere Reihe an die Hand geben. 
So soll der Nachweis einer gewissen Übereinstimmung zwischen den Tatsachen 
der vom Verfasser eingeführten psychologischen Lokalisation und den anato¬ 
misch-physiologischen Daten, die Feststellung eines gewissen Gleichganges im 
Ablaufe der sprachpsychologischen Vorgänge mit der aus der Pathologie ab¬ 
strahierten Lokalisation der auf einander folgenden Teilfunktionen der Sprache 
die Richtigkeit jenes methodologischen Gesichtspunktes illustrieren. 

Nach dem Urteil auch der kompetentesten Kenner des Gehirnrinden¬ 
baues läßt, wie gesagt, die Fülle der sich uns in den psychischen Erscheinungen 
darbietenden Funktionen das Viele, was wir über diesen Bau, und das Gering¬ 
fügige, was wir über dessen Funktionen wissen, weit hinter sich; dement¬ 
sprechend wird man zugeben müssen, daß, je mehr unser Wissen von jener 
Fülle sich vertieft, je größer der Einblick in die Mechanik (man verzeihe diese 
Formel) der psychischen Vorgänge sein wird, desto aussichtsreicher sich auch 
das Verständnis für den Bau und die Funktion der jenen Vorgängen zu¬ 
grunde liegenden Substrate gestalten wird *); denn wenn es richtig ist, daß die 
Funktion sich den Bau schafft, dann ist jener Schluß wohl umso verständ¬ 
licher, wenn wdr dabei noch berücksichtigen, daß w r ir erst am Beginne jener 

*) Es ist dieser Gesichtspunkt auch schon den Vätern der Aphasielehre nicht 
entgangen, so z. B. Broadbent, der (Med. u. Chirurg, Transact. 2, ser. Vol. p. 254) 
in einem speziellen Falle darauf hinweist, daß die aus der durch Krankheit erfolgten 
Analyse gezogenen Konstruktionen mit denjenigen übereinstimmen, welche die 
Logiker und Grammatiker durch ihre Analyse der Sprache gewonnen. 



44 


Vorrede und Einleitung. 


Epoche der Hirnpathologie stehen, in der ganz analog wie in der experimen¬ 
tellen Morphologie das von der Krankheit geschaffene Experiment für das 
Studium modifizierter oder defekter Organfunktionen verwertet wird; daß die 
in solchen Fällen eintretende Adaption unsere Ansicht bezüglich der Beziehungen 
zwischen Psychologie und Morphologie stützt, ist gewiß ebenso verständlich. 

So wenig auch Verfasser, wie erwähnt, geneigt ist, aus anatomischen und 
physiologischen Tatsachen eine Theorie aphasischer und noch weniger sprach- 
psychologischer Erscheinungen zu bauen, das allerdings hält er für einen be¬ 
rechtigten und für unser Studium wichtigen Schluß: Die reiche zyto- und myelo¬ 
architektonische Gliederung der Hirnrinde im allgemeinen und des sogenannten 
Sprachfeldes im besonderen, die uns die einschlägigen Arbeiten der letzten 
Jahre kennen gelehrt, beweisen mit aller Sicherheit, daß die auf der Annahme 
eines einheitlichen Sprachfeldes basierten älteren Deutungen nicht zu recht 
bestehen, vielmehr die gegenteilige Ansicht durch jene Befunde erst recht ge¬ 
stützt wird. — 

Im Verfolge des Strebens nach psychologischer Fundierung ist es Ver¬ 
fasser weiter hauptsächlich darum zu tun, die Erscheinungen der Aphasie im 
Sinne einer Funktionspsychologie*) nicht als durch Läsion selbständiger psychi¬ 
scher „Elemente“ bedingt, sondern als aus Störungen eines Komplexes von 
Prozessen erklärlich zu erweisen, deren ein Teil unmittelbar in das seelische 
Geschehen hinübergreift. 

Um den darin sich ausprägenden Gegensatz zu der bisherigen Auffassung 
der Aphasielehre deutlich vor Augen zu führen, sei der Satz von Liepmann 
(Neurol. Zentralbl. 1909, S.-A. S. 4) hierher gesetzt: „Die ganze Arbeit der 
Aphasieforscher seit 50 Jahren besteht darin, die „Intelligenz“ zu analysieren 
und sie auf Verbindung von Elementen (im Original nicht hervorgehoben) 
zurückzuführen, derart, daß dieser psychische Komplex zu dem, was wir über 
Bau der nervösen Substanz wissen oder wahrscheinlich gemacht haben, in 
Beziehung gesetzt werden kann.“ Man setze an die Stelle der „Elemente“ 
die Funktionen und man hat in dem Prinzipiellen den Gegensatz der beiden 
Methoden vor Augen gestellt. Die Differenzen, die sich daraus ergeben, sind 
im Nachfolgenden angedeutet. Vorher ist aber noch darauf zu verweisen, 
daß die moderne Sprachpsychologie einer funktionellen Auffassung durchaus 
entgegenkommt; schon W. v. Humboldt will die Sprache nicht als ein 
tQyov, sondern als eine evegyela .aufgefaßt wissen, und die Sprachwissenschaft 
hat bis in die neueste Zeit diesen prinzipiellen Standpunkt festgehalten; dem¬ 
entsprechend sehen wir auch, wie Sprachforscher, die sich dazu geäußert 
(Schuchardt, Breal), die „Kästchentheorie“ des Gedächtnisses durchaus 
ablehnen. 

Die Bevorzugung einer funktionellen und gleichzeitig genetischen Psycho¬ 
logie gegenüber der strukturellen empfiehlt sich für unsere Zwecke vor allem 

*) Historisch darf hier festgelegt werden, daß die von Freud in breiterem Maße 
angestrebte funktionelle Deutung aphasischer Erscheinungen an die gleichgearteten 
Bestrebungen des Verfassers anschließt. Wenn Verfasser trotz dieses Bestrebens 
funktioneller Erfassung der einschlägigen Tatsachen da und dort sich Ausdrücke 
entschlüpfen läßt, die dem Spracligebrauehe der Erscheinungspsychologie ent¬ 
stammen, so mag als Entschuldigung dienen, daß nichts schwieriger ist, als zur 
Gewohnheit Gewordenes trotz bester Absicht ganz zu unterdrücken. 



Vorrede und Einleitung. 


45 


aus dem Grunde, weil wir über das „Wie“ der Vorgänge im Nervensystem 
uns aus klinischen Beobachtungen viel leichter unterrichten können als über 
das „Was“ derselben; zumal auch das, was wir von den anatomisch-physiolo¬ 
gischen Grundlagen desselben aussagen können, ebenfalls nur die Funktionen 
betrifft. Und da wir ebenso im Gebiet der Psychologie über das „Wie“ uns 
außerordentlich besser orientiert wissen als über das „Was“ 1 ), so ist vom Stand¬ 
punkte des Parallelismus zwischen Körper und Geist einer funktionell orien¬ 
tierten Psychologie auch für unsere Zwecke der Vorzug zu geben 2 ). Es zeigt 
sich auch, daß gerade die Ausführungen desjenigen Autors, der am eingehendsten 
den anatomisch-physiologischen Parallel Vorgängen der Sprachpsychologie nach¬ 
gegangen ist (v. Monakow) sich viel besser mit den Deutungen einer Funk¬ 
tionspsychologie in Einklang bringen lassen als mit der in der Sprachpathologie 
vorherrschenden Erscheinungspsychologie; so, wenn er z. B. (Erg. d. Phys. 
1907. VI, S. 392 f.) „funktionelle Verbände“, „Zwischenerregungsstufen ruhender 
und auslösender Art“ mit dem „Wortbegriff“ Wernickes im Zusammenhang 
bringen will; im Kapitel vom begrifflichen Denken werden wir sehen, daß 
sich mit mehr Erfolg an die Stelle des „logischen“ Begriffs der funktionelle 
psychologische Begriff setzen läßt. Wir werden dementsprechend die Störungen 
agrammatischer Art auch nicht einfach, wie noch kürzlich ein Fachmann 
geäußert 3 ), auf Gedächtnisstörung zurückführen, sondern zunächst den Funk¬ 
tionen nachzugehen haben, die sich dabei als gestört heraussteilen. 

Man hat gewisse Tatsachen der Sprachpathologie direkt benutzt, die 
Erscheinungspsychologie zu stützen; so die Oligophasie oder Monophasie Moto- 
risch-aphasischer, bei denen man von Cliches gesprochen, die sie wiedergeben 
(„tschitschi“, „akoko“); eine einfache Überlegung ergibt aber, daß auch diese 
Erscheinung funktioneller Deutung sich ohne weiteres fügt. Als beweisend 
im Sinne einer Erscheinungspsychologie wird auch z. B. die Tatsache ange¬ 
führt, daß der vielzitierte Kranke von Graves nur die Anfangsbuchstaben 

A ) Es kann hier auf die einschlägigen Fragen nicht eingegangen werden; 
aber es liegt nahe, dem von Mach begonnenen Kampfe gegen die Metaphysik in der 
Physik für unsere Zwecke die Ansicht zu entnehmen, daß auch hier nur das „Wie“ 
den Gegenstand der Forschung bildet, das ,,W T as“ ihr überall verschlossen ist. 

2 ) Daß der strukturellen oder Erscheinungspsychologie in der Psychophysik 
der stärkste Gegner erstanden, sei hier an einem einfachen Beispiele erwiesen; wenn 
die einfache Empfindung einer Berührung nicht die isolierte Folge eines isolierten 
objektiven Reizes ist, sondern notwendiger Weise das Resultat eines Kontrast¬ 
phänomens, dann kann diese Empfindung nicht mehr im Sinne einer strukturellen 
Psychologie als angeblich einfachstes Element den weiteren Prozessen zugrunde 
gelegt werden; umgekehrt, da es sich bei jener Empfindung sichtlich um einen Akt 
des Vergleichens handelt, paßt sich das vollständig einer Funktionspsychologie 
ein. Soviel Verfasser sieht, ist dieser Einw r and bisher nicht vorgebracht worden, 
aber Verfasser legt Wert auf den Hinweis, daß auch H. Jackson ähnliche Gedanken¬ 
gänge seiner Lehre zugrunde gelegt hat (s. dessen Remarks on the Evolution and 
Dissolution of the Nervous System. J. of ment. Sc. Repr. p. 8); bezüglich der Stel¬ 
lung der funktionellen Psychologie gegenüber der strukturellen vgl. insbes. die aus¬ 
führliche Darlegung von Angell. (The psychol. Rev. 1907, p. 857). 

3 ) Dr. Langdon said that he does not consider that graminar has anything 
to do with the aequireraent or reacquirement of language. The acquirement of 
language and grammar is purelv a memory process. Language must be looked on 
as a matter of pure memory and arrangement, independent of grammatical rela- 
tion. (Disc. im J. of Am. mt*ci. Assoc. 1904. p. 1948). 



46 


Vorrede und Einleitung. 


der Substantiva behalten hatte und den Rest im Lexikon dazu suchen mußte 
Paulhan (L’activite ment. 2. ed. 1913, p. 32) deutet das so, daß Buchstaben 
isoliert im Geiste erhalten seien, bzw. allein mit einem bestimmten Sinn ver¬ 
knüpft sein können; und doch handelt es sich dabei nur um eine stärkere 
Ausprägung der ebenso für die amnestische Aphasie, die offenbar da vor* 
liegt, nachweislichen Erfahrung des täglichen Lebens, daß man vor Auf¬ 
findung eines gesuchten Wortes den ersten Buchstaben desselben ,,auf der 
Zunge hat“; das ist aber direkt etwas Funktionelles. Es ist eine schon von 
Lichtheim betonte Erscheinung, daß die amnestische Aphasie im Spontan¬ 
sprechen viel weniger leicht und deutlich hervortritt als beim provozierten 
Bezeichnen von Objekten. Man sollte zunächst denken, daß das gesehene 
Objekt das ,,Wortbild“ leichter emporheben würde, als wenn das ohne solche 
’>Hilfe“ zustande kommen soll. Die Erklärung dafür bringen Beobachtungen, 
die Verfasser zusammengetragen, um aus ihnen den Nachweis zu erbringen, 
daß die auf die Bewegung gerichtete Aufmerksamkeit deren Ablauf mehr oder 
weniger stört, ja gelegentlich aufhebt (Wien. klin. Rundschau 1907, Nr. 1). 
In der hier in Rede stehenden Beobachtung hegt nun offenbar diese Tatsache 
vor; die einer solchen funktionellen Betrachtung entnommene Erklärung dürfte 
jedenfalls zutreffender sein als irgendwelche mit Erinnerungsbildern ope¬ 
rierende. 

Man mache weiter doch den Versuch, den Ersatz zerstörter Zentren 
durch solche derselben oder der anderen Hemisphäre an der Hand der Funk¬ 
tionspsychologie zu erklären; die Schwierigkeiten, die sich für die strukturelle 
Psychologie und besonders für die Lehre von den Erinnerungsbildern ergaben, 
fallen alle fort*). 

Man wird dieser Beweisführung den Hinweis entgegenhalten, daß sich 
in der für Aphasiefragen als vorbildlich angesehenen Apraxielehre die Er- 
mnerungsbilder doch einer anerkannten Position erfreuen; Verfasser muß 
diesem Argument sein Credo versagen, er ist vielmehr der Ansicht, daß die in 
der Normalpsychologie sich vollziehende Bewegung gegen die „Bewegungs¬ 
vorstellungen“ in nicht ferner Zeit auch auf das Gebiet der Pathologie modi¬ 
fizierend übergreifen wird 1 2 ). 

Der Vorzug einer Funktionspsychologie gegenüber der älteren bisher 
nieist verwerteten, wird sich auch darin markieren, daß sie selbst dort, wo 
Sle uns über die Einzelvorgänge vorläufig noch wenig oder gar nichts zu sagen 
weiß, doch als Wegweiser zu einem wenigstens beiläufigen, wenn auch hypo- 

1 ) Von der hier versuchten Einführung einer funktionellen Psychologie in 
den Gesichtskreis der Pathologen erhofft sich Verfasser noch insofern einen über 
das Sachliche hinausgehenden Gewinn, als er davon auch eine Umgestaltung ihrer 
ganzen Denkweise erwartet. Wenn noch neuestens die Tatsachen des Traumes 
und der Halluzination als unwiderleglicher Beweis für die Realität der „images“ 
angeführt werden (s. Revue neurol. 1913, p. 198) so zeigt das recht deutlich die 
Pnfähigkeit zu anderen Gedankengängen als den alt ererbten und die Notwendigkeit 
dos „Umlernens“ auch auf diesem Gebiete. 

2 ) Mit Rücksicht auf die Bedeutung, die diese ganze Frage sichtlich auch 
für die Aphasielehre hat, sei auf eine neueste Arbeit von Thorndike (Psychol. 
Rev. 1913, March) hingewiesen, der die klassische Lehre von den BewegungsVorstel¬ 
lungen als irrtümlich erweisen will, worin er schon Vorgänger in anderen ameri¬ 
kanischen Psychologen hat. 



Vorrede und Einleitung. 


47 


thetischen Verständnis dadurch dienen wird, daß wir imstande sein werden, 
die Reihenfolge und die Verknüpfungen der an sich vielleicht noch nicht klaren 
Vorgänge festzustellen und dadurch auch einen Anhaltspunkt zum Verständnis 
der pathologischen Erscheinungen zu gewinnen. Wie sich dieser Nutzen auch 
in prinzipiellen Fragen darstellt, mag das Nachstehende erweisen. Wenn 
immer wieder (von Namyn, v. Monakow) betont wird, daß das klinisch¬ 
anatomische Studium uns wohl zu einer Lokalisation der Aphasie, nicht aber 
zu einer solchen der Sprache führen könne, so stützt sich dieser als Warnung 
gegen vorzeitige Verallgemeinerungen ausgesprochene Satz auf die Einsicht, 
daß der Storung zweierlei Möglichkeiten zugrunde liegen könnten. Die eine 
Möglichkeit ist die, daß die den ganzen Mechanismus lahmlegende Störung 
in einer weiter verbreiteten, über den Bereich der anatomisch nachweisbaren 
Läsion hinausreichenden Funktionsänderung bestehe. Die zweite Möglich¬ 
keit ist die, daß schon ein minimaler Schaden umschriebener Art an einem 
kompliziert ineinander greifenden Mechanismus genügt, um ihn funktions¬ 
untüchtig zu machen. In beiden Fällen sei der Schluß aus der Läsion auf die 
Lokalisation des Funktionsausfalls in ihr imzulässig. 

Gewiß fallen die in dieser Alternative zum Ausdruck gebrachten Argu¬ 
mente einer strukturellen Psychologie gegenüber schwer ins Gewicht; für eine 
von funktionellen Gesichtspunkten ausgehende Aphasielehre hingegen be¬ 
deuten sie nur einen zeitlichen Aufschub, dessen Dauer dadurch gegeben ist, 
wie weit und wie rasch die Fragen nach den gestörten Funktionen durch eine 
differenzierende Methode der einzelnen Fälle der Lösung zugeführt werden 
können. Inwieweit dabei ein genetisches Studium sowohl der Evolution wie 
der Dissolution und endlich der Reevolution dabei gute Dienste tun kann, 
braucht wohl nicht ausführlich dargelegt zu werden. 

Soll aber der immer wieder*) betonte Gegensatz zwischen klinischer 
Lokalisation und Funktionslokalisation als ein prinzipieller gemeint sein in 
dem Sinne, daß eine Lokalisation der Funktionen überall nicht erreichbar 
sein sollte, dann hätte Verfasser Veranlassung, hier, wenn auch kurz, dazu 
Stellung zu nehmen, und zwar um so mehr, als gerade die Funktion der Sprache 
als Beweis für den Satz herangezogen wird, daß von einer enger umschriebenen 
Lokalisation nicht geredet werden könne. Wenn dieser Satz nicht mehr be¬ 
sagen will, als daß wir vorläufig von einer Lokalisation der Funktionen, 
in specie der bei der Sprache in Betracht kommenden, nichts Bestimmtes wissen, 
so kann Verfasser dem zustimmen; wenn der Satz aber in dem anderen Sinne 
gemeint sein sollte, dann müßte Verfasser ihn als einen unbewiesenen, dogma¬ 
tisch hingestellten bezeichnen, dem derzeit empirisch erwiesene Tatsachen 
nicht zugrunde liegen. Was als solche dafür angeführt wird, ist nicht geeignet, 
das zu Beweisende irgendwie zu begründen, hauptsächlich deshalb, weil das, 
was man vorläufig als Funktion einfachster Art zu lokalisieren versucht, ein 
so hoch kompliziertes psychologisches Gebilde (immer im Sinne einer Funk¬ 
tion gemeint) ist, daß der Versuch eben deshalb mißlingen muß. 

Wenn v. Monakow (Neue Gesichtsp. in der Frage nach der Lokalisat. 


*) S. die Besprechung von van Valkenburgs Allgem. klin. Lokalisation im 
Nervensystem. Groningen 1912 in Zeitschr. f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie. 
Ref.-T. V. 7, p. 703. 



48 


Vorrede und Einleitung. 


im Großhirn, 1911, S. 9) die Identifikation der Lokalisation von Krankheits- 
erscheinungen mit einer solchen der Funktionen als unhaltbar bekämpft, so 
hält Verfasser diese Auseinanderhaltung für nicht in den prinzipiellen Grund¬ 
lagen begründet, ist vielmehr der Anschauung, daß sie an der noch recht rohen 
und mangelhaften Diagnostik der gestörten Funktionen hängt. Man wird auch, 
ohne Widerspruch zu begegnen, sagen dürfen, daß unser von der Psychologie 
her abgezogenes Verständnis der Funktionen unsere Diagnostik wesentlich 
überflügelt hat, und daß es sich zunächst darum handeln wird, unser Ver¬ 
ständnis der gestörten Funktionen jenem möglichst anzunähern; als das End¬ 
ziel der Bestrebungen steht allerdings in weiter Feme das ebenmäßige Ver¬ 
ständnis der normalen, wie der gestörten Funktionen; ist dieses erreicht, dann 
ist in der Lokalisation der Krankheitserscheinungen auch die der kranken 
Funktionen gegeben, deren Zusammenfassung eben die Krankheit darstellt. 
Von dem gleichen Standpunkte aus kann man auch sagen, daß sich die Kritik 
der Zentrenlehre in einem Circulus vitiosus bewegt; auf der einen Seite hat 
man gegen dieselbe eingewendet, daß die Zentren, wie man sie bisher auf- 
gestellt, der Mannigfaltigkeit der aphasischen Erscheinungen nicht gerecht 
werden, dabei aber übersehen, daß man damit eigentlich nur auf der anderen 
Seite den gegen die Vermehrung der Zentren gemachten Ein wand, es gehe 
nicht an, für die Erklärung jeder Störung ein eigenes Zentrum aufzustellen, 
selbst zunichte gemacht; der Zwang, trotzdem bestimmte Funktionen theo¬ 
retisch an bestimmte umschriebene Lokalitäten zu knüpfen, ließ sich freilich 
nicht niederhalten und führte zur Aufstellung der sogenannten Funktions¬ 
herde, die doch wieder nur verkappte Zentren im Sinne des zuvor Ausge¬ 
führten darstellen. 

Wenn Verfasser aus einer Vertiefung der psychologischen Grundlagen 
eine Vermehrung der Zentren oder besser eine sachlich zu motivierende Zer¬ 
legung derselben in Funktionsherde ableitet, so glaubt er andererseits, daß 
dieselbe ebenso auch einer Plethora an solchen Zentren entgegen wirken müßte, 
insofern eben die nachweisbaren, gestörten Einzelfunktionen und nicht die 
Störungen an sich die Basis für die Feststellung von Zentren bilden. Für die 
Richtigkeit dieser psychologisch fundierten Ansicht und als Beweis gerade 
dafür, daß im Gegensätze zu jener eine anatomisch-physiologisch orientierte 
Konstruktion der Sprachvorgänge zu einem Übermaß von Zentren führen 
muß, wüßte Verfasser kein besseres Exempel als die Studie Knauers (So m mers 
Klinik psych. u. nerv. Krankh. IV, 2) mit ihrer Fülle von Laut-, Partialzentren 
und Nebenklangfeldern. 

Noch letztlich hat Külpe (Psychologie und Medizin, 1912, S.-Abdr. 
S. 60) in kritischer Würdigung einer Reihe pathologischer Probleme die große 
Mannigfaltigkeit der in denselben enthaltenen Tatsachen aufgewiesen und 
daran die Mahnung angeschlossen, „wie notwendig es ist, vor allen physiologi¬ 
schen Betrachtungen über Herderkrankung oder funktionelle Störimg, über 
eine Läsion der Zentren oder ihrer Verbindungsbahnen, über den Sitz ihrer 
Störung und ihre Beziehung zu dem Sektionsbefunde erst einmal die psycho¬ 
logisch feststellbaren Tatsachen genau zu analysieren“. Um wieviel mehr 
Vorsicht ist aber geboten, wenn die theoretischen Grundlagen eines Problems, 
wie das der Funktionslokalisation, festgelegt werden sollen; nur die hastende 
Ungeduld der vorwärts strebenden Forschung kann es erklären, wenn dabei 



Vorrede und Einleitung. 


49 


die Gesichtspunkte einer erprobten Wissenschaftslehre nicht immer jene Be¬ 
achtung finden, die sie früher oder später sich erzwingen wird. 

Die Richtigkeit der hier dargelegten Ansicht wird indirekt dadurch be¬ 
stätigt, daß gerade die Tatsachen der Sprachpathologie als Beispiel für die 
Unmöglichkeit der Funktionslokalisation angezogen werden. Schon das Wenige, 
das wir bisher dem zergliedernden, von den hier dargelegten Gesichtspunkten 
geleiteten Studium des Sprachverständnisses abgewonnen haben, zeigt, wie 
hochkompliziert die dabei in Betracht kommenden Vorgänge sich darstellen. 
.Man wird weiter berechtigt sein, rein theoretisch anzunehmen, daß ,,die Funk¬ 
tion“ der Sprache ihrer innigen Beziehungen zu den Denkprozessen wegen 
als eine der kompliziertesten anzusehen, bzw. im Sinne unserer Argumentation 
als aus einer Vielfältigkeit von Funktionen zusammengesetzt zu betrachten 
ist. Soll die Annahme von der Unmöglichkeit einer Funktionslokalisation im 
allgemeinen ihre Berechtigung erweisen, dann müßte der Beweis zunächst von 
den wesentlich einfacheren Funktionen hergenommen und für die der Kom¬ 
pliziertheit der Funktionen nach entsprechend geordnete Reihe derselben er¬ 
bracht werden; das Nichtzutreffen dieser Voraussetzungen ist wohl evident; 
man betrachte die Analyse einer einfachen Bewegung auf ihre zentralen Grund¬ 
lagen und man wird sofort den hier dargelegten Standpunkt als richtig aner¬ 
kennen. 

Wenn Verfasser gerade deshalb von dem hier empfohlenen Verfahren 
eine besonders weitgehende Förderung auch für die Einsicht in die anatomisch- 
physiologischen Tatsachen erwartet, so glaubt er darin auch noch einen wesent¬ 
lichen Vorteil gegenüber der von Liepmann eingeleiteten Methode der Deu¬ 
tung dör Aphasie als Spezialfall der Apraxie sehen zu dürfen. Es stützt sich diese 
Ansicht vor allem darauf, daß der Einblick, den die Parallelreihe der sprach¬ 
lichen Vorgänge an der Hand alles dessen, was Psychologie und Sprachwissen¬ 
schaft uns dazu an die Hand geben, eben dadurch unendlich reicher ist, als 
dies bezüglich der Praxie im allgemeinen der Fall ist, bei der wir für wichtige 
Zwischenstufen, vorläufig wenigstens, nur auf theoretische Deutungen an¬ 
gewiesen sind. 

Man könnte vorliegender Studie in Abänderung des alten Wortes ,,pri- 
mum edere, dein philosophari“, entgegenhalten, daß der relativ geringe Um¬ 
fang des pathologischen Materiales den Zeitpunkt noch nicht als geeignet er¬ 
scheinen läßt, dasselbe auch schon mit dem reichen Stoffe der Sprachpsycho¬ 
logie in verarbeitenden Zusammenhang zu bringen. Verfasser hält diesen 
Vorhalt nicht für berechtigt, wenn man den Zweck der vorliegenden Schrift 
in Betracht zieht, vor allem den Pathologen die leitenden Gesichtspunkte 
aufzuzeigen, welche uns jetzt schon von den in der Sprachpsychologie ver¬ 
dichteten Lehren der einschlägigen Wissenschaften für ein vertieftes Studium 
der Sprachpathologie geboten werden. Durch Feststellung der Gesichtspunkte 
für ein solches künftiges Studium erscheint dieses aber doch wesentlich aus¬ 
sichtsreicher, als wenn noch weiterhin die bisherige, als unmethodisch zu be¬ 
zeichnende Empirie die herrschende bleiben sollte, die doch nur ganz lang¬ 
sam von sich aus, w^enn überhaupt, zur Gewinnung jener Gesichtspunkte fort¬ 
schreiten könnte; die vorgängige Gewinnung der Richtlinien kann doch 
nur als außerordentlich fördernd anerkannt werden. 

Die in dieser Hinsicht gew onnenen Gesichtspunkte w erden aber nicht bloß 

Pick, Sprachstörungen I. Teil. 4 



50 


Vorrede und Einleitung. 


das theoretische Studium der Aphasie insgesamt befruchten, sie werden auch 
Fingerzeige bieten, wie solche Fälle zu beobachten, zu beschreiben sein werden, 
um allseitig verwertbar zu bleiben. Die Ärmlichkeit der deskriptiven Seite 
der in der Aphasielehre verwerteten Psychologie war von um so größerem Schaden, 
als die Führer in dieser Lehre, insbesondere Wernicke, ihrer naturwissen¬ 
schaftlichen Richtung entsprechend, alsbald zu einer Erklärung der Erschei¬ 
nungen übergingen, die naturgemäß sich der Deskription derselben an passen 
mußte; auch darin ist eines der Hauptmomente für die Dürftigkeit der „Sche¬ 
mata“ zu finden; denn w r enn etwa da und dort der Versuch gemacht wurde* 
die Lücken der „Beschreibung“ aus der eigenen Reflexion zu ergänzen, dann 
w r aren die Grundlagen dafür doch auch wieder den anatomisch-physiologisch 
eingekleideten Anschauungen entnommen, die sich zu dem Schema verdichtet 
hatten. Da diese aber an Sicherheit und Ausführlichkeit selbst hinter den 
psychologischen „Beschreibungen“ zurückstanden, war auch davon eine über 
das aus ihnen konstruierte Schema hinausgehende Klarlegung nicht zu er¬ 
warten. 

Wie Linguisten über die Dürftigkeit des bisher von der Pathologie Bei¬ 
gebrachten denken, und was da nottut, möge die nachfolgende, mit Erlaubnis 
des Schreibers abgedruckte Stelle aus einem Briefe van Ginnekens be¬ 
zeugen, dessen „Principes de Linguistique psychologique“ uns ein viel benützter 
Führer gewesen. „Geben Sie immer recht ausführliche Protokolle; sparen 
Sie die Beispiele nicht. Bei meiner Benützung psychiatrischer Quellen habe 
ich immer gefunden, daß viele Psychiater nicht zu ahnen scheinen, wie wichtig 
für eine Sprachpsychologie ein komplettes Tatsachenmaterial werden könnte. 
Wie vielen Mißverständnissen hätte z. B. vorgebeugt werden können, wenn 
man nicht einfach hier konstatiert hätte: die Verba schwinden nach den Nomi¬ 
nibus usw r . bei der progressiven Amnesie, sondern ausführlich die Beispiele 
gesammelt hätte, woraus dann sogleich zur Evidenz deutlich geworden wäre, 
glaube ich, daß unter Verba nur Infinitivi und Partizipien (die keine 
eigentlichen Verba sind) oder Nebensatzverba, Conjunctivi und 
Optativi (die nur halbe Verba sind) zu verstehen waren und nicht 
die Indikativ-, Präs.-Formen des Hauptsatzes.“ Auch Verfasser wird 
vielfach in der Lage sein, zu zeigen, wie an der Knappheit der Protokolle durch 
Nichtbeachtung klinisch anscheinend wertloser Erscheinungen 1 ) und insbesondere 
an dem Fehlen wörtlicher Wiedergabe pathologischer Sprachformen die Lösung 
mancher darin vorgezeichneter, auch sprachpsychologischer Probleme scheitert. 
Und deshalb scheint ihm der Hinweis auf alles das, was vom Standpunkte 
moderner Sprachpsychologie an einem Falle zu beachten und zu studieren ist, 
von so eminenter Bedeutung. — 

Mit Recht stellt neuestens Heilbronner die Aufnahme aphasischer 
Sprachproben mittelst des Phonographen als das Ideal der Beobachtung hin; 
man wird sich vorläufig mit den hier gewünschten Verbesserungen wohl be¬ 
gnügen können. Dazu sei angemerkt, daß selbst eine phonographische Wieder- 

x ) Wenn wir früher anläßlich der Erörterung der Merkwürdigkeiten darauf 
hinweisen konnten, daß sie es sind, in deren Gebiet sich ganz vorwiegend der 
Fortschritt vollzieht, so gilt das Gleiche auch von den anscheinend klinisch wert¬ 
losen Erscheinungen. Das Unverstandene wird als wertlos auch meist übersehen; 
sein Verständnis ist es, das regelmäßig den Fortschritt der Erkenntnis einleitet. 



Vorrede und Einleitung. 


51 


gäbe noch nicht alles erschöpft, was beim Studium der Sprache zu fixieren 
ist; man wird sich auch klar zu machen haben, daß die so zustande gebrachte 
Fixation der Erscheinungen doch erst wieder von einer Analyse derselben in 
den hier angezeigten Richtungen gefolgt sein müßte; die wäre aber gewiß 
an Phonogrammen nach mancher Richtung hin überhaupt nicht mehr durch¬ 
führbar, so z. B. bezüglich mancher in das Gebiet der Phonetik übergreifenden 
Erscheinungen, die nur am Kranken selbst studiert werden können. Es sei 
nur hingewiesen auf die von Marbe erfundene „Verwendung rußender Flammen 44 
(Zeitschr. f. Psych. 49, S. 206 ff.) in der Frage der Sprachmelodie und des Satz¬ 
rhythmus, die, wie Verfasser schon früher erwiesen, auch bei Aphasischen 
sich gestört erweisen können. 

Alle diese und ähnliche Erwägungen gipfeln darin, daß es jedenfalls auch 
zur Förderung der pathologischen Forschung selbst beitragen wird, wenn sich 
die Pathologen dessen bewußt werden, was die Sprachpsychologie von ihnen 
erwartet und geleistet zu sehen auch berechtigt ist. — 

Verfasser muß es als einen für seine Arbeit besonders glücklichen Um¬ 
stand bezeichnen, daß gerade in dem letzten Jahrzehnt die Beziehungen zwi¬ 
schen Sprechen und Denken, auf die für die Erlangung eines weiter aus¬ 
greifenden Verständnisses der Aphasiefragen immer wieder zurückzukommen 
ist, den Gegenstand eingehender Studien sowohl seitens der Psychologen wie 
seitens der Linguisten gebildet. Verfasser muß gestehen, daß, w r enn nach der 
beabsichtigten Richtung hin einiger Fortschritt durch seine Schrift erzielt 
wird, er dies vor allem den grundlegenden Arbeiten von Binet, Bergson, 
Marbe, Külpe und ihrer Schüler, endlich B. Erd mann auf der einen, den 
zusammenfassenden Werken von Wundt, van Ginneken und Sechehaye 
auf der anderen Seite zu verdanken hat 1 ). 

Eben dieser so glückliche Umstand läßt von einem anderen Gesichts¬ 
punkte aus den gegenwärtigen Zeitpunkt als geradezu prädestiniert für einen 
Versuch wie den vorliegenden erscheinen. Niemand, der die Entwicklung der 
Psychologie, wie sie sich jetzt vor unseren Augen vollzieht, unvoreingenommen 
betrachtet, kann sich dem Eindrücke entziehen, daß die ganze Lehre, aber in 
besonderem Maße die Denkpsychologie im engeren Sinne, in voller Umwälzung 
begriffen ist; Tatsachen und Terminologie weisen z. T. eine so vollständige 
Änderung auf, daß der Versuch, die so gewonnene neue Psychologie an die 
Pathologie heranzubringen, in einem späteren Zeitpunkte weit größeren und 
natürlich immer zunehmenden Schwierigkeiten begegnen müßte als jetzt, wo 
dieses unausweichliche „Umlemen“ seitens der Pathologen sich noch in einem 
gewissen Gleichgang mit den Änderungen der Normalpsychologie vollziehen 
kann. Noch aus einem anderen Grunde erscheint der eben charakterisierte 
Zeitpunkt als der geeignetste, die Resultate jener gewaltigen Uimvälzung für 
eine Reform der Aphasielehre zu verwerten; sie kann sich diese Resultate so¬ 
zusagen in statu nascenti nicht bloß besser an eignen, sondern sie wird dadurch 
befähigt, auch schon ihrerseits in jenen Prozeß der Umformung einzugreifen 
und den ihr gebührenden Einfluß zu nehmen, nicht zum wenigsten als kriti¬ 
scher Maßstab für das Erreichte. 

J ) Die bedeutsame Schrift von A. D. Sheffield (Grammar and Thinking, 
1912) konnte bei dem jetzt erscheinenden Teile nicht mehr so voll ausgenutzt werden, 
wie sie es verdiente. 


4 ! 



52 


Vorrede und Einleitung. 


Es würde dem Ideale einer in diesem Sinne ausgestalteten Aphasielehre 
entsprechen, wenn sich für alles das, was sich theoretisch in Hinsicht der Patho¬ 
logie aus der Sprachpsychologie gewinnen läßt, entsprechende Tatsachen auch 
schon jetzt in der Sprachpathologie nach weisen ließen; trotzdem das aber noch 
recht fern liegt, scheint dem Verfasser der eingeschlagene Weg doch der rich¬ 
tigere als das bisherige Gehenlassen; und wenn das Resultat dieser Schrift 
auch nur zu der Einsicht führte, daß die Klinik mehr als bisher die so gewon¬ 
nenen *) Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat, so wäre schon damit ein ge¬ 
nügender Erfolg der ganzen Arbeit für den Verfasser erwachsen. 

Die so weit ausgreifende Behandlung eines klinisch so wenig bedeutsamen 
Kapitels, wie es der Agrammatismus ist, brächte das ganze leicht in die Ge¬ 
fahr, in eine nur für einen kleinen Kreis von Spezialisten brauchbare Mikro- 
logie auszuarten; deshalb war, wie schon gesagt, Verfasser bemüht, seine Arbeit 
von vorneherein über diesen engen Rahmen hinauszuheben. Zweierlei war 
dazu vonnöten; einerseits möglichst viele der Tatsachen hervorzuholen, durch 
die das Thema mit dem ganzen Gebiete der Aphasie und aller anderen 
Sprachstörungen ähnlicher Genese zusammenhing und alles zur Erklärung 
heranzuziehen, was zum Verständnis solcher Zusammenhänge dienlich sein 
könnte. Erleichtert wurde das dadurch, daß der Agrammatismus klinisch und 
lokalisatorisch im engsten Zusammenhang mit den anderen psychologisch 
wuchtigen Störungen steht und auch schon dadurch das über ihn Festgestellte 
von aufklärender Bedeutung für alle übrigen wird; die enge Verknüpfung der 
im Sprechen vereinigten einzelnen Prozesse ließ es von vorneherein ganz aus¬ 
geschlossen erscheinen, die Vorgänge, welche sich als Agrammatismus dar¬ 
stellen, reinlich geschieden und ohne Berücksichtigung der übrigen behandeln 
zu können. Es ergab sich vielfach die Nötigung, aus allgemeinen und aus 
differentialdiagnostischen Gesichtspunkten auch die verschiedenen anderen 
aphasischen Störungen zu behandeln und auch das trägt dazu bei, die vor¬ 
liegende Schrift aus dem Rahmen einer eng umschriebenen Monographie hinaus¬ 
zuheben. So bilden die in der Aufschrift hervorgehobenen agrammatischen 
Sprachstörungen eigentlich nur das einigende Band für die der Aphasie ins¬ 
gesamt gewidmeten Studien; das findet aber darin seine Berechtigung, daß 
der Agrammatismus als die Pathologie des Satzes den Zentralpunkt der 
Aphasielehre darstellt. 

Mit der Frage, wie das, was wir Grammatik und Syntax als Funktionen 
der Sprache nennen, zu Stande komme, welche Faktoren dabei mitwirken, 
hat man sich bisher klinischerseits noch nicht beschäftigt; sie rückt jetzt in den 
Vordergrund unseres Interesses und wir w r erden Umschau zu halten haben nach 
dem, was darüber von seiten der Sprachpsychologen und Sprachforscher 
festgestellt worden *). Denn nur durch das Verständnis, wie sich die in der 

*) Daß es doch auch an solchen nicht fehlt, beweist die eine Feststellung, daß 
sich der Agrammatismus in den verschiedenen Sprachstämmen verschieden darstellen 
muß, was bisher, trotzdem an den einschlägigen Arbeiten auch Mitglieder nicht indo¬ 
germanischer Sprachen teilgenommen, noch gar keine Erörterung gefunden. 

2 ) Schon 1828 sprach W. v. Humboldt (Essai on the best means etc. in 
Transact. of the Roy Asiat. Soc. June. p. 215) von dem Vorurteil ,,as if the grammar 
w’as not as essential a part of the language as the words“. Gewiß spielt dieses Vor¬ 
urteil auch in die Pathologie der Sprache hinein und hofft Verfasser von der vorliegen¬ 
den Schrift auch dafür eine Korrektur. 



Vorrede und Einleitung. 


53 


grammatischen und syntaktischen Formulierung der Sprache zum Ausdruck 
kommenden Funktionen normalerweise entwickeln und vollziehen, werden wir 
in die Möglichkeit versetzt, die krankhaft bedingten Änderungen und den Ver¬ 
lust dieser Funktionen vor allem, aber ebensosehr die Rückbildung dieser 
Störungen zu verstehen; es kann aber auch nur auf diesem Wege ein Ver¬ 
ständnis für die gewiß nichts Zufälliges und Unregelmäßiges darstellenden 
Formen des Agrammatismus erreicht werden, insofern die Regelmäßigkeiten 
desselben aus der Ordnung der der Grammatisierung zugrunde liegenden 
psychologischen Vorgänge folgen. 

Zur Begründung des ersten der angeführten Momente ist nicht viel zu 
sagen, soll doch die ganze Darstellung in dem Nachweise gipfeln, daß die gram¬ 
matische und syntaktische Formulierung der Sprache eine besondere, ihrer¬ 
seits wieder in mehrfache Etappen zerfallende Phase in der Serie der die For¬ 
mulierung des Gedankens zusammensetzenden Vorgänge darstellt. 

Es ist vielleicht nicht überflüssig, hier darzulegen, daß dieser Gesichts¬ 
punkt vom etappenmäßigen Aufbau der Sprachfunktionen durchaus kein der 
Pathologie fremder ist. G. E. Müller (Zur Analyse der Gedächtnistätigkeit I. 
1911, S. 41) weist von der von ihm gewonnenen Annahme eines etappenweisen 
Aufbaues der Apparate für die Gedächtnisleistungen aus darauf hin, daß ein 
solcher Ausbau in der Aphasielehre keine genügende Berücksichtigung gefunden. 
Es muß demgegenüber auf die ganze Lehre von Hughlings Jackson hinge¬ 
wiesen werden, die ja auch schon Kuß maul (Störungen der Sprache 1877, 
S. 102), wenigstens teilweise ganz präzise formuliert hat: ,,Wie das Wort als 
motorischer Akt aus übereinandergestuft zu immer höheren Ordnungen sich 
fügenden Bewegungseinheiten zusammengesetzt ist, so kann auch das Wort 
als sensorischer Akt ein Komplex von Empfindungseinheiten sein, die von 
unten nach oben in wachsender Gliederung sich zusammenordnen.“ Wir 
wissen jetzt, daß dieses „Gesetz“ auch für die höheren Zusammenfassungen 
nicht zum wenigsten auf Grund pathologischer Forschung festgestellt erscheint. 
Es bietet dem Verfasser, der seit langem zunächst zo ziemlich als der einzige 
in Deutschland die Jackson sehen Thesen, insbesondere in der Aphasielehre, 
vertreten hat, eine nicht geringe Befriedigung, daß es ihm im Vorliegenden 
gelungen ist, der etappenweisen Reevolution der Worttaubheit und dem in 
gleicher Weise gegliederten Aufbau des Sprachverständnisses (siehe die Schrift 
„Über das Sprachverständnis, 1909) eine, wenn auch vielfach nur angedeutete, 
Skizze eines ebensolchen Aufbaues im expressiven Teil der Sprache an die 
Seite zu stellen *). 

l ) Nachträgl. Bemerk. Es ist ein allerdings entschuldbarer Irrtum, wenn 
Fachmänner auf anderen Gebieten dadurch, daß diese wichtigste Seite der Lehren 
Hughlings Jacksons selbst von den Neurologen nicht genügend beachtet wird, 
zu der Ansicht kommen, der neuerlich Jaensch (Über die Wahrnehmung des Raumes. 
Ergänz. Bd. 6 z. Zeitschr. f. Psychol. 1911, S. 89, Anm.) Ausdruck verleiht: „erst 
seit relativ kurzer Zeit hat man begonnen, der Tatsache, daß das Zentralorgan einen 
geschichteten Bau besitzt, in der Lehre von der Hirnlokalisation und Hirnfunktion 
eine tiefergehende Bedeutung zuzumessen“. Man vergleiche damit die wahrhaft 
lapidaren, leider nicht vollständig abgedruckten Croonian Lect. von Hughlings 
Jackson aus dem Jahre 1884, um die Verdienste dieses Pathologen um die Grund¬ 
legung nicht bloß der Aphasielehre, sondern der ganzen Nervenpathologie voll wür¬ 
digen zu können; daß diese indirekt auch der gesamten Psychologie zugute kommen 
muß, leuchtet wohl ohne weiteres ein. 



54 


Vorrede und Einleitung. 


Wenn bisher auch im Kreise der sich eingehender mit den allgemeinen 
Problemen der Aphasielehre befassenden Forscher wenig Neigung bemerkbar 
ist, diese im Sinne der Jacksonschen Lehre von der Dissolution und Evolu¬ 
tion des Nervensystems zu betrachten, so ist daran nicht zum wenigsten der 
mangelhafte Einblick in die gestörten Funktionen schuld; die groben Störungen, 
wie sie in den Hauptformen der Aphasie uns entgegen treten, hindern einerseits 
den Einblick in die Einzelheiten der massiv gestörten Funktionen und anderer¬ 
seits ist das Jacksonsche Gesetz von dem staffelförmigen Niedergang der 
Funktionen nur dann erkennbar, wenn die wirklichen Einzelfunktionen in ihrem 
Aufbau und Niedergang der Beobachtung zugänglich sind. Das war aber 
bisher auch deshalb gestört, weil dem Schema zuliebe Funktionen in eine Ein¬ 
heit zusammengefaßt wurden, die erst in ihrer Dezentralisation der verständnis¬ 
vollen Beobachtung zugänglich werden. Unter diesen Umständen fehlte es 
natürlich vielfach an den Tatsachen, zuweilen freilich nur scheinbar, die ge¬ 
eignet gewesen wären, als Stütze für die Richtigkeit der Aufstellungen Hugh- 
lings Jacksons zu dienen. Verfasser hofft, wie schon früher, so auch in diesen 
Studien der Lehre dieses Gesetzgebers der Neurologie neue Stützen bieten 
zu können. 

Endlich gab es eine Reihe von theoretischen Fragen — Verfasser nennt 
nur als Beispiel die sogenannte Ri bot sehe Regel von der Reihenfolge der 
Wortkategorien in dem Dissolutionsprozesse der Sprache — deren Behandlung 
ohne umfassende Berücksichtigung aller in den verschiedensten Aphasieformen 
darüber gewonnenen Erfahrungen ganz untunlich erscheint. Man hat der 
bisherigen Formulierung jener Regel die Annahme zugrunde gelegt, daß die 
verschiedenen Wortkategorien durchaus gleichartige sind und jene Regel sich 
einfach aus der Berücksichtigung des zeitlichen Momentes ergibt; schon der 
zuvor zitierten Äußerung van Ginnekens ist der prinzipielle Fehler dieser 
Ansicht zu entnehmen. Man hat bei der Aufstellung des Ribotschen „Ge¬ 
setzes“ den Ausfall der selbstbedeutenden Worte, der Semantika (Marty), 
einfach neben den der Synsemantika oder mitbedeutenden Wörter gesetzt 
und dabei sich über eine wichtige klinische Differenz einfach hinweggesetzt, 
die an sich schon den Pathologen auf die dadurch nahegelegte Annahme 
differenter psychologischer Grundlagen hätte hinw-eisen können; der amne¬ 
stisch Aphasische sucht nach dem ihm fehlenden Worte, er hat fortdauernd die 
Empfindung des Unvollständigen seiner Rede; der im Telegrammstil oder in In¬ 
finitiven redende Aphasische stockt, w enn es sich nicht um einen Fall motorischer 
Aphasie handelt, die w ir als Grundlage eines Pseudo - Agrammatismus kennen 
lernen werden, auch nicht einen Augenblick in seiner Rede, er hat überhaupt 
nicht das Gefühl, daß etw r as in seiner Rede fehlt, was er zu suchen hätte (auch 
in Fällen, wo er das Bewußtsein seines Sprachdefektes hat). 

Wie aber andererseits eine nur teilweise richtige Auffassung von den 
psychologischen Grundlagen der etwa ausgefallenen Wörter auch wieder die Deu¬ 
tung, pathologischer Erscheinungen beirren kann, mag nachstehendes illustrieren. 
Renan (De l’orig. du lang. 3. ed. 1859, p. 132), der die zuvor erwähnten 
zwei Wortkategorien im Anschluß an Aristoteles und die Grammaire generale 
von Port Royal als „mots pleins et inots vides“ *) bezeichnet, legt diesen 

1 ) Im Kapitel vom Bedeutungsproblem findet sich eine ausführliche Darstel¬ 
lung dieser Anschauung. 



Vorrede und Einleitung. 


55 


letzteren einen subjektiven Faktor unter, eine rein psychologische Grundlage, 
im Gegensätze zu den mots pleins, die „Gegenständen“ entsprechen (mots 
objectifs); wäre das vollständig richtig, dann müßte man bezüglich der mots 
subjectifs x ) in Rücksicht der stärkeren Resistenz der subjektiven Faktoren 
im Dissolutionsprozesse aimehmen, daß ihr Ausfall auch klinisch sich als ein 
Spätsymptom darstellen müßte; das ist nun in der Tat regelmäßig der Fall. 
Der Agrammatismus, der ja diesem Ausfall entspräche, kommt aber auch als 
Frühsymptom bzw. isoliert vor, was nicht anders gedeutet werden kann, als 
daß der ihm zugrunde liegende gestörte Vorgang ein andersartiger, bzw. anders 
lokalisierter sein muß als der, der den Verlust der „mots pleins“ nach sich 
zieht. Wir wissen jetzt, daß jedem einzelnen Worte neben dem begrifflichen 
Inhalt auch ein Gefühlswert zukommen kann; daß diese beiden, im Normalen 
vereinigt, in aphasischen Prozessen isoliert geschädigt sein können, zeigt der 
Fall der amnestischen Aphasie, wo bei fehlender Darstellung des begrifflichen 
Inhalts die des Stimmungsinhaltes erhalten geblieben sein kann; damit stimmt 
wieder überein, daß diejenigen Wörter, deren begrifflicher Inhalt ganz im Ge¬ 
fühlswert aufgegangen ist (siehe K. O. Erd mann, Die Bedeutung des Wortes. 
2. Aufl., 1910, S. 114) beim Aphasischen oft als letzter Sprachrest noch erhalten 
geblieben sind. Es wird auch, um ein anderes Beispiel zu nehmen, gewiß für 
die in Rede stehende Formel nicht gleichgültig sein, ob man die Adjektiva 
in eine Linie mit den Adverbien und Präpositionen zu den Beziehungswörtern 
stellt, wie Lloyd Morgan (An Introd. to comp. Psych. 2. ed. 1903, S. 272) 
oder nicht. 

Eine von den eben dargelegten Gesichtspunkten ausgehende Betrach¬ 
tung der klinischen Tatsachen führte von selbst eine weitere Ausdehnung des 
der Arbeit gesteckten Rahmens herbei, insoferne sich zeigte, daß nicht bloß 
grobe Hirnläsionen, erworbene oder schon in der Anlage sich vollziehende, 
sondern auch funktionelle Störungen, die in das Gebiet der Psychiatrie ran¬ 
gieren, auf klärende Beiträge zur Pathologie des Agrammatismus liefern; ja 
der Kreis des hier zu Behandelnden wird scheinbar fern abliegende Einzel¬ 
heiten der Psychopathologie, z. B. die „dreamy States“ von H. Jackson, um¬ 
fassen, die nicht bloß nach der Seite der Symptomatologie, sondern selbst 
der topischen Diagnostik, wichtige Aufklärungen bringen sollen. Auch sonst 
ergab sich eine Menge von Fragen, die organisch oder inzidenter hier mitbe¬ 
handelt werden mußten, so daß dadurch für alle, die am Studium dieser Stö¬ 
rungen ein Interesse haben, Veranlassung gegeben ist, von den Intentionen 
der vorliegenden Arbeit Kenntnis zu nehmen. 

Auf Schritt und Tritt hofft Verfasser den Nachweis liefern zu können, 
daß nicht bloß eine Berücksichtigung der Sprachwissenschaften im allgemeinen, 
sondern auch ein eingehenderes Studium scheinbar fernab liegender Materien 
derselben sich notwendig machte. Hier sei nur ein solcher Fall vorgeführt: 
Es ist eine schon seit langem in der Lehre von der Aphasie bekannte auffällige 
Erscheinung, daß in der Heilung agrammatischer Zustände alles gelegentlich 
sich restituiert, bis auf eine vereinzelte Kategorie von Redeteilen. Da zum 
Verständnis dieses eigentümlichen Sachverhaltes die alte Lehre von den in 
dem betreffenden Zentrum „niedergelegten Erinnerungsbildern“, oder, wie sie 

l ) „Ne designant qu’une relation ou une vue de l’esprit“. 



56 


Vorrede und Einleitung. 


sehr gut Marshall bezeichnet, die ,,Kästchen theorie“ nichts taugt 1 ), muß 
die Aufklärung darüber in funktionellen Momenten gesucht werden; es ist 
ersichtlich, daß solche Momente nur dem bezüglich der psychologischen 
Wertung der Redeteile Bekannten entnommen werden können und deshalb 
mußte auch auf die Lehren der sogenannten allgemeinen Grammatik rekur¬ 
riert werden. Wenn nun auch bei dem imfertigen Zustande dieser Disziplin 
hiervon keine ausreichende Aufklärung des Pathologischen ausging, so war 
doch damit der prinzipielle Standpunkt in diesen und ähnlichen Fragen 
markiert. 

Verfasser kann es sich nicht versagen, bei dieser Gelegenheit jener Theorie 
von den Erinnerungsbildern noch einige Bemerkungen schon hier zu widmen, 
weil sie oft ganz imbewußt selbst in die neuesten Darstellungen sich einschleicht 
und zu den folgenschwersten Fehlschlüssen führt. Das ist der Fall, wenn mit 
ihr als etwas sozusagen Erwiesenem zu weiterer Beweisführung manipuliert 
wird; z. B. wenn Kuß maul und Eskridge daraus den Schluß ziehen, daß 
deshalb, weil Sätze nicht wie Worte im Gedächtnis für den Gebrauch aufge¬ 
stapelt sind, der Agrammatismus auf psychischer Störung beruhe (Eskridge, 
The med. News. Sept. 19. 1896, p. 6). Wir werden m der Lehre vom Satze 
hören, daß dieser die Einheit darstellt und das dem gemeinen Manne fehlende 
Gefühl für die Isoliertheit der einzelnen Worte das Richtige trifft; dadurch 
könnte ein Anhänger strenger Observanz nur zu der Folgerung veranlaßt werden, 
daß auch ganze Sätze als Erinnerungsbilder abgelagert werden, und deshalb 
die Ansicht Kußmauls und Eskridges eine irrtümliche sei. Daß die Auf¬ 
stellung dieser Prämisse durchaus nicht bloß fingiert ist, läßt sich leicht an 
allerneuesten Darstellungen der Aphasie erweisen. 

Es kann allerdings als Entschuldigung für das Festhalten an der „Kästchen¬ 
theorie“ seitens der Pathologen dienen, daß sie noch neuestens auch von einem 
psychologisierenden Logiker wieder aufgenommen worden. A. Stöhr (Lehrb. 
d. Logik in psychologis. Darstellung 1910, S. 70) nimmt u. a. innerhalb 
des motorischen Sprachzentrums für jedes Wort ein lokalisiertes Miniatur¬ 
zentrum (!) an. Man sehe demgegenüber doch nur zu, wie die Lehre von der 
Lokalisation der Erinnerungsbilder gerade bei der Erklärung des Agramma¬ 
tismus Schiffbruch leiden muß; die Deposition der akustischen Erinnerungs¬ 
bilder im Schläfelappen müßte zu der weiteren Annahme eines dort lokali¬ 
sierten Archäus führen, der auf Grund seiner erworbenen grammatischen 
Kenntnise nicht bloß die Wortfolge regelt, sondern im Indogermanischen auch 
die Wörter flektiert, oder im Ungarischen die Prä- und Suffixe entsprechend 
postiert. Man ziehe w*eiter die entsprechende Konsequenz für den Agramma¬ 
tismus eventuell gar eines Polyglotten, um sich klar zu werden, daß nur eine 
auf dem psychologischen Verständnis der Einzelheiten basierte funktionelle 
Hypothese den Tatsachen gerecht werden könne. 

Wenn wir zum Verständnis der krankhaften Spracherscheinungen als 
gestörter Funktionen infolge abnormer Bedingungen die Linguistik im all¬ 
gemeinen heranziehen, so gehen wir dabei nicht anders vor, als die Linguisten 
selbst bei der Feststellung dessen, w r as sie an den Sprachen im besonderen 

x ) Natürlich sind nicht alle Pathologen Anhänger der Kästchentheorie, der 
Erinnerungszellen, gewesen; so hat z. B. H. Sachs (Vorträge über Bau und Leistungen 
des Großhirns, S. 103) schon 1893 sich sehr energisch gegen eine solche ausgesprochen. 



Vorrede und Einleitung. 


57 


studieren. Auch für die allgemeine Linguistik dient das, was aus dem Studium 
der Einzelsprachen über das Funktionieren unter den für die einzelnen besonderen 
Bedingungen festgestellt worden, zur Erklärung der Besonderheiten in jeder 
einzelnen; und wenn der Linguist Meillet nur diese Methode als wissenschaft¬ 
lich zulässige bezeichnet (Introd. ä l’et. comp. d. lang, indo-europ. 1903, p. 9), 
so bietet auch das ein Argument für die Benützung der allgemeinen Linguistik 
für die Zwecke der Pathologie, ebenso wie es zur Beruhigung der Pathologen 
dient hinsichtlich der Methodik für die Erlangung des ihnen aus der Linguistik 
zugeführten Materials. 

Das zweite Moment, das mikrologischer Beschränktheit entgegenwirken 
sollte, ist der Versuch, für das Verständnis des Pathologischen das, was bisher 
an unbenützten Materialien in den Hilfswissenschaften aufgestapelt war, endlich 
einmal zum Teil vollständig, zum Teil wenigstens andeutend, auszuschöpfen. 
Daß unter den in Betracht kommenden Wissenschaften die Psychologie in erster 
Linie stand, motiviert sich schon daraus, daß jener Abschnitt derselben, der 
die Probleme der Sprache, insoweit sie psychologische sind, in sich faßt, jetzt 
einen besonderen Teil derselben als Sprachpsychologie darstellt, der auch 
seinerseits schon nicht achtlos an den Problemen der Sprachpathologie vorüber¬ 
gegangen. 

Es hätte diesen Teil der Arbeit wesentlich erleichtert, hätte sich Ver¬ 
fasser auf das beschränkt, was diese Sprachpsychologie an Stoff für das Thema 
darbot; aber schon ein äußeres Moment verbot ein solches Vorgehen. Gerade 
im letzten Dezennium haben sich Psychologen anderer Richtung (Verfasser hat 
hier insbesondere die sog. Würzburger Schule 1 ) im Auge) in so eingehender 
Weise mit den Denk Vorgängen befaßt und dabei so viele Tatsachen auch be¬ 
züglich der Zusammenhänge vom Sprechen und Denken zutage gefördert, daß 
schon dadurch jene Beschränkung untunlich erschien. So lückenhaft auch 


x ) Die Tatsache, daß diese Schule die „Introspektion“ für die Zwecke der 
experimentellen Untersuchung des Denkens geradezu methodisch fortentwickelt 
hat, einzelne auf Psychophysiologie gegründete Schulen aber gerade jene Richtung in 
der Psychiatrie ablehnen, gibt Anlaß zu einigen Bemerkungen. In direktem Gegen¬ 
sätze zu dieser bekanntlich auf Comte zurückzuführenden Haltung hat Verfasser 
seit jeher diese Richtung gepflegt und wenn ihn nicht alles täuscht, hat die früher 
verfemte methodologische Ansicht doch in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung 
gewonnen; und so findet deren Anwendung in der Psychiatrie ihre nachträgliche 
Rechtfertigung von der Psychologie her; dementsprechend kann es auch nicht als 
Zufall angesehen werden, daß auch in der Sprachpathologie, insoweit sie mit der 
Psychiatrie in Beziehung steht, die introspektive Methode Anwendung gefunden 
hat. (S. Stransky, Über die Sprachverwirrtheit. 1905.) 

Es sei in diesem Zusammenhänge auf die Beweisführung H. R. Marshalls 
(Psychol. Rev. 1908, p. 32) hingewiesen „that each step they (die Naturforscher) 
take in their work is in the end based on this introspection“. Vgl. dazu auch die 
Widerlegung, die ein so ausgesprochener Parteigänger der physiologischen Psycho¬ 
logie wie W. Mc. Dougall (Physiol. Psych. 1908, p. 12 f.) der Verachtung vieler 
Psychologen für die Feinheiten introspektiver Psychologie widmet. 

Nachträgliche Bemerkung. Wenn neuestens J. B. Watson (The Psychol. 
Rev. 1913 march p. 158) der introspektiven Psychologie die des „Behavior“ als 
richtiger entgegenstellt, so wird sich noch in diesem ersten Teile Gelegenheit finden, 
die Verbindung beider für Zwecke der Pathologie zu präkonisieren. Das involviert 
umsoweniger einen Widerspruch, als Watson selbst (1. c. p. 175) eine Verbindung 
von funktioneller Psychologie mit der des „Behavior“ als möglich hinstellt. 



58 


Vorrede und Einleitung. 


noch das Material, so kontrovers viele Einzelheiten sind, so aussichtsreiche 
Perspektiven eröffnet das, was davon für unsere Fragen verwertet werden 
konnte. Die v on der genannten Schule*) eingeleitete Umgestaltung der 
Psychologie vollzieht sich übrigens so rasch, daß es höchste Zeit ist, daß die 
Pathologie endlich von diesen Dingen Kenntnis nehme, will sie noch weiter¬ 
hin als ebenbürtiges Glied im Kreise der psychologischen Disziplinen 
gelten *). 

Welchen Umfang gerade dieses Material schon jetzt gewonnen, wüßte 
Verfasser nicht besser zu exemplifizieren, als durch den Hinweis auf die Fülle 
des hier davon zu Berichtenden im Gegensatz zu der Monographie von H. Ch. 
Bastian, in der das Kapitel über die Beziehungen zwischen Denken und 
Sprechen knapp 14 Seiten umfaßt; ähnlich knapp ist die Darstellung, die 
van Ginneken in seinen „Principes“ dem „Chemin de la representation 
d’une chose ä l’image verbale“ widmet. 

Wenn Verfasser es zuvor abgelehnt hat, sich in der Verwertung des 
psychologischen Stoffes auf den von der eigentlichen Sprachpsychologie dar¬ 
gebotenen Umfang desselben zu beschränken, so konnte es ihm noch weniger 
beifallen, sich auf ein bestimmtes „System“ derselben, etwa das Wundtsche, 
einfach einzuschwören und dem darin Gebotenen das pathologische Geschehen 
anzupassen, eine Methode, von der zum Schaden der Sache auch bei psychiatri¬ 
schen Themen gelegentlich Gebrauch gemacht wird. Es schien im Interesse 
der Sache das Richtigere, dem Leser selbst die differenten Ansichten vorzu¬ 
führen und eventuell die Entscheidung zu überlassen; ein solches Verfahren 
entspricht auch besser der eklektischen Neigung des Verfassers, von überall¬ 
her das Beste und vor allem das zu nehmen, was mit den Tatsachen der Patho¬ 
logie zwanglos in Einklang zu bringen war und dadurch seinerseits eine Unter¬ 
stützung erfuhr; damit war dann auch für die Sprachpsychologie der ent¬ 
sprechende Gewinn gegeben. 

Es ist ja bisher in den einschlägigen Fragen begreiflicherweise meist auf 
Wundts große Monographie zurückgegangen worden, aber abgesehen von dem 
Widerspruch, den derselbe in vielen Fragen und zwar gerade in den für die 
Lehre von den Aphasien belangreichsten gefunden, sprach ein prinzipielles 
Bedenken gegen eine Wiederholung jenes Verfahrens durch den Verfasser. 
Es wird sich im Laufe der vorliegenden Darstellung ergeben, daß das gewohn- 

1 ) Da Wundt noch in der neuesten (6.) Auflage seiner physiologischen 
Psychologie verschiedene von der oben genannten Schule gewählte und auch hier 
verwertete Bezeichnungen ablehnt, sei hier eine Bemerkung Messers (Deutsche 
Lit. Ztg. 1912, S. 209) angeführt, daß die gebrauchten Bezeichnungen („Bewußt¬ 
seinslage“, „Bewußtheit“ u. a.) lediglich deskriptiven Zwecken dienen. „Sie sollen 
gerade diese Momente an den Bewußtseins Vorgängen bezeichnen, die bei den früheren 
Bewußtseinsanalysen (auch denjenigen Wundts) nicht in ihrer Eigenart anerkannt 
worden waren“. Es ist einleuchtend, daß gerade dieser Gesichtspunkt, der hier an 
anderer Stelle erörterten Arbeitsmethode des Verfassers entgegen kam; daß die von 
den „Würzburgern“ gefundenen Erscheinungen in oft überraschender Weise mit 
den in der Pathologie nachweisbaren in Einklang standen, wird sich später vielfach 
zeigen. 

2 ) Damit will sich Verfasser einem Proteste gegen die von Möbius proklamierte 
„Hoffnungslosigkeit aller Psychologie“ anschließen, dem hinsichtlich der Psycho¬ 
pathologie schon A. Meyer (The psychoi. Bullet. IV, 1907, p. 171) in einer kaum 
zu übertreffenden Weise Worte verliehen hat. 



Vorrede und Einleitung. 


59 


heitsmäßige und traditionelle Sprechen des „gemeinen Mannes“ als das im 
Pathologischen wichtigste besonders zu berücksichtigen ist; gerade das aber 
hat Wundt (siehe die Kritik Scheinerts von Sechehayes Buch, Liter. 
Zentralbl. 1909, S. 296) nicht analysiert 1 ); dafür also mußte anderwärts Auf¬ 
klärung gesucht werden. Wie Sprachforscher über diesen Punkt denken, 
drückt sehr prägnant v. d. Gabelentz (Die Sprachwissenschaft, II. Aufl. 
S. 45) aus, indem er von der Sprache des „gemeinen Mannes“ sagt, „sie ver¬ 
rate, gerade weil sie so unbewußt natürlich aus der Seele hervorbricht, dem 
Beobachter eine Menge Geheimnisse . . . das Natürliche ist immer feiner, als 
das Gemachte“. Und noch schärfer präzisiert sich dieser Standpunkt, seitdem 
die Dialektologie in ihrer vollen Bedeutung erkannt worden; neuestens sagt 
Dauzat (La philos. du lang. 1912, p. 213) von der gesprochenen Sprache, 
sie sei für den Linguisten die einzige in Betracht kommende. Man kann bei 
der Wertschätzung der „Sprechsprache“ auch nicht mehr übersehen, daß 
Sätze im Sinne der Logik und der von dieser beeinflußten, bisher in der Patho¬ 
logie einzig verwerteten Psychologie „meist nur Sache höherer Bildung und auch 
dann nur im Schreibstil eigentlich herrschend sind“ (Wechsler, Gibt es Laut¬ 
gesetze? in der Festschrift f. Suchier 1900, S. 366); derselbe Autor weist 
auch darauf hin, daß sich leicht statistisch erweisen ließe, daß in der Umgangs¬ 
sprache der Gebildeten ein verhältnismäßig großer Prozentsatz primitiver 
Sprachgebilde, die nicht Sätze sind, Vorkommen. Selbst für die alten Sprachen 
sind sich die Philologen jetzt darüber klar, daß sie so, wie die Schulgramma¬ 
tiker lehren, in Wirklichkeit niemals gesprochen worden, das Leben viel reicher 
w'ar. als die dürftigen Regeln der Schulgrammatik ahnen lassen (Gercke, 
Einl. in d. Altert. Wiss. v. Gercke u. Norden I. 1910, S. 95); und Kretsch¬ 
mer (1. c. ibid. S. 221) sagt es direkt, daß für die Syntax der Ausgangspunkt 
der Betrachtung die gesprochene Sprache sein müsse. 

Man konnte bei der Frage, inwieweit etwa eine engere Anlehnung an 
Wundts Mongraphie im Interesse der Sache gelegen war, endlich auch nicht 
übersehen, daß ihre Grundlagen strikte mit seinem psychologischen Systeme 
zusammenfallen und daß diese Beschränkung vielfach als der vollen Entfaltung 
der Sprachpsychologie nicht zuträglich betrachtet wurde; in diesem Punkte 
vereinigen sich die Mehrzahl der Kritiken; vgl. die von Haies (Mind XII. 
n. s. 1903, S. 239) und die Zustimmung, mit der sie van Ginneken begleitet; 
auch Titchener, sonst ein prinzipieller Anhänger Wundts, bemängelt (Lect. 
on the exper. Psych. of the Thought-processes, 1909, p. 198) den schemati- 

*) Auch 0. Dittrich aus der Wundtsehen Schule betont in der Selbst¬ 
anzeige seiner „Grundzüge der Sprachpsychologie“ (Arch. f. d. ges. Psychol. III, 
S. 67 des Lit.-Ber.) die fast ausschließliche Benützung schriftsprachlichen Materiales 
durch Wundt; wenn er dabei darauf hinweist, daß die syntaktischen Verhältnisse 
größtenteils andere in der Sprechsprache sind, so erscheint gerade dadurch hier, 
wo die syntaktischen Verhältnisse besonders in Frage kommen, der oben hervor¬ 
gehobene Gesichtspunkt gerechtfertigt. Der Pathologe als Laie in diesen Fragen 
und von seiner Beschäftigung her auch mehr auf die Schriftsprache gewiesen, ist 
sich der einschneidenden Differenzen dieser gegenüber der Sprechsprache gar nicht 
recht bewußt; man ist förmlich überrascht, wenn man von einem Linguisten etwa 
an der Hand der Sprache des Goetz von Goethe darauf hingewiesen wird. 

Seither ist auch an den Beispielen der Wundtsehen Sprachpsychologie 
aufgewiesen worden, daß sie den Sätzen der Schullogik nicht aber der gesprochenen 
Sprache entnommen sind. 



60 


Vorrede und Einleitung. 


sierenden Einfluß der Wundtsehen Psychologie auf dessen Sprachpsychologie. 
(Vgl. die ähnliche Äußerung H. Pauls, Prinzip, d. Sprachgeschichte, 4. Aufl., 
1909, S. 7. Dem Standpunkte dieses letzteren gegenüber muß freilich betont 
werden, daß die Herbartsche Psychologie, von der vor allem Steinthal 
ausgegangen, jetzt noch viel weniger als nur halbwegs zureichende Führerin 
im Gebiete des Psychischen angesehen werden kann). Wenn Titchener an 
der erwähnten Stelle betont, daß jeder, der das ,,System“ Wundts nicht 
akzeptiert, zum Widerspruch gegen dessen Sprachpsychologie herausgefordert 
ist, so gilt das natürlich noch viel mehr für denjenigen, der sich vom Pathologi¬ 
schen aus ihr nähert und dabei erst recht der Unmöglichkeit sich bewußt 
wird, sich beiden zu akkommodieren. 

In engem Zusammenhänge mit diesem Gesichtspunkte steht ein zweiter, 
den Gardiner (Psych. Rev. 1902, p. 590 ff.) und H. Paul (1. c. S. 122) hervor¬ 
gehoben, daß nämlich Wundt in seiner Satzlehre nicht genügend den Stand¬ 
punkt des Hörers berücksichtigt hat. Wir werden sehen, daß gerade die Be¬ 
rücksichtigung dieses Gesichtspunktes in der Psychologie des Agrammatismus 
von außerordentlich auf klärender Bedeutung sein wird. Aber auch für eine 
die gesamte Aphasielehre umfassende Betrachtung läßt sich die Nützlichkeit 
dieses Standpunktes erweisen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung des 
Hörers in der Sprachpathologie ergibt sich schon daraus, daß in einem über¬ 
wiegenden Teile der Aphasiefälle Störungen des Sprachverständnisses nach¬ 
weisbar sind, deren noch recht mangelhaftes Verständnis ebenfalls gewiß nur 
auf der Basis einer psychologischen Vertiefung dieser Seite des Sprach Vor¬ 
ganges weiterer Vervollkommnung zugeführt werden kann. Aber auch eine 
allgemeine Erwägung zeigt, daß ein volles Eindringen in die Psychologie des 
Sprechers nicht ohne Rücksichtnahme auf den Zuhörer möglich ist. Wenn 
wir in Betracht ziehen, daß Sprechen Mitteilen, Kundgeben ist, daß man nor¬ 
malerweise meist zu jemandem spricht, dann spielt dieser in der Psychologie 
der Sprache schon theoretisch eine nicht zu übersehende Rolle. Vom Stand¬ 
punkte des Sprechenden besehen ist die Psychologie des Hörers wichtig, weil, 
wie wir später bei der Besprechung der ,,Situation“ als eines der Sprachmittel 
sehen werden, die Fähigkeit von dieser in einer auch für den Hörer befriedi¬ 
genden Weise Gebrauch zu machen, ein wichtiges Moment für die Beurteilung 
des Sprechenden bildet. 

Den hier gegen die Verwertung eines besonderen Systems der Psycho¬ 
logie für die Zwecke der Pathologie aufgeführten Argumenten läßt sich end¬ 
lich noch ein weiteres, Wundt selbst entnommenes anreihen. Er legt (Sprach- 
gesch. u. Sprachpsych. 1901, S. 10) Gewicht darauf, daß sich die Psychologie 
der Sprache gegenüber als rein empirische Wissenschaft betätige und damit 
erscheint der hier eingehaltene Standpunkt im Hinblick auf den noch so viel¬ 
fach kontroversen Stand der einschlägigen psychologischen Fragen gerecht¬ 
fertigt. 

Der eklektische Standpunkt des Verfassers bei der Verwertung sprach¬ 
psych ologischer Tatsachen und Lehren erscheint prinzipiell dadurch gerecht¬ 
fertigt, daß es sich ihm nicht darum handeln konnte, die innere Tragfähigkeit 
und Widerspruchslosigkeit des herangezogenen Materials zu beurteilen, sondern 
daß die Brauchbarkeit für pathologische Zwecke den Maßstab dafür abgab. 
Verfasser darf mit Befriedigung konstatieren, daß diese von ihm seit Jahren 



Vorrede und Einleitung. 


61 


prinzipiell geübte Methode jetzt neuerlich von anderer Seite in den Vordergrund 
gerückt wird 1 ). 

Ist dieser Standpunkt schon der Psychologie im allgemeinen gegenüber 
am Platze, dann hat er für die Behandlung der Sprachpsychologie zu Zwecken 
der Pathologie noch mehr Berechtigung, wenn wir die Gegensätze, die schon 
prinzipiell in derselben sich geltend machen, in Betracht ziehen, ganz abgesehen 
von der Vielspältigkeit der Ansichten, die sich bezüglich der Einzelheiten er¬ 
geben. 

Der Eklektizismus, insbesondere aber die Vorlage des kontroversen 
Materials selbst, erscheinen aber auch dadurch gerechtfertigt, daß die Sprach- 
pathologie in ihrem gegenwärtigen unfertigen Zustande vielfach nicht danach 
angetan ist, auch jedesmal aus sich heraus die Handhaben zu einer Ent¬ 
scheidung bei der Wahl zwischen den verschiedenen einander widerstreitenden 
Standpunkten in jenen Wissenschaften zu bieten 2 ). Wenn Frischeisen- 
Köhler (Germ.-roman. Monatsschr. 1912, S. 250) seinen Bericht über den 
gegenwärtigen Stand der Sprachphilosophie damit schließt, daß unsere Zeit 
doch noch vornehmlich an der Präzisierung der „Aufgaben und der Ideen zu 
ihrer Lösung arbeitet“, dann erscheint jeder einseitige Anschluß, sei es an ein 
System, sei es an eine bestimmte Richtung, für die vorliegenden Zwecke gewiß 
von vomeherein ausgeschlossen. — 

Gegenüber ähnlichen Bestrebungen von K. Goldstein (Über Aphasie, 
Beih. d. med. Klinik 1910, S. 32) soll aber hier an den breiten Grundlagen einer 
allseitig befriedigenden Psychologie festgehalten werden, eine Qualität, die 
z. B. den von Goldstein benutzten Storch sehen Aufstellungen nicht zu¬ 
erkannt werden kann. Es kann nicht die Aufgabe des Verfassers sein, diese 
als Ausgangspunkt einer neuen Theorie der Aphasielehre genommene Psycho¬ 
logie E. Storchs hier irgendwie zu erörtern und seine Ablehnung derselben 
eingehender zu motivieren; doch sei hier angemerkt, daß er bei der Verwerfung 
des von Storch aufgestellten „stereopsychischen Feldes“, das auch bei Gold¬ 
stein die Basis der ganzen Theorie bildet, vor allem von der Ablehnung der 
in den Ganglienzellen lokalisierten Vorstellungen ausgeht, die Storch ganz 
für dieses Feld akzeptiert 3 ). Dieses Argument der Ablehnung ist aber des¬ 
halb berechtigt, weil es sich bei diesem stereopsychischen Felde, dessen Loka¬ 
lisation übrigens noch ganz in der Luft hängt, nicht um eine bloß die anato¬ 
misch-physiologische Seite der Aphasielehre betreffende Frage handelt, son- 

x ) Vgl. Jaspers (in Zeitschr. f. d. ges.Neur. u. Psvch. VI. Bd. Ref. T. S. 248). 
Auch im Bereiche der Psychologie scheint dem Verfasser die Zeit der „Systeme“ 
abgelaufen und der Hauptgewinn davon für alle daran beteiligten Wissenschaften 
und insbesondere für die Sprachwissenschaft darin gelegen, daß die nun frei sich 
entwickelnden „Psychologien“ in ihren Detailforschungen ihnen imgleich mehr bieten 
können als eines der „Systeme“. 

2 ) Von diesem Gesichtspunkte aus ist noch eines Umstandes zu gedenken, 
der bei der Auswahl des hier zu berücksichtigenden in Betracht zu ziehen war; auch 
der Theorien, neuerer und selbst älterer, in ihrer Sphäre schon abgetaner, mußte 
da oder dort gedacht werden; gewisse noch jetzt festgehaltene Auffassungen der 
Pathologen fußen auf ihnen und die Fortführung der Deutungen wie ihre Widerlegung 
konnte nur an der Hand einer Erörterung jener Theorien erfolgen. 

3 ) „Die Gesamtheit dieser raum vorstellenden Ganglienzellen bezeichne ich 
als stereopsychisches Feld, jede einzelne als Stereon“ (E. Storch, Monatsschr. 
f. Psych. u. Neur. XIII, S. 327). 



62 


Vorrede und Einleitung. 


dern um ein Gebiet, das als die psychologische Grundlage der ganzen Lehre 
angesprochen wird x ). 

Külpe hat (Uber die mod. Psych. d. Denkens. S. A. a. intemat. Monats- 
schr. f. Wiss. etc. 1912. Juni, S. 7) gezeigt, wie den von der Sinnespsycho¬ 
logie und Psychophysik herkommenden Forschern die unanschaulichen Ge¬ 
bilde des Denkens verborgen blieben; das muß natürlich erst recht allen rein 
psycho-phvsiologischen Erklärungen des Bewußtseins anhängen und so kann 
es nicht wundernehmen, wenn in einem solchen Versuche, wie ihn Storch 
gemacht, nichts von dem zu finden ist, was wir hier der neueren Denkpsycho¬ 
logie entnehmen können; auch das wird ein gewichtiges Argument gegen eine 
auf Storchs Ansichten basierte Sprachpathologie bilden; hat Verfasser zuvor 
alle „Systeme“ abgelehnt, so ist dies dem Storch sehen gegenüber, das alles 
in den engen Rahmen eines einseitig von der Sinnespsychologie herge¬ 
nommenen Schemas pressen will, gewiß am Platze 2 ). 

Wenn einer der Maßstäbe für die Entscheidung des Streites zwischen 
Funktions- und Erscheinungspsychologie die Fruchtbarkeit für den Fortschritt 
der Wissenschaft sein wird, dann hofft Verfasser, daß in der vorliegenden Schrift 
der Vorzug der Funktionspsychologie in helles Licht gesetzt erscheinen wird; 
ihm widerstrebt aber auch da jeder Schematismus; sehr richtig sagt dies¬ 
bezüglich Stumpf (Abhandl. d. kgl. preuß. Akademie d. Wissenschaften, 1907, 
S. 38): „Wer die außerordentlichen Schwierigkeiten psychologischer Probleme 
empfindet, ferner die vielen Veränderungen und Zugeständnisse erwägt, die 
nicht nur von seiten der alten Assoziationspsychologie und der modernen Er¬ 
scheinungspsychologie, sondern auch von seiten der Funktionspsychologie . . . 
notwendig geworden sind, der wird nicht in Gefahr sein, den sensualistischen 
Dogmatismus mit einem funktionalistischen zu vertauschen.“ Das gilt erst 
recht für den Pathologen, der die Erscheinungspsychologie in besonderem 
Maße für die in der Pathologie eingerissenen Schäden verantwortlich machen 
will. — 

Schon der Nachweis, daß eine der grammatischen Formulierung voran¬ 
gehende gedankliche Formulierung statt hat, und daß die der Grammatisie- 
rung der Rede entsprechende Etappe des Sprechens knapp an die das Denken 
im engeren Sinne des Wortes darstellenden Prozesse anschließt, ließ es als 
unabweislich erscheinen, den das Denken umfassenden Teil der Psychologie 
ganz besonders in den Bereich unserer Studien zu ziehen; denn man durfte 
hoffen, dadurch besser, als dies in der bisher mehr in der entgegengesetzten 
Richtung ausgebauten Aphasielehre der Fall war, dem Ideale W’ernickes 
sich zu nähern, von der Aphasie aus einen Blick in das Geheimnis psychischen 
Geschehens zu tun. 

Es ist vielleicht nicht unangebracht, an dieser Stelle den Erfolg solcher 
Studien für die Pathologie, wenn auch nur kurz, hinsichtlich einzelner Punkte 
vor Augen zu führen. 

M Bei Goldstein ist dieses Feld bzw\ die Stereopsyche das Zentralorgan 
alles Erkennens, aller höheren psychischen Tätigkeit. Storch selbst (1. c. S. 600) 
setzt Gedanken mit stereopsychischer Erregung gleich. 

2 ) Mit Befriedigung konstatiert Verfasser, daß jetzt neuerlich auch Külpe 
(Psychol. u. Med. 1912, 8. 37) die Ansichten Storchs bezüglich der räumlichen 
Anschauungen, auf denen ja seine ganze Psychologie aufgebaut ist, als sehr anfecht¬ 
bar bezeichnet. 



Vorrede und Einleitung. 


63 


Wenn es richtig ist, daß die für die Wortstellung und die Grammatisie- 
rung der Wörter entscheidenden Vorgänge der vom Verfasser sogenannten 
gedanklichen Formulierung der Wortfindung vorangehen, dann ergibt sich 
daraus auch für die vom Verfasser vertretene, aber doch immer noch bestrittene 
Ansicht von der Lokalisation des Agrammatismus im Schläfelappen l ) ein neuer 
entscheidender Anhaltspunkt; ist die Wortfindung in den Schläfelappen oder 
in dessen Nähe zu verlegen — und diese Ansicht ist die jetzt ziemlich all¬ 
gemein akzeptierte — dann ist damit auch für den echten Agrammatismus 2 ) 
als der Störung einer der Wortfindung vorausgehenden Funktion die Annahme 
seiner Lokalisation im Stirnlappen ausgeschlossen. 

Sollte man dieser Beweisführung damit widersprechen wollen, daß ja 
die gedankliche Formulierung nicht geschädigt sein müßte, sondern die Störung 
erst in dem Zeitpunkte einsetzen könnte, in welchem an den schon empor¬ 
gehobenen Worten sich die Grammatisierung automatisch vollzieht, so wäre 
darauf folgendes zu erwiedern: Es handelt sich dabei um eine so innig mit der 
Wortfindung zusammenhängende Funktion, daß es allem, was wir von der 
Lokalisation wissen, widersprechen würde, die beiden in zwei von einander 
so entfernte Territorien wie Schläfe- und Stirnlappen zu verlegen. Daß durch 
eine solche Lokalisation auch Wortstellung und Grammatisierung unzu¬ 
treffenderweise auseinander gerissen würden, sei nebenbei bemerkt. 

Es zeigte sich weiter durch ein genaueres Eingehen auf die zur Dar¬ 
stellung der Beziehungen zwischen den einzelnen Gedankenteilen bestimmten 
Worte, daß diese, eben weil sie etwas ganz Differentes zur Darstellung bringen* 
sich durchaus von den den Objektbegriffen 3 ) entsprechenden Worten streng 
unterscheiden; daraus ergab sich aber, daß die Subsummierung des Agramma¬ 
tismus als eine Form der amnestischen Aphasie und die daraus gezogenen Fol¬ 
gerungen nicht als zutreffend erachtet werden konnten 4 ). 

Schon vorher ist endlich gezeigt worden, daß die Kenntnis von den Vor¬ 
gängen bei der Satzformulierung weiter Handhaben bietet gegen die bisher 
festgehaltene Ansicht, daß dieser Prozeß etwas der Wortbildung Analoges 
sei, woraus sich unmittelbar eine Korrektur der bisher von anderer Seite auf- 
gestellten Klassifikation des Agrammatismus als einer Unterform der Para¬ 
phasie ergab. — 

Die Verwertung der kindlichen Sprachentwicklung für die Zwecke der 
vorliegenden Schrift war schon aus Gesichtspunkten des nativen Agramma¬ 
tismus gegeben, wie wir den Stillstand der Sprachentwicklung in einem Sta- 

*) Als ein historisches Zeugnis für die Rückständigkeit der Sprachpathologie 
auch in Hinsicht der Methodenlehre mag es hier festgelegt werden, daß man diese 
Ansicht des Verfassers durch das Argument „das wäre doch ganz unverständlich“ 
widerlegen zu können glaubte, ganz ohne Rücksicht auf das, was die Psychologie 
über die dabei in Betracht kommenden Vorgänge schon damals zu sagen wußte. 

2 ) Zur Aufklärung sei nochmals bemerkt, daß Verfasser jenem echten primären 
Agrammatismus den von ihm sog. sekundären, motorischen Agrammatismus als 
gelegentliche Spätfolge einer Läsion der Brocastelle gegenüberstellt. 

3 ) Wenn Verfasser hier und auch sonst noch gelegentlich Termini gebraucht, 
die den Sprachpathologen geläufig sind, die aber hier als nicht zutreffend bekämpft 
werden^ so sei angemerkt, daß dies aus Gründen der vorläufigen Verständigung 
geschieht. 

4 ) Nur zur Vorsicht sei hier angemerkt, daß das natürlich nicht gegen die 
Lokalisation auch des Agrammatismus im Schläfelappen spricht. 



64 


Vorrede und Einleitung. 


dium mehr oder weniger unvollkommener Grammatisierung kurz nennen wollen. 
Sie bildet ferner einen wichtigen Leitfaden für das Verständnis der durch die 
Krankheit gesetzten Dissolution, deren Studium HughlingsJaekson, von 
der Entwickelungslehre ausgehend, als das Gegenstück der Evolution mit so 
großem Erfolge in die Nervenpathologie eingeführt hat. Besonderes Gewicht 
dürfen wir weiter auf die Benützung der Kindersprache für unsere Zwecke 
legen, weil ihre Psychologie begreiflicherweise viel durchsichtiger als die der 
Aphasischen, uns für diese die wertvollsten Anhaltspunkte (wir nennen nur 
die Lehre vom einwortigen Satz) an die Hand geben wird. Die Heranziehung 
der Kindersprache, schon von Kuß maul angebahnt, erscheint jetzt umso 
berechtigter, als seither das inzwischen reichlich angewachsene Material durch 
zünftige Psychologen in einer Weise durchgearbeitet ist, daß die seinerzeit von 
Delbrück (Jenaische Zeitschr. f. d. Naturw., 1887, Bd. 20) geäußerten Be¬ 
denken gegen eine solche Verwertung jetzt nicht mehr zu Recht bestehen und 
die Nutzanwendung des so Gewonnenen reiche Ausbeute auch für die Pathologie 
verspricht 1 ). 

Eines besonderen Einwandes gegen die Heranziehung der Kindersprache 
zum Verständnis der pathologischen Sprachformen, den Fr. Mauthner (Zur 
Sprachwissenschaft, 1900, S. 425) macht, ist deshalb hier zu gedenken, weil 
er selbst unter diesen Störungen auch den Agrammatismus nennt. Mauthner 
erklärt es für einen unglücklichen Gedanken, der allen diesen Vergleichen zu¬ 
grunde liegt, daß eine niedere Stufe der Entwicklung eine Krankheit ist. Das 
ist aber auch gar nicht der führende Gedanke, sondern dieser ist einerseits 
darin zu suchen, daß eine niedere Stufe der Entwicklung eben durch Krank¬ 
heit bedingt sein kann (nativer Agrammatismus), andererseits darin, daß die 
Krankheit von der einmal erreichten Stufe der Entwicklung auch auf eine 
niederere Stufe hinabführen kann (erworbener Agrammatismus). Das alles voll¬ 
zieht sich aber bestimmten Gesetzen entsprechend, sowohl in der Evolution 
der Funktion, wie in der durch Krankheit gesetzten Dissolution; und deshalb 
kann, wie das namentlich H. Jackson prinzipiell aufgezeigt, das Studium 
dieser letzteren aus den Verläufen jener die leitenden Gesichtspunkte ent¬ 
nehmen. 

Auch die Taubstummensprache findet sich schon von Kuß maul für 
die Sprachpathologie verwertet; es erscheint ihm das nahe gelegt durch den 
Umstand, daß die „Taubstummensprache wenig oder gar nichts von unseren 
Redeteilen, am wenigstens aber von grammatischen Regeln weiß“ (Kruse, 
Der Taubstumme in unkultiviertem Zustande, 1832, S. 557). Allerdings gibt 
es bisher nur Ansätze einer Lehre der Aphasie bei Taubstummen, deren Weiter¬ 
entwicklung reiche Ausbeute auch für die Aphasie der Vollsinnigen verspricht. 
Aber nicht das ist es, w r as die Beschäftigung mit der Zeichensprache nahelegt, 
als vielmehr der Umstand, daß wir auch schon der Sprachpsychologie der „nor¬ 
malen“ Taubstummen bedeutsame Gesichtspunkte für die Aphasielehre und 

*) Es muß hier darauf hingewiesen werden, daß die von Binet und Simon 
(Annöe psychol. XIV, p. 288) vertretene Ansicht von der Unzulänglichkeit der 
Aphasielehre für das Verständnis der Sprachentwicklung im Gegensätze zu den Er¬ 
folgen des Studiums Imbeziller durchaus danebengreift. Sie übersieht Alles, 
was uns die Kenntnis der Aphasie zum tieferen Verständnis der in der Kindheit sich 
vollziehenden Störungen und Stillstände der Sprache an die Hand gibt. 



Vorrede und Einleitung. 


65 


insbesondere zum Verständnis des Agrammatismus entnehmen. Es wird sich 
nämlich im Gange unserer Studien zeigen, daß, entgegen der eben zitierten 
Ansicht des (selbst taubstummen) Kruse der Taubstumme durchaus nicht 
jeder Syntax entbehrt; der in der Lehre von der Wortfolge zu führende Nach¬ 
weis einer solchen wird sich für diese bisher in der Aphasielehre noch so 
wenig gewürdigte Seite der Sprachpsychologie als besonders aufklärend er¬ 
weisen, insbesondere nach der Richtung eines Verständnisses für die der sprach¬ 
lichen Formulierung vorangehende, vom Verfasser sogennante gedankliche 
Formulierung. Es wird sich weiter ergeben, daß auch für die Lehre vom be¬ 
griff hohen Denken, das ja bisher meist als an die Sprache gebunden ange¬ 
sehen wird, die Psychologie der Taubstummensprache und ihrer Syntax von 
großem Nutzen sein wird. Lotze hat es 1854 (siehe Kl. Schriften III. I, S. 195) 
ausgesprochen, daß ,,sich in den Formen der Sprache das natürliche Denken 
ausdrückt, d. h. das Denken, wie es sich auf Anregung der Verhältnisse, die 
zwischen seinen Objekten wirklich Vorkommen, Formen geschaffen hat, welche 
eine Ansicht und ein Recht haben, im Leben wirklich weiter angewandt zu 
werden“; wenn irgendwo, dann wird man in der Sprache des ungebildeten 
Taubstummen das sehen dürfen, was dem ,,natürlichen Denken“ Lotzes 
entspricht. 

Die Heranziehung von Sprachgeschichte, Linguistik und Philologie be¬ 
darf wohl keiner eingehenderen Begründung. Wenn jedes über die einfache 
Deskription hinausgehende Verständnis einer einzelnen Sprache der Sprach¬ 
vergleichung nicht entbehren kann, dann darf auch für die Pathologie der¬ 
selben das gleiche angenommen werden. Nimmt man dazu, daß in der ver¬ 
gleichenden Sprachwissenschaft der biologische Standpunkt der maßgebende 
ist, dann ergibt sich die Berechtigung jenes Schlusses ohne weiteres daraus, 
daß dieselben Kräfte, die uns die Sprachwissenschaft in ihren Wirkungen auf- 
w’eist, auch im Pathologischen als wirksam anzunehmen sind. Nur etw f a die 
Frage, wie weit der Rahmen des zu Berücksichtigenden gefaßt w r erden sollte, 
möchte je nach dem in Betracht kommenden Gebiete etwas different be¬ 
antwortet werden. Die prinzipielle Notwendigkeit ihrer Berücksichtigung 
ist schon durch ihre Stellung im Rahmen der neueren Sprachpsychologie ge¬ 
geben. Ist es richtig, daß Krankheit Ausdruck des durch abnorme Bedingungen 
gestörten Funktionierens ist, dann wird man der Rücksichtnahme auf die 
normalen Vorgänge beim Sprechen nicht entraten können. Trotzdem schon 
Delbrück (Jenaische Zeitschr. f. d. Naturw., 1887, Bd. 20, S. 91) auf diese 
Notwendigkeit verwiesen 1 ), haben die Sprachpathologen im wesentlichen auf 
diesen Gebieten sich mit dem begnügt, w r as einer seither veralteten Sprach¬ 
wissenschaft in der ersten Phase der Aphasielehre entnommen worden oder 
was etwa der ,,gesunde Menschenverstand“ Jeden, der an diese Probleme heran¬ 
tritt, lehren kann. Wir haben auch schon gehört, wie zum Teil freilich in Nach- 

*) „Es ist selbstverständlich, daß der, welcher Sprachstörungen beurteilen 
will, zunächst den regelmäßigen Verlauf des Sprechens kennen muß. Wer also 
über heutige Aphasische urteilen will, wird zuerst wissen müssen, wie bei einem 
Menschen der gleichen Altersstufe das normale Sprechen verläuft 44 . Daß sich das 
aber nicht auf das Sprechen der Muttersprache oder einiger weniger bekannter dem 
gleichen Sprachstamme ungehöriger Sprachen beschränken darf, ergibt sich aus dem 
früher gemachten Hinweise auf Differenzen, die die Aphasien in verschiedenen Sprach- 
Stämmen notwendig zeigen müssen. 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


5 



66 


Vorrede und Einleitung. 


folge einer ebenso orientierten Sprachpsychologie, gerade die lebende Sprache, 
die Sprechsprache, gar keine Berücksichtigung gefunden. 

Seit Steinthals denkwürdiger Arbeit hat noch einmal (1887) ein 
Sprachforscher ersten Ranges, der eben genannte Delbrück, in einer knappen 
Skizze (siehe die zuvor zitierte Arbeit) gezeigt, welche Fülle von Anregungen 
für die Pathologie jenen Wissenschaften zu entnehmen wäre; eine Nachfolge 
hat das seither in breiterem Umfange nicht gefunden. 

Soll mm das Interesse der ganzen Aphasielehre an den Sprachwissen¬ 
schaften dem Zufalle überlassen bleiben, daß etwa wieder einmal ein Sprach¬ 
forscher an pathologischen Problemen Gefallen fände? Wie wenig ein solches 
Verfahren dem festzuhaltenden Gange wissenschaftlicher Methode entspricht, 
dafür sei eine Episode angeführt, die umso belehrender erscheint, als sie der 
Geschichte der Aphasie selbst entstammt. 

In einer Debatte über Aphasie hatte Steinthal (siehe Verhandl. d. Berl. 
Gesellsch. f. Anthr. 1874, S. 134 f.) im Anschluß an einen Vortrag West- 
phals, die verschiedenen Kategorien der Sprachwissenschaften dargelegt, in 
die sich die Erscheinungen der Aphasie einreihen lassen müßten; daraufhin 
berichtet Westphal, bei dem die analytische Geistesanlage in so hohem Maße 
über die synthetische überwog, als Beweis für die Unmöglichkeit einer solchen 
Kategorisierung folgendes: „Ich habe einst das Vergnügen gehabt, einen her¬ 
vorragenden Mann der „Geisteswissenschaften“, Herrn Prof. Dr. Dilthey, 
an das Bett mehrerer aphasischer Personen zu führen; ich demonstrierte ihm 
die Erscheinungen und bat ihn, sie in Kategorien zu bringen. Er gestand, 
daß er den Versuch dazu aufgeben müsse“. Sehr belehrend gerade in der Rich¬ 
tung des zuvor von der Wissenschaftslehre Gesagten lautet nun die Antwort 
Steinthals: ,,Ich möchte Herrn Westphal gegenüber in bezug auf seine 
letzte Methode, Fortschritte in der Wissenschaft herbeizuführen, einigen Protest 
einlegen. Er ist der Ansicht, daß, wenn die Medizin einen Fortschritt machen 
will, sie sich einen Laien holt und ihn an das Bett setzt, um durch seine Er¬ 
kenntnis, die er in den medizinischen Wissenschaften gewonnen hat, Fort¬ 
schritte in derselben herbeizuführen. Das ist nicht die Art, wie eine Wissen¬ 
schaft wächst.“ 

Noch weniger kann man dies aber von der bisher fast einzig in der Aphasie¬ 
lehre beobachteten Methode sprachpsychologischer Verwertung sagen; oder 
soll tatsächlich auch weiterhin die Wissenschaft darauf angewiesen bleiben, 
daß es einem hervorragenden Sprach pathologen gelänge, das, was die Hilfs¬ 
wissenschaften der Sprachpsychologie seit langem als Gemeingut besitzen 
oder weiterhin in raschem Entwicklungsgänge erwerben, aus sich heraus an 
der Hand der pathologischen Erscheinungen zu entwickeln ? 

Immer wieder, man könnte mit Fingern darauf w r eisen, ereignet sich der 
Fall, daß ein Pathologe Dinge findet, die, wenn auch nicht in den geläufigen 
Büchern dargestellt, den Psychologen doch bekannt sind; man wird doch nicht 
sagen wollen, daß diese Art des „Aneinandervorbeiphilosophierens“ die richtige 
Methode zur Förderung der Wissenschaft darstellt*). Wie langsam aber sich 

Verfasser kann dafür ein Beispiel ans der eigenen Werkstätte anführen. 
In einer früheren Arbeit und auch in dieser Einleitung hat Verfasser aus der Sprach- 
pathologie heraus und insbesondere als am Agrammatismus wirksam ein Gesetz der 
Ökonomie nachgewiesen. Ist es nun nicht richtiger als es w r eiter selbständig vom 



Vorrede und Einleitung. 


67 


ein bloß aus dem Pathologischen schöpfender Fortschritt anbahnt, läßt sich 
gerade an der Geschichte gewisser agrammatischer Erscheinungen vor Augen 
führen. In seinen „Beiträgen“ S. 123 hat Verfasser 1898 bezüglich der zwei 
typischen Formen des Agrammatismus, des „parier negre“ und „des Telegraphen¬ 
stils“ beiläufig seine Ansicht dahin zusammengefaßt, daß sie gewiß auf diffe¬ 
rente Bedingungen zurückgehen, aber vorläufig noch zusammengefaßt werden 
müssen; 1910 spricht Heilbronner (Handb. d. Neurol. herausg. von Lewan- 
dowsky, S. 987) von der klinisch schwer durchführbaren Scheidung derselben. 
Wir werden sehen, daß, sobald man nur auf ihre differenten sprach psycholo¬ 
gischen Wurzeln eingeht, die beiden Formen von Sprachstörung auch für das 
klinische Verständnis reinlich geschieden werden können. 

Es könnte zunächst vielleicht zweckmäßiger erscheinen, neuerlich das 
Interesse eines Sprach Wissenschafters an Fragen der Aphasielehre abzuwarten; 
aber abgesehen von der Fraglichkeit eines solchen Zeitpunktes hält es Ver¬ 
fasser für richtiger, aus der vollen Kenntnis der Pathologie heraus, wenn auch 
unter Fehlem, die Linguistik und die übrigen Wissenschaften vom Normalen 
als Hilfsmittel zum Verständnis der pathologischen Erscheinungen heranzu¬ 
ziehen; und damit allein schon glaubt Verfasser seinen Versuch einer mög¬ 
lichst eingehenden Darstellung des in jenen Wissenschaften Vorhandenen ge¬ 
nügend gerechtfertigt zu haben. 

Andererseits müßte es gewiß an der Hand eines großen, vielfach variierten 
pathologischen Materials gelingen, die Vorgänge, auf Grund deren es zu be¬ 
stimmten Ausfalls- und Ersatzerscheinungen kommt, verstehen zu lernen, 
die Regeln, die dies beherrschen und daraus schließlich auch die normalen 
Funktionen zu entwickeln; aber das abzuwarten, würde jedem rationellen 
Wissenschaftsbetriebe widersprechen, wie es ja auch sonst auf keinem Gebiete 
der Pathologie üblich ist, mit Außerachtlassen des Physiologischen das Patho¬ 
logische aus sich heraus zu entwickeln. Gewiß schafft erst der geniale Geistes¬ 
blitz neue Zusammenhänge oder die Einsicht in schon vorhandene, aber ohne 
souveräne und meist mühsam erworbene Beherrschung des zugrunde liegenden, 
oft erst zu beschaffenden Tatsachenmaterials müßte auch das Genie versagen 
oder einen langwierigen Kampf um das kämpfen, was ihm dazu auf anderen 
Gebieten bereit liegt. Und deshalb kann man auch sagen, daß es eines kaum 
absehbaren Zeitraumes bedürfte, um alle durch das Naturexperiment erzeugten 
Kombinationen und Dissoziationen der Symptome in der Art zu zeitigen, daß 
sie für jenes „Genie“ die entsprechende Handhabe darbieten könnten zu einer 
auf der anfänglichen Analyse auf gebauten Synthese. Um wieviel „ökonomi¬ 
scher“ gestaltet sich der Wissenschaftsbetrieb, der aus den ungezählten Be¬ 
obachtungen am Normalen die Sprachpsychologie auf baut, welche Verschwen¬ 
dung an Arbeitskraft, wenn die Pathologie sich des aufgehäuften Materiales 
nicht auch für ihre Zwecke bemächtigen wollte! 

Gerade der Umstand, daß so Vieles in der Aphasielehre zufällig, regel- 

Pathologischen her zu entwickeln, auf die analogen Feststellungen des skandinavi¬ 
schen Linguisten Nor een zurückgreifen, der es schon früher aus dem Zweckge¬ 
danken heraus festgelegt hat. Daß sich Pathologie und Linguistik in derselben 
Auffassung begegnen, kann nicht weiter auffallen, wenn wir in Betracht ziehen, 
daß die ihr zugrundeliegenden Tatsachen in beiden Gebieten auf die einheitliche 
biologische Wurzel der Anpassung zurückgeführt werden können. 

ö* 



S8 


Vorrede und Einleitung. 


los und deshalb zunächst unverständlich erscheint, drängt doch immer wieder 
dazu, die Handhaben zur Beseitigung unserer mangelhaften Einsicht in diese 
gewiß nur scheinbare Regellosigkeit nicht bloß von der zufälligen Häufung 
-klinischer Tatsachen und der daraus zu erschließenden Zusammenhänge zu 
erwarten, sondern von dorther zu nehmen, wo das einigende Band für alle 
Vorgänge, auch für die unter abnormen Bedingungen sich vollziehenden, hier 
im Psychologischen gegeben ist. Ein so orientiertes Studium der Aphasie- 
.probleme wird vor allem dadurch so auf klärend wirken, weil es sich zeigen wird, 
daß in der Entwicklung wie in der Funktion der betreffenden Elemente nichts 
Zufälliges nachweisbar ist, alles sich nach bestimmten Regeln vollzieht ; daraus 
werden wir nicht bloß das gleiche für die Pathologie abstrahieren, sondern 
mit Hughlings Jackson einen, vorsichtig gebraucht, nie irreführenden Weg¬ 
weiser für das Verständnis der krankhaften Erscheinungen gewinnen. 

Ein weiterer Grund, die hier versuchte Grundlegung nicht dem zufälligen 
Interesse eines Psychologen oder Sprach Wissenschafters an solcher Arbeit zu 
überlassen, liegt auch darin, daß, w r as nicht oft genug wiederholt werden kann, 
die Pathologie vielfach noch gar nicht reif zur vollen Verwertung dessen ist, 
was Psychologie und Sprachpsychologie ihr zu bieten imstande sind, und daß 
deshalb der Nichtpathologe, der jenen Versuch machen wollte, doch nur für 
das am Pathologischen Interesse aufbrächte, wo für ihn die Anknüpfungen in 
seinem Wissenschaftsbereich schon gegeben wären. Dabei darf auch nicht über¬ 
sehen werden, daß die Psychologie, deren sich selbst die vorgeschrittenen 
Sprachforscher bedienen, bestenfalls die Wundtsche ist und von einer Ver¬ 
wertung der neuen Denkpsychologie für allgemeinere Fragen bei jenen kaum 
ein erster Ansatz erkennbar ist. (Vgl. dazu Marbe, Fortschr. d. Psyeh. I, 
1, 1912, S. 26.) 

Von dieser Psychologie aber ergibt sich für Sprachpsychologie ebenso 
wie für die Pathologie so wichtige und umfassende Belehrung, daß auch schon 
aus diesem Grunde ein direktes Zurückgehen auf die sprachwissenschaftlichen 
Grundlagen sich empfahl. Nur die hier motivierte Überzeugung, daß diese 
Arbeit von einem Pathologen zu leisten ist, konnte dem Verfasser die Mühe 
erleichtern, die es machte, aus dem schier unübersehbaren Materiale das heraus¬ 
zufinden, was den Zwecken der Pathologie konform schien; er hat darauf 
verzichtet, alles hier Benützte etwa in einem Literaturanhange zur Darstellung 
zu bringen; die im Texte angeführte Literatur mag als Andeutung dessen dienen, 
was tatsächlich durchzusehen war; Verfasser zweifelt nicht, in dieser Rich¬ 
tung auch vor den Vertretern der hier herangezogenen Hilfswissenschaften 
in Ehren bestehen zu können. 

Wenn für den Verfasser die Wendung seines Studiums in der angedeuteten 
Richtung nur die Weiterentwicklung schon früher ähnlich betätigter Neigungen 
darstellt, so hofft er durch die vorliegende, immer wieder nur als Pionierarbeit 
beabsichtigte Schrift, den Grund so weit zu sichern, daß fürderhin es nicht 
mehr dem Belieben oder der Neigung der mit Aphasieproblemen befaßten 
Forscher anheimgestellt bleibt, ob sie diesen Grund als Basis ihrer Arbeiten 
nehmen wollen oder nicht. 

Aber auch im Speziellen fehlt es nicht an genügenden Motiven für die 
breitere Verwertung der zuvor genannten Hilfswissenschaften. Wenn es richtig 
ist, wie H. Paul (Prinz, der Sprachgeschichte, S. 241) anführt, daß die grannna- 



Vorrede und Einleitung. 


69 


tischen Kategorien gewissermaßen eine Erstarrung der psychologischen dar¬ 
stellen 1 ), so stellen sich auch die jenen nachgehenden Studien doch nur als 
eine Fortsetzung der psychologischen dar; es folgt aus jenem Satze ohne weiteres, 
daß die durch Störung jener grammatischen Kategorien charakterisierten Er¬ 
scheinungen des Agrammatismus durch das Verständnis der entsprechenden 
psychologischen Kategorien in ihrem Wesen und gewiß auch in ihrer Genese 
durchsichtig gemacht würden; welche Bedeutung das selbst für lokalisatori- 
sche Fragen haben kann, wird schon in den ersten Kapiteln dieser Schrift 
hervortreten. 

Wenn Marty seine sprachphilosophischen „Untersuchungen“ (1908, S. 5) 
als der Funktion und Bedeutung unserer Sprachmittel gewidmet und als 
ein Gebiet bezeichnet, ,,w T o Psychologie und historische Sprachforschung sich 
bei der Lösung die Hand reichen müssen“, so ist damit auch der Umkreis dessen 
bezeichnet, was ebenso auch als Grundlage für die Pathologie der Sprache 
verwertbar anzusehen ist. Freilich muß bei dieser Umfangsbestimmung auch 
gleich ausgesprochen werden, daß wir von einer auch nur halbwegs zureichen¬ 
den Kenntnis jener Funktionen noch weit entfernt sind und deshalb ein darauf 
begründetes System der Sprachpsychologie nur als ein Desiderat der Sprach- 
pathologie hingestellt werden kann; um so mehr darf man aber hoffen, daß 
ein nach den schon bisher festgestellten Gesichtspunkten orientiertes Studium 
sprachpathologischer Tatsachen seinerseits sich an jener Grundlegung wirk¬ 
sam wird beteiligen können. 

Die Verwertung linguistischer und philologischer Gesichtspunkt« in der 
Aphasielehre w r äre natürlich noch viel aussichtsreicher, wenn das in der letzteren 
gesammelte klinische Material nicht fast ausschließlich den Sprachen des indo¬ 
germanischen Sprachstammes entstammen würde; denn, wie schon erwähnt, 
müssen sich auch die aphasischen Störungen in den nicht indogermanischen 
Sprachen wesentlich anders darstellen als in diesen; wenn für den Verfasser 
die Ausbeute nach dieser anderen Richtung hin eine sehr geringe war, so liegt 
dies an der Nichtberücksichtigung der hier darzulegenden Gesichtspunkte; es 
bleibt der Zukunft Vorbehalten, diese in der angeregten Richtung als wirksam 
zu erweisen. 

Dazu fehlt es freilich noch an einer für pathologische Zwecke brauch¬ 
baren vergleichenden Syntax zwischen den Sprachen verschiedener Sprach- 
stämme 2 ); aber das wenige, was wir bisher aus den Quellen schöpfen konnten, 
gibt lautes Zeugnis dafür ab, wieviel davon noch zu erwarten und wie eine 
systematische Verfolgung der Resultate der vergleichenden Sprachwissen¬ 
schaft geradezu ein Postulat für die Fortbildung der Grundlagen der Pathologie 
bildet. Wie belehrend ist es z. B. für die Auffassung des Agrammatismus, 
wenn wir der Erörterung primitiver Sprachen (aber auch dem daran geknüpften 
Hinweise auf das» Englische) entnehmen, daß die Pluralendung vielfach über¬ 
flüssig erscheint und durch den Zusammenhang ersetzt wird ? 

J ) Man wird diese Ansicht, auch wenn man den Standpunkt Pauls bezüglich 
des engen Parallelismus zwischen Denken und Sprache nicht teilt, und sich den daraus 
gegen jene hergenommenen Bedenken nicht verschließen kann, doch mit Vorsicht 
in dem obigen Sinne verwerten dürfen. 

2 ) Die psychologische Begründung der Sprachstruktur endlich ist erst neuestens 
ins Auge gefaßt worden (s. Fr. Boas, Handb. of. Am. Indian Lang. Smithson. Inst. 
Bur. of Ara. Ethnol. Bull. 40, 1911, Pretace). 



70 


Vorrede und Einleitung. 


Die schon zuvor motivierte Benützung der Kinder- und Zeichensprache 
bildet die Brücke zu den Erwägungen, inwieweit die von Linguisten und Philo¬ 
logen bearbeiteten Gebiete der primitiven Sprachen und der Sprachentwick¬ 
lung für die vorliegende Schrift zu verwerten wären. Delbrück (Jenaische 
Zeitschr. f. d. Naturw r ., 1887, Bd. 20, S. 92) erklärte es als ein bedenkliches 
Unternehmen, wirkliche oder angebliche Tatsachen aus fremden Sprachen 
oder sogar aus hypothetischen Zeitaltern unserer eigenen Sprache zur Erklä¬ 
rung medizinischer Tatsachen heranzuziehen; „denn einmal ist nicht wohl 
abzusehen, wie ein jetziger Mensch in dasjenige zurückfallen könnte, w^as seine 
Vorfahren vor vielen tausend Jahren etwa gesprochen haben und sodann sind 
alle Ermittlungen über prähistorische Sprachzustände oder gar über den Ur¬ 
sprung der Sprache so unsicherer Natur, daß man besser tut, im vorliegenden 
Falle ganz davon abzusehen.“ 

Man wird die beiden in der Beweisführung Delbrücks entwickelten 
Gesichtspunkte auseinanderzuhalten haben. Bei aller Hochschätzung, die dem 
Ausspruche eines so hervorragenden Fachmannes gebührt, darf Verfasser ohne 
Rücksicht auf die etwa in den letzten Dezennien gemachten Fortschritte darauf 
hin weisen, daß doch auch von anderer, psychologischer Seite das von Del¬ 
brück bemängelte Verfahren geübt wird; so muß auch ihm, dem Fernstehenden, 
gestattet sein, dieses Verfahren für seine Zwecke nachzuahmen. Trotzdem 
wird natürlich mit aller Vorsicht auf diesem Gebiete vorzugehen sein; wir 
werden auch noch an anderer Stelle von einer neuesten Mahnung eines Sprach» 
forschers, Thumb, Kenntnis zu nehmen haben, der es direkt ausspricht, daß 
„die meisten Dinge, die für die ersten Stadien der Kindersprache höchst charak¬ 
teristisch sind . . . jenseits der vergleichenden und historischen Sprach¬ 
forschung liegen“ 1 ). (Siehe Thumbs Besprechung von Sterns „Kinder¬ 
sprache“ im Anz. f. indog. Spr. u. A. K., Bd. 27, 1910, S. 3.) 

Was aber den anderen Ein wand Delbrücks betrifft, so handelt es sich 
in den aphasischen Sprachstörungen gewiß nicht um Rückfälle in die Sprache 
der Vorfahren; das Studium der letzteren ist für den Pathologen vielmehr 
nur das Suchen nach den Parallelen, die uns aus der Evolution der Sprache 
ihre Dissolution in der Krankheit verstehen lehren sollen. 

Einige Bemerkungen sind auch der Benützung scheinbar noch mehr seit¬ 
ab liegender, rein philologischer und linguistischer Beobachtungen zu widmen. 
Da ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Neuphilologen, insbesondere die¬ 
jenigen, die sich mit dem Studium der Umgangssprache 2 ) und der Dialekte 
befassen, eine förmliche Psychologie der in ihnen sich darstellenden und ge- 

J ) Neuestens deutet ein Grammatiker (der Kritiker in der Berl. philolog. W. 
1912, S. 692 reiht seine Arbeit unter die Sprachphilosophie) die Kindersprache 
„Willi Hunger hat“ als Erinnerung an die altüberlieferte Endstellung des Verbums; 
es wäre gewiß eine wichtige Bestätigung, wenn sich etwas derartiges aus der Aphasie- 
kasuistik nach weisen ließe. Die Mahnung Thumbs wird umsomehr zu beachten 
sein, als er jenem Kreise von Philologen angehört, die prinzipiell für die Verwertung 
modernster Psychologie in ihrem Fache tätig sind. 

a ) Eine Bestätigung seiner Ansicht, um wieviel tiefere Einsichten in psycho¬ 
logische und auch pathologische Erscheinungen dem Studium der Volkssprache 
als der abgeschliffenen Sprache der Gebildeten abzugewinnen wären, entnimmt 
Verfasser einer Bemerkung H. Winklers (Lit. Zentralbl. 1912, Nr. 28); er weist darauf 
hin, wie die „ältere gemütliche Anwendung des sog. Dativus sympathicus, der 



Vorrede und Einleitung. 


71 


legentlich bis an die Erscheinungen des Agrammatismus heranreichenden 
Kürzungen auszuarbeiten in der Lage waren; auch bei Berücksichtigung der 
grammatischen Abweichungen der Volkssprache wird sich zeigen, daß nicht 
wenige derselben direkt mit den Erscheinungen des Agrammatismus zusammen? 
fallen 1 ). Beide, sowohl der pathologische Agrammatismus, wie die Volkssprache, 
stellen sich entweder als ein Rückschlag auf eine niedere Stufe oder ein Stehen¬ 
bleiben auf einer solchen dar und es erscheint dadurch die Möglichkeit gegeben, 
die Tatsachen der einen, bzw. deren Erklärung für die der anderen zu ver¬ 
werten. 

Die prinzipielle Bedeutung der Dialektologie für die Zwecke der Patho¬ 
logie wird ganz besonders dadurch ins richtige Licht gestellt, daß ihr jetzt in 
der Linguistik der Vorrang vor der oft gekünstelten Syntax der Schriftsteller 
(Dauzat, Phil, du lang. 1912, p. 215) zuerkannt wird; auch Sayce (The 
Princ. of compar. Phil. p. 15) hat schon 1892 auf den hervorragenden Wert 
der Dialekte, insbesondere niedrig stehender gegenüber den polierten Proben 
der klassischen Literatur hingewiesen. Wir werden vielfach Gelegenheit haben, 
der Dialektpsychologie sehr belehrende Tatsachen zu entnehmen, so daß Ver¬ 
fasser die Fachgenossen mit besonderem Nachdruck auf die Erwerbung und 
Verwertung einer bisher noch nicht bestehenden Aphasie der Dialekte hin- 
weisen möchte; es wäre ein leichtes, eine solche bei einer Durchforschung länd¬ 
licher Armen- und Siechenhäuser wenigstens in den Grundlinien zu fixieren. 

Wir werden auch sonst von linguistischen Tatsachen in der Lehre vom 
Agrammatismus nicht selten Gebrauch machen. So dort, wo wir zeigen werden, 
daß die gegenseitige Einwirkung zweier nebeneinander gebrauchter Sprachen 
sich so vollzieht, daß, ebenso wie schon in der Norm, auch im Pathologischen 
die Satzkonstruktion der einen an den Worten der anderen erfolgt. Ein Bei¬ 
spiel für einen vielleicht durch Nichtbeachtung dieses Gesichtspunktes zu¬ 
stande gekommenen Irrtum bietet Kußmauls Bemerkung zu einer von 
Gogol mitgeteilten Beobachtung (siehe des ersteren Monographie, 1877, S. 199). 
Der Kranke Gogols gebraucht oft die Worte: „Arbeiten auf meines Mutter, 
und arbeiten auf meines Vater“. Nun handelt es sich um einen Preußisch- 
Schlesier, der, wie Verfasser vermutet, polnischer oder sonstwie slawischer 

seinem innersten Wesen nach der Kasus der inneren Beteiligung, des Interesses ist, 
in der Schrift- und Kunstsprache allmählich verschwindet und dem Volkston ver¬ 
bleibt“. 

Es ergibt sich übrigens aus dieser Bemerkung ohne weiteres eine Bestätigung 
dessen, was zuvor bezüglich des sog. Ribotschen Gesetzes gesagt worden, daß die 
pathologisch bedingten Störungen in der Anwendung des Kasus durchaus nicht ohne 
weiteres als gleichwertig beurteilt werden dürfen; nur eine auf Tatsachen der Lin¬ 
guistik basierte Wertung derselben kann zur richtigen Erkenntnis führen. 

x ) Die dialektische Klangfärbung in pathologischen Fällen ist auch bisher 
schon (Heilbronner, v. Monakow) beachtet worden und insbesondere der erst¬ 
genannte Autor hat auf Tatsachen der erwähnten Art hingewiesen, die erst recht 
wieder beweisen, wie zweckmäßig es ist, in solchen Fragen sich bei der Linguistik 
Rats zu erholen. Heilbronner (Arch. f. Psychiatrie, 34, S. 30 S. A.) hat bezüglich 
des Nachsprechens darauf hingewiesen, daß das Ungenügende desselben ebensowohl 
in der expressiven Funktion wie in der mangelhaften Aufnahme des Gehörten bedingt 
sein möchte. Das was er zur Begründung seiner Ansicht aus dem Normalen anführt, 
findet seine Bestätigung durch phonetische Tatsachen, die van Ginneken (Princ. 
de Linguist, psychol. 1907, p. 4 note) berichtet. 



72 


Vorrede und Einleitung. 


Abkunft gewesen; in den slawischen Sprachen ist aber die Wendung „auf 
Vater oder Mutter“, d. h. für diese arbeiten, wenigstens volkstümlich, durch¬ 
aus normal und es fragt sich deshalb, ob die von Kuß maul gemachte *) An¬ 
nahme, daß das freilich auch sonst oft gebrauchte „auf“ immer die fehlenden 
Verbindungsworte ersetzen solle, als zutreffend angesehen werden kann. 

Die jenen Wissenschaften entnommenen Tatsachen bieten insbesondere 
deshalb für die Pathologie verwertbare Gesichtspunkte, weil sie dem normalen 
Denken und der voll erhaltenen Sprechfähigkeit entstammend, ebenso wie 
durch ihre Häufung innerhalb einer größeren Gemeinschaft dem psychologi¬ 
schen Einblick viel zugänglicher sind, als die selteneren pathologischen Erschei¬ 
nungen; daß natürlich diese letzteren ihrerseits wieder für das Verständnis 
jener bedeutsame Beiträge liefern können, ist wiederholentlich auseinander¬ 
gesetzt worden. 

Daß sprachgeschichtliche und rein linguistische Tatsachen für die Patho¬ 
logie der Sprache von Bedeutung werden können, erhellt übrigens auch aus 
dem Werte der ihnen vom Standpunkte normaler Logik und Psychologie zu¬ 
gemessen wird. H. Maier (Das emotionale Denken 1908, S. 60) wünscht eine 
prinzipielle und systematische Durchforschung des sprachgeschichtlichen 
Materials; was man für die Pathologie davon erhoffen kann, illustriert der 
Satz (1. c. S. 61): „Tut man dies, so wird man schließlich auch in die Tiefen 
des völlig wortlosen Denkens .... hinabgeführt und erst von hier aus wird 
man das gesamte logische Denken, das sprachliche und das wortlose verstehen.“ 
Wenn wir beachten, daß eine der Hauptschwierigkeiten im Studium der Aphasie 
eben in der Wortlosigkeit oder mangelhaften Sprache der Aphasischen und 
der Schwierigkeit und Unsicherheit der daraus zu ziehenden Schlüsse auf das 
Denken derselben liegt, dann wird man das von Maier so in Aussicht gestellte 
Hilfsmittel in seiner vollen Bedeutung auch für die Pathologie zu würdigen 
wissen. 

Als ein Beispiel, wie Gesichtspunkte der eben dargestellten Art in Frage 
kommen können, sei nachstehender Fall erwähnt: Ein junger Mensch (Tscheche), 
seines Berufs Stuckateur, hat sich vielfach in Dilletanten theatem versucht 
und sichtlich davon bis w r eit in seine Paralyse hinein eine hoch-tschechische 
Sprache behalten; nach einer Serie schwerer paralytischer Anfälle, die zu¬ 
nächst zu einer allmählich zurückgehenden Totalaphasie (neben rechtsseitiger 
Hemiplegie und Hemianopsie) geführt hatten, fiel als erstes bei der Wieder¬ 
kehr der Sprache auf, daß er sich einer bei ihm ganz ungewöhnlichen vulgären, 
mit deutschen Lehn Worten versetzten Sprache zu bedienen begann. Daß es 
sich dabei tatsächlich um eine durch die Krankheit bedingte Einstellung auf 
ein tieferes Niveau handelte, wurde ganz präzise dadurch bewiesen, daß der 
Kranke schon am nächsten Tage bei beträchtlicher Besserung der Sprache für 
dieselben Objekte, die er vorher mit dem Deutschen entlehnten Jargonaus¬ 
drücken benannt hatte, nun wie früher rein tschechische Bezeichnungen ge¬ 
brauchte. — 

Wir werden auch Selbstberichten von Rednern über die Art ihrer Vor¬ 
bereitung vielfach zur Aufhellung sprachpsychologischer Fragen bedeutsame 

*) Sie entstammt übrigens dem Autor der Dissertation bzw. vielleicht Ebstein» 
unter dem diese gearbeitet worden (s. die betr. Dissert. S. 14). 



Vorrede und Einleitung. 


73 


Tatsachen entnehmen können. Wenn an anderer Stelle gesagt wird, daß die 
Lehre vom ,,Langage interieur“, wie sie namentlich Saint-Paul mit nach¬ 
ahmenswertem Eifer vertritt, zur Aufhellung der Grammatisierung nicht von 
Belang ist*), weil es sich dabei um einen erst später im Laufe der Sprach- 
formulierung in Aktion tretenden Akt handelt, so soll damit nicht auch gemeint 
sein, daß die in dieser Frage gesammelten reichen Materialien etwa belanglos 
sind; das Gegenteil ist richtig, vor allem deshalb, weil die zahlreichen Ant¬ 
worten meist von geistig bedeutenden Männern, hervorragenden Rednern 
stammend, sich nicht bloß auf Angaben bezüglich der inneren Sprache be¬ 
schränken ; sie geben vielmehr häufig auch Aufschlüsse über die dem Sprechen 
vorangehenden Denkvorgänge, über die Frage der Grammatisierung, die un¬ 
mittelbar für unser Thema verwertbar sind. Das gilt auch von einem in ähn¬ 
lichen Sinne verfaßten Buche von Ajam (La Parole en public, 2. ed.), das 
ebenfalls das Material einer Rundfrage verwertet. Von der Möglichkeit sofor¬ 
tiger Verwertung des dort auf gehäuften Tatsachenmaterials mag eine von 
dem berühmten Verteidiger Labori (bei Ajam 1. c., p. 238) gegebene Auskunft 
Kunde geben. Labori, der sich als „verbo-auditif“ bezeichnet, berichtet, daß 
bei ihm eine Doppelarbeit sich vollzieht, die des Denkens und die des Formu- 
lierens 2 ); bringen wir das mit der Frage der AufmerksamkeitsVerteilung und 
deren Störungen bei Aphasischen in Beziehung, so leuchtet ohne weiteres die 
Bedeutung jener auch sonst noch wichtigen Selbstbeobachtung ein. Und 
wenn wir in demselben Buche (Ajam 1. c., S. 222) das Lob einer antigrammati¬ 
schen Phrase von Briand hören, die sich unter dem Einfluß des Milieus dem 
Redner entringt, so finden wir darin nur eine Bestätigung der Ansicht mancher 
Grammatiker (Sweet) von den Vorteilen fehlerhafter grammatischer Wen¬ 
dungen, wie sie die Umgangssprache gezeitigt hat. 

Es sei hier gestattet, im Anschluß an die Bestrebungen Saint-Pauls 
für die Aufhellung der inneren Sprache einige prinzipielle Bemerkungen dar- 

*) Daran kann, so sehr im übrigen Verfasser hinsichtlich der Notwendigkeit 
einer psychologischen Vertiefung der Pathologie mit Saint - Paul übereinstimmt, 
auch dessen neueste Studie (L’Art de parier en public 1912) nichts ändern. Man 
vergleiche die Skizze, die Saint - Paul in seinem Kapitel V Abschnitt IV u. V von 
seinen sprachpsychologischen Anschauungen gibt, die noch ganz in der „Vorstellungs- 
psychologie“ wurzeln, mit dem vorliegenden Versuch einer solchen Darstellung, 
um die Differenz der Konklusionen zu ermessen. 

Deshalb kann Verfasser auch dem nicht zustimmen, wenn M. Ajam in der 
Vorrede zu dem neuen Buche von Saint-Paul (L’Art de parier en public, l’aphasie 
et le langage mental 1912, XI), von ihm sagt, es gestatte sich, über den Mechanismus 
der Intelligenz Rechenschaft zu geben, ebenso wenig wie der Ansicht Saint - Paqls 
selbst, wenn er (ib. p. 1) vom Studium des langage interieur sagt, es sei das einzige, 
das uns eine genaue Kenntnis vom Mechanismus des Denkens geben könne oder 
es später (1. c. p. 2) geradezu als clef de voüte de toute la psychologie humaine 
preist; wir werden später sehen, daß diese Überschätzung unmittelbar zurückführt 
zu jener allseitig verlassenen Ansicht von der Identität von Denken und Sprechen. 
(Später im Verlaufe seiner Erörterung modifiziert Saint - Paul seine Ansicht 
(1. c. p. 34). 

2 ) „Donc, je cherche mes mots; je me livre le mieux que jepuis äcettegym- 
nastique, qui consiste ä surveiller la correction grammaticale des phrases ä ömettre. 

Seulement, au milieu de l’action, dans la chaleur d’undöbat, dans une teplique, 
il m’arrive, de voir jaillir des phrases, qui n’ont subi aucun travail pteparatoire. 
Cela se produit comme par un döclanchement ntecanique“. 



74 


Vorrede und Einleitung. 


