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Full text of "Moskaer Theater Habima, Gründer und Direktor Nahum Zemach"

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MOSKAUER  THEATER 


HBIMfl 


GRUNDER  UND  DIREKTOR 
NflHUM  -ZEMflCH 


TOURNEE  EUROPfl-flMERIKfl 

DIRECTION   MICHEL  KHCHOUK 

-17,  RUE  CßUMHRTIN ,  PARIS 


MOSKAUER  THEATER 


HflBIMfl 

GRÜNDER  UND  DIREKTOR 
NAHUM    ZEMACH 


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TOURNEE  EUROPA-AMERIKA 

DIRECTION   MICHEL  KflCHOUK 

-17,  RUE  CHUMHRTIN  ,  PARIS. 


NAHUM  ZEMACH 

Gründer  und  Direktor  d^  ..Habima** 


„HABIMA" 


REPERTOIRE: 
Dybuky  Der  ewige  Jude,  Golem ,  Jaäkobs  Traum ,  Sintflut 

AUTOREN  : 
An-ski — Bialiky  Pinski,  Leiwik,  Beer-Hofmann,  Berger 

REGISSEURE: 
Stanislawski,  Wachtangow,  Mtschedelow,  Werschilow,  Suschkewitsch 

MALER: 
Altmann,  Jakulow,  Niwinski,  Falk,  Schulrichter 

KOMPONISTEN: 
Engel,  Krein,  Milner,  Kompaneetz 


Baratz  A. 
Baraks  S. 
Bath-Ami 
Ben-Chaim 
Bertonow  E. 
Brak  S. 
Edelmann  A. 
Faktorowitsch  E. 
Friedland  Zwi 
Golland  I. 
Goldina  M. 


KÜNSTLER : 

Gowinskaia  1. 
Grober  H. 
Hendler  A. 
Itkin  D. 
Judelewitsch  F. 
Lubitsch  F. 
Messkin  A. 
Paduit  A. 
Prudkin  S. 
Pudalowa  L. 
Raikin  -Benari 


Robins  T. 
Rothbard  S, 
Rowina  A, 
Schneider  B, 
Tschetschik-Efrati 
Tschemerinski  B. 
Warschawer  L. 
Winiar  I. 
Win  iar- Katschur 
Zemach  B. 
Zemach  N, 


Szenische  Leitung : 
/.  Rubinstein 


Musikalische  Leitung 
G.  Kompaneetz 


DIE  MITARBEITER  DER  „HABIMA'* 


REGISSEURE:  K.  STANISLAWSKI,  E.  WACHTANGOW 

MALER:  N.  ALTMANN,  R.  FALK 

KOMPONISTEN:  J.  ENGEL,  A.  KREIN.  G.  KOMPANEETZ 


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Der  Abschiedsbrief  STANISLAWSKIS  an  die  „Habima**: 

„Bei  der  Schaffung  des  nehräiscnen  künstlerischen  Theaters  ,Hahinia  habe  auch 
ich  mitgewirkt.  Ich  hin  sehr  glücklich  darüber^  denn  ich  habe  während  dieser 
Arbeit  eine  der  größten  /Missionen  des  Künstlers  erkannt.  Kunst,  das  ist  das 
einzige  Geistesgebiet,    auf  dem   die  J^enschen    mit  den  reinsten  und  besten  Plänen^  v 

ohne  Politik,  ohne  jeden  unwürdigen  persönlichen  Zweck,  nur  um.  der  Schönheit 
und  der  ästhetischen  Freude  willen  zusammenkommen.  In  der  Kunst  gibt  es 
keine  Unterschiede  der  sozialen  Lage,  der  Religion,  der  j\.ationalität.  Kunst  — 
das   ist   ein    Gebiet,    auf  dem   Brüderlichkeit   der     Völker   herrschen   kann. 

Jetzt,    da   wir  uns   für   eine    Zeit    trennen   müssen,   übersende   ich   der  ,Habima 
die    herzlichsten   und  freundlichsten  VC^ünsche,    sie   möge   im  Ausland  all  das  vor- 
führen  und  predigen,   was   wir  zusammen   mit   meinem   Schüler     yvachtangow   ge-^ 
lieht,   gesucht   und  geschaffen    haben, 

MAXIM  GORKI  schreibt: 

„Ich  glaube,  die  Künstler  der  ,Iiabima  haben  im  v  ergleich  mit  dem  russi- 
schen künstlerischen  Theater  in  seinen  besten  Zeiten  einen  Vorzug:  ihre  Kunst 
ist  nicht  geringer,  sie  besitzen  aber  mehr  Leidenschaft,  mehr  Ekstase.  Das 
Theater  ist   für  sie   ein   Heiligtum.    Das   fühlt    man   im   ersten   Augenblick.    Alle 

vvorte,  Gesten,  die  J^imik,  alles  ist  tief  harmonisch  und  in  allem  lodert  die 
große  vvahrheit,  die  nur  die  Kunst  und  das  Talent  schaffen  können.  Ungeheuer 
viel  J^ühe  und  Arbeit  liegt  in  diesem  kleinen  Theater,  das  einen  glänzenden 
Beweis   für   die   magische  Kraft   der  Kunst   und  für   die  Genialität   des  jüdischen 

Volkes  gibt.  ,IIabima  ist  ein  Theater,  auf  welches  das  jüdische  Volk 
stolz  sein   kann. 


FEODOR    SCHALJAPIN    schrieb  in  einem  Brief  an  die  „Habima** 

„Ich  verließ  die  ,IIabima  erschüttert.  Für  das  ganze  Leben  bleibt  mir  die 
Erinnerung,  daß  mir  an  jenem  Abend  die  wahre  und  tiefste  künstlerische  Be- 
friedigung zuteil  wurde.   Es   lebe   die   ,IIabima  ! 

BIALIK  über  die  ,,Habima": 

„laicht  nur  in  dem  künstlerischen  Streben  und  in  dem  S^iel  der  ,IIabima 
liegt  ihre  Größe,  sondern  in  der  Schaffung  der  ,IIabima  selbst,  in  dem  Schöpfen 
des  Etwas  aus  dem  j\ichts.  In  dem  starken  Glauben,  der  die  Künstler  der 
tHabima  beherrscht.  Der  Glaube  selbst  ist  schon  die  echte  Kunst  und  ohne 
Glauben  gibt  es  keine   wahre   Kunst, 


2* 


SZENISCHE  ARCHITEKTUR 

zu:  D.  PINSKI  „Der  ewige  Jude",  entworfen  von  G.  JAKULOW 


INHALTSANGABEN : 

„DYBUK" S.  An-Ski 

„DER  EWIGE  JUDE"      David  Pinski 

„GOLEM" G.  Leiwik 

„JAAKOBS  TilAUM" " Richard  Beer-Hofmann 

„SINTFLUT" Berger 


Seite 

39 
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„Für  uns  —  ist  .Habima'  eine  neue  Wahrheit 
in  der  Ideologie  der  jüdischen  Wiedergeburt  — 
und  wie  jede  Wahrheit  wird  auch  diese  mit 
drei  Mitteln  :  Talent,  Erziehung  und  Leiden- 
schaft erreicht." 

N.  L.  Zemach,  Moskau,  16.  II.  1920.  Aus 
einer  Rede  in  der  Sitzung  des  Zentraltheaters. 


DIE  HABIMA 

i. 

GESCHICHTLICHES. 

Die  theatrale  Handlung  der  „Habima**  wird  als  Gebetzeremonie  aufgefaßt. 
Die  Künstler  betrachtet  man  als  Rabbis.  Das  Spiel  identifiziert  man  mit 
einem  religiösen  Zeremoniell.  Die  Musik  —  mit  Hymnen  eines  Rituals.  Die 
Atmosphäre  des  Theaters  —  mit  der  Atmosphäre  einer  Synagoge. 

In  Wirklichkeit  ist  die  „Habima"  ein  Heim  für  Künstler,  ihre  Zeremonien 
—  ein  Schauspiel,  ihre  Hymnen  —  Musik,  ihre  Atmosphäre  —  Theater.  Ihr 
Blick  richtet  sich  nach  dem  Westen,  sie  ruft  aber  nach  Osten.  Ihr  Glaube  wur- 
zelt in  den  Erfahrungen  der  Geschlechter,  ihr  Streben  geht  aber  in  die  Zukunft. 

Ort  der  Handlung  ist  Moskau. 

Die  „Habima**  als  Theater  wurde  in  der  Zeit  stärkster  revolutionärer 
Stürme  eröffnet.  Ihre  Theatertätigkeit  begann  in  einem  Miniaturlokal  für  1  25  Zu- 
schauer, auf  einer  kleinen  Bühne,  in  einem  der  vielen  Moskauer  Quergäfschen. 
In  den  ersten  drei  oder  sogar  vier  Jahren  der  Revolution  ist  die  ,, Habima'*  das 
einzige  jüdische  Theater  im  neuen  Moskau.  In  der  Bescheidenheit  ihrer  Arbeit 
ist  der  Reichtum  an  inneren  Erlebnissen  unermefBÜch.  Sie  beschäftigt  sich  mit 
uralten  Bergen  und  Hügeln  und  schafft  Legenden,  w^ährend  sie  gleichzeitig  Tat- 
sachen und  Strömungen  der  Gegenwart  in  sich  aufnimmt. 

Die  ,, Habima*'  will  ein  Theater  der  Juden  werden.  Bisher  waren  die  jüdi- 
schen Kunstkräfte  auf  fremden  Bühnen  verstreut,  ohne  an  die  Schaffung  eines 
eigenen  Theaters  heranzutreten.  Die  Juden  haben  der  europäischen  Bühne  solche 
Künstler  und  Künstlerinnen  gegeben,  wie  Barnay,  Sonnenthal,  Prawdin,  Leo- 
nidow,  Rachel,  Sarah  Bernard,  Elisabeth  Bergner,  und  Regisseure,  wie  Georg 
Fuchs,  Max  Reinhardt,  Jessner.  In  der  Epoche  der  nationalen  Selbstbestimmung 
sollten  die  jüdischen  Künstler,  Künstlerinnen  und  Regisseure  auf  dem  Boden  des 
nationalen  Theaters  vereinigt  werden. 

Die  jüdische  Poesie  und  Prosa,  die  jüdische  Plastik  der  Kunst  und  Musik 
bestehen  schon  seit  vielen  Jahrzehnten;  bis  zur  Entstehung  der  „Habima**  wufste 


man  aber  fast  nichts  von  der  Existenz  eines  jüdischen  Theaters.  Schon  nach  der 
,,Habima"  ist  in  Moskau  ein  zweites  jüdisches  Theater,  G  o  s  e  t,  aber  in  jiddi- 
scher Sprache  entstanden. 

Das  primitive  Spiel  der  jüdischen  Komödianten,  die  mit  ihrem  urahen 
Repertoire  durch  Städte  und  Städtchen  in  Rußland,  Polen,  Westeuropa  und 
Amerika  gewandert  sind,  können  wir  selbstverständlich  nicht  als  den  Anfang 
des  jüdischen  Theaters  bezeichnen.  Es  hat  noch  keine  eigene  Kultur  und  Ge- 
schichte gehabt.  Die  ,,Habima"  als  Theater  ist  für  sich  ein  Anfang.  Sie  wird 
alle  Evolutionsetappen  eines  Theaters  durchmachen  müssen.  Sie  wird  noch  ihr 
Mittelalter  haben,  ihre  Commedia  dell'Arte,  ihren  Klassizismus,  ihre  romantische 
Tragödie,  ihre  Buffonade  und  ihr  monumentales  Epos.  Alle  Eigenschaften,  alle 
Formen,  alle  Stile,  aber  immer  in  den  notwendigen  Rahmen  des  Theatralischen. 

Die  Geschichte  der  ,,Habima"  beginnt,  wie  bei  allen  jüdischen  Theatern, 
mit   Wanderungen. 

Zehn  Jahre  vor  der  roten  Revolution  hat  N.  L.  Zemach  in  Litauen  die 
erste  hebräische  dramatische  Wandertruppe  organisiert.  Die  erste  Vorstellung  — 
in  Bialystok  —  ein  Einakter  von  Schalom  Alejchem:  ,,Masel  Tow". 

Bald  hat  die  Truppe  zwei  schwerere  Stücke:  ,,Schma  Jisroel"  und  „Der 
Ewige  Wanderer"  von  Ossip  Dymow  einstudiert  gehabt.  Die  Truppe  spielte 
ständig  in  Bialystok,  Wilna;  die  Gebiete  ihrer  Tätigkeit  waren  Litauen,  Polen, 
Österreich  und  Ungarn;  die  ersten  Gastspiele  führen  sie  nach  Kowno,  Minsk, 
Warschau  und  Wien. 

Jetzt,  wo  die  schon  gereifte  ,,Habima*'  nach  achtjähriger  Laboratoriums- 
arbeit in  Moskau  Gastspielreisen  durch  Europa  unternimmt,  darf  man  wohl  die 
damaligen  Vorstellungen  in  Erinnerung  bringen,  die  unvollkommen  im  Szenischen, 
doch  stark  im  Glauben  an  die  Bedeutung  ihrer  zukünftigen  Mission  waren. 

Unter  den  Mitkämpfern  Zemachs  finden  wir  in  jener  Zeit  die  Namen 
Nizberg  und  den  ältesten  Schauspieler  der  ,,Habima"  —  Bertonow. 

Auch  die  nicht  vollkommenen,  die  zufälligen  Vorstellungen  haben  durch 
fünf  Jahre  (1908  bis  1913)  ein  großes  Publikum  und  einen  unzweifelhaften 
Erfolg  gehabt.  Die  Tätigkeit  der  damaligen  ,,Habima"  fiel  in  die  Zeit  der  un- 
gerechten Judenbeschränkungen  in  Rußland,  in  die  letzten  Jahrzehnte  des 
Zarismus.  Mit  Begeisterung  pflegte  die  jüdische  Bevölkerung  das  durch  die  so- 
genannte ,, Tscherta"  (Ansiedlungsrayon)  wandernde  hebräische  Theater  zu 
empfangen.  In  den  naiven  und  primitiven  Vorstellungen  der  ,,Habima"  wollte 
man  einen  Ausdruck  des  nationalen  Selbstbew^ußtseins,  der  nationalen  Kultur 
und  des  nationeJen  Stolzes  sehen.  Diese  wandernde  ,,Habima"  war  die  Wiege 
jener  ,,Habima",  deren  Geschichte  im  Jahre  1917  in  Moskau  beginnt  und  die 
jetzt  alle  Zentren  Westeuropas  kennenlernen  werden.  Der  Prozeß  der  Wieder- 
geburt des  jüdischen  Theaters,  das  in  der  alten  Orientkultur  seine  Wurzeln  hat, 
soll  jetzt  beginnen.  Er  wird  auch  jetzt  zu  Ende  geführt  werden. 

Freilich,  die  unvollkommenen  Formen  der  Wandertruppe  haben  ihren  Zer- 

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fall  verursacht;  aber  die  ,,Habima"  hat  ihre  Tätigkeit  als  Theaterstudio  wieder 
aufgenommen.  In  Moskau,  dem  Mekka  des  Theaters,  sucht  Zemach  Lehrer  für 
die  zukünftige  ,,Habima". 

Statt  Mittel  hatte  er  nur  Hoffnungen.  In  den  Tiefen  seiner  Seele  die  Ge- 
stalten des  Orienttheaters  wahrend,  geht  Zemach  zu  Stanislawski  um  die  ersten 
Ratschläge  für  den  Wiederaufbau  der  ,,Habima".  Die  puritanische  Atmosphäre 
des  damaligen  Moskauer  künstlerischen  Theaters  war  der  Mittelpunkt  der  künst- 
lerischen, theatralischen,  literarischen  und  gesellschaftlichen  Interessen.  Die  Be- 
gegnung zwischen  Zemach  und  Stanislawski  war  der  wichtigste  Moment  in  der 
Geschichte  der  ,,Habima".  Es  war  ja  auch  am  Vorabend  des  ,,Jom  Kippur". 
Stanislawski  verlangte  von  Zemach  eine  strenge  Abrechnung  mit  der  Vergangen- 
heit. Die  wandernde  ,,Habima"  w4rd  gestrichen.  Ein  planmäßiges  Studium  des 
Schauspiels  nach  dem  szenischen  System  von  Stanislawski  beginnt. 

Gleichzeitig  mit  der  Reorganisierung  der  ,,Habima"  nach  den  Grund- 
sätzen der  Studio-Ausbildung  gründet  Zemach  eine  jüdische  dramatische  Ge- 
sellschaft zur  Förderung  der  ,,Habima",  um  so  die  aktivsten  und  die  fortschritt- 
lichsten Kreise  des  Moskauer  Judentums  zusammenzufassen.  Die  wiederauf- 
lebende ,,Habima"  sammelt  in  der  Gesellschaft  eine  ganze  Armee  von  Pionie- 
ren für  ihre  Ideen  und  hier  findet  sie  auch  die  ersten  notwendigen  Geldmittel.  In 
jener  Zeit  wäre  es  naiv  gewesen,  vom  Zarismus  mehr  zu  erwarten  als  tägliche 
Drohungen  mit  Liquidation. 

Die  Vorbereitungsarbeit  der  „Habima"  dauert  fast  zwei  Jahre.  In  Moskau 
werden  künstlerische  Kräfte  gesammelt;  als  erste  kommen  Gnessin,  Elias,  Stara- 
binetz, Kohn,  Gurewitsch-Halevi,   Perschitz,  Winiar,  Grober. 

