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Full text of "Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie 8.1913"

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In die „Sammlung von Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neu¬ 
rologie und Psychiatrie“ sollen Arbeiten aufgenommen werden, die Einzel¬ 
gegenstände aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie in mono¬ 
graphischer Weise behandeln. Jede Arbeit bildet ein in sich abgeschlossenes 
Ganzes. 

Das Bedürfnis ergab sich einerseits aus der Tatsache, daß die Redaktion 
der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie wiederholt genötigt 
war, Arbeiten zurückzuweisen nur aus dem Grunde, weil sie nach Umfang 
oder Art der Darstellung nicht mehr in den Rahmen einer Zeitschrift paßten. 
Wenn diese Arbeiten der Zeitschrift überhaupt angeboten wurden, so beweist 
der Umstand andererseits, daß für viele Autoren ein Bedürfnis vorliegt, 
solche Monographien nicht ganz isoliert erscheinen zu la^en. Es stimmt 
das mit der buchhändlerischen Erfahrung, daß die Verbreitung von Mono¬ 
graphien durch die Aufnahme in eine Sammlung eine größere wird. 

Die Sammlung wird den Abonnenten der „Zeitschrift für die ge¬ 
samte Neurologie und Psychiatrie“ zu einem um ca. 20% ermäßigten 
Vorzugspreise geliefert. 

Angebote und Manuskriptsendungen sind an einen der Herausgeber, 

Professor Dr. A. Alzheimer, Breslau, Auenstraße 42 oder 

Professor Dr. M. Lewandowsky, Berlin W 62, Lutherstraße 21 
erbeten. 

Die Honorierung der Monographien erfolgt nach bestimmten, zwischen 
Herausgebern und Verlag genau festgelegten Grundsätzen und variiert nur Je 
nach Höhe der Auflage. 

Abbildungen und Tafeln werden in entgegenkommender Weise ohne 
irgendwelche Unkosten für die Herren Autoren wiedergegeben. 













MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND 

PSYCHIATRIE 


HERAUSGEGEBEN VON 

A. ALZHEIMER-BRESLAU UND M. LEWANDOWSKY-BERLIN 

HEFT 8 


DAS ZITTERN 

SEINE ERSCHEINUNGSFORMEN, SEINE PATHO¬ 
GENESE UND KLINISCHE BEDEUTUNG 


VON 

* 

M. ü. Dr. JOSEF PELNÄR 

A. 0. PROFESSOR AN DER BÖHMISCHEN UNIVERSITÄT IN PRAG 


AUS DEM TSCHECHISCHEN ÜBERSETZT VON 


M. U. DR. GUSTAV MÜHLSTEIN IN PRAG 
MIT 125 TEXTFIGUREN 



BERLIN 

VERLAG VON JULIUS SPRINGER 

1913 


Preis M. 12 .— 

für die Abonnenten der „Zeitschrift für die gesamte Neurologie und 
Psychiatrie 4 * Preis M. 9 MO 









Alle Rechte, insbesondere das der Uliersetzung in fremde Sprachen, 
sind Vorbehalten. 

Copyright 1913 by Julius Springer in Berlin. 


Druck der König]. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg:. 



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V 


Vorwort. 

Während meiner Tätigkeit als Assistent der medizinischen Klinik des 
Prof. Thomayer behandelte ich eine größere Anzahl von Kranken, welche ein 
Zittern des Körpers und der Extremitäten aufwiesen. Die unklaren Krankheits¬ 
bilder bei Unfallkranken, welche von Ärzten und von der Unfall Versicherungs¬ 
anstalt der Klinik zugewiesen wurden, fesselten mein Interesse, besonders durch 
die verschiedenen Zitterformen, welche oft große diagnostische Schwierigkeiten 
darboten. Unter dem Einflüsse der Lehre von Charcot, ,,daß man, wenigstens 
allgemein, behaupten könne, eine jede Zitterform, die sich nosologisch unter¬ 
scheiden lasse, zeige eine besondere, bestimmte Zahl von Schwingungen in 
der Sekunde“ (Poliklinik 1887/1888) registrierte ich fleißig all§ Fälle von Tremor 
mit Hilfe der gewöhnlichen graphischen Methoden. Auf diese Weise häufte 
sich mir ein großes kasuistisches Material an, zu dessen Verarbeitung ich mich 
erst in den letzten Jahren entschloß, indem ich dasselbe durch neue Erfahrungen 
und durch ein eingehendes Studium der Literatur ergänzte. Auf diese Weise 
entstand der erste Teil dieser Arbeit, in welchem ich die äußeren Erschei¬ 
nungsformen des Zitterns, wie sie sich bei verschiedenen Zuständen dem Be¬ 
obachter darbieten, monographisch behandle. Meine Absicht war, durch diese 
meine Arbeit dem Fachmann ein handliches und doch möglichst erschöpfendes 
Buch über diesen Gegenstand zu liefern, wie ich es in der Literatur der letzten 
Jahrzehnte nicht aufzufinden vermochte. Hierbei hielt ich mich an das zwar 
nicht logische, aber praktisch bequeme Einteilungsprinzip nach den äußeren 
Umständen, unter welchen das Zittern beobachtet wird. Ich übernahm daher 
die Gruppen der adynamischen, toxischen, zerebralen, familiären, hereditären 
Zitterformen, trachtete aber jene klinischen Bilder, welche mir nur gezwungen 
in die genannten Gruppen eingereiht schienen, kritisch abzusondem. Dadurch 
versuchte ich in mancher Hinsicht Ordnung in die bis jetzt herrschende Verwir¬ 
rung zu bringen und erleichterte ich mir da« spätere Studium der Pathogenese. 
>■— Die größte Schwierigkeit boten die verschiedenen Zitterformen bei den 
Hysterischen, weil sich dieselben nach keinem einheitlichen Einteilungsprinzip 
unterscheiden lassen; ich unternahm den Versuch, sie für den rein klinischen 
Bedarf nach der äußeren klinischen Erscheinung einzuteilen. Als Merkmal 
für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe galt mir die auffallendste 
äußere Eigenschaft des Zitterns ohne Rücksicht auf eventuelle Nebenerschei¬ 
nungen. Dabei ging ich von der vortrefflichen Beschreibung Dutils aus und 
stützte mich vorwiegend auf eigene Beobachtungen und klinische Kranken¬ 
geschichten. 

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2 


33 18 7 6 „ 



IV 


Vorwort. 


Im zweiten Teile meiner Arbeit versuchte ich zu einer Erklärung der 
Pathogenese des Zitterns zu gelangen. Dieses Problem war schon wiederholt 
Gegenstand ernster Forschungen, doch ist man bis jetzt über allgemeine Er¬ 
wägungen nicht hinausgekommen. Seit den 70er Jahren des vorigen Jahr¬ 
hunderts, als die ersten Erfahrungen der Muskelphysiologie zur Basis der Er¬ 
klärung gemacht wurden (Fernet 1872), waren die Fortschritte auf diesem Ge¬ 
biete so gering, daß Dejerine noch im Jahre 1901 den Satz niederschreiben 
konnte: ,,En somme nous ignorons la physiologie pathologique du tremble- 
ment.“ 

Ich versuchte, alle Zitterformen auf Grund der Erfahrungen der experi¬ 
mentellen Muskelphysiologie und auf Grund unserer heutigen Anschauungen 
über den Mechanismus der zerebralen und spinalen Muskelinnervation begreiflich 
zu machen. Dabei bin ich mir der Anfechtbarkeit meiner Schlußfolgerungen 
wohl bew r ußt, zweifle aber nicht daran, daß auf dem von mir eingeschlagenen 
Wege mit Hilfe der zu erwartenden Fortschritte der experimentellen Physio¬ 
logie und Pathologie des motorischen Systems auch die bis jetzt noch bestehenden 
Unklarheiten werden beseitigt werden können. 

Als die schwierigsten Kapitel möchte ich jene über das zerebrale Zittern, 
den Intentionstremor bei Sklerose, das Parkinsonsche und das senile Zittern 
ansehen. Meine Hypothese über das Wesen des senilen und Parkinsonschen 
Zitterns möchte ich nur als ersten Versuch zur Erkenntnis bisher für unerklär¬ 
bar angesehener pathologischer Erscheinungen aufgefaßt wissen. Der Zweck 
dieser meiner Arbeit wäre erfüllt, wenn meine Hypothese die Anregung zu 
weiterer experimenteller Forschung auf dem Gebiete der Muskelphysiologie 
geben würde — selbst dann, wenn sich meine Ausführungen mancherlei Korrektur 
gefallen lassen müßten. 

In einzelnen Fragen wird man meines Erachtens auf Grund meiner 
Analyse vielleicht auch auf dem Wege der klinischen Beobachtung weitere 
Fortschritte machen können, wenn sich die klinische Forschung in dieser neuen 
Richtung bewegen wird; so z. B. wird man bezüglich des Zitterns bei der 
Herdsklerose, bezüglich der Parkinsonschen Krankheit und der idiopathischen 
Zitterformen, die ich als „kombiniert“ bezeichne, Krankengeschichten von 
neuen Standpunkten aus anlegen müssen. Einer weiteren Entwickelung scheinen 
mir ferner fähig zu sein die theoretisch sehr interessanten Fragen der sogenannten 
„Allorhythmie“ und das Kapitel über die zerebralen und zerebellaren Bew egungs¬ 
störungen, zu denen ich auch das Intentionszittem der Herdsklerose und die 
disharmonische Bewegung infolge von Kleinhimläsionen zähle. 

Das Kapitel über die diagnostische Bedeutung der verschiedenen 
klinischen Formen des Zitterns zeigt, daß sich meine ursprünglichen, durch die 
Charcotsche Lehre geweckten Hoffnungen nicht erfüllt haben. Ich kam zu 
der Überzeugung, daß die kleinen Unterschiede in der Frequenz des Zitterns 
eine nur sehr geringe diagnostische Bedeutung haben. Dagegen konnte ich 
bei der systematischen Verarbeitung aller Zitterformen aus einzelnen der bis¬ 
herigen Gruppen (aus dem sogenannten toxischen, adynamischen, zerebralen, 
hereditären Zittern) gewisse, im Wesen sehr verschiedene Formen absondern, 
und andererseits in „ätiologisch“ verschiedenen Gruppen Erscheinungen heraus- 
finden, die ihrem Wesen nach identisch sind (z. B. den sogenannten hysteri- 
formen Typus, den sogenannten zerebralen Typus beim toxischen, emotiven, 



Vorwort. 


V 


adynamischen Zittern, denselben Typus bei den eigentlichen Gehimkrankheiten 
und bei einigen hereditären Zitterformen). 

Eine historische Einleitung habe ich absichtlich weggelassen; es wäre dies 
eine sehr schwierige und wohl nutzlose Arbeit gewesen, denn die Geschichte 
der Zitterlehre zerfällt in die Geschichte der einzelnen „ätiologischen“ Gruppen 
in deskriptiver Hinsicht und in die Geschichte der anatomischen Befunde und 
der pathogenetischen Hypothesen. Dagegen habe ich die klinischen Beschrei¬ 
bungen durch einige Bemerkungen über die wichtigsten literarischen Quellen 
ergänzt. 

Im ersten Teile habe ich zahlreiche Krankengeschichten und Zitterkurven 
publiziert, um meine teilweise abweichenden Beschreibungen zu begründen 
und künftigen Forschem ein vielleicht wertvolles Material zu erhalten. 

Am Schlüsse meiner Arbeit angelangt, danke ich vor allem meinem Lehrer 
Herrn Prof. Thomayer, der mir mit ungewöhnlicher Bereitwilligkeit das ge¬ 
samte klinische Material zur Verfügung stellte, und meinem geschätzten Freunde 
Herrn Prof. Syllaba, der die ganze Arbeit einer gründlichen und mir wert¬ 
vollen Kritik unterzog. Zu nicht geringerem Danke bin ich den Kollegen 
Assistenten der Klinik Thomayer für ihre ausgiebige Unterstützung verpflichtet, 
besonders dem Kollegen Primarius Van^sek in Brünn und den Kollegen 
Dr. Sieber, Sil und Vysu^il. Von großem Werte waren mir auch die zahl¬ 
reichen Rücksprachen mit dem Kollegen Prof. Lhotäk Ritter von Lhota, 
dessen Kompetenz auf dem Gebiete der Muskelphysiologie ich hierbei hoch- 
schätzen lernte. 

Die Kurven sind von der Firma Stenc in Prag treu und rein reproduziert; 
einzelne von ihnen mußten, um dem Drucke angepaßt zu werden, allzusehr ver¬ 
kleinert werden und müssen mit der Lupe studiert werden. 


Prag 1913. 


Prof. Dr. J. Pelnär. 



Inhalt. 


Seit© 


Allgemeine Bemerkungen. (Name, Begriff, Form, Ursachen, Regi¬ 
strierung. ). 1 

Erster (beschreibender) Teil. 7 

I. Physiologisches Zittern. 7 

II. Zittern infolge psychischer Erregung.11 

III. Zittern infolge Schwäche des Organismus.11 

IV. Zittern infolge Reizung der sensiblen Nerven. 15 

V. Toxisches Zittern.16 

1. Alkohol. 16 

2. Absinth.27 

3. Äther.27 

4. Schwefelkohlenstoff.27 

5. Schwefelwasserstoff.31 

6. Jodismus, Bromismus.31 

7. Chloral .32 

8. Kohlenoxyd, Leuchtgas.32 

9. Arsen.33 

10. Quecksilber.33 

11. Blei.45 

12. Chromsäure.47 

13. Zinn, Zink, Kadmium, Kupfer, Messing.47 

14. Thallium.47 

15. Mangan.47 

16. Nikotin.48 

17. Kaffee .49 

18. Tee.51 

19. Opium und Morphium .51 

20. Strychnin, Curare, Chinin, Atropin, Akonitin, Colchicin, Cicutin, 

Veratrin, Calabara, Pilokarpin, Kopaiva, Kampfer, Ergotin, Pellagra, 
Haschisch, Pilze.52 

21. Nebennieren.53 

22. Schilddrüse.54 

23. Parathyreoidea.55 

24. Autointoxikationen. Milk sickness.55 

VI. Tollwut. Urämie. Eklampsie. Diabetes. Gicht. Chroni¬ 
scher Gelenkrheumatismus. Syphilis.56 

VII. 1. Einfache Nervosität.57 

2. Neurasthenie.58 

3. Psychasthenie.58 

4. Psychosen.58 

5. Epilepsie.59 

a) im Intervall.59 

b) im Beginne des Anfalls.60 

c) nach dem Anfall.60 

d) Zitteräquivalente.60 












































Inhalt. 


VII 


Seite 

6. Hysterie.60 

a) Zittern wie bei Nervosismus überhaupt.63 

b) Vibrationszittem.63 

c) Pseudoparalysis agitans hysterica und das Zittern der Hände 

in der Ruhe überhaupt.68 

d) Monoplegisches Zittern in der Ruhe (traumatisch) .74 

e) Paraplegisches Zittern (Pseudoklonus).83 

f) Hysterisches Intentionszittern.84 

a) Fürstner-Nonne.85 

ß) Abasie tröpidanto.85 

y) Abasie saltatoire.86 

<5) nach Art der Herdsklerose.87 

g) Polymorphes Zittern. Bizarres Zittern.94 

Traumatische Neurosen.96 

Scheinbar „hysterisches“ Zittern.97 

Historische Bemerkungen .97 

Therapie. 98 

VIII. A. Basedowsche Krankheit.98 

Historische Bemerkungen.105 

Therapie.105 

B. Parkinsonsche Krankheit.105 

Historische Übersicht.130 

Therapie.131 

IX. Organische Nervenkrankheiten.133 

A. Disseminierte zerebrospinale Sklerose.133 

Therapie.139 

Gruppe der Pseudosklerosen. Hypertrophische Polyneuritis Typus 
Pierre Marie.139 

B. Herdförmige Gehimkrankheiten.140 

Posthemiplegisches Zittern .141 

a) wie bei Ermüdung.141 

b) wie bei Sklerose.141 

c) wie bei Schüttellähmung.143 

Benedikts Syndrom.144 

Anatomische Lokalisation .154 

C. 1. Progressive Paralyse.157 

2. Tabes dorsalis.157 

3. Sklerose der Seitenstränge.158 

Friedreichsche Krankheit.158 

Zerebellare Heredoataxie.158 

4. Polyneuritis.159 

X. A. Idiopathisches Zittern, kongenital, familiär, hereditär 161 

1. Einfach (essentiell).162 

2. Langsam, ähnlich dem senilen.167 

3. Intentionszittern .170 

4. Sekundäres Zittern.174 

B. Alterszittern (senil).175 

XI. Mechanisches Zittern.178 

Zweiter Teil. Pathogenese des Zitterns.179 

I. Physiologisches Zittern.179 

Historische Bemerkungen .186 

II. Zittern infolge psychischer Erregungen.187 

III. Advnamisches Zittern.188 





















































VIII 


Inhalt. 


Seite 

IV. Zittern infolge Reizung sensibler Nerven.188 

V. VI. Toxisches Zittern.188 

Allgemeine Schlüsse.192 

1. Einfaches Zittern.192 

2. Zerebrales Zittern.192 

3. Hysteriformes Zittern.192 

VII. Nervosismus.195 

Hysterische Zitterformen .196 

VIII. Basedowsche Krankheit.197 

Parkinsonsche Krankheit.197 

Wesen der Parkinsonschen Krankheit.197 

Hypothese von dem herdförmigen zerebralen Ursprung .... 197 

Toxische Hypothese.205 

Eigene Ansichten.207 

Drüsen mit innerer Sekretion.215 

Schlußfolgerungen.218 

Intentionszittern bei Parkinsonscher Krankheit.227 

IX. A. Disseminierte zerebrospinale Sklerose.228 

B. Zerebrale Zitterformen.234 

C. Zerebellares Zittern.235 

D. 1. Progressive Paralyse.236 

2. Medulläre Erkrankungen.237 

3. Neuritis.237 

X. A. Essentielles Zittern.237 

B. Seniles und diesem analoges Zittern.238 

Kongenitales Zittern des Kopfes .240 

C. Hereditäres Intentionszittern und sekundäres Zittern 241 

XI. Mechanisches Zittern.241 

Dritter Teil. Symptomatologische Bedeutung des Zitterns.243 

Lokalisation: Zittern des Kopfes.243 

der oberen Extremitäten.243 

der unteren Extremitäten.243 

das Rumpfes.244 

Frequenz.244 

Größe.244 

Verhältnis zur Innervation.244 

Beständigkeit des Zitterns.245 

Verhältnis zur Grundkrankheit.245 

Allgemeine Betrachtungen.245 

Periodische Variationen der Intensität (AUorhythmie).246 

Simulation des Zitterns.247 

Literatur.253 

Index.257 












































Allgemeine Bemerknngen. 

Das klinische Symptom, welches den Gegenstand der vorliegenden Studie 
bildet, das Zittern, heißt lateinisch: tremor, palmus, ballisraus, disteria (agitans- 
Sanders), astasia muscularis (Gubler), polnisch drganie, böhmisch treseni, 
russisch dro^anje, französisch tremblement, italienisch tremore, ballarella, 
spanisch tremblor (calambres modorros bei Quecksilbervergiftung). 

Der Begriff des Zitterns. Man sollte glauben, daß eine Definition 
des Zitterns überflüssig wäre, daß der Begriff des Zitterns des Körpers oder 
eines Teiles desselben einem jeden ohne weiteres klar wäre, und doch ist dies 
nicht der Fall, denn eine einheitliche Auffassung des Zitterns wird eben dadurch 
erschwert, daß die einzelnen Autoren verwandte, aber doch wesentlich ver¬ 
schiedene Erscheinungen unter dem Begriff des Zitterns subsumieren. 

Unter Zittern verstehen wir eine unwillkürliche, rasche, geringe, um die 
Gleichgewichtslage schwingende, annähernd regelmäßige, anhaltende Bewegung 
in irgend einem Gelenke oder in einer synergischen Gelenksgruppe, welche den 
Organismus nicht merklich ermüdet und den ergriffenen Körperteil nicht hindert, 
bei einer Bewegung die gewollte Richtung einzuhalten und ihr Ziel zu erreichen. 

Diese Definition wird uns aus einigen praktischen Beispielen am besten 
per exclusionem klar werden. Als Zittern bezeichnen wir nicht: 

1. Die willkürliche, gewollte, durch den Willen hervorgerufene Bewegung, 
es wäre denn, daß es sich um eine Imitation oder Simulation des Zitterns handelt. 

2. Die Bewegungen in einem Muskel oder in einigen Muskeln, welche aber 
nicht zu Bewegungen eines Gelenkes führen, wie z. B. die sogenannte Myokymie, 
das Muskelwogen; oder gar in einzelnen Muskelbündeln, wie z. B. die fasziku¬ 
lären, bündelweisen Muskelkontraktionen und^las „fibrilläre Zittern“, Flimmern. 

3. Die langsamen, wurmähnlichen, wellenförmigen Bewegungen bei der 
Athetose; auch nicht das langsame Schwanken der Glieder bei der Ataxie. 

4. Die nach einer Richtung stattfindende, wenn auch wiederholte Be¬ 
wegung beim sogenannten Tic. 

5. Die ganz unregelmäßigen Bewegungen bei der Chorea, welche die Extre¬ 
mität daran hindern, die Richtung einzuhalten und das Ziel zu erreichen. 

6. Den ermüdenden, die Muskelkraft geradezu erschöpfenden, zuckenden 
Krampf bei der Epilepsie oder bei der Gehirnreizung. — 

Das Zittern kommt bei beiden Geschlechtern vor und tritt gewöhnlich 
jenseits der Kinderjahre in jedem beliebigen Alter auf, wird aber auch bei 
kleinen Kindern, ja sogar auch bei Säuglingen beobachtet. 

Pein Ai-, Zittern. 


1 



2 


Allgemeine Bemerkungen. 


Bis auf geringe und überdies zweifelhafte Ausnahmen (Stimmbänder) 
wurde das Zittern bis jetzt nur in der willkürlichen Muskulatur (muscles de 
la vie de r&ation), aber noch nie in der Muskulatur der Eingeweide (de la vie 
organique) beobachtet. Es befällt gewöhnlich eine Extremität oder zwei Extre¬ 
mitäten oder den Kopf, die Zunge (lokalisiertes Zittern), seltener den ganzen 
Körper (universelles Zittern); manchmal eine Extremität (monoplegisch), eine 
Körperhälfte (hemiplegisch), selten die beiden unteren Extremitäten (para- 
plegisch). Bezüglich der Häufigkeit kann man im großen und ganzen die Skala 
von Moebius annehmen: Hände > Kopf > Zunge > Vorderarm > Oberarm 
>Unterkiefer >>>Füße >> Augen. Nur möchte ich zwischen Hände und Kopf 
noch die Augenlider und die mimischen Muskeln einschieben. Das Zittern des 
Kopfes erfolgt um eine vertikale (tremblement n6gatif) oder um eine horizontale 
Achse (tremblement affirmatif). Das Zittern der Zunge stört die Sprache 
(parole entrecoup^e, chevrotante Dejerine), jenes der Hände stört die Schrift 
und zerreißt dieselbe, wenn es in querer Richtung vor sich geht; ist es intensiv, 
wirkt es störend bei Bewegungen und bei der Arbeit. 

Nach seiner Dauer ist das Zittern ein momentanes, z. B. im Zustande 
der Angst, beim Schüttelfrost, nach einer Adrenalininjektion, oder ein zeitlich 
begrenztes: in hysterischen Zitteranfällen, oder ein dauerndes Das dauernde 
Zittern kann wiederum ein unablässiges sein, welches, wie z. B. bei der Schüttel¬ 
lähmung, ganze Tage, Wochen, Monate und Jahre dauern kann, oder ein inter¬ 
mittierendes, welches nach mehreren Tagen oder Wochen verschwindet, um 
nach einiger Zeit von neuem zu erscheinen. 

Nach seiner Intensität kann es gleichmäßig oder ungleichmäßig oder 
wellenförmig sein, wenn seine Intensität analog der Atmungstiefe beim soge¬ 
nannten Cheyne-Stokesschen Atmungstypus periodisch (aber gewöhnlich 
nicht so regelmäßig wie bei dieser Atmung) zu- und abnimmt (Noeuds, Allo- 
rhythmie, spindelförmige Kurven usw.). Es kann fein, deutlich bis grob sein 
(Schütteln, Trepidation in den Händen, Hüpfen in den Füßen). Die einzelnen 
Schwingungen, die sich graphisch als Wellen (616ment du tremblement nach 
Magnola) darbieten, sind bezüglich ihrer Größe untereinander gleich oder 
ungleich; wenn der Unterschied nicht groß ist, sprechen wir noch von gleich¬ 
mäßigem Zittern, weil ein wirklich streng gleichmäßiges Zittern selten Vorkommen 
dürfte; sie sind einfach oder aus 2—3 kleinen Wellen zusammengesetzt, was 
aber seinen Grund eher im Mechanismus des Registrierapparates (der nur in 
einer Ebene zeichnet, während die Bewegung in mehreren Ebenen stattfindet) 
als in der Muskelbewegung haben dürfte (manche Muskeln oder Muskelgruppen, 
welche das Zittern hervorrufen, kontrahieren sich nicht ganz gleichzeitig). 

Nach der Dauer der einzelnen Schwingungen ist das Zittern rhyth¬ 
misch oder (seltener) arhythmisch, schnell (vibratoire, Schwirren) oder langsam. 


Schon Hippokrates (Buch III von den Epidemien — zit. Latteux — 
und ferner beim Delirium tremens, im Beginn der Paralyse und der Demenz), 
ferner Galen (de sympt. causis — zit. Latteux), Celsus, Aretaeus, Paulus 
von Aegina beschrieben das Zittern und unterschieden das Zittern im 
Ruhezustand vom Zittern bei der Bewegung. Wenn wir die Neuzeit 



Allgemeine Bemerkungen. 


3 


der Medizin von den Arbeiten van Swietens datieren, finden wir bis auf seine 
Zeit nichts Neues und van Swieten selbst hat das Alte gläubig wiederholt. 
Gübler fügte in seiner im Jahre 1860 publizierten Arbeit eine dritte Gruppe 
des Zitterns hinzu, die wir als Zittern bei der statischen Innervation 
bezeichnen, das ist jenes Zittern, welches sich einstellt, wenn wir die Extremitäten, 
den Kopf, den Rumpf in einer bestimmten, von dem vollkommenen Ruhezustand 
verschiedenen Position erhalten wollen; hierher gehört das Stehen, die Position 
der gestreckten Extremitäten, die Stellung der oberen Extremitäten bei der 
katholischen Eidesleistung usw. (attitudes fixes). 

* * 

* 

Wollte man die Ursache des Zitterns angeben, müßte man fast die ganze 
Pathogenese anführen. Bis jetzt beschränkt sich die Angabe der „Ursache“ 
des Zitterns auf die Aufzählung jener physiologischen und pathologischen Um¬ 
stände, unter denen und nach welchen das Zittern aufzutreten pflegt. Diese 
Aufzählung ist nicht ohne Bedeutung; abgesehen von der Diagnostik, können 
diese Umstände den Zustand des Nervenmuskelsystems und des Organismus 
überhaupt, in welchem das Zittern auftritt, beleuchten und auf diese Weise 
zur Erklärung des Zitterns beitragen. 

Diese Umstände können wir in folgende Gruppen zusammenstellen: 

I. Das Zittern bei gesunden Menschen oder das physiologische Zittern. 

II. Psychische Emotionen: 

Viel häufiger unangenehme: Furcht, Schreck, Ärger, Trauer 
als angenehme: Freude, Sehnsucht, Liebe, Hoffnung. 

III. Schwächung des Organismus (6tat adinamique-Fernet): 

Beim Heben schwerer Lasten, 

bei Kämpfen, namentlich bei Liebeskämpfen, 

nach Exzessen in venere, 

nach exzessiver Onanie, 

nach raschen Märschen, 

nach Krämpfen, 

nach Blutungen, 

bei Hunger, 

bei Anämie, speziell bei der perniziösen Anämie, 
bei Chlorose, 
beim Stillen, 

in der Rekonvaleszenz, namentlich nach einigen Infektionskrankheiten, 
bei allgemeinen Ernährungsstörungen, besonders bei Kindern. 

IV. Reizung sensibler Nerven: durch Kälte, scharfe Verletzung, Katheteris¬ 
mus (?). 

V. Vergiftungen: 

Mit Alkohol, Äther, Absinth, 

mit Schwefelkohlenstoff, Schwefelwasserstoff, Jod, Brom, Chloralhydrat, 
Kohlenoxyd, 

mit Arsen, Quecksilber, Blei, Chrom, Zink, Zinn, Kadmium, Kupfer, 
Thallium, Mangan, 


1* 



4 


Allgemeine Bemerkungen. 


mit Nikotin, Coffein, Thein, Opium und Morphium, Strychnin, Curare, 
Chinin, Atropin, Hyoscyamin, Colchicin, Akonitin, Cicutin, Veratrin. 
Physostigmin (Calabara), Pilokarpin, 
mit Kampfer, Kopaiva, 

bei Ergotismus, Pellagra, nach Haschisch, bei der Vergiftung mit 
Schwämmen, 

bei der Vergiftung mit Nebenniere, Schilddrüse, Parathyreoidealdrüschen 
und durch krankhaften Stoffwechsel überhaupt (Autointoxikation). 

VI. Urämie, Eklampsie, Wutkrankheit, Tetanus, Diabetes, Syphilis. 

VII. Nervenkrankheiten: 

Neurosen: Nervosismus, Neurasthenie, Psychasthenie, Epilepsie, Hysterie. 

VIII. A. Basedowsche Krankheit, 

B. Parkinsonsche Krankheit. 

IX. Organische Erkrankungen des Nervensystems. 

X. Heredität. Familiäre Erscheinungen. Alter. 

XI. Mechanische Einflüsse (Erschütterungen u. dgl.). 

Registriert wurde das Zittern bis jetzt nach vier Methoden: 

I. Mittels der myographischen Methode, i. d. durch Fixierung der Kurven 
der sich kontrahierenden Muskeln mit dem Myographen von Marey 
(Lorrain, Fernet) oder mit dem Sphygmographen von Dudgeon 
(Dana und Peterson) oder durch Registrierung der Bewegungen langer 
Nadeln, die unter Lokalanästhesie in die Muskeln eingestochen wurden 
(Jentsch). 

II. Mittels der Schrift des Patienten. Dieser Methode bedient man sich nur 
aushilfsweise, weil sie uns nichts Näheres über die Qualität und die Schnel¬ 
ligkeit des Zitterns sagt und weil es Fälle von Zittern gibt, die sich durch 
die Schrift überhaupt nicht verraten. Am ehesten kann man das Zittern 
durch lange Striche veranschaulichen, die der Patient mit einer Feder 
zeichnet, ohne die Hand auf eine Unterlage zu stützen. 

III. Mittels der photographischen Methode. Dutil und Londe befestigten 
an den zitternden Körperteil ein elektrisches Lämpchen, das möglichst 
klein gewählt wurde, um ein punktförmiges Licht zu erzielen, und fixierten 
das Zittern in der Dunkelkammer auf einer in Bewegung gesetzten photo¬ 
graphischen Platte. 

IV. Mittels Übertragung der gesamten Bewegung auf den Registrierapparat. 

Auf diesem Prinzip ist eine ganze Reihe von Methoden aufgebaut. 

1. Marey benützte seine Trommel, an deren Kautschukplatte er eine Blei¬ 
scheibe anbrachte (tambour k reaction). Diese Trommel befestigte er an die 
dorsale Metakarpalfläche der zitternden Hand oder er ließ sie den Patienten 
mittels eines Griffes in der Hand halten. Das Innere der Trommel war mittels 
eines Kautschukröhrchens mit dem Innern der zweiten, die schreibende Feder 
tragenden und so das Zittern registrierenden Trommel (le recepteur), ver¬ 
bunden. Auf diese Weise arbeiteten Fernet, Marie und Dutil u. a. 



Allgemeine Bemerkungen. 


5 


2. Magnol (1894) benützte die Mareysche Trommel k reaction, aber 
statt des Bleigewichtes befestigte er an die Kautschukmembran einfach einen 
Metallzapfen und an diesen einen einarmigen Hebel aus leichtem Holz, dessen 
kurzer Arm fixiert und auf die zitternde Extremität neben der Trommel gestützt 
und dessen längerer, freier Arm mit einem Gewicht versehen ist. Wenn die 
Trommel zittert, stößt sie gegen den Hebel, hebt ihn aber nicht (weil das er¬ 
wähnte Gewicht dies verhindert), sondern die Kautschukplatte wölbt sich vor 
und überträgt auf diese Weise die Bewegung von der Trommel auf den Rezeptor, 
der mit der ersten Trommel wie im vorhergehenden Fall verbunden ist. Diese 
mit dem Hebel versehene Trommel (transmetteur) läßt sich nach Belieben an 
dem zitternden Glied anbringen und Magnol befestigte z. B. an der oberen 
Extremität gleichzeitig drei Trommeln in drei verschiedenen Ebenen, so daß 
das Zittern in allen drei Ebenen gleichzeitig gezeichnet wurde. Sommer 
konstruierte im Jahre 1895 einen ähnlichen Apparat für Bewegungen in allen 
drei Ebenen, und zwar einen Hebelapparat, der das Zittern in vergrößertem 
Maßstabe zeichnete, und gibt an, daß schon vor ihm im Jahre 1894 Werthei m- 
Salomonson (der aber nach seiner eigenen Publikation aus dem Jahre 1897 
die alte Mareysche Trommel benützte) das Zittern tridimensional untersucht 
habe. 

3. Verdin in Paris vervollkommnete die Mareysche Trommel dadurch, 
daß er den hölzernen Griff verlängerte und an die Kautschukmembran einen 
Metallzapfen anbrachte, an welchen je nach Bedarf drei verschiedene Metall¬ 
zylinder (Gewichte) angeschraubt werden. Dieser Apparat stand in unserer 
Klinik in Verwendung. 

4. Le Filliatre brachte an der Mareyschen Trommel einen ähnlichen 
Hebel an wie Magnol, aber die Trommel und der Stützpunkt des Hebels sind 
bei ihm fixiert; von dem zitternden Finger des Patienten resp. von dessen Hand, 
Kinn, Zunge, verläuft ein Faden, der an dem längeren Hebelarm angreift und auf 
diese Weise die Kautschukmembran der Trommel bewegt, von welcher die 
Luftwellen auf den Rezeptor übertragen werden. (Er bezeichnete seinen Apparat 
als Tromograph.) 

5. Eine ähnliche Anordnung benützte Kollarits, nur daß bei ihm der 
Kranke nicht an dem Hebel zieht, sondern denselben nur mit dem Finger oder 
mit der Hand berührt, wodurch er die Trommelmembran bewegt. 

6. Delabarre zeichnet das Zittern des Fingers in zwei Ebenen in der 
Weise, daß der Finger in eine Art Fingerhut gesteckt wird; dieser ist durch 
einen über zwei Rollen laufenden Faden mit zwei Federn verbunden, die der 
Finger bewegt und zwar in der Weise, daß die eine Feder durch die vertikale 
Schwingung des Fingers, die andere Feder durch dessen horizontale Schwingungen 
in Bewegung gesetzt wird. 

7. Busquet und Bloch konstruierten einen Hebelapparat, bei welchem 
der Hebel an der Grenze zwischen dem 1. und 2. Zehntel seiner Länge gestützt 
ist. Der längere Hebelarm ist mit der registrierenden Feder verbunden, während 
an dem kürzeren Arm der zitternde Finger oder das Glied angreift; jede Be¬ 
wegung wird in achtfacher Vergrößerung registriert (appareil d’amplification 
du tremblement). 

8. Pierre Marie gab dem Kranken einen Kautschukball in die Hand, 
dessen Inneres wiederum mit dem Inneren eines Mareyschen Rezeptors ver- 



6 


Allgemeine Bemerkungen. 


bunden ist. Mit Hilfe dieser Methode werden insbesondere individuelle Finger¬ 
bewegungen fixiert. 

9. Fubini taucht die zitternde Hand in den Hydrosphygmographen von 
Mos so ein, durch welchen die Bewegung der Flüssigkeit auf den registrierenden 
Apparat übertragen wird. 

10. Morselli benützte ein Dynamometer, dessen Zeiger mit einer Registrier¬ 
vorrichtung verbunden ist und den der Kranke mit der Hand drückte (Dynamo¬ 
graph). Um auch das Zittern der ruhigen Hand registrieren zu können, benützte 
Ughetti ein Dynamometer, das einer Ktichenfederwage ähnlich ist, bei der 
die Schale durch einen Knopf, auf den die Hand gelegt wird, ersetzt ist. Der 
Dynamometerzeiger ist mit der Registrierfeder verbunden. 

11. Panichi benützte zum Studium des Zitterns der Finger das Ergo- 
gramm des Apparates von Mosso. 

Alle Methoden, welche das Zittern en bloc registrieren, besitzen zwei 
Fehler: erstens den, daß sie das zarte, mehr tast- als sichtbare Zittern nicht 
verzeichnen; die Methoden von Filliatre und Busquet, welche diesen Fehler 
vermeiden wollen, sind wieder viel zu fein und vergrößern auch jede störende 
Mitbewegung; auch läßt sich schwer mit ihnen arbeiten. Ein weiterer Fehler 
ist der, daß sie das Zittern nur in einer Ebene registrieren und bei jenen Formen 
des Zitterns, welche abwechselnd in verschiedenen Ebenen oder mehr oder 
weniger rotierend vorsichgehen, unregelmäßige Interferenzkurven zeichnen. 
Die Methoden von Magnol und Sommer, welche diesen Fehler vermeiden 
wollen, sind zwar ziemlich vollkommen, aber sehr kompliziert und können nur 
von jenen Glücklichen benützt werden, welche zu der mühseligen Registrierung 
und Interpretation der Kurven die genügende Zeit haben. 

Für klinische Arbeiten eignet sich am besten der an einem Griff befestigte 
Mareysehe Tambour ä r^action mit Gewichten (Verdins Appareil ä registration 
du tremblement). Ich bin mit diesem Apparat fast in allen Fällen ausge¬ 
kommen. Wo das Zittern zu zart ist, werden nur jene Partien der Kurve be¬ 
achtet, wo Wellen verzeichnet sind 1 ). Wenn man den Einfluß der intendierten 
Innervation (z. B. bei der Parkinsonschen Krankheit) ausschließen will, 
befestigt man die Trommel mittels einer Binde oder eines Pflasters an die Hand. 
Erfolgt das Zittern in mehreren Ebenen, muß man darauf achten, wo es sich 
auf der Kurve um ein Interferenzbild handelt und wo um das Zittern in einer 
einzigen Ebene, was uns bei einiger Übung leicht gelingt. Wenn wir uns auf 
die Kurve allein nicht beschränken müssen, sondern auch eine genaue Be¬ 
schreibung des Zitterns zur Hand nehmen, werden wir auch aus diesen gewöhn¬ 
lichen Kurven fast all das herauslesen, was uns die Kurven von Magnol, 
Sommer und Leupoldt sagen. 


x ) Hierbei hängt alles von der Qualität der Kautschukmembran ab, die 
bei den Pariser Apparaten die besten, dagegen weniger gut bei unseren und bei 
den deutschen Apparaten sind. 



Erster (beschreibender) Teil. 

I. Das physiologische Zittern. 

Man versteht darunter das Zittern der Hand unter den regelmäßigen Ver¬ 
hältnissen des normalen Lebens bei gesunden Menschen. 

Bei der großen Mehrzahl der gesunden Menschen bemerkt man mit bloßem 
Auge weder im Ruhezustand noch bei der Bewegung ein Zittern der Extremitäten 
oder des Rumpfes oder irgend eines Körperteiles. Wenn man aber die ge¬ 
streckten Hände genau beobachtet, bemerkt man an denselben ziemlich häufig 
eine leichte Unruhe, und legt man auf die ausgestreckten Hände seine eigene 
Handfläche, dann fühlt man häufig ein zartes Beben der Finger. Mit Hilfe 
irgend einer graphischen Methode kann man konstatieren, daß die Feder bei 
manchen Menschen, bei denen wir mit freiem Auge kein Zittern bemerkt haben, 
eine zarte wellige Kurve zeichnet (namentlich wenn man einen der empfindlichen 
Hebelapparate verwendet). Betrachten wir z. B. die Fig. 1. 



Bei Dr. P. sah man mit freiem Auge kein Zittern der Hand, noch konnte 
man es mit der aufgelegten Hand fühlen; und dennoch zeichnete, wenn Dr. P. 
den gewöhnlichen Mareysehen Apparat zur Registrierung des Zitterns in der 
Hand hielt, die Feder eine Kurve, die sich aus lauter kleinen, bezüglich der 
Zeit gleichen, aber bezüglich der Größe verschiedenen Wellen zusammensetzte, 
deren man 8—9 in der Sekunde zählte. Wir bemerken sofort, daß die größeren 
Wellen nicht vereinzelt sind, sondern sich in kleinen Gruppen unregelmäßig 
wiederholen. Diese Kurve wurde an einem Tage auf genommen, an welchem 
alle möglichen Einflüsse, welche das Zittern verursachen können (Alkohol, 
Nikotin, Emotionen), absichtlich schon im voraus ausgeschlossen wurden. 
Dr. P. erfreute sich während dieses Versuches der besten physischen und psychi¬ 
schen Gesundheit. — Das wäre ein Beispiel des physiologischen Zitterns. 

Unter analogen Umständen wurde eine Kurve von dem gesunden Manne 
Dr. S. aufgenommen (Fig. 2). Wiederum sehen wir ein zartes, regelmäßiges, 
rasches Zittern, dessen Wellen — 9 und stellenweise auch 10 in der Sekunde — 




8 


Erster Teil. 


nicht vollständig gleich, sondern da und dort größer, dann aber wiederum 
kaum erkennbar sind. Auch hier haben wir ein Beispiel des physiologischen 
Zitterns vor uns, denn Dr. S. ist körperlich und geistig gesund, stammt nicht 
aus einer mit Zittern behafteten Familie und hat weder im Ruhezustand, noch 
bei der Arbeit jemals gezittert, wenigstens ist er sich dessen nicht bewußt, daß 
seine Hände je gezittert hätten. 



Fig. 2. 


M. U. C. Z., 24 Jahre alt, gesund, ist weder Raucher, noch Trinker, hat ein 
leises, regelmäßiges Zittern, 10—11 Zuckungen in der Sekunde (Fig. 3). 

M. U. C. R., 24 Jahre alt, gesund, ist weder Raucher noch Trinker, hat 
genau dasselbe Zittern, 10—11 Zuckungen in der Sekunde (Fig. 3). 

Auf diesen beiden Kurven können wir stellenweise nur mit der Lupe, 



Fig. 3. 


an anderen Stellen nicht einmal mit dieser die kleinsten Elevationen sehen; 
wo diese aber vorhanden sind, sind sie stets gleich groß. 

Wenn wir in dieser Weise gesunde Menschen untersuchen, die sich dessen 
nie bewußt geworden sind, daß ihre Hände zittern, w r erden wir fast immer ein 
leises, manchmal aber auch ein gröberes und deutlicheres Zittern w r ahrnehmen. 



Fig. 4. 


So z. B. hat, wie wir sehen, Dr. P. ein ungleiches, regelmäßiges, aus 9 Zuckungen 
in der Sekunde bestehendes, während des ganzen Versuches gleichbleibendes 
Zittern (Fig. 5). 

Ein anderes Beispiel bietet uns Kollege J., ein 22 jähriger, gesunder Mann, 
der weder Raucher noch Trinker ist, in dessen Familie das Zittern nicht vor¬ 
kommt und bei dem ich die Kurve eines ziemlich groben, etw r as ungleichen, 
aber rhythmischen Zitterns aufnehmen konnte, dessen Frequenz 11,5—12 in 
der Sekunde beträgt (Fig. 4). 























Das physiologische Zittern. 


9 


Kollege V., ein 28jähriger, körperlich und geistig gesunder, aus gesunder 
Familie stammender Mann, der nur unbedeutend raucht und nicht trinkt, ruhig 
und ohne jede Ausschweifung lebt, weiß davon, daß seine Finger leicht zittern. 
Doch ist ihm dieses Zittern weder bei seiner Beschäftigung, noch bei x4rbeiten 
mit feinen Instrumenten hinderlich. Die Kurve Fig. 5 veranschaulicht sein 
Zittern; bei der Betrachtung mit der Lupe sehen wir ein regelmäßiges, rhyth¬ 
misches, sehr ungleiches Zittern von 8 — 8,5 Zuckungen in der Sekunde, bei 
welchem kleine und größere Wellen ganz regelmäßig miteinander abwechseln. 

Pitres behauptet, daß 40% aller gesunden Menschen ein derartiges 
leichtes Zittern besitzen; Fürbringer fand Zittern der Hand bei 58% aller 
an verschiedenen Krankheiten leidenden Patienten. Dr. Busquet in Paris 
studierte diese Frage mit einem Hebelapparat, welcher jede Zuckung der Hand 
vergrößert, und gelangte zu dem überraschenden Resultate, daß der Apparat 
bei einer jeden gesunden Person Zittern verzeichnete, werm die Hand in der hori¬ 
zontalen Lage verharren sollte (bei der sogenannten statischen Innervation), oder 
wenn die unterstützte Hand eine kräftige Muskelkontraktion ausüben sollte. Wenn 



Fig. 5. 


die Hand ruhig und gestützt ist, zittert sie nicht. Er fand weiter, daß nicht bloß 
die Hand, sondern auch die ganzen oberen und unteren Extremitäten, die Unter¬ 
schenkel, der Rumpf, der Unterkiefer unter analogen Umständen ebenfalls zittern. 

Je nach der Lokalisation war das Zittern verschieden schnell: an den ge¬ 
streckten Händen zählte man 7 Zuckungen in der Sekunde, wobei die Schnellig¬ 
keit zwischen 4 und 8 schwankte, an den unteren Extremitäten 3—5 in der 
Sekunde, am Rumpfe 3—4 in der Sekunde, am Unterkiefer 8 in der Sekunde. 
Die Schnelligkeit des Zitterns blieb bei demselben Menschen an demselben 
Körperteil stets gleich. 

Die Amplitude der Wellen oder die Intensität des Zitterns schwankt un¬ 
regelmäßig; nach Körperteilen geordnet konnte im allgemeinen die folgende, 
von den großen zu den kleinen Wellen absteigende Stufenleit3j aufgestellt 
werden: an der ganzen Unterextremität > am Unterschenkel allein > am 
Unterkiefer > am Hüftgelenk > an der zum Schw r ur erhobenen Hand > am Ober¬ 
arm > am gestreckten Rumpf > am gebeugten Rumpf > am Fuß > am 
Kopf > am Vorderarm > an der Hand. 

Kälte, Ermüdung und Emotionen bedingten eine vorübergehende Größen - 
Zunahme der Wellen, ohne deren Schnelligkeit zu ändern. 













10 


Erster Teil. 


Toxische Substanzen hatten folgenden Einfluß: 
eine Injektion von 0,001 g Strychnin änderte bei 4 Menschen nichts, 

der Genuß „ 2 „ Ergotin „ „ 3 „ „ 

,, ,, j> 1 » Coffein ,, » 4 ,, ,, 

,, 6 „ beschleunigte 

es um eine Welle in der Sekunde ohne die Höhe 
zu ändern, 

„ ,, „ 4 „ BrK täglich beschleunigte bei 5 Menschen um 

eine Welle und vergrößerte unbedeutend die 
Höhe, 

,, ,, „ 0,005 „ Arsenik täglich änderte eine lange Zeit hindurch 

nichts, 

„ ,, „ 0,01 „ Quecksilberjodid an 8 aufeinanderfolgenden Tagen 

änderte bei 3 Menschen nichts. 

Die Körpergröße war ohne Einfluß, ebenso das Alter. Nur bei Greisen 
mit atheromatösen Veränderungen der Gefäße war das Zittern größer. 

Bei 10 von 15 Frauen war das Zittern schwächer als bei Männern. 

Die Abnahme der Muskelkraft der einen Hand hatte eine Verstärkung 
des Zitterns auf der geschwächten Seite zur Folge, während sich auf der anderen 
Hand nichts änderte. Infolge Anstrengung (z. B. beim Jendrassikschen 
Versuch) wurde das Zittern stärker, aber nicht schneller. Ähnlich wirkte die 
Belastung der Extremität mit einem Gewicht, nur daß eine Welle in der Sekunde 
hinzukam. Wenn er den Blutzufluß durch elastische Umspannung beschränkte, 
änderte sich das Zittern nicht. Sodann prüfte er die psychologischen Einflüsse. 

Die intellektuelle Anstrengung (z. B. Rechnen) änderte nichts. Den Ein¬ 
fluß der Emotion prüfte er nicht, sondern er beruft sich auf die tägliche Erfah¬ 
rung, daß bei Emotionen, besonders bei den unangenehmen, Zittern auftritt. 
Demnach wird das physiologische Zittern durch die Emotion verstärkt. 

Nach den Untersuchungen Achards gibt es bei dem durch Emotion be¬ 
dingten Zittern 7—12 Zuckungen in der Sekunde, es ist demnach gegenüber 
der Norm auch beschleunigt. 

Wenn nach der Anleitung Sommers in dem Sommerschen Apparate 
jene Ziffer erschien, die sich der Untersuchte vorher gewählt und gemerkt hatte, 
wurde die Amplitude der Wellen ebenfalls größer. (Sommer benützte seine 
Erfahrung schon vor Busquet als Indikator der seelischen Erregung.) 

Analoge Erfahrungen wie Busquet machten Eshner und Kollarits; 
letzterer fand eine größere Schnelligkeit des Zitterns als Busquet und eine 
ähnliche wie wir: an der Hand 9—13 in der Sekunde, am Unterschenkel 2—4 
in der Sekunde, am Fuß auch 10—12 in der Sekunde. Auf unseren Kurven schwankt 
die Schnelligkeit je nach dem Falle zwischen 8—12 Wellen in der Sekunde. 

So wurde bewiesen, daß ein physiologisches Zittern existiert. 

Darunter ist das Zittern der oberen Extremitäten, speziell der Hand zu 
verstehen, das sich bei der statischen Innervation (an den ausgestreckten, nicht 
gestützten Händen), ferner bei den zu Prüfungszwecken durchgeführten Inten¬ 
tionsbewegungen und bei gröberen Muskelkontraktionen an gestützten Extremi¬ 
täten einstellt. 



Das Zittern infolge psychischer Erregung. 


11 


Es handelt sich um ein mäßig ungleiches (manchmal mit wellenförmigen 
Veränderungen der Intensität verbundenes), rhythmisches, schnelles Zittern, 
das an den Händen aus 7—13 Wellen in der Sekunde besteht. 


II. Das Zittern infolge psychischer Erregung. 

Es ist allgemein bekannt, dass die Menschen infolge Furcht, Schreck, Wut 
und plötzlichen Kummers zittern. Weniger häufig zittern die Menschen infolge 
freudiger Erregungen, Sehnsucht und Hoffnung. Aber auch hier verrät sich 
die Erfahrung durch die Phrase: „auf etwas geradezu zittern“. 

Diese Form des Zitterns können wir am besten studieren, wenn ein Mensch 
erschrickt oder in Wut gerät. 

Das Zittern infolge Erschreckens hat seinen Sitz an den oberen und unteren 
Extremitäten („die Füße zitterten unter ihm“), am Rumpf und am Unter¬ 
kiefer („er klapperte mit den Zähnen“); es ist ziemlich grob, schnell und gleich¬ 
mäßig, hindert bei kleinen Verrichtungen: Schreiben, Sprechen, Schließen der 
Knöpfe und ist von einem Gefühl der Muskelschwäche, von Schwund der körper¬ 
lichen Innervation und der psychischen Vorgänge (Gedächtnis, Assoziation) und 
von vasomotorischen Erscheinungen (gewöhnlich Kontraktion der Hautgefäße) be¬ 
gleitet. Ein neuer, mächtiger, psychischer Eindruck kann es ganz zum Schwinden 
bringen; als Beispiel führt Freusberg den Soldaten an, der beim Anblick des 
Feindes zu zittern beginnt, aber sofort aufhört, sobald er zu kämpfen beginnt. 

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Zittern infolge Kummers; es hat 
seinen Sitz gewöhnlich im Unterkiefer und in den Händen. 

Das Zittern vor Wut ist analog, nur ist es etwas gröber („die Wut hat ihn 
geschüttelt“) und hat seinen Sitz auch in den mimischen Muskeln; es ist seltener; 
häufiger handelt es sich um unregelmäßige Kontraktionen von Muskelbündeln 
im Gesichte und unwillkürliche Handbewegungen. 

Das Zittern infolge psychischer Emotion läßt sich nur schwer, ja sogar 
nur ausnahmsweise durch den Willen unterdrücken. 

Bei Bewegungen ist es gewöhnlich stärker, nicht schneller; es hat nie den 
Charakter des Intentionszitterns. 

III. Das Zittern infolge Schwächung des Organismus. 

Wenn ein Mensch, der an schwere Arbeit nicht gewöhnt ist, eine schwere 
Last hebt, bekommt er bei der Arbeit ein Zittern der Hand, das sich häufig auch 
auf die Muskeln des Rumpfes ausbreitet; es ist ziemlich grob, unregelmäßig, 
verschieden schnell, von einem Gefühl der zu Ende gehenden Kräfte („ich lasse 
los!“) und gewöhnlich von einer verlängerten Ausatmung bei geschlossener 
Stimmritze begleitet. Wenn die Arbeit vollendet ist, stellt sich ein leises, regel¬ 
mäßiges Zittern der Hand ein, das bei Bewegungen nicht zunimmt und vom 
Willen nicht beeinflußt wird. 

In analoger Weise entstehen diese beiden Formen des Zitterns beim 
Kampfe, besonders beim Liebeskampfe, wobei in der ersten Phase die psychische 
Emotion, die Aufregung und das leidenschaftliche Verlangen (tremore erotico 
Ughetti) mitwirken. Wie nach schwerer Arbeit, beobachten wir die andere 
Form des Zitterns nach onanistischen Exzessen und nach Krämpfen. 



12 


Erster Teil. 


Bei bloßer Ermüdung stellt sich ebenfalls ein individuell verschieden 
ausgeprägtes Zittern ein. Gramer konstatierte ein zartes, regelmäßiges, aus 
9 Zuckungen in der Sekunde bestehendes Zittern seiner Hand nach einem 
schnellen Marsche. Die beiliegenden Kurven veranschaulichen zunächst das 
Zittern der Finger und der Hand bei der statischen Innervation bei Männern 
(nach 1, 2, 5 Minuten und sodann nach 1 und 3 Minuten); ferner wurden 3 Kurven 
von einer ausgestreckten Hand gezeichnet, die in dem durch ein Kreuz markierten 
Momente durch ein Gewicht von 7 kg belastet wurde (Fig. 6). Die ersten zwei 
Kurven stammen von einem kräftigen Mann, der bei der statischen Innervation 
auch ohne Belastung ein wenig zitterte, die dritte von einer schwächlichen Frau; 
bei dem Manne sehen wir ein grobes, schnelles Zittern, bei der Frau grobe, 
unregelmäßige, langsamere Zitterbewegungen. Noch besser sieht man dies 



Fig. 6. 


an der von einem kräftigen Manne stammenden zweiten Serie von Kurven, 
und zwar an den Kurven a) und b) der rechten Hand, aus denen wir ein grobes 
Zittern mit etwa 9 Zuckungen in der Sekunde erkennen und an der Kurve c) 
der linken Hand, die ein langsameres, unregelmäßiges Zittern, ähnlich dem 
von der rechten Hand der Frau auf dem vorangehenden Bilde, andeutet (Fig. 7). 
Bei großer Umdrehungsgeschwindigkeit des Registrierzylinders sehen wir, daß 
das Zittern bei Belastung (I), nach einer Minute (II.) und nach einer weiteren 
Minute (III.) fortwährend ungleich ist, je weiter desto gröber wird und eine 
Schnelligkeit von 9 Zuckungen in der Sekunde besitzt (Fig. 8). Die groben, 
unregelmäßigen Wellen im Momente der Belastung sind durch passive Schwin¬ 
gungen der Hand und nicht etwa durch Intentionszittern verursacht. 

Bei stillenden, schwächlichen Frauen, bei perniziöser Anämie beobachten 
wir bei statischer Innervation ein leises, schnelles Zittern der Hände. Latteux 
verglich ein solches Zittern bei Chlorose mit dem Schwängen einer Stimmgabel. 
Auch nach Gelenkrheumatismus und bei Anämie sah Latteux ein mehrmonatiges 



























Das Zittern infolge Schwächung des Organismus. 


13 


Zittern der Hände und des Rumpfes. Prof. Lhotäk beobachtete ein eigentüm¬ 
liches Zittern des Körpers bei stark blutenden Tieren (mündliche Mitteilung). 
Seltener zittern die in ähnlicher Weise ausgestreckten Hände bei kachektischen 
Personen überhaupt. Latteux beschreibt im Terminalstadium der Inanition 
u. a. auch ein Zittern der Hände. In der Rekonvaleszenz nach fieberhaften 



Krankheiten, besonders nach solchen, bei denen das Nervensytem leidet 
(Ughetti), wie z. B. beim Typhus, zittern häufig die Hände. 

Als Beispiel mag uns das Zittern bei einem 27 jährigen Rekonvaleszenten 
nach Typhus (Z. 9322/04) dienen, der schon im Fieberstadium ein wenig zitterte 



Fig. 8. 


und bei dem fast drei Wochen nach einem 17 tägigen Fieber ein geringes, regel¬ 
mäßiges schnelles Zittern mit 10 Zuckungen in der Sekunde gezeichnet wurde, 
dessen Intensität wellenförmig mit nicht ganz regelmäßigen Perioden 
schwankte (Fig. 9). 



Fig. 9. 


Auch im Verlaufe eines schweren Typhus, im adynamischen Stadium des¬ 
selben, tritt ein Zittern der Lippen und Hände im Ruhezustand auf, das bei Be¬ 
wegungen (beim Sprechen, Heben der Hand, beim Trinken) stärker wird. Es 
ist dies ein unregelmäßiges Zittern mit individuellen Fingerbewegungen, das 
mit tappenden Bewegungen der Hand (Floccilegium) und mit unregelmäßigen 
Kontraktionen der Muskulatur beim Sprechen (Grimassenschneiden) einher- 






























14 


Erster Teil. 


geht. Dieses Zittern heißt febril, aber es ist schwer zu entscheiden, wieviel 
in ätiologischer Hinsicht auf das Fieber selbst und wieviel auf die allgemeine 
Schwäche und auf toxische Einflüsse entfällt. (Im Ham pflegt Azeton zu sein, 
wie ich mich nach einem diesbezüglichen Hinweis von Thomayer überzeugen 
konnte.) 

Außer jenem Zittern, welches ich durch Beispiele veranschaulicht habe, 
wurden nach Typhus und anderen fieberhaften Krankheiten noch andere Formen 
des Zitterns beobachtet, welche sich in folgende Gruppen einreihen lassen. 

a) Zittern, das bei der Intention stärker wird, wie bei der multiplen Sklerose. 
Solche Fälle beschrieb Ebstein 1872 nach Typhus mit dem Sektionsbefunde 
der disseminierten Sklerose (D. A. f. kl. M.); Pitres (1889) nach Typhus; 
Westphal (1892) nach Blattern und Typhus, zugleich mit Störungen der Koordi¬ 
nation, der Sprache, der Intelligenz; Bouveret und Landouzzy nach Typhus 
an allen Extremitäten; Homolle* ebenfalls nach Typhus und Duroziez 
nach einem Erysipel der Wange; James (1897) nach Malaria an allen Extremi¬ 
täten, einhergehend mit Muskelschwund und ein analoges Zittern nach Typhus 
recurrens. 

b) Zittern, das zwar jenem bei der Sklerose nicht ähnlich ist, aber doch den 
Charakter des Zitterns bei Gehimerkrankungen besitzt. So z. B. beschrieb 
Gubler (1860) das Zittern einer Körperhälfte und des Kopfes nach Erysipel; 
Bailly (1872) publizierte eine Beobachtung Liouvilles von Zittern nach 
Blattern, das jenem bei Tabes ähnlich war — also einen ataktischen Typus ge¬ 
habt haben dürfte. Klippel (1891) sah bei einem Rekonvaleszenten nach 
schwerem Typhus eine fast vollständige Erblindung eines Auges (Neuroretinitis) 
und Schwäche mit Zittern der rechten Oberextremität, welches monatelang 
imverändert anhielt. Hüssy führt in seinem Sammelwerke (1904) drei analoge 
Beobachtungen an; im ersten Falle handelte es sich um imunterbrochenes 
Zittern nach einer fieberhaften Angina, das von einer opisthotonischen Streckung 
des Körpers, lebhaften Reflexen und Fußklonus begleitet war, sich später auf 
die rechte Hand beschränkte und nach drei Wochen verschwand. Bei der nach 
drei Jahren vorgenommenen Revision des Knaben fand der Autor an dem¬ 
selben die Anzeichen von Idiotie; im zweiten Falle sah er nach Pneumonie mit 
eiteriger Mittelohrentzündung ein dauerndes, langsames Zittern mit etwa vier 
Zuckungen in der Sekunde, das sich bei der Intention nicht verstärkte und vom 
Fieber, einem epileptischen Anfall und einigemal von einem flüchtigen Strabis¬ 
mus begleitet war. Dieses Zittern verschwand vollständig; im dritten Fall 
bekam ein 2 y 2 Jahre altes, rachitisches, körperlich und geistig wenig entwickeltes 
Mädchen nach einer Lungenentzündung einen dreistündigen, mit hohem Fieber 
einhergehenden Anfall von zuckenden Krämpfen. Nach den Krämpfen blieb 
ein dauerndes Zittern der Hand mit 5 Zuckungen in der Sekunde zurück, das 
sich bei der Intention nicht verstärkte. Der M. extensor pollicis derselben 
Hand war gelähmt. Hierher gehört auch die Beobachtung vonLannois aus dem 
Jahre 1904, betreffend einen 18jährigen Jüngling mit Zittern, das im Ruhe¬ 
zustand 8—9 Zuckungen in der Sekunde zeigte, bei der Arbeit hinderlich war, 
bei der Emotion und bei der Intention schwächer wurde ; es war im 11. Lebensjahr 
nach Masern entstanden und ging mit einer verkümmerten Entwicklung der 
Psyche einher. Die Stellung des Körpers und der Hand soll bei diesem Jüngling 
ähnlich jener bei der Parkinsonschen Krankheit gewesen sein. Zappert 



Das Zittern infolge Reizung sensibler Nerven. 


15 


(1908) bemerkte bei einem zweijährigen Kinde 8 Tage nach einer rechtsseitigen 
Spitzenpneumonie ein Zittern der ganzen Extremitäten, das nach 3 Wochen 
verschwand; Zappert hält dasselbe für einen akuten zerebralen Tremor. 

Diese Formen hat bereits Breillot (1885) als organisch angesehen, wobei 
er sich auf eine Erfahrung Charcots, der in einem analogen Falle von Zittern 
bei der Sektion eine sklerotische Plaque im verlängerten Mark fand, und auf 
die Ansicht Gublers berief, der eine Reizung oder eine Läsion des Zentral¬ 
nervensystems annahm. Schönfeld widmete diesen Formen des Zitterns eine 
Dissertation (Neur. Zentralbl. 1888, 499). 

c) Unbestimmtes und unvollständig beschriebenes Zittern. So z. B. be¬ 
obachtete Henoch (zit. Mayer 1908) ein fortwährendes Zittern der Hände, 
der Füße und des nach hinten geneigten Körpers 4 Wochen nach einer Pneu¬ 
monie bei einem 15 Wochen alten Kinde; das Zittern verschwand nach 14 Tagen. 

Buck und Moor (1897) sahen bei einem 59jährigen Manne ein fortwähren¬ 
des Zittern, das bei anstrengender Arbeit stärker und nach leichter Arbeit 
schwächer wurde und auf die Autoren den Eindruck der Hysterie machte. 
Clopatt (1910) sah bei einem zweijährigen Kinde nach einer aphthösen Stoma¬ 
titis ein universelles Zittern, das später nachließ und im linken Oberarm am 
längsten zurückblieb. Viräubsky (1907) beobachtete bei einem 14jährigen 
Knaben nach Typhus Zittern der Füße, das dem Fußklonus ähnlich war. 

Sotov (1899) sah bei einem einjährigen Kinde einen Monat nach Masern 
zuerst Zittern der linken Extremitäten, dann des Körpers und schließlich auch 
der rechten Extremitäten, das Monate hindurch unverändert blieb und endlich 
nach einer 6 Wochen dauernden Behandlung mit Bromnatrium verschwand. 

Jourdan (1906) erwähnt ein langsames Zittern nach Malaria, ohne es 
näher zu beschreiben. 

d) Ganz vereinzelt steht der Fall da, den Fornaca( 1908) bei einem 57 jährigen 
Mann beschrieb, der an Malaria litt und 24 Stunden vor dem Anfall ein intensives 
Intentionszittem der Hände und des Kopfes bekam, das sich durch den Willen 
nicht beeinflussen ließ und von unwillkürlichen heftigen Bewegungen der Hände 
begleitet war; das Zittern nahm fortwährend zu, wurde erst mit dem Eintritt 
des Anfalls schwächer und verschwand nach demselben. Der Patient wurde 
mit Chinin vollständig ausgeheilt. 

IV. Das Zittern infolge Reizung sensibler Nerven. 

Hierher gehört das Zittern infolge Kälte, nach schmerzhafter Verletzung 
und nach Katheterismus. Am bekanntesten ist das Zittern infolge Kälte, 
dem, wenn die Kälte groß ist, jedermann und manche Menschen auch bei gering¬ 
fügiger Abkühlung unterliegen. Dieses Zittern betrifft fast die ganze Musku¬ 
latur, ist am deutlichsten am Unterkiefer ausgeprägt („mit den Zähnen klappern“), 
ist schnell, regelmäßig, in unregelmäßigen Wellen an- und abschwellend und 
mit Krampf der Hautgefäße, Stauung des Blutes in den Kapillaren (Zyanose), 
Gänsehaut und mit unregelmäßigen Kontraktionen von Muskelbündeln (fibrilläre 
und eher faszikuläre Kontraktionen) einhergehend. 

Ganz ähnlich dem Kältetremor ist der Schüttelfrost: jenes eigentümliche, 
vorwiegend den Unterkiefer betreffende, grobe, schnelle, regelmäßige, in un¬ 
regelmäßigen Wellen an- und abschwellende, mit großem Kältegefühl einher- 



10 


Erster Teil. 


gehende Zittern. Es dauert nicht lange und verschwindet gleichzeitig mit dem 
Kältegefühl. Es entsteht, wenn die Körperwärme plötzlich ansteigt: im Beginne 
der Lungenentzündung, des Intermittensanfalls, oder wenn man fiebernd 
umhergeht und sich entkleidet; Fernet unterschied den leichten Schüttel¬ 
frost (Horror) von dem allgemeinen Schütteln des Unterkiefers, des Rumpfes 
und der Extremitäten (Rigor) und erwähnt, daß der Schüttelfrost auch mehrere 
Tage dauern kann, was entschieden eine imgeheuere Seltenheit wäre. 

Es ist bis jetzt noch nicht entschieden, ob es sich beim Schüttelfrost um 
eine Reizung der sensiblen Hautnerven beim Gefäßkrampf oder um eine toxische 
Störung handelt. (Adamkiewicz vergleicht ihn mit dem Schüttelfrost nach 
Neurininj ektionen.) 

Ähnlich verhält sich der Tremor infolge von Schmerzen und es ist oft 
schwer zu entscheiden, wieviel von demselben auf Rechnung einer Reizung 
sensibler Nerven und wieviel auf Rechnung der psychischen Erregung zu setzen 
ist. Als Beispiel führe ich den oft zitierten Fall von Door an: ein 19jähriges 
Mädchen stieß sich einen Span unter einen Nagel des rechten Fußes. Nach 
der Extraktion des Spanes begann der Fuß zu zittern und der Tremor hörte 
erst nach mehreren Tagen auf (Hysterie?). (Zit. v. Vandier und Lerroux 
in ihren Thesen.) 

Analog ist auch das Zittern beim Katheterisieren und auch hier ist die Be¬ 
teiligung der sensiblen Nerven strittig. 


V. Das Zittern infolge von Vergiftung. 

1. Der alkoholische Tremor. 

a) Eine der frühesten und häufigsten Begleiterscheinungen der chronischen 
Alkoholvergiftung ist das Zittern der Hände (Breillot). Dasselbe beginnt 
ganz allmählich, zeigt sich anfangs nur am Morgen im nüchternen Zustande 
(Romberg), wenn der Kranke mit den Händen bewegt (er zieht sich schwer 
an, Breillot), und ist im Beginne so geringfügig und stört bei feineren Arbeiten 
so wenig, daß es der Kranke gar nicht bemerkt und daher behauptet, daß er 
nicht zittert (Fernet 1872). In diesem Stadium pflegt es besser tastbar als 
sichtbar zu sein. Im Ruhezustand fehlt es (wenn die Hand vollständig ruhig 
herabhängt oder gestützt ist). Es ist ziemlich schnell und macht 6—9, nach 
unseren Erfahrungen gewöhnlich 8—9 Schwingungen in der Sekunde, während 
Dutil, Marie, Welflender, Williams sogar 11 — 12 Schwingungen in der 
Sekunde angeben, was auch wir beobachtet haben; Dejerine zählte nur 6—7 
Schwingungen. Auch bei ein und demselben Patienten kann die Schnelligkeit 
je nach dem Stadium der Krankheit Schwankungen aufweisen. Das Zittern 
ist nicht ganz regelmäßig und befällt die Finger häufig nicht gleichmäßig und 
nicht gleichzeitig (individueller Tremor der Finger). Bei körperlicher An¬ 
strengung, gespannter Aufmerksamkeit und bei Emotionen wird es stärker; 
durch den Willen, durch energische Muskelkontraktion und schwere Arbeit 
kann man es für eine kurze Zeit unterdrücken, aber es bricht nachher um so 
heftiger hervor. Latteux gibt an, daß es durch das Bestreben, es zu unter¬ 
drücken, verstärkt w r erde, was aber nur für einige Fälle gilt. Nach dem Genüsse 
alkoholischer Getränke hört es auf, ebenso in der Abstinenz (unser I. Fall); 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


17 


manchmal aber verstärkt es sich zugleich mit anderen Abstinenzerscheinungen 
(Ziehen). 

In späteren Stadien breitet es sich auf die Schultern, die Lippen und die 
Zunge, sodann auf die Füße aus; es kann in ein Zittern der gesamten Muskulatur 
übergehen und die Funktionen stören; bei der Intention wird es manchmal 
stärker (unsere Fälle III und IV); in diesem Stadium ist es durch Alkohol nicht 
mehr so leicht zu beseitigen. 

An den Lippen und Wangen ist es deutlich zu sehen, wenn der Kranke 
die Nase rümpft und die Zähne zeigt. An den Händen hat es manchmal den 
Anschein, als ob es in lateraler Richtung vor sich gehen würde; doch handelt 
es sich da gewöhnlich um eine passive, sekundäre Bewegung der Hand bei 
horizontalem Zittern des Arms (Magnol). 

Bei gleichzeitigen Muskelparesen bleibt das Zittern auf die paretischen 
Muskeln nicht beschränkt (Ziehen). 

Ausnahmsweise hat das Zittern bei chronischem Alkoholismus einen aus¬ 
gesprochenen Intentionscharakter (unser Fall VTI). 

Es galt früher für ein pathognomonisches Symptom des Alkoholismus 
(Fernet), ist aber gewissen Tremorformen der Neurastheniker, ja sogar auch 
dem febrilen Zittern (wenn der Kranke fiebernd herumgeht, ohne von seinem 
Fieber zu wissen) sehr ähnlich. Nach den umfassenden statistischen Aufzeich¬ 
nungen Fürbringers fehlt es nur bei 10% der Trinker, nach meiner kleinen 
Statistik bei 15—23%. Fürbringer untersuchte eine Reihe von Trinkern 
und Nichttrinkem und fand, daß das leise Zittern der Hände ebenso häufig 
bei Trinkern wie bei Nichttrinkern, dagegen das grobe Zittern bei Trinkern 
doppelt so häufig vorkommt. Die Personen, bei denen er ein grobes Zittern 
der Hand fand, waren zur Hälfte Trinker. 

Ich fand bei 41 notorischen Säufern, deren Geisteszustand ich beim Straf¬ 
gericht zu untersuchen hatte, 32 mal das Zittern der Hände, 18 mal das Zittern 
der Zunge, 18 mal das Zittern der Augenlider und 10 mal eine Unruhe der Wangen. 
An den Händen war das Zittern bei statischer Innervation schnell, zart (18), 
manchmal mehr tastbar (9) als sichtbar, manchmal handelte es sich um indivi¬ 
duelles Zittern der Finger (5). Das Zittern fehlte, wie ich mir ausdrücklich 
notierte, in 6 Fällen. An der Zunge fand ich ein schnelles Zittern beim Vor¬ 
strecken (14), manchmal aber nur bündelförmige Kontraktionen (3); an den 
Lidern ein schnelles Flimmern (16) und unrhythmisches Zucken (2); an den 
Wangen seltener ein Zittern (4), dagegen häufiger ein unregelmäßiges Muskel¬ 
zucken bei der Intention (6). 

b) Beim akuten Wahnsinn der Säufer gab das Zittern dem ganzen Syndrom 
das Attribut Delirium tremens. Während des stürmischen Deliriums befällt 
das Zittern den ganzen Körper, am meisten die Lippen und die Zunge und die 
oberen Extremitäten; manchmal ist dasselbe zart und im allgemeinen dem 
Zittern beim chronischen Alkoholismus analog (unser Fall V), gewöhnlich aber 
grob, besonders bei Bewegungen (nach Gowers nur bei Bewegungen), aber 
auch im Ruhezustand (insoweit man bei einem solchen Patienten überhaupt von 
Ruhe sprechen kann); es ist weniger rhythmisch und regelmäßig, und von un¬ 
zweckmäßigen Bewegungen begleitet, analog jenen bei der Chorea (Fernet- 
Dejerine) oder bei der disseminierten Sklerose ^Dejerine); es hat Intentions¬ 
charakter (unsere Fälle), hindert beim Sprechen, bei Verrichtungen mit der 
Pein**, Zittern. 2 



18 


Erster Teil, 


Hand, beim Stehen und Gehen; es ist schon im Prodromalstadium vorhanden 
und hält, wenn auch abgeschwächt, mehrere Tage nach dem Anfall an (Wasser - 
mayer); es wurde auch einseitig beobachtet. Im Zustande hochgradiger Er¬ 
regung der Kranken, welche zu Gewalttaten geneigt sind und hierbei eine große 
motorische Kraft an den Tag legen, verschwindet das Zittern (Fernet), wenn 
auch nicht immer (Trousseau); es verschwindet schließlich im prämortalen 
Stupor. 

Das alkoholische Delirium, welches nicht vollständig, sondern im Verlaufe 
anderer Krankheiten ausbricht, pflegt nicht vom Zittern begleitet zu sein 
(Trousseau). 

c) Im akuten Rausche beobachtet man kein Zittern, sondern nur eine 
Unsicherheit und eine Disharmonie der Bewegungen. 

d) Im subakuten apyretischen Alkoholismus, der sich vom Delirium 
tremens nur durch die Intensität unterscheidet, beobachtet man alle Übergänge 
vom Tremor des chronischen Alkoholismus zum Tremor des stürmischen Deliriums. 
Die regelmäßigen Vibrationen der Hände, der Arme, des Rumpfes, der Zunge 
und der Lippen steigern sich mit den Symptomen der Gehirnreizung zu einer 
unregelmäßigen Trepidation der Glieder. Wenn die Gehimerscheinungen ver¬ 
schwinden, dauert das Zittern weiter, manchmal noch mehrere Wochen hin¬ 
durch. 

Von den klinischen Fällen, bei denen wir das Zittern genauer beobachtet 
und gezeichnet haben, will ich folgende anführen: 

I. Chronischer Alkoholismus. Schmerzhaftigkeit der Muskeln. 
Tremor, der in der Abstinenz verschwindet. 

Ein 33 jähriger Mann Nr. 9030/04. Trinkt seit dem 17. Lebensjahre bis heute 
alkoholische Getränke aller Art. Durchschnittlich ist er 1—2mal in der Woche 
betrunken. Bis jetzt hat er keine Beschwerden gehabt. Er schläft gut ohne schreck¬ 
hafte Träume. Sehr selten hat er auf nüchternen Magen erbrochen, wenn er am 
Abend zuvor viel Zigaretten geraucht hat. 

Vor 7 Wochen begannen seine Hände zu zittern und zittern seitdem unauf¬ 
hörlich, den ganzen Tag, besonders bei der Arbeit, so daß er sein Handwerk auf- 
geben mußte (er war Friseur). Bei der Arbeit zitterten seine Hände schon seit einem 
Jahre, aber es gelang ihm stets, das Zittern durch starken Tee mit Rum zu unter¬ 
drücken. Jetzt will ihm das aber nicht mehr gelingen. Am Morgen erbricht er 
oft. Er schläft schlecht. Halluzinationen hat er nicht. Zudem bekam er Schmerzen 
in die unteren Extremitäten, sein Gang wurde wegen der Schmerzen langsamer, die 
Füße schwollen an. In der Klinik konstatierte man, daß er blaß sei und leicht zyano¬ 
tische Schleimhäute habe. Die geschlossenen Augenlider zittern schnell und intensiv. 
Die Wangenmuskeln und die Zunge zittern bei Bewegungen und im Ruhezustand 
(wenn auch weniger). Die Nervenplexus schmerzen nicht, aber die Muskeln sind 
bei Druck sehr empfindlich. Die Hände sind zyanotisch und schwitzen stark. Die 
gestreckten Oberextremitäten zeigen einen groben, sehr schnellen, gleichmäßigen 
Tremor im Sinne der Flexion und Extension, der sich verstärkt, wenn der Kranke 
die Hände längere Zeit gestreckt hält. Der Tremor läßt sich durch den Willen 
nicht unterdrücken. Suggestive Einflüsse blieben auf den Tremor ohne Wirkung. 
Wenn die Hände ruhig herabhingen, war das Zittern klein und zeitweise überhaupt 
nicht zu sehen. An den unteren Extremitäten fand sich ein Zittern von demselben 
Charakter; das Stehen war infolge des Zitterns unsicher. Die Sprache war infolge 
des Zitterns der Sprechwerkzeuge gestört. 

Am nächsten Tage (9. VI. 04) wurde mit dem Apparate von Marey-Verdin 
eine Kurve aufgenommen (Fig. 10). Anfangs (Kurve Nr. I) handelte es sich um 
einen kleinen, rhythmischen, nicht ganz gleichen Tremor von 8—9 Wellen in der 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


19 


Sekunde; bei längerer Dauer des Versuches wurden die Wellen größer (Nr. II), 
rhythmisch, 8 in der Sekunde, sukzessive aber wurde das Zittern groß (Nr. III) und 
sehr grob (Nr. IV), wobei es den regelmäßigen Rhythmus von 8 Wellen in der Sekunde 
beibehielt; die Wellen waren ungleich, aber die Ungleichheit war nicht groß und 
auffallend. Es handelt sich nicht um ein Intentionszittem, denn es lag keine Inten¬ 
tion vor, sondern eine Ermüdung infolge Verlängerung des Versuches, eine er¬ 
höhte Muskelanstrengung. 



Fig. 10. 


In der Klinik mußte der Patient liegen und bekam keinen Alkohol, worauf 
das Zittern langsam, aber beständig abnahm. Nach einer Woche wurde das Zittern 
abermals zu Papier gebracht und der Versuch wiederum in die Länge gezogen. 
Auf dem Bilde (Fig. 11) sehen wir einen Tremor, der dem Wesen naeh unverändert 
ist, der aber mit der fortschreitenden Dauer des Versuchs nicht größer wird. Im 
Beginne (Nr. I) zeigt er imregelmäßige, gruppenförmige Verstärkungen von 1—2 
Sekunden Dauer, geht aber dann in einen kleinen, schnellen, rhythmischen, im großen 
und ganzen gleichmäßigen Tremor über. Zum Unterschied von dem vorhergehen¬ 
den Versuche ist dieses Zittern noch schneller, indem es 10 und zumeist 11 Wellen 
in der Sekunde macht. Nach weiteren 4 Tagen verschwand das Zittern fast voll¬ 
ständig und alle Symptome ließen nach. 



Fig. 11. 


II. Ein anderes Beispiel bietet J. V., 42 Jahre alter Fuhrmann. 

Alkoholismus chronicus. Pseudotabes alcoholica. Tremor. Knoten 
in der Zitterkurve. 

Nr. 2164/04. Stammt aus gesunder Familie und war stets gesund, trinkt 
aber seit Jahren 20 — 30 Glas Bier und Schnaps. Früh morgens erbricht er 
auf nüchternen Magen. Träumt von Mäusen, Kaninchen, tollen Hunden. Seit 
3 / 4 Jahren hat er stetig zunehmende Schmerzen in den unteren Extremitäten und 
Krämpfe in den Waden, so daß er schon gar nicht mehr gehen kann. Im Beginne 
der Krankheit sprach er irre, lief aus dem Bett, sah Teufel und Menschen, die ihm 

2 * 

















20 


Erster Teil. 


nach dem Leben trachteten und mit denen er sich unterhielt. Seit Jahren hustet 
er und leidet er an kurzem Atem. 

Beim Eintritt in die Abteilung des Prof. Thomayer zeigte er die Symptome 
einer diffusen Bronchitis mit aufgeregtem Herzen, Spuren von Eiweiß im Harn, 



Abb. 12. 


sehr schmerzhafte Nervengeflechte — besonders die Nervi ischiadici waren schmerz¬ 
haft —, erloschene Patellarreflexe, ataktischen Gang, Rombergsches Symptom, 
beträchtliche Hauthyperästhesie, normale Pupillenreaktion. An den oberen Extremi- 



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Fig. 13. 


täten hatte er ein grobes Zittern, das am nächsten Tage (9. II. 04) gezeichnet wurde. 
Es handelte sich (Fig. 12) um einen groben, gleichmäßigen, nicht besonders schnellen, 
6*5—7 Wellen in der Sekunde aufweisenden und insofeme ungleichen Tremor, 



Fig. 14. 


als auf einige größere Wellen stets einige kleinere folgten; dieser Tremor wurde 
bei Intention nicht verstärkt. Auf der zweiten Kurve, die von demselben Patienten 
stammt, sieht man ein Zittern, das etwas schneller ist, 7% Wellen in der Sekunde 
macht, und zwar regelmäßig, aber etwas ungleich ist. 

Die dritte, vierte imd fünfte Kurve (Fig. 13) wurden bei kleinerer Um¬ 
drehungsgeschwindigkeit aufgenommen; sie lassen uns das Zittern in der drei- 





















Das Zittern infolge von Vergiftung. 


21 


fachen Zeit überblicken und zeigen einen gleichmäßig schnellen, aus 7—8—9 Wellen 
in der Sekunde bestehenden Tremor, der aber wiederum ungleich ist und jene wellen¬ 
förmigen Veränderungen aufweist, die wir schon wiederholt als sogenannte Allo- 
rhythmie beschrieben haben. — Von demselben Kranken besitzen wir noch eine 
Serie von Kurven, die uns das regelmäßige, nur wenig ungleiche Zittern der Hände 
mit 8 — 9 Wellen in der Sekunde veranschaulichen (Fig. 14). 

In den beiden folgenden Fällen hatte der Tremor die Form des Intentionszitterns. 



Fig. 15. 


III. H. I. Nr. 1618/04. Tremor, der durch Intention verstärkt 
wird, kein Intentionszittern. (Die klinischen Daten fehlen.) (Fig. 15.) Auf 
der ersten Kurve sehen wir ein zartes, schnelles, aus 10 Wellen in der Sekunde be¬ 
stehendes, fast ganz gleichmäßiges, aber imgleiches Zittern; dasselbe sehen wir 
auf der vierten Kurve; auf der zweiten und dritten Kurve sehen wir sehr schön den 
Einfluß der Intention: das Zittern wird größer, ungleich, wird aber nach 2—3 
Sekunden wieder kleiner; wir haben da kein Intentionszittern vor uns, sondern 
ein Zittern, das bei der Bewegung größer wird. Die fünfte Kurve zeigt das Zittern 
der Zunge, das dem Zittern der Hände auf der ersten Kurve (10—10,5 in der Se¬ 
kunde) sehr ähnlich ist. 

Von demselben Kranken wurde das Zittern an demselben Tage 120 Se¬ 
kunden hindurch unimterbrochen aufgenommen (Fig. 16). Wiederum sehen wir 


^ - - 


Fig. 16. 


ein schnelles 9—8, 5—9 Wellen in der Sekunde betragendes, gleichmäßiges Zittern, 
das an einigen Stellen größere, an anderen Stellen kleinere Wellen aufweist, aber 
keineswegs absolut imregelmäßig ist; die letzte Kurve zeigt gar eine Schnelligkeit 
von 11 Wellen in der Sekunde; im übrigen ist die Form des Zitterns während der 
letzten 20 Sekunden dieselbe wie in den ersten. 

IV. Alcoholismus chronicus. Tremor universalis. Delirium über¬ 
standen. Einfluß der Intention auf den Tremor; kein Intensionszittern. 

Nr. 17 615/06. 45 jähriger, beschäftigungsloser, aus gesunder Familie 

stammender Mann. Überstand als Kind Lungenentzündung, im 21. Lebensjahre 





























22 


Erster Teil. 


Typhus, im 22. Lebensjahre Syphilis und im 33. Lebensjahre Gonorrhoe. Trank 
stets sehr viel, bis 25 Glas Bier, daneben Wein, Kaffee mit Rum, Liköre; er konnte 
einen Liter Wein auf nüchternen Magen und hierauf Bier trinken. Seit 8 Jahren 
hat er keine ständige Beschäftigung. In den letzten Jahren erbricht er auf 
nüchternen Magen. Vor 9 Monaten bekam er plötzlich Kopfschmerzen; er begann 
am ganzen Körper intensiv zu zittern; auf der Straße sah er Gespenster, die nach 
ihm griffen; er konnte nicht schlafen. Nach einer dreiwöchigen Kur im Krankenhaus 
verlor er alle diese Erscheinungen. 

Nach der Rückkehr aus dem Krankenhause begann er wieder zu trinken, 
worauf er wieder das Zittern bekam, das sich aber verlor, als er zu trinken aufhörte. 
Vor einer Woche machte er sich auf den Weg von Pilsen nach Prag; unterwegs 
trank er viel, worauf er morgens auf nüchternen Magen das Zittern bekam. Sobald 
er etwas trank, verminderte sich das Zittern und verschwand vollständig, so daß 
er am Nachmittag sogar schreiben konnte. Vor etwa 3 Tagen wurde er scheu, er¬ 
schrak vor jedem plötzlichen Geräusch und schreckte unter Zucken de« ganzen Körpers 
aus dem Schlafe auf. Nach einem Konflikte mit den Behörden w r urde er ins Kran¬ 
kenhaus geschafft. Am Tage der Aufnahme in die Klinik (14. XI. 06) fand 
man Sensibilität der peripheren Nerven, gesteigerten Pharyngealreflex, lebhafte 
Sehnenreflexe, normale Fußsohlenreflexe; der Befund über den Eingeweiden 



Fig. 17. 


war bis auf eine Steigerung des Blutdruckes (16 cm — Gärtner) normal, nur kon¬ 
statierte man ein schnelles Zittern des Körpers, der Lippen, der vor gestreckten 
Zunge, ein rasches Zittern der oberen Extremitäten selbst im Ruhezustand, das 
bei der Intention stärker wurde, und auch an den unteren Extremitäten ein rasches 
Zittern, das sich bei der Intention verstärkte und den Kranken beim Gehen hinderte. 
Die Schrift war sehr zitterig. 

Am nächsten Tage wurde mittelst des Marey-Verdinschen Apparates 
eine Zitterkurve aufgenommen (Fig. 17); wenn der Kranke die Hand ausgestreckt 
hielt (bei statischer Innervation), zeichnete dieselbe ein rhythmisches, schnelles, 
8,5—9 Wellen in der Sekunde betragendes, im großen und ganzen grobes Zittern 
mit imgleichen Wellen und wiederum mit jener unregelmäßigen, gruppenförmigen 
Verstärkung der Wellen (Allorhythmie); bei einem zweiten Versuche sehen wir im 
Ruhezustand einen ganz regelmäßigen und gleichmäßigen Tremor von 9 Wellen 
in der Sekunde; im Momente der Intention w T urde das Zittern gröber, es behielt 
den Rhythmus und die frühere Schnelligkeit, wurde aber ungleichmäßig. Nach 4 
Sekunden wurde es wüeder kleiner und kehrte zu seiner ursprünglichen Form bei 
der einfachen statischen Innervation zurück. 

Ferner verfüge ich über 2 Fälle von Tremor im Delirium tremens. Im ersten 
Fall (V. Fall) hat der Tremor die Form des banalen Zitterns beim chronischen Alko¬ 
holismus, im zweiten Fall (VI. Fall) die Form des Intentionszitterns. 

V. Einfaches Zittern beim Delirium tremens. 

F. H., 34 Jahre alt. Nr. 8836/04; stammt von einer Mutter, die eine Geistes¬ 
krankheit (Melancholia!) durchgemacht hat, und von einem Vater, der ein Säufer 






Das Zittern infolge von Vergiftung. 


23 


und jähzorniger Mensch war. Seit seinem 27. Lebensjahre begann er, als er sich 
von seiner Gattin scheiden ließ, anfallsweise Alkoholika aller Art zu trinken, 
bis er ganz betrunken war. Im Rausch erhielt er von seinem betrunkenen Vater, 
mit dem er in Streit geraten war, vor einem Monat einen Schlag auf den Kopf (mit 
einem Bierglas), worauf er bewußtlos hinstürzte. Beim Begräbnis seiner Mutter 
bedrohte ihn sein Vater mit einer Hacke. Von Zorn und Herzeleid erfüllt, floh er 
vor dem Vater; bei dieser Gelegenheit begann er am ganzen Körper zu zittern 
und seit jener Zeit hat das Zittern nicht aufgehört. 

Als er am 6. VI. 04 in klinische Pflege übernommen wurde, zitterte er am 
ganzen Körper, hatte lebhafte Reflexe und empfindliche periphere Nerven. 
Er w r ar unruhig, zerwühlte das Bett, verjagte Schlangen und Skorpione aus dem¬ 
selben und sah im Fenster fremde Gestalten. Am 7. VI. wurde seine Zitterkurve 
aufgenommen. (Fig. 18): ein ziemlich regelmäßiger, ziemlich starker und schneller 
Tremor, wiederum mit jenen Gruppen größerer Wellen. Auf der ersten Kurve 
zählen wir 8,5—9 Wellen in der Sekunde, ebenso viele auf der dritten Kurve, 
auf der zweiten dagegen 11—12 Wellen in der Sekunde. 

Am 8. und 9. VI. verschlechterte sich der Zustand des Kranken, das Delirium 
und die Unruhe nahmen zu, der Kranke flüchtete, kroch auf das Fenster, schrie, 
war gewalttätig; in ruhigen Pausen erzählte er, der Kasten hätte sich bewegt; es kam 



Fig. 18. 


ihm vor, wie wenn ihn etwas emporheben würde, wie wenn er auf das Gesicht fallen 
müßte; er sah alle möglichen Arten von Hunden, ,,so ein Getier, das man in keiner 

Naturgeschichte findet“, eine Unmenge von Schwaben, Russen, Mäusen . 

Er wurde in die Irrenanstalt transportiert. 


VI. Alcoholismus chronicus. Polyneuritis mit vorwiegend sensitiven 
Symptomen. Anfälle von Zittern. Delirium tremens. 

N. A. Nr. 1690/03. Ein 35jähriger Eishauer, stammt aus gesunder Familie, 
ist seit vielen Jahren ein starker Trinker und Raucher; trinkt täglich bis 
zu 30 Glas Bier und raucht täglich 20 Zigaretten. Vor 3 Jahren konnte er sich 
einmal nach dem Erwachen nicht auf die Füße stellen, weil diese beträchtlich 
zitterten und schmerzten. Auch die Hände zitterten, und zwar bei der Intention 
mehr; er konnte aus einem Glas nicht trinken, w r eil er durch das Zittern den Inhalt 
vergoß. Auf der Klinik genas er nach 17 Wochen. Nach 5 Wochen kehrte die 
Krankheit in derselben Form zurück und verschwand wieder nach 6 Wochen. 
Voriges Jahr erschien sie abermals, um nach zweimonatiger Behandlung wieder 
zu verschwinden. Gegenwärtig fühlt er Kribbeln und Schmerzen im ganzen Körper. 
Jeden Augenblick bekommt er tonische Krämpfe der Extremitäten mit Tremor, 
die 1—2 Minuten dauern; manchmal geht er schwankend, manchmal wiederum 
gerade. An der Sonne, oder wenn er aus einem dunklen Raum in einen hell 
erleuchteten tritt, sieht er undeutlich. Er leidet an schreckhaften Träumen; bald 
verfolgen ihn Wachleute, bald rennen Haufen von Pferden, Mäusen und verschie¬ 
denen anderen kleinen Tieren hinter ihm. 












24 


Erster Teil. 


In der Klinik konstatierte man bei ihm Situs viscerum in versus. Sämt¬ 
liche periphere Nerven, die Muskeln und die ganze Körperoberflache zeigten eine 
gesteigerte Empfindlichkeit bei Berührung. Die oberen und unteren Extremi¬ 
täten zitterten bei statischer Innervation. Die Reflexe waren lebhaft. Dermo¬ 
graphismus am ganzen Körper. 

Der Kranke verweilte in der Klinik vom 31. I. bis 15. IV. 03. Während 
der ersten 3 Wochen hatte er einen beschleunigten Puls, 108—120 in der Minute. 
Beim Austritt bestand keine Hyperästhesie, die Nerven waren nicht druckschmerz¬ 
haft, das Zittern w T ar vollständig verschwunden. Nach 14 Tagen kehrte, da der 
Kranke wieder viel trank, das Zittern zurück, so daß er sich bald wieder genötigt 
sah, in die Klinik einzutreten, w r o man ihn während der ersten Tage ans Bett an¬ 
binden mußte. Da sein Zustand nach 4 Wochen nicht besser wurde, ging er nach 
Hause, kehrte aber nach 14 Tagen zurück mit Klagen über zooptische Träume 
(Pferde sprangen auf ihn, Mäuse hüpften auf ihm herum), über Kälte, Schwäche 
und Zittern der Extremitäten. Seit einigen Tagen kann er kleine Gegenstände 










Fig. 19. 

schlecht unterscheiden und leidet an Halluzinationen des Gehörs (er hört Wägen 
fahren, Glocken läuten) und des Gesichts (seine verstorbene Mutter zieht ihn an der 
Nase, er stößt sie zurück; es plagen ihn Mäuse). 

Bei seiner Aufnahme am 15. VI. 03 wurde ein starkes Zittern der Extremi¬ 
täten, des Körpers und des ganzen Rumpfes konstatiert und zwar im Ruhezustände 
und noch mehr bei Bewegungen. Wenn er ein Wasserglas hielt, verschüttete er 
infolge des Zitterns dessen Inhalt. Beim Gehen wurde das Zittern stärker. Auch 
die vorgestreckte Zunge zitterte bedeutend. Alle Nerven waren schmerzhaft, 
der ganze Körper war w r ieder hyperästhetisch. Die Muskelkraft w r ar ziemlich groß 
(E. D. 25. 24). Wahrend der ersten Tage hatte er subfebrile Temperaturen, be¬ 
schleunigten Puls, 96—102, und schlechten Schlaf. Schon nach 14 Tagen wurde 
das Zittern geringer und nach 5 Wochen wurde der Patient gebessert entlassen. 
Zu Hause genas er vollständig. Im Dezember desselben Jahres kam er zum dritten¬ 
mal im fieberhaften Zustande, aber diesmal waren das Zittern und die Empfind¬ 
lichkeit der Nerven nur unbedeutend. Ein Jahr später kam er in die Klinik mit 
einem fieberhaften Katarrh der rechten Lungenspitze, der schnell destruktiv fort- 
schritt. 

Als er am 15. VI. 03 unter den sicheren Erscheinungen eines subakuten 
Delirium tremens bei uns ein trat, wurden zwei Kurven von ihm aufgenommen. 
Die erste Kurve veranschaulicht das Zittern der auf den Oberschenkel gestützten 
Hand: ein heftiges, rhythmisches, ziemlich gleichmäßiges und regelmäßiges Zittern 





Das Zittern infolge von Vergiftung. 


25 


von 6—6 V 2 Wellen in der Sekunde (Fig. 19). Die zweite Kurve veranschaulicht 
das Zittern bei Intention: zuerst ganz unregelmäßige, kleine Bewegungen, dann 
heftige Schüttelbewegungen von 4—5 Wellen in der Sekunde und schließlich ganz 
unregelmäßige, grobe, langsame Schleuderbewegungen, auf deren einem Schenkel 
man ein sekundäres Zittern von etwa 5 Wellen in der Sekunde sieht (Fig. 20). 



Fig. 20. 

VII. Interessant war schließlich der folgende Fall, in welchem sich zu chro¬ 
nischem Alkoholismus Epilepsie und ein Tremor hinzugesellte, der in auffallender 
Weise in ein Intentionszittern überging. 

Alkoholis mu8. Epilepsia alcoholica? Respirationsneurose. Tremor 
der Hände. Intentionszittern. 

Nr. 10.559/04. K. V., 34jähriger Vergolder, wurde in einem Anfall von Be¬ 
wußtlosigkeit und allgemeinen Krämpfen in die Klinik eingebracht. Hier kam ein 
Delirium tremens zum Ausbruch, so daß er in die Irrenanstalt transferiert werden 
mußte. Von hier wurde er nach 3 Tagen entlassen. Bald danach bekam er Herz¬ 
klopfen, und da bemerkte der Arzt, daß er eigentümlich atme. 

Bei der Aufnahme atmete er sakkadiert, das In- und Exspirium erfolgte auf 
zweimal. Dabei waren weder an den Bauchmuskeln, noch am Zwerchfell Läh¬ 
mungen vorhanden. Am nächsten Tage wurde konstatiert, daß das Zusammen- 
spiel zwischen Brust- und Bauchatmung gestört war. Bei der Einatmung erwei¬ 
terte sich der Thorax in entsprechender Weise, aber der Bauch blieb manchmal 
unbeweglich, manchmal wölbte er sich vor, manchmal sank er ein. Am folgen- 



Fig. 21. 

den Tage, an welchem das sakkadierte Atmen verschwunden war, wurde eine 
Atmungskurve und eine Zitterkurve der oberen Extremitäten aufgenommen. 
(Fig. 21.) An diesem Zittern sehen wir die Allorhythmie sehr schön ausgeprägt; 
sonst ist das Zittern leicht unregelmäßig, im großen und ganzen rhythmisch, aus 
7,5—8 Wellen in der Sekunde bestehend. 

Im Jahre 1907 kam der Kranke unter Nr. 3429 abermals wegen allgemeiner 
Krämpfe im bewußtlosen Zustande in die Klinik. Nachdem er aus demselben 









26 


Erster Teil. 


erwacht war, fand man, daß er empfindliche Nervenstämme und Hyperästhesie 
am Rumpfe habe. Die vorgestreckte Zunge zitterte, ebenso die Hände, und zwar 
bei statischer Innervation; bei Intention war das Zittern stärker, und artete hierbei 
manchmal in ein grobes Schleudern der Extremitäten aus. 

Aus den Kurven ersehen wir (Fig. 22), daß das Zittern der linken Hand 
(die drei unteren Kurven) überwiegt, daß es grob, regelmäßig, rhythmisch ist und 
eine ausgesprochene Allorhythmie mit einer gleichbleibenden Frequenz von 7—8 
Wellen in der Sekunde aufweist. 

Eine interessante Änderung sehen wir an den beiden folgenden Kurven 
(Fig. 23): an demselben Tage stellte sich bei dem Kranken bei Intention ein heftiges 



Fig. 22. 


Schleudern ein, das an der linken Hand wiederum deutlicher ausgeprägt war als 
an der rechten. Hierbei konstatieren wir, daß die Amplitude nicht proportional 
zur Intention zunimmt, sondern daß das Phänomen plötzlich in seiner ganzen Inten¬ 
sität eintritt und weniger plötzlich verschwindet. Hierbei beträgt die Frequenz 
wiederum 7—8 Wellen in der Sekunde. 



Fig. 23. 


Therapie: Der alkoholische Tremor muß kausal mit Abstinenz und Hebung 
der gesunkenen Kräfte des Organismus behandelt werden. Eine spezielle Therapie 
gibt es nicht. Geprüft und gelobt wurden galvanische Bäder (Paul), auch 
Karbolsäure (Clement), ja sogar auch Skopolamininjektionen (Parissot), 
nach denen eine allerdings nur kurz dauernde Besserung beobachtet wurde. 
Ein Versuch mit Sedativa, Nervina, Nux vomica ist zu empfehlen. 

Historische Anmerkung: Bei Hippokrates, Galenos und Plutarch 
finden sich die ältesten Angaben über das Zittern bei Delirium tremens. Seneca 
beschreibt die Symptome beim Alkoholismus äußerst anschaulich: Nervorum 
vino madentium tremor et miserabilior ex cruditatibus quam ex fame macies, 
inde incerti labentium pedes et semper qualis in ipsa ebrietate, titubatio . . . 
nervorum sine sensu jacentium torpor aut palpitatio sine intermissione vibrantium 
(Latteux). 



















Das Zittern infolge von Vergiftung. 


27 


2. Bei Absinthtrinkern kommt ein ähnlicher Tremor vor, wie bei Alko¬ 
holikern, der aber bis jetzt noch nicht näher studiert wurde. Fernet meinte, 
daß dieser Tremor vorwiegend vom Alkohol stammt. (Bei den Versuchen 
Magnans verursachte die Herba absinthi bei Tieren Muskelkrämpfe.) 

3. Nach dem Trinken und Riechen des Äthers beschrieb Marlin einen 
Tremor bei einer Frau, die stets während des Essens ein Stück Zucker mit Äther 
nahm und auf diese Weise täglich 180 g dieses Mittels genoß. Nach einem halben 
Monat verursachte ihr das Einfädeln der Nadel Schwierigkeiten; sie bekam 
Zittern der Hände, Schmerzen im Scrobiculus und zwischen den Schulter¬ 
blättern, Erbrechen auf nüchternen Magen, dann Zittern der Zehen, erschwerten 
Gang, hier und da Wadenkrämpfe, Kribbeln in den Füßen, Ohrensausen, Mouches 
volantes. Draper berichtet, daß, als die Geistlichen in Nordirland das Trinken 
des Whisky ausrotten wollten, die Gläubigen 2—6 mal am Tage 8—15 g Äther 
tranken. Zeitungsnachrichten zufolge breitet sich in Paris das Riechen und 
Trinken des Äthers in erschreckender Weise aus; es wurde von einer Frau er¬ 
zählt, daß sie erwiesenermaßen täglich bis zu 4 Liter Äther kaufte; sie starb unter 
den Erscheinungen der Abmagerung und hochgradiger allgemeiner Schwäche. 
In analoger Weise sollen die unteren Volksschichten Norwegens den Äther 
statt des proskribierten Alkohols genießen. Jaksch erwähnt auch die Gewohn¬ 
heit des Trinkens von Kölnischwasser, das ähnliche Erscheinungen verursacht. 

4. Bei der chronischen, seltener bei der subakuten Vergiftung mit Schwefel¬ 
kohlenstoff führt Delpech (1860) den Tremor unter jenen Symptomen an, die 
er stets auf zählen gehört, aber nie selbst gesehen hat. Gallard (1867) beschrieb 
einen dem chronischen Alkoholismus ähnlichen Tremor und Fernet fügte hinzu, 
daß derselbe von fibrillären Muskelzuckungen begleitet ist. Breillot gibt an, 
daß derselbe von den Lippen auf die Arme und dann auch auf die unteren 
Extremitäten fortschreitet, wodurch er das Gehen behindert, und mit Waden¬ 
krämpfen kombiniert zu sein pflegt. In den späteren Arbeiten über die Schwefel¬ 
kohlenstoffvergiftung wurde der Tremor nicht besonders analysiert, aber er 
wurde gewöhnlich wie bei anderen Vergiftungen beobachtet und unter die 
Nervenstörungen eingereiht, über deren Wesen zwischen Charcot und Marie, 
Raymond, Landenheimer Meinungsverschiedenheiten auf zu weisen sind 
(siehe die Studie von Vanysek). Charcot und Marie schrieben alle Symptome 
der Hysterie zu; die späteren Autoren gaben einen funktionellen Ursprung vieler 
Symptome zu und legten ein besonderes Gewicht darauf, daß viele Erscheinungen 
den toxischen organischen Störungen zuzuschreiben seien (so auch Vanysek). 

In der Klinik Thomayer beobachteten wir vier Fälle von chronischer 
Vergiftung bei Arbeitern aus derselben Fabrik, die eine sehr bunte und lehr¬ 
reiche Symptomatologie darboten. Sie wurden von Vanysek publiziert und 
kritisch bewertet (Sbomik klinick^, 1904, Bd. IV. p. 1). Bei zwei von diesen 
Fällen fand sich auch ein ausgesprochener Tremor. 

Es handelte sich da um zwei Formen des Zitterns; in der ersten Zeit, bald 
nach der Vergiftung, handelte es sich um einen deutlichen, schnellen, regel¬ 
mäßigen Tremor aller Extremitäten bei statischer Innervation, der sich bei 
der Intention verstärkte; später, als die Arbeiter dem schädlichen Einfluß des 
Schwefelkohlenstoffes bereits entzogen waren, sich aber mitten im Prozeß 
wegen der Entschädigung befanden, stellte sich bei ihnen ein dauernder Tremor 
ein, der sich bei der Intention zu groben Schleuderbcwegungen steigerte. 



28 


Erster Teil. 


* 


I. Chronische Schwefelkohlenstoff Vergiftung. Symptome einer leichten 
Neuritis. Tremor. Funktionelle Symptome. 

Nr. 10 997. J. K., 32 jähriger, aus gesunder Familie stammender Mann, 
arbeitete seit seinem 24. Lebensjahre beim Vulkanisieren des Kautschuks (er tauchte 
die Gegenstände in die Vulkanisierungsflüssigkeit ein, i. e. ein Gemisch aus 98% 
Schwefelkohlenstoff und 2% Chlorschwefel). Nach der Arbeit hatte er oft Kopf¬ 
schmerzen, Ohrenklingen und Schwindel. Vor y 2 Jahre wurde die Arbeit in ein 
Lokal verlegt, das sich schlecht lüften ließ. Bald darauf schmerzten den Kranken 
die Füße und erlahmten beim Gehen, in den Fußsohlen verspürte er ein Kribbeln. 
Allmählich ging die Schwäche mit dem Kribbeln auch auf die oberen Extremitäten 
über, so daß er sich nicht ordentlich ankleiden oder längere Zeit schreiben konnte. 
Seit 6 Wochen ist er impotent; er wuirde zornig, reizbar, gegen die Kinder gleich¬ 
gültig, schreckhaft, traurig. Er magerte ab, hatte keinen Appetit, alles schmeckt 
nach Schwefelkohlenstoff. Seit 14 Tagen hat er ein unerträgliches Jucken am 
Hodensack, an der Eichel und an den benachbarten Partien der Schenkel, und aus 
diesem Grunde suchte er die Klinik auf. 

Bei der Aufnahme in die Klinik am 7. VII. 03 wurde folgender Befund erhoben: 
Patient ist abgemagert, alle motorischen Funktionen sind abgeschwächt, besonders 
jene der kleinen Handmuskeln; die Nn. ischiadici sind schmerzhaft, die Patellar- 
reflexe sind schwach, der Reflex der Archillessehne nicht auslösbar, der Plantar - 



Fig. 24. 


reflex normal; die Reizbarkeit der Hautgefäße ist sehr gesteigert, Urticaria factitia 
sehr schön auslösbar; die kutane Sensibilität ist wegen der Schmerzempfindungen 
sehr herabgesetzt, die Leitungsfähigkeit vermindert, die Tastempfindung an den 
oberen Extremitäten und an den imteren vom Knie abwärts verschwunden; die 
elektrische Erregbarkeit der Nervi radiales und der von diesen versorgten Mus¬ 
kulatur ist bedeutend herabgesetzt, ebenso jene der Wadenmuskeln. 

Die Pupillen reagieren normal; Ilambefund normal; Intellekt ungestört. 

Der ganze Kopf des Kranken zeigte einen sehr schnellen Tremor mit kleiner 
Amplitude im Sinne der Rotation um die Vertikalachse. Die geschlossenen 
Augenlider gerieten in einen schnellen Tremor, der auch auf die Wangenmuskeln 
überging. Hierbei nahm das Zittern des Kopfes je weiter desto mehr zu, so 
daß der Patient schließlich die Augen öffnete, w T eil er ermüdet war und es nicht 
länger aushalten konnte. In ähnlicher Weise steigerte sich das Zittern, wenn sich 
der Kranke auf die Fußspitzen stellte oder den Dynamometer drückte. Wenn der 
Kranke ruhig im Bette lag oder wenn er schlief, verschwand der Tremor. 

Die auf den Knieen ruhig liegenden Hände zittern sehr schnell und zart; 
bei der Intention wird dieser Tremor stärker, hindert aber nicht die intendierten 
Bewegungen. Die gestreckten Oberextremitäten zittern in analoger Weise, wobei 
das Zittern auch auf die Brustmuskeln übergeht. Die Unterextremitäten zittern nicht. 

Gleich bei der Aufnahme wurde eine Zitterkurve der oberen Extremitäten 
gezeichnet (Fig. 24). Die beiden oberen Kurven wurden von der ruhig herab- 
hängenden Hand abgenommen. Wir sehen einen kleinen, feinen, unregelmäßigen 
und ungleichen Tremor; in jenen Partien der Kurve, wo die Wellen deutlich sind, 
zählen wir deren 7 in der Sekunde. Auf der vierten Kurve sehen wir die im Ruhe- 












Das Zittern infolge von Vergiftung. 


29 


zustande befindliche Hand nur da und dort eine kleine Welle zeichnen, dagegen 
entsteht beim Emporheben der Hand ein ungleicher und nicht ganz regelmäßiger 
Tremor von 7 Wellen in der Sekunde. 

Der Kranke verweilte einen Monat in der Klinik, aber sein Zustand ver¬ 
schlechterte sich noch mehr. Das Gehen wurde noch beschwerlicher, die Patellar- 
reflexe verschwanden, das Zittern wurde stärker. Er ging nach Hause, kam aber 
jede Woche zur Revision in die Klinik. Sein Zustand änderte sich insofern, als sein 
Körpergewicht zunahm und die Patellarreflexe zurückkehrten, die später sogar 



Fig. 25. 


erhöht waren. Sonst blieb alles unverändert; besonders quälte ihn das Jucken, 
namentlich am Genitale. Er erzählte, daß er zu Hause häufig Streitigkeiten provoziere. 

Nach drei Monaten kam er wieder; diesmal bot die Krankheit ein anderes 
Bild dar: der Kopf des Kranken wurde selbst im Ruhezustände sowohl im Stehen, 
als auch im Sitzen im Sinne der Rotation um die Vertikalachse von einem mittel- 
schnellen Tremor mit ziemlich großer Amplitude geschüttelt. Beim Sitzen voll¬ 
führen die Hände analoge Adduktions- und Abduktionsbewegungen im Schulter- 
gelenk, Pronation imd Supination im Ellbogengelenk; wenn sich der Kranke auf¬ 
stellt oder wenn er die Hand streckt, entsteht ein sehr schneller Tremor (9—11 in 
der Minute) im Sinne der Flexion und Extension im Ellbogen- und Handgelenke. 
Hierbei werden die Hände von raschen, unregelmäßigen Bewegungen geschüttelt; 



Fig. 26. 


der Kopftremor nimmt hierbei an Intensität zu. Wenn der Kranke steht, stellt sich 
ein grober Tremor in den Ellbogengelenken im Sinne der Flexion und Extension 
ein. Der Tremor ist motorisch so mächtig, daß ihn zwei Männer mit ihrer vollen 
Kraft nicht unterdrücken können. Im Gegenteil, ein derartiger Versuch entfesselt 
ihn nur noch mehr. Durch Muskelspannung (Zusammendrücken des Dynamo¬ 
meters) sowie durch jede Bewegung wird das Zittern intensiv verstärkt. Beim 
Versuche, aus einem vollen Glase zu trinken, verschüttet der Kranke das Wasser. 
Psychische Anspannung verstärkt den Tremor nicht. Der Kranke vermag das 
Zittern einigermaßen zu mildern, indem er beide Hände mit den Handflächen an¬ 
einander legt und sie zwischen die Oberschenkel einklemmt (Fig. 25). 




















30 


Erster Teil. 


Die unteren Extremitäten zittern im Ruhezustände nicht. Wenn sie der 
Kranke in sitzender Stellung auf die Fußspitzen stützt, machen sie bald hüpfende 
Bewegungen, bald sind sie ruhig. Sobald er sie aber in irgend einem Gelenke aktiv 
bewegen will, verfallen sie in ein grobes Zittern im Sinne der Flexion und Extension, 
speziell in den Kniegelenken; dagegen fehlt das Zittern überhaupt in den Sprung - 
gelenken. Mit geschlossenen Augen kann der Kranke wegen starken Schütteins 
und Schwankens nicht stehen; er schwankt so sehr, daß er jeden Moment ernstlich 
zu fallen droht, doch erhält er sich stets irgendwie auf den Füßen. 

Der Gang ist sehr auffallend; die Extremität zittert bei jedem Ausschreiten 
in allen Gelenken, sie tritt nur auf die Spitze auf und beim Auftreten auf den linken 
Fuß zittert der ganze Körper. Der Kranke kann nur mit Hilfe eines Stockes umher¬ 
gehen. In ähnlicher Weise geht er, wenn er den Stock hält, den ihm der Arzt vor¬ 
anträgt. 

Diesen Tremor veranschaulicht die Kurve Vanyseks (Archives bohömes de 
möd. clin. V. 1904. p. 229) (Fig. 26): ein großer, grober, ungleicher und ein wenig 
imregelmäßiger Tremor von 9—10 Zuckungen in der Sekunde. 

Der zweite Fall war ganz analog. 

II. Z. 11675/03. M. K., 31 Jahre alt, stammt von einem Säufer, einem 
heftigen, zornigen Menschen. Eine Schwester hat Anlagen zum Sonderlingswesen. 
Er selbst war stets gesund. Seit einem Jahre arbeitet er in einer Gummi waren - 
fabrik, speziell ist er beim Vulkanisieren des Kautschuks beschäftigt. Schon nach 
einem Monat bekam er Kopfschmerzen, besonders gegen Abend und namentlich 
am Sonnabend; nach dem Sonntag war ihm immer besser. Er wurde reizbar und 
gleichgültig gegen die Kinder imd gegen Vereine, die ihm früher Vergnügen be¬ 
reiteten. Vor fünf Monaten begannen die Füße schwach und matt zu werden, vor 
zwei Monaten bekam er Kribbeln in den Fußsohlen; später bekam er das Kribbeln 
auch in den Händen und vor drei Wochen bemerkte er, daß die Hände bei der Arbeit 
zittern. Ferner hatte er Jucken an der Eichel, Verstopfung, das Sehvermögen nahm 
ab und seit sechs Wochen hatte er keine Erektion. 

Bei der Aufnahme in die Klinik am 27. Juli 1903 konstatierte man Schmerz¬ 
haftigkeit in den Nervengeflechten am Halse und in den Nn. ischiadici, ohne Ab¬ 
nahme der Muskelkraft und ohne Muskelatrophie; die Patellar- und Plantarreflexe 
waren normal, der Achillessehnenreflex war aber nicht auslösbar. Der Gang war 
schwer und zögernd. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln war un¬ 
verändert. An den Unterschenkeln und an den Fußrücken war die Sensibilität 
für alle Empfindungsqualitäten herabgesetzt oder erloschen, an den Vorderarmen 
etwas vermindert. Das Gesichtsfeld war normal. Die geschlossenen Lider zitterten 
schnell. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten unbedeutend und das Zittern 
nahm bei Bewegungen nicht auffallend zu. Nach drei Wochen verließ er die Klinik 
und als er nach einer Woche wiederkam, fand man ein grobes Zittern der gestreckten 
Oberextremitäten von mittlerer Geschwindigkeit. Auch die Gesichtsmuskulatur 
verfiel zeitweise in ein rasches Zittern, das sich auf die Lider und auf die Stirn aus¬ 
breitete. Der Gang war imbeholfen. 

Drei Monate später erschien er mit einem ähnlichen klinischen Bilde wie der 
vorhergehende Patient. Wenn er sitzend die Unterarme auf die Knie stützte, 
wurden die Hände von einem groben, aber langsamen, 4—5 Zuckungen in der Sekunde 
betragenden Zittern im Handgelenke im Sinne der Abduktion und Adduktion, 
der Flexion und Extension geschüttelt; links war dieses Zittern schwächer, ver¬ 
schwand hier zeitweise oder wurde von gröberen Bewegungen abgelöst, die man 
kaum als Tremor bezeichnen konnte. Wenn der Kranke stand und seine Hände 
herabhängen ließ, entstanden — und zwar nur zeitweise — langsame, grobe Be¬ 
wegungen im Handgelenke im Sinne der Pronation und Supination; beim Gehen 
machte er manchmal eine solche Bewegung mit der Hand, als würde er mit der Peitsche 
knallen. Beim Strecken der Hände wird der Tremor schneller, feiner und kombiniert 
sich derselbe mit gröberen Bewegungen im Sinne der Adduktion und Abduktion, 
der Supination und Pronation. Durch die Intention wird er nur wenig verstärkt. 
Bei kräftiger Muskelspannung hört das Zittern gänzlich auf. Wenn der Kranke den 
Tremor durch den Willen zu unterdrücken versucht, entstehen reichlich jene un- 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


31 


regelmäßigen, groben Bewegungen. Dieselbe Veränderung tritt ein, wenn sich der 
Kranke z. B. durch schwierige Rechenexempel geistig anstrengt. Bei Ablenkung 
der Aufmerksamkeit hört der Tremor gänzlich auf (Fig. 27, obere Kurve). 

Auf der unteren Kurve sehen wir den Einfluß des Versuches, das Zittern zu 
unterdrücken: etwa sechs unregelmäßige und ungleiche Wellen. 

Auch die unteren Extremitäten verfallen, wenn sie sich auf die Fußspitzen 
stemmen, zeitweise in kleine, hüpfende Bewegungen, welche mit einer langsamen, 
2—3 mal in der Sekunde stattfindenden Adduktion und Abduktion abwechseln. 
Wenn der Kranke den Fuß hebt, zittert der letztere unregelmäßig 2—3 mal, worauf 
stets eine Pause auftritt. Der Gang ist spastisch, aber frei vom Tremor. 

Im Jahre 1905 kam der Kranke nochmals in die Klinik; die Zitterkurve 
zeigte bei statischer Innervation eine schöne Allorhythmie und bei der Intention 
eine grobe Zunahme der Amplitude. 

5. Bei der akuten SchwefelwasserstoffVergiftung führt F. Erben 
unter anderen Symptomen auch den Tremor an. 

6. Nach Jod, und zwar sowohl nach der äußeren Applikation der Jod¬ 
tinktur, als auch nach der internen Darreichung der Jodide wurde Tremor 



Fig. 27. 


der Extremitäten beobachtet und verzeichnet (Binz, Lew in, Latteux). 
Lewin beschreibt bei akuten Vergiftungen (Nebenwirkungen, 2. Aufl., p. 387) 
einen Zustand, in welchem „die Kranken reizbar, schlaflos sind und meistens 
auch einen eigentümlichen Zustand von Zittrigkeit aufweisen, der sich bei manchen 
zu längere Zeit anhaltendem, choreaähnlichem Zittern der Arme, Hände und 
Beine, seltener des Unterkiefers steigern kann.“ Bei chronischen Vergiftungen 
beobachtete er Anfälle von Gliederzittern und Schwindel, die eine Stunde 
dauerten; in einem Falle hielt das Gliederzittern mehrere Wochen an; die 
psychischen Störungen wurden als Jodrausch, ivresse jodique, bezeichnet. 
Warschauer beschrieb nach einer größeren Jodkaliumdose (72 g in 4 Wochen) 
ein kompliziertes Krankheitsbild, das an die Basedowsche Krankheit mit 
Tic der Hände erinnerte, und zitiert die analogen Fälle Rendus und Ortners. 
Besonders häufig kommen derartige Krankheitsbilder bei Leuten mit Strumen 
vor (Lewin, Rilliet, Breuer, Syllaba, observ. 32 und 49). Ich beobachtete 
ein schönes Beispiel eines solchen Tremors ohne Struma. 

Ein 42 jähriger, kräftiger, mit Arthritis der kleinen Gelenke der linken Hand 
behafteter Mann nahm binnen drei Monaten 60 g Jodkali. Er verlor zwar die 
objektiven und subjektiven Symptome der Arthritis, wurde aber plötzlich schwach. 






32 


Erster Teil. 


magerte ab, bekam Palpitationen mit 100 Pulsen und ein schnelles, feines Zittern 
der Hände und des ganzen Körpers, er schlief nicht und war aufgeregt. Arsen, 
Brom halfen nichts; erst nach Möbiusserum (5 Flaschen) trat Heilung ein. 

Syllaba sah etwas Analoges bei einem älteren Herrn mit Arteriosklerose. 

Nach Brom beschreibt Latteux eine Schwäche der Glieder mit Tremor 
bei den geringsten Bewegungen bei herabgekommenen Leuten. Er beschreibt 
einen derartigen Fall bei einem 50jährigen Manne nach achttägigem Genüsse 
von 4 g Bromkali, bei dem der Tremor mit Gliederschwäche bei totaler Abstinenz 
noch lange Zeit anhielt. Binswanger führt das Gliederzittem unter den An¬ 
fangssymptomen des schweren Bromismus an. Lewin erwähnt unter den Sym¬ 
ptomen der allgemeinen Schlaffheit auch Unsicherheit und Zittrigkeit des 
Ganges und als Rarität das entgegengesetzte Bild: Zittern der Hände und 
Beine, Erhöhung der Sehnenreflexe, sowie Ataxie der gesamten Muskulatur 
im Falle von Voisin (Nebenwirkungen, S. 203). Bei schwerem Bromismus 
hebt er hervor, daß die Gesichtsmuskeln, die Zunge und die Hände bei inten¬ 
dierten Bewegungen zittern (S. 204) und vergleicht diesen Zustand mit dem 
Bilde der progressiven Paralyse. 

7. Bei der Chloralvergiftung sahen Delherm und Ballet Zittern der 
Glieder und der Gesichtsmuskeln bei einem der progressiven Paralyse ganz 
analogen Gesamtbilde. Es handelte sich um eine Frau, welche die verordnet© 
Dosis von 1 g Chloralhydrat so häufig nahm, daß sie 14 aufeinander folgende 
Tage hindurch täglich 15 g einnahm. Ihr Bewußtsein war so getrübt, daß sie 
sich erst nach einer zweitägigen totalen Abstinenz soweit erholte, daß sie die 
Ursache ihrer Vergiftung angeben konnte. Das Zittern bestand auch in der 
Rekonvaleszenz. Ähnliche Zustände beschrieb Rehm (zit. Lew in). 