über zu machen. Man hat nach Ansicht des Verfassers in der bisher festgehal¬ 
tenen prinzipiellen Ablehnung der Bedeutung der Sprachtypen verschiedene 
Gesichtspunkte außer acht gelassen, die jedenfalls zum mindesten zu etwas 
weniger schroffer Formulierung hätten Anlaß geben können. Zuerst die Tat¬ 
sache, daß die zu klinischer Beobachtung gekommenen Fälle bis dahin in Rück¬ 
sicht ihres Sprachtypus nicht voruntersucht und deshalb für die Beantwortung 
der Frage nach dem Einfluß und der Bedeutung des letzteren überall nicht 
verwertbar waren. Fast noch wichtiger scheint aber dem Verfasser der Umstand 
zu sein, daß die massiven Formen der Aphasie, die ja bisher meist studiert 
wurden, überhaupt nicht geeignet sind, solche feine Differenzen in ihrer Wirk¬ 
samkeit hervortreten zu lassen, entsprechend der vom Verfasser betonten 
Uberdeckung der leichteren Erscheinungen durch die groben, die alles nivel¬ 
lieren. Man hat endlich übersehen, daß die meisten Menschen Träger kombi¬ 
nierter Typen sind, und daß wahrscheinlich bei Störung des einen alsbald der 
andere als Ersatzfunktion dafür ein tritt; diese Annahme wird nicht nur durch 
allgemeine Erwägungen nahegelegt, sondern unmittelbar gestützt durch 
Mitteilungen von Titchener bezüglich seiner wechselnden, dem jeweiligen 
Bedürfnis angepaßten Verwendung verschiedener bei ihm vorhandener Denk¬ 
typen (Titchener, Lect. on exp. Psych. of Thought-processes. 1901 Lect. I. 1 ). 

In eine irgendwie breitere Darstellung der verschiedenen Sprachstämme 
einzugehen, kann nicht wohl Gegenstand der vorliegenden Schrift sein; immer¬ 
hin wird sich der Ausblick auf dieselben mit verschiedenen Gründen motivieren 
lassen. Zunächst durch den aus einer solchen Betrachtung sich ergebenden 
Beweis, daß die Aphasie der Verschiedenartigkeit der Sprachstämme ent¬ 
sprechend sich in ihnen auch verschieden darstellen wird; wenn nun auch die 
Erwartung etwa über die Aphasie eines Chinesen wissenschaftlich belehrt zu 
werden, noch in etwas weiter Ferne liegt, so wird durch solche Studien immer¬ 
hin der Wunsch nahegelegt, genauere, nach den hier dargelegten Gesichts¬ 
punkten gemachte Aufzeichnungen über Aphasien in der ungarischen 2 ), türki¬ 
schen, jüdischen und etwa finnischen Sprache vorgeführt zu bekommen, die, 
soweit Verfasser bekannt, bisher noch nicht vorliegen oder wenigstens nicht 
in die allgemeine Literatur übergegangen sind. Wir werden auch gewiß über 
die Psychologie des Agrammatismus besser belehrt als wir es bisher waren, 
wenn wir hören, daß es Sprachen gibt, die, wie z. B. das Aramäische, die Kopula 
„ist“ nicht kennen, sondern die in anderen Sprachen durch dieselbe verbun¬ 
denen Worte einfach nebeneinander setzen; und wenn wir erfahren, daß es 
im Rumänischen (Gheorgov, Arch. f. d. ges. Psych. V, S. 352) keinen In¬ 
finitiv gibt, dann wäre es gewiß äußerst lehrreich, zu hören, ob es im Rumäni¬ 
schen etwas dem aphasischen Sprechen in Infinitiven Entsprechendes gibt. 

Ein Moment, das eine wenn auch nur flüchtige Beschäftigung mit den 
Sprachen primitiver Völker motiviert erscheinen läßt, ist der Umstand, daß 

x ) Um wieviel einfacher und leichter allen diesen Fragen eine Funktions¬ 
psychologie sich anpaßt als die früher ausschließlich benützte Erscheinungspsycho¬ 
logie sei hier speziell hervorgehoben. 

2 ) Insbesondere das, was gelegentlich in deutschen Rezensionen ungarischer 
sprachwissenschaftlicher Werke von den wunderbar klaren und durchsichtigen 
Formen und dem bei aller Kompliziertheit dadurch begünstigten Eindringen in das 
innerste Wesen dieser Sprache gesagt wird, rückt diesen Wunsch sehr in den Vorder¬ 
grund. 



Vorrede und Einleitung. 


75 


die von den Linguisten aus diesem Studium gewonnenen und von ihnen für 
das Verständnis der Sprachentwicklung herangezogenen Ansichten nicht ohne 
Bedeutung auch für das Verständnis aphasischer Störungen sein möchten; 
einerseits um daraus zu einem tieferen Verständnis der aus den stationären 
Erscheinungen zu ziehenden psychologischen Schlüsse zu gelangen, anderer¬ 
seits ganz besonders aber dazu, um zu sehen, ob jene Gesichtspunkte auch in 
der Rückbildung der aphasischen Störungen zur Beobachtung kommen; da¬ 
durch würde aber nicht bloß in die pathologischen Fragen Licht hineinge¬ 
tragen werden, sondern es könnten auch die am Kranken gewonnenen Erfah¬ 
rungen ihrerseits wieder zum Verständnis, zur Bestätigung oder Ablehnung 
der von den Sprachforschern aufgestellten Thesen für die Sprachentwicklung 
wichtige Beiträge liefern. 

Noch ein anderes Moment kann die Benützung anthropologischer Lite¬ 
ratur, insbesondere solcher motivieren, welche sich mit der Psychologie und 
den Sprachen primitiver Völker befaßt. Einzelne Vertreter der Sprach¬ 
psychologie sind geneigt, weitgehende Schlüsse aus der Sprachform jener Völker 
nach der Richtung zu ziehen, daß der mangelhaften Sprachform eine Mangel¬ 
haftigkeit der Denkformen entspreche; es werden diese Anschauungen für die 
Beurteilung des Denkens Aphasischer gewiß nicht belanglos bleiben können; 
die Überspannung des Prinzips wird durch anthropologische Studien seine 
Korrektur erfahren. 

Wenn A. Marty (Untersuchung, z. Grundl. I, 1908, S. 70) betont, daß 
wir infolge mangelhafter Kenntnis der Bedeutungsseite und Funktionsweise 
der Sprachmittel noch nicht darüber einig sind, ob in den verschiedenen 
Sprachen ein in den fundamentalen Elementen übereinstimmendes Seelen¬ 
leben sich äußert oder nicht, dann wird auch die Aphasielehre im eigensten 
Interesse an der Lösung dieser Fragen in der Anthropologie der Naturvölker 
darüber Aufschluß zu suchen haben. Wenn wir dieser aber entnehmen, daß 
die so auffallende Mangelhaftigkeit der primitiven Sprachen durch den ge¬ 
ringen Umkreis des sprachlich Auszudrückenden bedingt ist (Fr. Boas), dann 
ward es gewiß berechtigt sein, diesen Gesichtspunkt der Ökonomie auch für 
die' Beurteilung des Sprechens Aphasischer heranzuziehen. Derselbe Autor 
stellt es auch als sehr fraglich hin, ob, wie man meist annimmt, der Mangel 
an bestimmten grammatischen Formen ein Hindernis für die Bildung allge¬ 
meiner Vorstellungen abgebe 1 ). Es findet dieser Gesichtspunkt nicht bloß 
immittelbare Anwendung auf die Psychologie des Agrammatismus, sondern 
erweist sich vor allem bedeutsam durch die wichtige Rolle, w r elche das soge¬ 
nannte begriffliche Denken in der Aphasielehre spielt. 

Gewiß wird es auch zum Verständnis der Sprachpathologie verwertbar 
sein, wenn wir z. B. den Berichten über die Leistungen weißer und farbiger 
•Kinder derselben Schule entnehmen, daß sie hinsichtlich der Gedächtnisleistungen 
in der Grammatik, die bemerkenswerterweise mit denen der Arithmetik Hand 
in Hand gehen, bedeutende Differenzen auf weisen. (Zit. bei Pieron, L’6volut. 
de la m&noire 1910, p. 296.) 

Daß wir übrigens selbst bei der Tierpsychologie gelegentlich eine An¬ 
leihe machen können, um gewisse Erscheinungen der menschlichen Pathologie 

l ) Smiths. Inst. Bureau of Am. Ethnol. Bull 40. Fr. Boas, Handb. of Am. 
Ind. Lang. 1911, p. 64, 



76 


Vorrede und Einleitung. 


zu erklären, mag Nachstehendes exemplifizieren. Dewey (How we think, 
1910, p. 171) erwähnt, daß der direkte Sinneseindruck geeignet ist, die Auf¬ 
merksamkeit von dem, was damit gemeint oder angezeigt wird, abzulenken; 
er verweist auf die Beobachtung, daß, wenn man ein kleines Tierchen auf das 
Futter hin weist, das die Wirkung hat, daß es sich dem deutenden Finger und 
nicht dem gezeigten Gegenstände zuwendet; als Analogie dazu verweist Dewey 
auf das gleichgeartete Verhalten kleiner Kinder und jedem Pathologen dürfte 
das Gleiche von dementen Individuen, namentlich solchen bekannt sein, die 
an Himatrophie oder grober Herdaffektion mit Verblödung leiden. Es handelt 
sich bei der geschilderten Erscheinung vor allem um eine Störung in der Ver¬ 
teilung der Aufmerksamkeit und es wird sich in den dieser Frage zu widmenden 
Ausführungen zeigen, daß dieser Faktor bei einer Reihe von Erscheinungen 
der Aphasie eine wichtige Rolle spielt; so in der Frage nach dem Verständnis 
des eigenen Fehlers durch den Kranken; ist z. B. die Aufmerksamkeit des 
paraphasisch Redenden ganz ausschließlich auf den ihm vorschwebenden (kor¬ 
rekten) Sinn seiner Rede gerichtet, dann merkt er, ähnlich wie der sich Ver¬ 
sprechende, nichts von seinem Sprachdefekt. 

Endlich glaubt Verfasser noch einen allgemeinen Gesichtspunkt zur 
Rechtfertigung des Umfanges der der Linguistik zu entnehmenden Tatsachen 
und Ansichten geben zu können. Es ist eine bei den Sprachforschern einer 
noch nicht weit zurückliegenden Zeit zum Dogma gewordene Anschauung, 
daß, um ein Wort Potts (Zeitschr. f. allg. Sprachw., II, 185, S. 66) zu ge¬ 
brauchen, ,,die isolierende Sprachklasse und die nicht über Agglutination hinaus¬ 
gekommene große Zahl von Sprachidiomen gewissermaßen die geistigen Vor¬ 
stufen zu der Krone aller Menschen rede, der flektierenden bilden“. Diese 
Ansicht ist begreiflicherweise nicht bloß von den Pathologen übernommen, 
sondern auch für den Rückschluß aus der Sprache nach der Intelligenz ver¬ 
wertet worden; um so mehr war es Pflicht einer die Psychologie der Aphasie 
bearbeitenden Darstellung der Änderung in den Anschauungen der Linguisten 
und Philologen, die sich auf diesem Gebiete vollzogen, zu gedenken, um da¬ 
durch berichtigend auf die davon hergenommenen Maßstäbe der Pathologen 
einzuwirken. Gewiß werden diese nicht w r enig erstaunt sein, aus dem Munde 
erfahrenster Fachmänner zu hören, daß das moderne Englisch, doch nicht 
weniger ,,Krone der Menschenrede“ als das Französische oder Deutsche, nur 
mit einer so isolierenden Sprache wie das Chinesische verglichen werden 
kann. — 

Wenn B. Erd mann als allgemeine Grammatik die Wissenschaft vom 
Bestand und der Entwicklung der mannigfachen Verzweigungen der Sprache 
bezeichnet, der auch die Erforschung des gesetzmäßigen Zusammenhanges der 
Sprachvorgänge zukommt, dann wird man wohl verpflichtet sein, auch diese 
Quintessenz der Sprachpsychologie für unseren Gegenstand heranzuziehen; 
denn gewiß unterliegen die pathologischen Sprachvorgänge den gleichen, nicht 
minder gesetzmäßigen und nur durch die Krankheit modifizierten und ver¬ 
schleierten Zusammenhängen, deren Entwirrung durch das Verständnis der 
in dieser Richtung leichter zu erforschenden normalen Sprachvorgänge nicht 
geringe Förderung erfahren könnte. 

Neben den bisher besprochenen Disziplinen war aber selbst die Heran¬ 
ziehung logischer Erörterungen nicht zu umgehen; sie ist übrigens schon da- 



Vorrede und Einleitung. 


77 


durch aufgenötigt, daß, wie erwähnt, die in der Aphasielehre übliche Psycho¬ 
logie ihren Ausgangspunkt von der Logik genommen; die überragende Be¬ 
deutung, welche dementsprechend dem begrifflichen Denken bisher von den 
Pathologen zugesprochen worden, bietet ein besonderes Argument in dieser 
Richtung 1 ). 

Aber auch wichtige sachliche Momente sprechen für das hier eingehaltene 
Verfahren. Wenn wir bedenken, daß die Sprache in allen ihren Formen auch dem 
Ausdrucke der logischen Beziehungen der Gedanken zu einander dient, dann 
muß die Frage, wie sich das vollzieht, welche logischen Prozesse dem voran¬ 
gehen, wie sie im Gesprochenen sich darstellen, eine wichtige Rolle in der Psycho¬ 
logie der Grammatisierung und demnach auch des Agrammatismus spielen; 
sagt doch Titchener (Lect. on the exper. Psych. of Thought-proc. 1909, 
p. 167) von der Psychologie der Denkvorgänge, daß sie direkt zu einer funk¬ 
tionellen Logik und Theorie des Wissens führt. 

Eine solche Logik erscheint zunächst verkörpert in Baldwins geneti¬ 
scher Logik (Thought and Things). Wenn er als das Ziel dieser Logik die Fest¬ 
stellung des „wie, warum und wohin“ hinstellt (1. c. II, p. 3) und (ibid. I, 
p. 37) den logischen Prozeß mit dem Denk vorgange identifiziert, hätte man 
dann denken können, daß eine solche Darstellung gerade für die Zwecke der 
vorliegenden Schrift reiche Ausbeute bieten müßte; das hat sich dem norma¬ 
tiven Charakter der Logik entsprechend, doch nicht in dem gewünschten Maße 
erfüllt; immerhin konnte da und dort von ihren Resultaten Gebrauch gemacht 
werden. 

Es lag nahe, auch in St Öhrs „Logik in psychologisierender Darstellung“ 
(Leitf. 1905, Lehrb. 1910) gerade das zu suchen, was hier besonders vonnöten; 
insbesondere das Vorwort des „Leitfadens“ schien von vomeherein diese Logik 
als ausgewählten Teil der introspektiven Psychologie zu charakterisieren; 
später freilich muß man sich durch Stöhr selbst (Lehrb. S. 12) über eine Ände¬ 
rung seines Standpunktes dahin belehren lassen, daß sich diese Auffassung 
nur zum Teil mit dem deckt, was dieser Autor selbst unter psychologisierender 
Logik versteht: („Den Ersatz des Mechanismus der Sprachbew’egungen durch 
Denkoperationen“); trotzdem erwiesen sich beide Darstellungen in vielen 
Punkten ganz lehrreich, wobei freilich dort, wo sich Stöhr auf das Gebiet der 
Pathologie oder anatomisch-physiologischer Deutung begibt, mehrfach Stel¬ 
lung gegen seine Ausführungen zu nehmen war. 

’) Hier gilt das, was H. Maier (Das emotionale Denken 1908, S. 11) von dem 
Einflüsse der Logik auf die ältere Grammatik gesagt hat: „Was ihr not tat, war ein 
psychologisches Verständnis der tatsächlichen Denkfunktionen, das aber konnte 
ihr die Logik auch in ihrem eigensten Gebiete, dem des Urteils nicht bieten. Denn 
das Interesse der logischen Reflexion war von Anfang an nicht auf das Eindringen 
in die tatsächlichen Denkvorgänge, sondern auf deren normative Gestaltung gerichtet. 
Und die normative Besinnung war keineswegs durch psychologische Analyse vor¬ 
bereitet“. Für die Pathologie aber galt als ausschließlicher Gesichtspunkt die Mög¬ 
lichkeit einer Harmonie mit den ihr eigentümlichen anatomischen Gesichtspunkten, 
von der die Richtigkeit psychologischer Ansichten abgezogen wurde. 

Verfasser mit seiner Laienauifassung in diesen Dingen hatte aber immer den 
Eindruck, daß ein Großteil von dem, was neuerlich Bradley Bosanquet u. a. in 
ihren Darstellungen der Logik gaben, Psychologie ist; von seinen logischen Unter¬ 
suchungen sagt Husserl das Ja selbst; nun findet Verfasser die gleiche Ansicht 
auch von Titchener ausgesprochen (Philos. Rev. 1898, p. 452). 



78 


Vorrede und Einleitung. 


Wir werden auch „Psychologien“ benützen, denen man mit mehr oder 
weniger Recht vorhält, daß es konstruierte Logik ist, die aus ihnen spricht. 
Es wird sich dies damit rechtfertigen lassen, daß diese Konstruktionen, weil 
eben so tiefgehende, als willkommene Führer in dem Dunkel der Erscheinungen 
betrachtet weiden müssen. 

Zum Beweise dafür, daß auch logische bzw. erkenntnistheoretische Er¬ 
örterungen nicht beiseite gelassen werden konnten, ja daß ihnen nicht selten 
entscheidende Aufklärung für Fragen der Pathologie entnommen werden konnte, 
mag folgendes Beispiel dienen: Es wird von Logikern vielfach betont, daß die 
Copula „ist“ erst als sprachlicher Behelf sich nötig erweist und in dem der 
sprachlichen Formulierung vorangehenden Gedanken überflüssig ist, resp. 
nicht vorkommt*); w r enden wir das auf die Sprache des Agrammatischen an, 
so wird die Auslassung der Kopula in ihr jedenfalls viel verständlicher als durch 
die alte Deutung, der Kranke habe die Hilfszeitwörter „vergessen“. 

Erkenntnistheoretische Erörterungen konnten auch deshalb nicht um¬ 
gangen werden, weil die ganze Lehre von den Beziehungen zwischen Denken 
und Sprechen, wie sie bis in die neueste Zeit in der Aphasielehre maßgebend 
geblieben ist, auf Kants Lehre von den Vorstellungen und Begriffen zurück¬ 
geht, die, von jeder psychologischen Theorie prinzipiell absehend, eben er¬ 
kenntnistheoretisch fundiert ist. Welchen Einfluß aber eine unklare Auffassung 
von den Beziehungen zwischen Wort und Begriff, vom begrifflichen Denken 
auf die Aphasielehre genommen, läßt sich auch schon an der so kurzen Ge¬ 
schichte derselben nach weisen. 

Auf Grund der Begriff slehre der Wer nicke sehen Schule kam H. Sachs 
(Vortr. über Bau und Tätigkeit des Großhirns, 1893, S. 223) zu der Ansicht, 
daß das Begriffszentrum zum mindesten für alle formalen Bestandteile der 
Rede und für die abstrakten Begriffe nicht die gesamte Rinde, sondern der 
Schläfelappen ist, daß dort vor allem die Rede geformt, in Sätze und Satz¬ 
perioden geordnet wird. Man hat diese Ansicht später wieder fallen lassen 2 ). 
Nun ist sie wieder aufgelebt in dem „Zweierlei Denken“ von A. Büttner (1909), 
der dem Sachdenken das Sprachdenken gegenüberstellt; dieses letztere, das 
neue sprachliche, begriffliche Denken, soll in der Sprachregion entstehen, in- 
soferne eben die Worte und Begriffe die Vorstellungen vertreten. Man wird 
es dem Standpunkte des Verfassers zugute halten, wenn er auf dieses Resultat 
einer naturwissenschaftlichen Psychologie nicht weiter eingeht, die ihre Auf¬ 
gabe darin sieht, alles seelische Geschehen in Ausdrücken von Leitimgs- oder 
Ausschleifungsprozessen begreiflich zu machen. 

Verfasser glaubt auf weitere Motivierungen für den Umfang der hier 
benützten Materialien nicht eingehen zu sollen; ausschlaggebend dafür war 
im Allgemeinen das Maß der Belehrung, die daraus für seine Zwecke zu schöpfen 
war 3 ); von der Größe und Bedeutung derselben soll die Schrift selbst Rechen¬ 
schaft geben. 

1 ) Es ist nicht überflüssig darauf hinzuweisen, daß das hier Gesagte mit dem 
zusammentällt, was wir zuvor aus dem Fehlen derselben Kopula im Aramäischen 
erschließen mußten. 

2 ) Es ist vom Standpunkte der Wissenschaftslehre nicht uninteressant, daß 
trotzdem jenes scheinbar ausschlaggebende Argument nicht zutrifft, der Agram¬ 
matismus doch im Schläfelappen zu lokalisieren ist. 

3 ) Ein Wort möchte Verfasser bei dieser Gelegenheit der Darlegung seiner 



Vorrede und Einleitung. 


79 


Wenn man gesagt hat, daß zuweilen an einem Werke nicht die posi¬ 
tiven Daten, sondern seine Tendenz das eigentlich Förderliche sind, so möchte 
Verfasser in der Tat auf die Anerkennung der letzteren an seiner Schrift 
den Hauptwert legen; hat er doch wiederholentlich den Charakter derselben 
als Pionierarbeit betont. Seine feste Voraussicht von dem Nutzen derselben 
stützt Verfasser vor allem auf die Erfahrung, daß so oft er sich den auch 
mehrfach schon durchgearbeiteten Kapiteln des psychologischen Teils zu- 
wendete, immer wieder sich ihm neue Seiten der Probleme dar boten, deren 
Nutzanwendung für die Zwecke der Pathologie sich als außerordentlich aus¬ 
sichtsreich darstellen wird. — 

Der vorliegende Versuch ist nicht der erste dieser Art; bekanntlich hat 
schon Kuß maul von den gleichen Gesichtspunkten aus einen ähnlichen unter¬ 
nommen x ) aber der ungenügende Stand der damaligen Sprachpsychologie 
vor allem ist schuld daran, daß die Fülle der von dort herangezogenen Tat¬ 
sachen sich vielfach als ein nicht organisch mit dem Ganzen zusammen¬ 
hängender Appendix darstellt. Das ist aber auch der Hauptgrund, daß bei 
der Lektüre des Kuß mau Ischen Buches niemals deutlich vor Augen tritt, 
wo die Lücken der Sprachpsychologie eine Verwertung dieser im Pathologi¬ 
schen unmöglich machen und wo andererseits die Pathologie hilfreich zur Auf¬ 
klärung des Normalen ein treten könnte; gerade nach diesen beiden Seiten 
hin hofft Verfasser in seiner Schrift keinen Zweifel übrig gelassen zu haben. 

Seither ist das besser geworden; die zur Sprachpsychologie entwickelte 
Lehre, die den ganzen Stoff der Sprachwissenschaften doch wesentlich besser 
verarbeitet dem Pathologischen entgegen bringt, ebenso wie die Fortschritte 
der Pathologie selbst gestatten es jetzt schon vielfach, beide in organischen 
Zusammenhang zu bringen. Aber auch die umfassende Darstellung der Aphasie- 
lehre, die v. Monakow in den beiden Auflagen des Nothnagelschen Hand¬ 
buches gegeben, leidet an demselben Mangel wie die Kußmauls; Verfasser 
hat die Empfindung, daß es namentlich die Nicht berücksich tigung der neueren 
Psychologie dabei ist, welche die Durchdringung und vertiefte Ausnützung 
der Beziehungen zwischen der meist herangezogenen älteren Literatur und der 

Ansicht widmen, daß eine erschöpfende Fundierung der Aphasielehre insbesondere 
in der Psychologie auch der Therapie der einschlägigen Störungen nicht bloß zum 
Vorteil gereichen, sondern erst die leitenden Gesichtspunkte ergeben muß, nach 
denen die Reedukation solcher Kranken zu leiten ist. Gewiß hat Mohr (Arch. f. 
Psychiatrie 39, 3) recht, wenn er bemerkt, daß in der Behandlung der Aphasie mit 
der Zentrenlehre nichts zu wollen ist; w r enn er aber dann von der Notwendigkeit einer 
möglichst psychologischen Betrachtungsweise spricht, so hat er nicht die letzte 
Konsequenz gezogen; ebenso wie wir schon jetzt sehen, wie z. B. der Sprachunterricht 
aus der vertieften psychologischen Einsicht in den Sprachvorgang entscheidende 
Gesichtspunkte schöpft, darf man das Analoge auch für den Sprachunterricht der 
Aphasischen erhoffen. 

x ) Es ist nur billig, hier des historischen Umstandes zu gedenken, daß auch 
früher schon Broadbent mehrfach in seinen Arbeiten mit Befriedigung konstatiert, 
daß die Tatsachen, welche „die durch die Krankheit zustande gebrachte Analyse 
des Sprach Vorganges“ zutage fördert, mit den Analysen der Logiker und Gram¬ 
matiker im Einklang stehen, wieB. sich überhaupt schon im Beginn seiner Aphasie- 
Studien oft auch ganz ausschließlich mit sprachpsychologischen Gedanken befaßt 
hat. (S. seinen Aufsatz in Cornhill - Magazine 1866, 13. u. 14. Vol.) Das Schrift- 
chen von Oltuszewski „Psychol. und Philos. der Sprache“ 1901, ist doch zu un¬ 
kritisch, als daß es im Texte Erwähnung zu finden Berechtigung hätte. 



80 


Vorrede und Einleitung. 


Pathologie der Aphasie auch bei diesem Forscher nicht zu entsprechender 
Entwicklung kommen läßt. 

Dabei spielt aber noch ein Anderes mit. Meist wenn ein Pathologe an 
die Quellen der Sprachpsychologie herangetreten, begnügte er sich, die all¬ 
gemeinen ihnen entstammenden Gesichtspunkte für sein Gebiet zu übernehmen; 
aber bisher ist es eigentlich noch niemals versucht worden, die Einzelheiten 
jenes Gebietes in der Weise für die Pathologie zu verwerten, wie es hier be¬ 
absichtigt ist; und darin glaubt Verfasser den Grund dafür sehen zu dürfen, 
daß er mehr der Beziehungen zwischen beiden Gebieten klarzulegen und zu 
verwerten imstande ist, als dies seinen Vorgängern gelungen. Auch schon die 
Leser des ersten psychologischen Teiles werden sich überzeugen, daß er überall 
bemüht w r ar, und wie er glaubt, nicht ohne Erfolg, nicht bloß die engen Be¬ 
ziehungen zwischen den den Hilfswissenschaften entnommenen Tatsachen 
und den klinischen Erscheinungen aufzuzeigen, sondern auch in den ersteren 
wichtige Nutzanwendungen für das Pathologische, insbesondere in der Rich¬ 
tung der Erforschung der Zusammenhänge innerhalb desselben nachzuweisen. — 

Es könnte scheinen, als ob die eingehende Darstellung, welche die Resul¬ 
tate der „Würzburger“ Schule und insbesondere der von ihr geführte Nach¬ 
weis eines unanschaulichen Denkens hier gefunden haben, mehr dekorativen 
Charakter tragen ; mit nichten; es ist schon gezeigt worden und wird sich an 
zahlreichen Punkten schon in den ersten vorbereitenden psychologischen Kapiteln 
zeigen, daß wir von jenen Resultaten vielfache Anwendungen auf pathologi¬ 
sche Fragen w r erden machen können. Hier sei nur ein Gesichtspunkt ange¬ 
deutet, der sich für eine individualpsychologische Betrachtung des Einzelfalles 
daraus ergeben muß. Es ist anzunehmen, daß ein mit anschaulichem Denken 
begabter Kranker jedenfalls günstiger gestellt erscheint, als ein anderer, bei 
dem das Denken seiner Anlage nach vorwiegend unanschaulich sich vollzieht; 
der erstere, z. B. agrammatisch geworden, wird noch immer seine auftauchenden 
Vorstellungen sozusagen ablesend, etwa im Telegrammstil fließender sprechen 
als der andere, dessen Sprechtempo mindestens dadurch leidet, daß er ab- 
warten muß, bis das Unanschauliche sich zu anschaulichen Vorstellungen ent¬ 
wickelt hat. 

Bei der Rechtfertigung eines solchen Versuches wie des vorliegenden 
soll nicht unterlassen w r erden, gleich hier darauf hinzuw r eisen, daß gerade Gram¬ 
matik und Syntax, wie das noch letztlich der Sprachpsychologe Sechehaye 
programmatisch auseinandergesetzt hat, eines der unzureichendsten Gebiete 
der Sprachpsychologie darstellen. Die Nutzanwendung dessen, was die Se¬ 
mantik bisher zutage gefördert, ist auch dadurch beschränkt, daß die Vertreter 
derselben selbst noch darüber uneinig sind, ob man aus den Tatsachen der¬ 
selben „Gesetze“ abstrahiert habe oder ob es sich bloß um Regeln handle. 
Man wird billig diese Umstände bei der Würdigung der vorliegenden Schrift 
in Betracht ziehen. Trotzdem mußte der Versuch gemacht werden, einmal 
eine zusammenfassende Skizze alles dessen zu geben, w r as in diesen und allen 
dazu gehörigen Grenzgebieten für die Zwecke der Aphasielehre Verwertbares 
sich findet. Die Lücken, die sich dabei gerade vom Standpunkte der speziellen 
Anwendung ergeben, stellen gleichsam das Programm dar, wo die Gewinnung 
und Verwertung neuerer Tatsachen in den Hilfswissenschaften ganz besonders 
und immer wieder von neuem einsetzen soll. — 



Vorrede und Einleitung. 


81 


Je breiter nun die Basis für die vorliegende Schrift genommen wurde, 
um so mehr mußte man sich davor hüten, nicht direkt dazu gehöriges, etwa 
philosophisches Gebiet zu betreten; Verfasser glaubt streng im Rahmen be¬ 
obachtender und deutender Wissenschaft geblieben zu sein. Freilich durfte 
ihn das nicht abhalten, zu einer als philosophisch angesehenen Frage aus prak¬ 
tischen Gründen präzise Stellung zu nehmen, nämlich in der Wahl zwischen 
Dualismus und Parallelismus. Der letztere stellt sich ihm vom Standpunkte 
der Naturwissenschaft als die zweckmäßigste Arbeitshypothese auch für die 
vorliegenden Fragen dar und um das zu begründen, will er nur auf die Schwierig¬ 
keiten hinw r eisen, die sich gerade in Rücksicht der hier behandelten Fragen 
für einen Sprachforscher vom Range Delbrücks aus der Anwendung des 
Dualismus ergaben und zwar gerade in derjenigen Arbeit, die dem Aphasie- 
problem zugew r endet ist*). 

Die Wertschätzung des Parallelismus seitens des Verfassers beruht nicht 
so sehr in seiner erkenntnistheoretischen Bedeutung, die ja hier gar nicht in 
Betracht kommt, als vielmehr in der außerordentlichen methodologischen 
Unterstützung, die gerade auf dem hier bearbeiteten Gebiete von seiner Ver¬ 
wertung zu erwarten ist; wie das möglich, ist schon im Vorangehenden gelegent¬ 
lich zur Darstellung gekommen; es möge aber gestattet sein, der prinzipiellen 
Seite der Frage hier einige Erörterungen zu widmen. Die Theorie des Paralle¬ 
lismus muß als Hilfsmittel beschreibender Erklärung naturgemäß um so mehr 
versagen, je mehr wir von den peripherisch einsetzenden Prozessen ausgehend, 
uns den eigentlich zentralen nähern, weil der relativ befriedigenden Einsicht 
in die psychische Seite der Parallelvorgänge auf der physischen das entsprechend 
ausgestaltete Korrelat an Kenntnissen noch durchaus fehlt; jeder Fortschritt 
in der psychologischen Analyse der auf dem Wege zu den mehr zentralen Pro¬ 
zessen gelegenen Einzel Vorgänge muß sich demnach zu einem Vorstoße der 
Erkenntnis in diesen dunklen Gebieten gestalten und aus hier nicht zu er¬ 
läuternden Gründen bietet gerade die Pathologie manche Handhabe dazu. 
Es ist nun auch schon von anderen, z. B. noch letztlich von K. Goldstein 
(Ein. prinz. Bemerk, z. Frage d. Lokal, psych. Vorgänge. S.-A. aus med. Klinik. 
1910, Nr. 35, S. 10) darauf hingewiesen worden, wie die psychologische Ana¬ 
lyse uns in Fragen der Lokalisation auch im einzelnen leiten kann; aber die 
hier von der psychologischen Reihenfolge hergenommene „psychologische 
Lokalisation“ als heuristisches Prinzip für die klinische Lokalisation ist bisher 
in dieser methodologischen Form noch nicht zum Ausdruck gekommen. Ver¬ 
fasser wird in der Lage sein, zu zeigen, wie wir diesem Leitgedanken die Be¬ 
antwortung wichtiger lokalisatorischer Fragen unmittelbar entnehmen können. 
Während wir bisher über das gegenseitige Verhältnis der verschiedenen auf 
dem Wege vom Denken zum Sprechen liegenden Einzelfunktionen und ihrer 
Zentren verschiedene, vielfach bestrittene Ansichten haben, wird uns eine 
präzisere Feststellung der Reihenfolge der diesem Wege entsprechenden psycho¬ 
logischen Vorgänge gestatten, auch bezüglich jener Funktionen und Zentren 


x ) Delbrück (Jenaische Zeitschr. f. Naturw. 20. Bd., S. 92). Auch seitens 
der Naturwissenschafter sind die Schwierigkeiten zu beachten, die sich aus der 
Frage ergeben, ob analog den Sprachlauten auch für die Pausen, das Tempo und die 
anderen „musischen“ Elemente der Sprache „Bilder in der Seele“ wirksam sind. 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 6 



82 


Vorrede und Einleitung. 


die Reihenfolge und für manche derselben den bisher unbekannten oder be¬ 
strittenen Sitz zu fixieren. — 

Wenn Dana in einer zusammenfassenden Arbeit (New York med. Joum. 
1907, p. 240), die Hauptpunkte für eine praktische Diagnose betonend (der 
Agrammatismus findet sich unter den Symptomen der sensorischen Aphasie 
angeführt), ihr die metaphysische *) gegenüber stellt, so hofft Verfasser, daß 
man in seiner Schrift keine Metaphysik finden wird 2 ). Daß eine solche Ver¬ 
wahrung doch nicht ganz imangebracht ist, mag eine moderne Darstellung 
der Aphasielehre (Ferrand, Le Language, la Parole, les Aphasies, 1894, p. 40) 
beweisen, die es offen läßt, ob die Stufenleiter der Ausdrucksformen von der 
Mimik bis zur Schrift etwa das Resultat einer ,,harmonie creatrice“ ist. Ver¬ 
fasser möchte übrigens bei dieser Gelegenheit auch seiner Ansicht Ausdruck 
geben, daß einer der Gründe, warum die Monographie Kuß mauls nicht die 
von dem theoretischen Teile erhoffte Wirkung auf die Aphasielehre hatte, der 
w r ar: Kuß maul hat die der Metaphysik gegenüber gebotene Zurückhaltung 
nicht genügend gewahrt und ohne Nötigung die den Sprachwissenschaften 
entnommenen Resultate der damals in diesen maßgebenden Methode folgend 
bis weit über die sachlich gebotenen Grenzen hinaus ins Metaphysische ver¬ 
folgt; unverkennbar liegt auch dieser Umstand der bis in die neueste Zeit nach¬ 
wirkende Abneigung der Sprachpathologen gegen alles auch nur andeutungs¬ 
weise an Philosophie Mahnende zugrunde. 

In diesem Zusammenhänge muß Verfasser jetzt nochmals auf Äußerungen 
Heilbronners (Münch, med. Wochenschr. 1911, Nr. 16, S. 12 d. Sonderabdr.) 
zurückkommen, die schon früher gestreift worden sind. Heilbronner hält 

x ) Vielleicht daß dieser Gegenüberstellung der Umstand zugrunde liegt, 
daß englische Linguisten gelegentlich die Behandlung der Denkvorgänge als Meta- 
physic of Language bezeichnen (A. H. Sayce. The Princ. of compar. Philology 
1892). Daß es jetzt eine metaphysische Psychologie nicht mehr gibt s. G. Anschütz, 
(Arch. f. d. ges. Psychol. 20. 1911, S. 426). Wenn einzelne deutsche Gelehrte in der 
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Studien über die Geschlechtsformen der Wörter 
als Metaphysik der Sprache bezeichnen, so ist man sich längst darüber klar, daß dieses 
Teilgebiet der Morphologie der Sprache nichts mit Metaphysik zu tun hat. Verfasser 
hofft, daß selbst in der, wie schon erwähnt, notwendigen Heranziehung logischer 
Untersuchungen wie derjenigen von Husserl, Stöhr, in der er sich übrigens großer 
Sparsamkeit beflissen, keine Bezugnahme auf Metaphysisches gefunden werden 
wird. Schließlich möchte er nur, um nicht etwa eines Widerspruches geziehen zu 
werden, bemerken, daß er natürlich von der Erkenntnistheorie im Sinne E. Dürrs 
als der Psychologie des Erkennens in weitestem Maße Gebrauch gemacht hat; 
ja, es scheint ihm nicht vermessen, wenn er die vorliegende Arbeit ähnlich w ie ein¬ 
schlägige frühere direkt als Beiträge zur pathologischen Psychologie des Erkennens 
bezeichnet. 

Insofern w f ir hier in ausgedehnterem Maße von sprachpsychologischen Arbeiten 
A.Martys Gebrauch gemacht haben, denen Wundt den Vorwurf eines metaphysisch 
orientierten psychologischen Systems macht, ist auf die diesbezüglichen Äußerungen 
A. Martys (Unters, z. Grundl. etc. I, 1908, S. 74) zu verweisen. 

Wenn andererseits Fr. Mauthner (Z. Gramm, u. Psychol. 1902, S. 277) 
die Psychologie die Metaphysik der Physiologie nennt, so wird man das jedenfalls 
auf die hier verwertete Psychologie nicht anzuwenden Veranlassung haben. 

2 ) Nicht weniger als die von den Naturwissenschaften! gefürchtete ,,philo¬ 
sophische“ hat Verfasser auch die vom Materialismus hergeholte Metaphysik bei¬ 
seitegelassen; die Notwendigkeit dazu war umso mehr gegeben, als gerade diese sich 
oft unbewußt in die Nutzanwendungen der Pathologie eingeschlichen hat. 



Vorrede und Einleitung. 


83 


den verschiedenen neueren, an die Stelle der Lehre von der Lokalisation der 
Erinnerungsbilder gesetzten Erklärungsversuchen die Schranken entgegen, die, 
so lange sich uns nicht „ungeahnte neue Erkenntnismöglichkeiten“ eröffnen, 
unserer Einsicht gesetzt sind J ). Verfasser hat es streng vermieden, dieses 
wirklich metaphysische Gebiet zu betreten; es ist identisch mit dem be¬ 
kannten, immer wieder auch in neuesten Darstellungen auftauchenden 
Du Bois-Reymondschen Welträtsel, von dem Mach so schön nachgewiesen, 
daß es überhaupt kein Problem darstellt. Heilbronner gedenkt auch neuestens 
(Der Stand der Aphasiefrage. Sep.-A. aus Fortschr. d. naturwiss. Forsch. 
Herausg. v. Abderhalden, IV, 1912, S. 149) der Enttäuschungen derer, die 
in „der Lehre von der Aphasie den Schlüssel zu finden hofften, mit dem sich 
uns das Verständnis der Lehre von der Sprache und damit des Geschehens im 
Gehirn in seinem Verhältnis zu psychischen Vorgängen überhaupt erschließen 
sollte.“ Verfasser glaubt weder jetzt noch für eine frühere Zeit den Stand der 
Frage als Enttäuschung qualifizieren zu können; man hatte eben den Weg 
zu jener Aufklärung, ähnlich wie auf anderen Wissenschaftsgebieten, zu kurz 
bemessen; andererseits waren die Ausgangspunkte der fortgesetzten Versuche 
verfehlt, nicht zum wenigsten deshalb, weil die zunächst dazu verwerteten 
theoretischen Grundlagen in weiterer Folge einer Revision nicht mehr unter¬ 
zogen worden sind. Es ist einer der Hauptzwecke der vorliegenden Studien, 
eine solche Revision anzubahnen und ihre Notwendigkeit, ebenso wie die der 
ständigen Beachtung alles dessen, was die Hilfswissenschaften in so reichem 
Maße zutage fördern, für eine gedeihliche Fortführung der so behinderten 
Bestrebungen darzulegen. Auf einen der als irrtümlich hingestellten Ausgangs¬ 
punkte ist aber noch besonders emzugehen, weil seine Klarlegung uns Gelegen¬ 
heit gibt, die auch jetzt noch festgehaltene Ansicht von der Aussichtslosigkeit 
des hier ins Auge gefassten Suchens nach Einblicken in das Psychische von der 
Aphasie aus zu widerlegen. 

Der Optimismus, den Verfasser dem Standpunkte Wernickes ent¬ 
gegenbringt, gründet sich eben nicht bloß auf die der eben bekämpften gegen¬ 
teilige allgemeine Ansicht von den Zwecken naturwissenschaftlicher For¬ 
schung, sondern vor allem auf Erwägungen, die seit Beginn seiner wissen¬ 
schaftlichen Tätigkeit den Leitfaden einer von ihm gepflegten Arbeitsmethode 
gebildet haben. Es ist die Methode der psychologischen Erforschung der durch 
Herderkrankungen oder ihnen gleichgeartete funktionelle Himer kr ankungen 
erzeugten Symptome bzw. die psychologische Bearbeitung des Grenzgebietes 
zwischen Neurologie und Psychiatrie; obwohl von Kraepelin in seiner Rede 
„über Methoden in der Psychiatrie“ nicht erwühnt, hat sie sich in den letzten 
Jahrzehnten zu einer Disziplin entwickelt, die ein gewichtiges Argument dafür 
abgibt, daß ein bestimmter Teü der Neurologie nicht ohne schweren Schaden 
für die Sache dem Wirkungskreise des Psychiaters entzogen werden könne. 
Dieser Disziplin nun kommt naturgemäß eine entscheidende Funktion im 
Studium der Aphasien zu; sie ist es auch, die, ohne psychopathologische Pro¬ 
bleme im engeren Sinne zu bearbeiten, doch gerade, sozusagen von der Außen¬ 
seite dem Psychologischen als Pathopsychologie sich nähernd, die Erfüllung 

l ) Ähnlich hat sich Heilbronner schon im Handb. d. Xeurol. I., 1910, S. 1066 
geäußert. 


6 * 



84 


Vorrede und Einleitung. 


dessen zum Ziele hat, was Wernicke von dem Studium der „psychischen 
Herdaffektion“ erhoffte. 

An einem besonderen Beispiele soll gezeigt werden, wie durch die hier 
dargelegte Methode der Betrachtung bis dahin dunkle Tatsachen, die sich 
Jedem aufdrängen mußten, ohne doch bisher Aufklärung gefunden zu haben, 
jetzt einer solchen zugeführt werden. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß 
Sensorisch-Aphasische im Allgemeinen geistig schwerer geschädigt erscheinen, 
ohne daß bisher eine auch nur halbwegs zureichende Deutung dafür gegeben 
wäre. Darüber war man sich wohl klar, daß nicht etwa eine Komplikation 
mit psychischen Defekten im engeren Sinne vorliegen konnte, weil ja die Kon¬ 
stanz der Erscheinung diese Annahme als irrtümlich widerlegt. Die gegen- 
tcüige Ansicht, daß es die Läsion des akustischen Sprachfeldes sei, welche das 
bedinge, zog die Erklärung nach sich, daß in oder nahe den lädierten Partien 
die den höheren, intellektuellen Vorgängen näher stehenden Funktionen und 
Territorien gelegen sein müßten. Aber über solche ganz allgemeine, zum Teil 
recht unsichere Ausführungen ist man nicht hinausgekommen, vor Allem des¬ 
halb, weil die psychologische Deutung der Tatsache selbst fehlt. Einen 
wichtigen ersten Anhaltspunkt dazu bieten nun hier erörterte Tatsachen der 
Sprachpsychologie; sie sind ein weiterer Hinweis, wo die Fundamente für ein in 
erster Linie funktionelles Verständnis der Aphasielehre zu suchen sind, ehe 
auch nur der Versuch einer anatomischen Erklärung (und auch die nur im Sinne 
einer Beschreibung) gemacht werden kann. Der hier darzulegende Gesichts¬ 
punkt wird aber erst dann methodologisch in seiner vollen Bedeutung ge¬ 
würdigt, wenn man in Betracht zieht, daß es sich dabei um eine negative, 
sprachlich nicht zum Ausdruck kommende Tatsache handelt, die dement¬ 
sprechend auch bei noch so weitgehender Vertiefung von der Pathologie aus 
allein überhaupt nicht zu ergründen wäre. 

Es handelt sich um das, was wir in dem Kapitel von den Ausdrucks- 
mittein als die „Situation“, das „Vorausgesetzte“, kennen lernen werden, 
dessen Umfang vor Allem die Form und das Ausmaß beeinflussen wird, in 
welchen die „Versprachlichung“ des Gedankens sich vollzieht ; das wird ver¬ 
ständlich, wenn wir zur Erklärung dieser Erscheinung das allgemeine Prinzip 
der Orientierung und Anpassung als auch für den Sprachvorgang giltig heran¬ 
ziehen. Daraus nun wird sich zum Teil unmittelbar folgern lassen, warum 
Sensorisch-Aphasische unter gleichen Verhältnissen intellektuell schwerer ge¬ 
schädigt erscheinen, als solche mit motorischer Aphasie. Es ist die gestörte 
Anpassung an die gegebene Situation und die daraus resultierende Art ihrer 
Ergänzung durch das Gesprochene, worin es begründet ist, daß der Sensorisch- 
Aphasische wesentlich ungünstiger situiert ist, als der Motorisch-Aphasische. 
Das wird sofort klar, w r enn wir beide als Hörer betrachten; der Sensorisch-Apha¬ 
sische wird, falls sein Sprachverständnis irgendwie stärker geschädigt ist, da¬ 
durch an dem Erfassen des zur Ergänzung der den übrigen Sinnen offenbaren 
Situation *) Gesagten behindert und erscheint dadurch allein schon dem Moto¬ 
risch- Aphasischen gegenüber, bei dem das nicht der Fall, intellektuell beträcht¬ 
lich rückständiger, weil wir gewohnt sind, das Erfassen der Situation als die 

x ) Wir werden später hören, daß auch die „innere“, emotionale Situation 
eine wesentliche Rolle spielt; es ist ersichtlich, daß der Sensorisch-Aphasische 
auch in Hinsicht dieser dem Motorisch-Aphasischen gegenüber sehr im Nachteil ist. 



Vorrede und Einleitung. 


85 


Grundbedingung für jede Reaktion auf dieselbe als unmittelbares Kriterium 
der Intelligenz anzusehen und denjenigen, der sich nicht ihr entsprechend 
adaptieren kann, als geistig defekt zu werten 1 ). 

Nicht ganz so deutlich ist diese Differenz, wenn wir die Beiden uns sprechend 
denken; dabei dürfte das eine Rolle spielen, daß der Motorisch-Aphasische 
sich seines Defektes meist bewußt ist, während beim Sensorisch-Aphasischen 
dies oft nicht der Fall ist; das Fehlen dieses Verständnisses wird aber insofeme 
für unsere Frage bedeutsam sein, als dadurch der Sensorisch-Aphasische nicht 
direkt auf die ihm etwa zur Verfügung stehenden Ersatzfunktionen verwiesen 
wird, die ja zum Teil wie die Zeichensprache erst des willkürlichen Impulses 
bedürfen; dieser setzt aber bei dem Mo torisch-Aphasischen sofort ein, weü er 
nicht wie jener über seine Unfähigkeit, sich sprachlich auszudrücken, im Un¬ 
klaren ist. Daß die hier nur angedeuteten Differenzen durch die Allgemein¬ 
wirkungen der Zerebralaffektion vertieft werden, ist ohne weiteres ersichtlich, 
namentlich wenn wir in Betracht ziehen, daß zur Erzeugung der motorischen 
Aphasie schon eine wesentlich kleinere Läsion genügt als diejenige, die sensorisch- 
aphasisch macht. 

Aber noch von einem anderen Gesichtspunkte aus erscheint die Bedeu¬ 
tung der Situation als Ausdrucksmittel der Sprache von prinzipieller Be¬ 
deutung für die hier erörterte Frage; ihre Verwertung in Hinsicht der noch 
weiter nötigen sprachlichen Ergänzung stellt jedenfalls eine mehr psychische 
und nicht unmittelbar sprachliche Funktion dar, also, da sie andererseits einen 
ebenso wichtigen Faktor beim Sprechen darstellt, eine Art Brücke zwischen 
beiden Gebieten; das macht es aber wdeder verständlich, w r enn wenigstens 
psychologisch zwischen Sprachfeld und den psychischen Feldern 2 ) keine 
scharfe Grenze gezogen werden kann; es büdet das in letzter Konsequenz ein 
weiteres Moment dafür, daß der Sensorisch-Aphasische den Eindruck stärkeren 

*) Daß die hier gemachten Erörterungen doch auf dem realen Boden von 
Tatsachen gegründet sind und dadurch ihre Nutzanwendung auf solche wieder 
ihre Berechtigung erhält, mag der Hinweis auf analoge linguistische Tatsachen 
zeigen. Von der Hupa-Sprache, einem Dialekte der nordamerikanischen Indianer 
wird berichtet; „Die größere Mühe in der Hupa-Sprache ist auf Seite des Sprechers, 
der mit großer Genauigkeit die meisten der Begriffe und ihre Beziehungen aus¬ 
drückt und nur wenig der Ergänzung durch den Zuhörer überläßt“. Sehr charak¬ 
teristisch in dieser Beziehung ist auch das, was von den auch des Englischen mächtigen, 
jüngeren Personen gesagt wird. „Sie gebrauchen die Hupa-Sprache, wenn sie 
Aufträge bezüglich der zu verrichtenden Arbeit geben oder Vorfälle berichten, 
deren Lokalitätsbeziehungen sie genau ausgedrückt wissen wollen, während sie 
das Englische für den gewöhnlichen Verkehr benützen“. (Aus Handbook of Am. 
Ind. Lang, by Fr. Boas Washington 1911, p. 151). 

Dem hier Erörterten entsprechen auch klinisch ganz prägnante Tatsachen, 
die man bisher allerdings von diesem Standpunkte aus nicht betrachtet. Eben 
bei der Niederschrift dieser Notiz hat Verfasser in der Klinik zwei Fälle von sen¬ 
sorischer Aphasie vorgestellt; der eine eine Herdaffektion des 1. Schläfelappens, der 
zweite ein Paralytiker nach schweren rechtsseitigen Anfällen; wie prägnant trat 
bei dem letzteren das Plus von Intelligenzdefekt als Unfähigkeit zur Erfassung 
der Situation und zu entsprechender Anpassung an dieselbe in die Erscheinung 
trotz sonst ziemlich gleicher Höhe der Sprachstörung. (Selbstverständlich wurde 
die Wirkung der paralytischen Anfälle in Rücksicht der Bewußtseinstrübung ge¬ 
bührend beachtet.) 

2 ) Die hier gebrauchten Bezeichnungen sind ganz allgemein gemeint und 
nicht etwa im Sinne eines bestimmten lokalisatorischen Schemas. 



86 


Vorrede und Einleitung. 


psychischen Defekts macht als der Motorisch-Aphasische. Daß hierbei auch 
die sogenannte „Einfühlung“ der Psychologie, bzw. ihr Defekt in gleichem 
Sinne wirksam ist, geht daraus hervor, daß man mit dieser Bezeichnung, soweit 
Menschen in Betracht kommen, auch das Verständnis fremder Ausdrucks¬ 
bewegungen bezeichnen will. 

Man wird bei dieser Beurteilung endlich auch noch eines Umstandes zu ge¬ 
denken haben, der den Sensorisch-Aphasischen infolge mangelhafter Darstellung 
der Situation geistig defekter erscheinen läßt, als er es tatsächlich ist x ). Vom 
Standpunkte des Sprechens besehen dient auch die sprachliche Formulierung 
der Rede dem Zwecke der Situation; denn einmal besteht sie nicht bloß in dem, 
was den Sinnen noch vor jeder Rede sich dargeboten, sondern sie wird auch 
ergänzt durch das Gesprochene, das die sprachliche Situation sich entwickeln 
läßt; jedes Wort bereitet auch schon durch seine Form (und natürlich ebenso 
auch durch Betonung u.Ä.) auf die nächsten vor; ist das z. B. durch mangel¬ 
hafte Formgebung zerstört, dann ist eben der sprachliche Anteil der Situations¬ 
verwertung gestört, und es kann dadurch der Schluß von der ungenügenden 
Berücksichtigung der Situation auf die Intelligenz beeinflußt sein. Da der 
normale Hörer dem Gehörten mit seinem normalen Sprachgefühle entgegen¬ 
tritt, aus dem heraus die gehörten Wortformen das Verständnis der Situation 
nach sich ziehen, so macht sich dem Aphasischen gegenüber diese Wirkung in 
dem zuvor erörterten Sinne geltend. 

Daß außer den hier dargelegten Momenten bei der geistigen Wertung 
zwischen motorisch und sensorisch Aphasischen auch der Umstand eine Rolle 
spielt, daß die bei letzteren betroffenen Hirnabschnitte auf einer höheren Stufe 
der Intellektualität (ganz allgemein gesprochen) stehen als die beim Motorisch- 
Aphasischen beteüigten, ist natürlich ebenso sicher; wenn das zuvor unter die 
allgemeinen Ausführungen bezüglich der bisherigen Aphasielehre eingereiht 
worden, so wird auch diese Frage in dieser Schrift eine wesentliche Förderung 
erfahren. 

Der prinzipiell enge Zusammenhang zwischen Aphasie und anderen 
Zerebralaffektionen einschließlich der Psychosen, läßt es schon von vorneherein 
erwarten, daß von den hier behandelten Fragen auch manche Aufklärung für 
die ihm näher stehenden Gebiete der letzteren zu erwarten sein wird; das wird 
insbesondere mit allgemeinen Fragen der Fall sein, so z. B. bezüglich der so¬ 
genannten „Attitüde“ der Amerikaner und Franzosen, der motorischen Ein¬ 
stellung bei sensorischen Vorgängen, deren Nichtbeachtung insbesondere von 
deutscher Seite zu mißverständlicher Auffassung damit zusammenhängender 
Probleme geführt hat; die Hinweise, die hier darauf gegeben werden sollen, 
werden hoffentlich auch darin Wandel schaffen. 

Wie diese „Attitüde“ zur Aufklärung wichtiger, bisher nur empirisch 
gewonnener Tatsachen im Rahmen der Aphasielehre dienen kann, soll hier an 
einem speziellen Falle aufgezeigt worden. Wir kennen seit Bastian für das 
Pathologische eine Regel hinsichtlich der Abstufung willkürlicher, assoziativer 
und sensorisch ausgelöster Erregung. Die durch den sensorischen Akt un¬ 
mittelbar provozierte motorische Einstellung des betreffenden Organs, eben 

D Die Bedeutung dieses Scheins hat sich ja in der Geschichte der Sensorisch- 
Aphasischen bekanntlich dadurch bemerkbar gemacht, daß solche Kranke erst in 
den fünfziger Jahren als nicht direkt geisteskrank erkannt w T urden. 



Vorrede und Einleitung. 


87 


die „Attitüde“, gibt uns durch die darin hervortretende Summierung zweier 
Faktoren eine Erklärung dafür, daß für peripherische Reize die Schwelle tiefer 
liegt als für die anderen zwei Formen der Erregung. Durch den Nachweis, 
daß es die Einstellung also ein motorischer Akt ist, welche den Schwellenwert 
verstärkt, wird aber ein Bedenken erledigt, das Heilbronner (Arch. f. Psych. 
34, 2, S. 43 f.) gegen die vom sensorischen Reiz ausgehende stärkere Wirkung 
gegenüber anderen Reizen vorgebracht hat; Heilbronner folgerte aus dieser 
Annahme, daß das eine ständige Ubererregung und Ablenkbarkeit zur Folge 
haben müßte; das Nichtzutreffen dieser Folgewirkung wird auch noch ver¬ 
ständlich durch das jedesmalige Aufhören der Einstellung, die, nur wenn vor¬ 
handen, für die Herabsetzung der Schwelle verantwortlich war. 

Insofern gerade das Denken es w'ar, dem die neue Methode der Intro¬ 
spektion sich zu wandte, ist unser Einblick in die Denk Vorgänge so wesentlich 
gefördert worden, daß davon auch das vor wenigen Jahren festgelegte Ver¬ 
hältnis zwischen Aphasie- und Apraxielehre eine Änderung erfahren muß. 
Ebenso wie über deren Zusammengehörigkeit — Bagley (in Amer. Journ. of 
Psych. XII, 1900—1901, p. 81) bezeichnet die Psychologie der Ausdrucksbe¬ 
wegungen direkt als einen Teil der „Psychologie of action“ — war man sich 
darüber klar, daß die Aphasie von der Apraxieforschung aus vorwiegend Auf¬ 
klärung zu erhoffen haben wird. Das wird vielleicht auch weiterhin hinsicht¬ 
lich der motorischen Anteile so bleiben, aber bezüglich der sogenannten ideato- 
rischen Komponente ist die Aphasie jetzt dank der Würzburger Schule doch 
wesentlich voran; erst bis die Introspektion auch das Gebiet der Praxie in 
ihr Bereich gezogen haben wird *), darf wieder eine Angleichung des Verhält¬ 
nisses der beiden erwartet werden. 

Hier seien einige allgemeine Bemerkungen angeschlossen, die Verfasser 
über die Beziehung der vorliegenden Studien zur Psychopathologie entwickeln 
zu müssen glaubt. Sie sollen in erster Linie der psychologischen Fundierung 
der Aphasielehre dienen; insofeme nun aphasische Erscheinungen, und zwar 
in erster Linie gerade der Agrammatismus, auch als Symptom psychopathischer 
Zustände Vorkommen, ist wohl anzunehmen, daß von der psychologischen 
Vertiefung in Hinsicht der Sprache auch schon unmittelbar das Verständnis 
dieser Zustände Gewinn ziehen wird. Aber auch indirekt läßt sich von solchen 
Studien Gewinn für die Psychopathologie erwarten. Wie schon Wernicke 
von der Aphasielehre aus Licht auf die Psychopathologie werfen zu können 
glaubte, so dürfte auch hier Manches für diese Disziplin abfallen 2 ). Die Ge¬ 
sichtspunkte, nach denen Verfasser die HUfsWissenschaften durchforscht hat, 
sind allerdings vorwiegend von der Aphasie her abgezogen, aber doch so viel¬ 
fältig varüerte, daß Verfasser auch schon da und dort auf psychiatrische Tat¬ 
sachen verweisen konnte, die davon Nutzanwendung machen könnten. Zu 
breiteren Ausführungen war keine Veranlassung, aber Verfasser ist der Ansicht, 

*) Die Grundlinien dazu sind schon von amerikanischen Psychologen gezogen. 
Nachtr. Bern. Seither hat Thorndike den ersten derartigen Versuch gemacht. 
(The Psychol. Rev. 1913 march.) 

2 ) Daß insbesondere das Verständnis der geistigen Defektzustände, das sich 
vorläufig noch mit ganz oberflächlichen und allgemeinen Feststellungen begnügt, 
von Studien, wie die vorliegenden eine Vertiefung erfahren muß, kann wohl als 
sicher angesehen werden; jedem tiefer Blickenden wird es nicht allzu gewagt erscheinen, 
wenn sich Verfasser davon sogar für Fragen der Therapie mehr Klarheit erwartet. 



88 


Vorrede und Einleitung. 


daß sich dazu recht häufig auch unter psychopathologischen Gesichtspunkten 
Gelegenheit böte; er stützt sich dabei vor Allem darauf, daß er überall be¬ 
müht war, sowohl von der psychologischen, wie biologischen Basis aus bis zu 
allgemeinen, bisher in der Sprachpathologie nicht genügend beachteten Ge¬ 
sichtspunkten vorzudringen; mit diesen ist aber der Boden erreicht, von dem 
aus weitere Anknüpfungen zu anderen pathologischen Gebieten, insbesondere 
zur Psychopathologie, gegeben sind; es sei gestattet, auch das an einem Bei¬ 
spiel etwas ausführlicher zu erweisen. 

Im Kapitel vom Bedeutungsproblem werden wir sehen, daß nach dem 
Vorgänge von Mach und Dewey die „Bedeutung“ in der „Reaktion“ gesucht 
wird; es kann das auch nicht überraschen, wenn wir sehen, wie Dewey das 
Denken selbst als Zweckfunktion darstellt, die sich in die auch von Dewey 
vertretene Reflexbogentheorie eingliedert 1 ). 

Es bleibt aber ein unverlierbarer Ruhmestitel der medizinisch orien¬ 
tierten Forschungsrichtung in der deutschen Psychiatrie, daß vor 60 Jahren 
Griesinger (Arch. f. d. phys. Heilk. II. 1848) das schon ausgesprochen, was 
jetzt Dewey, ein Logiker, von einem anderen Standpunkte aus erreicht hat; 
und wenn neuestens als einer der grundlegenden Erfolge von W. James „Prin- 
ciples“ hingestellt wird, „daß physiologisch betrachtet, der ganze nervöse 
Mechanismus eine Maschine darstellt, die dazu dient, Reize in Reaktion umzu¬ 
wandeln“, so geht auch das sichtlich auf Griesinger zurück. (Vgl. J. K. Ca- 
teil, React. and Percept. Repr. from „Essays in honor of W. James“. 1908 2 ). 
Es dient wohl auch zur Beleuchtung des ganzen Gebietes, wenn wir darauf 
hinw r eisen, daß sich diese ganze Auffassung aus den Reflexstudien der Physio¬ 
logen entwickelt hat (nichtmedizinische Leser seien auf Avenarius verwiesen, 
der eine gute und genügend breite Darstellung jener Studien bietet). Es sei 
daran erinnert, daß diese Studien Pflüger später zur Annahme seiner „Rücken¬ 
marksseele“ führten, die zu solch heftigen Auseinandersetzungen (Lotze) Ver¬ 
anlassung gab; und damit vergleiche man die Fundierung seiner „Kritik 
der reinen Erfahrung“ (2. Aufl. 1907, S. 217) durch Avenarius 3 ); sie stellt 
sich direkt als eine Fortbildung jener biologischen Auffassung der Himfunk- 
tion dar, die letztlich der Physiologe Sherrington als die Krönung des Ge¬ 
bäudes der „Integrative action of the nervous System“ (1906, p. 392) formu¬ 
liert hat 4 ). 

*) Dewey (Studies in logical theory 1903, pag. 2): „Thinking is a kind of 
activity which we perform at specific need, just as at other need we engage in other 
sorts of activity: as converse with a friend .... take a walk; eat a dinner etc.“ 

2 ) Verfasser hält es nicht für überflüssig einen Widerspruch aufzuklären, 
in den er mit einer eigenen, hier an anderer Stelle getanen Äußerung zu geraten 
scheint. Verfasser hat dort betont, daß er sich auch von der Metaphysik des Materialis¬ 
mus fernzuhalten bemüht ist. Es könnten nun die hier bezüglich der Reflextheorie 
gemachten Äußerungen etwa als Rückkehr zu dem Materialismus des homme-maehine 
von La Mettrie gedeutet werden. Das wäre ein Irrtum, den schon Griesinger 
selbst in seinem Lehrbuch der Psychiatrie widerlegt hat. 

8 ) „Unsere angegebene methodologische Forderung bedeutet also schließlich 
nicht mehr, als daß wir das höchst organisierte nervöse System zur Setzung*solcher 
Änderungsreihen höchsten Ranges befähigt denken möchten — u. z. dieses nervöse 
System als solches: ohne „Bewußtsein“, wenngleich unter diejenigen vorzüglicheren 
physiologischen Bedingungen gestellt, unter welchen seine Änderungen mit „Bewußt¬ 
sein verlaufend, von der Physiologie angenommen zu werden pflegen“. 

4 ) „We thus, from the biological standpoint, see the cerebrum, and especially 



Vorrede und Einleitung. 


89 


Die Beziehungen, die von solchen Auffassungen, insbesondere von dem, 
was Eingang dieser Ausführung vom „Bedeuten“ der Umwelt gesagt worden, 
zu dem hinüberführen, was wir im weiteren Sinne als „Orientierung“ und in 
der Verwertung für Fragen der Psychiatrie mit Mercier als „Conduct“ be¬ 
zeichnen, liegen zu sehr auf der Hand (vgl. des Verfassers Aufsatz: Psychiatrie 
und soziale Medizin. Deutsche med. Wochenschr. 1909, Nr. 1), als daß an dieser 
Stelle etwas Besonderes darüber zu sagen wäre 1 ). Nur zur Hervorhebung der 
Zwischenglieder sei die eine historische Bemerkung angeknüpft, daß sich ebenso 
wie in Deutschland an die Reflextheorie als letzter Ausdruck derselben die 
„Orientierung“, so in England an Hughlings Jacksons Lehre vom etappen¬ 
förmigen Aufbau und der entsprechenden Gestaltung der Funktionen des 
Nervensystems sich als letzter Sproß die Lehre vom „Conduct“ anschloß. 

Daß auch die Psychiatrie ganz ohne Rücksicht auf aphasische Begleit¬ 
erscheinungen von Studien, wie die vorliegenden, reichen Gewinn erhoffen 
darf, sei nur exemplifiziert durch den Hinweis auf die von Neißer den Wort¬ 
neubildungen Geisteskranker gegebene Deutung, daß die Kranken damit eine 
ganze Situation charakterisieren wollen; das, was wir von der Psychologie 
des einwortigen Satzes und von der „Ges amt Vorstellung“ hören werden, steht 
damit in schönem Einklang. Wir werden in dem Kapitel vom begrifflichen 
Denken sehen, wie noch in neuesten, der Psychiatrie zugewendeten Studien 
die Lehre von der Begriffsbildung rein logisch orientiert bleibt, eine wirkliche 
Psychologie derselben mit ihrer Trennung des empirischen Begriffes vom logi¬ 
schen überall nicht versucht wird; daß solche Differenzen auch für die Beur¬ 
teilung geistiger Defektzustände nicht belanglos sind, wird dadurch erwiesen, 
daß die Fähigkeit zur Begriffsbildung dabei ein wichtiges Kriterium bildet. 

Als ein Gesichtspunkt, der für die Psychiatrie den hier darzulegenden 
Tatsachen der neueren Denkpsychologie zu entnehmen ist, stellt sich der Nach¬ 
weis verschiedener Bew r ußtseinsstufen im Prozesse des Denkens und Sprechens, 
ebenso wie des Verstehens dar. Wir werden speziell sehen, daß sich eine dieser 
Stufen klinisch durchaus analog den von H. Jackson als „dreamy States“ 
bei gewissen lokalisierten epüeptischen Zuständen beschriebenen Erscheinungen 
darstellt. Wir werden weiter zeigen können, daß die im Anschluß an Denk- 
und Sprachpsychologie versuchte Lokalisation mit derjenigen der Jackson- 
schen Zustände im Schläfelappen zusammenfällt; welche prinzipielle Bedeutung 
ein solcher Fortschritt einer wenn auch nur angenäherten Lokalisation psychi¬ 
scher Erscheinungen hat, braucht wohl nicht erst auseinandergesetzt zu werden. 

Obwohl die ersten Aphasiearbeiten nicht mehr von der Identität von 
Sprache und Denken ausgingen, hielten sie die beiden doch imWesentlichen 

the cerebral cortex, as the latest and highest expression of a nervous mechanism 
which may be described as the organ of, and for, the adaptation of nervous reactions. 
The cerebrum, built npon the distance-receptors and entmsted with reactions which 
fall in an anticipatory interval so as to be precurrent (Lect. IX), comes, with its 
projicience of Sensation and the psychical powers unfolded from that germ of ad- 
vantage, to be the organ par excellence for the readjustement and the perfecting 
of the nervous reactions of the animal as a whole so as to improve and extend their 
suitability to, and advantage over, the environment“. 

x ) Nur auf die Beziehungen zu der neuerlich betonten Psychologie des „Be- 
havior“ sei hier hingewiesen (S. Watson in The Psychol. Rev. 1913, p. 158). 
(Nachtr. Bern.) 



90 


Vorrede und Einleitung. 


für Parallelvorgänge und diese Auffassung ist seither, trotz der geänderten 
Anschauungen in den Kreisen der Psychologen, in der Pathologie maßgebend 
geblieben. In dem Augenblicke, wo sich darin ein Wandel zu vollziehen be¬ 
ginnt, wird die Pathologie zu einem noch mehr als bisher bedeutsamen Faktor 
unter jenen, die dazu dienen sollen, die komplizierten Beziehungen zwischen 
Denken und Sprechen klar zu legen. Sobald man sich der Ansicht zuwendet, 
daß der Übergang vom Denken zum Sprechen ein mehr oder weniger kom¬ 
plizierter Prozeß von, sagen wir, Koordinationen ist, ist es auch klar, daß die 
Störungen dieses Prozesses, der gewiß als einer der dunkelsten bezeichnet 
werden kann, zur Aufhellung der sich dabei in der Norm vollziehenden Einzel¬ 
vorgänge im weitesten Maße dienlich sein können. Damit fällt aber der Aphasie- 
lehre das zu, wozu sie Wernicke zu machen versucht, zum Schlüssel für ein 
tieferes Verständnis der psychischen Geschehnisse im Allgemeinen; gerade die 
alte Warnung Steinthals, sich klar zu machen, wofür oder inwiefern oder 
wie es überhaupt für „geistige Funktionen ein lokal begrenztes Organ im Ge¬ 
hirn geben kann“, läßt es im Lichte der modifizierten Auffassung der Bezie¬ 
hungen zwischen Denken und Sprechen klar hervortreten, wie richtig der 
Standpunkt Wernickes im Allgemeinen gewesen. 

Aber, um das gleich hier anzuknüpfen, auch eine grundlegende Differenz 
in der Auffassung der Aphasien im Allgemeinen ist nur an der Hand einer auf 
solcher Basis vollzogenen Neuformation der ganzen Lehre zur Entscheidung 
zu bringen. W T enn Wernicke und Licht heim einerseits den jeweüigen Kom¬ 
plex der Erscheinungen aus einer zentralen Störung abzuleiten versuchten, 
andere wiederum (Kußmaul, Bastian, Verfasser mit seiner „Differenz¬ 
methode“) einer Kombination der Symptome das Hauptgewicht beilegten, 
so ist die hier präkonisierte Methode einer funktionell begründeten Sprach¬ 
psychologie und Sprachpathologie berufen, die Entscheidung zu treffen oder 
etwa die beiden Ansichten in einer umfassenden Synthese zu vereinigen; denn 
nur die Einsicht in die Einzelfunktionen und deren Zusammenhänge kann die 
Entscheidung dafür erbringen, inwieweit die Störung der einen notwendig 
solche der übrigen nach sich zieht oder eine komplexe Störung sich aus einer 
Mehrzahl solcher zusammensetzt. Je nach der Antwort, welche diese Fragen 
erfahren, wird sich auch die Auffassung von der Lokalisation gestalten, auf 
die jene Dichotomie der Deutungen noch kaum Anwendung gefunden. Ver¬ 
fasser ist in verschiedenen Arbeiten (ohne sich theoretisch eingehender dar¬ 
über zu verbreiten), vorwiegend für die Annahme einer Kombination der Sym¬ 
ptome infolge Ausbreitung der Störung über die verschiedenen, den Einzel¬ 
funktionen vorstehenden „Zentren“ eingetreten; erweist sich diese Ansicht 
als die zutreffendere, insofern als die ihr entgegenstehende mit ihr wohl mit¬ 
konkurriert, aber an Bedeutung hinter jener zurücktritt, dann erscheint darin 
eine Lösung der Schwierigkeiten gegeben, die zwischen der alten Auffassung 
von den eng beschränkten Zentren und der neueren von der w esentlich größeren 
Ausdehnung derselben bestehen. 

Daß durch die Klärung so vieler Detaüfragen die vorliegenden Unter¬ 
suchungen auch auf die Methodik der Aphasielehre einen durchgreifenden 
Einfluß nehmen müssen, bedarf wohl keines Beweises; w r enn sich das nicht 
unmittelbar greifbar kundgibt, so kann das nicht überraschen, wenn wir be¬ 
rücksichtigen, daß die Lehre in jenem Stadium der Entwicklung sich befindet, 



Vorrede und Einleitung. 


91 


in dem die Methoden noch nicht zusammengefaßt sind, vielmehr erst stückweise 
heranreifen. Der allgemeine Gewinn, der sich aus einer Verbreiterung und 
Vertiefung der Deskription ergeben soll, ist schon früher angedeutet 
worden. 

Als eines jener Momente, die Verfasser als Erfolg seiner Studien hin¬ 
stellen möchte, glaubt er das bezeichnen zu können, was er an Desideraten 
für eine künftige, in seinem Sinne reformierte Aphasieforschung herauszu¬ 
arbeiten vermochte. Verfasser legt besonderes Gewicht auf den Nachweis des 
Unvollständigen und Lückenhaften, Kontroversen und Zweifelhaften in den 
hier dargestellten Hilfswissenschaften. Finden sich gelegentlich bei Patho¬ 
logen einschlägige, das Normale betreffende Darstellungen, dann sind sie meist 
so gehalten, daß sie den Eindruck erwecken, als ob Alles schon sichergestellt 
und klar, die daraus gezogenen Konsequenzen für das Pathologische fest dar¬ 
auf gegründet wären; und doch werden wir sehen, daß, wenn vielleicht in ein¬ 
zelnen schulmäßigen Darstellungen der Standpunkt des Normalen sich so 
darstellt, über ganze Gebiete wichtiger und grundlegender Tatsachen die Kontro¬ 
versen das Übereinstimmende weit übertreffen. Die Konsequenzen für die 
pathologische Forschung ergeben sich daraus ohne weiteres. Recht häufig 
im Laufe dieser Studien zeigte es sich, daß die Möglichkeit, das vom Gesichts¬ 
punkte der Anwendung auf pathologische Probleme verarbeitete Material 
schon unmittelbar in diesem Sinne zu verwerten, noch nicht gegeben war; 
immerhin war es nicht selten möglich, ihm bestimmte Richtlinien für das Er¬ 
fassen und die Deutung neuer Beobachtungen zu entnehmen. Damit war 
wenigstens einmal ein den Kräften naeh umfassender Versuch angebahnt, der 
Universalität der Beziehungen gerecht zu werden, die die Sprachpathologie 
mit den verschiedensten anderen Wissenschaften verbinden. 

Wenn Verfasser sich der Hoffnung hingibt, durch eine solche Darstel¬ 
lung Förderliches für die Pathologie angebahnt zu haben, so muß er freilich 
andererseits, schon im Hinblick auf den Titel des Buches, sich fragen, ob auch 
für die Vertreter der dabei zu Rate gezogenen Fächer aus seinem Buche etwas 
zu lernen sein wird. 

Über die gegenseitige Hüfeleistung zwischen Sprachwissenschaft und 
Psychologie ist ja noch neuerlich aus Anlaß des Erscheinens der Wundtsehen 
,,Sprache“ von Delbrück und Sütterlin eingehend diskutiert worden; w r enn 
Wundt dabei in seiner Gegenschrift „Sprachgeschichte und Sprachpsychologie“ 
hervorhebt, daß bis dahin die Nutzanwendung der Psychologie für die Sprache 
in den Vordergrund gestellt worden, er dagegen die Verwertung der sprachlichen 
Tatsachen zur Gewinnung psychologischer Erkenntnisse in den Vordergrund 
stellen will, so kann man daran die Erwägung knüpfen, inwieweit die gleichen 
Gesichtspunkte auf die Sprachpathologie Anwendung finden können. Die 
Antwort auf solche Frage wird nicht schwer fallen. Der von Wundt hervor¬ 
gehobene Gegensatz der beiden Forschungsrichtungen ist nicht bloß ein 
historischer, sondern er tritt überall dort hervor, wo zwei ungleich bedeutend 
entwickelte Wissenschaften zum Zw'ecke gegenseitiger Bereicherung in Be¬ 
ziehung gesetzt werden; dieser Erschemung, auf die hier in Betracht kommen¬ 
den Probleme angew r endet, entspricht es, daß als der Hauptzweck der vor¬ 
liegenden Schrift der hingestellt werden, die Fülle sprachpsychologischer Er¬ 
kenntnisse für das Verständnis der in der Pathologie sich ergebenden Tat- 



92 


Vorrede und Einleitung. 


Sachen und Probleme auszuschöpfen, möglichst viel Psychologie in die Patho¬ 
logie hineinzutragen. 

Als Gegenstück dazu wird man die Erwartung hegen dürfen, daß der 
Nutzen, den schon bisher 2 ) die Psychologie aus der analysierenden Erkenntnis 
der pathologischen Spracherscheinungen geschöpft hat, aus der hier gegebenen 
Erweiterung des Gebietes weitere Vermehrung erfahren wird; man wird aber 
zugeben müssen, daß es einer gründlichen Durchdringung der Sprachpathologie 
mit psychologischen Gesichtspunkten bedarf, um das in ihr noch unverwertet 
liegende Material zugänglich zu machen und aus ihr Aufklärungen für die 
Psychologie zu gewinnen. 

Einen Gesichtspunkt von prinzipieller Bedeutung für die allgemeine 
Psychologie will Verfasser hier kurz andeuten. Die große Frage nach der 
Lokalisation psychischer Funktionen hat durch die prinzipiell erwiesene Loka¬ 
lisation des Agrammatismus eine wesentliche Förderung erfahren; denn selbst, 
w r enn man auch nur anerkennen w r ollte, daß die störende Läsion bloß ein Räd¬ 
chen des komplizierten dabei in Betracht kommenden Räderwerkes geschädigt 
hat, so ist doch damit prinzipiell die Lokalisation eines der Funktion zugrunde 
liegenden Funktionsträgers zugegeben. Nun werden wir schon im ersten Ka¬ 
pitel bei der Umgrenzung des Agrammatismus hören, daß sein bisher nach der 
äußerlichen Erscheinung abgegrenztes Gebiet auch Störungen von Funktionen 
umfasst, die nicht, wie man angenommen, der Syntax und Grammatik an¬ 
gehören, z. B. solche der Bedeutung; das zusammen mit dem eben prinzipiell 
von der Lokalisation des Agrammatismus Ausgesagten führt unweigerlich 
zu dem Schlüsse, daß damit ein weiterer Schritt in der Lokalisation psychischer 
Funktionen angebahnt erscheint. 

Der Nutzen, der einer möglichst engen Verbindung zwischen moderner 
Psychologie und Pathologie abzugewinnen wäre, ist schon der theoretischen 
Betrachtung zu offenbar, als daß er nicht bei der Betrachtung auch der Einzel¬ 
heiten ins Auge fallen müßte. So, wenn wir bei Koffka (Zur Anal. d. Vorstel¬ 
lungen. 1912, S. 33) zunehmend häufige Perseveration bei schlechtem Befinden 
der Versuchsperson im psychologischen Experiment konstatiert sehen. Nicht 
bloß dies, sondern allgemeine Erwägungen legen die Möglichkeit nahe, die 
Experimente der „Würzburger“ im Sinne einer Ausnützung von Ermüdungs¬ 
erscheinungen für die Zwecke der Pathologie zu erweitern. 

Zum Beweise, bis in w-elche Details der Psychologie pathologische Er¬ 
fahrungen Licht hineintragen könnten, mag eine Erwägung dienen, die an den 
„Strukturbegriff“ anknüpft, wie ihn die „Würzburger“ jetzt neuerlich in die 
Psychologie des Einzel Vorganges eingeführt haben. E. Westphal (Arch. f. 
d. ges. Psychol. XXI, S. 307) bezeichnet damit ein bestimmtes, durch gewisse 
formale Beschaffenheiten des (psychologischen) Erlebnisses charakterisiertes Ver¬ 
fahren, das von der VP zunächst als zweckmäßig erprobt, dann immer wieder 
unabsichtlich angewandt wird; während nun das psychologische Experiment 

2 ) Die engen Beziehungen zwischen einer naturwissenschaftlich orientierten 
Psychologie und der Aphasielehre hat schon W. James (Philos. Kev. I, 1892, p. 153) 
ganz scharf präzisiert; er stellt unter den Arbeitern für eine solche Psychologie die 
„nerve-doctors“ direkt neben die „psychical researchers“. Man beachte die Fein¬ 
heit des Naturexperiments um die zu erwartenden Leistungen jener richtig einzu¬ 
schätzen. 



Vorrede und Einleitung. 


93 


nur durch Variierung der Reize die Struktur des Vorganges jeweilig beein¬ 
flussen kann, steht dem die im Naturexperiment gegebene Möglichkeit einer 
fast unabsehbaren Variation von Modifikationen in der Versuchsperson selbst 
gegenüber; es erscheint gewiß nicht zu weit hergeholt, wenn man die auf letztere 
Weise gewonnenen Resultate durch Modifikationen des psychologischen Ex¬ 
periments (etwa nach Art der Kraepelinschen medikamentösen Versuche) 
ihre Ergänzung finden läßt. 

Die Heranziehung pathologischer Erscheinungen zum Verständnis des 
Normalpsychischen rechtfertigt sich weiter auch noch dadurch: Auch schon 
das psycho-physiologische Studium ließ es bei tieferem Eindringen in den Zu¬ 
sammenhang der Erscheinungen gewahr werden, daß die Tatbestände sich 
dort doch erheblich verwickelter darstellen, als es dem naiven Beobachter 
erschien; die Pathologie hat aber auch da wieder, insbesondere bezüglich der 
Sprache, noch wesentlich weiter gehende Komplikationen erkennen lassen; 
die Auflösung derselben gibt uns nicht selten, um ein schon zitiertes Wort 
Broadbents zu benützen, die Analyse an die Hand, w r elche die Krankheit 
an der Sprachfunktion vollzieht. Dementsprechend ist der, übrigens historisch 
ganz unrichtige Ausspruch, den Sigwart noch in der 2. Auflage seiner „Logik“ 
(ii, S. 568) bezüglich der Lehre von den Sprachstörungen getan hat, zu korri¬ 
gieren („aber nirgends ist noch erreicht worden, daß aus der klinischen Be¬ 
obachtung der bestimmte Sektionsbefund vorausgesagt werden konnte“). Das 
entspricht ja auch nicht mehr den Anschauungen moderner Psychologie, die 
Verfasser nicht besser zu illustrieren wüßte, als durch das einträchtige Zu¬ 
sammenwirken, zu dem sich Psychologie und Pathologie noch letztlich auf der 
Frankfurter Tagung des Kongresses für experimentelle Psychologie (1908) 
zusammengefunden, um ein so wichtiges Kapitel der Sprachpsychologie, wie 
das Sprachverständnis, gemeinsam mit bedeutendem Erfolge aufzuklären. 

Wenn auch von linguistischen Forschungen reiche Aufklärung für das 
Dunkel der pathologischen Sprache erhofft wurde, so wird man zögern, wenn 
die gegenteilige Frage aufgeworfen würde nach dem Nutzen, den die Sprach¬ 
forschung aus der Pathologie ziehen könnte. Es muß dahingestellt bleiben, 
ob sich ein solcher Nutzen direkt ergeben wird; daß aber die der Psychologie 
unmittelbar daraus erwachsende Belehrung indirekt auch der Sprachforschung 
zugute kommen w r erde, kann füglich nicht bezweifelt werden. Wenn B. Erd¬ 
mann (Philos. Monatsh. XXX, 1894, S. 137) sagt, daß die Psychologie die Basis 
für die ihr zugehörigen Probleme von den Beziehungen zwischen innerer und 
äußerer Sprachform in dem Studium der Aphasie zu suchen habe, so hat eben¬ 
sowohl er selbst, wie Wundt, diese Basis nicht unberücksichtigt gelassen. 
Aber es haben die einschlägigen Studien im Kreise der Sprachpsychologen 
keine Nachfolge gefunden, so daß Verfasser auch aus diesem Grunde hoffen 
darf, durch die von der Aphasielehre aus zur Sprachpsychologie hergestellten 
Beziehungen auch für die Sprachwissenschaft Wünschenswertes geschaffen zu 
haben. Wenn man sieht, daß noch in den neuesten psychologischen Werken, 
oft unter Vernachlässigung alles dessen, was seither geschrieben worden, immer 
fast allein auf das doch jetzt ein Menschenalter zurückliegende, allerdings w r egen 
der Zusammenfassung noch immer wertvolle Buch von Kuß maul zurück¬ 
gegriffen wird *), dann glaubt Verfasser ein bescheidenes Verdienst auch nach 
*) Diese Zeilen waren geschrieben vor dem Erscheinen der neuen von Gutz- 



94 


Vorrede und Einleitung. 


der Richtung gewonnen zu haben. Er glaubt wenigstens für ein Teilgebiet 
denjenigen, die von der normalen Seite her sich den Aphasiefragen nähern, 
die Fülle dessen wenigstens angedeutet zu haben, was sie da an für ihre Zwecke 
verwertbarem Materiale vorfinden. Er glaubt ihnen auch durch die Art, wie 
er die beiden Gebiete in Beziehung gesetzt, den Weg wesentlich kürzer und 
bequemer gestaltet zu haben. 

Es kann in diesem Zusammenhänge, wo gerade der von der Aphasielehre 
für die Psychologie der Sprache zu erwartende Gewinn so hoch eingeschätzt 
wird, eine Auffassung nicht übergangen werden, die zu einem fast gegenteüigen 
Resultate führt; sie nimmt ihren Ausgangspunkt von Bemerkungen, die Bi net 
und Simon (Annee psychol. XIV, p. 287 f.) über das Wertverhältnis der Aphasie¬ 
lehre zu der vom Studium des Kindes und der Imbezillen hergenommenen 
psychogenetischen Methode machen. Es smd diesbezüglich schon einige Be¬ 
merkungen anläßlich des Hinweises auf die Benützung der Kindersprache für 
Zwecke der Aphasielehre gemacht worden. Hier ist aber Folgendes zu bemerken; 
Bi net und Si mon gehen von der Ansicht aus, daß beim Erwachsenen zwischen 
den vier Einzelfunktionen der Sprache, dem Verstehen, Sprechen, Lesen und 
Schreiben nur wenige Zusammenhänge bestehen und die verschiedenen Apha- 
sien uns über diese Zusammenhänge und msbesondere über die Entstehung 
der Funktionen und ihre in dieser Zeit engen Verbindungen keine Belehrung 
bieten können. Dabei übersehen die genannten Autoren Verschiedenes. Zuerst 
die Bedeutung der Aphasielehre für das Verständnis der Stillstände der kind¬ 
lichen Sprachentwicklung; ferner die Einblicke, welche die gestörte Sprache 
in Zusammenhänge und Beziehung der Teilfunktionen eröffnet, die an der 
normalen Sprache oft gar nicht zu erkennen sind; und endlich übersehen sie 
ganz das Gebiet der Reevolution der anfänglich gestörten Sprachfunktion, 
dessen Theorie wir H. Jackson verdanken, und das eine noch lange nicht 
ausgeschöpfte Quelle von Belehrung auch für die Sprachentwicklung darstellt. 

Wenn bezüglich der engen Beziehungen des hier zu behandelnden Stoffes 
zur Psychologie und zur Psychologie der Sprache eine weitere Begründung 
sich erübrigt, so möchte es Verfasser vergönnt sein, anzudeuten, w r as die übrigen 
in der Sprachpsychologie sich vereinigenden Spezialdisziplinen als Gewinn 
aus dem hier gebotenen Teüe einer Pathologie der Sprache für sich abziehen 
können. 

Zunächst ist dafür ein allgemeiner Gesichtspunkt durch den Umstand 
gegeben, daß die deutschen Sprachforscher bislang entweder ausschließlich 
oder wenigstens vorwiegend noch mit der Herbartsehen Psychologie arbeiten; 
dem gegenüber darf es vielleicht als Nebengewinn der vorliegenden Studien 
angesehen werden, wenn sie dieser Schrift den Hinweis entnehmen, wieviel 
weiter eine wirklich moderne Psychologie sie zu fördern geeignet ist 1 ). 

mann mit Ergänzungen versehenen Auflage; sie behalten auch jetzt noch ihre Be¬ 
rechtigung, da Gutzmann selbst seine Anmerkungen zu dem im übrigen unver¬ 
änderten Abdrucke als nur für den ärztlichen Praktiker geschrieben bezeichnet. 
Kußmauls Buch aber bleibt historisch und deshalb, weil nicht veraltend, ehr¬ 
würdig. 

*) Noch eine neueste linguistische Arbeit (Ammann, Die Stellungstypen etc. 
Jdg. Forsch. 29, 1911/12, S. 4), die sich in außerordentlich belehrender Weise 
auch mit allgemeinen Fragen der Wortstellung befaßt, äußert sich dahin, daß wir 
keine Psychologie des Denkens besitzen und die Psychologie des Sprechens noch in 



Vorrede und Einleitung. 


95 


Auch neueste Darstellungen, sowohl deutsche wie anderssprachige sind 
noch ganz in der reinen „Vorstellungspsychologie“ befangen; wenn dies z. B. 
noch bei Sechehaye nachweisbar ist, der 1908 seiner Sprachpsychologie den 
Haupttitel „Programme et Methodes de la Linguistique theoretique“ gibt, 
dann ist es wohl unschwer zu erschließen, wie ganz anders ein Programm und 
wahrscheinlich auch die Darstellung der Methoden sich gestalten würden, 
wenn zur Basis des Ganzen die neue hier für die Aphasielehre verwertete Psycho¬ 
logie gemacht würde. Auch die knapp zuvor (1907) erschienenen „Princ. de 
Linguist, psych.“ von Jac. van Ginneken leiden unter dem gleichen Um¬ 
stande, der natürlich in der Beurteüung des Werkes durch einen Vertreter 
der Würzburger Schule, Bühler, erst recht deutlich hervortritt (siehe Zeit- 
schr. f. Psychol. 51, S. 274). 

Bedeutsamer als dieser nur methodologische Gesichtspunkt erscheinen 
manche andere. Als grundlegend zunächst die allerdings schon durch frühere 
Arbeiten des Verfassers zur Tatsache erhobene Möglichkeit einer Lokalisation des 
Agrammatismus *) und die theoretisch daraus sich ergebenden Konsequenzen; 
die prinzipielle Bedeutung dieser Feststellung, die darin gipfelt, daß für ein© 
den psychischen Funktionen jedenfalls nahestehende 2 ) eine Lokalität nach¬ 
gewiesen ist, von der aus, ganz vorsichtig formuliert, eine typische Störung 
jener Funktionen zustande kommt, bedarf wohl keiner breiteren Würdigung, 
wenn wir mit B. Erd mann (Die psychologischen Grundlagen der Beziehungen 
zwischen Denken und Sprechen. Arch. f. System. Phü. VII, 1901, S. 316) 
in den sprachlich-gedanklichen Vorgängen nur einen Spezialfall der Verwick¬ 
lungen sehen, die unserem Vorstellungsleben überhaupt eigen sind. 

Uber die Frage, wie weit etw r a eine Arbeit, wie die vorliegende, den Be¬ 
dürfnissen einer wissenschaftlichen Linguistik entgegenzukommen imstande 
ist, mag der Hinweis auf das Aufschluß geben, was eine solche Linguistik (Princ. 
de Linguist, psychol. 1907, p. 1) sich zum Ziele gesetzt hat. Wenn van Gin¬ 
neken dort als ihr Prinzip die Untersuchung der wahren Ursachen der lingui¬ 
stischen Erscheinungen hinstellt, dann könnten gerade die Sprachpathologen 
in die Lage kommen, eine Fülle von Aufschlüssen über solche Ursachen zu er¬ 
bringen; das gilt wohl auch in gleichem Maße in Hinsicht der Gesichtspunkte, 
die derselbe Autor für eine psychologische Linguistik aufstellt. Wenn er ganz 
besonders auf die Erforschung der Erscheinungen in ihrem intimen Werden 
(„dans leur devenir intime“) Gewicht legt, so bietet gerade dafür das von der 
Natur oft so grausam an Menschen gemachte Experiment Handhaben, die 
innerhalb des Normalen sich überall nicht darstellen. 

Wenn W. Scherer (Jakob Grimm 1885, S. 21) als die Aufgabe der 
Grammatik hinstellt, „die letzten geistigen Gründe für die sprachlichen Er¬ 
den Anfängen steckt. Verfasser hat im Vorliegenden so viel dazu Gehöriges nach¬ 
gewiesen und zur Darstellung gebracht, daß er dafür die Aufmerksamkeit der Lin¬ 
guisten erhoffen darf. 

*) Daß die bis jetzt schwebende, durch die vorliegende Schrift, wie Verfasser 
glaubt, endgiltig entschiedene Kontroverse bezüglich des speziellen Sitzes der Störung 
die prinzipielle Frage der Lokalisation nicht irgendwie beeinträchtigt, versteht sich 
wohl von selbst. 

2 ) Die Berechtigung einer solchen Wertung ergibt sich schon daraus, daß 
einzelne Pathologen früher den Agrammatismus überhaupt nur aus Störung 
psychischer Funktionen erklären wollten. 



96 


Vorrede und Einleitung. 


scheinungen aufzusuchen“, dann muß die Pathologie derselben, als die wir 
im Wesentlichen den Agrammatismus bezeichnet ihr dabei ebenso behilflich 
sein können, wie die Pathopsychologie der Psychologie. Vollziehen sich die 
Funktionen der Sprachmittel nach bestimmten Gesetzen, dann ist das Studium 
ihrer Störungen, wie sie uns die Aphasie vorführt, auch der beste Leitfaden 
für die Bewährung dieser Gesetze; wenn die Erfolge dieser Hüfsmethode bisher 
hinter den Erwartungen zurückgeblieben, so hat ja Verfasser schon auseinander¬ 
gesetzt, wie er sich eine Förderung dieser Bestrebungen in einer Reform der 
Grundlagen der Pathologie begründet denkt. 

Gerade die im Vorangehenden berichtete Auseinandersetzung zwischen 
dem Sprachphüosophen Steinthal und dem Kliniker Westphal hinsichtlich 
des Anteils und der Benützung ihres Wissensgebietes für die Aufklärung der 
Aphasielehre ist in jener Hinsicht sehr belehrend; man kann es als zweifellos 
hinstellen, daß der dort angerufene Dilthey jetzt weiter gekommen wäre 
als damals, wo der Stand der beiden Wissensgebiete einer Kategorisierung der 
Erscheinungen im Wege stand. 

B. Erdmann (Psychol. Grundbegr. d. Sprachphilos. S.-Abdr. aus Apo- 
phoreton 1903, S. 117) vindiziert der Aphasielehre einen entscheidenden Ein¬ 
fluß für die Neubelebung der vordem eine geraume Zeit vernachlässigten Sprach- 
phüosophie; dazu fehlt es selbst an den primitivsten Ansätzen. Verfasser 
glaubt die wichtigste Ursache davon in der mangelhaften psychologischen 
Durcharbeitung des klinischen Materiales zu finden. Er hat schon in dieser 
Einleitung mehrfach auf die Untersuchungen Martys als den unmittel¬ 
baren Anknüpfungspunkt für analoge Bestrebungen hingewiesen. 

Wenn wir sehen, wie jetzt auch die Sprachforscher in gleicher Weise 
wie die Psychologen das Fehlerhafte innerhalb der Norm, die lapsus linguae 
et calami, zur Vorlage für ihre Studien nehmen und daraus Bedeutsames 
für ihre Zwecke schöpfen, dann darf man hoffen, daß sie an dem umfassenden 
Gebiete derjenigen Störungen nicht achtlos vorübergehen werden, die vielleicht 
noch mehr als die physiologischen Entgleisungen auf durchsichtigen oder all¬ 
mählich durchsichtig werdenden Gesetzmäßigkeiten beruhen. 

Eben bei der Durchsicht dieser Zeilen geht uns durch die Güte des Ver¬ 
fassers eine Arbeit von Hans Oertel ,,Uber grammatische Perseverations- 
Erscheinungen“ (J. G. Forsch. XXXI, S. 49) zu, der direkt an die von der 
Pathologie ausgegangene Lehre von der Perseveration anknüpft. Verfasser 
kann hier auf diese Dinge nicht näher eingehen, aber er sieht in dieser patho¬ 
logischen Erscheinung den Schlüssel auch zu manch anderer linguistischen 
Erscheinung. In dem, was die Germanisten ,,Angleichung“ nennen, ist ebenso¬ 
wenig wie bezüglich des Lautwandels das Ausmaß des Anteils klargestellt, 
den daran das Denken oder der „leiblichere Teü des gesamten Sprach Werk¬ 
zeuges“ hat. Sollte man nicht davon Aufklärung erhoffen können, daß wir 
im Pathologischen von der Perseveration, die ja sichtlich dabei die Hauptrolle 
spielt, festgestellt haben, daß diese Tendenz ebenso das Motorische betrifft, 
wie es auch ins Gedankliche hineinwirkt? 

Ein anderes Gebiet unmittelbarer Nutzanwendung des von der Perse¬ 
veration Bekannten ist das der Kontamination. Als Vorlage dazu auf laut¬ 
lichem Gebiete mögen folgende Ausschnitte aus einer vor vielen Jahren ver¬ 
öffentlichten Beobachtung des Verfassers (Arch. f. Psychiatrie XXIII, Heft 3) 



Vorrede und Einleitung. 


97 


dienen. Es handelt sich um Perseveration nach einem paralytischen Anfalle: 
Was ist das? (Schlüssel.) Und das (Schere)? Schlüssel. Was tut man damit? 
Schleiden. Was tut man mit dem Schlüssel? Aufschneiden. Patient faßt 
den Schlüssel, macht die Scherenbewegung und sagt: Und so schnißt man usw. 
Entsprechende Beispiele für die übrigen Gebiete der Kontamination ließen 
sich leicht beibringen. Man hat ja auch bisher schon (vgl. z. B. Menzerath, 
Arch. f. d. ges. Psych. 23, S. 509) für die Erklärung der Kontamination die 
„schwebende Wort Vorstellung“ oder die Interferenz „zweier gleichzeitig ab¬ 
laufender Satzrichtungen“ benützt. Die Lehre von der pathologischen Perse¬ 
veration macht es aber weiter verständlich, wie infolge ungleichmäßiger Ver- 
teüung derselben auf die Einzelprozesse, z. B. bei korrektem Vorsprechen 
seitens des Schreibenden im Geschriebenen die perseveratorische Tendenz sich 
geltend macht. Eine Epüeptika mit Paragraphie nach einem Anfalle soll ihre 
Mutter auffordern, sie zu besuchen. Sie setzt zunächst richtig an, tschechisch, 
aber sehr bald, während sie sich fortwährend den Satz (raöte*m6 navätivit, 
wollen Sie mich besuchen) richtig vorsagt oder er ihr suffliert wird, schreibt 
sie, sichtlich die drei Worte miteinander kontaminierend, „racete mne naöte 
mnecte mnete mne rate menö nacebemnä mn£ nö ucte nmS“ und später „ratfte 
mnete nne vetecte mö vetivite“ usw. Dabei kann man immer wieder konsta¬ 
tieren, daß zu derselben Zeit, wo sie so perseverierend schreibt, sie sich diktiert, 
aber niemals etwa eine Sübe des Gesprochenen mit der gleichen Sübe des Ge¬ 
schriebenen zusammenfällt. 

Wie Psychopathologie und Sprachwissenschaft auf einem ihnen gemein¬ 
samen Gebiete an der Hand der Sprachpathologie zu gegenseitiger Belehrung 
wirken könnten, mögen folgende Hinweise lehren. Es büdet einen inter¬ 
essanten Teil der Sprachforschung, der Büdung neuer Worte, der Sprach- 
schöpfung nachzugehen; auf pathologischer Seite sehen wir eine besondere 
Krankheitsform u. a. durch das wichtige Symptom der Wortneubildungen 
charakterisiert; sollte da die Erwartung gegenseitiger Aufklärung, bisher überall 
nicht ins Auge gefaßt, ganz ohne Erfüllung bleiben? Die Psychologie der so¬ 
genannten Impersonalien büdet noch immer den Gegenstand unausgetragenen 
Streites. Verfasser war in der Lage zu zeigen 1 ), wie einschlägige, der Psycho¬ 
pathologie entnommene Tatsachen im Sinne einer bestimmten Deutung jener 
Erscheinung verwertet werden können. 

Als ein Beispiel dafür, wie etwa ein genaueres Studium des Agramma¬ 
tismus auch für die Sprachpsychologie nutzbar gemacht werden könnte, sei 
folgender Gedankengang hierher gesetzt; es kann, wiewohl wir mangels ent¬ 
sprechender Beobachtungen nichts Sicheres darüber wissen, wohl als gewiß 
angenommen werden, daß die verschiedenartigen und verschieden abgestuften, 
als Agrammatismus zusammengefaßten Störungen ebenso nach ganz bestimmten 
Gesetzen oder Regeln hinsichtlich der dabei wirksamen Mechanismen verlaufen, 
wie jede andere Krankheit. Sollte sich nun herausstellen, daß ganz bestimmte 
Ausfallserscheinungen, etwa solche gewisser Kasusformen, regelmäßig neben¬ 
einander Vorkommen, dann wäre daraus mit Recht eine Bestätigung ge¬ 
wisser Theorien hinsichtlich dieser Kasusformen zu folgern, bzw\ ließe sich dar¬ 
aus eine Entscheidung bezüglich mancher noch recht strittigen Theorien ab- 

1 ) Die betreffende Mitteilung soll demnächst ersehemen. 

Piek, Sprachstörungen. I. Teil. 


7 



Vorrede und Einleitung. 


leiten. Eine solche Entscheidung würde natürlich noch an Festigkeit ge¬ 
winnen, wenn sich, um bei dem Beispiele zu bleiben, zeigen ließe, daß dieselben 
Erscheinungen wie in unseren flektierenden Sprachen, auch bei einem anderen, 
etwa die Kasusformen durch Prä- und Suffixe ausdrückenden ^Sprachstamme 
in entsprechend veränderter Weise sich darstellen *). 

Als ein anderes Beispiel, wie auch jeder kleinste Fortschritt der Patho¬ 
logie für die Linguistik von Belang sein kann, mag Folgendes dienen: van 
■Ginneken (Princ. p. 10) knüpft zur Erklärung gewisser linguistischer Tat¬ 
sachen an die ihm bis dahin bekannt gewordenen Tatsachen der Amusie und 
deren Kombination mit aphasischen Störungen — die Deutung dieser Be¬ 
ziehungen durch den Verfasser war ihm offenbar noch nicht bekannt — eine 
ganz eigentümliche, von ihm als der Literatur entnommen bezeichnete Schlu߬ 
folgerung: Im akustischen und im Broca-Zentrum existiere ein besonderer 
Apparat für die Höhe und Intervalle der Töne, der nicht mit den Sprach¬ 
zentren Zusammenfalle. Verfasser ist der Ansicht, daß es sich bei diesen, einem 
besonderen Apparate zugewiesenen Funktionen um eine Mitarbeit der schon 
festgestellten musischen Zentren handelt; die verschiedenartigen Variationen, 
die sich dabei darstellen, erklären sich ganz ungezwungen einerseits aus der 
differenten Beteiligung der eben auch beim einfachen Sprechen mitwirkenden 
musischen Zentren und weiter aus der dem Gange der Dissolution entsprechen¬ 
den Regel, daß die schwierigeren, bzw\ komplizierteren Funktionen schon 
leiden, w r ährend die leichteren von denselben Zentren noch geleistet werden. 

Es bildete für die Sprachforscher immer ein zu Erklärungen herausfor¬ 
derndes Rätsel, worin die Sprachnachahmung des Kindes begründet ist. Wenn 
man in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von einer ,,nervösen Sym¬ 
pathie“ sprach, so ist die Sprachpsychologie auch jetzt noch zu kemer Klar¬ 
heit darüber gekommen; Absicht und Willkür spielen noch immer in der Er¬ 
klärung der Erscheinung die wichtigste Rolle; und doch ist es für den Sprach- 
pathologen, vor allem an der Hand der Echosprache, zur Wahrscheinlichkeit 
erwachsen, daß die motorische Einstellung des Sprachapparates auf den 
akustischen Reiz das Ganze als etwas anderen Reflexerscheinungen Analoges, 
vielleicht zu den sogenannten bedingten Reflexen zu stellendes, erscheinen läßt. 

Noch von einem anderen Gesichtspunkte aus könnten Studien, wie die 
vorliegenden, für die Sprachpsychologie, oder richtiger, für die sogenannte 
Sprachphilosophie, von Bedeutung werden. 

Wenn man jetzt neuerlich im Gegensätze zu dem älteren ablehnenden 
Standpunkte, das Problem vom Ursprung der Sprache als ,,in den Mittelpunkt 
der wissenschaftlichen Sprachbetrachtung gerückt“ bezeichnet 1 2 ), dann ist 
wohl zu erwarten, daß die Lehre von der Rückbildung aphasischer Störungen 
auch ihrerseits Tatsachen und Deutungen zu einer Lösung jenes Problems ebenso 
beibringen wird, wie die Lehre von den Störungen der Sprachentwicklung der 
Lehre von der Kindersprache hilfreich zu dem gleichen Zwecke an die Seite 

1 ) Nachträglich findet Verfasser, daß F. 0. Sch ult ze (Arch. f. d. ges. Psychol, 
VIII, S. 333) sich ähnlich andeutend ausgesprochen: ,,so werden sich vielleicht die 
Prozesse syntaktischer Fügung als vielfach hochkomplizierte . . .Vorgänge erweisen. 
Es ist hier vom Studium pathologischer Sprachstörungen viel zu erwarten, vielleicht 
auch eine wesentliche Korrektur dieser Hypothesen“. 

2 ) M. Frischeisen - Köhler (Germ, roman. Monatsschr. 1912, S. 121). 



Vorrede und Einleitung. 


99 


treten kann. Natürlich wird man, insbesondere in dem ersten Falle, nicht 
übersehen dürfen, daß die der Wiederherstellung einer schon gehabten Funktion 
entnommenen Erfahrungen nicht ohne weiteres auf jenes Problem übertragen 
werden können x ); aber bei genügender Berücksichtigung der sich daraus er¬ 
gebenden Gesichtspunkte und namentlich bei Beachtung der durch die 
Variationen des Naturexperiments verschiedenartig sich darstellenden Formen 
der Rückbildung der Störungen wird sich manche wertvolle Grundlage für 
das Entstehungsproblem abstrahieren lassen. Und gerade den Ausführungen 
Frischeisen-Köhlers ist die Berechtigung einer solchen Erwartung zu ent¬ 
nehmen. Wenn er (1. c. ibid.) auf den der Entwicklungslehre zu entnehmen¬ 
den Grundsatz von der Identität der noch gegenwärtig wirksamen Kräfte mit 
denjenigen hinw r eist, die bei der Entstehung der Sprache mitgewirkt, so ist 
es klar, daß eine von der Pathologie mit Sicherheit zu erwartende Beihilfe zur 
Erklärung jener Kräfte auch auf das Entstehungsproblem der Sprache Licht 
wird werfen können 2 ). Ja die Erwartung ist vielleicht nicht ungerechtfertigt, 
daß die Pathologie vielleicht imstande sein wird, als Richterin in Fragen aufzu¬ 
treten, die vorläufig noch ein Objekt unentschiedenen Streites im Rahmen der 
Sprachphilosophie darstellen. Verfasser meint, die Frage nach dem Anteil des 
Einzelnen oder der Gemeinschaft an der Schöpfung der Sprache; die Aufklä¬ 
rungen, welche die Pathologie über die Vorgänge bei der Rückbildung der 
in verschiedener Weise gestörten oder verlorenen Sprachfunktionen geben kann, 
könnten recht wohl auch für jene Streitfrage verwertbare Gesichtspunkte 
ergeben. Stellen sich die dabei in Betracht kommenden Faktoren als 
eine Summe von Einzel- und Gemeinschaftsleistungen dar, so kann ein durch 
die Krankheit zustande gekommenes Verständnis für die Einzelleistungen auch 
auf die erw r ähnte Summe Licht werfen. 

Insoferne die Aphasielehre auf die Feinheiten der mit oft in verschie¬ 
denem Maße partiell geschädigten Organen arbeitenden Sprachfunktion ein¬ 
geht, wird ihr mancher Beitrag zur psychologischen Linguistik zu entnehmen 
sein. Dieser Gesichtspunkt kommt namentlich in Betracht bei der Beurteilung 

*) Man wird nicht vergessen dürfen, daß der aphasisch Gewordene noch immer 
einen mehr oder weniger großen Schatz von Sprachgewohnheiten behalten haben 
kann, der natürlich die Rückbildung der Störungen ganz anders und in ganz andere 
Bahnen lenken kann, als sie die sprachliche Entwicklung wandelt; es wäre irrtüm¬ 
lich daraus sich notwendig ergebende, zunächst auffällige Disparitäten gegen die 
Richtigkeit des der Methode zugrundeliegenden Prinzips ins Feld zu führen. 

2 ) Das gilt auch von dem Versuche Graßlers (Zeitschr. f. Philos. u. Pädag. 
XX, 1912, S. 20), der davon ausgeht, „daß die fundamentalen Gesetze des mensch¬ 
lichen Denkens, seitdem die Sprache besteht, unverändert geblieben sind und eine 
ebensolche Konstanz an den Gesetzen nachweisbar ist, nach denen sich Ausdrucks¬ 
bewegungen und Gebärden gebildet haben“. Sollte das richtig sein — Verfasser 
zögert das so ohne weiters anzuerkennen — dann kann es wohl keinem Zweifel 
unterliegen, daß bei entsprechender Berücksichtigung der differenten Ausgangs- 
bedingungen das Studium der Wiedererlangung der durch Krankheit verlorenen 
Sprache, der Hughlings Jacksonschen Reevolution, wie es Verfasser mehrfach 
versucht hat, wichtige Behelfe zur Lösung jenes Problems bieten muß. 

Wenn allerneuestens Sütterlin (Werden und Wesen d. Sprache 1913, 
S. 7) die moderne Psychologie als die Leuchte bezeichnet, die in das Dunkel der 
Sprachforschung Licht bringen soll, dann darf man hoffen, daß die von eben 
derselben Leuchte erhellte Pathologie ihrerseits auch dazu mithelfen wird. 
(Nachtr. Bern.). 



100 


Vorrede und Einleitung. 


ihrer Stellung zu der neuerlich von Raoul de la Grasserie prinzipiell er¬ 
örterten vergleichenden.Semantik. Wenn dieser die Aufgabe zufällt, die Über¬ 
einstimmungen und Differenzen der semantischen Phänomene und ihre Gesetz¬ 
mäßigkeiten vergleichend zu studieren, dann wird die Erwartung nicht un¬ 
berechtigt erscheinen, die Erfahrungen der Aphasielehre in den Kreis jener 
Erwägungen einbezogen zu sehen im Hinblick auf gewisse, auch den aphasi- 
schen und agrammatischen Störungen zugrunde liegende Gesetzmäßigkeiten; 
und mit Rücksicht darauf, daß, wie schon gesagt, bei den verschiedenen Sprach- 
stämmen auch die Störungen sich verschieden darstellen müssen, darf man 
es als das Ideal der Zukunft hinstellen, auch diese mit dem Maßstabe der ver¬ 
gleichenden Semantik einmal gemessen zu sehen. 

Daß übrigens auch die Linguisten sich der Bedeutung der Pathologie 
für die Sprachpsychologie bewußt sind, mag ein Zitat aus Sechehaye illustrieren, 
das um so bemerkenswerter ist, als es geradezu auf den Ausgangspunkt der vor¬ 
liegenden Schrift hinzielt: ,,On pourrait 6crire aussi une pathologie gramma- 
ticale, car il est evident que si un individu est atteint de teile ou teile affection 
mentale, on doit trouver la trace dans la forme de sa grammaire“ (1. c. 
p. 149). 

Das ist übrigens selbst den älteren Sprachforschern nicht entgangen, 
und schon Becker (Organism der Sprache. 2. Aufl. 1841, S. 22) sagt, aller¬ 
dings mit einer Einschränkung zugunsten des Normalen, „die Sprachforschung 
kann auch aus der Betrachtung mißgebüdeter organischer Körper Vorteile ziehen“. 

K. Brugmann (Kl. Gram. d. indog. Sprachen. 1903, S. 30) bemerkt 
am Schlüsse seiner Einleitung, daß sich die Sprachforscher von den feststehenden 
Ergebnissen der sprachgeschichtlichen Prinzipien Wissenschaft, d. h. der Sprach¬ 
psychologie, zu leiten lassen haben; man darf das eben Dargelegte zusammen¬ 
fassend hoffen, daß auch die Pathologie daran entsprechend teühaben wird. 

Vielleicht darf sich Verfasser das zum Verdienste um die Sprachpsycho¬ 
logie anrechnen, daß es ihm gelungen, ein noch umfangreicheres Material aus 
den ihr unmittelbar nahestehenden Wissenschaften, insbesondere der Psycho¬ 
logie selbst, zusammenzutragen, als das bisher in anderen Darstellungen ge¬ 
schehen x ); dadurch und durch eindringliche Analyse der damit zusammen¬ 
hängenden Tatsachen glaubt er selbst manche wenig geklärte Probleme ihrer 
Lösung näher gebracht oder wenigstens Gesichtspunkte für eine solche ge¬ 
geben zu haben. Verfasser glaubt übrigens, daß die natürlich von der Patho¬ 
logie hergeleitete Art der Betrachtung der sprachpsychologischen Probleme 
auch schon an sich den von anderen Gesichtspunkten aus orientierten Auf¬ 
fassungen der Psychologen und Linguisten Interesse abgewinnen kann. 

Gewiß wird die relative Seltenheit 2 ) des Agrammatismus immer ein 

*) Welche Bedeutung den von den Linguisten kaum noch berücksichtigten 
Untersuchungen über die Denk Vorgänge zukommt und wie wesentlich deren Heran¬ 
ziehung auch für die Sprachpsychologie ist, geht am besten daraus hervor, daß selbst 
neueste der Sprachpsychologie von der Linguistik aus sich nähernde Werke kaum 
über das metaphorische Stadium hinausgekommen. So z. B. Raoul de la Gras- 
serie (Essai d’une S£mantique intögr. 1908, I, p. 31) „La parole est l’^cran nöces- 
saire ou l’idee se reflete. II faut donc que les regards soient tourn^s vers cet 6cran 
et non vers la pens6e invisible“. 

2 ) Verfasser glaubt übrigens als eines der Resultate seiner Arbeit auch den 
Nachweis hinstellen zu können, daß agrammatische Erscheinungen bei Aphasischen 



Vorrede und Einleitung. 


101 


Hindernis für seine weitergehende Verwertung in jenem Sinne bilden; trotzdem 
aber kann man hoffen, daß ein systematisches, nach den hier gewonnenen 
Gesichtspunkten x ) gerichtetes Studium einschlägiger Fragen Einblicke in das * 
grammatische und syntaktische Geschehen eröffnen könnte, dessen feinere 
Details im Normalen dem Verständnis verschlossen bleiben. Daß das Natur¬ 
experiment solches zu leisten imstande ist, wird dadurch verständlich, wenn 
wir in Betracht ziehen, wie zwei mühsam erarbeitete Methoden der experimen¬ 
tellen Psychologie, die der „verlangsamten Arbeit“ (Geyser) und das „frak¬ 
tionierte Verfahren“ (Ach) geradezu als Abbüder der Folgen des Naturexperi¬ 
mentes am Kranken sich darstellen. — 

Der Bearbeiter eines umschriebenen Gebietes verfällt nur zu leicht in 
eine Überschätzung der Bedeutung desselben für die ganze Disziplin; trotzdem 
hofft Verfasser, daß seine Wertung des hier Gebotenen nicht allzuweit von 
derjenigen sich entfernt, welche der objektive Beurteiler davon gewinnen wird. 
Wie immer man darüber denken mag, jedenfalls glaubt Verfasser, um mit 
Kant zu sprechen, dem alten Kleide nicht bloß einen neuen Lappen aufge- 
flickt zu haben. 

Aber nicht weniger lebhaft als die Befriedigung über das, was Verfasser 
bezweckt und, zum Teü wenigstens, erreicht zu haben glaubt, ist auch sein 
Gefühl für die Mängel des vorliegenden Buches; er glaubt dem, soweit das 
Formale in Betracht kommt, ebenso offen Ausdruck geben zu sollen, wie seiner 
Ansicht von dem, was das Buch leisten kann. 

Trotzdem Verfasser bemüht war, den ganzen Umfang des für seine Zwecke 
Brauchbaren möglichst auszuschöpfen, ist ihm gewiß manches entgangen; 
doch hofft er auch schon durch die Anregung zur Nachfolge in einschlägigen 
Studien für die Pathologie Nützliches geschaffen zu haben 2 ). 

Der Kreis des hier zu Berücksichtigenden war durch die spezielle Berück¬ 
sichtigung des Agrammatismus und die mit ihm durch Klinik und Topik in 

und Geisteskranken sich doch wesentlich häufiger darstellen, als es dem flüchtigen 
Überblick erscheint; wenn sie bisher entweder überhaupt nicht beachtet oder wenig¬ 
stens nicht entsprechend gewürdigt worden, so ist das natürlich kein Grund, sie, 
so nebensächlich sie auch erscheinen, theoretisch nicht auch jetzt schon als bedeutsam 
zu werten. In allen Wissenschaftsbetrieben waren es gerade die „nebensächlichen“ 
Erscheinungen, deren Beachtung und Erforschung neue Wege zum Verständnis 
des schon Bekannten gewiesen. 

Zum Beweise, wie scheinbar für ganz belanglos gehaltene Beobachtungen 
bedeutsam werden können, mag ein Fall von Dingley (Brain VIII, p. 597) dienen, 
der seiner kaum als fachmännisch zu bezeichnenden Darstellung wegen in der Lite¬ 
ratur nicht beachtet worden. Der Kranke zeigt neben Erscheinungen amnestischer 
Aphasie, sichtlich solche agrammatischer Art; anstatt des Wortes camel gebraucht 
er die Umschreibung: „Egypt . . . a long way . . . go a long way .... carry 
things .... hot place“. Welche Bedeutung ein solches Nebeneinandervorkommen 
für die Frage der Lokalisation des Agrammatismus hat, bedarf keiner Ausführung; 
gilt es doch als Regel, daß der amnestisch Aphasische nicht agrammatisch ist. 

*) Auch hier begegnet sich Verfasser mit der jetzt von Külpe (Psychol. u. 
Med. 1912, S. A. S. 44) ausgesprochenen Ansicht, daß der Psychologe, wenn er aus 
den pathologischen Phänomenen Gewinn ziehen soll, einer viel gründlicheren Ana¬ 
lyse der Krankheitsbilder bedarf, als sie von medizinischer Seite geleistet zu werden 
pflegt. 

a ) „Wenn die Kirnst Vollendung braucht, so kann in der Wissenschaft auch das 
Unfertige nützlich werden, wofern es nur nicht am Einzelnen haftet, sondern zum 
Ganzen strebt“ (W. Scherer). 



102 


Vorrede und Einleitung. 


engerem Zusammenhänge stehenden Sprachstörungen in etwas eingeengt; 
wenn sich Verfasser trotzdem bemüht hat, so viel als möglich auch den An¬ 
forderungen der übrigen Gebiete der Aphasielehre nach Aufklärung durch die 
herangezogenen Hilfswissenschaften gerecht zu w r erden, so muß es doch als 
selbstverständlich bezeichnet werden, daß in einem speziellen Falle die neuer¬ 
liche Durchforschung des hier mehr umschriebenen Gebietes, geleitet von den 
besonderen Gesichtspunkten, noch manches Neue und Zweckdienliche zutage 
fördern wird. So konnte den vereinzelten, vom Verfasser gegebenen Hinweisen 
auf ihm lokal nahestehende Dialekte manche für die Sprachpsychologie 
wichtige und für die Pathologie verwertbare Tatsache entnommen werden; 
natürlich war es nicht Aufgabe des Verfassers, deshalb die Grammatik der 
hundertfältigen Dialekte (und das güt ja auch für die fremdländischen 
Sprachen) durchzuforschen; das kann füglich jedesmal demjenigen überlassen 
bleiben, der dem vom Verfasser gegebenen Winke zur Beachtung dialektisch 
gefärbter Aphasien zu folgen Gelegenheit bekam. 

Die zum Verständnis der hier behandelten Fragen herangezogenen Hilfs¬ 
mittel sind aus so verschiedenen, dem Verfasser zum Teil ganz fremdartigen 
Gebieten hervorgeholt, daß es mit sonderbaren Dingen zugegangen sein müßte, 
wenn er trotz allem Bemühen in der Auswahl derselben oder in den Deutungen 
der zu behandelnden, oft recht schwierigen Probleme nicht da oder dort fehl¬ 
gegriffen haben sollte. Bei so vielen Themen der Sprachpsychologie, nament¬ 
lich in ihren Beziehungen zu erkenntnistheoretischen Fragen, wird ebenso¬ 
wohl über die Dunkelheit der Tatsachen wie über die Zwiespältigkeit der An¬ 
sichten der damit vertrauten Fachmänner geklagt; man wird es dem Laien 
auf diesen Gebieten nicht allzu schwer anrechnen, wenn er im Kreise der Mei¬ 
nungen, geleitet von dem vorläufig außerhalb derselben stehenden Gesichts¬ 
punkte des Pathologischen, anders wählt als der Fachmann und dabei viel¬ 
leicht fehlgreift. Doch hofft Verfasser auch bei den Spezialforschern die An¬ 
erkennung zu finden, daß er die Quellen für das ihrem Gebiete Entnommene 
nicht bloß fleißig durchforscht, sondern das auch, ohne Wesentliches zu über¬ 
sehen, zutreffend wiedergegeben; wenn er sich erlaubt hat, da und dort daran 
Kritik zu üben, so glaubt er die Berechtigung jedesmal erwiesen und den Aus¬ 
gangspunkt dazu in der Regel vom Pathologischen genommen zu haben. Man 
wird billigerweise, namentlich in Rücksicht des engeren Themas der vorliegen¬ 
den Schrift, auch noch in Betracht ziehen, daß gerade die dynamische Seite 
der Semantik noch recht w r enig bearbeitet ist und dadurch die Lehre von der 
Dissolution der Sprache, das Ideal einer vollendeten Aphasielehre, eines meh¬ 
ligen Leitfadens an der Evolution der Sprache entbehrt. 

Als Entschuldigung für manches Versehen und Mißgriffe darf wohl auch 
der Hinweis gelten, daß es sich ja um einen ersten allgemeinen, nur zum Teil 
spezialisierten Versuch handelt, dessen kritische Weiterführung durch zu er¬ 
hoffende Nachfolge auf diesem Gebiete gewiß auch zur Beseitigung der vom 
Verfasser unerkannt gebliebenen Fehler führen wird; auch glaubt derselbe, 
daß durch die Vielfältigkeit der herangezogenen Tatsachen und Ansichten 
eine Korrektur irrtümlicher Anschauungen sich fast automatisch vollziehen 
muß. Freilich, ob Verfasser trotz aller Bemühungen nicht doch der Unzu¬ 
länglichkeit verfallen, mögen müde Kritiker beurteilen. Diese Unzulänglich¬ 
keit mag ja auch dort hervortreten, wo es sich um die Verwertung des den 



.Vorrede und Einleitung. 


103 


Hilfswissenschaften entnommenen Materiales für die Klärung pathologischer 
Fragen handelte; doch hofft Verfasser irrtümlichen oder mißverständlichen 
Deutungen und Anwendungen möglichst vorgebeugt zu haben. 

Ein Einwand konnte auch daher genommen werden, daß in der Heran¬ 
ziehung nichtmedizinischer Ausführungen vielleicht auf Manches eingegangen 
wird, das dem Psychologen und Philologen trivial erscheinen könnte; als Ent¬ 
schuldigung mag dienen, daß in erster Linie die Pathologen zu berücksichtigen 
waren und diesen der Stoff möglichst vereinfacht vorgelegt werden mußte; 
die Rücksicht auf die Pathologie ist andererseits aber auch der Grund, daß 
manches dem Spezialisten als wichtig Erscheinende hier nur kurz sich darge¬ 
stellt findet, w r enn davon zunächst nichts Wesentliches für die Pathologie zu 
verwerten war. 

Es war natürlich nicht zu umgehen, daß Verfasser gelegentlich nicht 
bloß in Fragen psychologischer Art, denen er immerhin etwas näher steht, 
sondern auch in solchen andere Wissenschaftsgebiete betreffenden seine von 
derjenigen hervorragender Fachmänner abweichende Meinung äußern mußte; 
er hofft dabei mit jener Vorsicht und Bescheidenheit vorgegangen zu sein, die 
in solchen Fällen deshalb am Platze ist, weü dem Nichtfachmanne bei aller 
Bemühung nach Aufklärung eine Menge von Gesichtspunkten entgangen sein 
können, die die Ansicht der Fachmänner unausgesprochen und oft ganz un¬ 
bewußt beeinflussen; maßgebend für den Verfasser war natürlich dabei immer 
der Ausblick auf das Pathologische und deshalb eine Richtlinie für solch kriti¬ 
sches Einschreiten besonders dann gegeben, wenn die aus dem Pathologischen 
sich ergebenden Ansichten zu einer solchen Stellungnahme die Möglichkeit 
boten. Natürlich steht es dem Verfasser nicht zu, in den großen Streitfragen 
auf dem Gebiete der Sprachpsychologie, allgemeinen Grammatik und Sprach- 
logik prinzipiell Stellung zu nehmen; auch da mußte er sich begnügen, die 
eben angeführten Gesichtspunkte w'alten zu lassen. 

Man ward — und es ist nicht zu leugnen, daß es sich dabei um eine prin¬ 
zipielle Frage handelt — der vorliegenden Schrift gerade vom Standpunkte 
der Pathologie, Vorhalten, daß sie an Stelle der ihr bisher zugrunde gelegten 
einheitlichen Arbeitshypothese auf die Basis einer Mehrheit auch in sich noch 
nicht einheitlich fundierten Wissenschaften gestellt ward und damit eine ganze 
Reihe von Arbeitshypothesen in das Gebiet hineingetragen werden soll. Dazu 
wäre Folgendes zu bemerken: Zunächst braucht nichts von dem, was sich als 
tragfähig an der bisherigen Methode und den davon abstrahierten Grundlagen 
herausgestellt hat, aufgegeben zu werden; wenn dann der so entsprechend 
ausgew r eiteten Arbeitshypothese noch andere, vor Allem aber die psychologi¬ 
sche, hinzugefügt würden, so entspricht das der auch in anderen Wissenschaften 
geübten Methode, die man (Chamberlin *)) als die der mehrfachen Arbeits¬ 
hypothesen charakterisiert hat. Verfasser hat Eingangs hervorgehoben, daß 
er in der Verbindung synthetischer und analytischer Durchdringung des Stoffes 
das Ideal auch für die Sprachpathologie sieht; gegenüber der bisher in dieser 
fast ausschließlich maßgebend gewesenen, von Wer nicke begonnenen, syn¬ 
thetischen Erforschung der Aphasie, möchte er doch zunächst der anderen 
von ihm geübten, eklektisch orientierten, Methode jetzt das Wort sprechen. 


x ) University of Chicago Press 1897. 



104 


Vorrede und Einleitung. 


Sieht man zu, so zeigt sich leicht, daß diese mit der Methode der mehrfachen 
Arbeitshypothesen, wie sie Chamberlin vertritt, zusammenfällt 1 ). 

Gewisse Bedenken dürfte auch das Ausmaß dessen erregen, was Verfasser 
an Ausführungen aus den benützten Schriften hier mitgeteüt hat. Der wichtigste 
Grundsatz, von dem er sich dabei leiten ließ, war der, daß in erster Linie alles 
das berücksichtigt werden müsse, was irgendwie zum Verständnis des Patho¬ 
logischen beitragen konnte; wenn der so zu umfassende Kreis anfänglich nicht 
sehr bedeutend schien, so zeigte sich doch, vielfach erst nach längerer Erwägung, 
oft erst im Zuge der Ausarbeitung, daß ganz weitab liegende, für den Patho¬ 
logen zunächst scheinbar ganz belanglose Tatsachen oder Deutungen derselben 
seitens der kompetenten Fachleute doch bedeutsame Gesichtspunkte zum Ver¬ 
ständnis des Pathologischen dar boten. 

Der Umfang gestaltete sich aber auch deshalb etwas größer, weil es eine 
irgendwie zusammenfassende und doch für unsere Zwecke genügend ausführ¬ 
liche Darstellung z. B. der den „Würzburger Versuchen“ entstammenden 
Resultate, auf die hätte verwiesen werden können, nicht vorliegt; das zwang 
aber zur Durchsicht vieler, scheinbar ganz fernab liegender Untersuchungen, 
die dann nicht selten trotzdem recht wichtige Beiträge für unser Thema ergaben 
und zur Berücksichtigung zwangen 2 ). 