Zemach  bereist  die  Städte  der  „Tscherta*\  besucht  einige  seiner  alten  Mit- 
arbeiter, findet  neue.  In  Warschau  lernt  er  in  einer  Fröbel-Schule  die  R  o  w  i  n  a 
kennen  —  noch  in  der  ersten  Periode  der  ,,Habima"  —  und  spricht  solange  mit 
der  ganzen  Überzeugungskraft  auf  sie  ein,  bis  sie  aus  einer  Lehrerin  eine  Schau- 
spielerin wird.  In  Odessa  begegnet  er  Fardi  und  Awiwith.  In  kurzer  Zeit  ist 
eine  starke  junge  Gruppe  beisammen.  Stanislawski  empfiehlt  Jewgeni  W  a  c  h- 
t  a  n  g  o  w  für  ihre  szenische  Ausbildung.  Eä  kommt  zu  einer  Zusammenarbeit 
,,der  Nachkommen  des  Propheten  JesaJEis  mit  einem  der  besten  Söhne  Piatons". 
Es  treffen  zwei  Kulturen  zusammen,  zwei  Weltempfindungen  und  zwischen  ihnen 
gibt  es  keine  trennende  Wand.  In  der  ,,Habima"  beginnen  die  Nächte  von 
Wachtangow.  Zum  Tode  verurteilt,  unheilbar  krank  —  beeilt  sich  Wachtangow 
in  seinem  Schaffen.  Mit  seiner  Hilfe  gelang  es  der  „Habima"  noch  im  ersten 
Jahr  einen  Studio-Abend  vorzubereiten:  Vier  Einakter:  ,,Die  ältere  Schwester" 
von  SchcJom  Asch,  ,,Es  brennt"  von  Perez,  ,,Die  Sonne"  von  Kazenelson  und 
,,Ein  Lästiger"  von  Berkowitsch. 

Ein  zweites  Stück  wird  unter  der  Spielleitung  Mtschedelows,  auch 
eines  Schülers  von  Stanislawfki,  einstudiert.  Er  inszeniert  den  ,, Ewigen  Juden" 
von  Pinski.  Die  Vorbereitung  dieses  Stückes  dauert  fast  ein  ganzes  Jahr.  Gleich- 

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zeitig  werden  unter  Wachtangows  Leitung  die  Inszenierungsarbeiten  von  A  n- 
s  k  i  s  „Dybuk"  eingeleitet.  Doch  gerade  in  dieser  Zeit  beginnen  die  Verfolgungen 
der  ,,Habima'*. 

In  der  Hauptstadt  des  roten  Rußland  wird  ein  heftiger  Kampf  gegen  das 
hebräische  Theater  geführt,  dessen  Aufführungen  den  breiten  jüdischen  Massen 
unverständlich  sind.  Dieser  Kampf  für  den  Fortbestand  der  ,,Habima"  hat  nicht 
wenig  Energie,  nicht  wenig  Aufregungen  gekostet,  er  hat  aber  schließlich  das 
jetzige  verantwortungsvolle  Auftreten  des  Theaters  vor  den  jüdischen  Massen  in 
ganz  Europa  ermögHcht. 

Auch  in  den  schwersten  Tagen  der  „Habima"  konnte  um  sie  keine  At- 
mosphäre von  Haß  entstehen,  denn  eine  wunderbare  Kraft  innerer  Begeisterung 
zerstörte  jedes  feindliche  Gefühl. 

Die  Gegner  der  ,,Habima"  wollten  nicht  begreifen,  daß  Hebräisch  nur  eine 
der  vielen  Ausdrucksformen  des  Theaters  ist,  ein  Mittel,  das  ihm  zur  Lösung 
der  schwersten  szenischen  Probleme  verhilft. 

Als  Verteidiger  der  „Habiraa"  in  Moskau  sind  die  bedeutendsten  Ver- 
treter der  russischen  Kunst  hervorgetreten.  Der  Dichter  Wiatscheslaw  Iwanow, 
der  Autor  des  „Cor  Ardens",  hat  für  die  ,,Habima"  und  ihre  Sprache  mit  dem 
Temperament  eines  Volkstribuns  die  Lanze  gebrochen. 

„Die  jüdischen  Gegner  der  jüdisch-nationalen  Selbstbestimmung,  die  sich 
vom  Judentum  als  Nation  abgesondert  haben  und  feindlich  dessen  Streben  nach 
geistiger  Selbständigkeit  stören  wollen,  weil  sie  es  für  gesellschaftlich  schädlich 
halten,  verfallen  einem  eigenartigen  Antisemitismus.  Im  Streit  um  die  ,Habima  ' 
handelt  es  sich  ihren  prinzipiellen  Gegnern  nicht  um  ein  gewöhnHches  bourgeoises 
Theater,  das  die  hebräische  Sprache  auf  der  Bühne  wieder  erweckt,  sondern  es 
ist  nur  ein  Vorstoß,  um  die  Belebung  der  hebräischen  Sprache  schlechthin  zu 
verhindern.  Die  Tätigkeit  des  Theaters  „Habima"  ist  nicht  nur  ein  wichtiger 
Beitrag  zur  nationalen  jüdischen  Kultur,  sondern  auch  zur  zJlgemein-mensch- 
lichen." 

Leider  hat  das  Her/ortreten  von  Wiatscheslaw  Iwanow  keine  Anhänger 
in  jenen  maßgebenden  Kreisen  gefunden,  von  denen  die  weitere  Existenz  der 
,,Habima"  abhängig  war. 

Jetzt  kamen  der  Sache  Persönlichkeiten  der  russischen  Kunst  zu  Hilfe,  die 
an  Lenin  ein  Memorandum  richteten.  Dieses  Dokument  wird  in  der  Geschichte 
der  Kunst  einen  wichtigen  Platz  einnehmen:  ,,Die  russische  Kunst  ist  eine 
Schuldnerin  der  jüdischen,  die  in  den  Zeiten  des  Zarismus  und  der  nationalen 
Verfolgungen  eines  nationalen  Bodens  für  ihre  Entwicklung  und  für  ihr  Schaffen 
entbehren  mußte." 

„Die  höchsten  Stufen  des  Schaffens  sind  allgemein  menschlich;  sie  basieren 
aber  immer  auf  einer  nationalen  Grundlcige  und  in  der  nationeJen  Eigenart  und 
Farbenfülle  der  Kunstformen  liegt  unbestreitbar  der  größte  Wert  und  Reiz  jeden 
Schaffens." 

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Dieses  Memorandum  ist  von  Stanislawski,  Niemirowicz,  Dantschenko, 
Schaljapin,  Wolkanski,  vom  Dramaturg  Wolkenstein  und  vielen  anderen  unter- 
zeichnet. 

Auch  die  ,,Habima"  selbst  richtet  cm  das  Zentralrussische  Exekutiv- 
Komitee  ein  Memorandum,  in  dem  sie  die  böswilligen  Gegenaktionen  in  der 
Sprachenfrage  kommentiert: 

,,Eine  Sprache  kann  weder  bourgeoisisch,  noch  proletarisch,  weder  reaktio- 
när, noch  fortschrittlich  sein.  Eine  Sprache  —  das  ist  eine  Gewähr  oder  ein 
Mittel  zur  Verkörperung  menschlicher  Gedanken  und  Vorstellungen.  Man  frage 
jüdische  Künstler,  Dichter,  Bildhauer  und  Komponisten  und  höre,  was  sie  sagen 
werden.  Die  Sprache  ist  meine  künstlerische  Ausdrucksform,  das  ist  ein  Mittel 
der  Darstellung  szenischer  Gestalten.  Wie  man  auch  einem  Maler  nicht  vor- 
schreiben kann,  diese  und  nicht  andere  Farben  zu  benützen,  so  kann  man  auch 
einen  Schauspieler  nicht  zwingen  in  einer  Sprache  zu  spielen,  die  mit  seiner 
Seele  nicht  in  Einklang  steht  und  mit  den  Gestalten  seiner  Phantasie  nicht  har- 
moniert. \Vichtig  ist,  daß  die  Bühnenkunst  Anklang  in  den  Herzen  der  Zu- 
schauer findet  und  dieses  Ziel  hat  die  ,Habima*,  nach  Möglichkeit  erreicht." 

Beide  Memoranden  erfüllten  ihren  Zweck.  E.S  gelang  ihnen,  den  Widerstand 
der  obersten  russischen  Behörden  zu  brechen.  Auf  dem  Memorandum  der  russi- 
schen Kunstpersönlichkeiten  hat  Lenin  persönlich  zur  Forderung  der  Fortsetzung 
der  Vorstellungen  der  „Habima"  in  Randbemerkungen  Stellung  genommen. 

Um  ihre  Position  zu  stärken,  haben  die  Freunde  der  „Habima"  einen  Vor- 
tragsabend über  das  Schicksal  des  Theaters  veranstaltet. 

In  der  Atmosphäre  des  ununterbrochenen  Kampfes  für  das  Recht  zu  spielen, 
führt  die  ,, Habima"  ein  Dasein  der  Not,  der  Unsicherheit,  ohne  jede  Unter- 
stützung seitens  der  Regierung  und  in  der  letzten  Zeit  auch  ohne  ein  ständiges 
Theatergebäude. 

Unter  solchen  Umständen  wird  der  ,,Dybuk"  vorbereitet.  Im  Sommer  des 
Jahres  1  92 1  sind  die  ersten  zwei  Akte  fertig,  im  Herbst  der  dritte  und  gleich- 
zeitig wird  auch  der  vierte  vorbereitet.  Später  werden  der  dritte  und  der  vierte 
Akt  vereinigt.  Im  Jänner  1  922  wird  endlich  der  ,,Dybuk"  als  Schauspiel  in  drei 
Akten  aufgeführt.  Diese  Zeit  ist  der  Beginn  der  Erfolge  und  der  Anerkennung. 
Die  ,, Habima"  durchdringt  eine  mystische  Legende  mit  der  Ironie  des  modernen 
Theaters.  ,,Dybuk"  wird  in  der  Presse  lebhaft  gefeiert.  Die  grofse  Mehrheit  der 
Kritiken,  Bemerkungen  und  Aufsätze  sagt,  dafs  der  ,,Dybuk"  eine  gewaltige  Er- 
scheinung in  der  Geschichte  des  modernen  Theaters  bedeutet. 

Plötzlich,  ein  halbes  Jahr  nach  der  ,,Dybuk"-Premiere,  stirbt  Wachtangow. 

Die  ,, Habima"  bleibt  jetzt  wahrlich  sich  selbst   überlassen. 

Die  ,, Habima"  führt  ein  schweres  Leben  der  Laboratoriumsarbeit.  Dieses 
Leben  verlangt  nach  neuen  Schöpfungen.  Der  „Dybuk"  hat  die  „Habima"  auf 
eine  solche  Höhe  gehoben,  daß  nachher  nicht  nur  ein  Höhersteigen  schwierig  ist, 
sondern  es  ist  auch  nicht  leicht,  dasselbe  Niveau  einzuhalten. 

16 


D.  PINSKI:  „DER  EWIGE  JUDE" 

Der  Blinde  (Winiar 


AN-SKI:  „DYBUK" 

Zadik  vN.  Zemach) 


In  der  ersten  Zeit  tritt  die  „Habima"  an  eine  leichtere  Aufgabe  heran;  sie 
erneuert  im  Jahre  1923  den  „Ewigen  Juden"  unter  der  Regie  Mtschede- 
1  o  w  s  und  mit  der  Bühneneinrichtung  des  Malers  J  a  k  u  1  o  w. 

Mit  diesen  zwei  Stücken  („Dybuk"  und  „Der  ewige  Jude")  unternimmt 
die  „Habima"  ihre  erste  Tournee  nach  Leningrad  (Juni  1923),  wo  sie  vom 
Publikum  als  auch  von  der  aufmerksamen  Kritik  herzlich  empfangen  wird.  In 
Leningrad  findet  auch  die  „Habima"  neue  Freunde,  darunter  die  Kunstkritiker 
A.  Wolinski  und  A.  Kugel. 

In  der  Saison  1 923/24  wird  ein  neues  Repertoire  vorbereitet  und  ausge- 
arbeitet. 

Jedes  neue  Theater  konzentriert  sich  um  einen  neuen  Dramaturgen.  Zemach 
geht  daher  auf  Veranlassung  der  „Habima"  in  die  Zentren  der  jüdischen  Litera- 
tur —  auf  die  Suche  nach  einem  Dramaturgen  für  die  „Habima".  Die  Krise  des 
Repertoires  ist  noch  nicht  gänzlich  gelöst,  sie  verlor  aber  viel  an  Schärfe,  seit  die 
,, Habima"  in  Verbindung  mit  jüdischen  dramatischen  Schriftstellern,  wie 
Tschernichowski,  Schneur,  Leiwik,  Hofstein  steht.  Schließlich  hat  ja  die 
,, Habima"  in  ihrem  Vorrat  einige  originelle  Stücke,  wie:  Leiwiks  ,, Golem", 
Tschernichowskis  „Bar  Kochba",  Schneurs  „Kain",  Wolkensteins  ,, Acher", 
Hofsteins  „Die  Zeiten  des  Messias"  und  einige  Übersetzungen  aus  dem  Deut- 
schen, so   Hebbels:   „Herodes  und  Mariamne"  und   Beer-Hof manns :   „Jaäkobs 

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räum   . 

Die  erste  Schöpfung  nach  dreijährigem  Schweigen  ist  Leiwiks  „Golem", 
unter  der  Regie  eines  Schülers  von  Wachtangow,  B.  Werschilow.  Die 
Bühnenbilder  malte  J.  N  i  w  i  n  s  k  i. 

Die  nächste  Kreation  ist  „Jaäkobs  Traum"  unter  der  persönlichen  Aufsicht 
Stanislawskis.  Die  Spielleitung  hatte  Suschkewitsch  inne  und  die 
Dekoration  malte  M.  Falk. 

Das  letzte  Stück  für  die  Gastspieltournee  ist  Bergers  „Sinflut",  unter  der 
Regie  Werschilow  s. 


IL 
GEISTIGE  QUELLEN. 

Um  welcher  Ideen  willen  führen  sie  dieses  eigensinnige  Leben? 
Um  welcher  Mission  willen  führen  sie  diesen  hartnäckigen  Kampf? 
Welche  Aufgabe  ließ  sie  trotz  größter  Not  durchhalten? 
Welche    Pläne    beschäftigen    sie?    Welche    Hoffnungen    und    Träume    be- 
flügeln sie? 

Es  ist  das  Streben,  das  Volk  zu  suchen,  das  in  der  Gegenwart  lebt,  weil 

19 


es  in  der  Vergangenheit  gelebt  hat  und  in  der  Zukunft  leben  wird.  Das  Volk 
—  über  Geschlechter  und  über  das  Heute  —  für  die  Zukunft  zu  entdecken. 

Die  „Habima"  ringt  sich  bis  zu  den  Wurzeln  durch,  sie  erreicht  die  Quellen 
und  vertieft  sich  in  die  geistigen  Schätze  des  Volkes.  Das  Wesen  der  jüdischen 
Seele  offenbart  sich  nur  in  ihrem  jahrtausendelangen  Leiden.  Hinter  den  Mas- 
sen, denen  die  ,,Habima"  in  modernen  Städten  und  in  cJten,  fränkischen,  nur 
erneuerten  Städtchen,  unter  den  eigenen  Theaterbesuchern,  begegnet,  stehen 
andere  Massen:  die  Kette  der  Geschlechter. 

Hinter  der  Sprache,  die  man  jetzt  spricht  —  jiddisch  —  gibt  es  eine  Sprache, 
die  das  Volk  ewig  spricht:  hebräisch. 

Die   „Habima"   besitzt   die  scharfe   Intuition,   mit  der  sie,  wie   mit   einem 

PHug,  die  Volksseele  aufackern  will,  um  die  Quelle  der  Erneuerung  zu  entdecken. 

Die  ,,Habima"  erfaßt  eille  Werte  der  jüdischen  Seele  und  jedes  ihrer  Atome. 

Die  „Habima"  erfaßt  alle  Werte  des  jüdischen  Volkes,  indem  sie  den  Cha- 
rakter edler  Geschlechter  kennenlernen  will.  In  der  epischen  Prophetie  des  Vol- 
kes —  sucht  die  ,,Habima"  ihre  Prophetie,  in  seinen  Leiden  —  ihre  Leiden,  in 
seinen  Freunden  —  ihr  Glück. 

Trauer  —  in  den  Worten  des  „Predigers". 

Freude  —  im  „Hohen  Lied", 

Einst  —  das  Volk  und  seine  Propheten, 

Heute  —  das  Volk  und  sein  Theater. 

Die  ,,Habima"  als  Theater  muß  der  heutige  Jesajas,  Jeremias  und  Jeches- 
kiel  für  das  jüdische  Volk  sein  —  selbstverständlich,  mit  gänzlicher  Umgestaltung 
nach  den  Gesetzen  der  modernen  Psychologie  und  der  modernen  szenischen 
Formen. 

Dies  ist  ihre  Mission. 

Die  Propheten  haben  in  ihre  Seele  die  ganze  Leidenschaft  und  den  ganzen 
Schmerz  des  Volkes  eingeschlossen. 

Die  „Habima"  dringt  in  die  Tiefen  des  jüdischen  Gedankens  und  der 
jüdischen  Leidenschaften  ein  und  verarbeitet  sie  konsequent  bis  zum  Äußersten 
im  Theatralischen. 

Unter  allen  Theatern  ist  die  „Habima"  das  einzige  philosophische:  indem 
sie  des  Volkes  Ahasveros,  sein  Schicksal  spielt,  bemüht  sie  sich,  seinen  feier- 
lichen Glauben  zu  begreifen. 

Es  ist  nicht  ihr  Metier,  Vorstellungen  um  der  Vorstellungen  willen  zu 
schaffen,  die  künstlerische  Meisterschaft  zu  erreichen,  um  der  Meisterschaft 
willen. 