8. Bei der Kohlenoxyd- und Leuchtgas Vergiftung beobachtete man 
Zittern der Hände unter den Prodromen von Krampfanfällen, die jenen bei der 
echten Epilepsie ähnlich waren, und außerdem auch ohne Krämpfe (Friedberg, 
Klebs, Becker). 

Nach der akuten Intoxikation entsteht häufig ein krankhafter chronischer 
Zustand mit Symptomen seitens der Lungen (Pneumonie) oder der Haut (Pem¬ 
phigus) oder mit trophischen Symptomen (Gangrän), mit Storungen des 
Stoffwechsels (Glykosurie), manchmal mit Nervensymptomen: Herpes zoster, 
Idiotie (Oppolzer), Blutungen und eventuell multiple Erweichungen des Ge¬ 
hirns, Landrysche Paralyse (Leudet zit. v. Becker), periphere Paralysen 
mit trophischen Störungen (Litten: Lähmung des Armplexus mit sulziger 
Infiltration), hysterische Zustände (Itzigsohn zit. v. Becker), Chorea rhyth- 
mica (Leudet zit. v. Becker) — und schließlich Zustände, die der Herdsklerose 
mit Intentionszittem ähnlich sind. Einen solchen Fall beschrieb Becker (1889): 

Ein 47 jähriger, kräftiger, mäßiger, aus gesunder Familie stammender Mann 
atmete bei der Arbeit akut Leuchtgas ein. Aus der Bewußtlosigkeit wurde er durch 
zweistündige künstliche Atmung wiederbelebt; nach zwei weiteren Stunden bekam er 
ein fibrilläres Muskelzittern und dann einen Status epilepticus mit Fieber, der in 
akuter Weise 2 Tage und in abgeschwächtem Grade noch 6 Tage dauerte. Nach 
diesem Zustande blieb eine Parese der linken Körperhälfte zurück. Der Autor 
untersuchte den Kranken zum ersten Male 12 Tage nach dem Unglück und kon¬ 
statierte eine monotone, langsame, aber nicht skandierende Sprache und als auf¬ 
fallendstes Symptom ein Intentionszittern der Hände, das das Essen und Trinken 
unmöglich machte, links stärker war und in analoger Weise, wenn auch in geringerem 
Grade an den Füßen uud zwar links stärker als rechts vorhanden war. Außerdem 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


33 


machten die Finger manchmal Bewegungen wie beim Klavierspiel, links mehr als 
rechts. Bei vollkommener Körperruhe zeigte sich nur hie und da bei seelischer 
Erregung ein Tremor, der dann an Paralysis agitans erinnerte. Dies kam nur in 
der ersten Zeit vor. — Alle anderen Symptome, die für Sklerose oder Hysterie 
gesprochen hätten, fehlten. — Nach Sulfonal besserte sich dieser Zustand ein 
wenig, aber nur für eine kurze Zeit. Nach 2 Monaten berichtete der Kranke, das 
Zittern sei so stark, daß er nichts arbeiten könne. 

Der Autor nimmt an, es habe sich nach kleinen Blutergüssen ins Gehirn 
eine disseminierte Sklerose entwickelt. 

9. Bei Arsenvergiftung wurde selten Zittern beobachtet und zwar uni¬ 
versell oder nur an den Extremitäten, eher an den unteren als an den oberen 
(Breillot). Es kann den Lähmungen vorangehen, wie Barella nach Arsenik¬ 
therapie beobachtet hat (zit. v. Fernet). Genauere Beschreibungen fehlen 
bis auf die Bemerkung von Levy-Dorn, er hätte beim Tremor nach Anilin 
7 Wellen in der Minute gezählt. 

Der Tremor wurde bei der chronischen Intoxikation beobachtet, wenn 
sich eine hochgradigere Muskelschwäche und Kontrakturen (Latteux) zu ent¬ 
wickeln beginnen und zwar sowohl bei zufälligen als auch bei gewerblichen Ver¬ 
giftungen: bei der Fabrikation der Anilinfarben (Fuchsin, Methylviolett, ver¬ 
schiedene grüne Farben wie Schweinfurter-, Wiener-, Smaragd-, Brillant-, 
Neu-, Veronesergrün), ferner bei Tierausstopfem und Pelzaufbewahrem. 

10. Bei der chronischen Quecksilbervergiftung erscheint im ersten 
Stadium neben den Allgemeinerscheinungen (Blässe, Metallgeschmack im Munde, 
Übelkeit, Schlaflosigkeit, zornige und freudige Erregbarkeit) hie und da, speziell 
bei Emotionen, ein Tremor der Hände. Derselbe begleitet namentlich die ganz 
feine und die ganz grobe und schwere Handarbeit. Im Ruhezustände hört er 
auf. Ein mäßiger Alkoholgenuß hat auf den Tremor keinen Einfluß; nach reich¬ 
lichem Trinken wird er stärker, im Rausche verschwindet er, tritt aber bei ein¬ 
tretender Ernüchterung um so heftiger auf. Bei Frauen verstärkt er sich zur Zeit 
der Menstruation.* Er geht rasch vor sich. Oft ist er auf einer Körperseite 
heftiger (Schoull). Manchmal beginnt er mit einem individuellen Zittern 
einzelner Finger (Fernet), seltener des Kopfes und der Lippen (Breilott). 
Bei fortschreitender Vergiftung wird der Tremor an den Händen deutlicher, 
er wird rasch, regelmäßig, zeigt sich deutlicher und konstant an den Lippen 
und an der Zunge, weit weniger an den Füßen. In diesem Stadium beginnt sich 
der Tremor bei der Intention zu verstärken, so daß der Kranke weder arbeiten 
noch leicht essen kann (Erbens Patient bekam bei Intention das Zittern erst 
im letzten Drittel der Bewegung vor dem Ziele), seine Sprache ist erschwert 
(embarassöe und ein gewisser Grad von begaiment — Fernet, Syllaba, 
Thomayer), sein Kopf zittert um eine vertikale oder horizontale Achse (ja, ja 
— nein, nein Charcot); das Gehen, ja selbst das ruhige Stehen fällt ihm schwer. 
In der Ruhe ist der Tremor intermittierend (Charcot), aber jede psychische 
Erregung ruft ihn hervor. Bei statischer Innervation beobachtete Erben eine 
Abnahme des Tremors durch Ermüdung. Charcot schilderte ihn überein¬ 
stimmend mit früheren Autoren als rasch, später (1887) korrigierte er seine An¬ 
sicht dahin, daß er 5—6 Wellen in der Sekunde macht, was schon vor ihm auch 
Eulenburg (7,5) und nach ihm Mugnerot (5—6) behaupteten; Pieraccini 
(1906) reproduziert Kurven mit 8—9, aber auch mit 6 Wellen in der Sekunde. 
Für unseren Zweck eignen sich ausgezeichnet die Kurven, welche Pieraccini 

Peinäf, Zittern. 3 



84 


Erster Teil. 


in Monte Amiata gezeichnet und so schön in seinem Buche Patologia del Lavoro 
(S. 274, 279) reproduziert hat. Die erste, von einem 31jährigen Arbeiter stam¬ 
mende Kurve zeigt in der Ruhe einen im großen und ganzen gleichmäßigen, 
etwas ungleichen, schnellen, 8—9 Wellen in der Sekunde betragenden Tremor, 
der sich bei Bewegungen bedeutend verstärkt, aber gleichmäßig und „knoten¬ 
förmig“ bleibt und nach 6 Sekunden wieder abnimmt; in dieser Intentions¬ 
periode ist er ein wenig schneller, 9—10 in der Sekunde. Wir sehen, daß dies 
kein wahres Intentionszittem ist, sondern ein durch die Bewegung verstärkter, 
aber keineswegs ein mit der Bewegung progressiv zunehmender Tremor. Die 
zweite Kurve stammt von einem 32 jährigen Arbeiter, der Raucher und Trinker 
war, und zeigt in der Ruhe einen regelmäßigen und gleichmäßigen Tremor von 
6 Wellen in der Sekunde, der sich bei der Bewegung verstärkt, aber nicht pro¬ 
gressiv zunimmt und nicht schneller wird, sondern regelmäßig bleibt. Die 
dritte, von demselben Kranken stammende Kurve zeigt im Ruhezustände einen 
unbedeutenden Tremor, der etwa dieselbe Geschwindigkeit von 6 Wellen in der 
Sekunde auf weist und bei energischer Muskelspannung (Drücken des Dynamo¬ 
meters) größer, aber nicht schneller wird und nach einigen Sekunden wiederum 
abnimmt. 

Dieser Zustand kann sich noch weiter verschlechtern. Nach irgend einer 
äußeren Ursache, am häufigsten nach einer stärkeren Aufregung (Schoull), 
entsteht plötzlich ein heftigeres Zittern, das im Wesen denselben Charakter 
besitzt und zu welchem bei der Intention unregelmäßige Schüttelbewegungen 
der Hände, wie bei der Chorea oder bei der disseminierten Sklerose, ja sogar 
auch schmerzhafte Krämpfe der oberen Extremitäten hinzutreten, sodaß jede 
Arbeit mit den Händen unmöglich wird, die Kranken sich beim Essen das Ge¬ 
sicht verletzen (Merat), der Gang schwankend wie im Rausche und die Sprache 
sehr gestört ist. Namentlich in Gegenwart anderer Personen sind aktive Be¬ 
wegungen sehr erschwert. Bei Kälte und Feuchtigkeit pflegt die Unruhe größer 
zu sein (Breillot). Bei der Intention ist das Bild überhaupt der Herdsklerose 
(Charcot), seltener dem Veitstanz (Le tu Ile) ähnlich. Selbst in diesem Stadium 
kann der Tremor im Ruhezustände fehlen, obwohl die Sprache schon unver¬ 
ständlich und das Stehen ohne Stütze unmöglich sein kann (Fall von Valen- 
zu ela). Eine noch weitere Verschlimmerung kann eintreten: es können auch 
im Ruhezustände unwillkürliche Bewegungen, wie bei der Chorea, und bei der 
Intention Schüttelbewegungen aller Körperteile auf treten (Schoull). 

Im weiteren Verlaufe der Vergiftung wurden eigentümliche Krampf- 
Symptome beobachtet: die Kranken stürzen unter heftigem Schwindel oder auch 
unter klonischen, epileptiformen Krämpfen, aber ohne das Bewußtsein völlig 
zu verlieren (Schoull), nach vom, verfallen in eine kurze Ohnmacht, bis schlie߬ 
lich Lähmungen der zitternden Muskeln ohne Atrophie und ohne Veränderung 
der elektrischen Erregbarkeit (Schoull) im kachektischen Stadium auf treten, 
in welchem sich manchmal vor dem Tode auch Demenz einstellt. Bei den 
Patienten mit Tremor findet sich gleichzeitig eine allgemeine Muskelschwäche 
(Breillot). 

Bei länger dauernden Fällen wurde noch ein anderer Typus beschrieben: 
zunächst ein klinisches Bild, welches jenem sehr ähnlich ist, das wir bei unseren 
beiden mit Schwefelkohlenstoff vergifteten Arbeitern im späteren Stadium ihrer 
Krankheit gesehen haben. So z. B. begann der Patient von Proust, den Fernet 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


35 


aiiführt, beim Aufstehen am ganzen Körper, den Kopf nicht ausgenommen, 
zu zittern; wenn er sich an den umstehenden Gegenständen anhalten wollte, 
bekam er unwillkürliche, konvulsivische, unregelmäßige Bewegungen der Hände, 
die sich sofort auch auf die Füße fortpflanzten, so daß er die Knie gegeneinander 
schlug, die Füße emporhob und gefallen wäre, wenn man ihn nicht gehalten 
hätte. Ohne Unterstützung konnte er überhaupt nicht gehen. Wenn man ihn 
in den Achselhöhlen stützte, konnte er gehen. Der ausschreitende Fuß verfiel 
sofort in unregelmäßige „Oszillationen“ — also schnelle Bewegungen, schnellte 
in die Höhe und fiel mit der Ferse auf. Der Gang ähnelte, aber nur zeitweise, 
dem ataktischen und war jeden Augenblick anders (S. 48 orig.). Ferner beob¬ 
achtete man Spasmen in den Extremitäten bei normalen Reflexen, Spasmen, 
welche sich steigerten, wenn man sie passiv überwinden oder überhaupt unter¬ 
suchen wollte. (Der Patient von Towsend bei Schoull, S. 76.) Analoge Bilder 
gaben die Veranlassung dazu, daß Charcot auf Hysterie bei der Quecksilber¬ 
vergiftung aufmerksam machte (durch welche er im Jahre 1887 die klinischen 
Symptome des berühmten Pariser Falles namens Schumacher erklärte). Charcot 
hat auch darauf hingewiesen, daß das Zittern manchmal im Krankenhause 
durch suggestive Mittel zu beseitigen sei; unter seinen Schülern ist es Dutil 
auf gef allen, daß die Arbeiter weder in der Werkstatt, noch in ihrem Gasthause 
zittern; sobald aber Besuch in die Fabrik kommt, zittern sie alle. Zu derselben 
Ansicht bekannte sich auch Letulle (in seinem Vortrage in der Soc. m&J. des 
höp. 1887), dessen Schüler Mugnerot dieser Frage eine selbständige These 
widmete. Letulle ging von dem Befunde Charcots und Potains bei der 
Hemianaesthesia satumina aus und fand beim chronischen Hydrargyrismus 
eine Menge hysterischer Symptome, zu denen er auch das Zittern zählte, da sich 
dieses nicht durch die bei der Quecksilbervergiftung übliche, wohl aber durch 
die bei der Hysterie erfolgreiche Methode ausheilen ließ. Seine Prozedur be¬ 
stand in einer elastischen Umwicklung der Hand von den Fingern bis nach 
oben, die man 3—4 Minuten beläßt, worauf man durch eine halbe Stunde den 
Magneten anwendet; diese Sitzung wird täglich einmal wiederholt. Dabei 
versichert man dem Kranken, daß er genesen werde. 

Mugnerot zitiert die hierher gehörenden Fälle: 

1. Letulle: Ein 39jähriger „coupeur de poils de lapin“. Seit dem neunten 
Lebensjahre schabte er die Haare von den Fellen ab, wobei er der Gefahr der Queck¬ 
silbervergiftung ausgesetzt war. Bis zum 20. Lebensjahre zeigten sich bis auf das 
Schadhaftwerden der Zähne keine Vergiftungserscheinungen. Im 34. Lebensjahre 
trat zum ersten Male Tremor der oberen Extremitäten auf, der nach einer sechs¬ 
wöchentlichen Behandlung im Krankenhause (JK und Bäder) zwar nicht voll¬ 
ständig verschwand, aber sich soweit besserte, daß der Kranke wieder arbeiten konnte. 
Das Zittern war früh im nüchternen Zustande vorhanden, nach dem Frühstück 
nahm es ab, steigerte sich aber nach dem Mittagessen und am Abend nach beendeter 
Arbeit. Aber einmal bekam er mitten in der Arbeit ein so heftiges Zittern aller 
Extremitäten, daß er zu Boden stürzte und ins Krankenhaus überführt werden 
mußte. Im Liegen zitterte er nicht, sobald er aber einen Gegenstand mit der Hand 
erfassen wollte, begann er am ganzen Körper so zu zittern, daß auch das Bett zitterte. 
Er brachte es nicht einmal zustande, sich aufzustellen, viel weniger zu gehen, zu essen 
oder zu schreiben. Es handelte sich um grobe, unregelmäßige, choreiforme Be¬ 
wegungen. Links stärker als rechts. Er gab zu, nervös und ein Trinker zu sein; 
er saß mit Kameraden, die ebenfalls zitterten, in einer Butike; indem trat ein Fremder 
ein; dies genügte, um zu bewirken, daß keiner mehr weiter trinken konnte und alle 
Weggehen mußten. Sichere Stigmata zeigte er nicht bis auf eine anästhetische 

3 * 



36 


Erster Teil. 


Zone am rechten Vorderarm und eine leichte Gesichtsfeldeinschränkung links. Nach 
vier Tagen setzte der Autor mit der Behandlung ein; nach der ersten Sitzung ver¬ 
schwand der Tremor aus den oberen Extremitäten, nach drei Tagen ging der Kranke 
ohne Zittern umher. 

2. Guinon: Ein 50jähriger Spiegelarbeiter, der seit seinem 20. Lebensjahre 
mit Quecksilber arbeitete. Im 43. Lebensjahre zum ersten Male Stomatitis, Tremor, 
Schwerhörigkeit links. Heilung nach Aussetzen der Beschäftigung. Im 46. Lebens¬ 
jahre zweiter Anfall von Stomatitis und Tremor. Er begann am Morgen 125 g 
Bum zu trinken. Eines Tages stürzte er auf der Straße und wurde mit einer zwei¬ 
fachen Monoplegie — der linken oberen und rechten unteren Extremität — mit 
Anästhesie ins Krankenhaus geschafft. Im 48. Lebensjahre konstatierte bei ihm 
Bouchard Tremor, Anästhesie der Innenflächen der Unterschenkel, deutlicher 
rechts, und der linken Oberextremität. (Er war ein Linkshänder und das Hg wirkte 
mehr auf die linke Ober- und die rechte Unterextremität ein.) Im 49. Lebensjahre 
begann er von neuem zu arbeiten. Nach fünf Monaten wieder Tremor und Stoma¬ 
titis. Zu dieser Zeit plötzliche Kontrakturen beim Koitus. 

Man fand, daß der Tremor im Buhezustand fast fehlte, dagegen bei Emotionen 
oder bei willkürlichen Bewegungen sehr stark war, besonders links. Zahlreiche 
Zeichen von Hysterie. Krampfanfälle in den beiden unteren Extremitäten und 
in der linken oberen Extremität. 

Nach hypnotischer Behandlung verschwanden der Tremor und die hysterischen 
Symptome bis auf die sensorielle Anästhesie. Interessant war es, daß, wenn man 
ihm einen Magneten applizierte, er eine Nadel einfädeln und schreiben konnte, 
während analoge Verrichtungen ohne den Magneten durch den Tremor unmöglich 
gemacht wurden. 

3. Bendu: 38 Jahre alt, Sohn einer hysterischen Frau und Bruder eines 
unheilbaren Epileptikers. Vom 13. bis zum 17. Lebensjahre war er Bergmann 
und fühlte er sich gesund. Im 29. Lebensjahre begann er Kaninchenfelle abzuschaben, 
mußte aber nach einem Jahre diese Beschäftigung wegen Zitterns der Füße auf¬ 
geben. Nach zwei Monaten verschwand das Zittern. Im 31. Lebensjahre schabte 
er wieder Felle. Nach zehn Monaten Zittern aller Extremitäten und Stomatitis; 
er verließ die Arbeit, aber das Zittern verschwand nicht. Im 35. Lebensjahre hatte 
er eine linksseitige hysterische Hemiplegie, von der er bei C har cot nach zehn 
Monaten genas. Im 36. Lebensjahre lag er wiederum zehn Monate bei Charcot 
wegen einer Lähmung. Bald darauf ein starkes Zittern beim Gehen, das andauerte 
und ihn zwang das Krankenhaus aufzusuchen. Man konstatierte Zittern aller 
Extremitäten, besonders der Füße; Kopf und Hals waren frei. Bei völliger Buhe 
zitterte er nicht; sobald er aber eine obere oder untere Extremität emporhob, verfiel 
dieselbe in ein grobes Zittern. Außerdem bestanden bei intendierten Bewegungen 
unregelmäßige Bewegungen, welche die Intentionsrichtung störten. Hysterische 
Stigmata. Nach dreiwöchentlicher Behandlung mit Brom und Valeriana genas der 
Kranke vollkommen. 

4. Letulle (nicht publiziert): Eine 59jährige Patientin, die seit 42 Jahren 
mit der Entfernung der Haare von den Fellen beschäftigt ist (monteuse). 36 Jahre 
blieb sie frei von Vergiftungserscheinungen; seit sechs Jahren leidet sie an Zittern, 
das im Beginne nur bei Aufregung, in der Eile an den oberen Extremitäten erschien, 
später zunahm, auf die unteren Extremitäten und im letzten Jahre auch auf den 
Kopf überging. Während dieser Zeit trat eine dreimonatliche, dann eine zwei¬ 
monatliche und jetzt zum dritten Male eine derartige Verschlimmerung ein, daß 
sie nicht einmal essen kann. Im Bette zittert nur der Kopf (verneinende Bewegung) 
rhythmisch. Aber bei jeder Bewegung stellt sich ein grobes, aber regelmäßiges und 
rhythmisches Zittern der Extremitäten und der Zunge ein. Wenn sie beobachtet wird, 
kann sie nicht essen, wohl aber, wenn sie sich nicht beobachtet fühlt. Die Unter¬ 
extremitäten zittern nicht. Während der letzten zwei Jahre trat Lungentuberkulose 
hinzu. Keine hysterischen Stigmata. Nach zehntägiger Behandlung mit elastischer 
Umschnürung und mit dem Magneten wurde sie vom Tremor völlig befreit. 

5. Letulle (nicht publiziert): Die 55jährige Schwester der vorangehenden 
Patientin gab an, daß die Mutter nervös, reizbar war und ein Bruder, der gleich 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


37 


ihnen Felle abschabte, an Tremor litt und an Tuberkulose starb. Seit ihrem 12. 
Lebensjahre kratzte sie Felle ab und hatte mit Ausnahme der schwarzen Zähne 
durch 39 Jahre keine Symptome von Quecksilbervergiftung. Vor vier Jahren 
wurde sie nervös (zur selben Zeit begann ihre Schwester zu zittern), vor zwei Jahren 
bekam sie ein ähnliches Zittern wie die Schwester und drei Anfälle von akuter Ver¬ 
schlimmerung, während welcher sie die Arbeit aufgeben mußte. Bei Aufregungen 
oder wenn sie plötzlich sich beeilen — z. B. auf der Straße einem Wagen ausweichen — 
mußte, bekam sie unregelmäßige, choreiforme Bewegungen der oberen Extremitäten. 
Gewöhnlich half eine Abwaschung mit kaltem Wasser. Jenen dritten, langdauemden 
Anfall hat Letulle beobachtet und behandelt. Die unteren Extremitäten waren 
nie befallen. Im Ruhezustände zittert sie nicht, aber bei den geringsten Bewegungen 
bekommt sie ein Zittern des Kopfes (am häufigsten nein, nein) und an den unteren 
Extremitäten erscheint anfangs ein rhythmisches, grobes Zittern und sodann treten 
auch unregelmäßige choreiforme Bewegungen auf. In analoger Weise finden beiderlei 
Bewegungsarten auch an der vorgestreckten Zunge statt, so daß die Sprache skan¬ 
dierend wird. Hysterische Stigmata fehlen. Nach einer 14tägigen Behandlung 
mit einer Kautschukbinde und einem Magneten genas sie vollkommen und ist seit¬ 
her gesund. 

6. Letulle (nicht publiziert): Ein 21 jähriger Hilfsarbeiter beim Abschaben 
der Felle, Alkoholiker, der seit der Kindheit an lebhaften Träumen leidet und im 
Schlafe das Bett verläßt. Seit vier Monaten zittern alle Extremitäten und die Zunge 
wie bei einem Alkoholiker. Arbeitet mit Quecksilber fünf Jahre. Er hatte eine links¬ 
seitige sensitivosensorielle Hypästhesie. Nach einer einmaligen Applikation des 
Magneten war er vollkommen gesund. 

7. Mugnerot: 57 jähriger Arbeiter einer Thermometerfabrik, Alkoho¬ 
liker, der seit dem 14. Lebensjahre seinen gegenwärtigen Beruf ausübt. 14 Jahre 
lang hatte er keine Vergiftungserscheinungen, bis er eines Morgens nach längerem 
Aufenthalte in einem ungesunden Raume plötzlich ein heftiges Zittern der beiden 
oberen, aber nicht der unteren Extremitäten bemerkte. Zwei Monate wurde 
er mit Jodkali und Schwefelbädern behandelt, aber nicht gänzlich ausgeheilt; erst 
nach zwei weiteren Monaten verschwand der Tremor. Das war vor zwei Jahren. 
Nun nahm der Tremor wiederum allmählich zu und zwang ihn, das Krankenhaus 
aufzusuchen. Nach zweimonatiger Behandlung mit Jodkali und Bromkali fühlte 
er sich besser und kehrte zur Arbeit zurück, aber nach sechs Monaten kam er wieder 
und jetzt beobachtete ihn der Autor. — Im Ruhezustände zittert er nicht, aber 
bei der Intention zeigt er kurze, rasche, arhythmische Zitterbewegungen an beiden 
oberen und unteren Extremitäten, hier mehr links. Bei rascherem und anstrengen¬ 
derem Gehen ist der Tremor an den Füßen ganz deutlich. Der M. orbicularis oculi 
zittert unaufhörlich. Leichte Hemianästhesie rechts. Nach achttägiger Behandlung 
mit Hilfe der Methode von Letulle blieb nur ein ganz leichter Tremor der 
Finger von alkoholischem Charakter zurück. 

Einen ähnlichen Fall publizierte Booth (1898): Er beobachtete einen 01 jäh¬ 
rigen Mann, der bei der Herstellung von Spiegeln mit Quecksilber arbeitete und 
nervöse Krampf Symptome bekam. Als er geheilt war, arbeitete er wieder bei der 
Spiegelfabrikation; doch verwendete man damals Ag statt Hg. Trotzdem bekam 
er drei Anfälle von Tremor wie nach Hg. 

Dieser Auffassung des durch Quecksilber bedingten Tremors gegenüber 
führt Breillot an, daß manchmal eine echte Ataxie beobachtet werde. Syl- 
laba beobachtete gesteigerte Patellarreflexe und Fußklonus an den pareti- 
schen unteren Extremitäten bei Schmerzhaftigkeit der Nervengeflechte. Guil- 
laine und Laroche sammelte 1907 außer dem Falle von Syllaba noch die 
Beobachtung von Crocq, der ebenfalls Fußklonus fand, von Witing, der eine 
Atrophie der Myelinscheiden in den anterolateralen Strängen nachwies, die 
Versuche Brauers, der bei Kaninchen mittelst Quecksilber Ataxie mit 
gesteigerten Reflexen und Paralyse hervorrief und post mortem Läsionen der 
motorischen Zellen fand, Raymonds und Sicards Befund einer Lympho- 



38 


Erster Teil. 


zytose und von Quecksilber in der Rückenmarksflüssigkeit; sie fügen ihre 
beiden eigenen Beobachtungen hinzu, bei denen sie gesteigerte Reflexe, Nystag¬ 
mus in extremen Positionen und Diadochokinesis fanden, und nehmen für den 
Merkurialtremor einen organischen Ursprung an, den sie in einer Läsion der 
Kleinhimbahnen oder des Kleinhirns erblicken. (Im Gehirn und in den Ein- 
geweiden, sowie auch in den Muskeln hat nach Sanders bereits früher Taylor 
Quecksilber nachgewiesen.) 

Der von Syllaba beschriebene Fall aus der Thomayerschen Poliklinik 
(1898) lag im Jahre 1903 in der Thomayerschen Klinik, wo wir die folgenden 
Aufzeichnungen machten und Kurven abnahmen. 

D. F., öOj&hriger Goldarbeiter, Z. 8731/03. Seit dem 25. Lebensjahre be¬ 
schäftigt er sich mit dem Vergolden der Blitzableiterspitzen, wozu er unter An¬ 
wendung der primitivsten Vorsichtsmaßregeln Quecksilberamalgam verwendet. 
Während der ersten Jahre kümmerte er sich überhaupt nicht um die Ventilation. 
Im 40. Lebensjahre begann er eine Schwäche in den oberen Extremitäten zu fühlen, 
die auch im Ruhezustände, aber mehr bei Bewegungen zitterten; zeitweise empfand 
er ein Bohren in beiden Vorderarmen. Bald fühlte er eine ähnliche Schwäche auch 
in den unteren Extremitäten, hatte Beschwerden beim Gehen und fühlte nicht deut¬ 
lich den Boden unter den Füßen. Zugleich stellten sich die Symptome einer Stoma¬ 
titis mit Blutung, Lockerung der Zähne, üblem Mundgeruch und Magenübligkeiten 
ein. Die Sprache war erschwert, wie abgerissen. Er wurde ängstlich, reizbar. Er 
war weder Trinker, noch Raucher. — Er kam in die Poliklinik des Prof. Tho- 
mayer, wo (siehe die Demonstration Syllabas im Öasopis lökafüv öesk^ch 14. II. 
1898) als Hauptsymptom ein Tremor der Hände im Ruhezustände gefunden wurde; 
der Tremor war bei Bewegungen und auf der rechten Seite stärker, war auch am 
Kopfe vorhanden und auch hier bei der Intention stärker; beim Sprechen zitterte 
auch das Kinn. Ferner fand man Schmerzhaftigkeit des rechtsseitigen Armge¬ 
flechtes und der beiden Sitznerven, eine Parese der unteren Extremitäten, gestei¬ 
gerten Patellarreflex, Fußklonus, einen eigentümlichen Gang, Sprachstörungen. 

— Nach zweimonatiger Behandlung mit Jodkali und Elektrizität verlor der 
Kranke seine Beschwerden bis auf einen leichten Tremor der oberen Extremitäten, 
der namentlich beim Schreiben deutlich war. — Trotz Warnung kehrte er zu seiner 
früheren Beschäftigung zurück. Vor Weihnachten des Jahres 1902 erschienen 
die alten Symptome an den Oberextremitäten wieder, gingen auf die Unterextre¬ 
mitäten über, auch die Stomatitis und die Magenübligkeiten stellten sich wieder 
ein. Der Kranke wurde wieder ängstlich und menschenscheu. In den Oberextremi¬ 
täten empfand er Kribbeln. Ins Krankenhaus trieben ihn vorwiegend die Diarrhöen, 
die er nicht los werden kann. — Bei seiner Aufnahme in die Klinik am 3. VI. 03 
war er herabgekommen. Lähmungen bestanden nicht. Die Pupillen reagierten 
normal. Es war kein Nystagmus vorhanden. Die Nervengeflechte waren nur 
unbedeutend empfindlich. An den oberen Extremitäten war die Muskelkraft ver¬ 
mindert, an den unteren nicht wesentlich verändert. Abgesehen davon, daß 
die Spatia interossea am Hand- und Fußrücken eingesunken und die ersten 
Fingerglieder der Zehen extendiert waren, bestanden keine Muskelatrophien. — 
Im Gesichte waren bei energischer Innervation der Muskeln unregelmäßige 
Muskelzuckungen um den Mund vorhanden. Die vorgestreckte Zunge zitterte 
unregelmäßig. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten deutlich, und zwar 
die Finger im Sinne der Flexion und Extension und zugleich die Hände im 
Sinne der Adduktion und Abduktion oder der Pronation und Supination. Dieses 
Zittern, das schon in der Ruhe deutlich ausgesprochen war, verstärkte sich bei 
der Intention, bei Anspannung der Aufmerksamkeit und namentlich bei dem Be¬ 
streben, das Zittern zu unterdrücken. Es war ungleich und unregelmäßig, langsam. 

— Die Unterextremitäten zitterten beim Emporheben in groben, langsamen Zuk- 
kungen im Sinne der Flexion und Extention im Fuß- und Hüftgelenk. Auch dieser 
Tremor verstärkte sich bei der Intention, bei der eine deutliche Ataxie vorhan¬ 
den war. Bei geschlossenen Augen Rombergsches Symptom. Auf die Fußspitzen 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


39 


vermochte sich der Kranke nur über einer breiten Basis aufzustellen. Auf einem 
Fuße konnte er nicht stehen, sondern er schwankte und drohte zu fallen. — Er 
ging auf breiter Basis, wie hölzern, indem er die Füße in den Kniegelenken nicht 
beugte, die Fußsohlen schleifte und mit den Fersen aufschlug. Bei geschlossenen 
Augen wurden die Schritte auf breiterer Basis kürzer. Auf einer Linie ging er schwan- 


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Fig. 28. 

kend und schwer. — Die Aussprache hat nicht gelitten, aber er zerriß die Worte 
in Silben, die Sprache war langsam und unregelmäßig, indem er manche Silbe mehr 
betonte und nach einigen langsamen Silben mehrere rasch nacheinander überstürzt 


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Fig. 29. 


hervorstieß; manchmal stotterte er; die Wortbildung und die psychische Sprach - 
zusammensetzung waren unverändert. Die Stereognosis und die Sensibilität über¬ 
haupt waren normal. Die Intelligenz war ungestört. Es überwog eine gedrückte 




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Fig. 30. 


Stimmung. Im Ham waren keine abnormen Bestandteile vorhanden. Daneben 
bestand ein chronischer Bronchialkatarrh und Lungenemphysem. Blutdruck 
13 cm (Gärtner). Die Patellarreflexe waren gesteigert: bei einmaligem Klopfen 
auf die Sehne erfolgten 4—5 Zuckungen mit dem Unterschenkel. An den Achilles¬ 
sehnen war der Klonus sehr deutlich. Die Plantarreflexe waren zwar lebhaft, aber 
sicher normal. Der Schlaf war schlecht. Im Schlafe hörte das Zittern auf. — 







40 


Erster Teil. 


Gleich nach der Aufnahme zeichnete ich unter verschiedenen Umstanden von den 
Händen mehrere Zitterkurven (unter ausgiebiger Hilfe des Koll. Van^sek). 

Auf der 1. Kurve (Fig. 28) sehen wir ein grobes, nicht ganz gleiches, nicht 
ganz regelmäßiges, aber doch nicht allzu imregelmäßiges Zittern, das aber durch 



Fig. 31. 

unwillkürliche, unregelmäßige Bewegungen der ganzen Extremitäten gestört wird; 
das Zittern ist nicht rasch, denn wir zählen nur 5 Wellen in der Sekunde. 

Die 2. Kurve (Fig. 29) ist im großen und ganzen der vorangehenden gleich, 
zeigt aber, wie sich der Tremor im Ruhezustände mäßigen kann. 



Fig. 32. 

Auf der 3. Kurve (Fig. 30) sehen wir einen ungleichen und ungleichmäßigen, 
aber doch nicht sehr unregelmäßigen, langsamen Tremor von 4,5—5 Wellen in der 
Sekunde; bei Intention entsteht ein grobes, unregelmäßiges Schleudern der 
Extremität, das aber nach 4 Minuten einem groben, regelmäßigen Tremor Platz 



Fig. 33. 


macht. (Vergleichshalber ist zugleich eine Kurve von einer Schüttellähmung ab¬ 
gebildet, wo der Tremor bei der Intention gänzlich aufhört, um im Ruhezustände 
zurückzukehren.) 

Die 4. Kurve zeigt (Fig. 31) im Ruhezustände einen ziemlich regelmäßigen, 
langsam sich abspielenden Tremor von 5 Wellen in der Sekunde; w r ir sehen, welche 
Folge der einfache Umstand hatte, daß ich mit dem Kranken ein Gespräch begann; 



















Das Zittern infolge von Vergiftung. 


41 


sofort stören die unwillkürlich unregelmäßigen Bewegungen die Kurve, auf der 
wir keine Wellen verzeichnet sehen, worauf ein sehr grober, gleich langsamer, ziem¬ 
lich regelmäßiger Tremor folgt. 

Auf der 5. Kurve (Fig. 32) sehen wir sehr deutlich den Einfluß des sub¬ 
jektiven Bestrebens, das Zittern zu unterdrücken. In der Buhe wmrde 
ein gleichmäßiger, leicht ungleicher (nach einigen Sekunden immer 1—2 größere 
Wellen), langsamer Tremor von 5 Wellen in der Sekunde gezeichnet. Sobald der 
Kranke denselben durch den Willen zu unterdrücken versuchte, erfolgten geradezu 
Explosionen eines sehr groben und ungleichen, dabei aber gleich langsamen und 
nicht gerade unregelmäßigen Tremors. 

Auf der 6. Kurve (Fig. 33) sehen wir denselben Einfluß noch deutlicher; 
im Buhezustande ist der Tremor kaum erkennbar, seine Wellen sind ganz klein 
und nur zeitweise erfolgt eine Explosion in Form einiger größerer Wellen; sowie 
aber der Kranke sich bestrebt, das Zittern durch seinen Willen zu unter¬ 
drücken, entsteht ein grober, ziemlich unregelmäßiger Tremor von 4—4,5 Wellen 
in der Sekunde. Der Tremor behält dieselbe Stärke, wenn der Kranke zu zählen 
beginnt (geistige Anspannung). 

Der Quecksilbertremor wird je weiter, desto seltener, da wir die Menschen 
vor der schädlichen Wirkung des Quecksilbers besser zu schützen verstehen 
als früher. Das Quecksilber ist sehr gefährlich, da es leicht in den Organismus 
eindringt. Merget hat im Jahre 1871 der französischen Akademie der Wissen¬ 
schaften seine Forschungsresultate unterbreitet, nach denen das Quecksilber 
imgeheuer leicht verdampft und sich sehr schnell verflüchtigt — im freien 
Raume bis auf eine Entfernung von 1700 m mit einer Anfangsgeschwindigkeit 
von 180 m in der Sekunde — und zwar auch in der Kälte. Mergets Befund 
gab die Erklärung dafür, warum es bei der Gewinnung des Quecksilbers und 
bei den Gewerben, die mit Quecksilber arbeiten, so leicht zur Vergiftung kommt. 

Die vollständigste Übersicht über alle Möglichkeiten der Quecksilber¬ 
vergiftung findet sich in der These von Schoull, wo auch alle prophylaktischen 
Maßregeln gegen diese Vergiftung zusammengetragen sind. 

Der Merkurialtremor wurde bis jetzt unter folgenden Umständen be¬ 
obachtet: 

1. Bei der Behandlung mit Quecksilber. Im Jahre 1827 publizierte Colson 
vier Fälle nach der Behandlung mit grauer Salbe und zwei Fälle nach dem 
Gebrauche der van Swietenschen Flüssigkeit (1 g Sublimat und 1 g Weinsäure 
in Wasser mit etwas Alkohol); 1862 schmierte ein Patient von Louis den Hoden¬ 
sack mit grauer Salbe und bekam einen Tremor, der zwei Jahre dauerte; einen 
analogen Fall publizierte Sanders im Jahre 1868. Zur selben Zeit beobachtete 
Fout einen Tremor bei einem Ochsenknecht, der einen Ochsen mit grauer Salbe 
schmierte, und zwar betraf der Tremor die linke Hand, mit der die Inunktion 
vorgenommen worden war; nach dem Tremor stellte sich eine Radialislähmung 
ein. Auch Charcot, Leyden, Engel, Jaksch, Erben beobachteten ähnliche 
Vorfälle nach der Behandlung mit grauer Salbe. Dagegen verabreichte Busquet 
versuchsweise drei Syphilitikern an acht aufeinander folgenden Tagen je 0,01 g 
Sublimat, ohne daß sich der physiologische Tremor geändert hätte. 

2. Durch Zufall. Jm Jahre 1863 brach in dem Quecksilberbergwerk zu 
Idria ein Brand aus und 900 Menschen bekamen in der Umgebung bis auf eine 
Distanz von mehreren Kilometern Zittern; 1810 barsten auf dem Schiffe 
„Triumph“ Gefäße, welche Quecksilber enthielten, und 100 Schiffspassagiere 
zeigten drei Wochen hindurch Vergiftungserscheinungen und Zittern (Burnett 



42 


Erster Teil. 


1824). 1841 beobachtete Olli vier und Roger folgenden Fall: 2 im dritten 

Stockwerke wohnende Kinder bekamen Vergiftungserscheinungen und Tremor; 
die Nachforschungen ergaben, daß im Erdgeschoße Quecksilber destilliert 
wurde. 

3. Durch Vererbung seitens der Mutter (besser gesagt durch plazentare 
Intoxikation). Schoull zitiert zwei Fälle: den Fall von Götz (kongenitaler 
Tremor bei dem Kinde einer vergifteten und mit Zittern behafteten Frau) und 
einen Fall, den Schoull selbst mit Archer beobachtete (seit der Geburt be¬ 
stehender Tremor bei einem Kinde, das von einer vergifteten Mutter stammte, 
die aber bei der Entbindung nicht zitterte); dieses Kind verlor den Tremor bei 
einer Amme am Lande. 

4. Bei verschiedenen Berufen. Pieraccini zitiert eine Behauptung 
Layets, daß es 24 Berufsarten gibt, die zu Tremor infolge Quecksilbervergiftung 
führen können: 

a) Die Beschäftigung in Quecksilberbergwerken. Schoull publizierte 1881 
erschreckende Zahlen aus Almad6n: von 1152 Arbeitern, die in dem Bergwerke 
selbst beschäftigt sind, und zwar 4—5 Tage in der Woche zu 6 Stunden täglich, 
verloren binnen 5 Jahren 678 Leben und Gesundheit. Von 3911 überhaupt 
Beschäftigten bleibt selten einer vom Zittern (Tremblor) verschont; jährlich 
kommen 48 „Calambros“ vor, d. i. Zittern mit choreatischen Bewegungen; 
die Hälfte dieser Kranken stirbt binnen einem Jahre. — Am gefährlichsten 
ist die Arbeit in der Tiefe des Bergwerks, weil hier die Luft mit Quecksilber¬ 
dämpfen und Erzstaub (Zinnober) geschwängert ist, und sodann die Destillation 
des Quecksilbers, die unter freiem Himmel und nur im Winter betrieben wird. 

Die hygienischen Einrichtungen der Bergwerke haben viele Ubelstände 
beseitigt. Trotzdem bemerkt Pieraccini, daß er noch im Jahre 1904 in Monte 
Amiata gelegentlich eines Besuches, obwohl daselbst die Hygiene in skrupulöser 
Weise durchgeführt wird, unter den Arbeitern sehr häufig leichte Vergiftungs¬ 
erscheinungen „Piccolo idrargirismo“ beobachtet habe, darunter auch ein 
leichtes, flüchtiges Intentionszittem der Hände, der Lippen und der Zunge. 

b) Hutmacher. Bei der Fabrikation des feinen Filzes werden die Haare 
mit Bürsten, die in Merkurinitrat ([N0 3 ] 2 Hg) getaucht sind, abgeschabt; die 
sogenannte Secretage. Fast alle Sekreteurs bekommen Zittern. Auch beim 
Trocknen und besonders beim Ausstäuben der Haare (ai* 9 onnage) verdampft 
viel Quecksilber. 

In neuerer Zeit wurde das Merkurinitrat durch Kalziumsulfid ersetzt 
und auf diese Weise die Gefahr beseitigt. 

c) Spiegelarbeiter. In früheren Zeiten verfielen 80% der Arbeiter (Gärt¬ 
ner) der Vergiftung; gegenwärtig ist die Gefahr der Quecksilbervergiftung 
durch Anwendung der Versilberung beseitigt. 

d) Vergoldung der Metalle mit Goldamalgam, Versilberung von Gips¬ 
statuen mit Zinnwismutamalgam und Silberamalgam. 

Ebenso gefährlich ist das Versilbern der Knöpfe, das in England mittelst 
einer Paste aus Silberchlorid, Sublimat, Meersalz, Zmksulfat und Wasser vor¬ 
genommen wird, worauf die Knöpfe gebrannt werden und das Quecksilber in 
Dämpfen entweicht. 

Die mit derartigen Arbeiten verbundene Gefahr wurde durch hygienische 
Einrichtungen der Arbeitsstätten und durch die Beaufsichtigung seitens des 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


43 


Gewerbeinspektorates wesentlich vermindert. Als bestes Mittel hat sich in 
Frankreich das Ammoniak bewährt, das über Nacht in der Arbeitsstätte ver¬ 
dampft wird. 

Heutzutage vergoldet und versilbert man nicht mehr mit „Feuer“, sondern 
galvanisch, auf „nassem Wege“, wobei kein Quecksilber verwendet wird. Diese 
neuen Methoden sind billiger, haben aber den Nachteil, daß ihre Resultate nicht 
so dauerhaft sind wie bei der Feuervergoldung. Welchen Schaden die Feuer¬ 
vergoldung verursacht hat, ersieht man deutlich aus dem offiziellen Berichte 
des Vereins der Pariser Vergolder aus den Jahren 1840—1848, laut welchem 
durchschnittlich 10% der Arbeiter mit Quecksilber vergiftet waren. 

e) Erzeugung von Thermo- und Barometern: beim Füllen der Röhrchen. 

f) Erzeugung von Knallquecksilber zum Füllen von Sprengkapseln und 
Zündhütchen: das Quecksilber wird in Salpetersäure gelöst und mit Alkohol 
versetzt; aus der Salpetersäure steigen Dämpfe auf, die reich an Quecksilber 
sind. 

g) Gewinnung von Gold und Silber aus Erzen durch Amalgamierung. 

h) Gewinnung von Gold aus Staub und Asche bei Goldarbeitem; ist heut¬ 
zutage mit keiner Gefahr mehr verbunden. 

i) Das Fegen der Schornsteine von Werkstätten, wo mit Quecksilber ge¬ 
arbeitet wird. 

k) Die Erzeugung der roten Schminke (Vermillon) in Holland war sehr 
gefährlich: es wurde hierbei der Zinnober geglüht. 

l) Die Erzeugung von Feuerwerkskörpern, bei der Zinnober, Quecksilber¬ 
jodid und Quecksilberchromat verwendet werden. 

m) Die Photographen arbeiten mit Sublimat. 

n) Die Tierausstopfer verwenden ebenfalls Sublimat. 

o) Die Damaszierung des Stahls bei Gewehrläufen. 

p) Das Überdrucken der Stoffe. 

q) Die Fabrikation der Anilinfarben. 

r) Das Schützen des Holzes vor Fäulnis (Telegraphenstangen). 

s) Die Erzeugung von Glühlampen (Präparierung der Fäden). 

Die Berührung mit den giftigen Quecksilberdämpfen ruft nicht bei einem 
jeden Menschen das Zittern gleich schnell und in gleicher Intensität hervor. 
Valenzuela kannte einen Kranken, der das Zittern erst nach einer 20jährigen 
Beschäftigung bekam. Andererseits beginnen Menschen zu zittern, sobald sie 
mit dem Quecksilber in Berührung kommen. Angeblich sind Menschen, die 
an Schnupfen leiden, besonders gefährdet (Potain). In Almaden erzählt man, 
daß magere Leute eher befallen werden, doch konnte sich Schoull von dem 
Gegenteil überzeugen. Auch Trinker bekommen den Tremor leichter. 

Wenn die Kranken in den Anfangsstadien der Vergiftung aus der ver¬ 
pesteten Luft herauskommen, werden sie gewöhnlich bald gesund; wenn sich 
jedoch die Vergiftung bereits in einem vorgeschritteneren Stadium befindet, 
kann das Zittern schon für immer bleiben. Guillain und Laroche beschrieben 
zwei Fälle von diesem Tremor bei Greisen, die seit 40 Jahren nicht mehr mit 
Quecksilber arbeiteten und den Tremor doch nicht verloren. (Der erste, 70- 
jährige Mann, war seit dem 14. Lebensjahr Metallvergolder, akquirierte im 
34. Lebensjahre Zittern der linken Oberextremität, gab im 38. Lebensjahre 



44 


Erster Teil. 


sein Handwerk auf, aber das Zittern bestand fort. — Der andere, 72jährige 
Mann, vergoldete vom 10. bis zum 30. Lebensjahre; mit 30 Jahren bekam er 
nach einer Emotion einen mit Bewußtlosigkeit einhergehenden Krampfanfall 
und danach den Tremor, 3 Wochen später eine Hemiplegie, die spurlos ver¬ 
schwand; das Zittern aber bestand fort; die Plantarreflexe waren normal.) 
Kranke mit leichtem Zittern, die nicht trinken und täglich baden, können jahre¬ 
lang ohne Schwierigkeiten Weiterarbeiten (Roussel). 

Die Therapie des Quecksilbertremors besitzt eine reiche Literatur. Ist 
doch das Zittern ein so auffallendes und störendes Symptom, daß man der 
symptomatologischen Behandlung nicht gut ausweichen kann. — Die Allgemein¬ 
behandlung richtet sich zunächst gegen die Quecksilbervergiftung überhaupt; 
am erfolgreichsten sind heiße Schwefelbäder und die interne Verabreichung des 
Schwefels: 1—2 g Schwefelblüten täglich (Vincente), ferner Jodkali in größeren 
Dosen (Natalie, Guillot und Melsens 1844), Ammoniumazetat, Abführmittel, 
Unterstützung der Nierensekretion (durch Milch, Eisen und Sarsaparilla). 
Gegen das Zittern selbst wurden beruhigende und reizende Medikamente ver¬ 
wendet; ohne Erfolg bleiben zumeist große Opiumgaben, Morphiuminjektionen, 
Extractum Belladonnae, Muscarin (Vincente), Chloral, Bromide, Ergotin. 
Oulmout verwendete als erster im Jahre 1872 Hyoszyamin in Dosen von 2 bis 
12 bis 17 mg täglich durch 3—6 Wochen und erzielte angeblich Heilung. Von 
Reizmitteln lobt Trousseau das Strychnin; Gu^neau de Mussy führte 1868 
das Zincum phosphoricum ein und erzielte angeblich Heilung in acht Tagen 
durch Dosen von 8—16 mg pro die; Dujardin Baumetz erzielte angeblich 
Erfolge mit Cadmium phosphoricum, das er in Dosen von 16 mg pro die drei 
Wochen hindurch nehmen ließ. 

Gelobt und verworfen wurde der induzierte und der konstante Strom, 
gelobt wurden ferner elektrische Bäder mit dem primären Strom (Bordas) 
und mit Extraströmen (Const. Paul) (20—30 Bäder für eine Behandlung). 

Schließlich erzielte Letulle und nach ihm Mugnerot Heilung durch rein 
psychische Suggestionsbehandlung: sie umwickelten mit einer elastischen Binde, 
die sie mäßig anzogen, die ganze Extremität von den Fingern bis zur Schulter, 
ließen die Binde 3—4 Minuten liegen und legten hierauf für eine halbe Stunde 
einen Magneten auf. Auf diese Weise wurden abwechselnd alle Extremitäten 
behandelt. 

Von derselben Art ist der Vorschlag Schoulls, einen Ätherspray längs 
der Wirbelsäule anzuwenden. 

Um analoge Fälle von toxischem Tremor dürfte es sich bei den Kranken 
Bernheims gehandelt haben, der durch Hypnose eine Besserung erzielte. 

Historische Bemerkung. Obwohl die Giftigkeit des Quecksilbers 
schon im Altertum bekannt war, findet sich nach Latteux in den alten Schriften 
keine Erwähnung des Tremors. Ramazzini beschreibt es eingehend in seinem 
berühmten Buche über Gewerbekrankheiten. Im Jahre 1818 beschrieben 
Martin de Guörard und M6rat das Zittern der Vergolder; 1827 beschrieb 
Colson den Tremor nach Quecksilbervergiftung; 1848 schrieb Roussel seine 
berühmten Briefe aus Spanien in die Union med., in denen er die Verhältnisse 
in Almad^n und Idria schilderte; 1854 beschäftigte sich Tardieu eingehend 
mit diesem Tremor in seiner Hygiene ; aus dem Jahre 1868 stammen die Arbeiten 
von Gu6neau de Mussy und Kuß maul. Genaue Berichte bringen die 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


45 


Thesen von Hillairet, Fernet (1872), Oulmout (1873), Jean (1877) und 
Hallopeau (1878). Die neueren Arbeiten enthalten keine Angaben mehr von 
wesentlicher Bedeutung. Erwähnung verdient nur noch die These von Mugne- 
rot 1889. 

11. Das Zittern bei der Bleivergiftung. 

Bei der chronischen Bleivergiftung entsteht manchmal ein Tremor bei 
Bewegungen und zwar mehr in der ganzen Extremität als in den Fingern, häufig 
mehr auf einer Seite, gewöhnlich auf der rechten, ein kleiner, regelmäßiger, 
nicht ganz gleichmäßiger Tremor, der anfangs nur bei Ermüdung (gegen Abend) 
oder nach einem alkoholischen Exzeß oder bei einer Aufregung auftritt. Dem 
Zittern geht ein Gefühl von Schwere, Plumpheit und leichte Ermüdbarkeit 
der Hände voran (Tanquerel des Planches). Dieser Tremor der Hände 
stört bei der Arbeit (so daß z. B. ein Maler gegen Abend mit der linken Hand 
malte — Lafont) und hört auf, wenn der Kranke die Hand fest auf stützt 
(Lafont). In diesem Grade kann das Zittern lange Zeit unverändert bleiben 
ohne sich auszubreiten, es wäre denn, daß es auch den M. orbicularis oculi und 
den Levator anguli oris ergreift. Durch den Willen kann es nicht unterdrückt 
werden (Breillot), bei vollständiger Ruhe und bei Nacht verschwindet es. 
Wertheim zählte in zwei Fällen 7,5—8,8 Wellen in der Sekunde. 

Dieses Zittern der Hände kann das einzige Symptom der Vergiftung bleiben 
(Urbach sah es bei Kindern, bei denen keine anderen Erscheinungen bestanden 
und dennoch Pb im Ham vorhanden war) und das Anzeichen drohender Läh¬ 
mungen sein (Tanquerel des Planches). 

In seltenen Fällen beginnt es plötzlich ohne Prodrome (Ladreit, Arch. 
G4n. 1859, zit. Lafont) oder nach einer Kolik. 

Selten beginnt es an den Füßen (Tanquerel) und kann dann beim Gehen 
hinderlich werden (unsicherer, schwankender Gang und Einknicken der Füße); 
auf das Gesicht geht es nur ausnahmsweise über; außerordentlich selten greift 
es auch die Lippen an. 

Mit Schmerzen ist es nicht verbunden. 

Es sind Fälle beschrieben worden, in denen der Bleitremor plötzlich mit 
großer Heftigkeit bei der perniziösen akuten Bleivergiftung begann und sich 
über den ganzen Körper ausbreitete (Grisolle, Ladreit, Archambault in 
Bleiweißfabriken). 

In seltenen Fällen von akutester Vergiftung geht der Tremor in unregel¬ 
mäßige konvulsive Bewegungen, die der Epilepsie oder Tetanie oder katalep- 
tischen Bewegungen ähnlich sind, oder in ganz unregelmäßige Bewegungen 
über — bei der Encephalopathia satumina (Tanquerel). Manchmal äußert 
sich diese Gehimläsion durch Intentionszittem (Urbach, Hahn). 

Gewöhnlich hört der erste Anfall von Zittern auf, sobald der Kranke sich 
dem schädlichen Einflüsse des Bleis entzieht; der zweite Anfall ist aber hart¬ 
näckiger. Er beschränkt sich nicht auf die Muskeln, die der Lähmung verfallen 
(Lafont). Schultze beobachtete bei einem an Lähmungen der Hände Er¬ 
krankten, der bei intendierten Bewegungen zitterte, bei jeder Schließung und 
Öffnung des galvanischen Stromes einen kurzen, schnellen Tremor, der sich bis 
auf die Oberarmmuskeln (M. deltoideus, biceps, triceps) ausbreitete. 

Das Blei ist ein im täglichen Leben so häufig verwendetes und dabei so 
giftiges Metall, daß es sehr leicht zu Vergiftungen kommen kann. Pieraccini 



46 


Erster Teil. 


behauptet, die Zahl der Bleivergiftungen sei so groß, wie die aller übrigen ge¬ 
werblichen Vergiftungen zusammengenommen, ja sogar noch größer. Der 
Tremor kommt aber verhältnismäßig selten vor. 

Er ist dem alkoholischen Tremor sehr ähnlich, unterscheidet sich aber 
von diesem dadurch, daß er im Beginne gegen Abend, wenn der Kranke ermüdet 
ist, auftritt, daß er durch den Genuß alkoholischer Getränke verstärkt wird 
und daß er sich nur schwer über den ganzen Körper ausbreitet und nur aus¬ 
nahmsweise die Lippen und die Zunge befällt. / 

Doch gibt es auch hybride Fälle, in denen Blei und Alkohol gemeinsam ihre 
verheerende Wirkung ausüben (Breillot). 

Am meisten leiden: 

1. Die Arbeiter in Bleiweißfabriken (basisches Bleikarbonat). 

2. Bei der Fabrikation des Minium (rotes Bleitetroxyd PbgC^). 

3. Bei der Spiegel- und Glasfabrikation (man verwendet hierbei die Blei¬ 
glätte = Bleioxyd PbO, Lithargyrum), besonders bei der Erzeugung des Kristall¬ 
und Flintglases. 

4. Die Zimmermaler (Bleiweiß) und die Bewohner frisch gemalter Woh¬ 
nungen. 

5. Die Typographen und Schriftgießer. 

6. Die Arbeiter in Bleihütten (Zerschlagen und Mahlen des Erzes — PbS 
Bleiglanz). 

7. Bei der Fabrikation und beim Mahlen von Farben. 

8. Beim Glasurieren der Töpfer- und Porzellanwaren (Glätte). 

9. Die Lackierer und Färber. 

10. Die Gelb- und Zinngießer. 

11. Die Pumpenmacher und Wasserarbeiter. 

12. Die Arbeiter bei der Akkumulatorenfabrikation. 

13. Lewin erwähnt einen Fall von Zittern der Hände nach der Applikation 
von Aqua plumbi auf ein Ulkus. 

Außerdem sind zufällige Vergiftungen bekannt, bei denen aber das Zittern 
wegen seiner großen Seltenheit nicht in Betracht kommt. 

Historische Bemerkung. Das Zittern infolge Bleivergiftung wird 
schon im Mittelalter erwähnt. Tanquerel des Planches zitiert Femel, 
und Latteux sagt, daß schon im Jahre 1550 Jac Aetheus Tremor nach Blei¬ 
weißvergiftung und Lepois im Jahre 1620 Koliken, Krämpfe und Zittern 
beschrieben habe. Lafont fand eine Beschreibung bei Paulus von Aegina 
und Aretaeus. Sydenham und Ramazzini lassen das Zittern unerwähnt. 
Morgagni widmet ihm ein ganzes Kapitel. Im Jahre 1812 beschrieb es M6rat 
zugleich mit dem Quecksilbertremor. Aus dem Jahre 1839 stammt das be¬ 
rühmte Werk von Tanquerel. 1866 schrieb über den Tremor Spring in 
Brüssel und 1869 erschien die These von Lafont. Von den neueren Arbeiten 
verdient die Publikation von Werthei m eine besondere Erwähnung. 

Die Therapie gleicht im großen und ganzen jener der Quecksilberver¬ 
giftung und des Quecksilbertremors: sie unterstützt die Eliminierung des Bleis 
mit warmen Schwefelbädern, mit Purgantien und 4—6 g Jodkali pro die. Tan¬ 
querel des Planches gab Strychnin innerlich und endermatisch (in die durch 
Kanthariden erzeugten Blasen). Lafont ist mit dieser Behandlung nicht ein- 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


47 


verstanden, sondern empfiehlt das Bromkali in Tagesdosen von 4—8 g, das von 
Baruteau gegen den Bleitremor eingeführt wurde, und lobt dasselbe als be¬ 
ruhigendes Mittel und als „eliminateur“ (?). 

12. Bei der Vergiftung mitChromsäure und deren Salzen entsteht manch¬ 
mal Zittern mit Wadenkrämpfen (F. Erben). 

13. Bei der Vergiftung mit Zinnsalzen, die früher in höherem Maße als 
Medikament in Verwendung standen, wurden Muskellähmungen und Zittern be¬ 
obachtet. In analoger Weise findet man bei Vergiftungen mitZink, Kadmium, 
Kupfer, Messing die Erwähnung eines Tremors ohne nähere Beschreibung. 
Das Zittern ist bei diesen Metallen ebenso wie die übrigen Vergiftungserschei¬ 
nungen dem Gehalte an Blei und Arsen zuzuschreiben (Ölokov, Pulligny u. a., 
zit. von Erben). 

14. Bei der Vergiftung mit Thalliumsalzen führt Latteux Anfälle von 
Tremor der Hände bei Lähmungen der unteren Extremitäten an. (Das Sulfid 
wurde gegen die Nachtschweiße der Phthisiker verordnet. Nach Erben beob¬ 
achtete Bullard nach demselben schwere Neuritiden.) 

15. Bei derManganvergif tung, derenExistenz bis jetzt noch strittig ist, 
führt Couper unter den Symptomen das Zittern der Füße an, während Jaksch 
bei seinen Patienten kein Zittern erwähnt. Couper beschrieb im Jahre 1837 
aus einer Fabrik, in welcher durch Zerkleinern des Mangansuperoxyds ein 
Bleichpulver gewonnen wird, fünf Fälle einer Nervenkrankheit, zu deren Sym¬ 
ptomen außer einer zur Paraparese gesteigerten Schwäche der unteren Extremi¬ 
täten ein Zittern der Füße und Salivation und, wie bei der progressiven Paralyse, 
ein verzerrtes Gesicht und Flüsterstimme (?) gehörten. Drei von denselben 
genasen schnell, nachdem sie ihre Beschäftigung aufgegeben hatten, t 

Im Jahre 1901 erschienen drei Fälle aus der Klinik Jaksch in Prag, 
vier Fälle von Emden aus Deutschland und ein Fall von Friedei. Jaksch 
beobachtete einen seiner Patienten bis zum Jahre 1906, dann einen neuen Fall 
von 1902 bis 1906 und schließlich einen fünften Fall im Jahre 1907, so daß er 
die größte Erfahrung besitzt. Aus den genauen Beschreibungen Jakschs 
geht hervor, daß man bei diesen Arbeitern ein doppeltes Krankheitsbild beob¬ 
achtet, teils ohne hysterische Symptome (vier Fälle), teils mit denselben (letzter 
Fall). Weder bei der ersten Gruppe, noch beim letzteren Falle erwähnt Jaksch 
den Tremor unter der sonst so reichhaltigen Symptomatologie (psychische 
Alteration, Zwangslachen und -weinen, monotone, skandierende Sprache, Retro- 
pulsion, spastischer Gang mit gesteigerten Patellar- und normalen Plantar¬ 
reflexen ohne Atrophie — einmal auch Selbstmord). Aus seiner letzten Be¬ 
obachtung schließt Jaksch, der im Jahre 1901 noch meinte, daß es sich um ein 
Kältetrauma handle, daß es eine Manganotoxikose und eine manganophobische 
Neurose gebe. 

16. Das Zittern bei der Nikotinvergiftung. 

Es handelt sich um einen Tremor der oberen Extremitäten mit lateralen 
Bewegungen der Finger (Breillot) oder mit Extensionsbewegungen im Meta- 
karpalgelenk (Magnol), der eine Geschwindigkeit von 7—8 Wellen in der Sekunde 
besitzt (Dejerine), gewöhnlich am Morgen auf tritt, wenn der Kranke am Abend 
zuvor stark geraucht oder geschnupft hat (Breillot) oder wenn er morgens 
etwas mehr raucht; er dauert etwa eine Stunde und verschwindet im Laufe des 
Tages. 



48 


Erster Teil. 


Er wurde in gleicher Weise beobachtet nach dem Rauchen, Schnupfen 
und Kauen des Tabaks, bei zufälligen Vergiftungen, bei experimentellen Nikotin¬ 
injektionen und beim Auflegen von Tabakblättern auf den nackten Körper. 
Schon daraus geht hervor, daß man das nach dem Tabakrauchen auftretende 
Zittern als ein Symptom der Nikotinvergiftung ohne Rücksicht auf andere, 
im Rauche vorhandene giftige Produkte auffassen kann. 

Fernetschreibt in seiner These, Duchenne de Boulogne habe ihm von 
einem schnupfenden Arzt erzählt, der an Zittern der Extremitäten litt; wenn 
or das Schnupfen auf gab, verlor er das Zittern, aber es stellten sich so schwere 
Nervensymptome, Schwindel, Gedächtnisschwäche, Unlust zur Arbeit ein, 
daß er immer wieder zu schnupfen begann, worauf die unangenehmen Symptome 
verschwanden, das Zittern aber von Neuem erschien. (Breillot führt den¬ 
selben Fall als Beobachtung von Gueneau de Mussy an.) Neumann in 
Karlsruhe beobachtete einen 27 jährigen starken Schnupfer, der aber außer 
einem groben Zittern der Hände psychische Symptome darbot: Stimmungs¬ 
wechsel, Störungen des Merkvermögens, unregelmäßigen Puls. Bei Abstinenz 
besserten sich die psychischen Symptome. Uber das Verhalten des Zitterns 
während der Abstinenz finden sich bei ihm keine Angaben. Tardieu beobachtete 
zwei Fälle von zufälliger Vergiftung: bei einem Schmuggler, der auf dem nackten 
Körper Tabakblätter paschte, und bei einem Bauer, der sich gegen irgendwelche 
Schmerzen mit Honig angefeuchtete Tabakblätter auf legte. Beide wiesen die 
folgenden Symptome auf: Blutandrang zum Kopfe, Kopfschmerzen, Schwindel, 
Gliederzittern, Nausea, Erbrechen mit kleinem raschen Puls. Lewin erwähnt 
einen Fall von Tremor, der entstand, nachdem die Haut behufs Beseitigung von 
Läusen und Krätze mit Tabak bestreut worden war. 

Charcot und Vulpian und nach ihnen Latteux erzeugten Tremor bei 
Fröschen durch Injektion von Nikotin unter die Haut, Latteux auch dadurch, 
daß er Tieren Tabakpulver subkutan injizierte. Bei einer Katze, der 6 g Tabak¬ 
pulver an der Innenfläche des Oberschenkels injiziert wurden, trat eine Viertel¬ 
stunde nach der Injektion Erbrechen auf, nach einer halben Stunde Schwindel 
und ein deutlich ausgeprägter Tremor der hinteren Extremitäten, der sich nach 
einer weiteren halben Stunde generalisierte; hierauf stellte sich ein Zittern aller 
Muskeln mit tetanischen Krämpfen und stertorösem Atmen und der Tod ein; 
nach der Injektion eines Tropfens Nikotin bekam die Katze einen Krampf der 
Rückenmuskeln, Schwindel, Atemnot, nach einer weiteren Minute ein allgemeines 
Zittern, dann tetanische Krämpfe bei jedem äußeren Reiz und schließlich trat 
der Tod ein. Nach dem Tode gerieten die Muskeln bei jeder Berührung mit dem 
Messer in ein „spasmodisches Zittern“. 

Ich verfüge über keine Beobachtung einer Nikotinvergiftung; doch habe 
ich den Tremor der Hände einiger junger Kollegen aufgenommen, bei denen 
außer unmäßigem Zigarettenrauchen keine andere Ursache des Tremors ge¬ 
funden werden konnte. 

Dr. S., 24 Jahre alt, starker Zigarettenraucher, zeigt einen groben, un¬ 
gleichen, fast ganz regelmäßigen Tremor von 10 Wellen in der Sekunde (Fig. 34). 

M. U. C. B., 21 Jahre alt, raucht bis zu 30 Zigaretten täglich, zeigt einen 
deutlichen, sehr schnellen Tremor der Hände von I\y 2 —12 Wellen in der 
Sekunde (Fig. 35). 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


49 


M. ü. C. K., 23 Jahre alt, raucht ebenfalls bis zu 30 Zigaretten im Tag, 
zeigt einen zarten Tremor, in dessen gut aufgenommenen Partien man bis zu 
10 Wellen in der Sekunde zählt (Fig. 36). 

Prophylaxe. Aus der Erfahrung, daß beim Rauchen das Nikotin der 
Hauptfaktor der Vergiftung ist (dies wurde hauptsächlich durch die thematischen 
Arbeiten Lehmanns in Wtirzburg und seiner Schüler, ferner durch die bei 


j'/ 


Fig. 34. 

Lapinsky durchgeführte Arbeit Vladiökas u. a. bewiesen), ging das Be¬ 
streben hervor, das Nikotin aus dem Tabak zu entfernen und das Rauchen auf 
diese Weise unschädlich zu machen. In Deutschland werden seit langer Zeit 
nikotinarme Zigarrensorten erzeugt, die jedoch der Prüfung durch die Lehmann- 
sehe Schule nicht standhielten. 

Vom gesundheitlichen Standpunkt ist es sehr wichtig, daß die Zigarren 


Fig. 35. 

trocken sind, daß man sie nicht bis zur Spitze ausraucht und die Spitze beim 
Rauchen trocken hält; wer beim Rauchen den Speichel nicht schluckt, hat 
weniger unter der Vergiftung zu leiden. 

Magnol (der Latteux unrichtig zitiert) schätzt die minimale toxische 
Dosis auf 20 g Tabak pro die. 

17. Beim Kaffeegenuß gehört das Zittern zu den häufigsten und wichtig¬ 
sten Vergiftungserscheinungen; es pflegt auch das hartnäckigste Symptom zu sein. 


36 


Fig. 36. 

Bei der akuten Vergiftung konstatiert man ein universelles Zittern der 
Glieder, der Wangen, der Zunge, das aber durch die gewöhnlich in stürmischer 
Weise auftretenden übrigen Symptome (große Aufregung, Gesichts- und Gehörs¬ 
halluzinationen, Tachykardie, Tachypnoe, Krämpfe, Polyurie, Diarrhöe, also 
ein Krankheitsbild, das dem Delirium tremens ähnlich ist) in den Schatten ge¬ 
stellt wird. 

Peln&r, Zittern. 


4 





50 


Erster Teil. 


Bei der chronischen Vergiftung, zu der etwa 10% der Kaffeetrinker 
disponiert sind (Bridge), kommt das Zittern sehr häufig, etwa in 60% der 
Fälle vor. Es handelt sich um einen Tremor der Hände bei statischer Inner¬ 
vation und bei kleinen Bewegungen, einen störenden, sehr schnellen, regelmäßigen, 
kleinen Tremor, der gewöhnlich bei nüchternem Magen auftritt und nach dem 
Kaffeegenuß schwächer wird. Selten breitet er sich auf die Zunge und auf die 
Wangen aus. Manchmal bildet er das einzige Vergiftungssymptom (Bomby). 
In der Abstinenz verschwindet er bald, kehrt bei neuerlichem Genüsse zurück, 
aber er kann auch trotz Abstinenz noch einige Wochen andauem (Bomby). 
Bei grober Arbeit wirkt er nicht störend (Valenzuella, Dejerine). Gleich¬ 
zeitig mit dem Tremor beobachtet man unregelmäßige Zuckungen einzelner 
Muskelbündel, Wadenkrämpfe, Neuralgien, schreckhafte Träume von Ge¬ 
spenstern, hypnagoge Halluzinationen, allgemeine Erschlaffung, Geschmacks¬ 
störungen, Gefäßkrämpfe in den peripheren Bezirken (kalte Füße und Hände), 
Ernährungsstörungen, Bradykardie mit Arythmie, Dyspnoe bei Anstrengung, 
Asthenopie, Pruritus und unbestimmte neuralgische Schmerzen im Unterleib 
und in den Extremitäten. 

Verursacht sind diese motorischen Störungen durch das Koffein, das in 
dem gebrannten Kaffee (0,75—1,5%) enthalten ist; die feineren Sorten enthalten 
weniger Koffein als die schlechten Sorten; es findet sich gleichzeitig mit dem 
Cafeol oder Cafeon, das beim Brennen des Kaffees synthetisch entsteht. Für 
diese Annahme sprechen die Versuche von L6v6n (dieser beobachtete nach 
der Injektion % Gramms Koffein Kopfschmerzen, Gliederzittem, Nausea, 
Somnolenz, Pulsverlangsamung), von Latteux (eine Stunde nach der Injektion 
y 2 Gramms Koffein ein leichtes universelles Zittern und Pulsverlangsamung) 
und von Wilhelm (zit. nach Nikolai). Doch muß bemerkt werden, daß 
Busquet zehn Personen ein ganzes Gramm Koffein täglich reichte, ohne daß 
sichere Veränderungen des physiologischen Zitterns aufgetreten wären. 

Akute Vergiftungen entstehen durch Zufall (Leszinsky, ein sechsjähriges 
Kind aß eine Handvoll gebrannten Kaffees) oder durch Idiosynkrasie (Bridge) 
oder infolge von Exzessen (Rugh: ein 30jähriger, geschäftlich sehr in Anspruch 
genommener Mann schlief drei Wochen hindurch kaum drei Stunden täglich 
und trank den ganzen Tag starken, schwarzen Kaffee) oder nach dem Genüsse 
einer großen Dosis behufs Fruchtabtreibung (Bomby) oder durch Leichtsinn 
(mein Fall). Chronische Vergiftungen entstehen durch den regelmäßigen und 
unmäßigen Genuß starken schwarzen Kaffees oder durch die vorwiegende 
Ernährung mit Kaffee (Love: eine Mutter von 5 Kindern lebte 6 Monate von 
schwarzem Kaffee), die bei armen Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen verbreitet 
ist (F. Mendel, in Westfalen, an der Ruhr). 

Prophylaxe: Diese schädlichen Wirkungen des schwarzen Kaffees 
trachtet man auf doppelte Weise zu verhüten. 

a) Durch den vollständigen Ersatz der Kaffeebohnen durch Getreide- 
kömer und Hülsenfrüchte und durch Zichorie (Kneipp, Frank, Kaffeetin, Mais¬ 
malzkaffee, Hämatinkaffee) und 

b) durch Erzeugung koffeinfreien Kaffees (HAG — Hamburger Aktien- 
Gesellschaft — mit 0,3% Koffein). 

Ich verfüge über zwei Fälle von KaffeeVergiftung. Der erste, subakute 
Fall betrifft eine Fabrikarbeiterin, die bei Nacht arbeiten mußte und, da sie sehr 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


51 


schläfrig war, sich mit großen Dosen schwarzen Kaffees stärkte. Dies tat sie 
ein halbes Jahr; dann begann sie schwach und matt zu werden, zitterte am 
ganzen Körper, bewegte kaum mit den Füßen, konnte keine Treppen steigen 
und wurde blaß und mager; nach einmonatiger Abstinenz verlor sie alle Sym¬ 
ptome. Jetzt ist sie wieder gesund und rotwangig. Kaffee trinkt sie nicht 
mehr, höchstens einen ganz schwachen. 

Im anderen Falle handelte es sich um eine akute Vergiftung bei einem 
35 jährigen Manne, der an den Genuß schwarzen Kaffees gewöhnt und ein 
starker Raucher war. Einmal bereitete er sich aus 1 / s kg Kaffee eine einzige 
Tasse schwarzen Kaffees und trank dieselbe aus; nach einer Weile fühlte er eine 
entsetzliche Schwäche und Ohnmacht, zitterte am ganzen Körper, war wie 
betäubt und vermochte nicht auf den Füßen zu stehen; nach etwa zwei Stunden 
verschwanden alle Symptome. 

Eine Behandlung des Kaffeetremors ist nicht durchführbar; man be¬ 
handelt die Kaffeevergiftung durch die Abstinenz (in welcher nach Bridge 
manchmal heftige Kopfschmerzen oder auch Herzschwäche auftritt, so daß eine 
wiederholte subkutane Koffeininjektion indiziert sein kann) und durch toni- 
sierende Medikamente: Arsen, Eisen, Landaufenthalt, moralische Einwirkung. 

Die Vergiftungssymptome nach Kaffee sind in der These von Bomby aus 
dem Jahre 1905 übersichtlich bearbeitet. 

18. Der unmäßige Genuß des Tees kann ebenfalls Gliederzittem verur¬ 
sachen, obwohl dasselbe bis jetzt noch nicht klinisch studiert wurde. Die 
wirksame Substanz dürfte hier das Thein sein, von dem 1,5% in den Blättern 
enthalten sind (im sogenannten Perl-und Himalayatee 3—4%) und mit welchem 
L6v6n bei Tieren ein universelles Zittern hervorrief. Das Teezittem geht 
gewöhnlich mit Herzklopfen und einer eigentümlichen allgemeinen Unruhe 
einher, die auch nach Kaffeegenuß vorhanden zu sein pflegt. In jüngster Zeit 
ist in England auch das Rauchen des Tees in Zigarettenform aufgekommen 
und man beobachtete nach größeren Quantitäten unter anderen Vergiftungs¬ 
erscheinungen auch Tremor. Netolitzky studierte experimentell das Rauchen 
der Teeblätter der Sorte „Haysan“ mit 1,6% Thein, die zur Herstellung der 
Zigaretten verwendet werden, und fand in dem Rauche mindestens % des in 
der Zigarette enthaltenen Theins, ja, bei langsamem und vorsichtigem Rauchen 
sogar % der Gesamtmenge. 

Ob auch nach Schokolade und Kakao Zittern auftritt, ist nicht bekannt. 
(Die Kakaokömer enthalten 1 — 1,5% Theobromin.) 

Unbekannt ist ferner das Zittern nach Mat6 (Paraguaytee von Ilex parag. 
mit0,5—1%Theobromin) und nach Kola oder Guru (Samen von Colaacuminata 
mit 2,4% Koffein). 

19. Mehr wissen wir vom Zittern beider Opium - undMor p h i u m Vergiftung. 
Bei den Opiophagen, die sich mit Opiumpillen berauschen (im Orient, in Bosnien, 
Paris), entsteht gleichzeitig mit einer allgemeinen Erschlaffung ein Zittern an 
den oberen, dann an den unteren Extremitäten (Fernet), das nach einer größeren 
Opiumdosis verschwindet (B r e i 11 o t). Dasselbe beobachtet man nach Morphium¬ 
injektionen, die vielfach (Paris, Norwegen) dieselbe traurige Rolle spielen wie 
die Opiumpillen (Jouet). Der Tremor der gestreckten Hände im Sinne der 
Pronation und Supination, der Flexion und Extension ist das prägnanteste 
und auffallendste Symptom der chronischen Morphium Vergiftung. Dieser 

4* 



52 


Erster Teil. 


Tremor pflegt rhythmisch zu sein, seine Amplitude schwankt wellenförmig, 
die einzelnen Wellen sind steil mit scharfem Gipfel; das Zittern breitet sich 
manchmal auf den ganzen Rumpf und die Zunge aus, erreicht hier aber keinen 
hohen Grad (Jouet). 

Charcot ergänzte die Beobachtungen Jouets mit der Angabe, daß das 
Zittern manchmal auch im sogenannten Amorphinismus auftrete, d. h. während 
der Abstinenz im Stadium der unwiderstehlichen Sehnsucht nach Morphium. 
Charcot fand in einem solchen Falle einen Tremor der Hand mit einer Frequenz 
von 6—7 Wellen in der Sekunde, der sich nach Morphiumgenuß mäßigte und 
im Stadium der Euphorie ganz unbedeutend war. 

20. Nach Strychnin wurdehäufig einZittern der Extremitäten beschrieben, 
das jedoch nicht näher studiert wurde. 

Nach Curare, das zu Heilzwecken gereicht wurde, beobachteten Voisin 
und Liouville ein dem Schüttelfrost ähnliches Zittern, das übrigens früher 
schon Claude Bernard (Fernet) bei seinen Experimenten gesehen hatte. 

Zittern nach Chinin beschreibt Eulenburg, und Roche und Dana 
geben seine Geschwindigkeit mit 10 Wellen in der Sekunde an. Dasselbe ist 
bald eine Begleiterscheinung der allgemeinen Schlaffheit, bald eine Teilerschei¬ 
nung des akuten, deliranten Syndroms, bald ein Vorläufer allgemeiner Krämpfe 
(Lewin). 

Bei der Vergiftung mit Atropin, Bittermandelöl, Stechapfel, sah 
Latteux einen Tremor wie beim Delirium tremens, und einen Tremor der Hände 
in der Rekonvaleszenz, der auch von Breillot erwähnt wird. 

Nach Akonitin und Colchicin sah Jolyet (Ferne t) einen Tremor bei 
Tieren und Damourette und Pelvet nach Cicutin und zwar (nach Fernet) 
dann, als die Lähmung der Glieder begann und als die Beweglichkeit wieder¬ 
kehrte. 

Bei Berührung des Veratrins mit einem motorischen Nerven des Frosches 
sah Joteyko einen unregelmäßigen, etwa eine halbe Stunde dauernden Tremor 
des ganzen Muskels. Lewin führt ein Zittern der halbgelähmten Glieder neben 
zuckenden Bewegungen nach interner Verabreichung an. 

Auch Faba Calabari können nach Watson Zittern erregen (Fernet). 

Nach der Injektion von Pilokarpin sah HoraSd’ovsk^ einen Tremor, 
der eine Stunde dauerte und von der Intention unabhängig war. 

NachKopaiva wurde Zittern vonMöbius, nach Kampfer von Latteux 
gesehen und von Lewin als Vorspiel von Krämpfen angeführt. 

Bei der Ergotinvergif tung erwähnt Fernet einen Tremor bei der kon¬ 
vulsiven Form. Latteux bemerkt, daß der beobachtete Tremor „nichts Be¬ 
sonderes“ geboten habe. 

Bei der Pellagra ist das Zittern eine häufige Erscheinung; es ähnelt dem 
Zittern der alten Leute, wie aus der Beschreibung Casals (die Kranken haben 
einen schwankenden Gang und ihr Kopf zittert wie das Schilfrohr im Winde — 
daher der Name mal de la rosa; zit. nach Latteux) und aus der Arbeit des 
Alpago Novello über vorzeitiges Senium bei Pellagrakranken hervorgeht. 

Nach dem Genüsse von Haschisch beschrieb Grimaux den Tremor beim 
Menschen als „tremblements saccades des membres“ (zit. Fernet aus der 
Th6se von Villard 1872). Voisin und Liouville erzeugten bei Tieren sowohl 
in der akuten als auch in der chronischen Haschischvergiftung Gliederzittem 



Das Zittern infolge von Vergiftung. 


53 


mit Inkoordination des hinteren Körperteils (Fernet). Dejerine behauptet, 
daß eher unregelmäßige Krämpfe Vorkommen. 

Nach giftigen Schwämmen führt Latteux unter den Nervenerschei¬ 
nungen, die auf die Gastrointestinalsymptome folgen, Gliederzittem an und fügt 
hinzu, daß dieses besonders nach der Vergiftung mit dem Fliegenschwamm vor¬ 
kommt. Orfila erzeugte beim Hunde mit drei Fliegenschwämmen Tremor der 
Extremitäten neben Dyspnoe, Stupor und Zittern des ganzen Körpers. 

DerNebennierenextrakt erzeugt bei der Opotherapie einen Tremor, und 
zwar der oberen Extremitäten, speziell der Hände und der Finger, der auch 
auf die Lippen und auf die Zunge übergehen kann, ein kleiner, regelmäßiger, 
gleichmäßiger Tremor von 6—7 Wellen in der Sekunde, der bei statischer Inner¬ 
vation am deutlichsten wird und in schwereren Fällen das Schreiben und Essen 
unmöglich machen kann. Boinet publizierte 1900 und 1909 im ganzen acht 
derartige Fälle. Der Tremor entstand nach Injektionen des Glyzerinextraktes 
der Nebennieren vom Kalb und zwar dauerte er anfangs nach jeder Injektion 
etwa 1 y 2 Stunden, später war er dauernd vorhanden. Auch nach der internen 
Darreichung der rohen Kalbsnebenniere entstand ein Zittern nach jedesmaligem 
Genuß (1900, 4. Fall) und ein konstanter Tremor neben unwillkürlichen Be¬ 
wegungen und schmerzhaften Krämpfen, allgemeiner Unruhe, schreckhaften 
Träumen nach großen, oft wiederholten Dosen (1260 g binnen zwei Monaten 
im 2. Falle des Jahres 1909) und nach interner Verabreichung einer l°/oo^ en 
Adrenalinlösung. Boinet zitiert die Versuche Livons, der nach der Injektion 
des Nebennierenextraktes bei Kaninchen ein universelles Zittern beobachtete. 

Ich selbst sah einen analogen Tremor in zwei Fällen von orthotischer 
Albuminurie nach Injektionen einer l°/oo^ en Suprareninlösung (Meister, 
Lucius, Höchst a. M.): 

1. Fall: Ich injizierte 0,5 qcm Suprarenin subkutan; es entstanden keine 
auffallenden Veränderungen; nach einer Stunde injizierte ich 0,75 qcm; fünf 
Minuten später bekam der Kranke Zittern der Hände, klagte nach 15 Minuten 
über heftiges Klopfen im Schädel, hatte das Gefühl als ob der Kopf bersten 
sollte und zeigte einen groben Tremor der oberen Extremitäten und ein Zittern 
des ganzen Körpers. Eine Stunde nach der Injektion war das Zittern noch vor¬ 
handen und erst nach zwei Stunden verschwanden die Symptome. Zugleich 
stieg der Blutdruck von 85 mm auf 100 mm und die Pulszahl von 84 auf 124. 

2. Fall: Nach der Injektion von 0,5 qcm Suprarenin entstand keine Verände¬ 
rung; nach einer Stunde wurden 0,75 qcm injiziert; sofort trat Tremor der Hände, 
Kribbeln im Kopfe, Blässe der Haut auf ; nach fünf Minuten gab der Kranke 
das Gefühl von Zittern des ganzen Körpers an; % Stunde nach der Injektion 
verschwanden die subjektiven Empfindungen, aber der Tremor der oberen und 
unteren Extremitäten dauerte fort und behinderte das Gehen; nach zwei Stunden 
verschwand das Zittern. 

Leider war ich hierbei mit der wiederholten Blutdruckmessung, der Puls¬ 
zählung und Harnuntersuchung so sehr beschäftigt, daß ich die Eigentümlich¬ 
keiten des Zittern nicht genau beobachten konnte; eine Wiederholung der Injek¬ 
tionen zu Studienzwecken wage ich nicht vorzunehmen. 

Nach der internen Darreichung von 25—30 Tropfen einer l%oig erl Adrenalin¬ 
lösung (Parke Dawis in London) entstanden in zwei weiteren Fällen keine Ver¬ 
änderungen, auch keine subjektiven Erscheinungen. (Auch Boi net sagt in 



54 


Erster Teil. 


seiner ersten Arbeit, daß nach Adrenalin kein Zittern entsteht, aber in der 
zweiten Arbeit zitiert er bereits zwei Fälle von Zittern auch nach Adrenalin.) 

22. Nach größeren Gaben der Schilddrüse wurde Tremor wiederholt be¬ 
obachtet. Bei den bekannt gewordenen Fällen findet sich nur die Angabe, es 
sei ein Tremor wie beim Basedow (Boinet, Nothnagel) oder ein allgemeines, 
starkes Zittern entstanden, das das Gehen unmöglich machte; aber näher 
wurde dieses Zittern nicht studiert. 



Fig. 37. 


Boinet zitiert den Fall Nothnagels aus dem Jahre 1888, in welchem 
der fettsüchtige Kranke binnen fünf Wochen 1000 Tabletten nahm und alle 
Symptome der Basedowschen Krankheit zeigte, die in der Abstinenz ver¬ 
schwanden, ferner den Fall Behrings aus dem Jahre 1898, in welchem der 
Kranke nach exzessiven Dosen ein universelles Zittern des ganzen Körpers 
bekam, und fügt einen eigenen Fall an, in welchem ein Pharmazeut gegen Psoriasis 
frische Schilddrüse und zwar sechs Stück täglich aß. Es stellte sich bei ihm 
das reine Bild der Basedowschen Krankheit ein, das bei Abstinenz nach einigen 
Wochen verschwand. 

Ich selbst beobachtete einen Fall, in welchem ich den Tremor graphisch 
auf nehmen konnte. 



Fig. 38. 


Es handelte sich um ein 35jähriges Mädchen, das eine interessante Affektion 
der Haut und des Unterhautbindegewebes, speziell eine Fettansammlung in der 
unteren Körperhälfte bei fortschreitender Atrophie der Haut der oberen Hälfte, 
namentlich des Gesichtes, darbot. Ich verordnete dieser Patientin am 6. November 
1903 Thyreoidtabletten (Borroughs-Welcome, deren jede 0,3 g frische Schilddrüse 
enthielt). Sie nahm täglich 2 Stück. Am 8., 15., 16., 18. und 25. November habe 
ich mir ausdrücklich notiert, daß kein Zittern der Hände vorhanden war. Am 
30. November begann sie 3 Tabletten zu nehmen, ohne zu zittern. Am 3. De¬ 
zember habe ich notiert: es scheint, daß ein leichter Tremor der Hände beginnt; 
am 8. Dezember: leichter Tremor der Hände. Mitte Januar 1904 erschien sie 
mit der Klage, daß ihr ganzer Körper zittere; sie zeigte einen feinen, raschen. 








Zittern bei Tollwut, Urämie, Eklampsie usw. 


55 


regelmäßigen Tremor der Hände, den uns die am 14. Januar abgenommene 
Kurve (Fig. 37) veranschaulicht. 

Wir sehen einen sehr feinen, fast regelmäßigen und fast gleichmäßigen Tremor 
von 9 Wellen in der Sekunde, der sich während des ganzen, etwa 60 Sekunden 
dauernden Experimentes nicht ändert. 

Nach einem Monat (sie nahm nur 2 Tabletten täglich) war das Zittern deut¬ 
licher; es wird durch die am 18. Februar 1904 aufgenommenen Kurven (Fig. 38) 
veranschaulicht. Wir sehen ein zartes, bald ganz regelmäßiges und fast gleich¬ 
mäßiges, bald nicht ganz regelmäßes und nicht ganz gleichmäßiges Zittern, das 
sich während der ganzen Untersuchungsdauer (5 X 20 Sekunden) nicht wesentlich 
änderte und die große Geschwindigkeit von 10—12 Wellen in der Sekunde dauernd 
beibehielt. 

Nach Verlauf eines weiteren Monats zeichnete ich das Zittern neuerdings 
und dieses veranschaulichen uns die am 17. März 1904 aufgenommenen Kurven 
(Fig. 39). Auch hier bleibt der Tremor im großen und ganzen während der 
ganzen Dauer des Versuches (6 x 20) Sekunden) unverändert; nur auf einigen 
Kurven ist eine „Allorhythmie“ angedeutet; die Geschwindigkeit des Tremors 
schwankt zwischen 10 und 12 Wellen und beträgt zumeist 12 Wellen in der Sekunde. 



23. Nach größeren Dosen der Parathyreoidealpräparate (vier frische 
Drüschen täglich) beobachtete Roussy unter den Vergiftungssymptomen eine 
rasche Verschlimmerung der Parkinsonschen Krankheit im allgemeinen und 
speziell auch eine Zunahme des Tremors. 

24. Auf Autointoxikation werden gewisse, bei den V erdauungsstörungen 
der Säuglinge vorkommende Tremores bezogen (Raffaeli, Fede). Dieses 
nicht näher studierte Zittern wurde aus dem Grunde mit Verdauungsstörungen 
in Zusammenhang gebracht, weil dasselbe verschwand, wenn die Ernährung 
reguliert wurde. 

Eine eigentümliche, wahrscheinlich auf Autointoxikation beruhende 
Krankheit beschreibt L a 11 e u x. Es ist dies eine in Amerika als , ,m i 1 k s i c k n es s“ 
bezeichnete Krankheit, die der als „trembles“ be zeichneten Affektion der Kühe, 
Schafe und Pferde ähnlich ist. Sie beginnt allmählich mit Arbeitsunfähigkeit 
und Zittern, worauf sich Magenübligkeiten, Erbrechen, Durst, übelriechender 
Atem, Schlaflosigkeit einstellen. In der Rekonvaleszenz besteht lange Zeit 
eine allgemeine Schwäche mit Zittern. Als Ursache der Krankheit bezeichnet 
man vorwiegend die Ernährung mit Butter und Milch. 

Vielleicht gehört auch die bei uns vorkommende Hundestaupe hierher. 

VI. Zittern bei Tollwut, Urämie usw. 

Weniger sicher sind die Angaben über das Zittern bei der Tollwut, der 
Urämie und Eklampsie, beim Diabetes, bei der Gicht und Syphilis. 













56 


Erster Teil. 


Bei derTollwut, derUrämie undEk lamp sie wurde das Zittern in man¬ 
chen Fällen als Vorläufer der Krampfanfälle und manchmal auch als Symptom 
der nach solchen Anfällen zurückbleibenden Erschlaffung beobachtet (Latteux). 
Nichts anderes war das Zittern, das Pic bei der Urämie beschrieben hat: Ein 
64 jähriger Patient mit Nierenentzündung und Atherom zeigte in einem schweren 
urämischen Zustand den Cheyne-Stokesschen Atmungstypus. In dem 
Momente, in welchem die Atmung zu schwinden begann, trat jedesmal ein 
Zittern der Glieder, speziell der oberen Extremitäten auf, das immer stärker 
wurde, in der Atempause am heftigsten war und beim Wiedereintritt der Atem- 
bewegungen verschwand. Pic vergleicht dieses Zittern mit jenem bei der 



Fig. 40. 


.7J . . . .. v —^4(Ww 

rUX.- 

- - - 


Fig. 41. 

Schüttellähmung, fügt aber hinzu, daß es einen konvulsiven Charakter (allures 
convulsives) hatte. 

Beim Diabetes, bei der Gicht und beim chronischen Gelenkrheuma¬ 
tismus pflegt das Gliederzittern eines der Symptome der allgemeinen Emäh- 
rungsschwäche zu sein. Es kann aber auch ein Begleits 3 miptom der Schwäche 
der Extremitäten bei Neuritiden sein. Speziell bei der Gicht kann das Glieder¬ 
zittern ein Zeichen jener eigentümlichen Muskelschwäche in jenen Partien 
der Extremitäten sein, die der Sitz des Gichtherdes sind (bei jenen Paresen, 
auf die Thomayer bei der Gicht aufmerksam gemacht hat). — Bei der Syphilis 
wird das Gliederzittern von Fournier und Breillot erwähnt. Es handelt sich 
hier nicht um die herdförmigen Läsionen des Gehirns, sondern um ein Zittern 
im Sekundärstadium, besonders bei Frauen, bei denen die Infektion auch in 
anderer Hinsicht das Nervensystem ergriffen hat (Neuralgie, Analgesie, Palpi- 


















Neurosen und Psychosen. 


57 


tationen, hysteriforme Anfälle). Im großen und ganzen kommt es selten vor 
(Breillot). Es entsteht plötzlich, ohne Prodrome, auf einer Extremität oder 
auf beiden, ist entweder zart und schnell oder grob und von mittlerer Geschwindig¬ 
keit, oder es macht unregelmäßigen Bewegungen Platz. Gewöhnlich tritt es 
nach einer stärkeren Emotion oder größerer Anstrengung auf. Es dauert 4—8 
Wochen und verschwindet bei Quecksilberbehandlung. Da es auch bei Personen 
beobachtet wurde, die keine Quecksilberkur durchgemacht hatten, kann es 
nicht durch Quecksilber verursacht sein. Über diese ziemlich bizzaren Tremor- 
formen habe ich keine eigene persönliche Erfahrung. 

Wir beobachteten einen schönen Fall von Tremor der oberen Extremitäten 
bei Gicht. 

Es handelte sich um einen 47jährigen Mann (6679/05) mit polyartikulärer 
Gicht. Nach dem Verschwinden der größten Schmerzen und der Unbeweglich¬ 
keit des Körpers zeigten die gestreckten Oberextremitäten ein grobes, rhythmisches 
Zittern, das sich durch den Willen nicht unterdrücken ließ, bei Intention stärker 
wurde und im Ruhezustände, sowie in der bei der Untersuchung auf Schüttelläh¬ 
mung üblichen Position vollständig verschwand. Der Patient war kein Potator, 



war früher stets gesund und hatte normale Reflexe. Die zerviko-brachialen Ge¬ 
flechte waren empfindlich, die Muskelkraft war geschwächt. Aus den Kurven 
ersehen wir, daß das Zittern eine Geschwindigkeit von 7—9 Wellen, bei gröberen 
Schwankungen eine solche von 5—6 Wellen in der Sekunde besaß. (Fig. 40, 41.) 

Einen Tremor der oberen Extremitäten, speziell der linken, sahen wir ferner 
in einem Falle von ausgebreiteter ankylosierender Arthritis deformans bei einem 
33jährigen Manne (1215/04). — Es handelte sich um einen regelmäßigen Tremor 
mit 9 Wellen in der Sekunde, der sich periodisch verstärkte (Fig. 42). 

VII. Neurosen und Psychosen. 

1. Nervosismus. Der Tremor, hauptsächlich der Tremor der Hände, 
verbunden mit Unruhe der Gesichtsmuskulatur (speziell der Augenlider) begleitet 
vielleicht alle sogenannten Neurosen, von der einfachen Neurasthenie und ein¬ 
fachen Hysterie bis zu den bizarren post traumatischen Syndromen und vielleicht 
auch alle sogenannten funktionellen Psychosen. 

Auch die einfache angeborene Prädisposition auf Grund einer neuro- 
pathologischen Heredität ist ein geeigneter Boden zur Entstehung des Tremors 
durch Emotion, Adynamie, Intoxikation und es scheint, daß die krankhafte 
Prädisposition des Zentralnervensystems bei den verschiedenen Neurosen und 
Psychosen als die gemeinsame Ursache der Disposition zum Tremor und des 
Tremors überhaupt zu betrachten ist. 












58 


Erster Teil. 


Ein Beispiel des Zitterns bei einfachem Nervosismus ist das durch eine 
Serie von Kurven veranschaulichte Zittern meines Patienten R.: ein regel¬ 
mäßiges, leicht ungleichmäßiges Zittern von 10—10,5 Wellen in der Sekunde, 
das rechts deutlicher war und bei Intention unverändert blieb (Fig. 43). 

2. Bei Neurasthenikern finden wir ein Zittern der Hände sehr häufig, 
nach Pitres in 85% (zit. Lamacq), nach Severin in 88% der Fälle. Es handelt 
sich um einen zarten, schnellen, regelmäßigen Tremor der Hände bei der statischen 
Innervation, besonders bei leichter Muskelspannung, der 9—11 Wellen in der 
Sekunde (Lewy-Dorn, Dana), manchmal auch weniger aufweist (nach Peter- 
son 7,5), im Ruhezustände verschwindet, durch Bewegungen hervorgerufen, 
durch Emotion und manchmal auch bei intendierten Bewegungen gesteigert 
und dann langsamer wird (Dejerine, 5—7 in der Sekunde). Er geht mit 
Tremor der Lider und Zuckungen der M. orbiculares oculi und interossei I ein¬ 
her. (Oppenheim, der von fibrillärem Flimmern spricht [?]). 

3. Raymond und Jan et beschrieben einen Fall von Tremor, der dem 
bei der Hysterie vorkommenden Tremor sehr ähnlich war; doch konnten sie 
bei dem betreffenden Kranken nur eine Psychasthenie, keineswegs eine 
Hysterie diagnostizieren. 



Fig. 43. 


Der 48 jährige Kranke zitterte unmäßig am ganzen Körper und am Kopfe, 
rhythmisch, 8mal in der Sekunde, unaufhörlich, sowohl im Ruhezustände, als auch 
bei Bewegungen (das Zittern hinderte ihn beim Essen und Schreiben); das Gesicht 
war einigermaßen starr, aber infolge von Angst; sonst bestanden keinerlei Symptome 
der Schüttellähmung, an die das Zittern im ersten Moment erinnerte. Es handelte 
sich um einen seit der Jugend furchtsamen, unruhigen, traurigen, imentschlossenen, 
abgespannten Menschen. Bis zum 48. Lebensjahre hatte er nicht koitiert. Als er 
40 Jahre alt war, starb seine Mutter, an deren Röcken er stets gehangen war; gleich 
darauf bekam er Agoraphobie, Basophobie und etwas später das Zittern. 

(Bei einer solchen Psychasthenie beschrieb Meige außer dem Zittern 
auch eine typische Tremophobie mit Charakteren, die jenen bei der Ereutophobie 
ganz analog waren, an der übrigens jene Patientin ebenfalls litt. Eine ähnliche 
Tremophobie beschrieb Regis bei Friseuren als sogenannten trac de coiffeurs.) 

4. Bei den verschiedensten Psychosen beobachtet man im Affekt, bei Be¬ 
wegungen ein schwaches, schnelles Zittern der Hände (Affektzittem nach Ziehen) 
und zwar in gleicherweise bei allen Psychosen (Manie, Melancholie, Paranoia — 
Cristiani); bei hochgradiger Aufregung (Cristiani), im Angstaffekt (Ziehen) 
generalisiert es sich, wird ungleich und nicht ganz rhythmisch (Cristiani). Das 
Zittern im Zustande der Erschöpfung und in analogen oder durch diese bedingten 
Psychosen ist jenem im Zustande der Angst, des Zorns, der freudigen Erwartung 
auf tretenden Zittern ganz gleich (Ziehen: Erschöpf ungszittem); im Zustande 
hochgradiger Depression beobachtete Cristiani ein langsameres, regelmäßiges 
und schwächeres Zittern. 





Neurosen und Psychosen. 


59 


Bei induzierten Psychosen ist das Zittern analog jenem der Grundkrank¬ 
heit; so bei Psychosen im Verlaufe der disseminierten Sklerose, des Basedow, 
des Parkinson, bei Alkohol-, Morphium-, Pellagrapsychosen (Ziehen). 

Bei senilen Psychosen beobachtet man manchmal einen ,,senilen“ Tremor, 
bei epileptischen Psychosen einen dem alkoholischen gleichen und dem bei 
einfacher Epilepsie vorkommenden Zittern analogen Tremor (Ziehen). 

Bei der Stupidität kommt manchmal bei statischer Innervation und bei 
Bewegungen ein Tremor vor (Ziehen — Intentionszittern [?]). 

5. Bei Epileptikern beobachtet man den Tremor nach Pitres in 20% 
der Fälle (zit. Lamacq). Im allgemeinen kann man drei Typen unterscheiden: 



erstens im Beginne des Anfalls, zweitens nach dem Anfall, speziell wenn derselbe 
groß war, und drittens im ruhigen Zwischenstadium. 

a) Im ruhigen Zwischenstadium findet sich bei vielen Epileptikern unter 
anderen motorischen Störungen (Turner) ein feines, rasches Zittern der Hände 
wie bei Neurasthenikern (Reynolds, Turner), das gelegentlich durch eine aus¬ 
gesprochene Allorhythmie charakterisiert ist (die daher Leupold unter Außer¬ 
achtlassung der früheren Erfahrungen über Allorythmie als ein pathognomisches 
Zeichen des Zitterns der Epileptiker ansehen wollte). Binswanger sagt ganz 
allgemein, man beobachte Symptome, die jenen bei der motorischen Form der 
Neurasthenie analog seien. 

Ich zeichnete bei einem Epileptiker meiner Klientel einen derartigen 
Tremor im ruhigen Zwischenstadium. Es handelte sich um einen Kranken, 
der durchschnittlich einmal in 6—7 Tagen 1—2 große Anfälle hatte. Wir er¬ 
sehen aus den beigelegten Kurven die Charaktere dieses Tremors (Fig. 44). 

Auf den Kurven I. und II. sehen wir ein schwaches, feines, regelmäßiges 
und gleichmäßiges Zittern von 8—9 Wellen in der Sekunde, auf den Kurven III. 
































60 


Erster Teil. 


und IV. ein solches von 10 Wellen in der Sekunde. Auf der Kurve V. sehen wir 
den Einfluß einer Muskelanstrengung (Drücken des Dynamometers) der anderen 
Hand: das Zittern ist gröber, rhythmisch, etwas ungleich, hat 10—11 Wellen in 
der Sekunde; die Kurve X zeigt ein ganz grobes Zittern. 

Die Kurven VI. und VII. veranschaulichen den Tremor bei dem subjektiven 
Bestreben, denselben zu unterdrücken: derselbe wird schwächer, feiner, hört aber 
nicht ganz auf. (Das Fehlen des Tremors an einzelnen Stellen ist durch einen Fehler 
des Apparates bedingt.) 

b) Im Beginne des epileptischen Anfalls und zwar im Beginne der Periode 
der klonischen Krämpfe beobachtet man häufig einen schnellen, groben Tremor 
einer Hand, seltener beider Hände (Fernet); auch bei den tonischen Krämpfen 
tritt ein solcher Tremor auf (Gowers); ferner beobachtet man denselben gegen 
das Ende des Anfalls nach dem Abklingen der klonischen Krämpfe (Före) 
beim Übergang in Muskelerschlaffung (Binswanger). Ein solches Zittern 
im Anfall findet sich auch bei der Jacksonschen Epilepsie bei herdförmigen 
Veränderungen im Gehirn und bei Myoklonie (Unverricht). 

c) Nach den Anfällen wurde noch ein eigentümliches Zittern der Extremi¬ 
täten, speziell der unteren, beobachtet, das den Gang derart behindert, daß der¬ 
selbe saltatorisch erscheint; hierbei sind die Reflexe gesteigert und auch die 
Sprache kann skandierend sein (Breillot, Dejerine, Ziehen, Pascheies). 
Binswanger beobachtete nach dem Anfalle Intentionszittem. 

d) In seltenen Fällen ist der Tremor das einzige motorische Symptom des 
epileptischen Anfalls, der nur von einer ganz kurz dauernden Bewußtseinstrübung 
begleitet wird. Gewöhnlich ist der Tremor lokal beschränkt auf die Musku¬ 
latur des Rumpfes, des Kinns, der Lider oder einer oder mehrerer Extremi¬ 
täten (F6r6, Laube, Gowers). F6re beobachtete sogar Zitteranfälle, die 
teils allgemein, teils auf den M. extensor cruris beschränkt waren, die ganze 
Stunden und Tage ohne Bewußtseinsstörung dauerten und die er für Äquivalente 
der epileptischen Krämpfe ansah. Derselben Ansicht sind auch Dejerine 
und Gowers, deren Beobachtungen von Binswanger angeführt werden. 

6. Hysterie. 

Noch bunter ist die Symptomatologie des Zitterns bei Hysterie. Hier 
ist dasselbe bald eine bedeutungslose, vorübergehende Erscheinung, bald be¬ 
herrscht es wiederum das klinische Bild, indem es manchmal sogar das einzige 
Symptom dieser Krankheit darstellt. Wir sprechen vom hysterischen Zittern 
auch dann, wenn wir zwar die Hysterie aus anderen Symptomen nicht nach- 
weisen können, aber dennoch andeuten wollen, daß der beobachtete Tremor 
durch keine andere nachweisbare Affektion verursacht ist. 

Die äußere Form des Zitterns ist in ihren Details fast in jedem einzelnen 
Falle verschieden; trotzdem lassen sich über alle diese Formen einige allgemeine 
Bemerkungen machen. 

Abgesehen von dem feinen Zittern bei statischer Innervation ist das soge¬ 
nannte hysterische Zittern nicht gerade eine häufige Erscheinung bei der ein¬ 
fachen Hysterie; etwas häufiger findet es sich bei den traumatischen Formen. 
Es beginnt selten allmählich und unauffällig, sondern zumeist plötzlich, entweder 
nach einem hysterischen Anfall oder nach einem physischen oder psychischen 
Trauma, zu welchem man vom psychologischen Standpunkt auch akute inter¬ 
kurrente Krankheiten rechnen muß. Es ist fast stets intermittierend, d. h. 
es verschwindet ohne jede bekannte Ursache auf Minuten, Stunden, Tage oder 



Neurosen und Psychosen. 


61 


auch Wochen, um dann in der früheren oder einer veränderten Form wieder zu 
erscheinen. Am häufigsten ist es an den Oberextremitäten vorhanden, weniger 
häufig, aber entschieden häufiger als bei anderen Formen des Zitterns mit Aus¬ 
nahme der Schüttellähmung, an den Unterextremitäten. Mit Vorliebe spielt 
es sich in den Metakarpalgelenken ab (Gajkiewicz). Am Kopfe ist es 
selten (See). Charcot behauptete, daß es bei Männern häufiger vorkomme. 
Renzi meint, es überwiege auf der linken Körperhälfte; Gowers erblickt sein 
charakteristisches Zeichen darin, daß es bei demselben Patienten zu verschiedenen 
Zeiten verschieden ist, während Gajkiewicz behauptet, daß trotz seiner Ver¬ 
änderlichkeit die Amplitude der Wellen nicht schwankt. Alle diese Angaben 
gelten stets nur für einzelne Formen und besitzen nicht die Bedeutung allgemeiner 
Regeln. Es steht fest, daß sich manche Zitterformen wenig ändern (das soge¬ 
nannte vibratorische Zittern), während bei anderen eine bedeutende Veränder¬ 
lichkeit beobachtet wird (monoplegischer Tremor, Pseudoparalysis agitans u. a.). 
Das Zittern ist bei Hysterie oft das einzige Symptom des hysterischen Anfalls 
(attaque du tremblement — Dutil), wobei auch eine hysterische Aura voran¬ 
gehen kann (unser Fall 15). 

Es kann jahrelang bei unveränderter Intensität andauem und jeder Be¬ 
handlung trotzen, und andererseits nach geringfügigen Manipulationen ver¬ 
schwinden: nach Elektrisierung, Magnetisierung, nach indifferenten Medi¬ 
kamenten (auch nach Spermin bei Bruck), nach antiluetischer Behandlung 
u. dgl. Es ist manchmal auf Befehl zum Stillstand zu bringen (unser Fall 15); 
manche Patienten können es durch einen ganz unbedeutenden Trik unterdrücken, 
wie man dies bei den Tics beobachten kann (unser Fall 4). 

Alles übrige ist bei den hysterischen Zitterformen sehr verschieden: be¬ 
züglich der Lokalisation ist das Zittern entweder universell oder mono- oder 
paraplegisch beschränkt; bezüglich der Intensität schwankt es vom zarten 
Flimmern bis zu mächtigem Schütteln, das das Gehen und Arbeiten unmöglich 
macht; bezüglich der Geschwindigkeit finden sich alle Übergänge von iy 2 bis 
12 Wellen in der Sekunde. Das hysterische Zittern imitiert alle Formen des 
Zitterns bei organischen und unorganischen Läsionen des Nervenmuskelsystems 
(Dutil); jeder nichthysterische Tremor findet seine Nachahmung im hysterischen 
Tremor (Charcot), hat seinen hysterischen „Zwillingsbruder“ (sosies hysteri- 
ques — Dutil). 

Trotz dieser Mannigfaltigkeit lassen sich einige klinische Typen aufstellen, 
die stets in konstanter Weise auftreten. Wir können daher den hysterischen 
Tremor doch nur in eine Reihe klinischer Typen einteilen. Diese Einteilung 
ist je nach dem Einteilungsprinzip: der Frequenz, der Lokalisation, der Ähnlich¬ 
keit mit bekannten Typen nichthysterischer Tremorformen bei den einzelnen 
Forschem verschieden. 

Auf diese Weise entstand eine Reihe von Bezeichnungen, zu deren Ver¬ 
ständnis eine Übersicht über die wichtigsten Klassifikationen notwendig ist. 

I. Nach der Frequenz: 

Pit res: Tremblement trepidatoire, vibratoire und außerdem Intentions- 
zittem; 

Charcot: Tremblement oscillatoire, vibratoire und außerdem Intentions- 
zittem; 



62 


Erster Teil. 


Dutil: Langsamer Tremor, Tremor von mittlerer Schnelligkeit, vibratoire 
und polymorph; der Tremor von mittlerer Schnelligkeit ist entweder 
ein partieller oder ein universeller; der partielle Tremor ist entweder 
ein intermittierender Intentionstremor (type Rendu) oder ein para- 
plegischer Tremor oder ein reiner Intentionstremor; 

Oppenheim: Langsamer Tremor und Tremor von mittlerer Schnellig¬ 
keit, der häufig ein Intentionstremor ist. 

II. Nach der Form: 

Grasset: Wie bei der Parkinsonschen Krankheit, wie der senile Tremor, 
wie bei der disseminierten Sklerose; 

Boucarut: Wie bei der Parkinsonschen Krankheit, wie der merkurielle 
Tremor, wie die Athetose, wie bei Sklerose; 

Jamin: Wie der physiologische Tremor im Affekt, wie rhythmische koordi¬ 
nierte Bewegungen und wie der Tremor bei alten Arbeitern nur in 
der rechten Hand; 

Gowers: Zart und grob; 

Huchard: Zart bei Emotion wie der alkoholische Tremor und kon¬ 
vulsiv. 

III. Nach der Lokalisation: 

Grasset: Peripher, radikulär, segmentär. 

Am besten fühlt man die Unvollständigkeit aller dieser Klassifikationen 
nach bestimmten Einteilungsprinzipien dann, wenn man einen klinischen Fall 
von hysterischem Zittern vor sich hat. Ich halte dafür, daß es für klinische 
Zwecke am vorteilhaftesten ist, die beobachteten Fälle nach dem auffallendsten 
Zeichen des Zitterns in mehrere Gruppen einzuteilen ohne Rücksicht darauf, 
ob irgend ein Zeichen einer anderen Gruppe als imbedeutendes Epiphänomen 
vorhanden ist, und ohne Rücksicht darauf, daß sich diese Einteilung nicht nach 
einem einheitlichen Einteilungsprinzip richtet. 

Solche typische Gruppen sind folgende: 

a) Ein zarter Tremor bei statischer Innervation, vorwiegend an den Händen 
(Tremor bei Nervosismus überhaupt); 

b) vibratorisches Zittern, ein sehr deutücher Tremor des ganzen Körpers 
im Ruhezustände und bei Bewegungen; 

c) Pseudoparalysis agitans hysterica und Händezittern im Ruhezustände 
überhaupt; 

d) monoplegischer Tremor im Ruhezustände (am häufigsten nachTraumen); 

e) paraplegischer, trepidatorischer Tremor einer Unterextremität oder 
häufiger beider Unterextremitäten, ähnlich dem Fußklonus; 

f) hysterisches Intentionszittern; an den Händen ähnlich jenem bei der 
Herdsklerose. Pseudospastische Paraparese Fürstner-Nonne, Abasie tr6pi- 
dante, saltatoire. 

g) polymorpher und bizarrer hysterischer Tremor. 

Diese einzelnen Gruppen wollen wir auf Grundlage der bisherigen Literatur 
und unserer eigenen zahlreichen Krankheitsgeschichten besprechen und am 
Schlüsse einige Bemerkungen über das „traumatische Zittern“ und über „pseudo¬ 
hysterischen Tremor“ hinzufügen. 



Neurosen und Psychosen. 


63 


a) Zarter Tremor der Hände, speziell bei statischer Innervation. 

Er findet sich bei hysterischen Personen sehr häufig vor und es gilt von 
ihm dasselbe, was wir über den Tremor bei mit Neurosen überhaupt behafteten 
Menschen gesagt haben, da er bei der Hysterie keinen besonderen Charakter 
besitzt. Er beginnt allmählich, so daß er dem Kranken gar nicht zum Bewußt¬ 
sein kommt, ist im Ruhezustände nicht sichtbar, ist gleichmäßig, zart, schnell 
und besitzt 8—9 Wellen in der Sekunde (C har cot); er stört nicht gröbere Be¬ 
wegungen (Charcot), ist nur bei sehr feinen Verrichtungen hinderlich (Pitres), 
oder hindert überhaupt nicht. Durch Aufregung, Aufmerksamkeit, Beobachtung, 
hysterische Anfälle wird er gesteigert und geht dann in die vibratorische Form 
über. Im übrigen besitzt er kein für Hysterie charakteristisches Merkmal. 
Hierher gehört ein Teil der vibratorischen Zitterformen des Pitresschen Systems. 

b) Hysterisches vibratorisches Zittern. 

Dieses ist ein mehr oder weniger universelles Zittern des ganzen Körpers, 
eil} schneller und bei statischer Innervation, bei Intention und im Ruhezustände 
sichtbarer Tremor, den die französischen Autoren als tremblement vibratoire 
bezeichnen. Es handelt sich hier um kleine, regelmäßige Bewegungen, be¬ 
sonders (wenn auch nicht ausschließlich) der Hände mit einer Frequenz von 8 
(Pitres), 8—9 (Charcot), aber auch von 12—13 (Dutil) Schwingungen in 
der Sekunde, die nur bei sehr feinen Bewegungen störend wirken. Er beginnt 
nach einem hysterischen Anfall, nach einem Streit, nach einem Schreck und 
überhaupt nach heftigen Aufregungen und dauert anfangs nur einige Stunden 
nach dem Anfall (Dutil), kann aber auch Tage, Wochen und sogar Jahre 
(7 Jahre in einem Falle von Pitres) dauern. Bei langer Dauer ist er im Ruhe¬ 
zustände klein und auf die Hände beschränkt, wird aber durch hysterische 
Anfälle, Emotionen oder Druck auf eine hysterogene Zone (Dutil) verstärkt; 
in diesem Falle kann der Kranke nur mit Anstrengung schreiben, Zigaretten 
drehen oder gehen und der Gang ist außerdem durch Einknicken der Knie 
erschwert (Dutil). Er ähnelt dem Zittern bei der Basedowschen Krankheit, 
dem alkoholischen Tremor und dem Tremor bei der progressiven Paralyse. 
Er kann nach einer Aura als „attaque de tremblement“ entstehen und sich nach 
mehreren Anfällen stabilisieren. Vollständig verschwindet er nur im Schlafe. 
Pitres zitiert die Fälle von Trousseau, Ger. See, Rigal; er selbst hat einen 
Fall publiziert und Dutil führt unter seinen ,,mannigfaltigen Tremorformen“ 
einen klassischen Fall an (Obs. XIII): 

Es handelte sich um eine 23jährige Patientin, die im zweiten Lebensjahre 
an Fraisen, bis zum 20. Lebensjahre an Enuresis litt, vor einem Jahre einen plötz¬ 
lichen Ohnmachtsfall durchmachte und seit dieser Zeit an Anfällen von Schwere 
auf der Brust leidet, die eine halbe Stunde dauern. Als sie einmal in Gesellschaft 
ihrer Mutter über die Straße ging, wurde die Mutter von einem fremden Hund 
angefallen. Die Patientin erschrak und zitterte am ganzen Körper; das Zittern 
verschwand nach einer Stunde. Am Abend vor dem Einschlafen überfiel sie ein 
Gefühl von Angst, sie weinte und zitterte eine Stunde lang wie im Schüttelfrost. 
Dann schlief sie ein und fühlte sich am Morgen gesund. Als sie aber mittags 
die Stiege hinabging, begannen ihre Füße so stark zu zittern, daß sie sich nieder¬ 
legen mußte. Seit dieser Zeit hat sie ein fortwährendes Zittern des Kopfes, wenn 
sie nicht liegt; an den Füßen hat sie ein fortwährendes Zittern in Flexion und Ex- 
tension der Unterextremitäten im Hüft- und Kniegelenk; auch an den Händen 
zittert sie. Im Sitzen verschwindet manchmal das Zittern der Füße. Manchmal 



64 


Erster Teil. 


bringt der Versuch, den Fußklonus auszulösen, das Zittern der Füße zum Still¬ 
stand. An den Händen besteht das Zittern bald im Ruhezustände und verschwindet 
bei Bewegungen, bald besteht es wiederum nur bei Bewegungen. Oft verschwindet 
das Zittern für einige Sekunden ohne jede Ursache. Dieser Tremor hat sich 
-während der ganzen dreimonatigen Beobachtungsdauer nicht geändert. Die 
Patellarreflexe waren gesteigert. Fußklonus war nicht vorhanden. Es bestanden 
zahlreiche hysterische Stigmata. 



Fig. 45. 


Auch bei Kindern finden sich, wenn auch selten, Fälle von vibratorischem 
Zittern verzeichnet (zit. Hüssy). 

Baumei sah bei einem 13jährigen Knaben einen Tremor beider Hände, 
der nach einem Sturz auf den Arm begann, nur im Schlafe verschwand und in 
dieser Weise 3% Jahre dauerte. 

Aemmer beschrieb eine Zitterepidemie unter Schulkindern in Basel (1893). 

Die Krankheit kam im Sommer 1891 in der Mädchenbürgerschule zum Aus¬ 
bruch. Sie befiel nach den Ferien allmählich 60 zumeist 12—14 Jahre alte Mädchen 
und verschwand langsam gegen Ende des Schuljahrs. In einem Nachtrag zu seiner 


$ 46 

- . — •«KWIWWIW'’ --»«mv.**»- -".MM** mnxinw.W«"* wv. 


--- 



Fig. 46. 


Arbeit berichtet aber der Autor, daß die Epidemie im Jahre 1893 in derselben Schule 
neuerdings ausgebrochen sei imd 30 Schülerinnen befallen habe. Zuerst erkrankte 
ein Mädchen aus einer neuropathischen Familie; als dasselbe abends Bier holte, 
wurde es nämlich von einem Manne verfolgt; erschrocken lief es nach Hause und be¬ 
kam hier einen Anfall von universellem Zittern aller Extremitäten, das etwa eine 
Stunde dauerte. Dieser Anfall wiederholte sich am nächsten Tage in der Schule 
und auch an den folgenden Tagen. Bald bekam ihre Nachbarin ähnliche Anfälle und 
nach einem Monat begann einmal nach dem Turnunterrichte eine ganze Reihe von 
Mädchen zu zittern. Seit dieser Zeit breitete sich die Epidemie in derselben Klasse 


























Neurosen und Psychosen. 


65 


zuerst unter den nächsten Nachbarinnen und dann in konzentrischen Kreisen aus. 
Es handelte sich um Anfälle eines allmählich — manchmal nach einer vorangehenden 
Aura: Kribbeln in den ergriffenen Gliedern — beginnenden, rhythmischen Tremors 
von 5—6 Wellen in der Sekunde, der entweder nur eine Oberextremität und dann 
gewöhnlich die rechte oder mehrere Extremitäten und auch den Kopf und den 
Rumpf ergriff. Das Zittern war sowohl im Ruhezustände, als auch bei Intention 
vorhanden und störte in keiner Weise die intendierten Bewegungen (Schreiben, 
Handarbeiten). Die Anfälle dauerten einige Minuten bis zu einer Stunde und w r aren 
bei demselben Mädchen stets gleich. Nachher waren die Kinder matt. Die Anfälle 



Fig. 47 b. 



Fig. 47 c. 


traten nur in der Schule auf und ließen sich oft durch ein strenges Wort abkürzen 
oder zum Verschwinden bringen. 

Der Autor bemerkt, daß vor ihm nicht weniger als 14 Vorfälle von epi¬ 
demischer ,,Chorea“ bei jungen Leuten beschrieben wurden, bei denen es sich 
fast ausschließlich um hysterische Erscheinungen und oft um einen analogen 
Tremor gehandelt habe. 

Ich habe einen analogen Tremor bei mehreren Fällen abgenommen: 

1. Bei einer jungen Dame aus der Privatklientel des Koll. Sieber, die an 
großen hysterischen Anfällen und außerdem an einem raschen Tremor der oberen 
Extremitäten litt, der weder durch Intention (II), noch beim Zählen (III), noch 
beim Drücken des Dynamometers, noch durch das subjektive Bestreben, das Zittern 
Pelnät, Zittern. 5 




















66 


Erster Teil. 


zu unterdrücken (IV), geändert wurde. Er war schnell, 11 in der Sekunde, regel¬ 
mäßig, an der rechten Hand gleich, an der linken etwas ungleich (Fig. 45). 

2. Bei einer 36jährigen Frau, die außer verschiedenen subjektiven, unange¬ 
nehmen Empfindungen an der linken Hand einen zarten, kaum erkennbaren Tremor 
wie bei Nervosismus überhaupt, an der rechten Hand und am rechten Fuß aber im 
Ruhezustände einen ganz deutlichen Tremor hatte, der sich bei statischer Innervation 
wesentlich verstärkte und bei groben Bewegungen schwächer wurde. Auf der 
Kurve sieht man einerseits den zarten, leicht ungleichen Tremor der linken Hand (I), 
andererseits den groben Tremor der rechten Hand im Ruhezustände (II), den noch 
gröberen bei statischer Innervation (III), der aber durchwegs regelmäßig, gleich 
ist und 7 Wellen in der Sekunde besitzt (Fig. 46). 