Natürlich hat Verfasser nicht alles, was die hier herangezogenen Hilfs¬ 
wissenschaften dar boten, auch völlig ausschöpfen wollen; dagegen sprach 
schon die Beschränkung auf die durch den Agrammatismus und seine Neben- 

*) „Die Methode der mehrfachen Arbeitshypothesen unterscheidet sich von der 
einer einzigen solchen dadurch, daß sie die Arbeit und die Neigung verteilt. Die 
Aufstellung verschiedener Hypothesen bezweckt die Hervorhebung jeder ratio¬ 
nellen Erklärung der einzelnen Erscheinung, die Entwicklung jeder haltbaren 
Hypothese hinsichtlich ihrer Natur, Ursache und Herkunft, ebenso wie sie bezweckt, 
ihnen allen möglichst imvoreingenommen die entsprechend wirksame Form und Stel¬ 
lung in der Untersuchung zu geben. Der Untersucher wird so der Vater einer Familie 
von Hypothesen und dadurch gehindert, einer einzelnen ungerechtfertigt seine 
Neigung zuzuwenden; dadurch erscheint die Hauptgefahr einer solchen Vorliebe 
beseitigt“. (Übersetzt nach einem Zitat bei Turner, Adress to the math. a. physic. 
Sect. Brit. Assoc. f. the Adv. of Sc. 1911, Nr. 193, Repr. p. 13). 

2 ) So z. B. wenn wir den Arbeiten von Grünbaum (Über die Abstraktion 
der Gleichheit. Arch. f. d. ges. Psych. XII) und E. Westphal (Über Haupt- und 
Nebenaufgaben ibidem XXI, S. 221) entnehmen, daß der herkömmliche Begriff 
vom Umfange des Bewußtseins durch die Verbindung von Haupt- und Nebenauf¬ 
gabe wesentlich modifiziert wird. Verfasser kann den Hinweis nicht unterdrücken, 
daß die genannten Arbeiten eine unmittelbare Anwendung auf die Erklärung der von 
ihm beschriebenen, seither von Liepmann als ideatorische bezeichneten Apraxie¬ 
form zulassen; das notwendige Festhalten an der Hauptaufgabe der vorliegenden 
Schrift gestattet nicht auf diese sich hier so reizvoll darbietende Nebenaufgabe 
näher einzugehen. Nur das sei angeführt, was E. We6tphal (1. c. S. 222) bezüglich 
der Störung in der Rangordnung der „Aufgaben“ anführt, weil es eine unmittelbare 
Verwertung auch für bestimmte Aphasieprobleme nahegelegt: „Sofort ist die Einheit 
aufgelöst, die Verschmelzung zu einer zusammengesetzten Handlung weicht einer 
zersplitterten und verwirrenden Mannigfaltigkeit von Aufgaben, man weiß nicht 
mehr, was man tim soll“. 

Nicht minder wertvoll erscheinen dem Verfasser die eben berührten Tatsachen 
für die Lehre von der Agnosie und namentlich für das, was Verfasser zuerst als Störung 
der Komprehension von Seheindrücken (Studien z. Hirnpath. u. Psych. 1908, S. 42) 
beschrieben; dcch muß er sich ein Eingehen darauf erst recht versagen; nur auf die 
Differenz zwischen synthetischem und analytischem Auffassungstypus sei verwiesen. 



Vorrede und Einleitung. 


105 


gebiete gegebenen Grenzen; aber er hofft doch, das Wesentliche insoweit an¬ 
gedeutet zu haben, daß der nachbessemden Weiterarbeit wenigstens die Rich¬ 
tung gegeben erscheint 1 ). Die Nötigung, scheinbar fernab liegende Teile der 
Hilfswissenschaften selbst ausführlicher heranzuziehen, war noch dadurch ge¬ 
geben, daß auch andere Aphasieforscher schon ähnliche Versuche gemacht 
hatten und das Unzulängliche, ja selbst Irrtümliche dieser Versuche zwang, 
etwas eingehender mit den einschlägigen Tatsachen sich zu befassen. Gelegent¬ 
lich stieß Verfasser auf Tatsachen oder Gesichtspunkte, denen nur weniges 
von den bisher bekannten klinischen Tatsachen entsprach, deren Beachtung 
aber für die Zukunft sehr aussichtsreich erschien; er glaubte, selbst auf die 
Gefahr hin, eines Zuviel geziehen zu werden, auf die Mitteilung solcher anschei¬ 
nend beziehungsloser Tatsachen oder Deutungen im Interesse des dadurch 
zu provozierenden Fortschrittes der pathologischen Forschung nicht verzichten 
zu sollen; daß eine solche Darstellung, insbesondere bei nicht selten so durch¬ 
aus unfertigen Vorlagen, einer Fülle von Anführungen nicht entraten konnte, 
liegt auf der Hand. 

Gelegentlich ist die Breite der Darstellung auch dadurch bedingt, daß 
sich Verfasser veranlaßt sah, Deutungen psychologischer und sprachwissen¬ 
schaftlicher Tatsachen durch bisher dazu nicht herangezogene Gesichtspunkte 
zu beleuchten und zu vertiefen; er glaubt das damit rechtfertigen zu können, 
daß ihm auch dabei immer der daraus zu erhoffende Gewinn einer Vertiefung 
des pathologischen Verstehens vorschwebte. 

Wer an dieser Fülle des anderen Werken entnommenen Materials Anstoß 
nehmen sollte, möge auch in Erwägung ziehen, daß damit ebenso zahlreiche 
Anknüpfungspunkte gegeben sind für anders orientierte Studien als die des 
Verfassers, und daß in der Hervorhebung solcher, vielfach in der sonstigen 
Literatur nicht berücksichtigter Hinweise ein hoffentlich nicht überschätztes 
Moment gelegen war. Man wird vielleicht auch finden, daß Verfasser da und 
dort die anderen Autoren entnommenen Argumente desselben Gedankenganges 
zu sehr gehäuft; Verfasser glaubt damit deshalb nichts überflüssiges getan zu 
haben, weil sich darin doch meist verschiedene Gesichtspunkte spiegeln, deren 
Betrachtung auch für die Zwecke der vorliegenden Schrift belangreiche Diffe¬ 
renzen zu entnehmen wären. 

Noch ein letztes Moment war für die gewählte Breite der Anführungen 
maßgebend; es bestand vielfach die Nötigung, dem Leser kontroverses Material 
unmittelbar vor Augen zu führen. Aber selbst dort, wo ein vorsichtiger Eklek¬ 
tizismus die Wahl zwischen einander widerstreitenden Ansichten im Bereiche 
der Hilfswissenschaften berechtigt erscheinen ließ, hat es Verfasser zuweüen 

x ) Hier ist auch Anlaß gegeben, zur Rechtfertigung des Umstandes, daß nur 
ein Teil des geplanten Werkes jetzt zur Ausgabe kommt, einige Worte zu sagen. 
Als Verfasser vor etwa fünf Jahren die Vorarbeiten dazu begann, fehlte ihm zunächst 
jeder Maßstab für die Ausdehnung der zu berücksichtigenden Hilfswissenschaften; 
aber je mehr er sich mit diesen befaßte, um so mehr erweiterte sich der Umfang des 
hier in einer den Zwecken der Pathologie angepaßten Synthese Wiedergegebenen; 
Verfasser hofft, daß Kenner dieses Umfanges vor den Pathologen bezeugen werden, 
daß ein etwas langsamerer Fortgang der in karg bemessenen Mußestunden ausge¬ 
führten Arbeit daraus erklärlich erscheint. Der Umstand, daß die „Studien“ nicht 
eine systematische Darstellung beabsichtigen, mag das bruchstückweise Erscheinen 
als zulässig erweisen. 



106 


Vorrede und Einleitung. 


vorgezogen, auch die anders lautenden Darstellungen zu berücksichtigen; es 
geschah in der Absicht, nicht bloß dem Leser das gesamte Material vor Augen 
zu führen, sondern auch für spätere, auf ein besser fundiertes Tatsachenmaterial 
sich stützende Beobachtungen und geänderte Deutungen die Basis bereit zu 
halten. Deshalb hofft Verfasser auch, daß seine Schrift nicht bloß den Wert 
einer Materialiensammlung haben wird, die ja mit einem Werk, das Pionier¬ 
arbeit zu leisten hat, notgedrungen verknüpft ist. 

Wenn Verfasser infolge der gewählten Form der Darstellung in der dem 
Psychologischen gewidmeten ersten Hälfte der Schrift nicht selten für längere 
Zeit vollständig hinter seinem Stoffe zurückgetreten scheint, so hofft er, daß 
ihm der Leser auch dafür Dank wissen wird; einzig die feste Überzeugung, 
durch diese Arbeit einem nicht mehr zu umgehenden Bedürfnisse für eine Weiter¬ 
bildung der Aphasielehre in großem Stüe Genüge zu leisten, gab dem Verfasser 
die nötige Selbstüberwindung in der Rolle des scheinbar bloß Referierenden 
länger zu verharren, als es seinen Neigungen entsprach. Sollte Jemand des¬ 
halb dem Ganzen des psychologischen Teües nur den Charakter einer allen¬ 
falls brauchbaren Kompüation zuerkennen wollen, dann beruft sich Verfasser 
auf Lotze, der sagt, ,,daß auf keinem Gebiete weniger als auf dem der Psycho¬ 
logie eine erträgliche Kompüation dem gelingen würde, der nicht mit selbstän¬ 
digem Urteü die Gesamtheit des Gegenstandes beherrscht.“ Deshalb glaubt 
Verfasser auch der Versuchung, in dem Ganzen nur eine Summe von Über¬ 
zeugungen zusammenzutragen, die ein Spiegelbüd seiner subjektiven Auffassung 
bieten sollen, möglichst vorgebeugt zu haben; er hat vielmehr als oberstes 
Prinzip festgehalten, nur das vorzubringen, was kontrollierbare Wissenschaft 
auszusagen berechtigt. 

Vor allem glaubt er überall den Gesichtspunkt der für die Pathologie 
gewünschten Aufklärung nicht außer acht gelassen und deshalb seine Dar¬ 
stellung niemals auf eine beziehungslose Wiedergabe aus jenen Gebieten be¬ 
schränkt zu haben; immer sollte wenigstens eine Auswahl dessen gegeben werden, 
was für die Zwecke der Pathologie entweder unmittelbar verwertbar, oder 
für eine spätere Zeit als aufklärend oder richtunggebend erhofft werden konnte. 
Daß eine solche Auswahl meist keine gerundete Darstellung zuließ, sei nicht 
verschwiegen; es mag als Entschuldigung für das Ungenügende der hier zu 
einem bestimmten Zwecke versuchten Synthese sprachpsychologischer An¬ 
schauungen dienen, daß auch van Ginneken am Schlüsse seiner ,,Principes 
de Linguist, psychol.“ 1907, p. 532 f. die Lücken und die Fehlerhaftigkeit seines 
eigenen Versuches betont. Man wird insbesondere bei der Beurteüung des be¬ 
rücksichtigten sprachvergleichenden Materiales billig auch den Umstand in 
Betracht ziehen, daß, wie Meillet vor einem Jahrzehnt gesagt, es keine be-. 
friedigende Zusammenfassung der einschlägigen Tatsachen gibt, und soweit 
Verfasser sieht, auch jetzt noch nicht gibt; namentlich für das hier in erster 
Linie in Betracht kommende Spezialgebiet fehlt es an Hüfsmitteln, wie einer 
Äußerung von van Ginneken (1. c. p. 1) zu entnehmen. 

Bei der Auswahl blieb Autor sich dessen bewußt, daß das Schöpfen aus 
zweiter Hand leicht zu Irrtümern führt und war deshalb bemüht, so weit als 
möglich auf die Quellen selbst zurückzugehen. Noch ein anderer Grund sprach 
für ein solches, nicht immer müheloses Verfahren; Darstellungen späterer 
Hand lassen vielfach die Fehler der ersten Auffassung und Deutung, die Irr- 



Vorrede und Einleitung. 


107 


tümer der weiteren Entwicklung, nicht mehr hervortreten; und doch ist gerade 
für den Pathologen, der ja vielfach mit den Analogien des Normalen arbeitet, 
zuweilen aus jenen Fehlern und Irrtümern mindestens ebensoviel zu lernen, 
wie aus den korrekten, abschließenden Darstellungen. Es sollte durch das 
Zurückgehen zu den Quellen überdies den Fachgenossen vor Augen gestellt 
werden, wie viel mehr, auch abgesehen von dem eben Gesagten, aus den Original¬ 
arbeiten als aus den Bearbeitungen zweiter und dritter Hand, die sonst so oft 
benützt werden, geschöpft werden kann. 

Gelegentlich wurden allerdings auch zusammenfassende sekundäre Dar¬ 
stellungen benützt, namentlich dann, wenn sich zeigte, daß ein Zurückgehen 
auf die Quellen doch allzu weitab von dem Gegenstände führen und die Dar¬ 
stellung dadurch eine sachlich nicht mehr begründete Breite erreichen würde; 
besonders gerne benützte Verfasser solche zusammenfassende Darstellungen 
aber dann, wenn sie sich durch Klarheit und Weiterbüdung der Probleme gegen¬ 
über den Quellenschriften auszeichneten. 

War schon durch diese Umstände eine gewisse Breite der Darstellung 
gegeben, so schien es Verfasser überdies auch besser, das, was von Anderen 
gut und prägnant ausgedrückt worden, auch von diesen selbst hier sagen zu 
lassen, als zu versuchen, dasselbe nochmals in eigener Darstellung zu geben. 
Die Anführung der originalen Äußerungen der Autoren hat gegenüber der ohne 
nähere Angabe referierend oder scheinbar als original hingestellten Mitteilung 
derselben noch einen wesentlichen Vorteü für den Leser; in letzterem Falle 
stehen die Angaben nicht selten ganz isoliert da, der Leser muß vielleicht 
erst mühsam das Material für die Begründung und Entwicklung der betreffen¬ 
den Ansicht suchen; ist aber das Zitat angeführt, dann ist es ihm ein leichtes, 
sich sofort den gewünschten Einblick zu verschaffen. 

Dem Verfasser lag dabei noch ein anderer, eben angedeuteter Gesichts¬ 
punkt am Herzen; da es sich vielfach um die Vorführung von Tatsachen und 
Ansichten handelte, die demjenigen Teüe der Leser, für die das Buch in erster 
Linie bestimmt ist*), mehr oder weniger gänzlich unbekannt sein mochten, 
wäre durch die Wiedergabe derselben in eigener, erneuerter Darstellung oder 
freier Übertragung sehr leicht der Eindruck einer Neuschöpfung und originalen 
Leistung hervorgerufen werden, gegen den allenfalls in einem Lehrbuche nichts 
einzuw r enden wäre; hier aber sollte auch der Schein davon vermieden werden. 
Wenn sich die Schrift sozusagen nach zwei Fronten kehrt, wäre nichts leichter 
gewesen, als den Eindruck der Originalität nach beiden Seiten hin bedeutend 
zu steigern; aber es entspricht besser der Ansicht des Verfassers vom Aufbau 
der Wissenschaft als einem Mosaik, wenn hier jedes Sternchen, das er selbst 
dazu geliefert, sich deutlich von dem schon Vorhandenen abhebt. Trotzdem 
mag es vorgekommen sein, daß Verfasser durch die Fülle des Stoffes bedrängt, 
auf seinem eigenen Gebiete oder auf dem der herangezogenen Hüfswissen- 
schaften etw r as als seine eigene Ansicht anführt, w r as schon von anderen zuerst 
gesagt oder besser entwickelt werden; er hofft dem bei seiner gewohnten 


*) Der eben erwähnte Grund muß es auch entschuldigen, daß der Verfasser, 
wenn auch selten, aber doch da und dort denselben Gegenstand wiederholt behandelt 
hat; er war dann meist bemüht, in der Darstellung differente Seiten des Themas 
zur Anschauung zu bringen. 



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Vorrede und Einleitung. 


Arbeitsweise möglichst entgangen zu sein; doch glaubt er hierfür im Voraus 
Generalpardon erwarten zu dürfen. 

Man wird es dem Verfasser vielleicht verübeln, daß er nicht selten auch 
inspraehpsychologischen Fragen scheinbar ohne Nötigung auf die Quellen zurück¬ 
gegangen; er darf das damit motivieren, daß er wiederholentlich in der Lage 
war, dadurch Feststellungen und Theorien, die der neuesten Zeit zu ent¬ 
stammen scheinen und selbst von Sprachforschern als ein Erwerb dieser rühmend 
hervorgehoben wurden, als die Weiterentwicklung von Ansichten festzustellen, 
deren Wiirzeln er weit zurück mit Sicherheit nach weisen konnte. Die Mit¬ 
teilung historischer Anführungen läßt sich auch damit rechtfertigen, daß dem 
Leser gelegentlich vor Augen geführt werden sollte, wie selbst zeitgenössische 
Autoren wieder in Fehler und Irrtümer verfallen, die an der Hand der Ge¬ 
schichte als längst verlassen zu erweisen waren. 

Der gelegentlich von den Spezialforschem selbst als chaotisch bezeichnet© 
Zustand einzelner Teile der gerade zu behandelnden Materie schloß es für den 
Verfasser von vomeherein aus, selbst eine zusammenfassende Darstellung 
davon zu geben; es bedurfte dann der ganzen, von keinem Zweifel an der Nütz¬ 
lichkeit seines Unternehmens eingeengten Opferwilligkeit des Verfassers, um 
ihn nicht in seinem Bestreben nach möglichst klarer Darstellung erlahmen zu 
lassen; aber auch in solchen Fällen w'urde eine unmittelbare Wiedergabe schon 
vorhandener zusammenfassender Darstellungen doch aus zwei Gesichtspunkten 
zumeist vermieden. Einmal, weil in solchen zuweilen als eine Art Leitfaden für 
den Nichtfachmann gedachten Arbeiten die Mängel und Lücken nicht genug 
deutlich hervortreten, die Kontroversen möglichst zurückgestellt erscheinen; 
aber gerade diese sind nicht selten für denjenigen, der auf einem anderen Ge¬ 
biete von dem Dargestellten Gebrauch machen will, das Wichtige und An¬ 
regende, schon deshalb, weil, um den hier zu berücksichtigenden Zweck zu 
markieren, die Mängel und Lücken des Normalen etw r a durch das dem Patho¬ 
logischen zu Entnehmende als korrigierbar sich erweisen mochten. 

Andererseits unterließ es Verfasser, wie schon früher bezüglich der Psycho¬ 
logie erörtert, deshalb, zusammenfassende Bearbeitungen größeren Stils als 
ausschließliche Vorlage zu benützen, weil diese dann meist ein bestimmtes 
System oder bestimmte Gesichtspunkte zum Ausgangspunkt nehmen und 
dadurch, wenn auch in anderem Sinne, das Abweichende und Kontroverse 
einer iür die vorliegenden Zwecke nicht förderlichen Nivellierung einheimfiel. 

Man wird bei der Beurteilung des psychologischen Teiles der Schrift 
billig in Betracht ziehen, daß es dem Verfasser dort, wo die größten Geister 
ihre Arbeit daran gesetzt, nicht beifallen konnte, etwas Besonderes und Ori¬ 
ginales leisten zu wollen; es war ihm vor Allem darum zu tun, daraus allerdings 
als etw r as Neues die Gesichtspunkte zu entwickeln oder anzudeuten, welch© 
für das Verständnis des Pathologischen davon abgezogen werden konnten. 
Gewiß wird man in dieser Hinsicht berechtigt sein, dem vorliegenden Buch© 
den Charakter des Subjektiven und Provisorischen zuzuschreiben; aber beides, 
auch im Titel zum Ausdruck gebracht, findet seine Rechtfertigung in dem 
Stande der ganzen pathologischen Disziplin ebensosehr wie der hier heran¬ 
gezogenen Hilfswissenschaften. 

Wenn Verfasser da und dort- gelegentlich auch methodologische Erörte¬ 
rungen eingeflochten, dann glaubt er sie immer an Ort und Stelle durch den 



Vorrede und Einleitung. 


109 


Nachweis des Ausgangspunktes derselben gerechtfertigt zu haben. Für Jeden, 
der von mehr allgemeinen Gesichtspunkten her an die Durchforschung medi¬ 
zinischer Spezialgebiete herantritt, wird es gewiß auffällig sein, wie der Wert 
mancher sachlich tüchtigen Arbeit durch einen Verstoß gegen die Methoden¬ 
lehre aufs schwerste beeinträchtigt erscheint; besonders macht sich das be- 
merklich, wenn Arbeiten dieser Art mit solchen anderer, nicht naturwissenschaft¬ 
licher Gebiete in Beziehung zu bringen sind. Man wird es dem Verfasser zu¬ 
gute halten, wenn er dann im Interesse der Sache auch gelegentlich sich über 
„Denkfehler“ ausgelassen hat. 

Im Gegensatz zu der hier gerechtfertigten Breite der Darstellung sei 
auch des möglichen Vorwurfes gedacht, daß Verfasser da und dort sich etwa 
zu knapp gefaßt. Die Schrift will eben nicht die Lehrbücher der Psychologie 
oder anderer Wissenschaftsgebiete ersetzen und durfte sich deshalb gelegent¬ 
lich auch mit Andeutungen und Hinweisen auf Tatsachen und Ansichten be¬ 
gnügen, die Beziehungen zur Pathologie erkennen lassen. Da das Ganze auch 
nicht als Hilfsbuch gedacht ist, hat sich Verfasser als selbstverständlich die 
Freiheit genommen, gewisse Kapitel nur insoweit zu behandeln, als es wegen 
ihrer Beziehungen zu den anderen, eingehender darzustellenden Erscheinungen 
notwendig erschien; so z. B. die „innere Sprache“, deren Bearbeitung gerade 
seitens der Pathologen Gegenstand vielfacher Darstellung bis in die letzte 
Zeit hinein gewesen. Das mag über die gelegentlich auffallende Ungleichheit 
der Bearbeitung anscheinend in der Aphasielehre gleich wichtiger Themen 
aufklären; zu solcher Ungleichmäßigkeit forderte vielfach gerade der Umstand 
heraus, daß gewisse Tatsachen oder Anschauungen der Sprachpsychologie 
bisher seitens der Pathologen kaum beachtet worden waren und ihrer Wichtig¬ 
keit wegen, die sich oft erst bei eingehenderer Beschäftigung mit denselben 
herausstellte, auch einer eingehenderen Behandlung bedürftig erschienen. 

Gewiß ist eine derartige Methode der Darstellung in einem nicht bloß 
für Fachgenossen bestimmten Werke nicht dazu geeignet, den ganzen Umfang 
dessen, was der Betreffende wissenschaftlich geleistet, außerhalb des Kreises 
der „Wissenden“ in die richtige Beleuchtung zu stellen; aber sie hängt mit 
der ganzen Studienart des Verfassers so innig zusammen, daß sie auch diesem 
ja als Pfadfinder zu bezeichnendem Werke naturgemäß anhängt. 

Noch eines möchte Verfasser bezüglich dieser „Studien“ bemerken. Es 
würde Verfasser nicht überraschen, wenn Jemand daran Anstoß nähme, daß 
er zuviel mit „Anschauungen“, „Standpunkten“ und „Meinungen“, eigenen 
und fremden, sich befaßt; dem mag entgegengehalten sein, daß es sich um ein 
Kapitel handelt, daß noch durchaus im Werden begriffen ist, und daß der Ver¬ 
such des Verfassers auch wieder einen neuen Häutungsprozeß desselben herbei¬ 
führen will. 

Es kann deshalb die vorliegende Schrift auch nicht etw r a eine Methoden¬ 
lehre der Aphasieforschung sein; dazu ist diese auch noch bei weitem zu arm 
an Umfang der Tatsachen; aber sie soll eine Vorarbeit dazu in dem Sinne sein, 
daß sie dem bisherigen wissenschaftlichen Verhalten der Forscher zu ihrem 
Stoffe die notwendige Wendung auf die bisher gegenüber den anderen noch 
zu wenig beachteten sprachphilosophischen Grundlagen geben will. 

Als eines Mangels ist noch des Umstandes zu gedenken, daß bei der über 
mehrere Jahre hinaus sich erstreckenden Vorbereitung dieses ersten Teiles 



110 


Vorrede und. Einleitung. 


und infolge der außerordentlichen Produktivität auf dem Gebiete der Psycho¬ 
logie Manches von dem, was Verfasser auf Grund einschlägiger literarischer 
Studien hier zur Darstellung gebracht hat, durch gleichartige Publikationen 
seitdem überholt erscheint x ). Verfasser mußte diesen der Beurteüung seiner 
Leistung einträglichen Umstand in den Kauf nehmen und war bemüht, so¬ 
viel als möglich aus den anderweitigen Veröffentlichungen noch für die Zwecke 
der vorliegenden Schrift nutzbar zu machen. 

Bezüglich der Anordnung der Notizen und Zusätze lagen zwei Möglich¬ 
keiten vor. Entweder konnten sie teüs direkt dem Texte ein verleibt, teils 
unmittelbar unter die dazu gehörigen Textstellen gesetzt oder aber alle ver¬ 
einigt der abgeschlossenen Darstellung angehängt werden. Nach längerer 
Überlegung hat sich Verfasser für den ersten Modus entschieden, der aller¬ 
dings mancherlei Unebenheiten der Darstellung namentlich dann nach sich 
zieht, wenn, wie hier, notwendigerweise die Belagstellen gehäuft zur Beleuch¬ 
tung des Gegenstandes herangezogen wurden; ausschlaggebend für diesen Ent¬ 
schluß war die Überzeugung, daß die Anmerkungen und Zitate einen so inte¬ 
grierenden Bestandteil der ganzen Darstellung und Beweisführung büden, 
die Rücksichtnahme auf dieselben eine so notwendige und unmittelbare war, 
daß man den Leser nicht in die Lage versetzen durfte, fortwährend im Anhänge 
nach den Belagstellen zu suchen, wie das in solchen Darstellungen wohl mög¬ 
lich ist, die für den Leser auch schon unter Außerachtlassung der Notizen und 
Zitate verständlich sein sollen. 

Bezüglich der Anführung der benützten Werke hat Verfasser meist immer 
wieder die Angaben wiederholt, weil er aus eigener Erfahrung genugsam weiß, 
wie peinlich es ist, oft durch ein halbes Buch hindurch den Hinweis auf die 
schon früher einmal zitierte Schrift suchen zu müssen. Auf eine zusammen¬ 
fassende Anführung all der Werke, die Verfasser benützt, glaubte er verzichten 
zu dürfen, da die reichlichen Anführungen im Texte genügende Anhaltspunkte 
für eine Weiterbenützung der Literatur bieten. 

Sollte jemand an dem Versuche der monographischen Darstellung des 
Gegenstandes Anstoß nehmen, dann kann man ihm entgegenhalten, daß eine 
solche zum mindesten versucht sein mußte, um endlich einmal all die Lücken 
übersichtlich zur Anschauung zu bringen, deren Ausfüllung von der fort¬ 
schreitenden Forschung erwartet werden muß. Sollte umgekehrt wieder ein 
Anderer in dem Ganzen nur eine Reihe von Einzelaufsätzen erblicken wollen, 
so glaubt Verfasser in den hier zur Darstellung gebrachten Gesichtspunkten 
das einigende Band für das scheinbar etw'as diffus sich Darstellende aufw'eisen 
zu können; er darf mit Goethe sagen: „ist es nicht aus einem Stück, so ist es 
doch aus einem Sinn“. Ehe Jemand aber den Schluß ziehen wollte, daß es die 
fehlende Kraft sei, welche die Durchführung einer geschlossenen Synthese 
hemme, möge er den gegenwärtigen Stand sowohl der Pathologie, wie der hier 
herangezogenen Hilfswissenschaften auf ihre Tragfähigkeit zu einer solchen 
Synthese prüfen; auch mag manches Bedenken darin seine Aufklärung finden, 

L ) Neuere Ersoheinungen im Gebiete der Pathologie lassen auch die Stellung¬ 
nahme des Verfassers in Fragen der Psychologie, wie sie die Pathologen verwerten, 
als zu schroff erscheinen; das Entsprechende findet sich da oder dort vermerkt; 
im Speziellen war es aber vielfach die Divergenz der Auffassungen und Schlußfolge¬ 
rungen, die dem Verfasser maßgebend für die Aufrechthaltung seiner Ausführungen war. 



Vorrede und Einleitung. 


111 


daß nicht selten der geringe Umfang dessen, was über die einzelnen Themata 
feststeht, für eine gerundete Darstellung sich als nicht zureichend erwies. 

Sollte endlich Jemand den psychologischen Teü dieser Schrift nur als 
eine Art Referat gelten lassen wollen, wie sie jetzt wohl mit Recht so häufig 
zur Darstellung kommen, etwa in dem Sinne, wie sich die Aphasielehre unter 
dem Gesichtswinkel der Sprachpsychologie darstellt, so wird auch diese Wer¬ 
tung den Absichten des Verfassers gerecht; denn wenn es den weiteren Zwecken 
eines solchen Referates entspricht, alles zusammenzutragen, was an Aufklärung 
für das Thema anderen Gebieten zu entnehmen ist, Mängel der Grundlagen 
aufzuweisen, falsche Deutungen zu beseitigen und die Hohlheit ererbter Be* 
Zeichnungen aufzudecken, dann dürfte die vorliegende Arbeit, w r eü ganz diesen 
Zwecken gewidmet, für den psychologischen Teil jene Anerkennung zu finden 
hoffen, deren Referate jetzt teühaftig werden. 

Wenn Verfasser auch in seinem eigentlichen Arbeitsgebiete nirgends 
Fertiges und Abschließendes wird bieten können, so erklärt sich das vor Allem 
aus dem unfertigen Zustande der Aphasielehre überhaupt, der gerade durch 
die vorliegenden, insbesondere die einleitenden Studien die notwendige Basis 
zu einem prinzipiellen Fortschritte geboten werden soll. 

Trotz all der Mängel dieses Versuches glaubt Verfasser mit der Ansicht 
nicht fehlzugehen, daß in der hier zum Grundzug der Darstellung gewählten 
Richtung dereinst die Basis für eine umfassende Synthese der Aphasielehre 
mit allen ihren Beziehungen im Rahmen der anderen Störungen des Bew^ußt- 
seinsorgans gegeben sein wird. Das Zwingende dieser Ansicht war es auch, 
das ein Zu warten ausschloß. Künftigen Bearbeitern mag es gegeben sein, die 
Fülle der bis dahin vielleicht auch unter Mithilfe der vorliegenden Studien 
gewonnenen Tatsachen und Einsichten zu einem einheitlichen Ganzen ver¬ 
arbeiten zu können. Im Übrigen ist dieser unfertige Zustand keine Besonder¬ 
heit unserer Disziplin; klagt doch auch Bradley in der Vorrede zu seinen 
„Principles of Logic“ 1883, p. VII über die Zweifel und Unsicherheiten, die 
sich ergeben, wenn man mit seinen Fragen in einer so alten, anscheinend doch 
fertigen Wissenschaft, wie die Logik, nur entsprechend tief dringt; und A. Stöhr 
spricht einige Jahrzehnte später (Leitfaden der Logik in psychol. Darstellung. 
1905, S. V) von dem instinktiven Suchen nach einem Unterbau des vermeint¬ 
lich letzten Fundamentes der Prädikat ionslogik. 

So viel über das Formale; über den inneren Wert der Arbeit zu urteilen, 
muß der Kritik überlassen bleiben; was Verfasser mit ihr bezweckt, glaubt 
er in genügender Weise dargelegt zu haben. Goethe sagt: ,,Vor zwei Dingen 
kann man sich nicht genug in Acht nehmen. Beschränkt man sich in seinem 
Fache vor Starrsinn, tritt man heraus vor Unzulänglichkeit.“ Von dieser hat 
Verfasser schon gesprochen; was jenen anlangt, so hofft Verfasser gerade durch 
die vorliegende Arbeit eine Probe dafür abgelegt zu haben, daß es sich ihm 
nicht um „Rechthaberei, sondern um schaffende Polemik“ handelt; daß nicht 
Halsstarrigkeit und noch weniger Tadelsucht oder Besserwissenwollen ihm die 
Feder geführt, glaubt er dadurch am besten zu beweisen, daß es ihm gelungen, 
eine Brücke zur Verständigung der einander diametral gegenüber stehenden 
Standpunkte in der Lokalisationsfrage des Agrammatismus zu finden. Auch 
sonst glaubt er ohne Voreingenommenheit für die von ihm aufgestellten und 
früher vertretenen Anschauungen objektiv nach allen Richtungen die sich dar- 



112 


Vorrede und Einleitung. 


bietenden Gesichtspunkte geprüft zu haben; insbesondere glaubt er es nicht 
an der nötigen Objektivität gegenüber den ihm entgegengehaltenen Einwänden 
haben fehlen lassen und selbst nach Ein wänden gesucht zu haben, die sich ihm 
etwa im Laufe der Diskussion als möglich darstellten. Immer war Verfasser 
bemüht, die gegenteiligen Standpunkte einander näher zu bringen, von dem 
Grundsätze ausgehend, daß es Aufgabe der Forschung ist, Möglichkeiten von 
Erklärungen zu schaffen und nicht Gegensätze, die der Erklärung trotzen, 
zutage zu fördern oder weiter bestehen zu lassen. 

Es war natürlich nicht möglich, Polemik ganz zu vermeiden, ja, sie war 
dort nötig, wo Verfasser eigene oder fremde Anschauungen zu vertreten hatte, 
die von anderen Autoren bekämpft, nach Prüfung der Einwände neuerlich 
hier dargelegt werden mußten; doch war er bemüht, solche Polemik möglichst 
auf prinzipiell wichtige Gesichtspunkte zu beschränken. Gegenüber der trotz¬ 
dem da und dort etwas stärker betonten Polemik wird aber gewiß die Über¬ 
einstimmung mit Denjenigen, die sich prinzipiell in der Förderung der Sprach- 
pathologie vereinigen, weit überwiegen. 

Wie Verfasser über Polemik im Allgemeinen denkt, hat er schon in der 
Vorbemerkung zu seinen Beiträgen“ 1898 auseinandergesetzt; immer aber hat 
er sich das Wort ,,eripitur persona, manet res“ vorgehalten. 

Diese Schlußbemerkungen waren im Entwurf niedergeschrieben, als der 
ganz unqualifizierbare, den Eingeweihten allerdings verständliche Angriff 
v. Niessls (Die aphasischen Symptome und ihre kortikale Lokalisation. 1911, 
S. XII) erschien, der den Verfasser in Gemeinschaft aller derjenigen deutschen 
Autoren trifft, die sich eingehender mit Aphasieproblemen befaßt haben; das 
tiefer zu hängen, ist wohl die einzig mögliche Antwort darauf; es wird natür¬ 
lich an der Darstellung des Verfassers nichts ändern; den Lesern mag die Ent¬ 
scheidung darüber, ob in ihr unbedingte Wahrheitsliebe als oberster Grundsatz 
herrscht, getrost überlassen bleiben. 



I. Name, Geschichte, Definition nnd Abgrenzung des 

Agrammatismus. 

Mit dem von Kuß maul (Störungen der Sprache, im Hand buche der 
Pathologie und Therapie, herausg. von Ziemssen 1877, 12. Bd., Anhang, 
S. 193) gewählten Namen des Agrammatismus bezeichnet er die verschiedenen 
syntaktischen Diktionsstörungen, deren Trennung von denjenigen der Diktion 
der Wörter Steinthal (Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft. 
1871. 2. Aufl. 1881, nach dieser zit., S. 478) schon früher vollzogen hatte. 

Die Anfänge der Geschichte des Agrammatismus gehen vor Stein¬ 
thal zurück, denn auch dieser fußt schon mit der von ihm so feinsinnig aus 
der Aphasie im Allgemeinen herausgeschälten grammatischen Störung auf 
mehreren von ihm nicht näher bezeichneten, aber zum Teil in der Kasuistik 
hier berücksichtigten Berliner Dissertationen. Steinthal hatte selbst für die 
Störung unter Berufung auf Aristoteles (de interpret c. 4) die Bezeichnung 
„Akataphasie“ vorgeschlagen, doch ist dieser Name nirgends durchgedrungen, 
vielmehr die von Kuß maul gegebene Bezeichnung in alle Sprachen aufge¬ 
nommen worden, wohl hauptsächlich deshalb, weü sie auch für den Nichtphüo- 
logen ohne weiteres verständlich ist. 

Sprachlich w r äre die von einzelnen Autoren gewählte Bezeichnung „Asyn- 
taktismus“ (sie findet sich z. B. in Bianchis Lehrbuch der Psychiatrie, engl. 
Übersetzung, S. 341) scheinbar vielleicht besser sogar als die anderen, wenn 
wir mit O. Dittrich (Anz.f.indog. Sprach- und Altertk. XIX., S. 13) die Syntax 
definieren „als feine allgemeine Flexionslehre, insofern in ihr nicht etwa nur 
die Kastisendungen, sondern auch alle übrigen Flexionsmittel des Wortes zu 
behandeln sind“ x ). 

x ) Mit Rücksicht auf den, wrie wir alsbald hören werden, gerade für die Lehre 
von Agrammatismus bedeutsamen Anteil der vom Verfasser sog. musischen Elemente 
der Sprache an der Syntaxierung der Sprache ist hier anzumerken, daß Dittrich 
dabei nach Ausweis der an das Zitierte anschließenden Ausführungen über die Satz- 
bedeutung des Wortes „Oh!“ auch jenen Teil der Ausdrucksmittel in ihrer Bedeutung 
für den Satz wrürdigt. Wenn Verfasser hier wie an anderen Stellen die von ihm 
geprägte Bezeichnung musisch beibehält, trotzdem es sich um solche Erscheinungen 
handelt, welche in der Sprachwissenschaft zum Teil als der Phonetik zugehörige 
klassifiziert werden, so geschieht dies hauptsächlich deshalb, um durch die Hervor¬ 
hebung des Zusammenhanges mit den dem Pathologen geläufigeren amusischen 
Erscheinungen ebensowohl den genetischen wie den lokalisatorischen Gesichtspunkt 
besonders zu markieren. 


Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


8 



114 


I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 


Mit Rücksicht darauf, daß in der Linguistik die Bezeichnung Syn-, bzw. 
Asyntaktismus für etwas ganz anderes verwendet wird, wird man der zunächst 
als zutreffend anzusehenden Bezeichnung Bianchis nur mit Vorbehalt bei¬ 
stimmen dürfen (vgl. dazu V. Henry, Et. sur l’analogie en general etc. 1883, 
p. 27); ein weiterer Einwand gegen jene Bezeichnung wird noch später seine 
Darstellung finden. 

Es lohnt zu diesen historischen Grundlagen der ganzen Lehre hinabzu¬ 
steigen auch deshalb, weü sich schon hier die gleichen, auf der damals ausschlie߬ 
lich geltenden Ansicht von den bis zum Zusammenfallen der Beiden engen 
Beziehungen zwischen Denken und Sprechen basierten, Unklarheiten ergeben, 
denen wir auch noch bis in die letzte Phase der Aphasielehre hinein begegnen 
werden. Das tritt uns sofort als durch Vermischung der Beiden bedingt ent¬ 
gegen in dem Steinthalschen Satze, „denn die Unfähigkeit zur Satzbüdung 
berührt gar leicht das logische Vermögen“ (S. 478). Eine Andeutung dafür 
aber, daß Steinthal doch in dem angezogenen Falle den im Sprechen in der 
dritten Person sich ausprägenden Mangel an Intelligenz und den etwa anders 
bedingten Agrammatismus auseinanderhält, kann vielleicht darin gefunden 
werden, daß er in der Beschreibung eines Mädchens, das von sich in der dritten 
Person sprach, was Steinthal als Zeichen „herabgesunkener Intelligenz“ 
bezeichnet, fortfahrend sagt: „Sie sprach aber auch ohne Verba finita und 
ohne Konjunktionen, ganz wie ein Kind, d. h. aber mit der Unfähigkeit wirk¬ 
licher, voller Satzbüdung; so sagte sie z. B. „Toni gemacht, alles schon gemacht“, 
oder „Toni Blumen genommen, Wärterin gekommen, Toni gehaut““ 1 ). Aber 
auch in der Darstellung der Grundlagen dessen, was in der Akataphasie be¬ 
hindert sein soll, macht sich das gleiche Schwanken geltend, wenn er diese 
Störung in der Weise zum Ausdruck bringt : „Das Lautbüd ist aber mit einer 
Vorstellung assoziiert, und es ist eine tiefere Störung der Sprachfähigkeit, wenn 
der Kranke unfähig ist, nicht das Lautbüd, sondern die Vorstellung selbst 
zu reproduzieren, dann ist der eigentliche Rodeprozeß, die Funktion der Um¬ 
wandlung der Anschauung in die VorsteUung, d. h. die Satzbüdung gehemmt.“ 

Es bedürfte einer eingehenden Darstellung, Stück für Stück, um aüe 
in dieser Auffassung zutage tretenden Gegensätze zu jetzt herrschenden An¬ 
sichten aufzudecken; es mag das deshalb hier bloß angedeutet sein, da die 
weitere Darstellung dieser Ansichten in dem Kapitel vom Wege vom Denken 
zum Sprechen eine Klarlegung von selbst herbeiführen wird. 

J ) Es sei gestattet an diese durch ihr Alter ehrwürdig gewordene Deutung 
eine Bemerkung anzuknüpfen. Der Umstand, daß da s Reden von sich in der dritten 
Person neben den auf die Imbezülität zu beziehenden agrammatischen Erscheinungen 
besteht, legt es nahe, auch für jene Erscheinung in dem Intelligenzdefekt die Er¬ 
klärung zu suchen. Man wird aber bülig fragen dürfen, ob das für aüe Fäüe zutrifft. 
Vor Kurzem machte Verfasser eine Beobachtung, die das recht zweifelhaft erscheinen 
läßt. Es handelt sich um einen Kranken mit mäßiger Worttaubheit, schwerer 
Paraphasie und Paragraphie, Wortamnesie hauptsächlich für Hauptwörter und 
Alexie; bei dem intellektueü nicht auffällig defekten 67 jähr. Manne wurde mm wieder- 
holenthch beobachtet, daß er von sich redend den ganzen Satz in der dritten Person 
konstruiert; da er daneben auch gelegentlich, freilich selten, Agrammatismen 
(weiche Konjugation statt der harten) darbot, liegt die Vermutung nahe, daß auch 
das Reden in der dritten Person eben der Seltenheit seines Auftretens wegen auf 
die Sprachstörung allein bezogen werden könnte. Nach einigen Wochen war 
diese Erscheinung verschwunden. 



Abgrenzung des Agrammatismus. 


115 


Noch in einer späteren Bemerkung tritt bei Steinthal (1. c. S. 485) die 
Verwischung der Grenzen zwischen Sprechen und Denken mit seinem Gefolge 
von Unklarheiten in der Abgrenzung der Akataphasie deutlich hervor, wenn 
er diese letztere als „Fehlen der Kraft“ definiert, „die Vorstellungen nach den 
grammatikalischen Gesetzen zu apperzipieren oder zu verbinden“. 

Es wird die Aufgabe weiterer Kapitel sein, das Irrtümliche der hier von 
Steinthal zum Ausgangspunkt der ganzen Deutung gemachten Annahme 
von dem engen Parallelismus zwischen Sprache und Denken aufzuzeigen; 
aber es muß doch hier darauf verwiesen werden, daß auch moderne Autoren, 
z. B. Ziehen bis in die neueste Auflage seines Aphasieartikels in der Eulen- 
burgschen Realenzyklopädie, an der Ansicht festhalten: „Die Zusammen¬ 
ordnung der Wörter zum Satze ist keine koordinatorische Leistung der Sprache, 
sondern von der assoziativen Verknüpfung der Objektvorstellungen 
abhängig.“ 

Etwas klarer sind schon die Ausführungen Kußmauls, der die Störung 
als eine solche des „Vermögens, die Gedankenbewegung zur Darstellung zu 
bringen“, präzisiert; aber auch bei ihm macht sich die anscheinend beseitigte, 
aber doch darin versteckt liegende Anschauung vom Gleichgang zwischen 
Denken und Sprechen in der Art geltend, daß er sagt (1. c.): „Um zu reden, 
muß der Gedanke, wie er sich logisch durch das Bewußtsein bew r egt, in allen 
seinen feinen Teüen und mehr oder minder verschlungenen Wendungen zum 
Ausdruck kommen.“ (Die Hervorhebungen nicht bei Kußmaul^ 

Schon in einer der Einleitung ein verleibten Bemerkung ist auf das Irr¬ 
tümliche der Annahme eines solchen weitgehenden Parallelismus zwischen 
Denken und sprachlicher Darstellung hingew r iesen worden; man halte dagegen 
den 1844 geschriebenen, einem erst neuestens w r ieder hervorgeholten Büchlein 
entnommenen Satz eines Philologen: „Quelque riche que soit une langue 
en toumures syntactiques, ü est impossible qu’elle en off re qui soient analogues 
k toutes les innombrables modifications dont la marche de la pens£e est 
susceptible.“ (Weil, „De l’ordre des mots“, p. 38.) 

Das mag, da auf diese Frage bald eingehender zurückzu kommen ist, 
für den Augenblick genügen; doch sei auch der Beachtung empfohlen, wie hier 
bei Kußmaul der logizistischeGrundzug der in der Pathologie bis in die neueste 
Zeit benützten Psychologie deutlich hervortritt. 

Ein anderer grundlegender Mangel der Umgrenzung des Agrammatismus 
durch Kuß maul liegt weiter in der vollständigen Nichtbeachtung eines be¬ 
deutsamen Teües der syntaktisch wirksamen Sprachmittel x ), die sich in dem 
Satze ausdrückt: „Die Gedankenbewegung besitzt zu ihrer Darstellung zw r ei 
sprachliche Mittel: die Wortbeugung und die Wortstellung, oder die Grammatik 
und die Syntax im engeren Sinne. Die Syntax im weiteren Sinne umfaßt die 
beiden.“ 

Daß Kuß maul damit die musischen Elemente der Sprache, deren Be¬ 
deutung als Ausdrucksmittel, im Satze wir alsbald, wenn auch vorläufig nur 
in Umrissen, kennen lernen werden, aus dem Bereich der dem Agrammatismus 

*) Der Historiker wird den um so erfreulicheren Gegensatz dazu nioht über¬ 
sehen, daß schon die Ideologen (S. Destut - Tracy: ^16m. d’Id&dogie 2. Part. 
Grammaire 2. Ed. 1817, p. 247) die musischen Elemente direkt als „moyens de 
syntaxe“ ansprechen. 


8* 



116 I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 

gewidmeten Erwägungen ausschloß, kann uns nicht Wunder nehmen; stand er 
ja doch im Banne zeitgenössischer Anschauungen, denen z. B. H. Lotze 
(Mikrokosmus. Bd. 2, S. 229 ff. *)) Ausdruck verleiht; er bedachte eben nicht, 
daß der Satz sowohl den kognitiv urteilenden, wie den emotionalen Denkakt 
in sich faßt. In letzter Linie geht dieser Mangel auf die Nichtberücksichtigung 
der Sprechsprache zurück. 

Etwas präziser herausgearbeitet als bei Steinthal, vor allem nach der 
Seite der Pathologie, findet sich die Frage bei Broadbent, der hier nament¬ 
lich deshalb zu nennen ist, weil er als erster auch schon die Lokalisation des 
Agrammatismus zu präzisieren versucht. Die Worte als geistige Symbole loka¬ 
lisiert er in die ,,superadded convolutions“, die ziemlich genau dem entsprechen, 
w r as mehrere Jahrzehnte später Flechsig als Assoziationszentren den Pro¬ 
jektionszentren gegenübergestellt; als motorische Vorgänge lokalisiert er die 
Worte in die linke dritte Stirn Windung, die, wie er annimmt, der Wortwahl 
zum Ausdruck der Idee dient (,,which is supposed, to select the words for the 
expression of an idea“). Wo das Denken und die Satzbüdung erfolge, könne 
nicht präzise bestimmt werden, doch sind dabei die zuvor genannten „superadded“ 
Windungen beider Hemisphären beteüigt; auch ist der Weg nicht bekannt, 
den die Sätze zur dritten linken Stirn Windung behufs ihres Ausdruckes gehen 2 ). 

Man vergleiche die letztere Ansicht von Broadbent mit der im Prinzip 
identischen allerneuesten v. Monakows, um sie in ihrer historischen Bedeu¬ 
tung ganz würdigen zu können; aber bei aller Wertschätzung der Leistung kann 
andererseits nicht übersehen werden, in welch grober Weise sich hier die von 
Hughlings Jackson schon damals beklagte und auch jetzt noch so häufig 
zu beklagende Vermischung von hirnmechanischen und psychischen Vor¬ 
gängen darstellt. Die Auffassung, die Broadbent hier von der Formulierung 
des Gedachten gibt, ist abgesehen von der historischen Bedeutung dieses 
ersten Versuches einer Lokalisation des Agrammatismus vor Allem deshalb von 
Interesse, weü die Darstellung des Zusammenhanges zwischen Satzbildung 
und Wortwahl dahin geht, daß die erstere vorangeht; in den hier folgenden, 
den Fragen der Sprachformulierung gewidmeten Erörterungen spielt aber 
gerade die nach der Priorität des einen oder anderen der beiden Vorgänge 
eine wichtige Rolle; es wird sich zeigen, daß wir auch jetzt zu dem gleichen 
Resultate kommen, wie es Broadbent hier formuliert hat; das ist aber für 
die Entscheidung der lokalisatorischen Frage deshalb von so fundamentaler 
Bedeutung, w r eil jetzt wohl ziemlich allgemein anerkannt ist, daß wir wenigstens 
in der Regel über den Schläfelappen, d. h. unter seiner Mitbeteiligung sprechen, 
dort auch die Wortwahl statt hat, demnach die erste Phase der Satzbüdung 

*) Noch schärfer tritt die rein intellektualistische Auffassung bei dem Gram¬ 
matiker Becker hervor, der in seinem „Organism der Sprache“ (2. Aufl., 1841, 
s. S. 122) schreibt: „Da der Ton nur die in die Erscheinung tretende Tat des denken¬ 
den Geistes ist, so ist die Betonung der eigentlich organische Ausdruck der logischen 
Form“. 

2 ) „Where exactly the process of reasoning and propositionising or forming 
for the expression the product of intellectual action takes place cannot be stated; 
probably the whole area of superadded convolutions of both hemispheres is engaged 
in it; nor is the route knowm bv which propositions pass to the third left frontal 
gyrus for expression“. (Med. chir. Transact. 1872, Vol. 55, p. 191.) 



Intellektuelle und emotionelle Sprache. 


117 


nicht eine Funktion des beim Sprechen erst später in Aktion tretenden Stirn¬ 
lappens oder gar der Brocastelle sein kann. 

Knüpfen wir an die eben gegebene historische Darstellung noch die An¬ 
gabe, daß Broadbent im Januarheft des „Brain“ 1879, mit der Lokalisa¬ 
tion des Agrammatismus im Stirnhim präzise hervortritt, so ist auch schon 
Alles erschöpft, was gegenwärtig als historisch in dieser Frage bezeichnet werden 
kann; weiter darüber Geschichte zu schreiben, wäre nur eine in Schlagworten 
zu gebende Rekapitulation all der Autoren und ihrer Anschauungen, die, weil 
noch immer aktuell, in der folgenden Darstellung so reichlich zum Worte kommen 
werden. — 

Auch Hughlings Jackson steht auf dem zuvor charakterisierten engen 
Standpunkte hinsichtlich des Umfanges der Sprachmittel (Brain. I 1879, 
p. 311), indem er die intellektuelle Sprache von der emotionellen trennt, aber 
es ist semen Ausführungen über den einwortigen Satz mit seiner Differenzie¬ 
rung je nach dem interjektioneilen (emotionellen) oder propositioneilen Ge¬ 
brauche des Wortes ganz präzise zu entnehmen, daß er wenigstens in dieser 
Richtung die Bedeutung der musischen Elemente als der vorwiegenden Träger 
des Affektausdruckes in der Sprache außerordentlich feinsinnig beurteüt hat. 

Welche Gefahr aber in der scharfen Trennung der ,,beiden Sprachen“ 
und der Nichtbeachtung der emotionalen Elemente in der ,,intellektuellen“ 
liegt, zeigt sich schon an dem Nachfolger H. Jacksons Roß (On Aphasia 
1877, p. 2), der direkt Ton, Melodie, Rhythmus als nicht zur intellektuellen 
Sprache gehörig bezeichnet. Wenn wir später in der Lehre von der Wortfolge 
hören werden, daß man der grammatischen eine affektische gegenüberstellt, 
so tritt uns auch darin wieder das Verfehlte einer solchen Trennung vor Augen, 
insofern uns auf diesem weiteren Gebiete vor Augen geführt wird, wie die 
„beiden“ Sprachen an denselben Ausdrucksmitteln zur Wirkung kommen. 

Die Vernachlässigung dieses Gesichtspunktes noch weiter ausführlich an 
der zeitgenössischen Sprachpathologie aufzuweisen, wird sich hier erübrigen; 
es muß vorläufig genügen, darauf hingewiesen zu haben, daß an dieser von der 
Sprachwissenschaft im Wesentlichen schon lange überwundenen rein intellek- 
tualistischen Auffassung der Sprachmittel die Pathologie bis in die letzte Zeit 
krankt, obgleich auch Wundt, dessen Monographie meist als Vorlage seitens 
der Pathologen genommen wird, die musischen Elemente als Ausdrucksform 
anerkennt, und selbst in der „reinen Logik“ (siehe Husserl, Logische Unter¬ 
suchungen II, p. 14) die Bedeutung dieser Elemente gegenüber den gramma¬ 
tischen Kategorien ihre volle Würdigung findet. 

Ein drastisches Zitat eines neueren Linguisten mag zeigen, wie die moderne 
Sprachwissenschaft darüber denkt: „Man bildet sich nur zu leicht ein, zu einer 
Sprache gehöre nicht viel mehr, als was man schw'arz auf weiß auf dem Papiere 
findet. Nein, alles gehört zu ihr, was bei der Rede in und mit den Sprach- 
werkzeugen geschieht: Rhythmus und Tonfall, Singen, Eintönigkeit, Breite 
oder Schärfe des Vortrages, aber auch die Haltung des Mundes, breit oder spitz 
gezogene Lippen, vorgeschobener Unterkiefer, schlaffes, verschnupftes Gaumen¬ 
segel usw.‘‘ (Von der Gabelentz Die Sprachwissenschaft. 2. Aufl., S. 35). 

Wie ein Kunstsinniger davon denkt, mag der Ausspruch C. Fiedlers 
(Schriften über Kirnst, herausg. von Morbach 1896, S. 200) zeigen: „Daß 
alle unsere sinnlichseelischen Fähigkeiten, all unser Fühlen, Empfinden, Wahr- 



118 I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 


nehmen, Vorstellen beteiligt ist an der Beurteilung des Wertes der Sprache, 
daß es das gesamte Sein ist, welches in die Form der Sprache eingeht.“ Es 
darf hier auch angedeutet werden, daß die hier betonten Gesichtspunkte schon 
im nächsten Kapitel von der Satzdefinition in ihrer ganzen Bedeutung hervor¬ 
treten werden. 

Wenn freilich auch selbst im Kreise der Sprachpsychologen noch zu wenig 
beachtet worden ist, daß es auch Satzteile gibt, die keine Worte sind (z. B. 
die Satzmelodie, die den Fragecharakter des Satzes bestimmt), dann kann es 
nicht Wunder nehmen, wenn die richtige Ansicht erst recht nicht in den Kreis 
der Sprachpathologen gedrungen ist. Allmählich vollzieht sich bezüglich der 
Bedeutung des Gefühls auch auf dem bisher ausschließlich intellektualistisch 
gewerteten Gebiete des Vorstellungslebens ein Umschwung in den Anschau¬ 
ungen der Pathologen; im Hinblick auf das speziell hier diskutierte Thema 
ist auf eine seither erschienene Arbeit von Serog (Zeitschr. f. d. ges. Neur. 
u. Psych. Orig. 8. 1911, S. 107) hinzuweisen, der der Affektivität eine über die 
bloße assoziative Aneinanderreihung der Vorstellungen hinausgehende Wir¬ 
kung bei der Zusammenordnung derselben zuspricht, als Vorbedingung zum 
geordneten, zielbewußten Denken. Wir sehen eben auch hier, wie die Patho¬ 
logie, die gerade auf diesem Gebiete entscheidende, richtunggebende Tatsachen 
selbst zutage fördern könnte, der Psychologie nachhinkt. 

Noch ein zweites Moment hat sich, wie schon in der Begründung der 
Kußmaulschen Definition, so auch in der seitherigen Behandlung des Problems 
hinderlich erwiesen. Die Anlehnung an den damals maßgebenden linguisti¬ 
schen Standpunkt seitens Kußmauls brachte ihm die Sprache vorwiegend, 
wie sie sich in den Dokumenten der Schriftsprache darstellt, in den Vordergrund 
seiner Beobachtung, und daran hat sich auch seither in der Pathologie nichts 
geändert, insbesondere da auch Wundt in seiner Sprachpsychologie nicht die 
gesprochene Sprache, die Umgangssprache, als Basis genommen; ist nun, wie 
in der Einleitung hervorgehoben, daraus auch schon die Einseitigkeit des Wundt- 
schen Standpunktes abzuleiten, so muß die Sprachpathologie noch mehr An¬ 
lehnung an das lebendige Wort suchen; es wird sich zeigen, daß diese Psycho¬ 
logie der Umgangssprache in ihren verschiedenen, auch sozialen und dialek¬ 
tischen Modifikationen schon normalerweise wichtige Beziehungen insbesondere 
zum Agrammatismus aufzeigt; eine Analyse der in der Umgangssprache zutage 
tretenden Ausdrucksmittel wird, was insbesondere hier zu berücksichtigen ist, 
das Resultat ergeben, daß einige derselben, die in der Schriftsprache überhaupt 
nicht hervortreten oder erst aus der Analyse der Umgangssprache auch in 
jener erkennbar werden, eine um so wichtigere Rolle spielen, als sie durch den 
Niedergang der übrigen im aphasischen Zerstörungsprozeß eine zunehmend 
überragende Bedeutung im Ausdruck des Kranken gewinnen. 

In allerneuester Zeit hat Kleist für die hier in Frage kommenden Vor¬ 
gänge die Bezeichnung „Ausdrucksfindung“ geprägt, die in Hinblick auf das 
Umfassende des Wortes „Ausdruck“ recht zutreffend erscheint; aber bei näheren 
Zusehen haftet auch er (soweit sich das den bisher erschienenen Referaten 
über seinen Vortrag entnehmen läßt) doch wieder an den artikulierten Ele¬ 
menten der Sprache. — 

Die bis daher für die Definition der als Agrammatismus zusammen¬ 
gefaßten Formen von Sprachstörung in Betracht kommenden Gesichtspunkte 



Bedeutung der Syntax. 


119 


haben eine wesentlich reichere, nicht bloß durch gradweise Abstufungen charak¬ 
terisierte Fülle von Formen erkennen lassen, als sie der älteren Definition ent¬ 
sprechen, ohne daß sich jedoch irgendwie prinzipielle Differenzen bezüglich 
der dabei in Betracht kommenden Ausdrucksmittel ergeben hätten; dagegen 
ist jetzt eines Umstandes zu gedenken, durch den eine solche Differenz auf¬ 
gedeckt wird, deren Verfolgung (eines der Desiderate künftiger pathologischer 
Forschung) einen neuen Einblick in ein anderes Gebiet psychischen Geschehens 
eröffnen könnte. 

Es war der Philologe Rieß, der 1894 in seiner epochemachenden Schrift 
„Was ist Syntax“ (S. 96) darauf hingewiesen, daß die Flexionsformen nicht, 
wie man bis dahin angenommen und wie auch bis auf die Gegenwart zunächst 
für die Umgrenzung des Agrammatismus verwertet worden, nur zum Ausdruck 
der Beziehungen der Worte untereinander dienen; da dies — wenn richtig — 
auch für die Frage nach dem Umfange und der psychologischen Bedeutung 
der verschiedenartigen Agrammatismen von ebensolcher Bedeutung wie für 
die Sprachwissenschaft, und auch für die Frage der Lokalisation des Agramma¬ 
tismus und ihm nahe stehender anderer Störungen von Gewicht wäre, sei das 
Wesentliche der Rieß sehen Beweisführung hierher gesetzt. 

„Die Bedeutung der Flexionsformen ist.mehrfacher Art. Sie dienen 

sowohl zum Ausdruck von Beziehungen der Worte untereinander (z. B. die 
meisten Kasusformen in den häufigsten Arten ihres Gebrauchs) als zur An¬ 
gabe einer weiteren Bestimmung, die zur eigentlichen Wortbe¬ 
deutung hinzutritt, z. B. Genus und Numerus der Nomina, die Mehrzahl 
der Tempusbedeutungen) als auch zur Bezeichnung einer Modifikation der 
Wortbedeutung (z. B. die Steigerungsformen). Die irrige Ansicht, die 
ohne weiteres allen Flexionsformen und allen ihren Bedeutungen ein syn¬ 
taktisches Interesse zuschreibt, hat zu einer Verschleierung und Verwischung 
der wesentlichen Verschiedenartigkeit der Flexionsbedeutungen geführt, 
die meist unbeachtet bleibt und oft völlig verkannt wird“ x ). 

„„Wie „der Vater kommt“ syntaktisch ganz dasselbe ist, wie „der 
Bruder kommt“, so ist es für die Syntax auch völlig dasselbe, ob ich sage: „der 
Vater kommt“ oder „die Väter kommen“, ob ich sage: „der Vater kommt“ 
oder „der Vater kam““. „Und wie die Syntax keinen Anstoß nimmt an 
„2 X 2 = 5“, was sie gar nicht von „2 X 2 = 4“ zu unterscheiden vermag, 
so nimmt sie auch keinen Anstoß an: „Meine Köpfe tun mir weh“, was eben¬ 
falls von „Mein Kopf tut mir weh“, syntaktisch gar nicht unterscheidbar ist. 
Was in diesen sich gleichbleibenden Gefügen verändert ist, das ist ausschlie߬ 
lich der materielle Inhalt. Dieser allein verändert sich durch die Vertauschung 
von kommt und kam, von der Vater und die Väter, von Kopf und Köpfe, 
wie er sich durch die Einsetzung von Bruder für Vater, von 5 für 4 ändern 
würde.“ .... „Daß gewisse, allen Worten der gleichen Art gemeinsame 
Formen zum Ausdruck gewisser allgemeiner Begriffe oder Denkkategorien 

x ) Daß Rieß in dem amerikanischen Anthropologen und Sprachforscher 
Powell (Evolut. of lang, in I. An. Rep. Bureau of Ethnolog. Smithson. Inst. 1881, 
p. 7) einen Vorgänger hatte, weist örtel (Lect. on the study of lang. 1901, p. 275) 
nach. Powell sagt (1. c.) einleitend zu der bezüglichen hier nicht weiter aufzuführen¬ 
den Darstellung: „It should be noted thatparadigmaticinflections are used for two 
distinct purposes qualifications and relation“. 




120 I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 

dienen, ändert nichts an der Tatsache, daß es sich dabei doch ausschließlich 
um die Bedeutung des einzelnen Wortes handelt, indem ein Begriff allge¬ 
meiner Art zu dem speziellen Wortbegriff hinzutritt. Das alles hat mit der 
Syntax nichts zu tun.“ 

Der hier nach Rieß zur Darstellung gebrachte Gesichtspunkt ist später 
noch eingehender von F. N. Finck präzisiert worden, indem er den Teil der 
Flexionssuffixe wie die Dual- und Pluralendungen, die Genusbezeichnungen 
und Moduselemente als Bestimmungselemente den anderen als Beziehungs¬ 
elementen gegenüberstellt. Sehr gut bringt den Grundgedanken tfoii Rieß 
der Latinist P. Morris (On Princ. and Meth. in latin Syntax, 1902, p. 38 ff.) 
zum Ausdruck, indem er sagt, daß die scharfe Trennung zwischen Semantik 
(Bedeutungslehre) und Syntax, die zu theoretischen Zwecken nicht selten 
beliebt wird, leicht den Glauben erwecken könnte, wie wenn die syntaktische 
Form nur die Schale darstellen würde, in die ein beliebiger Inhalt gefüllt wer¬ 
den könnte, ohne seinen Charakter damit zu ändern. 

Die Argumentation Rieß’ läßt auch für den Laien wohl keinen Zweifel 
an ihrer Richtigkeit aufkommen; sie hat zunächst die Wirkung für das Patho¬ 
logische im Gefolge, daß Störungen in den von Rieß angedeuteten Richtungen 
nicht mehr ausschließlich als solche der Syntax bezeichnet werden können, 
sondern in das Gebiet der Bedeutungslehre hinübergreifen. (Vgl. dazu das in 
der Einleitung im Anschluß an ein Programm Meillets für eine individuelle 
Linguistik Gesagte bezüglich der Ablehnung einer schroffen Abgrenzung des für 
die Aphasielehre zu benützenden sprachwissenschaftlichen Materials.) 

Daß eine Betrachtung agrammatischer Störungen von diesen Gesichts¬ 
punkten aus eine wichtige Aufgabe künftiger Forschung sein wird, daß sich 
daraus für die Pathologie, aber selbst für die Normalpsychologie der Sprache, 
zunächst rein theoretisch Wichtiges ergeben könnte, sei hier kurz ausgeführt 
als Begründung für die Vorführung scheinbar so fernab liegender linguistischer 
Erörterungen. 

Als die nächste Aufgabe der Erforschung agrammatischer Störungen 
wird sich eine Scheidung derselben nach den von Rieß aufgestellten Gesichts¬ 
punkten ergeben; sollte sich dabei herausstellen, daß die in das Gebiet der 
Bedeutungslehre hineingehörigen Teüe der Formbildung in solchen Fällen 
nicht an der Störung mitbeteiligt sind, dann wäre für den pathologischen 
Agrammatismus festgestellt, daß er tatsächlich wesentlich eine Störung in 
dem alten Sinne darstellt. Es ist aber schon a priori viel wahrscheinlicher, 
daß das nicht der Fall sein wird, weil die Grammatisierung der Rede als ein 
einheitlicher Prozeß angesehen werden darf. Dann gewinnt aber eine solche 
Feststellung mit Rücksicht auf Fragen der Lokalisation eine über das Tat¬ 
sächliche weit hin ausreichende theoretische Bedeutung. Denn wenn sich 
in einem solchen, der ganzen klinisch-anatomischen Sachlage nach genügend 
beweiskräftigen, Falle die vom Verfasser postulierte Lokalisation der den 
Agrammatismus nach sich ziehenden Läsionen, gleichgiltig ob Schläfelappen 
oder anderorts. bestätigen sollte, dann wären zw r ei Gesichtspunkte von eminenter 
Bedeutung daraus zu abstrahieren. Zuerst der prinzipielle einer möglichen 
Lokalisation einer Funktion, die den intellektuellen noch näher steht als die 
der Svntaxierung, ein Erwerb, der auch schon an sich einen wertvollen Schritt 
auf dieser Bahn dargestellt. Ein zweiter Gewinn wäre darin zu suchen, daß, 



Agrammatismus mehr als Störung des Satzgefüges. 


121 


abgesehen von der speziellen, etwa noch weiter zu verwertenden Lokalisation, 
die Nahestellung der den beiden Arten von Syntaxierung im Sinne von Rieß 
als Parallelprozesse entsprechenden Gehirn Vorgänge damit gegeben wäre. 

Einem Vorschläge des französischen Sprachwissenschafters Meillet 
folgend, bezeichnet man im Gegensatz zu den phonetischen Elementen, den 
„phonämes“, als „morphdmes“ alles das am Worte, was den grammatischen 
Formen entspricht. Die Lehre vom Agrammatismus im weitesten Sinne wäre 
demnach eine Pathologie der Morpheme, und das umfaßt insofern mehr als die 
Bezeichnung des Agrammatismus, als Meillet auch die Syntax dazu rechnet, 
die mit der Morphologie die beiden Unterabteilungen der Grammatik darstellt 
(cf. die verschiedenen Schriften Meillets und letztlich seinen Artikel über 
Linguistik in „De la Methode d. 1. Sciences“. 2 e s6rie. 1911, p. 271 u. 276 
und insbesondere die Ausführungen auf p. 277, wo er zeigt, wie die Trennung 
zwischen Morphologie und Syntax eine künstliche, im Detail gar nicht durch¬ 
führbare ist). 

A. Dauzat (Essai de M6thodol. linguist. 1906, p. 19) stellt neben die 
Phonetik als die Wissenschaft vom Laut die Semantik als die Lehre von den 
Ideen in ihren Beziehungen zu den Lauten. Die Semantik zerfällt in drei Teüe: 
Morphologie, Lexikologie und Syntax; die Morphologie studiert das Wort in 
Bezug auf seine verschiedene Bedeutung, die Syntax behandelt die Worte und 
ihre Beziehungen zu einander. Auch dieser Darstellung ist zu entnehmen, 
wie die Lehre vom Agrammatismus über die Grenzen der Syntax hinausgreift. 

Daß solche Erwägungen, wie die eben gebrachten, nicht belanglos für 
pathologische Fragen sind, ist im Vorangehenden dargelegt worden. Bei einem 
Autor, der sich neuestens mit dem Agrammatismus befaßt, findet sich die 
eben als nicht zutreffend erwiesene Einengung des Begriffes des Agramma¬ 
tismus auf die syntaktischen Störungen festgehalten. Pelz (Zur Lehre von d. 
transkort. Aphasien. Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psychol. XI, S. 129) spricht 
von einer Störung der Ordnung der Rede oder von Lockerung des organischen 
Satzgefüges in Form des Agrammatismus. Sieht man von der Bezeichnung 
Asyntaktismus, die am ehesten der Störung der Ordnung der Rede ent¬ 
sprechen würde, aus den schon dargelegten Gründen ab, dann wird man, selbst 
unter Ausschaltung der an Rieß anknüpfenden Erwägungen, nicht übersehen 
dürfen, daß neben dieser Störung noch andere unter der gemeinsamen Be¬ 
zeichnung des Agrammatismus zusammengefaßt sind. Daß eine solche Zu¬ 
sammenfassung doch auch klinisch vorläufig wenigstens gerechtfertigt ist, 
beweist übrigens gerade der Fall von Pelz, der nicht bloß die Ordnung der 
Rede, also Asyntaktismus auf weist, sondern auch die andere Form, die des 
Sprechens in Infinitiven („Kommen, Hannchen kommen“, „heute Mama 
kommen“). 

Einige Worte sind einer anderen neuerlich hervorgetretenen Einengung 
des Gebietes des Agrammatismus zu widmen. Kleist (über Störungen der 
Rede. Autorref. über den zuvor erwähnten Vortrag) beschreibt von sprach- 
verwirrten Geisteskranken als eine Form von Störung der Ausdrucksfindung 
eine mehr oder weniger weitgehende Ausdrucksvereinfachung, die ihren höchsten 
Grad im Agrammatismus findet. Man wird dem gegenüber beachten müssen, 
daß diese Form des Agrammatismus nicht die einzige darstellt, die ebenso 
wie bei den eigentlich gehimkranken Aphasischen bei Geisteskranken vorkommt. 



122 


I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 


Es kann nicht überraschen, daß auch sonst noch Erwägungen mehr 
prinzipieller Art den vorangehenden linguistischen Feststellungen entnommen 
werden können. Wenn Heilbronner in seiner Darstellung der Aphasie (im 
Handbuch der Neurol. I, S. 987) die Scheidung der beiden Hauptformen des 
Agrammatismus, des Telegrammstils und des sogenannten parier negre als 
klinisch schwer durchführbar bezeichnet, so ergibt sich aus dem Vorange¬ 
führten Folgendes als Ausdruck des dadurch begründeten Standes auch in 
dieser Frage: Entweder ergibt sich die Scheidung der beiden als Konsequenz 
differenter psychologischer oder sprachwissenschaftlicher Grundlagen, dann 
ist sie auch klinisches Postulat, oder eine solche Differenz besteht nicht und 
es fällt damit auch die klinische Scheidung; das klinische Nebeneinander¬ 
vorkommen wird aber in beiden Fällen lokalisatorisch von Bedeutung bleiben 
und je nach der Antwort bezüglich der vorangeführten Alternative ent¬ 
sprechend zu bewerten sein. 

In Ergänzung der vorangehenden Erörterungen über den Umfang des 
zum Agrammatismus Gehörigen ist weiter noch darauf hinzu weisen, daß ge¬ 
wisse syntaktische Formen ebenso wie gewisse Wörter dazu dienen, dem Aus¬ 
druck zu verleihen, was wir später im Kapitel vom Satze als „Stellungnahme“ 
des Sprechers bezeichnen hören werden. Auf den das zum Ausdruck bringen¬ 
den Gefühlswert mancher Worte und ähnlich wirksamer Wendungen wird 
noch später zurückzukommen sein; hier sei nur folgende Äußerung eines Lin¬ 
guisten beigesetzt: „Man versteht, daß Ausdrücke dieser Art jeden Augen¬ 
blick im Gespräche hervortreten; eine Menge von Adverben, Adjektiven, Satz¬ 
teilen, die wir ebenso einschieben, sind Reflexionen oder Wertungen des Redners. 
Ich führe zunächst Ausdrücke an, welche den höheren oder geringeren Grad 
von Sicherheit oder Vertrauen des Redenden ausdrücken, wie sans doute, peut- 
etre, probablement, surement etc. Jede Sprache besitzt eine Menge solcher 
Adverbia.“ (M. Bröal, Essai de Semantique 1897, p. 255.) 

Nichts wäre leichter als an diese linguistischen Tatsachen, soweit sie die 
Frage des Agrammatismus tangieren, ähnliche Erwägungen für die Patho¬ 
logie anzuknüpfen, wie dies zuvor mit den Feststellungen von Rieß geschehen. 
In Rücksicht darauf, daß der Stand der Pathologie noch weniger als dort schon 
tatsächliche Anknüpfungspunkte böte, sei nur darauf hingewiesen, daß der 
Gesichtspunkt, der sich an den Hinweis Meillets anknüpfen läßt, der Beach¬ 
tung der Sprachpathologen gewiß würdig ist. 

In diesem Zusammenhänge ist noch eines Umstandes zu gedenken, den 
Marty (Unt. z. Grundleg. 1908, I, S. 532 f.) hervorgehoben hat. Gegenüber 
der Definition der Syntax als der Lehre vom Satze und der Satzbildung w r eist 
er die Enge derselben nach, indem es mit einer Gesamtbedeutung ausgestattete 
Wortfügungen gibt, die nicht Sätze im üblichen Sinne, sondern bloß Namen 
sind und doch syntaktische Erscheinungen aufweisen, z. B. ein Vater von 
fünf ungezogenen Kindern. Ein Einwand bezüglich der Enge der Definition 
läßt sich auch davon herleiten, daß auch Ausdrücke, die keine Mehrheit von 
Redegliedern auf weisen (lego, wehe!), der Bedeutung nach wahre Sätze sind. 
Es muß dahingestellt bleiben, ob die den ersten Einw'and begründenden 
Tatsachen in der Pathologie Bedeutung haben; bezüglich des Zweiten ist auf 
die Erörterung vom Satze, insbesondere des einwertigen, zu verweisen. 

Wenn sich angesichts der eben vorgeführten sprachwissenschaftlichen 



Bedeutung jener Abgrenzung für die Pathologie. 


123 


Tatsachen die Bezeichnung Agrammatismus auch sachlich als richtiger gegen¬ 
über der des „Asyntaktismus“ erweist und demnach auch weiterhin ohne 
Rücksicht auf solcher Art bedingte grundlegende Differenzen gebraucht werden 
kann, so wird man sich andererseits dem nicht verschließen können, daß der 
so zusammengefaßte Agrammatismus doch auch Dinge enthält, die von ein¬ 
ander auch im Pathologischen zu trennen künftiger Arbeit Vorbehalten werden 
muß. Nach welcher Richtung sich da für die Pathologie Scheidungen ergeben 
dürften, ist vorläufig noch kaum abzusehen; am ehesten wird man an eine 
Grenzregulierung gegenüber anderen gleichfalls im Schläfelappen lokalisierten 
Störungen (amnestische Aphasie), an gewisse, vorläufig als Paraphasie klassi¬ 
fizierte Erscheinungen denken können; welche Bedeutung diese eben ange¬ 
deuteten lokalisatorischen Fragen für die vom Verfasser vertretene Lokalisa¬ 
tion des Agrammatismus im Schläfelappen haben, wird in einem Kapitel des 
pathologischen Teües auseinanderzusetzen sein. 

Hier sei nur kurz noch Folgendes angedeutet: Den eben dargelegten 
Feststellungen Rieß’ entsprechend, betrifft die Wirksamkeit der grammatischen 
Elemente sowohl die Wortbeziehungen, wie die Wortbedeutung; die diesen letz¬ 
teren entsprechenden Funktionen stehen wohl mit der W T ortfindung in engem 
Zusammenhänge und dürften wie diese letztere, für die die Lokalisation im Schläfe¬ 
lappen als gesichert angesehen wird, zum mindesten in die Nähe des Schläfe¬ 
lappens zu lokalisieren sein 1 ). Da es nun nach allem, was wir von der Loka¬ 
lisation im allgemeinen wissen, nicht angeht, die zwei nach Rieß unterschie¬ 
denen, aber doch gemeinsam erlernten und geübten grammatischen Funktionen 
zu trennen, so ist auch in dem eben Gesagten ein weiteres, aus dem Gange 
der in Betracht kommenden Funktionen geschöpftes Argument für die Ansicht 
von der Lokalisation des „Grammatismus“ im Schläfelappen gegeben. 

Man hat solchen Fragen, wie den eben erörterten, in der Pathologie noch 
wenig Aufmerksamkeit gewidmet und doch ist vorläufig gar nicht abzusehen, 
welcher Gewinn nicht bloß für die Pathologie aus der Beachtung, ja schon 
aus der bisher überhaupt nicht für nötig erachteten genauen Aufnahme ein¬ 
schlägiger Tatsachen resultieren könnte. Eben zur Zeit der Niederschrift 
dieser Zeüen berichtet Vix (Arch. f. Psych. 48, 3, S. 5 des Sep.-Abdr.) aus 
der Phase der Restitution einer motorischen Aphasie neben agrammatischen 
Störungen: „Gelegentlich wurde auch ein Wort nicht dem gewöhnlichen Sprach- 
gebrauche entsprechend angewendet“. Man kann sich angesichts dieser so 
aphoristischen Beschreibung nicht gut auf irgend welche Deutung der eigen¬ 
tümlichen Erscheinung einlassen, aber es zeigt dieser Fall, der immerhin die 
Möglichkeit offen läßt, daß es sich um etwas dem hier besprochenen Nahestehendes 
handeln könnte, wie wichtig es sein kann, sich nicht bloß auf die in der Patho¬ 
logie geläufigen Gesichtspunkte ebensowohl bei der Deskription wie bei der 
Beurteüung des Tatsachenmateriales zu beschränken. 

Welche Bedeutung Fälle wie der eben berichtete gewinnen, wie weit- 
tragend sich gerade dieser bei entsprechend ausführlichem Bericht des hier 
besprochenen Gesichtspunktes hätte gestalten können, haben die voran¬ 
gehenden Darlegungen erwiesen. Doch sei zur Vermeidung von Mißverständ- 

1 ) Dem Verfasser stehen zwei Fälle von Schläfelappenläsion zur Verfügung, 
die gleichzeitig mit einer Verschlimmerung der auch sonst vorhandenen amnestischen 
Aphasie Störungen der Wortbedeutungen auf wiesen. 



124 


I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 


nissen dem eine Bemerkung nachgeschickt. Schon frühere, dem hier dar¬ 
gelegten Fortschritte der Lokalisationslehre gewidmete Bemerkungen und die 
nicht bloß in dieser Schrift zum Ausdruck kommende Stellung des Verfassers 
zum Problem der Lokalisation der psychischen Funktionen lassen wohl keinen 
Zweifel aufkommen, daß er nicht glaubt, nun auch schon die betreffende Funk¬ 
tion lokalisiert zu haben; es wäre ein Rückfall bis auf Gail zurück, wollte 
man nun jetzt etwa schon die „grammatische Funktion“ oder die „Bedeutungs¬ 
funktion“ lokalisieren; aber es kann doch als ein wichtiger Fortschritt be¬ 
zeichnet werden, daß es gelungen sein sollte, Stellen nachzuweisen, deren Läsion 
Störungen jener Funktionen etwa regelmäßig nach sich zieht. 

Daß es aber auch sonst nicht an Tatsachen fehlt, welche die hier ange¬ 
deutete, auf den Schläfelappen weisende Lokalisation zu unterstützen ge¬ 
eignet sind, mag Nachstehendes zeigen. Es wird im Kapitel vom begrifflichen 
Denken gezeigt werden, daß auf einer ersten niederen Stufe desselben die Be¬ 
deutung eines Objektwortes durch den Gebrauch des betreffenden Objektes 
bezeichnet wird. Nun beweisen Fälle von Schläfelappenläsion (vgl. dazu die 
zuvor erwähnten des Verfassers) durch das Nebeneinanderkommen von amnesti¬ 
scher Aphasie (Fehlen der Bezeichnung von Objekten) und etwa sensorischer 
Apraxie (Nichtauftauchen des Gebrauches des betreffenden Objektes), daß 
diese beiden Erscheinungen einander offenbar auch lokalisatorisch sehr nah© 
stehen; daraus ergibt sich für die zuvor erwähnten Tatsachen und Deutungen 
eine weitere Stütze. Verfasser will hier auf den Fall Vix, der den Ausgangs¬ 
punkt der letzten Erörterungen bildet, nicht näher eingehen, so nahegelegt 
es auch wäre durch den Umstand, daß er apraktische Erscheinungen auf weist, 
die mit den hier gemachten Deutungen in schönem Einklang stehen; es müßte 
nicht bloß die ganze Kontroverse hinsichtlich der Lokalisation des Agramma¬ 
tismus aufgerollt werden, wozu hier vorläufig kein Anlaß, sondern die ganze 
Deutung des Falles kritisch erörtert werden, was zu weit ab vom eigentlichen 
Thema des Kapitels führen müßte. — 

Wenn unsere Rede sich in der Regel als eine Zusammenfügung, als 
Syntaxe mehrerer Zeichen darstellt, dann bildet die Lehre von eben dieser 
die Grundlage für die Deutung der als agrammatische zusammengefaßten Stö¬ 
rungen und man hat dementsprechend den Agrammatismus definiert als die 
Pathologie der Syntax im weiteren Sinne; wir werden aber sehr bald in aus¬ 
führlicherer Darstellung sehen, daß auch die Ausdrucksmittel der Sprache 
w r eit über den Rahmen dessen hinausgehen, was man bis dahin als Mittel zur 
Syntaxierung und Grammatisierung angesehen; trotzdem wird man auch in 
diesem weiteren Sinne die ältere Definition akzeptieren können, w r enn man sich 
nur dessen bewußt bleibt. Man wird weiter nicht übersehen dürfen, daß bei 
der Bildung des Satzes auch gewisse Sprachmittel mit wirken, die dem Gebiete 
der Phonetik entstammen, in der sie als ihr syntaktischer Teil zusammen¬ 
gefaßt sind. Man wird diesen Gesichtspunkten mehr gerecht, wenn man etwa 
folgendermaßen definiert: Agrammatismus ist die Form pathologisch ver¬ 
änderten Sprechens, in welcher die bei dem grammatischen und syntaktischen 
Aufbau der Sprache wirksamen Vorgänge in verschiedenfältiger Weise gestört 
oder überhaupt nicht oder nur unvollständig sich vollziehen. Dieser letzte 
Zusatz erweist sich als nötig, um auch die durch mangelhafte oder fehlende 
Sprachentwicklung bedingten Agrammatismen zu charakterisieren. 



Definition des Agrammatismus. 


125 


Mit der Bezeichnung als Vorgängen soll der Standpunkt der angenommenen 
Funktionspsychologie und der Gegensatz zur strukturellen Psychologie ange¬ 
deutet, vor Allem aber die Ablehnung der „Erinnerungsbilder“ zum Ausdruck 
gebracht werden. Wenn Verfasser diesen Vorgängen bestimmte funktionelle 
Mechanismen für koordiniert ansieht, so soll damit schon der eigenen Annahme 
von der Stellung der Störung, ebenso wie andererseits ihrer Lokalisierbarkeit, 
Ausdruck gegeben sein; die Definition soll eben über den Rahmen einer be¬ 
schreibenden hinausgehen und die Ansicht des Verfassers von der Art und dem 
etwaigen Sitze der zugrunde liegenden Störungen markieren. 

Mills (Journ. of Amer. med. Assoc. 1904, II, p. 1945) charakterisiert 
die Störung des Agrammatischen als „difficulty in regaining those parts of 
speech which are concerned with qualifying and correlating. The grammar 
of language no longer exists for them.“ Nach den Ausführungen dieses Ka¬ 
pitels erübrigt es sich, die Enge dieser Definition noch des weiteren erörtern 
zu müssen. 

Hacker (Arch. f. d. ges. Psychol. 21, S. 48) und ihm nachfolgend Köhler 
(ib. Bd. 23, S. 427) trennen neuestens Akataphasie vom Agrammatismus, indem 
sie mit der ersteren Bezeichnung die Störung benennen, wenn ein ganzer oder 
mehrere Sätze falsch angewendet werden, so daß sie sich mit dem Inhalt des 
Gedankens nicht decken, während der Agrammatismus eine unrichtige sprach¬ 
liche Gliederung des Satzbaues nach ihnen darstellt. Es leuchtet nach dem 
Vorstehenden ein, daß sich so bezüglich der Akataphasie eine Verschiebung 
gegenüber ihrem ursprünglichen Geltungsbereich vollzieht, die hier weiter zu 
erörtern, keine Veranlassung gegeben ist. 

In Anknüpfung an die hier gegebene Definition ist, obwohl nicht direkt 
hierher gehörig, aber doch als prinzipiell wichtig für die Präzisierung der Stel¬ 
lung des Agrammatismus im Rahmen der Beziehungen zwischen Sprechen und 
Denken eines schon in der Einleitung gestreiften Tatsachengebietes zu ge¬ 
denken. Dort ist die Tatsache angeführt worden, daß eine so hoch kultivierte 
Sprache, wie das Englische, z. B. sich im Traufe ihrer Entwicklung immer mehr 
dem flexionslosen Chinesischen genähert; dem reiht sich die den Linguisten 
geläufige Feststellung an, daß die Flexion keine den indogermanischen Sprachen 
unveränderlich anhaftende Erscheinung ist, ihnen vielmehr nachweislich einmal 
gefehlt hat; es wird dieser Gesichtspunkt jedenfalls bei der Beurteüung der 
Dissolution der Sprache in Form des Agrammatismus von prinzipiell belehren¬ 
der Bedeutung sein in der Richtung einer Bewährung des von Hughlings 
Jackson dafür aufgestellten Prinzips vom Rückschlag auf ältere Entwicklungs¬ 
stufen. Aber auch für die vom Verfasser vertretene Funktionspsychologie 
im Gegensätze zur alten Erscheinungspsychologie wird daraus ein unterstützendes 
Moment sich ableiten lassen. Als unmittelbarste Konsequenz daraus aber er¬ 
gibt sich die schon zuvor angedeutete prinzipielle Verwerfung jenes Stand¬ 
punktes, der in der Annahme gipfelt, daß der Agrammatismus bedingt sei 
durch eine Amnesie der Formwörter und demnach eine Spezialform der 
amnestischen Aphasie darstelle. 

Eine weitere Konsequenz betrifft die bisher meist im Rahmen der Para¬ 
phasie fixierte Stellung des Agrammatismus. Der letzte Autor, der sich mit 
dieser Frage befaßt, v. Niessl (Die aphasischen Symptome. 1911, S. 137) quali¬ 
fiziert im Anschluß an Bonhöffer und Heilbronner den Agrammatismus 



126 I, Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 

als die vierte Form der Paraphasie, „wenn die einzelnen Worte zwar richtig 
gebildet, die Sätze aber des grammatischen Zusammenhanges entbehren“ x ). 
Wenn wir auch schon in der Einleitung die Zusammenlegung von Agramma¬ 
tismus und Paraphasie als nur gradweise differenter Störungen abgelehnt, 
so müssen wir hier auf diese Frage etwas näher eingehen, da Pelz neuerlich 
(Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. XI, S. 129) als schweren Grad des Agram¬ 
matismus jene „Lockerung der Ordnung der Rede“ bezeichnet, die „bis zu einem 
völlig sinn- und ordnungslosen Durcheinander von Worten“ geht. Als Bei¬ 
spiel zitiert er gerade den Fall transkortikaler sensorischer Aphasie von Pick, 
in welchem „die einzelnen sonst korrekten Worte sinnlos aneinandergereiht 
sind.“ Wir sind nun der Ansicht, daß die sinnlose Aneinanderreihung von 
Worten allein mit Agrammatismus überhaupt nichts zu tim hat und können 
im Anschluß an W. James ausführen, wie auch eine sinnlose Folge von W T orten, 
wenn diese nur den Charakter des Grammatischen an sich tragen, den Ein¬ 
druck des „Sinnvollen“ macht 2 ). 

Wir sind w-eiter der Ansicht, daß selbst die höchsten Grade von Paraphasie, 
also selbst die, w r o nicht bloß korrekte Worte sinnlos aneinander gereiht werden, 
sondern völlig im Jargon gesprochen wird, dadurch allein noch nicht als agram- 
matisch erwiesen sind, daß vielmehr in gewissen Fähen, wo tatsächlich agram- 
matisch auch im engeren Sinne des Wortes gesprochen wird, eine weitere 
Störung, eben die des Agrammatismus, hinzugetreten ist. Das wird für die 
von uns als nicht agrammatisch angesehenen Fälle vor Allem durch den ganzen 
Tonfall und Akzent, in dem die Kranken sprechen, bewiesen; es liegt eine Stö¬ 
rung in einem tieferen Stadium der Exekutive vor, während jene höheren Vor¬ 
gänge, die wir der Grammatisierung zurechnen, ganz ungestört sind oder sein 
können. Dies gilt auch für die Deutung, die Pelz (1. c.) von diesen Vorgängen 
gibt; es kann dies hier nicht ausführlicher dargelegt werden, vielmehr muß 
auf Erörterungen verwiesen werden, die dem in einem späteren Kapitel („Der 
Weg vom Denken zum Sprechen“) gewidmet sind. 

Es wird eine der Hauptaufgaben des psychologischen Teils dieser Schrift 
büden, diejenigen Vorgänge möglichst eingehend kennen zu lernen, deren 
Störungen sich als agrammatische darstellen; es wird sich auch sehr bald im 
Laufe dieser Darstellung, auch schon bei der Lehre von den im Satze zur Ver- 

*) Wenn hier als Gegenargument das Hauptgewicht darauf gelegt wird, daß 
es nicht angeht, die Zusammensetzung des Satzes aus Worten in Analogie zu bringen 
mit der angenommenen Zusammensetzung des Wortes aus Buchstaben, so mag es 
den Vertretern der letzteren Ansicht überlassen bleiben, sich mit denjenigen ausein¬ 
anderzusetzen, die auch das bestreiten (E. B. Huey, The Psychol. and Paedag. of 
Reading 1910, p. 125 ,,we shall find that the word is not a mere Collection of syl- 
lables and letters“). Nur angedeutet sei, daß es in letzter Linie wieder die Nichtbeach¬ 
tung der gesprochenen Sprache ist, die zur Ansicht geführt, daß das Wort sich aus 
den angeblich immer wieder in absolut gleicher Form auftretenden Buchstaben 
zusammensetzt. Es ist an anderer Stelle ausgeführt worden, wie solche im Lichte 
moderner Sprachforschung als verfehlt zu bezeichnende Auffassungen auf einer 
synthetischen Deutung des Sprach Vorganges beruhen, die besser durch eine analytische 
Betrachtung desselben zu ersetzen wäre. 

2 ) „Wenn die Worte demselben Vokabular entstammen und die grammatische 
Struktur korrekt ist, dann können absolut sinnlose Sätze geäußert werden .... 
ohne aufzufallen“. (Princ. I, p. 263). Vgl. ibid. das Zitat aus einem 784 Seiten 
starken Buche voll des blühendsten Unsinns bei korrektester Grammatisierung, 
sowie ähnliche Schriftstücke von Fällen von Dementia praecox. 



Stellung des Agrammatismus unter den anderen Aphasieformen. 


127 


Wendung kommenden Ausdrucksmitteln und später bei der Besprechung der¬ 
jenigen Station des Sprach Vorganges, in der die Störungen der Grammati- 
sierung einsetzen, heraussteilen, daß es sich dabei um Vorgänge handelt, die 
der Wortwahl vorangehen, also vorwiegend psychische Vorgänge betreffen und 
demnach mit dem Motorischen, das der Wortwahl folgt 1 ), in gar keinem Zu¬ 
sammenhänge stehen; die unmittelbare Konsequenz daraus ist, daß die Vor¬ 
gänge der Paraphasie mit denjenigen des Agrammatismus nichts gemein haben, 
außer das, daß sie in der Reihenfolge der Sprachvorgänge miteinander in Be¬ 
ziehung stehen. Das letztere freilich ermöglicht die schon zuvor erwähnte 
Kombination von Agrammatismus und Paraphasie, die ihrerseits wieder eine 
Bestätigung der Lokalisation beider im Schläfelappen erbringt. 

Natürlich kann man nicht übersehen, daß vereinzelte Verstöße gegen 
Grammatik und Syntax auch sonst neben anderen Störungen aphasischer 
Art Vorkommen und wird man deshalb nur dort von Agrammatismus sprechen 
dürfen, wo die diesem entsprechenden Erscheinungen in breiterem Maße und 
mehr oder weniger ständig zur Beobachtung kommen. In den übrigen Fällen 
wird zu untersuchen sein, welche Bedeutung jenen Verstößen zukommt; ob die¬ 
selben nicht etwa in der gleichen Weise zu beurteilen sind wie die auch in der 
Norm vorkommenden derartigen Störungen, oder ob es sich um den Ausdruck 
solcher Störungen handelt, die funktionell in der Reihenfolge der den Sprach - 
vorgang konstituierenden Einzelprozesse dem grammatischen und syntakti¬ 
schen nahe stehen und demnach als leichtere Störungen der letzteren Prozesse 
genetisch und vielleicht auch lokalisatorisch für ein Studium dieser verwertet 
werden können; daß man dabei nicht anders Vorgehen wird, wie bei der Wertung 
anderer Erscheinungen, daß dabei ebenso die Gesichtspunkte der Scheidung 
zwischen direkten und indirekten Erscheinungen, Nachbarschafts- und Fern¬ 
wirkungen, die Diaschisis (v. Monakows) im Auge behalten werden, sei als 
natürlich noch besonders hervorgehoben. 

In einem späteren Kapitel werden wir sehen, daß die als Agrammatismus 
zusammengefaßten Störungen zum Teü an Vorgängen sich vollziehen, welche 
die Sprachphüosophen seit W. v. Humboldt als „innere Sprachform“ 
bezeichnen, und daß diese Bezeichnung, bzw. die neuerlich von Marty gewählte 
Bezeichnung der sogenannten „konstruktiven inneren Sprachform“ jene Vor¬ 
gänge präziser faßt, als die alten Bezeichnungen der Syntax und Grammatik. 
Da es sich aber andererseits zeigen wird, daß auch in der engeren Fassung 
Martys doch wieder manches darunter subsumiert erscheint, w r as nichts 
mit dem Agrammatismus zu tun hat, die ganze Frage überdies trotz ihres hohen 
Alters noch immer recht kontrovers ist, mag es vorläufig genügen, auf diese auch 
für die Pathologie aussichtsreiche und deshalb schon für die Definition zu 
beachtende Richtung der Forschung hinge wdesen zu haben. 

Auseinandersetzungen, wie sie Verfasser seinerzeit z. B. mit Ziehen 
gepflogen, ob der Agrammatismus als eine psychische oder eine sprachliche 
Störung anzusehen sei, können jetzt wohl als überwunden bei Seite gestellt 
w r erden; immer mehr überzeugt man sich, daß scharfe Grenzen zwischen den 
beiden nicht zu ziehen sind, und daß, ebenso wie man bei dem Vorgänge des 

*) Das Obige ist etwa dahin zu modifizieren, daß in gewissen Fällen, bei den 
„moteurs“, etwas Motorisches schon mit der Wortwahl zusammenfällt; es ist ersicht¬ 
lich, daß die damit verknüpfte Argumentation des Textes keiner Abänderung bedarf. 



128 I. Name, Geschichte, Definition und Abgrenzung des Agrammatismus. 


Sprachverständnisses eigentlich gar nicht sagen kann, wo das Psychische be¬ 
ginnt, sich auch hier nicht sagen läßt, wo das Psychische auf hört. Wenn 
solche Grenzen jetzt doch noch aufgezeigt werden, dann sind es jedenfalls nur 
praktische Gesichtspunkte und Rücksichten der Darstellung, welche dafür 
maßgebend sind. Es muß aber gesagt sein, daß jene Kontroverse, von einem 
höheren Standpunkt aus besehen, bei strenger Beachtung des Prinzips des 
Parallelismus in sich zusammenfällt; schon H. Jackson hat, wie auch wir 
hier schon zitiert, die Vermengung des Psychischen und Physischen als metho¬ 
disch verwerflich gerügt. 

Schicken wir am Schlüsse dieser einleitenden Umgrenzung des Stoffes 
der weiteren Darstellung einige Worte über die Anordnung desselben voraus, 
so hat schon diese gezeigt, daß psychologische und sprachliche Erörterungen 
einen breiteren Raum in unserer Darstellung für sich beanspruchen werden; 
dementsprechend und um in die Fülle des Stoffes einiges System hineinzu¬ 
bringen, ist das Ganze in einen psychologischen und einen pathologischen 
Teü geschieden; im ersteren sollen auch die linguistischen und den übriger 
Hilfswissenschaften entnommenen Tatsachen und Deutungen untergebracht 
werden, wie ja auch sonst schon diese Dinge als Hilfsmittel der Sprachpsycho¬ 
logie dienen. Der zweite, pathologische Teü soll nicht bloß alles zur Pathologie 
des Agrammatismus Gehörige umfassen, sondern auch alle jene allgemeinen 
Gesichtspunkte der Aphasielehre zur Erörterung bringen lassen, zu denen 
Stellung zu nehmen Veranlassung gegeben erscheint. Insofern hier der Ver¬ 
such gemacht wird, den ganzen Stoff der Sprachpsychologie in seiner Be¬ 
deutung für Fragen der Pathologie aufzuroüen, wird sich natürlich auch jene 
Stellungnahme etwas ausführlicher gestalten. 

Im ersten Teüe, dem psychologischen, werden für die detaillierte Anord¬ 
nung des Stoffes maßgebend sein die in einem nächsten Kapitel zur Dar¬ 
stellung gelangenden Vorgänge auf dem Wege vom Denken zum Sprechen 
und die Kenntnis der dazu dienenden Ausdrucksmittel; daran soll sich eine ins 
Einzelne gehende Darstellung all der Einzelheiten sowohl wie auch aller übrigen 
Momente anschließen, die in jenen Vorgängen zum Vorschein kommen oder 
sie beeinflussen und deshalb auch für das Verständnis des Pathologischen von 
Bedeutung sein werden; damit ist natürlich auch schon gesagt, daß es sich 
nicht etwa um eine Darstellung der Sprachpsychologie handeln kann, die zu 
schreiben Verfasser sich nicht vermißt. Natürlich wird es sich nicht umgehen 
lassen, diese Tatsachen in ihrer Bedeutung für die Pathologie auch schon an 
der betreffenden Stelle, wenn auch nur kurz, zu würdigen und dadurch das 
zunächst ohne Beziehung zum Pathologischen erscheinende Psychologische 
der Erscheinungen auch dem Interessenkreis der Pathologen näher zu rücken. 
Daran wird sich in zweiter Linie die Erörterung der psychologischen Erschei¬ 
nungen anreihen, die sich von der Pathologie her als bedeutsam zum Ver¬ 
ständnis dieser darstellen und deren Psychologie jetzt ebenfalls klarzulegen 
ist (Psychologie der Grammatik). 

Im Weiteren wird die Kindersprache als die Grundlage für das Verständnis 
des nativen Agrammatismus und als Leitfaden für die Pathologie der Dissolu¬ 
tion und der Reevolution (der Rückbüdung der Erscheinungen) zu behandeln 
sein; dem folgen die der Taubstummensprache als zweckdienlich zu ent¬ 
nehmenden Tatsachen und die übrigen zum Verständnis des Agrammatismus 



Anordnung des Stoffes. 


129 


beitragenden Ausdrucksformen. Den Schluß machen solche Tatsachen aus 
der Philologie und Sprachvergleichung, die Beziehungen oder Analogien mit 
den zuletzt abgehandelten defekten Sprachen erkennen lassen. 

Der pathologische Teil soll zunächst die Symptomatologie und Lokali¬ 
sation des Agrammatismus und daran anschließend eine ausführliche Besprechung 
aller dabei in Betracht kommenden Momente, endlich alles dessen bringen, 
was von den hier gewonnenen Resultaten für die Aphasielehre im allgemeinen 
und insbesondere für die Zusammenhänge des Agrammatismus mit den ein¬ 
zelnen anderen Formen von Belang erscheint. 


Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


9 



II. Der Satz und seine Definition. 


Wenn schon bei den ersten Schritten, alles zu umgrenzen, was innerhalb 
des den engeren Vorwurf dieser Schrift bildenden Gebietes zu behandeln wäre, 
der unzureichende Zustand der Pathologie die Grundlagen für eine solche 
Definition vermissen ließ und diese in den Gebieten der in der Sprachpsycho¬ 
logie zusammengefaßten Wissenschaften gesucht werden mußten, dann kann 
es nicht überraschen, wenn beim Fortgang dieser Studien das noch in weit 
höherem Maße der Fall ist. Sehen wir von einem ersten originalen Versuche 
einer Satzdefinition ab, den ein Pathologe, allerdings vom Range H. Jack¬ 
sons unternommen, so reduziert sich das, was die Pathologie in dieser Rich¬ 
tung hervorgebracht, im Wesentlichen *) auf gelegentliche knappe Ausführungen 
handbuchmäßiger Darstellungen; nirgends auch nur der Ansatz eines Ver¬ 
suches, sich eingehender dort Rats zu erholen, wo man die Grundlagen dafür 
zu finden hoffen durfte. 

Verfasser wüßte keine bessere Rechtfertigung für dies Kapitel als den 
Hinweis darauf, daß sichH. Jackson in seinem berühmten Aufsatze im 1. Bande 
des „Brain“ mit Erwägungen befaßt, w r ann man von einer Störung der „proposi- 
tionising fonction“ im Rahmen der aphasischen Störungen im Allgemeinen 
sprechen könne. H. Jackson hat sich auch sonst noch zu dieser Sache ge¬ 
äußert, so in der Differenzierung von „wordless“ und „speechless“ (1. c. II, 
205), wo er schon den Einwortsatz sehr gut von der gleichlautenden ,,recurring 
utterance“ unterscheidet, wie er ja auch später (1. c. p. 209) von „proposition- 
words“ spricht 2 ). 

*) Gerade im Hinblick auf die irrtümlichen, aus dem bisherigen mangelhaften 
Stande der pathologischen Einsicht in diese Fragen resultierenden Anschauungen 
ist es bemerkenswert, daß schon Lordat (zit. bei Pitres L’Aphasie amnes. 1898, 
p. 107) dieselben Unterscheidungen aufgestellt hat, wie die modernsten Sprach - 
pathologen: „Amnesie verbale c’est-ä-dire l’oubli des mots nöcessaires k l’expression 
de la pensöe, l’asynergie verbale c’est-ä-dire la Suspension, ou la perte des associations 
musculaires qiü entrent en jeu dans l’action de parier“. 

2 ) Mit Rücksicht auf den von Broatbentin die Sprachpathologie eingeführten 
und von H. Jackson weiter benützten Ausdruck des ,.propositionising“, das man 
für gewöhnlich im Deutschen mit Satzkonstruktion übersetzt, entnehmen wir einer 
Bemerkung des deutschen Übersetzers Kleinpeter von Jevons Leitfaden der Logik 
(1906, S. 62) einige nicht unwichtige Hinweise über sprachliche Differenzen. Der Eng¬ 
länder stellt dem judgement als ,,Urteilsakt“ die ,,proposition“, das in Worte gefaßte 
Urteil, an die Seite und hat als dritte Bezeichnung noch das Wort ,,sentence“ zur Ver¬ 
fügung, während im Deutschen nur die beiden Worte Urteil und Satz zur Verfügung 



Natur des Satzes. 


131 


Man hat diese Frage von Seite der Sprachpathologen nicht weiter 
verfolgt, trotzdem z. B. die Würdigung, die die Psychologie der Kinder¬ 
sprache bei ihnen gefunden, schon in ihren Anfängen immer wieder auf die 
Wichtigkeit dieses Problems hindeutete; wie in der Kindersprache, so spielt 
auch beim Aphasischen der einwortige Satz eine bedeutsame Rolle und ist 
demnach eine Erwägung dessen, was wir unter einem Satze zu verstehen 
haben, eigentlich nicht gut zu umgehen. 

Das ist auch der Fall, wenn wir von dem Satze, seinem Zustandekommen 
und den dazu wirksamen Ausdrucksmitteln handeln müssen, nicht bloß um 
zu einem daraus sich ergebenden Verständnis der pathologischen Erscheinungen 
vorzudringen, das bisher überhaupt noch nicht Gegenstand der Erforschung 
gewesen, sondern um auch zu einer natürlichen Einteüung dieser Erschei¬ 
nungen zu gelangen. 

Immerhin mag es zunächst etwas weit hergeholt erscheinen, in einer 
pathologischen Studie aus dem Gebiete der Aphasie sich mit den verschiedenen 
Definitionen, die vom Satze gegeben werden und den Vorgängen, die sich bei 
der Satzbüdung abspielen, zu befassen; aber ein kurzes Besinnen muß schon 
prinzipiell ein solches Beginnen als gerechtfertigt erscheinen lassen, wenn man 
einerseits erwägt, daß es gerade für die Lehre vom Agrammatismus, die ja 
die Pathologie des Redens in Sätzen darstellt, eigentlich gar nicht um¬ 
gangen werden kann, sich danach umzusehen, was ein Satz ist und wie das, 
was man als Satz definiert, aus dem Gedanken sich gebüdet hat. 

Andererseits aber betonen wir in Wiederholung einer prinzipiell ge¬ 
äußerten Ansicht, daß man in dieser Anleihe bei den sprachpsychologischen 
Hüfswissenschaften nicht etwa ein Abweichen von naturwissenschaftlichen 
Forschungsmethoden sehen wird, da diese Art des Wissenschaftsbetriebes doch 
unmöglich weniger zu billigen wäre, als etwa der Versuch, nach berühmten 
Mustern aus den in Betracht kommenden Tatsachen der Pathologie eine Lehre 
von der Grammatisierung der Sprache selbständig zu entwickeln. Verfasser 
hofft aber, daß auch hier wieder die sichtbare Fülle dessen, was für Zwecke 
der Pathologie sich aus der von ihm gewählten Methode ergeben wird, schon 
allein die Art der Behandlung als gerechtfertigt erscheinen lassen wird. 

Wenn wir die Satzfügung als diejenige Funktion hinstellen, deren Stö¬ 
rungen den Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit büden, so muß den Ausgangs¬ 
punkt aller weiteren Studien die Feststellung dessen bilden, was wir als Satz 
anzusehen haben. Wie eben erwähnt, ist eine auch nur etwas tiefergehende 
Aufklärung darüber nur von Seite der Sprachpsychologie zu gewinnen; die 
Darstellung des Standes der Frage wird in gewissem Sinne dadurch erleichtert, 
daß auch unter den Vertretern der Linguistik und Sprachpsychologie der 
Streit darüber, was ein Satz sei, niemals geruht hat, wie Wundt geradezu 
von einem „zweifelhaften Zustande“ des Problems spricht. 

stehen. Englische Leser werden jedenfalls die Konsequenzen zu beachten haben, die 
sich daraus ergeben und die Jevons an der zitierten Stelle folgendermaßen formu¬ 
liert: „Was die Logik ein Urteil, nennt der Grammatiker einen Satz. Während aber 
jedes Urteil ein Satz ist, darf man nicht glauben, daß jeder Satz auch ein Urteil sei“. 
Auch andere englische Logiker, wie z. B. Bosanquet (Essent. of Logik. 1897, p. 82) 
stimmen dem zu, indem er für den Befehlssatz und als allgemeine Bezeichnung die 
„sentence“ gebraucht; es ist zu betonen, daß die Ausführungen H. Jacksons diese 
Differenzen nicht beachten. 


9* 



132 


II. Der Satz und seine Definition. 


Es kann jetzt als eine ziemlich allgemein von Linguisten und Sprach- 
psychologen angenommene Tatsache hingestellt werden, daß der Satz die ur¬ 
sprüngliche Redeform, die ,,Einheit“ in der Sprache darstellt, und daß überall 
dort, wo in unseren flektierenden Sprachen ein einzelnes Wort die Rede dar¬ 
stellt, dieses einen Satz oder, wie einzelne, z. B. Wundt behaupten, ein „Satz- 
äquivalent“ darstellt. 

Es wird auf diese letztere Frage ausführlicher dort zurückzukommen 
sein, wo von der Nutzanwendung der in einem ersten Stadium ganz ausschlie߬ 
lich den einwortigen Satz benützenden Kindersprache, gleichwie der primitiven 
Sprachen auf die Erscheinung der Aphasie und insbesondere der motorischen 
die Rede sein wird. 

Es hat nun allerdings, wie erwähnt, schon H. Jackson die grundlegende 
Bedeutung des Satzes in der Pathologie der Aphasien entsprechend betont, 
aber seine diesen wichtigen Punkt betreffenden Ausführungen sind so aphori¬ 
stisch gehalten, daß sich auch schon deshalb eine ausführlichere, an der Hand 
der Sprachpsychologie mögliche Darlegung wünschenswert macht. Es ist 
das vom Standpunkte der Pathologie um so nötiger, als, wie schon früher her¬ 
vorgehoben, diese gerade in der Psychologie der Umgangssprache ihre natür¬ 
liche Basis gegeben hat, in dieser aber ebenso wie auch im Schreiben die Zer¬ 
legung des Satzes in seine Teüe erst recht mangelhaft ist. 

Schon W. v. Humboldt (Uber d. Verschiedenheit des menschlichen 
Sprachbaues S. 42) sagt: ,,Nur die verbundene Rede muß man sich in allen 
Untersuchungen, welche in die Wesenheit der Sprache eindringen sollen, als 
das Wahre und Erste denken. Das Zerschlagen in Wörter und Regeln ist nur 
ein totes Machwerk wissenschaftlicher Zergliederung“ und (Ges. Schriften V, 
S. 445): „der Mensch denkt ursprünglich den ganzen Gedanken als Eins und 
spricht ihn so aus. Er glaubt nicht, ihn aus einzelnen Wörtern zusammenzu¬ 
setzen, sondern würde vielmehr Mühe haben, ihn in solche zu zerlegen.“ In 
neuerer Zeit scheint der Anthropologe Waitz der erste gewesen zu sein, der 
die primäre Natur des Satzes gegenüber dem Worte betont hat (Anthropol. d. 
Naturvölker. I, S. 271). 

Sehr belehrend ist der Hinweis von R. Lenz (in „Die neueren Sprachen“ 
h. v. Vietor. VIII, 1901/01, S. 466) auf die Schwierigkeiten, die es für einen 
selbst gut spanisch redenden Indianer hat, wörtlich zu übersetzen. „Einzelne 
Wörter, soweit es nicht ganz deutliche Konkreta sind, oder gar Verbalformen 
zu verlangen, ist ganz umsonst, nicht weil der Indianer die Bedeutung nicht 
wüßte, sondern weü ihm das Wort nur in Verbindung mit anderen als Ge¬ 
dankenausdruck geläufig ist in unbewußter Tätigkeit und weü ihm das Bewußt¬ 
sein grammatischer Kategorien völlig fehlt.“ 

Die Tatsache, daß der weniger Gebüdete sich bezüglich der Worttrennung 
im Sprechen und Schreiben dunkelsten VorsteUungen hingibt, kann Nie¬ 
manden, der sich um die Kenntnis dieser Dinge bemüht, entgehen (an anderer 
Stelle finden sich einschlägige Tatsachen mitgeteüt x )). Hier sei nur noch 
Folgendes angeführt: 

K. Brugmann (Kurze vergl. Gramm, d. indogerm. Sprach. II, 1903, 
S. 281) verweist darauf, daß noch heute für das normale Sprechen in der 

*) In diesem Zusammenhänge ist darauf hinzu weisen, daß die alten Griechen 
auch im Schreiben die Worte nicht getrennt haben. 



Die Satzeinheit. 


133 


Regel nur da ein wirklicher Ein- und Abschnitt ist, wo ein Satz zu Ende kommt, 
und daß die Worttrennung häufig willkürlich und konventionell ist („es kommt 
zustande“, „es kommt zu stände“ 1 )). In einem Referate über „Briefe 
Napoleon I. von Kircheisen 1910“ lesen wir, daß Napoleon oft ohne 
Trennung der Wörter schrieb, und daß er oft die Endsübe wegließ. Er schrieb 
später in abgerissenen befehlenden Sätzen, so daß manche seiner Schriften wie 
Depeschen anmuten. 

B. Erd mann (Die psycholog. Grundlagen etc. Arch. f. syst. Phüos.) hat 
hervorgehoben, daß, insbesondere in den romanischen Sprachen, die Wort¬ 
trennung beim Sprechen und demzufolge*auch im sprachlichen Denken 
anscheinend beträchtlich geringer ist als in den germanischen. Diesem Um¬ 
stande ist es vielleicht zuzuschreiben, daß insbesondere romanische Linguisten 
dieser Frage näher nachgegangen. So hat Dauzat (La vie du lang. 1910, 
p. 94) darauf hingewiesen, daß in gewissen französischen Dialekten (und gewiß 
ist etwas Ähnliches auch in anderssprachlichen Dialekten nachweislich) sich 
eine Zusammenlegung zweier Worte zu einer unlöslichen Einheit vollzieht 2 ). 
Eingehend befaßt sich derselbe Autor im Anschluß an einschlägige Aus¬ 
führungen Breals mit der hier besprochenen Frage in seiner Phüos. du lang. 
1912, p. 15 seq. Besonders interessant ist sein Hinweis auf die in solchen 
Fällen gelegentlich selbst für den Phüologen unlösbaren Schwierigkeiten der 
Worttrennung 3 ). 

Von den Breal selbst entnommenen Tatsachen sei nur die eine hierher 
gesetzt, daß sich die Nichtdifferenzierung der Wörter im Satze besonders prä¬ 
gnant in den Telegraphenbureaus darstellte; wdr heben das deshalb hervor, 
weü wir an anderer Stelle hören w r erden, wie Meistertelegraphisten und ebenso 
Meistermaschinenschreiber nicht das einzelne Wort erfassen oder wiedergeben, 
sondern den ganzen Satz; die Nutzanwendung dieser Tatsachen auf ganz spe¬ 
zielle Fragen der Pathologie springt zu sehr in die Augen, als daß es noch be¬ 
sonderer Ausführung hier bedürfte. 

Wenn sich in all diesen und noch anderen Tatsachen die zwingende Kraft 
der Satzeinheit durchsetzt, so ist es von vorneherein klar, daß das tief in der 
Psychologie des logischen Denkens begründet sein müsse, die offenbar jene 
äußere Form des W T ortzusammenhanges im Satze zur Folge hat 4 ). 

1 ) Für die Zwecke der vorliegenden Schrift ist auch die Äußerung desselben 
Autors (1. c. S. 282) zu beachten, daß die jetzt noch übliche Gegenüberstellung von 
Wort einerseits, Wortgefüge und Satz andererseits den sprachpsychologischen Tat¬ 
sachen nicht mehr hinlänglich gerecht wird. 

2 ) Vgl. dazu Studien über die Sprachen der amerikanischen Indianer, aus 
denen hervorgeht, welche Schwierigkeiten es oft macht, eine bestimmte phonetische 
Gruppe als Wort oder Wortteil zu bestimmen. (Boas Handbook of Am. Ind. Lang. 
1911, Washington, p. 28). Schon an anderer Stelle ist die Nichtberücksichtigung 
der dabei maßgebenden phonetischen Gesichtspunkte seitens der Pathologie hervor¬ 
gehoben worden, die wesentlich modifizierend z. B. für die Auffassung von dem 
„Worte“ sein dürfte. 

8 ) „Parfois certains mots dela phrase, dans des combinaisons späciales, arri- 
vent ä s’amalgamer de teile sorte que le phüologue le plus expert ne sait plus oü 
pratiquer la coupure; comment les paysans pourraient-ils se reconnaitre lä oü les 
linguistes ne voient plus clairf“ (1. c. p. 16). 

4 ) Bezügüch weiterer Hinweise auf die Einheit des Satzes, entnommen den 
polysynthetischen oder holophrastischen Sprachen vgl. Peeters Pens6e et lang. 
(Rev. des quest. sc. Vol. 42, p. 472.) 



134 


II. Der Satz und seine Definition. 


Sehr gut zeigt das Bosanquet (Logic. I, p. 34, 1888), dessen Argumen¬ 
tationen mehrfach von anderen wiederholt werden. Spricht Jemand in unserer 
Gegenwart das Wort „Sonne“ aus, so nehmen wir entweder an, daß er damit 
meint, „die Sonne ist sichtbar“, oder, falls diese Deutung durch die Umstände 
ausgeschlossen erscheint und eine andere sich nicht dar bietet, werden wir ihn 
fragen: „Gut, was ist’s damit?“ Das setzt voraus, daß die Worte einen, wenn 
auch unvollständigen Sinn für uns gehabt, der, von der logischen Seite be¬ 
trachtet, wenn nicht ergänzt, eine unbestimmte Serie von Urteüen nötig machen 
wird. Die weiteren Ausführungen Bosanquets können für unseren Zweck 
fort bleiben, der darin bestand, hier schon zu zeigen, daß auch ein Wort, falls 
es einen Sinn haben soll, durch die Situation, durch das Vorausgesetzte, durch 
die ihm gegebene Form (z. B. der Frage) zu einem einwortigen Satze ergänzt 
erscheint. Darin aber spiegelt sich die psychologische Annahme von dem fun¬ 
damentalen Primat des Satzes als Spracheinheit. 

Bosanquet (Essent. of Logic. 1897, p. 87) geht endlich soweit, aus der 
primären Natur des Satzes zu folgern, daß die Logik nicht vom „Begriff“ zu 
handeln hat („The name or concept has no reality in living language or 
living thought, except when referred to its place in a proposition or judgement“); 
tatsächlich findet sich der Begriff in seiner Logik nicht selbständig behandelt. 

Verfasser hat diese Bemerkungen Bosanquets nicht ohne besonderen 
Grund hierher gesetzt; gegenüber der bisher dem „Begriff“ und dem „be¬ 
grifflichen“ Denken in der Aphasielehre ebenso wie in der allgemeinen Psych¬ 
iatrie von den Pathologen zugewiesenen überragenden Bedeutung ist es 
gewiß im Interesse entsprechender Korrektur, schon jetzt auf die Ansicht 
Bosanquets hinzu weisen; im Kapitel vom Begriff und begrifflichen Denken 
wird auseinandergesetzt werden, wie diese auch von anderen Logikern ge- 
teüte Auffassung zur Hervorhebung des psychologischen Begriffs führt. 

Unterstützt wird die Ansicht von der primären Natur des Satzes durch 
die seit Joris (1832), dem Psychologen der neapolitanischen Volkszeichen¬ 
sprache, feststehende Tatsache, daß auch die Gesten der natürlichen Zeichen¬ 
sprache den Sätzen der Lautsprache, nicht einzelnen Worten entsprechen, 
und ebenso die instinktive Gebärde einen ganzen Satz zum Ausdruck bringt. 
Endlich wäre noch daran zu erinnern, daß, wie z. B. Jespersen (Progress 
in Lang. 1894, p. 360) ausführt, in der primitiven Büderschrift jedes Zeichen 
einen ganzen Satz oder mehr darstellt, das Büd einer Situation oder einen 
Vorfall als ein Ganzes zur Anschauung bringt; dabei weist Jespersen selbst 
darauf hin, daß ja auch jedes Zeichen der primitiven Zeichensprache einen 
ganzen Satz darstellt, eine Tatsache, die uns bei der Analogie zwischen Zeichen - 
und Kindersprache nicht weiter auffallen kann. 

Hier ist auch einer anderen, von demselben Jespersen vertretenen An¬ 
sicht zu gedenken, der zufolge die Sprache mit untrennbaren, unregelmäßigen 
Konglomeraten, ähnlich den holophrastischen Sprachen begonnen, und daß 
die sie zusammensetzenden Elemente sich erst nachträglich auseinanderlösten; 
erst die Entwicklung der Sprache sollte jedem Element zur Selbständigkeit 
verhelfen und Behelfe für die grammatikalischen Beziehungen schaffen. Es 
steht ja dahin, welche der beiden Konstruktionen — denn um etwas Anderes 
handelt es sich ja nicht — die richtige sein mag; an der Sprachentwicklung 
des Kindes gemessen, wäre es ja richtiger, anzunehmen, daß zunächst ein Wort 



Primäre Natur des Satzes. 


135 


die Funktion des ganzen Satzes hatte; das wird namentlich nahe gelegt durch 
die Erwägung, daß es ja vor Allem Affektausdrücke waren, die das auslösende 
Objekt begleiteten und die einfache Bezeichnung durch Mimik und Hinweis 
zum Satze gestalteten, daß weiter die ersten Kinderworte nicht bloß als Sub¬ 
stantive fungieren, sondern ihnen je nach der Situation auch adjektivische, 
adverbiale, verbale Funktionen zukommen. 

Einen höheren Gesichtspunkt entnimmt Wunderlich (Der deutsche 
Satzbau. 1901, II, S. XIX) der hier dargelegten Tatsache von der Satzein¬ 
heit, indem er daraus, „daß die Satzteüe eine bedingte Selbständigkeit nur 
durch die Sprengung des ursprünglichen Rahmens gewinnen“ die Konsequenz 
zieht, „daß sich für die Forschung davon ein analytischer Gang im Gegensätze 
zu dem synthetischen Vorgehen, das im Namen Syntax liegt, ergibt.“ In dem¬ 
selben Sinne äußert sich der Logiker Bosanquet (Logic I, 1888, p. 12 1 )). 

Der Tragweite einer solchen Orientierung der Betrachtung auch auf 
pathologischem Gebiete etwas näher nachzugehen, dürfte sich aus prinzipiellen 
Gründen zur Envägung empfehlen; als eine der am nächsten liegenden Konse¬ 
quenzen einer solchen Auffassung stellt sich unmittelbar die Ablehnung der 
bisher von den Pathologen festgehaltenen Analogisierung zwischen Wort- und 
Satzbau und der darauf basierten Nahestellung zwischen Paraphasie und Agram¬ 
matismus dar, der auch schon an anderer Stelle Ausdruck verliehen worden. 

Aber nicht bloß in Rücksicht dieser Frage, sondern wohl ganz allgemein, 
dürfte sich gegenüber der bisher im Kreise der Pathologen festgehaltenen syn¬ 
thetischen Auffassung der Rede die Berücksichtigung des analytischen Ver¬ 
fahrens empfehlen; in den folgenden Kapiteln wird sich die Berechtigung dieses 
Standpunktes an zahlreichen Tatsachen zur Evidenz erweisen. Hier sei nur 
noch eines prinzipiellen Gesichtspunktes Erwähnung getan; es ist die Wen¬ 
dung, die sich durch die Annahme der analytischen Betrachtung an Stelle der 
bisher ausschließlich geübten synthetischen, als Leitfaden für die Betrachtung 
der anatomisch-physiologischen Parallelvorgänge ergibt. — 

Es darf freilich nicht verschwiegen werden, daß der Sprachforscher 
K. Bruch mann (Berl. phüol. Wochenschr. 1906, S. 626) der hier dargelegten 
Ansicht widerspricht und die seine, allerdings ganz isoliert dastehende, in dem 
Satze formuliert: „Ich sehe .... nicht, welche psychologische Beobachtung 
gegenwärtig existierender Sprachen oder w r elche experimentelle Analyse der 
Sinnesvorstellungen uns den Ursprung der Sprache aus dem Satz beweist.“ 

Verfasser maßt sich nicht an, den Dissens der Sprachforscher irgendwie 
aufklären zu wollen, aber insoweit die Psychologie in Frage kommt, glaubt 
er, daß die Ansicht vom Parallelismus zwischen Denken und Sprechen, bzw. 
die gegenteilige Ansicht eine Rolle in der Differenz der Auffassungen spielen 
dürften (vgl. dazu das spätere Kapitel „der Weg vom Denken zum Sprechen“). 
Halten wir das, was wir dort als gedankliche Formulierung bezeichnen und sich 
als die Auseinanderlegung eines anfänglichen Ganzen darstellt, scharf ge- 

x ) „This enquiry hardly belongs to logic, though it helps to rouse us out of 
the analytic abstraction in which we are now at home.“ Es bedarf wohl nicht be¬ 
sonderer Erörterung, daß trotz der nicht bloß sprachlichen Differenz in der Darstel¬ 
lung es sich bei dem Linguisten Wunderlich und dem Logiker Bosanquet um 
denselben Gedanken handelt. Vrgl. dazu auch noch die Ansicht Bosanquets 
(Essent. of Logic 1897, p, 87) „We ought not to think of propositions as built 
up by putting words or names together, but of w r ords or names as distinguished 
though not separable elements in propositions.“ 



136 


II. Der Satz und seine Definition. 


trennt von der sprachlichen, die sich einer Mehrheit von Phonemen (wir ver¬ 
meiden aus verständlichem Grunde die „Wörter“) bedient, dann dürfte dadurch 
manche Schwierigkeit behoben sein. 

Es wird später ausführlicher auf den ein wort igen Satz und seine Fort- 
büdung zum ganzen Satz, mehrfach auch im Pathologischen zurückzukommen 
sein; hier sei nur einzelner entsprechender Beobachtungen gedacht. 

Es ist eine jedem Psychiater geläufige Beobachtung, daß die Entwick¬ 
lungsreihe der Gehörshalluzinationen sehr häufig mit dem einwortigen Satz 
beginnt und zu ganzen Sätzen fortschreitet. Daß dies auch für fast mit Sicher¬ 
heit als kortikal ausgelöst zu deutende Gehörshalluzinationen gilt, beweist eine 
neueste Mitteüung von Le mos (Halluc. unüat. de l’ouie. Porto 1911) über 
linksseitige Gehörshalluzinationen durch einen Herd in der rechten ersten 
Schläfe Windung. Etwas ganz Ähnliches berichtet Freud (Z. Auff. d. Aphasien. 
1891, S. 63) von sich selbst, indem er zweimal während drohender Lebens¬ 
gefahr die Worte: „Jetzt ist‘s aus mit Dir“ akustisch und optisch hallu- 
nierte. 

Gehen wir jetzt zur Besprechung der verschiedenen Satzdefinitionen 
über, so können wir die sichtlich ganz unzulängliche Definition der älteren 
Grammatiker, die von der Identität zwischen Denken und Sprechen aus¬ 
gehend, den Satz bezeichnet, als „eine Gruppe von Wörtern.die in 

einer gesprochenen Sprache als Ganzes erscheint“, beiseite lassen und kommen 
sofort zu der zweiten, der logischen, die den Satz als den „sprachlichen Aus¬ 
druck eines Gedankens“ erklärt und etwa noch das äußere Merkmal der „Mit¬ 
teüung des Gedankens“ heranzieht 1 ). 

Wundt hält diesen älteren Definitionen entgegen (Die Sprache. 2. A. 
S. 233), daß sich eine wirkliche Einsicht in die Natur des Satzes nur auf psycho¬ 
logischem Wege „durch Rücksichtnahme auf den begleitenden Bewußtseins¬ 
vorgang gewinnen lasse“; er zeigt aber, daß auch die Berücksichtigung dieses 
Gesichtspunktes seitens neuerer Phüologen, z. B. H. Pauls, nicht das Richtige 
trifft, wie wir glauben, infolge der Anlehnung an die in dieser Frage ebenfalls 
nicht zureichende Psychologie Herbarts. Der genannte Phüologe (Prin¬ 
zipien der Sprachgeschichte. S. 111) definiert den Satz als „Symbol dafür, 
daß sich die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen in 
der Seele des Hörenden vollzogen“ 2 ); ein Hauptargument gegen diese Defini- 

1 ) Da keine Veranlassung gegen ist, weiter auf das Historische der Frage 
einzugehen, sei hier nur die Definition W. v. Humboldts hierhergesetzt (Die 
sprachphüos. Werke W. v. Humboldts, herausgegeben v. Steinthal, S. 435): 
„Ein Satz ist jede noch so unvollständige Aussage, die in der Absicht des 
Sprechenden wirklich einen geschlossenen Gedanken ausmacht“. Gerade die beiden 
hier unterstrichenen Momente machen die im Übrigen der damals herkömmlichen 
entsprechende Definition für Aphasiefragen sehr geeignet, insofern darin auch schon 
die Satz-Natur des einzelnen Wortes klar hervortritt; daß auch die „Absicht“ hin¬ 
sichtlich der Satznatur für die Pathologie von Bedeutung, wird noch später zu er¬ 
örtern sein. 