Nur  als  Weg  zu  ihrer  Mission  ist  der  Kampf  für  die  Vervollkommnung 
ihrer   Theaterkultur  berechtigt. 

Die  ,, Habima"  sieht  in  der  Bibel  ein  grandioses  Volksepos,  ein  ewiges 
Weltwerk.  In  der  Bibel  findet  sie  die  Quellen  ihres  phantastischen  Glaubens  an 
ihre  Lebensaufgabe. 

20 


AN-SKI:  „DYBUK'* 

Lea  (A.  Rowina) 


Ihr  Pathos  kommt  von  der   Heldenhaftigkeit  dieses  nationalen  Epos. 

Die  ,,Habima"  sucht  die  szenische  Form  für  diesen  Volksinhalt.  Der  Inhalt 
offenbart  hier  nur  den  Smn  des  Seins  und  erleichtert  ihr  so  ihre  Aufgabe. 

Im  „Prediger"  steigt  die  „Habima**  in  die  Tiefen  des  ewigen  Denkens 
hinab: 

„Geschlecht  kommt  und  Geschlecht  vergeht  und  die  Erde  bleibt  ewiglich." 

„Alles  wird  aus  Staub  geschaffen  und  alles  kehrt  zu  Staub  zurück." 

„Besser  ist,  was  man  vor  Augen  hat,  als  Geistesgrübeleien." 

Mit  dem  Propheten  Jeremias  trauert  die  „Habima"  auf  den  Ruinen  zer- 
störter Tempel  und  zertretenen  Glaubens. 

Mit  dem  „Hohen  Lied"  intoniert  die  ,, Habima"  Lobgesänge. 

Die  ,, Habima"  besitzt  eine  Quelle  in  der  Vergangenheit,  einen  tiefen  Brun- 
nen: ihre  Künstler  sind  erfcihrene  Taucher,  sie  dringen  bis  auf  den  Grund  hinab 
und  berühren  die  uralte  brennend-rote  Erde. 

Aus  der  grofsen  Schatzkammer  uralter  Zeiten  schöpft  die  „Habima"  ihre 
Kultur. 

Ihr  Volk  ist  im  Osten,  ihre  Legenden  sind  im  Osten.  Im  Osten  ist  ihre  Sonne, 
ihr  Gärtner,  aber  auch  ihre  Ahnen,  die  Väter  des  Volkes. 

Im  Osten  ist  der  Gedanke  und  die  Leidenschaft  klingender,  blendender, 
entschlossener.  Für  die  ,, Habima"  birgt  der  Osten  besondere  Melodien  des  Wortes, 
besondere  Rhythmen  in  den  Bewegungen  und  im  Tanz. 

Die  „Habima"  ist  bereit,  zum  Westen  von  Kant,  Hegel  und  Marx  zu 
streben,  aber  nur,  um  ihnen  den  Orient  der  naiven  Denker  zu  enthüllen. 

Durch  den  Westen  sucht  die  ,, Habima"  die  Begegnung  mit  dem  Osten, 
dem  sie  durch  ihre  Geburt  angehört,  obwohl  ihre  Wiege  in  Moskau  stand. 

Dem  Orient  wird  die  „Habima"  die  Revolution  des  Gedankens  und  Ge- 
fühls offenbaren,  die  sie  in  Moskau  erlebt  hat. 


III. 
VERWIRKLICHUNGEN. 

Die  Richtlinie  der  Verwirklichungen  —  ist  das  Thema  des  Wunders. 

„Der  ewige  Jude"  behandelt  das  Wunder  von  der  Geburt  des  Messias  am 
Tage  der  Zerstörung  des  Tempels. 

Der  „Dybuk"  behandelt  das  Wunder  der  unvermeidlichen  Vereinigung  der 
Seelen  Liebender  nach  ihrem  Tode,  wenn  sie  im  Leben  nicht  zusammenkommen 
konnten. 

Die  Verwandlung  von  dem  Lehm  in  einen  Kämpfer  „Golem"  ist  das 
Wunder  des  „Golem". 

22 


G.  LEIWIK:  „GOLEM",  PROLOG 

Prophet  Eliahu  (Tschetschik-Efrati),  Messias  (A.  Rowina) 


Das  Wunder  der  Unverletzbarkeit  des  gesegneten  Jaakcb  —  ist  deis  Thema 
von  .Jaakobs  Traum". 

Die  „Sintflut"  erzählt  vom  Wunder  der  Veredlung  der  menschlichen  Seele 
in  der  Stunde  nahender  Gefahr  und  von  ihrer  Rückkehr  zu  den  alltäglichen 
Nichtigkeiten,  wenn  die  Gefahr  vorüber  ist. 

Am  deutlichsten  kommt  das  Thema  des  Wunders  im  ,,Dybuk"  zum  Aus- 
druck. 

„Warum,  warum  fiel  die  Seele  von  der  höchsten  Höhe  in  den  tiefsten  Ab- 
grund hinab?",  diese  Frage  klingt  wie  ein  musikahsches  Thema. 

Und  in  diesem  1  hema  birgt  sich  auch  das  Gebet  des  Jeschibah-Bachurs, 
Chanan:  ,,Ich  will  einen  klaren,  funkelnden  Diamant  bekommen,  ihn  in  lichten 
Tränen  schmelzen  lassen  und  ihn  dann  in  meine  Seele  einsaugen  .  .  .  Ich  will  den 
dritten  Himmel  erreichen,  die  dritte  Sephira  .  .  ." 

Im  Theater  ist  das  Gebet  Chanans  vollkommen  verwirklicht.  Der  funkelnde 
Diamant  des  ,, Hohen  Liedes''  ist  erreicht,  verwandelt  die  Herzenstöne.  Die 
Hoffnungslosigkeit  der  Liebe  ist  überwunden,  die  Todesgrenze  überschritten. 

Die  romantische  Tragödie  der  jüdischen  ,, Romeo  und  JuHa",  eine  jüdische 
Liebesnovelle,  ein  Mythos  von  jüdischen  , »Tristan  und  Isolde"  ist  für  die  Gegen- 
wart zurückerobert  worden. 

Aber  Kriege  und  Revolutionen  sind  mit  Blut  gezeichnet. 

Bei  An-ski  suchen  die  Bachurim  der  Jeschibah  Chanan,  seinen  Tod  nicht 
ahnend.  In  der  Darstellung  der  ,,Habima"  wird  dieses  Suchen  zu  einem  schauer- 
lichen  Tanz. 

Dieser  tragische  Tanz  beim  Nichtbemerken  des  toten  Chanan  verkörpert 
das  ganze  Leben  der  Gegenwart:  das  alltägliche  Bettlertum  im  Vergleich  mit 
hohen  ungewöhnlichen  Idealen,  die  Apathie  und  die  Begeisterung,  veraltete  Vor- 
urteile und  neue  Entdeckungen. 

In  einer  Novelle  wäre  der  ,,Dybuk"  die  Wiederholung  eines  alten  Themas,  in 
der  ,,Habima"  wird  der  ,,Dybuk"  zur  tragikomischen  Groteske  der  heutigen  Welt. 

Chanan  ist  ein  Wahnsinniger,  für  den  im  Leben  nur  Fasten,  Kasteiungen, 
Kabbala  und  die  Liebe  etwas  bedeuten,  die  WirkHchkeit  ist  ihm  nichts.  Manch- 
mal gleicht  er  dem  Fürst  der  Finsternis,  Luzifer,  der  in  sich  den  Teufel  und  den 
Heiligen  vereinigt.  Von  Chanan  überträgt  sich  die  Ekstase  auf  alle  anderen  im 
Stück.  Hier  sind  nur  Fanatiker  und  Wahnsinnige,  ihr  seht  kein  einziges  ruhiges 
Gesicht. 

Unruhe;  Erregung;  Begeisterung. 

Der  Rhythmus  der  Vorstellung:  —  Taumel.  Das  Tempo:  —  Erregt. 

Um  die  Braut  herum:  Männer,  Frauen,  Bucklige,  Lahme,  Blinde,  Wahn- 
sinnige und  Krüppel.  Ihr  Tanz  hat  in  seinem  Grauen  einen  eigenartigen  Zauber. 

Im  Hofe  wird  es  plötzlich  leer.  Wie  von  unter  der  Erde  spriefsen  die  Bettler 
hervor  und  werfen  sich  an  den  Tisch,  auf  dem  schon  keine  Hochzeitspeisen  mehr 
da  sind. 

24 


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G.  LEIWIK:  „GOLEM** 

Golem  (Messkin) 


Menschen  wie  Chimären,  Chimären  wie  Menschen.  Mystik  wie  Leben, 
Leben  wie  Mystik. 

Wo  sind  wir  solchen  Menschen  begegnet?  Vielleicht  nirgendwo?  Wir 
kennen  sie  aber  alle  gut  wie  unsere  Verwandten.  Ihr  Derwischtum  hat 
Orientblut. 

Die  ,,Habima"  verbindet  das  Zeitliche  mit  dem  Ewigen  und  das  Ewige 
mit  dem  Zeitlichen.  Sie  hat  sich  schon  zur  unsterblichen  Wahrheit  des  ,, Predi- 
gers'' durchgerungen:  „Für  alles  schlägt  die  Stunde  und  jedes  hat  seine  Zeit 
unter  dem   Himmel." 

Das  Theater  hat  erfaßt:  die  Tradition  und  die  Gegenwart,  die  Ahnen  und 
die  Enkel,  das  Gestern  und  das  Heute,  Mystik  und  Realität. 

Nicht  umsonst  lehrt  uns  der  Zadik  aus  Miropol,  Rabbi  Esriel:  „  .  .  .Wenn 
die  Seele  eines  Menschen  fällt,  geht  eine  Welt  zugrunde  und  es  wird  finster  in 
allen  Palästen;  die  zehn  Sephiroth  klagen  und  je  höher  die  Seele  erhoben  war, 
desto  tiefer  ihr  Sturz  .  .  ." 

Im  ,,Dybuk'*  klagen  die  Welten  und  die  Sephiroth,  weil  eine  menschliche 
Seele  in  den  Abgrund  des  Todes  fällt. 

In  dieser  Erregung  bringt  das  Spiel  der  Künstler  der  „Habima**  eine  Ge- 
setzmäfsigkeit  hinein;  die  Leidenschaften  sind  wie  in  Holz  geschnitzt. 

Im  „Dybuk**  wird  die  Dynamik  des  Stückes  durch  das  wundervolle  Finger- 
spiel erhöht.  Die  Sprache  der  Finger  ist  ausdrucksvoll  und  ruft  wie  ein  Vorspiel 
die  Wortsprache  hervor. 

Diesen  Geist  wollen  die  Künstler  der  „Habima"  im  „Dybuk"  zum  Aus- 
druck bringen.  Diese  Aufgabe  geHngt  dem  ausgezeichneten  Spiel  der  einzelnen 
Künstler:  die  grotesken  Gruppen  der  Batlanim  im  ersten  Akt  (B  e  n  -  A  r  i, 
Benno  Schneider  und  Ben-Chaim),  die  die  Atmosphäre  geistiger 
Freiheit  und  mystischer  Verzückung  verbreiten.  Die  Überzeugungskraft  des 
Henoch  (Benjamin  Zemach),  die  scharfen  Bewegungen  Aschers  (W  i- 
n  i  a  r) ,  die  plastische  Charakterisierung  des  reichen  Sender  durch  1 1  k  i  n,  die 
geschmackvolle  Gestaltung  der  Amme  Frida  (Judelewitsch,  Hendler), 
der  temperamentvolle  Diener  Meier  (T  schemerinski  und  T  s  c  h  e  t- 
schik-Efrati),  die  Verzweiflung  der  weinenden  Frau  (Grober,  N  e- 
chama  Winiar),  der  schwebende  Schritt  des  Dieners  Michael  (Z  w  i 
F  r  i  e  d  l  a  n  d) ,  die  Ekstase  Chanans,  den  Warschawer  spielt  und  die 
R  o  w  i  n  a  durch  die  Pracht  der  Braut  Lea  und  die  Heiligkeit  ihrer  Liebe,  durch 
den  Reiz  ihrer  Gestalt,  ihres  Äußeren,  durch  die  Originalität,  Frische  und  Be- 
herrschtheit ihres  Spiels  (diese  Rolle  spielen  auch  ausgezeichnet  B  a  t  h  -  A  m  i 
und  Gowinskaia).  Alle  Mitwirkenden  durch  die  Doppelnatur,  die  den  Geist 
des  „Predigers"  und  des  „Hohen  Liedes"  in  sich  vereinigt.  Der  Meschulach 
(P  r  u  d  k  i  n)  führt  uns  ernst  und  mächtig  „zwischen  zwei  Welten".  Zemach 
dringt  in  der  Rolle  des  Rabbi  Esriel  ins  Jenseits  und  schafft  einen  tiefsinnigen 
Greis,  einen  Weisen,  der  fast  ganz  auf  diese  Welt  verzichtet  und  sich  bis  zum 

27 


G.  LEIWIK:  „GOLEM** 

Tanchum  (Ben-Chaim) 


Flimmel  erhoben  hat.  Ähnlich  der  Zadik  Tschemerinskis,  nur  mit  einer 
Nuance  seiner  Individualität. 

„Der  ewige  Jude"  ist  zweimal  inszeniert  worden.  Bis  zum  ,,Dybuk"  war 
es  ein  Gebet  von  Gläubigen  an  das  Theater^Die  damalige  Darstellung  hat  nicht 
nur  durch  den  kleinen  Raum  der  früheren  Bühne,  sondern  auch  an  der  Unreife 
der  erst  studierenden  Schauspieler  gelitten,  die  noch  kaum  die  moderne  Szenen- 
form beherrscht  haben.  Sie  war  aber  auch  ehrlich  in  der  Bescheidenheit  ihrer 
Ansprüche,  unmittelbar  in  ihrer  Naivität. 

Nach  dem  „Dybuk"  wurde  daraus  ein  dramatisches  Mysterium  geschaffen. 

Um  des  Mysteriums  willen  bemüht  man  sich  in  die  Tiefen  des  religiösen 
Pathos  einzudringen;  um  dieses  Mysterium  bühnenwirksam  zu  machen,  benützt 
man  szenische  Effekte. 

Zur  neuen  Inszenierung  komponierte  Alexander  K  r  e  i  n  die  Musik.  Die 
choreographischen  Kompositionen  stammen  von  L.  L  a  t  s  c  h  i  1  i  n. 

In  diesem  Stück  bleibt  Z  e  m  a  c  h  in  unserem  Bewufstsein  durch  die  un- 
erwarteten Bewegungen  seines  Kopfes  in  der  Rolle  des  Propheten,  durch  den 
ganzen  Kampf  mit  der  Menge  als  ,, ewiger  Jude"  haften  und  die  R  o  w  i  n  a 
zwingt  uns  in  der  Vornehmheit  ihrer  Gestalt  daran  zu  glauben,  daß  sie  die 
Mutter  des   Messias  sei. 

Die  Nachricht  über  die  Tempelzerstörung  kommt  während  eines  Volks- 
tanzes.   Der  Tanz  wird  jäh  durch  ein  plötzliches  Jammergeheul  unterbrochen. 

Die  Künstler  der  ,,Habima",  die  an  diesen  Massenszenen  teilnehmen, 
stellen  in  ihrer  Erregung,  in  dem  raschen  Wechsel  des  Gesichtsausdruckes,  in 
dem  jämmerlichen  Stöhnen  nach  der  Tempelzerstörung  jüdische  Gestalten  der 
damaligen   Epoche  sehr  überzeugend  dar. 

Die  ältesten  der  Stadt  Birath-Arba  (Itkin,  Friedland,  Efrati) 
sind  wie  aus  Stein  gehauen.  Das  sind  monumentale,  mächtige,  feierliche  Patri- 
archen aus  der  Bibel. 

„Golem"  ist  eine  dramatische  Dichtung  von  Leiwik  und  behandelt  eine 
Legende  aus  dem   1 6.  Jahrhundert. 

Eine  Blutbeschuldigung  wird  vorbereitet.  Verarmte,  heimatlose,  kranke 
Ghettoeinwohner  haben  jede  Aktivität  des  Widerstandes  verloren.  Der  Messias 
und  Eliahu,  der  Prophet,  bringen  ihnen  eine  Hoffnung  auf  Erlösung. 

Der  Rabbi  Maharal  schafft  aufserhalb  der  Stadt  aus  Lehm  einen  Golem  — 
die  physische  Kraft  des   künftigen  Kampfes. 

Der  Golem  soll  die  Blutlüge  bekämpfen.  Es  gelingt  ihm,  diese  Mission 
durchzuführen.  Der  Maharal  und  das  ganze  Ghetto  feiern  die  Erlösung.  Der 
Golem  aber,  in  dem  dunkle  Triebe  walten,  richtet  nach  dem  Sieg  über  Thad- 
däus  seine  Kraft  gegen  die,  zu  deren  Verteidigung  er  berufen  war.  Mit  einer 
Hacke  in  der  Hand  überfällt  er  die  Betenden  in  der  Synagoge  und  mordet  sie 
mit  der  Grausamkeit  eines  Verbrechers,  eines  Giganten. 

29 


Der  Dichter  hat  in  diesem  Stück  den  Alleinkampf  des  Maharal  diskreditiert. 

Die  Losung:  Auge  um  Auge,  Zahn  um  Zahn,  die  den  Messianismus  aus- 
schließt, ist  ebenso  unsinnig  wie  der  Glaube  an  ein  Wunder  allein. 

Die  Massen  sind  selbst  die  Kämpfer  für  ihre  Befreiung  und  sie  allein  sind 
auch  die  Retter. 