3. Bei einer 32jährigen Frau mit hysterischen Kontrakturen, mit Aphonie 
und simuliertem Fieber zeichnete ich ein grobes Zittern der extendierten Hand, 
das bei Intention noch größer wurde und eine gleichmäßige Geschwindigkeit von 
10—11 Wellen in der Sekunde besaß (Fig. 47a, b, c). 

4. Tetanie, Pseudotetanie, Tremor der Hände im Ruhezustände, 
stets stärker auf einer Seite. Tric zur Einstellung des Tremors. 
0 varalgie. 

5. A., 52 Jahre alt, Nr. 3536/05, aus gesunder Familie stammend. Im 34. 
Lebensjahre arbeitete sie im schwangeren Zustande im Schnee und bekam der 
Tetanie ähnliche Anfälle mit Diplopie und Polyopie. Die Anfälle wiederholten sich 
und zwar auch noch zwei Monate nach der Entbindung. Dann begann ihr Seh¬ 
vermögen zu schwinden, weshalb sie die Augenklinik auf suchte, von wo sie wegen 
ihres Zitterns der internen Klinik zugewiesen wurde. Hier gingen alle Symptome 
binnen 10 Tagen zurück, nur das undeutliche Sehen blieb noch 6 Jahre bestehen. 
Ein halbes Jahr später kam sie wiederum in die Hoffnung und bekam neuerdings 
analoge Krämpfe mit Kribbeln in den Extremitäten; nach der Entbindung ver¬ 
schwanden dieselben, kehrten aber seither hier und da im Frühjahr wieder zurück. 
Das Zittern trat aber nicht wieder auf. Nur manchmal empfand sie im Sitzen auf 
einem Stuhle Kribbeln in einem Fuße, der zu hüpfen begann; beim Aufstehen ver¬ 
schwand dies alles. Heuer zessierten die Menses. Da ihr ein Arzt gesagt hatte, sie 
werde nach dem Auf hören der Menstruation die Krämpfe wieder bekommen, lebte 
sie in einer fortwährenden Angst; seit Weihnachten sitzt sie den ganzen Januar und 
Februar im Bett und erwartet die Krämpfe. In der Tat traten die Krämpfe wieder 
auf, waren aber nur schwach und nur in den Fingern vorhanden. Am 1. März be¬ 
kam sie einen großen, schmerzhaften Anfall im ganzen Körper, der sich am nächsten 
Tage wiederholte, weshalb sich die Patientin ins Krankenhaus überführen ließ. 
Unterwegs begann sie zu zittern. — In der Klinik wurde konstatiert, daß weder 
organische Störungen, noch eine Läsion des Zentralnervensystems besteht. Eine 
beiderseitige Katarakta verhinderte die Untersuchung des Augeninnem. Das 
Charcotsche und Trousseausche Symptom war positiv. Beim Druck auf die 
Art. femoralis streckt sich der Fuß und vollführt imregelmäßige Bewegungen analog 
einem groben, unregelmäßigen Tremor, worauf eine Flexion im Hüft- und Knie¬ 
gelenk auftritt und die Patientin sich wehklagend zu winden und herumzuwälzen 
beginnt. Noch leichter läßt sich dies durch Druck auf die Ovarialgegend auslösen. 
Die oberen Extremitäten verfallen zeitweise spontan, namentlich wenn die Kranke 
beobachtet wird, in grobe Flexionen und Extensionen, sowie in Adduktionen und 
Abduktionen im Karpalgelenk. Dasselbe Zittern entsteht manchmal gleich im Be¬ 
ginne eines Druckes auf die zerviko-brachialen oder auf die Armgeflechte. Durch 
den Willen kann die Patientin dieses Zittern nicht zum Stillstand bringen, wohl aber 
gelingt ihr dies, wenn sie die zitternde Hand mit der anderen Hand festhält oder an 
das Knie andrückt. — Am Körper konstatierte man unsichere Inseln von Unempfind¬ 
lichkeit. In der Klinik bekam die Patientin nur einen einzigen ostentativ geschmück¬ 
ten Anfall mit Wehklagen und Stöhnen bei einer Visite. Nach vier Tagen verließ 
sie die Klinik, indem sie meinte, sie werde zu Hause „bessere Mittel anwenden.“ 

Die beigelegte Kurve veranschaulicht ihren Tremor: grobe, nicht ganz 
regelmäßige Oszillationen, 6—7 in der Sekunde, die stellenweise durch eine leichte 



Neurosen und Psychosen. 


67 


Unregelmäßigkeit unterbrochen sind und durch Intention kleiner werden. Manchmal 
sind sie auch spontan klein (Fig. 48). 

5. Trauma. I mbezillitas. Tremor. 

Nr. 4033/04. Kr. M., 42jähriger, schwachsinniger Arbeiter. Im Jahre 1901 
fiel ihm ein Ziegelstein auf den Kopf und betäubte ihn. Er war lange bewußtlos 
und lag noch mehrere Tage in einem Dämmerzustände da. Als er aus demselben 



Fig. 48. 

erwachte, litt er an einem imgeheueren Schwindel, namentlich dann, wenn er aus 
der Höhe blickte oder in Bewegung befindliche Gegenstände oder hohe Häuser 
beobachtete. Seitdem arbeitet er nicht mehr. Der objektive Befund war 1904 bis 
auf gesteigerte Reflexe negativ. Es bestanden keine Symptome einer organischen 
Läsion des zentralen Nervensystems oder des rechten Ohres, auf das der Kranke 
schlecht zu hören angab. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten fein. Beim 
Stehen auf den Fußspitzen oder auf einem Fuße, besonders auf dem linken, zitterte 
der ganze Körper. Das Gesichtsfeld war eingeengt, namentlich links. Erbensches 


b9 


Fier. 49. 

Symptom. Orthostatische Tachykardie. Dermographismus. Im Liegen besteht 
eine beträchtliche Bradykardie, 36—46, im Stehen zählt man 64 Pulse. Auf der bei¬ 
liegenden Kurve sieht man im Ruhezustände einen ungleichen Tremor von etwa 
8 Wellen in der Sekunde, der bei Intention gröber und regelmäßiger wird, aber den 
Rhythmus von 8 Wellen in der Sekunde beibehält (Fig. 49). 

6. Hysteria posttraumatica. Tremor vor vier Jahren langsam, 
nunmehr schnell, im Ruhezustände und bei Intention gleich. 

V. F., 51 jähriger Flößer, wurde im Jahre 1906 zwei Monate nach einem Unfall 
wegen eines langsamen Zitterns der Hände in der Klinik behandelt (Fig. 53). Im 




— 



50 

- 

. .yv- - 


"V'A/v-. 




Fig. 50. 


Jahre 1908 wurde er in der Klinik wegen eines Katarrhs des Verdauungstraktes 
behandelt; diesmal findet sich in der Krankengeschichte keine Erwähnung des 

5* 
















68 


Erster Teil. 


Zitterns. Im Jahre 1910 lag er wegen Beschwerden seitens der hypertrophischen 
Prostata abermals in der Klinik. Jetzt fand man hysterische Stigmata und einen 
Tremor beider Oberextremitäten, der links gröber war, durch den Willen nicht unter¬ 
drückt werden konnte, sich bei Intention nicht änderte, ziemlich regelmäßig, rhyth¬ 
misch, wellenförmig war und 8 Wellen in der Sekunde aufwies. Die Muskelkraft 
war erhalten; es bestanden keine Symptome der Schüttellähmung oder einer orga¬ 
nischen Läsion des Nervensystems. (Fig. 50). 

c) Tremor, im Ruhezustände ausgeprägt, vorwiegend die Ober¬ 
extremitäten betreffend, langsam: sogenannte Pseudoparalysis agitans 
hysterica. 

Es gibt seltene Fälle, in denen gewöhnlich nach einem hysterischen Anfall 
oder nach einem Trauma oder nach einer Emotion ein Tremor vorwiegend der 
oberen Extremitäten, zumeist der rechten, auftritt, ein grober, langsamer 
Tremor mit 3—6 Wellen in der Sekunde, der sich später auch auf die Unter¬ 
extremitäten und auf den Kopf ausbreiten kann, namentlich bei jungen Indivi¬ 
duen um das 30. Lebensjahr vorkommt und sich mit hysterischen Stigmata, 
tonischen Krämpfen der Extremitäten (Ormerod), kontralateraler Hemi- 
chorea (Chambard) und mit einigen an die Schüttellähmung erinnernden 
Symptomen: am häufigsten mit Propulsion, Lateropulsion, Starre der Extre¬ 
mitäten und der Gesichtsmuskulatur und mit Hitzegefühl kombiniert. Bei 
genauerer Untersuchung zeigt es sich aber, daß nur eine scheinbare Propulsion 
und Lateropulsion vorhanden ist, daß es sich eigentlich um Astasie-Abasie 
handelt, daß die Muskelstarre schwindet, wenn sich der Kranke nicht beobachtet 
fühlt (Gaussei), und daß der Tremor manchmal spontan aufhört. In jenen 
Fällen, in denen die an Schüttellähmung gemahnenden Symptome am prägnan¬ 
testen waren, stellte es sich heraus, daß die betreffenden Kranken in der Um¬ 
gebung von mit wirklicher Schüttellähmung behafteten Patienten gelebt hatten 
(Valentin, Gaussei, Müller). Die Zahl der ganz einwandfreien Fälle ist 
nur klein; es sind dies die Fälle von Ormerod, Nicolle, Chambard, Valen¬ 
tine, Gaussei, Müller, Flatau und vielleicht auch die Fälle von Oppen¬ 
heim und Mendel. Die übrigen hierher gezählten Fälle sind nicht ganz ein¬ 
wandfrei, denn aus den Krankheitsgeschichten geht hervor, daß es sich um eine 
Kombination der Hysterie, eventuell des hysterischen Tremors mit unent¬ 
wickelter Schüttellähmung gehandelt haben konnte. 

Ormerod (1887) beschrieb eine 28jährige Frau, die nach einem hysterischen 
Anfall einen Händetremor „wie beim Parkinson“ bekam, der 6 Monate dauerte; 
sie bekam auch tonische Krämpfe in den Händen und Füßen. 

Der Fall Nicolle’s, publiziert von Dutil (1891): Eine 40jährige Frau, die 
eine hysterische Schwester hatte und selbst hysterische Symptome zeigte (Anästhesie 
des ganzen Körpers mit Ausnahme der Hornhäute, schlaffe Paraplegie mit normalen 
Reflexen, Gerichtsfeldeinschränkung, monokulare Diplopie mit beiderseitiger Achro- 
matopsie) und die in der Pubertät epileptiforme Anfälle und Absenzen hatte, be¬ 
kam vor 5 Monaten allmählich einen Tremor der rechten Hand, der im Ruhezustände 
auftrat, aus groben Flexionen und Extensionen im Handgelenk bestand, dauernd 
vorhanden war, eine Frequenz von 5*4 Wellen in der Sekunde besaß und bei Be¬ 
wegungen gröber wurde, ohne daß sich die Frequenz änderte. 

Der Fall Chambards (1881, zit. von Dutil): Eine junge Frau bekam nach 
einem hysterischen Anfall linksseitige Hemichorea und in der rechten Oberextremität 
einen groben, regelmäßigen, langsamen Tremor von 3 Wellen in der Sekunde, der aus 
Flexion und Extenrion, Pronation und Supination des Vorderarms und aus Flexion 
und Extension des Daumens bestand. 



Neurosen und Psychosen. 


69 


Der Fall Valentins: Eine 28 jährige Frau, die aus einer nervösen Familie 
stammte und deren Bruder „wegen eines gewöhnlichen hysterischen Zitterns“ 
den Militärdienst verließ, litt vor 7 Jahren an einer Lähmung der Gesichtsnerven; 
sie wurde deswegen in einem Krankenhause behandelt, wo sie neben einer mit 
Schüttellähmung behafteten Patientin lag, die sie bediente. Seit dieser Zeit zitterte 
sie ebenfalls und zwar zuerst am linken, dann am rechten Fuß, am rechten Arm 
und am Kopfe. Seit 5 Jahren ist das Zittern stärker. Gleichzeitig hatte sie „Retro- 
pulsion“, „Lateropulsion“, Hitzegefühl und mußte fortwährend ihre Lage wechseln. 
Bei der klinischen Untersuchung zeigte sie ein Zittern der Hände wie beim Parkinson, 
sie saß wie bei dieser Krankheit, der Tremor spielte sich im Metakarpalgelenke ab, 
änderte sich nicht durch Intention und verschwand bei vollständiger Ruhe. Auf 
der Ebene konnte die Patientin wegen der „Propulsion“ nicht gehen, doch zeigte 
es sich bei genauerer Untersuchung, daß sie ganz gut Stiegen steigen, auf allen Vieren 
kriechen, auf einem Fuße hüpfen konnte — ohne Propulsion; es handelte sich um 
Astasie-Abasie. Außerdem hatte sie eine rechtsseitige Hemihypästhesie, gesteigerte 
Reflexe und Fußklonus ohne Babinskisches Symptom; das Gesichtsfeld war 
nicht eingeengt. 

Rein ist auch der Fall von Gaussei (1907): Mädchen mit dem kompletten 
Bilde der Parkinsonschen Krankheit, mit Astasie-Abasie und hysterischen Stig¬ 
mata. Bei genauerer Untersuchung zeigte es sich, daß die Patientin im Ruhezustände 
zwar zitterte, daß aber das Zittern fehlte, wenn sie sich gut stützte, und daß es nach¬ 
ließ, wenn man ihre Aufmerksamkeit ablenkte. Sie zeigt die Parkinson sehe 
Attitüde, „taut aber auf“ bei unwillkürlichen Bewegungen und wenn sie sich nicht 
beobachtet fühlt. Sie zeigt eine gewisse Propulsion, indem sie behauptet, es ziehe 
sie etwas nach vorn, aber man erkennt leicht, daß es sich nicht um eine Propulsion, 
sondern um Astasie-Abasie handelt. Bei der Revision der Anamnese stellte es sich 
heraus, daß sie um das 20. Lebensjahr wegen einer anderen Krankheit in einem 
Krankenhause behandelt wurde, wo sie neben einer Patientin mit echter Paralysis 
agitans lag. 

Müller de la Fuente sah eine 28jährige Engländerin, die ihre an Schüttel¬ 
lähmung leidende Mutter bis zu deren Tode gepflegt und irgendwo gelesen hatte, 
daß die Schüttellähmung erblich und ansteckend sei. Nach dem Tode der Mutter 
bekam sie bald einen Tremor der rechten Hand, der an jenen bei der Parkinsonschen 
Krankheit erinnerte, ohne Muskelrigidität und Propulsion; hierbei machte sie bald 
ein lachendes, bald ein weinendes Gesicht. Das Zittern blieb einige Jahre unver¬ 
ändert, doch gelang es schließlich dem Autor, die Patientin durch Suggestionsbehand¬ 
lung vollständig zu heilen (1909). 

Flat au beschrieb (1905) einen Tremor der oberen Extremitäten bei einem 
42 jährigen Fräulein, das die Treppe herabstürzte, vorwiegend auf die rechte Körper¬ 
hälfte auffiel, den rechten Oberarm brach und das Bewußtsein verlor; nach einigen 
Monaten bekam die Patientin einen Tremor der rechten Oberextremität, der im 
Ruhezustände auftrat und bei Bewegungen verschwand, um erst eine Weile nach 
längst vollendeter Bewegung wieder zu erscheinen; später war er auch an der linken 
Oberextremität vorhanden. Symptome der Parkinsonschen Krankheit fehlten; 
man konnte nur eine Hysteroneurasthenie diagnostizieren. Aber der Tremor war 
rascher als bei der Parkinsonschen Krankheit und etwas unregelmäßig. 

Weitzenmiller beobachtete bei einem Nietenmacher einen langsamen 
Tremor der rechten Oberextremität, der im Ruhezustände und bei Intention gleich 
und regelmäßig war und 3,5—4,5 Wellen in der Sekunde besaß. Das übrige Bild 
der Schüttellähmung fehlte (1910). (Siehe auch „mechanisches Zittern“.) 

Die übrigen Fälle, die als Paralysis agitans hysterica publiziert wurden, 
sind nicht mehr ganz rein: es kann sich da teils um eine Kombination handeln, 
teils ging eine so schwere Verletzung voran, daß nicht jede Beteiligung organischer 
Gehimläsionen vollkommen ausgeschlossen werden kann. 

Ren du (1889, Soc. möd. des H6p. zit. Laroche): Der 58 jährige Patient 
hatte einen Tremor seit einem Iktus organischen Charakters; der Tremor fand nur 
in den Metakarpalgelenken der oberen Extremitäten statt, war klein, rhythmisch. 



70 


Erster Teil. 


auch im Ruhezustände vorhanden und hörte den ganzen Tag nicht auf. Das Ge¬ 
sicht des Kranken war starr wie eine Maske, die Finger waren halb flektiert. Das 
Zittern dauerte 3—4 Wochen und verschwand zeitweise ganz, einmal setzte es 
sogar 6 Monate aus. Der Kranke hatte vor 15 Jahren einen apoplektischen Insult 
mit nachfolgender sensitiver und motorischer Hemiplegie und 4 Iktus, bei denen er 
das Bewußtsein verlor, sich in die Zunge biß und den Ham unter sich ließ und nach 
denen sich stets ein intensiver Tremor vorwiegend der oberen Extremitäten ein- 
stellte. Außerdem hatte er am Körper inselförmige Anästhesien, konzentrische 
Gesichtsfeldeinengung, monokuläre Diplopie, Achromatopsie, Mikropsie. 

Demnach handelte es sich hier um einen Kranken, der zwar an Hysterie, 
aber auch an einer organischen Gehimläsion litt und bei dem eine echte Schüttel¬ 
lähmung nicht ausgeschlossen werden konnte. 

B oinet (reproduziert von Böchet): Der 32 jährige Mann wurde vor 11 Jahren 
als Soldat auf der Wache von Tigern angefallen und bekam darauf einen hysterischen 
Anfall, der sich stets nach mehreren Tagen wiederholte. Seither ist er fortwährend 
krank. Vor zwei Jahren hatte er einen Anfall mit Tic des Kopfes und der linken 
Gesichtshälfte. Im Liegen war der Patient ganz ruhig und zitterte nicht. Sobald 
er sich aufsetzte, begann die linke Gesichtshälfte langsam zu zittern, es zitterten 
ferner der linke Vorderarm, die Hand, die Finger, die Lippen, der Kopf (nein — nein) 
mit einer Geschwindigkeit von 1*4 Wellen in der Sekunde; mit derselben Schnellig¬ 
keit vollführte die linke Hand Bewegungen mit einer Amplitude von 20 cm; gleich¬ 
zeitig vollführte die rechte Hand eine automatische Bewegung wie zum Abwischen 
der Nase zehnmal in der Minute. Der Kranke zeigte eine imgeheuere Propulsion und 
Retropulsion. Außerdem hatte er eine linksseitige sensitivo-sensorielle Lähmung. 
Nach der Suspension trat eine rasche Besserung ein, aber der Kranke entzog sich 
der weiteren Behandlung. 

Der Autor diagnostiziert selbst eine Kombination der Hysterie (Tremor, 
Chorea rhythmica) mit Tic und larviertem Parkinson. 

Ewart beschrieb eine 42jährige Frau mit einem Tremor „wie bei Paralysis 
agitans“, der die rechte Körperhälfte betraf und unter Behandlung verschwand, 
weshalb der Autor Hysterie annahm. Böchet, der den Fall neuerdings analysierte, 
hat Verdacht auf eine Intermission bei Paralysis agitans vera, weil die Krankheit 
mit Schmerzen und Schwächegefühl in den rechtsseitigen Extremitäten begann, 
worauf sich erst das Zittern einstellte, so daß der Beginn viel eher für Schüttel¬ 
lähmung als für Hysterie spricht. 

Der Fall Greidenbergs ist ebenfalls nicht ganz klar (zit. von Valentin 
und reproduziert von Buchet): 

Ein 21 jähriger Mann bekam nach einem großen Schrecken einen ziemlich 
raschen Tremor der Oberextremitäten im Ruhezustände, der sich bei Intention ver¬ 
stärkte. Dabei war die Muskulatur starr, die Finger nahmen eine Stellung wie bei 
der Federhaltung ein, der Kranke konnte nur schwer aufstehen und sein Kopf 
zitterte langsam. Außerdem fand sich Anästhesie des ganzen Körpers und Verlust 
des Geruches und des Geschmackes. 

Der Autor nim mt selbst eine Kombination der Hysterie mit echter Schüttel¬ 
lähmung an. (Der rasche Tremor der Hände wäre allerdings dem hysterischen 
Syndrom zuzuzählen.) 

Wir beobachteten einen analogen Fall mit zwei Arten von Tremor, einem 
feinen, raschen (hysterischen) und einem langsamen, bei Intention schwindenden, 
wo wir Verdacht hatten auf eine Kombination des hysterischen Tremors (wie 
beim Nervosismus überhaupt) mit beginnender Paralysis agitans. 

7. Nr. 18 303/04. Hl. J., 63jähriger, aus gesunder Familie stammender Tag¬ 
löhner, der früher stets gesund war. Am 5. September fiel er samt dem Gerüste 
aus einer Höhe von 2 m auf das Gesäß, wobei ihn ein Balken über den linken Fu߬ 
rücken traf. Er blieb etwa eine halbe Stunde bewußtlos liegen. Drei Tage nach dem 



Neurosen und Psychosen. 


71 


Unfall begann der ganze Körper zu zittern und zwar sowohl im Ruhezustände, als 
auch bei Bewegungen, bei denen da« Zittern noch zunahm. Seither hat das Zittern 
nicht aufgehört. Der Kranke muß mit beiden Händen essen und trotzdem fällt 
ihm oft der Bissen vom Löffel. Andere Beschwerden hat er nicht. Von Hitzegefühl, 
Schwindel u. dgl. wird er nicht gequält. 

Der Kranke trat am 7. Dezember 1904 in klinische Behandlung. Ich fand 
einen ziemlich gut genährten Mann mit einem eigentümlichen, bewegungslosen Ge¬ 
sichtsausdruck, ohne jede Mimik; die Stirn war in wellenförmige Querfalten gelegt, 
die Nasolabialfalten w T aren tief eingezogen. Die Zunge wurde mit Mühe vorgestreckt. 
Die Mm. cucullares und die Muskeln der Schultergegend schienen etwas rigid zu sein, 
aber nicht bei passiven Bewegungen. 

Bei ruhigem Stehen zitterten die Oberextremitäten in ihrer Gänze grob, 
langsam, in den Schultergelenken (Rotation), den Ellbogengelenken (selten: Pro- 
nation und Supination) und in den Handgelenken (Adduktion und Abduktion, 
Flexion und Extension). Zeitweise hörte das Zittern vollständig auf, bisweilen wurde 
es aber, speziell wenn der Kranke seine Aufmerksamkeit anspannte, besonders 
grob; dasselbe war der Fall, w r enn es der Kranke unterdrücken wollte. Intendierte 
Bewegungen mildem das Zittern, doch erscheint dasselbe nach erreichter Intention 
wieder. Beim Zusammendrücken des Dynamometers hört es auf. Bei der für 
Paralysis agitans charakteristischen Körperhaltung zittern nach einer längeren 



Fig. 51. 


Weile auch die unteren Extremitäten und die oberen zittern sehr intensiv. Im 
Schlafe verschwindet das Zittern. Auch der Kopf bewegt sich rhythmisch (ja — ja, 
nein — nein). In ähnlicher Weise zittert auch die vordere Bauch w’and rhythmisch 
(zeitweise). Die Patellarreflexe sind bedeutend gesteigert. Pseudoklonus der 
Achillessehne. Die Plantarreflexe sind sicher normal. Hautreflexe normal. Sensi¬ 
bilität normal. Ophthalmoskopischer Befund normal. Da sich der Zustand nicht 
änderte, verließ der Kranke nach fünftägigem Aufenthalte die Klinik. 

i Bei der Registrierung des Zitterns fanden wir einen doppelten Tremor: der 
eine bestand aus kleinen, ungleichen, groben Wellen, 5 in der Sekunde, die bei Inten¬ 
tion aufhörten, der andere war fein, klein, ungleich, dauernd und besaß 8 Wellen 
in der Sekunde. Propulsion und Retropulsion waren nicht nachweisbar (Fig. 51). 

Hier müssen auch die beiden Fälle Oppenheims angeführt werden: 

Im ersten Falle handelte es sich um einen 57 jährigen Mann, der auf den Kopf 
gefallen war, das Bewußtsein verloren hatte, einen Bluterguß aus dem Ohre und 
Kribbeln in der rechten Körperhälfte hatte, die auch etwas schwächer war. In den 
geschwächten rechtsseitigen Extremitäten trat unregelmäßiges Zittern auf. Nach 
4 Wochen war der Zustand des Verletzten so sehr gebessert, daß dieser wiederum 
seiner Beschäftigung (als Diener) nachgehen konnte; das Zittern soll ganz unbe¬ 
deutend gewesen sein. Nach 2% Jahren trat die Schwäche der rechtsseitigen Extre¬ 
mitäten wiederum auf und an der Hand steigerte sich das Zittern zu langsamen 
Pronationen und Supinationen, Flexionen und Extensionen, deren Zahl 3—4 in der 
Sekunde betrug, die im Ruhezustände vorhanden waren, sich bei Intention nicht 
änderten und erst gegen das Ende der Intention an Größe Zunahmen. Auch der 
Kopf zitterte. Gleichzeitig nahm die Sehkraft ab, der Kranke bekam Schwindel 





72 


Erster Teil. 


und man konstatierte eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung für Farben, 
besonders rechts, Abnahme des Geschmacksinnes auf der rechten Zungenhälfte, 
Hypästhesie auf den Handrücken. Bald entwickelte sich eine Starre der Physio¬ 
gnomie, eine Starre der Muskeln, die aber bei passiven Bewegungen unbedeutend 
war; die Hand nahm die Stellung wie bei der Federhaltung ein und der Kranke ging 
mit ganz kurzen Schritten. Nach einer einmonatlichen Behandlung mit Tinctura 
veratri verschwand die Muskelstarre. 

Der zweite Fall betraf einen 42jährigen Mann, der einen so heftigen Schlag 
in die linke Schläfe erhielt, daß er bewußtlos wurde. Darauf bekam er ein allgemeines 
Zittern, über dessen Details nichts bekannt ist. Eine lange Reihe von Jahren 
etwa 15 Jahre, dauerte das Zittern der Extremitäten und des Kopfes, ja, es wurde 
sogar stärker und erschwerte dem Kranken das Gehen, so daß dieser sich auf einen 
Stock stützen mußte. Seine Sprache wurde schwerfällig und langweilig. Nach 
Jahren fand ihn der Autor reizbar, niedergedrückt, weinerlich. Den Kopf hielt der 
Kranke nach links geneigt; der Kopf zeigte ein leichtes, rhythmisches Zittern. Die 
Hände nahmen die Stellung wie bei der Federhaltung ein und zitterten langsam. 
Bei Ablenkung der Aufmerksamkeit (Perimetrieren) hörte das Zittern auf. Auch 
am Bauche und an den unteren Extremitäten bemerkte man rhythmische Erschütte¬ 
rungen. Der Kranke ging langsam, unter stärkerem Zittern, nach vom geneigt, 
er sprach langsam, weinerlich, zeitweise aber wieder ganz fließend. Muskelstarre 
fehlte. Das Gesichtsfeld war konzentrisch eingeengt, mehr links als rechts. 

Oppenheim zögerte mit seiner Diagnose, entschied sich aber für trauma¬ 
tische Hysterie aus dem Grunde, weil keine Muskelstarre vorhanden war und weil 
das Zittern im ersten Falle verschwand und sich im zweiten Falle trotz der 
langjährigen Dauer nicht verschlimmerte. 

Mendel beobachtete eine 63jährige Frau, die seit ihrem 57. Lebensjahre 
nach einer Emotion an Zittern der rechten Oberextremität litt und das Bild der 
Parkinsonschen Krankheit darbot, aber mit einem groben Intentionsschleudem, 
mit auffallender Propulsion und Retropulsion, wobei aber die Kranke nicht stürzte, 
sondern nur lief; gleichzeitig hatte sie hysterische Symptome. 

Ich wiederhole also, daß die Zahl der echten Fälle von Paralysis agitans 
hysterica klein ist, wenn wir nicht mit Pitres annehmen wollen, daß jene 
Schüttellähmungen, die nach dem Erschrecken entstehen, eo ipso hysterisch 
sind, und wenn wir uns zum Beweise dessen, daß die Schüttellähmung hysterisch 
ist, nicht damit begnügen, daß wir hysterische Stigmata konstatieren können 
(wie es ebenfalls Pitres getan hat). Selbst bei jenen unstreitigen Fällen haben 
wir gesehen, daß die Ähnlichkeit mit der Parkinsonschen Krankheit nur ober¬ 
flächlich war. 

Vielleicht könnte man den einen oder anderen jener Fälle, welche als 
traumatische Schüttellähmung beschrieben wurden, mit Recht zur Hysterie 
rechnen, so z. B. in der These von Vandier obs. IV bei einer 45 jährigen Näherin 
nach einem Stich in den Finger, vielleicht auch einige der 54 von Walz ge¬ 
sammelten Fälle; so z. B. gleich seine eigene (nicht ganz prägnant beschriebene) 
Beobachtung: 61 jähriger Mann, dem ein 30 kg schwerer, aus Säcken bestehender 
Ballen auf den Kopf fiel, so daß er ohnmächtig wurde; als er erwachte, waren 
seine Hände und Füße zittrig und er hatte seither einen Tremor der Hände, 
speziell der rechten Hand, sowohl im Ruhezustände als auch bei Intention, 
ja sogar auch im Schlafe (?). Auch der Kopf zitterte. Er ging nach vom ge¬ 
neigt, hatte aber keine Rigidität. 

* * 

* 



Neurosen und Psychosen. 


73 


Wir beobachteten noch zwei Fälle eines langsamen Händetremors im 
Ruhezustände ; im ersten Falle bestand der dringende Verdacht auf Simulation, 
im zweiten Falle offenbarte sich der hysterische Charakter dadurch, daß der 
langsame Tremor verschwand und der Kranke nach vier Jahren einen vibra¬ 
torischen Tremor der Hände und hysterische Symptome aufwies. 

8. Posttraumatischer, monoplegischer, langsamer Tremor in der 
Ruhe und bei Intention. 

Nr. 2833/05. J. S., 64jähriger Maurer, stammt aus gesunder Familie, war 
stets gesund. Verdacht auf Alkoholismus. Fiel am 7. Mai 1904 aus einer Höhe von 
4y 2 m auf die rechte Körperseite und verlor das Bewußtsein. Er hatte sich nicht ver¬ 
letzt, nur schmerzte ihn der Körper. Nach 3—4 Wochen begann die rechte Ober¬ 
extremität zu zittern und zwar sofort in ihrer Gänze und den ganzen Tag über ohne 
Unterbrechung. Seither hat das Zittern nicht aufgehört, so daß der Kranke arbeits¬ 
unfähig ist. Im Schlafe ist die Hand ruhig. Die Füße sind in Ordnung. Der Kranke 
trat am 20. Februar 1905 in die Klinik ein und hier fand man als einziges patholo¬ 
gisches Symptom einen groben, langsamen, gleichmäßigen Tremor der rechten Ober¬ 
extremität. Derselbe besteht aus Flexion und Hemiextension im Ellbogengelenk 



Fig. 52. 


oder außer Exkursionen in diesem Gelenke aus Flexion und Extension, Abduktion 
und Adduktion im Metakarpalgelenk. Dieses Schütteln dauert den ganzen Tag 
und verstärkt sich, wenn der Kranke weiß, daß er untersucht werden soll. Wenn 
man ihn auffordert, still zu stehen, schüttelt er den ganzen Körper. Der Kranke 
vermag das Zittern auf keine Weise zu unterdrücken, sondern dasselbe wird durch 
einen jeden derartigen Versuch nur noch verstärkt. Doch hindert das Zittern den 
Kranken nicht, die Bänder seiner Unterhosen zu knüpfen und zu lösen, wenn er 
nicht beobachtet wird; fordert man ihn jedoch hierzu auf, bringt er dies nicht zu¬ 
stande — das Zittern wird stärker und die Atmung schneller. Die Muskelkraft 
der rechten Hand ist minimal (E. D. 1. 25 kg, r. 5 kg). Bei Nacht hörte das Zittern 
auf. Im übrigen bestanden weder Symptome einer organischen Läsion, noch hyste¬ 
rische Stigmata. Der Kranke wurde nach drei Tagen in unverändertem Zustande 
entlassen. Auf der Kurve sieht man den beschriebenen Tremor, der sich bei Intention 
nicht veränderte, außer daß die Intention einmal durch niedrigere Wellen ange¬ 
deutet ist; er war regelmäßig und bestand aus 5 Wellen in der Sekunde (Fig. 52). 
Der Kranke erweckte den Verdacht auf Simulation. 

9. Hysteria posttraumatica. Tremor, vor vier Jahren langsam, 
nach vier Jahren schnell, in der Ruhe und bei Intention gleich. 

N. Fr., 51 jähriger Flößer, erlitt im Jahre 1906 auf dem Floß einen Unfall. 
Seit dieser Zeit geht er nach vom gebückt. Zwei Monate später zeichneten wir von 
ihm im Ruhestande einen langsamen Tremor der Hände von 5 Wellen in der Sekunde, 
der zeitweise vollständig verschwand (Fig. 53). Nach vier Jahren kam er neuer- 

















































74 


Erster Teil. 


dings in die Klinik und da konstatierte man den in dem Abschnitte über den vibra¬ 
torischen Tremor unter 6. beschriebenen Zustand (Fig. 50). 

d)MonoplegischerTremor, am häufigsten nach Traumen. Wir kennen 
bei hysterischen Personen noch einen anderen, ziemlich charakteristischen 
Tremor der oberen Extremität (im Ruhezustände): Es ist dies ein monoplegischer 
Tremor einer Hand, der schneller ist als jener beider Parkinson sehen Krankheit 




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Fig. 53. 


und der nicht mit einem an diese Krankheit erinnernden Bilde einhergeht, 
sondern sich nur an einer Hand bei normalem physischen Allgemeinzustand, 
oft wie ein wahrer symptomatologischer Fremdkörper, oft fast monosymptoma¬ 
tisch abspielt, der sich durch Intention und zwar manchmal sehr grob verstärkt 
und mit Vorliebe nach einem Trauma auf der verletzten Hand oder auf der 
Hand der vom Trauma betroffenen Körperseite auf tritt. Er ist so typisch, daß 
er als Prototyp des „traumatischen 44 Zitterns hingestellt wurde. Er kombiniert 
sich gern mit Zittern der unteren Extremitäten beim Gehen, das wiederum einen 
charakteristischen Typus der sogenannten pseudospastischen Parese mit Tremor 
bildet, bei der es ziemlich häufig erwähnt wird. 

Einen typischen Fall dieser Art beschrieb schon im Jahre 1875Neubert; 
an diesem Falle dokumentierte sich deutlich die Verwandtschaft dieser Tremor- 
fomi mit dem intermittierenden Intentionstremor (type Ren du), denn der 
Tremor ging unbemerkt in diesen Typus über; nur handelt es sich beim Typus 
Rendu nicht um ein rein monoplegisches Syndrom. (Siehe die Krankheits¬ 
geschichten des Typus Rendu.) 

Der Fall betraf einen 11jährigen Knaben, der beim Schreiben von seinem Nach¬ 
bar in den rechten Arm gebissen wurde. Unmittelbar darauf bekam er ein Zittern 
des rechten Vorderarms, das — außer im Schlafe — ohne Unterbrechung anhielt 
und das Schreiben und Essen mit dem Löffel unmöglich machte. Nach 6 Tagen 
konstatierte der Autor bei dem Knaben kurze Pausen ohne Zittern, die während der 
folgenden Wochen immer länger wurden. Sodann hörte das Zittern auch bei mehr 
weniger automatischen Verrichtungen auf (Klopfen an die Türe, Schließen der 
Knöpfe). Nach mehreren Monaten hörte das Zittern oft für Stunden auf; sobald 
aber von der Affektion gesprochen wurde oder der Patient auf Befehl eine Bewegung 
ausführen sollte, zitterte er neuerdings. Nach 2 y 2 Jahren traf ihn der Autor ganz 
gesund an. 

Dutil führt unter seinen „mannigfachen“ Formen vier Fälle ähnlichen 
Charakters an (Obs. XIV, XV, XVI, XVII). 

Eine 28 jährige, durch langdauemde Tätigkeit im Geschäft herabgekommene 
Patientin wurde trübsinnig, traurig, begann aus dem Schlafe zu schreien und wurde 
von zooptischfcn Träumen geplagt, bis sie typische hysterische Anfälle bekam, derent¬ 
wegen sie die Salpetriöre aufsuchte. Nach einem solchen Anfalle entstand Zittern 
der rechten Oberextremität, das sich während einer dreimonatlichen Beobachtung 
nicht änderte. Es handelte sich um regelmäßige Flexionen und Extensionen, Abduk- 







Neurosen und Psychosen. 


75 


tionen und Adduktionen im Karpalgelenk im Ruhezustände, 6 y 2 —7 in der Sekunde; 
beim Strecken der Hand wurde das Zittern stärker, bei Erregungen traten chorei- 
forme Bewegungen der Extremität hinzu. Vor und nach dem Anfalle war das 
Zittern konstant, im ruhigen Intervall kamen manchmal Intermissionen von 1 l / 2 bis 
2 Minuten Dauer vor, aber auch während dieser trat bei Intention das Zittern auf. 
Die Kranke besaß zahlreiche Stigmata. Durch Druck auf die Ovarien ließ sich das 
Zittern nicht unterdrücken, sondern im Gegenteil, es trat zugleich mit einer Aura 
ein stärkerer Tremor auf, so daß die Kranke, die eine schöne Handschrift besaß, 
nicht schreiben konnte. 

Ein 42jähriger Schlafwagenkondukteur. Im 18. Lebensjahr Trauma gegen 
ein Schulterblatt. 1870 Schußwunde in die Wade ohne Folgen. Nach einer ein¬ 
jährigen Dienstzeit bei der Eisenbahn stieß im Jahre 1880 sein Schnellzug mit einem 
Expreßzug zusammen. Der Kranke stürzte, verlor das Bewußtsein, erhob sich aber 
wieder und da er nur oberflächliche Verletzungen erlitten hatte, leistete er zwei 
Stunden lang Hilfe. Hierauf begab er sich zur Ruhe, konnte aber infolge Angst 
nicht schlafen. Während der folgenden Tage hatte er neurasthenische Symptome, 
bei Nacht schreckhafte Träume und zooptische Halluzinationen. Nach einem 
Monat trat er seinen Dienst wieder an, machte aber im Zuge die Beobachtung, daß 
er wegen Zitterns der rechten Hand nicht schreiben konnte. Gelegentlich einer 
neuen Fahrt verstärkte sich das Zittern, es entstand Schwäche der einen Körperhälfte 
und zu Hause bekam er einen hysterischen Anfall, den er bei einer Nachbarin ge¬ 
sehen hatte. C har cot fand in der Klinik die Symptome der Hysterie und einen 
auf die rechte Oberextremität beschränkten Tremor im Ruhezustände, regelmäßig, 
6—6 y 2 in der Sekunde, bestehend in Flexion und Extension; beim Schwören und bei 
Druck auf die hysterogenen Zonen war der Tremor gröber. Im Ruhezustände waren 
zeitweise Intermissionen vorhanden. Nach einem Anfall war das Zittern so stark, 
daß der Kranke weder essen, noch die Knöpfe schließen konnte. (Dieser Fall wurde 
auch von Charcot beschrieben.) 

Eine 10jährige Näherin, deren Mutter und Tante nervös sind. Vor 6 Monaten 
wurde sie von einem Fiaker umgestoßen, ohne daß sie eine Verletzung erlitten hätte. 
Eine Stunde später zitterte sie zu Hause ein wenig. Während der folgenden Tage 
bestanden unbestimmte Beschwerden. Darauf bekam sie eines Nachmittags ohne 
jede Ursache bei der Arbeit ein Zittern der rechten Hand, das nach einer Stunde 
so intensiv wurde, daß sie nicht weiter arbeiten konnte. Seit dieser Zeit bestanden 
fortwährende Flexionen und Extensionen der rechten Hand, 5—5 l / 2 in der Minute, 
regelmäßig, bei der Extension kleiner und schneller. Bei Anspannung der Aufmerk¬ 
samkeit oder bei Ablenkung derselben hörte das Zittern manchmal auf. Zahlreiche 
Stigmata, hysterische Anfälle. Sie wurde in der Ambulanz der Salpötriöre ohne Er¬ 
folg behandelt. 

Ein 22jähriger Gehilfe aus psychopathischer jüdischer Familie. Im Jahre 
1885 kam einmal der Vater bei Nacht betrunken nach Hause und lärmte. Am 
Morgen hatte der Kranke beim Erwachen überall Kontrakturen, die nach 3 Monaten 
plötzlich verschwanden. Seit 1880 hysterische Anfälle. 1887 hatte er wiederum 
Kontrakturen, einmal 8, das zweitemal 14 Tage lang, die nach einem Anfall ver¬ 
schwanden. Nach einem Anfall entwickelte sich eine rasch fortschreitende Atrophie 
der rechten Hand und des Vorderarms, die sich nicht mehr besserte. Nach einem 
Anfall entstand jedesmal an der rechten Hand ein Tremor, der aus kleinen Flexionen 
und Extensionen bestand, &y 2 —9 1 / 2 Schwingungen in der Sekunde machte, einige 
Stunden oder Tage dauerte und sodann langsam verschwand. Auch am Fuße zeigte 
sich nach den Anfällen ein Tremor von 0 Wellen in der Sekunde, der mehrere Stunden 
dauerte und nur bei statischer Innervation vorhanden war. Von einer hysterogenen 
Zone ließ sich der Anfall sofort auslösen, doch blieb derselbe ohne Einfluß auf den 
vorhandenen Tremor. Patellarreflexe gesteigert. 

Wir beobachteten zwei derartige Fälle bei nichttraumatischer und acht 
bei traumatischer Hysterie. 



76 


Erster Teil. 


10. Grober, posttraumatischer, monoplegischer Tremor. Heilung 
durch Hypnose. Hysterie. 

363/07. Kn. V., 29jähriger Zuckerfabriksarbeiter. Stammt aus gesunder 
Familie, war nie nervenkrank. Trinkt täglich 1 y 2 Liter Bier und um 20 Heller 
Schnaps. Am 29. November 1906 wurde er beim Abladen der Rüben durch das 
Türchen des Rübenwagens gegen die rechte Schulter und den Arm getroffen und 
stürzte in eine etwa 2 m tiefe Grube, wo er auf die rechte Körperseite auffiel. Er 
erhob sich und arbeitete weiter, aber bald begann die Extremität anzuschwellen und 
zu schmerzen. Er hörte auf zu arbeiten. Bei seiner Ankunft in der Klinik am 
7. Januar 1907 fand man keine Symptome einer organischen Verletzung des Nerven¬ 
systems. Die linke Oberextremität, die normal beweglich war, zeigte bei Extension 
einen feinen Tremor. Die gesamte Muskulatur der rechten Oberextremität war 
rigid; weder aktive, noch passive Bewegungen waren wegen der allerdings schmerz¬ 
losen Muskelspannung möglich. Bei Intention verfällt die rechte Oberextremität 




Fig. 54. 

in Zittern. E. D. rechts 0, links 25 kg. Die Sensibilität war unverändert. Das 
Gesichtsfeld war für alle Farben bedeutend konzentrisch eingeschränkt. Nach einigen 
hypnotischen Suggestionsversuchen verschwanden die Kontrakturen und der Tremor 
im Ruhezustände, bei Intention war das Zittern unbedeutend (12. Januar 1907). Die 
Kurve veranschaulicht den groben, regelmäßigen Tremor der gestreckten rechten 
Oberextremität am zweiten Tage des klinischen Aufenthaltes. Wir zählen konstant 
7 Wellen in der Sekunde (Fig. 54). 

11. Posttrau matischer, monoplegischer, u n re ge 1 mäßiger, in¬ 
konsequenter Tremor bei Simulation. 

F. M., 40 Jahre alt, aus gesunder Familie stammend, war früher stets ge¬ 
sund. Am 18. August 1902 erlitt er eine Quetschung des linken II. und III. Fingers; 
in der chirurgischen Klinik soll von einer Sehnenzerreißung die Rede gewesen sein. 



55 


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Fig. 55. 


Seither kann er nicht arbeiten, da er manchmal in den Fingern der linken Hand 
Schmerzen empfindet, manchmal die linken Finger nicht krümmen und die linke Hand 
nicht bewegen kann. Am 2. Dezember 1902 wurde er in der Ambulanz der Klinik 
untersucht. Der II. und III. Finger der linken Hand waren unbeweglich gestreckt ; 








Neurosen und Psychosen. 


77 


keine Ankylose, keine Muskelatrophie, keine Symptome einer organischen Läsion 
des Muskel- oder Nervensystems. Bei passiver Bewegung der genannten Finger 
setzt der Kranke starken Widerstand entgegen. Bei Faradisation der Flexoren be¬ 
wegen sich die Finger leicht und ohne Widerstand. Auch bei Faradisation eines 
für die Bewegung suggerierten Punktes, der ganz außerhalb der Flexion liegt, be¬ 
wegen sie sich ohne Widerstand. Mit dem Dynamometer überrascht, drückt er 
links 16 kg, rechts 26 kg. Die linke Oberextremität ist ganz schlaff; passiv erhoben 
und losgelassen, hält sie eine Weile aus, sinkt dann herab und schlägt gegen den 
Körper an. An der linken Hand ist zeitweise ein Tremor vorhanden, der sich bei 
Innervation verstärkt; beim Drücken des Dynamometers ist er manchmal vor¬ 
handen, manchmal fehlt er. Nach Faradisierung „kehrte“ die Möglichkeit zu 
flektieren zurück, aber der Kranke gab an, daß er wegen Schmerzen nicht arbeiten 
könne. Die Kurve veranschaulicht einen ungleichen, unregelmäßigen Tremor 
von 7—8 Wellen in der Sekunde, der bei länger dauernder Registrierung gröber 
wird — dies alles bei statischer Innervation (Fig. 55). 

12. Posttraumatischer, monoplegischer Tremor im Ruhezustände 
und bei Intention. Adynamie der Hand. Simulation? 

Z. 1898/05. J. A., 42jähriger Porzellanfabriksarbeiter, stammt aus gesunder 
Familie, war früher stets gesund. Am 10. September 1904 trug er aus dem Keller 
40 kg Porzellanmasse auf der rechten Schulter, rutschte hierbei aus, fiel auf das rechte 
Ellenbogengelenk und erlitt einen Bruch, dessentwegen er die Extremität etwa 


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Fig. 56. 

5 Wochen im Gipsverband trug. Nach Abnahme des Verbandes zitterte diese Extre¬ 
mität. Seit dieser Zeit zittert sie fortwährend und ist sie so schwach, daß er kaum 
essen kann. Andere Beschwerden existieren nicht. In der Klinik wurde konstatiert, 
daß der Patient geistig und körperlich gesund ist. Keine Symptome einer organischen 
Läsion des Nervenmuskelsystems, keine hysterischen Stigmata, keine Muskelatrophie, 
normale elektrische Erregbarkeit. Der Untersuchte vollführt alle Bewegungen der 
rechten Oberextremität schlaff, langsam, nicht auf einmal; bei manchen Bewegungen 
zittert die Hand, bei anderen nicht, es besteht diesbezüglich keine Beständigkeit 
oder Regelmäßigkeit. Bei der physikalischen Untersuchung zitterte die Hand nicht; 
sobald aber der Kranke aufgefordert wurde, die Hand des Arztes zu drücken, verfiel 
seine rechte Hand in einen schnellen, feinen Tremor. Im Ruhezustände vollführte 
die Hand feine Flexionen und Extensionen im Karpalgelenk, manchmal auch Rota¬ 
tionen der Extremität. Bei intendierten Bewegungen nahm das Zittern langsam 
zu. Bei passiven Bewegungen bestand eine beträchtliche Rigidität der Muskeln 
der rechten Hand; doch verschwand die Rigidität, wenn dem Kranken ein Rechen- 
exempel zur Lösung aufgegeben wurde, und stellte sich wieder ein, wenn die Auf¬ 
gabe gelöst war. Beim Zusammendrücken des Dynamometers, das fast ohne jeden 
dynamometrischen Effekt bleibt, ist die Extremitätenmuskulatur unüberwindlich 
gespannt. Als Patient bemerkte, daß er von den klinischen Pflegerinnen beobachtet 
wurde, begann er mit der linken Hand zu essen. — Auf den Kurven zählt man 
7—8 regelmäßige Wellen in der Sekunde, mag die Hand frei herabhängen oder auf 
den Oberschenkel gestützt sein (Fig. 56). 





78 


Erster Teil. 


13. Posttraumatischer, monoplegischer Tremor einer Hand im 
Ruhezustände und bei Intention. Irradiation des Tremors. 

Z. 3457/03. Ch. J., 44jähriger, aus gesimder Familie stammender Maurer, 
der früher stets gesund war. Am 28. Juni 1902 zog er, in einem Fenster des zweiten 
Stockwerkes stehend, an einem Seil einen Balken in die Höhe; plötzlich knackte 
es ihm im Kreuz (so laut, daß es die Nachbarn hörten), und er empfand sofort Schmer¬ 
zen im Kreuze und um den Gürtel; er verließ die Arbeit, stieg hinab; unten ange¬ 
kommen bemerkte er ein Zittern der rechten Oberextremität. Am Abend bekam er 
Diarrhöe und seither hat er 8—10 diarrhoische Stühle täglich. Am nächsten Tage 
ging er wieder auf die Arbeit, aber das Zittern war stärker und die Schmerzen im 
Kreuze und um den Gürtel gestatteten ihm nicht, sich aufzurichten. Er legte sich 
ins Bett, ging nach zwei Tagen wieder auf die Arbeit und dies wiederholte sich 
mehrmals. Das Zittern und die Schmerzen verschwanden nicht mehr. Manchmal 
zitterte auch die linke Hand. Das Zittern der rechten Hand wird manchmal ge¬ 
ringer, manchmal wieder stärker und besteht in geringem Grade sogar im Schlafe. 
In der Klinik erschien der Kranke am 3. März 1903. Hier konstatierte man außer 
einem chronischen Bronchialkatarrh keine Symptome irgend einer organischen 
Läsion. Die Sensibilität war normal. Das Gesichtsfeld war um die Hälfte kon¬ 
zentrisch eingeengt. Vanysek beschrieb in der Krankheitsgeschichte sehr plastisch 
die Eigentümlichkeiten des Zustandes: Der Kranke steht fortwährend mit nach 
vorn geneigtem Körper und wenn die Hände frei am Stamme herabhängen, schwingt 



Fig. 57. 


die rechte Oberextremität in ihrer Gänze schnell im Sinne der Rotation des Ober¬ 
arms, der Pronation und Supination des Vorderarms, der Flexion und Extension 
desselben und der Flexion und Extension, Abduktion und Adduktion im Karpal 
gelenk. Die Finger zittern nicht individuell, sondern folgen, mäßig gekrümmt, wie 
tote Anhängsel allen Bewegungen der Extremität; nur der Daumen vollführt hier 
und da eine selbständige Adduktion und Abduktion. Wenn der Kranke versucht, 
diese Bewegungen einzustellen, oder wenn wir dies selbst versuchen, indem wir die 
rechte Oberextremität festhalten, werden die Bewegungen im Gegenteil gröber 
und heftiger und die Unruhe greift auf den Kopf über, der von vom nach hinten 
wackelt, und auch auf die unteren Extremitäten, die in den Hüft- und Kniegelenken 
kleine Exkursionen ausführen. Wenn der Kranke den genannten Versuch beim 
Gehen macht, überschreitet das Zittern nicht die rechte Oberextremität. Die 
Intention steigert diese Bewegungen zu groben Schwingungen: wenn sich der Kranke 
bei der Nase, beim Ohr fassen soll, zerrt er an denselben herum. Die Muskeln der 
zitternden Hand sind nicht krampfhaft kontrahiert. Die linke Oberextremität 
ist ruhig und vollführt ohne Zittern alle intendierten Bewegungen. Es ist inter¬ 
essant, daß. wenn der Kranke dieselbe Bewegung mit beiden oberen Extremitäten 
gleichzeitig ausführen soll, in diesen ein gleichmäßiges Intentionsschütteln auftritt. 
Es bestehen keine Symptome einer Wirbelsäulenläsion. 

Die beiliegende Kurve veranschaulicht den beschriebenen Tremor (Fig. 57). 
Wir sehen einen groben, heftigen, ausgesprochen allorhythmischen Tremor von 
etwa 8 Wellen in der Sekunde; größere Amplituden wiederholen sich periodisch. 
Nach Aussage der Oberwärterin zitterte die Hand in zarterWeise auch bei Nacht im 
Schlafe (?). Schmerzhafte Faradisation hatte keinen Erfolg und der Kranke verließ 
die Klinik ungebessert. 






Neurosen und Psychosen. 


79 


14. Traumatische Hysterie. Depressiver Zustand. Monople- 
gischer, grober, rascher Tremor im Ruhezustände und bei Intention. 

Z. 7530/03. N. J., 65jähriger Eisenbahndrechsler, aus gesunder Familie 
stammend. Vor 22 Jahren fiel ihm ein eisernes Rad auf das Knie. Er lag darauf 
eine Woche im Spital, konnte aber ein halbes Jahr nicht arbeiten. Vor 10 Wochen 
arbeitete er unter einer Lokomotive und schlug mit dem Vorderkopf so heftig an, 
daß er bewußtlos wurde. Die Wunde war nur eine oberflächliche. Seit dieser Zeit 
leidet er an Anfällen von zuckenden Schmerzen im Kopfe und es zittert die rechte 
Oberextremität. Manchmal hat er Schwindel. In der Klinik war er traurig, gab 
zögernde Antworten; die Auslösung und der Ablauf der Vorstellungen war sehr 
verlangsamt, die Erinnerung mangelhaft. Somatische Organveränderungen fehlten, 
ebenso Symptome einer organischen Läsion des Nervensystems. Die rechte Ober- 
extremität zitterte im Karpalgelenk im Sinne der Flexion und Extension, der Abduk¬ 
tion und Adduktion, der Pronation und Supination; das Zittern bestand im Ruhe¬ 
zustände und verstärkte sich bei Intention. Die Muskeln dieser Extremität und in 
der Umgebung der rechten Schulter waren kontrahiert und hoben sich scharf ab. 



Fig. 58. 


Die Nerven waren etwas druckempfindlich. Die rechte Hand und der rechte Fuß 
waren etwas schwächer; auf der rechten Körperhälfte war die Sensibilität herab¬ 
gesetzt; das Gesichtsfeld war beiderseits stark konzentrisch eingeengt. Der Tremor 
dauerte tagelang unverändert. Beim Versuche einzuschlafen, legte sich der Kranke 
auf den rechten Arm, um das Zittern zu unterdrücken. Seine Nachbarn behaupteten, 
er zittere auch im Schlafe. Ich kontrollierte ihn zweimal mit Erfolg (ohne daß er 
erwachte); das erste Mal lag er auf der rechten Schulter: die Hand lag ruhig neben 
dem Stamme, sie zitterte nicht. In diesem Momente erwachte der Kranke: die 
Hand blieb noch einige Sekunden ruhig, aber dann begann ein feiner, sehr schneller 
Tremor. Das zweite Mal, in der gleich darauf folgenden Nacht, lag der Kranke 
wiederum auf der rechten Schulter, er hatte die rechte Hohlhand unter der rechten 
Wange, mit der linken Hand zugedeckt. Ich deckte ihn vorsichtig auf und ergriff 
seine rechte Hand: dieselbe zitterte ein wenig; ich schob seine linke Hand beiseite 
und es zitterte die rechte; der Kranke schien weiter zu schlafen. Nur war es auf¬ 
fallend, daß er nicht erwachte, obwohl ich seine Hand bewegte, während er sonst 
sofort wach wurde. Wir sehen dieses Zittern auf der beigelegten Kurve: ein grober, 
rhythmischer, etwa 8 Wellen in der Sekunde betragender, allorhythmischer (wellen¬ 
förmiger), dauernder Tremor (Fig. 58). 

15. Anfälle eines vorwiegend monoplegischen Tremors im Ruhe¬ 
zustände und bei Intention. Einfluß der Suggestion auf den Tremor. 
Schwachsinn. Organischer Ictus apoplectiformis. Vollständiges Ver¬ 
schwinden des Tremors. Beginn des Tremors nach einer Emotion. 
Epilepsie? 

Z. 7919/04. Kr. F., 56jähriger, schwachsinniger Schneider. In der Jugend 
litt er an schreckhaften Träumen: daß Schweine seine Füße abfressen, daß ihn Kühe 
aufspießen, daß er brenne, ertrinke. Bis zum 8. Lebensjahre bestand Enuresis 
nocturna. In der letzten Zeit lag er wegen verschiedener Krankheiten öfters im 
Spitale. Am 7. April 1904 kündigte ihm die im Spitale beschäftigte Nonne an, er 
werde heute die letzte Ölung bekommen. Er erschrak, weinte die ganze Nacht 





80 


Erster Teil. 


und am Morgen begann sein ganzer Körper so zu zittern, daß sich das Bett bewegte. 
Das Zittern dauerte bis zum Mittag, dann verschwand es für mehrere Tage, kehrte 
aber hernach wieder und wiederholte sich seither stets nach einigen Tagen. Beim 
Herannahen des Zitterns beginnen die Finger der Hände zu schwitzen, er fühlt in 
ihnen ein Kribbeln, dann bekommt er Ohnmachtsanwandlungen, er sieht die Himmels¬ 
röte, sieht rotglühende Lichter; hierauf beginnt die rechte Hand zu zittern, dann 
stellt sich ein kalter Schweiß an den Füßen ein, er empfindet in ihnen ebenfalls 
Kribbeln und sie beginnen zu zittern. Die linke Hand zittert nicht. Bei intensivem 
Zittern wird auch der Kopf geschüttelt. Der Anfall dauert etwa eine Stunde. Es 
gelingt ihm, das Zittern für eine kurze Weile dadurch zu unterdrücken, daß er die 
Hand im Ellbogen energisch komprimiert. Die rechte Oberextremität zittert auch 
außerhalb des Anfalles, wenn er sie emporhebt. Seit der Jugend leidet er an perio¬ 
disch wiederkehrenden, mit Magenübligkeiten verbundenen Anfällen von Kopf¬ 
schmerzen. 

Vor 16 Jahren wurde er einmal bei der Arbeit sehr gereizt; er fiel damals 
bewußtlos zu Boden, verkrümmte die Glieder und biß sich in die Zunge; er war eine 
Viertelstunde bewußtlos und einige Tage nachher wie ohne Gedächtnis. Sonst hat 
er ähnliche Anfälle nicht gehabt. Bei seiner Aufnahme in die Klinik am 20. Mai 1904 
fanden wir keine Symptome einer organischen Läsion des Nervensystems. Die 
motorische Kraft der beiden Oberextremitäten war beträchtlich (E. D. 25 kg). Die 
gestreckten Oberextremitäten zitterten nicht. Die zervikobrachialen Geflechte 
waren etwas empfindlich. Der Gang war schwerfällig. Der Kranke ging etwas 
steif, wie wenn er Gewichte an den Füßen gehabt hätte. 

Sowohl im Liegen als auch im Sitzen und Gehen verfiel die rechte Ober¬ 
extremität in ein rhythmisches Schütteln im Sinne der Flexion und Extension, 
der ‘ Adduktion und Abduktion der Hand, seltener im Sinne einer Abduktion und 
Adduktion der ganzen Extremität; manchmal machte sie die Bewegung wie beim 
schnellen Kartengeben. Dieses Zittern trat auf: 

a) isoliert; 

b) gleichzeitig zittern die unteren Extremitäten im Sinne der Flexion und 
Extension in allen Gelenken; 

c) gleichzeitig macht der Kopf nickende (ja — ja) oder rotierende (nein — 
nein) Bewegungen; 

d) manchmal zuckt der ganze Rumpf; 

e) manchmal macht er eine Bewegung wie wenn er etwas von der Schulter 
abschütteln wollte; 

f) manchmal zittert auch die linke Oberextremität; 

g) manchmal macht er unter allgemeinem Zittern eine Bewegung wie beim 
Pumpen einer Hebelpumpe; 

h) manchmal klappert er mit den Zähnen. 

Solche Anfälle dauern nur einige Sekunden. Einmal sah ich, wie das Gesicht 
im Anfalle die typische Mimik des Weinens annahm und die Tränen rannen ihm aus 
den Augen, obwohl er nicht weinte. Nach einem jeden Anfalle atmete er krampfhaft 
und tief auf. Das Zittern vermag er willkürlich nicht zu unterdrücken, aber stets 
gelang es mir, den Tremor durch ein kategorisches „Genug!“ zu mildern, 
oft auch ganz zu unterdrücken, allerdings nur für eine Weile. Jede 
Intention steigert das Zittern, ebenso jede Anspannung der Aufmerksamkeit. Wenn 
man die Aufmerksamkeit des Kranken ablenkte (durch Untersuchung des Herzens), 
wurde das Zittern schwächer und verschwand. Auf der beiliegenden Kurve ist das 
Zittern der rechten Oberextremität sehr schön veranschaulicht. Wir zeichneten 
ohne Unterbrechung hintereinander die Kurven I., II., III. Zuerst sehen wir einen 
kaum erkennbaren, feinen, ungleichen Tremor von 7,5 Wellen in der Bekunde, der 
allmählich immer stärker, gröber, aber regelmäßig wird, die gleiche Schnelligkeit 
von 7,5 Wellen in der Sekunde beibehält und ganz plötzlich, wie wenn er abge¬ 
schnitten würde, auf den energischen Befehl: „Genug! Nicht zittern!“ aufhört 
und einem kaum erkennbaren Flimmern von gleicher Geschwindigkeit weicht 

(Fig. 59). 



Neurosen und Psychosen. 


81 


Der Kranke lag in der Klinik bis Juli 1904; nach Elektrisierung verschwand 
das Zittern vollständig, so daß der Kranke seinem Berufe nachgehen konnte. Nur 
bei schwerer Arbeit z. B. beim Holzspalten, bekam er ein Kribbeln in die Hand, 
dieselbe wurde schlaff, und er mußte die Hacke weglegen, um sie nicht fallen zu lassen. 
Im Jahre 1907 verlangte er von der Gemeinde eine Unterstützung, womit er Schwierig¬ 
keiten hatte. Da begann um den 15. Dezember wiederum das Kribbeln und Schwitzen 
der Finger der rechten Hand und einige Tage später war auch das Zittern wieder da. 
Am 20. Dezember 1907 trat er wieder in die Klinik ein und wir konstatierten den¬ 
selben Zustand wie im Jahre 1904; außerdem hatte er eine Bronchitis. Die Reflexe 
waren gesteigert, ebenso die (ungewöhnlich entwickelte) mechanische Muskelerreg¬ 
barkeit; die Haut des Rumpfes war überempfindlich. Bei angespannter Aufmerk¬ 
samkeit verschwand das Zittern. In der Hypnose hörte es ebenfalls auf, kehrte aber 
hernach wieder. Nach einer Woche verschwand es wiederum ganz von selbst und 
als man den Kranken hypnotisierte und ihm in der Hypnose den Tremor suggerierte, 
zitterte er in der Hypnose und noch eine Zeitlang nachher, dann aber hörte das 
Zittern auf. 

Am 3. Februar 1908 bekam er, als er sich beim Waschen bückte, plötzlich 
Schwindel, es wurde ihm unwohl, er konnte kaum das Bett wieder erreichen und klagte 



Fig. 59. 


über Doppeltsehen. Der untere Ast des rechten N. facialis war gelähmt, ferner war 
die rechte Zungenhälfte und die linke Hälfte des weichen Gaumens gelähmt. Er 
sprach schwer, skandierend. Sensibilität, Motilität und Augenfundus normal. 
Am Abend desselben Tages sah er nur im Liegen, nicht im Stehen. Gezittert hat er 
nicht. An den folgenden Tagen ging er schwankend und sah rechts zeitweise doppelt. 
Bei feinen Arbeiten waren die Finger der rechten Hand ungeschickt. Bei Intention 
war an der rechten Hand Ataxie angedeutet. Beim Erheben aus der horizontalen 
Lage ohne Unterstützung der Hände erhob sich die rechte Unterextremität über die 
Unterlage. Alle Nerven waren etwas empfindlich. Die Patellarreflexe waren leb¬ 
haft, an den späteren Tagen wurde Achillessehnenklonus und positiver Babinski, 
rechts deutlicher als links, konstatiert. Zittern war nicht vorhanden. Die Ataxie 
der rechten Oberextremität wurde später deutlicher und war dann auch an der 
rechten Unterextremität nachweisbar. Andere nervöse Störungen waren nicht 
vorhanden. 

16. Hysterischer, monoplegischer Tremor im Ruhezustände und 
bei Intention. Nach Franklinisation rasche Genesung. Getreue Wieder¬ 
holung desselben Syndroms. 

Z. 11 544/09. K. F., 60jähriger Schneider, dessen Vater an einem Gehirn - 
schlag starb. Er gibt zu, am Sonntag 6 Glas Bier zu trinken und ein starker Tabak¬ 
raucher und -schnupfer zu sein. Vor 2 Jahren empfand er im Sommer Kribbeln 
und Stechen im rechten Oberarm; das Kribbeln reichte bis in die Finger. Die Muskel¬ 
kraft war gut erhalten. In einem Krankenhause wurde er durch Faradisation ge¬ 
heilt. Im vorigen Jahre wurde er zur selben Zeit ebenfalls im Krankenhause von 
denselben Beschwerden durch Bäder geheilt. Nunmehr ist er seit 14 Tagen wieder 
krank. Beim Bügeln verspürte er einen Stich in der rechten Schulter und bevor 

Peln&f, Zittern. 6 











82 


Erster Teil. 


er das Bügeleisen beiseite legen konnte, begann die ganze rechte Oberextremität 
zu zittern. Seit dieser Zeit zittert diese Hand stetig sowohl im Ruhezustände als auch 
bei Bewegungen; sie ist schwach, die Finger sind steif, sie könenn nichts festhalten; 
er verschüttet alles und kann nicht einmal den Löffel zum Munde führen. In der 
Schulter hat er Stechen, in der Hand und speziell in den Fingern Kribbeln. In der 
Klinik wurde am 16. Mai 1909 ein intensiver, stetiger Tremor der rechten Hand 
im Ruhezustände und ein noch intensiverer bei Bewegungen konstatiert. Der Kranke 
hält die Finger gestreckt und gespreizt, kann sie nicht aktiv zur Faust schließen, 
sondern nur mit Hilfe der linken Hand, und drückt das Dynamometer links auf 



Fig. 60. 

24 kg, rechts auf 0. Die Sensibilität der rechten Körperhälfte ist herabgesetzt. 
Keine Muskelrigidität, keine Symptome einer organischen Läsion des Nervenmuskel- 
systems. Perimeter für alle Farben auffallend breit (z. B. für Grün 40, 55, 40, 60°). 
Am 17. Juni 1909 zeichneten wir einen groben, stetigen, bald gleichmäßigen, 7 Wellen 
in der Sekunde zählenden, bald ungleichmäßigen, 6—7 Wellen in der Sekunde 
auf weisenden, allorhythmischen (wellenförmigen, knotenförmigen) Tremor. Auch 
am rechten Fuß wurde manchmal ein leichter Tremor bemerkt. Der Kranke wurde 
nun franklinisiert und hatte am nächsten Tage weder Zittern, noch andere Be¬ 
schwerden und verließ das Spital mit einem dynamometrischen Effekt von 19 kg 
rechts und 24 kg links. 

Hierauf war er gesund und arbeitsfähig. — Am 22. Oktober 1909 verspürte er 
wiederum beim Bügeln einen Stich in der rechten Schulter und bemerkte einige 
Stunden später einen Tremor der ganzen rechten Oberextremität, so daß er nicht 
arbeiten konnte. Seither besteht wieder das Zittern. Am 6. November 1909 wurde er 
neuerdings aufgenommen mit Zittern der rechten Hand im Karpalgelenke im Sinne 
von Flexion und Extension. Durch Kompression des rechten Oberarms konnte er 
das Zittern unterdrücken. Auch die linke Oberextremität zitterte leise. Der regi¬ 
strierte Tremor der rechten Hand w T ar bei ruhiger statischer Innervation ganz regel¬ 
mäßig, grob, gleichmäßig, von 6 Wellen in der Sekunde; bei intendierten Bewegungen 
wurde er unbedeutend unregelmäßig, gröber, bei gleichbleibender Schnelligkeit 
von 6—6,5 Wellen in der Sekunde. Nach zweimaliger Franklinisation verschwand 
wiederum alles; es war weder im Ruhezustände noch bei Intention Zittern vorhanden. 
Mitte März 1910 kam der Patient zum dritten Male. Wir registrierten wiederum einen 
groben Tremor, der bei statischer Innervation unregelmäßiger wurde, ziemlich 
rhythmisch war und 7—8 Wellen in der Sekunde betrug; bei Intention w r ar er etwas 












Neurosen und Psychosen. 


83 


gröber; wenn der Kranke den Apparat nach Art eines Bleistifts hielt, war das Zittern 
langsamer (6—6,5 Wellen in der Sekunde). Bei seiner Rückkehr aus der Klinik 
am 19. März 1910 fühlte sich der Patient gesund und hatte keine Beschwerden. 
Am 18. Juni 1910 fühlte er beim Bügeln plötzlich einen Stich in der rechten Schulter, 
die betreffende Hand begann zu schmerzen und am 20. Juni nach alter Weise zu 
zittern. Er wurde am 21. Juni wiederum in die Klinik aufgenommen. Er hatte im 
Ruhezustände dasselbe Zittern, vorwiegend im rechten Karpalgelenk, das nur hier 
und da für einen Augenblick verschwindet; durch den Willen kann er es angeblich 
nicht unterdrücken, wenn er aber das rechte Schultergelenk festhält, zittert er nicht. 
Wenn er die Hand zur Faust schließt, ist das Zittern, solange die Faust geschlossen 
ist, geringer. Beim Drücken des Dynamometers ist das Zittern grob und durch 
unregelmäßige Bewegungen der Hand unterbrochen; hierbei zittern auch der Rumpf 
und die Füße. Erfaßt er mit festem Griff mit beiden Händen in richtiger Weise 
(der Daumen in Untergriff-, die übrigen Finger in Obergriffstellung) die Lehne eines 
Sessels und hält er denselben hoch, fehlt der Tremor an den Händen, erscheint aber 
am Körper. Beim Vorwärtsstrecken besteht er; wenn der Kranke seine Nase be¬ 
rühren soll, hebt er die Hand, die unbedeutend zittert, bogenförmig vor die Nase, 
erreicht unter beträchtlichen Schwingungen dieselbe und auch beim Ziele schüttelt 
er die Hand. Versuch mit dem Glase positiv. Bei maximaler passiver Flexion 
und Extension der Hand zittert diese nicht. 

Die registrierte Kurve zeigt einen regelmäßigen Tremor von 7 Wellen im 
Ruhezustände; bei Intention ist der Tremor gröber und weist wieder 7 Wellen in 
der Sekunde auf (Fig. 60). 

e) Paraplegischer Tremor, prägnant im Ruhezustände, vor¬ 
wiegend an den Füßen oder an einem Fuße, ähnlich dem Fußklonus, sowohl 
im Ruhezustände als auch bei Intention, bei der er sich gewöhnlich verstärkt, 
ohne aber ein Intentionszittem zu sein; er steht an der Grenze zwischen dem 
vorangehenden Tremor und dem Intentionstremor. Hierher gehört Pitres* 
„tremblement tröpidatoire“, Dutils ,,forme paraplögique“. 

Dieser Tremor besitzt eine mittlere Schnelligkeit, 5—7 Wellen in der 
Sekunde. Bei vollständiger Ruhe, besonders in horizontaler Position, verschwin¬ 
det er. Am deutlichsten ist er, wenn der Kranke sitzt oder steht, manchmal 
steigert er sich beim Gehen. Die Patellarreflexe sind häufig nicht gesteigert, 
sondern eher herabgesetzt und durch die übliche Methode der Untersuchung 
auf Fußklonus läßt sich der Tremor einschränken oder gänzlich zum Stillstand 
bringen (Dutil). 

Pitres führt zwei Beispiele an. 

Im ersten Falle handelte es sich um einen 42 jährigen Mann, der nach einem 
Rausche einen Tremor der rechten Unterextremität im Sitzen und Stehen bekam, zu¬ 
gleich rechtsseitige Hemiparese, disseminierte Anästhesie, Gesichtsfeldeinschränkung. 
Eine Magnetisierung befreite ihn binnen einer Stunde vom Tremor und von der 
Lähmung. Nach einem neuerlichen Rausche gelegentlich eines Hochzeitfestes 
wiederholte sich dasselbe Bild und ging wieder so günstig aus. Nach einem Streite 
in der Familie dritte Wiederholung. 

Den anderen Fall werde ich später erwähnen. 

Laveran beschrieb 1892 bei einem Soldaten einen Tremor der linken Unter¬ 
extremität, der dem Fußklonus ähnlich war; er war vor 11 Monaten nach einer Ver¬ 
letzung des Knies durch einen Pferdehuf entstanden und trotzte jeder Behand¬ 
lung. Bei Bewegungen verschwand er. Der Kranke zeigte hysterische Stigmata. 

Dutils Patient, ein 30jähriger Eisenbahnbeamter, der früher stets gesund war, 
erkrankte vor drei Jahren an einer chronischen Gonorrhoe, die auch die Gelenke er¬ 
griff und durch die er sehr geängstigt und psychisch deprimiert war. Nach einem 
Jahre bekam er Schmerzen im Kopf und im Hinterhaupt, Gedächtnisschwäche 
und schreckhafte Träume. Vor fünf Monaten weckte ihn ein Zittetn des rechten 
Unterschenkels und bald darauf begann auch der linke Unterschenkel zu zittern. 

6* 




84 


Erster Teil. 


Am nächsten Tage erhielt er sich schon kaum mehr auf den Füßen; seither hat sich 
das Zittern nicht geändert, selbst eine viermonatliche Kur in einem Krankenhause 
war ohne Erfolg geblieben. Im Sitzen ist das Zittern dem Fußklonus sehr ähnlich. 
Der Gang ist nicht spastisch, aber hüpfend. Die Patellarreflexe sind gesteigert; 
bei der Untersuchung auf Fußklonus mildert sich das Zittern und verschwindet. 
Es fanden sich hysterische Stigmata und eine hysterogene Zone, durch deren Kom¬ 
pression das Zittern gesteigert wird. 

Infolge des eigentümlichen Ganges bildet dieser Fall einen Übergang 
zu dem zweiten Falle von Pitres. 

Der 46jährige Mann war Zeuge, wie seine Tochter beinahe vom dritten Stock¬ 
werk herabgestürzt wäre. Er wurde bewußtlos, hatte 19 Stunden lang allgemeine 
Krämpfe und als er erwachte, hatte er Kontrakturen an den unteren Extremitäten. 
Diese verschwanden zwar, dafür aber erschien nach sechs Monaten ein Zittern, das 
zehn Jahre lang fortdauerte und während dieser langen Zeit einmal für fünf Tage 
und einmal für einen Monat ohne jede Ursache verschwand. Bei horizontaler Lage 
ist der Körper ruhig. Im Sitzen hat der Kranke einen deutlichen Tremor der Füße, 
im Stehen schwankt er, beim Gehen zittert er am meisten. „La marche ötait 
hösitante, sautillante comme celle des sujets atteints de tabes spasmodique.“ Er 
hatte nie Tremor der Hände oder des Kopfes. Er stammte von einer hysterischen 
Mutter. Er hatte eine rechtsseitige Gesichtsfeldeinengung, inselförmige Anästhesie, 
Anosmie, Ageusie, spasmogene Zonen in der linken Fossa iliaca und über dem 
8. Brustwirbeldomfortsatz. In Paris und in Bordeaux wurde er von zahlreichen 
Ärzten untersucht, die durchwegs eine organische Bückenmarkserkrankung an- 
nahmen, ohne daß ein Symptom einer organischen Läsion bestanden hätte. 

Eine weitere Ubergangsform ist der folgende von Dutil zitierte Fall 
Ho molles aus dem Jahre 1879. 

Die mit verschiedenen hysterischen Symptomen behaftete Patientin hatte 
einen Tremor der rechten Unterextremität, der bei horizontaler Lage verschwand, 
aber bei Emotionen, bei intendierten Bewegungen, am meisten aber bei Gehver¬ 
suchen auftrat; er war regelmäßig, von 3,3 Wellen in der Sekunde und breitete sich 
beim Gehen über den ganzen Körper aus. 

Diese Fälle bilden einen unmerklichen Übergang von dieser Gruppe von 
Tremorformen zu jener Form, die bei der sogenannten pseudospastischen Parese 
mit Tremor (Fürstner-Nonne) beobachtet wird. Die Verwandtschaft dieser 
beiden Formen dokumentiert am besten ein Patient, der in der Klinik Tho mayer 
mit Fürstner-Nonnescher Neurose zur Beobachtung kam und der einige Jahre 
früher während meiner Assistentenzeit in der psychiatrischen Klinik Kuffners 
nur ein Zittern der rechten Unterextremität im Sitzen darbot, einen groben, 
langsamen, dem Fußklonus ähnlichen Tremor, der bei Intention verschwand. 
Zwei Jahre später hatte er in der Klinik Tho may er denselben Tremor des 
rechten Fußes im Ruhezustände, der im Stehen aufhörte; dafür aber entstand 
im Stehen und beim Gehen ein gröberer und schnellerer Tremor der Füße, des 
Rumpfes und des Kopfes (Öasopis lekarüv öesk^ch, 1903). Bei Erregungen 
zitterten auch die Hände. Ich habe diesen Tremor registriert; es war ein un¬ 
gleicher, unregelmäßiger Tremor von 7—7,5 Wellen in der Sekunde. 


f) Hysterisches Intentionszittern, 

An den unteren Extremitäten kommt ein hysterisches Intentionszittern 
vor als Hauptsymptom der charakteristischen klinischen Bilder der pseudo¬ 
spastischen Paraparese, der trepidatorischen und saltatorischen Abasien. 

An den oberen Extremitäten kombiniert er sich häufig mit dem mono- 
plegischen Tremor im Ruhezustände, ist aber manchmal so grob und prägnant. 



Neurosen und Psychosen. 


85 


daß es als klinisches Symptom den Charakter der monoplegischen Lokalisation 
überragt und an dieser Stelle eingereiht werden kann. In anderen Fällen erscheint 
es auch ohne den Tremor im Ruhezustände und erlangt eine Ähnlichkeit mit 
der Herdsklerose. Im allgemeinen zählen wir also hierher alle hysterischen 
Tremorformen, die der Herdsklerose annähernd ähnlich sind. 

a) Der Tremor bei der sogenannten pseudospastischen Para¬ 
parese (Fürstner-Nonne) befällt, wie wir an den letzten Beispielen der vor¬ 
hergehenden Gruppe gesehen haben, vorwiegend die Unterextremitäten, hört 
in der Ruhe gewöhnlich auf, erreicht aber bei Intention eine derartige Intensität, 
daß der ganze Körper beim Gehen derart erschüttert wird, daß die Kleider des 
Kranken wie eine tahne im Winde flattern; auch der Kopf beteiligt sich an dem 
Zittern. Aufregungen, Beobachtung des Kranken beeinflussen den Tremor 
ungünstig; Ablenkung der Aufmerksamkeit vermag das Zittern einzuschränken 
oder gar zu unterdrücken. Unser Patient z. B. zitterte, wenn er im Bade bis 
zu den Knien im Wasser stand, beim Gehen fast gar nicht, ebenso wenn er 
leicht gestützt oder vielmehr unter den Achseln mehr gehalten als gestützt 
wurde, oder wenn man ihn an einem Stock oder an einem Faden führte. (Der¬ 
artige Fälle beschrieb Jessen als „spastische Zittemeurose“, Fürstner als 
„pseudospastische Parese mit Tremor“, Nonne unter demselben Namen, aber 
mit dem Zusatze „nach Trauma“, ferner Onuf, Fr. Proch&zka, Becker, 
Respinger, Pelnäfr, Van^sek und in den letzten Jahren noch andere.) 

ß) Der vorangehenden Form sehr nahestehend, wenn nicht mit derselben 
identisch, ist der Tremor bei der sogenannten „abasie tr6pidante“ der fran¬ 
zösischen Autoren: die als Astasie-Abasie charakterisierte Störung des Ganges 
wird durch einen groben Tremor der unteren Extremitäten gesteigert; „la 
marche est genee par des mouvements d’6xecution contradictoires, consistant 
en une sorte de träpidation rappellant ce que l’on voit dans certaines para- 
plögies spasmodiques.“ — Blocq und Onanoff — S6meiologie). 

Hierher gehören unsere Fälle. 

17. Dysbasia posttraumatica. Ein der pseudospastischen PareBe 
mit Tremor ähnliches Bild. Aggravation. Simulation? Monoplegischer 
Tremor. 

Z. 17/145/04. St. J., 59jähiiger Tischler, fiel im Jahre 1901 von einer Leiter. 
Seit dieser Zeit klagte er über Kreuzschmerzen und Unbeweglichkeit. Vom 7. bis 
14. April 1903 stand er in unserer Abteilung in Beobachtung. Man konstatierte 
Hesitation bei Bewegungen, sonst keine Anomalie. Die rechte Pupille war breiter 
als die linke, die Pupillen reagierten nicht. Bald darauf wurden die Füße schwach, 
so daß er sich zwei Krücken anschaffen mußte und trotzdem ging er schwer. Auch 
die rechte Hand erschlaffte im Karpalgelenk, so daß er sie nicht strecken konnte. 
Nach einem halben Jahre kehrte die Beweglichkeit wieder, aber dafür bekam er 
Schmerzen im rechten Schultergelenk und Unbeweglichkeit desselben. Bei seinem 
zweiten Eintritt in unsere Anstalt war die rechte Pupille weiter und total unbeweg¬ 
lich; die linke reagierte normal. Im übrigen bestanden keine Symptome einer 
Läsion des Nervensystems. Während der Untersuchung der rechten Oberextremität 
bekam er ein grobes Zittern dieser ganzen Extremität. Bei der direkten Unter¬ 
suchung der Mobilität des rechten Schultergelenks und der Wirbelsäule klagt er 
über Unbeweglichkeit infolge ungeheurer Schmerzen; wenn aber die Bewegungen 
in dem genannten Gelenk und in der Wirbelsäule indirekt ausgeführt werden, 
reagiert er auf die Bewegung überhaupt nicht. Er steht auf breiter Basis 
mit hyperextendierten Knien und vorgebeugtem Rumpfe, kann sich nicht 
aufrecht erhalten, beim Gehversuch entstehen grobe Flexionen und Extensionen 



86 


Erster Teil. 


in den Kniegelenken; er überlegt es sich lange, bevor er ausschreitet; dann erhebt 
er den gestreckten Fuß, stampft mit ihm, wie wenn er aus Holz wäre, auf den Boden 
auf, schwankt dabei schnell hin und her, keucht, will sich an den umstehenden Gegen¬ 
ständen festhalten, schwankt, als ob er sich den Schädel zertrümmern sollte, fällt 
aber niemals hin. Auf seine Krücken gestützt geht er ohne zu schwanken, aber die 
Gangart bleibt unverändert. Wenn man ihn führt, geht er besser, auch wenn er 
sich hierbei nicht stützt. Die aktiven und noch mehr die passiven Bewegungen der 
unteren Extremitäten sind durch Kontrakturen nicht entsprechender Muskeln ge¬ 
hemmt. Wenn man die Füße des Kranken passiv emporhebt und fallen läßt, fallen 
sie nicht schlaff auf den Boden auf, sondern der Kranke schlägt mit ihnen erst nach 
einer Weile auf die Unterlage auf. Hebt man den Fuß des Kranken zur maximalen 
Elevation empor, die er selbst angeblich nicht erzielen kann, und drückt ihn dann 
aus dieser Lage plötzlich hinab, setzt der Kranke zuerst Widerstand entgegen und 
hält den Fuß eine Weile in maximaler Elevation, und erst dann schlägt er ihn 
auf den Boden nieder. Die Reflexe sind normal. Wenn sich der Kranke beobachtet 
fühlte, ging er schwer und zitterte dabei stark. Wurde er aber nicht beobachtet, 
z. B. als er das Krankenhaus verließ, ging er im gewöhnlichen Schritt, zitterte fast 
gar nicht und stützte sich nur wenig auf die Krücken. 

18. Einen analogen Fall untersuchte ich wiederholt gemeinsam mit Herrn 
Prof. Haäkovec im Jahre 1907. Es handelte sich um einen jungen Mann, der in 
einem Eisenbahnzug saß, als dieser entgleiste; der Wagen, in dem der Kranke saß, 
stürzte in einen Graben hinab; der Kranke verließ den Wagen mit den übrigen 
Reisenden durch das Fenster und kroch unter dem umgestürzten Wagen hervor; 
ganz erschreckt lief er vom Orte der Katastrophe eine halbe Stunde weit fort, er 
sah alles um sich wie in Nebel gehüllt und fürchtete, es müsse noch ein Unglück ge¬ 
schehen. Er lief bis zur nächsten Station, promenierte am Perron, setzte sich sodann 
nieder und bekam Kribbeln im Körper und Krämpfe, die er als typische tetanische 
Krämpfe schildert. Man trug ihn in einen Wagen und mußte ihn auch aus dem Wagen 
tragen, da seine Füße steif, wie hölzern waren. Seit dieser Zeit konnte er überhaupt 
nicht gehen; nur mit größter Mühe und mit fremder Unterstützung stellte er sich 
neben dem Bette auf, um urinieren zu können; hierbei zitterte er am ganzen Körper. 
Er befand sich fortwährend in Sanatorien; erst ein halbes Jahr nach der Katastrophe 
begann er mit Hilfe zweier Krücken zu gehen. Bei unserer Untersuchung fanden wir 
an den Oberextremitäten, am Rumpf und am Kopf nichts Abnormes. An den 
Unterextremitäten war die Muskulatur gut entwickelt, frei von Atrophien. In 
horizontaler Lage vollführt der Kranke mit denselben alle Bewegungen, doch in 
geringer Ausdehnung, mit geringer motorischer Kraft und offenkundiger Anstrengung; 
bei näherer Betrachtung wird es klar, daß eine jede Bewegung durch die gleichzeitige 
Kontraktion der Antagonisten gestört wird. Beim Versuche sich zu erheben und auf¬ 
zustellen entsteht ein heftiges, rasches Zittern der Unterextremitäten, das sich 
sekundär durch passiven Tremor des ganzen Rumpfes äußert. Beim Gehen sind die 
Füße steif gestreckt, der Kranke hebt sie nicht vom Boden ab. Das Gehen ist weder 
ohne unsere Unterstützung, noch mit derselben möglich; nur wenn er sich auf seine 
langen, bis in die Achselhöhlen reichenden Krücken stützt, kann er stehen und gehen, 
allein auch dann steif und auf breiter Basis. Nach rückwärts geht er so wie nach 
vom. Inselförmige Anästhesie, Hypalgesie und Analgesie. Alle Reflexe lebhaft. 
Kein Fußklonus, kein Babinski. Harnentleerung und Defäkation normal. Das Ge¬ 
sichtsfeld für Farben war erweitert; einige Gesichtsfelder für Farben waren ab¬ 
normal gelagert und durcheinander geworfen. 

Also eine typische ,,abasie tröpidante“ der französischen Autoren. 

y) Von derselben Art sind die sogenannten saltatorischen Krämpfe oder 
die saltatorische Abasie der Franzosen, bei der der Gang noch bizarrer ist; 
derselbe wird durch Muskelkontraktionen unregelmäßig gestört, so daß es 
mehr ein Hüpfen als ein Gehen ist. Die nahen Beziehungen dieser Form mit den 
vorangehenden Formen dokumentiert z.B. der von Eulenburg in seinem Hand¬ 
buch aus dem Jahre 1871 in dem Kapitel über statische Krämpfe zitierte Fall 
Guttmanns. 



Neurosen und Psychosen. 


87 


Ein 46 jähriger Tischler bemerkte, daß sein linker Fuß im Sitzen zittere und 
sich von der Unterlage abhebe. Das Zittern verstärkte sich, wenn er den Fuß hoch¬ 
heben wollte. Nach 14 Tagen zitterte, wenn er zu gehen versuchte, auch das linke 
Bein, so daß er beim Gehen hüpfte. Später ging das Zittern immer mehr in salta- 
torische Krämpfe über, aber mit der Zeit milderten sich diese Bewegungen zu einem 
zarten Zittern. Die Behandlung war erfolglos. 

d) Universeller Intentionstremor, überwiegend an den oberen 
Extremitäten und daher auf den ersten Blick am meisten der Herdsklerose 
ähnlich. 

Dieser Tremor ist sehr intensiv, häufig grob und schleudernd, rhythmisch 
und schnell, macht bis zu 13 Wellen in der Sekunde, erfolgt nach den ver¬ 
schiedensten Richtungen, beginnt mit der Intention, auch dann, wenn dieselbe 
zu keiner Bewegung führt (Grasset), und zwar beginnt er schon vor dem 
Eintritt der Bewegung (unser 19. Fall) und überdauert manchmal die Intention 
(Oppenheim). Er pflegt mit einem Pseudoklonus des Fußes wie bei Sklerose 
oder mit einer hysterischen Hemiparese mit Hemispasmus wie bei Gehim- 
affektionen einherzugehen, kombiniert sich mit vasomotorischen Störungen, 
mit rhythmischer Chorea, Stottern, Tic, kombiniert sich ferner manchmal im 
Ruhezustände mit intermittierendem Tremor wie bei Quecksilbervergiftung 
oder mit einem langsamen Tremor wie bei der Parkinsonschen Krankheit. 
Manche Patienten können den Tremor durch einen Trick unterdrücken. Ein 
einseitiger Tremor läßt sich mittelst des Transferts auf die andere Seite über¬ 
tragen und durch die Hypnose unterdrücken und hervorrufen. Er tritt sofort 
mit seiner ganzen Intensität auf. Diese Form des hysterischen Tremors hat 
schon Breillot unterschieden und ihr den Namen Chorea hysterica belassen; 
aber vollständig abgetrennt hat sie erst Pit res, der dann so weit ging, daß er 
nicht bloß die sogenannte toxische Hysterie, sondern auch Westphals Pseudo¬ 
sklerosen und alle postinfektiösen Intentionstremorformen hierher zählte, was 
wir aber heutzutage nicht billigen können. Infolge der Lehre von Pit res finden 
wir bei dieser Form des Tremors Fälle, deren hysterischer Charakter nicht ganz 
sicher ist. (Die Fälle von Pitres nach Typhus, von Souques — 46jähriger 
Kesselschmied —, von Maguire — 49jähriger Patient, von Grasset.) 

In klinischer Hinsicht sind alle publizierten. Fälle durch die Mannigfaltig¬ 
keit und den Reichtum der Symptome und durch die plötzlichen und über¬ 
raschenden Veränderungen in ihrem Verlaufe höchst interessant; jeder Fall 
besitzt etwas Charakteristisches, weshalb ich sie alle etwas eingehender 
anführen will. 

Pitres: Der 34jährige Patient bekam nach großen finanziellen Verlusten 
Kopfschmerzen, Schlafsucht, Abnahme des Intellektes, linksseitige Parese der 
Motilität, der Sensibilität und der Sinnesorgane mit linksseitigem, reinem Intentions¬ 
tremor, der an der Hand stärker war als am Fuße. Versuch mit dem Glase sehr 
prägnant. Der Kranke war kein Trinker, hatte nie Lues. Der Autor dachte an 
einen Gehirntumor, versuchte aber noch den Magneten und nach einer Stunde war 
der Kranke zur größten Überraschung des Autors gesund. 

Charcot (1890): Ein 36jähriger, von einer epileptischen Mutter stammender 
Tischler bekam nach einem hysterischen Anfall Mutismus und Intentionstremor 
der Hand und Zittern des Fußes beim Gehen analog dem Fußklonus. Das Zittern 
trotzte zwei Jahre lang jeder Therapie. 

Ein 39jähriger Landmann bekam nach hysterischen Anfällen allmählich 
einen Intentionstremor, der fälschlich auf Herdsklerose, Myelitis, Alkoholvergiftung 
bezogen wurde. 



Erster Teil. 


Talmas erster Fall: Ein 62 jähriger Alkoholiker bekam vor zwei Jahren Inten- 
tionszittem der linken Unterextremität, dann der rechten Oberextremität, schlie߬ 
lich aller Extremitäten, so daß er seine Arbeit aufgeben mußte, da er nichts in die 
Hand nehmen und nicht gehen konnte. Er hatte Spasmen der oberen und unteren 
Extremitäten und gesteigerte Reflexe. Nach Brom trat vollständige Heilung ein. 

Zweiter Fall: Ein Mann bekam nach einem Affekt (Zorn) einen Intentions¬ 
tremor der linken Hand, besonders beim Schreiben. Auch die Sprache war etwas 
zitternd und die Muskeln in der Umgebung der Mundwinkel zitterten ebenfalls. 
Nach Brom und Wasserbehandlung genas der Patient. 

Dritter Fall: Ein 8jähriges Mädchen konnte nach einem Schrecken weder 
schreiben noch andere feine Arbeiten mit der rechten Hand verrichten infolge des 
Zitterns und der Muskelzuckungen. Nach Brom verschwand alles. 

Weiters beobachtete er bei zwei hysterischen Mädchen Hemispasmus mit 
Intentionszittem, das einer jeden Behandlung trotzte. 

Boeri beschreibt einen universellen Intentionstremor (nach Trauma) an 
den gesunden und verletzten Extremitäten. 

Einisse beobachtete Intentionszittern der Stimmbänder bei drei in einem 
Pensionate wohnenden Mädchen im Alter von 12, 16 und 17 Jahren; diese Mädchen 
konnten nicht sprechen und der Autor sah mit dem Spiegel bei der Phonation ein 
intensives Zittern der in Medianstellung befindlichen Stimmbänder. Nach intra- 
laryngealer Faradisation verschwand alles. Der Autor beobachtete in demselben 
Pensionate ein Jahr vorher vier analoge Fälle. 

Hüssy sah einen 12jährigen Knaben, der während der letzten vier Wochen 
beim Essen ein intensives Zittern beider Hände bekam, das ihn am Essen hinderte, 
und zwar nur dann, wenn er den Löffel oder das Glas zum Munde führte, während 
es bei anderen Bewegungen z. B. beim Schreiben nicht auftrat. Nach Faradisierung 
verschwand es gänzlich. 

In den angeführten Fällen handelte es sich um ein reines Intentionszittem. 
Häufiger ist dasselbe aber auch im Ruhezustände von einem langsamen oder 
schnellen Zittern der Glieder begleitet. Diese Fälle bezeichnet Dutil als type 
Ren du (tremblement r&nittant intentionel). 

Ren du: Ein 58 jähriger Mann stürzte auf der Gasse hin und akquirierte 
eine rechtsseitige Hemiplegie, die nach 6 Wochen verschwand. Zwei Jahre später 
hatte er Zittern der Füße im Ruhezustände mit intentiver Verstärkung und Ab- 
schwächung. Nach Schwefelbädern verschwand alles. Vor 14 Tagen bekam er 
nach einem Schwindelanfall einen reinen Intentionstremor der Hände allein, links 
stärker als rechts, ohne Störung der Sensibilität und der Sinnesorgane. Die Patellar- 
reflexe waren sehr gesteigert. Nach Schwefelbädern und Brom trat Heilung ein. 
(Diesen Fall, dessen hysterische Natur nicht sicher ist, zitiert Dutil.) 

Rendus zweiter Fall aus dem Jahre 1892 ist überzeugender. Ein 66jähriger 
Mann hatte im Ruhezustände einen Tremor der rechtsseitigen Extremitäten wie beim 
Parkinson, bei Bewegungen einen solchen wie bei Sklerose. Gleichzeitig hatte er 
eine gleichseitige Hemianästhesie, Gesichtsfeldeinschränkung, glossolabialen Hemi¬ 
spasmus und hysterische Anfälle. Seine Krankheit begann vor 20 Jahren, als er 
in einer Fabrik auf Kautschukwaren arbeitete und einmal in Schwefelkohlenstoff¬ 
dämpfen ohnmächtig wurde. Es blieb eine Lähmung der Motilität und Sensibilität 
rechts zurück, verbunden mit einem dem alkoholischen Tremor ähnlichen Zittern. 
Seit dieser Zeit wandert er von Klinik zu Klinik und wurde wiederholt als hysterisch 
demonstriert. 

Rogers 69jähriger Patient hatte im Ruhezustände einen sehr langsamen 
Tremor, 2—2,5 Wellen in der Sekunde, rechts viel stärker als links; er hielt den Körper 
steif und bewegte die Finger wie über Brotkügelchen. Die Füße und der Kopf 
zitterten nicht. Bei der Glasprobe entstand ein heftiges Schütteln der Hände. 
Der Vater des Kranken endete durch Selbstmord, eine Schwester war hysterisch. 
Im 35. Lebensjahr tobte er während einer Lungenentzündung, hatte hysterische 
Anfälle und spastische Paraplegie und war ein halbes Jahr krank; eine Valerian- 
dusche machte ihn binnen 48 Stunden gesund. Das gegenwärtige Zittern entstand 



Neurosen und Psychosen. 


wiederum nach einer Lungenentzündung, und zwar im Anschlüsse an eine erfolglose 
Sondierung: er bekam einen hysterischen Anfall, nach welchem ein Zittern aller 
Extremitäten zurückblieb; an den Füßen verschwand das Zittern, nicht aber an 
den Händen. Interessant war das weitere Schicksal des Kranken: er bekam eine 
fieberhafte Zystitis und das Zittern verschwand wie auf einen Schlag. Nur am 
Morgen hatte der Kranke bei gefüllter Blase einen Intentionstremor. 

Dutil publizierte in seiner These zwei Fälle aus der Klinik Charcot. 

Ein 36 jähriger Mann, dessen Mutter und Bruder an Epilepsie litten, erblickte 
vor zwei Jahren als er nach Hause ging, sein Kind unter den Hufen eines Pferdes. 
Er rettete das Kind, aber am nächsten Tage, nach einer durch schreckhafte Träume 
gestörten Nacht, hatte er Kopfschmerzen und seit jener Zeit klagte er über ein 
schlechtes Gedächtnis. Nach einem Monat bekam er auf dem Wege zur Arbeit 
einen Krampfanfall, nach welchem ein Zittern der Füße zurückblieb, das links 
stärker war als rechts. Seitdem wiederholen sich solche Anfälle mit nachfolgendem 
Zittern, einmal war auch Mutismus und Aphonie vorhanden. Der Autor beobachtete 
den Kranken zwei Monate und konstatierte einen regelmäßigen, groben Tremor 
von 6—6,5 Wellen in der Sekunde an den Händen und Füßen und am Kopfe; im 
Sitzen war der Tremor jenem beim Parkinson ähnlich, bei Bewegungen und im 
Gehen war er sehr grob. Außerdem besaß der Kranke zahlreiche hysterische Stigmata. 
Der Autor reproduziert eine sehr schöne Kurve des Intentionszittems dieses Kranken. 
Das Zittern verschwand manchmal spontan im Buhezustande. 

Ein 39 jähriger Mann, der vom 17.—19. Lebensjahre an nächtlichen Krampf¬ 
anfällen litt, begann vor zwei Jahren ohne Ursache plötzlich zu stottern und zitterte 
dann an allen vier Extremitäten. Er lag ein Jahr im Krankenhause, wo er mit 
Jod und Quecksilber so lange behandelt wurde, bis er die Zähne verlor, aber vom 
Zittern wurde er nicht befreit. Das Zittern war am rechten Bein am stärksten 
und dem Klonus im Buhezustande ähnlich. Beim Gehen zitterte der ganze Körper 
und sogar auch der Kopf (ja — ja). Der Versuch mit dem Glase war sehr prägnant. 
Hysterische Anfälle, Emotionen, Druck auf die hysterogenen Zonen verstärkten 
das Zittern. Zahlreiche Stigmata. 

Bitots Fall hat ebenfalls Dutil publiziert. Es handelte sich um einen 
39 jährigen Mann, dessen Mutter und Schwester an Hysterie litten. Vor vier Jahren 
fiel ihm ein hölzernes Portal auf den Kopf. Er war eine halbe Stunde bewußtlos 
und als er das Bewußtsein wiedererlangte, zitterten seine Hände und Füße, besonders 
beim Gehen. Dann wurde das Zittern der Füße geringer, nicht aber jenes der Hände. 
Vor einem Jahre gesellten sich Zuckungen der Gesichtsmuskeln hinzu und das 
Händezittern wurde so stark, daß der Kranke weder essen noch schreiben konnte. 
Die Sprache war skandierend, wenn auch nicht schwerfällig. Nach Magnetisierung 
auffallende Besserung. 

Wertheims 38jährige Näherin hatte anfangs Zittern bei der Intention 
sowie auch im Buhezustande, wenn auch in diesem schwächer, später ein reines 
Intentionszittern von 8—9 Wellen in der Sekunde. 

Kraf ft-Ebing beschrieb fünf Fälle von hartnäckigem Zittern bei jungen 
Frauen, das im Buhezustande klein, bei Intention und Aufregung groß war, 2—3 
resp. 4,4, 2—5 und 4—6 Wellen in der Sekunde besaß; es entstand dreimal nach 
Erschrecken, einmal nach Typhus und einmal ohne bekannte Ursache bei einer 
degenerierten Person. Der Autor faßt diese Fälle unter dem Namen Zittemeurose 
zusammen. Sein sechster Fall war sehr zweifelhaft: 

15 jähriges Mädchen, das seit seinem 12. Lebensjahr an einem groben Schwingen 
der rechten Hand leidet, welches im Buhezustande klein ist, bei Intention aber 
gröber wird. Das Mädchen hat keine hysterischen Stigmata. Das Zittern trotzte 
jeder Behandlung. 

Thöbeault führt in seiner These über den senilen Tremor zwei Fälle nach 
Trauma an (Obs. IX. und XIII.), bei denen ich den Verdacht auf eine Kombination 
des senilen Tremors mit dem hysterischen Intentionszittem hege. 

Andere Fälle lassen die Frage offen, ob es sich um Hysterie oder um be¬ 
ginnende Sklerose oder um die sogenannte Pseudosklerose Westphals oder 
um einen zerebralen Tremor gehandelt hat. 



90 


Erster Teil. 


Pitres: Ein 18jähriger Jüngling, der Typhus überstanden hatte, erwachte 
eines Tages mit dem Gefühl von Kälte und Starre in der rechten Körperhälfte und 
konnte nicht sprechen. Nach 14 Tagen wich die Kontraktur einem groben Intentions- 
zittera der Hand. Der Jüngling hatte eine beiderseitige Gesichtsfeldeinengung 
und fehlenden Pharyngealreflex. 

Grasset: Eine 30jährige Patientin bekam nach dem Tode ihres Vaters 
Kopfschmerzen und eine linksseitige Parese mit Störung der Sensibilität und der 
Sinnesorgane; diese Erscheinungen verschwanden, aber es blieb eine Schwäche 
der linken Extremitäten mit reinem Intentionszittem zurück. Dann traten stetige 
Oszillationen des Kopfes mit rhythmischen Kontrakturen der Stirn- und Augen¬ 
brauenmuskeln hinzu. Der Autor wirft selbst die Frage auf, ob außer Hysterie nicht 
auch eine Läsion des Pedunculus vorhanden gewesen sei. 

Souques: In diesem von Dutil in seiner These publizierten Falle handelte 
es sich um einen 46jährigen Schmied, in dessen Familie Fälle von Wahnsinn und 
Migräne vorkamen. Er pflegte seine Frau 18 Monate vor ihrem Tode Tag und Nacht 
und wurde nach ihrem Tode trübsinnig. Eines Morgens wurde er ohnmächtig 
und als er erwachte, hatte er eine rechtsseitige Lähmung und Abasie. Nach einer 
fünfmonatlichen Behandlung in einem Krankenhause war sein Zustand nur ge¬ 
bessert. Später hatte er Schwindel, Kopfschmerzen und Zittern, doch besserten 
sich diese Beschwerden nach Bädern und Jod. Dann verlor er allmählich die Seh¬ 
kraft des rechten Auges. Zugleich hatte er eine skandierende, häsitierende, stotternde 
Sprache. Im Sitzen war er ruhig; sobald er aufstand, zitterte er am ganzen Körper 
6—7 mal in der Sekunde, hatte Intentionszittem der Hände, schleppte den rechten 
Fuß nach, wobei aber der rechte Patellarreflex herabgesetzt war. Er hatte hyste¬ 
rische Stigmata. Links war das Gesichtsfeld konzentrisch verengt, rechts bestand 
Amaurose. Der ophthalmoskopische Befund war normal. Kein Nystagmus. Nach 
zwei Monaten verschwand das Zittern fast vollständig und war nur im Zustande der 
Ermüdung und bei Emotionen vorhanden, aber die Sprachstörungen und die sensitivo- 
sensorielle Hemiplegie blieben bestehen. 

Maguires Patient (zit. von Dutil), ein 49jähriger Mann, hatte Intentions¬ 
zittem vorwiegend an den Händen, aber auch an den Füßen, und eine monotone, 
sakkadierte Sprache. Nach einer Kombination von Jod und Brom trat Besserung 
ein. Dann trat eine Rezidive ein und Heilung ohne Medikation. Die Sensibilität 
war unverändert. 

Sinkler (1898): Ein .25jähriger Mann verspürte vor 18 Monaten beim 
Gehen ein Zucken im linken Unterschenkel und hatte bald darauf Intentionszittem 
in der rechten Oberextremität. Dann breitete sich das Zittern auch auf die 
übrigen Extremitäten aus. Es trat eine Lähmung des M. rectus internus dexter 
auf. Absences. Der Autor sah den Kranken im Jahre 1897. Damals ging dieser 
wegen Unsicherheit des linken Fußes beschwerlich. Im Ruhezustände zitterte er 
nicht, aber mit der rechten Hand konnte er wegen Intentionszittem nicht arbeiten. 
Die Patellarreflexe waren lebhaft; kein Fußklonus. Die Sprache war schwerfällig 
und skandierend. Die Augen waren normal. Hierauf trat eine allgemeine Besserung 
ein. Nun trat aber an der linken Hand Intentionszittem auf. Nach Kautherisation 
des Nackens (Points de feu) konnte er mit der linken Hand essen. Gegenwärtig 
hat der Kranke nur bei Intention Zittern der Hände, links klein, rechts prägnant. 
Der Kranke stammte aus gesunder Familie. Er hatte keine hysterischen Stigmata. 
Der Autor hält ihn für „functdonal tremor simulating disseminated sclerosis“. 

In der Klinik Thomayer beobachteten wir einige schöne hierher gehörende 
Fälle von hysterischem Intentionszittem. 

19. Posttraumatischer, monoplegischer, reiner Intentionstremor. 

F. G., 40jähriger Kondukteur. Am 30. Juni 1902 geriet er mit der rechten 
Brustseite und mit der rechten Oberextremität zwischen die Puffer. Seit dieser 
Zeit hängt die rechte Oberextremität schlaff herab. Bei der Untersuchung am 25. Juni 
1903, also ein Jahr nach der Verletzung, hing die genannte Extremität noch immer 
kraftlos herab; wenn er dieselbe hochheben soll, hebt er sie nur ganz wenig und matt 
empor, die Hand gerät hierbei in ein rasches, grobes Zittern, wird aber bald matt, 



Neurosen und Psychosen. 


91 


sinkt herab und das Zittern hört sofort auf. Wenn der Kranke sich nicht beobachtet 
glaubte (beim Ankleiden), hob er die Hand bis zu einer Höhe von 30° empor, ohne 
daß die Hand sichtlich zitterte. Das Zittern wird durch zwei Kurven veranschau¬ 
licht. Bei langsamer Umdrehungsgeschwindigkeit sehen wir den Tremor vom be- 


tL/w 




Fig. 61. 


schriebenen Charakter. Bei größerer Umdrehungsgeschwindigkeit der Registrier¬ 
trommel sehen wir, daß das Zittern schon vor dem Emporheben der Hand beginnt; 
es ist zart, besteht aus 8—9 Wellen in der Sekunde, wird bei Intention ungeheuer 
größer, bleibt im allgemeinen immer größer und beginnt sich dann in der Mitte 



Fig. 62. 

zu verkleinern; es ist alternierend, besitzt 13,3 Wellen in der Sekunde und hört nach 
dem Herabsinken der Hand schnell auf, außer es folgen noch einige kleine Wellen 
nach (Figg. 61 und 62). 

20. Anfälle von Intentionszittern der rechten Oberextremität mit Tic 
des Platysma und des Diaphragma (?). Hysterogene Zonen. Beginn 
nach einer Emotion. Hysterischer Mutismus und hysterisches Stottern. 

Z. 4017/04. J. B., 60jähriger, aus gesunder Familie stammender Drehorgel¬ 
spieler. Trank früher bis 18 Glas Bier. Bis zum 15. Lebensjahre litt er an schreck¬ 
haften Träumen mit ängstlichem Aufschreien. Vor 7 Jahren wurde er von einem 
Wachmann angehalten und gefragt, ob er die Erlaubnis habe, die Drehorgel zu spielen. 
Er erschrak darüber und konnte am Abend nicht sprechen. Er wurde in die Klinik 
aufgenommen, wo er nach fünfwöchigem Faradisieren die Sprache wiedergewann. 
Schon damals zitterte die eine Hand, doch war ihm dies nicht hinderlich. Vor 
6 Jahren bekam er ein Telegramm, das ihm die Nachricht von dem Tode seines Sohnes 
überbrachte. Er erschrak, es schnürte ihm die Kehle zu, sein ganzer Körper wurde 
steif, er konnte nicht sprechen, sondern stammelt« nur, im Gesichte ganz rot, vor 
sich hin, bevor er wieder sprechen konnte. Die rechte Oberextremität begann zu 
zittern und wurde hin und hergeschleudert. Anfangs konnte er das Zittern nicht 
unterdrücken, später kam er dahinter, daß das Zittern verschwindet, wenn er die 
rechte Hand mit der linken festhält. Die Faradisation in der Klinik blieb erfolglos. 
Die Sprache besserte sich binnen 6 Tagen, aber das Zittern verfolgt ihn seither; 
sobald er nämlich in Erregung gerät, beginnt die rechte Hand zu zittern, der Kopf 
wird gegen die rechte Schulter gezogen, der rechte Mundwinkel wird herabgezogen, 
der Patient „quieckt auf“ und kann weder atmen, noch ein Wort hervorbringen. 











92 


Erster Teil. 


solange die Hand zittert. Es handelte sich um einen herabgekommenen Mann 
mit Lungenemphysem, der keine Symptome einer organischen Läsion des Nerven - 
muskelsystems darbot. Am Rumpfe und in den Kniekehlen kutane Hyperästhesie. 
Im Ruhezustände lag die rechte Oberextremität stetig dem rechten Oberschenkel 
an. Zeitweise bewegte sich auch im Ruhezustände diese Extremität in tote rhyth¬ 
misch, langsam (5—6 mal in der Sekunde) im Sinne der Adduktion und Abduktion 
im Karpalgelenk imd der Pronation und Supination des Vorderarms. Subjektive 
Aufmerksamkeit und fremde Beobachtung verstärkten das Zittern. Wenn der 
Kranke die Hand aus dieser Position emporhebt, verfällt die Hand in eine intensive 
Schüttelbewegung, der Patient bekommt einen Krampf des rechten Platysma, 
beginnt zu stöhnen, wird im Gesichte rot und kann nicht sprechen; wenn er aber 
die rechte Hand mit der linken faßt, dieselbe am Karpus drückt und an den Ober¬ 
schenkel preßt, verschwendet das Händezittern mit einem Schlag, der Platysma¬ 
krampf löst sich und der Patient kann sofort oder nach einer Weile normal sprechen. 
Durch Druck auf den zervikobrachialen Plexus, die rechte Achsel, den rechten 



Fig. 63. 


großen Brustmuskel, den rechten M. cucullaris wird sofort ein typischer Anfall aus- 
gelöst. Dasselbe geschieht, wenn man die Hand passiv vom Oberschenkel abhebt. 
Im Anfall ist die rechte Oberextremität bei passiven Bewegungen starr, nicht aber 
außerhalb des Anfalls. Wenn wir das Manöver, mittelst dessen es dem Kranken 
gelingt, das Zittern zu unterdrücken, selbst vornehmen, nimmt die Intensität der 
Schwingungen der Hand zu. Auf der beigelegten Serie von Kurven sieht man, 
daß die linke Hand im Ruhezustände zart, nicht ganz gleich und nicht ganz regel¬ 
mäßig flimmert (Fig. 63 I); die Amplituden sind klein, 10 in der Sekunde; bei Inten¬ 
tion zittert sie anfangs mit viel gröberen Amplituden (Fig. 63 Ia), aber fast gleich 
schnell (9,5 in der Sekunde), sodann zittert die gestreckte Hand wieder wie im Ruhe¬ 
zustände (Ib) und w r enn die Hand wieder in die ursprüngliche Lage zurückkehrt, 
gerät sie neuerdings in dasselbe Zittern wie im Beginne der Intention (Ic). Anders 
rechts: Hier sehen wir im Ruhezustände ein grobes Schwingen, 6,5 in der Sekunde 
(Fig. 63 II), das vor der Intention ungeheuer zunimmt, dabei gleich schnell, ungleich¬ 
mäßig, aber sehr regelmäßig bleibt (II a); nach beendeter Intention bleibt ein un¬ 
gleichmäßiges, im großen und ganzen rhythmisches Zittern mit 12—13 kleinen 
Amplituden in der Sekunde zurück (II b). 

21. Grober, langsamer bis mittelschneller Tremor der Hände, 
im Ruhezustand intermittierend, bei Intention offenkundig, häufig 
ungleich und unregelmäßig. Inkonsequenter Tremor. 

Z. 17 003/03. J. M., 46jähriger, aus gesunder Familie stammender Arbeiter. 
Von seinen 6 Kindern hat eine 16jährige Tochter einen schlechten Gang, zeitweilig 
Zuckungen des Körpers und Händezittern. Vor 7 Jahren mußte er sich nach einem 
Zw T ist in der Familie legen; hierbei empfand er eine solche Hitze im Körper und 
eine solche Angst, daß er sich in die Hausflur begeben mußte; dort wurden alle 
Extremitäten wüe hölzern, aber er blieb bei Bewußtsein. Jemand besprengte ihn 
mit kaltem Wasser, worauf alles vorbeiging. Vor 4 Jahren erwachte er plötzlich, 
schnellte empor, w\arf sich auf die rechte Seite und wrurde von universellen klonischen 
Krämpfen, am meisten an den linken Extremitäten, ergriffen. Nach einigen Minuten 







Neurosen und Psychosen. 


93 


ging alles vorüber, er war bei Bewußtsein. Seit diesem zweiten Unfälle bekommt 
er bei Intention ein Zittern der oberen Extremitäten, welche so schwach werden, 
daß er arbeitsunfähig wird. Er ist kein Potator. In der Klinik sahen wir einen im 
allgemeinen gesunden Mann mit guter Muskelkraft und unbedeutend empfindlichen 
zervikobrachialen Geflechten. Keine hysterischen Stigmata. Die oberen Extremi¬ 
täten zittern im Ruhezustände für gewöhnlich nicht, nur zeitweise geraten sie in 
ein Flimmern aus kleinen Amplituden im Karpalgelenk im Sinne der Adduktion 
und Abduktion oder im Sinne der Supination und Pronation des Vorderarms. 
Wenn der Kranke die gestreckten Oberextremitäten emporhebt, zittern die Hände 
unterwegs gar nicht, erst wenn sie in horizontaler Lage verharren, beginnen sie regel¬ 
mäßig zu zittern, wobei das Zittern von mittlerer Geschwindigkeit ist und bald an 
der linken, bald an der rechten Hand, und zw T ar hier häufiger überwiegt. Es ist 
wiederum von derselben Art, wie das eben beschriebene. Manchmal zittert auch der 
eine oder der andere Finger, besonders individuell. Beim Zusammendrücken des 
Dynamometers ist das Zittern stärker. Bei intendierten Bewegungen verfällt die 
Hand in ein grobes Zittern, und zwar sofort im Beginne der Bewegung — namentlich 
die rechte Hand —, sobald sie einen Gegenstand erfaßt (ein Nachbar, der an Sklerose 
litt, nahm das Glas ruhig in die Hand), und wird dabei so geschüttelt, daß beim 
Versuch mit dem Glase das Wasser verschüttet wird und der Kranke nicht trinkt, 
weil er das Glas an den Zähnen zerschlagen könnte. Der Kranke trinkt in der 



Weise, daß er das Glas mit beiden Händen anfaßt, wobei er nur wenig zittert. Nach 
langer Anstrengung gelingt es dem Kranken, das Zittern der einen Extremität zu unter¬ 
drücken, aber gewöhnlich beginnt dann die andere zu zittern. Die Füße zittern 
nicht; doch behauptet der Kranke, daß manchmal die Knie zittern. Die Stirn ist 
in stereotype wellenförmige Falten gelegt. Keine Mimik. Man sah ihn den Schnurr¬ 
bart ganz ohne Zittern drehen. Die Behandlung mit Hydroscyaminum hydro- 
bromicum war erfolglos. Beim Schreiben zitterte die Hand sehr, ohne daß die 
Schrift an Deutlichkeit eingebüßt hätte. 

Aus den Kurven ersieht man, daß im Ruhezustände manchmal ein ungleicher, 
unregelmäßiger Tremor mit 7 Wellen in der Sekunde erscheint, daß der Kranke 
beim Hochheben der Hand dieselbe zuerst unregelmäßig und langsam bewegt, worauf 
sich ein gröberer Tremor von ungleichen Amplituden, wiederum 7 in der Sekunde, 
etabliert (Fig. 64 a) und daß im Ruhezustände der Tremor wiederum unbedeutend 
ist und 6—7 Wellen in der Sekunde besitzt (Fig. 64 b). 

22. Motorische sensitivo-sensorielle Hemiparese mit Kontrak¬ 
turen. Krampfanfälle. Singultus. Gackern. Transfert. Tremor einer 
Hand, der bei Intention gröber wird. Heilung. 

Z. 3191/04. P. C., 32jährige Patientin, die von einer nervösen, weinerlichen, 
reizbaren Mutter stammt. Von Jugend an zu Trübsinn disponiert. Im 14. Lebens¬ 
jahre Typhus, im 18. Bauchfellentzündung, im 20. Kopfrose. Im Alter von 22 Jahren 
besuchte sie eine Freundin, die nach einem Sturz ins Wasser an hysterischen Krämpfen 
litt. Sie weinte die ganze Nacht durch und hatte am nächsten Morgen ebensolche 
Anfälle. Nach einer Woche w T ar sie gesund. Im 24. Lebensjahre wurde sie auf einem 










94 


Erster Teil. 


Ausfluge nach dem Tanzen ganz durchnäßt. Am nächsten Morgen bekam sie die¬ 
selben Anfälle, nur waren dieselben länger und heftiger; hierbei soll sie so durch - 
gebogen gewesen sein, daß sie sich nur auf den Kopf und die Fersen stützte. Nach 
einer Woche war sie wiederum gesund. Hierauf heiratete sie. Im 26. Lebensjahre 
bekam sie nach einem Streit mit ihren Eltern dieselben Anfälle; auf einmal verfiel 
sie in Bewußtlosigkeit, aus der sie erst nach 6 Tagen erwachte. Sie war ganz starr, 
hatte die Zähne zusammengepreßt, so daß sie mittelst eines zwischen den Zähnen 
durchgesteckten Federkiels ernährt werden mußte. Im 31. Lebensjahre ärgerte 
sie sich mit dem Dienstboten, worauf sie wieder einen großen Anfall bekam. Der 
letzte Anfall stellte sich jetzt im 32. Lebensjahre ein und zwar nach Kopfschmerzen, 
an denen sie seit ihrem 20. Lebensjahre leidet; sie begann zu schluchzen, hierauf 
wurde ihr schwarz vor den Augen und sie wurde bewußtlos. Angeblich hat sie sich 
gewunden und mit sich herumgeschlagen; ein Arzt gab ihr Chloroform zu riechen, 
worauf die Krämpfe aufhörten und die Kranke 3 Tage schlief. Als sie erwachte, 
konnte sie nicht sehen und redete „von lauter Spinnen“. 5 Wochen später bekam sie 
Schmerzen in die rechte Körperhälfte und bald darauf wurde die ganze rechte 
Körperhälfte starr, sie war auf dem rechten Auge blind und auf dem rechten Ohr taub. 
Nach 2 Tagen sah sie auf dem rechten Auge wieder. An demselben Tage kam sie 
in die Klinik. Hier wurde konstatiert, daß weder eine Läsion der Organe, noch eine 
solche des zentralen Nervensystems vorlag. Man fand nur eine Sensibilitätsstörung 
der rechten Körperseite mit Ausnahme des Bauches und der Lenden für alle Quali¬ 
täten, motorische Schlaffheit und Kontrakturen und eine Herabsetzung der Seh¬ 
schärfe, des Gehörs und des Geschmackes. Hysterogene Zonen fehlten. Das Ge¬ 
sichtsfeld war nicht eingeschränkt. Die rechte Oberextremität verfiel zeitweise 
in ein zartes und sehr schnelles Zittern, das im Ruhezustände und bei Bewegungen 
gleich war und spontan verschwand. Nach 2 Tagen zeigte sich aktive Beweglichkeit 
der rechten Oberextremität und da entstand bei Bewegungen ein rascher, durch 
Intention hervorgerufener Tremor (28. Februar 1904). Am dritten Tage wurde sie 
bewußtlos, schluchzte laut und rhythmisch und gackerte wie eine Henne. Auf 
äußere Einflüsse reagierte sie nicht. In dem bewußtlosen Zustande wurde durch 
bloße Verbalsuggestion ein Transfert der Sensibilitätsstörungen und Kontrakturen 
auf die linke Seite bewirkt. Der Transfert war anfangs unvollständig, aber nach 
3 Tagen vollkommen. Die linke Oberextremität verfiel bei Intention in ein un¬ 
geheueres Zittern; rechts war das Zittern bei Intention kaum merklich (2. März 1904). 
Hierauf akquirierte die Patientin eine tonsilläre Angina mit Aphonie, die nach 
schmerzhafter Faradisation wich. Auch die Kontrakturen verschwanden nach 
schmerzhafter Faradisation. Mehrere Tage hindurch hatte sie, wenn die Wärterin 
die Messung vomahm, eine Temperatur von 39°, bei unserer Kontrolle 37—37,5°. 
Wurde am 19. März 1904 fast vollständig geheilt entlassen. — Es wurde eine ganze 
Reihe von Kurven auf genommen, die einander im großen und ganzen ähnlich waren, 
darunter auch die in Fig. 47 b und c angeführten. 

g) Bizarrer Tremor. 