2 ) Eine ähnliche Definition Delbrücks (Vergleichende Syntax) „der Satz 
ist eine in artikulierter Rede erfolgende Äußerung, welche dem Sprechenden und 
Hörenden als ein Zusammenhängendes und Geschlossenes erscheint“ erklärt auch 
der Philologe Schuch ardt (Literaturblatt für germanische und romanische Philo¬ 
logie p. 420) wegen ihrer empirischen Unbestimmtheit als nicht befriedigend. Man 
wird aber wenigstens in der Heranziehung des Hörenden bei Delbrück einen Vorzug 
gegenüber W T undt sehen dürfen. 




Wundts Satzdefinition. 


137 


tion bei Wundt (1. c. p. 286) bildet der Nachweis des Irrtums, der dadurch 
hervorgerufen wird, daß die so definierenden Autoren den Satz als eine Ver¬ 
bindung von Vorstellungen bezeichnen, also annehmen, daß diese vorher 
selbständig existiert hätten. 

Dem setzt nun Wundt (1. c. S. 241) seine eigene Definition entgegen; 
er geht dabei von der psychologischen IJeutung aus: ,,Das Ganze des Satzes 
steht zunächst in allen einzelnen Teilen, wenn auch noch relativ dunkel bewußt, 
als eine Ge samt vor Stellung vor uns und diese gliedert sich in ihre Teile, 
indem einer dieser Teile nach dem anderen apperzipiert wird“ und demzufolge 
ist der Satz (1. c. p. 245) ,,der sprachliche Ausdruck für die willkürliche Gliede¬ 
rung einer Gesamtvorstellung in ihre in logische Beziehung zueinander ge¬ 
brachten Bestandteüe“ *). 

Dazu ist auch in Rücksicht unserer Zwecke zu beachten, daß diese Defini¬ 
tion Wundts eine Nachbüdung seiner Urteüsdefinition ist (Urteü ist „Zer¬ 
legung einer Gesamt Vorstellung in ihre Bestandteüe“, oder „Zerlegung eines 
Gedankens in seine begrifflichen Bestandteüe“); dementsprechend hebt Maier 
(Das emotionale Denken. 1901, S. 16) hervor, daß Wundts Satzdefinition 
günstigenfaUs für mehrgliedrige Sätze, nicht für eingliedrige („ein Hase“ — 
„Feuer“) Geltung habe. Wundt allerdings läßt die eingliedrigen nicht als 
Sätze gelten, das ist aber für die in der vorliegenden Schrift in Betracht kom¬ 
menden Zw r ecke insofern belanglos, als es nicht darauf ankommt, ob das be¬ 
treffende vom Aphasischen gebrauchte Wort ein Satzäquivalent im Sinne 
Wundts darstellt, sondern daß es für den Sprechenden (und natürlich auch 
für den Hörenden) einen Satz in dem Sinne darstellt, daß ein ganzer Satz damit 
ausgesprochen sein wül 2 ). 

Für den Pathologen namentlich bedeutsam ist der von Maier Wundt 
entgegengehaltene Einw'urf, daß er die Frage des emotionalen Denkens 
nicht berücksichtige und Maiers eigene darauf basierte Definition des Satzes 
(1. c. S. 359) als des „Ausdruckes eines logischen, sei es kognitiven, sei es emotio¬ 
nalen Denkaktes“ lautet. 

Den Vorwurf, daß diese Definition sich als eine Rückkehr zur logischen 
Satzauffassung Beckers, des bekannten Phüologen aus der ersten Hälfte 
des vorigen Jahrhunderts, darsteUe, entkräftet Maier zunächst durch den 
Hinweis, daß es sich dabei nicht um die Logik als normative Wissenschaft 
handle, was ja auch schon durch die Subsumption des emotionalen Denkens 

A ) Da der Wundtschen Gesamtvorsteüung ihrer Bedeutung wegen ein 
besonderes Kapitel gewidmet werden wird, werden die an diese Frage an knüpfenden, 
aber auch hier bedeutsamen Kontroversen in dieser Frage dort nachzusehen sein. 
Da sich auch die Auseinandersetzungen Pauls (siehe dessen letzte Aufl. 1909, S. 121) 
mit Wundts Kritik vorwiegend mit der „GesamtVorstellung“ befassen, ist hier keine 
Veranlassung, darauf einzugehen. 

2 ) Nebenbei bemerkt wird dieser Standpunkt Wundts vielfach nicht geteilt; 
es ist von Phüologen (R. de la Grasserie, Psychol. du Lang. 1889, p. 21) wie von 
Sprachpsychologen (A. Stöhr, Lehrb. d. Logik in psych. Darst. 1910, p. 64) u. a. 
ausgesprochen, daß Worte wie „ja“, „nein“, „vielleicht“ u. a. für einen ganzen 
Satz stehen. Auf diese und ähnliche Fragen, so auf die damit übereinstimmende 
Form der primitiven Sprachen wird noch zurückzukommen sein, da wir ja wissen, 
daß dem Aphasischen oft nur noch einzelne Worte zur Verfügung stehen, woraus 
auch schon II. Jackson die Anregung zu seinen früher zitierten Erörterungen 
geschöpft. 



138 


II. Der Satz und seine Definition. 


erwiesen erscheint; er erörtert dann weiter, daß, wenn auch der Definition 
zufolge der logischen Einheit des Denkaktes der Satz als Spracheinheit ent¬ 
spreche, dies weder im Sinne der Identitätslehre noch auch im Sinne eines 
Parallelismus der Denk- und Satzakte, der Denk- und Satzformen gedeutet 
werden könnte (was er dann eingehend darstellt, worüber später im Kapitel 
vom „Wege vom Denken zum Sprechen“ ausführlich gehandelt werden wird). 

Aber auch in dieser Definition des Satzes finden wir noch einen Gesichts¬ 
punkt nicht genügend hervorgehoben, der uns für die Beurteilung aphasischen 
Sprechens besonders bedeutsam erscheint, und dem wir deshalb im Nach¬ 
stehenden eine breitere Erörterung widmen wollen; er findet sich direkt ausge¬ 
sprochen in der unseren Zwecken ganz entsprechend erscheinenden Definition 
W. Sterns, die lautet: „Ein Satz ist der Ausdruck für eine einheitliche, 
vollzogene oder sich vollziehende Stellungnahme zu einem Bewußtseins¬ 
inhalt“ (CI. u. W. Stern, Die Kindersprache. 1907, S. 164). 

Diese Definition faßt in knapper Form zunächst das Wesentliche der 
bisher gegebenen Definitionen zusammen und berücksichtigt außerdem einen 
Faktor, den Stern (nach seiner Angabe in Anlehnung an Münsterbergs 
„Selbststellung“ 1 ) als Stellungnahme bezeichnet; er motiviert diese Be¬ 
zeichnung damit, daß „Vorstellung“ nur das indifferente Vorhandensein eines 
Bewußtseinsinhaltes gegenständlicher Art, „Stellungnahme“ dagegen ein alter¬ 
natives Verhalten eines einheitlichen Subjektes, ein Anerkennen oder Leugnen, 
Zustimmen oder Ablehnen, Wünschen oder Fliehen, Loben oder Tadeln be¬ 
deutet 2 ). 

Man könnte ein wenden, daß in den meisten Urteüsdefinitionen (z. B. 
derjenigen Sigwarts [Logik I. 1911, S. 296] „der Satz ist der sprachliche 
Ausdruck eines bestimmten Denkaktes im lebendigen Denken“) das hier von 
Stern hervorgehobene Moment implizite gegeben erscheint, wenn man darin 
auch das „emotionale Denken“ (Maier) mitumfaßt und sich der in diesem im¬ 
plizite gegebenen Stellungnahme bewußt bleibt. Die Notwendigkeit der Ein¬ 
beziehung der affektuösen Momente in die Definition ist selbst den Schülern 
von Wundt nicht entgangen, weshalb 0. Dittrich die „GesamtVorstellung“ 
Wundts durch die Bezeichnung „Tatbestand“ ersetzen will. (Vgl. hierzu 
noch spätere Ausführungen in diesem Kapitel). Es hieße den Primat des Ge¬ 
fühls nicht bloß im Bereiche der geistigen Funktionen, sondern, um das gleich 
hier zu sagen, auch bei der Entstehung der Sprache und ihrem weiteren Funk¬ 
tionieren — auch unter pathologisch veränderten Bedingungen — verkennen, 
wollte man dem nicht auch in der Satzdefinition ausgesprochen Rechnung 
tragen; es war eben Ausdruck der bisher fast ausschließlich herrschenden in- 


x ) Vgl. Münsterberg, Grundzüge der Psychol. I, 1900, S. 343. Historisch 
vgl. hierher einen von G. v. d. Gabelentz (Die Sprachwissenschaft. 2. Aufl., 1901, 
S. 327) zitierten Ausspruch seines Vaters. 

2 ) Daß in diesen subjektiven Momenten auch ein Anknüpfungspunkt an 
Erkenntnis theoretisch es, gegeben sei nur kurz angedeutet. Wenn jetzt immer mehr 
auch im Urteil die Stellungnahme zum Wahrheitswert seines Inhaltes als gleichwertiges 
Moment anerkannt wird, dann wird die Berücksichtigung dieser Stellungnahme 
auch in der Satzdefinition als berechtigt erscheinen. Sehr eingehend erörtert Bald- 
win (Thought and things II, 1908, p. 151 ff.) die Logik des Satzes je nach dem 
Hörer und Sprecher eine Bedeutung im Sinne haben, die sie glauben oder bezweifeln. 



Die „Stellungnahme“ im Satze. 


139 


tellektualistischen Auffassung, wenn dem im Kreise der Pathologen nicht 
entsprochen worden. 

Des Breiteren sich über den Gefühlsanteil am Gesprochenen auszulassen 
dürfte sich erübrigen; aber prinzipiell muß darauf hingewiesen werden, daß 
Wissen und Gefühl auch in den Einzelheiten des sprachlich zu Formulierenden 
nicht von einander zu trennen sind und nur je nach dem Standpunkte das Ver¬ 
hältnis der beiden zueinander sich verschieden darstellen wird 1 ). 

Sehr gut tritt das Verhältnis der beiden bei K. O. Erd mann (Die Be¬ 
deutung des Wortes. 2. Aufl. 1910, S. 106—110) hervor, der dem begrifflichen 
Inhalte des Wortes als Grundlage des objektiven Urteils den im Worte liegenden 
Gefühlswert als subjektives Ürteü gegenüberstellt. Als Illustration dazu mag 
auf pathologischem Gebiete Nachstehendes dienen: H. Jackson (Brain II, 
p. 206) führt aus, daß, wenn eine „recurring utteranee“ eines Aphasischen als 
öefühlsausdruck dient, es eigentlich der Ton ist, der dieser Funktion dient; 
„es wäre ganz korrekt, zu sagen, der Patient „„singt““ seine „„recurring 
utteranee““. 

Wir werden bei der Besprechung der Ausdrucksmittel später hören, daß 
die Situation, das „Gegebene“, vom Sprecher ebenso wie vom Hörer Voraus¬ 
gesetzte, unter jenen eine wichtige, in der Pathologie bisher kaum berücksich¬ 
tigte Rolle spielen. Wenn nun unsere Sprachmittel dem Ausdruck der psychi¬ 
schen Phänomene des Sprechenden in einer bestimmten Situation dienen, 
dann kann der Satz, der doch die Gesamtheit dieser Phänomene zur Darstellung 
bringt, den wichtigen Anteü desselben, der in der Stellungnahme gelegen ist, 
nicht missen und muß derselbe auch in der Definition zum Ausdruck kommen. 
Dabei ist zum nicht geringen Teil das, was man nach H. Swoboda (Viertelj.- 
Schr. f. V. Philos. 27., 1903, S. 169) als „inneren Standpunkt“ bezeichnen könnte, 
beteiligt; „zum Verstehen muß man in der gleichen psychischen Situation 

sein, in welcher das zu Verstehende.gesprochen wurde“; wir setzen 

hinzu, daß bei der vom Sprecher zu versuchenden Angleichung der Situation 
des Hörers an die seine vor Allem der affektuöse Faktor eine Hauptrolle spielen 
>vird; der Sprecher will durch den Ausdruck seiner Stellungnahme die des 
Hörers beeinflussen. 

Wenn Swoboda dann (1. c. S. 140) als psychische Situation den In¬ 
begriff aller psychischen Elemente hinstellt, welche wir für einen gegebenen 
Ausdruck nach Inhalt und Akt als zureichenden Grund anerkennen, so ist 
darin erst recht der Inhalt der „Stellungnahme“ mitinbegriffen. Die psy¬ 
chische Situation wird gegenüber allen übrigen Faktoren des Gregebenen 
um so mehr hervortreten, als die in der Außenwelt gegebene Situation sich ja 
im Wesentlichen als identisch für Sprecher und Hörer darstellt, während der, 
sagen wir hinzutretende psychische Anteü der Situation in der Regel wohl 
für Sprecher und Hörer different, jenen zu einer Beeinflussung des letzteren 
im Sinne einer Angleichung der inneren Situation veranlaßt. In dieser Dar- 
steüung tritt auch schon hervor, daß in einem speziellen Falle das auch für den 
erst zu gebenden Ausdruck güt. A. Marty (Viertelj.-Sehr. f. wiss. Phüos. 
VIII, S. 303) betont schon, daß die Worte zunächst den eigenen Zustand des 

J ) Vgl. die an plastischer Darstellung kaum zu übertreffenden Ausführungen 
W. James, die dieser in seine Princ. of Psvchol. (I, 1891, p. 478) nach einer eigenen 
früher veröffentlichten Arbeit hereingenommen. 




140 


II. Der Satz und seine Definition. 


Redners zu erkennen geben. Es fällt diese Erklärung mit dem zusammen, 
was er (Unters, z. Grundlegung. 1908, S. 363) bezüglich der von ihm soge¬ 
nannten interesseheischenden Äußerungen (oder „Emotive“) ausführt; diese 
dienen dazu, ein Fühlen oder Wollen beim Sprechenden auszudrücken, „durch 
Kundgabe des eigenen Gemütslebens“ das „Fühlen und Begehren des Hörers 

zu beeinflussen“.Es ist aber, wie Marty weiter sagt, „das nächste 

Ziel der primären Intention dieser Äußerungen nicht die Belehrung, sondern 
die Beeinflussung des fremden Gemütslebens“. Es hieße das wichtigste Hilfs¬ 
mittel zu solcher Beeinflussung außer acht lassen, wollte man dabei auf die¬ 
jenigen Ausdrucksmittel verzichten, die diesem Zwecke dienen, und zumal 
auch dadurch die „Stellungnahme“ als ein wichtiger Teil des Satzes erwiesen 
wird, erscheint deren Berücksichtigung in der Definition des Satzes gerecht¬ 
fertigt. Insofern es endlich das Interesse des Sprechers an seiner Orientierung 
in der Umwelt, zu der ja auch der Zuhörer gehört, es ist, welches in letzter 
Linie die sprachlichen Äußerungen veranlaßt, bildet auch dieses Moment eine 
Unterstützung der „Stellungnahme“; man würde dem Denken und dem seinen 
Inhalt zum Ausdruck bringenden Sprechen Gewalt antun, wollte man die Ein¬ 
flüsse, die der übrige geistige Inhalt des Individuums, die „innere Situation“ 
Swobodas, auf jene ausübt, nicht berücksichtigen; erst aus der Berück¬ 
sichtigung dieses Faktors erhellt, daß in jeder Rede eben der ganze Mensch 
sich sozusagen zum Ausdruck bringt. Es wird genügen, hier darauf hinzu- 
weisen, in welch scharfem Gegensatz die hier dargelegte Ansicht zu der in der 
Pathologie gebräuchlichen steht, die nur die Verbindung von Objekt- und 
Wort begriff berücksichtigt. 

Recht drastisch entwickelt die Psychologie der Stellungnahme, sowohl 
vom Standpunkte des Redenden wie des Hörers, der Neuphilologe E. T. Owen 
(Repr. fr. Transact. of the Wiscousin Acad. Vol. XII, p. 3), indem er zeigt, 
wie wenigstens in der Mehrzahl der Fälle gerade der Ausdruck der Stellung¬ 
nahme das Wichtige für beide Teile ist 1 ). Der Zuhörer „muß nicht nur wissen, 
daß der Redende an etwas denkt, sondern dieses Etwas als gewünscht oder 
unerwünscht gefürchtet, erhofft, geglaubt, bezweifelt dargestellt bekommen 4 4 2 ). 

Man wird bei der Beurteüung des in die Rede gelegten subjektiven Fak¬ 
tors auch eines weiteren allgemeinen Gesichtspunktes nicht vergessen dürfen; 
ebenso wie auch schon die Vorstellungen der Objekte nicht die Abbüder dieser 
sind, sondern Modifikationen derselben durch Zutaten des Ichs, so sind auch 
die Zeichen, so konventionell auch ihre Grundlagen sein mögen, nicht der Aus¬ 
druck selbst der irgendwie modifizierten Objekte, vielmehr haben sie auch das 

*) „Suppose you taste in my presence an unfamiliar fruit. It is of no great 
interest to me to know that you have it in your mouth. What might be useful to 
me is to know whether youlike it; and this J mightleam from the expression of 
your face. So too, when you taste a mental combination, my gain for the most part 
lies in knowing how the combination affects you. In my knowledge of such affects 
lies also your own greatest gain. Your ability to inform me of your personal atti- 
tude toward your own ideas and combinations is the basis of my ability to serve 
you“. (Man beachte in dem Schlußpassus wie das dort Ausgeführte namentlich mit 
Martys „Suggestiven“, deren Zwecken und Wirkungen, zusammenstimmt.) 

2 ) Wie wichtig dieser Gesichtspunkt ist, geht auch daraus hervor, daß die 
Meinung, die Überzeugung, das im Satze ausgedrückte Urteil es sind, welche diesen 
von einem Wortkomplex unterscheiden, der alles enthält, was im Satze an Gegen¬ 
ständlichem anzutreffen ist (S. Meinong, Über Annahmen. 2. Aufl. 1910, S. 31 f,). 




Grundlagen der „Stellungnahme“. 


141 


modifizierende Subjekt zu passieren und vom Standpunkte des Hörers be¬ 
sehen, sogar zweimal diesen Weg zu gehen, was dem Ganzen erst recht einen 
subjektiven Einschlag verleiht; es hängt demnach auch den scheinbar objek¬ 
tiven Teilen der Sprache etwas Subjektives an, das die Rede mehr oder weniger 
wiederspiegelt. 

Es ist klar, daß diese Art der Betrachtung unmittelbar zu biologischer 
Deutung hinüberführt; auch vom Standpunkte einer so begründeten Auf¬ 
fassung des Sprachvorganges als einer Teilfunktion im Rahmen einer Einord¬ 
nung in das Ganze der Umwelt, also im Sinne einer „Orientierung“, drängt 
sich die Berücksichtigung des Subjektiven als unumgänglich notwendig auf; 
noch weniger als von anderen Standpunkten aus wäre hier eine Scheidung 
des Subjektiven vom Objektiven auch nur theoretisch denkbar 1 ). 

Die Berücksichtigung der Subjektivität in der Satzdefinition läßt sich 
auch noch dadurch rechtfertigen, daß es sich dabei um einen Faktor handelt, 
dessen Bedeutung auch in der grammatischen Entwicklung der Sprachen nicht 
gering zu schätzen ist. Wenn v. d. Gabelentz (Die Sprachwiss. 2. Aufl. S. 438) 
die Grammatik eines Volkes als die bündigste Darstellung seiner Denkgewohn¬ 
heiten bezeichnet und diese einerseits auf den objektiven Inhalt der Rede und 
andererseits auf das subjektive Verhalten des Redenden zur Rede gerichtet 
sein läßt, so darf eben dieser zweite Punkt die gleiche Würdigung in der Lehre 
vom Satz beanspruchen; wollte man das als eine die Sprachpathologie nicht 
tangierende innere Angelegenheit der Sprachforschung bezeichnen, so würde 
man dabei übersehen, daß auch der Einzelne an den Sprachgewohnheiten 
seines Volkes partizipiert und sich Störungen darin auch hinsichtlich der 
subjektiven Seite der Sprache werden erwarten lassen. 

Die prinzipielle Bedeutung der Stellungnahme wird vor Allem dadurch 
klar, wenn wir uns vor Augen führen, daß Zeichen, und unter ihnen auch die 
Wörter, nur durch den Sinn, die Bedeutung, die ihnen zukommt, wirksam 
sind, und daß dafür Alles das entscheidend sein wird, was in dem speziellen 
Falle der Sprechende in sie hineinlegt (also auch der ganze Gefühlsgehalt). 

Eine umfassende psychologische Betrachtung des Gesprochenen läßt 
auch von vomeherein eine Nichtberücksichtigung der Stellungnahme als aus¬ 
geschlossen erscheinen; denn wenn wir in Betracht ziehen, daß die Rede doch 
nicht etwas Isoliertes in der Psyche des Redenden darstellt, sondern mit dem 
Ganzen derselben in der innigsten Weise bewußt und unbewußt verknüpft ist, 
aus demselben heraus wächst, so ließe sich der Ausdruck der Stellungnahme 
nur mittelst einer gewaltsamen Durchtrennung jener intensiven Verknüpfungen, 
die oft das Beste der psychischen Funktionen in sich schließen, ausschalten; 
aber selbst wenn wir die affektuösen Momente bei Seite lassen, wird man 
sich der Ansicht nicht verschließen können, daß auch die rein intellektuellen 
Denkprozesse, insofern sie sich auch auf dem Boden einer bestimmten Grund- 
auffassung abspielen, zu einer „Stellungnahme“ Veranlassung geben. 

*) Nachträglich finden wir eine Bestätigung des hier angedeuteten Stand¬ 
punktes bei W. Stern (Diff. Psychol. 1911, S. 23) „Eine Abwehrreaktion oder 
Fluchtbewegung ist daher ebenso eine negative Stellungnahme wie die Verneinung 
^iner Frage oder die Mißbilligung einer Handlung; hier wie dort ist die Tat der Aus¬ 
druck dafür, daß das Individuum das Objekt aus seiner individuellen Zielstrebigkeit 
ausschließt“. 



142 


II. Der Satz und seine Definition. 


Diesen tieferen Grundlagen endlich nähert sich auch eine Ausführung 
von Royce (Outl. of Psychol. 1904, p. 282): ,,Ein Wort, ein Satz, ein Gespräch 
sind doch immer auch die Reaktion auf gewisse Vorgänge in der inneren oder 
äußeren Welt und ein Appell an das Bewußtsein des Zuhörers.“ Daß der erste 
der von Royce angedeuteten Gesichtspunkte mit dem hier verschiedenorts 
festgelegten von der biologischen Bedeutung der Sprache als Mittel zur „Orien¬ 
tierung“ in der Umwelt zusammenfällt, braucht wohl nur angedeutet zu werden. 
Faßt man die Sprache als eines der Mittel auf, durch das der Mensch auf seine 
Umgebung reagierend, gleichzeitig auch den Zustand seines Nervensystems 
zum Ausdruck bringt, ja unvermeidlicherweise bringen muß, dann ist damit 
auch schon die Stellungnahme, wie sie sich aus den Beziehungen zwischen 
Außenwelt und Individuum mit seiner Innenwelt ergibt, als untrennbarer 
Bestandteil der Rede erwiesen. Die Nebeneinanderstellung von Stellung¬ 
nahme als Reaktion x ) mit den übrigen Funktionen der Rede erfährt eine 
weitere Vertiefung durch das, was wir von der Bedeutung als Reaktionsform 
im Kapitel vom Bedeutungsproblem kennen lernen werden; der zweite 
oben nach Royce entwickelte Gesichtspunkt entspringt dem, was wir als die 
Aufgabe der „Emotive“ Martys kennen gelernt. 

Daß in den sprachlichen Erscheinungen, und zwar auch bei den arti¬ 
kulierten, ebensosehr die Stellungnahme der Sprechenden, wie die eben er¬ 
wähnte Angleichung des Hörers, ihren Ausdruck finden, läßt sich leicht er¬ 
weisen. Zunächst durch den Hinweis auf den Ausrufsatz, der sich direkt als 
ein Ausdruck der Affektentladung darstellt. Es hat dann weiter zuerst Br6al 
(Essai de Semantique. 1897, p. 255 2 )) gezeigt, daß im Französischen eine 
Menge von Adverbien, Adjektiven, Satzstücken ausschließlich zum Ausdruck 
der Stellungnahme des Sprechenden dienen, und daß das Gleiche auch be¬ 
züglich der Modi gilt. Aber auch im Deutschen, insbesondere im Dialektischen, 
fehlt es nicht an analogen Erscheinungen; man vergleiche die Konstruktion 
„es jammert mich“, „es graut mir“ u. a.; hier tritt als Stellungnahme das Ich- 
moment direkt in den Vordergrund der Aussage. Aber selbst für jene Erschei¬ 
nung, die wir zuvor als Grundlage der „Emotive“ Martys kennen gelernt, 
fehlt es nicht an sprachlichen Beweisen; man vergleiche die dialektische Aus- 
drucksweise: „Das ist Dir ein Lump!“, die sichtlich als Suggestiv für die Stel¬ 
lungnahme des Hörenden wirken soll. Angesichts der auch sonst noch zu be¬ 
handelnden Gefühlswerte wäre es eine durch nichts gerechtfertigte Einschrän¬ 
kung der Erlebensdarstellung, wellten wir die der Gefühle nicht gleichfalls in 
der Satzdefinition berücksichtigen. Die Nutzanwendung des eben Dargelegten 
auf Probleme der Sprachpathologie wird durch Manches nahegelegt; wir wissen, 
daß Affektausdrücke dem zerstörenden Einflüsse der Krankheit als älterer 
Erwerb länger standhalten als die übrigen; man wird sich fragen, ob sich 
das auch an den von Breal erwähnten Satzstücken in der gleichen Weise 
darstellt. 

J ) Sehr gut gibt dem A. D. Sheffield (Grammar and Thinking 1912, p. 27) 
Ausdruck: „The sentence represents a meaning plus a kind of emphasis that project» 
it into the field of vital concems“. 

2 ) Br6al handelt ganz ausführlich von dem, was er le cot6 subjectif du langage 
bezeichnet und sagt: „Une quantit4 d’adverbes. d’adjectifs, de membres de phrase, 
que nous intercalons .... sont des räflexions ou des appreciations du narrateur“. 



Psychologie der „Stellungnahme“. 


143 


Eben während der Durchsicht dieser Zeilen bringt eine eigene Beob¬ 
achtung des Verfassers eine Bestätigung der ausgesprochenen Ansicht. Der 
betreffende Patient zeigt neben mäßiger Störung des Sprachverständnisses 
schwere Paraphasie, die vorwiegend den ganzen Satz betrifft, insofern aus viel¬ 
fach unzutreffenden Worten korrekte Sätze gebildet werden; daneben leichte 
Parese der rechten Hand und des rechten Fazialis, so daß mit großer Wahr¬ 
scheinlichkeit ein linker Schläfelappenherd, Erweichung, zu diagnostizieren ist. 
In dem mit etwas Beschwerde gesprochenen Widersinn taucht nun plötzlich 
die ganze korrekte Wendung auf: mö se zdä (tschechisch; deutsch: es scheint 
mir!). Wir sehen also, wie mitten im paraphasischen Sprechen eine der inter¬ 
jektioneilen Sprache gleichgewertete Formel, welche der gemütlichen Stellung¬ 
nahme dient, ganz korrekt, wie ein Affektausdruck, produziert wird. 

Die Berücksichtigung der Stellungnahme in der Satzdefinition motiviert 
sich insbesondere vom Standpunkte des Hörers auch noch durch die Lehre 
von der Einfühlung. Wenn ich einen Satz höre, so ist dieser Satz ebensosehr 
Ausdruck eines Sinnes, wie die Äußerung, der Ausdruck einer Persönlichkeit, 
die die Mitteüung macht, wovon namentlich bei den verschiedenen Dichtungs¬ 
arten Gebrauch gemacht wird. (Vgl. das Ref. von M. Geiger über das Wesen 
und die Bedeutung der Einfühlung auf dem IV. Kongr. f. exp. Psych. Ber. 
1911, S. 39.) 

Von einer anderen Seite, der Geschichtsphüosophie, her sich diesem 
Problem nähernd, hat Simmel (Probl.d. Geschichtsphilos. 1912, S. 14 f.) das 
Verstehen des Gesprochenen vom Verstehen des Sprechers unterschieden; 
wenn er dementsprechend dann rationales und psychologisches (einfühlendes) 
Verstehen unterscheidet, so liegt hier der gleiche Gedankengang vor, wie er 
zuvor für die Definition des Satzes als „Stellungnahme“ entwickelt worden. 
Wie das vom Standpunkte des Hörers bedeutsam sein kann, lehrt die bekannte 
Erfahrung, daß das Sprachverständnis Aphasischer oft ganz auffallend von 
der Persönlichkeit des Sprechers abhängig ist. 

Wir werden im Kapitel von der „Bedeutung“ hören, daß nach Husserl 
(vgl. dazu die gekürzte Darstellung durch seinen Schüler Schwarz: Zeitschr. 
f. Philos. und philos. Kr. 132. 1908, S. 152 ff.), die Funktion des Satzes in der 
Darstellung der Gegenständlichkeit, wie sie sich in der Auffassung des 
Sprechenden darstellt, gelegen ist; es ist klar, daß diese Auffassung die 
„Stellungnahme“ des Sprechenden unmittelbar involviert und dadurch die hier 
akzeptierte Ergänzung der Satzdefinition motiviert erscheint. Wenn wir 
ebendort weiter hören, daß, wie Husserl ausgeführt, das Wort anzeigt, aus¬ 
drückt, nennt und schließlich (wie Schwarz annimmt) auch kundgibt, so ist 
sichtlich auch darin die Stellungnahme subsumiert; wenn wir dann an der 
eben erwähnten Stelle nachweisen, daß die Phasen des durch Krankheit herbei¬ 
geführten Dissolutionsprozesses in typischer Anordnung den eben genannten 
Funktionen des Wortes entsprechend sich darstellen, so erfährt das eine Er¬ 
gänzung und Bestätigung durch die hier angedeutete Tatsache, daß in den 
aphasischen Sprachstörungen die Funktion der Stellungnahme in letzter Linie 
geschädigt und aufgehoben erscheint, weü sie als eine affektuöse zu den ersten 
und ältesten Funktionen des sprachlichen Ausdrucks gehört. 

In den ersten Sprechversuchen des primitiven Menschen wird gewiß 
die Stellungnahme mindestens die gleiche Rolle mit der bezeichnenden Funk- 



144 


II. Der Satz und seine Definition. 


tion gespielt haben 1 ), aber falls es dafür noch eines Beweises bedürfte, so wäre 
derselbe in der Entwicklung der Kindersprache gegeben, in der Affekt und Be¬ 
gehrung das erste Stadium charakterisieren. Dem entsprechend werden wir 
auch bei der Betrachtung der Ausdrucksmittel sehen, daß ein nicht geringer 
Teil derselben, und wie verständlich, die genetisch ältesten, der Stellungnahme 
dienen. 

Waren wir selbst imstande, sprachliche Hinweise für den Ausdruck der 
Stellungnahme beizubringen, dann ist es wohl selbstverständlich daß ihre Be¬ 
deutung auch den Linguisten nicht entgangen sein konnte. Ganz deutlich 
gibt dem schon J. N. Madwig (Kleine philologische Schriften, 1875. Deutsche 
Übersetzung S. 6) Ausdruck. Klarer findet sich dieselbe Ansicht ausgesprochen 
bei v. d. Gabelentz (Die Sprachwissenschaft. 1891, S. 89 f.) ,,Die menschliche 
Sprache soll aber nicht nur die zu verbindenden Begriffe und die Art ihrer 
logischen Beziehungen ausdriicken, sondern auch das Verhältnis des Redenden 
zur Rede: Ich will nicht nur etwas aussprechen, sondern mich auch aus¬ 
sprechen, und so tritt zum logischen Faktor, diesen vielfältig durchdringend, 
ein psychologischer.“ 

Seine Zustimmung zu Sterns Definition spricht endlich der Linguist 
Thumb direkt aus, der seine eigene Definition hinzusetzt: „Satzist der sprach¬ 
liche Ausdruck irgend eines psychischen Erlebnisses, dessen Inhalt an irgend 
einen Träger gebunden ward“ (Anz. f. indog. Sprachen u. Alt. K. 27. 1910, 
S. I f.). Von sonstigen Linguisten, die sich in dem gleichen Sinne ausgesprochen, 
wollen wir nur noch Sechehaye hier nennen, weü wir bei ihm das Gegenstück 
eines Gesichtspunktes finden, der seit Hughlings Jackson zu den Grund- 
pfeüern der allgemeinen Sprachpathologie gehört. Sechehaye (Progr. et 
m6th. de la Linguist th6or. 1908, p. 35) w r eist direkt einen Teü der Ausdrucks¬ 
formen der Darstellung des „Subjektiven“ zu. „Est modal en grammaire 
tout ce qui exprime le mode du sujet, son attitude psychologique a l’egard 
de l’idee exprim^e“ 2 ). 

Noch ein letztes der Linguistik entnommenes Moment für die Berück¬ 
sichtigung der Stellungnahme mag hier seinen Platz finden; es ist die für die fran¬ 
zösische Syntax nachgewiesene (S. Gröbers Zeitschr. f. roman. Phüol. XXIII. 
1899, S. 491) Mischung indirekter und direkter Rede mit ihren differenten 

*) ,,L’activit6 mentale dans les primitifs est trop peu diffärenci6e pour qu’il 
soit possible d’y considärer k part les id6es ou les images des objets indäpendamment 
des sentiments, des ämotions, des passions qui 6voquent ces id6es ou ces images 
qui sont 6voqu6s par eiles. Les repr^sentations collectives des primitifs ne sont 
pas de pures repr^sentations; il s’y associe constamment la notion d’une influence, 
d’une vertu, d’une puissance occulte, variable mais toujours reelle pour le primitif 
et faisant partie integrante de repr^sentation“. (Levy - Bruhl, Les fonctions 
mentales dans les soci6t6s infärieures. 1910, p. 23 seq.) 

2 ) Vgl. bei Sechehaye auch (1. c. p. 226 fg.) die Ausführung dazu: „Nous 
constatonsd’abord que si l’on veut distinguer les diverses sortes de valeur, il n’en a 
pas deux, mais trois. A eöt6 des id6es de representation qui ont leur origine dans 
ce que les sens foumissent, et des id£es de relations qui sont d’ordre intellectuel, 
viennent k se placer d’autres id4es que nous appelons modales (p. 35), et qui 
correspondent aux diverses catägories de la volontä; les id6es modales sont tout 
enti&res dans l’attitude prise par le sujet k l’6gard de l'objet auquel il pense: ainsi 
le doute, l’affirmation r6serv£e, la concession, l’interrogation reserv^e, le souhait, 
l’ordre cat^gorique etc. en sont des exemples“. 



Di& „Stellungnahme“ im Pathologischen. 


145 


Tempus Verhältnissen; Jeder, der viel mit Aphasischen zu tim gehabt, dürfte 
sich an ähnliche Dinge bei Erzählung von Erlebnissen zu erinnern wissen. 

Nach all dem, was im Vorangehenden von der Stellungnahme gesagt, 
kann es schließlich nicht überraschen, wenn in gewissen Definitionen der sub¬ 
jektive Faktor gegenüber den übrigen als ausschlaggebend bezeichnet wird; 
so wenn P. Kretschmer (Einleit, in d. Altertumswiss. v. Gercke u. Norden I. 
, 1910, S. 226) den Satz als eine sprachliche Äußerung definiert, der ein Affekt 
oder Willensvorgang unmittelbar zugrunde liegt. Das büdet insofern den 
Übergang zur Pathologie, als uns diese im Gange des Dissolutionsprozesses die 
zunehmende Präponderanz des Subjektiven im Gesprochenen vor Augen führt. 

Halten wir den ganzen, im Vorstehenden der Bedeutung der Stellung¬ 
nahme gewidmeten Ausführungen entgegen, daß noch jetzt in der Patho¬ 
logie der Sinn des Satzes als vollzogen bezeichnet wird, wenn Objekt- und 
Wortstellung sich assoznert haben, so genügt schon das, um die ganz unzu¬ 
reichende Dürftigkeit der bisher in der Pathologie benützten Aufstellungen in 
das richtige Licht gestellt zu sehen. Man lege sich doch z. B. nur die Frage 
vor, was die alte Auffassung mit dem zuvor nach Br6al und aus deutschen 
Dialekten Angeführten anfangen sollte, um die ganze Hilflosigkeit solchen 
Tatsachen gegenüber erwiesen zu sehen. 

Wir haben im Vorstehenden so innige Zusammenhänge der Grundlagen 
für die Stellungnahme mit den verschiedenen anderen im Satze zum Ausdruck 
kommenden psychischen Momenten kennen gelernt, daß schon daraus sich ab- 
sehen läßt, daß es an pathologischen Nutzanwendungen dafür nicht fehlen 
wird; dementsprechend sollen einige davon zu abstrahierende Gesichtspunkte 
auf gezeigt werden. 

Wir haben gesehen, welch großen Einfluß die Stellungnahme auf die 
Satzform hat, wie sich ihre modifizierende Einwirkung auch auf die Modi 
der Zeitwörter geltend macht; wir werden später eingehend zu erörtern haben, 
wo etwa (natürlich funktionell genommen) die Satzformulierung auf dem 
Wege vom Denken zum Sprechen zu lokalisieren ist; hier ist jedoch schon eines 
festzustellen, daß die Stellungnahme als ein affektuöser Faktor und deshalb 
oft am frühesten wirksam, auch der Wortfindung gewiß vorangeht; sprach- 
psychologisch läßt sich das beispielsweise durch Nachstehendes klarlegen. 
Die Philologen haben gezeigt, daß die Funktion einzelner Kasus (Dativus 
sympathicus) in den indogermanischen Sprachen darin besteht, „die innere 
Teünahme an der vom Verbalbegriff betroffenen Person auszudrücken“. Diese 
innere Teilnahme wird gewiß der Wortwahl vorausgehen, sie stellt den Faktor 
dar, der an dem gewählten Worte die Dativform nach sich zieht, und daraus 
folgt weiter, daß die Ansicht des Verfassers, daß der sprachlichen Formu¬ 
lierung eine gedankliche Hand in Hand mit der affektuös bedingten voran¬ 
gehe, auch dadurch ihre Bestätigung findet; daraus ist aber zum mindesten 
der negative Schluß gewiß zu ziehen, daß die Satzformulierung, wie es Ver¬ 
fasser vertritt, nicht im Stimlappen, sondern in einer früheren Station (also 
doch wehl im Schläfelappen) zu lokalisieren ist. Daran knüpft sich sofort 
die Frage, wie sich der im Dialekt bekannte Dativus sympathicus bei ver¬ 
schiedenen aphasischen Störungen darstellen mag. 

Wenn Stern auf die durch seine Definition beseitigten Schwierigkeiten 
hinweist, die sich sonst beim Versuche einer Anpassung des einwertigen Satzes 

Piek, Sprachstörungen. I. Teil. 10 



146 


II. Der Satz und seine Definition. 


des Kindes an die Definition Wundts ergeben, so liegt gerade für die Patho¬ 
logie, in der der einwortige Satz eine nicht minder bedeutende Rolle spielt, 
darin ein weiterer Anlaß der Zustimmung zu dem Sternschen Versuch, diese 
Schwierigkeiten durch eine geänderte Definition zu beheben. Wenn Stern 
weiter darauf hinweist, daß 0. Dittrieh von der Basis der Wundtsehen Defini¬ 
tion aus in der Analyse des einwortigen Satzes nicht eine Gliederung in mehrere 
TeüVorstellungen, sondern eine solche in Vorstellung und Gefühl findet, und % 
deshalb die Wundtsche „Gesamtvorstellung“ durch die Bezeichnung „Be¬ 
deutungstatbestand“ ersetzt (siehe Wundts Philos. Studien. XIX, S. 93 u. 
124), so liegt auch in der so präziser ausgesprochenen Heranziehung des Ge¬ 
fühlsfaktors ein weiteres Moment für die Zustimmung des Pathologen zur 
Sternschen Definition; wir werden später auch in pathologischen Fällen in 
einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen Ausdruck des Gefühls und 
dem der Vorstellung eines der wichtigsten Charakteristika agrammatischer 
und aphasischer Sprachformen überhaupt finden. Wir haben zuvor erwähnt, 
daß die der Stellungnahme dienenden Sprachmittel als die primitivsten auch 
am frühesten in Funktion treten; dementsprechend werden wir erwarten dürfen, 
daß nach dem Gesetze der Dissolution diese Teüe der Sprachfunktion sich als 
die der Krankheit den hartnäckigsten Widerstand leistenden darstellen werden. 
Der zuvor zitierte Linguist Sechehaye hat das bezüglich der Evolution Er¬ 
wähnte so formuliert: „Tout indique, que dans l’evolution des langues vers 
une perfection relative l’expression des valeurs modales a toujours precedö 
celle des valeurs d’ordre.“ 

In der Pathologie sehen wir im Gegensätze dazu, wie der Gefühlswert 
der Sprache, der insbesondere in den musischen Elementen derselben zum 
Ausdruck kommt, auf dem Wege der Dissolution knapp vor der Mimik als 
dem Ultimum moriens des Ausdruckes verschwindet. 

Auf diesem Wege vollzieht sich aber entsprechend dem Zerfalle der 
intellektuellen Faktoren ein zunehmendes Uber wiegen der affektuösen, und 
das zieht wieder eine zunehmende Änderung sowohl in der Satzformulierung 
wie in der Wortfolge nach sich; es wird die Aufgabe künftigen Studiums sein, 
diese theoretischen Voraussetzungen in der Klinik nachzuweisen 1 ). 

Wir haben im Vorangehenden gehört, daß gewisse Wörter ausschließlich 
Ausdruck der Stellungnahme sind; mit der dieser Tatsache zugewendeten 
Aufmerksamkeit ist nun allerdings ein Gebiet berührt, bezüglich dessen vor¬ 
läufig irgendwelche Beziehungen zu bekannten oder auch nur beachteten 
Erscheinungen in der Sprachpathologie noch nicht aufweisbar sind; aber die 
Tatsache, daß in dem durch die Krankheit gesetzten Dissolutionsprozesse der 
Sprache die übrigen der Stellungnahme dienenden Ausdrucksmittel wesentlich 
widerstandsfähiger sind als die intellektuellen, legt die Annahme nahe, daß 
etwas Ähnliches auch bezüglich der hier besprochenen Wortkategorien der 
Fall sein könnte. Man hat schon mehrfach Verzeichnisse der den Kranken 
erhalten gebliebenen Wörter angelegt; es wird jedenfalls der eben erwähnte 
Gesichtspunkt dabei besonders zu beachten sein. Daß die übrigen früher damit 
im Zusammenhang erwähnten linguistischen Tatsachen ebenfalls klinischer 

*) Besonders bemerkenswert durch das reichliche Erhaltensein von Affekt- 
worten und -Sätzen ist ein Fall von Buchholz (Mitteil. a. d. Hamburger Staats¬ 
krank. A. IX, p. 13). 



Die Bedeutung der „Intention“. 


147 


Beachtung wert sind, bedarf wohl keines besonderen Beweises und dürfte da 
insbesondere dialektisches Krankenmaterial viele Belehrung bringen. 

Noch von einem anderen Gesichtspunkte drängt sich auch dem Patho¬ 
logen die Bedeutung, welche die Stellungnahme in der Beurteüung der Rede 
des Aphasischen haben muß, zwingend auf; w r enn wir die Sprache als viel¬ 
leicht das wichtigste der höheren Mittel zur Orientierung in der Umwelt be¬ 
trachten, dann leuchtet ohne weiteres ein, daß Alles, w r as in der Rede dazu 
dient, die Auffassung des Gegenständlichen seitens des Redenden zur Dar¬ 
stellung zu bringen, zur Beurteüung der Intelligenz des Aphasischen von nicht 
außer Acht zu lassender Bedeutung sein wird; wenn wir hören, daß die dem 
besonders entsprechenden affektiven Momente des Ausdrucks das Ultimum 
moriens bei langsamem Niedergange der Intelligenz sind, dann tritt uns erst 
recht die Bedeutung dieser Momente in der Sprache als Wertmesser für jenen 
Niedergang entgegen. (Als Gegenstück dazu vergleiche den vom Verfasser 
zuerst beschriebenen sprachlichen Infantilismus als Folge zerebraler Herd¬ 
erkrankung bei Erwachsenen [Journ. abnormal. Psychol. 1906, I., p. 190] und 
die gleichartige eigene, schon früher veröffentlichte Beobachtung [Arch. f. 
Psychiatr. 28, S. 33 d. Sep.-Abdr.]). 

Noch eines weiteren für die Natur des Satzes nicht belanglosen, gelegent¬ 
lich definitorisch gewürdigten Momentes wäre zu gedenken, weü sich daran 
Gesichtspunkte knüpfen lassen, die vieüeicht ebenfalls in der Aphasielehre 
bedeutsame Beziehungen finden. Wenn Maier (1. c.) die Satzdefinition so 
formuliert: ,,Der Satz ist ein Wort oder ein Wortkomplex, wodurch ein Akt 
logischen Denkens zum Ausdruck gebracht werden w r ill (oder soll)“, dann aber 
das mit Rücksicht auf die doch immer wieder erkennbare Intention für über¬ 
flüssig hält, so wird eben im Hinblick auf die Erscheinungen an Aphasischen 
das Beachten dieser ,,Intention“ wenigstens in den Vordergrund gerückt werden 
dürfen. Es ist dieser Gesichtspunkt auch den Sprachforschern nicht ent¬ 
gangen und schon W. v. Humboldt (Sprachphilos. Werke. Herausgeg. von 
Steinthal, S. 435) definiert den Satz als „jede noch so unvollständige Aus¬ 
sage, die in der Absicht des Sprechenden wirklich einen geschlossenen Ge 
danken ausmacht*). 

Auf pathologischem Gebiete sehen wir, daß schon H. Jackson, der, 
wenn auch vielfach nur andeutend vorbüdlich für die Verwertung der Sprach¬ 
psychologie in der Pathologie gewirkt hat, das Moment der Intention voU er¬ 
faßt hat, wenn er (Bram I, p. 311) im Anschlüsse an den Satz: „To speak 
is not simply to utter w r ords, it is to propositionise“ den Unterschied zwischen 

*) Es ist hier am Platze, mit Rücksicht auf die für die vorliegende Darstellung 
prinzipiell akzeptierte Funktionspsychologie auf die insbesondere von H. Maier 
(Die Psychol. d. emot. Denkens 1908, p. 360 flg.) hervorgehobene Unterscheidung 
zwischen Satz und Satzakt hinzuweisen. „Ein Satzakt ist ein Vorstellen oder 
Aussprechen eines Wortes oder Wortkomplexes, wodurch ein Akt logischen Denkens 
zu psychischem oder physischem Lautausdruck kommt“. „Satz ist ein .... Wort 
.... oder Wortkomplex, wodurch das Objekt eines logischen Denkaktes bezeichnet 
wird“. Wenn Maier dabei auch noch „das Vorhandensein einer .... Intention, 
einen logischen Akt, eine Objekt Vorstellung lautlich auszudrücken“, hervorhebt, so 
ist damit eine Anknüpfung an das Problem der Bedeutung gegeben, von der wir 
hören werden, daß sie erst durch die „Intention“ gegeben ist. (S. das Kapitel vom 
Bedeutungsproblem.) 


10 * 



14S 


II. Der Satz und seine Definition. 


echten „propositions“ und „dead propositions“ toten, leeren Sätzen, entwickelt* 
Daß diese Andeutungen H. Jacksons von grundlegender Bedeutung für ge¬ 
wisse Fragen der speziellen Aphasielehre sind, sei in den nachstehenden Be¬ 
merkungen kurz illustriert. Der von der Bedeutung der Intention für die Be¬ 
urteilung des Satzcharakters hergenommene Gesichtspunkt gibt nämlich An¬ 
laß zu einer allgemeinen Auseinandersetzung mit B. Erd mann. In seiner 
Logik (I, S. 319) spricht er der Grammatik die Berechtigung zu, den Satz 
auf eine sinnvolle Verknüpfung von Worten zu beschränken und stellt dem 
unter anderem auch die sinnlose Aneinanderreihung von Worten in Fällen 
von Sprachstörung und geistiger Erkrankung gegenüber. Man dürfte nach 
den vorangehenden Ausführungen H. Jacksons, die auch jetzt noch ganz 
zu Recht bestehen, berechtigt sein, die Fälle davon auszunehmen, in welchen 
vom Redenden der sinnlosen Wortzusammenstellung doch ein Sinn unterlegt 
erscheint. Daß das übrigens nicht bloß für die Pathologie, sondern auch für 
sinnloses, aber grammatisiertes Wortgeklingel überhaupt zu trifft, haben wir 
an anderer Stelle unter Beziehung auf W. James dargelegt. 

Die Richtigkeit des hier gegen Erd mann formulierten Einwandes 
scheint eine Bestätigung zu finden durch eine von demselben Autor gemachte 
Äußerung (1. c. S. 269) bezüglich der im Übrigen gleichen Bezeichnung für 
den „Satz“, in der das „sinnvoll“ in Klammer gesetzt erscheint; noch mehr 
aber durch die Anmerkung, daß auch schon das formulierte Denken eine Art 
des Sprechens im weitesten Sinne darstellt. Nun kann es nicht einen Augen¬ 
blick zweifelhaft sein, daß in nicht wenigen Fällen von Aphasie das formulierte 
Denken eine Art des Sprechens im weitesten Sinne darstellt. Wenn man zu 
dem hält, daß in manchen Fällen von Aphasie das formulierte Denken 
der Kranken ein korrektes ist, und erst auf dem Wege nach außen die Störung 
einsetzt und den richtig formulierten Satz zuweilen bis zur Unkenntlichkeit 
verändert, so wird demnach für jeden einzelnen Fall die Richtigkeit der einen 
oder anderen Deutung erst zu erweisen sein *). 

Wie auf die in das Gesprochene gelegte Intention wird von manchen 
Linguisten auch auf den „Abschluß“, der sich durch die Unterbrechung der 
Sprechtätigkeit, meist in Verbindung mit einer besonderen Art der Betonung, 
ausprägt, als Kriterium des Satzes in ihrer Definition Gewicht gelegt. So 
entwickelt Kretschmer im Anschlüsse an seine zuvor zitierte eigene Satzdefini¬ 
tion, die die Affekte und WülensVorgänge in den Vordergrund rückt, Nach¬ 
stehendes (1. c. S. 225 f.): „Diese Affekte oder Willensvorgänge konsti¬ 
tuieren das Wesen des Satzes. Sie beginnen mit einem Spannungs- und Er¬ 
regungsgefühl, das schließlich seine Lösung findet und eben dieser Lösung, 
die lautlich in vielen Sprachen in der Senkung der Stimme ihren Ausdruck er¬ 
hält, entspricht das Ende des Satzes, jene Eigenschaft der Vollständigkeit und 
Abgeschlossenheit, die ältere und neuere Definitionen an dem Satze hervorheben, 
ohne doch in das Wesen der Sache einzudringen. Eine sprachliche Äußerung 
ist erst dann ein Satz, wenn der Affekt, der sie veranlaßt, seine Lösung ge¬ 
funden hat, der Willenstrieb, der ihr zugrunde liegt, befriedigt ist. Hierauf 
beruht der Unterschied zwischen Wort und Satz. Errare humanum est ist 

*) In den letzten Auseinandersetzungen ist schon auf Erscheinungen reflek¬ 
tiert worden (formuliertes Denken, formuliertes Sprechen), deren Erörterung erst 
in folgenden Kapiteln stattfindet; es muß deshalb auf diese verwiesen werden. 



Die Bedeutung des „Abschlusses“. 


149 


ein Satz, aber errare allein nicht, solange kein psychisches Motiv vorhanden 
ist, dieses eine Wort auszusprechen. Sobald aber ein solches besteht, kann 
auch das einzelne Wort allein einen Satz darstellen.“ 

Man beachte dieses Moment der Differenzierung zwischen dem ein- 
wortigen Satz und dem einzelnen Worte 1 ), das jedenfalls auch in der Aphasie- 
lehre von Bedeutung ist. Aber noch ein anderer Gesichtspunkt rückt die 
Bedeutung des Satzabschlusses in den Kreis der Beachtung seitens der Patho¬ 
logen. Wir kennen bekanntlich in der Aphasie Zustände, in denen gerade 
die Fähigkeit zur Unterbrechung der Sprechtätigkeit Schaden gelitten, die 
Kranken oft nicht zu hemmenden Wortschwall produzieren. Von der hier 
dargestellten Satzdefinition aus werden entsprechende Fälle sowohl bezüglich 
ihrer Fähigkeit, das Satzende zu markieren, zu prüfen sein, wie bezüglich der 
Art, wie sie dies etwa durch entsprechende Betonung tun; es wird sich weiter 
daran alsbald die Frage knüpfen, ob dieser Fortfall von Hemmungen so intensiv 
ist, daß die den Abschluß des Satzes markierende Pause davon in der Weise 
berührt wird, daß sie nicht zum Ausdruck kommen kann, oder dadurch un¬ 
beeinflußt bleibt. Beides dürfte nach den bisherigen Beobachtungen der Fall 
sein, die es auch wahrscheinlich machen, daß die Besserung der Erscheinung 
sich als ein Fortschritt von dem einen zum anderen Modus darstellt. 

Daß der angedeutete Gesichtspunkt auch Beziehungen zu lokalisatori- 
schen Fragen haben könnte, sei hier nur angedeutet. Verfasser vertritt seit 
längerer Zeit die allerdings mehrfach widersprochene Ansicht, daß es sich in 
den eben erwähnten Fällen hemmungslos produzierten Wortschwalls um eine 
Störung einer dem Schläfelappen zukommenden Hemmungsfunktion handelt; 
hält man dazu, daß in der vorliegenden Schrift im breiteren Umfange erwiesen 
werden wird, daß die satzbüdenden Funktionen ebenfalls im Schläfelappen zu 
lokalisieren sind, daß dasselbe auch bezüglich der zu den musischen Elementen 
der Sprache zählenden Betonung und des Tempos güt, dann wird man jeden¬ 
falls zu prüfen Veranlassung haben, inwieweit diese Deutungen einander gegen¬ 
seitig zu stützen geeignet und mit den zuvor erwähnten Momenten der Satz¬ 
definition in Beziehung zu setzen sind. 

Einen anderen, gerade in solchen Fällen ebenfalls wohl zu beachtenden 
Gesichtspunkt hat W. James (Princ. of Psychol. I, p. 256) herausgearbeitet; 
er hebt den Gegensatz hervor zwischen dem Bewußtsein, daß ein bestimmter 
Gedanke zum Abschluß gelangt ist und dem, daß der Gedanke endgiltig fertig 
ist 2 ). An Analogien zu dieser Schüderung fehlt es gewiß nicht in der Sprache 
der Aphasischen; der eine schließt seine Rede durch den Stimmfall, beim 
zweiten hat man sichtlich die Empfindung des ,,et cetera“. W. James hat 
übrigens selbst an der zitierten Stelle an dem Beispiele vom Einflüsse der 
Ermüdung auf das Denken und das in solchem Zustande vor sich gehende 
Sprechen einen direkt auf pathologische Zustände anwendbaren Maßstab für 
die hier besprochenen Differenzen gegeben. 

*) Vgl. dazu auch Erörterungen in dem Kapitel „Der Weg vom Denken 
zum Sprechen“. 

2 ) „The awareness that our definite thought has come to an end is an entirely 
different thing from the awareness that our thought is definitively completed. The 
expression of the former state is the falling inflection which betokens that the sentence 
is ended .... The expression of the former state is ‘hemming and hawing’ or eise 
such phrases as ‘et cetera*“. 



150 


II. Der Satz und seine Definition. 


Aber auch sonst noch ergeben sich manche Ausblicke von dem eben be¬ 
handelten Gesichtspunkte des Abschlusses auf pathologische Erscheinungen; 
so wird z. B. in Fällen motorischer Aphasie das Erfassen des „Abschlusses“ 
durch den Kranken selbst, andererseits das Fehlen dieses Momentes für die 
Frage, ob der Kranke noch in Sätzen spricht, sein Satzfragment einem Satze 
entspricht, von Bedeutung sein. Daß eine Täuschung des Kranken darüber 
auch als Ursache seines mangelnden Verständnisses des eigenen Defektes mit- 
wirken könnte, sei ebenfalls angemerkt; daß sich daraus endlich auch Ge¬ 
sichtspunkte für die Beurteüung der Intelligenz Aphasischer ergeben können, 
sei zum Schlüsse noch hervorgehoben. 

An die hier gegebene Darstellung vom Satz schließen einige kritische 
Bemerkungen hinsichtlich des Umfanges dessen, was man noch als Agramma¬ 
tismus bezeichnen kann; wird das, was darüber zu sagen ist, nicht genügend 
beachtet, dann werden die Grenzen gegenüber den aphasischen Störungen 
vollständig verwischt und alle Mühe, die daran gewendet worden, den Agram¬ 
matismus als eine einheitliche Störung oder wenigstens als eine Gruppe solcher 
abzusondern, ist ebenso verloren, wie die vom Verfasser daran geknüpften 
Hoffnungen einer diese Störungen in sich fassenden Funktionslokalisation. 

Diese Bedenken wollen wir an einer neuesten Äußerung der Literatur 
exemplifizieren, die zeigen wird, wie das Vage der Deutungen jene Bedenken 
nur zu sehr rechtfertigt. In einer Arbeit über die Erscheinungen und Grund¬ 
lagen der Worttaubheit (Deutsche Zeitschr. f. Nervenh. 35, S. 28) berichtet 
Quensel von einem Falle sensorischer Aphasie (mit zutreffendem Sektions¬ 
befunde) neben Wortarmut und Paraphasie „unvollkommene Satzbildung“; 
von der letzteren heißt es dann, sie ergebe sich schon aus der amnestischen 
Störung, die hauptsächlich konkrete Hauptwörter prägnanter sinnlicher Be¬ 
deutung betrifft. Handelte es sich in dem Falle Quensels tatsächlich um 
Agrammatismus, so leuchtet die Bedeutung des Falles ohne weiteres ein, wenn 
wir unsere These daran halten, daß der Agrammatismus durch Läsionen im 
Schläfelappen, und insbesondere durch solche bedingt ist, die die Wernicke- 
sche Stelle entweder gar nicht, oder wenig beteüigen, was gerade für den Fall 
Quensels zutrifft. Sehen wir nun aber das durch, was die Mitteüung des 
Falles an sprachlichen Äußerungen gibt, so bekommt man nirgends den Ein¬ 
druck, daß die Satzbildung in dem hier dargestellten engeren Sinne des Wortes 
gestört erscheint; dort, wo der Kranke Verständliches gesprochen, sind es 
entweder vollständige Sätze mit richtiger grammatischer Konstruktion und 
auch dort, w r o die Paraphasie das Gesagte unverständlich macht, bekommt 
man den Eindruck, daß der Kranke Sätze spricht, nirgends Telegrammstil 
oder style negre. Man kann deshalb unseres Erachtens nicht von unvoll¬ 
kommener Satzbüdung in dem Sinne sprechen, daß der Kranke Sätze nicht 
oder nicht vollkommen büden könne, sondern etw r a nur in dem Sinne, daß 
die Sätze des Kranken unvollständig nicht qua Form, sondern nur bezüglich 
des Inhaltes sind; demnach liegt hier nicht ein Fall mit Agrammatismus vor; 
w ir nennen auch das Sprachprodukt selbst bei schwerer amnestischer Aphasie 
nicht unvollkommen bezüglich der Satzbildung. Natürlich ist die Entschei¬ 
dung in solchen Fällen an dem gedruckten Materiale erst recht schwer, viel¬ 
fach vielleicht überhaupt unmöglich; im Vorstehenden sind die Momente an¬ 
gedeutet worden, die in einer sachlich korrekten Deskription zur Lösung solcher 
Fragen vonnöten sind. 



III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 

Im Anschlüsse an die im Vorangehenden gelegentlich gegebenen Hinweise 
bezüglich einzelner von den Sprachpathologen bisher nicht berücksichtigten 
Sprachmittel und der dadurch bedingten Enge der Definition des Agramma¬ 
tismus wird es sich empfehlen, eine kurze Zusammenfassung dessen zu geben, 
was über die Gesamtheit der Sprachmittel im Allgemeinen zu sagen ist; im 
Rahmen dieser sollen dann einzelne der in der Pathologie bisher vernach¬ 
lässigten Ausdrucksmittel in breiterer Darstellung und unter besonderer Be¬ 
tonung ihrer pathologischen Bedeutung erörtert werden; dabei werden wir 
uns nicht bloß auf jenen Teil derselben beschränken, welcher für die Lehre 
vom Agrammatismus in Betracht kommt, weil, wie in der Einleitung aus¬ 
einandergesetzt, auch anderes für die Aphasielehre im Allgemeinen Bedeut¬ 
sames hier einer Betrachtung unterzogen werden soll. Eine detaülierte Einzel¬ 
betrachtung der verschiedenen Ausdrucksmittel bleibt späterer Darstellung 
Vorbehalten. 

A. Marty umschreibt (Unters, z. Grundleg. 1908. I, S. 53) die Aufgabe 
der Semasiologie als der Lehre von den Sprachmitteln dahin, daß sie die 
Sprache als Mittel des Ausdruckes für die psychischen Vorgänge im Redenden 
und die entsprechende Beherrschung des fremden Seelenlebens ins Auge faßt; 
demnach stellt sich das Gebiet der Aphasie als die Lehre von den Störungen 
dieser Ausdrucksmittel in ihrer Gesamtheit dar. Es tritt in dieser Definition 
insbesondere das Irrtümliche einer bloß die Schriftsprache dabei berücksich¬ 
tigenden Betrachtung hervor und rückt die Stellung der nicht artikulatorischen 
Ausdrucksmittel erst in das richtige Licht. 

Die grundlegende Bedeutung, welche ein von solchen Gesichtspunkten 
ausgehender, tiefer dringender Einblick in die Natur der verschiedenen Aus¬ 
drucksmittel und ihrer psychologischen Funktionen z. B. für das Verständnis 
und die Beurteüung der Richtigkeit sowohl der sogenannten Ri bot sehen 
Regel wie des Jackson sehen Gesetzes vom Gange der sprachlichen Dissolu¬ 
tion durch die Krankheit hat, leuchtet wohl ohne weiteres ein, wenn man die 
Gesichtspunkte in Betracht zieht, die den beiden eben zugrunde liegen; denn 
um das bezüglich der ersteren auszuführen, sind es die Störungen der in der 
Anwendung der Wörter sich ausprägenden psychologischen Vorgänge, die die 
Reihenfolge für den Verlust der einzelnen Kategorien derselben bedingen; 
daß die bisher darüber rein empirisch gewonnenen Feststellungen auf diese 



152 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


psychologischen Grundlagen hin nicht genügend geprüft und deshalb irrtüm¬ 
liche Konklusionen daraus gezogen werden, ist schon erwähnt worden 1 ). 

Die Tragweite solcher Betrachtungen soll auch gleich hier an einem bis¬ 
her weniger beachteten Sprachmittel durch einen der Literatur entnommenen 
Fall etwas ausführlicher nachgewiesen werden. Daß auch in Fragen der Akzen¬ 
tuierung der Dissolutionsprozeß nach ganz bestimmten, wohl einmal auf Grund 
reicherer Erfahrung festzustellenden Normen sich vollzieht, zeigt der Fall 
von Broadbent (bei Bastian, A Treat. on Aphasia. 1898, p. 110) eines 
in England aphasisch gewordenen Deutschen: „In allem, was er sprach, war 
ein starker deutscher Akzent zu merken, während er vorher das Englische 
besonders gut gesprochen hatte.“ Es liegt hier neben anderen Störungen im 
Gebiete der Akzentuierung offenbar ein Defekt jenes sich unbewußt voll¬ 
ziehenden Vorganges zutage, den wir als „Einstellung“ noch vielfach kennen 
lernen werden. Bei dem das Englische früher perfekt beherrschenden Deutschen 
stellt sich jetzt, so wie er Englisch zu sprechen beginnt, der deutsche Akzent 
ein; hat seine Sprache gelitten, dann leidet auch die Mitarbeit der Akzent- 
gebung und es stellt sich beim Englischsprechen der ihm von Kindheit auf 
geläufigere deutsche Akzent unwillkürlich ein, also ein Rückschlag von einem 
erst später erworbenen Mechanismus auf einen früher besessenen. Daß sich 
als Folge eines in dieser Weise tiefergehenden Verständnisses der einzelnen 
Ausdrucksmittel zusammen mit einer darauf basierten Korrektur der eben 
erwähnten Ri bot sehen Regel auch Gesichtspunkte lokalisatorischer Art er¬ 
geben könnten, läßt sich leicht erweisen. Insoferne die hier besprochene Stö¬ 
rung eine Funktion betrifft, die in der Reihenfolge der Entwicklung der Sprach¬ 
mittel eine alte, früh erworbene darstellt, wird man den Dissolutionsprozeß 
in seiner Gesamtheit als einen weiter vorgeschrittenen taxieren dürfen. Dem 
ganzen Zusammenhänge ist als wahrscheinlich zu entnehmen, daß die Störung 
der Betonung nicht auf eine direkte Läsion musischer Zentren, sondern auf 
eine indirekte Beteiligung derselben zurückgeht. Daß die so gewertete klini¬ 
sche Erscheinung einen Maß stab für die Berechtigung der Annahme einer 
Diaschisis im Sinne v. Monakows an die Hand gibt, ist wohl ebenso ge¬ 
wiß wie der Umstand, daß sie an Sicherheit der Deutung auch den feinst aus¬ 
geführten Serienschnitt weit hinter sich lassen dürfte. Die Richtigkeit dieser 
Erwägungen läßt sich durch andere Erscheinungen des Falles leicht erweisen. 
Zunächst durch die die Sprache betreffenden; dass sich bei dem Kr. tatsäch¬ 
lich ein Rückschlag auf eine Stufe älteren Erwerbs vollzogen, wird dadurch 
bestätigt, daß in dem Gesprochenen auch deutsche Worte Vorkommen; man 
muß bedauern, daß die knappe Wiedergabe der Beobachtung ein näheres 
Studium dieser Sprachmischung, das gewiß viel des Interessanten dargeboten 
hätte, nicht gestattet. Die zweite hier gemachte Annahme von der funk¬ 
tioneilen Beteiligung der musischen Zentren wird durch den Nachweis der 
Mitbeteiligung einer zweiten diesen zugehörigen Funktion bestätigt; als offen¬ 
bar besonders auffällig berichtete Broadbent aus der Zeit der beginnenden 
Besserung (eine W T oche nach dem Beginn) das vollständige Fehlen jeder Modu- 

l ) Daß mit einer solchen funktionellen Betrachtung die Erscheinungen ebenso 
wie durch das hier angedeutete Resultat der Lehre von den Erinnerungsbildern 
eines ihrer wichtigsten Fundamente entzogen ist, sei nur nebenbei bemerkt. 



Ausdrucksmittel. 


153 


lation *) der Sprache. Man kann es nur auf das lebhafteste bedauern, daß 
diese sichtlich der Beachtung sich aufdrängende Erscheinung in ihrem Ab¬ 
laufe nicht weiter verfolgt worden ist. Gewiß wird aber auch diese mangel¬ 
hafte Beobachtung genügen, eine umfassende Berücksichtigung der Ausdrucks¬ 
mittel für eine nach tieferem Verständnis der Erscheinungen suchende Aphasie- 
lehre als unerläßlich zu erweisen. — 

Knüpfen wir eine Skizze der Ausdrucksmittel, wie sie im Satze zur Gel¬ 
tung kommen, etwa an die davon gegebene Darstellung eines der hervor¬ 
ragendsten Lehrer der Sprachwissenschaft, so lassen sich H. Pauls (Prinzipien 
der Sprachgeschichte. 4. Aufl. 1909, S. 123) Ausführungen darüber folgender¬ 
maßen zusammenfassen. Die Sprachmittel bilden folgende Gruppen. 1. Die 
Wortstellung (wobei wir die von Paul getrennte Nebeneinanderstellung und 
Reihenfolge der Wörter in eins zusammenfassen), 2. die Betonung, 3. die 
Modulation der Tonhöhe, 4. das Tempo (mit Einschluß der Pausen), 5. die 
Verbindungswörter (Präpositionen, Konjunktionen) und 6. die Flexion 
der Wörter, durch deren Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung im 
ersten Fall die Zusammengehörigkeit, im letzteren irgendwelche andere Be¬ 
ziehungen der betreffenden Wörter zur Darstellung gebracht werden. 

Diese Zusammenfassung H. Pauls läßt nichts an Klarheit zu wünschen 
übrig, so daß für deutsche Leser vielleicht nur die eine Bemerkung zu machen 
wäre, daß im Englischen wegen der Abschleifungen der im Deutschen doch 
wesentlich überwiegenden Flexionsformen die Wortstellung an Bedeutung 
als Ausdrucksmittel überwiegt, und daß darin, wie schon in der Einleitung 
erwähnt, die Nahestellung des Englischen zum Chinesischen mit seiner nur 
auf Wortstellung beruhenden Grammatik begründet ist. Daß die Berück¬ 
sichtigung dieses hier nur angedeuteten Gesichtspunktes nicht ohne Belang für 
die Betrachtung der Aphasieformen in den beiden so differenzierten Sprachen 
sein mag, erhellt ohne weiteres, wenn man die beiden Hauptformen des 
Agrammatismus, den Telegrammstil und das parier nögre von jenem Stand¬ 
punkte aus betrachtet. 

Mit der von Paul gegebenen Einteüung fallen im wesentlichen auch die 
verschiedenen anderen in linguistischen Werken wiedergegebenen Darstellungen 
der sprachlichen Ausdrucksmittel zusammen und eine noch engere Zusammen¬ 
fassung derselben unter eine höhere Einheit kommt hier, wo es sich uns gerade 
darum handelt, sie einzeln kennen zu lernen, gewdß ebensowenig in Betracht 
(vgl. z. B. Oertel, Lect. on the study of lang. 1901, p. 274), wie irgend¬ 
welche Kontroverse hinsichtlich der Detaüs derselben. Dafür aber, daß im 

*) Über die Berechtigung, hier bei der Besprechung von Aphasiefragen auch 
den Rhythmus der Rede zu berühren, mögen folgende Äußerungen des deutschen 
Linguisten Thumb (Fortschr. d. Psychol. I, S. 14) aufklären. 

„Rhytmus, d. i. Wechsel von dynamisch stärker und schwächer betonten 
Silben, und Modulation oder Satzmelodie, d. i. Wechsel von Silben verschiedener 
Tonhöhen, sind Merkmale der natürlichen Rede des Menschen, und die Erörterung 
dieser Gegenstände gehört ebenso wie die Lehre vom Akzent in die Grammatik, 
im besonderen in die Lehre vom' Satz; denn wie durch die Wortstellung, so werden 
durch Rhytmus und Modulation die Teile eines Satzes zu einem sinnlich wahrnehm¬ 
baren Ganzen verbunden; der Tonfall ist außerdem ein wichtiges syntaktisches 
Hilfsmittel, denn z. B. Frage und Aussage unterscheiden sich im Schluß des Satzes 
durch eine charakteristische Tonbewegung“. 



154 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


Gegensätze zu letzterem es gelegentlich doch wieder der Gesichtspunkt der 
Einheit ist, der hier interessiert, sei auf folgendes verwiesen: in Befehls-, Wunsch- 
und Fragesätzen kann das entsprechende Zeichen „ebensowohl ein ganzes 
Wort, wie ein lautlicher Einschlag in ein Wort, die Wortstellung, die Betonung 
oder der Stimmfall sein“ (Stöhr, Leitfad. d. Logik in psychol. Darstell. 1905, 
S. 49). 

Es kann nun nicht Aufgabe dieser ersten orientierenden Zusammen¬ 
fassung sein, etwa an der Hand des Paulschen Lehrbuches die einzelnen 
Sprachmittel abzuhandeln, vielmehr bleibt es der späteren Darstellung Vor¬ 
behalten, Einzelheiten, die für die Pathologie von besonderer Bedeutung sind, 
gesondert zu behandeln. 

Anders jedoch ist die Stellung, die wir einer von der Umgangssprache 
hergenommenen Vermehrung der für unsere Zwecke in Betracht kommenden 
Ausdrucksmittel gegenüber einnehmen werden. Nicht bloß die vor Allem 
aus dem Pathologischen selbst sich ergebende Bewahrung der Tatsachen ist 
dafür maßgebend, sondern noch ein unmittelbarer praktischer Gesichtspunkt; 
während die übrigen im Ausdruck zur Anw'endüng kommenden Sprachmittel 
auch dem Laien auf diesem Gebiete, so weit als zur vorläufigen Orientierung 
nötig ist, bekannt sind, ist das bezüglich des jetzt zu Besprechenden nicht 
der Fall, und da schon in dem nächsten Kapitel ausführlich von seinem Ver¬ 
ständnis Gebrauch gemacht werden wird, muß schon jetzt davon etw'as ein¬ 
gehender gehandelt werden. 

Wunderlich (Der deutsche Satzbau. I, 5, XXXV) führt aus, daß eine 
der beiden Vorstellungen, die, seiner Auffassung nach, im Satze vereinigt sind, 
im Zusammenhänge enthalten sein kann, ohne sprachlichen Ausdruck zu 
gewinnen *). Damit erscheint ein wichtiger, bisher in der Sprachpathologie, 
aber auch in der die Umgangssprache beiseite lassenden Sprachpsychologie 
kaum beachteter Faktor in unseren Gesichtskreis gerückt, der Zusammen¬ 
hang, in dem die Rede steht. Die ganze Bedeutung dieses Faktors für Aphasie- 
fragen und insbesondere für die des Agrammatismus, wird sich erst übersehen 
lassen, bis im Folgenden eine breitere Darstellung der verschiedenen Rich¬ 
tungen, in denen er sich wirksam erw r eist, diese so recht zum Bewußtsein bringen 
wird; handelt es sich doch bei diesem Ausdrucksmittel eigentlich um ein nega¬ 
tives Moment, insofern gerade das Fehlen oder Fortlassen des ihm entsprechen¬ 
den Ausdruckes sein hervorragendstes Kriterium büdet. 

Neben allen anderen für H. Jacksons glänzende Auffassung der Sprach¬ 
psychologie sprechenden Momenten darf auch das angeführt werden, daß er 
(Brain I, p. 312) an dem hier besprochenen Faktor nicht achtlos vorüberge¬ 
gangen, sondern mehrfach die Bedeutung des Gesprochenen für den Hörer 
in Betracht gezogen hat ; unter den Neueren ist auch dem Pathologen H. Sachs 
die Bedeutung der Situation, des „Vorausgesetzten“, für das Verständnis des 
Gesprochenen nicht entgangen (siehe „Gehirn und Sprache“. 1905, S. 67), aber 
er selbst verwertet diesen Gesichtspunkt nicht weiter und sein und Hugh- 


1 ) Die Bedeutung des zu Ergänzenden und deshalb vom Redner Voraus¬ 
gesetzten wird auch sehr gut exemplifiziert durch das Wörtchen ,.w r enn“. das ent¬ 
sprechend selbständig gebraucht, einen ganzen Satz vorstellen kann. 



Das „Vorausgesetzte“, die „Situation“. 


155 


lings Jacksons Hinweis sind fast ganz unbeachtet 1 ) in der Aphasielehre 
geblieben 2 ). 

Welche umfassende Bedeutung aber auch schon theoretisch dem Momente 
des „Vorausgesetzten“ zukommt, geht daraus hervor, daß die Nichtbe¬ 
rücksichtigung dieses intersubjektiven Faktors für die ganze Lehre vom Satze, 
wie sie Wundt z. B. aufgestellt, von entscheidendem Einflüsse war 3 ). (Vgl. 
dazu eine Besprechung der Wundt sehen Sprachpsychologie durch Gardiner, 
Psychol. Rev. 1902, p. 509 f.) 

Wir werden im Kapitel über das Bedeutungsproblem noch ausführlicher 
auseinanderzusetzen haben, welche außerordentliche Bedeutung die Situation 
auch für den Sinn des einzelnen Wortes des ganzen Satzes hat ; es drängt sich 
das aber auch der einfachen Überlegung ohne weiteres auf. Das an der Situa¬ 
tion als bekannt Vorausgesetzte wird entweder überhaupt nicht ausgedrückt 
oder nur stückweise, je nach dem den Einzelheiten zugewendeten Interesse 
für den Sprecher oder Hörer, jeweils zum Ausdruck gebracht 4 ). Daraus er¬ 
hellt unmittelbar, wie mangelhaft jede Würdigung der Ausdrucksmittel bleiben 
muß, die dieses, die übrigen sichtlich beherrschende, wenn auch unausgesprochene 
Instrument der Rede nicht berücksichtigt, wie dies bisher in der Pathologie 
fast allgemein geschehen. Die Bedeutung des Vorausgesetzten für das Ver¬ 
ständnis aphasischer Erscheinungen wird aber erst dadurch ins richtige Licht 
gesetzt, wenn wir dazu das im Sprechen wirksame Gesetz der Ökonomie 
halten, das beim Aphasischen seines Defekts wegen als besonders wirksam 
sich darstellt. 

Zum Verständnis eines Gesichtspunktes, der bei der Wertung des hier 
besprochenen Momentes für pathologische Fragen in Betracht kommt, seien 
analoge, dem Normalen entstammende Tatsachen herangezogen. Als besonders 
belehrend für das eigentümliche, gelegentlich umgekehrte Verhältnis zwischen 
Umfang des in der Situation Gegebenen und des zum Ausdruck Gebrachten 
sei auf die in einem späteren Kapitel nach R. Dodge und V. Egger ange¬ 
führten Beispiele von Selbstgesprächen verwiesen. Für den das Selbstgespräch 
Führenden ist Alles, die im Kapitel vom Satz besprochene „innere“, ebenso 
wie die äußere Situation gegeben, da er ja aus ihnen heraus spricht und nur 
was dem Gange der Gedankenbewegung entstammt, wird als neu, aber weil 
alsbald auch schon gegeben, ebenfalls nur in stenogrammatischer Verkürzung 
sprachlich ausgedrückt. Bergson (Matiere et Memoire p. 133) hat übrigens 
bezüglich des Normalen der Ansicht Ausdruck gegeben, daß das Nichtgesagte 
über das in Worten Ausgedrückte überwiegt. Es erscheint in diesem Zusammen- 

*) Hiß torisch ist es interessant, daß sich in einer psychologischen Arbeit von 
Gätschenberger (Grundzüge der Psychol. d. Zeichen. 1901, S. 87) ein Hinweis 
auf die Situation des Aphasischen findet. In einer neuesten pathologischen Arbeit 
hat allerdings nur von einem bestimmten Gesichtspunkte aus die „Situation“ Be¬ 
rücksichtigung gefunden (S. Pelz, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. XI, S. 134). 

a ) Verfasser möchte darauf hinweisen, daß Wundt diesen Gesichtspunkt 
wenigstens bei der Besprechung der Gebärdensprache, wo er sich allerdings auf- 
drängt, nicht außer acht gelassen. (Die Sprache I. 1904, S. 199.) 

3 ) Siehe bei Heilbronner (Arch. f. Psychiatr. 33. Bd., 2. Heft. S. Abdr. 

S. 20) 

4 ) Daß dabei auch die Absicht des Sprechers auf Erregung des Interesses an 
der Situation beim Hörer eine wichtige Rolle spielt, hat, wie an anderer Stelle gezeigt, 
namentlich Marty ausgeführt. 



156 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


hange gewiß nicht zu weit hergeholt, wenn wir in dieser Hinsicht gewiß weit* 
gehende individuelle und wohl auch ethnologisch begründete Differenzen 
annehmen; ihre Einschätzung in pathologischen Fällen wird wohl als Desiderat 
künftiger Forschung hingestellt werden dürfen x ). Für die Berechtigung, 
diesen Gesichtspunkt hier heranzuziehen, mag auf eine im Kapitel von der 
Gesamt Vorstellung erörterte Ansicht hingewiesen sein; van Ginneken (Princ. 
de Linguist, psych. 1907. p. 282) leitet die differenten Auffassungen von der 
Formulierung des Satzes bei Wundt und James unmittelbar aus dabei wirk¬ 
samen individuellen Differenzen ab. 

Wenn wir in Berücksichtigung des eben Behandelten bei den aphasischen 
Sprachstörungen konstatieren können, wie der Ersatz der durch die ver^ 
schiedenartigsten Störungen herbeigeführten Ausfälle an sprachlich sonst 
ausgedrückten positiven Momenten in ganz besonderem Maße dem „Voraus¬ 
gesetzten“, der Verwertung der Situation zufällt, und die übrigen dafür ein¬ 
tretenden Funktionen zum Teü nachweislich um die Darstellung des Voraus¬ 
gesetzten sich bemühen werden, so wird gerade durch diese sozusagen patho¬ 
logische Hypertrophie der Erscheinung noch mehr Licht auf diese selbst ge¬ 
worfen. Wenn wir weiter hören, daß schon normalerweise das sogenannte 
psychologische Subjekt dort, wo es selbstverständlich ist, in der Sprache unter¬ 
drückt (H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. S. 129, 4. Aufl.) oder durch 
eine Gebärde ausgedrückt wird, dann wird solche normale Lizenz mit allem 
anderen schon Erwähnten eine nach xAnsicht des Verfassers umwälzende Ein¬ 
wirkung auf die ganze Fragestellung in der Aphasielehre ausüben müssen. 

Der Linguistik entnehmen wir noch ein weiteres hierhergehöriges Moment. 
Aus einer Besprechung historisch-syntaktischer Studien erfahren wir, daß die 
Deutung gewisser sprachlicher Erscheinungen sich verschieden gestaltet, je 
nachdem der einzelne Satz isoliert oder aus dem Zusammenhänge des Textes 
heraus erklärt wird (Lit. Zentralbl. 1912. Nr. 41, S. 1323); auch das zeigt die 
umfassende Bedeutung des Zusammenhanges an. 

Man hat die Störungen des Aphasischen bisher ganz ausschließlich vom 
Standpunkte seines Defektes betrachtet und vielfach angenommen, daß das, 
was im Ausdruck seiner Gedanken fehlt, deshalb fehlt, weil er es eben nicht 
denkt (woraus sich auch oft der Fehlschluß auf die Intelligenz des Kranken 
ergab), oder weil er es nicht zum Ausdruck bringen kann. Mit der im Vor¬ 
angehenden dargestellten Lehre vom „Vorausgesetzten“ kommt aber ein neuer, 
bisher bei der Wertung der Aphasie gar nicht in Betracht gezogener Faktor 
hinzu, dessen Heranziehung bei dieser Wertung sehr wohl die bisher ge¬ 
zogenen Kalküle wesentlich verschieben könnte. Man wird jetzt in jedem 
Fall mit Sprachdefekt auch noch fragen müssen, inwieweit entsprechend dem 
auch im Pathologischen als wirksam nachgewiesenen Gesetze der Ökonomie 
das Fehlende etwa, weü in der Situation gegeben oder vom Kranken vor¬ 
ausgesetzt, unterdrückt, fortgelassen wird. Die letzteren Ausdrücke sind natür¬ 
lich nicht etwa in dem Sinne zu verstehen, daß der Kranke nun jedesmal 

J ) Daß Krankheit in dieser Richtung Änderungen nach sich ziehen kann, 
ist durch entsprechende Beobachtungen im Gebiete der Psychiatrie außer Zweifel 
gestellt und wenn Verfasser nicht alles täuscht, dürfte die Weitschweifigkeit mancher 
gebesserter Fälle von Aphasie zum Teil wenigstens auf das hier besprochene Moment 
sich zurückführen lassen. 



Das „Vorausgesetzte“ im Pathologischen. 


157 


bewußt das oder jenes fortläßt, vielmehr wirkt dieses negative Sprachmittel 
ebenso wie die positiv zum Ausdruck kommenden, sehr bald unbewußt und 
automatisch; es akkommodiert sich der ganze psychische Sprachapparat 
(ebenso wie der motorische Anteil desselben) außerordentlich rasch der durch 
die Krankheit geschaffenen Situation und an dieser Adaption partizipiert 
gewiß auch der in der intensiveren Ausnützung des Vorausgesetzten sich 
ausdrückende negative Faktor der Sprache. Es ist vielleicht nicht über¬ 
flüssig, an dieser Stelle hervorzuheben, wie in dem hier betonten Gesichts¬ 
punkte der Adaption einerseits der allgemein biologische Standpunkt zu seinem 
Rechte kommt; andererseits zeigt sich dabei, um wieviel besser eine Funk¬ 
tionspsychologie gegenüber der früher maßgebenden Erscheinungspsychologie 
der Fülle der Tatsachen gerecht wird 1 ). Daß dieser Standpunkt auch besser 
unseren allgemein-pathologischen Auffassungen sich anpaßt, tritt sofort klar 
zutage, wenn wir uns erinnern, daß Krankheit Funktionieren unter ver¬ 
änderten, abnormen Bedingungen darstellen soll. 

Gerade der zuvor angedeutete Umstand des Automatischwerdens des 
neuen in die pathologische Betrachtung eingeführten Faktors gibt einen Hin¬ 
weis für die w r eit ausgreifende Bedeutung des in Rede stehenden Gesichtspunktes 
selbst in Hinsicht therapeutischer Fragen. Es ist eine bekannte Tatsache, 
daß eine wichtige und nicht selten recht schwierige Aufgabe einer Therapie 
aphasischer Störungen m der Beseitigung automatisch gewordener Mechanismen 
besteht; so wird der mechanisch gewordenen störenden, weü hypertrophischen 
Ausnützung der Situation therapeutisch durch entsprechende Übungen ent¬ 
gegenzutreten sein. 

Der hier ausgearbeitete neue Gesichtspunkt, der ja prinzipiell an die 
Lehre Hughlings Jacksons von der Evolution und Dissolution des Nerven¬ 
systems anknüpft, bedarf noch einer Erläuterung, insofern er mit gewissen 
Ausführungen dieser Lehre im Widerspruch zu stehen scheint. In seinen Dar¬ 
stellungen vom staffelweisen Niedergange der Nervenfunktionen führt H. Jack¬ 
son 2 ) in der Anwendung des Prinzips auf psychopathische Erscheinungen aus, 
daß die Krankheit nur negative Symptome, Ausfälle geistiger Funktionen 
verursacht und alle positiven Erscheinungen der Funktion der von der 
Krankheit nicht geschädigten Entwdcklungsstaffeln entstammen. Der Wider¬ 
spruch, der sich zwischen dieser Ansicht und den hier dargelegten Tat¬ 
sachen geltend macht, ist jedoch nur ein scheinbarer; ziehen wir in Betracht, 
daß auch Hemmungen, bzw. das durch sie veranlaßte Nichthervortreten be¬ 
stimmter Erscheinungen eine aktive Funktion darstellen, dann löst sich der 
Gegensatz ganz einfach. Durch den Wegfall einer oder mehrerer Staffeln 
höherer Büdung erscheint die Sprache in bestimmter Weise defekt; nun treten 
andere Staffeln in Funktion, die aber in der stärkeren Ausnutzung sonst weniger 
benutzter Ausdrucksmittel, insonderheit der „Situation“ besteht und dieses 
aktive Eingreifen bedingt eine Verringerung des Gesprochenen. 

Wir haben hier nicht ohne Absicht von anderen Staffeln gesprochen, 
da nicht wohl anzunehmen ist, daß tiefer in der Rangordnung der Sprach- 

*) Daß mit solchen Deutungen speziell die alte Theorie vom Nich tauf tauchen 
der Erinnerungsbüder, vom Ausgelöschtsein der „Spuren“ als Ursache der apha- 
sischen Erscheinungen nicht vereinbar ist, liegt so auf der Hand, daß kein Wort 
darüber zu verlieren ist. 

a ) The Croonian Lect. Repr. fr. Brit. med. J. 1884, p. 4. 



158 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


funktionen stehende Staffeln mit einer so hochstehenden geistigen Funktion, 
wie die Ausnützung der „Situation“ betraut sein sollten. Das führt aber wieder 
zurück zu der zuvor gemachten Erwägung, daß die Art und Weise, in der sich 
der Kranke zu einer solchen reparatorischen Ersatzfunktion, wie es die stärkere 
Ausnützung der Situation ist, stellt, eine Handhabe für die Beurteüung des 
Grades seiner geistigen Intaktheit bieten wird. Man hat ja bisher schon das 
Verhalten des Kranken in Rücksicht seiner Fähigkeit zur Ausnützung repara- 
torischer Funktionen als Maßstab seiner Intelligenz benützt; die hier ge¬ 
gebenen und ihnen analoge Gesichtspunkte geben dem Ganzen die gesicherte 
theoretische Basis. Es leuchtet auch ohne weiteres ein, daß dieser Gesichts¬ 
punkt wieder zu dem hinführt, was zuvor bezüglich der Einordnung des hier 
Behandelten in eine biologisch orientierte Auffassung der Aphasien (Adaption, 
Orientierung) gesagt worden ist. Es fällt in letzter Linie diese Art der Be¬ 
trachtung direkt zusammen mit der objektiven Psychologie des „Behavior“, 
wie sie, von der Tierpsychologie ausgehend, der der Introspektion entgegen- 
gestellt wird 1 ). Insofern gerade diese beim Aphasischen vielfach versagen 
muß und nur auf dem Wege eines Analogieschlusses verwertet werden kann, 
ist jene andere Art der Betrachtung bei ihm gewiß am Platze 2 ). 

Wenn Verfasser auch schon hier im psychologischen Teile seines Buches 
immer wieder die Gelegenheit wahmimmt, die Bedeutung der dort niederge¬ 
legten Tatsachen und Ansichten für Zwecke der Pathologie zur Darstellung 
zu bringen, so darf eine solche Gelegenheit auch hier, wo etwas Derartiges viel¬ 
leicht nicht ohne weiteres dem Pathologen vor Augen tritt, nicht verabsäumt 
werden. Die Bedeutung der Situation und des auch sonst noch Vorausge¬ 
setzten tritt vor Allem darin hervor, daß alles das in seiner Wirksamkeit auf 
die zu wählende Satzform allen übrige» Ausdrucksmitteln, oft selbst den musi¬ 
schen Elementen, vorangeht. Wenn wir schon im Normalen sehen, daß unter 
der Einwirkung des Vorausgesetzten oft ein einzelnes Wort einen ganzen Satz 
darstellt, dann ist in dieser Feststellung hinsichtlich des Zeitpunktes für die 
Einwirkung des Vorausgesetzten auf die Wahl der Satzform ein weiteres Argu¬ 
ment gegeben für die vom Verfasser verteidigte Ansicht von der Lokalisation 
des Agrammatismus im Schläfelappen gegenüber der von anderer Seite ver¬ 
tretenen Ansicht von seiner Lokalisation im Stimlappen. 

Man hat mit Recht betont, daß die Psychologie der Rede nicht bloß 
(wie das besonders Wundt tut) vom Standpunkte des Sprechenden, sondern 
ebenso sehr auch von dem des Angesprochenen zu betrachten ist. Von diesem 
Standpunkte aus ist insbesondere die Berücksichtigung des vom Redner nicht 

*) Vgl. dazu J. R. Watson, Psycliology as the Behaviorist views it. Psy- 
chol. Rev. 1913 march. 

2 ) Verfasser muß sich ja in der Erörterung solcher Gesichtspunkte wie der hier 
gestreifte mit kurzen Andeutungen begnügen, aber mit Rücksicht auf die Bedeutung 
einer objektiven Psychologie für die Psychiatrie (vgl. hierher auch die Bestrebungen 
v. Bechterews) seien doch die einleitenden Sätze Watsons hierher gesetzt. „Psy- 
chology as the behaviorist views it, is a purely objective branch of natural Science. 
Its theoretical goal is the prediction and control of behavior“. Mit Rücksicht auf 
die hier geübte Bevorzugung der funktionellen Psychologie gegenüber der älteren 
strukturellen ist ein Wort zu dem zitierten Aufsatze Watsons zu sagen; er kehrt 
sich in gleich schroffer Weise gegen die beiden genannten Psychologien. Dem gegen¬ 
über muß Verfasser seiner Ansicht wie im Texte Ausdruck geben, daß die funktionelle 
zur Psychologie des Behavior hinüberführt. 



Das „Vorausgesetzte“ im Pathologischen. 


159 


bloß im Allgemeinen, sondern noch besonders beim Zuhörer Vorausgesetzten 
in Betracht zu ziehen. Es wird vielleicht Gelegenheit gegeben sein, an anderer 
Stelle darauf einzugehen; hier möchte nur angemerkt werden, daß vielleicht 
gerade die Fähigkeit, das Richtige beim Hörer vorauszusetzen und dement¬ 
sprechend die Rede einzurichten, was ja in leichteren Fällen von Sprachstörung 
möglich wäre, einen weiteren Gesichtspunkt für die so schwer zu beurteilende 
Frage nach der Intelligenz Aphasischer *) abgeben könnte. Gerade diese Form 
der Anpassung dürfte einen Fortschritt zur Lösung dieser Frage ermöglichen. 
Verfasser hat in einer den Zwecken der gerichtsärztlichen Beurteüung Aphasischer 
entgegenkommenden Erörterung der Frage nach deren Intelligenz (Handb. 
d. Sachv. Tätigkeit. IX, S. 387ff.) die allgemeinen Gesichtspunkte dafür dar¬ 
gelegt; er hat dort auch auseinandergesetzt, welche Rolle dabei das Wissen des 
Kranken um seinen Defekt bzw. seinen Sprachfehler hat. Auch das hier in 
Rede stehende Moment, die Möglichkeit richtiger Erfassung dessen, was beim 
Hörer vorausgesetzt werden kann, die dem entsprechende Fähigkeit der Adap¬ 
tion, werden ähnlich zu verwerten sein; daß diese Tatsachen in letzter Linie 
auf die Selbstkorrektur erworbener Defekte zurückgehen, braucht wohl nur 
angedeutet zu werden. 

Durch die vorstehend dargelegten Gedankengänge hat sich unsere 
Kenntnis der dem Sprechenden, also auch dem Kranken zur Verfügung stehen¬ 
den Ausdrucksmittel infolge der Berücksichtigung des in der Umgangssprache 
zum Ausdruck kommenden, nichtsprachlichen wesentlich erweitert. Wir haben 
auch gesehen, wie die Störung des Verhältnisses dieses nichtsprachlichen Aus¬ 
drucksmittels zu den übrigen eine wichtige Rolle in den aphasischen Störungen 
spielt. 

Es wird sich dann später zeigen, daß auch das Verhältnis der verschie¬ 
denen anderen Ausdrucksmittel zueinander in verschiedenem Maße gestört 
sein kann — stehen sie doch in einem Ersatzverhältnis zueinander. Die Be¬ 
rücksichtigung dieser Tatsachen führt nun hinüber zu einem weiteren allge¬ 
meinen Gesichtspunkte. 

Die Ansicht vom Fehlen eines Gleichgangs zwischen Sprechen und Denken 
hat uns auch schon prinzipiell die zuvor zitierte Ansicht Kußmauls vom 
Reden ablehnen lassen; nun erweitert H. Paul (Prinzipien der Sprachg. 1909, 
S. 124) das noch dahin, daß der sprachliche Ausdruck für Art und W T eise der 
VorstellungsVerbindungen „durchaus nicht dem psychischen Verhältnisse, wie 
es in der Seele des Sprechenden besteht und in der Seele des Hörenden er¬ 
zeugt werden will, adäquat zu sein braucht ; er kann viel unbestimmter sein 44 . 
Wir werden später noch ausführlicher zu erwähnen haben, daß das Gesprochene 
nur eine vom Hörer zu rekonstruierende Skizze des vom Sprecher Gedachten 
ist und es ist ersichtlich, daß daran das Vorausgesetzte einen Hauptanteil hat. 

l ) Man wird auch noch folgende Umstände bei der hier erörterten Frage 
in Erwägung ziehen können. Der motorisch Aphasische mit seiner im Sinne der 
Hemmung gesetzten Sprachströmung ist in Rücksicht der Ausnützung der Situation 
und des beim Zuhörer Vorausgesetzten jedenfalls günstiger gestellt als der sensorisch 
Aphasische bei dem gerade die nicht selten vorhandene Hemmungslosigkeit seiner 
Rede der Ausnützung jenes Momentes hinderlich im Wege steht. Der motorisch 
Aphasische ward infolge besserer Ausnützung der ihm gebotenen Möglichkeit auch 
intellektuell einen besseren Eindruck machen. 



160 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


Gerade seine Berücksichtigung spielt aber unter den Argumenten für jene 
These eine wichtige Rolle, insofern die daraus sich ableitende Kürze des Aus¬ 
drucks uns eines der Momente an die Hand gibt zum Verständnis des Um¬ 
standes, warum die formale sprachliche Gliederung hinter der materiellen 
zurückbleibt. Es bildet dieser Gesichtspunkt einen wichtigen Beitrag zu der 
im nächsten Kapitel zu diskutierenden und abzulehnenden Ansicht vom weit¬ 
gehenden Parallelismus zwischen Sprechen und Denken, die noch jetzt ganz 
allgemein in der Pathologie verwertet wird. 

Die Bedeutung der einzelnen Ausdrucksmittel für den Satz, die hier 
nur bezüglich der „Situation“ etwas breiter dargestellt wurde, wird natürlich 
später den Gegenstand ausführlicher Darstellung zu bilden haben, denn nur 
ein tieferes Eindringen in das Wesen derselben kann den Leitfaden zum Ver¬ 
ständnis dafür abgeben, welches der Ausdrucksmittel im einzelnen Falle von 
Sprachstörung gelitten hat, ob bloß eines oder mehrere und in welchem Grade, 
woraus sich wichtige Gesichtspunkte für die Genese, unter anderem auch eine 
darauf zu gründende natürliche Einteilung der Agrammatismen ergeben. 
Daß daraus endlich auch ein Verständnis für das Verhältnis der Ersatzfunk¬ 
tionen zu schaffen sein wird, in dem die einzelnen Ausdrucksmittel zu einander 
stehen, wird gewiß auch nicht gering einzuschätzen sein; lassen sich doch 
daran Erwägungen anknüpfen, inwieweit die Ausnützung der Ersatzfunktionen 
bewußt oder unbewußt sich vollzieht, was seinerseits wieder zur Beurteüung 
der Intelligenz der betreffenden Krankheit Handhaben bietet. 

Welche Bedeutung das im Einzelnen haben kann, wird noch bei den ver¬ 
schiedensten Gelegenheiten hervortreten; hier soll nur bezüglich einiger prin¬ 
zipieller Gesichtspunkte die davon zu erhoffende Förderung nachgewiesen 
werden. Es ist in der Einleitung dargelegt wurden, daß einer der Gründe für 
die geringe Beachtung des Hughlings Jacksonschen Gesetzes von der Evo¬ 
lution und Dissolution des Nervensystems darin gelegen w r ar, daß an den bis¬ 
herigen Beobachtungen der staffelförmige Niedergang im Sinne jenes Gesetzes 
nicht deutlich erkennbar war; es ist ebendort unter Hinweis auf Arbeiten des 
Verfassers über die Reevolution angedeutet worden, daß dieser Umstand darin 
begründet ist, daß der Staffel weise Niedergang die einzelnen Funktionen be¬ 
trifft und deshalb in den Krankheitsbüdern mit ihrer jeder Einsicht spottenden 
Mischung der Einzelfunktionen nicht zum Ausdruck kommen wird. Erst 
eine Analyse derselben nach den einzelnen Ausdrucksmitteln, die ja Resultate 
von Einzelfunktionen sind, setzt uns in die Lage, jene Gesetzmäßigkeiten vor 
Augen zu führen und dadurch das Gesetz wieder in der Ansicht der Interessenten 
zu rehabilitieren. 

Der für später angesetzten ausführlichen Besprechung der einzelnen 
Ausdrucksmittel vorausgeschickt, sollen doch auch hier schon ein und das 
andere, hinweisend auf die daran anknüpfenden pathologischen Gesichtspunkte 
einer kurzen Erörterung unterzogen werden, wäre es auch nur, um immer wieder 
den Pathologen Beweise für den Nutzen vor Augen zu führen, der aus der Be¬ 
handlung scheinbar so fernab liegender Fragen auch für sein Arbeitsgebiet 
erwachsen könne. 

Es ist schon erwähnt worden, wie nahe das Englische dem flexionslosen 
Chinesischen steht wegen der gegenüber der Flexion überragenden Bedeutung 



Die Wortstellung. 


161 


der Wortstellung in demselben; ein Zitat nach dem Sprachforscher Whitney *) 
soll dem Leser vor Augen führen, wie sich das im Speziellen darstellt. Whit¬ 
ney verweist auf den Unterschied zwischen den Bedeutungen je nach der attribu¬ 
tiven oder prädikativen Stellung des Adjektivs und zeigt, wie einfach durch 
die Stellung Subjekt und Prädikat unterschieden werden, während, abgesehen 
von den Pronomina, der Nominativ und Objektiv im Englischen als Kategorien 
überhaupt nicht zum Ausdruck kommen. 

Die Frage der Wortstellung als sprachliches Ausdrucksmittel war in 
der Lehre von den Aphasien bisher überhaupt noch niemals als Problem in 
Erwägung gezogen worden; es stellt sich als eines der Desiderate künftiger Be¬ 
obachtung dar, inwiefern z. B. in Sprachen, die, wie die unsere, mehr mit 
Flexionsmitteln arbeiten, die konventionelle Wortstellung etwa durch Reste 
erhaltener Grammatisierung beeinflußt erscheint oder die rein okkassionelle 
Wortfolge zur Darstellung kommt oder schließlich der Verlust jeder verständ¬ 
lichen Wortstellung vorliegt 2 ). Man kann schon jetzt sagen, daß diese ver¬ 
schiedenen Störungen in der Tat nachweisbar sind 3 ). Es wird sich weiter 
fragen, wie sich in Sprachen mit vorwiegender Benützung der Wortfolge diese 
in pathologischen Fällen darstellt, ein Gesichtspunkt, der ebenfalls bisher 
noch nicht in Betracht gezogen worden. Uber alle diese Fragen und ihren Zu¬ 
sammenhang insbesondere mit dem Agrammatismus soll ein besonderes Kapitel 
Aufschluß geben. Erwägungen, wie die eben vorgeführten können aber schon 
eine Vorahnung alles dessen geben, was ein auf die richtige Basis gestelltes 
Studium des Agrammatismus in den Bereich seiner Erwägungen zu ziehen hat. — 

„If in a given tongue an epithet placed before a name as good man is always 
unterstood as attributive, and, placed after it, as man good, is predicative, so that 
the phrase means „the man is good“, then the formal relations of attribute and 
predicate are, at least in an imperfect way, distinguished and brought to the cog- 
nizance of the Speaker. Here, as in many other similar cases, our own highly ana- 
lytic language is able to illustrate the peculiarities of an uninflected tongue; we 
also have no other way to distinguish in nouns the object from the subject; thus, 
in father loves son and son loves father a change of position effects a change of logical 
office. Indeed, so bound are we to this method of indicating relation, that, when 
we come to read or use languages, more liberally provided with other methods, we 
are a little surprised and puzzled by their freedom of syntactical arrangement. But 
I think we can also see in our own experience that the relations indicated by position 
are more dimly brought before the mind than those exhibited by a change of form. 
Were it not for our pronouns I and me and their like, as already noticed, nominative 
and objective would never make their appearance as categories in English grammar“. 
W. D. Whitney, Repr. fr. the Transact. of the Amer. Philol. Assoc. 1872, p. 4 ff. 
Wenn Verfasser nicht irrt, ist etwas Ähnliches, wie es Whitney für das Englische 
darstellt, auch im Russischen vorhanden. 

2 ) Wenn in der Einleitung auf die Dialektologie als für das Verständnis der 
entsprechenden Aphasiefälle wichtig hingewiesen worden ist, so ist hier der Platz 
darauf hinzuweisen, daß sich wie in den verschiedenen Sprachen so auch in den 
Dialekten einer Sprache die verschiedenen Ausdrucksmittel als verschiedenwertig 
darstellen. Wenn sich andererseits z. B. die Wortstellung in verschiedenen deut¬ 
schen Dialekten verschieden darstellt, so kann auch der Einfluß in entsprechenden 
Fällen von Bedeutung sein. 

3 ) Natürlich sind einschlägige Tatsachen den Beobachtern nicht entgangen; 
so berichtet Heilbronner (Zeitschr. f. Psvchol. 24, S. 108) von der Unfähigkeit zur 
geläufigen Wortfolge (bemerkenswerterweise neben Agrammatismus); es ist aber 
selbstverständlich, daß diese Frage ohne sprachpsychologische Grundlegung 
überhaupt nicht in Angriff genommen werden kann. 

Piek, Sprachstörungen. J. Teil. 11 



162 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


Gewiß sind auch schon früher die Sprachpathologen an den musischen 
Elementen der Sprache nicht achtlos vorbeigegangen; aber sie haben, wie 
z. B. J. Roß (The Dis. of the nerv. Syst. II, p. 538. 2. ed. 1883) entsprechend 
ihrer auf H. Jackson zurückgehenden Einteilung der Sprache in eine Ge¬ 
fühlssprache und eine intellektuelle, jene Elemente ausschließlich der ersteren 
zugewiesen und damit die intellektuellen Funktionen, die ihnen doch auch 
zukommen, vollkommen übersehen 1 ). Noch 1903 trennt E. Storch (Monats- 
schr. f. Psych. u. Neur. XIII, 1903, S. 2407) die musikalischen Vorstellungen 
scharf von der Betrachtung der akustischen Wortvorstellungen und stützt das 
insbesondere auf die „weitgehende Unabhängigkeit beider Reihen vom Ge¬ 
hörsinn erregbarer Vorstellungen“ und auf die Tatsache, „daß es ebensowohl 
Aphasie ohne Amusie, wie Amusie ohne Aphasie gibt.“ 

Dem gegenüber ergab die vom Verfasser wenige Jahre später gemachte 
Zusammenstellung, daß die musischen 2 ) Anteile der Sprache sowohl isoliert 
erhalten bleiben können bei gestörter Sprache und ebenso auch in ungleichem 
Verhältnis gleichzeitig mit der letzteren gestört sein können; es erlaubte das 
die Deutung, daß es sich bei dem Verhältnis zwischen musischen und den 
übrigen Sprachmitteln um eine beim Sprechen in Aktion tretende Mitwirkung 
der Zentren für die ersteren handelt, die entweder intakt bleiben oder miterkranken 
können. Obwohl nun Verfasser in dieser Arbeit an der Hand einer reichen 
Kasuistik die Betrachtung der musischen Elemente innerhalb der aphasischen 
Störungen als Anhaltspunkt für die Weiterbildung der Aphasielehre empfahl 
und darauf hinwies, daß dieselben direkte Übergänge von der in der Aphasie 
einseitig betonten intellektuellen Seite zu den Gebieten des Fühlens und Wollens 
bilden, wurde diese wesentliche Seite der Arbeit, wie aus Referaten hervor¬ 
geht, ganz verkannt und die Arbeit als eine ins Detail gehende Studie über 
Amusie gewertet. Die Richtigkeit des dort Dargestellten wird noch wesent¬ 
lich vertieft durch den jetzt geführten Nachweis von der grammatischen und 
syntaktischen Bedeutung dieser also nicht bloß musikalischen Elemente und 
auch die Richtigkeit des Ausspruches von der Bedeutung dieser Studien für 
eine Weiterentwicklung der Aphasielehre erwiesen 3 ). 

Den Sprachforschern natürlich konnte die Bedeutung der musischen 
Elemente nicht entgehen; so spricht K. O. Erd mann (Die Bedeutung des 
Wortes. 2. Aufl. 1910, S. 106) von den „Begleitgefühlen und Stimmungen“, 
den Obertönen, die unwillkürlich anklingen, wenn ein Wort ertönt, und die 
natürlich ebenso zur Bedeutung des Wortes gehören, wie der begriffliche Inhalt, 
den es bezeichnet. Wenn er dann weiter diesen Gefühlswert oder Stimmungs- 

x ) „Language may therefore be divided into that of the feelings or emo¬ 
tional language and that of the cognitious or intellectual language or speeeh. 
All the variations of tone, the melodious voice, the graces of attitude and gesture, 
the eh arm of elegant and rhythmical language and the thousand other ways bv 
which a great orator knows how to sw T ay and influence his audience, belong to emo¬ 
tional and not to intellectual language“. 

2 ) Verfasser hat, wie er glaubt, mit Recht dieses Adjektiv gewählt; es tritt 
in der zuvor zitierten Ansicht Storchs deutlich hervor, wie irreführend die Bezeich¬ 
nung musikalisch gewesen. 

3 ) Wenn hier die Bedeutung der musischen Elemente im Satze allgemein 
gewürdigt wird, so ist damit wieder eines jener Momente aufgezeigt, das in das 
Gebiet der Phonetik hineinweist und die schroffe Abgrenzung der Aphasielehre 
gegenüber diesem Teil der Sprachwissenschaft als nicht gerechtfertigt erscheinen läßt. 



Die musischen Elemente der Sprache. 


163 


inhalt als den Inbegriff aller reaktiven Gefühle und Stimmungen bezeichnet, 
so berührt sich das sichtlich mit dem, was in der Satzdefinition unter der Stel¬ 
lungnahme als ein wichtiger Bestandteil des Satzes bezeichnet worden ist; 
und in der Tat gibt Erdmann dem gleichfalls Ausdruck (1. c. S. 110). „Aber 
nicht selten kann man auch ein und derselben Sache von verschiedenem Stand¬ 
punkt aus und in verschiedener Stimmung gegenübertreten. Und indem das 
Wort diesen subjektiven Zustand mit zum Ausdruck bringt, hat es einen be¬ 
stimmten Gefühlswert, der mit den objektiven Merkmalen des begrifflichen 
Inhalts nichts zu tun hat. Der Gefühlswert kennzeichnet dann nicht 
sowohl das, wovon gesprochen wird, als vielmehr den, der spricht. 4 ^ 

Daß Tonfall, Modulation der Stimme für die Bedeutung und das Ver¬ 
ständnis des Gesprochenen von wesentlicher, nicht selten überragender Be¬ 
deutung sind, ist schon verschiedentlich betont und neuerlich in der experi¬ 
mentellen Denkpsychologie erst recht bestätigt worden durch die Wirkung, 
die sie im Ausfrageexperimente gezeigt. 

Die Bedeutung der musischen Elemente wird aber in noch helleres Licht 
gebracht, wenn wir dieselben in ihrer Ersatzfunktion für ausgefallene anders¬ 
artige Ausdrucksmittel würdigen. Ist hier von ihnen gesagt worden, daß sie 
auch schon normalerweise eine solche Funktion haben, so ist es eine an Aphasi- 
schen seit H. Jackson geläufige Beobachtung, daß das, was man als Affekt¬ 
sprache bezeichnet und wobei die musischen Elemente in den Vordergrund 
treten, mehr oder weniger als Ersatz für die verloren gegangene sogenannte 
intellektuelle Sprache eintritt. Auch in dieser Richtung tritt die bisherige 
ungenügende Beachtung der musischen Elemente seitens der Pathologen darm 
deutlich hervor, daß z. B. O. Groß (Zeitschr. f. Psychiatrie. 61, S. 803) nur 
in der Gebärdensprache die Möglichkeit der von ihm sogenannten biologischen 
Korrektur der Aphasien findet, während dieselbe doch sichtlich schon in 
dem Vor wiegen der Affektsprache hervortritt. 

Nur die vollständige Nicht berücksicht igung der musischen Elemente im 
Sprechen als derjenigen, die das, was wir als Stellungnahme in dem Kapitel 
vom „Satze“ kennen lernten, zum Ausdruck bringen, konnte z. B. Heil- 
bronner zu dem Ausspruche führen: „Sätze — auch geläufige Phrasen stellen 
immerhin keine derart gefesteten sprachlichen und insbesondere motorischen 
Komplexe dar, wie die immer wieder in absolut gleicher Form auftretenden 
einzelnen Worte.“ 

Welche Bedeutung die Beachtung der musischen Elemente gewinnen 
kann, mag folgendes exemplifizieren: Bei der Erörterung der Frage nach den 
Beziehungen zwischen Paraphasie und Agrammatismus wird man zu achten 
haben auf die bei paraphasischen Kranken mehr oder weniger deutlich hervor¬ 
tretende richtige Akzentuierung, die, w T enn vorhanden, eben auch als ein Rest 
von Syntaktisierung angesehen werden muß. Sieht man daraufhin die Fälle 
an, so treten Einem in dieser Hinsicht ausgesprochene Differenzen entgegen; 
einerseits Fälle, wo die Betonung, sowohl die Wort- wie die Satzbetonung, 
vom Kranken sichtlich vollständig korrekt geübt und gelegentlich sogar wahr¬ 
scheinlich pathologisch forciert wird (man ermnere sich an den in der Literatur 
geläufigen Fall von Jargonaphasie, wo der Kranke sichtlich infolge der prägnanten 
Akzentuierung auf die Umgebung den Eindruck machte, er spräche in einer 
fremden Sprache); andererseits Beobachtungen, bei denen die Betonung mehr 

11 * 



164 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


oder weniger geschädigt erscheint, der Wortschwall ohne Betonung vorgebracht 
wird. Wie außerordentlich fein solche Störungen hervortreten, möge ein Fall 
von mehr funktioneller Beteiligung des Schläfelappens bei Läsion des Okzipital¬ 
lappens beweisen, den Collins (The Genesis and Dissol. of the Funct. of 
Speech. 1898, p. 299) mitteilt „he talks with a little more emphasis on words 
than one usually does“. 

Gerade der hier dargelegte Gesichtspunkt ist an den Fällen der Literatur 
oft recht schwer zu beurteilen, weil dieser Seite der Erscheinungen, falls sie 
sich nicht auffällig bemerkbar machen, bisher noch wenig Aufmerksamkeit 
zugewendet worden und überdies ein formales Moment, das Fehlen entsprechender 
Schriftzeichen für die Betonung in der Pathologie, die Darstellung beeinträchtigt. 
(Man denke wieder an Fälle als Gegenstück zu dem vorigen, wo die Kranken 
korrekte Sätze mit falschem Tonfall sprechen, wie sie z. B. Verfasser mit- 
geteüt.) 

Den mit der Erforschung der lebenden, gesprochenen, Sprache sich be¬ 
schäftigenden Philologen konnte natürlich nicht entgehen, daß das Tempo 
der Gedankenentwicklung ebenso wie das der Rede auf das Satzgefüge von 
einschneidendem Einflüsse sein muß (vgl. z. B. Wunderlich, Der deutsche 
Satzbau. I, 1901, S. XXVII); eine natürliche Konsequenz dieses auch schon 
im Normalen her vor tretenden Einflusses ist es denn auch, daß einerseits psy¬ 
chische Störungen mit ihren zeitlichen Änderungen der Gedankenfolge, anderer¬ 
seits motorisch-aphasische Sprachstörungen mit ihrem das Tempo der Sprache 
schwer schädigendem Einflüsse primär oder sekundär zu Störungen des Satz¬ 
gefüges führen, die zunächst äußerlich betrachtet, sich ganz gleichartig dar¬ 
stellen und einfach als agrammatische klassifiziert worden sind. Die Nicht¬ 
beachtung der Grundlagen dieser Fälle hat aber zu einer irrtümlichen Identifi¬ 
zierung solcher durch das Tempo der Rede bedingten Störungen mit solchen 
geführt, wo primär der grammatisierende Mechanismus defekt ist, worauf in 
letzter Linie, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, der Dissens in der Auf¬ 
fassung von der Lokalisation des Agrammatismus zurückgeht. 

Das Moment des Tempos gibt auch sonst noch Gelegenheit zu Ausblicken 
auf das Pathologische. Verfasser vertritt seit langem die Ansicht, daß dem 
Schläfelappen eine Hemmungsfunktion im Rahmen der Sprachfunktion zu¬ 
kommt; es wird sich Gelegenheit bieten, im Laufe der vorliegenden Arbeit 
darauf zurückzukommen; hier mag die kurze Bemerkung Platz finden, daß 
ebenso sehr die Bedeutung des Tempos unter den Ausdrucksmitteln wie seine 
engen Beziehungen zu den übrigen musischen Elementen der Sprache, die doch 
unzweifelhaft im Schläfelappen lokalisiert sind, für die vom Verfasser ver¬ 
tretene Anschauung sprechen, daß die Logorrhoe in Schläfelappenfällen eine 
Folge der Beemträchtigung der dort lokalisierten Hemmungsfunktion ist. 

Die Pausen, ebenfalls ein bisher in der Pathologie noch gar nicht be¬ 
rücksichtigtes Element, haben eine um so größere Bedeutung, als einzelne 
Phüologen das Hauptgewicht in der Definition des Satzes auf das abschließende 
Moment legen und neben der Betonung eben die Unterbrechung der Sprach- 
tätigkeit dieses abschließende Moment zum Ausdruck bringt; man beachte 
den Einfluß einer Pause auf die Aufmerksamkeit des Hörers, um die Bedeu¬ 
tung dieses negativen Ausdrucksmittels ganz zu würdigen. Daß ebensowohl 
wie dem Tempo auch den Pausen gegenüber die bisher von den Pathologen 


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-i , , — 



Die musischen Elemente der Sprache. 


165 


zum Verständnis des Agrammatismus verwerteten Anschauungen vollständig 
versagen, ist ohne weiteres klar, wenn man zusieht, daß diese bloß auf die auch 
in der Schriftsprache zum Ausdruck kommenden Ausdrucksmittel zugeschnitten 
sind und den Pausen als etwas Negativem natürlich mit der Lehre von den 
Erinnerungsbildern überall nicht beizukommen ist. 

Es ist nach all dem von der Bedeutung der musischen Elemente der 
Sprache hier Gesagten wohl ganz klar, daß ebenso wie in der Aphasielehre, 
so auch in der Beurteilung der Sprache von Imbezillen auf jene auch für die 
Frage nach dem Stande der Intelligenz Rücksicht zu nehmen sein wird; daß 
dies bisher nicht immer der Fall, zeigt sich z. B. in der Arbeit von Binet 
und Simon (L’Annde psychol. XIV, 1908, p. 330); bei der Beurteilung der 
Sprache einer Imbezillen wird die phonetische Seite als erledigt angesehen, 
weil die Betreffende normale Artikulation und normale Schnelligkeit der Sprache 
zeigt; und das, trotzdem es den Autoren nicht entgangen ist, daß ihre 
Patientin für die Betonung sehr empfindlich war (1. c. p. 300 1 )). 

Welche weitgehenden, vorläufig nur als Fragen hinzustellenden Probleme 
sich an das hier von den musischen Elementen der Sprache Gesagte anknüpfen, 
mag folgende Auseinandersetzung beweisen. Wir haben im Vorangehenden 
schon davon Gebrauch gemacht, daß die den affektuösen Teil der Sprache 
ausdrückenden musischen Elemente auf einer anderen Station des Weges vom 
Denken zum Sprechen hervortreten als die innere Sprache; es wird deshalb 
an den Elementen dieser letzteren auch der Einschlag der ersteren nachweis¬ 
bar sein; im Allgemeinen hat man in den der inneren Sprache zugewendeten 
Studien diesem Momente keine besondere Aufmerksamkeit zugewendet, doch 
findet sich eine Beobachtung, die zeigt, daß beim inneren Sprechen die musi¬ 
schen Elemente das übrige übertönen können. Siehe die Bemerkung von 
Biervliet darüber (bei Saint-Paul, L’Art de parier en public. 1912, p. 112 

berichtet): ,,Je m’entends toujours penser.ce n’est pas tant le son des 

paroles que je persois, mais plutöt l’intonation voulue, le renforcement des 
parties de mes phrases qui importent d’avantage“. 

Betrachtet man diese Tatsache, die jedenfalls die Möglichkeit verschie¬ 
dener Stärke der Beiden zuläßt, in Rücksicht pathologischer Erscheinungen, 
dann wirft sieh sofort das Problem auf, ob das Fehlen der den musischen Ele¬ 
menten zukommenden Wirkungen in der Sprache ein primäres, schon im Denken 
vorhandenes ist, oder ob dieser Defekt etwa erst in einem späteren Stadium 
einsetzt, etwa bedingt durch Unvollkommenheiten des Ausdrucks; es ist er¬ 
sichtlich, daß diese Frage unmittelbar zu Erwägungen hinführt wie sie zuvor 
der Sprache Imbeziller gewidmet worden. 

Daß alles das, was hier von der mitbedeutenden Funktion der musischen 
Elemente gesagt worden, auch allgemein pathologisch von Bedeutung in der 
Aphasielehre ist, mag folgende Erwägung illustrieren: Daß ein so wichtiger 
Teil der Bedeutung des Wortes, wie eben z. B. seine Betonung durch die Mit¬ 
wirkung anderer Zentren als der akustischen erzeugt wird, büdet, falls es dessen 
noch bedurfte, ein unwiderlegliches Argument gegen die Lehre von den Er¬ 
innerungsbildern im akustischen Sprachzentrum. 

1 ) Die Beziehung dieser Tatsache zu solchen der Tierpsychologie sei hier 
nur angemerkt. 




1G6 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


In diesem Zusammenhänge ist einer Einwendung zu gedenken, die der 
hier mehrfach zitierten Arbeit des Verfassers gemacht worden. Knauer hat 
dem Verfasser vorgehalten, daß die Heranziehung der musischen Zentren zur 
Erklärung der Aphasien einer Neuschaffung solcher (im älteren Sinne des Wortes) 
gleichkomme. Dem ist zunächst zu erwidern, daß die musischen Elemente, 
wie hier gezeigt, so wichtige Bestandteile der Sprache bilden, daß eine Los¬ 
lösung derselben aus der Sprache diese nur als eine Summe von Fragmenten 
zurückließe; man kann aber weiter darauf verweisen, was allerdings das Voran¬ 
gehende genetisch verständlich macht, daß die Sprache sich aus der Musik 
entwickelt hat, was sich auch darin kundgibt, daß die musischen Teile der 
Sprache die artikulierten in der Dissolution überdauern. Diesen Überlegungen 
entsprechend liegt in der Heranziehung der musischen Zentren keine Neuschaf¬ 
fung von Zentren, sondern nur die korrigierende Ausgestaltung der Aphasie- 
lehre nach einer Richtung, die in der bisher allzu mtellektualistischen Form 
derselben ausgeschlossen war. 

Verfasser würde übrigens selbst vor einer solchen Neuschaffung nicht 
zurückschrecken, falls sich aus der Feststellung entsprechender Tatsachen 
eine solche als notwendig erweisen sollte. (Vgl. dazu Ausführungen in der 
Einleitung über Zentren und Funktionsherde, sowie über die irrtümliche An¬ 
wendung der lex parsimoniae in der Aphasielehre.) 

Daß das eben besprochene Problem auch für Fragen der Psychopathologie 
Bedeutung erlangen kann, tritt uns durch den Hinweis auf die sogenannte 
„Verbigeration“ entgegen, jene eigentümliche Erscheinung, daß der Kranke 
sinnlos aneinandergereihte Worte mit dem Tonfall eines sinnvollen Satzes 
verbindet und oft hemmungslos wiederholt. Das ist nicht bloß dadurch 
interessant, daß sich uns in dieser Erscheinung eine Dissoziation zwischen 
Wort und Betonung darstellt, analog der, wie sie uns von der Aphasie her 
bekannt ist, sondern auch durch einen Hinweis lokalisatorischer Art. Die 
Dissoziation deutet, insofern die Betonung im Schläfelappen lokalisiert werden 
kann, auf eine dort lokalisierte Störung; andererseits mißt Verfasser, obwohl 
nicht unwidersprochen, dem eben genannten Lappen eine Hemmungsfunktion 
im Sprach vorgange zu. Dementsprechend könnte die Hemmungslosigkeit des 
verbigatorischen Wortschwalls ebenso in Störungen im Schläfelappen ihre Er¬ 
klärung finden. 

Sollte aber Jemand in dem Kreise der Pathologen an der Gleich¬ 
wertigkeit musischer Elemente mit den übrigen Ausdrucksmitteln noch zweifeln, 
so sei er auf J. v. Rozwadowski (Wortbildung und Wortbedeutung 1904, 
S. 70) verwiesen. Dieser Linguist führt, von der Zweigliedrigkeit jedes Satzes 
ausgehend, aus, daß dieselbe Annahme auch für die einwortigen Sätze gilt, 
insofern das zweite Glied in der Gefühlsbetonung liegt und demnach in diesen 
Fällen nur Wort-, nicht Ausdruckseingliedrigkeit vorliegt. Die Bedeutung 
der Betonung gerade im einwortigen Satze wird uns auch durch Stöhr (Leitf. 
d. Logik in psychol. Darstellung 1905, S. 63) klar gemacht, wenn er ausführt, 
daß in .,Feuer!** die Betonung für drei Namen: jetzt, hier, wirklich, steht. (Vgl. 
dazu die ausführliche Darstellung in desselben Autors Lehrb. d. Logik 1910, 
S. 117, wo er diese Art der Namensvertretung als emphatischen Benennungs¬ 
ersatz qualifiziert.) 



.Die Ausdrucksmittel im Allgemeinen. 


167 


Die zuvor erwähnten Beziehungen der Affektsprache zu den Gebärden 
geben Veranlassung, nochmals auf die letzteren zurückzukommen. Man hat 
sie bisher nur als Ersatzfunktion in pathologischen Fällen berücksichtigt; 
das neuerlich bevorzugte Studium der Umgangssprache seitens der Linguistik 
rückt die Bedeutung der Geste mehr in den Vordergrund. So hat Breal 
(Mem. de la Soc. de linguist. de Paris 29. 1896, p. 28) gezeigt, daß x ) sich 
etymologische Differenzen aus der Berücksichtigung der Gesten erklären. Es 
ist Verfasser nicht bekannt, ob diese Erscheinung auch sonst noch beobachtet 
worden und den Gegenstand besonderer Erwägung gebüdet hat. Jedenfalls muß 
auch schon im Hinblick auf bekannte ethnologische Differenzen in dem Ver¬ 
hältnis der sprachlichen und gestikulatorischen Komponente in der Rede und 
in Rücksicht der letzteren für die Situation, ebensowohl die Gestikulation wie 
die Mimik der Kranken von diesen neuen Gesichtspunkten aus in Betracht 
gezogen werden. Wenn man vielleicht etwas forciert gesagt hat, ein fragender 
Blick verwandle eine Behauptung in eine Frage, so werden dadurch immerhin 
die Stellung der Mimik im Systeme der Ausdrucksmittel markiert und ihre 
Störungen in Beziehung zu denjenigen gesetzt, die hier im Speziellen zu be¬ 
handeln waren. 

Nach der ganzen Anlage dieses mehr die Ausdrucksmittel im Allgemeinen 
besprechenden Kapitels haben nur die bisher weniger beachteten derselben 
eine etwas ausführlichere Darstellung erfahren. Doch legt Verfasser Gewicht 
darauf, schon hier dem Leser auch die Bedeutung einer Differenzierung zwischen 
den benennenden und demonstrierenden Wörtern einerseits und den unter¬ 
geordneten, Verhältnis bezeichnenden Wortklassen, den grammatischen Wort¬ 
formen und Formwörtern andererseits vor Augen zu führen. Während jene 
einzelnen Vorstellungen oder Teilen solcher entsprechen, bringen die anderen 
die Beziehungen dieser Vorstellungen zu einander oder in ihrem Verhältnis 
zum Sprechenden (dazu gehören auch das zeitliche) zum Ausdruck. Angesichts 
dieser die Natur der Worte selbst betreffenden, grundlegenden Differenz er- 
schemt schon von vorneherein die Berechtigung fraglich, alle Worte als etwas 
Einheitliches, Gleichmäßiges dem zerstörenden Einflüsse der Krankheiten 
gegenüber anzusehen; ein genaueres Studium des auf dieser letzteren Ansicht 
begründeten sogenannten ,,Ribotschen Gesetzes“ wird auch erweisen, daß 
insbesondere die Erklärungen, die dafür gegeben worden, infolge Nichtbeach¬ 
tung dieses Gesichtspunktes an dem richtigen Sachverhalt vorbeigegangen sind. 

Den vorgängigen Ausführungen ist zunächst ein bisher nur gestreifter 
prinzipieller Gesichtspunkt zu entnehmen, dessen vollständige Außeracht¬ 
lassung in der Pathologie wieder einmal so recht geeignet ist zu zeigen, welche 
Bedeutung die Heranziehung linguistischer Tatsachen für die Lehre von der 
Aphasie im allgemeinen hat und wie die Nichtbeachtung derselben zur Zusammen¬ 
legung von Erscheinungen führen muß, die mit einander nur Unwesentliches 
gemein haben. Je nach der vorwiegenden Bedeutung, welche das eine oder 
andere Ausdrucksmittel in dieser oder jener Sprache hat, müssen sich auch 
die aphasischen Erscheinungen in denselben wesentlich different darstellen. 