Das  gebeugte  Volk,  das  auf  Wunder  von  unbekannten  Himmeln  wartet, 
hätte  sich  schon  längst  aufrichten  und  ins  Kampfgewühl  stürzen  sollen.  Alle 
Wunder,  alle  Retter    sind  nur  ein  leerer  Wahn. 

Für   die    Hauptrollen   hat   die    ,,Habima"    einige   junge    Künstler   erzogen, 
so  zum  Beispiel  für  die  verantwortungsvollen  Rollen  im  ,, Golem":   M  e  s  s  k  i  n 
(Golem),   B.    Tschemerinski    und   Prudkin    (Maharal),   Ben-Ari 
und  Ben-Chaim    (Tanchum)  : 

Messkin  gestaltet  den  Golem  als  einen  naiven  Riesen,  als  einen  eigenartigen 
jüdischen  Kannibalen.  Naiv,  aber  schon  seine  wilde  Kraft  zeigend,  steigt  der 
Golem  auf  des  Maharals  Stuhl  und  droht  seinem  Schöpfer  mit  blitzenden, 
schlauen  Augen  und  der  Hacke  in  der  Hand. 

Tschemerinskis  Maharal  kennt  die  Geheimnisse  der  menschlichen  Seele. 
Der  Maharal  Prudkins  ist  eine  Heldenfigur.  Der  erste  kämpft  gegen  Thaddäus 
mit  seinem  Intellekt,  der  zweite  mit  seinem  Willen.  Der  erste  ist  mehr  traditionell 
(näher  der  Gestalt  des  Rabbi  Esriel),  der  zweite  ist  dreister  und  unberechen- 
barer, der  erste  ist  philosophischer,  der  zweite  tätiger. 

Tanchum  in  der  Darstellung  von  Ben-Ari  —  ein  Narr,  ein  Spötter,  er  hat 
ein  scharfes  Gesicht,  scharfe  Gesten,  eine  bestimmte  Sprache,  die  er  durch  das 
ganze  Stück  führt. 

Tanchum,  in  der  Darstellung  von  Ben-Chaim  —  trägt  eine  überschwere 
Lebenslast.  Er  hat  irrende  Augen,  eine  wirre  Sprache,  macht  immer  Sprach- 
fehler. 

Im  ,, Golem"  prägen  sich  ins  Gedächtnis  die  Rabbinerin  (W  i  n  i  a  r- 
K  a  t  s  c  h  u  r) ,  die  Enkelin  des  Maharal  (Lubitsch,  Robin  s)  und  die  Ge- 
stalten der  armen  Leute  scharf  ein:  der  Reiter  (Bar  atz),  der  Kranke  (Ben- 
jamin  Z  e  m  a  c  h) ,  der  Hohe    (W  a  r  s  c  h  a  w  e  r)    und  viele  andere. 

W  i  n  i  a  r  gibt  dem  Mönch  und  Begleiter  des  Thaddäus  eine  unerwartete 
Charakteristik.  Das  ist  ein  junger  Jesuit  vom  Stamme  Aljoscha  Karamasows, 
der  willenlos  sündigt  und  von  dieser  Sünde  Erlösung  sucht.  In  derselben  Art 
gibt  Winiar  auch  den  Epileptiker  im  ,, Ewigen  Juden". 

Bertonow  spielt  den  Thaddäus  als  Inquisitor,  der  keine  Leidenschaften 
und  Zweifel  kennt.  Ein  steinernes  Gesicht,  ein  kalter  BHck.  Eine  unbewegliche 
Pose,  mächtige  Gebärden. 

R  o  w  i  n  a  als  Messias  gemahnt  uns  an  den  fallenden  Engel  von  Wrobel. 
In  diesem  Stück  steht  ihr  E  f  r  a  t  i  als  Eliahu,  der  Prophet,  mit  seinem  stillen 
Gesang,  an   der   Seite.     Die   Bühneneinrichtung   von   Ignaz   N  i  w  i  n  s  k  i   zeigt 

30 


G.  LEIWIK:  „GOLEM** 

Maharal  (Tschemerinski^ 


dem  Zuschauer  den  fünften  Turm,  die  Steine  eines  verfallenen  Gebäudes.    Die 
Musik  ist  von  Milner. 

Durch  die  Harmonie  der  „drei  Kräfte"  —  Drama.  Musik  und  Archi- 
tektur —  schuf  hier  die  „Habima"  etwas  Vollkommenes.  „Golem"  war  die 
schwere  Prüfung  nach  dreijährigem  Schweigen.  Nachher  hat  das  Theater  ver- 
hältnismäßig rasch,  in  einem  halben  Jahr,  ,,Jaakcbs  Traum"  und  die  , .Sintflut" 
herausgebracht. 

,,Jaäkobs  Traum",  von  Beer-Hcfmann,  ist  ein  Prolog  zu  einer  drama- 
tischen Trilogie  über  König  David;  an  der  biblischen  Legende  von  Jaäkob  und 
Edom  zeigt  der  Dichter  den  dramatischen  Zusammenstoß  zweier  Welt- 
anschauungen. Auf  der  einen  Seite  Edom,  eine  Verkörperung  des  MateriaHsmus 
und  des  Egoismus,  auf  der  anderen  Seite  Jaäkob,  eine  V'erkörperung  der  Opfer- 
bereitschaft, Pflicht,  menschlicher  Freiheit  und  Gerechtigkeit. 

Das  äußerliche  Motiv  des  Kampfes  ist  der  Segen,  den  Jaäkob  unrecht- 
mäßig erhalten  hat. 

Den  inneren  Inhalt  des  Stückes  bildet  der  Zusammenstoß  von  zwei  Wahr- 
heiten, deren  Träger  die  zwei  Brüder  sind.  Die  Wahrheit  des  einen  besteht  in 
seiner  lebendigen  Offenheit  und  Geradlinigkeit,  die  eine  Folge  seines  tägHchen 
Kampfes  ums  Dasein  ist.  Die  Wahrheit  des  anderen  besteht  in  der  Befestigung 
der  wirklichen  Menschlichkeit,  in  dem  Opfer  für  die  Gemeinschaft,  in  der  Ver- 
antsvortlichkeit  des  einen  für  alle. 

Edom  erbt  von  seinem  Vater  sein  ganzes  großes  Vermögen;  er  will  aber 
auch  den  Segen  vcm  Vater  erhalten,  den  Jaäkob  unrechtmäßig  bekommen  hat. 
Die  Mutter  Rebekka  steht  in  diesem  Streit  auf  der  Seite  Jaäkobs. 

Edom  ist  ein  ,, dreister  Jäger".  Ein  tüchtiger  Schütze.  Den  Geruch  des 
Blutes  erkennt  er  schon  auf  große  Entfernung.  Von  ^^'eitem  schon  fühlt  er  das 
Nahen  eines  Tieres. 

Jaäkcb  ist  ein  verträumter  Denker,  der  über  den  Ursprung  des  Seins 
nachgrübelt.  Er  hört  die  Stimmen  der  Natur  und  sieht  die  Strahlen  des  Regen- 
bogens,  die  kleinsten  Erhebungen  und  Höhlungen  der  Berge. 

Jaäkob  in  den  Bergen.    Die  Himmelskuppel  breitet  sich  hier  freier  aus. 

,,Du  stehst  am  Rande  des  Abgrundes",  sagt  Edom  zu  Jaäkob,  als  er  ihm 
in  den  Bergen  begegnet. 

,,Nein,  ich  stehe  auf  der  Spitze",  antwortet  ihm  ruhig  Jaäkob.  Edom  will 
seinen  Bruder  Jaäkob  töten.  Jaäkcb  beruhigt  ihn  aber  liebevoll.  Jaäkobs  Ruhe 
wirkt  auf  Edom  stärker  als  jeder  andere  Widerstand. 

Ganz  zerknirscht  verläßt  Edom  Jaäkob,  denn  er  hat  des  Bruders  geistige 
und  moraHsche   Erstgeburt    (Überlegenheit)    anerkannt. 

Jaäkob  schlummert  auf  einem  Stein.  Im  Traum  dringen  in  seine  Seele 
Stimmen  von  Engeln,  Quellen  und  Bergsteinen.  Auch  eine  Stimme  des  Zwei- 
fels regt  sich  in  seiner  Brust. 

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Weder  Edom,  noch  dem  Teufel  gelingt  es  aber,  ihn  von  Gott  abzukehren. 

Das  Stück  ist  eigentlich  eine  philosophische  Dichtung.  Die  schau- 
spielerische Leistung  ist  an  manchen  Stellen  ganz  ausgezeichnet. 

Z  e  m  a  c  h  zeigt  in  der  Gestalt  des  Edom  eine  starke  Persönlichkeit  und 
ursprüngliche  wilde  Triebhaftigkeit.  Edom  kann  mit  denselben  Fäusten  und 
Bewegungen  angreifen  und  streicheln.  Mirjam  G  o  1  d  i  n  a  in  der  Rolle  der 
Basmath  zeigt  Talent  für  eine  grofie  Tragödin;  sie  besitzt  hiezu  das  Tempera- 
ment und  die  Individualität.  Als  Oholibama  zeigt  viel  Originahtät  und  Naivität 
Hanna  H  e  n  d  1  e  r. 

Eine  stolze  Gestalt  wird  aus  der  Rebekka  in  der  Darstellung  vom  Schifrah 
Baraks  und  eine  lyrische  aus  Jaäkob  in  der  Darstellung  von  W  a  r  s  c  h  a- 
w  e  r.  Vollkommene  Harmonie  von  Wort  und  Gebärde  zeigt  Benjamin  Z  e- 
m  a  c  h  als  Samael. 

Bühneneinrichtung  von  Falk,  Musik  von  M  i  1  n  e  r. 

Als  eine  Nebenarbeit  vor  den  großen  Inszenierungen  der  Zukunft  brachte 
die  „Habima"  Bergers  „Sintflut"  heraus.  Die  Organisation  der  Vorstellung 
leitete  W  i  n  i  a  r. 

In  der  Bearbeitung  der  „Habima"  spielt  das  Stück  im  jüdischen  Viertel 
einer  Hafenstadt.  Alle  Teilnehmer  sind  Juden.  Der  Schwerpunkt  der  Tragi- 
komödie liegt  in  der  Psychologie  der  Menschen,  die  in  der  bürgerHch-kapita- 
listischen  Welt  erzogen  wurden  und  leben.  Sogar  die  Todesnähe  ist  nicht 
imstande,  sie  wesentlich  zu  ändern. 

Die  Szene  der  betrunkenen  Barbesucher,  die  gewöhnlich  hinter  den  Ku- 
lissen durchgeführt  wird,  wird  hier  auf  otfener  Bühne,  mit  einem  lustigen  jüdi- 
schen Tanz,  gespielt.  Das  Stück  ist  ein  Ruhepunkt  für  das  Ensemble  der 
„Habima",  zwischen  der  schweren  Vorbereitungsarbeit  der  früheren  Stücke 
und  der  noch  schwierigeren  des  zukünftigen  Repertoires. 

Auch  in  der  „Sintflut"  zeichnen  sich  die  Künstler  der  „Habima"  aus: 
wie  das  Schäumen  perlenden  Weines  ist  die  Grober  in  der  Rolle  der  Lisi. 
Benno  Schneider  gibt  den  Freser  grotesk,  auch  Streaton  wird  durch  1 1  k  i  n 
grotesk  gespielt.  Originell  gestaltet  F  r  i  e  d  1  a  n  d  den  Onel ;  Charly  ist  in  der 
Darstellung  sowohl  von  W  i  n  i  a  r  als  auch  von  B  a  r  a  t  z  interessant.  B  e  n- 
A  r  i  gibt  einen  eigenartigen  Mechaniker,  den  das  Pech  verfolgt.  Stark  wie 
immer  ist  B  e  r  t  o  n  o  w  in  der  Rolle  des  Schauspielers.  Die  Spielleitung  hatten 
B.  Werschilow  und  E.  Teleschowa  inne. 

In  allen  diesen  VerwirkHchungen  beweist  die  „Habima"  ihre  Fähigkeit, 
zu  jedem  Stück  moderne  Beziehungen  aus  ihrem  lebendigen  Gegenwartsbewufst- 
sein  heraus  zu  formen.  Sie  tut  das  durch  höchste  Klarheit  der  künstlerischen  Dar- 
stellung durch  Musikalität  und  szenische  Komposition.  Durch  eine  Emotion 
des  Temperaments,  die  sich  bis  zur  Ekstase  steigert. 


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IV. 

DIE   WEGE. 

Die  Künstler  der  „Habima"  sind  wie  junge  Löwen.  Ihre  romantisch- 
mystischen  und  metaphysischen  Versuche  und  Bemühungen,  ein  nationales 
Theater  zu  schaffen,  werden  mit  dem  Finden  eines  besonderen  Stiles  abge- 
schlossen. 

In  diesem  Stil  muß  neben  Strenge  und  Monumentalität  auch  ein  Ton  von 
angsterfülltem  Schmerz  sein. 

Die  „Habima"  will  ein  Echo  ihres  Volkes  sein. 

Auf  seinen  Wanderungen  wird  das  Theater  den  über  die  Neue  und  Alte 
Welt  zerstreuten  jüdischen  Massen  von  seinen  Träumen  des  Ostens  erzählen. 

Die  ,,Habima"  ruft  nicht  zum  Osten,  um  an  verschimmelten  Ruinen  zu 
klagen,  sondern  um  das  Volk  wieder  aufzurichten. 

Die  Taufe  der  ,,Habima"  in  den  Quellen  des  Jordans  ist  eine  Gewähr  für 
die  Echtheit  und  Stärke  ihres  Schmerzes  und  ihrer  Freude. 

Die  Moskauer  Mitarbeit  stärkt  das  revolutionäre  Bewufstsein  des  Theaters; 
das  Streben  nach  Osten  zeigt  die  Wege  zu  den  ewigen  Quellen. 

Alle  alten  Berge  um  Jerusalem  wird  die  ,,Habima"  den  Bastillen  des 
revolutionären  Gedankens  entgegenstellen  können. 

Die  schwerste  Aufgabe  der  „Habima"  bildet  —  die  theatralische  Form. 

Alle  ihre  szenischen  Verwirklichungen  —  bis  heute  —  sind  interessante 
szenische  Übungen;  das  Ziel  ist  aber  nicht  mehr  fern. 

Die  „Habima"  will  den  wirklichen  szenischen  Ausdruck  der  nationalen 
Eigenart  finden:  im  Ton  der  Rede,  im  Klang  der  Sprache,  in  den  Gesten  und 
Bewegungen,  im  Tanz,  in  der  Architektur,  in  der  allgemeinen  Komposition 
ihrer  Aufführungen. 

Die  ,,Habima"  träumt  zunächst  von  Stücken  eines  Weltrepertoirs,  von  einer 
Art  tragischen  Trilogie,  die  aus  Hebbels  „Herodes  und  Mariamne",  Byrons 
».Himmel  und  Erde"  und  Shakespeares  „Kaufmann  von  Venedig"  bestehen  soll. 

Die  Wege  des  Theaters  führen  in  die  Zukunft;  der  Glaube  an  die  nahe 
Erfüllung  ist  fest  und  unerschütterhch. 

Samuel    Margolin. 


36 


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BEER-HOFMANN  :  .  JAAKOBS  TRAUM" 

Rebekka  (Bar-Aks) 


DYBUK 

von  S.  AN-SKI 


e  r  s  o  n  e  n: 


Drei  Batlanim 

Meschulach,  Bote 

Chanan  I 

Henoch  /    Bachurim  der  Jeschibah 

Ascher   I 

Eine  weinende  Frau 

Sender,   ein  Kaufmann  aus  Brinitz 

Lea,  seine  Tochter 

Gitl,   ihre   Freundin 

Frida,  Leas  Amme 

Elke,  eine  Halbgestörte 

Dwosie,   ein  Krüppel 

Jachne,   eine  Bastardin 

Riwcie,   eine  Zigeunerin 

Menucha,  eine  Schwindsüchtige 

Dreizel,    eine   Wahnsinnige 


Sundel,   ein  Buckliger 

Der  Blinde,  ein  Kantonist 

Bertschik,   ein   Lahmer 

Dalfan 

Schalom,  ein  tauber  Alter 

Basia,   Leas  Kameradin 

Manasse,  Leas  Bräutigam 

Nachman,   sein  Vater 

Mendel,  sein  Rabbi 

Drei   Verwandte  Senders 

Senders  Verwandter 

Rabbi  Ezriel,   der  Zadik  aus  Miropol 

Michael,  sein  Diener 

Rabbi   Simson,   der  Raw  aus  Miropol 

Zwei   Dajanim 

Chassidim 


L  AKT 


Ein  altes  Bethaus.  Bachurim  der  Jeschi- 
bah lernen  Gemara.  An  der  Seite 
Meschulach  und  drei  Batlanim,  die  ein- 
ander Wundergeschichten  von  verschie- 
denen Zadiken  erzählen. 

Eine  weinende  Frau  läuft  herein.  Bei 
der  Thora  will  sie  von  Gott  für  ihre 
sterbende  Tochter  Rettung  erbitten.  Sie 
verteilt  einige  Groschen  und  die  Batlanim 
gehen  für  die  Kranke  beten. 

