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Aron Libre
1913
330.8 | BR
Rr62m
* Rurs Book & Specisl
Y Si Collections Librarw
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Moraliſch
Praktiſches Lehrbuch
der ſchoͤnen | |
Biffenfouften.
für Juͤnglinge.
Mit einer Vorrede
vom.
Herrn Geheimen Kirchenrath Seiler.
Herausgegeben
von
M. Johann — Martin Grnef
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here, —
In der Felßeckeriſchen Buchhandlung, 1779,
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2 St.
Heßwoßigehhtn Excellenz
Dem.
Herrn Seren
Carl Willhelm
von Hllirette
von Deblefed, Herrn zu Will⸗
| helmsdorf ıc.
Hochfuͤrſtlich Brandenburg Onolzbach
Culmbachiſchen Geheimen Rath, Rittern des
neu reſtaurirten Brandenburgiſchen rothen
Adler-Ordens Großkreuz
meinem gnaͤdigen und ewig zu
verehrenden |
Herren, Gönner und groffen
Wohlthater,
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Na: .;
E Aa eET ;
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Hochwohlgebohrner Herr,
Gunaͤdiger Herr,
&
E Hochwohlgebohrnen Excellenz
werden gnaͤdigſt verzeihen, daß ich
es wage, Zochdenenfelben dieß ges
ringe Buch im Unterthaͤnigkeit zu
weihen. Unmoͤglich kann ich Diefe
Gelegenheit vorbey laſſen, Ew. Bir
| DIeE: cellenz |
cellenz für die vielen thatigen Be—
meife Hochdero gnädigen Wohlwol-
lens vor den Augen der Welt meine
unterthanige Dankbarkeit an den
Zag zu legen. — Doc will ich der
Beſcheidenheit meines erbabenen Bön-
ners, der in der Gtille und ohne
Geraͤuſch fo vielen Menfchen wohl
thut ‚ nicht zu nahe tretten ; fo. ger:
ne ich auch bier meinen dankharen
‚Empfindungen freyen Lauf laſſen,
und, wenn ich Fähigkeit dazu hätte,
Denfelben als Chriften und thätigen
ABER ſchildern möchte.
Dod,
—
Doch, da ſelbſt einer der fuͤrtrefflichſten
Fuͤrſten Teutſchlands, Onolzbachs
Alexander, das Verdienſt der edlen
chriſtlichen Wohlthaͤtigkeit mit hoͤchſt⸗
ſchaͤtzbaren oͤffentlichen Zeichen der
Huld und Gnade an Ew. Excellenz |
großmuͤthig belohnet hat: fo wäre
es von mir eine defto größre Kuͤn⸗
heit, mit fchwachen Worten davon
zu veden. Der allgütige Gott vergel-
te die Werke der chrifklichen Mildthä—
tigkeit mit dauerhafter Gefundbeit,
mit langem Leben und mit einem
reichen Maaß unendliche Freuden
De 5
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Ew. Ereellenz und Sochderofelben
in edlen wohlthätigen Gefinnungen
gleishgroffen Frau Gemahlin. Sch
aber empfehle mich Ew. Excellenz
fernerem Schutz und hoher Gnade
unterthaͤnigſt, und verharre mit ehr⸗
furchtsvoller Hochachtung
Euer Hochwohlgebornen
Excellenz
Koburg
den 24. November
1778
unterthäniger Knecht,
Johann Heinrich) Martin
| Erneſti.
*
Vorrede.
Hier Sammlung von wohlgefchriebes.
nen und lehrreichen Muſtern faſt von
allen Arten des Stils iſt mit ſo guter
Wahl gemacht, daß fie wohl Feiner Ems
pfehlung beduͤrfte. Indeſſen habe ich
dem wiederholten Verlangen des Herrn
Verfaſſers ſowohl, als des Verlegers um
verſchiedener Urſachen willen nicht wider⸗
ſtehen, ſondern y fo viel ich etwa durch
mein geringes Anfehen vermag, etwas dazu
| 5. bey
——— —⸗
beytragen wollen, daß es unter der groß
fen Menge von Schriften für die ur
gend defto weniger unbemerft bleibe. Ich
glaubte dieß der guten Sache eines im⸗
mer weiter auszubreifenden vernünftigen
Unterrichts’ in Gymnaſien und in der
Privaterziehung ſchuldig zu ſeyn. Auch
war ich einigermaſſen dazu verbun⸗
den; weil dieß Buch nach dem von mir
zum Theil angegebenen, zum Theil ges
billigten Plane vom Herrn Verfaſſer aus»
gearbeitet worden iſt; mit welcher Klug
heit, mit wie viel Geſchmack und Fleiß,
davon ift diefe Sammlung felbft der befte
Zeuge. Es ift in derfelben faft für alle
Gattungen des profaifchen und poetifchen
Stils geforgt. Mur eigentlihe Komoͤ⸗
dien und Tragsdien blieben , wie bilig,
| | weg.
4
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weg. Doch erſetzt dieß einigermaſſen das
fuͤrtrefliche lyriſche Drama vom Herrn
Wieland: Die Wahl des Herkules.
In ieder Klaſſe wurden immer die beſten
und fuͤr das Juͤnglingsalter ſchicklichſten
Stuͤcke aus unfern guten Original⸗Schrift⸗
ftellern gewählt, 3. E. in der Ode aus
Ramler, Klopftof, U, Maftalier ꝛc.
Doch wurde bey der Wahl mit darauf |
gefehen A daß die allzubefannten weggelaſ⸗
ſen, die unbekannteren aber ausgehoben
wurden; ſo ſind z. E. bey den Briefen
die Gellertiſchen Briefe, welche er bey
ſeinen Lebzeiten herausgab uͤbergangen
worden, weil fie faſt in aller Haͤnden find.
Aus denen aber, die nach feinem Tode
erſchienen, wurden einige ausgewählt,
und mit denfelben drey andre ſehr ſchoͤne
noch
noch ungedruckte Briefe verbunden. Da
die Römer und Griechen doch immer die
vorzüglichften Lehrer einer guten Schreib:
art bleiben, und ihre unvergleichlichen
Meifterftücke von den Juͤnglingen nicht oft
genug gelefen werden Fönnen: fo find meh⸗
rere Stuͤcke davon in einer getreuen Webers
ſetzung in die Semmlung aufgenommen.
Und da iene unſterblichen Maͤnner die
Vorgaͤnger der Teutſchen und anderer
Voͤlker find: fo wurden auch ihre Arbeis
ten faft immer voran gefegt. Horazens
Dichtkunſt von Ramlern uͤberſetzt ift zwar
an gewiſſen Orten Teutſchlands der ſtu—⸗
dierenden Jugend ſehr bekannt; aber man
irre fich, wenn man glaubt, daß es uͤber⸗
all ſo ſey, und es ſchien dahero ſo noͤthig,
als nuͤtzlich, dieß vortreffliche Muſter bei⸗
| des
— — — — — —
des einer meiſterhaften Ueberſetzung und
eines guten Lehrgedichts einzuruͤcken; die
proſaiſchen und poetiſchen Stuͤcke einerley
Innhalts wurden aus gutem Bedacht ne⸗
ben einander geſtellt. So wird der Uns
terfcheid der profaifchen und poctifchen
Schreibart recht deutlich erkannt und.
fuͤhlbar gemacht werden. So viel es
ſeyn konnte, wurde auch darauf geſehen,
daß der Innhalt zur Bildung des Herzens
und guter Sitten dienen moͤchte. Kluge
Lehrer werden wenigſtens die meiſten
Stuͤcke zu dieſer, bey dem Unterricht ſo
hoͤchſtwichtigen, Abſicht gebrauchen Eöns
nen. Eben dahin zielen die Anekdoten
| und die Benfpiele im profaifchen Abſchnitt.
Wenn hier und da ſolche Aufſaͤtze vor
fommen, an denen dag Fritifche Auge des
Ken:
Re
—r — — —
Kenners noch Flecken ſieht: ſo kann er
ſie zur Warnung fuͤr aͤhnlichen Fehlern
der Jugend anzeigen. Die meiſten aber
werden als Muſter richtig zu denken, und
ſchoͤn zu ſchreiben vorgelegt werden koͤnnen.
Dieß aber bleibt denn der erſte Ends
zweck des gegenwärtigen Buchs. Auf
ferdem dient es denn gewiß auch dazu,
daß Juͤnglinge von 14. bis 17. Sahren
ſich felbft daraus unterrichten, und ihre
- Mebenftunden mit $efung eines nüglichen
Duches ausfüllen fönnen. Wenn, wie
ich in der DVorrede zur erfin Samm⸗
fung, *) davon dieß gleichfam der ander
re Theil ift, gezeigt habe, diefe Mufter
der Schreibart von einem geſchickten Leh⸗ |
re
*) Praktiſche Untermeifung in den ſchoͤnen
Wiſſenſchaften für die Eleine Jugend.
—— — — — —
rer zuweilen genauer betrachtet, zerglie—
dert und was gut und nachahmungs⸗
wuͤrdig iſt, der Jugend vor Augen ge⸗
ſtellt, dabey zugleich die Regeln ieder Art
des Stils aus dieſen Beyſpielen gleichſam
abſtrahirt, den Schuͤlern gelegenheitlich
beygebracht werden: ſo bin ich verſichert,
daß ſie ohne groſſe Muͤhe und mit Luſt
ähnliche Arbeiten zu verfertigen, ges |
fhieft werden. Beyſpiele find mehr als
Megeln. Eben dadurdy wird aber eine
der erfien Abfihten y welche nach meiner
Meynung, dur diefe Sammlung er
reicht werden follte, Fünftige Prediger
ſchon in der Jugend zu natürlichen,
von allem Chrienmäffigen Zwange und
affektirten Schmuf und Schwulſt
entfernten guten Nednern zu bilden, mit
Got⸗
EEE —
Gottes Hulfe deſto eher erreicht werden.
Dazu vornehmlich wie zur weitern Bih
dung aller iungen Seelen, die dieß Buch)
leſen werden, wolle Gott es ſeegnen
Geſchrieben auf der Friedrich Alexanders
Univerſitaͤt. Erlang den 24 Novemb.
1778: |
D. Georg Friedrich
Seiler.
Sn DT rn
Der:
Verzeichniß
der zu dieſem Werke —
Schriften.
>, DO Fabeln.
Beytraͤge zur Ehre und zu den Epheme—
riden der Menſchheit.
Blums Gedichte.
| Reden ‚ oder Reden von dem Ver;
faſſer der Spaziergänge
Caͤſar.
Cicero.
Cramers poetiſche Ueberſehung der Pſal⸗
men.
SCH IR | Cronegks,
er
—
Cronegks, von, Schriften.
Chreſtomathie fuͤr Juͤnglinge.
— Münfterifche,
Denis Gedichte. |
Ewalds Sinngedichte.
re Benfpiele der Weisheit und
Tugend aus der Geſchichte.
Freund der Jugend.
Gellerts Briefe nach ſeinem Tode.
—— Fabeln und Erzählungen,
u geiftliche Oden.
Gerftenbergs, von, Taͤndeleyen.
Gegners Idyllen.
Gellius (A) Attiſche Nichte
Gieſeke poetifche Werke,
Hagedorns Werke |
Hallers, von, Gedichte,
Horaj. | | |
Jacobi
Jatobi ſämtliche Were,
Jugendgeſchichte beruͤhmter Maͤnner.
Karſchin neue Gedichte. |
Käftners vermifchte Schriften,
Kleifts fämtliche Werke,
Klopſiocks Oden.
Meſſias.
Krauſenecks Gedichte.
La⸗Fontaine Aeſopiſche Fabeln.
Leſſings Fabeln.
vermiſchte Schriften.
Leſebuch fuͤrs Frauenzimmer von Fr.
Schmit.
Lichtwehrs Aeſopiſche Fabeln.
Logau Sinngedichte von Leſſing und Ram⸗
ler mit Anmerkungen uͤber m:
Sprache.
)CI 2 Maſta⸗
RR
Maftaliee Gedichte nebft Oden aus dem
Horaz. |
Miller über Höltys Charakter, ein Bey:
trag zur Schubarts Chronick,
Michälis Wat,
Müller Verſuch in Gedichten,
Moore Fabeln, überfezt von Weifle
Muſenalmanach Voſſiſcher.
— Bouͤrgeriſcher.
— Schmidiſcher.
Neue Fabeln.
Neuer Sammler.
Nuͤrnberger Handbuch. |
Perceval Unterricht für feine Kinder, in
Betrachtungen, ———— und
Fabeln. |
Phaͤdrus Fabel.
Plins ‘Briefe, |
Plutarch, von Erziehung der Kinder.
Rabeners Leben und Briefe nach ſeinem
ar von Weiſſe.
Rabe⸗
Rabeners Satyren.
Ramlers Lieder der Teutſchen.
— Lyriſche Blumenleſe.
— Oden aus dem Horaz.
ten nach dem Horaz
— Cinleitung in die fehöne Wiſſen⸗
fchaften nach dem Batteux mit
| Zufäßen vermehrt.
Sulzers Voruͤbungen zue Erweckung der
Aufmerkſamkeit und des Nach⸗
denkens.
Schmids Anthologie der Teutſchen.
—— Aaſchenbuch für Dichter und
Dichterfreunde,
Schulzens zo uͤberſetzte Pſalmen.
Theophraſts Charaktere.
Uzens poetiſche Werke.
Weiſſe lyriſche Gedichte,
Welt, die, Wieneriſche Wochenfchrift,
Wernike Sinngedichte,
Ka Mi
Wielands Mufarion,
— moraliſche Briefe,
— Agathon.
teutſcher Merkur.
Zachariaͤ poetiſche Werke.
Proſai⸗
—R
Anthologie.
Erfter Abſchnitt.
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Aral
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Er zaͤ biungen
und
| Beſchreibungen.
A2
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- Der: Knabe und die Mutter,
in Knabe hatte einft in der Schule feis
(Aefop Sab. 48.)
E nem Mitſchuͤler ein Buch entwendet
und ſeiner Mutter gebracht. Sie ſtrafte ihn
nicht, ſondern war vielmehr wohl damit zus
frieven. Und fo nahm er denn mit dem Alter
auch im Stehlen zu. Kinft wurde er aber
eben über der That ergriffen, und darauf zum
Tode hingefuͤhrt. Da nun feine Mutter bins
ter ihm ber folgte, und dabey iämmerlid) that;
‚fo bat er den Scharfrichter, daß er ihr nod)
ein paar Worte in Geheim fagen dürfte. Sie
biele ihm fogleihb ihr Dhr an den Mund;
aber er biß es ihr ab. Seine Mutter und
die übrigen Zuſchauer klagten ihn an, daß er
bey feinem Diebftahl noch ein ſolches Verbrechen
gegen feine Mutter begehen Fünnte. Allein er erz
wiederte: Sie ift die Urſache meines Unglücks,
Denn bätte fie mid) dazumal geftraft, als ich ein
3 Bud
6 ERICH
Buch enfwendete, fo würde 28 nicht fo weit
mit mir-gefommen ſeyn: ic) würde nicht zur
Richterſtaͤtte geführet werden.
- Erziehung
(Plutarch von der Erzieh. d. Rinder. Rap.4.)
Kokure ‚ der Lacedämonifche Gefehgeber ,
nahm zween iunge Hunde von einerlen Aeltern
zu ſich, und zog fie ganz verfhieden auf. Den
einen gewöhnte er genaͤſchig und lüftern; den
andern aber richtete er zum Spuͤren und Tas
gen ab. Nun waren einmal die Lacedämonier
verſammelt. Da ſprach Enfurg : feht doch,
ihr Lacedämonier, wie wichtig Gewohnheit,
Erziehung , Unterricht und Lebensart find, um
das Herz für Die Tugend empfänglih zu mas
chen. Hier babt ihr offenbare Beweiſe. Er
brachte feine zween iunge Hunde hervor : In
Die Mitte ſetzte er eine Schuͤſſel, und einen
Haaſen den Hunden gegen über; nun ließ er
fie von einander. Da rennte der eine auf den
Haafen zu, der andere mit gewaltiger Begier⸗
de auf die Schuͤſſel. Noch konnten die Las
cedämonier nicht eigentlich errathen, mag die
bedeute , und in melcher Abficht er die iungen
Hunde gefeigt babe. Da ſprach er denn: Dies
fe beiden Hunde haben zwar einerley nn:
aber
aber ihre Auferziehung war verſchieden. Das
ber ward iener ein Lerfermaul; diefer ein Wild⸗
fänger.
Der verfchwiegene Papyrius.
(U. Gellius J. B. Kap. 23. )
Die Senatoren hatten ſonſt zu Rom die
Gewohnheit, ihre Söhne, wenn fie die Präs
texte befommen hatten, mit auf die Kurie zu
nehmen. Nun wurde im Senat über eine wids
tige Sache berathichlagt, die deßwegen auf
den folgenden Tag noch verſchoben merden
mußte. Man befand auch für gut , das, wor⸗
über fie fich beredeten, fo lange geheim zu hals
ten, bis der Schluß im Senat“ gemacht waͤre.
Die Mutter des iungen Papyrius aber, der
mit feinem Vater der Senats: Berfammlung
beygemohnt hatte, fragte ihren Sohn: was die
Näter im Senat befchloffen hätten? Ich muß
es bey mir behalten, antwortete er, und darf
es nicht offenbaren. Um fo neunieriger ward
Die Mutter: fie fieß ihm Feine Ruhe, das Ge
heimniß, welches der Rabe verfehwieg , aus
ihm beranszabringen. Sie fragte ihn daher
nacddrücklicher , und mit mehrerem Ungeſtuͤm.
Da feine Mutter fo fehr in ihn-drang ; fo Fam
er endlich auf den Einfall, ihr auf eine feine
| 44 and
® Im
und aefällige Art die Wahrheit vorenthalten.
Er fagte ihr im Vertrauen: man hätte ſich dar—
über berathſchlagt, welches wol beffer und für
ben Staat vortheilhafter wäre, daß ein Mann
zwo Frauen, oder eine Fran zween Männer
* babe? Kaum batte fie dieß gehört; fo überfiel
fie Furcht und Schrecken. Zagend geht fie vom
Haufe weg und läuft zu den übrigen Matros
nen. Des folgenden Tags verfammelten fi)
die Srauen Schaarenweiſe, liefen zum Senat,
und baten mit Thraͤnen, man möchte, doch lies
ber einer Frau zween Männer , als einem Mans
ne zoo. Srauen zugeftehen. Die Senatoren gienz
gen auf die Kurie, und finunten über das unges
fine Wefen diefer Frauen, und Fonnten ſich
nicht in ihre Forderung finden. Da trat der
iunge Papyrius mitten unter fie auf, und erz
zählte ausführlid) den Verlauf der Sache: was
nämlich feine Mutter mit Gewalt von ihm hätte
wiffen wollen, und er ihr dann gefagt hätte.
Dem Senat gefiel diefe Werfchwiegenheit und
der finnreiche Einfall des inngen Papyrius übers
aus wohl; doc) befchloß er, daß Fünftighin nicht
mehr die Knaben mit ihren Vätern auf die Kus
rie gehen follten , auffer Papyrius, und fie 94
ben ihm noch zu Ehren den Zunamen Präters
tat, weil er als Knabe fo Elug im reden und
ſchweigen gewefen war.
J
— — — — — — —
Der
— — 9
Der dankbare Loͤwe.
B. V. Rap. 14.
E⸗ wurde einſt in Rom ein groſſes Thiers
gefechte gegeben. Unter den vielen wilden Thies
ren befand ſich vorzüglich ein Löwe, der wegen.
feiner ungeheuren Gröffe und Schönheit. aller
Zuſchauer Bewunderung auf fi zog. Unter
denen , die mit diefem Thiere Fämpfen follten ,
wurde aud) ein armer Sflav, mit Namen Ans
drofles, aufgeführet: Als diefen der Löwe von
fern zu Gefichte befam, fund er gleichfam vor
Verwunderung flile, und gieng endlic) ganz
fanft und liebreich, gleich als ob er ihn kenn⸗
te, auf ihn zu: fieng an, wie ein fchmeichelnder
Hund, mit dem Schwanze zu wedeln, und dem
ungläcflihen Menſchen, der vor Schreifen ſchon
halb todt war, Hände und Fuͤſſe zu lecken.
Diefe ungewöhnliche Schmeichelen eines fo wilz
den Thieres flößte dem Androkles wieder fo viel
Muth ein, daß er es wagte, den Löwen anzus
fehen. Hier fbienen beide einander zu erfennen, _
und ſich der mnvermutheten Begegnung zu ers
freuen. Das Volk erhub fo gleich vor Verwuns
derung ein erftaunendes Geſchrey! der Kaifer
ließ den Androfles holen und fragte ihn, ob er
die Urſache wüßte, warum er der einzige wäre,
den diefer ſchreckliche Löwe verfchont habe? Ans
| A 5 drokles
\
10
drokles erzaͤhlte alſo ſolgende wunderbare Bege⸗
benheit:
Als ich mich, ſagte er, bey meinem Herrn,
der als Prokonſul nach Afrika geſchickt wurde,
durch die taͤgliche, grauſame Begegnung zur
Flucht verleiten ließ, ſuchte ich mich in den
einſamſten Wuͤſteneyen zu verbergen, mit dem
ſeſten Entſchluſſe, wenn es mir an Speiſe ge—
braͤch, den Tod irgend auf eine Art aufzufus
chen. Einſt ſand ich bey einer brennenden Son⸗
nenhitze eine abgelegene verborgene Hoͤhle, in
die ich mich rettete. Bald darauf Fam dieſer
Loͤwe, mit einem lahmen und blutigen Fuß,
und gab feinen peinlichen Schmer; durch ein
Flägliches Aechzen und Gemurmel zu erfennen.
Ich war vor Schrecken auffer mir; doch, fo
bald er mich erblickte, gieng er ganz fanft auf
mid) zu, bob feinen Fuß nad) mir auf, gleich—
ſam als ob er bät, daß ich ihm helfen ſollte.
Hier ward ih einen groffen Splitter gewahr,
den er ſich eingefloden, und wovon der Fuß
äufferft geſchwollen war, Ich zog ihn heraus,
drückte die Materie aid der Wunde , und reis
nigte fie. Da er feine Schmerzen durd) meine
Huͤlfe gelindert fühlte, legte er mir den Zuß
in die Hand, und fchliei ein: und von der Zeit
an lebte ic) mit ihm drey Jahre lang in derfels
ben Höhle, und von einerley Koſt. Denn, von
Be n . dem
— — 11
dem Wildpret, das er iagte, brachte er mir
die beſten Stuͤckchen, die ich an der Mittags—
ſonne briet, oder vielmehr dörrte, meil ich Fein
Teuer hatte Da ic des thierifchen Lebens
endlich) überdrüfig ward, verließ ich den Loͤwen
in feiner Abwefenheit, lief drey ganzer Tage
fort, und wurde zum Ungluͤck von den Roͤmi—
ſchen Soldaten gefangen genommen und wieder
zu meinem Herrn gebracht, der mid) fogleic)
zum: Zode verdammen ließ, und zwar, daß ic
den wilden Thieren moͤchte vorgeworfen werden.
Vermuthlich ift diefer Löwe, der fid) meiner
‚Heinen Wohlthat fo danfbar erinnert, binnen
der Zeit, feit ich mich von ihm getrennt habe,
ebenfalls gefangen genoinmen worden. Dieß alles
wurde fogleich auf ein Täfelchen aufgezeichnet, und
dem Volke befannt gemacht. “jedermann bat,
daß dem Androkles die Strafe erlaffen, er in
Freyheit gefeßt, und ihm der Löwe zum Ge:
ſchenke möchte gegeben werden. Er gieng hier;
auf in der Stadt umher, und führte denfelben
an einem Stricken. Die Leute gaben ihm Geld,
befireuten den Löwen mit Blumen , und riefen
ibm zu: Dieß ift der Löwe, der Gaftfreund des
Menſchen, dieß ift der Menſch, der Arzt des \
Löwen.
er mn
Aus
12 ne EEE N
Aus dem Schufter ein Arzt.
(Phaͤdr. 3——
Ein ungeſchickter Schuſter, der gaͤnzlich
verarmt war, gab ſich an einem Ort, wo man
ihn nicht kannte, fuͤr einen Arzt aus, verkaufte
haͤufig falſche Arzeney für Gegengift, und
machte ſich durch feine betruͤgliche Auffchneides
reyen berühmt. Einſt lag der König in der
Stadt fehr gefährlich darnieder, und Er forder;
te einen Becher, um diefen auf die Probe zu
ftellen : Er goß dann Waller hinein, und fellte
fid) , als ob Er Gift unter fein Gegengift mis
fhe. Darauf befahl Er ihm foldyes zu trin⸗
fen, und verſprach ihm dafür eine Belohnung.
Nun ward ihm um fein Leben bange, und er
bekannte , daß er nicht dur Erfahrenheit in
der Arzeneyfunde, fondern Durch die dumme
Bewunderung des Poͤbels berühmt worden fey.
Der König ließ darauf das Volk zuſammen⸗
rufen, und fagte: Wie albern ſeyd ihre
nicht, überlegts nur felbft, daß ihr ohne Be;
denfen euer Leben demienigen anvertrauet, dem
— ſeine Fuͤſſe zu beſchuhen anvertrauet
hat?
Der
Der Bruder und die Schweſter.
(B. UI. 8.)
Ein Vater hatte eine ſehr haͤßliche Toch—
ter, und einen uͤberaus ſchoͤnen Sohn: Dieſe
ſpielten mit einander, fo wie es Kinder mas
chen, und ſahen von ohngefaͤhr in einen Spie⸗
gel, welcher ſich auf dem Nachttiſch der Mut—⸗
ter befand. Der Knabe that groß auf feine
Schönheit; die Schwefler aber ward böfe dars
über, und Eonnte die Neckereyen ihres prabs
lenden Bruders nicht vertragen: Sie nahm
alles, und wie konnt' es anders fen? als Ber
leidigung auf, Sie lief deßwegen zum Water,
und verflagte den Sohn, um ihm nieder eis
nen Tort anzuthun, mit bitterem Haß, daß
er als Mannsperfon fi mit folchen Dingen
abgegeben habe , welche nur die Srauenzimmer
angiengen. Er umarmte beide, Füßte fie mit
gleicher Zärtlichkeit, und fagte: Ihr follt euch)
täglich im Spiegel befehen, du, mein Sohn,
daß du deine ſchoͤne Geftalt durd) böfe Auffübs
rung nicht verunzierefi, und du, meine Toch—
‚ter, daß du durch einen auten Wandel erſetzen
mögefi, mas dir an Schönheit fehler.
16 NENNT
Der Schiffbruch des Simonides.
2. IVi a2) |
Gimntvie) der vortrefflibe Dichter, durchs
zog, um ſich feine Armuth zu erleichtern, die _
berühmten Städte Afiens, und fang fürs Geld
das Lob der Sieger. Durch diefe Art des
Gewinnſtes wurde er rei, und beſchloß dars
auf zur See in feine Heimath zu reifen; und
diefe war, wie man faat, die Sinfel Sea. Er
flieg ing Schiff: aber mitten im Meer erhob
fi ein erſchrecklicher Sturm; das Schiff mar
baufälig, und zerfheiterte. Da griffen einige
nad) ihren Geldbörfen, andere nach ihren Kleis
nodien, wovon fie fid) nährten. Ein gewiſſer
aber, der ziemlich vorwigig war, ſprach zum
Simonides: und du nimmft nichts von deinem
Vermögen mit? Ich trage, fagt er, all das
Meinige bep mir. Wenige erretteten ſich durch
Schwimmen; denn viele zog ihre ſchwere Laft
tu Boden. Sogleid kommen Straffenräuber
dazu, rauben, mas ein ieder davon gebrad)e
Hat, und laſſen fie entblößt zuruͤcke. Zum gus
ten Glück war noch in der Nähe Klazomene,
eine alte Stadt, wohin ſich die unglüclicden
Schiffleute begaben. Hier befand fih ein
Freund der Wiflenfchaften „ der bie Verſe des
Simonides oft geleſen hatte, und fein groſſer
Merehrer war, ohne ihn ie gefehen zu haben,
ne Dieſer
EEE 15
Dieſer lernte ihn aus dem Geſpraͤche naͤher
kennen, und nahm ihn mit vieler Begierde
zu ſich in ſein Haus, und verſah ihn mit Klei—
dern, Geld und Bedienten. Die übrigen tru⸗
gen ihr Schiffbruhs » Gemälde umher, und
fammelten Almofen ein. GSimonides begegnete
ihnen von ohngefähr; und da er fie ſahe, ſprach
er: Hab ichs euch nicht zuvor gefagt, ich hätte
ales das Meinige bey mir ? mas ihr in der
Eile zuſammen gerafft habt, ift nun dahin.
Wahre Vorzuͤge.
As Kaifer Theodoſius ungefähre ein und
zwanzig Jahr alt war, und fich vermählen
‚wollte, bat er feine Schweſter Pulcheria und
feinen Sreund Paulin, in feinem ganzen Reich
ein Srauenzimmer von der auserlefenften Schoͤn⸗
beit und den erhabenften Eigenfhhaften für ihn.
auszuſuchen. Mitten in ihren Unterfuchungen
Fam Athenaiß , eine griechiſche Jungfrau dazu;
und das zufälliger Weife. Ihr Vater, der ein
berühmter Pbilofoph von Athen war, und fie
in der Gelehrfamfeit diefes Orts erzogen hatte,
hinterließ ihr bey feinem Tode nur ein fehr ges
ringes Vermögen , über welches fie noch dazu
fehr vielen Verdruß von der Ungerechtigfeit ih⸗
rer zween Bruͤder auszuſtehen hatte. Dieß noͤ⸗
thigte
32
16 ee 2 og re
\
thigfe fie eine Reife nach Konſtantinopel zu ma;
chen, wo fie einen Anverwandten hatte, der ihre
Sache der Pulcheria vorftellte, um ihr einige
Hilfe von dem Kaifer zu verfchaffen. Hie—
durch ward dieſe tugendhafte Prinzeſſinn mit der
Athenais befannt, die fie als das ſchoͤnſte
Frauenzimmer ihrer Zeit, und durd eine lans
ge Uebung in der Philoſophie zur ſtrengſten Tus
gend und der reinften Unſchuld erzogen fand.
Pulcheria ward durch diefe Unterhaltung mit -
ihr entzäckt, und gab fogleich dem Kaifer, ihs
rem Druder, davon Nadridt. Der Charaks
ter, den fie von ihr gab, machte einen ſolchen
Eindruck auf ihn, daß er feine Schweſter bat,
fie fogleihh in die Wohnung feines Freundes
Paulin zu bringen, wo er fand, Daß ibre
Schoͤnheit und ihr Umgang die erhabenften Bes
griffe überflieg , die er fih davon gemacht hatte.
Sein Freund Paulin befehrte fie zum Chriftens
thum , und gab ihr den Namen Eudoria, wor⸗
auf der Kaifer ſich öffentlich mit ihr vermäblte,
und alle die Glückfeeligfeit mit ihr in der Ehe
genoß, die er ſich von einer fo tugendhaften und
gelehrten Braut verfproden hatte. Sie vers
gab nicht nur ihren Brüdern ihre Peleidigung
gen, fondern erhub fie auch zu den arößten Eh⸗
tenftellen, und, machte: fich fomol durch verſchie⸗
dene Werke der Gelehrfamkeit ; als durch ihr
paeblariäbrted Leben bey dem ganzen Reiche fo
—
—
}
/
—— 17
deliebt, daß ihrem Angedenken viele Statuen
errichtet wurden , und die Kirchenväter fie als
die Zierde ihres Geſchlechts rühmen.
Moathildis.
Marsite ı murde ſehr iung mit — neapo⸗
litaniſchen Edelmann vom erſten Range vers
maͤhlt, und in ihrem funfzehnten Jahr war fie
ſchon eine Wittwe und eine Mufter. Als fie
eines Tages an einem offenen Fenfter eines
Zimmers über den Fluß Volturna fand, und
mit ihrem Kinde fpielte, feblüpfte daſſelbe mit
einem plöslidhen Sprunge aus ihren Armen,
und fiel in den Fluß hinab. Vor Screen
auffer ſich fürzte fi die Mutter ihrem Kinde
fogleih nad) , und bemühte ſich, daſſelbe zu
retten. Aber ihre Bemuͤhung mar vergebens,
und fie felbft Fonnte nur mit vieler Schwierigs
keit. Faum an das gegenfeitige Ufer entrinnen.
Yuf diefer Seite plünderten eben einige franz
zoͤſiſche Soldaten das Sand, die fie, fobald fie
diefe erblickten, zur Gefangenen machten.
Schon waren fie im Begriff alles, was Mols
Juſt und Graufamfeit ihnen eingaben, an der
ungluͤcklichen Gefangenen aussnüben. "Ein iuns
ger Dfficier widerfeßte ſich noch diefem ihrem
niedrigen Entſchluß „ließ die Gefangene, obs
ER
ſchon
18 bremsen. non >
ſchon fein Rückzug die größte Eile erforderte;
inter ſich auffigen, und brachte fie nach feiner
Geburtsftadt in Sicherheit. Ihre Schönheit
nahm zuerfi feine Augen, und ihr Verdienft
bald darauf fein Herz ein. Sie verheiratheten
fi) miteinander ; er erflieg die hoͤchſten Eh⸗
renftufen, fie lebten lange zufammen, und
waren gluͤcklich. Aber nach einem Zwifchens
raum von etliden Sjahren, wurden die Trups
pen, die er anführte, surücgefchlagen, und er
fah ſich genoͤthigt, in die Stadt, no er mit
feiner Gemahlinn gelebt hatte, feine Zuflucht
zu nehmen. Gie ftanden bier eine Belagerung
aus, und die Stadt murde eingenommen,
Wenige Gefhichten koͤnnen mehrere mannich⸗
foltigere Benfpiele der Graufamkeit aufweifen,
als die waren, die damals die Franzofen und
Sstaliäner gegen einander ausübten. Es wurde
bey diefer Gelegenheit von den Siegern bes
ſchloſſen, alle franzöfi ſche Geſangene niederzu⸗
machen: beſonders aber den Gemahl der un⸗
gluͤcklichen Mathildis, weil er die Haupturſa⸗
che von der Verzoͤgerung der Belagerung war.
Ihre Entſchluͤſſe wurden gewoͤhnlicher Weiſe
eben ſobald ausgefuͤhrt, als fie beſchloſſen was
ven. Der Gefangene wurde hervorgeführk,
Schon fand, der Scharfrichter mit feinem
Schwerdte bereit, und die Zuſchauer erwars
teten mit finfierem Stillſchweigen den toͤdtli⸗
4 chen
*
——— 19
chen Streich, der nur noch zuruͤckgehalten wur⸗
de, bis der General, der bey dieſem Gerichte
den Vorſi it hatte, das Zeichen wuͤrde gegeben
haben. In dieſem Zwiſchenraum von Angſt
und Erwartung kam Mathildis, Abſchied von
ihrem Gemahl und Erretter zu nehmen, und
weinte uͤber ihre traurige Lage, und uͤber die
Grauſamkeit des Schickſals, das ſie von ei⸗
nem frühzeitigen Tode in dem Fluſſe Volturna
errettet habe, um die Zuſchauerinn eines ſo
viel groͤſern Elendes zu ſeyn. Der General,
der ein iunger Mann war, erſtaunte uͤber ihre
Schoͤnheit, und wurde von ihrem Schmerze
gerührt; noch ſtaͤrker wurde feine Ruͤhrung,
als er ſie ihrer vormaligen Geſahren erwaͤhnen
hoͤrte. Er war ihr Sohn, das naͤmliche Kind,
für welches fie fo viele Gefahren ausgeſtanden—
Er erfannte fie auf einmal für feine Mutter,
und warf fid) zu ihren Fuͤſſen. Der Gelans
gene wurde ſogleich befreyet, und alle die
Glückfeeligfeit, melde Liebe, Freundſchaft
und Eindlihe Treue iedem — konnten,
e fie vereint.
Der Wilde,
U eherall giebt es gute Menſchen — fagte
einft ein Geiſllicher, der in Oſtindien Miſſio—
B naͤr
090 Bo meer
naͤr getvefen war, zu einer Dame tinfer ans
dern Gefprächen — Das habe ich unter meis
nen Wilden gelernt. Einft genen Abend —
fuhr er zu erzählen fort — gieng ich mit meis
nen Hausgenoſſ en von einem Spaziergange zus
rüde Da hörten wir, an der Deffnung eines
Waldes, einen Fläglihen Tun; wir giengen
ihm nad), und fanden unter einem Banme eis
nen Wilden, der alt und entfräffet auf fein
Ende zu warten fihien. Anfangs wollt?’ er
nicht mit uns reden, „Ach! fagt’ er endlich,
heute Morgen , als der Himmel voth murde,
made” ih. mid) auf; und hoffte nach meiner
Heimath zu Fommen. Yun hab’ ih mid ver
irrt, es wird dunfel, ic) bin müde; nun muß
ich bier liegen bleiben. Hier werden Schlan⸗
gen , oder wilde Thiere, oder meine Feinde
mich umbringen. Mein armed Weib! und
meine Rinder! ?” Uns iammerte feiner; ich
bat ihn, mitzugeben. „Uber du kennſt mid)
nicht!” Ich brauche dich nicht zu Feunen,
fagt’ ih , komm! und wir führfen ihn in meis
ne Hütte. Nachdem er die nöthige Stärfung
zu fi) genommen hatte, bereitete ich ihm ein
Lager dicht an meinem Bette, fo daß wir. nur
eine dünne leinene Wand zwifchen uns haften.
Er legte fib bin. Mitten in der Nacht weckz
te mich ein Geraͤuſch, als ob der Wilde: von |
feinem Lager aufkünde Ich erſchrack und
Ba horchte.
mn —ñ— — —
horchte. Wie ſehr aber that mein Schrecken
ihm Unrecht: Sch werd' es nie vergeſſen.
Er war niedergekniet, und betete ohngefaͤhr
mit folgenden Worten: „O Gott! id) danke
"dir, daß auf meinem’ Wege die Sonne ge
Iſchienen bat; ich danfe dir, daß mich Feine
„Schlange geftochen , daß mid) Fein wildes
Chier angefallen bat, daß meine Feinde
"mir nicht begegnet find. Ich danfe Dir,
„daß diefer gute Fremde gefommen if,
„und mich in feine Hütte geführte bat. O
„Gott! wenn. diefer Fremde, oder wenn
„ſeine Freunde, oder feine Nachkommen reis
„ſen; ſo gieb ihnen auch die Sonne; ſo
bewahre fie vor Schlangen und wilden Thies
„ten z: und vor ihren Feinden. » Und, wenn
ſich einer verirrt, und am Wege liegt,
„ſo Laß einen guten Mann Fommen, der
| „ibn mit in feine Hätte nimmt.
ESo war ſein Gebet, und das meinige
war: Gieb mir, o Gott, neben dieſem
Wilden ein Plaͤtchen in deinem. ———
B3 Noth
‚22
Noth Wint zuweilen zu einem
WVerbrechen.
€, innger Menfch wurde in einer Eleinen
Straffe angehalten. Man: forderte von ihm
feine Börfe, oder fein Leben. Diefer empfand,
daß er einen Ungluͤcklichen zu retten babe.
Was verlangit du, Klender ! was willſt du
‚von mir? fante er mit einem gebieterifchen Tos
ne zu feinem Angreifer. — Nichts, mein
‚Herr , antwortete ihm eine ſchluchzende Stims
me; ich verlange nichts von ihnen. — Wer
bift du? Was mahft du? — „Ich bin ein
armer Schufter, und nicht im Stande, mein
Weib und vier Kinder zu ernähren, id) Fann
nicht ” — Aber redet du die Wahrbeit?
(Er wußte wohl, daß fie der Unglücfliche fags
te) Wo mohneft du? „In der und der
Strafe bey einem Berker.” — Laß fehen,
wir wollen dahin gehen. Gie gehen. Der
durch Diefe gebieterifche Gewalt niedergefchlas
gene Schuſter führte den iungen Menfchen nad)
feiner Wohnung. Man koͤmmt bey dem Bas
der an... Es war nur ein Frauenzimmer in
der Bude. — Madam, Fennt Gie dieſen
Menichen? „Sa, mein Herr, es ift ein Schus
fier, welcher hier im fünften Stockwerke woh⸗
net, und dem es ſeht Janet wird, feine zahl⸗
reiche
—— 23
reihe Familie zu ernähren.” — Warum laͤßt
Sie e8 ihm aber an Brod fehlen? „ Mein
Herr, wir find iunge Leute, und haben vor
kurzem angefangen: wir Fünnen nicht viel vors
fehieffen, und mein Mann bat mir verboten,
dieſem Menſchen mehr, als vier und zwanzig
Sous Kredit zu geben.” — Gieb Sie ihm
zwey Brode. — Nimm diefe Brode, wir wols
len hinauf gehen. — Der Schufter gehordht
in folder Bewegung, als wenn er ein Ver⸗
brechen begehen wollte. Sie geben hinein.
- Frau und Kinder ergreifen begierig das ihnen
gebrachte Brod. Der iunge Menſch hat nun
ſchon zu viel gefehen. Er geht weg, und läßt
der Berkersfrau men Louis d'or, diefe Fami⸗
lie mit Brod ju verforgen. Einige Tage nadhs
ber koͤmmt er wieder, die Rinder zu befuchen,
denen. er von neuem das Leben gegeben hat‘,
und fagt ihrem Vater, ihm zu folgen. Er
führet feinen armen Klienten nach einer Bude,
die mit allem Hausgeräthe und Handwerfszeus
ge zu feiner Profeſſion aufs beſte verfehen
war. — Woͤrdeſt du zufrieden, und ein ehrz
licher Mann feyn , wenn dir diefe Bude zus
" gebörte? „Ah, mein Herr! aber — was?
— 34 bin noch nicht Meifter, und das ko⸗
ſtet Geb,” Fuͤhret mich zu eurem Altmei⸗
Em NE Tg Ä ſter.
24 — —
fir. — Die Meiſterſchaft wird bezahlt, und
der Schuſter in ſeine Bude eiaseſen
Kindliche Liebe
Eine Witwer, welche mit ihren drey Sohnen
in die aͤuſſerſte Duͤrftigkeit gerathen war, konn⸗
te ſich nicht ernaͤhren, obgleich die Soͤhne alle
Mühe anwandten, ſich und ihre Mutter vor
dem Hunger zu beſchuͤtzen. Sie liebten fie auf
Das zärtlichfte, und faßten daher einen auflers |
prdentliden Entſchluß. Man hatte feit Furs
zem befannt gemacht, daß derienige eine ans
ſehnliche Belohnung erbalten folte, welcher den
Raͤuber gewiſſer Koſtbarkeiten bey der Obrig⸗
- Teil anzeigen würde. Die drey Brüder beres
deten ſich untereinander , daß einer von ihnen
den Räuber vorfiellen, und die beiden anderk
ihn vor die Obrigkeit führen follten. Sie 1005
ften mit einander, welber der Raͤuber ſeyn
füllte, und das Looß traf den Sjünaften, der
fi) fogleich binden, und vor dem Nichter- fühs
ven lief. Der innge Menſch geſtund ſogleich
freywillig das Verbrechen. Man führte ihn’
ins Gefaͤngniß, und feine Brüder erhielten die
veriprodhene Summe. Ihr Herz wurde durd)
die Gefahr ihres Bruders gerührt. Sie fans
den
N
— 25
den ein Mittel ing Geſaͤngniß A kommen, um⸗
armten ihn zaͤrtlich und vergoſſen viele Thraͤ⸗
nen. Der Richter, der dieſes von ungefähre
ſahe, erfiaunte über diefen unvermutheten An;
blick, und befahl einem von feinen Leuten, den
beiden Anklaͤgern nachzuſchleichen, und fie nicht
eher aus dem Geſichte zu laſſen, Did er einige
zur Sache dienliche Nachricht eingezogen babe.
Der Bediente that es, und brachte feinem
Herrn die Nachricht, ‚daß er ihnen bis in ihr
Haus nachgegangen wäre. Dort hätten fie ibs
rer Mutter dasienige erzählt, was wir bereits
- willen; darauf hätte die Mutter ein Elägliches
Gefchrey angefangen , und beiden Söhnen
befoblen, das erhaltene Geld ſogleich wieder
zuruck zu geben, meil fie lieber Hungers fterz
ben, als durch den Tod eines ihrer lieben
Söhne ihr Leben erhalten wollte Der Rich—
ter, der dieſes Wunder der Findlichen Liebe
Faum glauben Eonnte , ließ fogleic) den Befans
genen vor ſich bringen, befragte ihn nochmals,
wegen des vorgegebenen Diebſtahls, und dro—
hete ihm ſo gar mit der grauſamſten Marter.
Der iunge Menſch aber, den nichts, als die.
Zärtlichkeit gegen feine Mutter rübrte, blieb
unbeweglich. „O das ift zu viel, rief der
„tugendhafte Richter aus, indem er ibn um
„den Hals fiel — vortrefflicher Sohn! Deine
Tugend fert mich in Erfiaunen ” — Er
y © B5 machte
26 — —
machte ſogleich einen Bericht an den Monar⸗
chen, welchem diefe edle That fo wohl gefiel,
dag er diefe drey Söhne zu fehen verlangte,
fie mit Lobſpruͤchen überhäufte, dem iüngften
ein anfehnliches Jahrgeld, und beiden andern
ein etwas geringeres ausfeßte,
—— — — — ⸗
Die traurigen Folgen der Spiel⸗
ſucht.
Eine iunge, heitre, angenehme Dame, Do—
rinde, von einer reizenden Geſtalt, und ges
fchaffen , iedvermann zu gefallen, hatte das Uns
glück, fib von dem Gift einer unbedachtſamen
Sugend, der Spielſucht beraufchen zu laſſen;
font mar fie faſt von allen Fehlern frey.
Aber, meld ein Unglüf, wenn fie einmal
nicht fpielen Eonnte! da faß fie niedergeichlas.
gen, und beynahe vol Verzweiflung, Endlich
fand fi) ein graufamer Betruͤger, der in allen
Geheimniffen des Spiels erfahren war, ein
Sohn des Mars mit einer eifernen Gtirne,
und einem Auge voller Unverfchämtheit, unter
einer glänzenden Monteur, aber dabey fo
ſchmeichleriſch Friediend , fo fanft, dem Schei⸗
ne nach), daß es ihm leicht war, die Unſchuld
zu hintergehen: ſie ſchien ihm der Muͤhe
werth:
7,2
Werth? und er griff fie mehr durch Mienis
"rungen als dur) Gewalt an. Bald gewann
er ihr Vertrauen : (Es Famen die Karten aufs
Tapet) der Tiſch wurde, gelegt. Der Kapis
tain hatte bald ihr ganzes Geld erobert. Sie
Fonnte nicht aufhören, verlor immer, und zit
ferte vor Begierde , es Wieder zu gewinnen.
Endlich feßte fie ihr brilianten Halsband auf:
es gieng fork: gern hätte fie die Uhr gerettet:
‚aber eben fo wenig: auch ein Miniaturbild
mit Diamanten, Dhrengehänge, Armbaͤn⸗
der — alles verfpielte fie. Der ganze Schatz
lag in feinem Hute, und ihr war nichts mehr
übrig , als ihre Ehre. Der fihrecflihe Feind
handelt auch um die, bietet ihr den Tauſch
um feinen Gemwinnft an, fällt vor ihr nieder,
legt die. Hand auf feine Bruft, ſchwoͤret, daß
er ohne fie nicht leben Fünne. Mit Schars
lad) färbt erfi die Schaam ihr Geſicht: ihre
Zugend empoͤret fi: aber giebt nad) — er
fpottet ihrer Bedenklichkeiten — hält ihr den
Hut mit ihrem Verluſte vor, und — fiegt in
ihrem Sale. So breitete eine fhöne Blume
ihre Reizungen im güldnen Sommerftrale aus:
- fie war der Stel; des Gartens, mo fie
wuchs, und unbefleckt in ihrer Bluͤthe, bis
ſich ein ſchaͤndlicher Wurm unter der Erde
ihrer gefunden Wurzel nahte und fie zernag—
te. Die ſchoͤnen Tinten ihrer Farben fiengen
\ an
2 — nm men
an zu erbleichen, - die Blätter welkten, ihr
Haupt ſank, und die Pflanze ſtarb, ohne
daß man die Urfade errieth.
Dem Berlufte ihrer Tugend in ihrer Bluͤ⸗
the folgte Schaam und Neue. Die Hoffnung
aller irdifhen. Sreuden war dahin, und Wuth
und Verzweiflung zerrüftefen ihre Seele. Dos
rinde , das liebe unalücklidie Mädchen, ein
früher Raub der Leidenfchaft , wollte ſich vor
den Stacheln des Gewiſſens und vor den Rus
then des allgemeinen Aergerniſſes retten —
und 4 Giſt. |
"Die Macht der Freundfchaft,
A; Damon vom Dionyſius zu Syrakus auf
einen gewiffen Tag zum Tode verurtheilet
war, bat er in der Zwiſchenzeit um die Ers
laubniß, in feine Heimath geben zu dürfen,
damit er die Ningelegenheiten feiner troftlofen
Samilie in Ordnung bringen möchte, Der
Tyrann, der e8 ihm im Herzen abſchlug,
gewaͤhrte es ihm zum Scheine, weil er ihm
eine Bedingung machte, deren Erfuͤllung er
fuͤr unmoͤglich hielt; daß er naͤmlich einen
Andern als Geiſſel ſeine Ruͤckkehr und
mit Verluſt ſeines Lebens ſtellen ſollte —
| de
fie nich zu beſtimmter Zeit erfolgte. Pythias
hörte die Bedingungen, und wartete gar
nice, bis ihn Damon erft darum anfpradı :
fondern erbot ſich unverzüglich felbft dazu.
Sogleich erhielt Damon die Frenheit, Der
König und der ganze Hof erflaunten über
diefe Handlung ; und als der Richttag ſich
näherte, war Dionyfins neugierig genug, dem
Pythias in feinem Geſaͤngniſſ e zu beſuchen.
Rach einiger Unterredung üver die Freund⸗
haft, behauptete der- Tyrann, daß der Eigens
nutz die einzige Triebfeder aller menſchlichen
Handlungen ſey: und was Tugend , Freunde
fhaft, Wohlmolen ‚. Baterlandsliebe und ders
gleichen anbeträf, fo. hielt er ſie blos für Wors
te, die von. den Weifen wären erfunden wora
den, den Schwachen in Ehrerbietung zu erbals
ten und. su taͤuſchen. „Gnaͤdigſter Herr,”
ſagte Pythias, mit einer. feftem Stimme und
einer edlem Miene : „Ich wuͤnſchte, es wäre
moͤglich, taufendmal für meinen Damon zu
fterben, und gerne wollte ichs thun, wenn
mein Freund nur in irgend einem Falle feiner
Edhre zuwider handeln koͤnnte. Doc) dief Fann
er nicht : ich bin feiner Tugend fo gewiß, als
meines Lebens : aber ich bitte den Himmel
um ein Mittel, wodurd meines Damong Le⸗
ben mit ſeiner Rechtſchaffenheit zugleich ers
halten werden moͤge: Setzt euch ihm entgegen,
ei" Sie
30. ——
ihr Winde, hindert ihn in feinem edlen Bes
fireben, fein Wort zu halten, und laſſet ihn
nicht eher ankommen, bis id) durd meinen
Tod ein Leben gerettet babe, das tauſend⸗
mal mehr wert) , ald mein eignes ift „ mehr
werth feiner liebenswürdigen Frau, feinen
unfchuldigen Kindern, feinen Freunden, feinem
Vaterlande. D laßt mid) nicht in meinem Damon
des allerichrecklichften Todes fterben.” — Dionys
ſius war von der Würde diefer Gefinnungen und
der Art, mit der fie ausgefprochen wurden ,
gerührt und erflaunt : fein Herz empfand ets
was von der eindringenden Wahrheit, ob es
gleich) mehr diente, ihn zu verwirren, als ihm
- feinen Irrthum zu benehmen. Der unglädlis
de Tag Fam. Pythias ward vorgeführet, und
gieng mitten unter der Wache mit einer ernfls
haften, aber zufriednen Miene nad) dem Nichts
platze. Dionyſius war ſchon bier: er ſaß auf
einem beweglichen Throne, der von fechs weiß;
fen Pferden gezogen wurde, nachdenkend und
aufmerffam auf den Gefangenen. Als Pythias
anlangte, fprang er freudig auf das Schaffot,
und nachdem er die Zurüftungen des Todes
einige Zeit betrachtet hatte, kehrte er ſich mit
einer gelaſſenen Miene zu den Zuſchauern und
fagte: „Mein Gebet iſt erhoͤrt, die Gott⸗
beit gnaͤdig. Ihr wiſſet, meine —
— * da
-
— — 31
daß wir bis geſtern einen widrigen Wind ges
habt haben. Damon konnte nicht kommen,
und Unmoͤglichkeiten moͤglich machen. Morgen
wird er hier ſeyn, und mein itzt vergoßnes
Blut wird das Leben meines Freundes retten.
O koͤnnte ich doch eurem Buſen ieden Zweifel,
ieden niedrigen Verdacht in Abſicht auf die
Ehre des Mannes entreiſſen, für den ich ſter—
be, fo mürde ich zu meinem Tode, wie iu
meiner Hochzeit gehen. Itzt mag es genug
ſeyn, daß mein Freund rechtſchaffen und feine
Treue unverbrühlich wird erfunden merden :
es wird fi) bald zeigen, daß er ist unterwegs
ift, herbeyeilt, und fid) und die ungeſtuͤmen
Elemente anflagen wird. Doch, id eile ihm
zuvorzukommen. Nachrichter, thue dein Amt.”
indem er die Testen Worte fagte, erhob ſich
in der äufferfien Entfernung unter dem Wolfe,
ein Geräufhe: man hörfe eine Stimme, die
der Schwarm auffaßte und die Worte: „halt
ein, halt ein! ’” wiederholte. Hierauf Fam ein
Mann in vollem Sagen: die Zufchauer mad);
ten Plag : fein Pferd dampfte: ſchnell war er
herunter , aufs Schaffot und hielt den Pyhthias
feft in feinen Armen. „Du biſt gerettet, ſchrie
er, bu biſt gereftet, mein Freund, mein liebz
fier Freund. Ich habe nun nichts weiter, als
den Tod zu leiden, und bin nun von der
Duaal
Quaal der Vorwürfe frey , die ih mir machte,
das geben meines Freundes in Gefahr gebracht
zu haben, das mir faufendmal lieber als meiw
eigenes iſt.“ Blaß, ſtarr und bald ſprachlos
in den Armen feines Damons verſetzte Pythias
in gebrochenen Worten: „Ungluͤckliche Eil! —
Graufame Bebendigfeit! — Was für neidis
ſche Maͤchte haben zu deinem Bellen Unmdgs
lichkeiten moͤglich gemacht? —. Aber, id) will
mic) nicht ganz in meiner Rechnung betrogen
baden — Kann ich nicht Für dich ſterben, um
dich zu retten, fo will ich doch mit dir fterben. ”
Dionyſius hörte, fah, und betrachtete alles mit
Erſtaunen; „Lebe, lebe, unvergleichliches
Paar! » rief er: „du. haft für Die Wahrheit
der Tugend einen unwiderleglichen Beweis. ges
‚geben : und dieſe Tugend beweiſt zugleich das
Dafenn eines Gottes, ber belohnen muß. Lebe
gluͤcklich, und ſey immerdar geprieſen. D!
bilde mid) nun durch deine Lehre, fo wie dur
durch dein Beyſpiel gethan, damit id) an einer
fo heiligen Freundſchaft Theil nehmen möge”
Scheinbare Gluckeligteit
—D einer der Hoͤflinge des aͤltern Dio⸗
nofind, Tyrannen von Syralus, machte beſtaͤn⸗
Dig
2222
————— 33
dig ein groſſes Aufheben von den Schaͤtzen deſ⸗
ſelben, ſeiner Groͤſſe, der Anzahl ſeiner Trup⸗
pen, dem Umfange ſeines Reichs, der Pracht
feiner Pallaͤſte und dem Ueberfluſſe aller Herr⸗
lichkeiten und Freuden, die in ſeinem Beſitze
wären, indem er ſtets wiederholte, daß Nies
mand glücklicher fey, als Dionyſius. — „, Haft
du wol Luft, fagte Dionyfins, da du das
glaubt, eine ‚Probe zu machen und meine
Glückfeeligkeit in eigner Perſon zu genieſ—
fen?” — Die Anerbietung wurde mit Freus
den angenommen, und Damofleg auf ein gols
denes Bette, mit Teppichen von unfchägbarem
Werthe bebangen , gefeßt: ver Tiſch danez
ben mit Gefäßen von Gold und Silber belas
den. Die fchonften Sklaven finnden in den
Eoftbarfien Kleidern umber, und erwarteten
den Eleinften Wink, ihm zu dienen. Der auss
geſuchteſte Balfam, die füfleften Wohlgerüche
- waren verfehwendet, und die leckerhafteften
Speifen aufgetragen. Damokles war auffer ſich
vor Sreuden,. und hielt ſich für den glückliche
ſten Sterblihen in der Welt, als er zum
Ungluͤck feine Augen empor hub, und über
feinem Haupte die Spike eines Schwerdtes ges
wahr wurde, das an der Decke an einem eins
zigen Pierdehaar hieng. Es brad) ihm fo
gleih ein Falter Schweiß aus, und alles vers
ſchwand vor ihm im mn er ſah an |
/ A
als das Schwerdt, und Fonnte an nichts als
an feine Gefahr denken. Sn der Auferften
Furcht, bat er um die Erlaubniß, ſich weg⸗
begeben zu duͤrfen, und erklaͤrte ſich, daß er
nicht länger a feyn möchte.
—— — — ——
— — — — — — — — —
Die ungluͤcklichen Kinder eigenfinni-
ger Neltern bey der Wahl Ihrer
Lebensart.
Ein angeſehener Handwerksmann, der ſich ein
ziemlich groſſes Vermoͤgen erworben hatte,
ſaßte den Entſchluß, feinen Soͤhnen eine Le—
bensart zu waͤhlen, wodurch die Dunkelheit
ihrer Geburt in Vergeſſenheit moͤchte gebracht
werden. Er zog aber nicht die Neigung ders
felben zu Mathe; fondern verforate fie nad)
feinen Einfillen, und nad Befchaffenheit ihres
Alters: nur in Anfehung des Xelteften entfchied
ein Zufall. Der Alte fpazierte nämlich einſt⸗
malen im Barf, und fabe eine Kompagnie
Soldaten ererciren; dieß gefiel ihm fo wohl,
daß er den Melteften ſogleich Dienfte nehmen
ließ und ihm eine Hauptmannftelie Faufte,
Der iunge Menſch war von einer fanften,
ſtillen und furchtfamen Gemuͤthsart, liebte die
Buͤcher, ein ſitzendes Leben, und war allem
Geraͤu⸗
‚N ——— 35
Geraͤuſche und Laͤrmen feind. Der zweyte
Sohn ward der Kirche gewidmet, aus keiner
andern Urſache, als weil es ein geehrter Stand
iſt. Er aber war gerade das Gegentheil ſei⸗
nes aͤlteſten Bruders: ein Freund der Zer—
ſtreuung und des Tumults, ein Sklav feiner
Leidenſchaſten, der fhon in der Schule un—
wiffend und muthwillig genug war, und einen
unüberwindlichen Abſcheu vor den GStudiren
und vor den Büchern hatte. Der dritte ward
ein Geidenfrämer , weil e8 feine Mutter für
das nettefte und reinlichſte Gewerbe hielt.
Diefer iunge Menſch hatte mehr Faͤhigkeit, als
alle feine Brüder , einen richtigen und gefuns
den Verſtand, mar kuͤhn in feinen Unternehs
men, edel in feiner Denkungsart, kurz, ex
hatte ale Vorzüge des Geiſtes, ob er gleich
bäplih von Perfon war. Er mar kurz, dicke
und plunip, fehr von Pocken gezeichnet, und
hatte das Unglück gehabt, it feiner Kindheit
durch einen Fall ein Auge zu, verlieren. Der
iüngfte Sohn ward zu einem‘ Kaufmanne ges
than, der den größten Handel in der ganzen
Stadt hatte Er war von einem flumpfen
Verſtande und niedrigen Sefinnungen, aber ein
gewaltiger Schwäger: fonft ganz arfig von
Perſon und mußte ſich einzufchmeicheln. Dieß
waren die Lebensarten, zu deren der ſchwache
and eitle Vater ſeine ungluͤcklichen Soͤhne be⸗
br € 2 ſtimmte.
36 — —
ſtimmte. Aber, was war der Erſolg ſeiner
Wahl, wo keine Stelle * ——— ans
gemefjen war ?
Der Soldat war nicht lange bey dem Res
gimente, als die andern feine Furchtſamkeit
merften, feiner fpotteten, und ihn zu einem
Zwenfampf nöthigten. Der iunge, fanftmüs
tbioe Mann, deffen Herz eben fo vor dem Tos
de bebte, als er ſichs zum Gemifien machte,
einen andern zu tödten, bezeigte ſich dabey
fo ungeſchickt, daß er felbft, feinem Gegner in
den Degen rannte, nnd von feines Vaters Uns
verſtande ein Opfer ward. Der Geiftlihe,
den ſeines Vaters Geld ein Amt verfchafft
hatte, überließ fich feinen ausfdyweifenden Nei—
gungen fo fehr, daß es vor dem Bifchoff Fam,
Nachdem verschiedene ernitlide Verweiſe und
Öffentliche Beſtraſungen nichts geiruchtet hats
ten, ward er deſſen entſetzt. In der Tollheit
lief er unter die Soldaten, und endigte, als
Gemeiner, unter manderley Elend, fein uns
glückliches Leben. Der Geidenfrämer hatte
einen folchen Eifel vor der Kleinfügigfeit: feis
nes Gefchäftes: die Öfteren Fehler, die er das
bey begieng, die Verachtung, die ihm die Das
men , welche Waaren von ihm erhandeln wolls
ten, wegen feiner unangenehmen Geftalt bes
seigten, machten es ihm ſo verhaßt, daß er
ſeinen
—ü—⸗— 37
feinen Verdruß in der Weinflafche zu erfticken
fucbte, und es bald im Zrinfen zu einer fol
Ken Fertigkeit brachte, daß er nie mehr nüchs
fern war. Der Kaufmann war in kurzem fer:
tig. Er hatte für das grofle Werk, das mit
der aͤuſſerſten Klugheit wollte‘ geführet ſeyn,
nicht Verſtand genug, gerieth in Unordnung,
die ſich mit feinem Untergange endigte.
Sao war die, Unbefonnenheit des Vaters
der Kinder Verderben.
Allzugroſſe Betruͤbniß und uoͤbertrie—
bene Liebe.
Ein Arzt aus Burqund wurde von einer men⸗
ſchenfreundlichen, großmuͤthigen Dame in das
Dorf Rufeh, auf eine Meile von Diion, ges
ſchickt, wo ein fehr bösartiges Faulfieber
berichte. — Man führte ihn zu einer Frau
von ohngefähr dreykig Jahren, deren Ehes
mann feit einigen Tagen an diefer anſteckenden
Krankheit aeftorben war. Den Arzt begleitete
der Pfarrer des Dres, und ein Wundarjf
Ihre Ankunft ſchien die Patientinn,, die ein
tiefes Stillſchweigen beobaditete ,. im gerinaften
we zu interefliren, Der Arzt nähert " ch ıhr,
€3 ‚fragt
frant fie über ihren Zuſtand, fucht fie aufzu⸗
muntern , und ſtellt ihr vor, was fie von der
Dame, die ihn geſchickt, zu erfonrten habe.
Yon feinem ungeflümen Zudringen übermuns
den, Febrt fie ſich endlich gegen ihn, und ſagt
ihm in einem Tone — ruͤhrend genug das
Herz zu zerreiffen; „Ich bin Ihnen, mein
„Herr, und der Dame, die fie. hierher gefchickt
„hat, für ihre Sorgfalt fehr verpflichtet ; als
„lin, ich werde Feine Arzneyen einnchmen;
„mein Gatte ift todt; Wir waren zwar arm,
„aber wir liebten ung zaͤrtlich.“ Won diefem
Augenblick an fprach fie mit Niemanden mehr,
nahm weder Epeife noch Mittel zu ſich, und
fiarb des Morgens darauf ven fechften am
nad) dem Zode ihres Mannes.
Zween Grenadiers, die Erretter ei⸗
ner ungluͤcklichen Mutter.
— ſchrecklich⸗ —D verzehrte ver⸗
Ichiedene Haͤuſer in Nanch. Die Gefahr war
um ſo viel groͤſſer und fuͤrchterlicher, weil das
Feuer die Haͤuſer des gemeinen Volls angriff,
wo die Duͤrftigkeit, beynahe allenthalben, ans
ſtatt der Steine, Hol; ee; >
Burn 8 Ein
39
Ein heitiger Wind befihlennigte noch den Zus
wachs diefes Unglüͤcks. Die Flammen loderten
zu den Dädern heraus — alle Balfen waren
ſchon entzündet — verfchiedene Giebel, Die
ſchon in die. Aſche herunterfielen, Fündigten
einen naben und allgemeinen Einſturz an — bie
Cprißen blieben unnuͤtz, lo fehr man fie auch
ſpielen ließ, und weder Feuerlaͤuſer, noch Nies
wand durfte ſich mehr unter diefe Mauern
‚‚binwagen , wo man nichts als ein Grab zu
hoffen hatte. Mitten unter dem Gefchrey der
| Verzweiflung — unter dem Geheule des
Geised — unter der Verwirrung eines ers
Ichrockenen Poͤbels, zog eine Fran durch den
zühtenden Ausdruck ihres Schmerzens , aller
Augen auf fid — fie war Mutter. Diefe Uns
gluͤckliche ſah, in Thraͤnen flieſſend, die Wirbel
Der Flammen gegen eine Kammer des vierten
Stockwerks hinanſſteigen, wo der Schrecken,
der Tumult, und ein ungluͤckliches Verhaͤng⸗
niß, das ihre Zaͤrtlichkeit betrog, fie gezwun—
gen hatte, zwey Kinder zuruͤckzulaſſen die ſie,
ob ſie ihnen gleich kein Brod zu geben hatte,
nur noch deſto heſtiger liebte. Auf den
Knien — die Haͤnde gen Himmel hebend —
den Tod im Herzen — die Augen gegen die
Flammen, die immer zunahmen, und ſie,
ohne ſie zu beruͤhren, verbrannten, gerichtet,
deutet fie auf den Ort — ſchreit erbaͤrmlich
C4 | um
45 , — —
um Huͤlfe, und erweckt nur ein unfruchtbares
Mitleid, das der Schrecken, und die Gefahr
fogleidy) wieder erſticken. Das Infanterie⸗
Meniment des Königs lag daſelbſt in Beſa⸗
Kung. Zween Grenadiers laufen hinzu, fie
dringen fid) vor den Augen der Mutter in
die Kammer ein, mo diefe Ungluͤckliche lies
gen, und nachdem fie von allem hinlaͤnglich
berichtet find, eilen fie auf den brennenden
DBalfen herum, eine eben fo wahre und viels
leicht ſuͤſere Ehre, als die fie ſchon gefannt
‘ haben, einzuernten. — Sogleich verſchwun—⸗
den fie in den Wolfen von Rauch, die
aus der Flamme emporfleigen, faum find
fie innerhalb den Mauern, als die Hälfte
des Haufes einſtuͤrzt. Die Mutter fälle in
Ohnmacht, und hält alles für verloren. — —
Die gleihen Helden erſchienen wieder —
ihre Kleider find halb verbrannt — ihre
Haare bis zu den Wurzeln gefengt,„ und
ieder giebt diefer Mutter ihr Kind wieder,
die durch das Sreudengefchrey des Volkes,
und durch das Krachen des Gebaudes , dag
nun ganz zuſammenſtuͤrzt, wieder zu ihren
Sinnen kommt, und ihre Erretter vor ſich
ſiehet. Der eine diefer Grenadiers heißt
Hiacinthe, und ift aus dem Dorfe Bain,
in Franche Komte, ai En — der am
dere
J
— 41
dere heißt Tranguille, und iſt aus dem
Flecken Vandoͤvyren, in Champagne, ber.
Der würdige Sohn.
Hr Sabre , ein ehrmürdiger Greis und
ein Proteftant, wagte es, in einer franzds
fiihen Provinz Cin Languedoc) feine Relis
gien feinen Gläubensbrüdern zu predigen —
ein Verbrechen, das in Franfreich nur mit
der Galeer gebüßt werden ann. — Er
wird verrathen, zur Galeer verdamnıt, und
in dem Augenblick, da er mit. andern
Sklaven dahin gebracht werden follte, dringt
ſich ein iunger Menfh durch die Menge
der Zufchauer hindurd) , fallt vor dem Ober⸗
auffeher der Galeerenfflaven auf die Knie,
und fagt zu ihm: „Sich bin der Sohn dieſes
„Greifen — Er ift ſchwach, Fränflid und
„am Rande des Grabes, ich hingegen bin
„iung und flarf, und kann ſolche Arbeiten
„verrichten: und ausſtehen, unter denen mein
„Vater .erliegen würde. — Ich beſchwoͤre
„euch alfo, nehmt mid an feiner Statt zum
„Galeerenfflaven an, ihr Eünnet es, weil
„wir ‚beide gleiben Namen fragen , ohne
* TERN hun, und ich verfi chere euch
C5 „eines
2 BE -—- ._.... 4
„eines untruͤglichen Geheimniffee.” Der
Dberauffeher ſchlaͤgt es ihm ab. Er dringf
ftärfer in ihn, und bedient ſich, um ihn
zu erbitten, aller nur möglichen Mitte, —
Endlich nimmt man fein Anerbieten an —
er befreyt feinen: Vater, tritt an feine
Stelle, und dieſer tugendhafte Juͤngling
bleibe at Jahre unter den Galeerenjflaven,
ohne daß ihm bis auf den Augenblick, wo
der Himmel. erlaubt, daß er entdeckt und
befreyt : werde, eine einzige Klage ent
rinnt. 27 |
Der redliche Greis.
Ein rechtſchaffener Bürger von Wien war:
ein MWittwer, und hatte eilſ Rinder’; er
hatte für feinen und feiner ganzen zahlreichen
Familie Unterhalt „ mehr nit, als. ein
iaͤhrliches Einkommen von vier hundert Gul⸗
den, das ihm eine Stelle in einem Ges
richtsfollegium verſchaffte. Vor einiger Zeit
legte er bey dem -Kaifer eine Bittfchrift ein,
in der er ihn inftändigft bat,» ihm feine
iährlihe Befoldung zu vermehren. — Seine
Maieſtaͤt fragten ihn, wo er wohne, und
verſicherten ihn, fie wollten für ihn ſor⸗
— 43
gen. — In der That, nachdem er über
die Aufführung diefes: Mannes, ver ſich die
Hochachtung aller derer „ die ihn Fannten,,
erworben ‚die noͤthige Nachfrage gethan
‚hatte, gieng er des andern Tags darauf in
Desleitung eines Kammerherrn, dem. er dieſe
Bittſchrift gewiefen hatte , perfönlich iu dem-
redlichen Breife Hin , den er vor feiner
Hausthuͤre figend, und über fein Schickſal
nachdenkend, antraf. Dieſer warf ſich fps
gleich zu den Fuͤſſen ſeines Monarchen
‚nieder , der ihn mit vieler Leutſeeligkeit
aufhob, „und befahl, ihm feine Kinder zu
zeigen ;, der Kaifer zählte fie, und war ers
ſaunt zwoͤlfe zu finden. Er zählte fie wieder,
und da er nochmals die gleiche Anzahl fand,
fügte er zu dem Vater: „Wie kommt es),
„daß ihre, mir in eurer Vittſchrift nur von
„eilſen geſagt Habt? Ich muß Euer Maies
„faͤt berichten, ſagte der redliche Greis,
„daß man vor acht Tagen fuͤr meine Haus—
„thuͤre ein neugebornes eingebundenes Kind
„gelegt; mein Her öffnete ſich dem Mitleid,
„das ihm Jedermann verſagte, und ſeit dem
iſt meiner Kinder Brod das feinige gewor⸗
„den. ?.— . Der Raifer war von dieſer edlen
Handlung ſo gerührt, def er..ihm ein iaͤhr⸗
Suden vaſchere⸗ und. ihn fogleid). verlieh,
AEEHEFN um
— N
= Für
4 . re Cu “0 =
\ 7
am fih den Entzuͤckungen von Dankbarkeit
Diefer Familie zu entreiffen , die für die
Gluͤckſeeligkeit eines Monarchen, der einzig
und allein mit dem Gluͤcke feiner: Unterthas
nen befibäftigt iſt, unaufhoͤrlich die beifieften
Wünfte sum. Himmel ſchickt.
Die mitleidigen Belagerten. H
Leobold ‚ der Morgarten berühmt gemacht
bat, belagerte die Eradt Golorhurn. ‘Er hats
te an der oberen Eeite derfelben eine: Brücke
über die Aar gefchlagen, die von Wolfengüfs
fen fo _fehr anlief, und fo ungeflüm mütete,
daß die Brüde in groffer Gefahr fand, wegs
geriffen zu werden... Er befahl feinen Trups
pen, ſchwere Steine anf die Brücke zu legen,
daß fie deflomehr miderftehen möchte. In
diefer Arbeit wuchs der Strom beftändig, nnd
zog Brüde, Truppen und Steine ins Waſſer.
Die von Solothurn hatten es wohl bemerkt,
und ſahen die Nothleidenden auf den Truͤm⸗
mern der Bruͤcke gegen die Stadt zu fieſſen,
und ſich, fo gut fie konnten, an den Pfaͤh⸗
lern, die fie ergriffen, feft halten. Die Ihris
gen Fonnten ihnen nicht zu Hülfe fommen,
und die Leute von Solothurn haͤtten ihren Un⸗
tergang
*
| | — 45
tergang befördern, oder ihm wenigſtens zuſe⸗
ben koͤnnen; aber fie fühlten die Gewalt des
menſchlichen Mitleidens, giengen mit ihren bes
fin Schiffen ins Wafler, und brachten fie an
das Geftade; alsdann fehickten fie alle, die fie
gerettet hatten, dem Herzog wieder in fein
Lager. Er empfand die Schönheit ihrer Hands
lung , und hob die Belagerung auf.
— ———— — — — — —
Der Vorwitz und die Unwiſſenheit iſt
geneigt, etwas für lächerlich zu hal⸗
ten, was es nicht iſt.
Ein angeſehener, ernſthafter Mann, war ſehr
eifrig beſchaͤftiget, Seifenblaſen zu machen,
die er dann, ſo wie ſie ſich ausbreiteten, und
im Sonnenſcheine zerplatzten, ſorgfaͤltig bes
merkte. Ein vorwitziger Juͤngling ſchlug bey
einem fo wunderlichen Anblicke ein lautes Ges
lächter auf, weil es, feinen Gedanken nad),
ein deutlicher Beweis von des Mannes Thor
heit und Unfinn wäre. — Sqaͤme did, iuns
ger Menſch, fagte ein Worübergehender , dei—
ner Grobheit und Unmiffenbeit. Du ſiehſt itzt
den groͤßten Weltweiſen ſeiner Zeit, den Sir
Iſaak Neuton, der der Natur des Lichts und
‚ber Farben, durch eine Reihe von Erfahren;
gen
46 | em
gen nadıfpähet, die eben fo fehr einer edlen
Neugier würdig, als nügli find, ob du fie
gleich für kindiſch und unbeventend haͤltſt.
Der Tyger und der Elephant.
Sn einer. der Afrifanifhen Wüften Be
ein Tyger von aufferordentliber Gröffe, Thaͤ⸗
tigkeit und Wuth die fürdhterlidften Verhee⸗
rungen an. Er griff iedes Thier an, das ihm
auffieß , und wurde des Würgens nicht fatt.
Der Widerftand diente nur, feine Wildheit zu
vermehren, und die leidende Furchtſamkeit, feis
ne Opfer zu vervielfältigen. Wann ihm die
Wälder feinen Raub anboten, fo laufıhte er
nahe bey einer Mafferquelle , und mürgte
ſchnell hintereinander und ohne Unterſchied alle
Thiere, die ihren Durſt zu loͤſchen dahin ka⸗
men. Bon ungefähr Fam auch ein Elephant
in diefer Abficht dahin, wo der Tyger in dem
Gebüfche verborgen lad. Der Anblick eines
fo ungeheuren Thieres reisfe feine Ranbſucht
noch mehr, anſtatt fie zu bändigen. Er vers
glich feine eigene Biegſamkeit mit der ungelüs
gigen Laft des Elephanten , und in der ges
wiſſen Zuverſicht, daß er ihn eben fo unges
fickt zum Kämpfen, old zum Fliehen finden
würde, |
würde, fprang er auf ihn los, und ſchnappte
mit offaem Schlunde nach feinem Ruͤſſel. Der
Elephant zog ihn mit groffer Genenwart ‚der
Seele ſogleich zuſammen, nahm das wuͤthen⸗
de Thier auf feine Zähne, und warf es eine
anfehnlidhe Höhe in die Luſt. Bon feinem
Falle betäubt, lag der Tpger ein Weilchen ohne
Bewegung; und der großmüthige Elephant,
dem die Rache zu Fein war, aieng feiner We—
ge, und ließ ihn von feinem Falle fi) erhobs
len. Als der Tyger wieder zu ſich ſelbſt Fam,
war er, Wie es immer der angreiffende Theil
bey einem Streite zu feyn pflegt, voller Wuth
über feine Jiederlage, verfolgte feinen beleis
diaten und friedlichen Gegner, nnd geiff ihm
aufs neue mit verdoppelter Gewalt an. Nun
ward der Elephant zornig, verwundete den Typs
ger mit feinen Zähnen, und ſchlug ihn mit feis
nem Ruͤſſel tot.
—— — —— — — —
Schoͤnheit und Haͤßlichkeit.
Ein iunger Menſch, der auf dem Lande leb⸗
fe, und weder durch Leſen, nod durch Ums
gang irgend einige Kenntniß von den Thieren
erlangt hatte, Die in fremden Ländern leben,
kam nach Mandeer, um eine Ausſtellung mwils
der
48 — —
der Thiere zu ſehen. Die Groͤſſe und Figur
des Elephanten erfuͤllte ihn mit Ehrfurcht,
und das Rhinoceros mit Erſtaunen. Aber ſei⸗
ne Aufmerkſamkeit wurde von dieſen Thieren
bald abgezogen, und auf ein anderes von der
zierlichſten und ſchoͤnſten Geſtalt geleitet: und
er ſtund in einer ſtillen Bewunderung, die
glaͤnzende Glaͤtte ſeines Haars, die Schwaͤrze
und Regelmaͤßigkeit der Flecken, mit denen es
bezeichnet war, das Ebenmaaß feiner Glieder,
und vorzüglich feine ſanfte, ruhige Miene zu
betrachten.
Wie heißt denn das liebenswuͤrdige Thier,
ſagte er zum Waͤrter, das Sie zu ſo haͤßli—
chen Thieren in ihrer Sammlung geſtellt ha⸗
ben, gleich als ob es Ihre Abſicht waͤre, die
Schoͤnheit mit der Haͤßlichkeit recht abſtechend
zu machen? Laſſen Sie ſich ia nicht, iunger
Menſch, erwiederte der Waͤrter, von dem
aͤuſſerlichen Scheine dahin reiſſen. Das Thier,
das Sie bewundern, iſt ein Tyger, und, uns
geachtet der Sanftmuth feiner Mienen, ift er
unbeſchreiblich müthend und wild. Ich Fann
ihn meder durch Strenge, noch durd Güte
bändigen. Das andre Thier aber, das Gie
verachten , iſt im höchften Grad gelehrig, aus
thätig und nuͤtzlich. Zum Beſten der Menſchen,
durchwandert es die fandigten Wuͤſten Arabiens,
Ne
— —
wo Waſſer und Weide ſelten gefunden wird:
haͤlt ſechs bis ſieben Tage ohne alle Nahrung
ans, ohne unter der Arbeit zu ermuͤden.
Sein Haar wird zu Kleidern verarbeitet: fein
Sleifh für eine gefunde Koft gehalten, und
feine Milch von den Arabern fehr hoch gez
fbagt. Das Kameel, (denn fo beißt der
Name diefes Thieres, ) ift Ihrer Aufmerkffams
feit würdiger , als der Tyger, ob es glei)
nicht fo zierlich gebaut ift, und zween Hörer
auf feinen Ruͤcken hat. Denn blos aͤuſſerliche
Schönheit ift wenig werth; und Haͤßlichkeit,
wenn fic) liebenswärdige Gemätheeigenfchaften
und Geſchicklichkeiten damit vereinigen ſchließt
unſere Hochachtung und unſern Beyfall nicht
aus.
Wahre Grosmuth verlangt für Wohl⸗
thaten Feinen Danf.
Fu Marfeille fund ein iunger Menfh, Nas
mens. Robert, am Ufer, und wartete, ob ies
mand in: feinen Nachen treten würde. Ein
! Unbefannter. ftieg hinein, war aber im Be
griff, ſogleich wieder herans und in einen ans,
dern zu geben; weil — wie er zum Robert,
D der
\
50
der fi) zeigte, und von jenem nicht für. den
Herru des Schiffs gehalten wurde, tagte
weil der Schiffer nicht zum Vorſchein kaͤme. —
„Dieß Schiff if, mein! Wollen Sie zum
Hafen hinansfahren ? mein Herr” — Nein,
mein Herr — es iſt nur noch eine Stunde
Tao — Ich molte nur im Hafen ein paars
mal aufs und abfahren, um des Fühlen und
ſchoͤnen Abends zu genieſſen. — Er fieht ia
aber nichts weniger, .ald einem Schiffmann
aͤhnlich, auch hat er die Mundart dieſer Reus
te nicht. — „Es iſt wahr, und im Grunde
bin ich auch keiner; ich treibe dieß Handwerk
an Sonn- und Feſttagen, nur um mehr Geld
zu verdienen.” — Bin! in feinem Alter
schön geizig zu ſeyn! das entſtellt feine Aus
gend, und erflickt den Antheil, welchen feine
glückliche ale re im erften Anblicke
einflößt. — » Wenn Sie, leider! wuͤßten,
„warum ic fo fehr wuͤnſche, Geld zu verdies-
„uen; wenn Gie mich kennten: gewiß würden
„Sie meinen Gram nicht dadurch vergröffern,
„daß Sie mir eine fo niedrige Denfungsart
„zutrauen.“ — Ich hab' Ihm vielleicht uns
recht gethan; Er hat ſ ch uͤbel ausge⸗
drückt. Wir wollen unſere Spazierſahrt ans
treten: da foll er mir feine Geſchichte erhaͤh⸗
la. — — Wohlan, mein guter Freund!
fag er mir iezt, was bat er für Sorgen ?
«
| GREAT 5L
Er hat mich vorbereitet, Theil daran zu nehs
men. — „Ich babe nur eine einzige: Meis
nen Dater in Seffeln zu wiflen, ohne ihn noch
Davon befreyen zu können. Er war Mäfler
in diefer Stadt, legte das, was er felbft ers
fpart, und meine Mutter in dem Handel mit
Modemaaren gewonnen hatte, auf ein Schiff
- an, weldes nah Smyrna beſtimmt war, und
machte, um auf die Umſetzung feiner wenigen
Waaren ein Auge haben, und felbft wählen
zu koͤnnen, die Reiſe in Perfon mit. Das
Schiff it von einem Seeräuber weggeſchnappt
und nad) Tetuan geführeet worden, wo mein
* ungluͤcklicher Vater, mit allen, die an Bord
waren, iezt Sklave iſt. Seine Ranzion iſt
auf zwen tauſend kleine Thaler geſetzt; da er
fi) aber ganz erfchöpfe hatte, um feine Ins
ternebmung defto wichtiger zu machen, fo find
wir iezt nicht im Stande, Diefe Summe zu—
ſammen zu bringen. Indeſſen arbeiten meine
Matter und Schweſtern Tag und Nacht; ic)
thue deßgleichen bey meinem Herrn, der ein
Juwelier ift, und ſuche, wie Sie fehen, die
Gonns und Feyerkage zu benugen. Wir Bas
ben uns bis auf Dinge der Aufleriten Noth—
durſt eingefchränft: in einem einzigen Eleinen
Kaͤmmerchen führt .unfere unglücklihe Familie
ihre ganze Haushaltung. Anfangs glaubte
id) , ich wuͤrde dig Stelle meines Vaters eins
D 2 neben,
2 — —
nehmen, ihn beſreyen, und mich ſtatt feiner
in Feſſeln legen Eünnen ; ich war im Begriff,
dieß Vorhaben ins Werk zu fegen, als meis
ne Mutter — die, ich, weiß nicht wie, Nach—⸗
richt davon befam, mich verficherte, daß es
eben fo unthunlich, als phantaftifch wäre,
und allen Kapitaing , die nach der Levante fees
geln, verbieten ließ, mich an Bord zu neh⸗
men. ”— Erhaͤlt Er bisweilen Nachrichten
von Seinem Vater? meiß Er, wer deffen
Herr zu Tetuan iſt „und wie er dort gehals
ten wird? — „Sein Herr ift Öberauffeher
der Eüniglichen Gärten; man behandelt ihn
ganz menfchlid) , und die Arbeiten, die ihm
aufgetragen werden, gehen nicht über feine
Kräfte. Aber wir find nicht bey ihm, ihn
tröften, ihm fein Unglück erleichtern zu Eöns
nen; er ift von ung, einer geliebten Gattinn
und drey Kindern, die er immer aufs zärtlich,
fie liebte , entfernt.” — Und wie nennt ſich
Sein Vater zu Tetuan? — „Er bat feinen:
Namen nicht verändert: er beißt Robert, wie
zu Marfeille.” — Ha! Ha! Robert...
beym Dberauffeher der Gärten — » 54,
mein Herr!” — Sein Unglüc geht mir zu
Herzen; aber feinen Sefinnungen nach, die
es verdienen, bin ich Fühn genug, ihm ein
beſſres Schickſal zu prophezeihen, und wuͤnſch'
es ihm von Grund der Seele... Ich wollte
mic,
—
— — 53
mich, indem ich der Abendkuͤhle genieſſe, auch
der Einſamkeit uͤberlaſſen: nehm' Er mir's
alſo nicht übel, mein Freund! wenn ic) einen
Augenblick fill bin. Bey Anbruch der Nacht
erhielt Robert Befehl, ans Land zu fahren ,
und nod), ehe er Zeit gehabt hatte, heraus
‘zu fleigen, oder das Schiff anzuſchlieſſen,
machte fi) der-Unbefannte heraus, und er⸗
laubte dem Robert nicht einmal, ihm für den
Beutel, den er ihm zurückließ, zu danken: ſo
eilfertig machte er fi) davon. In diefem
Beutel waren acht doppelte Louis d’or und
zehn Thaler Silbergeld. Eine ſo betraͤchtliche
Freygebigkeit brachte dem iungen Menſchen
einen ſehr hohen Begriff von der Empfind⸗
ſamkeit des Unbekannten bey ; aber vergebens
wuͤnſchte er ſehnlichſt, ihm begegnen und Das
fuͤr danken zu koͤnnen. Sechs Wochen nad)
dieſem Zeitpunfte, «als diefe ehrliche Familie,
die, um die nöthige Summe vollzumachen,
unaufhörlich fortarbeitete, eben ein mäfiges
Mittagsmahl, das. aus Brod und dürren Mans
deln beftund , einnahm, überrafchte fie der alte
Robert, fehr ſauber gekleidet, mitten in ih—
rem Rummer und Elende. — „Ad! meine
Stau! ach, meine lieben Kinder! _ Wie habs
ihr mich, fo gefchwind befreyen koͤnnen, und
auf, die Art, wie ihrs gethan habt? Geht
Bu / mie ihr mid) Herausgepußt habt, und
D3 | dann
54 BEE EITETTEEE
|
dann die funfjig Louis d'ors noch, die man
mir, als ich einſchiffte, darzählte, da meine
Meife und Nahrung doch ſchon voraus, bezahle
waren! mie fol ich für fo vielen Eifer, für
fo viele Kiebe euch genug danken ? und biefe
entfeglihe Deraubung aller Bequemlichkeiten ,
der ihr euch mir zu Lieb' unterzogen habt!’ —
Vor Erſtaunen war ed anfangs der Mukker
unmoͤglich zu antworten; fie ſchwamm in
Thränen, ihre Töchter desgleihen, und eine
Amarmung folgte der andern. Der iunge
Robert blieb fteif auf feinem Stuhle, immer
ohne Bewegung, und fiel endlid in Ohn—
made. — Die Thränen, die fie vergoffen,
geben endlich der Mutter die Sprache wie;
der : fie umarmt ihren Dann nochmals, ficht
ihren Sohn an, weißt ihn dem Vater, und —
„das ift dein Beſreyer“ — fagt fi. Sechs
taufend Livres waren für deine Nanzion ges
fordert; mir haben erfi etwas über die Hälfte
davon beyfammen, und das meifte davon hat
dein Sohn durch feine Arbeit verdient; feiner
Liebe zu dir find wir es ſchuldig. Diefes
gute Kind hat vermuthlich Freunde gefunden,
Die, gerührt von feinen Tugenden, ihm beys
eeflanden haben; und da er gleich anfangs
deiner Sklaverey heimlich den Dorfag fafte,.
deine Stelle eingunehmen, fo haben wir ohne
Zweifel ihm unfer Glüde zu danken, ſo hat
| ; & er
—— 55
er gang gewiß ung auf dieſe Art uͤberraſchen
wollen. Sieh’ nur, mie er es fühlt! aber,
wir müffen ihm beyfpringen. Die Mutter
‘eilt auf ihn zu, die Schweftern defgleichen.
Mit groffer Mühe. entreißt man ihn feiner
Ohnmacht; er wirft einen fehmachtenden
Blick auf teinen Vater, bat aber noch nice
‚Kräfte genug, um fprechen zu Finnen. Auf
feiner Seite wird der Vater auf einmal ſtill
und nachdenkend; feheint bald darauf ganz
beſtuͤrzt, rede feinen Sohn an, und jagt:
Ungläcklicher ! was. haft. du getdan? Wie
kann ic) dir meine Befreyung danken, ohne
mich darüber zu gramen? Wie Fonute fie
‚ein Geheimniß für deine Mutter bleiben,
wenn du fe nicht, auf, Koften deiner Tugend
erfauft bei? — In deinem Alter „ Sohn
„eines Verunglücten , eineg Sklaven , ver⸗
ſchafft man ſich nicht leicht auf ordentlichen
Wegen ſo betraͤchtliche Huͤlfsmittel, als du
noͤthig hatteſt. Ih ſchaudre vor dem Ge—
danken: ob dich die kindliche Liebe vielleicht
zu einem Verbrechen verleitet bat! Beruhige
mich, fen aufrichtig: und wenn du haſt koͤn⸗
nen aufhoͤren, ein ehrlicher Mann zu ſeyn,
fo laßt uns alle ſterben.“ — „Geben Sie
ſich zufrieden, mein Water! ankwortete er,
‚Hund auf, und ließ fein Entſetzen über einen
olchen Argwohn blicken. Umarmen Sie bs
| D4 ren
ven Sohn! er ift diefes ſchoͤnen Titels nicht
unwuͤrdig, aud war er nicht glücklich genug ,
Ihnen beweifen zu koͤnnen, wie werth er
ihm iſt. Sie haben Ihre Freyheit nicht mir,
nicht uns zu danken. Ich kenne unſern
Wohlthaͤter: dieſer Unbekannte, meine Muts
ter! der mir ſeinen Beutel gab, that ſehr
viele Fragen an mich. Zeitlebens werd' ich
ihn auſſuchen: ich werd' ihn antreffen; er
wird mit mir fommen, feiner Wohlthaten zu
genieffen, Theil daran nehmen, und Thränen
der Wolluft mit uns weinen.” Hier erzählt
der Sohn dem Water die Anekdote vom Uns
befannten , und benimmt ihm feine Furcht. —
Mobert fand in der Ruhe, die er iezt wieder
genoß, Freunde und Beyſtand. Ein weit
glücklicherer Erfolg, als er ihn erwartet hat
‘te, übertrifft feine Hoffnung, kroͤnt feine
neuen Unternehmungen. Nach zwey Sjahren
ift er reich : feine Kinder, die verforgt und
glücklich find, genieflen mit ihm und feiner
Srau einer Glückfeeligfeit, die nichts würde
geftört haben; wenn ed dem Sohne bey feis
nen ununterbrodenen Nachſorſchungen ges
gluͤckt hätte, diefen verborgenen Wohlthäter,
den Gegenſtand ihrer Dankbarkeit und ihrer
Sehnſucht, ausfindig zu machen. — Endlich
‚traf er ihn an einem Sonntag Morgen am
Hafen an, wo er rasieren gieng. „Ach,
| ns mein
—
— ** 57
mein in Shutzgott hr if alles, was er fagen kann;
wirft ſich zu feinen Fuͤſſen, und fällt ohne
"Sinnen dahin. Der Unbekannte giebt fich
alle Mübe, ihm beyzufptingen ; mit etwas
gebranntem Waſſer gelingts ihm, ihn zu fi i
zu bringen: er ift eben fo begierig, ihn nad)
der Urſache, die ihn in dieſen Zufland vers
feßt hat, zu fragen. — — „Ah, mein
Herr! Fann fie Ihnen unbekannt feyn ? haben
Sie den Robert und feine ungluͤckliche Fa—
‘ milie, die Sie auf den Bipfel des Gluͤcks
festen, indem Sie ihr ihren Vater mieder
ſchafften, vergeffen?” — Er irrt fid) mein
Sreund ! id kenn' Ihn nicht, und auch Er
Tann mich nicht kennen: ich bin fremd zu
Marfeille, und erſt Jeit wenigen Tagen hier. —
„Das ift alles moͤglich; aber erinnern Gie
fi, daß Sie vor ſechs und zwanzig Monas
ten aud) bier waren 5; denken Sie nicht mehr
an iene Spasierfahrt im Hafen, an den Ans
theil, den Sie an meinem Ungluͤcke nahmen,
an die Sragen, die Sie an mich thaten,
und die alle nur ſolche Umſtaͤnde betrafen ,
die Ihnen die nöthigen Erläuterungen geben
Fonnten, um mein Wohlthaͤter werden zu
Fönnen ? Befreyer meines Vaters ! Eünnen
Sie veraeffen , daß fie der Retter unferer
ganzen Familie find , die nichts anders mehr
vaͤnſcht, als Ihre Gegenwart? Verſagen
* D5 8
/
58 —— —
Sie und unſere Wuͤnſche nicht: Kommen
Sie! theilen Sie unſere Freude}. vermiſchen
‚Sie Ihre Thränen der Ruͤhrung mit unſern
Zaͤhren der Dankbarkeit! — — Kommen
Sie” — — Sachte, mein Zreund ! ic)
hab's Ihm ſchon einmal gefagt „ Er irrt
fid. — „Nein, mein Herr! id) irre mich
nie. . Ihre Züge find zu fief in mein Herz
‚gegraben, als daß id) Sie miffennen Fünnte:
"Kommen Sie! id) bitte” — Hier nahm ihn
“der iunge Robert beym Arm, fuchte ihn ges
wiffermaffen mit Gewalt fortzuziehen ‚und um
beide fieng nun das Volk an, ſich zu fammeln.
Da ſprach der Unbekannte mit einem ernfihafs
tern und feflern Tone: Mein Herr ! Ddiefe
Scene ermüdet mic) , ohne Sie zu erleichtern:
“eine auffallende Aehnlichkeit verurſacht Ihren
Irrthum; rufen Sie Ihre Vernunft zuruͤcke,
und ſuchen Sie im Schooße Ihrer Familie
die Ruhe wieder, die Sie noͤthig zu haben
ſcheinen. — Welche Graufamfeit! Warum
wollen Sie, der Wohlthaͤter unſerer Familie,
durch Ihren Widerſtand, durch Ihre Abnei—
gung, mid) zu begleiten, die Gluͤckſeeligkeit
vergällen, Die fie nur Ihnen zu danken hat?
Soll id) vergebens zu ihren Füfjen liegen ? .
and follten Sie graufam genug ſeyn, den
ruͤhrenden Tribut von ſich abzulehnen ‚ den
wir fon fo lange. Ihrem fühlbaren Herzen
vorbe⸗
— 59
7 gnbebalten haben ? Und ihre, meine Mit
bürger ! ihr alle, die ihr von der Verwirrung
und Unruhe, in der ih bin, müffet gerührt
jeyn ! "vereinigt euch mit mir, den Urheber
meiner Wohlfart zu vermögen, daß er mit
mir gebe, fein eigen Werk zu betrachten! ”
‚Hier ſchwieg der Unbekannte; auf einmal
nahm er, aber alle feine Kräfte zufammen ,
‚rief feine Herzhaftigkeit zurück, um der Vers
ſuchung, in die ihn ein fo Füßlicher Genuß,
‚den man ihm anbot, bätte führen koͤnnen,
zu widerſtehen, und verlor ſich im Getuͤm—
mel zum größten Schmerjen des iungen
Mobert, der mit erlofhnen und wild
“umher irrenden Blicken ihm nachſah. So
ließ der Unbekannte dem erflaunten Wolfe
Sein Benfpiel von. einem Heldenmuthe, wie
es deren noch Feines gefehen hatte. Stille,
‚übermäßige Betruͤbniß, erſtickter Unwille,
treten an die Stelle der Gemuͤthsunruhe,
von welcher der ehrliche Robert herumge—
trieben war: man ſah ſich genoͤthiget,
ihn nach Hauſe zu fragen, mo endlich
‘ein beilfamer Thränenguß -ihn feinem ges
jährlichen Zuſtande entrif, |
P}
Beſchrei⸗
60 men
Beſchreibung des Untergangs der
Städte Herkulanum und Pompeii
bey einem Ausbruche des
Veſuvs.
Ananas wurde. es anfferordentlich ſchwuͤhl,
und zugleich entſtand ploͤzlich ein fehreckliches
Erdbeben, fo daß die ganze Gegend in Flam⸗
men zu fliehen ſchien, und die Hügel empors
‚büpften. Unter. dee Erde war ein Geraͤuſch,
als wenns donnerte, und auf derſelben, wie
das Bruͤllen der Thiere. Das Meer brauſte,
und der Himmel krachte, alles, als wenn
Berge uͤber einander ſtuͤrzten. Nach dieſem
warf der Vulkan Steine bis an die Spitze
des Berges in die Hoͤhe, nach welchem das
Feuer und ein ſo dicker Dampf hervorbrach,
daß die ganze Luft dergeſtalt verfinſtert
wurde, Daß man die Sonne gar nicht
mehr fehen konnte. Der Tag verwandelte
fid in Naht, und das Licht in Finfternif,
‚Einige glaubten damals , die Rieſen firitten
mit einander: dena im Danıpfe lab man viele
dergleichen Schattenbilder, und hoͤrte auch den
Schall der Trompeten. Andre bildeten ſich
ein, das Feuer wuͤrde die Welt vernichten,
und wieder in ein Chaos verwandeln. Durch
dieſe Vorßennn auſſer ſich geſetzt, ergriffen
manche
=
—
Per erg . N Y
re 61
mandje die Flucht, manche liefen aus den
Haͤuſern auf. die, Straſſen, und von den
Straſſen wieder in die Haͤuſer; oder begaben
fi) vom Lande aufs Meer, und vom Meer
wieder aufs Land. Andere, die eben fo ers
ſchrocken waren, meynten immer, der Ort,
wo fie ſich beſaͤnden, wäre in viel groͤſſerer
Geſahr, als alle andere. Dieſe Ausbrüche
begleitete zugleich eine ganz unglaubliche Men—
ge Aſche, die ſich auf dem Lande, uͤber das
Meer und in der Luft verbreitete. Sie ver—
derbte alles, wo ſie niederfiel: Sie toͤdtete die
Menſchen, das Vieh, die Fiſche und Voͤgel;
und verwuͤſtete die Felder. Sogar ganze
Staͤdte wurden verſchuͤttert: als Herkulanum
und Pompeii.
Sitten der Gallier und Germa—
nier.
(Caſar. B. VI. Kap. 13.)
3, aanz Gallien giebt es nur zweyerley Art
Leute, Die einen Rang und ein gewiſſes Anz
fehen haben. Denn der gemeine Mann wird
beynahe wie der Sklav geachtet, darf für ſich
RR unternehmen , und wird zu feinen Bes
rath⸗
*
[Soc
Ei
rathſchlagungen gezogen. Der größte Theil
ſieht ſich, bald Schulden halber, bald der
vielen Abgaben wegen, oder fonft um der
Ungerechtigkeit der Groffen willen, genüthiget,
fi) den Wornehmen zu unterwerfen und ihnen
zu dienen; und dieſe befommen fodann alle
die Rechte über fie, die Herren über ihre
Sklaven haben... Es machen aber die erſte
Klaffe die. Druiden, die andere die Ritter
aus. Jene warten den Gottesdienft ab, bez
forgen die Opfer, die von ganzem Volk und
von Privatperfonen daraebracht werden, und
geben in der Religion Unterricht. Cie haben
daher einen groffen Zulauf von iungen Leuten,
die fi von ihnen unterweifen laflen , und
find überhaupt bey den Ihrigen ſehr geehrt,
Denn fie fohlichten fat alle Staats s und
bürgerliche Zwiftigfeiten ; und wenn eine Srevels ‘
that veruͤbet, oder ein Todſchlag begangen
worden iſt; oder wenn uͤber Erbſchaft und
Graͤnzen Streitigkeiten entſtehen: fo find fie
eben die Richter, welche Belohnungen
und Strafen beflimmen. Wer bey ihrem
Ausſpruch nicht bleibt, es fey nun eine
Privatperfon, oder ein, ganzes Volk; Der
wird vom Botteödienft ausgeſchloſſen: und
das ift den ihnen die aͤrgſte Strafe. Denn,
wer auf diefe Art in Bann gethan worden
it, der wird unter Die —— und
Frev⸗
‚ten —— 8
Frevler gerechnet; ; iedermann weicht vor
ihm aus, fliehet völlig feine Geſellſchaſt
und. ‚Umgang ‚ ums.nide von ihm anges
ſteckt zu werden: Es wird ihnen weder
Recht verſchafft wenn ſi ie um etwas anhal⸗
ten, noch irgend ein Zulritt zu Ehren⸗
ſtellen vergoͤnnet.
Alle diefe Druiden haben ein Hbers
haupt , . der unter ihnen das aröfte Anfes
ben befist. Nach feinem Tode folge ihm
der, welcher unter den übrigen am meiften
Berdienfte hat; wenn aber mehrere einander
gleich fommen : ſo wird er von den Druiden
nach Stimmen gewählt. Zuweilen fritte man
auch mit Waffen um den Vorzug. Zu einer
gewiffen Fahreszeit verfammeln fie fi im Kar⸗
nutiſchen Sande, welches man für die Mitte
von ganz Gallien hält, an einem dazu gewid⸗
meten Orte, mo von allen Gegenden ber
dieienigen ericheinen, melde Gtreitigfeiten
auszumachen haben , und fi) ihren Entfcheis
dungen und Ausſprüchen unterwerfen. Ihre
Schule fol in Britannien entflanden, und
von da nal) Gallien verpflanze worden feyn;
Daher dieienigen , welche nähere Wiſſenſchaft
davon haben wollen, noch iezt in der Abſicht
dahin zu veifen pflegen. Die Druiden ziehen
"Re
—
nie mit zu Felde, ſind allein von Auflagen
jrey, thun feine Kriegsdienſte und bleiben
ſonſt auch bey andern Gelegenheiten verfehont.
Um diefer Vortheile willen begeben fi viele,
nicht nur aus eigenem Antrieb, zu diefer Les
bensart , fondern -fie werden and) von ihren
- Verwandten und Aeltern dahin verwiefen.
Hier lernen fie, wie man fagt, eine groffe Menge
Merfe auswendig; daher einige wol zwanzig
Jahre in ihrer Schule zubringen. Sie hals
ten es auch nicht für erlaubt, ſolche ſchriſtlich
aufzufegen, ob fie ſich gleich bey andern Anz
gelegenheiten , die den Staat oder einzelne
Bürger betreffen, der griechiſchen Buchſtaben
bedienen. Dazu, duͤnkt mi, haben fie zwo
Urſachen: vielleicht wollen fie ihre Lehren
nicht öffentlich befannt machen, noch dadurd)
veranlaflen, daß die, welche fludiren, für ihr
Gedaͤchtniß weniger forgen, wenn fie fid) aufs
Geſchriebene verlaffen Fünnten. Denn eg ges
ſchieht gemeiniglid), daß man megen diefer
ſchriftlichen Hülfsmittel minder emfigen Fleig
im Kernen anwendet , und fein Gedaͤchtniß
daben vernachläfige: Ihre vornehmften Lehr⸗
- fäge find die Unfterblicfeit der Seele und Die
Seelenwanderung nah dem Tode; und fie
bilden fi) ein, daß man dadurch befonderg
zur Tapferkeit angeflammt werde, und ſich für
den Tod nicht fürchte. Ueberdieß a
e
— — 6
fie über die Geftirne und ihren Lauf; über
die Gröffe der Welt und der Erde ; über dag
Weſen der Dinge; über die Macht und Ge
walt der unfterblihen Götter; und unters
richten auc) die Jugend hierinnen.
‚Die andere Klaffe beſteht ans den Kits
tern... Diefe erſcheinen ſaͤmtlich im Felde, fo
bald es nöthig if, uud ein Krieg vorfält.
Und dieß gefchahe vor der Ankunft des Caͤſars
fat. ale Jahre, indem fie entweder ſelbſt Krieg
anfiengen ; oder ſich vertheidigen mußten. Je
vornehmer nun, und ie wächtiger einer iſt:
deſto gröffer ift fein Anhang. Dieß macht all
ihr Unfehen und Macht aus. Die ganze
Nation der Gallier iſt üderaus religios.
Wenn alſo einige etwas gefährlich Frauf lies.
gen, fid) im Krieg und in andern Gefährlichz
Teiten befinden; fo. opfern fie entweder Mens
ſchen an Statt der Opſerthiere, oder geloben
fid) felöft zu opfern 5; und diefe Opfer muͤſſen
jederzeit die Druiden verrichten. Denn fie
find der Meynung , daß man, wenn nicht das
eben - eines andern Menſchen aufgeopfert
würde, unmöglid) die unfterblichen Gitter
verföhnen, und das Leben eines Menſchen
erretten Fönne; und deßwegen find bey ihnen
dergleichen Opfer öffentlich eingeführt. la;
dere haben ungeheuer grofle Bilder, deren
— von
66 ———
son Weiden geflochtene Glieder ſie mit leben⸗
digen Menſchen anfuͤllen; dann zuͤnden ſie ſie
ringsum an, und von der Flamme werden
die Menſchen erſtickt. Aber das glauben fie,
fey den Göttern. noch weit angenehmer, wenn
fie ihnen Uebelthäter aufopfern, welche ſich
eines — oder Straſſenraubs oder an
derer Verbrechen ſchuldig gemacht haben.
Eind nun folche nicht vorhanden ; fo merden
au die Unſchuldigen zur Todesfirafe ver;
dammt. Ihr Hauptgott if Merkur, der
ben ihnen fehr oft abgedilder if. Sie halten
ihn für den Erfinder alter Künfte, und für
den Beſchuͤtzer auf dem Wege und der
Reiſe; und glanden, daß er den größten
Einfluß in den. Gewinn und Handel habe.