*) Nebenbei gesagt zeigt auch diese Tatsache wieder, wie sich scharfe Grenzen 
zwischen den für die Aphasielehre in Anspruch zu nehmenden und den dabei nicht 
in Betracht zu ziehenden sprachwissenschaftlichen Tatsachen überall nicht ziehen 
lassen. 



168 


III. Die Ausdrucksmittel der Sprache. 


Theoretisch läßt sich das ohne weiteres exemplizieren am Chinesischen, dessen 
Grammatik, abgesehen von den der Angabe hervorragender Sinologen nach 
auch da nicht fehlenden musischen Elementen, nur in der Wortfolge sich aus¬ 
drückt; der Agrammatismus eines Chinesen müßte demnach im Unvermögen, 
diese Wortfolge sachlich entsprechend zu gliedern, hervortreten. Inwieweit 
diese Deutung sich am Englischen bewährt, das in dieser Beziehung dem Chine¬ 
sischen nach Ansicht der kompetentesten Linguisten nicht allzufem steht, 
darf wohl als eines der Desiderate künftiger Aphasieforschung bezeichnet werden; 
gewiß ist es auch, daß der gleiche Gesichtspunkt für die Beurteüung der flexions¬ 
losen und nur durch Prä- oder Suffixe die Wurzeln modifizierenden Sprachen, 
z. B. das Ungarische, in Anwendung kommt. 

Ebenso muß auch die Wirkung, welche der Verlust der musischen Aus¬ 
drucksmittel haben wird, sich gewiß verschieden in den verschiedenen Sprachen 
darstellen; welche Bedeutung das für die englische Aphasieforschung hat, 
mag man aus der dem englischen Grammatiker Sweet (Transact. of the Philol. 
Soc. 1875—1876, p. 501) entnommenen Darstellung von der syntaktischen Be¬ 
deutung jener Ausdrucksmittel entnehmen 1 ). 

Insoferne im Allgemeinen (wir werden dabei sehen, daß gerade die Aus¬ 
nahmen in der Psychologie des Agrammatismus eine wichtige Rolle spielen), 
der Satz Ausdruck für ein Urteil, oder sagen wir besser für einen psychischen 
Tatbestand ist, wäre nun an die Ausführungen über die Ausdrucksmittel, welche 
dieser Darstellung zur Verfügung stehen, auch sofort eine Darstellung dessen 
anzuschließen, w r as wir über die Beziehungen dieser psychologischen Tatbe¬ 
stände zu ihrem Ausdruck wissen; doch wird es sich empfehlen, dem zunächst 
noch allgemeine Erwägungen über jene Vorgänge voran zu schicken, in welcher 
Weise der Übergang vom psychischen Innenleben zum sprachlichen Aus¬ 
druck sich vollzieht. 

x ) „Die Betonung bildet einen wichtigen Teil der englischen Grammatik. 
Eine immense Zahl allgemeiner Ideen, emotionale und rein logische, werden im Eng¬ 
lischen durch den Anstieg oder das Senken der Stimme ausgedrückt. Die Unter¬ 
scheidung zwischen Behauptung und Frage, Subjekt und Prädikat, Zweifel und 
Sicherheit etc. werden auch entweder ausschließlich oder teilweise durch die Betonung 
ausgedrückt.“ 



IV. Der Weg vom Denken znm Sprechen 

(Die Formulierung des Gedankens.) 1 ) 

Die für dieses Kapitel gewählte Überschrift gibt unmittelbar Zeugnis 
dafür, daß Verfasser nicht bloß die viel und lange diskutierte Frage bezüglich 
der angenommenen Identität von Sprechen und Denken in negativem Sinne 
für entschieden hält, sondern auch die später an ihre Stelle gesetzte Ansicht 
von dem engen Parallelismus der beiden nicht als den zutreffenden Ausdruck 
für ihr Verhältnis ansieht; damit erscheint auch die ganze Größe des Problems 
angedeutet, wie sich der Übergang vom Denken zum Sprechen, beim Hörenden 
vom Hören des Gesprochenen zu seinem Denken vollzieht. 

Es hieße hunderte Male Gesagtes wiederholen, wollte man jetzt, nach¬ 
dem der letzte große Vertreter der Identitätslehre, Max Müller, schon ge¬ 
schlagen, vom Schauplatze abgetreten, nochmals auf die Diskussion dieser 
seit Jahrzehnten bis zur Neige ausgeschöpften Frage eingehen; sie gilt im 
Kreise der Fachmänner allgemein als im Sinne einer Trennung der beiden 
entschieden und die hier folgenden Ausführungen basieren auf dieser An¬ 
sicht, indem sie an wichtige Arbeiten anknüpfen, die sich bemühen, mehr 
Licht in die nicht mehr wie früher als untrennbar, später auch nicht mehr 
als parallel laufend angesehenen Beziehungen zwischen Denken und Sprechen 
zu bringen 2 ). Die Nötigung zu solchen Versuchen war natürlich mit dem 
Momente einer solchen Trennung gegeben und ihre im Sinne einer radikalen 
Umgestaltung im Gebiete der Sprachpsychologie merkbaren Wirkungen lassen 
von vorneherein auch für die hier daran zu knüpfenden Studien aus dem 
Gebiete der Pathologie eine ähnliche Wendung erhoffen. 

Ein neuer Vertreter ist der alten Identitätslehre seither in Fr. Mauthner 
erstanden; wenn er (Zur Sprachwissenschaft 1901, S. 63) die These von der 
Identität von Denken und Sprechen noch dahin ergänzt, daß sie ein und der- 

x ) Ein noch öfter in dieser Frage zu zitierender amerikanischer Neuphilologe, 
E. T. Owen, hat dafür eine besonders vom Standpunkte der Funktionspsychologie 
als recht zweckmäßig zu bezeichnende Benennung gewählt. „Die Lehensgeschichte 
eines Gedankens in Worten ausgedrückt“. („The Life-History of a Thought expressed 
in words“.) 

2 ) Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist schon hier zu bemerken, daß 
B. Erdmann, dessen Ausführungen uns noch später beschäftigen werden, in seiner 
Logik mit dem nicht durch einen weiteren Zusatz charakterisierten Denken stets 
das formulierte, in Aussagen vollzogene Denken meint, und daß deshalb formuliertes 
Denken und Sprechen für ihn identisch sind. 



170 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


selbe wirkliche Vorgang im Gehirn sind, so hält sich Verfasser für berechtigt, 
dem auf das schärfste zu widersprechen; soweit Physiologie und Pathologie 
des Gehirns in Frage kommen, spricht Alles gegen diese Ansicht. Von Kennern, 
die sich der Frage von der anderen Seite her genähert, ist nicht bekannt ge¬ 
worden, daß sich seither ein anderer zu ihr bekannt hätte; übrigens mildert 
Mauthner selbst (Zur Grammatik und Logik 1902, S. 266) die Schroffheit 
des Ausspruches bezüglich der Identität, ohne jedoch die entscheidende Wen¬ 
dung ganz mitzumachen. 

Eine möglichst eingehende Darstellung der Vorgänge, die sich beim Über¬ 
gang vom Denken zum Sprechen vollziehen, muß für die ganze Lehre von den 
Aphasien von grundlegender Bedeutung werden; vor Allem deshalb, weil, wenn 
der Nachweis gelingt, daß ähnlich, wie schon erwiesen, im Sprachverständnis, 
auch dieser Übergang ein etappenförmiger ist, dadurch auf einem weiteren 
Gebiete der Aphasielehre die von H. Jackson prinzipiell ausgearbeitete An¬ 
schauung von dem Schicht weisen 1 ) Niedergänge der sprachlichen Funktionen 
und dem ebenso sich gestaltenden Gange der Rückbüdung ihrer Störungen 
eine für diese Auffassung entscheidende Bestätigung findet. Die dann auf 
diesem Wege gefundene Übereinstimmung pathologischer und normal-psycho¬ 
logischer Erscheinungen erlangt aber vor Allem dadurch weiter noch prinzi¬ 
pielle Bedeutung, als sich damit die Erwartung Wernickes, in der Aphasie 
die Basis gefunden zu haben, von der aus es ermöglicht würde, in das Gebiet 
des Psychischen t iefer und leichter als von anderen Gebieten aus hineinzu- 
leuchten, entgegen manchen Zweifeln doch wieder als gerechtfertigt er¬ 
weist. Denn es ist von vorneherein klar, daß wir uns in der Erörterung dieser 
Fragen unmittelbar der Psychologie des Denkens nähern, jenem Gebiete, das 
in der älteren Reflexionspsychologie trotz seiner sichtlich zentralen Bedeutung 
als das Stiefkind der ganzen Disziplin einer etwa als Logizismus zu bezeich¬ 
nenden Behandlungsmethode verfallen war, so daß schon deshalb deren Resul¬ 
tate auf das Pathologische angewendet, recht sterile blieben und auch bleiben 
mußten. Wenn wir im Gegensätze dazu der neueren Denkpsychologie die wich¬ 
tigsten Aufschlüsse über die Gedankenformulierung und ihre Versprachlichung 
werden entnehmen können, dann steht zu erwarten, daß die davon zu erhoffende 
Klärung der Aphasielehre auch diese dazu instand setzen wird, ihrerseits wieder 
wichtige Aufklärungen, insbesondere gerade für den Weg vom Denken zum 
Sprechen zu formulieren. Es erscheint namentlich durch die Erfolge der 
Pathologie im Gebiete des Sprachverständnisses die Hoffnung gerechtfertigt, 
daß das Naturexperiment, in entsprechender Weise gedeutet, im Bereiche 
jener Vorgänge Manches an den Tag bringen dürfte, was auch die feinsten 
Laboratoriums versuche nicht zu offenbaren vermögen. Die Berechtigung zu 

J ) Der von Jackson selbst schon gemachte Vorbehalt bezüglich dieser 
Bezeichnung als nicht anatomisch gemeint gilt natürlich auch jetzt noch, obzwar 
eine im anatomischen Sinne schichtweise Anordnung der Elemente gemeinsamer 
oder unmittelbar an einander anschließender Funktion durch die neueren Erfahrungen 
über den Rindenbau jetzt wesentlich an Wahrscheinlichkeit gewonnen hat (vgl. des 
Verfassers „Studien zur Hirnpathologie und Psychologie 1908, S. 24 und eine später 
folgende Arbeit von van Valkenburg (Fol. neurobiol. IV, p. 335). Sonderbarer¬ 
weise hat van Valkenburg den ebenso in den Verhandlungen des Amsterdamer 
Kongresses wie in der zitierten Schrift abgedruckten, vom Verfasser gerade also in 
Holland gehaltenen Vortrag übersehen. 



Verhältnis von Denken und Sprechen. 


171 


solcher Hoffnung schöpft Verfasser übrigens aus einer schon jetzt erweisbaren 
Feststellung. In einer allerneuesten Darstellung des Denkens spricht R. Buhler 
(Handwörterb. d. Naturw. 1912, II, S. 895) von der wahrscheinlichen Gliede¬ 
rung des Gedankens, die im Sprecher vor sich geht und sagt, daß das darüber 
Auf gestellte aus sprachwissenschaftlichen Tatsachen erschlossen wurde. Ver¬ 
fasser hat nun in diesem Kapitel nicht bloß eine Reihe von Tatsachen zusammen¬ 
getragen, durch deren Vereinigung er einen weiteren wichtigen Beitrag zu der 
ganzen Frage erbracht zu haben glaubt, sondern er war auch in der Lage, schon 
hier allerlei Pathologisches beizubringen, das sich mit dem Übrigen in schönen 
Einklang bringen ließ und dadurch eine Förderung des Ganzen herbeiführt. 

Die Frage, ob Denken und Sprechen identisch oder in welchem Ver¬ 
hältnis zu einander sie stehen 1 ), ist auch deshalb für die Pathologie von prin¬ 
zipieller Bedeutung, weil sich unter Anderem daran Erwägungen knüpfen, 
inwieweit der Agrammatismus mehr als Störung des Sprechens oder als solche 
des Denkens anzusprechen ist, eine Frage, die, wenigstens bis in die letzte 
Zeit, noch recht verschiedenartig beantwortet worden. Die Beantwortung 
wird natürlich ganz davon abhängen, je nachdem als Grundlage dafür die 
Identitätslehre, bzw. der Parallelismus, oder die diesen gegenteüige Ansicht 
genommen wird; ebenso wird anderenfalls die Betrachtung der Frage ver¬ 
schiedenartig sich gestalten, je nach der Ansicht, die man sich bezüglich der 
zeitlichen Reihenfolge und des Zusammenhanges der dabei in Betracht kom¬ 
menden Stationen der Formulierung machen wird. 

Es muß einem späteren Kapitel überlassen bleiben, diese Fragen, soweit 
sie der praktischen Lokalisation zugute kommen, ausführlicher zu erörtern; 
hier sei nur gesagt, daß die Polemik, die Verfasser seinerzeit (siehe dessen 
„Beiträge“ 1898, S. 129) gegen die Ansichten von Ziehen 2 ), Bastian 3 ) und 
Eskridge 4 ) (1. c. p. 133) geführt, jetzt durch die Nutzanwendung der hier 
vorgeführten und in dieser Schrift zur Grundlage der Aphasielehre gemachten 
Lehren auf eine wohl fundierte, empirische Basis gestellt erscheint; nur ein dabei 
zu beachtender prinzipieller Gesichtspunkt sei hier erwähnt; man wird jetzt 
ebenso wie bezüglich dessen, was im Cerebrum motorisch oder sensibel ist, 
sich sagen müssen, daß eine scharfe Grenze zwischen Psychischem und Sprach¬ 
lichem überall nicht zu setzen ist. — 

Es möchte dem Einen oder Anderen eine so eingehende Erörterung der 
hier zur Sprache gebrachten Fragen vielleicht etwas weit hergeholt und zu weit 
ausgreifend erscheinen; es läßt sich aber an der eben zitierten Äußerung 
Ziehens leicht zeigen, daß wir erst auf dem Fundamente einer richtigen Be¬ 
antwortung solcher allgemeinen Fragen einen wirklichen Fortschritt auch im 
Speziellen erwarten dürfen; bereits Mohr (Arch. f. Psych. 39. 3, S. 27 des 
Sep.-Abdr.) hat, die Tragweite solcher prinzipieller Anschauungen betonend, 

1 ) Wenn sich die Pathologen mit dieser Frage recht wenig befaßt, so legt 
auch das wieder Zeugnis dafür ab, wie sie von den Fortschritten der Psychologie 
und Sprachwissenschaft kaum Kenntnis genommen, vielmehr an dem alten von den 
Anderen verlassenen Dogma, das einmal zum Leitfaden genommen w^ar, festhielten. 

2 ) „Die Zusammenordnung der Wörter zum Satz ist keine koordinatorische 
Leistung der Sprache, sondern von der assoziativen Verknüpfung der Objektvor¬ 
stellungen abhängig“. 

3 ) „a general though perhaps not deep, mental and linguistic iinpairement“. 

4 ) „impaired mental condition of the patient“. 



172 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


darauf hinge wiesen, daß schon die Taubstummensprache allein die Ansicht 
Ziehens widerlegt. 

Die zuvor angedeutete Bezugnahme auf anatomische Tatsachen legt die 
Erörterung eines weiteren, in dieser Richtung liegenden Gesichtspunktes nahe. 
Die Erforschung des „Weges vom Denken zum Sprechen“ wird nämlich zeigen, 
wie vollständig unzureichend alle uns bisher bekannten anatomischen und 
physiologischen Tatsachen sind, um von ihnen aus etwa konstruktiv sich be¬ 
züglich der auf jenem Wege sich vollziehenden Funktionen zu informieren; 
sie wird die Tatsache ins richtige Licht stellen, daß das von Meynert aufge- 
stellte ideale Programm, die Psychiatrie als die Klinik der Erkrankungen des 
Vorderhims auf dessen Bau, Leistungen und Ernährung zu gründen, selbst 
hier, wo es sich doch um die Nutzanwendung desselben auf wesentlich einfachere 
Vorgänge handelt, als bei den von ihm ins Auge gefaßten Psychosen, in gleicher 
Weise und nicht bloß an der Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse scheitern 
muß. Im Gegensätze zu der Aussichtslosigkeit, das Problem von dieser Seite 
zur Klarheit und Lösung zu bringen, wdll dieses Kapitel zeigen, wie die Aus¬ 
sicht, die Reihenfolge der sich auf dem Wege vom Denken zum Sprechen ab¬ 
spielenden Vorgänge mit einer gewissen Sicherheit festzustellen, es auch un¬ 
mittelbar ermöglichen wird, die diesen entsprechenden klinischen Tatsachen 
dem Verständnis auch in Hinsicht der Lokalisation der ihnen zugrunde liegenden 
Himprozesse wesentlich näher zu bringen, als dies bis jetzt der Fall gewesen. 
Sollte sich nämlich erweisen lassen, daß die so sich ergebenden Schlüsse hin¬ 
sichtlich dessen, w r as Verfasser als psychologische Lokalisation bezeichnet, 
mit den aus der klinisch-topischen Diagnostik entnommenen Erfahrungen im 
Einklang zu bringen sind, so erwüchse daraus für die doch immerhin noch 
spärlichen und nur empirisch gewonnenen, übrigens noch recht kontroversen 
Ansichten der Pathologen in diesen Fragen eine gewiß willkommene Stütze. 

Die jeder eingehenderen kritischen Betrachtung vorweggenommene Auf¬ 
stellung, daß Grammatik und Syntaxe*) Etappen in der Reihenfolge der 
zwischen Denken und Sprechen sich abspielenden Vorgänge darstellen, und 
daß Störungen dieser Vorgänge nicht bloß durch eine sie isoliert treffende 
Schädigung, sondern auch durch eine solche der übrigen, ihnen vorauf gehenden 
oder nachfolgenden, mit ihnen innig verflochtenen Vorgänge zustande kommen 
werden, umgrenzt das Hauptthema der vorliegenden Arbeit; es rechtfertigt 
sich so, wenn an die Spitze der Erörterung der in den verschiedenen Phasen 
in Betracht kommenden Einzelmomente eine, wenn auch da und dort wegen 
der mangelnden Kenntnisse nur skizzenhafte Darstellung des ganzen Weges 
vom Denken und Sprechen gestellt wird. 

Verschiedene Momente werden auf Seite der Pathologie dazu Veran¬ 
lassung geben; zunächst der Umstand, daß insbesondere gerade das Kapitel 
der pathologischen Grammatisierung der Rede von den Pathologen kaum 
noch in Angriff genommen. Gewdß haben auch manche Neurologen, die mit 
Aphasiefragen befaßt waren, sich zum Teü ganz zutreffende Anschauungen- 
über die bei dem grammatischen Aufbau des Satzgefüges vor sich gehenden 
psychologischen Prozesse gebüdet, aber man tritt dem Ansehen der betreffenden 

*) Zur Vermeidung jedes Mißverständnisses sei besonders hervorgehoben, 
daß diese beiden Ausdrücke hier im Sinne eines Vorganges als „no mina actionis“ 
gebraucht sind. (Vgl. dazu Dittrich in Wundts Philosoph. Studien XX, S. 119). 



Wichtigkeit der Analyse dieses Weges. 


173 


Forscher gewiß nicht nahe, wenn man ihre Ausführungen, ganz losgelöst von 
jeder Kritik, als recht dürftig bezeichnet im Entgegenhalt zur Fülle dessen, 
was uns die Sprachpsychologie dazu bietet. 

Das ist in dem Sinne zu verstehen, daß die ganze Frage nicht über den 
von Kuß maul formulierten Standpunkt hinaus gefördert wurde ; dieser (in 
seiner Monographie 1877, S. 15 u. 32) schließt an ,,die Vorbereitung der Rede 
in Geist und Gemüt“, ,,die Diktion oder die Büdung der inneren Worte samt 
ihrer Syntax“ an und definiert dieses Stadium unter den Akten des Sprechens 
als ,,einen gemischt sensorisch-intellektuellen, durch den die Wörter als sinn¬ 
liche Zeichen nicht nur mit den Vorstellungen verbunden, sondern auch gram¬ 
matisch geformt und syntaktisch gegliedert werden, um der Gedankenbe- 
wegung ihren Ausdruck zu geben“; es darf bei dieser Gelegenheit darauf hin¬ 
gewiesen werden, daß das von Kuß maul noch gewürdigte „gemütliche“ 
Moment in der Satz büdung in den späteren, rein intellektualistischen Deutungen 
der Pathologie ganz verschwunden ist und daß es eine der wichtigsten Auf¬ 
gaben der vorliegenden Schrift ist, jenes Moment wieder in seine richtige Posi¬ 
tion zu bringen. 

Noch kürzlich hat Knauer eine solche der Grammatisierung zugewendete 
Arbeit als ein Noli me tangere hingestellt, so daß es sich schon aus diesem Grunde 
verlohnen mußte, einmal Nachschau zu halten, was uns Psychologie und Sprach¬ 
wissenschaft darüber zu sagen wissen. Ein weiterer Grund ist der darin zum 
Ausdruck kommende Wunsch, auf diese Weise über die dabei sich abspielenden 
Vorgänge eine möglichst tiefgehende Einsicht zu gewinnen, weü sich daraus 
nicht bloß ein Verständnis für verschiedene Formen dessen, was jetzt vor¬ 
läufig rein äußerlich als Agrammatismus zusammengefaßt erscheint, ergeben 
muß, sondern weü nur auf dieser Basis eine wirklich als natürlich zu bezeichnende 
Einteüung der Formen desselben sich aufbauen läßt. Endlich kann es keinem 
Zweifel unterliegen, daß erst das hier beabsichtigte Verständnis der Vorgänge 
der Grammatisierung ein rationeües Programm für das weitere Studium der 
agrammatischen Erscheinungen eröffnet, das bisher rein empirisch und der 
leitenden Gesichtspunkte entbehrend gepflegt worden w r ar. 

Wir bedürfen der genaueren Analyse jener Vorgänge aber auch deshalb, 
um daraus ein Verständnis der verschiedenen Formen von Stillstand dieser 
Einzelfunktionen zu schöpfen, einerseits als Anhaltspunkt für die Lehre von 
den partiellen Störungen, andererseits auch als Schema für das Verständnis 
der durch die Krankheit gesetzten Dissolution und die in umgekehrter Folge 
zu dieser verlaufende Reevolution in der Besserung der Krankheitserschei¬ 
nungen x ). 

Als einer der w ichtigsten Mängel der bisherigen Sprachpathologie ist schon 
in der Einleitung die Nichtberücksichtigung jener neueren Denkpsychologie 
hingesteüt worden, die unaufhaltsam zu einer voüständigen Umgestaltung 
unserer Ansichten über das Denken führen muß; daß das Nötige hierüber schon 
hier kurz zu sagen ist, liegt auf der Hand. Daß namentlich die ganze Lehre 
vom anschauungslosen Denken, wie sie jetzt aümählich zu breiterer Anerken- 

*) Es darf hier auch darauf hingewiesen werden, daß erst auf Grund solch 
detaillierter Erkenntnis der Einzelvorgänge die Lehre H. Jacksons jene Bewährung 
finden wird, die ihr bei der bisherigen Betrachtung vielfach im Urteile der Fach¬ 
genossen fehlen mußte. 



174 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


iiung sich durchringt, mit der landläufigen Auffassung der Sprachpathologie 
überhaupt nicht in Einklang zu setzen ist, bedarf nach dem schon bisher über 
die Kompliziertheit der entsprechenden Vorgänge Gesagten wohl nicht erst 
des Beweises und deshalb ist es auch ganz untunlich, sich über diese mangel¬ 
hafte Weiterbildung in der Auffassung der Sprachpathologen noch weiter 
hinwegzusetzen, die zu einer für die ganze Klinik und Pathologie der Aphasie 
bedenklichen und für den Stillstand derselben mitverantwortlich zu machenden 
Konsequenz geführt hat. Bestände die Diktion im Wesentlichen tatsächlich, 
wie das noch in den neuesten Darstellungen gelehrt wird, bloß in einer Ver¬ 
bindung der Wörter mit den ihnen vorangehenden Vorstellungen 1 ), dann ge¬ 
nügte es freilich für diesen anscheinend so einfachen Akt auch eine einfache, 
vom ,,Begriffszentrum 44 ausgehende Verbindung zu postulieren, wie sie das 
Schema zur Darstellung bringt; wir werden aber sehen, daß sich auf diesem 
Wege eine Fülle von Vorgängen vollzieht, denen anatomisch natürlich auch 
ebenso viele Zentren oder Funktionsherde als Stationen auf diesem Wege ent¬ 
sprechen müssen. Die prinzipielle Bedeutung einer solchen Feststellung tritt 
sofort ins hellste Licht, wenn wir dazu die wenig klaren Deutungen halten, 
die in der Bezeichnung „transkortikal 44 für eben jene Vorgänge liegen; es er¬ 
scheinen die trotz aller Deutungen darin gelegenen Schwierigkeiten mit einem 
Schlage beseitigt, wenn wir diese eben alle in die Rinde verlegen und auf Grund 
der „psychologischen Lokalisation 44 auch räumlich in Beziehung zueinander 
bringen können. 

Es ist hier nicht der Ort, die Konsequenzen einer solchen Änderung der 
Auffassung auch schon im Einzelnen zu beleuchten, es mag genügen, darauf 
hingewiesen zu haben, daß unter anderem auch die durch das Schema veran- 
laßte und bis in die letzte Zeit reichende Vernachlässigung einer so natürlichen 
Krankheitsform, wie es die amnestische Aphasie ist, dem Verständnis der¬ 
selben alsbald weicht, weim man sich nur halbwegs darüber klar wird, daß die 
dabei gestörte Funktion einem ganz bestimmten Vorgänge auf dem Wege 
vom Denken zum Sprechen entspricht. 

Zum Beweise dafür, daß auch in der neuesten Zeit die Sprachpathologen 
nicht über jenes von Kuß maul aufgestellte Schema von den Beziehungen 
zwischen Sprechen und Denken hinausgekommen sind, sei z. B. Saint-Paul 
(Progres m6d. 1909. 3 avrü, p. 177) zitiert, der ohne weitere Ausführung 
unterscheidet: „la conception d’une idee, l’adaption des mots ä la conception, 
l’emission des mots repräsentatives de l’idee 44 . Es gibt dieser Hinweis 
übrigens weiter Veranlassung, es auszusprechen, daß w r ir mit der von Saint- 
Paul so warm vertretenen Lehre von den differenten Formen der Sprach- 
vorstellungen allein in Rücksicht der hier besprochenen Tatsachen der For¬ 
mulierung der Gedanken nicht vorwärts kommen, weil, wie sich zeigen wird, 
ihr Auftreten erst einer späteren Etappe auf dem Wege vom Denken zum 
Sprechen entspricht, in der die wichtigsten, die Formulierung vorbereitenden 
Prozesse schon vollzogen sind. Daß die deutsche Sprachpathologie nur mit 

!) Die Pathologen hatten, darin freilich vielfach den Psychologen nachfolgend, 
ganz übersehen, daß Vorstellungen im Kantschen oder Herbartschen Sinne die 
Gesamtheit der theoretischen, interessefreien Funktionen des Bewußtseins darstellen 
und dieser Begriff nicht ohne weiters auf das anschauliche Vorstellen im Gegensatz 
zum Denken eingeengt werden kann (Windelband). 



Kritik der alten Identitätslehre. 


175 


den Beziehungen zwischen Objekt- und Wortbegriff, mit der Lockerung 
oder dem Ausfall derselben und ähnlichen, sachlich eigentlich nichts¬ 
sagenden Formeln bis in die allerletzte Zeit arbeitet, bedarf nicht erst des Hin¬ 
weises, so reichlich sind die einschlägigen Darstellungen. Es soll natürlich 
nicht verschwiegen werden, daß einzelne deutsche Autoren, die gerade durch 
ihren Stoff zu einem tieferen Eindringen in diese Fragen Veranlassung hatten, 
die alte Auffassung verwarfen; dementsprechend ist es auch kein Zufall, daß 
gerade der Autor, der eine schöne Studie über den Agrammatismus geliefert, 
Mohr, hier zu nennen ist; freilich hat er darin ausschließlich Anlehnung an 
Wundts Sprachpsychologie gesucht, die gerade in diesen Fragen noch an dem 
strengen Parallelismus zwischen Denken und Sprechen festhält. 

Der hier der Pathologie gemachte Vorwurf der Rückständigkeit muß 
allerdings eine gewisse Milderung erfahren, wenn wir sehen, daß auch die 
normale Psychologie noch recht weit von dem Ziele entfernt ist, welches darin 
bestünde, über die Vorgänge, die wir hier im Auge haben, eingehende, wirk¬ 
lich gesicherte Aufschlüsse geben zu können; und wenn wir hören, daß auch 
die Sprachpsychologie und die jetzt mit ihr vereint wirkende allgemeine Lin¬ 
guistik wohl Programme entwerfen, wie die breite Lücke zwischen Denken und 
Sprechen auszufüllen würe, aber schon dadurch deren Bestehen in der alten 
Breite konstatieren, werden w r ir unsere Erwartungen nach einer vollen Auf¬ 
klärung in diesen Fragen auf ein bescheidenes Maß eindämmen; die Psycho¬ 
logie hat eben bis in das letzte Jahrzehnt hinein sich in denjenigen Kapiteln, 
in denen die Darstellung des Denkens beginnen sollte, aus Mangel an Unter¬ 
lagen mit einer meist dem Nachbargebiete der Logik entnommenen Dar¬ 
stellung der Denkprozesse begnügt und darin sind ihr Pathologie und Linguistik 
nachgefolgt. 

Verfasser wüßte diese einleitenden Bemerkungen nicht besser zu schließen, 
als mit dem Hinweise auf eine nur etwas ältere Darstellung der Beziehungen 
zwischen Sprechen und Denken, die zeigen soll, welche gewaltigen Fortschritte 
trotz allem, was noch zu einem irgendwie befriedigenden Einblicke in jene 
Vorgänge fehlt, da gemacht worden; sie ist hier um so mehr am Platze, als sie 
dem einzigen Sprachforscher entstammt, der sich seit Steinthal mit der Be¬ 
trachtung der aphasischen Störungen von seinem Standpunkte aus befaßt 
hat. Die einfache Anführung wird genügen, den Gegensatz zu dem, was 
in der nachfolgenden Darstellung darüber zusammengetragen werden konnte, 
ins rechte Licht zu stellen 1 ). 

Wenn im Eingänge dieses Kapitels die Lehre von der Identität vom 
Denken und Sprechen als eine kaum mehr zu diskutierende, im Kreise der 
Fachmänner als abgelehnte hingestellt w'urcle, so ist doch eine kurze Erörte¬ 
rung derselben nahegelegt durch die neuerliche Betonung des unitarischen 
Standpunktes von medizinischer Seite aus Anlaß der von P. Marie aufge¬ 
rollten Revision der Aphasielehre. Moutier, dessen großes Buch: „L’Aphasie 
de Broca 1908“ die ausführlichen Unterlagen für P. Maries Thesen bringt, 

x ) ,,Die Zumutung an die Sprachorgane erfolgt von unserem Innern aus, wo 
dasjenige, was wir sagen wollen, vorbereitet und geformt wird und es ist kein Zw’eifel 
darüber, daß wir uns von den Sätzen und Wörtern, die wir sprechen sollen, zunächst 
in der Seele die Vorstellung machen und daß auf diese Vorstellung hin die Äußerung 
erfolgt“ (Delbrück, Jenaische Zeitschr. f. Naturw. 20. Bd., 1887, S. 92). 



176 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


hat auch jene in Fachkreisen seit Langem als entschieden angesehene Frage 
wieder hervorgezogen; wenn er nun seine Stellung zu derselben dahin zusammen- 
faßt (1. c. p. 239): ,,On ne peut ä moins d’etre metaphysicien abstraire la 
pensee du langage“, so wird gerade die in den folgenden Kapiteln darzu- 
legende Fülle von Beobachtungen uns eines Anderen belehren; wir werden 
sehen, wie die neuesten Arbeiten über die Denk Vorgänge und bemerkenswerter¬ 
weise gerade die aus dem schroff antimetaphysischen Lager kommenden alle 
zur gegenteüigen Ansicht hinüberführen; andererseits zwingt ein solcher Aus¬ 
spruch doch auch noch zu der Frage Stellung zu nehmen, die freilich nur in 
einer angedeuteten Wiedergabe eines Teües von dem bestehen kann, was sich 
in den Jahrzehnten darüber in der Literatur angehäuft und Moutier gar 
nicht berücksichtigt hat, als er seinen doch recht dogmatisch klingenden Aus¬ 
spruch getan x ); der kann aber nicht ganz unwidersprochen bleiben, nicht bloß 
weil er als theoretische Stütze für die Lehre von P. Marie angeführt wird, 
sondern vor Allem, weü die Medizin nicht neuerlich einer Wiederholung der 
alten ihr von der Psychologie gemachten Vorhaltungen wegen der Nicht¬ 
beachtung der Resultate anderer Wissenschaftsgebiete ausgesetzt sein soll. 
Man könnte aber schließlich von der Widerlegung einer anscheinend vereinzelt 
gebliebenen Stellungnahme absehen, wenn sich nicht zeigte, daß Moutier 
in der einschlägigen französischen Literatur mit seiner Ansicht von der Iden¬ 
tität von Sprechen und Denken 2 ) doch nicht so ganz isoliert dasteht; so be¬ 
kennt sich Egger (La Parole int.) auch in der zweiten, 1904 erschienenen Auf¬ 
lage in wenig modifizierter Form zu derselben Ansicht, ohne freüich sich der 
Tatsache, daß bedeutsame Ausnahmen bestehen, verschließen zu können 
(1. c. p. 5, 7, 216). 

Daß übrigens auch allemeueste deutsche Autoren solchen Anschauungen 
nicht ganz ferne stehen, beweist nachstehendes Zitat aus einer Schrift von 
Norb. Stern (Das Denken und sein Gegenstand. 1909, S. 25 ff.). ,,Die oben 
schon aufgeworfene Frage, ob Sprechen und Denken miteinander identisch 
sind, könnte sowohl mit einem Ja als auch mit einem Nein beantwortet werden, 
denn nur ein Teü von beiden ist identisch. Denken ist mehr als Sprechen, 
nach der geistigen Seite hin; Sprechen ist mehr als Denken nach der körper¬ 
lichen Seite hin betrachtet. Sprechen und Denken als Ganzes sind nicht mit¬ 
einander identisch. Wohl aber treten beide Tätigkeiten gleichzeitig in 
uns auf.“ „Sprechen und Denken sind trotzdem ein einziger Prozeß in uns. Wir 
können nicht schneller denken als sprechen. Die Gedanken, die unserer Rede 
voraneilen, sind selbst wieder Sprache. „„Eine Melodie können wir im Ge- 


*) Daß sein linguistischer Gewährsmann P. Regnaud der Mangelhaftigkeit 
seiner Methode wegen im Kreise seiner Fachgenossen keine Anerkennung gefunden, 
sei hier nochmals vermerkt (J. Meillet, Introd. ä l*6t. comp, des lang, indo-europ. 
1903, p. 414), weil vielleicht darin das erklärende Moment für den Irrtum in der 
Stellungnahme Moutiers gefunden werden könnte. 

2 ) Es ist vielleicht nicht überflüssig, so zu sagen pro memoria die Lehre von 
der Identität des Denkens und Sprechens, wie sie der auch jetzt noch in der Sprach- 
pathologie vielfach führende Steinthal (Einleit, in die Psvchol., 2. Aufl., 1881, 
S. 46) zusammengefaßt, hierher zu setzen, weil schon in dieser Formulierung selbst, 
an neueren Anschauungen gemessen, die wichtigsten Momente zu ihrer Widerlegung 
gegeben sind: „Sprache ist Gedanke selbst, Wort ist Begriff selbst, Satz ist Urteil 
selbst, nur zugleich sprachlich ausgedrückt, lautlich wahrnehmbar, verleiblicht“. 



Unscharfe Abgrenzung von Denken und Sprechen. 


177 


danken nicht in schnellerem Tempo durchlaufen, als in welchem wir imstande 
sein würden, sie zu singen““, sagt Lotze. Die Fähigkeit des Denkens ist, 
physiologisch betrachtet, durch die des Sprechens bedingt. So wird dem, 
dessen Sprachorgane gewandter sind, auch eine raschere Entwicklung seiner 
Gedanken möglich sein.“ 

Die beiden Lotze entnommenen Argumente Sterns sind durchaus 
unzutreffend; bezüglich des ersteren kann man sich auf die viel zitierte Äuße¬ 
rung Mozarts über seine musikalische Produktion berufen 1 ), das Letztere 
kann doch nur in dem Sinne als richtig anerkannt werden, daß die raschere 
motorische Entäußerung der Gedanken damit gemeint ist. Bezüglich des 
Verhältnisses der Tempi vom Sprechen und Denken sei nur verwiesen auf das 
Vorkommen von Redeflucht bei Denkhemmung und auf das später zitierte 
Argument Fr. Müllers gegen die Identitätslehre. 

Auch in einer neuesten Erörterung der Beziehungen zwischen Denken 
und Sprechen stellt sich wieder die unscharfe Abgrenzung zwischen den beiden 
ein; Müller-Freienfels (Zeitschr. f. Psychol. 60, S. 416) sagt direkt: „Nicht 
etwa ist zuerst der Gedanke da und nachher formten wir ihn in Worte, sondern 
im Gegenteil, ganz automatisch tritt auf bestimmte Auslösungen hin die Sprach- 

bewegung ein und im Sprechen selber formt sich der Gedanke.Das 

Sprechen ist eben das physische Korrelat des Denkens“. (Vgl. auch ibid. 
S. 420.) Insbesondere den letzten Passus darf man vom Standpunkte der 
Pathologie ohne weiteres ablehnen. 

In der englischen Literatur steht das auch jetzt noch mit Recht sehr 
geschätzte Buch von Roß: On Aphasia, 1887 (siehe p. 115), ganz im Banne 
der Lehre M. Müllers, die damals den Höhepunkt ihrer Bedeutung etwa noch 
inne hatte; auch an diesem Buche läßt sich die Tragweite einer Korrektur 
der jetzt abgetanen, aber den Pathologen sichtlich ans Herz gewachsenen, 
vielleicht weil bequemen Lehre ermessen. (Eines anderen englischen Forschers, 
der ebenfalls die Identitätslehre zur Basis weitgehender Schlüsse macht, wird 
noch später zu gedenken sein.) 

So wenig sich Verfasser damit befassen darf, etwa die von Moutier 
hervorgeholte Identitätslehre hier ausführlich widerlegen zu wollen, ebenso 
wenig kann es seine Aufgabe sein, ihre Geschichte, wie sie sich seit Aristoteles 
durch das Mittelalter hindurch entwickelt, hier vorzuführen; aber es ist viel¬ 
leicht nicht unangebracht, wenigstens ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert 
und ihr Festhalten bis in die Hälfte des verflossenen zu markieren. Condillac 
lehrte, daß die Grammatik einen Teü der Kunst zu denken büde und bis zu 
welcher Überspannung des Identitätsprinzipes es kam, mag zuerst ein Aus¬ 
spruch von Degörando erweisen (Des Signes et de l’art de penser II. An 
VIII, p. 263): „De l’ordre suivant lequel nous associons les signes 

1 ) Wir entnehmen W. James die Äußerung Mozarts: „First bits and crumbs 
of the piece come and gradually join together in his mind . . . and at last it gets 
almost finished in my head even when it is a long piece, so that I can see the whole 
of it at a single glance in my mind .... But the best of all is the hearing of it 
all at once“. (Man beachte die vollständige Analogie mit dem, was wir später vom 
intuitiven, genialen Denken hören werden.) 

Nachträgliche Bemerkung bei der Korrektur. Der nachträglich aufgefundenen 
Stelle bei Lotze (Med. Psychol. 18"2. S. 481) entnehmen wir, daß die Formulierung 
Sterns doch eine viel schärfere ist als diejenige Lotzes. 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


12 




178 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


dans le discours depend la suite, que nous etablissons entre nos 
id6es“, ein Rückfall auf den mittelalterlichen Nominalismus, für den die 
Begriffe lediglich als ,,flatus vocis“ existierten. Hatte sich doch schon vorher 
Laromiguiere in seinem Discours d’ouverture geäußert: „L’art de penser 
ne depend pas seulement de l’art de parier, mais il se r6duit & 
Tart de parier“ (A. II, p. 106). Noch schroffer hat das Joubert formuliert, 
der behauptete, daß wir nicht wissen, was wir sagen wollten, bis wir es ge¬ 
sagt, so daß W. Mitchell (Struct. and Growth of the Mind 1907, p. 363), 
dem das Zitat entnommen, hinzusetzt, das klinge so, wie wenn wir sagen 
würden, daß wir nicht wissen, was wir denken, bis wir es uns selbst gesagt. 
Kleine Rückfälle auf solche Gedankengänge lassen sich auch noch in der neuesten 
Zeit nachweisen, so wenn Du gas (Le Psittacisme 1896, p. 143) sagt, „die 
Sprache ist dem klaren Gedanken voraus“. Trotzdem hat man auch vorher 
schon Ausnahmen zugelassen und selbst ein so schroffer Vertreter der Iden¬ 
tität wie Degerando wird durch die Tatsachen gelegentlich zu der richtigen, 
der sonst festgehaltenen entgegengesetzten Ansicht gebracht; so wenn er sagt 
(1. c. p. 140): „Beim Sprechenden geht die Zerlegung des Gedankens der 
Sprache voraus.“ 

Auch sonst finden sich da und dort selbst bei den älteren Vertretern 
der Unitätslehre Ansichten angedeutet, die den hier zu entwickelnden Ge¬ 
dankengängen nicht so ganz ferne stehen. Wenn der Satz von Bonald (eines 
hervorragenden Denkers des 18. Jahrhunderts) „der Mensch denkt das Wort, 
ehe er seinen Gedanken spricht“, in seiner geistreichen Antithese noch Zweifel 
läßt, so tritt die Ansicht ganz präzise in der Darstellung hervor: „Der Geist 
verlangt und sucht sie (sc. die Wortvorstellungen [expressions de la memoire 

verbale]), die Vernunft prüft sie.das Gedächtnis ist das Wörterbuch 

für den Gebrauch des Geistes.ein Depot von Ausdrücken, wo jeder 

Geist die aussucht, die am besten seine Gedanken ausdrücken.“ (Zit. nach 
V. Egger, La Parole inter. 2 e ed. 1904, p. 31.) 

Noch im 19. Jahrhundert halten die Sprachforscher an der Identitäts- 
lehre fest und auch W. v. Humboldt steht solchen Gedankengängen recht 
nahe; doch schon 1854 tadelt ein englischer Linguist Stoddart (Philos. of 
lang.) die Ansicht vom Primat der Sprache über die Intelligenz: „Anstatt 
die Sprache nach dem Geiste zu formen, wird in vordringlicher Weise der Geist 
auf die Sprache gegründet.“ 

Ganz prägnant gibt dem Ausdruck eine fast ein halbes Jahrhundert 
zurückliegende, etwas drastisch gehaltene, aber um so überzeugendere Be¬ 
sprechung des Max Müll er sehen Werkes durch Whitney 1 ), deren Ausfüh¬ 
rungen deshalb auch so bedeutsam sind, weil sie über die Beziehungen zwischen 
Wort und Begriff Ansichten vorführen, die, wie wir in dem Kapitel über das 
begriffliche Denken sehen werden, den neuesten Anschauungen entsprechen. 

J ) „An idea, then of any dass may exist independently of any word expressing 
it .... To maintain that the idea waits for its generation tili the sign is ready or 
that the generation of the idea and of the sign is a simple, indivisible process, is in 
our view, precisely equivalent to holding because infants cannot live in this climate 
without clothing and shelter, that no child is or can be born until a layette and a 
nursery are ready for its use, or that along with each child are bom its swadling- 
clothes and a cradle“. Whitney in einer Besprechung von Max Müllers Lect. 
on the Science of language (Repr. fr. the North Am. Review 1865, p. 569). 



Formulierung des Gedachten. 


179 


Natürlich sind auch den deutschen Sprachforschern am Beginn des 
vorigen Jahrhunderts, die sich mit diesen Fragen befaßt, die nach den Vor¬ 
gängen bei der Formulierung des Gedachten nicht entgangen; so spricht schon 
W. v. Humboldt (Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, 
herausgeg. von Pott. II, S. 175) von der „ordnenden inneren Form des Sprach- 
sinnes“, und wenn er dann an einer anderen Stelle (Ges. Schriften IV, S. 257) 
sagt, „daß die grammatischen Verhältnisse durchaus von der Absicht ab- 
hängen, die man damit verbindet“, so ist es vielleicht nicht gezwungen, das im 
Sinne einer hier dargelegten, der sprachlichen Formulierung vorhergehenden 
gedanklichen Formulierung zu deuten; es wird diese Deutung auch nicht da¬ 
durch hinfällig, daß v. Humboldt ganz auf dem Standpunkte des Zusammen - 
fließens von Denken und Sprechen gestanden, da er selbst (1. c. V, S. 462) 
sagt, daß „die Wirksamkeit der Grammatik, als zu den Denkgesetzen selbst 
gehörend, im Geiste nie fehlen kann und notwendig auch dann in die Sprache 
hineingetragen werden müßte“. Noch viel prägnanter tritt das trotz des 
gleichen Standpunktes bei einem bekannten Grammatiker der ersten Hälfte 
des vorigen Jahrhunderts auf, bei Becker (Organism der Sprache. 2. Aufl. 
1841, S. 180 ff. *)) und gerade der letzte Passus seiner Ausführungen, in denen 
er den Denk- und Anschauungsformen die in den verschiedenen Sprachen mehr 
oder weniger differenten und unvollkommenen Ausdrucksformen gegenüber¬ 
stellt, zeigt deutlich, wie Becker, wenn man von dem auch für ihn fest¬ 
stehenden Dogma der Identität von Denken und Sprechen, bzw. der logischen 
und grammatischen Begriffe absieht, sichtlich ganz modernen Anschauungen 
betreffs der vorsprachlichen Formulierung des Denkens, nahesteht; und selbst 
einzelne Äußerungen W. v. Humboldts lassen sich ganz ungezwungen damit 
in Einklang bringen 1 2 ), wenn wir an Stelle des Begriffs der grammatischen Ansicht 
der Sprache einfach die gedankliche Formulierung setzen. 

Auch sonst finden sich noch gelegentlich Ausblicke auf eine der sprach¬ 
lichen vorangehende Formulierung, wie sie in den folgenden Ausführungen 
dargelegt erscheint. Ganz scharf tritt sie bei einem älteren Grammatiker her¬ 
vor, dessen Schriftchen (De l’ordre des mots 1844) jetzt neuerlich als eine 

1 ) „Es drängt sich daher die Frage auf, wie sich die grammatischen Beziehungen 
der Begriffe in dem Gedanken zu ihrer Darstellung in der Sprache verhalten 
und ob alle Beziehungen, welche sich mit einer organischen Notwendigkeit und 
mit dem Gedanken als besondere Arten von Beziehungen entwickeln, auch notwendig 
als besondere Beziehungen in der Sprache ihren Ausdruck finden; und man wird 
bald gewahr, daß man allerdings zwischen den Beziehungen in dem Gedanken 
und ihrem Ausdrucke in der Sprache unterscheiden muß. Die Beziehungen 
der Begriffe in dem Gedanken sind mit den dem ganzen Geschlechte gemeinsamen 
Formen des Denkens gegeben und weil die Sprache der organische Ausdruck des 
Gedankens ist, so müssen auch die mit den Formen des Denkens gegebenen Be¬ 
ziehungen in allen Sprachen ihren Ausdruck finden“. 

2 ) „Wenn man sich nun den Konstruktions bau einer Sprache in seiner allge¬ 
meinen Form und abgesehen von jeder einzelnen Rede denkt und die Beziehungen 
aufsucht, in welche die einzelnen Wörter auf diese Form gestellt werden, so bildet 
man sich einen Begriff von der grammatischen Ansicht der Sprache. Diese Form 
ist in dem Kopfe des Redenden vorhanden und jede einzelne Rede prägt sich in ihr 
aus“. (W. v. Humboldt, Ges. Sehr. V, S. 454). 

„Der Sprechende legt immer den Begriff der grammatischen Verhältnisse in die 
Sprache hinein, aber die Sprache ist nicht immer auf den einen und vollständigen 
Ausdruck derselben organisiert“. (W. v. Humboldt, Ges. Sehr. V, S. 471.) 

12* 



ISO 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


hervorragende Leistung gerade auf dem hier besprochenen Gebiete hervorgo- 
zogen worden; Henri Weil stellt es (1. c. p. 1) direkt als die Aufgabe der 
Grammatiker hin, „d’expliquer comment la pensee se traduit par la parole“; 
ganz präzise spricht er sich zu unserer Frage (1. c. p. 34, 35) aus: ,,On parait 
avoir suppose que Varrangement des mots n’ötait qu’un travail accessoire qui 
n’arrivait qu’en demier lieu, apres que la pensee s’etait dejä tout-ä-fait 
transformee en paroles. Mais si Vordre des mots correspond k Vordre des 
idees, si cette marche des idees existe dans la pens6e meme, avant qu’elle ait 
revetu les formes grammaticales, si la conformation syntaxique ne vient qu’apres 
et n’a qu’une influence secondaire sur Vordre des mots, alors il est evident 
que Vaspect de la chose se change entierement.“ — 

Es könnte zunächst überflüssig scheinen, immer wieder auch nur Stücke 
des Rüstzeugs gegen die alte, so zäh von Max Müller verteidigte Lehre hervor¬ 
zusuchen, wenn man nicht ebenso oft bis in die neueste Zeit wieder konsta¬ 
tieren müßte, daß ein Pathologe in seinen im Übrigen hervorragenden Arbeiten 
jene Theorie zum Ausgangspunkt seiner Deutungen nimmt. So neuerlich 
Shaw Bolton (Liverpool med. chir. Joum. July 1909, p. 224 und Brain 
P. 129, p. 119 u. 36), dessen aus jener Lehre gefolgerte Aussprüche J ) von 
der nicht über das Niveau des anthropoiden Affen hinausgehenden Intelligenz 
des ungebüdeten Taubstummen unsere Auffassung davon auf mehr als ein 
Jahrhundert zurückwerfen. 

Es liegt natürlich nahe, in solchen irrtümlichen Anschauungen von der 
Intelligenz des ungebildeten Taubstummen, die ja, wie an anderer Stelle er¬ 
wähnt, bis auf Kant, bzw. seinen Gewährsmann Eschke, zurückgehen und 
damals in der mangelhaften Kenntnis der Tatsachen begründet waren, um¬ 
gekehrt eine Stütze für die Identitätslehre zu sehen; dementsprechend kann 
es auch nicht überraschen, daß der Taubstummenlehrer Scott in seinem 
Buche (The Deaf and Dumb. 2. ed. 1870 2 )) das erste Kapitel der Widerlegung 
von Max Müllers Darstellung der Identitätslehre widmet; und ebenso sehen 
wir, daß Steinthal, dessen Ansichten über Psychologie der Taubstummen 
noch recht rückständig sind, doch auch (Einleitung in die Psychol. 2. Aufl. 
1881, S. 46) die Intelligenz derselben als Argument gegen die Lehre von der 
Untrennbarkeit von Denken und Sprechen verwertet. 

J ) „Language is produced by the coordination of different symbolic values; 
and by its means alone it is possible to perform the highly intricate processes of 
cerebral association which form the phvsical basis of judgement and reasoning“. 

„A person suffering from congenital or early loss of hearing is necessary dumb; 
and unless he lives in association with other individuals suffering from the same 
disabilitv or be educated by special means, his mental functions differ little from 
those of the anthropoid apes“. Es wird diese Frage, die ja auch für die Beurteilung 
des Denkens Aphasischer als Ausgangspunkt dient, den Gegenstand der Erörterung 
anläßlich der Besprechung des begrifflichen Denkens in dem Kapitel vom Bedeutungs- 
problem sein, auf welches deshalb verwiesen sei. Hier aber sei doch, weil psycho¬ 
logisch auch sonst für die einschlägige Frage bedeutsam, eine Stelle aus dem Briefe 
Helen Kellers an die Verleger ihres Buches „The story of my life“ zitiert; in¬ 
dem sie auf das Mißtrauen reflektiert, das man ihrem Buche entgegengebracht, 
sagt sie: ,,If it is true that I have no sensations it is of eourse very unreasonable 
to suppose that I write or think. The arrogance of tliose who see is very amusing“. 

2 ) Kuß maul, der in diesen Fragen noch ganz im alten Fahrwasser sich be¬ 
wegt, hat nachweislich die erste Auflage von Scott benutzt. 



Kein strenger Parallelismus. 


181 


Es soll nun im Folgenden nicht wieder die ganze Reihe der Argumente, 
die schon damals und später in dem gleichen Sinne vorgebracht wurden, 
wiederholt werden, weil einer solchen Darstellung nicht wie anderen hier in 
größerer Ausführlichkeit gebrachten, der gleiche Nutzen für die Zwecke dieser 
Schrift erwüchse x ); dagegen soll, wovon sich Verfasser größeren Vorteü ver¬ 
spricht, an einer Zahl von Tatsachen, der neueren Sprachpsychologie ent¬ 
nommen, die Lehre der Unitätsidee gemessen werden; es wird sich daraus auch 
für den jetzt noch in breiterem Maße festgehaltenen Standpunkt vom weit¬ 
gehenden Parallelismus zwischen den Denkprozessen und ihrem sprachlichen 
Ausdrucke reichliche Aufklärung ergeben, die deshalb direkt als aktuell zu 
bezeichnen ist und unmittelbar zu den dem Parallelismus gewidmeten Er¬ 
örterungen hinüberführt. Daß dieser in der Pathologie maßgebend, läßt sich 
leicht erweisen. Kleist (Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. S.-A. Bd.XVII, 
S. 518) basiert eine Erklärung des Agrammatismus direkt auf der Annahme, 
daß der grammatische Verband das Spiegelbild, die Übersetzung der logischen 
Beziehungen zwischen einer Anzahl von Begriffen darstelle; und ebenso tritt 
der Parallelismus zwischen Denken und Sprechen noch in allerneuesten Aphasie- 
arbeiten hervor, so z. B. bei Pelz (Z. f. d. ges. Neurol. u. Psych. XI, S. 134), 
was freilich nicht Wunder nehmen kann, wenn wir sehen, daß der einzige nicht 
medizinische Autor, den er neben Lipps heranzieht, doch wieder Stein - 
thal ist. 

Die Annahme eines so schroffen Parallelismus seitens der Pathologen 
muß um so mehr auf fallen, als sich gerade vom Standpunkte der Psychologie 
und des Prinzips des Parallelismus von Leib und Seele ein entscheidendes 
Argument gegen jene Annahme ableiten läßt. Wir wissen, daß unsere Sinnes¬ 
welt mindestens ebensosehr durch die „Büder“ der wirklichen Dinge wie 
durch den Reichtum unserer in den „Spuren“ niedergelegten Erfahrungen 
bestimmt ist; umso größer ist natürlich dieser zweite Faktor auf jenen höheren 
Stufen psychischer Verwertung, auf denen sich das vollzieht, w r as wir nach 
Wer nicke als sogenannte sekundäre Identifikation, im Prozeß des Sprach¬ 
verständnisses als Wort Verständnis bezeichnen; daraus aber ergibt sich 
stringent, daß von einem Parallelismus zwischen gesprochenem Worte und 
dem dadurch im Hörer provozierten Prozesse (gleichgiltig, ob wir dabei den 
psychischen oder den nervösen ins Auge fassen), überall nicht die Rede sein 
kann und ganz das Gleiche gilt in entsprechender Umsetzung von dem Ver¬ 
hältnis des Auszudrückenden und den Worten, die es zum Ausdruck bringen. 
Es wäre überflüssig, das noch etwa an der Differenz zwischen Kind und Er¬ 
wachsenem, Eingebildetem und Genie zu erläutern. Die Bedeutung, welche 
eine Klarlegung dieser Frage besonders für die Lehre vom Agrammatismus 
haben muß, tritt aber erst recht hervor, wenn wir sehen, daß die daraus ge¬ 
folgerte Lehre von der Identität der Struktur der Denkvorgänge, des Urteüs, 
mit derjenigen der Struktur der Sprache, des Satzes, einen tieferen Einblick 

l ) Was sollte es auch nützen, Argumente gegen jene Lehre zu wiederholen, 
wie die von Fr. Müller (in seinem Abriß der Sprachwissenschaft) angeführten: 
„Wenn das Denken, welches bekanntlich zu den schwierigsten Dingen gehört, gar 
nicht gelehrt zu werden brauchte und einfach durch Sprachfertigkeit ersetzt werden 
könnte! Der fließende Redner, der unverschämteste Schwätzer wäre dann der größte 
Denker“. (Vgl. dazu die Ansicht von N. Stern). 



182 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


in die zu dieser Struktur führenden Vorgänge überhaupt verhindern muß; 
auf der einen Seite führt auch diese Lehre wieder zu der nach langen Kämpfen 
im negativen Sinne erledigten Annahme, daß aus der Sprache allein Schlüsse 
auf die Vorgänge in dem ihr vorausgehenden Denken, Urteilen, Schließen ge¬ 
zogen werden können, andererseits wird dadurch die Struktur des Gesprochenen 
so festgelegt, daß ein über eine schablonenmäßige Anpassung hinausgehendes 
Werden desselben überhaupt ausgeschlossen und damit auch sein Studium 
im Wesentlichen überflüssig erscheint 1 ). 

In wenige Worte scharf zusammengefaßt hat der Sprachforscher Sayce 
die Frage: ,,Das Symbol für das Symbolisieren zu verkennen, ist der Fehler 
derjenigen, die das Innere aus dem Mechanischen entwickeln wollen (The 
Princ. of compar. Philol. 1882). Drastischer und deshalb besonders eindring¬ 
lich hat die Differenz der Gedankenstruktur gegenüber derjenigen des Aus¬ 
druckes D. S. Miller (The psychological Rev. 1895. II, p. 547) hervorge¬ 
hoben, deren Darstellung hier 2 ) wiederzugeben sich Verfasser nicht entschlagen 
kann, weil sie manches enthält, wie z. B. das bezüglich der Uberflüssigkeit 
der Kopula, w r as direkt auf den Agrammatismus anwendbar ist. 

Wenn wir erwägen, daß der Vorstellungsinhalt als solcher nicht über¬ 
tragbar ist und der gehörte Satz nur als Mittel dazu dient, um in unserer intellek¬ 
tuellen Welt eine Art von Plan oder Schema zusammenhängender Meinungen, 
aufzubauen (Bosanquet, The Essent. of Logic 1897, p. 84), dann tritt die 
hier zu entwickelnde Ansicht in ein wesentlich anderes Licht hinsichtlich ihrer 
Bedeutung für das Verständnis aphasischer Störungen und des Agrammatismus 
im besonderen. Man wird im Hinblick auf das auch für ihn geltende Gesetz 
der Ökonomie es besser verstehen, wie der Agrammatische auch durch ein 
wesentlich verringertes Quantum von W 7 orten und trotz mangelhafter Kon¬ 
struktion dieselben Vorstellungsin halte überträgt wie der Gesunde, bzw. rich¬ 
tiger ausgedrückt, dem Hörer die Anregung zu entsprechenden Vorstellungs¬ 
inhalten gibt oder zu geben versucht. 

x ) Der Linguist Dauzat führt als warnendes Beispiel an, daß Chaignet 
noch 1875 (Philos. de la sc. du lang.) schreibt, que ,,le Systeme des formes grammati- 
cales n’est lui-meme que le Systeme des rapports logiques qui constituent la Science 
de la pensöe“. Derselbe Autor weist auf allemeueste Bestrebungen, eine logische 
Sprache künstlich zu konstruieren und ein noch letztlich erschienenes „Bulletin de 
la logique du langage“ hin. Man halte dazu die moderne Formulierung „daß von 
einem Parallelismus der Sätze und Denkakte . . . keinesfalls gesprochen, daß der 
Satzakt überhaupt nicht als adäquater Ausdruck eines logischen Denkakts defi¬ 
niert werden darf“. (Maier Psychol. d. emotionalen Denkens 1908.) 

Mit der prinzipiellen Festlegung dieses Satzes ist natürlich, das sei im Hin¬ 
blick auf die Pathologie besonders angemerkt, nicht auch die Möglichkeit, aus der 
Sprache auf das ihr zugrunde liegende Denken zu schließen, abgesprochen; es hat 
neuerlich Sheldon in einer auch für unsere Zwecke sehr belehrenden historisch - 
kritischen Darstellung diese Frage eingehend erörtert (The psychol. Bull. IV, 1907, 
p. 244 ff.); ein nicht geringer Teil von A. Stöhrs Lehrb. d. Logik in psychol. Dar¬ 
stellung (1910) bewegt sich in dieser Richtung. 

2 ) „In language the predicate coines after the subject; in thought they come 
together. In language they are connected by a copula; but there is no copula in 
thought. In thought there are but pictures, painted in the pigments of the different 
sense-pictures in endless Substitution“. Es soll hier nicht unvermerkt bleiben, 
daß die neuere Psychologie etwas anders über die ..Bilderfolge“ als Ausdruck des 
Gedankenganges urteilt. Zur Frage der Kopula sei auf entsprechende schon früher 
mitgeteilte Anschauungen aus der Logik und Tatsachen der Linguistik hingewiesen. 



Argumente gegen den Parallelismus. 


m 

Wir stellen an die Spitze der in Betracht kommenden Argumente das aus¬ 
schlaggebende derselben, die Lehre vom anschauungslosen Denken 1 ), wie sie sich 
insbesondere seit den Arbeiten der Würzburger Schule als fester Besitz der neueren 
Denkpsychologie entwickelt hat 2 ). Messen wir sie an der noch jetzt den Patho¬ 
logen geläufigen Lehre, daß der sprachliche Ausdruck in der Verbindung von 
Wort- und Objektvorstellungen besteht 3 ), so tritt die entscheidende Bedeu¬ 
tung der neueren Feststellungen auch ohne eingehende Erörterung klar vor 
Augen 4 ), selbst in Hinsicht der Lehre vom Parallelismus zwischen Denken 
und Sprechen. 

Nur an einem speziellen Beispiele sei die Wirkung unserer so umge¬ 
wandelten Vorstellung vom Denkvorgange vor Augen geführt. Nach H. Sachs 
(Gehirn und Sprache 1905, S. 22) macht den Unterschied eines unverstan¬ 
denen und eines verstandenen Wortes nichts Anderes aus, als der Umstand, 
„daß an diesen bestimmten Wortklang eine ganze Reihe von Erinnerungsbüdern 
sich anknüpft, die durch den Wortklang ausgelöst werden im Geiste, von denen 
ein mehr oder minder großer Teil sich in das Bewußtsein schiebt oder doch 
wenigstens mit Hilfe dieses Wortklanges an der Hand der Vorstellungsver¬ 
kettung ins Bewußtsein gehoben werden kann“. Man halte dagegen die Lehre 
vom unanschaulichen Denken und die im Kapitel von der „Bedeutung“ zu 
erörternden Probleme, wo sich zeigen wird, daß die Objektvorstellung zum 

1 ) Vgl. dazu Bemerkungen von Bühler (Arch. f. d. ges. Psyehol. IX., S. 322) 
darüber, „wie denn die fast einstimmige Annahme der Lehre von der durchgehenden 
sinnlichen Repräsentation der Gedanken zu erklären sei, wie Wundt dazu komme, 
sie geradezu als ein psychologisches Postulat zu bezeichnen“. 

2 ) Die außerordentliche Tragweite, welche dieser Nachweis für die Pathologie 
auch außerhalb des Gebietes der Aphasielehre haben kann, soll hier nur angedeutet 
werden. Es gilt als einer der Grundpfeiler der ganzen Lehre von den Agnosien, 
daß dieselben sich unterscheiden, je nachdem die Erinnerungsbilder erhalten sind 
oder nicht und auch die Verknüpfung derselben zu Begriffen wird diesen Störungen 
abgesprochen; daß diese und andere dabei eine Rolle spielende Gesichtspunkte 
einer Umwertung im Sinne der neueren Psychologie bedürfen, ist nach allem hier 
Dargestellten wohl ein erstes Postulat für eine auf modernen Grundlagen zu ver¬ 
suchende Fortführung dieser pathologischen Fragen. Als ergänzendes Beweisstück 
kommt noch dazu die auch in der Einleitung erwähnte Änderung, die sich unter 
dem Einflüsse der neueren Denkpsychologie in der Lehre vom Wiedererkennen 
vollzogen hat. Daß auch im Gebiete der „Praxie“ der neuen Lehre ein weitgehender 
modifizierender Einfluß zukommt, wird an anderer Stelle zur Sprache kommen. 

8 ) Drastisch resümiert W. Mitchell (Struct. and Growth of the Mind 1907, 
p. 340) seine diesbezüglichen gegenteiligen Ausführungen in dem Satze: „Das Denken 
ist keine Prozession von Bildern“. 

4 ) Bühler (Arch. f. d. ges. Psyehol. IX, S. 317) spricht es direkt als das 
Resultat seiner Versuche aus: „Etwas (sc. die anschaulichen Vorstellungen), was 
so fragmentarisch, so sporadisch, so durchaus zufällig auf tritt im Bewußtsein 
wie die Vorstellungen in unseren Denkerlebnissen, kann nicht als Träger des fest¬ 
gefügten und kontinuierlichen Denkgehaltes angesehen werden“ und weiter sagt 
er noch schroffer: „Ernst zu nehmende Forscher haben eigentlich nie behauptet, 
das Denken lasse sich einfach als eine Vorstellungsfolge auf fassen“. 

Als einer der ersten hat anscheinend der Philosoph Lieb mann (Z. Anal, 
d. Wirklichkeit 1880, S. 484) die Ansicht vertreten: „Überhaupt möchte ich wohl 
wissen, welcherlei anschauliche Vorstellungen irgend Jemand, der diese (sc. im 
Vorangehenden von ihm angeführten) Sätze isoliert hört und versteht, dabei haben 
sollte. Ich habe keine und verstehe doch, wie jeder Gebildete, im Momente was 
damit gemeint ist“. 



184 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Verständnis nicht nötig ist, um die ganze Wandlung, welche diese Fragen jetzt 
erfahren haben, zu erfassen *). 

Von fast ebensolcher Wirkung hinsichtlich der Unitätslehre, aber nicht 
ohne Bedeutung auch für die vom Parallelismus ist alles das, was man jetzt 
vom wortlosen Denken auszusagen weiß. Die Anerkennung eines solchen gerade 
in den Gebieten höchster geistiger Konzentration ist auch für die Zwecke der 
Pathologie nicht ohne Bedeutung; war es doch bisher gerade das Gegenteil, 
das von den Psychologen vertreten und von den Pathologen verwertet wurde 
(so z. B. von H. Calderw'ood, The Relat. of Mind and Brain 1892, p. 415 2 )) 
und ebenso von Bastian (Treat. on Aphasia 1898. Ch. II) und z. B. auch den 
Ausgangspunkt für die Frage nach dem Intellekt der Aphasischen bildete. 
Es wird auf diese Frage noch an verschiedenen Stellen dieser Schrift zurück¬ 
zukommen sein; vorläufig sei nur auf die noch in diesem Kapitel wieder- 
zugebenden Äußerungen B. Erdmanns, die übrigens nur den Niederschlag 
jetzt allgemein akzeptierter Ansichten bilden, hingewiesen, denen zufolge ge¬ 
rade das geniale Denken wortlos verläuft; zum Beweise, daß das nicht be¬ 
deutungslos auch für spezielle Fragen, sei eine Äußerung des Psychologen 
Mitchell 3 ) hierhergesetzt. 

Unter den Argumenten für die Identität von Sprechen und Denken hat 
begreiflicherweise das gelegentliche leise Mitklingen einzelner Worte immer 
eine wichtige Rolle gespielt („Sprechen ist lautes Denken“) 4 ); das Irrtümliche 
eines solchen Schlusses konnte freüich auch den Pathologen nicht entgehen. 
Es ist insbesondere H. Sachs (Gehirn und Sprache. 1905, S. 61), der die aus 
der Prämisse des meist von innerlichen Worten begleiteten Denkens gezogene 
Schlußfolgerung bekämpft, „daß der Verlust der Sprache auch stets eine er¬ 
hebliche Störung des Denkens nach sich ziehen müsse“; er weist darauf hin, 

1 ) Wenn neuestens H. Liepmann in einer kritischen Würdigung der neueren 
Denkpsychologie (Zeitschr. f. Psychol. 63, S. 7) darauf hinweist, daß auch Sachs 
schon im fheßenden Denken nicht viel mehr als Worte im Bewußtsein vorhanden 
nachwies, so wird auch damit nicht der ganze Umfang der Lehre vom unanschau¬ 
lichen Denken erfaßt, in der die Möglichkeit des Fehlens jedes anschaulichen Inhalts, 
also auch der Wort Vorstellungen, festgestellt wurde (vgl. dazu das im Texte Folgende). 

2 ) „The more concentrated the exercise of thought, the more completely does 
the mind depend on language. We cannot content ourselves with a few signs Standing 
as representations of certain things or stages of thought. The several elements of our 
reflection require to be moreexactly formulated, the nicer discriminations of meaning 
need to be marked. and for this we are dependent, on words, the use of w’hich seems 
constantly connected with brain action“. Es ist vielleicht nicht unangebracht, 
auf die gegenteilige Ansicht eines „reinen“ Philosophen hinzuweisen und insbesondere 
für die Pathologen, die das begriffliche Denken in der Pathologie verwerten, seine 
diesbezügliche Ansicht hierherzusetzen: „Wörter sind keine Begriffe, Begriffe keine 
Phantasiebilder; begriffliches Denken ist weder innerliches Sprechen noch Phanta¬ 
sieren, sondern eine von beiden spezifisch verschiedene Geistesfunktion“. (Z. Ana¬ 
lyse d. Wirklichkeit von Otto Lieb mann, 1880, S. 487). 

3 ) „Neither when we have the actual object, nor when we have images of it, 
do we need words to help our thinking, if the problems are easy to us; but we begin 
to use them when in trouble. By their means we fix and recall easily w r hat we want 
to think about, and handle it to suit the needs of our thinking. And it constantly 
happens as we grow* expert, that we are able to give them up again, and to work 
from percept and from image without their help“. (W. Mitchell, Struct. and 
Growth of the Mind 1907, p. 365). 

4 ) Platon nennt das Denken ein Zwiegespräch der Seele mit sich selbst. 




Argumente gegen den Parallelismus. 


185 


daß schon die einfache Selbstbeobachtung eine zeitliche Distanz zwischen Denken 
und Sprechen aufweist*) und daß insbesondere das schöpferische Denken 
als wortlos zu erkennen ist. Die Richtigkeit dieser auch vom Verfasser ver¬ 
tretenen Anschauungen gibt um so mehr Anlaß zu umfassender Ausnutzung 
des sich dazu als dienlich erweisenden Materiales. Zeigt jener Passus, daß auch 
das allgemeine zeitliche Verhältnis zwischen Denken und sprachlicher Formu¬ 
lierung den Pathologen nicht entgangen war, so haben sie doch die nahe¬ 
liegenden und hier zu machenden Nutzanwendungen daraus nicht geschöpft; 
erstens die, daß von dem zeitlichen Intervall zwischen den beiden auf eine 
wesentlich kompliziertere Reihe von in dieses Intervall fallenden Vorgängen 
geschlossen werden müsse; weiter, daß solche hochkomplizierte Vorgänge 
nicht einfach auf dem Wege in den Markfaser bahnen sich vollziehen können; 
und endlich, daß in diesem Falle angenommen werden müsse, die sprachliche 
Formulierung vollziehe sich nicht im Stirnlappen und noch weniger in der Broca- 
stelle, sondern jedenfalls vorwiegend im Schläfelappen. 

Schon zuvor ist als eines der Argumente gegen die alte Ansicht von der 
Identität des Denkens und Sprechens das erwähnt worden, daß, man könnte 
sagen, selbstverständlich, der unlogische Inhalt mit der ihm sprachlich 
gegebenen Form sich absolut nicht deckt; insbesondere Steinthal (Einleitung 
in die Psychologie. 2. Aufl. 1881, S. 68) zeigt, wie irrtümlich der Schluß ist, 
daß die Sprache, wenn sie nicht logisch ist, unlogisch, unvernünftig sei; das 
güt aber auch im Speziellen bezüglich der grammatischen Form, an der ge¬ 
zeigt wurde, ein wie unvollständiges Instrument die Sprache ist und wie jene 
Form oft so gar nicht mit der Logik im Einklang steht; ja noch mehr: Der 
englische Philologe Sweet betont, daß unlogische und ungrammatische Kon¬ 
struktionen die Leichtigkeit, ja selbst die Schärfe des Ausdruckes befördern, 
wofür er ganz interessante Beispiele aus dem landläufigen Englisch gibt: 
,,the Party were assembled“ (New' English Grammar, logical and historica). 
P. I. 1892, p. 40) 2 ). Die analogen Beispiele aus dem Deutschen liegen für den 
Leser zu nahe, als daß sie besonders angeführt werden müßten (,,Das Fräu¬ 
lein . die . . . .“). 

Zu den wichtigeren, freilich schon oft wiederholten Argumenten gegen 
den Parallelismus gehört die Tatsache, daß die Wirkung des Satzes nicht, wie 
jener verlangen müßte, sich aus den Wirkungen der einzelnen Worte zusammen¬ 
setzt, w r as insbesondere daraus erhellt, daß der Satz das Primäre darstellt 
und die ihm zugrunde liegende ,, Gesamt Vorstellung 4 4 erst die Worte sozusagen 
nach sich zieht (vgl. dazu insbesondere die Lehre Wundts im Kapitel von 
der ,,Gesamtvorstellung 44 ). Um wieviel reicher der Sinn des Satzes, das „Ge¬ 
meinte 44 ist als die Summe der einzelnen Worte 3 ) wird klar, wenn w r ir uns das 

*) „Das Denken geschieht ohne die Sprache und vor dem Finden des sprach¬ 
lichen Ausdrucks“. (H. Sachs, Gehirn u. Sprache 1905, S. 62.) 

2 ) Siehe hierher Gehöriges auch bei A. Smith, Studies in English Syntax 
1909. p. 25 sequ. 

3 ) Ein besonderes Argument dafür, daß die Wirkung des Satzes sich nicht 
einfach aus den Wirkungen der einzelnen Worte zusammensetzt, bringt Münster - 
berg (Grundr. d. Psychol. I, 1900, S. 343); er verweist auf die sich geltend machenden 
Hemmungen; durch die vorangehenden Worte sei bei einem doppelsinnigen Worte 
schon alles daraufhin vorbereitet, daß nur die eine Assoziationsreihe anklingt, die 
andere gar nicht auftaucht. 





186 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


in die Erinnerung rufen, was wir über das „Vorausgesetzte“, die Situation, 
als Ausdrucksmittel gehört; daß deren Versprachlichung ihrerseits wieder auf 
das innigste mit der Stimmungslage des Sprechers zusammenhängt, die seine 
„innere Situation“ darstellt, daß dabei ebenso sehr auch die „innere Situation“ 
des Hörers *) und deren vom Redner beabsichtigte Beeinflussung (vgl. die 
„Emotive“ Mar tys) in Frage kommen, bringt diese negativen, d.h. in den Worten 
überhaupt nicht hervortretenden Momente in den Vordergrund der Erwägungen; 
sie alle machen es verständlich, wie unter ihrem differenten Einflüsse der Aus¬ 
druck des Satzes so wechselnd sich gestalten muß, daß auch von einem Paralle¬ 
lismus zwischen Denken und Sprache überall nicht die Rede sein kann. 

Eine psychologische Vertiefung des eben behandelten Argumentes bietet 
Pillsbury (The Psychol. of Reason. 1910, p. 167 2 )); er führt aus, daß das 
einzelne Urteü nur ein Glied in einer zusammenhängenden Gedankenkette 
ist und nur im Zusammenhänge derselben verstanden werden könne; weiter 
sagt er, daß dieselbe geistige Operation in verschiedener Weise ausgedrückt 
werden könne, je nach der sozialen Situation, der Distanz der Hörer, ihrer 
Bereitschaft etc. So geht aus Alledem deutlich hervor, wie irrtümlich die 
Annahme irgend eines Parallelismus zwischen Denken und Ausdruck ist, wie 
verfehlt der Schluß aus dem letzteren auf jenes ist bei Nichtberücksichtigung 
der besprochenen Faktoren. Es ist nicht überflüssig, hier wie bei anderen Ge¬ 
legenheiten anzumerken, daß es die rein logische Betrachtung des Gesprochenen, 
die ausschließliche Anwendung der Urteilstheorie auf dieses waren, die diesen 
Irrtum mit verschuldeten. 

Ein wichtiges darin gelegenes Moment, daß die Ausdrucksmittel sich 
insbesondere rücksichtlich der differenten Sprachstämme außerordentlich ver¬ 
schieden gestalten, kann hier nur angedeutet werden; die fast noch größere 
Rolle, die es in der Frage nach der Berechtigung spielt, aus der Form des 
Ausdrucks die Gesetze der Logik abzuleiten 3 ), wird besonders drastisch durch 
den Lmguisten Sayce beleuchtet, der es ausgesprochen, wie wesentlich ver¬ 
schieden sich die Logik des Aristoteles dargestellt hätte, wenn er Mexikaner 
gewesen wäre. 

Am schärfsten formuliert diese Gedanken A. Marty (In „Symbol. 
Pragenses“ 1903, S. 101). „Noch weniger darf natürlich übersehen werden, 
daß in verschiedenen Sprachen für den Ausdruck desselben Gedankens ver¬ 
schiedene Mittel und Methoden dienen, daß eine noch größere Mannigfaltig¬ 
keit überhaupt möglicher Beziehungsw'eisen für jeden Gedanken bestehen 
kann, und daß es hier überhaupt nichts schlechthin Richtiges, sondern nur 
mehr oder weniger Zweckmäßiges gibt.“ 

1 ) Man muß mit Erstaunen konstatieren, daß dieses Moment, das auch den 
älteren Sprachforschern in seiner Wirkung bekannt war, sie doch in ihrer Überzeugung 
bezüglich der Identität vom Denken und Sprechen nicht wankend macht. So z. B. 
W. v. Humboldt, Ges. Schriften VI, 2. „Auch drückt sich die grammatische An¬ 
ordnung nicht immer in der Rede wirklich selbst aus, sondern überläßt es dem 
Hörenden, sie nach einmal gefaßter Gewohnheit des Verständnisses aus sich selbst 
ergänzend, mehr oder weniger hinzuzufügen“. 

2 ) Vgl. bei demselben auch 1. c. S. 290. 

3 ) „Many of the distinctions of the formal logician are misleading, both because 
he considers the proposition without reference to its eontext in either mind, and 
because he neglects to eonsider the social faetors that eontrol speech but do not 
control thought“ (B. Pillsbury, The Psychol. of Reason. 1910, p. 291). 



Linguistische Argumente. 


187 


„Wenn manche, dies verkennend, die besonderen Methoden einer 
Sprache, die ihnen gerade am besten bekannt oder am eingehendsten von ihnen 
oder anderen begriffsmäßig behandelt und analysiert war, als scheinbar aus 
der Natur des Denkens abgeleitete Norm für alle Gedankenäußerung hinstellten, 
oder wenn man überhaupt irgend eine der vorhin angeführten Tatsachen über¬ 
sehend, auf die falsche Voraussetzung von einem durchgängigen und not¬ 
wendigen Parallelismus zwischen Denken und Sprechen eine „logisch“ sein 
sollende Grammatik zu bauen versuchte, so muß dies als eine Vergewaltigung der 
Sprache zurückgewiesen werden“ *). 

Dem Gebiete einer nach Ansicht des Verfassers allerdings psychologi- 
sierenden Logik entstammt der Hinweis, daß auch im einfachsten Urteü die 
Trennung vom Subjekt und Prädikat wohl eine sprachliche ist, die entsprechende 
geistige Operation dagegen eine einzige ist 2 ). Das verallgemeinernd, betont 
Pillsbury (Psych. of Reas. 1910, p. 150), daß zwischen dem Urteü als geistiger 
Operation und seinem resultierenden sprachlichen Ausdruck kein ins Einzelne 
gehender Parallelismus besteht. 

Die Linguisten, die sich dieser Argumentation nicht entziehen konnten, 
zeigen ihrerseits, wie das auch in der Entwicklung der Syntax historisch zum 
Ausdruck kommt. „Weü Urteü und Schluß in Sätzen ausgesprochen werden, 
glaubte man lange, daß die „aügemeine Grammatik“ die Logik der Sprache 
wäre und daß die Sprache den Gesetzen der Vernunft gehorchen müsse. Nichts 
ist weniger richtig. Die Formen wie die Syntax erklären sich historisch aus 
der Entwicklung, in der die Psychologie auf dem Wege der Analogie ent¬ 
scheidend ist; der Gedanke ist es im Gegenteil, der sich der Form des Satzes 
anbequemen und sich der Wortfolge beugen muß“. Dauzat (La Phüosophie 
du Langage 1912, p. 13). 

Derselbe Linguist, der diese Tatsache in verschiedenfältiger Weise 
variiert nachweist, verbindet damit noch ein weiteres Argument gegen die 
Annahme einer genauen Äquivalenz zwischen Wort und „Idee“, indem 
auch er die zuvor besprochene Bedeutung der „Situation“ heranzieht, um 

*) Vgl. dazu: „Je zweifeüoser es ist, daß sich in der Sprache die psychologischen 
Apperzeptionsprozesse zum Ausdruck bringen, um so mehr muß man auf den Unter¬ 
schied der logischen Form von der sprachlichen achten. Man darf weder voraus - 
setzen, daß derselben Sprachform immer dieselbe logische Form zugrunde liege, 
noch daß dieselbe logische Form sich immer in derselben sprachlichen Form äußere“ 
(Windelband, Die Philos. im Beg. d. 20. Jahrh. Logik v. Windelband, 1907, 
S. 191). 

*) Vgl. Bosanquet (The Essentials of Logic 1897, p. 99). Die Grammatiker 
haben das dann übernommen und A. D. Sheffield (Grammar and Thinking. 
1912, p. 57) steütdas sehr gut dar: „Der Gedanke,Cäsar überschritt den Rubikon*, 
steigt als eine momentane Einheit auf, nicht als eine Serie von Einheiten. Er ist 
nicht der Gedanke Cäsar plus dem Gedanken an seine Tat, sondern der Gedanke 
Cäsar — den Rubikon — überschreitend als historisches Faktum“. 

In Übereinstimmung mit dieser psychologischen Deutung haben Sprach¬ 
forscher darauf hingewiesen, daß die Copula nur durch Sprachgewohnheit als Ersatz 
der früher attributivischen Stellung des Prädikats bedingt ist. „Quant ä la copule 
verbale esU on doit n’y voir que le Supplement ou le substitut que n^cessitent les habi- 
tudes actuelles du langage pourtenir la place laiss^e vaeante par les anciens attri- 
buts „marcheur, parleur, brilleur““. Regnaud (Pr6cis de logique evolut. 1897, p. 47). 
Wenn Verfasser hier entgegen einer kritischen Bemerkung sich selbst auf Regnaud 
beruft, so geschieht dies, weil seine Ansicht von den übrigen Linguisten geteilt wird. 



ISS 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


deren Einfluß auf die Variabilität des der Idee entsprechenden Wortes auf¬ 
zuzeigen 1 ). 

Tiefer in das Psychologische der Frage dringt der Philologe Sheffield, 
der seiner sich auch damit beschäftigenden Schrift Grammar and Thinking 
1912 den sehr prägnanten Untertitel ,,A study of the working conceptions 
in Syntax“ gegeben. Den allgemeinen Standpunkt in der uns interessierenden 
Frage drückt er so aus (p. 8): „Die Sprache dient mehr dazu die Berührungs¬ 
punkte zwischen Geist und Geist festzulegen, ihre dem Wissen zugänglichen 
Identitäten als irgend ein Gesamtbewußtsein einzukleiden. Der ganze Fluß 
des geistigen Lebens ist in der Tat so außerordentlich fein und empfindlich, 
daß Sätze überall nur teilweise dessen Entladung zum Ausdruck bringen können.“ 

Sehr belehrend, namentlich in Rücksicht der Bedeutung des subjektiven 
Faktors für die Form des Satzes ist das vom assertorischen Satze hergenommene 
Beispiel (1. c. p. 22): „Der Gedankenkomplex im Satze: Babylon fiel, enthält 
viele Elemente, die der Sprecher bei der speziellen, in diesem Satze ausge¬ 
drückten Analyse außer Betracht läßt. Bei anders gerichtetem Interesse kommen 
andere begriffliche Elemente zum Ausdruck, z. B. die Babylonier übergaben 
ihre Stadt dem Cyrus. Der Prozeß der Wortfindung besteht demnach im 
engsten Sinne darin, aus einer zunächst etwas unklar definierten Gedanken¬ 
verbindung die sie definierenden und bedeutsamen Begriffe ans Licht zu 
bringen. Ist diese begriffliche Zerlegung einmal klar, dann folgen die Worte 
fast von selbst“ 2 ). 

Die Stellungnahme der Linguisten in der hier erörterten Frage kann 
auch nicht überraschen, wenn auch schon dem Laien auf diesem Gebiete bei 
einem flüchtigen Überblick eine Fülle von beweiskräftigen Erscheinungen 
entgegentreten; so wenn wir sehen, daß ein W T ort auch mehr als einer Vor¬ 
stellung entspricht; so bezeichnet z. B. „gmg“ nicht bloß das Gehen, sondern 
auch die damit verbundene Zeitbestimmung; weiter sehen wir, daß es in allen 
Sprachen, insbesondere im Französischen, Worte gibt, deren zwei dasselbe 
besagen, wie ein Wort in einer anderen Sprache (ne-pas 3 )). 

1) „II n’y a pas donc öquivalence exacte entre le mot et l’idöe, puisque le 
mot n’a pas, en gönöral, une forme fixe et que, pour chaque forme spöciale, une notion 
de nombre, de sexe, de personne, de temps, de mode, etc., s’ajoute parfois en double 
en triple ou en quadruple ä 1‘idöe reprösentöe. Mais, pour un mot donnö, cette idöe 
meme est susceptible de Variation suivant la phrase, le lieu et le moment, le milieu 
social, les dispositions de Tindividu ou l’individu lui-mdme. Dans aucune langue, 
un seul mot ne correspond ä une idöe et ä une seule. Chaque mot a eu, en göneral, 
plusieurs significations de meme qu’une idöe peut etre exprimöe par un certain 
nombre de synonymes.“ Albert Dauzat (La Phil, du Langage 1912, p. 18). 

2 ) Verfasser nimmt hier Veranlassung auf diese letzten Sätze als dem nahe¬ 
stehend zu verweisen, was er im Laufe dieses Kapitels als gedankliche Formulierung 
bezeichnet. Sheffields Buch beschäftigt sich noch an verschiedenen Stellen mit 
der hier erörterten Frage, doch ist seine Schrift zu spät zur Kenntnis des Ver¬ 
fassers gekommen, als daß auf Alles, was sich davon dort schön dargestellt findet, 
hätte rekurriert werden können. 

3 ) Den hier angedeuteten Gesichtspunkt hat D. G. Ritchie einer Erörterung 
über die Beziehungen zwischen Logik und Psychologie zugrunde gelegt; da er daraus 
bestimmte, auf das zahlenmäßige Verhältnis gestützte Schlüsse zieht, die, falls 
richtig, in ihrer Anwendungsmöglichkcit auf aphasische Erscheinungen zu prüfen 
wären, seien dieselben hierhergesetzt. 

,,Ilow many words we take to express what we mean by a term in any parti- 
cular ease may be estimated quantitatively; but how many they are will depend 



Bedeutung für die Pathologie. 


189 


In dem gleichen Sinne, nämlich gegen den Parallelismus, spricht auch 
das, was wir von den sogenannten mit bedeutenden Wörtern in dem Kapitel 
vom Bedeutungsproblem hören werden; an ihnen insbesondere wird deutlich 
werden, zu welchen, fast hätten wir gesagt unglückseligen, Konsequenzen die 
immer wieder in der Pathologie betonte und zum Ausgangspunkte psycholo¬ 
gischer Distinktionen genommene enge Beziehung der Wörter zu Sinnesein¬ 
drücken und den ihnen entstammenden Vorstellungen geführt. 

Freüich finden wir gelegentlich selbst bei Psychologen bezüglich dieser 
Frage unzutreffende Ansichten. So kommt bei Gelegenheit der Besprechung 
der die Beziehungen der Vorstellungen unter einander zur Darstellung bringen¬ 
den, mitbedeutenden Wörter Dugas (Le Psittacisme 1896, p. 143) zu dem 
Schlüsse, daß die Sprache als Instrument des Ausdruckes das Denken hinter 
sich läßt; nach all dem hier Dargestellten wird man dem gewiß nicht zu¬ 
stimmen. 

Welche Bedeutung Fragen, wie die hier erörterte, zunächst für den 
Pathologen anscheinend ganz sterile, doch auch auf seinem Gebiete erlangen 
können (der schon erwähnte Schluß vom Sprechen des Aphasischen auf seine 
Intelligenz), möge eine auf linguistischem Gebiete spielende Kontroverse er¬ 
läutern. Jespersen (Progr. of Language. 2. ed. 1894, p. 97) rühmt die feste 
Wortstellung im Chinesen „als natürliche Folge einer größeren geistigen Ent¬ 
wicklung und allgemeiner Reife, wo die Gedanken des Sprechenden nicht 
mehr holter-polter ins Bewußtsein traten, sondern in geordneter Reihen¬ 
folge“. R. Lenz widerspricht dem, es mag dahingestellt bleiben, ob mit 
Recht: „Es ist zwischen dem Gedanken und seinem sprachlichen Ausdruck 
zu scheiden. Als Gedanke ist das Urteü eine Einheit, ebenso wie unsere 
Perzeption eines in der Handlung begriffenen Subjekts; erst durch den sprach¬ 
lichen Ausdruck, der die Wahrnehmung mitteilen will, entsteht die Analyse 
des Urteils in seine Elemente.“ 

Wenn Lenz dann in einem gewissen Widerspruche zu dem eben Zitierten 
(Die neueren Sprachen; herausgeg. von Vietor. VIII. 1900/01, S. 514 ff.) 
es immerhin als nicht unwahrscheinlich erklärt, „daß der logisch klareren, ab¬ 
strakteren Ausdrucksweise auch eine klarere Vergegenwärtigung der Elemente 
des Urteils, also ein klares Denken entspricht“, dann wird das vor seiner Ver¬ 
allgemeinerung doch noch der sachlichen Bewährung bedürfen. 

Wir werden im speziellen Teüe zu erörtern haben, daß, wie Verfasser 
auch an einem klinischen Falle zu zeigen imstande war (siehe seine Arbeit 
über sprachlichen Infantilismus im Journ. of abnormal Psychol. I) auch in der 
Sprachpathologie das Gesetz der Ökonomie *), das unbewußt wirksame Streben 

upon what language a person happens to be using. Where one person or one language 
uses one word to express an attribute, another person or another language may 
require two or three. Extension and intension are not, therefore, strictly commen- 
surable quantities between which we can discover an exact mathematical ratio. 
Nevertheless it is possible to compare them together and so far as I can see, there 
is a very good sense in which it can be held that as a matter of logic, they tend to 
vary inversely, i. e. the larger extension as a rule goes along with the smaller inten¬ 
sion and vice versa. (The Philos. Rev. VI, 1897, p. 3.) 

*) Nur um bei jeder Gelegenheit die Durchführbarkeit der dem Ganzen 
zugrunde gelegten prinzipiellen Aufstellungen zu ei w eisen, mag hier angemerkt 
sein, daß dieses Gesetz mit dem biologischen Gesichtspunkt der Anpassung und 



190 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


des geschädigten Organs nach möglichst bequemer und dadurch sparsamer 
Funktion nachzuweisen ist. Daraus ergibt sich für die vorliegende Schrift 
die Berechtigung, ja Verpflichtung, den Anschauungen über die Erscheinungs¬ 
formen dieses Gesetzes in der Norm und über die dabei wirksamen Momente 
im Bereiche der Sprachpsychologie nachzugehen. Es ist insbesondere A. Marty, 
der verschiedenorts, zuletzt in seiner Schrift: „Die logische, lokalistische und 
andere Kasustheorien“ (1910, S. 18) ausgeführt hat, daß neben Rücksicht auf 
Schönheit solche auf Bequemlichkeit, Kürze der Ausdrucksmittel u. dgl. in der 
Form des Ausdrucks eine Rolle spielen. Die unmittelbare Anwendung dieser 
Ansicht auf Fragen der Pathologie, im Speziellen für den Agrammatismus, 
wird dadurch nahe gelegt, daß Marty selbst an der Kindersprache wie am 
Telegramm die Wirksamkeit jener Momente erörtert. 

Wie die Nutzanwendung solcher Erörterungen für Fragen der Klinik 
sowohl wie für theoretische Aphasiefragen zu werten ist, mag der Hinweis 
klar machen, daß man z. B. die Psychologie der Stenographie — Marty selbst 
hat einmal die Sprache, die eben nicht Alles, was wir sagen wollen, explizite 
ausdrückt, mit einem Stenogramm verglichen — zum Verständnis dafür heran¬ 
ziehen kann, daß, ebenso wie bei ihr, auch in bestimmten Formen des Agram¬ 
matismus bestimmte Wortkategorien fortbleiben; es ist ersichtlich, daß eine 
solche Erklärung viel tiefer dringt als das, was man bisher rein empirisch zum 
Teü von ganz disparaten Fällen zum Verständnis der sogenannten Ri bot- 
sehen Formel vom sukzessiven Verluste der verschiedenen Wortkategorien 
herangezogen. 

Wenn Verfasser hier und an anderen Stellen so besonders die Unabhängig¬ 
keit des Denkens vom Sprechen betont, so verkennt er natürlich trotzdem nicht 
die Bedeutung der Sprache für das Denken und insbesondere für die Ent¬ 
wicklung und Höherbildung desselben; sind ihm doch auch die in pathologi¬ 
schen Fällen von der Sprache aus auf das Denken geübten Rückwirkungen nicht 
entgangen (siehe die Arbeiten in der Zeitschr. f. Psychol.); es liegt aber hier 
zunächst keine Veranlassung vor, die letzteren Gesichtspunkte zu betonen, 
während den älteren, auf die Lehre von der Identität oder der engen Kon¬ 
gruenz zwischen Denken und Sprechen aufgebauten pathologischen Auf¬ 
fassungen die Tatsache der Inkongruenz um so schroffer entgegenzuhalten war, 
als nur davon eine Verbesserung und Änderung derselben zu erwarten ist. 
Dem entsprechend wurde im Vorstehenden das Hauptgewicht auf den Nach¬ 
weis gelegt, daß die Inkongruenz zwischen den Beiden in der Regel ein Plus 
auf Seiten des Denkens ergibt. 

Dem gegenüber wird man freilich nicht übersehen dürfen, daß gelegent¬ 
lich auch das Gegenteil zutreffen kann; es ist das Verdienst E. T. Owens 
(Interrog. Thought and the means of its expression. Repr. fr. the Transact. 
of the Wisconsin Acad. of Sc. etc. Vol. XIV, p. 369) dem klipp und klar 
Ausdruck verliehen zu haben. „Ich glaube aber, daß es gelegentlich der aus¬ 
zudeutende Gedanke und nicht die Ausdrucksmittel sind, die sich als mangel- 

Orientierung in vollem Einklang steht; das Maß der nötigen Arbeit stellt sich ohne 
weiters als von der Anpassung abhängig dar (wobei natürlich die Leistungsfähigkeit 
des Organs oder Organteüs ebenfalls in Betracht kommt). Historische Gerechtigkeit 
gebietet den Hinweis, daß CI. Neißer schon 1889 in der Lehre von der Verbigeration 
von dem Gesetze der Ökonomie Gebrauch gemacht hat. 



Gedanken- und Satzstruktur. 


191 


haft darstellen. Ein solcher Gedanke ist gewöhnlich in einer oder der anderen 
Richtung unentwickelt. In manchen Fähen ist es nicht das, was der Sprecher 
wirklich denkt, was er seinen Worten entnommen wissen will, sondern das, 
was er denken würde, wenn er sich die Mühe nähme es zu tun.“ Zusammen¬ 
fassend formuliert Owen seine Ansicht dahin: „Ich mache die Annahme, 
daß die Worte oft nicht bloß in dem Sinne dessen zu deuten sind, was eben im 
Momente in des Sprechers Geist vorhanden, sondern was in seinem Geiste wäre, 
wenn er sorgfältiger dächte, was er in dem Geiste des Hörers insbesondere 
dann, wenn es die Gelegenheit erheischt, erzeugt sehen möchte.“ — 

Inwieweit freüich Gedanken- und Satzstruktur auseinandergehen, dar¬ 
über bestehen noch wesentliche Differenzen zwischen den einzelnen Forschem, 
ebenso wie hinsichtlich der früher mehr beachteten Frage, inwieweit jedes Wort 
im Satze auch einer Vorstellung entspricht. Wenn Bolzano 1 ) in den 30 Jahren 
des verflossenen Jahrhunderts auf eben diesem Standpunkte steht, so kann 
die gleiche Ansicht, wie sie noch letztlich Wundt (Völkerpsychologie 1904, I, 
S. 602) formuliert hat 2 ), nicht als dem gegenwärtigen Stande der einschlägigen 
Fragen entsprechend bezeichnet werden. Verfasser begnügt sich zunächst, 
zur Begründung seiner Ansicht nur darauf zu verweisen, daß doch einzelne 
Wörter des Satzes, z. B. die mit bedeutenden, nur der Darstellung der Be¬ 
ziehung zwischen anderen Einzelvorstellungen gewidmet sind. (S. J. Dewey, 
How we think 1910, p. 175). ,,Signs not only mark off specific or individual 
meanings, but they are also instruments of grouping meanings; they also form 
sentences in w r hich meanings are organised in relation to one another“ 3 ). Ein 
einfaches Beispiel, z. B. „ich schrieb“ demonstriert weiter, daß dem Worte 
„schrieb“ zwei Vorstellungen entsprechen, die des Schreibens und die der 
Vergangenheit. 

Der Psychologe Bühler (Arch. f. d. ges. Psych. XII, S. 85) bezeichnet 
den Glauben als geradezu naiv „man könnte das Verhältnis zwischen Gedanken 
und Worten restlos als Assoziationen auffassen“. Diese Bemerkung findet 
deshalb hier ihren Platz, weü Bühler daran die Bemerkung anknüpft, „schon 
nach wenigen Schritten, hätte doch die ganze Ratlosigkeit dieser Theorie den 
grammatischen Gesetzen gegenüber sie (sc. die Assoziationspsychologie) längst 
vollständig desavouieren müssen“. Pillsbury (The Psychology of Reas. 
1910, p. 149 ff.) präzisiert den Stand der Frage dahin: „Elemente, die für das 
Denken wichtig sind, fallen im Ausdruck weg und Faktoren, die im Ausdruck 
bedeutsam erscheinen, könnten eher das Resultat einer Konvention als des 
Gedankenprozesses sein.“ 

Einen anderen Gesichtspunkt bringt der Neuphüologe Sweet herbei, 
indem er darauf hinw'eist, daß gewdsse Redeteile überhaupt keinen Sinn haben 

*) Bolzano (Wissenschaftslehre 1837, Sulzbach, I, S. 57). „Jedes Wort 
dient in der Sprache zur Bezeichnung einer eigenen Vorstellung, einige wohl auch 
zur Bezeichnung ganzer Sätze“. 

2 ) „Bezeichnen wir den dem Satz entsprechenden Bewußtseinsinhalt als eine 
Gesamtvorstellung, so bildet demnach jedes Wort des Satzes eine Einzel Vorstel¬ 
lung, der in jener eine bestimmte Stellung zukommt, indem sie mit den übrigen in 
die gleiche Gesamtvorstellung eingehenden Einzelvorstellungen in Beziehungen und 
Verbindungen gesetzt ist“. 

3 ) Die Bedeutung dieser ganzen hier nur eben gestreiften Frage für die Lehre 
vom begrifflichen Denken bildet die Veranlassung, dem Gegenstände ein besonderes 
Kapitel zu widmen. 



102 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


und das Inbeziehungsetzen zwischen Denken und Sprechen sich als ein Kampf 
und Kompromiß durch alle Stadien von Unbestimmtheit, Zweideutigkeit 
und vollständiger Bedeutungslosigkeit darstellt (Transact. of the Philol. Soc. 
1875—1876). 

Man wird in diesem Zusammenhänge aber auch des Umstandes zu ge¬ 
denken haben, daß die Sprache einen vielfach luxuriierend arbeitenden Apparat 
darstellt, wie das z. B. Fink (Die Haupttypen des Sprachbaues 1910, S. 26 J )) 
darlegt; daraus folgt für unser Thema eine weitere Stütze gegen die Annahme 
eines scharfen Parallelismus zwischen Gedanken und Wortfolge. Das Fink 
entnommene Beispiel zeigt klar, wie wenig gerechtfertigt es auch ist, zu sagen, 
daß jedem Wort eine Vorstellung entspricht. Daß damit weiter auch ein 
Mittel des Verständnisses für Agrammatismen physiologischer und pathologi¬ 
scher Art gegeben ist, sei nur im Vorübergehen angemerkt. 

Es kann im Allgemeinen als offensichtlich hingestellt werden, daß die 
Beseitigung der von Aristoteles sich herleitenden Identitätslehre ebenso wie 
die Umwertung des Parallelismus und die daraus zu folgernde neue Lehre von 
der Überführung des gedanklichen Aufbaues in die Struktur der Sprache für 
die Sprachpathologie und insbesondere für den Agrammatismus von grund¬ 
legender Bedeutung sein wird. Bis in welche Details der Sprachpathologie 
sich das erstrecken kann, davon gibt das eine Almung, was wir zuvor, haupt¬ 
sächlich an Marty anknüpfend, von der Analogie zwischen Agrammatismus, 
normalem Telegrammstil und Stenographie gesagt und auf das ihnen gemein¬ 
same Gesetz der Ökonomie zurückbezogen haben. Aber auch theoretisch 
werden sich daraus wichtige Konsequenzen ergeben; so z. B. die auch schon 
aus anderen Prämissen gezogene Folgerung, daß der Agrammatismus nicht 
aus dem Verluste der Ermnerungsbilder der Formwörter, der Prä- und Suffixe 
erklärt werden könne, die in ganz bestimmten Teüen des sprachlichen Erinne¬ 
rungsfeldes niedergelegt sein sollen. — 

Im Vorangehenden sind wir uns darüber klar geworden, daß Denken und 
Sprechen weder identisch sind, noch einen so präzisen Gleichgang auf weisen, 
daß mit dem Verständnis für die Form der Sprache auch schon das der ent¬ 
sprechenden Denkvorgänge gegeben wäre; daraus ergibt sich die weitere Kon¬ 
sequenz, daß wir, um ein Verständnis für das Zustandekommen der Rede zu 
erlangen, sowohl die sprachlichen wie die gedanklichen Prozesse und ganz 
besonders die Überführung dieser in die Sprache, die ja das Endresultat aller 
dieser Vorgänge ist, berücksichtigen müssen. 

Wir haben gesehen, daß bei den älteren Autoren darüber nur ganz ver¬ 
einzelt Andeutungen brauchbarer Art sich finden; suchen wir uns jetzt über 
die Anschauungen hinsichtlich der Frage vom Geschehen zwischen Denken 

*) „In einem Satze, wie: „Er sagte mir gestern“ kann schon wegen der in 
„gestern“ liegenden Zeitandeutung kein Zweifel darüber herrschen, daß sich das 
Sagen in der Vergangenheit vollzog; „te“ in „sagte“ ist also der Deutlichkeit wegen 
nicht nötig. Trotzdem sagt man aber nicht: „Er sagt mir gestern“. Man begnügt 
sich eben nicht damit nur verstanden zu werden; und ob das Mehr, das man auf¬ 
bietet, gut oder schlecht sein mag, das Mehr stempelt die deutsche Sprache zu einer 
andern als die chinesische“. Der Neuphilologe Nausester hat dieser Frage vom 
Überflüssigen in der Sprache ein ganzes Werk gewidmet (Denken, Sprechen und 
Lehren, 1906). 



B. Erdmanns Darstellung. 


193 


und Sprechen bei neueren Forschern x ) zu orientieren, so bietet eine erste 
zweckmäßige Anknüpfung hiefür B. Erd mann (Umrisse zur Psychologie des 
Denken. 2. Aufl. 1908 2 )), nicht bloß, weil er in wichtigen Belangen den Er¬ 
wartungen der Pathologie wesentlich entgegenkommt, sondern vor Allem, 
weil er in der schematischen Abgrenzung der hier in Betracht kommenden 
Tatsachen und insbesondere in der Scheidung zwischen Denken und Sprechen 
am weitesten gegangen und endlich auch der vorsprachlichen Periode eine 
besonders eingehende Darstellung gewidmet hat. Solche Berechtigung stützt 
sich endlich auch darauf, daß B. Erd mann von früherer eigener Beschäfti¬ 
gung mit pathologischen Fragen ausgehend, wenn auch nur andeutungsweise 
in der hier als Basis genommenen Schrift speziell auf die Lehre von den 
aphasischen Störungen Rücksicht genommen hat. 

Von den von Erd mann unterschiedenen Arten des Denkens kommen 
für unsere Fragen im wesentlichen nur die bewußt ablaufenden in Betracht, 
weil ja auch bei derjenigen, die er als vor bewußte bezeichnet und womit 
die „geniale“ Produktion scheinbar „frei steigender“ Lösungen von Gedanken¬ 
problemen gemeint ist, doch wieder die Frage ihrer Formulierung auf das 
bewußte Denken zurückführt 3 ). Erd mann unterscheidet einerseits das 
unformulierte von dem als intuitiv bezeichneten Denken, andererseits das 
formulierte, das in das vollständige oder unvollständige Denken zerfällt. 
Das imformulierte stellt jene Form des Denkens dar, das sich rein an den sach¬ 
lichen Bewußtseinsinhalten der Wahrnehmung oder Vorstellung ohne jede 
Beziehung zu den zugehörigen Wort Vorstellungen vollzieht. 

*) Moderne auch nur etwas ältere Darstellungen sind, wenn wir von einzelnen 
zutreffenden Gesichtspunkten absehen, im ganzen recht wenig verwendbar; so sei 
nur, um das zu erweisen, auf die Darstellung Höffdings (Psychologie in Umrissen 
1887, S. 221) verwiesen, in der all das, was der Pathologe möglichst getrennt sehen 
möchte, ohne scharfe Grenze in einander übergeht. „Wenn ich einen Satz aus¬ 
sprechen will, so steht mir von vornherein nur der Hauptgedanke klar; die Formulierung 
des Satzes geschieht durch Aussonderung des Subjekt- und Prädikatbegriffes aus der 
Einheit des Hauptgedankens. Der in seinen Stoff vertiefte Redner unternimmt 
vielleicht nicht einmal die vollständige Analyse des Hauptgedankens; der halb 
unwillkürlich wirkende Sprachmechanismus besorgt indes die Ausführung im ein¬ 
zelnen, ohne daß ein ausdrücklicher Bewußtseinsakt nötig würde.“ 

2 ) Für unsere Fragestellung kann nicht, wie dies z. B. für andere Zwecke der 
Fall ist (8. Zur Psychologie des Denkens von Dr. Moskiewicz, Arch. f. d. ges. 
Psvchol. XVIII, S. 314 ff.) der Umstand hinderlich sein, daß Erdmann, der schon 
namentlich in seiner Logik einzelne Erörterungen der „Umrisse“ vorweg ge¬ 
nommen, die logische Funktion des Urteils zum Ausgangspunkt des geistigen Ge¬ 
schehens nimmt; er selbst (1. c. S. 9) hebt hervor, daß das Gebiet des Urteils, zum 
mindesten nach den Auffassungen Anderer, eine ganze Reihe sprachlicher Ent¬ 
äußerungen in sich faßt, die für unsere Zwecke mindestens in gleichem Umfange in 
Betracht kommen. Wir können dieses Bedenken um so mehr beiseite lassen, als die 
uns hier beschäftigende Frage der sprachlichen Formulierung direkt auf die darin 
zum Ausdruck kommenden Differenzen von Wunsch-, Befehls- und anderen ähn¬ 
lichen Sätzen gegenüber denjenigen, die ein Urteil aussprechen, hinführt und wir 
insbesondere das emotionale Denken in weitestem Ausmaße zu berücksichtigen 
haben werden. 

3 ) Bei dieser Gelegenheit will Verfasser seiner Ansicht Ausdruck geben, daß 
die Produktionen vorbewußten Denkens ebenso wie die des von Erdmann sog. meta- 
logischen, des eigentlich genialischen, sich vom diskursiven, formalen durchaus nicht 
prinzipiell, sondern nur gradweise unterscheiden. 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 13 



194 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Das vollständige formulierte Denken stellt sich in der vollständigen Ver¬ 
einigung der sachlichen Gehalte der Aussagen mit den Worten derselben dar; 
das unvollständige formulierte Denken ist dasjenige, in welchem die Bedeu¬ 
tungsinhalte des formulierten Denkens unter dem Einfluß der Gewohnheit 
teilweise oder ganz aus dem Bereiche des Vorstellens ausfallen, imbewußt 
werden; es bildet, wie Erd mann selbst (1. c. S. 23) auseinandersetzt, ,,im ent¬ 
wickelten Bewußtsein, tatsächlich die Regel des formulierten Denkens“ 1 ). 

Von besonderer Bedeutung wegen der ihm zugesprochenen pathologischen 
Beziehungen und deshalb den Ausgangspunkt weiterer Diskussion bildend, ist 
das von Erd mann (1. c. S. 33) als hypologisch bezeichnete Denken, jene Form 
des unformulierten Denkens, dem die Bedingungen möglicher Formulierung 
fehlen und dazu zählt Erd mann neben gewissen Stadien der Kindersprache 
insbesonders mannigfache Formen der aphasischen Sprachstörungen; er postu¬ 
liert für diese Form des Denkens die „subjektive“ Unfähigkeit zur prädikativen 
Formulierung,.einer Unfähigkeit also, die nicht an dem Gehalte der Gedanken, 
sondern am Fehlen oder der mangelnden Entwicklung der Bedingungen zur 
gedanklichen Formulierung liegt“; (nur angedeutet sei hier, welche Fülle von 
Fragen sich gerade daran hier, wo insbesondere das Formulieren im Mittel¬ 
punkte der Erörterungen steht, werden anknüpfen lassen). 

So scharf nun Erd mann die Charakteristik der einzelnen angeführten 
Denkformen herausgearbeitet, mit den sich darin und zwischen ihnen ab¬ 
spielenden Prozessen, die ja gerade hier für unsere Zwecke in Betracht kommen, 
endlich mit den Faktoren, die dabei mitkonkurrieren, hat er sich nur ganz 
gelegentlich und andeutungsweise befaßt, obwohl er darüber, daß das intuitive 
Denken eine Vorstufe des formulierten Denkens darstellt, in das formulierte 
Denken übergeht, keinen Zweifel läßt (vgl. bei ihm 1. c. S. 35, 37, 45); doch 
wollen wir auch diese Andeutung nicht unerwähnt lassen, wäre es auch nur, 
um zu zeigen, daß sie zu einer scharfen Erfassung derjenigen Vorgänge, die 
wir hier im Auge haben, nicht tauglich sind. Dort, wo er von der assoziativen 
Verflechtung von Wort- und Bedeutungsvorstellungen spricht (1. c. S. 16), 
führt er aus, wie „im vollständigen Satze jedem Worte (schließlich jeder Par¬ 
tikel) diejenige Bedeutung zukommt, die der vorliegende Zusammenhang 
fordert oder die durch diesen Zusammenhang bestimmt wird“. Es scheint nun, 
wenn anders Verfasser die Darstellung Erd man ns richtig erfaßt, daß diese 
Zusammenhänge die Folge dessen sind, was Erd mann (1. c. S. 30) als ^ge¬ 
dankliche Verarbeitung“ bezeichnet, die ihrerseits wieder zur Feststellung 
seiner (S. 28) „gedanklichen Beziehungen“ und damit zur gedanklichen Formu¬ 
lierung führt. Wenn nun diese Bezeichnung (1. c. S. 34) nach Ausweis der 
ganzen Darstellung sichtlich Formulierung durch Wortvorstellungen, also das 
bezeichnet, w r as für Erd mann das formulierte Denken ist (wie er auch an 

J ) Es ist vielleicht nicht überflüssig zu bemerken, daß es sich hierbei nicht, 
wie es bei ungenügender Beachtung der Bezeichnungen den Anschein erwecken 
könnte, um ein unvollständig formuliertes Denken etwa als ein Vorstadium auf dem 
Wege zur vollständigen Formulierung handelt, sondern um eine unvollständige 
Formulierung, die als dem geübten und gewohnheitsmäßigen Sprechen entnommen, 
demnach eine Weiterbildung des vollständigen formulierten Denken darstellt. 
(Noch neueste auf Erd mann reflektierende Darstellungen haben diese Differenz 
zwischen unvollständigem formulierten oder unvollständig formuliertem Denken nicht 
beachtet). 



B. Erdmanns Darstellung. 


195 


anderen Stellen von prädikativer Gliederung des Inhaltes, von prädikativer 
Verknüpfung spricht, was alles mit seinem formulierenden Sprach verlaufe 
zusammenfällt), so erscheint damit das Stadium der logisch-gedanklichen 
Formulierung, die wir als ein der sprachlichen vorangehendes Stadium ab¬ 
trennen, nicht so scharf von der letzteren abgehoben, wie es der Pathologe 
als wünschenswert erachten möchte 1 ). Daß aber Erd mann doch auch selbst 
für eine solche von anderen Autoren kaum genügend anerkannte Scheidung 
ist, scheint aus Folgendem hervorzugehen. Wenn nach ihm (1. c. S. 41) beim 
unvollständigen formulierten Denken „nicht bloß die sachlichen, sondern alle 
Arten von sprachlichen Wortbedeutungen, auch die Bedeutungen der Worte 
als Redeteüe und deren syntaktische Beziehungen“ unbewußt erregt bleiben, 
so setzt das voraus, daß diese letzteren zuerst auch erregt werden; das hält aber 
Verfasser nur dann für möglich, wenn die „gedankliche Bearbeitung“ Erd- 
manns zu einem Schema im Sinne des Verfassers geführt hat, in dem sich 
die gedanklichen Beziehungen darstellen, durch die dann die syntaktischen 
Beziehungen und alles andere dazu Gehörige erregt und im vollständigen 
formulierten Denken auch bewußt wird; der gleiche Gedankengang gilt auch 
der Äußerung Erdmanns (S. 39), „daß im intuitiven Denken der geläufig 
gewordene formulierende Sprach verlauf (d. i. wohl nach Ansicht des Verfassers 
in erster Linie die Grammatisierung) unbewußt erregt ist.“ 

Auch sonst finden sich noch in Erdmanns anderweitigen Schriften 
Äußerungen, die mit dieser Deutung in Einklang zu bringen sind; so wenn 
er (Arch. f. systemat. Philos. VII. 3, S. 348) vom unprädikativen, unformu- 
lierten, wortlosen, anschauenden oder intuitiven Denken sagt, „es arbeitet 
vielmehr unser formuliertes Denken so, daß wir in diesem nur in prädika¬ 
tiver Denknotwendigkeit festgestellt, was uns in ihm vorher gewiß geworden 
ist“ (vgl. auch das Folgende bei ihm 2 )). 

1 ) Die Richtigkeit unserer Deutung wird uns durch die Übereinstimmung 
mit derjenigen G. Reichweins bestätigt, der in seiner Dissertion (Die neueren 
Untersuchungen über die Psychologie des Denkens nach Aufgabestellung, Methoden 
und Resultaten, übersichtlich dargelegt und kritisch bearbeitet, 1910, S. 16), 

bezüglich B. Erdmanns sich dahin äußert: „Für ihn ist.das Problem der 

Urteilspsychologie darauf gestellt, in welchem Verhältnis die sprachliche Formu¬ 
lierung .zu dem sachlichen Inhalt steht und durch welche Bedingungen ge¬ 

rade diese sprachliche Formulierung zustande kommt“. Auch sonst noch ist die 
Grenze zwischen Sprechen und Denken beiß. Erdmann nicht scharf gezogen oder 
wenigstens für den Leser nicht scharf zu ziehen; so in seiner Arbeit „Psychologische 
Grundbegriffe der Sprachphilosophie“, (Sond.-Abdr. aus Apophoreton 1903, S. 116), 
wo man geneigt wäre, den „sinnvollen Zusammenhang des Gedachten“ als nicht 
sprachlich, intuitiv im Sinne Erdmanns selbst zu deuten; aber schon der folgende 
Passus belehrt, daß offenbar auch mit jenem das sprachliche Denken gemeint ist. 

Eine andere Äußerung Erdmanns (1. c. S. 17) hinsichtlich eines von anderer 
Seite in die ReproduktionsVorgänge eingeschobenen Gliedes muß allerdings Bedenken 
erregen, ob Verfasser mit seiner Auffassung das richtige getroffen; vielleicht findet 
diese eine Stütze in dem, was Bosanquet (Logic I, S. 81) „Struktur“ des Urteils 
nennt und als derjenigen des Satzes ähnlich bezeichnet. Sehr gut illustriert diesen 
Gedanken W. H. Sheldon (The Psych. Bull. IV, 1907, p. 248), wo er sagt: „Die 
Karte, die wir mit einem Blicke überschauen, hat dieselbe Struktur, wie wenn wir 
sie langsam zeichnen“. 

2 ) Elsenhaus (Lehrb. d. Psychol. 1913, S. 336, Anmerk.), der sich in der 
Frage der Beziehungen zwischen Sprechen und Denken wesentlich an B. Erdmann 

13* 





196 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Die Bedeutung, welche Verfasser der hier vorläufig nur andeutungsweise 
versuchten Aufstellung einer der sprachlichen Formulierung vorangehenden 
gedanklichen Formulierung, dem Gedankenschema beimißt, möge durch 
folgende Erwägung klargestellt sein; mehr noch als durch die bisherigen Deu¬ 
tungen scheint durch diese die Ansicht nahegelegt, daß eine gewisse Formu¬ 
lierung der Wortfindung vorangeht und nicht wie bei bloßer Annahme der 
am Worte sich vollziehenden sprachlichen Formulierung diese mit der Wort¬ 
findung zusammenfällt oder selbst als dieser nachfolgend gedeutet werden 
könnte. Da nun die Wortfindung im Schläfelappen, oder wenn dieses vielleicht 
bestritten wird, keinesfalls weiter vorwärts auf der Bahn des Sprach Vorganges, 
etwa im Stimlappen sich vollzieht, so folgert Verfasser daraus, daß entweder 
der Vorgang der Grammatisierung oder jedenfalls die Aufstellung eines ersten, 
unmittelbar vom grammatischen gefolgten gedanklichen Schemas spätestens 
sich im Schläfelappen vollzieht, also dort, wo Verfasser es aus klinischen Gründen 
postuliert hatte und nicht weiter im Zuge der sprachlichen Vorgänge, also ins¬ 
besondere nicht im Stimlappen. 

B. Erd mann selbst (Umrisse S. 58) lehnt eine seiner Untersuchung 
über das Denken parallel gehende physiologische Untersuchung als vorläufig 
verfrüht ab; Verfasser schließt sich dieser Ansicht durchaus an; hält er es 
doch für ausgeschlossen, daß selbst ein prinzipieller Vertreter anatomisch¬ 
physiologischer Deutungen psychologischer Tatsachen unsere gegenwärtigen 
Kenntnisse vom Bau und den Funktionen der in Betracht kommenden Ab¬ 
schnitte des Gehirns für genügend erachtet zu einem Versuche, wie ihn Erd- 
mann ablehnt. Aber das schließt, wie Verfasser auch schon prinzipiell in der 
Einleitung auseinandergesetzt, den Versuch nicht aus, die möglichst ein¬ 
gehend festgestellte Reihenfolge der psychologischen Vorgänge, also das, was 
wir psychologische Lokalisation nennen, durch Parallelisierung mit den wenn 
auch nur bezüglich vereinzelter Stationen klinisch festgestellten anatomisch - 
physiologischen Vorgängen zur Erweiterung der Kenntnisse von der Reihen¬ 
folge und der daraus etw r a zu erschließenden Lokalisation bisher nicht fest¬ 
gestellter solcher Stationen zu verwerten; bleibt man sich dabei des Hypo¬ 
thetischen solcher Aufstellungen, der Natur solcher Versuche, ihrer Lücken¬ 
haftigkeit nur bewußt, dann wird ein solches, den Forderungen der Wissen¬ 
schaftslehre durchaus gerecht werdendes Verfahren auch nicht mit anatomisch- 
physiologischen Spekulationen verwechselt werden können J ). 

Es liegt nahe, die so wünschenswerte Ausfüllung der Lücken, denen wir 
in Erd manns freilich nicht unmittelbar unserem Gegenstände gewidmeten 

schließt, spricht direkt von einer nichtsprachlichen Formulierung des Denkens und 
zieht deshalb für das unformulierte Denken B. Erd man ns die von diesem selten 
benützte Bezeichnung „intuitives Denken“ vor. 

J ) Die Bedeutung dieser psychologischen Lokalisation erscheint allerdings 
viel weiter reichend als es die hier dargelegte Nutzanwendung unmittelbar erkennen 
laßt; es kann das hier nur kurz angedeutet werden. Immer wieder wird hervorge- 
lioben, daß selbst die intimste Erkenntnis der anatomisch-physiologischen Mechanis¬ 
men des Hirnbaues doch nur zu einer beziehungslos neben der Psychologie stehenden 
Wissenschaft führen kann. In der hier dargelegten, dem Parallelismus der psycho¬ 
logischen und der zerebralen Lokalisation entnommenen Methode de v s Inbeziehung¬ 
setzens scheint dem Verfasser ein erster Ansatz zu aussichtsreicher Überbrückung 
jener trennenden Kluft gegeben. 



Wundts Darstellung. 


197 


Darstellung gefunden, bei Wundt zu suchen, nicht bloß weil dessen Mono¬ 
graphie über die Sprache die ausführlichste, nicht bloß deutsche Darstellung 
des ganzen Gegenstandes büdet, sondern vor allem deshalb, weü aus diesem 
Grunde die Sprachpathologen auf dieses Werk zurückgehen und sich daraus 
alsbald auch kritische Gesichtspunkte den von ihnen daraus gezogenen Kon¬ 
sequenzen gegenüber ergeben werden. 

Ein erster solcher ergibt sich aber unmittelbar daraus, daß Wundt, 
entgegen der Erd mann sehen Darstellung und dem vom Verfasser festgehal¬ 
tenen Standpunkte, auch nicht zum Zwecke der formalen Darstellung eine 
genaue Trennung zwischen wortlosem Denken und dem Sprechen zuläßt, was 
z. B. ganz scharf in der Äußerung hervortritt (Die Sprache. 2. Aufl. 2, S. 251): 
,,Die Gesamt Vorstellung ist ... . ein rein psychisches Gebüde, zu einem psy¬ 
chisch-sprachlichen wird erst der Prozeß ihrer Zerlegung; dabei setzt aber 
dieser Prozeß jenes psychische Gebüde voraus“; das kann wohl nicht anders 
gedeutet werden, als daß die Zerlegung der sogenannten Gesamt Vorstellung 
nur mittelst der einsetzenden sprachlichen Formulierung erfolgt, bzw. nicht 
einen reinen Denkakt darstellt; damit erscheint der Vorgang der Zerlegung, 
den man nach Ansicht des Verfassers auch dem wortlosen (nach Erd mann 
imformulierten) Denken nicht wohl absprechen kann, in die Phase der Ver- 
sprachlichung ein bezogen; vom Standpunkte der Pathologie erscheint diese 
Ablehnung des Wundtschen Standpunktes dadurch motiviert, daß seine 
Darstellung eine Verschiebung der Kriterien über den Sitz der den Agramma¬ 
tismus bedingenden Störungen nach sich zieht, die mit den Tatsachen der 
klinischen Beobachtung nicht in entsprechenden Einklang zu bringen ist. 

Das Prinzipielle des Wundtschen Standpunktes tritt schon darin deut¬ 
lich hervor, daß die Darstellung desselben im Abschnitte „Der Satz als Gliede¬ 
rung der Gesamt Vorstellung“ einen Teü des Kapitels von der Satzfügung 
büdet. „Das Ganze des Satzes steht in aüen einzelnen Teüen, wenn auch 
noch relativ dunkel bewußt, als eine GesamtvorsteUung vor uns, und diese 
Gesamt vors teüung gliedert sich in ihre Teüe, indem einer dieser Teüe nach 
dem anderen apperzipiert wird“ (S. 242). In diesem analytischen Vorgänge 
werden die einzelnen Teüe in dem Augenblick, w r o sie sich aus dem ganzen 
loslösen, zueinander in bestimmte Beziehungen gesetzt. Dieser letzte Teü des 
Vorganges, in welchem die Teüe der Gesamt Vorstellung näher und in quali¬ 
tativ anderer Weise als die übrigen aneinander gebunden werden, steüt sich 
als eine Gliederung dar, so daß der Gesamtprozeß entsprechend der Funktion 
des Satzes eine analytische und eine synthetische Funktion darsteüt. Die so 
gegebenen Beziehungen „sind abhängig von dem spezifischen Inhalt sowohl 
der Einzel Vorstellungen wde der GesamtvorsteUung“ und lassen sich „unter die¬ 
selben Klassenbegriffe ordnen“, die „für die Sonderung der aUgemeinen Wort¬ 
klassen (nicht bei Wundt unterstrichen) entscheidend sind, ein aUerdings 
selbstverständliches Resultat, da ja der Satz, nicht das Wort das Ursprüng¬ 
liche in der Sprache ist und demnach die Wortformen als die notwendigen 
Erzeugnisse dieser bei der Gliederung der GesamtvorsteUung eintretenden 
Beziehungen der Teüe entstehen.“ Die „so aus der GHederung des Satzes hervor¬ 
gehenden analytischen Beziehungen“ bezeichnet Wundt zur Unterscheidung 
von „anderen dem sprachlichen Denken fremden Assoziationsmotiven“ als 
logische (S. 243) und (S. 252 ff.) bestätigt er wiederholt seine Auffassung, 



198 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


daß es sich bei der eben nach ihm dargelegten Gliederung des Satzes um 
Prozesse des sprachlichen Denkens handelt (auch später noch S. 484). 

Gewiß ist Wundt die Selbständigkeit der der sprachlichen Formulie¬ 
rung vorangehenden (logischen) Prozesse nicht entgangen 1 ), aber die Abtren¬ 
nung derselben als selbständiger, vom sprachlichen Denken unabhängigen 
Vorgänge, für die wir insbesondere aus der Psychologie der Taubstummen 
Argumente gewinnen und die wir als bedeutsam für die Beurteilung des Denkens 
aus dem Sprechen erkennen werden, entspricht nicht der Auffassung Wundts 
von der Formulierung und ist deshalb anderen Darstellungen zu entnehmen. 

Dasselbe güt auch von der grammatischen Formulierung bei Wundt, 
die sich als eine der gedanklichen vollständig parallele darstellt, bzw. nicht 
anders kann, weil sie ja schon mit der gedanklichen gemeinsam sich vollzieht; 
die Inkongruenz zwischen den beiden ist aber im Vorangehenden als gesicherter 
Besitz aus reichlichen Erörterungen hervorgegangen. 

Wesentlich schärfer präzisiert erscheinen die hier besonders behandelten 
Gesichtspunkte in der von H. Gomperz (in seiner „Noologie“, 2. Band seiner 
„Weltanschauungslehre“ 1908) gegebenen Darstellung der Entwicklung, die 
„von dem ersten Einfall“ bis zur schließlichen sprachlichen Formulierung 
hinführt, und die auch er als einen Prozeß fortschreitender Gliederung ceutet; 
dabei geht er, ganz wie B. Erd mann, davon aus, daß der unformulierte Ein¬ 
fall vielfach die Blüte geistiger Funktion darstellt und recht drastisch gibt er 
dieser der Identität vom Denken und Sprechen so gegensätzlichen Ansicht 
Ausdruck in dem Satze „die Meinung, es gebe kein anderes Denken als ein 
solches in Worten, scheint uns deshalb jeder intellektuellen Erfahrung zu wider¬ 
sprechen“. 