Der vorangehenden Form schließen sich verschiedene, vereinzelt be¬ 
schriebene Tremorformen bei hysterischen Personen eng an. 

Zunächst gehören hierher die Fälle von epidemischer Hysterie, die manch¬ 
mal von Zitteranfällen begleitet wird, bei der jedoch die motorischen Erschei¬ 
nungen häufig stürmischer, unregelmäßiger sind (Springen, Tanzen, grobe 
Konvulsionen). Häufige Erwähnung — allerdings nur en passant — des Zitterns 
bei derartigen Epidemien (epidemischer Tanz in Deutschland und in den Nieder¬ 
landen, St. Johannistanz, St. Veitstanz, Tarantismus in Italien, die Konvul- 
sionäre des hl. Medardus 1731, die amerikanischen und irischen „Camp-meeting“ 
und „revivals“ im Beginne des 19. Jahrhunderts und in dessen erster Hälfte) 
findet sich bei Richer (La grande Hysterie). 

Kur rer beschrieb eine Zitterepidemie in Horb in Württemberg und er- 



Neurosen und Psychosen. 


95 


wähnt Epidemien in Meißen (112 Fälle), in Chemnitz (21 Fälle), in Basel (122 
Fälle). Die von ihm beschriebene Epidemie zeichnete sich durch Zitteranfälle 
der rechten Hand, seltener der linken Hand und der unteren Extremitäten aus; 
das Zittern wiederholte sich durch mehrere Wochen oder Monate und ging stets 
in Heilung über. 

Breillot führt in seiner These die im Jahre 1729 in Tübingen beobachtete 
und von Elias Camerarius beschriebene Epidemie an: Nach einer Art Er¬ 
schlaffung, einem stuporösen Zustand, trat ein allgemeines, heftiges Zittern auf, 
das mit einem Angstzustand verbunden war und 7—8 Wochen dauerte. Hierbei 
schliefen die Kranken gut, fieberten nicht und hatten guten Appetit. Latteux 
erwähnt in seiner These die „trembleurs de C6 vennes“ und die amerikanischen 
Quäker, die bei ihren religiösen Übungen in Zittern geraten. [Jungmann 
zitiert in seinem Wörterbuch aus Kollar: Wenn die Quäker in ihren Ver¬ 
sammlungen zu lernen anfangen, beginnen sie zu zittern und heißen deshalb 
Zitterer (tremulenti)]. 

Schütte beobachtete in den Meißener Schulen eine eigentümliche, heftige 
Zitterkrankheit: Bei 9—13jährigen Mädchen erschien plötzlich ein Anfall von 
nervöser Unruhe und hernach ein Tremor der rechten Hand im Sinne der Adduk¬ 
tion und Abduktion, der sich manchmal auch auf den Unterarm ausbreitete, 
manchmal auch die linke Hand befiel, mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde 
dauerte und sich durch mehrere Wochen, ja sogar Monate wiederholte. Aemer 
beschrieb eine ähnliche Epidemie in Basel (siehe den Vibrationstremor). 

Krafft-Ebing beobachtete ein 18jähriges Mädchen, das nach einem 
Schreck einen allgemeinen Schüttelkrampf bekam, dessentwegen das Mädchen 
vier Monate liegen mußte; das Zittern war Tag und Nacht vorhanden (!). 
Eines Tages stand die Patientin auf und das Zittern war verschwunden. Hierauf 
zitterte sie ein Jahr lang nicht, solange sie stand oder ging; sobald sie sich legte, 
erschien das Zittern wieder. Abends konnte sie deswegen lange nicht ein- 
schlafen; erst wenn sie recht müde war, schlief sie ein und das Zittern hörte auf. 
(Auch Oppenheim sah einen hysterischen Tremor, der besonders dann mächtig 
war, wenn der Kranke lag.) 

Raymond beschrieb im Jahre 1892 einen 38jährigen Kellner, Alkoholiker, 
der vor einem Jahre nach einer durchgebummelten Nacht mit einem stetigen 
Tremor der unteren, sodann auch der oberen Extremitäten erwachte. Im Liegen 
hatte er rhythmische Bewegungen der unteren Extremitäten; er adduzierte 
und abduzierte die Füße; hier und da wurden diese Bewegungen durch eine 
Extension unterbrochen. Auch der Gang war durch plötzliche Flexionen und 
Extensionen der Füße gestört. 

Boucarut beschrieb einen Kranken mit sicheren Symptomen der Hysterie, 
der im Ruhezustände in den Schultergelenken Bewegungen vollführte wie ein 
Vogel, der mit den Flügeln schlägt und zwar 186mal in der Minute; bei Intention 
wurde der Tremor größer und schneller; nach Erreichung des Zieles der Intention 
kehrte er zu der Form im Ruhezustände zurück. Bei intendierten Bewegungen 
der einen Hand entstanden identische und synchronische Bewegungen der 
anderen Hand. Durch den Willen ließ sich das Zittern nicht unterdrücken, 
verschwand aber im Schlafe vollkommen. 

Voß beschreibt in seinem Buche ,,Uber die Hysterie in Rußland“ drei 
Fälle von alter Hysterie, von denen der erste mit der rechten Oberextremität fort- 



96 


Erster Teil. 


währende rhythmische Bewegungen ausführte, wie wenn er die Mandoline 
spielen würde, der zweite, wie wenn er trommeln würde (derselbe hatte auch 
einen saltatorischen Gang); die Frequenz dieser letzteren Bewegung betrug drei 
in der Sekunde; der dritte Fall zeigte rhythmische, blitzschnelle Zuckungen 
in allen Extremitäten. 

Diese zweite Gruppe bildet offenbar den Übergang zu der Gruppe der 
sogenannten rhythmischen Chorea, der hysterischen automatischen Bewegungen. 
- Schließlich wurden noch Zitterformen beschrieben, die infolge ihrer eigen¬ 
tümlichen Beschaffenheit zur Hysterie gezählt wurden, obwohl die Diagnose 
nicht über jeden Zweifel erhaben war. So z. B. beobachtete Popov bei einem 
21jährigen Bauer einen seit der Kindheit in wiederholten Anfällen wieder¬ 
kehrenden Tremor der unteren Extremitäten, der stets 14 Tage dauerte und so¬ 
dann plötzlich verschwand. 

* 

* * 

Einem praktischen Bedürfnisse entsprang das Bestreben, das Zittern 
bei der sogenannten traumatischen Neurose, d. i. bei der traumatischen 
Neurasthenie und Hysterie, besonders zu charakterisieren. Bisher waren alle 
diesbezüglichen Versuche erfolglos. Boeri behauptet, es handle sich um einen 
konstanten Tremor, der, wenn er nicht sichtbar ist, durch die Anstrengung, 
den Schmerz hervorgerufen wird; er ist universell, an den kranken und ge¬ 
sunden Gliedern vorhanden, ein dem emotiven Tremor analoger Intentions¬ 
tremor von 9—12 Wellen in der Sekunde. Leube gibt an, daß der traumatische 
Tremor bei Aufregung und Anstrengung besonders stark sei. Ja min versucht 
eine besonders häufige Form, welche bei Versicherten jenseits des 50. Lebens¬ 
jahres nach Traumen vorzukommen pflegt, aufzustellen. Es handelt sich um 
einen Tremor der rechten Hand, der ganz monosymptomatisch ohne andere 
Stigmata vorkommt und eine Frequenz von 6—8 Wellen in der Sekunde auf¬ 
weist; er findet im Karpalgelenk, nicht an den Fingern statt und besitzt ein 
Crescendo und ein Decrescendo. Er ist im Ruhezustände sowie bei Intention 
vorhanden, bei welcher er manchmal verstärkt, manchmal aber auch verringert 
ist. Bei vorsichtigen Manipulationen der gesunden Hand schwächt er sich ab. 
Er ist von der Aufmerksamkeit und dem psychischen Zustande der Kranken 
überhaupt sehr abhängig. Diese können sich beim Arzte kaum unterschreiben, 
während sie zu Hause sehr schön schreiben. Die Prognose ist unsicher. Auch 
bei unwillkürlichen Bewegungen tritt er nicht auf (Liniger). Seeligmüller 
ist ebenfalls der Ansicht, daß nach dem Trauma zuerst die verletzte Extremität 
zittert und alle übrigen erst nachfolgen. 

Auf Grund unserer Beobachtungen kann ich bestätigen, daß diese besonders 
beschriebene Form bei Versicherten ziemlich häufig vorkommt. Diese Form 
wird auch am häufigsten simuliert (Liniger, Fuchs, Seeligmüller). Aber 
sie ist kein Charakteristiken der traumatischen Hysterie, denn sie kommt auch bei 
nichttraumatischer Hysterie vor; ebensowenig charakteristisch ist das von 
Boeri und Leube beschriebene Zittern. 



Neurosen und Psychosen. 


97 


Ich will noch auf den „anscheinend hysterischen“ Tremor hinweisen. 
An einem anderen Orte habe ich in systematischer Weise auf zahlreiche bei Hy¬ 
sterie vorkommende Symptome hingewiesen, die uns bei ernsten organischen Er¬ 
krankungen zu einer falschen Diagnose auf Hysterie und zu einer falschen 
Prognose verleiten können. Zu diesen Symptomen gehört auch das Zittern. 
Dutil führt einen analogen Fall an (Obs. XVIII). 

30jähriges Dienstmädchen, wurde bei Charcot 1889 behandelt; stammte 
aus nervöser Familie; hatte im 7. Lebensjahr nächtliches Zittern, leidet an Migräne, 
ist seit 1886 krank. Die Patientin schlief in einem feuchten, kalten Raume, erwachte 
bei Nacht mit heftigen Schmerzen um das rechte Auge, mit Klopfen in der rechten 
Schläfe und Sausen im rechten Ohr. Binnen 4 Tagen waren alle Erscheinungen 
allmählich zurückgegangen. Während der folgenden 5 Monate wiederholte sich der 
Anfall zeitweise für 1—2 Stunden. Nach 6 Monaten bekam sie eines Abends plötz¬ 
lich die heftigsten Kopfschmerzen, wurde nach 2 Stunden bewußtlos, erwachte 
am Morgen, ohne sich naß gemacht oder sich in die Zunge gebissen zu haben, bei 
vollständiger Euphorie, worauf sie 18 Monate hindurch vollständige Ruhe hatte. 
Sodann hatte sie wieder einen Anfall von Schmerzen auf beiden Kopfseiten und wurde 
nach einigen Tagen wieder bewußtlos. Hierauf gebar sie ein uneheliches Kind. 
Nach einer Reihe von Monaten Bewußtseins Verlust, diesmal mit Enurese. Eines 
Abends — 2% Jahre nach dem Beginne ihrer Krankheit — hatte sie wegen ihres 
Kindes einen Streit mit der Muttor, worauf sie ein leichtes Zittern der rechten Hand 
bekam, das nach einer Weile wieder verschwand. Am nächsten Tage bekam sie 
das Zittern jede halbe Stunde für mehrere Minuten, dann immer mehr und mehr, 
und vor 2 Monaten auch am Fuße. Seit dieser Zeit klagt sie fortwährend über 
Kopfschmerzen, Ohrensausen und Empfindlichkeit der Haare. Alle 2—3 Tage 
hatte sie einen Anfall von Kopfschmerzen, die von der Stirn in den Nacken aus- 
strahlten, mit Ohrensausen, Schwindel nach rückwärts und Betäubung verbunden 
waren; diese Anfälle dauerten längstens eine Minute. Das Zittern war nur an den 
rechten Extremitäten vorhanden, der Kopf zitterte passiv; links, an den Augen, 
an der Zunge bestand kein Zittern. Das Zittern an der Hand war nicht synchron 
mit jenem des Fußes, sondern Hand und Fuß wechselten oft miteinander ab. Am 
intensivsten war das Zittern der Hand. Es entstand plötzlich am Oberarm, am Ell¬ 
bogen, an der Hand, verstärkte sich und verschwand sodann. Die Kranke preßte 
die Hand gegen den Unterleib und konnte das Zittern auf diese Weise manchmal 
unterdrücken. Die Muskelkraft war nicht vermindert. Die Reflexe waren normal. 
Die Innervation der Gehirnnerven war bis darauf, daß die Innervation der linken 
Wange jene der rechten übertraf, normal. An zahlreichen Körperstellen fanden 
sich Inseln von Hyperästhesie bei tiefem Druck. Das Gesichtsfeld war beiderseits 
in sehr prägnanter Weise und dauernd eingeschränkt. Sinnesorgane normal. (Be¬ 
züglich des ophthalmoskopischen Befundes findet sich keine Angabe.) 

Mit Rücksicht auf die Form des Zitterns und die Hyperästhesie wurde Hysterie 
diagnostiziert. 

Die Patientin starb eines Nachts plötzlich und bei der Sektion fanden sich 
zwei Gliome; das eine in der rückwärtigen Partie des rechten Thalamus, das andere 
nahm fast den ganzen linken Thalamus ein. 

Sehr vorsichtig muß das „hysterische“ Zittern bei Kindern beurteilt 
werden, da es bei diesen das erste Symptom einer organischen Himläsion sein 
kann (Enzephalitis, diffuse Sklerose, disseminierte Sklerose). 

Ich habe bereits bei dem der Sklerose ähnlichen hysterischen Tremor 
bemerkt, daß so mancher von den beschriebenen Fällen eigentlich schon eine 
beginnende Sklerose sein könnte. 

Überhaupt kann uns die Sklerose, der Gehirntumor, der Gehimabszeß 
sehr leicht zur Diagnose der Hysterie verleiten. 

Historische Bemerkungen. En passant wurde das Zittern bei Hysterie 
in zahlreichen älteren Arbeiten über Hysterie und Nervenkrankheiten über- 
Pelnäf, Zittern. 7 



98 


Erster Teil. 


haupt beschrieben. Genauer beschrieben hat esCharcot, systematisch studiert 
haben es unabhängig voneinander Ren du und Pit res im Jahre 1889; hierauf 
erschien die schöne systematische These über den hysterischen Tremor von 
Dutil im Jahre 1891, in welcher so ziemlich alles, was wir heute über den hyste¬ 
rischen Tremor wissen, enthalten und auch durch einige schöne Kurven belegt 
ist. Le tu Ile publizierte im Jahre 1888 seine Arbeit, in der er den Verdacht 
aussprach, daß die sogenannten toxischen Zitterformen hysterisch seien, eine 
Vermutung, die übrigens schon Charcot zwar nur nebenbei, aber mit Sicherheit 
in seinen Vorlesungen ausgesprochen hat. Letulles Lehre wurde von dessen 
Schüler Mugnerot durch eine besondere These im Jahre 1889 gestützt. 

Die Therapie des hysterischen Zitterns läßt sich von der Behandlung 
der Hysterie überhaupt nicht trennen. Es ist zu bemerken, daß Fälle von 
Zittern, die allen Medikamenten und Methoden getrotzt hatten, geheilt wurden, 
wenn ihr hysterogener Punkt gefunden war (häufig längs der Wirbelsäule) und 
auf diese Stelle der Magnet (Pitres) oder der faradische Pinsel appliziert wurde. 
Auch nach der Analgesie mit Äther verschwand das Zittern (Krafft-Ebing). 
Bei der Behandlung des Quecksilbertremors haben wir Letulles Suggestions¬ 
behandlung mit der elastischen Ein Wickelung erwähnt. Dutil hat bei seinen 
Kranken mit keiner der genannten Methoden einen Erfolg erzielt. Bernheim 
lobt die Wirkung der Hypnose. 

Vm. A) Das Zittern bei der Basedowschen Krankheit. 

Bei dieser Krankheit ist das Zittern das regelmäßigste Kardinalsymptom. 
Es ist zart, häufig kaum erkennbar, besser tast- als sichtbar, regelmäßig, besitzt 
zeitweilig Verstärkungswellen und hat 8—9, manchmal auch 11,5—12 Schwin¬ 
gungen (Wertheim, unsere Fälle) in der Sekunde. In den leichtesten Fällen 
beschränkt es sich auf die gestreckten Oberextremitäten in ihrer Gänze, nach 
Charcot ohne individuelles Zittern der Finger. (Doch ist dies nicht die Regel, 
denn wir beobachteten einen individuellen Fingertremor bei 15% der Fälle.) 
Es hört nicht einmal im Zustande vollständiger Ruhe gänzlich auf und nimmt bei 
Bewegungen manchmal ein wenig, aber nicht allzusehr an Intensität zu. Es 
findet im Sinne der Flexion und Extention der Hand statt, seltener im 
Sinne der Abduktion und Adduktion oder der Pronation und Supination. 
In schwereren Fällen betrifft es den ganzen Rumpf und wird, wenn man die 
Handflächen auf die Schultern des Kranken legt, deutlich tastbar; manchmal 
befällt es auch die unteren Extremitäten (in % unserer Fälle), die in extremen 
Fällen im Sitzen wie beim Treten der Pedale zittern (Marie). Bei einem unserer 
Fälle begann es an den Füßen und blieb hier auch dann, als es sich auch auf 
die Hände ausgebreitet hatte, am intensivsten. Selten befällt es die Atmungs- 
muskul^tur (Dejerine). In extremen Fällen kann es ebenso beim Gehen 
hinderlich sein, wie es die Manipulationen der Hände stören kann. (Der Patientin 
Gros’ — zit. von Breillot — fielen die Gegenstände, z. B. das Salzfaß aus den 
Händen, unsere Patienten vermochten nicht zu schreiben, eine Nadel einzu¬ 
fädeln, auf dem Klavier zu spielen.) In diesen schwereren Fällen ist der Tremor 
gröber, seine Wellen schwanken, aber auch dann beträgt die Frequenz regel¬ 
mäßig 8—9% und mehr in der Sekunde. 

In manchen Krankheitsphasen fehlt zwar das Zittern, aber ganz ohne 



Das Zittern bei der Basedowschen Krankheit. 


99 


Tremor verläuft die Krankheit nie. Bei eintretender Besserung verschwindet 
er etwa in 1 / 3 der Fälle oder er wird intermittent (siehe z. B. unseren Fall Nr. 8). 
Bei eintretender Heilung verschwindet auch der Tremor. Manchmal aber 
bleibt er auch dann, wenn alle übrigen Krankheitssymptome bereits ver¬ 
schwunden sind (Gros bei Breillot — 35 Jahre nach den Basedow - 
Symptomen). 

Bei psychischen Erregungen oder wenn die Kranken sich beobachtet 
fühlen, ist das Zittern intensiver und gröber und dem regelmäßigen Tremor 
mischen sich auch unregelmäßige Bewegungen choreatischer Art bei (Oppen¬ 
heim). Vielleicht erklärt sich auf diese Weise auch die Beobachtung von 
Bruns, welcher einen Tremor des beschriebenen Charakters mit gröberen, 
langsameren Oszillationen abwechseln sah und hierbei auch einen individuellen 
Tremor der Finger beobachtete. 

Mau de sah bei einem einseitigen Exophthalmus auch das Zittern auf eine 
Körperhälfte beschränkt — eine vereinzelt dastehende Beobachtung. 

Unsere Erfahrungen über die Symptome der Basedowschen Krankheit 
finden sich in der Kasuistik der 51 Fälle, die Syllaba während seiner Assistenten¬ 
zeit aus der böhmischen Universitätspoliklinik, ferner aus der Klinik Thomayers 
und schließlich aus seiner und aus meiner Privatpraxis gesammelt und im Jahre 
1909 im Sbomik klinicky, Bd. X (XIV) publiziert hat. Nach der Publikation 
Syllabas sammelten wir noch sieben Fälle aus der Klinik, vier nicht ganz 
deutlich ausgesprochene Fälle aus unserer Privatpraxis und die Kurven zweier 
klinischer Patienten ohne Krankheitsgeschichte; die Gesamtsumme der sicheren 
Fälle beträgt also 58. 

Unter diesen waren nur acht Männer = 13,8% und 76,2% Weiber. 

Nur in einem einzigen Falle (Sy llaba Nr. 1) wurde kein Tremor beobachtet; 
in einem anderen Falle war er bei der ersten Untersuchung nicht entwickelt, 
wurde aber später konstatiert (Syllaba Nr. 29). 

In allen Fällen wird er als schnelles oder sehr schnelles Zittern der ge¬ 
streckten Oberextremitäten, in 34 der Fälle auch der Unterextremitäten be¬ 
schrieben; einmal (in dem erwähnten Falle Nr. 29) war er anfangs nur an den 
Füßen vorhanden, wo er auch später, nachdem er auch an den Händen auf¬ 
getreten war, überwog. Achtmal, also in 15%, ist auch ein individueller Tremor 
der Finger verzeichnet. Oft ist der Tremor „sehr intensiv, sehr deutlich“ u. dgl. 
Unter 11 gebesserten Fällen verschwand er viermal, zweimal änderte er sich 
trotz Besserung der übrigen Symptome nicht; bei den übrigen Fällen änderte 
er sich sehr, einmal wurde er auffallend intermittent (Syllaba Nr. 29). Bei 
18 geheilten Fällen verschwand er vollständig mit den übrigen Symptomen. 
Einmal war der Tremor beim Eintritt in die Klinik ganz deutlich vorhanden, 
am nächsten Tage aber war er verschwunden. Häufig war er bei kleinen Ver¬ 
richtungen der Hände hinderlich, so z. B. beim Schreiben. 

Wir wollen nunmehr die Beschreibungen und Kurven einiger unserer Fälle 
anführen. 

1. Von einem 18jährigen Mädchen (Syllaba Nr. 13). Auf einer Serie von 
Kurven (Fig. 1), welche zugleich die Zeichnung des Tremors der normalen Menschen 
Dr. P. und Dr. S. enthält, zeigen die Kurven Nr. 1, 2, 3 und 4 in imunterbrochener 
Aufeinanderfolge den Tremor der gestreckten Oberextremitäten. Wir sehen, daß 
sich das Zittern mit der Dauer des Versuches nicht ändert: es handelt sich fort¬ 
während um ein deutliches, leicht ungleichmäßiges und stellenweise ganz leicht 

7* 



100 


Erster Teil. 


arhythmisches, sehr schnelles Zittern ohne gröbere Schwankungen der Intensität 
und der Geschwindigkeit mit 10—10,5 Wellen in der Sekunde. 

2. Von einer 30jährigen Patientin (Syllaba Nr. 22) aus dem ersten Anfall 
der Krankheit. Die oberste Kurve stammt von der zur Faust geschlossenen linken 
Hand, die beiden untersten Kurven stammen von der zur Faust geschlossenen und 
gestreckten rechten Hand. Alle drei Kurven zeigen einen mittelstarken, stellenweise 



Fig. 65. 

leicht ungleichen, an anderen Stellen leicht arhythmischen, schnellen Tremor von 
11—12 Wellen in der Sekunde; außerdem wurden vier Kurven bei gestreckten Fingern 
abgenommen, auf denen infolge der Unvollkommenheit meiner graphischen Methode 
bei der Interferenz der Bewegungen in der Frontal- und Horizontalebene ein un- 



Fig. 66. 


gleicher, leicht unregelmäßiger und langsamerer Tremor von etwa 8 Wellen in der 
Sekunde verzeichnet ist (Fig. 65). 

3. Von einer 35jährigen Patientin aus der klinischen Ambulanz. Die Serie 
von Kurven, die bei gestreckten Oberextremitäten aufgenommen wurde, zeigt 



Fig. 67. 


überall einen feinen, fast ganz gleich- und regelmäßigen, schnellen Tremor von 
10—10,5 Wellen in der Sekunde (Fig. 66). 

4. Von einer 18jährigen klinischen Patientin. Eine Serie von Kurven, die 
stellenweise einen feinen, ziemlich regelmäßigen, sehr schnellen Tremor von 11—12 
Wellen in der Sekunde, stellenweise einen infolge Interferenz der Bewegungen 
unregelmäßigen und ungleichen Tremor von auch nur 6 Wellen in der Sekunde auf¬ 
weisen (Fig. 67). 



















Das Zittern bei der Basedowschen Krankheit. 


101 


Nach dem Erscheinen der Publikation von Syllaba habe ich noch folgende 
Fälle aus der Klinik Thomayer gesammelt: 

5. K. B., 21 jähriges Dienstmädchen. Seit der Kindheit bestehen Symptome 
von Schwachsinn; besitzt zahlreiche Formanomalien des Körpers. Menses seit 
dem 13. Lebensjahre regelmäßig, fehlen seit 3 Monaten. Vor 2 Jahren begann der 
Hals an Umfang zuzunehmen. Im Februar des vorigen Jahres fiel die Patientin 
auf dem Eise auf den Rücken und mußte 4 Wochen das Bett hüten. Seit dieser Zeit 
hatte sie Herzklopfen, besonders bei anstrengender Arbeit. Auch soll sie im ganzen 
Körper Kribbeln und in den Extremitäten Schmerzen gehabt haben. Seit einem 
halben Jahre werden die Augen größer und zittern die Füße. Um das 14. Lebens- 



Fig. 68. 

jahr hatte sie schreckhafte Träume wie bei Epilepsie. — Außer anderen Symptomen 
hatte sie ein Flimmern der geschlossenen Lider und der nicht vorgestreckten Zunge 
und ein zartes Zittern der gestreckten Oberextremitäten. (Nähere Angaben über 
das Zittern fehlen.) 

6. N. J., 30jähriges Dienstmädchen. Nr. 11040/04. Zwischen dem 7. und 
28. Lebensjahre wurde die Patientin oft ohnmächtig, wobei sie umfiel und sich ver¬ 
letzte. Im vorigen Jahre bemerkte sie, daß sie größere Augen und einen dickeren 






Fig. 69. 

Hals bekomme und daß ihr Herz rascher schlage. Sie leidet oft an Kopfschmerzen. 
Sie regt sich leicht auf und weint häufig. Seit Beginn der Krankheit hat sie ein 
Zittern der Oberextremitäten, das ihr bei feineren Arbeiten, z. B. beim Schreiben, 
hinderlich ist. Im letzten Vierteljahr verlor sie 10 kg an Körpergewicht ; während 
derselben Zeit ist die Menstruation unregelmäßig geworden. — Bei der Aufnahme 
hatte sie einen ganz sicheren, zarten, schnellen Tremor der Oberextremitäten, der 
aber am nächsten Tage verschwunden w T ar. Die Kurven (Fig. 68) zeigen einen 
Tremor von 10—12 Wellen in der Sekunde mit periodischen Schwankungen der 
Intensität. 

7. C. A., 21 jähriges Dienstmädchen. Nr. 1247/09. Im 17. Lebensjahre litt 
die Patientin durch etwa 3 Wochen an Herzklopfen und Kurzatmigkeit beim Gehen. 
Vor einem Jahre Typhus, nachher Hämoptysen. Seit dieser Krankheit hat sie 
Herzklopfen, Zittern der Hände und Füße und bemerkt sie eine Zunahme des Hals- 















102 


Erster Teil. 


umfanges. Sie ist traurig und weint wegen jeder Kleinigkeit. Vom Exophthalmus 
weiß sie nichts. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten schnell. In der Klinik 
hatte sie epileptiforme Anfälle und schreckhafte Träume. Diarrhöen. 

Die Kurven registrieren einen Tremor mit unregelmäßigen Wellen, die, was 
ihre Zahl anbelangt, der Schnelligkeit des beobachteten Zitterns entschieden nicht 
entsprachen; sie entstanden offenbar durch Interferenz der Bewegungen der oberen 
Extremitäten (Fig. 69). 

8. R. M., 24 jährige Musikantin. Nr. 22 687/09. Hat viermal abortiert und 
zweimal geboren. Vor 3 Jahren begann im Wochenbett nach dem zweiten Kinde 
der Hals an Umfang zuzunehmen; vor 2 Jahren sagten ihr die Leute, daß sie große 
Augen hätte; vor einem halben Jahre bekam sie Herzklopfen und Zittern der oberen 
Extremitäten, so daß sie das Klavierspielen aufgeben mußte. Sie regt sich auf, 
weint, gerät leicht in Streit. Sie stand im März wegen Bronchialkatarrh — sie 
hatte damals ein leichtes Zittern der gestreckten Oberextremitäten — und im Sep¬ 
tember, wo sie kein Zittern mehr hatte und wiederum Klavier spielen konnte, in 
klinischer Behandlung. Im darauffolgenden Dezember zitterten wieder alle vier 
Extremitäten. Im Januar verschwand das Zittern wieder fast vollständig. 



Fig. 70. 

9. S. Fr., 31 jähriger Schuster. Nr. 2305/09. Biertrinker und starker Raucher. 
Vor 3 Jahren begann bei einer Tanzunterhaltung sein Hals dicker zu werden und 
erreichte bis zum nächsten Morgen den gegenwärtigen Umfang. Schon 3 Monate 
früher hatte er Herzklopfen, große Augen und Zittern der Hände. Er wurde reiz¬ 
bar. Zartes Zittern der gestreckten Finger. Nach Galvanisation verschwand das 
Zittern mit den übrigen Symptomen fast vollständig. 

10. K. M., 43 Jahre alt, verheiratet. Nr. 3408/09. Um das 20. Lebensjahr 
eine Gelenkaffektion. Seit dem 31. Lebensjahre Herzklopfen, besonders bei Er- 



Eig. 71. 


regungen, und Zittern des ganzen Körpers. Das Zittern der Hände war manchmal 
so stark, daß sie eine Nadel nicht einfädeln konnte. Gleichzeitig bekam sie einen 
dicken Hals. Ist reizbar, weinerlich, vergeßlich. Seit etwa 3 Jahren schwitzt sie 
bei der Arbeit auf der rechten Gesichtshälfte, die dabei rot wird, während die linke 
trocken, blaß und kühl bleibt. Die gestreckten Oberextremitäten zittern rasch, 
das Zittern ändert sich bei Intention nicht. 

Wir zeichneten eine Serie von Kurven, die einen rhythmischen, ungleichen, 
ziemlich groben Tremor von 11—12 Wellen in der Sekunde darstellten (Fig. 70). 

11. H. Fr., 43 Jahre alt, verheiratet. Nr. 2352/09. Kinderlos. Vor einem 
halben Jahre brachen bei ihr Diebe ein. Die Patientin erschrak, bekam Herzklopfen, 
zitterte am ganzen Körper und es dauerte zwei Tage, bevor sie sich wieder beruhigte. 
Vor 14 Tagen überfielen Diebe ihren Mann. Seit dieser Zeit hat sie Herzklopfen, 







Das Zittern bei der Basedowschen Krankheit. 


103 


zittert am ganzen Körper; sie schläft schlecht und magert ab. Wir fanden bei ihr 
einen schnellen Tremor der gestreckten Oberextremitäten, der durch Intention 
sich nicht verstärkte. Auch an den Füßen war das Zittern vorhanden. 

Eine Serie von Kurven zeigt einen rhythmischen, nur ganz leicht ungleich¬ 
mäßigen, bei Intention etwas gröberen Tremor, der sowohl bei statischer Inner¬ 
vation, als auch bei Intention 9 Wellen in der Sekunde aufweist (Fig. 71). 

Dem Tremor beim Morbus Basedowi möchte ich vier Fälle anschließen, 
in denen die Diagnose nicht sicher war: Es handelte sich durchwegs um Neurosen 
mit subjektiven Beschwerden, die jenen bei der vasomotorischen oder kardialen 
Neurasthenie analog waren; bei allen trat neben Tachykardie ein Tremor der 
gestreckten Hände in den Vordergrund, doch konnte die Diagnose nicht mit 
Sicherheit auf Basedowsche Krankheit gestellt werden. 

1. M. Fr., 38 Jahre alt, verheiratet. Seit der Jugend litt sie wöchentlich 
an schweren Migräneanfällen. Im 16. Lebensjahre hatte sie eine Struma, die nach 
einem halben Jahre verschwand. Im Frühjahr 1909 bekam sie Zittern am ganzen 
Körper und Herzklopfen. Im Sommer begann die Schilddrüse wieder größer zu 
werden. Sie klagt darüber, daß sie ungemein jähzornig sei, was früher nicht der Fall 
war. Im Oktober kam Schlaflosigkeit hinzu, zeitweilig ist auch Appetitlosigkeit 
vorhanden. Zu dieser Zeit konstatierte ich eine beträchtliche, nicht pulsierende 
Struma. Puls 120. (In Erregungszuständen pflegt sie angeblich viel mehr zu haben.) 
Rasches Zittern der Hände und Füße und des ganzen Körpers. Befund an den 
Organen und am Nervensystem normal. — Im November lobte sie sich ihren Zu¬ 
stand; sie war wieder ruhig, das Zittern war viel schwächer. Sie erzählt mit Staunen, 
wieviel sie esse. Sodann verschwand sie aus der Beobachtung. Der Tremor wurde 
nicht registriert. Beim Schreiben war er nicht hinderlich. 

2. R., 44 Jahre alt, verheiratet; ein 51 jähriger Bruder ist nervös, reizbar, 
hat Glotzaugen und zittert an den Händen; ein zweiter Bruder ist auch nervös 

r? 



Fig. 72. 


und der Vater soll ebenfalls nervös gewesen sein; allen zitterten die Hände. Auch 
ihr zitterten schon in der Schule die Hände. Seit der Jugend ist sie nervös, schreck¬ 
haft. Im 20. Lebensjahre, nach dem Tode des Großvaters, begann sie am Körper 
zu zittern; sie war in einer fortwährenden Angst, hatte heiße Ohren und kalte Hände. 
Als sie im 29. Lebensjahre heiratete, verschwanden alle Beschwerden. — Im Jahre 
1909 bekam sie Zittern am ganzen Körper; sie wurde reizbar und das Herz begann 
zu klopfen; in ruhigen Momenten hatte sie 100—106 Pulse, dagegen viel mehr, wenn 
sie erregt war. Im November 1909 konstatierte ich mit Bestimmtheit einen leichten 
Exophthalmus, der rechts etwas größer war. Das Gr ae fesche und das S teil wag- 
sehe Symptom fehlten. Intensives, schnelles Zittern der Hände. Zittert im Stehen 
am ganzen Körper. 168 Pulse in der Minute. Pigmentation der Lider. Tremor 
der Lider, der Wangen, der Lippen, der Zunge, besonders bei länger dauernder 
statischer Innervation. — Dieser Zustand änderte sich während einer halbjährigen 



104 


Erster Teil. 


Beobachtung nicht, höchstens besserte er sich insofern, daß die Patientin zu Hause 
nicht zittert. Beim Schreiben der gewöhnlichen Schrift zittert sie nicht, nur wenn 
sie Buchstaben (Druck) zeichnen soll, wird das Zittern offenkundig (Fig. 72). Das 
Zittern dieser Frau fixierte ich durch eine Serie von Kurven. Auf den Kurven 
1 und 2 sehen wir im großen und ganzen ein regelmäßiges und fast völlig gleich¬ 
mäßiges, deutliches Zittern der beiden Hände mit einer gleichbleibenden Geschwindig¬ 
keit von 10—11 Wellen in der Sekunde. Nr. 3 enthält das Zittern der beiden ge¬ 
streckten Oberextremitäten gleichzeitig; durch Interferenz der Bewegungen ent¬ 
steht eine ungleichmäßige und weniger regelmäßige Kurve; in den regelmäßigen 
Partien beträgt die Geschwindigkeit wiederum 10 Wellen in der Sekunde. Beim 
Zusammendrücken des Dynamometers (Nr. 4, 5) zittert die andere Hand mehr. 
(Sub 5 eine eigentümliche Form von anakrotischen Wellen — es beträgt die Zahl 


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5 



Fig. 73. 


der Wellen scheinbar 22 in der Sekunde.) Am gröbsten war der Tremor dann, wenn 
die Kranke zählte; aber auch dann betrug die Frequenz fortwährend 10 Schwingungen 
in der Sekunde. 

Sub Ia—d ist das Zittern ihres 10jährigen Sohnes — zeitweise deutlich, 
mit 10 Wellen in der Sekunde, zeitweise weniger ausgesprochen — und sub 11a—y 
ihrer 13jährigen Tochter gezeichnet; bei letzterer ist der Tremor bezüglich seiner 
Intensität von gleich unbeständigem Charakter und besitzt in den deutlichen Partien 
eine Geschwindigkeit von 10 Oszillationen in der Sekunde (Fig. 73). 

3. V. V., 27 jähriger Buchhalter. Nr. 3602/05. Stand in klinischer Behand¬ 
lung vom 16. März bis 2. April 1905. Stammt aus gesunder Familie, war stets ge¬ 
sund. Im 21. Lebensjahre litt er häufig an Pollutionen. Im 22. Lebensjahre empfand 
er bei einer Turnübung einen plötzlichen Stich beim Herzen, eine ungeheuere Oppres- 
sion und Herzklopfen. Seit dieser Zeit wiederholen sich ähnliche Anfälle mit Herz¬ 
klopfen, besonders vor dem Einschlafen. In der Klinik wurde konstatiert: Tachy¬ 
kardie, die fast fortwährend vorhanden ist, bis zu 176 Pulsen in der Minute aufweist, 
manchmal einen orthostatischen Typus besitzt und manchmal mit exspiratorischer 
Retardation einhergeht ; ferner Struma, die manchmal kleiner wurde und auch voll¬ 
ständig verschwand, so daß sie kaum tastbar war. Schreckhafte Träume mit Palpi- 
































Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


105 


tationen. Rascher Tremor der gestreckten Oberextremitäten. Körperliche Un¬ 
ruhe. Herumwälzen im Bett. — Bald nach dem Eintritte in die Klinik nahm ich 
die Zitterkurven auf. Wir sehen, daß es sich um einen leicht imgleichmäßigen, 
kleinen Tremor von 9—10 und vorwiegend von 10 Wellen in der Sekunde handelte; 
an einer Stelle ist er durch unregelmäßige Bewegungen der Extremitäten unter¬ 
brochen (Fig. 74). Zwei Jahre später stand der Patient vom Juni bis Februar in 
meiner Privatbehandlung. Er hatte eine sichtbare Struma, die manchmal pulsierte, 
obwohl die genaue Konstatierung der Pulsation infolge der starken Pulsation der 



Fig. 74. 


Karotiden schwer war; der rechte Bulbus prominierte; er hatte ein zartes, schnelles 
Zittern der Finger und 120—140 Pulse. Psychisch war er viel ruhiger. 

4. K. M., 31 Jahre alt. Nr. 4998/04. Stammt aus gesunder Familie. Vor 
3 Jahren bekam sie nach heftigen Bauchschmerzen hartnäckige Diarrhöen. Seit 
2 Jahren bekommt sie einen dicken Hals. Vor % Jahren wieder jene hartnäckigen 
Diarrhöen. Ist sehr abgeschwächt. Seit 2 Monaten bekommt sie beim Gehen 
Herzklopfen, so daß sie ausruhen muß. Seit einem Jahre werden die Zähne rasch 
schlecht; auch fallen ihr die Haare aus. — In der Klinik konstatierte man eine 
pulsierende Struma und ein mäßig dilatiertes Herz mit einem systolischen Geräusch 
über der Aorta und über der Herzspitze. Puls konstant beschleunigt, 104 in der 
Minute. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten nach verschiedenen Richtungen 
zart und schnell. Die Bulbi prominierten nicht, es fehlte sowohl das Graefesche 
als auch das Stellwagsche Symptom. 

Historische Anmerkung. Beschrieben wurde dieses Zittern von 
Charcot im Jahre 1862. Erwähnungen finden sich bei Charcot in dessen 
älteren Arbeiten (1856), bei Röhrig (1863), Trousseau, Mackenzie, F6re 
(1874), Raynaud (1875) und in der These von Rey (1877), in der Arbeit von 
Teissier, Rüssel; in der Arbeit von Douglas (1879) findet sich bereits eine 
genauere Beschreibung des Tremors; ferner finden wir Erwähnungen bei Foot, 
Nothnagel. Genauer studiert wurde er von Pierre Marie (1883), dessen 
Angaben in allen Beschreibungen reproduziert werden. Gleichzeitig mit ihm 
studierte diesen Tremor Ballet, der ihn nicht als zum Basedow gehörig auf¬ 
faßt und diese Behauptung gegen die allgemeine Ansicht noch im Jahre 1909 
verteidigt. 

Die Behandlung des Zitterns bei der Basedowschen Krankheit fällt 
mit der Behandlung der Krankheit selbst zusammen. Der Versuch Parisots, 
das Zittern durch Skopolamininjektionen zu unterdrücken, nach denen nur eine 
geringe und flüchtige Besserung eingetreten war, dürfte sicherlich keine Nach¬ 
ahmung finden. 

VIII. B) Das Zittern bei der Parkinsonschen Krankheit. 

Bei der Parkinsonschen Krankheit ist das Zittern ein sehr häufiges, 
konstantes und charakteristisches Krankheitssymptom. In zwei Dritteilen der 
Fälle ist es das erste Krankheitssymptom und kann lange Zeit das einzige Sym- 





106 


Erster Teil. 


ptom bleiben (in unseren Fällen 2—3 Jahre, im Falle Thomayers sogar 5 Jahre). 
Dies pflegt namentlich beim traumatischen Ursprung der Krankheit der 
Fall zu sein (Vandier). Es beginnt gewöhnlich an den oberen Extremitäten, 
an einer Extremität häufiger als an den beiden zugleich, und zwar rechts häufiger 
als links. Es wird behauptet, daß es sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit 
über den Körper ausbreitet: von der Oberextremität soll es auf die gleich¬ 
seitige Unterextremität und dann auf die Ober- und Unterextremität der anderen 
Seite übergehen; doch gilt dies nach unseren Erfahrungen nicht einmal für die 
Mehrzahl der Fälle. Es kann lange auf eine Körperhälfte beschränkt bleiben 
und pflegt während der ganzen Krankheitsdauer auf der einen Seite gröber zu 
sein als auf der anderen. Manchmal breitet es sich auch auf den Unterkiefer, 
die Unterlippe und die Zunge aus, selten ergreift es auch die Muskulatur des 
Gesäßes (unser Fall Nr. 24), der Lende (Thomayer, Mendel, unser Fall Nr. 24), 
des Bauches, die Atmungsmuskulatur (Parisot), die Augenlider (Koenig, 
Brissaud, Oppenheim), den M. orbicularis oculi (Gowers, Brissaud, 
Meige, Bruns, Wollenberg, Markelov). Charcot behauptete, daß bei 
reinen Formen niemals ein selbständiges Zittern des Kopfes vorkommt, doch 
wurden später viele Fälle mit Kopfzittem beschrieben. (Heimann bei 11 von 
19 Fällen, Lantzius bei 3 von 12 Fällen; unter den 32 Fällen unserer Beobach¬ 
tung findet es sich nur zweimal bei den Fällen Nr. 8 und 10.) Auch sind Fälle 
beschrieben worden, in denen das Zittern am Kopfe begann und auf die Lippen 
und die Zunge überging; allerdings zweifeln manche daran, daß es sich um 
Parkinsonsche Krankheit gehandelt habe. Selten sind auch jene Fälle, in 
denen der Tremor längere Zeit die monoplegische Form beibehält (in einem 
unserer Fälle zwei Jahre an der linken Unterextremität, in einem anderen Falle 
drei Jahre an der rechten Oberextremität, im Falle Dignats vier Jahre an 
einer Oberextremität, im Falle Thomayers fünf Jahre an einer Unterextremi¬ 
tät). Der paraplegische Beginn ist häufiger als der monoplegische. 

Das Zittern beginnt gewöhnlich langsam und ist nicht beständig; es er¬ 
scheint nur bei Aufregungen und bei Ermüdung oder tritt in Form von Anfällen 
auf (Bechet). In seltenen Fällen beginnt es plötzlich; dies ist gewöhnlich nach 
heftigeren Emotionen und Verletzungen der Fall; hier kann es auch an allen 
vier Extremitäten zugleich beginnen (unsere zwei Fälle). 

In jenen Fällen, in denen das Zittern nicht das erste Symptom ist, geht 
ihm ein Gefühl von Schwäche in den Extremitäten, eine Unsicherheit der Be¬ 
wegungen, eine unbestimmte Schmerzhaftigkeit, ein Kältegefühl voran. 

Im weiteren Verlaufe aber wird es zu einem konstanten, ziemlich groben, 
langsamen Tremor mit 3—5, nur selten mit 6 Weilen in der Sekunde. (In unseren 
Fällen zumeist mit etwa 5 Wellen in der Sekunde.) Derselbe spielt sich gewöhn¬ 
lich an der Peripherie der Extremitäten ab, an den Füßen, in den Sprunggelenken, 
an den Händen, in den Karpal- und Fingergelenken und mit besonderer Vor¬ 
liebe im Metakarpalgelenk des Daumens. Da die Finger hierbei gleichzeitig eine 
eigentümliche typische Lage einnehmen: Extension in den Interphalangeal- 
gelenken, halbe Flexion und Adduktion des II. —V. Fingers und Opposition des 
Daumens, nimmt die Schüttelbewegung der Hand eine bizarre Form an, die seit 
jeher mit gewissen koordinierten Bewegungen verglichen wird: Kneten eines 
Brotkügelchens (Gubler 1845), Trommlerbewegungen, Geldzähien, Siebbe¬ 
wegungen, Pillendrehen u. a. 



Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


107 


Ein charakteristisches Merkmal dieses Zitterns besteht darin, daß es in 
der Ruhe vorhanden ist, mögen die Hände am Körper herabhängen oder auf 
einer Unterlage ruhen, mag der Kranke ruhig stehen (in den Kniegelenken) oder 
ruhig sitzen (in den Sprunggelenken). 

In jenen Fällen, in denen das Zittern in der Ruhe nicht deutlich genug 
ist, können wir dasselbe leicht hervorrufen, und zwar an den unteren Extremi¬ 
täten dadurch, daß wir den Kranken aufsetzen und ihn die Füße nur auf die 
Fußspitzen stützen lassen, und an den oberen Extremitäten dadurch, daß der 
Patient im Sitzen die oberen Extremitäten derart bequem auf die gespreizten 
Oberschenkel legt, daß er sich mit dem Ulnarrand des Vorderarms auf die Ober¬ 
schenkel stützt und die Hände frei herabhängen läßt (Thomayersches Hilfs¬ 
mittel). 

Ein anderes charakteristisches Merkmal dieses Zitterns besteht darin, 
daß es bei intendierten Bewegungen, und zwar im ersten Moment der Bewegung 
verschwindet. Bei grober Muskelspannung (Drücken, Heben einer Last) schwin¬ 
det es eher als bei leichter, nicht anstrengender Intention (Zeichnen in der Luft). 
Auch durch eine energische Willensanspannung kann man das Zittern, aber 
nur für einen Augenblick, sistieren, ja, manchmal genügt die einfache Intention 
ohne Bewegung, der Befehl zur intendierten Bewegung (Hei mann), eine passive 
Bewegung der zitternden Extremität (Dejerine, Oppenheim, Hei mann, 
Lantzius, Machol, unser letzter Fall). Heimann soll es gelungen sein, das 
Zittern bei seinen Fällen durch die bloße Berührung, durch Streicheln der 
zitternden Hand, ja, durch die bloße Geste, als wollte er die zitternde Hand 
streicheln, zu sistieren. 

Selten tritt das Zittern erst bei der statischen Innervation auf (Hudo- 
vernig). 

In seltenen Fällen nimmt die Intensität des Zitterns bei der Intention zu; 
Gerhardt will dies bei 9 von seinen 18 Fällen beobachtet haben. Unsere Er¬ 
fahrungen stimmen mit dieser Zahl nicht überein; denn wir beobachteten eine 
Verstärkung des Zitterns bei Intentionen nur in 4 von 28 Fällen und von diesen 
4 wiesen 2 überdies manchmal eine Abnahme der Heftigkeit des Zitterns auf 
oder dieses verschwand auch gänzlich. Vielleicht ist diese Verstärkung des 
Zitterns bei der Intention, wie Heimann scharfsinnigerweise bemerkt (sein 
Fall V) und wie auch wir bei unserem Fall (Nr. 7) beobachten konnten, nicht 
das reine Intentionszittern, sondern dieses folgt erst auf eine anfängliche Ab¬ 
nahme der Intensität. Gowers behauptet, Fälle gesehen zu haben, bei denen 
das Zittern nur bei Bewegungen auftrat, und zwar soll dies dort der Fall gewesen 
sein, wo die Muskelrigidität bedeutend über wog. Analoge Fälle Hitzigs führt 
Wollenberg an. Die genauer publizierten Fälle sind aber nicht ganz klar. 
So z. B. beschreibt Bechet einen Fall (Obs. VIII), bei dem der Verdacht auf 
disseminierte Sklerose besteht und der Patient Wollenbergs wies bei inten¬ 
dierten Bewegungen einen stärkeren Tremor auf, der leicht als emotive Ver¬ 
stärkung aufgefaßt werden kann. 

Bei unserem typischesten Beispiel (Nr. 8) trat das Intentionszittern erst 
vor dem Tode auf und bei der Autopsie fand man im Gehirn multiple Erweichungs¬ 
herde (etat crible). 

Es scheint mir daher, daß das Intentionszittem nicht zum Bilde der Par- 
kinsonschen Krankheit gehört, sondern eine Komplikation derselben darstellt 
und mit anatomischen Läsionen des Gehirns zusammenhängt. 



108 


Erster Teil. 


In vorgeschrittenen Stadien der Krankheit kann das Zittern gänzlich ver¬ 
schwinden; dies geschieht dann, wenn die Muskelrigidität einen hohen Grad 
erreicht hat. Die Fälle III, IV und XI von Hei mann und der I. Fall von 
Markelov zeigen in schöner Weise, wie das Zittern mit zunehmender Rigidität 
verschwindet. Wenn die Rigidität nachläßt, kann das Zittern wieder auftreten. 

Manchmal hört das Zittern für mehrere Stunden und Tage ohne jede be¬ 
stimmbare Ursache auf. 

Es gibt Fälle, in denen die Krankheit unter den typischen Symptomen 
mit Ausnahme des Zitterns auf tritt; es sind dies wiederum Fälle mit hoch¬ 
gradiger Muskelrigidität; sie sind unter der Bezeichnung Paralysis agitans sine 
agitatione bekannt. Aber selbst bei solchen Fällen kann man bei sorgfältiger 
und dauernder Beobachtung der Kranken hier und da einen kurzen Anfall des 
typischen Tremors einer Hand oder beider Hände oder der Füße konstatieren 
und in den späteren Stadien stellt sich das Zittern doch noch ein (Buchet). 
So z. B. begann der typische Fall Charcots nach Jahren zu zittern. (Er wurde 
von Roux beschrieben.) 

Strittig ist bis jetzt die Frage, ob das Zittern auch im Schlafe vorhanden 
sein kann. Romberg, Oppenheim und Thomayer geben diese Möglichkeit 
zu. Sicher gibt es Fälle, bei denen sich das Zittern vor dem Einschlafen so ver¬ 
stärkt, daß es das Einschlafen verhindert. Ich glaube, daß sich das Zittern 
in dem leisen, oberflächlichen Schlafe, der bei dieser Krankheit sehr häufig vor¬ 
kommt, erhalten kann. Im tiefen Schlafe verschwindet es ähnlich wie in der 
Chloroformnarkose (Bechet). Auf diese Weise würde sich auch die Tatsache 
erklären, warum es bei diesen Kranken besonders dann im Schlafe beobachtet 
wird, wenn sie fiebern (Grashey). 

Es wurde die Beobachtung gemacht, daß das Zittern bei der Schüttel¬ 
lähmung bei schlechtem Wetter (Leube), beim Eintauchen der Hand in kaltes 
Wasser (Oppenheim, Mendel) intensiver wird, daß es früh morgens am 
schwächsten, mittags stärker und abends am stärksten ist (Siehr). Ein auf 
die Gegend der Zentralwindungen auf den Kopf gelegter Eisbeutel soll das 
Zittern für eine kurze Zeit mildem, während die Galvanisation derselben Partie 
das Zittern für kurze Zeit verstärken soll (?). 

Der Tremor ist kein Attribut des Alters; zwar beginnt er am häufigsten 
nach dem 50. Lebensjahre, begleitet aber auch jene Fälle, die früher, eventuell 
schon in verhältnismäßig jugendlichem Alter begannen. Fernet zitiert die 
Krankheitsgeschichte eines 16jährigen Patienten, der von Duchenne de 
Boulogne beobachtet wurde. Siehrs erste Patientin begann im 16. Lebens¬ 
jahre zu zittern, und in seinem zweiten Falle, bei welchem die ersten Symptome 
schon zwischen dem 13. und 18. Lebensjahre auftraten, begann der Tremor 
im 20. Lebensjahre. Bergers Patient (zit. von Siehr) zitterte seit dem 17. 
Lebensjahre; Huchard sah angeblich ein 18jähriges Mädchen, das seit seinem 
dritten Lebensjahre Symptome darbot (zit. von Siehr). Van^sek beobachtete 
das Zittern vom 19. Lebensjahre des Kranken. Pennato beschreibt sogar 
einen Fall von Parkinsonscher Krankheit (?), die im 12. Lebensjahre nach 
Typhus entstanden war. Häufiger sind die Fälle, bei denen das Zittern zwischen 
dem 20. und 25. Lebensjahre auftrat. (In manchen dieser Fälle ist es zweifel¬ 
haft, ob es sich um eine frühzeitige Schüttellähmung oder um eine Herderkran¬ 
kung des Gehirns handelt. Der Fall Lannois’ z. B., bei dem das Zittern im 



Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


109 


11. Lebensjahre begann, ist auf eine Enzephalitis verdächtig, und der Fall, 
den Meschede beschrieben hat und bei welchem das Zittern im 12. Lebensjahre 
nach einem Kopftrauma begann, konnte eine disseminierte Sklerose gewesen 
sein.) 

Interessant ist das Verhalten dieses Tremors zu apoplektischen Anfällen: 
es wurde nämlich sowohl das erste Auftreten des Tremors nach einem apo¬ 
plektischen Insult, als auch das Verschwinden des Tremors nach einem solchen 
beobachtet. Es können da im ganzen dreierlei Möglichkeiten vorliegen: In 
einer Reihe von Fällen beginnt das Zittern nach dem Iktus auf der befallenen 
Seite, wenn die Beweglichkeit der gelähmten Glieder zurückkehrt, und hernach 
entwickelt sich eine typische Schüttellähmung mit ein- oder beiderseitigem 
Zittern. Leyden beschreibt in seinem aus dem Jahre 1874 stammenden Buche 
einen Fall, in welchem nach einem Iktus mit Hemiplegie eine Schüttellähmung 
entstand; die Qualität des Zitterns beschreibt er aber nicht. Er fügt hinzu, 
daß auch Oppolzer einen derartigen Fall gesehen habe (S. 111). Vandier 
führt in seiner These aus dem Jahre 1886 in ausführlicher Weise analoge Be¬ 
obachtungen von Grasset, Westphal und Auerbach an, bei denen sich 
später durchwegs eine beiderseitige Schüttellähmung entwickelt hatte. Bechet 
zitiert in seiner These einen ganz analogen Fall von Brousse aus dem Jahre 
1886. Auch die eigene Beobachtung von Walz (1896) dürfte hierher gehören. 
Skala beschrieb (1900) einen Fall, bei welchem vor sechs Jahren nach einem 
leichten apoplektischen Insult die linke Körperhälfte schwach wurde und nach 
einigen Wochen in der Ruhe zu zittern begann und wo vor neun Monaten ohne 
einen deutlichen Iktus auch die rechte Körperhälfte schwach wurde und nach 
einigen Stunden ebenfalls in der Ruhe zu zittern begann, worauf sich das typische 
Bild der Parkinsonschen Krankheit entwickelte. Skala zitiert sodann in ein¬ 
gehender Weise eine ganz analoge Beobachtung Bergers, die durch einen nega¬ 
tiven Sektionsbefund ergänzt ist. — Der Iktus muß ja nicht immer der Ausdruck 
einer wirklichen Blutung sein, ebensowenig wie bei der progressiven Paralyse, 
der Urämie oder der Herdsklerose. — Auch Thomayer hat ähnliche Fälle 
gesehen und beschrieben. 

In einer zweiten Reihe von Fällen entsteht nach dem apoplektischen 
Insult zwar auch ein Zittern in der Ruhe, das dem Parkinsonschen Zittern 
ähnlich, aber durchaus keine Schüttellähmung ist (siehe den Tremor zerebralen 
Ursprungs). 

In einer dritten Reihe von Fällen verschwand ein vorhandener Tremor 
nach der Gehirnblutung aus den ganz gelähmten Extremitäten (Leva u. a.); 
bei der Rückkehr der Beweglichkeit der gelähmten Glieder kann auch das 
Zittern wiederkehren (Parkinson). Grashey sah einen Fall, bei welchem 
der Tremor nach einer Gehirnblutung auch auf der nicht gelähmten Seite ver¬ 
schwand. 

Der Tremor bei der Parkinsonschen Krankheit pflegt von einer Muskel¬ 
schwäche begleitet zu sein, aber manchmal nur von einer Schwäche der dyna¬ 
mischen Leistungen, während die Kraft der statischen Leistungen groß sein 
kann (Egger, Dylevova). Ich konstatierte überhaupt kleinere dynamo¬ 
metrische Werte und dort, wo das Zittern auf der einen Seite intensiver war, 
war auch der dynamometrische Wert auf derselben Seite kleiner. Es wurde 
auch die elektrische Erregbarkeit der entsprechenden Muskeln und zwar mit 



110 


Erster Teil. 


verschiedenem Erfolge geprüft: die einen fanden keine Veränderung (Buchet, 
Siemerling, Schwalbe-Griesinger), die anderen anfangs eine Steigerung, 
später eine Herabsetzung der Erregbarkeit (Benedikt), doch wurde dieser 
Befund nicht bestätigt (Heimann), die dritten eine einfache Herabsetzung 
(Mendel, Huet, Alquier), speziell im vorgeschrittenen Stadium der Krank¬ 
heit im Zustande der allgemeinen Muskelatrophie (Bechet und Wollenberg). 
Mendelsohn fand bei Marey eine verlängerte Dauer der latenten Reizung 
von 0,012—0,02 gegenüber der normalen Dauer von 0,006—0,008 Sekunden. 
Nur Rossi gibt an, er habe eine Inversion der Formel gefunden, und zwar auch 
an jenen Muskeln, die nicht zitterten. Mendel fand einmal eine myotonische 
Reaktion und zitiert Westphal, der einen analogen Befund erhoben hat. Doch 
kommt dies nur ganz ausnahmweise vor. (Nach der faradischen Reizung blieb 
der M. tibialis anticus auch nach der Entfernung der Elektroden kontrahiert.) 

Einen ähnlichen Zustand beschrieb Mocutkovsk^ bei der Stimmusku- 
latur und beim M. orbicularis orbitae als konstantes Symptom der Parkinson- 
schen Krankheit: wenn der Kranke die Stirn 1—2 Minuten lang runzelt, bleiben 
die Falten, selbst wenn sie der Kranke zu glätten bestrebt ist, dennoch 40—60 
Sekunden bestehen; etwas Analoges findet statt, wenn der Kranke die Augen 
schließt. Der Autor bezieht diese Phänomene auf hochgradige Muskelrigidität. 
Markelov hat diesen wenig bekannten Befund bestätigt. JaniSewsky er¬ 
klärt ein analoges Verhalten der Augenlider und der Flexoren der Hand da¬ 
durch, daß die Antagonisten nicht nachlassen. Auf diese Weise ließe sich das 
Zittern der Augenlider bei dem Bestreben die Augen zu öffnen, bis endlich die 
Öffnung plötzlich gelingt, leicht erklären (Klippel und Weil). 

Von Stewart (zit. von Mendel) wurde ferner ein anfallweise auftretender 
tonischer Krampf, und zwar in den Zehen beim Gehen beobachtet; bei unserem 
Kranken (Nr. 24) entstanden spontan tonische Krämpfe im Antithenar; unter 
den Prodromen der Krankheit finden sich auch Wadenkrämpfe und der „Schreib¬ 
krampf“ aufgezählt. Roux beobachtete bei seinem Kranken einen tonischen 
Krampf der Lendenmuskeln und zwar nur dann, wenn sich der Kranke aus der 
horizontalen Lage erhob und wenn er zu gehen begann; der Krampf dauerte 
etwa 40 Sekunden und hörte dann allmählich auf; interessant und nicht ohne 
Bedeutung war der Umstand, daß sich dieser Krampf nicht einstellte, wenn 
der Kranke „an Ort und Stelle marschierte“ und beim Treppensteigen ; da bei 
diesem Kranken keine myotonische Reaktion vorhanden war, ist es zweifelhaft, 
ob es sich bei seinem 71 jährigen Parkinson wirklich um das myotonische Syndrom 
gehandelt hat; auch Rummo und Ciauri sahen bei einem 55jährigen Parkinson 
einen analogen Spasmus im Beginne der gewollten Bewegungen — und außerdem 
provozierte und spontane kataleptische Attitüden —, so daß man sich auch in 
diesem Falle gewisser Zweifel an der Reinheit des myotonischen Charakters 
der erwähnten Erscheinungen nicht erwehren kann. 

Schließlich gehört die sogenannte lateropulsion oculaire hierher, auf die 
Debove aufmerksam gemacht hat: wenn der Kranke beim Lesen am Ende 
einer Zeile angelangt ist, kann er die Augen nicht sofort zum Anfang der nächst¬ 
folgenden Zeile, also bei unserer Schrift nicht nach links bewegen. Auch diese 
Erscheinung hängt einerseits mit der Muskelrigidität, die von der Innervation 
überwunden werden muß, andererseits mit der längeren Dauer der latenten 
Reizung zusammen, die wir bei den gewollten Bewegungen bei der Parkinson- 
schen Krankheit anzutreffen pflegen. 



Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 111 

Aus unseren klinischen Fällen ergeben sich folgende statistischen Resultate 
über die Parkinsonsche Krankheit und den bei dieser vorkommenden Tremor: 

a) bezüglich des Alters: unter 28 Patienten zählte 

1 Patient 38 Jahre, 

1 Patient 48 Jahre, 

die übrigen zählten 55—70 Jahre. 

b) Bezüglich des Geschlechtes: unter 27 Fällen entfielen 18 auf das männ¬ 
liche und 8 auf das weibliche Geschlecht. 

c) Beginn der Krankheit: unter 21 Fällen 1 ) begann das Leiden 

1 mal im 37. Lebensjahre, 
lmal im 46. Lebensjahre, 

19 mal zwischen dem 55. und 70. Lebensjahre. 

d) Dauer der Krankheit: unter 21 Fällen 1 ) dauerte die Krankheit lmal 
„■viele Jahre“, je 1 mal 19, 12, 10, 7,7, 5 Jahre und in den übrigen Fällen kürzer. 

e) Heredität: unter 21 Fällen war 3mal Zittern in der Familie zu kon¬ 
statieren: einmal beim Vater, einmal beim Vater und beim Onkel mütter¬ 
licherseits, einmal bei der Schwester; dreimal war der Vater Potator, einmal 
waren in der Anamnese Psychosen vorhanden; demnach bestand siebenmal 
eine hereditäre Belastung. Bei 12 von diesen 21 Fällen findet sich die ausdrück¬ 
liche Bemerkung, daß die Eltern ein hohes Alter erreicht hatten. 

f) Um die Ätiologie der Krankheit zu beleuchten, will ich anführen, daß 
unter den 21 Fällen die ersten Symptome auf traten: 

4 mal nach Durchfrierung im Wasser, 

3 ,, „ schwerem Kopftrauma, 

1 ,, ,, einer Emotion und nach Kopftrauma ohne traumatische 

Neurose, 

1 ,, „ einer fieberhaften, mit Husten einhergehenden Krankheit, 

1 ,, ,, einer ,»schweren Anstrengung“, 

2 ,, im Klimakterium, 

3 „ konnte chronischer Alkoholismus mitgewirkt haben, 

7 ,, konnte nichts eruiert werden, womit man die Krankheit hätte in 
Zusammenhang bringen können. 

Interessant sind die Fälle von Durchfrierung. 

1. B. F. fischte im Dezember einen Teich ab, fiel dabei ins Wasser und 
blieb noch eine Stunde in der nassen Kleidung. Seit dieser Zeit empfand er 
ein Kältegefühl abwechselnd mit Hitzegefühl in den Unterextremitäten, nach 
zehn Tagen Kribbeln, bald darauf Schwäche, dann Starre und schließlich 
Zittern. 

2. C. J. hat 38 Jahre lang Holz geflößt, wobei er oft durchnäßt wurde. 
(Dies war der leichteste Fall.) 

3. H. J. wollte vor 19 Jahren im Frühjahr während eines Frostes Eichen¬ 
hölzer aus der Elbe holen, zu welchem Zwecke er bis zum Hals ins Wasser ging, 
worauf er vier Stunden lang in den nassen Kleidern blieb. Seit dieser Zeit 
empfand er ein Kältegefühl und bekam 14 Tage später das Zittern. 

*) d. i. bei 21 Fällen waren Krankheitsgeschichte und Anamnese in dieser 
Hinsicht vollständig. 




112 


Erster Teil. 


4. K. F. mußte während der letzten zwei Jahre häufig, auch im Winter, 
im kalten Wasser waten. Vor einem halben Jahre fuhr er drei Stunden in einem 
Wagen, wobei er vor Kälte fast erstarrte. Vor sechs Monaten begann die Krank¬ 
heit mit Schmerzen. 

Von den Fällen mit traumatischer Ätiologie sind die folgenden hervor¬ 
zuheben : 

1. K. V. erlitt durch einen Eisenhaken einen Schlag ins Gesicht, so daß 
er das Bewußtsein verlor. Er arbeitete weiter, bekam aber nach einigen Tagen 
Zittern der linken, dann der rechten Hand. Nach zwei Jahren Rigidität. 

2. S. J. litt ein Vierteljahr an Zittern der linken Extremitäten; nach dieser 
Zeit wurde er von einem Wagen überfahren, wobei ihm eine Hand verrenkt 
und ein Fuß und der Brustkorb gequetscht wurden. Beim Erwachen aus dem 
bewußtlosen Zustande zitterten auch die rechtsseitigen Extremitäten. 

3. V. P. erlitt nach einer vorangegangenen Emotion (Tod der Mutter, 
Traum) einen Schlag mit einem Knüttel gegen den Kopf, ohne das Bewußtsein 
zu verlieren. Seit dieser Zeit zittert er. Es konnte nicht festgestellt werden, 
wann während der 10 jährigen Krankheitsdauer die Rigidität auf getreten war. 

4. U. J. fiel mit dem Gesicht auf eine Heugabel, verletzte sich und verlor 
das Bewußtsein; nach einem Monat Schwäche und Zittern einer Hand. 

Bei den beiden klimakterischen Fällen findet sich in der Anamnese des 
einen keine genauere Angabe, bei dem anderen dürfte ein Schreck (durch einen 
Waldheger verursacht) mitgewirkt und das Zittern hervorgerufen haben. 

In keinem unserer Fälle wird eine einfache isolierte Emotion als Krankheits¬ 
ursache angegeben. 

g) Reihenfolge der Symptome. Unter 24 Fällen mit vollständiger Anamnese 
war das erste Symptom: Zittern in 15, Frösteln und dann Zittern in 2, Schmerzen 
in 6 Fällen und Schwächegefühl in einem Falle. 

Zweimal begann das Zittern plötzlich an allen vier Extremitäten. 

1. J. P.; nach einem mit Erbrechen verbundenen Schwindelanfall (der 
schon vor zehn Jahren zweimal auf getreten war) begann plötzlich bei mächtigem 
Retropulsionsgefühl das Zittern aller Extremitäten. 

2. V. P. bekam nach der erwähnten Emotion und dem Knüttelhieb in den 
Kopf plötzlich Sprachstörungen und Zittern aller vier Extremitäten. (Gerade 
dieses Trauma war unter den drei Traumen das geringste und verursachte weder 
Bewußtlosigkeit noch eine sichtbare Verletzung.) 

Einmal begann das Zittern in der Weise, daß alle vier Extremitäten bald 
nacheinander zitterten; doch vermag die Kranke die genaue Reihenfolge nicht 


anzugeben. 

Unter 12 Fällen begann das Zittern: 

an beiden Oberextremitäten.3 mal, 

an beiden Unterextremitäten.1 ,, 

an der rechten Oberextremität . . . . 4 ,, 

an der linken Oberextremität.2 ,, 

an den linken Extremitäten.2 ,, 

an den rechten Extremitäten.0 ,, 

an einer Unterextremität.0 ,, 


Wenn wir den Beginn des Zitterns in den übrigen Fällen berücksichtigen, 










Da8 Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 113 

in denen dem Tremor aber andere Symptome vorangingen, dann begannen 
die Symptome 

an beiden unteren Extremitäten . . . 2 mal, 
an der linken unteren Extremität . . . 1 „ 

an der rechten unteren Extremität . . 1 „ 

an beiden oberen Extremitäten .... 0 „ 
an der linken oberen Extremität . . . 2 „ 

an der rechten unteren Extremität . . 3 „ 

so daß unter den 21 Fällen, in denen die Symptome nicht gleichzeitig an allen 
vier Extremitäten begannen, dieselben auftraten: 

1. An beiden Unterextremitäten dreimal und % Jahr* resp. 1 Jahr und 
2 Jahre allein vorhanden waren; 

2. an der linken Unterextremität einmal und 2 Jahre allein vorhanden 
waren; 

3. an der rechten Unterextremität einmal und kurze Zeit allein vorhanden 
waren; 

4. an beiden Oberextremitäten dreimal und kurze Zeit resp. ein Jahr und 
unbestimmt lange allein vorhanden waren; 

5. an der linken Oberextremität viermal und kurze Zeit resp. 14 Tage, 
1 Monat, 1 Jahr allein vorhanden waren; 

6. an der rechten Oberextremität siebenmal und y 2 Jahr resp. 1 y 2 Jahre, 

1 Jahr, 14 Tage, kurze Zeit, 3 Jahre und 1 Jahr allein vorhanden waren; 

7. an den linken Extremitäten zweimal und 1 Jahr resp. kurze Zeit allein 
vorhanden waren. 

In jenen 8 Fällen, in denen das Zittern nicht das erste Symptom war, be¬ 
gann das Zittern: 

Nach einem Fröstelgefühl binnen 2 Jahren resp. 14 Tagen (2 Fälle); 
nach Schmerzen (6 Fälle) binnen 3% Monaten, 1% Jahren, y 2 Jahre, 

2 Jahren, 1 Jahre; einmal war sich der Kranke des Zitterns überhaupt nicht 
bewußt; 

nach einem Schwächegefühl (1 Fall) binnen 14 Tagen. 

Die Reihenfolge, in welcher sich das Zittern auf die Extremitäten aus¬ 
breitete, war die folgende: 

1. von beiden unteren: auf die rechte obere, dann auf die linke obere; 

auf die rechte obere, dann auf die linke; 
auf beide obere zugleich; 

2. von der linken unteren: auf die linke obere, dann auf die rechte obere; 

3. von der rechten unteren: auf die linke untere, dann auf die rechte obere; 

4. von beiden oberen: auf beide untere, aber wenig; 

auf beide untere; 
auf beide untere; 

5. von der linken oberen: auf die rechte obere, dann auf beide untere; 

auf die linke untere, dann auf beide rechte; 
auf die rechte obere, dann auf beide untere; 
auf die linke untere, rechte obere und rechte untere; 


Pelndr, Zittern. 


8 




114 


Ereter Teil. 


6. von der rechten oberen: auf die rechte untere, beide linke; 

auf die rechte untere, beide linke, Zunge; 
auf die linke obere, beide untere; 
auf die linke obere und ging binnen 19 Jahren 
nicht auf die Füße über; 
auf die linke obere und ging binnen 3% Jahren 
nicht auf die Füße über; 
auf die linke obere, ohne sich weiter auszubreiten; 
auf den Kopf und auf die rechte obere; 

7. von den linken Extremitäten: auf die beiden rechten; 

auf die rechte obere. 

Wir können daraus ersehen, daß die gewöhnlich angeführte Reihenfolge: 
obere — untere — obere — untere oder obere — untere — untere — obere nicht 
häufiger vorkommt als die obere — obere — untere — untere. 

h) Die Muskelkraft der oberen Extremitäten wurde in 15 Fällen gemessen 
und notiert; ich habe nicht in allen Fällen selbst gemessen; auch ist mir be¬ 
kannt, daß die üblichen französischen Dynamometer, die in unserer Klinik in 
Verwendung standen, verschiedene Werte anzeigten; ältere Instrumente z. B. 
gaben höhere Werte an; in dieser Hinsicht müssen daher die notierten Werte 
mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden, aber nur insofeme, daß die 
Zahlen etwas größer sein können, als sie in Wirklichkeit vorhanden waren, 
keinesfalls umgekehrt. 

Wir fanden durchwegs kleine, ja geradezu geringfügige Werte; z. B. (die 
erste Zahl bezieht sich stets auf die rechte Hand): 

1. 7-5 kg, 

2. 11 — 15, der Tremor war rechts stärker, 

3. 16-16, 

5. 1-3, 

6. 15—26, der Tremor war rechts stärker, 

8. 15—31, der Tremor war rechts stärker, 

9. 20—22, der Tremor war links stärker, 

10. 13-16. 

13. 10—8, der Tremor war links stärker, 

18. 10,5-8, 

20. 15-22, 

23. 12-9, 

25. 7, 

31. 5—15, der Tremor war rechts stärker, 

32. 2—21, der Tremor war rechts stärker. 

In den Fällen 2., 6., 31. und 32., bei denen der Tremor rechts stärker war, 
war die Muskelkraft rechts wesentlich kleiner; umgekehrt war jedoch dieses 
Verhalten nicht konstant. 

i) Der Tremor spielte sich stets in Ruhe ab; die Intention übte fast stets 
einen mäßigenden Einfluß aus; im ganzen hat sich der Tremor unter 28 Fällen, 
über welche genauere Aufzeichnungen vorhanden sind, nur zweimal bei Intention 
wesentlich verstärkt (Fall 8 und 10), aber bei demselben Patienten (Nr. 8) wurde 
der Tremor bei Intention während der ganzen Krankheitsdauer geringer und 
erst kurz vor dem Tode stärker; bei drei weiterem Fällen hat er sich nur ganz 



Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


115 


wenig verstärkt (einmal wurde er hier und da auch schwächer oder er blieb 
unverändert), 21 mal wurde er schwächer oder er verschwand fast (zweimal 
verschwand er vollständig), einmal blieb er imverändert. 

Demnach konstatierten wir eine dauernde Verstärkung nur bei 4 unter 
28 Fällen; wir können daher die Behauptung Gerhardts, daß der Tremor in 
der Hälfte der Fälle durch Intention verstärkt wird, nicht bestätigen. 

j) Kopfzittem haben wir nur zweimal beobachtet (Nr. 28, 9). Einmal 
war es bestimmt übertragen (Nr. 18). Einmal findet es sich in der Anamnese 
angegeben, ohne daß es in der Klinik beobachtet worden wäre (Nr. 4). Das 
Kinn und die Zunge zitterten in einigen Fällen. 

k) Im Schlafe wurde das Zittern nie beobachtet. 

l) Je einmal sahen wir eine Kombination mit Tabes dorsalis (Nr. 12), 
mit Atrophie der Zunge (Nr. 17) und partieller Ophthalmoplegie (Nr. 24), ein¬ 
mal eine Parese im Peroneusgebiete (Nr. 4), einmal verdächtige Schwindel¬ 
anfälle und Chorioretinitis (Nr. 9), einmal Epilepsia tarda (Stokes-Adams?) 
(Nr. 15), einmal senile Demenz (Nr. 23). 

m) In einem Falle (Nr. 21) waren wir Zeugen interessanter Intermissionen, 
während welcher die Krankheitssymptome wiederholt für längere Zeit ver¬ 
schwanden. 

Zwecks genaueren Studiums will ich Auszüge aus unseren Krankheits¬ 
geschichten mitteilen, die die Form des Zitterns in den verschiedenen Stadien 
der Krankheit am besten illustrieren werden. (In den Auszügen werden die 
Symptome der normalen Gehimfunktion, wie z. B. negativer Babinski, normale 
Pupillenreaktion u. dgl. nicht angeführt.) 

1. Beginn nach einer fieberhaften Erkrankung. Senilität. 

Nr. 4076/08. A. E., 66jährige, ledige Bedienerin, die, soweit sie sich erinnert, 
aus gesunder Familie stammt; war niemals krank. Vor 14 Tagen begannen ihr 
während einer fieberhaften, mit Husten einhergegangenen Erkrankung die Hände 



Fig. 75. 


derart za zittern, daß sie die Speisen vom Löffel verschüttete. In der Buhe ist das 
Zittern am stärksten, bei der Arbeit hört es fast gänzlich auf. Auch der Kopf soll 
intensiv zittern. Die Füße zittern wenig. Dafür treten in denselben Krämpfe auf; 
auch friert es die Patientin in die Füße. 

Wir fanden eine Katarakta, Bronchitis, Emphysema pulmonum, Pleuritis 

sicca. E. D. 1 T ' — Patellarreflexe normal. — Wenn die Kranke speziell in die Prä- 
5 1. 

dilektionsstellung gebracht wurde, zitterten die Oberextremitäten, weniger die Unter¬ 
extremitäten; bei intendierten Bewegungen war das Zittern schwächer. — Auf der 
Kurve sieht man ein grobes, ungleichmäßiges, ziemlich rhythmisches Zittern von 
4,8 Wellen in der Sekunde; bei Intention wird es schwächer, ungleichmäßig, aber 
rhythmisch mit 4,6 Schwingungen in der Sekunde (Fig. 75). 


8 





116 


Erster Teil. 


2. Beginn nach einer Erkältung. Unter den Prodromen eine Paraparese 
ohne Symptome einer organischen Erkrankung. Vollständige Remis* 
sionen und Intermissionen. Abwechselnd paraplegische, hemiplegi- 
sche, triplegische, monoplegische Formen. Myasthenische dynamo¬ 
metrische Reaktion. 

Nr. 17869/02. 1908. B. Fr., 62jähriger Seiler. Der Vater starb im Alter 

von 81 Jahren an einem Gehirntumor, die Mutter im 78. Lebensjahre. Im Dezember 
des Jahres 1901 fischte er einen Teich ab und fiel hierbei ins Wasser. Seit dieser 
Zeit hatte er ein Kältegefühl in den Füßen, die Füße waren schwächer und das Gehen 
wurde beschwerlich; die Füße waren wie erstarrt, wie steinern. Im November 1902 
konstatierte man in der Klinik eine Parese der unteren Extremitäten mit normalen 
Reflexen und normaler Sensibilität. — Im März 1903 war die Beweglichkeit der 
Füße gebessert, aber es trat an den unteren Extremitäten, und zwar zuerst rechts 
und nach 3 Wochen auch links, ein Zittern auf, sobald sich der Patient auf die Fu߬ 
spitzen stellte oder wenn er ausschreiten wollte. Die Hände zitterten nicht. Im 
April 1903 konstatierte man in der Klinik Runzelimg der Stirn und erstaunten 
Gesichtsausdruck. Die oberen Extremitäten zitterten nicht, wenn sie der Kranke 
ruhig neben sich liegen ließ. Wenn man sie aber im Ellbogengelenk flektierte und 
in dieser Stellung auf den Körper legte, begann die rechte sofort rhythmisch zu 
zittern, während die linke ruhig blieb. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten 
zart in horizontaler Richtung. Im Stehen oder beim Sitzen in der Prädilektions- 
stellung entstand ein rhythmisches Zittern der rechten und ein ganz unbedeutendes 
an der linken unteren Extremität. Beim Gehen ist das Zittern auffallender, wiederum 
namentlich rechts. — Er nahm Hyoscinum hydrobromicum, 2 Tabletten täglich. 
Nach 3 Tagen waren seine Füße stärker, nach 4 Tagen wurde das Zittern schwächer, 
nach 14 Tagen konnte er fast ohne zu zittern umhergehen, so daß er entlassen wurde. 
Er unternahm sodann große Reisen durch Böhmen und verfertigte Netze. — Im 
November 1903 arbeitete er in einer Fabrik am Plafond, wobei er auf den Tra¬ 
versen des Gerüstes stand. Am Abend des nächsten Tages begännen seine Hände 
und Füße plötzlich zu zittern, er konnte allmählich nichts mehr arbeiten, da die 
Hände zitterten und die Gelenke erstarrten. Die Füße zitterten besonders dann, 
wenn er Treppen stieg oder wenn er in der elektrischen Tramway stand. In der 

Klinik betrug E. D. T ‘ n , beim fünften Zusammendrücken T ' 1 . Beim weiteren Zu- 

6 1 . 15 1 . 1 

sammendrücken stellte sich das Zittern ein. Die ausgestreckten Hände ermatten 
und beginnen zu zittern, die rechte Hand früher als die linke. Dasselbe erfolgt beim 
Schreiben. An den unteren Extremitäten beim Sitzen in der Prädilektionsstellung 
und beim Gehen grobes Zittern. Das Gehen ist ohne Hilfe unmöglich. Patellar- 
reflexe lebhaft, Plantarreflexe normal, Sensibilität normal. Muskulatur rigid. 
Keine Pro- oder Retropulsion. Der Kranke lag in der Klinik bis zum 17. März 
1904 und verließ dieselbe fast ohne Zittern. — Im April 1904 kam er zum 
viertenmal wegen des Zitterns und wurde nach 5 Tagen wiederum gebessert 
entlassen. Hernach war das Zittern wieder unbedeutend, als plötzlich einmal 
nachts im November 1904 der rechte Fuß und die rechte Hand im Karpal- 
gelenke im Sinne von Adduktion und Abduktion ohne jede bekannte Ursache 
zu zittern begannen. Das Zittern besteht im Ruhezustände und hört nur dann 
auf, wenn die Aufmerksamkeit des Kranken auf einen anderen Gegenstand ab- 
gelenkt wird. — In der Klinik bekam er am 20. Januar 1905 wiederum Hyoscinum 
hydrobromicum und trat im April 1905 gebessert aus; die Füße zitterten nicht, 
auch wenn er sich auf die Fußspitzen aufstellte. — Ende September 1905 begann 
wieder ohne jede Ursache die rechte Unterextremität zu zittern und nach einigen 
Tagen auch die linke. Die Hände zitterten unaufhörlich seit April 1905. Die Füße 
werden je weiter, desto unsicherer und schwächer. Sobald er sich zudeckt, empfindet 
er eine unerträgliche Hitze. In der Klinik konstatierte man am 27. Dezember 1905 

1 25 

starren Gesichtsausdruck. An den oberen Extremitäten E. D. * „ und kein Tremor 

r. 16 

außer dem fortgepflanzten. Rumpf nach vorn geneigt. Die Unterextremitäten 
zitterten in der Ruhe regelmäßig, das Zittern wurde bei intendierten Bewegungen 



Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


117 


schwächer, ließ sich aber nicht ganz unterdrücken. Gang schwankend; hierbei ein 
grober Tremor der Unterextremitäten. Der Kranke bekam Scopolia carniolica am 
26. Dezember 1905. Am 18. Januar 1906 war das Zittern nur angedeutet. Nur an 
den unteren Extremitäten Rigidität. — Im Mai 1908 gab der Kranke an, daß das 
Zittern der Hände und des linken Fußes im vorigen Jahre aufgehört habe, nicht aber 





Fig. 76. 


auch im rechten Fuße, weshalb er die Klinik aufsuche. Hier konstatierte man 
einen Tremor vorwiegend an der rechten unteren Extremität in der Ruhe. Die ge- 

r 1 ö 

streckten oberen Extremitäten zitterten zart. E. D. ^ ^; Patellarreflexe rechts 

lebhafter. Plantarreflexe normal. Nach einem einmonatlichen Aufenthalt wurde 
das Zittern wieder schwächer und der Kranke ging nach Hause. — Es wurden zwei 


Fig. 77. 

\ 

Kurven aufgenommen: 1904 war der Tremor der Hand regelmäßig, von etwa 6 Wellen 
in der Sekunde und hörte bei Intention für einen Moment fast vollständig auf (Fig. 76, 
unten); 1906 regelmäßiger Tremor des rechten Fußes von etwa 4,5 Wellen in der 
Sekunde (Fig. 77). 

3. Propulsion. Retropulsion. Gesteigerte Patellarreflexe. 

Nr. 7736/03. C. J., 70jähriger Flößer; der^Vater starb im 42. Lebensjahre 
nach einer zweijährigen Psychose, die Mutter wurde 78 Jahre alt, zitterte nicht. Er 
war früher gesund. Seit 38 Jahren flößte er bis zum vorigen Jahre Holz. Vor 



Fig. 78. 

2 Jahren begannen die Finger der rechten Hand zu zittern und hierauf die ganze 
rechte Oberextremität, ohne daß irgendwelche subjektive Empfindungen vorhanden 
















118 


Erster Teil. 


gewesen wären. Nach einem halben Jahre begann auch die rechte Unterextremität 
zu zittern und nun hatte er ein Schwächegefühl im ganzen Körper. Nach einem 
halben Jahre ergriff das Zittern die linke Ober- und Unterextremität gleichzeitig. 
Seit dieser Zeit ist sein Gang unsicher; er hat das Gefühl, wie wenn ihn etwas nach 
rückwärts zöge. — Er hatte einen starren Gesichtsausdruck (Entsetzen); auch die 
Haltung des Körpers und der Extremitäten war starr. In der Ruhe und zwar sowohl 
im Liegen, als auch im Sitzen, als auch im Stehen zitterten die Oberextremitäten 
rhythmisch, etwa viermal in der Sekunde; bei intendierten Bewegungen verschwand 
das Zittern. E. D. 16. Im Sitzen verfielen die Unterextremitäten in einen analogen 
Tremor. Im Schlafe fehlte das Zittern; der Patient fühlte im Einschlafen das Ver¬ 
schwinden desselben. Propulsion angedeutet, Retropulsion sicher vorhanden. 
Patellarreflexe gesteigert. Kein Klonus. Die Brustmuskeln und die Deltoidei 
waren rigid, die übrigen Extremitätenmuskeln dagegen nicht. — Der Tremor spielte 
sich sowohl in den Fingergelenken ab (die Daumen rieben sich an den Zeigefingern), 
als auch — und zwar mit größter Intensität — in den Karpalgelenken, ein wenig 
auch in den Ellbogengelenken. — Auf der Kurve sieht man einen regelmäßigen, 
rhythmischen, energischen Tremor von 5 Wellen in der Sekunde, der sich bei Intention 
fast verliert und am Schlüsse derselben wieder erscheint (Fig. 78). 

4. Heredität. Klimax. Emotion. Parese der Peronei. 

Nr. 9306/05. D. B., 58 Jahre alt. Stammt von einem Vater, der im Alter 
an den Händen (nicht am Kopfe) zitterte. War stets gesund. Seit 7 Jahren im 
Klimakterium. Damals überraschte sie ein Heger im Walde. Sie erschrak und 
bemerkte nachher auf dem Heimwege ein Zittern der linken Hand und des linken 
Fußes. Seit dieser Zeit zitterten die Extremitäten und zwar in der Ruhe mehr als 
bei der Arbeit. Nach einem Jahre begannen ohne jeden Grund auch die rechts¬ 
seitigen Extremitäten zu zittern. Seither kommt es ihr vor, als ob auch der Kopf 
zitterte. Sie leidet an Hitzegefühl, schwitzt häufig und fühlt sich schwach. — 
Die Kranke hatte eine typische Körperhaltung, Rigidität der Rumpfmuskulatur, 
der Nackenmuskeln und der Wurzelpartien der Extremitäten. Die Peronei schlaff. 
Die Finger zur Faust gekrümmt, vollführen in der Ruhe fortwährend Flexionen 
und Extension, der abduzierte Daumen vollführt Adduktion und Abduktion und 


19 


'VyyyyyVij 


Fig. 79. 

außerdem vollführt die ganze Hand im Karpalgelenk Flexion und Extension. Sie 
vermag das Zittern nicht zu unterdrücken. Fixiert man gewaltsam die Hand, springt 
das Zittern auf das Ellbogengelenk über. Bei Intention hört es auf, beginnt aber 

13 

am Schlüsse der Intention sofort wieder. E. D. ^ y Das Gesicht ist starr und 

bietet den Ausdruck des Erstaunens dar. Nahm 6 Wochen hindurch Scopolia 
carniolica ohne Erfolg. — Auf der Kurve sieht man in der Ruhe einen groben, regel¬ 
mäßigen, rhythmischen Tremor von 4—4,2 Wellen in der Sekunde, der sich bei 
Intention auffallend abschwächt, aber nicht verschwindet, dabei regelmäßig bleibt 
und dieselbe Frequenz beibehält und allmählich zu der früheren Form zurückkehrt 
(Fig. 79). 

5. Bedeutende Rigidität. RigiditätderStimmbänder. (Cislers Symptom.) 

Nr. 2522/03. F. A., 64jähriger Straßenkehrer; stammt aus gesunder Familie. 
Er hat seit einem Monat Schmerzen in den Schultern, bewegt schlecht mit den 


i 4i 







Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


119 


Händen, atmet schwer, verliert leicht den Atem und hat keinen Appetit. Die Musku¬ 
latur des Nackens, der Ober- und Unterarme ist rigid, aktiv unbeweglich oder nur 
minimal beweglich; die Oberextremitäten liegen flektiert in stereotyper Weise dem 
Rumpfe an, die Hände sind über dem Bauch gefaltet und beginnen, sobald sie der 
Kranke auseinandergibt, zu zittern, rechts stärker als links. Die Füße zittern nicht. 
Der Kranke geht mit kleinen, schleifenden Schritten. Es besteht weder Pro- 
pulsion noch Retropulsion. Atmung bei der Inspiration erschwert, beschleunigt, 
58 in der Minute. Die Ursache dieser Atmungsstörung war eine rigide Position der 




**^A*v4> v mWV ^ * Uf 


Fig. 80. 


Stimmbänder in Adduktionsstellung (siehe Cisler, Casopis lekafuv ceskych. 1903), 
r 15 

E. D. i* Die mechanische Erregbarkeit der Muskeln war gesteigert. Die rechte 

obere Extremität vollführt rhythmische Bewegungen wie beim Sägen. An einzelnen 
Körperstellen Parästhesien, Hitzegefühl. Da der Kranke nach Scopolia noch mehr 
klagte, bekam er 3 g Jodkali täglich. Nach 2 Monaten fühlte er sich subjektiv 
etwas wohler; objektiv hat die Starre der oberen Extremitäten etwas nachgelassen. — 



Fig. 81. 


Die von der rechten Hand abgenommene Kurve zeigt einen ungleichmäßigen, im 
großen und ganzen aber langsamen Tremor von etwa 5 Wellen in der Sekunde 
(Fig. 80). 

6. Nr. 18 303/04. Die Kurve dieses Kranken zeigt einen gleichmäßigen Tremor 
von 5 Wellen in der Sekunde, der bei Intention schwächer wird. Er wird leicht 
unregelmäßig und seine Frequenz steigt auf 8 Wellen in der Sekunde (Fig. 81). 

7. Heredität. Erkältung. Sehr störender, beschwerlicher Tremor. 

Nr. 817/05. 74jähriger Taglöhner. Sein Vater, der ein hohes Alter erreichte, 
zitterte 2—3 Jahre vor seinem Tode in gleicher Weise und ebenso ein Bruder der 
Mutter nach dem 60. Lebensjahre. Er selbst war immer gesund. Hat stets schwer 
gearbeitet. Vor 19 Jahren fischte er im Frühjahr bei Frostwetter Hölzer aus der 
hochgehenden Elbe. Er stieg bis zum Hals ins Wasser und blieb hernach noch vier 
Stunden in den nassen Kleidern. Seither hat es ihn fortwährend gefröstelt und nach 
etwa 14 Tagen begann seine rechte Hand im Karpalgelenk zu zittern, wenn sie ruhig 
herabhing oder lag. Wenn sie etwas erfaßte, zitterte sie nicht. Nach weiteren 14 
Tagen begann auch die linke Hand in analoger Weise zu zittern. Aber bei der Arbeit 
hinderte ihn das Zittern nicht. Sodann nahm aber dasselbe allmählich zu, hörte 
bei der Arbeit nicht mehr auf, so daß es ihm schon seit 16 Jahren beim Essen und seit 











120 


Erster Teil. 


6 Jahren auch bei grober Arbeit hinderlich ist; seit 5 Jahren muß er gefüttert werden. 
Gegenwärtig ist das Zittern bei Bewegungen sogar intensiver. Der Kopf und die 
Füße haben nie gezittert. — Es handelte sich um einen Greis mit starrem, des mimi¬ 
schen Muskelspiels entbehrendem Gesichtsausdrucke. Er hatte weder Kontrakturen, 
noch Propulsion und Retropulsion, noch Hitzegefühl. Die frei herabhängenden 
Oberextremitäten zitterten bei Pronation und Supination der Vorderarme, bei Flexion 
und Extension der Finger. Bei groben Intentionsbewegungen läßt der Tremor ein 



wenig nach, bricht aber sofort mit um so größerer Intensität hervor; ebenso bei 

r 15 

Muskelanstrengungen (Zusammendrücken des Dynamometers). E. D. ' JJ:. Der 

Tremor ist rechts intensiver. An den Füßen fehlt er selbst in der Prädilektions- 
stellung. — An den Kurven sehen wir einen groben, regelmäßigen Tremor von 
3—4 Schwingungen in der Sekunde, der sich bei Intention entweder ein klein wenig 
verstärkt, ohne die Frequenz zu ändern, oder sich überhaupt nicht ändert (Fig. 82). 


8. Alkohol. Tuberkulose. Arteriosklerose. Vor dem Tode Zunah me des 
Tremors bei Intention. Etat criblö des atrophischen Gehirns. 

Nr. 16116/06. H. E., 62jähriger Inkassist. Seine Frau behauptet, daß er 
ein starker Trinker war. Vor einem Jahre begannen seine Hände ohne jede Ursache 
in der Ruhe zu zittern, doch hinderte ihn dies nicht beim Schreiben oder bei der 
Arbeit. In der letzten Zeit ist das Zittern heftiger und ihm bei der Arbeit hinderlich 
geworden. Seit einem Monat zittern auch die Füße, besonders am Abend, wenn 




- , i i 


’m, 


Fig. 83 a. 


er einen längeren Marsch gemacht hat. Schwächegefühl. Gesichtsausdruck mäßig 
starr. In der Ruhe zittern die Oberextremitäten langsam, rhythmisch, die linke 
mehr als die rechte. Der Kranke kann das Zittern durch den Willen für eine kleine 
Weile unterdrücken. Bei intendierten Bewegungen verschwindet der Tremor rechts, 

r 22 

links wird er schwächer. Muskeltonus an den oberen Extremitäten erhöht. E. D. * 

1« ZU 

Der Körper wird nach vorn geneigt gehalten. Die unteren Extremitäten zittern 
nicht einmal in der Prädilektionsstellung. Patellarreflexe normal. Der Kranke 
leidet an Lungentuberkulose. Nach 11 tägiger Ruhe im Krankenhause verschwand 
das Zittern von der rechten Hand vollständig ohne jede Behandlung, so daß der 










Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


121 


Kranke gut schreiben konnte. Vor dem Tode trat das Zittern wieder auf und ver¬ 
stärkte sich bei Intention. Der Kranke starb. Bei der Sektion konstatierte man 
Arteriosklerose der Gehirnarterien, Gehimatrophie, ötat criblö. — Kurz vor dem 
Tode wurde eine Kurve aufgenommen, die in der Ruhe einen groben, regelmäßigen 


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Fig. 83 b. 


Tremor von 5—5,5 Wellen in der Sekunde aufwies, der bei jeder Intention viel 
intensiver wurde und zwar in gleicher Weise an beiden Händen, ohne daß sich die 
Frequenz geändert hätte. (Fig. 83 a stammt von der linken, b von der rechten 
Hand.) 

9. Struma. (Zerebraler?) Schwindel. Chorioretinitis. 

Nr. 9099/07. J. T., 55jährige Witwe; war nie krank. Hatte 15 Kinder 
und hat außerdem dreimal abortiert. Letzte Entbindung vor 8 Jahren. Seit 
16 Jahren hat sie ein Struma. Vor 10 Jahren litt sie 2 Jahre lang an Schwindel¬ 
anfällen mit Erbrechen. Vor 4 Monaten hatte sie nach einem ähnlichen Anfall 
das Gefühl von Retropulsion und zitterte am ganzen Körper. Solche Anfälle wieder¬ 
holen sich in der letzten Zeit. — Bei der Untersuchung konstatierte man ein leichtes 
Zittern des Kopfes. In der Prädilektionsstellung verfallen sämtliche Extremitäten 
in Zittern, die unteren mehr. Die gestreckten oberen Extremitäten zittern nicht. 

r 13 

Ophthalmoskopisch fanden sich Residuen einer Chorioretinitis. E. D. ^ 

10. Heredität. Bedeutende Rigidität. Bei Intention mäßige Ver~ 
Stärkung des Tremors. 

Nr. 8897/09. J. A., 70jährige Witwe. Der Vater war ein Säufer. Von ihren 
8 Kindern starben 6 an Fraisen. Sie selbst war niemals krank. Seit etwa 3 Wochen 
zittern ihre Extremitäten, mehr im Ruhezustände, aber auch bei Bewegungen 
ziemlich störend, so daß sie z. B. beim Essen die Speisen verschüttet. Seit längerer 
Zeit macht ihr das Gehen Beschwerden, so daß sie seit einigen Wochen fast gar nicht 


Fig. 84. 

mehr gehen konnte und häufig hinfiel. Alle 4 Extremitäten zitterten in der Ruhe, 
bei der Intention manchmal noch mehr. Der Gang war schlürfend, weil sie zu 
fallen fürchtete. Die Muskeln der unteren Extremitäten rigid. Die Kranke be¬ 
klagte sich fortwährend über Kälte. Die Kurven zeigen ein grobes, stellenweise 
leicht ungleichmäßiges, langsames Zittern von 5—6 Wellen in der Sekunde, das 
bei der Intention an Intensität ein wenig zunahm ohne seine Frequenz zu ändern 
(Fig. 84). 










122 


Erster Teil. 


11. Nr. 5166/04. K. J., 61 Jahre alt. Zittern der Unterextremitäten in der 
Prädilektionsstellung. In den Extremitäten Schmerzen und Parästhesien. Leb¬ 
hafte Patellarreflexe. Der Gang war hölzern, der Kranke flektierte nicht im Knie- 



Fig. 85. 


gelenk, neigte den Rumpf nach vorn und hielt sich an den Gegenständen fest. Mäch¬ 
tige Retropul8ion. (Die Anamnese fehlt.) — Die Kurve zeigt einen groben, regel¬ 
mäßigen Tremor der unteren Extremitäten mit einer Frequenz von 4,5 Wellen 
in der Sekunde (Fig. 85). 

12. Lues. Tabes dorsalis. Erkältung. 

Nr. 14 424/05. K. Fr., 62 jähriger Mechaniker. Stammt aus gesunder Familie. 
Im 15. Lebensjahre litt er an einer Phlegmone der linken Hand, im 53. Lebensjahre 
schnitt ihm eine Maschine eine Fingerspitze der rechten Hand ab. Sonst war er 
gesund bis auf ein Geschwür am Penis, nach dessen Heilung er mit grauer Salbe be¬ 
handelt wurde. Vor 6 Monaten bekam er Schmerzen in der linken oberen Extremität 
und in der linken Schulter, nach einem Monat ähnliche Schmerzen in der rechten 
Seite; er lag damit 4 Monate. Seit 2 Monaten beginnen Schmerzen in den Unter¬ 
extremitäten. Während der letzten Jahre mußte er bei der Arbeit im Winter im 
kalten Wasser waten. Vor 1 y 2 Jahren war er auf einem Wagen (er fuhr 3 Stunden) 
infolge Kälte ganz erstarrt. Vor 5—6 Wochen trat an den oberen Extremitäten 
sowohl in der Ruhe als auch bei der Arbeit ein Zittern auf, das nicht mehr verschwand. 
Bevor er ins Gehen kommt und beim Treppensteigen zittern seine Beine. Er emp¬ 
findet ein fortwährendes Kältegefühl im Oberkörper; bei Nacht dagegen schwitzt 
er bis 6 Hemden durch. Die Pupillen reagierten nicht auf Licht, dagegen normal 
bei Akkommodation. Die Patellar- und Achillessehnenreflexe fehlten. Gang vor¬ 
sichtig, unsicher, auf breiter Basis. Nervengeflechte, Muskeln und Wirbelsäule 
druckempfindlich. Die Oberextremitäten verfallen sowohl bei Ruhe als auch bei 
statischer Innervation in einen Tremor, der bei Intention schwächer wird und zwar 

r 10 

die linke mehr als die rechte. E. D. ^ Auch die Unterextremitäten zittern 
in der Ruhe, aber unbedeutend. Der Tremor ist grob, langsam. 

13. Trauma. Rigidität. Cislers Symptom. 

Nr. 1922/05. K. V., 62jähriger Taglöhner, aus einer gesunden Familie 
stammend, in der niemand an einer ähnlichen Affektion litt, obwohl alle Mitglieder 
ein hohes Alter erreichten. Er war stets gesund. Vor 7 Jahren erlitt er einen Schlag 
ins Gesicht mit einem eisernen Maschinenhaken, wobei er einige Zähne des Ober¬ 
kiefers einbüßte und das Bewußtsein verlor. Er arbeitete aber trotzdem weiter. 
Nach einigen Tagen begann die linke und sodann auch die rechte Hand zu zittern. 













Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


123 


Er führte einen Prozeß mit der Unfall Versicherungsanstalt. Nach 2 Jahren be¬ 
gannen seine Glieder steif zu werden, seit einem Jahre geht er schlecht und seit 
5 Wochen kann er überhaupt nicht mehr gehen, weil er sonst auf den Rücken fallen 
würde. Im Bette verträgt er nicht die Decke und will beständig anders gelagert 
werden. Spärliche Symptome der Senilität. Das Gesicht zeigt den fixierten Aus¬ 
druck gespannter Aufmerksamkeit; starre, typische Haltung des ganzen Körpers; 
beträchtliche Muskelrigidität. Die oberen Extremitäten zittern im Ruhezustände 
und führen dabei Bewegungen aus, wie wenn sie zwischen Daumen imd den übrigen 
Fingern Kügelchen formen würden, ferner Pronationen und Supinationen des Unter¬ 
arms. Bei Intention wird das Zittern schwächer. Zeitweise hört es spontan auf. 
Auch die linke Unterextremität zittert in der Prädilektionsstellung. Rigidität der 
Stimmbänder in Adduktionsstellung (Clslers Symptom). — Die Kurven ver- 


66 


Fig. 86. 

zeichnen einen leicht ungleichmäßigen Tremor, dessen Frequenz zwischen 5 und 
7,5 Wellen in der Sekunde schwankt. Bei Intention wurde er schwächer, ohne aber 
ganz zu verschwinden (Fig. 86). 

14. Nr. 2938/09. M. M., 55 Jahre alt. Seit dem 48. Lebensjahre im Klimak¬ 
terium. Zittert seit vielen Jahren; zuerst begannen die Hände zu zittern. Seit einem 
Jahre geht sie schlecht. Sucht die Klinik wegen Kopfschmerzen auf. Man kon¬ 
statierte einen Tremor aller Extremitäten in der Ruhe, besonders in der Prädilektions¬ 
stellung; bei intendierten Bewegungen war er schwächer, verschwand aber nicht ganz. 
Scopolia blieb ohne Wirkung, ebenso eine einwöchentliche Bettruhe. 

15. Nr. 7971/05. N. P., 65jähriger Taglöhner. In der Familie keine Nerven¬ 
erkrankung. Leidet ein Jahr an epileptischen Anfällen. Man konstatierte Pro¬ 
pulsion, Retropulsion, Rigidität der Armmuskeln. Diagnose: Paralysis agitans. 
Epilepsia tarda (Stokes -Ad am sehe Krankheit!). 

16. Propulsion. Retropulsion. Rigidität der Sti mmbänder. Tremor der 
Zunge. Große subjektive Beschwerden. 

Nr. 4058/04. R. J., 58jähriger Tischler, aus gesunder Familie stammend. 
Außer gesunden Kindern wurde ihm auch ein totes Kind geboren; ein Kind starb 
an Fraisen, ein zweites nach einer Gehirnentzündung (Hemiplegie). Patient war 
stets gesund. Vor 12 Jahren begann ein Zittern der rechten Oberextremität vom 



Fig. 87. 

Ellbogen zu den Fingern; dasselbe war anfangs unbedeutend, wurde aber später 
stärkör; ein und ein halbes Jahr darauf begann auch die rechte Unterextremität 
zu zittern; das Zittern der rechten Extremitäten dauerte 4 Jahre, worauf es sich 
auch auf die linken Extremitäten ausbreitete. Vor zwei Jahren begann auch die 
Zunge zu zittern. Mit zunehmendem Zittern wurden die Extremitäten schwächer. 
In der letzten Zeit kann er ohne fremde Hilfe nicht aufstehen. Er wird von Hitze- 









124 


Erster Teil. 


gefühl belästigt. — Gesichtsausdruck und Körperhaltung typisch, die Muskulatur 
der Extremitäten rigid (besonders die Flexoren), die Finger in Prisenstellung. Die 
Extremitäten zitterten in der Ruhe, die rechte mehr als die linke, zeitweise nahm 
der Tremor an Intensität langsam zu und wieder ab, bei Intention wurde er nicht 
schwächer. Ausgesprochene Pro- und Retropulsion. Auch das Kinn und die vor- 
gestreckte Zunge zitterten langsam. Im Schlafe hörte das Zittern auf, obwohl 
der Kranke das Gegenteil behauptete; ja, ich konnte mich überzeugen, daß das Zittern 
erst 20 Sekunden nach dem Erwachen begann. Rigidität der Stimmbänder. Patient 
klagte ungemein über Hitze; wehklagend bat er die ganze Nacht, man möge ihn anders 
lagern. Weder Scopolia noch Hyoscinum hydrobromicum, noch Veronal verschafften 
ihm eine Erleichterung; nach einer Morphiuminjektion hatte er die ganze Nacht 
Ruhe, aber schon in der nächsten Nacht war eine Dosis von 0,015 g ohne Wirkung. 
— Die Kurve zeigt einen groben, manchmal ganz regelmäßigen, manchmal ein wenig 
unregelmäßigen Tremor von 6 Wellen in der Sekunde, der bei Intention stets regel¬ 
mäßig, grob und von gleichbleibender Frequenz ist (Fig. 87). 

17. Kombination mit dem alkoholischen Tremor. 

Nr. 948/04. R. Fr., 57 jähriger Taglöhner. Der Vater war Säufer. Die ganze 
Familie war gesund, niemand litt an Zittern. Er war früher stets gesund. Nach 
Ableistung seiner militärischen Dienstzeit arbeitete er 11 Jahre in einem Bräuhause 
und hat während dieser Zeit viel getrunken. Vor 2 Jahren begannen beide Unter¬ 
extremitäten gleichzeitig ohne jede Ursache zu zittern, besonders beim Gehen, 
und wurden bald darauf auch schwach. Nach etwa einem Jahre begann auch die 



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Fig. 88. 

rechte Hand zu zittern, zuerst beim Essen, beim sich Bekreuzigen, beim Putzen der 
Nase, nicht aber in der Ruhe. Nach wenigen Wochen zitterte auch die linke Hand, 
später wurden beide Hände schwach. Vor einem Jahre begann sich auch die Zunge 
schwer zu bewegen. — Der Kranke war apathisch, die Muskeln des Nackens undfdie 
Flexoren der Oberextremitäten waren rigid, das Gesicht entbehrte des mimischen 
Muskelspiels. Die oberen Extremitäten zitterten in der Ruhe: speziell der Daumen 
individuell und außerdem die ganze Hand im Karpalgelenk; beide im Sinne von 
Adduktion und Abduktion. Die gestreckten Oberextremitäten zitterten ebenfalls 
in Form grober Flexionen und Extensionen im Karpus und in Form von Pronation 
und Supination des Vorderarms. Bei intendierten Bewegungen schwächt sich der 
Tremor so ab, daß er kaum zu erkennen ist, sobald aber das Ziel erreicht ist, beginnt 
der Tremor von neuem. Die unteren Extremitäten zittern nicht einmal in r der 
Prädilektionsstellung. Die Zunge zittert, wenn sie vorgestreckt wird und ist atro¬ 
phisch. E. D. T ’ — Die verschiedenen Kurven zeigen einen Tremor, der in 

l. y 

der Ruhe ziemlich gleichmäßig und regelmäßig ist, 8 Schwingungen in der Sekunde 
aufweist, bei der Intention ungleichmäßig wird, ohne aber zu verschwinden; eine 
dieser Kurven zeigt bei der Intention nur eine Spur einer unregelmäßigen Erschütte¬ 
rung (Kombination mit dem alkoholischen Tremor) (Fig. 88). 

18. Alkohol. Zittern des Kinns. Rigiditäten. Remissionen. 

Nr. 1203/04. S. Fr., 67 jähriger Bauer. Stammt aus gesunder Familie, war 
stets gesund. Hat stets schwer gearbeitet. Vor 3 Jahren begann nach einer schweren 










Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


125 


Anstrengung die rechte Oberextremität zu zittern, anfangs unbedeutend, später 
mehr, so daß ihm das Zittern bei feineren Arbeiten, z. B. beim Schreiben hinderlich 
wurde. Bald wurde die ganze Extremität schwach und ungeschickt. Nach einem 
Jahre wiederholte sich dasselbe an der linken oberen Extremität. Später wurden 
auch die unteren Extremitäten schwach, ohne aber zu zittern. Beim Essen und 
bei ähnlichen Verrichtungen war das Zittern weniger intensiv. Ebenso nach dem 
Genuß alkoholischer Getränke. Vor einem Jahre begann auch das Kinn zu zittern, 
die Zunge wurde schwer und beim Sprechen hinderlich. Vor l / 2 Jahre erschien das 
Zittern auch an der rechten Unterextremität. Er trinkt ziemlich viel Alkohol. — 
Wir konstatierten einen stereotypen Gesichtsausdruck, einen mit dem Zittern der 
Extremitäten synchronen und dauernden Tremor des Unterkiefers. Ein analoger 
Tremor der Zunge, der beim Vorstrecken derselben an Intensität abnahm. Beim 
Zusammenbeißen der Zähne hörte das Zittern des Kinns auf. Wenn der Kranke 
liegt, sieht man ein gleichmäßiges und rhythmisches Zittern der Finger, im Karpus 
und im Ellbogengelenk, das so grob und intensiv ist, daß der ganze Oberkörper 
zittert und daher auch der Kopf. An den unteren Extremitäten ist das Zittern selbst 
in der Prädilektionsstellung, in der das Zittern der Oberextremitäten noch heftiger 



Fig. 89. 


wird, unbedeutend. Bei intendierten Bewegungen hört der Tremor auf und zwar 
an beiden Händen, auch wenn die Bewegung nur mit einer Hand ausgeführt 
wurde; nach Erreichung des Zieles beginnt er wieder an beiden. Typische 
Körperhaltung, Rigidität der Mm. cucullares, der Brustmuskeln, der Deltoidei, der 
Mm. flexores carpi rad., der Rückenmuskeln, der Stimmbänder. Schreiben unmöglich. 
Patellarreflexe erhalten. Nervenstämme nicht schmerzhaft. E. D. r. 15. Am 
vierten Tage verließ Patient die Klinik; am nächsten Tage meldete der Sohn des¬ 
selben, daß der Vater bis auf die rechte Hand fast gar nicht zittere. — Die Kurven 
zeigen einen groben, langsamen Tremor mit einer Frequenz von 4,5—5 Wellen 
in der Sekimde, der bei Intention bedeutend schwächer wird, ohne aber ganz zu 
verschwinden oder seine Frequenz zu ändern (Fig. 89 A). Interessant ist die Kurve 
des Unterkiefers, die einen regelmäßigen, deutlich allorhythmischen Tremor mit 
5 Wellen in der Sekunde aufweist (Fig. 89 B). 

19. Schmerzen. Rigiditäten. Retropulsion. 

Nr. 18108/07. St. M., 60jährige, aus gesunder Familie stammende Frau. 
Sie selbst war stets gesund. Wurde vor 12 Jahren wegen Katarakta operiert. Vor 
2 Jahren begann sie zeitweise Schmerzen in der linken Unterextremität zu empfinden; 



Fig. 90. 


vor einem halben Jahre verschwanden die Schmerzen, aber dafür wurden beide 
Beine schwach und steif, so daß ihr das Gehen schwer fiel. Oft zog es sie so mächtig 
nach rückwärts, daß es sie Mühe kostete, um nicht zu fallen; trotzdem fiel sie wieder- 











126 


Erster Teil. 


holt hin. Vor einem Vierteljahre begann — nach einem Schreck — die linke Ober¬ 
extremität zu zittern und etwa 3 Wochen später die rechte. — Typische Körper¬ 
haltung. Stereotyper Gesichtsausdruck. Muskulatur des Ober- und Unterarms 
ein wenig rigid; die Oberschenkelmuskulatur, speziell der M. quadriceps, sehr 
rigid; die Wadenmuskeln weniger. In der Prädilektionsstellung beginnt eine 
rotierende Bewegung der linken, später und geringer auch der rechten Finger. 
Bei der Intention verschwindet der Tremor. Reflexe normal. — Die Kurven zeigen 
einen ziemlich ungleichmäßigen, im großen und ganzen regelmäßigen Tremor von 
5 Wellen in der Sekunde (Fig. 90). 

20. Einfluß des Traumas und der Emotion. Tremor des Unterkiefers. 
Pulsionen. Einfluß der Wärme und der Kälte. 

Nr. 7048/04. S. J., 48jähriger Taglöhner, Findling. War stets gesund. 
Vor 2 y 2 Jahren bemerkte er, daß, wenn er zu arbeiten aufhörte, die linke Hand zeit¬ 
weise zitterte; wenn er sodann mit derselben einen Gegenstand erfaßte, hörte das 
Zittern auf. Nach etwa 14 Tagen zitterte auch der Fuß, wenn er sich setzte oder 
stehen blieb. Ein Vierteljahr darauf wurde er überfahren und zwar fuhr ihm der 
Wagen über die rechte Körperhälfte; hierbei wurde die Hand luxiert, der Fuß und 
der Brustkorb gequetscht. Unmittelbar nach der Verletzung nahm der Tremor 
an den linken Extremitäten an Intensität zu, breitete sich auch auf die linken aus 
und hält seither an. An feuchten Wintertagen zittert er mehr, in trockener Wärme 
weniger; in dieser ist er auch beweglicher. Seit einem Jahre besteht das Zittern 



Fig. 91. 


auch bei Intention. Im Schlafe fehlt es. Gegenwärtig fühlt er sich sehr schwach; 
er muß gefüttert werden; nur bei schönem, warmem Wetter kann er selbst essen. 
Er beugt sich angeblich unwillkürlich nach vorn. Muskelstarre empfindet er nicht. 
Beim Gehen zieht es ihn nach vom oder nach links, oder nach rechts hinten. — 
Typische Körperhaltung. Die Oberextremitäten machen in der Ruhe Zitterbe¬ 
wegungen im Sinne der Adduktion und Abduktion und der Pronation und Supination, 
wobei der Daumen gleichzeitig Bewegungen wie beim Geldzählen vollführt. Bei 
der Intention wird das Zittern schwächer, nach Erreichung des Ziels aber wieder 
heftiger. In der Ruhe schwankt seine Intensität. Die Zitterbewegungen der Füße 
sind eine Kombination von Adduktion mit Supination resp. von Abduktion mit 
Pronation und hören bei Intention gänzlich auf. Auch die Zähne klappern gleich¬ 
zeitig. Keine Mimik. Leichte Rigidität der Extremitätenmuskulatur bei passiven 

Bewegungen. E. D. ** Patellarreflexe normal. — Er nahm Skopolia. Nach 

10 tägigem Aufenthalte in der Klinik war das Zittern entschieden schwächer, zeit¬ 
weise hörte es gänzlich auf. Da bekam der Patient die Nachricht von einem Todes¬ 
fall in der Familie und verließ die Klinik mit demselben Zittern, mit dem er einge¬ 
treten war. — Die Kurven zeigen ein grobes, gleichmäßiges, rhythmisches Zittern 
von 6 Wellen in der Sekunde, das bei Intention schwächer wurde, ohne seinen Rhyth¬ 
mus zu ändern (Fig. 91). 

21. Nr. 8135/07. S. M., 69 jährige Frau. Viele Geschwister starben an Fraisen. 
Sie selbst war oft krank. Im 50. Lebensjahr trat sie ins Klimakterium ein. Vor 
2 Jahren fühlte sie eine Schwäche in den Unterextremitäten; etwa eine Woche 
später begannen diese zu zittern, anfangs nur in der Ruhe, später auch bei Be¬ 
wegungen. Abends fühlte sie Hitze und Schmerzen in den Füßen. Vor einem Jahre 
ergriff das Schwächegefühl auch die oberen Extremitäten, und zwar zuerst die rechte; 



Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


127 


dieselben begannen ebenfalls zu zittern. Seit einem halben Jahre ist das Zittern 
heftig; die Extremitäten sind wie hölzern. — Typische Haltung der Oberextremitäten. 
Tremor aller Extremitäten in der Prädilektionsstellung. Die Muskulatur der Ober¬ 
extremitäten ist rigid, besonders die Flexoren. Reflexe normal, lebhaft. Die Patien- 




92 

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Fig. 92. 

tin mußte gefüttert werden. Später wurde die Rigidität auch an den unteren Extre¬ 
mitäten konstatiert. Quälende Anästhesien. Wurde 2 Monate lang mit Vibrations¬ 
massage behandelt, aber ohne Erfolg. Auch Skopolia und Jodnatrium änderten 
nichts an ihrem Zustande. — Die Kurven zeigen einen leicht ungleichmäßigen, im 
großen und ganzen rhythmischen, bei Intention etwas heftiger werdenden Tremor. 
Die Zeit wurde leider nicht registriert (Fig. 92). 

22. Typische prodromale Schmerzen. Rigidität. Clslers Symptom. 

Nr. 943/04. S. A., 66jährige Frau. Ein Bruder wurde im 68. Lebensjahr 
geisteskrank, eine Schwester starb 60 Jahre alt, plötzlich. Litt in der Jugend an 
Migräne, war immer begriffsstutzig. Klimakterium im 50. Lebensjahre. — Vor 
3 Jahren bekam sie aus unbekannter Ursache Schmerzen in die linke Oberextremität, 
die durch kein Medikament beseitigt werden konnten. Nach einem halben Jahre 
ließen sie an Intensität nach, aber die ganze Hand wurde schwach und zitterte im 
Ruhezustände, etwas später auch bei Bewegungen. Nach einem Jahre traten 
Schmerzen auch in der linken Unterextremität auf, die wiederum einem Schwäche¬ 
gefühl und einem Tremor wichen. Wiederum nach etwa einem Jahre wiederholte 
sich dasselbe Spiel in typischer Weise in der rechten oberen und etwas später in der 
rechten unteren Extremität. Seit einem Jahre kann sie schlecht gehen, es zieht sie 
nach vorn; überhaupt ist sie wenig beweglich. Gegenwärtig ist das Zittern an den 
rechten Extremitäten stärker. Im Laufe des letzten Jahres haben sich der 3.—5. 
linke Finger allmählich zur Faust geschlossen. Das Hitzegefühl unter der Bett¬ 
decke ist ihr unerträglich. Sie wird fortwährend von Diarrhöen geplagt. — Typische 
Körperhaltung, starrer Gesichtsausdruck. In der Ruhe Zittern aller Extremi¬ 
täten, das an den oberen rascher ist als an den unteren, bei Intention fast vollständig 
verschwindet, aber nach erreichter Intention gröber ist als vorher. Die Bewegungen 
erfolgen an den Fingern im Sinne der Flexion und Extension, etwas weniger in den 
Karpal- und Ellbogengelenken. Die Stimmbänder in Addiiktionskontraktur. Sie 
spricht mit geschlossenen Kiefern. Bei passiven Bewegungen stößt man auf einen 
großen Widerstand der Nacken- und Extremitätenmuskulatur. Die Bewegungen 
sind schwerfällig, unsicher; die Kranke überlegt lange, bevor sie eine Bewegung aus¬ 
führt und beteuert wiederholt, sie könne nicht. E. D. r. 7, links wegen Kontraktur 
nicht meßbar. Nach Hyoscin größere Starre (subjektiv), das Zittern unverändert.— 
Die Kurve zeigt in der Ruhe einen leicht ungleichmäßigen, groben, rhythmischen 
Tremor von 5,75—6 Schwingungen in der Sekimde, der bei der Intention fast voll¬ 
ständig verschwindet, aber durch die Kurve bei gleichbleibendem Rhythmus an¬ 
gedeutet wird (Fig. 76, Mitte). 

23. Emotion und Trauma. Zittern der Zunge. Starre Pupillen. Demenz. 

Nr. 15 617/03. V. P., 70jähriger Kaufmann, der aus gesunder Familie stammt 
und früher stets gesund war. Die Krankheit begann vor 10 Jahren. Damals starb 
seine Mutter; ihm träumte, diese stände neben ihm, worüber er heftig erschrak. 



128 


Erster Teil. 


Bald darauf erlitt er einen Hieb in den Kopf. Gleich darauf begannen alle Extremi¬ 
täten zu zittern, besonders die linksseitigen; er konnte schlecht sprechen. — Typische 
Körperhaltung, starrer Gesichtsausdruck. Rigidität der Rumpf- und Extremitäten¬ 
muskulatur. Tremor der oberen Extremitäten von 4—5 Wellen in der Sekunde, 
links intensiver, von schwankender Intensität, bei Bewegungen fast verschwindend. 
Muskelkraft gering. In der Ruhelage auf dem Bette zittern die unteren Extremi¬ 
täten heftig. Grobes Zittern der Zunge. Patellarreflexe regelmäßig. Die Pupillen 
reagierten weder auf Licht, noch auf Akkommodation. Der Kranke war unrein, 
unruhig, örtlich und zeitlich unvollkommen orientiert. Aktive Bewegungen gehen 
langsam, in mehreren Absätzen und nach langer Überlegung vor sich. 

24. Parkinson bei einer jungen Schwester. Alkohol. Tonische Krämpfe 
im Antithenar. Wadenkrämpfe. Ophthalmoplegie. Pyramidenläsion. 

Nr. 15 997/07. V. R., 38jähriger Ökonom, stammt von gesunden Eltern. 
Eine 32jährige Schwester leidet seit 2 Jahren an derselben Krankheit; die übrigen 
Geschwister sind gesund. Im 5. Lebensjahre überstand er laut Angabe der Mutter 
eine Gehirnkrankheit, im 17. Lebensjahre Gelenkrheumatismus. Trinkt 6—16 Glas 
Bier, manchmal auch Wein und schwarzen Kaffee mit Rum. Vor 3 Jahren erschienen 
in den unteren Extremitäten Schmerzen, wobei er manchmal auch Wadenkrämpfe 
bekam; die Füße wurden schwach, so daß er nicht lange stehen oder gehen konnte. 
Vor einem Jahre erschien ein ähnlicher Schmerz in der linken Lendengegend. Gleich¬ 
zeitig bekam er Kribbeln und Schwäche in den oberen Extremitäten. Hier und da 
trat ein Krampf im Antithenar auf, wo eine tiefe Furche entstand; hierbei entfernte 
sich der Kleinfinger unwillkürlich von den übrigen Fingern. Zugleich zeigte sich 
manchmal ein Tremor der oberen Extremitäten in der Ruhe, besonders wenn der 
Kranke erregt war; manchmal ließ sich dieser Tremor willkürlich unterdrücken. 