Nach ihm verehren fie auch Den Apolo ,
Mars, Supiter, und die Minerva, von
denen fie fall eben die Begriffe haben,
wie andere Völker: Apollo vertreibt die
Krankheiten; Minerva ift die Erfinderinn
der Hands und Kunſtwerker; Jupiter der
König, ‚im Himmel, und Mars regiere
den Srieg. Diefem geloben fie auch meis
‚ Kentheils alle Beute an, wenn fie ing
geld ziehen ; Die, Thiere, die am eben
gebiteben find, und fie gefangen befommen
haben, opfern fie ihm auf; andere Dins
ge bingenen bringen: fie an einen Dre zu⸗
ſammen;
*
*
nn 67
ſammen; und bey vielen Voͤlkern ſieht man
Huͤgel an geheiligten Plaͤtzen, die davon
errichtet find. Es geſchieht auchſelten,
daß ſich einer unterſtehet ſein Geluͤbde zu
brechen, und entweder feine Beute bey
ſich zu verbeelen, oder von dem Aufbes
wahrten etwas zu enfwenden. Denn hiers
auf ift die härtefte Lebensftrafe und Marter
gefeßt. Die Gallier geben alle den Pluto
für ihren Stammvater und Beſchuͤtzer aus,
und berufen fib auf die Druiden, von
denen fie diefe Nachricht hätten. Sie fehen
defwegen in ihrer Zeitrechnung niche auf
die Anzahl der Tage, fondern der Naͤchte;
und bey ihren Geburtss Seften, auch bey
Monaten und Jahren , fangen fie allezeit
mit der Nacht zu zählen an. In andern
- Gewohnheiten des menfchlichen Lebens unters
ſcheiden fie ſich auch ſaſt darinnen von den
übrigen Völkern, daß fie ihre Kinder nicht
eher vor fib Fommen Hafen, bis fie fo
weit heran gewachſen find, daß fie mit ing
Feld ziehen Fünnen; und fie halten es für
niedertraͤchtig, wenn ver Sohn in feinen
Kinderiahren ſich oͤffentlich vor dem Vater
ſehen läßt. Co viel Geld ver Mann von
feiner Frau zum Heirathsgut befomme: fo
viel legt er, nach dem angegebenen Werth,
von feinem Vermögen darzu. Dieſe Summe
E22 wird
wird zum aemeinfcaftlichen Gebrauch be;
ſtimmt, und was man dadurch gewinnt,
wird aufbehalten. Wer nun von beiden
den andern überlebt , der. erbet nicht nur,
was fie beide zuſammen gebracht, fon
dern auch das, mag fie ſich mit _ einander
erworben “haben. Der Mann hat, wie
bey den Kindern, eben fo aud) bey der
Frau die Gewalt Über Leben und Tod. Wenn,
aber ein etwas vornehmer Hausvater geftorben. -
if: fo kommen feine Verwandte zufammen ,
und wenn fich irgend ein Verdacht. wegen feis.
neg Todes findet: fo wird mit der Frau, wie
mit Sklaven, eine peinliche Unterfuhung ans
geſtellt; und ift fie fihuldig erkannt worden,
fo wird fie aufs graufamfle gemartert und vers
brannt. Die Leichendegängniffe der Gallier
find, nach ihren Geſchmack, prächtig und
Fofibar. . Alles, was. dem, Verfiorbenen in feis‘
nem Leben. lieb geweſen ift , fogar fein, Vieh,
wird auf den Scheiterhaufen gebracht; und
es ift noch nicht lange, ‚da. man auch Skla⸗
ven und Klienten, von melden man wußte,
daß fie der Verſtorbene geliebt habe, nach
aehörigen Leichenbegängnifle , mit verbrannt
bat. Dieienigen Nationen , die wieder ihre‘
eigene Mepublifen ausmachen, haben dieß zu
einem Gefrge gemacht, daß ieder, der von
teigen Nachbarn etwas hoͤrte, das den Staat
| inter
69
intereſſirte, nur der Obrigkeit anzeigen, Feis
nem andern aber etivag davon fangen ſollte.
Denn man wußte es aus der Erfahrung, daß
oft Leute aus Uebereiluna und Unerfahrenheit
durch ſalſche Gerüchte in Schreden gelegt
und fo zu bofen Handlungen verleitet worden
find, und auch in den widtigfien Divgen
Entſchlieſſungen faßten. Die Obrigkeit verz
ſchweigt fodann, was fie! für gut befindet;
was fie hingegen für dienlich hält, macht fie
dem Volke befanne. Sonſt darf man auſſer
einer Bolfsverfammlung von Staatsangelegens
heiten nichts reden,
Die Germanier miffen von diefen Ge;
wohnheiten gar nichts, fie haben weder Drui⸗
den, die den Gottesdienft beforgen,, noch find
fie Sreunde von den Opfern. Die Sonne,
Das Feuer und den Mond halten fie allein für
Gottheiten, weil fie fie fehen, und ihren of—
fenbaren Eirfluß und Hülfe genieffen; von den
übrigen haben fie nicht einmal was gehoͤrt.
Ihr ganzes Leben if Jagd und Krieg, und
fie _gewöhnen fi von Jugend auf zu harten
Strapagen. Se länger einer unverheirarhee
bleibet; deſto mehr Ehre bringt es ihm bey
den Seinigen; denn fie glauben , daß dieſes
viel zur Groͤſſe, Stärfe und Feftigfeit des
Körpers beytrage, Daher halten fies für die
| € 3 groͤßte
70 — TRITT
groͤßte Schande, ſchon im zwanzigſten Jahr
Bekanntſchaft mit einer Frauensperſon zu das
haben; und dieß bleibt kein Geheimniß: denn
beiderley Geſchlecht badet ſich unter einander
in Siüffen, bedient ſich nur der Haͤute oder
kleiner Keibläge zur Bedeckung, und laͤßt eis
nen groſſen Theil des Leibes entblößt. Auf
den Ackerbau legen fie fi) nicht; fie leben bins
gegen größten Theils von Milch, Käfe und
Fleiſch. Es hat aud Feiner fein beftimmtes
Feldſtuͤck, oder eigenthümliches Land ; fondern
die Dbrigfeit und die Vornehmſten eignen ies
dem Volk und Familie iährlih fo viel Feld
au, als und mo fie es für gut befinden, und
auch diefes müflen fie nach Verlauf eines Jah⸗
res wieder mit einem. andern vertaufchen.
Hievon geben fie verfchiedene Gründe an: das
mit fie nicht, menn fie ſich beftändig fort dns
mit befchäftigten, mehr zum Ackerbau, ale
zum Krieg geneigt würden ; daß ſie nicht Luft
befämen, ihr Land zu erweitern, und, bey Zus
nahme ihrer Macht, die Schwaͤchern aus dem
Beſitz ihrer Güter zu vertreiben; daß fie nicht
bequemere Hänfer wider die Kälte und Hitze
aufbauten; damit in ihnen Feine Geldbegierde
entftehen möge, die fo vielen Anlaß zu Meus
tereyen und Zwift gäbe; und daß fie endlich
das gemeine Wolf durd ihre Zufriedenheit in
Schranken Halten möchten, wenn ieder fehen
| müßße,
|
|
—— 71
muͤßte, daß er eben ſo viel Vermoͤgen beſitze,
als die Maͤchtigſten. Je weiter eine Nation
um ſich herum unbewohnte und verheerte Ge
genden hat: deſto vorzuͤglicher iſt ihr Ruhm.
Denn fie halten dieß für das Kennzeichen three
Groͤſſe, wenn fie die Nachbarı aus ihrem
Lande treiben ,„ und es Fein Volk waget, na
- he bey ihnen zu mohnen. kind indem fie deß—
wegen keinen ploͤtzlichen Einſall befürchten duͤr⸗
fen, fo. halten fie ſich fuͤr deſto ſicherer. Wenn
ſie ſich vertheidigen muͤſſen, oder einen Krieg
ſelbſt anſangen: jo waͤhlen fie obrigkeitliche
Perſonen, Die das Kommando führen; und
die Gewalt über Leben und Tod haben. Iſt
hingegen Friede; fo haben fie Feine gemeins
ſchaftliche Obrigkeit, fondern in icder Gegend
und in iedem Kanton find die Vornehmſten ihs
ve Richter, Die. die Streitigkeiten heben.
Rauben ifi bey ihnen Feine Schande, wenn
es auſſerhalb ihrem Lande geſchiehet, und fie
preifen auch Diefes ale eine Uebung der Ju—
gend und ein Verwahrungsmittel vor den Muͤſ—
figgana an. Wenn nun einer von den Porz
nehmſten in der Verſammlung fi) zum Ans
führer einer Unternehmung angiebt, und fich
Die zu erfennen geben müflen, welde feine
Anhänger feyn wollen: fo fichen Dieienigen auf,
weile mit der Sache fonol, als mit dem
RAN — find , und verſprechen ihm
a Ihren
72 — —
ihren Dienſt; worauf ſie einen allgemeinen
Beyfall erhalten. Dieienigen aber, welche
unter: dieſen zurück treten, werden für Auss
reiffer. und Werräther angefehen, und man
glaubt ihnen in Feinem Falle mehr, Fremde
darf Niemand beleidigen; fie mögen zu ihnen
fommen, in welder Angelegenheit fie immer
wollen: fo fehügen fie folche wider alles: Uns.
recht, und balten fie für unverleglih. Zu ies
dem dürfen fie in das Haus kommen, und man
reicht ihnen ihren Unterhale
I, Brie⸗
EL
Het 5
#
CRM wilr
Fr
Anden Trebatius.
(Cicero B. VIl. Br. 15.)
Dyiee ein Beweis, wie nneind Leute
> mit ſich felber find, die lieben: Ans
fange war ich unzufrieden, daß es Ihnen
bey dem Käfar nicht gefallen wollte; num
fränft michs, daß es Ihnen da gefaͤllt. Ich
konnte es nicht leiden, daß Cie über meine
Empfehlung an den Cäfar Fein groöfferes Vers
gnügen hätten, und nun thut mir es weh,
daß Ihren etwas ohne mic) angenehm if,
Doch lieber mag mid die Sehnſucht nach
ihnen beunrubigen , als daß Sie das, mas
ich hoffe, nicht erlangen folten. Ueber Ihre
Freundſchaft mit dem liebenswürdigen und
gelehrten Marius habe ich ein unbeſchreibliches
Hergnügen Machen Sie ia, daß er Sie
recht lieben muf. Sie fünnen nichts ſchoͤners
aus diefer Provinz zurucfbringen , als feine
Freundſchaft; glauben Sie mirs! Leben
Sie wohl. ar) |
Ei Gel.
— — — ——
An
Pl
76
An den Marin
1 VE Da
— Auſtrag werde ich genau beſorgen.
Aber Sie find mir ein lhiſtiger Kopf; iuſt
dem haben Sie ihn getban, dem es Vortheil
bringen muß; wenn es recht theuer verkauft
wird. Doch war es noch klug von Ihnen,
daß Sie mir beſtimmt haben, wie hoch ichs
allenfalls nehmen ſollte. Hätten Sie mirs
erlaubt , fo würde ich es, nach meiner Lies
be gegen Sie, mit dem Miterben ausgemacht
haben. Nun aber weiß ih, wie viel Gie
‚anwenden wollen, und da will ich lieber ein
nen, der mehr bietet, beftellen, ale «8
‚mwohlfeil weggehen laſſen. Aber Scherz; bey
Seite! Ich will Shren Auftrag fo gut bes
ftellen, als es Pflicht iſt. Was den Burfa
anlanget,. fo bin ich überzeugt, daß Sie
‚Sid darüber freuen. Nur münfchen Sie
mir gar zu ſchuͤchtern Glüf. Denn, wie
Sie fhreiben, fo glauben Sie, daß meine
Freude, wegen diefes niederträchtigen Mens
ſchen, eben nicht fo groß wäre. Aber feyn
Sie verfihert , dieß Urtheil freut mic) mehr,
ald der Tod meines: Feinde: - Denn einmal
iſt mirs doch lieber, ihn durch einen richter⸗
lichen
—— 22.
lichen Ausſpruch, als durch Schwerdt übers
munden zu haben: und dann auch dieß, daß
mein Freund mehr Ehre davon trägt, als
Unglüd ; woben mir das belonders angenehm
ift, daß ſich die Patrioten ſo ſehr eiſrig fuͤr
mein Wohl wider das unbeſchreibliche Wider⸗
ſetzen des beruͤhmteſten und maͤchtigſten Mans
nes bewieſen haben. Endlich (es moͤchte aber
kaum wahrſcheinlich ſeyn) war mir dieſer weit
mehr verhaßt, als ſogar iener Klodius: denn
der erſtere hatte mich Vertheidiger
gehabt, und der leztere zu ſeinen Gegenpart;
und als die ganze Republik durch mein Un—
gluͤck in Gefahr gerathen ſollte, Hatte dieſer
wichtige Abſichten vor ſich, und zwar nicht
einmal aus ſreyem Willen, ſondern durch
Huͤlſe derer, um die es, fo lange ich im gus
ten Stande war, wuͤrde gefchehen geweſen
ſeyn. Jener Aff aber bat, zum Zeitvertreib,
mich zum Beften zu haben, auserfehen, und
einige meiner Feinde verfichert, daß er mich
ohne Aufhören quälen würde Freuen Sie
Sich alfa immer rede fehr:: es it was Wich—⸗
tiges geſchehen. Nie fochten Bürger irgend -
tapferer, als die, welche es wagten, ihn wis
der die fehr groſſe Macht desienigen, welcher
eben fie zu Richtern erwählt hatte, zu verur—
theilen; und das fie nie würden gethan haben,
wo fie nicht an meinem Schmerz gleichen Ans
— | theil
78 Genese
theil genommen hätten. Wir hatten hier mit
den vielen und volfreichen Gerichts; Tagen
und mit den neuen Gefegen fo viel zu ſchaf⸗—
fen, daß ich täglich Gelübde thue, daß fie
nicht weiter verlängert werden, um fie tur ie
eher ie lieber fprechen zu fönnen. Leben Sie
wohl. | |
— ——
An N; Ligarius.
(B. VI X. 14.)
Unsere Sreundfchaft macht es mir freilid) sur
Pflicht, daß ich Ihnen in Ihrer iezigen Si⸗
tuation etwas ſchreiben ſollte, um Sie zu troͤ⸗
ſten, oder aufzurichten. Ib babe es aber
bisher unterlaffen , weil ich glaubte, Ihren
Kummer durch Vorſtellungen weder ‚lindern ,
noch erleichtern: zu Fünnen. Nun aber, da
ich mir grofle Hoffnung made, Sie bald wies
der hergeſtellt zu ſehen, muß ich Ihnen nur
ineine Gedanken und Wuͤnſche offenbaren. So
iſſen Sie denn vor das erſte, daß Caͤſar,
wie ich merke und deutlich ſehe, nicht mehr
ſo gar boͤſe gegen Sie verſahren werde. Denn
fowol die Sache felbit und Die Zeit, ale auch
die Achtung vor der Welt, und wie mirs
duͤnkt, ſogar fein eigenes Naturell, macht
ihnu
ibn von Tag zu Tag guͤtiger: und das glau⸗
x ich nicht ‚nur, ‚in Anfehung der übrigen,
ndern auch vornehmlich, in Anſehung Ih⸗
rer, wird mirs von ſeinen vertrauteſten Freun⸗
den geſagt. Ich habe ſie auch, ſobald die
Naͤchricht aus Afrika Fam, zugleich mit Ib⸗
ren Brüdern unablaͤſſig gebeten: und ihr eds’
ler Charakter, pflihtmäfige Liebe, und aus—
nehmende Zärtlichkeit gegen Sie, nicht weni
ger ihre beftändige und immerwaͤhrende Sorg—
fale für Shr Wohl, hat füniel genngt , daß
ich denke, Gäfar werde alle Ihre Wünfche ges
gen Sie erfüllen, und follte es aud) etwas
langſamer hergeben, als wir es gerne fehen,
Denn um feiner vielen Gefhälte willen, ins
dem fih Feder an ihn halt, Fonnte man nice
leicht wor ihm kommen. Ueberdieß iſt er auch
wegen der Afrifanifhen Umftände etwas auf—
gehracht, daß es ſcheint, als wollte er denen
etwas länger zu ſchaffen machen, die ihn, nad) feiz
mer Meynung, mit mehreren Verdrießlichkei⸗—
ten geplagt hätten. Aber, fo viel wir ein;
ſehen, (fon beträgt er ſich von Taa zu Tag ges
laffener und fanftmütbiger. Glauben Sie mir,
amd denken Sie daran, daß id) Sie deflen
verſichert habe Sie follen bald-von Ihren
Verdrießlichkeiten befreyet werden. Hier habe
ich Ihnen meine Meynung gefagt, und nun
will id) sonen meine Wuͤnſche für Gie, mehr
* in
—
in der That, als mit Worten, zu
geben. Und waͤre ich ſo maͤchtig im Staat,
als ich es billig, nach Ihren eigenen Gedanz
ken, ſeyn ſollte, weil ich ſo viel Verdienſte
um ihn habe; ſo ſollten Sie auch dieſer Un—
annehmlichkeiten uͤberhoben ſeyn. Denn eben
der Umſtand, welcher Ihre Wohlfahrt in Ge⸗
fahr ſetzte, hat auch meine Macht geſchwaͤcht.
Indeſſen will ich doch, ſo viel nur der Schat⸗
ten meines vorigen Anſehens, und der Reſt
meines Kredits vermag, bey aller Gelegen⸗
heit/ mit Eifer, Rath, Fleiß, und Gunft
Ihre vortrefliche Bruͤder treulich unterſtuͤtzen.
Seyn Sie nur ſo großmuͤthig, wie Sie es
immer geweſen find, einmal um der ſchon
angeführten Gründe millen, und jodann y
weil Sie allezeit gegen den Staat fo ‚geneigt
und gefinnt waren, daß Sie nidt nur Gutes
hoffen dürfen, fondern auch alle Ungtücksfälle,
die Ihnen nur immer begegnen mögen‘, dems
ohngeachtet ben dem Bewuſtſeyn Ihrer guten
Handlungen und Abfichten , mit dem. größten
und fiandhaftefien Muthe ertragen muͤſſen.
An
—— gr
ni den Cicern
8. W. Sr. 5.) |
D; Nachricht von dem Hintritt Ihrer lie⸗
ben Tochter Tullia hat mich in der That —
und wie konnt' es anders ſeyn? ſehr geruͤhrt
und betruͤbt. Ich nahm Antheil an Ihrem
Verluſte — ia, wäre ih da zugegen geweſen,
ich würde Ihnen beygeſtanden, Ihnen pers
ſoͤnlich mein Leid bezeugt haben. Freilich iſt
das eine elende, eine bittere Art zu troͤſten,
wenn Anvermwandte und Freunde, die ung
Troſt zufprechen follen,, eben fo betrubt find;
wenn fie e8 ohne vielen Thränen nicht verfus
hen Fönnen, daß Sie fogar eher des Troſtes
Auderer bedürfen, als daß fie ihn Andern,
nach ihrer Pflicht, zu geben fähig wären.
Indeſſen will ich Ihnen doc) ganz kurz ſchrei⸗
ben, mas mir eben itzt einfaͤllt; nicht, als
ob ich glaubte, Sie wuͤßten dieſes nicht,
fondern weil Sie es vielleicht vor Schmerz
nicht ſo deutlich einfehen können. Warum
ſchlaͤgt Cie denn der über Ihre Familie vers
haͤngte Trauerfall fo gar fehr darnieder ? Bedens
fen Sie doch, mie das Schickſal bisher
mit und verfahren iſt, und uns das ent
riſſen bat, mas guten Männern nicht
minder werth ſeyn muß, als Kinder, ib
| 3 mepne
menne das Waterland , die Rechte, Der;
dienfie und allerley Belohnungen. Der eins
ige Verluſt kommt nod Hinzu! ift wol
dadurd) das Elend gröffer geworden? Der
muß nicht die Seele, durch ſolche Ungluͤcks—
fälle fo oft geprüft, ganz unempfindlich wer⸗
den, und alles andere um fo weniger achten ?
Sie bedauren etwa Shren Tod, als ein Uns
gluͤck? Aber wie oft müfflen Sie nicht auf
den Gedanken gerathen feyn , der auch mie
oft eingefallen if, Daß Dieienigen zu der
Ihlimmen Zeit recht wohl daran find,
denen es vergönnet wird, fo unbefümmert
ihr ‚geben mit dem Tode zu vertaufden 2
und mas Fonnte ihr denn ist dag Leben fo
ſehr reizbar machen? welcher Lmftand 2
welche Hoffnung? und melde beruhigende
Ausſicht? etwa die, in der Verbindung
mit einem der vornehmſten . iungen Herren
ihre Sabre zu durchleben? Da müßten
Sie Sid) erſt aus unfern iungen Herren
einen Schwiegerſohn nad) Ihrer Würde
wählen Fünnen, dem Gie fiber, als eis
nem vechtfchaffenen Manne, ihre Kinder
anvertrauen dürften. Oder etwa Kinder zu
gebähren, deren Glückfeeligfeit Ihre Freude
wäre? welche den väterlichen Ruhm durd)
eigene WBerdienfte behaupteten, ſtuſenweis
Ehrenfiellen im Staate erlangten, Freuns
| den
Bf 83
den dienten, und ihre Freyheit genoͤſſen?
Allein, if nicht alles das ſchon genums
men, ehe es Ihnen verliehen worden war? —
Menſch biſt? Ich kann nicht ſagen, mie
F 4
Je nun, der Verluſt ſeiner Kinder iſt
doch gleichwol ein Unglüf! — Es iſt wahr,
man iſt ungluͤcklich; aber noch weit un⸗
gluͤcklicher, wenn man iene Zufälle leiden
und ausſtehen muß. Hören Sie doch dag,
mas mic) ungemein getröftet bat: Vielleicht
Tann dieß auch Ihren Schmerz mindern.
Ich Fam neulich aus Afien zuruͤck, und
fhiffte von Wegina nah Megara zu. Ich
fahbe mid) in der ganzen Gegend allenthals
ben um. Hinter mir hatte ich Aegina;
vor mir Megara ; zur rechten Ppräus ;
sur linfen Korintd — fonft lauter Derter
in ihrem fchönften Slor! — Und die nun
in ihren Trümmern und Gteinhaufen vor
meinen Augen da lagen. Hier dachte ic
bey mir ſelbſt: Wie! wir ſchwache nichtss
bedeutende Menſchen merden unmillig, fo
etwa der Unfrigen einer eines natürlichen
oder gewaltſamen Todes hinſtirbt, da mir
doc auf Fein langes Leben Anſpruch machen
dürfen — und bier liegen fo viele Städte
im Staube beyfammen , wie bingeworfene
Leihname ? Servius! willſt du dich nicht
mäfigen, und erinnern, daß du nur ein
ſehr
fehr mid diefe Betrachtung aufgerichter Hat!
Auch diefes fielen Sie Sich recht vor Aus
gen, wenn es Ihnen getällia iſt: Seit
kurzem find auf einmal fo viele berühmte
Männer umgefommen ; dazu ift der, Staat
fo fehr im Verfall geratben, und alle Pros
yinzen haben einen fo harten Sturz erlit
ten — und der Derluft des Lebens eines
einzigen zarten Weibchens beunruhigt Sie fo
aufjerordentlih ? Wäre fie ist nicht geſtor—
ben , fo bätte fie doc nach) wenigen Jah⸗
ren sterben müfen:e Dem fi — ein
Menſch — mar dası geboren. Und dann
wenden Sie Sinn und Gedanfen von folchen
Gegenfiänden weg: Denken Sie vielmehr an
das, mas fi) für Ihren Charakter ſchickt.
Ihre Tochter war fo lange bienieden, als
es gut für fie war. Sie bat den Gtaat in
feinem guten Zufland, Sie als ihren Ba;
ter, als Prätor , Konful und Augur erlebe:
fie war mit fehr vornehmen inngen Herren
vermählt, hat fat alle Güter der Erde. zur
Gnüge genoffen — und nur beym Unter
gang des Staats gieng fie aus der Welt.
Wie Fünnen fie nun, oder Ihre Tochter
fib da über das Schickſal befchweren 2
Dergeffen Sie doch ia nit, daß ſie Eis
cero find, der Mann, ver immer nr
Andern UN und Rathſchlaͤge —
Lu *
85
‚geben pflegt... Machen Sie’s nicht, wie die
ſchlechten Aerzte, die zwar vorgeben ,,. 08
sfihiekt genug zu fenn, Andere zu heilen;
‘aber fi felber nicht helfen können. Lie⸗
ber halten Sie fih felbfi vor, was Sie
ſonſt Audern vorflellen, und überlegen Sie
es ben fih. Wo if ein Schmerz. der nicht
durch die Länge der Zeit abnehmen, und
‚erträgliber werden folte 2? Nur wär es
Ihnen Schande „ dieſe Zeit erſt abzuwarten,
‚und dem Uebel nicht durch Ihre : Weisheit
‚norzufommen. Ja, wenn die Todten noch
‚irgend, Empfindung. behalten ; fo verlangt fie
dieß gewiß nieht von Ihnen: Sie liebte Sie
ia ſo zaͤrtlich, und mit Ehrfurcht alle die
Shrigen. Thun Sie's alfo aus Liebe zur
Verſtorbenen, aus Liebe zu Ihren uͤbrigen
Verwandten und Vertrauten, die an Ihrem
Schmerz Antheil nehmen, aus Liebe zum
Vaterland. Sonſt koͤnnen Sie ihm nicht
mit Rath und That beyſtehen, wenn es
noͤthig if. Endlich, weil nun einmal das
5— uͤber uns gekommen iſt, darein
wir uns ergeben muͤſſen; fo dürfen. Sie
„nicht die. Leute auf die Gedanken bringen,
daß Sie nicht ſowol Ihre Tochter, als
vielmehr das Ungluͤck des Staats und die
Siege Anderer beweinten. Ich ſchaͤme mich
RD davon zu ſchreiben; ich moͤchte ſonſt
53 | das
86 | — mn
das Anſehen haben, Sie nit für den eins
fihtsnolen Mann zu balten, der Sie wirk⸗
li find. Doch, noch eins! Dann ſchlieſſe
ich meinen Brief. Mehr als einmal haben
wir geſehen, wie Sie Sich im Gluͤck ſo
ſchoͤn verhielten, und es macht Ihnen viel
Ehre. Nun zeigen Sie uns auch, daß Sie
im Ungluͤck gelaſſen ſeyn koͤnnen, daß Sie es
nicht fuͤr eine ſchwerere Buͤrde halten, als es
eigentlich iſt, damit es nicht etwa heiſſen
moͤge, es habe Ihnen unter fo vielen andern
Zugenden noch Die Gelaffenheit gefehlt.
Uebrigens will ich Ihnen, fobald ich erfahren
werde, daß Sie ruhiger find , von allen
Vorſallenheiten hier, und von dem Zuftand
meiner Provinz Nachricht geben. Leben Sie
wohl.
An den Lukceius.
(3. V. 88.123),
Ihr Brief war mir ſchon deßwegen ſehr ans
genehm, weil er mich tröftete : denn er ift ein
Beweis von Ihrer ſehr zaͤrtlichen Liebe, und
ſehr groſſen Einſichten. Aber er gewaͤhrte mir
noch ein anderes, ia weit groͤſſeres Vergnuͤ⸗
gen: ich ſehe, mie Sie fo edelmuͤthig das
ER | Irdi⸗
BES ’ 87
Irdiſche verachten, und fo wacker wider das
Schickſal gerüftet und bewaffnet find. Und
dieß dunkt mid), macht eben den Weifen fo
verehrungswerth , daß er unabhängig ift, und
nichts auſſer ſich hat, das ihn gluͤcklich oder
ungluͤcklich machen koͤnne. Diele Betrachtung
iſt tief in meine Seele eingeprägt, zu tief,
als daß fie mir entkommen Fünnte: Aber freis
lid) Hatten mid die gemaltigen Stürme und
Ungewitter, die über mich hereinbrachen , eis
nigermafen wankend und mürbe gemacht; doc)
ſah ich ſchon im Geiſte, daß Sie mir zu Huͤl⸗
ſe kaͤmen, und nun habe ichs wirklich im vo⸗
rigen Brief erfahren , und Sie haben viel das
mit ausgerichtet. | Ich muß es Ihnen alſo
mehr als einmal verfi chern , und nicht alein
zu verftehen geben, ſondern auch mit deutlis
chen Worten fagen, daß mir nichts angeneh⸗
mers hätte ſeyn Fünnen, als ihr Brief, Zu
meinem Trofte dienen mir die Gründe, die
Sie ſo ſchoͤn und ſo beredt vorbrachten, und
vornehmlich dieß, daß Sie mich ſehen laſſen,
wie großmuͤthig und edeldenkend Sie ſind —
und ich ſollte es nicht auch ſeyn? Welche
Schande für mih! Nein, ich denke, id)
bin da noch) flandhafter, denn Sie, ob Sie
ſchon von Großmuth predigen. Sie haben,
wie mirs deucht, noch einige Hoffnung, daß
es einmal beſſer werden wird. Denn die Zu—
54 fälle
fälle. bey den Fechtern, und andere ähnliche
Dinge mehr, auch die übrigen Gründe ‚bie
Sie in Ihrem Troſtſchreiben anführen, fagen
mir nichts. anders, als dieß: ich fol wegen des
Staats nicht alle Hoffnung aufgeben. Ihre
Standhaftigfeit it darum fo bewundernswerth
eben nicht, fo lange Sie nody einige Ausſi icht
haben; nur das iſt zu bewundern, daß Sie
noch einige Hoffnung haben koͤnnen. Denn,
fagen Sie Selbft , ift. nicht alles fo zerrüttet,
wie vertilgt und vernichfet ? Beſehen Sie
iedes Glied des Staats — — Sie kennen
ſie ia alle ſehr gut — finden Sie wol: ein
einziges, das nicht. ſchwach und Fraftlos waͤ⸗
ve? Ich wuͤrde mehreres hievon ſagen, wenn
ich mehr Einſicht hierinnen, haͤtte, als Sie,
oder wenn ichs ohne. ſchmerzhafte Empfindung
koͤnnte; iedoch, ich muß ieden Schmerz,
wenn ich Ihren Erinnerungen und Vorſchriſ—⸗
ten folgen will, vergeſſen. So will ich denn,
nach Ihrem Rath, mein häuslidies ‚Leid ers
fragen, und das Unglücf des Staats wol
noch etwas ftandbaffer, als Ihre Perſon bey
alle den Ermahnungen.. Denn, wie Gie
fehreiben, fo tröftet Sie nod) einige Ho
nung: id aber will immer auch dan, wo
nirgends mehr Hoffnung iſt, gelaflen feyn,
fo wie Sie mid) eben dazu ermunfern und
anweiſen. Denn Sie erinnern mich auf eine
| ange⸗
angenehme Art an mein gutes Bewußtſeyn,
und an das‘, was ich ‘vornehmlich auf hr
Zureden gethan habe. ‚Denn, mas id) meis
nem Baterland su Teiften ſchuldig war, dieſes
alles habe ich gethan, und gewiß mehr, als
man von dem vernünftigften und unterneh⸗
mendſten Manne billig erwarten kann. Ich
ruͤhme ‚mich ein bischen ſelbſt, verzeihen Sie
mirs. Denn, ſo wie Sie mid durch iene
Borfellung von dem Kummer befreyen wol
"ten; eben fo werde ih auch bier durch die
‚Erzählung berubiget. Daher will ich mich,
ſo viel mir nur möglich it, Ihren Vorſchlaͤ⸗
gen gemäß, aller Unruhe und ängftlidien Sor⸗
gens entfihlagen , und meine Gedanfen auf
daslenige richten, was im Ungluͤck unfer Troft,
‚und im Gluͤck unfere Ehre iſt. Ich will mic)
"mit Ihnen ſo viel unterhalten, als es nur
unſer Alter und fehwächlicher Körper erlaubet;
und Fünnen wir nicht ſo oft beyſammen feyn,
als wir gerne wünfchten , fo follen doch gleis
che Gefinnungen fo unter uns das Band der
Freundſchaſt kauͤpſen, Daß es eben fo gut-ifl,
als waͤren wir immer u einander. - Reben
‚Sie Rohe: 3
85 An
Anden Ti r Bi
6XvIl. Bean)
A. Tage Dar ich ſchmerzlich 4J Vothen
geharrt. Endlich, kamen fie, einmal nach 46
taͤgiger Abreiſe an, und ihre Ankunft war
‚mie ſehr willklommen. Denn einmal hatte id)
über den Brief meines liebreichſten und. theus
erſten Vaters ein ſehr groffes Vergnügen; und
dann machte mir Ihre allerliebſte Zufchrift die
Sreude erfi recht vollkommen. Nunmehr
veuet es mid nicht, daß ich eine Lüdfe im
‚Schreiben gemacht babe ; fondern es freuet
mid vielmehr. ». Denn durch mein Gtilles
fchweigen ward mir. Ihre Gütigkeit ſehr
sortheilbaft. Und fo iſt mir es ungemein -
lieb , daß Sie meine Entſchuldigung * |
Bedenken re —— laſſen.
*
Das "Serhht; welches ſich von wir
verbreitet, wird Ihnen unſehlbar, mein
liebſter Tiro, angenehm und erwuͤnſcht
ſeyn; und ich will es mit allen meinen
Kräften dahin zu bringen ſuchen, daß dies
fe gute Meynung die von mir entfieht,
von Tag zu Tag immer zunehmen möge.
Und nun immerhin, wie Sie's verfprocden
tn 4 haben,
J——— —X
haben, meinen Ruhm auspoſaunt! und das
beftändig, und mit entſchloſſenem Muthe.
Denn: die Fehler meiner jugend fehmerzen
und kraͤnken mich fo , daß id nichts von
der That mehr mwiffen , und eben fo menia
nur hören mag — fo grauet mir's dafür!
Sch weiß es zuverläfig, daß Sie an der
Unruhe und dem Schmerz; Theil genommen
haben. Und mas Wunder? Denn Gie
wuͤnſchten, fo wol um meinet, als auch
am Ihrentwillen, daß mir alles wohl ges
ben folte; und aud mein Wunſch war
immer »der, mit Ihnen meine Vortheile
zu theilen. Aber igt folen Gie Sich auch,
da, Sie ‚fonft meinetwegen allerley Unan⸗
nehmlichkeiten gehabt haben — ih mill
mir e8 ſchon angelegen ſeyn laſſen — über
mid) ; 5 *
Wae — ‚Mit dem Kratipp ſtehe
ich in ſehr guter Verbindung, nicht ſowol
als Schuͤler, ſondern als Sohn. Denn—
ſeine Vorleſungen beſuche ih. mit Vergnuͤ—⸗
gen, und die! ihm daben eigene Annehm—
lichfeit. nimmt mich ungemein ein. Ganze Tage
bin ih um ihn, und oft auch einen Theil
der Nacht. Denn ich erfuche ihn fehr oft
bey mir zu fpeifen,, und er gemähre *
meine Bitte. |
Diele
92 ei
Diefe Gewohnheit ift eingeführt, und,
ohne daß wir es wiſſen, beſchleicht er uns
oft, wenn wir zu Tiſche figen, ſetzt allen phis
loſophiſchen Ernſt beyſeite, und ſcherzt mit
uns, wie mit Freunden. Sorgen Sie nur
doch dafuͤr, daß Sie dieſen ſo vortrefflichen,
‘fo liebenswuͤrdigen und fo gelebrten —
ar eheite ſprechen.
| Und was foll ih vom Brutius ai,
‘der wegen feiner Mäßigkeit, Sparfamfeit und
fo gefälligen Umgangs mein beſtaͤndiger Ges
ſellſchaffter iR? Denn auch beym Studiren
and taͤglichen Diſ kurſen wird ver Scherz
nicht bey Seite geſetzt. Ganz nahe bey mir,
habe ich ihm eine Wohnung gemiethet, und
fuche ihn, bey ſeiner Dürſtigkeit, fo viel ich
fann, mit meinem Wenigen zu unferftügen.
Ueberdieß habe ich mich auch beym Kaſſius
in griechiſchen Reden haͤufig zu uͤben angefan⸗
gen; im Lateiniſchen aber will ich es mit dem
Brutius thun. Meine beſten Freunde und
taͤgliche Tiſchgenoſſen ſind die, welche Kratipp
von Mytilene mitgebracht hat — gelehrte
Leute, die ſeinen ganzen Beyfall haben! Sonſt
ißt auch Epikrates oſt bey mir, ein vorneh—⸗
mer Athenienſer, und Leonidas nebſt andern
mehr von der Art. So viel von dieſen, Die
mich betreffen. Was fi ie mir aber von Gor⸗
\ | gias
*
9
gias fehreiben ; fo ift er zwar bey feiner täglichen
Redeuͤbung fehr nuͤtzlich; aber ich habe alles
hintangeſetzt, um nur. den. Befehlen - meines
Vaters nachzukommen. Denn er ſchreibet
ausdruͤcklich, ich ſollte von der Stunde an
nichts mehr bey ihm hoͤren. Ausfluͤchte moch⸗
fe ich weiter nicht machen, um ihm nicht eb
wa durch meine allaugroffe Anhänglichkeit- eis
nigen Argwohn zu verurſachen. Sodann fiel
mir aud) bey, vaß es Feine Kleinigfeit ſey,
über den Geſchmack feines Vaters zu urtheis
len. Doch find mir. Ihre gütige Gefinnuns
gen, und Ihr Nath lieb und angenehm, Mit
der Entſchuldigung wegen der Kürze der Zeit
bin ich fbon zufrieden: denn ich weiß, wie
fehr Sie immer. befchäftiget find.
Sie haben ein Landguk gekauft? Das
ſreuet mid) ungemein, und ich wünfche, daß
Sie daben gluͤcklich ſeyn mögen Wundern
Sie Sid) aber nicht, daß ich Ihnen erfi das
zu Gluͤck wünihe. Haben Sie ia beynahe an
eben dem Orte in Ihrem Brief erit des
Kaufe gedaht. Neun mwiffen Sie doch, wo
Sie Ihre Komplimente hinbringen mäffen.
Sie find ein römifcher Landmann worden,
Si ftelle ich mir Ss reizendes Portrait vor
Auıgen;.
94 —
Augen, und es iſt mir eben, als ſaͤhe ic
Sie, mie Sie das Landgut kaufen, mit dem
Pachter reden, und allerhand Saamen von
dem Obſte im Aufferften Ihres Rocks halten.
Mas aber die Sache felbit anlangt, fo if
mir nicht weniger als Ihnen leid, daß ic
Ihnen nicht habe benftehen Eönnen. Indeſſen
zweifeln Sie ia nicht , mein lieber Tiro, daß
ic) Ihnen, wenn mir das Gluͤck will, zu
Hülfe fommen werde, befonders da ich weiß,
daß das Gut für uns gemeinfchaftlich gefauft
ſey. Daß Sie Sid) meine Aufträge haben
angelegen feyn lafjen, dafür bin ich Ihnen
verbunden. Noch erfuche ih Sie, mir aufs
ehefte einen Abfchreiber zu ſchicken und vorzjügs
lich einen Griechen: denn es geht mir viel
Zeit beym Abſchreiben der Worlefungen vers
ioren. Vor alen andern forgen Sie für hs
ve Gefundbeit, daß wir miteinander allerley
Unterſuchungen anftellen Eönnen Ich ems
pieble Ihnen den Anther, und leben Gie
wohl. | |
|
|
An
An Fabius Juſtus.
(Plin. B. J. Br. ıı.)
ie haben mir ſchon ſehr lange keinen Brief
gefchrieben. Ich meiß nichts zu fihreiben,
- fagen Sie. Gut, fo fhreiben Sie mir eben
dieß, daß Sie nichts zu fihreiben haben , oder
nur die gewöhnlibe Briefformel unferer Vor⸗
fahren : Wenn Sie Sid) nod) wohl befinden,
fo iſt mir's lieb; ich bin noch gefund.
Diefes ift für mich genua: denn das ift doch
das Wichtigfie. Sie meynen etwa, ich frherze ?
Nein! Ich bitte im Ernf. Schreiben Sie
mir ia, was Sie machen; denn das muß
ich wiſſen, wenn ich nicht änfferft beſorgt
ſeyn ſoll. Indeſſen leben Sie wohl.
— — ——
An den Paulin.
(B. II. Sr. 2.)
Ge; bin böfe , ohne rechte zu wiſſen ‚od
ichs ſeyn fol; aber genug , ich bin böfe.
Sie wiſſen, daß die Liebe zuweilen urbillig,
oft ausſchweiſend, und allegeit bey Kleinig⸗
feiten empfindlich if. Doch meine Urſache ifl
groß genug; nur weiß ich mie, ob fie
| billig
bifig iſt. Indeſſen thue ich, als ob fie niche
weniger billig, als groß wäre, und bin fehr
böfe auf Sie, daß Sie mir fo lange nicht
geichrieben haben. Sie Fönnen mich: durch
ein Mittel wieder gut machen, nämlich wenn
Sie mir wenigſtens nunmehr oft und. recht viel
fihreiben. Diefed will ih allein: für eine
wahre Entfehuldigung gelten laffen, die uͤbri⸗
gen nehme ich nicht an. Sch war nit in
Nom, id hatte viel zu thun, das: werde ich
gar nicht anhören; und ich war Frauf, das
wolle der Himmel nicht! Ich, mein lieber
Paulin, lebe auf. dem Lande, und ergoͤtze
mich zumeilen durch) Studiren, zuweilen auch
durch Müfliggang. Beides habe ich der Rus
be von oͤffentlichen Gefdäften zu danken.
Leben Sie wohl.
Gell.
An Septitius —
(81 Sr. 15.) |
&. | find mir ein Schöner! BER
Sich zu Tiſche, und bleiben dann ang ? Sie
befommen einen Proceß, wo Gie alle Unko—
fen dep einem Pfennig besablen follen; *
| ie
die nicht gering. Für ieden war Salat ber
ſtellt, auf iede Portion drey Schnecken, ein
Paar Eyer , nebft einem Trank von Meth und
Schnee (denn auch dieſen müfen fie mit ans
rechnen , zumal da der im Gerichte zers
ſchmilzt. Es. waren Dliven aus Andalnfien
da, Kürbiffe , Yulben und taufend andere Des
likateſſen. Sie Hätten einen Komddianten ges
hört , oder Vorleſer, oder Birtuofen auf
der Lyra , oder wol. alle: Sie kennen meine:
Freygebigkeit. Da find ſie aber, der Himmel
weiß wo gemefen , und Auftern , andere Les
eferbiffe, fremde Fifhe, und gaaditanifche
Mädchen waren Ihnen lieber. Sie follen mir-
das. nie. umfonft gethan baden. Warten -
Sie nur! Es mar gar nicht huͤbſch von.
Ahnen! Sie haben vielleicht Sich, zum.
wenigfien mir — aber doch auch Sid) felbft
feinen geringen Tore gethan. Wie hätten wir.
da ſcherzen, lachen, und uns unterhalten
wollen! Bey Andern Fünnen Sie zwar viel,
praͤchtiger ſchmauſen; aber nirgends froͤhlicher,
ungezwungener und ſreyer. Kurz, verſuchen
Sie's einmal, Und, wenn Cie dann nicht
andere, Einladunaen ausſchlagen, ſo entſchul⸗
digen Sie Sich bey mir ia immer, Leben
Sie — | DR
a An
98:
An Kaninius Rufus
(B. 1. Br. 3.)
PILZE mache wol Komum, Ihr und mein
Lieblingsort, Was das anmuths volle Lands
gut bey der Stadt? Was das Berfo (die:
Galerie), wo es -immer, wie im Frühling‘
it? Was der ſchattenreiche Ahornwald ?
Was der Kanal mit feinem grünen und bunt
geſchmuͤckten Ufer, und das für ihn daran’
fioffende Bafin ? Was iener weihe, und
doch fefte Promenaden » Gang ? Was ieneg
Dad, das die Sonne ummwandelt und mohls
thätig durdfiralt ? Was iene öffentlichen
und iene nur für Freunde beftimmte GSpeifes
ſaͤle? Und iene Wohn; und Schlafjimmer ?
Genieffen Sie denn auch dieſelben, und mas
den Sie Sich da abwecfelnde Wergnüguns
gen? Oder find Sie, nah Ihrer Ges
wohnheit, nod immer mit Ihrem Hausweſen
zu fehr befchäftige, und laffen Sich dadurch
von den öftern Spaziergehen abhalten ?
Genieffen Sie diefelben; fo find Sie ein
fehr glücklicher Mann: wo nicht; fo haben
Sie gar nichts vor Andern voraus, So
überlaffen Sie doch Ces-ift einmal Zeit)
* unedlen und ennteigen Sorgen Anz
bern,
— 99
dern, und widmen Sie Sich an dieſem
ſtillen und herrlichen Aufenthalt dem Stu—
diren. Dieſes ſey Ihre Beſchaͤftigung,
Ihre Muſſe, Ihre Arbeit, Ihre Erhoh—
lung. Mit dieſem bringen Sie Ihre Tage,
mit dieſem Ihre Naͤchte zu. Denken Sie
auf etwas, und arbeiten Sie's aus, das
von Sie ewig Befiger feyn werden. Denn
ihre übrigen Güter werden nah Ihnen
einen Herrn nad) dem andern bekommen;
aber, was Sie einmal ſelbſt werden aus—
gearbeitet haben, das mird beftändie Ihr
bleiben. Sch weiß, men id) ermuntere.
Ihr Eifer, Ahr Genie, ift mir bekannt.
Suchen Sie Sid) nur erfi Selbſt fo viel
zuzutrauen, als Ihnen Undere zutrauen
werden, wenn Sie es thun. |
An Kornelius Tacitus.
[or 0)
Sie werden laden, und ih gebe Ihnen
meine Erlaubniß dazu. Stellen Sie fid) vor,
dab id, ich felbi — Sie Fennen doch den
Mann ? — drey Schweine, und, wenn Sie
es nicht übel nehmen wollen, drey recht greife
Schweine gelangen babe? Sie ſelbſt? —
Br Ga br
200
hör ich Sie fragen. Ich felbft s--aber freis
lich, — damit meine Indolenz und Ruhe fo
wenig als möglich dabey verlöre, faß ich nicht
am Garn; und neben mir lagen, ſtatt der
Lanze und Des Sagdipiefes, Griffel und
Söreibtafel. So ſaß ib, überließ mich meis -
nen Gedanken, und fdrieb von Zeit. zu Seit
etwas nieder, um, wenn ich mit leeren Hans
den heim kaͤme, wenigſtens mein Taſchenbuch
voll zurückzubringen. Sie ‚hätten Unrecht,
wenn Sie diefe Art zu fludiren verachteten.
| Es ift erſtaunlich, wie fehr. der Geiſt durch
die Leibesuͤbungen, und eine mehr als ge⸗
woͤhnliche Bewegung aufgeweckt wird. Und
dann noch das angenehme Grauen der Waͤl⸗
der, und die Einſamkeit, und ſelbſt das all—
gemeine Schweigen, das beym Jagen beob⸗
achtet wird, — welche Reizungen zum Den⸗
fen! Folgen Sie alſo immer meinem Bey⸗
ſpiel „und nehmen Sie, wenn Sie auf die
Jagd gehen, Ihre Screibtaſel eben ſo rich—⸗
tig mit, wie Ihren Brodkorb und Ihre Kür
bisfafihe: Sie werden finden, daß Minerva
ſo gern auf den Bergen herumirrt als Diana.)
—
101
An die Hiſpulla.
( B. IV. Br. 19.)
©: r fi nd ein Muſter, wie man die Seinigen
lieben müffe, und haben mit Ihrem vortreffs
lichen Bruder bewiefen, wie zärtlich Sie beide
einander geliebt haben: Sie lieben feine
Tochter, wie Ihre eigene, nice nur als Tanz
fe, und erfegen ihr dadurd) die Liebe ihres
verlornen Vaters. Sollte es Ihnen nun nit
das arößte Vergnügen gewähren, wenn ic)
Ihnen ſage, wie wärdig fie ihres Vaters fen,
Ihrer, und ihres Großvaters? Groß ift ihr
Verftand, und eben fo groß ihre Sparfamfeit.
Sie liebt mih, Kein Deweis ihrer Keuſch⸗
heit) und aus Liebe zu mir auch die Wiſſen⸗
ſchaſten. Sie lieſt meine Schriftchen, ſtudirt
ſie, und lernt ſie ſogar auswendig. Wenu
Sie wuͤßten, wie beſorgt fie iſt, wenn ich eis
ne gerichtliche Rede halten ſoll, und wie vers
gnuͤgt, wenn ſie geendigt iſt. Sie ſtellt
Leute auf, die ihr erzaͤhlen muͤſſen, wie
meine Rede vor Gericht abgelaufen ſey,
welchen Berfall und melde Lobeserhebuns
gen ich erhalten habe. Leſe ich etwas üf
ſentlich ab, fo fißet fie in der Nähe,
‚abgefondert und verborgen , und hört gierigft
auf mein Lob, Gie finge meine Verſe, und
&3 ſpielt
10%
ſpielt ſie auf der Cyther, ohne irgend eine
Anweiſung; nur die Liebe iſt ihre beſte
Lehrmeiſterinn. Dieſe Urſachen geben mir
die zuverläffigfte Hoffnung, daß unſere ver—
einigte Liebe von Tag zu Tag immer zu
nehmen, und ununterbrochen ſeyn werde.
Denn-fie liebt mid), nicht , weil ich ſchoͤn
und iung bin, (Dinge, die ohnedem vers
gaͤnglich find, und mit der Zeit verwelfen)
fondern um meiner Verdienſte willen. Und
jo mußte fie auch werden, da fie unter Ih⸗
ver Aufficht erzogen, und nad) Ihren Grunds
fügen unterwiefen ift, in Ihrer Geſellſchaft,
nichts, als was tugendhaft und ſchoͤn heißt,
sejehen, und durch Ihre Empfehlung mid)
zu lieben gelernt hat. Denn da Sie meine
Mutter als Ihre Mutter verehrten; fo has
ben Sie mid auch glei) von jugend auf
angebildet, autes von mir geſagt, und pros
phezeyet, daß ich einft fo werden würde, wie
mid) nun meine liebe Gaftinn finde. Go
nehmen Sie denn bin unfern vereinigten
Dank: ich danke es ihnen, daß Sie mir fie,
und fie — daß Sie ihr mich gefchenft und
gleihjam uns beide für einander. auserlefen
haben. Leben Sie wohl.
— — ——— ——
An
103
An den Maxrimus.
(%. VII. Sr. 26. )
En vor wenigen Tagen veranlaßte mir die
Unpäßlichkeit eines guten Freundes die Ges
‚danken, daß wir die beften Leute ſeyn, wenn
wir Frank find. Denn, mo läßt ſich ein
Kranker von Habſucht oder Wolluſt beunrus
higen? Er froͤhnt nicht mehr... der Liebe,
ſtrebt weiter nicht nad) Ehre, bekuͤmmert ſich
nicht um Schaͤtze, und laͤßt ſich mit den ge⸗
ringſten Beduͤrfniſſen begnuͤgen, die er ohne⸗
hin hinter ſich laſſen muß. Dann erinnert er
ſich erſt, daß ein Gott, und er ein Menſch
ſey. Er beneidet niemand, bewundert nie—⸗
mand, findet Fein Vergnügen an Verlaͤum—
dungen „ giebt auch nicht Acht darauf Nur
mit Bädern und Duellen befchäftigt ſich feine
Phautaſie. Das ift das Ziel feiner Sorge,
das Ziel feinee Wuͤnſche. Ein flilles und
ruhiges, d. i. ein unfchuldiges , gluͤckliches Le⸗
ben will er führen, wenn er wieder geneſen
ſollte. Daraus folge eine Lehre für mid),
und für Sie, die kurz das enthält, was ung
Philoſophen fo weitläuftig in fo gar vielen und
Diefen Bänden haben lehren wolen, daß wir
bey gefunden Tagen beftändig fo leben, ale
wir zu werden, in der Krankheit verfprechen.
MR
204
An d en" Priſkus.
cCB. AI. Br. 21.)
84 hoͤre, Martial iſt geſtorben. Sein Tod
geht mir nahe. Er war ein vortrefflider
Kopf, fein Wig fein und fdarf, fein Herz
ehrlich und gut, wiewol Salz und Galle ges
nug in feinen Schriften if. Ich hatte ihm,
da er Rom verließ , ein Geſchenk auf die
Reiſe gemacht. Ich glaubte es unfrer Freund⸗
\
Schaft, und auch den Eleinen Werfen, die er -
mir zu Ehren gemacht hat, fhuldig zu ſeyn.
Vor alten Zeiten war es Sitte, mit Ehrens -
"zeichen, oder mit Geld dieienigen zu belohnen,
welche zum Lob einzelner Perfonen, oder gans
zer Republiken gefchrieben hatten. In unfern
Tagen ift mit andern loͤblichen Gebraͤuchen
ac) diefer abgefommen. Ceitdem wir aufges
hoͤrt haben lobenswärdige zu thun, machen
wir uns auch nichts mehr daraus gelobt zu
werden. Sie fragen mich vielleidit , was das
für Verſe fenen, die mic fo dankbar gegen
den guten Martial machten? Sch mürde Sie
an fein aanzes Buch verweifen, wenn ich nicht
einige auswendig wüßte. Gefallen Ihnen
diefe, fo Fönnen Sie die übrigen ſelbſt nach⸗
ſchlagen. — Er redet feine Mufe an, und
"pefiehlt ihr, nad) meinem Haufe auf den Er
quilien zu gehen. al — fo fährt er fort —
Aber
* Pe 105 N
Aber nimm dich in Acht, in trunknem
Muthe
Nicht zur Unzeit an der beredten Thuͤre
Anzupochen. Kr pflegt den ganzen
langen
Tag mit der ernften Pallas rg
Die die Reden ihm machen hilft,
mitten"
— Richter (wie Orpheus einſt den
ſtrengen
nihen Hoͤllenhof) bezaubert;
Reden, die wir, mit Stolz, und von
der Nachwelt
Unbeſcholten, den ew'gen Meiſterſtuͤcken
Des Arpinifchen Demoſthen entgegen:
Stellen — Sicherer weoft du,
| Diufe,
Dich des Abends zu ihm, wann ſpaͤte
‚Lampen
Zum gefelligen. Schmaus den Saal er⸗
leuchten.
Deine Stunden find dieß, wenn Bar
chus fehwärmet, -
Wenn die Roſe, die nicht mehr —
| Stirne
Branm und Salben vom Haare Pe
fen; dann ift
Dich zu eier)... au Kato nicht zu weife.
85 : ,.Zinden‘
> ea _
- Sinden Sie nun, daß id Recht hatte,
den Dann, der dieß von mir fehrieb, damals
‚mit Beweifen der wärmften Sreundfhaft von
mir zu laſſen, und nun da er nit mehr if,
als einen verlornen Freund zu betrauren? Er
gab mir das Größte, was er mir geben Fonns
fe, und würde gerne mehr : gegeben haben,
wenn er gekonnt hätte Wiewol, was fann
‚ein GSterblidier dem andern Groͤſſers geben,
als Ruhm und Unfterblidfeit 2? — Doch viels
leicht werden feine Schriften ſelbſt nicht un;
ſterblich ſeyn? Vielleicht; aber wenigfiens war
ed, da er fie ſchrieb, fein Wunſch, daß fie es
ſeyn möchten.
Wiel.
— — — — —
Mein Herr,
Sie haben mich durch Ihre angenehme Zus
ſchrift zu einem Briefwechſel gütig aufgeboten.
Hier haben Sie meinen erſten Brief. Sie
ſehen, daß Sie Feine Bitte an mid) verges
bens thun koͤnnen; allein. id) werde Ihnen
nicht finnreich ſchreiben. Ich ſchaͤtze die Art
der Freundſchaft hoch, mo man nur das Herz
reden läßt, und id fuche niemals Ihnen
durch) meinen Witz zu gefallen. Die ..
RN | en
\ —— — 107
chen Schönheiten, die artigen Züge, in den
DBriefen des Rabutin und der Sevigne, ba:
ben allein Reis für mid, und mein Herz
bleibt Falt bey dem gezwungenen Witze des
Balzak und des le Pays. Wie fehr wuͤnſchte
ich eben fo hergrührend zu ſchreiben, als die
portugiefifhe Nonne in ihren affeftvollen Brie—
jen, um Sie, mein Werther, in der zärt:
lihften Sprache zu verfibern, daß id Sie
liebe; daß ich niemals mehr Zufriedenheit,
als in ihrem Umgange empfunden habe,
und daß ich Ihren Kuß ſehnlich wuͤnſche!
Ihr Hirtenlied hat mich geruͤhrt. Dieſer
Ausdruck vertritt die Stelle eines ausgefuchten
Lobſpruchs; denn ich darf Sie doch nicht los
ben. Ich ſchicke Ihnen dagegen einige Schaͤ—
ſergedanken von mir, moran Ihnen nichts,
als die Kürze gefallen wird, ingleichen eis.
nen Verſuch einer Ueberfegung des Trauers
ſpiels Mahomet. Wie glüclidy ift man,
wenn man einen Freund hat, mie Gie
find ' Sie werden meinem Verſuche Feinen
ungegründeten Benfall geben; denn ein
Freund Fann nicht ſchmeicheln; und Ihr aes
gründeter Tadel wird mid) abhalten, eine
ſchlechte Ueberfegung zu liefern. Um Ihnen
einige Nachrichten, die ich für nen halte,
mitzutheilen, ſo melde ih Ihnen, daß neus
Aid) des Herrn von ss Luſtſpiel: die Des
a | | ſchwer⸗
108 — nun.
fchwerlichEeiten des Hoflebens mit vielem Bey⸗
fall vorgeftellt worden find. Meine Ueberfes
Kung des Schmeichlers dürfte auch nächftens
aufgeführeet werden. Ich habe die Werteuts‘
ſchung dieſes Luſtſpiels übernommen, weil ich
es für das beſte Stück des Rouſſeau halte,
und weil ich den Tadel des Gacon in feiner far
tyriſchen Lebensbeſchreibung dieſes Poeten nicht
billige. Den Gelehrten, ein Gedicht, ſo in
Hamburg herausgekommen iſt, werden Sie
ſchon geleſen haben, und ich darf Ihnen nicht
ſagen, daß es ſchoͤn ſey. Man verkennet den
beruͤhmten Verfaſſer nicht! Sch entdecke den
Spoͤtter unter dem geiſtreichen Dichter, und
es ſcheint eine Satyre zu ſeyn, davon ich die
Umſtaͤnde zu wiſſen wuͤnſchte. Erklaͤren Sie
mir doch was Sie durch die Faunen unter
den Berliniſchen Muſen verſtehen? Sch habe
Ihren Sinn nicht eingeſehen. Doch ich muß
nur aufhoͤren Sie mit Neuigkeiten und Fragen
zu beſchweren. Vielleicht beantworten Sie dieſe
Fragen, und dann werden Sie an mich ſchrei—
ben muͤſſen. Sie koͤnnen dieſes niemals zu oft
thun; aber machen Sie ſich geſaßt, meine
öfteren Antworten zu leſen.
Gleim,
——— u‘ 0),
Den
— — 109
Den Augenblick, mein liebſter Freund, gab
ich, unter fremden -Pettfhaft, an Sie ein
Naͤckchen auf die Pot, worinn Sie eine
hornene Schnupftabacksdoſe finden werden ,
mit der Junſchrift, auswendig auf dem Des
el: Peter Lorenzo, und innwendig
Norick. Erſt itzt ſchreib ich den Brief dazu;
und dieſen follen ie in einem öffentlichen
Dlatte lefen : den Sinn des Gefchenfs wers
den Sie gleich errathen; allein , id)
wuͤnſchte, daß Sie eben fo bald den
Geber dDeffelben errietben, und es dem
Herzen Ihres Jacobi zutrauten; and diefer
Urſache hielt id) den Brief nod) zurück.
Warum ich ihn aber drucen lafe? Weil
er in die Hände vieler kommen fell, die
unfere Freunde find, oder es ſeyn koͤnn—
ten. Hoͤren Sie alſo, mein Liebſter, die
Geſchichte der Doſe. Meinem Bruder, der
mit mir gleiches Gefuͤhl hat, und einem
Cirkel von empfindſamen Frauenzimmern, las
ich, vor einigen Tagen, Poricks Reifen
vor Wir Famen an die Gefchichte des
armen Franciffaners Lorenzo, welcher Yoric
um ein Almofen bat, von ihm abaewiefen
wurde, dur fein fanftmüthiges Betragen
dem Engländer Neue daruͤber einflößte,.
nachher zum Zeichen der DBerfühnung von
| —— — ihm
110 ET SEE
ihm eine ſchildplattene Dofe befam, 1004
gegen er ihm die feinige von Horn gab, u.
ſ. w. Mir lafen, mie Poric diefe Dofe
dazu gebraudye habe, um den lanften , ges
lafienen Geift ihres vorigen Beſitzers hervor⸗
zurufen, und den ſeinigen, bey den in der
Welt zu kaͤmpfenden Kämpfen , in Faſſ ſung
zu erhalten. „Der gute Moͤnch mar geſtor—⸗
„benz; NYorick faß bey feinem Grabe, zog die
„kleine Dofe berfür, riß einige, Neffeln zum
„Kopfe des DBegrabenen aus, und meinte, »
Wir faben einander ftillfchweigend an, ein
ieder freuete fih, in den Augen des andern
Thränen zu finden; mir fenerten den Tod des
würdigen Greifes Lorenzo, und des gutherzi—
gen Engländere. Unfer Herz fagte uns,
Horick hätte, Mären wir ihm befannt gewes
fen, ung geliebet; und der Franziffaner ,
glaubten wir , verdiene mehr, als alle Heilis
gen der Legende Fanonifirt zu werden. Sa ſt⸗
muth , Zufriedenheit mit der Welt, unübers
windliche Geduld, Verzeihung für die Fehler
der Menſchen, Diele erfien Zunenden lehrt
er feine Schüler : wie viel befier find fie,
als der Fromme Stolz der mehreflen gefliftes
ten Drden! Wie ſuͤß war uns dag Andenfen
‘an den erhabenen Moͤnch, und an den, der
fo willig von ihm lernte! Viel zu füß, um
nicht durch etwas ſinnliches autechaluen zu wer⸗
den!
den ' Mir alle Fauften uns eine Schupftabacks⸗
dofe von Horn, morauf mir mit goldenen
Buchſtaben die Schrift fegen Tiefen, die auf
der Ihrigen ſteht. Wir alle thaten das Ges
Jübde, des heiligen Lorenzo wegen, iedem
Sranciffaner etwas su geben, der um eine
Gabe uns anfprechen würde. Sollte in unfree
Geſellſchaſt fi) einer durch Hitze überwältigen
laffen; fo hält ihm fein Freund die Dofe vor,
und wir haben zu viel Gefühl, um Diefer
Erinnerung, aud in der groͤßten Heftigfeit,
zu miderftehen. Wäre einer fo ungluͤcklich,
daß diefes nicht eleich den verlangten Eindruck
auf ihn machte; fo muß er zur Strafe, bie
hornene Dofe mit einer andern vermwechfeln ,-
. bis er fie Durch eine befonders guthersige oder
fanfemütbige That fi) wieder eriverben kann.
Unfre Damen ,. die feinen Taback brauchen,
muͤſſen wenigftens auf ihrem Nachttiſch eine
ſolche Dofe fiehen haben; denn ihnen gehoͤ⸗
ren, in einem hoͤhern Grade, die ſanften
Empfindungen, die wir aus ihren Blicken,
aus ihrem Ton, aus ihren Urtheilen ſchoͤpfen
ſollen. Nicht genug war es ung, dieſe Ver—
abredung in einem kleinen Cirkel genommen zu
haben; Wir wuͤnſchten auch, daß auswaͤrtige
Freunde ſich uns darinnen gleich ſtelten. An
einige ſchickten wir das Geſchenk, das Sie be—
kommen ‚ ald ein ung heiliges Ordenszeichen;
Andern
3112
Andern ſoll dieſer Brief unfre Gedanken mits
theilen. Diele £efer werden gar nichts dabey
fühlen, Andere nie Much genug haben, fi)
in eine Berpflichtung zum Kampf über fi
ſelbſt einzulaffen ; : Andere wol gar Flein genug
ſeyn, fi an den Wohlſtand zu kehren, ver
ihnen durch eine Dofe von Horn beleidigee
ſcheint. Die erfien. bedauren wir: von den
zweyten hoffen wir einige Befferung , und die
dritten leben nicht für ung. Vielleicht hab ich
in Zufunft das Vergnügen , an fremden Drs
ten, bie und da, einen Unbefannten anzutrefs
fen , der mir feine Dofe von Horn, mit den
goldnen Buchſtaben, reicht. Ihn werd ich fo
vertraut, ald, nad) aegebenem Zeichen, ein
Freymaͤurer den andern, umarmen. Cr kennt
menſchliche Tugend, und wuͤnſcht beffer zu werz
den. D mie wollte ich mich freuen, wenn id)
unter meinen hiefigen Mitbürgern einen mir
fo theuren Gebraudy einführen Fünnte! Dann
würde die Religion fie nit mehr entsweyen ;
einen gemeinfchaftlihen Heiligen hätten fie;
der proteftantifhe Geiſtliche würde den Fathos
liſchen Ordensbruder feinen Freund nennen,
ihm verzeihen , daß er ein langes, graues Ges
wand trägt; und der Drdensbruder lernte,
bey feinen Walfahrten zu der im Hain geleges
nen Kapelle, alle Menſchen lieben, megen der
Gottheit, die für ale Menſchen, aus Liebe,
| den
man 113
den Hain erfchuf. Wir, mein Liebfter ,: went
die. Ungerechten, denen unfer Herz und unfre
Muſe nichts gethan haben, die ung haflen,
meil mir nit von ihren Feinden gehaßt mers
den; wenn diefe an unfern Liedern ſich räz
chen wollen, dann ziehen wir unfre Dofe
hervor „ und werden nıdıt boͤſe, und fingen
fore, ob wir fie vieleicht leicht beiänftigen
Eönnen? Wer weiß, ob fie nicht felbft mit der
Zeit bewogen werden, ein Fleines Geſchenk
von Horn von und anzunehmen?
Jacobi.
— — — —— — — —— —
—
Mein allerliebſter Freund,
Veoh ift Fein Tag hingegangen, wo ich nicht
hundertmal an Sie, und an alle unfre Sreuns
de gedacht, und mic bundertmai beflagt härs
te. Wenn alle meine Klagen Briefe geworden
mären; wie viel würden Sie nicht zu beant
worten haben ? Aber id) babe Sie fo lieb,
daß ih Sie mit meinen Klagen fo wenig bes
anrubigen will, als nur möalich ſeyn wird,
Ich Elage mein Leid mir, und den Buͤſchen,
in: die ich. mich alle Abende verliere, fobald es
ſechs gefhlagen hat. Noch habe ich hier zwar
keinen fo ——— Garten geſunden ‚als uns
H jere
|
114 EEE
£
fere Eleine wilde "Snfel war, wo der Geift
der Mufen unter der alten Linde, unter den
Weiden am Waffer, und überall fo gern her⸗
bergte; wo Sie, mein liebſter Freund, mid)
zuweilen flörfen,, wenn ich allein ſeyn wollte,
weil Sie mußten, daß ich nicht deßwegen als
lein war, um nicht bey Ihnen zw ſeyn; wo
die Narren nur felten binfommen, wo wir die
ganze Gegend durch, Geſpraͤthe der Freunds
ſchaft und der Liebe Beiligten. Alles dieſes iſt
für mich aus. Die einſamen Gegenden, die ich
hier durchſtreiche, weil ich noch kein bequemes
Linſiedleriſches Gartenhaus habe finden koͤnnen,
ſcheinen ſolcher Klagen, ale ich zu fuͤhren Luſt
habe, noch gar nicht gewohnt zu ſeyn. Allein,
ich will ſie noch dazu gewoͤhnren, und wenn
ein Poet oder Freund nach mir dieſe Gegen⸗
den mit ſeinen Klagen beſucht; ſo ſoll ihm
das Echo ſchon viel zaͤrtlicher antworten, als
ed mir antwortet. Vor dem einen Thore habe
ich es fon verſucht. Ich finde dort einen
fehr fehönen poetifhen Garten, mit Snfeln,
ziemlich natürlichen Einſiedeleyen, kleinen Ges
hoͤlzen, Nachtigallen und Lauben. Allein ich
Bin immer in Gefahr, vom einer Gefelfchaft
gefroͤrt zu werden, die nicht poetiſch if. Ich
‘Habe es alſo auch vor einem andern Thore
veriucht,, und hier ein ſehr ſchoͤnes, wohlein⸗
gerichtetes Caffeehaus gefunden, das ziemlich
ae a hau a
x
ATI
; Keil ig. befucht wird, aber dabey einen Garten
hat, in welchem man zuweilen fo olücklich iſt,
allein zu ſeyn. Hart hinter demſelben liegt
ein kleines Holz voll Nachtigallen, das aber
mandmal durch das Jauchzen betrunfner Sol—
daten auf wine ſchaͤndliche Weiſe entweiht
wird. Doch neben diefem Gehoͤlze if, auf
der andern Seite des Waflers, ein angenehs
mer Spaziergang hinter lauter Bauer ; Gärten
and Häufern, den wegen des nahen Wälds
Mens niemand. befuht, und den ic) eben des⸗
wegen beſuche! Heute hoffe ich dort an einem
abgelegenen Orte eine Bauerhuͤtte und viels
leicht eine. Laube anzutreffen, „wo. ich meine
einfiedlerifhe Reſiden; aufſchlagen kann. Ich
habe die Einſamkeit niemals mehr geliebt, als
iezt, und dieß if das erſtemal in meinem Le—
ben, daß ich einen Spaziergang, oder einen
Garten ſuche, um dafelbjt ungehindert ſchwer⸗
muͤthig zu ſeyn. Ah, mein liebfler Freund,
das habe ih niemals gedacht, daß ih Sie
und unſre andern Freunde, fo fehr lieb bätte,
ungeachtet: ib immer gewußt babe, daß Sie
Asaefame" dasieniae find, was ich “auf Dee
Welt am meiften liebe. Gruͤſſen Sie fie alle,
„wenn. ih, nicht. an fie ſchreibe, und eringern
"Ei auch unter unſerer ehrwuͤrdigen Linde auf
‚der Salel, Die Nachtigal und den. ganzen
Da Trölie
— —
ris — —
froͤlichen Himmel zuweilen an Ihren alten
Freund. Wie ſehr bin ich |
der Ihrige
Giefete.
f en er.»
— — — — ⸗
7 Pr
—
An Herrn von IRRE:
RR etr,
| Gnädiger Herr General,
N
Ds ich fo glüdlic) gemefen bin zum Bes '
fien Dero Herrn Sohns , wie, Er. ‚rühmet ,. etz
was. gethan zu babenn; jo muß. ic) ingleich Ew.
40 Excellenʒ
Dieſer und die zween folgende Briefe
ſind aͤchte Abſchriften einiger noch
ungedruckten Originalbriefe von
Gellert.
Excellenz aufrichtig befennen , daß Er mir
diefe Pflicht fehr leicht, ia daß Er mir fie
zum Vergnuͤgen gemacht hat. Sch mag auf
feinen. Verftand oder fein gutes Herz, auf
feine groffe Fähigkeit und Kenntniß der Wiffens
ſchaften, oder auf feine Wißbegierde und feis
‚nen täglich wachfenden Fleiß ſehen; fo ift Er
einer der beften iungen Cavaliere, die fich ie⸗
mals meines Unterrichts bedienet haben; und
ich verfpredde mir und der Welt aufferordents
lich viel Gutes und Groffes von ihm. Gott
laffe durch die glückliche Erziehung, die Ew.
Excellenz diefem hoffnungsvollen Sohne ges
geben haben , nnd noch geben, alle Dero väs
terliche Abſichten und Wuͤnſche erfüllt werden,
und ihn aus einem guten Sünglinge zu einem
der beftien und tugendhafteftien Männer aufs
wahfen' Er felbft, diefer theure Sohn, den
id) wegen feines frommen und edlen Herzeng
väterlich liebe, ift geftern gluͤcklich wieder ben
ung angefommen, und hat mir durch die Ueber—
bringung Dero gnädigen Zuſchriſt an mid,
feine Ankunft noch erfreulicher gemacht. Für
dieſes fhriftliche und unverdiente Zeichen Dero
Gnade danke ich heute Ew. Excellenz ehrer⸗
bietigft, und erſuche Diefelben zugleich gehors
ſamſt, Dero Herrn Sohn, wenn es möglich
iſt, unſerer Akademie und mir, noch Eünftigen
23 Som⸗
318 — —
Sommer zu uͤberlaſſen; der ich mit vollkommen⸗
tier BereBum zeitlebens verharre,
Ruer 2 Hochwolgebornen Erelenz
unteethäniger Diener,
Gellert.
— —
An Frau von R***®,
Hochwohlgeborne
und gnaͤdige Frau, |
©, viel ich fehe und von andern höre, fo
lebt der Herr Sohn nach) feiner Zuruͤckkunft
eingezogner, als vorher; und es ſey nun, weil
ichs wuͤnſche, oder weil ich ihm gewogen bin,
oder weil er es verfpricht: fo’ hoffe ic doch
mit vieler Zuverfiht, daß er auf die aute
Bahn, die er in Halle fo rühmlich betreten
bat, wieder zurückfehren, und fi und Leipzig
Ehre machen wird. Ich beareife fehr leicht,
wie er hier auf Abwege hat gerathen Fonnen.
In Ha lle war er in guter Geſellſchaſt, an der
Seite
gem REDE mE 119
Seite der Grafen von der & * * die man mir
fehr lobt, an der Hand eines wackern Hof
meiſters. Er durfte den Umgang nicht ſuchen;
er hatte ihn. Er durfte die Beyſpiele nicht
wählen, er ſahe fi. Seine Stunden waren
eingerichtet, und fein Fleis war auf gewiſſe
MWeife natürlih , und fein guter Charakter
aufler Gefahr. Er Fam Bieher, er follte Ges
ſellſchaften waͤhlen, Freunde ſuchen, feine
Studien ſelbſt einrichten, ſich ſelbſt fuͤh⸗
ven; und vo wie viel gehoͤret auch bey dem
beften Willen dazu! : Der Langenweile auf
der Stube zu entfliehen, wagt mean fi uns
vorfihtig in Gefelfchaften, und Feine find
vielleicht gefährlicher , als die auf Akademien,
wo die wenigften denken, weil fie nicht mögen,
and die meiſten ſchlecht denken, weil fie ih—
ren Neigungen gemäß denken. Man ergreift
lieber die Laft des Spiels , als daß man die
Arbeit, muͤſſig zu gehn, unbeſchaͤftigt zu feyn,
ertragen folte, Mit einem Worte, anädige
Frau, ich babe die befien iungen Herzen, die
forgfältig erzogen waren, oft in kurzer Zeit vers
derben fehen, fo bald fie Feinen Fuͤhrer, als
ſich ſelbſt hatten. Sie ſind es gewohnt, ge⸗
leitet zu werden, ſie denken alſo zu wenig an
ſich. Sie haben Vertrauen zu ſich ſelbſt, weil ſie
noch wenig Gelegenheit zu Vergehungen gehabt.
Sie wollen gefallen, und fie wagen ſich in uns
tg glücklis
329 re |
glückliche Geſellſchaften, welche die Miene der
böfen Sitten nıcht haben, und doch boͤſe find.
Die Mühe zu fludiren wird ihnen ohne Ges
führten, ohne Huͤlſe, ohne Ermunterung , obs
ne Nadeifrrung zu ſchwer. Sie hängen den
Mergnügungen nad), um nicht verdrießlich zu
ſeyn, und verirren fib an einem Drt, den
fie nicht Fennen „ fo ficher: fie an dem giengen,
‚der ihnen befannt war, Ich alaube, es würde
für den Herrn. Sohn fehr vortheilhaft gewefen
ſeyn, wenn er in den guten Händen in Halle
geblieben, oder doc nicht ohne Auffeher nad)
Leipzig gefommen wäre. So gut Leipzig iſt:
ſo iſt es doch für einen iungen Capvalier aus
hundert Urſachen ſehr gefaͤhrlich. Ich würde
doctren, wenn ich mehr ſagen wollte, und id)
denfe, ich habe ſchon docirt, Dergeben Sie
mir einen Fehler, anädige Frau, der unfrer
Lebensart fo eigen ift , den ich aus Liebe für
den Herrn Sohn, um ihn nad) meinem Ges
wiffen wenigſtens von einer Geite ber zu ent
fhuldigen , begangen habe. Sch hoffe, er wird
ſich wieder zuredie finden (um eg noch einmal .
zu fagen) nnd das Verdienſt wird fein, oder
doch die Frucht der ‚Borftellung feiner mit
Ruhm firengen und forgfältigen Mutter fenn.
Denn, anädige Kran, was fann id) anders
thun , ale daß ich ihn woͤchentlich beſuche, ibn.
Akte mich wöchentlich auch einmal zu befus
en
Gm nn 121
chen, daß ich ihn frage, mit ihm rede, ihm
glaube, wenn er ia, oder nein ſagt, ihm Ver—
trauen zu mir zu erwecken ſuche, Herrn St**
frage, wie der iunge Herr ſtudiret, lebet, Herrn
St * glaube, wenn er ia, oder nein fagt ? —
dieß ift es alles, was ich thun kann; und dieß,
wenn der Herr Sohn nicht das bifte thut,
wird wenig ausgerichtet heiſſen. Es ini ſchwer,
ſich von einem falfchen Wege gleich) auf den gu—
ten zu finden , fehmwer fib von gewiſſen Geſell⸗
falten auf einmal los zu reiſſen. Dod bin;
nen bier und Ditern muf fi alles entwickeln.
Wird er nämlıch binnen dieſer Zeit nicht fo,
wie Sie wuͤnſchen und befehlen : fo ift er nichts
laͤnger in Leipzig nöß. Und der einzige Vers
ſuch, den Sie noch mit ihm anftellen können,
wann er ia fiudiren fol, ift , ibn auf eine an;
dere Akademie zu thun und ihm einen Mann
‚an die Seite zu geben, der nicht alleın fein
Freund, fondern aud) mit dem Anfehn eines
Führers bekleidet if. Geſaͤllt Ihnen dieſer
Weg nicht; ſo iſt es tauſendmal beſſer, daß
Sie ihn einen Soldaten werden, als einen
unordentlichen Studenten bleiben laſſen. Ge
nug, ich werde Ihnen alles, mas ich erfahre,
freulich melden, und ib made dem iungen
Herrn aus diefer Pflicht Fein Geheimnif. Aber
wie froh, wie alücklich werde ih feyn, wenn
id) einer fo würdigen Mutter ſtets vie befte
25 Nach⸗
122 EEE
Nachricht von Ihrem Sohne geben Fantı. Ahr
lezter Brief, anädige Frau, ift voll von herois
ſchen Entfchlieffungen , die felten in das Herz
der Mutter Fommen. — Achthundert Thaler
find genug für einen ordentlichen inngen Herrn.
MWird- er recht fleifig , recht lobenswürdig ; fo
werde ich für ihn bitten, wenn ich glaube, daß
er das neunte hundert, daß Sie im Nothfalle
bewilligen werden, nöthig ha. — Welcher
lange, und dod) nicht viel fagender Brief! Wie
wahr ift eg, was id) im Voltaͤre, oder wo, ges.
lefen habe. Wann ich mehr Zeit gehabt hätte:
fo würde mein Brief Eürzer geworden feyn.
Vergeben Sie es meiner guten Abfiht, und
würdigen Sie mid) Ihres Vertrauens, und
Ihrer Gnade ferner.
Ich verharre mit der MONROE Hoch⸗
achtung,
Ew. Sochwoblgebornen Gnaden
gehorſamſter Diener
Ben
m . ea I
—
An eben dieſe.
Zochwohlgeborne Stau,
Gnadige Frau,
Einen iungen Herrn, mit dem der Herr Sohn
einen Hofmeifter gemeinfchaftlich haben Eünnte,
weiß ich zur Zeit nicht, und die Sache bat
auch ihre groffen Schwierigfeiten. Der Herr
Sohn ift es ſchon gewohnt, fi ſelbſt zu ſuͤh—
ren, und wird er ſich alſo fo leicht durch einen
Hofmeifter einſchraͤnken laſſen, wenn dieſer nicht
viel Klugheit, Erfahrung und Anſehen befiget?
Solche Hofmeifter find ſchwer zu haben. Leute,
die etwas gelernet , viel gelernet haben, dieſe
kenne ich wohl ; aber ſolche, die bey der Ge
Ichrfamfeit auch Lebensart, Verſtand und ein
gutes Herz befigen, folder Fenne ich nicht viele,
und die id) Fenne, find verſorgt. Indeſſen ha⸗
be ich mit dem Herrn Sohne gefprochen und
er ferne geneigt, an Herrn St** feine Stelle
einen andern Gefährten auf Oſtern anzunehmen.
Der einzige, den ich mit Gewiffen vorfhlagen
Fann, weil ich ihn feit acht Fahren kenne, heißt
H** Ich will Ihnen, gnädige Frau, ein
Feines Bild von ihm machen. Sein Herz iſt
gut. Er hat Verſtand. Er weiß fehr viel,
| a namlich
—⸗
124 | RETTET
—
nämlich die Rechte, Mathematik, Sprachen,
infonderheit Franzoͤſiſch. Er iſt ein guter Mus
fifus , fein ſchlechter Poet. Seine Miene ift
etwas hypochondriſch und fein Körper nicht fo
gut formiret, als ichs bey. einem Hofmeiſter
wünfche. Er hat etwas ſchuͤchternes an fid),
und in der That ift ers nicht. Er bat fiers
ordentlich und mit wenigem gelebt, iungen
Herren zeither Leftion im Franzoͤſiſchen, in
der Mufif und dergleichen geaeben , und ſich
dadurch feinen Unterhalt erworben, Wenn er
alfo.zu dem Herrn Sohne, als Kompagnion
oder Hofmeifter ziehen follte, wozu er nicht un:
geneigt zu ſeyn ſcheint: jo Fann er es nicht ans
ders thun , als gegen die DVergüfung Deffen,
was er verlieret, wenn er feine Stunden auf;
giebt , welches ungefähr nach feiner Rechnung
zweyhundert Thaler beträgt. Mit einem Wor—
te, gnädige Frau, fuͤr zweyhundert Reichstha—
ler wird er alles tbun, mas einem Hofmeifter
zufömmt , wenn er auch nicht Hofmeifter beif
fen fol, Wenn er diefes Salarium befümmt:
fo verlanget er feinen Tiſch. Um einen leid):
tern Preiß weiß ich Feine Seele. Herr H**
iR ungefähr drenfig Fahre, aber noch nie Hof
meifter in Form gewefen. Herr St*” fcheint
aud) geneigt , fi) su verändern. Der Herr
Sohn, fo viel id weiß, lebt ordentlich ; denn
fo lange ich feine Einrichtung , feine Geſell—
ſchaft
— 125
fchaft, feinen Kompagnion, nicht genauer ken—
ne, muß ich allezeit ſagen, ſo viel ich weiß.
Wie gluͤcklich wollte ich mich ſchaͤtzen, wenn
ich durch meine Sorgfalt etwas zu feinem Bes
fen beytragen Eönnte ! Ich wünfhe es und
verharre mit der vollfommenften Hochadytung
Ew. Sochwohlgebornen Gnsden
gehorfanifter Diener
G DE;
An den Stafen Mon B*.
| Kiebfter Graf, Ei | |
Der erfie ‚Brief, den id Ihnen nad Paris
ſchreibe, fol Eur; , fol nichts, als der Wunſch
ſeyn, daß es Ihnen woh! gehen mag. Doch
wohl gehen, das iſt für mein Herz zu wenig
gewuͤnſchet. Nein, es muͤſſe Ihnen fo wohl
geben, als es dem beiten Herzen auf Erden
gehen kann. Es müfle Ihnen Feine von den
Freuden fehlen, die der Hof nicht Fennt, Die
ET der
126
‚der Meile, in ſich ſucht, und: in. der firengen
Herrſchaft über ſich felb allein findet. a,
mein liebſter Graf, ein folcher Wunſch if der
wuͤrdigſte und größte, deu ich für Sie weiß;
und wenn Ihr Herz Sreude für Sie hat, ſo
werden tauſend Dinge für Sie Anmuth wers
Den, die Andern gleichgültig find, und hun—
dert Beſchwerlichkeiten Ihnen klein werden,
die Andern unertränliche Laſten find, Gott ges
be Ihnen, unter den Reizungen und DVerfus
ungen des’ Hof, Muth und Stärke, die
wahre Hoheit der Seele zu behaupten! Und
Feine Stimme der Frengeifteren, Fein anges
‚fehner Wiß , feine falſche Ruhmbegierde made
Sie einen Augenblick in der Weisheit der Res
ligion ungewiß! Beſter Graf, wer uns diefe
nimmt, der nimme und Wahrheit und Gott,
und mit beiden alles. Ich weiß, wie geſaͤhr⸗
lic) der Ort iſt, in dem Sie leben, und ich
muͤßte Sie nicht lieben, ich müßte Fein ge⸗
wiſſenhafter Mann fepn, wenn id) Sie nicht
‚sur, Behutiamkeit ermuntern mollte ; fo ſehr
id Auch weiß, daß Sie ohne mich ales und
‚mehr thun werden, ale ‘ic irgend“ "einem
uͤnglinge von Ihren Jahren zutrauen kann;
denn in meinen Augen find Sie kein Juͤng⸗
ling, oder doch nur das Beyſpiel der befien
endend,
Und
ROETECTEZERRER | | 327
Und nun, thenerfier Graf, will id Sie
fragen, wie es Ihnen in Paris gefällt, womit
Sie fi) vergnügen, womit Sie fih beſchaͤf⸗
tigen? Sie lefen doch über Ihre gewöhnlis
‚ben Gefchäfte fleifie? Fa wohl — — —
Auſ dieſen kleinen Brief fol Eünftige Wode
‚ein deſto gröfferer folgen. Diefes verfpreche
id) ihnen, oder: vielmehr mir — und bin
der ac )
_
Di
Chenerfter Serr Doktor,
Wonit verdiene ich doch alle die Liebe, die
Sie fuͤr mich eben ; die brüderliche Liebe, die
Eie mir in: Ihrem lezten Briefe mit einer
Beredfamfeit erklären yu.deren nur. wenig Her⸗
jen fähig find; eine Liebe, die ich nicht aufs
richtiger, edler und frömmer denken und wüns
chen kann ? Doch muß man denn ein Ge
ſchenk verdienen, um es annehmen und ſich
ſeiner erfſreuen zu koͤnnen? Genug, daß ich
den ganzen Werth Ihrer Freundſchaſt und
Liebe empfinde, ſchaͤtze und durch Gegenliebe
und — uͤber Ihre Guͤte, zu verdie⸗
nen >
128 nnd
nen berzlih wuͤnſche. Dieſes, thenerfter
Freund, kann ich mit Wahrheit von mir fas
gen, und möchte ichs Ahnen doch in diefem
Augenblide durd Umarmungen und Thränen
der —** perſoͤnlich ſagen koͤnnen! Sch
habe Sie alſo, nach Ihrem gürigen Geſtaͤnd⸗
niſſe, durch meinen lezten Prief nicht wenig
beruhiget und. getröftet? D dafür ſey Gott
gedanfet, der mir diefen Sinn gegeben, und
meine Worte gefeegnet hat! Er erhalte Sie
ferner bey Ihrem getroften Muthe, und gebe
Ihnen die Ruhe und Zufriedenheit einer Sees
le, vie ihm vertraut, in allen Faͤllen Ihres
Lebens. Er bealüde Sie mit allen den hs
rigen in einem langen Leben, und feegne bs
re eifrigen Bemühungen für die Erhaltung
und Wohlfareh der Menden! — Die
Cremplare Ihrer gelehreen Schriſt habe ich
einem geichickten Medifo gegeben „ und fie
durd ihn ven Männern überreichen laſſen,
für) die fie beftimme waren. Billigen fie Ihr
neues Syſtem nicht ganz (uud welche neue
dethode findet ſogleich einen allgemeinen Bey
fall?) fo ſchaͤtzen ſie doch die Verdienſte des
Erfinders. Leben Sie wohl, beſter Mann;
denn id) habe Ihnen nun fo viel geſagt,
als ein kranker Sreund, dem bey dem bi
fien Willen doch das Schreiben fauer wird,
feinen Freunde auf einmal fagen - Fann.
— Gruͤſſen
EEE 129
Gruͤſſen Sie. Ihre thenerfte Frau und lieben
Kinder herzlichſt von mir, und fdenfen Sie
mir. ferner. Ihre Liebe und Ihr Gebet, den
| Segen chriftlicher. greunbfal Ich ‚bin ſo
lange ich lebe Un nn
An den Herrn Profeſſor Gellert,
—— —— Sreumd 4
J⸗ habe keipzig berlaffen. len ob
Eie zu fehen ; ohne von. Ihnen Abſchied neh⸗
men zu koͤnnen; ohne Ihnen dep unſenn
leisten Umarmungen wenigſtens durch Thraͤnen
ſagen zu koͤnnen, wie ſehr ich Sie liehe. Ich
bin von Ihnen getrennt, und ſoll die groſ⸗
ſen Vorzuͤge Ihres Geiſtes, und die noch
groͤſſern Vorzuͤge Ihres Herzens kuͤnftig nur
aus der Ferne verehren. O wenn ich Ihnen
ſchreiben koͤnnkewie empfindlich mir dieſes
* rin: wie br ich Sie hochchate ·
td 33 ir
130
Ich bin anf dem ande bey meinen Nels
tern, und wenn ich an den Plan vom Landle⸗
ben denke, den mir einmal zuſammen machten,
fo ſeuſze ich ſo ſehr, daß man mir Schuld
giebt, ich hätte eine Geliebte in Leipzig zus
rüctgelaffen. Aber aisdann fange id) an von
Ihnen zu reden, und da bin ich fo uners
ſchoͤpflich, daß fogar die Bedienten , die bey
der Zafel aufwarten, untereinander fprechen,
fie möchten dody den Mann gern Fennen, von
dem der iunge Herr ſoviel fage, und bey deſ—
fen Erinnerung, ihm immer ii Eh in die
Augen kaͤmen.
Ich bin zeither durch Reifen nad) Anſpach
ſo zerſtrenet worden, daß ich kaum Zeit zum
Denken gehabt; ſonſt haͤtte ich Ihnen ſchon
eher gefchrieden. Keine ‚gereimte Zeile, ſeit
ich Leipzig verlaſſen habe. 3 Y
Es haͤngt die früh" betwiffne —* it
An ſchwachen Aeſten Blaffer Cypreſſen
Benetzt von ſtillen zaͤrtlichen Thraͤnen
Ertoͤnen die ſchlummernden Saiten |
ori — — — udn
RER fhiche ghnen meinen. Seinio, sub; eis
nige-andere‘ Kleinigkeiten. Vertreten Sie auch
noch entfernt das Amt meines Lehrers, und
| Ipgen Sie mir die po“ diefer Stuͤcke, —* 4
es:
fie nicht zu viel Fehler Haben , als daß fie fi)
verbeſſern lieffen. Auf dieſen Fall aber ſchicken
Sie mir ſie wieder, und ich verſpreche Ihnen,
ſie augenblicklich zu verbrennen. Ich ſetze noch
immer „mein Vertrauen auf Sie, und hoffe,
Sie ſollen mich nicht ganz vergeſſen. Viele
leicht verdiene ich Ihre Freundſchaft ſonſt durch
Feine gute Eigenſchaft; aber mein Herz iſt fo
vol von Zaͤrtlichkeit und Dankbarkeit gegen
Sie, ‚daß id) doc) dadurch einen Platz in Ih⸗
rem Andenken verdier
Empfehl Sie mich dem Herrn Grafen
von Bruͤhl, Ihrem Herrn Bruder, und dem
ſchalkhaſteſten und liebenswuͤrdigſten aller Steuer⸗
reviſor. Ich weiß, daß Sie nicht gern Briefe
febreiben, und ich mill nicht fo unbeſcheiden eyn,
/ auf leiffige Antworten zu dringen. Erlauben
Eie mir nur "bisweilen, Ahnen zu ſchreiben.
erben Se Rn Ich bin jeitlebens
m |
‘
wi,
- aufrichtigfter Freund
und Verehrer
pon Eronegt,
J 2 Mein
Mein mh, r "Heft Buben, w de
DO ih bleich an Inge ——— einen SEHR
pefchrieben habe, worinnen ib Sie um Ver⸗
zeihung meines "langen ' Stillſchweigens bat:
fo muß ich doch meine Abbitte tiederholen.
Ich mag mid) nicht rechtfertigen Ihr Tester
Brief: war fo zärtlich), ſo vol Freundfchaft,
daß ich ganz aufferorventlich "davon bin ges
rührt worden ; aber, od Sie mich, gleich mie
bittern. Vorwuͤrfen verſchonen wollten, ſo war
er doch) fo zornig, fo. zoͤrnig, daß Sie mich
recht erſchreckt haben. Nein, mein liebſter
Rabener, wir wollen ung nicht einander. fremd
werden. . Das ift weit von mir entſernt, daß
ich einem einzigen meiner ‚Sreunde, ‚fremd, wer⸗
den ſollte. Viele von meinen Freuuden wer⸗
den ed gegen mich; denn es giebt einige ,
von denen id, weil ich bier bin, auch
nicht eine einzige Sylbe gefehen babe. Aber.
ich, vergeſſe gewiß keinen einzigen, und ich
erinnere. mich meiner ehemaligen glücklichen
Zeiten um fo viel empfindlicher, ie weniger
mir es noch möglich geweſen ift, bier einen
Freund, mit dem ich vertraulich umgeben
Fönne , ausfindig zu machen. Denn Klopſto⸗
| | den -
PR —
—
133
cken kann ich wenig genieſſen, weil ihn bis⸗
her ſeine Umſtaͤnde verhindert haben, in der
Stadt zu wohnen; zwiſchen denen, die hoͤ—⸗
ber find, als ich bin, und mir bleibe, fo
lieb fie mid) auch haben, doch allezeit cine
gewiſſe Entfernung, die mich hindert, fo
vergnuͤgt dur ihre Sreundfchaft zu werden,
als man ſeyn würde, wenn fie uns dem
Stande nad) näher wären. And ich follte
meinen Rabener vergeffen Fünnen , und ihm
fremd werden? Wie zärtlich und wie goruig
it Ihre Bitte, Daß wir es fo lange vermeis
den wollen, als wir fünnen! Alſo wird es
wol auf ewig vermieden werden; denn id)
will gerne fleifig (reiben. Und Sie werden
mir kuͤnſtig, und zwar bald, gewiß etwag
von Ihren Umſtaͤnden melden; denn ich neh⸗
me den groͤßten Antheil an dem, was Sie
angeht. Alſo ſeyn Sie ferner mein lieber
Rabener, und ſchreiben Sie mir bald, daß
Sie mir mein langes Stillſchweigen ganz vers
geben haben, ſo vergeben, als wenn ich ſehr
oft an Sie geſchrieben hätte, weil ich mic)
gewiß beſſern werde. Aber ich ſetze dieſes
ganz furchtſam hinzu, Sie muͤſſen auch nicht
do. kurz ſchreiben, als Sie immer gethan
DONE a a ah anni
Erhalten Sie Ihrem Sramer ihre Freund
J3 ſchaft
334 —
ſchaft und Liebe. Ich werde Sie ewig
Ihr
Cramer.
An Herren Cramer.
D enten Cie etwa, mein Herr, daß ich iezt
auf Ihren Brief vom raten Jänner antwors
ten wolle? Denken Sie das nur nice.
Mir find beyde nicht gewohnt, uns ſo zu
uͤbereilen. Auf den ı2ten Jänner 1755. iſt
es immer noc Zeit genug; da bleiben wir
fein bey unferer alten Ordnung. Nicht wahr,
lieber Freund, alſo antworte ih Ihnen
nicht: Aber zaufen will ich mich mit Ihnen.
En? Ya, ia, im ganzen Ernfte! Nehmen
Ste nur Ihre Müge ab ; denn ih will Gie
erbärmlich ausſchelten Ein ſo wichtiges Amt
zu befommen, und mir nicht ein Wort davon
zu melden ! Ganz von ungefähr habe ich es
| in
235
in Leipzig erfahren. Iſt das erlaubt 2; 8
Air die Nachlaͤſſ ist | a
Den Augenblick ſehen Sie Sid bin
und ſchreiben mir alles, wie es mit Ihrer
Veraͤnderung zugegangen iſt? Wie Sie Eich
befinden? wie Sie Sich befinden wollen?
Alles ſchreiben Sie mir, und alsdenn will ich
Ihnen auf zween Briefe recht weitlaͤuftig
antworten. ⸗Was machen Sie mir fuͤr
eine trotzige Miene? Im Ernſte? wollen
Sie nicht ſchreiben? et⸗ EN ‚Sie mir
niche ! i
Rabener.
Wie heſcheiden find Sie, mein liebſter Gel⸗
lert, daß Sie meinen Beyfall als einen Theil
der Belohnung für Ihre frommen Gedichte
anſehen wollen. Sie haben ihn ganz, dieſen
Beyfall, den Ihnen Feiner von Ihren Leſern
verſagen wird, welcher nicht ſo ungluͤcklich
iſt, ein Feind von Religion und Witze zu
5 Bisher babe ich Sie, als meinen bes
J 4 ſten
136
ſten Freund, aufrichtig und zaͤrtlich geliebt;
ich babe nicht geglaubt, daß meine Achtung
für Sie noch höher fleigen Fönnte, als fie
war: aber ſie iſt in der That noch um einen -
NERVEN amd: hoͤher aa
Liebenowůrdig f nd Sie mir ya 003
weſen, aber nun Mind Sie mir auch ehrwuͤr⸗
dig. Ich nehme diefes' Wort in feinem: weis
ten und prächtigen Umfange, den es hatte,
ehe man ed noch an viele Thoren verſchwen⸗
dete , die keine Vorzuge vor dem m. ha⸗
ben, als die Kleidung.
Sie duͤrſen keinen Augenblick zweifeln,
daß Sie mit dieſen Ihren frommen Gedichten
erbauen werden. Die Erbauung wird doppelt
ſeyn, da die Welt Eie bereits auf einer fo
vortheilhafften Seite kennt. Durch Ihren
Witz haben Sie die gerechten Vorurtheile des
Publikums gewonnen , welches nichts anders,
ale etwas lehrreiches, tugendhaftes und. volls
fommenes erwarten, fobald es Ihren Namen
erblickt. Wie vortbeilhaft wird nunmehro dies
ſes Zutrauen der Welt für unfere heilige Res
ligion ſeyn! Ihre Fabeln und Lehraedichte has
ben die Leſer zu den erhabenen Gedanken vor—
bereitet, die ſie nunmehr in Ihren geiſtlichen
Liedern ſinden. Verehrer der Religion werden
mit
mit diefen Gedichten: den: Leichtſinn dererienis
gen beſchaͤmen, melde glaubten, daß der Wig
nur zu einer. eitlen Belnfligung gut fey. Und
dieſe Leichtſinnigen muͤſſen die Keligion lieb
gewinnen ,; da fie ihnen in einer ſo angeneh—
men und reizenden Kleidung vorgeflellt wird,
Sp. glüdlidy find. die Folgen , mein reds
licher Gellert, bey denen, die Ihre Schriften
leſen, ohne Sie genauer zu Fennen ; mas wer—
den fie nicht erfi ben Denenienigen würfen , Die
Ihr gutes Herz Fennen? Diefen find Shre
Mahrbeiten doppelt überzeugend, da fie wiffen,
aus was für einer reinen Duelle, aus was für
einem guten. Herzen alle diefe Wahrheiten herz
flieffen. Ich habe es Ihnen fo oft geftanden,
daf mir Ihr rechtſchaffenes Herz noch ſchaͤtzba⸗
rer iſt, als Ihr Witz: und haͤtte ich es Ihuen
noch niemals geſtanden, ſo wuͤrden Sie mir
durch Ihre Lieder dieſes Bekenntniß nunmehr
gewiß entreiſſen. Unmoͤglich haͤtten Sie ſo
gut und kehrreich ſchreiben koͤnnen, wenn Sie
nicht diefe heiligen Wahrheiten aus einer ins
nern Ueberzeugung gefhrieben hätten. Ich
glaube, ſcharſſichtige Augen entdeden den feins
fin Heuchler allemal unter der frommen Mas—
- Fe, hinter welcher er verborgen zu ſeyn wuͤnſcht.
Voltäre kann ung goldne Sittenfprüdhe pres
digen, Tugend und Menſchenliebe in feinen
| J 5 RAN Ders
138 RENTEN
Derfen vergoͤttern, und die Religion in tragis
fhem Pompe aufführen. Er wird gefallen,
aber niemals wird der DVoltäre erbauen , def
fen ungöttlicher Leichtſinn, deſſen ſchmutziger
Witz, deſſen liebloſer Eigennutz uns ſeine Sit⸗
tenſpruͤche, feine Reime von Tugend und Mens
ſchenliebe, und feine Religion verdächtig mas
chen. Man muß ihn haſſen, fo bald man lief,
‚wie edel er ſchreibt, und dennoch —* wie nie⸗
drig er denkt.
Wie ernſthaſt haben Sie mich gemacht,
mein lieber Gellert, und doch empfinde ich
bey aller dieſer Ernſthaftigkeit eine Art des
Vergnuͤgens, das ich kaum empfunden habe,
wenn ich ‚(herzhaft und ſpottend an Sie ſchrieb.
Weld ein vortrefflicher Freund find Sie!
Ich fühle iezt den ganzen Werth Ihrer Freunds
ſchafft. Ihnen darf ih Sachen vorfagen, die
ih feinem andern. vorfagen würde, da fie zu
viel Aehnliches von einer Schmeichelen haben.
Über Sie, guter Gellert, Sie fennen Ihren
Rabener, der nicht gerne beleidigt, aber noch
weniger ſchmeichelt. Und wenn ich Ihnen ſa—
ge, daß Sie meinen Beyſall haben, daß Sie
die Welt gewiß erbauen werden, und daß
Sie alle Leſer von Ihrem guten Herzen übers,
zeugen ; fo fage ich ihnen eine Wahrheit,
die 36 meine Freundſchaft und mein Ge⸗
ſchmack ſchuldig find. 2*
— 239
Odb ich Ihre Entfehlieffung, nichts mehr
zu ſchreiben, billige 2 darüber mil ich mid)
ietzt noch) nicht erklaͤren: aber, das mıll id)
ihnen. geftehen, daß ich hoffe, es fey nur ein
fluͤchtiger Einfall gewefen, wenn Sıe mir mels
den, daß Sie nunmehr wuͤnſchen, den Reſt
ihres Lebens auf dem Lande: in einer guten
Familie zubringen zu koͤnnen. Verlaſſen Sie
Ihr Amt nie, fo lange Sie noch Kräfte bas
ben , den Geſchmack und das Her; der us
gend zu bilden. An Ihrem norhoäritigen Uns
terbalte< wırd- e8 ihnen niemals fehlen; und
ſchenkt Sort unferm Vaterlande die Ruhe wies
der , ſo werden ſich bey der Univerfität' gewiß
ſolche Umſtaͤnde aͤuſſern, die Ihnen eın bes
quemer Auskommen verſchaffen.
Tauſendmal habe ih Schlegeln in Gedans
- Sen umarmt, daß er Sie bey Ausarbeitung Ih⸗
ver Lieder mit feiner Kritif fo freundſchaftlich
geferfert hat. Wie großmüthig urtheilen Sie
von dieſen Gefälligfeiten ; aber Sie haben
aud) gewiß Dabey gewonnen!
Damit ich meinen Brief mit eben dem
Veranuͤgen, und der Gemuͤthsruhe frhlieffe,
mit welder ic ihn angefangen habe; fo will
ich von unfern biefiaen Umfländen nichts mels
den. Wann werden wir ung wieder fehen ?
‚Mann werden wir ung in Ruhe fprechen Eönnen 2
Leben
\
149 N RE
Leben Gie wohl, mein witziger, mein
menſchenfreundlicher, mein. frommer Gellert!
Ich umarme Sie, und danke Gott, daß er
mir } Sie zum: Bee. gegeben hat. |
— —
Ars find mir, mein lieber Freund, auf
ewig find wir getrennt ?_ Der geflrige Tag
wird mir unvergeßlich ſeyn. "Binnen | einer
Zeit von vier Wochen, verliere ich zween fo _
liebe Sreunde. Dieſer Verluſt muß mir dop>
peit empfindlich ‚fallen, da ich in der Wahl
meiner Freunde fo ſurchtſam bin, und weit
mehr Zeit als vier. Wochen brauche, ehe ich
mich entſchlieſſen kann, nur den erſten Schritt
zu einer neuen Freundſchaft zu thun. Der Ges
danke, daß Sie noch leben, daß Sie auch ab;
weſend mein Freund bleiben, daß diefe Vers
änderung ders Grund Ihres Fünftigen Glücks
ſeyn kann; dieſer Gedanfe wird mir vielleicht
zu einer andern Zeit troͤſtend genug ſeyn; itzo
iſt er es noch nicht, unſere Trennung iſt noch
zu neu. Ich hatte mir vorgeſezt, mich dieſen
ganzen Sommer uͤber unempfindlich zu gewoͤh⸗
nen,
⸗
sat
nen , damit ich im Stande feyn möchte, Ih⸗
ren Abfchied auf Michael etwas gleichgultiger
anzufehen. "Uber, Sie haben meine —
keit uͤberraſcht, und ich bin die ganze Ruckreiſe
über fuͤr die Standhaftigkeit, ſo ich bey dem
lezten Abſchieds-Kuſſe heuchelte, graufam Des
ſtraft worden. Leben Sie wohl, bleiben Sie
mein Freund, und lieben Sie mich ſo zaͤrtlich,
als ih; Sie lieben werde. Owie zufrieden
hin ich mit mir ſelbſt, daß ich auf den Ei
fa gekommen bin, Sie am Sonnabende mit
meinem ungehoften Beſuche in Leipzig gu übers
ſchleichen. "Werde ich wol in der Belt icmals
fo gluͤcklich ſeyn, nod) eine dergleichen freunde
fchaftlihe "Wallfahrt zu Ihnen zu thun ? Ich
glaube es nicht. Künftig werde id mir ein
Geſetz darans machen ,. Eeinen Ausländer mehr
zu meinem Freunde zu waͤhlen. Es iſt ein
Vergnuͤgen, das und dag Gluͤck nur auf eine
kurze Zeit leiht.
Ich wuͤnſche, daß Ihre Reiſe gluͤcklich
ſeyn möge. Auf die Mittwoche werde ich nicht
von Ihrem Wagen wegkommen, und Abends
will ich mid) einſchlieſſen, keinen Menſchen zu
mir laffen, alle meine Akten wegraͤumen, und
Ihre Gefunddeit aufs fenerlichfie ganz allein
trinken; denn hier in diefem elenden Städtchen
iſt fein Menſch, welcher wüßte, warum ec
eben Ihre Geſundheit mittrinken ſollte. —
uarte IE 2
Bey Ihrer Ankunft in Hamburg vergeffen
Sie 1a nicht, dem. Herrn von Hagedorn meine
Ergebenheit aufs: uͤberzeugendſte zu verſichern.
Es ift mir daran um ſoviel mehr gelegen, da
ich ;diefes auf gewiffe Maße auch als einen
Abſchied auf ewig anfehen muß, den ich von-
diefem Manne, deſſen Verdienſte und Wohls
thaten ich ſo hoch ſchaͤtze, nunmehr nehme, da
ich mit Ihnen, —* lieber Freund, zugleich
alle Gelegenheit verliere, mich in dem Anden⸗
ken deſſelben zu erhalten.
Noch einmal, leben Sie recht wohl!
Ich ſchreibe dieſen Brief mit vieler Bewegung.
Warum mußte ich Sie denn ſo ſehr. lieben ?
Ich herbe als
Ihr
redlichſter Freund |
| IH, | Bey:
- IIL
Beyſpiele.
d
Ä %
1
EREETETRIERT, m
a ae 345
—
Maͤßigung des Zorns.
Arcytas ‚ein vornehmer Tarentiner, wel⸗
cher die Philoſophie in. der Pyothagoriſchen
Schule gelernet hatte, wurde von einigen feis
ner Sklaven durd ein grobes Vergehen auf
gebracht. Um fi durd den Zorn zu: nichte
Unanftändiges verleiten zu laffen, gieng Archy—
tas weg, und fagte feinen Eflaven: ihr feyd
gluͤcklich, daß ich im Zorn bin, fonft ſolltet
ihr übel wegfommen.