Chanan  bleibt  allein.  Seine  Gedanken 
sind  ganz  von  Lea  beherrscht.  Die  beiden 
lieben  einander  sehr,  aber  Leas  Vater 
wünscht  einen  reichen  Bräutigam.  Bis 
jetzt  ist  dies  Sender,  dem  Vater,  noch 
nicht  gelungen.  Alle  seine  Bemühungen 
sind  an  dem  Widerstand  Chanans  zu- 
nichte geworden.  Auch  jetzt  denkt  Cha- 
nan mit  Groll  an  die  Möglichkeit,  dafs 
Lea  einem  anderen  angehören  könnte. 
Sein  Freund  Henoch  unterbricht  ihn  und 
macht   ihm  zum  Vorwurf,    dafs    er    das 


Studium  der  Gemara  vernachlässige.  ,,Die 
Gemara  ist  kalt  und  trocken,"  antwortet 
Chanan,  ,,sie  schmiedet  uns  an  die  Erde, 
aber  Kabbala,  Kabbala  .  .  .  die  führt  uns 
in  Paläste,  in  höhere  Geheimnisse;  sie 
führt  zum  Paradies,  sie  lüftet  einen  kleinen 
Teil  des  grofsen  Vorhangs.  Aber  der  Weg 
dahin  ist  gefährlich  —  er  verführt  zur 
Sünde."  Die  Sünde  ist  von  Gott  ge- 
schaffen, das  heißt  nicht  von  Gott,  son- 
dern vom  Teufel;  Gott  schuf  aber  den 
Teufel.  Und  was  ist  die  gröfste  Sünde? 
Die  Begierde  nach  der  Frau.  Geläutert 
wird  aber  diese  Begierde  zu  einem  Heilig- 
tum, so  denkt  Chanan  laut. 

Ein  Wunder  geschieht:  im  Betzimmer 
erscheint  Lea.  In  ihrer  Begleitung  sind 
ihre  alte  Amme  Frida  und  ihre  Freundin 
Gitl.  Lea  ist  gekommen,  um  den  Vorhang 
vor  dem  Thora-Schrank  anzusehen,  sie 
will  für  den  Todestag  ihrer  Mutter  einen 
ähnlichen     sticken.       Der     Bethausdiener 


4* 


39 


BEER-HOFlMANN  :  „JAAKOBS  TRAUM",  II.  AKT 

Bef.eiung  des   Knechtes  Idnibaal:  Jaäkob  (Warschawer),  Idnlbaal  (Tschetschik-Efrati) 


zeigt  den  Frauen  das  Gewünschte.  Lea 
erkennt  Chanan,  sie  kennt  ihn,  weil  er 
noch  vor  langen  Jahren  in  ihrem  Hause 
verkehrt  hat.    Die  Frauen  gehen  weg. 

„Ich  habe  gesiegt!"  ruft  Chanan  ju- 
belnd aus,  als  ihm  sein  Freund  Ascher 
die  Nachricht  überbringt,  daß  der  neue 
Hochzeitsplan  Senders  zerstört  wurde.  In 
Wirklichkeit  zeigt  sich  aber  bald,  daß  das 
Gegenteil  wahr  ist.  Die  Nachricht,  daß 
die  Hochzeit  stattfinden  wird,  bringt  Sen- 
der selbst;  Chanan  ist  erschüttert.  Also 
haben  all  sein  Fasten  und  alle  seine  Gebete 
nichts    genützt?!     Er   will   noch   Rettung 


finden  in  der  Lektüre  des  Buches  vom 
Engel  Rasiel.  Bald  aber  verlassen  ihn  alle 
Kräfte  und  er  stirbt. 

Inzwischen  schickt  Sender  um  Wein 
und  Bäckereien.  Die  Verlobung  seiner 
einzigen  Tochter  muß  ja  gefeiert  werden! 
,,Alle  sollen  tanzen,  rufet  Chanan,  wo  ist 
Chanan?!  .  .  .*'  Plötzlich  stößt  jemand  an 
einen  ausgestreckten  Körper,  es  ist  Cha- 
nan. Meschulach  hebt  das  Buch  auf,  das 
aus  Chanans  Hand  herausgefallen  ist.  — 
,,Das  Buch  über  den  Engel  Rasiel.  Cha- 
nan ist  als  Opfer  gestorben." 


2.  AKT 


Leas  Hochzeit.  In  Senders  Hof  erfreuen 
sich  schon  vor  der  Trauung  nach 
üblicher  Sitte  die  armen  Leute  der  Stadt 
bei  Speise  und  Trank.  Meir  und  die 
anderen  Verwandten  Senders  bewirten  die 
Gäste.  Es  erscheint  Sender.  Ihm  zu 
Ehren  wird  von  neuem  getanzt  und  ge- 
sungen. Alle  sind  entzückt  von  der  Feier: 
welche  Fröhlichkeit!  Endlich  begrüßt  die 
Braut  die  Gäste.  Alle  tanzen  ihr  zu 
Ehren;  dann  tanzen  die  Frauen,  jede  mit 
der  Braut  allein,  das  ist  die  höchste  Ehre. 
Alle  Frauen  nach  der  Reihe  haben  schon 
mit  Lea,  der  Braut  getanzt,  nur  der  alten, 
halb  wahnsinnigen  Dreisel  wurde  diese 
Ehre  nicht  zuteil.  Sie  besteht  aber  auf 
ihrem  Recht.  Vierzig  Jahre  hat  sie  schon 
nicht  getanzt.  Auf  einen  Augenblick 
wird  aller  Aufmerksamkeit  auf  die  Ver- 
teilung von  Almosen  an  die  armen  Leute 
gelenkt,  nur  Dreisel  merkt  nicht  darauf; 
plötzlich  umfängt  sie  die  Braut  und  be- 
ginnt mit  ihr  zu  tanzen.  Lea  verlassen  die 
Kräfte,  aber  die  ganze  Schar  der  Bettler 
schreit:  ,,Noch,  noch!"  Es  entsteht  ein 
allgemeiner  Taumel,  alle  tanzen.  Lea 
fällt  in  Ohnmacht,  die  Bettler  fliehen  au.s 
einander. 

Langsam  erholt  sich  Lea.  —  ,, Irgend 
eine  unirdische  Kraft  hat  mich  erfaßt  und 
weit,  weit  weggetragen  .  .  .  Amme,  ist  das 
wahr,  daß  die  Seelen  jener,  die  vor  der 
Zeit  gestorben  sind,  mit  uns  leben,  in  uns 


wirken?"  Statt  der  Amme  erscheint  plötz- 
lich Meschulach:  ,,Die  Seelen  der  früh- 
zeitig Gestorbenen  kehren  auf  die  Erde  in 
neuen  Gestalten  zurück.  Manchmal  aber 
kehrt  solch  eine  verirrte  Seele  in  den 
Körper  eines  lebenden  Menschen  ein, 
fließt  mit  seiner  Seele  zusammen  und  fin- 
det dort  ihre  Erlösung  und  das  ist  —  der 
Dybuk." 

Meschulach  verschwindet,  aber  seine 
Worte  haben  sich  tief  in  die  Seele  Leas 
eingeprägt.  Lea  wird  vom  Vater  gesegnet 
und  geht  mit  ihrer  Amme  auf  den  Fried- 
hof, um  ihre  verstorbene  Mutter  zur 
Hochzeit  einzuladen.  Sie  erhält  von  der 
Amme  die  Erlaubnis,  auch  Chanan  zur 
Hochzeit  einzuladen. 

Es  erscheint  unter  den  Klängen  der 
Musik  der  Bräutigam  Manasse,  sein  Vater 
und  sein  Rabbi.  Die  Eltern  der  Braut- 
leute gehen  weg,  um  endgültig  die  Hoch- 
zeitsformalitäten zu  erledigen.  Der  Rabbi 
studiert  mit  seinem  Schüler  noch  einmal 
seine  Hochzeitsrede  durch,  der  Bräutigam 
wird  verwirrt,  alle  werden  ihn  anschauen, 
aber  am  meisten  fürchtet  er  den  Blick 
jener,  die  er  noch  nie  gesehen.  Der  Rabbi 
bringt  Manasse  zum  Schweigen  und  führt 
ihn  weg.  Wieder  kommen  die  armen 
Leute.  Ihre  Feier  ist  schon  zu  Ende  — 
war  es  denn  überhaupt  eine  Feier?  Man 
hat  doch  gespart,  jetzt  wird  erst  die  rich- 
tige Feier  kommen,  die  Feier  der  Reichen. 


41 


Unter  Drohungen  stürmen  die  Bettler  das 
Haus  Senders.  Sender  erscheint  selbst 
und  alle  treten  schweigend  zurück.  Sender 
ist  aufgeregt.  ,,Wo  ist  Lea?"  Bald 
kommt  aber  auch  sie,  der  Hof  und  das 
Haus  wird  in  Ordnung  gebracht,  die 
Trauung  soll  beginnen. 

Die  traurigen  Klänge  der  Hochzeits- 
melodie  ertönen.  Die  Braut  wird  feierlich 
hereingeführt     und     man    führt    sie    zum 


Bräutigam.  Als  ihr  aber  Manasse  den 
Hochzeitsschleier  umlegen  will,  springt  sie 
auf  und  schreit,  ihn  abstofsend:  , »Nicht 
du  bist  mein  Bräutigam!"  Aus  ihrem 
Herzen  klingt  mit  Chanans  Stimme  die 
\on  ihm  so  sehr  geliebte  Melodie  des 
, .Hohen  Liedes". 

,,In  ihr  sitzt  der  Dybuk",  ruft  Meschu- 
lach  aus.  Die  Kunde  \vird  von  den  armen 
Leuten  mit    einem   Siegestaumel   begrüßt. 


3.  AKT 


Beim  Zadik  Rabbi  Ezriel  in  Miropol. 
Samstag  abends.  Rabbi  Ezriel  ist 
unruhig,  er  fühlt,  dafs  er  noch  heute  einer 
jüdischen  Seele  Erlösung  wird  bringen 
müssen.  Sender  hat  seine  Tochter  zu  ihm 
gebracht,  damit  der  Rabbi  aus  ihr  den 
Dybuk  vertreibt,  der  in  ihr  sich  breit 
macht.  Einen  Augenblick  lang  fühlt  Rabbi 
Ezriel  mit  sich  selbst  Mitleid.  ,,Wer  bin 
ich  denn,  da£  man  von  allen  Seiten  der 
Erde  zu  mir  kommt  um  Erlösung?  Ich 
selbst  bin  ja  —  ein  Nichts  ..."  Die  Er- 
innerung an  seine  grofien  Ahnen  stärkt 
ihn  aber:  ,,Ruf'  Sender!"  befiehlt  er  dem 
Diener.  Der  Rabbi  fragt  Sender,  ob  er 
Chanan  gekannt  oder  je  beleidigt  hat. 
Sender  hat  ihn  gekannt  und  nie  beleidigt, 
aber  wer  kann  wissen?  .  .  .  Lea  bleibt  mit 
dem  Rabbi  allein.  Solange  sie  für  sich 
spricht,  ist  ihre  Stimme  schwach  und 
untertänig,  sobald  aber  Chanans  Geist  in 
ihr  spricht,  wird  sie  ungewöhnlich  hart- 
näckig, der  Geist  will  sie  nicht  verlassen. 
Herein  kommen  der  Raw  von  Miropol 
Simson  und  seine  zwei  Dajanim.  Drei- 
mal haben  sie  in  dieser  Nacht  von  dem 
verstorbenen  Sohn  Kreines,  Nissan,  ge- 
träumt, der  Sender  zu  Gericht  gefordert 
hat;  die  Sache  muß  irgendwie  mit  dem 
Dybuk  in  Verbindung  stehen.  Der  Rabbi 
stellt  gleich  unter  eigenem  \'orsitz  einen 
Gerichtshof  zusammen.  Der  Ankläger  ist 
der  verstorbene  Nissan,  der  zitternde  Be- 
klagte Sender.  Im  Laufe  der  X'^erhand- 
lung  wird  klar,  daß  Nissan  und  Sender 
noch  in  der  Kindheit  Freunde  waren, 
dann  beide  gleichzeitig  geheiratet  und  be- 


schlossen haben,  ihre  Kinder,  wenn  es 
ein  Knabe  und  ein  Mädchen  sein  werden, 
zu  verheiraten.  Dann  mußten  sich  beide 
tiennen,  Sender  ist  ein  reicher  Mann  ge- 
worden, Nissan  starb  in  Armut.  Der 
Sohn  Nissans,  Chanan,  und  die  Tochter 
Senders,  Lea,  sind  dann  einander  im 
Leben  begegnet,  doch  widersetzte  sich 
ihrer  Verheiratung  Sender.  Aus  Gram 
starb  Chanan  und  sein  Vater  ist  darum 
abgeschnitten  worden  von  beiden  Welten, 
ohne  Nachkommen,   ohne   Kaddisch. 

Der  Gerichtshof  beschließt,  daß  Sender 
das  ganze  Leben  Kaddisch  für  Nissan 
und  Chanan  sagen  und  die  Hälfte  seines 
Vermögens  an  arme  Leute  verteilen  muß. 
Nissan  \\ieder  wird  gebeten,  Sender  zu 
verzeihen  und  damit  zu  ermöglichen,  dciß 
die  Seele  Chanans  Lea  verläßt.  Auf  die 
Frage,  ob  beide  Seiten  das  Urteil  an- 
nehmen, antwortet  Sender  mit  einem  Ja, 
Nissan  dagegen  verschNvindet,  ohne  eine 
Antwort  zu  geben.  Dies  ^^^rd  allgemein 
als  ein  böses  Zeichen  gedeutet. 

Doch  Rabbi  Ezriel  ist  überzeugt,  daß 
der  Dybuk  unbedingt  herausgetrieben 
werden  und  daß  Lea  einen  lebenden  Men- 
schen heiraten  muß.  Von  der  Gemeinde 
ermächtigt,  wirft  er  den  Bannfluch  auf 
den  Geist  und  die  Seele  Chanans  ist 
gezwungen,  Lea  zu  verlassen.  Lea  fällt 
in  Ohnmacht.  Jubel,  man  beglückwünscht 
Sender,  der  Bräutigam  soll  gerufen  wer- 
den, man  geht  ihm  mit  Gesang  entgegen. 

Lea  bleibt  allein  in  dem  Kreis,  den  um 
sie  der  Rabbi  gezogen  hat.  Ein  Stöhnen 
außerhalb  des  Kreises  und  ihm  antwortet 


42 


ein  Stöhnen  im  Kreise.  ,,Wer  stöhnt 
da?"  fragt  die  zu  sich  gekommene  Lea. 
Außerhalb  des  Kreises  ertönt  die  Melodie 
des  „Hohen  Liedes".  Die  Liebenden 
erkennen  einander  wieder  und  mit  der 
Kraft  ewiger  Liebe  durchreifst  Lea  den 
Kreis  und  ihre  Seele  vereinigt  sich  mit  der 
Seele  Chanans;  sie  stirbt. 


Meschulach  deckt  ihren  Körper  zu, 
wie  er  einst  den  Chanans  eingehüllt  hat. 
,,Zu  spät!"  ruft  er  Sender  zu,  als  dieser 
unter  den  Hochzeitsklängen  erscheint.  Es 
wird  finster  und  der  Vorhang  fällt  unter 
den  Klängen  der  Anfangsmeiodie:  ,, Wa- 
rum, warum  ist  die  Seele  gefallen,  von 
höchster  Höh'  in  den  tiefsten  Abgrund?" 


AN-SKL  „DYBUK** 

Meschulach  (Prudkin) 


43 


/ 


AN-SKI:  „DYBUK" 

Sender     Itkin) 


DER  EWIGE  JUDE 

von  DAVID   PINSKI 


e  r  s  o  n  e  n: 


Ein  Unbekannter 

Junge  Frau 

Ruth,  ihre  Sklavin 

Gurion 

Tarfon     1       ,.      v,  i      c     i 

r^        II,      die  Altesten  der  otadt 
Liamaliel  j 

Awischei,   Viktualienhändler 

Barsilei,   Textilhändler 

Chiskijahu,  Weinhändler 

Platiel.   Ölhändler 

Martus,   Juwelier 


Simon,   Blinder 

Martha,  eine  Prostituierte 

Tirza 

Maacha,  ihre  Sklavin 

Ada 

Pura 

Tamar 

Ohola 

Noemi 

Chulda 

Rippa,  eine   Bettlerin 

Stimmen  hinter  den  Kulissen 


Einwohner   von   Birath-Arba 


Betuel,  Wächter 

Das  Drama  spielt  in  der  Stadt  Birath-Arba,  zehn  Tage  nach  der  Zerstörung 

des  zweiten   Tempels. 

Motto:  Am  Tage  der  Zerstörung  des  Tem- 
pels ist  der  Messias  geboren  v^orden. 

Legende 


AKT. 


Dem  Anfang  des  Stückes  geht  eine 
musikalische  Ouvertüre  voran,  die 
die  Zerstörung  des  Tempels  illustriert. 

Früh  morgens  im  Städtchen  Birath- 
Arba.  Am  Marktplatz. 

Langsam  betreten  den  Platz  Kaufleute, 
Frauen,  Eingebildete,  Habgierige.  Nie- 
mand denkt  an  den  Untergang  Judas, 
jeder  ist  mit  seinen  Kleinlichkeiten  be- 
schäf'igt;  man  handelt,  betrügt  arme 
Leute  und  treibt  allerlei  Unfug  mit  der 
Dirne  Martha.  Dieses  Treiben  wird  durch 
das  Erscheinen  dreier  Greise  der  Stadt 
unterbrochen,  die  von  den  schweren  1  a- 
gen  Jerusalems  erzählen.  In  der  Stadt 
herrscht  Hunger  und  Not.  Der  Führer 
Tarfon  hält  es  sogar  für  möglich,  daß  der 
Tempel  schon  zerstört  wurde.  Das  ruft 
schreckliche  Bestürzung  unter  den  Ein- 
wohnern der  Stadt  hervor.  Doch  bald 
hält  der  alte  Gurion  eine  flammende  Rede 


über  die  Wunder  Gottes  und  neue  Hoff- 
nung kehrt  in  die  Herzen  der  Menschen 
ein.    Man  rüstet  zum  Gebet. 