Fig. 93. 

aber nicht immer. Bei Intentionen (Essen, Schreiben) wurde er nicht heftiger, 
eher verschwand er manchmal. In der letzten Zeit zieht es ihn fortwährend nach 
rückwärts, so daß er zu fallen fürchtet. — Körperhaltung der Parkinsonschen 
Krankheit angedeutet. Die Muskeln der oberen Extremitäten und die Oberschenkel¬ 
extensoren rigid. Bei Ablenkung der Aufmerksamkeit läßt die Rigidität nach. Die 
gestreckten Oberextremitäten zittern, doch hört der Tremor bei Intention auf. 
In der Prädilektionsstellung entsteht ein Zittern der Oberextremitäten und der 
Lenden- und Gesäßmuskeln, so daß das Zittern auf die unteren Extremitäten über¬ 
tragen wird. Die Nervenge flechte sind schmerzhaft. Patellarreflexe normal, 
Achillessehnenreflexe lebhaft, Babinski positiv. Die Pupillen reagieren träge auf 
Licht, dagegen normal auf Konvergenz. In extremen Positionen Zuckungen der 
Bulbi. Während des Aufenhaltes in der Klinik entstand eine Parese eines M. rectus 
internus mit Diplopie, doch verschwand dieselbe schon am nächsten Tage. Die 
Papillen der Sehnerven waren hyperämisch. Das Gesichtsfeld war normal. Aktive 
Bewegungen langsam. Sensibilität normal. — Die Kurve zeigt einen ungleichmäßigen 
rhythmischen Tremor von 5 Wellen in der Sekunde, der bei Intention schwächer 
wird, aber seine Frequenz nicht ändert (Fig. 93). 

25. Die Kurve mit der Bezeichnung Par. ag. Senectus (ohne Krankheits¬ 
geschichte) zeigt einen groben, regelmäßigen Tremor von 6,5—7 Wellen in der 
Sekunde, der bei Intention manchmal verschwindet, manchmal imregelmäßig wird. 
Manchmal ist er in der Ruhe ungleichmäßig (Fig. 94). 





Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


129 


26. Nr. 5451/03. R. V., 67jähriger Schneider. In der Familie mehrere Fälle 
von Tuberkulose. Kam mit den Symptomen der Perityphlitis, ohne über das Zittern 
zu klagen. Die sehr spärliche Anamnese führt an, daß seine Hände und Füße vor 
9 Jahren wie hölzern waren, daß er aber wieder gesund wurde. Vor 6 Wochen wurden 



Fig. 94. 

die rechte Hand und der rechte Fuß wieder wie hölzern und seit einiger Zeit bemerkt 
er, daß seine rechte Hand viel schwächer ist als die linke. Objektiv wurde kon¬ 
statiert, daß die rechte Hand, die schwächer war als die linke, in der Ruhe heftig 
zitterte. 

27. ^Beginn nach einem Iktus. 

Nr. 2252/09. U. J., 57 jährige Frau. Vor 3 y 2 Jahren fiel sie bei der Heimkehr 
vom Felde auf das Gesicht und wurde bewußtlos. Nach etwa einem Monat begann 
die rechte Oberextremität schwächer zu werden und zu zittern, und zwar in der 
Ruhe, keineswegs bei Bewegungen. Vor einem halben Jahre bekam sie Kribbeln 
in die rechte Unterextremität, dieselbe wurde schwer beweglich oder begann derart 
zu zittern, daß dies bei jeder Arbeit hinderlich war. Bei Nacht hörte das Zittern 
auf. Man konstatierte außer anderen Symptomen eine Rigidität der Muskeln 

der rechten oberen Extremität. E. D. Mechanische Muskelerregbarkeit ge¬ 

steigert. Auch an der rechten Unterextremität Muskelrigidität. In der Prädilektions- 
stellung zittern die Unterextremitäten nicht, die Oberextremitäten zeigen in der 
Ruhe in den Finger- und Handgelenken, speziell rechts, rhythmische Bewegungen, 


95 


Fig. 95. 

die bei Intention vollständig verschwinden. Die Kurven veranschaulichen sehr 
schön das Zittern der rechten Hand: In der Ruhe ein grober, rhythmischer, nur leicht 
ungleichmäßiger Tremor, der bei Intention bedeutend schwächer wird, ohne seine 
Frequenz zu ändern, oder verschwindet und nur durch.minimale, nicht ausgebildete 
Wellen angedeutet ist (Fig. 95). 

28. Nr. 11 485/10. S. J., 60jähriger Flößer. Stand vor 2 Jahren wegen 
Lymphdrüsenschwellung in klinischer Behandlung. Schon bei seinem Austritt 
aus der Klinik zeigte sich hier und da ein Zittern der rechten Hand. Lange Zeit 
vorher litt er an Schmerzen in der rechten Oberextremität, die dem Druck der 
Drüsen auf den Nervenplexus zugeschrieben wurden. Nach seinem Austritt aus der 
Klinik begann allmählich die rechte Oberextremität schwach zu werden und sowohl 
in der Ruhe, als auch bei Bewegungen zu zittern. Bei letzteren wird der Tremor 
zuerst schwächer, nimmt aber sodann so sehr an Intensität zu, daß Patient mit der 
rechten Hand nicht essen kann. Dann begann auch die rechte Unterextremität 
zu schmerzen, schwach zu werden und hier und da zu zittern. In der jüngsten Zeit 
beginnt auch die linke Körperhälfte schwach zu werden. Vor 8 Monaten begann auch 
der Kopf zu zittern. Beim Sprechen hat der Kranke das Gefühl, als ob er die Zunge 
nicht rasch genug bewegen könnte. Bei Bewegungen der rechten Körperhälfte 
muß er sich psychisch und physisch bedeutend mehr anstrengen. Bei der neuer- 
Pelnäf, Zittern. 9 





130 


Erster Teil. 


liehen Aufnahme in die Klinik im Jahre 1910 wurde folgendes konstatiert: Starrer 
Gesichtsausdruck, starre Haltung des Rumpfes, namentlich aber der rechten Extremi¬ 
täten; die rechte Oberextremität in typischer Stellung, die Hand im Karpus exten¬ 
diert, die Finger in den Interphalangealgelenken gestreckt, in den Metakarpophalan- 
gealgelenken flektiert und abduziert, der Daumen in dauernder, leichter Opposition; 
die Extensorensehnen heben sich am Handrücken ab. Die Muskeln der Ober- und 
Unterextremität rigid. In der Ruhe zittert die rechte Oberextremität am meisten 
im Karpalgelenke, weniger in den Metakarpophalangealgelenken im Sinne von 
Flexion und Extension. Beim Sitzen verfällt die Unterextremität in rhythmische 
Flexionen und Extensionen im Sprunggelenke und in Adduktion und Abduktion 
im Hüftgelenke. An der Oberextremität entsteht manchmal eine rhythmische 
Bewegung in der Schulter im Sinne der Adduktion und Abduktion. Zeitweise 
vollführt der Kopf Bewegungen um die Vertikalachse etwa in demselben Rhythmus 
und zwar auch dann, wenn man den Tremor der Extremität künstlich unterdrückt; 
auch die Unterlippe hebt und senkt sich in demselben Rhythmus. Der Kranke 
hält den Kopf dauernd nach der rechten Schulter geneigt und das Gesicht ein wenig 
nach der rechten Seite gedreht. Die Nackenmuskeln der rechten Seite sind sehr 



Fig. 96. 


rigid, speziell der M. cucullaris. Der Kranke vermag das Zittern nicht willkürlich 
zu unterdrücken, sondern der Tremor wird bei einem derartigen Versuche nach der 
Erfahrung des Patienten und wie wir uns selbst überzeugen konnten, intensiver. 
Das Zittern hört unter folgenden Umständen auf: 

1. Wenn der Kranke eine aktive Bewegung vollführt; nach einer Weile aber 
fängt das Zittern allmählich wieder an; wenn der Kranke einen Gegenstand in der 
Hand hält (z. B. den Registrierapparat), dann hört der Tremor nicht auf. 

2. Wenn er, einer Aufforderung folgend, seine zitternde Hand anschaut; 
die Ruhe dauert auch hier nur 2—3 Sekunden. 

3. Wenn er die zitternde Hand in die linke legt. 

4. Wenn man die Hand passiv leicht und ganz langsam hebt; drückt man sie 
aber gewaltsam in der dem Tremor entgegengesetzten Richtung, springt der Tremor 
auf die proximalen Gelenke über und ist auch an der Hand intensiver. 

Sobald man diese Versuche wiederholt, hört das Zittern nicht auf und es 
stellt sich zugleich ein subjektives Ermüdungsgefühl ein. 

Von diesem Kranken wurde eine Serie von Kurven aufgenommen, deren 
eine hier reproduziert ist. Man sieht an derselben das Aufhören des Tremors bei der 
Intention. Zum Vergleiche findet sich darunter eine Kurve, welche die Intentions¬ 
verstärkung des Tremors bei Hysterie veranschaulicht (Fig. 96). 

Historischer Überblick. Den Tremor bei dieser Krankheit, die als 
erster James Parkinson 1817 beschrieben hat, unterschieden von jenem 
bei Chorea Germain See 1851 (Bechet), von jenem bei der Herdsklerose 
Charcot in seinen Vorlesungen 1861 und 1862 mit Vulpian und 1867 sein 
Schüler Ordenstein; schon 1860 hat auch Cohn den Hauptunterschied der 
beiden Zitterformen hervorgehoben. Die interessanten Fingerbewegungen, die 
an zweckmäßige Bewegungen erinnern, beschrieb G übler bereits 1845: Zer- 
krümmeln von Brot, Rollen eines Bleistiftes, Treten der Pedale usw. (Fernet). 
Die Propulsion beschrieben vor Parkinson bereits Sau vage und Sagar 







Das Zittern bei der Parkinson sehen Krankheit. 


131 


als Skelotyrbe festinans (Buchet). Charcot gab 1874 die Erklärung, daß es 
sich da um Fälle handle, bei denen das Zittern im ganzen Krankheitsverlaufe 
fehle, die aber trotzdem als echte, wenn auch verkümmerte — forme fruste — 
Form dieser Krankheit anzusehen seien, der er statt der Park ins on sehen Be¬ 
zeichnung „Shaking palsy“ die weitere Benennung ,,Parkinsonsche Krankheit“ 
beilegte. — Von den zitierten Arbeiten verdienen eine besondere Erwähnung: 
die These von Vandier (1886) über traumatische Formen, die These von Buchet, 
die alle klinischen Eigentümlichkeiten dieser Krankheit erschöpfend darstellt 
(1892), die Dissertation von Cramer (1886), die These von Cast6ran (1909) 
und die systematische Arbeit von Mendel (1911). 

Die Behandlung des Parkinsonschen Tremors bedeutet eigentlich die 
Behandlung der Krankheit selbst, denn das Zittern und die mit demselben 
kombinierte Rigidität bilden die Hauptbeschwerden dieser Krankheit und sind 
daher jene Symptome, gegen welche alle Heilmethoden gerichtet sind. Viele 
Heilmittel wurden gelobt und wieder auf gegeben, weil, wie Charcot bereits 
wußte, bei dieser Krankheit spontane Remissionen Vorkommen, die bei den 
therapeutischen Versuchen zu falschen Schlüssen verleiten können. 

Ich führe an: Ferrum carbonicum (Elliotson), Baryum chloratum 
(Brown-S6quard), Kalium jodatum (Ville min), Argentum nitricum (Charcot 
sah nach demselben eine Zunahme der Heftigkeit des Zitterns), Aurum chloratum 
(Robin), Opium, Morphium, Codein, Atropin, Kokain, Brompräparate, Strychnin 
(Trousseau), Hyoscyamus (Jones), Hyoscin, Akonitin, Duboisin, Coniin, 
Propylamin, Camphora monobromata (Charcot), Faba calabri, Tinctura 
veratri viridis, Tinctura gelsemii semperviventis, Arsen, 70%iger Alkohol mit 
Stovain (in die Umgebung der Nerven, Brissaud), sogar auch Kurare! Ferner 
Kombinationen von Cannabis indica mit Opium (Gowers), Tinctura veratri 
mit Morphiuminjektion (Heimann), Tinctura gelsemii mit Belladonna 
(Alquier) Faba calabri mit Kalium tartaricum. 

Die auffallendsten Besserungen wurden bis jetzt nach verschiedenen 
Hyoscin- und ähnlichen Präparaten beobachtet und zwar nach Hyoscinum 
hydrojodicum, muriaticum, hydrobromicum, Scopolaminum hydrobromicum 
(identisch mit Hyoscinum) und Scopolia camiolica, Duboisinum sulfuricum. 
Diese heftigen Gifte verwendet man subkutan in Dosen von 0,2—0,3—0,5 mg 
pro die oder innerlich zu 0,25—0,30 mg pro dosi und bis zu 1 mg pro die. Die 
Behandlung mit subkutanen Skopolamininjektionen hat laut beglaubigten 
Beobachtungen auffallende Erfolge; doch kommen hierbei häufig Vergiftungen 
vor. Pierre Marie bemerkt hierzu treffend: „Die Besserung ist imglaublich 
groß, aber man kann die Methode nur mit großer Angst anwenden.“ Wir ver¬ 
suchten die interne Behandlung schon vor Jahren in vielen klinischen Fällen, 
aber ohne einen überzeugenden Erfolg, der offenbar nur aus dem Grunde aus¬ 
blieb, weil wir aus Furcht vor einer Vergiftung ungenügende Dosen ver¬ 
wendeten. Ein Nachteil dieser Behandlung beruht darin, daß die Wirkung 
nicht lange anhält und das Medikament immer wieder von neuem gegeben 
werden muß; aber Roussy berichtet über einen Kranken, den er mit Hilfe 
dieser Methode schon fünf Jahre lang in gutem Zustande erhält; Souques 
verfügt über eine vierjährige Beobachtung. Mit Rücksicht auf diese Erfolge 
will ich folgende Verordnungen anführen: 

Mendel jun. empfiehlt auf Grund der Erfahrungen seines Vaters, der das 

9* 



132 


Erster Teil. 


Duboisin seit 1893 anwendete, in leichteren Fällen alle 2—3 Tage, in schweren 
Fällen auch täglich je 0,2—0,3 mg (Duboisini sulfurici 0,01 auf 10 destillierten 
Wassers, 0,3 ccm einzuspritzen). 

Robin gibt in leichteren Fällen Scopolamini hydrobromici 0,03 ad Aquam 
dest. 600; ein Kaffeelöffel dieser Lösung enthält 0,25 mg; am ersten Tage gibt 
er morgens vor dem Frühstück einen Löffel, am zweiten Tage außerdem um 
3 Uhr nachmittags einen Löffel, am dritten Tage außerdem um 11 Uhr vor¬ 
mittags einen Löffel, am vierten Tage außerdem um 6 Uhr abends einen Löffel; 
diese Dosis (1 mg) hält er für die Maximaldosis; dieser Vorgang wird wiederholt, 
so daß die Kur acht Tage dauert. In schwereren Fällen, in denen das Zittern 
sehr heftig ist, injiziert er die Lösung Scopolamini hydrobromici 0,03, Aquae 
laurocerasi 5, Aquae destill. 5, von der 1 ccm 1 mg Scopolamin enthält. Die 
Spritze muß genau in Zehntelkubikzentimeter eingeteilt sein. Diese Lösung in¬ 
jiziert er in den Vorderarm und zwar am ersten Tage 0,2 ccm (also 0,2 mg) 
und steigt nach Bedarf um 0,1 ccm (0,1 mg) bis maximal 0,8 mg in längstens 
8—10 Tagen. Hierauf reicht er durch 8—10 Tage Faba calabri in Pillen oder 
Pulvern zu 25 mg, von einer Pille resp. einem Pulver bis höchstens sechs Pillen 
resp. Pulvern täglich und außerdem vor dem Mittagmahl und vor dem Nacht¬ 
mahl 2 und später 3 g Kalii tartarici neutr. in einem Glas Wasser. Sodann 
setzt er diese Medikamente auf mindestens 3 Wochen aus und reicht während 
dieser Zeit verschiedene Nervina (Zincum oxydatum, Glyzerophosphat u. dgl.). 

Eine ambulatorische Injektionsbehandlung ist nicht zu empfehlen, da man 
stets nach den ersten Vergiftungserscheinungen fahnden muß, um die Kur 
rechtzeitig zu unterbrechen. 

Wie weit man manchmal in dieser Beziehung gehen kann, lehrt ein Fall, 
den Roussy in der neurologischen Gesellschaft in Paris im Jahre 1910 demon¬ 
striert hat. Da bei diesem Kranken alle Mittel erfolglos blieben, gab er ihm 
Atropin in Mengen bis zu 12 mg täglich. Gegenwärtig verabreicht er ihm seit 
5 Jahren Skopolamin subkutan in Dosen von %—1—2 mg jeden zweiten Tag. 
Zunächst treten 1—2 Stunden nach der Injektion Vergiftungserscheinungen 
auf: Obnubilation, Nausea, Erbrechen, aber nach drei Stunden hört das Zittern 
ganz oder nahezu ganz auf, die Rigidität läßt nach und der Kranke fühlt sich 
18—24 Stunden ganz wohl, kann Spazierengehen usw. Nach 26 Stunden 
fesselt ihn die Rigidität wieder ans Bett. Diese Behandlung dauert bereits fünf 
Jahre, ohne daß sich Symptome einer chronischen Vergiftung gezeigt hätten, 
trotz der ungeheuren Dosen, die allein Hilfe gebracht haben. — Souques hat 
in derselben Sitzung mitgeteilt, daß er einem seiner Patienten seit vier Jahren 
jeden zweiten Tag 0,5 mg injiziere; das Zittern verschwindet für 24 Stunden 
vollkommen und ist noch am nächsten Tage schwach. 

Außer der medikamentösen Behandlung wird seit jeher auch die eine oder 
die andere physikalische Behandlungsmethode gelobt. Am besten wirken 
Bäder, die so warm sein müssen, als dem Kranken angenehm ist, von 20—25 
Minuten Dauer, 2—3mal in der Woche; nach dem Bade leichte Massage mit 
Frottieren und Kneten; während der freien Tage passive Bewegungen, nachher 
aktive Übungen und Trepidation (Charcots fauteuil tr^pidant). Robin lobt 
zeitweilige Ätherisation oder oberflächliche Stichelungen mit glühender Nadel 
längs der Wirbelsäule. 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 133 

Die Opotherapie wurde nach allen Richtungen geprüft: nach Schild¬ 
drüsenpräparaten sah Castelvin (zit. vonCast^ran) Besserung (1903), Alquier 
dagegen Verschlimmerung; Parhon und Urechie (1907) gaben Hypophysen¬ 
präparate und behaupten, daß dieselben dem Kranken eine Erleichterung ge¬ 
bracht hätten speziell hinsichtlich des Hitzegefühls, des Schweißes, der Schlaf¬ 
losigkeit, der Tachykardie, der Asthenie (sie reichten vier Drüsen vom Rind, 
mazeriert mit etwas Glyzerin — 2—6 Kaffeelöffel täglich); am strittigsten ist 
die Opotherapie mit den Parathyreoidealdrüsen, die von Berkeley im Jahre 
1905 inauguriert wurde; er gibt an, daß er auf diese Weise 18 Fälle gebessert 
und 1 Fall geheilt habe (zit. Maregna). Alquier will 5 von 6 Patienten von 
ihrer Schlaflosigkeit, von den Schmerzen und vom Tremor geheilt haben. Am 
weitesten ging Massaglia, der diese Therapie im Jahre 1909 für spezifisch 
und beim Parkinsonschen und senilen Tremor für diagnostisch erklärt hat. 
Dagegen sahen Lundborg, Parhon und Goldstein nach dem Vassaleschen 
Parathyreoidin (aus Mailand) und Marinesco nach der frischen Drüse in zwei 
Fällen ebenfalls keine Veränderung. Roussy warnt sogar in jüngster Zeit 
vor dieser Therapie, da er nach größeren Dosen (vier frische Drüsen täglich) 
eine rasche Verschlimmerung des Zitterns und der Rigidität, ferner Unruhe und 
sogar Exitus gesehen habe. 

Der Vollständigkeit wegen sei erwähnt, daß auch radiogener Schlamm 
die Symptome dieser Krankheit gebessert hat (Claude zit. von Alquier). 


IX. Das Zittern bei organischen and zwar herdförmigen 
Erkrankungen des Nervensystems. 

A. Bei der disseminierten Sklerose. 

a) Gewöhnlich wird behauptet, daß derartige unwillkürliche Bewegungen 
der Hände, die mit unserer Definition des Zitterns übereinstimmen, bei der 
disseminierten Sklerose nicht beobachtet werden. Als seltene Ausnahmen 
werden Fälle angeführt, in denen die Hände in der Ruhe und bei statischer 
Innervation in gewöhnlicher Weise zitterten und zwar bei Emotionen und in 
schmerzhaften Phasen der Krankheit (Breillot, Reymond). Dieses Zittern 
aller Extremitäten in der Ruhe konnte durch energisches Zusammenschließen 
für mehrere Augenblicke unterdrückt werden (Erb). Oppenheim schließt 
in einem solchen seltenen Falle auf eine Kombination mit diffuser Sklerose. 
Bei systematischer Untersuchung der Kranken ist ein zartes Zittern der Hände 
bei statischer Innervation keine Seltenheit. Dies gilt besonders für jene Fälle, 
bei denen der typische, bei der Sklerose gewöhnlich beobachtete ,,Tremor* 4 
fehlt. Max Meyer publizierte das Resultat seines graphischen Studiums des 
Zitterns bei 12 Patienten Ziehens nnd dort finde ich bei 8 Fällen, bei denen 
ein auffallendes Zittern fehlte, graphisch verzeichnet einen ganz zarten Tremor 
bei statischer Innervation von 5—7 Wellen in der Sekunde ohne Rücksicht auf 
die Dauer der Krankheit (3 Monate bis 15 Jahre) und des Zitterns (2 Monate 
bis zu 10 Jahren). Dieser Tremor war fast immer ganz leicht unregelmäßig 
und nahm bei Intention nur unbedeutend oder gar nicht an Intensität zu. — 
Unter unseren 20 Fällen fand ich in 3 Fällen das Zittern bei statischer Inner¬ 
vation zugleich mit dem Intentionszittern. 



134 


Erster Teil. 


b) Ferner beobachtete man bei der disseminierten Sklerose einen Tremor 
analog jenem bei der Schüttellähmung, worunter in den publizierten Fähen ge¬ 
wöhnlich ein langsamer Tremor in der Ruhe verstanden wird. Insoweit ich die 
publizierten Fälle verfolgen konnte, handelte es sich in denselben entweder um 
eine wirkliche Kombination mit der Schüttellähmung oder um klonische Krämpfe 
oder um eine der Athetose nahestehende Bewegung oder um einen heftigen 
Intentionstremor, der sich selbst bei den minimalsten Reizen äußerte und daher 
nur scheinbar „in der Ruhe“ vorhanden war. Über einen ähnlichen Tremor 
bei herdförmigen Läsionen des Gehirns siehe auch im folgenden Abschnitt B. c). 
Ich will einige derartige Fälle zitieren: 

Meschede beschrieb 1870 einen 25jährigen Jüngling, der im 12. Lebens¬ 
jahre einen Pferdehufschlag ins Gesicht erlitt. Seit dieser Zeit entwickelte sich 
bei ihm eine Paralysis agitans. Der Tremor ist aber nicht näher beschrieben. Er 
litt außerdem an Anfällen, die der Autor als Propulsion bezeichnet, die aber auf 
Grund seiner Beschreibung als prokursive Epilepsie zu bezeichnen sind; sie begannen 
in stereotyper Weise mit Krampflachen. Das Zittern nahm nach der Verletzung 
fortwährend zu. Der Jüngling verkümmerte geistig, mußte in der letzten Zeit liegen, 
masturbierte, war imbezill, der Tremor hörte selbst im Bette nicht auf, schließlich 
entstand ein Dekubitus, der zum Tode führte. Bei der Sektion fand man eine aus¬ 
gedehnte disseminierte Sklerose. — Es dürfte sich um heftiges Intentionsschleudem 
bei den geringsten Reizen gehandelt haben, das als Bewegung „in der Ruhe“ impo¬ 
nierte; daher die Diagnose Paralysis agitans. 

Fr. Schultze (1876) beobachtete einen 62jährigen Patienten, der plötzlich 
an Pneumonie erkrankte, Schwindel bekam und nicht mehr gehen konnte. Er 
wurde in die Klinik eingebracht und zeigte im Sitzen einen auffallenden Tremor 
der linken Hand und des Vorderarms, der in der Ruhe am intensivsten war und 
bei Lage Wechsel der Extremität an Intensität abnahm. Er hatte diesen Tremor 
nach seiner Angabe etwa 5 Jahre. Nach einigen Tagen stellte sich ein progressiver 
Kollaps ein, das Zittern hörte auf und zwei Tage später starb der Kranke. Bei 
der Sektion fand man in der Medulla Gefäßsklerose und eine chronische interstitielle 
Myelitis mit herdförmigen Veränderungen der Sklerose, speziell im Bereiche der 
zervikalen und lumbalen Intumeszenz. Am Gehirn fand sich (allerdings nur makro¬ 
skopisch) nichts. 

Schultze zitiert hierbei den Fall Leydens aus dem Jahre 1875 (Arch. f. 
Psych.), betreffend die 75jährige „Frau Hamm“. Wenn wir jedoch die Krankheits¬ 
geschichte dieses Falles genau analysieren, handelte es sich hier mit aller Wahrschein¬ 
lichkeit um echte Paralysis agitans, kombiniert mit atheromatösen Veränderungen 
an den Rückenmarksgefäßen mit sekundären Veränderungen der Medulla und Neuri¬ 
tiden, so daß dieser Fall die Beweiskraft einbüßt. 

Meschedes Schüler Lantzius Beninga beschreibt in einer Dissertation 
vom Jahre 1887 eingehend einen Fall von Schüttellähmung, in welchem es sich 
offenbar um Athetose gehandelt hat. — 46 jährige Frau, die seit einer Reihe von 
Jahren an Schwäche und Spasmus und seit einem halben Jahre an Zittern der 
linken Körperhälfte mit oszillatorischen rhythmischen Bewegungen in den Fingern 
und im Daumen litt, die den Bewegungen beim Geldzählen ähnlich waren. Bei 
Bewegungen war das Zittern jenen bei Sklerose analog. Ihr 22jähriger Sohn blieb 
nach einer im 3. Lebensjahre durchgemachten fieberhaften Erkrankung auf der 
rechten Körperhälfte gelähmt und behielt eine spastische Hemiparese mit Ataxie, 
besonders bei Bewegungen. An den Zehen des rechten Fußes schnelle, oszillierende 
Bewegungen von ungleichmäßigem Rhythmus. Die Bewegungen der Hand gehin¬ 
dert durch unwillkürliche Bewegungen von Intentionscharakter. Bei der Epikrise 
der Mutter bemerkt der Autor, daß sie auch „Läsionen der rechten Wange, die auf 
einen zerebralen Ursprung hindeuteten“, gehabt habe, so daß es sich um eine ge¬ 
meinsame Läsion des Fazialis und der rechten Pyramide gehandelt haben dürfte. 

In dem Falle von Sachs aus dem Jahre 1898, betreffend eine 30jährige Frau, 
begann die Sklerose mit Intentionszittem der rechten Extremitäten; später ent- 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 135 

wickelten sich die Symptome der Schüttellähmung: starre Maske, Propulsion, Zittern 
in der Ruhe. 

Bei einem zweiten Falle desselben Autors, einem 22jährigen Jüngling, der 
im 5. Lebensjahre einen Unfall mit Bewußtlosigkeit und eine Paraplegie, die in voll¬ 
ständige Heilung überging, erlitten hatte, trat im 16. Lebensjahre nach einem 
neuerlichen Unfall Zittern der Extremitäten auf, im 18. Lebensjahre starrer 
Gesichtsausdruck, langsame Sprache, rhythmisches Zittern des Kopfes und der 
Extremitäten ä la Parkinson und später lateraler Nystagmus, skandierende Sprache, 
Lähmung des weichen Gaumens, gesteigerte Reflexe, Kontrakturen und zugleich 
Propulsion, Retropulsion (von Krause genauer zitiert). 

Im Falle Jollys (Neur. Zentralbl. 1902. 518) bestand das typische Bild der 
Schüttellähmung bei einem 32 jährigen Patienten und außerdem Fußklonus, positiver 
Babinski und Zwangslachen. Intentionszittern bestand überhaupt nicht. 

R ay m o n d beobachtete bei einer 68 jährigen Frau eine Sklerose durch 12 Jahre; 
es bestand typisches „ Intentionszittem“, aber außerdem ein langsames Zittern der 
Mundmuskeln „ä la bouche du lapin.“ 

Krause publizierte (Char. Ann. 1903. XXVII. 525) einen analogen Fall, 
der lange Zeit diagnostisch unklar war. Es handelte sich um einen 25jährigen 
Kranken, der im 9. Lebensjahre in glühende Asche fiel und wegen der Verbrennungen 
9 Monate krank darniederlag, wonach Spasmen der unteren Extremitäten, ein pro¬ 
gressives Zittern der Oberextremität und eine Verlangsamung der Sprache auf¬ 
traten. Im 18. Lebensjahre hatte er spastische Paraparese, Nystagmus, an den 
Händen ein leichtes, unbestimmtes Zittern und eine konzentrische Gesichtsfeld- 
einengung für Farben rechts. Oppenheim diagnostizierte eine Sklerose. Im 20. 
Lebensjahre gesellten sich Lähmungen der konjugierten Augenmuskeln und ein 
langsames Händezittern in der Ruhe wie beim Parkinson hinzu. Im 21. Lebens¬ 
jahre hatte Mendel den Verdacht auf eine Kombination von Sklerose mit Hysterie. 
Damals hatte er an der rechten Hand in der Ruhe ein grobes Zittern von 4 Wellen 
in der Sekunde, das sich bei Intention nicht änderte, an der linken Hand ein nur 
bei Intention sichtbares Zittern und an den Füßen ein Zittern, das manchmal bei 
Bewegungen, manchmal in der Ruhe vorhanden war. Im 22. Lebensjahre war 
das Bild klar. Der Kranke hatte eine typische Körperhaltung, Rigiditäten am 
ganzen Körper, in der Ruhe ein langsames Zittern der Hände (3—4 Wellen in der 
Sekunde), besonders rechts, weniger an den Füßen, von wechselnder Intensität, das 
auf keine Weise unterdrückt werden konnte. Bei schwacher Intention (Heben 
der Hand) hörte das Zittern auf, bei schwerer (Heben einer Last) trat keine Ände¬ 
rung ein, ferner bestand Propulsion, Retropulsion — und außerdem eine spastische 
Paraparese mit Fußklonus, Babinski usw. 

c) Intentionszittem, das allgemein als typisch für die Sklerose gilt: In 
entwickelten und namentlich in vorgeschrittenen Fällen dieser Krankheit findet 
sich eine veränderte willkürliche Bewegung der Extremitäten, deren wesentliche 
Eigenschaften Charcot hervorhob, als er in den 70er Jahren die Herdsklerose 
von der Schüttellähmung streng absonderte und der F. Schultze die Bezeichnung 
Intentionstremor gab und die gegenwärtig verschieden umgetauft wird (z. B. 
Bewegungszittem — Leube, lokomotorisches Zittern — Ziehen), da es an¬ 
geblich nicht bloß intendierte Bewegungen, sondern auch reflektorische und 
automatische Bewegungen und Mitbewegungen (?) begleitet. 

Es. ist dies ein nicht ganz rhythmisches Zittern der Glieder, das sich nur 
bei der Bewegung einstellt, und zwar gewöhnlich nur bei einer groben, aus¬ 
greifenden Bewegung, während es bei einer zarten und beschränkten Bewegung 
fehlen kann, z. B. beim Nähen, Schreiben (nach Latteux und Fernet, Char¬ 
cot, Moebius); es beginnt, sobald die Bewegung eingesetzt hat, nimmt gegen 
das Ziel progressiv an Heftigkeit zu und verschwindet in vollständiger Ruhe 
(Definition von Charcot). 



136 


Erster Teil. 


Es findet sich in 60—75% der Fälle (nach Müller in 25%, nach Meyer 
in 40%, nach Probst in 75% — zit. nach Müller, nach Chorongicky in 
75%, bei unseren Fällen in 80%); am häufigsten ist es nur an den Händen vor¬ 
handen, weniger häufig auch an den Füßen, sehr selten nur an den Füßen (Meyer 
beobachtete dies unter 57 Fällen nur einmal), häufig auch am Kopfe (in % 
unserer Fälle) und zwar auch ,,in der Ruhe“, wenn der Kranke sitzt, was eigent¬ 
lich keine Ruhe ist, selten an der Muskulatur der Wangen und am Kiefer (Bruns) 
und an der Atmungsmuskulatur (R. Russell). Es beginnt am häufigsten im 
1.—2. Jahre der Krankheit (Meyer), verschwindet aber manchmal für längere 
Zeit (besonders nach einer Ruhepause, z. B. im Spital). In einem unserer 
Fälle trat es erst 8, wenn nicht 14 Jahre nach dem Beginne der Krankheit auf. 

In den letzten Krankheitsstadien, wenn Kontrakturen (Charcot) oder 
große Schwäche der Muskulatur auf getreten sind, kann es verschwinden (Ferne t 
und nach ihm Moebius). 

Dort wo es fehlt, kann es manchmal dadurch, daß man die Hand durch 
schwere Anstrengung ermüdet (Oppenheim) oder daß man eine Emotion 
hervorruft (Dejerine), ausgelöst werden. 

Es findet vorwiegend in den proximalen Gelenken der Extremitäten 
statt und kann auf dieselben beschränkt bleiben, z. B. auf die Schultergelenke; 
infolgedessen fehlt es dann bei kleinen Bewegungen, wie z. B. beim Schreiben 
und Nähen, bei denen die proximalen Gelenke fast ganz ruhig bleiben. Finger¬ 
bewegungen wurden zwar auch nachgewiesen (mittels des Ergographen von 
Panichi), sind aber nicht auffallend. 

Am besten demonstriert man es durch den Charcotschen Versuch mit 
dem vollen Glase, das der Kranke zum Munde führen soll und aus dem er das 
Wasser durch die schleudernden Bewegungen der Hand nahe beim Ziele nach 
allen Seiten verschüttet. 

Die Frequenz dieses Tremors beträgt 4—5 Wellen in der Sekunde. 

Von dieser klassischen Form gibt es zahlreiche Abweichungen. Zunächst 
hört es manchmal in der Ruhe und bei dauernder statischer Innervation nicht 
auf. So z. B. registrierte Fernet in einem Falle mit intensiver Verstärkung 
bei statischer Innervation ebenso wie bei leichter Muskelanspannung regel¬ 
mäßige Oszillationen mit einer Frequenz von drei Wellen in der Sekunde; 
Meyer fand in allen drei Fällen, die bei Intention eine grobe Verstärkung des 
Tremors mit einer Frequenz von vier Wellen in der Sekunde auf wiesen, auch bei 
dauernder statischer Innervation an den Kurven einen feinen Tremor von vier 
Wellen in der Sekunde mit ungleichen Wellen. — Die progressive Verstärkung 
in der Nähe des Zieles ist nicht immer deutlich ausgeprägt. — Manchmal ähnelt 
das Zittern anderen Bewegungen (Stephan) und zwar den choreatischen 
(Schüle, Charcot, Joffroy), weshalb früher auch von einer choreiformen 
Paralyse (vor Charcot) oder Athetose (Westphal, Remak) gesprochen 
wurde, manchmal auch ataktischen Bewegungen, in die es übergehen kann. 
(Über das Verhältnis zur Ataxie soll bei der Pathogenese die Rede sein.) 

Unsere Erfahrungen stützen sich auf 20 Fälle, die teils durch die klinischen 
Krankheitsgeschichten, teils durch meine privaten Beobachtungen belegt sind. 

1. Von diesen 20 Fällen zeigten „Intentionszittem“ 16 (80%); dieses 
fehlte bei 3 Fällen, in denen sich die Symptome vorwiegend auf eine spastische 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 137 


Paraparese beschränkten, und einmal bei einem Falle mit ausgedehnten Muskel - 
atrophien in allen Extremitäten. 

2. Bei diesen vier Fällen fehlte der Nystagmus, der auch noch bei vier 
weiteren Fällen mit Intentionstremor fehlte. 

3. Statischer Tremor ist in drei Krankheitsgeschichten verzeichnet und 
zwar mit der Bemerkung, daß er einmal ,,schnell“, einmal ,,beträchtlich“ und 
einmal „zart“ war und zwar bei Kranken mit „Intentionstremor“. 

4. Zittern in der Ruhe bei Kranken mit Intentionszittem wurde zweimal 
beobachtet. 

5. Zittern des Kopfes wurde viermal (20%) konstatiert; dasselbe war ge¬ 
wöhnlich nickend, aber auch rotatorisch. 

6. Zweimal war das Zittern einseitig. 

7. Gewöhnlich begann es frühzeitig; einmal wurde bei einem intelligenten 
Kranken konstatiert, daß es erst 8 Jahre, wenn nicht gar 14 Jahre nach Be¬ 
ginn der Krankheit auf trat; in einem anderen Falle, der bereits 14 Jahre dauert, 
fehlt es bis jetzt noch. 

8. Ein Patient behauptete, daß die Hände am Morgen heftiger zittern als 
abends; ein anderer erzählte, daß er nach dem Genüsse von Bier besser schreiben 
könne, doch sei dann der Zustand am nächsten Tage um so schlimmer; einem 
dritten war das Zittern nur beim Essen, dagegen nicht bei der Arbeit (er war 
Bergmann) hinderlich; schließlich hinderte ein heftiges Zittern der Hände 
einen Patienten (Studenten) nie beim Schreiben, allen übrigen aber war es 
beim Schreiben hinderlich. 

Kurven wurden nur von den folgenden Fällen aufgenommen: 

1. Nr. 136/08. S. Fr., 31 Jahre alt; die Krankheit begann vor 5 Jahren mit 
Schmerzen in den Schultergelenken und Zittern der Extremtiäten bei Emotionen: 
Freude, Schreck, aber nicht bei der Arbeit. Aber schon nach einigen Monaten hinderte 
ihn das Händezittern an der Arbeit. Bald darauf erlitt er bei der Arbeit eine Ver¬ 
letzung des rechten Fußes durch einen Stein, worauf auch die Füße bei Bewegungen 
zu zittern begannen. In den späteren Jahren hat das Zittern der Hände wenig an 
Heftigkeit abgenommen, an den Füßen aber hat es zeitweise, gewöhnlich nach 



Fig. 97. 

einer Erholungspause im Krankenhause, aufgehört, so daß der Kranke sogar mehr¬ 
tägige Fußtouren unternehmen konnte. Der Kopf zitterte ein wenig auch in der 

r 38 

Ruhe, mehr bei Bewegungen. Der Nystagmus war nicht bedeutend. E. D. ^ ^ 

Bei intendierten Bewegungen der Oberextremitäten entstand ein Schütteln der 
ganzen Extremitäten mit groben, großen Amplituden, das willkürlich nicht unter¬ 
drückt, wohl aber durch passiven Widerstand vermindert werden konnte; die Finger 
zitterten nicht. Auch an den unteren Extremitäten war ein Zittern bei aktiven 
Bewegungen vorhanden (1904, Nr. 17 871). Zu dieser Zeit wurden die beigelegten 
Kurven aufgenommen. Die eine zeigt „in der Ruhe“, eigentlich aber bei schwacher 
Intention, wenn nämlich der Kranke den Registrierapparat in der ruhig liegenden 





138 


Erster Teil. 


Hand hielt, ein grobes, ungleichmäßiges, ziemlich rhythmisches Zittern von 4 Wellen 
in der Sekunde, das bei Intention anfangs viel heftiger, sodann etwas schwächer 
wurde, aber immer viel gröber war als in der Ruhe und die Frequenz von 4 Wellen 
in der Sekunde beibehielt. Die andere Kurve zeigt ein analoges Verhalten (Fig. 97). 

2. Nr. 17020/03. K. M., 19jähriges Mädchen. Die Krankheit begann vor 
einem halben Jahre mit Rückenschmerzen und ,,Absterben“ der rechten Unter¬ 
extremität beim Gehen; vor 3 Wochen gesellte sich ein Zittern der rechten Hand 
beim Essen hinzu, das um so heftiger wurde, je mehr sich die Hand dem Munde 
näherte, so daß die Patientin mit der linken Hand essen mußte. An der linken Hand 
bestand weder Intentionszittem, noch eine andere Form des Tremors; auch die 
rechte Hand zitterte in der Ruhe und bei statischer Innervation nicht, wohl aber 
entstand ein Intentionstremor bei jeder Bewegung. Zugleich war ein feiner Nystag- 



Fig. 98 


mus vorhanden. Diese Patientin starb in der Klinik an Phthisis. Bei der Sektion 
wurde (von Hofrat Hlava) konstatiert: Gehirn auffallend derb, mit zarten Ge¬ 
fäßen und zahlreichen sklerotischen Herden, die beiderseits supraventrikulär, teils 
in der weißen Substanz, teils im Thalamus und in der Rinde lagen und rechts be¬ 
sonders groß waren. Crura cerebri derb, ebenso der Pons. Im Kleinhirn beiderseits 
Sklerose des Nucleus dentatus, dessen Zeichnung rechts vollständig verwischt war. 
Disseminierte Sklerose im Halsmark, namentlich in den Seitensträngen und im 
ganzen Dorsalmark mit Ausnahme der Vorderstränge. Der Rückenmarkskanal 
war sehr dilatiert. — Bei dieser Patientin habe ich von der rechten Hand zwei Kurven 
aufgenommen. Auf der ersten sieht man „in der Ruhe“ kein Zittern; bei der Inten - 



Fig. 99. 


tion entstand ein unregelmäßiger Tremor, den die Kurve (offenbar infolge Interferenz 
der Bewegungen) nicht vollkommen wiedergibt; am Schlüsse der Intention sieht man 
einige regelmäßige, große Bewegungen, 5 in der Sekunde, sodann etwa 2 Sekunden 
lang eine kleine Bewegung von 5 Wellen in der Sekunde und schließlich vollkommene 
Ruhe. Die andere Kurve zeigt bei Intention nach vollkommenerer Ruhe der Extre¬ 
mität eine deutliche rhythmische Bewegung von 5 Wellen in der Sekunde, die sich 
nach etwa einer Sekunde stabilisiert und in eine imregelmäßige Bewegung mit einer 
Frequenz von etwa 5 Wellen in der Sekunde übergeht (Fig. 98). 

3. Nr. 7445/10. S. A., 48 jähriger Bergmann, bei dem die Krankheit vor einem 
Jahre mit Zittern der Hand beim Essen und Schreiben, nicht aber bei der Arbeit 
begann. Dieses Zittern nahm progressiv zu. Wir konstatierten einen deutlichen 
Tremor in der Ruhe, der sich bei aktiven Bewegungen stets verstärkte, sich in der 
Prädilektions8tellung der Paralysis agitans nicht änderte oder verschwand, aber 
nicht den Charakter des Intentionszittems besaß. — Die Kurve zeigt ein grobes, 
ungleichmäßiges, aber rhythmisches Zittern in der Ruhe, das bei Bewegungen 
größer wurde, aber keinen ausgesprochenen Intentionscharakter besaß und eine 
stets gleich bleibende Frequenz von 7—8 und auch 9 Wellen in der Sekunde auf wies 
(Fig. 99 — rasche Umdrehung). 











Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 139 

4. Eine ähnliche Kurve besitzen wir von dem Patienten Nr. 8800/04; dieselbe 
zeigt in der Ruhe einen schwachen, ziemlich regelmäßigen Tremor, der bei Intention 


3nl 


Fig. 100« 

viel heftiger und bei gleichbleibender Frequenz von 8 und 9 Wellen in der Sekunde 
leicht ungleichmäßig wurde (Fig. 100). 

Die Therapie des Tremors bei der Sklerose weist bis jetzt noch keine 
Dauerresultate auf. Breillot gibt das Veratrin an, nach welchem ein Fall 
bedeutend besser wurde, S6glas zitiert den Erfolg Knys mit Hyoscin im Jahre 
1882. Man versuchte große Dosen von Antipyrin (Pauly: 5—6 g täglich) 
und kleine Dosen von Strychnin (Graham-Brown). Parisot sah eine deut¬ 
liche Besserung nach Skopolamininjektionen. In jüngster Zeit empfiehlt Co na¬ 
he male eine mehrwöchentliche Behandlung mit Veronal in einer Dosis von 
0,5 g auf die Nacht mit nachfolgender mehrwöchentlicher Pause und will auf 
diese Weise wiederholt Besserungen erzielt haben. Pauly erzählt von einem 
Kranken, dieser hätte sich verschiedenen Behandlungsmethoden unterzogen, 
aber ohne jeden Erfolg, bis er schließlich die Erfahrung machte, daß sein Zittern 
verschwinde, wenn er 5—6 Liter (!) eines leichten Weines austrinke. Diese 
Methode wende er seit vielen Jahren an, wenn er sich in systematischer Weise 
der Arbeit widmen wolle. Ich glaube, man könnte auch die Frenke Ische 
Übungstherapie unter Aufsicht eines erfahrenen Arztes an wenden, um wenigstens 
die ataktische Komponente der Unruhe der arbeitenden Hände bei dieser Krank¬ 
heit auszuschalten. Da sich der Sklerose mit Vorliebe auch hysterische Sym¬ 
ptome zugesellen, könnte man in verdächtigen Fällen auch die bei der Behand¬ 
lung der Hysterie üblichen Methoden versuchen. Auf diese Weise könnte es 
uns gelingen, den Patienten wenigstens teilweise von seinem Tremor, insoweit 
derselbe nämlich durch die gleichzeitige Hysterie bedingt ist, zu befreien. Nur 
auf diese Weise kann man, glaube ich, die Behauptung Bernheims erklären, 
daß er das Zittern bei Sklerose durch Hypnose gebessert habe. 


Es gibt mehrere Erkrankungen des Zentralnervensystems, zu deren 
klinischem Bilde, das jenem der disseminierten Sklerose ähnlich ist, ebenfalls 
das „Intentionszittem“ gehört, und zwar (Oppenheim): 

a) Multiple Erweichungen des Gehirns auf Basis der Arteriosklerose oder, 
wenn diese fehlt, auf Basis einer Intoxikation (Oppenheim). 

b) Die sogenannte Pseudosklerose (Westphal), bei der sich das Bild der 
disseminierten Sklerose in der Jugend entwickelt; sehr schnell entsteht Schwäche 
der Füße mit Unsicherheit des Ganges, Schwäche der Hände, Schwindel und ein 
ziemlich polymorpher Tremor, der an den Füßen heftiger ist als an den Händen 
(Fickler), in den proximalen Gelenken intensiver als in den distalen (im Gegen- 



140 


Erster Teil. 


satz zum Parkinson, wenn Tremor in der Ruhe vorhanden ist — Fickler); 
bald kommt es zur psychischen Zerrüttung, bei der die Gesichtszüge starr 
(Fickler) und der Sektionsbefund negativ ist. — Bei dieser Krankheit ist das 
Zittern langsamer (2—3 Wellen in der Sekunde), gröber und pflegt auch, wie 
bei schweren Sklerosen, in der Ruhe vorhanden zu sein (Strümpell). 

c) Diffuse Gehimsklerose, ebenfalls im Kindesalter beginnend und sich 
oft an eine herdförmige Läsion des Gehirns anschließend (Oppenheim). 

d) Der Gruppe der Pseudosklerose nähert sich eine Reihe nicht ganz 
gleichartiger Fälle, deren einige ein sehr grobes Intentionszittem ohne die 
übrigen Symptome der Sklerose auf weisen, z. B. der hereditäre Tremor, den 
Oppenheim in drei Generationen zugleich mit skandierender Sprache beob¬ 
achtet hat. 

Hierher gehört auch Mayers essentieller Intentionstremor, oder 
wenigstens die von ihm beobachteten Fälle, und schließlich die familiäre Form 
der hypertrophischen Polyneuritis Typus Pierre Marie. Diese seltene 
Erkrankung, die von Gombault und Mailet (1889) beschrieben, aber 
von Dejerine und Sottas (1893) als ein vorgeschrittenes Bild der Tabes 
dorsalis mit allgemeinen Amyotrophien, Kyphoskoliose und Hypertrophie 
der peripheren Nerven und einiger Spinalwurzeln (Cauda) erkannt wurde, be¬ 
obachtete Pierre Marie (1896) bei sechs Mitgliedern einer Familie unter einem 
etwas abweichenden Bilde: ohne lanzinierende Schmerzen, ohne Argyll- 
Robertsonsches und ohne Rombergsches Symptom, ohne Impotenz und 
Inkontinenz, ohne Ataxie, aber mit Intentionstremor wie bei der Sklerose, 
mit langsamer und wie bei Sklerose skandierender Sprache, mit unwillkürlichen 
Kontrakturen der Gesichtsmuskulatur (grimaces involontaires). Der Versuch 
mit dem Glase war typisch, nahe am Ziele zitterte auch der Kopf ,,et le rencontre 
de verre avec les l&vres se faisait avec une reelle brusquerie.“ Nystagmus 
fehlte. — Bei der Sektion fand man: Atrophie der Hinterstränge, besonders der 
Go 11 sehen Stränge; ein wenig lädiert waren auch die gekreuzten Pyramiden; 
die Nerven waren verdickt, die Hautnerven waren tast- und sichtbar, ihr inter¬ 
stitielles Bindegewebe war gewuchert. Gefäßsklerose, einfache Muskelatrophie. 


B. Die übrigen herdförmigen Läsionen des Gehirns, 

Gehirnblutung, Erweichung infolge Embolie und Thrombose und zirkum¬ 
skripte Enzephalitis im Kindesalter, Gehirntumoren, Hydrozephalus, speziell 
der akut entstandene, meningeale Narben und Verdickungen. Es sind dies 
durchwegs Läsionen, die zu zerebraler Lähmung der Extremitäten oder einer 
Körperhälfte und zugleich zur Entstehung des Zitterns führen. Das Zittern 
pflegt hier zwar so selten vorzukommen, daß es keine besondere praktische 
Bedeutung besitzt, aber für die Pathogenese des Zitterns sind diese Fälle sehr 
wichtig. Es bildet ein Glied in der Kette der übrigen Bewegungsstörungen 
(Kontrakturen, gesteigerte Reflexe, Mitbewegungen, Hemichorea, Hemiataxie, 
Athetose) und stellt sich entweder als eine reflektorische rhythmische Be¬ 
wegung, als Klonus, oder als ein wirklicher essentieller Tremor dar, der seltener 
in der Ruhe, gewöhnlich bei Bewegungen oder Bewegungsversuchen vorhanden ist. 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 141 


In seltenen Fällen geht es der Gehirnblutung unmittelbar voran, wie dies 
schon von Fernet, Breillot, Bidon angegeben wird. Doch liegt nach Bidon 
eigentlich auch hier ein Tremor post ictum vor, indem der Tremor früher auf- 
tritt als die Lähmungen, so daß er das erste Symptom der Herderkrankung ist 
(sogenannter prähemiplegischer Tremor). Bei wiederholten Ikten sah ihn Ray¬ 
mond wiederholt vor der Hemiplegie auf treten (trembl. ä repetition). 

Abgesehen von diesen seltenen Fällen ist der Tremor stets posthemi- 
plegisch oder richtiger postapoplektisch. An vollständig gelähmten Extremi¬ 
täten wird er nicht beobachtet (hier entstehen eher Krämpfe, z. B. bei Blutungen 
in die Ventrikel, in die Rinde), wohl aber an Extremitäten, die einen Rest von 
Motilität behalten haben. Gewöhnlich tritt er auf, wenn die Motilität zurück¬ 
zukehren beginnt oder wenn sich Kontrakturen zu entwickeln beginnen, was 
ungefähr in dieselbe Periode fällt (Fernet, Duchenne de Boulogne). Man 
hat ihn auch erst dann beobachtet, wenn sich die Kontrakturen bereits zu 
lösen begannen (Raymond zit. von Breillot, Bidon). Die klinische Form des 
postapoplektischen Zitterns ist sehr mannigfaltig. Im allgemeinen kann man 
folgende typischere Abarten unterscheiden: 

a) Tremor ähnlich jenem bei der Ermüdung, wie ihn Fernet 
charakterisiert und L6vy und Bonniot beschreiben: der Tremor wird sicht¬ 
bar, wenn der Kranke eben etwas in der Hand gehalten hat, oder wenn er die 
Hand in Schwurstellung bringt. Oppenheim führt ihn als sogenannten ein¬ 
fachen Tremor an und zitiert Bristove, Hoppe; Seymour Sharkley sah 
ihn beim Tuberkel der inneren Kapsel als Vorläufer der Lähmung. 

b) Tremor ähnlich jenem bei der Sklerose, i. e. ein Tremor, der 
durch die Bewegung ausgelöst wird (Duchenne, Charcot zit. von Fernet), 
der aber schnell (Fernet, Breillot) und regelmäßig (Breillot) ist. Er ist 
die häufigste Form des postapoplektischen Tremors. Auch die vorhergehende 
Form weist eine Verstärkung bei der Intention auf. 

Einen schönen Fall dieser Art beobachteten wir in der Klinik 1905. 

Nr. 3519/05. 0. V., 46jähriger, aus gesunder Familie stammender Kaufmann, 
der stets gesund war und höchstens 3—4—5 Glas Bier täglich trank, legte sich am 
3. September abends gesund ins Bett, konnte aber nicht schlafen, da er im Körper 
ein eigentümliches Kribbeln spürte; als er am Morgen aufstand und sprechen wollte, 
war dies wegen eines heftigen Zitterns des Kinns immöglich. Er ergriff ein Gefäß 
um zu trinken, aber beide Hände zitterten heftig und dies um so mehr, je näher er 
das Gefäß an den Mund brachte. Die Füße schlotterten in den Knien und in allen 
vier Extremitäten hatte er Kribbeln. Er hatte Herzklopfen und atmete schwer. 
Das Frühstück erbrach er. Beim Gehen drehte sich ihm der Kopf. Er suchte sofort 
die Klinik auf; er war blaß, seine Gesichtszüge waren schlaff. Es bestanden keine 

r 26 

Lähmungen, der ophthalmoskopische Befund war normal. E. D. ^ Die Musku¬ 
latur der Wange und Zunge geriet hier und da in ein zartes Zittern. Beim öffnen 
des Mundes entstand ein grobes Zittern beider Lippen, besonders auf der linken 
Seite, die vorgestreckte Zunge zitterte grob, nicht besonders schnell. Sobald der 
Kranke die Hände ausstreckte, begannen sie rhythmisch zu zittern und zwar im Sinne 
der Flexion und Extension im Karpalgelenk und der Pronation und Supination 
des Vorderarms, zeitweise mehr, zeitweise weniger; durch Intention wurde das 
Zittern nicht mehr gesteigert; willkürlich konnte es nicht unterdrückt werden, 
im Gegenteil, es wurde bei diesem Versuche manchmal noch heftiger. Bei gespannter 
Aufmerksamkeit war das Zittern ebenfalls heftiger. Auch an den in die Luft ausge¬ 
streckten unteren Extremitäten bemerkte man einen analogen, wenn auch schwächeren 
Tremor. Manchmal entstand derselbe für einen Moment auch in der Ruhe. Das 



142 


Erster Teil. 


Herz war etwas hypertrophisch, der zweite Aortenton laut, der systolische Ton an 
der Herzspitze unrein, Blutdruck 14,5 cm (Gärtner). Andere Veränderungen be¬ 
standen nicht. Am zweiten Tage war das Zittern schwächer, die Sprache leichter; 
am dritten Tage verschwand das Zittern gänzlich und am vierten Tage verließ der 
Kranke die Klinik. Die Diagnose w T ar schwer. Mit Rücksicht auf die Symptome 
der beginnenden Arteriosklerose mit Herzhypertrophie war der Verdacht auf eine 
kleine Gehirnblutung naheliegend. Aber w'ohin sollte man dieselbe lokalisieren? 
Etwa mit Rücksicht auf die beiderseitigen Symptome und das Intentionszittern 
in die Brücke? 

Eine Reihe von Kurven veranschaulicht das Zittern des Kranken bei seinem 
Eintritt in die Klinik: in diesem Momente war es kein reiner Intentionstremor mehr, 
sondern es war sowohl bei der Intention, als auch bei statischer Innervation vorhanden 


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Fig. 101. 

— Die Kurve A (Fig. 101) zeigt einen feinen Tremor der Lippen, regelmäßig, ziemlich 
gleichmäßig, mit 9 Wellen in der Sekunde. Die Kurve B zeigt den Tremor bei ruhigem 
Vorwärtsstrecken der Hände: ein ziemlich grober und regelmäßiger, rhythmischer 
Tremor von 9 Wellen in der Sekunde, der hier und da stärker und zeitweilig unregel¬ 
mäßig wird. An der Kurve C sehen wir ein schönes ,,knotenförmiges“ Schwanken 
der Intensität (Allorhythmie); durch Intention wird die Kurve nicht wesentlich ge¬ 
ändert. Bei der Aufnahme der Kurve D hing die Hand herab und hielt dabei den 
Apparat; das Zittern war etwas ungleichmäßiger, aber sonst unverändert. Die 
Kurven E und F zeigen die Erfolglosigkeit des Bestrebens, den Tremor willkürlich 
zu unterdrücken; das Resultat ist eine momentane Ungleichheit und grobe Be¬ 
schaffenheit der Wellen, besonders bei längerer Dauer des Versuchs (Fig. 101 F.). 

Einen zweiten, nicht weniger interessanten Fall beobachtete ich in meiner 
Privatpraxis. Es betraf einen 45jährigen Gastwirt. Im 38. Lebensjahre bekam er 



Fig. 102. 


wöchentlich 1—2 Anfälle, während welcher er momentan nichts sah, ja sogar zu Boden 
stürzte. Zugleich war er ,,nervös“ und pflegte Herzklopfen zu haben. Um das 
41. Lebensjahr begann die rechte Oberextremität allmählich zu zittern, aber er 
konnte trotzdem schreiben und Fleisch hacken. Im 43. Lebensjahre verspürte 
er, als er während eines Spazierganges jemanden grüßen wollte, plötzlich ein Kribbeln 
in der rechten Körperhälfte und ließ unwillkürlich den Hut fallen. Auch konnte 
er wegen Schwere der Zunge nicht sprechen. Als er mich am nächsten Tage kon- 



























Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 143 

sultierte, fand ich, daß die Pupillen auf Licht nicht reagierten und daß eine rechts¬ 
seitige Hemiparese mit angedeutetem Fußklonus rechts ohne Babinski vorhanden 
war. Die rechte Oberextremität zeigte in der Ruhe ein feines, rasches Zittern, bei 
Intention aber ein grobes Schütteln. Schrift unleserlich. Am Fuß ein unbedeutendes 
analoges Zittern. An frische Eindrücke erinnert sich der Kranke nicht gut. Gesteigerter 
Blutdruck. Krampfhafte, hesitierende Sprache. In der Ruhe Tremor der Hände atheto- 
tischen Charakters.—Er bekam Jodkalium und sein Zustand besserte sich in 3 Monaten 
derart, daß er besser sprechen und schreiben konnte; auch das Gedächtnis war besser. 
Sodann blieb der Zustand % Jahre unverändert; da bekam er mehrere apoplekti- 
forme Anfälle, nach welchen die rechtsseitige Schwäche immer für 24—48 Stunden 
hochgradiger wurde. Hierauf wurde der Tremor der Zunge und der Oberextremität 
wieder größer, so daß die Schrift wieder unleserlich wurde; zugleich änderte sich der 
Charakter des Kranken. Er wurde in venere cupidus, lebte verschwenderisch, log, 
wurde reizbar und gewalttätig, so daß er in ein Sanatorium überführt werden mußte. 
Ich besuchte ihn dort im Sommer 1910 und fand: totale Demenz, allgemeine Körper¬ 
schwäche, sehr vorgeschrittene rechtsseitige Parese, sehr prägnantes Intentions- 
zittem; die Sprache war wegen des Intentionstremors der Zunge stammelnd. — Die 
Kurven veranschaulichen den Tremor, den ich im Stadium der vollständigen Demenz 
aufgenommen habe. I. zeigt den Tremor der linken (gesunden) Hand bei statischer 
Innervation: ein feiner, aber sicherer, regelmäßiger, gleichmäßiger, zeitweise stärkerer, 
dann wieder schwächerer, schneller Tremor von 9 Wellen in der Sekunde. II. und 
III. zeigen den Tremor der rechten (kranken) Hand. In der Ruhe bietet sich eine 
gerade Linie dar, die hier und da durch eine vereinzelte Zacke unterbrochen ist, oder 
(III.) ein zartes, langsames (6,5 Wellen in der Sekunde), regelmäßiges Zittern von 
schwankender Intensität; aber bei der Intention entsteht immer ein grobes, rasch 
zunehmendes, ziemlich gleichmäßiges und rhythmisches Zittern von 8—7,5 Wellen 
in der Sekunde, das nach beendeter Intention sofort wieder verschwindet (Fig. 102). 

c) Tremor ähnlich jenem bei der Schüttellähmung. Die Existenz 
dieser Zitterform ist sehr schwer zu begutachten und zu beglaubigen, denn die 
angeführten Beobachtungen sind nicht hinreichend genau publiziert, um mit 
Bestimmtheit sagen zu können, daß es sich nicht um eine Kombination der 
Gehimapoplexie mit Parkinsonscher Krankheit gehandelt habe, und die Form 
des Tremors ist ebenfalls nicht so detailliert beschrieben, daß aus der Beschrei¬ 
bung klar hervorgehen würde, daß wirklich ein Parkinson scher Tremor vor¬ 
lag. (Breillot z. B. sagt: Oszillationen der Finger in der Ruhe wie bei Paralysis 
agitans, was auch für Athetose sprechen kann.) Hierher gehören zunächst 
jene Fälle, in denen sich die Paralysis agitans nach einer Apoplexie und zwar 
nur einseitig entwickelte; diesbezüglich herrscht allgemein die Ansicht, daß es 
sich um eine echte Parkinsonsche Krankheit handelt, die durch eine Apoplexie 
mit unvollständiger Lähmung hervorgerufen wurde und sich im weiteren Ver¬ 
laufe in typischer Weise entwickelt. (Siehe den entsprechenden Absatz bei der 
Paralysis agitans.) 

Außer diesen echten Schüttellähmungen gibt es Fälle von herdförmigen 
Gehimläsionen, die mit einem dem Parkinsonschen Tremor analogen Zittern 
einhergehen. Die Analogie besteht hauptsächlich darin, daß es sich um langsame 
Zitterbewegungen in der Ruhe handelt. Schon Charcot hat sich entschieden 
dagegen ausgesprochen, diese Fälle als „Hemiparalysis agitans“ zu bezeichnen, 
da die Analogie nur eine ganz oberflächliche sei. (Quelle singuliere manie que 
de tout embrouiller alors qu’on pretend 6clairer la Situation!) Die Zahl solcher 
Fälle ist groß und die Frage, ob das „Paralysis agitans-Zittem als direktes 
Herdsymptom auftritt“ (Mendel) oder ob der Tremor in solchen Fällen einen 
anderen Charakter besitzt und welchen, ist von prinzipieller Bedeutung, und da 
diese Fälle nirgends synoptisch gesammelt sind, bleibt nichts anderes übrig, als 



144 


Erster Teil. 


sie alle sorgfältig zu analysieren. (Über einen ähnlichen Tremor siehe auch 
bei disseminierter Sklerose). 

An erster Stelle sind jene herdförmigen Erkrankungen des Gehimstammes 
zu nennen, die mit der Beobachtung Benedikts in seiner „Neuropathologie“ 
Zusammenhängen und bei denen wir nach dem Vorschläge Charcots vom 
„Benediktschen Syndrom“ sprechen. 

Man versteht darunter bei Affektionen des Pedunculus, die die Haube 
betreffen, eine gleichzeitige Lähmung des N. oculomotorius und eine gegenseitige 
Hemiparese mit einem Tremor „wie bei der Paralysis agitans“. 

Wenn wir die publizierten Fälle näher durchgehen — und es sind ihrer nicht 
viele —, so finden wir, daß das Zittern, insofern es überhaupt näher beschrieben 
ist, sich mehr der Athetose nähert als dem Parkinsonschen Tremor und daß 
es überhaupt nicht den Charakter des Parkinsonschen Tremors, sondern 
höchstens eine oberflächliche Ähnlichkeit mit demselben besitzt. (So dürften 
auch jene Bewegungen, welche Lantzius Beninga bei einer Mutter und ihrem 
Sohne im Jahre 1887 beschrieb, und die schon bei der Paralysis agitans erwähnt 
worden sind, teils Athetose, teils gewöhnlicher Intentionstremor gewesen sein.) 

In Benedikts erstem Falle des pedunkulären Syndroms, der in dessen 
Neuropathologie (Beob. 214. Feld Victor) publiziert ist, handelte es sich um 
einen 4jährigen Knaben, der außer einer rechtsseitigen Ptose und Lähmung des 
N. oculomotorius und einer Lähmung des linken Abduzens und der linken Extremi¬ 
täten „schüttelkrampfartige Zuckungen in der linken Hand hatte . . . Das Bein . . . 
unruhig . . . bei gewissen Bewegungsversuchen . . . schüttelartiger Krampf in dem¬ 
selben.“ Bei der Sektion fand man Tuberkel im linken Stimlappen, im Gyrus mar- 
ginalis und im Cuneus und im rechten Gyrus cinguli; ein basaler Tuberkel von 
Taubeneigröße drückte das rechte Crus cerebri und zwei Tuberkel saßen in der 
hinteren Zentralwindung. 

Es ist wahrscheinlich, daß diese letzteren die Ursache der kortikalen 
Krämpfe der linken Ober- und Unterextremität waren, aber für deren Parkin¬ 
sonschen Charakter ist kein Beweis vorhanden. Um denselben Tremor dürfte 
es sich bei einem anderen Falle (Beob. 206) gehandelt haben; er betrifft ein 
sechsjähriges Mädchen, das seit drei Monaten an Zitteranfällen der linken Ober¬ 
extremität litt, die etwa zwei Minuten dauerten, sich 3—4 mal täglich wieder¬ 
holten und manchmal von Hinfall begleitet waren, also einen Übergang in Jack- 
sonsche Krämpfe darstellten. Später trat noch eine Lähmung des linken 
Okulomotorius hinzu. Benedikt beobachtete nachher noch zwei analoge 
Fälle; bei dem zweiten Knaben beschreibt er das Zittern nicht näher, sondern 
bemerkt nur, daß es sich auch bei diesem um einen tuberkulösen Prozeß gehandelt 
haben dürfte; den dritten demonstrierte er 1888 im Wiener med. Doktoren¬ 
kollegium (Mitteilungen S. 230): Bei einem 30jährigen Manne entstand eine 
Lähmung des rechten Okulomotorius und allmählich eine linksseitige Hemi¬ 
plegie und „Schüttelkrampf“. „Her letztere hat mehr den Charakter des 
Schüttelkrampfes wie bei Sclerose en plaques, da er auf Bewegungsintention 
zunimmt.“ 

Bei den übrigen publizierten Fällen fehlt eine genauere Beschreibung des 
Zitterns. Im Falle Archambaults vom Jahre 1877 (Progr. med.), in welchem 
es sich ebenfalls um einen Tuberkel des Pedunkulus handelte, findet sich nur 
„Zittern“ verzeichnet; im Falle Henoch-Grawitz vom Jahre 1883 (Deutsche 
med. Wochenschr.) bestanden unwillkürliche Bewegungen, die ein Mittelding 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 145 


zwischen Konvulsionen und Zittern darstellten; im Falle Mendels aus dem 
Jahre 1885 mit Tuberkel des Pedunkulus waren Ptose des linken Augenlides 
und Intentionstremor der rechten Extremitäten vorhanden, im Falle Rameys 
aus dem Jahre 1885 (Revue de möd.) fanden sich ,,petits mouvements con- 
vulsifs des doigts“ — also Athetose, im Falle Bouveret und Chapotot aus 
dem Jahre 1892 (Lyon möd.) Hemichorea. Im Falle Buchet (in seiner These 
aus dem Jahre 1892. Obs. XX) spricht alles für eine Schüttellähmung und fast 
nichts für Hemiplegie. Eigentümlich war eine degenerative Atrophie des 
Interosseus II der zitternden Hand. 

Genauer beschrieben sind folgende Fälle: 

Charcot beobachtete einen derartigen Fall im Jahre 1893, seine Kranken¬ 
geschichte publizierten aber erst 1900 Guilles de la Tourette und Jean 
Charcot: Ein 37jähriger Mann fiel im November 1892 auf das Hinterhaupt; am 
22. Dezember entstand plötzlich eine Lähmung des linken Okulomotorius und nach 
einigen Stunden begann sich die rechte Hand durch Zuckungen vom Körper ab¬ 
zuheben. Am nächsten Tage war an der rechten Hand ein Tremor vorhanden, der 
während der ganzen Woche an Intensität zunahm. Er ähnelte dem Parkinsonschen 
„en ce qui regarde l’attitude de la main en flexion, les oscillations du pouce, les 
mouvements de pronation et de Supination du poignet.“ Durch Intention wurde 
er viel heftiger, nachher wieder schwächer; manchmal zitterte nur der Daumen, 
ein andermal nur die Hand; die Zahl der Oszillationen betrug 4—4 y 2 in der Sekunde. 

Ferner wird gewöhnlich Touche zitiert, der im Jahre 1899 eine Arbeit über 
epileptische Anfälle bei Hemiplegie publizierte, ohne aber eines dem Parkinsonschen 
Tremor ähnlichen Zitterns Erwähnung zu tun. 

J. B. Charcot (Sohn) beobachtete einen rechtsseitigen Tuberkel im Pedun¬ 
kulus ohne Läsion des Okulomotorius bei einem 39jährigen Manne, dessen Krank¬ 
heitsgeschichte sich in der These von Böchet vom Jahre 1892 findet. Dieser Kranke 
empfand vor einem Jahre eine Starre in der linken Gesichtshälfte und in den linken 
Fingern; hierauf bekam er ein Zittern der linken Hand und in geringem Grade auch 
des linken Fußes (bei Ermüdung). Zahl der Wellen 3 in der Sekunde. Bei statischer 
Innervation war der Tremor intensiver, manchmal konnte ihn der Kranke willkürlich 
für einen Moment unterdrücken. Andeutung von Propulsion und Lateropulsion, 
starrer Gesichtsausdruck. Intensives Ermüdungsgefühl. (Demnach liegt auch hier 
Verdacht auf Kombination mit Paralysis agitans vor.) 

Blocq und Marinesco publizierten im Jahre 1893 einen Fall aus der Klinik 
Charcots, der zweifellos mit dem Falle J. B. Charcots identisch ist: Zittern einer 
Körperhälfte „wie beim Parkinson“ bei einem olivengroßen Tuberkel des rechten 
Pedunkulus, aber auch hier fehlt die genauere Beschreibung. 

Guilles de la Tourette und J. Charcot publizierten in einer systematischen 
Arbeit über Benedikts Syndrom im Jahre 1890 zwei weitere Beobachtungen: 

32jähriger Mann; vor 16 Jahren Iktus, nach demselben eine banale rechts¬ 
seitige Hemiplegie; nach 1—1 y 2 Jahren Zittern, das bis jetzt andauert. „In der 
Ruhe unwillkürliche Bewegungen an der Hand und an den Fingern athetotischer 
Natur, nur schneller und weniger wellenförmig.“ Im Schlafe herrscht Ruhe. Bei 
Bewegungen heftige, grobe, imkoordinierte, zuckende Bewegungen. 

20jähriges Mädchen: im 4. Lebensmonat Unfall beim Eisenbahnzusammen¬ 
stoß; im 9. Lebensmonat (als es zu gehen und zu sprechen begann) plötzliche Krämpfe 
der linksseitigen Extremitäten mit nachfolgender Schwäche. Im 8. Lebensjahre, 
als die Lähmung bereits fast vollständig verschwunden war, entstand langsam, 
aber progressiv ein Tremor der linken Seite, der ein Dauersymptom wurde; nunmehr 
spastische Hemiplegie mit Tremor, der an der Oberextremität stärker ist. „Es 
ist dies kein richtiger Tremor, sondern eine Serie von arhythmischen Oszillationen, 
Annäherungen und Entfernungen des Oberarms vom Rumpfe.“ Wenn die Kranke 
die Hand auf den Rücken legte, wurden die Bewegungen kleiner. (Das¬ 
selbe beobachtete ich als Student bei einer Patientin mit typischer Athetose in der 
Klinik des Herrn Hofrates Maixner.)- Bei Intentionen war die Bewegung größer. 

Pein*?, Zittern. 10 



146 


Erster Teil. 


Die Autoren bezeichnen diesen Tremor „als eine intermediäre Bewegung zwischen 
Chorea und Athetose, ähnlich dem Park ins on sehen Tremor.“ 

In demselben Jahre, 1900, publizierte Raviard seine These über die Tuber¬ 
kulose des Pedimkulus (Thöse de Lille). 

Im Jahre 1902 publizierten Astros und Hawthorn einen Fall in der Rev. 
neur. (S. 377): Es handelte sich um einen Tuberkel im Pedunkulus bei einem 21 Monate 
alten Kinde, das außer einer Myokymie an den Extensoren des linken Vorderarms 
und einem tonischen Krampf des linken Daumens in Flexionsstellung rhythmische 
Bewegungen des Vorderarms von einer Frequenz von 72—110 in der Minute bei 
intendierten Bewegungen aufwies; dieselben fehlten bei vollständiger Ruhe; an dem 
gleichseitigen Fuße war eine Kontraktur vorhanden; Sehnenreflexe links erhöht, 
Plantarreflexe normal. Später gingen diese Bewegungen auch auf den Fuß und den 
Rumpf über und mit ihnen auch die Athetose. 

Ferner pflegt Sorgo in Wien zitiert zu werden. Dieser publizierte im Jahre 
1902 eine interessante Beobachtung. Aber wiederum war es nicht die bei Paralysis 
agitans gewöhnlich beobachtete Form des Zitterns, sondern es handelte sich um 
klonische, dem Fußklonus ähnliche Dauerkrämpfe der Hand, die später anfallsweise 
auf traten und schließlich in Anfälle von Jackson scher Epilepsie übergingen. — 
28jähriger Mann, bei dem sich eine Lähmung des rechten, später auch des linken 
Auges imd eine linksseitige Hemiparese entwickelten. Er kam am 25. Mai 1901 
in Beobachtung; am 30. Juli zeigten sich klonische Zuckungen des linken Daumens 
nach Art eines sehr grobwelligen Zitterns. Der Daumen wurde rhythmisch gebeugt 
und opponiert; die Zuckungen waren fortwährend vorhanden und fehlten nur im 
Schlafe. — Am 2. August gesellte sich eine ähnliche Bewegung des linken Daumens 
hinzu, sodann klonische Dauerkrämpfe des Supinator longus sin, Extensor und 
Flexor carpi ulnaris sin, d. h. die Hand wurde rhythmisch ulnarwärts flektiert und 
supiniert. Bei Erregungen war die Bewegung intensiver. Es bestand Intcntions- 
zittera. — Sodann gesellte sich Schwindel nach links hinzu. Am 27. September 
analoge Krämpfe des langen Fingerbeugers der linken Hand und des Daumenbeugers. 

— Am 28. November klonischer Krampf des M. tibialis ant. sin. Am 5. Dezember 
waren keine rhythmischen Krämpfe mehr vorhanden, sondern mannigfach kombi¬ 
nierte Adduktionen und Abduktionen und Flexionen im Ellbogengelenk; Pronation 
und Supination des Vorderarms, Flexion und Extension der Finger, „welche letztere 
jetzt oft etwas langsamere athetoseartige Bewegungen ausführen.“ Vor Neujahr 
hörte das Zittern auf, trat aber nach einer fünftägigen Pause anfallsweise auf und 
breitete sich von den Fingern auf die ganzen Extremitäten bis zum M. pectoralis 
major aus. Im Februar 1902 begannen Anfälle klonischer Krämpfe an den ganzen 
linken Extremitäten; die Krämpfe breiteten sich bald über den ganzen Körper aus. 

— Bei der Sektion fand sich ein Solitärtuberkel im rechten Vierhügel mit Kompression 
des rechten Pedunkulus und chronischer Hydrozephalus. 

Dieser Fall war ähnlich jenem von Eisenlohr (Jahrb. d. Hamb. Staats- 
Kr.-Anst. 1889. Bd. I.—II. Teil. S. 71, Zur Diagnose der Vierhügelerkrankungen): 
Ein 23jähriger Bäcker mit einem in den rechten Vierhügel eingeheilten Projektil 
litt an „unwillkürlich rhythmischen Bewegungen im Handgelenk und in den Fingern, 
eine Art Tremor, der den Schüttelbewegungen bei der Paralysis agitans am meisten 
ähnlich war. “ Dieser Tremor bestand in der Ruhe, änderte sich nicht bei der Intention 
und verschwand im Schlafe. Es bestanden weder Lähmungen noch andere Stö¬ 
rungen. Der Tremor trotzte Hyoszininjektionen, verschwand aber nach Physo¬ 
stigmininjektionen (0,5 mg). Allmählich begannen imwillkürliche Bewegungen des 
linken Fußes im Sprunggelenk und einigemal traten Zuckungen im Bereiche des 
linken N. facialis auf. Einige Tage hindurch zitterte auch der Kopf (Kopfnickerf). 
Zugleich reagierten die Pupillen fast gar nicht. Sodann entwickelte sich eine Läh¬ 
mung beider Oculomotorii; später Anfälle von Kopfschmerzen und Erbrechen, 
Schlafsucht, Unsicherheit des Ganges, Bradykardie, Ptosis rechts, schwache Patel- 
larreflexe. Ferner traten Stauungspapillen auf und zeitweise rhythmische Be¬ 
wegungen der linken Oberextremität (Zuckungen), ähnlich jenen bei Paralysis agitans. 
Pneumonie, Exitus. Bei der Sektion fand sich beim Vierhügel ein Projektil, das 
das Innere beider Vierhügel rechts, einen Teil der Schleife und den Okulomotorius- 
kem lädiert hatte. Der Thalamus war unverletzt. 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 147 

Den beiden vorhergehenden Fällen dürfte auch die Beobachtung von Rhein 
und Potts ähnlich sein: fortwährende Flexionen und Extensionen des Ellbogens 
und der Hand, abwechselnd mit Supinationen des Vorderarms; nur fanden sich 
bei der Sektion multiple Erweichungsherde im Gehirn. 

Ferner werden hier gewöhnlich die Fälle von Helmes Gordon aus dem 
Jahre 1904 zitiert: Beim ersten Falle, einem 17jährigen Jüngling, bestand eine 
linksseitige Hemiplegie „with irregulär movements of limb“; der zweite Fall, ein 
59jähriger Mann, wurde plötzlich von einer linksseitigen organischen spastischen 
Hemiplegie befallen „also coarse but rather regulär tremor of the left upper ex- 
tremity in movement even during rest when excited or when the right limb was in 
action“ — also eine Beschreibung, die ebenfalls auf den Parkinsonschen Tremor 
nicht paßt; im dritten Falle, bei einem 37jährigen Mann, eine allmählich sich ent¬ 
wickelnde Parese der unteren Extremitäten „coarse tremor of the right arm when 
at voluntary rest especially on excitement.“ 

L6vy und Bonniot publizierten 1905 einen Fall von Benediktschem 
Syndrom bei einem 60jährigen Kranken, der nach einem apoplektischen Insult 
die typischen Symptome besaß. Als die Autoren den Kranken in Beobachtung 
nahmen, war das Zittern bereits schwächer geworden und war nur bei statischer Inner¬ 
vation sichtbar. Bei Intention trat ein Schwingen der Extremität auf. Sie be¬ 
zeichnen diesen Tremor als eine Art Übergang zwischen dem Intentionstremor der 
Sklerose und der sog. zerebellaren Asynergie. 

Cramer beschrieb in seiner Dissertation einen 17jährigen schwachsinnigen 
Hydrozephalus, der seit seinem zweiten Lebensjahr an einem Tremor litt, der nach 
Masern entstanden und am ganzen Körper vorhanden war, besonders rechts, wo 
zugleich Hemialgesie bestand. Der Tremor der linken Hand besaß eine Frequenz 
von 9 y 3 Wellen in der Sekunde, dagegen jener der rechten Hand und der Füße 
eine solche von 6% und 6 Wellen in der Sekunde. Der Autor bemerkt selbst, daß 
die Bewegung der Füße und der rechten Hand ein Klonus und jener der linken Hand 
em gewöhnliches Zittern war. 

Peterson schlägt für diese unwillkürlichen Bewegungen, die sich den 
klonischen Krämpfen nähern, die Bezeichnung posthemiplegischer Poly¬ 
myoklonus vor. 

Wir sehen also, daß es sich überall dort, wo der Tremor näher beschrieben 
ist, um choreiforme und athetoseähnliche Bewegungen oder um klonische 
Krämpfe handelte, oder um eine Kombination dieser Bewegungen mit Intentions- 
zittem; ein typisches Beispiel hierfür ist der Fall Infelds vom Jahre 1900, in 
welchem nach einer Stichwunde der linken Scheitelgegend eine rechtsseitige 
Hemiparese entstand und nach zwei Jahren eine Hemiathetose auftrat, die nach 
vier Jahren verschwand, um nach 11 Jahren in der gelähmten Oberextremität 
zugleich mit Intentionszittem wieder zu erscheinen. 

Außer dem Benediktschen Syndrom gehört hierher eine große Reihe 
von kasuistischen Publikationen, die in der Literatur in verschiedenen Kapiteln 
der Neuropathologie und unter verschiedenen Bezeichnungen zerstreut sind. 

So z. B. die Beobachtung von Fischler: Der Kranke machte als Kind 
eine Meningitis nach Pneumonie durch. Hierauf bekam er bei der Dentition, nach 
einer anderen Version infolge Erschreckens gelegentlich eines Gewitters ein Zittern 
des ganzen Körpers, das rechts stärker und jenem bei Paralysis agitans ähnlich war. 
Im Jahre 1867 demonstrierte ihn Erb unter der Diagnose: Klonische Muskelkrämpfe. 
Paralysis agitans t Chorea t Nach 40 Jahren stellte sich der Kranke wieder vor 
und gab an, das Zittern sei fortwährend gleich geblieben, bis es im Jahre 1905 nach 
drei epileptiformen Anfällen an Heftigkeit zugenommen hätte. Das Zittern war 
grob, „ähnlich jenem bei der Paralysis agitans“, distal nicht viel stärker als proximal; 
bei Bewegungen traten mächtige Schwankungen ein, und zwar rechts wiederum 
stärker als links. Nichts sprach für Parkinson, Chorea, Sklerose, Hysterie, essen¬ 
tiellen oder familiären Tremor oder Tic. 


10* 



148 


Erster Teil. 


Ferner die Beobachtung von Economo aus dem Jahre 1910; ein 70jähriger 
Mann erlitt einen kleinen Iktus; am nächsten Tage ging er seiner Arbeit nach; abends 
bekam er eine linksseitige Hemiparese von zerebralem Typus; am nächsten Tage 
verlor er die Parese, bekam aber unwillkürliche choreiforme Bewegungen in der 
Ruhe, die sich bei Bewegungen verstärkten, aber an den folgenden Tagen so heftig 
waren, daß der Kranke in einem Netzbett untergebracht werden mußte. Am 9. Tage 
nach dem Insult starb er; man fand eine frische Blutung in dem rechten Pedunkulus, 
die nach außen vor dem Nucleus ruber lag und sich in die Regio subthalamica 
erstreckte. 

In der Klinik Thomayer beobachteten wir einen hierher gehörenden Fall 
von Zittern, der dem Falle Sorgos sehr ähnlich ist: Nr. 16 825/03. F. A., 63jähriger 
Kutscher, aus gesunder Familie stammend, Alkoholiker; machte in der Jugend 
Lues durch. Die Frau war siebenmal schwanger; zweimal trat Frühgeburt toter 
Kinder ein, 2 Kinder starben gleich nach der Geburt, 2 starben an Gehimkrank- 
heiten und nur ein einziges Kind blieb am Leben. Vor 5 Wochen litt er 3 Wochen 
lang an heftigen Kopfschmerzen, wobei sich das linke Auge in den linken Augen¬ 
winkel drehte, während das rechte unbeweglich in der Mitte der Augenspalte ver¬ 
harrte. Bald darauf hatte er zwei Anfälle eines deliranten Zustandes (Gespenster, 
Hexen) mit Gliederzittem, Verwirrtheit; diese Anfälle wiederholten sich das ganze 
Jahr fast jeden Monat. Etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Krankheit hing das 
linke Augenlid herab. Nach einem Jahre — also vor 4 Jahren — stürzte er eines 
Abends zu Boden, der Kopf drehte sich nach der linken Seite, er blieb eine Weile 
bewußtlos; keine Krämpfe, keine Enurese, nachher Amnesie. Diese Anfälle wieder¬ 
holen sich seitdem fast jedes Vierteljahr; er ließ bei denselben häufig den Ham unter 
sich und verletzte sich. In der letzten Zeit leidet er oft an Kopfschmerzen mit Er¬ 
brechen und schwerer Apathie. Vor 14 Tagen bemerkte die Frau (von der die 
anamnestischen Daten stammen) nach einem solchen Anfall von Kopfschmerzen, 
daß der Kranke an der linken Oberextremität „eigentümlich zittere“, daß er beim 
Gehen nach links geneigt sei, daß er schwanke und nach links falle. Er selbst gibt 
an, daß er plötzlich, wie auf einen Schlag, die Herrschaft über die linke obere und 
einigermaßen auch über die linke untere Extremität verloren habe. Gegenwärtig 
ist er sehr apathisch, er merkt sich nichts, spricht schwer, läßt manchmal den Ham 
ins Bett, in dem er den größten Teil der Zeit zubringt. — Bei der Aufnahme des 
Kranken am 12. November 1903 wurden folgende Anomalien konstatiert: Der 
rechte Bulbus ein wenig einwärts gedreht; aktiv bewegt er sich ziemlich weit nach 
innen, ein wenig nach unten, kaum merklich nach oben, gar nicht nach außen. Die 
Pupille reagiert weder auf Licht noch auf Akkommodation. Der linke Bulbus wird 
von dem herabhängenden Oberlid bedeckt, das mittels der Stimmuskeln ein wenig 
gehoben werden kann; er ist total unbeweglich. Die Pupille reagiert weder auf 
Lichteinfall noch auf Akkommodation und ist um eine Spur breiter als die linke. 
Die linke Wange ist ein wenig schlaff. Die Zunge wird gerade vorgestreckt, zittert 
hierbei und weicht nach rechts ab. Die Uvula weicht ein wenig nach der rechten 
Seite ab. Die linke Oberextremität ist in ihrer Gänze geschwächt, ihr Muskeltonus 
ist erhöht. Am meisten ergriffen sind die kleinen Handmuskeln. E. D. =0. Der 
Oberarm ist in stereotyper Weise adduziert, der Unterarm zum rechten Winkel 
flektiert, die Hand im Karpalgelenk gestreckt, die Finger sind flektiert. Die Extremi¬ 
tät befindet sich in einer fortwährenden motorischen Unruhe, zumeist im Sinne 
grober, nicht schneller Pronationen und Supinationen. Bei Anspannung der Auf¬ 
merksamkeit und bei Intention werden diese Bewegungen größer. Wenn sich der 
Kranke auf die Hand energisch stützt, gerät die ganze Extremität in ein klonisches 
Hüpfen. Bei der Prüfung auf Ataxie schwankt die Extremität um das Ziel hin 
und her. Die rechte Oberextremität bietet normale Verhältnisse dar; gestreckt 
gerät sie in ein leichtes Zittern mit individuellen Bewegungen der Finger, besonders 
beim Schreiben, das daher unmöglich ist. Dauernde Myokymie der Brust- und 
Extremitätenmuskulatur. Erhöhte mechanische Muskelerregbarkeit. An den 
Unterextremitäten ist die Motilität ohne Tremor und Ataxie erhalten. Der Muskel- 
tonus ist etwas erhöht. Patellarreflexe nicht auslösbar; Plantarreflexe beiderseits 
normal; Achilessehenreflexe fehlen, ebenso die Kremaster- und Bauchreflexe. Im 
Sitzen neigt er sich unwillkürlich nach links und hinten und sucht auf dieser Seite 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 149 

mit der Hand nach einer Stütze. Romberg positiv. Der Kranke steht auf breiter 
Basis und kann weder auf den Fußspitzen, noch auf einem Fuße stehen. Er geht 
auf breiter Basis langsam und vorsichtig; den rechten Fuß setzt er normal auf, aber 
auf dem linken schwankt er, flektiert denselben nicht genügend im Knie und hebt 
ihn höher als den rechten. Zumeist schwankt er nach links. Beim Umdrehen 
wankt er ganz besonders. Er ist apathisch, aber über Ort und Zeit orientiert, seine 
Intelligenz ist im allgemeinen unverändert. Er ermüdet leicht und erschöpft sich 
körperlich und geistig. Die Sprache ist hesitierend, die Aussprache sowie bei Zahn¬ 
losen, aber frei von gröberen Störungen der Artikulation, von Einschaltungen und 
Auslassungen von Silben, logisch geordnet. Es besteht weder motorische, noch sen¬ 
sorische Aphasie. Sensibilität für Berührung und Schmerz auf Brust und Bauch 
herabgesetzt, auf der Brust Thermohypästhesie; auf den Fußrücken Analgesie. 
Ophthalmoskopischer Befund normal. Die Interdigitalräume der linken Hand 
sind vertieft; auf den Fußrücken heben sich die Extensorensehnen ab. — Der Kranke 
blieb 5 Wochen in der Klinik und nahm täglich 5 g Jodkali. Anfangs hatte er An¬ 
fälle, bestehend in tiefer Apathie, leichter Bewußtseinstrübung und ausgesprochener 



Fig. 103. 


Gliederstarre. Später trat eine kleine Besserung aller Symptome ein. Nach einem 
halben Jahre wurde er mit denselben Symptomen wegen totaler Verwirrtheit trans¬ 
feriert. — Die Kurve zeigt den Tremor der linken Hand. Es handelt sich in der Ruhe 
um ein grobes, ziemlich gleich- und regelmäßiges, langsames Zittern mit einer regel¬ 
mäßigen Frequenz von 5 Wellen in der Sekunde, das bei Intention stärker und in 
der Weise imgleichmäßig wird, daß einzelne Wellen niedriger sind; die Frequenz 
bleibt aber unverändert 5 in der Sekimde (Fig. 103). 

Wir nahmen an, daß es sich um eine luetische Affektion des Gehirns und des 
Rückenmarks handelte und zwar entweder um eine Kombination der Tabes dorsalis 
mit einem Gumma des rechten Vierhügels oder des Pedunkulus und Druck auf den 
Pons (aber der höhere Tonus an den Unterextremitäten!) oder um eine gummöse 
Meningitis mit herdförmigen Veränderungen, die in irgend einer Weise den Tractus 
cerebello-rubrospinalis (rechter Vierhügel, Crus cerebri, Pedunkulus, Pons dexter) 
betreffen. Der Kranke starb nach Beginn der Ferien und ich erhielt von der Sektion 
keine Nachricht. Aus dem kurzen Sektionsprotokoll geht hervor, daß das Gehirn 
atrophisch und der rechte Okulomotorius schwächer als der linke war. Die Sektions¬ 
diagnose (Hofrat Hlava) lautete: Leptomeningitis chronica cum atrophia cerebri. 
Pachy- et Leptomeningitis chronica spinalis cum atrophia zonali medullae spinalis. 
Atrophia oculomotorii dextri. Endoaortitis sclerotica luetica. Tuberculosis in- 
veterata. Tuberculosis dispersa miliaris pulmonum et organorum. Atrophia uni- 
versalis. 

Einen zweiten Fall von Tremor in der Ruhe mit Übergang in Jacksonsche 
Epilepsie beobachteten wir im Jahre 1904. Nr. 15 219/04. N. J., 44 Jahre alte 
Frau. Der Vater war Alkoholiker, zwei Schwestern starben an Phthise. In der 
Ehe war sie sechsmal gravid; das zweite Kind wurde im 7. Monat geboren, das 
vierte kam tot zur Welt, die 6. Gravidität endete mit Abortus im 3. Monat. Im 
September 1903 bemerkte sie, daß sich ihre Zunge beim Essen schlecht bewege; 
sie mußte die Bissen bis in den Hals stecken, um sie schlucken zu können. Beim 
Sprechen war ihr die Zunge hinderlich imd auch der Umstand, daß ihr das Kinn 
zitterte und der Mund nach links verzogen wurde. Auch in der Ruhe verzog sich 







Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 151 


sich die unwillkürlichen Bewegungen wieder, aber noch am 2. Dezember, an welchem 
Tage die Kranke entlassen wurde, bestand noch der Gesichtskrampf. Die Kranke 
nahm im ganzen 156 g Jodkali. — Der Tremor der Hand wurde registriert. Die 
Kurven I.—IV. veranschaulichen fortlaufend das Zittern der herabhängenden Hand. 
Wir sehen einen regelmäßigen, leicht ungleichmäßigen, schnellen Tremor von 11—12 
Wellen in der Sekunde; derselbe wird bei Intention (V.) gröber, ungleichmäßig, 
behält aber seine Frequenz und nimmt in der Ruhe (V.) den früheren Charakter 
wieder an (Fig. 104). — Es blieb unentschieden, ob es sich um eine Reizung der 
Rinde der Zentral wind ungen rechts unten durch einen Tuberkel oder um eine 
Meningitis „en plaques“ handelte. 

In meiner Privatpraxis beobachtete ich einen interessanten Fall von zere¬ 
bralem Tremor, den man ebenfalls als „Tremor nach Art jenes bei Paralysis 
agitans“ bezeichnen könnte, obwohl er keinen Parkinson sehen Charakter 
besitzt. 

Bei einem 61jährigen Kranken mit den Symptomen der universellen Arterio¬ 
sklerose entstand ohne einen besonderen Anlaß ein typischer apoplektischer Insult; 
nach halbstündigen Prodromen: Übelkeit, Schwäche trat Bewußtlosigkeit ein, so¬ 
dann eine 24stiindige totale Apathie ohne Sprache mit Lähmung der rechtsseitigen 
Extremitäten. Nach 24 Stunden kehrte die Sprache zurück, nach einer Woche die 



Fig. 105. 

Motilität der Extremitäten. Zu dieser Zeit begann sich die rechte Hand in der 
Ruhe im Sinne der Flexion und Extension unwillkürlich zu bewegen; bei Intention 
entstand ein derartiges Zittern der rechten Extremität, daß der Kranke mit derselben 
weder essen noch trinken konnte. Seit dieser Zeit nahmen beiderlei Bewegungen 
in der Ruhe und bei Intention an Intensität ab. Als ich den Kranken nach acht 
Monaten wiedersah, war die Parese des Gesichtes und der rechtsseitigen Extremitäten 

r g 

kaum angedeutet, aber Muskelschwäche war vorhanden, E. D j* ferner gesteigerter 

Patellarreflex; kein Babinski. Ferner bestand eine rechtsseitige homonyme Hemi- 
anopie bis auf 5° beim Zentrum, totale Alexie mit der Unmöglichkeit abzuschreiben; 
nach Diktando konnte er richtig schreiben; Krampflachen und Krampfweinen. 
Das symptomatologi8che Bild ergänzte die Gattin des Kranken durch folgende 
Angaben: Auffallender Verfall der geistigen und körperlichen Regsamkeit, hastiges 
Essen, Polyphagie, Klagen über Schmerzen im Gürtel rechts und in der rechten 
Unterextremität. Objektiv wurde Hyperästhesie in der rechten Leiste gefunden. 

An den Extremitäten bestand weder Ataxie noch Zittern in der Ruhe; an 
der rechten Hand flektierten sich hier und da individuell der Kleinfinger und der 













152 


Erster Teil. 


Daumen, aber nicht gleichzeitig. Bei der geringsten Innervation, speziell bei stati¬ 
scher Innervation entstand ein deutlicher Tremor der Hand mit individuellem Zittern 
der Finger; bei Intention verstärkte sich dieser Tremor, war auf dem Gipfel der 
Intention am stärksten, beruhigte sich aber gleich wieder und erneuerte sich erst 
bei der Bückkehr der Hand. Auch an der rechten Unterextremität war ein kleiner, 
aber sicherer Tremor bei gewollten Bewegungen vorhanden. Das Zittern bestand auch 
beim Schreiben. Eine Serie von Kurven zeigt die näheren Eigentümlichkeiten dieses 
Zitterns (Fig. 105). Bei statischer Innervation sieht man die Interferenzkurve 
eines in verschiedenen Ebenen ungleichen und ungleichmäßigen Tremors, der (II.) 
bei Intention in einer Ebene langsam, mit 4—5 Wellen in der Sekunde vor sich 
geht, dagegen beim Ziele und am Ende der Intention bei einer neuen Handbewegung 
gröber wird und sein Maximum erreicht; (III.) bei dem Versuche, den Tremor zu 
unterdrücken, ändert sich der Intentionscharakter nicht; (IV.) bei ruhiger Lage 
der Hand zeichnet die Feder einen raschen, feinen, ziemlich gleichmäßigen Tremor 
mit 9 Wellen in der Sekunde; (V.) bei statischer Innervation läßt sich das Zittern 
nicht willkürlich unterdrücken und bei Rechenexempeln (rückwärtiger Teil der 
rechten Kurve) wird er heftiger; (VI.) an der linken Hand besteht bei statischer 
Innervation ein zarter, rascherer Tremor, der in gewissen Partien der Kurve (gegen 
das Ende) eine Frequenz von etwa 9 Wellen in der Sekunde erkennen läßt. — Es 
handelt sich hier demnach zuerst um einen Tremor beider Hände mit einer Frequenz 
von 9 Wellen in der Sekunde und außerdem um einen groben, unregelmäßigen 
Tremot in der Ruhe (der nicht registriert wurde) und bei der Intention um einen 
Tremor rechts mit 4—5 Wellen in der Sekunde. Der Rekord der im willkürlichen 
Bewegungen beträgt links (VIII.) etwa 6, rechts (VII.) ebenfalls 6 Wellen in der 
Sekunde. 

In welchem Grade die athetotischen Bewegungen bei der spastischen 
Parese als „Tremor in Ruhe“ imponieren können, konnte ich an einem anderen 
Patienten meiner Privatklientel beobachten. 

34jähriger Mann, dessen Onkel mütterlicherseits seit der Kindheit an 
spastischer Paraparese, Schielen und Schwachsinn leidet. Seine Geburt war schwer 
(dauerte vom Morgen bis 2 Uhr nachts). Als er 9 Monate alt war, bemerkte seine 
Mutter zum ersten Male, daß er einigermaßen starr sei und daß, wenn er etwas er¬ 
greifen wollte, seine Hand sich mit der Handfläche nach hinten und außen krümme. 
Bald darauf bemerkte die Mutter, „daß es mit ihm am ganzen Körper arbeite.“ Erst 
im 7. Lebensjahre begann er zu gehen und zwar ging er schwer spastisch in Pes 
equinus-Stellung und fiel leicht um. Mit den Händen konnte er die Gegenstände 
schlecht fassen, da sich die Hände beim Greifen verkrümmten. Die Sprache war 
nie gut entwickelt. Der Intellekt ist wenig entwickelt, obwohl der Kranke nicht 
gerade schwachsinnig ist. Dieser Mann, den ich bereits 25 Jahre kenne, bietet stets 
dasselbe Bild dar. In der „Ruhe“, zum Beispiel beim Sitzen, hat er einen Spasmus 
der Nackenmuskeln, der Kopfnicker, der Platysmata; das Kinn ist gegen den Thorax 
gedrückt; er spricht krampfhaft. Die Zunge kann er wegen der Krämpfe nicht vor¬ 
strecken. Die im Sinne der Flexion spastisch kontrahierten Extremitäten bewegen 
sich fortwährend und langsam mit einer Geschwindigkeit von 4 in der Sekunde. 
Die Zehen beugen und strecken sich abwechselnd mit derselben Geschwindigkeit, 
aber nicht gleichzeitig. Besonders deutlich ist diese unwillkürliche Flimmerbewe¬ 
gung an den Daumen und großen Zehen. Beim Versuche, einen Gegenstand zu 
ergreifen, verfallen die Flexores carpi in einen tonischen Krampf, zugleich spreizen 
und strecken die Interossei die Finger. Bei Intention tritt im ersten Moment (in¬ 
folge des Spasmus eine scheinbare) Ruhe ein, aber bald darauf wieder die rhyth¬ 
mische Bewegung. Grobe Manipulationen (Holzspalten) kann er verrichten, nicht 
aber feine (Knopfschließen). Auch die Rumpfmuskulatur ist in einem fortwährenden 
Spasmus besonders der Flexoren begriffen. Die Symptome überwiegen rechts. 
Patellarreflexe lebhaft, rechts mehr. Die Achillessehnenreflexe lassen sich wegen 
des Spasmus nicht auslösen. Rechts spontaner dauernder Babinski. Plantarreflex 
nicht auslösbar. Die Zunge weicht nach rechts ab. Die Pupillen reagieren nor¬ 
mal. Harnentleerung normal. 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 153 


Bei diesem Falle von Littlescher Krankheit ist also die krampfhafte 
Athetose dem spontanen, langsamen Tremor bei Paralysis agitans sehr ähnlich 
und könnte bei oberflächlicher Beobachtung leicht als „Tremor wie bei Paralysis 
agitans“ beschrieben werden. 

Den folgenden Fall führe ich als Beweis dafür an, daß der Intentionstremor 
im ersten Augenblick als ein dem Parkinsonschen ähnlicher Tremor im¬ 
ponieren kann. 

Frau C., 41 Jahre alt, mit Insuffizienz der Aortenklappen und Herzhyper¬ 
trophie behaftet, wurde vor 4 Jahren von einem apoplektischen Insult befallen; 
seit dieser Zeit ist ihre rechte Oberextremität schwächer und ungeschickter und 
kann sie mit derselben wegen eines Tremors nicht schreiben, obwohl sie früher sehr 
schön schrieb. Sie hat eine kaum angedeutete Schwäche der rechten Extremitäten, 

106 


y\A 


gesteigerte Reflexe, rechts Fußklonus und positiven Babinski. Bei jeder Aufregung, 
besonders aber dann, wenn das Herz schwach ist und ungenügend arbeitet, zeigt 
sich an der rechten Oberextremität ein grober Tremor im Karpalgelenk von 4—5 
Wellen in der Sekunde, wobei sie die rechte Oberextremität in stereotyper Weise 
an den Körper adduziert, im Ellbogengelenk flektiert und die Finger in Prisen¬ 
stellung bringt. Bei Intention typischer Intentionstremor, den ich zwar nicht 
registrieren konnte, der aber aus der Schrift der Kranken ersichtlich ist, besonders 
wenn sie große Druckbuchstaben zeichnet, wie aus dem Bilde hervorgeht (Fig. 106). 
Bei genauerer Analyse findet man, daß sie in vollständiger Ruhe überhaupt nicht 
zittert und daß der in der Ruhe scheinbar vorhandene Tremor durch das Bestreben 
zustande kommt, die Hand ruhig zu erhalten. 

* 

* * 

Die beschriebenen mannigfachen Formen des Tremors sind nicht immer 
dauernd. Sie können miteinander abwechseln, sich kombinieren (Breillot). 
Solche Übergänge beschrieben Oulmont, Gowers, Kahler und Pick, Greif 
(vier Tage Hemichorea, dann Ruhe, dann sieben Tage Hemiathetose; Greif 
zitiert analoge Erfahrungen von Bernhardt, Leube, Teissier); Murris 
Patient (zit. von Decio) hatte gleich nach dein Insult klonische Krämpfe der 
rechten Hand ohne Intentionsschwanken, nach einem Jahre statische Ataxie 
der Unterextremität und Intentionstremor der Oberextremität. 


Nicht jeder Tremor, der bei einer Gehimerkrankung beobachtet wird, 
muß seine Ursache in einem zerebralen Herd haben, wie folgender Fall zeigt: 



HA SO 




Fig. 106. 



m 


Erster Teil. 


Nr. 2678/09. 32jähriger Vergolder. Gibt zu, viel getrunken und geraucht 
zu haben. Vor 13 Monaten verspürte er plötzlich ein Stechen wie mit einer Steck¬ 
nadel in der linken Handfläche und gleich darauf bekam er einen tonischen Krampf 
der linken Oberextremität, der linken Gesichtshälfte und des Auges; er wurde be¬ 
wußtlos und ließ den Ham unter sich. Vor 11 Monaten folgte ein zweiter Anfall 
dieser Art, vor 6 Monaten ein dritter. Seit dieser Zeit wiederholen sich die Anfälle 
fast jeden Monat. Zwei Stunden vorher treten Vorboten auf: manchmal ein Metall¬ 
geschmack im Munde, gewöhnlich Parästhesie in der linken Hohlhand, krampf¬ 
haftes Abweichen der Zunge nach links, infolgedessen die Sprache gestört ist. Bei 
seiner Aufnahme in die Klinik am 10. Februar 1909 hatte er eine Parese des unteren 
Astes des N. facialis, einen klonischen Spasmus des linken Orbikularmuskels, eine 
Hyperästhesie der linken Kopfhälfte, des Halses und der linken Oberextremität, 
eine leichte Hyperämie der Papillen. (Es war nicht zu entscheiden, ob es sich um 
eine Hyperämie infolge Hypermetropie oder um Stauungspapille handelte.) In der 
Klinik hatte er mehrere Anfälle von krampfhaften Zuckungen in der Umgebung 
des Auges und der Mundwinkel auf der linken Seite und an der linken Oberextremität, 
aber ohne Bewußtseins Verlust. Nach 11 Tagen verließ er die Klinik unverändert. 
— Dieser Kranke hatte einen Tremor der Hände bei statischer Innervation, rechts 
stärker als links, der sich weder durch Intention, noch nach einem Anfall änderte 
und bei totaler Ruhe des Körpers verschwand; er war regelmäßig, schnell und hatte 
eine Frequenz von 9 Wellen in der Sekunde. Wahrscheinlich handelte es sich hier 
um einen Tremor, der durch Alkohol und eventuell auch durch Nikotin verur¬ 
sacht war. 


Mit großem Fleiße wurden die Sektionsbefunde bei zerebralem 
Tremor gesammelt, um zu konstatieren, von wo die postapoplektischen Be¬ 
wegungen ausgelöst werden. Charcot suchte diese Stelle im hinteren Anteil 
der inneren Kapsel, Gowers im Thalamus, aber schon Charcots Schüler 
Oulmont verlegte dorthin nur den Reiz zur Chorea und Athetose, während 
er die Ursache der Kontraktur und des Tremors in Läsionen des ganzen „oberen 
motorischen Neurons“ suchte. Kahler und Pick schlossen sich für alle Formen 
der posthemiplegischen Bewegungen dieser Anschauung Oulmonts voll¬ 
ständig an. Brissaud hat in noch eingehenderer Weise darauf hingewiesen, 
daß der Reiz im ganzen Verlauf der Pyramiden seinen Ursprung nehmen kann 
und Bidon hat diese Ansicht durch 78 gesammelte Fälle gestützt. Zu gleicher 
Zeit fand Stephan, der ein großes Ubersichtsreferat über diese Frage erstattete, 
bei postapoplegischem Tremor Veränderungen nur in der Nachbarschaft der inneren 
Kapsel; beim Intentionstremor infolge Sklerose fanden sich Veränderungen 
an den verschiedensten Stellen zwischen Rinde und Pons. Infeld fand in seinen 
gesammelten Fällen Intentionstremor nicht bei Läsionen des Vorderhims, sondern 
bei jenen des Zwischenhims und der hinteren Partien des Mittelhims. 

Wir wollen im folgenden eine Übersicht über die wichtigeren Lokalisationen 
der organischen Herderkrankungen beim Tremor anführen (mit Ausnahme der 
banalen typischen Hämorrhagien): 

Gehirnrinde: Die tuberkulöse Meningoenzephalitis der frontalen und zen¬ 
tralen Windungen ruft motorische Erscheinungen hervor, die Massalongo 
für dem Tremor koordiniert hält. Miller sah einen Tremor während der ersten 
fünf Tage einer tuberkulösen Meningitis. (Aber post mortem wurde auch eine 
Läsion des Nucleus dentatus im Kleinhirn gefunden.) Hutinel hält den pro¬ 
dromalen Tremor für ein diagnostisches Merkmal der Meningitis bei Kindern. 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 155 


Corona radiata: Diese wird erwähnt von Oulmont, Stephan, Marburg. 

Innere Kapsel: Charcot in der Nähe des ,,carrefour sensitif“, Dejerine 
1880 (zit. Decio): Monoplegischer Intentionstremor der rechten Hand mit 
rechtsseitiger Hemianästhesie und Analgesie, Tuberkel der Capsula interna 
nahe dem Thalamus. 

Thalamus: Leyden bei Sarkom links Bewegungen des rechten Armes; 
Stephan erwähnt ihn; Westphal sah bei Tumor des linken Thalamus Inten¬ 
tionstremor und das klinische Bild der Herdsklerose bei einem neunjährigen 
Knaben. 

Nucleus lentiformis: Damange fand bei Tremor einer Oberextremität 
einen alten hämorrhagischen Herd nahe der inneren Kapsel (zit. Talma); 
Rhein und Potts beobachteten Flexionen mit Extensionen des Ellbogen - 
und Handgelenks, abwechselnd mit Supinationen der Hand bei multipler Er¬ 
weichung, die auch im Nucleus lentiformis lokalisiert war; Mendel zitiert den 
Fall Bouchers. 

Pedunculus cerebri: Hierher gehören die Fälle von Benedikts Syndrom 
und der Fall von J. Charcot. Tumoren im Pes pedunculi erwähnt Bruns. 
Gowers (zit. Decio, Rüssel) sah Intentionstremor der rechten Oberextremität, 
ferner Hemiplegie mit Okulomotoriuslähmung bei einem Tuberkel im Pes pedun¬ 
culi unterhalb des Vierhügels. 

Nucleus ruber: Der Fall von Raymond und Cestan, welcher das Bene¬ 
dikt sehe Syndrom aufzuklären geeignet wäre. 

Vierhügel: Fälle von Eisenlohr und Sorgo; Bruns sah Intentionstremor 
der Hände und Ataxie der Füße. 

Schläfelappen und Comu Ammonis: Mendel zitiert Induration dieser 
Partien rechts im Falle von Chvostek. 

Insula: Im Falle Bergers bestand Zittern bei Sarkom der linken Insel 
(zit. Mendel). 

Pons: Bruns erwähnt Geschwülste; Hobson: Ataxie und Intentions¬ 
tremor — Tumor der Brücke und der Medulla oblongata (zit. Decio); Solder 
(zit. Decio): rechtsseitige Hemiparese und Intentionsschwanken, Paralyse 
des linken N. facialis, trigeminus, abducens — Gliom in der Brücke, im Pes 
pedunculi und in der Medulla oblongata; Meyer zitiert noch Gowers und 
Ordenstein; Verger und Desqueyron sahen bei einer 42jährigen Kranken 
einen massiven Intentionstremor der beiden oberen Extremitäten bei einem 
Tumor, der den vorderen Anteil der Brücke und die Verästelung der beiden 
Crura cerebelli ad pontem betraf. 

Kleinhirn: In dem von Latteux zitierten Falle traten bei einem 23 jährigen 
Jüngling mit Tuberkulose der Meningen und Kompression der rechten Klein - 
himhemisphäre durch tuberkulöse Massen Anfälle von Kopfschmerzen auf, 
während welcher er wehklagend umherlief, dann plötzlich wie von Schreck 
gelähmt stehen blieb und am ganzen Körper zitterte. — Im Falle Andrals 
(zitiert Latteux) fehlte die linke Kleinhimhemisphäre bei einer 45jährigen, 
schwachsinnigen, furchtsamen Frau, die bei Bewegungen ein konvulsives Zittern 
der Hände hatte. — In Briegers Fall traten die ersten Symptome seitens des 
Gehirns 10 Jahre vor dem Tode auf, 2 Monate vor dem Tode entstand Zittern 
der Hände und bei der Sektion fand sich ein Solitärtuberkel der linken Klein¬ 
himhemisphäre. — Mendel zitiert den Fall Baldwins, betreffend ein Endo- 



epitheliom, der eine Kleinhimhemisphäre komprimierte. — Babinski lenkte 
die Aufmerksamkeit auf Erscheinungen der gestörten Harmonie der Muskeln 
bei Geschwülsten des Kleinhirns und seiner Adnexe und nannte diese Erschei¬ 
nungen im Jahre 1898 „asynergie cerebelleuse“. Im Jahre 1901 konstatierte 
er, daß diese Erscheinungen auch einseitig als H6miasynergie cerebelleuse 
et h^mitremblement d’origine cerebello-protuberantielle auftreten 
können (Rev. neur. 1901.422). —Im öasopis 16karüv £esk^ch beschrieb ich 1904 
einen schönen Fall eines analogen Zitterns einer Körperhälfte bei einer tuber¬ 
kulösen Geschwulst der gleichseitigen Kleinhimhemisphäre. Es handelte sich 
um eine 44 jährige Frau, die 7 Monate vor dem Tode die allgemeinen Symptome 
eines Gehirntumors bekam: Kopfschmerzen, Erbrechen, Stauungspapille; dann 
einen groben, langsamen Intentionstremor mit Ataxie der rechten Extremitäten, 
Schwindel nach der rechten Seite, Romberg bei lebhaften Patellarreflexen 
und erhaltener Sensibilität, zerebellare Asynergie rechts. Die Intentions¬ 
bewegungen waren, wie Oppenheim sagt, ein Mittelding zwischen Ataxie 
und dem Intentionstremor der Herdsklerose. — Stephan sah einen Intentions¬ 
tremor der linken gelähmten Extremitäten bei einem Tumor der linken Klein¬ 
himhemisphäre, der die Brücke und das verlängerte Mark komprimierte (Decio). 
— Miller spricht von Veränderungen der Zerebellorubrospinalbahn bei 6 Kindern 
mit einem Tremor von 5 Wellen in der Sekunde, mit erhöhtem Muskeltonus; 
bei schwachem Tremor war derselbe nur bei Bewegungen, bei stärkerem Tremor 
auch in der Ruhe vorhanden. — Mendel zitiert den Fall von Cassirer be¬ 
treffend Störungen der Bahn zwischen Kleinhirn und Thalamus. 

Crura cerebelli: Diesbezüglich erwähnt Purves Stewart, daß ein hemi- 
plegischer Tremor auftrete, wenn die Rubrospinalbahn lädiert sei (aber er führt 
keinen Fall an). 

Hintere Schädelgrube: Bruns erwähnt Tumoren. 

Corpus restiforme: Babinski. 

Hydrozephalus: Cramer (S. 17) führt ein sehr typisches Zittern bei 
einem 18jährigen Jüngling mit einer Frequenz von 9 */ 3 Wellen rechts und 5y 2 
Wellen links in der Sekunde an. 

Historische Bemerkung. Dieser Tremor wurde in den früheren Be¬ 
schreibungen mit der Athetose in die Gruppe der posthemiplegischen Chorea 
zusammengeworfen. Erst als die Athetose ausgeschieden wurde (sie wurde 
von dem amerikanischen Neurologen Hammond 1871 neben der Paralysis 
agitans als selbständige Neurose beschrieben, aber erst von Mitchelt 1874 
und von Charcot 1875 als posthemiplegisches Symptom erkannt), finden wir 
den Tremor in den neurologischen Arbeiten von den übrigen Bewegungen ge¬ 
trennt, z. B. bei Benedikt 1874. — Aber in zahlreichen Arbeiten ist es aus 
der Beschreibung nicht ersichtlich, daß es sich um Tremor gehandelt hat, 
sondern es dürfte eine.Athetose oder ein klonischer Krampf mit Unrechtals 
Tremor bezeichnet worden sein. 

Die Therapie dieser Zitterformen ist nicht erforscht. Combemale 
empfiehlt seine Veronalmethode, die wir bei der disseminierten Sklerose kennen 
gelernt haben. Gewöhnlich versagen alle üblichen Sedativa. 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 157 

C. Es gibt noch eine Reihe organischer Erkrankungen des Nervensystems, 
bei denen manchmal ein Tremor beobachtet wird, der aber nicht regelmäßig 
ihrem klinischen Bilde angehört oder wenigstens nicht ein unerläßlicher Be¬ 
standteil desselben ist. 

1. Progressive Paralyse. 

a) Bei der progressiven Paralyse ist der Tremor in verschiedenen Körper¬ 
teilen ein sehr gewöhnliches Symptom. In den ersten Anfängen ist ein Tremor 
bei statischer Innervation an den oberen Extremitäten vorhanden, den wir auch 
bei anderen Nervenkrankheiten bereits kennen gelernt haben. Der Kranke 
ist sich desselben nicht bewußt. Seine Frequenz beträgt 8—10 Wellen in der 
Sekunde (Charcot). Die Finger können auch individuell zittern (Charcot — 
im Gegensatz zur Basedowschen Krankheit). 

ß) Später erscheint der Tremor bei feinen Arbeiten und wird an der Zunge 
und an den Lippen deutlicher. Gleichzeitig mit demselben beobachtet man ein 
fibrilläres Flimmern der Zunge und bündelförmige Zuckungen an den Lippen und 
an der mimischen Muskulatur. Durch Emotion wird er verstärkt. Anfangs kann 
er willkürlich unterdrückt werden, wenn auch nicht vollständig, und zwar an den 
Händen leichter als an den Lippen. Öu mpelik hat behauptet, daß ein deutliches 
Zittern gleichzeitig mit der Demenz auf trete. In den Spätstadien nimmt das 
Zittern manchmal bedeutend an Intensität zu, breitet sich auf die unteren 
Extremitäten und auf die Rumpfmuskulatur aus und verliert hierbei gleichzeitig 
seine Regelmäßigkeit, indem es durch unregelmäßige zuckende Bewegungen 
unterbrochen wird. Feine Arbeiten können mit den Händen nicht verrichtet 
werden, die Sprache wird durch das Zittern der Lippen, des Unterkiefers und 
der Zunge gestört. Mit fortschreitender Krankheit verschwindet der Charakter 
des Tremors, der imwillkürlichen Bewegungen Platz macht, die durch Intention 
verstärkt und von fibrillären und faszikulären Zuckungen fast der gesamten 
quergestreiften Muskulatur begleitet werden. Im deliranten Zustande kann 
sodann motorische Ruhe eintreten (Fernet). Manchmal setzt das Zittern für 
mehrere Monate aus (Fernet). Im terminalen Stadium verschwindet es 
(Breillot). 

y) Auch wurde ein dem Parkinsonschen Tremor ähnliches Zittern be¬ 
obachtet : Reuter behandelte eine 34jährige Frau, die anfangs ein heftiges 
Zittern, dann ein Zittern des ganzen Körpers hatte; nach 6 Monaten verschwand 
das Zittern bis auf jenes der linken Hand, wo es den Charakter des Parkinson¬ 
schen Tremors besaß (Position der Hand, Pillendrehen). Auch Mailard er¬ 
wähnt das „Parkinsonsche Syndrom“ an der linken Hand bei progressiver 
Paralyse. 

<5) Schon Fernet erwähnt, daß der Tremor bei progressiver Paralyse 
manchmal durch Intention verstärkt werde. Meyer bemerkt, daß manchmal 
die intentive Verstärkung so bedeutend sei, daß der Tremor von der Herd¬ 
sklerose schwer zu unterscheiden sei. 

2. Tabes dorsalis. 

Bei der Tabes dorsalis ist der Tremor kein gewöhnliches Symptom, wenn 
wir von einem eventuellen feinen Zittern der gestreckten Oberextremitäten 
absehen, das über den Rahmen des physiologischen Zitterns nicht hinausgeht. 
Breillot erwähnt einen Tremor aller Extremitäten in der Ruhe bei Anfällen 
von großen Schmerzen, ohne aber diesen Tremor näher zu beschreiben. — Die 



158 


Erster Teil. 


unwillkürlichen Bewegungen der unteren Extremitäten bei hochgradiger Ataxie 
besitzen nicht den Charakter des Tremors. 

3. Die Sklerose der spinalen Seitenstränge bei verschiedenen 
Krankheiten (Myelitis, Pachymeningitis cervicalis hypertrophica, Tabes spastica, 
kombinierte Strangsklerose, amyotrophische Lateralsklerose, Syringomyelie) wird 
in allen älteren Arbeiten (Latteux, Fernet, Breillot, Jaubert) als Ursache 
des Zitterns angegeben; in den Arbeiten aber, auf die sich diese Behauptung stützt, 
finden wir gewöhnlich die Beschreibung des Fußklonus, keineswegs aber eines 
wirklichen Tremors, und verschiedener unregelmäßiger Störungen der Bewegungen 
der oberen Extremitäten. Charcot führt 1874 und 1887 einen Intentions¬ 
tremor bei den genannten Krankheiten einfach an, ohne Belege beizubringen. 
Max Meyer zitiert eine Beobachtung Oppenheims betreffend einen der 
Ataxie verwandten lokomotorischen Tremor bei einer kombinierten Erkrankung 
der Rückenmarkstränge. Dejerine zitiert die Beobachtung Gombaults be¬ 
treffend einen Intentionstremor bei amyotrophischer Lateralsklerose; ich konnte 
diese Angabe nicht kontrollieren, aber der häufige Sektionsbefund einer Herd¬ 
sklerose bei dem klinischen Bilde der amyotrophischen Lateralsklerose er¬ 
weckt den Verdacht, daß es sich um eine Kombination mit einem Ge- 
himherd gehandelt haben könnte. Bei Syringomyelie wurden rhythmische 
Fingerbewegungen (Marinesco) und ein leichter Tremor bei Bewegungen 
(Rosenblath, Bruthan, Schlesinger — zitiert Dejerine und Thomas) 
beschrieben. In einem von VySin in Prag demonstrierten Falle von Pachy¬ 
meningitis cervicalis hypertrophica handelte es sich um sakkadierte Bewegung 
der oberen Extremitäten. 

Bei der Friedreichschen Krankheit führt Charcot einen Intentions¬ 
tremor an, Dejerine langsame Oszillationen der Hand über dem zu ergreifenden 
Gegenstände, die aber unmöglich als Intentionstremor angesehen werden können; 
deswegen sprechen Dejerine und Thomas von einem atypischen Intentions¬ 
tremor und zitieren den Ausdruck Charcots „instabilite choreiforme“. Max 
Meyer erwähnt einen Intentionstremor und zitiert P. Marie. Londe führt 
dieselben Bewegungen wie bei der zerebellaren Heredoataxie an. 