— — — —— — —— —
| Vergebung der Beleidigung.
Perikles, der maͤchtiaſte und angeſehenſte
Mann in Athen, der viele Jahre lang den gans
zen Staat allein regieret hat, wurde einft von
einem liederliben und aroben Menichen einen
ganzen Tag durch geſchimpft. Er aber ertrug
dieſe Beleidigung mit Stillſchweigen, und führs
te feine Geſchaͤfte vor Gericht aus. Als er
‚gegen Abend nad) Haufe aieng, verfolgte ihn
dieſer Menſch und ſtieß allerhand Räfterunnen
gegen ihn aus: Perikles zen immer ſtille,
| bis
146 ———
bis er an fein Haus kam, und da befahl er
einem ſeiner Bedienten, weil es finſter war,
daß er ein Licht nehmen, und dieſen Menſchen
nach 2 Sa ſollte.
—— — — rn — — — — —
Ehre fuͤr das Alter. > |
Ar. geſi ttete Voͤlker haben das Gefühl, he⸗—
habt, daß das Alter Ehrfurcht verdiene; aber
die Spartaner haben, .. fo wie in manchen ans
dern Tugenden, alfo auch in diefer, alle Wols
fer übertroffen. Es trug ſich einft in Athen
zu, daß ein fehr alter, aber ganz gemeiner
Mann in die Komödie Fam, da ſchon alle Pläs
ge befegt waren. Er ſah fi) überall nad) eis
nem Platz um, ohne daß iemand fo viel Ach⸗
tung für ihn bezeugte, ihm Platz zu machen.
Es befanden fi aber einige Spartaner bey
dem Schaufpiel, die fi damals als Gefandte
in Athen. aufhielten. Als der Alte dahin kam,
wo fie ſaſſen, ſtunden fie, nad) den Sitten ih⸗
rer Stadf , ehrerbietig vor ihm auf, und ga—
ben ihm die befte und oberfie von den Gtellen,
die ihnen angewiefen waren. Das Volk fah
dieſes, und gab dur ein allgemeines Haͤnde⸗
klatſchen dieſer ſchoͤnen That Beyſall, welches
einem der Geſandten veranlaſſete zu ſagen:
| Die
2
bie Athenienſer wiſſen, was — iſt, wir
aber thun es.
Thorheit der Neider.
Man fante dem Agis, König in Eparfas
die von dem andern koͤniglichen Haufe beneis
deten ibn. So tragen fie, antwortete er, eis
ne doppelte Laſt. Ihr eigenes Unglücf würde
ihnen ſchon Sorge genug machen, ist quaͤlet
ſie auch mein und der Meinigen Gluͤck. Der
Gutherzige genießt das groͤßte Wergnünen, da
ihm nicht nur das, was ihm ſelbſt, ſondern
auch, mas andern Gutes wiederfaͤhrt, Freude
macht. Auf eine aͤhnliche Art vermehrt des
Neider feinen Verdruß,
Großmuth.
D König Antigonus hörte in feinem Zelte,
daß zwey Soldaten die drauffen ſtunden, ſedr
ſchimpflich und boshaft von ihm redeten. Nach⸗
dem er ihnen eine Weile zugehoͤrt harte, mach⸗
te er das Zelt auf und fagte zu ihnen: Wenn
ihr fo von mir reden mollt, fo geht wenigs
ftens auf die Seite, daß ich es nicht höre,
147.
/
8: Wahr
248
Wahrer Ruhm des Reichen.
Es fägte iemand, zu einem fehr reichen und
‚angefehenen Manne Man wundere ſich in
der Stadt, daß er bey feinem groſſen Reich⸗
thum als ein gemeiner Mann lebe. Ich thue
diefes , ſprach er: weil es ruͤhmlich ift, bey
Ueberfluß mäßig und eingesogen zu ſeyn, und
alsdenn feinen Lüften nicht nachzuhaͤngen,
wenn man es am leichteften thun koͤnnte.
Jugend nöthigt felbft Boͤſewichtern
Hochachtung ab.
Die Anführer einer Raͤuberbande wollten den
groffen Scipio gerne fehen, ver auf feinem
Landqute war. Seipio rief alle feine Leute
zufammen, da er diefen Schwarm anfommen
fahe. Aber iene ſchickten, um den Scipio zu
berubigen., ihre Begleiter weg, warfen ihre
Waffen von fi, und: fagten an der Thüre,
daß fie Feine andere Abfihten hätten, als den
groſſen Seipio zu feben. Sie murden, hiers
auf vorgelaſſen, einer gieng nach dem andern
mit. der Ehrerbietung, Die man beym Eins
tritt in einen Tempel bezeigt, binein, füßten
ihm die Hände, je ihm Gefdyenfe, und
FREIEN |
[— 149
kehrten ganz vergnuͤgt wieder nach ihren Haus
* zuruͤck. |
ü
Segen den, der uns belehrt, dankbar
fen, iſt ſchoͤn.
Der Ruſſiſche Fürft Menzifoff machte in eis
nem Feldzuge fehr groffe Fehler. Ein Teutz _
fer Dfficier fah fie ein, und gab dem Cat
Meter dem Erfien Nachricht davon, der dann
mit feinem Liebling fehr hart verfuhr. Mens
zifoff erfuhr endlich, nach vieler Mühe, die
er ſich deßwegen gegeben hatte, feinen Ans
Fläger , sieng zu ihm und fagte: Sie müffen
ein rechefchaffener Mann feyn, weil fie lieber
meinem Zorne fi) ausfegen, als dem Czar
Nachrichten, an denen ihm viel liegt, vers
hehlen wollten. Seyen Sie mein Freund,
unterſtuͤtzen Sie mich mit Ihrer Einfiht, und
nehmen. ‚Sie bier zweytauſend Dufaten, als
ein Zeichen meiner Hochachtung an.
— — — — —
Uebereinſtimmung der Erkenntniß mit
dem Wandel.
| Der redliche Gellert handelte in ſeinen mo—
raliſchen Vorleſungen einmal von der Pflicht,
K3 BERN, dem
356 |
denn Bedraͤngten in feinen PYebürfniffen zu
Hülfe zu eilen. Jeder Zuhörer wurde zu
Fhränen gerührt. Denn wem war es leichter,
das Herze zu rühren, als einem Gellert, der
fo unmittelbar mit dem Herzen zu reden wußs
fe? Einer von feinen Zuhörern gerierhb auf
den Gedanken, Gellerten auf die. Probe zu
fielen , ob wirklich fein Herz mit feinem Bors
trag übereinfomme ? Er gieng in einem elens
den und zerriflenen Kleide zu ihm. Was vers
langen Eie, heber Freund? Mein Kieid, fagte
der Juͤngling, entdeckt Ahnen ſchon, daß ich
arm bin; und beynahe möchte ich fagen , daß
Diefer armfeelige Anzug für meine Lage noch
zu gut if. Dem ohngeachtet bin ich niemals
einem Menſchen zur Laſt gefallen. Einige we
nige Zuflüffe nebft dem , mas id) mit Abfchreis
ben verdiene, ernähren mich Fümmerlid. Aber
isst — Herr Profeflor !- Sie fehen mic in
der dringendfien North. Ich bin gezwungen,
heute noch eine Summe zu bezahlen , die mir,
fo mäßıg fie auch iſt, doch unmöglich wird zus
fanmen zu bringen. Ich habe feinen Freund,
feinen Menſchen, deffen Hülfe ich anflehen
kann — Ich wage ed, mid) an Gie zu wens
den — Wie viel gebrauden Sie denn, mein
lieber Freund ? — zehn Thaler, Herr Pros
ſeſſor! und in vier Wochen bin ich gewiß im
Stande , fie wieder zu bezahlen — zehen ua
4%
ler, Gott weiß es, find ohngefähr mein ganz
zes Vermoͤgen, erwiederte ihm Sellert. Allein
ich will Ihnen Helfen. Er fuchte wirklid) das
Geld zufammen , und gab es dem Juͤngling.
Leben Sie wohl, lieber Freund, fagte er, in
vier Wohlen erwarte id Sie. Der Monat
war Faum verfloffen , als der iunge Menfch
Gellerten das Geld wieder brachte. „So find
Sie doch der redliche Mann , den Ihr Ges
ſicht anfündiat ! Behalten Sie das Geld! Gott
made Sie ſo gluͤcklich, ald Sie es verdienen!
Geyn Sie mein Freund , und wenden Gie
fi) bey iedem DBedürfniffe zuerfi an mid.”
Der Juͤngling mochte fi) weigern , wie er
wollte, er mußte das Geld behalten. Er aieng
befhämt weg, daß er eine folde Tugend in
- Zweifel gesogen hatte,
| Weisheit Gottes.
Si, ein Derfifcher Weifer, gieng mit einem
Freunde an einem fehr heiffen Tage unter ho⸗
hen Bäumen fpazieren, welche mit ihren Zwei⸗
gen einen Fühlen Schatten machten. Es
ſchlaͤngelte ſich ein Bach durch die Baͤume und
befruchtete den grünen Raſen. Sadi fah eis
nen Ungerechten auf dieſem Raſen im Schlaſfe
liegen. „Guter Gott, ſagte er, dieſer Mann,
| | 5 der
1 52 FE EEE
der fo viele Ungluͤckliche gemacht hat, Fann
noch fo rubig ſchlafen?“ — Sein Freund
hörte es , und jagte: Gore läßt die Bottiofen
Schlafen , damit die Frommen Friede haben.
— Ed
Die Gluͤckſeeligkeit.
Da Herzog von Montmorenci gieng einft mit
einem feiner Freunde auf dem Lande fpazies
ren, und unterredete fi) mit ihm von ver
Blücffeeligfeit des Lebende. Einer von denen,
die ihn begleiteten „ behauptete mit autem
Grunde, daß oft ein Menſch von den mittels
mäfigflen Umſtaͤnden gläcklicher wäre, als die
Groffen der Welt. Hier find Leute, melde
die Trage entfheiden follen , fagte der Hers
309, indem er vier Ackersleute erblifte, die
an einer Hecke ihre Mittagsmablzeit hielten.
Er aieng auf fie zu und redete fie an: Meine
Freunde, ſagte er, ferd ihr alücflih ? — drey
von diefen Bauern antworteten ihm, ihr gans
zes Gluͤck beſtuͤnde in etlichen Morgen Lands,
die fie von ihren Vätern ererbet hätten, und
mehr wuͤnſchten fie fih auch nicht. Der vierte
geitand , e8 fehlte ihın , alle feine Wuͤnſche zu
erfüllen , weiter nichts , ale der Befig eines
Feldes, das feiner Familie ehemals gehört
hätte , und das in fremde Hände gekommen
ware,
— 353
wäre. Aber , wenn du das Feld haͤtteſt, fuhr
der Herzon fort , würdeft du glücklich feyn? —
‚So glüdlid) , als man in der Welt feyn kann —
„Was fofter es denn!” — Zwey taulend Franz
fen. Man gebe fie ihm, rief der Herzog auf,
fo Fann man doch fagen, daß ich heute einen
Meuſchen glücklich) gemacht habe.
Zweykampf.
Guſtao Adolph, der ſiegreiche Koͤnig der Schwe—
den, war ein abgefagter Feind der ſo nenaunten
Duelle, und fprad) das Todesurtheil gegen alle,
die einander zum Zweykampfe herausfordern
würden. Kurz darauf, als dieſes Geſetz geges
ben war, Famen cin Paar der vornehmften Offis
eiere, die miteinander Händel hatten, und ba>
ten um Erlaubniß, ihre Sache durch einen
Zweykampf ausmachen zu dürfen. Guſtav war
über diefes Begehren unwillig; er ließ es fid)
inder gefellen, verlangte aber felbft dabey zu
fenn, und beftimmte die Stunde und den Ort.
Er begab ſich mit einem Korps Sinfanterie das
bin, welches die beiden Duellanten einfchlieffen
mußte. Sodann rief er den Scharfrichter her⸗
bey, und faate zu ihm : „ſobald eixer von beiden
„todt iſt, fo baue dem andern in meiner Gegen—
„wart dem Kopf ab» — die beiven Generale
85 fahen
N
154
ſahen einander beſtuͤrzt an, fielen Dem König zu
Zug, baten ihn um Pardon, und ſchwuren
einander eine ewige Freundſchaft. Won viefer
Zeit an wurde bey der Schwedifchen Armee an
Fein Duell mehr gedacht.
| Reichthum macht nicht gluͤckſeelig.
Der Lydiſche König Kroͤſus, der unermeß⸗
liche Mei. thuͤmer beſaß, ließ den Solon zu
ſich kommen, und fragte ihn bey Gelegenheit:
ob iemand glücklicher, als er wäre? Solon
antwortete: er bielte einen feiner Mitbürger,
den Tellus, für glückfeeliger, weil er reheihafs
fene Kinder gehabt, und fih für das Baterz
land aufgeopfert hätte. Der König, der die
Schönheit und Nichtigkeit feiner Antwort nicht
einſah, ward über ihn unwillig; doch frante er
ihn noch zum andernmal: ob er nach dem Tels
lus nod einen gluͤckſeeligern Mann wüßte? —
Sa, antwortete Solon, id) Ferne den Kleobis
und Vito, zwey Argiver, die ſich aufferordentz
lich liebten und ihre Mutter ungemein hod)
ſchaͤtzten. Der König wurde durch diefe Antz
wort noch mehr aufgebrakt und fragte ihn im
Zorn: Wie? und du zähleft mid) nicht unter
die
—— J—
die Gluͤckſeeligen? — Solon antwortete: „vor
when Tod ift niemand glücklich zu preifen. »
Särtlichtet gegen die eltern.
Kleobis und Biton von Argos waren zween
Bruͤder, die ſich ſelbſt unter einander und ihre
Mutter auf das zaͤrtlichſte liebten. Einſt als
ihre Mutter, eine Prieſterinn, an einem hohen
Feſte, fib in den Tempel der Juno begeben folls
te, und die Ochſen zn lange ausblieben, fpanns
ten fie fih felbit vor den Waaen, und zogen
ihn bis an den Tempel zwo Meilen weit. Alle
Rente wünschten ihr Glück zu ſolchen geborfas
men guten Kindern Sie felbfi war voll Freu—
de, und betete für fie. daß fie das beſte Gluͤck
der Menfben zum Lohn für ihre Eindliche
Treue erleben möchten. Cie ftarben bald dar
auf fanft und frolih , und na ihrem Tode,
blieb ihr Andenfen zu Argos in aroffen Ehren,
Man ſprach beitgndig von ihnen mit Hochach—
tung, als von hebenswürdigen,, frommen
Söhnen. —
ERIETT TEEN ERSTEN TED
us u
Ein beruͤhmter Feldherr war in ſeiner Jugend
Page an dem Hofe eines berühmten Koͤniges.
Aufier den Nachtwachen, die er im Vorzim⸗
mer
136 —
mer des Koͤnigs fuͤr ſich ſelbſt thun mußte, that
er deren noch manche fuͤr andre Pagen, und
das Geld, welches er von ihnen daſuͤr bekam,
ſchickte er ſeiner armen Mutter.
Einſt, da der Koͤnig nicht ſchlaſen konnte,
und ein Buch aus einem andern Zimmer haben
wollte, klingelte er nach dem Pagen, der die
Wache hatte Er klingelte verſchiedenemal,
aber dieſer Fam nicht. Endlich ſteht der Koͤ⸗
nig auf, geht ins Vorzimmer, um zu ſehen,
ob hier kein Page iſt. Hier findet er denſelben,
aber fchlafend am Tiſche ſitzen, und einen
Brief, bey dem er eingefchlafen,, vor ihm lies
nen. Der Koͤnig nimmt den Brief, und liefl
darinn den vortreffliden Anfang :
„Meine befte, geliebtefte Mutter!
„Ast ift nun ſchon die dritte Nacht, da
„ich für Geld die Wache babe. Beynahe Fann
„ichs nicht mehr anshalten. Indeſſen freue ich
„mich, daß ich nun wieder zehn Thaler fuͤr ſie
„geſpart und verdient habe, und dieſe ſchicke ich
„Ihnen hie.— |
Der König gerührt durch dag gute Herz
dieſes edeldenfenden Juͤnglings, ließ ihn ſchla⸗
fen, legte ihm feinen Brief wieder hin, gieng in
‚feine — holte zwo Rollen mit Dukaten,
NR —
u {
— 57
ſteckte dem lieben Juͤngling davon in iede Taſche
eine, und legte ſich wieder zu Bette.
Wie erſchrack der Page beym Aufwachen ,
als er in feine Taſche fühlte, und aus dem Gel
de, welches er darinn fand, merkte, der König
babe ihn fehlafend gefunden. So bald er ihn
am Morgen ſahe, bat er denfelben demuͤthigſt,
ihm den Fehler, daß er geſchlafen hahe, zu ver⸗
zeihen, und dankte ihm für das gnaͤdigſte Ges
ſchenk. “Der weife und wohlthätige König lobte
feine Findliche Liebe und Dankbarkeit. Er ers
nannte ihn gleich. nachher zum Dfficier, und
ſchenkte ihm noch eine Summe Geld, um.fid)
dafür alles, mas er zu feiner neuen Stelle
brauchte, anzufcbaffen.
BE : }
Wohlthaͤtigkeit.
Ein gewiſſer Prin; wurde, nach ſeines Vaters
Tode, Koͤnig, und fieng die Regierung mit
lauter Wohlthaten an. Einer ſeiner geheimen
Raͤthe that ihm die Vorſtellung, daß er. vie
Schaͤtze, daran feine Vorfahren fo lange gefams
melt hätten, durch eine allzu groffe Freygebigkeit
nicht zerſtreuen moͤchte.
Allein der iunge König gab ihm zur Antz
wort: Gott hat mir diefe Reichthuͤmer nidıt
| deß⸗
158 —
deßwegen anverkrauet, daß ich ſie bewahren,
ſondern, daß ich fie zum Guten gebrauchen,
und. meinen „Unterthanen damit helfen ſoll.
Dankbarkeit,
En iunger Prenflifher Dfficier Fam einſt zum
ſeeligen Gellert , und drückte ihm unfer den
Ss Morten :-ich bin ihr Schuldner , ihr groffer
Schuldner, id bitte Sie inftändig, nehmen
‚Sie eine Erfenntlichfeit von mir an! ein Pas
pier init hundert Thalern in die Hand.‘ Als
Gellert e8 nicht annehmen wollte, ſagte er zu
ihm : Ich ruhe nit, „fie müffen es annehmen.
Sie haben mein Herz. dur. ihre Schriften ges
beffert, und gegen dieſes Glück vertauſchte id
‚die ganze Welt: nicht, | . 20
— — — — — —
—
Standhafte Erduldung koͤrperlicher
Schmerzen.
Dir Baron von Kleift firitt in der blutigen
Schlacht bey Kunnersdorf, wie ein tapfrer
Mann für das Vaterland. Er batte [won
zwoͤlf Kontufionen von Musfeten und Kartets
fchenfugeln empfangen. Die beiden erfien Fins
ger der rechten Hand waren verwundet; ver
ie
——0 159
bielt er den Degen mit der linken "Hand , und
firitt immer tapfer in der Schlacht fort. Er
ward wieder durch eine Kugel in dem linken
Arm verwundet „fo daß er den Degen nicht
mehr mit der linken Hand halten konnte; er
faßte ihn alſo wieder in die vermundete rechte
: Hand mit: den beiden lezten Fingern und dem
Daumen ; er drang immer weiter auf die Seins
de, ohne an feine Schmerzen und, Wunden su
denken. Ein Kaͤrtetſchenſchuß zerſchmetterte
fein rechtes Bein, er fiel vom Pferde, vergaß
immer feine Schmerzen und Runden, und
rief feinen Leuten zu: Kinder, verlaßt euern
König nicht!
. Er farb: in Frankfurt an feinen Wunden,
Aber bey der heitiaften Pein, die ihm diefels
ben verurfachten , blieb er ruhig. Er laß,
und ſprach und farb mit Heiterkeit.
Sparfamkeit.
D. Johann Georg Knapp , ein fehr meiler
und frommer Mantı , der befonders als Auffes
her. der Erziehungsanftalten im Halliſchen Wai—
fenhaufe, der Jugend groffe und treue Dienfte
geleifiet hat, gab in feinen Juͤnglingsiahren
ein ſolches Beyſpiel, das zugleich ein ſchoͤnes
Beyſpiel der Maͤßigkeit if, Er findirte in Je—
Nlr
d
— SELTENE,
160 — —
na, war uͤberaus fleiſig, lebte ſtill und einge⸗
zogen. Weder ſeine Zeit, noch ſein Geld ver⸗
ſchwendete er zu allerhand Exrgoͤtzlichkeiten.
Sein Geld blieb einmal aus. Nun machte er
noch wenigere Ausgaben, ſo wenige, als ihm
nur moͤglich waren. Er that dieſes um der
Urſache willen, damit er ſich durch geborgtes
Geld nicht in Schulden ſetzte, und andern das
durch nicht beſchwerlich würde, daß er von ihr
nen etwas liehe. Sa, er war in der Zeit, da
ihm das Beld fehlte, fo Iparfam und mäfig,
daß er nun den guten Tiſch, den er bieher
gehabt, abichaffte,. und ſtatt deffen eine Mahls
zeit von Brod und Wafler that: Um deßwe⸗
gen von unvernünftigen iungen Leuten, die
über Arme gern. fpotten, nicht ausgelacht zu
werden: fo gieng er täglih um die Mittags«
fiunde aus der Stadt, fente fi) in dag Gras
an einen Bach, und genoß mit vergnügtem
Herzen fein Mittagsmahl, zu. weldem er
Brod mit fi nahm, und Wafler aus dem
vorbepflieffenden Bache ſchoͤpſte. Und nicht eher
‚fehrte er zu feiner vorher gewohnten Lebens,
art zurück, als bis er durch die erhaltenen
Gelder in den Stand gefeßt worden mar, dies
felbe wieder anzufangen.
Liebe
—
' \ STREET FR
Liebe und Hocachtung gegen
| Aeltern.
—— ob er Er der Sohn eines Freyges
laſſenen, ohne Vermögen und ohne Kredit war,
erhielt dennoch , dur die Sorgfalt feines Va—
‚ters, die Erziehung ,„ die man damals den
Kindern aus den beſten Häujern gab. Die
Erkenntlichkeit, Die er fein ganzes Leben bins
durch gegen feinen Vater zeigte, gereicht beiz
den zu gleich grofler Ehre, „Nie werde ih
„es bedauern, Sagt er, einen folden Bater
„gehabt zu haben; und. nie werde ich fagen,
„wie die, die ſich wegen ihrer geringen Her—
„kunſt damit entichuldigen, daß die Schuld an
„ihnen nicht liege. Ich werde ſtets ganz anders
„denken und reden. Wenn die Natur wollte,
„daß man in einem gewiſſen Alter das Leben
„wieder von neuem anfienge, und ein ieder
„ſich nach ſeinem Gefallen, Aeltern wählen
„koͤnnte, ſo wuͤrde ich keine andern, als die
„nmeinigen waͤhlen.
—
mitleiden gegen Armuth.
En zwölfiähriger teutſcher Knabe, noch mehr,
ein Sürftenfohn , reiſet mit feinem Vater im
Rande. Er bekoͤmmt beftiges Zahnweh, und
im Nachtquartier, das bep einem Oberamt⸗
£ mann
162 — —
Dan
"mann genommen. wird, urtheilt der Arzt, dab
der Zahn ausgeriffen werden müßte, Der klei—
ne Prinz erfehricht vor den Inſtrumenten; der
Dater aber tröftet ihn: und die Operation
wird vollbracht, nach welcer ihm der Vater
einen groſſen Thaler ſchenkt. Des andern
Morgens geht der. Fleine Patient im Garten
herum. Ein Handwerfspurfche nähert ſich ihm,
Elagt ihm fein Elend bey der firengen Jahres⸗
zeit, und erhält gleich von ihm den groſſen
Shaler. Nach ihm: koͤmmt eine arme Wittwe,
fie weint bitterlih, da fie ihr Unglück erzähle;
der Prinz weint mit, beißt die Frau warten,
und fpringt in vollem Feuer zu feinem Brus
der, dem Erbpringen: „O Bruder, gieb mir
doc) geſchwind einen groffen Thaler” — Wie?
du haft ia erft geflern einen befommen? —
„Ich will dir ſchon fagen, mo der hin if;
aber gieb mir ietzt nur einen einzigen. ” —
Wie willſt du mir ihn aber wieder bezahlen?
fügte ver Erbprinz laͤchelnd. — „Nun, e
fon niche für mich; da drunten iſt eine Frau,
die ift fo arm, und hat feinen Mann, und
viele Kinder; der wollt? ichs geben; heufe
Abend laß ich mir wieder einen Zahn audreiffen,
und dann giebt mir der Papa wieder einen
Thaler, fo will ich dir ihn dann bezahlen, ?—
"Der Erbprinz nimmt den edlen Bruder. bey
* vn: — ihn zum Vater; der kann
ihn
—— 163
Ab nicht genug kuͤſſen; und die Are, bekoͤmmt
nal Thaler.
II
Verachtung der Aeltern.
ſchaͤnte ſich feiner niedrigen Her—⸗
kunft, und wollte nicht einmal den Namen feis
nes Daters führen. Bey der Vorftellung des
erfieu Luftfpielg, von welchem er Verfafler war,
ward fein Water, der für fein Geld in die Kos
moͤdie gegangen war, von dem Beyfall, den
fein Sobn erhielt, fo gerührt, als man fi)
sur vorftelen kann. Er Eonnte feine Freude
nicht bergen, und gab ſich gegen die, melde
ben ihm faffen, als den Water des Autors zu
- erkennen. Als das Stuͤck geendigt war, gieng
der gute Mann, gang auſſer fi, feinen Sohn
zu umarmen, Er traf ihn am Ausgange deg
Theaters an, vedete vol Zärtlichfeit zu ihm;
und ſchloß endlidy mit den Worten: „Nun,
ich bin dein Vater.” hr mein Vater? vief
Koufleau, und ließ ihn den Augenblick betrübe
und mit Thraͤnen ftehen.
— —ñ— ç ç — —
Gerechtigkeit.
ER einen Mifferbäter zum Tode vers
urtheilen ſollte, jo weinte er’über das Schick;
fal dieſes Menſchen. Warum thuft du dieſes,
fragte man ihn, da e8 dod auf deinem Wils
len beruhet, ob diefer Menſch in Freyheit ges
ſetzt, oder getöbtet werden fol? Es ift meis
8.2 | ner
164 Er Zr - —
ner Ratur gemaͤß, Adtwortete der Meltweife, 5
daß ich mit dem Schickſal dieſes Menſchen
Mitleiden trage: allein es ift nachtheilig, wenn
ich, um des Mitleidens willen, von der Ge⸗
rechtigkeit abweichen ſoll. |
= +
Sanftmuth.
ln , der Gefeßaeber der Spartaner, muß
te, wegen Der Strenge feiner Geſetze, ſehr
viele Mißhandlungen von ſeinen Mitbuͤrgern
erfahren. Unter allen aber war dieſe die
empfindlichſte, daß er bey ſeinem patriotiſchen
Eifer fein’ Auge verlor. Dieſes Ungluͤck bat
te ihm ein iunger Spartaner zugezogen. Denn
ald Lykurg bey einem Auflaufe zu entfliehen
fuchte, fo fprang diefer Boͤſewicht ihm auf den
Ruͤcken und fihlug ihm, als der Philofoph
fi) ummenden wollte, das Auge aus dem
Kopf. Der Süngling wurde dem Lykurg
übergeben , um ihn wegen dieſer Srevelthat
abzuftrafen. Er that es anf eine fehr ruhm⸗
wuͤrdige Art. Er nahm ihn zu fi in das
Haus. Und da er täglich von ihm bedient
wurde, und diefem iungen Menfchen ein fo
ſchoͤnes Bepfpiel von feiner Sanftmuth, Mäfs
figfeit und Tugend gab, fo legte er zu der
Beſſerung diefes. STünglinges den Grund, und
bildete un zu dem — — re
| IV.
Anefdoten
t 3
— — 167
Cl.)
8 beflagte fi b iemand gegen den Sokra⸗
tes, daß es in Athen ſo theuer zu leben
ſey, und rechnete ihm die Theuerung des
Weins aus Chio, des Purpurs und derglei—
hen Koſtbarkeiten vor. Sokrates gieng mit
ihm in verſchiedene Laͤden, wo Lebensmittel
verkauſt wurden. Das Mehl fand er ganz
wohlfeil, auch die Oliven. Hernach gieng er
in Läden, wo gemeines Zeug zur Kleidung
um einen geringen Preis zu haben war. Nun
fagte der Weltweife: Ich finde es ganz wohls
ſeil in Athen. |
(11)
E⸗ begehrte ein Menſch vor dem Koͤnig Ales
xander gelaffen zu werden, um ihm ein feltenes
Kunfiftück zu zeigen. Es beftund darinn: daß
er von einer ziemlichen Entfernung, eine Linfe
durch ein Nadelöhr werfen Fonnte Dafür
verſprach er fi) eine grofle Belohnung. Aber
als Alexander die Kunft gefehen hatte, ließ
er dem Künftler eine Mege Linfen ſchenken,
4 | damif
268 ———2
damit er ſich fleifig in einer fo aitlichen Runf
üben. koͤnnte.
— — —— — —
— — — — —
(III.)
Aqeß laus wurde gefragt: wodurch ein iunger
Menſch ſich Hochachtung erwerben und empor
kommen koͤnne? Dadurch, antwortete er,
daß er lernt gut reden, und noch beſſer hans
deln.
av.)
— Philoſoph Antifihenes wurde einſt von
feinen Schuͤlern über verſchiedene Dinge ges
fragt. Laßt uns, antwortete er, allerfeits zum
Sokrates gehen, er verfieht diefe Materie am
befien, und da werde ich fo gut, alsihr, ein
Schuͤler unter ihm feyn.
⸗
36
Ein Athenienfer wolte feinen Cohn dem Phis
Iofophen Arıftippus übergeben. Diefer foderte
für ferne Unterweifung eine gewiffe Summe
Geldes , die ienem zu groß ſchien. Dafür,
fagte er, koͤnnte ic) ia einen Sklaven Faufen !
Du
an 169
Du haft recht! antwortete Ariſtippus; nimm
dein Geld, und Faufe einen, alsdenn haft du
| zwey ·
Iσσæασ Tan meer
.. (M1.)
Dem Griechiſchen Dichter Anafreon ſchenkte
der Beherrſcher von Samos, Polikrates, eine
groſſe Summe Geldes. Anakreon nahm fie
zwar an, konnte aber ein paar Naͤchte nicht
ruhig ſchlafen. Er ſchickte daher das Geld feinem
Wohlthaͤter wieder zuruͤck, und ließ ibm fa
gen: „ So anfehnlid) aud) die Summe wäre,
„ſo fey fie doch der Sorge nicht werth, die
„ſie ihm Eofiete. ”
TEE
—
C(VII.)
A; fi & der Kaiſer Karl der fünfte zu Brif
fel aufbielt, firıtten ein paar vornchme Damen
am den DVortritt an der Kirchenthuͤre. Diefer
lͤcherliche Streit hätte eine wichtige Sache
werden fünnen, weil die Männer diefer Damen
mit vieler Hige daran Antheil nahmen. Aber
der Raifer endigte den Streit ſehr bald, da er
den Ausſpruch that, daß die größte Närrin
den Vortritt haben follte.
a DR (VIIL.)
—
170 m ”
(virey Mr
Eben dieſer Kaiſer ließ ſich von dem beruͤhm⸗
ten Venetianiſchen Maler Titian malen. Der
Künftler ließ feinen Pinfel fallen. Der Kaiſer
hob denfelben fogleich auf, und fagte, ein Tis
fian verdiene von einem a bedient zu
werden.
— — —— — —— — — —— — —
CIE:
SS orrates lernte noch in feinem hoben Alter
auf der Either ſpielen. Wie, fagte einer zu
ihm, noch als Greiß willft du diefe Runft lers
nen? — „Sa, antwortete er, es ift beſſer,
„eine Sache fpät, als niemalg zu lernen. »
(2%)
Ein Edelmann beſuchte ſeinen guten Freund
au; dem Lande mitten im Winter. Da er in
den Zimmern Feine Tapeten fand, fragte er ihn,
warum er die Wände nicht mit Tapeten be
ſchlagen ließ, da fie doch im Winter beffer hiels
ten, und den Simmern ein befferes Anſehen ads
ben. Der redlihe Mann zeigte ihm ein paar
Arme, und fagte: Ich befleide lieber diefe Arz
men, ald meine Wände,
AL)
— gr
(x1.)
Br Konrina machte im öferjehenbeh
‚Sabre feines Alters eine Satyre auf die gekroͤn⸗
ten Dichter. Diele fiel dem Proſeſſor Martin
zu Helmftädt in die Hande; und er fahte fo
viel Hochachtung gegen den jungen Konring,
daß er deſſen Vater bat, ihm die Aufficht über
feinen Sohn auf der Akademie anzuvertrauen,
(XII.)
— zwey und zwanzig Jahre
alt, als er noch unentſchloſſen war, welcher Les
bensart er ſich widmen ſollte. Von ohngeſaͤhr
hoͤrte er einige Verſe des Malherbe leſen, die
fo ſtarken Eindruck auf ihn machten, daß er
von der Zeit an ganze Naͤchte anwandte, dieſen
Dichter auswendig zu lernen. Bald hernach
ſuchte er ihn nachzuahmen, und ſeine erſten
Parthiſchen Verſuche waren ganz im ee.
des Malherbe. *
02 sense —
(XIHL)
Man fragte den Alexander, ob er feinen Va⸗
ter oder den Ariſtoteles mehr liebte ? „den Ari⸗
Be in
—
172 — —
fioteled , » antwortete der junge Koͤnig: „denn
ihm hab ich meine Tugend, an Vater mein
Leben zu danken. »
? y
I ERTRAGEN EHEN EEE
a Te ee ee —
(XIV)
Ein Knabe, dem verboten war, uͤber Tiſche
was zu ſordern, nahm, da man ihn vergeſſen
hatte, etwas Salz auf den Teller. Als man
ihn fragte, was er damit machen wolle, ant⸗
wortete er: Ich will das Fleiſch damit ſalzen,
das man mir geben wird.
— —— — ——
XV.)
— 5 bat den Thales, ihm zu ſagen, was
das ſchwerſte und das leichteſte in der Welt waͤre.
Das ſchwerſte, antwortete er, iſt, ſich ſelbſt
kennen zu lernen; und das leichteſte, an den
Handlungen anderer etwas auszuſetzen zu finden.
— — — 1
(XVI.)
E— bezeugte iemand gegen den aͤltern Hato
feine Verwunderung, daß ihm Feine Ehrenſaͤule
gefet worden, da diefe Ehre vielen andern. von
gerins
——— 173
geringern Verdienſten widerfahren war. Kato
antwortete: Es iſt mir lieber, daß man fragt:
warum mir dieſe Ehre nicht widerfahren ſey,
als wenn man früge, warum es geſchehen?
(XVII)
Ein junger Mohr ließ ſich, ungeachtet er ein
Feind von Gemaͤlden war, in London durch ei—
nen beruͤhmten Maler malen. Der Kuͤnſtler
fragte ihn⸗ in welchem Kleide er ihn malen
ſollte? In meiner Landestracht, war Die Ant⸗
wort; als nun der Maler verſicherte, daß er
die nicht kenne, ſagte der Mohr mit laͤchelnder
Miene: Wie koͤnnen ſich denn die Maler eins
jallen laſſen, Gott zu ſchildern, den doch Fein
Menſch iemals geſehen?
(XVIIL),
Kaiſer Karl der fünfte kam durch eine Stadt,
wo man ihn nicht erwartete; man zeigte ihm
an, daß einer, der Satyren auf ihn gemacht
hatte, in einem nahe gelegenen Landhauſe waͤ⸗
re. Es waͤre beſſer geweſen, antwortete er,
wenn man ihm geſagt haͤtte, daß ich hier
bin, als daß man mir ſagt, daß er dort iſt.
BEE SIERT BEREICHE
en
*
(XIX.)
Per —
(XIX.)
Philipp, Koͤnig in Macedonien, ließ ſich nie⸗
mals durch ſein Gluͤck zu Ausſchweifungen
verleiten. Um ſich deſto beſſer vor den ges
woͤhnlichen Laſtern der Koͤnige, dem Hochmuth
und der Grauſamkeit, zu huͤten, mußte ihm
taͤglich einer von ſeinen Pagen zurufen: Phi⸗
lipp du biſt ein Menſch! Er gieng niemals
eher aus ſeinem Pallaſte, und ließ niemand
eher vor ſich kommen, bis ihm der beſteute
Page dieſe Worte zugeruſen Ba,
(XX.)
gY. Epiftet noch ein Sklav des Eraphrodit
war, fiel es dieſem barbariſchen Manne ein⸗
ſtens ein, ihm zum Spaß um die Beine zu
ſchlagen. Epiktet litt' es geduldig. Da es
aber ſein Herr immer aͤrger machte, ſagte er
endlich: Du wirft, wenn du fo fortfähreft,
mir gewiß ein Bein entzwey ſchlagen. Es ges -
ſchah auch wirklich : aber Epiftet fagfe meis
fer nichts, ale: Habe ich dir's nicht gelagt,
daß du mir ein Dein entstvep ſchlagen wuͤr⸗
deſt?
(XXT.)
175
(XXL)
Diogenes gi gieng suweilen nad) einem Ort Bin,
wo viele Statuen fanden, und ſprach fie um
Geld an, Man fragte ihn, warum er ſolches
thäte? Darum, antwortete er: um mich zu ges
toöhnen „ nicht empfindlich zu fepn, wenn Mens
fen mir etwas Aridlugevr ,
sans
MEXX,
Aliſtoteles wurde von einem Laſterhaſten um
ein Almoſen angeſprochen, welches er ihm auch
ſogleich gab. Als er bemerkte, daß ſich ſeine
Freunde hieruͤber verwunderten, fo ſagte er ihs
nen: Ich gab diefes Opfer nicht dem Menz
ſchen/ Ki der Rn. |
(XXI)
Die Milefie er. machten helet wegen
ſeiner Armuth Vorwuͤrſe und behaupteten, daß
die Weltweisheit demienigen, der ſich berei—
chern wollte, nichts nuͤtzen koͤnnte. Um nun
ſeine Landsleute zu uͤberzeugen, daß ein Welt⸗
wenn es noͤthig waͤre, ſich auch ps
ams
* — F
ſammeln koͤnnte, ſo bediente er ſich ſolgender
Liſt. Er hatte, wie man ſagt, durch die Altos
logie vorbergefehen, daß e8 in diefem Jahr ſehr
viele Dliven geben würde. Kaum war alfo der
Winter vorben, fo Faufte er um einen fehr ges
ringen Preis ale Delmühlen und Delpreflen an
fi, Als nun die Zeit, das Del iu feltern,
herbeyfam, und viele diefe Mafchinen noͤthig
hatten, fo vermiethete er fie fo theuer, als
er nur wollte. Hiedurch erwarb er fi) nun
eine groffe Geldfumme, und bewies, daß ein
Meltweifer leicht reich werden —— wenn
er nur wollte.
Eur menu ver more «je
(XXIV.)
Man warf dem Traian oͤfter vor, da: er
feine Würde veraäße und ſich zu feinen Unters
thanen zu fehr herabließe. Er pflegte alsdann
allemal diefes zu antworten: ich will mich ges
gen die Nrivatperfonen ſo bezeisen, wie ih
wänfchte, daß ſich der Kaifer gegen mid vers
halten möchte, wenn ich eine ‚Privarperfon
wäre 47
RR N *
)
one. Spartanifche Dame begrub ihren Soßn.
Dieler Anblick machte das. Herz bey ihrer
Freundinn rege, daß fie ausrıef : Unalürkfeelige
Frau! Sage vielmehr: Glücffeelige Srau !
verfeßte die heldenmürhige Dame. Denn id
habe meinen Sohn deßwegen geboren, daß er
für Sparta fierben fol. Und nun habe ic)
meine Abſicht erreicht.
— — — nee
—
(XXVI.)
Dir Graf von Lauzun mußte eine lange Zeit
im Gefängniffe zu Pignerol ſo machten. Fern
von der Stimme eines Freundes oder Vers
wandten; ohne einen menichliden Raut ale
feine eigenen Seufzer ; ohne dag aeringfte Tas
geslicht, ausgenommen den ſchwachen Schim—
mer durch die Ritzen des Daches; ohne Buch;
‚ohne einiges Mittel ſich zu beſchaͤftigen, oder
zu üben, lag er neun lange jahre da, der
Raub einer immer verfihobenen Hoffnung , eis
ner nagenden Langenweile, und eines unnnters
brochenen Sraufen. Aus Verzweiflung an als
len andern Beichäftiaungen fiel er endlich drauf,
eine Spinne zahm zu machen. — Der Verſuch
— Die Spinne holte ieden Morgen ihre
| M Flie⸗
—
⸗
u —
Fliegen dankbar aus ſeiner Hand, ſetzte den
Tag über ihr Geſpinſte fort, und be ſchaͤftigte
nun ihres Wohlthaͤters ganze Aufmerkſamkeit,
bis endlich der Stockmeiſter, mit Scenen der
Grauſamkeit ſchon bekannt, und folglich: ‚genen
iedes Gefühl der Menſchheit geftählt , ' diefen
Zeitvertreib feines Gefangenen —
entdeckte, und mit der Freude eines Teuſels
den unſchuldigen Gegenſtand Davon tüdtete.
Herr von Lauzun hat nad: diefem oft geſagt,
fein Schmerz ſey bey Diefer Gelegenheit uns
endlich aröffer geweſen, als der einer Liebenden
Mutter bey dem Verluſte * einzigen Saͤug⸗
lings.
a SEE TEE
(XXVII)
Me aranis du Pezayh, ein iunger dramatifcher
Dichter, verfertigte eine Fomifche Oper, beti⸗
telt : die Meyerin, oder der neue Wein; die,
ob ſie gleich fehr niedlich) gefchrieben war, und
viel reigende Scenen hatte, in Sontaineblean,
wo fie zum erſtenmal aufgeführee wurde, wer
nig Beyfall fand. Einer feiner Freunde bracht'
ihm ſogleich die traurige Nachricht, daß ſeine
Oper mit ſchlechtem Erfolg aufgeführt worden
wäre; daß fie aber das ganze Publikum eins
müchig dem Herrn Dorat zuſchriebe, weil man
. Styl darinn in eu geglaubt häts
i f fe.
——r 179
ke. — „In dieſem Sal, verſetzte der innge
„Dichter, iſt es Zeit, daß ich mich als den
„Verfaſſer dieſes ungluͤcklichen Drama angebe,
„es waͤre ungerecht, wenn ich dieſem ehrlichen
„Mann einen fo ſchlimmen Streich ſpielte:“
und foglei gab er ſich oͤffentlich und freywils
lig für den Water des verworfenen Kindes an.
(XXVIII.)
Mohere gieng einſt nad Auteuil ſpazieren.
Ein Bettler begegnet ihm, und bitfet um ein
Almofen. — Nachläfig und zerſtrent greife
der Dichter in den Beutel, und wirft ihm
etwas hin. — Einige Augenblide nachher,
lauft ihm der Bettler nad) , und ſagt zu ihm:
Mein Herr? fie haben ſich vergriffen — fonder
Zweifel haben fie mir nicht eine Guinee geben
wollen — hier baden fie dieſelbe wieder zus
rück, — Du haft recht mein Freund, fante
Moliere, ſieh', bier haft du noch eine. — Er
dachte einen Augenblick über dielen feltfamen
Zufall nad , und faate nachher zu feinem
Sreunde, dem berühmten Tonkuͤnſtler Charpens
tier , der mit ihm fpazierte: Himmel! wohin
verſteckt fir bisweilen die Tugend 2
— —
Ma (XXIX.)
EEE
180
(XXIX.)
Mo lierens Feinde wollten den beruͤhmten
Herzog von Montaufier bereden, daß Moliere
in feinem Meiſterſtuͤcke betitelt: der Mens
ſchenſeind, ihn und feine allzu raube Tugend,
unter Alceſtens Larve habe lächerlich machen
wollen. — Er wohnte der Aufführung diefes
Luſtſpiels bey, und erkannte ſich wirklich in
einigen Zuͤgen, woruͤber das Parterre lachte —
er erinnerte ſich einiger Worte, die er bey
Hofe geſagt, und die Alceſten in den Mund
gelegt worden. — Nach dem Luſtſpiel fragten
ihn ſeine Freunde, wie es ihm gefallen hätte,
Ich wuͤnſchte fehr, fagte er, daß ih Alceften,
diefem redlichen Manne ähnlich wäre!
ERTEEEEHEETETTEER,
XXX.) — —
Als der Herr von Chatelet für den Herzog
von Montmorencn bey dem Könige aufs eifrigs
fie um Gnade flehete, fprad der Monard:
Ich glaube, ihr würdet wol einen Arm. drum
geben, wenn ihr den Herzog beym Leben ers
halten koͤnntet. Der arofmütbige Freund ants
wortete: Ja, allergnädigfter König, ich gabe
Bat meine ‚beiden Aunr bin, wenn ich nur den
einen
; 7 u 7
nn 181
einen damit retten könnte, der fuͤr Ew. AR |
iefät m viele — Be hat.
—— —— — —
(XXXI.)
En. ſpielte der Herzog, Heinrich der zweyte
von Montmorench, und gewann in einem eins
zigen Spiele drey taufend Louis d'or. Einer
von den Zufchauern ſagte zu feinem Nachbarn:
»» Wahrbaftig eine Summe, die das Gluͤck
„eines ehrlichen Mannes machen koͤnnte.“
Der Herzog hoͤrt es, und ſogleich bietet er
die ganze Summe dem Edelmann an, und
ſagte zu ihm: Ich wuͤnſchte, mein Herr! daß
jhr Gluͤck etwas betraͤchtlicher wäre.
— ————
— —
ie Officiers fuhren su Mannheim auf
bem bein. Einer derfelben flürzte ins Wafs-
fer , und würde unfehlbar ertrunfen feyn.
Aber ein anderer, der weder ſchwimmen konn⸗
te, nod) ein fonderlicher Bekannter und Freund
vom Werunglücten war, fprang ihm nad),
and rettete ihn mit eigener Gefahr. Der
Mann hatte feinen Schild, der diefes that;
abe fein: Herz adelte ihn, Es freut mi,
M3 daß
Trafka
daß es mir gelang, ſagte er beſcheiden, als
man ihn mit Bewunderung darum ſragte.
(XXX. ihr
© aivio Naſika befuchte einft ben Dichter En⸗
nius: und als er vor der Thuͤre nach ihm. frag⸗
te, ſagte die Magd, er ſey nicht zu Hauſe.
Naſika aber merkte wol, daß ihr dieß der Herr
anbefoblen babe und er daheim fey. Kurze
Zeit darauf Fam Ennius zum Nafifa und frags
te auch nad ihm an der Thüre, Da rufte er
laut: er ift niche zu Haufe Wie? antwortete
Ennias — ich follte deine Sprache nicht ken⸗
nen? Und Ennius fagte Unverfchämter ! da
ich nad) dir fragte, glaubte ich deiner Magd,
daß du nicht zu Hauſe wärefl-und meinen eigenen
Torten willſt du nicht glauben 2
(XXXIV. )
Dar berühmte Hugo Grotius wurde zu einer
ewigen Sefangenfnalt verdammt, und in. dem
Schloſſe Löwenftein verwahret, Nachdem ihm
daſelbſt über anderthalb Jahre fehr hart begeg⸗
net worden, fo bemerkte feine Frau, daß feis
ne Hüter müde waren , eine groffe Kifte voll
Bücher und Leingeraͤhts, welches a
| en
*
f /
BET RT SEN ER
ſchen ausſchickte, zu: öffnen und durchzuſuchen.
Sie rieth ihren Gatten fih in diefe Kifte zu.
— legen, nachdem fie vorher an dem Orte, 10
er, das. Geficht binwenden ſollte, vermittelft
eines Bohrers Loͤcher gemacht hatte, damit er
Athen fdhöpfen Fönnte. Cr folgte ihrem Nas.
the, und wurde auf diefe Weife nach Gorkum
zu einem feiner Freunde gebracht, von wannen
er, ‚als. ein Tiſcher verkleidet, nad) Antwerpen
entwich. Dieſe verfehmiste Kran ſtellte ſich
an, als ob ihr Mann ſehr Franf waͤre ‚um
ihm Seit zu gönnen, fi zu retten, und um.
die Mittel zu. vereiteln, ihn wieder einzuholen.
As fie ihn aber in einem Lande der Sicher;
beit vermnthete, fo ſagte fie ſpottend zu’ den
Waͤchtern: die Voͤgel wären davon. geflogen,
ı Anfangs mwolte man peinlich gegen fie: verſah⸗
ren und es gab Richter, welche urtheilten,
man ſollte fie an der Stelle ihres Mannes in
‚ der’ Gefangenfhaft behalten. Allein durch
Mehrheit der Stimmen wurde fie los gelaffen,
und von jedermann gelobet, daß fie durch ihs
ren Verſtand ihrem Gatten die Srenheit wies
der Lau babe, _
MA .@XXV)
184 — —
(xxxv.)
Die Gemahlinn des Herrn Fager, Rebe
nungsrath , und die Gemahlinn des Schatz⸗
meifters von Frankreich, begeaneten ſich zu
Paris in der Strafe des Goquilles. Beide harten.
die Abſicht durchzuſahren ; aber weil die
Strafe fehr enge iſt, und die eine Kutſche
zu einem , und die andere zu dem andern Ende
derfelben bereingefahren waren , fo mußte eine
Kutiche nothwendig umkehren, wenn die ans
dere durchfommen follte. Keine von beeden
Fonnte zu fo einem entehrenden Schritt übers
vedet werden, und auf diefe Art blieben fie
von 6 Uhr des Morgens bis Mittag ſtehen,
um welche Zeit fie ihre Bedienten nad Heu
uund Haber für die Pferde ſchickten, und bes
Tahlen , daß man ihnen ihr Mittagseſſen in ihre
Kutſche bringen ſollte. Eine folhe Neuigfeit
309 eine Menge von Zuſchauern um fie her⸗
ben ; und Jeder war begierig, zu feben, was
diefer feltfame Rangſtreit für ein Ende neh⸗
men würde. Endlich gieng ein Buͤrger von
Paris, aus dieſer Straffe, der mit einem
J Karn
—“J
Y — — r
— — 185
Karn mit Wein nach Hauſe fahren wollte,
und kein Mittel ſah, vor den beiden Kutſchen
durchzukommen, um 4. Uhr Nachmittags zu
dem: Kommiſſaͤr dieſes Viertels, und bat ihn,
der Unorönung abzuhelfen. - Da dir Roms
miſſaͤr ſahe daß die beeden Damen bartnds
ckig darauf beflanden,, Feine der andern ande
| zuweichen, und er fie nicht gerne, aus Hoch⸗
achtung fuͤr ihre Maͤnner, beſchimpfen wollte,
ſo verfiel er auf das Mittel, beede Kutſchen
zu gleicher Zeit zuruͤck kehren zu laſſen, ſo
daß keine von ihnen wieder in dieſe Straſſe
umkehren ſollte. Diefer Vertrag ward anges
nommen und mit der äufferfien Genauigkeit
ausgeführt. Die Damen fuhren alfo, der Uns
ruhe, in bie fie fi) ſelbſt dur ihre hartnaͤ⸗
. dige Beobachtung ihres Range begeben hats
fen, müde, ganz ruhig zuruͤcke, iede mit dem
Vergnügen, ihre Ehre behaupter zu haben.
186: ———
J—
S strates w wurde gefragt: ob: er m Perfiſchen
Koͤnig, der damals an Macht, Hoheit und
Reichthum alle Regenten übertraf „nicht für
glücklich bielte. Dieſes kann ich nicht» fagen ,
antwortete er: denn ich weiß. ia nicht, wie
weiſe und tugendhaft er. ifk hr
NV
Charaftere
—
—5
| jr en ne \ I 89
Bon der Schmeiheley.
(Theoph. Char. 2. Rep.)
Nie Schmeicheley ift beylauͤfig ein nieders
Re trächtiges, für den Schmeidjler aber vor;
theilhaftes Detragen im Umgang. Und die
- Kennzeichen eines Schmeichlers find etwa die:
SGeht Er mit einem, fo ſpricht Er: Sieh nur,
wie man auf dich die Augen richtet! Dieß wiz
derfährt fonft Niemand in der Stadt, als dir.
Geftern wurdeſt du auf der Galerie freilich ſehr
gelobt. Es waren unfer mehr, als drenfig
Perſonen beyfammen. Dan fiel auf die Sras
ge, wer dem Staat am meiften nügte? Da
fiengen alle bey deinem Namen an, und hörten
bey ihm auf. Und dergleichen Dinge fagt Er
mehr. Er nimmt das Faͤſerchen von feinem
Kleide hinweg ; und hat ihm der Wind in fein
Haupthaar einen Splitter gewehet, fo liefet Er
ihn heraus, und ſagt lädelnd : ſchau nur, wie
grau dein Bart in den paar Tagen geworden
iſt, feitdem ich dich nicht gefehen habe , und
du baft doch, deinem Alter nad) trotz einem
Schwarzes Haar. Wenn derfelbe etwas redet,
fo gebietet er Andern ein Stillſchweigen, und
lobt
lobt fie, wenn fie aufmerffam find. Hört er
auf zu reden — ruft Er ihm unter lauter
Haͤndeklatſchen ein Bravo zu. Spricht er fros
ſtige Sathren — lacht Er, und ſtopft fein
Kleid in den Mund, als koͤnnte Er ſich des
Lachens nicht enthalten. Er heißt denen, die
vorbey gehen, ſtille zu ſtehen, bis der ſelbſt
vorübergegangen wäre. Er kauft feinen Kin⸗
dern Pirne und Aepfel, bringe und theilet fie
in feiner Gegenwart aus: Er kuͤßt fie und
ſpricht: ihr Kinderchen eines fo guten Vaters!
Kauft er mit Ihm Schuhe ein, fo fagt Er,
fein $uß fen für diefen Schuh viel zu niedlich.
Beſucht er einen Freund, fo läuft Er voraus,
und meldet feine Ankunft, Fommt alsdenn zus
rück und ſpricht: ich habe dich gemeldet. Ja,
Er Fauft fogar auf dem Weibermarkt Sachen
fürs Hans ein , und läuft ſich dabey auffer
Arhem. Unter den Gälten iſt Er der erfie, wels
cher den Wein lobt; und wenn fie zu Tiſche
fißen, ruft Er: wie herrlich weißt du doch
deine Gäfte zu bewirthen! — nimmt, etwas
vom Tifche und ſagt: o wie delifat! Er fragt, |
eb es ihm friere ? und ob er. einen Mantel ums
thun wolle? ia, Er legt ihm den Mantel felbit
um. Er neigt fib fogar zum Ohr bin, wenn
er fo redet, und lifpelt ed ihm zu 5; und wenn
Er mit Andern fpricht, fiebt er ihn immer
dabey an. Auf dem Lheater nimmt Er dem
Skla—⸗
i ’ 2 ‚ # . #
Bun 191
Sklaven die Kuͤſſen ab, und legt fie ſelbſt uns
ter ihm. Er fagt : das Haus ift ſchoͤn ges
"baut: das Feld gut beftelle: das Bild wohl
"getroffen. ° Kurz, alle Reden .und Handlungen -
zielen bey einem Schmeichler dahin ab, um
f ch gefällig. zu machen.
— —ñ— — — —
der Schwatzhaftigkeit.
(3. Zap.) |
Di Schwatzhaftigkeit beftehe darinn , wenn
man meitlänftiee und unüberlegte Worte führt.
Der Schwaͤtzer hat den Charakter: Er ſetzt
ſich nahe zu einem Unbekannten, macht erſt⸗
li) viel Ruͤhmens von feiner Gattinn; dar⸗
auf erzählt Er, mas Ihm des Nachts getraͤu⸗
met, und hernach redinet Er alle Gerichte,
die Er bey Tiſche gehabt hat, auf den Fins
gern her. Iſts Ihm nun fo recht nad) Wunſch
gegangen; dann beſchwert Er ſich über die
ießige Welt, die weit fehlimmer märe , als
vordem. Das Getraide — fagt Er weiter —
iſt anf dem Markt wohlfeil gewefen: es hal⸗
ten fi) viele Fremde in der Stadt auf: nad)
dem Felle des Bacchus ift das Meer wieder
fehiffbar : die Saat wird gut qerathen, wenn
der Himmel regnen läßt: kuͤnftigs Jahr will
"m mein Feld bauen: it ie ein Eümmerliches
| Leben.
| 192 —
Leben. So erzaͤhlt Er auch, daß Damiph
am Feſte der Ceres die größte Fackel aufges
ſteckt habe — und auf wie vielen Eäulen der
Koncertſaal rube. Ferner ſagt Er: Geflern
habe ich mich übergeben müfen — mas iſt
heute für ein Tag? Höre man Ihm nun fo
geduldig zu, fo wird man feiner nicht los:
Er erzählt alsdenn , daß das Feſt der Ceres
in den September, die Apaturien in den Ok⸗
tober , und das Landfeft des Bacchus in den
December falle. ; Dergleiben Menſchen muß
man mit Händen und Fuͤſſen von fi fioffen
und fie fliehen, wenn man nit das Fieber
haben will. Denn es ift ſchwer, foldhe Leute
aussuftehen,, die weder Muffe noch Geſchaͤfte
fennen.
— u an —⏑—————
Archytas von Tarent.
Eine der gluͤckſeeligſten Stunden Agathons
(wie er in der Folge oͤfters zu verſichern pfleg⸗
te) war dieienige, worinn er die perſoͤnliche
Bekanntſchaſt des Archhtas machte. Dieſer
ehrwuͤrdige Greis hatte der Natur, und eis
ner Mäßigung, die von feiner Jugend an ein
unterfibeidender Zug feines Charakters gewe—⸗
jen war, den Vortheil einer Rebhaftigkeit aller
Kräfte zu danken, welche in feinem Alter et
| was
umge 193
was feltnes iſt, aber es doc bey den alten
Griechen lange nicht fo fehr war, ale bey
den meiften Europaifhen Voͤlkern unferer Zeit,
So abaefühlt die Einbildungsfraft unfers Hels
den war, fo Fonnte er doch nichts anders, als
etwas Ssdealifches in dem Gemiſche von Maies
ftät und Anmuth, welches ſich über die ganze
Perſon diefes liebenswürdigen Alten ausbreites
te, empfinden ; und es defto flärfer empfinden,
ie ftärfer der Abfag war, den diefer Anblick
mit allem demienigen machte, woran ſich feine
Augen feit geraumer Zeit hatten gewöhnen
mülen. — „Und warum konnte er nit ans
ders? —“ Die Urfache ift ganz einfach : weil
diefes Idealiſche nicht in feinem Gehirn, fons
dern in dem Gegenftande felbft lag. Stellet
end) einen groffen flattlıden Mann vor, deſſen
Anfehen heym erften Blick anfündiget, daß er
Dazu gemacht it, Andre zu regieren, und der
ungeachtet feiner filbernen Haare, die Miene
bat, vor funfzig Jahren ein fehr fhoner Mann
geroejen zu ſeyn. — hr erinnert euch ohne
Zweifel dergleichen gefehen zu haben: aber dieß
iſt es noch nicht. — Stellet euch vor, Daß
dieſer Mann in dem ganzen Laufe feines Le—⸗
bens ein tugendhafter Mann geweſen iſt; daß
eine lange Reihe von Jahren feine Tuaend zu
Weisheit gereift hat; daß die unbewoͤlkte Heis
terkeit feines Geiſtes ‚ die Ruhe feines Herzens,
N die
194 —
die allgemeine Guͤte, wovon es beſeelt iſt, das
ſtille Bewußtſeyn eines unſchuldigen und mit
guten Thaten erfüllten Lebens, ſich in feinen
Augen und in feiner ganzen Gefichtsbildung
mit einer Wahrheit, mit einem Ausdruck von
ſtiller Gröffe und Würdigfeit abmalt , deſſen
Macht man fühlen muß, man wolle oder
nicht. — Dieß iſt es, was ihr vielleicht noch
nicht geſehen habt; dieß iſt das Idealiſche,
das ich meynte; und wovon Agathon ſo ſtark
geruͤhrt wurde. Er hatte nichts weiter noͤthig,
als dieſen alten Mann anzuſehen, um übers
zeugt zu fenn, daß er endlich gefunden habe,
was er jo off gewünfcht, aber noch nie es ges
funden zu haben vermeynt hatte, ohne-daß er
in der Folge auf eine oder die andre Art feis
nes Irrthums überführt worden wäre, — eis
nen wahrhaftig weifen Mann; einen Mann,
der nichts zu ſeyn fcheinen wollte, ald was er
wirklich war, und an welchem das fharffichtigs
fie Auge nichts entdecken Fonnte,. daß man ans
ders hätte wünschen mögen. Die Natur fhien
fi) vorgefegt zu haben, in ihm zu bemeifen,
daß die Weisheit nicht weniger ein Geſchenk
von ihr fen , ald das Genie; und daß, wofern
es gleich der Kunft nicht unmöglich ift , ein
ſchlimmes Naturell zu verbeſſern, ia wol gar
aus einem Silen, (ſo der Himmel will) einen
Sokrates zu machen, es dennoch der Natur
allein
—
—— 195
alein zukomme, dieſe gluͤckiiche Temperatur
der Elemente der Menſchheit hervorzubringen,
welche, unter einem Zuſammenfluß eben fo gluͤck⸗
licher Umſtaͤnde, endlich zu dieſer vollkommnen
Harmonie aller Kraͤſte und Bewegungen des
Menſchen, worinn Weisheit und Tugend zu—
ſammenflieſſen, erhöht werden kann. Archyhtas
hatte niemals weder eine alübende Einbils
Dunasfraft , noch heftige Reidenicbaft gehabt.
Eine gewiffe Stärfe, die den Mechaniſmus
feines Kopfs und feines Herzens charaktes
riſirte, hatte von feiner jugend an die
Wirkung der Gegenftände auf feine Seele ges
mäßiget. Die. Eindrücke, die er von ihnen bes
fam, waren deutlich und ſtark genug, um ſei—
nen DBerftand mit wahren Bildern zu erfüllen,
und die Verwirrung zu verhindern, welche in
dem: Gehirne verienigen zu bereichen pflege,
deren alzulichlaffe Fibern nur ſchwache und
matte Eindrücke von den Gegenftänden empfans
gen. Aber fie waren niche fo lebhaft, und von
Feiner fo flarfen Erſchuͤtterung begleitet, wie
ben denen, meiche durch zaͤrtlichere Werkzeu⸗
‚ge und reisbarere Sinnen , zu den. entbufiaflis:
fhen Künften der Muſen befiimmet , den zweps
deutigen Vorzug einer zauberifehen Einbildungss
kraſft und eines unendlich empfindlichen Herzens,
fheuer genug bezahlen muͤſſen. Archytas hatte.
es dem Mangel diefes eben fo ſchimmernden,
Na als
196 nn |
ald wenig Geneidenmerthen Vorzugs zu dans
fen, daß er Wenig Mühe hatte, Ruhe und
Drdnung in feiner innerlichen Verfaſſung zu ers
balten; daß er, an ftatt von feinen Ideen und
Empfindungen beherrſcht zu werden, allezeit
Meiſter von ihnen blieb; und die Verirrungen
Des Geiſtes und des Herzens, von denen das
ſchwaͤrmeriſche Volk der Helden, Dichter und
Virtuofen , aus eigner Erfahrung fpreden
fann, nur aus fremder Erfahrung Fannte,
Daher Fam es auch, daß die Pythagoraͤiſche
Philofophie, in deren Grundjägen er erzogen
worden war, — eben diefe Philofophie, wel—
de in dem Gehirne ſo vieler Andrer zu einem
abentheuerlichen Gemiſche von Wahrheit und
Traͤumerey wurde, — ſich durch Nachdenken
und Erfahrung in dem ſeinigen zu einem Syr
fiem von eben fo fimplen, als fruchtbaren und
und praftifchen Begriffen ausbildete; zu einem
Syſtem, welches der, Wahrheit naͤher zu kom⸗
men ſcheint, als irgend ein anders, welches
die menſchliche Natur veredelt, ohne fie aufs
zublähen , und ihre Ausfichten in befjere Wels
ten eröffnet, ohne fie fremd und unbrauchbar" .
in der gegenwärtigen zu maden. Ein Spy
fiem , das durdy das Erhabenfte und Belle,
was unfre Seele von Gott, von der Welt,
und von ihrer eignen Natur und Beſtimmung
zu denken faͤhig iſt, ihre Leidenſchaſten reini⸗
get,
>
— — 197
get, ihre Geſinnungen verſchoͤnert, und (was
das wichtigſte iſt) ſie von der tyranniſchen
Herrſchaft dieſer pöbelbaften Begriffe bes
freyer, welche die Seele verunftalten,, fie klein,
niederträchtig,, ſurchtſam, falſch und fFlavens
. mäßig maden ; iede edle Neigung , ieden
grofien Gedanken abſchrecken und erfticken.
Der Juͤngling von der guten und
boͤſen Seite.
ey. Juͤngling bat alle Eigenfchaften, wie
fie fein anwachſendes Gluͤck und die auf ihn
toartende Welt verlange. Alles in ihm und
auffer ibm ift zur Verbefferung und Reife feiz
ner Kräfte, zum kuͤnftigen glücklihen Manne,
und zu einem nüglichen Bürger der Welt ans
geleget „ der, wie er, in gemwiffer Maße der
Wohlthaͤter derfelben wird, zugleich bey ihr
wieder ein Recht auf ihre Dankbarfeit und
auf Gegenmohlrhaten fi) erwirbt. Wir mwols
len den ganzen Gehalt feines Charafters bes
traten; fein Gutes, wie es fib von feinen
Schlafen abfondern läßt, und die Febler des
Naturells, wie fie durd Unterricht und Vils
dung zu guten Eigenfchaften und der Tugend
befoͤrderlich werden Fünnen.
N 3 Der
x08 ——y
Der Juͤngling iſt meiſtens von Natur in feinen
Wuͤnſchen und Unternehmungen kuͤhn, heftig und
unbeftändig. Der Leichtſinn, eine unſtaͤte Ruhmbe⸗
gierde, eine natuüͤrliche Neigung alles haſtig nachzu⸗
ahmen, ein gewaltiger Trieb zu finnlichen Vergnüs
gungen, leiten und führen ihn, bemächtigen fid)
feingß Herzens und leicht auch feines Verfians
des zum Dienfte der Thorheit. Er ift leichte
Hläubig , bald gewonnen, aber eben fo bald
beleidiget , und fehnell zur Ahndung. Er naͤ—
bert fichb gerne der Verſwendung', und vers
achtet die Sparfamfeit. Er füblet den täalis
eben frifchen Anwachs feiner Kräfte, und wage
fie Eühnlich daran, unbeſorgt für feine Ge⸗
ſundheit und oft für fein Leben Er ſcheut
gemeiniglid den Aufſeher, wid ſich felbft Ges
feg und Klucheit feyn, und ſtuͤrzet ſich im
Fehler. Er ſcheint bald feinen Fehler zu bes
reuen, aber in ver That Fränft ihn mehr der
Vorwurf und der Schimpf, den er fid) dadurd)
zuzieht, als der Fehltritt ſelbſt. — Dieß ift
das Bild des Juͤnglings, wenn man ihn auf
der ſchlechten Seite betrachtet; und dennoch
enthält er bey allen den Fehlern, wodurch fie
ihn verunſtaltet, die Grundanlage zum guten .
und nüglichen Menſchen.
4—
Der Fühne und heftige Jaͤnaling iſt der
erſte Stoff zu dem — und arbeitſamen,
der
— —— 199
der unbefändige und leichtfinnige zu dem folgs
famen und gefegten Menſchen. Wie langfam
würde fein Gedaͤchtniß, feine Einbildungsfraft
und fein Verſtand mit den nothwendigen Ges
‚genfländen und Kenniniffen des Lebens erfüllt
werden, wenn er nicht unſtaͤt und flüchtig im
feinen Neigungen und Wünfchen wäre? Ein
ieder Schritt zur Thorheit würde ihm ein
Schritt zum Lafter ſeyn, wenn er der einzel
nen Thorheiten weniger geſchwind und übers
drüffig würde. So Fühn und heftig der Juͤng—
ling in feinen Unternehmungen ift: fo hat ihn
doch die Natur, um dem Mangel feiner Ers
fahrung und feiner Einfihe zuvorzufommen, '
mit einer edlen Schamhaftigkeit ausgerüfter.
Diefe marner, und leitet ihn, wenn er fie niche
frevelhaft unterdrückt. Eben der Süngling ,
der gern ungebunden ſeyn will, ift doch zugleich
der Süngling, der durch geheime Bande an
die Heine Welt feiner Familie und Verwand—
ten fo meife gefefjele it, daß er ſich, gern
oder ungern, dennod) ihren Leitungen ergiebt,
Liebe und Danfbarkeit gegen feine eltern und
Wohlthaͤter vertreten öfters bey ihm die Stels
le des Verſtandes. Er ift hitzig, feinen Ge
genſtand zu verfolgen; aber ift er nicht auch
empfindlid) gegen die Bitte einer liebreichen
Mutter 2 Ihn erſchreckt der meife Tadel eines
güfigen Vaters; und die fanfte Erinnerung
4 eines
209 ———
eines Freundes wird oft für ihn eine eindrim
gende Gittenlehre. Der Juͤngling ift leicht
gläubig, und diefe Eigenfehaft ſtuͤrzt ihn in
viele Fehler ; aber er glaubt auch das Gute
leicht , und am leichteſten glaubt er es denen,
die feine Hochachtung und Liebe zu verdienen
wiſſen. Auf ſolche Weife wird, an der Seite
vernünftiger Menſchen, feine Reichtgläubigfeit
Glück für ihn; und durch ihren Unterricht,
durch ihre Erfahrung, zu der nod) feine eigene
Erfahrung hinzukoͤmmt, wie oft ihn feine Leicht⸗
gläubigkeit betrogen, wird fie mit der Vorſich—
tigfeit verwandt. — Der Jüngling, der iezt
feine Fehler gern verbirgt „ iſt doch zu anderer
Zeit offenberzig genug, fie ſelbſt zu verratben,
und geſchwaͤtzig genug, ſich ſelbſt zu beſchaͤmen.
Er giebt Andern dadurch Gelegenheit, ſie zu
verbeſſern; und ſo werden Andere immer das
fuͤr ihn, was er ſich ſelbſt noch nicht iſt. —
Der Juͤngling iſt begierig nad) Beyfalle
und Bewunderung, und geht mir groſſen Ges
danken von fid) und feinen Fünftigen Unters
nehmungen einber ; eine Leidenſchaft, die von
der Hand der Weisheit umgebildet und. regies
vet, zum feurigen Antriebe des Fleiſes und der
Beſtrebung ım Guten für ibn wird. Uber
Int Der Süngly — aus ——
| nur
(sans ana nun 201
aur feine Verachtung oder feinen Haß verdie
nen follten ? Sa, aber meiftentbeils aus Man:
gel der Einfiht und guter Beyſpiele. Seine
Erziehung fen noch fo mangelhaft ; fo ift doch
Dit ein einziges ruͤhmliches Beyſpiel genug, feis
ne Begierde nab Ehre auf gute Sitten und
edle Neigungen und Unternehmungen zu rich;
ten. Ein ungluͤcklich gewantes Unternehmen
giebt ihm Erfahrung , und diefe wird ihm, fo
oje fie ihn an feinen Fehler erinnert, aud) das
Geſetz einfbärfen , daß er weifer, und bey der
Mahl feiner Ehrbegierde vorfichtiger ſeyn fol.
Fält feine falle Ruhmſucht gar auf das 8a
fer : fo firaft ihn das Gewiſſen, und ruft ihn
wieder auf den. rechten Weg; das Gewiſſen,
das in feinem empfindfamen Herzen eben fo
lauf fpricht , als feine unerlaubte Begierde, —
Ohne die hohen Gedanken von fi) und feinem
fünftigen Untbeil an den Weltbegebenheiten,
würde der Juͤngling in feiner Ehrbegierde und
in feinem Fleiſe bald ermüden. Er beträgt fi
freilich, aber doch zu feinem Bünftigen Vor—
tbeile, wenn er nur will. Selbſt aus feinem
Stolze wird einft die ihm und der Weit fo
nothwendige Tugend der Beſcheidenheit und
Demuth erwachſen, wenn er nur will, Seine
wagende Ehrbegierde verficht ihn mit nüglıden
und angenehmen Eigenſchaften. Er erlernt viel
Lobenswürdiges, ſchmeichelt fi, wie viel er
R 5 wiſſe,
202 om —
wiffe, wie gut er ſey, iſt muthig, acht immer
weiter , fieht inmmer mehr, das er faflen und
wagen muß; immer mehr Fehler, die er ables
gen, immer mehr Ruͤhmliches, dem er nach⸗
fireben muß. Endlich, nachdem feine Einficht
auf diefem Wege flufenweife geftiegen, und Ers
fahrung, Zeit und Tadel ihn gelehret haben ,
wie Flein fein Verdienſt, und wie unvollfoms
men feine Tugend ſey, verwandelt ſich fein
Stolz fiufenweife in Demuth. So verliert die
Raupe ihre berfiende Hülle, und nimmt die
Geſtalt eines gefälligen Sommervogels an. —
Der Juͤngling iſt verwegen, und dieſe nas
tuͤrliche Verwegenheit wird durch die Ausbil,
dung zu einer weiſen Herzhaftigkeit und Ent
ſchloſſenheit in Gefahren; eine Tugend, die
kuͤnſtig ſeine Familie und ſein Vaterland von
ihm erwarten. — Sein Blut wallt in ſeinen
Adern, und macht ihn ſtuͤrmiſch und heſtig;
aber auch begierig nach Leibesuͤbungen, die
ſeine Nerven anſtrengen und beſeſtigen, und
ſeinen Koͤrper zur Erduldung der Arbeit und
der mannigſaltigen kuͤnſtigen Beſchwerden des
Lebens abhaͤrten ſollen. Ohne ſeine Haſtigkeit
und Fluͤchtigkeit wuͤrde der Ueberfluß ſeiner
Saͤfte entweder der Geſundheit ſchaden, oder
die Gliedmaßen des Koͤrpers fuͤr die Befehle
der Seele ungelenkig werden lafſfen. —
Die |
>
\
— — 203
Die Leidenſchaften, die ihren Sik zugleich
in feinem. branfenden Blute haben, Zorn und
Wolluſt, ſcheinen die ſchlimſten und verderbs
lichſten Züge in feinem Charakter zu fern. -
Wie tobt der. Zorn eines aufgebrachten Juͤng⸗
ling ! Aber, Dank fey es feiner natürlichen
Unbeftändigkeit! Er währet nicht lange, Und
wie verföhnlich ift fein innges Herz, genen
das Herz eines beleidiaten Alten betrachtet!
Er vergiebt ſchnell ein erlittenes Unrecht
und bereut ein angethanes eben fo ſchnell,
nachdem er bald fanft, bald ernfilich erinnert
wird. Sein Zorn,, wenn er verſchwunden ifl
lehrt ihn ‘die DVorfichtigfeit, ſich vor Beleidis
gungen zu büten, und wird , wenn er
durch die. Vernunft angehalten worden , zu
einem plösliben ruͤhmlichen Widerwillen ges
gen das, mas fein oder BE, Gluͤcke uns
bilig flöret. —
Seine geringe Liebe zum Gelde, die leicht
in- Verſchwendung ausarten kann, bewahret
ihn vor einem groffen Feinde der Tugend in
feiner Seele , vor dem Friedyenden Eigennuße,
der ihn aufferdem in feinem männlichen Als
ter zu gebieterifch regieren würde, Eben
der Sjüngling , der iest das Geld nicht ad)s
tet, fol früh die Neigung der Gusthätigs
keit
204 I1 —
keit und Freygebigkeit, aus der ſo viele ge⸗
ſellſchaftliche Tugenden entſprieſſen, in ſich
wurzeln laſſen. —
Seine heftige Begierde, Andern nach⸗
zuahmen, iſt eine Quelle vieler Thorheiten
und gefaͤhrlicher Verſuche, aber dieſe Be⸗
gierde, durch Klugheit eingeſchraͤnket, macht
ihn zum nuͤtzlichen Buͤrger der Welt. Sein
den Sorgen verſchloſſenes Gemuͤth erhält “ihn
in der Heiterkeit, dem Geſchaͤfte, das er
erwählet,, ganz zu leben; und feine Wifbes
gierde , ob fie gleich anfangs mehr mit den
Gegenfländen der Sinne und des Geédaͤcht⸗
niffes beichäftiget, fammelt doch eben dadurd)
Meichthümer zum Gebrauche des Verſtandes ein.
Sein Charakter ift der fruchtbare Baum im Fruͤh⸗
ling ; er treibt ftarfe Zweige , treibt Blätter,
Knoſpen und Bluͤten. Ohne die erſten Fünnen
die lezten nicht hervorkommen; aber wenn alle
Bluͤten Fruͤchte wuͤrden, wuͤrde ſie der Baum
nicht fragen koͤnnen. Die heftige Neube—
gierde des Juͤnglings wehrt dem frägen
Müfiggange ; und endlih, fo finnlih er
iſt, fo ift er doch zugleich das Gefchöpf ,
das feinen Hunger am leichteften und mit
den einfältigften Speifen ſtillen kann, ohne
fi) zu Deflagen. unbekannt mit den Ges
| maͤch⸗
—
—— 205
maͤchlichkeiten, die das Alter fordert und
liebet, übernimmt. er eine harte Lebensart ges
5 duldig, menn fie mit dem Wunſche feiner
Neigung übereinfommt, und von der Pfliche
ihm empfohlen wird,
Das ingendlihe Herz; hat alfo freilid
nefährlihe Leidenſchaſten; aber fie fliimmen
doc) untereinander , wenn fie gut gebildee
und regieret werden, dienſtfertig zu feinem
Gluͤcke überein. Selten if Geiz, Neid,
Betrug, Troß und Granfamfeit der Antbeil
ingendliher Neigungen , ein groffes Gluͤck
für den Charakter des Juͤnglings. Gefelligs
feit, DBegierderzu gefallen ‚ nachzuahmen und
Sreunde- zu haben, Kühnbeit, Ehrliebe,
Mitleiden, Dienfifertiofeit find meiſtens die
Heinen Bäche, die das Herz des Juͤnglings
durchwaͤſſern, damit es die Fruͤchte feiner
Privartglückfeeligkeit und des allgemeinen Des
ften tragen Fann, Seiner Febler find viel,
und doch koͤmmt es auf die Erziehung , die
er genießt, und auf ihn felber an, fie immer
mehr zu unterdrücken, immer weifer, vorfid)s
tiger, mäßiger und brffer zu werden, und.
wenn er früh fein Herz der Religion übers
giebt ,„ fi vor wiſſentlichen Laſtern zu bes
wahren.
% f ‘ So
206 RITTER
So bild, 9 Tüngling, denn
Dein Herz fihon in der Tugend;
Sieh auf die Weisheit ftets ,
Doch mehr noch auf die Tugend!
Denf, daß nichts glücklich macht,
Als die Gewiſſensruh,
Und daß zu deinem Glüd,
Die niemand fehlt, als 9.
VI. Ueber
J
ueber
Hoͤlth's Charakter,
— — — — —
209
| Ha 1. September 1776 ſtarb zu Hans
nover ©. & H. Hölty ın feinem acht
und zwanzigſten jahr, an der Auszehrung.
Ich mill die alte Klage, die man ſchon fo
oft mit Recht anftimmte, nit von neuem ang
ſtimmen: daß fo viele unfrer beſten Köpfe in
der Bluͤthe ihres Lebens unferem Waterland
entriffen werden, fo gerecht auch bier die Klas
ge wäre.
Aber denen, die meined Freundes Lieder
mit fo vielem Antbeil lefen — und dieß find
gewiß nicht wenige, und gewiß aus den Edlen
Des Volks — will ich einen Eurzen Entwurf
feines Charakters geben, welches ich nach einem
mehr als dreyiährigen fehr vertrauten Umgang,
treu genug thun zu Fünnen, glaube. Aus dem
Zon, den er in feinen meiften Liedern angab,
kennt man Hoͤlty als eine fanftfchwärmerifche,
fromme, gelaſſene, balbmelancholifihe , aber
doc) rubigtraurige ,„ im Anfıhaun der Natur
und ihrer Schönheiten verfunfne Seele. In
feinen Liedern fürmt fat niemals eine laute,
oder ſtarke Leidenschaft; Nührung und Bewe⸗
gung Ströme fanft darinnen hin. Die Wirs
| O kung,
210 — —
kung, die er ſeinem Leſer mittheilt, iſt die
Wirkung, die die Abenddaͤmmerung hervor—
bringt: ſchwermuͤthige Ruhe, die an Thraͤnen
graͤnzt.
Wie Hoͤlty iezt noch in ſeinen Liedern
lebt, und hoffentlich noch bey der Nachwelt
leben wird, fo lebte er vor kurzem noch auf
der Welt, und unter feinen Sreunden. Wer
ihn zum erftenmal, oder blos aufs Aeuſſerliche
ſah; bekam eben Feine. vortheilbafte Meynung
von ihm. Er gieng niedergebücft, hatte einen
trägen Gang, fah einem trenherzig, aber eins
fältig fcheinend ins Geſicht; feine Geſichtsfarbe
war beftändig blaß, und verfündete den Tod,
der ihm feit vielen Sahren ſchon am Leben
nagte. Und von dieſer Kränflichkeit kams
auch, daß er träg und phlegmatiſch ſchien.
Unter unbekannten Menſchen ſprach er wenig,
oder nichts; Denn er war furchtſam und ein
wenig mißtrauiſch; auch wieder eine Folge
ſeiner Kraͤnklichkeit.
Nur im vertrauten Kreiſe ſeiner Freunde
ſchloß ſich feine Seele, auf, ließ in ſich hinein⸗
blicken, und theilte ſich andern mit.
Eh” ich aber feinen geſellſchaftlichen Cha—
rafrer angebe, muß ich ihn zeigen, wie er in
der Einiamfeit war, mworinnen ic) 1 oft bes
lauft habe. e:
———— 211
Er hatte eine brennende Wißbegierde, die
beynah an Neugier graͤnzte. Daher kam ſein
Fleis, und die Frucht davon, feine ausgebrei—
tete Gelehrſamkeit. Seine Beſtimmung war,
ein Prediger zu werden. (ob er fie gleich im
lesten Jahr feines Lebens, wegen mehrmaligen
Blutauswerfens, nicht verfolgen konnte) Alſo
findirte er ſehr fleiſig die Theologie, und alle
Huͤlfswiſſenſchaſten. Aber neben dieſer Haupts
wiſſenſchaft Audirte er unaufhoͤrlich die ältere
und neuere Philofophie und ihre Geſchichte,
die Hiltorie, und die fhonen Wiffenfchaften
in all ihrem Umfang. jeden Schrifefteller las
er in feiner eignen Sprache. Er verfland, und »
zwar fehr gründlied , hebräifdy , griechiſch, las
teinifch , engliſch, ſpaniſch, italiaͤniſch, franzoͤ⸗
ſiſch: die griechiſche, engliſche und italiaͤniſche
Sprache liebte er am meiſten; in der engliſchen
gab er viel Unterricht; fein herrliches Gedaͤcht⸗
niß machte, daß er nit nur alle diefe Spras
chen aut verſtand, fondern auch feinen Ver⸗
fand mit allen Schägen ihrer Schriftfteler bes
reicherte; er überjegte auch fehr gut den Kens
ner; Hurds Dialogen; den erften Theil von
Schaftesburys Charakteriſtik, wovon leider
nur der erite Theil gedruckt werden Fann.
Ihm konnte man alſo gewiß nicht den
Vorwurf machen, den man haͤufig den Dich⸗
| | | D a2
!
fern
* *
212 —
tern und den fogenannten fehönen Geiſtern —
oft mit Recht, gewiß aber auch oft mit lin;
recht — macht, daß fie nichts als Verſe maz
Ken und Gedichte lefen Fünnen. Er opferte
vielmehr dem Fleis und feiner Wißbegierde
faft zu viele Zeit und Kräfte. Haͤtt er wenis
ger fiudirt, fo glaub ich faft gewiß, er lebteunter
uns nod) lange Zeit. Ganze Tage und gemöhnlich
mehr als halbe Nächte faß er, über dicke Fo⸗
lianten und Duartanten hingebuͤckt, mit folcher
anhaltenden Geduld, daß er fie in wenig Abos
hen ganz durchlas. Wenn er fib einmal
zum Leſen hingefeßt hatte, fo vergaß er alles,
Welt, Geſellſchaſt, Effen und Schlaf. Diefe
aelehrte Sorgloſigkeit mag eine Miturſache feis
ner befländigen Kränflichfeit geweſen ſeyn.
So fehr er auch den Umgang mit Perfonen,
die er einmal lieb gewonnen hatte, und das
freye Feld, den Tempel der Natur, liebte;
fo verließ er doch ſehr felten auf einen Ans
trieb fein Zimmer, und die Bücher: immer
hatte er einen Auffern Anſtoß noͤthig. Die
zwey erften Jahre, als er in Göttingen ſtu⸗
dirte, ſah man ihn faft nie, als in den Kol
legien , die er fehr gemiffenbaft befuchte. In
den legten drey Jahren Fam er in die engfle
Verbindung mit den edlen Sünglingen , die
gewiß. durch aanz Defondere WVorfehung, aus
fo verfhiedenen Gegenden , in Göttingen zuſam⸗
| men
— 213
men kamen, und den Bund der Freundfchaft,
der Religion , des DWaterlandes und der Tus
gend flifteten. Shre Namen Fennt man größs
tentheils fun aus den Mufenalmanaken :
Stolberg, Bürger, Boje, Hahn, Voß, Leis
—* u. a.
Hoͤlth lebte unter dieſen neu 4 Wir
Re ihn fleifig auf unſere Spaziergänge
mit. In: Gefellfhaft folher Freunde, die ein
ſo gemeinſchaftliches Intereſſe mit ihm hatten,
büllte feine Seele ſich aus ihren Wolfen, fie
ward offener und heiterer, faugte mehr Ders
gnuͤgen ein, und theilte fid) und ihre Empfinz
‚dungen mehr mit. Diefes, und die häufige
Bewegung in der freyen Luft hatte auf feine
Gefundheit einen fehr heilfamen Einfluß, fo,
daß er von der Zeit an weit gefünder ausfah,
und fogar etwas Roͤthe im Gefiht befam , big
‚endlich das verfchloffene Uebel ausbrab. Vor
Anderthalb Jahren warf er Blut aus, hatte
bis ans Ende einen fehr hartnäckigen Hufen,
immterwährende Beflemmungen, in der lezten
zeit faſt Feinen Schlaf : und fo farb der jrons
nie Dulder. 9 am 4. Auguſt 1776. ſchrieb
er mir:
Ich AAN mid) ‚Diefen Sommer fehr
ſchlecht. Saft drey Monate hindurch habe
* eine Nacht geſchlaſen, immer ein ſchlei⸗
D3 chen⸗
214 — |
chendes Fieber, Kopfweh, und bie heftigften
Bruftbeflemmungen gehabt: Du Fannft leicht
denfen, wie mich das abmatten mußte. Sch
trinke iezt fehon über vier Wochen den Bruns
nen, und fpüre gegenwärtig einige’ Befles
rung. Der golöne Schlaf kommt wieder:
nur geben ſich die leidigen Bruftbeflemmuns
gen noch nicht. ”
MWie die meiften Schwindfüchtigen , hoffte
er auf Leben bis an feinen Tod ; am Ende dies
fes Briefs fehrieb er. mir: ©
„Schreib mir bald einen recht langen’
Brief! Ich werde Fünftig gewiß fehr oft an
dich Schreiben. ” — Hier muß ich inne hals
ten ; Thränen hindern mid. Gott! was find:
menfchlibe Hoffnungen und Entwürfe! Er
fab. feine Zeile mehr von mir: ich werde Feis
ne mehr von ihm ſehen! Du bift hingegangen,.
Kieber! Wer aus unfrem Kreife wird zuerft
dir folgen ? Wann werd ich dich wieder fes
ben, du Geltebter, und ang Herz dich drüs
en, und dann ewig dein fun? — —
Behaglichkeit , Keidfamfeit, Hang zur Rus
be, Empfänglichfeit „ befondere für alles -Traus
rige und Stillrührende — waren die Hanpts
beſtandtheile im Charafter meines feeligen
Freundes. Aber fen Hang zur Ruhe war
nicht
| m 215 )
nicht Trägheit, fo bald es darauf anfam, eis
nem Menſchen, und befonders einem Freunds
zu dienen. Er war aufferordentlich gefällig.
Reine Bitte, that man fie auch auf Koften
feiner Ruhe, ſchlug er ab. Er hätte Folianz
ten für einen excerpirt, wenn man feine Ges
faͤlligkeit hätte mißbrauchen mollen. — Sin eis
ne heftige Bewegung oder Feidenfchaft konnte
ihn nicht leicht etwas bringen, Faum eine Be
leidigung feiner febft: aber allemal erhub fid)
feine Seele, und rüftete fib mit ediem Uns
willen, wenn nian ihm von einer ſchlechten
That, von DWerführung oder Unte drücfung
Der Unfchuld , von gefränfter Menſchheit, vom
Triumph. der Bosheit und des Laſters fagte.
Alsdann ſprach er heftiger , gefbwinder, mit
erhöhter Stimme; und Seh! für Menſchheit
und Tugend roͤthete ſeine, ſonſt immer blaſſe,
Wange. Er war wie umgeſchaffen; feine
Worte wurden Kraft; edler: Unwille bliste
aus dem, ſonſt fo ruhigen und flilen Auge,
So ſah ich meinen Lieben vft, beſonders,
wenn ic) allein bey ihm faß, und mit ibm ing -
Gewühl der, Welt, in den Wirrwarr von
Trug und &ft, in den Kampf der Unſchuld
mit dem Lafer, der Unterdruͤckung mit der
Ohnmacht, der vornehmen Schurken mit dem
chen Armen blickte.
D4 i Er
Er’ Fannte die Seele und die Kraft: des
Menſchen. Aber, meil er: wenig unter Mens
chen kam, fo alanbte er nicht, daß fie diefe
Kraft fo oft zu Trug und Bosheit, und zu
Unterdrückung und Mifhandlung ihrer Brüder
anwenden. Er beurtheilte fie groͤßtentheils
nach ſich; und da waren es freilidh edle frieds
liche Gefhöpfe voll Adels und Wohlwollens.
Er war immer am beredfeften, wenn man von
guten Menſchen fprad. Er flimmte iedem
gobe freudig bey, das man einem Edlen gab.
Er fiannte oft, oder zweifelte, wenn er wies
der eine ſchlechte Menſcheuthat hörte; er ents
fyuldigte, fo lange er Fonnte. Dann aber,
wann dieß niche mehr moͤglich war, dann
wandte fi fein ganzer verachtender Unwill auf
diefe feblechte Seele, und fein ganzes Mitleid, feine
ganze Liebe, feine ganze Seele neigte fich zum edlen:
Unterdrückten; eine fromme Thraͤne flof ihm.
Wie richtig fein Gefühl war, wie er alles
Ruͤhrende, ins Herz fi fehleihende, allg
Seelenfihmelzende auffafte, wiſſen ‚alle vie,
die feine Lieder lafen. Inter feinen Lefern has
be ich Feinen noch gefunden, der ihn nicht liebs
te ; nicht mit Antheil fidy nad) ihm erkundigte.
Immer der ficberfle Lohn der Empfindung die
Die Seele der Dichtkunſt if Je mehr ein
Schriftſteller, und befonders ein Dichter, Ems
pfindung hat; deſto mehr bat er Stunde, die
ihm
ihm aus Grund der Seele aut find. Bewun—
derung. iſt immer erſt das zweyte, was ſich ein
| ne zu erwerben fudt.
Hoͤlth hatte gewiß viel Empfindung. Geis
ne Einbildungskrafe ftellfe immer das zufams
men, was zunaͤchſt ans Herz greiſt. Daher
das Daͤmmernde in ſeinen Liedern, die Abend⸗
und Nachtſcenen, das viele Mondenliht, dag
naͤchtliche Zirpen der Grillen, die ländliche
Einfalt, der. elegifhe Ton, das öftere Sehnen.
nad) Tod und Grab; endlich Die vielen froms
men, aus der Religion gehobenen Empfindung
gen. Noch). überzeugender wird man diefes eins
fehen , wenn man. feine Gedichte benfammen
ſehen wird, welches bald geſchehen ſoll.
Seine Religion war: Glaube, Liebe,
Hoffnung. Sie floß aus der Bibel in ſein
Herz. Das ewige Raͤſoniren, Rektificiren,
Diſtilliren, Sichten und Sieben der Religion,
das iezt manche Theologen bis zum Webermaß
und Eckel treiben, war ihm für den Tod zus
wider. Sein Stab und Aufer war Chriſtus;
darauf lehnte und flüßte er fih, nicht achtend
des zerbrechlichen Rohrſtabs, den mit fſuͤſſem
Geſchwaͤtz und ewiger Anpreifung ihrer Waare
die Berliner Bibliothekare und ihre Vor⸗ und
Nachbeter dem Waller durchs Leben anbieten.
Oft ward er ganz boͤs ‚ wenn wir wieder einen
D5 felbfts
218. -
febftgefälligen theolodifchen ſuͤſſen Herrn auftres
ten ſahn, der mir vlelem Anftand und Reben
art fo ganz 'cavalierement dem armen Reiz
‚ denden Shriftum feinen ‚Heiland , Bruder nnd
Gott, Jeſus Chriſtus, den Gefrenzigten , den
Gindentilger , der ihm bisher alleg war,
Schild and Troſt im Elend, megplappern,
wegphiloſophiren und fophiftiren wollte. — Er
blickte von dem ſchwachen Männlein weg, und
auf feiren Sreund und Bruder, den Gefreus
jigten , der ihm nicht, wie den Weiſen diefer
Zeit, Aergerniß und Thorheit war, Er hatte
ihm zu oft in feinen vielen Leiden, in den
ſchlafleſen, unter Krankheit und Schmerz durch—
feufzten Naͤchten als feinen Freund und nähern
Gott erfahren. Darum befannte er ihn auch
vor Menſchen frey und oͤffentlich, auch in
verſchiedenen ſeiner Lieder, als ſeinen Herrn
und Gott; war nicht, wie Die Dichter, aus
deren Werken man nicht ſehen mag, ob ſie
chriſtliche, griechiſche, roͤmiſche oder hottentot⸗
tiſche Religion bekennen?
—————— war er nicht Bigott, oder Ei⸗
ferer. Er, der in allen andern Gtüdfen, ges
gen alle Menden, fo verträglich war, fie mit.
allen ihren Gigenheiten, Laͤcherlichkeiten, Abs
gefchne: Etheiten ‚ aud) wol gröbern Fehlern,
immer noch mit Liebe und Geduld trug, im⸗
mer
a 216
mer alles sum Velten Fehrte, war auch gegen
Sekten und Religionsmeynungen vertraͤglich;
- mwünfchte allen, zu gelangen zur Erfenntnif
und Erbarmung Gottes, und zum Heiland
unfrer Seren. | 1:
Seine Seele Eat keine Art von. niedrer
Wolluft, ſah immer ihre beſſere Beſtimmung,
dachte immer ſich den Tod mit Freuden, und
als Uebergang zum nähern Anſchaun Gottes.
Er verachtete jede Ungezogenheit und Schluͤpfrig⸗
keit in Schriften und in Reden; aber nicht
den froben Scherz, der Seel und Leib gefund
und friſch erhält: Er hatte ziemlich viel, und
eine befondere Art von Wiß Man Fann es
eher drolligtes Welen , als Laune nennen,
Seine Einfälle thaten deſto gröffere Wirkung,
weil er fie. mit, trockner Stimm und Miene,
obne felbft zu lachen, vorbrachte. Er hätte,
wie man aus einigen feiner Rieder und Romans
zen fiebt, fih eine ganz eigne Art von Laune .
oder Lufliafeit erwerben Fünnen. Aber er hielt
felbft die Gabe, lachen zu machen, für ein
weit geringeres Verdienſt, als die würdigere
Kunſt, zu ruͤhren und ans Herz zu reden.
| eine ſtete Kraͤnklichkeit, und feine dko—
nomiſche Umſtaͤnde, melde nicht die beſten
waren, die ihm aber, fo lang er in Goͤtkin—
gen fudirte, der vechefchaffene Heyne auf eis
| ne
— ERS N 21.202020..27.07
x %
{
220
ne edle Art erleichterte , hätten: ihn Teicht
muthlos, muͤrriſch und verdräßlih machen
koͤnnen. Aber er war ein fliller, frommer und
» gelaffener Dulder; fah dem Ende feiner eis
den ruhig und mit Heiterfeit entgegen. Nur
einmal weiß ich , daß ihm Thränen floffen ,
als der Arzt ihm die Gefahr, in der fein Les
ben ſtand, anfündigte, und er auf einmal
vom Gedanken: überwältigt wurde , daß er
nun diefe Welt, mit der er fo zufrieden war,
in:der er, durch feine Lieder, immer mehr
Treunde fand, und befonders ung, feine Lies
ben , verlaſſen ſollte. Oft hatte ih Mühe ,
ihm meinen Summer zu verbergen, wenn er
blag und abwelkend vor mir fand, wie Die
Blume, der ein Wurm im Innern nagt, und
ih date: Ah! du mirft und mol zuerſt
entriſſen werden! Er aber war ruhig und
vergnögt. In dem Testen Jahr feiner Leiden
ſah ich ihn nicht mehr: aber serih Pt er
auch da ſich gleiche
— Abuomiſchen umfiände s waren, mie
En fon: gefagt habe, nicht die beiten; er
hatte zwar nicht völligen Mangel, aber audy
nicht Ueberfluß, und doch war er ſo zufrieden,
und genägfam, wie der Reiche. Er ſprach
niemals ‚Hagend „ ‚wol. aber. feherzend. dar⸗
uͤber. Co ſchrieb er mir. in. feinem, lesten
He Drieje
| BB
Briefe: „Ich leide gewaltigen Geldmangel.
Das beftändine Mediciniren Foftet mir fo viel.
Skuͤrb id iezt, ich müßte, wie Ariſtides,
. publico fumtu begraben werden.” Ein Gut
denfender, der dieß erfuhr, fuchfe dieſem
Mangel abzuhelfen. Das Geld Fam zu fpat,
und Eonnte gerade noch auf die Leichenfoften
verwendet werden. Ich wünfhe Feinem feis
nen Mangel, aber iedem fein zufriedeneg, 98
nuͤgſames Gemuͤth.
Noch muß ich, ſo viel ich kann, und das
iſt wenig , von feinem poetiſchen Charakter,
deſſen Bildung , und den Deranlafungen dazu,
fagen. So wie fein Charakter iezt in feinen
Liedern dafteht, und bleibt, Davon fag ic
nichts. Seine Lefer und. ihr Herz moͤgen ihn
beſtimmen!
Man ſagt, der Dichter wird geboren.
Das iſt wahr, fo wie iede Faͤhigkeit mit dem
Menſchen geboren wird. Nur die Auswicke—
lung haͤngt von aͤuſſern und Nebenumſtaͤn⸗
— ab.
Der Dichter lebte ſchon im Knaben Hoͤl—
ty; auch ſchon zum Theil die Hinneigung zu
einer beſondern Art der Dichtkunſt, naͤmlich
zur ſtillen, ruhigen, laͤndlichen — zur ſeyerli—
chen und ſchauderlichen. Er gieng ſchon als
4 Knabe
222 —— —
Knabe viel allein, ſonderte ſich won feinen Ges
fpielen ab, in einfame und flille Gegenden,
in den fhtweigenden Bald, an. die fanitweinens
de Duelle „ auf den Gottesacker. Er liebte
das Gefpenftermäflige , wuͤnſchte fi Erſchei—
nungen: und weil feine Famen, ſchlich er ſich
felbit einmal bey Nacht als Gefpenit auf den
Kirchhof, und erihredte die Bauern — In
Hildesheim wollte er als Knabe feine erften
Verſe machen; er wußte nicht, worüber? und
brachte dag A. B. C. in Verfe, fo, daß ieder
Ders ſich mit einem Buchfiaben nach der Drdnung
des Alphaberbs anfing. In der Schule fihrieb
er Verſe auf die Bänke, in der Kirche an die
weiffen Wände
Er ward ein Dichfer der Natur und des
Pandlebens. Diefe Anlage ward durd feine
ugend ; Umftände entwickelt. Er lebte auf
dem Lande, mo fein Water Prediger war,
namlich zu Marienfee im hannöprifchen. Hier
lernte er alle Auftritte, auc die Fleiniten
Abmechielungen ver Natur kennen, die dem
Staͤdter, der nur zumeilen ins freye Feld
blickt, unbemerkt bleiben. Hier lernte feine
Seele die Einfalt und fromme Sitte und die
Denkungsart des Kandmanns Fennen, und fog
fie mit den frifden Lüften ein.
| Auf
Auf der Schule zu Zelle ‚las er zuerſt die
Engländer. Daher in feinen erfen Odenver⸗
fuchen feine Bilderfprahe, die zuvielen und
überhäuften Gemälde aus der Natur , feine
Liebe zur Allegorie, die er nachher auf den
Kath feiner Freunde in Göttingen wieder ver,
lief, und mit der weit edlern Simplicitär vers
tauſchte.
Seine Anlage zum Drolligten trieb ihn an,
verſchiedene komiſche Romanzen zu machen,
die nicht ohne Verdienſt ſind. Als er aus den
Reliques of ancient englifch Poetry die hoͤ—
bere Romanze, oder die Ballade Fennen lern;
fe, da machte er fehr gute Balladen. 3. €.
Adelſtan und Roͤschen, die Nonne u. a.
Als einige von uns in Goͤttingen Lieder
machten, fo verfiel er auf dieſe Gattung ver
Dichtkunſt, und machte fehr gute Lieder voll
natürlichen Geſangs, uud ruhiger elegifcher
Empfindung.
Man hätte aber auch) groͤſſere Gedichte
von ihm hoffen koͤnnen. Vielleicht Jahrszei—
ten in Thomfons oder Kleiſts, oder vielmehr
in feiner eignen Manier. Oſt waͤlzte fib in
feiner Seele- der Gevanfe, ein groſſes, ro;
mantifches Gedicht ans den Zeiten der Kreuss.
zuüge zu maden. Die Natur und den Men;
ſchen
2
fen, mit dem er umgieng, beobachtete ex
fehr genau ; zwar langfam , ruhig, und fo,
daß man e8 ihm kaum anfah , aber vefto richs
figer und tier. Hätte er ſelbſt Rärfere Leis
denſchaften gehabt, fo hätte er auch vie flarfe
Affektens Sprache noc) tiefer beobachtet.
Als Dichter hätte er nicht fo vieles und
ſo vielerley leſen folen. Oft hafteten ihm
fremde Gedanfen und Speen an. Man fah
oft aus feinen Gedichten, was er zulezt geles
fen hatte. Er beftimte ſich zu fehr nach ans
dern , and) nach feinen Freunden, wenn diefe
eine neue Gattung verfuhten Dod hatte
er immer noch fo viel eigenes, daß man feine
Gedichte gleich Fannte, wann auch nicht en |
Name abenfiand.
Und fo bift du denn dahin, du frommer
Sänger! Du, mit dem id) fo manchen Abend,
manche Nacht in vertraulichen Geſpraͤchen, die
nur wir ganz verſtanden, hinbrachte! Du haſt
mich zuruͤckgelaſſen, und ich weine. Oft haſt
du mir deinen frühen Tod voraus geſagt, und
ich wollte ihn nicht glauben. Als du uͤber
meine Trennung von dir klagteſt, *) haſt du
ihn verkuͤndigt, da du ſangeſt:
Mein
) S. den Göttinger muſenalmanach
vom Jahr 1775. S. 119. ſgg.
225
—— Blaseseſans Naee der vergan⸗
genheit,
Bis mich huͤllet die Raſengruft
“und die huͤllet mich bad!
Ach nur zu bald, mein Geliebter! —
Wenn es traurig um. mich ſeh, ſagſt du, und
das Laub um mich liſple, und der Nachtigall
ich horche, und eine traurige Geſtalt vor mir
ſchwebe, und mir laͤchle und winke, und mir
Ahndungsgefühl durd die Bruſt Elopfe, das
fep mein Freund, ſeyeſt du. —
O Geliebter, wenn ich einfam in der
Dämmerung einhergeh , in der Wehmuth des
ſchweigenden Abends, und mirs bang um Die
Seele wird, daß ich weinen moͤchte: dann bift
du, Gelebter, meiner Seele gegenwärtig,
dann gedenk ich deiner, feegne dic), fhau zum
Himmel auf, und wuͤnſche, da zu feyn, mo
du biſt. — Und ic) werde zu dir kommen,
Freund; denn id) wıll leben, fo, wie du gelebe
haft ; will für Zugend ſprechen, fingen , hans
dein , fo wie du gethan ball. Sa, id will,
mit allen unſren Freunden, zu dir kommen!
Etwas — von dem, was du mir und
unſren Freunden wareſt, was du fuͤr die Welt
warft, und ihr haͤtteſt werden koͤnnen, und
Ber . bab ich) denen, die dich lies
P ben,
+
ben, und noch Fünftig Tieben werden ‚hier ge⸗
fagt. Uber es if wenig. Ein Freund Fann
der Welt nit Jagen , was fein Freund ihm
war — Sch“ wollte dir ein Lied "fingen.
Wenn. einft Wehmuth mid) mit ihrem. Flügel
überfchattet , daß, ich nicht mehr in die Welt
and ihr Getuͤmmel blicke, und Begeiſterung
mich waͤrmt und hebt/ ‚dann thue ichs.
3
»
On
aaa p F
wii 122, 14 FRA r 4 b i h F . + oO
J 5 r u u.“ —*
mad Ä NE | | ‚VII Aufs
VII.
aufabre
ran. een eu 220
Pflichten gegen Gott.
— Feten, die ſchon in ihren Einſchraͤn—
kungen ſo ſchoͤn ſind; Welten, die in
ihren veraͤnderlichen Theilen, und in ihrer zus
fälligen Verbindung fo viel Nichtigkeit haben ;
ein Ganzes vol Drönung , von dem Fleinften
Staube an, bis zu der unermäßlichftien Auss
Dehnung, vol Regelmaͤßigkeit in allen feinen
Gefesen , der Körper ſowol als der Geiſter;
ein Ganzes, das fo mannigfaltig, und dod)
durch den genaueften Zufammenhang Eins ift;
dieß giebt mir die Vorftellung von einem Ur⸗
bilde der Vollkommenheiten, von einer urs
ſpruͤnglichen Schönheit, von einer erften und
allgemeinen Duelle der Ordnung. Welch ein
Gedanke! — So ift denn etwas, von dem
alles, was ich bisher bewundert habe , abhäns
get! Go ift denn etwas, von dem alle Theile
der Natur ihre Uebereinftimmungen, ihre Vers
hältniffe und ihren Reis haben! Ein Ders
. fand, der für das. Ganze denft, der das Gans
ze einrichtet, und lenket! Ein Geift, ver
durch feine unbegreiflichen Ausflüffe allen Din;
gen AR Dauer, ‚Kräfte und Schönheit
P 3 | mit⸗
}
J
r ge R
230 — nn
mittheilet! Hier erweitert ſich meine erſtaunte
Seele bis zum Unendlichen. Mich duͤnkt, ich
empfinde, und mit einem eutzuͤckenden Schau⸗
der, die Wirklichkeit dieſes höchften Geiſtes.
Fuͤrwahr er belebet mich, er wirket in mir!