Für die fortschreitende Gliederung des ersten ungegliederten Einfalls 
bis zu seiner endlichen sprachlichen Formulierung statuiert Gomperz drei 
Etappen, indem zwischen den Gedanken „mit (noch) undeterminierter Sprach- 
form“, und denjenigen, an welchen diese Determination schon erfolgt ist, 
eine zweite Form, die der „Aussage mit potentiell determinierter Sprachform 2 ) 
eingeschoben wird. In diesem Stadium ist der Gedanke „so sehr ins einzelne 
gegliedert und bestimmt, daß er jeden anderen als den treffenden, ihm an- 


*) So wenn er (1. c. S. 253) davon spricht, daß relativ einfache sinnliche 
Wirkungsinhalte die ersten Anlässe sind, die solche Prozesse des sprachlichen Denkens 
auslösen oder (1. c. S. 510), wenn er von den Beziehungen verschiedener Gedanken¬ 
inhalte spricht, „die sich, wenn sie in der Sprache zum Ausdruck kommen, zu einem 
Satze gestalten.“ 

Reich wein, ein Vertreter Wundtscher Anschauungen, sagt S. 19 seiner 
zuvor zitierten Dissertion (Halle 1910) von dem im Urteü vorhandenen auf den 
sachlichen Gegenstand sich beziehenden Gedanken, daß dieser „in eigenartiger Weise 
schon vor der sprachlichen Formulierung des Urteils in einem Verhalten oder einer 
Tendenz gegeben ist, welche dann durch die im verwirklichten Urteü gegebenen zwei 
Vorstellungen genau bestimmt wird“. Was uns hier behindert, ist auch da die 
ungenügende Scheidung jenes vorangehenden logischen Prozesses von der sprach¬ 
lichen Formulierung. 

2 ) Die Einschiebung dieser Station zwischen logischer Gliederung und sprach¬ 
licher Formulierung entspricht dem anläßlich der Darlegung von Wundts Lehre 
hervorgekommenen Bedürfnisse der Pathologie nach schärferer Formulierung des 
Überganges vom logischen zum grammatischen Denken. 



H. Gomperz’ Darstellung. 


199 


gemessenen .... kurz jeden anderen als ,»seinen“ sprachlichen Ausdruck 
zurückstößt“. 

In der ersten Etappe erfolgt die logische Gliederung des Gedanken, deren 
er bedarf, um eine sprachliche Form anzunehmen, in der zweiten ist diese 
Gliederung schon erfolgt, aber die sprachliche Form noch nicht angenommen, 
in der dritten endlich hat der Gedanke diese schon angenommen. Die ver¬ 
schiedenen Sprachen stellen an die logische Gliederung der Gedanken verschie¬ 
dene Ansprüche (1. c. S. 59 ff.) wegen der Differenzen und Mängel der ihnen 
zur Verfügung stehenden Sprachmittel; ,»daraus ergibt sich, daß Gedanken, 
denen die Sprachformen einer Sprache eindeutig zugeordnet werden können, 
doch in Beziehung auf eine andere fremde Sprache nicht genügend, auf 
eine dritte Sprache mehr als notwendig determiniert sein werden, daß somit 
yon der potentiellen Determination der Sprachform stets nur in Beziehung 
auf eine bestimmte Sprache die Rede sein kann, und daß ein in diesem einzig 
zulässigen Sinn als potentiell determiniert zu bezeichnender Gedanke bereits 
Momente in sich enthalten wird, die unzweideutig auf diese eine Sprache hin- 
weisen. Hieraus folgt jedoch, daß es im strengen Sinne überhaupt keinen 
Gedanken gibt, der hinreichend gegliedert wäre, um logisch präzis zu sein 
und der doch zugleich über die Verschiedenheit der Idiome vollkommen er¬ 
haben wäre.‘‘ 

Entkleiden wir für unsere Zwecke die hier nach Gomperz mit seinen 
eigenen Ausdrücken wiedergegebene Darstellung des Weges vom Denken zum 
Sprechen ihrer knappen Formulierung, so stellt sich dieser folgendermaßen 
dar: Der erste noch ungegliederte Einfall erfährt zuerst eine logische Gliede¬ 
rung, die zunächst, um einer prägnanten Deutung des Scholastikers Occams 
zu folgen, „nullius idiomatis“ ist; darauf folgt ein Stadium, in welchem der 
Fortschritt der Formulierung zu weiterer logischer Präzision sich durch das 
Wirksam werden einer bestimmten Sprachform vollzieht (der Gedanke ist 
„dieser Sprachform potentiell determiniert“); daß es sich Gomperz dabei 
sicher schon um eine über die einfache logische hinausgehende Gliederung 
handelt, geht daraus hervor, daß er in seiner Polemik gegen die eben erwähnte 
Annahme Occams darauf hin weist, daß die verschiedenen Sprachen an die 
logische Gliederung der Gedanken verschiedene Anforderungen stellen, je 
nach den ihnen zur Verfügung stehenden Sprachmitteln; deshalb beziehe sich 
die potentielle Determination der Sprachform stets nur auf eine bestimmte 
Sprache; demnach enthält ein als potentiell determiniert bezeichneter Gedanke 
bereits Momente in sich, die unzweideutig auf diese Sprache deuten. Das 
Endziel logischer Präzision wird der zuvor zitierten Folgerung nach ohne eine 
solche Zuordnung nicht wirksam werden. 

Es leuchtet ohne weiteres ein, daß diese Ansicht, die übrigens nicht 
unwidersprochen dasteht (vgl. bei Gomperz selbst den Hinweis auf die von 
Stöhr behandelte, naturgemäß auf dem gegensätzlichen Standpunkte fundierte 
„Algebra der Grammatik“ *)) für die Beurteüung wichtigster Fragen in der 
Sprachpathologie von entscheidender Bedeutung ist; namentlich der Rück¬ 
schluß vom Sprechen und von der Sprachform auf das ihnen zugrunde liegende 

*) Vgl. dazu auch neuere Äußerungen Stöhrs: „Es ist auch klar, daß sich 
eine Sprachlogik von allen Besonderheiten des Satzbaues einer bestimmten Sprache 
frei machen muß.“ St öhr, Logik in psychol. Darstellung 1910 S. 110. 



200 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Denken wird davon in der weitgehendsten Weise beeinflußt sein; nicht minder 
bedeutsam ist diese Ansicht für die Beurteilung derjenigen Fälle, in denen 
es überhaupt zu keiner sprachlichen Entwicklung kommt und schon hier ist 
die Andeutung am Platze, daß die Logik der Taubstummen eigentlich das 
experimentum crucis für die These von Gomperz darstellen müßte. 

In diesen Bemerkungen haben wir auch einen ebenso wichtigen, wie 
empfindlichen Punkt der neueren Sprachpsychologie oder Sprachphilosophie, 
wie Andere sagen, berührt. Es steht natürlich dem Verfasser nicht zu, be¬ 
züglich der Idee einer reinen Grammatik, wie sie Husserl (Logische 
Untersuchungen II, S. 286 ff.) neuerlich aufgenommen und des scharfen Wider¬ 
spruches, den dieselbe in dem Kreise der Sprachpsychologen und auch Lin¬ 
guisten *) (z. B. Br6al) gefunden, irgendwie kritisch Stellung zu nehmen; aber 
er möchte doch nicht unterlassen, den Kern derselben, der auch in der Sprach- 
pathologie nicht übersehen werden darf, hier wenigstens anzumerken. Wenn 
diese ,,reine Grammatik“ 2 ) nach Husserl ,,das ideale Gerüste bloßlegt, das 
jede faktische Sprache, teils allgemein menschlichen, teils zufälligen wechseln¬ 
den empirischen Motiven folgend; in verschiedener Weise mit empirischem 
Materiale ausgefüllt und umkleidet“, dann frägt es sich, inwieweit bei dem 
Sprachkranken jenes ideale Gerüste noch erhalten ist oder nicht; nicht minder 
ist es klar, daß sich daran noch manche vorläufig ganz unlösliche Frage der 
Aphasielehre anknüpft. Wenn dann H. Maier aus seiner ablehnenden Haltung 
heraus dieser reinen Grammatik gegenüber (Psychologie des emotionalen 
Denkens. 1908, S. 59 ff.) für die Sprachforschung eine allgemeine Psychologie 
des logischen Denkens fordert, so läßt auch das sich sehr wohl auf die Sprach- 
pathologie ausdehnen, schon um dessen willen, daß da hinein auch die syn¬ 
taktische Bedeutungslehre gehört, also das grundlegende Gebiet für die Lehre 
vom Agrammatismus. 

Aber abgesehen von diesen, eigentlich der Pathologie entlehnten Ge¬ 
sichtspunkten, die sich zu Argumenten gegen die Ansicht von Gomperz ge¬ 
stalten dürften, kann Verfasser nicht umhin, einigen der Norm zu entnehmen¬ 
den Einw-änden hier Ausdruck zu geben. Wenn Verfasser die Darstellung 
von Gomperz richtig erfaßt hat, dann geht das Denken mit potentiell deter¬ 
minierter Sprachförm insofern über die rein logische Gliederung hinaus, als 
ihm schon gewisse sprachliche Kriterien anhängen, die durch das Denken in 
einer bestimmten Sprache gegeben sind; soll aber erst durch diese die logi¬ 
sche Präzision der Gliederung erreicht werden, dann müßte bei Einem, der 
denselben Gedanken in verschiedenen Sprachen wechselnd wiedergeben will, 
nicht bloß in unserem Sinne eine verschiedenartige „Einstellung“ für jede 
derselben erfolgen, sondern auch in der Logik des auszusprechenden Ge¬ 
dankens müßte eine Differenzierung eintreten, die die Präzision desselben 
betreffen müßte; das erscheint aber doch außerordentlich fraglich; wenn es 
auch richtig ist, daß, wie Gomperz ausführt, in dem als potentiell determmiert 

J ) Vgl. dem gegenüber den Standpunkt C.D. Bucks (The Relations of compar. 
grammar to other branches of learning. Congr. of Arts and Sc. St. Louis 1904, 
Vol. III, 1906, p. 32). 

2 ) Vgl. dazu teils zustimmende, teils ablehnende Äußerungen bei A. Marty 
(Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachwissen¬ 
schaft 1908, S. 56 u. passim). 



H. Gomperz’ Darstellung. 


201 


zu bezeichnenden Gedanken bereits Momente enthalten sind, die auf eine be¬ 
stimmte Sprache hin weisen, so ist damit noch durchaus nicht erwiesen, daß 
diese Momente für die logische Präzision desselben irgendwie von Einfluß 
sind. Man wird der Syntax der Gebärdensprache der Taubstummen die präzise, 
der sprachlichen entsprechende Gliederung absprechen können, aber an der 
präzisen Logik derselben zu zweifeln, scheint kein Grund gegeben. 

Diese Überlegung des Verfassers findet, wde er nachträglich sieht, eine 
Bestätigung durch die Ausführungen H. Maiers (Psychologie des emotionalen 
Denkens. 1908, S. 362) vom Zuordnen des Satz Vorstellungsaktes mit dem Ob¬ 
jektvorstellungsakte; allerdings subsumiert auch er diese Zuordnung als einen 
Teüakt der logischen Funktion, insofern sich auch darauf das ,,logische Glie¬ 
derungsbewußtsein erstreckt“; ,,aber dasselbe ist nach dieser Seite nicht Be¬ 
wußtsein der Denknotwendigkeit und schlechthinigen Allgemeingütigkeit, 
sondern lediglich Bewußtsein der Sprachrichtigkeit, d. h. das Bewußtsein, daß 
die.Zuordnung.mit dem Sprachgebrauche übereinstimmt“ *). 

Von den der potentiellen Determinierung vorangehenden Prozessen gibt 
Gomperz folgende Darstellung (Weltanschauungslehre. I. Methodenlehre. 
1905, S. 117 ff.): Dem ersten, etwa mit der Gesamtvorstellung Wundts zu¬ 
sammenfallenden Stadium gibt Gomperz den Namen der ,,Totalimpression“ 
(,,Gesamteindrucksgefühl“), eine Bezeichnung, die insofern umfassender ist, 
als auch Bewußtseinstatsachen, die nicht Vorstellungen sind, mit inbegriffen 
sind, wie auch Gomperz selbst, der sich erst später differenzierenden Vor¬ 
stellung der Qualitäten ein Gesamteindrucksgefühl vorangehen läßt. Das 
Exempel, das er von der sprachlichen Wirkung einer solchen noch nicht zur 
Vorstellung und insbesondere noch nicht zur gegliederten Vorstellung ge¬ 
diehenen Totalimpression gibt, das ,,etwas los!“ bei einer undifferenzierten 
schrecklichen Empfindung, das „Ah!“ eines plötzlichen Anblicks, geben der 
Pathologie wichtige Gesichtspunkte an die Hand, wie sich auch im Gebiete 
derselben sprachliche Reaktionen gestalten dürften, die schon im Zuge der 
Gedankenentwicklung und nicht erst nach Abschluß einer gewissen Formu¬ 
lierung zustande kommen. 

Es fällt diese Deutung, wie auch das unten angeführte Beispiel 3 ) von 

*) S. 240 spricht Gomperz von den logischen Formalgefühlen, welche die 
grammatische Form der Aussage fundieren; sie könnten dem „logischen Gliederungs- 
'bewußtsein“ Maiers entsprechen, soll anders nicht eine zweimalige logische Gliede¬ 
rung angenommen werden. 

2 ) Vgl. bei ihm auch weitere Ausführungen, wo er die Totalimpression direkt 
den Gefühlen zurechnet. 

3 ) „Wenn ich einem Mitunterreder .... ins Wort falle, um ihm eine Ein¬ 
wendung zu machen, so geht bei Formulierung dieser Einwendung ein ganz eigen¬ 
tümlicher Bewußtseinszustand (Verfasser darf hier an die „Bewußtseinslage“ von 
Marbe erinnern) voraus. In diesem Augenblick ist der ganze Inhalt meiner Ein¬ 
wendung in ein Gefühl zusammengedrängt. Alles, was ich sagen werde, ist keim- 
artig in diesem Gefühle enthalten, entbehrt jedoch der Entfaltung. Ich könnte 
noch nicht angeben, was ich sagen werde. Erst im Sprechen legt sich dieser Ge¬ 
dankenkeim in seine Teile auseinander“. (Es ist auch psychologisch nicht un¬ 
interessant, daß dieses Beispiel vollständig zusammenfällt mit demjenigen, das 
Morris, einer der linguistischen Vertreter der Wundtschen „GesamtVorstellung“, 
von sprachlichen Äußerungen gibt, die noch während des Vorhandenseins der Ge¬ 
samtvorstellung zur Entwicklung kommen. Vgl. dazu auch spätere theoretische 
und Beispielen entnommene Darstellungen sprachlicher in jene Phase des Denkens 
fallender Entäußerungen. 





202 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Gomperz sehr schön illustriert, zusammen mit derjenigen, die Gomperz 
(1. c. S. 239) vom ersten Stadium der Aussage mit undeterminierter Sprach- 
form gibt, wo er den imgegliederten „Einfall“ auch als einen ungegliederten 
Komplex generell-typischer Totalimpressionen bezeichnet 1 ). Doch glaubt Ver¬ 
fasser auch innerhalb dieser nach Gomperz sehen eine beginnende Gliede¬ 
rung konstatieren zu können, wodurch sich doch auch eine Annäherung an den 
gegen Gomperz zuvor vertretenen und durch die Psychologie der Gebärden¬ 
sprache illustrierten Standpunkt des Verfassers vollzieht. Gomperz weist 
nämlich selbst innerhalb der generell-typischen Totalimpressionen logisch 
differenzierte Momente nach; sie stellen im Bewußtsein jene Momente dar, 
welche sprachlich durch die Wortstämme der kategorematischen Redeteile 
(d. h. der unmittelbar bezeichnenden) ausgedrückt werden. Alle Momente 
der Bedeutung dagegen, deren sprachlichem Ausdruck die einzelnen gramma¬ 
tischen Formen dieser W T ortstämme, ferner der synkategorematischen (d. h. 
xnit bedeutenden) Redeteile, endlich Stellung und Betonung der einzelnen 
Worte dienen, erfordern eine andersartige, psychologische Bestimmung. An¬ 
knüpfend daran führt Gomperz aus, daß es sich wenigstens in vielen Fällen 
auch bei der Erfassung dieser formellen Bedeutungsmomente um Gefühle 
handelt. Dementsprechend unterscheidet er S. 236 diese logischen Formal¬ 
gefühle von den materiellen Gefühlen der generell-typischen Totalimpression 
(II. 1. Noologie. 1908). 

Dieser Darstellung von Gomperz entnimmt Verfasser auch für das 
erste Stadium des unformulierten Einfalles, der von ihm sogenannten Total¬ 
impression, eine logische Gliederung; die darin zum Vorschein kommende 
Differenzierung nach bestimmten Wortkategorien führt aber direkt zum Ver¬ 
ständnis jener Form des Agrammatismus, die als sogenannter style negre in einer 
einfachen Aneinanderreihung der kategorematischen Redeteüe sich darstellt; 
die sichtliche Analogie dieser Sprachform mit der Gebärdensprache, bei der 
ja auch die grammatische Form, die mit bedeutenden Redeteüe und die Be¬ 
tonung fehlen (die Stellung der Worte und Zeichen ersetzt die anderen Aus¬ 
drucksmittel), büdet das Bindeglied zu der zuvor von der Zeichensprache gegen 
Gomperz hergenommenen Argumentation. 

Wenn Gomperz dann (1. c. S. 240 ff.) bezüglich der Frage der gram¬ 
matischen Formen ausführt, daß im ersten Stadium der Aussage mit undeter¬ 
minierter Sprachform die für die Gliederung des Einfalles maßgebenden Formal- 
gefühle noch ganz fehlen, so scheint darin ein Widerspruch gegen das eben 
Gesagte nicht zu bestehen; es steht das aber auch mit der vom Verfasser fest- 
gehaltenen Ansicht in Einklang, insofern damit von Gomperz selbst ausge¬ 
sprochen erscheint, daß im zweiten Stadium (dem mit potentiell-determinierter 
Sprachform) schon Formalgefühle vorhanden sind, also noch ehe die Worte 

J ) Das was Gomperz von den generell-typischen Totalimpressionen sagt, 
bedarf einer Erläuterung dahin, als er sagt (S. 221), „solche ganz typische Total- 
impressionen können ferner durch gewisse logische Formalgefühle, die selbst genereller 
Art sind, noch untereinander in Beziehung gesetzt werden und sich so zu gegliederten 
Komplexen zusammenschließen. Als ein solcher gegliederter Komplex von genereil¬ 
typischen Totalimpressionen der Aussagegrundlage stellt sich nun im Allgemeinen 
für den path-empirischen Standpunkt der Aussageinhalt dem Bewußtsein dar“; 
daraus ergibt sich auch die Differenz gegenüber der Gesamtvorstellung von Wundt 
(diese entspricht der Totalimpression höherer Ordnung von Gomperz (S. 241). 



H. Gomperz’ Darstellung. 


203 


für den Ausdruck der Totalimpression gefunden sind; das steht wohl auch nicht 
im Widerspruch mit der Äußerung Gomperz' (1. c. S. 240), daß die logischen 
Teile des Gedankens während der Aussage auseinandertreten, insoferne dem 
Auseinandertreten der logischen Teile doch schon eine Gliederung in solche 
vorausgehen muß. 

Gomperz hat diese Fragen noch an einer anderen Stelle gestreift (1. c. 
S. 59); er gesteht im Sinne der ,»geistigen Rede“ des Scholastikers Occam 
den Gedanken mit potentiell-determinierter Sprache eine gewisse grammatische 
Bestimmtheit in beschränktem Maße zu; dies im Zusammenhalt mit seiner 
Ansicht, daß in diesem Stadium akustische Phantasmen oder Innervationen 
fehlen, die grammatische Bestimmtheit erst auf dem Wege zur aktuellen deter¬ 
minierten Sprachform sich vollzieht, fällt sichtlich mit der Ansicht des Ver¬ 
fassers (s. dessen spätere Darstellung) zusammen, daß der Wortfindung ein 
grammatisches Schema etwa als Totalimpression oder als „Gestaltsqualität“ 
des Satzes vorangeht. 

Noch wesentlich schwieriger als die Darstellung dieser ersten, von Gom¬ 
perz selbst schon als einer erschöpfenden psychologischen Analyse kaum zu¬ 
gänglichen, Etappe der sprachlichen Formulierung gestaltet sich das, was er 
bezüglich der beiden anderen ausführt; wir entnehmen dem nur, daß er die 
Aussage mit potentiell-determinierter Sprachform als „einen gegliederten 
Komplex generell-typischer Totalimpressionen bezeichnet, der einen bestimmten 
sprachlichen Ausdruck meint“, während in der Aussage mit aktuell deter¬ 
minierter Sprachform sich mit jenem Gefühlskomplex auch schon die Vor¬ 
stellungen dieses Ausdrucks verknüpft haben. 

Verfasser muß es sich versagen, schon an dieser Stelle dem Autor auf 
diesem Gebiete höchst intrikater Differenzierungen noch weiter zu folgen, 
obwohl eine Anwendung derselben auf sprachpathologische Probleme durch¬ 
aus nicht allzufern zu liegen scheint. Gomperz bezeichnet selbst (1. c. S. 77) 
den Eindruck seiner Analyse als einen komplizierten und subtüen ; wenn er 
aber dann doch diese Analyse als die Grundlage für eine Formulierung der 
Probleme der Semasiologie und natürlich erst recht für eine Lösung dieser 
Probleme hinstellt, so zeigt schon dies, daß die Pathologen diese Formu¬ 
lierungen und Lösungen ruhig abwarten werden, ehe sie an eine Nutzanwen¬ 
dung auch dieser Grundlagen für ihren Zweck herantreten; es dürfte sich an 
späterer Stelle Gelegenheit finden, darauf zuriickzukommen. 

Für das vorliegende Thema bedeutsam ist die von Gomperz 
herausgearbeitete Tatsache, daß die durch die potentiell determinierte Sprach¬ 
form charakterisierte Etappe der Formulierung nach Ansicht des Verfassers 
schon über die logische Gliederung hinausgeht, weü ihr schon gewisse sprach¬ 
liche Kriterien anhängen, bedingt durch das Sprechen in einer bestimmten 
Sprache, die also den Übergang zu dem büdet, was Wundt als „grammati¬ 
sches“ Denken bezeichnet; die potentielle Determinierung wird sich, wie wir 
ausgeführt, verschieden „einstellen“ bei abwechselndem Sprechen in verschie¬ 
denen Sprachen. Dadurch, daß der Betreffende in einer bestimmten Sprache 
zu denken gewohnt ist, wird die entsprechende Sprachform bei ihm potentiell 
determiniert, die Übung macht sich als das potentiell Determinierende geltend. 

In diesem Stadium der Formulierung tritt eben das „Schema“ hinzu, 
das Verfasser nach W. James im Gange der gedanklichen Formulierung postu- 



204 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


liert hat; diesem Stadium werden sich auch gewiß pathologische Formen des 
Agrammatismus anpassen; einmal, indem die grammatische Formulierung 
überhaupt ausbleibt oder die logische Formulierung gegenüber der grammati¬ 
schen die Oberhand gewinnt. 

Von besonderer Bedeutung erscheint in der oben nach Gomperz ge¬ 
gebenen Beschreibung der ersten Etappe der Aussage auch das Verhältnis 
in der Reihenfolge der von ihm berichteten ,,Formalgefühle“, weil sie mit der 
vom Verfasser hier vertretenen Anschauung bezüglich des zeitlichen Verhält¬ 
nisses von der Satzformulierung und Wortfindung durchaus in Einklang steht. 
Wenn Gomperz an der zitierten Stelle das Vorhandensein von logischen 
Formalgefühlen durch den Hinweis darstellt, daß das „Gefühl des Konzessiven* 6 
sich früher deutlich ausprägt als der Inhalt des Konzessivsatzes („ich weiß, 
daß ich ein Zugeständnis machen kann oder muß, ehe ich sagen kann, welches 
Zugeständnis das sein wird“), so ist damit ein erstes „Schema“ für den Kon¬ 
zessivsatz jedesfalls gegeben, und zwar dasjenige, in welchem die musischen 
Elemente als diejenigen, welche dem Gefühl besonderen Ausdruck geben, nach 
unserer Deutung für die Formulierung entscheidend in Wirksamkeit treten. 
Gewiß fehlen da noch „jene logischen Formalgefühle, welche die gramma¬ 
tische Form der Aussage fundieren“ (Gomperz), aber immerhin ist auch schon 
der Darstellung von Gomperz die Aufstellung eines, wenn auch nur „musisch“ 
angedeuteten Satzschemas im Sinne unserer Ausführungen zu entnehmen, 
wodurch diese eine weitere Stütze erfahren. Die Richtigkeit der hier den 
Gomperz sehen Aufstellungen gegebenen Deutung wird auch noch dadurch 
bestätigt, daß er (Noologie I, S. 260) hervorhebt, wie „auch nachdem der un¬ 
gegliederte Einfall sich in einen gegliederten Komplex von Bedeutungsge¬ 
fühlen differenziert hat, denen zahlreiche einzelne Worte entsprechen, diese 
doch alle in eine Satzbedeutung eingebettet bleiben J ). Denn jener gegliederte 
Komplex ist nicht ein bloßes Bündel äußerlich aneinander geleimter Gefühls¬ 
momente, die Satzbedeutung ist durchaus nicht die mechanische Summe der 
einzelnen Wortbedeutungen**. — 

Auch H. Maier (Psych. des emotionalen Denkens. 1908) hat sich mit 
unserem Thema eingehend befaßt; er selbst (1. c. S. 249) gibt davon folgende 
zusammenfassende Darstellung: „Wie die Objekte in Urteilen oder in emo¬ 
tionalen Denkakten vorgestellt werden, so erhalten sie in Sätzen ihr sprach¬ 
liches Zeichen. An die Objekt Vorstellungen knüpfen sich Satz Vorstellungen 
und weiterhin Satzakte (Sprechakte). Den Objekten werden vorgestellte 
oder gesprochene — oder auch geschriebene — Sätze „zugeordnet““. 

„Ich nehme etwa einen Vorgang wahr, den ich in den Satz: „Es donnert“ 
fasse. Vergegenwärtigen wir uns nun die in diesem Urteilsakt immanent voll¬ 
zogenen Beziehungen zwischen Objekt und Satz genau. In dem Gesamtakt 
knüpft sich an die Objekt Vorstellung, an die Vorstellung des realen Vorgangs 
die Satz Vorstellung, die Vorstellung des Satzes „es donnert** und weiterhin 
etwa der Akt des Sprechens. Der Sprechakt ist gedacht als der psychische 
„Ausdruck“ der Objekt Vorstellung. Es ist also jedenfalls zunächst eine Vor¬ 
stellung, die im Sprechakt zum „Ausdruck gebracht“ wird. Aber wir über- 

J ) Man vergleiche dazu den in der eigenen später zu gebenden Darstellung 
vom Verfasser gewählten Vergleich mit dem Mosaikbilde und der Masse, in die die 
Sternchen, die das Mosaik bilden, versetzt werden. 



H. Maiers Darstellung. 


205 


tragen dieses Verhältnis auch auf die innerpsychische Beziehung zwischen der 
Objekt- und Satz Vorstellung, indem wir sagen: in der Satzvorstellung wird die 
Objektvorstellung zum Ausdruck gebracht. Immer aber ist es ursprünglich 
eine Vorstellung als ein psychisches Erlebnis, was in einem Satzvorstellungs- 
oder einem Satzsprechakt „seinen Ausdruck findet““. 

„Die Objektvorstellung erhält in der Vorstellung des Satzes ihren psychi¬ 
schen, im Aussprechen des Satzes ihren physischen Ausdruck. Dagegen erhält 
das Objekt selbst, der wahrgenommene Vorgang, im vorgestellten oder ge¬ 
sprochenen Satz sein sprachliches Zeichen — daß das Aussprechen des Satzes 
stets einen besonderen Zweck verfolgt, sei hier nur berührt — und der vor¬ 
gestellt« oder gesprochene Satz „bedeutet“, „bezeichnet“ das Objekt, in unserem 
Beispiel den wahrgenommenen Vorgang. In übertragener Weise sagen wir 
dann wohl auch, daß das „Objekt“ in dem vorgestellten oder gesprochenen 
Satz seinen Ausdruck erhalte, daß der vorgestellte oder gesprochene Satz der 
Ausdruck des Objektes sei.“ 

Aber zwischen den Beiden besteht insofern eine Differenz, daß bei der 
ersteren logische Zwecke zugrunde liegen, während die äußeren Satzsprech¬ 
akte Zwecken der Verständigung, der Entäußerung dienen. Daraus geht schon 
hervor, „daß die äußeren Sprechakte dem Denken nicht parallel liegen; die 
ersteren sind Teilakte der Denkfunktion, die als vollzogen vorauszusetzen 
sind, wenn die äußeren Sprechakte in Funktion treten.“ (Maierl. c. p. 366.) 

Aus den Bemerkungen Maiers über den psychologischen Charakter 
des Satz Vorstellungsaktes (1. c. S. 364) sei noch hervorgehoben die Annahme, 
daß wir, indem wir die Objekt- an die Satz Vorstellung anknüpfen, diese zunächst 
aus dem uns zur Verfügung stehenden „Materiale gestalten“ müssen, „daß es . . . 
die Erfahrung, der Niederschlag einstigen Lernens ist, dem wir auch beim 
inneren Reden die Kenntnis der für den einzelnen Fall erforderlichen Sprach- 
mittel entnehmen“. Es vollzieht sich das auf dem Wege von Schlüssen oder 
ganzen „Schlußgeflechten“, aber in der Regel unwillkürlich und „erst, w r enn 
wir uns auf ein Wort, auf eine Form, auf den Sprachgebrauch besinnen 
müssen, wird der Weg, auf dem die Satzvorstellungen ins Bewußtsein treten 
und damit ihr psychologischer Charakter deutlich erkennbar“. 

Ausführlicher kommt Maier dann (1. c. S. 359 ff.) bei der Behandlung 
des „Satzes“ auf die Frage zurück, deren Ausführungen noch folgendes zu ent¬ 
nehmen ist: Zunächst das Bedeutsame, daß er im Satze ebensosehr den Aus¬ 
druck des kognitiven wie des emotionalen Denkens sieht x ); der Einheit der 
beiden entspricht der Satz als die fundamentale Spracheinheit, ohne daß damit 

x ) Wenn er die Beiden unter den allgemeinen Begriff der logischen Funktion 
zusammenfaßt, so sind die sich daran knüpfenden Kontroversen für uns um so weniger 
von Belang, als er selbst (1. c. S. 361) das dahin erläutert, daß damit nicht die nor¬ 
mative Logik gemeint sei. 

Verfasser kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auf diese für die Psych¬ 
iatrie äußerst belangreiche Lehre, wenn auch nur ganz flüchtig, hinzuweisen; wenn 
wir von Maier, der logisches Denken nicht mehr mit Urteilen identifiziert (S. 361), 
hören, daß er z. B. emotionale Schlüsse unterscheidet, „die von vorhandenen Vor¬ 
stellungen aus mit Hilfe vermittelnder emotionaler Vorstellungen neue emotionale 
Vorstellungen ableiten“ (S. 358), daß er emotionale BeziehungsVorstellungen u. a. 
unterscheidet, dann bedarf es wohl nur des Hinweises auf die Bedeutung dieser 
Kategorien für die Lehre von der Wahnbildung, deren emotionale Grundlage, um 
Maiers Nomenklatur zu gebrauchen, ein Erwerb der allerletzten Zeit ist. 



206 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


etwa „die „organische“ Einheit von Denken und Sprechen, ein Parallelismus 
von Denk- und Sprechakten, von Denk- und Satzformen geschweige eine 
parallele generelle und individuelle Entwicklung des Denkens und Sprechens“ 
postuliert würde. 

Daraus ergibt sich für Maier ein Gegensatz von innerem und äußerem 
Satzakt: „Die inneren Satzakte sind diejenigen, in denen die logischen Denk¬ 
akte oder genauer, die Objektvorstellungen an Satz Vorstellungen angeknüpft 

werden; sie sind also Satzvorstellungsakte;.im Satz Vorstellungsakte 

werden die Objektvorstellungsakte zum Ausdruck gebracht.“ Dieses Zuordnen 
des Satz vorstellungsaktes zum Objekt Vorstellungsakte ist ein Teilakt der logi¬ 
schen Funktion, aber nicht im Sinne einer Denknotwendigkeit, oder Allgemein¬ 
giltigkeit, sondern lediglich im Bewußtsein dar Sprachrichtigeit. Die inneren 
Satzakte sind innere Wülenshandlungen, während die Satzsprechakte äußere 
Willenshandlungen sind. 

Es bedarf wohl nur dieses Hinweises, um in Maiers Auseinanderhaltung 
von logischer Funktion im Sinne der Denknotwendigkeit und solcher im Sinne 
der Sprachrichtigkeit das Analogon zu des Verfassers Trennung der gedank¬ 
lichen Formulierung von der sprachlichen zu erkennen. 

Daß diese Analogisierung richtig ist, beweist der Umstand, daß Maier 
(1. c. S. 362) die Bezeichnungen hypo- und hyperlogisch von Erd mann ab¬ 
lehnt, „da das wortlose Denken, auch da, wo es intuitiver Natur ist, als 

logisches Denken (bei Maier nicht unterstrichen!).betrachtet 

werden muß.“ 

So schematisch uns im Allgemeinen im Gegensatz zu neueren jetzt vor¬ 
zuführenden Darstellungen auch die Ausführungen Maiers anmuten mögen, 
wird auch ihnen manches für die Zwecke der Pathologie Brauchbare zu ent¬ 
nehmen sein; und auch von manchen Detaüs seiner Darstellung ist das 
der Fall. 

Der Gegensatz zwischen Satz und Wort mußte einer in den Erinnerungs¬ 
bildern befangenen Sprachpathologie immer Schwierigkeiten bereiten, die 
durch die Lehre vom Primat des Satzes nur noch erhöht erscheinen x ). Man 
halte dem zitierten Beispiele die Ausführungen Maiers entgegen (1. c. S. 364 1 2 )), 
um zu sehen, wie auch Einzelheiten seiner Darstellung pathologisch wert¬ 
volle Andeutungen erhalten; hier z. B. seine Auseinanderhaltung von Satz 
und Satzakt! 

Ganz scharf trennt neuerlich auch D. Michaltschew (Phüos. Studien. 
1909, S. 337), der sich darin als Schüler Rehmkes bezeichnet, das Urteil vom 

1 ) Heilbronner (Über Agrammatismus und die Störung der inneren Sprache. 
Sep.-Abdr. a. Arch. f. Psychiat. 41, 2, S. 29) sucht denselben durch die Formulierung 
zu umgehen, „daß Sätze — auch geläufige Phrasen — immerhin keine derart ge¬ 
festigten sprachlichen und insbesondere motorischen Komplexe darstellen, wie die 
immer wieder in absolut gleicher Form (doch nicht in der Sprechsprache. Anm. d. 
Verf.) auftretenden Einzelworte“. 

2 ) Wir heben nur den einen z. T. schon zuvor zitierten Satz heraus: „daß 
der satzbildende Akt eine Tätigkeit ist, die weit mehr Aktivität voraussetzt als 
bei der Erinnerung erforderlich ist, daß wir, indem wir an die Objekt- die Satz- 
vorstellung anknüpfen, diese zunächst aus dem uns zur Verfügung stehenden 
Material gestalten müssen“. 





Die „Würzburger Schule“; Bühler. 


207 


Satz, die Logik von der Grammatik J ) und wenn Verfasser die neueste „Lehre 
vom Urteil“ von E. Lask 1912 richtig erfaßt hat, dann lauten auch deren 
Ausführungen im Sinne einer der sprachlichen, bzw. grammatischen Formu¬ 
lierung vorangehenden logischen Formulierung. Das ausführlicher hier dar¬ 
zulegen, würde zu weit führen, doch seien Lask (1. c. S. 65) einige Bemer¬ 
kungen entnommen; der „durch die sprachliche Formulierung verborgene 
logische Sinn“ ist doch sicherlich durch einen ihm auch vorangehenden Prozeß 
zustande gekommen. An einer anderen Stelle (S. 47) unterscheidet Lask 
logisches Sinngefüge und sprachliches Satzgefüge, welch ersteres der gedank¬ 
lichen Formulierung des Verfassers entspricht (vgl. bei ihm S. 48 auch das 
Auseinanderfallen der psychologisch-grammatischen und sachlichen Zweigliedrig- 
keit der Aussagegefüge). 

Unmittelbar an die B. Erdmann entnommenen Ausführungen über 
die Formulierung des Denkens lassen sich die Arbeiten der „Würzburger 
Schule“ anknüpfen, von denen sich einzelne ausdrücklich mit den „gedank¬ 
lichen Gebilden“ befassen, „die zwischen dem Gedanken und seiner sprach¬ 
lichen Formulierung liegen“. Der Leistungen dieser Schule hier zu gedenken, 
ist um so mehr Veranlassung gegeben, als wie schon in der Einleitung betont * 
gerade sie es ist, deren Ergebnisse trotz ihrer Bedeutsamkeit für die ganze 
Psychopathologie von den Vertretern dieser kaum noch Berücksichtigung 
gefunden. 

Als der sogenannten „Würzburger Schule“ entstammend wird eine Reihe 
von durch Marbe und Külpe angeregter Arbeiten bezeichnet, in welchen die 
durch mehr oder weniger einfache Fragestellungen ausgelöste Gedankenprozesse 
die Grundlage für die Feststellung (oder besser Beschreibung) der während 
derselben sich vollziehenden psychologischen Einzelheiten durch die VP. selbst, 
also durch Introspektion, bilden 2 ). 

Allerdings ist dem Versuche einer Zusammenfassung ihrer eben auf unser 
Thema bezüglichen Feststellungen die Klausel vorauszuschicken, daß Bühler, 

J ) Vgl. dazu auch eine Äußerung aus der Schule Husserls: „Jeder Satz¬ 
gedanke ist abgesehen von aller inneren Sprachform notwendig ein gegliederter 
und diese Gliederung muß in einer entwickelten Sprache zum Ausdruck kommen 
(Heinrich Erdmann, Unters, z. Lehre v. Begriff. Diss. 1910, S. 110. S. auch 
S. 120). 

2 ) Verfasser kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit darauf hinzu weisen, 
daß die neue Wendung in der Psychologie nicht bloß in der Würzburger und Pariser 
Schule, von denen dieselbe ausgegangen, sondern überall, wo man über die Anhäufung 
von Ziffermaterial in den psychophysiologischen Laboratorien hinausgekommen, 
wieder zu der eine Zeitlang so sehr verschrienen „Introspektion“ zurückführt. Es 
ist für die jüngere Generation von Pathologen vielleicht nicht ohne Reiz zu hören, 
daß Maudsley in der ersten Auflage seiner Physiol. a. Pathol. of the Mind 1867 
die Introspektion sozusagen als „den Feind“ proskribierte, was bei besonnenen 
Fachmännern, wie bei dem noch immer nicht genügend gewürdigten Hagen alsbald 
kräftigen Widerspruch erregte. Mit einer gewissen Genugtuung kann Verfasser 
darauf hinweisen, daß die ganze von ihm vertretene Forschungsmethode in der 
Psychiatrie und Neurologie von der „Introspektion“ des Kranken ausgegangen ist, 
demnach die jetzt wieder anerkannte Richtung eigentlich niemals verlassen hatte. 
Eine auch für den Psychopathologen sehr lehrreiche historische Darstellung von der 
Wendung, die sich in der Wertschätzung der Introspektion in den letzten Jahr¬ 
zehnten vollzogen, gibt neuestens Titchener (Amer. J. of Psychol. XXIII, July 
1912, p. 427). 



208 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


derjenige, der am eingehendsten gerade das uns Interessierende an jenen Fragen 
zur Darstellung gebracht, eine Vielfältigkeit der dabei sich abspielenden Vor¬ 
gänge selbst zugibt und insbesondere betont, daß schon der Modus der vom 
normalen Ablauf abweichenden Versuche selbst ein unmittelbares Zusammen¬ 
fallen von Denken und Sprechen nicht ausschließe; so stellen demnach die 
zu berichtenden Resultate dieser Versuche nur einzelne Formen der Vorgänge 
dar (Bühler, Arch. f. d. ges. Psych. IX, 1907, S. 322 *)). 

Besonders ausführlich hat sich Bühler (Arch. f. d. ges. Psych. XII, 
S. 24) in dem Abschnitte über „Gedankenerinnerungen“ mit der uns hier 
interessierenden Frage der Formulierung der Gedanken befaßt und wir werden 
um so mehr berechtigt sein, das dort von ihm Dargestellte wenigstens zum 
Teil zu verallgemeinern, als es bei den für uns in Betracht kommenden Denk¬ 
formen der Kranken doch gewiß weniger um neugeschaffene Gedanken, als 
um „ein Zurückgreifen auf Bekanntes“ handelt, von dem er selbst sagt (1. c. 
S. 25), „daß es zu den häufigsten Vorgängen in unserer Denkarbeit über¬ 
haupt gehört“. 

Bühler (1. c. S. 79 ff.) unterscheidet nun verschiedene Typen ; als den 
ersten (a) beschreibt er den, in welchem der Gedanke erst nach den Worten 
kommt. „Man spricht aus dem früher erlebten Ereignisse, gleichsam aus der 
früheren Situation 2 ) heraus, in die man sich eingefühlt hat, die Worte aus 
und durch das Verstehen dieser Worte kommt man zu den Gedanken, den 
sie auszudrücken vermögen, gerade so, als ob ein Anderer sie ausgesprochen 
hätte.“ Bei einem zweiten Typus (b) „gestaltet sich das Wissen um das früher 
Gedachte weiter aus, man hat schließlich den fertigen Gedanken und zu ihm 
sucht man die Worte.“ Objektiv drückt sich das dadurch aus, daß die Worte 
meist nicht vollständig, oft gar nicht stimmen, während der Gedanke richtig 
ist. Den Vorgang, der sich bei Typus a abspielt, zerlegt Bühler (1, c. S. 80) 
in drei Stadien, „nämlich in das Wissen um das frühere Erlebnis und den 
Ausbau dieses Wissens, in das sich Wiedereinleben in dieses Erlebnis und in das 
Auf finden, bzw'. Aussprechen der Worte“. Bezüglich dieses dritten Stadiums 
wissen die Versuchspersonen nur anzugeben, „daß sie anfangen, die Worte 
zu sagen, und daß das (oft zu ihrer eigenen Überraschung) geht“. Bei Typus b 
besteht der Vorgang aus der „Ausgestaltung des Gedankens und dem Finden 
der Worte“. Sehr deutlich tritt das in den Angaben einer VP. vor: „Erst Be¬ 
kanntheitsqualität, dann das Bewußtsein einer Form, d. h. von etwas Be¬ 
stimmterem, an dem ich das übrige dann herausholen kann.“ Bühler macht 
(1. c. S. 84) dazu die Bemerkung, „diese Form muß, wie ich glauben möchte, 

*) Wir werden die Resultate Buhlers trotz allem Widerspruch, den seine 
Untersuchungen erfahren haben, um so berechtigter sein für unsere Frage zu ver¬ 
werten, als er auch der Bedeutung, die ihnen gerade nach der Richtung unserer 
Frage zukommt, ganz objektiv gegenübersteht (S. 1. c. S. 85), die Kritik nicht wesent¬ 
lich die gerade hier verwerteten Tatsachen betrifft ; wir w r erden dabei auch in Betracht 
zu ziehen haben, daß nicht bloß seither die Richtung der Würzburger Schule allseitige 
Nachfolge, sondern auch weitgehende Bestätigung gefunden; man muß jetzt wohl 
sagen, daß gerade ihre Darstellung der Psychologie der Denkvorgänge die Basis für 
die Sprachpathologie bilden muß. 

2 ) Insofern gerade? die ,,Situation” hier eine maßgebende Bedeutung gewinnt, 
darf auf das verwiesen werden, was in dem Kapitel von den Ausdrucks mittein von 
ihr gesagt worden. 



Bühlers Beobachtungen und ihre Verwertung. 


209 


häufig als ein Produktionsergebnis angesprochen werden“, und setzt dann 
weiter fort: „Ist nun die Form des Gedankens wiedergefunden .... dann ist 
damit auch das zweite Stadium des Prozesses, das Auf finden der Worte schon 
bedeutend gefördert; an das Einheitsmoment des Gedankens schmiegt sich in 
gut gebauten Sätzen die Satzform innig an.“ 

Sehen wir nun zu, inwieweit wir diese Feststellungen verallgemeinern 
und für unsere Frage in Betracht ziehen können, so wird man nicht über¬ 
sehen dürfen, daß sie Versuchen mit „Gedankenerinnerungen“ entstammen, 
die im wesentlichen darauf hinausliefen, daß vorher vorgelesene Sätze nach¬ 
träglich zu erinnern und mehr oder weniger vollständig zu reproduzieren 
waren. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes scheint es nun ohne weiters 
klar, daß der von Bühler gefundene Typus a direkt eine Wirkung der Ver¬ 
suchsanordnung ist und demnach, da diese letztere nicht dem gewöhnlichen 
hier in Betracht kommenden Denkvorgange entspricht, nur als ein spezieller 
Fall angesehen werden kann, den auch Bühler selbst (1. c. S. 79) dann an¬ 
nimmt; „wenn man einen früher ausgedachten Gedankengang im Augenblick 
gerade verwerten will .... wenn man, was ein Anderer gesprochen, in dessen 
Worten wiedergeben will, dann fühlt man sich in den Anderen lebhaft ein x ) 
und daraus entwickeln sich die Gedanken“; das wird aber jedenfalls etwas 
Selteneres sein. 

Dagegen entspricht der Typus b dem gewöhnlichen, denn die oben zitierte 
Formel Bühlers (1. c. S. 79) von der primären Ausgestaltung des Gedankens 
und dem Suchen nach den zugehörigen Worten ist erst recht anwendbar, wenn 
ein Wissen um früher Gedachtes überhaupt nicht zum Vorwurf des Denkens 
genommen ist oder um die Formel Bühlers zu gebrauchen, es sich nicht „um 
das Wiederfinden eines Gedankens“ handelt; daraus scheint sich der stringente 
Schluß zu ergeben, daß bei diesem Typus die Wortfindung der Gedanken¬ 
formulierung folgt und damit stimmt auch das überein, was Bühler (1. c. 
S. 86) seinen Versuchen noch über die Satzform entnimmt. Wenn eine seiner 
Vp. sagt, „die Worte kämen unter dem leitenden Bewußtsein der Satzform“ 
oder eine andere, „ich hatte erst so etwas wie ein Netz, in das sich die Worte 
einfangen sollten“, und wir bringen das auf die vorher bei der Erörterung der 
Erdmannschen Anschauungen hingestellte Formel, so lautet das Ganze etwa 
folgendermaßen: Zuerst vollzieht sich die logisch-gedankliche Verarbeitung, 
dann tritt, um mit Erd mann zu sprechen, unbewußt erregt, die Sprach- 
form, die Satzform in Tätigkeit und in diese fügen sich dann die Worte ein, 
oder wie Bühlers Vp. selbst den letzteren Vorgang charakterisiert: „wenn 
wir einen schwierigeren Gedanken ausdrücken wollen, dann wählen wir erst 
die Satzform für ihn, wir werden uns innerlich erst des Operationsplanes be¬ 
wußt und dieser Plan ist es dann, der erst die Worte meistert“. Wir werden 
dabei freilich nicht übersehen dürfen, daß Bühler selbst (Bericht über den 
III. Kongreß für experimentelle Psychologie 1909, S. 113) sagt, daß die An¬ 
sicht vom Zusammenwirken des Satzsinnes mit den Wortbedeutungen längst 
Gemeingut der Sprachwissenschaft ist, daß wir aber darüber und über die so 
wichtige Elektion der Wortbedeutungen psychologisch noch fast nichts wissen. 

*) Die von B ühler betonte Einfühlung gibt Anlaß zu dem Hinweise, wie wichtig 
auch für die Sprachpathologie die Berücksichtigung des Hörers in der Psychologie des 
Sprechens ist. 

Pick, Sprachstörungon. I. Teil. 14 



210 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Besonders wertvoll aus den Gedankenerinnerungsversuchen für diese 
Frage ist auch die Feststellung Buhlers (1. c. S. 87), daß „diese formalen 
Verhältnisse häufiger noch als zu dem fertigen Gedanken vor dem Gedanken 
zum Bewußtsein kommen, oder auch ganz ohne ihn, indem sie das Einzige aus¬ 
machen, was die Erinnerung uns von dem Früheren bietet“. Beachten wir ge¬ 
nügend, daß es sich um Gedankenerinnerungs versuche handelt, bei denen 
das Auf tauchen der Form vor dem Gedanken oder selbst als Einziges nicht 
auffallen kann, weil ja doch auch die Form einen Teil des Erinnerten büdet, 
so ergibt sich für uns auch da, daß die Form der gedanklichen Formulierung 
(das „Netz für die Worte“ bei der vorher zitierten Vp.) als etwas Selbständiges 
unterhalb der die Formulierung des Gedankens darstellenden Prozesse nach¬ 
weisbar erscheint und dementsprechend als isoliert zerstörbar angesehen werden 
kann, daß die Erfassung der Gestaltsqualität des Satzes einen Typus für sich 
darstellt und wie Bühler sagt (S. 87), „die fertige Satzform herstellt, zu der 
die Worte kommen“. 

Noch ein anderes Mitglied der Würzburger Schule, N. Ach, hat uns in 
einer zum Teil anders orientierten Untersuchung (Über die Willenstätigkeit 
und das Denken. 1905, S. 215 ff.) wichtige Beiträge zu unserer Frage ge¬ 
liefert; zuerst ist als Bestätigung einer zuvor nach Bühler berichteten Be¬ 
obachtung eine seinen Versuchen entstammende Feststellung zu entnehmen, 
die als Argument gegen die alte Lehre von der Veranschaulichung des Bewußt¬ 
seinsinhaltes als Trägerin des Verständnisses dient; er berichtet von Beob¬ 
achtungen, in denen sich zuerst der Bewußtseinszustand, wie „ich weiß es“ 
und dann erst die optische Vorstellung einstellte (1. c. S. 216). 

Achs Feststellungen bewegen sich mehrfach in der Richtung, daß dem 
spraclilich formulierten Denken ein Stadium vorangeht, dem entweder jedes 
„innere Sprechen“ überhaupt noch fehlt, oder dem Wortfragmente oder ein¬ 
zelne Worte begleitend folgen, die nicht als adäquate Zeichen der Bedeutungs¬ 
inhalte angesehen werden können. Gerade diese letztere Deutung erscheint 
aber, ganz abgesehen von dem Gegensatz zu der alten in der Pathologie ver¬ 
werteten Formel, für unser Thema deshalb von so besonderer Wichtigkeit, 
weil dadurch die Annahme, als ob die Wort Vorstellungen in diesem Erst¬ 
stadium der Formulierung schon von Emfluß auf diese selbst wären, be¬ 
seitigt erscheint. Das wird auch von Ach (1. c.) ganz präzise aus den Ver¬ 
suchsprotokollen nachgewiesen: „Zuweilen findet sich ein Teü des Ergebnisses 
durch inneres Sprechen wie „muß kommen“ oder „kante, kante“ oder durch 
Wortrudimente wie „add“, „vorher“, „folgt“ u. dgl. phänomenologisch ange¬ 
deutet“. Gegenüber der aus solchen Tatsachen früher gezogenen Schlußfolge¬ 
rung, ..daß sich unser Denken stets in innerem Sprechen oder in adäquaten 
visuellen, akustischen u. dgl. Erinnerungsbildern vollzieht“, hebt Ach hervor, 
„daß es sehr komplexe Inhalte gibt, bei denen die Teüinhalte in mannig¬ 
fachen gegenseitigen Beziehungen bewaißt vorliegen, ohne daß hierbei diese 
einzelnen Inhalte durch ihre adäquaten sprachlichen Beziehungen u. dgl. 
repräsentiert sind, bzw. überhaupt repräsentiert werden können“; er be¬ 
kräftigt endlich diese Feststellungen noch durch den Hinweis: „Außerdem 
sehen wir zuweilen ein blitzartiges momentanes Aufleuchten eines komplexen 
Inhaltes, der sich verbal nur durch mehrere Sätze ausdriieken läßt, ein 
Vorgang, der bei seinem kurzen Bestehen unmöglich durch inneres Sprechen 



Die das stille Denken begleitenden Worte. 


211 


gegeben sein kann. Dabei ist der Sinn des Inhaltes eindeutig gegeben und die 
Erinnerung klar und bestimmt, ohne daß irgend welche Empfindungsquali¬ 
täten nachweisbar wären.“ 

Gerade diese Ausführung bestätigt die hier vertretene Ansicht, daß die 
gedankliche Formulierung der Wort Vorstellungen nicht bedarf, denn die 
,,komplexen Inhalte“ Achs stellen doch jedenfalls höher organisierte, gewiß 
auch schon gedanklich formulierte Inhalte dar, welche Formulierung „unmög¬ 
lich durch inneres Sprechen“ erfolgt sein kann; man wird in diesem Falle dem¬ 
nach mit Recht von einer vorsprachlichen, gedanklichen Formulierung sprechen 
können *). Unterstützt wird diese Argumentation etwa noch dadurch, daß, 
wie wir glauben, den von Ach berichteten, beim Denken auftauchenden Worten 
und Wortfragmenten überhaupt kein wesentlich intellektueller Charakter zu¬ 
kommt, sie vielmehr affektuöse Produkte darstellen. 

Eine Bestätigung dieser Auffassung finden wir in einer bisher nach dieser 
Richtung noch nicht verwerteten Schilderung Dodges (Die motorischen Wort¬ 
vorstellungen. 1895, S. 99 ff.), die er von den Begleiterscheinungen während 
mehrmonatlicher konstruktiver Beschäftigung mit psychologischen Apparaten 
gibt. Während er gegenüber der „wörtlichen“ Auffassung des mechanischen 
Zweckes das „wesentlich wortlose“ Auf tauchen der möglichen mechanischen 
Mittel hervorhebt, führt er dann aus: „WortVorstellungen waren freüich ge¬ 
legentlich zu konstatieren — sie waren aber viel häufiger Gefühlsausdruck 
als Bezeichnungen für die Gegenstände des Denkens“; später sagt er noch: 
„Die Worte, welche wesentlich ein Gefühl bezeichnen, sind beim mechanischen 
Nachdenken viel lebendiger“ und exemplifiziert das durch eine Reihe von 
Beispielen, die sichtlich durchaus ähnlich den zuvor nach Ach angeführten sind 1 2 ). 

Die hier angeschnittene Frage von den das Denken begleitenden Einzel¬ 
worten ist von solcher Bedeutung, daß ihr noch einige Ausführungen gewidmet 
werden müssen. Es ist gelegentlich auf Analogien zwischen Agrammatismus 
und Stenographie hingewiesen worden, welch letztere etwa dem unvollstän¬ 
digen formulierten Denken B. Erdmanns entsprechen würde. Der englische 
Logiker Whately hat nun darauf hingewiesen, daß das laute Denken, das 
Monologisieren mancher Menschen mit seinen vereinzelten hingeworfenen 
Worten eine Art Stenogramm darstellt (R. Whately, Eiern, of Logic. 1872; 
spätere Aufl. p. 13) ; auch Egger (La parole int. 1902. 2. ed. p. 70) hat in 
ähnlichem Sinne die Psychologie des Monologes, des stülen oder lauten, er¬ 
örtert. — Wie das zu einem Verständnis aphasischer und agrammatischer 
Sprachäußerungen hinüberführt, mag der Hinweis auf eine Darstellung bei 
W. Mitchell (Struct. and Growth of the Mind. 1907, p. 372) klarlegen 3 ), die 
namentlich auch durch den Hinweis auf die Kindersprache belehrend ist. 

1 ) Schon früher ist Otto Lieb mann (Z. Anal. d. Wirklichkeit 4. Aufl. S. 494) 
auf Grund der gleichen Beobachtung, daß „die Endglieder und Resultate des wort¬ 
losen Denkens ganz plötzlich sprachliche Form annehme“, zu dem Schlüsse gekommen, 
„daß die Gedanken unabhängig und vor den Wörtern sich entwickeln“. 

2 ) „Es ist überflüssig, eine vollständige Liste dieser Ausdrücke anzugeben .... 
bemerkt waren: Gut! So! Nun habe ich Dich! .... There! Well! Haha! No 
use! Now will see! . . . hiernach taucht bald ein deutscher, bald ein englischer 
Ausdruck auf. in wesentlich zusammenhanglosem Wechsel, und in einer für den 
tatsächlichen Verlauf des Denkens beinahe vollständig bedeutungslosen Weise“. 

3 ) „In a smooth course of thinking we use only the salient words, and the 

14* 




212 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Gewiß erscheint durch die eben zitierten Beobachtungen ,,die Frage der 
Tatsächlichkeit eines völlig wortlosen Denken noch nicht endgiltig gelöst“ 
und man wird nicht umhin können, die Einwendungen Messers (Empfindung 
und Denken. 1908, S. 103) anzuerkennen; aber wir vermissen den allerdings 
nicht in den Zusammenhang der Messer sehen Auseinandersetzungen hinein- 
gehörigen Beweis, daß das Fehlen von Wort Vorstellungen auch schon das 
Denken als ein vollständig unformuliertes erweist. 

Zwei Einwänden gegen diese hier vertretene Anschaumig von der Mög¬ 
lichkeit einer gewissen Formulierung ohne Mithilfe von Vorstellungen ist 
noch zu begegnen. Vorerst könnte man sagen, daß auch beim ,,reinen“ Denken 
die entsprechenden Wort Vorstellungen, wenn auch nur teilsweise ,,unbewußt 
erregt“ (Erdmann) mitanklingen oder wie N. Ach (Die Willenstätigkeit 
und das Denken. 1905, S. 218) sagt, ,,in Bereitschaft gesetzt“ sind, ohne ins 
Bewußtsein zu treten, und darauf gestützt die hier als für unser Thema be¬ 
sonders bedeutsam hervorgehobene Annahme von der Priorität einer gewissen 
Formulierung des zu Denkenden gegenüber der Wortwahl als dadurch in Frage 
gestellt ansehen. (Vgl. dazu auch Messer 1. c. S. 108.) Das scheint aber 
nicht berechtigt, hauptsächlich wohl deshalb, weil die Formulierung, die wir 
hier im Auge haben, doch sichtlich etwas anderes darstellt als das, w r as Messer 
als Formulierung bezeichnet ; denn wenn er später (1. c. S. 136) das Urteil als 
ein Erfassen und Herstellen von Beziehungen, als ein ,,In-Beziehung-Setzen“ 
bezeichnet, so fällt das zusammen mit der Gedankenstruktur anderer Autoren 
und stellt die erste Stufe der von uns gemeinten Formulierung vor, die der 
sprachlichen sozusagen als ihr Leitfaden vorangehen muß. 

Das zweite ebenfalls den Erörterungen Messers (1. c. S. 107) über das 
unformulierte und formulierte Denken Erd man ns entnommene Argument be¬ 
ruht auf der wohl durchaus berechtigten Annahme, daß ,,das formulierte Denken 
für uns eine bequemere, das Bewußtsein weniger belastende Form des Denkens 
darstellt, als das unformulierte und daß dies letztere gleichfalls seltener vor¬ 
kommt“; es fällt diese Ansicht, wenn man annimmt, daß in der Entwicklung 
des für gewöhnlich gebrauchten formulierten Denkens doch auch ein Stadium 
unformulierten Denkens als Vorstufe nicht fehlt. 

Die Versuche der Würzburger Schule haben uns auch darüber Aufklärung 
gebracht, wie und wann jener psychische Vorgang einsetzt und wirkt, den wir 
mit den älteren Autoren als Sprachgefühl bezeichnen können und das man als 
ein Organ ansah, das die richtige Grammatisierung des zu Sprechenden, sagen 
wir, überwacht und Fehler derselben zum Bewußtsein bringt. Daß beim 
Erwachsenen dieser Vorgang sich ganz automatisch und unbewußt vollzieht, 
wird vor allem durch die allergewöhnlichste Selbstbeobachtung und weiter 
dadurch erwiesen, daß, ebenso wie wir bei den Ausführungen gewohnter Be¬ 
wegungen immer wieder das Willkürliche auszuschalten versuchen, das Sprechen 
und auch die Grammatisierung desselben am besten gelingt, wenn es ohne 
die darauf gerichtete Aufmerksamkeit sich vollzieht; daß alle diese Vorgänge 

ellipses are such that we may be said to use the form of sentences rather than their 
actual expression. Our talk to ourselves is, in this res pect, not unlike the highly ellip- 

tical talk of an infant.Since a great part of the meaning that we thus 

command is inore than we can call the meaning of the words, we think it without its 
own proper words“. 





Das „Sprachgefühl“; Bühlers Regelbewußtsein. 


213 


auf dem Wege zwischen Denken und Sprechen in Aktion treten, kann daraus 
erschlossen werden, daß das ,,Gefühl“ einer Störung derselben gelegent¬ 
lich auch schon während des Aussprechens zum Bewußtsein kommt, daß es 
nicht eines vollendeten Versprechens bedarf, um den eigenen Fehler zu er¬ 
kennen 1 ). 

Bühler hat (1. c. IX, Heft 4, S. 341) diese Vorgänge in sein „Regel¬ 
bewußtsein“ einbezogen und wenn er dann sagt, „auf dem Wege vom Gedanken 
zum Satze können Bewußtseinszustände liegen, die den Satz oder das Satz¬ 
gefüge formal präsumieren“, so lokalisiert auch er das durch einen Fehler 
gestörte Sprachgefühl auf der genannten Strecke und läßt es dort zum Be¬ 
wußtsein kommen oder, wie er es formuliert, „in einem echten Regelbewußt¬ 
sein präsent werden“. 

Noch an zwei anderen Stellen handelt Bühler von den hier in Betracht 
kommenden Fragen. Als „zwischengedankliche, bewußte Beziehungen“ be¬ 
zeichnet er (Arch. f. d. ges. Psychol. XII, S. 1 ff.) Vorgänge, die als „Wissen 
bei unserem Denken außer den Gedanken nebenher laufen“ und einen wich¬ 
tigen Teil davon stellen die Beziehungen zu der „Aufgabe“ (Watt), zu der 
„determinierenden Tendenz“ (Ach) dar. Wir haben gesehen, daß auch der 
grammatische Aufbau des Gedankens, die Formulierung desselben unter die 
„Aufgabe“ fällt und werden deshalb fragen, inwieweit etwa die Untersuchungen 
von Bühler auch in dieser Richtung uns Aufschluß geben können. Das ist 
nun nur in sehr geringem Maße der Fall; immerhin ist es als eine Bestätigung 
hier durchgeführter Gedankengänge von der Priorität der gedanklichen Formu¬ 
lierung gegenüber der grammatischen bemerkenswert, daß auch Bühler (1. c. 
S. 8) selbst die bewußten grammatischen Beziehungen, die bei unserem sprach- 
formulierten Denken auftreten, den logischen Beziehungen zuzählt und sie 
den Zwischenerlebnisbeziehungen funktionell nahestellt 2 ). (Vgl. dazu einen 
ähnlichen Gedanken bei H. Maier Psychol. d. emot. Denk.). 

Den Ausführungen Bühlers (Arch. f. d. ges. Psych. XII, S. 85) ent¬ 
nehmen wir noch Einiges, das die Stellung der „Würzburger“ in der Frage des 
Satzschemas illustrieren soll. Schon in den vorangehenden Ausführungen w r ar 
es evident, welche Bedeutung diesem Moment in der psychologischen Lokali¬ 
sation zukommt. 

U Es ist ersichtlich, daß diese einfache Beobachtung in der Frage des Er- 
kennens des eigenen Fehlers durch den Aphasischen von besonderer Wichtigkeit 
ist; die vielfach von Pathologen noch festgehaltene Ansicht, daß bei jenem Erkennen 
das Hören der eigenen Sprache ausschlaggebend ist, wird durch jene Beobachtung 
unmittelbar widerlegt. 

Wenn wir oben des Einflusses der Aufmerksamkeit gedacht, so geschah 
das deshalb, weil gerade für den Einfluß dieses Faktors in den eben besprochenen 
pathologischen Fällen die Beweise ebenfalls nicht fehlen. 

2 ) Wenn man der hier versuchten Benützung der Ausfrageexperimente der 
Würzburger Schule entgegenhalten sollte, daß sie über den gesetzmäßigen Zusammen¬ 
hang der Erscheinungen auf dem Gebiete des Denkens keine Auskunft geben (Ach, 
Über den Willensakt und das Temperament, 1910, S. 16), so genügen sie doch, wie 
Ach selbst zugibt, zu der hier so wünschenswerten „vorläufigen Orientierung über 
einige Grundfragen der Denkpsychologie“. Und auch die tiefergehenden Einwände 
von v. Aster und Dürr (s. deren zusammenfassende Darstellung in Titcheners 
Lect. on the exp. Psychol. of the Thought-processes 1909, p. 148 ff.), sprechen nicht 
gegen die Verwertung jener Experimente für unsere Fragen; denn auch für die 
Fragen der Pathologie ist eine solche vorläufige Orientierung dringend vonnöten. 



214 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Nachdem Bühler gezeigt-, daß die Assoziationspsychologie mit den 
grammatischen Gesetzen nur durch die unrichtige Annahme zurecht kommt, 
daß es sich in ihnen um sekundäre Assoziationsgesetze handelt, führt er aus, 
„daß die Eigenartigkeit der grammatischen Gesetze sowohl den logischen als 
den Assoziationsgesetzen gegenüber vollständig erklärbar wird durch eigen¬ 
artige Erlebnisse, die sich zwischen den Gedanken und die Worte einschieben 
und als ihre Träger betrachtet werden müssen. Wenn wir einen schwierigen 
Gedanken ausdriicken wollen, dann wählen wir erst die Satzform für ihn. wir 
werden uns innerlich erst des Operationsplanes bewußt und dieser Plan ist es 
dann, der erst die Worte meistert. Wenn wir em kompliziertes Satzgefüge 
durchschauen, so ist das ein Wissen um seine grammatische Struktur, wir wissen 
um die Beziehungen, die zwischen den einzelnen Teüen der ganzen Form be¬ 
stehen. Das kommt auch, während wir selbst sprechen, vor, z. B. wenn wir 
nach einem Zwischensatz den schon aus dem Bewußtsein entschwundenen 
Satzanfang gedanklich wieder aufnehmen. Wenn wir einen Satz mit „als“ 
beginnen und am Schluß des Nebensatzes plötzlich abbrechen, dann kommt 
uns zum Bewußtsein, daß wir etwas erwartet haben; das ist nicht eine sachliche 
Ergänzung, sondern auch eine grammatische, wir erwarten einen Hauptsatz. 
In all diesen Fällen kommt uns das gesondert zum Bewußtsein, was nebenher 
und ohne besonders beachtet zu werden, stets oder fast stets zwischen Gedanken 
und Worten vermittelt, ein Wissen um die Satzform und das Verhältnis der 
Satzteile unter sich, etw r as was als direkter Ausdruck der grammatischen Regeln, 
die in uns lebendig sind, zu gelten hat.“ 

Bühler erläutert das durch die Angaben der Yp. selbst: „Die Worte 
kamen unter dem leitenden Bewußtsein der Satzform“. „Ich hatte erst so 
etw r as wie ein Netz, in das sich die Worte einfangen lassen“. „Dieses Wissen 
um die Gestaltsqualitäten des Satzes (so drücken sich die Vp. gern aus) kann 
nun verschiedene Funktionen erfüllen und hat danach jeweils ein etwas an¬ 
deres Aussehen. Bildet es die Vermittlung vom Gedanken zum Aussprechen 
der Worte, dann sieht es mehr wie eine motorische Einstellung aus; ist es 
aber der Vorläufer der akustisch wiederkommenden Worte, dann trägt es 
ein anderes Gepräge.“ „Ich hatte, bevor die Worte kamen, ein Bewußtsein 
des Rhythmus x ), so etw as wie ein Zeitschema“. „Ich hatte vor den Worten 
das Bewußtsein einer Form, etwas, in das die kommenden Worte sich einord¬ 
neten“. „Häufiger noch als zu dem fertigen Gedanken kommen diese formalen 
Verhältnisse vor dem Gedanken zum Bewußtsein oder auch ganz ohne ihn, 
indem sie das einzige ausmachen, was die Erinnerung uns von dem Früheren 
bietet.“ 

„Ähnliche Bemerkungen finden sich nicht selten in den Protokollen. 
Aber sie stellen in ihrer Gesamtheit doch nur sporadische Beobachtungen dar 
gegenüber dem Reichtum an Erlebnis Variationen, den w ir hier vermuten dürfen. 
Auch darüber, wie zur fertigen Satzform die Worte kommen, erfahren wir 
nicht viel. Der einzige Unterschied, der sich hier durch alle Angaben hindurch 
verfolgen läßt, ist der, daß diese Worte entweder als erinnerte oder als selbst- 
gewühlte bezeichnet werden“ (Bühler, 1. c. S. 87). 

1 ) Es bedarf wohl nur des Hinweises auf die hier hervortretende Bedeutung 
dieses Ausdrucksmittels um die in dieser Schrift versuchte Neuorientierung der 
Grundlagen der Aphasielehre entsprechend gewürdigt zu sehen. 



Anschauungsloses Denken. 


215 


Wir haben in der bisherigen Darstellung des der Würzburger Schule 
Entnommenen uns, abgesehen von der kurzen Erwähnung des unanschau¬ 
lichen Denkens, auf das beschränkt, was unmittelbar im Rahmen dieses 
Kapitels dem Verständnis des Agrammatismus zu dienen hatte. Doch würde 
diese Darstellung dem Umfange dessen, was wir dieser Schule an auch sofort 
für die Pathologie verwertbaren Kenntnissen von den Denkvorgängen ver¬ 
danken, unvollständig entsprechen und manche spätere, aber auch in diesem 
Kapitel zu verwertende Ausführungen entbehrten des nötigen Bezuges, wenn 
wir nicht Gelegenheit nähmen, hier auch noch wenigstens andeutend wichtige 
Ergebnisse dieser neuen Denkpsychologie zu entnehmen; es ist das hier auch 
deshalb am Platze, weü bei der Behandlung des Weges vom Denken zum Sprechen 
auch die Besprechung der die Denkvorgänge selbst betreffenden Aufklärungen 
nicht zu umgehen ist. 

Da ist zuerst etwas ausführlicher zu gedenken der Lehre vom anschau¬ 
ungslosen Denken, das, wenn auch schon von der älteren Reflexionspsychologie 
vermutet und von dieser zum Teü beeinflußt, auch von der pathologischen 
Psychologie als gelegentliches Vorkommnis zugegeben, doch erst jetzt als die 
Regel zum gesicherten Besitz der Denkpsychologie geworden. Daß die 
Lehre vom anschauungslosen Denken unmittelbar auch zur Ablehnung der 
alten Lehre vom Parallelismus zwischen Denken und Sprechen führt, er¬ 
weist sich auch an Bi net, einem der Ersten, die für jenes eingetreten; das 
Beispiel, das wir ihm entnehmen, führt übrigens unmittelbar zur alten Vulgär¬ 
psychologie zurück x ). Die Wendung, die sich darin vollzogen, tritt schroff 
hervor in der Kritik, die Külpe einer auf den fortgeschrittenen Anschau¬ 
ungen der pathologischen Psychologie basierten Arbeit über die Ideenflucht 
gewidmet hat: ,,eine bloße Folge von Vorstellungen ist auch mit obligaten 
Gesamtvorstellungen und Verknüpfungsgesetzen noch kein Denken“ (Külpe, 
Psychol. u. Medizin. 1912. S.-A. S. 24). 

Diese w ichtigste Errungenschaft läßt sich dahin zusammenfassen, daß das 
Denken neben dem Vorstellen als selbständige Funktion festgestellt er¬ 
scheint; als die Träger der unanschaulichen Bewußtseinsinhalte bezeichnet 
man jetzt die „Gedanken“ (Bühler), die also einen neuen Inhalt des 
Denkens neben den bisher die Denkpsychologie der Pathologen beherrschen¬ 
den Vorstellungen büden, ohne daß damit aber auch schon der ganze Um¬ 
fang des Denkens erschöpft wäre 2 ). 

Die Lehre vom anschauungslosen Denken widerlegt unmittelbar die An¬ 
nahme, daß der Rede bestimmte Vorstellungen entsprechen. Aber auch dort, 
wo in Vorstellungen gedacht wird, erschemt dadurch die Annahme als irr- 

*) „De meme que l’image, le mot ne correspond qu’4 un fragment de la pens6e; 
pour que la pens6e enti&re fut traduisible en mot«, il faudrait tout un long discours. 
Ainsi, on demande k une personne si eile a lu tel livre, eile rdpond: non. Cette n6- 
gation qu’elle se borne k prononcer ne correspond pas k sa pens6e complexe, car ce 
non est une d6n6gation g6n6rale, par cons^quent tr&s vague, tandis que la personne 
fait une d6n6gation d’une pr^cision extraordinaire, sp6cialis6e 4 teile demande et 
visant tel livre. Ici 6videmment la pens6e d^borde le mot“. (Binet - Simon, 
L’ann^e psychol. XIV, 1908, p. 334.) 

2 ) Daß darüber die Deutung des Denkens als einer Funktion nicht über¬ 
sehen wird, sei im Hinblick auf den hier besonders festgehaltenen Gesichtspimkt 
einer Funktionspsychologie besonders betont. 




2 IG 


IV 7 . Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


tümlich erwiesen, daß die Vorstellung auf das Wort rein mechanisch folgt, 
oder auch der Sinn des Wortes durch die Vorstellung immer gegeben ist. Daraus 
folgt zunächst, daß diese vielfach nur Hilfsmittel dazu ist, vor Allem aber, 
daß auch die Vorstellung nicht rein assoziativ auf die Wortbildung folgt, sondern 
unter Leitung des Verständnisses. (Vgl. dazu Ausführungen in dem Kapitel 
vom Bedeutungsproblem und insbesondere Koffka [Z. Anal. d. Vorstell. 
1912], dessen Untersuchungen uns Aufschluß über die Fülle von dabei in Be¬ 
tracht kommenden Einzelerscheinungen geben.) 

Wir haben weiter der neuen Denkpsychologie die Feststellung zu ent¬ 
nehmen, daß die Objekt Vorstellungen, die das Denken begleiten, auch inhalt¬ 
lich durchaus nicht den Erinnerungsbüdem der Objekte entsprechen und daran 
schließt sich sofort die Frage, ob nicht auch bezüglich der W T ortVorstellungen 
etwas dem Entsprechendes güt; das wird auch schon durch ältere, den Um¬ 
fragen hinsichtlich der endophasischen Formel zu entnehmende Feststellungen 
nahegelegt 1 ). 

Von besonderer Bedeutung für unsere Zwecke ist die den Feststellungen 
der experimentellen Psychologie zu entnehmende Tatsache, daß ,,zu den un- 
anschaulichen Tatbeständen nicht nur gewußte, gemeinte, gedachte Gegen¬ 
stände gehören .... sondern auch Sachverhalte, die sich in Urteüen aus- 
driicken lassen .... die Akte oder Funktionen, mit denen wir zu den ge- 
gegebenen Bewußtseinsinhalten Stellung nehmen, sie ordnen und bestimmen, 
sie anerkennen und verwerfen“ (0. Külpe, Über die moderne Psychol. des 
Denkens. S.-A. aus intemat. Monatschr. f. Wissenschaft etc. Juni 1912, p. 18). 
Es braucht bloß auf das, was in dem Kapitel von der Satzdefinition über die 
Stellungnahme gesagt worden, verwiesen zu werden, um daraus allein schon 
zu ermessen, wie wesentlich besser sich das der neueren Denkpsychologie an¬ 
paßt als der alten der Pathologen, die für nichts Anderes neben den Vorstel¬ 
lungen Raum bot. 

An diese Lehre von den „Gedanken“ als den unanschaulichen Bewußt¬ 
seinsinhalten 2 ) schließt das an, was als „Aufgabe“ (Watt) oder „determi¬ 
nierende Tendenz“ (Ach) bezeichnet wird; obwohl den Pathologen in der Be- 

*) So wenn ein Korrespondent von Ajam (La parole en public. 2 6d s. d. 
p. 186) berichtet: „Les mots, mßme la plume ä la main, me sont souvent rebelles. 
Quand je jette hätivement le sens d’une id6e, d’une image, d’un plan, sans me präoc- 
cuper de la forme litt^raire, il arrive que certains mots me manquent. J’ecris, les 
yeux fix6s sur ma vision et je suis oblig6 alors, pour ne pas rester en arri&re, de par- 
semer mon 6criture de dessins, de blancs, d’onomatop^es, de mots ätrangers, de 
eroquis symboliques, dont j’ai quelquefois peine ä retrouver la signification, si 
j’attends trop longtemps avant de me relire.“ 

Oder wenn ein Anderer von sich berichtet: „.Les pens6es tintent 

en moi comme des mots. Elles ont des sons, cependant ces sons ne sont point iden- 
tiques ä ceux produits par les vocables qui les traduisent. Ce sont des onomatop^es 
toutes personelles et en dehors du langage convenu . . . .“ Saint-Paul Essai 
s. 1. Lang. int. p. 99. 

2 ) Koffka (Zur Anal. d. Vorstellung. 1912, S. 39) setzt „Gedanken“ gleich 
„einem Zustande von Wissen“. Dabei ist noch besonders hervorzuheben, daß die 
,,Würzburger“ die Gedanken den Vorstellungen als gleichwertig gegenüberstellen, 
nicht etwa jene irgendwie aus diesen entstanden und von ihnen nur graduell ver¬ 
schieden anerkennen (vgl. K. Koffka, ibid. S. 365); und ebenso lehnen, allerdings 
nicht alle die Ansicht ab, daß in der „Bewußtheit“ zum Bewußtsein kommende Repro¬ 
duktionstendenzen anklingen. 





„Bewußtseinslage“; „Bewußtheit“. 


217 


deutung der jenen zum Teil äquivalenten „Ober- und Zielvorstellungen“ ge¬ 
läufig, tritt die Differenz der neuen Lehre vor Allem darin hervor, daß man 
jetzt weiß, daß Vorstellungen und Gedanken doch nur Hilfsmittel der deter¬ 
minierenden Tendenzen sind, nicht diese selbst konstituieren, worin auch 
wieder der funktionelle Charakter dieser Psychologie hervortritt. 

Wir haben hier weiter zu gedenken der Lehre von den „Bewußtseins¬ 
lagen“ (Marbe), womit „Bewußtseinstatsachen gemeint sind, deren Inhalt 
sich einer näheren Charakterisierung entweder ganz entzieht oder schwer zu¬ 
gänglich ist“. Es wird sich noch in diesem Kapitel der Wert dieser psychologi¬ 
schen Aufstellung auch für Fragen der Pathologie in hohem Maße bedeutsam 
erweisen. Mit jenen in naher, wohl auch gradueller Beziehung steht das, was 
dieselbe Schule als „Bewußtheit“ bezeichnet; Ach (Über die Willenstätigkeit 
und das Denken. 1905, S. 215) schildert sie in der Weise, „daß es sehr kom¬ 
plexe Inhalte gibt, bei denen die Teilinhalte bei mannigfachen gegenseitigen 
Beziehungen bewußt vorliegen, ohne daß hierbei diese einzelnen Inhalte durch 
ihre adäquaten sprachlichen Bezeichnungen u. dgl. repräsentiert sind oder 
auch nur sein können“; daß es sich dabei um ein in das vorsprachliche Stadium 
fallendes Denken handelt, wird durch die Beschreibung des genannten Autors 
(1. c. ibid) bewiesen. „Außerdem sehen wir z. B. ein blitzartiges, momentanes 
Aufleuchten eines komplexen Inhaltes, der sich verbal nur durch mehrere 
Sätze ausdrücken läßt, ein Vorgang, der bei seinem kurzen Bestehen unmög¬ 
lich durch inneres Sprechen gegeben sein kann“; schon daraus erhellt die Be¬ 
deutung dieser Erscheinung für die Lehre vom Wege vom Denken zum 
Sprechen. Es ist schon zuvor mehrfach auf sprachliche Enunziationen im 
Stadium des noch nicht formulierten Denkens rekurriert worden; es werden 
diese Tatsachen jedenfalls mit den hier dargelegten Bewußtseinsstufen in Be¬ 
ziehung zu setzen sein. 

W"ir beschränken uns auf die Wiedergabe dieser allgemeinen Feststellungen 
der experimentellen Denkpsychologie, weil sie es vorwiegend sind, von denen 
wir schon in diesem Kapitel Gebrauch machen werden können; dabei wird 
sich zeigen, daß nicht Weniges von dem, was wir sonst zur Aufhellung des Weges 
vom Denken zum Sprechen heranziehen können, sich mit jenen Feststellungen 
besser in Einklang bringen läßt, als dies mit der Assoziationspsychologie der 
Fall ist. 

Es ist schon in vorangehenden Äußerungen klar hervorgetreten, welchen 
Einfluß der gedankliche Inhalt auf die sprachliche Einkleidung derselben hat; 
davon ist Veranlassung gegeben, zur Klärung unseres Themas auch logische 
Untersuchungen, sow r eit sie sich etwa damit befassen, heranzuziehen. Als 
zweckmäßiger Anknüpfungspunkt dazu bietet sich A. Messers Kapitel vom 
„Satz und Urteil“ (in seinem Buche „Empfindung und Denken. 1908, S. 135), 
deshalb, w r eil sich diese Darstellung an seine im Rahmen der Würzburger Schule 
ausgeführten „experimentell-psychologischen Untersuchungen über das Denken“ 
(Arch. f. d. ges. Psychol. VIIL 1906, S. 118) anschließt und bei dem ver¬ 
feinerten Verständnis für die gerade hier in Frage kommenden Vorgänge, das 
wir dieser Schule verdanken, auch für dieses Kapitel das Gleiche erw-artet 
werden kann. 

Aber so eingehend auch die psychologische Auseinanderlegung der Urteils- 
arten sich in den beiden Darstellungen gestaltet, über den sprachlichen Aus- 



21S 


IV. Der Weg vom Denken zum »Sprechen. 


druck derselben verbreitet sich Messer nur in geringem Maße; aber auch diese 
Ausführungen lassen schon erkennen, welche Bedeutung den darin vorgebrachten 
Tatsachen für das Verständnis aphasischer Erscheinungen im allgemeinen und 
ihrer Deutung als agrammatische zukommt. 

So wenn Messer (S. 148) nach der sprachlichen Gliederung „vollständige“ 
und „verkürzte“ Urteüe unterscheidet und die letzteren an der Kindersprache 
exemplifiziert, in der als primitive Stufe der Satzentwicklung das „Satzwort“ 
einen ganzen Satz darstellt, bzw. ein ganzes Urteü üi hochgradig verkürzter 
Form zur Darstellung bringt. Die Verwertung dieser Feststellung für die Frage 
des interjektionellen Sprechens, des Telegraphenstüs, als Ausdruck des ver¬ 
kürzten Urteils gegenüber der in gleicher Weise hervortretenden, aber durch 
die Störung der motorischen Entäußerung bedingten Erscheinung in der moto¬ 
rischen Aphasie braucht hier vorläufig nur angedeutet zu werden; es läuft 
darauf hinaus, daß die letzterwähnte Sprachstörung als Pseudoagrammatismus 
dem echten Agrammatismus des Autors gegenübersteht. 

Den speziellen „Untersuchungen“ Messers sind noch einzelne hierher 
gehörige Tatsachen zu entnehmen, für die vielleicht vorläufig zum Teü noch 
keine Anhaltspunkte in der Sprachpathologie nachzuweisen sind, die aber 
im Hinblick auf andere Tatsachen aus der Sprachpsychologie Analogien im 
Pathologischen recht wohl erwarten lassen. Zunächst ist es die eigentümliche 
Form des verneinenden Urteils bei Kindern, Taubstummen und in den primi¬ 
tiven Sprachen, die durch Berücksichtigung der von Messer gefundenen psycho¬ 
logischen Tatsachen eine bis dahin vermißte Klärung erfährt. Man hat in der 
Kindersprache gefunden, daß in den ersten Stadien der zunächst positiv aus¬ 
gesprochene Satz durch die Anfügung der Verneinung entsprechend modifiziert 
wird und nicht selten zum antithetischen Satze führt, ähnlich wie auch beim 
Taubstummen (vgl. CI. und W. Stern, Die Kindersprache. 1907, S. 203 
u. 189). Ohne auf die dafür gegebenen Erklärungen hier einzugehen, ist nur 
hervorzuheben, daß man darin etw r as von der Sprache des normalen, kulti¬ 
vierten Erwachsenen prinzipiell Verschiedenes zu sehen glaubte. Anders stellt 
sich das jetzt im Lichte der neuen psychologischen Untersuchungen dar. 
Messer (Exper. psychol. Untersuch, über d. Denken. Arch. f. d. ges. Psvchol. 
VIII. 1906, S. 118) konnte bei seinen Versuchen feststellen, daß in einzelnen 
Fällen sich das negative Urteü als ein aus zwei Akten bestehendes Erlebnis 
darstellte, und zw-ar aus einem primären „Versuchsurteü“ (wie es eine Vp. be¬ 
zeichnet), das der nachherigen Verneinung unterliegt. Messer weist darauf 
hin, daß schon Sigw art (Logik I. 1873, S. 123) das negative Urteü als Urteü 
über ein Urteil bezeichnet und (1. c. S. 119) sagt: „Objekt einer Verneinung ist 
immer ein vollzogenes oder versuchtes Urteü“ *). Das beim Normalen anscheinend 

J ) Sayee hat der Aristotelischen Urteilstheorie linguistische Bedenken ent¬ 
gegengehalten; da er sich dabei auf das negative Urteil bezieht, seien dieselben 
hierher gesetzt: „Had Aristotle been a Mexiean, his System of logic would have 
assumed a wholly different form. Even the logical analysis of the negative pro Po¬ 
sition is ineorreet. The negation is not part of the act of comparison between sub- 
ject and predicate. tliat is, is not ineluded in the copula, but belongs to the predicate, 
or ratlier atribute, in itself. ..Man is not immortal“, is precisely the same as „man is 
mortal“, ..mortal* 4 and ..not innnortal' 4 being equivalent terms, and had Aristotle's 
successors spoken languages, which, like those of the Ural-Altaic family. possess a 



Pillsburys sprachliche Urteilsformulierung. 


219 


einheitliche negative Urteil erscheint also auch im Experiment als durch zwei 
Urteilsstufen gebildet, die beim Kinde oder sprachlich unentwickelten Taub¬ 
stummen noch sprachlich isoliert hervortreten. 

Wesentlich umfassender als die Darstellung Messers, insofern dieser nur 
das Urteil im engeren Sinne des Wortes zum Ausgangspunkte nimmt, ist ein 
neuerer Versuch von Pillsbury (The Psychol. of Reasoning. 1910, p. 150), der 
direkt mit unserem Thema zusammenfällt und um so mehr unseren Zwecken 
dienlich erscheint, als er selbst den Zweck der Darstellung dahin präzisiert, 
,,die Entstehung des Urteils zu studieren und zu sehen, wie die einfachen 
Prozesse der Apprehension in die Sprache übertragen werden“. 

Bedeutsam für seine Stellung zu der letzten Frage ist zunächst der ein¬ 
leitende Hinweis auf die Inkongruenz zwischen dem Urteü und seinem Aus¬ 
druck, ,,indem Elemente, die für den Gedanken bedeutsam sind, in der Ver- 
sprachlichung fortgelassen werden und andererseits Faktoren in dieser zur 
Darstellung kommen, die mehr Folge der Konvention als des Gedankenganges 
sind/ 4 Ein wichtigstes Argument für die Richtigkeit dieses prinzipiellen Ge¬ 
sichtspunktes, den wir als das Resultat einer über Jahrtausende hin sich er¬ 
streckenden Diskussion kennen gelernt, zeigt er in der Bedeutung der „Situa¬ 
tion“ für die Form der Darstellung auf (1. c. p. 290); er weist nach, wie die 
Adaptierung des Ausdrucks an das „Vorausgesetzte“ von entscheidender Be¬ 
deutung für die Differenzen zwischen Denken imd sprachlichem Ausdruck 
sein wird. Es ist diese Frage in dem Kapitel von den Ausdrucksmitteln 
eingehend diskutiert worden, hier sei nur betont, daß eine einfache Er- 
wiigung des hier hervorgehobenen Faktors ergibt, in welch hohem Maße Um¬ 
fang, Form und Inhalt des zu Sprechenden von ihm abhängig sind. 

Pillsbury beginnt mit der Versprachlichung des ,, Wahrnehmung« - 
urteüs“ (judgement of perception); sein Objekt (auch eine Situation) findet 
in der Interjektion l ) oder in dem dieser entsprechenden Ausrufe („Der Wolf“, 
„Feuer“) deshalb seinen besten sprachlichen Ausdruck, weü diese auch beim 
Hörer dieselbe Vorstellimg mit allen ihren Konsequenzen dadurch zur Ent¬ 
wicklung bringen, daß alles Übrige aus der Situation heraus verstanden wird; 
es entspricht diese erste Form sprachlichen Ausdrucks dem einwertigen Satze 
oder dem „Satzfragmente“ Wundts. 

Als zweiten Typus in der zunehmenden Komplikation sprachlicher Dar¬ 
stellung stellt Pillsbury das sogenannte unpersönliche Urteil hin: „Es 
regnet“, „Es ist der Wolf“. Pillsbury geht über die bisherigen Auffassungen 
der viel diskutierten „Impersonalien“ hinaus und analogosiert sie durchaus 
mit dem mterjektionellen Ausdruck, indem er in ihnen nur die Anerkennung des 
Objekts oder der sich darstellenden Qualität sehen will („It expresses the 
appreciation of the object or the quality that presents itself and nothing 

negative conjugation, they would not have overlooked the fact“. Sayce (Introd. 
to the sc. of lang. 4 th. ed. 1900, Vol. II. p. 329). 

Die letzt angeführte linguistische Tatsache spricht gegen die Deutung des 
negativen Urteils als eines zweizeitigen Aktes und deshalb sei hier angeführt, daß 
neuestens die Ansicht von Sigwart Widerspruch gefunden hat. 

*) Im Hinblick auf die darauf bezüglichen Kontroversen („Interjektion kein 
Urteil“ S. Messer „Untersuchungen“ S. 132) sei besonders bemerkt, daß sie natür¬ 
lich für unsere Frage belanglos sind, weil die Natur des Gesprochenen (Satz) davon 
nicht tangiert wird. 



220 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


more“). Das „es“, dessen Deutung den Logikern so viel Kopfzerbrechen ge¬ 
macht, das doch nichts ausdrücke, erklärt er aus der Anpassung an den Sprach¬ 
gebrauch, den jeweiligen Wechsel zwischen interjektioneller oder unpersön¬ 
licher Darstellung und aus der psychologischen Differenz der dazu führenden 
sozialen Situation, je nach der Entfernung der Gefahr und Ähnliches. 

Das dritte Stadium sprachlicher Komplikation stellt das demonstrative 
Urteü vor, in dem zu der einfachen Erfassung des Objekts noch die Darstellung 
von dessen Lokalität hinzutritt („hier ist der Wolf“), die allerdings ebenso leicht 
durch eine Geste, einen Blick ersetzt werden kann, wie diese ihrerseits wieder 
den sprachlichen Hinweis unterstützen. Auch bezüglich dieser, der hinweisen¬ 
den Ausdrucksformel, betont Pi 11sbury das sprachlich konventionelle Moment 
derselben, ganz ähnlich wie bezüglich des „es“ im Impersonale, ebenso wie 
er bezüglich dieses und der interjektionellen Äußerungen auf die Voraussetzung 
eines gewissen Lokalisationsmomentes hin weist. 

Als den Übergang zu dem aus zwei Teüen bestehenden „kategorischen 
Urteü“ stellt Pillsbury die Form des demonstrativen Urteüs hin, wenn man 
z. B. sagt: „Das ist Osten!“, insoferne in diesen und ähnlichen FäUen zweierlei 
als wichtig erfasst wird, einerseits das Objekt als solches, andererseits seine 
Position. 

Bezüglich des eigentlichen kategorischen Urteüs, „dieser Baum ist grün“, 
betont er, daß nicht immer zwei Urteilsakte damit bezeichnet werden, daß 
das Subjekt vielmehr recht häufig unbeachtet oder auf Grund früherer Inter¬ 
pretation bezeichnet wird. In anderen Fällen jedoch liegen zwei Urteüsakte 
vor, von denen jeweüs der eine oder andere in seiner Bedeutung zurücktritt 
oder auch beide einander gleich bedeutungsvoll sein können; entscheidend 
für diese Differenz wird immer die Situation sein, in der das Urteü ge- 
fäüt wird. 

Es haben diese Ausführungen für uns deshalb solchen Wert, weü uns die 
in der Satzform zum Ausdruck kommenden psychologischen Differenzen als 
von der Art des Urteils abhängig sich erweisen und damit das so bedeutsame 
Verhältnis der psychologischen Lokalisation der beiden auf dem Wege 
vom Denken zum Sprechen deutlich vor Augen führen; sie sprechen dafür, 
daß die gedankliche Formulierung, eben das Urteü, der sprachlichen Formu¬ 
lierung desselben als der von ihm abhängigen Funktion ebenso vorangeht, 
wie der erst in der Versprachlichung stattfindenden Wortwahl; es stimmt auch 
das wieder überein mit dem zuvor hinsichtlich der Lokalisation des Agramma¬ 
tismus Ausgeführten. In Rücksicht der Nutzanwendung der Pillsburyschen 
Darstellung auf pathologische Fragen wäre weiter noch zu bemerken, daß 
die hier aufgezeigte Reihe von Ausdrucksformen auch von dem zeitlichen 
Momente abhängt und insofern eine Sukzession auch der Zeit nach darsteUt, 
als die Form je nach dem Zeitpunkte der gedanklichen Formulierung variiert, 
in welchem die sprachliche Formulierung einsetzt. Es läßt sich leicht zeigen, 
wie durch entsprechende Modifikation die letztangeführte Urteüsform auf die 
erste gebracht werden kann; „ein grüner Baum!“ plötzlich vor den Augen des 
Wanderers in der Wüste auftauchend. Nicht minder belehrend ist Pillsburys 
Darstellung der Kontroverse hinsichtlich der Verwechslung von Subjekt und 
Prädikat miteinander, ohne daß die Natur des Urteils eine Änderung erführe; 
das Urteil ,,dieses Grün ist ein Baum** kann ebenso viel bedeuten, wie ,,dieser 



Resultierende Bedeutung der Wörter und Sätze. 


221 


Baum ist grün“ und es wird nur von den Zwecken, die mit der Äußerung 
verbunden sind, abhängen, in welcher Ordnung die beiden Vorstellungen auf¬ 
einander folgen müssen (1. c. p. 166 ff. 1 )). Besonders hervorheben möchten 
wir aus den Anführungen Pillsburys noch den Hinweis auf den Einfluß des 
ganzen Zusammenhanges auf die Form und den Sinn des einzelnen Urteils. 

Es fallen diese Tatsachen sichtlich mit dem zusammen, was Marbe (V. J. 
Sehr. f. wiss. Philos. Bd. 30, 1906) als ,,resultierende Bedeutung“ der Wörter 
und Sätze ihren „elementaren Bedeutungen“ gegenüberstellt. Gräfin v. War¬ 
tensleben (Zeitschr. f. Psychol. 57, S. 101 ff.) hat das noch weiter ausgeführt. 
„Viele Wörter haben eine resultierende Bedeutung, die aus dem Flexions¬ 
charakter des Wortes und dem Worte als solchem resultiert. Auch die Be¬ 
deutungen von Sätzen sind aufzufassen als „resultierende“ Bedeutungen höheren 
Grades als die Bedeutungen der einzelnen Satzteile oder gar der einzelnen 
Worte.“ 

Die genannte Autorin hat dann festgestellt, daß beim Übersetzen gelegent¬ 
lich die Bewußtseinslage der Satz bedeut ung sich einstellt, ohne daß Bewußt¬ 
seinslagen der Wortbedeutungen vorangegangen; davon läßt sich aber für 
unser Thema sofort die Nutzanwendung machen, daß auch beim Sprechen ein 
ähnliches Verhältnis möglich ist, wodurch wieder das bestätigt erscheint, was 
wir von der psychologischen Lokalisation der gedanklichen Formulierung ge¬ 
sagt. Aber auch eine unmittelbar dem Pathologischen entnommene Tatsache 
wird dadurch dem Normalen nahe gerückt: die bekannte Erscheinung vom 
Vorhandensein des Satz Verständnisses bei Gelesenem ohne Wort Verständnis. 

Kehren wir nach dieser Darstellung von Parallelen zu Pillsburys Er¬ 
örterungen zurück, so wird die Vielfältigkeit der Grundlagen der gedanklichen 
Konstruktion durch das von Pillsbury weiter Angeführte klarer (1. c. p. 167 f.) 
„Dieselbe geistige Operation kann zu verschiedenen Darstellungen führen, je 
nach der sozialen Situation, der Entfernung der Hörer, ihrer Bereitschaft usw. 
In gleicher Weise können wir den Zusammenhang im Denken des Sprechers 
nur verstehen, wenn wir die ganze Situation in Betracht ziehen, aus der er 
hervorgeht, die ganze Gedankenbewegung erfassen, in der er sich ent¬ 
wickelt hat.“ 

Wir erfassen an der Hand der Darstellung Pillsburys klarer als das 
bisher zum Ausdruck gekommen, die ganze Bedeutung der „Situation“ und 
selbst die früher als Grundlagen der „Stellungnahme“ erörterten Momente 
finden sich in seinem „entire movement of thought“ mit eingeschlossen. Über¬ 
dies ist die Darstellung noch dadurch belehrend, als die gleichen Gesichts¬ 
punkte als auch vom Standpunkte des Hörers bedeutsam entwickelt werden; 
dadurch wird aber wieder das früher erörterte Moment der für Sprecher und 
■- 1 

*) „One can not understand thereason for the succession from an examination 
of the single pair because there is nothing in the single pair that decides that they 
shall be connected. What decides the order that the two appreciations shall take is 
the general situationof themoment. That also decides that they shall be connected 
and the nature of the connection. The single proposition is but part of a 
total larger movement of thought, and it is this larger movement of 
thought thatgives it order, that gives it what connection it has. Without 
it the judgement is a pair of disconnected appreciatious. Again we may assert 
that the nature of the relation varies according to the whole of which it is a part, 
according to the purpose that is to be fulfilled at the moment“. 



IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


222 

Hörer gemeinsamen Situation bzw. das, was wir als Angleichung der Situation 
des Sprechers an die des Hörers bezeichneten, ins richtige Licht gerückt. 

Mit dem zuvor dargelegten Einflüsse des zeitlichen Momentes auf die 
Formulierung erscheint ein weiterer neuer Gesichtspunkt für die Pathologie 
gewonnen; welche Bedeutung derselbe zur Aufklärung gewisser Erscheinungen 
haben kann, sei daran exemplifiziert, daß es sichtlich das Moment vorzeitig 
einsetzender sprachlicher Formulierung ist, welches die Häufung des einwortigen 
Satzes in den höheren Graden der Redeflucht zur Folge hat. Ob nicht auch 
sonst noch das zeitliche Moment von Einfluß sein kann, mag vorläufig dahin¬ 
gestellt bleiben; bezüglich der zuerst von H. Jackson nachgewiesenen Diffe¬ 
renz zwischen affektuöser und mtellektueller Sprache (die Möglichkeit des 
unwillkürlichen Produzierens eines willkürlich nicht möglichen Ausrufes) liegen 
solche Beziehungen entschieden vor; es ist der interjektionelle Charakter der¬ 
selben, der sie nahelegt. 

Halten wir jetzt sonst noch bei Linguisten und Sprachphüosophen Um¬ 
schau nach ihrer Stellung zu den eben erörterten Fragen, so werden wir kon¬ 
statieren, daß, wenn ihnen auch natürlich diese hier hervorgetretenen Diffe¬ 
renzen zwischen Denkinhalt und sprachlicher Einkleidung nicht entgangen 
sein konnten, sie doch über vage Ansichten im Allgemeinen nicht hinausge¬ 
kommen sind. So w r enn z. B. Thomson (Indog. Forsch. XXIV, S. 298) bei 
der Erklärung von Sprachformen, auch grammatischen, davon spricht, „daß 
die betreffende Vorstellung schon früher in der Seele des Sprechenden erregt 
war und diese oder jene Stellung einzunehmen strebt“. Daß eine solche Auf¬ 
fassung schon ihrer anthropomorphistischen Färbung wegen nicht befriedigen 
kann, liegt auf der Hand, 

Das güt auch von der Ansicht Delbrücks (Vgl. Syntax der indogerma¬ 
nischen Sprachen. I. 1893, S. 63), „daß eine Vorstellung von dem, was wir Prä¬ 
dikat nennen, eine treibende Kraft bei der Satzgestaltung ist; was man u. a. 
daraus sieht, daß das Adjektivum, wenn es in dem prädikativen Satzabschnitte 
steht, in melireren Sprachen . . eine andere Gestalt zeigt, als wenn es attributiv 
ist, was sich doch nur aus emer in der Seele vorhandenen Vorstellung vom 
prädikativen Ausdruck erklärt“. Diese in der Seele vorhandene Vorstellung 
entspricht, wenn Verfasser das Ganze richtig erfaßt hat, einem in der gedank¬ 
lichen oder hier seelischen Formulierung nachweisbaren Elemente, das schon 
eine Formulierung andeutet, aber doch der sprachlichen vorangeht. 

Endlich sei noch hier her ge setzt eine der jimggr am ma tischen Schule 
entstammende Äußerung, die den Trieb nach Aufklärung kaum befriedigen 
dürfte. „Auch die Vorstellung ist ein getreues Abbüd psychischer, dem Reden 
vorausgehender Bewegungen, welche oft unwillkürlich wirkten, so daß die 
Seele durch den rhetorischen Effekt nicht im voraus beeinflußt wurde. In 
den meisten Sprachen ist die Ordnung der Satzteile nicht durch die Regeln 
der Logik, sondern durch die Zufälligkeiten der Ideenassoziation bestimmt“ 
(Ziemer. Junggrammat. Streifz. 1882, S. 50). 

Derselbe vage Charakter kommt natürlich auch den Deutungen zu, die 
auf eine gewisse Analogie mit der Tätigkeit des bildenden Künstlers deuten, 
wie z. B. der von v. d. Gabelentz (Zeitschr. f. Völkerpsychologie. 1875. 
Bd. 8, S. 13K). und nicht weiter bringt uns Egger (La parole int. 2. ed. 
1904, p. 242), der die innere Sprache mit der Kleidung analogisiert. 



Philologische Ansichten über die Formulierung. 


22;] 


Etwas tiefer eingedrungen ist wohl R. de la Grasserie (De la Psychol. 
du lang. 1889, p. 5), aber über eine Schematisierung kommt auch er nicht hinaus; 
wenn er als das Objekt der „Psychique statique 44 1. die „idee indi visible 44 , 2. ,,la 
pensee indivisible, 3. la relation entre l’idee et la pensee ou la pensee di vi¬ 
sible et succesive“ hinstellt, so erscheinen damit etwa die Stadien dessen mar¬ 
kiert, was wir jetzt als Gedankenformulierung bezeichnen. Die Differenz 
zwischen der „idee“ und der ,,pensee 44 findet er darin, daß die erstere ,,Pimage 
d’un objet“ darstellt, während ,,la pensee est un jugement par lequel on relie 
une idee k l’autre“; wenn er dann noch erläutert, „la pensee correspond en 
psychique k ce qu’est la proposition en morphologie, de meme que l’idee cor¬ 
respond au mot 44 , so scheint doch durchaus die „pensee 44 in diesem Sinne 
dem zu entsprechen, was wir als gedankliche Formulierung gegenüberstellen, 
bzw. ihr vorangehen lassen; aber auch hier vermissen wir gerade das, wonach 
wir suchen, eine irgendwie präzisere Bestimmung der dabei wirksamen Vor¬ 
gänge. 

Ganz scharf Umrissen findet sich das Problem in dem Buche von Seche- 
haye (ch. XII, p. 142 *)). Aber gerade der Umstand, daß Sechehaye es 
unter den Problemen aufführt, beweist, wie weit wir von einer Lösung des¬ 
selben entfernt sind. 

Etwas eingehender erörtert er an anderer Stelle (1. c. p. 238) die liier 
aufgerollte Frage. „Die Struktur eines Satzes ist etwas Abstraktes, etwas, 
was für den Sprecher wie für den Zuhörer nur durch seinen Inhalt existiert, 
wie die geometrischen Formen und Zahlen für uns nur durch die konkreten 
Gegenstände vorhanden sind, die sie realisieren. Man denkt keine gramma¬ 
tische Struktur, man denkt Ideen, die miteinander in logischen und gramma¬ 
tischen Beziehungen stehen. Der Vorgang des sprachlichen Ausdruckes be¬ 
steht darin, alle Ideen in die Kategorien der Einbildung einzureihen und in 
der Weise das Denken zu materialisieren, das was unfaßbar in sich selbst, 
in die faßbare und vorstellbare Form zu überführen. 44 

Zunächst vermißt Verfasser an dieser Formulierung die scharfe Tren¬ 
nung zwischen gedanklicher und grammatischer Formulierung, doch kommen 
Avir im Folgenden auf diese Frage zurück; überdies gibt die notwendige Klar¬ 
legung eines scheinbaren Widerspruches zwischen der hier vertretenen An¬ 
schauung und der Äußerung Sechehayes ,,on ne pense pas une structure 
grammaticale“ Anlaß zu einigen diese letztere erläuternden Bemerkungen. Es 
sei zugestanden, daß man, natürlich abgesehen von besonderen Fällen, wo 
etwa während des Sprechens die Form erst mühsam gewählt wird 2 ), nicht 
an die grammatische Struktur denkt, daß sie vielmehr sich unbewußt in 
die Reihe der sprachformulierenden Vorgänge sozusagen einschleicht; Avenn 
aber Sechehaye den Gedankengang etwa so darstellt, daß man gramma¬ 
tische Formen überhaupt isoliert nicht denken könne, so übersieht er dabei, 

J ) „Le probl^me que doit r4soudre la morphologie statique semble pouvoir 
se formuler en ces termes: comment peut-on, par des symboles de l’ordre articula- 
toire (dans le cas plus späcial que nous consid&rons) construire quelque chose dont 
la suite et la forme correspondent k la suite et k la forme de la pensee?“ (Vgl. bei 
ihm auch p. 34.) 

2 ) Vgl. dazu den zuvor nach Saint - Paul zitierten Selbstbericht eines 
Redners. 



224 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


wie auch aus seinem Vergleich mit den geometrischen Formen deutlich er¬ 
hellt, die ganze Lehre von den ..Gestaltsqualitäten“, die, wie in dieser Schrift 
gelegentlich angedeutet, ebenso wie in der Sprachpsychologie auch bezüglich 
des Pathologischen eine vorläufig noch nicht zu übersehende Bedeutung er¬ 
langen dürften. 

Wie präzise aber doch auch Sechehaye die der sprachlichen vorangehende 
gedankliche Struktur von ihr trennt, geht namentlich hervor aus seinen Aus¬ 
führungen über ,,le langage extragrammatical et le langage pregramma- 
tical“ (1. c. p. 69 ff.), als welche er die Mimik, die Gestik und die Betonung 
bezeichnet. Nachdem er dann ausgeführt, daß diesen Ausdrucksmitteln irgend 
eine Konvention zunächst nicht zugrunde liegt, und daß, wenn später gewisse 
Gewohnheiten und Gesetze für dieselben sich herausentwickeln, diese Aus¬ 
drucksmittel in der psychologischen Konstitution des Individuums begründet 
sind, schließt erdaraneine Darstellung der eben erwähnten zwei Sprachformen 
und deren Fortbildung zur grammatikalischen Sprache l ); das Verhältnis der¬ 
selben zueinander präzisiert er dahin: „Pregrammatical et extragrammatical 
ne different que par Tabsence ou la presence d’une r61ation avec la grammaire.“ 

Wenn wir die Anführungen nach Sechehaye mit der Präzision moti¬ 
vieren konnten, mit der er die Fragen bezüglich des Ausdrucks des Gedachten 
im Gesprochenen formuliert hat, so können wir die unseren Zwecken so wün¬ 
schenswerte Aufklärung bezüglich dieser Vorgänge von seiner Schrift, die er 
selbst als ein Programm für die Arbeiten einer psychologischen Linguistik 
hinstellt, nicht erwarten, ja wir müssen dem mit einer gewissen Resignation 
entnehmen, daß das der Pathologie so Wünschenswerte auch ein ebenso un¬ 
erfülltes Desiderat der Lüiguistik darstellt. Aber wie schon die Formulierung 
bestimmter Fragen nicht bloß einen Fortschritt darstellt, sondern weitere 
solche anzubahnen geeignet ist, so werden auch schon diesem Programm manche 
auch für die Pathologie recht belehrende Hinweise zu entnehmen sein; so die 
Auseinanderhaltung des extra- und prägrammatischen Stadiums der Sprach- 
formulierung, deren Auseinander fallen der Dissolutionsprozeß in der Aphasie 
uns vor Augen führt. 

Immerhin fehlt es auch nicht an philologischen Arbeiten, die gerade 
dem Wunsche nach einer Erkenntnis der EmzelVorgänge wenigstens stück¬ 
weise entgegenkommen; so finden sich bei dem Neuphüologen Edward 
T. Owen, dessen wenig bekannte Schriften vielfach in der hier diskutierten 
Richtung orientiert sind, mehrfach darauf bezügliche Äußerungen; so wenn 
er im Gange einer Erörterung über die vom Inhalte des Gedankens präzise 
unterschiedene Struktur desselben es direkt als axiomatisch hinstellt, daß 
die Struktur gegenüber den Wortformen das Primäre ist, wobei freüich die 
Gedankenstruktur nicht ganz scharf von der Struktur des Gesprochenen aus¬ 
einander gehalten erscheint. 

1 ) ,,La grammaire ne nait et n'existe qu’en vertu des ph6nom&nes prägram- 
maticaux qu’elle a su s’asservir; eile est comme une däformation particuli&re du 
langage pr^grammatical. L’etre psychophysique qui se cr6e ou qui acquiert une 
grammaire, ne subit aucune modification essentielle dans sa nature. Toutes les lois 
qui pouvaient pr^sider ä son langage spontane subsistent: eiles se räalisent seulement 
dans des conditions qui ont 6t6 modifiees par un agent nouveau, dont le principe 
est en dehors d’elles“. 



. Gedankenstruktur, Satzstruktur. 


„Unter der Struktur („structure“) des Gedankens verstehe ich seinen 
Aufbau („architecture“) unterschieden von den Elementen, aus denen er sich 
aufbaut; nicht was ich denke, sondern wie ich denke. Zugegeben, daß eine 
Wahl von Wortformen zuerst stattfindet (,,that a choice of verbal forms may 
first be made“), die einer besonderen Gedankenstruktur entspricht, so halte 
ich es für sicher, daß die Gedankenstruktur dem Gebrauche der Wortformen 
vorangeht und halte den Gebrauch bestimmter Wortformen als etwas der 
Strukturwalil Nachfolgendes („and rank the use of particular verbal forms 
as corollary to structure-choice“). (Hybrid Parts of speech. Repr. fr. Vol. XVI. 
P. II of the Transact. of Wisconsin Acad. of Sc. p. 235 f.) 

Das Beispiel, das Owen für seine These anführt, ist für seinen Gedanken¬ 
gang recht belehrend und sei deshalb ebenfalls hierhergesetzt. „Vorausgesetzt, 
daß eine bestimmte Gedankenstruktur aus irgend einem Grunde angenommen, 
so ist der Gebrauch ihr adäquater linguistischer Symbole unausweichlich. 
Wenn z. B. in meiner Gedankenstruktur die Idee der „Vollkommenheit“ die 
Position als Zusatz zu emer anderen Bezeichnung angenommen hat, so kann 
ich sie als Adjektiv „vollkommen“ zum Ausdruck bringen in dem Satze: 
„Vollkommene Universitäten bringen ihre Hörer zum Studium“, nicht aber 
als Adverb „vollkommen“. Umgekehrt, wenn die genannte Idee eine End¬ 
oder Mittelstellung als Zusatz einnimmt, muß ich das Substantiv oder Adverb 
gebrauchen: „Universitäten lehren Vollkommenheit“ oder „Universitäten 
lehren vollkommen“; kurz, der Gebrauch eines besonderen Redeteiles ist die 
notwendige Folge einer besonderen Gedankenstruktur“ *). 

Auch sonst fehlt es nicht an gelegentlichen Äußerungen bezüglich der 
Priorität der Satzform gegenüber der Wortfindung und Wortfügung, eine 
Ansicht, deren lokalisatorische Bedeutung wir früher angedeutet haben. So 
weist Fr. Bau mann (Sprachpsychologie und Sprachunterricht. 1905, S. 100 f.) 
darauf hin, „daß die Worte sich nicht erst aus dem Satzzusammenhänge aus¬ 
sondern, sondern daß wir schon gewisse Vorstellungen von ihrer Form und 
Bedeutung haben, ehe wir sie zum Satz vereinigen“; Seite 101 sagt er direkt, 
daß „wir für den Gedanken, den wir mündlich oder schriftlich äußern wollen, 
zuerst eine Satzform auswählen, ehe wir zu den einzelnen Wörtern 
kommen“ 2 ). 

*) „It appears accordingly that the use of a particular kind of verbal hybrid 
(verbal noun, verbal adjective or verbal adverb) is corrollary to the structure of 
thought to be expressed, and that any rule to guide the Speaker would again be 
merely a part of a larger rule, distinctly proper, but hardlv necessary namely: “Say 
what you think, as you think it.” Thus far accordingly choice of verbal form 
(regarding both the content and the structure of thought) is the merest corollary 
to choice of thought itself.“ 

Noch an anderen Stellen seiner einschlägigen Arbeiten beschäftigt sich Owen 
mit unserer Frage; so im Kapitel betitelt: „Sentences express thoughts formed in 
a particular way“ (Interrogative Thought and the means of its Expression. Repr. 
fr. Transact. of the Wisconsin Acad. of Sc. etc. Vol. XIV, p. 363) worauf die Aufmerk¬ 
samkeit der Interessenten hingelenkt sei. „The idea of position in thought-struc¬ 
ture, like the idea of association is not a part of the thought to be constructed, 
but merely a guide to the proper construction of that thought. Such ideas compare 
with actual thoughtmembers much as the plans and specifications of a building 
compare with the materials of which it is made“ (p. 374). 

2 ) Auch Morris (Princ. und Meth. in Latin Syntax 1902, p. 42), der im 
Ganzen Wundts Lehre von der Gesamtvorstellung folgt, scheint doch den dem 
Tick, Sprachstörungen. I. Teil. 15 



226 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Nicht zum Zwecke, um daraus über unser Thema Belehrung zu schöpfen, 
sondern um zu zeigen, wie eine ältere, vorwiegend der „inneren Sprache“ zu¬ 
gewendete Phase der Sprachpsychologie, die auch jetzt noch einseitig in den 
Vordergrund geschoben wird, über metaphorische Darstellungen unserer Frage 
nicht hinausgekommen, weü eben die innere Sprache dem Stadium der For¬ 
mulierung, mit dem wir uns hier befassen, erst nachfolgt, sei auf entsprechende 
Äußerungen Eggers verwiesen 1 ). 

Der Gegensatz einer solchen Auffassung zu einer neuen richtigeren wird 
nun in helles Licht gestellt, wenn war jetzt zum Schlüsse unserer Darstellung 
dessen, was die Literatur an Zusammenfassungen unseres Themas auf weist, 
auf denjenigen Psychologen zurückgreifen, der auch der neuesten Auffassung 
am nächsten steht. Wir haben W. James’ zu gedenken, der in dem berühmten 
Kapitel seiner Principles „The stream of thought“ in an Lebendigkeit kaum 
zu über treffender Darstellung eine erste Skizze davon entwirft, was man von 
der Formulierung des zuerst im intuitiven Denken flüchtig auftauchenden 
Gedankens zu halten habe; so wenn er (1. c. I, p. 255) spricht von „these rapid 
premonitory perspective views of a scheme of thought no yet articulate“ 
und das Gefühl beschreibt, „what thoughts are next to arise before they have 
arisen“. Daß es sich dabei, so wie bei der „intention ta say so or so“, um 
eine gedankliche, nicht sprachliche Formulierung handelt, geht daraus 
hervor, daß er später sagt: „Linger and the words and the things come 
in the mind“; es geht das vor Allem aber aus der Erläuterung hervor, die er 
(1. c.) jenen „schemes“ gibt und die sichtlich mit dem zusammenfällt, wtus 
jetzt neuerlich als Gestaltsqualität bezeichnet wird 2 ) und hier auf die Ge¬ 
dankenform angewendet werden kann. 

Sprechen vorangehenden Prozeß der gedanklichen Formulierung in gleichem Sinne 
wie Verfasser aufzufassen. „But when the analysis is completed, the fitting of 
sufficiently accurate words to the grouped concepts is almost automatic. Because 
thinking is so generally associated with words, the analysis is instinctively direkted 
toward concepts which have been before associated with words“. 

Nachtr. Anmerkung. Daß die Satzform etwas Selbständiges ist, wird auch 
dadurch bewiesen, daß sie persevera torisch nach wirkend Gesprochenes entsprechend 
modelt. Ein amnestisch und paraphasisch sprechender Kranker mit linkem 
Schläfelappenherd soll einen Ring bezeichnen; es gelingt nicht und das erste was er 
herausbringt, ist „Ke mnö ne§el!“ (Deutsch „er ist nicht zu mir gegangen“). Es 
ist gewiß nicht allzu kühn anzunehmen, daß die von der Ansicht des Unvermögens 
hergenommene negative Satzform perseveratorisch nachgewirkt hat. 

*) Egger (La Parole int. 2. öd. 1904, p. 205 f.) „Chacun des mots, chacune 
des locutions de notre langage usuel est en nous une habitude positive . . . L’habi- 
tude totale se röalise . . . suivant un ordre röglö . . . tantöt par la raison (comme 
dans la möditation) . . . . la parole intörieure est donc une sörie continue d’habi- 
tudes positives röalisöes“. 

„La parole intörieure röunit ces deux qualitös, en apparence incompatibles, 
par ce fait qu’elle se compose d’habitudes ölömentaires ä la fois particuliöres et 
positives, tandis qu’elle-meme reste gönörale, c’est-a-dire indifferente ä l’ordre des 
actes particuliers qui la röalisent. Mais eile est devenue, par son incessante röali- 
sation, si proche de l’acte que, tout en conservant la gönöralitö, c’est-ä-dire l’indiffö- 
rence ä la nature particuliöre de l’acte complexe qui la manifeste, eile ne peut plus 
se passer de produire; eile se röalise encore sans besoin, d’une maniöre, pour ainsi 
dire, automatique, dans le silenee de la pensee“. 

2 ) What is that shadowy scheme of the „form“ of an opera, play or book, 
which remains in our mind and on which we pass judgement when the actual thing 



Überführung des Gedankens in den sprachlichen Ausdruck. 


227 


Aber auch an den Problemen, die sich an die Frage der sprachlichen For¬ 
mulierung anknüpfen, ist James nicht achtlos vorübergegangen und wenn 
er bei der Beschreibung vom Suchen nach einem vergessenen Worte (1. c. 
p. 251) von den sich einstellenden unzutreffenden Worten sagt, daß sie nicht 
in die Form passen („do not fit in its mould“), so kann das, wenn Verfasser 
James richtig verstanden, nicht anders gedeutet werden, als daß dem ge¬ 
suchten Worte das Schema einer den ganzen Satz umfassenden sprachlichen 
Form vorangeht *). 

Wenn Verfasser in der Formulierung von James jene Schärfe bezüglich 
der verschiedenen, jetzt von der Formulierung auszusagenden Stadien ver¬ 
mißt, so geht die Richtigkeit dieser Ansicht auch aus den Schlußfolgerungen 
hervor, die einzelne Autoren an die Ausführungen von James knüpfen. Wenn 
z. B. Huey (Psychol. and Paedagogy of Reading 1909, p. 131) sagt, daß bei 
James der Satz ,,is indeed in a measure existing in consciousness precedent 
to any utterance even before we have opened the mouth“, so erscheint 
damit jedenfalls die Grenze zwischen Gedanken- und Satzformulierung ver¬ 
wischt; bei Dwelshauvers, der sich ebenfalls an James anschließt, tritt 
dieser Gesichtspunkt freilich deutlicher hervor. (La Synthese mentale. 1908, 
p. 35 „avant de prononcer une phrase dans laquelle s’aligneront successive- 
ment les mots, nous avons l’intuition de la pensee, que cette phrase 
exprimera; cette intuition precede le choix des concepts qui la d^velop- 
peront dans le temps pour la rendre accessible k l’auditeur et par consequent 
aussi des mots, qui la rendront sensible“). 

E. T. Owen, der schon öfters hier zitierte amerikanische Neuphilologe, 
spricht (Transact. of the Wisconsin Acad. XIV, p. 375) von einem Gedanken¬ 
skelett in gleichem Sinne mit dem Schema von James; diese letzte Bezeich¬ 
nung scheint uns aber das Verhältnis besser zur Darstellung zu bringen, in¬ 
sofern das Schema deutlicher den modifizierenden und modellierenden Einfluß 
des schon Vorhandenen auf das neu Hinzukommende und dem Vorhandenen 
sich Einfügende zum Ausdruck bringt; dieser Einfluß tritt in der Be¬ 
zeichnung Skelett, dem ja der Charakter des Festen, Unveränderlichen zu¬ 
kommt, an das sich das Hinzukommende ansetzt, nicht so deutlich hervor. 

Im Folgenden möchte nun Verfasser das, was an Einzelheiten sonst noch 
der Literatur zu entnehmen ist, zu einer seinem Standpunkte in der Frage 
der Überführung des Gedankens in den sprachlichen Ausdruck entsprechenden 
Darstellung zusammenzufassen. Es kann ihm natürlich nicht beifallen, den 
von Männern der verschiedenartigsten Richtungen erarbeiteten Darstellungen 
eine neue, eigene anzureihen, vielmehr hat der folgende Versuch nur den Zweck, 
die ihm insbesondere für Fragen der Pathologie bedeutsamen Tatsachen und 
Deutungen herauszuheben, die wichtigsten in ihrer Wertung für die Pathologie 
sozusagen zu unterstreichen. Verfasser empfindet es als einen dalür besonders 

is done .... Great thinkers have vast premonitory glimpses of schemes of rela- 
tions between terms which hardly even as verbal images enter the mind, so rapid is 
the whole process“. 

*) Ob die Ausführungen dort, wo James von dem Gefühle spricht, daß, 
nachdem ein Wort in einer bestimmten Sprache gesprochen wurde, die übrigen in 
der gleichen Sprache und in der dieser entsprechenden Grammatisierung auf¬ 
einander folgen, nicht auch dem gleichen Gedankengange entsprechen (1. c. S. 262) 
muß dahin gestellt bleiben. 

15* 



228 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


glücklichen Umstand, daß die bis dahin etwas schematische und konstruktive 
Behandlung der einschlägigen Fragen durch die von der Würzburger Schule 
eingeleitete, auf Beobachtungen sozusagen in statu nascenti gestützte Art 
des Studiums dieser Beziehungen vertieft und ergänzt wurde: halten wir diese 
Methode der Introspektion auch schon nach den bisherigen Erfolgen für viel 
aussichtsreicher als die von Marty (Die logische, lokalisatorisehe und anderen 
Kasusformen. 1910. S. VIII) zu dem gleichen Zweck empfohlene der ..inneren 
Wahrnehmung und Beobachtung“, so werden wir freilich auch dieser nicht 
entbehren wollen, vor Allem auch deshalb, weil man in ihr die Grundlagen 
für die e.\]>erimentelle Introspektion zu suchen haben wird 1 ): darüber kann 
doch wohl kein Zweifel bestehen daß jene innere Wahrnehmung noch auf lange 
hinaus die Grundlage für die Fragestellungen der experimentellen Psychologie 
liefern wird. 

Trotz aller Hilfen, die Verfasser so heranzuziehen liemüht war. bleibt 
er sich doch der Mängel und Schwächen seüies Versuchs durchaus bewußt, 
aber er glaubt das Wagnis nicht abweisen zu dürfen, mit dem er seiner Ansicht 
nach den Forderungen der Sprachpathologie mehr entgegenzukommen glaubt 
als die bisherigen systematischen Darstellungen solcher, die ihn natürlich be¬ 
wußt oder unbewußt bei seinen Formulierungen da und dort beeinflußt haben 
mochten. Gewiß hält Verfasser das Material für eine solche Synthese noch Ixd 
weitem nicht für genügend, aber erhält es für aussichtsreich, jenen Weg an der 
Hand des Vorhandenen in seinen Grundzügen auszustecken; es dürfte dann vor 
Allem leichter gelingen, den immer neu zuwachsenden Stoff für seine Ausge¬ 
staltung systematisch einzuordnen und die davon herzunehmenden Korrek¬ 
turen des Ganzen anzubringen. 

Verfasser möchte das, was ihm hier vorschwebt, durch dasselbe Bild 
illustrieren, das er für die Art und Weise, wie sich eine gewisse Etappe der 
Formulierung vollzieht, gebraucht hat. Verfasser will von überall her Steine 
und Sternchen Zusammentragen, die, jeder und jedes an seinen aus ihm selbst 
oder anderen Umständen sich ergebenden Platz gesetzt, allmählich den ganzen 
Bauplan des zu erforschenden Weges werden erkennen lassen. Wohl werden 
anfänglich gewisse Partien nur angedeutet sein, andere werden mehr oder 
weniger bestimmte Konturen erkennen lassen, aber selbst, wenn wir vorläufig 
nicht weiter kommen, ist auch schon dadurch eine Art Netz (auch im geo¬ 
graphischen »Sinne) gewonnen, dessen Maschen die allmähliche Ausfüllung 
ermöglichen. 

Die Auffassung, die sich Verfasser in sjx'zieller Anknüpfung an die vor¬ 
bildliche Darstellung W. James* aber unter besonderer Berücksichtigung der 
Pathologie von den hier diskutierten Vorgängen der Formulierung gebildet, 
bewegt sich vor Allem in der Richtung einer schärferen theoretischen Sonde¬ 
rung der zwei Etappen, deren eine er als gedankliche Formulierung der sprach¬ 
lichen gegenüberstellt und dieser vorangehen läßt. 

Der ,,gedanklichen Formulierung“ liegt die der Würzburger Schule ent¬ 
stammende Scheidung zwischen Gedanken als Bewußtseinsinhalten und der 
Funktion des Denkens als Vorgang des Urteils und Schlusses zugrunde; diese 

*) Vgl. dazu Ausführungen von Husserl über das Verhältnis der Phänomeno¬ 
logie zur experimentellen Psychologie in Logos I. 1911, 8. 362 ff. 



Vorsprachliche Formulierung. 


•>*) 


letzteren Funktionen sind es, die in den formalen Anteilen des Satzes ihren 
Ausdruck finden. 

In dieser Bestimmung kommt zweierlei zum Ausdruck; in der Beiseite- 
lassung der „Vorstellungen“ im Denkprozesse die Annahme eines anschauungs¬ 
losen Denkens oder Wissens; weiter in der Annahme eines Vorganges des Denk¬ 
prozesses vor der sprachlichen Formulierung die Annahme eines vorsprach¬ 
lichen Stadiums der Formulierung, das eben dem „Schema“ von W. James 
entspricht; damit soll jener Komplex objektiver und subjektiv-objektiver 
Beziehungen gefaßt sein, die wir als gedankliche Formulierung bezeichnet haben. 
In der Betonung dieser letzteren Beziehungen ist weiter auch schon die Be¬ 
deutung der Gefühle als Grundlage der emotionalen Denkakte fixiert; gerade 
sie, insbesondere als „Stellungnahme“ haben für die Satzformulierung eine 
den rein intellektuellen Faktor weit überragende Bedeutung; das gibt aber, 
da wir dementsprechend auch das unter die gedankliche Formulierung sub¬ 
sumieren können, für die zeitliche Lokalisierung dieser vor dem Auf tauchen 
irgend welcher Wort Vorstellung den Ausschlag. Das gedankliche Schema und 
speziell der emotive Einschlag desselben ist fertig, ehe die sprachliche Formu¬ 
lierung (natürlich auch die Wortw ahl) einsetzt*); setzt diese früher ein, und 
das ist der Fall beim Vorwiegen der affektiven Faktoren, dann ist das Ge¬ 
sprochene nicht oder nicht vollständig formuliert (Interjektion oder einwortiger, 
interjektioneller Satz. Vgl. hierher die früher gemachten Ausführungen ins¬ 
besondere nach Pillsbury). 