Bei der zerebellaren Heredoataxie spricht Londe in seiner umfang¬ 
reichen These von einem Tremor der Hände mit dem Charakter des Intentions¬ 
tremors, mit Oszillationen direkt vor dem Ziele und mit Ruhe nach der Er¬ 
reichung des Ziels neben zögernden, unsicheren und ataktischen Bewegungen, 
und von choreiformen im willkürlichen Bewegungen. Er beschrieb auch einen 
Intentionstremor des Kopfes, der sich bei Emotionen und im Stehen steigert, 
und hier und da auch ein unregelmäßiges Zittern der Zunge, das aber eher ein 
Fluktuieren als ein Zittern ist, und schließlich nystagmiforme Zuckungen der 
Augen neben Lähmungen der Augenmuskeln. Wie aus allen Publikationen, 
die er in seiner These reproduziert, hervorgeht, handelt es sich immer eher um 
Ataxie als um den bei Sklerose vorkommenden Intentionstremor, um eine Art 
Gemisch dieser beiden Elemente, häufiger aber um eine einfache Ataxie und 
um choreatische Fluktuationen. — Söderbergh sah bei seinem 13jährigen 
Kranken, bei dem er eine Kombination der Friedreichschen Krankheit mit 
zerebellarer Heredoataxie und familiärer spastischer Paraplegie diagnosti¬ 
zierte, einen hochgradigen Intentionstremor. (Die genauere Analyse folgt bei 
der Besprechung der Pathogenese.) 



Das Zittern bei organischen und zwar herdförmigen Erkrankungen des Nervensystems. 159 

4. Neuritis, Polyneuritis. 

Auch bei dieser Krankheit wurde das Zittern beschrieben. Häufig besteht 
der Tremor an den paretischen Gliedern bei Bewegungen — ein Ermüdungs¬ 
tremor. 

Vereinzelt finden wir andere Angaben. So z. B. führt Benedikt in seiner 
Neuropathologie einen Fall von Polyneuritis (Beobachtung 205) bei einem 
47 jährigen Kranken an mit ausgesprochenem Zittern, ohne aber dieses näher 
zu beschreiben. Oppenheim erwähnt in seinem Lehrbuch einen Fall von un¬ 
vollständig geheilter toxischer Polyneuritis (nicht nach Quecksilber), die mit 
typischem Intentionszittem einherging. 

Wenn wir bedenken, daß im Verlaufe schwerer Polyneuritiden häufig herd¬ 
förmige Enzephalitiden Vorkommen (die eventuell mit psychischen Symptomen 
einhergehen — Korsakov), werden wir einen derartigen Fall als verdächtig 
unter die zerebralen Tremorformen einreihen. Dasselbe gilt von der älteren 
Beobachtung Remaks, betreffend einen 30jährigen Kranken, bei welchem die 
Polyneuritis mit Intentionszittem der Hände und der Zunge, mit unregelmäßigen 
Bewegungen in der Ruhe, fehlenden Reflexen, Papillitis N. optici und Demenz 
einherging. Bei elektrischer Reizung des nicht gelähmten Gesichtsnerven ent¬ 
stand eine Schüttelkontraktur. 

Auch bei der unter dem alten Begriff der Neuritis ascendens zitierten 
Krankheit wird Intentionszittem als Symptom angegeben. Eine diesbezüg¬ 
liche Beobachtung stammt von Valenzuela aus dem Jahre 1879. 

Der 19 jährige Patient verletzte sich im 5. Lebensjahre mit einem Schlüssel 
am rechten Knie und bekam bald darauf eine Kontraktur des Knies und später 
auch des Fußes. Man nahm die Tenotomie der Achillessehne vor; gleich bei der 
Operation streckte sich die Extremität, begann aber ein wenig zu zittern; im Ver¬ 
band entstand neuerdings eine Kontraktur und ein deutlicher Tremor bei jeder 
Bewegung. Der Intentionstremor blieb die folgenden 14 Jahre bestehen, ebenso 
auch die Kontraktur; beide Erscheinungen gingen auch auf die rechte Ober¬ 
extremität über, aber Muskelatrophie oder Sensibilitätsstörungen stellten sich nicht ein. 

Die Annahme des Autors, daß es sich um „Neuritis ascendens“ gehandelt 
habe, ist zweifelhaft und der Verdacht auf einen funktionell-hysterischen Ur¬ 
sprung der Kontraktur und des Tremors sehr naheliegend. 

Die familiäre hypertrophische Polyneuritis fand ihre Erwähnung im An¬ 
schlüsse an die disseminierte Sklerose. 

Von unseren Beobachtungen gehören die folgenden hierher: 

1. Zittern bei akuter Neuritis plexus cervicobrachialis. Nr. 6095/10. 
V. A., 48 Jahre alt, rauchte Pfeife, aber nicht stark. Trank angeblich 4 Glas Bier 
täglich. Eines Nachts vor Weihnachten 1909 verspürte er plötzlich einen Schmerz 
unter dem rechten Schulterblatt. Am nächsten Tage hatte er Kribbeln im IV. und 
V. Finger dieser Extremität. Bald begann dieselbe schwach zu werden. Es stellten 
sich Anfälle von brennenden Schmerzen ein, die von der Schulter in die Finger und 
zurück ausstrahlten, am heftigsten im Bette waren und auch viermal während einer 
Nacht sich wiederholten. Jetzt kommt es ihm vor, als wäre die Extremität fremd, 
sie ist schwach und zittert. Objektiv bestanden die Symptome der Neuritis plexus 
cervicobrachialis dextri. — Eine Serie von Kurven veranschaulicht diesen Tremor. 
Fig. I und III zeigen einen gleichmäßigen, regelmäßigen, rhythmischen Tremor 
von 8 Wellen in der Sekunde; Fig. II zeigt bei statischer Innervation einen sehr 
groben, sonst unveränderten Tremor, der bei Intention in einen ungleichen, aber 
rhythmischen Tremor von wiederum 8 Wellen in der Sekunde übergeht; IV: bei 
Intention wird er etwas größer, behält aber seine Frequenz von 8 Wellen in der 
Sekunde bei (Fig. 107). 



160 


Erster Teil. 


2. Nr. 7383/04. L.; Serie von Zitterkurven der rechten Hand: rascher Tremor 
von 11—12 Wellen in der Sekunde, regelmäßig, mit bezüglich die Größe alternierenden 
Wellen. Kurve I zeigt folgende interessante Erscheinung: bei Intention ist die 
kleinere Welle ausgefallen, so daß nur die halbe Frequenz von 5,5—6 Wellen in der 
Sekunde resultiert, die der Zahl der größeren Wellen in der Ruhe entspricht (Fig. 108). 



Fig. 107. 


3. Polyneuritis. Atherom. Sinusthrombosis. Nr. 7118/04. S. K., 
74 Jahre alt, stammt aus gesunder Familie, war stets gesund. Im Februar 1904 
fühlte er sich schwächer und bekam Schmerzen in den Waden, die er kaum berühren 
durfte. Der Zustand besserte sich nicht. Ende April konstatierte er Kältegefühl 


A i 


Fig. 108. 

im Körper, Zittern der Hände, Anfang Mai Kribbeln in beiden Hohlhänden und 
in den Fingern und eine eigentümliche Empfindung bei Berührungen. Andere 
Beschwerden (Schwindel) hatte er bei seiner Aufnahme am 7. Mai 1904 nicht. Wir 
fanden: Schmerzhaftigkeit der Äste des Plexus brachialis, leichte Empfindlichkeit 
der Sitznerven, beiderseits Laseguesches Symptom. Die gestreckten Oberextremi¬ 
täten zittern vorwiegend im Sinne der Pronation und Supination, die Finger in der 
Prädilektionsstellung der Paralysis agitans auch im Sinne der Flexion und Extension. 



V/kW- - --- ' ./. 







Fig. 109. 

Hierbei zittert auch der Kopf nickend. Auch der Daumen zittert hier und da indivi¬ 
duell. Der Wille hat auf das Zittern keinen Einfluß. Beim Drücken des Dynamo¬ 
meters wird der Tremor intensiver, gröber und scheinbar langsamer. Bei Intention 
hört er nicht auf, in der Kälte wird er stärker. An den unteren Extremitäten sieht 
man kein deutliches, höchstens ein angedeutetes Zittern. Patellarreflexe lebhaft, 
Plantarreflexe normal. Beim Gehen entsteht ein der Retropulsion ähnliches Schwan¬ 
ken. Leichte Eiweißtrübung. Der Kranke wurde galvanisiert; schon am 12. Mai 













Idiopathisches Zittern. 


161 


ließen die Schmerzen nach. Am Abend des 13. Mai klagte er plötzlich über Schmerzen 
in den beiden Mandibulargelenken, es entstand ein zyanotisches ödem um das 
linke Auge, an den Bindehäuten, an der Wange und Schläfe, nicht auch an der Stirne. 
In der Nacht zum 14. Mai erkrankte auch das rechte Auge in ähnlicher Weise. Der 
Kranke war fortwährend bei Bewußtsein und klagte nur über Schmerzen in den 
Kiefergelenken. Der Puls, der schon früher leicht arhythmisch war, wurde unregel¬ 
mäßig und am Nachmittag trat der Exitus ein. Die klinische Diagnose des Chefs 
auf Sinusthrombosis war richtig. Es handelte sich um allgemeine Atheromatose 
mit degenerativer Nephritis. 

Eine Serie von Kurven illustriert den Tremor. I. und II. zeigen den Tremor 
bei ruhiger, statischer Innervation: ein regelmäßiger, ziemlich grober, nur leicht 
ungleicher, mittelschneller Tremor von 7 Wellen in der Sekunde; III. und IY. zeigen 
den Einfluß der Intention: der Tremor wird größer und ungleich, bleibt aber regel¬ 
mäßig, die Schnelligkeit wird größer und beträgt 7,5—8 Wellen in der Sekunde. 
V. zeigt die Erfolglosigkeit des Versuches, den Tremor willkürlich zu unterdrücken 
(Fig. 109). 

4. Polyneuritis ,,e frigore“ in alcoholismo. Z. K., 41 Jahre alt, aus ge¬ 
sunder Familie, gibt Potus mittleren Grades zu. Ende Februar 1909 drang in das 
Kesselhaus, in welchem er arbeitete, Hochwasser ein; bevor er das Feuer gelöscht 
und den Dampf abgelassen hatte, verliefen 1 y 2 Stunden, während welcher er im 
eiskalten Wasser stehen mußte. Bald darauf bekam er äußerst heftige Schmerzen 
in den unteren Extremitäten, so daß er sich legen mußte; aber nach einer Woche 
nahm er seine Arbeit wieder auf. Im März kehrten alle Beschwerden zurück, die 
Schmerzen breiteten sich längs des Rumpfes bis in die oberen Extremitäten aus, 
die sehr ungeschickt wurden. Er hatte zooptische Träume. In der Klinik konsta¬ 
tierte man: motorische Schwäche aller Extremitäten und der Rumpfmuskulatur, 
empfindliche Nervengeflechte, Hyperästhesie der Haut und der Muskeln am Rumpfe 
und an den Oberschenkeln, Verlust der Patellarreflexe bei normalen Plantarreflexen. 
Die gestreckten Oberextremitäten zitterten stark und schnell, doch wurde der 
Tremor nicht registriert. 

X. A) Idiopathisches Zittern. 

Hereditäres Zittern. Familiäres Zittern. Kongenitales Zittern. 

(Tremophilia Ughetti.) 

Unter diesen Bezeichnungen wurde in der Literatur eine große Anzahl 
klinisch heterogener Krankheitsbilder beschrieben, deren gemeinsame Basis nur 
die homologe Heredität ist. Dieser Vorgang hat es verschuldet, daß das Kapitel 
des „erblichen Zitterns“ wenig übersichtlich ist. Die homologe Heredität ist 
ein viel zu lockeres Bindemittel zwischen solchen Fällen, wo z. B. ein zartes 
Zittern der Finger das einzige Krankheitssymptom war, und solchen, wo außer 
dem Zittern noch epileptiforme Anfälle, Muskelatrophie, Athetose, choreatische 
Bewegungen u. dgl. vorhanden waren. Wir unterscheiden mit Recht eine 
hereditäre Chorea, weil sie einen charakteristischen Verlauf und eine besondere 
Prognose besitzt; aber so wie wir von keiner hereditären Epilepsie sprechen, 
sollten wir auch kein hereditäres Zittern anerkennen. Es würde mit unserem 
ganzen nosologischen System besser übereinstimmen, wenn wir von einem 
idiopathischen oder essentiellen Zittern dort sprechen würden, wo wir die Ur¬ 
sache desselben nicht kennen und sagen würden, daß dieses idiopathische Zittern 
zumeist hereditär ist. Hierbei würden wir jene Zitterformen ausscheiden, die, 
obwohl hereditär oder familiär, wahrscheinlich ihren Ursprung in organischen 
familiären Läsionen des zentralen Nervensystems haben, deren bloße Epi¬ 
phänomene sie darstellen. 

Pelnäf, Zittern. 


11 



162 


Erster Teil. 


Unseren Zwecken dürfte es am besten angemessen sein, wenn wir uns die 
beobachteten Fälle in 4 Gruppen einteilen: in die erste Gruppe werden wir jene 
Fälle einreihen, in denen es sich, besonders bei statischer Innervation, um ein 
einfaches, dem physiologischen Tremor ähnliches Zittern handelte; in die zweite 
Gruppe jene Fälle, die dem sogenannten senilen Tremor ähnlich sind; die dritte 
Gruppe wird aus den Fällen von familiärem und erblichem Intentionszittem 
bestehen und schließlich werden wir in die vierte Gruppe kompliziertere Fälle 
einreihen, bei denen man von einem zu anderen wesentlichen neuropatholo- 
gischen Veränderungen sekundär hinzugetretenen „kombinierten Tremor“ 
sprechen kann. 

1. Einfacher essentieller (hereditärer) Tremor. Zitterigkeit. 

Dieser Tremor findet sich zumeist an den oberen Extremitäten ohne 
individuellen Tremor der Finger, hat eine Frequenz von 9 Wellen in der Sekunde, 
ist regelmäßig, leicht ungleich, besitzt bei statischer Innervation periodische 
Verstärkungen („Knoten“ — Allorhythmie — Ughetti) und breitet sich, wenn 
er etwas intensiver ist, auf die Nackenmuskulatur, die Zunge, die Lippen, die 
Augenlider und am wenigsten auf die unteren Extremitäten aus. In einigen 
Fällen (Rubens, Kulcke) war er auf eine Oberextremität beschränkt, selten 
begann er am Kopfe (Hamaide). In den leichten Formen hindert er nicht die 
Manipulationen der Hände, in schwereren Fällen stört er beim Schreiben, Nähen, 
Essen mit dem Löffel, so daß die Kranken mit den Händen essen müssen (Achard, 
Öumpelik, unser Fall, Häbler) und auch beim Sprechen. Er beginnt in 
der Kindheit und lenkt je nach dem Grade der Intensität entweder bald nach 
der Geburt (Roche, Li6gey) oder wenn das Kind zu gehen oder schreiben 
beginnt oder erst in der Pubertät die Aufmerksamkeit auf sich. In der Mehrzahl 
der Fälle steigert er sich mit zunehmendem Alter bis zu einer gewissen Grenze, 
aber seine Intensität kann in langen Perioden Schwankungen zeigen. (So z. B. 
zitterte die Patientin Achards vom 15.—30. Lebensjahre sehr wenig, dann 
steigerte sich das Zittern nach dem Tode der Eltern so sehr, daß sie das Bett 
hüten mußte; vom 44.—60. Lebensjahre war das Zittern kaum merklich; nach 
dem 60. Lebensjahre nahm es anläßlich eines Unglücksfalles wieder zu und 
blieb bei dieser Intensität bis zum 70. Lebensjahre, in welchem sie in die Be¬ 
obachtung des Autors gelangte.) 

Am intensivsten pflegt er am Morgen und vormittags zu sein, am schwäch¬ 
sten gegen Abend. Bei vollständiger körperlicher und geistiger Ruhe verschwindet 
er. Willkürlich kann man ihn manchmal mäßigen oder gänzlich unterdrücken, 
aber nur für eine ganz kurze Zeit. (Danas Patient, ein Uhrmacher, konnte 
ein Rädchen ganz gut auf seine Achse legen, zitterte aber bis zum entschei¬ 
denden Moment; Häblers Patient, ein Förster, schoß, wenn er plötzlich 
feuern mußte, ganz gut, dagegen schlecht, wenn er ruhig zielen sollte; 
Deboves Patient schrieb gut, aber nur in der Weise, daß er 3 Buchstaben 
aufschrieb, dann wartete, bis das Zittern vorüberging, und dann in derselben 
Weise weiterschrieb.) 

Bei intendierten Bewegungen nimmt er gewöhnlich zu, manchmal bleibt 
er unverändert; er hat nicht den Charakter des Intentionszittems. Im Falle 
West nahm er bei Intention ab und verschwand auch gänzlich. 



Idiopathisches Zittern. 


163 


Der psychische Zustand besitzt auf diesen Tremor einen ungeheueren 
Einfluß. Manche Kranke zittern zu Hause fast gar nicht, andere bekommen 
bei öffentlichem Auftreten aus Furcht und Verlegenheit geradezu ein Intentions- 
zittem. Man kann in solchen Fällen mit Meige von Tremophobie sprechen. 
Im Falle von Meige konnte ein Geistlicher, der einen zarten Tremor hatte 
und dessen Vater und Bruder ebenfalls zitterten, aus Furcht, er werde sein 
Priesteramt nicht bekleiden, den Gottesdienst nicht verrichten können, bei der 
Messe die Hostie nicht zerbrechen u. dgl. — Ein ähnlicher Zustand wurde bei 
Friseuren beobachtet (Trac des coiffeurs). Beim Arzte zittern die Kranken mehr 
und trinken sie schlechter als zu Hause. 

Einen gleich ungünstigen Einfluß üben erotische Aufregungen, der Koitus, 
zumeist auch Tabak und schwarzer Kaffee aus; Alkohol mäßigt manchmal 
den Tremor für die Dauer des Rausches; nachher pflegt er dann um so heftiger 
zu sein. Eine Verschlechterung tritt auch nach Chinin (Ughetti) und Queck¬ 
silber (Debove) ein, während nach Antipyrin (Ughetti) und manchmal 
auch nach Bromiden (Rubens) eine Besserung beobachtet wurde. Schwere 
Muskelarbeit steigert das Zittern, eine anstrengende Muskelanspannung kann 
es auslösen; bei Eile (Fays zit. Hamaide), bei Hitze und Kälte (Döjerine) 
wird es größer; Ughetti berichtet über einen Kranken, dessen Tremor während 
des ganzen Monats, den der Patient in einer Höhe von 1800 m zu brachte, 
stärker war. 

Dieser Tremor wurde familiär und hereditär beobachtet; die Heredität 
ist hier similär und sowohl in der männlichen als auch in der weiblichen Linie 
vorhanden; in seltenen Ausnahmen werden eine (Debove) oder gar zwei 
Generationen (Hamaide) übersprungen. Hierbei ist die Lokalisation in ein 
und derselben Familie nicht dieselbe. Angesichts des bekannten Einflusses ver¬ 
schiedener Umstände auf die Heredität darf es nicht wundemehmen, daß weder 
bezüglich des Beginnes noch bezüglich der Intensität der Affektion eine Regel¬ 
mäßigkeit besteht. Es läßt sich nicht behaupten, daß der Tremor bei den 
Deszendenten intensiver wird. In vielen Familien wird der Tremor in der Des¬ 
zendenz häufiger. Es gibt Fälle, in denen beide Ehegatten aus zittrigen Familien 
stammten. Wir können einige schöne Beispiele anführen. 

(In den Stammbäumen bedeuten die Quadrate Männer, die Kreise Frauen; 
die ausgefüllten Quadrate und Kreise bedeuten die zitternden Individuen; 
die Kreuze bedeuten Kinder ohne Angabe des Geschlechtes, die bald gestorben 
sind; wo das Geschlecht bei nicht zitternden Kindern nicht angegeben ist, mache 
ich einen Strich.) 



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11* 





164 


Erster Teil. 




• • 


Aus den Familiengeschichten einiger Fälle erfahren wir, daß die Eltern 
der ersten zitternden Generation Alkoholiker waren (Liögey: ein Säufer mit 
Tremor hatte 3 zitternde Töchter, von denen eine den Tremor an 3, die zweite 
an 2 Kinder vererbte; Roche 4 Fälle: Säufer mit Tremor, die Tochter zittert 
und hat ein Kind, das seit der Geburt zittert; im Stammbaum Danas waren 
die beiden ersten Ahnen starke Säufer) oder starke Raucher (Rubens’ zweite 
Familie) oder leidenschaftliche Kaffeetrinker (im Stammbaume Regnaults 
konstatierte der Vater der letzten Kinder, ein Arzt, daß der Urgroßvater 15 
bis 20 Tassen Kaffee täglich trank). 





Idiopathisches Zittern. 


165 


Infolge der Unsicherheit derartiger anamnestischer Angaben kann man 
aber nicht konstatieren, inwieweit diese Intoxikationen mit der Heredität des 
Tremors in einem ursächlichen Zusammenhänge stehen. Noch schwieriger ist 
die Beurteilung solcher Fälle, in denen angegeben wird, daß die Mutter während 
der Schwangerschaft erschrocken sei und einen Tremor akquiriert habe, der 
bis zu ihrem Tode dauerte, während das Kind gleich von Geburt an zitterte 
(Li6geys zweite Familie). 

In der großen Mehrzahl der Fälle oder vielleicht mit geringen Ausnahmen 
bei allen Fällen findet man außer dem Tremor noch andere neurologische und 
psychische Anomalien. In manchen Familien finden wir deutliche Zeichen 
der psychischen Degeneration, in anderen nur unauffällige, aber doch sichtbare 
Charakteranomalien und zwischen diesen beiden Extremen quantitative Über¬ 
gänge. Eine besonders degenerierte Familie dieser Art ist z. B. die erste Familie 
Danas, deren Stammbaum oben angeführt ist. Der erste Ahne derselben war 
ein Potator; in der zweiten Generation gibt es zwei Geisteskranke, deren einer 
der Vater der folgenden Generation ist; in dieser dritten Generation, die aus 
9 Kindern bestand, die alle mit Zittern behaftet waren, gibt es einen Geistes¬ 
kranken, einen Potator, zwei Sonderlinge und zw'ei Frauen, die Männer heirateten, 
welche wahnsinnig wurden (bekanntlich verlieben sich Degenerierte gerne wieder¬ 
um in Degenerierte); in der vierten Generation gibt es zwei Geisteskranke, 
einen Säufer, eine epileptische Frau, die verheiratet war und 4 epileptische 
Kinder gebar (fünfte Generation). 

Gewöhnlich findet man bei den Kranken selbst kleine Charakteranomalien: 
Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Schüchternheit, Unentschlossenheit, Unverträglich¬ 
keit (Roche), Neigung zu Exzessen auch trotz hoher Intelligenz (Ughetti), 
neurasthenische Zustände, bei Geschwistern und Verwandten andere Nerven¬ 
krankheiten wie Fraisen, Basedowsche Krankheit (Raymond und S6rieux, 
Vigouroux), Hysterie, Psychosen (Bienvenu) oder Sonderlingtum, ticähnliche 
Bewegungen (Schmaltz, Mills). 

Mir fällt es auf, daß fast alle angeführten Familien eine große Anzahl von 
Kindern haben. 

Dieser essentielle Tremor geht in keine andere Krankheit über, ist dem 
„senilen“ Tremor nicht ähnlich und kann mit demselben nicht identifiziert 
werden. Er kann auch mit dem neurasthenischen Tremor nicht identifiziert 
werden, obwohl er mit den Erscheinungen der konstitutionellen, degenerativen 
Neurasthenie verwandt ist. 

Die Therapie dieses Tremors ist, obwohl es sich um eine unheilbare Form 
handelt, nicht resultatlos (Ray mond), noch erfolglos. Wenn der Tremor keinen 
hohen Grad besitzt, dann stört er weder die Ernährung, noch ist er im gesell¬ 
schaftlichen Leben hinderlich; aber er verursacht grobe Störungen, wenn er 
entfesselt ist. Daher ist es von Wichtigkeit, den Kranken zunächst psychisch 
zu beeinflussen, indem man ihn in ruhiger Weise über die Eigenschaften dieses 
Tremors, über den Einfluß, den ein fester Wille auf den Tremor ausüben kann 
(Ughetti), über den ungünstigen Einfluß großer Anstrengungen, des Alkohols, 
des starken Kaffees, der Exzesse in Venere aufklärt. Ferner ist für günstige 
hygienische WohnungsVerhältnisse zu sorgen. Die Gifte Skopolamin, Hyoszin, 
Atropin, Opium, Chloral, Strychnin wenden wir überhaupt nicht an, höchstens 
unterstützen wir die psychische Behandlung mit Bromkalium, Bromnatrium, 



166 


Erster Teil. 


Bromkampfer oder nach dem alten Rate Eulenbergs mit Injektionen von 0,14 
bis 0,20 Kalii arsenicosi in wässeriger Lösung einmal täglich. Wir machen den 
Kranken darauf aufmerksam, daß in Orten von über 500 m Seehöhe Verschlimme¬ 
rungen des Zitterns beobachtet wurden (Ughetti). 

Ich habe einige derartige Fälle registriert. 

1. Koll. M., 21 Jahre alt, mein Hörer, machte mich, als wir in einer Vorlesung 
den „physiologischen Tremor“ gesunder Menschen registrierten, darauf aufmerk¬ 
sam, daß seine Hände seit etwa einem Jahre zitterten, speziell bei Emotionen (Rigo¬ 
rosen) und wenn er sich beobachtet fühlt; das Zittern ist auf die Hände beschränkt 
und bei der Arbeit nicht hinderlich. Er überstand im 5. Lebensjahre Morbillen, 
im 11. Lebensjahre Diphtherie, im 15. Lebensjahre wurde ihm eine Halsdrüse exstir- 
piert, seit dem 18. Lebensjahre hatte er drei perityphlitische Anfälle, den letzten, 
schwachen Anfall vor einem Jahre, im 19. Lebensjahre überstand er eine trockene 



Pleuritis. Er trinkt höchstens % Liter Bier täglich und raucht 2—3 Zigarren wöchent¬ 
lich. Er ist sehr intelligent und zeigt keinerlei nervöse Anomalien. — Weder bei 
den Eltern, noch bei der um ein Jahr älteren Schwester hat er Zittern beobachtet. 
Dagegen hat ein 18jähriger Bruder einen ziemlich intensiven Tremor der oberen 
Extremitäten; doch raucht dieser bis zu 14 Zigaretten täglich. — Die Serie von 
Kurven zeigt einen deutlichen, rhythmischen Tremor von schwankender Intensität 
(,,Knoten“-Allorhythmie) und einer Frequenz von 10 Wellen in der Sekunde. Bei 
starker Muskelanspannung (wenn er den Griff des Apparates fest drückt) wird 
der Tremor bei gleichbleibender Frequenz und Regelmäßigkeit gröber (letzte Kurve 
unten) (Fig. 110). 

2. Ein 23 jähriger Friseur klagte darüber, daß er seit drei Jahren an Zittern 
der Hände leide, das ihm bei seinem Berufe hinderlich sei, da er sich beim Rasieren 



Fig. 111. 


nicht sicher fühle und die Leute sich vor ihm fürchteten, wenn sie sähen, wie das 
Rasiermesser in seiner Hand zittere. Das Zittern wurde nach dem Tode seiner Ge¬ 
liebten, der vor einem halben Jahre eintrat (Eclampsia gravidarum), schlimmer. 
Er rauchte früher bis zu 20 Sportzigaretten, gegenwärtig aber nur 4—5 Stück täglich. 
Hat nie viel getrunken. — Er hatte (Fig. 111) einen ziemlich gleichen und ziemlich 
groben Tremor von 8—9—9,5 Wellen in der Sekunde, den er willkürlich nicht unter¬ 
drücken konnte (III.), der sich bei Intention nicht in gröberer Weise änderte, manch- 





















Idiopathisches Zittern. 


167 


mal ein wenig intensiver wurde. Er hatte lebhafte Patellarreflexe. (In diesem Falle 
dürfte das Nikotin mitgewirkt haben.) 

3. Eine weitere Kurvenserie besitze ich von einem 20jährigen Fräulein, das 
darüber klagte, daß seine Hände zitterten (unbekannt, wie lange) und daß es schlecht 
aussähe, obwohl es sich gesund fühlte. Außer der wirklich schlechten Ernährung ließ 
sich nichts Krankhaftes konstatieren. Das Aussehen ähnelte dem einer Chloro- 
tischen. Das Zittern war am deutlichsten, wenn die Kranke Reohenexempel im 



Fig. 112. 

Kopfe löste; da sahen wir ein regelmäßiges, sehr schnelles Zittern von 12 Wellen 
in der Sekunde. Auch bei ihrem 24 jährigen Bruder konnten wir ein zartes Zittern 
der Hände registrieren. 

4. Ein 21 jähriger Konservatoriumsschüler * klagte über Zittern der Hände, 
das ihn beim Klavierspiel ein wenig hinderte. Der junge, etwas schwächliche Mann 
zeigte ein schwaches, regelmäßiges Zittern, das zeitweise größere Wellen aufwies 
und eine Frequenz von 10,5 Wellen in der Sekunde besaß (Fig. 112). Er war weder 
Trinker, noch Raucher, stammte aber aus einer degenerierten Familie. 

2. Idiopathischer (hereditärer), langsamer, dem senilen ähnlicher Tremor. 

a) Es handelt sich um eine seltene, aber gut beobachtete und beschriebene 
Form des idiopathischen Tremors, die die Ursache dafür war, daß der „senile“ 
Tremor da und dort mit dem idiopathischen Tremor überhaupt vermengt wurde; 
um einen rhythmischen, langsamen Tremor von 4—6 Wellen in der Sekunde, 
der entweder nur den Kopf, oder auch die oberen Extremitäten, die Lippen 
und die Zunge betrifft, der fortwährend anhält, bei statischer Innervation 
deutlicher wird, bei Intention unverändert bleibt oder gröber, nicht aber schwä¬ 
cher, bei Emotion oder nach schwerer Muskelanstrengung intensiver wird. Bei 
vollkommener körperlicher und geistiger Ruhe verschwindet er, ebenso im 
Schlafe. Wenn der Kopf zittert, ist das Zittern hier am ständigsten, in leichteren 
Fällen ist es in der Ruhe nur hier vorhanden (Delpeuch, zit. Hamaide). 
Auch wurde beobachtet, daß sich das Zittern des Kopfes nur bei Emotionen 
(Raymonds Patient beschrieben von Fays — in der These von Hamaide), 
das Zittern des Kinns nur in der Kälte (Cheylard) einstellte. 

Bei manchen Fällen wird angegeben, daß der Tremor seit der zartesten 
Kindheit bestand, bei anderen, daß er in der Pubertät oder noch später auftrat. 
Unter den von mir gesammelten Fällen wurde in zarter Kindheit ein langsamer 
Tremor nur am Kopfe beobachtet (diese Fälle führe ich unter b) separat an), 
während ein langsamer Tremor der Hände stets nur im späteren Alter konstatiert 
wurde; bezüglich der Kindheit bestehen nur anamnestische Daten. Ich selbst 
habe keinen derartigen Fall beobachtet, da aber die publizierten Fälle zerstreut 
sind, will ich alle Fälle, die ich in der Literatur vorfand, hier anführen. 

Charcot beschrieb 1887 einen 53jährigen Patienten, dem seit der Jugend 
die Hände zitterten, so daß ihm dies beim Schreiben hinderlich war; das Zittern 



168 


Erster Teil. 


näherte sich durch seine Wellenzahl dem senilen, bestand aber nicht am Kopfe. 
In ähnlicher Weise zitterten seine Mutter, deren Bruder und einige Vettern. 

Raymonds 52jähriger Patient, dessen Krankheitsgeschichte Ha maide 
publizierte, hatte seit seinem 9. Lebensjahre ein fortwährendes Zittern der Hände 
mit 4—5 Wellen in der Sekunde. Sein Vater zittere ebenso vom 30. Lebensjahre 
bis zu seinem im 71. Lebensjahre erfolgten Tode, die Mutter vom 40. Lebensjahre 
bis zu ihrem im 53. Lebensjahre erfolgten Tode und ein öOjähriger Bruder seit dem 
20. Lebensjahre. 

Vielleicht gehört auch Mitchels 22jähriger Student mit unwillkürlichen 
Bewegungen des Kopfes hierher. 

Hierher gehört auch ihrem Sinne nach die These, die Bienvenu im Jahre 
1902 publizierte, obwohl der Autor sich Mühe gab, seinen essentiellen angeborenen 
Tremor von dem senilen Tremor und zwar durch das Vorhandensein nystagmischer 
Augenbewegungen und durch das Fehlen des Kopfzittems scharf zu trennen. 
In der Irrenanstalt beobachtete er: 

Obs. I. Eine 66jährige Frau mit einem langsamen, regelmäßigen, fortwäh¬ 
renden Tremor der Hände, des Unterkiefers und des Kopfes; Bewegungen hatten 
keinen Einfluß auf den Tremor; dieser begann an den Händen im 17. Lebensjahre 
nach einem Streite und erst vor 5 Monaten am Kopfe und am Unterkiefer. Ihr 
Vater litt im Alter an Zittern; hat einen „senilen“ Tremor ohne Kopf bewegungen. 

Obs. II. Ein 34 jähriger Maniacus litt seit der Kindheit an Zittern der Hände. 
Der Autor fand einen langsamen Tremor von 4 Wellen in der Sekunde; an den 
Füßen war der Tremor imbedeutend; der Kopf zitterte nicht. Außerdem bestand 
Nystagmus. Der Tremor wurde bei Emotionen, bei Ermüdung, beim Gewitter 
intensiver. Die Mutter und deren Onkel zitterten, 4 Geschwister zittern seit der 
Kindheit. 

Pag. 27. Ein 60jähriger Mann, der seit der Geburt an den Händen zitterte, 
hatte einen Tremor von 5 Wellen in der Sekunde und bekam nach irgend einem 
plötzlichen Unglücksfall einen lateralen Tremor des Kopfes mit einer Frequenz 
von 3,5 Wellen in der Sekunde, der sodann bis zum Tode dauerte. 

Von den 12 von ihm beobachteten Fällen von „senilem“ Tremor zitterten 

2 Patienten an den Händen seit der Kindheit, obwohl nur im Zorn oder bei Gewitter. 

Ferner zitiert der Autor hierher gehörende Fälle, die von Achard, der 
die Identität dieses Tremors mit dem senilen verkündete, und dessen Schülern 
Raynaud und Soupault beobachtet wurden. 

Ein 31 jähriger Patient, dessen Vater an Zittern litt, hat seit der Kindheit 
einen langsamen rhythmischen Tremor der oberen Extremitäten, nicht des Kopfes. 

Ein 56jähriger Patient, dessen Mutter seit jeher zitterte und dessen Bruder, 
ein Alkoholiker, seit dem 30. Lebensjahre zitterte, hat einen ähnlichen Tremor, aber 
auch am Unterkiefer. 

Ein 47 jähriger Mann hatte nach einem im 30. Lebensjahre erlittenen Unfall 

3 Jahre einen regelmäßigen Tremor der Hände; im 38. Lebensjahre zitterte er nach 
einem überstandenen Typhus neuerdings und diesmal gesellte sich ein Tremor des 
Kopfes hinzu. Sein Vater zitterte am Kopfe seit seinem 40. Lebensjahre, ebenso 
eine Schwester und ferner eine Tante väterlicherseits und zwar seit ihrem 30. Lebens¬ 
jahre. 

Ein 66jähriger Mann hatte einen „senüen“ Tremor der Hände und des Kopfes 
seit dem 41. Lebensjahre; derselbe w*ar nach finanziellen Verlusten entstanden 
und war manchmal intensiver und dann wieder schwächer. 

Eine 70jährige Frau, deren Mutter seit ihrer Verheiratung einen ähnlichen 
Tremor hatte und deren Brüder ebenfalls zitterten, litt seit dem 15. Lebensjahre 
an einem leichten Tremor der oberen Extremitäten und des Kopfes. Im 30. Lebens¬ 
jahre zitterte sie nach großen Kümmernissen so sehr, daß sie das Bett hüten mußte. 
Während der folgenden 14 Jahre wurde das Zittern immer schwächer, bis es fast 
vollkommen verschwand. Nach weiteren 12 Jahren wiederholte sich das Zittern 
infolge neuerlicher mißlicher Verhältnisse in einer solchen Intensität, daß sie nicht 
einmal ordentlich essen kann. Der Tremor ist langsam, regelmäßig. 



Idiopathisches Zittern. 


169 


(Ferner zitiert er aus der These Bourgarels über den senilen Tremor zwei 
Fälle, in denen der Tremor der Hände seit der Kindheit bestand, während das Zittern 
des Kopfes erst im Alter auftrat. Es sind dies wohl die Fälle XXXIV. und XXXV. 
Doch ist nur der erste hereditär und auch bei diesem ist es nicht ganz klar, ob das 
Kopfzittem später auftrat oder ob es schon seit der Jugend bestand. Der zweite 
Fall hat den Charakter des „senilen“ Tremors.) 

Von seinen weiteren Beobachtungen gehören hierher: 

Obs. XIII. Ein 35jähriger, aus (väterlicherseits) neuropathischer Familie 
stammender Paranoiker litt seit der Kindheit an Zittern der Hände. Der Autor 
konstatierte einen Tremor von 4 Wellen in der Sekunde mit Verstärkung bei der 
Emotion und Nystagmus in extremen Positionen. 

Obs. XIV. Eine 34jährige Patientin mit maniakalisch-depressivem Irresein 
hatte seit der Kindheit einen regelmäßigen, langsamen Tremor der Hände mit Ver¬ 
stärkung bei Emotion und Ermüdung. Der Kopf zitterte nicht. Deutlicher Nystag¬ 
mus. Die Mutter litt an einem ähnlichen Tremor seit ihrer Jugend. 

Obs. XV. Eine 60jährige paranoische Frau, deren Großvater und Mutter 
seit der Jugend zitterten, hatte seit der Kindheit einen regelmäßigen, langsamen 
Tremor der Hände und der Finger, nicht des Kopfes und Nystagmus. 

Obs. XVI. Ein 30jähriger, hereditär schwer belasteter Arzt hatte seit der 
Jugend einen Tremor der Hände, der eine Frequenz von 4—5 Wellen in der Sekunde 
besaß, bei Ermüdung und Emotion sehr grob war und sich auf die unteren Extremi¬ 
täten, die Lippen und die Zunge ausbreitete. Die Funktionen der ergriffenen Organe 
hatten sehr gelitten. Der Patient war ein schwerer Neuropath. 

Obs. XVII. 29jähriger Mann; der Urgroßvater zitterte; war nervös, sehr 
reizbar, hatte seit der Jugend einen Tremor der Hände und der Finger mit 4 Wellen 
in der Sekunde, der bei Ermüdung und Emotion sehr grob wurde, und einen Nystag¬ 
mus, der besonders bei Ermüdung der Augen sehr intensiv war. 

In diese Gruppe gehören auch alle 3 Fälle aus der These Cheylards. 

Eine 20 jährige Patientin hatte seit zarter Jugend ein langsames Zittern der 
oberen Extremitäten, das sich bei Ermüdung und Emotion verstärkte und auf die 
Zunge ausbreitete. In der Familie trat das Zittern bereits in der 4. Generation auf. 
Bei dem 45 jährigen Vater konstatierte der Autor einen ähnlichen Tremor der Hände. 

Ein 22jähriger, aus einer arthritischen Familie stammender Mann, dessen 
Vater, Schwester und Tante ebenfalls zitterten, hatte seit der Jugend einen langsamen 
Tremor der oberen Extremitäten, der durch Ermüdung und Emotion verstärkt wurde; 
auch der Unterkiefer zitterte, aber nur in der Kälte. 

Schließlich müssen wir den Fall von Ivanov mit 5 Wellen in der Sekunde 
und einige Fälle von „senilem“ Tremor aus der Arbeit von Demange und 
Thöbeault hierher rechnen, bei denen eine similare Heredität nachgewiesen 
wurde. 

b) Hierher rechne ich nur dem äußeren Aussehen nach, weil nämlich der 
Kopf zitterte, einige Fälle, die ihrer Natur nach eigentlich schon unter die 
organischen Zitterformen der letzten Gruppe gehören. Sie wurden von Peli- 
zaeus, Raymond, Lenoble, Hirsch beschrieben. 

Pelizaeus beschrieb im Jahre 1885 eine Familie, in der 5 Mitglieder, 
die 4 Generationen angehörten, mit schweren, der Herdsklerose nahestehenden 
Gehimveränderungen, mit Schwachsinn und Blindheit behaftet waren. Eines 
derselben, das an spastischer Paraplegie, erhöhtem Muskeltonus auch an den 
oberen Extremitäten, Sprachstörungen und angeborenem Nystagmus litt, hatte 
seit dem 4. Lebensmonat unwillkürliche Zitterbewegungen des Kopfes, die im 
5. Lebensjahre wieder aufhörten. 

Raymond und Ce st an beobachteten 1901 ein sonst gesundes Mädchen 
aus einer nicht zitternden Familie, das seit der Geburt einen mittelschnellen 



170 


Erster Teil. 


Tremor des Kopfes im Sinne der Negation hatte; im Jahre 1905 beobachteten 
sie einen analogen isolierten Negationstremor des Kopfes bei einem 7 Monate 
alten Kinde aus einer nicht zitternden Familie. 

Le noble und Au bi ne au studierten bei Kindern das Zittern und den 
Nystagmus und beschrieben im Jahre 1902 ein 3 Monate altes Kind, das seit 
dem 15. Lebenstage an einem Negationstremor litt, der in der Ruhe, nicht bei 
Intention vorhanden war; es war unter 7 Geschwistern das jüngste Kind; das 
4. Kind hatte ein ähnliches Kopf zittern und starb an einer Gehirnhautentzündung 
nach epileptischen Krämpfen; der Vater und der Bruder der Mutter waren von 
Geburt an blind. Ferner beobachteten sie unter 4 Fällen von einfachem ange¬ 
borenem Nystagmus einen 12 jährigen Knaben mit „pendulärem“ Kopftremor, 
der von Geburt an vorhanden war; unter 2 Fällen von angeborenem Nystagmus 
mit gesteigerten Reflexen einen 17 jährigen Jüngling mit „pendulären Oszilla¬ 
tionen“ des Kopfes und angedeutetem Klonus; unter 4 Familien, in denen 
mehrere Mitglieder an angeborenem Nystagmus litten, hatten in der 2. Familie 
2 und in der 3. von 5 behafteten Mitgliedern 3 außerdem noch penduläres 
Kopf zittern. 

Hirsch beobachtete bei einem Kinde nach einem Trauma Nystagmus 
und penduläres Kopf zittern. 

Diese Zitterformen, und speziell die erste, sub a) angeführte Gruppe, lassen 
sich von dem sogenannten senilen Tremor klinisch schwer trennen. Auch der 
senile Tremor kann ebenso wie andere Nervenkrankheiten erblich auftreten, 
er kann in Familien Vorkommen, in denen der sog. essentielle hereditäre Tremor 
herrscht (Bienvenu S. 28), er kann ebenfalls im zarten Alter auftreten, anderer¬ 
seits aber kann der kongenitale Tremor auch im späteren Alter am Kopfe oder 
am Unterkiefer auftreten, so daß die klinischen Unterschiede der beiden Formen 
verwischt werden. 


3. Idiopathischer Intentionstremor. 

Es sind mehrere Fälle beschrieben worden, wo der Intentionstremor bei 
Kranken auftrat, ohne daß bestimmte Sekundärerscheinungen vorhanden ge¬ 
wesen wären, die die Diagnose irgend einer bekannten Nervenkrankheit ge¬ 
stattet hätten. Deswegen spricht man von einem essentiellen Intentions¬ 
tremor. 

Hierher dürfen nicht jene Fälle gezählt werden, in denen ein einfacher 
essentieller Tremor durch gewisse intendierte Bewegungen, wahrscheinlich unter 
dem Einflüsse einer psychsichen Erregung (Ughetti, Häbler), dem diese 
Kranken sehr unterworfen sind, bedeutend verstärkt wurde. 

Die hierher gehörenden Fälle müssen kasuistisch behandelt werden, da 
sie weder was die Form, noch was das Wesen anbelangt, gleich sind. 

N agy beschrieb im Jahre 1890 eine Familie, in der es unter 41 Mitgliedern, 
die 5 Generationen angehörten, 19 Zitterer gab (siehe die genealogische Tafel). 
Bei allen begann der Tremor im schulpflichtigen Alter, vor der Pubertät, stets war 
er am heftigsten an den Händen, selten am Kopfe vorhanden und nur 3 hatten 
Störungen des Ganges. Eine bestimmte Neurose war in keinem Falle deutlich aus¬ 
geprägt. Sie verfielen leicht in Lachen oder Weinen. Zumeist war der Tremor 
jenem ähnlich, der bei Ermüdung und im Affekt auftritt, aber bei einigen bestand 
deutlicher Intentionstremor. Drei Mitglieder, die Trinker waren, zitterten weniger. 



Idiopathisches Zittern. 


171 


Nagy beobachtete zwei Geschwister, von denen er eines, ein 20jähriges Mädchen, 
näher beschrieb. Dieses litt an Chlorose, an vasomotorischer Erregbarkeit (Blut¬ 
wallungen), an Nystagmus in extremen Positionen, an Parästhesien der linken Ober¬ 
extremität; rechts war Patellarklonus angedeutet, der Achillessehenreflex und die 
Bauchreflexe fehlten; der übrige neurologische Befund war normal. Diese Patientin 
hatte seit der Kindheit einen deutlich ausgeprägten Intentionstremor, so daß sie 
weder nähen, noch schreiben, noch einen Knoten knüpfen oder einen Knopf schließen 



konnte. Später zitterten auch die Füße, das Gehen wurde beschwerlich und auch 
der Kopf machte rotatorische Bewegungen. Arsen und Chloralhydrat blieben trotz 
einmonatlicher Anwendung erfolglos. Sie war stets heiter gelaunt und brach oft 
in Lachen aus. 

Graupner beschrieb 1899 eine Familie, deren Eltern nichts Pathologisches 
aufwiesen. Bei 3 Kindern trat Tremor auf, 3 Kinder zeigten keine Anomalie. Nach 
einem der Behafteten erbte ihn von 5 Kindern eine Tochter, während deren übrige 
Geschwister gesund blieben. Der Autor hat alle 4 behaftete Mitglieder beschrieben; 

1. Der 76jährige Mann zittert seit 40 Jahren. Das Zittern war um das 50. 
Lebensjahr am intensivsten, war ursprünglich nur an den oberen Extremitäten, 
später auch an den unteren Extremitäten und am Rumpfe vorhanden. In der 
Ruhe fehlte es, bei Intention war es mächtig und hatte eine Frequenz von 3 y 2 —4 y 2 
Wellen in der Sekunde; die einzelnen Zuckungen waren imgleich, die Unterarme 
vollführten Pronationen und Supinationen, die Schultern zuckten; am wenigsten 
beteiligt waren die Hände. Der Kopf zitterte nicht. Die Reflexe waren nicht ge¬ 
steigert. 

2. Der 74jährige Mann, Bruder des vorangehenden Patienten, bietet das¬ 
selbe Bild dar, nur waren manchmal derartige Bewegungen des Rumpfes vorhanden, 
daß der Kranke nicht stehen konnte. 

3. Die 45jährige Tochter des ersten Patienten. Das Zittern ist weniger 
intensiv, besteht seit der Kindheit, ist nur an den oberen Extremitäten vorhanden; 
die unteren Extremitäten ermüden leicht. 

4. Die 72jährige Schwester der beiden ersten Patienten beobachtete im 
54. Lebensjahre bei der Intention ein Zucken in den mimischen Muskeln, dann Zittern 
der Zunge und des Unterkiefers. Allmählich entwickelte sich ein Tremor der Zunge 
und des Unterkiefers in der Ruhe, der bei Intention heftiger wurde. Erst im Vor¬ 
jahre gesellte sich ein Intentionstremor der Hände zu dem Tremor des Unterkiefers 
hinzu und hatte eine Frequenz von Sy 2 —4% Wellen in der Sekunde. Reflexe und 
der übrige neurologische Befund normal. Vor dem Tode, der infolge von Herz¬ 
schwäche ein trat, verschwand das Zittern allmählich. Der Autor hält diesen Fall 



172 


Erster Teil. 


für eine Kombination der Parkinsonschen Krankheit mit dem beschriebenen 
Tremor. 

Antony demonstrierte 1899 einen 22jährigen Kranken, der seit 15 Jahren 
an Tremor der rechten Hand litt; derselbe verstärkte sich bei der Intention, gestattete 
aber dem Kranken zweckmäßige Bewegungen; außerdem zeigte der Patient eine 
Gesichtsfeldeinschränkung und geringe Anästhesien. Jede Therapie blieb erfolglos. 
Die Mutter des Kranken war Trinkerin und schwachsinnig. 

Minkowski beschrieb im Jahre 1901 einen Fall, bei welchem ein Intentions¬ 
tremor im 30. Lebensjahre auftrat und als einziges Krankheitssymptom bis ins 
Alter progressiv zunahm. 

Brissaud und Grenet beobachteten 1904 bei einer 58jährigen Frau nach 
einer zweijährigen, schmerzhaften Affektion des linken Ellbogengelenks, die sie 
als luetische Osteoarthritis bezeichneten, einen allmählich beginnenden Intentions¬ 
tremor der linken Oberextremität, der im Ruhezustände kaum merklich war, bei 
Intention groß wurde und eine Frequenz von 2,5 Wellen in der Sekunde besaß, 
bei Emotion heftiger wurde und bei Nacht verschwand. Bei Emotionen, bei an¬ 
strengender Arbeit der linken Hand erscheint in der letzten Zeit auch an der rechten 
Hand ein ganz kleiner, aber analoger Tremor. Außer Neigung zu Emotionen be¬ 
standen keine neuropathologischen Erscheinungen. 

Bergamosco beobachtete 1907 ebenfalls einen sicheren Intentionstremor 
mit Nystagmus, ohne gesteigerte Reflexe, ohne hereditäre Belastung. 

Dromard beschrieb 1908 einen seit dem 40. Lebensjahr bestehenden pro¬ 
gressiven Intentionstremor als einziges Krankheitssymptom. 

Raymond demonstrierte in demselben Jahre in der Soc. de neurol. ein Paar 
Fasanen. Sie stammten von Eltern, die Geschwister waren, aber nicht zitterten. 
Die älteren Geschwister waren dekoloriert, zitterten aber ebenfalls nicht. Beide 
zittrigen Fasanen waren unfruchtbar. Sie hatten ein Zittern des ganzen Körpers 
mit Ausnahme des Kopfes; dasselbe erfolgte in vertikaler Richtung und hatte eine 
mittlere Frequenz. Bei Intention, speziell bei schnellen Bewegungen, wurde das 
Zittern so heftig, daß es an Sklerose erinnerte. Im allgemeinen bestand weder 
Inkoordination, noch Ataxie, noch irgend ein anderes Krankheitssymptom. Eine 
Ursache konnte nicht gefunden werden. Das Zittern bestand seit dem Momente, 
da sie aus dem Ei schlüpften. 

M. Meyer publizierte in seiner Dissertation zwei eigene Fälle und einen Fall 
Kaufmanns; alle stammten aus der Klinik Erbs. Der letzte Fall ist typisch: 
Ein 57 jähriger, aus gesunder Familie stammender Mann bekam vor 9 Jahren all¬ 
mählich Tremor und Unsicherheit der Finger, so daß er seine Beschäftigung, die 
im Rollen von Zigarren bestand, nicht mehr ausüben konnte. In der Ruhe zitterte 
er nicht. Der Tremor nahm an Intensität zu, so daß er seit 3 Jahren nur in der 
Weise essen und trinken konnte, daß er, um den Inhalt des Gefäßes nicht zu ver¬ 
schütten, dieses mit beiden Händen festhielt. Seit einem Jahre besteht der Tremor 
auch an den Füßen, doch kann der Patient gehen. Vor 6 Wochen bekam er einen 
Schwindelanfall mit einem kurz dauernden Bewußtseinsverlust; seitdem ist da« 
Zittern stärker, so daß der Patient nicht lange herumgehen kann. Die grobe Muskel¬ 
kraft war erhalten, in der Ruhe bestand kein Tremor, bei statischer Innervation 
ein geringfügiger, bei intendierten Bewegungen war Schwanken vorhanden; an den 
Füßen war dieses gering. Die Patellarreflexe lebhaft, sonst keine Veränderungen. 

Der Fall Kaufmanns betrifft einen 41jährigen Landstreicher; seit dem 
3. Lebenjsahre besteht Zucken in der Muskulatur des Halses und des Schulterblattes, 
weniger in jener des Rumpfes und der Extremitäten; dasselbe ist teils koordiniert, 
teils ohne lokomotorischen Effekt. Zugleich besteht ein Intentionstremor, den er 
willkürlich für einen Augenblick unterdrücken kann, aber nachher ist das Zittern 
um so heftiger. Der Tremor ist besonders intensiv, wenn sich der Kranke beobachtet 
fühlt. Im Schlafe zittert der Kranke nicht. Sonst ist das Nervensystem normal. 
Er ist psychopathisch schwer belastet. 

Der erste Fall Meyers ist seiner ausgezeichneten Beschreibung nach in die 
Gruppe der Myoklonien zu zählen und zwar wenn auch nicht zum Paramyoklonus 
multiplex Friedreich, so doch zu einer diesem nahestehenden Form. 



Idiopathisches Zittern. 


173 


Es handelte sich um einen 52jährigen, aus gesunder Familie stammenden 
Mann, der nach einer im 3. Lebensjahre überstandenen Pneumonie mit Enzephalitis 
imregelmäßige Muskelzuckungen, zumeist in der Umgebung der Wurzeln der Extre¬ 
mitäten zeigte; manchmal zuckte es auch im Gesichte; das Zucken verhinderte stets 
intendierte Bewegungen. Um das 13. Lebensjahr lag er in der Erbschen Klinik 
und bot damals das typische Bild des Paramyoklonus dar, der bei Bewegungen 
an Intensität verlor. Später traten die Muskelzuckungen mehr symmetrisch auf 
und nahmen bei Intention an Intensität zu; der Autor zählt sie daher zu dem 
idiopathischen Intentionszittem, obwohl sie nicht den Charakter des Zitterns an 
sich tragen. (S. 13: Sehr auffallend ist das fortwährende Zittern und Zucken, 
das wie beim Schütteltremor den ganzen Körper betrifft. Vorwiegend schüttelt die 
rechte Seite und zwar ist der Charakter der Zuckungen kurz und betrifft symmetrische 
Muskeln in ihrer Totalität, so daß man entschieden an die Paralysis agitans erinnert 
wird .... Die Strecker und Beuger am Ober- und Unterarm beschrieben in toto 
kurze, mehr blitzartige Zuckungen ohne lokomotorischen Effekt.) 

Ähnlich ist der Fall Kalthoffs in dessen Dissertation vom Jahre 1889. 
Ein 36jähriger Mann konnte seit dem 12. Lebensjahre nicht schreiben und hatte 
seit dem 13. Lebensjahre einen unaufhörlichen und sich nicht ändernden Temor 
der Hände. Der Autor sah klonische Zuckungen der Adduktoren und Abduktoren 
der Skapula, der Flexoren und Extensoren des Vorderarms und ähnliche, aber 
schwächere Bewegungen am Kopfe und an den unteren Extremitäten. Seit zwei 
Jahren hat der Kranke ein schlechtes Gedächtnis und H ambeschwer den. Er hatte 
eine Hypalgesie der oberen Extremitäten, gesteigerte Patellarreflexe, sonst keine 
Symptome. Der Vater war ein schwerer Alkoholiker. 

Alf. Fuchs beobachtete eine Familie, deren Vater, ein 60jähriger Mann, 
seit dem 8. Lebensjahre eine Schwäche der Füße, seit dem 45. Lebensjahre auch eine 
solche der Hände und Tremor in der Ruhe und bei Intention ohne Muskelparese 
auf wies. Seine 30 jährige Tochter hat einen progressiven Intentionstremor, seine 
43jährige Tochter leidet an einem imgeheueren Intentionstremor und kann nicht 
gehen. Der Autor fügt hinzu, daß eine Diagnose unmöglich war. Bei allen be¬ 
gannen die krankhaften Erscheinungen an den Füßen mit einer Parese im Bereiche 
des Peroneus vor der Pubertät. Die Intelligenz war normal. Es bestand keine Er¬ 
krankung der Harnblase. 

Neisser (1906) beobachtete einen 10jährigen Knaben mit einem enormen 
rhythmischen Tremor der Hände, besonders dann, wenn er einen Gegenstand er¬ 
fassen sollte. Auch die Zunge zitterte. An den unteren Extremitäten waren Spasmen 
und gesteigerte Patellarreflexe vorhanden. Sein Vater, ein 54jähriger Mann, hat 
dasselbe Leiden, war aber als Soldat ein guter Schütze. Der Vater seines Vaters 
zitterte auch, aber erst im späteren Alter. Der Tremor begann also in den späteren 
Generationen in immer früherem Alter. 

Aus diesen Beschreibungen ist zu ersehen, daß es sich da durchwegs um 
Fälle handelte, die symptomatologisch der disseminierten Sklerose, der Pseudo¬ 
sklerose nahestehen, von denen bei der disseminierten Sklerose im Nachtrage 
zu IX. A. die Rede war. 

Auch hier finden wir oft Heredität und zwar mehr oder weniger die similäre 
Form (hierher gehört die Publikation von Nagy-Pelizaeus, aus dem Jahre 
1885 — 5 Mitglieder einer Familie hatten dieselbe Krankheit, wahrscheinlich 
dis8eminierte Sklerose, aber ohne Tremor, nur ein Mitglied schüttelte mit dem 
Kopfe vom ersten Vierteljahre seines Lebens, aber auch dies hörte im 5. Lebens¬ 
jahre auf) oder bei dem gleichen klinischen Bilde nur die familiäre Form; aber 
es kann die Heredität auch vollkommen fehlen. 

Die Benennung dieser Gruppe ergibt sich von selbst: idiopathischer 
Intentionstremor. 

In Meyers Bezeichnung: essentielles idiopathisches funktionelles Inten- 
tionszittem ist das Adjektivum funktionell besser wegzulassen. 



174 


Erster Teil. 


Hier ließe sich auch der Fall von Kulcke (Roche 51—52) einfügen, ob¬ 
wohl dort gesagt wird, daß der Patient kein Intentionszittem hatte. 

Es handelte sich um einen 21jährigen Mann, dessen Schwester viele Jahre 
zitterte. Seit dem 18. Lebensjahre hatte er Zittern der rechten Oberextremität 
am Morgen und bei Erregungen. Dann verschwand der Tremor und erst als der 
Patient den Militärdienst antrat, begann die Hand wieder und auch der rechte 
Fuß morgens und abends nach anstrengenden Übungen zu zittern. Er hatte ein 
rasches, feines Zittern, speziell am rechten Unterarm mit Abnahme der motorischen 
Kraft, an der rechten Unterextremität ebenfalls eine Schwäche und einen groben 
Quadrizepsklonus. Der Achillessehnenreflex und der Fußklonus ließen sich nicht 
auslösen. Die Sprache war „etwas leise“. Beim Erfassen von kleinen Gegenständen, 
wie Nadeln, ferner beim Trinken tritt das Zittern stark hervor. 

Auch hier liegt die Verwandtschaft mit beginnender Skleroße auf der 
Hand. 

4. Idiopathischer kombinierter Tremor« 

Hierher zählen wir solche Fälle, die mit anderen Symptomen einer ernsten 
Läsion des Zentralnervensystems kompliziert sind. 

Vielleicht gehört Nagys dritte Familie hierher ; leider konnte ich mir 
die betreffende Publikation (Americ. Joum. of med. 1887, Nr. 188) nicht ver¬ 
schaffen; vielleicht auch der Fall von Kalt hoff, obwohl er dem Paramyoklonus 
näher steht. (Siehe die vorangehende Gruppe.) 

Die übrigen Fälle haben das Zittern durchwegs von Geburt oder von 
zartester Jugend. 

Vautrins Patient (Roche, S. 32) hatte einen hereditären Tremor des ganzen 
Körpers mit Ausnahme des Kopfes, bestehend aus kleinen, langsamen Schwingungen 
in der Ruhe und im Schlafe, die bei Ermüdung und Aufregungen intensiver waren, 
aber keinen Intentionscharakter besaßen. Der Kranke hatte morphologische Ano¬ 
malien der Zähne, der Ohrmuscheln; er war imbezill und melancholisch und litt an 
H aminkontinenz. 

Achards 19jähriger Patient hatte seit der Kindheit feine Oszillationen der 
linken oberen und kaum merkliche Oszillationen der rechten oberen Extremität; 
vor kurzer Zeit hatte er an der linken Oberextremität choreiforme und athetotische 
Bewegungen; er hatte ferner eine skandierende Sprache, geringe Intelligenz, einen 
blöden Gesichtsausdruck und bekam häufige kurz dauernde Anfälle von Bewußt¬ 
losigkeit. Ein Bruder, der Vater und der Großvater litten seit der Jugend an Zittern 
des Kopfes und der Hände, zwei Brüder starben an Krämpfen. 

Lab bös Patient hatte außer einem angeborenen einseitigen Tremor atheto - 
tische Bewegungen, gesteigerte Reflexe auf derselben Seite, epileptische Anfälle und 
zahlreiche Degenerationszeichen. 

Cestans Patientin (Roche) litt seit der Blindheit an Tremor des ganzen 
Körpers. Sie erlernte nicht das Schreiben. Der Autor fand ein rasches Hände¬ 
zittern, das von der Intention nicht beeinflußt wurde; außerdem hatte sie epüeptische 
Anfälle und fibrilläres Flimmern der Rumpfmuskulatur, der Deltoidei und der Brust¬ 
muskeln; sie hatte einen paralytischen Pes equinus rechts seit dem 13., links seit 
dem 48. Lebensjahre, gesteigerte Patellarreflexe; sie litt ferner an Alkoholismus, 
Arteriosklerose und chronischer Nephritis und als sie an Apoplexie starb, fanden 
sich außer einer chronischen Lumbalpoliomyelitis zahlreiche hämorrhagische Herde 
im Gehirn und zwar im hinteren Anteil beider innerer Kapseln, in der Rinde der 
rechten Hemisphäre und etwa 10 kleine Herde im Pons. — Die Patientin stammte 
aus einer schwer degenerierten Familie: der Vater war Säufer, Somnambule, zitterte 
und erlag im 44. Lebensjahre dem Saturnismus (Maler); die Mutter zitterte, hatte 
„Nervenkrisen“ und starb im 66. Lebensjahre an Apoplexie; zwei Brüder litten 
seit der Jugend an universellem Tremor und starben beide an Apoplexie; ihre ersten 
7 Kinder starben an Krämpfen, das 8. Kind ist sehr nervös und hat einen univer¬ 
sellen Tremor. 



Seniler Tremor. 


175 


Roche I. Ein 4jähriges Mädchen, hat von Geburt an ein rasches, kleines, 
regelmäßiges Zittern der Extremitäten, das in der Kälte und bei Aufregungen sehr 
grob wird und bei gespannter Aufmerksamkeit verschwindet, außerdem Symptome 
der pseudohypertrophischen Muskelatrophie, an der zwei Schwestern gestorben 
sind; die Mutter litt in der Jugend an Epilepsie, eine Schwester starb an Krämpfen. 

Roche II. 17jähriger Jüngling, weiß von seinem Händetremor seit der 
Schulzeit; derselbe ist besonders beim Schreiben und bei Aufregungen vorhanden; 
in der Ruhe zittert der Kranke nicht; beim Essen hindert das Zittern nicht. Er 
hatte beim Lachen klonische Zuckungen der Mundmuskulatur, beim Schließen der 
Augenlider überdauerte die Zusammenziehung der Muskeln die Intention, beim 
Anziehen der Beinkleider entstanden spastische Wadenkrämpfe; die Patellarreflexe 
waren gesteigert; an den Unterextremitäten waren spastische Symptome vor¬ 
handen. 

Vielleicht gehört auch einer von den Patienten des Pelizaeus hierher, die 
seit der Geburt an Nystagmus, Muskelstarre und später an Sprachstörungen litten; 
einer derselben hatte vom 4. bis zum 5. Lebensjahre Schüttelbewegungen des 
Kopfes. 

Außer dem ersten Falle Koches besteht bei allen übrigen der Verdacht 
auf eine der sogenannten diffusen Sklerose nahestehende Gehimaffektion. 

Lewandowsky beschrieb einen 27jährigen, schwachsinnigen, von einem 
Alkoholiker als Vater abstammenden Kranken, der ein dem Tremor bei der Paralysis 
agitans analoges Zittern ohne Rigidität und ohne typische Position der Hände be¬ 
saß. Das Zittern schwächte sich bei Intention ab, verschwand im Schlafe und bei 
Ruhe vollkommen und verstärkte sich in der Erregung. Symptome für Hysterie 
bestanden nicht. Außerdem hatte der Kranke einen Krampf der kleinen Fußmuskeln 
im Sinne von rasch sich wiederholenden Flexionen und Extensionen nach Ermüdung, 
nach elektrischer Reizung in der Kniekehle. Die Sehnen- und Periostreflexe 
fehlten, die Hautreflexe waren normal. Es bestand weder Hypotonie, noch Ataxie, 
noch eine Sensibilitätsstörung. 


X. B) Seniler Tremor. 

Kopfschütteln. 

Bei Greisen tritt manchmal ein ziemlich charakteristisches Zittern auf, 
ohne daß irgend ein anderes krankhaftes Symptom oder überhaupt irgend eine 
andere Ursache vorhanden wäre; wir bezeichnen dieses Zittern als Alterszittem, 
Tremor senilis. Wir verstehen darunter einen Tremor, der im vorgeschrittenen 
Alter allmählich in der Hals- und Nackenmuskulatur, sowie an den oberen 
Extremitäten beginnt (Romberg 1851). Der Kopf zittert entweder um die 
Vertikalachse von einer Seite zur anderen (Negationstremor) oder um die 
horizontale Querachse (affirmativer Tremor nach Sanders 1868) oder, 
wie ich einmal beobachten konnte, um die horizontale Sagittalachse (wie bei dem 
mimischen Ausdruck des Z w e i f e 1 n s). Auch die Lippen bewegen sich rhythmisch, 
wie wenn man leise betet oder Brosamen kaut (Demange 1875, Dowse, 
Debove) oder wie bei dem phenomene de la bouche de lapin (Breillot). Die 
Zunge bewegt sich bei geöffnetem Mund rhythmisch von vom nach hinten. 
Auch am Unterkiefer tritt dieser Tremor auf, selbst isoliert (Bourgarel in den 
Fällen 8., 9., 10.). Das Zittern der Lider und des Unterkiefers kann beim Sprechen 
stören, so daß die Kranken stottern und oft absetzen (Fischer). 

Gleichzeitig mit dem Kopfzittem oder später, seltener früher, beginnen die 
Hände bei leichter Anspannung oder bei feiner Arbeit zu zittern; doch geht das 
Händezittern nicht mit einer besonderen Stellung der Finger einher. In den 



176 


Erster Teil. 


Anfangsstadien konnten manche Patienten nähen, doch ließ sich dies nur ana¬ 
mnestisch sicherstellen (Bourgarel). Selten geht das Zittern auf die Füße über, 
in welchem Falle es dann beim Gehen störend wirkt. Selten fehlt es am Kopfe. 
(Bourgarel, observ. 36, 37, 38, 39, 40, 41, 49.) 

Wenn sich der Kranke im Zustande vollkommener Ruhe befindet und 
wenn der Kopf ruhig auf dem Polster liegt, zittert er nicht; jedoch erscheint das 
Zittern sofort bei einer Bewegung, ja sogar bei der bloßen Absicht, sich zu be¬ 
wegen (Räcle 1859). Das Händezittern läßt sich nicht willkürlich unter¬ 
drücken, höchstens ein wenig einschränken; bei Ablenkung der Aufmerksamkeit 
wird es schwächer, bei Intention gröber, hat aber nicht den Charakter des 
Intentionszittems (Fischer); bei Ermüdung und durch jede psychische Erregung 
nimmt es an Intensität zu, durch Alkohol wird es nicht beruhigt (Breillot); 
Th^beault und Damange beobachteten, daß es bei manchen Patienten bei 
nüchternem Magen und vor einem Gewitter heftiger wird; bei feinen Bewegungen 
(Schreiben) wirkt es gewöhnlich störend und ergreift meist beide Körperseiten 
gleichzeitig und symmetrisch; nur Leyden (1874) meint, daß bei Rechtshändern 
die rechte Hand mehr zittert; auch Bourgarel fand es in manchen Fällen auf 
der einen Seite stärker als auf der anderen; es ist nicht progressiv (Gowers) 
und geht nicht mit Muskelrigidität einher. Im Falle von Gallavardin (1908) 
betraf es auch die Stimmbänder und das Zwerchfell. Im Schlafe verschwindet 
es. Die Frequenz beträgt am Kopfe 4, an den Händen 3,5—5,5 in der Sekunde. 

Dieses Zittern ist keine häufige Erscheinung und nur ein kleiner Prozent¬ 
satz der Greise ist mit demselben behaftet. Demange fand es im Greisenasyl 
unter 300 Menschen sechsmal, Bourgarel unter 2031 Frauen in der Salpetriere 
31 mal. Es befällt Frauen häufiger als Männer (Fernet), häufiger die herab¬ 
gekommenen und mageren Personen (Fernet) als die blühenden (Jaubert, 
Fischer), und häufig auch Leute, die von Jugend auf reizbar und Eindrücken 
leicht zugänglich sind (Th6beault). Es ist keine unbedingt notwendige Be¬ 
gleiterscheinung der senilen Kachexie (Bourgarel). Es beginnt zumeist nach 
Unglücksfällen und Entbehrungen (Jaubert), obwohl auch ein akuter Beginn 
nach Verletzungen (Th6beault) und akute Verschlimmerungen nach Traumen 
(Fischer) beobachtet wurden. — Valenzuella hörte von seinen Patienten 
Klagen über Hitzegefühl in den zitternden Händen. 

Außer diesem typischen Tremor beobachtet man manchmal bei Greisen 
auch ein ganz gewöhnliches Zittern wie beim Nervosismus, das sich von dem 
gewöhnlichen Zittern nur durch gröbere Wellen und durch seine geringere 
Frequenz von 6,5—7,5 Wellen in der Sekunde unterscheidet (Parisot und 
Meyer). 

Schließlich kann bei Greisen auch ein typisches Intentionszittem als para¬ 
lytisches Symptom Vorkommen (Möbius 1886, Bourgarel) und ein atypischer, 
ungenau beschriebener Tremor in komplizierten Fällen, wie z. B. bei der Patientin 
Bourgarel s (observ. 49 und 50). 

Der typische Charakter dieses Tremors ist unbestreitbar ; strittig ist nur 
die Frage, ob dieser Tremor ein Attribut des Alters ist. Trousseau hat dies 
schon im Jahre 1865 entschieden bestritten, da er ein analoges Zittern auch in 
der Jugend beginnen sah. Charcot hat dieselbe Ansicht mit nicht geringerer 
Entschiedenheit vertreten (Poliklin. 1887/88 S. 565). Dasselbe gilt von De¬ 
mange, Grasset, Raymond und seiner Schule. Demange machte den Vor- 



Seniler Tremor. 


177 


schlag, diesen Tremor als selbständige Neurose aufzufassen und ihr den Namen 
„tremblement rhythm6 oscillatoire“ zu geben. Der sinnfälligste Beweis gegen 
die „Senilität“ des beschriebenen Tremors wären die Beobachtungen von 
Raymond, Cestan, Hirsch u. a., in denen es sich um Kopfzittem bei neu¬ 
geborenen Kindern oder im zarten Alter handelte. Doch sind diese dem Spasmus 
nutans verwandten Fälle (siehe das Kapitel über den einfachen idiopathischen 
Tremor, zweite Gruppe) bezüglich ihres Wesens noch zu unklar und es ist noch 
nicht sicher, daß es sich nicht um klonische Krämpfe handelt. 

Dafür beweisen die übrigen Fälle jener Gruppe des idiopathischen und 
hereditären Tremors unwiderleglich, daß bei dem beschriebenen langsamen 
Tremor der Beginn des Zitterns nicht immer in das vorgeschrittene Alter fällt. 
Wenn wir also der zuletzt beschriebenen Form des Tremors das Attribut „senilis“ 
belassen, so geschieht dies nur aus dem Grunde, weil sie wirklich am häufigsten 
bei alten Leuten beobachtet wird und weil mit dieser Bezeichnung schon der 
Begriff für diese Form der Zitterbewegung eng verwachsen ist, die in Wirklich¬ 
keit nur eine Abart des einfachen idiopathischen Tremors ist. 

Therapie. Das Wichtigste ist für den Kranken die hygienische Regelung 
seiner Lebensweise: körperliche und seelische Ruhe, Verhütung von Besuchen 
u. dgl. Einfache, reizlose, aber nahrhafte Kost. Tonisierende Behandlung. 
Narkotika und Bäder nützen nichts; ebensowenig Elektrizität. Arsen hilft 
in keiner Form und nach keiner Methode. Beim senilen Tremor wurden viele 
der gegen Schüttellähmung empfohlenen Mittel versucht: Oulmont (1872) 
und Pillot (1873) erzielten einen Erfolg durch die systematische Behandlung 
mit Hyoszyamin; sie stiegen von 1—2 mg täglich zu 10—12 mg, die sie ent¬ 
weder innerlich in Form von Pillen oder subkutan als 4—10 %ige wässerige 
Lösung reichten. Diese Behandlung wurde trotz Vergiftungserscheinungen, 
wenn diese erträglich waren (Mydriasis, Trockenheit im Halse) fortgesetzt. 
Clement (1904) verwendete, angeblich mit Erfolg, Karbol: nachdem er sich 
vorher überzeugt hatte, daß durch die folgende Methode die Muskulatur gestärkt 
und die Ermüdung beseitigt wird (beim Menschen wurde die gemessene Arbeits¬ 
leistung von 21 kg/m auf 106 kg/m erhöht), gab er 40 Tropfen einer durch Soda 
neutralisierten wässerigen Lösung von Acidum phormicum binnen eines Tages 
auf zweimal auszutrinken; dieses Quantum wurde an drei aufeinander folgenden 
Tagen verabreicht. Interessant ist der Umstand, daß Benedikt auf Grund 
einer theoretischen Erwägung die Karbolsäure gegen das Zittern beim Fieber 
empfahl. — Massaglia und Taratini behaupten (1909), es hätte sich ihnen 
die Opotherapie mit dem Parathyreoidin von Vassale aus dem Mailänder 
serotherapeutischen Institute bewährt; sie erklären dieselbe als für das senile 
Zittern spezifisch und diagnostisch wie das Quecksilber und das Jodkali bei 
Lues. Doch haben sie den senilen Tremor nicht geheilt, sondern nur bedeutend 
gebessert. Pari so t verwendete Skopolamininjektionen bei verschiedenen 
Formen des Zitterns und auch beim senilen Tremor, der angeblich schwächer 
wurde und oft vollständig verschwand. 

Die Literatur über den senilen Tremor ist in der letzten Zeit minimal. 
Auf die Bemerkungen von Romberg (1851), die Arbeit von Räcle (1859), 
auf Trousseau (1865), Fernet (1872), Charcot (1876), Valenzuella (1879), 
Jaubert (1880), Demange und die These von Th6beault (1882) folgten nur 
die Erwähnungen bei P. Marie (1883), die These von Fischer (1883), die 
PelDdr, Zittern. 12 



178 


Erster Teil. 


Bemerkungen von Breillot (1885), von Möbius (1886), die These von 
Bourgarel (1887), die Bemerkungen bei Gowers (1892), bei Dana (1893), 
die These von Raynaud (1894), die Arbeit von Alpago (1894), die Bemerkung 
von Achard (1897), die Publikation von Raymond (1905), von Gallavardin 
(1908), von Massaglia (1909) und die Bemerkungen bei Purves Stewart 
(1906) und Oppenheim (1908). 

XI. Mechanischer Tremor. 

Zielgien beschrieb eigentümliche Umstände, die zum Tremor führten. 
In einer Fabrik erkrankten alle Arbeiter, die in der Nähe einer Maschine arbei¬ 
teten, durch deren Tätigkeit die ganze Umgebung 1200 mal in der Minute (20 mal 
in der Sekunde) erzitterte, nach etwa 3 Monaten an Zittern. Der Autor be¬ 
obachtete einen 29jährigen Mann; dieser litt an einem mittelschnellen Tremor 
von 7 Wellen in der Sekunde, der sämtliche Extremitäten und die Gesichts¬ 
muskeln betraf, sowohl in der Ruhe, als auch bei Bewegungen gleich blieb 
und den Schlaf störte. Symptome von Hysterie, Intoxikation und hereditärer 
Belastung fehlten. Nach einer ein wöchentlichen Ruhe und dem Genüsse von 
1 g Bromkali täglich trat fast vollständige Genesung ein. 

Andere Angaben über den Einfluß dauernder Erschütterungen (Mühlen, 
Turbinen, Motozykel, Lokomotive) habe ich nicht gefunden. 

Der „mechanische“ Tremor der Nieter (Monteure) dürfte zu jenem Tremor 
gehören, der infolge Ermüdung nach einer schweren, in unbequemer Stellung 
verrichteten Arbeit entsteht. Zu demselben Schlüsse kommt Weitzenmiller, 
der einen hysterischen Tremor der rechten Oberextremität bei einem Vomieter 
beschrieb. 

Dasselbe gilt wohl auch von anderen schweren Arbeiten: bei Schmieden, 
Athleten (Leitenstorffer), Stallmeistern, die wilde Pferde reiten (Hofbauer 
— beide zitiert von Weitzenmiller), stellt sich entweder ein Ermüdungs¬ 
tremor ein oder ein isolierter hysterischer Tremor oder ein Tremor als Teil 
einer dem Schreibkrampf analogen Neurose (bei Pianisten, Telegraphisten, 
Schmieden, Melkern). 



Zweiter Teil (Pathogenese). 

Im beschreibenden Teile dieser Arbeit haben wir die verschiedenen 
klinischen Formen des Zitterns und die Umstände, unter welchen die Menschen 
zittern, kennen gelernt. Fast alle diese Umstände wurden zum Ausgangs¬ 
punkt für eine allgemeine Erklärung des Zitterns gewählt. Daher leiden alle 
bisherigen Erklärungsversuche unter einer bedeutenden Unübersichtlichkeit, 
und es werden fast gegen jeden Erklärungsversuch ebensoviele Ein wände erhoben 
als Gründe für denselben angeführt werden. Der Grund hierfür liegt zum 
größten Teil darin, daß man gegen eine jede Erklärung, die in einseitiger Weise 
von der Beobachtung einer Form des Zitterns ausgeht, auf Grund der bei anderen 
Zitterformen gewonnenen Erfahrungen berechtigte Einwendungen erheben kann. 

Ich halte es für das Beste, zuerst die Grundlage oder die Ursache des 
physiologischen Zitterns bei der statischen Innervation, sodann die Ursachen 
der Modifikationen dieses Zitterns unter verschiedenen pathologischen Um¬ 
ständen zu suchen und schließlich darnach zu forschen, wodurch die ganz be¬ 
sondere Form des Zitterns bei der Schüttellähmung bedingt sein dürfte und 
wie seine Eigentümlichkeiten aufzufassen wären. Unabhängig hiervon ist 
die Frage nach der Entstehung des lokomotorischen Intentionszittems und 
der diesem verwandten Zitterformen, sowie die Frage, wie das hysterische 
Zittern aufzufassen sei. 

I. Das physiologische Zittern. 

Das Prototyp dieses Zitterns: das zarte Flimmern der gestreckten und 
nicht übermäßig gespannten oberen Extremitäten, unterscheidet sich von dem 
idealen, vorausgesetzten „normalen“ Zustand dadurch, daß die Extremitäten 
nicht ruhig und unbeweglich gespannt sind, sondern, wie wir z. B. an unseren 
Kurven gesehen haben, in Form von imgleichen Wellen 8—9—10—11 und 
sogar 12 mal in der Sekunde rhythmisch schwingen, wobei der Rhythmus bei 
ein und demselben Menschen in derselben Muskelgruppe eine bestimmte, be¬ 
schränkte Zeit hindurch im allgemeinen fortwährend gleich bleibt, bei ver¬ 
schiedenen Menschen aber ein wenig verschieden ist. 

Dieses sogenannte physiologische Zittern bei statischer Innervation 
existiert, wie es scheint, wohl bei allen Menschen, nur daß die Intensität verschie¬ 
den ist, so daß es manchmal nicht sichtbar ist und nur mit Hilfe sehr empfind¬ 
licher Registrierapparate nachgewiesen werden kann. 

Wie soll man dieses Zittern auffassen ? — Bei der statischen Innervation 


12* 



180 


Zweiter Teil. 


beherrscht ein Tetanus der Muskeln, speziell der Extensoren, die Extremität. 
Welche physiologischen Erfahrungen besitzen wir nun heute über den Muskel¬ 
tetanus und besonders über den Tetanus bei der willkürlichen Innervation? 

Durch die rasch wiederholte elektrische Reizung des Nervenmuskelpräpa- 
rates entsteht bei einer gewissen Minimalfrequenz (nach Riehet 40mal in der 
Sekunde beim menschlichen quergestreiften Muskel, nach Marey 27 mal in der 
Sekunde beim Froschschenkel) durch Superposition elementarer Zuckungen 
ein glatter Tetanus. Das glatte Aussehen dieses Tetanus ist aber nur das Resultat 
der Unempfindlichkeit des gewöhnlichen Myographen. In Wirklichkeit gibt 
der im Tetanus befindliche Muskel einen Ton, den man direkt auskultieren 
und auf ein Telephon überleiten kann und der ein anderes Nervenmuskelpräparat 
in einen sekundären Tetanus versetzen kann; von dem im Elektrotetanus be¬ 
findlichen Muskel lassen sich aktive Ströme großer Frequenz ableiten, die bis 
zu einem gewissen Grade mit der Frequenz der Reizimpulse identisch ist. — 
Es steht also fest, daß der Tetanus eines elektrisch gereizten Muskels 
nicht glatt ist, sondern daß der Muskel in demselben oszilliert 
und zwar mit einer Geschwindigkeit, die bis zu einem gewissen 
Grade mit der Frequenz der Reizimpulse identisch ist. 

Die willkürliche Muskelkontraktion, und zwar sowohl jene bei der ein¬ 
fachen Bewegung, als auch jene bei der statischen Innervation, ist ein tetanischer 
Zustand, bei dem mittelst analoger Methoden nachgewiesen wurde, daß er eben¬ 
falls kein glatter Tetanus sei und daß derMuskel auch bei der willkürlichen 
Kontraktion oszilliere. Namentlich das Studium der aktiven Ströme 
(Piper und seine Schüler) hat gezeigt, daß diese Oszillationen, aus denen stets 
auf den Ablauf einer Kontraktionswelle geschlossen werden kann, eine kon¬ 
stante und regelmäßige Erscheinung sind und daß sie sich beim Menschen 
mit kleinen Variationen je nach den Muskeln und der Individualität des Men¬ 
schen etwa 50 mal in der Sekunde wiederholen. 

Außer diesen imgeheuer raschen Oszillationen, die bei der Erklärung 
des Zitterns wegen ihrer großen Frequenz nicht in Betracht kommen können, 
wurde an den im Tetanus befindlichen Muskeln eine gröbere rhythmische Wellen¬ 
bewegung (Undulation) nachgewiesen, die sich graphisch registrieren läßt. 

Uber den Elektrotetanus besitzen wir folgende Erfahrungen: 

a) Bei einer ungenügenden Anzahl der Reizimpulse entsteht bei den 
Marey sehen Experimenten eine grobe Undulation des Muskels infolge unge¬ 
nügender Superposition der elementaren Zuckungen (unvollständiger Tetanus). 

b) Eine grobe Wellenbewegung entsteht trotz genügender Frequenz, 
wenn die Impulse bezüglich ihrer Intensität ungenügend sind (Richet S. 112). 

c) Eine grobe Wellenbewegung beobachtete Richet bei der Reizung eines 
frischen Nervenmuskelpräparates mit schwachen, aber sehr frequenten Reizen 
(4000 in der Sekunde) bei geringer Belastung (tätanos rhythmique induit). 

d) Kollarits reizte beim Menschen den M. tibialis anticus mit einem 
60—160 mal in der Sekunde unterbrochenen Strom und fand einen wellen¬ 
förmigen Tetanus mit 10—11 Wellen in der Sekunde. 

Bei der willkürlichen Bewegung wurden analoge Befunde erhoben: 

a) Kries registrierte die Kontraktionskurve der Vorderarmmuskeln bei 
Schließung der Hand zur Faust und fand 11,8 Wellen in der Sekunde (Fig. 4 
in seiner Arbeit), an den Extensoren bei der Streckung der Hand 11—12,4 Wellen 



Das physiologische Zittern. 


181 


in der Sekunde; bei der statischen Innervation der ein Gewicht haltenden 
Hand registrierte er vom M. deltoideus 9,6 Wellen in der Sekunde. (Fig. 5 
in seiner Arbeit). 

b) Horsley und Schäfer wiesen am M. opponens pollicis bei Bewegungen 
8—13 Wellen in der Sekunde nach (zit. Kries). 

c) Canney und Tunstall fanden in ähnlicher Weise bei menschlichen 
Muskeln eine Frequenz von 10 Wellen in der Sekunde (zit. Piper). 

d) Busquet registrierte vom M. cremaster beim Menschen die Kurve einer 
willkürlichen, und zwar einer kurz dauernden und einer konstanten Kontraktion 
und fand bei beiden eine grob wellenförmige Kurve (S. 47 u. Fig. 20 — ohne 
Zeitkurve). 

e) Eshner bestätigte die Angaben von Kries. 

f) Piper registrierte bei der willkürlichen, raschen Bewegung des Vorder¬ 
arms 7—10 Wellen in der Sekunde. 

Schließlich wurde beim Tetanus, der als Analogon der willkürlichen 
Innervation durch elektrische Reizung des Gehirns und Rückenmarks hervor¬ 
gerufen wurde, eine analoge Wellenform nachgewiesen: 

a) bei den Versuchen von Horsley und Schäfer: bei der Reizung der 
Rinde, der Corona radiata und der Medulla durch den tetanisierenden Strom 
zeigte die kontrahierte Muskulatur 8—13, zumeist aber 10 Wellen in der Sekunde. 

b) Stanley Hall und Kronecker legten nach Durchschneidung des 
Himstammes beim Kaninchen dicht neben der Medulla oblongata Reizelektroden 
an, durch welche schwache Induktionsströme zugeleitet wurden, und beobach¬ 
teten am M. biceps femoris einen Tetanus mit 20 Dickenschwankungen des 
Muskels in der Sekunde (zit. Piper). 

Wir sehen demnach, daß nach den bisherigen experimentellen Erfahrungen 
sowohl der durch elektrische Reizung des Nerven, der Zentren und der zere- 
bromedullären Bahnen hervorgerufene Tetanus, als auch die willkürliche 
Kontraktion desMuskels durchaus keine „glatten“ und ganz stetigen 
Kontraktionszustände, sondern einen rasch oszillierenden und 
außerdem langsam und rhythmisch undulierenden Tetanus dar¬ 
stellen. 

Welches gegenseitige Verhältnis besteht mm zwischen den beiden Be¬ 
wegungsarten, den Oszillationen, die sich durch frequente Aktivitätsströme 
von rund 50 in der Sekunde äußern, und den Undulationen, die in Form von 
groben, etwa 10 mal in der Sekunde sich wiederholenden Bewegungen des 
lokomotorischen Systems auftreten? 

Die bisherigen physiologischen Kenntnisse gestatten, daß sich unsere 
Erwägungen nach einer ganz bestimmten Richtung bewegen. Wir wissen, 
daß die normale Zuckungskurve eines quergestreiften Muskels unter bestimmten 
äußeren Bedingungen in zwei Teile zerfällt, von denen der erste eine kurze, 
der andere eine verlangsamte Kontraktion zeigt. Die erstere bietet den Charakter 
einer Zusammenziehung jener Muskeln dar, welche eine heftige, kurze oder rasch 
wiederholte Bewegung erzeugen, die stark differenziert, reich gestreift und 
reich an anisotroper Substanz sind (sog. weiße Muskeln). Die andere Kon¬ 
traktion besitzt den Kontraktionscharakter jener Muskeln, die eine langsame, 
ausgiebige und dauernde Bewegung vermitteln, die weniger differenziert sind 
und viel Sarkoplasma besitzen (sog. rote Muskeln). Bei der gewöhnlichen 



182 


Zweiter Teil. 


Zuckung des quergestreiften (gemischten) Muskels entsteht eine Kurve, in der 
die beiden erwähnten Kontraktionen als Komponenten enthalten sind (Lhotäk). 
An der gewöhnlichen Bewegung dieser Muskeln sind beide Arten von Sub¬ 
stanzen, die anisotrope und das Sarkoplasma, beteiligt. Beim Tetanus erhält 
hauptsächlich die Kontraktion des Sarkoplasmas die Kurve auf ihrer Höhe. 

Die Frequenz der Oszillationen des tetanisierten quergestreiften Muskels 
kann eine imgeheuere Höhe erreichen: beim Menschen nach Helmholtz und 
Hoff mann fast bis zu 300 in der Sekunde, beim Frosch bis zu 200 in der Sekunde 
(Wedensky zit. Piper), beim Kaninchen sogar über 900 in der Sekunde (Bern¬ 
stein, Loven — zit. Mares, Piper). Eine so rasche Kontraktionsfähigkeit 
kommt nur der anisotropen Substanz zu. Diese aber kann für sich allein unter 
gewöhnlichen Umständen den ganzen gemischten Muskel nicht zu einer so 
schnellen Bewegung hinreißen und das Sarkoplasma ist dieser Frequenz nicht 
gewachsen, weil es durch seine langsame Kontraktibilität und geringe Erreg¬ 
barkeit daran gehindert wird. Das Sarkoplasma folgt den schnellen Spannungs¬ 
veränderungen in der anisotropen Substanz mit langsameren Spannungs¬ 
veränderungen und daraus resultiert eine gröbere, aber langsamere Wellen¬ 
bewegung des Muskels, die von den graphischen Apparaten gezeichnet werden 
kann und eine Frequenz von 8—13 in der Sekunde besitzt. Das schwankende 
Verhalten dieser Frequenz zwischen 8—13 in der Sekunde dürfte die Resultante 
aus der Frequenz der Impulse und den physikalischen und physiologischen 
Qualitäten (Länge, Elastizität, Belastung, Wärme, Ermüdung, Vergiftung) 
des sich bewegenden Muskels sein. Natürlich schwankt diese Zahl in den ge¬ 
nannten Grenzen bei verschiedenen Muskeln. Sie schwankt um so mehr, wenn 
es sich um synergische Muskelgruppen handelt. Wenn es sich z. B. um die stati¬ 
sche Innervation aller Extensoren der oberen oder unteren Extremität oder 
der Hand oder des Fußes handelt, ist die Möglichkeit einer gröberen Undu- 
lationsbewegung durch das entsprechende physikalische, lokomotorische System 
mitbestimmt: die leichteren, kurzen Finger können den Bewegungsimpulsen 
rascher folgen, als die schwereren und längeren oberen Extremitäten und diese 
wiederum schneller als die unteren Extremitäten oder gar der Rumpf. Ähnlich 
verhält es sich mit dem physiologischen Zustand der Muskeln und der Gelenke, 
welche bei der Beurteilung einiger spezieller Zitterformen gleichfalls in Betracht 
kommen. 

Diese Disharmonie zwischen der Frequenz jener Oszillationen, die nur 
elektrometrisch nachweisbar sind, und der Frequenz jener Undulationen, die auch 
schon graphisch nachgewiesen werden können, läßt sich verstehen und erklären, 
wenn wir sagen: sowohl der Elektrotetanus als auch die willkürliche Bewegung 
stellen einen oszillierenden und wellenförmigen Tetanus dar. Die Deutlichkeit 
und Geschwindigkeit der mit unseren Apparaten nachweisbaren wellenförmigen 
Bewegung hängt ab von der Geschwindigkeit und Intensität der Oszillationen, 
von der physikalischen Möglichkeit einer rasch sich wiederholenden Bewegung 
des betreffenden motorischen Systems und von dem physiologischen Zustand 
dieses Systems (Ernährungszustand, Ermüdung usw\, Grad der Reizung des 
Sarkoplasmas — Richets Erfahrungen). 

Die statische Innervation der Skelettmuskulatur äußert sich 
in einem oszillierenden und undulierenden Tetanus. Die Oszil¬ 
lationen, welche nur elektrometrisch und akustisch, nicht aber 



Das physiologische Zittern. 


183 


graphisch nachweisbar sind, haben bei der statischen Innervation 
eineFrequenz von etwaöOWellen in der Sekunde. — DieUndulationen 
jedoch, welche den eigentlichen lokomotorischen Effekt der Os¬ 
zillationen darstellen, haben eine viel geringere Frequenz, und zwar 
nur 8—13 Wellen in der Sekunde. Diese rhythmischen Undulationen, 
die bei gesunden, kräftigen, ruhigen Menschen, wie Busquet sagt, „mikro¬ 
skopisch“ sind, lassen sich mit Hilfe eines vergrößernden Registrierapparates 
bei einem jeden Menschen veranschaulichen (Busquet, Kries, Kollarits, 
Eshner). 

Diese Undulationen stellen demnach meines Erachtens das eigent¬ 
liche Wesen des Zitterns bei der statischen Innervation dar. 

Meiner Ansicht nach handelt es sich hier also weder um elementare Wellen, 
wie man ursprünglich angenommen hat (Fernet und nach ihm viele andere), 
noch um selbständige Tetani, wie Kollarits annimmt, sondern nur um eine 
Intensitätsschwankung eines anhaltenden Tetanus. Die Ursache dafür, warum 
gerade jene 8—13 Undulationen in der Sekunde entstehen, wissen wir vorder¬ 
hand nicht. Ob es sich hier um Schwankungen der Erregbarkeit beider Muskel¬ 
substanzen handelt oder um Intensitätsschwankungen der zentralen Inner¬ 
vation, wie Piper bemerkt, oder um beide Komponenten zugleich, ist eine 
rein physiologische, für die Erklärung des Zitterns weniger bedeutungsvolle 
Frage. 

Bei der statischen Innervation muß man meiner Ansicht nach nicht an 
die Mitwirkung der Antagonisten denken; ihre Spannung ist minimal; es wäre 
eine gezwungene, schwer zu begreifende Hypothese, wollte man das Zittern 
bei der statischen Innervation durch eine Störung des Zusammenspiels der 
Haupt-Agonisten und Antagonisten erklären. 

Es erübrigt uns noch, nachzuforschen, ob in der angegebenen Weise auch 
viele Einzelheiten und Besonderheiten des Zitterns bei der statischen Inner¬ 
vation erklärt werden können. 

1. Wenn die statische Innervation länger dauert, beobachten wir z. B. 
an der Hand zeitweise eine gröbere Bewegung und eine zeitweilige Unregel¬ 
mäßigkeit der Zitterkurve. Ich glaube, es handelt sich da um eine ausgleichende 
Bewegung bei der Erschlaffung der Innervation und um einen neuen Inner¬ 
vationsimpuls, damit die Hand in die ursprüngliche Lage zurückgebracht werde. 

2. Blocq und Onanov, Babinski, Eshner, Pick u. a. haben darauf 
aufmerksam gemacht, daß bei der statischen Innervation die Intermediär¬ 
lagen mit einem stärkeren Zittern einhergehen als die Endlagen. — Wenn wir 
an uns selbst beobachten, wie wir eine Intermediär- und eine Endlage an den 
Oberextremitäten innervieren, dann werden wir empfinden, daß wir bei der 
Intermediärlage die Muskeln imbewußt schwach, bei der Endlage dagegen 
intensiv anspannen. Die Spannung des Sarkoplasmas, welches den Tetanus 
auf seiner Höhe erhält, ward in der Intermediärlage kleiner, in der extremen 
Lage größer sein. Das stark gespannte Sarkoplasma ist schwerer in Wellen¬ 
bewegung zu versetzen als dann, wenn es sich im Zustande einer geringeren 
Spannung befindet. 

3. Busquet hat, wie ich glaube, genügend erklärt, warum bei gestützter 
Extremität zum Erscheinen des Zitterns eine energischere Muskelkontraktion 
z. B. die Schließung der Hand zur Faust, notwendig ist; wenn die gestützte 



181 


Zweiter Teil. 


Hand aufliegt, ist die Intensität der Innervationsanstrengung unbedeutend 
und ihr eventueller Effekt, die feine Wellenbewegung, wird durch die Unterlage 
und das Gewicht der Extremität verhindert; erst die bei gröberer Bewegung 
auf tretende Wellenbewegung läßt sich registrieren. 

4. Bei energischen Kontraktionen und Muskelaktionen verschwindet 
das physiologische Zittern (Busquet). Hier fallen zwei Umstände ins Gewicht: 
die Innervationsanstrengung ist bei zweckmäßigen Bewegungen und Funktionen 
größer, was nach der erwähnten Erfahrung Richets zum Verschwinden des 
wellenförmigen Tetanus beiträgt; aber man muß auch bedenken, daß bei ordent¬ 
lichen, energischen, zweckmäßigen Bewegungen eine feine Wellenbewegung 
mit unseren Apparaten aus technischen Gründen nicht registrierbar ist, weshalb 
wir glauben, daß ein Zittern überhaupt nicht vorhanden ist. 

5. Das physiologische Zittern besitzt bei ein und demselben Menschen 
an verschiedenen Körperstellen eine verschiedene Frequenz und Amplitude. 
Dies ist das Resultat rein physikalischer, aber komplizierter Ursachen. Ganz 
allgemein gesprochen ist die Amplitude des Zitterns um so größer und die Fre¬ 
quenz um so kleiner, je länger und schwerer die Extremität ist, z. B. die Unter¬ 
extremität im Vergleiche zur oberen, die ganze obere Extremität im Vergleiche 
zur Hand (Marie). Die Ansicht Boeris, daß für das Zittern die Pendelgesetze 
Geltung haben, gilt nur in beschränktem Maße für kleine Unterschiede in der 
Amplitude; im übrigen aber sind die größeren Amplituden langsamer (Stein¬ 
hausen, Kollarits). Aber auch die Längen- und Gewichtsverhältnisse be¬ 
stimmen für sich allein nicht konstant die Frequenz und die Amplitude des 
Zitterns, worauf Busquet aufmerksam gemacht hat (S. 28—29). Hier ist noch 
eine große Anzahl anderer Umstände im Spiel. So z. B. geht in manchen Ge¬ 
lenken die Bewegung überhaupt leichter und schneller vor sich, so daß das 
Zittern in diesen frequenter ist (Steinhausen); beispielsweise erfolgt die 
Pronation und Supination im Handgelenke leichter als die Flexion und Extension. 

6. An ein und demselben Körperteile schwankt die Frequenz des Zitterns 
bei verschiedenen Personen. Diese Tatsache läßt sich aus den bisherigen physio¬ 
logischen Kenntnissen nicht mit Sicherheit erklären und man kann nur Ver¬ 
mutungen anstellen. Wir wissen, daß die Muskelkontraktibilität bei verschie¬ 
denen Tieren eine verschiedene ist. Doch sind die Unterschiede bei ein- und 
derselben Gattung nicht so groß, daß sie den Forschem auf gef allen wären. 
Beim Menschen bewirken vielleicht die Unterschiede in der Ernährung und 
speziell in der Lebensweise (mechanische Arbeitsleistung — sitzende Lebens¬ 
weise — Müßiggang), daß die motorische Bereitschaft der Muskeln bei den 
einzelnen Menschen ein wenig verschieden ist. Möglicherweise gibt es in dieser 
Hinsicht auch angeborene Unterschiede, wie es angeborene Unterschiede der 
motorischen Gewandtheit überhaupt gibt, und Unterschiede der Geschwindig¬ 
keit, mit welcher die Menschen eine gewisse Bewegung zu wiederholen im¬ 
stande sind (Steinhausen). 


Von dieser Erklärung des Zitterns, welche die einfachsten Bedingungen 
voraussetzt, w r ollen wir bei unserem Versuche, auch die übrigen Arten des Zitterns 
zu erklären, ausgehen. 



Das physiologische Zittern. 


185 


Wir werden finden, daß sich unter verschiedenen Umständen entweder 
die Intensität der Innervation ändert (und der daraus resultierende Spannungs¬ 
zustand des Sarkoplasmas — ein weniger gereiztes Sarkoplasma ermöglicht eine 
wellenförmige Bewegung) oder daß sich die Reaktionsfähigkeit des Muskelappa¬ 
rates ändert oder daß noch andere, wesentlich neue Komponenten hinzutreten. 

Dort, wo die Intensität der zentralen Innervation geringer ist (Betäubung 
der Hirnrinde mit Chloroform bei den Versuchen von Pasternatzki, Nervo- 
sismus und Zustände mit allgemeiner nervöser Erschlaffung) oder wo die Er¬ 
regbarkeit der anisotropen Substanz erhöht ist und daher die raschen Oszil¬ 
lationen energischer sind (nach Adrenalininjektion?), oder wo diese beiden 
Komponenten vorhanden sind (Basedowsche Krankheit, reizbare Schwäche), 
kann man ein stärkeres Zittern der Glieder erwarten und voraussetzen. 

Dagegen werden wir bei Zuständen, wo die anisotrope Substanz 
erschlafft ist (Addison) oder das Sarkoplasma sich in einem Reizzustande 
befindet (Tetanie), kein deutliches Zittern von physiologischem Charakter 
erwarten dürfen. 

Interessant ist es, die Entwicklung dieser Ansicht bei den verschiedenen 
Autoren historisch zu verfolgen: 

Boerhave meinte, daß „influxus arteriosi et nervosi nunc contingunt nunc 
ab sunt.“ — In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die ersten Versuche 
von Helmholtz und Volkmann über den Tetanus und die Lehre vom Muskeltonus 
bekannt wurden, nahm Romberg an, daß es sich um eine Zerlegung des Tonus 
infolge langsamer Aufeinanderfolge der motorischen Impulse handle, und Blasius, 
daß der Tonus des Muskels, der die Impulse nicht in continuo, sondern intermittierend, 
mit Oszillationen empfange, gestört sei (zit. Fernet). Vulpian erklärte in den 
60 er Jahren das Zittern ebenfalls durch eine Interruption des Muskeltonus und 
Gubler verglich das Zittern mit den Sakkaden bei Reizung mit dem unterbrochenen 
Strom — statt der kontinuierlichen Kontraktion. Marey zeigte 1868, wie mit zu¬ 
nehmender Frequenz der wiederholten Reize statt einzelner Kontraktionen eine 
Superposition der Zusammenziehungen entsteht, eine Wellenbewegung, die schlie߬ 
lich (beginnend mit 27 Impulsen in einer Sekunde) in einen regelmäßigen Tetanus 
übergeht. Seine Arbeit führte Ferrand und Charcot in demselben Jahre zu der 
Erklärung, das Zittern sei „tetanos decomposä, une contraction faible decompos6e 
en ses 616ments Constituante par suite de la faiblesse de l’agent stimulant.“ Lafont 
warf 1869 die Frage auf, ob die bei der Bleivergiftung nachgewiesene Muskelschwäche 
nicht die Kontraktilität der Muskeln ändere und dadurch die Zerlegung 
des Tetanus ermögliche. Die bisherigen Erklänmgsversuche faßte Fernet 1872 
zusammen. Er erhärtete die Idee der Zerlegung der Kontraktion durch den Hinweis 
darauf, daß die Frequenz des Zitterns bei den verschiedenen Krankheiten zu einer 
Konfluenz in einen glatten Tetanus niemals genüge (maximal 7 in der Sekunde), 
und die Idee des ungenügenden Stimulus durch den Hinweis auf die experimentelle 
Vergiftung mittelst Curare und Cicutin (das Zittern begann gerade in jenem Stadium 
der Vergiftung, in welchem die Nervenendigungen im Muskel nur partiell gestört 
waren — im Beginne der Lähmung und im Beginne der Restitution). Das Zittern 
ist für Fernet „trouble de la contraction musculaire“ infolge „nombre insuffis- 
sant des seccousses 61ementaires.“ 

Die so formulierte Ansicht wurde später wiederholt, eventuell ergänzt und aus- 
gebildet; so z. B. spricht Frensburg (1875) von einer schwankenden Inner¬ 
vation infolge Schwäche der zentralen Organe als Hauptursache des Zitterns, 
welcher sodann die Ermüdung des peripheren motorischen Apparates oder dessen 
Schwächung infolge Affekt, Alkohol, Senilität und anderer adynamischer Zustände 
sekundär zu Hilfe kommt. Deshalb erzeugt die statische Innervation eher Zittern 
als die Ermüdung infolge peripherer Bewegung, weil durch die dauernde statische 
Innervation auch das Zentrum ermüdet wird. Diese Ermüdung der Zentralapparate 



186 


Zweiter Teil. 


imitierte Pasternatzki 1881 durch die Chloroforamarkose und indem er die Ober¬ 
fläche der Zentralwindungen reizte, erzeugte er bei Tieren einen Übergang der 
Extremitätenbewegungen in Tremor. Le vy-Dorn (1899), der von den von Fernet 
reproduzierten Mareysehen Kurven der sukzessiven Entstehung des Tetanus 
ausging, fügte hinzu, daß auch der willkürlich hervorgerufene Tetanus, d. i. die will¬ 
kürlich erzeugte Muskelzusammenziehung auf ihrem Gipfel eine Vibration auf¬ 
weise. Der Tremor besitzt rund 10 Vibrationen in der Sekunde. Horsley und 
Schäfer fanden bei der Reizung der grauen Rinde, der Corona radiata und des 
Rückenmarks ebenfalls rhythmische Schwankungen, und zwar 8—13, zumeist aber 
10 in der Sekunde. Ebensoviele Oszillationen besitzen nach den neuseten Messungen 
die willkürlichen Bewegungen (Tetani), so daß er (Levy-Dorn) überall im zen¬ 
tralen motorischen Nervensystem dieselbe Disposition zu 10 mal in der Sekunde 
sich wiederholenden Oszillationen bei tetaniformer Innervation konstatierte. Er 
nahm also an, daß die unteren subkortikalen motorischen Zentra die 
kontinuierliche rhythmische Rindeninnervation unterbrechen und daß 
auf diese Weise das Zittern entstehe. — Seine weitere Erfahrung, daß jeder Mensch 
ungefähr soviel willkürliche Bewegungen (z. B. Stromunterbrechungen mit dem 
Finger) vollführt, als man Zitterschwingungen bei ihm zählt oder eventuell ent¬ 
sprechend dem krankhaften Zustande zählen könnte, wenn er einen Tremor hätte 
(Rekord der willkürlichen Bewegungen), hat er zur Erklärung des Zitterns 
nicht mehr verwendet, obwohl dies sehr verlockend gewesen wäre, außer etwa zu 
dem Zwecke, daß wir uns auch bei kortikaler Lokalisation der unterbrochenen 
Innervation auf ein physiologisches Analogon stützen könnten. Dieses Faktum 
geht schon aus der älteren Bestimmung der auf 0,1 Sekunde berechneten refrak¬ 
tären Rindenphase für willkürliche Bewegungen hervor (Bruce und Riehet), 
worauf Boeri im Jahre 1901 aufmerksam gemacht hat. 

Diesen Stand der Anschauungen faßt 1904 La Roche, der ebenfalls eine 
ungenügende Anzahl der Innervationsimpulse annimmt, in folgendem Resumö 
zusammen: „Äußere Reize, gesteigerte funktionelle Anforderungen, Störungen in 
der Ernährung, die vielleicht mit Hyperämie und Anämie Zusammenhängen, viel¬ 
leicht sogar die mit der Funktion verbundene Abnutzung rufen dann möglicher¬ 
weise eine feine Schädigung des Neurons hervor, die sich am normalen physiologischen 
Indikator der Tätigkeit des Zentralnervensystems, am Muskel, schon als Zittern zu 
erkennen gibt.“ 

Lewandowsky hat in seinem im Jahre 1907 erschienen Buche die von Dorn 
eingehend geschilderten Ansichten reproduziert und präziser hervorgehoben, daß der 
Mensch unter physiologischen Bedingungen keineswegs mit maximalen, sondern 
mit submaximalen Tetani arbeitet und daß die physiologisch präexistierende 
Diskontinuität der Innervation durch eine Läsion der Rinde (Alkohol, Senili- 
tät) nur verschlimmert und deutlicher gemacht wird. — Gleichzeitig hat Piper 
durch genaue Messung (Zählung der Aktivitätsströme an den Flexoren des Vorder¬ 
arms des Menschen mit Hilfe des Saitengalvanometers) nachgewiesen, daß die Zahl 
der Oszillationen beim willkürlichen physiologischen Tetanus größer ist als man 
seit Marey behauptet hat, daß sie nämlich 42—50 beträgt, so daß man die vorher 
gezählten Oszillationen nicht so ohne weiteres mit den elementaren Muskelwellen 
für identisch ansehen kann. Im Jahre 1909 machte Jamin nach Lafont wieder 
darauf aufmerksam, daß auch ein refraktäres Verhalten des Muskels die Entstehung 
von Abständen zwischen den einzelnen Kontraktionen und dadurch einen Zerfall 
des Tetanus ermöglichen kann. Kollarits (1910) schließt in einer kritischen Über¬ 
sicht der verschiedenen Hypothesen die Möglichkeit aus, daß das Zittern durch 
eine geringere Frequenz der Reize oder durch eine schwächere Innervation bedingt 
sein könnte, weil er die einzelnen Oszillationen des Zitterns nicht für Einzelzuckungen, 
sondern für Einzeltetani des Muskels ansieht. 

II. Zittern infolge psychischer Erregnngen. 

a) Das Zittern bei Schreck und Furcht ist von solchen objektiven und 
subjektiven Erscheinungen begleitet, daß man eine Erschlaffung sämtlicher 



Zittern infolge psychischer Erregungen. *— Adynamisches Zittern. 


187 


Rindenfunktionen (allgemeines Schwächegefühl, Unmöglichkeit der Asso¬ 
ziationstätigkeit) und daher auch der motorischen Impulse annehmen muß, 
wie bereits Frensburg behauptet hat — und daher stammt nach den Ver¬ 
suchen Richets der unvollkommene Tetanus (ungenügende Spannung des 
Sarkoplasmas). Bei der Furcht kann ein neuer Impuls, der das Gehirn zu einer 
intensiveren Tätigkeit und Innervation anregt, das Zittern unterdrücken, worauf 
Frensburg aufmerksam gemacht hat. (Der Soldat erblickt den Feind — 
Zittern; er beginnt zu kämpfen — das Zittern verschwindet.) Bei großem 
Kummer dürften sich die Dinge analog verhalten. 

b) Beim Wutanfall sind die Verhältnisse wesentlich anders. Den zarten 
Tremor überwiegen unregelmäßige Muskelzuckungen und unwillkürliche Be¬ 
wegungen der oberen Extremitäten, was auf imregelmäßige, unwillkürliche 
Impulse von der gereizten Rinde und vielleicht auch von den niedrigeren Zentren 
hindeutet: also nicht der wellenförmige (physiologische) Tetanus selbst, sondern 
vorwiegend Reizerscheinungen, unregelmäßige Impulse, charakterisieren den 
Zorn und in analoger Weise auch den maniakalisclien und melancholischen 
Raptus. 

III. Adynamisches Zittern. 

a) Das Zittern nach ermüdender Arbeit, nach einem Marsche, 
nach einer Krankheit, nach Blutungen bei Anämie, in derLaktation 
und in ähnlichen Zuständen hat durchwegs den Charakter eines gesteigerten 
physiologischen Zitterns. Bis jetzt besitzen wir keine genügenden physiologi¬ 
schen Erfahrungen über den Einfluß dieser Umstände. Doch können wir nicht 
irren, wenn wir uns vorstellen, daß alle jene Umstände, welche die Allgemein¬ 
emährung herabsetzen, auch die zentralen motorischen Impulse schwachen, 
denn bei allen diesen Zuständen stocken in der Tat die motorischen Funktionen. 
Dadurch wird ein unvollkommener Tetanus im Sinne Richets ermöglicht. 
Dieselbe Schwächung der Zentralapparate können wir auch bei der einfachen 
Ermüdung annehmen, denn eine Ermüdung der peripheren Apparate tritt nicht 
so leicht ein. 

b) Komplizierter sind die Verhältnisse beim Heben schwerer Lasten 
und bei m Ringen. Hier wird, wie wir an den reproduzierten Kurven sehen, das 
physiologische Zittern zuerst grob, besonders aber unregelmäßig, und ist von 
großen, unregelmäßigen Wellen unterbrochen: die zentrale motorische Inner¬ 
vation und der physiologische Zustand des Muskels (,,die Kraft“) genügen nicht, 
um den Tetanus zu erhalten und es treten dieselben Verhältnisse auf wie bei der 
ungenügenden Intensität der Innervation; außerdem ermüdet der Muskel und 
daher erzeugt ein neuer Impuls einen neuen Tetanus, allerdings wieder einen 
wellenförmigen und so fort. Wir fühlen es sehr gut, daß, wenn die Kraft zu Ende 
geht, die Hand deutlich sichtbare, imregelmäßige Impulse erhält, um auszuhalten, 
bevor sie gänzlich herabsinkt. Jene großen unregelmäßigen Wellen sind eben der 
Ausdruck eines neuen tetanisierenden Impulses, der eigentliche Tremor aber ist 
der Ausdruck der Unzulänglichkeit des Sarkoplasmas. 

c) Noch komplizierter sind die Verhältnisse im adynamischen Stadium 
des Typhus und in analogen Zuständen: an den Händen sehen wir außer 
dem „Zittern der schwachen Leute“ tappende, unregelmäßige Bewegungen 



188 


Zweiter Teil. 


mit dem Charakter der willkürlichen Bewegungen und außerdem an den 
Wangen, Lippen und Extremitäten unregelmäßige Zuckungen, wie man sie bei 
Himreizungen zu sehen pflegt; schließlich kann man auch ataktische Be¬ 
wegungen der Hand und ein gestörtes Zusammenspiel der mimischen Gesichts¬ 
muskulatur beobachten. Dies alles spricht für eine schwere Läsion des Ge¬ 
hirns, eventuell für eine Läsion der Funktion eines seiner Teile. 

d) Das postfebrile Zittern ist einerseits ein Zittern infolge allgemeiner 
Schwäche — ein gesteigertes physiologisches Zittern —, andererseits hat es den 
Charakter des Zitterns bei der Zerebrospinalsklerose und bei den Krankheiten 
aus der Gruppe der Pseudosklerose, überhaupt den Charakter des zerebralen 
(organischen) Zitterns, und in dieses Kapital gehört auch die Erörterung seiner 
Pathogenese. Dahin gehört auch der Fall Fornacas. Andere hierher ge¬ 
zählte Fälle sind hysterieverdächtig. 

IV. Zittern infolge Reizung sensibler Nerven. 

Beim Schüttelfrost, mag er durch Kälte oder durch rasch ansteigendes 
Fieber oder durch Katheterisieren oder durch Neurininjektion bedingt sein, 
kann ich keine Erklärung des Zitterns geben. Die physiologischen Voraus¬ 
setzungen für eine solche Erklärung sind noch immer nicht bekannt. Wir wissen 
nicht, ob beim Schüttelfrost die Muskeln abgekühlt oder überhitzt sind oder ob 
nicht die Gehirnrinde gereizt ist. (Wird doch sogar eine besondere Vergiftung 
durch Resorption eines infolge peripherer Ischämie entstandenen Giftes ange¬ 
nommen! Guinon in Bouchards Pathol. generale, Adamkiewicz.) 

Sicher ist, daß auch Angst und Schrecken ähnliche Zustände gleichzeitig 
mit lebhafter vasomotorischer Reaktion hervorrufen. Ob es sich jedoch in Wirk¬ 
lichkeit um Ischämie oder um eine Schwächung der Muskeln handelt, läßt sich 
nicht entscheiden. 


V. Toxisches Zittern. 

1. Bei Alkohol-, Morphium-, Äther-, Absinth-Vergiftungen 
müssen wir mehrere Zitterformen unterscheiden. Zunächst haben wir gesehen, 
daß diese chronischen Vergiftungen mit einem Zittern der Glieder einhergehen, 
das sich durch seine Form, seine Frequenz und Intensität vom physiologischen 
Zittern nicht wesentlich unterscheidet. Dieses Zittern begleitet jene Stadien 
der Vergiftung, in welchen der allgemeine Ernährungszustand, speziell die Er¬ 
nährung der Nervenmuskelorgane gelitten hat, was man aus den deutlichen 
klinischen Erscheinungen erschließen kann. Prinzipiell handelt es sich da um 
adynamisches Zittern, was schon Frensburg in gleicher Weise bezüglich des 
Wesens, in etwas abweichender Weise bezüglich der Details behauptet hat 
(Ermüdung und Schwächezustand der motorischen Apparate) oder wie sich in 
jüngster Zeit She ring ton ausdrückt (Deficient or otherwise altered activity 
of nerve celles). Mit dieser Erklärung stimmt es überein, daß das Zittern am 
Morgen am stärksten ist, denn im nüchternen Zustande tritt der körperliche 
und geistige Verfall des Alkoholikers am deutlichsten zum Vorschein. Damit 
stimmt ferner die Tatsache überein, daß das Zittern durch Ermüdung gesteigert 
wird. Im Frühstadium wird es durch Alkoholgenuß unterdrückt. Und da wissen 



Toxisches Zittern. 


189 


wir, daß in diesem Stadium der Alkoholgenuß alle Kräfte des Kranken, die 
körperlichen und die geistigen, auf richtet, ihn aus der toxischen motorischen 
und psychischen Erschlaffung emporreißt, ihn für einen Augenblick auf das 
Niveau des gesunden Menschen emporhebt; aber bald stellt sich ein neuer 
Erschlaffungszustand ein. Im vorgeschritteneren Stadium besitzt der Alkohol 
diese aufrichtende Wirkung nicht mehr und unterdrückt auch nicht mehr das 
Gliederzittem. 

Die Anspannung des Willens, eine energische Kontraktion, schwere Muskel¬ 
arbeit vermögen das Zittern auf einen Moment zu unterdrücken — infolge 
gesteigerter Intensität der zentralen Impulse, aber dann wird das Zittern heftiger 
— infolge einer Erschlaffung, die um so tiefer ist, je größer die vorangehende 
Kraftanstrengung war. 

Das individuelle Zittern der Finger, das von Charcot als Charakteristiken 
des alkoholischen Zitterns angeführt wurde (obwohl dies nicht mehr als stich¬ 
haltig gelten kann, wenn es auch ein häufiges Symptom des Alkoholismus 
darstellt), hängt damit zusammen, daß die motorische Schwäche bei Alko¬ 
holikern in den peripheren Partien am größten ist. Dort treten auch die neu- 
ritischen Lähmungen am frühesten auf. 

Im Delirium tremens ändert sich das Bild: statt des physiologischen 
Charakters des Zitterns stellen sich teils unregelmäßige Bewegungen choreatischer 
Natur, teils unwillkürliche Bewegungen, welche mißlungene zweckmäßige Mit¬ 
bewegungen synergischer Muskelgruppen imitieren, teils den ataktischen nahe¬ 
stehende Bewegungen mit Verstärkung bei der Intention und schließlich alle 
Übergänge bis zum klassischen Muskelkrampfe ein, wobei die Übergangs¬ 
bewegungen besonders an der Gesichtsmuskulatur deutlich sind. Die Gesamtheit 
dieser Vorgänge weist auf eine Reizung der grauen Hirnrinde hin, ähnlich 
wie in den Intoxikationsstadien des Typhus und prinzipiell ähnlich, wie im 
maniakalischen und melancholischen Raptus und im Zorn. Alle übrigen 
klinischen Symptome verraten deutlich eine intensive Reizung des Gehirnes. 

Eine dritte, seltener beobachtete Form des Zitterns, welche durch den 
Fall VII unserer Kasuistik und partiell durch die Fälle III, IV und VT repräsentiert 
wird, ist jenes Zittern, das durch Intention zu einem groben Schwingen ge¬ 
steigert wird; diese Abart erfordert eine besondere Beachtung. Allgemein kann 
man sagen, daß es eine gewisse Ähnlichkeit mit manchen hysterischen Zitter¬ 
formen besitzt und da es auch bei anderen Intoxikationen in derselben Art und 
Weise auftritt, wollen wir es erst später im Zusammenhang besprechen. 

Die Verhältnisse beim Alkohol, die wir so ziemlich am besten kennen, 
sind das Prototyp für viele andere Intoxikationen, und wir wollen daher wieder 
holen, daß wir hier drei Arten des Zitterns beobachtet haben: eine, 
die dem physiologischen, eine zweite, die dem zerebralen und eine 
dritte, die dem hysterischen Zittern nahestand; wir werden von 
einem einfachen, einem zerebralen und einem hysteriformen 
toxischen Zittern sprechen. 

2. Bezüglich des Zitterns bei der Schwefelkohlenstoff Vergiftung, 
das wir genau zu beobachten Gelegenheit hatten, läßt sich dasselbe anführen; 
nur daß die erste Form — der gesteigerte physiologische Tremor bei allgemeiner 
Schwäche des Organismus und speziell bei Erschlaffung der zentrifugal ver¬ 
mittelten Nervenfunktionen — sehr leicht in die dritte, dem hysterischen Zittern 



190 


Zweiter Teil. 


nahestehende Form übergeht, während die zweite, unter den Symptomen einer 
akuten Reizung der grauen Gehirnrinde einhergehende Form nicht beobachtet 
wurde. 

Bei den Vergiftungen mit Schwefelwasserstoff und Kohlen¬ 
oxyd wurde während der in universellen Krämpfen gipfelnden prodromalen 
Erscheinungen ein — nicht näher studiertes — Zittern beobachtet, welches sich 
dem während der Prodrome der Krampfanfälle überhaupt beobachteten Zittern 
nähert, dessen Prototyp das vor dem epileptischen Anfall beobachtete 
Zittern darstellt. In den späteren Stadien der CO-Vergiftung beobachtet man 
auch einen dem hysterischen Zittern nahestehenden Tremor. 

Beim Bromismus können wir eine Erschlaffung der Rindenfunktionen 
und daher eine Steigerung des physiologischen Zitterns voraussetzen. Nach 
Chloralhydrat drängt sich in dem beobachteten Falle eine Erschlaffung der 
Rindenfunktionen geradezu auf — es handelte sich überhaupt um Läsionen 
der Gehimfunktionen —, aber über das Zittern selbst besitzen wir keine näheren 
Daten. 

Nach Jod ist ein bestimmter Teil der beobachteten Zitterfälle sicher durch 
Hyperthyreoidismus bedingt; ob dies immer der Fall ist, läßt sich auf Grund der 
bisher erschienenen, spärlichen Kasuistik nicht entscheiden. 

3. Beim Arsen weisen alle Umstände darauf hin, daß das Zittern mit den 
entstehenden Neuritiden und der daraus resultierenden Ermüdung und Er¬ 
schlaffung der motorischen Apparate parallel läuft. Das Zittern ist also nur eine 
indirekte Folge der Arsen Vergiftung. 