Diese  heihge  Stimmung  wird  von  der 
schrillen  Stimme  eines  Unbekannten  ge- 
stört: ,,Ich  verkaufe  Windeln."  Die  ganze 
Stadt  ist  empört  über  diese  Entweihung 
der  Stimmung  durch  den  Unbekannten, 
der  mit  der  Frage  herausrückt:  ,,Ist  nicht 
unter  euch  in  Birath-Arba  ein  Mensch 
mit  dem  Namen  Chiskijahu,  dem  am  Tag 
der  Zerstörung  des  Tempels  ein  Sohn, 
der  Menachem  heißt,  geboren  wurde?" 
Das  Volk  ist  resigniert,  aber  die  Ältesten 
der  Stadt  verhören  den  Unbekannten  und 
es  zeigt  sich,  daß  er  nie  in  Jerusalem 
war  und  auch  niemanden  aus  Jerusalem 
gesprochen  hatte.  Der  Unbekannte  bleibt 
aber  doch  bei  seiner  Behauptung,  daß 
der  Tempel  schon  vor  zehn  Tagen  zer- 
stört wurde  und  in  Birath-Arba  am  sei- 


45 


AN-SKI:  „DYBUK" 

Amme   Judelewitsch"» 


ben  Tag  ein  kleines  Kind  geboren  wurde, 
der  künftige  Messias.  Ein  blinder  Bettler 
ruft:   ,,Ein   Prophet!** 

Das  Volk  will  sich  schon  dem  Prophe- 
ten zu  Füßen  werfen,  die  Reichen  aber, 
die  ihre  Macht  nicht  verlieren  wollen, 
bezweifeln  die  Wahrheit  seiner  Worte 
und  verlangen  von  ihm  ein  Wunder. 

Der  Unbekannte  erzählt,  er  sei  ein  ein- 
facher Landarbeiter  und  vor  zehn  Tagen 
wollte  er  während  der  Arbeit  einmal  seine 
brummenden  Ochsen  schlagen,  da  kam 
ein  alter  Mann  heran  und  erzählte  ihm 
von  der  Zerstörung  des  Tempels  und 
sagte:  ,,Gehe  nach  Birath-Arba,  dort 
findest  du  des  Messias  Mutter.   Er  heißt 


Menachem,  Sohn  des  Chiskijahu."  So 
kam  er  nach  Birath-Arba,  den  Messias 
zu  suchen.  Das  Volk  will  ihm  schon 
glauben,  die  Reichen  aber  lachen  ihn  aus. 
Die  Menge  will  ihn  steinigen,  aber  als  er 
um  drei  Tage  Zeit  bittet,  um  den  Mes- 
sias zu  finden,  bewegt  Gurion  das  Volk, 
ihm  diese  Frist  zu  gewähren.  Stafetten 
sollen  nach  Jerusalem  geschickt  werden, 
um  seine  Worte  zu  kontrollieren.  Die 
Menge  droht  dem  Unbekannten,  daß  sie 
ihn  unbarmherzig  erschlagen  werde,  wenn 
seine  Prophezeiungen  sich  als  falsch  er- 
weisen. Eine  Wache  wird  bei  ihm  zu- 
rückgelassen und  alle  entfernen  sich  zum 
Siegesgebet. 


2.  AKT. 


Müde  von  den  Ereignissen  des  Tages, 
schläft  der  Prophet  auf  seinem  Bün- 
del und  lallt  die  Worte  vor  sich  hm: 
,, Menachem,  Sohn  des  Chiskijahu.**  Die 
Frauen  bei  der  Wache  lachen  ihn  aus  und 
besonders  setzt  ihm  die  Dirne  Martha  zu. 
Wütend  schreit  der  Prophet:  ,,Ich  ver- 
kaufe Windeln!**  . .  . 

Plötzlich  erscheint  eine  junge  Frau,  die 
wirklich  Windeln  kaufen  will.  Sie  wird 
mit  einem  Gelächter  empfangen,  aber 
bald  zeigt  sich,  daß  sie  vor  zehn  Tagen 
einen  Sohn  geboren  hat  mit  dem  Namen 
Menachem  und  der  Vater  heißt  Chiski- 
jahu. Die  Menge  flieht  auseinander,  der 
Prophet  ist  glücklich.  Er  will  zum  Mes- 
sias, aber  die  Wache,  die  ihre  Pflicht 
tun  muß,  hegt  den  Verdacht,  daß  das 
Ganze  nur  eine  abgekartete  Sache  sei. 

Der  Prophet  muß  hier  bleiben  und  er- 
fährt von  der  Mutter,  daß  das  Kind 
wirklich    am    Tage    der    Zerstörung    des 


Tempels  geboren  wurde.  Dadurch  wurde 
das  Kind  unbeliebt  und  verflucht.  Sie 
möchte  es  nicht  einmal  säugen.  Der  Pro- 
phet beruhigt  sie  aber  und  meint,  daß 
Gott  es  so   gewollt   hat. 

Das  Volk  und  die  Ältesten  der  Stadt 
kehren  zurück.  Schon  hört  man  das  Wei- 
nen der  Boten;  der  Tempel  ist  zerstört. 
Die  Menge  wirft  sich  dem  Propheten  und 
der  jungen  Frau  zu  Füßen.  Der  Prophet 
tröstet  die  Menge  und  will  sie  zum  Mes- 
sias führen. 

Da  bricht  ein  Sturm  aus  und  die  junge 
Frau  bringt  bald  die  Nachricht,  daß  das 
Kind  im  Sturm  umgekommen  ist. 

,,Das  ist  Gottes  Fluch;  so  ist  sein 
Wille,  weil  ich  nicht  ging  die  Freiheit 
zu  verteidigen;  jetzt  werde  ich  wandern 
von  Land  zu  Land,  von  Stadt  zu  Stadt 
und  den  Messias  suchen.**  Und  mit  dem 
Ausruf:  ,, Menachem!**  betritt  der  Pro- 
phet seinen  ewigen  unsterblichen  Weg. 


47 


PINSKI:  „DER  EWIGE  JUDE" 

Prophet  (N.  Zemach) 


GOLEM 

Eine  dramatische  Dichtung  in  drei  Akten  und  einem  Prolog 

von  G.  LEIWIK 


Der  Maharal,  Rabbi  Low  aus 

Die  Rabbinerm 

Deborah 

Tanchum,  ein  Wahnsinniger 

Der  Golem 

Ein  Greis,  Eliahu,  der  Prophet 

Ein  Jüngling,  der  Messias 

Thaddäus,   der  Inquisitor 

Ein  Mönch 

Ein  Bethausdiener 


Personen: 
Prag 


Baruch,  der  Vorbeter 

Ein  Roter 

Em   Hoher 

Ein   Kranker 

Eine  Blinde 

Eine  Alte 

Ein  gelbes  Mädchen 

Eine  Frau  mit  einem 

Eine  junge  Frau 

Eine  Wahnsinnige 


Kind 


D 


e  r 


PROLOG 
Prolog    besteht    aus    drei    Bildern 


L 


Thaddäus  und  der  Mönch.  Der  Mönch 
beklagt  sich  bei  Thaddäus,  daß  es  ihm 
nicht  gelingt,  seine  Hände  von  den  Blut- 
flecken zu  reinigen,  die  von  der  Er- 
mordung eines  christlichen  Kindes  stam- 
men. Er  hat  das  Kind  ermordet,  um  eine 
Blutlüge  gegen  das  Judentum  zu  insze- 
nieren. Das  Blut  ist  in  eine  Flasche  ge- 
gossen worden,  die  man  in  einen  Kepler 
eines  jüdischen  Bethauses  legen  wollte. 


Der  Messias  und  Eliahu,  der  Prophet. 
Der  Messias  will   zur  Erde  hinabsteigen. 


um  das  Judentum  vor  der  Blutlüge  zu 
retten.  Eliahu  befreit  den  Messias  von 
den  Ketten.  Mit  derselben  Leichtigkeit 
soll  der  Messias  die  noch  schwereren 
Ketten  des  Judentums  lösen. 


Der  Maharal.  Ein  alter  Weiser.  Aufser- 
halb  der  Stadt  schafft  er  aus  Lehm  den 
Golem,  aber  die  Seele  des  Golem  will 
nicht  geboren  werden.  Sie  fleht  den 
Maharal  an,  nicht  geboren  werden  zu 
müssen.  Darauf  antwortet  der  Weise: 
,,Du  bist  nicht  geschaffen  worden  nur  um 
zu   leben,   sondern  um  Wunder  zu  tun.'* 


1.  AKT 


Der  Maharal  bringt  den  Golem  in  sein 
Haus.  Seine  Riesenkräfte  suchen 
sich  auszuleben  und  er  schüttelt  die 
Wände  des  Hauses.  Durch  das  Geräusch 
erschreckt,  kommt  die  ganze  Familie  Ma- 
harals  herein,  seine  Mutter  und  seine 
Enkelin     Deborah.      Der     Maharal     ver- 


heimlicht die  wirkliche  Bedeutung  des 
Golem  und  stellt  ihn  als  seinen  Diener 
zum  Holzhacken  und  Wassertragen  vor. 
Mit  Heifahunger  verzehrt  der  Golem  die 
ihm  vorgelegten  Speisen  und  geht  Holz 
hacken. 

Tanchum,    der   Wahnsinnige   erscheint. 


49 


PINSKI:  „DER  EWIGE  JUDE" 

Die  junge  Frau    'A.  Rowina) 


der  mit  dem  für  Wahnsmnige  charakteri- 
stischen Vorgefühl  erzählt,  daß  Thaddäus 
den  fünften  Turm  besucht  hat,  in  dem 
heimatlose  Juden  sich  verbergen.  Wer 
wird  die  Juden  retten!  Tanchum  geht 
mit  der  Nachricht  weg  und  der  alte  Ma- 
haral  grübelt  nach. 

Während  des  Holzhackens  erblickt 
der  Golem  die  Enkelin  des  Maharal  und 
küfst     sie.      Die     Großmutter     und      die 


Enkelin  sind  darüber  bestürzt.  Der  Ma- 
haral führt  den  Golem  in  die  Stube  und 
erklärt  ihm  zornig,  daß  er  nicht  zu  diesem 
Zweck  geschaffen  wurde.  Der  Golem 
erkennt  jetzt  seine  Mission  und  der  Ma- 
haral hofft,  daß  es  gelingen  wird,  die 
blinden  unbewußten  Kräfte  des  Golem 
zu  leiten.  Der  Golem  geht  in  den  fünften 
Turm,  um  den  Kampf  mit  Thaddäus  auf- 
zunehmen. 


2.  AKT 


Der  fünfte  Turm.  In  dem  verlassenen 
Turm  wohnen  schon  lange  heimat- 
lose Juden.  Das  Erscheinen  des  unbe- 
kannten Golem  mit  der  Hacke  in  der 
Hand  erschreckt  sie  und  ruft  unter  ihnen 
Panik  hervor.  Bald  kommt  aber  Tanchum 
und  beruhigt  sie.  In  der  Erwartung  des 
Pogroms  können  die  Einwohner  des 
Turmes  nicht  einschlafen. 

Zwei  Wanderer  erscheinen,  ein  alter 
und  ein  junger.  Der  Jüngere,  müde  von 
der  Wanderung,  schläft  ein  und  der  Alte 
behütet  seinen  Schlaf.  Der  einzige,  der 
in  dem  Jüngling  den  Messias  erkennt,  ist 
Tanchum,  der  ihm  Vorwürfe  macht,  daß 
er  in  der  Zeit,  in  der  man  handeln  müßte, 
schläft.  Doch  die  armen  Juden  des 
Turmes  hören  nicht  auf  Tanchums  Vor- 
würfe und  .coßen  ihn  hinaus. 

Auf  der  Szene  erscheint  Maharal,  er 
befiehlt  dem  Golem,  bereit  zu  sein.  Der 
Gesang   des   Propheten   Eliahu,   mit   dem 


er  den  Messias  einschläfert,  lenkt  die  Auf- 
merksamkeit Maharals  auf  die  Wanderer. 
Er  erkennt  den  Messias  und  meint,  sein 
Erscheinen  im  Turm  könne  den  Kriegs- 
plan gegen  Thaddäus  vereiteln  und  Zwei- 
fel in  den  Herzen  der  Juden  erregen.  Er 
treibt  die  Wanderer  unbarmherzig  hinaus 
und  geht  ihnen  nach. 

Man  hört  Glockenschläge,  Thaddäus 
naht,  spottend  der  armen  Juden.  Sein 
Spott  ruft  bei  den  Heimatlosen  keinerlei 
Widerspruch  hervor  —  der  Druck  des 
Ghetto  und  der  Galuth  hat  sie  den  Wider- 
stand verlernen  lassen.  Vertrieben  von 
Thaddäus,  verlassen  sie  ihre  letzte  Zu- 
flucht. 

Die  große  Rache  des  Golem  beginnt. 
Er  war  heimlich  im  Turm  verborgen, 
jetzt  kommt  er  heraus,  er  sperrt  alle  Ein- 
gänge und  Ausgänge  und  richtet  mit 
seiner  Hacke  unter  den  Mönchen  ein 
Blutbad  an. 


3.  AKT 


Das  Vorhaus  einer  Synagoge.  Von 
allen  verlassen,  fühlt  sich  der  Golem 
einsam  und  unglücklich.  Seine  Kräfte 
haben  wieder  keine  Möglichkeit  des  Aus- 
lebens. Er  verlangt  nach  dem  Maharal, 
der  endlich  erscheint.  Er  bittet  ihn,  er 
möge  ihn  nicht  verlassen,  den  Maharal  er- 
wartet aber  das  Volk  drinnen  im  Bet- 
zimmer und  zornig  verläßt  er  den  Golem. 
Eine  furchtbare  Wut  befällt  den  Golem, 
er   greift   nach   seiner  Hacke   und   springt 


durch  das  Fenster  auf  die  Gasse.  Dort 
richtet  er  unter  den  Juden  einen  Pogrom 
an,  beraubt  Häuser  und  mordet  Juden. 
Es  entsteht  eine  Panik,  in  das  Vorhaus 
der  Synagoge  kommen  einzelne  Rettung 
suchen,  unter  ihnen  Tanchum  mit  einem 
blutigen  Kopf. 

Nach  langem  Suchen  bringt  der  Ma- 
haral den  Golem.  Er  beruhigt  das  Volk 
und  bittet,  man  möge  sie  allein  lassen. 
Auf  die  Frage  des  Maharal,  ob  er  weiß. 


51 


wessen  Blut  er  vergossen  hat,  antwortet 
der  Golem:  ..Jüdisches."  Der  Maharal 
schreit  aus  Verzweiflung:  ,,An  diesem 
Blutvergießen  bin  ich  selbst  schuldig!" 
Und  lästert  Gott,  der  ihm  befohlen  hat, 
den  Golem  zu  schaffen. 

Die  Enkelin  Deborah  sucht  hier  den 
Großvater,  der  Golem  küßt  sie  wieder. 
Der   Maharal   befiehlt   ihm.    das  Kind   in 


Ruhe  zu  lassen,  sich  auf  den  Boden  zu 
legen,  damit  er  wieder  zu  Staub  werde. 
Der  Golem  bittet  ihn,  er  möge  ihn  am 
Leben  lassen,  der  Maharal  hat  aber  schon 
beschlossen,  ihm  die  Seele  zu  nehmen. 

Der  Golem  zerfällt  wieder  in  Staub. 
Tanchum  erscheint  mit  der  ewig  unbe- 
antworteten Frage:  ..Wer  bringt  die  Er- 
lösung?" .  .  . 


BEER-HOFMANN:  „JAAKOBS  TRAUM** 

Basmath  (Goldina) 


52 


JAAKOBS  TRAUM 

von  RICHARD  BEER-HOFMANN 


e  r  s  o  n  e  n: 


Rebekka 

Edom 

Jaakob 

Basmath 

Oholibama^ 

Shamartu,  der  Babylonier,  Edoms 

Knecht 
Idnibaal,  der  Phöniker,  Jaakobs  Knecht 


1 


Ed 


Die  Stimme  des  Quells 
Die  Stimme  des  Steins 
Zwei  Engel 
Gabriel 


oms  rrauen 


Raphael 
Uriel 
Michael 
Samael, 


Engel 


der  Teufel 


Während  Edom  auf  der  Jagd  war,  hat  Jaakob  mit  Hilfe  seiner  Mutter  Rebekka 
von  seinem  sterbenden  Vater  den  letzten    Segen    erhalten. 


1.  AKT. 


Nacht.  Die  Frauen  Edoms,  Basmath 
und  Oholibama,  befehlen  semem 
Knecht  Shamartu,  Edom  zu  benachrichti- 
gen, was  in  seiner  Abwesenheit  geschehen 
ist.  Während  Oholibama  meint,  daß  der 
Segen  auf  alle  Fälle  Edom  zugute  kom- 
men wird,  da  er  ihm  rechtmälsig  gehört, 
meint  Basmath,  dafs  nur  blutige  Rache 
an  Jaakob  den  Segen  und  die  herausge- 
lockte Erstgeburt  dem  Edom  wieder  zu- 
rückerobern kann. 

Es  dämmert.  Edom  kommt  zurück,  die 
Frauen  gehen  ihm  entgegen,  aber  er  stöfät 
sie  von  sich,  verweisend  auf  seinen 
Schwur,  nicht  früher  Speise  noch  Frau 
zu  berühren,  bis  er  blutige  Rache  an 
dem   Bruder   genommen   hat. 