Was wuͤrde ich ſeyn, ohne ihn? Was wuͤrde
ich koͤnnen, ich, der ich aufs Flärfte weiß,
daß ich einmal nicht gewefen bin, und daß id)
meine Tchätigfeit mir nicht gegeben habe? —
Und was follten fib daher wol: bey mir
für Empfindungen gegen diefes Wefen ſchicken,
in welches alie meine Begriffe von Vortreflich⸗
feiten zufammenfieffen ? Ehrerbietung, Bes.
mwunderung und die tiefe Anbetung ift noch
wenig genug , das Berhältuif auszudruͤcken,
worinn ich gegen einen unendlichen Geift ſtehe,
der zugleich mein. Urheber iſt. Weil ich ihm
aber nur fo wenig leiften kann, fo will ich es
ihm do) auch deſto aufrichtiger Teifien. Ich
will mich einer ſo ungeheuren und abſcheuli⸗
chen Verruͤckung nicht ſchuldig machen, daß
ich mit Gleichguͤltigkeit und Geringſchaͤtzung
an den Urſprung der Weſen und der Ba
menheiten denken folte,
Allenthalben, two ic) Din, da bin ih mit
den Wirkungen feiner weiſen und allmaͤchtigen
Guoͤte umgeben. Auſſer mir Geſchoͤpſe, Die
die angenehmſten Eindruͤcke in mich machen,
und
—
EIEERSENEIRCKEFOFSEEGERAEGEN 231
und in mir. Sähigfeiten, die iene mannigfals
tige Annehmlichfeit fo lebhaft empfinden koͤn⸗
nen. Gelbft die ganze ſinnliche Natur liege
noch vor mir ausgebreitet, mich zu erfreuen 5
‚und meine Erhebung zu ienem ewigen lrbilde
des ‚Schönen hindert mid nicht, aud das
‚niedrige, Schöne | der Körperwelt, gleichſam
‚den. Schatten von ihm, in dem Mafe zu ge
nieſſen, als es mich an den beſſeren Befrie—
digungen nicht hindert. Ich werde freilich nicht
‚mit angeſtrengter Begierde an den hinreiſſenden
Dewegungen der Ginnlichkeit haften, und
„daran arbeiten müllen, die Empfindung von
dieſer, vermittelt einer vorfeglichen. Verdunke—
‚lung des vernünftis gen nachdenfenden Urtheils,
ſo klar und durchdringend zu machen, als fie
‚immer werden kann. Dieß würde mir die uns
‚inermeidliche Gefahr zusiehen, in die völlige
Knechtſchaft des ſinnlichen Eindruͤcke zu geraz
then, und alles, Geſchmacks an edlern Gegen⸗
ſtaͤnden beraubt zu werden. Allein, was ich
„hierin Vergleichung mit dem zügellefen Wolluͤſt⸗
‚‚linge an der Febhaftigkeit und Staͤrke des finns
6 lichen Ergoͤtzens zn verlieren (deine, das wird
mir dadurd überfläfig erfeget, daß ic) dann
dieſes Ergoͤtzen, durch die Verbindung deffels
ben mit ‚den moralifhen Empfindungen, fo
* vielmehr erhöhen und verfeinern kann. Zu dem
Gefühl meiner gröbern Sinne kommt denn dag
P4 ungleich
\ sie —
232 — —
ungleich wuͤrdigere Gefuͤhl der Seele von Zaͤrt⸗
lichkeit und Menſchenliebe, und inſonderheit
das unendlich erhabene und erfreuliche Gefühl
von dem Wohlgefallen der Gottheit hinzu.
Von ieder angenehmen Bewegung, die mich
einnimmt , laſſe ich bald meine Vorftellung zu
demienigen binauffteigen, der fie mir goͤnnet
und giebt, der die Ströme der Luft in uns
zählbaren Kanälen von fill durd das Game
fliefjen laͤßt, und der felbft ohne Zweifel in
der Höhe feiner Selbftgenugfamkeit eine göttlis
che Luft daran findet, wenn alles, was lebet,
in reger, ihm angemeffener Freude, feiner
befeelenden Güte lobfinget. Ich bin mir alfo
beſtaͤndig bewußt, daß ic) unter den feegnens
den Augen dieſes allgemeinen Water, und in
der Gefellfhaft einer unendlichen Menge lebens
diger Weſen, die eben daflelbe Meer der Wols
luft tränfet, ein iedes Glück, eine iede vers
gnügte Stunde genieße, die mir zu Theil
wird: und es gehoͤret mit zu der groſſen
Kunſt, mid) recht zu vergnügen, daß id) ie⸗
derzeit mit allen meinen Gedanken und Em⸗
pfiudungen ihm, der Quelle des Guten, ſo
nahe als moͤglich, zu bleiben ſuche.
Dadurch wird. dann auch der ſonſt fo
furchtbare Eindruck von der maieſtaͤtiſchen Ges
genwart des hoͤchſten Geiſtes zu der —— Be⸗
ruhi⸗
man wermesnm 238
ruhiaung gemilderf , oder vielmehr in freudige
‚Entzickung verwandelt. Sch erſchrecke fonft
allerdings. über meine Kleinheit in der uner⸗
maͤßlichen Natur, und gegen die noch uner⸗
maͤßlichere Gottheit. Diefer Sonnenwirbel iſt
ein Sandforn ; diefe Erde ift ein Staub, ein
Punkt; und ich auf diefer Erde; — mas bin
ih ? Nur das macht mic) noch zu etwas, daß
ich die Ordnung empfinden, und in derfelben
bis zu dem Anfange aller Ordnung binauffieis
‚gen Fann. Zu einer foldyen Hoheit bin ich bes
ſtimmt, und der will id) immer näher zu
kommen ſuchen. Ich will nicht eher ſtehen
bleiben, als bis ich der Schoͤnheit bis zu ih—
rer erſten Quelle gefolget bin. Da ſoll denn
meine Seele ruhen. Da ſoll fie, in allen ih—⸗
ven Faͤhigkeiten befchäftiger, in allen ihren
- Trieben vergnüget , fatt von göttlihem Lichte,
‚und entzückt in den Werehrungen und Anbetuns
‚gen der oberfien unbefchränften Vollkommen—
beit, alles Niedere, und fi) felbft vergeffen.
Beftimmung des Menfchen hies
| nieden.
Die vernünftigen Naturen und Geiſter neh;
men in dem groffen Weltal, fo wie befonvers
| P5 der
234 EEE
der Menſch auf diefem Erdboden , "die vor
nehmfte Stelle ein. Diefem Unterheren der
Schöpfung ſchmuͤckt fi) die Natur in ihrer
iungfräulichen Schönheit. Ihm dienet das Leb⸗
Iofe, nicht nur zum Nugen und zur Bequem⸗
lichkeit; niche nur zur Nahrung, Kleidung,
Wohnung, und zum fihern Aufenthalt; ſon—⸗
dern vornehmlich zur Ergoͤtzung und zum Uns
ferrichte, und die erhabenfien Sphaͤren, Die
‚entfernteften Geftirne, die Faum mit dem Aus
ge entderft werden koͤnnen, muͤſſen ihm in Dies
fer Abſicht nüglich feyn. Will man feine Bes
ſtimmung bienieden willen? fo fehe man nur,
was er da verrichtet! Er bringet auf diefen
Schauplatz weder Fertigkeit, noch Naturtried,
noch) angeburnes Geſchick, weder Wehr noch
Schutz mit, und erſcheinet bey feinem erſten
Auftritte dürftiger und hülflofer, als das uns
vernünftige Thier. Aber die Deflrebung und
vie Fähigkeit ſich vollfommener zu machen,
diefe erhabenſten Gefchenfe, deren eine erfchaffes
ne Natur fäbig ift, erfegen vielfältig den Ads
gang iener viehifchen Triebe und Fertigkeiten,
die Feiner Verbeſſerung, keines hoͤhern Grades
der Vollkommenheit, ie fähig werden Fönnen,
Kaum genießt er das Licht der Sonnen, fo
arbeitet fehon die gefamte Natur, ihn vollfoms
mener zu machen : diefes feharfee feine Sinne,
Einbildungsfraft und Erinnerungsvermögen ; ies
— | nes
—
— — 235
nes uͤbet feine edlern Erkenntnißkraͤfte, bearbeis
‚tet feinen Verſtand, feine Vernunſt, feinen
Witz, feine Scharffinnigfeit; das Schöne in
der Natur bildet feinen Geſchmack und ver
jeinert feine Empfindung; das Erhabene ers
vegt feine Bewunderung, und erhebt feine Bez
griffe gleichſam über die Sphäre diefer Ver⸗
nänglichfeit hinweg. Ordnung, Uebereinftims
mung und Ebenmaß dienen ihm nicht nur zum
‚vernünftigen Ergögen , ſondern befchäftigen feis
ne Gemüthöfräfte alle. in geböriger und in ihs
ver Vollkommenheit zuträgliher Harmonie
Bald tritt er mit feines Gleichen in Geſell⸗
Schaft, um fid) werbfelsweife die Mittel zur
Gluͤckſeeligkeit zu erleichtern : und ſiehe, es
zeugen und bilden fi an ihm in dieſer Ge;
fellfchaft höhere Vollkommenheiten, die bisher,
wie in einer Knoſpe, eingewirfelt geweſen find.
Er erlanget Pflichten, Rechte, Befngniffe und
Dbliegendeiten, die ihn in die Klaſſe moralis
ſcher Natuven erheben; es entitchen Begriffe
von Gerechtigkeit, Billigkeit, Anfländigfeit,
Ehre, Anfehen, Nachruhm. Der eingefhränfte
Trieb der Familienliebe wird in Liebe zum
Vaterland, zum ganzen menſchlichen Geſchlecht
erweitert, und aus dem angebornen Keime
des Mitleideng entfprieffen Wohlwollen, Mild—
thätigkeit und Großmuth.
Nach
Y
236
Nach und nad) bringet der Umgang die
Geſelligkeit, das Gefpräd, die Aufmunterung,
alle fittlichen Tugenden zur Neife, fie entzüns
‚den das Herz zur Freundfchaft , die Bruft zur
- Zapferfeit, und den Geift zur Wahrbeitsliebe;
breiten einen Wetteifer von Dienft und Ges
gendienft, Liebe und Gegenliebe, eine Abmechfes
‚x Jung von Ernft und Scherz , Tieffinn und -
Munterkeit, über das menfchliche Leben aus,
die alle einfamen und ungefelligen Wollüfte an
Suͤſſigkeit übertreffen. Daher auch der Befig
‚aller Güter diefer Erde, uns nicht behagt,
wenn mir fie in der Einſamkeit befigen und
geniefjen follen ; und die erhabenften und praͤch—
tioften Gegenftände der Natur ergögen dag
geſellige hier, den Menfchen nicht fo fehr,
als ein Anblick von feinem Mitmenfchen.
TE —ñ— — —
Erlanget nun dieſes vernuͤnſtige Geſchoͤpf
erſt wahre Begriffe vun Gott und feinen Ei;
genſchaften, o welch ein Fühner Schritt zu eiz
ner höhern Volfommenheit! Aus, der Gemein;
ſchaft mit dem Nebengeſchoͤpfe tritt er in eine
Gemeinfchaft mit dem Schöpfer, erfennet das
Berhältniß , in welchem er das ganze menſchli⸗
de Geſchlecht, alles Lebendige und Leblofe
mit diefem Urheber und Erhalter des Ganzen,
ſtehen; ‚die groſſe Ordnung von Urſachen und
Wirkungen in der Natur wird ihm nunmehr
J auch
237
auch su einer Ordnung von Mitteln und Ab;
ſichten; was er bisher auf. Erden genoffen,
wird ihm, wie aus den Wolfen , zugeworſen:
nunmehr zertheilen ſich dieſe Wolken, und er
fiehet den freundlihen Geber, der ihm alle
diefe Wohlthaten hat zufliefien-laffen. Was er
an Leib und an Gemuͤthe für Eigenſchaſten,
Gaben und Gefhicklichkeiten befißet, erfennet
er als Geſchenke diefes gütigen Vaters, alle
Schönheit, alle’ Harmonie, alles Gute, alle
Meisheit, Vorſicht, Mittel, und Endzwecke,
die er bisher in der fidhtbaren und unfichtbaren
Welt erkannt‘, betrachtet er. als Gedanfen des
Allweiſeſten, die er ihm indem Buche der
Schöpfung zu lefen gegeben „.um. ibn zur bös
bern Vollkommenheit zu erziehen. Dieſem lieb;
reichen Bater und Erzieher-, diefem gnädigen
Regenten der Welt, heiliget er zugleich alle
Tugenden ſeines Herzens, und ſie gewinnen
in ſeinen Augen einen goͤttlichen Glanz, da
er weiß, daß er durch ſie und durch ſie allein
dem Allaͤtigen wohlgefallen kann. Die Tu—
gend allein führet zur Gluͤckſeeligkeit, und wir
. fönnen dem Schöpfer nicht anders mohlgefals
len, als wenn wir nad) unfrer wahren Glücks
— ſtreben.
Vom
238
Vom Mitleiden und Mildthätigkeit.
Es giebt keine groͤſſere Probe einer menſchli⸗
chen und edlen Seele, als das Leiden und Uns
glück unferer Mitgeſchoͤpſe innigſt zu empfins
den. Zwar wird eine foldie Zärtlichkeit der
Gemuͤthsart von vielen für eine Schwachheit
der Seele angefehbens aber , wenn es eine
Shwahheit it, To wollte ich nicht um alle
erbabene Verfeinerungen verfelben, deren fich
Andere rühmen mögen , ohne dieſelbe ſeyn.
Ich will nicht fagen, daß die Menfihen: alle
gleich zärtlich und wohlwollend ſind; aber dag
Mitleiden ift doch der menfhlidien Natur eis
gen, fo eigen, daß aud) die haͤrteſten Gemuͤ⸗
ther bey gewiſſen Zeiten und Gelegenheiten fi)
davon bewegt finden. Ich ſahe einſt eine
Probe davon, wo ic fie am wenigſten erwars
tet haͤtte. Ich ward iuͤngſt durch einen Freund
bewogen, die verurtheilten Verbrecher zu Cha⸗
pel zu ſehen. So ungern ich auch in ſeinen
Vorſchlag willigte, weil ich wußte, daß der
Anblick ſo vieler elender Verbrecher meine See⸗
le mit zu vielen melancholiſchen Betrachtungen
erfuͤllen wuͤrde; ſo ließ ich mich doch endlich
von ihm uͤberreden. Ich kann nicht beſchrei⸗
ben, wie ſehr ich erſchuͤttert wurde, als ich
eine ſolche Aniahl elender Geſchoͤpſe ua von
enen
— — 239
denen die meiſten anter allen Quaalen des
Hungers, der Bloͤſſe und der Ketten ſchmach⸗
. teten: aber noch mehr ward ic) gerührt, da
ich bemerkte, wie die meiſten fo’ fehr durd) die
Gewohnheit im Laſter verhärtet: waren, Daß.
fie um ihren annahenden Tod und den Schmerz
den ihre Freunde über ihr traurige Schickſal
ansfhütteten, nicht im geringften befümmert
ſchienen. Die Kerkermeifter und Wächter was
ven, wie man fid) ‚leicht vorſtellen kann,
nicht gerührt, ſondern fieffen. ‚fie mit uns
geftümer Strenge in ihre verfchiedenen Zellen.
Indem ich: fo über diefe Scene meine Betrach—⸗
tungen anftellte, börte-ich ein Gefumfe unter
dem Volk — das iſt fie! das iſt fie! — Ich
kehrte mi) um, und fahe eine bübfche Weibss
perfon , reinlich angekleidet, gegen ung zu
fommen. Ich erfundigte mich, wer fie wäre,
und erfuhr, daß fie wegen Beutelſchneiderey
verurtheilt wäre. Als: fie näher kam, fonnte
ich in ihrer Miene und Betragen bemerfen,
daß fie unendlich mehr, als alle die übrigen
litte. Ihre Augen zeigten die toͤdtliche Angft
ihres Herzens, und mit nllen Bewegungen deg
Schmerzens und der Verzweiflung fah fie rund
am fi. her. Endlich rief, fie aus: Wo, wo
ift mein Kind? — Sogleich kam ein Weib
it einem, ſehr artigen SKınde, von ohngejähr
zwey Jahren, zu ihr, Kaum hatte die Muts
sin fer
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240 VRISENERETEEEER
I) \
ter ihr Kind erblickt, als fie auf daffelbe zus
rennte, es aus den Armen des Meibes riß,
und es mit alle der Reivenfchaft Führe, die die
zärtlichfte Mutter für den Liebling ıhrer Seele
zeigen Fann. Auf diefe heitige Beweaung, die
ſie auffer fih ſelbſt riß, folgte eine andere,
die eben fo heftig und rührend war. Ihre Leis
denſchaft Forinte nicht länger fchweigen, und fie
brady) in den bitferfien Schmerz von Thraͤ—
nen und Ausrufungen aus, indem fie dabey
zärtlich auf ihr Kind fah: Iſt dieß das Tertes
mal! — Muß ich dich nimmer — nimmer
wieder ſehen! — Muß ich dieſe Lippen nies
mals wieder füffen' — D Gott DBSott!
Mas hab ih gethan! — : Was hab ih ge⸗
tban! — D id Ungluͤckliche, Elende! —
D mein Kind! mein Kind! — Sie konnte
ihren Schmerz nicht länger ertragen , fondern
fanf , mit ihrem Kinde in den Armen, in eine
Ohnmacht nieder. Ich brauche wol nicht zu
ſagen, wie ſehr ich gerührt war." "Ale Zus
Ichauer verloren die Verbrecherinn in der Muts
ter, und ihre Verbrechen in der Zärtlichfeit ges
gen ihr Kind. Die Kerkerſchlieſſer zeigten eine
ungewöhnliche Zaͤrtlichkeit, und, was Faum zu
glauben ift, einer der Hüter Eonnte die Chraͤ⸗
nen nicht verbergen, die in feinen Augen ſtan⸗
den, als er fie von ihrem Kinde trennen, und
| fe in ihre Zelle führen mußte. Wenn Mitleid
an
| |— 24R
an dem ſchaͤndlichſten Orte, und unter der
verbärteftien Gattung von Leuten Fann gefuns
den werden, fo wundere ich mich fehr, Daß
Perſonen von Vermögen eine Eigenſchaft nicht
‚mehr ausüben, die nicht nur wohlthaͤtig für
das menfchliche Geſchlecht feyn, ſondern audy
die wahre hoͤchſte Ehre und das erhabenfte
Vergnügen auf fie zurucfiralen würde, Ich
meyne hier nicht ein blos mitleidiges Herz,
‚fondern ein. ſolches, das alles in feinem Ders
‚mögen beträgt, Anderer Leiden zu erleichtern.
Ein zärtliches Herz und ein mildthätiges Herz
find zwo fehr verfrhiedene Eigenfchaften. Kann
‚Semand ein zärtliher Herz haben, als Mas
Dame Hundefreund ? Wenn Chloe oder Mars
quis — x nur das geringfie fehlt, wie beforge
iſt ſie nicht! Wie bedauert fie nicht das arme
ſtumme Gefhöpf! Sollte‘ es gar verfeheiden,
dann Fann die zärtlidhe Frau die Thränen niche
zurnuckhalten, und Ei mit der Dame in der
Faree aus: |
Wie hart iſts nicht, daß Hunde ſterben
mauͤſſen!
‚Aber Madam ſchraͤnkt die ganze Zaͤrtlich⸗
keit ihrer Seele blos auf ihre Hunde ein.
Bey dem Tode ihres Mannes und ihres Soh,
nes vergoß ſie keine Thraͤne. Sie kann von
den ſqrecklichſten Scenen der Dürftigfeit hören,
Q ohne
—E
u a
24 — —
ohne die geringſte Bewegung zu fühlen, und
giebt das Fahr über mehr für ihre Thiere aus,
als zwo vder drey arme Familien brauchten,
fi) davon zu erhalten. — Olivia kann kei⸗
ne Ecene der Zärtlichkeit auf der Bühne fehen,
ohne daß fogleih ihr Schnupſtuch vor. ihren
"Augen if. Niemand kann mehr Mitleid mit
Antonius und Kleopatra's unglücklicher Liebe,
dem Ungluͤck der Belvidra, dem Unrecht der
Moninia, oder dem Tode des Varanes haben,
als fi. Sie giebt viele Pfunde, bey ſolchen
tragiſchen Erzaͤhlungen des Ungluͤcks zu weinen;
aber niemals in ihrem Leben gab ſie eine Kro⸗
ne aus chriſtlicher Liebe aus. — Aber, ob es
gleich viele von ſolchem Charakter giebt, ſo
giebt es doch auch einige Perſonen von Vers
mögen, die alle die ſchrecklichen Scenen des
Mangels, der Armuth und des Elends zu Hera
zen nehmen, und fie, fo fehr es in ihrem Ver—⸗
mögen iſt, zu erleichtern fuchen ; die einige
Vergnuͤgungen nad) der Mode für andere, von
edlerer Beſchaffenheit, vertauſchen. r
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Ei 4 «3% *
oa Micra
Fir; . '#
VII, Rede
VIII.
mM tedec
von den
Bortheilen
einer
frübzeitigen Frömmigkeit.
Ma koͤnnte, meine iungen Freunde!
wenn man die Sache nach gewiſſen,
nicht ganz ungewoͤhnlichen Begriffen, beurthei—
len wollte, eine fruͤhzeitige Froͤmmigkeit fuͤr
unzeitig und gewiſſermaſſen auch fuͤr unnatuͤr⸗
lich halten. Man koͤnnte glauben, daß damit
ein Sprung in ein ſpaͤteres Alter gethan, der
Genuß aller ingendlichen Freude verbittert,
und die Runzel der maͤnnlichen Jahre der hei⸗
tern Stirn des Juͤnglings eingegraben würde.
Das menſchliche Leben , Fünnte man denfen,
iſt mie fo vielen und mannichfaltigen Muͤh—
feeligkeiten umringe, der Mann fihleppt an
feiner Kette von Gefchäften, die er für Prod
nnd Ehre übernehmen muß; der rechtſchaffne
Hausvater, ‚wenn e8 ihm dem Anſehen nad)
wohl geht, erliege dennoch unfer einer Bürde
von Sorgen und Kraͤnkungen, und der Greis,
‚mit dem verdunfelten Auge und dem gebogez
nen Ruͤcken, bat den Geſchmack ſelbſt an der
Freude verloren. Alfo: die Zeit des Vergnüs
gens ift auf den Frühling des Lebens einges
ſchraͤnkt; Frohſeyn ift des Juͤnglings Loos;
Froͤmmigkeit iſt eine zu ernſthafte Beſchaͤfti
23 gunge
2 46 — J———
gung, als daß ſie nicht dem reiferen Nachden⸗
ken, nicht dem ſeſteren Sinne des Mannes
aufbehalten bleiben ſollte. — Nach angenoms
menen Begriffen, wohl geſprochen, meine
Freunde! Allein ſo man, wenn man auf
‚Sand baut. —
Edle Sünglinge, Lieblinge zaͤrtlicher Vaͤ⸗
ter und Mütter, aufblühende Hoffnungen des
Landes , Fünftige Bürger, Lehrer , Nichter,
und was Sie zu werden gedenken! gleichgültig _
Tann es ihnen immer nicht feyn, ob Sie ſich
eine anftändige feſte Wohnung bereitet, oder
eine lüftige Hütte gebaut haben, die einem
Windſtoſſe nachgeben, und an einem Ihrer
frölihen Tage über Sie zufammenfallen kann.
Trauen Sie es der längern Erfahrung eines
uneigennügigen Führers, daf fie Sie erleuchte,
das fie Ihnen Stoff anbiete, daß fie Ihnen
‚Grund anweife, und dann mögen Sie vergleis
den, und ich will meine wenige Wiſſenſchaft
aufgeben, wenn Sie nicht in ihre vormaligen
Entſchlieſſungen ein Mißtrauen zu fegen anfans
gen, nicht eine beffere Wahl treffen, wenn
Sie, zum Theil wenigftens ‚ das Werk nicht
mit Eifer und anhaltender Wärme beginnen
follen.. Welche Belohnung für mich! welche
reizende Ausfihe ! welche erquickende Freude
für mein Herz!
Wer,
een 247
4. Wer, was er thut, in Ruͤckſicht auf Gott
thut, wer fi nad feiner Erkenntnis des Al
lervollkommenſten in feinen Handlungen bes
ſtimmt, er maa ſich diefes Bewegungsgrundes
bewußt ſeyn, oder ihn ein fuͤr allemal ſeinen
ſreyen Entſchlieſſungen untergelegt haben, der
iſt fromm, und ſeine Froͤmmigkeit iſt fruͤhzei⸗
tig, wenn ſie mit der Entwickelung ſeiner Ver—
ſtandes- und Gemuͤthskraͤſfte ſchon ihren Ans
fang genommen hat. Fromm ſeyn erſor %
dag man. Gott Fenne,. nicht obenhin
daß man in ihm die. lezte Urfach alles def,
was da ift, den Vater der Geiſter, den Mes
gierer dieſes ganzen unermäßlichen Weltallg
verehre. Ale Kraft. if #, ihm vereinigt, er
ſieht alles, er kennt alles, er weiß alles, Ihm
iſt alles Heute. Jede Ha — ‚ iede Bewe—
gung iſt ein Ton, von ihm vorhergefehen,
von. ihm angewandt, die hoͤchſte und zufams
mengefegtefte Uebereinflimmung. für immer und
ewig hervorzubringen. Das alles ift feinem
Verſtande gegentoärfig, das ordnet feine Weiss
heit, das richtet feine Kraft aus. Gott iſt
das allerbefte der Weſen, im ausnehmenpften
Verſtande das hoͤchſte Gut. Er hat fih im
Reiche der Geifter am meiſten verherrlichen
wollen. Diefe fihtbare Welt ifi ein Spiegel,
der die Gtralen des Unendlichen für die uns
fi — auflängt. Gefchöpfe, einer fortdayerns
IA | den
X
248 ——
den Gluͤckſeeligkeit fähig, mit Trieben und
Kräften dazu ausgeruͤſtet, hat er auch zu bes
ſeeligen befchloffen. Sein Wefen ift Wohb
thun. Das anſcheinende Böfe ſelbſt if Gele⸗
genheit und Mittel zu groͤſſerem Guten. Geis
ne Strafen zwecken auf Befferung , nicht auf
Wehethun ab. Auch in ihnen ift Güte. Wer
Diefeg weiß, wer es mit Deutlichfeit, Wahrs
heit, und Anwendung auf fi weiß, der wird
Dann ‚Ion Feines weiteren Antriebs zur Vers
ebrung des hoͤchſten Negigrers bedürfen, der
wird dann ſchon ſich nicht enthalten Fünnen,
in Preis und Bewunderung auszubrechen. Iſt
Gott Herr und Meifter; mo ift der Empfins
dungslofe, der ihm nicht mit gutem Willen
gehorchen 5 Dee mweifen Gefeße nicht zur ı
Hauptregel feines" Lebens machen wollte ? IR
Gott Vater und Freund; fo ift er meines uns
eingefchränften Vertrauens mürdig, fo kann
id) mich überal auf ihn verlaffen, fo Fann
ich mich des Beſten zu ihm ‚verfeben, ſo bin
ic) feiner Liebe und feines Wohlwollens gewiß.
Was ich bedarf, erbitt? ich von ihm , und id)
bin gewiß, daß ich es erhalte, es wäre denn,
daß ich meinen Schaden verlangt hätte. Er
meynt es überall gut, ihm darf ic) alles Elas
gen Ewig und zuverläflig ift feine Freund⸗
ſchaft, in ihm bin ich ruhig und zufrieden.
Das entflammt meine innige Liebe, mein -
wa
Bor ie | ;
Ben |; 249
wait von Dank und Erfenntlichfeit anf, mein
Mund ift feines Lobes vol. In den Schat⸗
ten der Wälder, in den tiefen Thälern, übers
al unter der weiten Decke des Himmels z
fleig’ ih mit heiſſer Begierde zu ihm du" ,
meinem Wohlthaͤter ‚und wo Menſchen ſich zu
feinem Lobe verſammlen, da bin ich mit Freu—
den unter ihnen, da frag ich zu ihrem heil
gem Chore bey. Mannigfaltig find die Ge
fbäfte des gewöhnlichen Lebens, ich mag fie
nun für mich ſelbſt, oder für irgend eine Eleis
ne und aröffere menſchliche Geſellſchaſt unters
nehmen. Der verfländige Mann bat bier
überall feine beflimmte Handlunasweife, feinen
überlegten Plan, feine angenommenen Maris
men und Richtſchnuren. Und woher diefe ? —
Yus fi) felbft, oder von Anvdern ; zulezt im⸗
mer von Bott. Alle Obliegenheiten des Mens
ſchen, was er fich felbft ſchuldig ift, was er
Andern zu ermweilen bat, ale Pflichten der
haͤuslichen und bürgerlichen Geſellſchaft, find
Geſetze eines oberfien Megenten , eines allges
meinen Königs. Sagt man: Dernunft bat
fie begriffen, Erfahrung ihre Güte beftättigt;
fo ift Gott Urheber diefer Vernunft, und oh—
ne fein Zuthun wird nichts erfahren. Sagt
man : fie find Ueberlieferung; fo zahl? ich die
Glieder der Keite bis zu einem erften Erfinder
zuruͤck, und dieſer — — was ihm Gott
Q5 gab.
/
N
gab. Nach diefer Vorſtellungsart thut der
Fromme, was er thut, zur Ehre Gottes,
und kennt keinen ſtaͤrkern Antrieb zum Guten,
als den Willen des Hoͤchſten. — Er iſt ein
Werk Gottes, ein Theil des vollkommenſten
Ganzen. Ohne dieſen Gedanken wuͤrde feine
Selbſterkenntnis immer nur angefangen, und
nicht zur Hälfte vollendet feyn. Dadurch wird
er angemwiefen, Ehrfurcht und Achtung für fi)
felbt_ zu haben, feines Werths ſich zu freuen,
gewiß aber auch ermuntert, nad) aller. feiner
Einfiht mit feinem Pfunde, zu wuchern. —
Er ift Gottes Gefhöpf. Das. berichtigt. feine
Selbſtpruͤfung. Was er ie Gutes gedacht und
gethan hat, bat er vonihm. Alſo nicht der
erweißlichfie Vorzug, nicht das einleuchtendfle
Derdienfi, Fann ihn berechtigen, ſich über fid)
felbft zu erheben, Andere neben fidy zu verach—
ten; gefchmweige denn die unbedeutenden Kleis
nigfeiten, Vorzüge der Geburt , des Vermoͤ—⸗
gens, der ‚Förperlichen Schönheit, und wie
fie fonft heißen mögen , darauf die meiften
Sterblichen fo feltfamer Weife ſtolz ſind. —
Er iſt Gottes Geſchoͤpf. Seine ſo kuͤnſtliche,
fo wunderbare Zuſammenſetzung, dieſe unbe—
greifliche Verbindung ſeiner edelſten Theile, iſt
er ihm ſchuldig. Wenn er alſo ſeinen Geiſt
in feiner Würde, feinen Leib in feiner Schoͤn⸗
heit und Stärke, und beide in ihren —
am⸗
— u
fammenhange zu erhalten bemüht iſt; fo thut
er es in diefer höheren Ruͤckſicht, und er thut
68 darum um fo viel glücklicher und beffer.
Herr feiner Reidenfchaften, und doch nicht uns
empfindlich , mäßia in Befriedigung feiner Bes
gierden, Feiner Freude Feind, aber auch g&
gen viele mißtrauiſch, nüchtern und keuſch oBs
ne Tyranney gegen fich felbit, genießt er die
anziehendſten Vortheile des Lebens, lebt er den
Abſichten feines Urhebers gemäß , eben um deßs
willen feines Beyfalls newiß , im Befiß aller
Güter und alles Ruhms. — ber die ganze
Welt it Gottes, Jene Sonnen und Erden
mit ihren Bewohnern, machen zufammen feis
nen unermäßlichen Staat aus. jede Geifters
ordnung ift eine groffe Voͤlkerſchaft, die an der
allgemeinen Glückieeligfeit Theil nimmt. es
der einzelne Geift ift ein Bürger feiner Ords
nung, zum Wohl des Ganzen verpflichtet.
Gott ift infonderheit der Menfchen Vater und
Herr. Wir, feine Kinder , find eben um deßs
willen untereinander verbrüderf, einer gemeinz
famen Natur , eines gemeinfchaftlihen Urs
fprungs, und einer endlichen gemeinfamen Bes
ſtimmung. Jeder Menſch iſt mein Naͤchſter,
dem ich, ohne meine goͤttliche Abkunſt zu ver⸗
leugnen, ohne mich meines hohen Ranges un⸗
werth zu machen, meine Liebe nicht verſagen
Ba dem ich vathen und helfen muß , wenn
es
2 52 s —
es in meinem Vermoͤgen iſt. Der Fromme iſt
überhaupt. gerecht gegen einen ieden, voll
Wohlwollen felbft gegen feinen Beleidiger, in
Abtreibung feindlicher Angriffe maͤßig, um
des Friedens willen von ſeinen klaren Rechten
ſelbſt nachzulaſſen bereit, bereit. feinem Gegs
ner die Hand zu bieten, alles zu vergefjen, und
zu vergeben, und felbft Gutes für Böfes zu
erweifen bereit. Sein Ausdruck, feine Stims
me, fein ganzes aͤuſſerliches Betragen, ath⸗
men Wahrheit, reden die einfältige Sprache
feines unverfälfchten Herzens. Seine Funftlos
fen Hoͤflichkeitsbezeigungen felbf find der Ab;
druck feiner menfchenfreundlihen Gemüthsart.
Han Fann nicht. ungeswungner verfprechen „
man kann verſprochnes nicht unverbruͤchlicher
halten. Nicht zufrieden, daß er ſelbſt genug
hat, daß er alle Vortheile der Erkenntnis
und der wirkſamen Rechtſchaffenheit für fi)
einerntet, ſucht er überall Gluͤckſeeligkeit aus⸗
zubreiten, Unmiffende zu belehren, Irrende
zu recht zu weifen; überall einen, wo nicht
unbekannten, doch nicht recht begriffuen Goft
zu verfündigen; Wohlwollen zu empfehlen ,
und was über alle Empfehlung ift, felbft in
Ausuͤbung zu bringen; fo das Elend, fo weit
feine Kraͤfte reihen, wo nicht aufzuheben,
doch zu vermindern, doch minder auffallend zu
machen. Wo ihn die Natur felbfi, wo ihn
dag
BZ
une 253
das gemeinfame nähere Bedürfnis, wo ihn
feine eigne vernünftige Wahl in diefe und
iene Fleinere menschliche Geſellſchaft eingeführt
bat; dahin glaubt er ſich von. Gott gerufen,
von einer höhern Weisheit zur Aeuſſerung feis
ner edelften Kräfte angeſtelt zu ſeyn. Daher
feine warme Waterlandsliebe, ‚feine großmüs
thige Selbſtverleugnung für das Beſte des
Ganzen, fein Pindlicher Gehorfam, feine Brus
dertrene, feine eheliche Zärtlichkeit ; fein vaͤter⸗
liches Wohlwollen, feine uneigennügige innige
Freundſchaft, und mie die fehönen Tugenden
fonft heiffen mögen, die fid) überall durch ih⸗
ven inneren Gebalt fo fehr empfehlen, daß
ihnen der kluge Lafterhalte wol noch feine lau—
ten Lobſpruͤche, aber gewiß nicht feine ftille
Bewunderung, gewiß nicht feine Achtung ,
nichf den geheimen Beyfall ſeines Herzens ver⸗
ſagen kann.
Hiermit ruͤhm' ich mid) nun bey weitem
nicht meinen Gegenſtand erſchoͤpft, nicht das
Bild des gottſeeligen Mannes in feiner gans
zen Liebenswuͤrdigkeit dargeſtellt zu haben. Aber
welchem Juͤnglinge ſchlug nicht bey ſo manchen
glänzenden Zügen don fein empfindfameg
Herz? In wen flieg nicht der Wunſch auf:
‚Si ch bie Hoheit des Geiſtes ie eher ie lieber
nähern, ſich dieſer Güter und dieſes Ranges
| mit
254 —
mit iugendlicher Entſchlieſſung und Hitze bes
maͤchtigen zu koͤnnen? In der That wuͤrd'
ich Sie hier auch, meine iungen Freunde!
allen Wirkungen eines gewonnenen Verſtandes
und Herzen uͤberlaſſen haben, wenn nicht dieſe
groſſe Angelegenheit in der Ausführung: ihre
unvermeidlichen Schwierigkeiten hätte». und
nicht Ihre feurige Lebhaftigkeit „die ſonſt ih⸗
ver Natur nach nur allzuleicht verrauchen würs
de, durch wiederholte Fraftige Mittel unterhbaß
ten werden müßte. Wenn ib ihnen alfo ,
mit einem grofjen Schriftfieller aus feiner eigs
nen , ibm vielleicht fehr unangenehmen. Erfabs
tung zuruſe: Gedenken Sie an Ihren Schoͤp⸗
fer in Ihrer Jugend! fo glaub’ ich das nicht
nachdruͤcklicher thun zu koͤnnen, als wenn ich
Ihnen mit dieſem Zuruſe ‚zugleich die ‚ganze
reizende Ausſicht in. ein, gottſeeliges Leben ers
Öffne, als wenn ich Ihnen die groffen Porz
theile näher bringe, die auf Sie davon Ju
ruckſallen, und Sie zunaͤchſt und unmittelbar
für Sie ſelbſt thaͤtig machen muͤſſen.
Die hoͤhere Vollkommenheit eines endlichen
Geiſtes, wuͤrde wol in dem vernuͤnſtigen Ge⸗
brauche ſeiner ihm anerſchaffnen Kraͤſte, und
dieſer in der beſten Anwendung der zulaͤnglich⸗
ſten Mittel zu den größten und beſten Zwecken
zu ſetzen ſeyn. Zu dem volllommenſten Gan⸗
je,
' 255
zen, zu der beiten Welt Gotkes uͤbereinzu⸗
ſtimmen: Sehen Sie’ da den eriten der Zwe—⸗
cke! Gottes Ehre befürdern :: Sehen Sie dA
zu diefem Zwecke: das Mittel! Die Erkenntnis
des hoͤchſten Weſens iſt ſelbſt fhon ein Vor⸗
zug, und von ihrer groͤſſern Ausdehnung, von
ihrem hoͤheren und aͤlteren Adel, von allen ih—
ren andern Vollkommenheiten zuſammengenom⸗
men, haͤngt ſchon ein betraͤchtlicher Werth des
Geiſtes in dem ſie ſi ch befindet, ab. Wie
viel wuͤrdiger alſo iſt der nicht, wie viel—⸗
mehr micht ein edler Buͤrger des Reichs
Gottes, der dieſe beſte Erkenntnis in ſeinen
Wandel einflieffen, der die Liebe zu Gott jur
herrſchenden Geſinnung in fh, zum lezten Be⸗
fimniungsgrunde aller feiner Handlungen mwers
‚den läflet. Aber Erfenntnig wil ‚erworben,
und Liebe gepflegt fen. Jene Fan nicht zu
früh erhalten und viefe mit zu lange geübe
werden, Das. [pätere Alter ift ohnehin wenig
geſchickt, neuen Eindruck anzunehmen, iſt uns
‚gelebrig, eben fo ungeneigt alg unfähig, ſich
‚zu einer veränderten Handlungsiweife gewöhnen
zu laſſen. Ihr Fall iſt der entgegengeſetzte.
Itzt beginnet das Werk, wenn Sie anders
die Reiter der. Volfommenpeit bis zu einiger
Hoͤhe beſteigen, wenn Sie ſich Arbeit, und
‚eine, fpäte A mehrentheils fruchtloſe Reue erſpaͤ⸗
‚ven wollen. Wenn nun entfhieden iſt, Froͤm⸗
migkeit
256 —
migkeit mache überhaupt vollkommen; ſo iſt
auch entſchieden, daß ſie es um ſo mehr thun
muͤſſe, ie zeitiger fie angeſangen, ie eifriger,
ie ununterbrochner, ie länger fie. ſortgeſetzt wor—
den if, Das bedarf Feiner meitern Erläutes
zung. Srömmigfeit erleichtert alle Obliegens
heiten des Menſchen, die ſchwerſten, die vera
worrenſten nide ausgenommen. Wo alle ans.
dre Gründe nicht zureichen wollen, einen ruͤhm⸗
lichen Entſchluß zur Wirklichkeit zu bringen,
ba ‚giebt die Srömmigfeit. ımmer... den Aus⸗
flag. Ohne ihren Beyſtand würde man den
Aufruhr der Leidenfchaften wol beſchwoͤren, eis
ne durch, die andre mäßigen, und dadurch ein
gemiffes Gleichgewicht unter allen zu Stande
Bringen; niemals aber dem Herzen des Mens
chen vie fichere Nude gewaͤhren koͤnnen,
die zu einem gluͤckſeeligen Leben ſo unent⸗
behrlich if. Kein Menſch if über den
Wechſil des Glücks, über beſchaͤmende
Fehlſchlagungen, über Fränfende Verluſte,
koͤrperliche Schmerzen, und faufend andre
Uebel hinweg. Wenn er mun faft unter
der Hand feines Schickſals erliegt, wenn er
der eindringenden Norh nicht wehren , wenn
er für feine Wunden Feinen lindernden Vals
fam erfinden Fann, womit fol er dann der
twüthenden Werzwerflung begeanen, die fi)
ihm wider feinen Willen aufdringen, die ihn
zu
257
zu den ſchwaͤrzeſten Thaten fortreiffen wird 2
Kann er aber denken: Das ſchickt mir Gott
30, dadurd) will er mid) zu höherer Glückfees
ligkeit vorbereiten, mid in Tugenden üben,
zu denen fonft die Gelegenheit fehlen würde;
wieviel anders wird er dann die Uebel aufnehs
men , die ihren beflinmten Grad immer nicht
überfchreiten und aufs aͤuſſerſte nur feinen flerbs
lichen Leib zerfiören Fönnen! Co erinnert die
Srömmigfeit den Gluͤcklichen und Reichen:
er habe nichts von fi), alles von Gotf, er
fen Gottes Haushalter. ‘Das muß ihn Des
muth und Wohlthätigkeit lehren, wenn auch
fein Herz widerfpredben folte. Der Weife
felbft kann feine Kenntniſſe nicht fo fehr für
fein Eigenthum halten, daß er fid) ihrer übers
heben dürfte. Gott zündete den Funken in feis
ner Seele an, er veranflaltete Gelegenheiten
und Umftände, vermittelt deren er fid) augs
breiten und zu einer belleuchtenden Flamme
werden Fonnte. Die Furcht Gottes iſt der
Meisheit Anfang und Grund. Der überles
ende Juͤngling denke: Diefer Leib ift ein
Merfzeug meiner Seele. Beide hat Gott zu
gemeinfamer Abficht verbunden. Wehe mir,
wenn id) diefe in Unwiffenheit und Irrthum vers
ſinken lieffe! Wehe mir, wenn ich jenen dur
Uebermaß, Ausfihweifung und [handliche Wols
luͤſte zerſtoͤrte — will ich mich alſo
R zum
sum Guten unterweifen, und über meine höhes
ren Bedürfniffe belehren laſſen; frühzeitig will
id den Lüften enfgegen ſtreben, denen ic) mich.
nicht überlaffen Tann, ohne mich meinem.
Verderben zu überlaffen. - Damit werd’ ic)
Leib und Seele gefund erhalten, damit werd”,
ich mich auf mein Fünftiges Leben vorbereiten,
damit allen Stürmen des Schickſals begegnen.
fünnen. Uebung im Guten made ſtark, läns
gere Uebung macht noch flärfer. Oft wieders.
hohlte Tugend wird Gewohnheit) und Ges
wohnheit Natur, Wer das ehrenvolle Ziel erz
reihen will, faat der philoſophiſche Dichter;
muß als Knabe fon gethan und gelitten,
Soft und Hiße ertragen, alles Uebermaßes ſi ich
enthalten haben.
Sogern ih nun auch geſtehe, daß die höͤ⸗
hern Grade der Tugend immer nicht ohne
Selbſtverleugnung, immer nicht ohne Aufopfes
rung einer und der andern finnlichen Freude
erhalten werden koͤnnen; fo gewiß bin ich doch
auch, daß Froͤmmigkeit nie aanz ohne Freude
ſehy, daß diefe Freude alle andre Dauerhaftigs
keit übertreffe, und oft auch) zu einer ungemeis
nen Rehhaftigfeit, zu einem gufferordentlicdhen
Entzuͤcken ſich erheben koͤnne. Diefen Nektar
des Lebens, meine zärtlich Geliebten! mie
gern wollt' ih, daß Sie ihn ſich unvermiſcht
erhiels
erhielten ! Das Finnen Sie nicht, wenn Sie
nicht zeitig auf Gott fehen, wenn Sie nicht
von dem Frühlinge Ihres Lebens fchon den
vernünftigen Gebrauch machen, ohne weichen
das Größte und Beſte ſchlechterdings nicht zu
erreichen if. Hang nach Vergnügen ift in dem
Charakter Ihres Alters. Den hab’ ih), mie
Sie, gefühlt, und id) habe noch nicht zu lan⸗
ge gelebt, daß ich ihn nicht ist nod empfinden:
follte. Das ift Natur, Suche dein Vergnuͤ—
gen: iſt ihre Geſetz. Ih Fann es Ihnen allen
. zutrauen, daß Sie unter den mannichfaltigen
Pergnügungen, die fi Ihnen anbieten, die
untadlichſte Wahl treffen würden, menn Sie:
eine iede derfelben vecht Fenneten, und damit
auch auf ihren eigentlihen Werth zu fehen
müßten. Sie würden dann einfehen, daß das
finnlihe Vergnügen nur nicht ausfchlieffunggz
weiſe geſucht werden muͤſſe, daß es hinfällig
fen, daß es, in einigem Uebermaße, nie ohne
Schaden genoſſen werden koͤnne. Wenn nun
dagegen die eifvigfte Gottſeeligkeit felbii, wenn
nun die zaͤrtlichſte Tugend mit der ſinnlichen Freus
de beſtehen Fann, menn fie den mäßigen Gebrauch
der ivdifden Guter verftattet, zu einem glück;
ſeeligen Leben empfiehlt; bey dem allen aber
ſich ſelbſt genug ift, ſich von ihren unerfchöpflis
den Mitteln allein erhalten, über ein ganzes
langes geben lortdauern und dem ſchwachen
Ra eempfind⸗
empfindungslofen Alter noch von ihren An—
nehmlichFeiten mittheilen Fann ; fo kann man:
ia wol den ftreitigen Fall_einer ganz gewöhnlis
hen Einficht zu entſcheiden überlaffen , ohne‘
davon etwas für die gute Sache befürdten
zu dürfen. Bey der Srömmigfeit geht nichts
verloren, fie fihere, mas da ift, und fert
noch von dem Ihrigen hinzu. — Wo ift ein
Anblick fo feſtlich, als der der wieder belebs
ten Natur, mann nun die Nürfen der Berge
mit neuem Grüne ſich Fleiven, mit wirbelnden
Blüten die Winde fpielen, und Kräuter und
Blumen die Auen bedecken? Was ift dem
Wohllaute gleich, wann alledie Sänger des Wals '
des den fommenden Tag mit ihrem Piede begruͤſ—
fen, wann alles ſchimmert und tönt und Wohl⸗
gerud) athmet? Wo iſt der Verwahrlofete, der
dann nicht in irgend einen Ton der Freude
ausbrechen, nicht wenigſtens in ſeinen Nerven
ein ihm unklaͤrbares frohes Zittern empfinden
ſollte? Wer nun dazu noch in allen dieſen Er⸗
ſcheinungen eine lezte wirkende Urfac) entdes
dh, wer fih von einer wohltbätigen, alaegens
märtigen Gottheit umgeben fühlt, der ſchwingt
fih zu den höhern Graden des Entzuͤckens hin—
auf, Thränen rollen über feine Wangen herz
ab, und feine bebende Stimme wird Gefang.
Wohl dem Juͤnglinge, der in früheren Tagen
fi bin diefen Gefüplen gewoͤhnt hat! — Angenehm
| iſt
I
— "26x
iſt ed, einem geprüften Freunde fein Herz ent
decken, feine Noth ihm Elagen, und dann Rath
und Hülfe von ihm erwarten; aber mit Goft
reden, ale feine Bedürfniffe ohne Zurückhals
tung ihm vorlegen, dem Allgütigen trauen,
ihm in feinen Verfügungen fid) ganz überlafien;
das leitet unftreitig zu einer höhern Beruhi—
gung , zu einem Grade: der Zufriedenheit, ver
von Feiner andern Verbindung zu erwarten
iſt. — Angenehm ift es, auf die Schickfale
des menschlichen Gefchlechts überhaupt einen
betrachtenden Blick werfen, nod) angenehmer,
auf feine eignen guten und bofen Begegniſſe
zurückfehen; aber in dem allen eine alleslenfens
de Vorſehung bemerken ; gleichfam mit Häns
den greifen, daß ein höberer DVerfand im
Spiele fey, daß unendliche Weisheit und Guͤ—
fe überalt ihren Plan im Stillen verfolge :
das find Gedanken von ungemeiner Würde und
Kraft, denen man in fo vielen Fällen nicht
nachhaͤngen Fann, ohne fid) auf das frohefte
betroffen zu fühlen. — Es ift in der Natur
der Seele, fih ihrer Werke zu freuen. Jede
gute That, iede Aenfferung der Menſchenliebe
und des gemeinen Wohlwollens, iſt für den
Handelnden , wo nicht immer mit einem bes
gleitenden, doch mit einem nad)folgenden Vers
gnügen verbunden. Und nun ermäffe man
Rz ſelbſt,
N
2.62 — men nn ch
ſelbſt, was es auf fih haben müffe, denken
zu Fönnen: man habe das um Gotteswillen ae;
tban, das aus: Achtung für ihn und feine Ge⸗
-feße unternommen , dieß und das ang zärtlis
cher Liebe zu ihm aufgeopfert, und er wife
das alles. — Nichts weiter von den mans
nichſaltigen Vergnuͤgungen, die der Gottfeelige
ſich zu verfchaffen im Stande it! Das Ders
zeichnis derſelben wäre leicht zu vergröffern 5
ich will aber lieber, daß Sie bier felbft er;
jahren als von mir hören follen. Berechnen
Sie nur noch, was für ein Unterfchied es in
der Summe make: dieſe Freuden, von dem
heitern Morgen feines Lebens an, aufgeſam⸗
melt; oder erſt gegen den Abend deſſelben zu
ſchmecken angefangen haben. Nicht zu geden—
fen, daß man fi ihre Neise zu empfinden _
durd) die beharrliche Ungewohnheit zulezt ſelbſt
unfähia macht.
Eine groſſe Begebenheit beſchließt endlich
das Schauſpiel des Lebens. Der allgemeine
Weg wird immer zuruͤckgelegt; am Grabe fins
den wir ung alle zufammen. Steben! ...
Ein Wurm Frümme fi) vor diefer Erfahrung.
Wieviel mehr nicht der Menſch, der feine
Verluſte berechnen kann, und deren in der
That ſo viele zu fuͤrchten hat! Auſſerdem in
dieſe
vun 263
diefe ſchreckliche Kataſtrophe gemeinhin erfl
die Folge eines noch ſchrecklicheren Vorſpiels.
Es giebt Krankheiten, die Monathe und Jah—
re lang anhalten, es giebt Schmerzen, vie
kein Ausdruck ermißt. Oſt wird der Kranke
noch lebend ein Gegenſtand des Abſcheus und
des Edkels, fi) felbft und den GSeinigen uns
ertraͤglich. So ſchrecklich die Wahl ift, fo
wuͤnſcht er feine Auflöfung Aber er wünfdt
‚fie no) lange vergebens ; fie beginnt endlich :
——— Dem Sterbenden brehen die
| Augen und fterren,
Sehen nicht mehr. Ihm febwindet das
Untlig der Erd’ und des Himmels
Tief in die Tracht. Kr hörst nicht mehr
| die Stimme des Menſchen,
Noch die zärtlihe Klage der Sreund:
ſchaft. Er felbft Fann nicht reden;
Kaum mit bebender Zunge den bangen
. Abschied noch ftammeln;
Athmet tiefer herauf; und Falter änaft:
licher Schweis Iauft
Ueber fein Antlitz, das Herz ſchlaͤgt lang:
ſam, dann ftehts, dann flirbt er.
- Wenn diefe ſchauervollen Umflände durch Uns
ruhe des Gemuͤths, durd Schmerzen der Seele
a A nun
264 —
nun noch ſchauervoller werden, wenn nun der
elende Gequaͤlte eine zweifelhafte Ewigkeit vor
fi, und ein übelvollbradjtes Leben hinter ſich
zuruͤck ſieht; fo ift nichts in der Natur, das
diefem Jammer an die Seite aeflellt werden
fönnte. Zittern Sie, liebenswürdige Juͤng⸗
linge ! vor diefem Bilde, dem ich Feine faliche
Sarbe geliehen habe, zurück; fo wiffen Sie,
daß eine frühe, lebenslang fortgefeste, red⸗
liche Frömmigkeit in einem ſiechen, gefolterz
ten Körper immer nod) eine gefunde Seele erz
halte. Ueberhaupt Fann man annehmen: der
überwiegend Lafterhafte trage felbft mehr zur
Zerrüttung feines Körpers bey, als der gleich—
müthigere Zugendhafte, ver ſich Fein freyes
Uebermaß zu Schulden Fommen läßt. Bey
dem alien aber flieht es nicht in der Make
des lestern, den gemeinen Kauf der Natur zu
unterbrechen , feine Nerven empfindungslos,
feinen Leib unzerflörlich zu machen. Aud ihm
wird ber berbefte Kelch Förperlicher Leiden
geboten. Er empfängt ihn von der Hand
Gottes, nice ſtoiſch fuͤhllos, und duch ohne
durren, mit gänslicher,, freyer Ergebung in
den Willen feines himmliſchen Vaters. Herz
erhebend und anmuthig für ihn ift die Ruͤck⸗
fibt in fein vergangenes Leben. Iſt er ſich
u einer und der andern Vergebung bes
wußt,
—— ernen 265
u.
mußt, fo erinnere ex ſich doch auch fehr wohl;
daß er ed von Jugend auf mit Gott gut meyn⸗
te, daß es ihm mit feinem Beſtreben von
Zeit zu Zeit befler au werden, ein Ernft war,
und daß er doch auch fo manches unterlich,
und fo manches that mit dem eigentlichen
Bornehmen , fi feinem oberſten Wohlthaͤter
gefällig zu machen. Dabey fieht er eine ganz
heitre Ewigkeit vor ih. Sein ferneres Schick—
fal in der grofien Stadt Gottes kann nur gut
ausfallen; feine immermehr berichtigte Kennts
nis, feine angewöhnte Rechtſchaffenheit, if
ihm Buͤrge dafür, Iſt es Wunder, wenn er
bey diefer Bekanntſchaft mit einer zufünftigen
Welt, ver gegenwärtigen vergift, wenn er
unter allen fchmerzlichen Empfindungen feines
hinfinfenden Leibes, die Hand feegnet, die ihn
gebeugt hat, um ihn zu einer ununterbrod)
nen Gluͤckſeeligkeit aufrichten zu Fünnen ?
Sünglinge, die Sie lernen, die Sie fh
auf alle Schickfale bis zu dem lezten Ihrer
Tage vorbereiten wollen, treten Gie an das
SEE Ster⸗
266 eurmmurne
‚Sterbebette eines Addiſon oder eines Baum⸗
garten; fehen Sie da die feeligen Wirkungen
‚der. befien Religion, ven gefesten, heitern
Sinn, fehen Sie da den Frieden, in weh
chem ein Chriſt ſtirbt.
Ende des erften Abſchnitts.
inhalt
a eng 267
een at
der profaifchen Anthologie,
| Seife,
1.) Erzählungen und Bes
fehreibungen,
Der Knabe und die Mutter — =
Die Erziehung ; an 6
Der verfchwiegene- Papyrius “ 7
Der dankbare CLoͤwe erg
Aus dem Schufter ein Arzt ? 12
Der Bruder und die Schwefter 33
Der Schiffbruch des Simonides BA,
Wahre Vorzüge h u
Mathildis * 17
Der Wilde ; ; 19
Noth zwingt zu weilen zu ER
| — 22
Kind⸗
268 1 —
Kindliche Ciebe ⸗
Die traurigen Folgen der —
Die Macht der Freundſchaft
Scheinbare Gluͤckſeeligkeit ⸗
Die ungluͤcklichen Kinder eigenfin:
niger Aeltern bey der Wahl *
Lebensart ⸗
Allzugroſſe Betruͤbniß und über;
triebene Liebe ;
Zween Grenadiere, die Erretter ei⸗
ner unglücklichen Mutter
Der wirdige Sohn :
Mer redliche Greis
Die mitleidigen Belagerten ⸗
Der Vorwitz und die Unwilfle enbeit
IN
ift geneigt etwas für Tächerlich zu ;
halten, was es nicht iſt ©:
Der Tieger und der Elephant
Schoͤnheit und Haͤßlichkeit
Wahre Großmuth verlangt fuͤr
Wohlthun keinen Dank
Beſchreibung des Untergangs der
Staͤdte Herkulan und Pompeii
beym Ausbruche des Veſuvs
} Sitten der Gallier und Germanier
* Seite.
24
26
28
32
34
37
49
60
61
2.) Brie⸗
mE - 269
BI: ‚Seite.
2.) Briefe, ei
An den. Trebatius J— 75
: 2: Marius 76
⸗Cigarius 78
ce: dio : 81
vs Cukceius ⸗ 86
Tiro a. 90
«2 Sabius Zuftus NE 95
⸗⸗Paulin Pb DR ib.
2. Septicius Klarus wer 06
s:: Beninius Rufus ⸗ 98
⸗⸗Bornelius Tacitus 99
An die Siſpulla ⸗ 10L
An den Maximus aa tllr 103
| Deiftus : 005 104.
An einen Sreund ⸗ 106
An einen Send 8 109
An einen Freund 4 113
An Geren von 5**" : 116
An eine Frau von GT" 118
An Diefelbe ae nz 123
An einen Grafen NI** von B* 125
An
| Seite.
An einen Doktor Ra 127
An Gellert me ag,"
An Rabener Br F * 132
An Cramer — ——— 134
An Gellert RE Ras
An einen Sreund a —
3.39) Beyſpiele.
Maͤſſigung des Zorns ee 7°
Vergebung der Beleidigung ibid,
Ehre für das Alter - — 146
Thorheit der Neider wohl "zar
Großmuth 6 > ic Ib
Wahrer Beichthum 148
Tugend noͤthigt ſelbſt Vöfewicrern
Hochachtung ab ⸗ ib.
Gegen den, der uns belohnt, dank;
bar zu ſeyn, iſt ſchoͤn ⸗ 149
Uebereinſtimmung der Erkenntniß
mit dem Wandel | Ri ib»
Weisheit Gottes $ Ist
Die Glüctfeeligfeit 152
— ‚153
| Reichthum — nicht lei 154
ZartlichFeit gegen Aeltern, 2 Stüde 155
Wohlthaͤtigkeit — 157
Dankbarkeit ⸗ | 158
Standhafte Erduldung koͤrperlicher
Schmerzen ⸗ ib,
Sparfomtit 159
Siebe und - Bohachtung gegen die
Aeltern” ,' ı6X
Mitleiden gegen —
Verachtung gegen die Aeltern 163
Gerechtigkeit ⸗ ib.
mu VER ER 164
4.) Anekdoten XXXVI. 167
5.) Charaktere.
von der Schmeicheley a Wi 189
Von der Schwarbeftigkeit Page
Archytas von Tarent ⸗ 192
Der Juͤngling von einer guten und
* Seite ⸗ 197
6.) Weber
072 ———
Seite.
6.) Ueber Höltys Charakter 209
7.) Aufſaͤtze.
Pflichten gegen Gott J 229
Beſtimmung des Menſchen hienieden 233
Vom Mitleiden und Mildthaͤtigkeit 238
8.) Rede von den Vortheilen
einer fruͤhzeitigen Froͤm⸗
migkeit. 245
Poeti⸗
Poetiſche
Anthologie.
Zweyter Abſchnitt.
Die
Dihrtunf
de Horag
von Ramler überfest.
N
| 277
Woein ein Maler. einem Menſchenkopfe den
“ Hals von einem Pferde gäbe, überall
zufammengerafte Glieder mit bunten Federn
überzöge, und mit einem haͤßlichen Fiſchſchwanz
endigte, mas mit einem ſchoͤnen Weibe ans
fing: würdet ihr euch beym Anblick einer fols
chen Arbeit des Lachens enthalten ?
Diefem Gemälde, meine Pifonen , gleicht
ein Gedicht, welches unmefentlihe Geftalten
uns fhildert, den Träumen eines. Kranken
gleich, Geſtalten, wozu nicht Kopf nicht Fuß
ſich ſchickt.
Kann ein Maler und ein Poet nicht ers ;
ſchaffen, was ihm beliebt?
Er kann es: dieß Recht nimmt er ſich,
dieß Recht erlaubt er andern; aber ſo, daß
man nicht Wildes und Zahmes zufammenbrins
‚ge, dag man nicht Schlangen mit den Voͤgeln
paare, oder kaͤmmer mit den Tiegern.
Oft wird einem ernſthaften Eingange, der
wichtige Dinge verſprach, bie und da ein
Sbimmernder Parpurlappen angeheftet; man
malt ———— Hain und Altar, einen Vach,
S3 der
278 — ————
der ſich durch lachende Wieſen ſchlaͤngelt, die
Silberwellen des Rheins, den Farbenbogen
der Iris. Allein bier war nicht der Ort das
zu. Vielleicht kannſt du fehr matürlid) eine
Cypreſſe fehildern : was nüßt fie aber da, wo
der arme Mann für. fein Geld gemalt feyn
will, wie er aus dem zerfcheiterten Schiffe
bälflos in den Wellen ſchwamm! Eine Urne
ward angelegt ‚ man dreht die Scheibe, und
bringt ein Toͤpfchen hervor.
Kurz, alle, was du behandelf —
Gleichſoͤrmigkeit und Einheit,
Wir Dichter, Piſo, du weißt es, ihr
wißt es, wuͤrdige Soͤhne des Piſo! wir laſſen
uns mehrentheils durch den Schein des Schoͤ⸗
nen betriegen. Ich ſtrebe nach Kuͤrze, und
werde dunkel; nach Lieblichkeit und verliere
Geiſt und Staͤrke. Wer mit der Erhabenheit
prangt, wird ſchwuͤlſtig; wer allzuſurchtſam
ſich vor den Stuͤrmen ſichert, kriecht auf dem
Boden fort, Wer den einförmigflen Stoff
recht wunderbar mannichfaltig machen will,
malt einen Delphin in den Wald, und einen
Eber in die Wellen. Wir vermeiden den einen
Sebler, und fallen in den andern, fobald wir
unfrer Kunſt nicht gewiß find. Dort bey der
Schule des Aemilius wird irgend ein Künftler
die Nägel. vortrefflich auszudrücken, und dag
weiche
/ ER ——— re
| 7) RER 279
weiche Haar im Erz nachzubilden willen; aber
er ift unglürflid) in der Hauptfache, weil er
fein Ganzes zu liefern taugt. Gin folcher
Arbeiter möchte ich eben fo wenig ſeyn, als
id) die Schönheit ſchwarzer Augen und Haars
lofen mit einer garfligen Naſe erfaufen möchte.
Ihr, die ihr etwas zu fehreiben unters
nehmt, wählt einen Stoff, dem eure Kräfte
gewachfen find, und verfucht lange Zeit, was.
eure Schultern zu fragen und nicht zu fragen
taugen. Wer eine Materie gefunden bat, die
feinen Talenten angemeffen ift, dem wird es
nicht an dem ſchoͤnen Ausdruck, nicht an der
deutlichen Drdnung fehlen.
Sol die Ordnung Wirkung thun und Ans
muth haben, fo muß man, dünft mic), in dem
erfien Augenblick fagen, was fi) für dieſen
Augenblick ſchickt, aber dag meifte unterdräs
cken und auf eine bequemere Zeit verfihieben.
Was den Ausdruck anbetrifft, fo muß ein
Verſaſſer, der ung nichts geringeres als ein
Gedicht zu liefern verfpricht,, im Gebrauche der
Woͤrter zaͤrtlich und behutſam feyn, dieſes
waͤhlen, jenes verſtoſſen. Man erhebt ſich über
den gemeinen Ausdruck, wenn man einem be—
kannten Worte durch die Stelle, wohin man
es ſezt, einen Schein der Neuheit giebt, SIE
S4 es
299 EEITEETTZ EEE
es aber nöthig, durch nanz neue Zeichen Dins
ge vorzuſtellen, die ehemals unbekannt maren,
fo mag ein Poet Woͤrter erfinden, die unfre
alten bärtigen Cetheger noch nicht gehört has
ben : man wird es ihm gern erlauben, woofern
er fich dieſer Erlaubniß nur mit Beſcheiden—
heit bedient; und man wird feinen neugeſchaf—
jenen Mörtern das Buͤrgerrecht nit verſa⸗
gen, wenn fie urfprünglich griechifch und durch
eine Feine Veränderung zu lateinifchen umges
bildet find, Warum fell Cäcil und Plautus
mehr Rede haben, als Virgil und Varius?
Warum macht man mir ein Verbredden dar
aus, meine Spradde, wenn id) Fann, mit eis
nigen Woͤrtern zu bereichern, da es die Ras
fonen und die Ennie vor mir getban haben ?-
Es iſt erlaubt geweſen, und wird erlaubt bleis
ben, ein neues Wort zu fehaffen, mofern es
nur das Gepräge des nn |, Gebraus
ches trägt. |
Sp wie die Wälder ihre Blätter verlies
ren, jo bald das Jahr fich neigt, und wie die
erfien, welche hervorkeimten, die erften find,
die wieder abfallen: eben fo fterben die alten
Wörter dahin, indeffen Die neugebornen in iu—
gendlicher Schönheit: bluͤhn. Wir alle find
dem Tode unterworfen mit allem was und ans
gehört. Jener in das Land tief ausgeſchweiſte
Dale,
/
es ER | 281
Hafen, ber ganze Flotten vor den Sturmwin—
den ſichert, ein Föniglihes Werk; iener uns
fruditbare See, den man ehemals mit Rudern
peitfhete, und der ist den fchweren Pflug ers
duldet, und die benadibarten Städte naͤhrt;
iener Strom, der lange den Ernten ſchaͤdlich
war, „und nun einen andern Kauf zu nehmen
gezwungen ift: alle Werfe der Eterblichen vers
gehn ; und die Woͤrter allein follten ihren
Glan; und ihr altes Anfehn unverfehrt behals
ten? Diele find gefallen und werden wieder
entſtehn; andere, die noch izt in Ehren find,
werden in Verfall gerathen, fo bald es der
Gebrauch befehlen wird, er, der Dichter und
Die Regel und das Gefeg der Epraden.
Welchen Ders man zu den Thafen der
Könige und der. Feldherren, und zu den
ſchrecklichen Schlachten wählen fell, bat uns
Homer gezeigt. In ungleiche Zeilenpaare ward
zuerſt die Klage, bald darauf auch die Freude
über erhaltene Wünfche gekleidet. Wer aber
den abgefürzten elegifehen Ders erfunden bat,
daruͤber fireiten die Kunſtlehrer, und der Streit
iſt noch nicht entſchieden. Den Archilochus
waffnete die Race mit feinem Jambus. Die
Socken und der Kothurn nahmen diefen Syl⸗
benfuß auf, den bequemfien zu den Gefpräs
dien, und Der das Geraͤuſch der Zuſchauer am
befien überfiimmt, und der zur Handlung ges
565°... mabt
%
252
macht zu fenn ſcheint. Die Mufe befahl der
Leyer, die Götter. zu befingen , und ‚die Hel;
den, der Götter Geſchlecht, und den fiegen:
den Athleten, und die Roſſe, die den Preis
eriagen, und den verliebten Kummer der Ju—
gend, und die taumelnden Freuden des Weins.
Henn ic) den beftimmten Ton, wenn ich die
Farbe diefer Gedichte nicht verfiche und nicht
zu treffen fauge: warum laſſe ich mich einen
Dichter nennen? Warum will id), unzeitig
ſchamhaft, lieber unwiſſend bleiben, als mid)
unterrichten 2 |
Ein komiſcher Stoff muß nicht in tragi—
ſchen Verſen erzählt werden; und eben fo vers’
ſchmaͤht das Gaftmahl des Thyefls den ver;
trauten Ausdruck, der den Sorfen anfländiger
ift. Sede Gattung behalte ihren geziemenden
Platz.
Doch erhebt auch die Komoͤdie bisweilen
ihre Stimme: ein erzuͤrnter Chremes, ſchilt
mit aufgeblaſenen Backen; und die Tragoͤdie
klagt mehrentheils im bürgerlichen Ton. Wenn
Zelephus und Peleus beide verbannt find, arm
und dürftig beide, und uns dur die Erzaͤh—
lung ihres Unglücks rühren wollen, laſſen fie
allen Pomp, ale hoch aufgefcehwollene Worte
‚Jahren. |
Es
— — — — — — en
Es iſt nicht genug, daß die pontiſche
Farbe ſchoͤn iſt, die Gedichte muͤſſen auch eins
nehmend ſeyn, und das Herz der Zuhoͤrer ih;
ren Abfihten gemäß zu lenken wiffen, das
Angefiht des Menſchen traurt oder erheitert
ſich, beym Anblick derer, die meinen oder
lachen. Willft du alfo, daß ich weinen foll,
fo zeige zuerfi dich felber betruͤbt: alsdann,
0 Telephus, alsdann, o Peleus, werde ich
von deinem Leiden gerührt toerden. Wenn du
deine Rolle nicht richtig ausdruckſt, fo werde
ic) bey deinem Ungluͤcke gähnen over lachen.
Zu betrübten Geberden ſchicken fich trans
tige Meden, zn ehrbaren erufihafte, drohende
zu zornigen, zu frölichen luſtige. Denn zuerſt
läßt die Natur von ieder Aendrang des Glücks
ung innerlich den Eindruck fühlen: fie erhei-
tert ung, erregt unfern Zorn, beklemmt die
Bruſt durch Angſt, beugt uns dur ſchweren
Gram zur Erde nieder; und hierauf bedient ſie
ſich allererſt der Sprache, als einer Dollmet⸗
ſcherinn, dieſe Gemuͤthsbewegungen auszudruͤ⸗
cken. Stimmen die Worte nicht mit dem Zu—
ſtande des Redners zuſammen, ſo werden alle
Roͤmer, der Ritter und der Fußknecht ein laus
tes Gelaͤchter erheben.
Es iſt ein groſſer Unterſchied unter. deb
Rede eines Knechts und eines Helden; eines
weiſen
254 ann men
mweifen Alten, und eines blühenden erhizten
Juͤnglings; einer gebietenden Frau und ihrer
getreuen Wärterinn ; eines Handeldmannes,
der die Melt dur&flreift, und eines Lands
manng, der im Frieden feinen Acker pflügt ;
derer, die in Kolchos geboren find, oder in
Aſſyrien, zu Theben erzogen find, oder zu
Argos.
Shildere nah dem Gerücht; oder er—
dichte zufammenfiimmende Dinge. Nenn du den
geraͤcheten Achill aufführen willſt: fo laß ihn
thätig, iachzornig, hitzig, unerbittlich ſeyn;
er ſetze ſich uͤber die Geſetze hinweg; er maſſe
ſich alles durch das Recht der Waffen an.
Medea trotze der Gefahr und bleibe unerſchuͤt—
- tert im Ungluͤck: Ino iammere; Srion ſey
treulos, Jo flüchtig und unflät, Oreſt voll
firfierer Melancholey. Wenn du eg wagſt,
etwas nie gefehenes auf die Bühne zu bins
en, und einen neuen Charafter zu. erſchaffen:
fo fey er am Ende fo, wie du ihn am Ans
fange zeigteſt; er verleugne ſich nie, Sreilich
ift es ſchwer, bloß möglide Weſen Fennbar
und_ eigentbiimlich abzufchildern : bringe alſo
lieber eine Handlung aus der Iliade auf das -
Sheater, ehe du unbefannte und nie gefagte
Sachen zuerſt aufführefl. Diefer weltfundige
Stoff wird dein eigener, wenn du dich weder
an den Umriß der fremden Erzählung bindeſt,
2
N
285
noch auch, als ein getreuer Dolmetfcher, Wort
für Mort ausdrückt ; damit du nicht mie dei—
ner Nachahmung in eine Enge gerathefl, wors
- aus du dich nicht ohne Schande heraus zies
ben Fannft, und worinn du dich nicht, obne
Verlegung der Regeln, weiter wagen darſſt.
Auch mußt du nicht anfangen , fie iener
eykliſche Poet: Ich finge die Schickfale Priams
und ienen glorreidyen Krieg, Welche Wunvderz
dinge wird der Dichter bervorbringen,, der
feinen Mund fo weit aufthut 2 Der Freiffende
Berg wird eine, läherlibe Maus gebaͤren.
Weit kluͤglicher hebt dieſer an, der nichts
unbeſonnen unternimmt: Erzaͤhle mir, o Mus
ſe, von dem Manne, der, nach Trojens Un⸗
tergange, die Sitten und die Staͤdte ſo man⸗
ber Menſchen ſah. Hier folat der Rauch
nicht auf die Flamme, die Flamme folgt auf
den Rauch. Hieraus wird er Wunder her—
vorbringen : den Antiphates und die Scyhlla,
die Charpbdig und den ungeheuren Cyklopen.
Er hebt den Ruͤckzug Diomeds nicht vom
Tode Meleagers an, noch den Troianiſchen.
Krieg vom Zmilingeeye der Leda. Er eilt als
legeit zum Ausgange, und reife den Pefer
mitten in die Gefcichte hinein, als ob ihm
alles übrige bekannt wäre ; er läßt fahren,
was ihm Feiner glänzenden Ausführung fähig
zu
Ps
286 —
zu ſeyn duͤnkt; und dichtet ſo, miſcht ſo das
Wahre mit dem Falſchen, daß Anfang, Mit⸗
tel und Ende gleichartig und von Einer Na⸗
tur zu ſeyn ſcheinet.
Hoͤre mir zu, was ich von dir begehre,
und das Volk mit mir. Soll dein Zuhoͤrer
mit Vergnuͤgen alle Scenen ausdauren, und
ruhig ſitzen bleiben, bis der Spieler ruft:
Ihr Sreunde klatſcht! fo zeichne die Eitten eis
nes ieden Alters, fo gieb den wandelbaren
Jahren und Sinnesarten ihre wahre Farbe.
Ein Kind , melches bereit? alle Worte
nachzuſprechen weiß, und die Erde nit mehr
mit wanfendem Fuſſe betritt, fpielt gern mie
feines Gleichen, erzörnt fih um nichts, und
verjöhnt fib eben fo leicht; es Ändert mit ice
dem Augenblic,
{
»
Der Süngling, der fi) endlich von feinem
Aufſeher befrenet fieht, bat feine Luft an Pſer⸗
den, an Hunden, am grünen Kampfplag des
Mars; nimmt, gleih einem Wachſe den Eins
druck des Boͤſen an; ſtraͤubt ſich gegen gute
Lehren; forget für die nüglichiten Dinge zulezt;
verſchwendet fein Gut, iſt eitel, begehrt beitig,
verläßt fehnell wieder, was er am eifrigſten
liebte.
Das
I 287
Das maͤnnliche Alter aͤndert die Sitten;
der Mann ſucht Güter zu erwerben, ſich Sreuns
de zu machen, fich höher empor zu ſchwingen;
er huͤtet fi), etwas zu unternehmen, was ihn
gereuen Fönnte,
‚Der Greis ift einer Menge von Unfällen auss
geſezt. Er haͤuft Schäße und der Armfelige ges
nieße fie nie. Er if furchtſam und Falt ir
allen feinen Verrichtungen ; zoͤgert immer,
hoffe immer ; ift unfähig zur Ausführung, für
die Zufanft beſorgt; mürrifh), voll Klagen ;
lobt die verfioßne Zeit, als er noch ein Knabe
war, ſchilt und tadelt was jünger iſt, als er.
Das herauffteigende Alter bringt dem
Menſchen viele Vortheile mit ; das herabfteis
gende nimmt ihm viele hinweg. Gieb einen
Sünalinge nit die Rolle eines Alten, noch
einem Raben die Role eines Mannes. Halte
dich) an die Züge, die einer ieden Stufe deg
menfchlichen Lebens natürlich find.
Die Handlung wird anf der Bühne theilg
verrichtet, theilg erzähle. Was man den Oh—
ren anvertraut, wirkt ſchwaͤcher auf die Seele,
ald mas man dem Zeugniß der Augen unters
wirft, und movon ſich der Zuſchauer felber
beiehre, doch was hinter den Scenen anfläns
diger geſchehen Tann, bringe nicht auf Die
Bühne
x
288 | una
Bühne; entferne manches aus dem Geſicht,
und laß es bald darauf durch einen 1ebpafe ge⸗
ruͤhrten Augenzeugen erzaͤhlen.
Medea muß ihre Kinder nicht vor dem
Volk erwuͤrgen, der abſcheuliche Atreus nicht
Öffentlich Menſchenfleiſch kochen, oder Progne
ſich in einen Vogel, und Kadmus in eine
Schlange verwandeln. Was du mir ſo vor—
zeigeſt, kann mic weder ergoͤtzen noch taͤu⸗
ſchen. |
Nicht kleiner, nicht aröffer als fünf Afte,
fen ein Stuͤck, Das man oft wiederzufehen
wuͤnſchen und im Gedaͤchtniß bewahren foll.
Keine Gottheit löfe den Knoten auf, wenn fie
zur Auflöfung nicht unentbehrlich if. Auch)
rede felten eine vierte Perſon.
Der Chor hat die Mole eines Mitfpies
lers: er finge in den Zwiſchenakten nichts,
was nicht zur Handlung etwas beytränt und
fi; darauf bezieht. Er fen der Tugendbaften
Freund d und Rathgeber; er flille den Hader,
befänftige den Zorn; er lobe die Mäffigkeit ,
die ſich an fparfamer Tafel vergnügt, und die
Früchte der Gerechtigfeit, und die heilfamen
Geſetze, und den Frieden, der bey offenen
Thoren wohnt; er bewahre heilig ein anders
trauted Geheimniß; und rufe die Götter an,
daß
—— 289
daß fie den Unterdrückten erheben und ven
Hochmuͤthigen zu Boden flürzen,
Eine Slöte, die noch nicht mit Erze vers
bunden war und der Tuba nahe Fam, fondern
eine dünne , einfache Floͤte, die nur wenige
Löcher hatte, und bloß den Chor zu unterflüs
Ken und im Tone zu erhalten diente, war bins
reichend, einen ſparſam befegten Schauplatz ans
zufüllen, wo ein Wolf sufammen Fam, das das
mals noch klein, und überdieß beſcheiden,
fromm und zuͤchtig war.
Allein als dieſes ſiegreiche Volk fein Ges
biet erweitert hatte und den Umkreis ſeiner
Mauer groͤſſer gemacht; als es anfieng, an
ſeinen Feſten ungeſtraft den ganzen Tag mit
Weine zu begehn: da wurden Verſe und Mu—
ſik verwegener. Denn was hätte ſonſt der ung
wiſſende Landmann gefühlt, der zur Erholung
von feiner. Seldarbeit ſich unter den Stadts
mann miſchte. Daher gab ver Flötenfpieler.
der alten Kunft mehr Lebhaftigfeit und Zies
ratben , und die Perfonen durdirrten mit dem
fiolzen Schweif ihrer Kleider die ganze Bühne,
Daher erhob auch die ernſte Laute den Ton,
und der verwegene Geſang führte eine unge—
woͤhnliche Sprache: Neben, die ehemals vol
gemeinnügiger Lehren, vol weitausſehender
Staatsklugheit waren, glichen int ben Delphi⸗
ſchen Oralelſpruͤchen.
Bald
v
29% EEE TER
Bald ſtellten iene Meifter , die mit tragi⸗
(hen Sefängen um einen Bock geftritten hats
ten, bockfuͤſſige Satyrn zur Schau, und ſuch⸗
ten mit Stachelſcherzen, dem Ernft unbeſcha⸗
det, ein Gelächter zu erregen. Wie Fonnte
man anders ‚, ald dur) den Reiz der Neuheit,
einen Zuſchauer bis ans Ende ruhig erhalten,
der von den Opfern herkam, noch halb bes
— * — und nicht zu bindigen wand. air
%
Ä exabefen wenn man fhatfhafte wenn man
beiffende Satyrn mit auf die: Bühne bringen,
wenn man Ernft mit Gelaͤchter abändern will;
jo Hüte man ſi ch, daß der tragifdhe Gott oder
Held, den man mit dem’ Saryı zufammenftellt,
und der ſich Furz zuvor in koͤniglichem Purpur
und Golde fehen ließ, itzo nicht mit pöbelhafs
ten Reden in die Schenken wandere,, ' oder
auch, indem er die Erde vermeiden will, nad)
Wind und Wolfen ſchnappe. Die Tragödie),
zu ſtolz gemeine Verſe zu ſchnattern, muß un⸗
ter dem muthwilligen Satyrvolfe fo’ ſchamhaſt
ſeyn, wie eine edle Roͤmerinn, die an den
Seiten. der Götter öffentlich tanzen fol. Ich,
meine Wifonen, würde mich in dergleichen Sas
torfpielen nicht blos des ungeſchmuͤkten Aus⸗
drucks, ‚nicht bloß der gemeinen Worte Dedies
nen, noch mich dergeflalt von dem tragiſchen
Ton entfernen , daß man gar Feinen Unter⸗
ſchied
——— 291
ſchied merken koͤnnte, ob ein Davus rede
und eine freche Pythias, die dem Simo ein
Talent ablockt; oder ein Silen, ein Diener
und Auffeher eines iungen Gottes. Ich würs
de aus der gewöhnlichen Rede mir eine neue
poetiſche Sprache erſchaffen, wovon ein ieder
glauben folte, er Fünne dergleichen ſtehendes
Fuſſes machen , der dennoch, falls er es uns
ternehmen follte, lange und vielleicht vergebs
lich ſchwitzen würde ; einen fo fchönen Ans
ſtrich befommen gemeine Woͤrter durch ihre
Stelle und Verbindung.
Die Faunen kommen aus den Waͤldern
her: ich rathe alſo, daß fie nicht. allzuſeine
Verſe herſagen, als ob ſie mitten in der
Stadt geboren waͤren, oder gar auf der Red—
nerbühne ftänden ; doch müffen fie eben fo wes
nig. Grobheiten und Unflätereyen ausſtoſſen.
Wenn gleich der. Poͤbel, ver Nüffe Eauft und
Erben Elaubt, dergleichen billigt; fo. wird
fi) doch der Rathsherr ‚ver Ritter, der
wohlhabende Buͤrger dadurch beleidigt finden,
und einem ſolchen Stuͤcke den Preis nicht sus
erkennen. |
Eine Eure Sobe von einer langen uns
terſtüzt, wird ein Jambus genannt, ein Fuß,
deſſen Hurtigfeit den Jambiſchen Verſen den
ri der drepfüfligen erwarb , ungeachtet fie
N ——————— ſechs
J
*
292
ſechs Fuͤſſe meſſen. Ebemals war dieſer Vers
aus lauter Jamben zufammengefest : ‚allein
nachher, um ihm mehr Gewicht und einen
ernfthaftern Gang zu geben, bat der Jambus
etwas: von feinen. Mechten ven langfamen
Spondäen abgetreten; doch mit der Bedins
gung, Daß er felbfi niemals weder von dem
zweyten noch von dem vierten Plage weichen
dürfte. Zwar erſcheint er auch an dieſen Stels
len nur ſelten in den beruͤhmten trimetriſchen
Verſen des Ennius und Accius. Allein ein
Vers, der mit ſo ſchwerfaͤligen Fuͤſſen auf die
Bühne tritt, verraͤth ein Werk, das allzueil⸗
fertig und mit weniger Sorgfalt gemacht iſt,
oder einen Verſaſſer, der feine Kunſt nicht
verſtanden hat.
Ich weiß wohl, nicht ein ieder Stier
wird den Uebelklang in ven Gedichten gewahrz
und wir Roͤmer befonders haben bierinn alls
zuviele Nachſicht gegen unſre Dichter gehabt.
Soll ich aber deßwegen in meiner Schreibart
nachläfig und ungebunden ſehn ? oder foll ich
nicht vielmehr mic) felbft Kberreden , die ganze
Welt werde meine Fehler fehn, und fo fehreis
ben, daß ich des Beyſalls ſicher nicht nöthig
babe, auf Vergebung zu warten ? Und: wenn:
ich auch endlich Vergebung erbielte, fo babe:
ich noch Fein Lob verdient, Leſet die Mufler,
| Die
—— 293
die uns die Griechen hinterlaſſen haben, und
leſet ſie bey Tag und leſet ſie bey Nacht!
„Aber unſere Vorfahren. haben das Vers—
maß des Plautus eben ſo ſehr erhoben, wie
ſeinen Witz.“ Sie haben beides aus Nach⸗
ſicht bewundert, ich will nicht ſagen aus Un—
verſtand. Genug, wenn nur ich und ihr den
ungeſitteten Scherz von dem artigen zu unters
ſcheiden wiſſen, und Zaft im Finger und
Wohllaut in den Ohren haben,
| Man fagt, dab Thespis der erfie Erfin⸗
der der, fragifhen Dichkungsart gewefen if,
er, der feine Mufe auf Karren fuhr, und den
Sängern und Spielern feiner Stuͤcke die Ge
fichter mit Weinhefen bemalte. Nach ihm er;
fand Aeſchylus anfländigere Masken und Tala—
re, legte feine Bretter auf Balken, gab feinen
Perfonen eine erhabene Sprache, und zog ibs
nen den Kothurn an.
Hierauf erſchien die alte Komoͤdie, die fid)
einen groffen Namen erwarb. Allein ihr frever
Scherz artete gar bald in Schmaͤhſucht aus,
und in eine Gemwaltthätigkeit, der die Gefege
Einhalt hun mußten. Kaum war dag Gefep
gegeben, fo verfiummete der Ehor, weil ihm
die Freyheit zu ſchaden genommen war,
ar! Unſre
294 BUMEEEREOTESRENIEZTER
Unfre Poeten haben nichts unverfucht ge⸗
laſſen, auch ſich Fein geringes Lob erworben,
als fie es gewagt, die Fußtapfen der Griechen
zu verlaffen, und einheimifche Geſchichten auf
die tragifche Bühne fo wol, als auf die Fomis
fehe zu dringen. Ja, man kann fagen, daß
Latien in der Sprache eben fo groß ſeyn wärs
de, als es durch Tapferfeit und durch die
Waffen groß geworden if: wenn nur nicht
einen ieden unſerer Dichter die hy und die
Zeit der Ansfeilung verdröfe. O ihr, vom
Dlute Pompils! tadelt nur dreift ein Gedicht,
das nicht alt geworden, nicht zehnmal überz
arbeitet, nicht, bis Fein a0 mehr haltet,
gefchliffen iſt.
Meil Demofrifus den Naturgeift für heil⸗
ſamer haͤlt, als die armſeelige Kunſt, und die
Poeten von geſunder Vernunft vom Helikon
ausſchließt: fo ſieht man Leute, die ſich mit
groſſer Sorgſalt die Nägel und den Bart
wacfen laſſen, einfame Derter aufſuchen, und
in Fein Bad gehn. Denn man erlangt die
Ehre ein Dichter zu heiffen, wenn’ man dem
Balbier niemals einen Kopf anvertraut, den
drey Anticyraͤerinſeln zu heilen nicht Nieſe—
wurz genug haͤtten. O! wie bin ich doch ſo
unbeſonnen, daß ich mir iedes Fruͤhiahr die
ſchwarze Galle abfuͤhre: Fein Menſch wuͤrde
| gen⸗ Verſe machen, he ih. Doch was liegt
daran ?
daran? Sch will die Stele eines Webfteins
vertretten, der ſelbſt nicht fehneiden Fann , aber
das Eifen in den Stand fest, zu fihneiden.
Ohne felbft zu fehreiben, will ich andern fas
gen, mie fie fehreiben muͤſſen. Sch will ih⸗
nen die reichten Duellen entdecken; ihnen zeis
gen, was den Dichter naͤhrt und bildet, was
fid) wol für ihn und mas ſich übel ſchickt, wos
hin die Kunſtwiſſenſchaft, wohin die Regellos
figfeit ihn führe.
But zu fehreiben muß man zuerſt denken
koͤnnen. Sachen findet man in den Werfen
Eofratifher Weifen; und wer mit Saden
wohl verſehen it, dem bieten fi) Die Aus⸗
druͤcke von ſelbſt dar.
Wer gelernet hat, mas er feinem Vater⸗
lande, was er feinen Freunden fehuldig iſt;
‚mit weicher Liebe man einen Vater, einen
- Bender, einen Gafifreund lieben foll ; wels
ches die Pflichten eines Rathsherrn, eines
Richters, eines klugen Heerführers find : der
wird einer ieden Perſon beylegen, was ſich
fuͤr ſie ſchickt.
Hiernaͤchſt werfe — wohlunterrichtete
Nachahmer die Augen auf die lebenden Mus
fier der Gefellfehaft, und nehme daher die
wahre Sprache der Natur.
T4 Oſt
206 F
Dit macht ein Stuͤck, das ſiark gezeich—⸗
nete Gemaͤlde, wohl ausgedruͤckte Sitten hat,
ob es gleich im uͤbrigen ohne Anmuth, ohne
Staͤrke, ohne Kunſt geſchrieben iſt, der Welt
mehr Vergnuͤgen, und zieht mehr Zuhoͤrer
an ſich, als alles wohlklingende Nichts, als
alle ſchoͤn geſchriebenen Verſe, die leer an
Sachen ſind. |
Den Griechen verlied die Mufe Geifl,
den Griechen harmoniſchen Ausdruck, ihnen,
Die nach nichts als Ehre dürfteten. Roms
Jugend lernt rechnen , lernt ein Pfund in
hundert Theile theilen: Soͤhnchen des Albis
aus, fage, wenn man von fünf Unzen eine
wegnimmt, wie viel bleibt? — Nun? du
haft es ia fonft gewußt. — Ein Drittel
Mund — Schön! du wirft dein Vermögen
zufammen halten. Thut man aber eine Unze
Dinzu, mie viel maht das? — Ein halb
Pfund. — Hat diefer Roſt, diefe Habſucht
die Gemüther Einmal angeftedft , wie Fann
man da noch auf Gedichte hoffen , die wert
wären, mit Zedernoͤl getraͤnkt und in Cypreſ—
ſenholz aufbewahrer zu werden? |
Die Poeten wollen eutweder nüken, oder
ergößen ; oder gemeinnügig und anmuthig zus
gleich ſeyn.
4,
Was |
— 297
"Was du lehreſt, das lehre kurz: damit
der wiſſensbegierige Geiſt die Lehre bald fals
fe, und getreu bewahre. Ales Ueberfluͤſſige
läuft herab , fo bald die Seele voll if.
Erdichtungen zum Vergnügen müflen der
Wahrheit nahe kommen. Deine Fabel bat Fein
Recht, uns einzubilden, was ihr beliebt; fie
läßt Feiner Unholdinn das aufgefrefne Kind les
bendig aus dem Leibe ziehn. |
Unſre Nelteften verachten die Stüce, die
nicht lehrreich find ; unfre iunge Ritterſchaft
hält fid) bey denen nicht fange auf, die allzu⸗
ernfihaft find: derienige tränt alle Stimmen
davon, der das nüßliche mit dem Angenehmen
verbindet, der den Lefer ergögt und ihn zugleich
belehrt. - Ein ſolches Buch maht die Soſier
reich ; ein folches fchifft über das Meer, und
macht feinen berühmten Urheber unſterblich.
Doch giebt es Fehler, die man verzeihen
muß. Die Saite läßt nicht allegeit den Ton
hören, den Ohr und Finger heiſcht; man vers
langt einen tiefern , und greilt einen hböhern.
Der Bogen trift nicht immer, worauf er zielt,
Glänzt ein Gedicht an den meiſten Etellen,
fo follen mich einige Flecken der Unachtfamfeig
und menſchlichen Schwachheit nicht fehr beleis
digen. Aber, gleiihwie ein Abſchreiber Feine
| 2:5 7 Dorn
J
208 EEE
Vergebung verdient , wenn er, oft gewarnt,
nod) immer denfelben Fehler begeht; und wie
man den Lautenfpieler verlacht, der immer bey
gleicher Saite fid) irrt: fo ift mir auch, wer
allzuſahrlaͤſſig ſchreibt, ein andrer Shörilus,
den ich an zwey oder drey Stellen mit Lächeln
. eben fo fehr bewundere, ald es mir wehe thuf,
fo ojt der gute Homer einmal einfhläft. Doch
langen Werfen ift ein Eleinee Schlummer vers
gönnt. |
Es iſt mit der Poeſie, fast man, wie mit
der Malerey beſchaffen. Es giebt Gedidte,
die manin der Nähe, und andre, die man in der
Kerne betrachten'muß ; einige wollen verfteckt
feyn, andre ertragen das helleſte Licht, und
fuͤrchten nicht die fharffichtigften Augen ihres
Richters. — Gut! iene gefallen aber auch
nur einmal, dieſe Fünnen zehnmal wiederholt
werden, und gefallen immer wieder. — O du
ältefter unter deinen Brüdern, ob du gleich
durch die Kehren deines Vaters gebildet wirft
und felber richtig denkſt: fo höre doch dieſes
ort und vergiß es nie: Gewiſſen Dingen
ift es vergoͤnnt, von mittler Art und bloß
erträglich zu fenn. Ein mittelmäffiger Rechtes
Helehrter und Fuͤrſprecher im Gericht hat Die
Gaben des beredten Meffala nit, noch die
gründliche Wiſſenſchaſt des Kafcellius; doch
% | —53 hat
hat er einigen Werth. Daß aber ein Poet
mittelmaͤſſig iſt, verzeiht ihm Tein Menſch,
kein Gott, und Fein Pfeiler, der feine Werz
fe trägt. So wie bey einem angenehmen Gafts
mahle eine mißhelliae Muſik, alte Salben und
Mohn mit Sardiſchem Honigfeim den Saft
beleidigt, weil: die Mahlzeit dieſer Dinge ents
rathen Fonnte : fo aud) die Poeſie, erfunden
zur Belufligung unfers Geiſtes, entfernt fe
fih vom Gipfel ; fo neigt fie ih zur Tiefe
Wer die Fechtkunſt nicht verficht, ver geht
mit feinen Waffen auf den Kampfplatz. Wer
nicht weiß, wie er den Ball fihlagen, die
Scheibe werfen, den Spielreif herumtreiben
fon, der bleibt ruhig fißen, damit er dem
Volke nicht zum Gelächter diene: und ohne
ein Poet zu ſeyn, will man Berfe machen koͤn⸗
nen! — Warum das nit? ein freygebors
ner Juͤngling! von ritterlichen Einkünften , von
untadelhaften Sitten:
Du, mein Piſo, mirft niemals etwas
wider Pallas Danf und Willen reden oder
fchreiben : fo denkſt du, fo bift du aefinnt.
Indeſſen wenn du einmal ein Werk verfuchen
wilft : fo laß es vor die Ohren des richtens
den Metius, und deines Waters, und auch
vor die meinigen fommen, nnd behalte es neun
Jahre lang unter deinem Schloffe. Was du
nicht
800 | ET
nicht heraus giebſt, das Fannft du werbeffern:
ein ante ptodignes Wort seo nimmermehr
ri: | |
Die an Bewohner der Walder hat
Orpheus, ein heiliger Bote der Goͤtter, von
der abſcheulichen Speiſe, vom Opfer der Er⸗
ſchlagenen, abgeſchreckt. Daher ſagt man, er
habe die Tieger gebaͤndigt, und die grimmigen
Loͤwen gezaͤhmt. Auch ſagt man, Amphion,
der Erbauer der Thebaniſchen Burg, habe die
Steine durch den Ton ſeiner Leyer bewegt,
und durch feinen ſuͤſſen Geſang hingefuͤhret,
wohin er gewollt. Dieſe erſte Weltweisheit,
die allgemeine Wohlfarth von dem eigenen Nur
gen, das Heilige von dem Unheiligen zu uns
terſcheiden, die. viehifchen Begierden einzus
ſchraͤnken, eheliche Bündniffe zu ſtiften, Städs
te zu erbauen, und Gefege in die Tafeln zu
graben: Diefe erwarb der Dichtfunft ein ehrs
wuͤrdiges Anfehen und einen göttlichen Namen
ihren Dichtern. Nach ihnen erfchienen Homer
und Tyrtaͤus, und erbigten durd) ihre Gefäns
ge die männlichen Seelen zum muthigen Streit.
Dichteriſch redeten die Orakel, dichteriſch die
Lehrer der Weisheit; durch Gedichte gewann
man die Gunſt der Monarchen; und feierliche
Spiele erfand man, die langen Arbeiten des
Jahres su kroͤnen. Wer wollte ſich forthin der
Pieris
mas 307
Dierifchen Laute fbämen, und des liederreichen
Aplot;
Man Hat die Frage dutch ‚ob ein
vollfommenes Gedicht ein Werk der Natur
oder der Kunſt ſey. Ich ſehe nicht, was
die Kunſtwiſſenſchaft ohne eine reiche poetiſche
Ader, noch was das rohe Naturell ohne die
Kunſt vermag. Beide muͤſſen ſich wechſelſei—
tige Huͤlfe leiſten, beide — ver⸗
un ſeyn. un W
De Athlet , ‚, der den Preis zu erhalten
5 iſt, erlitt viel, als ein Knabe, ar⸗
beitete viel; ertrug Hitze und Froſt, entſagte
dem Wein und der Wolluſt. Der Floͤten⸗
ſpieler, der an den Feſten des Pythiſchen
Apollo ſpielt „lernte zuvor, und duldete ſei—
nes Lehrmeiſters harte Verweiſe. Itzt iſt eg
genug, wenn man ſagt: Mir flieffen die Verſe
unvergleichlich; die Kranke treffe den Testen!
Ich würde mich ſchaͤmen, wenn ich nicht: eis
ner. von den erſten wäre, und bekennen folls
se, id: wüßte das nicht, was ih — freid
mein Lebetage nicht gelernet habe.
Iſt ein Poet reich an Grundſtuͤrken, reich
an ausſtehender Baarſchaſt, ſo verſammelt er
gewiß einen Schwarm eigennuͤtziger Schmeich⸗
ler um fih herum ungefähr wie ein Ausrus
fer Röufer um. feine Waaren. Iſt er übers
dieß ein. Mann „ der eine. gute. Tafel hält,
; der
302 —
der für einen? armen Schuldner? Bürafchaft
ftellen ; ihm aus einem fehlimmen Rechtshan—
del heraus helfen kann: fo waͤre es ‚ein groffes
Wunder , wenn er fo glücklich ſeyn ſollte, den
‚ beuchlerifchen. Freund von. dem wahrheitlie⸗
benden zu unterſcheiden. *
Wenn du iemand ein Geſchent gemacht
oder verſprochen haft: fo huͤte dich, ihm deine
Verſe vorzuleſen, ſo lange er noch mitten in
feiner Freude iſt. Er wird ausruſen: Schoͤn!
vortrefflich !; unvergleichlid) ! Bey der einen
Stelle wird er erſchrecken, bey der. andern
wird er eine zartlihe Thraͤne fallen: lafjen ; er
wird den Boden flampfen ‚er wird in. die Höhe
ſpringen. So wie die, deren Thränen man
zu den Leichenbegängniffen verkauft „mehr weis
nen und Flagen, als die wirklich betruͤbten;
jo wird aud) ein Schmeichler, der: unfrer im
Herzen ſpottet, weit heftiger bewegt, als ein
aufrichtiger Bewunderer, Wenn die Könige
einen Menſchen ausforfihen , und erfahren wol;
len, ob er ihrer Vertraulichkeit wuͤrdig iſt, fo
feßen fie ihm mit vielen Pofalen zu , fie fol
fern ihn mie Wein: willſt du Gedichte mas
chen , fo nimm did), wie fie , vor Shälten
im Fuchsbalg’ in Acht.
Wenn man dem Duintilius etwas vorlas, |
fo fagte er: Freund beſſere dieſes, beſſere ienes.
Warf man ein, es wäre nicht möglich, man haͤtte
es
* ———— 303
es ſchon zwey, dreymal vergeblich verſucht: ſo
hieß er die mißgerathenen Verſe einſchmelzen,
und wieder auf den Amboß legen. Wenn man,
anſtatt den Fehler zu andern, ihn zu vertheidis
gen unternahm : fo gab er. fich weiter Feine vers
gebliche Mühe, er verlor Fein Wort mehr. Jun
Fonnteft du dic) felbit und dein Werk allein und
ohne Nebenbuhler bewundern.
Ein Kunſtrichter, der aufrichtig und von
Einſicht ift, tadelt einen leeren Vers, mifbilligt
den harten , ſtreicht den gemeinen quer durch,
ſchneidet die uͤppigen Zierathen weg, heißt den
dunkeln Stellen mehr Licht geben, zeigt dir eine
Zweydeutigkeit, merkt alles an, was einer Ver⸗
änderung bedarf: kurz, er wird ein Ariſtarch,
und. Iagt nicht: Uber. warum ſoll id meinen |
machen? Diefe Kleinigkeiten Finnen serdrieplie
Folgen haben, wenn dein Freund lächerlich wird,
und den Bepfall der Welt verliert.
‚Sp wie man einen Menſchen anzurühren
fi) fuͤrchtet, der die Gelbſucht, oder den
Ausſatz batı, oder dem ein fanatifcher Geift
und der Zorn der Luna die Sinne verwirrt;
eben fo fürchtet fi) ein kluger Mann, einen
Poeten anzutaften, der in fich felbft närrifch
verliebt iſt. Nur Kinder nahen ſich ihm, und
lauſen unvorſichtig ihm nad. Wenn dieſer
Verſe donnert und ſich in den Wolken verliert,
und dorũher in einen Brunnen oder rg
N fällt,
204 ——
faͤllt, wie iener Vogelfaͤnger, der nach Amſeln
ſtellte, und mit klaͤglicher Stimme ſchreit:
Heljt mir, ihr lieben Bürger! fo ziehe ihn iq
niemand heraus. Falls ihm einer beyfpringen,
und aus Mitleid einen Strick hinabwerfen woll⸗
te: Was weißt du, mürde ich fagen, ob er
fi) nicht freymwillig bineingeworfen hat, und
ob er gerettet feyn will? und würde ihm bies
bey das Abentheuer des Poeten Empedokles er⸗
zählen, der, um für einen Gott gehalten zu wers
den, kaltes Bluts in den flammenden Aetna
iprang. Man laffe dod) einen Poeten das Recht
ſich umzubringen. Wer ihn zu leben zwingt, der
iſt ſein wahrer Mörder Es iſt ia auch nicht ſein
erſter Verſuch; und zoͤge man ihn. gleich heute
heraus, er wuͤrde darum nicht vernuͤnftiger wer⸗
den, noch die Luſt nach einem ſo beruͤhmten Tode
fahren laſſen. Auch weiß man noch nicht, wo⸗
her er ein Versmacher werden mußte: ob er nicht
etwa die Aſche ſeines Vaters beſudelt, oder einen
andern heiligen Ort entweiht hat. Denn von ei—
ner Furie iſt er gewiß beſeſſen. Er wuͤthet wie
ein Baͤr, der ſein Gefaͤngniß durchbrochen hat,
und iagt den Gelehrten und Ungelehrken mit feis
nen Verſen indie Flucht. Ungluͤcklich wen er ers
haſcht! er haͤlt ihn ſeſt, er beiſt ihn todt. Er
iſt ein Blutigel, "der nicht a — er
ſich ganz vol mh bat.
I. 1. Endß
\
=
Erzsäablungen
Der Greis.
Don einem Greife will ich fingen,
— Der neunzig Jahr die Welt gefehn;
Und wird mir ist Eein Lied gelingen:
Sp wird es ewig nicht geſchehn.
Von einem Greife wil ich dichten,
Und melden, mas durch ihn geſchah,
Und fingen, was ih in Geſchichten,
Bon ihm, von diefem Greife fah.
Singt , Dichter, mit entbranntem Triebe,
Singt eu) berühmt an Lieb' und Wein !
Ich laß' euch allen Wein und Liebe;
Der Greis nur foll mein Loblied feyn.
Singt von Befbügern ganzer Staaten,
Verewigt euch und ihre Müh !
Ich finge nicht von Heldenthaten;
Der Greis fey meine Poefie, 5
O Ruhm, dring inder Nachwelt Ohren,
Du Ruhm, den fid) mein Greis erwarb:
Hört Zeiten, hörts! er ward geboren,
Er lebte, nahm ein Weib, und ftarb.
| | Öellert,
2 Der
\
305
Der arme Greis.
Un dad Rhinoceros zu febn, ‚
(Erzaͤhlte mir mein Freund) beſchloß ich auszugehn.
Ich gieng vors Thor mit meinem halben Gulden,
Und vor mir gieng ein reicher, reicher Mann,
Der ſeiner Miene nach, die eingelauf’nen
Schulden, |
Nebſt dem, was er damit die Meſſe durch gewann,
Und was er, wenns ihm glücken follte,
Durch den Gewinnfi nun nod) gewinnen wollte, '
In fehweren Ziffern überfann.
Herr Drgon gieng vor mir. Ich geb ihm Bife
Namen,
Weil ich den feinen. noch nicht weiß.
Er gieng; doch eh’ wir noch zum Thiere kamen Er»
Begegnet ung ein alter , ſchwacher Greis,
Für den, auch wenn er uns um nichts ges
beten hätte,
Sein ziffernd Haupt, das nur halb feine war,
Sein ehrlich fromm Gefibt, fein heilig graues
. Haar,
Mit mehr, als Rednerkuͤnſten redte.
Ach, ſprach er, ach erbarmt euch mein!
Ich habe nichts, um meinen Durſt zu ſtillen,
Ich will euch Fünftig gern nicht mehr beſchwerlich
ſeyn;
Denn Gott wird wol bald meinen Wunſch
| ‚erfüllen,
| Und
— 309
And mich durch meinen Tod erfreun.
O lieber Gott! laß ihn nicht ferne ſeyn!
So ſprach der Greis: allein was ſprach der
| Ä Reiche?
Ihr ſeyd ein ſo beiahrter Mann!
Muͤßt ihr denn erſt noch Brandwein trinken,
Am taumelnd in das Grab zu ſinken?
Wer in der jugend fpart, der darbt im Alter
nicht.
BA, sieng der Geizhals fort. Ein Strom
ſchamhafter Zähren
Floß von des Alten Angeſicht.
O Gott! du weißts. Mehr ſprach er nicht.
Ich konnte mid) der Wehmuth kaum erwehren,.
Weil ich etwas mitleidig bin,
Sch gab ihm in der Angſt den halben Gulden
bin,
Für welchen id) die Neugier ſtillen wollte,
Und gieng, damit er mich nicht weinen fehen
follte.
Allein er ruſte mich zuruͤck.
Ach! ſprach er mit noch naſſem Blick,
Ihr werdet euch vergriffen haben,
Es iſt ein gar zu groſſes Stuͤck.
Sc bring euch nicht darum, gebt mir ſo viel
| zuruͤck,
Als ich da um mich durch etwas Bier zu
laben. |
Ihr, ſprach id ‚ folk es alles ..
| 1 3 Ich
gIo onen nemmen nun.
Ich feh , daß ihrs verdient, ‚trinke etwas ein
DAR =
Doch, arıner Greis, wo wohnet ihr?
Er fagte mir das Haus. Ich gieng am andern
Tage,
Nach hiefent Greis, der mir fo redlich ſchien,
Und that im Gehn ſchon manche Frag' an ihr,
Allein, indem ich nad ihm frage,
War er feit einer Stunde todt,
Die Mien’ auf feinem Sterbebette
Bar nod) die redliche, mit der er geftern redte.
"Ein Pſalmbuch und ein wenig Brod
Lag neben ihm auf feinem harten Bette.