Die begriffliche Operation, die den Bewußtseinsinhalt ausdrucksfähig 
zu machen hat, konnte natürlich den mit diesen Fragen sich Beschäftigenden 
nicht entgehen, aber bezüglich des Überganges, der sich dabei vollzieht, glaubt 
Verfasser im Wesentlichen weiter gegangen zu sein; wenn er sich für berechtigt 
hält, direkt von einer der sprachlichen vorausgehenden, also von ihr unab¬ 
hängigen Formulierung zu sprechen, so hält er das insbesondere im Hinblick 
auf die Syntax 2 ) der Taubstummen für berechtigt; denn diese trotz der in¬ 
folge äußerer Momente ausbleibenden Ausbüdung der Sprache dennoch vor¬ 
handene Syntax zeigt, daß die einzelnen Vorstellungen, in die wir, um beispiels¬ 
weise die Wundtsche Terminologie zu gebrauchen, die „GesamtVorstellung“ 
zunächst zerlegen, nicht bloß miteinander in Verbmdung gesetzt werden, sondern 
das auch schon in einer nach bestimmten psychologischen Gesetzen sich voll- 

*) Von der Einwirkung dieses Faktors auf die Wortfolge — ebenfalls ein 
wichtiger Bestandteil der sprachlichen Formulierung — werden wir in dem von ihr 
handelnden Kapitel Vieles hören, was den hier eingehaltenen Gedankengang unter¬ 
stützen w ird; hier sei nur auf das von v. d. Gabelentz (Die Sprachwiss. 2. A. S. 369) 
sog. psychologische Subjekt, eine von Anderen abgelehnte Bezeichnung hingewiesen, 
womit er das am meisten interessebetonte und deshalb als erstes angesetzte Wort 
bezeichnet; es ist klar, daß auch das „Interesse“ unter die Faktoren der gedank¬ 
lichen Formulierung rangiert. In diesem Zusammenhänge ist darauf hinzuweisen, 
wie gerade der emotionale Faktor zeitlich mit der weit später einsetzenden sprach¬ 
lichen Formulierung zusammengew'orfen wird. Wunderlich (Der deutsche Satz¬ 
bau I, 1901, S. XX) spricht es direkt aus, daß „der Affekt und die unbewußte Sprach- 
gcbung des naiven Menschen Sätze formt, ehe dieser der Worte sich bewußt wird“. 

2 ) Wenn wir hier mit Wundt der Zeichensprache des ungebildeten Taub¬ 
st ummen trotz des Widerspruches von Delbrück und Sütterlin eine Syntax 
zusprechen, so wird sich die eingehende Begründung dafür in dem Kapitel von der 
Wortfolge finden. 



230 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


ziehenden Ordnung erfolgt, so daß man in der Tat von einer Formulierung, 
von einem ,,auf eine bestimmte Formel bringen“ sprechen kann. 

In gleichem Sinne können wir auch jene Formen des nativen Agramma¬ 
tismus deuten, in denen die sprachliche Entwicklung auf dem Stadium der 
psychologischen Formulierung stehen bleibt, es zu keiner grammatischen Formu¬ 
lierung oder diese nur in verschiedener Weise mangelhaft zur Entwicklung 
kommt. Daß das in modifizierter Form ebenso auf die verschiedenen Formen 
von Störung der ausgebildet gewesenen grammatischen Formulierung bis 
zur völligen Aufhebung derselben durch Krankheit Anwendung finden kann, 
wird sich in besonderer Darstellung enveisen. 

Ein weiteres Beweisstück für die hier vertretene Ansicht ist der Kinder- 
spräche zu entnehmen. Daß selbst dem Kinde auf der ersten Stufe sprachlicher 
Entwicklung auch schon ein Anfang gedanklicher Konstruktion nicht fehlt, 
wird durch eine freilich lange Zeit verkannte Tatsache nahegelegt. Man hat 
in wiederholten Studien statistisch festzustellen versucht, welche Wörter die 
Kindersprache am frühesten und häufigsten entwickelt. Neuerlich ist aber 
darauf hingewiesen w r orden, daß den am häufigsten gebrauchten Satz Wörtern 
der Kinder, den Hauptwörtern, jeweils eine ganz differente Funktion zu¬ 
kommt und daraus können wir den weiteren Schluß ziehen, daß eine solche 
Differenzierung doch nicht gut ohne eine, wenn auch nur ganz einfache gedank¬ 
liche Konstruktion möglich ist; denn mit entsprechender Modifikation güt das 
zuvor nach Owen von der Gedankenstruktur des Erwachsenen Gesagte auch 
für das Kind. O’Shea (Linguist. Develop. 1907, p. 43) sagt sehr richtig: ,,Wir 
übersehen nur zu leicht die pronominale, verbale, adjektivische Funktion der 

ersten Worte,.unbewußt folgern wir sie aus der Haltung, den Mienen, 

der Intonation des Kindes“ x ). 

Diese Momente in ihrer Verbindung mit dem Einzelworte geben einen 
weiteren Beweis für die Berechtigung auch schon für diese Stufe der Sprach¬ 
entwicklung eine gewisse gedankliche Formulierung anzunehmen; das hat ja eben 
beim Kinde dazu geführt, auch vom einwertigen Satz, vom Satz werte zu 
sprechen, insofeme in der Verbindung desselben mit den Gebärden die ersten 
Zeichen einer nicht als grammatisch (wie dies Romanes, Die ge ist. Entwick¬ 
lung bei den Menschen. Dtsch. 1893, S. 297 deutet), sondern als gedanklich 
zu bezeichnenden Fügung und Formulierung hervortreten. 

Für die Annahme einer wahrscheinlich auch logisch-gedanklichen Glie¬ 
derung möchte Verfasser noch ein auch auf pathologisches Gebiet übergreifendes 
Argument heranziehen. In seinen tachystoskopischen Versuchen hat Messer 
(Arch. f. d. ges. Psychol. VIII, S. 77) als eine Phase des Verständnisses, 
dem vollen Verstehen vorangehend, das von ihm sogenannte „Sphärenbe- 
wußtsein“ nachgewiesen, das Bewußtsein der allgemeinen Sphäre, in die das 

J ) Logische Bedenken gegen diese Deutung möge die nachstehende Aus¬ 
führung des Logikers Bosanquet beruhigen. ,,Die grammatische Analyse, welche 
die Worte als Substantiva, Adjektiva. Adverba, Verba usf. klassifiziert, darf nicht 
so gedeutet werden, als ob sie uns sagte, was die Worte in sich selbst sind, vielmehr 
gerade umgekehrt, sie lehrt, was sie im Zusammenhänge eines bezeichnenden Satzes 
bedeuten. Sie werden aus Gründen der Bequemlichkeit gesondert betrachtet, wie die 
Teile einer Maschine, aber die Leistung, die ihnen den Namen gibt, erfolgt nur, wenn 
sie vereinigt sind“ (Bosanquet, Essent. of Logic 1897, p. 85). 




Gedankliche Formulierung. 


231 


Wort hineingehört *); es erklärt sich das aus den assoziativen Zusammen¬ 
hängen, unter denen der übergeordnete oder koordinierte Begriff im Vorder¬ 
gründe stehen. Das Analogon in Fällen gestörten, bzw. in Besserung be¬ 
findlichen Sprachverständnisses hat Verfasser (Über das Sprachverständnis. 
1909, S. 37) beschrieben; er hat auch dort schon aufmerksam gemacht, daß 
die gleiche Beobachtung nicht selten in Störungen des expressiven Teües der 
Sprache zur Beobachtung kommt. Ebenso ist es eine geläufige, den Beginn 
der Geschichte der Apraxie markierende Beobachtung, daß bei Aphasischen 
mit begleitenden apraktischen Erscheinungen die Aufforderung, die Zunge zu 
zeigen, trotz richtigem Verständnis der Frage mit etwas Falschem, aber doch 
Ähnlichem beantwortet wird. Dem sei nun die Beobachtung angereiht, daß 
auch beim Versprechen etwas ganz Gleichartiges vorkommt; man will fragen: 
auf dem linken Ohre ? und fragt: mit dem linken Auge ? Sehr interessant und 
noch prägnanter die hier besprochene Erscheinung darstellend, ist eine dem 
Verfasser eben zur Kenntnis kommende Beobachtung des Privatdozenten 
Dr. Sräußler; ein paraphasischer Kranker antwortet auf die Frage nach 
seinem Alter: ,,Ich erinnere mich nicht, wie lange ich alt bin“. Wenn wir 
hier Prozesse der Uber-, Ein- und Unterordnung das Sprechen beeinflussen 
sehen, deren Ablauf wir nach Allem, was wir insbesondere vom „normalen“ 
Versprechen wissen, ins Gedankliche verlegen dürfen, so spricht auch das 
für die Annahme, daß diese Beeinflussung im Stadium der gedanklichen 
Formulierung sich vollzieht. 

Andeutungen einer solchen gedanklichen Formulierung finden sich auch 
da und dort in älteren Darstellungen; so spricht Vignoli (zitiert nach Jodl) 
von einer der artikulierten Sprache voraufgehenden „Artikulation des Ge¬ 
dankens“. Auch Lotze gibt einer solchen Ansicht Ausdruck und wohl nicht 
zufällig in einer derjenigen des Verfassers ähnlichen Form 1 2 ). Natürlich ist 
die Vorstellung gedanklicher Formulierung nicht immer deutlich ausgesprochen, 
aber doch aus dem ganzen Zusammenhang zu erschließen; so könnte 0. Ditt- 
richs „Bedeutungssyntaxierung“ als etwas dem Entsprechendes gedeutet 
werden; denn w r enn er (Wundt, Phüos. Stud. XIX, S. 95) in diesem Zusammen¬ 
hänge von Lautgebüden spricht, die bereits während der Bedeutungssynta¬ 
xierung reproduktiv als Teüe der inneren Sprache anklingen (wir werden 
später von dieser bekannten Erscheinung noch zu sprechen haben), so scheint 
diese Bedeutungssyntaxierung etwas der gedanklichen Formulierung Gleiches 

1 ) Schon Delbrück (Jenaische Zeitschr. f. Naturwissensch. 20. Bd. 1887, 
S. 94) hat das, was jetzt neuerlich als Sphärenbewußtsein bezeichnet wird, damit 
gekennzeichnet, daß er sagt, daß die Wörter selbst bei dem Ungebildeten zu gewissen 
begrifflichen Gruppen verbunden sind, was sich darin zeigt, daß die Glieder der 
einzelnen Gruppen untereinander viel häufiger verwechselt werden, als zwei Glieder 
verschiedener Gruppen. 

2 ) „Die objektivierten Denkelemente müssen nun in bestimmte, der Eigentüm¬ 
lichkeit des menschlichen Denkens entsprechende Formen gebracht werden. Denn 
wie für ein Bauwerk, in dem Kräfte in bestimmter Weise wirken sollen, zunächst 
die Bausteine in sich gegenseitig bestimmenden Formen behauen werden müssen — 
aus lauter kugelförmigen Bestandteüen ist nur ein Haufen von Steinen gleichgiltiger 
Lage herstellbar — so muß auch unser Denken jedes der Elemente, die zunächst 
nur Zustände unseres Erregtseins sind, in eine Form fassen, die ihm in der späteren 
Verknüpfung die Art seiner Verwendung und die bestimmte Weise seiner Verknüp¬ 
fung mit anderen zuteilt“. (Mikrokosmus II, 243.) 



232 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


zu sein J ); ja es scheint nicht zu weit hergeholt, darin die Brücke für den 
Versuch zu sehen, die liier vertretene Ansicht mit Wundts Synthesen begriff 
zu vereinigen (Apperzeptive Analyse eines Tatbestandes und Synthese der so 
sukzessive gewonnenen Glieder in einer Endapperzeption). 

Etwas dem hier Dargestellten Analoges findet sich ausgesprochen von 
Moskiewicz (Arch. f. d. ges. Psychol. XVIII, S. 347); er findet unter den den 
Vorstellungsablauf regelnden Obervorstellungen auch solche, ,,die mir Schemata (!) 
sind, die sich erst mit Vorstellungen füllen sollen .... nur Angaben von 
Richtungen .... eine Reihe von Fragestellungen“. 

Die Möglichkeit dessen, was hier als Gedankenschema, Gedankenstruktur 
bezeichnet wird, läßt auch Sheldon zu in seiner Erörterung (The psychol. Bull. 
1907, p. 248) über die Verwendung der linguistischen Methode für Fragen der 
Logik; wir setzen seine Darlegung hierher, weü sie, wenn auch zum Teü nur 
bildlich, das Diskussionsobjekt doch recht gut beleuchtet 2 ). 

Verhüllt 3 ) findet sich das hier Dargelegte auch da und dort bei Phüologen; 
so betont Wunderlich (Der deutsche Satzbau. 1901. I, S. XXVIII) bei der 
Besprechung des Satzgefüges die Berücksichtigung der Denkgesetze und setzt 
hinzu, daß ,,die inneren Bindemittel (sc. doch wohl die Denkgesetze) den 
Redenden gewöhnlich lenken, ohne daß ihm dies zugleich zum Bewußtsein 
komme“. 

Wenn wir nun bemüht sind, den ganzen Weg, den der aufdämmemde 
Gedanke bis zu seiner vollständigen sprachlichen Formulierung zu nehmen 
hat, klarzulegen, so werden uns dabei ebenfalls der Würzburger Schule ent¬ 
stammende Aufklärungen förderlich sein, insbesondere hinsichtlich der auch 
nach Helligkeitsgraden sich abstufenden Vorgänge ; als ein erster solcher stellt 
sich uns Marbes „Bewmßtseinslage“ dar, deren Beschreibung wir zuvor ge¬ 
geben und die etwa dem Zeitabschnitte eines ersten Aufdämmerns eines bis 
dahin noch nicht zu irgendwelcher Klarheit gelangten Gedankens, etwa dem 
entspricht, ivas B. Erd mann als intuitives Denken bezeichnet. 

Es ist zuvor hervorgehoben worden, daß W T . James (Principles. I, 
p. 251) bei der bekannten Erscheinung des Suchens nach einem W T orte eine 

J ) Das wird auch dadurch nahegelegt, daß Dittrich (1. c. S. 118) von einem 
Intervall zwischen der Bedeutungskonzeption und der äußeren Lautungsproduktion 
spricht, in welchem das Anklingen der künftigen äußeren Lautung stattfindet (also 
die Bedeutungskonzeption geht auch diesem Anklingen zeitlich voraus). 

2 ) „Judgement may be an indivisible instantaneous whole and yet have a 
complicated internal structure, similar to that of the sentence. And curiouslv 
enough Bosanquet himself believes that it has. The map wesee at one glance, haß 
the same structure as the map we draw slowly. The discrepancy between logical (or 
psychological) and grammatical subject and predicate is admitted by most linguists, 
who nevertheless avowedly pursue linguistic method. And further the inner thought 
might have a general correspondence in form to the verbal expression, without the 
same order or emphasis of parts, or without one-to-one correspondence throughout“. 

3 ) Auch in der nachfolgenden Äußerung Sterns von der Form des zu Sagenden 
kann man einen Ansatz von gedanklicher Formulierung sehen: „Jeder Mensch, 
der einen Satz aussprechen w T ill — sei er Kind oder Erwachsener — muß den wesent¬ 
lichen Inhalt des zu Sagenden schon vorher in verschwommener Form mit seinem 
Bewußtsein antezipieren. Ob man hier mit Wundt von einer „GesamtVorstellung“ 
sprechen will oder ob die Vorwegnahme einen mehr gefühls- und willensmäßigen 
Charakter hat, ist für unsere Untersuchung belanglos“. (CI. und W. Stern, Die 
Kindersprache. 1907, S. 198.) 



Bewußtseinslage, logische Beziehungen. 


233 


Adaptation desselben an ein Schema, noch ehe es gefunden, annimmt; es er¬ 
scheint recht wahrscheinlich, daß der Zeitpunkt für das Auftreten dieses Ge¬ 
fühls x ) des Passenden oder Nichtpassenden auch dem der Bewußtseinslage 
entspricht. Daß das Gleiche bei der gedanklichen Formulierung tatsächlich 
statt hat, hat Messer dargelegt; insbesondere „Bewußtseinslagen“ hat er bei 
seinen experimentell-psychologischen Untersuchungen über das Denken (Areh. 
f. d. ges. Psychol. VII. 1906, S. 177) auch in der Form nachweisen können, 
„wo ein Urteil, ein Gedanke vorhanden ist, der sich nur in einem Satze aus¬ 
reichend formulieren läßt, wo aber doch keine Worte im Bewußtsein kon¬ 
statiert werden konnten“; damit scheint auch die zeitliche Lokalisation der 
Bewußtseinslage als eines in der Reihefolge der Formulierungsprozesse früh¬ 
zeitigen fixiert. Die hier versuchte Analogisierung der Erscheinung der Be¬ 
wußtseinslage in diesem Stadium mit denjenigen beim Suchen nach einem 
vergessenen Worte wird durch die Beobachtung Messers (1. c. p. 183) als 
berechtigt erwiesen, „daß das weitere Urteü über die Tauglichkeit auftauchender 
Denkinhalte teüweise vorbereitet, teüweise auch ersetzt wird durch die „Be¬ 
wußtseinslage“ des Passenden (bzw. Nichtpassenden), des Sinnvollen (bzw. 
Sinnlosen), des Richtigen (bzw. des Unrichtigen, Falschen, Unzureichenden)“. 

Wenn in der Messer sehen Darstellung insbesondere das wortlose Denken 
hervortritt und bisher der Gefühls an teü darin betont worden, so erscheinen 
weitere Feststellungen hier, wo die gedankliche Formulierung den Gegen¬ 
stand der Erörterung büdet, auch der Nachweis des Vorhandenseins von „Be- 
wnßtseinslagen“ zahlreicher logischer Beziehungen („in denen Beziehungen 
zwischen Gegenständen oder Begriffen im Bewußtsein zur Geltung kommen“, 
Messer) von besonderer Bedeutung. Da von den Bewußtseinslagen noch später 
ausführlicher die Rede sein wird, sei vorläufig nur kurz angedeutet, daß die 
Lehre davon aus zwei Gründen für den Pathologen bedeutsam erscheint; 
zunächst deshalb, weil im Gegensätze zu ihrem hier kurz dargelegten Vor¬ 
kommen als erste Etappe in der Entwicklung eines Denkinhaltes ihr sympto- 
matologisch gleichartige Zustände, die sogenannten „dreamy States“ von 
H. Jackson, in Fällen von psychischer Dissolution innerhalb der Vorboten 
des epileptischen Anfalls als letztes Stadium jener vor der Bewußtlosigkeit 
zur Beobachtung kommen; im Hinblick auf lokalisatorische Fragen ist es 
andererseits weiter bedeutsam, daß die eben erwähnten Beobachtungen ins¬ 
besondere auch das in denselben beobachtete „Suchen nach dem Worte“ auf 
Beziehungen zum Schläfelappen hindeuten 2 ). Welche Bedeutung die Klar¬ 
legung dieser Beziehungen hat, tritt ins richtige Licht, wenn wir dazu die An- 

*) Wir werden später hören, daß die Bewußtseinslage auch Gefühlszustände 
in sich faßt und deshalb auch die zweite zuvor hervorgehobene Seite der psycho¬ 
logischen Formulierung, die Subjektive des Sprechenden, seine Stellungnahme, 
darin gegeben sein kann; das erscheint deshalb notwendig, weil wir annehmen müssen, 
daß diese subjektiven in der Formulierung zum Ausdruck kommenden Momente 
die ersten sind, den urteilsmäßigen vorangehen. 

2 ) Mit dieser kursorischen Bemerkung — eine eingehendere Darstellung kann 
erst an entsprechender Stelle folgen — will natürlich nicht gesagt sein, daß etwa 
alles mit den „dreamy states“ Zusammenhängende im Schläfelappen zu lokalisieren 
ist; aber es entspricht doch vorsichtig geübter Lokalisation, wenn im Hinblick auf die 
klinischen Erscheinungen und die pathologisch-anatomischen Feststellungen gesagt 
w r ird, daß der Schläfelappen mitbeteiligt ist. 



234 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


sicht des Verfassers von der Lokalisation des Agrammatismus im Schläfe - 
lappen halten und den hier gemachten Versuch, die der sprachlichen Formu¬ 
lierung entsprechenden Vorgänge ebenso dort zu lokalisieren, wie dies bezüg¬ 
lich der Wortfindung ziemlich übereinstimmend schon jetzt geschieht. 

Die hier gemachte Annahme, daß die „Bewußtseinslage“ eine erste 
Phase in der Gliederung des Weges vom Denken zum Sprechen ist, kommt 
mit der gleichen Ansicht Messers überein, der (1. c. p. 188) es direkt aus¬ 
spricht, ,,wir glaubten aber in der vollständigen sprachlichen Formulierung 
des in jenen Bewußtseinslagen gedachten (oder gemeinten) Inhaltes lediglich 
eine entwickeltere, reichere Ausgestaltungsform dessen zu finden, was dort 
nur keimhaft gegeben war“. Den Gang dieser Entwicklung werden wir uns 
jedenfalls auch in Etappen gegliedert zu denken haben, insbesondere nach 
der Richtung zunehmender Klarheit des in der Bewußtseinslage nur dunkel 
und mehr gefühlsmäßig bewußten Denkinhaltes. Einer solchen zweiten Phase 
der Gliederung dürfte Achs Bewußtheit entsprechen, in der „die Inhalte be¬ 
wußt, jedoch ohne adäquate sprachliche Bezeichnung vorliegen“. Jedenfalls 
glauben wir dieser Darstellung Achs entnehmen zu können, daß auch er der 
Annahme einer der sprachlichen vorangehenden gedanklichen Gliederung zuneigt . 

Was hier von der Aufeinanderfolge von Bewußtseinslage und Bewußt¬ 
heit in ihrer Anwendung auf die sprachliche Formulierung gesagt wurden, 
steht auch in Einklang mit dem, w r as Bühler (Arch. f. d. ges. Psychol. IX, 
S. 346) davon sagt. So wenn er eine erste Etappe von der Vp. beschreiben 
hört als „förmlichen Überblick über umfangreiche Gedankenreihen“, eine 
andere Vp. sie direkt mit jenen bekannten Beschreibungen analogisiert, die 
über Zustände kurz vor dem Ertrinken vorliegen und die Bühler (1. c. S. 348) 
mit dem „verdichteten Denken“ von Lazarus vergleicht. 

Einen weiteren Schritt in der hier entwickelten Gedankenreihe bildet 
die Frage: Wie haben wir uns nun beim Sprechenden den Übergang von der 
Gedanken- zur Satzstruktur zu denken? Es wird vielleicht gestattet sein, 
zunächst dafür ein Büd zu gebrauchen. Man wird sich vorstellen können, daß 
das durch die Denkprozesse gewonnene gedankliche Schema ein sprachliches 
Schema emporhebt, das wir uns etw r a nach Analogie eines in einer Grund- 
masse ausgeführten Linienentwurfes eines Mosaikbüdes *) vorzustellen haben, 

*) Daß eine derartige Auslegung nichts mit der Mosaikstruktur des Seelen¬ 
lebens auf Grund der älteren Reflexionspsychologie gemein hat, braucht wohl nur 
angemerkt werden. H. Sachs (Gehirn und Sprache. 1905, S. 68) lehnt in einer dem 
Satzsinne gewidmeten Auseinandersetzung eine „Mosaikbildung“ im Sinne der 
Zusammensetzung des Denkens aus einzelnen elementaren Bestandteilen ab; doch 
gilt diese Ablehnung nach Ausweis seiner vorangehenden Ausführungen nicht der 
hier dargelegten Annahme einer Ausfüllung eines schon vorher skizzierten Bildes 
durch Mosaiksteine. Es entspricht aber nicht den Tatsachen, wenn Sachs (ibid.) 
anscheinend den Sinn des Satzes erst wenn alle Satzglieder ausgesprochen sind, 
hervortreten läßt; es ist namentlich von Marty in seiner Besprechung der inneren 
konstruktiven Sprachform ausgeführt worden (Unters, z. Grundlegung. I, 1908, 
S. 149 f.) wie „die Gesamtbedeutung eines Satzes durch die vorläufigen Vorstellungen 
und Erwartungen über die Funktion der einzelnen Bestandteile desselben vorbereitet 
wird“. Ganz ähnlich hat sich schon früher W. James (Princ. of Psychol. 1890. 
I, p. 254) geäußert und insbesondere daraus sehr schön die richtige Betonung des 
Gelesenen entwickelt. Bühler (Handwörterbuch der Naturwissenschaft. Artikel 
..Denken“ II, 1912, S. 895) spricht von einer „Vorkonstruktion“, die sich sowohl auf 
rlon Inhalt als auf die Form des Folgenden richtet. 



Psychologisches Schema, Satzschema. 


285 


in dessen Maschen in dem nun folgenden Stadium der Wortwahl die Worte 
„versetzt“ werden. Die Syntaxe wird man etwa durch die Lokalisation in der 
Grundmasse, die mit ihr gleichzeitig einsetzende Grammatisierung mit dem 
modifizierenden Einflüsse analogisieren können, den die Wortelemente teils 
von der Grundmasse erfahren, teils aufeinander gegenseitig nehmen; sollen 
die Wörter dem Sinne des Gedankens entsprechend einander folgen und sich 
einander gegenseitig in Form und Anordnung anpassen, dann darf man das 
etwa im Bilde zweier solcher Schemata darstellen. Nur zur Vermeidung von 
Mißverständnissen sei im Hinblick auf die gegen den Parallelismus von Denken 
und Sprechen gerichteten Ausführungen noch besonders betont, daß die An¬ 
nahme zweier solcher Schemata natürlich nicht auch die einer Deckung der¬ 
selben nach sich zieht; daß die schematische Formulierung des Satzes der 
Wortwahl vorausgeht, also auch die syntaktische und der ihr entsprechende 
Teil der grammatischen Funktion wird dadurch bewiesen, daß der Sinn des 
einzelnen Wortes, der ja ein sehr verschiedener ist, erst durch die Stelle, an 
der es angewendet wird, bestimmt wird, bzw. mit dieser wechselt; demnach 
muß das geistige Gerüst im Wesentlichen auch in grammatischer Beziehung 
fertig sein, bevor die Wortwahl erfolgt, es muß der Plan schon fixiert sein, 
ehe die einzelnen Bausteine demselben eingefügt werden. 

Es würde aber ödester Schematismus x ) im wahren Sinne des Wortes 
bleiben, wollten wir nicht auch wenigstens den Versuch machen, den Über¬ 
gang zur grammatischen Formulierung im Sinne der in dieser Schrift als 
Vorlage genommenen Funktionspsychologie als eine Reihe von Vorgängen zu 
deuten und zugleich nach denjenigen Momenten forschen, welche dieselben 
etwa zur Auslösung bringen. 

Man wird annehmen müssen, daß durch das bis dahin produzierte psycho¬ 
logische Schema, welches wir als das Analogon für den Komplex der gegen¬ 
ständlichen und subjektiven Beziehungen des Gedankeninhalts hingestellt 
haben, zunächst ein diese Beziehungen wiedergebendes grammatisches Satz- 
schema hervorgerufen wird, das jene gedankliche Formulierung wiedergeben 
muß, die dadurch wieder beim Hörenden zur Entwicklung gebracht werden 
soll. Man wird sich die Entwicklung dieses Schemas der Satzformulierung 
vielleicht ebenfalls nach Art einer Gesamtvorstellung im Sinne Wundts denken 
können, die in allmaliger Zerlegung in ihre Teile wirksam wird und durch 
den automatischen, gewohnheitsmäßig wirksamen Prozeß der Grammatisie¬ 
rung der Wörter durch diese seine Erfüllung findet. 

Bei der Wirksamkeit eines solchen Satzschemas 2 ) wird man jedenfalls 

*) Wenn zuvor bemerkt worden ist, daß das, was uns auf linguistischer Seite zu 
unserer Aufklärung in diesen Fragen geboten wird, vielfach nicht überein „Programm“ 
hinausgeht, so ist doch hier darauf hinzuweisen, wie die Philologen fleißig an der 
Arbeit sind, das Programm mit Inhalt zu erfüllen; so wenn Methner (Bedeutung und 
Gebrauch des Konjunktivs. 1911) zu erklären versucht, wie in vielen Arten der 
Relativsätze und der Sätze mit cum, auch w r enn sie zweifellos Tatsachen, d. h. ge¬ 
gebene Vorstellungsverbindungen enthalten, dennoch so ungemein häufig derselbe 
Modus steht, der sonst nur zum Ausdruck selbsterzeugter oder freier Vorstellungs- 
verbindungen (d. h. der Konjunktiv) gebraucht wird. 

2 ) Einer Andeutung in den „Mölanges linguist. off. ä Meillet“ 1904, p. 51, 
glaubt Verfasser entnehmen zu können, daß auch dieser Sprachforscher die Priorität 
des grammatischen Schemas vor dem Worte ausgesprochen: „II a de plus affirmö 
comme conclusion nöcessaire, la prioritö du systöme morphologique sur les 
formes et des associations mentales sur les mots“. 



IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


2oG 

auch wieder an die „determinierende Tendenz“ Achs und vielleicht an ein 
vom Dichter hergenommenes Analogon denken können, bei dem ja auch die 
Tendenz nachwirkend die ganze Form beeinflußt; einem van Ginneken ent¬ 
lehnten Zitate ist zu entnehmen, daß schon Wordsworth (The poetical works. 
Warne & C. London s. d. Observations, p. 318) diese formale Einwirkung 
gekannt: ,,It is supposed that by the act of writing in verse an author makes 
a formal engagement that he will qualify certain known habits of associa- 
tion“. Etwas mehr über die Wirksamkeit der „determinierenden Tendenz“ 
in dem hier gemeinten Sinne werden wir uns belehren können, wenn wir uns 
an das erinnern, was zuerst v. Kries (Über die Ursache gewisser Himzustände. 
Zeitschr. f. Psychol. VIII, 1895, S. 1 ff.) als Begriff der „Einstellung“ in die 
Psychologie eingeführt hat und von dem auch Ach, Messer u.A. in der ver¬ 
schiedensten Weise, ihn der determinierenden Tendenz gleichhaltend, Ge¬ 
brauch gemacht haben l ). 

v. Kries selbst hat schon die Bedeutung der Einstellung für das rasche 
Verstehen verschiedener Sprachen benützt (1. c. S. 4 u. 7) und einige Bei¬ 
spiele der eigenen Beobachtung des Verfassers entnommen, sollen nicht nur 
die Jedem, der sich in polyglottem Verkehr versucht, gewiß geläufige Er¬ 
scheinung exemplifizieren, sondern durch den Hinweis auf dadurch bedingte 
sprachliche Entgleisungen die Brücke zum Verständnis einschlägiger patho¬ 
logischer Erscheinungen büden. Daß es sich dabei nicht um etwas bloß auf die 
gesprochene Sprache Beschränktes handelt und das Zwangsmäßige der sprach¬ 
lichen „Einstellung“ ülustriert sehr gut G. Mallerys (Forsch, u. Anregungen 
über die Zeichensprache. Deutsch von Brauer. 1882, S. 9) Hinweis auf „die 
rasche und unwülkürliche Antwort in Zeichen auf Zeichen, wenn Jemand, mit 
der Sprache und den Gewohnheiten der Zivilisation vertraut, in nähere Be¬ 
rührung mit Indianern oder Taubstummen kommt“ 2 ). 

Das frühe Auftreten der Erscheinung wird dadurch erwiesen, daß Stern 
die „Erstellung“ bei polyglotten Kindern frühesten Alters vorgefunden 
(CI. u. W. Stern, Die Kindersprache. 1907, S. 380); daß es sich dabei aber 
um einen Mechanismus handelt, der erst erlernt wird, was namentlich an 
Kindern eines Sprachstammes zur Beobachtung kommt, die in einem fremden 
Lande erzogen werden, hat Lenz (Die neueren Sprachen. Zeitschr. herausg. 
von Vietor. VIII, 1900/01, S. 461) gezeigt. 

Als ein sehr prägnantes Beispiel von differenter „Entstellung“ 3 ), das 
sich dem Verfasser gerade bei der Niederschrift des vorliegenden Buches dar¬ 
stellte, sei Nachstehendes mitgeteilt. Während er sonst mit deutschen Buch- 

1 ) Wenn Verfasser hier den Begriff der Einstellung im Sinne von v. Kries 
gebraucht, so will er damit nur die psychologische Seite der Vorgänge charakteri¬ 
siert haben; entsprechend den in der Einleitung dargelegten Prinzipien hält er 
irgendwelche anatomisch-physiologische Deutung derselben für ganz ausgeschlossen. 
(Ähnlich spricht sich neuerlich auch K. Koffka, Z. Anal. d. Vorstellungen 1912, 
S. 336 aus). 

2 ) Im Gegensätze zu der Leichtigkeit der Aufklärung in diesem Falle, die wir 
von der „Einstellung“ ableiten, sei auf Mallerys eigene Erklärung hingewiesen, die 
sich auf „das unbewußt Lebensvolle der Gebärdensprache“ gründet. 

3 ) Als auch für Fragen der Pathologie bedeutsam sei hier der Hinweis vermerkt, 
daß die grammatische Formulierung nur eine der „Aufgaben“ ist, welche das Reden 
beherrschen; Pillsbury (Psychol. Rev. 1908, p. 152) weist auf ganz eigentümliche 
Entgleisungen in der Betonung hin, wenn auch nur durch einen Moment einer 



Die „Einstellung“; pathologische Formen. 


‘237 


staben schreibt und dementsprechend auch die spontan ohne Vorlage des von 
einem Schreiber in lateinischer Maschinenschrift kopierten Textes, nieder¬ 
geschriebenen Zusätze deutsch geschrieben sind, zeigt es sich, daß dort, wo 
Verfasser, ohne speziell darauf zu achten, Zusätze unmittelbar in die Kopie 
einfügte, diese mit lateinischen Lettern geschrieben wurden. Welche eigen¬ 
tümliche Momente oft bei Störungen der „Einstellung“ im Sprechen Poly¬ 
glotter wirksam sind, mag folgendes Beispiel ülustrieren. Verfasser spricht 
in der Pause zw ischen der Vorführung zweier Kranken mit dem Assistenten; 
im Augenblicke als der neue (tschechische) Kranke in der Türe erscheint, 
spricht Verfasser plötzlich das tschechische Wort „ale“ (aber) aus, mitten 
in der deutschen Rede. 

Die Bedeutung, die dem namentlich bei mehrsprachigen Individuen in 
pathologischen Fällen zukommen kann, soll durch den Hinweis auf Störungen 
gegeben sein, die sich als Kontamination der grammatischen Form einer 
Sprache durch die zweite darstellen. Als Beispiel für die Herabsetzung der 
Einstellungsfähigkeit mag folgende Beobachtung dienen. Ein Kranker mit 
offenbarer Erweichung im Bereiche des linken Schläfelappens, des Deutschen 
und Tschechischen als Postbeamter in gleicher Weise mächtig, wird vom Ver¬ 
fasser examiniert und spricht dabei bloß deutsch (etwas verbal paraphasisch 
mit Perseveration). Im Laufe des Examens wird er veranlaßt, einen Brief 
an seinen Sohn zu schreiben, der schlecht deutsch spricht, wie bei der Aufnahme 
der Anamnese konstatiert w r orden. Patient schreibt tschechisch und gibt von 
da ab, zwischendurch, im Schreiben unterbrochen, auf alle deutsch gestellten 
Fragen nur tschechische Antwort. 

Etwas ganz Ähnliches hat Verfasser seither an einem ebenfalls sensorisch- 
aphasischen Kranken beobachtet. Man hatte mit ihm fortwährend tschechisch 
gesprochen; sichtlich in Anknüpfung an eine mit dem Assistenten gewechselte 
Bemerkung des Verfassers spricht der Kranke einige korrekte deutsche Worte 
und antwortet von da ab, obwohl absichtlich tschechisch gefragt, auf eine 
Reihe von Fragen immer wieder deutsch; und daran ändert sich nichts durch 
den Umstand, daß er das gehörte Tschechische echolalisch wiederholt; er 
setzt trotzdem deutsch fort. Daß aber das Tschechische, obwohl nicht einge¬ 
stellt, doch mitschwingt, wird durch Folgendes erwiesen. Aufgefordert, die 
Taschenuhr zu benennen, sagt er: „Die sind .... (im Tschechischen heißt 
es hodinky, ein Plurale tantum; also eine grammatische Kontamination aus 
dem Tschechischen auf das entsprechende deutsche Verb). 

Mit welcher Feinheit die „Einstellung“ arbeitet, zeigt ein Fall v. Mona¬ 
kows (Gehirnpath. 2. Aufl., S. 891). Die Patientin zeigte eine Kombination 
amnestischer und aphasischer Störung der Art, daß sie im Übrigen vollständig 
korrekt sprechend, jedesmal statt der gewollten Objekt- oder Personennamen 
eines von drei anderen stereotyp w r iederkehrenden Worten gebrauchte (Um- 
brella, Enveloppe und Omnibus), z. B. n’oubliez pas de faire les enveloppes 
statt pommes de terre. Es ist gewiß interessant und zeigt wieder einmal, wie 
Psychologie und Pathologie gegenseitig einander auf klären, wenn wir eine 

der dabei beteiligten Faktoren seine unbewußte Funktion unterbricht oder auch 
nur abschwächt. Analogien, die sich als sachliche Irrtümer daraus ergeben, daß mit 
falscher Betonung gelesen wird, sind wohl Jedem geläufig, ebenso wie solche aus dem 
Gebiete der Apraxie. 



238 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Beobachtung von Messer daneben stellen (Experimentelle Unters, über das 
Denken. Arch, f. d. ges. Psychol. VIII, 1906, S. 44): Einer ausländischen Ver¬ 
suchsperson, die bei deutschen Reiz Worten entsprechend reagiert hatte, drängten 
sich bei Versuchen mit Gegenständen oder Abbildungen viel mehr mutter¬ 
sprachliche Worte auf als sonst. 

Da sich vielleicht nicht bald dazu Veranlassung finden wird, seien hier 
noch einige Bemerkungen der „Einstellung“ gewidmet. Man wird unter¬ 
scheiden können zwischen Einstellung, die auf gewissen, etwa schon durch 
Bau oder Anlage präformierten Mechanismen beruht und derjenigen, bei der 
der Mechanismus durch Übung sich etwa analog dem gestaltet, was man 
neuerlich als sogenannten bedingten Reflex bezeichnet. Diese hier angedeutet© 
Differenz fände ihren Ausdruck einerseits in dem, was wir vorläufig als Sprach- 
reflex bezeichnen können, andererseits in jener Modifikation des diesem zu¬ 
grunde liegenden Mechanismus, daß z. B. das Hören einer fremden Sprach© 
ganz automatisch in der reaktiven Äußerung die entsprechende Sprache zum 
Vorschein bringt, eine Erklärung, die sehr gut mit dem in Einklang steht, was 
eben von dem paraphasischen Kranken berichtet worden; und in gleichem 
Sinne verwertbar sind auch die allerdings äußerst seltenen Fälle, wo die Echolalie 
worttauber Kranker nicht allem Gehörten folgt, sondern nur in einer Sprache, 
nicht in einer zweiten 1 ). 

Ganz außerordentlich lehrreich in Rücksicht des hier behandelten Gegen¬ 
standes sind endlich gewisse hierher gehörige Tatsachen der Würzburger Be¬ 
obachtungen, deren Beachtung uns davor bewahren soll, die in organisch ge¬ 
schädigten Himorganen ablaufenden Funktionen als etwas jedesmal in der 
gleichen Form Ablaufendes anzusehen. Es sind dies z. B. von Koffka (Zur 
Analyse der Vorstellungen. 1912, S. 33 i. f.) gemachte Beobachtungen über 
Änderung der „Einstellung“ je nach den wechselnden Umständen; in die 
gleiche Reihe gehören Hinweise desselben Autors (1. c. S. 296) auf Beobach¬ 
tungen, die dafür sprechen, daß je nach der „Aufgabe“ die Qualität der Vor¬ 
stellungen sich modifiziert, eine Tatsache, die Titchener (Lect. on the exper. 
Psychol. of Thought-proc. 1909 p. 9 seq.) der Selbstbeobachtung in gleicher 
Weise entnommen hat. Daß diese Tatsachen eine wichtige Ergänzung zu 
dem bilden, was v. Monakow aus pathologischen Erscheinungen als Diaschisis 
aufgebaut hat, braucht wohl nur angedeutet zu werden. 

Nach dieser Abschweifung, wie wir uns etwa die Vorgänge beim Wirk¬ 
samwerden des Satzschemas zu denken haben, kehren wir jetzt zu diesem 
zurück. 

Innerhalb der darauf bezogenen Vorgänge der Formulierung kommen nun 
die verschiedenen Ausdrucksmittel zur Anwendung, welche wir in einem 
anderen Kapitel kennen gelernt. Man wird das Verständnis jener Vorgänge 
erst für genügend (natürlich relativ gemehlt) erachten können, bis man sowohl 
über die Zeitdifferenzen hinsichtlich des Einsetzens jener Ausdrucksmittel, 
die Art ihrer Wirkung, vor allem aber darüber Klarheit geschaffen haben wdrd, 
welche psychologischen Vorgänge dem verschieden zeitlichen Einsetzen der¬ 
selben vorangehen, bzw\ es bewirken. Natürlich können auch diese Momente 
im Zuge dieses Kapitels nicht irgend ausführlich erörtert w r erden, das muß 

*) Nach B einer berichtet Bernard (De Taphasie 1889, 2. ed. p. 24) einen 
solchen Fall; ein zweiter steht dem Verfasser zur Verfügung. 



Bedeutung der musischen Elemente. 


239 


vielmehr den späteren Einzel Besprechungen derselben überlassen bleiben; aber 
eine, wenn auch nur angedeutete Skizze muß schon hier eingeschaltet werden, 
weil gerade daraus ein entscheidender Anhaltspunkt in der oben erwähnten 
Frage der Lokalisation sich wird schöpfen lassen. 

Ein Überblick über die Ausdrucksmittel bestätigt die Annahme, daß die¬ 
jenigen oder vielmehr die ihnen zugrunde liegenden psychischen Momente, 
welche für den Satz bzw. Satzbau von entscheidendem Einfluß sind, zu einer 
Zeit wirksam w r erden, die derjenigen, in welcher die übrigen zur Entwicklung 
kommen, beträchtlich vorauseüt. Was die Wortstellung betrifft, so wird man, 
unbeschadet der Unterscheidung der psychologischen von der konventionellen 
und der daraus für die verschiedenen Sprachen abzuleitenden Differenzen 
sagen können, daß beim Vorwiegen der psychologischen sowohl, wie bei der 
Anwendung der konventionellen die entscheidenden Momente für dieselben, 
die affektuösen, zu einer Zeit wirksam werden, die der Wortfindung oder Wort¬ 
wahl entschieden vorangeht. 

Im Zuge des hier dargelegten Vorganges vollzieht sich auch der Einfluß 
der als die musischen zusammengefaßten Ausdrucksmittel, deren Bedeutung 
vor allem darin zu suchen ist, daß in ihnen ganz besonders die Stellung des 
Sprechenden zu dem von ihm Ausgesagten zum Ausdruck kommt; die Berech¬ 
tigung, ihren Einfluß in dieses Stadium des sprachformulierenden Vorganges 
zu setzen, ist daraus zu entnehmen, daß ja gerade in dieser Stellungnahme 
das ausschlaggebende Moment auch für die Satzform zu suchen ist. 

Die Notwendigkeit einer der Satzformulierung vorangehenden Modifika¬ 
tion des Gedankenganges wird für den Fragesatz sehr gut von E. T. Owen 
(Interrogative thought and the means of its expression Rep. f. Transact of 
the Wisconsin Acad. XIV, p. 434) zur Darstellung gebracht; er kommt in 
ausführlicher Darlegung zu dem Schlüsse, daß die Frage: ,,Wer tötete Lin¬ 
coln?“ eigentlich einen achtwörtigen Satz darstellt: ,,Ich wünsche, daß Sie 
mir sagen, wer Lincoln tötete“; über den dabei sich vollziehenden Vorgang 
spricht er sich so aus (1. c. p. 474): „Bevor ich einen Fragegedanken ver¬ 
suche, muß ich für das, w r as ich ausdrücken will, eine gedankliche Struktur 
bauen, eine Art komplexen Fragestils, die den geschüderten losen Gedanken¬ 
vorgang resümiert“ 1 ). Nur, um in diesem Zusammenhänge den Einfluß der Be¬ 
tonung auf die Satzform bei differenter Bedeutung vor Augen zu führen, sei 
noch die Frage: „Wer da?“ angeführt, deren Betonung auch schon die Auf¬ 
forderung zum Fortgehen deutlich zum Ausdruck bringen kann. 

Sechehaye bezeichnet (1. c. p. 226, vgl. auch ibid. p. 35) die dem hier 
Dargelegten entsprechenden Ideen als „modale“ und stellt sie neben die 
„idees de representations“, die den sinnlichen Objekten entsprechen, und die 
„idees de relations“, die Beziehungsvorstellungen. Diese modalen Ideen, die 
einen Teil des durch die musischen Elemente zur Darstellung gebrachten ge¬ 
danklichen Ausdrucks büden, treten in der Weise schon hier in Wirksamkeit, 
daß die allgemeine Form des Satzes ihnen entsprechend in dem „Satzschema“ 
vorgebildet wird. 

Wenn wir hören, daß auch die Tonhöhe eines Satzes sich nach seinem 

*) „Before attempting an interrogative thought, I must build, as what I 
shall express a mental structure — a somewhat complex interrogative judgement — 
wiiieli shall resume the scattered mental acts described“. 



240 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Inhalt und nach der Stellung, die er im Ganzen der Rede einnimmt, richtet 
und damit auch das diese leitende psychologische Moment schon in dem Zeit¬ 
punkte als wirksam anzunehmen ist, welcher noch die gedankliche Formu¬ 
lierung in sich faßt x ) (und etwas Ähnliches kann wohl auch von der Ton¬ 
stärke gesagt werden, welche auf das „Wichtigste“ gelegt wird), so kann uns 
das um so weniger überraschen, als über den Primat dieser Ausdrucksmittel 
gegenüber der Wortfolge kein Zweifel bestehen kann; daß weiter die Wahl 
des Tempo bei der vollständigen Abhängigkeit desselben vom affektuösen 
Moment ebenso zu betrachten ist, steht wohl außer Zweifel. Man kann also 
zusammenfassend, wenigstens bezüglich der vier ersten Kategorien der von 
uns nach H. Paul aufgestellten Ausdrucksmittel sagen, daß ihre psychologische 
Auslösung der Wortwahl vorangeht, eine Feststellung, deren theoretische Be¬ 
deutung für die Frage der Lokalisation schon früher gestreift worden ist. 

Noch ein anderer Gesichtspunkt sei hier angeführt, um die Bedeutung 
der „Stellungnahme“ in diesem der Satzformulierung und natürlich noch mehr 
der Wortbüdung vorangehenden Stadium deutlich vor Augen zu führen, 
v. d. Gabelentz (Die Sprachwissenschaft. 1891, S. 361) zeigt, wie die 
Stimmung, die das Denken begleitet, auch von der Welt der Objekte abhängig 
ist, und daß dementsprechend ihr Ausdruck auch objektive Bedeutung er¬ 
lange: „was mich sehr erschreckt, wird sehr schrecklich sein“ und der Affekt 
wird, setzen wir hinzu, natürlich auch für die Wortwahl von maßgebendem 
Einflüsse sein; so sehen wir, daß die Stellungnahme nicht bloß dem von ihr 
abhängigen Satzschema, sondern um so mehr der darauf folgenden Wortfindung 
vorangehen wird. 

Es ist vielleicht am Platze, der Erörterung der Ausdrucksmittel im 
Rahmen der hier erörterten Frage eine Bemerkung nachzuschicken, die sich aus 
ihrem zeitlich differenten Emsetzen und ihrer auch infolge dessen differenten 
Wirkungen hinsichtlich der Frage ihrer Wertigkeit ergibt; wenn man diese 
Momente in Betracht zieht, wird man sie jedenfalls nicht im Sinne einer Gleich¬ 
wertigkeit taxieren, al)er man wird dadurch ebensosehr von jener Unter¬ 
schätzung der musischen Elemente ferngehalten, die bis jetzt in der Aphasie- 
lehre maßgebend war. 

Wie man sich etwa im Speziellen die Vorgänge bei der Büdung des Satz- 
schemas und seines Einflusses auf die Grammatisierung der Worte zu denken 
habe, dafür gibt uns bezüglich einzelner Ausdrucksmittel eine noch später 
eingehender zu behandelnde Untersuchung von Eleanor H. Rowiand (The 
Psych. Rev. Monogr. Suppl. VII, 1, p. 1) einige nähere Anhaltspunkte. Sie 
findet mit den verschiedenen Wortklassen einhergehende differente psychische 
Erscheinungen; so wird z. B. durch das Anhören einer Präposition ein „pre- 
positional state of mind“ hervorgerufen und man ist dementsprechend be¬ 
rechtigt, für den Sprechenden anzunehmen, daß auch dem beabsichtigten Ge¬ 
brauche einer Präposition der entsprechende geistige Zustand vorangeht, der 
eben in dem passenden Falle durch das hervorgerufen wird, was wir als ge- 

1 ) Die Zeitbestimmungen und zeitlichen Abgrenzungen der Einzelvorgänge, 
von denen hier Gebrauch gemacht wird, sind natürlich höchst vage; wir dürfen von 
der experimentell geleiteten Introspektion dafür manche Aufklärung erhoffen; aber 
ebenso sicher scheint es Verfasser, daß gerade in diesen Fragen eine richtig orientierte 
Pathologie vielleicht noch reichere Ausbeute einmal erhoffen läßt. 



Bildung des Satzsehemas. 


241 


dankliche oder psychologische Formulierung bezeichnet haben. Sehr gut tritt 
das in einem E. T. Owen (The Meaning and Funct. of the Thought-Connec- 
tives. Repr. fr. Transact. of the Wisconsin Academy of Sc. Vol. XII, p. 20) 
entlehnten Beispiele entgegen. Owen zeigt, wie in dem Satze „das Buch auf 
dem Tische“ eine Beziehung zutage tritt, die man als Gedankenbeziehung 
(thought-transit) vom Tische zum Buche bezeichnen kann, und die sprach¬ 
lich als „der Tisch unter dem Buche“ zum Ausdruck kommt. Es ist offen¬ 
bar im Wesen ein Spezialfall desselben, was wir eben mit El. H. Rowland 
als „prepositional state of mind“ bei der Vorstellung einer Präposition, also auf 
dem umgekehrten Wege beim Sprecher bezeichnet haben. Verfasser glaubt 
nun nicht fehlzugehen, wenn er das, was hier als „thought-transit“, als 
„Gedankenrichtung“ bezeichnen wird, als Teilerscheinung seiner gedanklichen 
Formulierung ansieht. Eine Bestätigung dieser Ansicht findet sich in der fol¬ 
genden, das Negativ des eben Besprochenen darstellenden Störung, die Egger 
(Beobacht, u. Betracht, über die Entwicklung der Intelligenz u. der Sprache bei 
Kindern. Deutsch von Gaßner. 1903, S. 32) berichtet; er bemerkt, „daß die 
Verwechslung der korrelativen Ausdrücke eines der gewöhnlichsten Versehen 
der Taubstummen in der Schriftsprache und selbst bei den Dingen der 
physischen Aufeinanderfolge ist“. „„Ich habe einen zwölfjährigen Taubstummen 
folgenden Befehl für seinen Kameraden aufschreiben gesehen: „Wische den 
Schwamm mit der Schultafel ab!“ statt: „Wische die Schultafel mit dem 
Schwemme ab!“ Ich habe ihn aufschreiben sehen: „Er hat den Pult in das 
Taschentuch gelegt“, statt: „Er hat das Taschentuch in den Pult gelegt“. Dies 
rührt davon her, daß das taubstumme Kind in der Muttersprache gesagt haben 
würde: Pult in Taschentuch — er habe gelegt. Dies war ein Büd für ihn, in 
welchem die Aufeinanderfolge der Bestandteüe keinem Gesetze der Syntax 
unterworfen war, da jeder von ihnen für sich allein seine ganz bestimmte Be¬ 
deutung hat.““ Bezüglich der irrtümlichen Ansicht Eggers von dem Fehlen 
einer Syntax in der Taubstummensprache sei auf spätere Ausführungen ver¬ 
wiesen; die Fehler, die er hier zur Darstellung bringt, betreffen, wie ange¬ 
deutet, den „prepositional state of mind“ und sind sichtlich dadurch bedingt, 
daß die Syntax der Taubstummensprache nicht mit der gesprochenen Sprache 
übereinstimmt, bzw. bei dem betreffenden Taubstummen der Übergang von 
der einen zur anderen noch nicht vollzogen war oder die altgewohnte noch 
immer automatisch wieder zum Durchbruch kommt. Die Beobachtungen 
Eggers lassen sich übrigens direkt auf die Pathologie gewisser Formen des 
Agrammatismus übertragen, in denen sich gleichfalls ein Rückfall von der kon¬ 
ventionellen Syntax der Sprache auf die Gedankensyntax (sit venia verbo) 
als das Wesen desselben darstellt; es ist ersichtlich, daß solche Gesichts¬ 
punkte das Studium der Taubstummen spräche gerade hier nahelegen. 

Die Allgemeingültigkeit des hier ausgeführten Gesichtspunktes tritt uns 
auch im Normalen entgegen. Den Ausführungen des Arabisten H. Recken¬ 
dorf (Indogerm. Forsch. X, 1899, S. 183) ist zu entnehmen, daß „die Prä¬ 
position keine Verdeutlichung einer, etwa auch ohnehin .... durch einen 
Nominalkasus ausgedrückten Beziehung bildet, sondern daß die Art dieser Be¬ 
ziehung ausschließlich in der Präposition zum Ausdruck gelangt“; es ist im 
Semitischen kein Unterschied zwischen „auf dem Berge“ und „auf den Berg“. 

In der Annahme eines Satzschemas, in das dann die einzelnen Worte 


Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


16 



242 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


sozusagen eingepaßt werden, möchte der Verfasser einen ersten Weg sehen 
zu einer Versöhnung der neuen Theorie, daß der Satz das primäre ist und der 
älteren, die sich auf die doch nicht wegzuleugnende Tatsache stützt, daß die 
Worte aneinandergefügt werden, um den Satz zu büden; insbesondere aber 
zum Verständnis des in der Aphasie eine so wichtige Rolle spielenden ein- 
wortigen Satzes und andererseits des agrammatisch Gesprochenen aber gram¬ 
matisch Gedachten scheint jene Annahme die zweckmäßigste Handhabe 
zu sein. 

So wenig Sätze auch in vollständig identischer Weise im Gebrauche sind, 
so häufig sind natürlich gewisse Satzformen, innerhalb deren die Worte variiert 
werden; dementsprechend kann man sagen, daß die sprachlichen Reaktionen 
gewohnheitsmäßig sozusagen organisiert sind, indem man berechtigterweise 
den Schluß zieht, daß diese Formen festgelegt sind x ); es liegt darin auch gar 
nichts Befremdliches, wenn w r ir sehen, daß namentlich in der Sprechsprache 
und diese kommt ja zunächst in der Pathologie fast ausschließlich in Betracht, 
die Zahl der gebräuchlichen Konstruktionen eine im Ganzen recht beschränkte 
ist; zieht man noch weiter in Betracht, daß auch Teüe der sonst differenten 
Konstruktionen miteinander zusammenfallen, so stimmt auch das mit der 
Annahme eines grammatisch-syntaktischen Schemas zusammen. 

Man wird das Denken in Satzformen mit der etwa dasselbe wiedergebenden 
Bezeichnung O’Sheas, der „sentence-mindedness“ in Beziehung bringen können 
(Linguistic Developement. 1907, p. 181), die er als Endziel der sprachlichen 
Entwicklung beim Künde fixiert. Wenn er freüich diese ,,sentence-mindedness“ 
als etwas erst durch den Unterricht zu Erreichendes hinstellt, und auch die 
Taubstummenlehrer das als Ziel ihres Sprachunterrichtes sich vor Augen 
halten, so drängt sich dem gegenüber sofort die Tatsache der Beachtung auf, 
daß, wie früher dargelegt, vom Beginne der Sprachentwicklung ab der Satz 
das Primäre ist, daß, wie wir noch bei Erörterung der Kindersprache hören 
werden, in den ersten Sprechversuchen das einzeln gebrauchte Wort einen 
ganzen Satz darstellt, bzw\ nach Wundt ein Satzäquivalent 2 ); das wird auch 

Daß die Annahme einer organischen Festlegung solcher Formen für die¬ 
jenigen, die mehr Geschmack an psychophysiologischen Deutungen finden, durchaus 
akzeptabel erscheint, zeigt eine einfache Erwägung: Man wird mehr als für alles andere 
in der Sprache für die gewohnheitsmäßig geübte Syntax und die ebenso sich voll¬ 
ziehenden grammatischen Konstruktionen,,ausgefahrene oder ausgeschliffene Bahnen“ 
anzunehmen berechtigt sein und all das, w T as man bezüglich der organischen Grund¬ 
lage solcher Bahnen gesagt hat, auf jene anwenden dürfen; ja, da es sich um „For¬ 
mungen“ handelt, wird sich das jedesfalls dem ebenso leicht anpassen lassen, als ander© 
Prozesse, die auf „Bahnung“ begründet werden. Die Annahme solcher dafür aus¬ 
geschliffener Bahnen im Sinne einer Funktionspsychologie wird auch gradweise 
Schädigungen besser verständlich machen als jede andere Hypothese. Vgl. dazu 
den „inferior speeeh“ von Hughlings Jackson (Brain. I, p. 318, note), womit 
er „uttcrances“ bezeichnet, wie „very well“, „I dontthink so“ — „the nervous ar- 
rangements for t-hem being w r ell organised“ w r omit sichtlich die ausgeschliffenen 
Bahnen der deutschen Pathologen zusammenfallen. Man wrird jetzt befreit von 
dem Schema zugeben müssen, daß die Formel von H. Jackson den Tatsachen 
besser gerecht ward als die deutsche. 

-) Daß die gleichen Erwägungen auch auf die aus mehr als einem Wort be¬ 
stehenden Sätze, wie wir sie z. B. in der nach Pillsbury gegebenen Darstellung zuvor 
kennen gelernt, anwendbar sind, bedarf wohl keines besonderen Beweises, inso¬ 
fern in ihnen das Satzschema schon zum Teil erfüllt hervortritt. 



Das Denken in Sätzen. 


243 


dadurch bestätigt, daß auch in späteren Stadien der Sprachentwicklung Mimik 
und Gebärde einzelne Worte zum Satze ausgestalten; daß auch jede einzelne 
Gebärde einen Satz zum Ausdruck bringt, ist schon früher gelegentlich erwähnt 
worden. Man wird dementsprechend sagen müssen, daß die „sentence-minded- 
ness“ schon in der Natur der psychologischen Vorgänge, die zum Sprechen 
führen, begründet ist und wir in ihr deshalb nur eine Fortbildung der viel¬ 
leicht durch den Schulunterricht abgeänderten, dem Kinde sozusagen von Haus 
aus eignenden Disposition in Sätzen zu denken sehen dürfen; daß das Gleiche 
für die Sprachentwicklung im Allgemeinen gilt, haben wir im Kapitel vom 
Satze gehört. 

Daß die Annahme einer Satzform als Grundlage für die sprachliche For¬ 
mulierung, das ,,Denken in Sätzen“ nicht bloß, wie man meinen könnte, eine 
leere Abstraktion darstellt, sondern sich als „treibende Kraft“ bewährt, wenn 
wir etwa personifizierend reden sollen, wird dadurch erwiesen, daß überall 
dort, wo durch Übung der Höhepunkt formaler sprachlicher (bzw. schrift¬ 
licher) Fertigkeit erreicht wird, sowohl im impressiven wie im expressiven 
Teile die Fähigkeit zur Erfassung des Satzganzen diese Höchstleistung mar¬ 
kiert; so beim Maschinenschreiben (Untersuchungen von Book 1 )) oder beim 
Telegraphieren (Untersuchungen von Bryan and Herter). 

Das gleiche Ziel setzt sich auch der Taubstummenlehrer bei der Über¬ 
führung der natürlichen Syntax seiner taubstummen Zöglinge in die der 
Lautsprache entnommene und dementsprechend wird auch dabei der Über¬ 
gang vom Denken in der einen zum konventionellen grammatischen Denken 
der Vollsinnigen das Wesentliche der Tätigkeit darstellen 2 ). 

D Ein Meistermaschinenschreiber berichtet bei Book (The Psychol. of Skill. 
Univ. of Montana Publicat. in Psychol. 1908, p. 43) „When I write several words in 
succession in this way they run more or less together. The movements no longer are sepa- 
rated into groups according to the words. I am no longer conscious of the words or 
groups of movements . . . but have my attention on getting through with the 
sentence as a whole“. Book berichtet dann weiter, daß dem Schreiber in den späteren 
Stadien größerer Übung der ganze Satz als eine Art „feel“ beim Schreiben vor¬ 
schwebt, was sichtlich zum Teil wenigstens mit der „Aufgabe“ der Würzburger 
Schule zusammenfällt, aber ebensosehr an die Gesamtvorstellung erinnert und ihre 
Auffassung als ein Gesamtgefühl. (Siehe das von ihr handelnde Kapitel.) 

2 ) Verfasser stellt sich schon hierin dieser kurzen Bemerkung die Taubstummen - 
spräche betreffend in wesentlichen Gegensatz zu der Auffassung ausgezeichneter 
Taubstummenlehrer, so z. B. Vatters, der (Die Ausbildung des Taubstummen in 
der Lautsprache, III, 1899, S. 1) ausführt: „Da aber die Begriffs Verbindungen 
und Beziehungen im Reiche der Außenwelt liegen und da dem Taubstummen die 
Wortsprache und damit die Fähigkeit, das sinnlich Erfaßte zu benennen, eigent¬ 
liche Begriffe zu bilden und diese auf andere zu beziehen fehlt, so manifestiert sich 
die geistige Tätigkeit beim taubstummen Kinde anders, als beim vollsinnigen ... sie 
ist ein sich Fort bewegen in Bilder Vorstellungen .... denen aber das geistige Band 
fehlt“. Es erscheint uns durchaus fraglich, ob man das selbst für ein ungebildetes 
taubstummes Kind, das Vatter dort präsumiert, annehmen kann, vielmehr sind 
wir geneigt, alle zuvor von der Kindersprache, vom normalen und pathologischen 
Telegrammstil hergenommenen Argumente auch für das taubstumme Kind gelten 
zu lassen; ganz abgesehen davon, ob man das, was Vatter von den Begriffs Ver¬ 
bindungen im Reiche der Außenwelt annimmt, als richtig akzeptiert oder nicht. 

Wenn Vatter dann (1. c. p. 2) als Motivierung dafür, daß nicht von einem 
einfachen Tauschgeschäft zwischen Gebärdensprache und Wortsprache die Rede 
sein könne, den verschiedenen und ungleichen Prägewert der Gebärdenzeichen und 

16* 



244 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Daß das Denken in Sätzen auch beim Erwachsenen nicht etwa Folge 
der Schulung ist, kann man wohl auch daraus erschließen, daß Ungebildete 
— wir haben diese Tatsache in dem Kapitel vom Satze erwähnt — die einzelnen 
Worte eines Satzes gar nicht voneinander scheiden oder zu scheiden wissen, 
und daß ihnen das Satz Verständnis, vielfach ein nur beiläufiges, auch schon 
vollständig genügt. Es beweisen die hier vorgeführten Erscheinungen jedes - 
falls, daß die „sentence-mindedness“ auf tieferen psychologischen Momenten 
beruht, die in letzter Linie auf die gedankliche Formulierung zurückgehen. 

Die Nutzanwendung des hier Erörterten auf Fragen der Pathologie ist 
immittelbar gegeben. Dafür, daß das Formulieren der Gedanken und teil¬ 
weise auch der Worte, die den Gedanken Ausdruck verleihen sollen, von der 
Wortfindung gesonderte Vorgänge sind, sprechen auch die Beobachtungen bei 
der amnestischen Aphasie, die für gewöhnlich selbst bei höherem Grade nichts 

der Wortbegriffe einführt, so geht man der Sache doch tiefer auf den Grund, wenn 
man den Gegensatz aus der Differenz der Gedankenstruktur gegenüber derjenigen 
des Gesprochenen zu erklären versucht. Wie Verfasser nachträglich sieht, sind auch 
Taubstummenlehrer mit ihrer Ansicht darüber auf seiner Seite, worüber noch später 
ausführlicher gehandelt sein wird. Siehe z. B. Schneider: „Das Denken und das 
Sprechen des Taubstummen“. 1908, p. 43. Die Taubstummenlehrer haben sich 
natürlich mit der Frage der Erlernung syntaktisch gesprochener und geschriebener 
Sprache durch die Taubstummen vielfach befaßt. So widmet z. B. Job Williams 
diesem Gegenstände eine sehr eingehende Darstellung (inden„Proc. of the XII. Con¬ 
vent of Am. Inst, of the Deaf. Aug. 1890). Ohne näher auf diese Frage einzugehen, 
läßt sich wohl schon theoretisch erweisen, daß sich das in den verschiedenen Sprachen 
verschieden verhalten wird. Es ließe sich auch daran die Frage knüpfen, ob nicht die 
so entwickelte Methode auch gelegentlich als Vorlage für die therapeutischen Be¬ 
strebungen in Fällen von Agrammatismus dienen könnte; das hat in der Tat auch 
Mohr (Arch. f. Psychiatrie. 39, 3, p. 41 des Sep.-Abdr.) benützt. Dabei wird man 
freilich nicht übersehen dürfen, daß bei dem Taubstummen natürlich tabula rasa 
hinsichtlich der Syntax und Grammatik der zu erlernenden Sprache besteht, was 
auch der genannte amerikanische Autor für den Taubstummen gegenüber dem eine 
zweite Sprache lernenden hörenden Kinde betont, während beim Agrammatischen 
mehr oder weniger Reste früherer syntaktischer Übung vorhanden sein können, 
deren Benützung die Sache natürlich erleichtern wird; immerhin wäre es aber denk¬ 
bar, daß solche syntaktische Reste auch einmal störend wirken könnten. 

Neuerlich hat Lalande (im 1. Heft des II. Jahrgangs 1905 des J. dePsychol. 
norm, et pathol. p. 37) auf diese Tatsache hingewiesen und sie in gleiche Linie mit 
einschlägigen Tatsachen, die er von afrikanischen Völkerschaften berichtet, gestellt; 
die Grundlage bei beiden findet er im „penser par phrases“. 

Eine Ergänzung auf pathologischem Gebiete findet das auch durch die schon 
erwähnte Tatsache von der Satzform der Gehörshalluzinationen, ebensowohl der 
primären wie der aus den sog. „autochthonen“ Gedanken hervorgegangenen. In gleichem 
Sinne verwertbar ist die verschiedentlich konstatierte Tatsache, daß alles Sprach¬ 
liche, Sinn oder Unsinn, immer wieder grammatische Form anzunehmen strebt, 
wie uns dies in der Untersuchung Stranskys „Über Sprachverwirrtheit“ 1905, 
S. 15 entgegentritt; in dieser sollte mit Absicht möglichst rasch drauflosgeredet 
werden und da ergab sich, daß, abgesehen von der störenden Einwirkung von Perse¬ 
veration und Verbigeration, immer wieder die Tendenz der grammatikalischen Satz¬ 
form zuzustreben, hervortritt. Das Seitenstück zu dieser sprachlichen Erscheinung 
aber in noch größere Reinheit, w T eü der Willensfaktor dabei viel reinlicher beseitigt 
ist als in den Versuchen von Stransky bieten Beobachtungen über durch Übung 
automatisch gewordenes Schreiben (M. Solomons und G. Stein, Psychol. Rev. III, 
1896), die zeigten, daß auch bei vollständig unsinnigem Inhalt die grammatische 
Form erhalten war; das Gleiche zeigen auch die automatisch produzierten Schrift¬ 
stücke von Medien. 



Das grammatisch-syntaktische Schema. 


245 


von agrammatischen Störungen aufweist. Nun haben wir, wie verschiedent¬ 
lich, zuletzt von Messer (Empfindung und Denken. 1908, S. 103) auseinander¬ 
gesetzt worden, beim Suchen nach einem vergessenen Worte, und das ist ja 
das Paradigma der amnestischen Aphasie, beim Besinnen auf den Namen den 
Begriff im Bewußtsein, aber wortlos; entsprechend diesem Begriffe formiert 
sich die Umgebung, wenn man so sagen darf, des gesuchten Wortes, auch das 
gesuchte Wort formiert sich nicht selten, obwohl es noch nicht bewußt ist, 
und erweist sich auch, sowie es bewußt wird, häufig auch als richtig formiert; 
man wird demnach mit Recht in dieser Tatsache auch eine Unterstützung der 
Ansicht sehen dürfen, daß die Formulierung des Ganzen der Wortwahl voran¬ 
geht und die Formierung des Wortes sich der Gesamtformel erst anpaßt. 

Da wir später von der Nahestellung der Wortwahl und Wortformulierung 
an das grammatische Schema und die diesem vorangehende gedankliche For¬ 
mulierung für die psychologische Lokalisation dieser Prozesse und von dieser 
wiederum für die anatomisch-physiologische Lokalisation derselben Schlüsse 
ziehen werden, die, nebenbei gesagt, alle auf den Schläfelappen weisen, sei hier 
noch einer dazu verwertbaren Erscheinung Erwähnung getan. Soll irgend ein 
Gedanke zum Ausdruck gebracht w r erden, so drängen sich die verschiedenen 
ihm entsprechenden Wort Vorstellungen heran. Nun erlebt man beim Ver¬ 
sprechen nicht allzu selten, daß dem gebrauchten Worte eine falsche Endung 
angehängt wird, die offenbar von einem anderen Worte entstammt; es wird 
also eine für ein nur in potentia, unbewußt vorhandenes Wort zutreffende Form 
auf ein anderes Wort übertragen. Eine Erweiterung dieser Tatsache auf das 
Gebiet der Satzkonstruktion ergeben Hinweise von Scholz (Sprachpsycholog. 
Späne. Zeitschr. f. d. österr. Gymnas. 54, 1903, S. 496), in denen die Be¬ 
einflussung einer vorangehenden Konstruktion durch eine folgende dem 
Schreibenden natürlich vollkommen deutlich vorschwebende, zutage tritt 1 ). 

Wenn der lehrende Philologe die durch die Wortformen wiedergegebenen 
Beziehungen im Bewußtsein des Lernenden als unbedingt lebendig voraus¬ 
setzt, wenn er sie kennen lernt (siehe 0. Ganz mann, über Sach- und Sprach- 
vorstellungen. 1902, S. 61), so geht auch das darauf zurück, daß die gedank¬ 
liche Formulierung der sprachlichen vorausgeht, als die Bedingung für deren 
Lebendig werden vorausgesetzt wird. Das steht auch nicht im Widerspruch 
mit der von Ganzmann eben dort angeführten Tatsache, daß, nachdem die 
betreffende Form automatisch geworden, das Kind sich das betreffende persön¬ 
liche Verhältnis, z. B. bei der Konjugation, vorzustellen gar nicht Zeit hat; 
das wird und muß sich auch nicht bewußt vollziehen, ein leichtes Anklingen 
desselben als Ausdruck der gedanklichen Beziehung genügt, um ganz auto¬ 
matisch die entsprechende sprachliche Wendung emporzuheben 2 ). Das Auto¬ 
matische dieses Vorganges wird das Gewöhnliche vorstellen, dem als unge- 

*) Parallelen zu diesen Tatsachen aus dem Pathologischen haben schon hier 
Erwähnung gefunden. 

2 ) Bei dieser Gelegenheit ist eines bisher nicht beachteten Umstandes zu ge¬ 
denken. Es ist eine dogmatisch hingestellte, offenbar der Selbstbetrachtung ent¬ 
nommene Annahme, daß die Grammatisierung der Rede regelmäßig unbewußt ohne 
Beteiligung der Aufmerksamkeit sich vollzieht. Siehe Beweisstücke für das Gegen¬ 
teil bei Ajam (La Parole en public. Nouv. 6d. s. d. p. 190) ,,A moins d’etre tr£s 
empörte dans la discussion, je surveille la correetion grammaticale de mes phrases 
et la propriete de l’expression“. Ähnliche Äußerungen von anderen Personen siehe 



246 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


wohnlich das bei schwierigeren Formen mehr oder weniger bewußt erfolgende 
Anklingen des Sprachgefühles entgegenzustellen ist; die empfundene Verletzung 
des Sprachgefühls durch Fehler stützt diesen Gedankengang. Wir dürfen an- 
nehmen, daß das, was wir hier als Satzschema entwickelt, einen Anteil an den 
Grundlagen des Sprachgefühls hat, das doch ebenso die Wortform und -Stellung 
wie die Form des ganzen Satzes in sich fassen muß. 

Daß mit der Darstellung des im Vorangehenden Zusammengefaßten nicht 
etwas in der Pathologie schon Bekanntes oder Geläufiges wiedergegeben wird, 
zeigt am besten die Äußerung Bernheims sen. (Doctrine de l’aphasie. Revue 
de med. p. 805 ff.), die das hier erörterte Verhältnis direkt gegensätzlich for¬ 
muliert. ,,On peut donc dire que la memoire verbale joue le röle principale 
dans la formation du langage cerebrale ordinaire; l’association des mots en 
phrases ne joue qu’un role secondaire“. Auch der dem vorangehende Satz 
,,les mots trouves, ils faut les agencer en phrases“, spricht deutlich dafür, 
daß Bernheim die Satzformulierung der Wortfindung folgen läßt. Hier 
tritt nun die kapitale Differenz der neuen, der Sprachpsychologie entnommenen 
Auffassung vom Sprechen gegenüber der alten hervor, die freilich noch immer 
auch in neuesten Darstellungen ruhig hingenommen wird. So bei Ossip- 
Lourie, anscheinend nach dem immerhin schon etwas veralteten schottischen 
Philosophen Reid: ,,Un orateur n’a qu’ä concevoir ce qu’il veut dire et 
aussitöt les lettres, les syllabes, les mots s’arrangent sans qu’il y pense“. Es 
wird genügen auf den Grundfehler dieser Anschauungen, die rein synthetische 
Auffassung des Gesprochenen hinzu weisen, der wir im Vorangehenden die 
Kombination einer analytisch-synthetischen gegenübergestellt. 

Wie weitreichend die hier dargelegte Bedeutung eines Satzschemas in der 
Pathologie sich darstellt, sei an einem speziellen Falle nachgewiesen. Es ent¬ 
spricht einer bekannten Beobachtung, daß Kranke mit schwerer verbaler 
Paraphasie, die die an sich gelegentlich vollständig korrekten Wörter sinnlos 
aneinanderreihen und in Form einer richtig betonten Rede Vorbringen, offen¬ 
bar durch die ihnen vorschwebende und m der Betonung sich ausprägende 
Satzformel bezüglich der vermeintlich richtigen Syntaxierung des von ihnen 
Gesprochenen getäuscht werden und deshalb ihren Defekt nicht erkennen: 
es wird das offenbar noch dadurch unterstützt, wenn in dem betreffenden Falle 
die normale Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf den Sinn des Gesagten und 
nicht auf die Wörter desselben angenommen werden kann. Diese Annahme er¬ 
scheint aber dadurch berechtigt, daß sich in solchen dem angenommenen 
gleichen Fällen keine Erschwerung des Sprechens, vielfach sogar eine Er¬ 
leichterung desselben durch die diesen Fällen häufig zukommende Logorrhoe 
findet, die die ausschließliche Hinhaltung der Aufmerksamkeit auf den Sinn 
des Gesprochenen unterstützt. In der vorstehenden Erwägung findet sich 
eines der Momente dargelegt, welches die gelegentliche Erscheinung erklärt, 

bei demselben 1. c. p. 193. 205. Natürlich finden sich auch gegenteilige Angaben der 
Selbstbeobachtung entnommen und wird man deshalb subjektiv begründete Diffe¬ 
renzen. die übrigens auch je nach der Gelegenheit bei demselben Individuum wechseln 
können, anzunehmen haben. Das ist für die Pathologie deshalb wuchtig, weil auch die 
Krankheit sich dabei als modifizierender Faktor erweisen könnte. Verfasser hat 
schon früher darauf hingewiesen, wie die so verschiedenartig gestörte Aufmerk¬ 
samkeitsverteilung ihrerseits wieder störend wirksam sein kann. 



Das Einsetzen der sprachlichen Formulierung. 


247 


daß aphasische Kranke sich ihres Sprachdefektes nicht bewußt sind. Es 
sind das, und nach dem eben Gesagten wird auch das verständlich, meist 
Fälle mit Schläfelappenläsion und man wollte dementsprechend die erwähnte 
Erscheiunng so erklären, daß der Kranke sich nicht sprechen hört oder das Ge¬ 
sprochene nicht versteht. Es wird auf diese Frage noch näher im patho¬ 
logischen Teile einzugehen sein. Hier sei nur angemerkt, daß diese Deutung 
irrtümlich ist, auch für die normale Paraphasie, für das „Versprechen“. 
Man merkt das Versprechen gelegentlich noch während man spricht und 
man überhört es, auch nachdem man sich sprechen gehört, falls es überhaupt 
zu dem letzteren kommt; daß es nicht das „Sichselbsthören“, sondern andere, 
zum Teil die eben erwähnten Momente sind, welche in pathologischen Fällen den 
Defekt nicht erkennen lassen, beweisen auch Fälle schwerer Paraphasie bei un¬ 
gestörtem Sprachverständnis. 

Wir glauben die Annahme eines grammatisch-syntaktischen Schemas 
als notwendig erwiesen zu haben, wenn die Anpassung der einzelnen Wörte¬ 
rn Form und Stellung zueinander gesichert sein soll; das kann aber doch nur 
so aufgefaßt werden, daß es eben eine Art Schema, eine dunkle, mehr oder 
weniger unbewußt als „Aufgabe“ anklingende Gesamt Vorstellung des ganzen 
Satzgefüges, seiner „Gestaltsqualität“ ist, die eine derartige Wirkung haben 
kann. Heilbronner (Sprachstörungen bei funktionellen Psychosen. Zentralbl. 
f. Nervenheilk. 1906) spricht bei einem Falle von primärem Rededrang von 
den vielfach sinnlosen Sätzen, in denen die geläufige Satzform nur als Gerüst 
dient. Die hier vertretene Annahme, daß die Formulierung der Wortfindung 
und Wortwahl vorangeht, macht es verständlich (oder umgekehrt, diese Tat¬ 
sachen sind ebenso viele Beweise dafür), daß auch bei gestörter Wortwahl 
oder wenn an Stelle der Worte andere Zeichen gewählt werden, doch eine 
Satzformulierung statt hat, die sich von der normalen nur insoweit unter¬ 
scheiden wird, als die Differenz der Zeichen eine Differenzierung nach sich zieht. 

Wenn hier am Schlüsse einer Auslese von Ansichten über die diskutierten 
Fragen jetzt eine etwas schematische Zusammenfassung versucht worden ist, 
so sind auch noch gewisse Bedenken vorzubringen, zu denen diese Veran¬ 
lassung geben kann. Zunächst wird man im Hinblick auf die hier schematisch 
zur Darstellung gebrachte Aneinanderreihung der einzelnen Etappen zwischen 
Denken und Sprechen zu beachten haben, daß diese Reihenfolge vielfach, ja 
vielleicht in der Regel, nicht die gewöhnliche ist; es zeigte sich ja auch schon 
in der Darstellung des interjektioneilen Satzes, wie sich der sprachliche Aus¬ 
druck in einem der vollständigen Formulierung weit voranliegenden Stadium 
einstellt. Messer formuliert das, was er den Gedankenexperimenten darüber 
entnehmen konnte, folgendermaßen: „Natürlich ist formuliertes und unformu- 
liertes Denken in unseren wirklichen Denkprozessen nicht etwa streng geschieden. 
Wie wir die mannigfaltigsten Unterarten in beiden Klassen anerkennen müssen, 
so auch kontinuierliche Übergänge von einem ins andere“ (Arch. f. d. ges. 
Psychol. VIII, S. 186). Man wird dementsprechend zunächst theoretisch an¬ 
zunehmen berechtigt sein, daß das Sprechen in jedem Stadium des Prozesses 
einsetzen kann, eine Annahme, die namentlich für die Klarlegung funktioneller 
Agrammatismen in manischen Zuständen wirksam sein dürfte; das benimmt 
aber natürlich der Aufstellung einer bestimmten Reihenfolge für die voll¬ 
ständige Formulierung eines Gedankens nichts von ihrem Werte. 



248 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Andererseits wird natürlich die Feststellung von Abänderungen dieser 
Reihenfolge vorbildlich für das Verständnis pathologischer Erscheinungen 
sein. Wie weit solche „Verschiebungen“ *) statthaben, davon gibt die Fest¬ 
stellung Bühlers in seinen Gedankenexperimenten Kunde (Arch. f. d. ges. 
Psych. XII, S. 79), daß es Fälle gibt, in denen „der Gedanke erst nach den 
Worten kommt“ im Gegensatz zu einem zweiten Typus, „in welchem man den 
fertigen Gedanken hat und zu ihm die Worte sucht“ 1 2 ). 

Die Vorlagen für die Würdigung dieser Verschiebungen zu pathologischen 
Zwecken sind uns bekanntlich in den der Lehre vom Versprechen entnommenen 
Feststellungen gegeben; Saint-Paul (Rev. philos. 1909, I, p. 606) hat diese 
Frage ausführlich erörtert und es kann als gewiß angenommen werden, daß 
die von ihm als anteception, metaception, postception und paraception 
unterschiedenen Formen, im Pathologischen noch vergrößert und verzerrt, be¬ 
deutsam sein werden. 

Dabei wird ein Gesichtspunkt belehrend wirken, den wir ebenfalls den 
Experimenten der Würzburger Schule entnehmen; man hat seit jeher und bis 
in die letzte Zeit die Bedeutung der Worte auch für die gedankliche Formu¬ 
lierung vielleicht allzuhoch eingeschätzt; aber wenn wir jetzt nicht selten 
in den Protokollen der Würzburger Versuche sehen, w r ie die auf tauchenden Worte 
zuweilen ganz sinnlos oder ohne Zusammenhang mit Objektvorstellungen 
sind, dann wird man jedenfalls berechtigt sein, das Maß der Beihilfe durch 
das Auftauchen von Worten nicht so hoch anzuschlagen, in ihnen eben solche 
nicht immer bedeutungsvolle Begleiterscheinungen zu sehen, wie in den das 
Denken begleitenden Anschauungen, die in gleicher Weise früher überschätzt 
worden sind. 

Eine wichtige, ebenfalls das zeitliche Verhältnis betreffende Überlegung 
wird auch der Frage zu widmen sein, in welchen Beziehungen die Wahl (natür¬ 
lich nicht als bewußter Vorgang) der Inhaltswörter zu der der Formwürter 
steht; im Allgemeinen wird man wohl annehmen dürfen, daß die ersteren voran¬ 
gehen, weil sie ja das Wesentliche der Formulierung überhaupt darstellen 3 ); 
als ein Argument für diese Ansicht darf wohl auch das angeführt werden, daß 
den Formwörtem vielfach in manchen Sprachen ganz ausschließlich Partikeln, 
Suffixe u. dgl. entsprechen, die ja erst des Inhaltsw r ortes bedürfen, um an ihm 

1 ) Daß eine solche zeitliche Gegeneinanderverschiebung nicht bloß zwischen 
Denken und Sprechen statt hat, sondern auch innerhalb der im Denken selbst sich 
abspielenden Vorgänge beweisen Tatsachen des Versprechens (vgl. dazu des Ver¬ 
fassers „Studien zur mot. Apraxie 1905 sowie Gey ser,Lehrb. d. allgem. Psychol. 1908, 
S. 175 und den von Geyser gegebenen Hinweis auf Watts psychol. Arbeit, Arch. 
z. d. ges. Psychol. IV. Bd., 1905, S. 370). Für Fragen der Pathologie kämen aber 
besonders Verschiebungen innerhalb des sprachlichen Abschnittes der ganzen Strecke 
in Betracht. 

2 ) Dabei werden eventuell auch noch die verschiedenen Stadien der beiden 
Typen Bühlers (siehe bei ihm das Folgende) in Betracht zu ziehen sein. 

3 ) Es ist zuvor bei der Besprechung des Gedanken- und Satzschemas dem 
Ausdruck verliehen, daß entsprechend der in diesen Schemata sich ausdrückenden 
Annahme bei der fortschreitenden Formulierung die Satzform dem Inhalte voran¬ 
geht; es könnte daraus ein Widerspruch gegen das oben Formulierte abgeleitet 
werden ; das wird aber einerseits schon durch das im Texte Gesagte widerlegt, anderer¬ 
seits ist es nicht ohne weiteres berechtigt anzunehmen, daß deshalb, weil die Satz- 
form vorangeht, auch die Form Wörter den Inhalts Wörtern vorangehen müssen. 



Einwände. 


249 


ilrre modifizierende Wirkung zu vollführen. Beim Agrammatischen unter¬ 
bleibt dieses Stadium der Formulierung, teils weil die diese nach sich ziehenden 
psychischen Vorgänge fehlen oder weil bei Vorhandensein derselben ihm die 
sprachliche Formulierung schon durch die Inhaltswörter gegeben erscheint. 
Man wird aber nicht übersehen dürfen, daß es Bedingungen des sprachlichen 
Geschehens geben mag, unter denen das Hauptgewicht auf ein Formwort fällt 
und sich auch das pathologische Korrelat dazu vielleicht anders verhalten 
könnte. 

Wir haben schon zuvor der Äußerung eines Mitgliedes der Würzburger 
Schule entnommen, daß das bisher darüber zutage Geförderte gewiß nur einen 
Teil der wirklich auf dem Wege vom Denken zum "Sprechen sich vollziehenden 
Vorgänge umfaßt; es ist weiter gewiß, daß ebensosehr auch Differenzen des 
Denktypus auf den Verlauf jener Vorgänge von Einfluß sein werden und das 
Gleiche gilt von den Sprachtypen, deren prinzipielle Ablehnung seitens der 
Pathologen nur als eine in diesem Maße ebensowenig berechtigte Reaktion 
auf die Überschätzung derselben bei ihrer Aufstellung angesehen werden kann. 
Schon in der Einleitung ist hervorgehoben worden, daß wir vielfach Tatsachen 
und Deutungen nachweisen werden, deren Bedeutung für eine Neugestaltung 
der Aphasielehre nicht übersehen werden kann, ohne daß es auch schon sofort 
möglich sein würde, sie mit irgendwelchen Tatsachen der Pathologie in Be¬ 
ziehung zu setzen, es möchten solche Ergebnisse eben als programmatisch 
für die künftige Erforschung hingenommen werden; das ist nun auch der Fall 
mit den hier erwähnten, individuellen Differenzen. 

Wenn Verfasser im ersten Teile dieses Kapitels einen Abriß von den 
Anschauungen solcher Autoren gegeben, die sich in eingehender Weise zu der 
ganzen Frage geäußert und dann eine Darstellung seiner eigenen Ansicht 
davon gegeben, so ist jetzt noch gegenteiliger Ansichten und möglicher oder 
wirklich gemachter Ein wände gegen seine Darstellung zu gedenken. 

Ein gute Darstellung dessen, was Verfasser als den Übergang von der 
gedanklichen Konstruktion zu der grammatischen bezeichnet, findet sich in 
der Selbstbeobachtung, die Dodge (Die motorischen Wortvorstellungen. 1896, 
S. 13) von seinem stillen begrifflichen Denken gibt. Er beschreibt als neben 
den sinnlichen Bildern vorhanden eine Reihe aufeinander folgender Worte: 
„Sie kommen aber in diesem Falle nicht als isolierte Einheiten ins Bewußtsein, 
sondern als Bestandteile des Vorstellungsablaufes. Sie bilden Sätze und zum 
Zwecke der Satzbildung folgen sie einander in einer bestimmten Satzordnung. 
Von dem Charakter des Satzes habe ich eine mehr oder weniger bestimmte 
deutliche Ahnung 1 ), bevor er zu Ende gedacht ist. Der Inbegriff dessen, was 

J ) Diese „Ahnung“ von Dodge hat eine von der hier dargelegten wesentlich 
verschiedene Deutung erfahren, auf die deshalb, wenn auch nur kurz, zurückzukommen 
ist. Norb. Stern (Das Denken und sein Gegenstand. 1909, S. 20) führt folgendes 
aus: „Im lauten, exspiratorischen Sprechen dagegen — dies gilt es ganz besonders 
zu beobachten — wissen wir schon vor dem Gesprochenhaben, was wir sagen wollen. 
Die Gedanken laufen den Worten voraus, d. h. das Denken oder schnellste innerliche 
Sprechen in uns ist schon beendet, wenn das objektive laute Sprechen beginnt“. 
Stern führt nun als Beweis für seine Ansicht das oben von Dodge Berichtete und 
insbesondere die „Ahnung“ an und setzt bezüglich des „noch nicht Gedachten“ 
hinzu: „Das ist nach unserer Meinung gerade das schon Gedachte, nur außerordent¬ 
lich schnell Vorausgesprochene. Diese Schnelligkeit bildet den Grund dafür, 



250 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


ich beabsichtige, in den Satz hineinzubringen, kann sich schatten weise 
bei jedem Wort darstellen. Der Charakter dieser Ahnung (dieses Schatten¬ 
bildes) des noch nicht gedachten ist nicht ohne weiteres ersichtlich.“ Später 
aber spricht Dodge direkt von „diesem Schattensatz, der etwas anderes ist 
als ein Bedeutungsbild. Es ist ein prädikativ gegliedertes, von der Sprache 
abhängiges Ganzes“. 

Jenes Selbstzeugnis Dodges ist aus verschiedenen Gründen interessant; 
in erster Linie deshalb, weil Dodge, der doch damals nach seiner deutsch ge¬ 
schriebenen Arbeit zu schließen das Deutsche schon recht gut beherrschte, 
es wahrscheinlich macht, daß dieses Schattenbild, „das vielleicht bei Vielen 
der Begel nach unbewußt bleibt“, bei ihm durch die Schwierigkeiten der 
fremden Sprache zum Bewußtsein gebracht wird. Von Interesse ist die Be¬ 
schreibung . w r eiter durch den Widerspruch, den sie gefunden und der viel-* 
leicht darauf zurückzuführen ist, daß seine Arbeit aus B. Erdmanns Schule 
stammt, dessen differente Ansicht von dem Formulieren des Denkens wir zu¬ 
vor dargestellt. 

Wenn Dodge selbst (1. c.) dieses „Schattenbild“ für ähnlich der 
„intention to say something“ von James erklärt, so ist ihm entgegenzuhalten, 
daß, wie wir schon zuvor ausgeführt, diese Intention es durchaus offen läßt, 
ob in diesem Stadium schon, um mit Dodge zu sprechen, ein „Schattensatz“ 
darin liegt, so daß Verfasser diese Gleichstellung nicht für berechtigt hält. 
Gewicht legt Verfasser auf den Nachweis, daß es ein dem Wort vorstellen voran¬ 
gehendes Stadium der Formulierung ist, w r as Dodge (1. c. p. 14) selbst be¬ 
stätigt, indem er sagt, in dem Augenblicke, wo er die so flüchtige Erschei¬ 
nung beobachte, „werde sie ein deutliches Wort vorstellen“; direkt aber spricht 
er sich (1. c. p. 42) dahin aus, daß „die gleiche Erscheinung auch beim Sprechen 
in der Muttersprache zur Beobachtung kommt, wie beim Denken diese Ahnung 
(sc. dessen, was ich sprechen will) anscheinend ein prädikativ gegliederter, 
an die Sprache gebundener Bewußtseinsinhalt, welcher jedoch keine deutliche 
Wortvorstellungen enthält“; und weiter (1. c. p. 43) motiviert er schön die 
Ahnung, das Schattenbüd des Satzgefüges: „Niemand spricht während einer 
längeren Rede .... ein Wort für sich und sucht dann das nächste. Das 
Verbum, das am Ende kommen soll, hat schon auf den Anfang einen Einfluß. 
Eine kommende, modifizierende Klausel beeinflußt unsere Wahl von Eigen¬ 
schaftswörtern usw r .“ Daß es sich auch hier nicht um einen in die gedank¬ 
liche Gliederung einzubeziehenden Vorgang handelt, geht endlich deutlich aus 
Dodges Äußerung hervor, daß diese sprachliche Ahnung dessen, was er 
sprechen wäll (und was wesentlich besser durch einen „Schattensatz“ bezeichnet 
wird) neben den Bedeutungsbegriffen besteht (1. c. p. 41). 

Etwas der Beobachtung Dodges Ähnliches findet sich auch gelegent- 

daß wir im Bewußtsein der Erinnerung an das subjektiv Gesprochene sozusagen nur 
noch dessen Totaleindruck besitzen, die „Ahnung“ oder die „dunkle“ Vorstellung. 
Wir können weder etwas vorausahnen, noch vorauswissen, wenn wir diese nicht 
vorausgedacht, vorausgesprochen haben“. Nach der Ansicht des Verfassers ist 
Stern infolge Nichtbeachtung der Arbeiten der Würzburger Schule insbesondere 
hinsichtlich der „Aufgabe“ und ihrer Bedeutung für unser Denken und Tun zu seiner 
Ansicht gekommen, ebenso wie er hier das selbst von ihm auseinander gehaltene 
Denken und schnellste innerliche Sprechen zusammenwirft. (Vgl. dazu das dies¬ 
bezüglich früher in diesem Kapitel Gesagte.) 



Andersartige Auffassung. 


251 


lieh schon berichtet; so schreibt Lacassagne in der Wiedergabe seiner 
Selbstbeobachtung an Saint-Paul (Essai s. 1. Lang. int. p. 117): „Dans la 
conversation je sais les idees que je vais emettre et un peu la forme que je 
vais leur donner“. Wenn er dann aber fortsetzt: „La conception nette et par- 
faite est plus souvent simultanee ou consecutive k l’expression“, so könnte 
in dem so scharf hervorgehobenen Gegensätze das Schattenhafte der der 
präzisen Formulierung vorangehenden Satzform zum Ausdruck gebracht er¬ 
scheinen. 

Wenn Peeters in einer das vorhandene Tatsachenmaterial zusammen - 
fassenden Darstellung (Pensee et Lang. Rev. des quest; sc. Vol. 42, p. 461) 
zu einer der hier dargestellten gegensätzlichen Auffassung kommt, so scheint 
hierbei gerade die ungenügende Auseinanderhaltung der beiden Arten von 
Formulierung seinerseits daran Schuld zu tragen; [„entres ces mots qui (sc. auf 
der Basis der Analyse der „GesamtVorstellung“) emergent dans la memoire 
pas d’organisation grammaticale, sauf quelques liaisons assez usuelles pour 
avoir cree une habitude. Anterieurement k tout travail reflechi ces mots et 
ces trongons d’expression forment comme un pointille plus au moins espace, 
dessinant par avance la structure d’une phrase. Parfois la penstfe n’a plus 
qu’ä relier ces points: d’ordinaire eile doit y pratiquer un remaniement et 
un triage.“] 

Man wird mit einigem Rechte den bisherigen Ausführungen entgegen¬ 
halten, daß sich das naive Sprechen, wie es die Umgangssprache zeitigt, ganz 
vorwiegend in konventionellen Wendungen, Wortfolgen und Satzgefügen be 
wegt und demnach die hier als angeblich für die letztere maßgebend aufge¬ 
führten Momente in der gerade für unsere Fragen wichtigeren Umgangs¬ 
sprache nicht zur Wirkung oder wenigstens nicht zu ungetrübter Wirkung 
kommen werden. Eine kurze Überlegung lehrt aber, daß auch für den Fall 
des Gebrauches konventioneller Wortstellungen und Satzformen ihrer An¬ 
wendung jene psychologischen Momente, wenn auch nur unbewußt oder schwach¬ 
bewußt, miterregt vorangehen müssen, als deren Folge die konventionellen 
Wortstellungen und Satzgefüge sich darstellen; das sind aber, um eine Wundt- 
sche Formel anzuwenden, „die assoziativen und apperzeptiven Bedingungen, 
die den Verlauf der Vorstellungen und Affekte beherrschen“ (Wundt, Sprache. 
1904, II. S. 88); demnach bleibt, wenn auch vielleicht in abgeschwächtem Maße, 
auch in konventionellen Reden die grammatisierende Wirkung jener be¬ 
sprochenen Faktoren tätig. 

Mit dem, w r as wir als den Weg vom Denken zum Sprechen bezeichneten, 
erscheinen die wichtigsten Stationen des Sprach Vorganges umfaßt; die Zeichen, 
die w ir in der eingehenden Darstellung derselben auf diesem Wege ausstecken 
konnten, dienen aber auch noch dazu, zu zeigen, welche unendliche Fülle von 
Einzelheiten sich der Betrachtung aufdrängen; dementsprechend waren wir 
auch schon gelegentlich in der Lage, zu zeigen, welche Ausblicke auf eine Ver¬ 
tiefung des Verständnisses pathologischer Erscheinungen sich daran knüpfen; 
hier sollen nun zum Schlüsse noch im Zusammenhang einige Gesichtspunkte 
derselben Art der Erörterung unterzogen werden *). 

M Schon in der Einleitung hat Verfasser die von E. Storch entwickelte Lehre 
vom .,stereopsychischen Felde“ als der Grundlage aller psychischen Vorgänge 
abgelehnt; hier wäre nur darauf zu verweisen, daß er in der daraus entwickelten 



252 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


Zunächst ein prinzipieller, alle Einzelerscheinungen umfassender; wir 
konnten, wenn auch da und dort nur angedeutet, konstatieren, daß die Formen, 
in denen auch schon normalerweise die sprachliche Formulierung sich voll¬ 
zieht, nicht regellos aufeinander folgen und daß auch die Zusammenhänge 
nach ganz bestimmten Regeln zustande kommen. Daraus folgt insbesondere 
für den Agrammatismus, daß die pathologisch bedingten Formen entgegen 
der alten Lehre von ihrer Regellosigkeit eine ähnliche Regelmäßigkeit ihrer 
Erscheinung und des Verlaufes aufweisen müssen, die an der Hand des darüber 
von der Norm Festgestellten der Erklärung zuzuführen wären. Es erhellt 
aus der vorangehenden Darstellung aber auch, daß die bisher vereinzelt ge¬ 
machten Versuche einer solchen Erklärung nicht genügen können 1 ), vielmehr 
das Ganze jetzt erneuter Erörterung zu unterziehen ist; die Einzelheiten, die 
hier einer solchen unterzogen wurden, sollen zeigen, um wieviel weiter uns 
die Beachtung derselben im Pathologischen auf dem Wege des Verständnisses 
fördert. 

Daraus ergibt sich aber ein weiterer prinzipieller Gesichtspunkt in 
Rücksicht der klinischen Beobachtung; es handelt sich bei den so unserem 
Verständnis näher gerückten Tatsachen vielfach um solche, die bisher 
kaum beachtet, deshalb auch deskriptiv oft recht mangelhaft sich darstellen; 
die neue Betrachtung, welche solche Detaüs jetzt erfahren sollen, drängt dem¬ 
entsprechend zu wesentlich vertieftem Studium des Einzelfalles und zu einer 
dem parallel gehenden Verbesserung der Deskription (nicht bloß im Sinne 
eingehender und allseitiger Darstellung, wie sie auch bisher schon gefordert 
worden). 

Um gleich diesen Punkt in seiner vollen Bedeutung hervortreten zu 
lassen, sei auf einen Fall von Hammond (Med. Rec. 1900. 29. Dez., S. 1012) 
zurückgegriffen, der, Träger einer bei der Sektion nachgewiesenen Läsion der 
zweiten linken Schläfe Windung ,,eine Zahl von Worten sprechen konnte und 
auch sprach, sie wurden aber einzeln und zusammenhanglos und niemals in 
logischer Folge gesprochen“. Wir werden später hören, daß bei dem Verluste 
der konventionellen Wortfolge die natürliche, der logischen Gedankengliede¬ 
rung entsprechende, wieder an deren Stelle treten kann; wenn es hier nun 
heißt, daß bei dem Kranken die Worte nicht in logischer Folge nacheinander 
kamen und wenn diese Beschreibung auch mehr als die lose Bezeichnung einer 
unzusammenhängenden Wortfolge sein sollte, dann ist es klar, daß wir es 
mit einem Falle von eminenter Bedeutung zu tun haben, der auch den Ver¬ 
lust der natürlichen Wortfolge, wie sie der gedanklichen Gliederung entspricht, 
vor Augen führt; insofern diese in den gewöhnlichen Fällen nicht gestört er¬ 
scheint, würde jenes einen höheren Grad von Störung darstellen. Welche 
Bedeutung ein solcher Fall hätte, wenn er genau unter Beachtung des eben 

Lehre der Assonanz zwischen der Stereopsyche und Glossopsyche keine befriedigende 
Aufklärung für die Beziehungen zwischen Denken und Sprechen sehen kann (vgl. 
Storch, Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. XIII). 

x ) Es sei nur auf einen letzten solchen verwiesen, den F. Mohr (Arch. f. 
Psych. 39, S. A. S. 34) gemacht und der auf der ,,Umgießung der Sach Vorstellungen 
in Wort- und Satz Vorstellungen“ aufgebaut ist und jedesfalls zeigt, daß man damit 
über bildliche Vorstellungen bezüglich der dabei spielenden Vorgänge nicht hinaus¬ 
gekommen ist; wir glauben konstatiert zu haben, daß dieses Stadium der Lehre zum 
Teil wenigstens überwunden ist. 



Pathologische Nutzanwendungen. 


253 


vorgeführten Gesichtspunktes aufgenommen wäre, bedarf wohl nicht erst 
besonderer Betonung. 

Wir haben zuvor Beobachtungen, der Norm entnommen, vorgeführt 
zur Darstellung, wie sich in verschiedenen Stadien der Formulierung produ¬ 
zierte Sprachproben gestalten; es wird Aufgabe der Pathologie sein, diesen 
Sprachproben ähnliche sprachliche Entäußerungen an Kranken nachzuweisen 
und zu prüfen, inwieweit etwa das von jenen bezüglich des Zeitpunktes ihrer 
Entstehung der Beobachtung Entnommene auch für die pathologischen Fälle 
zutrifft, andererseits pathologische Sprachprodukte auch ohne Vorlagen aus 
dem Normalen auf diese Fragen hin zu prüfen; daß zum mindesten der erste 
Punkt interessante Parallelen ergibt, mag folgende Beobachtung lehren. Der 
vom Verfasser in seiner Mitteilung zur Psychologie und Pathologie des ab¬ 
strakten Denkens (III. Vortr. in des Verfassers Schrift „Uber Sprachver¬ 
ständnis*1909) eingehend beschriebene Kranke hatte infolge schwerer hysteri¬ 
scher Amnesie u. a. auch vergessen, daß er bei der elektrischen Straßenbahn 
angestellt gewesen; die Erinnerung daran kehrte nun plötzlich zurück, als er 
über den lauten, durch die Explosion einer Sicherung bedingten Knall an 
einem an ihm vorüberfahrenden Straßenbahnwagen heftig erschrak; er gab 
an, es sei ihm im Augenblicke des Erschreckens so gewesen, als ob ihm Jemand 
das Wort „Sicherung“ zuriefe und mit einem Schlage wußte er, um was es 
sich handle; gleichzeitig kehrte die Erinnerung an alles Übrige mit seinem 
früheren Berufe Zusammenhängende wieder. 

Das Übereinstimmende in diesem Falle mit der nach Dodge berichteten 
Selbstbeobachtung ist zu klar, als daß noch etwas darüber zu sagen wäre. Wir 
sehen hier den einwortigen Satz sozusagen in statu nascendi, sehen wie dieses 
eine Wort den ganzen Tatbestand in dem wichtigsten Teile desselben zum 
Ausdruck bringt und außerdem sich auch, um mit Wundt zu sprechen, die 
Gesamtvorstellung im Bewußtsein erhebt. 

Wie die Berücksichtigung der grammatischen und der ihr vorangehenden 
gedanklichen Formulierung in einer ganz speziell pathologischen Frage auf- 
klärend wirken kann, mag Folgendes illustrieren. In Fällen von Agramma¬ 
tismus ist es offenbar das das Sprechen begleitende, von der gedanklichen 
Formulierung hergenommene „Gefühl“ der Grammatisierung, das den Kranken 
leicht über seine Sprachstörung täuscht. Das Analoge dazu von der Norm 
hergenommen formuliert W. James (Princ. of Psychol. I, p. 264): „Gewisse 
Wortverbindungen, wenn zustande gekommen, gewisse grammatische Erwartun¬ 
gen, wenn erfüllt, geben in hohem Maße den Eindruck, daß der Satz einen Sinn hat.“ 

Wir haben zuvor der „Einstellung“ bei Normalen gedacht und wollen 
hier im Zusammenhänge des Pathologischen dieselbe als einen wirksamen 
Faktor erweisen. Es muß zuerst besonders hervorgehoben werden, daß die 
Prägnanz der Einstellung bei Polyglotten durchaus nicht, wie man nach den 
Anführungen der Literatur glauben könnte, etwas bloß bei Gebildeten Hervor¬ 
tretendes ist; eben hat Verfasser eine geisteskranke Köchin tschechischer Ab¬ 
kunft examiniert, die im Sommer immer in Sachsen Saisonarbeit leistet und 
deshalb sehr gut deutsch spricht; es wird zuerst mit ihr deutsch gesprochen, 
aber eine tschechisch hineingewwfene Frage löst prompt den Mechanismus 
des Tschechischen aus, der nun ohne Unterbrechung spontan fortarbeitet, bis 
durch eine deutsche Zwischenfrage wieder die Einstellung geändert wird; es 



254 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


ist nicht ohne Interesse, daß die „Stimmen“ der paranoischen Kranken ganz 
gleichmäßig tschechisch und deutsch sprechen. 

Eine andere Kranke, etwa als Zwischenform zwischen Paranoia chron. 
und Dementia paranoides zu klassifizieren, halluziniert seit langem verschieden- 
fältig, wobei die Stimmen sich durchaus dem modernen Sprachgebrauche an¬ 
schließen; plötzlich hört sie die Stimme ihrer seit langem verstorbenen Mutter 
und die spricht mit ihr per „sie“, wie es vor Jahren hier vielfach üblich ge¬ 
wesen. 

Ein schönes Seitenstück zu den hier mitgeteüten Tatsachen von Poly¬ 
glotten bringt eine von Buch holz mitgeteilte Beobachtung (Mitt. aus d. 
Hamb. Staats-Kr. A. Bd. IX, H. 13, S. 330), wo ein Kranker offenbar besserer 
Büdung von 1—12 hochdeutsch und dann weiter nur plattdeutsch aber richtig 
zählt. Von Polyglottie kann man hier wohl sprechen, da das Plattdeutsche 
offenbar die erste, später nicht geübte Sprache darstellt. Die Beobachtung 
reiht sich den Tatsachen über den Gang der Dissolution ganz übereinstimmend 
an; wir sehen, wie zunächst noch das später erlernte Hochdeutsch der leichteren 
Anforderung genügt, bei schwierigeren Aufgaben aber der Rückfall auf die erst¬ 
erworbene Sprache (als eine Art Muttersprache) sich durch Einstellung auf 
diese vollzieht. 

Es ist jetzt, wo wir den Weg vom Denken zum Sprechen durchwandert, 
im Hinblick auf das engere Thema der vorliegenden Schrift angebracht, den 
im pathologischen Teile zu gebenden ausführlichen Darstellungen der Theorie 
des Agrammatismus einige allgemeine Gesichtspunkte vorauszuschicken, zu 
denen das eben abgehandelte Kapitel Veranlassung gibt. 

Als prinzipiell maßgebend wird man das hinstellen dürfen, daß wir die 
Grammatisierung der Rede als eine gesonderte Station auf jenem Wege kennen 
gelernt und daß demnach bei sonst intakter Denk- und Sprachfunktion auch 
durch eine isolierte Störung jener Station der Agrammatismus zustande kommen 
kann; insofern wir dabei angenommen haben, daß dieser Phase der Gramma¬ 
tisierung auch noch eine gedankliche vorangeht, wird sich theoretisch auch 
eine anders bedingte Form des Agrammatismus als möglich ergeben, bedingt 
durch eine Störung dieser gedanklichen Formulierung; man wird dann weiter 
zu fragen haben, ob nicht bei Intaktheit dieser beiden in der Grammatisierung 
wirksamen Funktionen durch Störungen des Denkvorganges im engeren Sinne 
des Wortes dem Agrammatismus gleiche oder ähnliche Störungen zustande 
kommen könnten. Die Bejahung dieser Frage weist auf ältere Erklärungen, die 
man für gewisse Formen des Agrammatismus formuliert hat; es ist das ins¬ 
besondere jene Form des Agrammatismus, die Verfasser eben, weil sie nicht 
der primären Störung der grammatisierenden Funktion entstammt, als sekun¬ 
dären oder Pseudo-Agrammatismus bezeichnen möchte; (nebenbei sei hier 
wiederholt, daß durch diese Aufstellimg auch die lokalisatorischen Streitfragen, 
die bisher bezüglich des Agrammatismus schweben, ihre befriedigende Lösung 
finden). Die eine jener Erklärungen hat Bonhoeffer zuerst ausgesprochen; 
sie geht dahin, daß die Kranken infolge des Mangels an sprachlicher Intiative 
sich auf das Wesentliche beschränken und deshalb nur starkbetonte Worte, 
die Hauptwörter als das Skelett des Gedankenganges zum Ausdruck bringen 
unter Wegfall alles grammatischen Beiwerks; schon dieses letzte Charakteri¬ 
stikum zeigt, daß es sich dabei nicht um den echten Agrammatismus handelt, 



Formen des Agrammatismus. 


255 


.sondern eben um die Form des Agrammatismus, bei der die Störung im Denken 
liegt. Auf weitere Differenzen gegenüber dem echten Agrammatismus hier 
einzugehen, liegt keine Veranlassung vor; ebensowenig ist hier der Platz, auf 
die Fortbildung dieser von Bonhoeffer selbst verlassenen, von Pelz (Zeitschr. 
f. d. ges. Neur. u. Psych. XI, S. 136) wieder aufgenommenen Deutung näher 
einzugehen, was dem entsprechenden Kapitel des pathologischen Teils über¬ 
lassen bleiben muß. Dem Verfasser war es hier vorwiegend nur darum zu 
tun, als Konsequenz dessen, was wir über den Weg vom Denken zum Sprechen 
erfahren, die Mehrheit der Entstehungsursachen agrammatischer Störungen 
aufzuweisen und die Einseitigkeit der bisherigen Aufstellungen damit vor Augen 
zu führen. 

Aus dem Dargestellten ergeben sich auch sonst noch Gesichtspunkte für 
eine Einteilung des Agrammatismus im Allgemeinen; er kann zur Entwicklung 
kommen durch Fehlen der geistigen Entwicklung in dem Grade, daß es über¬ 
haupt nicht zu gedanklicher Formulierung kommt oder dieselbe nur mehr oder 
weniger im vollständig sich vollzieht; beides kann durch Entwicklungshemmung 
oder durch später während der Entwicklung eingetretene Krankheit zustande 
kommen. Etwas dem Gleichartiges kann als erworbener Agrammatismus in 
der Weise zustande kommen, daß durch geistige Erkrankung (auch funktionelle) 
die gedankliche Formulierung in verschiedener Weise gestört ist und infolge¬ 
dessen auch die sprachliche Formulierung beeinträchtigt wird. Es fehlen in 
diesen Fällen eben die zur Auslösung der grammatischen Kategorien nötigen, 
die gedankliche Formulierung darstellenden Vorgänge oder dieselben sind so 
beeinträchtigt, daß es zu jener Auslösung nicht kommt. Andererseits kommt 
es auch bei erhaltener geistiger Formulierung nicht zur Auslösung der den 
grammatischen Kategorien entsprechenden Vorgänge; das kann wieder in 
zweierlei Weise bedingt sein; entweder ist es durch Stillstand der geistigen 
Entwicklung oder infolge einer durch in dem bestimmten Zeitpunkte einge¬ 
tretenen Krankheit nicht zur Grammatisierung der Sprache, d. h. nicht zur 
Entwicklung der dieser entsprechenden Vorgänge gekommen; es kann das 
bei voll entwickeltem Gehirne, wie jetzt feststeht, auch durch einen in einer 
bestimmten Partie des Sprachfeldes einsetzenden Krankheitsprozeß dauernd 
oder vorübergehend bedingt sein. Während über die letztere Tatsache jetzt 
keinerlei Meinungs'Verschiedenheit mehr besteht, ist bezüglich der hier ent¬ 
wickelten Form des nativen Agrammatismus bisher nichts Sicheres bekannt, 
vielmehr wird ziemlich allgemein angenommen, daß dieser Agrammatismus 
regelmäßig die Folge anderer geistiger Defekte sei. Dem Verfasser stand 
es seit jeher fest, daß es als Korrelat zu der hier besprochenen Form des er¬ 
worbenen Agrammatismus auch Fälle von kindlichem Agrammatismus geben 
müsse, die selbständige, infolge von Hemmung der grammatisierenden Funk¬ 
tionen der Sprache bedingte sind *); eine bevorstehende Publikation aus seiner 
Klinik soll von der Richtigkeit dieser Ansicht Zeugnis abgeben. 

Daß es natürlich Mischformen, namentlich auch beim erworbenen Agram¬ 
matismus und insbesondere beim funktionellen geben wird, braucht w r ohl nur 

*) Auch Heilbronner (Arch. f. Psych. 41, 2, S. 17 des Sep.-Abdr.), der bezüg¬ 
lich des erworbenen Agrammatismus sich ganz dem Verfasser anschließt, glaubt 
bezüglich des agrammatischen Sprechens von Kindern und Imbezillen doch Vor¬ 
behalt machen zu sollen. 



250 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


angemerkt zu werden; ebenso wie der Umstand, daß hier nur von den gram¬ 
matischen Funktionen im engeren Sinne des Wortes die Rede war und die 
klinische Wertung der übrigen dabei wirksamen Momente (vgl. dazu auch 
das Kapitel von den Ausdrucksmitteln) nicht in Betracht gezogen worden 
ist. Doch seien der Darstellung der Bedeutsamkeit wenigstens einzelner der¬ 
selben auch in pathologischer Hinsicht einige Worte gewidmet, die gleich¬ 
zeitig zeigen mögen, wie weit die Verwertung der hier dargelegten Gesichts¬ 
punkte auch für andere Fragen der Pathologie nutzbar gemacht werden kann. 
In den funktionellen Fällen liegt es, wie in den übrigen, nahe, die Ursache 
der Erscheinung in erster Linie in dem Formulieren selbst, etwa bedingt durch 
eine abnorme Beschleunigung dieses Prozesses zu suchen, analog der Rede- 
flucht, die von der Ideenflucht geschieden wird; es wäre aber recht wohl 
denkbar, daß die Störung analog dieser letzteren schon innerhalb der gedank¬ 
lichen Formulierung Platz gegriffen hätte und daß endlich eine Komplikation 
der beiden Störungen in verschiedenem Maße mit konkurrieren könnte. 

Daß auch lokalisatorische Fragen in ganz hervorragendem Maße mit 
den hier dargelegten Tatsachen in Beziehung stehen, ist schon da und dort 
exemplifiziert worden; sie werden sich zunächst dahin zuspitzen, wohin in der 
Reihe der hier erörterten Einzel Vorgänge derjenige jeweils zu lokalisieren ist, 
als dessen Störung die ihm zugeordneten aphasischen Erscheinungen angesehen 
werden; wir vermeiden hier absichtlich von Aphasieformen zu reden, weil das 
hier als Leitfaden genommene Prinzip der Uberdeckung der leichteren Einzel¬ 
erscheinungen durch die massiven Erscheinungskomplexe der typischen Aphasie¬ 
formen, ebenso wie der hier vertretene Gesichtspunkt, sich von dem Prinzip 
der Parallel Vorgänge leiten zu lassen, zu einer Lokalisation der Einzelerschei¬ 
nungen führen soll. Man mag ja bezüglich der Frage, wie weit das pathologi¬ 
sche Material dazu ausreicht, seine gewichtigen Bedenken haben, darüber aber 
kann prinzipiell kein Zweifel obwalten, daß hier die theoretischen Grundlinien 
für eine Lokalisation der Sprache gezogen sind, wie wir sie schon in der Ein¬ 
leitung gegen die ablehnenden Ansichten Naunyns, v. Monakows u. A. 
vertreten haben; den darin gelegenen Fortschritt mag man ermessen, wenn 
man die bisherige Psychologie der Aphasieformen dagegen hält. 

Wenn Verfasser immer wieder den Standpunkt vertritt, daß die hier 
versuchte Neuorientierung der Aphasielehre geeignet ist, Licht auch auf 
anders geartete Erscheinungen zu werfen, an denen man bisher Mangels des 
entsprechenden Verständnisses achtlos vorübergegangen, so seien als Beweis 
dafür zwei Einzeltatsachen vorgeführt, die der von Hughlings-Jackson 
mitgeteilten Selbstbeobachtung eines epileptischen Arztes entstammen. Der¬ 
selbe schreibt (Brain. July 1888, p. 203), daß in Petit mal-Anfällen während 
des Lesens sein ,,sense of rhythm and metre“ früher sich restituierte, als 
die Fähigkeit der Aufmerksamkeit für die Worte oder das Verständnis der¬ 
selben; weiter schreibt er von Schriftproben während solcher Zustände, daß 
einzelne Worte ,,grotesquely mal-ä-propos“ waren, bei vollständig korrekter 
Grammatisierung. Die erste Beobachtung ist ohne weiteres verständlich, 
wenn man sich das vorhält, was Verfasser bezüglich der Priorität der musi¬ 
schen Elemente in der Satzformulierung hier entwickelt hat; sie bietet weiter 
eine Stütze für die Ansicht des Verfassers von der Mitwirkung der musischen 
Zentren am Sprach Vorgang und die davon zu abstrahierende Voraussetzung 



Das Sprachverständnis. 


257 


einer getrennten, aber doch räumlich nahen Lokalisation der beiden in Be¬ 
tracht kommenden Gruppen von Zentren; denn das so sich ausprägende Fort¬ 
schreiten der Reevolution läßt kaum eine andere Deutung zu. Die zweite Mit¬ 
teilung bestätigt wiederum das, was Verfasser hier einerseits von der Aufstellung 
der Grammatisierung als einer besonderen Station der Formulierung, anderer¬ 
seits von der Nahestellung derselben zu der Wortfindung gesagt hat; auch 
hier zeigt sich der Gang der Reevolution als ein schrittweise sich vollziehen¬ 
der und es wirft sich nur die Frage auf, ob dieser Gang etwa als typischer an¬ 
gesehen werden kann. 

Was von solchen Studien an entsprechenden Fällen, geleitet von einer 
richtigen Einsicht in die normaler Weise auf dem Wege vom Denken zum 
Sprechen sich vollziehenden Vorgänge für die normale Psychologie erhofft 
werden kann, liegt auf der Hand. In erster Linie darf man schon jetzt er¬ 
warten, daß die vielfach nachweislich irrtümlichen Grundlagen für sprach- 
psychologische Deutungen besseren w r eichen werden. So stützt sich Wells 
in seinen Studien über das Versprechen auf die ältere Aufstellung Broad- 
bents, von der er ganz irrtümlich sagt: „It may be considered well esta- 
blished that the formation of spoken language involves the activity of a 
higher and lower enunciatory center, the higher psychomotor or proposi- 
tionizing center and the lower, or enunciatory center proper. In affections of 
the first center there is difficulty in associating the idea wdth its word, 
but the phonology as such is not impaired; in affection of the second, 
linguistic imagery is perfect, but the phonology is affected“ (E. L. Wells, 
Linguistic Lapses. Arch. of Philos. Psychol. a. sc. meth. Nr. 6. June. 1906, 

p. 108). — 

Wenn wir in der Einleitung es als einen Mangel der Wundtsehen Sprach¬ 
psychologie hingestellt, daß dieselbe nicht in gleichem Maße auch die Psycho¬ 
logie des Hörers berücksichtigt, so müßte als Fortsetzung des hier abgehandelten 
Weges vom Denken zum Sprechen jetzt auch der umgekehrte Weg, das Ver¬ 
stehen des Gesprochenen durch den Hörer Gegenstand der Erörterung sein. 
Dieses Thema büdete aber vor wenigen Jahren den Gegenstand eines aus¬ 
führlichen Referates, verteilt zwischen dem Verfasser und Bühler (Bericht 
über den III. Kongr. f. exp. Psychol. in Frankfurt 1908), wobei der erstere 
alles, was die Pathologie zu dieser Frage an Material beibrachte, zusammen¬ 
trug, Bühler die Frage vom Standpunkte der Psychologie darlegte; trotz 
der nie rastenden Forschung ist der Zuwachs an Wissen kein derartiger, daß 
nicht auf diese Referate verwiesen und eine Neubearbeitung des Gegenstandes 
einem späteren Zeitpunkte Vorbehalten werden könnte. Doch soll hervor¬ 
gehoben werden, daß sich die Reihenfolge der Vorgänge im Sprachverständnis 
doch wesentlich komplizierter darstellt, als das z. B. noch van Ginneken (Princ. 
de Linguist psychol. 1907) aufLeroy fußend angenommen, und daß insbesondere 
auch die Vorstellungen dabei nicht jene ausschließliche Rolle spielen, die 
ihnen die Sprachpathologie dabei zugedacht. (Siehe dazu eine neueste Arbeit 
von Kakise, Am. Journ. of. Psychol. 22, 1911, p. 14.) 

Bei dem Kapitel vom Bedeutungsproblem wird sich Gelegenheit finden, 
auf das Problem vom Sprachverständnis zurückzukommen, die um so günstiger 
sich gestaltet, als seither neuere Untersuchungen (Koffka) vorliegen, die ge¬ 
rade für dieses Problem reichliches Material an die Hand geben. Doch sei 
Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 17 



258 


IV. Der Weg vom Denken zum Sprechen. 


hier Veranlassung genommen, zu zeigen, wie das im Vorangehenden Entwickelte 
auch für jene Frage zu verwerten sein wird. 

Die Ansicht, daß die Rede dazu dient, um zunächst auch im Geiste des 
Hörers etwas dem, was wir als Gedankenstruktur beim Sprecher bezeichnet, 
ähnliches zu provozieren, bringt E. T. Owen sehr gut (Repr. fr. Transact. of 
the Wisconsin Acad. of Sc. XII, p. 7) zum Ausdruck. Daß er dabei tat¬ 
sächlich die Denkform im Gegensätze zum Denkmaterial im Sinne hatte, be¬ 
weist der Zusatz, in welchem er ausdrücklich den Gedankeninhalt von dessen 
Architektur unterscheidet („By the content of thought or what, in other 
words, I think — I mean the materials or constituent ideas of thought, as 
distinguished from its architecture and also from the indication of that 
architecture“. (E. T. Owen, Repr. fr. Vol. XVI. P. II. of the Transact. of 
the Wisconsin Acad. of Sc. 1908, p. 228). 

Schon Bosanquet (Essent of Logic. 1897, p. 83 f.) hat ausgeführt, wie 
das Satzsinnverständnis sich schubweise vollzieht (,,be apprehended by de- 
grees“); seither hat das Bühler (Arch. f. d. ges. Psychol. XII, S. 17) in seinen 
Gedankenexperimenten von den Vp. bestätigt bekommen; er bezeichnet das 
selbst als das Gegenstück dazu, wie sich beim Sprechen der einheitliche Ge¬ 
danke in die Bedeutung der Worte zerlegt; also auch da eine etagenweise 
Anordnung des Verlaufes sowohl auf der impressiven, wie auf der expressiven 
Seite des Sprach Vorganges. — 

Niemand ist sich der Mangelhaftigkeit und der Lücken, die der hier 
skizzierte Weg vom Denken zum Sprechen auf weist, mehr bewußt als Ver¬ 
fasser selbst; trotzdem glaubt er keinem Widerspruch zu begegnen mit der Be¬ 
hauptung, daß diese Skizze den Bedürfnissen gerade der anatomisch orien¬ 
tierten Aphasieforschung mehr entgegenkommt, als alle Versuche, dem Problem 
sich von der letzt bezeichne ten Richtung zu nähern. 

Die Feststellung, daß der von den Pathologen bisher als einheitlich an¬ 
gesehene Vorgang der Verbindung von Objekt- und Wort begriff nun als aus 
einer ganzen Reihe von Einzelvorgängen zusammengesetzt sich darstellt, wodurch 
ja zunächst die Schwierigkeiten des Problems beträchtlich gesteigert erscheinen, 
dürfte aber wider Erwarten gerade dazu beitragen, es zu vereinfachen, und zwar 
gerade in Rücksicht der Frage der Lokalisier bar keit. Ein Hauptargument 
gegen die Annahme einer solchen, insbesondere der des Objektbegriffs, büdete 
mit Recht die andere Annahme, daß ein so hoch kompliziertes Gebilde nicht 
örtlich lokalisierbar 1 ) sei, daß vielmehr dabei mehr oder weniger weite Gebiete 
der ganzen Rinde beteüigt sein müßten; das hatte die Konsequenz, daß die 
anzunehmenden Verbindungen zum Wortbegriff ebenso vielörtlich verteilt 
sein müßten und deshalb der auf ihnen sich vollziehende Prozeß nicht lokali¬ 
sierbar sein könnte. 

Ganz anders stellt sich das Problem in dem Augenblicke dar, wo wir den 
als einheitlich und deshalb als hochkompliziert anzusehenden Prozeß in eine 
ganze Reihe von Teüprozessen auflösen, die daraus zu folgernde Konsequenz fest¬ 
steht, daß diese Teilprozesse einfachere sein werden, ja zunächst theoretisch als so 


*) Nur zur Vermeidung von Mißverständnissen sei ausdrücklich hervorge¬ 
hoben, daß hier natürlich nur die Lokalisierbarkeit der physischen Parallelvor¬ 
gänge gemeint ist. 



Bedeutung der Feststellungen. 


259 


einfache angesehen werden können, daß das Bedenken, ihnen bestimmte Funk¬ 
tionsherde zusprechen zu können, dadurch befriedigt erscheint. 

Der weitere daran sich anschließende Gesichtspunkt, welche Bedeutung 
der, wenn auch nur in Umrissen festgestellten Reihenfolge dieser Einzelprozesse, 
also dem zukommt, was Verfasser als psychologische Lokalisation bezeichnet, 
ist an anderer Stelle hier dargelegt worden; er leitet direkt zu einer anatomi¬ 
schen Lokalisation jener Funktionsherde (oder Zentren) hin. Damit erscheint 
aber prinzipiell die Bedeutung der hier angestrebten psychologischen Grund¬ 
legung der Aphasielehre in das richtige Licht gerückt, insoferne sie den von 
v. Monakow gegen die Lokalisation der höheren Funktionen ins Feld ge¬ 
führten Tatsachen der sukzessiven Einordnung und Verarbeitung immittelbar 
entgegenkommt. 

Die Richtigkeit dieser Erwägungen wird noch bestärkt durch die gelegent¬ 
liche Bemerkung v. Monakows (Uber d. gegenw. Stand d. Fr. nach der 
Lokal, im Großh. Ergehn, d. Physiol. VI, 1907, S. 390), daß die klinischen 
Einzelsymptome, wie Agramatismus, Wortamnesie u. A. aus einer Unzahl von 
Komponenten im physiologischen Sinne zusammengesetzt sind. Wenn das 
letztere eine Annahme ist, so wird hier demgegenüber aufgezeigt, daß dem auch 
auf psychologischem Gebiete eine viel größere Zahl von Komponenten ent¬ 
spricht, und daß wir durch die Klarlegung dieser letzteren viel weiter ge¬ 
fördert werden als durch Aufrechterhaltung der fiktiven Annahme, daß zwischen 
den beiden Seiten der Phänomene eine weitgehende Differenz in jener Hinsicht 
bestehe. Wenn v. Monakow (1. c. S. 393) selbst annimmt, daß zwischen der 
rohen Sprachkomponente und dem physiologisch überaus hochwertigen ,,Wort¬ 
begriff u Wernickescher Definition noch Raum für eine ganze Reihe von 
Zwischenerregungsstufen“ vorhanden sein muß, dann scheint Verfasser die 
immer mehr vertiefte psychologische Analyse des normalen Weges vom 
Sprechen zum Denken der einzige geeignete Leitfaden zur Klarlegung jener 
,, Zwischenstufen ‘ ‘. 


Lange nachdem Verfasser für sich die Trennung der von ihm sogenannten 
gedanklichen Formulierung von der sprachlichen vollzogen, liest er etwas dem 
vollkommen Gleichartiges bei R. Müller-Freienfels (Arch. f. d. ges. Psychol. 
23, S. 318). Dieser, im Übrigen an B. Erdmanns „Umrisse“ anknüpfend, 
unterscheidet ein formuliertes, nichtsprachliches Denken, das er als nebensprach¬ 
liches bezeichnet, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß eine andere Formu¬ 
lierung als die sprachliche vorliegt. Auch er zieht zur Begründung seiner An¬ 
sicht Erfahrungen an Taubstummen, Taubstummblinden heran. 