Edom  will  zum  Vater  hineingehen,  aber 
die  Mutter  Rebekka  läßt  ihn  nicht  herein. 
Er  stürmt  trotzdem  hinein  und  kommt 
jammernd  zurück,  die  Mutter  möge  ihm 
den  Segen  zurückgeben.  Rebekka  appel- 
liert an  seine  Gefühle  als  Sohn  und  sagt 
ihm,  das  ganze  Vermögen,  die  Herde 
und  das  Haus,  werde  ihm  gehören;  Jaakob 
kehre  nie  mehr  zurück.  Edom  macht  der 
Mutter  Vorwürfe,  daß  sie  nur  aus  Haß 
zu  ihm  dem  Jaakob  den  Segen  vermittelt 
hat.  Er  muß  sich  an  Jaakob  rächen.  Trotz 
der  heißen  Bitten  der  Mutter  stürmt  er 
mit  seinen  Knechten  und  Hunden  hinaus, 
um  Jaakob  zu  verfolgen  und  ihn  zu  töten. 
Rebekka  betet  zu  Gott,  er  möge  Jaakob 
beschützen. 


2.  AKT. 


1.  Bild. 

Iaäkob  und  sein  Knecht  Idnibaal  in  den 
Bergen.  Jaakob  hält  im  Arm  ein  klei- 
nes Schaf,  das  er  selbst  betreut,  während 
seine  Knechte  im  Tal  die  ganze  Herde 
hüten.   Er   ist   an   dem   Tod   der   Mutter 


des  Schafes  schuld.  Ein  Weg,  der  in  die 
Heimat  des  phönizischen  Sklaven  führt 
und  in  ihm  Sehnsucht  nach  dem  Vater- 
land erweckt,  läßt  Jaakob  mit  seinem 
Knecht  mitfühlen  und  ihm  die  Freiheit 
schenken.  Jaakob  bleibt  einsam  und 
schläft   ein. 


53 


2.  Bild. 

Edom  hat  Jaakob  erreicht,  er  greift  ihn 
an,  aber  Jaakob  verteidigt  sich  nicht. 
Edom  hat  einen  Bogen  in  der  Hand,  Jaa- 
kob hält  nur  sein  hilfloses  Schaf  im  Arm. 

Die  Ruhe  Jaäkobs,  der  sich  von  Gott 
beschützt  fühlt,  bringt  Edom  in  Wut.  Er 
schiefst  einen  Pfeil  ab,  der  aber  nur  das 
Schaf  tötet  und  Jaakob  bleibt  unversehrt. 
Edom  fordert  wieder  Jaakob  zum  Kampf 
heraus;  er  nennt  ihn  Feigling,  aber  Jaa- 
kob wirft  sein  Messer  weg  und  stellt  sich 
unbewaffnet  seinem  Bruder.  Edom  ver- 
schmäht aber  einen  Kampf  mit  ungleichen 
Waffen.  Durch  die  Unbeweglichkeit  und 
die  göttliche  Ruhe  Jaäkobs  gereizt,  gerät 
er  immer  mehr  in  Zorn  und  will  schon 
Jaakob  angreifen,  springt  aber  wieder  zu- 
rück. 

Besiegt  durch  die  unbegreifliche  Kraft 
Jaäkobs,  fällt  Edom  vor  dem  Bruder  auf 
die  Knie.  Auch  Jaakob  kniet  nieder. 
Edom  klagt  dem  Bruder,  daß  er  jetzt  ver- 
stoßen sei  und  ohne  Segen.  Heißt  das 
verstoßen  sein,  die  Erde  und  ihre  Freu- 
den zu  besitzen  und  nicht  von  quälenden 
Fragen  gepeinigt  zu  werden? 

Edom  fordert  vom  Bruder,  er  möge 
diesen  schrecklichen  Gott  des  Zweifels 
verlassen  und  in  Länder  entfliehen,  in 
denen  er  keine  Herrschaft  besitzt,  doch 
für  Jaakob  ist  dieser  Gott  nicht  schreck- 
lich. 

Vom  Durst  gequält,  bietet  Jaakob  dem 
Bruder   Wein   an,   doch   dieser   will,   treu 


seinem  Schwur,  nicht  trinken.  Jaakob 
schneidet  sich  und  Edom  in  die  Hand, 
um  die  Wirkung  des  Schwures  zu  lösen. 

Auf  die  Frage  Edoms,  ob  Jaakob  sich 
in  der  Tiefe  seines  Herzens  nicht  für 
besser  und  wertvoller  halte,  meint  Jaakob: 
,,Nein,  Edom,  nein.  Ich  habe  eine  Mission 
und  du  hast  eine;  Jaakob  existiert,  weil 
es  einen  Edom  gibt." 

Im  Abgehen  sagt  Edom:  ,, Jaakob,  du 
hast  gekämpft  und  gesiegt.** 

3.  Bild. 

Aus  der  musikalischen  Einleitung  ent- 
wickelt sich  der  Akt  von  Jaäkobs  Traum, 
seine  Gedanken  und  Gefühle  werden  zur 
Realität.  Sogar  die  Quelle  und  der  Stein 
sprechen  zu  ihm  im  Traum. 

Im  Traum  erscheinen  zwei  Engel,  die 
ihm  Kunde  bringen  sollen  von  dem  be- 
vorstehenden Kampf,  und  dann  als  Ver- 
körperung der  verschiedenen  in  ihm 
kämpfenden  Kräfte  die  vier  Engel  Ga- 
briel, Raphael,  Uriel  und  Michael,  um  ihm 
fröhliche  Botschaft  zu  übermitteln.  Der 
feierliche  Gesang  der  Engel  wird  durch 
das  Erscheinen  des  Teufels  Samael  unter- 
brochen, der  im  Kampf  mit  den  Engeln 
Jaakob  seine  Bestimmung,  in  der  Galuth 
zu  leben,  verkündet.  Die  Engel  können 
dem  nicht  widersprechen.  Samael  ver- 
sucht, Jaakob  Gott  abspenstig  zu  machen. 
Jaakob  beschließt  aber,  sein  Schicksal  zu 
tragen. 


54 


BEER-HOFMANN  :  „JAAKOBS  TRAUM",  III.  AKT 

Jaakob  (Warschawer) 


BEER-HOFMANN:  „JAAKOBS  TRAUM",  III.  AKT 

Samael  (B.  Zemach) 


SINTFLUT 

Schauspiel    in    drei   Akten 
von  BERGER 


e  r  s  o  n  e  n: 


Streaton,    Barbesitzer 
Charly,    Kellner 
Onel' 
Freser 


Nordling,  ein  Mechaniker 

Huggis,   eni  Schauspieler 

Lisi 

Bir,   Börseaner 


1.  AKT. 


Ein  heißer  Morgen.  Der  Besitzer  der  Bar 
und  der  Pikkolo  sind  durch  die  Er- 
zählung Onels,  daß  eine  Sintflut  kommen 
wird,  ganz  erschreckt  worden.  Streaton 
befragt  Charly  über  die  gestrigen  Ereig- 
nisse. Der  Börseaner  Bir  hat  viel  verloren, 
was  den  verkrachten  Freser  sehr  freut.  In- 
zwischen haben  die  schwarzen  Wolken 
schon  einen  starken  Regen  gebracht,  in 
der  Bar  ist  es  ganz  dunkel  geworden, 
,,wie  im  Grab",  sagt  Onel.  Licht  wird 
angezündet.  Telegramme  bringen  neuen 
Schrecken:  ,,Der  Fluß  tritt  aus  den 
Ufern,  das  Brot  wird  teurer."  ,, Wieder 
ruiniert  mich  dieser  nichtsnutzige  Bir",  er- 
regt sich  Freser.  Onel  fragt  ihn,  ob  er 
Krabben  gern  ißt.  Freser  haßt  Anspielun- 
gen auf  seinen  materiellen  Ruin  und  flieht 
wütend  aus  der  Bar.  Es  donnert.  In  die 
Bar  fallen  zwei  Arbeitslose,  ein  Mechani- 
ker und  ein  Schauspieler,  herein.  Sie  er- 
zählen von  den  schrecklichen  Folgen  des 
Sturmes.  Streaton  will  sie  hinauswerfen, 
aber  Onel  schlägt  vor,  daß  man  lieber  die 
Tür  offen  läßt,  wegen  ,,der  frischen 
Luft".  Der  Telegraph  steigert  den 
Schrecken:  ,,Der  Damm  hat  den  drän- 
genden Wassern  nicht  standhalten  kön- 
nen." Alle  sind  über  diese  Nachricht  be- 
stürzt. Onel  lacht  die  kleinen  Feiglinge 
aus:  ,,Ja,  ja,  zu  allererst  wird  die  Bar 
untergehen."  Freser  schreit:  ,,An  allem 
ist     dieser     Halunke     und     Dieb     Onel 


schuld!"  Der  Streit  wird  stärker,  bald 
kommt  es  zum  Handgemenge,  man  hört 
nicht  auf  die   Bitten  des   Wirtes. 

Das  Telephon  läutet.  Die  Braut  des 
Bir  sucht  ihn  hier  telephonisch.  Nordling 
antwortet  ihr:  ,,Bir  ist  nicht  da.  Übrigens 
wirst  du  nicht  mehr  so  sehr  besorgt  sein, 
wenn  du  ihn  näher  kennst." 

Zwei  Dirnen  betreten  die  Bar:  ,, Dir- 
nen können  nur  in  der  Nacht  hereinkom- 
men", meint  der  Wirt.  ,,Ist  mein  Geld  in 
der   Nacht   anders  als   am  Tag?" 

Lisi  geht  in  das  Kabinett.  Starkes 
Klopfen  an  der  Tür.  ,, Nicht  öffnen." 
Es  ist  aber  Bir,  der  beste  Gast  der  Bar. 
Obwohl  Freser  aufgeregt  ist,  wird  Bir 
hereingelassen.  Seme  Braut  sucht  ihn  wie- 
der telephonisch.  Das  Telephon  bringt 
wieder  die  Nachricht,  daß  das  Brot  teu- 
rer wurde.  Bir  freut  sich  über  die  Ver- 
luste Fresers. 

Schon  hört  man  das  Dröhnen  des  Was- 
sers. Nur  Onel  behält  das  Gleichgewicht 
und  sagt,  man  möge  den  Rollbalken  her- 
unterlassen. Jeder  sucht  für  sich  Rettung: 
Freser  durch  die  Decke,  aber  dort  be- 
findet sich  eine  Bank;  Charly  lauft  in  den 
Keller;  Nordling  steüt  fest,  daß  die  Bar 
aus  Beton  gebaut  ist  und  standhalten  wird, 
aber  sollte  der  Sturm  stärker  werden  — 
sitzen  alle  in  der  Falle.  Bir  ist  aufgeregt: 
Heute  ist  seine  Hochzeit.  Lisi,  die  Dirne, 
spottet   ihn    aus,    Bir    erkennt   in   ihr    das 


57 


BERGER:  „SINTFLUT** 

Lisi  (Grober) 


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Mädchen,  das  er  vor  kurzem  verlassen 
hat.  ,,War  ich  denn  der  Erste?"  ,, Schuft! 
Du  hast  mich  dazu  gebracht,  ich  liebte 
dich!"  Onel  ruft  alle  zur  Besinnung. 
,,Wir  sterben  alle  in  einem  Augenblick; 
wir  müssen  bis  zu   Ende  ruhig  und   ver- 


nünftig sein."  Streaton  will  seine  Familie 
telephonisch  sprechen.  Das  Telephon 
funktioniert  aber  nicht  mehr.  Man  hört 
das  Schäumen  des  Wassers.  ,,Alle  nach 
der  Reihe",  sagt  Onel. 


2.  AKT. 


Die  Eingeschlossenen  in  der  Bar 
suchen  im  Wein  Vergessen.  ,,Ein 
Weg  wartet  uns,  der  letzte,  vergessen  wir 
alle  Feindschaft  und  nähern  wir  uns  ein- 
ander!" ruft  Onel.  Freser  will  noch  im- 
mer telephonieren.  Bir  will  sich  mit  ihm 
versöhnen.  ,,Es  sind  ja  schon  die  letzten 
Minuten,  vergessen  wir  unsern  Haß,  die 
Börse  ..."  Freser  ist  gerührt  und  drückt 
Bir  die  Hand:  ,,Fort  mit  der  Börse,  wir 
sterben  zusammen."  Onel  erscheint  und 
versöhnt  sich  mit  Freser.  Bir  bestellt 
Champagner.  Streaton  kommt  und  ruft: 
,, Heute  zahle  ich,  alles  in  meiner  Bar 
gehört  euch!"  Das  Telephon  läutet.  Wie 
wilde  Tiere  laufen  alle  hinzu.  Nur  fal- 
scher Alarm. 

Bir  kommt.  Lisi  will  ihn  meiden,  Onel 
geht  ihr  nach,  um  ihr  Gesellschaft  zu 
leisten.  Bir  will  ihr  Aufklärungen  geben. 
,,Vor  zwei  Jahren  habe  ich  in  deiner 
und  deiner  Freunde  Gesellschaft  nur  an- 
genehmen Zeitvertreib  gesucht."  ,,Du 
hast  versprochen,  mich  zu  heiraten,  aber 
nicht  das  ist  deine  größte  Schuld.  Das 
Furchtbare  ist,  daß  alle  lügen  und  wir 
noch  immer  glauben.  Wir  fordern  von 
euch  nichts,  weder  das  Heiraten,  noch 
die  Familie,  nur  ein  wenig  geistige  Zärt- 
lichkeit   und   Wärme  .  .  .    Du    hast    mich 


verlassen  und  ich  liebe  dich  doch,  wie 
dumm  ..."  Lisi  tröstet  Bir  und  versöhnt 
kehren  sie  zur  Gesellschaft  zurück.  Jetzt 
sind  alle  versöhnt  und  erwarten  zusammen 
den  Tod.  Nordling  soll  über  seine  Er- 
findung erzählen.  Freser  verspricht  ihm 
die  Hilfe  Onels  und  Birs.  Nordling  er- 
klärt seine  Erfindung,  mit  Hilfe  von  Te- 
leskopen und  Spiegeln  den  Mond  und  die 
Sterne  uns  so  nahe  zu  bringen,  um  sie 
wie  auf  der  Hand  beobachten  zu  können. 
Bisher  sind  die  Versuche  noch  nicht  ge- 
lungen. Aber  alle  wollen  an  die  Geniali- 
tät der  Erfindung  glauben.  Der  Schau- 
spieler erzählt  von  seinem  Ruhm.  Strea- 
ton schlägt  Punsch  vor.  , .Brüder,  die 
wir  hier  versammelt  sind,  haben  verstan- 
den, die  Schönheit  und  den  Sinn  des 
Lebens:  sie  bestehen  in  Brüderlichkeit 
und  Gleichheit."  ,,Ja,  ruft  Freser,  wir 
müssen  einander  lieben,  wie  Brüder  leben 
und  zusammen  sterben.  Vereinigen  wir 
unsere  Hände  zu  einer  unzerreißbaren 
Kette." 

Das  Licht  geht  aus.  ,,Ruhe,  gebt  Ker- 
zen." Das  Wasser  hat  die  Elektrizitäts- 
werke schon  überschwemmt.  Das  Wasser 
dringt  schon  in  die  Bar.  ,, Still,  gebt 
Fetzen  her ..." 


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3.  AKT. 


Allmählich  gehen  auch  die  Kerzen  ein. 
Streaton  erinnert  an  die  Lampe. 
Charly  bringt  sie.  Es  ist  schon  Mitter- 
nacht geworden.  Ein  Telegramm.  Über 
den  Sturm,  über  den  Fluß,  über  eine 
neuerliche  Erhöhung  des  Brotpreises.  Ein 
Schimmer  Hoffnung. 


Nordling  scheint  es,  daß  er  ein  Ge- 
räusch gehört  hat.  ,,Ich  will  mich  orien- 
tieren. Osten,  Westen  ..."  ,, Nor  den  — 
Süden  —  alle  Windrichtungen  auf  dem 
alten  Platz",  spottet  Onel.  Charly  soll 
den  Keller  untersuchen.  Er  fürchtet.  Alle 
gehen   hin.     Schrecklich,    das   Wasser   ist 


59 


noch  nicht  eingedrungen.  Nordhng  hört 
wieder  ein  Geräusch.  Alle  wollen  lau- 
schen.  Lisi   läßt  Bir  nicht  los. 

Alle  kommen  zurück.  „Wirklich  ir- 
gend ein  Geräusch."  ,,\Venn  ihr  ein  Ge- 
räusch gehört  habt,  so  war  es  nur  eine 
umgeworfene  Mauer",  sagt  Onel.  Doch 
die  Hoffnung  wächst.  Freser  befiehlt 
Charly,  die  Fetzen  in  den  Türspalten  zu 
kontrollieren.  Charly  wagt  nicht  zu 
widersprechen.  ,,Vivat,  die  Fetzen  sind 
trocken!  Die  Rettung  ist  nahe.  Vielleicht 
ist  auch  schon  der  Telegraph  in  Tätig- 
keit. Nein,  noch  nicht."  ,, Warten  wir 
noch."  Aber  Freser  will  nicht  warten, 
trinken  will  er  aus  Freude. 

,,Ich  trinke  auf  die  Rückkehr  zum 
Leben,  die  Sintflut  hat  uns  belehrt,  wie 
man  leben  soll",  bringt  Onel  einen  Toast 
aus.  ,,Und  ich  trinke  auf  die  Gesundheit 
Streatons,  der  uns  so  glänzend  bewirtet 
hat",  donnert  der  Schauspieler.  Streaton 
ist  umwölkt.  ,, Charly  hat  auf  alle  Fälle 
berechnet,  wieviel  Wein  ^^•ir  getrunken 
haben."  ,, Vielleicht  rechnen  alle  zusam- 
men." Man  rechnet  laut.  Bir  achtet  schon 


nicht  auf  Lisi   und  zählt   seine   Millionen. 