Beim Quecksilber, über das wir wiederum reiche Erfahrungen besitzen, 
können wir alle drei beim alkoholischen Zittern aufgestellten Formen des Zitterns 
ganz deutlich ausgeprägt finden, wenn auch nicht so gesondert, wie beim Alko¬ 
holismus. Noch besser kann man das Zittern beim Quecksilber mit dem nach 
Schwefelkohlenstoff beobachteten Zittern vergleichen. Noch mehr als beim 
Schwefelkohlenstoff finden wir beim Hydrargyrismus die Neigung zur dritten, 
der Hysterie nahestehenden Form des Zitterns, und gerade beim Hydrargyrismus 
wurde diese Form am genauesten und vielleicht zum erstenmal verfolgt. Außer¬ 
dem aber finden wir bei schweren Vergiftungen auch die zweite Form ganz deut¬ 
lich ausgeprägt, die sich noch mit anderen Symptomen der Gehirnläsion, mit 
Schwindel und Krämpfen als häufigen Vorboten des Todes vermengt. 

Bei der Bleivergiftung finden wir wiederum am häufigsten die erste 
Form des Zitterns: das gesteigerte physiologische Zittern, verbunden mit all¬ 
gemeiner Schwäche oder bei beginnender Neuritis oder Lähmung, das auch be¬ 
züglich der Lokalisation den am meisten ergriffenen und geschwächten Stellen 
entspricht, analog wie bei Arsen- und bei manchen Quecksilbervergiftungen 
(bei Leuten, welche Einreibungen mit grauer Salbe an anderen Leuten bezw. 
an Tieren wiederholt vorzunehmen genötigt waren). Außerdem tritt bei 
der sogenannten Cerebropathia satumina die zweite Form, die wir als zerebral 
bezeichnet haben, in den Vordergrund. Bei den übrigen Metallen ist das 
Zittern klinisch nicht so erforscht, daß man dasselbe in pathogenetischer Hinsicht 
näher analysieren könnte. 

4. Nach Nikotin, Coffein und Thein übeiwiegt bei der chronischen 
Vergiftung die erste Form des Zitterns, der gesteigerte physiologische Tremor. 
Nach Coffein und Thein kann man eine Reizung des Nervenmuskelsystems 



Toxisches Zittern. 


191 


und der anisotropen Substanz annehmen, vielleicht auch nach Nikotin, 
obwohl bei diesem die Verhältnisse nicht bei allen Menschen gleich sein werden. 
Aber bei den akuten Vergiftungen ist das Zittern ein anderes, indem es in un¬ 
regelmäßige Muskelkontraktionen übergeht, speziell bei der akuten Kaffee¬ 
vergiftung und bei den experimentellen Vergiftungen mit Nikotin und Coffein, 
bei denen offenbar nahe Beziehungen des Zitterns zu den universellen Krämpfen 
bestehen und wo der Ursprung des Zitterns in einer bedeutenden Reizung der 
grauen Gehirnrinde zu suchen ist. 

Beim Strychnin ist das übrigens wenig bekannte Zittern,der Extremi¬ 
täten sicher im innigen Zusammenhang mit den universellen Krämpfen. 

Ähnliches gilt für die nach Curare beobachteten, dem Schüttelfrost ana¬ 
logen, unwillkürlichen Bewegungen. 

Bei den akuten Vergiftungen mit Atropin und ähnlichen Substanzen 
wurde ein Zittern der zweiten Form beobachtet, das im großen und ganzen 
dem Zittern beim Delirium tremens ähnlich ist. In der Rekonvaleszenz besteht 
ein Tremor von der Art des adynamischen Zitterns. 

Bei den übrigen Alkaloiden und Glykosiden ist die Form des Zitterns 
nicht genügend erforscht. 

Dasselbe gilt für das Zittern nach Kopaiva und nach Kampfer. 

Bei der Pilzvergiftung nähert sich das Zittern den Krampferschei- 
nungen, was auch von den seltenen Beobachtungen beim Ergotismus gilt. 

Bei der Pellagra sind die näheren Verhältnisse aus den bunten Beschrei¬ 
bungen nicht zu ermitteln; es scheint, daß eine schwere allgemeine Adynamie 
mit einer Veränderung in den Muskeln kombiniert ist, welche den körperlichen 
Zustand der Kranken mit dem beim sogenannten senilen Tremor beobachteten 
Zustand zu vergleichen gestattet, bei welchem dann eine genauere Analyse 
des Tremors versucht werden soll (Läsionen des Sarkoplasmas). 

5. Nach Suprarenininjektionen und nach dem unmäßigen Genuß 
der Schilddrüsenpräparate beobachtet man einen Symptomenkomplex 
mit ausgesprochenem Zittern, der den Schluß gestattet, daß hier sowohl die 
zentrale Innervation erschlafft, als auch die anisotrope Substanz toxisch ge¬ 
reizt ist, welcher Einfluß auf die Muskulatur der Thyreoidea (Dissimilatorische 
Hormonfunktion, Biedl 105 und 106, erhöhte Dissimilation und gesteigerte 
Funktion — reizbare Schwäche), besonders aber den Nebennieren, dem Adre¬ 
nalin, auf Grund der experimentellen Erfahrungen und auf Grund der nach¬ 
gewiesenen Myasthenie ohne Tremor bei der Addison sehen Krankheit zuge¬ 
schrieben wird. 

Bei der Addisonschen Krankheit gehört das Zittern nicht in das klinische 
Bild; es ist aber interessant, daß es Boinet nach der Adrenalintherapie auftreten 
sah und namentlich dann, wenn sich die Krankheit bessert. Der Charakter 
der Addisonschen Myasthenie deutet darauf hin, daß hier die anisotrope Sub¬ 
stanz mehr leidet als das Sarkoplasma (der Tetanus ist zwar glatt, aber die 
Muskeln werden bei der Funktion müde und schlaff) oder wenigstens sicher 
in hohem Grade neben der geringeren Erschlaffung des Sarkoplasmas; das 
Adrenalin reizt die anisotrope Substanz, steigert ihre Reizbarkeit und dann erst 
tritt das Adrenalinzittem auf. In ähnlicher Weise ist auch die Erbsche My¬ 
asthenie, bei der wir ebenfalls nur eine große Ermüdbarkeit der anisotropen Sub¬ 
stanz neben einer eventuellen Ermüdbarkeit des Sarkoplasmas voraussetzen 



192 


Zweiter Teil. 


können (der Tetanus ist normal, aber die Kontraktionen können sich nicht 
wiederholen), nicht von einem Tremor der Hände begleitet. 

Uber den Einfluß der Epithelkörperchen auf das Zittern existieren 
keine Erfahrungen. 

6. Das bisher vorliegende Material zur Beurteilung des Zitterns infolge 
Autointoxikation (bei Säuglingen und kleinen Kindern) ist noch ungenügend; 
nur so viel läßt sich anführen, daß das Zittern und die unwillkürlichen Bewegungen 
unter denselben Umständen beobachtet werden, unter denen die eklamptischen 
Anfälle und Fraisen aufzutreten pflegen, was wiederum auf eine Reizung des 
Gehirns und auf eine nahe Verwandtschaft mit den klonischen Krämpfen 
hindeutet. 


Gesamturteil über das „toxische“ Zittern. 

Im allgemeinen kann man sagen, daß, insofern die näheren Umstände 
der ,,toxischen“ Zitterformen bekannt sind, ihre äußeren Merkmale sich von¬ 
einander nicht in dem Grade unterscheiden, daß man das Wesen dieses Zitterns 
in den toxikologischen Eigentümlichkeiten der einzelnen Präparate suchen 
könnte. Wir haben gesehen, daß sich das toxische Zittern unter allgemeinen 
Umständen, die bei den verschiedenen Vergiftungen prinzipiell dieselben sind, 
in demselben Sinne ändert, und daß wir bei allen Vergiftungen folgende Arten 
des Zitterns unterscheiden können: 

1. Das einfache Zittern, d. i. das gesteigerte physiologische Zittern. 
Dasselbe ist die Folge einer allgemeinen Schwäche, eines Verfalls, bei dem 
wir auch eine schlaffe Innervation der motorischen Ganglienzellen annehmen 
können (chronische Vergiftungen, oder Rekonvaleszenz nach akuten Vergiftungen 
mit Alkohol, Morphium, Äther, Absinth, Brom, Chloralhydrat); manchmal 
gesellt sich noch eine mehr oder weniger an der Peripherie sichtbare Läsion 
der motorischen Nerven (chronische Vergiftung mit Alkohol, Arsen, Queck¬ 
silber, Blei, Schwefelkohlenstoff, Pellagra?) hinzu; dieses Zittern ist besonders 
dort ausgeprägt, wo mit der allgemeinen Schwäche eine gesteigerte Erregbarkeit 
des Gehrins, der Vasomotoren, der anisotropen Substanz einhergeht (Thy- 
reoidismus, Suprarenin, vielleicht auch Coffein, Thein und Nikotin?). Bei 
allen diesen drei Arten ist die klinische Form des Zitterns dieselbe: die Form 
des gesteigerten physiologischen Zitterns. 

2. Das „zerebrale“ Zittern, d. i. ein Zittern, welches durch imregel¬ 
mäßige motorische Impulse für einzelne Muskeln und Muskelgruppen charak¬ 
terisiert und noch mit anderen Erscheinungen der Gehirnreizung verbunden 
ist. Eigentlich handelt es sich hier um ein Gemisch der ersten Form des Zitterns 
mit unwillkürlichen Bewegungen, welche nicht unter den Begriff der Zitterbe- 
wegung subsummiert werden können, sondern sich den klonischen Krämpfen 
im weitesten Sinne des Wortes nähern (alkoholisches Delirium tremens, Cere- 
bropathia satumina acuta, Cerebropathia mercurialis acuta; akute Vergif¬ 
tungen mit Schwefelkohlenstoff, Kohlenoxyd, Atropin, Autointoxikation bei 
Säuglingen u. a.; Vergiftungen mit Strychnin? Curare? Pilzen? Ergotin?) 

3. Das hysteriforme Zittern, d. i. ein grobes, großes Zittern, das sich 
bei der Intention zu einem groben Schwingen der ganzen Extremitäten oder gar 
des ganzen Körpers verstärkt und mit den gewöhnlich bei Hysterie beobachteten 
Symptomen einhergeht. (Wirkung äußerer Einflüsse auf seine Intensität, 



Toxisches Zittern. 


193 


therapeutische Erfolge, Sensibilitätsstörungen, psychischer Zustand.) Am be¬ 
kanntesten ist diese Form des Zitterns bei der Quecksilbervergiftung, sie kommt 
aber auch bei der Vergiftung mit Schwefelkohlenstoff, Alkohol, Kohlenoxyd 
vor. Ich vermute nun, daß man auch bei den anderen Vergiftungen dieselbe 
Erscheinung beobachten könnte, wenn nur in jedem Falle von chronischer Ver¬ 
giftung genügend darauf geachtet würde. 

Die Arbeiten von Charcot, Dutil und namentlich von Letulle haben 
diese Frage bei der chronischen Quecksilbervergiftung scheinbar dahin ent¬ 
schieden, daß es sich um einen hysterischen Tremor handelt, bis Guillain und 
Laroche die ganze Frage von neuem auf rollten und den Beweis zu führen 
suchten, daß es sich um ein Zittern zerebralen Ursprungs infolge von organi¬ 
schen Veränderungen des Zentralnervensystems handle. 

Unser Fall von Quecksilbervergiftung (im ersten Stadium der Krankheit 
von Syllaba beschrieben) ist ein Beispiel dafür, wie schwer unter Umständen 
die Entscheidung sein kann; denn wir haben in diesem Falle eine Reihe von Stö¬ 
rungen vor uns, die sich schwer durch Hysterie erklären lassen, da keine sog. 
hysterischen Stigmata vorliegen; wir haben aber auch keine sicheren Symptome 
für eine organische Erkrankung des Gehirns, und das klinische Bild des Zitterns 
führt uns, wie wir auch aus den entsprechenden Kurven ersehen, am ehesten 
zu einem Vergleich mit dem hysterischen Zittern. Die Fälle, welche Proust 
und Charcot (Schurmacher) anführen und die sieben Fälle, welche Letulles 
Schüler Mugnerot beschrieb, müssen wir als hysterisch auffassen. 

Bei der Kohlenoxyd Vergiftung ist der Fall Beckers, den wir ausführlich 
beschrieben haben, ebenfalls unsicher, denn er erinnert in gleicher Weise an die 
Herdsklerose wie an die Hysterie, ohne hysterische Stigmata oder sklerotische 
Symptome aufzuweisen; trotzdem aber deuten unwillkürliche Bewegungen der 
Hand ,,wie beim Klavierspiel“ darauf hin, daß eine hysterische Komponente 
nicht in Abrede zu stellen ist. 

Dagegen sind unsere Fälle von Schwefelkohlenstoffvergiftung schon ein¬ 
deutiger: bei beiden überwiegen im ersten Krankheitsstadium organische und 
unstreitig toxische Symptome, speziell die Symptome einer peripheren Neuritis 
an den Extremitäten; dazu kommen funktionelle Symptome und zwar man- 
chettenförmig lokalisierte Sensibilitätsstörungen, eine hochgradig gesteigerte 
vasomotorische Erregbarkeit, eine gesteigerte mechanische Muskelerregbarkeit. 
Nach einer langen Reihe von Wochen treten die organischen Störungen in 
den Hintergrund, die herabgesetzten Sehnenreflexe steigern sich, endlich ent¬ 
steht ein Zittern, das sich durch Intention zu einem unregelmäßigen Schwingen 
steigert, und ein Symptomenkomplex, der im ersten Fall dem Fürstner- 
Nonnesehen Syndrom ganz analog ist. Dies findet zu einer Zeit statt, da 
die Kranken schon längst nicht mehr dem schädlichen Einfluß des Schwefel¬ 
kohlenstoffs ausgesetzt sind, sich aber inmitten der Entschädigungsprozesse 
befinden. Es fehlt uns leider das therapeutische Resultat, ähnlich wie im 
Falle Letulles, um ein sicheres Urteil abgeben zu können, aber trotzdem 
glaube ich, daß kein Zweifel darüber bestehen dürfte, daß diese Form des 
Zitterns psychischen und keineswegs organischen Ursprungs ist. 

Unsere Fälle von Alkoholvergiftung III., IV., VI. und namentlich der 
Fall VII sind aus einem doppelten Grunde wichtig. Erstens sind sie ein Beweis 
dafür, daß auch beim chronischen Alkoholismus ein ähnliches klinisches Bild 
Peln&f, Zittern. 13 



194 


Zweiter Teil. 


vorkommt, wie bei der Quecksilber- und Schwefelkohlenstoff Vergiftung, eine 
Tatsache, die ich noch nirgends verzeichnet fand. Sie können daher die sehr 
wahrscheinliche Hypothese stützen, die wir an die Spitze dieses Absatzes ge¬ 
stellt haben, daß nämlich das hysteriforme Zittern eine Allgemeinerscheinung 
bei chronischen Vergiftungen bildet. Zweitens sind sie von Wichtigkeit für einen 
Vergleich mit unseren Fällen von Schwefelkohlenstoff Vergiftung. Bei allen 
Fällen (IV., VI., VII. — vom II. fehlt die Krankheitsgeschichte) handelte 
es sich um ein subakutes, alkoholisches Delirium, bei allen waren leichte Neuri¬ 
tiden vorhanden, aber bei allen waren die Sehnenreflexe gesteigert. Es kom¬ 
binierte sich also bei unseren Alkoholikern wie bei den beiden mit Schwefel¬ 
kohlenstoff Vergifteten jene eigentümliche Zitterform mit einer leichten Ent¬ 
zündung der peripheren Nerven. Bei dem typischen Fall (VII.) störte das Zittern 
beim Gehen und die bei Intention eintretende Verstärkung des Zitterns zu 
einem groben Schwingen der Extremitäten ähnelte keiner einzigen bei organischen 
Störungen des Zentralnervensystems vorkommenden Zitterform — stimmte 
aber auffällig mit dem hysterischen, besonders mit dem nach Unfällen häufig 
beobachteten Zittern überein. 

Ich glaube daher, daß das sogenannte hysteriforme Zittern bei chronischen 
Vergiftungen psychischen, „pithiatischen“ (im Sinne Babinskis) Ursprungs 
ist und daß das Gefühl von Schwäche der Extremitäten infolge der Neuritis 
und das Gefühl der allgemeinen Erschlaffung — sei sie nun direkt toxisch 
(Ernährungsstörungen) oder psychogen (Furcht vor dauerndem Siechtum, 
Begehrungsvorstellungen) bedingt — die Hauptursachen desselben bilden. 

Ich will nicht der Anschauung beistimmen, daß die chronischen Queck¬ 
silber- oder Schwefelkohlenstoff Vergiftungen überhaupt nur Neurosen seien, 
sondern halte es für erwiesen, daß sich in dem bunten klinischen Bilde dieser 
Vergiftungen Symptome organischer Störungen mit funktionellen, psychogenen 
Symptomen vermischen. 

Ich behaupte nicht einmal, daß alle die eigenartigen Formen des Zitterns 
bei diesen chronischen Vergiftungen funktionellen Ursprungs seien, sondern 
ich lege im Gegenteil großes Gewicht darauf, daß bei diesen Vergiftungen 
außer dem einfachen und hysteriformen Zittern noch eine komplizierte Zitter¬ 
form organischen Ursprungs vorkommt, die ich mit dem Attribut „zerebral“ 
bezeichnet habe. 

VI. Das Zittern bei der VI. Gruppe. 

Die Pathogenese dieser Zitterformen ergibt sich aus den im beschreibenden 
Teile geschilderten Verhältnissen. 

VII. Die Neurosen. 

Das Zittern bei der einfachen Nervosität, bei Neurasthenie und 
Psychasthenie ist im großen und ganzen eine Begleiterscheinung der beiden 
eben besprochenen Zustände — des adynamischen und des erethischen. 

Wir haben gesehen, daß sowohl die Adynamie als auch der Erethismus 
von Zittern begleitet ist. Bei beiden Zuständen steigert sich das physiologische 
Zittern. Bei den adynamischen Zuständen ist es geringer, beim Erethismus 
stärker. 



Die Neurosen. 


195 


Bei der Psychasthenie nimmt es häufig gewisse Eigenschaften des hysteri¬ 
schen Zitterns an. 

Bei der Epilepsie treten noch ein Tremor im Beginne und am Ende der 
klonischen und tonischen Krämpfe und die sogenannten Zitteräquivalente 
hinzu; unter allen diesen Umständen handelt es sich um jene Form des Zitterns, 
die den Vorläufer und den Übergang zum klonischen Muskelkrampf darstellt 
und sich von dem eigentlichen Wesen des Zitterns entfernt. 

Bei den Psychosen gibt es, wie wir gesehen haben, keine besonderen 
Zitterformen und ihre Erklärung fällt mit der Erklärung des emotiven, adyna- 
misehen und zerebralen Zitterns zusammen. 

Anders verhält es sich bei der Hysterie. Hier sehen wir außer dem ge¬ 
steigerten physiologischen Zittern — das der Nervosität überhaupt gemeinsam 
ist — prägnante Syndrome, die teils dem bei organischen Krankheiten beobach¬ 
teten ähnlich sind (Imitation der Parkinsonschen Krankheit, der zerebrospi- 
nalen Sklerose), teils, weil sie individuell verfärbt und in jedem einzelnen Fall 
ein wenig verschieden sind, einen gewissen klinischen Typus und ein bizarres 
Verhalten an den Tag legen. 

Alle die bizarren, von uns beobachteten — oben bei der Besprechung der 
Hysterie beschriebenen — Zitterformen haben die gemeinsame Eigenschaft, 
daß sie sehr leicht simuliert, künstlich hervorgebracht und daher auch imitiert, 
durch Autosuggestion erzeugt werden können. Alle lassen sich aber auch durch 
banale Suggestivmittel beseitigen. (Vergleiche unsere Erfahrungen über 
Simulation.) 

Die auffallendste Form: das Intentionsschwingen der, sei es durch einen 
Unfall betroffenen, sei es von einer scheinbar unwillkürlichen Lähmung oder 
Kontraktur ergriffenen Extremität, also einer Extremität, auf welche die Auf¬ 
merksamkeit des Kranken eben wegen ihrer Unzulänglichkeit gerichtet ist, 
läßt sich durch eben diesen psychischen Zustand des Kranken erklären. Die 
Vorstellung des Zitterns ist im Geiste eines jeden Menschen mit der Vorstellung 
der Schwache verbunden (,,er zittert vor Schwäche“), daher das häufige Zittern 
eines solchen Gliedes in der Ruhe und bei statischer Innervation. Bei der 
Bewegung muß die Unvollkommenheit der Extremität natürlich durch einen 
noch stärkeren Tremor hervortreten, der nicht etwa simuliert, sondern durch 
ein halb unwillkürliches Urteil des Kranken postuliert und durch Autosuggestion 
hervorgerufen ist. Wenn wir genau Zusehen, wie der hysterische Patient die 
Bewegung mit dem ergriffenen Gliede ausführt, fällt es sofort auf, daß er die 
Muskeln anders innerviert, als der gesunde Mensch: bei größerer Kraftanstrengung 
erzielt er nur einen kleinen lokomotorischen Effekt; bei der Innervation der 
Agonisten tritt keine Erschlaffung der Antagonisten ein, sondern im Gegenteil 
eine starke Anspannung der Antagonisten, die nicht selten stärker ist als die An¬ 
spannung der Agonisten; die ganze Extremität ist schon bei einem geringen loko¬ 
motorischen Effekt ungeheuer gespannt; daher hat bei der intendierten Bewegung 
das Zittern, sobald es durch Autosuggestion entstanden ist, einen so vehementen 
Charakter, eine so ungeheuere Intensität und so große Amplituden. Es handelt 
sich nicht um eine Störung der Innervation der Agonisten, wie beim physio¬ 
logischen Zittern, sondern um eine unwillkürliche Schüttelbewegung, die ab¬ 
wechselnd in den maximal gespannten und gleichzeitig innervierten Agonisten 

13* 



196 


Zweiter Teil. 


und Antagonisten vor sich geht. Daher wird auch der Kranke durch dieses 
hysterische Intentionszittern so sehr erschöpft und ermüdet. 

Daher ist auch gerade dieses hysterische Intentionszittern am meisten 
ausgeprägt nach Traumen, wo die Autosuggestion von der Unzulänglichkeit 
der ergriffenen Extremität am größten ist und wo der Kranke, wenn er gericht¬ 
liche Ansprüche erhebt und wenn er ein ehrenhafter und dabei hysterischer 
Mann ist, mit größter Furcht und Angst wegen der eventuellen Entscheidung 
gerade dieses objektiv sichtbare Symptom seiner Krankheit ängstlich pflegt und 
dadurch seine Autosuggestion noch mehr befestigt. 

Das, was bei einem jeden Menschen hier und da deutlich vorhanden sein 
kann: das Zittern der auf die Fußspitze gestützten Unterextremität, das Zittern 
der Hand bei statischer Innervation, ist bei hysterischen Personen vergrößert, 
durch Nachahmung deutlich gemacht; statt des physiologischen Zitterns der 
Agonisten entsteht eine Wechselbewegung der Agonisten und Antagonisten, 
die durch die einmal entstandene Autosuggestion genährt, vergrößert und durch 
die klinische Prüfung, Registrierung und Beschreibung stabilisiert wird. 

Die klinische Beobachtung aller hysterischen Zitterformen hat mich stets 
am meisten in der Ansicht bestärkt, daß die Anschauungen Babinskis über 
das Wesen der hysterischen Symptome richtig und zutreffend sind. In dieser 
Ansicht wurde ich besonders durch die stereotype Wiederholung ein und des¬ 
selben Bildes bei Personen derselben Kategorie, z. B. bei Arbeitern, die von der 
Arbeiterversicherungsanstalt unserer Klinik zwecks Abgabe eines Gutachtens 
zugewiesen wurden, bestärkt. 

Mit dieser Erklärung stimmt die Tatsache gut überein, daß wir bei diesem 
Zittern jene Bewegungen beobachteten, die am leichtesten und mit der geringsten 
Anstrengung auszuführen sind: Flexion und Extension im Ellbogengelenk, 
Pronation und Supination des Vorderarms, seltener, aber noch immer häufig, 
Flexion und Extension im Handgelenk, aber keineswegs jene, die künstlich 
schwer nachzuahmen sind, wie z. B. der individuelle Tremor der Finger, die Be¬ 
wegungen des Oberarms. 

Mit dieser Erklärung stimmt ferner auch die Erfahrung überein, daß bei 
Hysterischen und ganz besonders bei traumatischen Hysterien das Zittern 
in der Ordination des Arztes am größten ist; daß man bei sorgfältiger und un¬ 
auffälliger Beobachtung des Kranken konstatieren kann, daß dieser bei denselben 
Bewegungen überhaupt nicht zittert; daß ein solcher Patient bei derselben Be¬ 
wegung mehr zittert, wenn er sie ad demonstrandum vollführt, als wenn er sie 
zu einem banalen Zwecke ausführt, z. B. daß er bei jeder Bewegung der Hand 
und der Füße ungeheuer zittert, aber nach vollendeter Untersuchung die Bein¬ 
kleider im Stehen anzieht, ohne zu zittern usw. 

Aus demselben Grunde ist die Unterscheidung des hysterischen Zitterns 
von dem simulierten so schwer. Ich beurteile alle oft mit großem Scharfsinn 
erdachten Methoden zur Entlarvung der Simulation (Fuchs, Erben u. a.) 
sehr skeptisch. Unterschiede lassen sich nur zwischen dem organischen und dem 
simulierten Zittern konstatieren, z. B. zwischen Simulation und Herdsklerose, 
aber keineswegs zwischen Simulation und Hysterie, denn das hysterische Zittern 
ist nichts anderes als eine absichtliche Bewegung und der Unterschied zwischen 
dieser und der einfachen Simulation ist nur ein moralischer, aber kein 
pathogenetischer. Das hysterische Zittern ist eine unwillkürliche, 



Basedowsche Krankheit. — Parkinson sehe Krankheit. 


197 


durch Autosuggestion hervorgerufene, durch Furcht und Ängst¬ 
lichkeit genährte Simulation, während die einfache Simulation 
nur durch die gemeine Sucht zu täuschen oder Vorteile zu gewinnen 
geleitet wird. 


VIII. A. Basedowsche Krankheit. 

Die Pathogenese des Zitterns bei dieser Krankheit fällt zusammen mit 
der Pathogenese des toxischen Zitterns nach Schilddrüsen- und Nebennieren¬ 
präparaten. Es handelt sich um einen gesteigerten physiologischen Tremor 
infolge Erschlaffung der zentralen Innervation und toxischer Erregung der 
anisotropen Substanz, verbunden mit einer gesteigerten Dissimilation in 
der Muskulatur (Dissimilatorische Hormon-Tätigkeit, Biedl, S. 105 u. 106). 
Jeder Muskel, der bei dem Kranken eine Arbeit auszuführen hat, oszilliert 
auffallend. Der Kranke kann durch Anspannung des Willens (Verstärkung 
der Intensität der zentralen Innervation) das Zittern für einen Moment mäßigen; 
deswegen malt er beim Schreiben die einzelnen Buchstaben in raschen Zügen 
oder schreibt er jeden Teil des Buchstabens isoliert, er vermeidet längere Linien 
und daher zeigt sich das Zittern nicht so deutlich an der gewöhnlichen Schrift 
wie beim Zeichnen großer Drucktypen und langer Linien. 

Wie bei anderen toxischen Zitterformen mischen sich auch hier im Zu¬ 
stande einer stärkeren Erregung dem gewöhnlichen Zittern unregelmäßige, 
choreatische und andere Bewegungen bei. 


VIII. B. Parkinsonsche Krankheit. 

Bei der Parkinsonschen Krankheit ist das Zittern ein sehr typisches 
und sehr regelmäßiges, man könnte sagen, monoton regelmäßiges Symptom. 
Aber die Erklärung dieses Zitterns ist meiner Ansicht nach das schwierigste 
Kapitel in der Pathogenese des Zitterns. Nach einem genauen Studium kam 
ich zu dem Schlüsse, daß die Pathogenese dieses Zitterns nicht anders als im 
Rahmen der Pathogenese der ganzen Krankheit gelöst werden kann, weshalb 
eine diesbezügliche Abschweifung von dem eigentlichen Thema unvermeidlich 
und eine Besprechung der Pathogenese der Parkinsonschen Krankheit über¬ 
haupt unbedingt notwendig ist. 

JWesen der Parkinsonschen Krankheit. 

Es ist ungemein schwer, sich eine einheitliche Vorstellung über den Ursprung 
dieser Krankheit zu machen. 

Es wurden bereits alle möglichen Hypothesen aufgestellt: sie sei eine Neurose 
ohne anatomische Veränderungen, eine herdförmige Gehimkrankheit, eine 
zerebrospinale Erkrankung, eine Muskelerkrankung, eine endogene Intoxikation, 
beginnend von einer unbestimmten Autointoxikation bis zu den endokrinen 
(von den Drüsen mit innerer Sekretion ausgehenden) Intoxikationen und schlie߬ 
lich eine exogene, der rheumatischen Infektion verwandte Intoxikation. 

Für eine jede dieser Theorien lassen sich Gründe anführen, aber auch 
Einwendungen gegen dieselben erheben. 



198 


Zweiter Teil. 


Bis jetzt hat niemand versucht, eine einheitliche Theorie aufzustellen, 
durch welche sich die verschiedenen Symptome dieser Krankheit, speziell 
die Rigidität, das Zittern, der progressive Charakter und die Unheilbarkeit 
gleichzeitig erklären ließen. 

I. 

Am schwächsten ist die Hypothese, daß es sich um eine Neurose des 
motorischen Systems handelt. Sie ist einfach der Ausdruck für die Er¬ 
fahrung, daß wir bei der Autopsie manchmal keinen Befund am zentralen Nerven¬ 
system erheben können und daß im Krankheitsbilde die motorischen Störungen 
überwiegen. Wenn wir jedoch erwägen, daß auch die sensitiven Organe leiden, 
besonders in den Anfangsstadien, und daß ziemlich oft auch objektive sensitive 
Läsionen gefunden wurden, werden wir die Bezeichnung: motorische Neurose 
fallen lassen. Die Neurose selbst ist kein pathogenetischer Begriff, so daß 
wir uns mit diesem bloßen Namen nicht weiter beschäftigen müssen. 

II. 

Die meisten Forscher und auch jene der jüngsten Zeit gelangen zu dem 
Schlüsse, die Parkinsonsche Krankheit sei eine zerebrospinale 
Herderkrankung, deren Lokalisation sich auf die graue Substanz und die 
mesenzephalischen Bahnen, auf den Thalamus, den Locus niger, das Corpus 
Luysii, den Nucleus ruber und die Kleinhirn bahnen im Gehirn und im ver¬ 
längerten Marke konzentriere. 

Diese Hypothese basiert auf keinem regelmäßigen anatomischen Befund 
und stützt sich daher auf indirekte Beweise. (Eine schöne Sammlung der ana¬ 
tomischen Befunde siehe bei Cast6ran 1909, Mendel 1911.) 

1. Die Symptome beginnen oft auf einer Körperhälfte, bleiben lange auf 
diese beschränkt und breiten sich über die Extremitäten in ähnlicher Weise aus 
wie die Jacksonsche Epilepsie. 

2. Die Krankheit geht mit zahlreichen zerebralen Herderscheinungen 
einher. 

3. Die Krankheit ist mit erhöhtem Muskeltonus und gesteigerten Reflexen 
verbunden. 

4. Sie ist manchen Syndromen bei den sog. „lacunaires“ ähnlich. 

5. Sie zeigt Symptome wie nach manchen Kleinhimreizungen. 

6. Sie beginnt manchmal nach einer deutlichen Gehimapoplexie. 

7. Sie beginnt manchmal sehr bald nach einem psychischen Trauma. 

8. Das Zittern verschwindet im Schlafe. 

9. Die Symptome steigern sich im Affekt. 

10 Sie geht, wie andere zerebrospinale organische Erkrankungen, mit ther¬ 
mischen und trophischen Erscheinungen einher. 

11 Sie besitzt psychische Komplikationen. 

Wir wollen uns mit diesen Beweisen etwas näher beschäftigen. 

Ad 1. Aus der Übersicht unserer Fälle, soweit diesbezügliche ana¬ 
mnestische Angaben nicht fehlen, geht folgendes hervor. 

Die Symptome (speziell das Zittern) begannen bei 24 Fällen: 


an der rechten oberen Extremität.7 mal 

an der linken oberen Extremität.4 ,, 





Parkinson sehe Krankheit. 


199 


an den linken Extremitäten.2 mal 

an allen vier Extremitäten.3 ,, 

an den beiden oberen Extremitäten.3 ,, 

an den beiden unteren Extremitäten.3 ,, 

an der rechten unteren Extremität.1 ,, 

an der linken unteren Extremität.L ,, 


also unter 24 Fällen 13 mal monoplegisch, 6 mal paraplegisch, 2 mal hemiplegisch 
und 3 mal quadraplegisch. 

In keinem einzigen Falle blieb der monoplegische oder hemiplegische 
Charakter dauernd bestehen, sondern das Zittern ging stets auf die übrigen Ex¬ 
tremitäten über. Unter den 13 Fällen mit monoplegischem Beginn entwickelte 
sich nur einmal eine dauernde hemiplegische Form, dagegen 3 mal die para- 
plegische der oberen Extremitäten (in einem Falle verschonte sie 19 Jahre die 
unteren Extremitäten). In den übrigen Fällen waren 3—4 Extremitäten er¬ 
griffen und da schritt das Zittern nur viermal entsprechend der anatomischen 
Nachbarschaft der motorischen Zentren oder analog der Jacksonschen Epi¬ 
lepsie vor. 

Das Zittern begann, insofern es nicht die obere und untere Extremität 
oder alle vier Extremitäten gleichzeitig ergriff, an den oberen Extremitäten 
14 mal, an den unteren 5 mal. 

Einer unserer Patienten (B.Fr. Nr. 2), der mit Unterbrechungen sechs Jahre 
in unserer Behandlung stand und totale Intermissionen seiner Krankheit zeigte, 
hatte anfangs eine paraplegische Lokalisation an den Beinen (nachdem er im 
Dezember ins Wasser gefallen war), sodann eine vorwiegend rechtsseitige hemi¬ 
plegische, später eine quadraplegische, dann wiederum eine rechtsseitige hemi¬ 
plegische, dann neuerdings eine reine paraplegische der unteren Extremitäten 
und schließlich eine monoplegische Lokalisation an der rechten unteren Extremität. 

Aus diesen Ziffern ist zu ersehen, daß die Symptome und speziell das 
Zittern unstreitig häufig und zwar mindestens in der Hälfte der Fälle mono¬ 
plegisch, dagegen selten hemiplegisch (zusammen in 5 /s der Fälle) beginnen. 
Dieses Faktum, durch welches sich die Parkinsonsche Krankheit von allen 
anderen nicht zerebralen Zitterformen unterscheidet, könnte auf einen Zusammen¬ 
hang mit Veränderungen des zentralen Nervensystems hindeuten. 

Doch erfolgt die Ausbreitung der Krankheit absolut nicht in der bei 
zerebralen Affektionen üblichen Weise. 

Gegenüber den auffallenden Fällen, in denen das monoplegische Zittern 
selbst mehrere Jahre isoliert blieb, verfügen wir über einen Fall, in welchem 
das Zittern von einer oberen Extremität auf die andere überging und auf diese 
19 Jahre beschränkt blieb, ohne die unteren Extremitäten zu ergreifen. 

Wenn wir uns einen solchen Fall vor Augen halten und auch den Umstand 
erwägen, daß die Symptome überhaupt an den oberen Extremitäten dreimal 
so häufig beginnen als an den unteren, ohne daß sich die hemiplegische Form 
entwickeln würde, kommen wir zu der Erkenntnis, daß die Symptome den bei 
zerebralen Affektionen gewohnten Gesetzen überhaupt nicht folgen; wir müssen 
daher andere Möglichkeiten für die Erklärung des monoplegischen Beginns 
an den oberen Extremitäten suchen. 

(Auch bei der Basedowschen Krankheit sah Maude einseitiges Zittern 
bei einseitiger Struma.) 









200 


Zweiter Teil. 


Ad 2. Die Krankheit geht mit zahlreichen zerebralen Herd¬ 
erscheinungen einher. Dieses Faktum ist unbestreitbar. Es handelt 
sich da gewöhnlich um geringe Veränderungen und um Herde von geringfügigen 
Dimensionen, wie man sie bei degenerativen Veränderungen der Himgefäße 
zu sehen gewöhnt ist: Paresen der Augenmuskeln, Parese des einen Gesichts¬ 
nerven, Atrophie der Zunge und bulbäre Symptome überhaupt, einzelne Muskel¬ 
atrophien, Babinskisches Symptom, Fußklonus, Nystagmus, Intentions- 
zittem, Argyll-Robertsonsche Pupillen. 

Diese Störungen sind ziemlich häufige Erscheinungen, wenn wir auf 
Grund der Literatur urteilen; sie finden sich ziemlich häufig verzeichnet; wenn 
wir aber die Häufigkeit der Parkinson sehen Krankheit berücksichtigen, 
ist die Zahl dieser positiven anatomischen Befunde doch nicht groß genug, 
um darauf eine einheitliche Pathogenese gründen zu können. Souques, 
der einen Fall mit bulbären Symptomen publizierte, zitiert Bruns, der in 4 
von 74 Fällen bulbäre Symptome gefunden haben soll. Diese Zahl sagt dasselbe, 
was unsere Erfahrungen lehren: denn wir fanden nur ein einziges Mal Atrophie 
der Zunge, einmal eine vorübergehende Lähmung eines Augenmuskels, einmal 
vollständige Pupillenstarre und senile Demenz, einmal Epilepsia tarda, einmal 
verdächtige Schwindelanfälle und Chorioretinitis — unter 26 Fällen, von denen 
wir Krankheitsgeschichten besaßen. Außerdem sahen wir einmal Tabes dor- 
8alis und einmal eine Parese im Bereiche beider Peronei. 

Diese Mannigfaltigkeit deutet darauf hin, daß es sich um Kombinationen, 
keineswegs um Symptonme der Grundkrankheit handelt. Es kommt ihnen die¬ 
selbe Bedeutung zu wie den mannigfaltigen anatomischen Befunden. Wir können 
höchstens annehmen, daß das Zentralnervensystem bei der Parkinson sehen 
Krankheit infolge der gleichzeitigen degenerativen Prozesse in den Gefäßen 
sehr häufig in Mitleidenschaft gezogen ist. 

Aber diese Fälle beweisen ebensowenig wie die anatomischen Befunde, 
daß die Parkinsonsche Krankheit eine Folge degenerativer Gehimverände- 
rungen ist. 

Ad 3. Die Parkinsonsche Krankheit ist mit erhöhtem Muskel¬ 
tonus und gesteigerten Reflexen verbunden. 

Die Ähnlichkeit der Rigidität mit der hemiplegischen Kontraktur ist nur 
eine oberflächliche; schon Charcot hat auf einen kardinalen Unterschied 
hingewiesen: der Kranke mit Parkinson scher Krankheit bewegt mit der 
starren Extremität, der Hemiplegiker aber nicht. Blocq reihte sie in seiner 
These unter die sogenannten Pseudokontrakturen ein, obwohl er es nicht be¬ 
zweifelt, daß die Krankheit ihren Ursprung im Zentralnervensystem nimmt. 

Es gibt aber mehrere Unterschiede. Die Rigidität besteht auch im Ruhe¬ 
zustand, sie wird durch passive Bewegungen, durch Erschütterungen eher ge¬ 
ringer und ihre Lokalisation ist von der bei Hemiplegie verschieden; die Patellar-, 
Achillessehnen- und Plantarreflexe weisen nicht auf eine Läsion der Pyramiden¬ 
bahnen hin; die aktive Beweglichkeit ist ganz verschieden: der Hemiplegiker 
hebt seine Extremität, wie wenn sie mit einem schweren Gewicht belastet wäre, 
rasch, aber schwer; der Patient mit Parkinsonscher Krankheit aber so, wie 
wenn er nicht wüßte, wie anzufassen, wie wenn er die Hand nicht in seiner Ge¬ 
walt hätte, langsam, aber dann leicht — oder überhaupt leicht. Bei den spasti¬ 
schen Formen der zentralen Läsionen ist die reflektorische Erregbarkeit der 



Parkinson sehe Krankheit. 


201 


Muskeln erhöht und diese antworten mit einem universellen Spasmus auf einen 
jeden Reiz — auf einen peripheren wie auf einen zentralen — wobei eine gewisse 
Ähnlichkeit mit der Tätigkeit der Muskulatur beim Tetanus, bei der Strychnin¬ 
vergiftung (Paraplegia spastica) besteht, doch können die Muskeln im Zustande 
der vollkommenen Ruhe vollständig erschlaffen, während sie bei der Parkin¬ 
son sehen Krankheit im Zustande der vollkommenen Ruhe am meisten rigid 
werden. Der Hemiplegiker und der Spastiker fühlen sich im Bette am wohlsten 
und bei aktiven Bewegungen am schlechtesten; dem mit Parkinsonscher 
Krankheit behafteten Patienten ist am schlechtesten bei Nacht, wenn er im Bette 
liegt, und am besten bei Bewegungen. Bei den spastischen Paresen verschwinden 
die Spasmen nach Durchschneidung der Hinterstränge, während bei der mit 
Tabes dorsalis kombinierten Parkinsonschen Krankheit die Rigidität und das 
typische Zittern fortbestehen. Die Parkinson sehe Rigidität ist von einem 
merkwürdigen Zittern begleitet, das in die Symptomatologie der spastischen 
Zustände absolut nicht gehört; die seltenen Fälle, bei denen es beschrieben wurde, 
bestätigen diese Regel und müssen anders erklärt werden: entweder durch 
Kombination oder durch eine nur oberflächliche Ähnlichkeit der Athetose, 
der klonischen Krämpfen u. dergl. 

Bei den spastischen Zuständen deutet alles darauf hin, daß das normale 
innervatorische Zusammenspiel (tonische zerebellare Innervation — inhibi- 
torische zerebrale Innervation) gestört ist, während bei der Parkinsonschen 
Krankheit alles darauf hindeutet, daß der periphere Apparat imabhängig von 
den Zentren verändert ist: bei der Parkinsonschen Krankheit fehlen die 
Symptome des erhöhten Muskeltonus infolge zentraler Reize. 
(Spasmen bei Bewegungen, bei Reflexreizung.) 

Wir werden später sehen, ob man die Parkinsonsche Rigidität auf eine 
andere Weise — ohne Beteiligung des zentralen Nervensystems — erklären 
kann. Soviel muß aber schon hier gesagt werden, daß die Rigidität nicht als ein 
sicherer Beweis für den zerebrospinalen Ursprung der Schüttellähmung aufgefaßt 
werden darf. 

Die Mehrzahl der angegebenen Unterschiede gilt auch für jene besondere 
Form des erhöhten Muskeltonus, welche Bechtörew bei seinen Fällen von so¬ 
genannter „Hemitonia apoplectica“ beobachtet hat, nur daß, obwohl an dem 
zerebralen Ursprung der Affektion kein Zweifel besteht, die gesteigerten Patellar- 
reflexe, der Fußklonus und der Babinskische Reflex ebenfalls fehlen. Im 
übrigen steigert sich der Spasmus auch hier bei Bewegungen oder er wird wenig¬ 
stens nicht kleiner, wodurch die aktive Beweglichkeit sehr leidet und die Qualen 
vermehrt werden. 

Ad 4. Ein ähnliches klinisches Bild besitzen manche organi¬ 
sche Gehirnsyndrome: die Pseudobulbärparalyse, die progressive Hemi¬ 
plegie, lakunäre Veränderungen im Gehirn (6tat cribl6) (Brissaud), manche 
Fälle von Benediktschem Syndrom (Blocq und Marinesco). Am wichtigsten 
sind die multiplen lakunären Gehirn Veränderungen, die ein der Parkinsonschen 
Krankheit und zwar der Paralysis agitans sine agitatione sehr ähnliches Krank¬ 
heitsbild hervorrufen können: d. h. sie können beiderseitige spastische Sym¬ 
ptome hervorrufen, so daß der ganze Körper in die Kontrakturen wie eingebunden, 
eingelötet (soud6), die Mimik unbeweglich ist; hierbei muß das Babinskische 
Symptom nicht vorhanden sein. In dieser Weise sind die Symptome selten 



202 


Zweiter Teil. 


entwickelt; aber ich selbst habe zwei Fälle beobachtet, über deren einen ich mir 
bis heute nicht klar bin, ob es sich um einen Parkinson ohne Zittern oder um 
ein 6tat cribl6 handelt, weil ich ihn nicht hinreichend genau beobachten konnte. 

Hier gilt dasselbe, was wir von den zerebrospinalen spastischen Zuständen 
gesagt haben: es handelt sich um Spasmen, keineswegs um Rigidität; der Patient 
hat die Tendenz zur Ruhe, höchstens will er die Lage wechseln; er hat nicht das 
Gefühl der Hitze; er verfällt in demente Störungen; er zeigt kein typisches 
Zittern, sondern im Gegenteil eine Tendenz zum Intentionszittem. 

Die progressive Hemiplegie infolge seniler Enzephalomalazia ist der 
Parkinsonschen Rigidität noch seltener ähnlich (starre Mimik usw.). 

Wenn also kleine Gehirnerweichungen in seltenen Fällen ein der Parkin¬ 
sonschen Krankheit ähnliches Bild hervorrufen können, handelt es sich hier 
nur um eine Ähnlichkeit der Rigidität mit dem spastischen Zustande, aber keines¬ 
wegs um eine Ähnlichkeit des ganzen klinischen Bildes, besonders aber nicht 
um einen typischen Tremor. 

Ad 5. Manche Läsionen der subkortikalen Zentren und des 
Kleinhirns verursachen Symptome, die auch bei der Parkinson¬ 
schen Krankheit Vorkommen. Es handelt sich hier um eine Hemmung 
bei Bewegungen, um eine Läsion gewisser automatischer Bewegungen (Aus¬ 
drucks bew r egungen, Gemeinschaftsbewegimgen — Zingerle), um ein Mißver¬ 
hältnis zwischen grober Muskelkraft bei Bewegungen einerseits und statischer 
Innervation, Resistenz, andererseits (Dyleff, Egger). 

Hier muß bemerkt werden, daß deutliche zerebellare oder thalamische 
Symptome bei der Parkinsonschen Krankheit selten Vorkommen; die Ähnlich¬ 
keit mancher Symptome (Mimik, Pulserscheinungen) ist nur eine scheinbare 
und läßt sich durch die Rigiditäten leicht erklären; auch jene Eigentümlich¬ 
keiten der Muskeltätigkeit, welche Egg er und namentlich Dyleff studiert haben, 
deuten vielmehr auf einen abnormen Zustand der Muskeln selbst ohne Rücksicht 
auf die Zentren als auf zerebellare Veränderungen hin. 

Daß sich die Parkinsonsche Krankheit mit Veränderungen des Klein¬ 
hirns und des Thalamus komplizieren kann, hat dieselbe Bedeutung wie alle 
übrigen zerebralen Komplikationen. 

Ad 6. Die Schüttellähmung beginnt manchmal nach einem 
deutlichen apoplektischen oder apoplektiformen Anfall. 

Dieses Faktum ist gar zu selten, als daß man aus demselben einen allge¬ 
meinen Schluß auf den zerebralen Ursprung der Parkinsonschen Krankheit 
ziehen könnte (unter unseren 26 Fällen kam es nur ein einziges Mal vor); seine 
Bedeutung kompliziert sich durch das Faktum, daß die Schüttellähmung, 
namentlich das Zittern, nach einem Iktus auf hören kann. 

Nichtsdestoweniger ist dieses Faktum bedeutungsvoll und muß bei einer 
jeden Erklärung dieser Krankheit berücksichtigt werden, ebenso wie der mono- 
plegische und der hemiplegische Beginn. 

Ad 7. Die Krankheit entwickelt sich manchmal sehr schnell 
nach einem psychischen Trauma: derartiger Fälle kennt man mehrere 
und sie sind sehr auffallend: so z. B. Charcots Verurteilter der Kommune 
oder Brissauds Fall, bei welchem 48 Stunden nach einem großen Schrecken 
das komplette Bild der Parkinsonschen Krankheit entwickelt war. 

Ein solcher Beginn ist aber kein Beweis für einen zerebralen Ursprung 



Parkinson sehe Krankheit. 


203 


der Krankheit. Ebenso beginnt oft die Basedowsche Krankheit und ebenso 
kennt man viele Fälle, wo in ganz jungen Jahren, im 21., 22., 30. Lebensjahre, 
nach einem psychischen Trauma, plötzlich Menopause ein trat (Fiebag, Inaug.- 
Diss. Breslau 1911), also Syndrome, die ihren Ursprung sicher nicht in einer 
anatomischen Veränderung des Gehirns haben. 

Ad 8. Das Zittern verschwindet im Schlafe. Dieser Umstand 
beweist ebenfalls nichts, sondern deutet nur darauf hin, daß die Gehirnrinde 
in irgend einer Beziehung zum Zittern steht. Aber die Krankheit verschwindet 
nicht im Schlafe, die Rigidität z. B. besteht auch im Schlafe fort. 

Ad 9. Der irritierende Einfluß des Affektes auf die Symptome 
der Schüttellähmung ist ebenfalls ein allgemeines Symptom von Krank¬ 
heiten, bei denen das Nervensystem mitbeteiligt ist, ohne die Krankheit hervor¬ 
zurufen (Basedow). 

Ad 10. Thermische Symptome: Hypothermie und Hyperthermie 
sind unbeständige und unregelmäßige Erscheinungen bei der Parkinsonschen 
Krankheit und haben nur eine problematische Bedeutung (wie beim Basedow, 
bei der Menopause und dergl.). 

Ad 11. Die trophischen Symptome, die für Herderkrankungen 
des Gehirns charakteristisch sind, kommen gerade bei der Parkinsonschen 
Krankheit nicht vor. Die trophischen Störungen, die öfters beobachtet wurden, 
besitzen nicht den Charakter der zerebralen Veränderungen: es sind dies haupt¬ 
sächlich Veränderungen der Haut, entweder einer sklerotischen (Frenkel, 
Lundborg, Luzzatto), oder einfach atrophischen (Bechet, nach Mendl 
auch Weber) oder ödematösen Haut (Vincent zit. Bechet), Purpura (Ray¬ 
mond), Vitiligo — im großen und ganzen also mehr vasomotorische Verände¬ 
rungen. Die Spontanfrakturen gehören nicht in den Rahmen der Parkinson¬ 
schen Krankheit (obwohl Mendel einen derartigen Fall Monghals zitiert). 

Die hier und da an Gelenken beobachteten Veränderungen besitzen nicht 
den Charakter der medullären Arthropathien, sondern fallen in den Rahmen 
der chronischen Arthritiden (Brissaud, Mendel). 

12. Die Parkinsonsche Krankheit geht mit psychischen Ver¬ 
änderungen einher. Wenn wir von dem kachektischen Stadium der Krank¬ 
heit absehen, kommen die psychischen Komplikationen nicht so häufig vor, 
daß man sie als Beweis für den zerebralen Ursprung der Krankheit auffassen 
könnte. Ein gewisser Grad von depressiver Stimmung, ja sogar Selbstmord¬ 
gedanken lassen sich durch den schrecklichen Zustand des mit Rigidität behaf¬ 
teten Kranken erklären. Doch finden wir bei der Parkinsonschen Krankheit 
weder die bei Hemiplegie vorkommende Gleichgültigkeit, noch die bei der Herd¬ 
sklerose beobachtete Euphorie. Hier und da beobachtet man Halluzinationen 
unddeliranteZustände, dies jedoch selten und analog wie bei anderen, nicht herd¬ 
förmigen Erkrankungen, wie z. B. bei der Basedowschen Krankheit. 


Überblicken wir alle Gründe, die für den zerebralen Ursprung der Schüttel¬ 
lähmung angegeben wurden, so können wir nicht die Überzeugung gewinnen, 
daß die Krankheit und ihre Symptome auf diese Weise erklärt werden können. 
Die Rigidität hat nicht den Charakter des zerebralen Spasmus; das in der Ruhe 



204 


Zweiter Teil. 


bestehende und bei Bewegung verschwindende Zittern ist kein konstanter Be¬ 
gleiter irgend einer Gehimkrankheit oder irgend einer Gehirnlokalisation. 

Es ist zwar sicher, daß wir bei den Patienten ziemlich häufig die Symptome 
kleiner Läsionen des Zentralnervensystems, die gewöhnlich degenerativer Art 
sind, vorfinden. (Gröbere Läsionen, wie z. B. Tumoren, sind sicher Kompli¬ 
kationen.) Dies ist auch leicht verständlich bei einer Krankheit, die den Menschen 
im letzten Lebensdrittel, zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr, befällt und zu 
Kachexie führt. Zu dieser Zeit bestehen schon an und für sich häufig degenera- 
tive Veränderungen aller Organe und speziell des Gefäßsystems. Doch kann man 
sich auch ganz gut denken, daß die Grundursache dieser progressiven und un¬ 
heilbaren Krankheit auch auf das Gefäßsystem des Zentralnervensystems 
oder auf das Nervensystem selbst destruktiv einwirkt. 

Es ist aber ebenso sicher, daß die Parkinsonsche Krankheit mit einer 
ganzen Anzahl anderer Symptome einhergeht, die nicht weniger häufig vorhanden 
sind als die Symptome der zerebralen Läsionen und die als konstante Symptome 
solcher Krankheiten, die ganz gewiß nicht zerebralen Ursprung haben, be¬ 
kannt sind. 

Nicht einmal das Ende der Parkinsonschen Krankheit deutet mit größerer 
Wahrscheinlichkeit auf eine Zerebrospinalerkrankung als auf eine andere Krank¬ 
heitsursache hin: weder die sekundäre Demenz, noch wiederholte apoplektische 
Insulte, noch die Bulbärparalyse, noch zerebrale Lähmungen sind häufigere 
und viel weniger noch alltägliche Symptome. — Dagegen stehen die Rigidität 
und die Kachexie im Vordergründe. 


III. 

Die Parkinsonsche Krankheit ist eine Myopathie — behaupten 
manche Forscher, indem sie sich auf Veränderungen berufen, die bei der 
Parkinsonschen Krankheit an den Muskeln in vivo et mortuo vorgefunden, 
wurden. 

Befunde an den Muskehl sind sehr häufig und so mannigfaltig, wie die 
anatomischen Befunde am Gehirn. (Siehe die sorgfältige Sammlung bei Cas- 
t^ran 1909 und Mendel 1911.) Es sind dies Atrophien aller Art: hyaline, fettige, 
braune, parenchymatöse (frühe Schwellung), bei denen eine überwiegende 
Degeneration der Fibrillen (Leyden 1876) und später, dem Zeitgeist ent¬ 
sprechend, ein Zerfall des Sarkoplasmas (Salaris 1906) erhoben wurde; Wuche¬ 
rungen des interstitiellen Bindegewebes und zwar teils oberflächliche, teils 
herdförmige (noduläre Form der chronischen Myositis-Catola 1906) und merk¬ 
würdige lakunäre Veränderungen, welche Blocq (1888 und 1894) die erste An¬ 
regung zur myogenen Theorie der Parkinsonschen Krankheit gaben und die von 
Schieferdecker (1903) und von Idelsohn (1904) neuerdings beschrieben, 
aber von Naky (1906) als Artefakte (Mendel) hingestellt wurden. 

Eine bestimmte und einheitliche Veränderung wurde an den Muskeln 
nicht gefunden; wohl aber wurden Veränderungen der Muskulatur sehr häufig, 
fast in allen untersuchten Fällen gefunden (einen negativen Befund verzeichnen 
Buck und De Moor, Lambrior — nach Cast6ran), allerdings häufig auch 
solche Veränderungen, die man fast bei allen krankhaften Zuständen des Organis¬ 
mus findet (wie z. B. eine Vermehrung der Kerne in den Interstitien oder atro¬ 
phische Veränderungen einzelner Fasern). (Alquier.) 



Parkinson sehe Krankheit . 


205 


Veränderungen der Muskulatur wurden auch in solchen Fällen gefunden, 
wo von senilen Veränderungen nicht gesprochen werden konnte (z. B. Schwenn 
bei einem 38jährigen Mann, der seit dem 27.—28. Lebensjahre krank war). 

Wir werden demnach zu der Ansicht geleitet, daß die Muskelverände¬ 
rungen mit der Parkinsonschen Krankheit eng Zusammenhängen. Einen 
anderen als den allgemeinen Schluß, daß die Muskulatur bei derParkinsonschen 
Krankheit in Mitleidenschaft gezogen ist, kann man aber aus den anatomischen 
Befunden nicht ziehen. Wir können nicht behaupten, daß die Parkinsonsche 
Krankheit eine subakute oder chronische Myositis sei, noch etwa eine Hyper¬ 
trophie oder Atrophie der Muskeln. Dazu sind die Veränderungen viel zu mannig¬ 
faltig. 

Kann man die allgemeine Erfahrung, daß die Ernährung der Muskulatur 
leidet, als Basis für die Erklärung der ganzen Krankheit annehmen? Gewiß 
nicht. Die Parkinsonsche Krankheit mit allen ihren Symptomen ist ein viel 
weiterer Begriff als eine Erkrankung der Rumpf- und Extremitätenmuskulatur. 

Weder die Entzündung, noch die Atrophie, noch die Hypertrophie der 
Muskeln vermag uns die verschiedenartigen Erscheinungen der Parkinsonschen 
Krankheit zu erklären; sie alle sind nur Teile jener degenerativen Prozesse, 
die wir bei der Parkinsonschen Krankheit in allen Organen vorfinden. 

Nicht einmal die Rigidität und das Parkinsonsche Zittern — diese 
funktionellen Veränderungen von stets gleichbleibendem, stereotypem Charakter 
— lassen sich aus den einander so widersprechenden und mannigfachen anatomi¬ 
schen Veränderungen erklären. 

IV. 

Die Parkinsonsche Krankheit ist durch eine Vergiftung des 
Organismus verursacht. Es wurden mehrere derartige Hypothesen aus¬ 
gesprochen, oder vielmehr es wurden alle derartigen Möglichkeiten erschöpft: 
sie sei eine Vergiftung durch Stoffwechselprodukte (Autointoxikation im engeren 
Sinne), eine Vergiftung durch die endogenen Toxine der Drüsen mit innerer 
Sekretion, eine exogene Vergiftung, eine Vergiftung infektiösen Ursprungs, 
eine den chronischen Arthritiden verwandte rheumatoide Vergiftung. 

Wenn wir zuerst ganz allgemein urteilen wollen, müssen wir sagen, daß 
vom klinischen Standpunkte aus die toxische Ursache der Krankheit die größte 
Wahrscheinlichkeit für sich hat (Burzio, Eulenburg, Catola, Dana, 
Bychowsky, Berkeley, Lundborg, Möbius). Sie stellt eine so weite 
ätiologische Einheit dar, daß sie, allgemein genommen, der Ausgangspunkt 
einer Krankheit sein kann, die sich zunächst durch verschiedene Sensationen 
im Bereiche des sensitiven Systems äußert, sodann durch das Gefühl von 
Schwäche und Gliederstarre, durch Zittern, durch mannigfache nervöse, trophi- 
sche, vasomotorische Erscheinungen, durch degenerative Veränderungen der 
Muskulatur, des Gefäßsystems, des Zentralnervensystems und der verschiedenen 
Systeme der Drüsen mit innerer Sekretion. 

Wenn wir dabei noch bedenken, daß die Krankheit Jahrzehnte dauert, 
daß sie unheilbar und progressiv bis zum Tode ist, müssen wir annehmen, daß 
das ätiologische Agens dauernd ein wirkt. 

Wenn wir ferner erwägen, daß die Sinne des Kranken lange Zeit klar 
und scharf bleiben, werden wir jenes Agens nicht unter den narkotischen Giften 



206 


Zweiter Teil. 


suchen, noch in der Kategorie der gewöhnlichen intestinalen Autointoxikationen, 
welche in den deüranten Zuständen der Azeton Vergiftung ihren typischesten 
Repräsentanten besitzen (Thomayer). 

Dafür erinnert die Parkinson sehe Krankheit durch ihren ganzen Cha¬ 
rakter und Verlauf an die chronische Arthritis deformans oder an die strumi- 
prive Kachexie, die zu den chronischen Dystrophien gehören. 

Wir können aber noch andere allgemeine Ansichten aufstellen, wenn wir 
uns die Parkinsonsche Krankheit in ihrem ganzen Verlaufe und in der Fülle 
ihrer Symptome vor Augen halten. 

Wenn wir bedenken, daß es sich um eine Krankheit handelt, die auf 
sehr mannigfache Art mit unbestimmten und unbestimmt lokalisierten, peripheren 
Symptomen beginnt, die später außer zwei bis drei Hauptsymptomen eine ganze 
Plejade unbeständiger vasomotorischer und trophischer Erscheinungen auf weist, 
die sich manchmal nach einer mächtigen psychischen Erschütterung in kurzer 
Zeit ganz stürmisch entwickelt, die aber auch ganz leicht mit Exazerbationen 
und Remissionen einhergehen kann, bei der wir Symptome von Läsionen fast 
aller Organe und — bei Sektionen — Veränderungen fast aller Systeme, des 
Muskel-, Nerven-, Gefäßsystems, vorfinden und doch keinen ständigen und typi¬ 
schen Befund konstatieren, können wir eine Ähnlichkeit mit dem klinischen 
Charakter analoger Krankheiten wie z. B. des Morbus Addisonii, des Myx¬ 
ödems oder der Basedowschen Krankheit nicht übersehen. 

Dieser Charakter, der eine tiefere Bedeutung als die einer oberflächlichen 
Charakteristik besitzt und den Skala in seiner Arbeit über die Schilddrüse (1909) 
scharfsinnig als den Charakter jener Krankheiten extrahiert, die aus einer Ver¬ 
änderung der Drüsen mit innerer Sekretion resultieren, ist die wahre Ursache 
der früher einander so widersprechenden Erklärungen der Parkinsonschen 
Krankheit, wie dies in ganz analoger Weise auch bei anderen, aus einer Störung 
der Drüsen mit innerer Sekretion resultierenden Syndromen der Fall war. 

Schließlich deutet auch der Umstand, daß die Parkinsonsche Krankheit 
ganze Jahrzehnte dauert und nicht ausheilt, daß sie selten auf ein und derselben 
Stufe stehen bleibt, sondern sich im Gegenteil fast stets progressiv verschlechtert 
und unerbittlich zum Tode im kachektischen Stadium führt, darauf hin, daß die 
Quelle der Krankheit nie versiegt, das supponierte Agens unaufhörlich einwirkt, 
sich stets erneuert, und dieser Umstand macht es daher unwahrscheinlich, 
daß jenes Agens von außen in den Körper eindringt. 

Die Logik der ganzen Krankheit führt uns daher zu dem 
Schlüsse, daß dieKrankheit durch eine giftige Substanz verursacht 
wird, welche auf alle Systeme des Organismus unaufhörlich, ganze 
Jahrzehnte lang einwirkt und die im Organismus selbst erzeugt 
wird — sei es in einem bestimmten Organ oder durch einen allgemein patho¬ 
logischen Stoffwechsel—, daß es sich um einen endogenen toxischen Prozeß 
analog jenem bei der Basedowschen Krankheit handelt oder noch 
eher um eine Dystrophie analog jener bei der strumipriven 
Kachexie, dem Myxödem und der Addisonschen Krankheit. 

Wir haben bereits erwähnt, daß schon alle Theorien aufgestellt wnirden, 
und daher auch diese. In einer Zeit, wo die Erforschung der Drüsen mit innerer 
Sekretion auf der Tagesordnung steht, ist es begreiflich, daß bei der Parkin¬ 
sonschen Krankheit alle Drüsen in Betracht gezogen wurden. Dies geschah 



Parkinson sehe Krankheit. 


207 


bis jetzt nur auf anatomischem Wege und nur Lundborg wurde zu dieser An¬ 
sicht mehr durch die Logik der klinischen Tatsachen als durch die passive Ten¬ 
denz des Zeitgeistes geführt. Aber selbst Lund borg führte seine These nicht 
bis zu den letzten Konsequenzen durch, indem er es nicht versuchte, seine An¬ 
sicht, die Ursache der Parkinsonschen Krankheit wäre eine chronische In¬ 
suffizienz der Parathyreoidealdrüsen, durch eine entsprechende Erklärung 
der Krankheitserscheinungen, namentlich der Rigidität und des Zitterns, zu 
beglaubigen und auf diese Weise eine vollständige pathogenetische Theorie aus¬ 
zubauen; er blieb bei der ätiologischen Theorie. 

Ich will den umgekehrten Weg einschlagen; indem ich mir als Ziel meiner 
Arbeit die Erklärung des Hauptsymptoms, nämlich des typischen Parkinson¬ 
schen Zitterns, gestellt habe, war ich gezwungen, mich mit der ganzen Frage 
der Pathogenese dieser bis jetzt rätselhaften Krankheit zu beschäftigen, und 
wenn ich den Versuch unternehme, eine vollständige Erklärung der Krankheit 
und ihrer Symptome zu geben, bin ich mir der Schwere dieser Aufgabe voll 
bewußt und gebe mich keiner Täuschung darüber hin, daß ich mich auf einem 
unsicheren Boden bewege. Ich betrachte meine Arbeit als den ersten Versuch 
zu einer einheitlichen Ansicht über eine Krankheit, bei der sich bis jetzt schlie߬ 
lich ein jeder damit zufrieden gab, daß wir sie in ihrer Gänze nicht zu erklären 
vermögen, oder sich mit einer teilweisen Erklärung ohne Rücksicht auf die Fülle 
ihrer Symptome begnügte. 

V. 

Wir wollen eine Analyse der Symptome der Parkinsonschen Krankheit 
versuchen. 

a) In der allerersten Zeit tritt bei langsamem Verlaufe ein Gefühl 
der Muskelschwäche und eine bedeutende Langsamkeit der Bewegungen in 
den Vordergrund; diese beiden Symptome begleiten die Krankheit während 
ihres ganzen Verlaufes; der Kranke fühlt sich nicht nur schwach, fühlt nicht 
nur eine Schwäche seiner Extremitäten, sondern wird sich zugleich dessen 
bewußt, daß er eine viel größere Innervationskraft aufwenden muß als früher 
oder als auf der nicht ergriffenen Seite; zwischen dem Beginne der Innervation 
und dem Beginne der Bewegung verfließt eine auffallend lange Zeit. Die Be¬ 
wegungen gehen dabei in normaler Weise vor sich. Die Ermüdbarkeit ist 
größer als früher. 

Es handelt sich hier also offenbar um eine Verlängerung der Latenzzeit, 
um eine Herabsetzung der Muskelerregbarkeit und um eine leichtere Muskel¬ 
ermüdbarkeit. 

Der Charakter entspricht nicht jenem der Parese infolge Nervenstörungen, 
noch jenem der Parese infolge zentraler Läsionen, bei denen zwar auch das 
subjektive Gefühl der gesteigerten Innervationsanstrengung vorhanden ist, 
aber jene auffallende Verlängerung der Latenzzeit bei der normalen Bewegung 
fehlt, bei denen im Gegenteil die Latenzzeit normal, die Bewegung aber be¬ 
züglich der Amplitude beschränkt ist. 

Der Charakter entspricht nicht jenem der Parese, der Lähmung, sondern 
jenem der Myasthenie. 

In diesem Stadium, in welchem die Diagnose sehr unsicher ist, sucht 
der Kranke den Arzt noch nicht auf, und daher besitzen wir keine direkten 



208 


Zweiter Teil. 


Erfahrungen über die Muskelreaktion in diesem ersten Stadium. Doch beobach¬ 
teten wir einen Kranken, bei dem die Symptome der Parkinsonseben Krankheit 
auf der rechten Körperseite entwickelt waren, während er links weder Zittern, 
noch sichere Rigidität besaß, aber doch schon auch auf dieser Seite Ermüdbarkeit 
und Langsamkeit der Bewegungen empfand. Wir können daher das Unter¬ 
suchungsergebnis auf dieser wenig ergriffenen Körperseite zur Erklärung der 
Verhältnisse im ersten Stadium der Parkinsonschen Krankheit verwenden 
(und dies um so mehr, als sich später auch auf dieser Körperseite die typischen 
Symptome entwickelten). 

Auf dieser wenig ergriffenen Körperseite — also im ersten Stadium der 
Parkinsonschen Krankheit — fand ich, daß die elektrische Muskelerregbarkeit 
an der oberen Extremität im Vergleiche zu der Erregbarkeit bei einem gleich- 
alterigen Menschen ohne Parkinson sehe Krankheit herabgesetzt war; der 
Tetanus ließ sich an den Extensoren direkt und indirekt auslösen, aber nur durch 
einen stärkeren Strom, und ging früher in gröbere Senkungen der Ordinate 
über als beim Kontrollmenschen. Die willkürlichen Bewegungen waren dem 
Elektrotetanus ähnlich: die Dauerextension im Karpalgelenk verlief folgender¬ 
maßen: Der Kranke erhebt die Hand, welche sofort stufenweise etwa bis zur 
Mitte der Höhe der Ordinate des Kontrollmenschen sinkt, wo sie sich aber 
nicht lange erhält, sondern vollständig herabsinkt, um sich sofort infolge eines 
neuen Innervationsimpulses wieder zu erheben; so glich unser Patient in der 
ersten Minute etwa viermal die Stellung der Hand aus, wobei die Unterbrechungen 
immer kürzer wurden; der Kontrollmensch hielt die Hand drei Minuten 
ohne Unterbrechung im Karpalgelenk gestreckt — nur die einzelnen Finger 
senkten sich, um sich sofort wieder zu strecken; erst nach drei Minuten sank 
seine Hand bis zur Mitte der Ordinate und erst nach fünf Minuten unterbrach 
der Kontrollmensch den Versuch, indem er über Krampf in den Extensoren 
klagte (auf dem folgenden Bild Ib), a). Diese Erscheinungen beweisen 
also ebenfalls deutlich die raschere Ermüdbarkeit und die Herab¬ 
setzung derErregbarkeit jener Muskeln, welche gewöhnlich an dem 
Zittern beteiligt sind. 

Bei einem anderen Patienten, der außer Langsamkeit der Bewegungen, 
Ermüdbarkeit und den ersten Anzeichen einer allgemeinen Starre keine Be¬ 
schwerden hatte und den sein intelligenter Bruder, ein Arzt, behufs Untersuchung 
zu mir geschickt hatte, fand ich eine andere Eigentümlichkeit; als er mir nämlich 
mehrmals hintereinander die Hand drücken sollte, tat er dies immer langsamer, 
obwohl er stets ein ziemlich hohes Maximum der Kontraktion erreichte, so daß 
er beim fünften Händedruck zur Erreichung des Maximums die doppelte Zeit 
benötigte als zum ersten. Hier war die Herabsetzung der Erregbarkeit, 
die bei Wiederholung des Versuches noch bedeutender wurde, ganz 
offenkundig. 

b) In einem späteren Stadium tritt das Zittern in der Ruhe auf, 
das bei aktiven und passiven Bewegungen in der ersten Phase der Bewegung 
auf hört, während es bei längerer Innervation (z. B. bei der statischen Inner¬ 
vation) wiederkehrt. 

Es ist interessant, zu verfolgen, wie sich in diesem Stadium die dem Elektro¬ 
tetanus analoge spontane Innervation bei den Muskeln verhält, die sich an dem 
Zittern beteiligen. (In unserem Falle handelte es sich um Flexionen und Ex- 



Parkinson sehe Krankheit. 


209 


tensionen im Karpalgelenk, die Versuche stellte ich an den Extensoren der 
Hand an.) Die Verhältnisse bei diesem spontanen Tetanus veranschaulicht 
in schematischer Weise die beiliegende Figur: der Kranke streckt die Hand aus 
und sofort hört das Zittern auf; 10 Sekunden dauert eine ruhige, glatte Extension, 
worauf sich das typische Zittern einstellt, aber fast auf der Höhe der Extension; 
nach 10 Sekunden sinkt die Hand zugleich mit dem Zittern herab (Ic). Nach 
kurzer Zeit wurde der Versuch wiederholt; jetzt dauerte die ruhige Extension 
nur 4,5 Sekunden und das Zittern auf der Höhe der Extension nur 5 Sekunden, 
die Hand sank herab, der Patient glich die Stellung sofort wieder aus, die ruhige 
Extension dauerte 4 Sekunden und das Zittern auf der Höhe der Extension 
1,5 Sekunden, worauf der Patient während der folgenden 9,5 Sekunden die Hand 
dreimal in Extensionsstellung zurückbrachte; das Zittern kam für eine immer 
kürzer werdende Zeit zum Stillstand (Figur II—VI c), bei einem neuen Ver¬ 




suche hielt der Kranke die Hand so ziemlich eine Minute gestreckt, mußte aber 
nach einigen Sekunden immer von neuem mit demselben Erfolge innervieren, 
worauf die Hand ermüdet auf die Unterlage sank. 

Hierbei war die elektrische Erregbarkeit herabgesetzt. Der Tetanus 
ließ sich nur direkt hervorrufen und der erforderliche Strom war bedeutend größer 
(in MA) als auf der anderen Seite und doppelt so stark als bei dem Kontroll- 
menschen; ein glatter Tetanus bestand etwa 10 Sekunden, worauf eine 
typische Schüttelbewegung zuerst am Daumen, dann am Kleinfinger, dann an 
den übrigen Fingern und schließlich an der ganzen Hand auftrat und dann sank 
die Hand herab. Bei direkter Reizung durch einen noch stärkeren Strom 
entstand eine tetanische Spannung, die imverändert zwei Minuten unterhalten 
werden konnte, worauf der Versuch wegen Schmerzen abgebrochen werden mußte. 

Nach dieser langen und sehr starken Reizung blieb die Hand des Kranken, 
die sonst in der Ruhe fortwährend zitterte, 45 Sekunden frei von Zittern, die 
darauffolgende spontane Extension der Hand war unvollständig, die Ruhe war 
kaum angedeutet und gleich darauf stellte sich ein typisches, grobes Zittern 
ein; die Extension dauerte im ganzen drei Sekunden (auf der Figur die Kurve VII). 
Bei wiederholtem spontanen ,,Tetanus“ war die anfängliche Ruhe noch kürzer, 
und gleich darauf stellte sich ein grobes Zittern ein. — Wenn man dem Kranken 
eine Pause von fünf Minuten gewährte, dauerte die Ruhe bei der spontanen 
Extension wieder fünf Sekunden. 


Pelnär, Zittern. 


14 




210 


Zweiter Teil. 


Ein indirekter Tetanus konnte durch schwächere Ströme, selbst wenn sie 
zweimal so stark waren als beim Kontrollmenschen, überhaupt nicht ausgelöst 
werden; hierbei stellte sich ein schmerzhafter Krampf im Supinator ein. 

Während wir also im ersten Stadium, in welchem noch kein Zittern vor¬ 
handen ist, nur eine Ermüdbarkeit und eine herabgesetzte Muskelerregbarkeit 
beobachteten, konstatierten wir im Stadium des Zitterns eine doppelte Ver¬ 
änderung: zunächst eine Ermüdbarkeit der Muskeln analog jener bei der Erb- 
schen myasthenischen Reaktion, nur langsamer und weniger intensiv, und zwar 
sowohl bei der spontanen Innervation, als auch bei der Elektrisierung, und 
zweitens, daß der Tetanus nicht dauernd und glatt ist, sondern je weiter, desto 
früher in ein grobes Zittern von derselben Art „zerfällt“, wie das Zittern des 
Kranken im Ruhezustand. Durch diese zweite Komponente unterscheidet sich 
unsere Reaktion von der myasthenischen Reaktion, bei der der Tetanus glatt 
bleibt. (Bei unserem Parkinson Nr. 2 war ein myasthenisches Verhalten der 
Handmuskeln auch beim Drücken des Dynamometers offenkundig.) 

Die physiologische Forschung hat uns über die Ursache dieser Erschei¬ 
nungen belehrt: die anisotrope Substanz, welche die # rasche Zuckung der 
Muskelfaser ermöglicht, wird durch eine Kontraktion des Sarkoplasmas unter¬ 
stützt, so daß durch Superposition und schließlich durch Konfluenz der einzelnen 
Zuckungen ein glatter (bei oberflächlicher Betrachtung glatt erscheinender) 
Tetanus entsteht. Wenn das Sarkoplasma verändert ist, wenn es z. B. bei der 
VeratrinVergiftung leichter ermüdbar wird, zerfällt die glatte Kontraktion nach 
einem tetanisierenden Reiz in eine grobe Bewegung, die jener bei unserem Pa¬ 
tientenvorhandenen ähnlich ist (Lhotäk, 1. c. S. 185 und TabelleVIII, Figur 15). 

Es handelt sich hier also wieder um den myasthenischen Charakter der 
Muskeltätigkeit, nur daß bei der Erb sehen Myasthenie der Muskel in gleich¬ 
mäßiger Weise schnell seine Erregbarkeit und Kontraktionsfähigkeit verliert, 
wobei aber die innere Struktur der Bewegung eine vollkommene ist, während 
sich hier die Möglichkeit der Bewegung mit der Bewegung sukzessive langsam 
verringert, ohne vollständig zu verschwinden, wobei aber die normale Struktur 
der Bewegung, jene Komponente, welche nach den physiologischen Ergebnissen 
das Sarkoplasma besorgt, gleichzeitig und rascher verschwindet. Bei der 
Erb sehen Krankheit reagiert der Muskel auf die willkürliche Innervation 
immer schlechter, bis die Kontraktionsfähigkeit vollständig aufhört, aber das 
Sarkoplasma bietet einer jeden Funktion der anisotropen Substanz eine feste 
und entsprechende, genügende Stütze — in gleicher Weise bei der ersten maxi¬ 
malen wie bei der letzten minimalen Kontraktion; die Erbsche Myasthenie 
ist durch die Reaktion der anisotropen Substanz bedingt, wäh¬ 
rend das Sarkoplasma in keiner Weise störend hervortritt. Bei der Parkin- 
sonschen Krankheit ist die Ermüdbarkeit der anisotropen Substanz offen¬ 
kundig; sie ist nicht so groß wie bei der Erbschen Krankheit, aber die Qualität 
der Reaktion ist im allerersten Stadium dieselbe; im Stadium der größeren 
Muskelrigidität zeigt sich bereits eine Eigentümlichkeit (das langsame Kre- 
szendo der Kontraktion); im Stadium des Zitterns nimmt diese Eigentümlichkeit 
zu, denn die innere Struktur der Bewegung ändert sich, die Kontraktion zerfällt 
zum Zittern; beide Eigentümlichkeiten lassen sich am besten durch herabgesetzte 
Erregbarkeit des Sarkoplasmas und dessen große Ermüdbarkeit erklären; die 
Kontraktion kommt zustande, aber langsam und bleibt nicht kontinuierlich; 



Parkinson sehe Krankheit. 


211 


der Muskel ist in der Ruhe nicht schlaff, wie bei der Erbschen Krankheit, sondern 
zeigt im Gegenteil eine Tendenz zu größerer Rigidität, was wiederum nur mit 
dem Zustande des Sarkoplasmas Zusammenhängen kann, der sich aber von 
den tonischen und tetanischen Krämpfen unterscheidet; etwas, was diesen 
Krämpfen analog wäre, wird in der Regel nicht beobachtet. Wir haben hier 
also im Gegensatz zur Erbschen Krankheit eine sarkoplastisch modifi¬ 
zierte Myasthenie vor uns. Diese Modifikation beruht in einer ganz eigen¬ 
tümlichen Funktionsstörung: verlängerte Latenzzeit, langsames Kreszendo 
der Kontraktion, rasche Ermüdbarkeit und dabei Tendenz zur Rigidität, also 
in einer ganz charakteristischen Veränderung der Muskelsubstanz. 

Gleichzeitig mit diesem Erstarren verharrt der Körper in der bekannten 
stereotypen Haltung, bei der die Beuger gewöhnlich das Übergewicht über die 
Strecker besitzen. Die Muskeln erstarren auf eine eigentümliche Weise: wir 
erkennen die Muskelrigiditäten bei der Parkinsonschen Krankheit mehr 
durch die Aspektion als durch die Palpation; mehr durch die Klagen des 
Patienten, durch die deutliche Beschränkung der Beweglichkeit des Patienten 
als durch die Betastung der einzelnen Muskeln; manchmal müssen wir bei einem 
Patienten, dessen Haltung ziemlich ,,starr“ und hölzern ist, bei der direkten 
Untersuchung mittelst Palpation die Rigiditäten erst suchen. Daß sie sich von 
dem erhöhten Muskeltonus bei Störungen der Pyramidenbahnen (in den oberen 
Neuronen) unterscheiden, haben wir bereits hervorgehoben. 

Die auffallendste Eigenschaft dieser Rigiditäten ist die, daß sie sich durch 
wiederholte Bewegungen, speziell durch passive Bewegungen, durch Vibration, 
durch Massage verringern, so daß nach diesen Manipulationen oft eine Bewegung 
möglich ist, die vorher infolge der Rigidität unmöglich war. 

Wir kennen toxische Veränderungen des Sarkoplasmas, bei welchen 
eine Starre auftritt, die Bewegungen unmöglich macht und die durch Massage 
und dergl. beseitigt werden kann. Bei der Muskel Vergiftung durch Monobrom¬ 
essigsäure z. B. gelingt es mit Hilfe der Massage, durch gewaltsame Streckung 
nach Lhotäk den Muskel, der alle Erscheinungen eines total erstarrten Muskels 
darbot und der nicht einmal auf supramaximale Reize reagierte, zur Reaktion 
zu bringen, und zwar auch zur Reaktion auf den ursprünglichen Reiz (1. c. S. 192). 

Eine Analogie mit derartigen sarkoplasmatischen Vergiftungen besteht 
bei der Parkinsonschen Rigidität auch in dem Umstand, daß die Rigidität 
im Winter, in der Kälte größer zu sein pflegt und durch Eintauchen der Ex¬ 
tremität in kaltes Wasser gesteigert wird. 

Wenn wir demnach durch eine bekannte experimentelle Analogie auch 
nicht genau bestimmen können, um welche Veränderung es sich bei der Rigidität 
handelt, so sind uns doch wenigstens analoge Zustände nach nachweislich sarko- 
plastischen Giften bekannt, so daß auch die Rigidität gleich den früher 
erwähnten Veränderungen der intendierten Bewegungen auf eine 
eigentümliche Veränderung des Sarkoplasmas hinweist. 

Wir wollen nunmehr zum Zittern in der Ruhe zurückkehren: 

Das Parkinsonsche Zittern ist eine eigentümliche Erscheinung in der 
menschlichen Pathologie. Es unterscheidet sich zunächst von allen übrigen 
Formen des Zitterns durch seine ausgesprochene Langsamkeit: 4—5 Wellen 
in der Sekunde. Wenn die durchschnittliche Frequenz des physiologischen 
Zitterns (etwa 10 Wellen in der Sekunde) der Dauer der latenten Reizung des 

14 * 



212 


Zweiter Teil. 


Sarkoplasmas (0,05—0,10 Sekunden) entspricht, würde die niedrige Frequenz 
unseres Zitterns auf eine Verlängerung dieser Latenzzeit hin weisen, die mit dem 
erwähnten zögernden Verhalten der spontanen Bewegungen bei diesen Kranken 
gut übereinstimmen würde und die nach Joteyko zugleich die Herabsetzung 
der Erregbarkeit des Sarkoplasmas begleitet. Unser Zittern unterscheidet sich 
ferner von allen übrigen Formen des Zitterns dadurch, daß es am deutlichsten 
bei vollkommener Ruhe ist, wenn die Hand auf einer Unterlage ruht, gestützt 
und von jeder Pyramideninnervation frei ist, also unter Verhältnissen, unter 
welchen die normalen, quergestreiften Muskeln in der unbedeutenden, kon¬ 
stanten Innervation des Muskel,, tonus“ verharren. Dieser glatte Muskeltonus 
ist hier gestört. Der Muskeltonus ist bedingt durch eine kontinuierliche Reizung 
des Sarkoplasmas (zum Unterschiede von der unterbrochenen Innervation 
oder wenigstens von der raschen Änderung der Intensität in der anisotropen 
Substanz). Wir gelangen also ungezwungen zu dem Schlüsse, daß es sich auch 
beim Zittern um eine Verlängerung der Latenzzeit (verminderte Erregbarkeit) 
und um eine Änderung der Funktion des Sarkoplasmas bei der dauernden, 
kontinuierlichen Reizung handelt. 

Das Zittern im Ruhezustand ist bei der Parkinsonschen Krankheit so 
deutlich und Tage, Monate und Jahre andauernd, daß es meiner Ansicht nach 
nicht anders erklärt werden kann, als durch eine innere Veränderung in den 
Muskeln, welche auf die normale Innervation in der Ruhe in anderer Weise, 
und zwar durch diese rhythmischen Schwankungen reagieren. Eine derartige 
Reaktion ist sonst den quergestreiften Muskeln fremd und auch bei den glatten 
Muskeln kommt sie selten vor; nur dem Herzsmukel ist sie eigen. Jede dieser 
drei Arten von Muskeln zeigt unter gewissen Umständen eine ihm nicht eigene 
Reaktion, die Reaktion einer der beiden anderen oder der beiden anderen Arten 
(Lhotak); von diesen Möglichkeiten tritt die rhythmische Kontraktion des 
quergestreiften Muskels am seltensten in die Erscheinung (Biedermann, 
Joteyko, Lhotäk). Wir kennen folgende Analogien: 

1. Hering 1879 (zit. von Biedermann 1. c. S. 167) sah am kurarisierten, 
in 0,6% NaCl-Lösung getauchten und mit einem sehr schwachen konstanten 
Strom gereizten Sartorius des Frosches eine rhythmische Bewegung. 

2. Biedermann sah unter ähnlichen Umständen — er tauchte einen 
Muskel für 13 Minuten in eine 1—3%ige Natriumkarbonatlösung und reizte 
ihn dann mit einem mittelstarken konstanten Strom — rhythmische Kon¬ 
traktionen, etwa eine in der Sekunde, und vergleicht diese rhythmische Reaktion 
mit der normalen Tätigkeit des Herzmuskels. 

3. Locke (zit. Bottazzi) beobachtete spontane Bewegungen an dem 
in 0,75% Natriumoxalatlösung getauchten Sartorius des Frosches. Bottazzi 
(1901) bestätigte diese Beobachtung und zeichnete Kurven mit einem auffallend 
regelmäßigen Rhythmus vom Sartorius der Rana esculenta (Tabelle XIV, 
46, I), reproduzierte ferner ähnliche rhythmische Schwankungen (Tetanus) 
nach Jodnatrium auf Tabelle XIV, 49, I, II. 

Joteyko zit. Loeb (S. 55), daß die Ionen des Na, CI, Li, F, Br, J be¬ 
sonders leicht rhythmische Kontraktionen der quergestreiften Muskeln hervor¬ 
zurufen vermögen, während die Ionen des Ca, Ba, Sr, K, Mg, Co, M die 
Rhythmizität hindern. 

4. Mlle. Joteyko leitete durch den Wadenmuskel des Frosches einen 



Parkinson sehe Krankheit . 


213 


ziemlich starken oder einen sehr starken konstanten Strom und beobachtete 
in einigen Fällen statt des glatten Tetanus eine rhythmische Bewegung (Fig. 23, 
S. 67 mit einer Frequenz von 3—4 in der Sekunde), welche während der ganzen 
Zeit anhielt, während welcher der Strom den Muskel durchströmte (t^tanos 
galvanique rhythmique); besonders schön war die rhythmische Bewegung, 
wenn der Muskel zugleich mit Veratrin vergiftet war. 

5. Nur zum Teil — soweit sie die rhythmische Kontraktion des querge¬ 
streiften Muskels statt der glatten Kontraktion zeigen — gehören hierher auch 
die Erfahrungen der Mlle. Joteyko und Lhotäks über die wellenförmige 
Kontraktion des mit Veratrin vergifteten Muskels. Es handelt sich hier nicht 
allein um einen Zerfall des Tetanus infolge Ermüdung, sondern um Undulationen 
an dem ganzen absteigenden Schenkel der myographischen Kurve oder auf 
ihrem Scheitel oder in seltenen Fällen auch an dem aufsteigenden Schenkel 
(Lhotäk, Joteyko, Fig. 4 und 5, S. 25 und 26). Joteyko fügt hinzu, daß 
nur einzelne Muskeln, diese aber dann immer und dauernd, dieses Verhalten 
zeigen. Eine nähere Ursache dieses Verhaltens konnte sie nicht finden. Beide 
Erscheinungen, den rhythmischen galvanischen Tetanus und die rhythmische 
Kontraktion nach faradischer Reizung, hält sie für Beispiele dafür, „daß auch 
der gewöhnliche quergestreifte Muskel jene Rhythmizität besitzen kann, die 
in so hohem Grade dem Herzen, weniger den glatten und quergestreiften Muskeln 
mit einer verhältnismäßig großen Menge Sarkoplasma zukommt“ („rote“ 
Fasern gegenüber den „weißen“ quergestreiften Fasern). Sie fügt hinzu, daß 
diese rhythmische Funktion nur'dann auf tritt, wenn die Muskeln einem das 
Sarkoplasma reizenden Einfluß unterworfen sind (S. 91). 

Auch Lhotak wies bei seinen Versuchen mit Veratrin manchmal eine rhyth¬ 
mische Reaktion selbst nach einer einfachen Reizung unter verschiedenen Um¬ 
ständen nach, die er aber nicht näher bestimmen konnte. An ermüdeten Muskeln 
hat er diese Beobachtung nicht gemacht. 

Von den erwähnten Fällen, in denen der quergestreifte Muskel rhythmische 
Bewegungen vollführt, besizten die größte Analogie mit den bei der Parkinson- 
schen Krankheit vorhandenen Verhältnissen die Versuche von Hering, Bieder¬ 
mann und Bottazzi: die Kombination der Reizung mittelst des konstanten 
Stromes mit der chemischen Wirkung von Substanzen, welche auf das Sarko¬ 
plasma wirken. Der Innervation des Muskeltonus in der Ruhe ist die Reizung 
mit dem konstanten Strome gleichzustellen und eine Veränderung des Sarko- 
plasmas ist bei allen bis jetzt vorgenommenen Analysen der Fälle von Par¬ 
kinsonscher Krankheit ein notwendiges Postulat. Ich erkläre mir daher das 
Zittern in der Ruhe bei der Parkinsonschen Krankheit durch eine rhyth¬ 
mische Reaktion des veränderten Muskels auf die den Muskeltonus 
erhaltende dauernde Innervation; ich erblicke in dem langsamen, groben 
Zittern in der Ruhe ein pathologisches Beispiel für die rhythmische Reaktion der 
quergestreiften Muskeln des Menschen und eine sarkoplastische Erscheinung 
gegenüber der gewöhnlichen kombinierten Tätigkeit. Jede Pyramideninner¬ 
vation und ganz besonders jede intendierte Bewegung stört diese automatische 
Tätigkeit. 

Die bisher angeführten Erwägungen führen uns zu der Ansicht, daß 
das Sarkoplasma bei der Parkinsonschen Krankheit eine längere 
Dauer der latenten Reizung besitzt, daß es leichter ermüdet und 



214 


Zweiter Teil. 


daß hierbei in demselben eine eigentümliche Modifikation statt¬ 
findet, die sich durch eine Disposition zur Rigidität und rhyth¬ 
mischen Funktion und durch den Mangel tonischer Kontrakturen 
äußert. 

Eine nähere Analogie konnte ich in den bisher bekannten Erfahrungen 
der Muskelphysiologie nicht finden; die toxikologischen Versuche an den Muskeln 
sind bis jetzt noch nicht so ausgedehnt und mannigfaltig, um bestimmen zu 
können, welches Gift im Sarkoplasma analoge Veränderungen hervorrufen würde. 

Vorläufig muß man sich mit der Analyse dieses Zustandes aus der mensch¬ 
lichen Pathologie begnügen; eine gewisse Ähnlichkeit bietet die Vergiftung 
mit Veratrin, mit Monobromessigsäure, allerdings nur insoweit, als sie auch 
sarkoplasmatische Gifte sind; aber bei der Parkinsonschen Krankheit ist 
der Unterschied von Bedeutung, daß hier keine Disposition zu Kontrakturen 
vorhanden ist, welche diese Gifte charakterisiert und die einen integrierenden 
Bestandteil anderer klinischer Bilder darstellt, der sogenannten Hypertonie, 
der Spasmophilie (Thomsen und die akquirierte Muskelhypertonie). Bei der 
Parkinsonschen Krankheit finden wir eine Disposition zur tonischen Kon¬ 
traktur nur hier und da unter den Prodromen der Krankheit. 

Wir haben hier also einen eigentümlichen Zustand vor uns, der experi¬ 
mentell bis jetzt noch nicht bekannt ist. 

Der ganze Charakter der Parkinsonschen Krankheit und ihr langjähriger 
Verlauf deuten nicht auf einen Zustand von gesteigerter Reizung des Nerven- 
und Gefäßsystems; im Gegenteil, alles spricht für einen dystrophischen Prozeß; 
denselben Charakter weisen auch die anatomischen Veränderungen an den 
Muskeln auf; und in denselben Rahmen passen auch am besten die beobachteten 
funktionellen Veränderungen der Muskeln. 

VI. 

Ich habe oben erwähnt, warum ich der Ansicht bin, daß die Parkinson- 
sehe Krankheit durch eine Funktionsstörung der Drüsen mit innerer Sekretion 
hervorgerufen wird; ich habe ferner gesagt, daß ich sie übereinstimmend mit 
Lund borg für eine Dystrophie analog der Kachexia thyreopriva oder der 
Addinsonschen Krankheit halte. 

Es handelt sich nunmehr darum, ob sich in der bis jetzt bekannten 
Symptomatologie der endokrinen Störungen eine Stütze für diese pathogenetische 
Hypothese finden läßt. 

Da müssen wir uns nun vor allem darüber klar sein, daß wir in allen unseren 
Schlüssen nur einen gewissen, wenn auch ziemlich hohen Wahrscheinlichkeits¬ 
grad erreichen können. Die endokrinen Störungen sind bis jetzt wenig erforscht 
und noch weniger kritisch bewertet; wie wissen noch immer nicht bestimmt, 
welche Funktionen dieser oder jener Drüse allein eigentlich zukommen, da 
die Forschung durch den Umstand sehr erschwert wird, daß bei Störungen 
der einen Drüse auch die anderen Drüsen mit innerer Sekretion ihre Funktionen 
ändern, wodurch das symptomatologische Bild verschleiert wird. Eine noch 
größere Schwierigkeit beruht darin, daß wir bis jetzt die Gesetze dieser Korre¬ 
lationen nicht kennen, welche, wie es scheint, auch für verschiedene Funktionen 
verschieden sind, so daß z.B. die Drüsen, w elche auf das Körperw achstum harmo¬ 
nisch wirken, auf den Austausch bestimmter Stoffe entgegengesetzt wirken usw\ 



Parkinson sehe Krankheit. 


215 


Betrachten wir zuerst, was bis jetzt aus der Anatomie, Symptomatologie 
und Therapie der Parkinson sehen Krankheit zusammengetragen wurde, das 
auf eine Beteiligung der Drüsen mit innerer Sekretion schließen lassen könnte. 

Schilddrüse. 

Anatomische Befunde: Partielle Atrophie fand in einem Falle Lund borg; 
kystische Degeneration einmal Castelvi; Sklerose einmal Castelvi, viermal 
unter 5 Fällen Alquier und zweimal unter 4 Fällen Roussy und Clunet; dieselben 
Autoren fanden zweimal disseminierte Adenome; Par hon und Goldstein fanden 
degenerative Veränderungen; also im großen und ganzen entweder gar keine Ver¬ 
änderungen oder solche, die auf eine herabgesetzte Funktion hindeuten. 

Opotherapie: Thyreoidin hatte nie einen durchschlagenden Erfolg. Castelvi 
beobachtete eine Abnahme des Zitterns und ein Verschwinden des Schwitzens, 
während Dana (zit. bei Lund borg) und Alquier direkt eine Verschlimmenmg be¬ 
obachteten. (Eine analoge Bedeutung könnte man dem Mißerfolg nach Atropin 
zuschreiben, welches Roussy in Mengen von etwa 12 mg pro die ohne Erfolg an¬ 
wendete.) 

Symptomatologie: Pulsbeschleunigung und Herabsetzung des Blutdrucks, 
welche Castöran anführt, sind keine ständigen Begleiterscheinungen der Parkin- 
sonschen Krankheit. Mendel fand Pulsbeschleunigung in y 3 der Fälle, aber nicht 
über 100 Pulse. 

Wichtig sind die trophischen Störungen der Haut, die teils der Sklerodermie 
(Frenkel, Luzzato, Penogrossi und Palmieri, Naumann), teils der Atrophie 
(Böchet, Weber, Compin), teils dem Myxödem (Compin, Alquier, Lund¬ 
borg, Möbius) und der „main succulente“ nahestehen; in ähnlicher Weise kommt 
auch eine Kombination mit Myxödem (Solliers, Lundborg, Luzzato, Möbius), 
aber auch mit Basedowscher Krankheit vor (Möbius, Goldstein und Cobi- 
lovici, Mendel); im Falle Goldsteins entstand die Schüttellähmung, als der 
Basedow zurückging; in zwei Fällen Mendels waren die Symptome beider Krank¬ 
heiten gleichzeitig vorhanden. 

Ferner: Vasomotorische Störungen in Form von profusen Schweißen, Gefühl 
plötzlicher Hitze und eine Steigerung der oberflächlichen (keineswegs der zentralen) 
Körpertemperatur, flüchtige Ödeme (Vincent zit. von Böchet), Dermographismus, 
Anfälle von Diarrhöen (B6chet), Speichelfluß. 

Ein gewisser Grad von Stupor bei sonst gut erhaltener Intelligenz, Schwer¬ 
fälligkeit des Gedankenausdrucks, langsame Auslösung der Eigennamen. 

Alimentäre Glykosurie, die von Klienbergin einem mit Hysterie kombinier¬ 
ten Falle gesehen wurde und manifeste Glykosurie, wie sie von Topinard (zit. von 
Hei mann) und Dana (zit. von Mendel) beobachtet wurde, sind gewiß seltene 
Erscheinungen, da sie trotz darauf gerichteter Aufmerksamkeit nur in einzelnen 
Fällen nachweisbar waren. 

Von den weiteren Erscheinungen des Athyreosis sind die Gelenksaffektionen 
zu nennen, welche der deformierenden Arthritis (Charcot) ähnlich oder mit der¬ 
selben identisch sind (Castdran, Veselle), so daß es manchmal im Anfang schwer 
zu entscheiden ist, um welche der beiden Krankheiten es sich handelt (Brissaud). 
Manchmal hat die Krankheit im Beginne den Charakter der deformierenden Arthritis 
und später entwickelt sich die typische Parkinsonsche Krankheit (Brissaud). 
Vorzeitiges Altem (Geroderma-Rummo) gehört nicht in den Rahmen dieser 
Krankheit. 

Die Symptome des Hyperthyreoidismus, wie schnelles Körperzittem, Exoph¬ 
thalmus, Struma, Erregbarkeit, Reizbarkeit, plötzliche Abmagerung, Anämie sind 
der Parkinsonschen Krankheit im allgemeinen fremd. 

Aus den angeführten Umständen geht also hervor, daß wir ziemlich häufig 
einzelne Symptome der verminderten Funktion der Schilddrüse, aber 
keine ständigen Symptome der gesteigerten Funktion derselben zu sehen bekommen; 
auch die Kombination mit der B ased owsehen Krankheit ist nicht überzeugend, denn 
in dem genauer bekannten Falle von Goldstein kombinierte sich die Parkinson¬ 
sche Krankheit nur mit Resten der Basedowschen Krankheit. Doch hat es 



216 


Zweiter Teil. 


nicht den Anschein, daß die Parkinsonsche Krankheit einzig und allein 
durch den Mangel des Sekretes der Thyreoidea hervorgerufen werden 
könnte, denn ihre Symptomatologie ist viel umfangreicher und mannigfaltiger 
als das Bild der Athyreosis. 

Nebennieren. 

Anatomie: Der einzige, der sich — soweit ich konstatieren konnte — syste¬ 
matisch mit der Anatomie der Nebennieren bei der Parkinsonschen Krankheit be¬ 
schäftigte, ist Alquier. Er fand unter 5 Fällen zweimal Hyperplasie und dreimal 
Hypoplasie kombiniert mit sklerotischen Veränderungen. 

Aus der Symptomatologie sind die myasthenischen Veränderungen zu er¬ 
wähnen, dieses konstante und typische Symptom der Parkinsonschen Krankheit, 
das aber, wie wir gesehen haben, nur in einer Komponente mit der nach Degeneration 
der Nebennieren auftretenden Veränderung übereinstimmt; ferner die Erfahrung 
Mendels, der die Kombination eines typischen Falles von Parkinson scher Krank¬ 
heit mit den typischen Symptomen der Addisonsehen Krankheit beobachtete und 
einen analogen Fall von Hecker zitiert. 

Symptome einer gesteigerten Tätigkeit der Nebennieren, wie Glykosurie, 
erhöhten Blutdruck, finden wir bei der Parkinsonschen Krankheit nicht. 

Die Veränderungen der Muskeltätigkeit nach Adrenalin sind bis jetzt noch 
nicht sicher erforscht, aber das, was bekannt ist (der erregende Einfluß auf den 
Muskel), die Beseitigung der Ermüdungserscheinungen (Dessy und Grandis, 
Oliver, Schäffer, Joteyko) könnte uns — mit großer Reserve — zu der Annahme 
einer Herabsetzung der Nebennierenfunktion bei der Parkinsonschen 
Krankheit veranlassen. 

Hypophysis. 

Der Zustand der Hypophyse bei der Parkinsonschen Krankheit wurde wie 
der der Nebennieren bis jetzt nicht systematisch untersucht, so daß wir diesbezüglich 
nur geringe Erfahrungen besitzen. 

Anatomie: Alquier fand bei 3 unter 5 Fällen eine Zunahme der zyanophilen 
und eine Abnahme der eosinophilen Elemente, was er für ein Zeichen einer weniger 
guten Funktion hält; Roussy und Clunet fanden bei 2 von 4 Fällen keine Ver¬ 
änderungen, in einem Falle sahen sie eine pseudokystische Degeneration und in 
einem Falle eine kolloidale Zyste im drüsigen Anteil. 

Opotherapie: Dana sah eine kurzdauernde Besserung (zit. Lund borg); 
Re non und Delille und nach diesen Parhon und Urechie konstatierten, daß 
sich der Puls verlangsamte, der Blutdruck stieg, der Schlaf besser wurde, der Appetit 
wiederkehrte, während das Zittern und die Muskelrigidität unverändert blieben. 

Symptomatologie: Die Symptome, welche die Abnahme der Funktion der 
Hypophyse begleiten wie: Pseudoadiposität, erworbener Puerilismus, Haarausfall, 
ferner die Symptome einer gesteigerten Funktion derselben wie Veränderungen der 
Extremitätenenden, Schlafsucht, Apathie fehlen bei der Parkinsonschen Krankheit. 

Ovarien, Hoden. 

Auch hier besitzen wir keine systematischen Erfahrungen. Anatomisch 
fand Alquier in seinen 5 Fällen an den Ovarien „senile Veränderungen“. 

Opotherapie: Brown-S6quard verzeichnete Besserung nach Behandlung 
mit Hoden; Parhon und Goldstein sahen nach Ovarien Besserung in einem Fall, 
in welchem Menstruationsbeschwerden vorhanden waren. 

Symptomatologie: Die Parkinsonsche Krankheit beginnt zwar in der 
zweiten Hälfte des Lebens, wo die Tätigkeit der Geschlechtsdrüsen abnimmt oder 
zum Stillstand kommt, und sie besitzt auch einige Symptome, die an die nervösen 
klimakterischen Symptome (z. B. die vasomotorischen) erinnern, sie hat aber weder 
zur Pubertät, noch zum Klimakterium irgendwelche regelmäßigere Beziehungen. 
Man beobachtet bei ihr weder ein vorzeitiges Verblühen, noch sieht man in den Fällen 
von vorzeitigem Klimakterium irgend etwas in der motorischen Sphäre, das an die 
Veränderungen bei der Parkinsonschen Krankheit erinnern würde. 



Parkinson sehe Krankheit. 


217 


Epiphysis cerebri. 

Diese wurde bis jetzt noch nicht erforscht. Die bekannten Erscheinungen 
bei Erkrankungen der Epiphyse (an den Genitalien — Ogle) wurden bei der Par- 
kinsonschen Krankheit nicht beobachtet. 

Pankreas. 

Anatomisch wurde dasselbe von Alquier in seinen 5 Fähen untersucht und 
normal befunden. 

Die Ernährungsstörungen, die bei Erkrankungen des Pankreas Vorkommen 
(Glykosurie, Azidosis, Abmagerung) wurden bei der Parkinsonschen Krankheit 
nicht beobachtet. 

Epithelkörperchen. 

Ihr Verhältnis zur Parkinsonschen Krankheit ist ein modernes Thema 
und daher finden wir hier schon mehr Aufzeichnungen. 

Anatomie: Camp fand in 2 Fällen fettige Degeneration (Mendel). Alquier 
fand bei 4 von 5 Fällen Veränderungen, die er als den Ausdruck einer Hypofunktion 
anspricht, einmal fand er nur ganz geringfügige Veränderungen. Roussy und Clunet 
fanden dagegen in 4 Fällen makroskopisch vergrößerte und abgeflachte Drüsen 
und mikroskopisch Chromophilie, Spongiozytosis, kolloide Überproduktion und 
halten diese Erscheinungen für den Ausdruck einer Hyperfunktion, weil sie sie 
auch bei Tieren, denen sie 3 Drüsen exstirpiert hatten, nach einiger Zeit an der 
zurückgebliebenen 4. Drüse fanden, während sie dieselben unter 100 gesunden 
Kontrollfällen nicht ein einziges Mal vorfanden. Thomson fand in einem Fall 
nichts Bestimmtes (nach Mendel), und auch Parhon und Goldstein fanden in 
einem Falle an 2 untersuchten Drüsen ebenfalls nichts. Erdheim fand unter drei 
Fällen von Parkinsonscher Krankheit in einem Fall eine Drüse durch Hyper¬ 
plasie der sogenannten oxyphilen Zellen ungewöhnlich vergrößert. 

Opotherapie: Berkeley (1905) sah nach dem Extrakt der Epithelkörperchen 
bei Ö von 11 Kranken Besserung aller Symptome, namentlich der zuletzt aufge¬ 
tretenen, und (1907) nach dem aus den Drüsen isolierten Nukleoproteid eine Besse¬ 
rung, ja sogar ein Verschwinden des Zitterns, eine Besserung der Muskelbewegungen, 
eine Verminderung der Rigidität, der Salivation, der Insomnie. Er besserte an¬ 
geblich auch solche Patienten, die 15—20 Jahre ans Bett gefesselt waren. — Alquier 
sah bei 6 Fällen eine Abnahme der Rigidität, der Schmerzen, der Insomnie, mußte 
aber manchmal wegen vasomotorischer Störungen mit der Darreichung aussetzen. 
— Dagegen warnen Roussy und Clunet vor dieser Behandlung, weil sie bei 6 Fällen 
eine Verschlimmerung des Zitterns, der Rigidität und der Herztätigkeit und eine 
allgemeine Agitation beobachteten; nur die squamösen Veränderungen der Haut 
und die Ödeme zeigten eine Besserung. Goldstein sah keine Wirkung. (Berkeley 
macht darauf aufmerksam, daß die im Handel vorkommenden Präparate gewöhn¬ 
lich wirkungslos sind.) Hierbei ist zu bedenken, daß die Schilddrüsentherapie, 
die sich gegen die Insuffizienz der Parathyreoidealdrüsen bei der menschlichen und 
tierischen Tetanie prompt bewährt (Biedl), bei der Parkinsonschen Krankheit 
absolut versagt. 

Symptomatologie: Da der Zustand der Muskulatur bei den Myotonien dem 
Zustande der Muskulatur bei der Tetanie einigermaßen ähnlich ist und da nach der 
Exstirpation der Epithelkörperchen eine manifeste oder latente Tetanie ent¬ 
steht, forschte man bei der Parkinsonschen Krankheit eifrig nach solchen der 
Tetanie oder Myotonie nahestehenden Symptomen. 

Tonische Krämpfe beobachtet man manchmal während der Prodrome an 
der Hand, wie beim Schreibkrampf, oder an der Wadenmuskulatur (Negro), in der 
Krankheit am Antithenar (in unserem Falle) und an den Fingern (Stewart, zit. 
Mendel); einen tonischen Spasmus im Beginne der Bewegung beobachteten Roux 
und Rummo, doch scheint in ihren Fällen das Bild der Parkinsonschen Krankheit 
nicht ganz rein und der Verdacht auf Hysterie begründet zu sein; die Unmöglichkeit, 
rasch die antagonistische Bewegung auszuführen, beobachteten Mo6utkovsk<*, 
Makarov, JaniSevsk* an den Stimmuskeln, an dem Orbitalring, an den Hand- 



218 


Zweiter Teil. 


muskeln, an den konjugierten Augenmuskeln (Debove), doch ließe sich diese Er¬ 
scheinung auch durch die Rigidität erklären; eine Ähnlichkeit mit der myotonischen 
Reaktion sahen Westphal und Mendel je einmal; die Position der Hand bei der 
Parkinson sehen Krankheit erinnerteL undborgan den tetanischen Krampf der Hand. 

Myokymie beobachteten einmal Negro imd Treves (Mendel) am Triceps 
brachii bei Bewegungen. 

Myoklonie wurde nicht beobachtet, doch wird gewöhnlich eine neuropathische 
Bauemfamilie angeführt, in der Lundborg unter verschiedenen schwer zu erkennen¬ 
den Nervenkrankheiten 18 Fälle von Myoklonie und 5 Fälle von Schüttellähmung 
beobachtete. 

Die elektrische Muskelerregbarkeit wurde bis auf die vereinzelten Angaben 
Westphals und Mendels entweder unverändert oder — besonders in den späteren 
Stadien der Krankheit — einfach herabgesetzt gefunden; die myotonische Reaktion 
ist bei der Parkinsonschen Krankheit nicht bekannt. Ich selbst fand im Gegenteil 
bei der Entstehung des Tetanus und auch beim Drücken des Dynamometers ein 
myasthenisches Verhalten. 

Man kann also nicht behaupten, daß die myotonische Komponente zum Bilde 
der Parkinsonschen Krankheit gehört; vielmehr dürfte dieselbe hier ebenso wie 
auch bei anderen Krankheiten (Epilepsie, disseminierte Sklerose, Polyneuritis, 
Myelitis, Myopathie — Roux) eine seltene Komplikation darstellen. Die motorischen 
Störungen besitzen bei der Parkinsonschen Krankheit im Gegenteil einen myasthe¬ 
nischen Charakter. 

Wenn wir also alles bis jetzt Gesagte überblicken, so sehen wir, daß man 
aus den Befunden und Symptomen der Parkinsonschen Krankheit mit einer 
gewissen Reserve auf eine Funktionshemmung der Schilddrüse, der Neben¬ 
nieren und vielleicht auch der Parathyreoidealdrüsen schließen kann; vielleicht 
befinden sich auch die Hypophyse und die Geschlechtsdrüsen in einem Zustande 
von Hypofunktion, aber sichere und konstante Anzeichen liegen hierfür nicht vor 
und dürften kaum eine entscheidende Bedeutung besitzen; bezüglich der Epi¬ 
physe und des Pankreas läßt sich nichts Bestimmtes aussagen. 

Wie soll man nun diese Befunde für einen Erklänmgsversuch der Par¬ 
kinsonschen Krankheit verwerten? 


VII. 

Die Lund borg sehe Hypothese von einem chronischen Hypopara¬ 
thyreoidismus hat auf den ersten Blick etwas Verlockendes für sich, vermag 
aber die Symptome der Parkinson sehen Krankheit schwer zu erklären. L u nd - 
borg stützt seine Hypothese auf die Ähnlichkeit der Muskelrigidität mit der 
Tetanie, auf eine gewisse prinzipielle Ähnlichkeit zwischen thyreopriver Kachexie, 
Myxödem und Parkinsonscher Krankheit, ferner darauf, daß er eine Familie 
beobachtete, in welcher neben Myoklonie (die seiner Ansicht nach ebenfalls 
mit der Tetanie verwandt ist) mehrere Fälle von Parkinson scher Krankheit 
vorkamen, und schließlich auf den Umstand, daß die Parkinsonsche Krankheit 
ihr Gegenstück in der Erbschen Myasthenie besitzt, welche auf einer Hyper¬ 
funktion der Parathyreoidealdrüsen beruht. 

Es ist begreiflich, daß, wenn der plötzliche Untergang oder die Ent¬ 
fernung der Epithelkörperchen den akuten Symptomenkomplex der Tetanie 
zur Folge hat, die chronischen Läsionen dieser Dräschen die Ursache der der 
Tetanie verwandten Zustände sein könnten, zu denen die verschiedenen Hyper¬ 
tonien gehören (die erworbenen Hypertonien — Curshmann jun., vielleicht 
auch die Thomsensche Krankheit, die Myokymie und die Myoklonie). Doch 
hat, wie wir gesagt haben, die Muskelveränderung bei der Parkinsonschen 



Parkinson sehe Krankheit. 


219 


Krankheit nicht einen hypertonischen, sondern im Gegenteil einen myastheni¬ 
schen Charakter. Es läßt sich aber auch nicht beweisen, daß die Parkinson sehe 
Krankheit das Gegenstück der Myasthenie ist; es besteht zwar auf der einen 
Seite eine Erschlaffung der Muskeln und auf der anderen Seite die Rigidität, 
aber keineswegs ein tetanischer Zustand; es besteht hier Parkinsonsches 
Zittern, aber keineswegs Myokymie oder Myoklonie. Wenn bei der Erbschen 
Krankheit der Körper durch die Funktion erschlafft und bei der Parkinson - 
sehen Krankheit die Starre durch die Funktion verschwindet, so ist dies noch 
nicht das Gegenteil, da bei der Parkinsonschen Krankheit infolge der Funktion 
die Erschlaffung trotz der abnehmenden Rigidität stetig zunimmt. Die Par¬ 
kinson sehe Rigidität ist keine tetanische Veränderung und die durch Ex¬ 
stirpation der Epithelkörperchen (Znojemsky) oder durch Exstirpation 
der Schilddrüse bei Affen (Langhans) erzeugten Muskelsteifigkeiten sind 
eben tetanische Modifikationen und keineswegs Rigiditäten, die der Parkin¬ 
sonschen Rigidität analog wären. In allen diesen Fällen entstehen bei will¬ 
kürlicher Funktion oder reflektorischer Reizung typische tonische Kontraktionen 
oder Krämpfe, welche das eigentliche Wesen dieser Zustände verraten, wie z. B. 
bei der Thomsensehen Krankheit, w r as man aber gerade bei der Parkinson¬ 
schen Krankheit nicht beobachtet. 

Die Park in sonsche Krankheit ist nicht das Gegenstück der Myasthenie, 
sondern im Gegenteü ein der Myasthenie verwandtes und derselben im ge¬ 
wissen Sinne koordiniertes Syndrom. Sehr interessant für unsere Frage ist 
ein nach partiellen Ektomien der Schilddrüse auftretendes, eigentümliches 
Syndrom, welches Kocher zuerst angeführt und Skäla in seiner Arbeit über 
die Schüddrüse genau beschrieben und bewertet hat. Skala charakterisiert 
seine beiden Beobachtungen übereinstimmend mit Kocher folgendermaßen 
(1. c. S. 66): es entsteht eine allgemeine Ermüdung, das Gefühl, als ob der ganze 
Körper den Dienst versagen würde, die Kranken können sich zu keiner geistigen 
oder körperlichen Arbeit emporschwingen, sie sind sich dieser Adynamie voll¬ 
kommen bewußt, und dies ist die Ursache ihrer psychischen Depression. Ihre 
Sprache ist langsam, sie scheinen die Worte zu suchen und die Gedanken ange¬ 
strengt zu sammeln, das Schreiben ist ihnen eine schwere Aufgabe, die Hand ist 
schwer und wde steif, jede ausgiebigere und energischere Bewegung ist unmög¬ 
lich. Dabei ist es offenkundig, daß im Verhältnis zu dieser physischen Adynamie 
die Muskulatur kräftig, starr (vom Autor unterstrichen) und keineswegs 
atrophisch ist. — Wenn wir aus der detaillierten Krankheitsgeschichte hervor¬ 
heben, daß sich die Muskeln (Bizeps, Supinator longus, Vastus internus) nach 
mehreren Impulsen langsamer und weniger intensiv kontrahierten, ohne aber 
die Erregbarkeit vollkommen verloren zu haben, daß die elektrische Erregbarkeit 
erhalten war, daß es lange dauerte, bis der Kranke auf Befehl die Extremität 
bewegte — werden wir ohne weiteres erkennen, daß diese Abart der Myasthenie 
der Parkinsonschen Krankheit sehr nahe verwandt ist, und zwar nicht allein 
durch ihre Myasthenie, sondern auch durch das zögernde Verhalten vor dem 
Beginne der Bewegung und durch die Starre der Muskulatur, die der Autor 
selbst hervorhebt. 

Das Kocher-Skälasche Syndrom, das Kocher für eine thyreopara- 
thyreoprive Kachexie, Skäla für Hyperparathyreoidismus hielt, bildet einen 
schönen symptomatischen Übergang zwischen Erb scher Myasthenie und Addi- 



220 


Zweiter Teil. 


sonscher Krankheit einerseits, da es mit bronzefarbener Pigmentation und 
erhöhter Toleranz für Zucker einherging, andererseits eine Brücke zwischen der 
Parkinsonschen Krankheit und den Myasthenien. Bei der Addisonschen 
Krankheit leidet das adrenale System der Nebennieren; Skäla zeigt in scharf¬ 
sinniger Weise, wie bei seinem Syndrom die Muskelasthenie aus einer un¬ 
genügenden Nebennierenfunktion zu erklären sei, aus der auch die übrigen 
Symptome seines Syndroms abgeleitet werden können; aus denselben Gründen 
kann man auch bei der Erbschen Krankheit an eine Affektion des adrenalen 
Systems denken, insofeme es sich um die Erklärung der Muskelasthenie handelt. 
Auch bei der Basedowschen Krankheit wurde schon die Adynamie durch ein 
Sinken der Nebennierenfunktion erklärt (Hoffmann). 

Indem wir die Parkinsonsche Krankheit begründeterweise in die Kate¬ 
gorie der Myasthenien im weitesten Sinne des Wortes einreihen, müssen wir 
notgedrungen an die Funktion des adrenalen Systems denken, 
die hier wie bei den übrigen Myasthenien herabgesetzt wäre. 

Hierbei kann der innere Zusammenhang zwischen der Verminderung 
der Funktion des adrenalen Systems und der Myasthenie ein doppelter sein: 
erstens ein direkter, da die direkte erregende Einwirkung des Adrenalins auf 
den ermüdeten Muskel (Dessy und Grandis zit. Biedl), eine Erhöhung der 
ergographischen Muskelkurve nach Adrenalininjektionen (Müller — zit. 
Sk 41a), eine dem Veratrin analoge Reizwirkung (Oliver-Schäfer — zit. 
Biedl, Neusser-Wiesel) — eine erregende, wenn auch geringe Einwirkung 
auf das Sarkoplasma (Joteyko — zit. Biedl), erwiesen ist, und zweitens ein 
indirekter, da das Adrenalin die Mobilisierung der Kohlenhydrate, die Erzeugung 
des Glykogens und die Umwandlung des Glykogens in Zucker (Biedl) bewirkt. 
Übereinstimmend wurde eine gesteigerte Adrenalinämie bei angestrengter Muskel¬ 
tätigkeit beobachtet (Schur und Wiesel — zit. Sk41a). Hierbei wird die 
Ansicht Lundborgs, zu der auch Chvostek jun. und Skala gelangten, daß 
nämlich das primum movens der Myasthenie in einer Hyperfunktion oder 
Dysfunktion der parathyreoidealen Drüschen zu suchen sei, bei Seite gelassen. 
Wir können uns dieser Ansicht, nach welcher wir auch bei der 
Parkinsonschen Krankheit eine Hyperfunktion (Dysfunktion ist ein 
neutraler, unverbindlicher Begriff) der Epithelkörperchen annehmen 
müßten, nicht anschließen. Welche Wirkungen die Hyperfunktion der 
Epithelkörperchen herbeiführen kann, ist uns bis auf die therapeutischen 
Versuche von Roussy und CIunet vollkommen imbekannt; diese sahen schwere 
toxische Allgemeinstörungen, Agitationen, stürmische Herztätigkeit und im Zu¬ 
sammenhang damit auch eine Verschlimmerung der Parkinsonschen Sym¬ 
ptome — des Zitterns und der Rigidität. Allgemein wird angenommen, daß die 
Epithelkörperchen eine antitoxische Wirkung besitzen; man erschließt dies aus 
der parathyreopriven Tetanie. Die Ansicht Lundborgs ergibt sich nicht 
aus der Symptomatologie der Myasthenie, sondern stützt sich nur auf die An¬ 
nahme eines Hypoparathyreoidismus bei der Parkinsonschen Krankheit und 
eines Antagonismus zwischen Parkinsonscher Krankheit und der Erbschen 
Myasthenie; da aber ein solcher Antagonismus nicht besteht, ist auch die Lund- 
borgsche Schlußfolgerung zweifelhaft. Chvostek ging von seinem Fall und, 
zwar von einer Kombination von Myxödem und Asthenie aus ; er stützte sich 
bei nachgewiesenem Konnex zwischen Myxödem und Asthenie auf die An- 



Parkinson sehe Krankheit. 


221 


nähme eines Antagonismus zwischen der Thyreoidea und den Epithel¬ 
körperchen und gelangte zu der Ansicht, daß neben Athyreosis gleichzeitig nichts 
anderes vorhanden sein könne als Hyperparathyreoidismus. In analoger Weise 
nimmt Sk41a bei seinem Falle von partieller Strumektomie, bei welchem die 
Symptome einer Läsion der Schilddrüse fehlten, eine Reizung der Antagonisten 
der letzteren, der Epithelkörperchen, an und findet deduktiv eine Bestätigung 
dieser Annahme in jenen Symptomen, welche sich aus einer Hypofunktion 
des adrenalen Systems, des Antagonisten der Epithelkörperchen, ableiten 
lassen. Bei beiden stützt sich also die Annahme einer Hyperfunktion der Para¬ 
thyreoidea nur auf den vorausgesetzten Antagonismus der Schüddrüse und der 
Epithelkörperchen, der letzteren und des adrenalen Systems. Demgegenüber 
muß erwähnt werden, daß die funktionelle Wechselbeziehung zwischen 
Thyreoidea und Epithelkörperchen nicht konstant ist und ein kon¬ 
stanterer Antagonismus zwischen beiden überhaupt und bei der Myasthenie 
ganz besonders nicht angenommen werden kann, und zwar schon aus dem Grunde 
nicht, weil sich die Myasthenie, wie sie sich im Falle von Chvostek mit Myx¬ 
ödem kombiniert, in den Fällen von Jendrassik, Goldflam und in vielen an¬ 
deren, welche Skala auf Seite 86 zitiert, mit einem mehr weniger ausgebildeten 
Basedowschen Syndrom kombiniert. Ebenso inkonstant ist das Verhalten 
der Tetanie, die sich manchmal mit Basedowscher Krankheit, manchmal 
mit Myxödem kombiniert. Eigentlich bedarf Sk41a in seiner ganzen, sehr 
scharfsinnigen Analyse seines Syndroms gar nicht der Mitwirkung der Epithel¬ 
körperchen, denn er erklärt alle Symptome aus einer Herabsetzung der Funktion 
des adrenalen Systems und diese Herabsetzung läßt sich in seinem Falle direkt 
aus der funktionell koordinierten Funktion der Nebennieren und der Schilddrüse 
erklären; ebenso wie er zur Annahme des Hyperparathyreoidismus zuerst der 
Annahme einer Herabsetzung der Funktion der Thyreoidea bedarf, kann diese 
supponierte Herabsetzung der Funktion der Schilddrüse an und für sich eine 
Schwächung des adrenalen Systems — die Funktionen dieser beiden Systeme 
sind bekanntlich harmonisch — ohne die Funktion der Epithelkörperchen 
zu Hüfe zu nehmen, erklären. 