V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 

Die Fülle der Vorgänge und der durch sie gezeitigten Erscheinungsformen, 
die uns bei einer ersten Skizze des Weges vom ersten Auf dämmern eines Ge¬ 
dankens bis zu dessen vollständiger sprachlichen Formulierung entgegentraten, 
gestattete es nur bei wenigen derselben etwas ausführlicher zu verweilen; bei 
der Mehrzahl mußte eine eingehende Erörterung späteren Abschnitten Vor¬ 
behalten bleiben, die jetzt der ersten zusammengefaßten Darstellung des Ganzen 
angeschlossen wird. Hat schon diese in Andeutungen zu zeigen gestattet, welche 
reiche Aufklärung für pathologische Tatsachen einem so geleiteten Studium 
der Sprach Vorgänge zu entnehmen sein wird, so darf man vermuten, daß ein 
näheres Eingehen auf die dort nur in Kürze vorgeführten Tatsachen diese 
Ansicht nur noch vertiefen wird; und so sollen die nächsten Kapitel einer aus¬ 
führlicheren Darstellung derjenigen Punkte gewidmet sein, deren Studium zu 
solchen Erwartungen berechtigt. 

Wenn der vorgängigen, sozusagen im Längsschnitt gegebenen Darstellung 
jenes Weges jetzt eine Darstellung der Einzelheiten desselben mehr im Quer¬ 
schnitte folgen soll, so wird sich dabei freüich nicht vermeiden lassen, daß in 
den einzelnen Kapiteln, die dem gewidmet sind, auch schon andere Punkte zur 
Sprache kommen; konnten doch auch die dem Einzelnen gewidmeten Dar¬ 
stellungen der herangezogenen Forscher selbst die einzelnen Glieder des Vor¬ 
ganges nicht so scharf voneinander trennen, wie es zwecks isolierter Dar¬ 
stellung vielleicht wünschenswert wäre; es kann deshalb auch die davon hier 
gegebene Darstellung nicht so scharf auf den Querschnitt zugepaßt sein, daß 
nicht da und dort auch dem Verlaufe der Erscheinungen nach Benachbartes 
herangezogen würde, was gelegentliche Wiederholungen wohl entschuldigen 
wird. Man wird aber w r eiter auch nicht übersehen dürfen, daß unsere Kenntnis 
an die Fülle der Tatsachen bei weitem nicht heranreicht und nur über wenige 
derselben unter den Fachmännern einheitliche Auffassungen und Deutungen 
zu finden sein werden. 

Eine solche ausführlichere Darstellung ist nun in erster Linie jener 
Deutung der in dem Sprecher sich vollziehenden Vorgänge zu widmen, die 
Wundt als die Lehre von der Gesamt Vorstellung bezeichnet hat. Ein näheres 
Eingehen auf dieselbe wird zunächst dadurch nahegelegt, daß der einzige Autor, 
der sich überhaupt bemüßigt gesehen hat, an der Hand sprachpsychologischer 
Tatsachen näher in die Psychologie des Agrammatismus einzugehen, Mohr, 



Bedeutung der „Gesamt Vorstellung“. 


261 


sich einfach an die Darstellung Wundts anlehnt und ausschließlich in dessen 
„GesamtVorstellung“ den Schlüssel zum Verständnis auch der verschiedenen 
Formen des Agrammatismus gesucht hat. Wir werden in dem betreffenden 
Abschnitte sehen, zu welcher Kritik dieses Versuches all das führen wird, was 
hier sowohl wie anderen Orts sich gegen die Lehre von der Gesamtvorstellung 
sagen läßt und inwieweit die auf anderen Gesichtspunkten aufgebaute Psycho¬ 
logie des Agrammatismus sich besser bewähren wird als diejenige, die Mohr 
zu geben versucht hat. 

Mancher Pathologe freilich dürfte die ausführliche Darstellung der die 
Gesamtvorstellung betreffenden Kontroversen für durchaus überflüssig und 
die Wiedergabe solcher „Haarspalterei“ für zwecklos halten; das wäre ein 
bedenklicher Irrtum, denn wenn wir auch nur überlegen, daß es sich in dieser 
Kontroverse vor allem um die Lösung der Frage handelt, inwieweit die in dieser 
Bezeichnung zusammengefaßten Prozesse nur rein gedanklich, unformuliert 
ablaufen köimen oder der sprachlichen Formulierung zu ihrer präzisen Voll¬ 
endung bedürfen, dann erscheint dem Verfasser, um nur eines zu erwähnen, 
die möglichst präzise Klarlegung der theoretischen Kontroversen als die einzige 
Grundlage für eine über das rein Empirische hinausgehende Beantwortung 
der Frage nach dem Zustande der Intelligenz in Aphasiefällen; eine andere, 
auf theoretischer Grundlage aufgebaute Methode ihrer Lösung scheint Ver¬ 
fasser überhaupt nicht gegeben zu sein. 

Ein anderes Moment, das die Bedeutung der Lehre von der „Gesamt¬ 
vorstellung“ in das richtige Licht zu stellen geeignet ist, kann hier nur ange¬ 
merkt werden; es wird sich in dem Kapitel über das Bedeutungsproblem zeigen, 
daß jene Lehre in der Frage nach dem „Sinn“ des Gesprochenen eine wichtige 
Rolle spielt und auch aus diesem Grunde einer Erörterung zu unterziehen 
ist. Ein weiterer Gesichtspunkt, von dem aus die Bedeutung der „Gesamt¬ 
vorstellung“ in der Pathologie erhellt, ist der des einwortigen Satzes, der in 
der Sprache der Aphasischen eine so bedeutende Rolle spielt. Es läßt sich das 
nicht besser zur Anschauung bringen, als durch ein Zitat aus Degörando 
(Des Signes. An VIII. II, p. 414), der anführt, daß in der ersten Phase der 
Sprachentwicklung schon das einzelne Wort für einen „long discours“ genügte; 
„chacun croyait pouvoir exprimer par un seul signe, ce qu’il appercevait 
en un seul faisceau“. Daß der gleiche Gedankengang, wie ihn Degerando 
hier für die Sprachentwicklung der Menschheit ausführt, auch für die ent¬ 
sprechende Phase der Kindersprache zutrifft, braucht wohl nur angemerkt 
zu werden; auch das Kind drückt zunächst das, was sich ihm als Einheit 
oder als das Wichtigste in ihr darstellt, in einem einzigen Worte aus. 

Mit Bezug auf den einwortigen Satz stellt sich die Lehre von der Gesamt¬ 
vorstellung auch noch deshalb als bedeutsam heraus, weil bei ihrer Besprechung 
sich die besonderen Beziehungen derselben zu dem, was wir unter den Aus¬ 
drucksmitteln als die „Situation“, als das „Vorausgesetzte“ kennen gelernt 
haben, ergeben werden; daß sich darin das auch sonst in den Sprach Vorgängen 
nachweisbare Gesetz der Ökonomie ausprägt, indem der negative, sprachlich 
nicht zum Ausdruck gebrachte Teil der Gesamtvorstellung, das Vorausgesetzte, 
in umgekehrtem Verhältnis zu der Menge des sprachlich Ausgedrückten steht, 
sei nur nebenbei erwähnt. 

Die Lehre von der GesamtVorstellung, welch letztere ja geradezu als eine 



262 


V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 


Art Gefühl*) die Grundlage für die Mitbeteiligung der hier als musische Ele¬ 
mente der Sprache bezeichneten Erscheinungen, Modulation, Akzent usw. 
am sprachlichen Ausdrucke bildet, ist aüch insofern theoretisch für die Patho¬ 
logie von Bedeutung, als das eben Erwähnte eine weitere Stütze für die hier 
vertretene Annahme bildet, daß der Prozeß der Grammatisierung im Schläfe¬ 
lappen statthat; bei dem maßgebenden Einflüsse, den die musischen Elemente 
auf die Satzformulierung und damit auch auf die Grammatisierung haben, 
wäre es, selbst wenn wir von allen anderen Argumenten absehen, gewiß zu 
weit hergeholt, die Basis dieser Prozesse nicht in der Nähe der den musischen 
Prozessen vorstehenden, im Schläfelappen lokalisierten Zentren zu suchen. — 

Unter den Deutungen, welche im vorigen Kapitel den sich zunächst auf 
dem Gebiete des Denkens abspielenden Prozessen gegeben worden, spielt die 
Wundtsche „GesamtVorstellung“ eine so wichtige Rolle, daß ihr das erste 
Kapitel einer gesonderten Besprechung jener Prozesse gewidmet sein muß. 

Es müßte wundemehmen, daß die von Wundt allerdings zu allgemeiner 
Anerkennung gebrachte, einer ganz prägnanten psychologischen Tatsache ent¬ 
sprechende Erscheinung bis dahin der Aufmerksamkeit der Forscher so voll¬ 
ständig entgangen sein sollte, daß auch Andeutungen davon nicht schon vorher 
nachweisbar wären. Schon van Ginneken (Princ. de Psychol. linguist. 
1907, p. 282) weist auf G. v. d. Gabelentz als einen Vorläufer Wundts 
hin 2 ); H. Gomperz (Noologie. 1908, p. 255) zitiert Waitz und Sigwart 
als solche, eine historisch hierher gehörige Äußerung von Sayce (Introd. I, 
p. 377) ist an anderer Stelle hier zitiert worden und ganz in gleicher Weise 
äußert sich der Sprachforscher Byrne (Gen. Princ. 2 nd ed., p. 20 3 )). 


J ) Wundt spricht einmal direkt von einem „Totalgefühl“ des Gedankens 
und seiner Auflösung durch den Satz; wir werden sehen, daß Anhänger der Wundt- 
sehen Theorie von der Gesamtvorstellung wegen des Eingehens des Gefühlsfaktors 
in dieselbe die Bezeichnung dafür geändert haben. 

2 ) v. d. Gabelentz scheint in der Tat als der erste die Bezeichnung der 
„Gesamtvorstellung“ gebraucht zu haben; aber die Fortbildung, welche dieser 
Gedanke durch Wundt erfahren, ist zu deutlich, als daß es noch besonderer 
Erörterung bedürfte. „Nun müssen wir daran denken, daß allerdings in der Regel 
der Gedanken mit einem Schlage wie ein fertiges Bild vor uns steht. Ich sage: in 
der Regel, denn es gibt Ausnahmen, wo uns die Bestandteile des Gedankens Stück für 
Stück kommen. Jedenfalls steht der Gedanke fertig und ganz vor unserer Seele, ehe 
er in der Rede zum Ausdruck kommt; und wenn ich etwa, zögernd inne haltend, 
sage: „Sechsmal siebzehn ist . . . hundertzwei“, so hat hiir doch von Anfang an 
die Idee eines noch zu bestimmenden Produktes vorgeschwebt, und der Gedanke 
war mithin formell vollständig. In dieser ursprünglichen Ganzheit wollen wir 
ihn eine Vorstellung (Gesamt Vorstellung) nennen. Ihn in seine Bestandteile zu 
zerlegen und diese Teile zum Wiederaufbaue zu verbinden ist die Sache des rede- 
bildenden Denkens. Nur mit diesen Bestandteilen haben wir es hier zu tun: wir 
wollen sie Einzel vorstell ungen nennen im Gegensätze zu jener Gesamt Vorstellung, 
die das Denken zerlegend zu bearbeiten hatte. Wir begreifen den Unterschied 
Beider nur in diesem Sinne. Ihrem Inhalte nach kann eine Gesamtvorstellung 
ganz einfach sein, z. B. die eines Blitzes, — und eine Einzel Vorstellung kann sehr 
vielseitig sein, z. B. die eines Krieges“. (G. v. d. Gabelentz. Die Sprachwiss. 
2. A. 1901. S. 324). 

3 ) „For in order to express our conception of a fact, we must analyse it into 
parts and expressing these separately, we must put tliem together as one conjoint 
expression in a senteiiee“. 



Historische Grundlagen. 


263 


Aber die Grundlagen des so bedeutsamen Gedankens gehen noch wesent- 
lieh weiter zurück; die ersten Andeutungen einer derartigen Auflösung des 
Gegensatzes zwischen simultanem Denken und sukzessiver Darstellung in der 
Sprache finden sich schon bei Condillac (Cours d’ötude 1780. I, p. 10) 1 )). 

Wesentlich präziser stellt Deg6rando (Des Signes et de Tart de penser I. 
An VIII, p. 135) speziell den Prozeß der Analyse der Gesamtvorstellung dar, 
die bei ihm direkt als etwas Besonderes, als „pensee“ bezeichnet wird, so daß 
Verfasser nicht umhin kann, aus der ausführlichen Darstellung einige Bruch¬ 
stücke wiederzugeben, die beweisen sollen, daß alle Hauptpunkte, die von 
den Neueren hervorgehoben werden, sich auch bei Deg6rando wenigstens 
angedeutet vorfinden. 

„J’appelle la pens^e d’un homme, l’ensemble des perceptions et des 
idees qui occupent dans un meme instant l’attention de cet homme. Cette 
pens6e est toujours composee .... La pens6e est donc le resultat d’une 
double composition. Elle pourra donc etre aussi l’objet d’une double analyse. 
Decomposer la pensee, c’est donner une attention separee aux divers el6ments 
qu’elle renferme.“ 

Nachdem dann Degerando seine Vorstellung von der Analyse an einem 
speziellen Falle demonstriert, schließt er: „Ainsi son attention aura ete con- 
duite ä s’arreter tour- k -tour et separement sur chacune des trois images qui 
l’occupaient; et sa pensöe se trouvera decomposee dans son esprit, comme 
eile Test dans son discours. La necessite oü il s’est trouve de donner un signe 
particulier k chaque idee Ta contraint de la remarquer toute seule, pour en 
saisir l’analogie, pour en tracer la peinture. Voilä la d6composition de la 
pensee dans celui qui parle.“ 

Es ist gewiß nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß in dieser 
Darstellung der Kern der Lehre von der Gesamtvorstellung in aller Deutlich¬ 
keit sich wiedergegeben findet; doch gibt das Ganze noch zu einer besonderen 
Bemerkung Anlaß. Wenn Deg6rando hier, in moderner Phraseologie aus¬ 
gedrückt, den Gesamteindruck neben den der Gesamtvorstellung stellt, so ist 
das für den Pathologen deshalb von Interesse, weil Verfasser später Gelegen¬ 
heit nehmen wird, von einer von ihm beschriebenen Störung in der „Komprehen- 
sion“ von Sinneseindrücken einen Schluß auf die Möglichkeit analoger Stö¬ 
rungen der Gesamt Vorstellung und ihrer Einwirkung auf das Sprechen Aphasi- 
scher zu ziehen. Es ist vielleicht auch nicht unangebracht, hier darauf hinzu- 
w r eisen, daß Degörando vom Studium der Zeichensprache der Taubstummen 
ausgegangen war; die Richtigkeit seiner Folgerungen kann als Argument dafür 
dienen, daß auch hier häufig und in ausführlichem Maße die Taubstummen¬ 
sprache zur Aufhellung sprachpsychologischer Probleme herangezogen wird. 
Ein Anlaß zu solcher Anknüpfung an die Taubstummensprache wird sich in 

M Es wäre keine Veranlassung zu solcher historischen Kleinarbeit, wenn nicht 
ein gewisses Interesse daran läge zu sehen, wie Condillac von dieser Vorstellung aus 
eine wichtige Konsequenz in der Frage der Wortstellung gezogen hätte: „A parier 
vrai, il n’y a dans 1 ’esprit ni ordre direct ni ordre renversä, puisqu’il apper^.oit ä 
la fois toutes les id6es dont il juge“. Wir werden in dem Kapitel von der Wortfolge 
sehen, daß sich in Hinsicht dieser Frage wichtige von der Gebärdensprache der Taub¬ 
stummen und ihrem Gegensätze zur konventionellen Wortfolge hergeleitete Ge¬ 
sichtspunkte für die Aphasielehre ergeben. Vgl. dazu noch eine später zitierte 
Ansicht Condillacs. 



264 


V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 


der Darstellung der Lehre von der Wortfolge ergeben, die sichtlich mit den 
hier begonnenen Erörterungen bezüglich der Zerlegung der Gesamtvorstellung 
zum Zwecke der sprachlichen Formulierung in enger Beziehung steht. (Sieh© 
die Notiz betr. Condillac.) 

Ganz deutlich vorgebildet findet sich die „Gesamtvorstellung“ auch in 
den Äußerungen W. v. Humboldts (nach Scheinert, W. v. Humboldts 
Sprachphil. Arch. f. d. ges. Psych. XIH, p. 163 f.): „Von vomeherein ist fest¬ 
zuhalten, daß der Satz nicht eine mühevolle Zusammenknüpfung ist; sondern 
im Akte der Synthese erteilt die geistige Ansicht im Satze dem scharf und 
vollständig aufgenommenen Eindruck lautliche Gestaltung.“ „Jede noch so 
unvollständige Aussage macht für den Sprechenden zunächst wirklich einen 
geschlossenen Gedanken aus.“ „Der Mensch .... glaubt nicht, ihn aus 
einzelnen Wörtern zusammenzusetzen.“ „Die Rede bildet im Geiste des 
Sprechenden, bis sie einen Gedanken erschöpft, ein verbundenes Ganzes, in 
welchem erst die Reflexion die einzelnen Abschnitte aufsuchen muß.“ 

Den Zusammenhang der Gesamtvorstellung mit dem Gesamteindruck 
der Sinnesempfindungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für 
die Wort- oder Zeichenfolge finden wir ganz präzise vorgebildet in einer Äuße¬ 
rung Condillacs (Grammaire I. c. XXVIII. zitiert nach Egger, Nouv. 
Elem. de gram. comp. 1856, p. 203). Im Anschlüsse an den zuvor zitierten 
Passus setzt Condillac fort: „H les (les idöes) prononcerait toutes comme il 
les apper 9 oit. Voilä ce qui lui serait naturel, et c’est ainsi qu’il parle lorsqu’il 
ne connait que le langage d’action. C’est, par consequent, dans le discours 
seul que les idöes ont un ordre direct oü renverse, parce que c’est dans le 
discours seul qu’elles se succedent. Ces deux ordres sont egalement naturels. 
En effet les inversions sont usitees dans toutes les langues, autant du moins 
que la syntaxe le permet .... Si je demandais quel est l’ordre naturel dans 
lequel les objets se prösentent successivement ä la vue, lorsque la vue elle- 
meme embrasse ä la fois tout ce qui frappe les yeux, vous me diriez que je 
fais une question absurde, et si j’ajoutais qu’il faut qu’il y ait dans la vue 
un ordre direct oü renversö, vous penseriez que je döraisonne tout & fait.“ 
Die Gesamt Vorstellung leitet sich hier sichtlich ab von der Gesamtempfindung, 
in der die einzelnen gleichzeitig wirksamen Empfindungen zusammengefaßt und 
bei abwechselnd auf sie gerichteter Aufmerksamkeit wieder in Teilempfindungen 
auseinadergelegt werden köimen x ). 


x ) Noch einer Anführung möchte Verfasser hier Raum geben, weil sich in der¬ 
selben einerseits das Dogma von der Identität zwischen Denken und Sprechen 
mit all seinen üblen Konsequenzen spiegelt, andererseits die sich auf zwingende Kor¬ 
rektur dieser Ansicht zu einer ganzen modernen Auffassung hinleitet. Es ist die im 
Traitö de Logique von J. Duval-Jouve, 1855, p. 115 ausgesprochene Ansicht 
von der analytischen Natur der Sprache: „le caractöre distinctif et la puissance 
spöciale de la parole consistent vöritablement dans la propriötö qu’elle a de rendre 
avec facilitö l’analyse du fait fondamental de la pensöe“. Diese extreme Ansicht 
korrigiert Duval - Jouve dann später (1. c. p. 219) selbst „La parole est un instru- 
ment d’analyse qui les facilite toutes, mais il ne faut pas oublier qu’elle n’est qu’uu 
instrument d’analyse et non le principe de l’analyse. Elle note les rösultats de 
l’analyse et la rend dös lors plus süre et plus exacte, mais eile ne la fait pas; eile 
suppose au-dessus d’elle et antörieurement ä eile la facultö d’analyser, c’est-ä-dire 
la faculte d’abstraire, c’est-ä-dire la raison qui permet de concevoir söparö ce qui 



Historische Grundlagen. 


265 


Aber auch sonst sind die als Gesamtvorstellung bezeichneten Tatsachen 
tiefer gehenden Philologen nicht entgangen und schon der dänische Forscher 
Madwig (siehe dessen 1875 deutsch erschienene Sammlung „Kleine philologi¬ 
sche Schriften“, S. 108) hat es „als die Aufgabe des sprechenden Menschen“ 
bezeichnet, „das Totalbild, das vor seinem anschauenden Bewußtsein steht, 
in der Form, worin darin die Einzel Vorstellungen zugegen und verbunden sind, 
und so für das Bewußtsein gestellt, als er es selbst hat (z. B. als gegenwärtig 
oder vergangen), bei einem anderen hervorzurufen“. An einer anderen Stelle 
spricht er direkt von einer „TotalVorstellung“ *). Schließlich ist auch den 
Psychologen das Ganze nicht neu und St out (Analyt. Psych. II. 1896, 
p. 206) hat sich mit der ganzen Frage eingehend befaßt. 

Verfasser würde aber glauben, die Reihe der zu würdigenden Vorgänger 
Wundts nicht erschöpft zu haben, wenn er nicht die von W. James aus¬ 
gegrabenen und unter dem Motto „Ehre dem, der Ehre verdient“, abgedruckten 
Ansichten eines älteren, im übrigen unbekannten Psychologen, des Rev. 
Jas. Wills (On Accidental Association, in Transact. of the R. Irish Academy. 
Vol. XXI. 1846, p. I) in ihren Hauptpunkten hier anführen würde 2 ). 

Wenn Verfasser hier, wie an anderen Stellen dieser Studien, die ein¬ 
schlägigen Fragen historisch gelegentlich über das hinaus verfolgt hat, was 
selbst in ausführlichen Darstellungen sonst darüber sich findet, so leitet ihn 
bei dieser nicht mühelosen Arbeit nicht bloß, wie man vielleicht bei ober¬ 
flächlicher Betrachtung glauben könnte, die übrigens berechtigte Freude an 
dem Historischen selbst; vielmehr wird es für Jeden, der sich in die Dar¬ 
stellung vertieft, offenbar sein, daß, wie gelegentlich auch gezeigt, aus den 

est uni, et uni ce qui est s6par6. Sans cette facultd la parole n’existe plus“. Hier 
tritt uns sichtlich das vorgebildet entgegen, was wir als gedankliche Konstruktion 
von der sprachlichen abzutrennen versucht haben. 

*) Mit Interesse wird man auch eine Äußerung des Linguisten R. de la Gras- 
serie aus dem Jahre 1889 lesen: „La pens6e inarticul6e non seulement est ant6- 
rieure ä la pens6e articulöe mais eile Test m6me ä l’id6e isol6e. Mais qu’entendons 
nous par la pens6e inarticul6et C’est la pens6e qui sort du cerveau humain 
d’un seul jet et forme une seule masse indivisible; c’est une proposition qui ne 
contient distinctement ni sujet, ni verbe, ni attribut, non pas qu’ils se soient con- 
fondus les uns dans les autres, mais parce qu’il ne se sont pas encore diff6renci6s. 
C’est la cellule primordiale non segment6e. II est inexact de dire que l’homme a 
d’abord con$u l’idäe, puis en a räuni plusieurs pour former une affirmation, une 
pens6e. Ce n’est pas l’id^e, le mot isol6, mais la pens6e, la proposition qui est l’unit6 
naturelle; les langues polysynth6tdques qui sont les plus anciennes le prouvent 
exp4rimentalement“. (De la Psychol. du lang. 1889, p. 19.) Vgl. dazu noch die Be¬ 
merkung von J. St. Mill (Logic, bk. I. ch. V, p. 1). When I say that fire causes 
heat, do I mean that my idea of fire causes my idea of heat“ ! 

2 ) „At every instant of conscious thought there is a certain sum of perceptions, 
or reflecti'ons, or both together, present andtogether constituting one whole 
state ofapprehension. Of this some definite portion may be far more distinct 
than all the rest; and the rest be proportionably vague, even to the limit of oblitera- 
tion .... To any portion of the entire scope here described there may be a special 

direction of the attention-However deeply we may suppose the attention 

to be engaged by any thought, any considerable alteration of the surrounding 
phenomena would still be perceived . . . . Our mental States have always an 
essential unity, such that each state of apprehension, however variously 
compounded, is a single whole, of which every componentis therefore, 
strictly apprehended (so far as it is apprehended) as a part.“ 



266 


V. Die ,, Gesamt Vorstellung“ (Wundt). 


Ausführungen an sich schon mancher Gewinn selbst für weiter abliegende 
Tatsachen und Deutungen unmittelbar sich schöpfen läßt. Die nahen Be¬ 
ziehungen, die speziell das hier Angeführte, abgesehen von der Lehre von 
der Wortfolge zu der auch für Aphasiefragen wichtigen Lehre von der Auf¬ 
merksamkeitsverteilung und ihren Störungen hat, leuchtet w’ohl ohne weiteres 
ein; damit hängen auch die schon zuvor angedeuteten Beziehungen zu dem 
zusammen, was Verfasser als Störungen der „Komprehension“ beschrieben hat. 

In der Darstellung von dem Vorgänge der Satzbüdung, die Wundt *) 
(Die Sprache. II. 1904, S. 239 f.) entwickelt, kommt nicht Weniges der schon 
von Dg^rando und Duval-Jouve angedeuteten Vorstellungen über diesen 
Prozeß zum Vorschein. Die Entstehung der Gesamt Vorstellung erklärt Wundt 
aus ,,jenen nie rastenden simultanen und sukzessiven Assoziationsprozessen . . . 
ohne die es überhaupt keine Büdung von Vorstellungen gibt“. ,,Eine Ge¬ 
samt Vorstellung ist, ehe der Prozeß ihrer Gliederung eintrat, und vor allem 
so lange es sich, wie das für die einfachsten Sprachäußerungen stets vorauszu¬ 
sehen ist, lediglich um sinnliche Wahrnehmungsvorstellungen handelt, nichts 
anderes als eine zusammengesetzte Einzel Vorstellung; ihr Inhalt ist ein ein¬ 
zelner Gegenstand oder Vorgang, der aus Teilen besteht.“ 

Bezüglich der „psychischen Motive“ für jenen eigentümlichen Teilungs¬ 
prozeß dieser Gesamt Vorstellung, der nicht bloß Sonderung, sondern zugleich 
Beziehung und Verbindung des Gesonderten, also Gliederung ist, äußert sich 
Wundt folgendermaßen (1. c. S. 251): ,,Die Vorstellung, mit deren Apper¬ 
zeption als der eines einheitlichen Gegenstandes der Prozeß ihrer Büdung ab¬ 
schloß, wird selbst erst in dem Moment zur Gesamt Vorstellung, w r o der hier 
folgende analytische Prozeß beginnt.“ 

Einen sehr interessanten, der Individual-Psychologie entnommenen Ge¬ 
sichtspunkt hat van Ginneken (Princ. de Linguist, psychol. 1907, p. 282fg.) zur 
Genese und Kritik der Wundt sehen Gesamtvorsteüung herangezogen. Er 
stellt der ,,entirely definite intention to-say-so-and-so“ von James den „un¬ 
gefähren Eindruck“ Wundts gegenüber, „der nur in seinen Hauptumrissen 
einigermaßen fester geformt zu sein pflegt“ und findet die Grundlage dafür 
in der individuellen Differenz der beiden Gelehrten. Wundt, der Deutsche, 
„analysiert seinen eigenen Geisteszustand, ehe er seine deutschen Perioden 
mit ihrem kapriziösen Gange spricht oder schreibt“; James entnimmt der 
eigenen Selbstbeobachtung „die kurzen geflügelten Sätze, die er schriftlich 
oder mündlich hinwirft und in denen sich die starke Individualität des ameri¬ 
kanischen Geistes ausprägt“. 

*) „Das Ganze des Satzes steht zunächst in allen einzelnen Teilen, wenn auch 
noch relativ dunkel bewußt, als eine Gesamtvorstellung vor uns, und diese Gesamt¬ 
vorstellung gliedert sich in ihre Teile, indem einer dieser Teile nach dem anderen 
apperzipiert wird. Dieser analytische Vorgang besteht jedoch, ganz im Sinne der 
Bedeutung, die wir auch im wissenschaftlichen Gebrauch dem Begriff der Analyse 
geben, zugleich darin, daß die einzelnen Teile in dem Augenblick, so wie sie sich 
aus dem Ganzen loslösen, zu einander in bestimmte Beziehungen gesetzt werden, 
so daß sie näher und qualitativ anderer Weise als die übrigen aneinander gebunden 
erscheinen. Eben Aveil bei der Zerlegung der Gesamtvorstellung immer solche Be¬ 
ziehungen der Teile zu einander hervortreten, nennen wir diese analytischen Prozesse 
mit einem der organischen Natur entnommenen Ausdruck Gliederung, nicht einfach 
Teilung“ (1. c. 8. 242). 



Go m pe rz’ „Totalimpression“. 


267 


Die methodische Bedeutung dieser geistvollen Gegenüberstellung erhellt 
ohne weiteres, wenn wir sie neben die Ausführungen über die etappenweise 
Formulierung des Gedankens stellen, wie wir sie auf dem Wege vom Denken 
zum Sprechen kennen gelernt hatten, wie ja nach van Ginnekens eigener 
Äußerung auch seine Wertung vom Standpunkte der Linguistik ausgeht. Wenn 
van Ginneken hier die Differenz der Anschauungen zwischen Wundt und 
James in letzter Linie in ethnologischen Faktoren, in dem Gegensätze zwischen 
den „periodes d^finies“ des Deutschen und den ,,petites phrases toutes simples“ 
des Amerikaners finden will, so glauben wir, daß sich dieser Gegensatz doch 
noch auf andere Weise lösen läßt. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß 
beide, die langen Perioden des Einen und die knappen Sätze des Anderen sich 
doch zunächst ganz in der gleichen Weise entwickeln, und daß die Differenz 
zwischen den beiden und den davon hergenommenen Deutungen darin be¬ 
gründet sein möchte, daß jeder der genannten Autoren eine andere Station 
des Weges, auf dem sich die Sätze entwickelt haben, als den Ausgangspunkt 
für das Lautwerden der sprachlichen Formulierung ins Auge gefaßt hat. Einer¬ 
seits läßt sich den Ausführungen von James doch entnehmen, daß auch er 
für seine Formulierung der Gedanken ein früheres, intuitives, dem gefühls¬ 
mäßigen von Wundt entsprechendes Stadium annimmt; andererseits folgen 
ja auch bei James weitere Stadien präziserer Formulierung; und schließlich 
bilden die neueren hier mitgeteilten Feststellungen bezüglich des Weges vom 
Denken zum Sprechen eine Art Vermittlung zwischen den von van Ginneken 
einander schroff gegenübergestellten Ansichten; je nach dem Stadium, in dem 
der Ausdruck des formulierten Satzes erfolgt, wird die Formulierung sich als 
eine verschiedene darstellen. Natürlich soll damit für den speziellen Fall das 
ethnologische und individualpsychologische Moment als mit wirkend nicht ge¬ 
leugnet werden, aber es wäre vielleicht verfrüht, ähnlich wie das in der Ge¬ 
schichte der Wissenschaften und insbesondere der Psychologie nachweisbar 
ist, solche Tatsachen zu verallgemeinern. — 

In mancher Richtung hin umfassender und deshalb auch für unsere Zwecke 
besser verwendbar als die Wundt sehe Bezeichnung ist der von H. Gomperz 
^Weltanschauungslehre I, II, 1) für das Gleiche gewählte Name der „Total¬ 
impression“, vor allem deshalb, weil seine in der Sinnespsychologie liegende 
Wurzel x ) schon an sich uns näher steht als irgendwelche Urteüstheorie, von 
der Wundt ausgeht; der Name sagt auch nichts Spezifisches über den Inhalt 
aus, charakterisiert diesen vielmehr nur ganz allgemein und läßt dadurch auch 
Raum für den so wichtigen, bisher nicht beachteten, affektuösen Anteü offen. 
Gomperz (Weltanschauungslehre I. Methodenlehre 1905, S. 117) bezeichnet, 
als „Totalimpression“ (auch „Gesamteindrucksgefühl“) den „Inbegriff aller 
jener Bewußtseinstatsachen (resp. jener Seiten von Bewußtseinstatsachen), 
durch die unsere Reaktion auf das Ding in unser Bewußtsein fällt.“ In der 
Erklärung legt Gomperz vor allem Gewicht darauf, daß „die Totalimpression 
den Qualitäten vorangeht, um sich erst nachträglich in solche zu besondern“. 
Eine solche Totalimpression bzw. einen Komplex solcher stellt nun auch der 
„Einfall“, die Aussage mit undeterminierter Sprachform als erste Etappe auf 
dem Wege vom Denken zum Sprechen dar. Wir verfehlen nicht, für die Wer- 

*) Vgl. zu diesem Gesichtspunkte die zuvor aufgeführten älteren Anschau¬ 


ungen. 



268 


V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 


tung der Gomperzsehen Ausführungen noch das anzuführen, daß die von 
ihm betonte „Reaktion auf das Ding“ sehr gut mit der nach Stern hier 
akzeptierten Satzdefinition im Einklang steht, in der die „Stellungnahme“, 
doch ebenfalls eine Reaktion, einen Fortschritt gegenüber früheren Satz¬ 
definitionen bildet, ebenso daß in der „Reaktion auf das Ding“ auch die 
hier festgehaltene Ansicht von der Bedeutung der Sprache als Orientierungs¬ 
mittel in der Umwelt hervortritt. Es fügt sich damit jener Gesichtspunkt 
auch wieder in den Rahmen einer Funktionspsychologie, wie sie hier als Grund¬ 
lage gewählt worden ist. 

Wenn Go mperz weiter noch besonders betont, daß die Einzelheiten 
der Totalimpression in der Gesamtheit „eingebettet“ sind, so kommt diese 
Vorstellung recht gut unseren Ausführungen darüber entgegen, wie man sich 
die Bedeutung des Ganzen für den Sinn des Einzelnen zu denken hat. 

Die Notwendigkeit der Einbeziehung der Gefühle, wie sie H. Gomperz 
in seiner Totalimpression ermöglicht, war der Grund, daß auch ein Anhänger 
Wundts, O. Dittrich (Philos. Studien. Herausgeg. von Wundt. XIX, S. 121) 
die Bezeichnung „GesamtVorstellung“ durch „Tatbestand“ ersetzt, „um damit 
zum Ausdruck zu bringen, daß dieser die Grundlage der Satzbedeutung bildende 
Prozeß auch Gefühle als vorherrschenden Bestandteü enthalten kann, wie dies 
ja auch von Wundt durch die Statuierung von Gefühlssätzen (Völkerpsychol. II, 
S. 250 ff.) anerkannt wird.“ 

Diese Feststellung leuchtet in ihrer Bedeutung für die Pathologie als¬ 
bald ein, wenn wir die beim Aphasischen teils durch seine Gehimkrankheit, 
teils durch seine Reaktion auf dieselbe bedingte Präponderanz des Affektlebens 
in Betracht ziehen; sie wird sich bei ihm auch sprachlich darin ausprägen, 
daß insbesondere die in der Gesamtvorstellung (oder im Tatbestand) vorhan¬ 
denen Gefühlsmomente als die seiner gestörten Sprechfähigkeit am zugäng¬ 
lichsten auch insofern stärker hervortreten, als sie einem breiteren Ersatz für 
das durch die Sprache nicht Ermöglichte dienen. 

Etwas eingehender ist hier auch zu würdigen die Darstellung, die der 
Philologe Morris (Princ. and Meth. in latin Syntax. 1902, p. 36 ff.) von der 
ausgesprochenermaßen von Wundt übernommenen Lehre von der Gesamt¬ 
vorstellung gibt. Die dem Linguisten naheliegende Nutzanwendung der ganzen 
Lehre auf die verschiedenen Formen sprachlicher Mitteüung führt ihn zu 
Folgerungen, die auch für die Pathologie von Bedeutung sein müssen, weil 
ja auch sie mit den Störungen des lebendigen Sprechens zu tun hat. Man wird 
sich auch mit der von Morris gewühlten Bezeichnung des „germ-concept“ 
(Keim Vorstellung) für die Gesamt Vorstellung wohl befreunden können, weil 
sie den auch hier festgehaltenen genetischen Standpunkt recht gut zum Aus¬ 
druck bringt. 

Für den Gang der Zerlegung des „general subject, which lies in the mind 
in vague and general form“ schließt sich Morris im Wesentlichen an Wundt 
an, doch fügt er gleich hinzu, daß im gewöhnlichen Sprechen diese Ordnung 
vielfach durchbrochen wird; insbesondere sei das dann der Fall, wenn der 
Gegenstand keiner besonderen Analyse bedarf, wie z. B. die Erzählung von 
Vorfällen, die durch die Reihenfolge ihres Geschehens schon in Zusammen¬ 
hang gebracht sind. Man hat sich begreiflicherweise mit solchen scheinbar 
der Diktion zufallenden Fragen in der Pathologie gar nicht befaßt, aber es 



Verhältnis zur sprachlichen Formulierung. 


269 


ist einleuchtend, daß ihre Berücksichtigung bei der Analyse aphasischer Stö¬ 
rungen nicht ohne Gewinn sein wird. 

Sehr belehrend ist auch der von Morris (1. c. p. 38 f.) geführte Nach¬ 
weis für das tatsächliche Vorhandensein eines „germ-concept“ nach der Rich¬ 
tung hin, daß die Form der sprachlichen Äußerungen, auf denen dieser Nach¬ 
weis basiert, uns durch den Vergleich mit ähnlich gestalteten sprachlichen 
Äußerungen in pathologischen Fällen Anhaltspunkte dafür bietet, daß auch 
sie in verschiedenen Etappen auf dem Wege vom Denken zum Sprechen zu¬ 
stande gekommen sein mochten. 

Die der Wirklichkeit abgelauschte und mit feinem Empfinden wieder¬ 
gegebene Darstellung, die Morris davon gibt, läßt sich etwa wie nachstehend 
zusammenfassen: Wir entdecken in den Äußerungen eines Interlocutors eine 
irrtümlich gefaßte Stelle oder einen Fehlschluß; im ersten Augenblick ist 
das vollständig vage, kaum daß ihm die sprachliche Äußerung „falsch!“ ent¬ 
sprechen würde; dann können wir uns der Richtigstellung oder des Gegen¬ 
argumentes in gleich vager Weise als eines unanalysierten Ganzen bewußt 
werden; eine impulsive Persönlichkeit könnte, während ihr Gedanke noch 
ganz imanalysiert ist, losbrechen, würde sich aber, obwohl dessen bewußt, 
was sie zu sagen wünscht, doch unfähig erweisen, etwas zu sagen. In diesem 
Momente könnte man im Geiste eine Art von Gedankenwirbel oder einen geistigen 
Schwindel vorfinden; dann erst klärt sich der Gedanke und findet seinen Aus¬ 
druck in Worten. Da kann es dann, wenn die Unterbrechung untunlich, Vor¬ 
kommen, daß der „germ-concept“ wieder verschwindet, wir pflegen dann zu 
sagen, wir haben vergessen, was wir sagen wollten. 

Ebenso läßt sich der Keim einer Frage oft noch vor jeder Analyse als 
ein bloßes Verlangen nach Aufklärung nachweisen; auf die Frage, was dem 
Prozeß der Analyse ein Ende setzt, ist zu erwidern, daß das Sprechen in jedem 
Momente des analysierenden Prozesses einsetzen könne; das Verbot wird aus- 
gedrückt durch ein „nicht!“, die Frage durch ein „was“? oder „wer?“; die 
Geschichte kann eingeleitet werden durch ein „das erinnert mich“, wie ja 
Fragen, die Versuche sprachlichen Ausdruckes darstellen, noch ehe die Ana¬ 
lysen beendet sind, im gewöhnlichen Sprechen nur allzuhäufig sind; eine 
ganze Rede kann unvollständig zunächst in einem Satze zum Ausdruck 
kommen. 

Auf zwei wichtige Gesichtspunkte, die sich aus der hier nach Morris durch¬ 
geführten Analyse der in verschiedenen Stationen des Weges vom Denken 
zum Sprechen erfolgenden sprachlichen Formulierung ergeben, muß das Augen¬ 
merk gelenkt werden. Zunächst auf wesentliche Analogien, die die hier von 
einem Linguisten gegebene Darstellung der etappenw^eisen Formulierung mit 
derjenigen hat, die wir im Kapitel vom Wege vom Denken zum Sprechen 
nach dem Psychologen Pillsbury davon gegeben x ). Noch bedeutsamer aber 
erscheint uns die Analogie zwischen der Darstellung von Morris und der}in 
dem erwähnten Kapitel den Erfahrungen der Würzburger Schule entnommenen 
Reihenfolge der Bewmßtseinsgrade bzw\ der diese charakterisierenden Er¬ 
scheinungen; und wenn wir dort auf wichtige Analogien einzelner dieser Er¬ 
scheinungen mit dem hin wiesen, was wir in der Pathologie als dreamy states 

*) Das gilt auch von den ebendort berichteten, der Selbstbeobachtung Dodges 
entstammenden Tatsachen. 




270 


V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 


kennen, so bedarf es wohl nur der Erneuerung dieses Hinweises, um das Zu¬ 
sammenfallen dieser Erscheinungen auch mit gewissen Partien in der von 
Morris gegebenen Darstellung bemerkbar zu machen. 

Bedeutsam ist für unser Thema auch, daß Morris als das Gewöhnliche 
die Durchführung des analysierenden Prozesses der Gesamtvorstellung an¬ 
nimmt und aus Störungen desselben auch Störungen der Satzstruktur dedu¬ 
ziert *); es ist klar, daß die im vorigen Kapitel gemachte Supposition von der 
pathologischen Bedeutung dieses Momentes durch die Ansicht von Morris 
wesentlich gestützt wird. 

Nur eines Gesichtspunktes sei noch zum Verständnis für die psychologi¬ 
schen Grundlagen der „GesamtVorstellung“ gedacht. Am naheliegendsten 
war es natürlich — man hat ja zur Analogie immer wieder auf Tatsachen bei 
der Beobachtung von Büdem hingewiesen 1 2 ) — den Gedanken einer Zer¬ 
legung der Gesamtvorstellung an der Entwicklung der Büderschrift aus der 
Schriftmalerei nachzuweisen. So finden wir schon bei Fr. Müller (Einleitung 
in die Sprachwissenschaft. 1876, S. 152) dargestellt, wie sich diese Entwick¬ 
lung in der Weise vollzieht, daß die Büderschrift „die verschiedenen Teüe der 
der Darstellung zugrunde liegenden Vorstellungsmassen, welche in der Malerei 
zu einer Einheit zusammengehalten werden, einen nach dem anderen aus¬ 
führt“; noch an einer anderen Stelle (1. c. S. 153) führt derselbe aus, „daß 
die Büderschrift nicht den Gedanken in seiner Ganzheit, also nicht ganze Sätze, 
sondern die einzelnen Bestand teüe des Gedankens, also einzelne Worte zur 
Darsteüung bringt“ (wozu wir hinzusetzen: ganz in Analogie mit der Sprache, 
die ja auch für ganze Sätze kein Darsteüungsmittel besitzt und deshalb zur 
Zerlegung in einzelne Worte gezwungen ist). 

Noch schärfer hat Jespersen (Progr. in Lang. p. 360) das gefaßt; er 
zeigt an dem Gleichgang zwischen Entwicklung der Schrift und dem der Sprache 
bei der ersteren den Übergang von der Büderschrift (picture-writing) zur 
ideographischen Schrift — „a progressive tendency towards analysing into 
smaUer and smaüer units that which in the earlier ages was taken as an 
inseparable whole“, und setzt dann fort: „In primitive picture-writing 
each sign meant a whole sentence or even more — the image of a Situa¬ 
tion or of an incident being given as a whole“. 

Die Möglichkeit einer Nutzanwendung des eben Dargesteüten für Fragen 
der Pathologie wird nahe gelegt durch Mitteüungen Saint Pauls über die 


1 ) „But ordinariby the process will go on untü the analysis is complete enough 
to exhibit all that, to our thinking, was involved in the original germ. The aim and 
end are the same, the satisfaction of the desire to express in its details the concept 
which was originalby in mind. The process which I have been attempting to des- 
cribe precedes speech. In its outline and in most of its details it must be completed 
before the words which are to suggest it to the hearer, begin to be uttered. The 
effect of hurrying forward the word before the analysis is fairly complete is to make 
the sentence confused in its ending; this is one of the most frequent causes of con- 
fused and inaccurate sentence-structure“. Daß die hier hervorgehobenen zeitlichen 
Momente und die davon abgeleiteten Störungen des Ausdrucks mit Ausführungen 
im vorigen Kapitel zusammenfaüen, braucht wohl nur angemerkt zu werden. 

2 ) B os anquet (Essentials of Logic 1895, p. 81) spricht direkt von einem „pic- 
ture-thinking“ wie ja auch Gompcrz’ Totalimpression von dem einheitlichen Sinnes- 
eindruck hergenommen ist. 



Gesamtvorstellung beim H^örer. 


271 


„innere Sprache“ bei den „visuels“ *). Es lassen sich diese Tatsachen sicht¬ 
lich mit zuvor erwähnten Anschauungen in Beziehung setzen, die dahin gingen, 
daß die sprachliche Formulierung sich verschieden gestalten wird, je nachdem 
es sich um Erzählung von Begebenheiten oder Anderes handelt. 

Die Berechtigung zur Annahme einer „Gesamtvorstellung“ als Aus¬ 
gangspunkt für den Sprecher, die ja, wie in der Darstellung angedeutet, ihre 
Wurzeln in der gleichen Erscheinung in allen perzeptiven Vorgängen hat, findet 
auch dadurch noch eine gewisse Stütze, daß dementsprechend etwas durch¬ 
aus Ähnliches auf Seiten des Hörers Platz greift. Um das darzulegen, wollen 
wir kurz dabei verweilen, wie etwa das Satzsinnverständnis zustande kommt* 

H. Paul (Prinz, der Sprach. I. 1909, S. 122) hat als Argument gegen 
die Kritik, die Wundt seiner Definition des Satzes als einer Verbindung 
von Vorstellungen gegeben, eingewendet, daß Wundt in der seinen den Stand¬ 
punkt des Hörenden nicht berücksichtigt und deshalb eine diesem zu ent¬ 
nehmende Tatsache übersieht. Wenn Paul aber dann zur Rechtfertigung 
seiner Definition ausführt, daß im Hörenden durch die Worte zuerst Einzel¬ 
vorstellungen hervorgerufen und durch die Verknüpfung der einzelnen Wörter 
die Veranlassung gegeben ist, die EinzelVorstellungen in Beziehung zueinander 
zu setzen, so übersieht Paul unserem Ermessen nach zwei wichtige Gesichts¬ 
punkte, die wir bei Marty und W. James angedeutet finden; die sind inso¬ 
fern auch für unser Thema von Bedeutung, als sie zeigen, daß auch im Hörer 
eine Art Gesamtvorstellung, sowohl eine inhaltliche wie eine besonders be¬ 
deutsame formelle auch schon zu einer Zeit erzeugt wird, wo die Rede erst im 
Zuge ist. 

Marty (Unters. I. 1908, S. 145) stellt sehr richtig dar: „wenn auch 
das einzelne Wort nicht Alles zu sagen vermag, was durch die ganze Wort¬ 
folge gemeint ist, so erwecken doch auch schon diese aufeinanderfolgenden 
Teüe des Satzes gewisse Vorstellungen und Erwartungen in bezug auf das, 
was durch das Ganze gemeint ist“ und „daß auch durch diese vorläufigen 
Vorstellungen . . . . das Verständnis irgendwie vorbereitet und vermittelt 
wird 2 ). James andererseits hat etwas Ähnliches bezüglich der Form der 
aufeinanderfolgenden Worte und indirekt damit auch bezüglich des Sinnes in 

*) „On rösumerait ainsi qu’il suit un grand nombre d’observations ömanant de 
sujets de cette catögorie“. „Nous pensons les images, nos pensöes se projettent 
devant nous en tableaux; nous n’employons le mot que contraints de le faire; nous 
raisonnons sur des peintures et non avec des mots et des phrases; notre travail 
mental d’idöation n’emploie ni la conjonction, ni le verbe, ni d’une fa$on gönörale 
un terme abstrait“ (Lang. int. 1904, p. 70). Dem letzten Passus dieser Darstellung 
Saint - Pauls, der nicht mit dem im Texte Erörterten in Zusammenhang steht, 
ist wegen seiner Bedeutsamkeit gerade für die Lehre vom Agrammatismus eine 
Bemerkung hier zu widmen. Man hat in der letzten Zeit der von Saint-Paul 
mit so viel Eifer vertretenen Lehre von den verschiedenen Sprachtypen jede Be¬ 
deutung in der Aphasielehre absprechen wollen. Sollte der letztzitierte Passus 
Saint - Pauls nicht doch die Möglichkeit eröffnen, daß ein solcher „visuel“ leichter 
und in anderer Form agrammatisch wird als ein anders gearteter Kranker ? es wäre 
nach Ansicht des Verfassers verfrüht, solche Fragen einfach dogmatisch entschei¬ 
den zu wollen. 

2 ) Daß in der Darstellung des zu Erwartenden die musischen Elemente eine 
außerordentlich wichtige Rolle spielen, ist ebenso deutlich wie der Umstand, daß der 
ihnen dabei zukommende Anteil, wenn auch unausgesprochen, in den Ausführungen 
Martys gefunden werden kann. 



272 


V. Die .jGesamtvorstellung“ (Wundt). 


der Weise ausgedrückt (Princ. I, p. 254) „If we read (natürlich gilt das auch 
vom Hören in der gleichen Weise) „no more“ we expect presently to come upon 
a „than“; if we read „however“ at the outset of a sentence it is a „yet“ 
a „still“ or a „nevertheless“ that we expect. A noun in a certain position 
demands a verb in a certain mood and number . . .“ und später spricht er 
direkt von dem „foreboding of the coming grammatical Schema“. 

Das Konstruieren einer Art Gesamt Vorstellung aus dem sukzessiv Ge¬ 
hörten durch den Hörer ist übrigens auch den Sprachforschern nicht entgangen. 
So hören wir bei v. d. Gabelentz (Zur chinesischen Sprache. Internat. Zeit- 
8chr. f. allg. Sprachwiss. III, S. 104), demjenigen, der ja die Bezeichnung 
„Gesamtvorstellung“ geprägt, den Vorgang folgendermaßen geschüdert: „Im 
Bewußtsein des Redners und des Zuhörers hat sich alles bisher Gesprochene 
und Vernommene zu einer Einheit zusammengeballt, die immer reicher an 
Merkmalen (Prädikaten) wurde, denen nun ein neues Prädikat zugeführt wird; 
dieses wird nun ein neuer Bestandteil der „GesamtVorstellung“. 

Es kann das übrigens auch nicht überraschen, wenn wir auf die zuvor 
erwähnten, Wills entnommenen Ausführungen von der Tendenz zur Verein¬ 
heitlichung der psychischen Zustände rekurrieren, die auch noch dadurch zu 
ergänzen sind, daß die Psyche alles ihr Dargebotene möglichst zu einem sinn¬ 
vollen Ganzen zu gestalten versucht*). 

Einen interessanten und mit dem hier Gegebenen unschwer in Einklang 
zu bringenden Beitrag zu der von ihm so formulierten Frage: „Wie baut sich 
der zu verstehende Gedanke aus den Wortbedeutungen auf?“ gibt Bühler 
(Arch. f. d. ges. Psychol. XII, S. 18) aus den Protokollen seiner schon öfter 
zitierten Versuche. Er weist aus denselben nach, daß man manchmal von einer 
verschiedenen Tiefe des Verständnisses sprechen könne und daß dem tieferen 
Verständnis ein oberflächlicheres, ein Erfassen des Satzes seinem Wortsinn nach 
vorausgeht und das konstituiert das vorläufige Ganze. Derselben Arbeit 
entnehmen wir auch (1. c. S. 83) eine Bestätigung der Martysehen Ausfüh¬ 
rungen durch das psychologische Experiment, dessen Resultate Bühler selbst 
in die Worte zusammenfaßt: „Auch beim aufmerksamen Aufnehmen von 
Gedankengängen, beim Anhören einer Rede oder beim Lesen, konstruieren 
wir ja fast stets voraus, was uns wohl wird geboten werden“ 2 ). Und so gibt 
er auch einen Beleg für das zuvor nach James Zitierte: „Die Vp. geben häufig 
an, sie hätten den allgemeinen oder unbestimmten Gedanken zu formen ver¬ 
sucht. Erst Bekanntheitsqualität, dann das Bewußtsein einer Form, das heißt 
von etwas Bestimmteren, an dem sich das Übrige dann heraufholen kann. 
Diese Form nun muß, wie ich (sc. B.) glauben möchte, häufig als ein Produk¬ 
tionsergebnis angesprochen werden.“ — 


*) Bawden (Psychol. Rewiew 1901, p. 539). „The mind tends to throw 
the material presented, to it no matter how inclioate, into some form which will 
carry a meaning“. 

2 ) Die engen Beziehungen zwischen diesen Feststellungen und dem, was in 
einem früheren Kapitel über das „Vorausgesetzte“, die Situation, gesagt worden, 
ist zu deutlich, als daß darüber noch etwas zu sagen wäre. Dementsprechend dient 
es auch zur bestätigenden Ergänzung dessen, was ebendort von der Beurteilung der 
Intelligenz des Sensorisch-Aphasischen im Gegensätze zu der des Mo torisch-Apha- 
sischen ausgeführt worden ist. 



Ein wände gegen Wundts Lehre. 


273 


Wie immer man auch über die Darstellung, die Wundt der Gesamtvor¬ 
stellung gegeben, denken mag, man wird die tiefen in unserem ganzen psychi¬ 
schen Leben wurzelnden Grundlagen dieser Lehre nicht übersehen dürfen, 
die offenbar auch die Ursache sind, daß so viele sich mit dieser Frage beschäf¬ 
tigende Forscher im Wesen die gleiche Auffassung von den betreffenden Vor¬ 
gängen sich gebildet haben. Verfasser fühlt sich weder berufen, noch auch 
an dieser Stelle berechtigt, auf diese psychologischen Grundlagen einzugehen; 
halten wir aber die in der Bezeichnung der Gesamtvorstellung (oder in den 
ihr äquivalenten anderen Namen) ausgedrückte Auffassung vom Übergang 
des Denkens zum Sprechen an jene Erfahrungen, die im vorigen Kapitel zum 
Teü der neuen Denkpsychologie entnommen werden konnten, so tritt uns in 
jener nur zu deutlich das „System“ der älteren Psychologie entgegen, das von 
der Fülle der Tatsachen gesprengt wird. 

So teilt Dürr (Zeitschr. f. Psychol. 49, S. 339) den Standpunkt, daß die 
Wundt sehe Lehre von der Gesamt Vorstellung, die sich als eine Theorie vom 
Denken darstellt, nur eine bestimmte Art des VorstellungsVerlaufes richtig 
charakterisiert, „die auf niederen, des abstrakten Denkens vielleicht ganz 
entbehrenden Entwicklungsstufen dasjenige vollkommen ersetzt, w r as auf einer 
höheren Stufe vor Allem das abstrakte Denken leistet“; er erklärt sie für un¬ 
befriedigend, „w r eil sie gerade dem Wesen des abstrakten Denkens nicht ge¬ 
recht wird“. 

Auch Bühler (Arch. f. die ges. Psych. IX, S. 345) anerkennt Wundts 
Lehre von der Gesamtvorstellung als eine der Formen der gedanklichen Grund¬ 
lagen der Satzbildung, hält jedoch eine Generalisierung derselben, wie sie Wundt 
beabsichtigt, für sachlich nicht gerechtfertigt*). Es steht dem Verfasser nicht 
zu, in eine Erörterung anderer Möglichkeiten einzutreten, aber es ist schon 
zuvor gesagt werden, daß in Fällen der Erzählung einer Beobachtung, Er¬ 
innerung eines Erlebnisses die Sache doch anders liegen möchte; man darf 
vermuten, daß in solchen Fällen mit den einzelnen Teilen (des Erlebnisses 
z. B.) auch schon deren Beziehungen gegeben sind, und zwar schon zu einer 
Zeit, in der die Bezeichnung der Teil Vorstellungen vielleicht erst gesucht wird. 

Damit steht Folgendes in Beziehung. H. Paul (Prinz, der Sprach¬ 
geschichte. 1909, S. 121 f.) zeigt aus Anlaß der Verteidigung seiner Satz¬ 
definition gegen Wundts Lehre von der Gesamt Vorstellung, daß diese schon 
den verschiedenen Satzarten gegenüber versagt. „Es ist aber auch nicht 
wahr, daß der Bildung eines jeden Satzes die Zerlegung eines im Bew r ußtsem 
vorhandenen Ganzen vorangegangen sein müsse. Wundt scheint bei seiner 
Definition allgemeine Sätze im Auge gehabt zu haben, wde sie als Beispiel 
in der Logik gebraucht werden (er selbst führt an, „das Gras ist grün“), aber 
im wirklichen Leben keine Rolle spielen. Bei den meisten sonstigen Sätzen 
verhält es sich anders. Nehmen wär zunächst Sätze, die eine sinnliche Wahr¬ 
nehmung aussprechen. Wenn Jemand sagt, „Karl lacht“, so kann es sein, 
daß seine Augen erst auf den Betreffenden gefallen sind, als er sich schon 

*) Wundt verwahrt sich gegen eine solche Deutung und verweist (Arch. f. 
d. ges. Psych. XI, 1908, S. 459) darauf, daß er gerade bei den prädikativen Sätzen 
auf den vielfach stattfindenden Übergang geschlossener in offene Satzverbindungen 
und das hierin sich spiegelnde Ineinandergreifen apperzeptiver und assoziativer 
Gedankenprozesse hingewiesen habe. 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


18 



274 


V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 


im Zustande des Lachens befand, und dann träfe Wundts Auffassung zu. 
Es kann aber auch sein, daß seine Aufmerksamkeit schon vorher auf den Karl 
gerichtet war und er nun eine mit demselben vorgehende Veränderung gewahr 
geworden ist; dann ist Wundts Auffassung nicht anwendbar. Einleuchtender 
noch ist folgendes Beispiel: Jemand weiß, daß sich in der Nähe ein Löwe be¬ 
findet, den er aber im Augenblick nicht sieht, und an den er auch nicht denkt; 
da hört er ein Gebrüll; dieser zunächst für sich gegebene Gehörseindruck ruft 
die Vorstellung des Löwen wach; er kommt zu dem Satz der Löwe brüllt; 
hier ist doch nicht erst eine Gesamtvorstellung „der brüllende Löwe“ in ihre 
Teüe zerlegt. Besonders deutlich ist das unter anderem bei Antworten. Wenn 
A. fragt, wer hat gesiegt? und B. antwortet, Fritz hat gesiegt, so ist im B. 
zunächst durch das Gehörte die Vorstellung des Gesiegthabens erzeugt, die dann 
ihrerseits die Vorstellung Fritz hervorgerufen hat. Vollends versagt Wundts 
Definition bei negativen Behauptungssätzen, bei Aufforderungs- und Frage¬ 
sätzen. Für komplizierte Satzgebüde gibt Wundt nachträglich selbst die 
Ansicht auf, daß die einzelnen Teüe schon in einer Gesamtvorstellung ent¬ 
halten gewesen sein müßten.“ 

Auch den Untersuchungen von Messer (Arch. f. die ges. Psych. VIII. 
1906, S. 124 ff.) sind kritisch zu verwertende Tatsachen zu Wundts Lehre 
von der Gesamt Vorstellung zu entnehmen. Zunächst ergab sich für die im 
psychologischen Versuche vorkommenden analytischen Urteile * (analytisch in 
dem Sinne, daß im Subjekt schon das Prädikat bewußtermaßen mit vorgestellt 
oder mitgedacht ist), daß sie nicht vollständig der von Wundt gegebenen 
Schilderung der Urteüsfunktion als einer analytischen entsprechen, und daß 
die beobachteten synthetischen Urteüe sich natürlich erst recht nicht unter 
diese von Wundt gegebene Erklärung einordnen lassen. 

Von prinzipieller Bedeutung scheint endlich das Nachstehende: In einem 
etwas von Wundt abweichenden Falle von Anwendung des Begriffes „Gesamt¬ 
vorstellung“ kommt K. Koffka (Zur Anal, der Vorstell. 1912, S. 17) in einer 
Erörterung der Differenz zwischen Deskriptions- und Funktionsbegriff zu dem 
Schlüsse, daß es sich in jener von ihm gebrauchten Bezeichnung um eine Ver¬ 
mischung der beiden handelt; man wird im Auge behalten müssen, daß das 
doch auch für den hier besprochenen Begriff der Gesamt Vorstellung Wundts 
zutrifft. 

Noch eines letzten kritischen Einwandes gegen die Wundt sehe Lehre 
sei hier gedacht, weü sie nach unserer Auffassung einen Gesichtspunkt darlegt, 
der in einer gerade für die Pathologie außerordentlich wichtigen Frage vielleicht 
von entscheidender Bedeutung sein kann. 

Sechehaye (Programme et M6thodes de la Linguist, thöor. 1908, p. 40) 
weist auf einen dem Gedankengange Wundts selbst entnommenen Mangel 
der Wundtschen Definition hin, in dem er ausführt, daß sie nur einen Teü des 
ins Auge gefaßten Vorganges, den psychologischen, in sich faßt: „Il-y-a donc 
place .... pour une seconde definition, qui tienne compte du facteur gram- 
matical et qui nous dise comment, dans la formation de nos phrases l’acte 
intellectuel de la combinaison s’unisse ä l’acte intellectuel de Texpression 
automatique“. 

Wenn wir diese Ausführung richtig deuten, so liegt in ihr der Schlüssel 
für die Frage, wie weit der Schluß vom Sprechen des Aphasischen auf sein 



Nutzanwendung im Pathologischen. 


275 


Denken als ein falsches anzusehen ist. Es kann diese Frage, die ja, wie gesagt, 
eine der wichtigsten der Sprachpathologie darstellt, hier nicht sozusagen im 
Vorbeigehen erörtert werden; wir werden hören, daß ein ähnlicher Schluß 
für die Sprachen mancher Wilden gezogen worden ist und auch jetzt noch 
gezogen wird; wir haben im zweiten Kapitel einen ähnlichen Gedankengang 
von Steinthal bezüglich des agrammatischen Sprechens bei Geistesschwachen 
gehört; es werden diese Hinweise, denen auch gegenteilige, hier schon er¬ 
wähnte Deutungen gegenüberstehen, jedenfalls genügen, die kardinale Be¬ 
deutung dessen, was darüber der Sprachpsychologie zu entnehmen ist, schon 
hier im richtigen Lichte erscheinen zu lassen. 

E. T. Owen (Transact. of the Wisconsin Acad. of sc. etc. XIV, p. 363) 
verwahrt sich gegen die Annahme, daß der Analyse der Gesamt Vorstellung die 
Vorstellung einer Trennung anhafte und ebenso ihrer Synthese die Idee 
einer Verbindung. Mit dem der älteren Deutung entsprechenden Vorgänge 
wird jedenfalls eine schwierigere geistige Arbeit als verbunden anzunehmen 
sein, als wenn es sich bloß um das Erkennen derTeüeder Gesamt Vorstellung 
handelt. Hält man dazu die gerade für den Pathologen brennende Frage nach 
der durch die Aphasie allein oder durch anderweitig bedingte Störungen her¬ 
vorgerufenen Abnahme der Intelligenz Aphasischer, dann ergibt sich ohne 
weiteres die Tragweite, welche der einen oder anderen Auffassung namentlich 
dann zukommt, w r enn man den Ausgangspunkt für die Erörterung solcher 
Fragen ausschließlich (etwa wie Mohr, siehe den Eingangs gemachten Hin¬ 
weis) in Wundts Sprachpsychologie sucht. 

Noch deutlicher wird jene Differenz, wenn wir uns des von Owen zur 
Klarlegung seines Gedankens benützten Beispieles bedienen, um daran unserer¬ 
seits zu zeigen, nach welcher Richtung hin sich die intellektuelle Störung be¬ 
wegen könnte. Owen zieht zum Vergleiche die Sinnesempfindung und das 
heran, was Verfasser als „Komprehension“ bezeichnet hat. „Der Fall ist 
ganz analog dem einer Sinnesempfindung. Ich sehe mein Pferd in einem Augen¬ 
blicke als eine vage Einheit und im nächsten nehme ich seinen Kopf, den 
Nacken, Körper, die Beine und den Schweif wahr; aber ich empfinde keinerlei 
Lücke in der Struktur des Tieres. Nehmen war nun an, daß ich Jemandem 
nachts das Tier zeige; ich benütze dazu eine trübe Laterne und bin überdies 
durch die Enge des Stalles außerstande, ihm das ganze Tier auf einmal zu 
demonstrieren. Ich lasse demnach das Licht allmählich auf alle Teile des 
Körpers fallen. Der Betrachtende sieht also niemals das Tier als Ganzes und 
doch hat er schon beim Erscheinen des Kopfes das Ganze im Sinne; er sieht 
den Kopf nicht als ein Teilstück an, dem andere Teilstücke etwa folgen könnten, 
die dann allenfalls zu einem Ganzen vereinigt werden, noch habe auch ich, 
der Demonstrierende, die Empfindung, daß ich Teilstücke vorführe, die einer 
Verbindung bedürfen. Ich führte das Tier allerdings in sukzessiven Dar¬ 
stellungen vor, aber jede Einzeldarstellung wurde weder gegeben noch aufge- 
faßt als eine Teüdarstellung, sondern als Darstellung eines Teües oder kurz 
gesagt, wir haben Teüe besichtigt, aber Teüe eines Ganzen, dessen Einheit 
ungestört blieb.“ 

Verfasser hat in der der Komprehension gewidmeten Arbeit (Beitr. 
z. Himpath. u. Psychol. 1908, S. 47) eine Störung derselben für optische Ein¬ 
drücke beschrieben und ist diese Beobachtung seither wiederholt bestätigt 

18* 



276 


V. Die „Gesamtvorstellung“ (Wundt). 


worden; es wäre nun sehr wohl denkbar, daß auch etwas Ähnliches, z. B. im 
akustischen Gebiete vielleicht gerade durch irgendwelche Störungen im Sprach¬ 
gebiete zustande kommen könnte, daß das gestört wäre, was Owen (1. c. p. 364) 
als das Zusammendenken der Gedankenelemente bezeichnet. Und diese Ver¬ 
mutung findet sich auch unterstützt durch die schon erwähnten Unter¬ 
suchungen P. Maries und Vaschides über die Verringerung des Bewußtseins¬ 
spanns bei Aphasischen. 

Wenn freilich Verfasser eben gesagt, daß dabei irgendwelche Störungen 
im Sprachgebiete in Betracht kommen könnten und dies durch die erwähnten 
Untersuchungen eine Bestätigung zu finden scheint, so wird man doch das nicht 
als den einzig möglichen ursächlichen Zusammenhang ansehen dürfen, da auf 
Grund allgemeiner Erfahrung an Hirnkranken die Möglichkeit vorliegt, daß 
auch jede beliebige Hirnläsion solche Störungen etwa als Allgemeinerschei¬ 
nung nach sich ziehen könnte. Wenn man in Betracht zieht, daß bei jedem 
Sinneseindruck das Ausmaß dessen, womit auf denselben reagiert wird, in 
Betracht kommt, dann erscheint diese Alternative gewiß nahe gelegt. Die 
Möglichkeit der ersten Deutung wird immerhin als berechtigt durch Beobach¬ 
tungen an Worttauben erwiesen, bei denen bloß durch die Läsion des akusti¬ 
schen Sprachfeldes die Fähigkeit, die Einzel bestand teile der Laute in Eins 
zu binden, verloren gegangen 1 ). 

Auf die an das Vorstehende geknüpften Ausführungen Owens soll nur 
noch bezüglich eines Gesichtspunktes näher eingegangen werden, den auch 
englische Logiker beachtet a ), weil er einerseits für die Psychologie des Hörers 
von Bedeutung und andererseits wieder die biologische Funktion des Sprechens 
als „Orientierung“ in die Erinnerung bringt. Owen (1. c. p. 365) führt aus, 
wie der Hörer schon beim Beginn des Sprechens der allgemeinen Erfahrung 
nach annimmt, daß ein Gedanke, ein Ganzes, zum Ausdruck gebracht werden 
soll 3 ); er nimmt es deshalb überhaupt nicht w r ahr, daß ihm Fragmente ge¬ 
boten werden, die er erst zusammensetzen müßte. Welche bedeutende Rolle 
dabei die „Situation“, das „Vorausgesetzte“, das im Laufe der Rede in diesem 
Sinne Dazukommende spielen, braucht im Hinblick auf die entsprechenden 
Ausführungen im Kapitel über die Ausdrucksmittel hier nicht erst näher er¬ 
örtert zu werden; es wird genügen, darauf hinzuweisen, daß die „Situation“ 
als etwas Ganzes den Rahmen, die Einheit darstellt, in die die gehörten Stücke 
sozusagen versetzt werden um dann schließlich mit jener das Ganze zu bilden. 

Wir haben schon zuvor die Berechtigung solcher Studien, wie sie hier 
an der Hand sprachpsychologischer Deutungen zu Zwecken der Pathologie 
durchgeführt w r erden, durch den Hinweis auf die Arbeit von P. Marie und 
Vaschide gestützt. Der in dieser hervorgetretene Gesichtspunkt des Um¬ 
fangs des Bewnißtseinsfeldes wird uns in seiner Bedeutsamkeit neuerlich vor 
Augen geführt, wenn wir die von Wundt doch gewiß nach Selbstbeobach- 

J ) Auf die Beziehungen des hier erörterten Problems zur Lehre von den 
Agnosien kann nur hingewiesen werden; sie sind in der zuvor zitierten Arbeit des 
Verfassers kurz berührt w r orden. 

2 ) So z. B. Bosanquet (Essent. of Logic 1897, p. 83 sequ.), der diesen Gesichts¬ 
punkt aus der These von der primären Natur des Satzes (siehe darüber das Kapitel 
vom Satze) entwickelt. 

3 ) Vgl. das zuvor nach Bawden gegebene Zitat. 



Beziehungen zum Bewußtseinsumfang. 


277 


tungen gegebene Beschreibung x ) der bei ihm sich abspielenden Vorgänge bei 
der sprachlichen Formulierung hierher setzen, der gewiß individuell differente 
Erscheinungsformen gegenüberstehen werden. (Vgl. dazu das von van Gin- 
neken hinsichtlich Wundts und James’ Angeführte.) Wie schon in der 
Norm auch das sich sehr verschieden verhält, so hat der von den Untersuchungen 
P. Maries und Vaschides hergenommene Gesichtspunkt die Breite der 
möglichen Variationen wesentlich vergrößert; nehmen wir noch hinzu die durch 
die Sprachstörung geänderte Aufmerksamkeitsverteüung zwischen Form und 
Inhalt des zu Sprechenden, so erhellt daraus die Vielfältigkeit der störenden 
Faktoren; es wird Sache der Pathologie sein, darüber Aufklärung zu bringen; 
die Möglichkeit einer solchen scheint namentlich durch die Berücksichtigung 
der funktionellen Störungen (z. B. Agrammatismus bei Manischen) gegeben. 

Aber noch einen letzten allgemeinen Gesichtspunkt, der den mit der 
Gesamt Vorstellung sich vollziehenden Vorgängen für die Pathologie zu ent¬ 
nehmen ist, möchten wir hierher setzen, weil er auch sonst schon aus anderen 
Tatsachen gefolgert werden mußte; es ist der Hinweis auf eine mehr analyti¬ 
sche Betrachtung der pathologischen Erscheinungen an Stelle der bisher ganz 
ausschließlich in der Pathologie geläufigen synthetischen. 

J ) ,,In dem Augenblick, in dem ich einen Satz auszusprechen beginne, steht 
das Ganze des Gedankens schon in allgemeinen Umrissen, mit etwas deutlicherer Aus¬ 
prägung einzelner Hauptvorstellungen, vor mir; und in dem Augenblick, in dem ich 
den Satz vollendet habe, überblicke ich meist noch einmal dieses Ganze, während 
sich oft gleichzeitig schon der folgende Gedanke unbestimmt ankündigt. Dabei 
ist von einem Hin- und Herschwingen abwechselnd über die Schwelle des Bewußt¬ 
seins tretender und wieder unter sie sinkenden Vorstellungen nichts zu bemerken, 
sondern der ganze Vorgang spielt sich in der Regel vollkommen stetig und ruhig 
ab, und als besonders charakteristisches Symptom der dunkler bewußten Inhalte 
tritt überall nur ihr Einfluß auf die Gefühlslage hervor“. (Wundt, Völkerpsychol. Die 
Sprache 1904, I. S. 422). 



VI. „Innere Sprachform“ und „Innere Sprache“. 

Dem im Gebiete der Sprachpsychologie Erfahrenen dürfte es aufgefallen 
sein, daß in den bisherigen Erörterungen von der sogenannten „inneren Sprach¬ 
form“, der schon ihrer mit W. v. Humboldt einsetzenden Tradition nach 
eine nicht zu übersehende Bedeutung im Bereiche der bisher behandelten Fragen 
zukommt, nur ganz flüchtig die Rede war; es muß das umso mehr auffallen, 
als B. Erd mann (Phil. Monatshefte. XXX, S. 136) in den Rahmen der 
„inneren Sprachform“ alle die psychologischen Vorgänge, die zu der 
äußeren Form führen 1 ), faßt, woraus erhellt, daß wir uns mit den bisher ab¬ 
gehandelten Kapiteln eigentlich schon mitten in der Erörterung der „inneren 
Sprachform“ befanden. 

Vor allem waren es äußere Momente, die einem Versuche entgegen¬ 
standen, etwa an die Tradition anknüpfend, in dieser inneren Sprachform 
den Ausgangspunkt für unsere Erörterungen zu suchen. Wenn ein Philologe 
beklagt, daß fast Jeder etwas Anderes darunter versteht, ein anderer 
(Wechsler) von der Bezeichnung sagt, sie sei „öfter mißverstanden als richtig 
aufgefaßt, und später so viel in sie hineingeheimnißt worden“, dann dürfte die 
geübte Zurückhaltung schon dadurch genügend motiviert erscheinen. Wenn 
aber andererseits derselbe Erd mann (1. c. S. 137) es direkt ausspricht, daß 
die Psychologie für die dabei in Betracht kommenden Probleme erst dann 
eine festere Basis zu finden hoffen darf, „wenn sie den Versuch macht, die 
neuere Technik der psychopathologischen Diagnose der Sprachstörungen, so 
wie die psycho-physiologischen Hypothesen, die aus den Ergebnissen dieser 
Technik herausgearbeitet worden sind, eingehend zu würdigen“, so erscheint 
das auch für den Pathologen ein genügend zwingender Grund, einmal nach 
dem zu sehen, was die Sprachpsychologen noch immer als „innere Sprachform“ 
diskutieren und etwa auch den Sprachpathologen den Erwerb dieser ein Jahr¬ 
hundert umfassenden Auseinandersetzungen zugänglich zu machen; sollte sich 
dabei zeigen, daß nicht weniges davon überhaupt oder wenigstens vorläufig 
auf lange Zeit hinaus noch außerhalb des Forschungsbereiches des Pathologen 

*) Vgl. dazu die Deutung von R. de la Grasserie (Essai de S6mantique 
intogr. 1908, I, p. 31): „On con^oit beaucoup moins clairement l’innere Sprachform. 
11 (sc. Steinthal) signifie par lä le langage int6rieur ou l’id^e pr&te k se couler 
dans le moule grammatical, k mesure qu’elle sort de la c6r6bration. II s’agit donc de 
la pens6e, dont Timage n’est pas encore tomb^e sur l’6cran (sc. de la parole), oü 
l’idee se reflete“. 



Geschichte. 


279 


liegt, dann wäre doch auch so ein gewisser Gewinn erzielt, insofern damit der 
Unsicherheit in der Begriffsbestimmung, den „Äquivokationen“, wie die Logiker 
sagen, möglichst ein Ende bereitet wäre. 

Dazu kommt noch für den Pathologen ein äußerer Grund hinzu, an diesem 
Kapitel, das bis dahin nur die internen Streitigkeiten der Sprachpsychologen 
und Linguisten umfaßt hat, nicht achtlos vorüberzugehen. Namentlich von 
den Sprachpathologen werden die Ausdrücke „innere Sprache“, „parole in- 
terieure“ und „langage interieur“ nicht selten ganz promiscue gebraucht, so 
daß schon dadurch die Notwendigkeit gegeben erscheint, diese Ausdrücke 
sowohl, wie die ihnen nahestehende „innere Sprachform“ einmal präzise gegen 
einander abzugrenzen. Übrigens drängt auch noch ein Umstand dazu; es 
besteht die Gefahr, daß etwa einfach in Anlehnung an die oder jene der Sprach¬ 
wissenschaft entnommene systematische Darstellung auch die „innere 
Sprachform“ in die Pathologie Aufnahme fände, ohne genügende Berücksich¬ 
tigung der tiefgehenden Differenzen in ihrer Auffassung und ohne eine mög¬ 
lichst scharfe Abgrenzung gegen jene eben erwähnten, in der Sprachpsychologie 
weniger gebräuchlichen Bezeichnungen gefunden zu haben. Ein letzter Grund 
für die Behandlung dieser Frage als Einleitung zu einer Studie über den 
Agrammatismus liegt endlich noch darin, daß Heilbronner, wie er selbst 
sagt (Arch. f. Psych. 46, S. 794), den Versuch gemacht hat, die genannte 
Störung zu denen der inneren Sprache in Beziehung zu setzen. 

Wenn demnach eine wenigstens kurze Durchsicht des einschlägigen Ma¬ 
teriales nicht wohl zu umgehen sein wird, kann es natürlich nicht Aufgabe 
der vorliegenden Schrift sein, den von vomeherein etwas dunklen und vor 
Allem spärlichen Andeutungen W. v. Humboldts über den erst später von 
ihm geprägten Ausdruck der „inneren Sprachform“ historisch nachzugehen 1 ); 
vielmehr hegt es nahe, bei Steinthal Aufklärung zu suchen, als demjenigen, 
dessen Lehren zur Grundlage der in der Pathologie verwendeten Psychologie 
genommen wurden und der sich gerade um die Durcharbeitung dieser Seite 
der v. Humboldtschen Sprachphilosophie das größte Verdienst erworben. 

Als für uns bedeutsam ist zuerst hervorzuheben die strenge Trennung 
der inneren Sprachform von der logischen Form der Gedanken, die Stein- 
thal (Ursprung der Sprache. 4. Aufl. 1888, S. 116) postuliert. Das Be¬ 
friedigende dieser Abgrenzung wird aber alsbald wettgemacht durch die dem 
Verständnis der Pathologen wenig entgegenkommende Bestimmung, daß die 
innere Sprachform „das System der Begriffe und der Denkformen darstellt, 
insofern es durch die Lautform bezeichnet wird“. „Dieses insofern soll 
den Unterschied zwischen diesem logischen Begriffs- und Kategoriensystem 
einerseits und der inneren Sprachform andererseits hervorheben, welche letztere 
wegen der Unmöglichkeit einer Lösung der nun spielenden Frage das „unge¬ 
löste Problem einer Theorie“ blieb. 

Wenn aber Steinthal dann das Allgemeine des Vorganges der „Ver- 
leiblichung des Gedankens im Laute“ einerseits in Anlehnung an hegelisierende 
Deutungen naturwissenschaftlicher Analogien unserem Verständnis näherrücken 
will und andererseits „den psychologischen Prozeß in seiner Lebendigkeit“ 
durch Anknüpfung an Herbarts Lehre von der Apperzeption zur Klarheit 

x ) Eine genaue Darstellung findet sich in einer großen Arbeit Scheinerts 
über Humboldts Sprachphilosophie (Arch. f. d. ges. Psychol. XIII). 



280 


VI. „Innere Sprachform“ und „Innere Sprache“. 


zu bringen versucht, so dürfte es sich empfehlen, auf neuere, etwas klarere 
Versuche der Deutung zu rekurrieren 1 ), weü auch eine abgekürzte Wieder¬ 
gabe der Steinthalschen Darstellung ohne ausführliches Eingehen auf die 
psychologischen Grundlagen derselben nicht gut verständlich wäre. Nur das 
eine wollen wir schon der Steinthalschen Darstellung entnehmen, daß der 
Begriff der inneren Sprachform in zweierlei Weise gefaßt werden kann; ein¬ 
mal vom Standpunkte des Sprachforschers als ein den verschiedenen Sprachen 
zukommendes, sie gegen einander differenzierendes Moment und dann wieder 
vom Standpunkte des Sprachpsychologen als die Erscheinungsform eines 
sich auf dem Wege vom Denken zum Sprechen in jedem einzelnen Falle 
vollziehenden Prozesses. Die Richtigkeit dieser auch von der Sprach- 
pathologie zu beachtenden dichotomischen Auffassung erhellt daraus, daß 
nicht wenige Sprachforscher und Philologen als die Grundlage der inneren 
Sprachform der verschiedenen Sprachen die den Völkern zukommende Welt¬ 
anschauung (v. Humboldt, v. d. Gabelentz und Fink) oder ihre Denk¬ 
gewohnheiten (Eggert) hinstellen. 

Am präzisesten finden wir diese Anschauung herausgearbeitet bei v. d. 
Gabelentz, dessen Darstellung deshalb auch hier angeführt sei, schon um zu 
zeigen, daß diese natürlich ebenso beim einzelnen Individuum in Betracht 
kommende Seite der inneren Sprachform auch hier nicht zu behandeln ist 
(Sprachwissenschaft. 1901, 2. A. S. 344). „Jeder Mensch hat seine innere Welt 
von einem gewissen, engeren oder weiteren Umfange, mit anderen Worten, seinen. 
Ideenkreis.“ „Dieser Ideenkreis .... wird beherrscht durch eine bestimmte 
Anschauungsweise, die er doch natürlich seinerseits wiederum bedingt. In 
beiden nun, in jenem Ideenkreis und in dieser Anschauungsart, besteht, dank 
dem sprachlichen Gedankenaustausche, eine gewisse Gemeinschaft unter den 
Sprachgenossen, die in der Sprache ihren Ausdruck finden muß. Soweit sie 
den Ideenkreis, die Art und Menge der einzelnen Vorstellungen betrifft, ist sie 
stofflich. Soweit sie dagegen in der Anschauungsweise beruht, ist sie formal, 
innere Form. Diese innere Form wird sich zeigen erstens im Wortschätze . . 
zweitens im Sprachbaue wie, mit mehr oder minderer Schärfe, die Vorstellungen 
in Kategorien geordnet, ihre wechselseitigen Beziehungen im Gedanken und 
die Beziehungen des ausgesprochenen Gedankens zur Seele des Sprechenden 
erfaßt und unterschieden werden.“ Und alles dies „muß die äußere Sprach¬ 
form erweisen“. 

Wenn eben von dieser Deutung der inneren Sprachform gesagt wurde, 
daß sie nicht Gegenstand weiterer Erörterung an dieser Stelle sei, so soll doch 
nicht vergessen werden, anzudeuten, daß sich ein Zeitpunkt ergeben könnte, 

*) Obwohl auch noch neueste Darstellungen des allgemeinen Teils der Sprach - 
pathologie an Steinthal und Herbart anknüpfen, glaubt Verfasser die von Stein- 
thal gegebene ausführliche Darstellung der hier zu erörternden Materie doch über¬ 
gehen zu sollen, nicht bloß wegen der oben charakterisierten Dunkelheit derselben, 
sondern vor Allem deshalb, weü der Gegensatz zwischen der von Steinthal ver¬ 
werteten Psychologie und derjenigen, die hier als Grundlage genommen, ein so 
tiefgehender, daß es ganz ausgeschlossen erscheint, die Steinthalsche Lehre von 
der inneren Sprachform den neueren Anschauungen eingliedern zu können. Das 
zeigt sich auch darin, daß, wie Verfasser schon in der Vorrede betont, die in die 
neueren Darstellungen der Aphasielehre aufgenommenen Auszüge aus Steinthal 
ohne inneren Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema bleiben. 



Zwei Seiten der „inneren Sprachform“. 


281 


wo die, allerdings noch vollständig kontroversen Anschauungen der Sprach- 
psychologen darüber doch auch Verwertung in der Pathologie, z. B. in der Frage 
des Rückschlusses vom Sprechen auf das Denken Aphasischer finden könnten, 
worüber noch später einige Worte zu sagen sein werden. 

Auch kann nicht übersehen werden, daß die innere Sprachform in dem 
zuletzt behandelten Sinne von wesentlichem Einflüsse auf die Form der Agram¬ 
matismen in den verschiedenen Sprachen sein könnte, worüber man freüich 
nicht weiter als zu solchen Andeutungen gelangen kann, weü die Möglichkeit 
eines Studiums vom Standpunkte der vergleichenden Sprachforschung über¬ 
haupt noch nicht in Erwägung gezogen worden. 

Einen anderen, nicht bloß bequemeren, sondern auch für die Zwecke 
der vorliegenden Schrift an Präzision alle übrigen hinter sich lassenden Aus¬ 
gangspunkt für die der individuellen Seite der „inneren Sprachform“ zu 
widmenden Ausführungen* bietet die kurze Darstellung, die Wechsler (Gibt 
es Lautgesetze? in der „Festschrift für Suchier“. 1900, S. 383) von der 
v. Hum bol dt sehen Lehre gibt: „Unter der inneren Sprachform verstand er 
(sc. v. Humboldt) nichts anderes als den gesamten Bestand der mit den 
akustisch-motorischen Worten und Wertformen assozüerten Bedeutungen. 
Beides zusammen stellte er einem Dritten gegenüber, dem Inhalte, wie er es 
ausdrückte: es sind die Bewußtseins Vorgänge, welche der Sprechende äußert, 
d. h. durch Reproduktion der mit Bedeutungen assozüerten Lautgruppen 
symbolisiert.“ 

Gehen wir etwas näher auf diese Darstellung ein, so muß man sich dar¬ 
über klar werden, daß die Bedeutungen der Wörter sich in mehrfacher Weise 
darstellen; entweder als Zeichen für damit gemeinte Objektvorstellungen oder 
als solche, die irgendwelche Beziehungen zwischen den den Objektvorstellungen 
entsprechenden Worten zur Darstellung bringen; die letzteren fallen mit den 
Wertformen insofern zusammen, als auch diese (als verschiedenartige Endungen, 
Prä- oder Suffixe) dazu dienen, solche Beziehungen auszudrücken. Eine dritte 
Art der Bedeutung der Wörter dient endlich der uns schon bekannten „Stellung¬ 
nahme“ des Redenden x ). 

Da Fragen der Wortbedeutung hier nicht der Gegenstand der Betrach¬ 
tung sind, so fällt das Schwergewicht unseres Interesses auf die andere 
Seite der „inneren Sprachform“, diejenige, welche sich mit der Formulierung 
des Gedachten, mit der Satzkonstruktion befaßt und dem kommt das 


J ) Die so erzielte Differenzierung tritt uns bezüglich der einen Seite derselben 
mit einer, die andere für den Nichtphilologen vielleicht zu sehr verdeckenden 
Prägnanz in der Deutung Me um an ns (Wundts Philos. Studien XX, p. 127) ent¬ 
gegen, der unter innerer Sprachform die Wortbedeutung versteht, während anderer¬ 
seits Delbrück (Vergleichende Syntax der indogerm. Sprachen I, 1893, p. 12) 
die Differenzen der inneren Sprachform verschiedener Sprachen in dem begründet 
sieht, was man als Eigentümlichkeiten des Baues und der Struktur bezeichnet 
(also ob und inwieweit eine Sprache flektierend ist oder nicht u. Ähnl.). Vgl. auch die 
Ausführungen Fr. Mauthners (Zur Sprachwissenschaft 1901, p. 538) die ihrerseits 
wieder zum Teil auf Br6al (Essai de S6mantique 1897, p. 333) zurückgehen. 

Damit fällt auch die Deutung zusammen, die der englische Psychologe Stout 
(Analyt. Psychology 1896, II, p. 211) von der inneren Sprachform gibt: „The mental 
imagery that clusters round a word and supports it in its function, constitutes what 
has been called the „innere sprach - form“. 



282 


VI. „Innere Sprachform“ und „Innere Sprache“. 


entgegen, was unter den Neueren A. Marty als sogenannte „konstruktive *) 
innere Sprachform“ jetzt eingehender darstellt 2 ) (Untersuchungen zur 
Grundl. I. 1908, S. 146). 

Dieser stellt Marty die von ihm sogenannte „figürliche“ innere Sprach¬ 
form gegenüber, mit der wir uns nicht weiter zu beschäftigen haben, da sie 
der dem Bedeutungsproblem gewidmeten Seite der inneren Sprachform ent¬ 
spricht; von dieser ist aber schon zuvor bemerkt worden, daß der Stand der 
Pathologie gegenwärtig ein derartiger, daß von einer Betrachtung derselben, 
vorläufig wenigstens, für sie ein Gewinn nicht zu erw r arten steht. 

Nur der allgemeinen Frage, inwieweit etwa eine diesem Teil der Sprach¬ 
form, der „figürlichen“, zukommende Lokalisation im Zuge der mit ihr ver¬ 
bundenen psychologischen Vorgänge auf Fragen der Lokalisation im patholo¬ 
gischen Sinne von Einfluß sein könnte, sind einige Bemerkungen zu widmen. 
Man hat in der Pathologie auch bisher schon angenommen und in dem üblichen 
Schema zur Darstellung gebracht, daß die Verbindung von Objekt- und Wort¬ 
vorstellung, also die Bedeutung des Gesprochenen Vorgängen entspricht, die 
im Schläfelappen sich vollziehen; halten wir nun dazu, daß berechtigter An¬ 
nahme zufolge die beiden Seiten der inneren Sprachform, die konstruktive 
und die figürliche, in innigem Kontakt stehen, so ergibt sich daraus die be¬ 
gründete Schlußfolgerung, daß auch von diesem Gesichtspunkte aus für die 
konstruktive innere Sprachform die funktionelle Lokalisation im Schläfelappen 
wahrscheinlich gemacht wird. 

Die Darstellung Martys von dieser letzteren, die hier zum Teil mit 
dessen eigenen Worten, wenn auch nur kurz, wiedergegeben sei, geht davon 
aus, daß der Sinn der Rede nur durch das syntaktische Zusammenwirken von 
Wörtern wiedergegeben wird, weil, abgesehen von der Vieldeutigkeit einer 
Anzahl derselben, eine Reihe anderer, die mitbedeutenden, an und für sich 
überhaupt keinen Sinn gibt (es sind die sogenannten Synsemantika, von 
denen im Kapitel vom Begriffsproblem ausführlicher gehandelt wird); in der 
Wortfolge werden aber durch die einzelnen Worte auch schon gewisse vor¬ 
läufige Vorstellungen bezüglich des Ganzen vorbereitet. Keine Sprache drückt 
alles das explizite aus, was wir mitteüen wollen; jede gleicht mehr oder weniger 

*) Dazu ist es historisch bemerkenswert, daß B ai n (The senses and the intell. 
4ed. 1894, p. 607), der die verschiedenen bei der Formulierung der Rede in Frage 
kommenden Prozesse unter der Bezeichnung der „construktivness“ sozusagen per¬ 
sonifiziert hat, darunter auch die grammatische Form subsumiert. 

2 ) Auch der Philologe Jaberg (siehe dessen Besprechung von Martys Buch 
im Arch. f. neuere Sprachen. 1909, p. 426) anerkennt die scharfen Umrisse der inneren 
Sprachform bei Marty gegenüber der vielfach vagen Darstellung bei anderen Sprach¬ 
forschern; sie wird deshalb auch oben eingehender dargestellt, wobei nicht ver¬ 
absäumt sei, auf die zwischen Marty und Wundt in diesen und zahlreichen anderen 
einschlägigen Fragen obschwebende Polemik aufmerksam zu machen; wir behalten 
uns vor, treu dem in der Einleitung entwickelten Standpunkte beiden Autoren 
jeweils das für die Zwecke der Pathologie uns dienlich Erscheinende zu entnehmen. 
Eine andere Arbeitsmethode erscheint uns angesichts des vielen kontroversen Mate¬ 
rials auch ganz ausgeschlossen; da es Verfasser nicht beifallen kann, eine Entschei¬ 
dung bezüglich des ihnen zu Entnehmenden anderswroher als von der Klärung her¬ 
zunehmen, die gerade das betreffende Thema davon ziehen kann, so ergibt sich 
daraus, soll nicht das Ganze einseitig in ein System gezw ängt werden, die Berechtigung 
für eine rein eklektische Methode. 



Martys „konstruktive innere Sprachform“. 


283 


einem Stenogramm, einer Skizze 1 ). Es ist immer ein gewisser, oft sogar ein 
großer Unterschied einerseits zwischen dem, was der Sprechende denkt und 
fühlt und der verstehende Hörer so zu denken und zu fühlen hat und anderer¬ 
seits zwischen dem, was davon explizite zum Ausdruck kommt 2 ). Daraus 
ergeben sich graduelle Verschiedenheiten in den verschiedenen Sprachen und 
Sprachweisen, die einerseits auf einer konstruktiven Tätigkeit des Sprechers 
beruhen und andererseits eine, sagen wir, Rekonstruktion seitens des 
Hörers erfordern. Das den Sprachen und Sprach weisen (bemerkenswert ist, 
daß Marty hiebei direkt den Telegrammstil als vom Briefstü different hervor¬ 
hebt) so aufgedrückte Gepräge wird noch dadurch erweitert, daß dabei das, 
was explizite gesagt, oder umgekehrt, der Ergänzung überlassen bleibt 
(fragmentarischer und diskursiver Sprachbau und diesen ähnliche individuelle 
Differenzen der Sprache) eine ebenso wichtige Rolle spielt, wie das, was man 
als analytischen und syntaktischen Sprachbau bezeichnet. 

Alle diese hier dargelegten Momente stellen die von Marty sogenannte 
konstruktive innere Sprachform vor. Ein Unterschied derselben stellt 
sich auch darin dar, ob und wie die Sprachen den auszudrückenden Inhalt 
teüs seiner natürlichen Gliederung entsprechend (oder ihn künstlich gliedernd) 
wiedergeben, teüs nur wie durch stenogrammatische Kürzungen andeuten. 
Daneben kommt auch in Betracht die der verschiedenen Art der Gedanken¬ 
zerlegung entsprechende Vielheit der Redeteüe; Marty exemplifiziert das an 
den Differenzen, die sich daraus ergeben, wenn in einer Sprachweise „alles an 
das letzte Wort angelehnt wird“. 

Den kritischen Ausführungen Martys (1. c. S. 165) entnehmen wir noch 
den Hinweis auf eine nicht mit dem Namen eines bestimmten Autors ver¬ 
bundene Definition der inneren Sprachform: „sie besteht in der Anpassung 


*) Mit Rücksicht darauf, daß gerade dieser Gesichtspunkt in der Psychologie 
des Agrammatismus eine ersichtlich hervorragende Bedeutung hat, auch die hier 
in dem Kapitel „Weg vom Denken zum Sprechen“ gegebene Darstellung sich in 
wesentlichen Punkten an Martys Lehre von der konstruktiven inneren Sprachform 
anlehnt, seien einige Bemerkungen hierhergesetzt, die er der gegensätzlichen An¬ 
schauung widmet (I. p. 149); anknüpfend an eine Äußerung von Condillac führt 
er aus, daß dieser offenbar die so weit verbreitete Supposition zugrunde liege, daß 
alles, was wir durch Worte kundgeben und einander vermitteln, Vorstellungen seien. 
„Wenn dies wäre, käme es darauf an, die Worte im Satze so zu wählen und zu fügen, 
daß diejenigen sich am nächsten ständen, welche den am engsten verbundenen Vor¬ 
stellungen entsprechen.“ Dieser irrtümlichen Auffassung gegenüber wird das schon 
im Texte Dargelegte bezüglich der differenten Mitwirkung der einzelnen Wörter im 
Satze hervorgehoben. 

2 ) Eine indirekte Bestätigung dieses Tatbestandes ergibt sich aus einer von 
Marbe geäußerten Ansicht über das Zustandekommen des Verständnisses des Ge¬ 
sprochenen. (Vierteljahrsschrift f. wiss. Philos. 1906, 30., S. 496): „Unter diesen 
Umständen wäre es sehr verfehlt, wenn ein Redner erwarten wollte, daß die Hörenden 
mit seinen Worten ganz bestimmte Vorstellungsinhalte verbänden. Was der Redende 
erwarten kann und in der Regel natürlich erwartet, ist lediglich, daß er vom Hörenden 
verstanden wird. Wir verstehen aber gesprochene Worte dann, wenn wir wissen, 
welche Gegenstände der Sprechende mit seinen Worten bezeichnet; die aktuellen 
Erlebnisse, die wir beim Hören haben, sind nicht eine conditio sine qua non des 
Verstehens und bestimmte Vorstellungsinhalte mit den gehörten Worten zu ver¬ 
binden ist weder für das Verständnis immer notwendig noch überhaupt immer 
möglich“. 



284 


VI. „Innere Sprachform“ und „Innere Sprache“. 


des Gedankens an ein vorhandenes Sprachmaterial“ J ). Marty führt aus, 
daß eine solche Anpassung des mitzuteilenden Denkens in dem Falle vorliegt, 
wenn wir in einer fremden Sprache reden wollen, aber er will das nicht als 
innere Sprachform anerkennen, insofern dabei nicht diese, sondern der Inhalt 
eine Änderung erfährt 2 ). 

Für uns ist der hier dargelegte Gedanke deshalb bedeutsam, weil darin 
einer jener Vorgänge zum Ausdruck kommt, deren wir in der Besprechung 
des Weges vom Denken zum Sprechen gedacht, als wir von einer Eüistellung 
auf eine andere Sprache als die Muttersprache handelten. Marty exempli¬ 
fiziert das an den malayischen Sprachen, in denen die passive Konstruktion 
sehr beliebt ist und z. B. statt „ich will deinen Bruder schlagen“, gesagt 
wird, „dein Bruder will durch mich geschlagen werden“. Greifen wir auf unsere, 
an der erwähnten Stelle gemachte Ausführung zurück, so werden wir sagen 
können, daß die logische, oder wie wir sagen, gedankliche Formulierung da¬ 
durch unberührt bleibt und nur, insofern uns die fremde Sprache nicht ge¬ 
läufig bewußt, eine Anpassung an die in ihr vorhandenen Formen statt¬ 
finden muß; von einer „Einstellung“ als einem schon mehr unbewußt sich 
vollziehenden Vorgänge, werden wir besser sprechen können, wenn es sich um 
die Anpassung an eine uns schon mehr oder weniger geläufige Sprache 
handelt, also z. B. im Falle eines das Malayische etwa ebenso geläufig wie seine 
Muttersprache behandelnden Engländers. 

Gehen wir jetzt, nachdem wir uns zunächst bei den mit der Frage im 
Einzelnen befaßten Forschern selbst Rats erholt, auf die von den Pathologen 
meist bevorzugte zusammenfassende Darstellung der Sprachpsychologie zurück, 
so sehen wir, daß Wundt sich dahin ausspricht, „man könne unter der inneren 
Sprachform nur die Summe tatsächlicher psychologischer Eigenschaften und 
Beziehungen verstehen, die eine bestimmte äußere Form als ihre Wirkungen 
hervorbringen“ (Die Sprache. II, S. 431); unter dem Begriffe der inneren Sprach¬ 
form sei nichts anderes zu verstehen, „als der Komplex psychischer Zusammen¬ 
hänge, die eigentümlichen Assoziations- und Apperzeptionsgesetze, die im 
Aufbau der Wortformen, in der Scheidung der Redeteile, der Gliederung des 
Satzes und der Ordnung der Satzglieder zur Erscheinung kommen“ (1. c. S. 432). 
Ebendort bezeichnet Wundt als innere Sprachform nur „die psychischen 
Motive, die die äußere Sprachform als ihre Wirkung hervorbringen“; eine 
nähere Analyse ergibt dann, daß unmittelbar auch die Formen der Wort- 
büdung und der Satzfügung als solche Wirkungen hierher gehören und schlie߬ 
lich kommt Wundt (S. 434) zu dem Resultate, daß drei Gesichtspunkte den 
Begriff der inneren Sprachform näher bestimmen; es könne sich bei ihr handeln 
„1. um den in den äußeren Sprachformen sich verratenden Zusammenhang 
des sprachlichen Denkens“ (hervortretend in den Satzformen); „2. um die Rich¬ 
tung des sprachlichen Denkens“ (die Wort- und Satzform zugleich beeinflußt), 

*) Sie erscheint uns für die Psychologie neben allem Anderen namentlich 
in der Richtung bedeutsam, daß daran, wie der Aphasische sein Denken seinem Sprach- 
material anpaßt, die Frage nach seiner Intelligenz anknüpft. 

*) Die Kritik Martvs lautet übrigens nicht kategorisch, ist vielmehr durch 
das Wort „scheint“ gemildert; man könnte vielleicht im Sinne des ungenannten 
Autors sagen, daß der Inhalt doch eigentlich bei dieser Anpassung keine Änderung 
erfährt. 



W u n d t s Auffassung. 285 

während ,,3. der Inhalt des sprachlichen Denkens* 4 in den Wortformen her¬ 
vortritt. 

Zum 1. Punkt unterscheidet Wundt das fragmentarische und diskursive 
Denken; das letztere zerfällt in das synthetische und analytische Denken; 
2. Richtungen des Denkens (gegenständliches, objektives und subjektives 
Denken); 3. Inhalt des sprachlichen Denkens: konkret, abstrakt, klassifizierend 
und generalisierend. 

Da für uns alle sprachvergleichenden Gesichtspunkte im Allgemeinen 
(auf eine Ausnahme wird noch zurückzukommen sein), wie schon erwähnt, 
nicht von Belang sind, so scheidet auch derjenige Teil der Wundt sehen Dar¬ 
stellung aus, der auf die in den verschiedenen Sprachen vorkommenden 
Differenzen der von ihm sogenannten inneren Sprachform Bezug nimmt. 

Der Standpunkt Wundts wird verständlich, wenn wir in Betracht ziehen, 
daß eine der Grundlagen seines ganzen Werkes die Anschauung ist, daß den 
verschiedenen Konstruktionen der Sprachen ein analog verschiedener Bau 
des Denkens oder wesentlich verschiedene Denkformen zugrunde liegen; an 
der zitierten Stelle (1. c. II, S. 432 ff.) spricht er es direkt aus, daß die 
Unterschiede im Bau und in der Struktur der Sprache in der Eigentümlich¬ 
keit des durch sie geäußerten Denkens begründet sind x ); diese „psychischen 
Motive“ oder „die gemeinsamen psychischen Ursachen aller äußeren Form- 
eigenschaften samt ihren Korrelationen“ stellen für ihn die innere Sprachform 
dar; detailliert sind es Unterschiede des Zusammenhanges, teüs solche der 
Richtung, teils solche im Inhalt des sprachlichen Denkens, wie sie in der 
differenten Form des fragmentarischen. analytischen und synthetischen 
Denkens zum Ausdruck kommen. 

Aus dieser ganzen Darlegung erhellt, daß der Umkreis dessen, was Wundt 
als innere Sprachform bezeichnet, weit über jene Funktionen hinausgeht 2 ), 
deren Störungen wir hier im Auge haben, und daß die Gebietsbegrenzung inner¬ 
halb dieses Umkreises, die Marty mit seiner konstruktiven inneren Sprach¬ 
form vorgenommen, jedenfalls den Grenzen und Zwecken des hier zu behan¬ 
delnden pathologischen Gebietes viel näher steht. — 

Resümieren wir jetzt das, was uns die Überschau sprachpsyehologischer 
und sprachphüosophischer Werke über das gelehrt, was von ihrer „inneren 
Sprachform“ für unseren Gegenstand von Belang ist, so kommen auch wir 
zu dem ganz analogen Resultate wie B. Erdmann, daß mit dieser Bezeich¬ 
nung verschiedene Erscheinungen der Formulierung gemeint sind, die sich 
auf dem Wege vom Denken zum Sprechen vollziehen. Wir müssen aber weiter 
konstatieren,. daß wir den uns entgegentretenden Ansichten bezüglich der 
dabei sich abspielenden Vorgänge im Sinne einer hier zur Basis genommenen 
Funktionspsychologie nichts weiter entnehmen können, als daß die Zahl der 

2 ) Es ist keine Veranlassung hier auf diese schon da und dort gestreifte, für 
die Aphasielehre gewiß äußerst belangreiche Frage einzugehen; doch sei hier als 
Gegenstück zur obigen Auffassung die eines modernen Linguisten angeführt: „Thus 
we have found that language does not furnish the much-looked-for means of dis- 
covering differences in the mental status of different races“ (Fr. Boas, The Mind 
of primitive man 1911, p. 154). 

2 ) Daß uns auch hier wieder die ungenügende Scheidung zwischen gedank¬ 
licher und sprachlicher Formulierung, auf die wir so großes Gewicht legen, entgegen¬ 
tritt, sei nur nebenbei vermerkt. 



286 


VI. „Innere Sprachform“ und „Innere Sprache“. 


Etappen jenes Weges noch zu vermehren wäre und das kann immerhin als 
ein nicht unwichtiges Fazit gewertet werden. Wenn dem gegenüber, wie Ein¬ 
gangs erwähnt, B. Erdmann entscheidende Aufklärung für alle diese Fragen 
von der Aphasielehre erhoffte, so dürfte die Richtung ihrer seitherigen Ent¬ 
wicklung ihm jetzt kaum Veranlassung geben, noch weiter an dieser Ansicht, 
soweit sie den gegenwärtigen Zustand der Lehre betrifft, festzuhalten. 

Anders jedoch dürfte man denken von einer Entwicklung der bisher 
meist die peripherischen Endstationen der Sprachvorgänge ins Auge fassenden 
Forschung, die viel mehr zentralwärts und damit nach jener Richtung orientiert 
wäre, welche die Beziehungen zwischen Denken und Sprechen, bzw. deren 
Störungen, ins Auge faßt. Daß unter diesen der hier besonders hervorgehobene 
Agrammatismus die grundlegende Form darstellt, braucht nach Allem schon 
bisher Gesagten nicht erst näher erwiesen zu werden; denn er gerade umfaßt, um 
es kurz zu präzisieren, einen großen Teü der Störungen dessen, was wir hier 
als „innere Sprachform“ der Sprachpsychologen kennen gelernt haben. Uin 
aber im Sinne Erdmanns auch für diese den erhofften Erfolg zu haben, 
wird das Studium alles dessen, was als dazu gehörig im weiteren Sinne bezeichnet 
werden kann, einer erneuerten Untersuchung unter Berücksichtigung der ge¬ 
wonnenen Gesichtspunkte und vor allem nicht bloß als Erscheinungsform 
einer bestimmten Phase der Störung im Querschnitte, sondern nach genetischen 
Gesichtspunkten auch im Längsschnitte, in allen Stadien der Rückbildung 
ebenso wie in der leider viel seltener der Beobachtung sich darstellenden 
Phase der Entwicklung studiert werden müssen; daß diese Berücksichtigung 
namentlich für eine sprachvergleichende Erkenntnis der in den verschiedenen 
Sprachstämmen sich verschieden darstellenden agrammatischen Störungen 
ganz besonders zu gelten hat, bedarf wohl nur des Hinweises. 

Wenn nach der letztlich akzeptierten Definition die innere Sprachform 
alle jene Vorgänge umfaßt, welche wir als den Weg vom Denken zum Sprechen 
bezeichnen, so sind die zur Aufklärung dieser Vorgänge führenden Studien nach 
zwei Richtungen orientiert; einerseits wird es sich um die Aufdeckung der 
gedanklichen Seite derselben handeln, andererseits wird es sich fragen: wie 
wird die Sprache den Anforderungen jener gedanklichen Vorgänge rücksicht¬ 
lich des Ausdrucks derselben gerecht? Dieser Frage lassen sich wieder zwei 
Seiten abgewinnen; erstens die genetische: wie entwickelt sich die Sprache, 
um diesem Zwecke sich zu akkommodieren ? zweitens, wie verhält sich die als 
fertig angesehene Sprache zu diesem Vorgänge? Bezüglich der gedanklichen 
Seite haben wir gesehen, daß namentlich den Untersuchungen der Würzburger 
Schule Wichtiges dafür entnommen werden konnte. Die zweite Seite der Frage 
liegt den Linguisten ob, und daß diese daran auch früher schon nicht achtlos 
vorbeigegangen, mögen Ausführungen zeigen, die der dänische Linguist J. N. 
Madvig (Kl. philolog. Sehr. Dtsch. 1875, S. 9) dem Problem gewidmet. Daß 
auch die Pathologie zu ihrem Teü berufen ist, aufklärend in diesen Fragen zu 
wirken, sei durch den Hinweis darauf erwiesen, daß sie zu beobachten in die 
Lage kommt, wie sich eine durch Krankheit verlorene oder in verschiedenem 
Grade geschädigte Sprache wieder entwickelt 1 ), also das zu studieren, 

x ) Die Differenz dieses Gesichtspunktes gegenüber dem bisher geltenden 
von der einfachen Stellvertretung durch nicht lädierte Partien des Sprachfeldes 
oder durch das andersseitige gleiche Gebiet sei besonderer Erwägung empfohlen. 



Pathologische Nutzanwendungen* 


287 


was wir seit Hughlings Jackson als Reevolution in der Aphasielehre kennen. 
Daß auch die Taubstummensprache im Stadium der Überführung zur Sprech¬ 
sprache Beiträge zu jener Frage liefern kann, sei nur angemerkt. 

Etwas näher unserem Zwecke könnten auch Erörterungen führen, die 
Fr. Boas (in der Einleitung seines Handbook of Am. Indian Lang. I. Washing¬ 
ton 1911, p. 43) der Interpretation der grammatischen Kategorien widmet, 
auf die jedoch hier nur verwiesen werden kann; doch sei seine Darstellung 
der Differenzen, die sichtlich der „inneren Sprachform“ der Sprachphilosophen 
entsprechen, hierher gesetzt 1 ). 

Es könnte als ein schweres Übersehen gerügt werden, wollten wir hier nicht 
noch eines anderen Gesichtspunktes gedenken, dessen Weiterführung gerade 
in den hier skizzierten Forschungen über die innere Sprachform seine natur¬ 
gemäße Basis findet. Es ist eben hier hervorgehoben worden, daß mehr als 
alle anderen aphasischen Störungen der Agrammatismus seiner psychologi¬ 
schen Lokalisation nach das in erhöhtem Maße ermöglichen könnte, was 
Wernicke als das Endziel aller dieser Forschung, den tieferen Einblick in die 
Psyche erhoffte; nach dem, was wir oben von der inneren Sprachform im 
weitesten Sinne des Wortes gehört, liegt in ihrem Gebiete der Weg, den die 
Pathologie zu gehen hat, will sie weiter zur Erreichung jenes Zieles beitragen. 
Allerdings darf man sich über die Länge und die Schwierigkeiten dieses Weges 
keinen Illusionen hingeben. 

Wenn wir hören, daß die von einzelnen Sprachforschern gemachten Ver¬ 
suche, von der inneren Sprachform aus als dem Ausdruck der Weltanschauung 
und den daraus vermeintlich entwickelten Sprachformen die Psychologie der 
differenten Sprachstämme zu entwickeln, bei anderen durchaus skeptisch auf¬ 
genommen, vielfach direkt abgelehnt worden sind, dann liegt schon darin ge¬ 
nügend der Andeutung, welchen Schwierigkeiten die Individualpsychologie 
und mit ihr die Pathologie auf diesem Gebiete gegenübersteht. Das weiter 
auszuführen ist hier nicht der Platz, es wird sich dazu Gelegenheit bieten in 
einem späteren Kapitel, in dem darüber zu handeln sein wird, inwieweit es 
zulässig erscheint, vom Sprechen auf das ihm zugrunde liegende Denken zu 
schließen. 

Damit erscheint ein weiterer Gesichtspunkt aufgedeckt, von dem aus 
das bezüglich der inneren Sprachform Erörterte für die Pathologie bedeutsam 
wird. Es ist die Frage der Intelligenz der Aphasischen, bzw. der Zusammen¬ 
hang ihrer Sprachstörung mit intellektuellen Störungen; es ist ersichtlich, daß 
wenigstens für die wissenschaftliche Beantwortung dieser Fragen der Weg, 
den die innere Sprachform nach aufwärts weist, es ist, den die Forschung zu 
gehen hat; weitere Gesichtspunkte zur Lösung dieser Frage sind an anderer 
Stelle angedeutet worden. 

Wenn wir im Vorangehenden in der Lage waren, auch für den in Dingen 
der Sprachforschung als Laien zu qualifizierenden Pathologen den aus diesen 
hervorgegangenen Begriff der „inneren Sprachform“ insoweit zu vereinfachter 
Darstellung zu bringen, daß die für die Pathologie vorläufig brauchbaren Ge¬ 
sichtspunkte in ihrer Bedeutung entsprechend hervortreten, so muß jetzt noch 

l ) „In each language only a part of the complete concept that we have in 
mind is expressed and . . each language has a peculiar tendency to select this or 
that aspect of the mental image which is conveyed by the expression of the thought“. 



288 


VI. „Innere Spraehform“ und „Innere Sprache* 4 . 


ganz kurz im Hinblick auf die nahen Beziehungen zwischen innerer Sprache 
und innerer Spraehform auch auf den den Pathologen geläufigeren Begriff 
der ersteren eingegangen werden, nicht zum wenigsten, um insbesonders gewissen 
Verwechslungen zu begegnen, die dadurch veranlaßt werden, daß die Bezeich¬ 
nungen „langage int&ieur“ und „parole int&ieure“ promiscue gebraucht werden, 
trotzdem schon Egger, derjenige der die letztere Bezeichnung für die Gegen¬ 
wart geprägt (La Parole int. 1881). in der Vorrede zur zweiten Auflage seiner 
Schrift gegen einen solchen Gebrauch Einspruch erhob x ). 

Zu welchen Verwechslungen eine solche unscharfe Verwendung führen 
kann, mag ein Zitat aus Regnaud (Precis de Logique 6volut. 1879, p. 4 1 2 )) 
mit seiner Identifizierung von Logik und innerer Sprache beleuchten, dessen 
Anführung vielleicht auch damit gerechtfertigt werden kann, daß Montier 
für seine früher abgelehnte Auffassung der Beziehungen zwischen Denken und 
Sprechen gerade dem zitierten Autor seine Hauptargumente entnommen. 

Es ist verständlich, daß trotz seines Protestes eine scharfe Trennung 
beider Vorgänge für Egger nicht bestehen kann, wenn wir berücksichtigen, 
daß den Grundzug seiner Ansicht die Annahme eines weitgehenden bis an 
Identität heranreichenden Parallelismus zwischen Denken und Sprechen 
bildet 3 ); immerhin ist es bemerkenswert, daß er für den Taubstummen Formu¬ 
lierungen zuläßt, die jedesfalls denen, die wir hier als gedankliche bezeichnet 
haben, näher stehen; im Übrigen aber kann kein Zweifel bestehen über seine 
Auffassungen von der Natur dieser inneren Sprache, von der er sagt (1. c. p. 66) : 
,,la parole int&ieure a l’apparence d’un son et ce son est celui que nous 
nommons parole ou langage“ (nebenbei bemerkt hält er auch in der neuen 
Auflage einseitig an der ausschließlich akustischen Natur dieser „parole“ fest). 
Dagegen zeigt die Beschreibung, die Egger (1. c. p. 70) von einer Form der 
inneren Sprache, dem Monologe, gibt, eine vollständige Übereinstimmung mit 
dem „unvollständigen, formulierten“ Urteile B. Erdmanns und insbe¬ 
sondere mit der gleichartigen Beobachtung von Dodge, die oben zitiert worden: 
„Les phrases peuvent egalement etre abregees. Ces mots .... n’ont un 

1 ) Wenn Ballet in seiner etwas schematisch gehaltenen Darstellung (Le 
Lang. int. 1886, p. 15) freilich die Sprachtypen als das einzige Objekt für das Studium 
der inneren Sprache hinstellte, so war das auch schon für die damalige Zeit eine nicht 
zutreffende Einseitigkeit; aber ebenso, um das gleich hier zu sagen, erscheint dem 
Verfasser die jetzt beliebte prinzipielle Ablehnung der Sprachtypen nicht gerecht¬ 
fertigt. 

2 ) „Cette memo d^finition suppose, bien entendu, que les op^rations logiques 
de lesprit ne se manifestent et n’existent pour autrui qu’ä l’aide de la pens^e figur^e 
par des sign es et particuliöre-ment par eeux, qui constituent le langage. Ce qu’on 
peut appeler la logique tacit-e, ou le langage interieur c’est ä dire les impulsions ratio¬ 
nelles, subjektives et ind^pendantes de toute expression, ou restent obscures, meme 
pour les individus qui les tfprouvent ou n’acqui&rent de la clart6 et ne prennent 
conscience d'elles-memos qu’ä Iaido du langage exterieur r6percut6 et utilisö mentale- 
ment par la mömoire“. 

3 ) Die ersten Worte seines Buches lauten: „A tont instant, läme parle int6- 
rieurement sa pensee . . . la Serie des mots intörieurs forme une succession presque 
continue, parallele ä la succession des autres faits psychiques“; pag. 5, formuliert er 
noch schärfer: „La parole interieure est constante; nous ne pensons pas, et par suite 
nous ne vivons pas saus eile“ und p. 217 stellt er als Hegel hin, daß das Wort der 
Vorstellung vorangeht, wovon er allerdings für die „invention intellectuelle“ eine 
Ausnahme zuläßt. 



Parole int6rieure, Langage interieur. 


289 


sens si plein que pour l’individu qui les congoit .... Des expressions syn- 
thetiques, comme: „Malheureux — —! Un autre — —! Jamais — —!“ 
suffisent, meme isol^es de tout contexte explicatif, quand nous nous parlons 
k nous-meme.“ 

Treten in den Ausführungen Eggers die Beziehungen zwischen der 
„parole int.“ und der inneren Sprachform kaum hervor, so ist dies dagegen 
bezüglich des „langage interieur“ sichtlich angedeutet in einer Äußerung 
Bernard Leroys (Le Langage. 1905, p. 5), deren spätere Ausführung in Aus¬ 
sicht gestellt, aber bisher nicht erfolgt ist x ). Im Übrigen steht Leroy, soweit 
die Erscheinungen in Betracht kommen, auf dem Standpunkte, den die Lehre 
von der „Endophasie“ durch die Arbeiten von Saint-Paul erreicht hat. 

Saint-Paul selbst formuliert dieselbe in seinem letzten Buche (Le 
Langage interieur. 1904, p. 43) folgendermaßen: „Les expressions de parole 
interieure, langage interieur, pretant k confusion, j’ai d^signe en 1892 par le 
mot endophasie la facultä de penser en mots et appele formule endophasique 
la forme par laquelle cette facult6 se manifeste habituellement chez un 
sujet: les uns entendent, les autres prononcent, il en est qui lisent les mots 
de leurs propres pensees“ 2 ). 

Nicht besser läßt sich dieser Standpunkt auch in Hinsicht der Beziehungen 
zur inneren Sprachform charakterisieren als durch die Darstellung van Gin- 
nekens (Princ. de Linguist, psychol. 1907, p. 10): „L’endophasie n’est que 
Tautomatisme de la structure personelle du mot“. Durch diese Formel wird 
auch eine scharfe Grenze gegenüber der „inneren Sprachform“ und allen anderen 
in der sprachlichen Formulierung des Gedachten in Betracht kommenden 


*) „Nous pensons, avant de lesömettre, les paroles . . . comment, sous quelle 

forme et dans quelles conditions les pensons-nous ?.L’ölaboration se fait 

plus ou moins longtemps avant Immission; eile peut m6me en ötre complötement 
söparöe .... ainsi se trouve constituö un groupe de phönomönes relativement 
homogäne, une „sous-fonction“ spöciale que les psychologues ötudient gönörale- 
ment sous le nom de langage intörieur“. 

a ) Bei dieser Gelegenheit möchte Verfasser vorläufig ganz kurz ein Moment 
bloßlegen, das geeignet ist, die hinsichtlich der endophasischen Sprachformel abge¬ 
führten Enqueten, bzw. die Selbstbeobachtungen darüber in ihrem Werte wesent¬ 
lich herabzumindem. Es ist eine geläufige, auf allen Gebieten des Nervenlebens 
zu beobachtende und deshalb auch schon prinzipiell als für die psychophysischen 
Erscheinungen gütig anzusehende Erscheinung, daß automatisch gewordene Funk¬ 
tionen ganz unter der Bewußtseinsschweüe bleiben und erst irgend eine Erschwerung 
sie teüweise oder ganz über diese Schwelle hebt. Da nun die Angaben über die an 
sich selbst beobachteten endophasischen Erscheinungen, die so gedeutet werden, 
daß eben diese die endophasische Formel des Betreffenden darstellen, aus einer 
Zeit stammen, wo die Sprachfunktionen schon automatisch geworden sind, so ist 
es sehr wohl denkbar, daß die dem sich selbst Beobachtenden zum Bewußtsein 
kommenden endophasischen Erscheinungen nicht die ihm geläufigen sind, also 
nicht eigentlich seiner endophasischen Formel entsprechen. Gewiß gilt dieser Ein- 
wand nicht für alle Fälle, aber es scheint doch für manche Fälle die zum Bewußtsein 
kommende Erschwernis der Funktion das Resultat der Selbstbeobachtungen zu 
einem irrtümlichen zu gestalten. Daß das in letzter Linie auch für die Verwertung 
der endophasischen Formel zur Klärung von Aphasiefragen von Belang sein muß, 
leuchtet ohne weiters ein; es steht auch in durchsichtigem Einklang mit dem in der 
Einleitung nach Titchener Mitgeteilten von der jeweilig wechselnden Verwertung 
der ihm zukommenden Vorsteüungstypen. 

Pick, Sprachstörungen. I. Teil. 


19 




290 


VI. „Innere Sprachform“ und „Innere Sprache“. 


Vorgänge markiert l ); zentralvvärts von dieser Grenze freilich gehen die Deu¬ 
tungen der Autoren bezüglich der inneren Sprachform und ihrer Einzelheiten 
weit auseinander. Daß trotzdem der hier gemachte Versuch einer genaueren 
Abgrenzung der erörterten Begriffe sich auch dem Stande der Pathologie nach 
rechtfertigen läßt, mag Folgendes beweisen: Nach Bing (Aphasie und Apraxie. 
Würzburger Abhandlungen. 1910, S. 242) verstehen wir unter „innerer Sprache“ 
Alles, „was unter der Schwelle des Bewußtseins in unserem Gehirn vorgehen 
muß, bevor wir einen Gedanken in Worte fassen und diese Worte nach außen 
projizieren“ usw. Für Bing fallen also die innere Sprache und Alles, was wir 
eben als innere Sprachform erörtert haben, zusammen, ja es geht in seine 
Definition noch viel mehr ein, eine Ausweitung des Begriffes, die gewiß nicht 
im Interesse der Klärung dieser Fragen gelegen sein kann. 

Von der Tatsache ausgehend, daß unter den als Agrammatismus zusammen¬ 
gefaßten Störungen vor allem eine solche der von Marty sogenannten kon¬ 
struktiven inneren Sprachform eine hervorragende Stellung einnimmt, müssen 
wir schon an dieser Stelle wenigstens andeutungsweise auf den Eingangs des 
Kapitels erwähnten Versuch Heilbronners zurückkommen (Arch. f. Psych. 
41. 2), an der Hand eines Falles 2 ) von angenommener Läsion der Brocastelle 
mit Agrammatismus diesen zu den anderen daneben vorhandenen Störungen 
der inneren Sprache in Beziehung zu setzen. Die Beweisführung für diese 
Ansicht soll im Wesentlichen auf dem Parallelismus der beiden beruhen. Heil- 
bronner vermißt nun einen solchen Parallelismus, ohne jedoch daraus, zum 
Teü im Hinblick auf den Mangel genügend reichlichen klinischen Beweis- 
materials die schroffe Konsequenz zu ziehen; den Hauptgrund, daß er dies nicht 
tut, bilden die anderen dem Falle zu entnehmenden Argumente für die Loka¬ 
lisation des Agrammatismus im Stirnhirn. Das Hervorragendste derselben 
ist die in Anknüpfung an Bonhoeffer (Mitteil, aus d. Grenzgeb. 1902, S. 233) 
gemachte Annahme, der Agrammatismus stelle hinsichtlich des Satzbaues 
eine ähnliche Störung dar w r ie innerhalb des Wortgefüges die eigenartige Par¬ 
aphasie und Paragraphie. Nun haben wir schon in der Einleitung darauf hin- 

*) Man wird festhalten dürfen, daß, wenn die im Agrammatismus, ganz all¬ 
gemein genommen, gestörte Funktion, die im Wesentlichen mit Martys konstruk¬ 
tiver innerer Sprachform zusammenfällt, eine von der Evokation der Wortformel 
differente Erscheinung ist, auch die psychologische Lokalisation der beiden nicht 
zusammenfällt, demnach die endophasische Formel Saint - Pauls jedenfalls bei 
der Gestaltung der agrammatischen Störungen von keinem oder wenigstens keinem 
erheblichen Einflüsse ist. 

2 ) Es wird auf den diesen Ausführungen zugrunde liegenden Fall im patho¬ 
logischen Teile vor Allem deshalb ausführlicher zurüekzukommen sein, weil er bis 
in die letzte Zeit als Standardfall für die vom Verfasser bekämpfte, der seinen gegen¬ 
teilige Ansicht von der Lokalisation des Agrammatismus im Stirnlappen ins 
Treffen geführt wird. Hier sei dem gegenüber nur kurz ausgeführt, daß der Kranke 
mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Erscheinungen zur Beobachtung kam, 
daß über die dieser vorangehenden Sprachstörung nichts Genaueres bekannt ist, 
so daß die aus den Erscheinungen erschlossene Annahme, es liege ein Fall moto¬ 
rischer Aphasie und davon herrührenden Agrammatismus vor, durchaus nicht 
bewiesen ist; es steht bei dem Fehlen des Sektionsbefundes der Annahme nichts 
entgegen, daß es sich um eine anfänglich vorhanden gewesene Totalaphasie handelt, 
deren sensorische Komponente sich wie so häufig zurückgebildet hat und demnach 
der Agrammatismus als Kesterseheinung einer Schläfelappenläsion im Sinne des 
Verfassers zu deuten wäre. 



Pathologische Nutzanwendung. 


291 


gewiesen, daß die Linguisten und Sprachpsychologen einer synthetischen Auf¬ 
fassung sowohl des Satzes wie des Wortes durchaus widersprechen, und daß 
vor Allem die Analogisierung des Satzgefüges mit demjenigen des Wortes ganz 
unzutreffend ist x ), demnach auch die Einreihung des Agrammatismus unter 
die Paraphasien nicht berechtigt ist. Auf die weiteren, aus der ganzen Sach¬ 
lage für die Frage der Lokalisation des Agrammatismus sich ergebenden Kon¬ 
sequenzen gehen wir hier nicht ein; dagegen ergibt sich daraus für unsere 
Frage, daß die von Heilbronner befolgte Methode der Argumentation jeden¬ 
falls der breiteren Fundierung in den hier dargelegten spraehpsychologischen 
Anschauungen von der inneren Sprache und inneren Sprachform bedarf. 

x ) Wie Sprachpsychologen über eine derartige auf der Analogie zwischen 
Wort- und Satzgefüge aufgebauten Ansicht denken, mag noch die nachstehende 
Anführung aus Wundt (Die Sprache. I, p. 599) illustrieren: „Die alte Vorstellung, 
der Satz werde aus ursprünglich selbständig existierenden Wörtern zusammen¬ 
gesetzt, kann heute wohl ... als beseitigt gelten. Sie ist hier der verwandten An¬ 
sicht der alten Stoiker, das Wort selbst sei eine Verbindung von Silben und Buch¬ 
staben, allmählich nachgefolgt.“ 


19* 




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Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 

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Wien, E. Payr-Leipzig, C. Frh. von Pirquet-Wien, F. Sauerbruch-Zürich, A. Schitten- 
helm-Königsberg, W. Straub-Fteiburg, VV. Trendelenburg-Innsbruck, P. Uhlenhuth- 

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A. Frh, von Eiseisberg- Wien, A. Kolisko-Wien, F. Martins- Rostock 
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erscheint in zwanglosen Heften, die zu Bänden von je 30— 40 Bogen (je nach Zahl und Art 
der beigegebenen Abbildungen) vereinigt werden. Der Preis jedes Bandes beträgt M. 28.— 

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dozent Dr. F. Quen sei- Leipzig, Prof. Dr. M. Rot hm ann-Berlin, Prof. Dr. 
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Klinik. Von Dr. H. di Gaspero, I. Assistent an der k. k. Universitäts-Nerven- 
klinik in Graz. Mit 38 Figuren im Text und auf einer Tafel. 1912. Preis M. 8.50. 

Heft 4. Affektstöruilgen. Studien über ihre Ätiologie und Therapie. Von 
Dr. med. Ludwig Frank, Spezialarzt für Nerven- und Gemütskrankneiten in 
Zürich, ehern. Direktor der kantonalen Irrenheilanstalt Mttnsterlingen, Thurgau. 
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Heft 5. Über das Sinneslehen des Neugeborenen. (Nach physiolo- 

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Kelix Plaut, Wissenschaftlicher Assistent an der psychiatrischen Universitäts¬ 
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