Das  Telephon  läutet.  Bir  spricht,  die 
Zentrale  meldet,  dafs  die  Linie  Nvieder 
funktioniert.    Man  soll   die   Tür   öffnen, 

,, Gefährlich",  darum  schlägt  man  es 
den  zwei  Arbeitslosen  vor;  aber  auch  die 
weigern  sich.  Onel  öffnet  das  Fenster. 
Licht  fällt  herein.  Nirgends  Wasser,  alle 
eilen  zum  Ausgang.  Streaton  legt  die 
Rechnung  für  die  Getränke  vor. 

Ein  neuer  Tag  mit  neuen  Gemein- 
heiten. ,,Die  Kette  erwies  sich  als  zu 
schwach",  sagt  Onel.  ,,Und  der  einzige 
Weg  nur  ein  angenehmer  Spaziergang", 
ergänzt  Freser. 

Nordhng  erinnert  Bir  an  das  Teleskop. 
,, Deine  Erfindung  ist  ein  Unsinn,  du 
mufst  dich  heilen."  Streaton  befiehlt,  die 
Bar  in  Ordnung  zu  bringen.  Alle  sind 
schon  \veggegangen. 

Onel  bleibt  allein.  , »Wieder  hat  das 
Leben  begonnen,  die  Börse,  die  Bräute, 
das  Geld  .  .  .  die  Menschlein  beschäfti- 
gen sich  wieder  mit  ihren  kleinen  Dingen. 
Die  Sintflut  ist  zu  Ende." 


60 


BERGER:  „SINTFLUT" 

Lisi  (Grober),  Onel  (Friedland) 


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STIMMEN   DER  PRESSE 


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Der  liter arische  Leiter  des  vv  arschauer 
Staattneaters  j^ilaszewski  erklärte 
Pressevertretern    gegenüher : 

Die  Vorstellungen  der  ,,Habima"  be- 
deuten einen  großen  Fortschritt  des 
Ensemblespieles.  Ich  kenne  die  wichtig- 
sten Aufführungen  von  Stanislawski  und 
es  scheint  mir,  daß  die  Inszenierung  des 
,,Dybuk"  durch  die  ,,Habima"  sich 
durch  neuere  Technik,  insbesondere  in  der 
gewagten    Charakterisierung,    auszeichnet. 

JHacn  dem  ersten  Gastspiel  in  vVar- 
scnau  meldete  die  offtzielle  ^.Polnische 
Telegra^nen-Agentur  in  allen  Vvelt" 
sprachen  : 

Die  erste  Vorstellung  des  ,,Hadybuk  ' 
der  ausgezeichneten  hebräischen  ,,Ha- 
bima"-Truppe  aus  Moskau  fand  gestern 
abends  statt.  Ein  großes  Auditorium,  in 
dem  die  besten  polnischen  Kritiker,  die 
bekanntesten  polnischen  Künstler  und  die 
ganze  jüdische  Elite  zu  sehen  waren,  war 
versammelt.  Nach  Schluß  der  Vorstellung 
glich  die  Bühne  einem  Blumenhain.  Ein 
Bankett  zu  Ehren  der  Künstler  fand  statt. 
Die  Zeitungen  sind  voll  des  höchsten 
Lobes  für  die  künstlerischen  Darbietungen 
der  ,,Habima". 

Die  ,,Habima'*  ist  kein  Theater,  in 
dem  die  Hauptrolle  der  einzelne  Schau- 
spieler, der  Star  spielt.  ,,Habima"  ist  ein 
Kollektivtheater,  ohne  zentrale 
Persönlichkeiten,  ohne  große  und  kleine 
Rollen .  .  .  Die  ganze  Kraft  und  der 
künstlerische  Wert  der  ,,Habima"  liegt 
in  der  intensivsten  Bemühung,  den  allge- 
meinen Inhalt  des  Stückes  klar  und  deut- 
lich herauszuholen.  In  Moskau  wurde 
das  moderne  jüdische  Theater  der  ernsten 
Disziplin  geschaffen.  Dort  entstand  ein 
neuer  nationaler  Kulturfaktor  .  .  . 

„Frunmorgen      (Riga) 

Ich  halte  die  Anschauung,  deiß  die 
,,Habima*'    über  wenig   individuelle   Ta- 


lente verfügt,  für  stark  übertrieben;  aus 
lauter  Puppen  könnte  auch  der  beste 
Regisseur  kein  lebendiges  Theater  schaf- 
fen. Richtig  ist  nur,  daß  die  Hauptkraft 
der  ,,Habima"  in  den  Massenszenen 
liegt .  ,  .  Der  ,,Dybuk*'  der  ,,Habima*' 
ist  ein  Riesenschritt  auf  dem  Weg  zu  der 
großen  jüdischen  Kunst  der  Zukunft. 

,,  vvilnaer  lag  ,   Dr.  Jeremias  Franke! 

Das  ist  die  Darstellungskunst  der  ,,Ha- 
bima":  nicht  nur  die  Poesie  des  Wortes 
soll  ihre  Wirkung  ausüben,  auch  das 
Auge  soll  seinen  guten  Teil  haben.  Das 
gemeinsame  Wirken  des  Wortes,  der 
Plastik,  des  Rhythmus,  des  Gesanges  und 
der  Musik  schafft  einen  unwiderstehlichen 
Eindruck  auf  den  Zuschauer.  Die  ,,Ha- 
bima"  hat  es  vermocht,  ihre  Aufgaben 
einwandfrei  zu  lösen  und  dafür  gebührt 
ihr  der  Dank  aller  Theaterfreunde. 

Armand  Äckerherg   (Lodz) 

Die  Kunst  der  ,,Habima*'  basiert  nicht 
auf  dem  einzelnen  Schauspieler,  sondern 
auf  dem  ganzen  Ensemble  und  jede  ein- 
zelne Rolle  ist  bis  in  die  Details  auf  die 
Gesamtwirkung  berechnet.  Jeder  Bettler 
und  jeder  Batlan  hat  dieselbe  Bedeutung 
wie  Lea,  der  Zadik  Ezriel,  Chanan  oder 
Meschulach.  Die  ,,Habima"  schließt 
also  den  Star  aus,  um  den  sich  alles  kon- 
zentriert. Der  Statist  ist  zur  Theatergröße 
geworden;  aber  auch  jeder  Statist  ist  hier 
ein  ausgezeichneter  Künstler. 

Dr.   W.   Fallek 

Die  Bedeutung  der  ,,Habima"  wächst 
auch  dadurch,  daß  sie  einen  Teil  der 
Studien  darstellt,  die  das  russische  The- 
ater in  der  letzten  Zeit  ausgeführt  hat. 
Wenn  das  Ganze  so  aussieht  wie  dieses 
Fragment,  das  wir  bewundern  konnten, 
so  kann  man  sagen,  daß  das  russische 
Theater  in  Wirklichkeit  eine  ganze  Reihe 
neuer  Werte  geschaffen  hat  .  .  .  ,,Habima** 
betrachtet     das    Theater     nicht     als    eine 


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G.  LEIWIK:  „GOLEM" 

Tanchum  (Raikin-Benari) 


G.  LEIWIK:  „GOLEM" 

Maharal     Prudkin 


Reproduktionskunst,  sondern  als  eine 
schöpferische,  selbständige  Kunst,  die  mit 
einem  besonderen  Matenal  operiert  und 
nicht  nur  aus  dem  Text  des  Dramas,  son- 
dern auch  aus  dem  Schauspieler  nur 
Hilfskräfte  macht,  die  dem  eigentlichen 
Schöpfer,  dem  Regisseur,  zur  Seite  stehen. 
Die  Dichtung,  der  Schauspieler,  die  De- 
koration, die  Beleuchtung  sind  für  den 
Regisseur  nur  Mittel,  aus  denen  er  das 
Bühnenwerk  komponiert ....  Freilich 
müssen  diese  Mittel  erstklassig  sein;  sonst 
könnte  zum  Beispiel  auch  der  geniale  Mit- 
arbeiter Starüslawskis,  Wachtganow,  aus 
diesen  Schauspielern  nicht  lebendige  Pla- 
stiken schaffen,  oder  besser  Reliefs,  die 
manchmal  den  Eindruck  machen,  als  wür- 
den sie  von  einem  hebräischen  Parthenon 
stammen  und  Marc  Chagall  hätte  sie 
originell  deformiert  .  .  . 

„T^asz  PrzegJontT',  Jakoh  Ä^^enscnlak 
(  Vvarscnau) 

Das  schöne  und  tiefschürfende  Stück 
von  An-ski  in  der  Interpretation  des 
,,Habima'*-Ensembles  ist  für  unsere 
Bühnenversuche  ein  Ereignis  von  außer- 
oidentlicher  Bedeutung.  Hier  legt  die 
Theaterkunst  am  lebendigen  Leib  der 
Poesie  ihre  Reifeprüfung  ab  .  .  .  Unsere 
Theatermaler  sollten  keine  einzige  Vor- 
stellung der  hebräischen  Truppe  ver- 
säumen. 

„Literarische    j\.acnri entert  ,    Slonimski 

Die  Welt  des  Ghetto  und  seine  Ver- 
knüpfung mit  den  Astralmächten,  der 
Kampf  der  Menschen  mit  geheimnisvollen 
Mächten,  die  Schaffung  des  Hinter- 
grundes voll  von  Elementen  des  Grauens 
und  des  Wunders  —  all  dies  wurde  von 
der  ,,Habima"  szenisch  ausgezeichnet  ge- 
löst. Der  Beifallsturm  nach  den  Akt- 
schlüssen war  ganz  spontan. 

„Przeglona  \vieczomy  ,  Äaam  Zagorski 

Es  führte  mich  in  dieses  Theater  eine 
große  Neugierde,  wie  dieses,  scheint  es, 
einzige  hebräische  Theater  auf  der  Welt, 
das   solch   eine    Reputation   hat,    auf   die 


sogar  Stanislawski  selbst  einen  Wechsel 
ausgestellt  und  unterschrieben  hat,  aus- 
sehen mag.  Die  Courtoisie,  die  in  dem 
Bereiche  der  Kunst  keinerlei  Vorurteile 
kennt,  zwingt  mich,  zu  sagen,  dafs  dieser 
ausgezeichnete  Mann,  der  die  ,,Habima" 
unterstützt  hat,  dies  keineswegs  aus  ir- 
gend welchen  Kompromifsrücksichten  ge- 
tan hat;  es  ist  wirklich  ein  Theater  von 
so  hohem  Niveau,  dafs  man  darüber  nur 
in  den  Ausdrücken  höchster  Bewunde- 
rung sprechen  kann.  Dieses  junge  Theater 
bringt,  gleichsam  um  zu  zeigen,  daß  es 
alle  neuen  Errungenschaften  des  Theaters 
in  sich  aufgenommen  hat,  im  ersten  Akt 
des  ,,Dybuk**  die  vollendete  Form  des 
Realismus,  im  zweiten  wählt  es  die  Me- 
thode der  Stilisierung  und  führt  dieselben 
Menschen,  die  früher  übermäßig  real  ge- 
staltet waren,  in  den  Zauberkreis  einer 
stilisierten  tragischen  Groteske.  Diese  Vor- 
stellung ist  ganz  besonders  interessant;  am 
interessantesten  ist  vielleicht  das  Lauschen 
der   altehrwürdigen   hebräischen   Sprache. 

„  vvarscnawianka  ,   K.  f^akuszynski 

Wir  verbrachten  gestern  im  Theater  No- 
wosci  einen  sehr  interessanten  Abend  .  .  . 
Es  war  wert,  die  ,,Habima'*  kennenzu- 
lernen. Das  Ganze  erstklassig.  Ein  vor- 
zügliches Ensemblespiel,  das  ganz  den 
einzelnen  Schauspieler  vergessen  läßt.  In 
der  Auslösung  der  Stimmungen,  in  dem 
Einfallreichtum  der  Gruppengestaltungen, 
die  gar  nicht  gezwungen  sind,  aber  immer 
wirken  —  ist  dieses  Theater  eine  impo- 
nierende Erscheinung.  Die  Charakterisie- 
rung der  Schar  der  Hochzeitsbettler,  ihr 
Tanz,  dann  die  Melodien,  die  die  ganze 
Aufführung  durchfluten  —  das  alles  ver- 
mittelt Eindrücke  von  exotischer  Pracht. . . 
Und  dieser  Tanz  der  Bettler,  um  ihn 
allein  ist  es  wert,  diesen  hebräischen 
,,Dybuk"  zu  sehen. 

„Kjurjer  Poranny' ,   Boy   Zelenski 

Das  Spiel  der  Schauspieler  macht  den 
größten  Eindruck  durch  die  Rhythmik 
und  Präzision  der  Bewegungen  und  Ge- 
bärden    (besonders    der    Handbewegun- 


67 


gen) .  Gleichermaßen  eine  außergewöhn- 
liche Präzision  m  den  Gruppenszenen. 
Die  Diskussionen  und  die  mystischen  Ver- 
zückungen der  jungen  Menschen  im  ersten 
Akt;  der  Tanz  der  Hochzeitsgäste,  der 
in  ihrer  Häßlichkeit  schauerlichen  Bett- 
ler und  die  Vorbereitungen  zur  Trau- 
ungszeremonie im  zweiten  Akt  und 
schließlich  die  Austreibungsszene  des 
dritten  Aktes  gehören  zu  dem  Vollendet- 
sten, das  ich  je  im  Theater  gesehen  habe. 
Die  ,,Habima'*  ist  ein  Schauspieleren- 
semble von  ganz  hoher  künstlerischer  Kul- 
tur und  besitzt  talentierte  Musiker,  Maler 
und  Regisseure.  Der  Klang,  die  Farbe, 
das  Wort  und  die  Gebärde  fügen  sich 
hier  zum  Ganzen,  das  eine  vollkommene 
künstlerische  Befriedigung  vermittelt, 

„Der   Ärhet'ter",    ^^allis 

Die  ,,Habima'*  ist  ein  Kind  unserer 
Kultur  und  unserer  Ideale.  Sie  ist  auf 
die  Welt  gekommen,  beseelt  von  den 
reinsten  Gedanken  und  von  den  ehrlich- 
sten Wünschen.  Die  ,,Habima"  ist  eine 
Ausstrahlung  eines  tiefen  und  breiten 
nationalen  Bewußtseins,  sie  bedeutet  den 
künstlerischen  Ernst  der  nationalen  Ju- 
gend und  den  heißen  Ethos  der  natio- 
nalen Renaissance  in   den  letzten  Jahren. 

Dr.   ?>doMoni,   T^ew   York 

Die  ,,Habima",  die  heute  auf  der 
Wanderung  durch  die  ganze  Welt  be- 
griffen ist,  ist  ein  Beispiel  nicht  nur  einer 
hohen  künstlerischen  Kultur,  sondern 
auch  eine  Volkserscheinung  einer  durch- 
geistigten Kunst,  der  ein  großes  Publi- 
kum überall  mit  großer  Begeisterung 
lauscht. 

„j\owa   Reforma  ,   Krakau 


Die  ,,Habima"  ist  ein  Kind  unseres 
Zeitalters,  die  reinste  Blüte  der  Sehn- 
sucht des  modernen  Menschen  und  des 
modernen  Juden.  Sie  gebar  eine  große 
Sehnsuchtswelle,  die  aus  drei  Quellen 
fließt:  aus  der  Kunst,  aus  der  jüdischen 
Wiedergeburt  und  aus  der  sozialen  Er- 
neuerung. Diese  drei  Begeisterungsquellen 
schufen   das    Phänomen    ,,Habima". 

Dr.    \vilnelm  Berkelliammer,  Krakau 

Die  ,,Habima"  ist  kein  Theater  des 
gewöhnlichen  didaktischen  Nutzens  und 
kein  Vergnügungsetablissement.  Die 
Theaterarbeit  der  ,,Habima*'  ist  eine 
Weltanschauungsarbeit.  Ihr  Schauspieler- 
tum  ist  weder  ihr  Hauptberuf  noch  ihre 
Nebenbeschäftigung;  es  ist  die  einzige 
Form  ihrer  Betätigung  auf  dieser  Welt, 
es  ist  ihr  einziger  Beruf. 

„Cjnwila  ,  Henrik  Hescne/es,   Lemherg 

Rhythmus,  malerische  Bewegung,  Mu- 
sik der  Sprache,  des  Spieles  und  der  Aus- 
drucksreichtum der  Hände-  und  Fußbe- 
wegungen, die  vollständige  Raumerfül- 
lung, Plastik  und  choreographische 
Kunst,  —  mit  einem  Wort:  es  war  eine 
große  Vorstellung.  Eine  Fülle  theatrali- 
scher Schönheit,  bei  uns  wenig  bekannte 
szenische  Ausdrucksformen  und  Möglich- 
keiten. Keine  Spur  von  Dilettantismus, 
alles  ist  überlegt  und  durchgearbeitet,  bis 
zum  kleinsten  Strich.  In  jedem  Augen- 
blick spielt  alles  auf  der  Bühne;  ein  ge- 
schlossenes Ganzes.  Das  ist  der  Weg  eines 
großen  Theaters,  so  muß  ein  Theater 
geführt  werden,  wenn  es  hohe  Ziele  er- 
reichen will  und  die  ,,Habima"  hat  schon 
viel  erreicht.  Wir  können  von  der  ,,Ha- 
bima"   viel  lernen. 

„Der  J^oment  ,   B.  Karnnius 


Herausgeber:   Moskauer  Theater  „Habima". 

Im  Selbstverlag. 

Alle  Rechte  vorbehalten. 

Druck  der  Waldheim-Eberle  A.  G.,  Wien  VII. 


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