DD wenn der Geizhals doch den Greis gefehen
hätte, .
Mit dem er fo unchriſtlich redte,
Und der vielleicht ihn iezt bey Gott ——
Daß er vor ſeinem Tod ihm einen Trunk
verſagt!
So ſprach mein Freund, und bat, die Muͤh'
auf mich zu nehmen,
Und oͤffentlich den Geizhals zu beſchaͤmen.
Wiewol ein Mann, der ſich zu keiner Pflicht,
Als für das Geld, verſteht, der ſchaͤmt ſich
ewig nicht.
—— a nn U U}
Die
———— 3x
Die Eichel und der Kuͤrbis.
Sopn! Mit Weisheit und Verſtand
Ordnete des Schoͤpſers Hand
Alle Dinge. Sieh umher,
Keines ſteht von ungefähr,
Wo es ſteht! Das Firmament,
Wo die groſſe Sonne brennt,
Und der kleinſte Sonnenſtaub,
Deines Athems leichter Raub,
Trat auf Gottes maͤchtig's Wort
Jegliches an ſeinen Ort.
Alles iſt in ſeiner Welt
Ganz vollkemmen. Dennoch haͤlt
Mancher Thor es nicht dafür,
Und kunſtrichtet Gott in ihr.
So ein Thor war iener Mann,
Den ich dir nicht nennen kann,
Der, als er an ſchwachen Ranken,
Einen Kuͤrbis haͤngen ſah,
Groß und ſchwer, wie deiner da,
Den du ſelbſt gezogen haſt,
Den verwegenen Gedanken
Hegete: „Nein! ſolche Laſt |
„Hält ich an fo ſchwaches Reiß,
⸗Wahrlich, doch nicht aufgehangen !
„Manchen Kürbig, gelb und weiß,
„Reih' an Neih’ in gleichem Raum,
„Haͤtt id) wollen laſſen prangen
oh am ſtarken Eichenbaum.
| 44 Alſo
Alſo denfend geht er fort,
And gelanget an den Ort
Einer Eiche, lanert fi) Ä
Fänge lang in ihren Schatten,
Und ſchlaͤſt ein — Die Winde hatten
. Manche Woche nicht geweht;
Aber, als er ſchlaͤft, entſteht
In der Eiche hohem Wipfel
Ein Geliſpel. Starke Weſte
Schuͤtteln ihre vollen Aeſte,
Und es ſtuͤrzt von dem Bewegen
Praſſelnd ein geſchwinder Regen
Reiſer Eicheln von dem Gipfel,
Diele liegen auf dem Grafe,
ber eine fällt gerade |
Dem Kunſtrichter auf die Naſe.
Ploͤtzlich ſpringt er auf und ſieht,
Daß fie blutet. Diefer Schade
Gebt noch an, denkt er und flieht,
Und bereuet auf der Flucht
Den Gedanfen, welder wollte,
Daf die Eiche eine Frucht,
Gleich dem Kürbis, tragen follte,
Traf ein Kürbis mein Gefiht,
Spricht er: Nein! fo lebe’ ich nicht:
O mie dumm hab ich gedacht : |
Gott hat alles wohl gemacht :
Gleim,
Bias.
— — 313
Bias
Nidt iedes Herz iſt sum Gebete täaͤchtig.
Gott will ein Herz, das ihn getreu verehrt,
| And das nicht erft Die Noth gezwungne Seuſzer
| lehrt.
Sonſt iſt Fein Menſch dem Herrn fo wichtig,
Daß er, ſo bald er ruft, gleich hoͤrt.
Der ſalſche Frevler ſollte ſchweigen,
Der ſonſt nicht nach dem Hoͤchſten fragt,
Und nur, wenn ihn die Noth von allen Seiten
plagt, |
Sich Mühe giebt, fein Knie gefchickt zu beugen,
Und fehnel zu ihm: Herr, hilf mir fagt.
Ich meiß nit, ob mir dieß viel Chriften
zugeſtehen,
Die mit ſo ſtolzer Zuverſicht
Vom Laſter zum Gebete gehen,
Und, wenn ſie wollen, kuͤhn zum Gott der
Goͤtter flehen,
Er mag fi fie hören, oder nicht.
Doch, wollten fie Erempel bören,
So koͤnnte fie der fromme Bias lehren.
Er war ein Menfchenfreund , und rei), doch
nicht für ſich,
J Wie unſre chriſtlichen, doch unbarmherz'gen
Reichen.
Er ließ ſich noch durch Andrer Noth erweichen,
Die oft, beſiegt, vor feiner Half entwich.
25 Kur
314 — —
Kurz er war unter ſeinen Heiden,
Als ein großmuͤth'ger Mann bekannt.
Doch, ob er den Beruf zum Beten auch verſtand,
Mag die Geſchicht entſcheiden.
Er ſchifft einmal mit Andern übers Meer,
Die eben nicht die frömmiten waren.
Gie waren fchon fehr weit gefahren,
Als ſchnell ein Sturm entftand. Der —
Wogen Heer
Empoͤrte ſich, und ſchien das Schiff ſaſt zu
bedecken.
Es zitterte das Volk, und lief, vom wilden
Schrecken
Geaͤngſtigt und geiagt, unruhig hin und her.
Die Frevler, die zuvor der Zukunft ſicher lachten,
Und, als der Sturm noch ſchwieg, an die
Gefahr nicht dachten,
Erblaſ en iezt und ſchreyn: Es iſt um uns eg
Und flehn die Götter weinend an,
Daß fie durch ihe Gebot die Fluthen sißmen |
follens
Und fragen ungeflüm, ob fie nicht helfen wollen.
Faſt laͤcherlich klagt fies der Kaufmann um
fein Gut,
Und wirft ein Theil davon mit Heulen in die Ä
Fluth,
Und feufst nicht einmal um fein Leben.‘
Inſonderheit fheint fi) ein Freygeiſt zu beftreben,
Die Götter gleichſam taub zu fehrein ;
x ‚Er,
WEL
ers. „cm samen | 315
Er, der fonft nur an fie, fie zu vergeffen, dachte,
Und ftets, bey einem Peder Wein,
Dur) langes Schweigen kuͤhn, mas goͤttlich
hieß, verlachte,
Kurz, alle fhrien in der Gefahr,
Und der am eifrigften, der der verrucht'ſte war.
Der Weife ließ fi) niche in feiner Ruhe flören,
Und ehrte mit Gelafjenheit
Die Macht, durch die allein die Winde fich
emporen.
Schweigt! fieng er endlich an, iſt nun erſt
Betens Zeit?
Laßt ia die Goͤtter nur nicht hoͤren,
Daß ihr auf aeg Schiffe fen».
Gieſeke.
ne.
An eine Freundinn.
Eraß, den ſtiller Mangel druͤckte,
Saß einſt beym blaſſen Mondenſchein,
Vom Gram entnervt, im Lindenhain,
Der ſeines Fuͤrſten Garten ſchmuͤckte,
Und fuͤhlte ſchlummernd noch die Pein
Der ſchwarzen Zukunſt, die ihn ſchreckte;
Als ihn im naͤchſten Bogengang
Das Aechzen eines Mädchens weckte,‘
Acht. rief fie leife, Gott: wie lang
4
Pers
‚316
Verbirgſt du dih! Du haft gehoͤret,
Was vdiefer Neiche für das Prod,
Wodurch er meines Vaters Noth
Erleichtern will, von mir begehret!
Eraften ſchwoll fein Herz, er zog‘
Sein leztes Geld heraus , und flog
Damit zur goͤttlichen Theone.
Hein, ſprach er weinend, ich bin arm,
Und fordre nichts, als deinen Harm
Zu theilen. „Ah! mein Dater ! lohne,
Gott, feiner Tugend Y”., Wie? mein Kind! —
* Sie wars! Er kuͤſſet iede Thräne,
Die von der ſchoͤnen Wange rinnt,
Entzückt hinweg. O feirt die Scene,
Ihr Engel, fie ift euer werth !
Doch, ploͤzlich wurden fie geſtoͤrt.
Der edelſte der Erdenſoͤhne,
Philint, der alles angehoͤrt,
Sprang aus dem Vuſch: Erhabne Seele,
Rief er ihr zu, die treufte Hand! - %
Wo nicht; mein halbes Gut zum Pfand.
Der ehrfurchtsvolften Freundſchaft! Wähle!
Du, die Theonens Geift befeelt,
Und dir nur fhreib ich die Geſchichte;
Iſts nöthig, daß ich dir berichte,
Was fie gefühlee und gewählt ? |
Pfeffel.
EEE
Der
'
\
0 BRENNT
—
— — — — — —
Der Hirte und fein Laͤmmchen.
So Hate ein liebes Laͤmmchen,
Das sog ich felbft mir groß,
Das trank aus nieinem Becher
Und af auf meinem Schoß.
Weiß wars, wie Schnee und Lilien,
Mar iedes Makels frey, |
So freundli, ad, fo freundlid) !
Und mir allein getreu.
Statt aller Schäß’ und Sreuden,
Und flatt des größten Gluͤcks
Mar mir mein Lamm. Wie freut’ ic)
Mic) feines frommen Blicks!
Mit meinem trauten Laͤmmchen
War ich bealücft und reich,
Schien ich vielleicht, ihr Götter,
Ach! allzugluͤcklich euch? —
Die Goͤtter ſandten Duͤrre
Hernieder auf das Land:
Vertrocknet war die Quelle,
Die Aue war verbrannt.
Ertragen hätt’ ich gerne,
Das größte Ungemach,
Hätt’ ich mein trautes Laͤmmchen
Nur retten können, ach!
Wie
318 Er
Wie gieng mir's durch die Seele,
Wenn ich es leiden ſah, *
Wenn es verſchmachtend, lechzend
Stillſchweigend auf mich ſah.
Ihr Götter, nehmt mein Leben!
So ſeufzt' ib armer Mann;
Nehmt es doch für mein Laͤmmchen
Zum Opfer gnaͤdig an.
So flehn vnd iammern hoͤrte
Ein reicher Fremdling mich.
Gieb mir, ſprach er, dein Laͤmmchen,
Verſorgen will es id). —
Verſorgen? — Aber nehmen
Willſt du mein Laͤmmchen mir?
Ach kann es nichts mir retten ? —
Da nimm es, Fremdling, hier!
Mein Leben gaͤb' id) lieber
Dir als mein Laͤmmchen hin;
Doch nimm's! flieh Troft und Freude
Mir gleich mit ihm dahin.
Doch ſchwoͤre bey den Göttern
Mir erft, daß du ee liebft,
Sorafältig es befchügeft ,
Ihm iede Freude giebt! —
Der Reiche ſchwur mir’ heilig, 1
Und nahm mein Laͤmmchen ſor >
Auf
% RESET — ‚ 319
Auf feine fetten Triften ;
In Blumen ſcherzt es dort,
Iſt nun des Reichen Freude,
Huͤpft froͤlich um ihn her,
Hat ſeines Leids vergeſſen,
Und denkt au mich nicht mehr.
Rt Schmit.
Sa lom o.
A, einem grofien Jubelfeſt,
Da Salomo des Armen Thränen
Zu trocknen, das Verdienſt zu Frönen
Gehör gab, und vom Nord und Weſt
Eid, alles Volk zum König nahte,
Trat auch der frömmfe Mann im Staate,
Ein edler Greis, vor feinem Thron,
Und ſprach: Darf ic) mid) unterſtehn
Um eine Gnade dich zu flehn,
So' bite ib di für einen Sohn
Von deinem Bruder Ablalon,
Der Fran? , verlaflen und verachtet
In einem tiefen Kerker ſchmachtet:
Du weißt, ich bin fein Freund ' — Dein Flehn
Las ich in deiner ſchoͤnen Seele,
Kaum fah ich did) im Vorſaal flehn,
So gab ic) ahnend die Beſehle,
N
. „Son
220 a —*
Ihn zu befreyn, ſprach Davids Sohn;
Und ſprach es noch, fo ſtuͤrzte ſchon
Des Sottgefalbten Hand zu Füffen,
Der Füngling fih zu feinen Fuͤſſen.
Ihr Kiügler, die ihr das Gebet
Als ungereimt und eitel ſchmaͤht,
Weil Menfhen Gottes Schluß nicht wenden: —
Wie, wenn der Geber Jehovah |
Bon Ewigkeit die Menfchen fah,
Mit freyen ausgeftrecften Händen,
Zu feiner Güte Thron ſich nahn;
Wie, wenn er dann fchon feinen Plan
Darnach entwarf, und das gewährte,
Was feiner Weisheit Zweck nicht fiörte:
So bleibt fein Schluß ia ewig ſtehn,
And wäre doc nicht der gemefen,
Hätt’ er des Tugendhaften Flehn
Nicht in der Zukunft Buch) gelefen.
Dfeffel.
\
Der Donner
as doch der Donner wirken kann!
Er zähmt den graufamften Tyrann.
Und treibt den Freygeiſt felbit zum Beten.
Der fire Sünder , der ſonſt lacht,
Wenn ibm fein Pfarrer noch fo heiß die Hölle
made, iu
Geraͤth
Sui, bey Etral und Sdlag, in taufend.
Angſt und Noͤthen.
F Die eitle Dame flieht den Putz,
Und ſuchet beym Gebetbuh Schutz,
Der Saͤufer laͤßt die vollen Glaͤſer ſtehen;
Und auf den Straſſen ſich Fein kuͤhner Stutzer
| Bereichen,
Der frechen Dirne pocht das Herz,
Sie flucht der Liebe und dem Scherz,
Und fingt ein Fied mit banger Stimme,
- Der Böfewicht erſchrickt und zagt,
Sucht bey dem Himmel Half, und ſagt:
- Herr! firaf mich nicht in deinem Grimme!
Kurz: alles fürdtet Gottes Stimme;
Doch nur, wenn er im Donner ſpricht:
Denn, wenn er liebreich ruft, fo Hört die Welt
Ä Re DH
Fin Mann, an Sünden nicht zu leichte,
Gieng übers Feld mit feiner Fran zur Beichte,
Zwar war der Weg ein wenig weit,
Allein die ſchoͤne Jahreszeit, |
Der Wiefen Flor, der Felder Sruchtbarkeit,
Und was wir mehr für Herrlichkeit
Hier malen fünnten, doch nicht wollen,
Mertrieb dem andachtövollen Paar
Die Zeit, fo gut es möglich war,
| Dod) eine Molke dränf Gefahr,
Man fi eht den Blitz, man hört den Donner rollen;
& DR
\
322
8
Der Sturmwind wirbelt wild RE |
Und raufcht durch Thal und Wald , und Flächen.
Die Bäume flürgen und zerbrechen, u
Aus ieder Wolke ftürzt ein Meer:
Die ſeſte Erde wird erſchuͤttert;
Und alles Blitz und Schlag!
O Gott! dieß iſt der iuͤngſte Tag,
Ruft Veit, indem Brigitte zittert.
Der Herr iſt uͤber uns erbittert!
Was gilts! der Donner ſchlaͤgt uns todt,
Wo find ich Troſt in dieſer Noth,
Wo Gnade, für die vielen Sünden?
Wer fie nicht beichtet, heißts, Fann nicht
N Vergebung finden!
Soun komm, Brigitte, laß uns frey
Einander unſre Schuld bekennen;
Gnug, was vorbeyh iſt, iſt — *
Viel beſſer, friſch bekannt, als in der Hölle
| brennen.
Ach! fiene Brigitte ſchluchzend an,
Eo wife denn, mein lieber Mann:
Dit wuͤnſcht' ich dich ing andre Reben, u
Um Görgen meine Hand zu geben.
Das, fiel der arme Sünder ein, _
Mas auch der Himmel mir verzeihn!
Ich Fonnte freilih Greten leiden,
Und die verdammeten dunfeln Weiden!
x
nn 923
Indeß erheitert fich die Luft;
Die Sonne zeiget ſich mit ihrem Glanze wieder,
Die Lerche lockt, und ſchwingt ihr eräufelndes
| Gefieder,
Die ſcheue Taube fleucht zum Gatten aus der
—Rluſt
Der Zephyr gaufelt auf und’ nieder:
Ein aromatifchlauer Duft y
Erfüllt den Hain, den ſchwuͤhle Dämpfe füllten,
Und lacht aus Au’n, darauf Verderben brüllten,
Brigitte ſtuzt, und Veit krazt fich den Kopf,
Und denft: was mar ich für ein Tropf,
Daß ich dem Weib das Ding erzählte!
Doc, weit gefehlt, daß fie darüber fchmählte,
Ram fie ihm felbft im Wiederruf zuvor.
Mann! fprach fie ſchamroth, fen Fein Thor!
Was id) von Görgen dir entderfet,
Hat mir allein der Donner abgefchreifet.
Auch das hab ich aus Angft erdacht,
Verſezte Veit, was ich geſaget.
Nie hab id) fo was mich gewaget,
Ja nicht einmal die, Öreten angelacht.
Schweig, rief Brigitte: ſchweig du ſauberet
Geſelle!
Huy, daß ich efwan fie und did)
Nicht neulich felber überfchlich ?
Was, mid mit Greten? — Himmel! Hölle!
Dich meynſt du wol, bey Görgen ich?
24⸗ 14}
44 Di
224 ——— —
Saͤß ich dir nicht an Gottes Stele —
DEAN
neikeihbe 1. gehe Sankt euch nicht!
Ein neuer Sturm ſcheint zu erwachen :
Geht heim und denkt an eure Pflicht,
SIR wird der. Donner öriede machen!
Michaelis, ?
m a DE nn — —
Die Wanderer.
Zoen Wanderer kamen in ein enges Thal,
welches von hohen Felſen zu beiden Seiten
begraͤnzt wurde, die aber izt keinen Schatten
warfen : denn es war um die Mittagsſtunde
eines ſchwuͤhlen Sommertaas,
Ungeſaͤhr erblickten fie ein überhangendes
Felſenſtück, welches eine Grotte bildete, in
welcher es kuͤhl zu fißen war. Hier wollen
wir Mittag. halten ; fagte der eine zu dem
andern. Diefer aber antwortete: Freund, dag
Thal währt nicht lange, und am Ende deſſel⸗
ben liegt ein wirthſchaftliches Dorf, wo mir
ruben. fürnen. Laſſet uns vollends die liebe
Sonne erfragen, und unfern Weg fortfegen,
Der andere wollte nicht, fondern feßte
9— in die Grotte, und laut ſeines Ge⸗
fährten,
3%5
»fährten , welcher in der Mitte des Thals bins
wanderte, und oft, ſich den Syadh ang
* genoͤthigt wurde. |
+ Bald hatte diefer den Ausgang des Thals
erreicht, als er zuruͤck ſah, ob der andere
nicht nachkaͤme. Und ſiehe, der Ueberhang des
Felſen war nicht mehr zu finden. Er war
eingeſtuͤrzt, und hatte den ſich keines Ungluͤcks
beſorgenden Wanderer unter ſeinen Truͤmmern
eſgmettert und begraben.
Ei
%
Es ift ſehr bequem, unter. dem Schatten
groſſer Gönner und Anverwandfen die Lauf⸗
bahn dieſes Lebens zu wallen; und die Sonne
brennt demienigen hart auf den NMacken, dem
fie mangeln. Aber oft flürzen dieſe erhabene
Felſen, und erdruͤcken ale, die ſich unter ih—
tem Abhang befinden. Der gufe Himmel bins
gegen füllt niemals ein.
—
Der Moͤrder und fein Water.
Feige (don hatte ein Boͤſewicht in Höhlen und
Waͤldern fihere Wanderer belauſcht, beraubt
und ermordet, als ihn die Gerechtigkeit ers
griff und zum Tod verurtheſlte.
23 Noch
Noch lebte.fein grauer Pater. Er drang
fi durch den Kreis den Richtplatz umringen?
der Zuſchauer, feinem Sohn den legten Ruß zu
geben , und fieb ihm um den Hals. Wie von
einer Schlange ummunden, fchauerte der Mörs
der aus den Armen feines Waters zurück, und
ſprach: Hebe dich hinweg, Unglücklicher ! und
wiffe, daß dieſe Minute die Zochter iener
verfluchten Minute ift, da du mir als Kind
Das erſte Blas-Rohr gabft, und mir Beyfall
zulaͤchelteſt, als ich den unſchuldigen Saͤnger
todt von dem Baum ſtuͤrzte, der mich nies
mals beleidigt hatte! Ohnnmaͤchtig fanf der
Alte zur Erde. Der Sohn aieng hin, ems
pfieng feine Strafe, und fein Blur fprügte
warm über den Scheitel: feines Waters.
— — — ——
>
Der. Greis und die drei Juͤng⸗
linge.
Ein achtzigiähriger Greis pflanzete Bäume,
Häufer zu bauen gienge no an, fagten drey -
Juͤnglinge aus der Nachbbarfchaft;. aber in fols
chem Alter Bäume zu pflanzen? Wahrhaftig
der Alte muß nicht. bey Sinnen feyn. Denn
um des Himmels willen! welche Früchte boffft
Du von diefer Arbeit einzuernten 2 Du müßteft
ia fo alt werden, als ein Patriarch. —
ela⸗
327
beladet du dein Leben mit Sorgen für eine
Sufunft, die doc) für dich nidye it ? Denke
ſorthin an nichts , als an deine vergangenen
Suͤnden, laß die hoͤhern Gedanken, laß die
langen. Hoffnungen fahren! das alles ſchickt
fi) nur für uns. — Auch nide für euch,
erwiederte der Alte. Das gufe Gluͤck kommt
fpät ins Haus und bleibt nicht lange. Die
Hand der blaffen Parce fpielt auf gleiche Weile
mif euren und mit: meinen Rebenstagen. — —
Kein Augenblick ſagt für. den andern gut. Dielen
Schatten wird mir noch mein Urenfel verdans
fen. Coll ein Weifer nicht auch für Anderer
Vergnügen arbeiten? Gebt, dieß iſt eine
Frucht, die ich ſchon heute ſchmecke; id
kann ſie noch morgen, ich kann ſie noch etliche
Tage genieſſen. Ja, ich ſehe vielleicht die
Sonne mehr als einmal noch auf eure Graͤber
ſcheinen! Der Alte hatte wahr geredet. Der
eine von dieſen drey Juͤnglingen, im Begriff
nach Amerika zu ſegeln, ertrank im Hafen.
Der andere, der ſich einen Weg zu den hoͤch—
ſten Ehrenſtellen zu bahnen, dem Staat im
Kriege dienete; verlor ſein Leben durch einen
tödlichen Schuß; der dritte fiel von einem
Baume, den er einimpfen wollte: und wei—
nend arub der Alte diefe Geſchichte auf ihren
| Marmorflein.
Ä La: Sontaine,
a EN
4 | Die
328 ——
Die Milchfrau und der Milchtopf.
Perronete, ein Küffen auf dem Kopfe, und
einen Topf mit Milch oben drauf ‚ gedachte
biemit jonder Anſtoß nad) der Stadt zu foms
men. Leicht und kurz angefleidet frabte fie mit
groſſen Schritten forf. Gie hatte diefen Tag
einen bloßen Unterrock und platte Schuhe an;
gezogen , um deſto hurtiger zu feyn. Unfer
wohlaufgeſchuͤrztes Milchweib aͤberrechnet in
Gedanken den ganzen Preis ihrer Milch, legt
das Geld an, kauft zwey Schock Eyer, zieht
dreymal Brut. Die Sache geht vortrefflich,
jo feifig iſt die Frau. Es iſt mir ia leicht,
ſagt ſie, bey meinem Hauſe herum Huͤhner
aufzuziehen. Der Fuchs müßte es liſtig ans
fangen , wenn er mir nicht ſoviel übrig lieſſe,
daß ich ein Schweinchen dafuͤr kaufen Fünnte.
Das Schwein wird nur ein wenig Kleie Foften,
ſo iſt eö fett, es war ia ſchon fo siemlich groß,
als ich es Faufte. Dann verkaufe ich es wies
der, und bekomme mein rein und. [hun Geld;
und wer wird mird dann wehren ‚dafür eine
Kuh mit lamt ihrem Kalbe in unſern Stall zu
niehen?
Die Milchfrau und der Milchtopf.
| Be auſgeſchuͤrzt, io Gürtel umden Leib,
Auf feiöten Fuͤſſen gieng ein artig Bauerweib
Fruͤh morgens nach der Stadt, und trug auf
| ihrem Kopfe
Bier Stuͤbchen fühle Mitch in einem groffen Topfe.
Sie lief und wollte 'geru » kauft Milch!“ am
Aerſten ſchrein.
Denn, baibte fie bey ſich die erfie Milch ift
theuer,
Ich nehme heut, wills Gott, zwoͤlſ baare Gro⸗
ſchen ein,
Und Fa \ mir dafür ein halbes hundert Eyer;
Die b. [art mein einzig Huhn mir dann auf eins
mal aus,
Gras ſtehet rund herum um unfer Fleines Haus,
Da werden fie ſich ſchon im Grünen felbfi ernähren
Die Fleine Kuͤchelchen, die meine Stimme hören,
Und ganz gewiß ! Der Suche muß nur ſehr liſtig
ſeyn, |
Laͤßt er mir niche ſoviel, daß ich ein Eleines
Schwein,
Pur eins zum wenigſten dafür vertauſchen kann.
- Wenn id) mich) etwa fon darauf im Seife freue,
So den? ic) nur dabey an meinen lieben Dann?
Zu mäften Foftet es ia nur ein wenig Kleie,
Sit e8 denn fett gemacht, dann Fauf ich eine Kuh
Sn unfern Fleinen Stall, auch wol ein Kalb dazu:
&5 Das
330 ‚ ——
siehen ? Ha! wie wird das auf der. Weide
fpringen ! Hier fpringt Petronellchen vor Freude
mit; die Mildy fälle : gute Nacht Ruh, Kalb,
Schwein und iunge Hühner! Mit grämlis
dem Gefichte verläßt die Eigenthuͤmerinn ihr
verſchuͤttetes Gluͤck, geht und entſchuldigt ſich
bey ihrem Manne, nicht ohne groſſe Gefahr
‚Schläge zu befommen. Man machte gar bald
ein Poffenfpiel aus der Gedichte, und nannte
e3 den Milchtopf. | |
er
——— 831
Das will ich allemal felbit zu dem Hirten bringen.
Die froͤlich wird es dann um ſeine Mutter
| ipringen !
gm! fagt f je, und fpringt au! — und von
. dem Ropfe fälle
Der Topf mit Milch herab, und ach! ihr baas
res Geld,
Ihr Kalb und * Kuh, Gluͤck, Reichthum und
‚As Vergnügen,
Sieht fie nun vor ſich da in kleinen Scherben
! liegen.
Betrübt ſteht ſie dabey, ſchielt ſie barmherzig an,
„Die ſchoͤne weiſſe Milch, ſagt ſie, auf ſchwarzer
Erde a
Weint laut, und geht nach Haus, erzählt es
| ihrem Mann,
Der ihr entgegen Fonmt , mit trauriger Geberde.
Was fagte der dazu? Erſt fah er ernfibaft aus,
Als wär er boͤ auf ſie, gieng ſchweigend in das
W Haug,
wehrt aber um, und ſprach: Schaf, bau ein
andermal
Nicht Schlöffer in die Luft, man bauet feine Quaal.
Am Wagen, welcher lauft, drehe ſich fo ſchnell
| fein Rad,
| Als fie verſchwinden in den Wind.
Wir haben alles Gluͤck, das unſer Junker hat,
Wenn wir zufrieden find.
FREE EEE TEE
LIE u —
Die
342
Die Wahl des Herkules.
| Mair, in der" Jugend ſchoͤnſten Flor ſtand nun
Der Sohn des Jupiters, wo Jugend fol,
Hinaus ins Leben tritt, und ſeſſelfrey |
Dem ſchmeichelhaften Nuf- der Leidenſchaften
Folgt, oder Weisheit ſich zum Fuͤhrer PA;
In ienen zweifelhaften jahren, AR,
Wo in des Juͤnglings unbeflecfter Seele
Des Laſters Saam' eutweder giſtge Wurzel
Schlaͤgt, oder ſich der hoͤhern Tugend Reim
Gemach entwirkelt, ſchoͤne — traͤt. F
Als eines Tags die —239 die vor ihm Id,
Aleides uͤberſah, floh er Geraͤuſh,
Und ſuchte Einſamkeit, des 2 Denkens Mutter, |
Schritt folgt, auf Schritt,» und, „ein Gedank
| Dei, andern. ns
Ein files Thal nahm unſern Denker auf,
Der, todt fuͤr die Natur, mit ſich nur ad
Mit ſeiner Seele geiſt' gem Blick ſah er
Enthuͤllt des Lebens Doppelweg vor ſi ch;
Hier lag der Tugend rauher, ſteiler Piady,;
Dort des Vergnuͤgens Schattengang. * —*
O, welch ein Kampf zerriß bey dieſer Ausſicht
Des Juͤnglings ſchwankend Herz! Bald glühet.er
Bon edlem Durſt nah Ruhm, bald ſchmelzet
Hang /
ee Ar Hang zur Luſt, bie Seele ihm;
h Als
—
Und hob nur mehr die Weiſſe ihrer Haut.
FETTE | 233
Als er von fern zwey weibliche Geſtalten,
Von Götterform und Wuchſe Fommen Sieht.
Schön waren beide, mehr ald menſchlich ſchoͤn,
Doch auf verf@iedne Art geftelen beide,
Der einen Blick goß heilge Furcht ing Herz,
Der andern Laͤcheln ganberte ihm Liebe.
Der erften Reiz war angeborne Wuͤrde;
—— ungeſchmuͤckt gefiel ſie mehr.
Geſundheit gab den reinen Blicken Glanz.
Weiß, wie der hellſte Schnee, "war ihr Gewand,
Erhaben war ihr Gang, befcheiden ſtolz,
Ahr Auge himmliſch heiter, doc ihr Blick
Warf Goͤtterſtralen von fih. — Näher fam
‚Sie nun, und wurde näher immer fihöner
Die hohe Grazie : in ihren Zuͤgen
War ſuͤſſer Ernſt und fanfte Maiefät.
Zwar ſchien von fern die andre Dame ſchoͤner,
Doch freyer ihre Stirn, ihr Auge frech;
Und bald verrieth die höher blühnde Wange
Dem nähern Auge ihr geborgtes Roth.
Mit kuͤnſtlich ſuͤſen Wendungen ſchwamm fie,
Mehr als ſie gieng, im leichten Tanz einher.
Ihr Flohrgewand, der duͤnnſte ſeidne Nebel,
Der um ſie floß, ſchattirte Reize kaum,
Zu deren Decke es geſchaffen ſchien,
Stahl keins der zarten Glieder dem Geſicht,
Oft
234 — —
Dft ſchielte fie gefällig auf ſich ſelbſt,
Und lächelte auf ihren eignen Schatten.
Kaum waren beide näher, als fie ſich
Mit ſchnellem Schritt von der Gefäprtin riß,
Mit wilder Frenheit und mit offnen Armen
Dem iungen Götterfohn entgegen eilte,
Den weiſſen Arm um feinen Nacken warf,
Ins Aug’ ihm fah und zaubriſch laͤchelnd ſprach:
„O Herkules! woher die finftre Stirne,
„Der trübe Blick in deinem ſchoͤnen Auge?
„Wie ? Nagt in deiner Fahre Nofenblüthe
„Dich ſwon ein Kummer, theurer Juͤngling?
Komm,
ne tolg mir fiber, meine Hand foll dich
„Durch blühnde Fluren des Vergnuͤgens leiten.
„Entflieh mit mir der Arbeit, Anaft und Plage
„Des Lebens, in dem Arm der füffen Ruh.
„Rauh ift der Pfad des Ruhms, durch Blut
und Schlachten,
„Durd Wunden und Gefahr führt er dich nur.
„Laß Ehre ienen Thoren, die fich ſelbſt
„Fur einen leeren Schall ihr Glück entziehn.
„Did, Süngling, ſchuſen die Unfierblichen
„Zu Freuden und zu ewig neuer Luſt.
„Genieſſe fie; flibt Rofen in dein Haar; a
„Gieß Salben auf dein Haupt, umkräng die,
| Stirne
„Mit inngem Epheu; fühle Götterglüd !
„Bey
.: —— 335
„Bey mir, geliebter Juͤngling, findeſt du
„Fuͤr ieden deiner Sinne Saͤttigung;
„Ja, was der kuͤhnſte deiner heiſſen Wuͤnſche
„Begehren kann, — fen dir durch mic) gewaͤhrt.
„Ich führe dich an volle Tafeln, wo
„Ambrofia dich fpeift, Muſik dein Ohr
„Entzuͤckt, und Liebe deine Seele ſchmelzt;
„au Landen, wo dir Balfam duftet, wo
„Die iuͤngſten Nymphen dir ein Blumenbette
„Nach einem Bad, das dich erfrifcht, bereiten,
„Entzjücen dich in feine Arme nimmt.
„Und ewig follen diefe Freuden währen!
„Komm, folge mir, Aleides; fie find dein
„So bald du willſt; und du bift Göttern gleich!”
Mit langen Zügen trank der Sötterfohn
Den Zauberton der lächelnden Sirene;
Er horchte ſtaunend, fah’ fie lüftern an,
Und feufsend fragt er fie nad) ihrem Namen.
„Ich heiſſe Gluͤck, ſprach fi. O Herkules,
„Frag meine Freunde nur, ſie koͤnnen dir
„Mein Lob am beſten ſchildern, da ſie mich
„Und meine Seeligkeiten kennen.
„Zwar nennt mich die Verleumdung Traͤgheit;
doch
„Gieb boͤſen Laͤſterzungen kein Gehoͤr.
„Wo find Verdienſte, die Verleumdung ſchont?
„Ein groſſer Name, den ihr Zahn nicht nagt!”
A Indeſ⸗
336 —
Indeſſen hatte ſich die andre Frau |
Mit fanfter Würde und beſcheidnem Schritte
Dem Fünglinge genaht: „O Herkules,
„Sprad) fie, dein Goͤtterblut, dein: zartes
| Alter,
„Das gern des Unterrichtes Stimme hörte,
„DBerfprad in dir den edlen mweifen Mann.
„Soll deine Mannheit nun die Wahl-beflät’gen,
„So ſchwinge did; empor, beweis der Welt,
„Daß du ein Götterfohn,, ein Sohn des Zeus,
„und deiner hohen Abkunſt würdig ſeyſt.
„Groß ift der Preis, rein finddie Seeligfeiten, _
„Die du zum Lohn aus meiner Hand empfiengft.
Do hör’ der Wahrheit Stimme, die dir
| ſagt,
„Wodurch du dir den hohen Preis erwirbſt.
„Fuͤr Tapfere und Kühne hat die Ehre
„Nur Kronen; träge Feigheit haſſet fie.
„Muͤh', Arbeit, Sorgen und Gefahr bewachen,
Auf Jupiters Befehl, ſtets ihrem Thron. |
„er fie begehrt, muß diefe überwinden.
„Willſt du der Götter Gunſt verdienen, Füngling,
„So bete fie aus reinem Herzen an;
„Weih' ihnen Opfer, bitte fie um Huͤlfe.
„Reizt deines Waterlandes Benyfal dich;
„Willſt du als Vater ein von ihm geliebt,
„Als Gott verehret ſeyn; ſey fein Befchüger;
„Im Rath fein Spredier , in der Schlacht
| fein Schwerd !
— GS:Sein
„Sein beſtes Schild ſey deine Fühne Bruſt,
„Dein edles Blut der Buͤrge ſeiner Freyheit! —
„Doch dieß zu ſeyn, beſiege erſt dich ſelbſt;
„Entfage weicher Ruh und Luſt der Sinnen;
„Durchwache Naͤchte, ſchenk den Tag der Arbeit;
„Und hat dich Winter: Schnee und Sommers
Sonne
„Fuͤr iedes Ungemach des Kriegs gehaͤrtet,
„Dann wird in Schlachten Muth den Arm die
ftählen,
„Und Sieg dein treueſter Gefährte feyn. ”
„Hörft du, mit weldyen Ungeheuern fie
„Dir droht, was für Gefahren fie dir bringk,
„O ſchoͤner Juͤngling ?’” Fiel die Träabeit ein.
„Schlecht ſchickt dein zartes Alter fi für
Schlachten; |
„Die Götter, glaube mir, find nicht fo hart,
„Daß fie zu ewgen Plagen dich erjchufen ;
„Du bift ihr Günftling , Lieb’ und füffe Freuden,
„Und fanfte Ruhe find daher dein Loos.
„Zu dieſen führ’ ich dich den nähern Weg.
„Kein Ungeheuer fol dir ibn veriperren,
„Nicht Sorgen deinen Schlummer ſtoͤren, den
„Du ſanſt aufRofen fchläfft ; Fein innrer Kampf
„Mit deinen Trieben fol dein Herz zerreiffen,
„Wenn du, wie Götter wollen, glücklich biſt.
„Komm, füfler Juͤngling, folge meinem Pſade,
„Und lach’ der Thdrinn, die durch Martern did
„zum Gluͤcke führt, für das Fein Weifer danft.?
* 18
„Elende!“ Ziel die Tugend ihr ins Work. .
»Betrügerinn! Wo haft du wahre Freuden ?
„Iſt nicht dein Zaubertranf mıt Gift gemiſcht?
„Du ſchlaͤfſt entnervt auf weichen Polſtern; fliehſt
Aus Weichlichkeit geſunde Arbeit, die
„Uns den Genuß des Lebens doppelt wuͤrzt:;
„Du reichft den vollen Becher eh’ der Durft
„Ihn fordert; ſchmauſeſt eh’ es Hunger will;
Zwingſt die Natur durch felbit gemachten Neip ’
„Genuß zu fordern, den fie nicht begehrt. _ .
„Doc fie erliegt zulest, und deine Kuaft
„Hebt nicht den Eckel, den du ihr gebarft.
„Dein Neftars Tranf gefühlt mit Sommer: Eife,.
„Dein Tiſch mit auserlefner Koſt beſezt,
„Iſt dir geichmacklos. Wahre Ruhe flieht _
„zur harten Streu von deinem Dimnen; Bette,
„Und fauler Schlummer ſtiehlt dir nur die
Stunden RT
„Des müß’gen Tags, der dir zu lange währt.
„zwar an UnfterblichFeie bift du mir gleich;
„Doch warf did) Fupiter im Zorn vom Giße
„Der Götter auf die ſchon verdorbne Erde,
„Hier herrſcheſt du im weiten Reich der Thoren.
„Doch Weile kennen dich, Verführerinn !
„Was iſt das Gluͤck, das du den Deinen
adanf ? |
„Ein Sugendraufb, ein forgenvolles Alter.
„Als Fünglinge entnervf; alt, nimmer weife,
5 ſie in Laſtern Zeit und Muth,
„Durch—⸗
Pd
„Dourchtaumeln ihren Fruͤhling, ſammlen ſich
Weh' auf ein Alter, das ſich kuͤmmerlich
„Schon in des Lebens Hälfte neigt, und ſinkt.
„Verachtet leben fie, und fterben trofilos,
„Der Nachwelt ungenannt. — Ich aber wohne
„den Göttern und bey Helden. Jupiter
„Liebt als des Himmel? ſchoͤnſte Tochter mich.
„Der Seele bauch’ ich edle Thaten ein,
„Dem Herzen Muth, und menſchliches Gefühl.
„Bey mir wohnt Sreundfcbaft, die nur edle
| Seelen,
„Die ich zuvor belebt, auf ewig knuͤpſt.
„Nie ſuchen meine Freunde deine Taſeln;
„DerHunger würzt, ſtatt Kunſt, ihr leichtes Mahl.
„Die Arbeit iſt der Balſam ihrer Rab; _
„Süß ift ihr Schlaf; leicht, frölich ſtehn fie ahf.
„Befund, vergnuͤgt durchwandern fie die Dahn,
„Die ich fie führe; fleigen fanft hinab
„Un meiner Hand ing Alter‘, fehn entzuͤckt
„Zuruͤck in ein fo ſchoͤn gebrauchtes Keben,
„Das feinen Vorwurf Fennt, mo ieden Tag
„zum mindften eine edle That bezeichnet.
„And naht ſich endlich ihrer Laufbahn Ziel,
„So ruht in heilgen Srieden ihre Aſche;
ZGerechter Ruhm verfündigt, wer fie waren,
„Der Nachwelt noch, und ewig lebt ihr Name.
„Dieß, Götterfohn, ift Gluͤckund Seeligfeit !
„Folg mir umd lebe, Sieh den Weg zum
Ruͤhm
P 2 — WVor
—
340 ———
„Vor dir; fleig ihn hinauf ‚, und ſchwinge did,
sUnfterblicher, an meiner Hand zum Himmel!”
Ein himmliſch Feuer goß der Tugend Rede
In unſers Juͤnglings Seele, die ſogleich
Die edle Flamme fieng. Das Herz ſchwoll ihm
Hoch in der Bruſt; des Irrthums Nebel ſank
Vor ſeinen Augen hin; beſchaͤmt ſtand nun
Die Buhlerinn vor ſeinem Blicke da.
Ihr frech geborgter Reiz verſchwand; die
Schminke
Ward bleich und fiel von * Wangen ab,
Indeß der Tugend himmliſche Geſtalt
Mit iedem Augenblicke ſchoͤner bluͤhte.
Göttin ich bin dein!” Nief Herkules;
„Beſitze mic), du biſt es, Die ich liebe. |
„Sey meiner Seele Leben; führe mich
„Wohin du willſt, ic folge muthig nad). ””
Indeß Alcid fein fenriges Gelübde
Der Tugend brachte, glühte feine Bruſt
Bon ihren bimmlifchen Geſchenken voll.
Durch fie that er, mas nie ein Sterblider |
Vermocht, und gieng die groſſe Heldenbahnz.
Durch fie flieg er am Ende feiner Tage Ä
Belohnt zum Himmel auf, und ward ein Gott.
——
—
11. Fa⸗
N
Q)
A JRR
Die Nachtigall und der Habicht,
Aeſop. Fab. 3.
Ein Nachtigall faß einft auf einem Baum,
und fang nad) ihrer Gewohnheit ihr Lied.
Ein Habicht fahe diefe, flog vor Hunger hinzu
und ergriff fie. Nun follte fie getoͤdtet wers
den; aber fie bat den Habicht, er möchte fie
doc) verfchonen : fie Fünne ihn ohnehin niche
genug fättigen: wenn er ia Nahrung bedürfe, -
jo ſollte er fi lieber an gröflere Voͤgel mas
ben. Allein der Habicht erwiederte: da müßte
ich doch -ein Thor feyn, wenn ih Speiſe, die
in meiner Gewalt da if, fahren laffen, und
erit nad) dem iagen follte, was noch nicht ge
genwaͤrtig iſt.
So ſind auch unbedachtſame Leute. In
der Hoffnung mehr zu erlangen, das aber uns
gewiß ift, laſſen fie dasienige — was ſie
ſchon in Haͤnden haben.
4 Der-
344 —,
Der Fuchs und der Hoc.
SFab. 4.
Ein Fuchs und ein Bock ſtiegen mit einander
in einen Brunnen, ihren Durſt zu ſtillen. Als
ſie ihn geloͤſcht hatten; ſo ſann der Bock hin
und her, wieder herauszukommen. Aber der
Fuchs ſprach: Nur getroſt! Ich habe ein gu—
tes Mittel ausgedacht, dadurch wir uns beide
heraushelfen koͤnnen. Du darſſt did nur aufs
recht ſtellen, die Vorderbeine gegen die Mauer
anſtemmen, und dann deine Hörner zugleich.
vorwärts ſtrecken; fo Fann ich leicht über dei⸗
nen Ruͤcken und Hörner aus dem Brunnen
fpringen , und did; alsdann von da nachſiehen.
Der Bock war glei bereitwillig, und fielte,
ſich zurecht. Der Fuchs fprang auf die Art
ans dem Brunnen, und büpfte frolich um den
Nand herum. Der Bor machte ihm Vor⸗
würfe, daß er fein Verfprechen nicht gehalten
babe. ber der Fuchs ſprach: Wenn dein Vers
fiand fo groß, als dein Dart wäre, fo würdeft du
nicht eher hinabgeftiegen feya, als big du vors
ber auf Mittel gedacht haͤtteſt, wieder her⸗
auszukommen.
Der Kluge muß erfi den Ausgang der
Sache erwaͤgen, bevor er ſie unternimmt.
— —— — nn —
— 345
Der Hund und der Wolf.
| Fab. 35:
€. Hund fehlief vor einem Meierhof. Da
Fam der Wolf herbey gerennet und wollte ihn
freffen. Zerreig mid) nicht, fo bat er; ich bin
obnedem iezt nod) mager , und ifi nichts an
mir: warte noch ein wenig, bis mein Here
Hochzeit macht, dann werde ib erſt recht ge⸗
fuͤttert und fetter und dir eine deſto herrlichere
Speiſe. Der Wolf ließ ſich bereden und gieng
‚davon. Nach einiger Zeit Fam er wieder und
fand „ daß der Hund oben auf dem Dade
fihlief : er blieb ſtehen, rufte ihn herad , und
erinnerte ihn an fein Verſprechen. Aber der
Hund ſprach: Du guter Wolf, wenn ich einft
wieder vor der Hütte fihlafe , fo marte nicht
erfi auf die Hochzeit.
Kluge Leute nehmen ſich in ihrem ganzen
Leben vor der Geſahr in Acht, aus der fie
ehedem errettet worden find.
Die Fledermaus, der Dornſtrauch
. und die Schwalbe.
Sub. 42
Di⸗ Fledermaus, der Dornſtrauch und die
Be fraten in Geſellſchaft, und beſchloſ⸗
95 ſen
U
846 |
fen mit einander durd) Handel und Wandel
ihren Unterhalt zu fuhren... Die Fledermaus
borgte Silber zum gemeinſchaftlichen Gebrauch:
der Dornſtrauch nahm Kleidungsſtuͤcke mit ich;
und die Schwalbe, als die dritte, Geld, und
„fo fihifften fie ab. Es Fam aber ein gemwaltis .
ger Sturm : Das Schiff fheiterte, und alles
gieng zu Grund ‚nur fie gelangten noch glück;
li) ans Sand, Seit der Zeit ſchwirrt die
Schwalbe ſtets an den Ufern umher, ob nicht
etwa das Meer ihr Geld auswerfe. Die Fle⸗
dermaus laͤßt ſi ch, aus Furcht vor ihren Glaͤu—
bigern, bey Tag nicht ſehen, und geht nur
des Nachts auf Futter aus; und der Dorn⸗
firauch hängt fib an die Kleider der Vorbeyh⸗
gehenden, um: etwa ihr Kleid nod zu erken⸗
nen und ausfuͤndig zu machen.
Ein Beweis, daß wir uns in der Folge
der Zeit wieder Damit. abgeben, womit wir ung
anfänglich befchäftigt haben.
—üü⸗⸗⸗ 347
Die Heuſhrete und die Ameiſen.
Fab. 134.
E trockneten einmal im Winter die Ameiſen
ihren feuchtgewordenen Weizen. Eine hungrige
Heuſchrecke bat fie um Speiſe. Uber die
Ameiſen fanten zu ihr: warum haft du dir den
Sommer über feine eingefammelt ? Ja, fprad)
fie, id) bin nicht müflig gewefen ; ich babe Mus
ſik gemacht. Da lachten iene darüber und er;
wiederten : nun gut! haft du im Sommer ge⸗
pfiffen; ſo tanze im Winter.
Nirgends ſoll man nachlaͤſſig ſeyn; ſonſt
folgt Betruͤbniß und Gefahr. |
Der Wolf und die Amme,
Fab. 138.
Eu bungriger Wolf lief herum, ſich Futter
zu holen. Da fließ er an eine Hütte, wo ein
kleines Kind fhrie, und die Amme zu vdemfels
ben ſagte: ſchweig, ſonſt werf ich dich den
Augen⸗
*
848 — —
Augenblick dem Wolf vor. Der Wolf bildete
ſich ein, es waͤre der alten Frau ihr wahrer
Ernſt, und er wartete lange darauf. Allein ges
gen Abend hörte er, daß die Amme ihr Kind
wieder liebfofie, und ſprach: fo, mein Rind ı
wenn der Wolf herkommt, fo wollen wir ihn
todt ſchlagen. Kaum hörte er dieß, fo gieng
er weg, und faote bey ſich: da in ver Hütte
Handeln die Leute ganz anders, als fie reden.
Die Gabel ift für die, deren Sannlangen
ihren Worte nicht entſprechen. |
Der: Wolf und das Lamm.
Phaͤdr. 8. J. Fab. rn
Dr Wolſ und das Lamm kamen beide vor
Durſt an einen Bach: der Wolf ſtand weit
oben, und das Lamm tief unten. Da brachte
der Räuber ‚ vor unerfättlicher Freßgier, Ges
legenheit zum Zank vor: warum machſt du mir,
fpracy er, bier das Waſſer trüb, das ich trin⸗
fe? Furchtſam verfeßte das Lamm : mein! |
wie
FERIEN
349
wie kann ich das, lieber Wolf, woruͤber du
dich befchmerft ? Von dir fließt ia das Wafler
berab zu mir, wo ich ſchoͤpſe. Abgewieſen
Fraft der mächtigen Wahrheit, ſagte iener:
Du haſt mir doch — es ſind gerade ſechs os
nate — übels. nachgeredet. Ey! antwortefe
das Lamm, war id) damals voch nicht gebos
ren. So hat es beym Herkules! Dein Vater
gethan. Sp ſpricht er — ergreift und zerreißt
es ungerechter Weiſe. Wie oft wird die Uns
ſchuld durch falſche — unters
drückt ! |
—
Der
*
\
Der Hirfch ben einer Duelle,
en B. LFab. 12. |
Man verachtet öfters Dinge, die möglicher
find ‚als die wir loben.
En Hirſch blieb bey einer Hölle als er ges
trunken hatte , ſtehen, und erblickte feine Ges
fait im Waffer: Da flaunt er ‚über fein Ens
denvolles Geweih, rühmt es, und tadelt feine
—J——— Laͤufte. Aber auf einmal wird
‘er durchs Jagdgeſchrey erſchreckt, flieht uͤber's
Feld, und ſpottet der Hunde, mit ſchnellen
Springen. Nun nahm der Wald das Wild
auf, wo es mit ſeinem Geweih haͤngen blieb,
nicht weiter Fonnte, und von den grauſamen
Diffen der Hunde zerfleifcht wurde. O ich uns
glücklicher ! fol es in feinen festen Zügen aus⸗
gerufen haben ,- Daß ich erſt iezt einſehe, wie,
gut mir das geweſen wäre, mas ich verachtet
habe, und wie viel Herzeleid mir das zuzieht,
was ich ſo ſehr lobte.
-
Der mißvergmügte Bilde
E ſah in einer flaren Quelle
Ei in Bild;
". OD, In Meld) prächtiges Geweih!
Sprach er, wie ſchoͤn es —J— ‚recht auf derſel⸗
elle
Wo Konigskronen ſtehn; ice empor! wie frey!
Schoͤn iſt mein ganzer Leib! doch muß ich auch
geltehn,
Die Beine, 8 nichts weniger "als ſchoͤn. |
Noch da er ſpricht, hoͤrt er ein Jagdgeſchrey
erſchallen,
Merkt auf, fi fi eht eine Jagd vom nahen Hügel
fallen
Erſchrickt, und flieht. Nun hilſt ihm zum
utfliehn
Nicht Leib und nicht Geweih; die Beine retten ihn.
Fort ſchießt er, wie ein Pfeil ‚ und bald
Erreichet er den fernen Wald.
Dort aber hält in feinem fchnellen Lauf
Das äſtige Geweih ibn auf.
Er ſchilt und tobt, nun ifts ihm nicht mehr küsh.
Izt ſchreckt von neuem ihn dag helle Jagdgethoͤn;
Er reißt vor Anaft ſich log, und flieht
Noch einmal fort,: bis er fi fiber ſieht.
Da denkt er nach und ſpricht: das fol mich lehren,
Ihr leichten Schenkeln, euch), ‚wie ihrs verdient,
iu ehren ;
Ihr halſt mir meinem Tod entgehn. I
ee nuͤtzlich it, das ift auch fhin,
— * *
* Nu 2 ö
Der
A - unsere
Der ale die Katze und das wilde
Schwein.
2. II. Fab. ..
Aır dem Son einer Eiche hakte ein Adler
fein Neſt gebaut. In der Mitte entdeckte
die Katze eine Hoͤhle -wo-fie. ihre Jungen
warf, und die Waldbewohnerinn, das Schwein
ſerkelte unten am Stamme. Darauf zerſtoͤrte
die Katze die ungeſaͤhre Nachbarſchaft durch
Betrug und boshaſte Argliſt. Sie kletterte
zum Neſt des Vogels hinauf, und ſprach: es
wird dir ein Ungluͤck zubereitet, und wol auch
‚mir Elenden Du ſiehſt doch, wie das. hin⸗
terliſſige Schwein taͤglich in der Erde wuͤhlt?
Kann es was anders vorhaben, als die Eiche
aus der Wurzel zu heben und unſere Jungen
ohne Muͤhe anf der Ebene zu erwuͤrgen? Sie
hatte Schreifen verbreitet und die Sinne des
Adlers betaͤubt: nun ſchlich fie binab zum. Las
ger des borfiigen Schweins: Ahr rief fie —
deine Kinder ſchweben in groffer Gefahr! Denn,
fobald du auf die Weide gehen wirft, mır deis
ner zarten Heerde, will dir der Adler ‚deine
Friſchlinge rauben. Als ſie au hier, den, Dr6
mit Furcht erfüllt hatte, verbarg ſich die Tuͤcki⸗
ſche wieder in ihre ſichere Hoͤhle. Des Nachts
ſchlich ſie da ſachte weg und ſchweifte umher;
und wenn fie ſich und ihre Jungen gefüttere
hatte,
is —— 353
hatte, ſah fie ſich den ganzen Tag um, als
ob es ihr * bange waͤre. Der Adler blieb,
aus Furcht vor der Gefahr , immer auf dem
Paume boden, aud der Eber, um fid) feine
Jungen nicht rauben zu laſſen, eieng nicht
von dannen. Kurz! fie mußten mit den Shris
gen Hungers fierben und dienten den iungen
Kagen zum herrlichen Maple,
4* Hier lerne der einſaͤltige Leichtglaubige,
wie viel Ungluͤck ein zweyzuͤngiger Menſch ſtif⸗
ten koͤnne.
Die Mauleſel und IF MAUER:
B. 1. Fab.
Fine Maulthiere giengen mit Dündein N
part. Der eine trug dichtgeflochtene Körbe
mit Geld: der andere Saͤcke, firogend von
vieler. Gerſte. Jener, mit Neichehum beladen,
hebt feinen Nacken hoch empor, und ſchuͤttelt
fein helles Gloͤckchen am Halfe hin und her.
Sein Geführte aber folate ihm ruhig Schritt
vor Schritt. Plöglich fliegen Räuber aus ihr
rem Hinterhalt heivor , und verwunden waͤh—
end dem Handgemenge mit dem Stahl ienes
Maulthier, plündern fein Geld, und. verſchmaͤ⸗
ben Die geringe Gerſte. Der beraudte heult
2 iiber
254 ———
über fein Ungluͤck, und der andere ſpricht: wie
lieb ift mirs doch, Daß ich verachtet worden
bin! So hab sich nichts verloren, ‚und Feine
Wunde befonmen.
Die Armuth lebe ficher, wenn groſſer
Reichthum Gefahren ausgefegt if.
Der Hirſch und Die Ochfen.
%. 1. Sob, 8
Ein Hirſch, aus den Höhlen des Walds auf
geiagt , lied aus blinder Furcht, um den Jaͤ—
gern, die ihm feinen. Tod drohten, zu entrins
nen, nad) dem nächften Meierhof zu, und vers
kroch fi) in einen ihm ganz gelegenen Ochſen⸗
ſtall. Hier ſprach ein Ochs zum verfleckten
Hirſchen: wo haft du hingefonnen , du Ungluͤck⸗
liber ? daß du fo freywilig dem Tod entgegen.
läuft, und dein Leben der Behauſung der Mens
ſchen anvertraueſt? Schonet nur ihre meiner,
bat er demuͤthig: bey der erfien Gelegenheit will
id) wieder davon eilen. Der Tag verſtrich und
eg ward Nacht. Der Hirt bringt grünes Fut—
ter, und fieht nichts. Die gelamten Bauers—
leute gehen einmal über dag anderemal aus und
ein : niemand merft ihn. Sogar der Pachter
geht vorüber, auch der wird nichts gewahr. Da
u — | ward
a — 355
ward das Wild froh, und dankte den ruhigen
Ochſen für ihre gute Herberge in feinem Un—⸗
gluͤck. Wir mwünfhen zwar , verfeßte einer,
Daß du alücli davon Fämeft : wenn aber ies
ner , der hundert Mugen hat, wenn der kom—
men wird; dann wird dein Leben in groffer Ges
jahr ſchweben. Unterdefjen Fam eben der Here
auch von der Mahlzeit Abends zuruͤcke; und
weil er vor wenigen Tagen die Debfen mager
gefunden hatte, giena er zur Krippe: warum
fo wenig Sutter? fprad er — Auch Stroh
ſehlt! — Die Spinneweben abjufehren —
‚was Eoftet das weiter viel Mühe? — us
dem er fo eines nad) dem andern genau durch⸗
ſucht, erblickt er das hohe Geweih des Hirs
fben, ruft feine Leute herbey, läßt ihn toͤd⸗
ten und Die Beute wegtragen.
Der Herr ſieht bey feinem Eigenthum ims
‚mer am beiten.
— — — — — *
Der Hund und der Wolf.
B. IH. Fab. 7.
Wie angenehm die Freyheit iſt, fol fols
gende Fabel lehren.
Einem fehr fetten. Hunde benegnete von
‚obngefähr ein ausgemergelter Wolf, Nas
J a na N dem
dem fie einander bewillkomme, blieben fie fies
. ben, und der Wolf ſpricht; wie Fommet es
in aller Welt, daß du fo gut ausſieheſt, oder
womit haft du dir einen fo dicken Leib zuge⸗
legt ? Ich bin doch weit fiärfer denn du, und
muß ſchier verhungern Ganz aufrichtig ers
wiederte der Hund : du Fannft es eben fo zut
baden‘, wenn du nur dem Herrn gleichen Dienft
zu leiſten fähig bit. „Was für einen?,, Daß
du die Thuͤre huͤteſt, und das Haus des
Nachts vor Diebe bewahreſt. „Ya, ia!
„ich bin bereit: muß ich fo Meaengüffe
„und Froſt ausfichen, und ein kuͤmmer⸗
„liches Leben in den Mäldern führen ; wie
„viel lieber ift mirs unterm Dache zu leben, und -
„in Ruhe von reihlicher Koft fatt zu werden!”
So komm denn mit mir! Indem fie fo forte
ſchleudern, ſieht der Wolf den Hals des Hun⸗
des von der Kette abgerieben : „woher dieß
„mein Freund?“ Es hat nichts zu bedeuten.
„Ey, fag mirs dor. Man haͤlt mich für
beiſſend, und bindet mic des Tags über an,
daß ich bey Tag Ruhe habe und bey Nacht
wachſam bin. Gegen Morgen hin werde ich
aber losgemacht, und da ſchweife ich nach Ge⸗
fallen herum. Man bringt mir von freyem
‚Stüden Prod: der Herr giebt mir Beine von
jeinem Tiſch: dad Geſinde mirft mir allerley
Brocken vor, und ein AO TOR Zugemüß, dag
Ah
357
ihm nicht ſchmeckt. Und ſo werde ich ohne zu
arbeiten geſaͤttiget. „Nun weiter, haſt du
„auch Erlaubniß wegzugehen, wenn du Luft
„haſt ?“ Nicht fo recht. „So behalte denn,
„guter Hund, dein Gutes für dich! Nicht Koͤ⸗
„nig mochte ich ſeyn, wenn ich meine Freyheit
mnsthleren *
Die aimeife * die Fliege
8, 1V. Sab. 32.
Die Ameiſe und die Fliege DIN einen
heftigen Rangfireit miteinander. Die Fliege
fante zuerſt: Kannſt du fo viel Vorzůge auſ⸗
weiſen, als ich beſitze? Wo geopfert wird, da
koſt ich vorher das den Göttern gewidmete Eins
geweide: ich hälte mic bey den Altären auf und
durchziehe alle Plaͤtzchen in den Tempeln : ic)
fege mich auf der Könige Häupter , wenn es
mir beliebt , und Fredenje den Feufcheh, zarten
Mund der ehrbaren Franenzimmer : ich arbeite
nichts , und genieffe doch die beften Sachen,
Kommt an dich and) fo etwas, du Landliche ‘2
Wahr iſts, der Ruhm ift nicht Flein mit den
Göttern zu fpeifen ; aber nur für den eingeins
denen Gaſt, nicht für den, welchen man nicht
gerne ſieht. Du fagft von Wale, und son
| 33 | füffen
fhffem Mund Adler Frauenzimmer? Aber wenn
id mein Korn auf den Winter forafältig eins
ſammele, fo fehe ich dich an der Mauer Uns
flath tpeifen. Du haͤltſt did) bey Altären auf?
a, du wirft fchön weggeiagt, wo du hinkommſt.
Du arbeiteft nichts? Darum haft du auch nichts,
wenn du es brauchſt. Schaͤme did) doch; du
fiolzes Ding , damit zu prahlen, was du ver
hehlen folltet. Im Sommer beunruhigſt du
mic: iſts aber Winter, da ſchweigeſt du. Und
wenn dw. vor aroffer Kaͤlte zuſammengeſchrumpft
fterben mußt, dann nimmt mid) mein Geenens
reiches Haus in Sicherheit auf. Gewiß genug
zur Demüthigung deines Hochmuths!
Diele Fabel giebt Charakter son Menfchen
an, welche fich ungegründete Vorzüge beylegen,
und von denen , deren wirkliche Sabine 7
nen wahre ey bringen. |
Der Menich.
Jo moͤchte Menſchen ſehn;
Was ſind das wol fuͤr Thiere? hi.
„Fuͤr Thiere? fprah der Fuchs und plieb
beym Hafen fiehn,
„Sefährlicher als alle andre Thiere, |
„ Schlau
s Eine noch 2. ——
Fabel.
— 359
BO ‚ eingebildet , groß, berechtigt zum
„Verheren
„Und ſich von uns zu Fleiden und zu naͤhren.
| „Der Menſch, der Näuber der Natur,
„Thut täglich mörderifhe Schwüre,
„Verhetzet Thiere gegen Thiere,
„und fielt mit zauberiſchen Waffen,
ui: ſo wie mir, und mir, wie andern,
h, nad.
— Menſch verſehlt nie unſre Spur,
Iſt liſtig, grauſam, unergruͤndlich,
„Hält und für dumm und. unempfindlich,
„Und glaubt, wir find für ihn geſchaffen;
„Das iſt der Menſch; an fomm wir wollen
„Du Fanuft noch u Menfihen fehn.
Eie giengen, und am erfien. Bad,
Dewegte fi ein Kind,
Lief fpielend auf und nieder,
Fiel taumelnd in das Gras und hob fi ch lächelnd
wieder;
Wie artig! fagte bier der Haſe,
SM das ein Menld) ? Wenn dag die Menſchen
| TER, find, |
& haſſel du die Menſchen blind,
Und fuͤhrſt vergebliche Beſchwerden,
Was kann uns wohl ein ſolch Geſchoͤpfe thune
ir das ift * Menſch, das muß erſt
‚einer ‚werden,
u Erwie⸗
360 ———n
Erwiederte der Fuchs; Indem erſchien ein
Greis,
Gebeugt vom Holz, das er kaum aufgelefen ,
Gieng diefer Greis am Stabe ber
Und keichte lang um aussuruhn,
Her, Iprach der Hafe, iſt dann dr? .
Ein Menſch? O arm Gebäude!
Das ſich ſelbſt nicht zu helfen weiß!
Mich ſchreckt Fein Menſch, wenn das die Dienz
(hen find,
Ich glaub es, rich der Fuchs, das ift ein. Menſch
geweſen.
Mit wenger Furcht, und groſſer Freude,
Verließ der Haſe dieſen Ort |
Und fegte mit dem Fuchs die Unterſuchung fort.
Nun ader ftand im voller Munterfeit und Gröffe
Vom Lauren fatt, vom’ Warten böfe |
Der Raubbegierge Jaͤger da.
Iſt das ein Menfh, da er den Jaͤger fah?
Das iſt er, ſprach der Se und ruͤmpfete die
ale
Erlaube mir etwas beyfeits zu gehn,
Wo aber, rief fein Camerade, |
Wo wollen wir und wieder fehn ? =
Beym Kirfihner: ſchrie der ‚Suche ; „und flohe
ſeitwaͤrts ab, |
Indem der Jaͤger Feuer gab.
Der Haſe fiel, ſein Vorwitz war ſein Ste,
O Menſchen mörderifhe Thiere!
So dachte er im Fall, und ſtreckte alle Biere.
LT TEE TEE EEE EEE
Die
in 361
Die Nachtigall und der Gukuk?
Die Nachtigall ſang einſt ihr goͤttliches Gedicht,
Zu ſehn, ob es die Menſchen ſuͤhlten.
Die Knaben, die im Thale ſpielten,
Die ſpielten fort und hörten nicht.
Indem ließ ſich der Gukuk luſtig Hören,
Und der erhielt ein freudig Ach.
Die Knaben lachten laut, und machten ihm Mu
Ehren
Das ſchoͤne uf Guk zehnmal nach,
Hoͤrſt du? ſprach er zu Philomelen,
Den Herren fall ich recht ins Ohr.
Ich denk', es wird mir nicht viel fehlen,
Sie ziehn mein Lied dem deinen vor.
Drauf kam Damdt mit feiner Schöne, a
Der Gukuk ſchrie fein Lied: fie giengen ftol;
vorbey,
Nun ſang die Meiſterinn der zauberiſchen Töne
In einer fanften Meloden :
Sie fühlen die Gewalt der Lieder,
Damoͤt ſteht fill und Phyllis ſezt ſich nieder,
Und hoͤrt ihr ehrerbietig zu; Br,
Ihr zaͤrtlich Blut fängt an zu wallen;
Ihr Auge laͤßt vergnuͤgte Zaͤhren fallen.
Da, rief die Nachtigall, da, Schwaͤtzer, lerne du,
Was man erhaͤlt, wenn man den Klugen ſingt.
Der Ausbruch einer ſtummen Zaͤhre
| 35 Bringt
— — — — —
362
‚ Brinnf Nachtiealen⸗ weit mehr Ehre,
Als dir der laute Beyfall bringt.
| Gellert. |
FR |
Der. Tanzbar.
Ein waͤr, der lange Zeit ſein Brod eg
| müflen,
hg und waͤhlte ſich den * Auffenthalt.
Die Baͤren gruͤßten ihn mit bruͤderlichen Kuͤſſen,
Und brummten freudig durch den Wald,
Und wo ein Baͤr den andern ſah,
So hieß es: Petz iſt wieder da! — *
Der Bär erzaͤhlte drauf, was er. in fremden |
Landen
Für Abentheuer ausgeflanden ,
Was er geſehn, gehört, getban,
And fieng, da er vom Tanzen redfe,
Als gieng er noch an feiner Kerte,
Auf pohlniſch ſchoͤn zu tanzen an.
Die Bruͤder, die ihn tanzen ſahn,
Bewunderten die Wendung ſeiner Glieder,
Und gleich verſuchten es die Bruͤder; |
Allein anftatt, wie er, zu gehn,
So fonnten fie Faum aufrecht fiehn,
Und mancher fiel die Länge lang darnieder.
Um deftomehr ließ ſich der Taͤnzer ſehn;
ir , Doch
——— 363
Doch fine Kunſt verdroß den ganzen Haufen.
Sort, ſchrien ale, fort mit dir!
Du Narr, willſt Flüger ſeyn, als wir 2
Man zwang den Per davon zu laufen.
* %
*
Sey nicht gefdich: man wird dich wenig
baflen,.
Weil dir dann ieder aͤhnlich iſt;
Doch ie geſchickter du vor allen andern biſt;
Je mehr nimm dich in Acht, dich prahlend ſehn
zu laffen.
Wahr iſts, man, wird auf Furge Zeit
Bon deinen Künften ruͤhmlich ſprechen;
Doc) traue nicht! bald folgt der, Neid,
And macht aus der Geſchicklichkeit
Ein unvergeblihes DBerbredhen.
Die Grille und die Nachtigall,
Fe verfichere dich , fagte die Brille zu der
Nachtigall, daß es meinem Gefange gar nicht
an Bewunderern fehlt. — Nenne mir fie dod),
fprab die Nachtigall — Die arbeitfamen
Schnitter, verfeßte die Grille, bören mic) mit
‚vielem Vergnügen, und daß diefes die nüglichs
ſten Leute in der menfchlichen Republik find,
das wirft du doc) nicht leugnen wollen ?
| Das
— —
364 —
Das will ih nicht leugnen, ſagte die Nach⸗
tigall, aber deßwegen darfft du auf ihren Pens
fall nicht ſtolz ſeyn. Ehrlichen Leuten, die alle
‚ Ihre Gedanken bey der Arbeit haben, müllen ia
wol die feinern Empfindungen fehlen. Bilde dir
alfo ia nichts eher auf dein Lied ein , als bis
ihm der forglofe Schäfer , der ſelbſt auf feiner
Floͤte ſehr lieblich ſpielt, mit ſtillem —
Anand,
Eefing..
:
|
Der Khabe und die Schlange. R
Ein Knabe ſpielte mit einer fahitien‘ Schlange. |
Mein liebes’ Thierdien , fagte der Knabe, ih
- würde mid mit dir fo gemein nicht machen,
wenn dir das Gift nicht benommen wäre. Ihr
Schlangen ſeyd die boghafteftien, undanfbarfien
Gefchöpfe! Ich babe es wol; gelefen, wie es
einem arınen Landmanne gieng, der eine, viel
leicht von deinen Urältern , die er halb erſro—
ren unter einer Hecke fand , mitleidig aufhob,
und fie in feinen erwaͤrmenden Buſen ſteckte.
Kaum fühlte fih die Boͤſe wieder, als fie ih—
ren Wohlthäter biß; und der gute freundliche
. Dann mußte flerben,
| Sch erfiaune , fagte Die Schlange, Wie
| vartbepil eure Geſchichtſchreiber ſeyn müffen !
die,
— —— 365
die unfrigen erzählen dieſe Hiſtorie ganz ans
ders. Dein freundliher Mann glaubte, die
Schlange fen wirklich erfroren, und weil es
eine von dem bunten Schlangen war, fo ſteckte
er fie zu ſich, ihr zu Haufe die fhöne Haut
abzuflreifen; war-das recht? Ach, ſchweig nur;
erwiederte Der Knabe, Welcher Undankbare
hätte fi ch nicht zu entfchuldigen gewußt.
Recht, mein Sohn; fiel der Vater, der
dieſe Unterredung zugehort hatte, dem Knaben
ins Wort. Aber gleichwol, wenn du einmal
von einem aufferordentlichen Undanfe hören
ſollteſt, ſo unterſuche in alle Umftände genau ,
bevor du einen Menſchen mit fo einem abfcheus
lien Schandflecke brandmarken laͤſſeſt. Wahre
Wohlthaͤter haben felten Undanfbare verpflich⸗
tet, ia, ich will zur Ehre der Menſchheit hof;
fen, — niemals, Aber die Wohlthäter mit
Fleinen eigennügigen Abfichten, die find es
wertb , mein Sohn, daß fie Undank anſtatt
———— einwuchern.
nl So u 2.3
nenn nun
j —* Rehe.
Mein Kind, du wageft dich fo kͤhnlich in den
Wald,
Als ob Fein Tieger um ung wohne;
Erficht er, di, fo bift du Falk:
So ſagt ein Reh zu ſeinem —
Wohl!
Wohl! ſprach der Rehbock, faget mir,
Was ift der Tieger für ein Thier,
So flieh’ id) ihn, als wie das Feuer s 4 5
D Cohn !-das ift ein Ungeheuer,
Ein Scheufalvon Geſtalt! Sein blißend Angeſt cht
Verraͤth den Mörder ſchon. Sein Rachen
raucht vom Blute.
Der Baͤr iſt ſo erſchrecklich nicht,
Und bey dem Loͤwen iſt mir nicht ſo ſchlimm zu
Murhe. ss +4
Gut! unterbrach der Sohn, nun Fenn’ id) diefen
Herrn.
Er gieng hinweg. Sein Ungluͤcksſtern
Trieb ihn zum Tieger hin, der in dem Graſe
ruhte. | |
Der Rehbock ſtutzte zwar, doch er erbolte ih,
Und fprad) : das iſt er nicht! der Zieger raucht
. vom Blute,
Und ſieht abſcheulich fuͤrchterlich; |
Hingegen diefes Thier ift ſchoͤn, und glatt und
freundlich;
Sein Blick zwar feurig, doch nicht feindlich.
O! ſolchen Tiegern geh ich nach!
Hub er mit Kuͤhnheit an zu ſchreyen:
Doch mocht' es ihn zu ſpaͤt gereuen,
Als ihm das Tiegerthier drauf das Seide
| brach. |
Man
— — 362
ie * * Wo nen
Man thut gar wohl, daß man der eos
Der Lafter Scheußlichkeit entdeckt;
Jedoch „man ieig ihr auch den falſchen Sein
der Tugend, ‘
Das Icpöne — ſuͤſſe Gift, das in den Laſtern
ul ſteckt:
Sonſt macht der falſche Glanz von dieſen,
fie die Laſter oft für Tugenden erkieſen.
Lichtwehr.
Das Pferd und der Eſel.
Ein ſattes Pferd gieng von der Krippe,
Und fiel vor Wolluſt auf die Streu,
Ein dürrer Eſel ſtand dabey,
Kein Eſel, ſondern ein Gerippe.
Den redete der Fran mit diefen Worten an:
Wie geht es, guter Greis! du ſcheinſt mir ziem⸗
lich hager,
Biſt du nicht recht gefund ? macht did) der Sram
| fo mager ? |
Ad) ! ſprach das Müllerthier: der hat es nicht
gethan,
Der A und das viele Tragen,
Des Treibers Fluchen, Stoffen, Schlagen,
Gr Mit
pr 3
268 : PEN
Mit einem Wort, mein Herr! die Noth ift
2 ſchuld daran.
O käme nur der Tod, das Ende meiner Plagen!
Ob es dir fihon fo elend geht,
| Erwiederte der Gaul, ſo ſollſt du doch nicht
klagen:
Ein Weiſer traͤgt die Noth, die nicht zu Ändern
licht, |
Du leideſt nicht allein , und kurz, was willſt
| du maben?
Das Schickſal thut, was ihm gefällt,
Dem fehmeckt des Lebens Luft, und dem wird
fie vergaͤllt;
Das Weinen nuͤzt oft mehr als Laden,
Da ſprach der se Herr: Dein Bauch ifl
voll und ſatt, |
Und deine Weiöheit ſtammt aus dem gefüllten
Magen
* *
*
Der hat gut predigen und von Verlaͤugnung
ſagen,
Der ſelber keine Sorgen hat:
Der Löwe und die Muͤcke.
Dar Thiere Negiment in Monomotapa
War. dur Gewalt und Recht dem Löwen
zugeſallen
Re Dr.
Der ſich, Monarchen gleich, von ſchuͤchternen
Vaſallen
Geſchmeichelt und gefürchtet ſah.
Dort heißt ein ſchwarzer Fuͤrſt das Wunder
feiner Zeit,
Hat nur fein Heldenmuth viel Boͤſes unterlaſſen;
Den koͤwen nannten auch noch ungelaͤhmte
Saſſen
Das Muſter ſeltner Guͤtigkeit.
Das Lob naͤhrt ſeinen Stolz, ſo wie ſein
Grimm die Noth.
Mit beiden durfte nur die kuͤhne Mücke ſcherzen,
*
Die ihm aus Rom’ pn 9er mit Ieepbrifnolen
erzen
Des ſcharſen Stachels Spitze bot.
Der Angriff wird gemagt : fie ſelber blaͤſt
zur Schlacht;
Sie fäumt nicht, an den Feind fi) peinlich
anzufaugen,
Und hat den Koͤnig bald um Rachen, Maul
und Augen
Mit tauſend Schmerzen wund gemacht.
Er tobet, ſchnaubt und ſchaͤumt: die Thiere
bergen ſich; |
Die Tapferften entflichn den maiefärfdhen
Klauen. |
Er brüdt: der Hügel bebt. Das allgemeine
Grauen
Vermehrt ein ieder Muͤckenſtich.
a Mas
Fl
Was will der Staͤrkre thun? die Shwaͤchte
giebt nicht nach.
Der — ſucht umſonſt die Muͤcke zu erreichen,
Und wird, nad) langem Streit, nach mißgelungs
| nen Streichen,
Ermüdet und an Kräften ſchwach.
Sie put ihr Panzerhemd , die Schuppen
um den Leib,
Und ihren Federbuſch, läßt beide Flügel Flingen,
Zieh alle Schwerdter ein, die aus dem Rüffel
dringen,
Und hält ſich für Fein ſchlechtes Weib,
Yun ſteigt fie in die Puft mit Sieg und
MWMuhm geſchmuͤckt.
Nun weiß ſie ſchon die Kunſt, die Loͤwen zu
beſiegen; |
Bald aber fieht man fie in ein Gewebe fliegen,
Worinn die Spinne fie erſtickt.
- %
* *
Aus beider Sicherheit wird deutlich wahrge⸗
nommen,
Daß oft der ſchwaͤchſte Seind den Fühnften Hels
den fehlägt.
Wie mancher Waghals iſt im Zuſall umgekommen,
Den weder Sturm noch Schlacht erlegt.
v. Hagedorn.
—
Die
— — 27%
Die Stadtmaus und die Feldmaus.
Dur Seldmaus Fam einmal die Stadtmaus in
ven Wald,
In ihren duͤrſtigen, gehoͤhlten Aufenthalt.
Hier lebte ſie genau, um Vorrath aufzuſparen;
Allein, weil Wirth und Gaft laͤngſt gute Freun⸗
de waren,
Und fie, bey fümapter Koft, doch Gäften ie
ih gab,
So gieng auch diefesmal nichts der Bersirehung ab.
Das lange Haberforn, als ihrer Ernte Gaben,
Die Kichern, die ſie ſonſt, als einen Schatz,
vergraben,
Halb abgenagtes Speck, gedoͤrrter Beeren gnug,
Die fie mit eignem Mund ihm ist zur Tafeltrug,
Das bringt fie, um zu fehn, ob nichts fein Maul
verführte ,
Das ieden Biffen nur mit Rolsem Zahn berührte;
Da unfer Hausherr hier auf frifchen Spalzen faß,
hm gern das Beſte ließ, ſelbſt Treſp' und Ro⸗
cken fraß. |
Wie? hebt der Städter an, konnſt du auf
diefen Höhen, |
In diefem oͤden Wald dich fo zufrieden fehen ?
Stehn, flatt der Wildniß, dir nicht Staͤdt' und
Menſchen an?
Zeuch immer mit mir, Freund! wenn ich Dir
rathen kann.
az GWas
372 —
Was iſt ung allen mehr, als Sterblichkeit, vers
liehen ?
Yon dem, was irdiſch if, wird nichts dem Tod
entfliehen:
Sogar ein göwe ſtirbt. Es fterben groß und Fleine
Wir aber ſchmauſen noch. D laß ung frölich feyn !
Leb immer eingedenk, wie Jahr? und Keit ver⸗ —
flieſſen, 7
Freund! lebe fo wie ich, des Lebens zu genieffen.
Die Feldmaus, die den Rath fi) fehr ges
fallen läßt,
Shit fi zum Neifen an, und * aus dem
Neſt. | |
Sie eilen beide fort, die Sudt bald zu
erreichen,
ii dur die Mauer ſich, ben Nacht , Hins
einzuſchleichen.
Der Himmel ſchwaͤrzte ſchon die ſtille Mitternacht;
Da kommen dieſe zwey in einen Sitz der Pracht,
In eines Reichen Haus, wo ſcharlachrothe
Decken
Des KAoNem, Helfendein mit ftolsem Glan; vers
ſtecken,
Und, zum gewuͤnſchten Fraß, vom hl
Banfee |
Der aufaebänfte Reſti in vollen Koͤrben ſteht.
Der Staͤdter, der den Gaſt auf Purpur hingeſetzet,
Und alles — und waͤhlt, was Tellerlecker Bi
au
\
f
f
Liuſt N ig, Wie ein Wirth, der ſich die Muͤhe
kuͤrzt N |
Und, hurtiger zu ſeyn, ſich lüftig aufgeſchuͤrzt.
Er will fi) aufwartfam , ia Dienern gleich,
erweifen,
Und bringet und Fredenzt die aufgetragnen
Speifen.
Die neue Lebensart erfreut die fremde Maus,
Wie vornehm ift ihr Sig! mie Föftlid) ift der
Schmaus!
Doch ein Geraͤuſch entſteht, die Thuͤr wird
auſgeriſſen,
So daß ſich Wirth und Gaſt urploͤzlich trollen
muͤſſen.
Sie liefen voller Angſt, das Zimmer aufund ab:
Allein, was beiden nod) ein tödtlich Schrecken gab,
War dieſes „daß zugleich die groſſen Hund’
erwachten,
‚ Und durd) das ganze Haus ein ſtark Gebelle
machten.
Die Feldmaus zittert zwar, erhaͤlt ſich doch
und ſpricht:
Ich ſcheide. Fahre wohl! Dieß Leben dient mir
nicht,
Die Hoͤhl und iener Wald ſoll mich, bey ſchlech⸗
ten Wicken,
In freyer Sicherheit „mehr als die Pracht
begluͤcken.
Aa3 Die
374 — —
Die Raupe und der Schmetterling.
Eine Fleine Ranpe lag,
Non fi) felber eingefponnen,
Todt im Angefiht der Sonnen,
Und es war der fhönfte Tag.
Ein recht ſchoͤner Schmetterling,
Kam aefiogen, feßte ſich
Neben fie, und faate: Dich,
Arme Raupe, wird nun bald
Die allmaͤchtige Gewalt,
Die dort oben ſtralt, erheben,
Und in ſchoͤnerer Geſtalt,
Als du ſtarbeſt, wirſt du leben!
Ach! ich will doch Achtung geben,
Wie du zu dem neuen Leben |
Birk bervorgehn. —
Ploͤzlich warf
Sie die Schaal ab, ließ ſie liegen,
Und der ſchoͤne Schmetterling
Sah den neuen Engel fliege,
Kenn ich ihn fo nennen darf.
Gleim.
— ——— —
x
Der Wiedehopf und die Nachtigau.
Ein Wiedehopf pries ſich
Und ſein gekroͤntes Haupt
Der
375°
Der Nachtigall — Mein Weibchen, fprad) er,
| glaubt,
Du wärft recht haͤßlich gegen mich.
Das koͤnnte ſeyn, erwiederte
Die Nachtigall, und flog auf eine Hoͤh,
Und fang,
Und alle Wandrer blieben flehn,
Und fagten, wie fingt fie fo ſchoͤn!
Ey welch ein Klang '
Der Wiedehopf hört’ eg, flog bin und her,
Doch feiner ſprach: Wie fihön iſt er!
Denn für die Eleine Philomele,
Mar alles Ohr.
Man zieht gemeiniglid) doch eine fchöne Seele
Dem fchönften Körper vor.
Kuna ET TEEDTTEN
Die Nachtigall und das Johannis⸗
wuͤrmchen.
| Ein ſtolzes und eitles Johanniswuͤrmchen des
trachtete einſtmals ſein ſchimmerndes Untertheil.
„Wahrhaftig, rief es aus, die ganze Natur hat
Fein fd artiges und feines Geſchoͤpſ, als mich.
Alle uͤbrige Inſekten, die ich ſehe, die haushaͤl⸗
tige Ameiſe, die fleiſige Biene, oder den emſi⸗
gen Seidenwurm, mit ale dem niedrigen Poͤbel
von Inſekten, der ein Feind der —5 ſein
| Aa 4 ſtlavi⸗
ſklaviſches Leben in Gefchäften zubringt, blicke
ih mit Verachtung an. Ein niederträchtiger
aemeiner Schwarm !- Wie gering fdhäge ich
euch! Ich allein war zur Hoheit geboren. Ich
bin gewiß aus goͤttlichem Geſchlechte entiproffen, -
und auf die Erde gefezt, zu leben und zu gläns
sen. Diefe Lichter, die fo hoch über mir ſchim—
mern, find nur des Himmels Johanniswuͤrmer,
und Könige auf Erden bewundern ihre Edelfteis
ne blog darum, weil fie mein Feuer nachah⸗
“men. ”
So fprad) es. Nufrkehfam auf einem
Aeſtchen, hielt eine Nachtigall in ihrem Ge
fange inne. Sie fahe den ſchimmernden Biffen
in der Nähe, und flobe durch den Glan; anz
gewieſen zu ihm bin, betrachtete ihn ein Weils -
Ken mit nuͤchternem Blick, und redete den er
ternden Raub fo an:
„Betrogene Närrin, eitlen Stolzes voll,
wiſſe, deine Schönheit vernrfachet deinen Unterz
gang. Wäreft du weniger ſchimmernd, fo häfs
teft du vieleicht noch lange auf dem ſammetnen
Gefilde verborgen gelegen. Der Stolz trauert
früher oder fpäter, und die Schoͤnheit, die zu
ſehr glaͤnzt, leidet * Schiffbruch. r
— Moore.
— — — — —
— —— —
Der
— 377
Der Rabe und der Fuchs.
Sunfer Rabe ſaß auf einem Baum, und hielt
in feinem Schnabel einen Kaͤſe. Meiſter Fuchs,
den der Geruch herbey gelockt hatte, hielt ihm
ungefähr diefe Rede: Ey! guten Morgen, mein
Here Rabe! Wie feht ihr doch fo niedlich aus!
Wie fend ihr doch fo wunderſchoͤn! Wahrhafs
tig! wenn euer Gefang zu euren Federn ſtimmt:
fo feyd ihr unter den Einwohnern diefes Wal—⸗
des ein Phoͤnix. Bey diefen Worten weiß fid)
der Rabe vor Freude nicht zu faſſen, er will
feine fchöne Stimme zeigen, macht einen weis
ten Schnabel auf, und läßt feinen Raub fallen,
Der Fuchs greift zu, und ſpricht: wiſſe, aus
ter Freund, ein Schmeichler lebt auf Unkoſten
deſſen, der ihn anhört. Eine ſolche Lehre ift
ihren Kafe wol werth ! Der Rabe beſchaͤmt
und verwirrt, ſchwur, aber ein wenig fpät,
man folle ihn fo nicht wieder Friegen,
Sa: Sonteine,
Yas Der
378
Der Eihbaum und das Shilf.
Dir Eichbaum ſprach eines Tages zum Schilfe:
Du haft wol Urſache dich über die Natur zu
beflagen. Ein Zaunſchluͤpferchen ift dir eine
unerträgliche Laft.. Ein iedes Püftchen , das
irgend einen Waſſerbach Fraufelt, zwingt dich
den Kopf zu buͤcken: indeffen meine Stirne,
dem Raufafus gleid) , den Stralen der Sonne
den Weg verbeut, ia felbft der Wuth des Bos
reas trozt. Für did iſt alles Orkan, mir
fcheinet alles ein Zephyr zu fenn. Ihr guten
Kinderchen! wenn ihr nur unter dem Gemölbe
diefer Aeſte wüchfer, mit welchen ich das Land
umber bedecfe, fo littet ihr doc) weniger Lnges
mad, ich nähme eud) gegen Wind und Wetter
in Schuß ; allein ihr kommt mehrentheils an
feuchten Ufern hervor, den Zummelplägen aller
Winde. Wahrhaftig! die Natur gieng fehr
ungerecht mit euch um! — Dein gutes Herz
macht dich mitleidig, erwiederte das kleine
Schilfrohr. Allein ſey unbekuͤmmert; mir ſind
die Winde weniger geſaͤhrlich, als dir. Ich
biege mich, und breche nicht. Du haſt ihre
grimmigen Anfaͤlle noch immer beſtanden, und
deinen Rücken nie beugen dürfen. Doch man
warte den Ausgang ab! Dieß Wort war Faum
geſpro⸗
en 379
Der Eichbaum und das Rohr.
Du kannſt mit Recht, ſo ſprach der Eichbaum
einſt zum Rohr,
Dich uͤber die Natur beklagen;
Sollſt du den kleinſten Vogel tragen,
Er iſt dir eine Laſt. Kein Weſichen koͤmmt
hervor,
Das kaum den Teich bewegt,
So wirſt du hingelegt;
Da, wie ein Kaukaſus, mein Haupt dee Sonne
Gluth,
Bald muthig widerſeeht/ bald trozt der Stuͤrme
Wuth.
Fur dich iſt alles Nord, und alles Zephyr mir.
a! Rande du im Schutz, mie dieſe Gegend
bier,
Die meine Zweige deren,
So follte dich Fein Sturm erſchrecken,
Und haͤtteſt minder auszuftehn ,
Sehr ungerecht ift aber die Natur,
Wo Aeol herrſcht, an wilden Uſern nur,
Biſt du zu ſehn!
Mitleidig ſeyn, ſteht groſſen Seelen an,
Erwiederte das Rohr; ſorg aber nicht fuͤr mich;
Kein Sturm war ie dem fuͤrchterlich,
Den er nur beugt, doch niemals brechen kann;
Du haſt bisher fie ſaͤmtlich zwar verlacht,
Ans Ende nur, ans Ende nie gedacht.
| | Uns
———
geſprochen, ſo brach vom aͤuſſerſten Rande des
Himmels der ſchrecklichſte unter allen Söhnen,
die ie die Mitternacht in ihrem Schooße trug,
mit Ungeſtuͤm hervor. Der Baum ſteht feſt,
das Schilſchen bieget ſich. Der Wind verdop⸗
pelt feine Kraft, und nimmt den Lauf fo ges
ſchickt, daß er den entwurzelt, der an dem
Himmel mit dem Haupte ſtieß, und mit den
Säfen bis an die Hölle reichte.
380
381
Aus Aeols Höhle brach, |
Als noch das Rohr die lesten Worte ſprach,
Urplöslich und geſchwinder, |
Als Pfeil in ihrem Flug,
Das ſchrecklichſte der Kinder, {
Das ie der Nordin feinem Schoofe trug,
Der Baum hielt aus. Das Rohr lag hingebeugf.
Der Sturm ward heftiger und riß aus feinem
Stand
Ihn, deſſen Haupt bis an die Wolken reicht,
Und deſſen Fuß im Reich der Schatten ſtand.
— —
III. Idyl⸗
I.
Ey lilen
{ R
— Ssss
FF
**
Amyntas.
Be; frühem Diorgen Fam der arme e Ampns
tas aus dem dichten Haine, das Beil
in feiner Rechten. Er hatte ſich Stäbe ges
ſchnitten zu einem Zaun, und trug ihre Laſt
- gefrümmt auf der Schulter. Da. fah er einen
iungen Eichbaum neben einem hinrauſchenden
Bach: und der Bach hatte wild feine Wurz
zeln von der Erd’ entblöffer ; und der Baum
fund da, traurig, und drohte zu finfen. Scha—
de, ſprach er, follteft du Baum in dieß wilde
Waſſer ftürzen ? nein, dein Wipfel ſoll micht
zum Spiel feiner Wellen Bingeworien ſeyn.
Jezt nahm er die fehweren Stäbe von der
Schulter: Ich Fann mir andere Stäbe holen,
ſprach er, und hub an, einen ftarfen Damm
vor den Baum hinzubauen, und arub frifche
Erde. Test war der Damm gebaut, und die
entblößten Wurzeln ‚mit frifcher Erde bedeckt;
und jest nahm er fein Beil auf die Schulter,
und lächelte noch einmal zufrieden mit feiner
Arbeit in den Schaften des gerefferen Raumes
Din, und wollte in den Hain zuruͤcke, um ans
‚dere Staͤbe zu holen.‘ Aber die Dryas rief
ihm mie: lieblicher Stimme aus der Eiche zu:
Ih Spllt’
|
- Sole’ ich unbelohnt did) weglaſſen, - gütiger
Hirt, fage mir, was wuͤnſcheſt du zur Belohs
nung? Ich weiß, daß du arm bift, und nur
fünf Schafe zur Weide führefl. D! wenn du
mir zu bitten vergoͤnneſt, Nymphe! (fo ſprach
der arme Hirt) Mein Nachbar Palaͤmon iſt
ſeit der Ernte ſchon kraak/ laß ihn geſund wer⸗
den.
So hat der Kedliche , und Palaͤmon war
geſund: aber Amyntas ſah den maͤchtigen See⸗
gen in ſeiner Heerde, und bey ſeinen Baͤumen
und Fruͤchten und ward ein reicher Hirt; denn
die Goͤtter laſſen den Redlichen nicht anne
leegnet.
Seßner. |
— — — — a
Damom, —
er | Damon.
Ein vorübergegangen,, Daphne, das ſchwar⸗
ze Gewitter; die fehrecfende Stimme des Dong
nerg ſoͤweign Zittre mcht, Daphne! die Bli⸗
tze ſchlaͤngelu ſich nicht mehr durchs er:
Gewoͤlk: laß uns die Höhle: verlaffen; ©
Schafe, die fi) aͤngſtlich unter dieſem ur
dad) aefammelt, fhürteln den Regen von der
friefelnden Wolle, und zerſtreuen ſich wieder
auf der erfriſchten Weide, Laß uns: hervor⸗
5, gehn
; — nn 387
gehn und fehn, wie fehön die Gegend im Con;
nenichein glaͤnzt.
Rest traten fe ie Hand i in A aus der ſchuͤ⸗
Benden Grotte hervor. Wie herrlich , rief
Daphne, dem Hirten die Hand druͤckend, mie
herrlich glänzet die Gegend ' Wie hell ſchim—
mert das Dlau des Himmels dur das zerrifs
fene Gewoͤlb! Sie fliehen , die Wolfen! Wie
fie ihren Schatten in der fonnebeglänzten Ges
gend zerftreu'n! Sieh, Damon! dort liegt der
Hügel mit feinen Hütten und Heerden im Schat⸗
ten; iezt flieht der Schatte, und laßt ihn im
Sonnenglanz; fieb , wie er durchs Thal bin
über die blumigten Wiefen läuft.
Wie fhimmert dort, vief Damon , ie
ſchimmert dort der Bogen der Iris, von eis
nem glänzenden Hügel zum andern ausaelpannt;
am Mücken das graue Gewoͤlk, verkündige
die frenndliche Göttinn von ihrem Bogen der
Gegend die Ruhe , und lächelt durchs undes
ſchaͤdigte Thal Hin. Daphne antwortete, mit
zarte Arm ihn umſchlingend: Sieh’ die Ses
phyre Fommen zurück, und fpielen frober mit
den Blumen, die veriüngt mit den hell bligenz
den Megentropjen prangen ; und Die bunfen
Schmetterlinge ‚und die beflügelten Wuͤrm⸗
chen fliegen wieder frober im Sonnenſchein;
und ber rg Zei) — ſieh wie Die genegten
— B —— 2 Buͤſche
288 nr
Buͤſche und die Wenden zitternd um ihn her
glänzen! — er empfängt wieder ruhig das Bild
des hellen Himmels, und der Bäume umher.
Damon. Umarme mich, Daphne, ums
arme mid) ! D was für Freunde durchſtömt
mich! Wie Herrlich ift alles um ung her! Wels
be unerſchoͤpfliche Duelle von Entzüden! Von
der belebenden Sonne bis zur Eleineften Pflanze
find alles Wunder! O wie reift das Entzuͤcken
mi hin; wenn id) vom hohen Hügel die
weit ausgebreitete Gegend‘ überfehe , oder wenn
ich, ins Gras hingeſtreckt, die. anniafaltigen
Blumen und Kräuter betrachte, und ihre Fleis
nen Bewohner ; oder wenn ic) in naͤchtlichen
Stunden den geflirnten Himmel, menn ich den
Wechſel der Jahrszeiten, oder den Wachs⸗
thum der unzaͤhlbaren Gewaͤchſe — wenn ich
die Wunder betrachte, dann ſchwellt mir die
Bruſt, Gedanken draͤngen ſich dann auf; ich
kann ſie nicht entwickeln; dann wein ich und
ſinke hin; und ſtammle mein Erſtaunen dem,
der die Erde erfhui! O Daphne nichts
gleicht dem Entzuͤcken, 08 fey denn dag. Entzů⸗
cken von dir geliebt zu ſeyn! |
Daphne. Ad Damon! Auch mich, auch
mid) entzuͤcken die Wunder + O laß uns in
zaͤrtlicher Umarmung den fommenden Morgen
den Glan; des Abendroths und den fanften
nn des Monds laß ung die Wunder
ing
— und an die Beben Bruſt uns drüs
cken, und unſer Erſtaunen ſtammlen! 9
389
welche unansfprechliche Freude, wenn dieß
Entzuͤcken zu dem Entzuͤcken der hͤrtlichen Lie⸗
be ſich — eat: X
ach if #
5 - 4 ’
I EEE HT, ERW FIRE TER
— — — — nn — —
1 Sr i 1. i
Ap einem ſchoͤnen Abend fuhr
Irin mit ſeinem Sohn im Kahn *
Aufs Meer, um Reuſſen in das Schilf
Zu legen, das ringsum den Strand
Von nahen Eilanden umaab.
Die Sonne taucbte fi bereite
Ins Meer, und Fluth und Himmel ſchien
Im Feu'r zu gluͤhen.
O wie ſchoͤn
Iſt iezt die Gegend! fagt entzuͤckt
Der Knabe, den Irin gelehrt,
Auf iede Schoͤnheit der Natur
Zu merken. Sieh! ſagt er, den Schwan,
Umringt von feiner ſrohen Brut,
Sich in den rothen Wiederſchein
Des Himmels. tauchen! Sieh! er ſchifft, |
Zieht rothe Furchen in die, Flath, |
Und ſpannt des Fittichs Seegel auf. —
Wie lieblich fuͤſſert dort im Hain
De, oe Eipen fürdtfam Land
Bb
Am
200. — ⸗
Am Ufer, und wie reizend fließt
Die Saat in grünen Wellen fort,.
Und rauſcht, vom. Winde fanft bewegt. —
D was für Anmuth haucht aniest |
Geitad’ und Meer und Himmel aus!
Wie ſchoͤn iſt alles, und wie froh
Und gluͤcklich macht uns die-Natur! —
Sa, fagt JIrin, fie macht ung ſroh
Und gluͤcklich, und du wirft durd)- fie...
Glückfeelig feyn dein Lebenlang,
Wenn, du dabey rechtſchaffen biſt,
Wenn wilde Reidenfchaften nicht
Bon fanfter Schönheit das Gefühl
Verhindern. O Geliebteſter!
Ich werde nun in kurzem dich
Verlaſſen und die ſchoͤne Welt
Und noch in fchönern Gegenden
Den Lohn der Redlichkeit empſah'n.
D, bleib der Tugend immer treu!
Und weine mit den Weinenden,
Und gieb von deinem Vorrat) gern
Den Armen. Hilf, fo viel du kannſt,
Zum Wohl der Welt. Sen arbeitfam,
Erheb zum Herren der Natur,
Dem Wind und Meer gehorfam iſt,
Der alles Tenft zum Wohl der Welt, _ *
Den Geiſt! Waͤhl lieber Schand und sap N.
Eh’ du in Bosheit wilirf. ei
ee 2
m — — —
ns
Ehr, Ueberfluß und Pracht ift Tand;
Ein yvuhig Herz iſt unſer Theil. —
| Durd) diefe Denkungsart, mein Sohn,
Iſt unter lauter Freuden mir vn
Das: Haar verbleihet. Und wiewohl
Ich achtzigmal bereits den Wald
Um unſre Hütte grünen fah’;
En ift mein langes Leben doch
Gleich einem heitern Fruͤhlingstag
Vergangen ‚ unter Freud’ und Luſt. —
Zwar hab’ ich auch manch' Ungemach
Erlitten. Als dein Bruder farb,
Da floſſen Thraͤnen mir vom Aug’,
Ind Soun und Himmel ſchien mir —
| Dit auch erariff mid) anf dem Meer
Im leichten Kahn der Sturm und warf
Mich mit den Wellen in die Luft;
Am Gipfel eines Wafferberg's |
Hieng oft mein Kahn had) in der Euff,
Und donnernd fiel die Fluch herab,
Und ich mit ihr. . Das Volk des Meers
Erſchrack, wenn über feinem Haupt
Der Wellen Donner tobt’, und fuhr
Tief in den Abgrund, und mid) dünkt',
Daß zwiſchen ieder Welle mir
Ein feuchtes Grab ſich oͤffnete.
Der Sturmwind taucht' dabey ins Men
Die Flügel, fhüttelte danon®
Noch eine See anf mich herab. —
Allein bald legte ſich der Zorn
Des Windes, und die Luft ward hell,
Und id) erblikt' in ſtiller Fluth
Des Himmels, Bild: Der blaue Stör
Mit rothen Augen fahe bald
Aus einer Hohl’, im Kraut der Ger,
h Durch ‚feines Hauſes * Dach,
rn
Und vieles. Volk des ‚weiten Meere
Zanzt’ auf der. Fluth im Sonnenſchein;
And Kuh und Freude Fam zuruͤck
In meine Bruft. — Jezt wartet fhon
Das Grab auf mid. - Ich fuͤrcht' es nicht,
Der Abend meines Lebens wird
So (bon, ald Tag und Morgen, ſeyn. —
D Sohn! fen fromm und tuoendhaft,
So wirft du gluͤcklich ſeyn, wie ib;
So bleibt dir die Natur ſtets ſchoͤn.
‚Der Knabe ſchmiegt' ſich an den Arm
Irins, und ſprach: Nein, Vater! nein,
Du ſtirbſt noch nicht! Der Himmel wird
Dich nod) erhalten, mir zum Zrofl, —
Und viele Thraͤnen floffen ihm , *
Vom Ang'. — Indeſſen hatten fie
Die Reuſſen ausgelegt. Die Nacht
Stieg aus der See, ſie ruderten
Gemach der Heimath wieder u. — un. 00,
Irin fiarb bald. Gein frommer Sohn. »., -
Deweint’ ihn lang, und. niemals fam
Ihm diefer Abend aus: dem Sinn.
Ein heil’ger, Schauer überftel J
Ihn, wenn ihm feines Vaters Bid...
Vors Antlig trat. . Ersfdigete 3.5.5 3m) 4%
Stets deſſey Lehren. Seegen Fam...
Auf ihn. Sein langes. Leben dͤnkt
Ihm auch ein Sruplingstag zu ſonn.
sta‘ ne bp ileielne mini!“
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| iv. Einn- |
IV,
Sinngedihte
— 395
W ernik e.
er bat nachdrucklicher den ſcharfen Witz
erreicht,
Und früher aufgehört In ortfpiel und zu
An Sprach und Mopllant Fi ex leicht,
An Geiſt fehr ſchwer, zu übertreffen.
v. Hagedorn.
An einen greund.
er iſt nicht Elug, der vieles wagt,
Geringen Vortheil zu erwifchen,
Dieß heiſſet, wie Auguft gefagt,
Mit einem güldnen Angel fiſchen.
hi, i | |
verserserauranen mens mere
Wohlthaten.
"er: übertrift den, der fi mild erzeigt ?
Der feltue Freund, der es zugleich verſchweigt.
Huf
Auf Keplern .·..
o u. war noch — Sterblicher —— |
Als Kepler fieg : 3 s und flarb in Hun—⸗—
e "gern 2
Er wußte nur die Geiſter zu vergnügen,
Drum ließen ‚ihn die Koͤrper ohne Brod.
) Auf einer Reife, die er thun mußte, Ar
allergnaͤdigſte Auszahlung ruͤckſtaͤndiger
Beſoldung alerunterthänäft anzu alten.
Baͤſtner.
— 1J
* 42
Far a — 33 & a ey
Die Vortheile der Weisheit.
Pracht, Reichthum, eitle Luſt kann ſie uns
nicht gewaͤhren
Was sieh bie Weisheit uns? Den Geiſt ME |
I —2 zu entbehren. EN
au la s
a slımnd
ws
|
F
_ Eine Stunde.
Die Stunde, die ich ſoll verlieren,
Die muß, mich cher zu verführen, /
Ein Feiner Theil der Zeit nur ſeyn: —
Doch“ welcher Zeit ? die mir — *—
Zaͤhlt zwar mit tauſenden die Stunden,
Wie viel ſind - in Az —
EN mr —
u —
ei a
— — Das
— 397
Das gelehrte Kind.
Felbeeinn wußt ein Kind ſoviel, als mancher
Greis,
Fruͤhzeitig lag das Wunder auf der Baare,
Sein Fruder-fah den moͤrderiſchen Fleiß,
Ward Sekretaͤr, Ri und lebt an achtzig Jahre.
—9 Keiner von der Art, wie Addiſon und
Sattel geweſen ſind.
———
Auf 6 Suftas A wdolphe Tod. R,
| Zum Schrecken Ferdinands fuͤhrt Adolph Got⸗
ER SCHRER,
Und tttinerd ͤchete den Sit der Sieg.
ENTE TEN TEE
Auf einen Kandidaten.
Sen will fi) nun dem Tempel weihn;
Wozu wird er wol taualid) ſeyn?
Beym A Ealomons wüͤßt ich es doch zu
| ſagen:
Da waͤr er gut, das ehrne Meer zu fragen,
—— e; * — Der
Der Zweifler.
Di beſte Weisheit Wi f * der die Zweifler
Mir ſchenkt ſie zz * ee Gewinn.
Iq bin nicht mehr fo fol; die Thoren zu vers
achten,
Seitdem Bun zweifeln muß, ob ich ein Weifer bin.
v. Thuͤmmel.
——
Der Heldentod.
Keumnß Hardras Ar
uͤberwand:
Durch Laſter ſein Gefuͤhl, durch Bosheit den
| | | Verſtand. |
An eine würdige Privatperſon.
Giebt einſt der Leichenſtein von dem, was du
geweſen,
Dem Enkel, der dich ſchaͤtzt ſoviel er braucht,
zu leſen,
So ſey die Sunme dieß: „Er lebte ſchlecht
und recht,
Ohn Amt und Gnadengeld, und Niemands
Herr noch Knecht.
Ceſſing.
An
r 399
An einen Seisigem
Fe dich beneiden ? — Erfpar, ererb, erwirb,
Hab alles: * nichts, laß alles hier, und
ſtirb!
TE A
Auf den Tod eines Affen.
Hier liegt er nun, der kleine, liebe Pavian,
Der und fo manches nadgethan! |
re ET]
. f
aa Te
Auf ver Marie.
Dem Marius ward prophezeyet,
Sein Ende ſey ihm nah. |
Jun lehet er drauf los; verſchwelgt, verſpielt,
— verjiteuet : —
Sein End’ ift wirklich da '
Augemeine Grabſchrift teutſcher
——
Auch Er blieb — —
Ein kurzes Lobgedicht?
Doch
*&
400 | — — |
Doch, Nachwelt! haſt du, dieß gelefen,
Und aweifelſt noch ob Er ein groſſer Mann
geweſen?
So kennſt du —9 nicht!
Michaelis.
Das Paradieß.
ein Glic fuͤr einen Apfel geben, |
O Adam, welche Rüfternheit!
Statt deiner hätt’ ich follen leben,
So wär das Paradieß noch heut. —
Wie aber, wenn alsdann die Traube
Die Probefrucht geweſen wär ?
Wie da, mein Freund! — Ey nun, Ar
glaube —
Das Paradieß wär auch nicht mehr.
Ceſſing.
Salomo.
Des Bücherfchreibens ift Fein Ende! -
Seufzt Salomo, und übersäblt die Bände!
Des ſchlechten, räumt ihm Jeder ein,
aha aber wird des guten Anfang feyn ? -
| Michaelis.
Emerson nn Penner
| Der
i | '
Der vorlefende Bas
Die Ode, die Bavp vorlieſt, iſt zwar mein.
Jedoch, weil er ſie ſo ſchlecht vorlieſt, wird ſie
| fein.
Gieſecke.
Haß gegen die Neuern und Alten.