Aus der Regelmäßigkeit, mit welcher nach der Exstirpation der Epithel¬ 
körperchen Tetanie oder die Disposition zu derselben (Spasmophüie) entsteht, 
kann man schließen, daß irgendwo im Körper eine tetanisierende Substanz 
erzeugt wird, welche die Epithelkörperchen unter normalen Verhältnissen 
neutralisieren, oder daß die Epithelkörperchen auf ein Organ einwirken, das, 
von ihrem hemmenden Einfluß befreit, jene Substanz erzeugt. Vorläufig haben 
wir noch keine Ahnung über den Ursprung dieser Substanz. Der therapeutische 
Erfolg der Thyreoidea bei der Tetanie beweist, daß auch die Thyreoidea ebenso 
wie die Epithelkörperchen diese Substanz zu neutralisieren vermag. Es geht 
nicht an, die Quelle der tetanisierenden Substanz in einer Mobilisation der 
Kohlehydrate infolge einer gleichzeitigen Schwächung des Pankreas und in einer 
antagonistischen Hyperfunktion des adrenalen Systems und in einer dadurch 
etwa gesteigerten Glykogenproduktion zu suchen, denn bei erwiesenen Hypo¬ 
funktionen des Pankreas und bei Krankheiten, die von alimentärer Glykosurie 
begleitet sind, werden keine hypertonischen Symptome beobachtet. Wir können 
auch eine Hyperadrenalinämie nicht beschuldigen, indem wir etwa annehmen, 
daß das Adrenalin in großer Menge ebenso wirke, wie das tetanisierende Gift; 



222 


Zweiter Teil. 


die bisherigen Erfahrungen sprechen nicht für eine so intensive Wirkung 
des Adrenalins; weder finden sich bei sicheren Hypertonien, wie der Tetanie 
und Thomsensehen Krankheit, die Symptome einer hochgradigen Adrenalin- 
ämie und Sympathikusreizung, noch findet sich Hypertonie bei der sicheren 
Adrenalinämie der Basedowkranken (Frankel: die 5—8 fache Menge — zit. 
Biedl Seite 244). 

Wenn dem so ist, so kann man daraus vorläufig nichts deduzieren, was bei 
der Hyperfunktion der Parathyreoidealdrüsen, denen eine antitoxische Funktion 
zukommt, geschieht. Man kann nicht behaupten, daß die Gl. parathyreoidea 
eine antitoxische Funktion besitzt, und gleichzeitig behaupten, daß bei ihrer 
Hyperfunktion ein klinisches Bild entsteht, das dem nach der Exstirpation ent¬ 
standenen Bilde entgegengesetzt ist. Es dürfte der Erwähnung wert sein, 
daß Erd heim in einigen Fällen von Adenom und Hyperplasie der Epithel¬ 
körperchen keine Myasthenie gefunden hat. 

Ich bin der Ansicht, daß man sich vorläufig auf Grund der bis jetzt an¬ 
geführten Umstände über die Beteiligung der Parathyreoidea an den Myasthenien 
überhaupt und an der Parkinsonschen Krankheit insbesondere nicht mit Be¬ 
stimmtheit aussprechen kann und daß man nur dann eine Hyperfunktion an¬ 
nehmen könnte, wenn eine gleichzeitige koordinierte und antagonistische 
Funktion der endokrinen Drüsen (Parathyreoidea neben Pankreas gegen die 
Thyreoidea, das adrenale System) eine ausnahmslose Regel wäre, was aber bis 
jetzt bezweifelt werden muß (Biedl und das oben erwähnte Verhältnis der 
Thyreoidea zu den Epithelkörperchen), und wenn die Parathyreoidea noch eine 
andere als die antitoxische Funktion besäße, worüber uns aber nichts bekannt ist. 

Bei den Myasthenien fehlt jenes Agens, das unter normalen Verhältnissen 
die gute Funktion der Muskelsubstanz erhält und ohne das der Muskel schnell 
ermüdet. Dieses Agens kann nur das normal gelieferte und produzierte Gly¬ 
kogen und Adrenalin sein (das erste ist der Hafer, das andere die Peitsche). 
Beide Quellen stehen unter dem Einflüsse des adrenalen Systems. 

Bei der Parkinsonschen Krankheit aber handelt es sich um mehr: 
die Muskeln ermüden und zeigen außerdem eine abnormale Reaktion; zur Er¬ 
müdbarkeit der anisotropen Substanz, wie sie bei den Myasthenien überhaupt 
vorkomrat, gesellt sich hier eine typische Veränderung der sarkoplasmatischen 
Funktion: größere Ermüdbarkeit, Mangelhaftigkeit der tonischen Kontrak¬ 
tionen und Krämpfe, Disposition zur Starre und zu rhythmischer Funktion 
— ein Zustand, der eine eigentümliche Vergiftung durch eine bis jetzt noch 
unbekannte Substanz verrät. 

Angesichts des kachektisierenden Charakters der ganzen Krankheit, 
angesichts der nachweisbaren Ernährungsstörungen in allen Systemen können 
wir bei der Parkinsonschen Krankheit mit vollem Rechte auch an der Mus¬ 
kulatur dystrophische Störungen annehmen; wir können annehmen, daß unter 
dem schädlichen Einflüsse der auf den ganzen Körper nach Art einer Dyskrasie 
wirkenden Substanz auch die Muskeln leiden; die anatomischen Befunde an 
den Muskeln bestätigen diese Annahme. 

Wenn wir erwägen, daß die Thyreoidea gemäß der Symptomatologie 
der Parkinsonschen Krankheit ebenfalls eine herabgesetzte Funktion dar¬ 
bietet, und wenn wir uns den großen Einfluß der Thyreoidea auf die Gewebe 
und den Stoffwechsel im Sinne der Assimilation und Dissimilation vergegen- 



Parkinson sehe Krankheit. 


223 


wärtigen, können wir in der herabgesetzten Funktion der Thyreoidea die zweite 
richtige pathogenetische Komponente der Parkinson sehen Krankheit erblicken 
(wie Kocher bei jenem eigentümlichen, von Skala erforschten Syndrom). 

Schließlich muß noch erwogen werden, daß bei herabgesetztem Stoff¬ 
wechsel sich in den Muskeln giftige Produkte dieses Stoffwechsels ansammeln; 
diese Produkte sammeln sich in den Muskeln auch nach der Exstirpation der 
Nebennieren an, wie Abelous, Langlois, Albanese (Neusser-Wiesel) 
experimentell nachgewiesen haben; diese Produkte werden nach Langlois, 
Boruttau und Battelli durch das Rindensystem der Nebennieren neu¬ 
tralisiert (zit. Hoff mann); dies gilt besonders für die Milchsäure und das 
Pyrokatechin (Huismans nach Hoffmann). 

Diese herabgesetzten Funktionen der Thyreoidea und der Nebennierenrinde 
würden also in der Pathogenese der Parkinsonschen Krankheit parallel wirken. 

Demnach fehlen unserer Ansicht nach bei der Parkinsonschen Krank¬ 
heit den Muskeln partiell oder total (je nach der Schwere des Falles) die energeti¬ 
schen (Adrenalin) und trophischen Reize (Glykogen und Thyreoidea) und viel¬ 
leicht auch die neutralisierenden Stoffe (Nebennierenrinde). 

Uber die Beteiligung der parathyreoidealen Körperchen läßt sich nichts 
Bestimmtes sagen. 

Jene Substanz X, welche nach Exstirpation der Epithelkörperchen die 
Tetanie erzeugt (und vielleicht bei der Aplasie derselben die Thomsensche 
Krankheit hervorruft), und jene Substanz Y, die in analoger Weise bei Tier¬ 
versuchen klonische Krämpfe bedingt (und vielleicht bei der erworbenen Myo- 
klonie mitwirkt), verraten ihre Wirksamkeit bei der Parkinsonschen Krank¬ 
heit nicht, außer in den ersten Anfängen der Krankheit und auch hier nur selten 
durch eine Disposition zu Krämpfen in den Waden und in den Händen nach 
Art des Schreibkrampfes. 

Nur dann, wenn die Epithelkörperchen bei ihrer antitoxischen Wirkung 
auf die das motorische System ergreifenden Gifte (X, Y) auch jene dystrophi¬ 
schen Produkte neutralisieren würden, welche in gewissem Sinne analog der 
Monobromessigsäure Rigidität verursachen und die, wde wir bereits erwähnt 
haben, vielleicht einem abnormalen Stoffwechsel in den Muskeln ihren Ursprung 
verdanken (das Gift Z), könnten wir annehmen, daß der Hypoparathyreoidismus 
eine wichtige pathogenetische Komponente bei der Parkinsonschen Krankheit 
bildet. Doch ist diese neutralisierende Wirkung auf das Gift Z noch nicht er¬ 
wiesen. Sie wird, wie wir bemerkt haben, für einige dieser giftigen Produkte 
der Rinde der Nebennieren zugeschrieben. 

Den parathyreoidealen Körperchen wird auch ein Einfluß auf den Kal¬ 
ziumstoffwechsel zugeschrieben. Nach Ektomien bei Hunden und Ratten 
war die Gesamtmengedes Ca kleiner (Leopold, Reuß, McCallum, Vögttin). 
Nach Loeb schränken die Ione des Ca die konstante rhythmische Funktion 
der Muskulatur ein (zit. Biedl); vielleicht könnte also eine Verminderung 
der Ca-Ione bei der Entstehung des Parkinsonschen Zitterns mitwirken. 
Doch ist dieser Beweis für die hypoparathyreoideale Beteiligung an der Patho¬ 
genese der Parkinsonschen Krankheit noch unsicherer. 

Wenn wir also alles erwägen, was uns die Symptomatologie der Parkin¬ 
sonschen Krankheit lehrt, und wenn wir speziell in der Veränderung der 
Muskeltätigkeit das konstanteste und typischeste Symptom erblicken, können 



224 


Zweiter Teil. 


wir sagen: die Parkinsonsche Krankheit ist eine chronische uni¬ 
verselle Dystrophie, bedingt durch eine Funktionsverminderung 
der Drüsen mit innerer Sekretion, speziell der Thyreoidea und des 
adrenalen Systems, wahrscheinlich aber auch noch anderer Drüsen, 
wie des Rindensystems der Nebennieren und vielleicht auch der 
parathyreoidealen Drüsen. Es handelt sich nicht um eine bloße para- 
thyreoidealeDystrophie, wie Lundborg gemeint hat, sondern um eine typische 
pluriglanduläre Dystrophie. Je nachdem, in welcher Reihenfolge und 
wie schnell die einzelnen endokrinen Funktionen auf hören, ändert sich das 
Krankheitsbüd in den ersten Stadien (tonische Symptome, Basedowsymptome, 
myxödematÖ8e, genitale, Addisonsymptome usw.); eine gleichzeitige Erkrankung 
des Gehirnes kann sodann dem klinischen Bilde gewisse äußere Eigentümlich¬ 
keiten verleihen (manche hemiplegische Formen). Die Parkinsonsche Krank¬ 
heit kann nicht so einfach in ein Schema eingereiht werden, wie dies Lund- 
borg in seinem gewiß sehr geistreichen Artikel tut, sondern man muß ent¬ 
sprechend den typschesten Veränderungen in den Muskeln etwa folgendes Krank¬ 
heitsschema aufstellen: 


Störungen des motorischen Systems, bei denen pathologische Zustände 
der endokrinen Drüsen anzunehmen sind. 



Myasthenie 


Hyper¬ 

tonie 

Hvper- 

klonie 



Addison 

Gravis 

i 

Kocher- 

Parkin- 

Myotonie u. 

Myoklonie 

Teta- 



(Erb) 

Skala 

son 

vielleicht 
auch Waden- 

Myokymie 

nie 






krämpfe 



Anisotr. 

ermüdend 

! 

sehr er- 

ermüdend 

ermüdend 

normal 

erhöht erreg- 

? 



müdend 




bar 


Sarkopl. 

nicht ty- 

nicht ty- 

? 

typisch 

erhöht erreg- 

? 

erhöht 


pisch ver- 

pisch ver- 

(Starre) 

verändert 

bar 


erreg- 


ändert 

ändert 

j 




bar 

Endokrine 





Gestörtes parathyreoideales 

Gestörtes adrenales System ! 

System : ungenügende Neutra- 

Störungen 





lisation des Giftes 




+? 

+? 

+ Läsion 

X 

Y 

XY 




Thyreoid. ? 

der Thy- 


(-(- Zentrales 





Para- 

reoidea 


Nerven- 





thyreoid. ? 

4- Neben- 


System? 



. 


(unge- 

nieren- 







nügende 

rinde? 







Neutrali- 

+ Para- 

i 






sation des 

thyreo- 



! 



i 

i 

Giftes Z?) 

idea? (un- 
genügen- 
deNeutra- 
lisation 
des Giftes 


! 

1 






Z?) 


1 




Parkinson sc he Krankheit. 


225 


vni. 

Ich habe im vorhergehenden auseinandergesetzt, welche Pathogenese 
ich beim Zittern im Ruhezustände, beim Zittern in der Bewegung und bei der 
Rigidität der Parkinson sehen Krankheit annehme. Es muß nun untersucht 
werden, inwieweit einige symptomatologische Eigentümlichkeiten der Parkin¬ 
son sehen Krankheit damit übereinstimmen. 

Warum das Zittern in der ersten Phase der gewollten Bewegung 
und der aktiven Innervation überhaupt aufhört, habe ich bereits 
im vorangehenden erklärt. In manchen Fällen gelangt diese Pause kaum zur 
Beobachtung: in analoger Weise beginnt bei Versuchen mit Muskel Vergiftungen 
die rhythmische Schwankung gewöhnlich auf dem absteigenden Schenkel 
des Myogramms, manchmal aber schon auf dem Gipfel, ja sogar auch vor dem¬ 
selben. 

Warum das Zittern bei hochgradiger Rigidität aufhört, werden 
wir uns aus jenen Versuchen verständlich machen können, bei denen die rhyth¬ 
mische Bewegung aufhört, sobald die Muskelstarre eine gewisse größere Inten¬ 
sität erreicht. (Versuche mit Muskelgiften, z. B. der Monobromessigsäure- 
Lhotäk.) 

Daß das Zittern im tiefen, nicht aber im leichten Schlafe ver¬ 
schwindet, kann in der Weise erklärt werden, daß im tiefen Schlafe die kon¬ 
tinuierliche Innervation des Muskeltonus, eine der Komponenten, welche die 
rhythmische Muskelreaktion bedingen, aufhört, während sie im Beginne des 
Schlafes noch vorhanden ist. 

Wichtig ist die Erklärung der Frage, warum das Zittern so häufig 
monoplegisch beginnt. Es ist dies eine merkwürdige Erscheinung, die auch 
zum Beweise des zerebralen Ursprungs der Parkinsonschen Krankheit angeführt 
wird. Ich habe bereits im II. Kapitel erwähnt, daß sich bei der Annahme 
des zerebralen Ursprungs das Fortschreiten des Zitterns an den Extremitäten 
nicht erklären läßt, da dasselbe keiner zerebralen Lokalisation entspricht. Camp 
hat einige interessante Beweise dafür gesammelt, daß das Zittern mit Vorliebe an 
dem durch Muskelarbeit überangestrengten Gliede beginnt. Sein Patient, 
der viel schreiben mußte, bekam das Zittern in die rechte Hand nach anfäng¬ 
lichem Schreibkrampf. Kr afft-Ebings Drechsler begann an dem am meisten 
in Anspruch genommenen linken Fuße zu zittern, Heimanns Patient an jener 
Hand, mit welcher er die Elektrode hielt, Frankl-Hochwarts Metzger an der 
überangestrengten linken oberen Extremität. Man kann annehmen, daß sich 
der pathologische, dyskrasische Allgemeinprozeß durch seine motorischen 
Veränderungen zuerst dort verrät, wo die Muskulatur unter der Anstrengung 
am meisten zu leiden hat. Auch ist zu beachten, daß es wiederum das Sarko- 
plasma ist, welches bei den Verrichtungen der rohen Muskelkraft am inten¬ 
sivsten tätig ist. 

Allerdings ist es merkwürdig, warum manchmal derartige krankhafte 
Erscheinungen jahrelang auf eine oder auf zwei Extremitäten beschränkt bleiben. 
(In solchen Fällen kann man an gleichzeitige, kleine, bestimmt lokalisierte 
Gehimläsionen denken, welche mit wirken?) Siehe das Folgende. 

Das Zittern beginnt manchmal nach einem apoplektischen 
Anfall auf der befallenen Extremität oder auf der befallenen Körperhälfte; 

Peln&F, Zittern. Iß 



226 


Zweiter Teil. 


wir haben gesagt, daß es auftritt, wenn die Beweglichkeit der gelähmten Muskeln 
wiederkehrt, also zu einer Zeit, zu welcher an den Muskeln auch zerebrale 
spastische Erscheinungen auf treten. An solchen Gliedern bricht auch die Tetanie 
früher hervor als an dem übrigen Körper. Es werden daher bei der Parkin¬ 
son sehen Krankheit analoge Verhältnisse herrschen. Es muß hier der Boden 
schon vorbereitet sein (wie bei der latenten Tetanie) und die an und für sich 
ungenügenden Muskelveränderungen äußern sich bei verstärkter Tonusinner¬ 
vation durch eine rhythmische Reaktion. Die seltenen Fälle, in welchen das 
Parkinsonsche Zittern nach einer Apoplexie aufhörte, wird man revidieren 
müssen; vorläufig kann ich mich über dieselben nicht näher aussprechen; viel¬ 
leicht haben exzeptionelle Störungen des zerebralen Tonus die Muskeln einer der 
zur rhythmischen Funktion notwendigen Komponenten beraubt — aber ich 
wiederhole, daß ich diese Fälle nicht in dem Maße abschätzen konnte, um mir 
ein sicheres Urteü büden zu können. 

Der Umstand, daß die Krankheit ziemlich tiefe Remissionen 
aufweist, daß das Zittern sogar für eine gewisse Zeit verschwindet, ist eine 
allgemeine Eigenschaft ähnlicher Krankheiten; wir finden dies auch bei der 
Addisonschen und bei der Basedowschen Krankheit. 

Die Lokalisation des Zitterns und der Rigiditäten läßt sich schwer 
erklären; man kann diesbezüglich nur Vermutungen Vorbringen, die jedoch 
von dem eigentlichen Kern der Frage weit entfernt sein dürften: wir wissen aus 
der Physiologie, daß auf die hier in Betracht kommenden sarkoplasmatischen 
Gifte jene Muskeln, welche mehr Sarkoplasma besitzen, stärker reagieren; wir 
wissen, daß sich bei Tieren manche Muskeln durch den Gehalt an Sarkoplasma 
wesentlich voneinander unterscheiden (z. B. der Gastrocnemius und Soleus); 
vielleicht haben die verschiedenen, sich jahrelang in gleichmäßiger Weise wieder¬ 
holenden Funktionen — hier die Bereitschaft zur raschen Kontraktion, dort 
im Gegenteü das Bedürfnis nach einer ruhigen, energischen und dauernden 
Zusammenziehung — eine ungleiche Entwickelung der beiden Substanzen 
der Muskelfasern zur Folge (Schließen der Faust, Tragen von Lasten usw.); 
doch sind diese Verhältnisse bis jetzt beim Menschen nicht näher erforscht. 
Wir wissen ferner, daß manche Gifte eine Prädüektion für ganze, große, synergi- 
sche Muskelgruppen besitzen: Sherington macht darauf aufmerksam, daß 
das tetanische Gift und das Strychnin eine Prädilektion für jene Muskeln be¬ 
sitzen, welche den Körper des Menschen in der normalen aufrechten Stellung 
erhalten (Express of postural reflex), welche den Unterkiefer heben und welche 
den Nacken, den Rücken und die Unterschenkel strecken; die Parkinsonsche 
Rigidität überwiegt aber gerade in jenen Muskeln, welche die entgegengesetzten 
Funktionen besorgen, und nur ungeheuer selten in den Extensoren (Charcots 
type d’extension 1888, Th&se von Buchet). — Die Körperhaltung bei dem 
gewöhnlichen „type de flexion“ ist dieselbe, zu welcher die Mehrzahl der ge¬ 
schwächten, mit schweren Krankheiten behafteten, den Alterserscheinungen 
unterliegenden Menschen hinneigt. Wenn wir uns die allgemeine Erschlaffung 
der Muskeln vorstellen, werden wir begreifen, daß jene Muskeln am meisten 
der Anstrengung unterliegen werden, welche schon unter physiologischen Ver¬ 
hältnissen mit größerer Anstrengung, mit einem größeren Kräfte Verlust arbeiten 
(nach den interessanten Ausführungen Auerbachs über die häufigsten Läh¬ 
mungstypen), und dies sind gewiß jene Muskeln, welche den Körper gestreckt 



Parkinson sehe Krankheit. 


227 


erhalten; in den neuen Positionen tritt sodann die Rigidität in jenen Muskeln 
auf, deren Insertionen sich einander genähert haben (Hei mann); hier kann 
auch auf die analogen Lokalisationen des Spasmus nach der Position der 
Glieder bei Hemiplegie hingewiesen werden (Förster); für diesen Einfluß 
der Körperlage auf die Lokalisation der Rigiditäten spricht deutlich ein Fall 
von Bidon, in welchem ein Patient mit typischer Flexionsstellung des Körpers 
nach einer interkurrenten, akuten Krankheit in den „type d’extension“ verfiel. 
(Krankheitsgeschichte bei Buchet.) 

Mit der Erfahrung Heimanns, welcher bei vielen seiner Fälle an Muskeln, 
deren Insertionen er einander näherte, eine paradoxe Kontraktion und Zittern 
beobachtete, läßt sich die Erscheinung vergleichen, daß man bei dem Kranken 
das typische Zittern leicht demonstrieren kann, wenn man ihn mit in allen 
Gelenken ein wenig flektierten, d. i. auf die Spitzen gestützten unteren Extremi¬ 
täten in eine labile Lage niedersetzen läßt (Thomayers Hilfsmittel mit der 
Prädilektionslage des Körpers). 

IX. 

WiesollmandenIntentionstremor bei der Parkinsonschen Krank¬ 
heit erklären? In dem beschreibenden Teil meiner Arbeit habe ich gesagt, 
daß der Intentionstremor nach unseren Erfahrungen ein seltenes Symptom 
der Parkinsonschen Krankheit darstellt. Unter 28 Fällen sahen wir dasselbe 
nur zweimal und in zwei weiteren Fällen wurde das Zittern bei Intention stärker. 
Von jenen zwei typischen Fällen betraf der erste (Krankengeschichte Nr. 8) 
einen 62jährigen Patienten mit typischem Parkinsonschen Tremor, der bei 
Intention geringer wurde (links), ja sogar verschwand (rechts) und sich nach 
einem 11 tägigen Aufenthalte des Kranken im Krankenhaus soweit besserte, 
daß der Kranke gut zu schreiben vermochte. Plötzlich, kurz vor dem Tode, 
trat das Zittern wieder auf und hatte Intentionscharakter. Bei der Sektion 
(Tuberkulose) fand sich Gehimarteriosklerose, allgemeine Atrophie und multiple 
Erweichungen (etat crible). Von dem zweiten Fall besitzen wir kein Sektions¬ 
protokoll, aber er betraf eine 70 jährige Frau, bei der das Zittern nur drei Wochen 
gedauert hatte. — Bechet beobachtete Intentionszittem bei einem 38jährigen 
Kranken (observ. VIII), dessen eine Hand Zittern in der Ruhe zeigte, welches 
verschwand, als sich die Muskelstarre bedeutend vergrößerte; die andere Hand 
wies ein imbedeutendes Zittern auf, das bei der Intention dieser und auch der 
anderen Hand ganz typisch, wie bei der disseminierten Sklerose intensiver wurde; 
doch bemerkt Buchet in der Krankengeschichte, daß bei dem Patienten Nystag¬ 
mus, eine Parese der assoziierten Augen bewegungen und Diplopie angedeutet 
gewesen sei. Offenbar handelte es sich hier nicht um eine reine Parkinsonsche 
Krankheit, sondern um eine Kombination mit herdförmigen Gehimläsionen, 
vielleicht mit disseminierter Sklerose. 

Ich bin der Ansicht, daß in jenen seltenen Fällen, in denen wir 
einen wirklichen Intentionstremor vorfinden, eine Komplikation 
mit anatomischen Gehirnläsionen vorliegt, und daß der Intentions¬ 
tremor hier dieselbe Pathogenese besitzt, wie bei der disseminierten 
Sklerose (Läsionen in einer bestimmten, mesenzephalischen Partie), und daß 
daher der Intentionstremor kein Symptom, sondern eine Komplikation der 
Parkinsonschen Krankheit darstellt. 


15* 



228 


Zweiter Teil. 


Der Fall von Wollenberg, der gewöhnlich als Beispiel angeführt wird, 
ist nicht überzeugend. Er betraf einen 52jährigen Patienten ohne Zittern 
in der Ruhe, mit Spasmen: im Verlaufe der Krankheit trat Zittern an den Fingern 
auf, wenn der Kranke schreiben oder die Finger rasch strecken und beugen 
wollte. Hier kann von Intentionszittem keine Rede sein. Es ist dies eher ein 
Beispiel dafür, daß bei stärkeren Rigiditäten das Zittern nur bei Bewegungen 
ohne Intentionscharakter auf tritt; schließlich müssen auch Emotionen, An¬ 
spannungen der Aufmerksamkeit, welche bei der Parkinsonschen Krankheit 
einen minimalen Tremor verstärken, in Erwägung gezogen werden. 

Oft ist die Verstärkung des Zitterns bei der Bewegung nur scheinbar 
intentiv und es geht im ersten Momente der Bewegung eigentlich eine typische 
Abnahme des Zitterns und auch eine vollständige Ruhepause voran, doch wird 
diese Pause leicht übersehen. Auf diesen Umstand, den auch wir bei einem 
unserer Fälle beobachtet haben (Krankengeschichte Nr. 7), hat Hei mann 
aufmerksam gemacht. 

IX. A. Disseminierte Sklerose. 

Bei der Herdsklerose beobachtet man zunächst manchmal bei statischer 
Innervation ein gewöhnliches, mittelschnelles oder schnelles, kleinwelliges 
Zittern der Hand, das sich vom physiologischen Zittern nur durch die Intensität 
unterscheidet und das aller Wahrscheinlichkeit nach den Ausdruck einer all¬ 
gemeinen motorischen Schwäche, also eine adynamische Form des Zitterns 
darstellt. 

Wenn wir aber vom Zittern in der Herdsklerose sprechen, verstehen wir 
darunter ein langsames, 3—4—5 Wellen in der Sekunde betragendes, grobes, 
bei Intention auf tretendes und mit dieser zunehmendes Zittern, welches jene 
intendierten Bewegungen begleitet, bei denen die Extremität als Ganzes dem 
Ziele zustrebt und welches die Extremitäten als ein aktives Ganzes betrifft. 
Dieses „Intentionszittem“, welches ursprünglich für ein Charakteristikon 
der Sklerose galt und gegenwärtig für ein Charakteristikon der Sklerose und einer 
Gruppe von Krankheiten gilt, die der Sklerose klinisch (Pseudosklerose) oder 
pathogenetisch (zerebrales Intentionszittem) nahestehen, besitzt eine wesentlich 
verschiedene Pathogenese. 

Wenn wir den Kranken bei der bezeichnendsten Handlung, bei der sog. 
Probe mit dem Glase beobachten, werden wir leicht erkennen, daß es sich hier 
weder um ungenügende Muskelkraft handelt, wie beim adynamischen Zittern 
oder bei der unvollständigen Lähmung, noch um im willkürliche Bewegungen 
wie bei der Chorea, noch um einen Irrtum in der Richtung wie bei der tabischen 
Ataxie, noch um irgend eine psychische Mitwirkung, wie bei der Hysterie. Dem 
Kranken fehlt weder die Möglichkeit der motorischen Innervation, noch die 
Möglichkeit der Regulierung der Bewegung; seine Muskeln sind gespannt und 
je mehr er sich anstrengt, desto gröber pflegen die Schw ankungen der Extremität 
zu sein, und erst, wenn er das Glas mit dem Munde festhält, hört das Zittern 
auf und es verschwindet die Spannung der Muskeln, obwohl diese aktiv bleiben 
und das Glas nicht aus der Hand fällt. 

Durch die Erfahrung haben wir gelernt, welche Muskeln und wie stark 
wir sie zu innervieren haben, um das Glas richtig zum Munde zu führen; bei 



Disseminierte Sklerose. 


229 


nicht angelernter, langsamer Bewegung genügt das Gefühl über die Lage und die 
Bewegung der Extremität, um die Innervation nach Bedarf so zu verstärken 
und sofort abzuschwächen, damit das Ziel richtig erreicht werde; bei der par¬ 
tiellen Lähmung inner viert der Kranke mit großem Kraftaufwand, er fühlt es, 
daß die Bewegung ungenügend ist, er verstärkt die Innervation und gelangt, 
wenn die Bewegung überhaupt möglich ist, richtig ans Ziel; der Tabiker innerviert 
ohne Hindernis, aber da er den Grad des Bewegungseffektes nicht fühlt, schießt 
er übers Ziel, korrigiert sich aber, indem er sucht, und ruht bei dem gefundenen 
Ziel ruhig aus; der Choreatiker innerviert leicht, strebt richtig dem Ziel entgegen, 
aber die Extremität reicht infolge unwillkürlicher Innervationen ganz unregel¬ 
mäßig von der Richtung ab, obwohl der Kranke die Bewegungsrichtung fühlt, 
obwohl er nicht um das Ziel suchend herumtappt; sobald ihn die unregelmäßigen 
Impulse nicht stören, erreicht er richtig und glatt sein Ziel. Anders bei der Skle¬ 
rose: der Kranke vermag zu inner vieren, er fühlt den Grad der Innervation, 
die Bewegungsrichtung und die Lage der Extremität, er reguliert richtig, zweck¬ 
mäßig und erreicht das Ziel, aber er pendelt um dasselbe herum, indem er die 
Regulierung nicht genügend abzumessen vermag. Der Fehler liegt hier weder 
in einem Mangel an motorischer Kraft, noch in mangelnder Empfindung der 
Bewegung, sondern in der Unmöglichkeit, die Innervation und Regulation 
in quantitativ hinreichendem Maße einzuschränken: die ursprüngliche Bewegung 
schießt übers Ziel, es wird sofort durch das „Muskelgefühl“ eine Regulation 
hervorgerufen (Beschränkung der Agonisten und Innervation der Antagonisten), 
diese schießt in entgegengesetzter Richtung übers Ziel, wird in analoger Weise 
sofort in die ursprüngliche Richtung reguliert, aber auch diese Regulation 
schießt übers Ziel; die einzelnen Bewegungen sind nicht ausfahrend, wie bei der 
tabischen Ataxie, sondern übers Ziel schießend, über das gewollte Maß hinaus¬ 
gehend; es tritt wohl eine Moderation und Regulation ein, aber diese verhüten 
nicht ein Hinüberschießen übers Ziel; sie werden gleichsam durch eine starke 
Propulsivkraft der Hauptagonisten der Bewegung gestört; dasselbe gilt von dem 
Innervationseffekt der Antagonisten im weitesten Sinne des Wortes: wiederum 
eine starke Propulsivkraft, die im ersten Moment die Moderation und Regulation 
stört. In jenem ziemlich regelmäßigen Schwanken um das Ziel erblicken wir 
deutlich eine gute und zweckmäßige Regulation, einen Beweis dafür, daß die 
zentripetalen Nachrichten über die Bewegung der Extremität normal zum 
Ziel geleitet werden. Aber die ausführenden Organe stören die Regulation durch 
übermäßige Reaktionen und Bewegungen. 

Die Muskeln zeigen bei der Sklerose einen erhöhten Muskeltonus, eine ge¬ 
steigerte reflektorische Erregbarkeit. Genügt diese zur Erklärung des Intentions- 
zittems? Ich glaube nicht. Bei jedem Spasmus ist die reflektorische Erreg¬ 
barkeit der Muskeln erhöht, aber nicht immer ist das Intentionszittem vor¬ 
handen. Durch die erhöhte reflektorische Muskelerregbarkeit wurde schon von 
Spieß (1849) und später von Friedberg, Cohn, Spring und durch die Arbeiten 
von Debove und Baudet der Fußklonus erklärt. Beim letzteren ist das 
normale Zusammenspiel der Agonisten und Antagonisten derart gestört, daß 
bei der Kontraktion der Agonisten die normale Innervation der Antagonisten, 
welche die Kontraktion der Agonisten mäßigt, erhöht ist, die Kontraktion der 
Antagonisten unterbricht die begonnene Bewegung (Extension); aber die Kon¬ 
traktion der Flektoren ruft sofort eine analoge krankhafte Reaktion in den 



230 


Zweiter Teil. 


Extensoren hervor, und so geht es wechselweise fort. In ähnlicher Weise läßt 
sich durch die erhöhte reflektorische Muskelerregbarkeit z. B. die sakkadierte 
Bewegung der paretischen Glieder (Förster) erklären. Der Klonus entsteht so¬ 
wohl im Kniegelenk, als auch in anderen Gelenken und kann, wenn der Patient 
steht, als ein grobes Zittern des ganzen Körpers in der Ruhe imponieren. Auch 
bei den spinalen Erkrankungen und bei den Versuchen am Rückenmark, welche 
zur Erklärung des Intentionszittems zitiert wurden, handelte es sich stets 
nur um Fußklonus (die Versuche von Goltz, deren Bedeutung Freusberg 
analysiert hat und dessen Folgerungen wir in allen späteren Arbeiten, z. B. bei 
Eulenburg, Möbius u. a. wiederfinden). Beim Fußklonus handelt es sich 
um eine Störung der normalen Koordination dadurch, daß der inhibitorische 
Einfluß auf den spinalen Reflexbogen, der mit der Pyramidenbahn von oben 
herabkommt, irgendwo im Verlaufe der Pyramiden oberhalb der motorischen 
Spinalstelle unterbrochen ist; der Fußklonus entsteht nicht, wenn die Pyramide 
nicht unterbrochen oder wenigstens ernstlich lädiert ist. Etwas Ähnliches 
gilt für die sakkadierte Bewegung, die ebenfalls manchmal als Intentions- 
zittem imponiert (Pachymeningitis cervicalis hypertrophica). 

Das Intentionszittern ist aber nicht in allen Fällen vorhanden, bei denen 
Fußklonus und sakkadierte Bewegung vorkommt, und es unterscheidet sich auch 
wesentlich vom Fußklonus und von der sakkadierten Bewegung. Das Intentions- 
zittem ist ebenso durch erhöhte Muskelspannung, durch erhöhten Muskeltonus 
also eine erhöhte Muskelfunktion bedingt, wie etwa der Fußklonus. Die Be¬ 
wegung beim Intentionstremor ist jedoch nicht etwa durch die Kontraktion 
des speziellen, die gewollte Bewegung hemmenden Antagonisten gestört, sondern 
durch eine Behinderung des Zusammenspieles der Agonisten mit einer besonderen 
Gruppe der Nebenagonisten, nämlich jenen, welche die Extremität halten 
und sie als Ganzes gegen das Ziel dirigieren, also den sogen, kollateralen, rota¬ 
torischen und dergl. Synergisten. Es sind dies Muskeln, welche sich an der 
Wurzel der Extremität befinden. Das Intentionszittem findet eigentlich in 
den proximalen Gelenken der Extremitäten statt und zwar bei Bewegungen, 
bei denen die Extremität als Ganzes in einer bestimmten Richtung dirigiert und 
zugleich in einer bestimmten Lage erhalten werden soll, damit sie aus derselben 
nicht durch Fall, Rotation und ähnliche physikalische Ursachen verdrängt werde. 
Das Intentionszittem ist um so heftiger, je größer das Bestreben ist, die Ex¬ 
tremität bei der Bewegung in einer bestimmten Lage zu halten (Probe mit dem 
Glas Wasser). Die Funktion der Synergisten ist beim Intentionszittem nicht 
aufgehoben, sondern im Gegenteil gesteigert, übertrieben, wie wir eingangs bei 
der Analyse dieser Bewegungsstörung bemerkt haben. 

Das Zusammenspiel der Agonisten und Antagonisten beim Fußklonus 
wird vom spinalen Reflexbogen beherrscht, der vom Großhirn in der erwähn¬ 
ten Weise beeinflußt wird. Das Zusammenspiel der rotatorischen und kolla¬ 
teralen Synergisten wird vom Kleinhirn beherrscht; es ist dies ein Teil seiner 
koordinatorischen Funktion, welche den Zweck hat, den Körper und seine Teile 
in der Gleichgewichtslage zu erhalten und ausgiebige Bewegungen durch ver¬ 
schiedene zweckmäßige Mit beweg ungen zu ermöglichen (worauf in geistvoller 
Weise Babinski hinwies, als er das Syndrom der sogenannten Asynergie cere- 
belleuse bei Kleinhimerkrankungen beschrieb). Das Kleinhirn besitzt außer¬ 
dem einen sthenischen, tonischen Einfluß auf die Skelettmuskulatur. Nach 



Disseminierte Sklerose. 


231 


unserer Analyse wären also diese beiden Funktionen beim Inten¬ 
tionszittern erhöht. Eine übermäßige Funktion des spinalen Reflexbogens 
tritt bei Pyramidenläsionen ein; auch das Kleinhirn ist in analoger Weise in 
seiner Funktion moderiert durch die oberste Etage des Zentralnervensystems, 
durch die Hemisphären, durch die zerebro-zerebellären Bahnen, welche die Pyra¬ 
miden von der Rinde zur Brücke begleiten, wo sie sich von jenen trennen, indem 
sie durch die mittleren Kleinhimschenkel zum Kleinhirn verlaufen. 

Aus der bisherigen Analyse des Intentionszittems würde also hervorgehen, 
daß hier die entsprechende hemmende Einwirkung des Großhirns auf das Klein¬ 
hirn fehlt, ebenso wie beim Fußklonus die inhibitorische Wirkung des Gehirns 
auf das Rückenmark fehlt, oder: daß die Läsionen, welche das Inten¬ 
tionszittern hervorrufen, in der zerebro-zerebellären Bahn ihren 
Sitz haben müssen. Diesem aus der klinischen Analyse des Intentions¬ 
zittems fließenden Postulate entsprechen genau die anatomischen Erfahrungen: 
das Intentionszittern ist nur in jenen Fällen von Sklerose vor¬ 
handen, in welchen bei der Sektion Veränderungen im Gehirn 
zwischen der Rinde und dem Kleinhirn in der Nähe der Pyramiden 
gefunden wurden, und es fehlt in solchen Fällen, bei denen Verände¬ 
rungen nur im Rückenmark gefunden wurden. 

Diese Schlußfolgerung über die Lokalisation der Veränderungen beim Inten- 
tionszittem, welche schon von Hammond (zit. Londe S. 165) klar ausgesprochen 
wurde, geht am deutlichsten aus der Arbeit von B. H. Stephan (1887—1888) her¬ 
vor, der die ältere Literatur gesammelt und auf die sezierten Fälle von Sklerose 
ohne Zittern mit spinaler Lokalisation (Vulpian, Leyden, Moritz, Ebstein) 
hingewiesen hat. Seine Schlüsse lassen sich noch stützen durch Fälle von durch 
eine Läsion im Verlaufe der zerebro-zerebellären Bahn bedingtem posthemiplegischem 
Intentionszittem älterer (zit. Decio 1903) und jüngerer Autoren: Westphal 1889, 
Bruns 1894, Infeld 1900, Decio 1903, Verger und Desqudyron 1910. (Dieser 
Fall ist beonders lehrreich: das klinische Bild des sklerotischen Intentionstremors 
und als Ursache ein Tumor im vorderen Anteil der Brücke, der auf beide Crura 
cerebelli ad pontem Übergriff. Siehe auch Dejerine 1901, Oppenheim u. a.) 

Bei dieser Erklärung decken sich also theoretische Annahme und nach¬ 
gewiesene Erfahrung vollständig. 

Die erwähnte Komponente der zerebellären Koordination: der Einfluß 
auf die zweckmäßige Funktion der kollateralen (Duchenne) und rotatorischen 
(Förster) Synergisten ist am wenigsten erforscht. Förster ist sie bei seinen 
geistreichen analytischen Erwägungen nicht entgangen. Förster läßt die Frage 
offen, ob sich nicht der Einfluß des Kleinhirns weiter auch auf die Funktionen 
der einzelnen Segmente der Extremitäten erstreckt (S. 59). Das Studium der 
Bewegungen bei der zerebrospinalen Sklerose wird meiner Ansicht nach ein 
fruchtbares Feld für weitere diesbezügliche Forschungen sein. Ich will nur 
erwähnen, daß Grasset einen Fall von Sklerose publiziert hat, in welchem das 
Intentionszittem im Karpalgelenk vorhanden war. 

Die Analogie zwischen Fußklonus und Intentionszittem bestünde also 
darin, daß der Klonus durch eine Isolation des spinalen Regulationsmechanismus 
entsteht, während das Intentionszittem durch eine Isolation des zerebellären 
Regulationsmechanismus zustande kommt. 

Inwieweit an der den Intentionstremor bedingenden Läsion auch eine Unter¬ 
brechung der zerebello-zerebralen Bahn beteiligt ist, läßt sich bis jetzt noch nicht 
bestimmen. Ein notwendiges Postulat ist dieselbe nicht. 



232 


Zweiter Teil. 


Wenn wir die bisherigen Erklärungen des Intentionszittems überblicken, 
so finden wir, daß dieselben einen mehrfachen Ideengang eingeschlagen haben: 

1. Die einen legten das Hauptgewicht auf die Leitung der motorischen Reize 
zu den eigentlichen Hauptagonisten und nehmen eine erschwerte oder eine ver¬ 
schieden lädierte Leitung dieser Reize an. So z. B. nahm Charcot an, daß die 
Reize intermittierend zu den Muskeln gelangen und nach ihm gaben sich viele mit 
der Annahme zufrieden, daß die Reize unterwegs abgeschwächt werden: so z. B. 
Möbius, der das Intentionszittem für den Typus des paralytischen Zitterns ansah. 
Redlich, der von einem Zittern infolge Erschlaffung, Ermüdung spricht, Cramer, 
der dasselbe mit dem beim Heben schwerer Lasten entstandenen Zittern verglich. 
Brissaud hat im Gegensatz zu früheren, namentlich von Charcot ausgehenden 
Bestrebungen, eine bestimmte Stelle zu finden, von der aus das Zittern hervor¬ 
gerufen wird, die Ansicht ausgesprochen, daß die Läsion im Bereiche der ganzen 
Länge der Pyramiden ihren Sitz haben kann und suchte die Ursache für die Ver¬ 
änderungen von der Dauerkontraktur bis zur Athetose nur in quantitativen Unter¬ 
schieden der Pyramidenläsionen. Zu gleicher Zeit kamen Kahler und Pick zu dem¬ 
selben Schlüsse. Ordenstein, Stephan und Bidon beschränkten die Lokalisation 
auf die bis heute anerkannten Dimensionen der Pyramiden. Die prinzipiell gleiche 
Erklärung gab Monakow, indem er annahm, daß infolge von Leitungsschwierig¬ 
keiten weniger Reize zu den Muskeln gelangen. Ein wenig modifiziert wurden diese 
Ideen von Decio, welcher annimmt, daß zu den Veränderungen der Pyramiden 
eine Reizung durch neugebildetes Bindegewebe hinzutreten müsse, und von Müller, 
der wie Charcot die Hindernisse bei der Leitung der kortikomuskulären Reize 
in einer Eigentümlichkeit des anatomischen Prozesses erblickt, und zwar in einer 
Entblößung der Fasern an mehreren Stellen, in einem Untergang vieler Fasern. 
Choronschitzky zitiert die ältere Ansicht von Brücke, daß sich nicht alle Muskel¬ 
partien gemeinsam kontrahieren (die alte Lehre von der Analogie mit dem sogenann¬ 
ten Pelotonfeuer). 

Alle diese Erklärungen haben den gemeinsamen Fehler, daß sie die beim Inten¬ 
tionszittem offenkundige Koordinationsstörung nicht erklären. Mittelst derselben 
ließe sich höchstens die sakkadierte Bewegung oder der bei Intention oder bei An¬ 
strengung ein wenig gröber werdende Tremor erklären, aber keineswegs das typische 
Intentionszittem — selbst wenn ihre anatomischen Voraussetzungen und funktionellen 
Deduktionen erwiesen wären. 

2. Der zweiten Gruppe der Autoren ist die Koordinationsstörung beim Inten¬ 
tionszittem nicht entgangen. Latteux zitiert schon 1868 die Ansicht von Luys, 
daß das Kleinhirn, welches der Muskulatur einen sthenischen Impuls gibt und durch 
dessen harmonische Einteilung die Koordination ermöglicht, eine normale Koordi¬ 
nation nicht bewirken kann, wenn es mit seinen zentrifugalen Bahnen in der Umgebung 
des Nucleus ruber, im Pons und in der Medulla oblongata ein krankhaft verändertes 
Gewebe vorfindet; auf diese Weise sollen unregelmäßige Bewegungen, Sakkaden 
und ähnliche Veränderungen entstehen. Adamkiewicz suchte seit dem Jahre 
1881 in mehreren Arbeiten die Ursache des Zitterns in einer Störung des Zusammen¬ 
spiels zwischen kortikaler und zerebellärer Innervation, in einer Schwächung der 
Funktion der Pyramiden und in einer Stärkung des Einflusses des Kleinhirns; er 
nahm an, daß die Hinterstränge, welche tonisierende Fasern enthalten, auf minimale 
physiologische Reize durch kurze Explosionen der Innervation reagieren und auf 
diese Weise das Zittern hervorrufen. Seine Experimente, bei welchen er Laminaria 
unter die Gehirnhäute einführte, erklären bis zu einem gewissen Grade den in 
klonische Krämpfe übergehenden Spasmus und Klonus, keineswegs aber das Inten¬ 
tionszittem. — Außer diesen beiden Autoren, die in die Erklärung des Mechanismus 
und der Pathogenese des Intentionszittems am tiefsten einzudringen versuchten, 
begnügte sich eine Reihe von Autoren damit, daß sie entweder die Analogie oder die 
Unterschiede zwischen diesem und der Ataxie hervorhoben, oder daß sie allgemeine 
Ansichten über den Mechanismus oder die Lokalisation vorbrachten, ohne sich um 
den Beweis oder um die genauere Erklärung ihrer Thesen zu kümmern. So z. B. 
Erb: Eine bestimmte Form von Koordinationsstörung, die von der Ataxie ver¬ 
schieden ist; Strümpell: Beweglichkeitsstörungen, die mit Ataxie identisch sind; 



Disseminierte Sklerose. 


233 


Goldscheider: Störung der Koordination niedrigsten Grades, der einfachen Synergien 
nach Duchenne, der synergischen, antagonistischen, kollateralen Koordination; 
Buck: Läsion der zentripetalen medullo-zerebello-kortikalen Bahn, wie bei der 
Ataxie und Asynergie; Lövy und Bonniot: eine Art der zerebellaren Asynergie; 
Schenk: es gehört irgendwie zur Ataxie, obzwar es anders ist als bei Tabes; Müller: 
viel Gemeinsames mit statischer Ataxie, besonders eine mangelhafte zentrale Fixation 
der Extremitäten; vielleicht eine Läsion des zerebello-rubro-spinalen Traktus; Decio: 
eine leichtere, speziell motorische Form der Ataxie; Kollarits: nach Art einer mit 
Hypertonie kombinierten Ataxie; Meyer: verschiedene Abarten der Ataxie, am 
häufigsten eine vestibuläre, oft eine spinale infolge Läsion der Tiefensensibilität, 
am seltensten eine kortikale; Thomas: eine Abart der Gublerschen Amyostasie; 
Marburg: infolge Unterbrechung der zerebello-strialen und kortikalen Bahnen. 

3. Von einer ähnlichen Idee waren jene Autoren geleitet, welche die Ursache 
des Intentionszittems in einer Läsion des Zusammenspiels zwischen Agonisten 
und Antagonisten suchten. Insofeme wir bei diesen Autoren eine nähere Erklärung 
finden, läßt sich dieselbe für den Fußklonus, aber nicht für das Intentionszittern 
verwenden; so z. B.die zitierten Arbeiten von Spieß, Spring, Freusberg, Boudet, 
die Erklärung von Dejerine, von Jamin. Ricoux denkt an einen geschwächten 
Agonisten bei normalem Antagonisten, Dejerine an eine Kontraktion der Agonisten 
bei gleichzeitiger Kontraktur der Antagonisten. — Leyden (1874) sprach von 
zwischen treffenden Zusammenziehungen der Antagonisten, zeigte aber durch seinen 
Hinweis auf den Subsultus tendinum, wie sehr er sich vom Wesen des Intentions¬ 
zittems entfernt hatte. — Pasternatzky kam bei seinen Versuchen an Katzen 
und Hunden (er bohrte Nadeln in die Seitenstränge ein) zu dem Schlüsse, daß das 
Wesen in einer Störung der Koordination, speziell in einer Ungleichmäßigkeit der 
Innervation der Agonisten und Antagonisten beruhen dürfte. — Ebenso allgemein 
urteilen Gowers, Eulenburg. 

Wir sehen also, daß Luys, Adamkiewicz, Buck, Müller, Marburg 
mit ihrer Erklärung am weitesten vorgedrungen sind, ohne aber über eine all¬ 
gemeine Ansicht hinausgekommen zu sein. 

Es erübrigt uns noch, eine Übersicht darüber zu geben, wie sich die ein¬ 
zelnen Eigentümlichkeiten des Intentionszitterns mit der vorgebrachten Er¬ 
klärung vereinbaren lassen: 

1. Das Intentionszittem ist kein konstantes Symptom der Sklerose: 
angesichts der Mannigfaltigkeit des Sitzes der ersten sklerotischen Plaques 
verträgt sich diese Tatsache sehr wohl mit unserer Erklärung; wir wissen, daß 
es viele Sklerosen gibt, bei denen viele Jahre nur spinale Erscheinungen vor¬ 
handen sind. 

2. Das Intentionszittem verschwindet manchmal für eine Zeit, wenn sich 
der Allgemeinzustand bessert, z. B. nach einem Aufenthalt im Krankenhause. 
Andererseits kann es nach einer erschöpfenden Arbeit einer Extremität auch 
dort auftreten, wo es sonst nicht sichtbar ist. Jene anatomische Läsion, welche 
das Intentionszittern verursacht, unterbricht in den Fällen, in welchen das 
Zittern nicht konstant ist, die entsprechende Bahn nicht vollständig; es besteht 
hier dasselbe Verhältnis, wie zwischen Parese und Paralyse. Es ist eine häufige 
Erscheinung, daß sich Paresen zentralen Ursprungs nach einer allgemeinen 
Erholung, nach physischer und psychischer Ruhe für eine gewisse Zeit bessern, 
aber bei Ermüdung oder Erschöpfung wieder deutlicher werden. 

Was die Anstrengung betrifft, besteht eine vollständige Analogie bei 
allen spastischen Erscheinungen: die spastischen Symptome der unteren Extremi¬ 
täten sind nach einem längeren Marsche viel intensiver. 

3. Der Einfluß der Emotion ist hier derselbe wie bei allen übrigen Ko¬ 
ordinationsstörungen, nämlich ungünstig. 



234 


Zweiter Teil. 


4. In jenen Fällen, in welchen die progressive Zunahme der Bewegungen 
gegen das Ziel nicht ausgeprägt ist, handelt es sich eher um eine sakkadierte 
Bewegung, die sich einfacher durch einen Mangel des inhibitorischen Einflusses 
auf die spinale antagonistische Innervation erklären läßt (Förster). 

5. In den Fällen, in welchen wir auch bei statischer Innervation analoge, 
nicht ganz regelmäßige Oszillationen mit einer Frequenz von 3—4 in der Sekunde 
beobachten — und das sind solche Fälle, in denen auch das Intentionszittern 
vorhanden ist —, können wir denselben Mechanismus der Inkoordination auch 
für jene minimale Intention annehmen, welche vorhanden ist, wenn man die 
Hände in horizontaler Gleichgewichtslage hält. 

6. Daß schließlich dieses Zittern manchmal mit anderen motorischen Stö¬ 
rungen kombiniert ist und daß es manchmal in die gewöhnliche Ataxie übergeht, 
liegt nicht in seinem Wesen, sondern in dem Wesen der Krankheit, welche ana¬ 
tomisch disseminiert ist — und daher auch noch andere, für die Koordinations¬ 
mechanismen wichtige Bahnen befallen kann und auch befällt und sich in 
manchen Fällen ganz deutlich durch Störungen der zentripetalen Bahnen 
verrät. 

Ich bin überzeugt, daß uns viele bis jetzt schwer erklärliche Eigenschaften 
des Zitterns bei der Sklerose, die wir in der Literatur vorfinden (so z. B. hatte 
einer unserer Patienten, wenn er betrunken war, angeblich kein Intentions- 
zittem, und erst am nächsten Tage zitterte er wieder mehr), erst dann klar sein 
werden, bis wir von dem Standpunkte aus, den ich oben für die Beurteilung 
des Intentionszittems gezeichnet habe, jeden Fall werden analysieren können. 
Leider war auch ich bei meinen Fällen zumeist auf die retrospektive Beurteilung 
meines Materials angewiesen. 

IX. B. Zerebrale Zitterformen. 

a) Am meisten charakteristisch ist das Intentionszittern bei der Herd¬ 
sklerose, das man, wie gesagt, als eine Störung der zerebro-zerebellären Ko¬ 
ordination, als eine Isolation des zerebellären Koordinationsmechanismus bei 
erhöhtem Muskeltonus auffassen kann; 

b) ebenfalls charakteristisch ist der Fußklonus, der aber auch an der Patella, 
an den oberen Extremitäten, am Unterkiefer und scheinbar auch spontan, 
in Wirklichkeit aber nach einer aktiven Initial bewegung auf tritt. Auch hier 
handelt es sich um eine Koordinationsstörung, um eine Isolation des Mechanis¬ 
mus der automatischen spinalen Koordination bei erhöhtem Muskeltonus. 

c) Von demselben Charakter wie der Fußklonus sind jene Formen des 
Zitterns bei der disseminierten Sklerose, welche bei statischer Innervation 
und scheinbarer Ruhe neben den Intentionsschwingungen bestehen. 

d) Manches „Intentionszittern“ ist kein Intentionsschwanken, sondern 
eine sakkadierte Intentionsbewegung von derselben Pathogenese wie der Fu߬ 
klonus. 

e) Eigentümliche Zitterformen entwickeln sich durch die Konkurrenz 
mehrerer Läsionen: so z. B. kann bei Läsionen, welche die eine Seite des Klein¬ 
hirns und die anliegende Partie des Gehirns betreffen, ein einseitiger Intentions¬ 
tremor (Läsion der zerebro-zerebellären Bahn) entstehen, der mit zerebellärer 
Asynergie (Läsion der zerebellofugalen Bahn) und gewöhnlicher Ataxie (Läsionen 



Zerebrale Zitterformen. — Das Zittern bei Kleinhimaffektionen. 


235 


der zentripetalen Rückenmarksbahnen) kombiniert sein kann; etwas ähnliches 
gilt von dem Babinskisehen Syndrom der Hemiasynergie et hemitremblement 
d ’origine cerebello-protuberan tielle. 

f) Bei Reizung der Gehirnrinde entstehen unregelmäßige Innervations¬ 
impulse, die sich in Form isolierter Kontraktionen einzelner Muskeln (nach Art 
der Myokymie) und synergischer Muskelgruppen (Myoklonie, choreatische 
Bewegungen) äußern. Diese Bewegungen sind entweder isoliert (Meningo¬ 
encephalitis tuberculosa beiMassalongo) oder sie komplizieren einen bestehenden 
Tremor der Extremitäten; es sind dies jene Formen des Zitterns, die bei Ver¬ 
giftungen in einem gewissen Stadium beobachtet werden und die wir als zere¬ 
brale Form des toxischen Zitterns bezeichnet haben. 

g) Bei der Reizung der Gehirnrinde der Zentralwindungen und der Pyra¬ 
miden in ihrem ganzen zerebralen Verlaufe entstehen klonische und ihnen 
ähnliche Krämpfe, die entweder in typischen Anfällen (bei vorwiegender Rinden¬ 
lokalisation) auf treten oder schwächer, aber konstant sind, und die manchmal 
als Tremor in der Ruhe imponieren und einigermaßen an das Zittern bei der 
Schüttellähmung erinnern. Sie können im Beginne der Intention infolge eines 
mit dem Beginne der Bewegung gleichzeitig auftretenden tonischen Krampfes 
(unser Fall auf Seite 152) verschwinden und von neuem erscheinen, wenn der 
tonische Krampf im weiteren Verlaufe nachläßt. Sie können auf einzelne Finger, 
Segmente, Extremitäten, auf eine Körperseite beschränkt bleiben. 

h) In anderen Fällen entstehen bei der Reizung der Pyramiden in ihrem 
zentralen Verlaufe choreatische, athetotische Bewegungen. Es läßt sich bis 
jetzt nicht entscheiden, worin das bestimmende Moment dafür liegt, daß einmal 
athetotische, choreatische Bewegungen, ein andermal klonische Bewegungen 
entstehen. (Ein Erklärungsversuch findet sich in der interessanten Arbeit 
von Bidon aus dem Jahre 1886, wo sich auch die beste Klassifikation vorfindet.) 
Auch diese athetotischen Bewegungen können „in der Ruhe“, d. i. ohne inten¬ 
dierte Bewegung vorhanden sein und als Zittern wie bei der Schüttellähmung 
imponieren. Diese Bewegungen kombinieren sich manchmal mit Intentions¬ 
schwankungen wie bei der Sklerose; es dürfte hier eine Läsion der zerebro- 
zerebellären Bahnen mit wirken. 

Alle diese unwillkürlichen Bewegungen „in der Ruhe“ unterscheiden sich 
durch ihren krampfartigen Charakter grundsätzlich von dem Zittern in der 
Ruhe bei der Parkinsonschen Krankheit. 

(Siehe auch die Arbeiten von Bidon, Stephan, Infeld, Marburg, 
Economo, Förster über die Pathogenese verschiedener posthemiplegischer 
Bewegungen.) 

IX. C. Das Zittern bei Kleinhirnaffektionen. 

Wir kennen bis jetzt keine besondere Zitterform, die sich als rein zere- 
belläres Zittern bezeichnen ließe. Es handelt sich hier durchwegs um kompli¬ 
zierte Koordinationsstörungen, die zwar dem Zittern ähnlich sind, aber kein 
reines Zittern darstellen. Die Analyse dieser Störungen wird dadurch erschwert, 
daß die Autoren bestrebt sind, die beobachteten Bewegungen in eine bestimmte 
Kategorie der bereits bekannten Zitterformen einzureihen, wodurch die un¬ 
voreingenommene, treue Beschreibung leidet. 



236 


Zweiter Teil. 


Ich habe bereits erwähnt, daß ich den Intentionstremor der Sklerose 
und der dieser nahestehenden Krankheiten für das Resultat der Isolation der 
koordinatorischen Gleichgewichtsfunktion des Kleinhirns halte. Das ist die eine 
Form des pathogenetisch vom Kleinhirn abhängigen Zitterns. 

Eine zweite Form ist das bei der zerebellären Heredoataxie beobachtete 
Zittern; es wird ebenfalls als Intentionszittern bezeichnet, ist aber mit der voran¬ 
gehenden Form nicht identisch; in der schönen Arbeit von Londe ist aus der 
Mehrzahl der Krankheitsgeschichten zu ersehen (S. 178—179, 192, 196, 
197, 199, 213, 218, 229, 235, 245, 246), daß es sich hier um eine besondere Be¬ 
wegungsstörung handelt, charakterisiert durch unwillkürliche Kontraktionen 
nicht zusammengehöriger Muskeln, um eine unvollkommene Gleichgewichts¬ 
lage der Extremitäten, um einen Defekt der Harmonie zwischen Agonisten 
und Synergisten, um eine Entfesselung, Zügellosigkeit der Bewegungen, um etwas, 
was weder Ataxie, noch Intentionszittem ist. Aus den Beschreibungen geht 
hervor, daß hier die normale innere Harmonie zwischen Agonisten und Syner¬ 
gisten, die normale koordinatorische Funktion des Kleinhirns fehlt; es handelt 
sich also um eine entfesselte, disharmonische Bewegung infolge Mangels der 
harmonischen Funktion des Kleinhirns, die beim Intentionszittem im Gegen¬ 
teil übertrieben ist. (Siehe auch S. 238). 

In einer dritten Gruppe von Fällen handelt es sich um eine Kombination, 
die sich ungezwungen aus der Lage des Kleinhirns und dem Einfluß der Klein- 
himtumoren auf die Nachbarschaft erklärt; ein typisches Syndrom istBabinskis 
Hemiasynergie et hemitremblement d’origine cerebello-protuberentielle. 

Vorläufig kann man nicht mit Bestimmtheit behaupten, daß die dis¬ 
harmonische Bewegung der zweiten Gruppe mit Läsionen der zerebello-rubro- 
spinalen Bahn zusammenhängt, wie dies bereits von einigen Autoren angenommen 
wird (Gordon, Holmes, Miller). 

IX. D. 1. Das Zittern bei progressiver Paralyse. 

a) Das feine Zittern bei statischer Innervation unterscheidet sich nicht 
von den anderen Zitterformen beim Nervosismus. 

ß) Das grobe Zittern im Beginne des sicheren Bildes der progressiven 
Paralyse ist wohl ein erhöhtes physiologisches Zittern infolge schlaffer Innervation 
des kranken Gehirns, untermischt mit unregelmäßigen, bündelförmigen Kon¬ 
traktionen, wie wir dies bei diffusen Prozessen im Gehirn und speziell in der Rinde 
gewöhnlich beobachten (adynamisches Stadium des Typhus, subakuter Alko¬ 
holismus, zerebrale Form des toxischen Zitterns usw.). 

y) Das dem Parkinsonschen Tremor ähnliche Zittern und das Intentions¬ 
zittern sind wie alle „zerebralen“ Zitterformen der Ausdruck einer Pyramiden¬ 
reizung und einer Läsion der zerebro-zerebellären Bahnen, also eine Kompli¬ 
kation des diffusen, pathologischen Gehirnprozesses. 

Unser zweiter, beim zerebralen Intentionszittern angeführter Fall ist 
das Prototyp derartiger Formen des Intentionszittems bei der progressiven 
Paralyse, denn das klinische Bild entspricht vollständig der progressiven 
Paralyse, während die Anamnese und die Beobachtung des Zustandes vor der 
Demenz einen Zusammenhang des Intentionszittems mit einem apoplektischen 
Herd annehmen läßt. 



Das Z ittern b. spinalen Erkrank.; b. Neuritiden. — Essentieller einfach, (heredit.) Tremor. 237 


2. Das Zittern bei spinalen Erkrankungen. 

Bei spinalen Erkrankungen, die mit einer Sklerose der gekreuzten Pyra¬ 
miden verbunden sind, besteht kein eigentliches Zittern. In jenen Fällen, 
in welchen ein Intentionszittern beschrieben wird, handelt es sich entweder 
um sakkadierte Bewegungen bei spastischer Schwäche der Extremitäten, oder 
um choreatische Schwankungen, oder um zerebelläre Ataxie, oder es ist das wirk¬ 
liche Intentionszittem der oberen Extremitäten der Ausdruck herdförmiger 
Läsionen, die entweder in den Rahmen der Krankheit (analog wie bei dem zitierten 
einseitigen Syndrom Babinskis) fallen oder die Grundkrankheit komplizieren 
(bei der Friedreichschen Krankheit). Im allgemeinen sind diese letzteren 
Fälle selten. 

Im übrigen ist durch keine verläßliche und sichere Beobachtung das Ha- 
mondsche Gesetz verletzt, daß es keinen Intentionstremor gibt, wo keine 
Gehimläsion vorhanden wäre. 

3. Das Zittern bei Neuritiden. 

Bei Paresen infolge von Nervenentzündungen beobachtet man ein Zittern, 
welches prinzipiell dem beim Heben schwerer Lasten, bei der Ermüdung auf¬ 
tretendem Zittern ähnlich ist; es entsteht infolge des Mißverhältnisses zwischen 
Innervation und der notwendigen Spannung der Muskeln, indem der Muskel 
trotz großer Kraftanstrengung ungenügend innerviert wird; was dem gesunden 
motorischen Apparat die belastete Extremität ist, das ist die normale Extremität 
dem lädierten Nervenmuskelapparat. 

X. A. Essentieller einfacher (hereditärer) Tremor. 
Tremophilia. Zittrigkeit. 

Dieses Zittern unterscheidet sich vom physiologischen nur durch seine 
Intensität und durch sein hereditäres Auftreten. Es gibt Familien, in welchen 
jene physiologische Wellenform des Tetanus in stärkerem Grade vorkommt. 
Wir können uns vorstellen, daß es solche Familien sind, bei denen die Muskel¬ 
struktur kongenital ein wenig abnormal ist. Sowie es Familien gibt, in denen 
kongenital eine erhöhte Tätigkeit des Sarkoplasmas vorkommt (Thomsen), 
so gibt es Familien, in denen kongenital eine gesteigerte Reizbarkeit der aniso¬ 
tropen Substanz und infolgedessen eine größere Disposition zu Muskeloszillationen, 
zu schnell wellenförmigem Tetanus vorhanden ist. Besonders ausgesprochen ist 
das Zittern bei jenen Familienmitgliedern, bei denen noch die Erscheinungen 
der zerebralen Labilität, der Reizbarkeit, der Unentschlossenheit, Ängstlich¬ 
keit, Schüchternheit und neurasthenische Züge hinzutreten. Durch Anstrengung, 
Ermüdung, Emotion wird dieses Zittern, wie das physiologische Zittern über¬ 
haupt, stärker. Es kommen hier in typischer Weise alle jene Umstände zur Gel¬ 
tung, deren tremogenen Einfluß wir beim physiologischen Zittern kennen 
gelernt haben. Bei einzelnen Gliedern solcher Familien beobachtet man bei 
der Intention — stets unter dem Einfluß der Emotion — derartige Bewegungs¬ 
störungen, daß jede Aktion verhindert wird und die Kranken ans Bett gefesselt 



238 


Zweiter Teil. 


sind. Bei diesen hochgradigen Schwankungen der Extremitäten und des ganzen 
Körpers kann man nicht mehr vom Zittern sprechen. Es ist auf den ersten 
Blick klar, daß die gewollte Bewegung hier durch übermäßige Kontraktionen 
der Hilfsmuskeln und durch Zusammenziehungen solcher Muskeln, die zu der 
betreffenden Aktion nicht notwendig sind, gestört wird, daß die Bewegungen 
in ihrer normalen Koordination irgendwie alteriert sind. Bei genauerer Analyse 
dieses Schwankens erkennt man, daß es sich hier weder um eine sakkadierte 
Bewegung der Muskeln unter dem Einflüsse eines übertriebenen spinalen Regu¬ 
lationsmechanismus handelt, noch um eine ausfahrende, ataktische Bewegung 
infolge eines Mangels zentripetaler Regulationsnachrichten über die Bewegung, 
noch um ein über das Ziel hinausschießendes Intentionsschwingen der 
Muskeln unter dem Einflüsse einer übertriebenen syntaktischen Funktion des 
Kleinhirns infolge mangelhafter zerebro-zerebellärer Hemmung, sondern daß 
die Funktion der Hauptagonisten, deren Innervation an und für sich normal, 
hinreichend und entsprechend ist, durch die Antagonisten, durch die kollateralen 
und rotatorischen Synergisten gestört ist, so daß die Bewegung regellos, aufgelöst 
und disharmonisch erscheint. Diese harmonisierende Funktion, die der auto¬ 
matischen, durch die Gehirnrinde gedämpften Funktion des Klei nhir ns zuge¬ 
schrieben wird, ist die normale Erscheinung, die aber bei schüchternen, furcht¬ 
samen Menschen und bei Aktionen, zu denen eine genaue Innervation aller Syner¬ 
gisten und Antagonisten notwendig ist, auch unter gewöhnlichen Verhältnissen 
nachhinkt. Diese harmonisierende Funktion des Kleinhirns ist, wie aus klini¬ 
schen Tatsachen hervorgeht, bei manchen Mitgliedern der zitternden Familien 
besonders labil und versagt im Zustande der Emotion selbst bei gewöhnlichen 
intendierten Bewegungen, wodurch dann das familiäre idiopathische Zittern so 
auffallend kompliziert wird. 

Es handelt sich hier also meiner Ansicht nach um eine Labilität jenes 
funktionellen Systems, das bei einer ebenfalls erblichen und familiären Krank¬ 
heit, bei der sogenannten zerebellären Heredoataxie (Pierre-Marie) am deut¬ 
lichsten gestört erscheint. 

X. B. Seniles und diesem analoges Zittern. 

Das senile Zittern des Körpers, des Unterkiefers und der Zunge unter¬ 
scheidet sich durch nichts von dem Parkinsonschen Zittern dieser Teile. 
Das senile Zittern der Hand, das dieselbe Frequenz besitzt wie das Zittern bei 
der Parkinsonschen Krankheit, unterscheidet sich von demselben dadurch, 
daß es nur an die intendierte Innervation gebunden ist, seine Amplitude wächst 
mit der Intention, während der Tonus der untätigen Muskeln nicht gestört ist. 
Als Ganzes unterscheidet sich das senile Zittern von der Parkinsonschen 
Krankheit durch den Mangel der Rigiditäten und deren Folgen: der Haltung 
der Extremitäten und des Körpers, der Propulsion usw., sowie dadurch, daß 
wir hier nicht von einer Krankheit sprechen können wie bei der Parkinsonschen 
Krankheit. Obwohl wir auch beim senilen Zittern in der Anamnese analoge 
ätiologische Einflüsse und unter den Prodromen dieselben unbestimmten 
Schmerzen, Wadenkrämpfe und Schwächegefühle vorfinden, haben wir hier 
doch niemals j enen Charakter einer kachektisierneden Krankheit, einer allgemeinen 
Dystrophie vor uns, wie bei der Parkinsonschen Krankheit. Auch in jenen 



Seniles und diesem analoges Zittern. 


239 


Fällen, in denen das senile Zittern vor 20—30 Jahren begann, finden wir keine 
anderen universellen Veränderungen, als solche, welche dem Alter der Patienten 
entsprechen und das einzige hervorstechende Symptom bleibt die Störung 
der intendierten Tätigkeit der quergestreiften Muskulatur. Die Muskeln haben ein 
normales Aussehen, sie sind weder atrophisch, noch dystrophisch. Die Inner¬ 
vation des Muskeltonus hat eine glatte, ununterbrochene Kontraktion zur Folge. 
Aber schon die statische Innervation, die Innervation der normalen Körper¬ 
haltung im Sitzen, im Stehen und namentlich die Innervation zur intendierten 
Bewegung ruft keinen glatten Tetanus hervor, sondern ein langsames Zittern, 
das um so gröber ist, je ermüdeter der Muskel ist (bei der Wiederholung der 
Bewegung — Demange). Die Muskeln zeigen weder einen erhöhten Tonus, 
noch einen Krampf. Durch den Mangel eines glatten Tetanus bei der Intention 
ist also das ganze Wesen des senilen Zitterns vollständig und genau charakteri¬ 
siert, denn wir finden hier weder andere Läsionen, noch andere Besonderheiten 
der Motilität. 

Leider war es mir nicht gegönnt, einen Fall dieser Art klinisch zu untersuchen 
und in der Literatur fand ich keine Angaben über den tonischen Zustand der 
Muskulatur und deren elektrische Erregbarkeit. Man sollte erwarten, daß durch 
faradische Reizung bei erhaltener galvanischer Erregbarkeit ein glatter Tetanus 
schwer hervorzurufen sein werde und ferner, daß der Tonus der zitternden 
Muskeln eher kleiner als gewöhnlich sein werde. 

Die charakteristische Veränderung des senilen Zitterns ist das Gegenteil 
des Thomsenschen Syndroms: sowie es Familien gibt, deren Mitglieder sich 
durch eine erhöhte Tätigkeit des Sarkoplasmas auszeichnen, die statt eines 
glatten Intentionstetanus eine tonische langdauemde Kontraktion aufweisen, 
so gibt es Menschen, die von einem gewissen Alter angefangen statt eines glatten 
Tetanus einen unvollkommenen Tetanus infolge einer ungenügenden Funktion 
des Sarkoplasmas, das den glatten Tetanus ermöglicht, auf weisen. Gleich¬ 
zeitig ist ihr Sarkoplasma weniger erregbar, die Dauer der Latenz ist größer 
und daher sind die Schwingungen langsamer, 3—4—5 in der Sekunde. 

Bei der Parkinsonschen Krankheit führte uns die Analyse der Muskel¬ 
beweglichkeit zu einem ähnlichen Schlüsse: auch dort mußten wir eine vermin¬ 
derte Erregbarkeit des Sarkoplasmas und eine verlängerte Latenzdauer voraus¬ 
setzen, wodurch sich das langsame Zittern bei intendierten Bewegungen erklärt, 
nur daß bei der Parkinsonschen Krankheit das Bild etwas bunter ist durch 
die Anwesenheit des myasthenischen und toxischen Elementes, das das schlaffe 
und weniger erregbare Sarkoplasma in einer besonderen Weise reizt, indem es 
in der Ruhe nach Art jener verschiedenen chemischen Zusätze im Experiment 
zum rhythmischen Tetanus beiträgt, bei der Intention wenigstens im ersten 
Moment ein Stück des glatten Tetanus ermöglicht und im allgemeinen die Mus¬ 
keln in einen Zustand fortschreitender Rigidität versetzt, die, wenn sie einen 
hohen Grad erreicht hat, jede Oszillation in der Ruhe und bei Intention unmög¬ 
lich macht, wie dies bei den Veratrinversuchen beobachtet wird. Bei der P a r k i n - 
sonsehen Krankheit führten uns alle Krankheitserscheinungen zu der Annahme, 
daß es sich um eine ungenügende Funktion, eventuell Sekretion einer ganzen 
Reihe endokriner Drüsen handle, um eine pluriglanduläre endokrine In¬ 
suffizienz, um eine akquirierte Krankheit mit bis jetzt rätselhafter Ätiologie. 
Beim senilen Zittern müssen wir in Erwägung ziehen, daß es neben isolierten 



240 


Zweiter Teil. 


Fällen, die im allgemeinen unter analogen Umständen entstehen wie die 
Parkinsonsche Krankheit, auch solche Fälle gibt, in welchen die analoge 
Veränderung der Motilität familiär und erblich auf tritt (hereditärer, seniler Tre¬ 
mor), ferner Fälle, in welchen ein derartiges Syndrom bei den einen, bei den 
anderen Mitgliedern derselben Familie dagegen ein gewöhnlicher einfacher 
idiopathischer Tremor vorkommt, weiter Fälle, bei welchen eine analoge Ver¬ 
änderung der Motilität bei Menschen von zartester Jugend unverändert bis 
ins Alter beobachtet wurde, und zwar wiederum familiär und erblich (Chey- 
lard), und schließlich solche Fälle, bei denen von zartester Kindheit hereditär 
und familiär ein ähnlicher langsamer Tremor nur an den Händen existiert 
und von welchen einige im Alter einen langsamen Tremor des Körpers akqui¬ 
rieren, wodurch das Bild des senilen Zitterns entsteht. Daraus geht hervor, daß 
die supponierte Insuffizienz des Sarkoplasmas in manchen Familien erblich so 
wie die Thomsensche Myotonie vorkommt und entweder erst im Mannesalter 
oder schon im jugendlichen Alter (von etwa 20 Jahren in den Fällen Chey- 
lards) auftritt. Ob analog dem kongenitalen Thomsenschen Syndrom auch 
kongenitale Fälle von Insuffizienz des Sarkoplasmas existieren, läßt sich nicht 
mit Bestimmtheit behaupten, da ein verläßlicher Fall bei einem Kinde noch 
nicht beschrieben wurde; jene Fälle, in welchen der Beginn in die zarteste Kind¬ 
heit verlegt wird, stützen sich durchwegs nur auf anamnetische Angaben, und 
da läßt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, daß sich ein einfaches idiopathi¬ 
sches Zittern in späteren Jahren infolge Erschlaffung des Sarkoplasmas in 
seniles Zittern verwandelt hat. Diese Frage besitzt nur für die Ätiologie, nicht 
auch für die Pathogenese dieses Zitterns eine prinzipielle Bedeutung. Dasselbe 
Syndrom stellt sich ein, wenn die sarkoplasmatische Funktion kongenital 
schlaff ist (sowie sie kongenital erhöht sein kann) oder kongenital schadhaft 
ist, so daß sie im Laufe der Zeit früher oder später erschlafft, oder wenn sie 
ursprünglich zwar gut ist, aber infolge Läsion der normalen endogenen Reiz¬ 
mittel erschlafft (seniles Zittern, das plötzlich nach schweren Emotionen ent¬ 
steht) oder sich mit weiteren Läsionen (zum Bilde der Parkinsonschen Krank¬ 
heit) kompliziert. 

Der senile Tremor ist in der Form, in welcher er z. B. von Thebault 
in seinen 13 Krankengeschichten beschrieben wird, ein klinisch und patho¬ 
genetisch typisches Syndrom. Pathogenetisch und vielleicht auch ätiologisch 
steht er der Parkinsonschen Krankheit nahe, indem er einen Teil ihres Gesamt¬ 
bildes ausmacht. Er ist pathogenetisch verwandt mit dem idiopathischen 
erblichen und angeborenen Zittern, insoferne wir da ein langsames, die glatte 
intendierte Bewegung substituierendes Gliederzittern beobachten. Es ist mög¬ 
lich, daß die Gruppe des dem senilen Tremor ähnlichen idiopathischen Tremors 
aus Fällen von wirklich angeborener Insuffizienz oder wenigstens Schadhaftig¬ 
keit des Sarkoplasmas und aus solchen Fällen zusammengesetzt ist, in welchen 
sich einfache idiopathische hereditäre Zittern im weiteren Verlaufe infolge 
Ers ht' mg des Sarkoplasmas in seniles Zittern verwandelt hat. 

'i. 

Angeborenes Kopfzittern. 

Ein dem senilen Zittern analoges Kopfzittem wäre, wenn es von der 
Geburt oder von der zartesten Jugend an bestünde, ein wichtiges Faktum 



Idiopathisches hereditäres Intentionszittem. — Mechanisches Zittern. 


241 


für die Unität des senilen und des idiopathischen kongenitalen einfachen 
Zitterns. 

Doch scheinen die bis jetzt beobachteten Fälle trotz der äußeren Ähnlich¬ 
keit nicht zu dem Zittern dieser Art zu gehören. Vielmehr nähern sich die¬ 
selben den klonischen Krämpfen, welche bei Kindern in der Dentition (Oppen¬ 
heim) oder im Winter bei rhachitischen Kindern (Purwes Stewart) beschrieben 
wurden, oder die als Nickkrampf, Salaamkrampf, Spasmus nutans, nodding 
spasm, Jactatio capitis nocturna bekannt sind (siehe Oppenheim, Lehr¬ 
buch II, 1436, 1908), oder den rhythmischen Zitterbewegungen des Körpers 
der Enten bei intrakraniellen Erkrankungen (Onimus in Wagners Physio¬ 
logie), und weisen wie die folgenden Gruppen des Intentionszitterns und des 
sekundären erblichen Zitterns auf organische Veränderungen des Zentral¬ 
nervensystems hin. Man könnte der Ansicht von Le noble und Aubinau 
beistimmen, daß es sich hier um ein Symptom einer Reihe minimaler degenera- 
tiver zentraler Läsionen handelt, deren Endglieder die familiäre Sklerose und die 
zerebelläre Heredoataxie darstellen. 

X. C. Idiopathisches hereditäres Intentionszittern und 
kombinierte hereditäre Zitterformen. 

Dieselben haben im großen und ganzen eine ähnliche Pathogenese wie 
die ,,zerebralen 64 Zitterformen. Das gesammelte Material deutet auf einen or¬ 
ganischen Ursprung im zentralen Nervensystem, im Gehirn und Kleinhirn, 
mit allen jenen individuellen Eigenschaften, die bei allen Fällen von familiären 
Gehirnkrankheiten (familiäre Diplegie, die angezweifelte familiäre Herdsklerose, 
die zerebellären Ataxien usw.) beobachtet wurden. Das Zittern ist hier nur ein 
bloßes Epiphänomen merkwürdiger familiärer Erkrankungen, deren klinische 
Erforschung und pathogenetische Klassifizierung bis jetzt noch nicht beendet ist. 

XI. Mechanisches Zittern. 

Das Zittern infolge Ermüdung, welches die Bezeichnung mechanisches 
Zittern nicht verdient, können wir übergehen. 

Interessant ist aber die Beobachtung von Zielgien, weil wir ähnliche, 
experimentell hervorgerufene Erscheinungen aus der Arbeit von Söerbak aus 
den Jahren 1903—1908 kennen. Ööerbak in Warschau hat darauf aufmerk¬ 
sam gemacht, daß man mit einer schwingenden Stimmgabel oder mit einem 
elektrischen Vibrator beim Menschen und beim Tiere ein Syndrom hervorrufen 
kann, bestehend in einer Steigerung der tiefen Reflexe, in einem raschen funktio¬ 
neilen Knie- und Fußklonus und in Zittern. Auch nach den nach der Methode 
von Schmaus erzeugten experimentellen Rückenmarkserschütterungen (Be¬ 
klopfen eines auf den Rücken eines Kaninchens angebundenen Brettes mit nMn 
Hammer) beobachtete er außer einer flüchtigen Paraparese der Hi /foße 
nach 1—2 Wochen dasselbe Syndrom. Er hat sich in beiden Versuc^sserien 
überzeugt, daß dieses Syndrom nur insoweit auftritt, als das Rückenmark nicht 
anatomisch lädiert ist; sonst weicht es dem typischen organischen Klonus. 


Pein Ar, Zittern. 


IC 



242 


Zweiter Teil. 


Wenn wir das ganze Kapitel von der Pathogenese des Zitterns überblicken, 
gelangen wir zu einigen interessanten allgemeinen Sätzen. 

Die geschilderten klinischen Bilder und unsere bisherigen Kenntnisse 
über die Physiologie der Muskeln und der Bewegungen überhaupt führen uns 
zu Annahmen, die zum Teil noch nicht durch die physiologische Experimental¬ 
forschung beglaubigt sind: 

Die Innervation des Muskeltonus, die sich gewöhnlich durch 
eine konstante tonische Muskelkontraktion äußert und welche 
nur in einigen Versuchen durch die Reizung mit dem konstanten 
galvanischen Strom physiologisch imitiert wird, kann sich bei der 
Parkinsonschen Krankheit, sowie bei einigen Versuchen von gleich¬ 
zeitiger Reizung des Muskels mit dem konstanten Strom und 
chemischen Agenzien durch eine rhythmische Muskeltätigkeit 
äußern. 

Die statische Innervation äußert sich nicht durch einen voll¬ 
ständig glatten Tetanus, sondern durch einen wellenförmigen 
Tetanus. Die Wellenform von ungleicher Intensität dürfte von dem 
Reizungszustande der anisotropen Substanz abhängen. Diese 
Substanz kann unter gewissen Umständen kongenital und here¬ 
ditär (essentieller, hereditärer Tremor) oder toxisch beweglicher 
und erregbarer sein. 

Es gibt erworbene (und vielleicht auch angeborene) Zustände, 
bei denen der normale (und fein gewellte) Intentionstetanus leicht 
erschlafft und zerfällt (Parkinson) oder überhaupt nicht entsteht 
(seniles Zittern); vielleicht handelt es sich im letzten Falle um 
eine angeborene Unvollkommenheit des Sarkoplasmas, um das 
umgekehrte Bild der angeborenen Myotonie. 

Es gibt Gehirnläsionen, welche die normale Bewegung in 
einer anderen Form als in den bis jetzt beschriebenen Formen 
(Ataxie, Chorea, Klonus) stören. Es ist dies das Intentionszittern, 
die Läsion der zerebrozerebellären Bahnen, die Isolation des von 
der zerebralen Zügel befreiten synergischen Kleinhirnmechanis¬ 
mus — und das zerebellare Zittern, die disharmonische Bewegung 
infolge einer Störung des synergischen Kleinhirnmechanismus 
selbst. 



Dritter Teil. 

Symptomatologische Bedeutung des Zitterns. 

Wir haben in dem beschreibenden Teile die äußeren Merkmale des Zitterns 
unter verschiedenen Umständen und bei den pathogenetischen Erwägungen 
die näheren Details der einzelnen Zitterformen in Betracht gezogen und gelangen 
nunmehr zu der letzten, praktischen Frage: welchen Schluß man aus der äußeren 
Form des Zitterns auf den Allgemeinzustand des Organismus ziehen kann? 
Diese Frage läßt sich nur dann befriedigend beantworten, wenn man alle be¬ 
schriebenen Formen des Zitterns gleichzeitig ins Auge faßt. Diesem prak¬ 
tischen Bedürfnisse haben schon die älteren Klassifizierungsversuche neben 
der ätiologischen Seite Rechnung getragen. Wir wollen, dem alten Brauche 
folgend, jede einzelne Eigenschaft des Zitterns für sich betrachten: die Lokali¬ 
sation des Zitterns, seine Frequenz, seine Große, sein Verhältnis zur Intention, 
zur statischen und tonischen Innervation in der Ruhe und die Konstanz des 
Zitterns. 


I. Lokalisation des Zitterns. 

a) Das Zittern des Kopfes: das auffallendste Symptom beim sogenannten 
senilen Tremor; es kommt ferner bei einigen wenig charakteristischen kongeni¬ 
talen Zuständen, sodann bei der disseminierten Sklerose, bei der Parkinson- 
schen Krankheit und bei den hysterischen und einigen toxischen Zitterformen 
vor. Ein universelles Zittern der Gesichtsmuskulatur sieht man beim Alko¬ 
holismus, bei der progressiven Paralyse, beim emotiven Zittern. In allen diesen 
Fällen handelt es sich um eine allgemeine, wechselnde, imbeständige Lokali¬ 
sation. Bei der Parkinson sehen Krankheit pflegen die beiderseits gleichzeitig 
fungierenden Muskeln ergriffen zu sein: die orbikulären Muskeln, die Zunge, 
die Muskeln des Unterkiefers; diese auch beim senilen Zittern. 

b) Das Zittern der oberen Extremitäten ist ein klinisches Symptom 
aller mit Zittern einhergehenden Krankheiten; eine Ausnahme machen nur einige 
hysterische Zitterformen, und auch diese nur in einer bestimmten und zwar ge¬ 
wöhnlich in der ersten Phase der Krankheit. Vorwiegend proximal lokalisiert 
ist das Intentionszittem zerebralen Ursprungs überhaupt und das sogenannte 
zerebelläre Zittern, während bei den übrigen Zitterformen kein konstanter 
Unterschied in der Lokalisation zwischen proximalem und distalem Anteil 
der Extremitäten besteht. Das isolierte (sogenannte individuelle) Zittern der 

16* 



244 


Dritter Teil. 


Finger, das für ein Charakteristiken des Alkoholismus gilt, kommt nicht gar so 
vereinzelt vor. 

c) Das Zittern der unteren Extremitäten ist am deutlichsten bei 
einigen hysterischen Zitterformen, beim hysteriformen Intoxikationszittem 
und bei einigen Fällen von Parkinsonscher Krankheit vorhanden. 

d) Das Zittern des Rumpfes, das bei der Basedowschen Krankheit am 
deutlichsten ist, wird auch beim AJkoholismus beobachtet. Ein isoliertes Zittern 
einiger Rumpfmuskeln kommt auch bei der Parkinsonschen Krankheit vor. 

e) Isoliertes Zittern eines Gliedes oder eines einzigen Körpersegmentes 
findet sich bei Hysterie und bei zerebralen Affektionen verzeichnet — abgesehen 
von der beginnenden Schüttellähmung. 

II. Frequenz des Zitterns. 

Langsames Zittern mit 3—4—5 Wellen in der Sekunde wurde beim Morbus 
Parkinsonn, beim senilen Tremor, beim zerebralen Zittern mit disseminierter 
Sklerose und bei Hysterie beobachtet. — Rasche Schwingungen, 8—12 in der 
Sekunde, finden sich beim physiologischen, emotiven (auch hysterischen), 
adynamischen, toxischen, essentiellen, einfachen Zittern. — Die mittlere 
Frequenz von 7—8 Schwingungen ist für keine klinische Zitterform charakteri¬ 
stisch. — Eine Frequenzänderung finden wir außer bei Hysterie vielleicht nur 
noch in jenen Fällen, bei denen der hereditäre essentielle Tremor im weiteren 
Verlaufe den Charakter des senilen Zitterns annimmt. Die ursprünglichen 
Hoffnungen, die man nach den Arbeiten Charcotsin differentialdiagnostischer 
Hinsicht auf die Frequenz des Zitterns gesetzt hat und von denen auch ich mich 
bei meinen Registrierungen leiten ließ, haben sich nicht erfüllt. Kleine Unter¬ 
schiede erklären sich durch individuelle Eigentümlichkeiten der Kranken, durch 
die lokomotorische Anordnung (Lokalisation am Körper), aber nicht durch die 
Krankheit selbst. Dennoch hat sich aus der Beobachtung der Frequenz des 
Zitterns die praktisch wertvolle Regel ergeben, daß die langsamen Zitterformen 
mit 3—4—5 Oszillationen wesentlich verschieden sind von den übrigen Zitter¬ 
formen, wenn sie auch, wie wir gesehen haben, keine einheitliche Pathogenese 
besitzen. 


UI. Größe des Zitterns. 

Ausgesprochen große Amplituden besitzt das Zittern bei dissemenierter 
Sklerose, beim Morbus Parkinsonii, beim senilen Tremor, beim zerebellären 
Tremor, bei der Hysterie, insofern sie diese Krankheiten imitiert, große Ampli¬ 
tuden zeigt auch der hysteriforme toxische Tremor und die intensiveren Formen 
des emotiven Zitterns (einige hereditäre essentielle Zitterformen). Ausgesprochen 
zart sind das physiologische Zittern und einige toxische Zitterformen, speziell 
jene beim Hyperthyreoidismus. 

IV. Verhältnis des Zitterns zur Innervation. 

Bei vollständiger Muskelruhe, bei welcher außer der Innervation des 
Muskeltonus keine andere Innervation angenommen werden kann, zittern die 
Glieder bei der Parkinsonschen Krankheit und bei einigen Gehimkrankheiten, 



Beständigkeit des Zitterns. — Das Verhältnis zur Grundkrankheit. 


245 


bei denen ich aber den Zittercharakter der unwillkürlichen Bewegung stark be¬ 
zweifle. — Die statische Innervation ist fast bei allen klinischen Formen von 
Tremor begleitet und ist beim physiologischen Zittern am deutlichsten. Am 
Kopfe ist sie von Zittern beim senilen und beim zerebralen (Sklerose und dieser 
verwandte Krankheiten) Tremor begleitet. — In prägnantester Weise be¬ 
gleitet der senile und der zerebellare Tremor jede intentive Innervation. — 
Gegen das Ziel verstärkt sich in grober Weise das Intentionszittem bei Sklerose 
und dieser ähnlichen Krankheiten. — Auch hier erschöpft die Hysterie alle 
Möglichkeiten. 

V. Beständigkeit des Zitterns. 

Am konstantesten ist das senile, das Parkinsonsche, das zerebrale Zittern 
und das Zittern bei der Basedowschen Krankheit. Alle übrigen Formen pflegen 
Intermissionen zu haben, die im allgemeinen zeitlich mit den Intermissionen 
jener pathologischen Zustände zusammenfallen, aus denen sie hervorgegangen 
sind. Die größten Intermissionen zeigen die emotiven Zitterformen, indem sie 
nur an die Dauer der Emotion und an die darauffolgende Zeit gebunden sind, 
und das an den epileptischen Anfall gebundene Zittern. Weniger ausgesprochene 
Intermissionen können bei allen Arten des Zitterns Vorkommen. — Der Voll¬ 
ständigkeit wegen sei hier noch bemerkt, daß sich die Hysterie durch die denk¬ 
bar größte Variabilität auszeichnet.] 

VI. Das Verhältnis znr Grnndkrankheit. 

Rein monosymptomatisch ist nur das senile Zittern und zwar in seinem 
ganzen Verlaufe; häufig das hysterische Zittern, eventuell während seiner ganzen 
Dauer; in einer bestimmten Krankheitsphase das Parkinsonsche Zittern. 
Scheinbar monosymptomatisch sind die zerebralen Zitterformen, speziell die 
zentrale Form des essentiellen Tremors. Es liegt in der Natur der Sache, daß 
das physiologische Zittern und das einfache essentielle Zittern monosympto¬ 
matisch sind. Alle übrigen Formen des Zitterns sind Teile des klinischen Krank¬ 
heitsbildes, Symptome, Epiphänomene. 

Die differentialdiagnostische Ausbeute der äußeren Zitterformen ist 
nicht groß: 

Das langsame Zittern bei vollkommener Ruhe ist ein Symptom der Parkin - 
sonschen Krankheit oder einer herdförmigen Gehimkrankheit; das Verhältnis 
dieser beiden Zitterformen zueinander haben wir in dem Kapitel über den zere¬ 
bralen Tremor besprochen; 

ein langsames Zittern bei statischer Innervation, speziell am Kopfe, findet 
sich beim senilen Tremor und bei der Herdsklerose (und bei den kongenitalen 
Nickbewegungen des Kopfes); 

ein langsames Zittern bei Bewegungen charakterisiert die Parkinsonsche 
Krankheit, das senile Zittern, die Herdsklerose und die derselben pathogenetisch 
nahestehenden Affektionen (die entsprechenden zerebralen Zitterformen) und 
den zerebellären Tremor; 

rasches Zittern bei statischer Innervation ist überhaupt nicht charak¬ 
teristisch ; 

rasches Zittern bei Bewegungen ist wenig charakteristisch, da es ge- 



246 


Dritter Teil. 


wohnlich nur der Ausdruck einer größeren Intensität des vorangehenden Zit¬ 
terns ist. 

Die Diagnose kann sich auf die Form des Zitterns nur bei der Parkinson- 
schen Krankheit, beim senilen Tremor und beim organischen Intentionszittem 
stützen. Wenn man bedenkt, daß alle diese Formen von der strengen Definition 
des Zitterns eigentlich ziemlich weit entfernt sind, muß man zugeben, daß das 
wirkliche Zittern ein sehr wenig charakteristisches und diagnostisch verläßliches 
Symptom ist. 

Periodische Variationen der Intensität des Zitterns. 

Das Kapitel über die semiologische Bedeutung des Zitterns muß durch 
einige Bemerkungen über jene Zitterform ergänzt werden, die durch eine perio¬ 
dische, mehr oder minder regelmäßige Zu- und Abnahme der Intensität der 
Oszillationen charakterisiert ist. Diese Form beschrieb 1909 Leupoldt als 
charakteristisch für Epilepsie und ich will sie etwas eingehender besprechen, da 
ihr eine derartige diagnostische Bedeutung, wie sie Leupoldt annimmt, meines 
Erachtens nicht zukommt. 

Fernet hat in seiner so oft zitierten These auf Seite 99 zum ersten Male 
diese Eigentümlichkeit der Kurven (Figg. 13, 14) des Quecksilbertremors hervor¬ 
gehoben: ,,Ici nous voyons des s6ries d’oscillations graduellement croissantes 
et decroissantes, formant des especes denoeuds assez reguliere.“ Pierre Marie 
beschreibt in seiner Arbeit über die Basedowsche Krankheit aus dem Jahre 1883 
auf S. 21 bei der Zitterkurve (Fig. I) dieser Krankheit analoge periodische 
Variationen der Amplituden des Zitterns: „On voit les oscillations croitre peu 
et peu pour arriver au mäximum, puis decroitre de meme pour parvenir au 
minimum et rocommencer ä croitre. La figure ... est tr6s nettement fusiforme.“ 
Er erwähnt die Beschreibung Fernets und fügt hinzu, daß diese Variationen 
in keinerlei Zusammenhang sind mit den Zirkulationsverhältnissen und Atem¬ 
bewegungen, und daß er sie nicht zu erklären vermöge. (Aus Marie ging die 
Beschreibung wörtlich in andere Arbeiten über; so z. B. spricht Jentsch auf 
S. 18 von einer ,,Spindelform des Myogramms“.) Eine schöne Kurve mit großen 
Differenzen in der Amplitude und mit sehr regelmäßigen Schwankungen repro¬ 
duziert Buchet in seiner These (S. 154) bei der Schüttellähmung, wo das klinische 
Bild der Krankheit und des Zitterns ganz typisch war. Das Zittern war am inten¬ 
sivsten in der Ruhe; bei Emotionen und Bewegungen hörte es fast gänzlich auf. 
Auf der Kurve wechselten die Oszillationen ganz regelmäßig ab, indem sie zwei 
Sekunden groß und vier Sekunden klein waren. Magnol beschreibt in seiner 
interessanten These aus dem Jahre 1894 analoge Verhältnisse bei einem Falle 
von Schüttellähmung. Er sagt auf S. 42: „La courbe, vue de loin, prösente 
des ventres et des noeuds.“ Im Jahre 1897 widmete Werthei m-Salomonson 
dieser Eigentümlichkeit eine umfangreiche Studie. Er fügt hinzu, daß er die¬ 
selbe bei drei Kurven des Buches von Gowers gefunden habe und zitiert Gowers: 
„I have only once observed a tendency to rythmical Variation.“ Der Autor 
selbst bezeichnet diese Variation der Intensität als „allorhythmischen Tremor“, 
was aber dem Begriffe der Sache nicht entspricht, da es sich nicht um eine Ver¬ 
änderung des Rhythmus, sondern um eine solche der Intensität handelt. Er 
fand die Allorhythmie bei 20 von 55 Fällen und zwar beim Morbus Basedowii, 



Das Verhältnis zur Grundkrankheit. 


247 


bei der Quecksilber-, Blei- und Alkoholvergiftung, bei der Schüttellähmung und 
bei der Hysterie. Werthei m schloß den Zusammenhang der Allorhythmie 
mit der Atmung und Zirkulation ebenso wie Marie aus. Er erklärte diese Er¬ 
scheinung analog der periodischen Verstärkung des Tons in der Akustik beim 
Schwingen zweier Stimmgabeln von ungleicher Schwingungszahl — also durch 
Interferenz der Wellen — und erzielte schöne Kurven, wenn er beide Kopf¬ 
nicker mit einem ungleich frequenten: links 8,4, rechts 7,7 mal in der Sekunde 
unterbrochenen faradischen Strom gleichzeitig reizte. Dasselbe findet statt, 
wenn an der Hervorrufung des Zitterns zwei Muskelgruppen beteiligt sind, 
die nicht dieselbe Anzahl von Oszillationen besitzen. Und dies kommt bei 
verschiedenen Zitterformen wirklich vor. (Aus den Studien von Busquet ist 
uns bekannt, daß verschiedene synergische Muskelgruppen bei ihrem physio¬ 
logischen Zittern eine ungleiche Schwingungszahl besitzen.) Die Möglichkeit 
einer solchen Interferenz werden wir um so eher verstehen, wenn wir sehen, 
daß das Zittern auf den Kurven von Magnol und Wertheim nach drei Ebenen 
zerlegt ist. Interessant ist, daß Magnol ganz dieselbe Hypothese ausgesprochen 
hat, nur daß er durch dieselbe nicht die Allorhythmie, sondern das Zittern 
überhaupt erklärte; er erwähnt auch, daß Lissabons die Kombination der 
Wellen zweier verschiedenphasiger Parallelbewegungen (Stimmgabel) zeichnete 
und Kurven erhielt, von denen einige den Zitterkurven ähnlich sind. Jamin 
(1905) erwähnt bei der Beschreibung des hysterischen Zitterns nach Trauma, 
daß sich die Amplituden manchmal crescendo und decrescendo ändern. Leu- 
poldt (1909) schrieb über dieselbe Erscheinung, „daß in kurzen Zwischen¬ 
räumen Anhäufungen stärkerer Oszillationen auftreten und der Kurve ein ganz 
eigentümliches Gepräge verleihen.“ Er behauptet, daß er diese Form schon 
öfters gesehen habe und beschreibt 8 Fälle mit Kurven; 5 Patienten waren 
Trinker mit Delirien. Bei allen 8 Fällen fand er Symptome, die den Verdacht 
auf Epilepsie erweckten, weshalb er jene Form der Kurve für ein Symptom 
der latenten Epilepsie ansieht. Er stellte experimentell fest, daß dieses Symptom 
nicht ein Ermüdungssymptom sei. Eine Erklärung dieser Erscheinung hat er 
nicht versucht. 

Ich unterzog mein Material einer diesbezüglichen Durchsicht und fand eine 
analoge periodische Variation der Intensität des Zitterns in ganz typischer 
Weise bei 23 von 220 Kurven und zwar beim idiopathischen Tremor, bei Neuri¬ 
tiden, bei Basedowscher Krankheit, bei Parkinsonscher Krankheit, bei 
Hysterie, beim Epileptiker im freien Intervall, bei einem Rekonvaleszenten 
nach schwerer Gicht, beim Thyreoidismus, bei Schwefelkohlenstoffvergiftung 
und beim Alkoholismus. Dagegen fand ich nichts Analoges bei der Sklerose 
und beim Tremor infolge organischer Gehimläsionen. Im großen und ganzen 
kann ich mich der Ansicht Werthei ms anschließen und messe daher der so¬ 
genannten Alloryhthmie keine diagnostische Bedeutung für irgend eine Krank¬ 
heit bei. 

Simulation des Zitterns. 

Praktisch sehr wichtig ist die Frage, inwiefern das Zittern künstlich her¬ 
vorgerufen, vorgetäuscht werden kann. Forscher, welche gerichtlich-medi¬ 
zinische Erfahrungen und namentlich Erfahrungen auf dem Gebiete der Un¬ 
fallversicherung besitzen, zweifeln nicht daran, daß eine Neurose mit Tremor 



248 


Dritter Teil. 


simuliert werden kann. Zumeist ist es ein monosymptomatischer Tremor einer 
Extremität oder einer Körperhälfte auf der vom Unfall betroffenen Seite. 

Jeder kann sich an sich selbst überzeugen, daß in der Ruhe an der oberen 
Extremität am bequemsten langsame, rhythmische Bewegungen des Vorder¬ 
arms im Sinne der Pronation und Supination und Bewegungen der Hand im 
Sinne der Ulnarflexion mit sekundärer Flexion des IV. und V. Fingers in allen 
Gelenken ausgeführt werden können; auch eine rhythmische, nicht allzu rasche 
Bewegung der Finger zwischen halber und vollständiger Flexion des II. bis 
V. Fingers ist lange ohne Ermüdung ausführbar. An der unteren Extremität 
ermüdet nur wenig das Hüpfen der auf die Zehen gestützten Extremität und die 
Adduktion und Abduktion der Oberschenkel. Am Halse und Nacken die 
Rotation um die Vertikalachse (negierender Tremor). Bei der statischen Inner¬ 
vation läßt sich leicht und ohne Ermüdung eine passive, durch Pronation und 
Supination der Vorderarme verursachte Bewegung der Hände durchführen und 
zwar sowohl an den gestreckten Extremitäten, als auch in der Schwurstellung. 
Bei Bewegungen läßt sich leicht ein grobes Intentionsschütteln der Extremität 
mit Erschütterung des ganzen Körpers durchführen. 

Schwerer sind ohne Ermüdung Bewegungen zu simulieren, an denen die 
Extension der Finger und die Radialflexion der Hand im Karpalgelenk beteiligt 
sind, z. B. ein zartes Zittern der gestreckten Finger, das in gleichmäßiger Weise 
rhythmisch längere Zeit anhalten soll, und das individuelle Zittern der Finger. 

Mit Recht weist Steinhausen darauf hin, daß hier eine verschiedene 
Veranlagung der Menschen vorliege; was für die hysterischen Menschen die 
Disposition ist, ist für gesunde Menschen das Talent zu Bewegungen; es gibt 
Menschen, welche es dazu bringen, schwierige Bewegungen regelmäßig auszu¬ 
führen (z. B. das Staccato bei Violinspielern). 

Charcot hat mit seinem scharfsichtigen Auge die simulierten Erschei¬ 
nungen von den imwillkürlichen (z. B. Kontrakturen) dadurch unterschieden, 
daß der Kranke bei den simulierten Manipulationen entweder sichtbar oder un¬ 
sichtbar, aber nachweisbar (beschleunigter Puls, Atmungsrhythmus) ermüdet, 
besonders dann, wenn wir den Kranken vor der Prüfung schon ermüden lassen. 
In praxi überzeugt man sich leicht, daß man mit Hilfe dieser Methode selten 
ein sicheres Resultat erzielt. 

Besser ist es, das Zittern längere Zeit zu beobachten, ob es nicht seinen 
Charakter ändert. Schuster behauptet, daß der Simulant nach 5 Minuten, 
sicher aber nach einer Stunde nachläßt. Erben bemerkt ganz richtig, daß wir 
einen geriebenen Simulanten auch auf diese Weise nicht entlarven werden. 

Abgesehen davon kann auch bei unwillkürlichem, nicht simuliertem 
Zittern, z. B. bei länger dauernder statischer Innervation eine nachweisliche Er¬ 
müdung auf treten. Aber wir können uns leicht an uns selbst überzeugen, daß 
bei simuliertem Zittern bei Eintritt der Ermüdung nach einer kurzen Ruhepause 
rasche Erholung stattfindet, so daß der Simulant selbst bei sorgfältiger Be¬ 
obachtung leicht einen Moment der Ruhe findet. 

Vielleicht könnte meine Erfahrung benützt werden, welche dahin geht, 
daß bei simuliertem Zittern, wenn es ununterbrochen geprüft wird, 
mit zunehmender Ermüdung die Frequenz des Zitterns sinkt; auf 
der beiliegenden Kurve (Fig. 113) sieht man ein (von mir) im Sinne der Flexion 
und Extension der Hand im Karpalgelenk simuliertes Zittern (I). Die An- 



Das Verhältnis zur Grundkrankheit. 


249 


fangsgeschwindigkeit sinkt rasch von 9 Wellen in der Sekunde auf 8; nach 
5 Minuten werden nur mehr 7 Wellen und dann 6—6,5 registriert; nach 10 Minu¬ 
ten sinkt die Frequenz bis auf 5% bi der Sekunde. 

Prof. Fuchs in Bonn verwendet die Erfahrung, daß man mit verschiedenen 
Extremitäten verschiedene Muskelaktionen nicht ungestört und in ungleichem 
Rhythmus ausführen kann; bei dieser Prüfung, die sich am besten für den 
einseitigen Tremor eignet, stellt er dem Untersuchten die Aufgabe, mit der nicht 



Fig. 113. 


zittrigen Hand Buchstaben oder geometrische Figuren in die Luft zu zeichnen 
und beobachtet hierbei unauffällig die zitternde Hand; beim Simulanten hört 
das Zittern auf oder dasselbe wird durch die Mitbewegungen unterbrochen. 
Wir können uns von der Richtigkeit der Angaben Prof. Fuchs an uns selbst 
überzeugen. Fig. 114 ist ein schönes Beispiel hierfür. Ich simulierte ein grobes 
Zittern der Hand; an den mit einem einfachen Stern bezeichneten Stellen 



Fig. 114. 


schrieb ich mit der anderen Hand Buchstaben, die ein Kollege angab, in die Luft; 
an der mit Stern und Punkten bezeichneten Stelle schrieb ich ganze Worte; 
im ersten Falle sehen wir eine kurze, im anderen Falle eine längere Unregel¬ 
mäßigkeit und Ungleichheit des im übrigen regelmäßigen Tremors. Fuchs 
kontrollierte seine Methode beim neurasthenischen Zittern; hier hörte das Zittern 
nicht auf. Dagegen gaben die Untersuchten in Fällen, wo das Zittern auf hörte, 
nachträglich zu, daß sie simulierten und wurden wegen Betruges verurteilt. 
— Ein positives Resultat der Methode von Fuchs kann aber trotzdem nicht 
so kategorisch als Beweis für Simulation angesehen werden; sie basiert auf dem 
Einfluß der Ablenkung der Aufmerksamkeit, und die Erfahrung hat gelehrt, 
daß unter diesem Einflüsse auch nicht simuliertes Zittern aufhört; ich habe 
mich hiervon bei der Parkinsonschen Krankheit wiederholt überzeugt, und 













250 


Dritter Teil. 


auch in der Literatur wird diese Angabe bestätigt. Erben fand ein positives 
Resultat der Methode von Fuchs auch beim Basedow und beim polyneuritischen 
Tremor. Verläßlicher ist ein negatives Resultat: wenn sich bei einer an be¬ 
fohlenen leichten Manipulation der einen Hand das Zittern der anderen Hand 
nicht ändert, kann dasselbe als nicht simuliert angesehen werden. Doch dürfen 
wir auch in diesem Falle nicht übersehen, daß manche Leute sehr geschickt sind 
und den betreffenden Kniff einüben können, wenn sie hierüber ordentlich be¬ 
lehrt werden. (Braun behauptet, daß in Prag tatsächlich Leute instruiert 
werden.) 

Erben gibt beim Zittern der Hände eine andere Methode an: Wir nehmen 
alle Finger der zitternden Hand in unsere Hand bis auf einen; liegt wirklich 
ein unwillkürliches Zittern vor, dann zittert der freie Finger weiter; der Simulant 
vermag mit ihm nicht schnell zu zittern. Diese Methode ist aber nur für das 
Zittern der Finger bei statischer Innervation zu verwenden, das verhältnismäßig 
nur selten simuliert wird, und da sie wiederum den Einfluß der gespannten resp. 
abgelenkten Aufmerksamkeit involviert, muß ihr Resultat mit Vorsicht be¬ 
nutzt werden. 

Seeligmüller beschrieb 1882 eine ähnliche Methode, um das simulierte 
grobe Zittern der unteren Extremitäten zu entlarven. Er legte den Unter¬ 
suchten auf den Bauch und flektierte ihm die Füße im Kniegelenk bis zu 90°; das 
simulierte Zittern hörte auf, sobald sich der Fuß nicht mehr auf die Fußspitze 
stützen konnte, während es bei der Schüttellähmung fortbestand. Forgue und 
Jeanbrau beschrieben diese Methode in ihrem Buche von neuem und Erben 
führt noch als Methode der französischen Ärzte die umgekehrte Lage an: Liegen 
auf dem Rücken mit emporgehobenen Füßen. 

Gewiß wird unser Urteil auch durch den allgemeinen Eindruck, durch das 
Benehmen des Untersuchten beeinflußt; dadurch wird zwar unsere Diagnose 
erleichtert, aber es kann auch geschehen, daß wir dem Kranken Unrecht zufügen. 
Der Umstand, daß der Kranke, wenn er nicht beobachtet wird, nicht zittert, 
kann das simulierte Zittern vom hysterischen nicht unterscheiden; auch die 
Tatsache nicht, daß z. B. der Untersuchte nicht zittert, wenn er Wasser trinkt 
(Seeligmüller). 

Zutreffend ist die Bemerkung Erbens, daß wir das Zittern glauben dürfen, 
wenn wir an der zitternden Extremität unwillkürliche Kontraktionen der Muskeln 
oder Muskelbündel beobachten. 

Unhaltbar ist die Behauptung, daß der langsame und einförmige Tremor 
nicht simuliert werden kann (Freusberg), oder daß es ein auf Simulation ver¬ 
dächtiges Symptom ist, wenn ein isoliertes Zittern der Hand auf den Vorderarm 
übergeht, sobald man die Hand festhält (Jentsch). Genau so verhält sich z. B. 
das Zittern bei der Schüttellähmung. 

Prof. Fuchs gibt an, er habe binnen 3 Jahren unter 250—300 gerichtlichen 
Fällen nur 5 Fälle von Simulation des Zitterns gefunden; stets handelte es sich 
um Tremor einer oberen Extremität im Hand- und Ellbogengelenk. Demnach 
wäre die Simulation des Zitterns keine besonders häufige Erscheinung. Rumpf 
behauptete sogar, daß das Zittern häufig fälschlich als Simulation aufgefaßt 
werde. 

Wir haben keinen einzigen Fall gesehen, in welchem das Zittern mit Sicher¬ 
heit als Simulation entlarvt wurde. Übrigens ist bei der traumatischen Hysterie 



Das Verhältnis zur Grundkrankheit. 


251 


die Grenze zwischen Simulation und Krankheit objektiv schwer zu bestimmen. 
(Siehe die Pathogenese des hysterischen Zitterns.) 

Die beiliegende Serie von Kurven veranschaulicht das simulierte Zittern 
und zwar (Fig. 115): 

I. Kurve: Ich vollführte künstlich Flexionen und Extensionen im Hand¬ 
gelenk bei geringer Muskelanspannung: wir sehen ein fast gleichmäßiges und 



Fig. 115. 

regelmäßiges Zittern von 7 Wellen in der Sekunde. — II. Kurve: Unter den¬ 
selben Umständen sieht man in mancher Sekunde 8 Wellen. — III. Kurve: Die¬ 
selbe Bewegung bei künstlicher Spannung der Muskeln wie bei der Kontraktur. 
Auch hier ist das Zittern nur wenig ungleich, aber schneller, 9 Wellen in der 
Sekunde. — IV. Kurve: Sehr lehrreiche Kurve, die künstliche Pronationen 
und Supinationen bei der üblichen Registriermethode zeigt: Man sieht eine 



Fig. 116. 


Kurve, die durch Interferenz der Bewegungen unregelmäßig ist, stellenweise 
nur 5—6 Wellen in der Sekunde aufweist und die nicht das richtige Bild der 
Bewegung wiedergibt, die im allgemeinen regelmäßig und schnell war und 8 
bis 9 Oszillationen in der Sekunde besaß. Für diese Fälle eignet sich die ver¬ 
wendete Registriermethode nicht; aber wenn man sich dies vergegenwärtigt, 
wird man sich durch ein derartiges Bild nicht irreführen lassen. — Kurve V 
zeigt die Muskelspannung wie sub III, ein künstliches Intentionszittem; das¬ 
selbe ist im großen und ganzen regelmäßig, mit 8 Wellen in der Sekunde. 

Fig. 116 zeigt, daß das simulierte grobe Zittern und besonders das Inten - 
tionszittem langsamer ist als das zarte Zittern (von 8—10 Wellen). 





















252 


Dritter Teil. 


Es gibt aber Menschen (Kollege Sv. auf Fig. 117), die auch ein schnelles, 
grobes Zittern zustande bringen (von rund 10 Wellen); doch besitzt auch bei 
diesen da« grobe Intentionszittem eine kleinere Frequenz (rund 8 Wellen). 



Fig. 117. 


Äußere Eigentümlichkeiten sind an diesem absichtlichen Zittern nicht zu 
sehen. 





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B. 44. 
N. 10. 
eet 86. 
Vollen- 
>09. 
iegelin, 


Sachregister. 


Abasie trepidante 8.">. 

Absinthtrinker 27, ISS. 
Adynamisches Zittern 11, IST. 
Äthervergiftung 27, ISS. 
Affektzittern 58. 

Affirmatives Zittern 2. 
Akkunuilatorenfabrikation 4G. 
Akonitin 52. 

Allorhythmie 2, 34, 59, 246. 
Alkoholvergiftung IG, ISS. 

Angina und Zittern 14. 
Anilinvergiftung 33. 

Arsenvergiftung 33, 190. 

Astasia-Abasia GS. 

Atropin 52, 191. 

Autointoxikation 55, 192. 

Basedowsche Krankheit 98, 197. 
Benediktsches Syndrom 144. 
Bizarrer Tremor 94. 

Blattern und Zittern 14. 
Bleivergiftung 45, 190. 

Blutung und Zittern 13. 
Bromvergiftung 32, 11K). 

Calabari Faba 52. 

Chinin 52. 

Chloralvergiftung 32, 190. 

Chocolade 51. 

Chrom Vergiftung 47. 

Cicutin 52. 

Cislers Symptom 118, 122, 123, 127. 
Coffein Vergiftung 49, 190. 

Colchicin 52. 

Curare 52, 191. 

Delirium tremens 17, 189. 

Diabetes mellitus 56. 

Disseminierte Sklerose 133, 228. 
Dynamograph G. 

Kklampsie 56. 

Emotives Zittern 11, 186. 
Eneephalopathia satumina 45. 
Epilepsie und Tremor 59, 195. 


Ergotin 52, 191. 

Erotico-tremore Ilghetti 11. 
Erschöpfungszittern 58. 

Erysipel und Zittern 14. 

Essentieller Tremor 161, 237. 

Familiäres Zittern 16, 237. 

Febriles Zittern 14, 187. 

Fibrilläres Zittern 1. 

Friedreichsche Krankheit 158, 237. 

Gelbgießer 46. 

Gelenkrheumatismus 56. 

Gicht 56. 

Glasarbeiter 46. 

Haschisch 52. 

Ilemiparalysis agitans 143. 

Herdförmige Läsionen des Gehirns 140. 
Hereditäres Zittern 161, 237. 

Heredoataxie cerebelleuse 158, 236. 
Hutmacher 42. 

Hypertrophische Polyneuritis 140. 

Hysterie GO, 195. 

Hysteriformes toxisches Zittern 25, 27, 29, 
30, 32, 35, 192. 

Idiopathisches Zittern 161, 237. 
Infektionskrankheiten und Zittern 14, 15. 
Intentionszittern, idiopathisches 170, 241. 

— nach Infektionskrankheiten 14. 

— im Alkoholismus 25. 

— nach Schwefelwasserstoff 27, 29, 30. 

— nach CO-Vergiftung 32. 
bei Hg-Vergiftung 33, 34. 

— bei Epilepsie 60. 

— bei Hysterie 84, 195. 

— bei Parkinsonscher Krankheit 107, 114, 
120, 227. 

— bei disseminierter Sklerose 133, 135, 
228. 

— bei progressiver Paralyse 157. 

— bei Friedreichscher Krankheit 158. 

— bei Heredoataxie 158. 

Jod Vergiftung 31, 190. 


Pein ä r, Zittern. 


17 



Sachregister. 


258 

Kadmiumvergiftung 47. 

Kaffeetremor 49, 190. 

Kakao 51. 

Knltetremor 15. 

Kampfer 52, 191. 

Katheterisieren und Zittern 16. 
Knotenförmige Kurven 2, 34, 59, 243. 
Kohlenoxyd Vergiftung 32, 190. 
Kombiniertes Zittern 174, 241. 
Kongenitales Zittern 161, 240. 

Kopaiva 52, 191. 

Kopfzittern 175, 243. 

— bei der Parkinsonsehen Krankheit 45, 

106. 

— Angeborenes Kopfzittern 240. 
Kupfervergiftung 47. 

Lackierer 46. 

Letulles Heilverfahren 44. 

Malaria und Zittern 14, 15. 
Manganvergiftung 47. 

Masern und Zittern 14. 

Mechanisches Zittern 178, 241. 
Messingvergiftung 47. 

Mi Ick sickness 55. 

Monoplegischer Tremor 74, 96. 

MorpliiumVergiftung 51, 188. 

Myotonische Erscheinungen bei der Parkin- 
sonschen Krankheit 110, 217. 

Nebennieren 53, 191. 

Xervosismus 57, 194. 

Neurasthenie 58, 194. 

Neuritis 159, 237. 

Nikotinvergiftung 47, 190. 

Opiumvergiftung 51. 

Paralysis agitans 105. 

— — hysterica 68. 

Paraplegischer Tremor 83. 
Parathyreoidealdrilsen 55. 

Parkinsonsche Krankheit 105, 195. 
Parkinsonsches Zittom bei Hysterie 68. 

— — bei herdförmigen Läsionen des Ge¬ 
hirns 143, 235. 

— — bei progressiver Paratyse 157, 236. 
Pellagra 52, 191. 

Pelzaufbewahrer 33. 

Photographen 43. 

Physiologisches Zittern 7, 179. 

Pilokarpin 52. 

Pilzvergiftung 53, 191. 

Pneumonie und Zittern 14, 15. 
Polyneuritis 159, 237. 

Progressive Paralyse 157, 236. 
Pseudoparalysis agitans hysterica 68. 
Pseudosklerose 139. 

Pseudospastische Parese mit Tremor 84. 


Psychasthenie 58, 194. 

Psychosen und Zittern 58, 197. 

! 

Quecksilbervergiftung 33, 11K). 

Registrierapparate 4, 5, 6. 
Registrierung des Zitterns 4. 
Rekonvaleszenz 13, 14, 87, 187. 

Sakkadierte Bewegung 158, 230. 
Saltatorische Abasie 86. 

Schmerz und Zittern 16. 

Schnupfen des Tabaks 48. 

Schokolade 51. 

Schüttelfrost 15. 

Schwämme giftige 53, 191. 
Schwefelkohlenstoffvergiftung 27, 189. 
Schwefelwasserstoff 31, 190. 

Seniler Tremor 175, 238. 

Simulation des Zitterns 196, 247. 
Sklerose der Seitenstränge 158, 237. 
Spiegelarbeiter 42, 46. 

Spindelförmige Kurven 2, 34, 59, 246. 
Stomatitis aphthosa 15. 

Strychnin 52, 191. 

I Syphilis und Zittern 56. 

I Tabes dorsalis 157. 

| Tee 51, 190. 

I Thalliumvergiftung 47. 
i Thyreoidismus 54, 103, 191. 

I Tic !• 

! Tierausstopfer 33, 43. 

! Tollwuth 56. 

Toxisches Zittern 16, 188, 192. 
i Trac de coiffeurs 58. 

Traumatischer Tremor 76, 85, 96. 
Trembles 55. 

Tremophilia 161, 237. 

Tremophobie 58. 

, Tromograph 5. 

Typhus und Zittern 13, 14, 15, 187 
! Typographen 46. 

Urämie 56. 

Veratrin 52. 

| Vergolder 42. 

I Verneinendes Zittern 2. 

1 Vibratorisches Zittern 63. 


Zerebelläres Zittern 235. 
Zerebrales Zittern 234. 

— toxisches 192. 
Zinkvergiftung 47. 
Zinnvergiftung 47. 
Zitteranfälle bei Epilepsie 60. 

-Hysterie 61, 63. 

Zitterepidemien 64. 

Zittrigkeit 162, 237.