Er iſt ein thoͤrichter Reid, was neu if, alles
haſſen,
Und neid’ ſche Thorheit, allein das Neue ſchoͤn
ſeyn laſſen.
— —— — — — —— — —— — — nun
Auf einen Freygeiſt.
Di Menden Andacht ſchreibſt du ihrer Eins
ſalt zu.
Iſts wahr; fo ift Fein Menſch andächtiger, als du,
— ——— —
Auf Gellert.
Ei. Lehrer des Geſchmaks und felbft Original,
. Ein Denfbenfreund, ein Chriſt, wie fein
Verſoͤhner milde,
Eee: Starb
402
Starb er, und ließ in feinem Bilde
Der Welt die reizendſte Moral,
Der Teutſch-Franzos.
Ein Gellert? — Gellert iſt zu matt! |
Ein Gleim? — Gleims Scherze find zu —
Ein Kleiſt? — Iſt ſtolpernd! Haller ? hart!
Ein Uz? — ſehr ungleich! Weiß ? nicht zart!
Ein Geßner? — zu unedel laͤndlich!
Und Klopſtock? — Schwuͤlſtig! Unverſtaͤndlich!
Nur Frankreichs Dichter, ſie allein,
Sind naiv, erhaben, witzig, fein!
Sonnenfels,
PEBERINERGRRNERDL RER NEL RER
——
Tugend und Laſter.
nn aar Fein after wär, wär feine Tu⸗
gend nicht. Ei
Denn tugendhaft iſt der, der wider Laſter ficht.
Logan.
Geſund⸗
—
—
403
Geſundheit.
G ſundheit kehrt bey Armen mehr als bey
Reichen ein.
Wie J Sie haſſet Maſ⸗ und kann nicht
Ben ſeyn.
— EEE)
Von der Nachtigall.
Von Ferne biſt du viel, und in der Naͤhe
nichts;
Ein Wunder des Gehoͤrs, ein Spotten des
Geſichts:
Du biſt die Welt; auch ſie iſt in der Naͤhe
nichts.
Gutes.
Wis it Das, was die Melt nennt mit dem
MNamen gut?
Saft immer iſt es das, was ieder will und thut.
are
— — — —— —
"Bez. Sol,
Tadlern
Bein Niemand nicht gehalt, wer alles tadelt
404
Wer tadelt dieſen — pi wen kann der
| geſa alten ?
Die lateiniſche Sprache.
Latein hat keinen Sitz „och Land, wie andre
Zungen. — "
Ihm ift die Sürgerfchaf So, ale Welt ge⸗
Zorn.
Wo Zorn nimmt aͤberhand, da ſteigt ein
Nebel auf,
Der den Verſtand verblendt und wehrt ihm
ſeinen Lauf.
Schoͤnheit ohne Verſtand.
ichts als nur — — Schönheit
Denn das Gepraͤg iſt ar s bei ift bad Eu
Wernife,
oh en Te Ten nn nn Sn 2 Zn Sn 222
Auſ
EEE 405
Auf den Triumvirat des Auguſts,
‚Antonius und Lepidus. |
Denn theilen unter ſich , u Rom nicht ohne
‚eu Blut, |
Und ui ohn Unrecht konnt in langer Zeit
| erwerben;
Das, Ebrůchwort ſchwaͤcht ihr Gluͤck: uUnrecht
erworben Gut
Kommt auf den Dritten nicht; wol aber auf
drey Erben.
Auf den Sokrates.
a8 hilft, daß ich den Sofrates viel preife,
Was ſchadt es, daß fein Weib ihn ſchalt?
Er war der Welt nad) ungeſtalt;
Und nad) der Götter Ausfpruch weile:
Schoͤn war fein Sinn; fein Leib verſtellt.
Dod die Benennung ungewiß:
Als eine Mißgeburt betrat er diefe Welt;
And ſchien ein Gott zu ſehn, indem er — e
verlieh.
| E53 An
496
An den Stax.
ꝰas auf der Welt geſchieht, geſchiehet ohne
Grund!
Sagt Star Sein Wort macht diefe Wahr⸗
heit kund.
Ewald.
En —— — — —— — —— — ——
Auf den Alkander.
an feh? einmal die Liſt!
Alkander will einfältig feheinen,
Der doch einfältig iſt!
—
/ EZITEERTTATATTR 409
Horaz 8. I. Satyre n _
Die Genuͤgſamkeit.
Mi: kommt es wol, Mäcen, daß Niemand
mit feinem Zuftand zufrieden lebet,
worein ihn entweder eine vernünftige Wahl,
oder ein Zufall verfeßet hat? und Jeder Die
Lebensart Anderer der feinigen vorzieft? D
gluͤckliche Kaufleute! feufst der Soldat, vom
Alter und Strapazen entkräftet: Und der Kauf
mann, von Wellen des Meers hin und her g&
worfen, preifet den Soldatenfiand für beſſer;
denn wie? fpricht er — man ruͤckt ins Feld,
und ein Augenblick bringt entweder plöglichen
Tod, oder froben Sieg Der Rechtsgelehrte
hingegen lobt den Landmann, wenn der Klient
Thon beym Hahnengefhrey an feine Thuͤre
Elopfe: Und jener, wegen aeftellten Bürgen
vom Rande in die Stadt genöthigt , ruft lauf:
Nur der hat es gut, der in der Stade lebt !
Dergleichen Urtheile giebt es fo viele, daß fie
fogar den ſchwatzhaften Fabius ermüden koͤnn—
ten. Höre nur, damit ich dich nicht aufhalte,
wo ich hinaus will. Geſezt, Zevs fagte: Seht!
ich will euch eure Wünfche gewähren: du, der
&c5 du
410 REEHEEEREEETITE.
du bisher Soldat wareft, ſollſt ein Kaufmann
feyn, und du Rechtsgelehrter, ein Landmann!
So gebet nun, nad veränderten Mollen, eus
ven Weg! En! mas fieht ihr da? Sie weis
gern ſich — und doc) Fönnen fie gluͤcklich fenn.
Sollte nicht Jupiter entbrennen, beide Backen
aufblafen, und ihnen ankündigen , künftig
nicht mehr fo bereitwillig ihren Wünfchen Ges
hör zu geben? Doch — um nicht Die
Sache als eine Kleinigkeit fpottend zu bebans
deln — mollen wir Scherz .beyfeite ſetzen,
und ernſthaft ſeyn; wiewol man auch im
Scherze Wahrbeiten vortragen kann: fo geben
zuweilen liebreiche Lehrer den Kindern Zucker—
brod, damit ſie die Anfangsgruͤnde deſto lieber
lernen. Dort, der die harte Erde mit ſchwe—
rem Pfluge umadert: bier, der freulofe Wirth,
der Soldat und die Schiffer, vie Fühn alle
Seen durdfahren, diefe fagen, daß fie nur
darum fo ſchwere Strapazen über ſich naͤh—
men, um, nad) gefammelten Nahrungsmitteln,
in ihrem Alter ruhig und ſicher leben zu Füns
nen: Wie die ganz Fleine, aber arbeitsvolle
Ameife, (denn diefe fol zum Beyſpiel dienen)
fo viel fie nur Ffann, mit ihrem Munde forts
ſchleppt, und fürfichtig auf die Zukunft bedacht,
dem Haufen zuführt, welchen fie bauet. Aber,
fobald der Waſſermann das Jahr verändert
und traurig a ſo Friecht fie nicht irgend
aus
zen wann: 411
aus ihrer Hoͤhle hervor, ſondern genieſſet nun
zufrieden ihren eingeſammelten Vorrath. Dich
hingegen bält weder brennende Hitze, noch
Sturm, noch Feuer, noch Schwerdt, nod)
das Meer von Wuchern ab; Nichts ſteht dir
im Wege, wenn nur feiner reicher ift, als
du. Was bilft es dir, dag du unermaßlide
Schäße Goldes und Silbers mit Furcht der
aufgeſcharrten Erde heimlich anvertrauft ?
„Sa! wenn man immer davon nehmen
„wollte, fo bleibt endlich gar nichts übrig. ”
- Aber , wenn nun dieß niche geſchieht; was
bat denn dein aufgehäufter Neichthum weiter
für Reize? Magſt du immerhin auf deiner
Senne hundert tauſend Scheffel gedrofchen ha;
ben: du wirft deßwegen doch nicht mehr, als
ich davon geniefjen Fünnen; So wie du, wenn
Du auf deinen Schultern einen ſchwer belade;
nen Brodkorb unter deinem Sklaven trägel,
darum nicht mehr bekommen wirft, alg wenn
du nichts getragen häftefl. Diver fage mir,
was nußt es dem, der die Gränzen der Nas
tur niche überfchreitet , ob er hundert oder taus
ſend Hufen Feldes beackern Fann ?
„Aber es ift doc) angenehm, von einem
„groffen Haufen zu nehmen. ”
Wenn du nur zugiebſt, daß wir von eis
nem Heinen Haufen eben ſo viel nehmen Fün:
nen,
nen. Wie Fannft du deine Korns Magazine
höher, als unfere Kornfiffer ſchaͤtzen ? Es wäre
eben fo, als wenn du nicht mehr „ als eine Kans
ne, oder Becher friſches Wafler vonuöthen hät:
tet, und ſagteſt; ich wollte doc) lieber aus
einem groffen Fluß, als aus diefer Fleinen
Duelle ſchoͤpfen. So Fommt ed eben, daß dir,
welche lieber gröffern Vorrath vom Waffer har
ben wollen , als fie brauden , vom ſchuellen
Strom Anfidus zugleich mit dem Ufer dahin
geriffen und mengeführt werden. Derienige bins
gegen, welder nicht mehr verlangt, als er
braucht, ſchoͤpſt weder von Schlamm trübes
MWafler, noch ertrinft er darinnen. Aber von
eitler Geldbegierde geblendet , fprechen viele
Menſchen: wir koͤnnen uns nie genug anfchafz
fen : denn man gilt nur fo viel, ald man hat.
Was will man nun mit foldhen anfangen ?
Laß fie immerhin unglücklich feyn, wenn fie es
fo haben wollen: mie iener Geizhalz in Athen,
der die Schmähworte des Volks nicht achtete,
und gefagt Haben fol: Das Wolf ziſcht mich
aus: aber dafuͤr Flatfche ich mir zu Haufe Beys
fall zu, wenn id) mein Geld in dem Kaften
betrachte. Tantalus ſchnappt aus Durft nad)
Waſſer, welches vor feinen Lippen zuruck fleußt.
Lacheſt du? dieſe Erzählung gilt von dit Er
nur den Namen verändert! Du legeft did)
ichlafen auf überall zuſammen getragenen Geld⸗
ſaͤcken
mr 17." ara
ſaͤcken, trachteft immer nach mehreren, und
mußt dod) das Geld als ein Heiligthum ſchonen,
oder esigleichfam als gemalte Stuͤckchen nur zum
Kergnügen anfehen. Weißt du nicht, worzu dag
Geld nüge ? Und worzu man es brauchen muͤſſe?
Man Faufe Brod, Zugemuͤß, eine Kanne
Wein, und was ſonſt noch für Bedürfniffe der
menſchlichen Natur find. Oder — vor Furcht
halb todt ſchlafloſe Nächte haben, fi Tag
und Nacht vor leichtfertige Diebe fürchten, vor
Feuersbrunſt und Sflaven, die dich beftehlen
und davon lauſen möchten — ift dir das ein
Bergnügen? Solche Güter wuͤnſchte ich Zeig
meines Lebens nicht zu befigen. — Wenn du
dir aber an deinem Leibe Schmerzen durch befs
tige Kälte zugegogen haſt: oder dic, ein andes
rer Zufall aufdas Krankenlager geſtreckt bat —
wo iſt dann jemand, ver ſich zu dir fegt, die
Umfchläge macht, den Arzt bittet, dag er bie
wieder aufbelfen, dic) den Kindern und lieben
Anverwandten wieder ſchenken wolle? Weder
deine Gattinn wuͤnſcht deine Genefung, nod)
Dein Kind: ale Nachbarn haſſen dih, Ber
Fannte, Knaben und Mädchen. .Wunderfi du
did) noch darüber — der du dag Geld vor allen
vorziehft, wenn dir Niemand die Liebe beweiſt,
deren du du. did nicht würdig. macht ? Sa,
wenn du deine Anvermandten , die dir die Na—
gur verliehen, durch Feine Dienftbefiffenheit ,
| | als
414 } zn amn
als trene Freunde erhalten wilft, fo wird deine
Mühe, du Ungluͤcklicher! vergeblich. ſeyn: eben
fo, als wenn man einen Efel lehren wollte ,
mie dem Zaum die Schule zu machen. Made
doch einmal ein Ende nad) Geld zu trachten;
da du mehr haft, als fonfi : fo darſſt du defto wenis
ger befürchten, arm zu werden : fange einmal an
dein Elend zu endigen — nachdem du dir fo viel,
als du wänfchteft, erworben haft. Mache es niche
fü, wie, ein gewiſſer Ummidius, (das Hifiörs
chen ift kurz) der das Geld mit Scheffeln mäfs
» fen Eonnte, und dabey fo geitzig, daß er fi)
nie beffer , als feine Sklaven kleidete, und big
an fein Ende zu verhungern beforgfe. „Aber
ihn hat doc die Freygelaſſene, die tapferfie
unter den Töchtern des Tyndars, mit einer
Art mitten von einander gefpalten. Warum
wilft du mich nun zu bereden fuchen, daß ich
leben fol, wie Maenius , oder wie Nomens
tan?” Du fähreft fort, Dinge zu vereinigen,
die einander flradd zumider find. Wenn id)
dir fage: Du follft Fein’ Geizhals ſeyn; fo will
ich deßwegen niit, daß du ein Schlemmer und
Taugenichts ſeyſt. Es giebt zwifchen dem Tas
nais und dem Schwiegervater des Viſellus eine
dritte Art von Leuten. Man muß: nämlich)
Maaße halten: Kurz ! es giebt gewiſſe Gräns
zen bey dem, was Recht ift, welche man nicht
überfchreiten darf. Run komme ich wieder zu
/ meinem
* 1
415
meinem Vorhaben: Sollte wol Fein Geisiger
mit ſich zufrieden feyn, nur immer den glück
uich ſchaͤtzen, der in einem andern Stande lebt?
folte er feinen Naͤchſten beneiden, daß feine
Ziege ein gröfferes Euter bat? follte er ſich
nicht lieber mit den Armen, deren doch mehr
find als Reiche, vergleichen, als dag er fih
bemüht reicher zu feyn ? Auf dieſe Weiſe ſteht
immer ein Reicher dem Andern , wenn er fort
eilt, in Wege. Co treibt der Spieler auf
der Nennbahn die Roſſe an, weldhe ven Wa⸗
gen aus den Schranken fortgeriffen haben,
wenn ihm Andere zuvorgefommen find : und
erwartet den nit, melchen er unter den less
ten zurück gelaffen hat. Daher findet man fels
- ten einen, der da faget; er habe gluͤcklich ges
lebt , und am Ende feines Lebens, gleich eis
nem gefättigten Saft, zufrieden feinen Abfchied
nimmt. Nun genug hievon! Und damit du
nicht glauben mögeft, ich hätte die Bibliothek
des triefaͤugigen Krifpins geplündert ; fo will
ich Fein Wort mehr hinzufegen.
Der Shwäser,
nach dem Soraʒ.
— J3 da ich mich, wie ſonſt, den Grillen
uͤberlaſſe,
Gerath ich ohngeſaͤhr in die Mariengaſſe.
Ein
416 —
Ein Sremder, den icb nur dem Namen nad
gekannt, |
Laufe plözlih auf mich zu; ergreift mic bey
= Der Hand N
Und ſpricht: „wie gehts 2 Mon Cher!,, Noch
siemlich,wie Sie fehen ;
Yon Ihnen hoff ich auch erwuͤnſchtes Wohler⸗
gehen.
Er folgt mir Schritt vor Schritt, und klebt mir
lädelnd an.
Iſt etwas, frag ich ihn, womit ic) dienen ann?
Er danket, und verſezt: „Sie werden mich ER
kennen,
„Und Ihre Freundſchaft mir, als einem Dichter
gönnen. ” ;
Dein Her, Sie follen mir um deflo werther
ſeyn. |
Ich eil, ih ſtehe fill, von ihm mich zu befreyn,
And raun, ich weiß nicht was, dem Diener in
die Ohren;
Doch hier iſt alle Muͤh und alle Kuͤnſt verloren.
Mir bricht der Angſtſchweis aus. O wie
beneidenswerth,
Gedenk ich, iſt der Thor, der Thoren gerne höre!
Indeſſen ſtroͤmt ſein Mund. vom rauſchenden
Geſchwaͤtze;
Er lobt die ſchoͤne Stadt, und nennt mir alle
— Plaͤtze,
Die Bruͤcken, iedes Thor , die Maͤrkte, Wall
und Wacht,
Und
417
Und lehrt mich, wie der Lenz die Gärfen Iuflig
macht.
Ich ſchweig, er fähret fort : „Iſt man fo ſtill?
id) finde,
Dal die Begleitung AR nicht fonderlich vers
inde;
„Alein, ich ſchleudre mit, und Sie erlauben mir
„Fuͤr dießmal kuͤhn zu ſeyn. Doch wohin gehen
wir ?
Bemühen Sie ſich nicht: ich kann mic) nicht
verweilen ,
Und muß zu einem Freund , den Sie nick
kennen, eilen.
Er eher weit von hier, die Alfter ganz vorben,
Noch hinter Boͤckelmanns befannten Gärtneren.
„0 babe nichts su thun; mas uſſen tauſend
| Schritte?
„Im Gehen, glauben Sies, bin ich ein rechter
| Sritte.
Mich kruͤmm ich, wie ein Pferd, das, bey zu
ſchwerer Laſt,
Kopf, Maul und Ohren Em? feinen Treis
| ber haßt
Er räufpert f ch, und ſpricht: „Wahr iſts, ſich
| ſelbſt zu rühmen,
„Sp fe man fi ch aud) kennt, das will fi ch nicht
geziemen;
„Doch prüfen Sie mid nur: ich wette, daß
Ihr Sreund,
DB ER
* —
418 —
„Mit dem ein iedes Jahr Sie zärtlicher vereint,
„Ich werte: Wilkens felbft, nnd Müler, den
Sie lieben,
„Und Karpfer, und Borgeeſt, die ſollen ihren
Trieben |
„Nie fo gefällig feyn. Mich übt der Dichtkunſt
Flor. |
„Neun Mufen ftel ich mir, fo wie neun Kegel,
vor.
„Man wirft, und trift doch Holy: es fen viel -
oder wenig. _
„Die Eden febläge man um , verfehlt man
| glei) den König.
„Man ziele, dichte nur , und miſche f ch ing
Spiel,
„Werd ich nicht epiſch groß, und bin ich Fein
| Birgil; |
„Wohlan! fo reim ich fehnell von tauſend ans
dern Dingen;
| „Mit einer Muſe muß mir dod der Gtreid)
gelingen,
„Erreich id) Ale nicht. Sch tanze wie du Ball:
„Das fab man auf dem Baum, Au dem Frey⸗
maͤurerball.
„Finan ſinget gut: doc ich Fann beffer fi ingen. ”
Nunmehr newann id) Zeit, ein Woͤrtchen
anzubringen, A
Hat Feine Mutter nicht , Fein Better, fein
Geſchlecht, *
— 0.
An ihrem Wohlfeyn Theil, an Ihren Stunden
Recht?
Sollt ihrer Feiner nicht Ihr Daſeyn nöthig
5 haben?
„Wir ſprechen uns nicht mehr, denn alle ſind
begraben.
O die ſind wohl daran! nun trifft die Reihe
mich,
Betaͤubte Maͤrthrer! Verſolge! Morde! Sprich!
Denn ach! die Stunde koͤmmt, die ich ſo lange
ſcheute,
Die mir das alte Weib in Borſtel prophezeyte,
Als ich ein Knabe war, und ſie mit duͤrrer Hand
Den Loostopf ſchuͤttelte, griff, mein Verhaͤngniß
ſand,
und mir den Ausſpruch gab: Es wird ihn,
| merkt e8 eben!
Kein Arzt, Fein Alchymiſt, Fein Fahnenſchmied
vergeben: |
Ihn faͤllt kein Ranferſchwerdt kein Seitens
wehr und Gicht,
Das träge Nodagra , die Schwindſucht thut
eees nicht.
Die oröfehe Gefahr wird er von Scomägern
leiden, |
} und wird er alt und Flug ‚fomuß er Redner
Rn meiden. | |
58. Wir
Wir waren, recht um zehn, wo man die
| Kirche ſchaut,
Die. Magdalene, die Graf Adolph aufgebaut.
Du ſollte nun mein Freund, mit Akten und
Gebuͤhren,
Selbſt vor dem Richter ſtehn, und ſonſt ſein Recht
verlieren.
„Weil ich auf dieſe Zeit izt vorgeladen bin,
„So,“ ſpricht er, „gehn Sie doch mit mir
zum Prätor hin,
„Und hören, wie ich dort...” Iſt mir ng
nsumuthen?
Kann ich Ihr Benftand fenn ? Verſteh ich die
| Statuten? ?“
Und bin ich nicht verfagt? „Nun werd ic)
zweifelvoll,
„Ob ich Sie, oder nicht mein Recht, verlaſſen
ſoll? 2»
Mich, mein Herr. „O nein!” Gr rennt
mir vor ich fehleiche,
Als im Zriumpf geführt, „ weil ich Dem OIALICER |
weiche.
Gedbuld! Was hab ich nun fuͤr aut
zuftehn ? |
„Wie finden Sie den Bros, ————— |
Maͤcen @” ı
Ich find und ehr in ihm den Weiſen unfrer Zeiten;
Allein, er wird daher, kein Freund von allen
J
3 | 1; Er
—— — 421
Er waͤhlet, die er liebt, iſt ſinnreich ohne Tand,
Leutſeelig ohne Falſch, noch edler, als ſein Stand,
Und ihn vergnuͤgen nur die Wuͤrden, die er
ſchmuͤcket,
Wann er ſein Vaterland und das Verdienſt be—
gluͤcket.
„Empfehlen Sie ihm den!“ Hier zeigt der Thor
auf fi. )
„Ihr Mitgehuͤlf, Ihr Math, Ihr Hinterhalt
werd ich.
„Ich ſterbe, ſalls Sie mir die zweyte Rolle geben,
„Wenn wir nicht ieden dort bald aus dem Sats
fel heben. ”
Eie irren ungemein in Ihrer Klügelen.
Vor andern if fein Haus von folchen Raͤnken frey.
Der Liebling des Merkur, den Fleis und Glück
erhoͤhet,
Der Doktor, der ſogar den Lykophron verſtehet,
Verdraͤngen keinen nicht, der einem Brocks aefällt,
‚ Der ieden,nad) Verdienſt, den Freunden zugefellt.
„Das ift was feltfames. Sie ſcherzen.“ Was
ich fage,
Beflätiget gewiß die Wahrheit alle Tage,
„Ja, num verehr ich erfi den weitberühmten
Mann,
„Und, ta, ih ruhe nie, bis ich ihn ſpr echen
Fann.”
Ihn ſprechen ſaͤllt nicht ſchwer, wenn Sie es
| nur verlangen;
Dd3 Ein
422 ————
Ein fo geſcheider Kopf wird immer wohl em⸗
pfangen. | |
Und out er anfangs aud) nicht mehr als hoͤflich
ſeyn,
So raͤumen Sie ihm Zeit, Sie gnug zu kennen ein.
Vielleicht verbirgt er ſich im Reden und im
Schweigen,
Sein Hulderfuͤlltes Sen nicht gar zu" früh zu
zeigen.
„Mir fehlt es nicht an Witz, wenn id) geſchaͤftig bin,
„Sprech id) ihn heute nicht, fo geb ich morgen hin,
„Und übermorgen auch. Die Sache recht zu
lenken,
„Will ich den Diener ſelbſt mit einem Vers
beſchenken.
„so gebe gar zu gern. Er merkt mir fon
den Tag,
„Da er mich melden darf, und auch denZeigerſchlag.
„Begegnet mir der Herr, ſo eil ich ihm zur
| Geiten;
„Ich will vom Rathhaus ihn bis an fein Haus
begleiten,
„Dit genenärtin fenn: Fraft eines Unterrichts,
„Den iener - Weidmann gab: Jagt; ſonſten
fangt ihr nichts. ”
So ſprach, doch nein! fo fehrie der unerz
ſchoͤpfte Schwäger,
Als nun mein Liskow Fam: (der Bruder von
dem Ketzer,
| Den
Den noch Germanifus vielleicht dereinft bes
kehrt)
Der kannte meinen Mann, und ſeinen ganzen
Werth.
Wir bleiben alſo ſtehn. Indem wir uns be⸗
fragen:
Woher ist, und wohin? und uns die Antwort
ſagen,
Zupf ich ihn bey dem Arm, durch ihn mid)
fren zu fehn;
Dow der verſtockte Schalf lacht, und will nichte
verfiehn.
Ich wink ihm, recht im Zorn, weil alle Winke
| fehlen.
Wie? mwolten Sie mir nicht mas insgeheim
erzählen ?
„Ja: etwas wichtiges; allein zur andern Zeit,
„Denn heute wird von mir der Niſan nicht:
entweiht.
„Das auserwaͤhlte Wolf aus Abrahams Ges
| ſchlechte
„Verzehrt ſein Oſterlamm und freut ſich ſeiner
Rente,”
Die Skrupel folder Art, mein Herr, verfchos
gen mid).
„Doch mir und tauſenden ſind Skrupel fuͤrch—
terlich.
„Verhoͤhnen Sie ſo fehr der Juden Glaubens—
zeichen,
| > 4 „Die,
424 —
„Die, dem Gewiſſen nach, ſo vielen Chriſten
gleichen?
— Sie mich: ich ſprech ein ander⸗
mal. ”
O ſcwarier Ungluͤckstag, was bringſt du mir
fuͤr Quaal?
Der Unbarmbersige, der Spötter, geht, und
fliebet,
Odbgleich er über mir das groſſe Meſſer fiehet,
Mit dem der Praler fit. Allein, wer zeigt
ſich dort?
Sein Gegner kommt, und ſchreyt: Wohin,
Nichtswuͤrdger? Fort!
Und ſagt im Scherz zu mir: Dürft ich Sie zeu⸗
gen laffen !
Sa! müßt auch Ihre Hand mein Ohr, auf roͤ⸗
miſch, ſaſſen.
Er ſchleppt ihn vor Gericht: man laͤrmt, man
ruft und ſchilt:
Und alles läuft herbey, zu ſehen, mem eg gilt,
So hat mich dem Verdruß, den ich erdulden
müffen, | {
Der — den Kaͤuflin kennt, Apollo ſelbſt
entriſſen.
v. Hagedorn.
7
— — —— — — — — — —
—
Von
—— 425
Von Unterweiſung der jugend,
| Sa babe unferen gefirigen Unterredungen weis
ter nachgedacht, mein werther Herrmann,
Wir bemühten uns, ausfindig zu machen:
Warum es fo ſchwer fey, eine gründliche Ges
lehrfamfeit zu. erlangen ? Und woher es kom—⸗
me, daß fo wenige unter den Gelehrten den
anſehnlichen Zitel verdienen, mit welchem. fie
ihre Blöffe forgfältig zu bedecken wiffen.
Die von dir angeführten Urfachen find
wichtig genug. Die blinde Liebe der meiften
eltern geht dahin, ihre Rinder zu anfehnli;
hen Mitgliedern des gemeinen Wefens zu ma;
den. Der Sohn muß fludiren, damit ev
Doktor werden Tann. Er hat weder die Faͤ—
higkeit, noch den Willen, etwas rechtſchaffnes
zu lernen. Er lebt alfo fi) zur Laſt, und dem
Daterlande, zum Schimpfe. Wäre diefer ein
Schneider geworden; fo würde er gewiß fein
Brod verdienen, da er ist von der Sparfans
Feit feiner Vorfahren, oder dem Einbringen
feiner Fran leben muß.
Du Haft recht, mein Freund; vielleicht
aber giebſt du mir auch Beyfall, wenn ich eine
Urſach anführe, welche noch allgemeiner if.
DdD5 :, Ermi
Erwäge nur einmal, wie die Aufführung
unfrer Jugend zu der Gelehrſamkeit beichaffen
it, Bis in das zebente Fahr überläßt man
ung der Auffibt der Frauenzimmer, welde
glauben, fie haben genug gethan, wenn fie ung
reinlich halten, wenn fie ung lefen lehren, und
allenfalls einige Fragen aus dem Catechismus
ins Gedaͤchtniß bringen. Nunmehr ift es Zeit,
daß man uns der Aufficht eines Hofmeifters
übergiebt. Ob er von guten Sitten, ob er
fleifig, ob er gelehrt ift; darnach fragt man
eben nicht. Aber; wie viel verlangt der Her
für feine Mühe? Das ift unfere erfte Sorge.
Der Wohlſeilſte bleibt allemal der Beſte. Dies
fer führe ung eben den Weg, melden er felbft
unter fo vielen Seufern und Thränen gegan—
‚gen if, Ein Gelehrter muß die lateinifhe
Sprache verftehen. Die Sache hat ihre Rich—
tigkeit. Man wählt alfo eine Grammatik,
welche die erſte zu ſeyn feheint. Durch eine
unermüdete und oftmals nachdruͤckliche Unter—
weifung faffen wir eine Menge dunfler Kunfts
woͤrter und weitläuftiger Negeln, welde wir
gewiß noch weniger verfiehen, als die Sprache
ſelbſt, die wir daraus erlernen follen. Endlich
> überwinden mir dieſe Schwierigfeit. Man
giebt uns des Cicero Schriften nebft andern
Bücern, zu lefen, und unfre Väter weinen
vor Freuden, wenn fie fehen, daß ihre Kinder
| su | \ im
im. swanziaften Jahre — begriffen haben,
was zu des Cicero Zeiten in Nom , ein Junge
von fünf Jahren verfiund. Nunmehro zieht der
Gelehrte, oder befler zu fagen, der lateinifche
Sohn, auf hohe Schulen. Du darfft von ihm
nicht verlangen, daß er in den alten und neuern
Geſchichten, in der Seograpbie, Genealogie,
Zeitrehnung, Wappenfunft, und dergleichen
erfahren ſeyn, und einen Vorſchmack von der
Makhematik, Weltweisheit und andern Wiffens
fchaften erlanget haben ſollte. Dazu hat er
nid Zeit gebabt ; er hat müffen Latein lernen.
Es würde lächerlich fenn, wenn du ihn fragen
wollte, ob er feutfch verfiinde 2 Db er einen
guten Drief fchreiben koͤnnte? Er ift ia ein
Teutſcher; er ift in Meiffen geboren ; follte er
nicht teutſch verftehen ? Won der ariechifchen
Sprache hat er noch zur Noth fo viel begriffen,
als er auf der hohen Schule binnen drey Jah—
ven zu verlernen gedenkt. Wie gefhmwind vers
laufen diefe ! Er muß eiligft nach Haufe. Sein
Vater verlangt es, weil ein Amt, und eine
reihe Frau auf ihn warten. Nunmehr if uns
fer Gelehrter fertig.
Sage mir, mein Freund, ob nicht diefes
die gewöhnlichfie Art fen, unfere jugend zu
unterweifen ? Du wirft es nicht läugnen koͤn—
nen, du mirft aber anch zugleich aeftehen müfs
fen, daß vn die wabrbafte, Urfade fen,
warum
428 EEEETHTT EHEN
warum nur fo wenige fi eine rechtſchaffne Ges
Ichrfamfeie erwerben. Der ganze Sehler beru—
het meines Erachtens darinnen, daß wir glaus
ben, mer die lateinische Sprache verſtehe, der
fey ein Gelehrter, und daß wir durd) eine weitz
läuftige Erlernung derjelben dieienige Zeit vers
faumen, welche wir zugleich auf nuͤtzlichere Sa⸗
chen wenden ſollten.
Aber ſoll ein Gelehrter kein Latein verſte—
hen? Dieſes iſt meine Meynung keinesweges.
Ich behaupte vielmehr, daß er in dieſer Spra—
che eben ſo ſtark ſeyn muͤſſe, als in ſeiner Mut—
terſprache. Nur dag kann ich nicht begreifen,
warum wir der Jugend die Erlernung derſel—
ben ſo ſchwer machen?
Der alte Richard, welcher geſtern, in unfs
rer Geſellſchaft war, fol mir zum Beweiſe meis
nes Gaßes dienen. Du Fennefi feinen Sohn,
der ist durch wirkliche Verdienſte unter den Gelehrs
ten eine anfehnliche Stelle bekleidet. Kaum hatte
dieſer das ſechſte Jahr erreiche, als ihn fein
forgfältiger Water der Auſſicht eines iungen
Menſchen anvertraute, welder ihm die nöthigs
fin Gründe unſers Glaubens beybringen, und
ihn zu einer wohlanſtändigen Aufführung anges
wöhnen ſollte. Alles, was er mit dem Kna⸗
ben
/
— 429
ben redete, was ihn diefer franfe , das mußte,
fo viel es möglich) feyn wollte, in lateinifcher
Sprache geſchehen. Jede Sache, die im Hauſe,
auf der Gaſſe, in der Kirche, oder im Garten
vorkam, die gemeinſten Geſchaͤfte, meldye tägs
lich vorfielen, wurden auf lateiniſch benannt.
Dieſe Bemuͤhung gieng glücklich von ſtatten.
Nach Verlauſ einer Zeit von vier Jahren war
der iunge Richard ſchon vermögend , fih in
der lateinifchen Sprache ordentlid) und Deuts
lich auszudrücken, und regelmäfig zu reden,
obne zu wiffen, warum er feine Worte eben fo, und
nicht anders feßen muͤſſe. Nunmehr glaubte
man, daß es Zeit wäre, ihm die vornehmſten
Regeln der Grammatif zu Ichren und, weil er
die Spradhe ſchon verftund, fo faßte er diefe in
wenigen Monaten. Die griechifche Sprache
war ihm, als einem künftigen Gelehrten, zu wifs
ten unentbehrlich. Weil aber fein Vater meyns
te , es fen eine gelehrte Eitelkeit griechifch zu
reden, oder dergleichen Echriften und Bedichte
zu verferfigen ; fo fchien ed genug zu ſeyn, ihn
nach den ordentlichen Regeln fo weit zu brins
gen, daß er alles verflünde, was ariechiich ads
gefaßt wäre. Er erlangte auch folche Geſchick—
lichkeit wirklich in wenig Jahren. Weil man
dieſes nicht zu einem Hauptwerke machte; fo
on hl Stunden genug übrig, ihm in ans
dern
)
430 —
dern Künften und Wiſſenſchaften Unterweiſung
zu geben. Nach unfrer heutigen Einrichtung |
iſt es eine befannte Sache, daß die franzoͤſiſche
Sprache vielmals weit unentbehrlicher ift , als
alle tödte Sprachen der Morgenländer. Dean
nahm alfo einen Franzoſen an, welder ihn,
durch Unterricht und fleifigen Umgang, zu der
gehörigen Vollkommenheit brachte, Hatte ihm
fein Hofmeifter [don in den erften jahren, blog
durch Gefpräbe, wo nit eine Kenntnis von
der Hiftorie, dennoch eine Luft dazu beyge—⸗
bracht; fo war es nachher um fo viel leichter,
aud) darinnen weiter zu geben. Die älteren
Geſchichte wurden nicht vergeſſen; die neuern
aber , und befonders die Geſchichte feines Das
terlandes ,„ blieben allemal der Hauptzweck.
Die gröffern Schriften der lateiniſchen Medner
und Poeten wurden zugleich forgfäjtig durchgegan⸗
gen, nicht fomol die Redensarten daraus zu erlerz
nen , als vielmehr ihren ganzen Bau, und die
Buͤndigkeit des Vortrags einzuſehen. Hiers
durch lernte unſer Richard die Zaͤrtlichkeit einer
Ode, die Staͤrke eines Heldengedichts, und
dieienigen Urſachen kennen, welche den Cicero
zu einem Redner gemacht haben. Was konnte
ihm auf eine ſolche Art wol leichter fallen,
als auch in ſeiner Mutterſprache die Geſchick—
lichkeit zu erlangen, Die einem Gelehrten fos
. wohl anfiändig it? Dan brachte ihm einen
Bearff
*
) i y /
3 anna 431
Begriff von der Weltweisheit bey; ſo weit er
naͤmlich bey ſeinem damaligen Alter vermoͤgend
war; und man brauchte zugleich die Vorſicht,
die Kräfte feines Werftandes und Nachdenkens
dur) die mathematifhen Wifenfchaften zu
fchärfen und in Ordnung zu bringen. Zu feis
ner Gemüthsergögung ward ihm ein Tanzmei—
fter und ein Zeichenmeifter nebſt andern Künfts
lern gehalten, und Richard iſt dennoch ein
Gelehrter, ob er gleich wider die bisherige
Gewohnheit gelernt bat, mie man lelers
lich und zierlich fehreiben muͤſſe. Wenn ich
davon noch nichts gefagt babe, wie forafältig
man ihu von Zeit zu Zeit in feinem Chrifiens
thume unferwiefen ; fo darf man. darum nicht
denken, als ob Diefes verabfäumt worden
wäre. Du kennſt feinen vernünftigen Vater,
das ift fchon genug. Auf folche Weife ward der
Grund zu derienigen Öelehrfamfeit gelegt, mwels
che Richard nunmehr befist. Nur diefes muß
ich noch erinnern, daß man ihn erſt im neuns
sehnten Jahre auf die hohe Schule that, uns
geachtet er die Kräfte vieleicht eher gehabt
hätte, den Degen zu fragen.
Das Beyſpiel diefes gelehrten Mannes
überbebt mich aller Mühe, einige Regeln von
der Unterweifung unfrer Jugend in den erften
Fahren zu geben. Vielleicht zweifelfi du aber,
ob diefe Art, die Jugend zu unterweifen, auch
allge⸗
⸗
432 — \
allgemein » und ey andern ebenfalls mit Nutzen
anzumenden fey ? Ich getraue mir, folches zu
bepaupten.
Iſt es wol ſchwerer, die Iafeinifche rs
de zu erlernen , als die franzoͤſiſche, oder die
teutibe ? Das Fannft du nicht fagen. Wie alt
bift du geweſen, als du teutſch reden Fonntefl,
und entfinnfl du dich wol, daß da fon im
achten Jahre mit deiner Franzoͤſinn zu plaudern
vermögend warf? Der Umgang , eine fleifige
Uebung, und der Mangel einer verwirrten Mes
thode und ecfelhafter Neneln , brachten dich fo
zeitlich zu dieſer Geſchicklichkeit. ben das vers
lauge ich ben der lateiniſchen Sprache. Wo
findet man aber dieienigen , welche gefchickt find,
die Jugend auf folche Art zu unterweifen ? Wie
viele giebt es nicht, die zwar wiſſen, wie fie
auf ven Gatheder, aber nicht, wie fie in der
Kirche lateinisch reden follen. Mir beide has
ben ſtudirt: wir laffen ung beide Gelehrte nens
ven, und dennoch follfe es ung ſchwer fallen,
die gemeinften Handlungen der Menſchen auss
sudrücen. Ich gebe diefes zu, mein werther
Herrmann , ic) glaube aber, daß dein Einwurf
die Wahrheit meiner Meynung nicht wieder;
legt ‚-fondern nur noch mehr bekraͤftigt. Waͤ—
ten wir, wären andre in ihrer Jugend beffer
angeführt worden ; fo würde es uns und ans
dern an der Geſchicklichkeit nicht iehlen , welche
man
m... urn same 433
man allerdings bey wenigen antrifft. Lnferdefz
fen will ich dir doch verfchiedne auſweiſen, wel⸗
che diefe Geſchiklichkeit wirklich befigen, noch
mehrere aber, welche gar wohl fähig waͤren,
jolhe zu erlangen, wenn man nur ihre Demüs
bung durch billige DVergeltungen aufmunterte.
Die Schuld fällt allemal auf die Aeltern zus
ruͤck, welche die Art, ihre Rinder zu unterweis
fen, entweder felbft nicht verfichen, oder aus
Geiz die nöthigen Koften ſcheuen. Du Fennft
ienen Vater, welcher mehr auf feine Pferde wens
det, als auf feinen Sohn, Er ſcheuet Feine
Koften, feinen Budel recht abrichten zu laffen ;
wenn er aber dem Lehrmeifter feines Soh—⸗
nes ein Duartal besahlen fol, fo geſchieht
es niemals ohne innerlicen Widerwillen, Des
daͤchten wir mur, daß das Glück unſrer
Kinder, daß unfre eigne Ehre auf eine vers
nünftige Unterweifung derfelben ankaͤme; fo
würden mir hierinnen eher. verſchwenderiſch,
als Farg ſeyn, und ich weiß gewiß, es würs
den fi) viele finden, melde vermögend wis
ven, alles dasienige zu leiften, was ich von
einem Lehrmeifter gejordert babe, Bedächten
E e mir
a4. — —
wir aber auch, daß ſich von unſern Kindern
nur dieienigen den Studien widmen ſollten,
denen die Natur die Faͤhigkeiten dazu vers
liehen hat; ſo wuͤrden wir ſehen, daß es
ſehr leicht ſey, die Jugend nach derienigen
Art zu unterweiſen, welche mir die vernuͤnf⸗
tigfte zu ſeyn geſchienen hat, |
Aabener.
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— A
An die Freude.
Fra, Göttin edler Herzen!
Höre mid).
Laß die Lieder, die hier fehallen,
Did) vergröffern,, dir gefallen :
Was hier tünet, tönt durch dich.
Muntre Schwefter, füffer Liebe ?
| Himmelsfind !
‚Kraft der Seelen! Halbes Leben !
Ach! Was kann das Gluͤck uns geben,
Wenn man dich nicht auch geroinnt ?
Stumme Huͤter todter Schaͤtze
Sind nur reich.
Dem, der keinen Schatz bewachet,
Sinnreich ſcherzt und ſingt und lachet,
Iſt kein karger Koͤnig gleich.
Gieb den Keunern, die dich ehren,
| Neuen Muth,
Neuen Scherz den regen Zungen,
Neue Fertigkeit den Jungen ,
Und den Alten neues Blut,
Ee3 | Du
238
Du erheiterfi, bolde Sreude!
Die Vernunft. |
Stich, auf ewig, die Sefichter $
Aller finftern Splitterrichter
Und die ganze Heuchlerzunft.
v. Hagedorn.
Der Morgen.
Urs lockt die Morgenröthe
In Buſch und Wald,
Wo [don der Hirten $löte
Ins Land erfihalit.
Die Lerche fleigt und ſchwirret,
Don Luft erregt,
Die Taube lacht und girref,
Die Wachtel ſchlaͤgt.
Die Hügel und die Weide
Stehn aufgebellt;
Und Fruchtbarkeit und Freude
Peblümt das Selb. |
Der Schmelz der grünen Flächen
Glaͤnzt voller Pracht;
ind von den Flaren Baͤchen
Entweicht die Nacht.
Der Huͤgel weiſſe Buͤrde,
Der Schafe Zucht,
X
Draͤngt
BER 439
Drängt fi) aus Stall und Hürde _
Mit frober Flucht.
Seht, wie der Mann der Heerde
Den Morgen fühlt,
Und auf der frifchen Erde
Den Buhler fpielt.
Der Jaͤger macht ſchon rege
Und hezt das Reh
Durch blutbetrieſte Wege,
Durch Buſch und Klee.
Sein Hifthorn giebt das Zeichen,
Dan eilt herbey!
Gleich fhallt aus allen Straͤuchen
Das Jagdgeſchrey.
Doch Phyllis Herz erbebet
Bey diefer Luſt;
Nur Zärtlichkeit belebet
Die fanfte Bruſt.
Laß uns die Thäler fuchen,
Geliebtes Kind,
Wo wir von Berg und Buchen
Umfchlofen find ! |
Erfenne did) im Bilde
Von iener Flur!
Cry ſtets, wie dieß Gefilde,
Schoͤn durch Natur;
Era . Eu
N
449 nr
Ermünfchter als der Morgen,
Hold wie fein Stral;
So frey von Stoß; und Sorgen
Wie diefes Thal!
| —
———— — —
An die Leyer.
oͤne, frohe Leyer, —*
Toͤne Luſt und Wein !
Töne, fanfte Leyer,
Töne» Liebe drein !
Wilde Krieger fingen,
Haß und Rad) und Blut;
In die Laute ſingen,
Iſt nicht Luft, iſt Wuth.
Zwar der Heldenſaͤnger
Sammelt Lorbeern ein;
Ihn verehrt man laͤnger;
Lebt er laͤnger? Nein.
Er vergraͤbt im Leben
Sich im Tiefſinn ein:
Um erſt dann zu leben,
Wann er Staub wird ſeyn.
Lobt
.
Lobt die Frölichkeik.
aan nn nun 441
Lobt ſein goͤttlich Feuer,
Zeit und Aſterzeit!
Und an meiner Leyer
Leſſing.
An die Laute.
Du ſingſt, o Nachtigall! allein
Bey ſchauervoller Nacht:
Dein Lied ertoͤnt im dunkeln Hain,
Wo nur die Schwermuth wacht.
Dein Lied erfriſcht des Wandrers Herz,
Der tief im Wald verirrt,
Mon mancher Furcht, von manchem Schmerz
Beſtuͤrmt und troſtlos wird.
Er hoͤrt den klaͤglich ſuͤſſen Ton,
Mit Ehrfurchtvoller Luft:
Die Hoffnung, die ſchon faſt entflohn,
Erwacht in ſeiner Bruſt.
Nun geht er durch die dunkle
Mit ſichern Schritten hin:
Sein Schutzgeiſt gehet ſtill voran;
Der Naͤchte Schrecken fliehn.
Ees5 Wenn
Wenn auf ded Lebens dunfelm Pfad
Die Seele troftlos irrt, J
Und ohne Schutz und ohne Rath
Der Schwermuth Beute wird.
O ſanſte Laute! toͤne du,
Bey ſtiller Mitternabt,
Mir Hoffnung, Troſt und Ruhe zu,
Die Hirten gluͤcklich macht!
Entfernt von praͤchtger Thoren Ben
Eehrf du mich ruhig feyn. |
Mein Leben fey , fo wie dein Ton,
Still, anmuthsvoll und rein.
Der prächtige Trompeten Klang
Iſt ſchoͤn, doch fuͤrchterlich:
Ganz leiſe toͤnet dein Geſang,
Und reizend nur fuͤr mich.
So ſey mein Leben ſtill begluͤckt,
Sanft, aber unbekannt,
Mit ſtillen Tugenden geſchmuͤckt,
Im ſichern Mittelſtand.
Ein ſchimmernd Gluͤck hear ih nie: |
O wär die Weißheit mein! ®
Erhabne Vorſicht, gieb mir fie,
Sa werd id glüdlig ſeyn!
. Da
— 443
Der Lorbeer bleibt befländig grün,
Den ung die Mufe reiht,
Wenn aud) die Zeiten ſchnell entfliehn,
Der Tugend Scherz entweicht.
Mein Alter ſey nicht Freuden leer,
Nicht ohne Scherz und Lied!
Der Ted ift nur dem Thoren fchwer,
- Dem fterbend alles flieht.
a v. Cronegk.
An die Schönen.
Nach der zweyten Ode des Anakreons.
Wer ſahe die Natur erſchaffen?
Wer durfte weigern, was ſie gab?
Wer trotzte Waffen oder Weisheit,
Ihr, oder ihrem Schoͤpſer ab?
Sie gab dem Stiere ſeine Hoͤrner,
Dem wilden Eber ſeinen Zahn,
Dem Loͤwen ſeinen weiten Rachen,
Und ſeinen krummen Sporn dem Hahn.
Verſtand und Witz gab ſie dem Manne,
Damit erfand er Lanz und Schild;
Was nahm das Weib aus ihren Haͤnden?
Das Weib, des Mannes Ebenbild?
Die
m | ass... |
Die Schönheit nahm es. Eine Schöne, _
Führe ihren Krieg mie dem Geſicht!
Ihr mwiderfiehen Schild und Lanze
Verſtand und Stahl und Zeuer nicht!
| Glem.
Der Greis.
Hin ift alle meine Kraft !
Alt und ſchwach bin ich,
Wenig nur erquicket mich
Scherz und Rebenſaſt!
Hin ift alle meine Zier!
Meiner Wangen Noth
Iſt hinweggeflohn. Der Tod _
Klopft an meine Thür!
Unerſchreckt mad) ich ihm auf;
Himmel, habe Dank! |
Ein harmonifcher Gefang
Mar mein Lebenslauf !
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Br
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Fruͤhlingsgeſang des Alters,
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Sch will den Frühling noch genieflen,
Der wieder auf der Erde blüht, |
Re Denn
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EEE 445
Denn bald wird fi) nunmehr dieß Auge ganz
verfchlieflen,,
Das iezt ſchon Dunkel überzieht.
Ihr Blumen, theilt mir Abgelebten
Noch einmal euren Balſam mit,
Mid) drücken Jahre, die bey mir vorüber \
| ſchwebten,
Wie ſchwach und wankend iſt mein Tritt.
Sch zittre faft, wie eure Stengel;
Henn fie der innge Weſt berührt.
Sch fiele, würd’ ich nicht von meinem guten
Engel
Unfi ichtbar bey der Hand geführt.
Singt nod) einmal vor meinem Ohre,
Ahr Lerden, und du Nachtigall !
Singt und erinnert mid) in eurem ſuͤſſen Chore
An meiner Jugend Freudenſchall.
Doch, wenn ihr mir Daran gedenket,
- Dann fällt mir manche Thorheit ein,
Die meine Schritte von der Tugend abgelenfet,
Und manchen Fehl muß ic) bereun.
Ich müßte frauern, wenn die Liebe
Des Gottes, der ung fehlen fieht,
Nicht meine Miſſethat dem Nebel gleich vers
. triebe,
Der vor dem Sonnenblick entflieht.
Ich
—
Ich will mich freuen, will ihn Toben,
Ihn, der mir fo viel Gutes gönnt,
Und mir dad Befte noch im Himmel aufgehoben,
In Welten, die Fein Weifer N
Dorthin wird dieſer Geiſt ——
Der in mir denket, hofft, und ſchwebt,
Und dort erfennt er did), durch den die Blumen
blüben ,
Durch den der Fiſch im Waſſer lebt.
Dich Gott, der uͤber alle Suͤnder
Das Urtheil ausgeſprochen: ſterbt!
Und kuͤnftig ſprechen wird: kommt wieder,
Menſchenkinder!
Seyd nicht mehr elend, nicht verderbt.
Nicht mehr voll Schwachheit und voll
Maͤngel,
Nein, ſeyd vollkommen und genießt
Die Freude meines Reichs, und ſingt ſie mit
dem Engel,
Der euch als ſeine Bruͤder gruͤßt.
Karſchin.
Der May.
Der Nachtigall reizende Lieder
Ertoͤnen und locken ſchon wieder
Die
447
Die froͤlichſten Stunden ins Jahr.
Nun ſinget die ſteigende Lerche,
Nun klappern die reiſenden Stoͤrche,
Nun ſchwatzet der gaukelnde Staar.
Wie munter find Schäfer und Heerde!
Wie lieblich bebluͤmt ſich die Erde!
Wie lebhaft iſt itzo die Welt!
Die Tauben verdoppeln die Kuͤſſe,
Der Entrich beſuchet die Fluͤſſe,
Der luſtige Sperling ſein Feld.
Wie gleichet doch Zephyr den Floren!
Sie haben ſich weislich erkohren,
Sie waͤhlen den Wechſel zur Pflicht.
Er flattert um Sproſſen und Garben;
Sie liebet unzaͤhlige Farben;
Und Eiſerſucht trennet ſie nicht.
Nun heben ſich Binſen und Keime,
Nun kleiden die Blaͤtter die Baͤume,
Nun ſchwindet des Winters Geſtalt;
Nun rauſchen lebendige Quellen
Und tränfen mit fpielenden Wellen
Die Triften , den Anger ,. den Wald.
Wie buhleriſch, wie fo gelinde
Erwärmen die weltlichen Winde
Das Ufer, den Hügel, die Gruft! |
—* | Die
Die ingendlich feherzende Liebe,
Empfindet Die Neizung der Triebe,
Empfindet die fchmeichelnde Luft.
Nun ſtellt fid die Dorfſchaſt in Reihen,
Nun rufen euch eure Schallmeyen,
Ihr fampfenden Tänzer! hervor.
Ihr fpringet auf grünender Wieſe,
Der Pauerfnecht hebet die Liefe,
In hurkiger Wendung empor,
Nicht frölicher, weidlicher , Fühner
Schwang vormals der braune Sabiner
Mit männlicher Sreiheit den Hut,
O reizet die Städte zum Neide,
Ihr Dörfer voll hüpfender Freude!
Was — dem Landvolk an Muth?
v. Hagedorn.
Die Roſe.
Wie ſtolz von ihrem Thron
Die Purpurroſe winkt!
Wie ſchoͤn auf ihr in tauſend ——
Aurorens Morgenzaͤhre blinkt!
Wie ſroh ſie den Erquickungsſtral
Der iungen Sonne trinkt!
In Engelſchoͤne ſteht ſie da,
Die Blumenkoͤniginn
Das
| | 449
— — —
Das Lied der jrommen Hirten,
Neid der Schaͤſerinn.
Aber dieſe Sonne, die ſie erquickt,
Die ſie mit iedem Reiz des Lenzens geſchmuͤckt,
Hat nun des Mittags Hoͤh aot;
Und gießt voll Wuth
Sihre verfengende Gluth
Auf die arme Roſe nieder,
Ihre Bitter welken wieder,
Sie ſinkt und erbleicht.
Wie vom Morgenſtral erquickt
Du, o Roſe, gelacht;
So freudig, ſo begluͤckt
Hat Lieb' einſt meine Jugend gemacht.
Aber, wie der falſchen
Sonnengluth dich verzehrt,
So hat auch falſche Liebe
Die Bluͤthe meiner Jugend zerſtoͤrt;
Vor der Grauſamen, vor ihr
Welkten die Mayroſen;
Welkten die Freuden allein —
Nur die Bluͤtheloſen
Dornenfängel ließ fie mir.
— F. Schmit.
—
* Auf⸗
450 —
Aufmunterung zur Freude.
Wer wollte ſich mit Grillen plagen,
So lang uns Lenz und Jugend bluͤhn?
Mer wollt in feinen Bluͤthentagen
Die Stirn’ in duͤſtre Kalten ziehn?
Die Freude winft auf allen Wegen,
Die durch dieß Pilgerleben gehn;
Sie bringt ung felbit den Kranz enfgegen,
Wenn wir am Scheidewege ſtehn.
Noch rinnt und rauſcht die Wieſenquelle,
Noch iſt die Laube Fühl und grün. |
Noch fheint der Liebe Mond fo helle,
Wie er durd) Adams Bäume ſchien.
Noch macht der Saft der Purpurtraube
Des Menſchen Eranfes Herz gefund;
Noch ſchmecket in der Abendlaube
Der Ruß auf eines Sreundes Mund.
Noch koͤnt der Buſch voll Nachtigallen
Dem Juͤngling hohe Wonne zu,
Noch ſtroͤmt, wenn ihre Lieder ſchallen,
Selbſt in zerriſſne Seelen Ruh. |
O munderfchön ift Gottes Erde,
Und werth, darauf vergnuͤgt zu ſeyn;
Drum will ich, bis ich Aſche werde,
Mich dieſer ſchoͤnen Erde freun.
Hoͤlty.
Zufrie⸗
Zufriedenheit,
-ntflieht ihr ſchwarzen Sorgen,
Komme nicht in meine Bruſt!
Noch ſchenkt mir ieder Morgen
Zufriedenheit und Luft.
Noch lacht mein Lenz, nod) glüpee
Mein iugendliches Blur,
Flieht, ſchwarze Sorgen flichet,
Und laßt mir frohen Muth!
Der raͤuberiſche Kummer,
Er raubt ung Wonn' und Scherz,
Koͤmmt, raubt uns allen Schlummer,
Und hinterlaͤßt uns Schmerz.
Sch ſeh's an vielen Thoren,
Wie blak ift ihr Geſicht!
Der Zweck, ben ich erfehren,
Die Freude Fennt fie nicht.
Kein Wunſch fol mid) bethören,
Der mich zum Sflaven macht;
Zum Sflaven ſtolzer Ehren,
Zum Sklaven ſtolzer Pracht.
Statt herrlicher Palläfte,
Ergoͤzt mich Freundſchaft nur,
Das Lifpeln iunger Wefte
Auf vafenvoller Flur.
Mich reist, ſtatt groffer Güter,
Ein munterer Gefang :
| | SI2 u. vi Bi.
\
Und Eintracht der Gemüther,.
Geſellſchaft ſonder Zwang.
Ep fließt entferne vom Neide
dein Leben ſtill dahin:
Sagt, Kenner wahrer Freude,
Ob ich nicht gluͤcklich bin?
>
ie glüclid) lebt der muntre Schwarm
Der Voͤgel in den Buͤſchen!
Nie wird ſich Scheelſucht oder Harm
In ihr Vergnuͤgen miſchen.
Die Lerche ſchwingt ſich Lebens lang
Weit uͤber Erd' und Grillen,
Mit Dankbarkeit und ie 8
Die Himmel zu erfüllen. ER
Ihr ſchielet nie die Aelfter nah,
Sie gönnt ihr ihre Flügel, Wr
Und huͤpſet Iuflig «um den Ba,
Und luftig auf den Hügel.
Des Pfauen Kleider laffen ſchoͤn
Vor unfern Stoffen allen:
Allein die Kraͤhe Fann fie fehn,
Don Ohnmacht unbefallen.
Wann denkt der wilde Spaß daran, |
Daß ihn Beratung druͤcket?
Die guten Beyſpiele.
Er
— 453
Er liebt und ſingt, ſo viel ev Fann,
Und ſchmanſet, was ihm gluͤcket.
She lieben Thierchen, lebet wohl!
Habt Dank für gute Kehren!
Kein Neid, Fein Meißvergnügen foll
Mein eignes Gluͤck mir ſtoͤren.
BIT ER
— — nn m nnd
J
Sommerlied.
Lenge Sommertage,
Seyd willkommen mir!
Trotz der Traͤgheit Klage,
Freudenvoll ſeyd ihr.
Nein! dem muntern Fleiſe
Seyd ihr nie zu lang,
Unter meinem Schweife
Töne mein Geſang.
- Mein Geſang in Wäldern
Früh und Abends fpät,
In den reifen Feldern,
Eh' die Sonn’ aufgeht.
Schöpfer, mein Gemäthe -
Fuͤhle, wie es ſoll!
Deiner Vatergüte,
Godt, iſt alles voll. |
F Sf 3 | Wieſen,
454 —
MWiefen, Bäume, Neben
Stehn in voller Pracht,
Doll vom neuen Leben,
Alles, alles lacht.
Uns und Dir enfgegen
Lacht und iauchzt das Feld,
-Cammelt, fammelt Seenen,
Nreift den Herrn der Welt,
Schnitterlied
Die du dich mit Aehren kraͤnzeſt,
Blonde Ceres, babe Dank!
Ceres, für der Ernte Geegen
Danft der Schnitter Erntelied.
Wir, und die, die Garben binden,
Rufen ale: Habe Dank
Lehnt euch nicht, ir muntern Schnitter, i%
Lehnt euch auf die Senfe nie! |
Denn die Erntefeffel drohet,
‘Und der Erntefönig ſpricht:
Den, der auf der Senfe ruhet,
Feßle ſtracks die Schnitterinn. -
Weichet nicht, ihr kuͤhlen Winde,
Weichet von dem Felde niht!
Slattert fanft um feine Schläfe,
Wann der Schnitter Aehren faͤllt;
| Ä Flat
455
Flattert fanft um ihre Wangen,
Wann die Dirne Garben fest.
Glrille, die du um uns büpfeft,
Singe dein heil ſchwirrend Lied! |
Und du, groffer Krug der Ernte,
Wohl gedeih dein Firnemoft!
Sey nie leer, du Krug der Ernte,
Wann der Schnitter zu dir kehrt.
Endlich firalt der Mond vom Hügel,
Ueberſieht das narfte Feld, |
Und von allen Garben fteiget
Suͤſſer Duft zum Himmel auf.
Und wir, ziehn mit Lobgefange
Durd) das floppelnvolle Feld.
Die du dich mit Achren Frängefi,
Dlonde Ceres, habe Danfı -
Dpferraud der Erftlingsgarbe:
Steigt zu deinem Wolfenthron.
Garbenbinderinn und Schnitter
Rufen alle: Habe Dank!
| y> v. Serftenberg.
—
h Moſette an die Bienen.
Dragt nur in die Zellen ein,
Kleine Honigfammlerinnen,
Sucht bey warmen Sonnenfcdein.
Neue Schäge zu gewinnen.
ia Muͤſ—
Miüfiggänger haſſet ihr,
Fleiß und Arbeit find euch Freude:
Nehmet euch das befte bir
Auf der blumenvolien Weide,
Wann der flockenreihe Nord
Ueber die Gebürge flreihet,
Und der Flora Kinder fort
Bon den dden Auen ſcheuchet,
Daun ſizt ihr, in Sicherheit ;
Bol find eure Dorratbsfammern,
And euch zwingt die Dürftigfeit
Nicht, vor Andrer Thür zu iammern.
Doch ihr ſorgt nicht nur für euch,
Ihr von bimmlifchem Gemuͤthe
Seyd auch für ung Menfhen reſch,
Dankbegierig und voll Güte.
Ihr verzinkt das Fleine Haus °
Reichlich dem, der es erbauet;
Und der leiht mit Wucher aus,
Wer end) in der Theurung traue.
Euer ämfiges Geſchlecht
Muͤſſe iährlich fi vermehren,
Und das weiſe Bürgerredt
Keine Raͤuberbien' entehren.
Neue Bluͤmchen pflanz' id bier;
Jedes will ich forgfam ſchonen:
Und.
armer mernnune 457
Und ihr werdet mir dafuͤr
Bald mit ſuſſer Speiſe lohnen.
Weiſſe.
Der Herbſt.
Der Sommer flieht. Wie ſchmucklos, freudenleer,
Sind nun die Gaͤrten, Wieſen, Felder!
Der Hain wie rauh, wie ſchauervoll iſt er,
Wie fällt das Laub der dunklen Wälder!
Nicht mehr feh ich die Roſ' im Silberbarh
Den kaum entbüllten Purpur frieneln: |
Kein Luſtgeſang Fein Elagendliebend Ach
Schalt von dem fernen Kranz von Hügeln.
Wie öde liegt das füffe Veilchenthal!
Es welkt, fireut nicht mehr fanjte Düfte
Amber: Entblättrung berrfchet überall,
-Das Blümdyen ftirbt vom Hauche Falter Lüfte,
Es toͤnet nicht der füffe Haingefang,
Der Nachtigallen Zauberlieder;
Kein Echo ruſt der Silberſaitenklang
In einſamen Gebuͤſchen wieder.
Ich ſeh nicht mehr im hellen Mondenſtral
Von Thau benetzte Bluͤthen blinken:
Nicht mehr vom Fühlen Waſſerſall
Die matte Wollenheerde trinken. |
wue Sig, Sefuns
458 —
Geſunknes Raub rauſcht unfer meinem Fuß, |
Die NHeerde irrt anf welkem Grafe :
Wild nieht vom Hau des Nordwinds iener
| Fluß,
Kein Bienen irret mehr im Graſe.
Es kommt die Ruh des Winters ſchon daher;
Bald ſteht der Fruchthaum ohne Leben,
Der ung durch Schatten oft begluͤcket,
Der ung mild feine Frucht gegeben.
Soo ſtirbt auch der, der fi ch des Wohlthuns
| freuf,, M
Der lebend füffe Frucht getragen:
Und Schatten auf Notbleidende geflreut
Und fi) erbarmt der Waifen Klagen,
ur
Jagdlied.
ur ‚auf in den Wald!
Das Jagdhorn erſchallt. ——
Der Weidmann, nie muͤde,
Haßt Schlummer und Friede;
Er iauchzet, wenn ſchallt:
Auf, auf in den Wald!
Ihr Jäger, herben !
- Die Förfte_ find frey !
Und Haiden und Wälder,
Und Reiche und Felder
Belebt
u 459
Belebt und erfüllt
Geflügel und Wild.
‚Sir Menſchen ſchuſs da
Der Guͤtige ia,
Laßt ieglichen Rücken
Ein Feuerrohr drücken !
Auf fröliher Bahn
Stimmt Jagdgefang an!
Der Morgen wird grau;
Wie Sternchen, blinkt Thau.
Schon ziehet mit Stolze
Der Faiſthirſch zum Holze;
Schon trillert das Chor
Der Lerchen empor.
Wie roͤthet dort Gold
Die Wipfel ſo hold!
| Auf, auf in den Wald !
Des Tannenhains Lächeln,
Den Zephyre fäheln,
Entbieret uns ‚heut
Willkommen zum Streit.
Auf, auf in den Wald!
Ha! fürdtet nun bald
In Thälern, auf Hügeln,
Mit Läuften und Flügeln,
Des Donners Gewalt.
Krauſeneck.
An
Mb nn EEE
An die Veilchen.
eliebte Kinderchen! die hier zu meinen Fuͤſſen
Aus feuchtem ſchwarzen Grund, von Thau ers {
zeugt, entiprießen ;
Ihr Veilchen, groß von Geiſt, wiewol von
Koͤrper klein,
An Glan; und Farben reich, doc) ſittſam und
Ä gemein, Ü
hr ſollt mir heut ein Bild belohnter Tugend
ſeyn!
Ihr wohnt in einſamen und ſchattenreichen
Gruͤnden,
Sucht weniger, die Welt, als euch die Welt,
zu finden;
Ihr ſchmuͤckt, wie Tulpen, nie ein praͤchtig
Freudenfeſt,
Und ſelten kuͤßt euch nur ein ſchmeichleriſcher
Weſt.
Bisweilen laͤßt ſich zwar mit gaufelndem Gefieder
Der bunte Schmetterling verbuhlet bey euch
nieder, |
Doch winft die Nofe nur, fo eilet er von euch,
‚Sagt ewig lebe wohl, und flattert ing Geſtraͤuch.
Kein Menſch, um euch zu ſehn, irrt zwiſchen
dieſer Buchen, |
Wohl taufend loben euch, nicht einer mag euch
—— ſuchen.
Ihr habt ein gleiches Gluͤck mit Tugend und
Natur,
Die
V
—
2
— — 462
Die: ruͤhmt der Philoſoph, die malt der Maler
nur.
Doch Diefer, fo wie ‚der, ‚verlieren ‚ihre Spur,
Bent fie von beyder Bahn forgfältig ausge⸗
ſchritten,
Der in der Schilderey, und der in ſeinen Sitten.
Seyd drum nicht misvergnuͤgt, weil euch der
Nordwind drůckt,
und euer zartes Haupt ſo tief zu Boden draͤckt.
Muͤßt ihr gleich unterm Schnee in kalten Thaͤ⸗
lern wohnen,
Det Himmel findet euch, und weiß euch zu
belohnen.
Es feige nach eurem Tod ein Honigſuͤſſer Duft.
Aus eurem Elan —5 — und fuͤllt die weite
nbo Luft.
Hierinnen hat Bi Sa Unſterblichkeit
geben,
Nicht ohne Nachruhm noch, wenn ihr verwelkt,
zu leben.
Und weil iedwedes Ding, nach ſeinen feſten
Schluß,
Am Ende ſeines Ziels, dem Schickſal folgen muß,
So ſoll euch doch im Tod ein Glanz von Ehre
Erönen,
Und nichts Unwürdiges im Sterben nord ver⸗
hoͤhnen;
Euch ſoll vergoͤnnet ſehn, was ieder Dichter preiſt,
Wornach der Weiſe ſtrebt, wornach der For
ſich veißt, |
Mas
Was ich und ieder Held mit Blut ſucht wu
erwerben —
Auf, BUNT Silienbruft nicht unbeneid’t ee
ſterben. a
—
F
—J— 4 J
Bey Herammaherum, des Winters.
DO, Sommer flieht,
Und mit ihm zieht
Ein Chor von Freuden.
Wie blumenler
‚is um mic) ber! .
Die (hmudlos Thal und Bee, un du
2%. OR Wettgeſang,
Kein Saitenklang |
Toͤnt durch die Wälder,
Ein rauher Wind,
Des Winters Kind
Weht über nackte Selder.
Der füfe Schall
Der Nachtigall
Iſt ſchon erſtorben.
Der Roſenſtrauch
Iſt durch den Hauch
Des kalten Nords verdorben.
Die
Die Frend ik todt.
Kein Abendroth |
Malt mehr Vergnügen.
Nichts ift mehr ſchoͤn: —*
Kein Bihe —* *
Laͤßt ſich auf Zweigen wiegen.
Durchſchlummre nuu
Beraubte Flur KEIN kon der
Des Winters Länge,
Wenn du erwacht .
In Fruͤhlings⸗Pracht,
Durchirren dich Geſaͤnge.
Und loben den |
Der wieder ſchoͤn vos:
Mit Reiz dic) ſchmuͤcket, ir
Den Herrn der Sun
Und der Natur, ER
Der Menſchen gern —
Der frohe ner,
'o gluͤcklich, ſo vergnuͤgt als ich
Sind wahrlich nicht auf Erden
Die Reiben : ad! ich graͤmte mic),
Sollte’ id ein Reicher werden,
Gold ſchaͤtzen reiche Thoren nur,
Wer wird fie drum beneiden?
I
464 —
Ich ſchaͤtze meine ſchoͤne Flur: -
Die, die gewährt mir Freuden.
So oft id früh, von iener Höh
Deirept von allen Sorgen,
Des Himmels Seegen überfeh “
An einem ſchoͤnen Morgen, .
Im Hain ben milden ' Sonnenblick
Die Voͤgel hoͤre ſingen: 3
Und unten nun im Thal erblick,
Wie meine Schaͤſchen ſpringen.
Wie in der erſten Morgenſtund
Im Doͤrſchen alles lebet,
Und froͤlich munter und geſund |
zur Arbeit ſich erhebet.
So oft ruf ich: Mein Gott, wie gut,
Sind alle deine Werke!. . >
Dem Reichen giebft du Geld und Gut:
Mir giebſt du Kraft und Stärke.
Und dann wird mirs fo hell im Sinn,
So hell — ich kann's nicht fagen;
Ich eile fort, zur Arbeit Hin ——
Und wollte Berge tragen. “=
Noch nie hat mir ein ſchwuͤhler Tag De
Kraft. oder Muth benommen.
Er fey To heiß er immer mag,
Muß doch der Abend Fommen,
Und
—
Und koͤmmt er dann, o welche Luſt,
Wenn Frau und ‚Kinder ſpringen:
Vol Frenden ſich um meine Bruſt,
Um meine Knie ſchlingen
Wenn Lieb und Unſchuld im Geſi cht
Sich alle zu mir ſetzen;
Und an dem fuͤſſen Mid gericht
Recht koͤniglich ergoͤtzen.
Und wenn wir dann herzinniglich
Gott unfer Danflied bringen;
‚Und mir fo ift, ald wenn um mich
Die lieben Engel fingen. -
Dann fühl ichs ganz und fag’s oft laut:
Daß glürflicher und weifer
Der ift, der feinen Acker baut
Als König oder KRaifer,
Miller,
— nn nn
Das Landleben.
O wohl dem Manne, dem nicht Feldpoſaunen,
Der Roſſe Stampfen, Donnern der Kartaunen,
Kein Schiff „das Beute, Maſt und won
verlieref, |
Den Schlaf entführet,
—— Der
466 — EEE
Der nit die Ruhe darf in Derge ſenken;
Der, fern vom Purpur, fern von Wechfelbänfen,
In eignen Schatten, durch den we BER,
Erin Leben fühlen.
Er lacht der Schlöffer, von Geſchuͤtz RE
Verhoͤhnt den Kummer, der an Höfen lachet,
Verhoͤhnt des Geijes in —— —
Schlafloſes Trauren.
So bald Aurora, wann der Himmel grauet,
Dem Meer entſteigend lieblich niederſchauet,
Flieht er ſein Lager, das nur ſchmucken,
* heitern Blicken.
Er lobt den Schiafer, hoͤrt ihm fi ihaen,
Die durch die Lüfte fi ch dem Aug' entſchwingen;
Hört, im Geliſpel fanft bewegter Aeſte,
Sein Lob vom Welle. |
- Sieht Regenbogen aufden Brafe blißen;
Schaut über Wolfen von der Berge Spiken,
Wie ſchoͤn die Ebne , die fi) blau verlierek,
Der Lenz oezieret, J
Bald zeigt ſich fliehend auf des Meeres Ruͤcken
Ein Schiff von weitem den nachfliehnden Blicken,
Das izt verfinfet, izt ſich wieder —
Und izt —
Er
467
Er ſieht ben Himmel weiß und gli
| prangen,
Ihn weiß und wollicht in den Fluthen hangen,
Mod) eine Sonn’, ihn dort mit Feuerſtralen
Und Purpur malen. | |
Er geht. in Wälder , wo an Schilf und
| Straͤuchen,
Er frummen Ufern Silberbäche ſchleichen,
Wo Bluͤthen duͤften, wo der — —
Luſtlieder ſchalen. 1 1%
Sau Bienen —*— führt an Wände
sn Reben; |
Nun traͤnkt er Pflanzen, zieht von Roſenöcken
Und Nußſtrauch Er
Eilt dann * Hätte; wo Fein Safer Alrhner,
Bo bey der Unfchuld Fried: und Wolluft wohnet:
Weil feine Doris, die nur Liebreiz id
| Ihm ee winket. | —V
Rein Euedt der Krankheit miſcht fir in
: 300. Berichte:
ee Brand und > wuͤrzt ihm Milch ähb
Früchte: —
Rein * Sewiffen ige ibm Schub und n Et -
Im *— Schlafe. dult
692 Freund,
468
Freund, laß ung Golddurſt, Stolz und
| Schloͤſſer haffen,
Und Kleinigkeiten Sürften überlaffen.
Mein Damon ruft uns, komm zum Sig der
Freuden .
Auf feine Weiden.
\ u
en
Der Genuß des Lebens,
Nach des vierten Buchs fiebenter Ode.
| Der Schnee zerſchmilzt“ Das Gras ſprießt
| auf den Fluren wieder,
Den Daumen keimt ihr neues Haar!
Der aufgeſchwollne Fluß ſteigt in fein Sitte
‚nieder,
Es bluͤht das aufgelebte Jahr!
Die nackte Grazie fuͤhrt holder —
| Chöre
Bereint mit beiden Schweflern auf. — |
Hoff” nichts Unfterbliches! das Jahr giebt dir
Ä die Lehre,
Und diefer Stunde her —
Vom .. zerſchmilzt der * der Som
10 mer ſolgt dem Lenzen,
Und ach! wie bald verflieht auch er!
Kaum
ER 469
Kaum, daß im reifen Herfit die-goldne Früchte
gfingen,
So. [leicht der träge Winter ber:
Doch den Berluf erfest der. Sonnen Ums
lauf wieder. —
Mir ob. wir der Jahre Raub,
Ach! finfen wir anmal zum finftern Grabe nieder,
O D Freund! dann find wir Aſch' und Staub.
er weiß, fehenft zu dem Zag, der Dir
ist froh verflieflet,
Das Schickſal nod) den naͤchſten dir !
Doch was aus deiner Hand ein Freund mit
Dank genieflet,
Entgeht des Erben Raubbegier !
Ta, glaub’ es mir, 0 Freund, bift du eits
\ mal verblichen,
Nie wirft du mieder bergeftelle!
Waͤrſt du ein Heiliger! beredter als die Griechen
Und Herr von mehr als einer Welt.
‚Die Unſchuld Hyppolits hat ihn nicht frey
RR aefprochen |
Bon allgemeinem Todes Schluß,
Und kethens Feſſeln hat kein Theſeus noch zer⸗
u brochen,
Feſt blieb er, * Pirithous.
| Weiſſe.
——
693 Br
479
An den Schlaf.
Holdeſler von allen Goͤttern,
Blicke mich doch wieder an!
Soll ich dich allein entbehren?
Hab' ich was nicht recht gethan?
Buß’ ich irgend einen Frevel,
Neid, Gewinnſucht, ſtolzen Wahn?
Nichts ift anf der flillen Weide,
Nichts iſt in den Käften wach,
Blumen fehlieffen id, und ahmen
Dem entichlafnen Menſchen nad,
Auch das wilde Meer entihlummerf,
Und der kleine Schmerlenbad),
Aber ich fah ſchon vergebens —
Siebenmal das Sonnenlicht,
Heſpers ſilberhelle Farkel,
Und Aurorens Angeſicht,
Und mein. Thraͤnennaſſes Auge
Schlieſſet no Fein Schlummer nicht.
Holder Gott, zu dem ich flehe!
Wenn dich irgendwo vielleicht,
In dem Taumel feiner Freuden,
Ein erhizter Juͤngling fleucht,
Dover von dem Rofenlager
Wolluſttrunken did) verſcheucht:
O,
—
a 47%
D, dann eil’ auf leichten Schwingen
- Meinem niedern Dache zu! |
Ich begehre nicht des Reichen,
Deines. Lieblinog, fatte Ruh;
Schleuß mit deineg Stabes Spige,
Nur mein müdes Auge zu:
| Blum.
Morgengeſang.
Dis tra Nacht entfliehet;
Aus Purpurwolken fleußt,
So weit Aurora gluͤhet,
Im Thau der Kraͤuter Geiſt;
Der Tag im Stralenkleide,
Fuͤllt wieder Erd' und Meer mit Freude.
Welch froͤliches Gedraͤnge
Wuͤhlt um den gruͤnen Strand!
Der Heerden rege Menge
Bedeckt Das meite Land;
Vom Klange ſuͤſſer Lieder,
Schallt Grund und Wald und Hügel wieder.
Dem Vater aller Wefen
Iſt heilig ieder Schall,
Der diefe Welt erlefen
Aus aller Welten Zahl, |
DIA. Und
Und der durch taufend Alter
Ihr Water war und ihr Erhalter.
Mein Vater, mein Erhalter!
Ich ſchweige nicht von dir, |
Noch brennt im erfien Alter
Die Dichtergluth in mir;
Colt’ ih dich nicht erheben:
Sp war fie mir zum Fluch gegeben.
Wer war’s , der in den. Schatten
Der-ungetreuen. Nacht, a
Die mic) belagert hatten,
Für meine Ruh gewahrt?
Wer weckte zum Gefchäfte
Des nenen Tages neue Kräfte?
Wer trieb aus meiner Seele
Der Bosheit alte Nacht?
Wer bat der bangen Seele
Den Tag zuruckgebracht,
Und wider Lieblingsmängel |
Mich angethan mit Kraft der Engel!
Mein Vater, mein Erhalter !
Sch ſchweige nicht von dir, |
Und ranbet einft das Alter LES V
Die Kraft der Rede mir:
So fol in reihen Bächen |
Dein Rob von meinen Wangen fprecden.
Die
Die andſchaſt.
eliebtes Feld, dein aufgeklärter Himmel
Der ſanſt und rein um ſtille Fluren fließt,
Empfange mich vom Laͤrm und vom Getuͤmmel
Der weiten Stadt, wo Unmuth mich umſchließt.
ie froͤlich ſteigt aus ſilberſarbnen Wellen
Das Morgenroth zum feuchten Horizont!
Der graue Wald, den Luſt und Tag erhellen,
Zeigt in der Hoͤh die Wipfel ſchon umfonnt.
Die Lerche fliegt in muſikalſchen Schaaren
Mit ſuͤſſer Stimm auf ſichren Haiden fort;
Und fuͤrchtet nicht des ſalſchen Garns Geſahren,
Und fuͤrchtet nicht des Feuerrohres Mord.
Voll Anmuth lockt das bluͤhende Geſtade
Der Oker, der hier ſanſter wird;
Am Ufer tanzt die lachende Naiade,
Der Tanz und Weſt ihr fliegend Haar verwirrt.
Der wilde Buſch, von Blüthen überfihneiet,
Beſieht fi) in der klaren Fluth;
Sie fließt dadin , von feinem Sturm entweihet,
So rein und fill, wie Silber in der Gluth.
Es hängt indeß an Klippen voller Weide
Der bärtge Bock, der die Geſtraͤuche nagt;
Da unbeforgt der Hirte Lieb und Freude
Yuf — ac den oͤden Felſen ſagt.
695 I
474 —
O Einſamkeit, dürfe: ich mic) dir ergeben!
Hier herrfcheft du im ſichern Hain! an
Warum muß ich im Farm der Städte leben ?
Hier koͤnnt ich froh, wie dieſer Hirte, ſeyn!
Gh Zachariaͤ.
— — — — —— — —
f
Erinnerung der Sinderiohre
a modert meine Freude,
Nun ewig mir verwehrt,
Bey meinem Fluͤgelkleide,
Bey meinem Steckenpferd!
Denn, ah! mit euch — vergebens
Als Mann zuruͤckgeweint —⸗—
Floh iedes Gluͤck des Lebens
Mich Armen — mid ein Freund!“
Uns Bruſt an Bruſt umfangen,
Wie frey ſprach Bruſt zu Bruſt!“
Sein Wunſch war mein Verlangen »
Mein Wollen feine Luſt!
Selbſt unfre Wonne fühlten
Die Fluren um ung ber:
ind Abendfonnen kuͤhlten,
Sid) zögernder im Meer!
ie oft fahlt du im Lenze
ing, freuer Hügel, zu!
Da baaden wir ung Kränze
Die Blumen gabſt uns du! BAR.
Be. |
475
Dann flodhten wir die Kraͤnze
Sn unfer lockig Haar;
So flohn uns iede Rene,
So floh ung iedes Jahr
Mer Eannt euch da, ihr Sorgen?
Wer, Kummer, deine Macht?
roh waren unſre Morgen,
ünd fanft war unſre Nacht!
Der Zwang, ein Spiel zu meiden,
Und ein verſchlagner Ball,
War alles unſer Leiden,
Mar aller Ungluͤcksfall!
Jezt rollen unfre Stunden
Durch ſtetes Ungemach.
Der Dank: ſie ſind verſchwunden!
Die Frage: was koͤmmt nach?
Iſt ieder Sonne Plage,
Seitdem wir älter find.
Rommt wieder , goldne Tage!
O waͤr ich noch ein Kind!
Michaͤlis.
ee
Lob der Unfchulb.
2. der Unfchuld ſuͤſſe Ruh,
O! wie lieblich ſchmeichelſt du
Unſern Seelen? |
| | Eitle
476 —
Eitle Wolluſt fleucht vor dir, >
Und doc läfelt du es mir
Nicht an Freuden fehlen. _
| Du fireuft Roſen und Schasmin
Auſ die ſichern Pfade hin, |
Die ich gehe,
Ich bin ganz Zufriedenheit,
Wenn id) dich voll Heiterkeit
Auf mich laͤcheln fehe.
Ohne Kummer, ohne Reu,
Fuͤhrſt du ſie vor mir vorbey,
Meine Tage.
Meine Muͤh machſt du mir leicht,
Und in meine Spiele ſchleicht
Sich nicht ſpaͤte Klage.
Laß” mein Herz ſich deiner freun;
Did) noch, werd’ ich Alter feyn,
Sreundinn nennen!
In dem Unglürf tröfte mich,
Und nie laß’ mich ohne did
Eine Freude Fennen! | |
Weiſſe.
Der gluͤckliche Arme.
Jo eſſe Brod und trinke Waſſer.
Was ſchuͤttet nicht der reiche Praſſer
In
— 477
In feinen: fetten Bau!
Er frißt das Mark der ganzen Erde,
Daß er der Würmer Speile werde:
Die werd ich, fpäter,, auch.
Den König trägt ein goldner Wagen,
Mich Fünnen meine Fuͤſſe tragen,
Und ein getreuer Stab;
Sein Haus, von Marmor aufgeführet,
Iſt groͤſſer, als es mir gebuͤhret:
Gleich groß iſt unſer Grab.
et es 2
Die Gelaſſenheit.
Dan im Unglück fey gelaſen,
Kann Feine Feine Seele faffen:
Eie troßet, tobet, ſchaͤumt vor Wuth;
Und wenn fie ſo beherzt geworden,
Nimmt ſie den Dolch, ſich zu ermorden,
Ind nennt dieß Raſen Heldenmuth.
Wenn mir des Ungluͤcks Wetter draͤuen,
So will ich ſie behutſam ſcheuen,
Und Hoffnung ſey mir für Gewalt;
Statt dem Geſchick zu widerfireben,
Bill ich mein. Unglück überleben:
Durch Hoffen überlebt: ſichs bald.
ne“ * 4* na \ *
x pr
# An
428 — —
An den Geisigen
Was huͤteſ du den Kaſten,
Du reicher Sklave, du?
Entſchuͤttle dich der Laſten,
Wirf fie den. Witwen sus: 1.9 wor
Gieb milde Morgengaben
Den Maͤdchen, die Verftand
Ind keine Mittel Haben 2
So wird das. Baterland |
Dich Bürgermehrer nennen , den
Und du wirſt ſanft und leicht
Den Schlaf genieſſen koͤnnen,
Den ine dein Sei verſcheucht.
——
ama, 2 gg & mich sangen hüten,
Das fant ih Ihnen nicht J— Er
Und. ift gleidh-die Gefahr noch weit,
Dank ich doch ‚Ihrer Zaͤrtlichkeiitz
Doch nehm ich mi), nicht ſelbſt in- Acht, a
So werd, id) nur, umfonft, bewaßht. „4 4...
Vielleicht was ich ſonſt hie begehrte, |
Meist mid) nur, weil man mir es wehrte;
Frey fol mic) „fanfte Agend ziehn,
Doch Feſſeln Dreh iM fr fie zu ‚Men; *
Drum
— 479
Drum nehm: ich mich nicht ſelbſt in Acht,
So werd ih doc umfonft bewacht.
Nie wird den Müttern Klugheit fagen,
Mas muntre Mädchen luſtig wagen,
Damit ich, Feine Thorheit tbu,
So trauen Sie mir Weisheit zu;
Dann nehm, ih mich nicht ſelbſt in Acht,
So werd ih) ganz umſonſt bewacht.
* san 1239814* — Kaͤſtner.
Ta — — — s —ñ— — —
An ‚meine Mütter.
O du, in deren holden Armen
Der erſte Morgen wir gelacht,
O, die du mit dem Leben alle warmen
Geſuͤhle mir ins Blut gebracht.
Anun deinem muͤtterlichen Buſen
Trank id) die frühe Weisheit ein,
Der Tugend hold, der immer frohen Muſen,
And edler Seelen Freund zu ſeyn.
Oft, daß dein Auge noch der Morgen
In Thraͤnen, unbeſucht vom Schlaf,
And für mein Wohl dich unter taufend Sorgen
Auf deinem Lager ſeußzend traf;
Oſt, daß die Sonne, dir entzogen,
In trüben Wolfen untergieng,
Yon Feb? und Furcht dein Auge dann bewogen,
—— An iedem meiner ade hieng, | |
Und
-480 —
Und deine Seele betend Tallte:-
„Laß, Himmel! wo im oͤden Hain
Mein Liebling irrt, wo er am Alfer walkte,
Laß deine Schaaren um ihn feyn!” -
Ta! rinne nur, danfbare Zaͤhre, |
Hin auf mein frommes Gaitenfpiel,
Und redet laut, ihr meiner Harfen Chöre,
Mein ganzes inniges Gefühl !
Sagt ; daß ich vor Verlangen glühe
Sol einer Mutter werth zu ſeyn,
Für ihre Gunſt, für ihrer Sorgen Mühe,
Mein beſtes Leben ihr zu weihn!
Der größte Mann.
aßt ung den Prieſter Orgon fragen:
Wer ift der aröfte Mann?
Mit folgen Mienen wird er fagen:
Wer fi zum Kleinften machen fu,
Laßt ung den Dichter Kriton hören:
Wer ift der größte Mann?
Er wird e8 une in DVerfen ſchwoͤren:
‚Wer ohne Mühe reimen kann. ie,
Laßt uns den Hofmann Damis fragen:
Her ift der größte Mann?
Er buͤckt fi lächelnd ; das will fagen:
Mer lächeln und ſich bůcken ae
Wollt
— 481
Wollt ihr von Philoſophen wiſſen,
Mer iſt der größte Mann? N
Aus dunklen Reden müßt ihr fchlieffen :
er ihn verftehn und grübeln Fann.
Bas darf ic) ieden Thoren fragen:
Mer iſt der groͤßte Manu?
Ihr feht, die Thoren alle fagen:
Wer mir am naͤchſten Fommen Fann.
Wollt ihr den Elügften Thoren fragen:
Her ift der größte Mann?
So fraget mid ich will eud) fagen:
Wer trunken fie verlachen Fann.
Ceſſing.
J
— — — — —— Se — — — — —
Die alten und tan teutſchen
| Sitten.
Wie wenig gleichen wir den Alten!
Was wir für ungefittet halten,
Hieß ihnen Männlichkeit : |
Nur wenig Äächte teutſche Bräuche
Sind unveriährt im teutfchen Reiche
zu unfrer Zeit,
zufammen kommen, um zu sehen,
Bis alle Zungen kammelnd ſprechen,
Hieß ihnen Froͤligkeit.
| RG
No ſchwingt bey manchem Freudenmahle
Lyaͤus drohende Pokale
Zu unſrer Zeit.
Doch Recht und Menſchheit nicht verletzen,
Auch ben ermangelnden Geſetzen,
Hieß ihnen Billigkeit.
Ich finde mehr gelehrt Geſchwaͤtze,
Sehr wenig Tugend, viel Gefege
Zu unirer Zeit. |
Daß fi) getreue Weiber funden,
Die aud) dem Golde widerflunden,
Hieß Feine Seltenheit,
Han fagt zur Schande Earger Reichen,
Es geb auch etiiche dergleichen
Zu unfrer Zeit.
Doch auch), wann Heiz und Jugend blühen,
Kom Ruß nichts wiſſen, ihm entfliehen,
Hieß ihnen Ehrbarkeit. h
Dieß ift nur eine Schaͤfertugend
Und abgeſchmackt an muntrer —
Zu unſrer Zeit.
Daß ſtets der kuͤhne Junker iagte,
Auch eh es auf den Bergen tagte,
Hieß ihnen Streitbarkeit.
Noch iagt und ſchmauſt er um die Wette,
Indeß beſorgt ein Freund fein Bette
Zu unfrer Zeit, |
N ‘ — * Docqh
Ä — 483
Doch Anfehn und erhabne Würden
Rur auf verdiente Schultern bärden,
Hieß ihnen Schuldigkeit.
Zu Aemtern kann ein ieder kommen,
Die Wuͤrdigen blos ausgenommen,
Zu unſrer Zeit.
Die prophezeyenden Matronen
Fuͤr ihre Luͤgen noch belohnen,
Hieß ihnen ſehr geſcheit.
Sagt, kluge Frauen! Zeichendeuter!
Zigeuner! ſagt, ſind wir geſcheiter
‚zu unfrer Zeit?
Doc edler Vorzug erauer Alten!
Die Trene, Wort und Dund zu balten,
Hieß ihnen Redlichkeit.
Die ſchlummert auf beſtaͤnbten Boden,
Bey andern abgelebten Moden,
Zu unſrer Zeit.
| | Uz.
Fruͤhlingsempfindungen.
as Land ſchmuͤckt ſich mit iungem Gruͤn,
‚Dem alten Walde kehrt fein dunkles Haupt—⸗
‚ haar wieder,
Der Boden ſchwillet auf, die Winterfluthen fliehn,
Die Gründe find vol Lärm , die Lüfte voller
Lieder:
ba Nun
484 EEE
Nun brennt der Weſte Volk von neuer Liebesgluth,
Umtaumelt ieden Strauch, und ſchwaͤrmt auf
allen Huͤgeln,
Und furchet unter ſich, mit ausgefpannten Fluͤgeln,
Der Stroͤme Fluth.
Nun iſt es Zeit, mit Myrtenlaub
Und Silberbluͤthen Schlaͤf und Becher zu bes
! fchatten;
Nun fpotte, dem Gemälde trüber Weisheittaub,
Die rauhen Sorgen weg, die dich belagert hatten!
Nun ift es Zeit, die Erumme Leyer inder Hand
Dom alten Bacchus voll, auf Sonnenrothen
Hoͤhen,
Und halb in Wolken ſtaunend unter ſi dm fehen,
Ein feelig Land,
Nun iſt es Zeit, ——
An kalten Quellen, und in ungebahnten Buͤſchen,
O, Pimpleis! dein Dichter wird die Taͤnze ſehn,
Die du beginnſt, und Fühn ſich unter Götter
mifhen. |
Was fehich? Oder taͤuſcht Mid) fromme Truns
Fenheit 2
Mit goldnem Schimmer ftralt der Hügel Haupt
umgeben,
Der mürbe Boden ſchwankt, der Oder Het beben,
Und weit und breit
Mm
)
Iſt alles Glanz und Harmonie,
In leuchtende Gewoͤlk fleige Phoͤbus göttlich
R nieder,
Begleitet von der Mufen Chor; ich fehe fie
Gedrängt um ihn, und höre nie geſungne Lieder.
‚Run rauſchet mit Geſang die Schaar den Berg
herab,
Und wandelt Hand in Hand, in undurdfiral;,
i ten Schatten,
And sieht den erfien Tanz, auf neu bebluͤmten
Matten,
Um Kleiſtens Grab. |
$ Blum.
Empfindungen an einem Fruͤhlings⸗
| abend in Kr. |
A, diefem Ort, wo ich die Melt zuerſt erblicket,
Lud heute mich der Frühling ein. |
O mie ifis bier fo ihön! Bon Zephyrs Hau
erquicket,
Will ich hier ganz Empfindung ſeyn!
Mein Geiſt iſt ſtill, wie ihr, ihr Thaͤler und
| ihr Auen,
Auf bie der Thau gemach ſich ſenkt;
Hier laͤßt er mich das Bild entflohner Jahre
| ſchauen,
Die er ſi ch gegenwaͤrtig denkt.
253 .»
O wie beneid’ ich mich um die beglückten Zeiten,
Die ich in Unschuld hier verbracht;
Eh noch, o Welt, ein Wunſch nach deinen
Eitelkeiten,
In meiner iungen Bruſt erwacht.
Im Garten, ven ich ſelbſt mit füffer m ge⸗
pfleget,
Den Duft der Blumen einzuziehn;
Und dann, mit einem Straus, von reiner Luſt
beweget,
Dem Arm der Aeltern —— |
Und wenn der Abend Fam, mit Schweflern und
mit Brüdern,
Auf bunten Wieſen mich zu freun ;
Und aus dem nahen Wald, von Philomelens
Liedern,
Begruͤſſet und eutzuͤckt zu ſeyn; |
Dieß war mein Wunſch, mein Gluͤck! Nach
feinen andern Freuden
Nerlangte mein zuſriednes Herz.
‚Nie lörten feine Ruh der Sehnfucht rege Leiden,
Und nie der Neue bittrer Schmerz.
Ach daß ich nicht, wie ihr, um die noch Kiagen
— währen, ;
In Unſchuld bier entfchlummert bin !
Hier ruht ihr unter mir; und brüderliche Zähren
Mein ich auf enre Gräber hin. ©
ano ſaht ihr dieſe Welt, als ihr fie ſchon ver⸗
lieſſet,
Nit ihrem lend unbekannt.
Mi ibte € aAch
en '487
Ad) daß —* in der Stuff, die euch) vereint
umfchlieflet ,
| Auch mein Gebein die Ruhe fand!
Doc; darf ich dem Entichluß der Vorſicht wis
derfireben ?
S Nein, ich will ſtets gelaſſen ſeyn,
Und ieden Augenblick von meinem ganzen Leben,
Der Weisheit und der Tugend weihn.
| | | Muͤller.
Empfindung einer zaͤrtlichen Ehegat⸗
tinn an dem Geburtstage ihres
Öatten.
Vol fenriger hoher Empfindung ;
So füß, wie der Zärtlichkeit Lohn,
Harmonifh, wie unfre Verbindung,
Sey heute mein fetliher Ton!
Deer Freuden belebende Chöre
Benleiten den Tag ſchon herad,
Der mir und der Tugend und Ehre
Das Herz dieſes Redlichen gab.
Dir klopft mit verdoppelten Schlägen
Mein Herz feine Gluͤckwuͤnſche zu;
Dir malt meine Seele entgegen,
Mein und rn biit du!
954 Es
Es fliegt mir das eilende Leben
DVergnügter und heitrer durch dich,
Und wären mir Kronen gegeben,
Ich gäbe die Kronen für did).
Der Höfe goldfarbigte Schimnier
Und mit ihm geheimer Verdruß,
Rauſcht öfters im fürftlichen Zimmer,
Doc felten ein zärtlicher Ruß. .
Wie Fünnt ich Fürftinnen beneiden?
Kenn find fie fo froͤlich, als ich?
Bey minder vergoldeten Freuden
Beſitz ich, mein Thenerfter did! -
Wenn mid) der gefälige Schlummer
In deiner Umarmung. befchleicht,
Dann flieht mic) der feufzende Kummer,
Die Sorge der Zukunft entweicht.
Schenkt gütig die Vorfiht ung Freude,
So ſchmeck ich fie füffer mit dir;
Und kuͤſſend bekennen wir Beide:
Wer iſt wol fo gluͤcklich, als wir?
Ich will dir dein Dafeyn verfüflen,
Ans follen in glücklicher Wahl
Die fommenden Stunden verflieffen,
Wie Baͤche durchs blühende Thal.
Er koͤmmt, der belohnende Seegen,
Durch Tugend und Redlichkeit groß,
| En;
EN 489
Empfaͤngſt du auf rühmlichen Wegen
Der Tugend vorzuͤgliches Loos.
An deiner vertraulichen Geite
Folg ich durch manch fröliches Fahr.
Einſt kraͤnz ich, begeiſtert, wie heute,
Mit Blumen dein ſilbernes Haar.
Madame Hering,
Lobgeſang eines Barden auf die
teutſche Schamhaftigkeit.
du, held wie die Roſenblume,
Schamhaftigkeit, wie rein
Sind mir die heilgen Blüthen! deinem Ruhme
Laß mich ein Loblied weihn! hir:
Meine Saiten find bein:
Auf unfrer Flur, in unfern Wäldern,
Bluͤhet dieſer Blume Zier:
Kraͤnzet mich, ihr Töchter!
Knaben iauchzet mir!
Maͤdchen, ſchoͤn ift dein Geficht,
Von dem Morgenroth beſtralt:
Doch iſt dieſe Wangen ſchoͤner
Wenn ſie ſanft ſich mit der frommen
Roſenfarbe malt,
Hh 5 Un,
490 1 —
\
Und, bat wie lieblich iſt dein Auge,
Mein braver Züngling, wenn es muthig gluͤht!
Aber wenn dieß blane Auge
Beſcheiden ſchnell zu Boden flieht,
Wenn ihm ein holdes Maͤdchen ſzeen
Wie ſie ihn liebgewann:
O doppelt lieblich iſt es dann!
Jauchzt mir, liebe Töchter! _- —
Liebe Knaben ſtimmt mit ein!
Denn Germaniens Geſchlechter
Tragen dieſe Zier nur rein.
Glaubts dem Barden, der die Stadt,
Das hohe Rom, geſehen hat:
Maͤdchen, rabenſchwarz von Haaren,
Wohnen dort, doch alle waren
Ungeſaͤrbt von Scham.
Angeſachte Kiebesgluth
Faͤrbt' ihr Angefiht wie Blut,
Und ihr Auge, wenn es ſank, |
Mar nit von dee Scham fo blöde, ;
War von Wolluſt Frank. |
Seht ihr, Knaben ? diefer Arm
Mar vom ihren Hüften warn:
Denn des frifchen Teutſchen Kraft
War all ihre Leidenſchaft. ee
Doch bald ward ic) dieſer ſuͤſen ih
Taͤuſchereyen fatt:
Satt
Satt bin ich von euren KRüffen,
Enrer Kuͤhnheit fatt!
Macht, daß teutfhe Scham euch färbe;
Dann erſt fend ihr ſchoͤn: |
Laßt mich — daß euch Thor verderbe! - a
gabe mid, laßt mich gehn!
Da nannten fie den Wilden mid):
‚Aber ich wand mid) los; ich ſchlich
Aus Nom, der groffen Wollufiftadt ,
Wo frühe Gluth die zarten naeh
Verſenget hat. |
Zuruͤckgekehrt fing * nun hier
Schamhaftigkeit ein Lodlied dir:
Drum kraͤnzt den Barden, liebe Toͤchter!
Eure künftigen Geſchlechter
Tragen diefen Schmuck wie ihr:
Beliebte Knaben, iauchzet mir!
| | Kretſchmann.
Fruͤhlingslied eines Barden.
Von wannen koͤmmt der ſuͤſſe Schall ?:
Biſt du es, Melodienreicher,
Du Bardenvogel, Nachtigall,
Der mid) aus meiner Höhle ruit? —
Wenn du es bift, fo ift der Schnee zerronnen,
So iſt der Lenz mit feinen Wonnen
Sm Feld und in der Luft,
| Er
—59 — |
Er iſts! Heil mir! die Seele
Des Jahrs it ihrer Todesbanden los!
Heraus, heraus aus deiner Höhle,
O Barde, wo der Winter did) Sn!
Reib dir dag Auge hell;
Deflünle deinen Schritt; '
Heraus, und. nimm die Bardenharfe mit!
In meines Gelfens Höhle, |
Des Lebens fatt, und Faum des Lebens werth,
Lag ich, mit traͤgentſchlafner Seele,
Auf weichem Moos in meiner Hoͤhle;—
Mich fütterte der Knecht, und waͤrmte meinen
Heerd.
Auſſen war der Schmur der Selder
Dom Sturme glatt hinweggeraubt;
Jeder Af der Wälder |
Mit Zapfeneis und Flockenſchnee belaubf ;
Und felten blinfte durch die Nebelvefen
Der fpäten Some Blif;
Bald zog fie, wie, voll Schreden PR
Sich hinter ihrem Gebirge zurück,
Da fcholl durch die einöde Haide
Hungriger Wölfe Gebruͤll; |
Da ſchwieg das frühe died der Freude,
Die Saiten meiner Harſe ſchwiegen fin: |
Einfamfeit und Trauer
Machten um mich her ein Grab, -
| | And
— 093
Und mir. war, als kaͤm der Schauer
Des Todes über mich herab.
- Aber die Nachtigall ruft;
Es keimt das Feld ,.es glänzt die Luſt;
Milde Sonnenftralen ſchweben;
Blumen dringen hervor; |
Und mit freudigem Leben
Ringt fid) mein Geift empor!
D laßt mid), laßt michg ganz erquicken
Der balſamirten Luͤfte Wehn!
Laßt mic) das erſte Veilchen pfluͤcken,
Daß mein’ entnebelten Augen fehn!.
D daß ih, wie auf Schwalbenflügeln,
Im Nu, vom Thale zu den Hügeln
Bon da mic) hoch zum Himmel dürfte drehn,
Um überal die Höhen heiter,
Die Feimenden Wälder, die Berge vol Kräuter,
Die viefelnden Bäche zu fehn !
Hervor, hervor wie diefe Sproffen,
Du ingendlide Schaar !
Gieb, Füngling, deinen giergen Roſſen
Die erſten zarten Blumenſproſſen,
Und ſchaͤrſe deinen Spieß, und kuuͤpſe dir das
| Haar.
Dann merke, wo die Ehre winkt,
Und horche, wo der Bogen Flingt,
Und fammle dir in deinem Lenze
Des Ruhmes ewig frifche Kraͤnze! |
* Oder,
494 nn... .
Oder, hoͤreſt du die Ichönen
Bardenlieder lieber tönen;
Sp ‚mußt Du dih
Der web heiligen, mit Eichenlaub dich
Erönen;
Dann tritt zum Barden hin und fprih:
„O weihe du mir eine Harfe,
Und unterweife mid) darauf,
Daß ich, was reizend ift, befinge,
Kom Lenze bie zur Tugend hinauf!
Daß id) nicht, mie das dumme Thier,
Auf diefen bunten Auen fpiele,
Nicht diefer Eiche Pracht, nicht dieſer Blume
Zier, |
Und keinen $ Dank, und Fein Entzürfen fühle!
Drum fehenfe mir der Weisheit Lehre,
Weit ich noch lernen kann:
Damit die Enkelwelt einft meine Lieder ehre,
Noch mehr, den guten greifen Mann!”
|
Auf den Tod eines Sperlings.
(aus dem Raul)
Mint , ihr Grazien, und ihr Amoretten,
Und was Artiges auf der Welt lebt! meines
Mädchens Sperling iſt todt! des Mädchens
| Biebling:
| Der
5 —— ——8 495
Der ihr lieb, wie der Apfel in den Augen,
Und fo freundlih, fo Flug war! und fie kannte,
Wie ein Töchtercben feine Mutter kennet!
Denn er rübrte fi) nicht von ihrem Schooße;
Nein, er trippelte munter auf dem Schooße
Hiehin, dahin und dorthin; nickt' ihr immer
Mit dem niedlichen Köpfchen, piept' ihr immer.
Ach! nun wandert er iene finſtre Strafe,
Die man ewiglich nicht zurucke wandert.
Dt wie fluch ich die, finftrer alter Orkus,
Der du alles, was ſchoͤn ift, flugs hinabſchlingſt!
Ung den Sperling zu nehmen, der fo huͤbſch war!
Welch ein Jammer! DSperling ! armer Sperling!
Saft gemacht, daß mein trautes Mädchen ihre
Lieben — ſich ganz roth geweint hat.
Ramler.
Auf den Tod einer Nachtigall.
Eutſeelt — ach! — iſt die Saͤngerinn der Lenze,
| Die Melodien
Ergoß, fobald, im Schooſe Veilchenkraͤnze,
Der May erfchien.
Sie, deren Lied mich oſtmals uͤberraſchte,
| Wenn ich erfreut
Durch das Geſchwaͤtz des Baches, Reime haſchte,
Zur Abendzeit.
Wie
ie ſcholl es durd) die grünen Buchenreihen,
Am Silberquell,
Im Streit mit eiferfüchtigen Schallmeyen,
Weit wirbelnd heil!
Dann laufchten oft die ingendlichen Braͤute,
| Durch fie gewiegt
In Zärtlichkeit, und an des Lieblings Seite
Sanft hingefchmiegt.
Sie lauſchten, bis die heifre Abendglocke
Im Dorfe fhwieg,
Und Hefperus, mit filderfarbner Locke,
Dem Meer entflieg. |
| Hoͤlty.
— —— ——— ——
Ein Amazonenlied.
Klagen einer Liebhaberinn beym entfernten
Getoͤſe einer Schlacht.
| Horch ! welch ein langer Donner hallt
Vom fernen Himmel ber!
Ha! blizt ed nicht durch ienen Wald ?
Steht dort nicht unfer Heer?
Und Fämpff er nicht in dieſem Heer,
Mein Liebling, und mein Held? —
Weh mir! die Donner rollen her;
Mars rafet dur) das Feld.
| | | Der
497
>
Der Boden bebef unter mie
Die Berge taumeln Dort,
Die Wälder rauſchen aͤngſtlich hier,
-Der Strom mallt zitternd fort,
Es pocht mein Blut, es draͤnget ſich
Ins Herz, ich athme ſchwer;
Das Schrecken gieſſet über mid
Eiskalte Schauer ber.
Wo ift er? ach! wo ſuchꝰ ich. ist
Ihn, der mein Herz, entführt?
Dort wo die Wuth, ſo oft es blüf,
Zehnfachen Tod gebiet?
Dort, 109 den hoͤliſchen Gefang
Erynnis laut erhebt?
Mo ihre Fahne Meilen Lang
Ig Lüften blutig ſchwebt?
Dort) wo fe Hot Unmenſchlichkeit⸗
Aus ſchwarzer Nebel Nacht 1937 |
Herabfieht) und ſich ſchrecklich freut, iu
So oft ein Donnet kracht?
Bi: Bey jedem abgeſchlagnen Glied,
Aus Wolluſt ſich verweilt ⸗
Doch lieber, mo fie ſtetben ſieht,
Zum letzten Roͤcheln eilt ?— |
Sie taucht ihr ſcheusliches Gewand
In mormes Heldenblut,
| Fi 3. „And
Und trocknet die. betriefte. Hand
Un der Kartaunen Gluth. |
Und ihre Furien unhe
Ach! fammeln Thränen ein: N |
Sie ſchluckt fie , wär? es auch ein Meer, |
Stets heiſſer duͤrſtend ein. |
Ach! dort! — Vieleicht Mm fein
. Her F
St, izt ein toͤdtend Bley,
Schlaͤgt ihm mit einem Hoͤllenſchmerz
Nerv' und Gebein entzwey.
Vielleicht daß eine Mordehand ———
Beym ſchwarzen Haar ihn haͤlte
Und, weil der Tapfre widerſtand, —
Sein ſchoͤnes Haupt zerſpellt. au 3°
Vielleicht, von --Raubbegier —
Erſchrecklich ihn entbloͤßt,
Und ihn, den er noch aͤchzen hört,
Zu andern Leichen ſtoͤßt. —
\)
a:
*) gerfpellen heit fo bie! als bie da⸗
her ſpellig, zweyſpellig, vierſpellig, u. f. w.
Von der ungleich flieſſenden Abmandes
lung des Zeitworts serfpalten du zer—⸗
fpälteft,, er zerſpaͤlt, ich zerſpielt, ich has
be zerſpalten ‚ iſt allein das Mittelwort
zerfpalten in der Buͤcherſprache übrig
geblieben.
Ei
—
— arena 499
Ach! — — — entſetzlich legen fie,
Ein abgeftreiftes Laub;
Ein. Spiel der Zephyrwinde früß,
Nun der Verwefung Raub. —
Drücke ich fein ſchwimmend Auge do
Ihm noch wehmäthig zu !
Vieleicht ſucht' es mich flerbend noch,
Und fänd’ in meinem Ruh.
Zög’ ich doch feinen letzten Hauch
Mit meinen Kuͤſſen ein!
Gewiß rief er mich ſterbend auch,
- Und nennte mic) nod) fein.
An diefes Ufer an, _
Wuͤſch' ich die Wunden voller Blut
Mit meinen Thränen ob!
And übergöß mit einer Fluth
Bon Ihränen noch fein Grab! —
Umfonft. — — Was feh’ ich? diefe Fluth
Rauſcht roth gefärbt daher 2
Ach! wie! wenn auch von feinem Blut
Der Strom gefärbet wär!
Hier will ich figen, und allein,
Und immer weinen; bier,
D Freund! ein Trauerdenfmaal ſeyn,
Den Blick gewandt nad dir. B;
Vielleicht fpält eine Wehe dih
J 18 | Daß,
\ N J
| EIEULATITERETER
Daß, wenn mein Gram mich toͤdtet, ic)
Dich noch umarmen kann.
Re Weiſſe.
Kriegslied. —
Aus dem Tyrtaͤus.
i Wie ſchoͤn! wenn fuͤr das Vaterland
Ein Mann kaͤmpft, und als Held
Mit blankem Schwerdt in hoher Hand
Im Vordertreffen faͤllt!
Allein, wie elend! wenn er hier
Die feiſten Aecker flieht,
Und dort um Brod vor fremder Thuͤr
Demuͤthig ſich bemuͤht.
Ihm ſchleicht der grauen Aeltern Paar,
Vom Alter krumm und ſchwach,
Sein Weib, das feine Wolluſt war,
Und kleinen Soͤhne nach.
Verachtend folgt ihm ieder Blick,
Wo er voll Mangel geht,
Und meift gehäflin ihn zuruͤck,
Wenn er die Gabe fleht. i
Und fein Geſchlecht deckt ewge Schmach
Und ſein Geſicht wird alt,
Und ihm folat Angſt und Kummer nach
In ieglicher Geſtalt.
Und
— Bo
Und wenn er lang genug geirrt
- Ganz abgezehrt von Gran,
Verliehrt er iede Zier, verliehrt
Er endlich felbft die Scham.
Doc) für das Vaterland, für dief
RKaͤmpft, SZünglinge, mit Muth!
Für euch, und eure Kinder fließ’
Eu’r edles Helden Biut!
Sa, ſchließt Euch, ſteht, und Kämpfe vereint!
Des Schreckens bleich Seficht,
Der Wunfh, vor einem fiolzen Feind
Zu fliehn ſteht Kriegern nicht.
Kein, feuert Eure Seelen an
Mit einer edlen. Wuth;
Dann trost dem Tod, und lauft die Dahn
Des Ruhms, , vol Heldenmuth! —
Wie? follen diefe Greife hier
Mit unbiegfamen Knien
Ft dr Euch fireiten ? aber ihr
Wollt fie verlafen? fliehn?
Wie ſchaͤndlich, wenn det Kraft beraubt,
Ein Greis im eriten Glied,
Mit grauem Bart und weiſſem Haupt
Das Schwerdt vor Söhnen zieht,
Und kämpft und fält: wenn dann im Staub
‚Der edle Geiſt verraucht,
13 | Da
i {
502 — —
Da hinter ihm, des Schreckens Raub,
Der feige Juͤngling haucht: |
Wenn ihm, vom dürftigen Gewand
Eneblößt, der Tod bier firecft,
Und er nnr mit der blut'gen Hand
Den nackten Körper deckt!
Die Ehrfurdt und die Scham gebeut,
Daß ihr dahin nicht blickt :
Dem Juͤngling nur ziemt dieß im Streit,
So lang ihn Jugend ſchmuͤkt.
Er ift der Männer Wunder Gluth
Den MWeibern lebt der Held, ö
Und beider Lob, wenn er mit Muth
Im Vorder ; Treffen fällt.
O Gluͤck! wer angeheftet ſteht,
Unwankend wie ſein Geiſt,
Zuerſt in Kampf frolockend geht,
Und feine Lippen beißt.
| Weiſſe.
—— —
| Kriegslied
nach der Schlacht bey Kollin den
18. Junius 1757.
Zurick rief Vater Friederich, we
Zuruͤck, rief er, zuruͤck,
Nach⸗
— — — — —
Nadh denkend dacht er ſchon bey ſich:
Gott giebt dem Feinde Gluͤck.
Wir aber ſtuͤrmten noch das Neſt,
Wir wollten noch binan! -
Wir Fletterten, wir hielten feft
Uns aneinander At.
And faaten dem, der. oben fland:
Wie Fommen wir herauf ?
And fchlugen tapfer Hand in Hand,
And halfen uns hinauf.
Da fürste von Kartetfchenfaat
Getrofen, eine Schaar
Don Helden, ohne Heldenthat,
Die halb ſchon oben war!
Das fahe Friedrih. Himmel! Ad!
Wie blutete Sein Herz !
Wie ftand, ben mitleidsvollem Ach,
Sein Auge Himmelwärts !
Was für fanftmürhge Blicke gab
Sein Heldenangeſicht!
Laßt, rief er, Kinder, laßt doch ab!
Mit ung iſt Gott heut nicht.
Da ließen wir den blöden Feind
u feinem Felſenneſt
Ji4
503
Nun
504. ei en
Tun iubelt er; o Menfhenfreund ?
- Yun bat er GSiegesfeft.
Wie Fann er aber ? Brüder, ſagt!
Er fann ia nicht, fürwahr !
Denn haben wir; ihn. nicht geiagt,
So weit zu ingen war ?
Wir firitten, nicht mit Roß und Mann,
Mit Felfen flritten wir.
Hier, Heldenbrüder, bind er an,
Hier, Brüder, fieg er! hier!
Dun Feind! herab in grünes Geld,
Und weiſe freye Bruft,
Und freie und fieg und flirb ein Held!
Hier ift zu ſterben Luft!
Allein der blöde wagt ſich nicht,
Wir moͤgen lange fiehn |
Und auf ihn warten. Friedrich ſpricht:
Geht Kinder! Laſt uns gehn.
Gleim.
|
ZT EEE ——— *
VII.
Lehrgedichte
— — 507
Die Vorſehung Gottes.
IE Soft, der eine Welt zu machen,
Aus Güte ſich entſchloß, ſollt über fie
nicht wachen?
Er ordnete ſie ſelbſt nach einem ſchoͤnen Plan,
Zu einem weiſen Zweck, almäctig ſchaffend an:
Und folte nicht bedacht, es herrlich auszus
fuͤhren,
Nicht auch entſchloſſen ſeyn, ein Ganzes zu
regieren,
Anden, bey aller Pracht, vom erfien Urfprung an,
Do) alles endlich ift, und alles fehlen Fann ?
Sprich! wird ein Weiler blos viel Volks zus
fammenraffen ?
Und ſich dem Staat entziehn, nachdem er ihn
geſchaffen?
Er ſelbſt belebt und ſchuͤzt Geſetze, die er gab,
Raͤumt Hinderniſſe weg, und ſtellt Gebrechen ab,
Laͤßt kuͤhne Bosheit nicht nach ſreyer Willkuͤhr
ſchalten,
Und was er gut gemacht, das will er gut erhalten.
Sein Aug ift uͤberall: von welcher Dauer ſey,
Was blos durch ihn entſtund, iſt ihm nicht
einerley.
Nur
308
Nur map der Weifefte, fol, mas er ſchuf,
verfäumen ?
Das feige gafler glaubt fo ungereimten Träumen:
Kein Wunder !. ungeftraft bleibt eine böfe That
Wohl in dee Anarchie, doch nicht im weiſen |
1. x NORM:
Die ftille Tugend liebt den prächtigen Gedanken:
Gott iſt, und Gott wird ſeyn, wann ganze
Welten wanfen! \
D Freund, in einer Welt, wo blindes Gluͤck
allein,
Wo nicht ein Gott regiert, wuͤnſcht' ich nicht
Manſch zu ſeyn!
Stets wuͤrden bange Furcht und — uns
verwirren;
Nie ruhig wuͤrden wir durch dieſes Leben irren,
Das, vor uns her, verhuͤllt in dicken Schatten
liegt,
Wo Labprinthe find, und ieder Schritt betruͤgt:
Wie, wann im üden Wald, wo Näuber-nur
verweilen,
Die Schrecken ſchwarzer Nacht den Juͤngling
uͤbereilen,
Der ohne Fuͤhrer irrt: er hebt bey Zephyrs Hauch,
Horcht auf ein rauſchend Blatt, und fuͤrchtet
ieden Strauch.
Zu gluͤcklich, wenn er noch mit ſichrem Fuß ent
fliehet, :
Noch Titans Morgenglanz und Florens Antlit
ſiehet,
Und
) N
Und nicht ein hungrig Thier mit feinem Sleifche
/ ſpeiſt
Nicht ſein vergoßnes Blut in dunkle Buͤſche fleußt!
Des Menſchen — iſt, wo wir Verwirrung
nden,
Ein wunderſam Geweb von Folgen und von
| Gründen.
‚ Ein —2 welcher ſchnell den Sterblichen
verſchwand,
Wirkt — fort, und leitet an der Hand.)
Bielleicht ein lachend Glück, das frohe Naeh
Frönen,
Vieleicht Verderben her von Vaͤtern zu den
Soͤhnen,
Flicht in Jahrhunderte ſich ungehindert ein,
Lebt auch nach unſerm Tod, und wird unſterb—
lich run. |
I ſchimmernder Entwurf, den Klugheit ſelbſt
geboren, _
Bin in der Klugheit Hand vernichtet, und
| von Thoren,
oft iſt die Urſach Flein, die einem Heldengeift
Don weiten widerficeht , und nahen Ruhm ent⸗
Freißt.
Kurzſi chtiges Geſchoͤpf! wie koͤnnen Menſchen
waͤhlen,
Die kaum das Nahe ſehn, und auch im Nahen
ſehlen?
Der nebelvolle Pfad fuͤhrt uͤber Klippen hin:
Ich Pen Tag, und weiß nicht, wo ic) Bin.
Der
510
Der ganze Himmel iſt mit Dunkelheit umzogen:
Es bruͤllen weit umher der Unruh ſchwarze
Wogen.
Wer kann das Ende fehn? Kein Schimmer
blicft hervor;
Und nur Verwirrung brauft in unfer horchend
Ohr.
Gott ſpricht! das Chaos hört, und die Verwir—
tung ſchweiget:
Er, aller Weſen Herr, will, und ſein Wille
zeuget
Ein unerwartet Licht im Schooß der Finſterniß:
Doch, was uns Zufall heißt, iſt alles ihm gewiß.
Er ſah vor aller Zeit, was einſt geſchehen ſollte:
Nichts iſt, und nichts wird ſeyn, als was, und
wie er wollte.
Die Feinfte Handlung ift, noch ehe fie gefchieht, -
In feinem Plan beſtimmt, und einer Kette Glied:
Der Kette, die Geftirn und Erd und blaue
Fluthen |
Und ihr bevölfernd Heer, das Döfe fammf dem
Gufen,
Und Staub und grün Gebüfh, und was in
Büfchen ſingt,
Mas lebt und leblos iſt, verbindet und umſchlingt.
Gott uͤberſieht ſie ganz, nur er kann auch
regieren,
Und einem Soft gemäß die groſſe Herrſchaft
führen:
———
f
Ihm kann ich mich vertraun, id) trete meine
Bah |
—— n
Mit Ruh und Frendigkeit, obgleich im Dunkeln, an.
Das Gluͤck des Weiſen.
O Weisheit! lehre mich mit wohlgewaͤhlten
F Bildern
Das allergrdß fe Gluͤck, das Gluͤck des Weiſen
| ſchildern — —
Fern u der Fürften Hof fchließt ein zufrieds
EN ner Hain
Sein vaͤterliches Gut, den weifen Kleon ein.
Dem Neid, der Schmeicheley, den Geiff ein aller
Groſſen,
Der, ſucht nach hoͤherm Gluͤck, dem Geiz nach
Ruhm verſchloſſen,
Genießt er in füffer Einſamkeit
Das Lauterfte der Luft, das uns die Erde beut.
Sein fiets zuſriednes Herz ift allen Freuden offen,
Bebt vor der Zukunſt nicht, wallt nicht von
eitelm Hoffen,
Und dankt dem Himmel das, was ihm genugſam iſt,
Weil auch ein Theil davon auf arme Bruͤder fließt.
Sein Haus zeigt zwar kein Gold, noch Perſiſche
| Tapeten,
Doc darf die Reinlichkeit beym Eintritt nicht
cerroͤthen.
Es
— —
Es pluͤndert nicht Korinth, fein Dad iſt nicht
| vergoldet, |
Ihm hat Numidien den Marmor nicht getollt,
Und kein Silanion das Vorhaus ausgezieret;
Des Beſten Wahl wird hier im Noͤthigen verſpuͤret.
Ein richtiger Geſchmack giebt den beſcheidnen
Zimmern
Zwar keine fremde Kunf, und Hein ermädend
| Schimmern,
Doch Anmard deſto mehr. Sein vuͤcherſaal
fiellt zwar
Kein Chase ohne Form von allen Schriften dar,
Die zu der Motten Luſt, Pandolph in Schraͤnken
ſchlieſſet;
Doch wird hier kein Homer kein Sophofles
— yermiffee. N" |
Er braucht, was er beſizt. Ihn lehret Tullius,
Roms Skeptiker, wie “ vernünftig weiſeln
mu
Des beiten Weifen Bild entwirft mit Meifterzügen
Ihm Kenophon, gleich groß im Sthreiden und
im Siegen,
Er lacht im Theophrafi der Thoren ältver Zeit,
Hält fie an neuere, und findet Aehnlichkeit.
Er fieigt an Platons Hand zum Urquell der Seen,
Und wenn er lang genug dem Schöpfer zugeſehen,
Lockt ihn Anakreon mit ſeinem Lied zuruͤck.
Dann macht ihn Seneka zum Meiſter des Ge⸗
ſchick.
I, ®
Er
— 51,
Er i ehe im Livius den Wuchs geringer Staaten,
Als fie die Väter noch) hr Fand aufs Rathhaus
aten.
il er in in feliter Bruſt der Tugend Macht erhoͤh'n,
So läßt ihn fein Plutarch der Helden Bilder ſeh'n
Wovon die Züge ſtets an edlen Seelen haften.
ng führt ein Bakon ihn durchs Feld der
Wiſſenſchaften,
Und färze Die Sößen um, vor denen alle Welt,
Zur Schande der Vernunft, abgoͤttiſch niederfälfe,
Zulezt folgt er erflaunt dem Solon der Planeten,
Er ſieht (und zittert nicht ) die irrenden Kometen,
Sieht, wie die Welten ſich, wie durch Gewichte
jiehn ,
Er ſi ehts und ſinkt, o Gott! Mbethend vor dich hin.
So zit die Wiffenfdjaft fein Herz und feine
Triebe,
Enfflammt in feiner Bruſt des groffen Schoͤpfers
Liebe
Hellt ſeine Blicke auf, zeigt ihm die Wahrheit bloß,
Und macht fein edles Herz durch wahre Tugend
groß.
Er felber widmet oft die Muͤh des frühen Moraen
Und ſpaͤter Mitternacht, für andrer Wohl zu
forgen.
— aus fein Fleiß gefchenkt, trägt auch, nach
| feiner Flucht
Zu eine beß re Welt, in ſpaͤten Altern Frucht.
Wieland.
RE Die
574 we.
Die Freuden des Weifen,
Mir iedem Tag ift Phanias beglückter,
Durch überftand’ne Noth geſchickter
Zum weiteren Gebrauch, zum reizendern Genuß
Des Gluͤcks, das ſich mit ihm ſo unverhoft
verſoͤhnte,
Gluͤckſeelig, weil ers war, nicht, weil die Welt
es waͤhnte,
Bringt er in neidenswerther Ruh
Ein unbeneidet Leben zu;
In Freuden, die der aͤchte Stempel
Der Tugend und Natur zu wahren Freuden praͤgt.
Der buͤrgerliche Sturm, der ſtets Athen bewegt,
Trifft feine Huͤtte nicht — den Tempel
Der Grazien, ſeitdem Mufarion fie ziert.
Beſcheid'ne Kunſt, dur ihren Wiß geleitet, .
Giebt der Natur, fo weit fein Landgut ſich
verbreitet,
Den ftilen Reiz, der ohne Schimmer rührf.
Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren
Pomona ſich zum Aufenthalt erfohren;
Ein Hain, worinn fi) Amor gern verliert,
Mo ernftes Denfen oft mit leichtem Scherz ſich
gattet;
Ein kleiner Bach, von Ulmen uͤberſchattet,
An dem der Mittagsſchlaf ung ungeſucht bes
ſchleicht — |
Ein Nachbar, der Horazens Nachbar gleicht,
Gefuns
— — 515
Geſundes Blut, ein unbewoͤlkt Gehirne,
Ein ruhig Herz, und eine heit're Stirne —
Wie vieles macht ihn reich! — denkt noch
duſarion
Hinzu, üb fagt, was kann zum frohen Leben
Der Götter Gunft ihm mehr’ und beffers geben?
Die Weisheit nur, den ganzen Werth davon
Zu fühlen, immer mehr zu fühlen,
Und, feines. Gluͤckes froh „ Fein anders zu
| erzielen!
Auch diefe gab ſi fie ihm. — Drum lernt er
fonder Muͤh'
Die reigende Philoſophie,
Die, was Natur und Schickſal uns gewaͤhret,
Bergnügt genießt, und gern den Reſt ents
behret; |
Die Dinge diefer Welt gern von der (dönen
| Site |
Betrachtet, dem Geſchick fich unterwuͤrfig macht;
Nicht wiſſen will, was alles das bedeute,
Was Zevs aus Huld in raͤthſelhafte Nacht
Vor uns verbarg, und auf die guten Leute
Der Unterwelt, ſo ſehr ſie Thoren ſind,
Nie boͤſe wird, nur laͤcherlich ſie find't,
Und — ſich dazu — ſie drum nicht minder
liebet,
Den Irrenden — und nur den Gleißner
⸗ flieht,
Nicht ſtets von Tugend ſpricht, noch von ihr
ſprechend gluͤht,
Kk 2 Doch
516 —
Doch ohne Sold und aus Geſchmack ſie uͤbet,
Und — gluͤcklich, oder nicht! — die Welt
Fuͤr kein Elyſium, fuͤr keine Hoͤlle haͤlt,
Nie ſo verderbt, als ſie der Sittenrichter
Von rn Thron — im ſechsten Stockwerk
ſieht,
So luſtig nicht, als ingendliche Dichter
Sie malen, wenn ihr Herz von Wein und
ha gluͤht. '
n
nennen ne
I
Der Werth der Tugend.
O Tugend! wenn du dich den auſgeklaͤrten
| Blicken |
In deinem Reize zeigſt, wer liebt nicht mit
Entzuͤcken? |
Ganz rein, ganz himmliſch ift die Schönheit,
die du zeigſt,
Die auch durch Schatten bricht, und redet,
wenn du ſchweigſt.
Das Laſter ſelbſt erkennt in glaͤnzend ſchoͤnen Zuͤgen
Dich auf des Weiſen Stirn. Dich ſehen, iſt
Vergnuͤgen!
Der Vater der Natur ſieht mit Zufriedenheit
Auf eine Seele hin, die ſich dir ganz geweiht.
Bol Eintracht unter fi, find ihre ftärkiten Triebe
Der Ordnung unterthan; und ihr Geſetz iſ Liebe:
Gemeine
( — — 517
Gemeine Seelen find ein Chaos: aber fie,
Den Engeln Gottes gleich, ift Licht und Harmonie,
Sum groffen Ganzen ſtimmt ihr reingeftimmter
| Mille,
h Nur auffer ihr iſt Sturm; in ihr ift holde Etilte:
Der ganze Himmel fen vol banger Finfternig !
Ihr Tag ift unbewölft, und ihre Luſt gewiß.
Das wandelbare Glüuͤck nimmt Reihthum, Ans
ſehn, Ehren,
| ein tieder , was es gab: ihr kann es nicht
verwehren,
Dem ſchuͤchternen Verdienſt ermunternd nach⸗
mac,
Der Unſchuld wider Gold und Frevel beyzuſtehn:
Zur Huͤlſe ſtets bereit, wenn andre Menſchen leiden,
Der Armen Troſt zu ſeyn, und Nackende zu
Fleiden ;
Mit ihrem Beyſpiel noch, wenn fie der Erd’
entjlicht / |
Der Erde wohlzuthun, die ſeufzend nad) ihr
ſieht.
Kann ihrer Freude Duell im duͤrrem Sand
verfiegen ? |
Auf iede gute That ſolgt goͤttliches Vergnuͤgen,
Das über unfer Her; mif reiner Klarheit firalt,
Und fein entzuͤckend Bild auch auf die Gtirne
malt.
Ra | Ein
518 ———
Ein ſieghaſt Heer umgab mit iauchzendem
Getoͤne
Den groſſen Scipio, als die gefang’ne Schöne,
Der Stolz Fberiens , zu feinen Fuͤſſen lg _
tung, blühend, wie der May, und reizend, wie
der Tag. i
Sie fah zur Erde hin, in flilem ram verloren :
Erröthend thauten ihr die Wangen wie Auroren.
Ihr Blick erfdürterte des rauhſten Kriegers Herz :
Dody Ecipio blieb groß, und fah nur ihren
Schmerz. -
Der zügellofe Sieg, die fenerreiche Jugend
Sprach ihm die Beute zu: er hörte nur die
Tugend,
Nur fein erhabnes Herz; und gab an einen Feind
Die ſchoͤne Feindinn hin, für welchen fie geweint.
Sein Autliß fehimmerte von eines Gottes Freude,
Der Menfchen mohlgethan: Faum war, nad
| | bangem Leide,
Der Jüngling fo vergnügt , der feine Braut ems
pfieng
Und mit entbrannfem Blick an ihren Blicfen hieng.
Der fenrige Kamill, den, nad unzäblbar’n
Schlachten, |
Die Lorbeern des Triumphs zum größten Römer
| machten;
Der aus der Naterftadt, fobald fie es gebot,
In ruͤhmlich Elend gieng, wie vormals in den
Tod;
und
er en 219
Und doc) geflügelt Fam, von angedrohfen Ketten
Sein undankbares Rom großmüthig zu erretten,
- War gröffer im Verzeihn, und frölicher im Sieg,
Als Cäfar, der zum Thron auf Bürgerleichen flieg.
Kann wahre Freude fenn bey fihändlichen Bers
brechen,
Wenn Quaalen innrer Angſt verlaſſue Tugend
raͤchen?
Wie wuͤrden wir das Glück. des Boͤſewichts vers
ſchmaͤhn,
Wenn wir fein blutend Herz, bedeckt mit Wuns
den, ſaͤhn!
Ach! feine Peiniger find feine ſchwarzen Thaten,
Die auf der Unſchuld Hals einft übermütbig traten,
Nun wache Furien , die feine Seele nährt,
Und wider fid) mit Stahl und Gift und Muth
R bewehrt.
Mit Schaudern fieht er fih : durchs feile Lob
der Thoren,
Schallt ganzer Laͤnder Fluch in ſeine leiſen Ohren;
Und koͤmmt die ſtille Nacht, fo fuͤhret fie die
Ruh
Dem Armen, aber ihm der Hölle Schrecken zu.
Wie ſanſt ſchlaͤſt unteroeß der Weile , deffen
Waren
Ein froh Bemühen war , nur Glückliche zu
machen;
Dem ein verfloffner Tag drum nicht verloren ift,
Und fpäte Reue nicht am wunden Herzen ſrißt!
Kk4 Auf
520 nenn,
Auf ofen fchläft er ein: in anmuthsvollen
Bildern
Wird ſein Gewiſſen ihm das Gluͤck der Tugend
| ſchildern:
Sein Schlaſ wird holde Ruh. Der Sonne
| neuer Kauf
Weckt ihn zu neuer Luft, zu neuem Guten auf.
Ihm iſt fein gütig Herz die Duelle wahrer
' Freuden,
Die unvertrocknend fließt, erquicfend auch im
Reiden, |
Wie frifcher Morgenthau 9* matte Feld er⸗
quickt,
Und mit veriuͤngtem Gruͤn verbrannte Fluren
ſchmuͤckt.
Ein Sklav der Sinne kann vernuͤnſtiges Er⸗
| gößen,
Das nur die Seele fühle, nicht fühlen, und nicht
| ſchaͤtzen.
Der Poͤbel ſieht erſtaunt des Weiſen Angeſicht,
Sieht ſeine Heiterkeit, doch ihre Quelle nicht.
Wie darf das Laſter noch ſein wild Vergnuͤgen
preiſen?
Sieh, auch die Wahrheit beut dem tugendhaften
Weiſen
Erhab'ne tr dar! Er macht an ihrer
Hand,
Von einem Licht beſtralt, ſich die Natur bes
kannt;
Durch⸗
— 521
Durhforföt ihr weites Reich, wo iene Sonnen
glänzen, =
Die. und die Nacht verräth, und findet Feine
! Graͤnzen,
Und fets von Welt auf Welt geflügelt Binz
geruͤckt,
Erblickt er immer Gott, bewundernd und ent—
zuͤckt.
Ermüdend ſenkt er ſich mit irrenden Kometen
Nach * Aufenthalt, dem ſchattichten
Planeten,
Entdeckt mit kuͤhnem Blick des Donnere furcht⸗
| bar'n Siß
Im — und uͤberraſcht den
Blitz.
Er freut fi — aberal, zur Schande ſtolzer Blinden,
Die Ordnung der Natur, und Gott in ihr zu
finden;
Gott auf den Ocean und im beſtaͤubten Wurm,
Im fanft bewegten Gras und im erjürnten
Sturm;
Gott aud) an unferm Leib und im verborg’nen
Dande,
Das thieriſches Gefühl mit engliſchem Ver—⸗
ſtande,
Mit einem Geiſt vereint, der aͤuß're Dinge ſieht,
| Rs Auch
522
Auch ſich ſehen wuͤnſcht, ch fur, und vor
ſiich fliehe.
Lauf einmal, edler Freund, mit eilenden Ges
danfen,
Die Wiſenſchaſten durch; miß' ihre weiten
| Schranken: en
Sieh, wo der größte Wiß nur zweifelt, oder
ſchweigt,
Und wo die Menſchheit ſich in ihrer Groͤſſe
zeigt.
Was Kenntniß, Wiſſenſchaſt, was Kuͤnſte
ſchoͤnes haben,
Ein unergruͤndlich Meer, das unerſchoͤpft an
Gaben,
Stets giebt und immer hat, iſt in des Weiſen
Bruſt,
Der ſich vergnuͤgen will, die Quelle beß'rer
Luſt.
Wie ſehr erweitert ſich die Sphaͤre wahrer
Freuden,
Die von des Poͤbels Luft ſich glänzend unters
ſcheiden!
So funfelt Stern an Stern, Mann um die Ä
Mitternacht
Ein wolkenloſes Blau hoch am Olympus lacht.
Nichts
— 523
Nichts niedriges vermag, den edlen Geiſt zu
binden,
Der da Vergnuͤgen ſucht, wo es die Engel
h 4 finden,
Sich mit Erkenntniß naͤhrt, und mit belohnter |
# Muh
Erhab’ne Kräfte braucht, fein Vorrecht vor dem
Bieb;
Durch ſie beflügelt , ſich in lichte Höhen
ſchwinget,
Und eines Himmels Luſt herab zur Erde bringet,
Wie rein und unvermiſcht, ſtill, aber dauerhaſt,
Sind Freiden, welche ſich die Seele denkend
u
ſchaft!
Sie ſind die Grazien, die nur dem Weiſen |
| lacben, |
Und ihm die Einfamkeit fo liebenswuͤrdig
machen,
Und ihn vom Weltgewuͤhl, wo tauſende ſich
fliehn,
Zum ſchweigenden Gemach, zur ſpaͤten
AR, ziehn.
Sie fliehn mit ihm aufs Land, und adeln
Stunden,
Ereictern ihm ein Joch, an das ihn Gott
gebunden,
Und
B24 —
Und folgen ihm zum Thron „in Seenen bunter
| Pracht,
Und ſolgen ihm vom Thron, in oͤder Kerker
> RR 7 |
Stets flüchtig „ſtets zu kurz, doch koſtbar zu
gewinnen,
Und oft verderblich ſind, die Freuden unſrer
Sinnen:
O Thor, der nied’rer Luſt ein ganzes Bchen
weht, |
Die shmeichelnd im Genuß ihm lange Dunalen
dräuf!
ß | Uz.
* I STETTEN,
ee — nn tg,
I
VIII.
UL...
epdben
und
ßymnen.
—
J
— — 527
Froher Genuß der Zeit.
(1.28. 3. Ode des Horaz.)
Venerim Ungluͤck niemals die Faſſung Freund!
‚Und wenn das Gluͤck dir lachet fo maͤßige
Den Taumel uͤbertriebner Freude,
Delius; denn du wirſt einmal ſterben.
Du magſt dein ganzes Leben durch traurig ſeyn,
Du magſt am Feſttag öfter im fernen Thal,
Auf Raſen bingeftrecft, mit gutem,
Alten, Falerner did) frolich trinfen.
Dort, wo die hohe Ficht' und der Pappelbaum,
Die Aeſte fi) zu wirthlichem Schatten reiht:
Wo fih der fohnelle Bach lauf raufchend
Durd) die gekruͤmmte Bahn durcharbeitet,
Dort ſchaffe Wein und Salben und Nofen hin:
Die lieben Rofen! ach ! fie vermwelfen bald.
Noch ift ung Alter und Vermögen,
Noch find die Fäden der Parzen günflig.
Bald mußt du von den Wäldern, vomHaus zu Rom
Und deinem Landgut fort, das die Tyber nezt.
Das mußt du; und die hochgethürmten
} Sch)äße die werden dann deinem Erben.
$ | Ob
| J
Ob du voll Reichthums, ob du vom Inachus
Herabkoͤmmſt, oder arm und ein Bettler auf
Der Gaſſe wohnſt; du bift zum Opfer
Dem unerbittlichen Styx geweihet. |
Dorf reiffef ung alle unfer Verhaͤngniß hin:
Dort dreht ſich unſer Loos in der Urne ſchon.
Und koͤmmt's heraus früh oder ſpaͤte,
Seegeln wir fort in ein ewig Elend.
| Maſtalier.
— — — — —
Zufriedenheit.
(II. B. 10. Ode.)
Wage nicht immer, o Licin, in's hohe
Meer dich hinaus: noch ſtreich' am klippenvollen
Ufer zu nah, aus Furcht entfernter Stuͤmme;
Willſt du bergnüot ſeyn.
Wer ſich die gͤldne Mittelftraffe waͤhlet,
Wohnt nicht in ſchmutzigen vermorſchten Hütten,
Aber zu gnüglam ſueht er auch Die neide⸗ |
Vollen Dalläfte, {
J
Fleiſig ſchlaͤgt der Wind an hohe Fichten·
Graͤßlicher hallt der Sturz erhabner Thuͤrme:
Haͤufiger fährt der Blitz auf ey |
Alpengebirge. J
Mitten
| ———— 529
Mitten im Ungluͤck hofft des wahren Weiſen
Seele, die dennoch felbft im Gluͤcke fuͤrchtet.
Eben der Himmel, der die wilden Winter
Zuͤhrlich zuruckfuͤhrt, —
Tilget fie: drückt dich heut ein Ungluͤck, morgen
Schwindet's. Nicht immer fpannt Apollo den
| Bogen ; |
Oſt weckt er wieder die verſtummte Leier
Auf zu Gefängen.
Laß did mit Muth und mit Geduld gerüftee
Mitten im Elend ſchau'n: doch ziehe weislich
Wieder die Segel ein, wenn allzugünft’ge
Winde fie ſchwellen.
rm ns ren
er Wider
350 | Vans
Wider die Habſucht.
SER v2. | |
ein Geräth von. Elfenbein
Ziert meine Säle, Feine goldnen Himmel:
Kein Hymettiſches Gebälf
Druͤckt Säulen ienfeit Lybiens gehauen;
Keines reichen Attals + Burg
Ererbt’ id) ſchlauer Fremdling; mir fpinnet Feiner
Edeln Klientinnen Hand
Den Purpur Sidons: — aber eine Leier
- Ward mir , und ein Dicbtergeift
Bon unverfiesner Ader: ia, mich Armen
Sucht der Reiche. Mehr erbitt'
Ich von den Goͤttern nicht, und mehr von meinem
Koͤniglichen Freunde nicht,
Durch ein Sabiniſch Thal genug beſeeligt. —
Du, der feine Tage fliehn,
Und Monde wachſen, Monde ſchwinden fichet,
Du, dem Tode reif, bedinggt J
Noch Marmorbrüche; thürmſt, dein Grab
vergeſſend,
Neue Schloͤſſer in die Luſt;
Verdraͤngſt das alte Meer, das wider Baiens
Vorgeworfne Dünen brauft,
Durch alles feite Land noch nicht gefättige;
a, verrücht den heil’gen Stein
Der nachbarlichen Gränze ; fpringft , ein Käuber
Uber des Klienten Hof:
ae: 4* Und
531
Nachahmung Ddiefer Ode.
ik Porcellan, Fein Atlas prahlt
An meines kleinen Zimmers Waͤnden!
Kein Oeſer oder Dietrich malt
Fuͤr feinen Ruhm und mein Verſchwenden!
Mars hat mid nicht einmal, im Grimm,
Zum Grafen vom Spion verwandelt;
Gefchweige denn Herr Ephraim
In Kompagnie mit mir gehandelt !
Ein Herz, noch nad) der alten Welt,
Nebſt einer Eleinen Dicditergabe,
Die meinem lieben Gleim gefält,
Iſt aller Reichthum, den ich habe !
Um mehr, verlier’ ich nicht ein Wort.
Mit Nichts vergnügter,, als mit a |
Sreibt einen Tag der andre fort,
Und ſchwinden Monden , wie fie wachen.
Du, fon im Grab mit einem uf,
Rennſt immer noch nach neuen Riffen :
Und gönnft dem täglich ſchmaͤlern Fluß,
Fir Häufern, kaum mehr Plag su fließen;
Entferneft ihn, wenn ſich, zu klug,
Der Gränzftein felber nicht entfernte :
Und zwickſt, mit oͤkonom'ſchen Pflug,
- Dir iährlid) eine weitre Ernte.
Da flieht, (ihr Leben in der Hand,
Und nacte Kinder, fieche Weiber!)
Der Armen Fluch des Vaters Fand,
Und feinen Höllenreifen Räuber !
la Und
538. — —
Und Weib und Hausmann, ihrer et
ihrer Liebe nacktes Pfand
Im Schooße tragend , irren ausgeſtoſſen.
Doch den reihen Stolz; empfängt
Kein Sig gewiſſer, als des alten Orkus
Siebenſach umfchränfte Burg.
Vergeblich ftrebft du weiter: Eine Höhle
Nimmt das Fürftenfind, und nimmt
Den SHaven auf. Der Knecht des Hoͤllen⸗
* 5° (De
Rudert nicht durch Gold verſucht |
Hrometheus ſchlauen Geiſt zurück; er kerkert
Den Tprannen Tantalus —
Und Tantals Enkelföhne ; hört den Armen! Ä
Seufzen unter feiner Laſt. N
Und bilft, gerufen oder nicht gerufen.
| Ramler.
J
rennen | 533
And dennoch bleibt, von allem Raub, . -
Kömmts hoch, dem grauen Miffethäter,
Kein Gut, als einge Schaufeln Staub,
And kein Pallaſt, als fieben Breter.
Wo denkſt du Hin? — Gleichwillig deckt
Die Erde Bettler oder Prinzen!
Der Tod ſchickt Feinen Suͤß, "2 erweckt
In ausgemergelte Provinzen; A 4
Berheplt dem Vetter immer noch
Des Ausgangs aus der Hille Stufen:
And nimmt dem Dürftigen fein Soc,
Gerufen-oder ungerufen!
*) Der bekannte Wärtembersifche Zude Suͤß.
Michaͤlis.
re
ET PER Ste ee ee
|
EU) UM. NS ürce
Therefin, die Mutter der Wiſſen⸗
ſchafften.
Die groͤßte Frau auf Rudolphs altem Throne,
Worauf fie Gottes Hand geführt;
Die doppelt, erſt durch ſich, dann in dem groffen
Sohne,
Schon it verewigt wird.
Im Male Hoheit, Huld und Menfhenliebe,
Im Antlitz fanfte Maieftät
Und in der Seel’ erhabne, königliche Triebe,
Die iede That verraͤth:
Umguͤrtet mit dem Schwerdt, das Regionen
Der. Feinde fraß, von ihr befiegt:
Die Waag in einer Hand, wo Scepter, Gold |
und Kronen
Die Tugend überwiegt :
Nah an dem Thron die muͤtterliche Güte,
Die ieden Tag ein Füllborn leert;
Das Ohr vom Schmeichler weg, und nut zur
leiten Bitte
Der Dürftigfeit gekehrt —
Halt, Mufe! diefes iſt noch nicht die ganze
Thereſie; nein, diefem Bild
Fehlt noch Minervens Helm, ihr Harı
niſch, ihre Lanze
> Und der Medufe Schild. |
ae Ja,
— —— 535
Ja, Maͤchtige! vergiß den Ruhm der Kriege,
Die deine Fabien geführt, |
Um eine'höhre Luft, bey einem fchönern Siege,
Der dir allein gebührt.
Sieh! wie von deiner Hand erzeugt, gepflogen,
Geebildet innge Kuͤnſte blühn. |
Wie fie dein weites Neid) erobernd durchgeflogen,
Und ung dir auferziehn.
Dort bauen fie die feegenreiche Selder,
Die fremder Roſſe Huf zertrat,
als einſt Bellonens Wuth durch Boͤhmens finſtre
Waͤlder
Auf dich geſtuͤrmet hat.
Hier ſchmieden ſie die moͤrderiſchen Waffen
Zur Hoffnungsvollen Pflugſchaar um:
Dort haben fie das Stuͤck zum Bildniß ums
gefbaffen ;
Nun iſt ſein Donner ſtumm.
Und im Metall, das Staͤdt'in Schutt begraben,
Sieh, athmet iezt Thereſie;
Damit die Nachwelt noch die hoͤchſten —2
Im Bild beyſammen ſeh.
Doch ſchwiegen nur der Klio raſche Saiten
Und ihrer Lieder Wiederhall;
Was buͤlſen Statuͤen? Einſt nagt der Zahn der
Zeiten |
Am haͤrteſten Metall.
214 Dann
Fe een
Dann rollen die Jahrhunderte darüber,
Zerfehmettern der Koloſſe Pracht;
Da liegt dein Cäfar, Nom! bedeckt vom Sand
und Tyber,
Und in Athen ift Nacht.
Nur in des Pindars Lied glänzt noch der Sieger,
Der einft die fhöne Palm? errang:
Unſterblich iſt Achill, nicht durchs Geſchrey der
| Krieger,
Nein, weil Homer ihn ſang.
Du, die zum Stoffe ihrer ſchoͤnſten Lieder
Sp gerne groffe Namen wählt,
O Mufe! wähle dir Thereſien; zu nieder
Sn dir der wilde Held,
An deſſen —— Blut, vermiſcht mit Zaͤhren
Verwaiſter Braͤut und Muͤtter klebt:
O ſing Thereſien, der Menſchlichkeit zu Ehren,
Die nur fuͤr Menſchen lebt. *
Zwar ſchwer lag oftmals auf des Feindes Ruͤcken
Ihr Arm, wenn er gereizet ward;
Doch haßt ſie blut'gen Sieg, (nur ſchonen und
begluͤckfen
Sind Siege Ihrer Art.)
Und heilet ſelbſt des Kriegers kleinſte Narbe
Mit Ihrer Guͤte Balſam zu:
Schenkt
Schenkt dem verheerten Landmann Feld und
neue Garbe
‚Dem Tapfern Lohn ‚und Kuh:
Dann ſchauet Sie vom Thron vol Muttermilde
Herab auf deiner Schweſtern Chor,
Und zieht des. Pindus Ruh und binmigtes
Geile
Dem oͤden Sclachtſeld vor;
Hört euren Spielen zu, und reichet ienen
Die Gnad, und Schaͤtze volle Hand,
Um die erſt euer a. ihr ganz Verdienſt zuu
Frönen,
Den ſchoͤnen kolberr wand.
O nimm den ewigſten aus allen Kränzen,
Und bind.ihn um Thereſens Haar:
So foll in eurem Heiligthum Sie ewig glänzen
—Die eure Mutter war.
Drum fehlag’ an deine beften färkften Saiten,
Daß es durch alle Zonen Flingt;
Und Sie, von Ihr entzuͤckt, der Pard’ der legs
ten Zeiten
In feine Harfe ſingt. T
| —F Maſtalier.
J x \ ; 5
Rtys Die
538 mn nn
—— "Die Zeit.
9, der Scihnfung ‚Gebot über" he —
ſprach,
Und aus traͤchtigem Nichts ſtaunende Weſen rief,
Sprach zur werdenden Zeit, als fie vor ihm
| | etſchten
Du nimm Fluͤgel, und raſte nie!
Sie 9*— Fluͤgel, und flog, und der geſchwinde
Pfeil,
Und der. ftreifende Nord , und: der. geſtuͤrzte
Strom
lieben müde zuruͤck. Selbſt der Gedanken Flug
Kriechet arbeitſam hinter ihr.
Dennoch ſchilt ſi e der Thor, wenn er gefells
ſchaftlos,
ueberlaffen ſich felbft lange Sefunden zählt,
Dennoch ſchilt er fie träg, wenn ihm dann auf
ſich felbft
Mancher fhaudernde Blick entfährt.
Wenn ums goldene Bett ſchwarze Phantomen
ſtehn
Wenn ſein zagender Geiſt Dornen auf Schwa⸗
nen fühlt,
Und der lautere Ruf feines Gewiſſens ist
Durch die naͤchtliche Stille tönt.
9 dann wuͤnſcht er den Tag, welcher den Mu⸗
ſenfreund
Son vom Abendroth ber ‚, feiner 0,77
i Tie
—— au
Tief: verloren ins Meer weiler Betrachtungen
Dep der wachenden Lampe finde.
‚ Aber. Bü ‚er auch dann , fluͤchtige Zeit ! dich
5 | träg,
Wenn im Thore des Thals ihm die Verweſung
| | winkt,
Und vom Staube ſein Geiſt wartender Ewigkeit
Ahndungvoller entgegen bebt?
Wenn das, was er verlebt, klein wie ein Atomus,
Sinds Jahrhunderte ſchon, dennoch ein Atomus,
Den im luͤftigen Raum ſchwimmend ein Nord
verhaucht,
| Kor der fchwigenden Stirne ſchwebt?
O dann flucht er dem Wahn, der ihn ſo lang
| getäufcht,,
Der dem Aatternden Einn Jahre vertändeln hieß,
Dann erſt fieht er den Werth eilender Stunden ein,
Wäouͤnſcht fein Leben zurück — und ſtirbt.
Zeit! unfhägbares Gut! Weife nur kennen dich.
Sie nur geizen nad) dir. Jeglicher Augenblick
Flieſſet Weifen gebraucht. Weifen ift nur bewuft,
Was oft eine Minute lehrt.
Freund! die längereZeit, die ſich der Thor vertreibt,
Der ins funfsigfte Fahr buhlet und fchwelgt und
* ſpielt,
Freund! o ſage, warum gab ſie der Himmel nicht
| Schlegeln, Bravben und Cronegken?
ER Denis.
a
Auf
549 \ —
Auf die Wiederkunft des Koͤnigs.
D, er Held, um den du beb£efl , wann im Streite,
Wohin ihn dein Verhaͤngniß trug,
Der ehrne Donner von den Bergen ihm sur Seite 5
Die Feldherrn niederſchlug:
Da wider ihn mehr Feinde ſich gefellten,.
Als dir die Nachwelt glauben darf, Ä
Und er fid) mit entſchloßner Seele zweyen Welten,
Allein entgegen warf;
Dein König, o Berlin! durch den du —
Als alle deine Schweſtern biſt,
Voll Kuͤnſte deine Thore, Felſen deine hal,
Die Slur ein Garten il;
Dein Vater , der dich oft in deinem Mangel
Gefpeift, — kehrt wieder in dein Sand, «=
Und hat in Feſſeln an der Höllenpforten Ange
Die Zwiefracht hingebannt. dan Syn
Fall an fein Herz, o Koͤniginn! ! mif Zaͤhren
Der Freude; fleuch an ſeine Brut,» /
Amalia, von deinen frommen BERN.
Und rede, wenn die Luft *
Dich reden laͤßt; Vermaͤhlte ſeiner Bruͤder,
Kuͤßt fein friedſeelig Angeſicht;
| Will⸗
/
34T
Willkommen, Schußgeift deines Volkes! Und
| tagt wieder:
| WBilfommen ! und mehr nicht,
nn — — — —
ehr Jungfraun , beit mit immer grünen
‚Zweigen,
Mit einem ganzen Lorbeerhain
Den Weg; miſcht Blumen, die der offnen
ß Erd' entſteigen,
Und fruͤhe Bluͤthe drein!
Ihr edlen Muͤtter „opfert Specereien,
Die Maraba den Tempeln zolht,
Da, wo ſein goldner Wagen durch gedraͤngte
Reihen
Entzaͤckter Augen rolt.
Heil uns, daß unſer Morgen in die Tage
Des einzigen Monarchen fiel!
So ſagt, ihr Juͤnglinge. Du Chor der Alten
fage:
Em ung, "af wir das Ziel
So viel gefrönter Thaten fahn ! wir fterben
Yon Wonne frunfen : Friedrich
Bleibt hinter uns: ihr ſtolzen Enkel ſollt ihn erben.
Triumph! ſo ſag auch ich:
Wenn unter hohen, iubelvollen Zungen
Ein füffer Ton auch Mir geriet:
J Triumph
Triumph Ich hab’ ein Lied dem Goͤttlichen
gefungen
Und ihm gefällt mein Lied,
Ramler.
An die Stadt Berlin.
Sa fahe fie! (mir zittern die Gebeine!)
Ich ſah, befümmertes Berlin, |
Die Göttinn deines Stroms vor deinen Tanz
nenhaine _ a
Mit ihren Schwänen siehn ! |
Vergoͤnne mir Naiade, nachzulallen,
Was mein erilauntes Ohr durchdrang,
Und was dein Goͤttermund den Saunen fang,
und allen
Hamadryaden fang. — —
Sey mir gegruͤßt, ER RER meine Krone!
Die Städte Teutſchlands buͤcken ſich!
Es hoͤren meinen Stolz Belt, Donau, Wolga,
Rhone, |
Und weichen hinter mic !
Was fürchten wir, ift gleich die Zahl des
Feindes
Wie dieſer beiden Ufer Sand? a
H Tochter! haft du nicht zur Seife meines
Freundes
Stets einen Gott erkannt ?
| Stritt FJupiter nicht ſelbſt mit Friedrichs
Volke,
Und donnerte den Feind zurück?
* nicht der Krieges-Gott einſt ploͤzlich eine
—
8 feines Moͤrders Blick?
Sah ich nicht iuͤngſt, Cals er vom fernen
Suͤden
Den Rieſen aus der Mitternacht
Sein Heer entgegenriß, ein kleines Heer von
Muͤden,
Bereit zur zehnten Schlacht. )
Wie das Panier, von feiner Hand gefaffet,
Zur drohenden Aegide ward ?
Die Feinde ſahn den Schild der Pallas, die ſie
haſſet:
Und hafteten, erſtarrt
Am Boden; bis ſie durch ſein Heer zerſchlagen,
Das unaufhaltſam weiter drang,
Wie Halmen von des Himmels Schloſſen nie—
| derlagen
eebunken Hufen lang.
—
Ja, dinget nur die halbe Welt zufammen, |
Und ralet wider einen Mann,
Und wendet wider ihn Verrath, Nacht, Mein
eid, Flammen,
Den ganzen Orkus an.
Boruſſiens gerechter Held ſoll ſiegen!
Die Götter ſchuͤtzen ihren Sohn.
Vald wird er im Triumph zu feinen Kindern fliegen,
Er koͤmmt, ich ſeh ihn ſchon!
Er koͤmmt, das Haupt mit Elle rund
umwunden,
Wie Delius Apollo kam,
Als er den Python ſchlug und ihm mit tauſend
Wunden
‚Die ſchwarze Seele nahm. |
Eilt, ihn im Erz den Enkeln aufsuftellen !
Eilt einen Tempel ihm zu mweihn |
Am Rande meined Stroms! id) brenne,. feine
| Schwellen *
Mit Blumen zu beſtreun.
Die
— 545
Die Wiſſenſchaft zur leben.
En groſſer and vielleicht der groͤſte Theil des
J Lebens N)
Das mir die Parce zugedacht,
Schlich, als ein Traum der Nacht,
Mit ne Flügeln hin, und war vielleicht
vergebens!
Vergebens flammten mir ſo vieler Tage
Sonnen,
Wenn ich, vom Schoͤpfer aufgeſtellt,
Als Buͤrger einer Welt,
Durch eine gute That nicht ieden Tag getsonnen: :
Wenn ich der Tugend Freund und groß
| durch Menfchenliebe,
Frey von des Wahnes Eprannen,
Wahrhaftig groß und fry,
Erſt werden fol, nicht bin, und es zu feyn
| verſchiebe.
Wie? wer nad) Golde geist, obaleich kein
Gold begluͤcket,
| Braucht alle Stunden zum Gewinn,
Und läuft nad) Wucher hin,
Wenn Faum der iunge Tag aus weiſſen Wol—
ken blicket.
Mm Indeß
246 —
Indeß die halbe Welt, von ſanftem Schlaf
umflogen,
In bleicher Daͤmmrung ſtille traͤumt;
Hat iener, ungeſaͤumt,
Schon Gelder angelegt, ſchon Zinſen abgezogen.
Wir leben niemals heut! wir ſchieben auf
zu leben, |
Big einſt ein guͤnſtiges Geſchick
Uns ein geträumtes Gluͤck,
Nach Vorſchrift unſers Plans und Eigenſinns
gegeben.
Wie lang herrſcht uͤberall der Thorheit alter
Glaube, |
Als Fönnten wir uns nicht erfrenn,
Nicht weiſ' und gluͤcklich ſeyn
In einem ieden Stand, im Purpur und im
Staube!
auf Blumen ſeh ich hier den armen Land⸗
mann liegen, 84
Den ein gepachtet karges Feld
Nur kuͤmmerlich erhaͤlt:
Um ſeine braune Stirn lacht ruhiges erahnen.
Er lebt, wenn fein Thrann, der ieden Fa
bethraͤnet,
Sich um das Leben ſelbſt betruͤgt,
Und, immer unverqnuͤgt,
Reich, aber hungrig ſtets, nach gröferm Reichs
| thum haͤhnet.
Doch
— nn 547
: Dody Klotho wartet nicht, bis wir genug
erlangen;
4 Und wenn ſie uns zur kuͤhlen Gruft
Und in die Stille ruſtt,
So haben Pe nie zu leben angefangen.
u:
Der wahre Muth.
Mir blindem Ungefiüm sin sweifelhaften
Schlachten,
Die drohende Gefahr verachten,
Dem Tod entgegen gehn, iſt oft erkaufte Muth,
Nicht Lorbeernwerther Heldenmuth. )
Dort, wo die Menſchheit fchläft, in einer
Welt von Wilden,
Sin Srofefifehen Gefilden,
Verſtroͤmt ein Barbar oft fo freudig, als der
Held ,
Sein Blut aufs leichenvolle Feld.
Doch, ſoll ich wahren Muth mit
9* Saiten preiſen,
Wo find’ ic) ihn als bey dem Weiſen, '
- Der mit Selaffenheit, nicht ſtoiſch aufgeblähf,
An fein befiimmtes Leiden geht?
Der Tod umfchattet ihn mit ſchnellen Si
ſterniſſen,
Ruſt unbetvegt in feinen Schlüffen,
| IR m'2 Ihn
548 nn. nf
Ihn aus der Frenndfchaft Arm, und aus der
Liebe Schooß
Und findet ihn bereit und groß:
Groß, wann voll Furcht und Angſt die Könige
| der Erden
So Fein als ihre Sklaven werden,
Und. vor dem früben Blick, gleich einem Traum
verfliegt ,
Was den betrognen Stolz betrügf.
Als Held ſtirbt Sokrates, der für die Tu⸗
gend leidet,
Und, wann er aus dem Leben ſcheidet,
Ein befres Leben hofft, und feiner Ewigfeit
Sich, ihrer werth, entgegen freut, -
Athen hat ihn verdammt, die Wahrheit
| loggefprochen ; |
Sein leßter Tag iſt angebrocen: —
Die — ſtehn um ihn; ihr maͤnnlich Auge
weint
um einen un einen Freund.
& aͤchelt: Elagt ihr auch? Gerede ift eure
Klage,
Kenn Sofrateg an diefem Tage, 3
Der ganze Sokrates durch Faltes Gift ei,
Und in fein: erſtes Nichts entweicht. ——
Ich fühle, daß in mir ein adtelich Emas lodert,
Das lebt, wenn ſeine Mle modert: *
Mir
549
Mir lifpelt die Natur ist lauter, als zuvor:
Du biſt unfierblich ! in das Ohr.
Selbſt meine Seele zeugt von ihrer hohen
| Würde:
Selbſt dieſe brennende Begierde
Nach Wahrheit; ; welche flieht, verhuͤllt in Duns
kelheit,
Iſt Ahndung der Unſterblichkeit.
Wir Reigen ſtufenweis zu ſtets erhabnen
Sphaͤren:
So lang die Pilgrims-Jahre waͤren,
Irr ich im dunklen Wald, mo zweiſelhaſtes Licht
Duurch dichte Zweige daͤmmernd bricht.
FalBs bald wird mich der Tod, obaleic) auf
ſchwarzen Schwingen
Zu einem hellern Auftritt bringen,
Wo ewiger Mittag, der nicht an Schatten graͤnzt,
Voll Klarheit in die Seele glaͤnzt.
Da ienfeit meines Grabs ih weil’ und -
glücklich) werde,
So geh ich froͤlich von der Erde.
Vor dieſem dunkeln Weg beb' an des kalers
Bruſt
Der feige Sklave niedrer Luſt!
Die falſchen Freuden fliehn, gleich den ge—
ſcheuchten Schafen;
| Und ihn erwarten fhmere Strafen, -
Dr m 3 Erwar⸗
E50 nn un nn —
Ervwartet, nach dem Tod, die ſtrenge Remeſis,
In Gegenden der Finſteruiß.
Auch Seelen, die im Leib nicht blos dem
Leibe lebten,
Und. nad) den wahren Guͤtern firebten, .
Erheben ſich im Tod , und fehwingen Feſſeln
hi We |
Vor ihrem Grabe fid) vorbey:
Und merden bingerückt in Auen, wo der
Friede,
Bey Philomelens holdem Liede,
Bald im bebluͤmten Thal, bald bey ad
Fluth,
Im Schooß des Fruͤhlings ewig ruht.
Er ſprach und Freude gluͤht in feinem Ans
geſichte:
Sein Auge ſchien mit ſanftem Lichte,
So heiter als es war, wann ihm des Freun⸗
des Hand.
Beym frohen Gaſtmahl Kraͤnze wand.
Kein unvergnuͤgtes Wort entfiel dem weiſen
Munde, | a
Doc flog die feierlide Stunde,
Die Stunde, die den Freund aus Freundes
Armen raubt,
Schon wartend über feinem Haupt.
Er,
| | 551
€, it. vol wahren Muths, wann oft die
* Starken beben,
War ferbend aröffer , ale im Leben:
Sein Tod war: glänzend , frey, ſelbſt unter
aͤuſſerm Zwang
War einer Sonnen Untergang.
Die Koͤniginn des Lichts laͤßt ihre lezten
* Stralen
Des Meeres blaue Schuppen malen
Und weicht mit Maiefiär, im Purpur ihrer
de IR. Pracht,
Dem kalten Sande a Racht.
Die Glücfeeligkeit.
Da Wahrheit ernſte Stimm’ erſchallt in
meinem Buſen:
Hoͤrt eure Lehrerinn! ſie ſelbſt hat mich ernannt
Und auf den Fluͤgeln ſuͤſſer Muſen
An euch, ihr Sterblichen! geſandt.
Es flammt ein Weltenheer in angewieſnen
| Graͤnzen:
Es iſt im lichten Raum, wo in beſtimmter Bahn
Die ungezaͤhlten Sonnen glänzen, |
Der Ordnung alles unterthan.
Mu Zur
252% — —
Zur Ordnung ward, was iſt, eh etwas war,
erleſen: -
Sie fordert ‚fanften Weſt, und — Un⸗
geſtuͤm:
Ihr Band verknuͤpfet alle Weſen,
Vom Staube bis zum Cherubim.
Der ganzen Schoͤpſung Wohl iſt unſer
erſt Geſetze:
sch werde gluͤcklich ſeyn, wenn ich durch keine
That
Dieß allgemeine Wohl verletze, |
Zür welches ich die Welt betrat:
Wenn wider meine Pflicht mein Herz fi
nicht empöref,
Und niedrer Eigennuß, der die Begierden ſtimmt
Und ihre Harmonie zerfiöret,
Nicht unter meinen Trieben glimmt.
Die Duelle falfher Luft, die Ariſtipp ges
funden, |
Haucht elle Bitterkeit felbft unter Blumen aus,
Den Weichling drücken leere Stunden, _
Die Nude flieht fein marmorn Hans.
Denn reine Freude quillt allein aus reinem
Herzen:
Sein Zeugniß, daß wir thun, was unſre Pflicht
Air gebeut,
Entwaffnet Ungedult und Schmerzen,
In Tagen voller Dunkelheit, |
ıR | Quaͤlt
en : 553
Dualt mid) fein Urtheil nicht mit nagendem
| Verdruſſe,
Sp fen mein Eigenthum der ſchlauen Bosheit
| Raub; |
So trete mich mit ſtolzem Fuſſe
Das uneeflüme Gluͤck in Staub.
Ich winſle nicht um Troſt, nicht weibiſch um
Erbarmen:
Die Ruhe folget mir zum niedern Strohdad) hin,
Bo ich in reiner Wolluſt Armen
Dur) Unſchuld reich und glücklich bin.
Sept innre Ruhe nicht; was fehlet meinem
geben /
gs: was entbehrlid) und unentbehrlid (deine ?
Sollt ic) bey iedem Unfall beben,
Ind weinen, wenn die Thorheit meint ?
Mit weiſer Huld vertheilt das Schickſal Weh
und Freuden,
Das bald auf Roſen uns durchs Leben wandern
heißt,
Bald aber durch bedornte Leiden
Des Laſters Armen uns entreißt.
Ein Blick in vorig Leid wird kuͤnſtig uns
| entziicken,
Wenn unferm Auge fh der Drdnung Plan
ash entdeckt,
Mus Der
Der nun vor unfern Fühnen Blicken
In heilig Dunkel fih verſteckt.
z >
Theodicee.
Mit ſonnenrothem Angeſichte
Flieg ich zur Gottheit auf! Ein Stral von ihrem
Lichte
Glaͤnzt auf mein Saitenſpiel, das nie erhabner
klang.
Durch welche Toͤne waͤlzt mein heiliger Geſang,
Wie eine Fluth von furchtbarn Klippen,
Eid) ſtroͤmend fort und brauſt von meinen Lippen!
Ich will die Spoͤtter niederſchlagen,
Die vor dem Unverſtand, o Schoͤpfer! dich
verklagen:
Die Welt verkuͤndige der hoͤhern Weisheit Ruhm!
Es oͤffnet Leibnitz mir des Schickſals Heiligthum;
Und Licht bezeichnet feine Pfade,
Wie Titans Weg vom oͤſtlichen Geſtade.
| Die dirfe Finflerniß entweiche, _
Die aus dem Acheron, vom ſtygiſchen Geſtraͤuche
Mit altem Graufen fi) auf meine Wege häuft,
Wo fiolzer Thoren Schwarm in wilder Irre läuft,
Und auch der Weife furchtſam ſchreitet,
Oft ſtille ſteht und ofe gefährlich gleitet,
Die
— 555
Die Riſſe liegen auſgeſchlagen, |
Die, als die Gottheit ſchuf, vor ihrem Auge
lagen:
as Reich des Moͤglichen ſteigt aus gewohnter
Nacht.
Die Welt verandert ſich, mit immer neuer Pracht,
Nach tauſend lockenden Entwürfen,
Die eines Winks zu ſchnellem Seyn beduͤrſen.
Der Sextus einer beſſern Erden
Zwingt nicht Lucretien, durch Selbſtmord grob
zu werden:
| An feinem 3 Dolce ſtarrt ihr unbeflecktes Blur.
Das —— Rom, der Schauplatz jeiger
Muth
Und viebiſcher Domitiane,
Herrſcht unverheert in einem ſchoͤnern Plane.
Doch sun und Falte Schatten
Gehn über Welten auf, die mid) entzuͤcket hatten:
Der Schöpfer wähle fie nit! Er wählet unfre
Welt,
Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beygeſellt,
In ewigen Geſchichten firalen,
Der DRFRIBAGE Schmach, das Werfzeug ihrer
Qualen.
Eh J die — lobten,
Und auf fein ſchaffend Wort des Chaos Tiefen
[> | tobten "-
Erkohr
—
556 ze
Erkohr der Weifefte den ausgeführten Plan:
Und wider feine Wahl will unfer Maulwurfswahn,
Will folge Blindheit Recht behalten,
Und eine Welt im Schooß der Nacht verwalten ?
Bon welcher Sonne lichtem Strale
“ Weiche meine Sinfternif ! Wie, wann aus |
ſeuchtem Thale:
Der frühe Wanderämann auf hohe Berge dringt,
Schnell eine nene Weltvor feinem Ang entfpringt,
Und Reiz die groffe Weite zieret,
Bo fid) der Blick vol reger Luft verlieref:
» Denn Fluren, die von Blumen düften,
Gefilde voll Geſangs und heerdenvolle Triften,
Und hier Erpfiallne Fluch , vom grünen Wald
umkraͤnzt,
Dort ſerner Thuͤrme Gold, das durch die Wol⸗
ken glaͤnzt,
Begegnet ihm, wohin er blicket:
Sp wird-mein Geiſt auf feinem Flug entzücker,
\
Sch habe mic) empor geſchwungen!
Wie groß wird mir die Welt! die Erde flieht
verfchlungen: bay:
Sie macht nicht mehr allein die ganze Sihö
pfung aus! —
Welch kleines Theil der Welt iſt Rheens finſtres
Haus!
Und
—— 557
Und Menſchen! welche kleine Heerde
Seyd ihr nun erſt auf dieſer kleinen Erde!
Goͤnnt gleiches Recht auf unſerm Balle
Geſchoͤpſen andrer Art! u Schoͤpfer liebt fie
alle:
Die Weisheit ſelbſt entwarf der kleinſten Fliege
| Gluͤck.
Ihr Schichſal iſt beffimmei, fo gut, als Noms
| Geſchick
Und als das Leben einer Sonne,
Die glänzend herrſcht in Gegenden der Wonne.
Seht, mie in ungemefiner Ferne
Orion und fein Heer , ein Heer bewohnter
| Sterne,
Bor feinem Schöpfer fi ch in lichter Ordnung
| drängt.
Er ſi eht, er fi eht allein, wie Sonn an Sonne |
} hängt, -
Und wie sum Wohl oft ganzer Welten
- Ein Uebel dient, das wir im Staube ſchelten.
Er fieht mit heiligem DBergnügen
Auf unſrer Erde felbft fid alle Theile tigen,
Und Ordnung überall auch to die Tugend
Weine:
I findet , wenn fein Blick, was boͤs und
| aa fcheint,
Im
558
Im Schimmer ſeiner Folgen ſlehet/
ae was gefihieht „ aufs befte ſtets oeſciehet
Es feide mit geprieſnem Muthe —
Die Gattin Kollatins ! Es keimt aus ihrem
Blute
Die Freyheit cine? Volks, die einſt Katone
| zeugt:
Bis kuͤhne Tyranney, vom Laſter groß iaet,
Die ſpaͤt verlaffne Tugend raͤchet
Und Kom durch Kom beſtraft und frafend
| ſchwaͤchet. | ——
Entkraͤſtet in verdienten Ketten,
Wie fol ſich Latium vor ſremdem Joche retten?
Sieh! dag entmannte Nom verfällt in Schutt
und Grau, !
Der Falte Norden fpeit ein Volk der Wilden aus,
Das durchs Verhaͤngniß überwindee,
Im Tinftern ſaß und Licht und Wahrheit findet.
Die ihr ein Stuͤck vom — ne
Dom Ganzen, das ihr bloß nach eurem Wins
ae kel Fennet;
—
Verwegen tadelt ihr, was Weiſe nicht verfiehn.
O koͤnnten wir die Welt im Ganzen überfehn,
. Wie würden ſich die dunkeln Flecken
Bor unferm Blick in gröffern Glanz verſtecken!
Soll
559
er Welten alles Boͤſe fehlen?
So mufte nie den Staub der Gottheit Hauch
beſeelen;
Denn alles Boͤſe quillt bloß aus des Menſchen
Bruſt:
So muß der, Menſch nicht feyn : welch gröfferer
Verluſt!
Die ganye, Schöbfung wuͤrde trauern,
Die Tugend flichn und-ihren Freund bedauern,
Ihr Weiſen, hättet nie entzuͤcket,
Die ihr die Schöpfung mehr, als hundert Sons
nen, ſchmuͤcket,
Und Hrdnung herrſchte nicht im Reiche der
Natur,
Die niemals flüchtig ſpringt, und ſtuffenweiſe nur
Auf ihrer güldnen Leiter ſteiget,
Wo ſich der Menſch auf mittlern Sproffen zeiget.
Vom Wurme, der voll gröffrer Mängel
Auf ſchwarzer Erde kreucht, und vom erhabnen
Engel
- Sind Menfchen gleich entfernt , und beiden gleich
verwandt.
Ihr freyer Wille fehlt , ihr himmliſcher Verſtand
Entflieget nie der engen Sphaͤre:
Stets feſſelt ihn des Leibes träge Schwere,
Es rauſchen laute Spoͤttereyen
Um mein verachtend Ohr: viel ſtolze Klugen
ſchreien
| Dem
Dem armen Sterblichen des Willens Freyheit ab.
Die Sflaven ! welche das, was weile Güte gab;
Der Menſchheit Vorrecht, , nicht erfennen,
Und, gleich dem Vieh , 4 deffen unwerth
nennen
Nerzärtelt eure Beidenfchaften:
So berrichen fie zulezt; fie bleiben ewig haften ;
Ein diamantnes Band Fnüpft fie an euer Herz.
Der freygeborne Geift erblickt nicht ohne
| Schmerz,
Sich endlich in veriaͤhrten Banden,
Und iſt ein Knecht, weil er nicht widerſtanden.
In allen Ordnungen der Dinge,
Die Gott als moͤglich ſah, war Menſchenwitz
geringe:
Der Menſch war immer Menſch, voll Unvoll⸗
kommenheit,
Durch Tugend fol er ſich aus dunkler Niedrigkeit
Zu einem hoͤhern Glanz erheben,
Unſterblich ſeyn, nach einem kurzen Leben.
Mein Schickſal wird nun ‚angefangen,
Hier, mo das Leben mir in Daͤmmrung aufs
gegangen:
Mein Geift bereitet fich zu lichtern Tagen vor,
Und murrt nicht wider den, der mich zu Staub
Ä erkohr,
Mich aber auch im Staube liebet,
Und hoͤhern Rang nicht weigert, nur verſchiebet.
— — — ——
7*
er
N
561
——
Jeſus ſchlaͤft auf dem Meer.
Süust fanfte du Wind und ſpielt ihre filbers
De nen Wellen,
Um: den beſten, den goͤttlichen Freund!
Ruhig fuͤhret ihn; ſeyd ſtill ihr murmelnden
Ba Mogen !
Wetket die — Liebe nicht auf?
al, ein wildes Getoͤs ſtuͤrmt aus dem brüls
lenden Schlund der
ESchwargen donnernden Hoͤllen herauf?
wad ein tobender Sturm wirft Berge von wir—⸗
| beinden Fluthen
44 Auf das zerſplitternde Fahrzeug hinab?
Dede, ſprangen fie hin sum Herrn die zagenden
Juͤnger:
ach! wwir ſterben! du ſchlummerſt dazu 2”
„Rinder! ‚glaubet doch nur; fo fagt er mit troͤ⸗
| fender Stimme:
* „Seyd doch nicht furchtſem! bin ich nicht
a 4 bey euch ® »-
Und
“e) Diele Dde ift gegen das Ende des letzten
7 Krieges gemacht worden, zu einer Zeit,
da die fireifenden Mächte ihre Armeen aes
+; Waltig verflärften, und ein arofjer Theil
Teutſchlands unter dem fürchterlichen
Marten eines vielleicht noch langwierigen
Elendes ſeußite.
n
0 —————
Und dann hub er fein Haupt voh ernſter goͤtt⸗
licher Mienen Er
Auf — — da flohe das fhüchterne Meer.
„Winde, ſprach er, verſtummt! ſeyd ruhig ihr
Wogen“ — — nud ſiehe!
Heitere Stille floß uͤber die See. |
Dein allmäc)tiger Win? bat iene Waſſer ges
zaͤhmet,
Und dein Hauchen die Stuͤrme verſcheucht:
Sieh dein Iſrael an! Held Gottes! tobende
| Fluthen |
Kriegriſcher Heere bedecken dein Rand.
Gag dem würgenden Schwerdt ! fey ruhig, fahr
in die Scheide! -
Sprich! ihr Könige zuͤrnet nicht mehr!
Oder iſt wol das kochende Blut in den menſchli⸗
chen Adern - _
Wüthender noch als die brauſende See?
Nicht ſo bezahmbar wie ſie? ach! harte Fel⸗
ſen zerreiſſ ſen,
Berge zerſchmelzen wie Wachs vor dem Herrn,
Nur das eherne Herz des haͤrteren Menſchen
bleibe feet
Teutſchland o Teutſchland! ach! ſchone
rn Blut
S * *
ne
Der
563.
Der Erbarmer. |
O Bewunderung, Gottes ————
Meine Seeligkeit!
Nein! wenn ſie nur bewundert,
Hebt ſich die Seele zu ſchwach!
—* Erſtaunen! himmelfliegendes Erſtaunen!
Ueber den, der unendlich iſt!
O du der Seeligkeiten hoͤchſte,
Ueberſtroͤme meine ganze Seele
Mit deinem heiligen Feuer!
Und laß ſie, du Seeligkeit,
So oſt, und ſo hoch die Endliche kann,
‚ Aufflammen in Entzückungen !
Du warf! du bift: wirſt ſeyn!
Du biſt!
Wie ſoll ich dich denken ! |
Meine Seele fiehet il, erreiche es nicht!
Vater! Vater!
So ſoll meine Seele dich dee
Dich) empfinden mein Hey!
» Meine Lippe die) ffammeln.
| Vater! Vater! Water!
h
Sallt nieder, betet an, ihr Himmel der Himmel:
Er ift euer Water !
Unſer Vater auch ! |
Nns O
®
—
—
O ie die einft mit 17 Himmel enohnemn |
Erſtaunen werden!
Wandelt ſorſchend in dieſem kabyrinth der
Wonne, *
Denn Jehovah redet
Zwar durch den rollenden Donner, u |
Durch den fliegenden Sturm „und ſanftes
Saͤufeln;
Aber erſorſchlicher, daurender,
Durch die Sprache der Menſchen.
Der Donner verhallt, der Sturm brauſt weg, das
Saͤuſeln verweht,
Mit langen Jahrhunderten ſtroͤmt die Sprache
der Menſchen fort,
Und verkuͤndet ieden Augenblick,
Was Jehovah geredet hat!
Bin ich am Grabe noch? oder ſchon über dem
Grabe ?
Hab ich den himmlifchen Flug ſchon gethan?
D Worte des ewigen Lebens !
So redet Jehovah:
Kann die Mutter beiten ihres. Säuglinge,
Daß — ie ſich nicht über den Sohn ihres Leibes
| erbarıne ?
Vergaͤſſe ſie ſein;
Ich will dein nicht vergeſſen!
Preis,
*
— —
Preis, Anbetung, und Freudenthraͤnen, und
ewiger Dank,
Sir bie Unfterblicpfeit!
Heiffer, inniger, herzlicher Dank
Fuͤr die Unſterblichkeit:
- Halleluia in dem Seiligthume ! !
= Und ienfeit des Vorhangs |
Y In dem Allerheiligften Halleluia!
Denn fo hat Jehovah geredet!
| Wirf zu dem tieſſten Erſtaunen dich nieder,
O du, die unſterblich iſt!
Geneuß, o Seele, deine Seeligkeit!
OMA fo hat Jehovah geredet !
Klopſtock.
Dem Unendlichen.
Wie erhebt ſich das Herz, wenn es dich,
Unendlicher, denkt! wie ſinkt es,
Wenns auf ſich herunter ſchaut!
Elend — wehklagend dann, und Nacht
und Tod!
N allein
566. — vmen
Allein du rufſt mich aus meiner Nacht, der im
Elend, der im Tod hilft !
Dann denf ich ed ganz, daß du ewig mich ſchufſt,
Kerrlicher : den Fein Preis, unten am Grab’,
oben am Thron,
Herr Herr Sort ! den, dankend entflanmt,
Fein Jubel genug befi ingt.
Weht, Bäume des Behanz, ing. Harfengetön!
Rauſche mit ihnen ins Harfengefön, kryſtallner
Strom!
Ihr lifpelt, und rauſcht, und, Harſen, ihr toͤnt
Nie es ganz! Gott iſt es, den ihr preiſt!
- Donnert, Welten, im feierlidyen Gang, in der
Pofaunen Chor!
Du Drion, wage, du auch!
Toͤnt al? ihr Sonnen auf der Straſſe voll Glanz,
In der Pofaunen Chor!
Ihr Welten, donnert
Und du, der Pofaunen Chor, halleſt
Nie es gang, Gott; nie es ganz, Gott,
Gott, Sort iſt es, den ihr preifl!
— — 567
Die Tugend.
Freund! die Tugend iſt kein leerer Name,
Aus dem Herzen keimt des Guten Saamı,
Und ein Gott iſts, der der Berge —
Roͤthet mit Blitzen.
Laß den Freygeiſt mit dem Himmel ſcherzen,
Falſche Lehre fließt aus boͤſem Herzen,
Und Verachtung allzuſtrenger Pflichten
Dient für, Verrichten.
Nicht der Hochmuth, nicht die Eigenliebe,
Nein, vom Himmel eingepflanzte Triebe
Lehren Tugend, und daß ihre Krone
Selbſt ſie belohne.
Iſts Verſtellung, die uns ſelbſt bekaͤmpfet,
Die des Jaͤhzorns Feuer-Stroͤme daͤmpfet,
Mad der Liebe viel zu ſanfte Flammen
Zwingt zu ——
ur.
er es a oder Rift des Weifen,
Der die Tugend rühmet in den Eifen,.! DE
Defien Wangen, mitten in dem Sterben,
Nie fi Ü entfärben ?
Ba. ei
68 —
>» —
Iſt es Thorheit ‚ bie die 5 bindet,
Daß ein ieder ſich im andern findet,
Und, zum Loͤßgeld feinem wahren Freunde,
Stuͤrzt in die Feinde? |
Fuͤllt den Titus Chefudht mit Erbarmen?
Der das Unglück hebt mit, milden Armen,
Weint mit Andern, und von fremden Ruthen
Wuͤrdigt zu bluten.
Selbft die Bosheit ungesäumter Jugend
Kennt der Gottheit Bildniß. in der Tugend,
Haft das Gute, und muß wahre REIN,
Heimlich doch preiſen. |
Zwar die Lafter blühen und vermehren,
Geiz bringt Güter, Ehrſucht führt zu Ehren,
Bosheit herrſchet, Schmeichler betteln Snaden,
Tugenden ſchaden. |
Doch der Himmel hat noch feine Kinder,
Sromme leben, Fennt man fie ſchon minder,
Gold und Perlen finde man bey den Mohren,
Weiſe bey Thoren.
Ans der Tugend fließt der wahre Friede,
Wolluſt eckelt, Reichthum macht und müde,
- Kronen
ee —
Kronen druͤcken, Ehre blendt nicht immer,
Tugend fehlt nimmer. RR
Drum, o Damon ! gehts mir nicht nach
Wilen,
So will id) mich ganz in mich verhuͤllen,
Einen Weifen leidet Leid wie Freude,
Tugend ziert beide,
Zwar der Weife wählt nicht fein Geſchicke,
Doch er wendet Elend felbit zum Gluͤcke;
Fälle der Himmel, er kann Weife decken;
Aber nicht ſchrecken.
— v. Haller.
Nus Feſtes
379
Feſtes Vertrauen zu Gott.
(DE 23:
Gott iſt mein Hirt!
Im Schatten feiner Güte
Singt mein lautiauchzendes Gemüthe, &
Ind dankt, weil mit nichts mangeln wird»
Er führet mich
Auf ewig grüne Weiden.
Hier blühen mir die reinſten Freuden,
Ind meine Geele färtige fi.
Er tränfet fie,
Wenn Hitz und Durſt fie ſchwaͤchen,
Aus friſchen angenehmen Baͤchen,
Und meine Seel erſchoͤpft ſie nie.
Wenn er gebeut,
Muß aller Sturm ſich legen.
Er führt mid), ſeines Namens wegen,
Den Fußſteig der Gerechtigkeit,
Mit dir will id)
Syn finſtern Thälern wallen!
Ichh fürchte nichts; ich kann nicht fallen!
Du bift mein Stab; des tröff ich mid).
Du
EN 571
—
Di Herr if mein Hirte, en Fann nicht
verſchmachten: |
—
Auf gruͤnen Auen laͤßt er mich lagern, traͤnkt
mich an den Waſſern der Ruhe:
Erquickt mich, führt mich auf richtigen Du
gen um ſeines Namens willen.
Und wann ich auch Todesſchattigte Thaͤler
durchwandern muß, ſo fuͤrchte ich doch kein Un—
glück; denn du biſt Bey. mir, dein Stock und
dein Stab, die tröften mid),
Du
572 ! TESTER ER
a rn.
Du rufeſt mid,
Damit ich mich erfriſche,
Zu deinem wundervollen Tiſche;
Und meine Feinde quaͤlen ſich. *
Herr, du biſt mein,
Und dein iſt meine Seele!
Du ſalbſt mein Haupt mit deinem Oele;
—
Du ſchenkſt, du ſchenkeſt mir ha ein!
Mir folgt dein Heil;
So lang ich auf der Erde
Herr, deinen Namen preiſen werde,
Sey deine Vaterhuld mein Theil!
\_
Hier ruh ich gern
In Gottes Heiligthume,
Der Ruheſtatt von ſeinem Ruhme;
Einſt wohn ich ewig bey dem Herrn!
Cramer.
———— — ——
Du errichteſt vor mir einen Tiſch, gegen
meine Feinde, machſt mein Haupt von Oele
tiefen, und mein Becher iſt Trunkenheit.
Gewig wird: Güte und Gnade mic) mein
nanzes Leben hindurdy begleiten, - und lange
Jahre werde ich in dem Haufe des Jehova
wohnen. © in 9. Andohe nis
| | . Schule,
*
Flehen
574 —*
Flehen zu Gott.
(Di. 42.)
Mir der Hirſch, in ſchwuͤler Zeit,
Nach der frifhen Duelle ſchreit;
Alſo fchreit in ihrem £eide,
Fange fchon entwoͤhnt der Freude,
Meine Seele, Gott, zu dir,
Wenn erſcheinſt, wenn hilfſt du mir?
Ach »befriedigſt du fie nie?
. Abgemattet dürftet fie!
Range feufste fie vergebens
Nur nad) Gott, dem Duell des Lebens:
Ach! wenn endige er einmal
Unerfüllter Wuͤnſche Dual?
- Wenn belohnt er mein Verfraun?
Sol ich nie fein Antlig ſchaun?
Meine Speife findenur Thränen;
Tag und Nacht durd find es Thränen.
Taͤglich frage des Laͤſtrers Spott:
Wo ift num dein Netter, Gott?
Wenn, in tiefen Gram verſenkt,
Meine Seele dieß bedenkt,
Ganz ihr Elend ſieht: wie zittert
Sie, von dieſem Blick erſchuͤttert!
Welch ein herber Schmerz zerreißt
Meinen tieſgebeugten Geiſt!
Ach!
— u:
Wie der Hirſch nad Waſſerquellen ſchmach—
tet, fo ſchmachtet meine Seele, Gott! nad
dir. SS |
Sie duůrſtet nach Bott ‚dem lebendigen
Sort. Wann werde ich wieder hineingehen,
und ſein Antlitz ſehen? —
Meine Spränen find Tag und Nacht mein
Brod, da man mich beſtaͤndig fragt : wo if
dein Gott ? — ge
Nod „dent ich — meine ganze Seele |
ergießt id — wie id in Haufen zum Haufe |
—3 Got⸗
56 —
Ach! ing Heiligehum des Herrn
Gieng ich mit dem Haufen gern.
In dem feiernden Gedränge
Gieng ich ‚ iauchzt' ich mit der Menge,
Dankt ic) auch mit denen gem,
Die 9 danken, meinem Herrn!
Was verzagſt du ſo, mein Herz,
So voll Unruh, Sorg und Schmerz?
Hoff auf Gott; ihm werd ich ſingen,
Dank und Preis werd ich ihm bringen,
Daß es meiner nicht vergißt, |
Daß mein Gott mir gnaͤdig iſt!
Schmerz und Gram, mein Gott, zerreißt
Heinen hartgepruͤften Geiſt. u
In der Wuͤſt, am Jordanfluſſe, ia
An des hohen Hermons Fuſſe /
Hier an dieſem Huͤgel fleht,
Dil 0 Be mein Gebe
Fluthen raufchen her von dir;
Tiefen da und Tiefen bier.
Gott, fie brauſen, und es ſchwellen |
Weber mid) her deine Wellens u 100?
Deine Wogen, und dein Meet,
Stürgen über mic) fih ber.
Dens
nn 577
Gottes wallte, unter Jubel und Danfliedern
mit der jeirenden Menge !
_
'
\
Was betruͤbſt du dich, meine Seele, und
biſt fo unruhig in mir? Harre auf Gott! |
Denn einft werde ich ihm noch danken; ihm,
meinen Erretter und meinem Gott!
Meine Seele iſt betruͤbt in mir, Darum
den? ich an did) aus des Jordans Lande,
vom Hermon und dem Berge Misar.
Wo ein Meer dem andern in dem Getöfe
deiner Kanäle zuruft : wo ale deine Wogen
and Wellen über mich zufammenftürzen.
O o Am
Dennoch harr ich in Geduld.
Täglich rühm ich feine Huld;
Lob und Dank will id) ihm bringen;
Auch) des Nachts will ich ihm fingen!
Meine Seußzer drängen ſich,
Meines Lebens Gott, vor di!
‚Meinem Felfen, meinem Herrn
Gag ich: trift doch nicht fo fern!
Wirſt du meiner nie gedenken,
Ewig mic) in Gram verjenfen 2
Soll der Feinde Grimm und Spott
Ewig mic) verfolgen, Gott? -
Wenn fie deinen Ruhm entweihn, °
Toͤdtets Gott in mein Gebein
Wie ein Mord! Ah! Soll ichs tragen,
Wenn die Läftrer täglich fagen:
Wer ift dein Erretter ist,
Wo if Gott nun der dich ſchuͤzt?
Was verzagft du er mein Hers,
So voll Unruh, Sorg und Samen; -
Hoff auf Bott; ihm will ich fingen:
Danf und Preis will ich ihm bringen,
Daß er meiner nicht vergißt,
Daß mein Gott mir gnaͤdig iſt.
—
— — — —
u. So ser 229
Am Tage wacht Gottes Gnade über mich,
und des Nachts iſt fein Gefang bey mir, das
‚Gebet zum Iebendigen Gott,
Das immer zu Gott ſagt: du, mein Feld
warum haft du mid) vergeffen? warum muß
id, von meinen Feinden gedrängt, beftändig
in Trauer geben ?
Es ſchmaͤhen mich — ein Mord in meinen
Gebeinen — meine Feinde, da fie immer zu
mir fagen : wo ift dein Gott?
Woas betruͤbſt du did), meine Seele, und
| bift ‚fo unruhig in mir? Harre auf Gott;
denn einft werde ich ihm noch danfen, ibm,
meinem Erretter und meinen Gott !
PALIN Ueber
580 — EHE
nn — — —
Ueber ein ungewitter.
Gi. eilt, ſie fliegt herauf die ſchwarze Donner⸗
wolke;
Ein Wirbel ſchleudert ſie herbey.
Nun ruhet ſie auf uns, und ſagt es laut dem
Volke,
Daß Soft der Erde Herrſcher ſeyl
Der en der im Sturm die Wetterwolte
leitet,
Und in der rechten Hand den Bis.
Entfegen, bange Furcht weit um ſich her verbreitet,
Sieht bach von feinem Slammenfig
Auf unſre Welt herab, fieht wie die Sünder zittern,
Wenn Gottes Donner ſie erſchreckt,
Und ſeines Zornes Stimm im ſchwarzen Ungewitter
Das ſchlafende Gewiſſen weckt.
Er ſieht, wie Heiterkeit in des Gerechten Mienen
Von innrer Seelenruhe zeigt, |
et ee , die noch erſt vergnuͤgt und ruhig
— ſſchienemn, | id
Des Herzens Angſt ins, Antlig ſteigt.
Sie wärden, riefe fie der Blitz zu ienem Throne,
Wo Gott der Menfchen Thaten wägt,
Mo des Verbrechers Haupt zu feiner Sünden
vLohne
Unendliches Verderben ſchlaͤgt,
Sie
581
Sie würden elend feyn. Den ſchrecklichſten
Gedanken
Weckt Gottes Donner in der Bruſt.
J Angſt faßt ihr Herz, und ihre Kniee wanken,
Sie beben ihrer Schuld bewußt.
So bebt der Fromme nicht, den ſeiner Seele
Frieden
Im wilden Sturm zum Helden macht.
Er fuͤrchtet nicht den Blitz, bleibt heiter und
zufrieden , |
Wenn uͤber ihm der Donner kracht.
Denn ihn verdammet nicht ein donnerndes Ges
wiſſen ’
Das in der Bruſt das Urtheil ſpricht;
1 Bon Feiner Schuld gequält, von Feiner Angft
zerriſſen,
Shreit ihn des Todes 8 Anblid nicht.
Sein Vater herrſcht im Sturm, und ſeines
J | Donners Stimme
Verkuͤndigt feine Maieftät
- Dem Srommen „der ihn ehrt, ihn ſtraft er nicht
| im Grimme,
Weil er auf feinen Pfaden geht;
Und toͤdtet ihn der Stral, fo kennt er feinen
/ Retter,
Und ſchlieſſet freudig ſeinen Lauf,
O03 Und
292 u
P
Und wie Elias fteigt fein Geift im Donnerwetter
Zu Gott in feinen Himmel auf.
9 Altdorfer.
Gottes Macht und Vorſchung.
Gott iſt mein Lied!
Er iſt der Gott der Stärfe;
Herr ift fein Nam’, und groß find feine Werke,
Und alle Himmel fein Gebiet. |
Er will, und ſprichts;
So find und leben Welten.
Und er gebeut; fo fallen durch fein Schelten
Die Himmel wieder in ihr Nichts,
Licht iſt ſein Kleid,
Und ſeine Wahl das Beſte;
Er herrſcht als Gott, und ſeines Thrones Dee:
Iſt Wahrbeit und Gerechtigkeit.
Unendlich reich,
Ein Meer von Seeligfeiten,
Ohn' Anfang Gott, und Gott in ew’gen Zeiten!
Herr aller Welt, wer ift dir gleich ?
- Was ift und war, |
Im Himmel, Erd und Meere,
Das Eennet Bott, und feiner Werke Heere
Eind ewig vor ihm offenbar, ;
| r
Jam... run enunmenen vun 583
Er iſt um mich,
Schafft, daß ich ſicher ruhe;
Er ſchafft, was ich vor oder nachmals ne;
Und er erforſchet mich und did).
Er ift dir nah,
Du fißeft oder geheſt; |
Db du ans Meer, ob du gen Himmel fübet;
So iſt er allenthalben da.
Er Eennt mein Flehn,
Und allen Math der Seele
Er weis, wie oft ich gutes thu und fehle,
Und eilt, mir gnädig beyzuftehn.
Er wog mir dar,
Mas er mir geben wollte,
Erich auf fein Buch, wie lang ic) leben PR
Da ich noch undereitet war.
Nichts, nichts ift mein,
Das Gott nidyt angehüre.
Herr, immerdar foll deines Namens Ehre,
Dein Lob in meinem Munde feyn!
Mer Fann die Pracht
Von deinen Wundern faffen? |
Ein ieder Etaub, den du haft werden laffen,
Verkuͤndigt feines Schöpfers Macht;
Der Fleinfte Halm
a. deiner Weisheit Epiegel.
Oo 4 Du
584 RE 0—09
— —
Du Luft und Meer, ihr Huch , ‚ Thal, und
| Hügel, | |
Ihr ſeyd fein Loblied und fein Pfalm.
Du tränkft das Land,
Fuͤhrſt uns auf grüne Meiden,
Und Nacht und Tag, und Korn und Wein
und Sreuden
Empfangen wir aus deiner Hand,
‚ Kein Sperling fällt,
Herr , ohne deinen Willen;
Sollt' ich mein Herz nicht mit dem Trofte flillen,
Daß deine Hand mein Leben halt? |
Iſt Gott mein Schuß,
Will Gott mein Netter werden:
So frag ich nichts nah Himmel und nad) ara
‚Und biete feldft der Holle Trug,
Gellert.
—— — — — — —
Preis des Schoͤpfers.
Wenn ich, o Schoͤpfer! deine Macht,
Die Weisheit deiner Wege,
Die Liebe, die für alle wacht,
Anbetend überlege :
So weiß ih, von Bewundrung soll,
Nicht, wie ich dich erheben fol,
Mein Gott, mein Herr und Vater!
Mein
585
Mein Ange ſieht, wohin es blickt,
Die Wunder deiner Werke.
Der Himmel, prächtig ausgefhmückt,
Plreiß dich, du Gott der Stärke!
Mer hat die Sonn’ an ihm erhöht ?
Wer Fleidet fie mit Maieftät ?
Mer ruft dem Heer der Sterne ?
Mer mißt dem Winde feinen Lauf?
Mer heißt die Himmel regnen ?
Wer ſchließt den Schoos der Erde auf,
Mit Vorrath uns zu feegnen ?
D Gott der Made und Herrlichkeit!
Gott, deine Site reicht fo weit,
Sp weit die Wolfen reichen !
Did), predigt Sonnenfhein und Sturm,
Di) preift der Sand am Meere.
Bringt, ruft auch der geringiie Wurm,
Bringt meinem Schöpfer Ehre!
Mich, ruft der Baum in feiner Pracht,
Mid, raft die Saat, hat Gott gemadt :
Bringt unferm Schöpfer Ehre!
Der Menſch, ein Leib, den deine Hand
So wunderbar bereitet ;
Der Menfh, ein Geift, den fein Verfiand,
Di) zu erfennen, leitet ;
Der Menſch, der Schöpfung Ruhm und Preig,
Iſt ſich ein täglicher Beweis
Von deiner Guͤt' und Groͤße.
Oo 5 Erheb'
586 —
Erheb' ihn ewig, o mein Geiſt!
Erhebe ſeinen Namen!
Gott, unſer Vater, ſey —
Und alle Welt fan’ Amen!
Und alle- Welt fürde ihren Herrn
und hoff’ anf ihn und dien’ ihm gern,
Mer wollte Gott nicht dienen ?
— — — — — —
Froͤliches Vertrauen auf die Liebe
Gottes,
Jauchzʒet ihr Himmel! Erde fey froͤlich!
Gott ift die Liebe! O wie fo feelig
Viſt du mein Geift, in Gott bier
Einft in ewigen Freuden entzuͤckt.
Staub ift die Erde; Gold ift nur Schimmer,
Wolluſt macht lüflern, fättiget nimmer. |
Kronen, was find fie? Ein güldenes Jod.
Würden zieren und druͤcken und doc).
Sieb mir, o Schöpfer !' Weisheit und Tugend ;
Sorgenfrey fing id dann wie die Jugend: |
Zagender Geift! was kuͤmmerſt du dich ?
Sort mein Vater forget für mid).
Gott ift die Liebe! ranfchet ihr Saiten!
Gott ift die Liebe! Fommende Zeiten
i Saget
— — iD
Saget es! Gott erläffet die Schuld;
- Seine Wege find Weisheit und Huld,
Armuth und Schande, Flammen und Fetten,
Sind mir nicht ſchrecklich: Gott Fann erretten.
Hauchet er: fo vergehet ein Heer.
Winkt er: ſeht, fo find Welten nicht mehr,
Traue dem Höchften, dann wirft du lachen,
Wenn gleich die Himmel um did) her krachen;
Henn gleich der Erdfreis ſplittert und fält;:
Siehſt du: Gott ift es, der dich erhält.
5’
Die Groͤſſe Gottes,
Groß iſt der Herr! die Himmel ohne Zahl
Sind ſeine Wohnungen,
Sein Wagen ſind die donnernden Gewoͤll',
Und Blitze ſein Geſpann.
Die Morgenroͤth' iſt nur ein Wiederſchein
Von ſeines Kleides Saum;
Und gegen ſeinen Glanz iſt alles Licht
Der Sonne, Dämmerung,
Er fieht mit gnaͤd'gem Blick von feiner Hoͤh'
zur Erd’ herab; fie lacht.
Er ſchilt; es fähret Feu'r von Selfen auf,
Des Erdballs Are bebt.
Lobt
588 asemunamneusce mn...
Lobt den getvaltigen ‚ den gnäd’ gen Herrn,
Ihr Lichter ſeiner Burg!
Ihr Sonnenheere! flammt zu ſeinem Ruhm!
Ihr Erden ſingt ſein Lob!
Erhebet ihn, ihr Meere! brauſt ſein Lob!
Ihr Fluͤſſe, rauſchet es!
Es neige ſich der Cedern hohes Haupt,
Und ieder Wald vor ihm!
Ihr Loͤwen, bruͤllt zu ſeiner Ehr' im Hain!
Singt ihm, ihr Voͤgel! ſingt!
Seyd ſein Altar, ihr Felſen, die er traf,
Fuͤr Dampf ſey Weirauch ihm!
Der Wiederhall lob' ihn! und die Natur
Eing ihn ein froh Concert!
Und du, der Erden Herr, o Menſch, zerfließ
In Harmonien ganz!
Did) hat er, mehr als alles ſonſt, de
Er gab dir einen Geift,
Der durd den Bau des Ganzen dringt, *
kennt
Die Raͤder der Natur.
Erheb' ihn hoch, zu deiner Seeligkeit!
Gr braucht Fein Lob zum Glück,
Die niedern Neigungen und Lafter flieh'n,
Wenn du zu ihm dich ſchwingſt.
Die
ea.
Die Sonne feige nie aus vother Fluth,
Und ſinke nie darein,
Daß du nicht deine Stimm' vereinigſt mit
Der Stimme der Natur.
Lob ihn im Regen und in duͤrrer Zeit,
Im Sonnenſchein und Sturm!
Wenns ſchneit, wenn Froſt aus Waſſer Bruͤ—
cken baut,
| Und wenn die Erde grünt,
In Ueberſchwemmungen, , in Krieg und Peft
Trau ibm, und fing ihm Lob!
Er forgt für did, denn er erfhuf zum Gluͤck
Das menſchliche Geſchlecht.
Und o wie liebreich ſorgt er. auch für mid!
Er gab, ſtatt Golds und Ruhms,
Vermoͤgen mir, die Wahrheit einzuſehn,
Und Freund' und Saitenſpiel.
/
Erhalte mir, o Herr, was bu verlieh’ft;
Mehr brauch’ ich nicht zum Glück,
Dur heil'gen Schau'r will id), ohnmaͤchtig
nf,
ſo
Dich preiſen ewiglich!
In finſtern Waͤldern will ich mich allein
Mit dir beſchaͤſtigen,
Und ſeufzen laut, und nach dem Himmel ſehn,
Der durch die Zweige blickt.
| Und
A PR yr
Eu]
599 — —
Und irren and Geſtad des Meers, und dich:
In ieder Woge fehn,
Und hören di im Sturm, bewundern in
Der Au Tapeten dich. b;
Ich win entzückt auf Felfen Elimmen, durch
Zerriß’ne Wolfen fehn, |
Und fuchen dich den Tag, big mich die Nacht
In heil’ge Träume wiegt.
Aleift.
I. Elegie
IX.
Biıesiıe
| bey
dem Grabe Gellerts.
fd; lummer
Das muͤtterliche Erdreih deckt;
‚Wo man Fein Gluͤck verfhläft, wohl aber vielen
f - Kummer,
Nicht Furcht und Hoffnung taͤuſcht noch
— ſchreckt:
Wo man Jahrhunderte die groſſe Ausſaat Mr te,
Die’ immer mehr zur Ernte reift,
Und ieglicher von uns, der früh und iener fpäte,
Die Zahl bemooster Hügel haͤuſt;
Wo Freund und Feind vermengt in Ruh beyſam⸗
men liegen,
Der Groſſe nicht den Kleinern drückt;
Das Grab des Thoren oft ein Marmor voller Lügen,
Der Weisheit Grab ein Veilchen ſchmuͤckt,
Hier liegt nunmehr auch der, an deſſen frommer
Seite
Ich dieſe Staͤtt einſt oft betrat,
Indem
.) Ein fehr gewoͤhnlicher Spaziergang des
| feeligen Mannes war der Gottesacker,
wo er feine dort rubenden Freunde uns
‚ter erbaulichen und rührenden Betrachtun—
gen beſuchte, und feine lebenden Beglei—
ser von ihren Grabftellen unterrichtete.
P»
Hr, wo fo viele [don in tiefem Todes
>94 —
Indem er fich im Geiſt des groſſen Satan
freute, |
Den er vom Himmel fid) erbat
Und mich vertrant mit den hier ſchlummernden
Gebeinen,
Zu dem und ienem Grabe rief,
Und meine Zaͤrtlichkeit oſt weinend lehrte weinen,
Wo einer ſeiner Edlen ſchlieſ.
Hier liegt auch Gellert! hier in dieſem leichten
Sande,
Von filberweiffen Schnee umhült,
Wo frenndfchaftlid daben von. dem noch fris
| (bern Rande -
Die brüderliche Grabftatt ſchwillt. )
Hier liegt er, und ih ſchau mit tieſgebeugtem
DIETE,.;;'
- Aug dem die ſtumme Wehmuth fließt,
Aufdiehe fromme Gruft, und denfe dann jurücke,
Wer diefer war, den fie umſchließt. —
Ach Gellert! — o wer Fann gnug einen Gellere
preifen!
Nennt, was nur gut iſt, es iſt hier;
Den
*) Sein Bruder, Herr 5.8. Gellert, Ober⸗
poſtkommiſſar alldier, farb in der vierten
Woche na ihm, und hatte fi ben feis
nes Bruders, des. Dichters Beerdigung,
gleich fein Grab neben ihm Bee MAs
chen laſſen. |
| 595
Den Dichter, Menſchenfreund, den Chriſten
| and den Weiſen,
De Himmels Fuß, der Erde Zier! —
Wagt ichs nach Zaͤhren ſelbſt die Tugenden zu
zaͤhlen,
Die mit ihm unſrer Erd entflohn:
So würd’ es immer mir nod) an der Summe
fehlen,
Und doch weint eine Nation.
Sie weint! ganz Teutſchland weint! denn
Gellert war ihr. Dichter,
So Fang ihr noch Fein Saitenfpie: —
Kein Tadel und Ein Lob! Ein Lefer und Fein
Richter!
Ein allgemein, Ein gleich Gefühl! —
Zu iener Dichter Zeit haͤtt' einſt auf feinen
IR | Lippen
Sich Hoblens Biene fruͤh geſezt:
Von Grazien gewiegt, hätt” ihm aus Aganippen
Das Mufendor den Mund genest,
Doc) und, uns ward von Gott der edle Mann
gegeben,
Sein Herz, wie fein Geſchmack fo rein:
— ſollte durch ſein Lied, er ſollte durch ſein
| Reben
Ung Lehrer und Exempel ſeyn. —
Die — die man ſtets im (Antigen
ni Gewande,
=; auch in ihrer Bloͤße flieht,
Ppr2 ° Valor
596 —
Verlor se unter ung die Macht der. fanften
Bande,
Wont ſie Herzen an ſich zieht.
Dort rabn wir fie geſchmuͤckt von Gay und 8a
Fontainen,
Und: neideten ihr Vaterland:
Da gab die Menſchlichkeit ihm die Gewalt Der
Tiränen, u
Die Zabel ihm ihr Teiche Gewand.
Er warfs der Wahrheit um. Nun prangte fie
mit Zügen |
Des Reizes und der Harmonie,
And iedes öffnete das Herz ihr mit Vergnügen,
Und drang heran und Füßte fie:
ind ganz Germanien , vom Thron’ big zu di
Hätten,
Das feinen Orpheus lieb gewann,
Nahm Beh’rung im Geſchmack, mit ihm auch
beß're Sitten —
Vielleicht auch beß're Herzen an.
Der Muͤtter erſt Geſchenk an ihren zarten Kleinen
War Gellerts weiſes Fabelbuch; |
Sie lallten Gellerten, und lernten ohne Weinen,
Und merften feinen Sittenfprnd..—) 1»
Du Knabe, wein’ um ihn! — von Lieb und
Danf beſeelet,
Wein’ deinen Freund, mein Mädchen, du?
Kann du ihm ammelnd font aus ihm was
vorerzäblet,.
Wie fergnend lächelt’ er dir zul — —
Did,
— Ä 597
Dich, lutſcheẽ Luſtſpiel, ſah mit Abſchen oder
Gaͤhnen
Noch damals oft manch ſittſam Herz:
Dich lehrt er lächeln, dich die Freude ſanfter
Thraͤnen,
Dich Tugend. und beſcheidnen Scherz.
u: borgt es weiter nicht von Franzen oder
Dritten |
Den Körper zu der teutſchen Tracht:
Auf teutſchen Bühnen ſah man' auch ist teutſche
Sitten,
Und hatt’ auf eigne Fehler Acht. —
Doch für ein ſolches Herz warft du, o Welt,
a ju enge, |
Du, Menfchenmweisheit, viel zu Flein !
Nicht nuͤtzlich wolle er bloß : durch heilige Gefänge
Wollt er auch andern heilig ſeyn.
Da warf er ſich in Staub vor Gottes Throne nieder,
Und flehte fiil um Geift und Kraft: *)
Und der Allmaͤchtige vernahms und hörte wieder ,
Und gab dem Frommen Geiſt und Kraft.
Er fang. — So wurdeft du von wenig Menfdyen
Zungen,
Gott, Mittler, und Religion,
© geiſtreich, maͤchtig, ſchoͤn, empfindungsvoll
| gefungen !
Es ſprach das Herz aus iedem Ton.
Pnr3 So
9 Er ſagte ſelbſt, daß er vor Verfertigung
ſeiner geiſtlichen Lieder Gott innbruͤnſtig
um ſeinen Seegen angerufen habe.
598
So hub er dur) Gefang viel tanfend ſchwache
/ Seelen
Mit fi zum Sternenzelt? empor :
Der Spötter felbft horcht auf, und gunnet den
- Befehlen
Des Heils fhon ein geneigter Ohr.
Er wird gerichteg, er glaubt an einem Gott der
Götter,
Erniedrigt ſich im Staub, bereut,
Und betet an und dankt, dankt Gellerten dem
| Netter |
Durd) eine ganze Ewigkeit. —
Keil dir, o Gelert! Heil! Steige von den
Danfaltären
Das Morgenopfer , dein Gefang
Dis zu den Sphären auf, fo dringt auch zu
den Sphären
Gür dich des Frommen Beters Dan.
Oft fihläfter mit dir ein. In deinem fanften Liede
Zieht er der Engel Schuß herab, _
Und ruhet ſanft und wuͤnſcht im Traume dem
noch Friede,
Der ihm die ſuͤſſe Staͤrkung gab.
Ja du, du troͤſteſt ihn in feiner lezten Stunde:
Da ſtammelt er von dir im Tod
Noch einen Seufrer ſtirbt mie Gellerten im.
| Munde,
‚Und fo entfleuche fein Geift su Gott. —
Zrinmph !
bar nn — 509
Triumph, 0 Gellert , dir ! wie viele ER
Seegen
Flohn deiner eignen Seele nach!
Wie viele flogen ihr vom Himmel ſchon enfgegen,
Als fie ihr morſches Haus zerbrach! |
Sa; 0! wer fagt es mir, was tönefen für Lieder
Dann unter deiner Freunde Schaar,
Von Engeln , Seeligen , in ganzem Himmel
wieder,
Als deine Stunde nahe war?
Und welche Lieder dann, als mit dir nun dein
Engel
Zur himmlifhen Werfammlung Fam,
Sie deiner Tugend Lob, die deiner Menſchheit
Maͤngel
So maͤchtig uͤberwog, vernahm;
Und dann die Stimm' erklang von tauſend from—
men Zeugen:
Dieß if 2.2: Do, wo gerath ich hin?
Mid ſchlaͤgt ein blendend Licht zurück in tiefes
Schweigen:
Noch fuͤhl' ich, daß ich Erde bin.
Ich ſuͤhl's! ic) harre noch allein beyGellerts Grabe;
Die Traurigkeit ſtreckt uͤber mir
Die ſchwarzen Flügel aus; was ich verloren habe,
Was alle Welt, feb ich nur bier !
Ich ſeh' des Juͤnglings Fuß zu ienem Lehrſtuhl'
Pen...
Den vormals eine Welt umſchloß,
PpPa Und
600 N
Und too er, Frömmigfeit und Tagend-mitzutheifen,
Den Balfam feiner Lehr' ergoß :
Wo Helden oft im Krieg’ bey Greis und Juͤng⸗
ling faßen,
Und — (für den Lehrer, welch ein Lohn!)
Die LKorbeernernte gern voll Brenn
vergaßen |
Und menfchliher ins Lager flohn.
Ich ſeh' an deiner Thür? den lehrbegier’gen
Armen,
Dem fie zur Zuflucht. offen ftand,
Wann er für Liebe Haß, Derweife für — Er⸗
harmen
An eines Reichen Thuͤre fand. —*
Ich hoͤre Väter dich für ihre Söhne flehen,
Ihr Vater nnd ihr Freund zu feyn:
Und wer hat ungehört dich Einen bitten ſehen?
Und welcher wagt's, es zu bereun?
Wer Ra ‚ feit deinen Werth Germanien er⸗
kennet,
Wann ihn die Muſe hier genaͤhrt,
Da er ſich nicht von dir noch einen Schüler
nennet,
Auch ſelbſt, wenn did) fein Herz entehrt? —
Ach! taub ift nun dein Ohr, die Thuͤren ſind
verſchloſſen,
Der Lehrſtuhl einſam und verwaiſt!
Der Juͤngling ſteht von ſern, indem er überfloffen
Don heiſſen Thraͤnen dorthin weiſt:
ach
601
„Ach dort! dort war der Mann, der mich zur
Tugend weckte, |
* mich der Thorheit Pſad entriß,
„Der liebreich ſeine Hand nach mir Verlaßnen
ſtreckte, |
„Und mir den Weg sum Himmel wies,” —
Sa Juͤngling ‚er iſt hin! von vielen Jammer
muͤde
Ruht hier ſein heiliges Gebein: —
Der Fromme ſchlummre fanft ! mit ihm fen
Gottes Friede!
Wie er, fo ſchlummre Jeder ein!
Der € Saame , den er bier durch Lehren und
durch Leben
So hundertfältig ausgeſtreut,
Wird ſich auf Kindeskind zur ſchoͤnſten Frucht
erheben,
Die noch in iener Welt gedeiht! — —
Ihr kleinen Zeugen, Ihr, der väterlichen
Schmerzen,
Welch Gluͤck, daß Ihr ihn noch gekannt!
PN ach! nur gefanut! O ſaͤh' ich Eure
Herzen
Gebildet auch von ſeiner Hand! |
Sehr oit werd’ ich mit Euch auf diefen Huͤgel
eigen,
Und, wenn voll Findlich frohem Muth
Ihr iunge Blumen pfluͤckt, Euch unter Thraͤ—
nen zeigen,
Welch' heil'ge Aſche drunter ruht:
p 5 „Die
602 — —
„Die Aſche Gellerts iſts! Gott wohne in ſei⸗
nem Herzen,
„Und Menſchenlieb' in feiner Bruſt: |
„Gefällig noch im Ernſt und heilig noch im
Scherzen,
„War Wohlthun feine größte Luft.
„Gefuͤrchtet und geliebt vom Alter, von der
Jugend,
„Galt ihm Religion und Pflicht
„Weit mehr als eine Welt; und fand er Feine
Tugend,
„So lobt’ er felbft die Fürften nicht.” —
Dann ſollt Ihr beide mir auf diefem Grabe
ſchwoͤren,
Der wahren Weisheit Euch zu weihn;
In Gellerten nicht nur den Dichter zu verehren,
Nein, auch fo fromm, wie er, zu ſeyn.
weilte.
* — —
x Ein
-
2
ein
Sinsfüd.
— 605
Das geraͤchte Iſrael.
Ein Singſtuͤck.
Tutti.
iebe , der Herr wird auf einer
| fcehnellen Wolte fabren, und in
Egypten Fommen, De werden Die
Goͤtzen in Kaypten vor ibm beben,,
und den Egyptern wird das Herz feig
werden, in ihrem Leibe.
Solo.
Es ift der Tag der Rache des Herren,
und das Jahr der Vergeltung.
5 Choral.
Es zittert die Natur, wenn ſich der
| Höchfte regt :
Die Erde bebt und wird bewegt,
Wenn auf den Sittigen der Winde
Gott unter ſchwarzen Wolken geht,
Und eines ganzen WVolkes Sünde
Vor feinem Antlitz ſteht.
Reci⸗
RBecitetiv \
Da bebt, vom Blick des Schrecklichen
erfchüftere,
Egyptens Burg! — da waͤlzt, von ſeinem Hauch
zerknirſcht,
Mihraim ſich im Staub! — da ringt der kuͤhne
Fuͤrſt
Mit ſeinem Diadem — und zittert.
Wo iſt der Held? der 9 vom Donner Gottes
ern,
Aufruͤhriſch ſprach: ich weis nichts von dem
Herrn!
Siehſt du ihn izt, der Bande Jacobs Zaͤcher?
Ein König aͤchzt zu feinem Knecht?
Gott ift gerecht!
Ich — und mein Volk Verbrecher.
Arie
Thronen zittern! 3
Starfe zagen !
Wenn über ihr Haupt
Auf lauten Gewittern
Der tödtende Wagen
- Des Nächenden zieht,
Wer des Warnens Nuf nicht glaubt,
Mag den Fluch des Eifrers hören!
Erift fchnell! — wer kann ihm mehren?
Er ift — — wer entflieht? ?
AN
— 6o7
Thronen zittern!
Starke zagen!
Wenn uͤber ihr Haupt,
Auf lauten Gewittern,
Der toͤdtende Wagen
Des Rächenden zieht.
Recitativ.
Wie knechtiſch bebt der Wuͤtrich,
Von dem Herrn gedruͤckt!
Und doch, ſobald der Zorn voruͤberruͤckt,
Verhaͤrtet ſich fein Herz! — die halbzerquetſchte
Schlange
Entwindet ſich dem Arm: und ſticht!
Ohnmaͤchtiger, wie lange? — und wie lange,
Daß deine Wuth noch Ifrael zerbricht?
Neunmal ergriff dich ſchon der Räder!
Und neunmal bebteſt du — Verbrecher,
Erzittre! ſchon hat feine Hand.
Zum lezten Pfeil den Bogen aufgefpannt !
Arie
Sieht verftockte, fleht um Gnade !
Seine Langmuth wird entfchlafen!
Seine Rache fich entzüunden !
Und, auf der Bertilgung Pfade,
Gottes Engel Würger ſeyn!
Wenn ich, beym Panier der Sünden, |
Wider Gott die Waffen fchärfe:
Henn
508 —
Wenn ich, nach verzognen Strafen,
Seine Langmuth frech verwerfe ;
Kann er länger mir verzeihn?
Sieht Verſtockte, fleht um Gnade!
Seine Langmuth wird entfchlafen!
Seine Mache fich entzunden!
Und, auf der Vertilgung Pfade,
Gottes Engel Würger feyn!
Choral. |
(Mel, © Ewigkeit du Donnerwort ıc.)
Warum verzeucht ee ? fragt der
Spott; |
Jo bleibe der Suͤndenraͤcher, Gott?
Hört, Sünder, horts mit Deben!
Euch, Die ihr frech) ihm mwiederftrebt
Und in der Dosheit ficher lebt,
Zur Beßrung Friſt zu geben.
Doch bald ift euer Mack erfüllt;
Bald fommt der Nichter und vergilt,
Recitativ.
Zur Mitternacht |
Gieng aus der Schreckliche zu wuͤrgen:
Und faͤllte ſeine Schlacht,
Die Erſtgeburt Eghptens. — Auf Gebuͤrgen,
| In
In Shälern , in der Ebene,
Siel Egpptens Erfigeburt. Quaalvolle Jammer
dringen |
| Empor, , wie Sammer derer, die im Selbftmord
1 - ringen!
Und ein —5 wie das Geſchrey des Streits
ſcholl laut
Dem Sieger nach, der auf zertretnen Schedeln
Der Sklaven und der Edeln
Sein Blutbad triumphirend aͤberſchaut!
Arie.
Triumph dem Ueberwinder!
Triumph des Siegers Schlacht!
Geraͤcht ſind Jakobs Kinder!
Den Frevler fraß die Nacht!
Als er ruhte,
Brach der Retter
In den Streit.
Von dem Blute
Dieſer Spoͤtter
Troff ſein Kleid!
Triumph dem Ueberwinder!
Triumph des Siegers Schlacht!
Geraͤcht find Jakobs Kinder!
Den Frevler fraß die Nacht!
Recitativ.
Aus Träumen neuer Tyranney,
Mit todtenbleichem Antlitz: aller Enden
Qq Bewill⸗
610 | BESLZTOTETBTEE
Bewillkommt von gerungnen Händen,
And wuͤthendem Geidry —
Sprang auf der Held: gab Jakob frey;
Und ſtieß es ſelbſt aus ſeinem Volke:
Und drängte feine Flucht. — Da fiel, mit Uns
gefüm,
Sein letzter Feind: da flammte uͤber ibn
Das Rachſchwerdt auf, zu einer Feuerwolke.
Duett.
A. |
Der. Here ift meine Stärke!
Sein Arm erhob mich. wieder!
I:
Groß find Jehovens Werfe!
Den Frechen fließ er nieder }
HD
Erheb ihn mein Geſang!
ee aa Uaaslı
Ihr lachtet meiner Schande, |
Und mußt fie ſelbſt bereun!
2
Ihr hoͤhntet meine Bande,
Und mußt mich felbft befiyn! —
A. Mich
REEL,
611
eng
Mich aber wird er ehren:
| U. 3.
} mis aber wird er mehren,
225,
Durch euren Untergang!
——
Der Herr iſt meine Staͤrke!
Sein Arm erhob mich wieder!
Groß ſind Jehovens Werke!
Den Frechen ſtieß er nieder.
Erheb ihn mein Geſang!
| Chor.“
daßt uͤber ſie fallen Erſchrecken und
Zagen!
Biß Iſrael froͤlich dein Erbtheil begruͤßt.
Dort pflanze dein Erbe zu ewigen Tagen,
Dein Erbe, daß ewiger Koͤnig du biſt!
BRecitativ. 9*
Ein Tieger, dem man feine Brut geraubt,
Schaͤumt Pharao für Wuth: fo bald, von feis
nem Haupt
ya Der
9
612 | ——— ——
Der Blitz des Raͤchers ſich gewendet.
Unſeelger Mordgedanken voll
Nimmt er die Reiſigen: und endet
Im Geiſt bereits den Streit, der * treſ⸗
fen ſoll.
Schnell trennt die Flammenwolke beider Heere:
Und ſchnell faßt unter Moſes Hand
Der Oſtwind, auf dem rothen Meere,
Die Fluthen in ſein luſtiges Gewand, %
Und drängt fie an die Ufer, — Reiß dein Feben,
Aus diefem Grab, das fhon, Vermeßner, dich
A rs
Tprannen, die ihr frech die Sadhe
Der Unſchuld unterdrüde!
Es koͤmmt ein Tag, da felbft die Rache
Euch ins Verderben ſchickt.
Wie lange? daß der Uebertreter
Des Vaters Langmuth nicht erkennt!
Wie lange? daß der Miſſethaͤter
Kaͤltſinnig ins Verderben rennt.
Tyrannen, die ihr frech die Sache
Der Unſchuld unterdruͤckt!
Es koͤmmt ein Tag, da ſelbſt die Rache
Euch ins, Verderben ſchickt.
Choral.
(Mel. Es iſt das Heil uns Fommen ber zc.)
Gott iſt uns nab, und niemals nicht -
Bon feinem Volk gefihieden !
613
/
| Er, er riſt ihre Zuberficht ß
Ihr Seesen, Heil und Srieden!
- Mir feiner Allmacht leiter er
Sein Volk durchs Feuer und burchsMeer!
Gebt unſerm Gott die Ehre,
Werttativ.
So bald die Morgenwache kam,
Sah Gott aus feiner —— nahm
Egyptens (Haͤrte) wahr: und ſandte
Sein Schreden in das Meer,
Das Schrerfen Gottes fuhr in der Egypter Heer,
Zerbrach die Räder ihrer Wagen, trannte J—
Und ſtuͤrzte Mann und Pferd!
Da klirrte Bogen wider Bogen,
Speer wider Speer: Schwerdt wider Schwerdt
Und Moſes Hand gebot
Dem Morgenwind — die Wogen
Der Tiefen brauſen auf: und ſchlagen
Zuruͤck — und Mann und Roß und Wagen
Trinkt Fluth, und Untergang , und Tod! —
BLUT:
Herr, wer gleicht dir von den Göttern?
Der fo mächtig, heilig, gütig,
Schrecklich, wunderthaͤtig fey!
Mein Haſſer, uͤbermuͤthig,
Beſchloß mich zu zerſchmettern.
Du aber ſprachſt zum Meere:
„Fall uͤber ſeine Here!
| Da -funken fie wie Bley.
Herr, wer gleicht dir von den Göttern?
Der ſo maͤchtig, heilig, gütig,
wunderthaͤtig ſey!
243 1. Chor.
2 ——
u EBEN
Lobet den Der ihr feine Be
ihr ftarfen Helden, die ihr feinen "Befehl
ausrichtet, Daß man höre bie Stimme feis
nes Worts.
2, c h ö r. |
Lobetden Herrn, alle feine Heerſchaaren:
feine Diener, ” feinen Willen thut,
Cbor
Lobet ba Herrn, alle feine Werke,
an allen Drten feiner Herefchaft. Lobe
den Heren meine Seele,
Schluß— Ehoral
(Mel. Wachet auf, ruft uns die Stimme ic.)
Alles wil und muß den Willen
Des Allgewaltigen erfüllen ;
Mas er verordnet , das befteht.
Seine Wege find vollfommen.
Er liebt, beſchuͤzt, begluͤckt die Srommen,
Und wer ihm troßen will, vergeht:
Er halt in Ewigkeit,
Mas er verheißt, und draͤut
Nicht vergebens!
Ihr Sünder bebt!
Jehovah lebt!
Gerechte Jehovah lebt. |
| Michaͤlis.
XI. Ein
4
— —⸗i2 — —— — V
RT.
ern
epiſches Stüd.
u
——— 617
Verſammlung des Syuedriums.
Mic im hohen Pallaft war ein weiter Saal
| der Derfammlung
Aus des erhabenen Libanons Hain falomonifd)
erbhauet.
Alda kamen die Prieſter und Aeltſte im Volke
zuſammen.
Mit den Aeltſten kam Joſeph von Arimathän,
ein Weifer,
Unter # ganzen entarteten Nachwelt des goͤtt—
lichen Abrams,
Von der Zahl der uͤbergebliebenen wenigen Edlen.
Still, wie der friedfame Mond, in daͤmmernden
| | Mitternachtwolken,
Ueber uns malt, fo gieng, in diefen Berfamm;
lungen, Joſeph. |
Auch kam Nikodemus, ein Freund des Meſſias,
und Joſephs.
Raiyhas frat ist herriſch hervor, ergrimmt',
und fagte:
Endlich, ihr Vaͤter Jeruſalems, muͤſſen wir
etwas beſchlieſſen,
Und mit gewaltigem Arm den Widerfacher
vertilgen:
245... De
GI .; 1 ——
Oder er führt es hinaus, was er wider uns lange
ſchon ausſann;
Und wir halten vielleicht heut. unſre Teste Ver
sammlung !
Sa dieß Prieſterthum Gottes, das Gott auf
Sinai felber
Durch den größten Propheten der ganzen Nachwelt
geſezt bat,
Das, in der langen Sefangenfchaft, felbft baby:
lonifhe Thürme,
Das, im Sturme der Waffen, die ſchrecklichen
ſieben Huͤgel
Nicht zu erſchuͤttern vermochten; das wird ein
ſterblicher Seher,
Stfrael, uns, dem Tempel des Herrn zur Schande,
| vertilgen.
Iſt nicht Jeruſalem fein? ind nicht die Städte
Tudda
Sklavinnen ihres vergütterten Sehers? entfliehet
das Volk nicht
bergläubifch und blind dem Tempel meiferer
| Vaͤter, |
Seine verführende Wunder in weit entlegenen
Willen
Anzuflaunen ? die Wunder, die Satan durd)
ihn verrichtet!
Und was blendet wol mehr ? was iſt dem ſtau⸗
| nenden Poͤbel
Wunderbarer, als wenn er ſogar Verſtorbene,
vom Lodge,
Dder
“
Dder vielmehr ohnmaͤchtige Kranfe, vom
! Schlummer, erwecket?
Unterdeß ſind wir ruhig, und warten, wenn uns
ſein Anhang
Im entſetzlichen Aufruhr vor feinen Augen er—
mwürgt bat,
Daß er uns aud) von den Todten erwecke! Ya, Bis
ter ! ihr ſeht mich
Stumm und erſtaunensvoll! Könnt ihr noch zwei⸗
feln? Ja, ich zweifelt‘,
Zweifelt nut, und fhlummert! Nie rief ihn Ju—
daͤa zum König
Ungeftim aus! das wißt ihr nicht! Niemals be;
ſtreut' es mie Palmen
Jauchzend die Wege! Nie haben ſie ihm Hoſianna
' gefungen !
Daß du, flatt Hoſanna den Fluch des Ewigen
hoͤrteſt!
Daß die Stimme des Donners Dir im betaubten
| Ohre
Statt des Triumphtons erſchallte! daß tief im
| Shore des Todes,
Könige dir vom eifernen Stul aufilünden , die
| Kronen
Niederlegten, und bitter und ſpoͤttiſch, Hofanna!
dir riefen-!
| Ja, unwuͤrdige Vaͤter des Volks! Cerzeiht mir
die Rede,
| * izt ergrimmt im heilgen Zorne mein wuͤthen—
der Geiſt that
Ua —
Nicht die Klugheit allein, nein, viel was biz
hers gebeut uns,
Sort gebeut und, ihn ſchnell vom Antlig der
Erde zu tilgen!
| Vormals redte der Herr durch offenbarende
Traͤume
Unſern Vaͤtern. Entſcheidet, ob nicht auch Kaiz
| phas Traͤume,
Die Gott ſendet, gehabt hat 2 Ich lag zur
Mitternachtflunde
Sorgenvoll auf dem Lager, und dachte dem ends
| | x lichen Ausgang
Diefer neuen Empörungen nad. So dacht ich,
und fihlief izt,
Unentſchloſſen und Fummervoll ein. Da war id)
| im Traume
Sin. dem Zempel, und eilte, mit Gott das Volk
zu verſoͤhnen.
Een fioß Blut der Opfer vor mir; id) gieng
anbetend
Schon ins Allerheilig fie Gottes; ich hatte den
Vothang a,
Schon eröffnet : da ſah ich (noch beben mir
alle Gebeine!
Noch Fälle Gottes Schreckniß anf mid , wie
toͤdtend, herunter!)
Aaron ſah ich, im heiligen Schmuck, mit dros
hender Gtirne
Gegen mich kommen. Gein Auge voll Feuer, von
; aoͤttlichem Grimme voll
Toͤd⸗
62T
Toͤdtete! Sein Bruſtbild voll ernſter gewaltiger
Stralen,
Site, aleid Horeb, ‚ auf mich! der Cherubim
| Sittige rauften
Soͤrdterlꝛh auf der Lade des Bundes! Auf ein—
mal entfiel mir En
Rauſchend mein —— — Gewand, wie
Aſche, zur Erde.
Fleuch, Elender! dir ſag ich, daß du die heis
lige Staͤtte
Kuͤnftig nicht mehr, als Prieſter des Herrn, vers
wegen entheiligſt.
Biſt du es nicht (Hier ſah er mich grimmig mit
| tödtendem Blick an,
Wie man auf einen Zodfeind herabblickt, und
lieber ihn würgte! )
Sit dm es nicht? Unwuͤrdiger! du, der ienen
| Perruchten,
Jenen — Mann, ungeftraft dag Hei⸗
ligthum laͤſtern,
Meinen Bruder, Moſes, und mid), und Abra—
ham ſchmaͤhen,
Und die Sabbathe Gottes mit frafbarer Traͤg⸗
in heit entweihn ſieht!
Geh, Elender! damit dich nicht ſchnell, wenn
du ferner verweileſt,
Dieſer Gnadenſtuhl Gottes mit heiligem Feuer
.... derjehre.
Alſo ſagt ev. Ich floh, und kam mit zerfliegen—
den Haaren,
Und
622 —
Und mit Aſch' auf dem Haupte, gewandlos,
| entſtellt und verwildert,
Unter das Boll Da flürmte das Volk, und
| wollte mid) toͤdten.
Drauf erwacht ih. Drey Stunden voll Quaal,
drey änaftliche Stunden,
Hab id) ſeitdem, wie ſinnlos, in Todesſchweiſſe
gelegen.
Und noch beb ich, noch zittert mein Herz von ge⸗
heimen Schauer!
Und, der Stimme beraubt, erſtarrt mir die Zung
| im Munde!
Er muß ferben ! Bon euch, verfammelte Vaͤter
erwart ich,
Wie er ſterben ſoll, ſchleunigen Rath! Mit
ſtarrendem Blicke,
Stand er hier ſprachlos. Zulezt erwacht er wies
der, und ſagte:
Beſſer tüdten wir Einen, als dag wir alles
verderben !
Aber noch will die vorfichtige Weisheit: die Tage
— des Feſtes |
Muß er nicht ſterben, daß ihn ſein fllabiſcher
Poͤbel nicht ſchuͤtzte.
Kaiphas ſchwieg. Kein Laut, noch Geraͤuſch
von Redenden wurde
Durch die Verſammlung gehoͤrt. Sie blieben
überall ſchweigend,
Wie vom Donner gerührt, und flarr, und uns.
f IBen.
bewegt fiß Joſeph
— x. 028
Joſeph fah die herrſchende Stille. Da wolt
! er für Jeſum,
Ihn zu vertheidigen reden; allein ein gefuͤrch—
| teter Driefter,
| Seine Bu ; mit der er auf einmal zu reden
hervortrat,
| Hielten ibn ab. Philo, war des Priefters Nas
me. Noch hat er
Nie von Jeſu geredet, zu ſtolz, vor der. Neife
der Sachen
Unentſcheidend zu reden. Ihn hielten alle fuͤr
| | weiſe; |
| Kaiphas ſelbſt; doch haft ihn der pharifäifche
- Philo,
Der ſtand auf. Sein gi und paanhlifipes
Auge
| Funkelte, da ſprach er mit zornig geflägelter
- Stimme:
Kaiphas! du wagſt es, uns hohe göttliche Träume
Zu erzählen, als wuͤßteſt du nicht, daß der Ewige
niemals
Wollüflingen erfcheine , daß heimlichen Sad⸗
| ducaͤern
Wol kein Geiſt was verkuͤndigen wird. Entwe⸗
der du leugſt uns;
Der du ſahſt das Seh cht; Gott ließ fo tief fi)
| herunter! |
Iſt das erſte; fo 2 du Dich deiner römifchen
Staatskunſt,
Und
\
624 ———
Und des erhandelten Prieſterthums wuͤrdig:
und waͤr auch das lezte,
Hoherprieſter! ſo wiſſe, daß Gott, Verbrecher
zu ſtrafen,
Sonſt auch taͤuſchende Geiſter zu ſalſchen Pros
ppheten geſandt hat.
Daß der Sklave von Jeſabels Baal, daß Ahab
verderbe,
Daß nicht länger zu Gott das Blut des Getoͤd⸗
. teten rufe,
Steigt ein Todesengel vom Thron, und giebt
| den Propheten.
Falſche Prophezeihnng! und fiehe die rollenden
| Magen
Zrugen den fierbenden Ahab zurück. Er ſtarb
und fein Blut floß
In Das Feld hin, wo Nabot erwuͤrgt ward:
ins Feld hin, wo Gott ſtand,
Und wo der Todesengel vor Gott hin des Suͤn⸗
ders Blut goß.
Zwar es gebietet dein Traum, den Widerfas
cher zu frafen!
Du haſt keinen gehabt! doch haft du mit Weiss
heit erfunden.
Aber zitterſt du nicht , da dir der furdtbare
Name
Eines Todesengels geneune wird! Vielleicht/
daß ein ſolcher
| | Schon
—— 625
Schon dein bald zu vergiefiendes Flut vor dei
Ewigen Thron wägt!
Nicht, als wenn ich den ſchuldigen Jeſus für
ſchuldlos erkennte!
Gegen den aus Nayareth bit: du ein Fleiner
Verbrecher!
Du entehrſt nur das Prieſterthum Gottes. Er
will eg vernichten!
' Ihm iſt in der richtenden Wage, die oft ſchon
Verbrecher,
Oft ſchon auſgethuͤrmte Bezwinger der Voͤlker
| zu leicht fand,
- Eher PEN: fein Blut, zum gemwiffen Tode
gewogen !
Er fon ſterben! Und ich, ich will es mit meinen
Augen -
Sehen, wenn er erblaft! Vom Hügel, wo er
erwürgt wird,
Will ich Erde mit Blut bedeckt, ins Heiligehum
tragen ;
Dover, von ihm noch rauchende Steine beym
hohen Altare
Niederlegen; den Iſtaelun ein ewiges Denkmal!
Niedrige Furcht, die uns beugt, den wankenden
Poͤbel zu ſcheuen!
Kleinmuth, die keine Vaͤter uns lehrten! Woſern
| wir dem Donner,
Gottes raͤchendem Donner, zuvor zu kommen
nicht eilen;
RE Mich
626 ern
Wird und, mit ihm, Gott auch gerfchmettern.
Mit breidenden Augen
Werden wir fehn, wenn er flirbt, und unrein
neben ihm flerben!
Fuͤrchtete der aus Thisbe den Poͤbel, die Prieſter
in wuͤrgen,
Als der ſchlafende Baal zu keinem Wetter
erwachte?
Oder vertraut ihm mehr, der Feuer, vom Him⸗
mel ber, fandte ?
Stehn aud) Feine Wetter ung bey; fo will id
allein mid)
inter das Volk hinſtellen! Und, weh dem unter
dem Volke,
Der fih wider auflehnt, und fagt, der Leichnam
des Träumers
Blute nicht Gott zu ehren! Ihn fol die ganze
Gemeine
Steinigen, fobald ihr mein um fi) ſchauender
Blick winkt.
Vor den Augen des ganzen Judaͤa, vorm Antlitz
der Römer,
Soll der Empörer fierben! dann wollen Wie
ſtolz im Gerichte
Gißen, und lautfeyrend zu Gottes Aelliotbum |
einziehen.
Philo ſprach dieß, und gieng mit aufgehabenem
Arme
Vor⸗
—— 627
Vorwärts in die Verſammlung, und fand, und
rief von neuem:
Seeliger Geiſt, wo du ietzo auch biſt, wenn du,
| himmliſch befleider, |
Neben Abrabam fi beſt ‚und um did) Propheten
verſammleſt;
Oder, weun du vieleicht in deiner Berfammlung
Wuͤrdigſt einzukehten, und unter Sterblichen
wandelſt;
Moſes Geiſt! dir ſchwoͤr ich, bey ienem ewigen
| Bunde, ?
Den du, gelehrt von Gott, aus Donnerwet⸗
tern ung brachtefi:
Ich will air nicht ruhn, als bis dein Hafer
| erwuͤrgt ift !
Ns bis ich, von des Nazarders vergoffenem
Blute
Volle Haͤnde sum hohen Altare der Dankenden
bringe,
Und ſie uͤber mein Haupt , das lange ſchon grau
| war, erhebe !
Alſo ſagt er und feurfe fi an, zu wähnen,
| die Gottheit
Decke getuͤnchte Gräber nicht auf. Doch nannte
| fein Herz ihn,
Heudhler! Er fühlt es, und fand mit unverras
tbendem Ange
Bor der Verſammlung. Von Grimm und übers
mannender Wuth voll,
Ara Lehnt
628 1» — f
Lehnt an feinen goldenen Stuhl ſich Raiphag
nieder, _
And erhebt: Ihm glühte fein Antlig. Er ſchaut
auf den Boden
Sprachlos und flarr. Ihn fahn die Sadducaͤer,
und ſtanden
Gegen Philo mit Ungeſtüm auf. Wie tief in
der Feldſchlacht,
Kriegriſche Roſſe vor eiſernen Wagen ſich zů⸗
| ‚gellog heben,
Wenn die Flingende bame daherbebt, fliegend
dem Feldherrn,
Den ſie jogen den Tod traͤgt, und unter ſie
ihn blutathmend
Stuͤrzt. Sie wiehern empor, und drohn mit
funkelnden Augen,
Stampien die Erde , die bebt, und hauchen dem
Sturmwind entgegen.
Itzo hätte voll Wuth ſich ſchnell die Verſamm⸗
lung getrennet,
Waͤre nicht unter ihnen Gamaliel aufgeſtanden.
Heitre Vernunft erfuͤllte ſein Antlitz. Der Weis
ſere ſprach ſo:
Wenn in dieſem Sturme des grimmigen Zorns
die Vernunſt noch
Etwas vermag, wenn Weisheit euch lieb iſt, ſo
hoͤret mich, Väter!
Wenn der ewige Zroift ſtets wieder unter euch
| aufwacht;
Wenn
— — 629
Wenn Phariſaͤer, und Sadducaͤer, wenn dieſe
Namen
Ewig * trennen „ wie werdet ihr da den Pros
| ppheten vertilaen ?
Zwar Gott fendet vieleicht die efferfüchtige
| | Zankſucht
Unter euch, Vaͤter! weil er es feinen hoben
Gerichten
Vorbehalten, dem Nazarder ein Urtheilzu fprechen.
Laſſ et, Vaͤter, Gott ſein Gericht! Ihr moͤchtet
zu ſchwach ſeyn,
Seinen Donner zu nehmen, und unter den
maaͤchtigen Waffen,
Denen die Himmel erzittern, in niedrigen Staub
hinſinken.
Schweigt ihr vor Gott, und hoͤrt der Stimme
des kommenden Richters
Still entgegen! Er wird bald reden, und ſeine
Stimme
Wird der Erdkreis erſtannt, vom Aufgang und Uns
tergang hören.
Sprit Gott zu dem Gewitter: zerſchmettr' ihn!
und zu dem Sturmwind,
Dder zum blinfenden Schwerdt : Auf, maffne
raͤchende Hände,
Trinke das Blut des Suͤnders! Gebeut er den
Tiefen der Erde:
Thut eu auf, und verſchlingt ihn; ſo iſt er der
ſchuldige Traͤumer!
Rr3 3 Aber,
Aber , wenn er dur himmliſche Wunder, die
| Erde zu feeanen,
Maͤchtig fortfaͤhrt; wenn durch ihn der Blinde
fein Antlig zur Sonne
Freudig erhebt, und mit fehenden Augen den leis
denden Vater
Staunend anblickt; (verzeiht mir, wofern ich, ent⸗
flammt von der Groͤſſe
Seiner Thaten, vielleicht, nach eurem Sinn, zu
erhaben
Von ihm rede!) wenn Tauben das Ohr der
Stimme des Menſchen
Wieder ſich oͤffnet, wenn es die Rede des ſeeg—
‚nenden Prieſet
Wieder vernimmt, und die Stimme der Braut,
und die weinende Mutter,
Und das feiernde Chor, und die Halleluia⸗ Ge⸗
ſaͤnge;
Wenn durch ihn die Todten dahergehn, und gez
gen und zeugen,
Und mit wieder lebendem Auge, aen Himmel hin,
weinen,
| Und dann goͤttlich zürnend auf ung fehn ; ihr
Grabmal ung zeigen,
Und mit ienem Gericht ung drohn, vor dem fie
ſchon waren;
Wenn er, welches noch goͤttlicher iſt, untadels
haft fortfaͤhrt, —
Vor uns zu leben; wenn er, mit feiner maͤch—
tigen Zugend
\ Wunder
631
Wunder thut, und Gott gleicht : : ach, fo bes
ſchwoͤr ich euch, Vaͤter!
| Beym lebendigen Gott: ſprecht, ſollen wir ihn
verdammen?
Alſo ſagt er. Itzt ſtralt die erhabene Mittags—
Sonne
Ueber Jeruſalnm nieder. Um die Zeit nahte
ſich Judas,
In der Prieſter Verſammlung zu gehn. Vor
ihm wandelten Satan,
Und Ithuriel unſichtbar her, und ſtanden im
Saale
Neben den Prieſtern, und ſahn ungeſehn in die
tiefe Verſammlung.
Aber Nikodemus ſaß, und betrachtete
ſchweigend
Aller such So wie ein Mann, der ein Sins
der iſt, zitternd
Steht, und erbleiht, wenn über ihm nah der
| Olympus donnert;
Alſo war die Verſammlung. Selbſt Philo und
Kaiphas ſchienen
Vor Gamaliels Weisheit zu zittern. Mit Furcht
und Varachtung
Sab ſie Nikodemus, ſtand auf, und wagt es zu
reden.
Hoch — ein Mann von menſchenfreundli—
chem Anſehn,
Na Stand
Stand er. Wehmuth und Eraft erfüllte fein
Antlig; und Adel,
Adel eines empfindenden unbeflecften Gewiffeng
Sprach fein ganzes Gefiht. Sein treuer Zeuge,
| Dad Auge
Wein, und verbarg nicht die Thränen. Er glaubt,
er fpräche vor Menfihen. -
Alſo fagt er: geſeegnet ſey, o du Theurer, die
Rede
Deines Mundes! Es hat dich der Herr zum
Helden geſetzet,
Und ein ſchneidendes Schwerdt in deinen Mund
dir gegeben!
Noch bebt unfer Gebein, das deine Rede gez
theilt hat!
Noch ſinkt unfer ohnmaͤchtiges Knie! Noch
decket Dunkel
Unſer Auge! Noch ſehen wir Gott in ſtrafenden
Wettern,
Daß die Empoͤrer wider fein Thun des. Staubs
ſich erinnern,
Der ſie gebar! der Gott, der dieſe Weisheit
dich lehrte,
Der dir, ein mehr als koͤniglichs Herz, und maͤnn⸗
lichen Muth gab!
Saute/ Gamaliel, dich! — der Gott gefandte
. Meflias
Sey auch dein Meſſias, und deines Saamens
Meſſias!
=
Aber
an en 633;
Aber euch kann ich nicht ſeegnen, die Gotteg
erhabne Propheten
alle verfolgen! Philo, did nie! di, Kais
pbas, aud nicht ! |
Beinen Fann id) vor euch; wenn anders die.
Etimme des Weinens
Euerm Herzen börbar noch ift, und wenn für
| die Unſchuld
Menſchlich vergoſſene Thraͤnen, noch eure Seele
bewegen!
Itzo klagt noch die Stimme der Thraͤnen, die
—— Unſchuld zu retten.
Hoͤrt ſe vaͤter ı Sf erſt — heiliges Blut
vergoſſen
Alsdan ruft, glei) Gottes ah erhab⸗
ner die Stimme
Ihres vergofenen Blut ! fie ruft, und fleigt
| | in den. Himmel
Zu de Kan Dhr. Der wird fie hören
| | und fommen,
Und, im Gericht', ohn Erbarmen, um feinen
| | aetödfeten rechten:
Sud, Juda! wo iſt dein Meſſias? Und, wenn
er nicht da iſt,
ir er vom Anfang herauf bis bin zum Nie—⸗
\ dergang füdfen
Ale Männer des Bluts, die feinen Heiligen
wuͤrgten.
Alſo trat er zuruͤcke. —— ſaß mit drohendem
| Auge
Rr 5 Philo
*
634 ——
Philo da, und erbebte vor Wuth und grims
migen Zorne,
In ſich felber ‚und wang fi ſich aus Stolz, den
Zorn zu verbergen.
Aber er zwang fi ch umfonft. Sein Auge ward duns
kel, und Nacht lag
Dicht um ihn her, und Finſterniß deckte vor ihm
— Verſammlung.
ko mußt er entweder ohnmaͤchtig niederſi aken,
Oder ſein ſtarrendes Blut auf einmal feuriger
. werden,
Und ihn wieder gewaltig beleben. Es hub ſich,
und wurde.
Feuriger, und goß ſi ch vom hoch auffchmellens
den Herien
In die Mienen empor. Die Mienen verfündigs
en Phil
Und er fprang auf, und riß fih aus feiner Reih,
und erarimmte
So ‚ wenn auf unerſtiegnen Gebirgen ein nahes
Gewitter |
Furchtbar fib lagert, . fo reift ſich -eine der |
naͤchtlichſten Wolfen,
Mit den meiften Donnern bersaffnet, entflammt
sum Verderben,
Einſam hervor. Wenn andre den Wipfel der
Ceder nur fafien,
Wird fie. von einem Olympus zum andern,
waldigte Berge,
Und
-
re 635
Und hochthuͤrmende Koͤnigstaͤdte, die Meilen
lang liegen,
Tauſendfach donnernd, entzuͤnden und in Ruinen
| bearaben.
Philo riß ſich hervor. Ihn ſahſt du, Satan,
u Ag | und fagteft
Bey dir felber: O fen mir iu deiner Nede ges
weihet !
Wie mir unten im Abgrund weihn ſo weih ich
dich, Dhilo! -
Gleich der. Hölle gefürchteten Waſſern, , ftröme
fie wild hin!
Stark, wie das flammende Meer! Wie vom Hauche
der Donner gefluͤgelt,
- Die mein Mund ſpricht, wenn er gebeut ! Wie
iemalg im Abgrund.
Menſchenſeindlich und zornig an feinen unendlis
den Bergen
Bon den Göttern hinunter geredt ward, daß es
die Ströme
Horchend lernten, und um ſich herum den Stroͤ—
men erzaͤhlten!
So ſzrigt Philo! fo führe dieß Volk im Trium—⸗
phe gebunden!
Alſo denke! fo flieſſe dein Herz von Empfinduns
gen über, |
Derer ſich, wär er ein Menſch, felbit Adranıes
lech nicht fhamte!
Eprich dem Nazaraͤer den Tod! Ich will dich
belohnen!
Und
Zr —
Und dein Herz mit Frenden der Hölle, fo bald
du fein Blut ſiehſt,
Ganz erfüllen, und koͤmmſt du zu ung, dein
Sübrer werden,
Und zu den Seelen dich führen, die Helden wa;
ren, und mürgten !
So ſprach Satan vor fi, und Seraph Ithu—
riel höre ihn.
Aber Philo and da, ſah ernſt gen Himmel,
und fagte ER
Altur des Bluts, wo Gott das Lamm der Vers
ſoͤhnung gebracht wird,
Und ihr übrigen hohen Altäre, wo vormals vie
Dpfer,
Gott ein jüffer Geruch , fih unentheiligt erbuben!
Und du Allerheiligſtes ſelbſt! du Lade des Bundes!
Und, ihr Cherubim, Todesengel! du Gnadenſtuhl
Gottes,
* von Menſchen unangeſeindet, der Ewige
vormals
Saß }, und her die Sünder aus heiligem Dunkel
Sericht hielt!
Tempel des. Herrn, ben Gott mit feiner Herr—
lichkeit füllte!
Und, du Hoͤrer der goͤttlichen Stimmen, Moria
Moria!
Wenn euch der Nazaraͤer verwuͤſtet; und dieſe
Maͤnner,
Dieſe Maͤnner der Bosheit euch, unter feiner
Beſchuͤtzung,
Mit
— —— — — — —
— 637
Mit verwüften; fo bin ich an eurer Verwuͤſtung
nicht Ihuldig !
Din unſchuldig, wenn unfere Kinder mit ängfllis
chen Blicken,
und mit bebendem Knie, mit bang zerrungenen
% Händen ,
Gehn, und den Gott der Vaͤter in feinem Hei⸗
ligthum ‚ſuchen,
Ihn nicht finden! der Nasarder ſich Throne
gef: tzt hat,
Wo Gott uͤber den Cherubim ſaß! wenn vor
aller Antlig
Gögenfklaven dem Eünder entmeihende Raͤuch⸗
werfe bringen,
Mo der Vorhang bieng! wo fonft nur der 20
heprieſter,
Mit verhuͤlltem Geſicht, und betend, sum Gnas
hr denſtuhl hintrat!
Laß mich den Jammer nicht ſehn! Laß, Gott!
* mein ſterbendes Auge
Er — als dieſer Graͤul der Verwuͤſtung
dein Volk trifft.
Aber was ich noch thun kann, dem nahen Vers
*— derben zu wehren,
Dieſes thu ich vor Gott! —— ſteh ich vor deinem
Antlitz!
Hoͤr, Gert Iſrael! mid; wenn du iemals im
Himmel gehört haft,
Was von bir auf Erden ein Menfh im Staube
gelebt bat!
Trat,
Traf, auf Elias Sebet, die geſandten Moͤrder
des Koͤnigs
Feuer vom Himmel, und fraß es ſie weg vom
Gipfel des Carmel! -
Riß der Abgrund, da Mofes dich bat, in feine
Tiefen |
Korah, und Dathan und Abiraniden lebend
hinunter:
O ſo hoͤr, Gott Iſrael! mich; Ich fluche den
Maͤnnern,
Die dich ſchmaähn, und den Sünder, der Moſes
Feind ift, beſchuͤtzen.
Nikodemus! dein Ende ſey, wie das Ende des
Traͤumers!
Und dein Grab, wie das Grab des Empoͤrers!
unter den Moͤrdern,
Welche, fern von dem Tempel und Altar, ges
fteiniget werden ! |
Hart fey dein Herz, wenn du flirbft, und unun⸗
ternürfig der Gottheit!
Thraͤnenlos fey dein Auge! das Weinen muß ihm
verfagt fenn ;
Willſt du zu Gott dich fierbend befehren ! Weil
| du geweint haft, |
Einen Verruchten zu ſchuͤtzen, und meil dein
| dienfibares Auge _
Wider ben Emigen ſtritt, unheilige Thraͤnen
herabgoß!
Auch du ſchuͤtzeſt den <räumer; Gamaliel! Fin⸗
ſterniß decke
Und
— 639
Und entſetzliches Dunkel dein Ange! dann ſitz
und warte
Auf die Huͤlſe des Nazaraͤers und ſchmachte
| vergebens! _
Taubheit ſchlieſſe dein Ohr! Ein ſchreckliches
Ende dein Reben!
Lieg dan; und harre, bis dich der Nazarder
erwecke!
Lieg and verweſ „und harre vergebens! Und,
wenn du dem Poͤbel,
Der * anſtaunt, wie du, wenn du dem Poͤbel
noch ſagteſt:
Meiket darauf, er wird mich erwecken! So
trete der Poͤbel
Aufdein Grab hin, und fpotte daſelbſt des Pros
pheten und deiner !
Vorm Gerichte ſtehe dein Beift dann , und höre
fein Urtheil!
Hebe deinen gefürchteten Arm auf, und fihlage
| den Sünder,
Schlage Nifodemum, Bott! und vollende die
Fluͤche,
Die ich zu Ehren dir thate' den andern, der nebſt
| ihm fein Knie bog,
Leg auch ihn in den Staub, Gamaliel! hin,
two der Tod wohnt!
Aber beiten arimmiger Zorn , worunter die Hölle,
Gehſt du daher) worunter die Berge der Erden
| erzittern,
Deine
640 —
Deine Donner, die rings um dich her, Unendlis
er! donnern,
Nimm, und fihlag den noch guöfferen Sünder,
den Nazarder!
Ich bin iung gewefen, und bin zum Greife gu
worden,
Habe dir ſiets nach der Weiſe der Vaͤter gedient
and geopfert:
2 Doch, Gott! läßt du mein ſterbendes Auge den
Jammer erblicken,
Daß der Empoͤrer von Nazareth ſiegt! Dein ewi⸗
ger Bund nichts,
Daß nichts mehr dein Heiligthum gilt, und dein
Eid und dein Seegen,
Den du Abraham ſchwurſt, und nach ihm den
Abrahamiden:
So entſag ich hiermit, vor dem Antlitz des gan⸗
zen Judaͤa,
Deinem Recht und Geſetz! ſo will ich ohne dich
leben!
Ohne dich ſoll mein ſinkendes Haupt ins Grab
hin ſich legen!
Ja, wenn du vom Antlitz der Erde den Traͤumer
nicht wegtilgſt:
So biſt du nicht Moſes erſchienen! ſo war es
ein Blendwerk,
Was er im heiligen Buſch am Fuſſe des Ho⸗
rebs erblickte!
So ſtiegſt du zut Spitze des Sina nicht wun—
derbar nieder!
So
641
So — Feine Pofaune! Fein Donner! fo
bebte der Berg nicht !
‚© fi nd unfere Väter und wir, feit undenkbas
ren Zeiten,
unter den Völkern der Welt die. beweinenswuͤr⸗
digfien Menfchen !
© ift Fein himmliſch Gefeg ! fo biſt du © Iſraels
Gott nicht! |
Dil ſprichts, tritt meh zuruͤck. Und Nis
Stand mit niederſchauendem nun de. ©,
wie ein Mann fteht,
Welcher den Unterdruͤcker erduldet, und in ſich
den Vorzug
Und die Erhabenheit ſeiner Tugend und Unſchuld
empfindet:
Ernſt iſt in ſeinem Geſicht; tief in der Seele
der Himmel !
Itzo dachte der goͤttliche Mann voll Gedanken
der Ehrfurcht
An die Heilige Naht, wo allein mit ihm der
Meſſias
Von der Ewigkeit ſprach, und von den Geheims
niflen Gottes ;
Wo er im Zieffian mit Mienen vol Seele, mit
himmliſchen Laͤcheln,
Neben ibm fland, und fprab. Er fah fein
Kr Antlig voll Gnade, |
Und den mehr als menſchlihen Geiſt der goͤtt⸗
lichen Augen, |
S3 Sah
642 pam one: >
* die Enthuͤllung der paradiſiſchen Unſchuld;
erhabne,
Lichthelle Züge des ewigen Vildes, den Sohn
des Vaters ! |
Alſo fiand er ſtillanbetend, zu feelig, vor Menfchen
Sid) noch zu fürchten. Ein mächtiges Feuer, ein
| Schauer vom Himmel,
Hub ihn empor. Es war ihm, als ob er vorm
Anſchauen der Gottheit,
Bor ber Yerfammlung des Menfchengefchlechts
und dem Weltgericht finde.
Auf ihn ſchaute die ganze Verſammlung. Sein
Auge voll Ruhe,
Voll des unwiderſtehlichen Feuers der furchtba⸗
ren Tugend,
Sdrette die Suͤnder. Sie fuͤhlten ihn grimm—
voll. Er zwang ſie; ſie hoͤrten.
Heil mir! daß ich mit meinen Augen dich,
Goͤttlicher! ſchaute.
Heil mir! daß ich die Hoffnung der Vaͤter er⸗
blickte.
Welchen zu ſehn, im Haine zu Mamre ſchon
| Abraham oſtmals
Einfam ſeufzte! den David, der Mann zum
Beten geſchaffen,
Gern aus den Armen des — herunter gebetet
| hätte!
Den, im Stande gebücht, Propheten mit Thräs
nen verlangten,
ER" Die
WEREEETEEnG 643
Die Gott fammelt und zählte! den uns Unwuͤr⸗
digen Gott gab!
Ja du zerriſſeſt die Himmel umher, du eilteſt
hernieder
unter dein Volk, es zu ſeegnen, du Erſtgeborner
des Vaters! |
Oder, wie ‚Diefe Männer dich nennen, du Träus
mer, und Einder!
Ach, unſchuldiger Mann! wer ſind fe, die alfo
dich nennen 2
And ; wenn haft du Rügen gefräumt? Wenn haft
du gefündiat ?
Stand er nicht vor dem Geſicht der verfammelten
Stiraeliten ?
Standfi du nicht, Philo! dabey? Und rief er
nicht alfo, und faate:
Wer Fann einer Sünde mich überzeugen ? Wo
war da,
philo! der grimmige Zorn auf dieſen Lippen der
Laͤſtrung ?
Warum ſtandſt du, und um dich herum dein
Haufen, fo ſprachlos?
Erſt war aͤberall herrſchendes Schweigen, und
wartende Blicke! en
Milde Gef chte voll Sreude! Geſichte von forgens
Ä der Furcht voll!
Still und verſtummend ſtand die Verſammlung,
und wartete, bis ſich,
Einer erhub, und wider ihn zeugte. Da aber
nicht einer,
S82 Unter
— ——
Unter dieſer dichten Verſammlung, unzaͤhlbarer
| Menfchen,
Wider den Goͤttlichen aufſtand, und zeugte: da
hub ſich die Stimme
Vom zu ſeegnenden Volk von allen Seiten gen
Himmel /
Daß Moria davon, des Oelberas waldigfe Gipfel,
Bon der Stimme des Rufens erbebten! da dran
gen die Blinden, |
Und die vormals Tauben herzu, und dankten,
und iauchzten! *
Da kam ein unzaͤhlbares Volk, das er wunderbar
vormals —
Speiſt' in der Wuͤſten, es eilt’ und dankte dem.
| Menfhenfreunde.
Da riet unter dem Volk mit lauter Stimme der
Juͤngling,
Den er vor Nains Thoren erweckte, der tief,
— und ſagte: |
Du bift mehr als ein Menſch! du bift Fein Suͤn⸗
der geboren!
Gottes Sohn, der du biſt! die Hand, die id)
gegen dich ſtrecke,
- Mar mir erflarrt ! dieß Auge, dag weint, dir,
Goͤttlicher! zuweint,
War mir geſchloſſen! Auch ſie, die iauchzend
dir betet, die Seele
War nicht bey mir! Sie trugen mich hin zum
Grabe der Todten.
Aber
— | 645
| Aber du gabeft der ſtarrenden Hand, du ‚gabe
| dem Auge
geben FOR Feuer! Sch fah von neuem die Erd
| and den Himmel,
And die sifternde Mutter bey mir! du riefeſt die
Seele
Wieder zuruͤck! Sie trugen nicht mehr zum Grabe
den Juͤngling!
Du bift mehr als ein Menſch! du bift Fein Süns
| der geboren !
| geil mir! du bift deg Ewigen Sohn! der Vers
beifine! die Wonne
Deiner Mutter ! die Wonne der Erde, die durd)
dich erlöft wird! Ä
t aufo vie er. Doc du ſtandſt il, und fopf
zur Erde,
Warum verſtummteſt du fo vorm Antlitz des ganz
zen Judaͤa?
Philo! — zwar was erzähl ich dieß bier? hr
| wißt es ia alle!
Härtt du Augen, zu ſehn; und Ohren su hoͤren;
und waͤre
Nicht dein ger mit Dunfel umbällt, dein
Herz voll Bosheit:
D , fo haͤttſt du in ihm den Sohn des ewigen
Vaters
Lang erlannt! Und waͤrſt du hierzu zu niedrig
| | "newefen;
633 Hättft
646 — —
Haͤttſt du Gott doch geſcheut, und tief im Staube
gewartet,
Dis ihn der Richter der Welt vom Himmel ges
rechtfertigt hätte: |
Oder über fein Haupt dem Untergange gerufen:
Meligion der Gottheit! Du heilige Menſchen⸗
freundinn!
Tochter Gottes, der Tunend erhabnefte Lehres
rinn, Ruhe,
Beſter Seegen des Himmels , wie Gott dein
Stifter, unferblih!
Schön, wieder Seeligen einer! und füß, wie
das ewige Leben!
Schoͤpferinn hoher Gedanken! der Froͤmmigkeit
feeliofter Urquell!
Oder wie fonft ein Seraph dich noch, Unauss
fprechliche ! nennet;
Wenn dein lichtheler Stral in edle Seelen fi)
fenfet!
Aber ein — in des Raſenden Hand: des
Bluts und des Wuͤrgens
Priellerinn! Tochter des erſten Empoͤrers! nicht
Religion mehr!
Schwarz ‚wiedie ewige Nacht! fuͤrchtbar, wie dag
Blut der Erwuͤrgten,
Die du ſchlachteſt, und uͤber Altaͤren auf Zodten
dahergehſt! |
Raͤuberinn ienes Donners, den fich des a
den Arm nur
J Vorbe⸗
— — 647
| Vorbehalten, dein Fuß ſteht auf der Hoͤlle, dein
Haupt droht
regen den Himmel empor; wenn dich die Seele
| des Sünders
Ungeftalt wadt, wenn ein Menſchenſeind dich, zur
Abſcheulichen umſchafft!
eeligion * Gottheit! du alſo lehrſt den wuͤrgen,
en den du nicht wärft, den deine göttlichfien
Kinder
Sorgen ‚eh du su Menfchen noch kamſt, ents
heilige zu werden,
Deinen Stifter zugleich und deinen göttlichen
Innhalt, |
Religion ! —* lehrteſt du wuͤrgen ? das lehreſt
du uns nicht!
Keim: ſey ſerne von dir, die du des Ewigen Kind
biſt,
Geidenfifeim Heil! Bund Gottes! emiges
Reben!
Meine Seele Beinen fid) in mir ; mein bebendeg
| ‚Knie finft; |
Schwermuth, und Mitleid, und Angft, erſchuͤt⸗
tern mein Gebeine;
Wenn ich) dieß alles in ernfien Betrachtungen
überdenfe.
Und ein Abſchen vor Menſchen ‚ein Schauer vor
denen, die Bote fhuf,
Ueberſaͤllt mic), fo oft ich es Denke, wie wenig
ihr diefeg
©94 Ben
J
—* 7
Bey euch SER, wie niedrig ihr feyd, nur
menſchlich zu fühlen;
Wie ohnmähtig, die Religion, und die Mord⸗
ſucht zu ſondern,
Und wie pöbelhaft Flein, die lichten Stralen der
ſcchoͤnen
Und der Hebendninehiäng Unſchuld, nur dunkel zu
ſehen!
Zwar was die Unſchuld, von euch gefehen
zu werden:
Gott N eht fie, der Himmel mit Gott! Sie wird
nicht erzittern,
Wenn fie der niedrige Sünder verdammt! Wenn
Serapbim da kebn, > _
Und fi e betvundern, ihr hoch vom Himmel der
Emige.läheltz
Wenn wir alddann, in unferm einheimifchen,
niedrigen Staube .
Stehn, und wider fie zeugen! wie Flein und
| verachtensmärdig . &
erden wir fichn, und wider fie zeugen! Und
wenn im Gericht. einſt,
Wenn einſt vor der ganzen Verſammlung erwa⸗
chender Todten,
SEHEN einhergehn, und da ftehn, und wider
ung zeugen;
Wenn die Stimme der Cherubim ruft, und, auf
ung Donnernd, |
Goites Heilige nennt; Gott ſpricht, und feine
Gerechten
—_— 649
Zu ſich in hohen Triumph, zu ſeiner Herlichfei;
{u einführt :
D, mie erden wirda den Hügeln flehen: Be
| | deckt ung!
und den Bergen: Fallt über uns her! den Mee⸗
ven: Verſchlingt uns!
Und vernichte du ung! dem Verderben, daß bie
—*— ang nicht ſehen,
Die wir verdammten! ! daß fie ung nicht ſehen die
fehreeflichen Srommen !
Daß ung ber Vater fo furchtbarer Kinder im
Grimme nicht anfıhaut!
Stärte mich groffer Gedanfe, Gedanke vom
Weltgerichte!
Sey mir ein Berg Gottes, zu dem ich entfliehe,
weunn nun mid),
Sterbender Meſſias! dein lezter Anblick erſchuͤttert.
Ach , ich fühl es zu ſehr, wie meine Seele bez
wegt wird,
Welch zweyſchneidiges Schwerdt auf meinen
Scheitel daher blinkt,
Wenn ich deinen nahenden Tod von ferne hetrachte!
Ab, vergebens; erhabener Gedanke, vergebens
erhöhft du | |
Meine Seele! dem fühlenden Herzen, dem Her⸗
sen voll Mitleidg,
Voll ven Jammer „ vol Angſt find deine Don⸗
ner nicht hoͤrbar.
Du ſollſt Nerben, du görtlicher Juͤngling! dirz
welchen mein Arm hielt,
685 Als
\
650 | & EEE ET
Als du ein Knabe noch warſt! umfchloffen Hielt
| dich mein Arm da.
Drückte dich an mein Herz, mit ſreudigem, ſtil—
| lem Erftaunen ! |
Um dich fanden die Weifen herum, und hörten
dich lehren, !
Und bemunderten dih! O damals fand auch
der Himmel,
Aus den ewigen Pforten, zu Legionen, gegoflen,
Um dich herum, und hörte dich lehren, und
‚ iauchzte Die Lieder!
Eiche, du werkteft die Todten! dein Auge gebot
den Gewittern
Und die Gewitter gehorchten dir gern. Da ruhfe
der Sturmwind.
Du erhubft dich, und giengft daher, da ſanken
die Waſſer,
Wie Gebirge, vor dir, und wurden Ebnen. Da
giengſt du
Auf der Stille der Waſſer. Die Himmel fahen
dich wandein!
Du ſollſt erben! — So ſtirb denn! Iſts Deines
erhabenen Vaters .
Heiliger Rathſchluß, ſtirb! Ich aber will geben,
und weinen
An dein Grab Hinz; zum heiligen Duell ‚der
Ä Bethlehemiten,
Wo dich Maria gebar, da will ich meinen und
| fterben ; 7%
Beſter
une 651
Beſter unter den Menfhen ! Du Gottesfohn!
- Engel des Bundes!
Theurer Juͤngling! — Mein Ende ſeh, wie dein
| Ende! Mein Grab ſey
Bey dem Grabe dieſes Gerechten! nah bey den
Gebeinen,
Die in Sicherheit ruhn , sum ewigen Leben ev;
wachen!’
Doch was ſaͤumet mein Fuß aus diefer Ders
fammlung zu geben?
Heilig und rein, der geh ich hinaus! Gott hat
mich gehoͤret!
Nein des gerechten, unfchuldigen Bluts! Nun
rufe zu dir mid) ,
Richter der Welt! denn ich habe Fein Theil am
| Rathe der Sünder !
Alfo ſpricht er, und bleibt noch ftehn faͤllt nie;
der, und betet:
Der du vor Abraham warſt, Meflias fen du
mein Zeuge,
an dem Tage des groſſen Gerichts! Did) bet
ich, als Soft, an!
Und er fund auf, und redte zu Philo. Sein
Antlig war heiter,
Wie der Seraphim Angeſicht iſt. Du haſt mir
| aefluchet !
Aber ih feegne dich, Philo! der hats mid) alfo
gelehret,
— ich, * Gott, anbete. Philo! vernimm
mich, und kenn ihn!
Wenn
052 ——
Wenn du nun ſterben willſt, Philo; wenn izt des
Unſchuldigen Blut dic)
Schreckt, und auf dich, wie ein Weltmeer hers
abſtuͤrzt; deinem Ohre,
Wie ein Wetter des Herrn, der Rache Stim⸗
‚men ertoͤnen;
Wenn du dann wirſt hören um dich, durchs
Dunkle, dahergehn
| Gottes Zußtritt, den eiſernen Gang des mans
delnden Richters,
Und der Panzer Kriegsklang um ihn ; des blinken⸗
| den Schwerdts Schlag,
Welches er weit, fein Geſchoß vom Blute der
Sraufamen trunfen ;
Wenn von Gottes Angefiht her die Todes Angſt
ausgeht,
Dich erſchuͤttert; und nun ganz andre Gedanken
die Seele
Ueberſtroͤmen; und um dein flarreg fterbendes. Auge
Me: Gericht iſt; du did alsdann vor dem 1005
tenden Richter:
Windeſt und kruͤmmſt, mit bebender Angſt
weinend zu Gott flehſt.
um Erbarmung; ; fo höre dic) Gott, und —
| fi) deiner:
| —— =
—
xn. Ein
Perfonen
Herkules, als Juͤngling.
Die Wolluft. | |
Die Tugend.
— 655
Die Wahl des Herkules,
De Schauplatʒ ſtellt einen. Wald vor.
Die Handlung beginnt Abends, und
endet fich bald ku ven Sonnen
| Untergang.
— N a un 2
Herkules allein.
O ! nehmt mich auf, ihr ſtillen Gründe?
Gewogne Schatten, huͤllt mich ein!
Hier athm' ich wieder frey, empfinde
Des Dafeyns Werth, bin wieder mein!
Ich follte Amors Feffeln tragen?
Die — ſchleppte mich an ihrem Sie
geswagen ?
Ein feiger Sklave ſollt' ich feyn ?
Beym Himmel, nein!
Ich fühl ein Herz in meinem Buſen flogen!
Ich fühl? —
9!
656 | Bo
O! Götter, darf ichs Magen,
In diefem unbehorchten Hain
Um ein Geheimniß euch zu fragen?
Wes ift die Stimme, die ich tief im Heiligthum
Der Seele hoͤre? Oder, taͤuſchet mich,
Indem ich fie zu. hoͤren glauhe,
Ein falſcher Wahn ?
Mer bin ih? — Diefe Gluth in meinem Buſen
Dieſe Ungeduld nach Thaten, |
Diefes Hüpfen ieder Ader, wo andre beben,
Diefes, was ich beſſer fühlen,
Als mir erklären fann —
Wie nenn’ ichs, was den andern Exdenfühnen mic)
So ungleid macht?
Was mich auf ihre Spiele, —
Mas auf den ganzen Kreis von ihren einen
h Sorgen, |
- Entwürfen, : Freuden, Dlagen,
‚Kalt und unbemwegt mich niederblicken heißt,
Wie man auf einen Haufen von Kindern blickt,
Die fi) um einen Apfel raufen.
Wer bin ih? Gab ein Haldgotk,
Gab ein Gott das Feben mir ?-
Wie wallt mein Blut |
Bey diefem groffen Gedanken auf!
Sch zittre nicht,
indem ich ihn zu denken wage!
Ja! es if Fein Wahn,
Ich fuͤhl's ich ſuͤhl's,
| | n Es
\ — ——— 657
Es iſt der Goͤtter Blut, was dieſe Adern ſchwellt!
O du, der mir das Leben gab,
Unſterblicher, warum verbirgſt du dich vor mir?
O zeige di! O lehre deinem Sohn
Die Wege zum Olympus! | 1
Lehr' ihn, ſich deiner würdig machen!
Aber — wenn ich mich zu viel erkuͤhnte?
Wenn die ſelbſtbetrogne
Vermeßne Seele, was ſie feurig wuͤnſcht,
Fuͤr Ahndung hielte?
Aleid, du traͤumſt, du traͤumſt von Gottheit? du?
O! finf in Schaam verloren
Tief in die Erde! — du,
Den nod) vor wenig Augenblicfen
Ein rofenwangichtes,
Der fiberzenden Natur noch unvollendet ent
Ichlüpftes Ding,
Ein Mädchen, deiner ſelbſ vergeſſen machte!
O! daß mein boͤſer Dämon Dir entgegen mich
führte,
Als du, befränzt mit Epheu,
An der Spige der Töchter Kalydons,
Von traubenvollen Hügeln
Herunter in die Myrtenſchatten
Des Achelous ſtiegſt, o Dejanira!
Seit dieſem Augenblicke find' ich dich
Wohin ich flieh im meinem Wege.
Jedem edeln Vorſatz ir |
J St Begeg⸗
658 —
Begegneſt du!
In meinen Traͤumen ſelbſt verfolgf du *
Ich ſeh did — iugendlich wie Hebe, |
Schimmernd wie Aurora, wolluſtathmend
Wie Cytherea, da die Welle fie
Ans Ufer von Paphos trug — —
Ich feh did, und vergefje der Lehren,
- Die vom Nektarmund der Söhne des Mufengottes
In Eytbärons heiligen Grotten
In meine Seele floffen! —
Ich! vergefie jeden Schwur, den ich der Tugend
IM that,
So oft beym Lob der Helden mir
Die iunge Wange glühte !
O, weich' aus meiner Seele, Zauberinn !
Nicht länger will ich) deine Feffeln tragen.
Nur Roſenketten finde ; wie leicht zerbrech' ih fie?
Nicht länger fol dein Vild — in dieſe Bruſt
Grub es mit feines ſchaͤrfſten Pfeiles Spitze
Der Gott der Herzen ein! —
Allein, heraus will ich es reifen, oder fliehbn
Wohin Fein Menfchenfuß mir folge,
Um meine Schand’, und mic) U
Der Welt auf ewig zu verbergen!
Ungluͤcklicher! bin id es, defen ——
Mein eignes Ohr empoͤren? |
9: noch immer wie raͤthſelhaft mir ſelbſte
Wie
—*
Ya 659
Wie groß ! wie Fein!
St, muthig, iedem Ungeheuer Trog zu bieten! ,
Izt, verzagt vor einem Blicke:
Izt, ganz durchdrungen von der hohen Schoͤnheit
Der Tugend, ganz von ihrer Gottheit voll,
Zu welcher edeln That, zu welchem Opfer, fühl’
ich mid
Nicht ftark genug ?
Doch bald, betrogner Juͤngling,
Bald wird, unfer Zauberrofen,
Dich die ſchnoͤde gürtellofe Wolluſt
zum Entſchlummern
An ihren Bufen loden !
Suͤſſes Gift aus ihren Augen
Wirſt du in dich ſchluͤrfen;
Und, gleich den Seelen, die aus Lethe tranken,
Vergeſſen wer du biſt, und was du werden ſollſt
So niedrig font’ ich feyn ? So ſchwach!
So unwerth deiner Tunend,
Alkmena! Eurer Kehren fo uneingedenf,
Ahr Führer meiner Jugend! :
‚Nein! viefer Tag fen Zeuge meiner Schwiüre;
Und du, alfehend Auge des Dlymps, und dm,
o Rhea,
Der Goͤtter Mutter und der PET
Send meine Zeugen —
"(Der Shauplag verwandelt ſich in einen
romantiſchen Auftgarten. Die Wol
luſt zeigt ficb dem Herkules gegen:
2% uber,
660: ——
uͤber, auf einer Art von Ruhebette,
in einer ihrem Charakter gemaͤßen
Attituͤde, reizend hingegoſſen.)
Goͤtter! welch ein Anblick! "Bo,
Wo bin id? Traͤum ich wachend? |
Die Wollufe.
Willkommen, Götterfohn,
. Sm Reich der. Freude!
Exheitre deinen Blick! |
O komm, o! meide
Nicht länger deinen Thron
An ihrer Bu!
Hier leben wir , ferne
Dom Erdengetümmel,
Das feelige Leben ,
Der Götter im Himmel:
Uns ftralen die Sterne
Nur Wonne, nur Luft!
Se
Du fliehft die Welt, Med? . |
Im Alter des Vergnügen
Entweichſt du ihr in einen öden Wald;
| Spricht mit dir ſelber, ſtaunſt, verlierft dich in
Gedanken,
Zweifelſt, — * des Lebens
u
ran mare 661
Du nehmen follt ?
Sieh eine Freundinn,
Die willig ift, zum Glück der Goͤtter, die
Den Weg zu zeigen !
Zerkules.
Und wie, o Goͤttinn, — denn ſo kuͤndigt dich
Dein ganzes Wefen an — mit welchem Namen
Sol i dich - verehren ? i
Die Wolluft.
Freude nennen mid) meine Freunde;
Aber in der Sprache des Himmels
Iſt mein Name Seeligfeit.
‚Denn felbft die Götter leben nur durd) mid)
Ihr ewig forgenfreyes Wonneleben.
Ich bin die Schöpferinn der Freuden im Olymp
Und auf der Erde. Scherze, Grazien,
Sind mein Gefolge. Selbſt die Mufen, die
du liebſt,
Sind meine Dienerinnen.
Meinen Freunden zollt der ganze Weltkreis Luſt.
Nur ihnen ſcheint die Sonne;
Nur ihnen dufter Amors Lieblingsblume;
- Nur ihnen fprudelt im Erpftalnen Becher
Der Erde Nektar; ihnen nur
Beleuchtet den Rofenpfad zu Cythereas Shlums
| mer |
Der file Mond.
Sie, fie allein genieſſen des Lebens,
tt3 Scher⸗
662 —— —
Scherzen ſeine Sorgen weg,
Und — gleich der Roſe,
Die an einer Nympfe Buſen verduſtet ==
Athmen fie, im Schooß ver Luft,
pr frohes Daſeyn aus,
O du, der Götter —
Was zoͤgerſt du? —
Du zweiſelſt? — * ein Leben, aus Luſt gewebt,
Nichts, was dich reizen kann?
Serkules.
Du ſagſt mir, Goͤttin, nur, was deine
Freunde genieſſen;
Sage mir auch, was ſie thun?
Womit verdienen ſie
So ſchoͤn belohnt zu werden?
Die Wolluft.
Verdienen? — denke richtiger
Bom Glück der Weifen, die fi mir ergeben,
Genieffen, Freund, und vom Genufie ruhn
Zu füflerem Genuß, ift alles was fie‘ thun:
Genieſſen ohne Arbeit,
In Gefühl ganz aufgelößt,
Mit iedem trunfnen Sinn, - |
In einem Ocean von Woluf Ichweben :
So ieben die Dlympir,
So lebt, wer mich) beſizt,
Und die nur nenn’ ic) leben !
Bey
663
Bey Hebens Mektarfchaalen,
Beym Lufigefang der Mufen,
Iſt euer Gelbftbetrun,
| Sind eure Duaalen,
Berhörte Sterbliche !
Der Goͤtter Spott:
Du, Juͤngling, den die Sterne lieben,
O! kaͤmpfe nicht mit deinen Trieben!
Komm, Gluͤcklicher, an meinen Buſen
Und werd' ein Gott!
Serkules.
Allmaͤchtige Goͤtter!
Kann auch wider unſern Willen
Ein fremder Reiz Gewalt der Seele thun?
Zu ſehr, zu ſehr empfind' ich deiner ſuͤſſen Toͤne
Wolluͤſtige Zauberey, Verfuͤhrerinn!
Sich ſtrebe dir entgegen —
Fuͤhle, daß ichs ſoll —
Und — folge dir!
(Der binterfte Theil des Schauplatzes
öffnet fih, und entdeckt eine rauhe
Gegend, die durch fteile Wege zum
Gipfel eines hoben Berges führt,
wo aus einem Korbeerhain der Tem’
- pel der Tugend bervor glänzt: Die
u 30 SE ea Tugend
_ Tugend erfiheint in dem Augenbli-
ce, da Herkules die Worte: ich fol:
ge dir — geiprochen bat.)
Die Tugend,
Halt ein, o Herkules!
Sich, wer die Hand dir reiht!
„Jertules,
Welch eine Stimme — o! bift du’ _
Biſt du's, du Göttinn meiner Seele!
Sa! dein ganzer Anblick,
Diefe Maieftät vo hohen Reizes,
Diefe Wunderfraft, die von dir ausgehf,
Meine ſchwankende, entnerote Seele jaßt,
Mit neuem Muthe fie anhaucht,
Alles, Göttin, verfündigt did)!
Du bift die Tugend — die id) liebe —
Der ich untreu bin!
Die Tugend
Dein Herz, o Herkules — wiewol ih deinen
Augen
Noch niemals fidhtdar ward —
Dein Herz erkennt mid), deine Freundinn,
Deines Geſchlechtes Freundinn! |
Mich, die durch den Mund
Der Weifen, die did bildeten,
Das goͤttliche Gefühl des Adels deiner Seele
n die entflammte. | -
J Sieh,
— — .. 008
Sieh, ich komm, ich zeige mich deinen Augen;
Diefer groffe Tag
Soll deines ganzen Lebens
Entſcheidung feyn!
Die Wolluft,
Alcid, die Zeit ift Eofibar!
Willſt du fie verlieren ?
Dieß MWortgepränge raubt die Augenblicke,
Die ungenoſſen fliehn,
Die nichts zuruͤcke bringt!
Die Tugend.
Die Wahrheit, Herkules, ruft keine Red⸗
nerfünfte
Zu ihrem Beyſtand. Sie gefaͤllt, fie rührt,
Sie überwältiget durch ihren eignen Reiz.
Ich Eomme nicht, ein Leben ohne Arbeit, -
Ruhmloſes Gluͤck, und unverdiente Freuden
Dir anzubieten.
—— iſt die Ordnung mir des Vaters der
Natur;
Nichts Gutes den Sterblichen
Die Goͤtter ohne Muͤhe.
Soll dir die Erde ihren Reichthum zollen?
Du mußt ſie hauen!
Soll dein Vaterland dich ehren?
Arbeite fuͤr ſein Gluͤck!
Be. | xt5 Coll
666 —n
Soll deinen Namen |
Der Ruhm den Voͤlkern und der Rad
nennen ? |
Derdien es um die Welt! |
Sey ein Wolthäter der Menfchheit,
Lebe, ſchwitze, binte zu ihrem Dienft!
Mas Ffünnten dir die Menfchen,
Um die du nichts verdienteft, ſchuldig feyn?
Verdienen nicht die Götter felbft —
Den Weihrauch, der ihre Tempel fuͤllt,
Durch alles Gute, das ſie der Erde thun?
— Sie Mole
Du hoͤrſt es! Alles, was die Freudenflörerinn
Dir anzubieten har, iſt Arbeit, Muͤh,
Gefahren, Wunden, Tod!
Sür Andre,
Für Undankbare folft du leben,
Nicht für dich!
SMühfeelig leben, daß dereinft dein Grab
Dem Vorwitz fpäter Enkel melde:
ni liegt ein Thor, der leben Fonnf,
und ftarb,
um, wenn er nicht mehr war’, auf andrer
Thoren Eippen
Ein ungefühltes Dafeyn zu FERN“
Würdige Vergütung
Sr alles, was du ihr zum Opfer — ſollſt!
Ich,
— — 667
Ich, iunger Freund,
Verkaufe meine Gunſt dir nicht ſo hoch.
Genieſſe du des Lebens
Im weichem Schooß der Ruhe!
Aadre ſollen fuͤr dein Vergnuͤgen ſchwitzen!
Eine ganze raſtloſe Welt
Soll deinen Freuden dienen;
Soll ſich beeifern,
Deinen Wuͤnſchen ſelbſt zuvor zu eilen!
Die Tugend.
Thoͤrinn höre auf mit deiner Schande
Zu pralen! Höre auf,
Mit täufhenden Sirenenliedern
Unerfahrne Seelen.
In deinen Schlund zu ziehn!
Ber kennt dic) nicht?
Und men wirft du bethören, der dich kennt?
Du prahlft mit Götterwonne, du,
Die Feine Freuden kennt,
Als die du mit den Thieren des Feldes theilen?
Die Feinen innern Sinn für Wahrheit hat,
Noch für die füfe Ruhe
Der mit ficb felbft und mit der ganzen Natur
Im Friede lebenden fhnldlofen Seele:
Du, deren Buſen nie die Wärme der Sympathie,
Der heil’gen Liebe des Vaterlands,
Der Menſchenliebe fühlte,
Don deren Wange nie die fromme Thräne
| A Des
668
Des Mitleids floß, du ſprichſt von Goͤtterwonne?
Wenn iemals hat dein Ohr von allem Wohlflang
Den füffeften , verdientes Lob, gehört? - |
Sprich, wenn genof dein Auge ie des fhönften
Don allem, mas die Augen (chen Fönnen,
Des Anblicks einer guten That von Bir?
Und felbft die einzigen Freuden, die du giebſt,
em giebft du lauter fie und unvergällt?
Erwartet iemals deine Küfternheit — den Ruf —
Gehorcht fie ie der Warnuna — der Natur?
Mann achteft du im Taumel deiner Lüfte
Ihr heiliges Selen?
Doch, bald ereilen dich auch ihre Strafens
Und Töchter deiner eignen Thorheit find
Die Furien, die deine Frevel rächen!
- Sn deinem Innern zehre ein fchleichend Gift:
Des Lebens Quellen auf; Ein frühes Alter
Welkt deine Wangen ; |
Stumpf und nur zum Schmerz; noch mit Gefühl
geitraft,
Gepeinigt vom Vergangnen und von der Zufunft,
Schmachteſt du ein ſchrecklich Daſeyn bin,
Das Feine Hoffnung,
Kein tröftendes Bewußtſeyn guter Thaten
Ertraͤglich mad.
Unglückliche! was helfen dir
Die Roſen dann, die deinen Weg beftreuen ?
Dur Blumen führt fein fanfter Abhang
Aber führt in unausbleibliches Verderben!
Mein
———— — 669
Mein Weg ift rauh und fleil;
Er ſchreckt den Weichling ab,
Doch, ſi ſieh, o Goͤtterſohn, wohin er führt!
Der fteile Pfad, auf den ich leite,
Draͤut mit Dornen, ſtarrt von Klippen;
ne Mittags Hiße ſaugt dein
Blut:
J Nie teüßen Blick, mit duͤrren Lippen,
| — du, wenn Muth und Kraft
ermatten,
Vergebens dich nach milden Schatten,
Nach einem Duell vergebens um,
Getroſt! ich ſchwebe dir zur Seite,
Ich helf' in iedem Kampf dir ſiegen!
PR deingfi empor mit neuem
Muth: |
Der Gipfel naht — er ift erftiegen !
Da weht unfterbliches Vergnügen,
Und alles ift Elnfium !
Serkules.
O Goͤttinn! loͤſe mir
Das Raͤthſel meines Herzens auf!
Zwo Seelen — zu gewiß fuͤhl ichs! —
Zwo Seelen kaͤmpfen in meiner Bruſt.
So lang du redeſt, ſiegt die beßre Seele!
Allein kaum faſſet dieſe Zauberinn mich wieder
* | Mit
\
670 — —
Mit ihrem Blick: fo fühl? ich eine Andre
In jeder Ader glühn, die wider Willen mid)
In ihre Arme sieht.
Die Tugend,
Erröthe, Goͤtterſohn!
Erroͤthe vor dir ſelbſt, uk
Und dem, der dir das Leben gab!
s Die befre Seele, von der du ſprichſt, biſt du!
Sie iſt dein wahres Selbſt!
Wag' x8 zu wollen, und der Sieg iſt dein.
Die Waoalluſt.
Du wendeſt dich, Alcid? du ſcheueſt meinen
Blick?
Wie wenig kennſt du mich! Ich kam aus gutem
Willen,
Dir meine Gunſt
Und Deianiren anzubieten. |
Du wirſſt fie von dir! Glaubeft du,
Ich werde den erfi lange fuchen muͤſſen,
Der mir für beides danke? |
Herkules,
Du? — Deianiren? — Mir ?— 0 Göttin: .
Die Wolluft.
Sa, Deianiren folteft du
Aus meiner Hand empfangen haben,
| : Die
BRUREN ‘ 673
Die fehönfte meiner Töchter : Sie, die ich auf
ofen
Fuͤr did eig. —
| Dod, ? du verſchmaͤheſt fi fie !
Herkules.
O Deianira! * entſagen ſollt ich, dir?
Grauſame Tugend! kannſt du es verlangen?
Die Tugend.
Und du, Alcid, dem Ruf der Goͤtter untreu,
Du wollteſt, eh du ihr entſagteſt,
Dem Huhn, der Tugend, ver UnfierblichFeit
| entjagen ?
Du kannſt noch wanken?
Herkules, die Wolluſt, die Tugend,
- Herkules zur O trag Erbarmen
Tugend. Mit meinem Schmerz?
Der innre Aufruhr
Zerreißt mein Herz!
Die Wolluſt. Dir winkt in meinen Armen
Der Liebe Gluͤck;
Dich lockt ihr ſuͤſſer Blick,
— J Und du verzieheſt?
Die Tugend. Beſinne dich! du flieheſt
Das wahre Gluͤck!
Her⸗
692
Herkules.
Die Tugend,
Herkules.
Herk. Woll.
à 2.
Her alein.
Die Tugend.
Herkules.
Die Tugend.
Die Woluft.
AD,
Herkules.
2.3,
Tug. Woll.
Herkules.
Iſt nicht für beide Raum
In meiner Seele ?-
Weg mit dem eiteln Traım!
Erwach, und wähle!
ch lieb, o Göttinn, dich,
O Deianiven: |
[ Und ich entfchlöffe mich
| Und du entfchlöffeft dich
a zu verlieren?
Iſt nicht fuͤr beide Raum
In meinem Herzen?
Weg mit dem eiteln Traum!
Glich meinen Schmerzen
Wol ie ein Schmerz?
Der innre Aufruhr
Zerreißt mein Herz.
(Der Tugend Goͤttergluͤck
(Der Liebe ſuͤſſes Gluͤck
Willſt du verſcherzen?
O flieh, o flieh zuruͤck!
O, aus Erbarmen,
(Dur einen Augenblick!
O flieh, o flieh zurück!
Mur einen Augenblick!
Die
— 673
Die Woluft. In meinen Armen
Winkt dir der Liebe Glück,
Und du entflieheft ?
Die Tu gend. Dir winkt der Götter Gluͤck
Und du verjieheft ?
Die Wolluft.
Iſts möglich , holder Füngling ?
Kann zwiſchen mir und diefer Spröden
Dein Herz im Zweifel fepn?
Die Tugend,
Die Tugend leidet Feine Nebendublerinn,
Alcid! und der entfagt ihr ſchon,
Der zwifchen ihr und ihrer Seindinn wanft,
Wenn Shaam und Reue dic) dereinft
Aus deinem Traume wecken,
Dann, Herkules, erinnre di),
Was ich für dich gethan!
Izt kann ich nichts,
Als dich bedauren, und — verlaſſen!
| Serkules.
Ich ſollte dich verlieren, Goͤttinn, dich!
O eher laß mir alles, was ein Sterblicher
Verlieren kann, entriſſen werden,
Alles, was ich liebe,
Das Leben ſelbſt! — Was waͤr' es ohne dich?
un Weh
!
Weh mir! Wie Fünnt ich dir entfagen?
Dir, die ich über alles lieb, o Tugend!
Vergieb, vergieb dem Taumel meiner Einne!
Verlaß mich nitt! — zu Deinen Füſſen ſchwoͤrt,
O Zugend, Herkules fein ganzes Herz dir zu!
Sieh ihn bereit dir alles auſzuopfern,
Alles für dich zu thun, für did zu leiden,
Freudig dir in den Tod zu folgen!
Die Tugend,
Steh auf, mein Sohn ! So bift du deines .
Urſprungs,
Und meiner Hoffaung wuͤrdig!
Glorreich, Herkules, wird deine Laufbahn ſeyn,
Und groß der Preis, der dich am Ziel erwarten!
„hertules, ;
Und dir, Sirene, dir und allen deinen Baben
Entjag’ ich bier, im Angefidt des Himmels
Und der Tugend, der ih mi zum Diener
weihe,
Ein Tag, für fie gelebt,
SH einer Ewigkeit, voll deiner Freuden vor;
zuziehn.
(Die Wolluſt entfernt ſich mit einem
Verdruß, den ſie durch hoͤhniſches
Laͤcheln und einen veraͤchtlichen Blick
zu verbergen
Die
Die Tugend,
D glaube mir, Alcid, indem du ihr entſagſt,
Entfagit du Feiner Luft, an welche unbeſchaͤmt,
Ein denfend Weſen fid) erinnern Fann.
Die Freuden der Natur |
Schmeckt rein und unvergällt der Weife nur;
Er, der fie fparfam im Voruͤbergehn genießt,
Eo wie ein Wanderer die Rofe
An feinem Wege pflückt.
Allein des wahren Gluͤckes Duelle
Liegt in deiner eignen Druft.
Vergebens wuͤrdeſt du fie auswärts. fuchen,
Wiſſe, Herfules,
Was an dir fterblich if,
Iſt nur die Hülle des Unvergänglichen,
Und Götterfreuden nur find eines Gottes würdig !
Sa, ein Gott, ein Gott
Iſt diefe Flamme, die in deinem Buſen lodert!
Verwandt dem Himmel, und zum Wohlthun
blos
Auf diefe Unterwelt geſandt.
Kehrſt du, wenn einft dein goͤttliches Sefchäfte
Vollendet ift, zurüd,
In höhern Kreifen zu leuten!
Schau empor, Alcid!
Sie, die in ienen Sphären herrſchen,
Momit verdienten fie
Den Göttern beygeſellt su werden ?
Sie lebten einft, wie du, in irdiſcher Geſtalt,
| | Una Don
676 Susann
Doch nicht ſich ſelbſt,
Sie lebten blos der Erde wohl zu thun!
Sie warens, die den rohen Menſchen
Durch die Zaubernacht der Muſenkuͤnſte
Seinem Wald entlockten,
Durch Geſetze ſeine Wildheit zaͤhmten,
Ihn umgeſtalteten, und ſeinen Blick
Empor zum Vater der Natur
Erheben lehrten!
Der goldne Friede, mit der ganzen EINE: der
Künfte,
Die er nährt, der lieberfluß mit feinem Fallhorn,
Alles, was das Leben adelt, ſchmuͤckt, beſeeliget,
Es war ihr Werk!
Beſchuͤtzer „Lehrer, Hirten der Voͤlker waren fie,
Und glänzen nun im Chor der Götter,
Seelig durch den Anblick des Guten , fo ſ e
thaten.
Herkules.
O Goͤttinn fuͤhre, fuͤhre mich
Den Weg, den dieſe Helden giengen!
Was ſaͤumen wir?
Er mag dem Weichling furchtbar ſeyn,
Er mag mit Dornen draͤun, von Klippen ſtarren,
Bey iedem Schritte moͤgen Ungeheuer
Sich mir entgegen ſtürzen!
Mich erſchreckt kein Hinderniß, kein Feind,
Ich Den dir! Ä
Here
677
Serkules. Die Tugend.
Herkules, Allmaͤchtig ift das Feuer,
Y Das du in mir erwerfft,
Mir, dem du ohne Schleier
2 Tugend , dich ent:
deckſt!
Die — Von deiner erſten Jugend
| Hab ich dich auserfohren;
Du bift dazu geboren ,
Alcid, der Held der Tugend,
Der Menfchen Luft zu
ſeyn!
Herkules. u. hab ich mir auf ewig,
Ä Zur Goͤttinn auserfohren.
\
Tugend. Du bift für mich geboren !
Herkules. Ich bin fiir dich geboren!
Herk. Fuͤr dich — Tug. Fuͤr mich
allein!
Herk. Diriir weih' ich meine Kräfte!
Tug. Dein ſuͤſſeſtes Geſchaͤfte
| Sen, alle deine Kräfte
Dem Glüc der Welt zu
weihn.
Herkules, Mein ſuͤſſeſtes Gefchäfte
uu3 Sey
678
Zugend.
Herkules.
Tugend.
Beide.
Herkules.
Beide.
—
Se, allemeine Kraͤfte
Dem Gluͤck der Welt zu
weihn!
Dich hab ich auserkohren!
Dir weih ich meine Jugend!
Du biſt dazu geboren,
Ein Held , der Held der
| . Tugend,
Der Mienfchen Luft zu
ſeyn.
en er dazu geboren, |
Durch dich allein, o Tu:
gend, #
Den Göttern gleich zu ſeyn.
Wieland,
—
— BRETT
rauen nn ⸗
ie i Kleine
\
Kleine |
Kayrigten
einige Zuͤge
von unſern
guten teutſchen Dichtern.
*
ge. 68er
[tdorfer, Niarrer zu Buch in der Schweiz,
geb. zu Schafhaufen 1747.
Bertuch, geheimer KRabinets s Sekretär zu
Weimar, geb. daf. 1746.
Beyer, geheimer Finanz s Kriegs: und Dos
mänenrath in Berlin, geb. zu Halberfiadt 1730.
Slum, Gelehrter zu Natenau in der Mit;
telmarf, geb. daf. 1739. ein guter Iyrifcher und
malender Dichter.
Bodmer, Profeflor der Schmweizergefchichte
und Mitglied des groffen Raths zu Zürich, geb,
1698 zu Greifenberg bey Zuͤrich.
Boie, Stabsfefretär zu Hannover, geb. zu
Meldorf in Ditmarfen 1745.
Brave, von, geb. 1738 zu Weiffenfels
und flarb 1758 da er Faum feine afademifche
Laufbahn vollendet hatte.
Bürger, Amtmann zum Gericht Altengleis
den im Fuͤrſtenthum Galenberg, und wohnt
nahe dabey zu Wöllmershaufen : iſt geboren zu
Aſchersleben 1748.
Canitz, Freyherr von, Königl. Preuſſiſcher
Uns gehei⸗
geheimer Staatsrath und Nitter des Yohanniz
terordens, geb. sn Perlin 1654 und net. 1699.
Elsudius, geb. 1743 Dberlandkommiffär
zu Darmſtadt feit 1776 lebt aber izt in
Wandsbeck. |
Clodius, Profeſſor der Philoſophie zu Leips
sig, geb. zu Annaberg 1738.
ECramer, Doftor der Gottesgelehrfamfeit
und Kanzler zu Kiel, geb. zu Joͤhſtaͤdt bey
| Annaberg 1723. Durch feine poetiſche Ueberſe⸗
sung der Pſalmen hat er ſich als Dichter am
meiſten Ruhm erworben.
Creuͤz, von, Kaiferlicher Keichähofrath und
Helen » Homburgiiber Miniſter in Homburg
vor der Höhe, geb. 1724 zu — und
geſt 1770. |
Cronegk, von, Hof: gogterung— und us
ſtizrath au Unfpach, geb. dal. 1731 und geſt.
1758 ein herrliches Genie, vornchmlic in der
dramatischen Dichtart.
Denis, Lehrer der Litteraͤrgeſchichte am
Thereſiano, und Vorſteher der Gareliſchen
Bibliothek zu Wien, geb. zu Sgaͤrding in
Bayern 1729. Er ıft ein auter Doendichter
und der treffliche Ueberf feger des in Schottland
entderften Offians, eines Ma celtiſchen Bar⸗
agers.
denſa 9 Duſch,
pi
— — | 683
Dufch, Direktor des Gymnaſiums zu a
tona, geb. zu Zelle 1727:
- Ebert, Kanonikus und Brofeffor am Ka—
: | volino zu Braunfchweig, geb zu Hamburg 1723.
*
—
Engel, Profeffor am Joachimsthaliſchen
Gymnaſio zu Berlin, geb. zu Parchim im Mek⸗
lenburgifchen 1741.
Eſchenburg, Profefior am Karolino zu
Braunſchweig, geb. 1743 zu Hamburg, der fih
durch) die Ueberfegung des aroffen Dritten Schas
keſpear fo fehr verdient gemacht hat. ,
Ewald, von, Heflen: Darmftädtifcher Hof;
rath, geb. zu Spandau, verdient als Epigram—⸗
matiſt nicht vergeſſen zu werden.
Fuchs, Paſtor zu Taubenheim im Meifiniz
fchen Kreife, geb. zu Loppersdorf im Obererz⸗
gebuͤrge 1722.
Sun? , Rektor der Domſchule zu Magde;
burg, geb. zu NHartenjtein im Schoͤnburgiſchen
1734» he J N
Gärtner, Kanonikus und Profeffor am Ka—
rolino zu Braunſchweig, geb. zu örenberg im
Ersgebürge,
Gellert, Profeffor der Philoſophie zu Leip⸗
zig, geb. 1775 u Haynichen in Sachſen, und
gefl. 1769. Er em uns vorzuͤglich den guten
>. Mr um
—
684 — —
und gereinigten Geſchmack gelehrt, er der aͤdle,
fromme Dichter, der noch in ſeinen Fabeln, Er⸗
zaͤhlungen und geiſtlichen Geſaͤngen lebt.
Gemmingen, von, Herzogl. Wuͤrtember⸗
giſcher geheimer Rath und Regierungss Prafis
dent, geb. zu Kirchheim unter Teck 1724.
Gerſtenberg, von, Koͤnigl. Daͤniſcher Re—
ſident und Konſul zu Luͤbeck, geb. zu Tondern
im Schleswigiſchen 1737. Von ihm ſind die
angenehmen Taͤndeleyen und Gedichte eines
Skalden.
Geßner, Mitolied des innern Raths und
Buchhaͤndler zu Zuͤrich, geb. daſelbſt 1730. der
erſte und beſte Idyllendichter der Teutſchen, den
auch Frankreich mit Bewunderung aufnahm.
Gieſeke, Superintendent und Konſiſtorial⸗
aſſeſſor zu Sondershauſen, geb. 1724 zu Guͤnz
in Niederungarn und geſt. 1765.
Gleim, Kanonikus zu Walbeck und Domſekre⸗
taͤr zu Halberſtadt, geb. 1719 zu Ermsleben, iſt
wol der Anakron und Tyrtaͤus der Teutſchen.
Goͤckingk, Koͤnigl. Preuſſiſcher Ranzleydis
rektor zu Erich, geb. zu Örüningen 1745.
Sötbe, geheimer Legationsrath zu Weis
mar, geb. zu Sranffurt am Mayn 1749.
555 , Prediger zu Winterburg in der bins
tern
685
tern Graſſchaft Sponheim, geb, zu Worms ,
ein Gänger von fanften Gefühl und vieler
Empfindung.
Hagedorn, von, geb. 17708 zu Hamburg
und geft. 1754 ein Dichter von erfiem Range,
mit dem die fchönfte Epoche der teutſchen
Dichtkunſt anfängt. |
Seller, von, Mitglied des een Mathe
zu Bern, und Ritter des Schwediſchen Nords
fiernordeng , geb. zu Bern 1709 im der Ode,
wo er gedankenreich „ erhaben und ſtark iſt, vor⸗
trefflich, auch in der didaktiſchen, ſathriſchen und
elegiſchen. Er ſtarb 1777.
Hering, Preuſſiſcher Hoſrath zu Koͤßlin in
Hinterpommern. Er und feine Gattinn fangen
mit Empfindung und Leidenſchaft.
Sohnbaum, — Saͤchſiſcher Hofdias
konus zu Koburg, geb. zu Rodach 1747.
Hoͤlty S. im proſaiſchen Abſchnitt Miller
uͤber Hoͤltys Charakter.
Huber, Wuͤrtembergiſcher Regierungsrath,
geb. zu Großheppach 1723 und privatiſirt zu
Tuͤbingen.
Jakobi, Kanonikus zu Halberſtadt, geb.
1740. zu Duͤſſeldorf, bekannt genug den Ken⸗
| nern
⸗
686 ———
—
nern durch ſeine Ueberſetzung der Romanzen des
Gongora aus dem Spaniſchen und liebenswuͤr—
dig in ſeinen fluͤchtigen Poeſien.
Karſchin, geborne Duͤrbachin / geb. 1722
zu Züllichau, ward Dichterinn ohne Unterricht;
doch ſind ihre Gedichte mehr in Ganzem als
in Detail ſchoͤn.
Raͤſtner, Hofrath und Profeſſor der Ma—
thematik zu Goͤttingen, geb. 1719 zu Leipzig,
einer der vorzüglichſten Epigrammatiſten, vol!
Scharſſinn, und feiner Satyre, reich und faſt
unericpfli am Wige.
Bleift, Preuſſiſcher Meior, geb. su Zeblin
in Pommern 1715 und geſt. zu Frankfurt ar
der Oder in der Schlamt ben Kuneredorf 1759.
Er iſt in malerifhen Gedichten ganz Driginal
ſchriſtſteller, nur zur Ode nicht geboren,
Klopſtock, Baden ⸗ Durlachiſcher Hoftath, ”
geb. zu Daedlinburg 1732 und lebt zu Ham:
burg. Sein epiſches Gedicht, die Mefliade ifi
ein unſterbliches Werk, das unferer Nation viel
Ehre macht; auch ſeine Oden verewigen ihn.
——— Sekretaͤr der Hserforfneifer
ven zu Bareuth, geb. zu Zell im PORN
1738.
Kretſch, —— Gothaiſcher Kar, lebt
| auf
— — — — 687
auf ſeinem Rittergut Gauern bey Ronne—⸗
burg.
Kretſchmann, Gerichtsaktuar zu Zittau,
geb. dal. 1738. Seine beſten Gedichte find:
der Gefang Rhingulphs des Barden Cbdenn er
ift ganz Bardenfänger) die Klage Rhingulphs,
der Barde am Grabe des Herın Maior von
Kleift, auch die Jaͤgerinn.
Lange, Inſpektor der dritten Inſpektion
Des Saalkreiſes, auch Paſtor zu Laublingen
und Boͤſedau: geb. 1717 zu Halle.
Cavater, Diakonus an der St. Peters⸗
kirche zu Zuͤrich, geb. daſelbſt 1741,
Lenz, Sothaifher Hofrath und Amtmann
zu Altenburg, geb. daſ. 1717.
| Leſſing Braunfchmeigifher Hofratb und
Bibliothekar zu Wolfenbüttei, geb. zu Yale
walf in Pommern 1729 ein Mann vell Gelehr;
famfeit,, und ein eben fo feiner Dichter als
Kunſtrichter.
LCichtwer, Hofund Regierungsrath zu Hals
berſtadt, acb. zu Wurzen 1719 ein anfehnlicher
Fabeldichter.
Löwen, Negiftrator su Roſtock, geb. w
Klaus;
688 —
Klausthal auf dem Harze 1729 ſtarb 1771 zu
fruͤh für die Romanze : denn das war feine
Spähre,
Maͤſtalier, , Lehrer der ſchoͤnen Wiffenfchafs
ten auf der Univerfitat Wien, geb. daf. 1731
ein Odendichter voll Feuer und Enthuſiasmus.
Er und Ramler find unfere Horaze.
Miller, Lehrer der Gottesgelehrſamkeit in
Um, geb. daf. 175% ß
Michaͤlis geb. zu Zittau 1747 und er |
1772 zu Halberfladt inden Armen feines Gleims,
ein gefälliger Sänger von groſſen Talenten.
Muͤller, Churfürftl. Saͤchſ. geheimer Kriegs⸗
rath und Buͤrgermeiſter der Stadt Leipzig ſcheint
nicht befannt genug zu ſeyn; aber eines gröffern
und allgemeinen Beyfalls würdig ! Er ward
1728 zu Leipzig geboren.
Niemeyer, Magifter u Dale, ‚geb. daf.
1754.
Opitz, geb. in Bunylan 1597 und farb zu
Danzig als Koͤnigl. Preuſſiſcher Hiſtoriograph
Pfeffel, Darmſtaͤdtiſcher Hofrath und Aufs
ſeher der Kriegsſchule zu Kolmar, geb. or
1736.
— 689
1736. gehört unter unfere beſten Dichter, bes
fonders in der Fabel.
Pyra, geb. zu Kolbus 1715 und Hard als
RKonrektor zu Berlin 1744
Ramler Profeſſor der ſchoͤnen Wiſſenſchaf⸗
ten bey der Kadettenſchule zu Berlin, geb. 1725
zu Rolberg, ein eben fo groffer Kritiker als Dich⸗
ter: und in der Dde behauptet er den vorzügs
lichſten Rang.
Romanus, Hof s und Foftirath su Dress
den, aud) geheimer Referendar ne geb. zu
Leipzig 1731.
Rott, Hofs und Juſtizrath zu Dresden, geb.
zu Leipzig 1717 und geſt. 1765. F
Schiebeler, Ranonifus zu Hamburg, geb,
daf. 1741 und geſt. 1770.
Schlegel, Elias, geb. zu Meiſſen 1718
und geſt. als Profefjor zu Soroe 1749 der teut⸗
ſche Racine.
Schlegel, J. Adolph, Superintendent und
Oberpaſtor in der Neuſtadt Hannover, geb. zu
Meiſſen 1721.
Schlegel, J. Heinrich, Profeſſor und Ju—
ſtizrath zu Kopenhagen, geb, zu Meiſſen 1724.
7 Schmid,
Pr TR
>
690 menu
Schmid, Konr. Urn. Brofeffor am Karos
lino und Kanonikus zu ———— geb. zu
Luͤneburg 1716.
Schmid , Sal. Fried. Dialonus an der
Stadtkirche zu Gotha, geb. zu Blaſienzelle 1727.
Schmidt, Klamer , Eberh. Karl, Ran
merfefretär zu Halberfindt , geb. daf. 1746.
Schmit, Friederih, Proſeſſor der fchönen
Wiſſenſchaften in Liegniz, geb. zu Nürnberg 1745.
Die beiden Muſenalmanache, der Voſſiſche und
Bürgeriſche, der Wandsberfer Bot, das Tas
ſchenbuch für Dichter und Dichterfreunde, als
leg zeugt von einem empfehlungsteürdigen Dichter.
Seiler, Doktor und Brofeffor der Gottes—⸗
gelehriamfeit, aebeimer Kirdyen; und Confiftos
rialrath und Direftor des Inſtituts der Moral
und ſchoͤnen Wiſſenſchaſten zu Erlangen , geb,
zu Greuffen bey Bayreuth 1733.
‚Stolberg, Chriffian, Graf, Königl. Daͤ⸗
nifher Kammerherr und Amfmann über das
Amt Tromsbüttel feit 1777 geb. zu Kopenhas
gen 1748.
Stolberg, Friederich Grin, Graf „Ober⸗
ſchenk des Herzogthums Oldenburg und Gefands
ter zu Kopenhagen, geb. daſ. 1750. &
Thuͤm⸗
—— 697.
Thuͤmmel, Herzoglich-Saͤchſiſcher Kobur—
giſcher geheimer Rath und Praͤſident des gehei—
men Kollegiums zu Koburg, geb. zu Schönfeld
bey Leipzig 1738. Won diefem feinen , beruns
dernswürdigen Genie befonders im Fomifchen find
die beliebte Wilhelmine und Inokulation der
Liebe, |
3, Alefler des Kaiſerlichen Landgerichts
im Burggrafthum Nürnberg, und Onolzbachi⸗
jeher Rath, geb. zu Anſpach 1720 und lebt daf.
ein wahrer Driginaldichter Teutſchlands von
vorzhglichftem ange.
Voß, Gelehrter zu Wandsbeck, geb. 175x
4u Sommersdorf im Meklenburgiſchen. |
Weiffe , Kreisfteuereinnehmer zu Leipzig,
geb. zu Annaberg 1726 hat ſich um das Theater
und die Inrifche Poefie (denn für beides arbeitete
er mit vielem Glück) fehr verdient gemacht,
Wieland, Churfirfil. Maynziſcher Regie—
rungsrath, Herzogl. Saͤchſiſcher Weimarifcher
Hofrath, geb. zu Biberach 1733 ein ſeltenes
Genie in unſerem Jahrhundert, und fruchtbar
genug unlere Litteratur immer glücklich zu bes
reibern. |
Willamor, Profeffor ver teutſchen Real—⸗
————— ſchule
692 ERBEN
ſchule zu Petersburg , geb. zu Morungen in
Preuſſen 1736 farb 1777.
Withof, Doftor der Arznepgelebrfamkeit,
Hofrath und Profeſſor der Beredſamkeit und
der Griechiſchen Sprade zu Duisburg, geb.
daf. 1725.
Zachariaͤ, Profefforam. Karolino zu Braun
ſchweig, geb. zu Frankenhauſen und fiarb 1777.
Seine komiſche Epopeen und Tageszeiten ha—
ben ihm einen unſterblichen Namen gemacht.
}
Inhalt
— — — — — — — —— —
Inhalt
der poetiſchen Anthologie.
| Seite, |
Die Dichtkunft des Zorsz. 277
|
1.) Erzählungen.
Der Greis ⸗ * ⸗ 307
Der arme Greis I, 308
Die Kichel und der Rürbis : \ 311
Bias F ⸗ ⸗ 313
Theone ⸗ ⸗ 315
Der Hirte und fein Caͤmmchen 317
Salomo 319
Der Donner ⸗ ⸗ 320
Die Wanderer — : 324
Der Mörder und fein Vater 325
373 Der
| Seite,
Der Greis und die drey Tünglinge 326
Die Milchfrau und der Niilhtopf 328
Die Wahl des Herkules ⸗ 332
2.) Fabeln.
Die Nachtigall und der Sabiht » 343
Der Fuchs und der Bock : 344
Der Aund und der Wolf ⸗ 345
Die Fledermaus, der Dornftrauch und
die Schwalbe 13 ibid.
Die Heuſchrecke und die Ameiſen 347
Der Wolf und die Amme ibid,
Der Wolf und des Kamm 348
Der Hirſch bey einer Guelle 350
Der Adler, die Aase „ das wilde
Schwein 352
Die Mauleſel und die Räuber 353 |
Der Hirſch und die Ochſen : 354
Der Hund und der Wolf 5 355
Die Ameife und die Siege - 2 357
— 695
Seite.
Der Menſch Wis — au
Die Nachtigall und Der Gufuf 36L
Det Tansbär hi 562
Die Grille und die Nachtigall 363
Der Knabe und die Schlange 364
Die Rede Hi ; 265
‚Das Pferd und der Eſel ; 367
Ter Löwe und die Muͤcke 368
Die Stadtmaus und die Feldmaus 371
Die Raupe und der Schmetterling 374 -
Der Wiedehopf und die Nachtigall ib.
Die Nachtigall und des Eggers
würmchen 375
Der Rabe und der Fuchs 997
Der Kichbaum und das Schiff 278
3.) Idyllen.
Amyntas | ; 385
Damon, Dapbne : 86
Sein — J ⸗ 389
| y Aal! 4) Sinn⸗
696 mn
| Seite.
4.) Sinngedichte. XXXV, 395
Die Genuͤgſamkeit 4 x 4009
Der Shwäger ⸗ 415
Von Unterweiſung dee Jugend 425
6) Lieder.
An die Freude er 437
Der Morgen 3% Si 438
An die Leyer s : 440
An die Laute ⸗ ⸗ 441
An die Shnn ⸗ 2443
Dee 1 N
Fruͤhlingsgeſang des Alters ibid.
Der May ⸗ ⸗ 446
Die Roſe ; ; 448
Aufmunterung zur Freude 459
Zufriedenheit . : ei "45ı
BEE. 697
Filter, N Seite.
Die guten Beyfpiele 000458
Sommerlied nee ⸗ 453
Schnitterlied Br Ga 454
Roſette an die Bienen ⸗ 455
Der Herbſt ⸗ ——— 457
| Jagdlied BEN: ⸗ 458
An die Veilchen 460
Bey Herannaͤherung des winters 462
Der frohe Bauer — 463
Das Landleben ⸗ ⸗ 465
Der Genuß des Kebens ⸗ 468
An den Schlaf ⸗ ⸗ 470
Morgengeſans * ⸗ 471
Die Landſchaft 2 2 473
Erinnerung der Kinderiahre 474
"Lob der Unſchuld ⸗ 475
Der gluͤckliche Arme ⸗ 476
Die Gelaſſenheit | ⸗ 477
An den Gesigen 478
ee ee ibid.
YH An
698 — ———
| Seite,
An meine Mutter ⸗ Auer -
Der groͤßte Mann ⸗ rn ec}
Die alten und heutigen teutfchen
Sitten ; — 481
Fr uͤhlingsempfindungen ⸗ 483
Empfindungen an einem Fruͤhlings⸗
abend ⸗ 485
Empfindung einer ——— Ehegat⸗
tinn am Geburtstage ihres
Öettn - : 9.0. 487
Lobgefang eines Barden auf dietent:
ſche Schamhaftigkeit489
Fruͤhlingslied eines Barden —————
Auf den Tod eines Sperlings 494
Auf den Tod einer Nachtigall 495
Kin Amazonenlied ⸗ 44906
Kriegslied | —J—— ⸗ 300
Kriegslied a
7.) Lehrgedichte,
Die Vorſehung Gottes” ED 7
| Das
Su,
Das Glück des Weifen ⸗ 5tx
Die Freuden des Weiſen 514
Der Werth der Tugend ° 2 516
8.) Oden und Spmnen,
Froher Genuß der Zeit 527
Sufriedenbeit | ⸗ ⸗ 528
_ Wider die Habſucht ; 530
Nachahmung diefer Ode 531
Thereſia, die Mutter der Willen: |
ſchaften ⸗ 534
Die Zeit 9— un. 208
Auf die Wiederkunft des Könige - 540
An die Stadt Serlin * 542
Die Wiſſenſchaft zu leben 545
Der wahre Muth ⸗ 547
| Die Glückfeeligfeit ⸗ 551
Py 2 Theo⸗
TEELRERTETTTUTEN,
9
Theodicee |
Jeſus fchläft auf dem Meer
Der Erbarmer 4 N
Dem Wnendlichen PR EHEN
Die Tugend 4 Ki
Veſtes Vertrauen —
Flehen zu Gott ⸗
Ueber ein Ungewitter
Gottes Macht und vorſehung
Preis des Schoͤpfers has
Stöliches Vertrauen auf die Liebe
Gottes RR 8
Die — Gottes ⸗
9.) Elegie bey dem Grabe Bel
lerts. ⸗ | ⸗
10.) Ein Singſtuͤck
393
605
11.) Ein
> ET
| 701
— Seite.
11.) Ein epiſches Stuͤck 617
12.) Ein lyriſches Drama 655
Nachrichten und einige Züge von
unfern guten teutfehen Dich-
ter, 681
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